Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII | HTML | PDF ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Wahn und Ueberzeugung - Reise des Kupferschmiede-Meisters Friedrich Höhne in Weimar - über Bremen nach Nordamerika und Texas in den Jahren 1839, - 1840 und 1841.
Author: Höhne, Friedrich
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Wahn und Ueberzeugung - Reise des Kupferschmiede-Meisters Friedrich Höhne in Weimar - über Bremen nach Nordamerika und Texas in den Jahren 1839, - 1840 und 1841." ***


########################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

Dieser Text wurde anhand der 1844 erschienenen Buchausgabe möglichst
originalgetreu erstellt. Die Zeichensetzung wurde sinnvoll korrigiert
bzw. ergänzt. Rechtschreibvarianten wurden nicht harmonisiert;
altertümliche Schreibweisen (z.B. ‚Schmuz‘ für ‚Schmutz‘, oder
‚Gefährde‘ für ‚Gefährte‘ wurden übernommen. Einige französisch- und
englischsprachige Begriffe wurden vom Autor lautmalerisch nachempfunden
(z.B. ‚stoor‘ für ‚store‘); diese Passagen bleiben hier unverändert.
Fußnoten wurden teils vor, teils nach Satzzeichen platziert; dies wurde
nicht verändert. Ansonsten wurden offensichtliche typographische Fehler
stillschweigend korrigiert.

Nicht alle im Text vorgenommenen Berechnungen sind korrekt; da aber
die Fehlerquellen nicht festgestellt werden konnten, mussten die
angegebenen Zahlen ohne Korrektur übernommen werden.

Im Original wurde bei der Nummerierung der Briefe 30 bis 39 das
Zahlwort ‚dreißig‘ in den Überschriften mit der Umschreibung ‚ſz‘ (sz
mit langem s) oder ‚ſs‘ dargestellt, möglicherweise weil der für die
Überschrift verwendete Schriftsatz das Symbol ‚ß‘ nicht enthielt. In
der vorliegenden Fassung wurden diese Buchstabenkombinationen durch das
auch im laufenden Text verwendete ‚ß‘ ersetzt.

Das in der Fußnote [21] verwendete Währungssymbol für 'Gulden' wird in
der vorliegenden Textfassung mit [*Gulden] wiedergegeben.

Der Übersichtlichkeit halber wurde vom Bearbeiter ein
Inhaltsverzeichnis eingefügt.

Um besondere Schriftschnitte zu kennzeichnen, wurden die folgenden
Zeichen verwendet:

    kursiv:   _Unterstriche_
    fett:     =Gleichheitszeichen=
    gesperrt: +Pluszeichen+
    Antiqua: ~Tilden~

########################################################################



[Illustration: Ansicht der Einfahrt in die Baÿ von New-York. Herrliche
Lage der Stadt.]



                        Wahn und Ueberzeugung.

   Reise des Kupferschmiede-Meisters Friedrich Höhne in Weimar über
 Bremen nach Nordamerika und Texas in den Jahren 1839, 1840 und 1841.

                Wahrhafte und ergreifende Schilderungen

                                  der

       Bremer Seelen-Transportirungen, der Schicksale deutscher
     Auswanderer, vor, bei und nach der Ueberfahrt; Reisescenen zu
    Wasser und zu Lande und ausführliche Rathschläge für Ansiedler
     im Bezug auf den Charakter, die Sitten und konstitutionellen
        Verhältnisse der Amerikaner, ihren Handel und Gewerbe.

                         Zum Nutz und Frommen

          deutscher Auswanderer von ihm selbst gesammelt und
       zusammengestellt. Nebst seiner Rückreise über England und
                              Frankreich.

                       Mit 7 Tafeln Abbildungen.

                   Weimar 1844 bei Wilhelm Hoffmann.



                                 +Dem+

                     treuesten Freunde in der Noth

                       meinem braven Landsmanne

                             =+Karl Aake+=

                          welcher in Amerika

                                 +die+

                  +deutsche Rechtlichkeit und Treue+

                            nicht abgelegt

                       +widmet dieses Werkchen+

                 +als Beweis seiner Achtung und Liebe+

                           =der Verfasser=.



Inhalt.

    Vorwort.                                                          II
    Erster Brief.                                                      1
    Zweiter Brief.                                                     6
    Dritter Brief.                                                    10
    Vierter Brief.                                                    15
    Fünfter Brief.                                                    20
    Sechster Brief.                                                   26
    Siebenter Brief.                                                  32
    Achter Brief.                                                     39
    Neunter Brief.                                                    44
    Zehnter Brief.                                                    51
    Eilfter Brief.                                                    57
    Zwölfter Brief.                                                   62
    Dreizehnter Brief.                                                68
    Vierzehnter Brief.                                                75
    Funfzehnter Brief.                                                85
    Sechzehnter Brief.                                                93
    Siebenzehnter Brief.                                             101
    Achtzehnter Brief.                                               111
    Neunzehnter Brief.                                               119
    Zwanzigster Brief.                                               130
    Einundzwanzigster Brief.                                         135
    Zweiundzwanzigster Brief.                                        143
    Dreiundzwanzigster Brief.                                        150
    Vierundzwanzigster Brief.                                        167
    Fünfundzwanzigster Brief.                                        176
    Sechsundzwanzigster Brief.                                       184
    Siebenundzwanzigster Brief.                                      191
    Achtundzwanzigster Brief.                                        199
    Neunundzwanzigster Brief.                                        208
    Dreißigster Brief.                                               216
    Einunddreißigster Brief.                                         226
    Zweiunddreißigster Brief.                                        238
    Dreiunddreißigster Brief.                                        245
    Vierunddreißigster Brief.                                        253
    Fünfunddreißigster Brief.                                        263
    Sechsunddreißigster Brief.                                       270
    Siebenunddreißigster Brief.                                      278
    Achtunddreißigster Brief.                                        287
    Neununddreißigster Brief.                                        296
    Vierzigster Brief.                                               304
    Einundvierzigster Brief.                                         312
    Zweiundvierzigster Brief.                                        327
    Dreiundvierzigster Brief.                                        339
    Vierundvierzigster Brief.                                        348
    Fünfundvierzigster Brief.                                        355
    Sechsundvierzigster Brief.                                       362
    Siebenundvierzigster Brief.                                      378
    Achtundvierzigster Brief.                                        385
    Neunundvierzigster Brief.                                        393
    Funfzigster Brief.                                               402
    Einundfunfzigster Brief.                                         412
    Zweiundfunfzigster Brief.                                        420
    Die Heimkehr.                                                    426
    Nachschrift.                                                     434



Vorwort.


Lange nahm ich Anstand, bevor ich mich entschließen konnte, die
gesammelten Erfahrungen während meines Aufenthalts in Amerika und das
mannichfaltig Erlebte auf der Land- und Seereise zu veröffentlichen,
da es mir theils wegen anderer Geschäfte an der nöthigen Zeit fehlte,
und ich auch unverhohlen gestehen muß, daß es mir, der ich nicht in
literarischen Arbeiten geübt, eine zu schwierige Aufgabe war, um Etwas
zu liefern, welches mit den schon vorhandenen Werken über jenes Thema
in die Schranken treten könne.

Nur den Aufforderungen von mehreren Seiten und der Bemerkung gab ich
nach, daß es zwar Abhandlungen über Amerika genugsam gäbe, diese
meistens aber von Leuten herkämen, welche als Gelehrte sich darüber
ausgesprochen, oder von solchen, deren finanzielle Verhältnisse
es möglich machten, sowohl der Seereise, als dem Aufenthalte in
Amerika selbst, die beste Seite abzugewinnen und somit Stoff zu den
interessantesten, mitunter höchst verführerischen Beschreibungen
geben, von welchen Herrlichkeiten aber den ärmern auswandernden
Professionisten oder Bauern nichts zu Gute kömmt, und es deshalb
hauptsächlich an einer zusammenhängenden, von aller Gelehrsamkeit
befreiten, sich aber bis in die niedrigsten Nüançen des menschlichen
Lebens erstreckenden Erzählung fehle.

Dieses bestimmte mich, nun Hand an’s Werk zu legen, und man erwarte
daher keine gelehrte Abhandlung, sondern schlichte, der Wahrheit treu
ohne Ausschmückung gemachte Darstellungen, welche nicht für das fein
gebildete Publikum, sondern mehr für die niedern Stände geschrieben
worden, von denen die meisten Leute diese Reise mit wenig Mitteln
unternehmen, und deswegen Beschwernissen und Gefahren ausgesetzt sind,
wovon begüterte Reisende, welche mit vollen Taschen ein Sibirien zu
einem Paradiese umschaffen könnten, nichts erfahren, leider aber,
gewöhnlich Erstere, durch ihre süßen Darstellungen zur Auswanderung
auffordern und ermuntern.

Noch größeres Unheil, als solche überzuckerte Reisebeschreibungen,
verursachen aber auch nicht selten die brieflichen Nachrichten, welche
über’s Meer Freunden und Verwandten zugeschickt werden, und wo Alles in
vergrößertem Maaßstabe angegeben ist, das aus amerikanischen Zeitungen
Gelesene und Gehörte, als wahr und ausgemacht, nacherzählt wird, wo man
Dollars verdient wie bei uns die Groschen, keine Steuern und Abgaben zu
entrichten hat, wo Freiheit und Gleichheit vorherrschend sind, und wo
mit einem Worte der Himmel schon auf Erden angetroffen wird.

Solche Briefe gehen gewöhnlich von Haus zu Haus, und wahr ist Alles was
darinnen steht, wenn sich auch die Sätze nicht zusammenräumen lassen.
-- Denn der Vetter hat ja bei seinem Abgange versprochen, Alles genau
zu schreiben, und wie sollte es auch im Lande der Wunder anders seyn?

Hört man aber auch mitunter von Einem, dem es nicht so recht glücken
will, der um Geld oder sonstige Unterstützung schreibt, und das Elend,
in welchem er und tausend Andere schmachten, schildert, und die
verwünscht, welche durch lügenhafte Berichte ihn vermocht, sein theures
Vaterland zu verlassen und in’s Unglück gestürzt haben, der wird statt
bedauert, ausgelacht und ihm wenigstens theilweis die Schuld für das
Mißlingen seiner gemachten Pläne beigemessen, wenn man ihn nicht gar
unter die zählt, welche durch ein ungeregeltes, lüderliches Leben nur
sich selbst alles zu erleidende Ungemach zuzuschreiben haben.

Dieses ist die Ursache, warum so Viele gar nicht schreiben, da sie
nicht lügen wollen, die Wahrheit aber aus falscher Schaam und um nicht
mißverstanden zu werden, zu verheimlichen suchen und ihr Loos im
Stillen tragen. Demnach werden noch Viele ihr Vaterland verlassen, und
zu spät einsehen lernen, was sie bei dem Tausche gewonnen oder verloren
haben.

Es wird daher nicht ganz ohne Interesse und Nutzen seyn, die meiner
Familie geschriebenen Briefe dem Drucke zu übergeben, woraus man sehen
wird, wie mannichfaltig das Geschick in der neuen Welt mit dem Menschen
spielt, was der unbemittelte Reisende auf einer solchen Tour mehr oder
weniger abzuhalten hat, und was des armen Deutschen Loos gewöhnlich in
seinem adoptirten Vaterlande ist.

Schließlich erlaube ich mir noch die Bemerkung: daß von Allem, was ich
über Amerika gelesen, die Gall’schen Notizen am Uebereinstimmendsten
mit meinen selbst gemachten Erfahrungen sind, und es ist demnach
Jedem, welcher nicht lockende Berichte über Amerika, wie es die von
Duden sind, lesen will, die Gall’sche Reisebeschreibung zu empfehlen.

Ich lebe nun in der Hoffnung und dem Vertrauen, daß dem
Niedergeschriebenen eine gerechte und billige Beurtheilung nicht fehlen
werde, da solches die Arbeit eines Laien und mithin aus einer nicht zum
Druck geeigneten Feder fließt, wie auch, daß die gute Absicht nicht
zu verkennen sey, welche mich zur Herausgabe dieses Werkchens bewog,
nämlich mit dazu beizutragen, daß man immer richtiger und unbefangener
einsehen lerne, was der wenig bemittelte und der Landessprache
unkundige Auswanderer in Amerika zu suchen und zu finden hat.

    =Der Verfasser.=


Ohne dem Eigenthümlichen und Einfachen der Schreibart des Herrn
Verfassers zu nahe zu treten, habe ich mir, bei der Durchsicht des
Manuskripts nur hie und da Aenderungen erlaubt, der Rechtschreibung
der Namen von Personen, Städten, Ländern, Flüssen etc. nachgeholfen
und selbst mehrere deutsche, wahrscheinlich von Deutschen in Amerika
gebildete Provinzialismen stehen lassen und so mag denn dieses Büchlein
in seiner schmucklosen Sprache in die Welt gehen und den Nutzen
stiften, welchen sein Verfasser mit Recht erwarten kann.

Taf. ~I.~ der Abbildungen, von welcher ~pag. 29~ die Rede
ist, fällt weg, weil man vorzog, anstatt der Abbildung eines Schiffes,
besser die Ansicht von ~New-York~ beizugeben.

    Weimar den 12. Juli 1843.

    =Wilh. Hoffmann.=



Erster Brief.

    Bremen im Juni 1839.

Landreise von Weimar nach Bremen.


    Gott zum Gruß an Euch alle meine Lieben!

Das Ziel der Landreise ist glücklich erreicht und unsere Karavane nach
manchen überstandenem Ungemach am 12. d. M. früh 9 Uhr hier angekommen.

War schon die Erinnerung an den Abschied von Allem was uns lieb und
theuer ist, nicht geeignet, den Anfang einer solchen Reise angenehm
zu machen, um so mehr mußte die ungünstige Witterung der ersten
Tage dazu beitragen, das Gemüth niederzudrücken und den Muth der
Reisegesellschaft herabzustimmen.

Auf Wittigs Höhe[1], dem Sammlungsort der Reiselustigen, wohin mir
einige Freunde das Geleite gaben, wurde von den jungen Leuten zum
Abschied so lange gezecht, gesungen und gesprungen, bis die mit dem
Gepäck, Weibern und Kindern beladenen Wagen ankamen und zum Aufbruch
mahnten.

Obgleich mir das Herz durch den Abschied von Weib und Kindern
zerspringen wollte, war ich doch bis hierher Herr meiner Gefühle,
dem Vorsatz treu geblieben, als Mann standhaft das unternommene
Werk zu beginnen und mit Gottes Schutz und Beistand auszuführen. Als
aber beim Scheiden das Lied: „Nun leb’ denn wohl, du stilles Haus!“
angestimmt wurde, und Viele sich zum letzten Male die Hände drückten
und für dieses Leben auf immer Abschied nahmen, da vermochte auch ich
die Thränen nicht länger zu unterdrücken, welche dem beengten Herzen
Luft zu machen suchten, empfahl nochmals den zurückkehrenden Freunden
Frau und Kinder und eilte dem Wagen voraus, der mich, erst langsam
nachfolgend, in Linderbach[2] einholte, wo ich, an Leib und Seele
ermattet, weilte.

Was ich auf diesem Wege gedacht und empfunden, vermag ich nicht zu
beschreiben. Wie ein gehabter Traum nach dem Erwachen nur noch dunkel
dem Gedächtniß erinnerlich ist, so stand mein Lebenslauf vor meiner
Seele, und jetzt noch frage ich mich oft: wachst du, oder ist Alles nur
ein Traum, was du wachend erlebt zu haben glaubst?

Die Sitze auf dem Wagen waren schlecht arrangirt, so daß unmöglich
neben dem Gepäck das ganze Personal Platz haben, und daher nur
abwechselnd gefahren werden konnte. Ein Familienvater stieg ab und
überließ mir seinen Raum mit der Bitte, das schlafende kleine Kind
im Schooß zu beherbergen. Bald war ich selbst entschlummert und der
Gott des Schlafs suchte die matten Glieder von Neuem zu stärken, als,
o Vorgeschmack der Reise! ein übler Geruch mich aus dem süßen Traume
weckte und ich nun mit Schrecken bemerkte, daß mein Schützling mich
mit einer Gabe beschenkt, welche mich mit einer Schnelligkeit vom
Wagen trieb, die ich mir bei meinen zusammengerüttelten Gliedern nicht
zugetraut hätte.

Die Zeit des Anhaltens in Erfurt benutzte ich dazu, um noch einige
Geschäftsangelegenheiten abzumachen, wurde aber dabei wider Erwarten
aufgehalten, so daß ich vermuthen mußte, die Karavane habe bereits
schon die Stadt verlassen. Ich schlug daher den kürzesten Weg zum Thore
ein, ohne vorher im Gasthofe nachzusehen, ob die Wagen abgegangen
oder nicht; die gefragte Schildwacht bestätigte das Erstere, und im
Sturmschritt wurde der Berg erstiegen. Da aber auf der Höhe nichts
von den Wagen zu bemerken war, entgegenkommenden Fuhrleuten auch
keine Auswanderer begegnet seyn wollten, so war guter Rath theuer,
da entweder der Soldat oder die Letztern mich zum Besten gehabt.
Sollte ich weilen oder meine Schritte verdoppeln. Unschlüssig, was zu
thun oder zu lassen sey, nöthigten mich Regentropfen im Gasthof zu
Schmiera[3] Obdach zu suchen.

Ein schweres Gewitter hatte sich zusammengezogen und der nahe Donner
kündigte dessen Entladung über unsern Häuptern an. Der Sturm wühlte
den Chausseestaub dermaßen auf, daß kein Baum mehr zu erkennen war,
bis der herabströmende Regen wieder freie Aussicht verschaffte. Mitten
unter diesen Naturereignissen kam in vollem Lauf der Pferde eine Chaise
an, und vom Hintertheil derselben sprang einer meiner Reisegefährten,
welcher, um der Nässe zu entgehen, diese Fahrgelegenheit benutzt hatte,
und gab Kunde, daß die Wagen noch zurück, das männliche Personal aber
denselben vorausgeeilt und bis aufs Hemde durchnäßt, bald nachkommen
würde. So bedauerlich auch ihr Anblick war, so konnte ich mich doch des
Lachens nicht enthalten, dankte aber Gott im Stillen, daß er mich durch
die falsche Angabe des Soldaten zur Eile angetrieben und dadurch vor
Durchnässung so wie vor leicht möglicher Erkältung beschützt hatte.

Ganz verstimmt langten wir Abends spät in Siebeleben[4] an, wo das
erste Nachtquartier gehalten wurde. Des Streueschlafens längst entwöhnt
und durch das Kindergeschrei beunruhigt, welche durch die Reise aus
aller Ordnung gebracht, die ganze Nacht kein Auge schlossen, verließ
ich früh das Lager müder, als ich solches am Abend eingenommen[5].
Meine erste Sorge war jetzt, das Gepäck so zu plaçiren, daß bei gutem
Wege das ganze Personal aufsitzen und fahren konnte. Ein vom Wirth
requirirtes Bret wurde hinten querüber auf einen der Wagen gelegt und
diente mir, der im Voraus auf jedes fernere Kindergeschenk Verzicht
leistete, so wie noch drei Andern als Platz.

Obgleich schon beim Antritt der Reise von mir in allen Stücken die
größte Vorsicht anempfohlen worden war, damit nicht durch etwaiges
Unglück eines Einzelnen, durch Aufenthalt das Ganze darunter leiden
müsse, so hätte dennoch vor Gotha ein Kind leicht tod gefahren werden
können, da es während des Absteigens vom Vorderwagen fiel und die
Räder dicht an dessen Kopf vorbeigingen.

In Gotha wurde nicht angehalten und nur während der Durchreise das
Nöthige eingekauft. Erst zwei Stunden später, wo gefrühstückt werden
sollte, kam die sich daselbst zerstreute Gesellschaft wieder zusammen,
nur der Großvater einer Schuhmacherfamilie blieb aus. Länger zu
verweilen hielt der Fuhrmann für unräthlich, versprach aber langsam zu
fahren, damit der Alte, der übrigens kein schlechter Fußgänger war, uns
bis Mittag einholen könne. Doch auch diese Zeit verstrich und es mußte
von Neuem angespannt werden, und schon hatten wir Ammern, wo das zweite
Nachtquartier gehalten werden sollte, erreicht, ohne daß der alte Mann
wieder zu uns gekommen war. Die Angst des Sohnes, so wie auch dessen
Frau und Kinder, läßt sich denken, denn jetzt war es ausgemacht, daß er
entweder krank liegen geblieben sey, oder von Gotha aus einen falschen
Weg verfolgt haben mußte. Ohne Reisepaß und Geld, da beides der Sohn in
Verwahrung hatte, hoch an Jahren, wie sollte der Arme, wenn er nicht
noch diese Nacht ankam, uns einholen? Alles nahm den größten Antheil
an der beängstigten Familie. Kein Auge wurde die Nacht über zugethan,
da man bei jedem Geräusch die Ankunft des Verirrten vermuthete. Der
Morgen brach an, die Fuhrleute mahnten zum Aufbruch, und noch war der
Ersehnte nicht da. Der Sohn, außer sich, wollte zurückkehren, um den
Vater zu suchen; doch welchen Weg sollte er einschlagen, wo ihn finden?
Mußten wir nicht befürchten, bei etwaiger Ankunft des Gesuchten, den
Sohn zurückzulassen? Hier aber noch länger zu verweilen, stimmte nicht
mit den Ansichten der Fuhrleute überein, welche vermutheten, daß der
Fehlgegangene seinen Weg über Eisenach und Kassel fortgesetzt habe und
erst in Hannover zu uns stoßen werde. Diese Ansicht theilten mehre
von der Gesellschaft, und so sehr auch ich und die beängstigte Familie
um längern Verzug baten, so wurden wir doch überstimmt und demnach
unverzüglich aufgebrochen.



Zweiter Brief.

    Bremen im Juni 1839.

Fortsetzung.


Die Witterung am dritten Tage unserer Reise war ebenfalls äußerst
ungünstig, da es fortwährend näßte und Staupen gab, so daß, als wir
das Eisfeld passirten, welches schon dem Namen nach keine warme Gegend
verspricht, wir uns mitten in den Winter versetzt glaubten. Das
gestrige Gewitter hatte in dieser Gegend großen Schaden verursacht; die
Felder verschlämmt, die Straßen zerrissen und in mehren Ställen das
Vieh ersäuft. Das größte Unglück hatte aber eine Auswanderer-Familie
aus Baiern betroffen, welche bei herannahendem Gewitter den Wagen
verlassen, um nicht vereint den Blitz an sich zu ziehen. Nur zwei
kleine Kinder, in wollene Decken gewickelt und mit Betten zugedeckt, um
sie vor der Nässe zu wahren, wurden auf dem Wagen zurückgelassen. Wer
vermag aber den Schrecken der Mutter zu beschreiben, als sie nachsieht
und eins derselben erstickt findet.

In Duderstadt, dem Grenzorte vor Hannover, wurde heute etwas früher
als gewöhnlich das Nachtquartier bezogen, da hier die Pässe visirt,
das nöthige Reisegeld vorgezeigt und auf das Gepäck Durchgangszoll
entrichtet werden mußte.

Die Schuhmacherfamilie, durch die Abwesenheit des Großvaters, nach
welchem die Kinder beständig fragten, voller Unruhe und äußerst
betrübt, hielt den Muth der übrigen Gesellschaft fortwährend
niedergedrückt, und ich hatte meine ganze Beredsamkeit aufzubieten, um
den Armen Trost zuzusprechen. Eben saßen wir insgesammt am Tisch, um
das Nachtmahl einzunehmen, als der Sohn des Zurückgebliebenen, welcher
vor dem Hause auf und abgehend, der Ankunft des Vaters ängstlich
geharrt, mit dem Freudenrufe hereinstürzte: „Ach Gott, mein armer Vater
kömmt!“ Er war es, doch in welchem Zustande? Ganz erschöpft sank er zu
den Füßen seiner Kinder nieder.

Der arme alte Mann war in Gotha beim Einkauf von Schnupftaback von
seinem Begleiter getrennt worden und ohne weiter zu fragen, auf dem
geraden Wege, welcher nach Eisenach führt, fortmarschirt. In dem
Wahne, die Wagen seyen noch zurück, hat er bereits einige Stunden
Weges zurückgelegt, bis ihn die Müdigkeit zum Einkehren zwingt, wo
er den Irrthum erst gewahrt, und da kein näherer Weg ihn auf den
richtigen Pfad leitet, sieht er sich genöthiget, nach Gotha zurück zu
wandern. Das Gehen entwöhnt, zum Fahren ohne Geld, muß er mit Angst und
Noth, da ihm ein wunder Fuß nur langsam zu gehen erlaubt, den Seinen
nachzukommen suchen. So wankt er, nur wenige Stunden der Ruhe gönnend,
Tag und Nacht seinem Ziele zu. Nur noch zwei Stunden vom Grenzort
entfernt, schwinden ihm die Kräfte ganz; er kann nicht weiter und
sucht schon Nachtquartier. Da kommt ein Reisender (sein guter Geist)
und zeigt ihm die Möglichkeit, uns heute noch einzuholen, da wir in
Duderstadt verweilen müßten, was morgen weniger möglich sey, wenn
ihm durch Ruhe die ausgespannten Sennen erschlaffend, den Dienst zur
Weiterreise versagen würden. Diese Aufmunterung wirkt, er sucht von
Neuem sich fortzuschleppen und kömmt gleich dem Galeerensclaven, den
man im Schauspiel sieht, bei seinen Kindern an.

Aufs Neue bat ich jetzt, daß Niemand mehr den Zug verlassen sollte und
ahnete nicht, daß ich selbst schon in den nächsten Tagen gleich jenem
mich verirren würde.

Die Witterung schien sich am 7. Juni günstiger zu gestalten. Die Sonne
brach die trüben Wolken und mit ihren warmen Strahlen drang neues Leben
in uns ein. Alle hatten die Wagen verlassen und nur der Irrgänger blieb
wie zerschmettert auf demselben liegen.

In Einbeck trafen wir mit einer Gesellschaft Baiern zusammen, die
ebenfalls ihr Heil in Amerika suchen wollten und logirten mit ihnen
im Gasthofe zur Stadt London. Doch bald sollten wir erfahren, daß wir
wirklich in London waren, weil alles sehr theuer war. Hatte es daher
schon am Abend beim Zahlen der Zeche Verdrießlichkeiten gegeben,
so wurde der Unmuth und die Zänkerei um so lauter, als man das zur
Streue dienende Stroh nur spärlich herbeischaffte und der Wirth sich
beleidigender Ausdrücke bediente, weil nur wenige von uns Betten
verlangten. Mir selbst blieben in der überfüllten Stube, dicht an
der Thür nur einige Halmen zur Unterlage übrig, weshalb ich mehr
und mehr links zur Nachbarin rückte, die freundlich Platz zu machen
schien, als ein Marqueur über meine Beine stolperte und meinen Nachbar
rechts mit dem gefüllten Waschbecken begoß. Dieser, welcher diese
Taufe für beabsichtigten Schabernack hielt und ohnedies auf Jenen,
der sich unberufen in Liebeshändel eingemischt, aufgebracht war, faßt
schnell des Marqueurs Beine und kühlt seinen Muth an diesem Armen.
Der Wirth, gelockt vom Lärm, eilt mit den Seinen herbei, doch eben
so schnell verlassen wir das Lager, und da aus Zufall oder List die
Lichter schnell verlöschen, erhält mancher in der Dunkelheit einen
Schlag, welcher ihm nicht zugedacht war. Ich selbst, der nächste an
der Thür, verzichtete auf Ruhm und Ehre, ergreife schnell die Flucht
und suche Schutz auf einem unserer Wagen, wo mein Bruderssohn sich
schon hinredirirt hatte. -- Neuem Zank am Morgen zu entgehen, wurde der
Wagen früh von uns verlassen, in der Absicht, im nächsten Dorfe die
Reisegefährten zu erwarten.

Die majestätisch aufgehende Sonne versprach heute einen der schönsten
Tage unserer Reise, und froh und vergnügt, da uns manche Scene vom
gestrigen Abend zum Lachen zwang, waren wir im Gespräch bis zu der
Stelle gekommen, wo der Angabe nach ein über den Berg führender Feldweg
das Ziel der Reise um eine Stunde abkürzen werde, und uns später wieder
auf die Straße leiten sollte. Obgleich mit rüstigen Füßen die ermüdende
Straße zum Bergdorf bald zurückgelegt war, so sanken wir doch erschöpft
auf das zum Ruhen einladende junge Gras und die reizende Gegend in
das weit sich ausbreitende Thal ließ bald die gehabten Beschwernisse
vergessen. Im Dorfe selbst war so früh des Tages noch Niemand zu
erspähen, wo man die nöthige Erkundigung in Betreff der Richtigkeit
des Weges hätte einziehen können. Es wurde daher von uns der hinter
demselben angetroffene gebahnte Weg muthig betreten, welcher aber
bald rechts bald links in mehre Arme sich ausbreitete, schwer noch
die richtige Straße erkennen ließ. Nach einem mehrstündigen Wege war
endlich in weiter Ferne die sich um einen Berg windende Chaussee dem
Auge sichtbar, welche nach der Gegend führte, wohin unser Fußweg durch
Getraidefelder sich schlängelte. Schnell eilten wir vorwärts, um noch
vor Ankunft der Wagen unsere leeren Magen zu füllen und auszuruhen.

Eben hatte ich mich, auf den bestellten Kaffee wartend, auf der
Schenkbank ausgestreckt, als der Wirth neugierig nach dem Ziel unserer
Reise fragte, und als er Willwingen als den Ort unserer heutigen Etappe
vernommen, die Schreckenskunde gab, daß dieses nicht der Weg nach
jener Stadt sey, indem diese Straße ins Münsterland und nicht nach
Hannover führe. Zu früh, setzte er hinzu, hätten wir am Morgen die
Chaussee verlassen, da solche in zwei Arme getheilt, der eine links
zu ihm, der rechts aber für uns der richtige gewesen sey. Sollte ich
fluchen oder beten? Ich, der erst anbefohlen, daß Keiner die Wagen
mehr verlassen sollte, mußte selbst Fersengeld entrichten und hatte
dabei für Spott der Reisegesellschaft nicht zu sorgen. Um nicht die
gekommene Straße zurück machen zu müssen, führte uns ein angenommener
Bote einen Holzweg über die steilen Berge, und so erreichten wir nach
vierstündigem sauern Marsch die richtige Chaussee.

Zu unserm Glück hatten die Fuhrleute am Morgen etwas später als
gewöhnlich eingespannt, und da sie uns vermißten, langsam gefahren,
weshalb wir im nächsten Gasthofe noch einige Zeit auf die Gesellschaft
warten mußten. Von jetzt an verließ Keiner mehr die Wagen.



Dritter Brief.

    Bremen im Juni 1839.

Fortsetzung.


Im Dorfe Limmer bei Alsfeld, woselbst Mittag gemacht wurde, trafen
wir Auswanderer, welche von Bremen zurückkehrend, die Kunde brachten,
daß bei dem jetzt überhäuften Andrang von Reiselustigen und bei dem
Mangel an Transportschiffen, die Kaufleute das Fahrgeld erhöht und ohne
Unterschied des Alters 44-45 thlr. in Gold ~pro~ Kopf bezahlt
werden müsse, wodurch sie, die außer Stande so viel geben zu können,
gezwungen wären, in ihre Heimath zurückzukehren. Man denke sich bei
dieser Nachricht den Schreck der Familien unserer Karavane, welche
viel Kinder bei sich und für solche nur auf wenig Fahrgeld gerechnet
hatten. Sollten sie ebenfalls umkehren, oder durch den Verkauf ihrer
Habseligkeiten, die Seereise dennoch zu ermöglichen suchen, und dann
von Allem entblöst, als Bettler den amerikanischen Boden betreten?
Noch unschlüssig, was zu thun oder zu lassen sey, stimmte ich dafür,
wenigstens bis Bremen das einmal Unternommene auszuführen, um sich an
Ort und Stelle von der Richtigkeit der Angabe selbst zu überzeugen, da
leicht Mißverständnisse obwalten könnten.

Während ich langsam vorausging, um das so eben Erfahrene im Tagebuche
zu notiren, hatten die jungen Leute meine Abwesenheit benutzt und das
von mir verbotene Necken erneuert, wobei ein Steinwurf den Einen,
welcher mit hinten auf dem aufgelegten Wagenbret saß, am Kopfe
verletzt. Dieser nun, um sich zu rächen, springt ab, ohne jedoch seinem
Nebenmann etwas zu sagen, wodurch das Bret das Gleichgewicht verliert
und der Andere stürtzt und sich die Hand ausfällt. Der Springer aber
ließ einen Theil seiner Beinkleider am Wagen hängen, wodurch er bei
einer kurzen Jacke, das Gelächter der ganzen Gesellschaft erregte.

Den 8. Juni trafen wir im Nachtquartier zu Willwingen einen tauben
Wirth, der auf alle an ihn gerichteten Fragen mit dem Kopfe schüttelte
und zur Geduld verwieß, bis seine Frau zu unserer Bedienung vom Felde
kommen werde. Hungrig wie die Wölfe, wurde sogleich selbst Hand
angelegt und das letzte Fleisch im Orte zum Abendbrod vorgerichtet,
doch bei mangelnder Aufsicht hatten die Haushunde noch vor dem Kochen,
solches in Sicherheit gebracht und wir mußten den hungrigen Magen mit
saurer Milch und Sallat füllen, dem Einzigen, was wieder aufzutreiben
war, wodurch sich Mancher wegen Magenerkältung gezwungen sah, die
ganze Nacht über auf den Beinen zuzubringen. War aber auch das Essen
schlecht, so erhielten wir eine um so bessere Streue, und der gute
Kaffee am Morgen ließ alles Uebrige leicht vergessen.

Da heute Hannover passirt werden sollte, so zeigte Freund M., daß er
der Sohn eines Schneiders sey und nähte das halbe Hintertheil der auf
dem Wagen hängen gebliebenen Hose so geschickt zusammen, daß der arme
Gefallene nur drei Zoll weite Schritte machen konnte und das eine
Hosenbein um ein Viertheil kürzer als das andere war. Auch der Glaser
R. ließ heute sein Talent als Friseur glänzen und schor dem Zimmermann
S. die Haare so glatt wie einem Hammel, wofür des letztern Frau ihm zum
Danke die gröbsten Reden anzuhören gab.

Hannover, wo wir Mittag ankamen, schien der Sammelplatz deutscher
Auswanderer zu seyn, in allen Straßen waren deren anzutreffen,
vorzüglich aber auf dem Paradeplatze, wo die schönste Musik gemacht
wurde, weil es Sonntag war. Auch wir vergrößerten die Zahl der
Neugierigen und ich hatte bald Gelegenheit, mit einigen Bürgern eine
Unterhaltung anzuknüpfen, während welcher ich die Bemerkung machen
mußte, daß solche ihre Landesangelegenheiten weniger kannten, als
wir Ausländer. Außer der gepuderten Hofdienerschaft, welche gleich
Marionetten vor den Wohnungen der Herrschaften aufgestellt sind, kam
uns von den höchsten Herrschaften selbst nichts zu Gesicht. Eben so
wenig konnte wegen Kürze der Zeit irgend eine Merkwürdigkeit der Stadt
in Augenschein genommen werden.

Zu Neustadt, am Rübenberg, wo am Abend ausgespannt wurde, erfuhr ich
vom Wirth, daß heute sechs Wagen mit Auswanderern den Ort passirt
hätten, und daß nach der Zahl derselben zu schließen, welche in letzter
Zeit hier durchgereist wären, Bremen ziemlich angefüllt seyn müßte, so
daß schwerlich bei dem täglichen Zudrang von Menschen, die nöthigen
Transportschiffe vorhanden seyn könnten.

Jetzt vermuthete ich selbst, daß die uns begegneten Auswanderer,
welche wieder der Heimath zugeeilt waren, nicht ganz Unrecht haben
dürften, und brachte daher bei meiner Reisegesellschaft in Vorschlag,
daß ich diese Nacht mit der durchfahrenden Post auf gemeinschaftliche
Kosten nach Bremen vorausfahren, um vielleicht noch mit den am 15.
dieses Monats absegelnden Schiffen akkordiren zu können. Der Vorschlag
wurde angenommen und um Mitternacht bestieg ich den nur mit einem
Passagier besetzten Postwagen, welcher schlaftrunken mich in dem
blauen Ueberhemde für einen schlichten Bauersmann halten mochte und
so brummend in der Wagenecke liegen blieb. Der Gott des Schlafes
schloß auch meine Augen bald, und schon blickte die Morgensonne
zum Wagenfenster freundlich herein, als mich der Hunger weckte, da
ich Abends vorher nichts genossen hatte. Eben im Begriff, aus der
Jagdtasche etwas heraus zu langen, hielt der Wagen an der neuen Station
an, wo beim Oeffnen des Schlages auch mein Begleiter erwachte und von
dem Marqueur dienstfertig aus dem Wagen gehoben wurde, welche Ehre mir
aber, in dem man keinen respektablen Gast vermuthete, nicht zu Theil
wurde. Beim Kaffeetrinken wünschte der Fremde meine Bekanntschaft zu
machen und fragte daher: „Wie weit die Reise, Landsmann!“ Nach Amerika!
gab ich kurz zur Antwort. „Auf der Post, erwiederte er spottend?“ Ja,
wenn es seyn könnte, entgegnete ich; nur müßte ich dabei wünschen,
die Reise nicht in Ihrer Gesellschaft machen zu müssen. „Und warum?“
fragte er, über meine Antwort verwundert; da ich auf der Reise gerne
spreche, gern etwas erzählen höre und vor Allem das Schnarchen nicht
vertragen kann. „Ich habe Sie, wie es scheint, verkannt!“ sprach er
forschend, „und hoffentlich werden wir jetzt die Reise um so angenehmer
fortsetzen.“ Er ging hinaus und bald ward von dem Marqueur eine Flasche
Wein vor mich auf den Tisch gesetzt. Sie sind im Irrthum Freund!
bedeutete ich Letztern, ich habe keinen Wein bestellt. Das glaube ich
wohl, versetzte er lächelnd, doch in dem Augenblicke, ehe er weiter
sprechen konnte, trat der Fremde ein, schenkte die Gläser voll und
sagte: wir wollen ein Glas Wein zusammen trinken, damit der Schlaf
verscheucht werde. Geschwind! denn der Wagen ist schon angespannt und
der Schwager wird sogleich zum Abgang blasen. Eben wollte ich meine
Bemerkung machen, daß ich ein schlechter Trinker sey und vor Allem für
Spirituosen mich hüten müsse und dergl., als das Horn erschallt und uns
kaum Zeit blieb, auf eine glückliche Reise die Gläser zu leeren, worauf
in den Wagen gestiegen wurde.

Mein Reisegefährte war Hannöverscher Staatsdiener und Sohn eines
Kaufmannes; hatte die Feldzüge vom Jahr 1813 mitgemacht, wußte viel
und gut zu erzählen, und war mit einem Worte ein höchst interessanter
Gesellschafter. Auch ich ermangelte nicht, aus meinem Jugendleben so
manches aufzutischen, was ihm gefiel, und so im Gespräch vertieft,
wurden weniger die Wagenstöße verspürt, welche die gepflasterte
Chaussee verursachte. Bald verrieth die mehr und mehr zunehmende Menge
der nach der Stadt fahrenden Bauersleute, daß Bremen nicht mehr fern
seyn könnte, und von meinem Begleiter aufmerksam gemacht, sah ich die
vom Sonnenstrahl vergoldeten Thurmspitzen Bremens, aber wie lange
dauerte jedoch noch der Weg, bevor die Stadt selbst erreicht wurde.
Endlich am 9. d. M. Mittags 11 Uhr hielt der Wagen vor dem Posthause zu
Bremen.



Vierter Brief.

    Bremen im Juni 1839.

Aufenthalt in Bremen und Bremerhaven.


Wohl eine Stunde irrte ich durch die mit Menschen und Wagen gefüllten
Straßen, um den Gasthof aufzusuchen, wo unsere Fuhrleute ausspannen
wollten, damit ich mit dem Wirth über das Unterkommen der ganzen
Gesellschaft akkordiren könnte. Niemand wollte das betreffende Gasthaus
in der Altstadt kennen, bis endlich ein Helfershelfer der Herren Wirthe
sich erbot, mir den Weg zu zeigen[6]. Derselbe brachte mich in ein
Haus, welches zwar das rechte Schild, der Wirth aber einen anderen, als
den von unsern Fuhrleuten angegebenen Namen führte. Letzterer erbot
sich sogleich, uns sämmtlich gegen ein Billiges aufzunehmen[7], weil,
wie er versicherte, sein Hôtel nur für Auswanderer eingerichtet sey,
und obschon einige Vierzig bereits bei ihm logirten, so würden wir
doch noch Alle Platz finden. Dabei ermangelte er nicht, weidlich auf
seine Herren Kollegen loszuziehen und solche als Preller darzustellen,
denen es nur darum zu thun sey, die mit den Verhältnissen der Stadt
nicht vertrauten Auswanderer möglichst zu bevortheilen. Während des
Gesprächs wurde mir fleißig zugetrunken, dabei der äußerst billige
Wein gerühmt, und als Probe der hier gebräuchlichen guten Kost eine
Mahlzeit vorgesetzt, ohne dafür Zahlung anzunehmen. Alles nur, um zu
zeigen, wie gut ein Jeder in dieser Herberge aufgehoben sey. Auf mein
Bemerken, daß ich wenigstens da, wo die Fuhrleute ausspannen würden,
hinterlassen müsse, in welchem Gasthofe man mich auffinden könne, erbot
sich der gefällige Wirth, mich in eigener Person zu geleiten, da ich es
ablehnte, seinen Hausknecht mit meinem Auftrage dahin abzuschicken, und
stellte unterwegs noch billigere Bedingungen, als wie sie schon vorher
gemacht worden waren.

       *       *       *       *       *

Der rechte Wirth in der Neustadt beherbergte gewöhnlich nur Fuhrleute,
durch mich aber, der mit dem Eilwagen vorausgekommen, vermuthlich auf
die Idee gebracht, daß ich für lauter wohlhabende Auswanderer Quartier
bestellen solle, von welchem sich Etwas verdienen lasse, war ebenfalls
sogleich erbötig, uns sämmtlich aufzunehmen. Mein Führer, ärgerlich
darüber, uns zu verlieren, gab mir verstohlen ein Zeichen zum Weggehen
und erzählte mir nun im Vertrauen, daß ein Jeder, welcher Auswanderer
zu einem Schiffsmakler bringe, Einen Gulden Douçeur pro Kopf erhalte,
welches Geld ich ohne Beihilfe eines Andern selbst verdienen könne.
Dagegen mußte ich die Versicherung geben, möglichst dahin zu wirken,
daß die ganze Gesellschaft nicht hier, sondern bei ihm logire. Jetzt
wurde mir erst die Ursache von diesem Verrath klar; da der Schurke das
Kopfgeld nicht selbst verdienen konnte, so entzog er es auch seinem
Kollegen, dem er es nicht gönnte.

       *       *       *       *       *

Da ich sogleich im Bremerhaven, welcher 10 Stunden von Bremen entfernt
ist, die nöthigen Erkundigungen wegen der vorhandenen Schiffe und deren
Abgang einziehen wollte, so benutzte ich das eben dahin abfahrende
Dampfschiff, wo ich nach einer Fahrt von fünf Stunden im Hafen ankam.

Hier erblickte ich ein Bild, welches ich zu sehen nicht erwartet hatte.
Ueber 2000 Auswanderer lagen im Hafen zusammengedrängt, theils auf
drei großen Schiffen, theils in Privat- und Gasthäusern auf Kosten
der Schiffsmakler. Von einem Landsmann wurde ich auf eines dieser
Schiffe eingeführt, wo ich sogleich einen Vorgeschmack der Seereise
bekam. Schaudererregend war der Anblick der hier in dem engen Raume
zusammengedrängten Menschenmenge, wo durch einander Männer und Weiber,
Jung und Alt, ohne Rücksichtnahme auf gebildete Personen, die größten
Zoten zum Besten gegeben, wo manch altes Bauernweib die letzten Fetzen
der Hemden ihrer Familie zusammensuchte, um sie zu gebrauchen, da diese
dann bei der Ankunft, nebst dem eingewohnten Ungeziefer ersäuft werden.
Hier sitzt eine besorgte Mutter und reinigt den Kopf des Kleinen, dort
hat ein Kind sein Lager besudelt und dicht daneben schmeckt Anderen der
erhaltene Thee nebst Schiffszwieback ganz vortrefflich; während dessen
wird auf dem Oberdeck getanzt und gesungen, und oft wie ich so eben
Gelegenheit hatte mit anzuhören, das Ganze von zwei bösen Sybillen, die
sich veruneinigt hatten, überschrieen. Jetzt wurde mir einleuchtend,
weshalb manche gebildete Familie, vorzüglich wenn sie erwachsene
Töchter hat, noch beim Einsteigen ins Zwischendeck die Reise aufgiebt,
wenn die Mittel, in der Kajüte zu fahren, nicht ausreichend sind.

Ein anderes dieser Schiffe, das ich bestieg, hatte im Zwischendeck
nur eine Höhe von fünf Fuß, so daß man nicht anders als gebückt
darin stehen konnte. Die Passagiere, auf diesen Uebelstand von mir
aufmerksam gemacht, verlangten, daß durch Niederlegung des Fußbodens
das Zwischendeck erhöht werden solle, zu welcher Veränderung sich erst
nach langen Debatten der Schiffsmakler verstand.

Im Nachtquartier traf ich mit Auswanderern aus aller Herren Länder
zusammen, von welchen einige schon über vier Wochen auf Kosten der
Makler hier logirten und auf abgehende Schiffe warteten. Von ihnen
wurde ich darauf aufmerksam gemacht, wie man nicht genug Vorsicht
gebrauchen könne, um nicht beim Kontrahiren zur Reise bevortheilt zu
werden, und so allen Versprechungen entgegen, aus eigenem Beutel bis
zum Abgang des Schiffes zehren müsse, wie es leider jetzt Manchem gehe.

Schon am frühen Morgen des folgenden Tages bekam ich durch den
Landsmann S.[8], welcher mich gestern auf dem segelfertigen Schiffe
eingeführt hatte, die Einladung, auf diesem die Reise mitzumachen,
da diese Nacht auf solchem ein Passagier erkrankt, deshalb die Fahrt
aufgegeben und dessen Platz einzunehmen sey, welchen er bei dem
Kapitän für mich erbeten habe. So gern ich auch von dieser schnellen
Fahrgelegenheit Gebrauch gemacht, so erlaubten es doch die gegen meine
Reisegefährten übernommenen Verpflichtungen keineswegs. Ich dankte
diesem Braven herzlich, für den guten Willen mir zu dienen und mit dem
Wunsche eines glücklichen Wiedersehens in einer andern Welt, schieden
wir gerührt von einander.

Da in Bezug auf die Seereise im Hafen selbst nicht zu akkordiren
war[9], so durfte auch keine Zeit verloren gehen, um das Nöthige in
Bremen selbst zu ordnen, und so fuhr ich mit dem Dampfschiff, welches
einige von Amerika kommende Reisende am Bord hatte, unverzüglich
zurück. Letztere schienen in den überseeischen Ländern ihre Rechnung
auch nicht gefunden zu haben, da ein Paar Eheleute äußerten: lieber in
ihrem Vaterlande zu betteln, als in dem freien Lande hungrig sterben.
Ein Zweiter klagte über die Schurkerei der Amerikaner, die ihn um
seinen sauer verdienten Lohn betrogen hätten. Ein Dritter wollte durch
einen Bankbruch um das Seinige gekommen seyn. Jeder hatte seine eigenen
Bemerkungen zu machen, welche am Ende alle dahinaus gingen, im Lande
zu bleiben und sich redlich zu nähren. Schöne Aussichten für uns!
Nur einer schien mit seinem Loos zufrieden, da er, seiner Erzählung
nach, amerikanischer Landmann sey, ein hübsches Eigenthum besitze und
jetzt eine Reise zu seinen Verwandten mache. Freundlich wurde ich von
demselben eingeladen, auch ihn, der bald zurückkehren werde, in Amerika
zu besuchen, da er selbst Brennereibesitzer sey und ich ihn vielleicht
auch mit meinem projektirten Unternehmen dienen könne.

In Bremen angekommen, verfügte ich mich sogleich auf das Komptoir des
Herrn W.[10], wo ich zu meinem Befremden erfuhr, daß von den Agenten
der Schiffsrheder weit mehr Auswanderer hergeschickt würden, als die
vorhandenen Schiffe zu fassen vermöchten, weshalb man sich genöthigt
sähe, die Frachtpreise zu erhöhen und daß auch jetzt für Kinder
jeglichen Alters, selbst bis auf den Säugling herab, dieselbe Summe
wie für Erwachsene bezahlt werden müsse, da bei dem gegenwärtigen
außerordentlich großen Andrange von Auswanderern die nöthigen Schiffe
fehlten, und bis zu deren Ankunft die von den Agenten zugeschickten
Personen als Entschädigung für Kost und Logis ~pro~ Kopf 10
Groten[11] auf den Tag erhielten und solches eine nicht unbedeutende
Ausgabe verursache.

Was sollte ich unter solchen Umständen thun? Für die ganze Gesellschaft
konnte ich nicht zur nächsten Fahrgelegenheit abschließen, da ich
wußte, daß einigen meiner Reisegefährten, die nicht auf die gegenwärtig
bedeutend erhöhten Fahrpreise gerechnet, das nöthige Fahrgeld fehle.
Um aber nicht für uns Alle die Gelegenheit zu verabsäumen, mit dem
am 15. d. M. expedirten Schiff in See gehen zu können, so schloß ich
wenigstens für sechs Mann fest ab, mit der Bedingung, daß für die
andern Personen die Plätze bis Morgen Mittag offen bleiben sollten, wo
die bis dahin Ankommenden das Weitere selbst beschließen könnten.



Fünfter Brief.

    Bremen im Juni 1839.

Fortsetzung.


Die Reisegesellschaft war bei ihrer Ankunft nicht wenig bestürzt, als
ich ihr die bereits gemachten Erfahrungen mittheilte, und schon sahen
sich einige im Geist wieder in die Heimath versetzt. Noch unschlüssig
über das, was zu thun oder zu lassen sey, wurde in banger Erwartung
der Mittagsstunde entgegen gesehen, wo den Armen durch den Makler
selbst ihr Schicksal verkündigt werden sollte. Der schlaue Wirth,
meine Abwesenheit benutzend, da ich eben mit einigen Gefährten die
Verhältnisse in Erwägung zog, sucht bei den Uebrigen seine Person
geltend zu machen und verspricht, wenn sie sich ihm anvertrauen würden,
bei dem Makler, welcher sein Freund sey, dahin zu wirken, daß er Etwas
von der Forderung ablasse.

Die Leichtgläubigen ließen sich bethören und gingen, ohne meine Ankunft
und die bestimmte Zeit abzuwarten, mit Letzterm auf das Komptoir
des Herrn W.[12], doch, wie vorauszusehen, galt der Wirth hier wie
jeder andere, und seine Absicht ging blos dahin, das Kopfgeld[13] zu
verdienen. Aber noch zur rechten Zeit kam ich selbst mit den Uebrigen
an, um ihm, wie er uns, den Verdienst zu entziehen.

Alles bot ich auf, des Maklers Mitleid zu erregen, durch Schilderung
der Lage derjenigen Armen, welche sich gezwungen sähen, in die Heimath
zurückzukehren. Doch nur zu oft kommen solche Scenen vor, um Eindruck
auf ein Herz zu machen, welches nur am Golde hängt. Es blieb daher
bei der Bestimmung, daß die Erwachsenen 44 thlr., Kinder 40 thlr.,
die Säuglinge aber 35 thlr. in Golde zahlen sollten. Die Abfahrt nach
New-York mit dem Schiff ~St. Lawrence~, wurde zwischen dem 20. und
23. d. festgestellt, und von dieser Zeit an uns die Beköstigung vom
Schiffe aus zugesagt. Im Fall aber widrige Winde oder sonstige Umstände
den Abgang verzögern würden, sollte die gewöhnliche Vergütung von 10
Groten ~pro~ Kopf für jeden Tag eintreten.

Auf dem einer jeden Familie unserer Reisegesellschaft ausgestellten
Schiffskontrakt war nur die richtig geleistete Zahlung bescheinigt
und die Zeit der Abfahrt bestimmt, ohne daß auf demselben etwas über
die uns mündlich zugesagte Beköstigung oder Geldentschädigung erwähnt
worden wäre. Auf meine Bitte, dieses nachzuholen, gab man den kurzen
Bescheid, solches sey nicht gebräuchlich und auch nicht nöthig, da
schon das gegebene Wort genüge[14].

Alle, die wir von Weimar aus die Reise unternommen hatten, waren
dennoch im Stande das zur Ueberfahrt nöthige Geld aufzubringen. Nur der
Zimmermanns-Familie ~S.~ fehlte es wegen dem erhöhten Fahrgeld an
Mitteln, da solche für drei Kinder auf weniger, den Säugling aber frei
gerechnet hatten. Außerdem war der Vater krank und von einer Ehehälfte
geplagt, welche ohne Gefühl und Mitleid den Armen noch mit Vorwürfen
quälte, da sie mehr gezwungen, als freiwillig zur Auswanderung sich
entschlossen hatte. Sollten sie die Sachen verkaufen und so von Allem
entblößt, die Seefahrt zu ermöglichen suchen, oder zurück in die
Heimath kehren, wo Haus und Hof veräußert war? Das Erstere verbot die
Klugheit und von Letzterem hielt sie falsche Schaam zurück. Auf mich
hatten sie daher ihre letzte Hoffnung gesetzt und bestürmten meine
Person mit Bitten und Flehen um den nöthigen Vorschuß, welcher mit dem
größten Danke dem Retter aus der Noth, in Amerika wieder zurückgezahlt
werden sollte[15]. Da der Mann selbst mir als rechtlich bekannt war,
so bedurfte es nichts mehr, um sein Flehen zu erhören, und durch eine
Unterstützung so die Möglichkeit an die Hand zu geben, mit uns vereint
die Reise fortzusetzen.

Den militärpflichtigen Mitgliedern unserer Reisegesellschaft, welche
ohne Erlaubniß die Auswanderung beschlossen, wurde bei Ausstellung des
Schiffskontrakts, auf deren Anfrage, wegen ihrem sonstigen Verhalten,
von Herrn W.[16] der Bescheid, das Wanderbuch, ohne weiter etwas zu
bemerken, auf der Polizei nach dem hannöverschen Grenzort visiren zu
lassen. Der Weg dahin führe über Bremerhaven; daselbst angelangt, frage
dann Niemand mehr, ob die Seereise mit oder ohne Erlaubniß unternommen
sei, da man das Wasser nicht gern von der Mühle weise.[17]

Gleich beim Weggang vom Komptoir wurde beschlossen, das Gasthaus
zu verlassen und eine Privatwohnung zu beziehen, wo dann Jedem die
Gelegenheit werde, möglichst billig leben zu können, und im Hause des
Schneidermeisters Achelpohl fanden wir dazu die schönste Gelegenheit.
Jetzt hieß es, bei karger Kost und dünnem Kaffee sich in Geduld zu
üben, und wir suchten uns, in Erwartung besserer Tage, gegenseitig das
Leben so angenehm als möglich zu machen.

Das Drängen und Treiben der Bremer, das Ein- und Ausladen der Schiffe,
die schönen Anlagen um die Stadt, die reizenden Parthien in derselben,
das im Vorgefühl der schönen Hoffnungen fröhliche, mitunter aber auch
traurige Aussehen der Auswanderer, welche zu Hunderten durch den Reiz
der Neuheit getrieben, da viele von ihnen noch nie eine so große Stadt
wie Bremen gesehen hatten, gaffend in den Straßen standen, oder mit dem
Einkauf der zur Seereise nöthigen Gegenstände und Lebensbedürfnisse
beschäftigt waren.[18] Der Lärm in Wein-, Schnaps- und Bierhäusern,
wo Mancher noch vergeudete, was bei erhöhtem Fahrgeld übrig geblieben
war, so wie durch das mitunter herzergreifende Ansehen der Familien,
welche durch Krankheit, oder aus Mangel des nöthigen Geldes, die Reise
getrennt unternehmen müssen, Alles dieses gab vollauf Stoff, die Zeit
zu tödten und Betrachtungen über das menschliche Leben anzustellen, von
denen man Folianten füllen könnte.

Unter solcher Zerstreuung war der 16. d. herangekommen, wo das schöne
feierliche Glockengeläute am Sonntag zum Besuch der heiligen Stätte
mahnte. Auch ich wünschte vor Antritt der großen Reise mich nochmals
dem zu empfehlen, welcher das Schicksal der Menschen lenkt. Deshalb
besuchte ich, feierlich gestimmt, in Begleitung des Sohnes meines
Bruders und dem Glaser R. die St. Pauluskirche. Nach dem Gottesdienste
war Kommunion und obgleich nicht festlich gekleidet, waren wir doch
willkommene Gäste des Herrn. Nach beendigtem Abendmahl wartete am
Ausgang der Kirche der würdige Pastor +Hemstängel+ auf uns, und
sprach: „Wir haben uns am Tisch des Herrn gesehen und da ich in Ihnen
Auswanderer vermuthete, so wünschte ich nun auch in meiner Wohnung
Ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Ich bitte Sie, mich dahin zu
begleiten.“ Wie eine Stimme von oben, klang uns diese Einladung und
mit beklommenen Herzen folgten wir derselben. Nachdem Sr. Ehrwürden
die uns zur Reise veranlaßten Gründe erfahren hatte, hielt dieser
brave Geistliche eine so herzergreifende Rede, daß jedes seiner Worte
tief ins Innere drang, da er alle die Gefahren so treffend berührte,
aber auch den Lohn zu schildern wußte, welcher den Menschen erwartet,
welcher mit Ausdauer und seinem Gott ergeben, sein Werk mit Muth
und Standhaftigkeit zu Ende führe. Daraus gab er uns für die andern
Familien Gebetbücher mit den Worten: „sagen Sie solchen in meinem
Namen, daß der Herr überall mit Jedem sei, welcher ein gottgefälliges
Leben führe; er wandle hier oder in jenem Welttheil, wohin wir zu
reisen gedachten. Nur nicht überall gäbe es für die Kinder den
nöthigen religiösen Unterricht, damit der Mensch in jeder Lage des
Lebens sich seines Gottes und dessen unerschöpflicher Güte vollkommen
erfreuen könne. Er fühle sich daher veranlaßt, die Erwachsenen darauf
aufmerksam zu machen, daß sie mit Beihilfe der mir übergebenen Bücher
für das Seelenheil ihrer Kinder nach Kräften sorgen möchten und nicht
dasselbe über Mühe und Arbeit, Verdienst und etwaigen Reichthum
vernachlässigten. Denn was ist alles Irdische! fuhr er fort, wenn dabei
der Himmel verschlossen bleibt und die Seeligkeit für den Menschen
verloren geht, die nur durch richtige Begriffe von Gott und Jesum zu
erlangen ist. Um wie viel glücklicher sind Sie, sprach er zu mir, da
Sie ihre Familie in einem Lande zurücklassen, wo wahre Aufklärung
herrscht. Leiden Sie auch durch die Trennungsschmerzen mehr als die
Familienväter, welche die ihrigen um sich haben, ist auch der Gedanke
an die zurückgebliebenen Frau und Kinder herzergreifend, so muß Ihnen
dagegen zur Beruhigung dienen, daß dieselben wohl versorgt sind
und nicht die Beschwernisse einer solchen Reise zu ertragen haben,
sondern im sichern Hafen abwarten können, was der Herr unser Gott
über sie beschlossen hat. Empfangen Sie hiermit nochmals durch mich
den Seegen des Herrn, welcher im Geist mit übertragen wird auf die
zurückgelassenen Ihrigen. Was auch Ihr Schicksal sei, Gott wird Sie
geleiten auf allen Ihren Wegen und deshalb vertrauen Sie auf den, der
Alles zum Besten führt.“ Tief gerührt verließen wir das Haus. Denn noch
nie hatte die Rede eines Geistlichen solchen Eindruck auf unserer Aller
Herzen gemacht. Möchten doch Viele sich berufen fühlen, den Reisenden
in ähnlichem Sinne Muth und Trost zuzusprechen.



Sechster Brief.

    Bremerhaven im Juni 1839.

Fortsetzung.


Ein Tag verstrich wie der andere. Die leer gewordenen Logis wurden
sofort mit Neuangekommenen besetzt, wobei nicht selten die Sachen
verwechselt oder vorsätzlich entwendet wurden, wie solches dem
Konditor T. aus V. widerfuhr. Uhren- und Gelddiebstähle sind häufig,
und es ist daher auf Pretiosen die größte Vorsicht zu verwenden. Eben
so wenig sollten die Kisten ohne Aufsicht gelassen werden.

Mein gewöhnlicher Spatziergang fing bald an mich zu langweilen, und
die prächtigen Karossen, sowie die durcheinander wogenden Fußgänger
hatten keinen Reiz mehr für mich, da die mannichfaltigen Erinnerungen
an die zurückgebliebene Familie und ein banges Sehnen nach der dunkeln
Zukunft, das Warten um so peinlicher machte.

Endlich brachte der 21. d. eine Unterbrechung in das alltägliche
Leben, da an demselben Tage die über die Weser führende Nothbrücke dem
Publikum geöffnet wurde, welche die Kommunikation der Neustadt mit der
Altstadt so lange unterhalten sollte, bis die alte baufällige Brücke
abgerissen und an deren Stelle eine neue, von Steinen, aufgeführt
worden sein werde. Jeder wollte die Nothbrücke zuerst passiren, und es
drängten sich daher von beiden Seiten so viele Menschen auf derselben
zusammen, daß Mann an Mann wie eingemauert standen. Von den Ufern aus
sahen Tausende der Mannschaft zu, welche an der Brücke gearbeitet
hatten und jetzt auf zwei nebeneinander stehenden Schiffen bei Musik
und Tanz das erhaltene Freibier verzehrten. Zum Schluß war Feuerwerk
verkündet, weshalb eine Masse Kähne auf stiller Fluth die größern Bote
umschwärmten und das schaulustige Publikum bis spät Abends auf den
Beinen hielt. Doch mehr Witz als Wahrheit war das Feuerwerk, da nur
einige Raketen zerplatzten.

Schon war der 22. verstrichen und noch keine Anstalt zu unserm
Transport nach dem Hafen gemacht, wir erhielten aber auf dem Komptoir
des Herrn W.[19] die Versicherung, daß morgen drei Weserschiffe uns
dahin bringen würden. Jedoch auch der 23. und 24. gingen ohne Erfüllung
der gemachten Zusage vorüber, und eben so wenig erhielten wir auf diese
Tage für Kost eine Entschädigung, sondern wurden damit bis zur Ankunft
auf dem Seeschiffe vertröstet. Was sollten aber bis dahin meine armen
Reisegefährten anfangen, von denen einige ganz von Baarschaft entblößt
und der hungrige Magen sich nicht wie der Geist mit den lockenden
Aussichten in dem gelobten Amerika begnügen wollte.

Endlich am 25. waren die Transportschiffe bereit, uns nebst Effekten
aufzunehmen, und auf dem, welches ich bestieg, war bis Mittag alles so
geordnet, daß Jeder noch nothdürftig ein Plätzchen zum Liegen hatte.
Als aber am Nachmittag noch einige Funfzig Juden mit ihren sämmtlichen
Sachen ebenfalls in dem schon sehr beengten Raum untergebracht werden
sollten, so wurde von Neuem alles drüber und drunter geworfen, um nur
so weit Platz zu bekommen, daß sämmtliche Passagiere, wenn auch wie
Häringe zusammengeschichtet, im Zwischendeck dem Hafen zugeschickt
werden konnten.

Die anderthalben Tag und eine Nacht lange Fahrt war eine der
beschwerlichsten, die ich gemacht habe, da ein anhaltend starker
Wind das Schiff beständig in schaukelnde Bewegung versetzte, wodurch
die Seekrankheit sich sofort einstellte und ein Erbrechen erfolgte,
welches um so beschwerlicher war, da bei dem engen Zusammenliegen ein
gegenseitiges Beschmutzen nicht vermieden werden konnte. Da die meisten
Passagiere nicht darauf vorbereitet waren, bekamen wir jetzt schon den
Vorgeschmack der Seereise, und Mancher hätte gern auf das gepriesene
Amerika verzichtet, wenn ihm das bezahlte Fahrgeld restituirt worden
wäre.

[Illustration: Taf. II.]

Das große dreimastige amerikanische Schiff ~St. Lawrence~, welches
uns im Hafen aufnahm, war mit einem 7 Fuß hohen Zwischendeck
versehen und versprach deshalb vor allen andern jetzt hier liegenden
Schiffen eine möglichst gesunde Fahrt; auch war vorauszusehen, daß
bei der Größe desselben die Bewegungen weniger fühlbar sein würden,
als dieses bei dem Weserschiff der Fall war, da bei letzterem die
Bewegungen kürzer und deshalb um so empfindlicher sind. Damit aber
die Vorstellung von dem Gebäude selbst, welches uns über den Ocean
bringen sollte, um so deutlicher wird, will ich das in ~Taf. I.~
abgebildete Schiff etwas näher beschreiben.

Dieses kolossale Gebäude ist aus nicht sehr großen aber gut
zusammengearbeiteten Holzstücken gefertigt, welche mittelst hölzerner
und eiserner Schraubenbolzen an das innere Holzgerippe befestigt
werden. Die Fugen sind mit Pech und Werg so dicht verstopft, daß
kein Wasser eindringen kann. Um dieses schwimmende Gebäude schnell
fortzubewegen, sind drei hohe Masten darauf angebracht, wovon jeder
derselben wieder aus drei Theilen besteht, an welche mittelst der
Segelstangen und dem nöthigen Tauwerk die Segeltücher zum Auffangen des
Windes befestigt sind. Um aber diesen Segeln nach jedem Erfordernisse
des Windes eine andere Richtung zu geben, sind viele Leinen und Taue
angebracht, deren Jedes seinen eigenen Namen hat, und welches die
Matrosen selbst in der dunkelsten Nacht mit der größten Schnelligkeit
zu finden wissen. Ferner ist, um den Lauf des Schiffes zu bestimmen
und solches demnach zu regieren, am hintern Theile desselben ein im
Verhältniß des ganzen Gebäudes kleines Steuerruder befestigt, dessen
geringste Bewegung nach der einen oder andern Seite dem Schiffe eine
andere Richtung giebt.

~Taf. II.~ ist die Ansicht vom obern Verdeck. Bei ~a.~ ist das
Steuerrad, mit welchem das Steuerruder regiert wird, und in dessen
Nähe im Nachthause steht der Kompaß. Vor Letzterm ist das Schiff mit
einem Ueberbau versehen, unter welchem bei nasser Witterung der
Kapitän und die Kajüten-Passagiere sich Motion zu machen suchen. An
beiden Seiten sind Vorrathskammern angebracht, auch befindet sich der
Abtritt für die Ersteren daselbst. ~b.~ ist die Stelle des Fockmastes,
~c.~ des Mittelmastes, ~d.~ des Besanmastes, ~e.~ zeigt das Bugspritt,
welches über das Vordertheil des Schiffes hinausreicht, ~f.~ ist der
bedeckte Eingang zur Kajüte des Kapitäns, ~g.~ ~h.~ und ~i.~ sind
Oeffnungen von 6 Fuß ins Gevierte, welche dazu dienen, die Ladung ins
Innere des Schiffes hinabzulassen. Durch diese Luken steigen auch
mittelst der angelehnten Treppenleiter die Deck-Passagiere aus und
ein. ~k.~ ist der Ort der zwei Schiffspumpen, womit alle Morgen das
eingedrungene Wasser wieder ausgepumpt wird. ~l.~ ist die Kapitäns-
und Kajüten-Passagier-Küche. ~m.~ sind die beiden eingemauerten
Kessel, mit viereckiger Breterbekleidung umgeben, in welchen für die
Deck-Passagiere gekocht wird. Zwischen der Kapitäns-Küche und dem
Mittelmast ist das große Boot, in welchem die nicht gebrauchten Segel
und Taue liegen und deshalb mit einem Nothdache überbaut ist. Das
kleine Boot ~n.~ wird außerhalb des Schiffes am hintern Theil desselben
aufgehangen. ~o.~ sind die Abtritte für die Deck-Passagiere. Durch
die Oeffnung ~p.~ steigen die Matrosen in ihre Kajüte hinab. Bei ~q.~
ist die Schiffswinde, womit die Anker in die Höhe gezogen werden.
~r.~ sind in die Bohlen eingesetzte geschliffene Gläser von 7 Zoll
Länge und 4 Zoll Breite. Solche sind in der Mitte stärker als an den
Seiten, wodurch dieselben, vermöge der Konzentrirung der Lichtstrahlen,
viel mehr Helligkeit verbreiten als dieses der Fall bei gewöhnlichem
Scheibenglas ist.

[Illustration: Taf. III.]

~Taf. III.~, stellt den innern Raum des Schiffes in horizontaler
Lage vor. In diesem Raume befindet sich bei ~A.~ die Kajüte mit
einem in der Mitte befindlichen großen Zimmer, zum Aufenthaltsort
der Kajüten-Passagiere. Auf beiden Seiten befinden sich die
Schlafstellen, (Cojen genannt.) An dem Fockmast steht die Treppe und
hinter derselben ist die Wohnstube des Kapitäns, neben welcher sich
verschiedene Kammern befinden. Auf der andern Seite sind die Räume für
den Ober- und Unter-Steuermann, dem Steeward (Kammerdiener) und Koch.
~B.~ Ist die Vorkajüte, wo auf unserm Schiff die Vorräthe von
Lebensmitteln aufbewahrt wurden, welche nicht in den untern Raum des
Schiffes gebracht waren. Hier hatte außerdem der Kapitän noch seine
Getränke, so wie das Tisch- und Küchengeräthe aufgehoben. In dem großen
Mittelraum ~C.~ befinden sich auf beiden Seiten gleichlaufend mit
den Schiffswänden zwei Reihen Schlafstellen über einander, deren Jede
6 Fuß im Quadrat hält, und aus Stollen und Bretern so zusammengenagelt
sind, daß der Boden derselben 12 Zoll von dem Fußboden absteht, damit
bei offenen Luken die mitunter einschlagenden Wellen, nicht die
Strohsäcke oder Betten durch das darunter laufende Wasser befeuchten.
Drei Fuß höher ist der zweite oder Mittelboden angebracht, welcher, da
das Zwischendeck 7 Fuß hoch ist, eben so weit vom obern Deck absteht.
Durch diese Vertheilung der Böden erhält jede Schlafstelle 3 Fuß Höhe,
wie dieses auf ~Taf. IV.~ ersichtlich ist.

An der Vorderseite der Schlafstellen ist ein Bret angenagelt, damit
bei Sturm die Strohsäcke mit den darauf Liegenden nicht herausgeworfen
werden. Eben nicht höher sind auch die Schiedbleichen, wodurch dem Auge
die freie Durchsicht offen steht[20]. Jede Coje nimmt 8 Mann auf,
wovon 4 unten und 4 oben liegen, und so in den 26 kleinen Räumen 208
Menschen untergebracht sind. Das Lager der Passagiere beim Schlafen ist
verschieden, wie solches auf der Zeichnung zu sehen ist und richtet
sich nach dem Stande des Schiffes, damit immer der Kopf hoch ist, auch
nicht bei schräger Lage des Fahrzeuges ein Passagier auf den andern
fällt. In der Mitte stehen die Kisten der Reisenden, wo solche die
Extraprovisionen oder die Bedürfnisse mancherlei Art, welche auf einer
Seereise nöthig sind, aufbewahren. Diese Sachen werden mit Stricken
und Tauen aneinander befestigt, um sie beim Sturm vor Umwerfen und
Zerschlagen zu schützen. ~D.~ ist die Matrosen-Kajüte.

~Taf. IV.~ ist ein Durchschnitt des Schiffes, wo man ebenfalls die
Passagiere in ihren Cojen liegen sieht. ~E.~ ist der Raum, worin
der Balast, die Proviant-, Fleisch- und Wasserfässer, das Gepäck der
Passagiere sowie die Kaufmannsgüter untergebracht werden. Dieser Theil
des Schiffes beträgt die Hälfte seiner Höhe, und ist, so tief es unter
Wasser geht, mit Kupfer beschlagen.

[Illustration: _Taf. IV._]



Siebenter Brief.

    Bremerhaven im Juni 1839.

Fortsetzung.


Da bei unserer am 26. d. Mittags erfolgten Ankunft im Hafen sich weder
der Steuermann, noch der Kapitän sehen ließen, mußte heute ebenfalls
auf die Beköstigung verzichtet werden, was bei sämmtlichen Passagieren
die größte Unzufriedenheit erregte und zu lauten Klagen Veranlassung
gab.

Die Schlafstellen im Zwischendeck waren numerirt, und die zunächst
am Mittelmast gelegene, wo die Bewegung des Schiffes am wenigsten
fühlbar ist, hatten schon einige Judenfamilien in Beschlag genommen,
mußten jedoch ihre Effekten wieder wegräumen, da bestimmt war, daß das
Loos entscheiden solle. Mir, dem Sohne meines Bruders, dem Glaser R.
und dem Metzger R. fiel der untere Platz No. 18 zu, welcher ziemlich
in der Mitte des Schiffes sich befand. Ueber uns logierten drei Bauern
nebst einem Frauenzimmer, welche des Einen Braut sein sollte.

Um einen richtigen Begriff vom Schiffsleben zu erhalten, braucht
man nur eine Nacht in dem Zwischendeck, wo 208 Menschen schlafen,
zuzubringen, wo ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters,
säugende Kinder, Greise und hochschwangere Frauen unter einander
liegen. Das Heulen der Kleinen, das Nachspotten unverständiger Laffen,
das Schimpfen und Zanken roher Bauern, das Lachen und Schreien Solcher,
die Nichts auf der Welt zu verlieren haben und einer schönen Zukunft
entgegen zu gehen glauben, das nachgeahmte Heulen der Katzen und
Bellen der Hunde; alles Dieses unterbricht die Ruhe der Nacht, und
früh am Morgen trieb mich ein Knoblauchgeruch und die mephitischen
Ausdünstungen, welche das faule Wasser im Kiel des Schiffs verbreitet,
vom Lager.

In der Restauration, während des Frühstücks, erhielt ich die Kunde, daß
auf dem Schiffe die größte Aufregung herrscht, da der Obersteuermann
während der Abwesenheit des Kapitäns, der in Bremen war, keine
Provision vom Schiffe aus verabreichen wollte, welches mehre Passagiere
beunruhigen mußte, da solche keine Lebensmittel mehr besaßen, aber
auch kein Geld zu deren Anschaffung hatten. Die Erbitterung wurde um
so größer, als der später ankommende Kapitän erklärte, daß der für
die Reise bestimmte Proviant, solange das Schiff noch nicht in See
gegangen, nicht angegriffen werden dürfe, sondern der Mundbedarf von
dem dazu beauftragten Agenten Herrn U. hier abgegeben werden müsse und
wir uns lediglich an diesen zu halten hätten.

Dazu aufgefordert, und um Unordnung zu verhüten, stellte ich mich an
die Spitze der Unzufriedenen und begab mich mit noch sechs Andern auf
das Komptoir des Agenten, wo wir leider vernehmen mußten, daß wir nicht
die Ersten seien, welche dergleichen Beschwerde führten und von den
Schiffsmäklern in Bremen um mehre Tage Beköstigung geprellt würden,
indem von Jenem kein Befehl an ihn zur Abgabe von Lebensmitteln an uns
ergangen sey.

Auf meine Drohung, dieses widerrechtliche Verfahren zur Warnung
Anderer öffentlich bekannt zu machen, erwiderte Herr U.[21] frech
genug, daß uns dieses freistände und daß wir ja auch bei der Behörde
in Bremen gegen Herrn W. auftreten könnten; wohl wissend, daß bei dem
segelfertigen Schiff, welches stündlich zum Abgang bereit war, keiner
von uns von diesem Vorschlag Gebrauch machen könne.

Meine Begleiter, welche ihren Unmuth über dieses sonderbare Benehmen
des Herrn Ulrich nicht langer verbergen konnten, überhäuften ihn mit
den gemeinsten Reden, die der saubere Herr gelassen einsteckte, da er
vermuthlich an dergleichen Auftritte schon gewöhnt war. Es blieb uns
jetzt nichts weiter übrig, als bei der Polizei-Behörde in Bremerhaven
Schutz zu suchen, welche auch sofort durch einen Gensdarmen den Befehl
absandte, daß die Agentur unverzüglich die nöthigen Lebensmittel auf
das Schiff liefern solle, um sich nicht bei wiederholter Klage strengen
Ahndungen auszusetzen. Geschah nun auch das Erstere, so erfolgte
doch keine Entschädigung wegen der rückständigen Lieferungen und das
Kostgeld vom 20. bis 28. Juni kam dem saubern Herrn zu Gute.

Eine neue Verlegenheit trat für uns ein, als der Schiffskoch, ein
Neger, für die Deck-Passagiere nicht kochen wollte und vorgab, nur
für die Kajüte und Matrosen engagirt zu seyn. Es wurde deshalb von
uns die Einrichtung getroffen, daß das Geschäft des Kochens der Reihe
nach, immer von acht Personen, besorgt werden sollte, welches aber das
Unangenehme für sich hatte, daß bei stürmischer Witterung Niemand auf
das schaukelnde Schiff sich getraute, wodurch mancher Fasttag entstand.

Die Zeit, welche der Auswanderer in Bremerhaven zubringen muß,
langweilt sehr, da das ewige Einerlei durch Nichts unterbrochen
wird, zumal wenn man die Gasthäuser meidet, wo öfters die Matrosen
mit Erstern karambuliren; ich hielt mich daher gewöhnlich in einem
Schiffswerft auf, wo mir durch Zuneigung der Arbeiter Gelegenheit ward,
Manches, was Bezug auf Schiffsbau und Seereise hatte, kennen zu lernen.
Um so öfterer wurde aber die Nachtruhe gestört, wie ich solches schon
erwähnt und folgender purlesker Auftritt bezeugen wird: Durch Beihilfe
des Untersteuermanns hatten sich zwei Juden als blinde Passagiere
mit auf das Schiff begeben, ohne daß dieses irgend einem der übrigen
Reisenden aufgefallen war. Da dieselben sich aber unpolitisch genug des
Nachts zu weiblichen Personen gesellten, so wurde die Eifersucht rege,
die Liebhaber der Schönen wurden erwischt und aus dem Versteck geworfen.

Durch den Lärm wurden Alle wach und da es Mehre schon längst auf die
Israeliten abgesehen hatten, so wurde sofort bei dunkler Nacht ein
förmliches Treibjagen nach den geängstigten Juden gehalten. Gleich
gehetzten Rehen, von den Hunden verfolgt, deren Gebell treu nachgeahmt
wurde, suchten die Armen Schutz in den Schlafstellen ihrer Genossen, da
das Entrinnen unmöglich und der Ausgang besetzt war. Die Jäger, immer
auf den Fersen und die Lust, sich unerkannt das Müthchen zu kühlen,
spendeten der Jagdhiebe viele, und Mancher erhielt so, was man ihm
längst zugedacht hatte. Zum Glück brachte der Obersteuermann Licht und
hinter Fässern wurden die Gesuchten entdeckt, ergriffen und noch diese
Nacht dem Gericht überliefert.

Die bis zum 4. Juli konträr wehende Luft hatte sich mehr zu unsern
Gunsten gewandt, welches den Kapitän bestimmte, das Schiff am 5. durch
den Lootsen aus dem Hafen bringen zu lassen, um solches neben drei
andern, ebenfalls zur Abfahrt bereit liegenden Schiffen vor Anker zu
legen, bis der Wind vollends sich gedreht und so die Fahrt schnell und
sicher zwischen England und Frankreich durchgehen könne, da Seitenwind
leicht nach dem nahen felsigen Ufer treibt, wo schon manches Fahrzeug
auf Untiefen gestrandet ist.

Der heutige Tag wurde von den Amerikanern festlich gefeiert, die
Flaggen aufgezogen und herrlich gelebt, da der 4. Juli, weil an solchen
1776 die Unabhängigkeit von englischer Herrschaft verkündet war, hoch
in Ehren steht. Auch unsere Matrosen trugen das Ihrige bei und kamen
erst spät am Abend benebelt auf dem Schiffe an, wo sie das vom Ufer
nach dem Fahrzeug gelegte Bret auf allen Vieren passirt hatten.

Am 5. d. beim Grauen des Morgens mahnte schon des Obersteuermanns
Stimme zum Aufbruch und bald rufte der Gesang der Matrosen beim Ordnen
des Tauwerks die Passagiere auf das Verdeck, um noch einmal das nahe
Ufer zu sehen; die aufgehende Sonne spiegelte sich in mancher Thräne,
welche bei der Trennung vom Vaterland den Zurückgebliebenen geweint
wurde. Ein dumpfes Lebewohl schallte in die Lüfte, aber die Geliebten,
welchen es galt, vernahmen es nicht.

Unwiderstehlich zog es mich nochmals auf die Erdscholle, welche mein
Vaterland mit einschließt, um am Ufer unbelauscht den mannigfachen
Gefühlen, welche in dieser Scheidestunde meine Brust beengten, durch
Thränen Luft zu machen. War es Ahndung einer beschwerlichen Seereise,
oder wie soll ich das Grauen nennen, welches sich meiner bemeisterte,
als ich das Schiff von Neuem besteigen wollte. Furcht vor Gefahren
war es nicht, denn diese kannte ich nicht, da eine innere Stimme mir
zurief: Du siehst die Deinen wieder! und doch hing zentnerschwer
der Boden unter meinen Füßen, als wolle er mich zurückhalten auf
Deutschlands Erde. Nur eines Gedankens war ich mächtig, an Weib
und Kinder, und ihr Bild stand vor meinem Herzen. Heilige Vorsätze
glühten in meiner Seele und meine Lippen stammelten Segen für die
Zurückgebliebenen. Unaufhaltsam flossen die Thränen, da der Schmerz
mich übermannte. Fieberkrank nahm ich das Schiffslager ein, um es
sobald nicht wieder zu verlassen.

Ich selbst durfte von dem gesalzenen Fleisch nur wenig essen, noch
weniger von dem Wasser trinken, welches zur Seereise bestimmt war, da
dieses bei mir Erbrechen verursachte. Der Kaffee mußte daher das Beste
thun.

So sind denn dieses die letzten Zeilen, welche ich an Euch, meine
Lieben, von hieraus schreibe, und auf Gott vertrauend, treten wir die
große Seereise an. So lebt denn Alle wohl! und bin ich auch fern, so
ist doch mein Geist stets um und neben Euch.



Achter Brief.

    New-York im August 1839.

Die Seereise.

    Ich rief zum Herrn in meiner Noth:
    Ach Gott, vernimm mein Schreien!
    Da half mein Helfer mir vom Tod,
    Und ließ mir Trost gedeihen.
    D’rum dank’ o Gott, d’rum dank’ ich dir!
    Ach danket, danket Gott mit mir,
    Gebt unserm Gott die Ehre!


Wie könnte ich wohl meinen Bericht aus weiter Ferne besser beginnen,
als zuerst dem zu danken, der mich gnädig vom nahen Tode errettete und,
gleichsam neu geboren, in eine andere Welt versetzt hat. Was muß der
Mensch nicht erdulden, was kann er nicht abhalten, wenn er mit gutem
Gewissen auf seinen Berufswegen wandelt und seinem Gott vertraut.
Vieles habe ich auf diesem Wege erfahren müssen, denn das Schiffsleben
ist ein ganz anderes, als das auf dem Lande. Man muß sich hier an so
Manches gewöhnen und so Vieles entbehren, was man in seinem häuslichen
Geschäftsleben für unmöglich halten würde. Um wie viel beschwerlicher
ist aber eine solche Seereise für Eltern, die beängstigt um die
Ihrigen, auf sich selbst weniger Rücksicht nehmen können, und so Tag
und Nacht der Ruhe entbehren; möchte daher jede auswanderungslustige
Familie, welche diese Briefe liest, den Inhalt beachten und entweder
ihr Vorhaben ganz aufgeben, oder solches doch möglichst erträglich zu
machen suchen, da Viele erst auf dem Schiffe, und zwar zu spät für
diese Reise, erfahren, was dazu zweckdienlich gewesen wäre[22].

Bei unserer Abfahrt wurde von dem Allen nichts beachtet, was, wie man
mir sagte, auf andern Schiffen gebräuchlich seyn soll. Keine Behörde
revidirte das Schiff, ob es auch mit den hinreichenden Lebensmitteln
versehen sey, und in welchem Zustande sich dieselben befänden; ob die
zur Aufbewahrung des Trinkwassers bestimmten Fässer gehörig gereinigt
und in wie weit man der Verpflichtung hinsichtlich versprochener
Arznei und sonstigen Leckereien, als: Wein, Rosinen, Pflaumen etc.
nachgekommen sey[23]. Den 6. Juli blies der Wind ganz zu unsern
Gunsten, und die vor dem Hafen liegenden Schiffe boten ein herrliches,
von uns noch nie gesehenes Schauspiel dar. Die Anker wurden unter dem
Gesang der Matrosen gelichtet und auf das Kommandowort des Kapitäns
entfalteten sich eben so schnell die Segel, welche durch einen frischen
Südostwind geschwellt, das Fahrzeug majestätisch auf dem Wasserspiegel
forttrieben.

Ohngefähr sechs Stunden lang durchschnitt das Schiff die Wellen, ohne
daß auch nur die mindeste Bewegung fühlbar war, und die Passagiere,
erfreut über den günstigen Anfang der Reise, hielten sich meist auf dem
Verdeck auf, doch mehr und mehr drehte sich der Wind, unruhiger bewegte
sich das Schiff, und eine über das Verdeck schlagende Welle nöthigte
zum Rückzug ins Zwischendeck. Bald stellten sich nun auch die Vorboten
der Seekrankheit ein, Schwindel und Uebelkeit nahmen zu und nur Wenige
blieben vom Erbrechen verschont.

Nichts geht über die Leiden, die mit dieser schauderhaften Ekel
erregenden Krankheit verbunden sind, wovon der Mensch befallen wird.
Das stärkste Vomitiv greift nicht so an, als die Seekrankheit,
da sie anhaltend den ganzen Körper erschüttert und den Kopf zu
zersprengen droht. Ausgestreckt auf dem Lager lag ich krank darnieder,
jeder Versuch, mich sitzend zu erhalten und so den Kopf aus seiner
horizontalen Lage mit dem Körper zu erheben, wurde mit dem heftigsten
Erbrechen gebüßt. Ist schon diese Plage auf kurze Zeit höchst peinlich,
um wie viel mehr mußte ich leiden, da das Erbrechen vier Wochen mehr
oder weniger anhielt und nichts dem Uebel zu steuern vermochte. Kopfweh
zum Rasendwerden, und die heftigsten krampfhaften Magenschmerzen
lassen Einen nie zur Ruhe kommen, da der Schlaf den ermatteten Körper
flieht und Füße und Unterleib abzusterben scheinen; dabei der Kopf
heiße Thränen schwitzt, während man den schmerzlichsten Anstrengungen
zu unterliegen glaubt[24].

In einer solchen Lebensperiode lernt der Mensch erst einsehen und
fühlen, was es heißt, getrennt von den Seinigen, ohne Wartung und
Pflege, die Leiden des Körpers geduldig ertragen zu müssen. Mehr als
Muth und Charakterstärke gehört dazu, um, an Leib und Seele erschlafft,
bei dem Kampf der Elemente im Glauben nicht zu wanken. Festes Vertrauen
muß man auf Den haben, der die Schicksale der Menschen lenkt. Hier habe
ich das Sprichwort bewährt gefunden, daß der, welcher beten lernen
will, nur zur See gehen muß.

Während der ersten vier Wochen konnte von der Schiffskost nichts von
mir genossen werden, da der Magen sich an die schaukelnde Bewegung
nicht gewöhnen wollte, wie solches bei den meisten Passagieren schon
in den ersten Tagen der Fall war. Die bitter aufsteigende Galle
verscheuchte allen Appetit, und nur mit Noth behielt der Magen bei
ruhiger See einige Löffel Suppe. Unter solchen Umständen schwanden
meine Kräfte zusehends, und Mancher sah in mir, bis zum Skelett
abgezehrt, schon die Leiche. Doch das Maas der Leiden war noch nicht
voll; selbst das Wenige, was der Magen in sich behielt, verstopfte sich
beim Mangel an Motion, und erst nach achtzehntägiger Qual ersetzte der
Steuermann den fehlenden Arzt, doch galt bei ihm das alte Sprichwort:
„Friß Vogel oder stirb!“ und half er auch von einem Leid, so wurden
neue Schmerzen bei mir wieder hervorgebracht.

Das Lager selbst, beim Mangel weicher Betten, treibt die Gesunden
auf, nur mich hielt es zurück und machte die Nächte zu Ewigkeiten, so
daß die Fahrt mir doppelt lang wurde und der aufgelegene Körper die
Schmerzen mehrte. -- Ein Glück, daß während der See-Reise das Schiff
an keiner Insel hielt, da sonst Mancher, in dem Glauben, die Plage sey
nicht mehr zu ertragen, verlangen würde, hier ausgesetzt zu werden; so
aber wider Willen mit fortgerissen wird. Was hätte ich selbst für einen
Tag Ruhe auf festem Boden gegeben und um einen Trunk frisches Wasser,
die Lippen zu netzen? So aber blieben wir auf Thee und Kaffee, gekocht
in stinkendem Wasser, ohne Milch, Zucker und Rum, verwiesen. Auch nicht
für Geld und gute Worte erhielt ich und eine kranke Frau vom Tisch des
Kapitäns ein Paar Flaschen Wein[25]. Doch hier wo’s Noth that und des
Seemanns Herz nicht zu erweichen war, half ein Bauersmann und theilte
den Labetrank, der für seine Kinder bestimmt war, mit uns.

Die Unmöglichkeit, das Lager zu verlassen, zwang mich, auf solches
fest gebannt, liegend im Tagebuche zu notiren, was im innern Raume des
Schiffs vorging und von dem was außerhalb geschah, erhielt ich durch
meinen Neffen Rapport. Zum Trost für mich wurde Letzterer nur von
einem Schwindel befallen, ohne vom Erbrechen selbst nur das Geringste
zu verspüren, und konnte demnach zu meiner Wartung und Pflege viel
beitragen.



Neunter Brief.

    New-York im August 1839.

Fortsetzung.


Kaum hatte der Lootse das Schiff verlassen, als sich der Wind von
Neuem drehte, so, daß der Kapitän sich gezwungen sah, die Fahrt
durch den Kanal aufzugeben, und, um den Seitenwind mehr benutzen zu
können, um England herum zu segeln beschloß, bei welcher Gelegenheit
die Passagiere die Küsten Schottlands gleich Nebelstreifen vor sich
ausgebreitet sahen.

Am 10. steuerte ein aus Amerika kommendes Schiff auf uns zu. Sogleich
wurden die Flaggen gehißt und einige Segel beigelegt, wodurch die
Schiffe, im Lauf gehemmt, sich einander nähern und die Kapitäns,
vermöge der Sprachröhre, über Lage und Breite, unter welchen man sich
befindet, von wannen und wohin man kommt und fährt u. s. w., die
gewünschte Auskunft ertheilen.

Den 12. wurden wir aufgefordert, die im Zwischendeck aufbewahrten und
in Fäulniß gerathenen Kartoffeln über Bord zu werfen, da solche des
faulen Geruches halber der Gesundheit schädlich zu werden droheten.
Zu diesem Geschäft fühlten sich aber Viele nicht verpflichtet, da
sie ihrer Meinung nach bei stattgefundenen erhöhten Fahrpreisen um
so weniger zu Arbeiten gezwungen werden könnten. Die Vorstellungen
der Vernünftigen halfen nichts, keine Hand wurde gerührt, und schon
streckte der pestilenzialisehe Geruch Mehre aufs Krankenlager, da
befahl der Kapitän das Kochen so lange einzustellen, bis geschehen
sey, was Vernunft und Gesundheit unumgänglich nöthig machten; welches
Zwangsmittel so probat war, daß es jedes Mal in Anwendung gebracht
wurde, wenn widerspenstige, die Ordnung nicht liebende Passagiere die
Plätze vor den Schlafstellen nicht reinigen wollten. Die über Bord
geworfenen Kartoffeln wurden sogleich von Fischen, welche in Menge das
Schiff verfolgten, verschlungen.

Den 15. brachte ein begangener Diebstahl mehre Passagiere in
Streit, welcher bald in blutige Händel überging, und bei welchem
sich herausstellte, was für saubere Subjekte mit am Bord waren, da
durch gegenseitige Beschuldigungen die Diebe bemerkt wurden, welche
ungestraft glücklich der Justiz entwischt oder von ihren Gemeinden
auf Kosten der Letztern nach Amerika befördert wurden. Auch an
Freudenmädchen fehlte es nicht, welche nur zum Schein die Spröden
spielten, gegen die Huldigungen der Matrosen aber nicht unempfindlich
waren und deshalb von denselben in Schutz genommen wurden.

Kaum hatte sich der Lärm gelegt, als von Neuem Blut vergossen wurde.
Der Zimmermann S. erhielt das seiner Frau im Schaffen gereichte Mehl
mit dem Bemerken durch die Oeffnung im Deck zurück, es sey solches zu
viel; das nun auf die Hälfte reduzirte Quantum ward ebenfalls mit der
Weisung wieder herabgereicht, jetzt sey es zu wenig, worauf der Mann
voll Zorn den Schaffen durch die Oeffnung warf. Das Geschirr fehlte die
Frau, sprang aber am Tauwerk ab und verwundete einen Baier am Kopfe
so tief, daß er umsank. Seine Landsleute sprangen zu, und Rache war
die Loosung. Schon drangen sie in’s Deck, um den Thäter zu ergreifen,
doch dieser flehte weinend um Erbarmen, schützte Zufall und seine ihn
ärgerlich gestimmte Krankheit vor, und erhält so, vereint mit den
Bitten seiner Kinder, die erbetene Gnade.

Der 16. war ein rauher nebeliger Tag und der Steuermann kündigte auf
die Nacht Sturmwind an; da wir aber schon während der Fahrt einige
starke Winde erlebt hatten, so legte sich Alles ohne Sorge zur Ruhe,
nicht ahnend, was da kommen sollte. Es mochte wohl Nachts gegen 11 Uhr
seyn, als der Wind heftig zu toben anfing und die Wellen, sich an dem
Fahrzeug brechend, den hohlen Bau zu zertrümmern drohten und ihn ganz
auf die Seite legten. Das Geschrei der Matrosen während des Einziehens
der Segel und das Alles übertönende Kommandowort des Kapitäns ließ die
Erfüllung der Voraussage auf Sturm vermuthen. Eben beschäftigt, mit
meines Neffen Hülfe das Lager nach der hängenden Seite des Schiffs
zu ändern, als sich solches zurückbiegt, in dem Augenblicke aber mit
einer solchen Schnelligkeit umprallte, daß wir aus den Cojen geworfen
wurden. Das Lager wieder zu erreichen, war bei der Dunkelheit im
Zwischendeck, da alle Luken fest verschlossen und kein Stern eindringen
konnte, nicht möglich. Auf allen Vieren kriechend, mühte ich mich
vergebens ab, und aus der Richtung gebracht, wurde ich immer mehr
von der Schlafstelle entfernt. Ganz betäubt, da sich das Erbrechen
sofort einstellte, und unvermögend, an den beweglichen Kisten mich
festzuklammern, wurde ich so auf dem Fußboden hin und her geschleudert,
bis mir endlich nach vielen erhaltenen Stößen ein festgenageltes Bret
einen Ruhepunkt zu gewähren schien; doch beim zweiten Griff, um mich im
sichern Raum aufzuschwingen, erwischte die Hand einen weichen Fuß, der
dem Schreie nach, welchen die Schöne ausstieß, einer +Unschuld+
angehören mußte, worauf die Schläge einer Männerfaust am Weitergreifen
mich verhinderten und ich so von Neuem gleich den übrigen Effekten
herumgeworfen wurde, bis der Jammerton meinen Neffen herbeiführte und
wir vereint, auf allen Vieren kriechend, (da Aufrechtgehen unmöglich
war) mit vieler Mühe die Lagerstätte erreichten. Immer heftiger ward
der Sturm, wodurch Kisten und Laden durch das Zerreiben der Stricke
sich lösten und, gegen einander geworfen, den Inhalt leerten, und
somit Eß-, Trink- und Nachtgeschirr durch einander flogen. Schlag
auf Schlag stürzten die tobenden Wellen über das Verdeck und drohten
solches zu durchbrechen, und Mancher glaubte schon, sein Grab in den
Meereswellen zu finden. Doch ärger und ängstlicher, als Sturm und
Wellenschlag, erfüllte das Angstgeschrei der Kinder und Weiber die
dunkeln Räume, wobei die Letztern den Männern gewöhnlich alle Schuld
des zu ertragenden Unglücks zuzuschreiben Ursache zu haben vermeinten.

Bei alle dem Unglück und auszustehender Angst, wo die Mehrsten
beteten, Kinder weinten, schrieen Andere wieder vor Lachen auf, wenn
ein geängstigter Jude bei jedem Wellenschlag mit einem Auwei-Ruf in
Abrahams Schoos zu wandern glaubte, und das Wasser, welches seiner
Meinung nach zur Rettung keine Balken habe, verwünschte.

Hat schon das Uebereinanderbetten manches Unangenehme im Gefolge,
um wie viel mehr wird solches aber bei Sturmeszeit verspürt, wo die
obern Seekranken die unter ihnen Liegenden reichlich beschmutzen, wie
ich jetzt zu erfahren volle Gelegenheit hatte, da ein Baier mir ein
reichliches Maas der genossenen Erbsen über meinem Haupte entlud.

Der täglich für die Passagiere bestimmte Branntwein wurde nicht alle
Morgen, wie es Vorsicht und Gesundheit erforderten, ausgegeben,
sondern aus Bequemlichkeit des Proviantmeisters sogleich auf acht
Tage gefaßt. Da solcher aber seiner schlechten Qualität halber nicht
von jedem Passagiere genommen wurde, so benutzten dieses die Säufer
und faßten die für Jene bestimmten Portionen auf deren Namen mit.
Doch an Mäßigkeit nicht gewöhnt, war die unausbleibliche Folge, daß
im Rausch Mancher vergaß, Mensch zu seyn und seinem Nächsten lästig
wurde. Doch von üblern Folgen hätte der 18. d. uns werden können, wenn
der angehende Sturm sich nicht bald wieder gelegt, da an diesem Tage
der gereichte äußerst schlechte Branntwein sofort an die Matrosen
verschenkt oder gegen Waizen-Schiffs-Zwieback[26] vertauscht worden
war. Berauscht durch übermäßigen Genuß, lagen dieselben im tiefen
Schlafe, als am Abend der sich erhebende Wind das Einziehen der Segel
nöthig machte; Alle aber waren unvermögend, sich weder aufrecht zu
erhalten oder in den Segeln zu arbeiten, noch das Kommando des Kapitäns
zu vernehmen. Jetzt half der Steuermann nach und trieb dieselben mit
einem Schiffstau, mit welchem er die Armen unbarmherzig über Kopf und
Hände schlug, aus ihrem Rausch. Von dieser Zeit an wurde an jedem
Morgen der Branntwein in einzelnen Portionen vertheilt und mußte auf
der Stelle getrunken werden. Keinem war es gestattet, denselben im
Glas, um ihn, wie es eigentlich der Zweck war, nach dem Genuß fetter
Speisen zu trinken, mitzunehmen.

Bei dem Kochen des Kaffees, der für alle Passagiere im großen Kessel
gebraut wurde, trat sehr oft der Fall ein, daß entweder zu viel oder
zu wenig von diesem Labetranke bereitet worden war, indem die dazu
beauftragten Personen nach ihrer eigenen Willkühr die Quantität
Wasser dazu bestimmten; als aber noch durch den immer mehr und mehr
abnehmenden Kaffeegeschmack die Erfahrung gemacht wurde, daß die sich
mit dem Mahlen der Kaffeebohnen beschäftigten Personen das Metzen nicht
vergaßen, so wurde fortan der gebrannte Kaffee in gleichen Portionen
an jede Schlafstelle vertheilt, und Jedem selbst überlassen, wie viel
er von dem kochenden Wasser verwenden wolle. Mit dem Thee verblieb
es jedoch beim Alten, da derselbe reichlicher gespendet und von den
Passagieren weniger begehrt wurde, weil derselbe bei mangelndem Zucker,
Milch und Rum, in fauligem Wasser gekocht, bald Jedem widerstand.

Am Abend des 21. starb ein 19jähriges Frauenzimmer, welches schon
kränklich das Schiff in Bremerhaven bestiegen und vom letzten Sturme
vollends erschöpft und aller Hülfe entbehrend den Beschwernissen der
Reise unterliegen mußte. Das Begräbniß erfolgte sogleich am folgenden
Morgen, nachdem die Leiche in den Strohsack eingenäht worden, um die
Schlafstelle, wo noch drei andere Passagiere mit placirt waren, zu
reinigen. Kein Drängen der Reisenden zum Begräbniß, wie ich vermuthet
hatte, fand statt, obgleich ein solcher Fall während der Fahrt noch
nicht vorgekommen war. Alles scheute den Tod und blieb zurück. Nur der
Bräutigam der Seeligen half den Matrosen beim Transport der Leiche aus
dem Zwischendeck.

Da ich selbst nicht vermögend war das Lager zu verlassen, bat ich
meinen Neffen, der Armen die letzte Ehre zu erzeigen und mir die
dabei üblichen Formen und Gebräuche zu berichten, indem ich mir das
Zeremoniel beim Einsenken in die See noch rührender als auf dem Lande
dachte. Doch weder Steuermann noch sonst ein Anderer vertrat die Stelle
des Geistlichen, kein Kapitän ließ sich sehen, alles blieb ruhig und
so wurde die Leiche auf ein Bret gebunden, mit zwei Kugeln beschwert
und ohne Sang und Klang in das Wasser hinabgelassen, wo sie alsbald ein
Raub der Fische ward, welche, die Leiche witternd, das Schiff in Unzahl
umschwärmten.

Am 25. wurden drei Schiffe bemerkt, welche gleich unserm Fahrzeug die
Richtung nach Amerika nahmen, sich aber ziemlich entfernt hielten
und, bald sichtbar bald nicht, den Passagieren einige Tage die Zeit
verkürzten.

Als am 27. von einer Elsasser Familie das im Holzkübel gefaßte
Mittagsbrot auf der neben der Treppenleiter stehenden Kiste verzehrt
werden sollte, sah sich der besorgte Vater einer Judenfamilie
genöthigt, das Schiff von einem mephitischen Geruche zu befreien, ward
aber noch auf der Treppe von einer überschlagenden Welle getauft,
wodurch er das Gleichgewicht verlor und mit seinem Nachtgeschirr
zwischen die Elsasser fiel. Voller Wuth stürzten die Letztern
den vollen Kübel mit den so verdorbenen Erbsen über den Kopf des
vor Schreck halbtodten Juden, welchen auf seinen Hülferuf die
Glaubensgenossen wieder zu befreien suchten; aber der schlüpfrige
Boden, verbunden mit dem Schaukeln des Schiffes, machten das Feststehen
unmöglich, und so fiel Einer über den Andern, welches sattsamen Stoff
zum Lachen gab.

Am 31. verfolgten zwei junge Wallfische das Schiff, welche durch das
fontänenartige Aussprudeln des Wassers den Passagieren zur Belustigung
dienten. Besonders aber bringen bei warmer Witterung und ruhiger See
die Meerschweine (Delphine) eine Abwechselung in das alltägliche Leben,
da solche oft in stundenlangen Linien, einer hinter dem andern, zwei
bis drei Schuhe hohe Sprünge über die Wasserfläche machen.

Ich selbst, der bis jetzt das Lager noch nicht verlassen, heute mich
aber besonders wohl fühlte, wünschte dieses Schauspiel zu sehen und
das Entzücken zu genießen, welches der Anblick des unendlichen Meeres
zum ersten Mal auf den Menschen ausübt. Ich suchte daher mit Hülfe
meines Neffen, da ich nicht vermögend war allein zu gehen, das Verdeck
zu ersteigen und, am Mittelmast gelehnt, genoß ich in vollen Zügen
die reine heitere Luft. Doch ein Blick auf das Meer ließ mir solches
erscheinen, als wenn es tief in den Abgrund versinke und eben so
schnell wieder zu den Wolken sich erhebe. Schwindel ergriff mich,
Alles drehte sich mit mir im Kreise, es stellte sich das Erbrechen ein
und zwar mit einer solchen Heftigkeit, daß ich mehr todt als lebendig
zurück in das Verdeck getragen werden mußte.

Vier Wochen war ich also auf dem großen Weltmeere herumgeschwommen,
ohne von der unermeßlichen Wassermasse, die uns umgab, Etwas gesehen
zu haben, und würde vergessen haben, wo ich mich befand, wenn das
geräuschvolle Anschlagen der Wellen nicht daran erinnert hätte.



Zehnter Brief.

    New-York im August 1839.

Fortsetzung.


Bis Anfang August war die Fahrt bei allen ausgestandenen Gefahren
und Beschwerden immer noch für die gesunden Passagiere erträglich
gewesen, da bei den Meisten der in Vorsorge mitgenommene Extra-Proviant
oder sonstige Leckereien ausgeholfen hatten. Dieses war aber jetzt
verzehrt und nur auf die Schiffskost und das nicht mehr zu genießende
stinkende Wasser blieb man beschränkt, welches Letztere ohne Zusatz
von Essig nicht mehr getrunken werden konnte, wenn man auch während
des Einfüllens die Nase verstopfte. Der Kaffee und Thee, in diesem
Wasser gekocht und beim Mangel von Zucker, Rum und Milch, waren mehr
als Brechmittel wie Labsal zu betrachten, und halfen nur als Uebergüsse
den ans Roggenkleie steinhart gebackenen Schiffszwieback zu erweichen
und so genießbar zu machen. Besser bekam und füllte die mehr und mehr
ausgehungerten Magen früh und Abends der vorher eingeweichte, stark
mit Pfeffer und Salz bestreute Zwieback, welcher, mit kochendem Wasser
überbrüht, eine an Geschmack, doch mehr dem Aussehen nach, Wurstsuppen
ähnliche Speise lieferte, welche in der Dunkelheit genossen, trefflich
schmeckte, da hier weniger zu unterscheiden ist, was für Extra-Zusätze
sich in der Speise befinden, welche zuweilen die Hals-Passage zu
verstopfen drohen.[27] Fast aber mehr als alles Dieses machte das
Ungeziefer den Passagieren das Ende der Reise wünschenswerth; da außer
Wanzen, Flöhen, Ameisen, großen und kleinen Schwaben[28], die Läuse
auf eine so furchtbare Art überhand nahmen, daß Männer und Frauen halb
nackend sich möglichst zu reinigen suchten. Das Alles gab vorzüglich
des Nachts Veranlassung zu lauten Klagen, und manche Frau verwünschte
den Mann, der sie und die Familie durch süße Schilderungen der schönen
Reise und lockender Zukunft zur Auswanderung vermocht. Doch jetzt war
es zu spät; nur Geduld allein macht den reuigen Schritt weniger fühlbar.

Nicht zu beschreiben ist, wie lange Einem unter solchen Umständen die
Tage und mehr noch die schlaflosen Nächte werden, überhaupt wenn man
nicht vermögend ist, eine Viertelstunde lang lesen oder schreiben zu
können, um sich mit Lektüre die Zeit zu verkürzen.

Der Glaser R. war eben so stark, wie ich, von der Seekrankheit
heimgesucht, und mußte während der Dauer der Reise das Lager hüten.
Jede heftige Bewegung des Schiffs erneuerte das Brechen bei ihm und
erst auf dem festen Lande erhielt derselbe die geschwundenen Kräfte
wieder.

Der Zimmermann S. glich mehr einem Skelett, als einem lebenden
Menschen, da ihm Blutstürze verboten, von der gelieferten gesalznen
Schiffskost Etwas zu genießen und er nur das Leben mit wenig Suppe
fristete, die ihm der Schiffskoch aus Erbarmen reichte. Frau und Kinder
hatten unter solchen Umständen viel zu ertragen, da Ersterer selbst der
Abwartung bedurfte und nichts zur Bequemlichkeit der Familie beitragen
konnte. Manches harte Wort mußte der Kranke von der Frau vernehmen,
welche mehr gezwungen, als freiwillig die Heimath verlassen hatte.

Die Schuhmacherfamilie F. war abwechselnd gesund und krank, nur der
alte Großvater hielt sich tapfer, wurde wenig seekrank, hatte immer
Appetit und diente so Jedem zum Muster.

Der Seiler S. war ebenfalls mit seiner Frau gezwungen, die Hälfte der
Reise das Lager zu hüten; später befanden sie sich aber wohl.

Der Metzger R., Anfangs gesund, war aber unmäßig im Essen und Trinken
und mußte deshalb als gerechte Strafe die letzte Zeit hart dafür büßen;
er konnte vierzehn Tage lang Nichts genießen und betrat äußerst schwach
den amerikanischen Boden. Mein Neffe war der Einzige, welcher nie
erkrankte, immer auf den Beinen und mit einem Appetit begabt war, daß
ihn jede Speise labte.

Die Windstille am 3. August machte abermals den Wunsch in mir rege,
ein auf uns zusegelndes Schiff ankommen zu sehen, um das Gespräch der
Kapitäns zu belauschen. Ich ließ mich, da ich allein noch nicht gehen
konnte, wieder auf das Verdeck tragen und am Mittelmast absetzen,
wo ich hauptsächlich vermied, den Blick auf das Wasser zu richten,
um nicht neuen Schwindel zu erwecken. Wohlthätig wirkte die reine
belebende Luft, welche ich so lange entbehrt, auf mich ein und die
Ruhe, deren wir bei der Windstille auf dem festgebannt scheinenden
Schiff genossen, trug dazu bei, Kopfweh, Taumel und Uebelkeit zu
verscheuchen, und schon glaubte mein immer reger Geist, daß die Füße
den magern Körper zu ertragen vermöchten. Jetzt war das Schiff nahe,
doch war mein Neffe, mich zu unterstützen nicht da, weshalb ich allein
die Blanke zu erreichen suchte. Aber in dem Moment ward das Schiff, um
es dem Andern zu nähern, am Steuer gedreht, wodurch dasselbe hinüber
und herüber schwankte, ich zum Fallen kam und gleich einer Tonne dem
Schiff entlang rollte. Alles wollte vor Lachen bersten, über den Alten,
wie man mich zu nennen pflegte, der gleich einem Betrunkenen nicht
stehen konnte.

Das Schiff kam von Petersburg, hatte Korn geladen und segelte nach
Boston.

Mattigkeit abgerechnet, war ich während der ganzen Reise nie so wohl
gewesen, deshalb beschloß ich, vom Verdeck aus die Sonne untergehen zu
sehen. Welch ein herrlicher Anblick! Wie ein Feuermeer lagen die Wolken
rings um uns und versilberten den Wasserspiegel, aus welchem unzählige
große und kleine Fische auftauchten. Von einem solchen Standpunkte aus
fühlt man sich erst recht gedrungen, Gottes Allmacht zu bewundern. Auf
dem Meere erst, wo der Mensch nicht, wie häufig auf dem Lande, vor
Gefahr sich sicher glaubt, und im Selbstvertrauen sich dort mehr als
hier von seinem Schöpfer unabhängig wähnt, fühlt man so recht seine
Ohnmacht. Wo die Sonne gleichsam als Auge Gottes tief in das Innere
des Menschen einzudringen sucht, da lernt man erst recht einsehen und
begreifen, was der Mensch und dessen Bestimmung ist und daß man überall
abhängig von dem ist, welcher Alles regiert und einst Rechenschaft
fordert von unserm Thun und Lassen. Um wie glücklicher und beruhigter
ist man auf dem großen Ozean, wenn man mit gutem Gewissen sagen kann:
„Herr dein Wille geschehe! Mein Ende sey nahe oder fern!“ Wie ganz
anders muß dem Bösewicht zu Muthe seyn, welcher in jedem Ungemach die
gerechte Strafe zu erkennen glaubt.

Der milde Abend hielt mich noch immer auf dem Verdeck zurück, als die
Nacht ihre dunkeln Fittige schon über das Meer ausgebreitet und von
Millionen der glänzendsten Sterne am gewölbten Himmel erleuchtet wurde.
Alles tummelte sich nach den Tönen einer Harmonika auf dem Verdeck, bis
der Steuermann, des Lärmens müde, Feierabend gebot.

Fest schlief ich die Nacht, da die nicht gewohnte Seeluft ermüdet, und
im Traume sah ich mich schon von Neuem auf dem Verdeck lustwandeln, als
mein Neffe zur Empfangnahme des Kaffees weckte und dabei die Kunde gab,
daß schwarze, sich zusammenziehende Gewitterwolken, sowie der dumpfe
Donner das Herannahen eines Gewitters verkündeten.

Der Kapitän, vorsichtig wie immer, ließ die Segel einziehen; doch
war die Mannschaft damit noch beschäftigt, als sich das Unwetter
schneller als man vermuthete, nahete und der Wind das Schiff nach
allen Richtungen peitschte. Die Luken wurden sogleich verschlossen
und, in nächtliches Dunkel versetzt, suchte Jeder sich an seinem Lager
festzuklammern.

Nichts ist schrecklicher zur See, als ein schweres Gewitter, indem
man bei herannahendem Sturm sofort am hellen Tage durch Verschließung
aller Schiffsluken in dichte Finsterniß versetzt wird, und das Rollen
des Donners, sowie das Anschlagen der ungestümen Meereswellen daran
erinnert, wie nahe man dem Feuer- und Wassertode ist. Das Schiff wurde
im Wirbel herumgetrieben, bald hoch in die Luft, bald tief in den
Abgrund geschleudert. Alle Effekten im Zwischendeck wurden losgerissen
und herumgeschleudert; selbst die Passagiere hatten große Mühe sich
fest zu halten. Bei Vielen stellte sich die Schiffskrankheit sogleich
wieder ein, und abermals mußten wir das Unangenehme, in den untern
Schlafstellen zu liegen, schrecklich empfinden, da wir, wie unter einer
Dachtraufe liegend, von oben her tüchtig begabt wurden. Mich selbst
brachte das Erbrechen wieder so von Kräften, daß ich fest glaubte, das
Ende meines Lebens sey nahe, da ich keiner Besinnung mehr mächtig,
nicht wußte, was um und neben mir vorging. Erst als die Schiffsluken
wieder geöffnet und frische Luft eindringen konnte, erholte ich mich
nach und nach wieder. Mein Neffe, besorgt, mich auf dieser Wasserreise
noch zu verlieren, wollte vom Schiffskoch etwas Suppe für mich
erbitten, hatte aber, gleich jenem Juden, das Unglück, durch eine
überschlagende Welle von der Treppenleiter gespült zu werden und sich
beim Herabstürzen den Kopf zu beschädigen.

Durch diesen Vorfall ängstlich geworden, getraute sich keiner der
Passagiere, an welchen heute das Kochgeschäft war, auf das schaukelnde
Verdeck, weshalb solches unterblieb und die hungrigen Magen auf den
folgenden Tag verwiesen wurden.

Hatte ich mehrmals schon während der Reise bereut, dieselbe nicht als
Kajütenpassagier unternommen zu haben, so war es besonders der heutige
Tag, an dem ich alles Unangenehme, welchem ein Zwischendeck-Reisender
ausgesetzt ist, doppelt zu fühlen glaubte, da hier jeder Genuß, jede
Stärkung des Kranken fehlt, und den erschlafften Magen statt mit Brühe
von frischgeschlachtetem Federvieh zu stärken, solchem nur gesalzenes
Fleisch und stinkendes Wasser zugeführt werden kann.



Eilfter Brief.

    New-York im August 1839.

Fortsetzung.


Bis den 18. August ging die Reise ziemlich gut und nichts
Bemerkenswerthes kam vor, außer daß am letztgenannten Tage der Wind das
Schiff in eine unordentliche, für uns äußerst widerwärtige Bewegung
versetzte, indem es sich nicht regelmäßig nach vorn und hinten hob
und senkte, sondern mit dem Hintertheile tiefer als mit der Spitze
einsank und doppelt so viel Zeit brauchte, um sich wieder zu erheben.
Hatte es sich endlich ins Gleichgewicht empor gearbeitet, so neigte
es sich am Vordertheil um einige Fuß und fiel dann wieder zurück,
welche anhaltende Bewegung gleich Sturm zum Erbrechen reizte und viele
Passagiere seekrank machte.

Obschon das Tabacksrauchen aus verschlossenen Pfeifen im Zwischendeck
vielen Passagieren unangenehm war, um wie vielmehr hätte aber,
Feuersgefahr halber, das Cigarrenrauchen im Innern des Schiffes
verboten seyn sollen? Dieses war aber bei uns nicht der Fall, da sowohl
am Tage wie auch des Nachts Cigarren in den Schlafstellen geraucht
wurden. Alle Vorstellungen, daß beim vorhandenen Pulver leicht mögliche
Gefahr zu befürchten sey, halfen Nichts; man berief sich auf Ober-
und Untersteuermann, welche ebenfalls mit brennender Cigarre, zu
Verabreichung der Lebensmittel in den untern Schiffsraum stiegen, und
so riskirte man lieber das Leben, als einer Leidenschaft zu entsagen.

Am 9. August war es aber leicht möglich, daß wir für diesen Leichtsinn
bestraft werden sollten. Ein Passagier legte auf dem Wege zum
Appartement die brennende Cigarre auf die Kajüten-Küche neben ein
Segeltuch und vergaß solche wieder an sich zu nehmen. Vom Wind
angefacht, fing Letzteres Feuer, und schon schlug die Flamme nach den
ausgespannten Segeln, als ein entschlossener Matrose den Feuerklumpen
ergriff und über Bord warf. Von jetzt an wurde erst alles Rauchen im
Zwischendeck streng untersagt, welches bis hieher zwar nicht erlaubt,
dennoch aber auch nicht verboten war.

Am 10. erhielten wir die ersten Vorboten des nicht mehr fern seyenden
Landes, indem uns ein gelblich grünes Meergewächs entgegen schwamm,
welches unsern Wachholderstauden ähnlich und mit kleinen grünen Beeren
besetzt war, und zum Aufenthalt einer Masse kleiner Thierchen diente,
welche im Dunkeln gleich hellen Funken leuchteten.

Gleich wie das Schiff während der Reise immer mit Möven und andern
Seevögeln umgeben war, welche ab und zuflogen, eben so stellten
sich auch am 12. die ersten Schwalben ein, welche uns gleichsam zu
bewillkommnen schienen, das Schiff umschwirrten und sich traulich auf
Taue und Masten niederließen.

Der Kapitän aber suchte fortwährend die Nähe des Landes zu
verheimlichen, um uns entweder damit zu überraschen, oder die
Möglichkeit erwägend, daß wir zwar nahe am Ziel, dennoch von Neuem
verschlagen werden könnten, und hielt so, die Entfernung immer noch auf
mehre Tage angebend, die Erwartung gespannt.

Das uns gereichte Trinkwasser war nicht mehr zu genießen, und da am
11. das Mittagsbrod ebenfalls dem Schweinefutter glich, indem die
Mehlgraupen vom stinkenden Wasser blau und gleich Leinweberschlichte
nicht munden wollten, so war der Unwille allgemein; die Holzkübel
mit dem Essen wurden aufs Verdeck getragen und der Kapitän gefragt:
„ob das die versprochene genießbare Beköstigung sey?“ Auch wurde
jetzt ernstlicher besseres Trinkwasser verlangt, gleich dem, welches
die Matrosen und Kajüten-Passagiere erhielten, da durch heimliches
Hinabsteigen in den untern Schiffsraum einige Passagiere in Erfahrung
gebracht, daß von solchem noch mehre Fässer vorhanden waren. Das
Letztere wurde gewährt, nachdem sich der Kapitän selbst von der
Ungenießbarkeit des faulen Wassers überzeugt hatte, und Alle fielen mit
solcher Begierde über das Wasser (welches immer schon sechs Wochen alt
war) her, als wenn es das beste Lagerbier gewesen wäre.

Bei Austheilung des bessern Wassers fand die größte Ungleichheit statt,
so daß sich die Zudringlichsten doppelte Rationen zu verschaffen
wußten; andere hingegen, welche Krankheit ans Lager fesselte, um so
weniger erhielten. Es erging daher von mehren Seiten an mich, der
das Laufen so ziemlich wieder gelernt hatte, die Bitte, mich der
Sache anzunehmen und mehr Ordnung und Gleichmäßigkeit herzustellen.
Von dieser Zeit an wurde von mir jeder Schlafstelle das ihr gehörige
Quantum Wasser richtig zugemessen.

Den 15. früh, beim kaum dämmernden Morgen, erscholl der längst ersehnte
Ruf: „Land! Land!“ mit welchem einige Passagiere, die diese milde Nacht
auf dem Verdeck zugebracht, Alles in Allarm brachten. Jeder verließ
schnell das Lager, um das Ziel seiner Wünsche zu sehen.

Auch auf mich wirkte dieser Ruf mit Zauberkraft, so daß ich mit
Leichtigkeit aufsprang und zum ersten Mal ohne fremde Hülfe auf das
Verdeck eilte. Doch Land war zur Zeit nirgends noch zu sehen; nur das
Wegreisen der Abtritte und die Sage der mit dieser Arbeit beschäftigten
Matrosen gab Veranlassung zu diesem Scherz. Doch das Erstere ließ
vermuthen, daß wenigstens der Kapitän des nahen Landes gewiß seyn
mußte, wodurch Viele getäuscht, in jeder dunkeln Wolkenmasse den neuen
Welttheil zu erblicken wähnten.

Mir selbst bleibt jener Morgen unvergeßlich. Ich bin nicht vermögend,
die seeligen Gefühle zu beschreiben, welche theils die Gewißheit
baldiger Befreiung aus dem Kerker, in dem ich fünf Wochen krank auf
dem Strohsack liegend, zugebracht, hervorruften, theils aber auch den
Glauben, das Ende aller Leiden vielleicht heute noch auf amerikanischem
Boden zu erreichen, bekräftigten.

Die stille großwogende See lag wie ein Spiegel vor uns ausgebreitet,
über uns wölbte sich der heitere Himmel und schien am äußern Horizont
auf den Meereswellen zu ruhen. Nichts vermochte die Sehnsucht nach
dem neuen Vaterlande zu stillen, keiner wich einen Augenblick vom
Verdeck, Essen und Trinken ward vergessen, bald da, bald dort das Land
entdeckt, doch immer war es nur ein Trugbild der Phantasie. Nur mit
Mühe konnte ich in der vom Steuermann angegebenen Richtung mittelst
des Fernrohres am Rand des Horizontes etwas unterscheiden, welches die
Küste seyn sollte, die sich, je nachdem das Schiff sich hob oder sank,
bald höher über dem Wasserspiegel zeigte, bald wieder ganz dem Blick
entschwand. Andere Passagiere sahen wegen der schaukelnden Bewegung gar
nichts durch das Fernrohr, wieder andere behaupteten, nur eine Wolke
zu erblicken, und somit wurde Neugierde und Sehnsucht fort und fort
gesteigert und Einer hielt den Andern nur zum Besten. Erst gegen 8 Uhr
konnte man jenen Punkt, welcher der neue Welttheil seyn sollte, als
feststehend in der beweglichen Wellenmasse mit bloßen Augen erkennen,
welcher sich, je näher wir kamen, immer weiter ausbreitete und höher
emporstieg. „Land! Land!“ war der einzige Ruf, den man von jetzt an
hörte. Väter hoben die Kinder in die Höhe und zeigten solchen das neue
Vaterland, von welchem sie ihnen schon so vieles Unglaubliche erzählt
und die Neugierde gereizt hatten. Alte Mütterchen weinten, da sie beim
Anblick bergiger Höhen an die verlassene Heimath erinnert wurden,
wo sie die Jugendzeit verlebt und noch manches theure Familienglied
zurückgelassen.

Immer deutlicher wurden die grünen Ufer mit ihren waldbedeckten
Bergen, woraus da und dort wie ein Lichtpunkt ein weiß angestrichenes
Haus hervorragte, und mit jedem Augenblick mehrten sich die neuen
Gegenstände, welche die Aufmerksamkeit fesselten.

Von allen meinen Gedanken und Empfindungen in diesem Augenblicke
Rechenschaft zu geben, ist unmöglich. Der große Kolumbus stand vor
meiner Phantasie, und ich empfand deutlich, was er empfunden haben
mochte, als ihn nach vielen Gefahren der Freudenruf: „Land! Land!“
überraschte. Also auch du sollst die Erde sehen und den Boden betreten,
welchen der große Ozean von deinem Vaterlande trennt, und der in der
frühen Jugend schon deine Aufmerksamkeit gefesselt? Wer hätte das
gedacht, mir solches voraussagen können! Der Mensch ist also ein
Spielball des Geschickes.

Der Kapitän hatte kaum eine blaue Flagge als Zeichen, daß sich noch
kein Pilot auf dem Schiffe befinde, aufgezogen, als aus verschiedenen
Richtungen kleine Fahrzeuge auf uns zusteuerten, welche sich den Rang
streitig zu machen suchten. Jede Welle schien das gebrechliche flache
Boot verschlingen zu wollen, und je näher sie kamen, desto ängstlicher
ward uns zu Muthe, da man jeden Augenblick glaubte, sie hätten ihr
Grab in der Tiefe gefunden; doch eben so schnell kamen sie wieder zum
Vorschein, um von Neuem zu verschwinden.

Nachdem eins der Boote sich uns genähert, wurde ihm ein Seil
zugeworfen, an welchem einer der sechs Männer, die es barg, das Schiff
zu erklettern suchte. Alles drängte sich neugierig zu, um den ersten
unerschrockenen Menschen der neuen Welt zu sehen, welcher sich nicht
scheute, auf einem Fahrzeuge gleich einer Nußschale bei Sturm und
Gewitter den Meereswellen zu trotzen, den Reisenden weit in die See
entgegen zu schwimmen, um das Schiff, da er vertraut mit Untiefen und
Klippen ist, in sichern Hafen zu geleiten.

Der Lootse übernahm nun die Leitung des Schiffs und den Befehl über die
Matrosen, sprach wenig mit dem sich zurückziehenden Kapitän, placirte
sich nicht weit vom Steuer auf die Blanke des Schiffs und warf von Zeit
zu Zeit das Senkblei aus. Bei schwachem Wind fuhren wir nur langsam
in die Bai von New-York zwischen ~long Island~ und ~staten
Island~ ein, und warfen vor der Quarantaine-Anstalt Anker.[29]



Zwölfter Brief.

    New-York im August 1839.

Ausschiffung.


Wie bei Entlassung eines Inhaftirten das Geräusch der ihm abnehmenden
Ketten, demselben ein noch nie vernommener Wohlklang ist und sich
noch im Kerker frei und glücklich fühlt, eben so hocherfreut waren
Alle, als die schweren Ketten die Anker rasselnd in den Meeresgrund
hinabließen, und wir uns, geborgen vor Sturm und Wellen, dem nahen Ufer
gegenüber befanden. Brennend vor Verlangen, die feste Erde wieder zu
betreten und an frischem Brod und Wasser uns zu laben, wünschten wir
nach Abgang des Kapitäns selbst ans Ufer zu fahren, wovon wir aber mit
dem Bescheid zurückgehalten wurden, daß Niemand das Schiff verlassen
dürfe, bevor der Quarantaine-Arzt den Gesundheitszustand der Passagiere
untersucht und durch Nachzählen der Personen ermittelt sei, ob die
Anzahl derselben mit der Größe des Schiffes nach der Tonnenzahl[30] im
Einklang stände.

Bald darauf kamen in einer mit der großen amerikanischen Flagge
geschmückten Gondel zwei Herren an, wovon der Eine sich als Arzt,
der Andere als Gerichtsperson ausgab. Die Sache selbst aber, warum
sie erschienen, war von ihnen nur oberflächlich behandelt. Die sich
ins Zwischendeck zurückgezogenen Passagiere wurden während des
Hinaufsteigens gezählt und nach der Kajüten-Seite zu verwiesen, weshalb
sich leicht und unbemerkt aus dem Zwischendeck durch die Vorkajüte
und beim Ersteigen der Kajüten-Treppe überzählige Personen, wenn sich
solche am Bord befanden, wieder mit den gezählten vermischen konnten.
Eben so schnell wurden die Schlafstellen selbst untersucht, und das
Nichtauffinden Versteckter außer Zweifel gestellt.

Keiner wollte ins Spital wandern und Krankheits halber zurückbleiben.
Alles hatte die Lager geräumt und den Ausschlag möglichst zu verbergen
gesucht. Mit klopfenden Herzen harrten solche unreine Passagiere des
Weitern, als der Befehl erging, uns ~en fronte~ aufzustellen.
„Rechts um, Marsch!“ wurde kommandirt und im Gänseschritt mußten wir
vor dem Arzt vorbeidefiliren, wobei Jeder die Zunge möglichst lang
hervorstrecken mußte, um den darauf sitzenden Krankheitsstoff erkennen
zu können. Demnach waren binnen fünf Minuten 208 Passagiere als gesund
erkannt und als tüchtig zum Eintritt in die vereinigten Staaten
befunden worden.

Um uns lagen Schiffe von verschiedenen Nationen vor Anker, unter
welchen man an der aufgehängten Wäsche auf den Segelleinen die
erkannte, welche mit Auswanderern befrachtet waren.

Auch wir erhielten jetzt Befehl, die Wäsche zu wechseln, sowie alle
schmutzigen Sachen möglichst zu reinigen, damit morgen, dem Abgange
nach New-York, nichts im Wege stehe. Alles kam jetzt in Allarm. Die
Holzkübel, woraus es Manchem so trefflich geschmeckt, wurden in
Waschgefäße verwandelt und darinnen das Ungeziefer in Unzahl ersäuft.
Das Bild eines aufbrechenden Lagers stellte sich dar; hier wurde
ein- dort ausgepackt, die Strohsäcke ins Wasser geworfen und diesen
manches Hemde, ja ganze Anzüge nachgeschickt. Theils durch Scherz oder
aus Muthwille wurden unbrauchbar gewordene Koch- und Nachtgeschirre
und leere Bouteillen ins Meer geschleudert, wodurch es an Zank und
Streit nicht fehlen konnte, und wobei ein Bubenstreich leicht noch
zur Balgerei Veranlassung gab, da man böswillig eine der Leinen
zerschnitten, auf welcher mehre gewaschene Hemden gehangen, welche nun
der Wind ins Wasser trieb.

Ich und mein Neffe verfehlten ebenfalls nicht uns umzuziehen, und die
noch wenig Werth habenden Kleider mit +allen Bewohnern+ wurden in
die Fluthen des Meeres befördert. Auch den Leib suchte man möglichst
zu reinigen, was freilich nur unvollkommen geschehen konnte, weil dazu
der Ort mangelte, an dem es der Anstand erlaubt hätte, solches ungenirt
thun zu können; doch hinderte dieses Viele nicht. Frei, den halben
Leib entblößt, standen sie da, und boten so, nicht achtend der Eltern
Bitten, die erwachsenen Kinder zu berücksichtigen, der Unschuld Hohn.
„Nichts mehr von Befehlen, Freiheit ist das Loosungswort, morgen wird
das Land betreten, wo Einer wie der Andere gilt!“ Dieß war die Antwort
der Frechen.

Bei solchen Gesinnungen war es am räthlichsten, sich stillschweigend
von Individuen zu sondern, welche zum Abschaum der Menschheit gehörten
und den innern Schiffsraum zu meiden, der heute mehr als gewöhnlich
durch Scheuern vor den Schlafstellen gereinigt wurde, und wo man sich
um so bänglicher fühlte, seitdem man dem Lande so nahe war, wo der
Blick mit sehnlichem Verlangen auf dem Gestade verweilte.

Herrlich und groß ist der Eindruck, welchen die paradiesische
Landschaft gewahrt, und übersteigt alle Erwartung. Das
Quarantäne-Gebäude am Fuße von ~staten-Island~, welches mit drei Reihen
jonischer Säulen geziert, wie ein fürstlicher Pallast emporsteigt,
fällt am ersten ins Auge. Weiter hinauf erblickt man freistehend oder
zwischen Bäumen die verschiedenartigsten Breterhäuser aufgebaut,
welche alle einen Anstrich von weißer Oelfarbe haben und äußerst nett
aussehen. In sanften Anhöhen erhebt sich ~staten-Island~ mit allen
Reizen der Natur. Die Bäume prangten noch mit dem üppigsten Grün,
nur die Wiesen fingen an gelb zu werden; sie dienen zum Aufenthalt
zahlreicher Heerden von Hornvieh und Pferden, deren Glockengetön uns
melodisch ansang. Die meisten Felder waren ebenfalls schon bis auf den
in Haufen stehenden Hafer geräumt; nur der Mais stand noch im vollen
Grün, und verherrlichte die Landschaft mit seinen rothen Büscheln.

Rechts ist ~long-Island~, deren rauhe mit Wald bewachsenen Bergwände an
die Urwälder erinnern; doch auch auf dieser Seite sind weiter hinab,
hinter Bäumen versteckt, einzeln stehende weiße Häuser sichtbar.

Die Einfahrt zwischen ~long-Island~ und ~staten-Island~
erweitert sich nach New-York hin immer mehr zu einem See, und
unvergleichlich ist auch hier das Panorama, welches sich dem Auge
darstellt. Viele Schiffe lagen theils vor Anker, oder fuhren mit
geschwellten Segeln hin und her; eben so erkannte man an den dicken
Rauchsäulen die Dampfschiffe, welche zum Transport nach andern
amerikanischen Staaten, oder zur Kommunikation von New-York und den
Eilanden dienen. Kleine Boote umschwärmten in Unzahl die Gestade
und ließen schon hier das innere Leben erkennen. Am äußersten Ende
liegt New-York, eine der größten Handelsstädte der Welt, umgeben von
Schiffen aller Nationen, deren Masten dem Auge selbst den Anblick
der Stadt entziehen, und nur die zahlreichen Thürme und großen
Feueressen der Fabrikgebäude ragen über die Erstern hervor. Durch
kleine befestigte Inseln und eine auf der hervortretenden Landspitze
von ~long Island~ erbaute zirkelrunde Batterie, welche mit einem
Fort auf einer gerade gegenüber liegenden Insel korrespondirt, wird die
Stadt vor feindlichen Angriffen geschützt. Verschiedene andere Werke
vertheidigen die Einfahrt in die Bai.

Unter solchen Ansichten und Betrachtungen war der Abend herbeigekommen,
das Gewühl auf dem Schiffe legte sich, und jeder von uns suchte ein
Ruheplätzchen, welches aber diese letzte Nacht auf dem Fahrzeug um so
härter und unbequemer war, da die meisten Strohsäcke über Bord geworfen
waren, und man befürchten mußte, von Neuem Ungeziefer zu bekommen. Die
rege Phantasie hielt mich lange auf dem Verdeck wach, bis auch mir der
Gott des Schlafes die Augen schloß, und süße Traumbilder eilten nach
dem Land der Hoffnung voraus. Doch bald wurden wir von Neuem durch das
Anschlagen der Wellen und das Brausen des Windes geweckt, welcher das
Schiff vom Anker zu reißen drohte. Ein fürchterlicher Orkan hatte sich
erhoben, welcher das Fahrzeug, gehalten von zwei großen Ankern, dennoch
eine Strecke zurückschob. Alle Ursache hatten wir, Gott zu danken, daß
wir nicht um einen Tag später hier an sicherer Stätte ankamen; denn wer
vermag zu sagen, was vielleicht auch aus uns so nahe am Ziele geworden
wäre, da manches Schiff in dieser furchtbaren Nacht gestrandet und ein
Opfer der Sturmeswuth geworden ist. Als aber am Morgen der wüthende
Orkan eben so schnell sich gelegt, als er entstanden, und die Alles
belebende Sonne freundlich auf uns herniederblickte, da entquollen
manchem Auge Thränen des Dankes, und tief gerührt versank ich in
Anbetung der Allmacht.

Am 17. August gegen Mittag legten sich zwei Transportschiffe an unser
Fahrzeug an, worauf außer den Passagieren auch sämmtliche Kisten
geladen wurden, die nicht im untern Raume des Schiffs verpackt,
sondern neben den Schlafstellen gestanden hatten, und brachten uns
nach der einige hundert Schritte vom Ufer entfernten, auf im Wasser
eingerammelten Pfählen erbauten Barriere, wo wir von Neuem ausgesetzt
und die Sachen einer Revision unterworfen wurden, damit nichts
Steuerbares unverzollt eingebracht werden konnte. Doch die geöffneten
Kisten wurden nur oberflächlich untersucht, so daß man sich damit
begnügte, nur die obern Schichten abzunehmen, ja selbst bei mehren
Koffern nicht einmal Hand anzulegen für nöthig hielt, und sofort mit
Kreide das Zeichen geschehener Revision signirte. Nur meinem Landsmann,
dem Zimmermann S., welcher eine Kiste mit altem Werkzeug fest vernagelt
und nicht vorher geöffnet hatte, wurde solche mit Gewalt aufgeschlagen
und bis auf den Boden entleert.

Während obiger Prozedur erkundigte sich ein gewisser Herr Rückardt,
Agent der deutschen Gesellschaft in New-York, nach unserm Stand und
Gewerbe, und gab den Ort seiner Wohnung an, wo wir, wenn es nöthig
seyn sollte, uns Rath holen könnten, ohne jedoch irgend einem der 208
Deck-Passagiere sofort ein Unterkommen zuzusagen; auch stellte er
Mehren die Aussicht auf ein solches nicht als erfreulich vor, welches
den Muth Vieler nicht wenig niederschlug, da sie, von aller Baarschaft
entblößt, auf sofortiges Unterkommen und Verdienst gerechnet hatten.
Doch, „nur den Muth nicht verloren!“ (rief Einer dem Andern zu), „noch
sind wir nicht am Ziele; erst in der Stadt angekommen, werden wir im
Lande der Freiheit schon das Nöthige finden!“

Schnell wurde Alles wieder auf die Schiffe gebracht, um neu Ankommenden
Platz zu machen. Ein schneidender Wind schwellte die Segel, und
Nachmittags 4 Uhr nach einer sechs Wochen langen Seereise erreichten
wir glücklich die mit Menschen angefüllten Ufer von New-York.



Dreizehnter Brief.

    New-York im September 1839.

Erster Aufenthalt in New-York.


Anstatt daß man sonst den Ankömmlingen sogar ins Meer entgegenfuhr, um
Arbeiter auszusuchen, fand sich jetzt als Gegensatz nicht Einer am Ufer
ein, der Nachfrage hielt. Zwei Frauenzimmer waren die Einzigen, welche
sofort offene Stellen erhielten.[31] Nur eine Art Seelenverkäufer
deutscher Abkunft schienen höchst erfreut, den neu Ankommenden ihre
Dienste anbieten zu können, und rekommandirten uns sogleich Kosthäuser,
in welchen wir sehr gut und enorm billig logiren könnten; auch bei dem
fernern Unterkommen versprachen solche mitzuwirken, da sie überall
bekannt wären und Jedem Rath zu geben wüßten.

Wir sämmtlichen Sachsen und Thüringer bezogen das deutsche Haus, wo
wir aber bald die Erfahrung machen mußten, geprellt zu werden; auch
die vermeinten Freunde erkannten wir jetzt als im Solde des Wirths
stehende Bursche, welche nur dazu dienten, seine Wirthschaft zu
empfehlen, ihm in häuslichen Verrichtungen an die Hand zu gehen, und
bei jeder Gelegenheit den mit allen Verhältnissen noch unbekannten
Einwanderer um das Seinige zu bringen und durch Versprechung aller Art
zum längern Verweilen hier zu bewegen.

Den ersten Genuß, welchen ich mir nach so langer Entbehrung zu
verschaffen suchte, war eine Bouteille Bier; ich gab dafür in
Ermangelung kleinen Geldes einen ganzen Dollar[32], worauf ich von
einem der vorbenannten Bursche während des Gedränges von allen Seiten,
in mir noch unbekannten Geldsorten, das Zuviel zurück erhielt, woran
aber nicht weniger als ein halber Dollar fehlte, wie mir ein des Geldes
Kundiger bemerkte, dem ich solches zeigte. Der Herr Marqueur selbst war
aber sogleich verschwunden, und der Wirth hielt sich nicht verpflichtet
für seine Leute einzustehen.

Ich war also der Erste, welcher auf amerikanischem Boden Lehrgeld
bezahlte und darüber mehr, als über den Verlust selbst, erzürnt, schwur
ich Vergeltung, und suchte meine Gefährten dahin zu bestimmen, daß
solche erklärten, das Quartier sogleich zu verlassen, wenn mir das noch
fehlende Geld nicht augenblicklich restituirt würde. Diese Drohung half
und die Möglichkeit des Irrthums vorschützend, bat der Wirth jetzt um
Verzeihung und gab, was sein Helfershelfer genommen, mir nothgedrungen
zurück.

Die Abendmahlzeit mundete den Ausgehungerten trefflich, und man war
nicht wenig erstaunt über die reichbesetzte Tafel, auf der auch die
Suppe, welche sonst in Amerika nicht gebräuchlich ist, nicht fehlte.
Der dabei gereichte Thee mit üblichem Gebäck ließ vollends den an
frugale Kost gewöhnten Deutschen nichts zu wünschen übrig, und alles
Andere vergessend, suchten wir heute frühzeitig das Lager, um nach
langen Strapazen auf festem Boden uns von Neuem zu erholen.

Auch das Frühstück war uns neu; zu dem Kaffee gab es, gleich wie am
Abend, gebratene Fische und Fleisch, Eier, Backwerk, süß und sauer
Eingemachtes; auch Butter und Käse fehlte nicht.

Nach dem Mittagsmahl, welches zugleich als Probe diente, ward
festgestellt, was die Person täglich zahlen solle; dies betrug für
Kost und Logis fünf Schilling, welche Summe zahlreichen Familien auf
die Länge der Zeit zu geben nicht möglich war. Es aßen daher, um das
Mittagessen zu ersparen, die ersten Tage Viele nur Morgens und Abends,
doch half das Hungern nichts, denn das Versäumte mußte mit bezahlt
werden, da für Alle gedeckt und es ihre eigene Schuld war, gefastet zu
haben. Alles Sträuben half nichts, denn der Wirth war im Besitz ihrer
Effekten und ließ solche nur nach berichtigter Zahlung erst verabfolgen.

Bald zerstreute sich Alles, Arbeit suchend, in die Stadt, welche
Erstere aber nirgends zu finden war, da vor Allem die englische Sprache
mangelte. Selbst die Unterhändler, woran es nicht fehlt, sich aber den
Dienst theuer bezahlen lassen, bringen nur selten Einen unter, und
ist letzteres der Fall, dann gewiß an einem Orte, wo kein Eingeborner
arbeiten will, oder das Geschäft selbst nur von kurzer Dauer ist.

Auch unser Landsmann, der Schuhmacher F. mit Empfehlungsschreiben
versehen, sah sich schrecklich betrogen, da der vermeinte Fabrikherr,
an welchen er vom Hause aus empfohlen, nichts weiter als ein
Kommissionär[33] war, welcher gegen Zahlung den Namen des Suchenden
notirte und die Weisung ertheilte, später wieder nachzufragen. Was
sollte er nun anfangen? Womit sich und Familie ernähren? Da er auch
nicht sofort auf sein Geschäft Arbeit erhielt[34], so blieb ihm und
seinem alten Vater nichts weiter übrig, als beim Ein- und Auspacken der
Schiffe Arbeit zu suchen, bis sich sein Loos vielleicht in der Folge
besser gestalte.

Gleiches Schicksal traf einen Kajüten-Passagier unseres Schiffes,
welcher als Architekt ebenfalls an obigen Herrn adressirt war.
Schon auf der Seereise, wo bei Gefahren die Herzen sich nähern und
öffnen, erfuhr Mstr. F., daß eine Bestimmung sie in New-York näher
zusammenführe, und schon sahen sie im Geiste das weitverzweigte
Geschäft, welches Schuhmacher und Architekten zu beschäftigen vermöge.
Vereint gingen sie ihrem Ziele zu, doch Letzterer erfuhr nun auch,
was Ersterem schon begegnet war. Auch er sah sich in seinen Plänen
betrogen und wußte verzweiflungsvoll nicht, was er von Neuem wählen
sollte. Der schweren Arbeit ungewohnt, blieb ihm dennoch nichts übrig,
als Hacke und Schaufel zu ergreifen[35].

Am dritten Tage unseres Hierseins kam endlich das so lange in der
Quarantaine gelegene Seeschiff, welches unsere übrigen Sachen enthielt,
im Hafen an, wo ebenfalls jede Kiste von den Zolloffizianten untersucht
ward, und man strenger als in der Quarantaine-Anstalt damit verfuhr.

Nun im Besitz unserer Effekten, verließen mehre Familien sogleich das
Kosthaus, in der Absicht, entweder die Reise weiter fortzusetzen oder
Privatwohnungen zu beziehen.

Beim Bezahlen der Zeche gab ein Baier Gold, und erhielt das Zuviel
in Papiergeld zurück, welches aber bei der Wiederausgabe als falsch
erkannt und nicht angenommen wurde. Der Wirth, von welchem er solches
erhalten, leugnete dieses, und verlangte den Beweis darüber, welchen
der Betrogene nicht geben konnte, da beim Wechseln außer seinen zwei
jüngsten Kindern Niemand zugegen gewesen war. Der Arme fluchte, tobte
und verwünschte das Land, wo die Schurkerei zu Hause sey. Doch Alles
half nichts. Der Wirth blieb bei seiner Aussage und war frech genug,
Ersteren mit dem Haushinauswerfen zu drohen, wenn er nicht bald ruhig
sey. Diesen Streit hörte einer der vermeinten Freunde, welche uns bei
der Ankunft am Ufer so herzlich empfingen, ruhig mit an, und schlug
sich jetzt ins Mittel, indem er die falschen Noten für einen Dritttheil
ihres aufgemerkten Werthes ankaufte; doch nicht um solche zu vernichten
und so für die Folge unschädlich zu machen? Nein! Sicher wurden sie
im Taschenbuch verwahrt, um einen neu ankommenden Landsmann damit zu
beglücken. „O, die Schurken!“

Doch auch die Wirthe werden mitunter betrogen, da Viele bei der Ankunft
nichts Baares mehr haben, und außer dem, was sie am Leibe tragen, keine
Garderobe weiter besitzen. Doch schlau genug wissen sie solches zu
verbergen, so daß der Wirth glauben muß, ein Theil der Effekten, welche
sie für Andere vom Schiff mit ins Kosthaus tragen, sey ihr Eigenthum,
und als Unterpfand gewiß; doch bevor noch der rechte Eigenthümer sich
zu erkennen giebt, sind die Erstern verschwunden.

Auch ich muß gestehen, daß ich, für den an mir beabsichtigten Betrug,
mich dadurch revanchirt habe, daß ich auf ähnliche Art Zweien
durchhalf. In dem Keller, wo sich meine Sachen in Verwahrung befanden,
waren nebst mehren andern auch die untergebracht, welche Zweien meiner
Landsleute gehörten, die, von aller Baarschaft entblößt, von ihren
Kleidungsstücken hätten verkaufen müssen, wenn sie die Zeche bezahlen
sollten.

So eben hatten wir erst mit ansehen müssen, wie der Wirth solche
Effekten für einen Spottpreis in Anrechnung brachte, weshalb ich
den Vorschlag that, ihre Koffer, als mir zugehörig, vom Hausknecht
zu verlangen, wenn ich abgerechnet, und der Wagen zum Transport der
Sachen ins neue Quartier da sey. Sie selbst sollten nach dem Essen wie
gewöhnlich um nach Arbeit auszugehen, diesem Hause den Rücken wenden
und niemals wiederkehren.

Alles ging nach Wunsch und Willen. Den Beiden waren ihre Sachen
erhalten und ich gerächt[36].

Das neue Quartier in ~Pitt-Street~ war bezogen, und für eine
kleine Stube und Kammer, sonst nichts, 4½ Dollar monatlich
vorausbezahlt, da die Hauswirthe des häufigen Betrugs halber nicht mehr
kreditiren. Die Stube, von den Vorgängern schlecht gehalten, wurde
von meinem Neffen gesäubert, währenddem vom Glaser R. Kartoffeln zum
Abendbrod besorgt wurden, und ich selbst schaffte vom nahen Bauhofe
das nöthige Brennholz herbei. Demnach war die neue Wirthschaft schnell
etablirt, wobei uns das zur Seereise angeschaffte Küchengeschirr
trefflich zu statten kam, und dem Hausrath nur ein Wassereimer und
Besen zugesellt zu werden brauchte, da Kisten und Koffer, Tisch und
Stühle ersetzten. Nur das weiche Lager fehlte noch; doch auch dies
hatte sein Gutes, und gewöhnte an spätere Strapazen.

Die Familie S. bezog neben uns ebenfalls eine kleine Wohnung im
~Souterrain~, nachdem solche schon im Kosthause das Gewehr
versilbert hatte. Von Kummer und Sorge entstellt, hing der
Familienvater nur noch in Haut und Knochen, und die Kinder mußten ihr
Heil bei guten Menschen suchen.

Um mich selbst zu orientiren, wie und auf was für Art man hier, Alles
was Bezug auf Brennerei hat, in den Werkstellen anfertige, sah ich bei
Kollegen nach, ob sie Arbeit zu vergeben; doch umsonst waren alle meine
Bemühungen, denn nirgends fand ich ein Unterkommen. Man schützte da,
wo ich verstanden wurde, schlechte Zeiten vor, und wo man mich nicht
verstehen wollte, blieb man die Antwort schuldig, und der Gehilfen
Gruß war „~God damn~ (Gott verdamme mich) schon wieder deutsche
Bettler!“

Ein Tag verging so wie der andere, und wahrlich viel Geduld gehörte
dazu, auf die Länge solch ein Faulenzerleben zu ertragen; nur das
Mannichfaltige in dem bewegten Leben und Wirken der New-Yorker läßt
Einem weniger empfinden, daß man ohne Beschäftigung ist, wenn nicht
die schmelzende Kasse täglich mehr daran erinnerte. Ich selbst suchte
mir, an das Quartier gebannt, die Zeit damit auszufüllen, daß ich
täglich Alles was ich gehört und gesehen auf das Papier zu bringen mich
bemühte, um es nächstens an Euch zu berichten. Doch nicht als treues
Bild mag es gelten, dazu gehört mehr Zeit und Gelegenheit, sondern nur
als Skizze sey es zu betrachten.



Vierzehnter Brief.

    New-York im September 1839.

Fortsetzung.


New-York, nach London wohl die erste Handelsstadt der Welt mit 300,000
Einwohnern, unter welchen sich gegen 40,000 Deutsche befinden, ist auf
eine Insel gleichen Namens gebaut, welche 4 Stunden lang und ½ Stunde
breit seyn soll. Am südlichen Ende derselben steht die Stadt, welche
sich von einem Fluß zu dem andern erstreckt. Der Nordfluß, Hudson
genannt, ist beinahe eine Stunde breit, der Ostfluß etwas schmäler.

Das Wasser ist für die größten Schiffe bis dicht an die Stadt tief
genug, und erleichtert so den großartigen Verkehr, welcher sich
vorzüglich am Ostflusse befindet. Auch sind, um der Mehrzahl von
Schiffen die Möglichkeit zu verschaffen, auf einmal bequem aus- und
einladen zu können, von funfzig zu funfzig Schritten auseinander, in
das Wasser hineingeführte, etwa dreißig Fuß breite und hundert Fuß
lange Barrieren erbaut, welche auf langen eingerammten Pfählen ihren
Stützpunkt haben, und an welchen vorn und auf beiden Seiten die Schiffe
liegen.

Nicht zu beschreiben ist das Gewühl der beschäftigten Menge, welche
hier in reger Thätigkeit sich befindet, um Waaren herbei, oder fort
zu schaffen. Unzähliges Fuhrwerk, meistens zweirädrige Karren, drohen
jeden Augenblick, den Fußgänger umzufahren, wenn er verabsäumt, immer
vor- und rückwärts zu schauen. Das Schreien und Fluchen der Fuhrleute
und Markthelfer wird noch von dem verworrenen Gesang der Matrosen
übertönt, welches bei ihnen die Geschwindigkeit bestimmt, wornach ein
Waarenballen gehoben oder gesenkt werden soll und so lange anhält,
bis Letzterer den Boden erreicht hat. Bei jeder neuen Last stimmt
der Vorsänger von Neuem an, und diese Art zu arbeiten ist bei den
Matrosen allgemein im Gebrauch, da sie glauben, daß dieses die Arbeit
erleichtere.

An dieser Seite der Stadt stehen meist Waarenhäuser dicht neben
einander, die nur dann und wann von einer Tabagie unterbrochen werden.
Die Magazine sind alle meist hoch, die Straßen eng und unbequem, und
wegen des vielen Verkehrs fast immer mit Schmuz bedeckt.

Die Straßen des Nordflusses sind dagegen weit luftiger und bequemer,
aber der angenehmste Theil der Stadt ist unstreitig die Gegend der
Batterie an der südlichen Spitze der Insel, beim Zusammenfluß des
Hudson und Ostflusses. Es ist dieses ein öffentlicher mit Rasen
belegter und von Sandwegen durchschnittener Lustplatz von Linden
und Pappeln beschattet, und dient bei günstiger Witterung als
Aufenthaltsort der schönen Welt. Man genießt hier die schönste Aussicht
auf die Bai und die diese umgebenden Inseln, und alle Schiffe, welche
stündlich in den Hudson segeln oder aus diesem kommen, bringen eine
ewige Bewegung in die Scene. Besonders aber sind es die Dampfschiffe,
die theils nach Philadelphia fahren, oder die Kommunikation mit den
Inseln unterhalten, und vor der Batterie vorbei müssen, welche das Bild
verschönern.

Die schönste Straße ist der ~Broad-Way~, 70 Fuß breit, und 1½
Stunde lang, welche sich von der Batterie aus, nach Norden durch die
Stadt ausdehnt, und von vielen Querstraßen durchschnitten wird. Ihre
Trottoirs sind an beiden Seiten mit Pappeln eingefaßt, die schönsten
Gebäude sind rechts und links aufgeführt. Prachtvolle und reiche
Kaufmannsgewölbe wetteifern bei Ausstellung ihrer Waaren. In der Mitte
des ~Broad-Way~ steht das aus weißem Marmor erbaute Rathhaus, vor
dem ein mit hohen eisernen Geländern umgebener Park sich befindet,
welcher aber für Jedermann offen ist. Gleich dem ~Broad-Way~ sind die
~Beaverstreet~, die ~Wallstreet~ und ~Broadstreet~ herrliche Straßen,
die sämmtlich mit Kaufmannsgewölben besetzt sind, welche alle des
Nachts, gleich den Straßen selbst, durch Gas erleuchtet werden. Die
unzähligen Lichtflammen, welche besonders am Sonnabend bis tief in
die Nacht hinein, die Läden und die im Freien aufgestellten Waaren
beleuchten, stellen im Großen das Bild eines Weihnachtsabends dar,
wo die in mannichfaltigen Gruppen zur Schau aufgestellten Waaren,
malerisch beleuchtet, das Auge entzücken.

Im schönsten Schmuck glänzen fast alle öffentliche Gebäude, von
Marmor-Quadern aufgeführt und meist mit Säulen verziert, wie überhaupt
kein Geld gespart wird, derartigen Gebäuden ein antikes Ansehen zu
geben.

Längs der Ufer, Straßen und Plätze stehen Reihen eleganter Equipagen,
welche die Bestimmung haben, schnell und bequem den Fußgänger nach
jeden beliebigem Orte der Stadt zu fahren. Außer diesen gehen
ohne Unterbrechung große vierspännige Personen-Wagen durch die
Hauptstraßen, in denen man für einen Schilling von einem Ende der
Stadt bis zum andern gelangen kann. Zu gleichem Zweck sind in einigen
Straßen Eisenbahnen errichtet, auf welchen Pferde die Dampfkraft
ersetzen. Wegen des ewigen ununterbrochenen Fahrens und Reitens, ist
für Fußgänger das Gehen im Fahrweg gefährlich, und Jedermann, ob leer
oder bepackt, hält sich auf den Trottoirs auf, weshalb auch hier die
Augen bald rechts, bald links herumschwärmen müssen, um mit keinem
Packträger in unangenehme Berührung zu kommen.

In jedem Stadtviertel sind schöne, geräumige, überbaute Markthallen
angelegt, wo täglich feil gehalten wird, und wo man alle Arten von
Fleisch, Geflügel und Fischen bekommen kann, ferner Gemüse aller Art,
und besonders sind es die Kartoffeln, welche hier eine Hauptrolle
spielen, da solche der Amerikaner täglich drei Mal genießt, und sie
früh zum Kaffee, wie Abends beim Thee, gleich dem Gebackenen, nicht
fehlen dürfen. Von Obst sind es besonders die Aepfel, welche den
Markt füllen, und von Kokosnüssen und Wassermelonen sind ganze Haufen
aufgethürmt; eben so bringt man große Quantitäten von Aprikosen,
frischen Apfelsinen, Pomeranzen und Zitronen auf den Markt. Butter,
Käse und Geräuchertes wird im Kleinen wie im Großen verkauft, wie
überhaupt eine ungeheure Quantität Schweinefleisch, Speckseiten,
Butter, Schmalz und sonstige Artikel vorhanden sind. Rundum sind die
Märkte mit Bauernwagen umgeben, welche ihre Waaren theils ans Publikum,
theils an die Händler abzusetzen suchen.

Kirchen giebt es viele und schöne, mehr noch aber Bethäuser, welche
alle zum Heitzen eingerichtet sind. Den Sonntag hält der Amerikaner
dem Anscheine nach heilig, besucht früh, Nachmittags und Abends die
zur Andacht bestimmten Häuser, und verehrt auf mannichfache Weise
die Gottheit. Ich selbst versäume nie, den Gottesdienst der ersten
deutschen rationalistischen Gemeinde, wie sie sich nennt, zu besuchen,
und was ich da von einem gewissen Försch, Prediger daselbst, welcher
sich und seinen Anhang zu Vernunftgläubigen gestempelt hat, mit
anzuhören Gelegenheit habe, grenzt an das Unglaubliche. In spätern
Briefen werde ich darauf zurückkommen.

Das Bedürfniß der Volksschulen hat man hier ebenfalls erkannt, und es
hat demnach jede Gemeinde, theils im Erdgeschoß der Kirche selbst, oder
in besondern Gebäuden Schulen errichtet, in welchen die Kinder nicht
allein freien Unterricht, sondern auch noch die nöthigen Schulbücher
erhalten. Leider wird aber nicht immer der beabsichtigte Zweck
erreicht, da nur Wenige Gebrauch davon machen, denn die schulfähigen
Kinder durch das Gesetz zum Besuche der Schule anzuhalten, hieße
zu weit in die Privatrechte der Menschen eingreifen; als einen
unerträglichen Zwang, als eine Beschränkung der individuellen Freiheit
würde man es ansehen, wollte man dem Vater die Kinder aus dem Kreise
seiner Familie entziehen, und wider seinen Willen zum Schulgehen
zwingen. Da nun aber die Kinder hier schon frühzeitig zum Miterwerb
und Verdienst, dem Centralpunkt, um welchen sich alles dreht und
wendet, angehalten und benutzt werden, so bleibt das Schulwesen in
den Hintergrund verdrängt, und daher geht die geistige Ausbildung nur
langsam vorwärts.

Das Läuten der Glocken hat nichts melodisches im Gefolge, da auf
den Thürmen immer nur eine sich befindet, an welche in kurzen
Zwischenräumen angeschlagen wird.

Die größte Reinlichkeit herrscht in den Gebäuden, in welchen die
Fußböden und Treppen meist mit Teppichen belegt sind. Eben so sauber
sucht man die Trottoirs vor den Häusern zu erhalten.

Da entweder die Höfe in den Gebäuden fehlen, oder ein passender Ort
zur Aufbewahrung des Kehrigs nicht da ist, und es auch einmal die
Sitte verlangt, so wird aller Unrath auf die Fahrstraße geworfen,
wo ihn eine Masse hungriger Schweine durchwühlt, welche das ganze
Jahr hindurch frei in den Straßen herumlaufen. Dieselben sind auch
mitunter dreist genug, den vor den Storen mit Viktualien, besonders mit
Aepfeln angefüllten Fässern zuzusprechen und deren Inhalt entweder zu
entleeren, oder diesen wenigstens in Schmutz zu werfen. Auf desfallsige
stattgefundene Beschwerde ist daher das Herumlaufen der Schweine bei
5 Dollars Strafe verboten worden. Da man aber hier, wie es scheint,
die gepriesene Freiheit bis auf das liebe Vieh auszudehnen scheint,
so zeigt Niemand die gegen das Gesetz Handelnden an und die Behörden
fühlen sich nicht veranlaßt, weiter einzuschreiten, und demnach bleibt
es beim Alten. Was soll man aber von einem Gesetz, von einer Behörde
sagen, welche Ersteres giebt, aber dabei einschläft und nicht auf die
Aufrechthaltung desselben Sorge trägt?

Feuerunglück ist an der Tagesordnung und Feuergefahr jagt Niemandem
mehr Schrecken ein. Vergeht aber wider Erwarten ein Tag, ohne daß
es brennt, so sieht sich die Spritzenmannschaft mitunter veranlaßt
mit ihrer Kunst und dem Ruf: „Feuer! Feuer!“, welches Geschrei durch
hundert Knabenstimmen wiederholt wird, lärmend durch die Straßen zu
ziehen und andere Spritzen-Kompagnieen zu einem gleichen Manöver zu
bestimmen bis am Ende unter fröhlichem Gelächter, sich das Ganze
nur als Scherz herausstellt, worauf dann Alles langsam nach Hause
geht. Ist es wirklich Feuer, so zeigt die Hauptlärmglocke auf der
~City-Hall~ durch Schläge an, in welchem Distrikte das Feuer
ist. Giebt sie nur einen Schlag mit einer Unterbrechung, so ist es im
ersten, giebt sie zwei Schläge, im zweiten und so fort; ist das Feuer
aber im fünften Distrikt, so wird fortwährend geläutet.

[Illustration]

Nebenstehender Abriß der Stadt New-York zeigt die verschiedenen
Feuer-Distrikte derselben an. -- Zum ersten Distrikt gehört Alles,
was vom Fuß der ~Murray-Street~ an bis zur ~City-Hall~ und
von der Mitte derselben in gleicher Linie mit dem Nordflusse bis
zur 2ten Straße liegt. Der zweite Distrikt wird durch die letztere
Linie begrenzt und einer geraden Linie von der ~City-Hall~ aus
bis zur dritten ~Avenue~ an der 21. Straße. Der dritte Distrikt
wird wiederum durch die letztgenannte Linie begrenzt und einer andern
Linie, welche von der ~City-Hall~ bis zum Ostflusse oberhalb der
drei Docks gezogen ist. Der vierte Distrikt wird wiederum durch die
letztgenannte Linie begrenzt und nimmt den ganzen Raum zwischen dieser
und dem Ostflusse ein bis zur ~Frankfort-Street~ hinunter. Der
fünfte Distrikt faßt den ganzen Theil der Stadt in sich, der unterhalb
der ~Frankfort-~ und ~Murray-Street~ liegt.

Advokaten, Doktoren und Apotheken giebt es hier in Menge, da Jedermann
die Erlaubniß hat, wie in jeder andern, so auch in diesen Branchen,
sein Heil zu versuchen. Auch an Zeitungsschreibern fehlt es nicht, sie
wachsen wie die Pilse, tauchen auf, und verschwinden eben so schnell
wieder. Gegenwärtig sollen nach Zeitungsberichten, 1555 Zeitungen in
den vereinigten Staaten vorhanden seyn, wovon 274 auf New-York kommen.

Um sich nun bei dieser großen Anzahl vorhandener Blätter dennoch ein
möglichst zahlreiches Lesepublikum zu verschaffen, so wird nichts
versäumt, was die Neugierde der Menschen rege machen kann. Immer
größeres Format[37] wird gewählt und bei vollkommener Preßfreiheit
versucht jedes Blatt leidenschaftlich die Interessen der Parthei, an
welche sich dasselbe verkauft hat und der es blindlings huldigt, zu
vertheidigen. An Stoff zu den gröbsten Beschuldigungen fehlt es nie,
da ~Whigs~ und Demokraten, feindselig gegenüber, Alles aufbieten,
um einander zu schaden und den kleinsten Anschein eines Vergehens
tausendfach vergrößernd an das Licht zu bringen suchen. Als Beleg von
der Sprache, wie solche in amerikanischen Zeitungen geführt wird, habe
ich folgenden Artikel abgeschrieben: „Herr Marris, Recendor der Stadt
New-York, ist vom Gouverneur Seward seines Amtes entsetzt worden.
Seine Absetzung ist durch keine Anklage gegen ihn entschuldigt oder
gerechtfertigt; sie ist eine von Oben kommende, beispiellose, unerhörte
Verfolgung, weil Herr Marris den moralischen Muth hatte, die Augen der
Bürger New-Yorks auf entsetzliche Meineidigkeit und Wahlbetrügerei zu
lenken, die von einer politischen Parthei an ihnen verübt worden war
und weil irgend einem ergebenen Partheiwerkzeuge nach seinem Amte
gelüstete. -- Wo wird diese Ruchlosigkeit aufhören? Welche Bürgschaft
ist dem freien Bürger dieser Republik gelassen, wenn jeder ihrer treuen
Diener von der Willkühr eines hochgestellten Subjekts abhängt, das für
nichts Sinn hat, als seine eigene und seiner Parthei Amtsbeförderung?
Muß nicht jeder Richter im Staate New-York vor dem Despoten Seward
zittern, oder sich zum Opfer machen, wenn er es wagt, die Pflichten
seines Amtes rücksichtlos zu erfüllen? Ist Gouverneur Seward das
höchste Gesetz des Landes, oder das Statutenbuch? u. s. w.“ --

Wie werden nun solche Beschuldigungen widerlegt und bestraft, werdet
ihr fragen? Nicht anders, als durch ähnliche Ausfälle und Beleidigungen
in den Zeitschriften, wodurch die Reibung unterhalten, die Spalten der
Blätter sich füllen und Alles beim Alten bleibt. Dadurch wird Einem
bald die Ueberzeugung, daß Preßfreiheit ohne Grenzbestimmung nicht
heilbringend für die Menschen seyn kann.

Das Gerichtsverfahren ist öffentlich und wird mehr oder weniger von
Neugierigen besucht, je nachdem die gepflogenen Verhandlungen Interesse
für sie haben.

Ich selbst habe in Begleitung des Herrn Bindernagel die Gefängnisse
besucht und einigen Sitzungen der Geschworenen beigewohnt. Mancher
wurde frei gesprochen, Andere dagegen zu harter Strafe verurtheilt,
auch ein Individuum zu vier Monaten Gefängniß verwiesen, welches nichts
mehr als ein Paar Schuhe gestohlen hatte. Verwundert über solche
Strenge, mußte ich vernehmen, daß dergleichen Diebstähle hart geahndet
würden, um dadurch vor größern Verbrechen abzuschrecken. Man sagte mir
zugleich, daß es auch selten vorkomme, daß der eingeborene Amerikaner
sich mit derartigen Kleinigkeiten zu bereichern suche und solches mehr
unter seiner Würde halte; könne er aber durch List und Betrug im Handel
und Wandel seinen Nächsten um etwas Erhebliches bringen, so finde er
solches ganz in der Ordnung und denke dabei: „Esel paß’ auf!“ Dagegen
suche sich der Betrogene damit zu trösten, daß er um so viel gescheuter
worden sei und jetzt darauf denken müsse, möglichst bald mit gleicher
Münze zu bezahlen und so das Verlorene wieder zu gewinnen.

Einige Männer wurden den darum bittenden Weibern wieder frei gegeben,
welche wegen Trunkenheit und auf besonderes Verlangen der Letzteren
mit Arrest gebüßt hatten. Ueberhaupt ist den Weibern hier großes Recht
über die Männer eingeräumt und es dürfen die Letztern nicht mucksen,
wenn solches die Erstern nicht haben wollen. Vergißt sich ein Mann
und kommt selig nach Haus, so steht der Frau das Recht zu, ihn ohne
Weiteres einstecken zu lassen. -- Eine Ohrfeige, oder sonstiger Schlag
mit der Hand, berechtigt die Frau zu bestimmen, wie lange die liebe
Ehehälfte im Loche brummen soll. Das Weib blutig schlagen, zieht harte
Gefängnißstrafe nach sich und einen geleisteten Weibereid sollen gar
nur zwölf Männer-Zeugen entkräftigen können. -- Manche Frau wird sich
demnach mit ihrem störrigen Ehegemahl hierher versetzt wünschen und mir
es Dank wissen, auf das amerikanische Weiberrecht aufmerksam gemacht zu
haben. Aber auch die Männer haben hier ihre eigenen Köpfe und lassen
mitunter ihrer süßen Bürde despotisch fühlen, daß der Mann des Weibes
Haupt ist.

Zum Schluß will ich Euch in Thalias Tempel einführen, dessen
jedesmalige Vorstellung auf 6 Fuß langen Zetteln mit möglichst
auffallender Schrift angekündigt wird. -- Täglich werden in mehrern
Schauspielhäusern, von denen aber das ~Bowery~-Theater das
größte ist, Vorstellungen gegeben. Das eherne Pferd zog auch mich an
und da die Gallerieen schon gefüllt waren, so suchte ich im Parterre
ein Unterkommen. Der Amerikaner macht es sich auch hier wie überall
bequem, zeigt sein weißes feines Hemd und streckt die Füße so lange
auf die vor ihm stehenden Bänke aus bis mehr und mehr die Plätze sich
füllen und er gezwungen wird, sich zu geniren. Mit der Zeit geizend,
harrt er ungeduldig des Signals zum Anfang des Stücks und sucht diesen
durch Trommeln und Pfeifen zu beschleunigen. Wer möchte aber auch hier
Theatersänger seyn, da das ~Da capo~-Rufen kein Ende nimmt und so
manche Arie 3-4 Mal wiederholt werden muß. Zum Beifallklatschen schont
man die nur zum Verdienst schaffenden Hände und die Füße verrichten
durch Stampfen den ~Applaus~. -- Dekorationen sind gut, die
Maschinerie nicht übel, leider aber fehlt dem Spiele die Kunst und das
Ganze verliert durch das ewige Wiederholen der Scenen.



Funfzehnter Brief.

    New-York im September 1839.

Fortsetzung.


Bereits sind 14 Tage verflossen, ohne daß ich oder einer meiner
Gefährten so glücklich gewesen wäre, ein Unterkommen zu finden.
Alle meine Bemühungen, in einer der großartigen Brennereien eine
Beschäftigung zu erhalten, waren vergebens, da diese Stellen meist mit
Eurischen (Irländern) besetzt sind, welche fest zusammenhalten und
keinen Deutschen unter sich dulden.

Die Baarschaft meiner Stubengenossen war gänzlich verausgabt und auch
mein Geld ging ziemlich zu Ende, da der Zimmermann S. die ihm in Bremen
zur Reise vorgestreckte Summe, weil er selbst noch ohne Verdienst
war, nicht zurückzahlen konnte. Das Geld aber anzugreifen, welches
für besondere Unglücksfälle, so wie auch zur Reise in das Innere
der Staaten bestimmt war, hielt ich nicht für räthlich, so lange
noch gesunde Gliedmaßen das Arbeiten möglich machten. Es wurde daher
beschlossen, das Letztere zu ergreifen, bei dem Agenten der deutschen
Gesellschaft die nöthigen Schritte zu thun und da zu ermitteln, ob
nicht auf irgend eine Art Geld zu verdienen sei.

Schon hatte ich mehrmals zur bestimmten Zeit, wo das Komptoir geöffnet
seyn sollte, nebst mehren andern stundenlang gewartet, doch Herr
Rückardt erschien nicht. Ich sah mich daher veranlaßt, bei unserm
Landsmann, Herrn Bindernagel, Bäcker und Mehlhändler auch derzeitiger
Präsident der deutschen Gesellschaft, anzufragen, ob das im Interesse
der armen Deutschen gehandelt sey, wenn sie Tagelang vergeblich auf
die Oeffnung des Komptoirs warten müßten und so von Nothwendigkeit
getrieben, schurkischen Mäklern in die Hände fielen.

Herr Bindernagel nahm mich sehr zuvorkommend auf, und war sogleich
erbötig, die nöthigen Schritte zu thun, um sich selbst zu überzeugen,
ob meine Angabe gegründet sey, und nöthigenfalls das Weitere zu
verfügen. -- Im Laufe der Unterhaltung kam die Gemahlin des Ersteren
auf dessen Zimmer, und fragte an, was solcher heute Mittag zu essen
wünsche, ob Schweins-, Hammel- oder Kalbs-Keule? Ich fand dieses
im schönsten häuslichen Einklang und war sehr erstaunt über die
Aufmerksamkeit der Frau, welche sich zuvor nach dem Appetit des Mannes
erkundigte. Nachdem bestimmt worden, was anzuschaffen sey, empfahl
mich Herr Bindernagel seiner Frau Gemahlin mit dem Bemerken: mir bis
zu seiner Zurückkunft Gesellschaft zu leisten, welches solche äußerst
angenehm erfüllte, und dabei mit Wein und Kuchen bewirthete. -- Bald
kam der Mann, ein halber Millionär, zurück, am Arm den Handkorb mit dem
gewünschten Fleisch, welches solcher, nach hiesigem Männergebrauche,
der lieben Frau vom Markt geholt. -- Ueberhaupt ist es Sitte, daß die
Männer bei häuslichen Verrichtungen den Frauen an die Hand zu gehen
pflegen, und den nöthigen Bedarf in die Küche aus den ~Stores~
(Kaufmannsläden) oder den Markthallen herbeischaffen.

Am nächsten Tage war zur bestimmten Zeit das Komptoir der deutschen
Gesellschaft geöffnet, und Herr Rückardt suchte seine Abwesenheit an
den vorigen Tagen damit zu entschuldigen, daß er immer erst spät von
der Quarantäne-Anstalt zurückgekehrt sey, wo er die neu Ankommenden
eben so wie es bei uns der Fall gewesen war, mit Rathschlägen
unterstützt hätte.

Auf dieses Komptoir muß man kommen, um ein richtiges Bild zu erhalten,
von der armseligen Lage so vieler Einwanderer in jetziger Zeit, wo
Mancher genöthigt ist, Arbeit zu suchen, die sich selten weiter, als
auf Eisenbahn- und Kanalbau erstreckt, und Viele in der Heimath keine
Ahndung hatten, hier mit Hacke und Schaufel ihre Existenz zu sichern
und das armselige Leben zu erhalten. Viele Hunderte suchen hier auf
dem Komptoir, was selten Einer erhält, Beschäftigung; und ist solches
wirklich der Fall, wie sehr verschieden von ihrem ursprünglichen
Beruf. Bierbrauer gingen mit als Knechte auf das Land. Maler in
~Matches-~ (Zündhölzer) Fabriken, Apotheker in Restaurationen
zum Rupfen des Federviehes, Schlosser zum Steineschneiden, Fleischer
in Steinkohlen-Niederlagen, Drechsler auf den Fischfang u. s. w. Doch
am schlimmsten trifft das Loos die nicht an schwere Arbeit gewöhnten
Doktoren, Advokaten, Theologen, Kaufleute und Militärpersonen höhern
Ranges, welche selten sogleich in ihrer Branche unterkommen, und häufig
in Paradeschritt hinter der Schubkarre her marschiren müssen.

Uns selbst war die Losung, 10 englische Meilen von hier als Handlanger
oder Erdarbeiter mit an dem Kanal zu schaffen, welcher New-York mit
trinkbarem Wasser versehen soll, und erhielten demgemäß eine Anweisung
zur 18. Sektion, wohin zu gelangen man das Dampfschiff besteigen mußte.
Am andern Morgen segelten wir der neuen Bestimmung zu, wo ich mich
selbst, um einen höhern Lohn zu erzielen, für einen Maurer ausgab,
welches in Amerika um so leichter geht, da man nach keinem Lehrbrief,
Kundschaft oder Wanderbuch fragt, sondern sich einzig und allein auf
die Geschicklichkeit verläßt, mit welcher man den Geschäften vorstehen
kann.

Meine Gefährden überschlugen schon auf dem Wege hierher die Zeit, wo
bei möglichster Sparsamkeit so viel erübrigt werden könne, um die
Rückreise in ihre Heimath wieder antreten zu können, denn Allen war der
Muth gefallen, und übersatt hatten sie das liebe Amerika, ohne noch
recht das eigentliche Drängen und Treiben hier kennen gelernt zu haben.

Alles umsonst, auch hier war keine Arbeit mehr zu erhalten, da der
Zudrang zu groß und das nöthige Arbeitsgeräthe fehlte. Mißmuthig
bestiegen wir am Abend zur Rückreise das Schiff mit dem Beschlusse,
wenigstens das Fahrgeld vom Agenten restituiren zu lassen, da es
unverzeihlich war, uns hierher zu schicken, wo kein Unterkommen mehr zu
finden war.

Eher noch, als zur bestimmten Zeit, trat ich den Weg zum Agenten an,
um Einer mit von den Ersten zu seyn, die Einlaß fänden. Auf der Treppe
ruhend, notirte ich soeben ins Tagebuch, was mir Merkwürdiges begegnet
war, als ein Geräusch mich störte, und welch’ unverhoffte Erscheinung
stellte sich mir dar? Der Landsmann St. stand vor mir. Er gab an, auf
einer Reise zu seinem Onkel nach Ostindien begriffen, sey er um einen
Tag zu spät in Hamburg eingetroffen, wo das bestimmte Schiff schon
fort gewesen sey. Doch einmal hier, und den Dienst aufgegeben, habe er
eine sich darbietende Gelegenheit benutzt, und die Reise nach Amerika
mit unternommen. Umsonst war auch sein Bemühen, auf die Feder ein
Unterkommen zu finden und er suchte jetzt hier, gleich mir, nach dem,
was sich bieten würde.

Auch ihm ward der Bescheid, da wo wir gestern waren, mit Hand ans
Werk zu legen, und eben im Begriffe die Reise anzutreten, erfuhr er
von mir, was uns dort begegnete. Was kann es weiter helfen, dachte er
bei sich selbst, als ihm von Neuem angetragen ward, ein Schiff mit
auszuladen, ist auch das Seil am Krahne weit härter als die Feder, so
bleibt doch keine Wahl. Was wurde aber mir, auf Bitten und Begehren,
für ausgelegtes Geld und unverrichtete Sache? Nichts weiter als
Entschuldigungen aller Art, Ermahnung zur Geduld, und wegen leerer
Kasse eine Bibel, die mir als Geschenk zugestellt wurde. -- In dieselbe
habe ich die Zeit, den Ort und die Ursache dieser Gabe aufgemerkt, und
bin ich längst nicht mehr, so mag sie bis in die spätesten Zeiten die
goldnen Worte auf meine Nachkommen übertragen: „Bleibet im Lande und
nähret Euch redlich!“

Der Glaser R. fand jetzt durch Vermittelung eines Mäklers bei
einem Schreiner ein Unterkommen, da dessen Geschäft hier nicht als
selbstständig besteht, und die Glaserarbeiten von den Erstern mit
gefertigt werden. Doch das Glück war von kurzer Dauer, da nach
Verlauf der ersten 14 Tage schon, wo der schlaue Amerikaner sich
von der Geschicklichkeit seines Gehülfen überzeugt hatte, jener
diesen zu bestimmen suchte, für einen billigen Lohn auf längere Zeit
sich zu verpflichten; da dieser aber in einen solchen Antrag nicht
eingehen konnte, weil dabei mehr zu verlieren als zu gewinnen war,
so erhielt er auch für die gefertigten Arbeiten nichts, indem der
Meister vorgab, daß Letzterer selbst den Kontrakt gebrochen, indem
er vor Ablauf des Vierteljahres die Werkstelle verlassen wolle. Was
sollte der Sprachunkundige machen, wie beweisen, daß von einem
Vierteljahr-Verband keine Rede gewesen sey? Geduldig mußte er sich das
Prello gefallen lassen, und mit langer Nase abziehen. --

Endlich leuchtete uns ein günstiges Gestirn. Unser braver Landsmann,
Louis Hallbauer, brachte meinen Neffen mit zu seinem Meister, dessen
Geschäft als Bäcker sich vergrößert hatte. Mir selbst wurde durch
dessen Vermittelung in der Kupferfabrik des John Benson auf der Insel
~Brooklyn~ eine Stelle, und etwas später wurde der arme geprellte
Glaser unter die Casserol-Bursche eines französischen Kochs aufgenommen
und in dessen unterirdische Küche verbannt.

Eine neue Lehrzeit begann; denn war ich in der alten Heimath selbst
Meister in meinem Geschäfte, so mußte doch hier Vieles anders
behandelt werden, als bei uns, verschiedene Handgriffe fanden Statt,
und besonders erlaubten die mannigfaltigen Maschinen, welche in
Anwendung kommen, und das gute Kupfer selbst die verschiedenartigsten
Manipulationen des Letztern. Einigen Vierzig Arbeitern wurde es
möglich, bei zweckmäßiger Einrichtung des Lokals und allem möglichen
Werkzeug, in acht Tagen mehr zu fertigen, als solches hundert Mann in
gleicher Zeit bei uns im Stande seyn würden. --

Bis unters Dach der Fabrikgebäude hoben zweckmäßige Maschinen die
schweren Kupfertheile, oder ließen die noch schwerern zusammengesetzten
fertigen Stücke auf die unten angefahrenen Wagen hinab. Arbeiten,
welche man bei uns, der Erschütterung halber, nicht gern über einem
Kellergewölbe fertigen würde, werden hier ohne Bedenken im dritten
Stock auf den Balkenlagern gemacht. Eben so sind in jeder Etage
Blasebälge mit den nöthigen Feuerheerden auf den Dielen erbaut, ohne
daß es Jemandem einfallen würde, dieses feuergefährlich zu finden.
Man läßt hierin Jeden nach seiner eigenen Ansicht und Willen handeln,
wenn solches auch gefahrdrohend für das Ganze seyn sollte, und stellt
dergleichen Fälle mit unter die Kategorie der gepriesenen Freiheit. --

Vorzüglich sind es große Utensilien in die Zuckersiedereien der
südlichen Staaten, welche gefertigt werden, desgleichen Dampfkessel,
Branntweinblasen, Schlangenröhre, wie überhaupt Alles, was man mit dem
Namen: große Arbeit belegt. Das kleine kupferne Hausgeräthe verfertigen
in Amerika die Klempner, welche außer Messing, Weißblech, Schwarzblech
und Zink, auch Kupfer verarbeiten. Ueberhaupt ist das Geschäft der
Klempner eines der besten in Amerika, das überall betrieben wird.

Bei Anfertigung der Brennerei-Geräthschaften fand ich nichts, was
wesentlich von unseren alten Brennerei-Geräthschaften abgewichen
wäre. Blase, Helm und Kühlschlange, sind die einfachen Stücke, woraus
solche bestehen. Die mehr zusammengesetzten großen Dampfapparate
liefern zwar unmittelbar aus der Maische ein starkes Produkt, solches
ist aber nicht rein von Geschmack, indem die Konstruktion so ist,
daß sie keine Reinigung der einzelnen Theile zuläßt. Der Branntwein
wird daher meistens von Destilateuren nochmals abgezogen und kommt so
erst in den Handel. Demnach glaubte ich, mit Einführung Schwarzischer
Brenn-Apparate Geschäfte machen zu können, wenn ich erst mehr und mehr
der Sprache mächtig und mich mit den wesentlichsten Einrichtungen der
amerikanischen Brennereien bekannt gemacht haben würde.

Die Landessprache ist hier durchaus die Seele aller Unternehmungen,
und so lange man deren nicht mächtig, und gleichsam den Deutschen,
welchen man in keiner Art etwas zutraut, verleugnen kann, so finden
alle besseren Angaben kein Gehör, wie ich leider! mehrmals zu erfahren
Gelegenheit hatte, und zwar bei Anempfehlung einzelner Theile
Schwarzischer Apparate. Demgemäß verhielt ich mich jetzt ganz ruhig,
und ging mit meinem Projekte noch nicht hervor, merkte auf Alles
was hier gefertigt wird, zeichnete zum einstigen Selbstgebrauch die
zweckmäßigsten Maschinen ab, und ersparte mir, durch Selbstbeherrschung
und wenigen Bedarf, hübsches Geld.

Einen Unterschied der Stände findet man in der Werkstätte nicht, gleich
dem Herrn, sind alle Arbeiter gut gekleidet. Eine leinene Ueberhose mit
Latz schützt während der Arbeit vor dem Beschmutzen der Beinkleider und
Weste, und vertritt, wie auch bei den Maurern, das Schurzfell, welches
hier nicht gebräuchlich ist. Ein weißes oder rothes Hemd, welches
immer rein ist, da solches der Amerikaner nach Bedürfniß, wöchentlich
mehrmals wechselt, unterscheidet sogleich den Eingebornen von dem
Fremdling. Die gewöhnliche Kopfbedeckung, der Hut, wird nie beim
Kommen oder Gehen vor dem Herrn gezogen, sondern sitzt des Tages über
immer fest auf dem Haupte, gleich in der Werkstätte, wie im Zimmer des
Herrn, oder einer Tabagie. Nur mit dem Nicken des Kopfes bezeugt man
seine Ehrerbietung. Kein Gehülfe zeigt an, wenn er die nächsten Tage
nicht auf Arbeit kommen will; dagegen besuchen die feirigen Arbeiter
die Werkstätten häufig, um nachzusehen, ob es bald wieder von Neuem
Beschäftigung für sie giebt. Sie sind von dem Vorurtheil frei, daß
dieses unschicklich sey.

Gleichwie der Geselle dem Herrn und Meister nicht nachzustehen glaubt,
so ist solches der Fall mit dem Lehrlinge und Ersterem. Wehe dem
Gesellen, der es wagen würde, einem Jungen zu Leibe gehen zu wollen,
gemeinschaftlich würden die Buben über ihn herfallen und jämmerlich
zurichten, wie ich selbst mit anzusehen Gelegenheit hatte.

Die Lehrzeit bestimmen die Altersjahre, gewöhnlich zwanzig, da die
meisten Amerikaner erst mit dem 16. bis 17. Jahre die Lehre antreten,
weil bis dahin die Kinder abhängig von ihren Eltern, Letztern beim
Erwerb mit beistehen müssen. Haben sie aber dieses Alter erreicht,
so spricht sie das Gesetz frei, als selbstständig stehen sie da, und
entlaufen so gern des Vaters Zucht.

Während der Lehrzeit erhalten solche außer Kost und weißer Wäsche,
die nöthigen Kleidungsstücke; auch an Taschengeld fehlt es nicht, und
so stehen sie, in freien Stunden, die brennende Cigarre im Munde, im
dicksten Haufen derer, welche, wenn auch nicht dazu berufen, über das
Wohl des Landes berathen, und fallen mehr oder weniger mit über eine
blosgestellte Staatsperson her, je nachdem die Zeitungsblätter solcher
schon zugesetzt oder Stoff zum Wortkampf gegeben haben.



Sechzehnter Brief.

    New-York im Oktober 1839.

Fortsetzung.


Bis zum 12. Oktober ging Alles gut, und von meinem Verdienste, 1½
Dollar täglich, wurde nicht viel verausgabt, da ich mich bei meinem
Schuldner, dem Zimmermann S. auf gemeinschaftliche Kosten mit einlogirt
hatte, ihn so unter Aufsicht behielt, und dieses mir Gelegenheit
darbot, durch Anrechnen der Hälfte Hausmiethe (2 Dollars monatlich),
ohne daß es ihm drückend wurde, nach und nach zu meinem Guthaben zu
gelangen.

Am 12. Abends, von schwerer Arbeit ermüdet und erhitzt, ging ich nach
dem River (Fluß) um mit dem Dampfboote nach New-York, wo ich wohnte,
überzufahren, kam aber zu spät, und da dasselbe schon abgegangen war,
sah ich mich genöthigt, in kalter Abendluft des Bootes Rückkehr zu
erwarten. Ein kalter Schauer überfiel mich, und bevor ich noch das
Quartier erreicht, bekam ich die fürchterlichste Kolik. Branntwein
ist hier die gewöhnliche Medizin, welche bei derartigen Anfällen in
Anwendung gebracht wird, und auch ich suchte durch Anrathen in einem
Trinkstore mir durch mäßigen Genuß Linderung zu verschaffen. Des
Getränkes nicht gewöhnt, nöthigten die erschlafften Glieder bald,
die Augen zu schließen, bis mich noch heftigere Schmerzen weckten,
weil bei abgelegter Bandage der Leibesschaden hervorgetreten war, und
die krampfhafte Verschließung der Oeffnung, den Rücktritt unmöglich
machte. Nur wer an gleichem Uebel gelitten, vermag zu empfinden, was
ich in dieser Lage habe abhalten müssen. Nichts war vermögend den
Schmerz zu stillen, und mit sehnlichem Verlangen erwartete ich am
Morgen die Ankunft des deutschen Arztes, von welchem ich Hülfe hoffte.
Erst Nachmittags 3 Uhr erschien dieser und um meine Verzweiflung auf
das Aeußerste zu treiben, erklärte er: daß mein Quartier einen nicht
schicklichen Ort abgebe, um einen derartigen Schaden zu operiren, er
wolle aber dahin wirken, daß ich sofort in dem Spital aufgenommen
werde. -- Doch leider berichtete erst der Magistrat, von welchem der
weitere Befehl zur Aufnahme ausging, an den Eigenthümer des Schiffes,
welches uns nach Amerika übergeführt, weil aus dessen Kosten meine
Verpflegung Statt finden sollte, da wir noch nicht über ein Jahr im
Lande seyen, in welcher Zeit derartige Verpflegungen dem Schiffseigner
zur Last fallen, wenn der Kranke selbst kein Vermögen besitzt[38].

Dieser, um Gewißheit zu erhalten, ob ich einer der Passagiere sey,
welcher sein Schiff mit befrachtet habe, schickte den Kapitän an mich
ab, der nun in Begleitung eines Viertelsmeisters Nachricht über meine
Lage und sonstigen Vermögensverhältnisse auszukundschaften suchte. Nach
gewonnener Ueberzeugung, daß ich unter die Kategorie der Unbemittelten
zu rechnen sey, machte derselbe noch einen Versuch durch Anbieten
einiger Dollars, mich von meinem Verlangen, im Hospital aufgenommen
zu werden, abzubringen, obgleich er sah, daß durch Verzögerung der
nöthigen Hülfe mein Leben auf dem Spiele stand.

Während dieser Weitläuftigkeiten waren schon zwei Tage verflossen,
und die entzündeten Theile verursachten durch anhaltendes Reiben und
Drücken, die heftigsten Schmerzen, und mehrten die Gefahr, so daß mich
die Angst vom Lager auf- und zurücktrieb, und mein Wimmern weit gehört
wurde. Meiner Sinne nicht mehr mächtig, wünschte ich selbst mein Ende
herbei, und murrte gegen den, welcher der beste Helfer in der Noth ist.
Erst gegen Morgen nach der dritten Nacht verlangte der Schlaf seinen
nöthigen Tribut, und schon stand die Sonne hoch, als man mich mit der
Nachricht weckte, daß der Krankenwagen vor dem Hause halte.

Was ich von diesem Spital gehört, ließ mir solches als offenes Grab
erscheinen und war schon die Aversion vor solchem hinreichend, von der
nähern Bekanntschaft abzuschrecken, um so mehr fühlte ich Veranlassung
gegen die Fuhre mich zu sträuben, da sich meine Natur, auf dem höchsten
Gipfel der Gefahr, während des Schlummers selbst geholfen hatte und
Gottes Güte mich noch länger den Meinen zu erhalten schien. Doch hier
half kein Sträuben; der Befehl zum Abholen war gegeben und ich mochte
wollen oder nicht, wurde ich doch in einen verschließbaren Breterkasten
geschoben, welcher sogleich wieder verschlossen ward, damit den
Inwohnern die Möglichkeit benommen werde, zu entschlüpfen.

Nicht allein war ich in diesem Behälter, schöne Gesellschaft saß noch
neben mir. Eine Negerin mit verbundenem Kopfe hatte sich in die Ecke
gekauert und ein Kreole, welcher durch Wetzen und Reiben zu erkennen
gab, was ihm fehle, (oder besser, zu viel an sich hatte) saß mir
gegenüber. Ein graußiger Anblick! schon spürte ich selbst ein Fressen,
suchte mich möglichst entfernt zu halten, und sah daher mit bangem
Sehnen der Oeffnung des Schlages entgegen.

Bald rechts, bald links, fuhr der Wagen durch lange Straßen eines
Stadtviertels, welches ich noch nicht betreten und große unbebaute
Räume enthielt, von welchem wir nur durch die hohen kleinen Löcher,
wodurch das Licht spärlich in den Wagen fiel, die Spitzen der Bäume,
oder das Dachgesims der Häuser erkennen konnten. Das Thor vom Vorhof
unserer Bestimmung wurde nach erfolgtem Einlaß sogleich wieder
geschlossen, damit keiner der hier Lebenden ohne besondere Erlaubniß
sich entfernen könne.

Um sämmtliche, eine Stunde von der Stadt, am Wasser und auf Sandhügeln
ausgeführten Gebäude dieser großen Armen- und Kranken-Anstalt geht eine
Mauer und gleicht so beim Anblick einer kleinen Festung, welche alles
Nöthige in sich faßt, um, abgeschnitten von der Stadt, auf längere
Zeit mehre Tausende ihrer Bewohner erhalten zu können. Außer den
nöthigen Apotheken findet man hier alle Professionisten in Thätigkeit,
wie Schuhmacher, Schneider, Bäcker, Tischler, Wagner, Schmiede,
Schlosser etc., welche ihrer Armuth wegen vom Magistrat erhalten, doch
selbst nach Kräften die schaffenden Hände rühren müssen um zu ihrer
Verpflegung möglichst mit beizutragen. --

Vor dem Administrations-Gebäude hielt der Wagen. Einige Aerzte,
worunter ein Deutscher, erkundigten sich nach meinem Befinden und
bestimmten nach genommener Rücksprache unter sich den Krankensaal,
welcher mich aufnehmen sollte. Meine Reisegesellschaft wurde ebenfalls
untersucht und anderswo untergebracht.

Zum dritten Stock eines langen Gebäudes führte die an der äußern
Giebelseite angebrachte Treppe, welche zugleich mit einem Altan
versehen war, worauf man bei heiterem Himmel frische Luft schöpfen
konnte. Ringsum im Gemach standen die Schlafstellen und über jeder
hing an der Wand ein Täfelchen, worauf der Name des Bedauernswerthen
geschrieben war, welcher hier lag. Alles war besetzt, doch wie immer
Einer dem Andern Platz macht in diesem Leben, hatte auch hier Freund
Hain für mich gesorgt. Dicht an der Thür war Einer selig entschlafen
und an dessen Stelle nahm ich die mit weißem Betttuch und frischen
wollenen Decken versehene Lagerstätte ein. Zum Liegen verdammt, wurde
mir das Aufstehen streng untersagt, ich erhielt Salbe und Spiritus zum
Einreiben der entzündeten Stelle und der Magen, obgleich immer bei
gutem Appetit, wurde mit Homöopathie kurirt. Thee und trockenes Brod
des Morgens und Abends; mit Reis, Graupen oder Hirsen ohne Fleisch,
wechselte man das Mittagsbrod.

Der Arzt, welchem die Kranken in diesem Saal anvertraut, verstand kein
deutsch, und das Einzige, was solcher zu mir sprach, erstreckte sich
nur auf das Wort: „Schmerzen?“ welches von mir, je nach Umständen mit:
~Yes~ oder ~No~ (Ja oder Nein) beantwortet wurde, das Uebrige
mußte die Pantomime ersetzen. Zu allen diesen Unannehmlichkeiten
gesellte sich bald die Langeweile, da ich des Englischen, welches hier
nur gesprochen, nicht vollkommen mächtig war und die Klagetöne der
Kranken, welche das Zimmer erfüllten, nicht zur Aufmunterung beitragen
konnten. Doch auch hier ward geholfen, da ein Lehrer der deutschen und
französischen Sprache, welcher seiner Angabe nach früher Professor in
der Schweiz gewesen seyn wollte, nicht weit von mir ein Plätzchen fand
und so zu meiner Unterhaltung beitrug. Der Arme litt an Steinschmerzen
und mußte sich schmerzhaften Operationen unterwerfen. Neben ihm lag
ein Schwindsüchtiger, dessen Lebenslicht nur langsam zu verlöschen
schien. Dieser erhielt zur Stärkung ausnahmsweise bessere Speise, doch
der Wärter, bedacht, daß der Kranke den Magen nicht überladen sollte,
theilte jedesmal brüderlich die Portion und aß solche, unverschämt
genug, sogleich vor Aller Augen.

Am achten Tage meines Hierseyns wurde ich mit einer neuen Leib-Bandage
versehen und schon glaubte ich meine Entlassung nahe, als eine neue
Plage mir beschieden, indem ein böses Friesel zum Vorschein kam und
mich unwillkührlich an meinen Reisegefährten, den Kreolen, erinnerte;
vermuthlich aber war es Ansteckung von meinem Vorgänger, dessen Lager
ich eingenommen hatte.

Mehr und mehr schrumpfte bei aller Entbehrung der hungrige Magen und
schon war die Bandage bis zum letzten Loch geschnallt. Was mir aber
am meisten die Erlösung wünschenswerth machte, war der unerträgliche
Luftzug beim Oeffnen der Thür während der Reinigung des Zimmers und bei
dem fortwährenden Gehen der weniger kranken Patienten auf dem Altan, da
eine so nöthige Doppelthür hier fehlte.

Am letzten Tage meiner Entlassung, den 30. Oktober, karambolirte ich
noch mit dem Krankenwärter, der, ein Freund der Kunst, zugleich die
Kommodität damit zu verbinden verstand, da er die vor jedem Bette
befindlichen Spucknäpfe mit in den Sand gezeichneten Figuren verziert
und wegen Nichtbeschädigung dieser Narrensposse daneben zu spucken
anempfahl, welchem nachzukommen ich unterlassen hatte und dafür das
beliebte Schimpfwort der Amerikaner, „Niks komm heraus!“ welches sie
sich gegen die Deutschen bedienen, mehrmals mit anhören mußte[39].

Auf das ärztliche Zeugniß, daß ich einer weitern Behandlung nicht mehr
bedürfe, bekam ich auf dem Bureau eine Karte, gegen die, beim Pförtner
abgegeben, mir das Thor geöffnet wurde, und hungrig wie ein Wolf, eilte
ich der alten Wohnung zu, um durch Speise und Trank die erschlafften
Glieder aufs Neue zur Arbeit zu stärken.

Doch hier hatte sich während meiner Abwesenheit die Lage des
Zimmermanns S. nicht gebessert, da er nur theilweis Beschäftigung
gefunden und, um seine Familie zu ernähren, immer noch Sachen
veräußern mußte. Auch an meine bei ihm in der Stube zurückgelassene
Uhr war die Reihe gekommen und als Ersatz für dieselbe erhielt ich
die trotzigen Worte: „daß ich ihm die Uhr nicht in Verwahrung gegeben
und er deshalb auch nicht dafür verantwortlich zu seyn brauche.“ Doch
noch schmerzlicher als dieser Verlust traf mich der von S. gemachte
Vorwurf, daß ich durch die in Bremen ihm vorgestreckten Gelder der
Urheber seines und seiner Familie Unglück sey, weil ihm nur dadurch
die Möglichkeit gegeben worden, die Reise von da aus nach Amerika
fortzusetzen. Dieses war mehr als Undank, und es blieb mir nichts, als
diese bedauernswürdige Familie zu verabscheuen. Um der Ruhe willen
und da ich auch unter solchen Verhältnissen für meine übrigen Sachen
besorgt war, räumte ich sofort das Quartier, quittirte meine Forderung
und fand bei dem Bäckermeister, wo mein Neffe und Freund Hallbauer in
Arbeit waren, eine sichere und gastfreundliche Aufnahme.

Während meines Aufenthalts im Spital hatte sich Vieles im
Geschäftsleben der New-Yorker verändert, indem am 5. und 6. November
ein neuer Gouverneur gewählt werden sollte, bei welcher Wahl Whigs
und Demokraten kein Mittel unversucht ließen, um die möglichst
große Anzahl Stimmen für die Kandidaten ihrer Parthei zu erhalten
und einem von diesen den gewöhnlich auf drei Jahre einzunehmenden
Posten zu verschaffen. -- Haben schon lange vorher die Zeitschriften
sich abgemüht, alle wahren und erdichteten Fehler der am Ruder
stehenden Personen zu beleuchten, so wird um die Zeit der Wahl das
Gefecht desto hitziger und die ernsthafte Sache selbst, durch die
verschiedenartigsten Karrikaturen ins Lächerliche gezogen. Unter freiem
Himmel, so wie in passenden Lokalen, werden großartige Versammlungen
besucht, wo die feurigsten Redner ihrem Gegner kein gutes Haar auf dem
Haupte lassen. Treffende Witze und sonstige beißende Bemerkungen werden
in Menge gespendet und der Applaus verräth die Anerkennung, welche
die Versammlung dem Sprecher zollt. Besäße einer der Kandidaten nur
die Hälfte der Fehler, welche man zu rügen keinen Anstand nimmt, wie
traurig sähe es um das so gepriesene Amerika aus, welches dann so arm
an rechtschaffenen Leuten seyn müsse. Doch nicht mit Rede und Schrift
allein sucht man zu siegen, Bestechungen aller Art sind im Gefolge
und viele Tausende werden geopfert. Auch die Noth der Zügel für die
Armen in diesem freien Lande kömmt hier den Reichen trefflich mit zu
Statten, da diese schlau genug zur Zeit der Wahl die Mehrzahl ihrer
Leute entlassen. -- Wer würde wohl nun anders denken, anders wählen als
der Brodherr selbst? und um solchen zu gefallen und sich geneigter zu
machen, unterlassen auch die Arbeiter nicht, möglichst viel Stimmen
für ihre Parthei zu gewinnen. So kann es nicht anders kommen, da die
Kandidaten selbst nichts unterlassen sich den Sieg zu verschaffen,
daß nicht immer der Würdigste im Volke die Gouverneur-Stelle erhält,
sondern eher ein solcher, der der gewandteste Intriguant ist.

Auch in der Fabrik des John Benson, wo ich vor der Krankheit in Arbeit
gestanden, waren die meisten Gehülfen entlassen, und mir selbst das
Wiederanfangen vor der Wahl, nicht erlaubt. Doch, um solches eher
zu erzielen, trat ich jetzt mit meinem Plane hervor. Ich übergab
Zeichnungen der neuesten, in Deutschland in Anwendung gekommenen
Schwarzischen Brenn-Apparate, und stellte die Bedingungen, unter
welchen ich mich zur Ausführung dieser Arbeiten verpflichtete. Die
Sache selbst fand Anerkennung; leider konnte ich aber die gestellten
Fragen wegen Welschkorn-Brennen nicht beantworten, da bei uns diese
Fruchtart nicht gebräuchlich ist; ich sah mich deshalb veranlaßt, erst
in den westlichen Staaten die nöthigen Kenntnisse zu sammeln und dann
hierher zurückzukehren.



Siebenzehnter Brief.

Reise nach Utica im November 1839.


So gern ich auch den Wahl-Akt in New-York abgewartet hätte, um mit
anzusehen, wie man sich dabei die Köpfe blutig schlägt, so säumte
ich mit dem Antritte meiner Reise doch nicht, da bei vorgerückter
Jahreszeit die Kanäle leicht zufrieren und die Benutzung derselben für
mich verloren gehen würde.

Eins der größten Dampfschiffe, das die Fahrt nach ~Albany~
machte, nahm mich, am 3. dieses Monats mit auf, welcher schwimmende
Pallast in allen Theilen großartig ausgeführt, Einen schnell und
bequem von hinnen trägt. Erstaunt und voll Bewunderung steht man da
bei Beschauung der merkwürdigsten und nützlichsten Erfindung neuerer
Zeit. Theils die großartige Maschinerie, welche dieses kasernenähnliche
Gebäude ohne Segel stromaufwärts die Fluthen durchschneiden läßt,
theils die prachtvolle Einrichtung dieses schwimmenden Hôtels selbst,
welches alle Bequemlichkeiten des Menschen in sich trägt, nehmen die
ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Auf dem Verdeck, welches mit einer
Gallerie umgeben ist, tragen gefällige Säulen ein Dach, um vor den
Sonnenstrahlen und Regen geschützt, im Freien verweilen zu können; wem
es hingegen beliebt, unbeschirmt, ganz im Freien zu lustwandeln, findet
dazu einen Raum auf dem Dache selbst.

Zwei schöne, mit geschmackvoll gearbeitetem Geländer versehene Treppen
führen in die untern Räume, wo alle Möbeln, Thüren und Tafelwerk der
Wände von polirtem Mahagoniholz gefertigt sind. Die Fußböden und
Treppen sind mit den schönsten Teppichen belegt. Am brillantesten aber
sind die Kajüten für die Damen dekorirt, wo das holde Angesicht der
Schönen tausendfach widerstrahlt, da alle Räume zwischen den Fenstern
mit Spiegelglas ausgelegt sind. Rothseidene Gardinen wallen vor den
Glasthüren und hemmen den Blick in dieses Zaubergemach, wo hinein kein
Mann Zutritt findet. Nicht weniger schön ist ein zweites Zimmer, wo die
Herren dem schönen Geschlechte ihre Aufwartung machen dürfen.

Längs der Wände befinden sich die Schlafstellen mit vortrefflichen
Betten und allen erdenklichen Bequemlichkeiten, desgleichen die
Ankleidestübchen, worinnen alle Erfordernisse der Toilette sich
befinden.

Zwischen den Damen-Kajüten und der Dampfmaschine befindet sich der
große Speisesaal, geräumig genug, um 200 Personen aufzunehmen, der
durch das einfallende Licht der Fenster vollkommen erhellt wird. An
den Wänden hängen, symmetrisch geordnet, die verschiedenartigsten
Adressen von dem handeltreibenden und produzirenden Publikum, worunter
Empfehlungen der auf das Beste eingerichteten Gasthäuser nicht fehlen.
Doch um solche Anzeigen auffallender zu machen und die Aufmerksamkeit
möglichst zu erregen, sind sie in der Regel mit goldenen Rahmen
eingefaßt, auch mitunter auf Seide, andere wieder mit bunter Schrift
gedruckt. -- An Lesezimmern, wie auch an Badestübchen fehlt es nicht.
-- Die Küche, die Gemächer der Schiffsmannschaft, der Mechaniker,
Matrosen, Köche, Mägde und Bedienten, sind mehr abseits angebracht.

Ueber 200 Reisende waren am Bord, alle nobel gekleidet und ein Ton
vorherrschend, daß man glauben sollte, hier mehr unter einer geladenen
Gesellschaft sich zu befinden, als unter vom Zufall zusammengeführten
Reisenden.

Das unangenehme Schaukeln des Segelschiffes ist hier auf dem Dampfboote
weniger fühlbar, da solches von Ufern begrenzt, weniger mit Wind und
Wellen zu kämpfen hat, und würde man nicht durch das Geräusch der
Dampfmaschine, so wie durch das Plätschern der großen Wasserräder an
beiden Seiten des Schiffes erinnert, daß man auf dem Wasser sey, so
würde man leicht vergessen, wo man sich befände.

Die schönste Witterung begünstigte die Fahrt, und mit wahrem Vergnügen
drang ich in das Innere des Landes ein. In verschiedenen Gruppen
placirten sich viele Passagiere auf das Verdeck, um bei heiterer Luft
die Reize der Natur zu genießen. -- Die weißgrauen Kalkfelsen-Ufer sind
meist schroff und mit Tannen und Eichen bewachsen, und gewähren so mit
ihren dunkeln Schluchten ein grausiges Ansehen. Dagegen erblickt man
auch von Zeit zu Zeit artige Landhäuser, Bauernhöfe und kleine Orte auf
fruchtbarem Gefilde.

Fortwährend begegneten uns Schloops und andere Fahrzeuge, welche
theils mit Viktualien oder Holz beladen, auf dem ~Hudson~ nach
New-York fuhren. Dieserhalb verbreiteten des Nachts große Laternen
die möglichste Helligkeit um das Dampfschiff, und warnen dadurch
entgegenkommende Fahrzeuge vor der Gefahr, umgefahren zu werden,
weshalb solche zeitig genug auszuweichen suchen. --

Am Städtchen ~Orange-Tova~ und bei ~West-Point~ wurden
Reisende ausgesetzt und eingenommen, welches mit der größten
Schnelligkeit ausgeführt ward, um die Fahrt nicht zu verzögern. Die
Schiffsglocke verkündete schon in der Ferne die Ankunft des Bootes.
Ein am Außenbord hängender Nachen wurde schnell ins Wasser gelassen,
in welchem die Reisenden ohne Gefahr auf einer eisernen Geländerstiege
bequem vom Schiffe einstiegen. Zwei Ruderer bringen das kleine Fahrzeug
schnell ans Ufer, während der Steuermann ein Seil nachläßt, welches an
Ersterem befestigt, mit solchen gezogen wird. Das Aus- und Einladen
am Ufer dauert wenig Minuten, worauf durch ein gegebenes Zeichen die
Dampfmaschine einen Cylinder in Bewegung setzt, um welchen sich das an
dem Nachen befestigte Seil wieder aufrollt und Letztern nach sich zieht.

Ein gleiches Anhalten, Ausschiffen und Einnehmen von Passagieren
und Effekten fand bei der Stadt ~Hudson~ Statt, und nach einer
Fahrt von 26 Stunden waren 160 englische Meilen[40] bis ~Albany~
zurückgelegt, wo wir den 4. dieses Monats, Vormittags 11 Uhr eintrafen.

Dieser wohlhabende Ort mit 25,000 Einwohnern ist der Sitz des
Gouverniums, und der Hauptort des Staates New-York; er hat bedeutenden
Handelsverkehr, weil sich hier der Stapelplatz aller Erzeugnisse
vom Norden des New-Yorker Staates bis ~Canada~ befindet, was
besonders seit dem Bau des großen Kanals, welcher vom ~Hudson~
bei ~Albany~ bis zum ~Erie~-See läuft und eine Länge von 362
Meilen einnimmt, der Fall ist.

Abends 5 Uhr ging ich auf der Eisenbahn nach dem 16 Meilen entfernt
gelegenen ~Schenectady~ ab, und bestieg daselbst sogleich das
Kanal-Boot, die Jacht, da solches diese Nacht noch die Fahrt nach
~Buffalo~ antreten sollte.

Beim Schlafenlegen, wo ich gewöhnlich meine Sachen ganz in die Nähe
brachte, vermißte ich das Hutfutteral, in welchem die Brieftafel mit
etwas Papiergeld nebst meinem Tagebuche sich befanden. Ersteres war in
dem Eisenbahnwagen zurückgeblieben, und wegen dessen Wiedererlangung
keine Zeit zu verlieren. Doch wie sollte ich bei dunkler Nacht und
ohne alle Kenntniß des Weges, den eine halbe Stunde von hier entfernt
liegenden Bahnhof auffinden? Mein Verlangen, einen Matrosen gegen
Vergütung als Begleiter zu erhalten, wurde nicht erhört; ebenso meine
Bitte, die Fahrt noch um eine Stunde zu verschieben, abgeschlagen,
dagegen aber versprochen, die Pferde nur langsam antreiben zu lassen,
welche soeben an das Bootstau gespannt wurden, um mittels diesem das
Fahrzeug auf dem ruhig stehenden Wasserspiegel fortzuziehen.

Glücklich hatte ich die Sachen gefunden und ohne weitern Unfall die
Stelle wieder erreicht, wo ich das Boot verlassen. Eine Viertelstunde
weiter mündet aber dieser Seitenarm in den Hauptkanal ein, und ob ich
nun links oder rechts dessen Lauf verfolgen mußte, war ich ungewiß,
da bei der Dunkelheit der Nacht, und der Gegend unkundig, leicht
eine falsche Richtung einzuschlagen war. -- Alles war ruhig, keine
menschliche Stimme verrieth dessen Nähe, um die nöthige Erkundigung
einziehen zu können, und demnach betrat ich auf gut Glück den
ungebahnten Weg längs des Ufers.

Voller Angst über die Möglichkeit, mich auf falschem Wege mehr und
mehr von meinem Fahrzeuge zu entfernen, lauschte ich bei jedem
Geräusch, da ich hier in der Dunkelheit um mein Leben besorgt, und
auf dem forteilenden Boote möglicherweise um meine Effekten kommen
konnte. So gern ich auch die Schritte beflügelt hätte, so hing doch
der Boden centnerschwer unter meinen Füßen, auch machten einzelne im
Wege liegende Steine diesen bei der Nähe des Wassers höchst gefährlich,
da der Damm hoch und neben der Wasserstraße eine zweite Schlucht sich
längs des Dammes hinzog.

Mehr und mehr umwölkte sich der Himmel, so daß nur dann und wann ein
Stern hervortrat um den unwegsamen Pfad zu beleuchten, worauf das
Vorwärtsschreiten bald unmöglich wurde, da große Steinmassen den Weg
versperrten, welche vermuthlich zur Ausbesserung des Dammes angehäuft
oder Ueberbleibsel früherer Bauten waren.

Obgleich die Nacht empfindlich kalt, so rannte doch der heiße Schweiß
mir von der Stirne, wobei die Glieder zitternd wankten und mir den
Dienst zum Weitergehen versagten. Nach kurzer Ruhe wollte ich mich mehr
links vom Wasser entfernen, als das Gestein mich zum Fallen brachte,
und bis an den Abhang stolpernd, verlor der Körper das Gleichgewicht
so daß ich hinab in die spitzigen Steine fiel. Blutend lag ich lange,
ohne daß ich durch den Schreck Etwas von Schmerzen empfunden hätte, bis
mich die Angst von Neuem zum Aufbruche mahnte. Doch jetzt wurde ich
erst gewahr, daß mir beim Fall das Hutfutteral entkommen war. Solches
wieder zu erlangen hielt weniger schwer, als die daraus entschlüpfte
Brieftasche nebst Tagebuch zu finden, und lange suchte ich in dunkler
Nacht vergebens; ich hätte das Erstere gern entbehrt, wenn ich nur zu
dem Wiederbesitze des Letztern gelangt wäre.

Mein Geschick verwünschend und unzufrieden mit mir selbst, wollte ich
ohne die verlorenen Sachen von Neuem den Wanderstab ergreifen, als die
Töne eines Hornes die Nähe von Kanalbooten verkündete, deren Schein der
Leuchten, wegen des zwischen mir und der Wasserstraße liegenden Dammes,
nicht wahrgenommen werden konnte. Zu meinem Glück waren Passagiere auf
dem Fahrzeuge, welche deutsch verstanden, und der Kapitän, durch diese
von dem mich betroffenen Mißgeschick unterrichtet, ließ nicht allein
sein Boot anhalten, sondern verband auch mit eigener Hand die Wunden am
Kopfe und versah mich mit einer Handlaterne, durch welche es möglich
gemacht wurde, die verlornen Sachen wieder aufzufinden.

Solch Handeln eines so braven Mannes verdient der Vergessenheit
entrissen zu werden, da in Amerika wohl nicht ein Dutzend solcher
anzutreffen ist, welche einem Verunglückten Beistand leisten. Auch ein
besserer Pfad wurde mir gezeigt, dicht am Wasser hin, geebnet für den
Gang der Pferde, auf welchem es möglich war, nach scharf fortgesetztem
Marsche und dem vorkommenden Aufenthalte der Boote, beim Passiren der
Schleusen, am Morgen mein Fahrzeug noch zu erreichen, wo ich ganz
erschöpft aufs Lager sank. Doch auch hier war mir wenig Ruhe vergönnt,
da sich eine böse Sybille mit auf dem Schiffe befand, welche dem lieben
Mann, der sie wider Willen, wie Viele seines Gleichen, zur Auswanderung
verleitet, die bittersten Vorwürfe machte, Mörder ihrer Kinder nannte,
indem zwei derselben während der Seereise gestorben und ein drittes
noch jetzt krank darnieder läge. Leider! verstand der Mann selbst
nicht zu schweigen, und gereizt, sich so weit vergaß, Hand an das
gebrechliche Weib zu legen, und diese nun durch die Stimme ersetzte,
was ihr an Kraft zur Gegenwehr mangelte. Tiefen Eindruck machte der
Vorfall auf Alle, und ich fühlte mich um so glücklicher, da ich die
Meinen im sichern Hafen wußte, und nur allein dem Wechsel des Geschicks
auf dieser beschwerlichen Reise unterworfen war.

Der Ton eines Hornes, wie ich schon in voriger Nacht vernommen,
erweckte die Neugierde, und so verließ ich von Neuem das Lager,
um zu sehen, was solcher bedeute. Es war das Zeichen, welches den
Schleusenwächtern die Ankunft des Schiffes verkündete, und das
Verlangen nach frischen Pferden zu erkennen gab, da man solche alle 2-3
Stunden wechselt.

Gewöhnlich sind zwei hintereinander gespannt, bei Paquetbooten aber, da
solche meist im Trabe gezogen werden, verwendet man 3-4 Pferde, welche
auf den längs des Kanals laufenden schmalem Wege gehen, der auch unter
den vielen über den Kanal geschlagenen Brücken hinwegläuft. -- Die
Führer der Rosse, welche auf dem hintersten Pferde reiten, verstehen
durch das Anhalten der Thiere zur rechten Zeit das Tau ihres Bootes im
Wasser zu versenken, wodurch das entgegenkommende Fahrzeug, ohne sich
in die Leinen des andern zu verwirren, über solche hinwegfährt und
beide sich so geschickt auszuweichen verstehen.

Der Durchgang von einer Schleuse in die andere, wird in einigen Minuten
bewerkstelligt, und hält demnach die Fahrt im Ganzen nicht sehr auf.

Der Kanal längs des ~Mohawk~-Flusses führt in gerader Richtung
durch unermeßliche Waldungen und gut angebaute Thäler, wo man die Orte
~Thowaship~, ~Amsterdam~ und ~Rotterdam~ erblickt, doch
nur in Duodez-Ausgaben, da erst einigen Häusern diese Namen beigelegt
worden sind. -- Ueber einige Bäche und Flüsse wird der Kanal in
Bohlen-Einfassung, welche auf Pfeilern ruhen, geleitet, welche für die
Pferde mit Trottoirs versehen sind, oder durch das seichte Flußwasser
selbst gehen. Da wo der Kanal die beiden Flüsse durchkreuzt, woraus
solcher meist sein Wasser erhält, werden die Pferde, der Tiefe halber,
mittelst einer Fähre übergesetzt.

Mit Anbruch der zweiten Nacht passirten wir ein enges, doch fruchtbares
Thal, welches von wohlhabenden Farmern, wie solches die netten Häuser
verriethen, bewohnt ward. Auch mehrere Sägemühlen befinden sich in
dieser Gegend.

Am Morgen des 7. unternahm ich bei herrlicher Witterung mit drei
Amerikanern längs des Kanals einen Streifzug, welcher sich aber leider
nur auf Eichhörnchen erstreckte, da das Geflügel, fortwährend von
Reisenden verscheucht, sich mehr in das Innere der Wälder zurückzieht.
-- Mit Erstaunen bemerkte ich, daß die Amerikaner sehr gute Schützen
sind, da solche mit ihren langen Röhren, woraus sie Hirschposten
schießen, jedesmal den Kopf des Eichhörnchens vom Rumpfe holten. --
Meine Gefährden, darüber ärgerlich, daß es nichts zu schießen gab, was
einen guten Braten versprach, wurden jetzt eine Heerde zahmer Gänse
gewahr, welche auf dem Flusse an der Seite des Kanals schwammen, und
ohne sich lange zu besinnen, legten sie an und, als es knallte, sanken
dreien die Köpfe. Eine wurde vom Wasser mitgenommen, die andern beiden
aber schwammen noch bis zur Insel, auf welche die Nichtgetroffenen sich
retirirten, blieben aber entkräftet am Ufer liegen. -- Lange sannen die
Schützen, was zu thun sey, da das Wasser nicht tief und es die Braten
zu holen erlaubte, doch Keiner wagte sich in die Fluthen und ließen,
vorwärtsschreitend, den Raub im Stiche.

Nicht sowohl wegen der Beute selbst, als vielmehr um den Schützen zu
zeigen, daß sie wohl verstanden eine Gans zu schießen, aber nicht die
Courage hätten, das Erlegte zu holen, entschloß ich mich rasch, und
schritt entkleidet der Insel zu. Gespannt standen jetzt die Erstern
von fern, und lauschten des Ausganges, ohne mich vor der Gefahr zu
warnen, welche mir drohete, die, wie sie später selbst erwähnten,
ihnen nicht unbekannt gewesen, da sie die Bauern am jenseitigen Ufer
hinter Gebüschen versteckt gesehen hätten. -- Schon hatte ich die eine
Gans gefaßt und noch drei Schritte vorwärts bis zur andern, als rasch
hinter einander zwei Kugeln vom jenseitigen Ufer abgeschosen vor mir
niederschlugen, mich aber, zum Glück noch außer Schußweite, nicht
verletzten. Wie ein Donnerwetter machte ich Kehrt, um einer zweiten
Ladung zu entgehen, und erreichte glücklich, mit einer Gans, das
Gestade. Jauchzend wurde ich empfangen, und der Braten im Triumph dem
Koche übergeben. Mir selbst aber verging aller Appetit, denn wie leicht
wäre nicht mein Vorwitz hart bestraft worden.

Die Gegend ist auch hier gut angebaut, und mit Farmer-Wohnungen
reichlich versehen; auch wird von den Bewohnern viel deutsch gesprochen.

Vor ~Utica~ ward, um den Zoll darnach bestimmen zu können, das
Boot gewogen, welche Einrichtung Aehnlichkeit mit unsern Brückenwaagen
hat. Ist das Erstere auf die Waage gefahren, so wird das Wasser durch
Oeffnen der einen Schleuse abgelassen, wodurch solches trocken auf die
Waage zu stehen kömmt. Nach genommener Ueberzeugung der Schwere der
Ladung wird das Thor wieder geschlossen und durch Oeffnen des andern
der Zutritt Wassers von Neuem gestattet, wodurch das Fahrzeug wieder
gehoben und flott gemacht wird.

Den 7. Mittags fuhren wir auf dem Kanal, welcher durch ~Utica~
führt, in dieser Stadt ein und hatten auf dieser Wasserstraße, welche
von ~Schenectady~ bis hierher 80 Meilen lang ist, 26 Schleusen
passirt und waren unter 300 Brücken weggefahren.

Die Stadt ~Utica~ nimmt an Größe zusehends zu und besonders sind
es Deutsche, welche sich hier niederlassen, unter denen ich auch
einige Erfurter traf. -- ~Anno~ 1794, wurde erzählt, habe an
diesem Ort ein einziges Wirthshaus gestanden und jetzt zähle die Stadt
schon über 6000 Einwohner, wodurch sie als eine der blühendsten Städte
des Staates New-York anzusehen ist.



Achtzehnter Brief.

Fahrt zum Niagara.

    Im November 1839.


Meinem Reiseplan zufolge, wollte ich bis ~Buffalo~ die Fahrt
auf dem Kanal machen und von da aus mit dem Dampfschiff nach dem
Niagara-Fall abgehen um dort eine der größten Naturerscheinungen mit
anzusehen. Da aber das Boot, mit welchem ich gekommen, hier einige Tage
verweilte und ich nicht gern Zeit verlieren wollte, so ging ich in
den Vorschlag zweier Rheinländer ein und bestieg mit diesen und fünf
Amerikanern die Postkutsche, wodurch uns mehr Gelegenheit ward, das
Land besser kennen zu lernen, da wir hier nicht, wie es auf dem Boote
der Fall ist, Tag und Nacht die Gegend durchreisten, sondern nur die
Tageszeit dazu benutzt wurde.

Noch war der Morgen des 8. Dezember nicht angebrochen, als ich und
meine Reisegefährden die Kutsche bestiegen. Dieselbe ging in der ersten
Zeit nur langsam vorwärts, da die Wege in Folge des Regens schlecht
und das bergige Terrain auch das Schnellfahren verhinderte. Die Gegend
selbst ist ziemlich wild und die Urwälder noch wenig gelichtet.

Bei ~Oneida~ führte der Weg durch die Niederlassung eines
Indianerstammes, welches Volk, von den Nachbarn verachtet, äußerst
ärmlich sich von der Jagd und einigem wenigen Ackerbau zu nähren
sucht. Das Dorf der Wilden selbst besteht aus den erbärmlichsten
Hütten, welche aus übereinandergelegten Baumstämmen hie und da im
Walde errichtet sind. Auf einer Anhöhe erblickt man eine kleine
ebenfalls von Holz aufgeführte Kirche, für den Gottesdienst der
Indianer bestimmt, welche Missionäre zum Christenthume bekehrt haben.
Links vom Wege ist ein freier Platz, von alten Bäumen beschattet, wo
die Häupter des Stammes sich zu versammeln pflegen, wenn sie über
ihre Angelegenheiten berathen wollen. Ihre braungelbe Farbe, runden
Gesichter, lang geschlitzten Augen, dicken Nasen und langen bis auf die
Schultern hängenden Haare, haben, wenn man solche Gestalten noch nicht
gesehen, etwas Imposantes. Viele sind nur in elende Lumpen gewickelt,
Andere dagegen tragen blaue Hosen, über welche sie Hemden ziehen und
diese sind wieder mit Röcken von Tuch bedeckt. Die Weiber hüllen sich
in weiße oder blaue wollene Decken ein. Ihre Kinder, meist nackend,
benutzen den Durchzug der Reisenden und verfolgen bettelnd die Wagen,
welche Erscheinung dem Europäer um so auffallender ist, da das Betteln
in Amerika nicht Sitte und man nirgends von Wegelagerern um eine Gabe
angegangen wird.

Hinter dem Dorfe, wo der Weg nach einer beträchtlichen Höhe führt,
genießt man eine schöne Aussicht auf den ~Oneida~-See. Die
Landschaft selbst wird jedoch, je weiter man kömmt, wilder, und mit
Ausnahme einzelner Ortschaften ist solche wenig bevölkert. Selten
sieht man Häuser von Backsteinen, sondern nur von leichtbehauenen
Baumstämmen, sogenannte Blockhäuser, welche Erbauung schnell von
Statten geht und gewöhnlich das erste Asyl der Ansiedler ist. Sind
die Baumstämme gefällt und entastet, so werden ihre beiden Enden mit
Einschnitten versehen und so zusammen gekämmt, über einander gelegt.
Vorkommende Lücken zwischen den Balken füllt man mit Steinen, Moos und
Erde aus.

Die mitunter vorkommenden fernen Aussichten sind äußerst einförmig
und unromantisch, da sie mit nichts als einzeln stehenden Häusern
ausgeschmückt sind; um so überraschender ist daher ein kleiner See
mitten im Walde, an dessen Ufer zwei kleine Städtchen sehr malerisch
liegen.

Im Ort ~Chittenango~ zerbrach die Deichsel des Wagens, wodurch
ein kleiner Aufenthalt verursacht wurde. Der Ort selbst hat mehre
Mühlen und Fabriken, weshalb, um den Verkehr zu erleichtern, ein
Kanal mit kleinem Hafen angelegt worden ist, welcher aus dem großen
~Erie~-Kanal ausläuft.

In ~Onendezes~ sind ebenfalls Fabriken, auch hat dieser Ort,
wie ~Marcellus~, zwei Kirchen, welches gewöhnlich in jedem Ort
von einiger Bedeutung der Fall ist, daß sie eine Anglikanische und
Presbyderianische Kirche besitzen. Jenseits ~Marcellus~ liegt am
~Scomatelass~-See das Städtchen gleiches Namens, welches wegen
eingetretener Nacht nicht mehr gesehen werden konnte. Erst spät trafen
wir in der Stadt ~Auburn~ ein, wo übernachtet wurde.

Am Morgen des folgenden Tages passirte der Wagen eine lange Brücke,
welche über den an dieser Stelle nur eine englische Meile breiten
~Cayuga~-See erbaut ist, welches stehende Wasser zwanzig Meilen
lang sein soll. Die Gegend gestaltet sich immer einsamer und wilder,
da zwischen den 6-8 Stunden auseinander liegenden Städten ewiger Wald
angetroffen wird, in welchem nur dann und wann ein Blockhaus zwischen
verdorrten Bäumen zum Vorschein kommt. Die Pflanzer, der Arbeiten zu
viel habend, fällen die Bäume nicht, sondern machen 1 Fuß von der Erde,
rund um 1 Zoll breit Rinde und Splind bis aufs Holz ab, wodurch der
Stamm abstirbt, damit, wenn er faul von Regen und Wind umgeworfen, er
sich so leichter beseitigen läßt. Doch währenddem benutzt man das
Land schon, rottet unter den dürren Aesten, die nicht mehr beschatten,
das Gesträuch aus, und bestellt hierauf den Boden. Doch will man noch
schneller das Holz beseitigen, so wird Feuer an die Bäume gelegt,
weshalb man oft ganze Striche brennender Wälder antrifft.

Bis ~Waterloo~, einer wohlhabenden Stadt, war der Boden fest, doch
darüber hinaus wurde er morastig, weshalb der Weg mit Baumstämmen
belegt war, welche Knüppeldämme die Fahrt äußerst beschwerlich machen
und mich an die gepflasterte Chaussée zwischen Hannover und Bremen
erinnerte.

~Genovo~, an der Spitze des ~Seneca~-Sees, hat ein Kollegium mit
einigen hundert Studenten, ansehnliche Gebäude, schöne Landhäuser und
Gärten.

~Canandaigua~, an der Spitze des Sees gleichen Namens, wo Mittag
gemacht wurde, ist ebenfalls eine wohlhabende handeltreibende Stadt
mit einer Bank und einem Gerichtshof. Am Nachmittag wurden die Orte
~Victor~, ~Mendon~ und ~Pittsfort~ passirt, wo wir unterwegs nur
theilweise Ansiedler in Blockhäusern antrafen, Abends 8 Uhr erreichten
wir ~Rochester~ und machten daselbst Halt.

Vor dem Jahr 1812 war hier noch Alles Wald, wo man den Acker für 1¼
Dollar kaufte und jetzt ist dieser Ort eine der blühendsten Städte, hat
sechs Kirchen, eine Bank, Tribunalgebäude, mehre Mühlen und Fabriken,
und zählt 6000 Einwohner.

Der große ~Erie~-Kanal geht hier mittels einer steinernen Brücke
von 780 Fuß Länge über den ~Genesse~-Fluß; letztere hat 11 breite
Bogen von 40-50 Fuß Weite und ist mit einem eisernen Geländer versehen.
Ein Trottoir für die Pferde geht längs der einen Seite. Dieses
großartige Werk führt eine durch Kunst und ungeheuren Geldaufwand
geschaffene Wasserstraße über einen breiten natürlichen Fluß.

Am folgenden Morgen fühlte ich mich äußerst unwohl, da ein
Wechselfieber mich heftig schüttelte, wie solches meinen beiden
deutschen Reisegefährden, dem Einen mehr, dem Andern weniger,
ebenfalls begegnete, indem wir uns gestern bei der ungünstigen
naßkalten Witterung eine Erkältung zugezogen hatten. Es wurde daher
beschlossen, hier zu bleiben, uns gut abzuwarten und erst morgen die
Reise fortzusetzen. Die zweite Nacht fühlte ich mich noch kränker
und so gern ich auch hier länger verweilt hätte, so trieb doch die
späte Jahreszeit, welche kein Säumen erlaubte, wie mein unruhiger
Geist selbst, von Neuem in den Wagen. Fest in die Mantel gehüllt und
in die Wagenecken zurückgelehnt, wurde wenig von der Gegend, welche
wir passieren, gesehen und die ewigen Schauer, welche die Zähne
unwillkührlich zusammenschlugen, verbitterten den Vorgeschmack des
großen Naturereignisses, worauf ich mich so lange gefreut und wir
schon, obgleich noch vier Stunden weit vom Wasserfall entfernt, sein
Brausen vernehmen konnten. -- Mit einbrechender Nacht hielt der Wagen
in dem am Ufer des Niagara-Flusses gelegenen ~Louristoba~ an, wo
ich mich sogleich bis über die Ohren ins Bett begrub und zu schwitzen
versuchte, ohne etwas Speise und Trank zu mir zu nehmen.

Umsonst war mein Bemühen den erquickenden Schlaf herbeizulocken. Die
aufgeregte Phantasie hielt mich wach und meiner selbst nicht recht
bewußt, schwebte der Geist im Fiebertraum aus der Vergangenheit in
die Zukunft über. -- Also hier, so weit von den Meinen entfernt, in
den unermeßlichen Wäldern Amerikas, hier also, so nahe am Ziele des
lang gehegten Wunsches, den größten der Wasserfälle mit eigenen Augen
zu sehen, sollte ich vielleicht das Daseyn enden? -- Und von bösen
Träumen erwacht, richtete ich mich hastig auf und fühlte mich noch
stark genug, selbst mit den Wilden zu kämpfen; dann hörte ich, wieder
entschlummert, die lieben Kinder nach dem Vater fragen, welchen sie
schon so lange vermißt und sehnlich seiner Rückkunft harrten. Immer
nur vorwärts trieb’s mich, um dann um so schneller in die Heimath
zurückzukehren, da nur der Körper schwach war, dieser aber nicht den
regen Geist zu zügeln vermochte. So mag’s denn kommen wie es will! Fort
und immer weiter führt es dem Ziele zu!

Noch war es Nacht und ein sanfter Schlummer suchte die matten Glieder
von Neuem zu stärken, da der Geist sich abgetobt, denselben die
Ruhe gönnte, als man uns weckte, weil nach dem Wunsche der übrigen
Reisenden, bald aufzubrechen, der Wagen dazu bereit sey. So ungern
ich auch das Lager verließ und meine Freunde mir riethen, länger zu
verweilen, so raffte ich doch alle Kräfte zusammen, da die Füße noch
nicht den Dienst versagten und bestieg, fieberkrank, den Wagen.

In kurzer Zeit war der Fuß eines Hügels erreicht und auf der Höhe
angelangt, entfaltete sich dem Auge ein herrliches Gemälde, welches
Alle hoch entzückte. Nur für mich verlor es viel von seinem Reiz, da
das trübe Auge nicht vermögend war, das verstimmte Gemüth von Neuem zu
begeistern.

Noch umhüllte ein blauer Nebelschleier den Gesichtskreis und mit
bangem Sehnen sah Alles der aufgehenden Sonne entgegen, da man einen
unfreundlichen Tag befürchtete, gleich denen der letztvergangenen
Zeit. Doch bald fing im Osten der Himmel an, sich allmählich zu
röthen und die Sonne lüftete den Schleier. Fantastisch gestaltete
Wolkengebirge wetteiferten an Schönheit mit der romantischen Gegend und
zogen den trunkenen Blick von der Erde zum Himmel. -- Zu unsern Füßen
breitete sich der ~Ontario~-See aus, in dessen Spiegel sich die
Strahlen der aufgehenden Sonne brachen. Nordwärts begrenzte den See
der breite dunkle Raum von ~Canada’s~ unübersehbaren Wäldern,
westwärts ein langer blauer Streifen von Gebirgen. An der Ausmündung
des ~Niagara-~Stromes stehen zwei Festen, am ~Canadischen~
Ufer die ~St. Georg~-, auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten die
~Niagara~-Feste. Aus dem Hintergrunde schimmerten am jenseitigen
Ufer des ~Ontario-~Gestades, Kirchthürme und Gebäude aus der Ferne
hervor, welche dem Städtchen ~York~ angehörten, das acht Stunden
von uns entfernt lag. Nach der Mittagsseite zu sieht man in der Ferne
eine mächtige Dampfsäule aus dem Schooß der Erde in die Lüfte wirbeln,
welche der Fall des ~Niagara~ verursacht.

Nachdem wir uns Alle an diesem imposanten Anblicke hinlänglich
geweidet, wurde der Pfad zu Fuß weiter verfolgt, da von hier aus der
Wagen zurückging. Das dumpfe Getöse vernahm man bei jedem Schritt
deutlicher und zwischen Bäumen kamen mitunter Wassermassen zum
Vorschein, welche dem ~Niagara~-Fall angehörten. Gegen 10 Uhr
langten wir endlich bei einem Gasthause an, wo gefrühstückt und dann in
Begleitung von Führern dem Falle selbst zugeeilt wurde.

Um zur Insel ~Goad-Island~ zu gelangen, welche den Stromfall in
zwei ungleiche Theile trennt, von wo aus der Wasserfall und seine
Pracht am schönsten ins Auge fällt, muß man eine Brücke passiren,
welche über einem Arm des Flusses errichtet ist.

Ein Zweig des ~Allaghanig~-Gebirges, welches den
~Niagara~-Fluß in der Quere durchschneidet, verursacht den
ungeheueren Sturz dieses Gewässers, welches der Abfluß der großen Seen
und des ~Erie~-Sees ist, und bis zu seiner Mündung in das weite
Becken des ~Ontario~ einen mächtigen Strom von 1000-1200 Schuh
Breite und großer Tiefe bildet.

Bis zum ~Chippeway-~Strome, der zwischen dem ~Erie-~ und
~Ontario-~See in ihn hineinstürzt, fließt er langsam und still,
dort aber, enger zwischen Felsen geklemmt und von dem Wasser des
~Chippeway~ verstärkt, wird er unruhig, und sein Fall reißender.
Stürmend kämpfen seine Wellen gegen Klippen und Felsen an, die ihm den
Weg versperren wollen. Zwei Inseln spalten den Fluß in drei Theile,
welche sich aber stürmisch wieder vereinigen, und dann mit mächtigem
Ungestüm in den über 150 Fuß tiefen Abgrund hinunter stürzen. Die
Breite des Flußbettes beträgt vor dem Sturze gegen 4000 Fuß, in welchen
die wildkämpfenden Wogen durcheinander wüthen, bis sie am Fuße des
Falles sich wieder vereinigen und ihren Lauf friedlich fortsetzen.

Die Masse der niederstürzenden Fluthen, von unten herauf gesehen,
scheint aus dem Himmel herabzufallen, um sich in einen bodenlosen
Abgrund begraben zu wollen. Die Felsenlager, welche unterhalb einige
Absätze bilden, drohen unter dem Gewicht der zermalmenden Wassersäulen
zu zersplittern und zu zerstäuben. Man steht inmitten eines ewigen
betäubenden Donners, während rings umher die ganze Natur, wie von
Entsetzen erstarrt, schweigt. Aus der Tiefe, wo alles kocht und gährt,
steigen silbergraue Staubwolken und Wassersäulen hastig empor, um von
Nachkommenden wieder ereilt und zerstört zu werden. Sie heulen in
allerlei Tönen zwischen den Klippen die gräßlichsten Stimmen, bis sie
im Abgrunde durch das einförmige Brausen übertönt werden.

Die Felsen von beiden Seiten gehen schroff hinab, es ist aber eine
hölzerne Treppe angebracht, auf welcher man bis zur tiefsten Stelle
des Flusses steigen kann. Ein Führer geleitete uns hinab, allein man
wird in seinen Erwartungen betrogen, da alles in Schaum und Dampf
eingehüllt, keinen imposanten Anblick gewährt, und der feine Regen, vom
Wasserstaub verursacht, bald zum Rückwege nöthigt.

Um an das gegenseitige Ufer zu gelangen, wo man, wie unser Führer
versicherte, vom ~Table-Rock~ (Tafelfelsen) aus, die schönste
Aussicht nach dem ganzen Falle genießen soll, bestiegen wir einen
kleinen Nachen, welcher uns in einer halben Stunde mitten durch die
wüthenden Wellen nach dem kanadischen Ufer brachte. Während der
Ueberfahrt hat man nochmals die schönste Gelegenheit das Bild obiger
Verwandlung zu übersehen. Das kanadische Ufer ist ebenfalls wie das
jenseitige, der schroffen Felsen halber, mühsam zu ersteigen; doch bald
bietet sich Gelegenheit, in einem nahen Gasthause sich zu erholen.

Obgleich es Herbst war, trafen wir hier doch viele Reisende, welche die
großartige Naturerscheinung herbeigelockt, und da so eben eine Parthie
zu dem ~Table-Rock~ abging, so schlossen wir uns an. -- Auf diesem
sich weit ins Wasser hervorstreckenden Felsen, welchen dieses Element
ganz unterwaschen hat, genießt man in der That mit einem Blick das
Ungeheuere des großen Schauspiels.

Fortwährende Fieberschauer nöthigten mich, bis zum Abgange des
Dampfbootes, auf welchem wir die Reise nach dem 6 Stunden entfernt
liegenden ~Buffalo~ machten, die Nähe des Feuers zu suchen, und
wohlthuender und erquickender wirkte dieses Element auf mich ein, als
es die großen Wassermassen gethan hatten.



Neunzehnter Brief.

Reise nach ~Cincinnati~.

    Im November 1839.


~Buffalo~, jetzt eine Stadt mit 20,000 Einwohnern, wurde im Jahre
1814 von den Engländern zerstört, und dieser Ort, zu jener Zeit noch
ein Dorf, bis auf ein einziges Haus niedergebrannt. Wie ein Phönix hat
es sich aus seiner Asche erhoben, und in diesem kurzen Zeitraume seine
Größe erhalten, welche im fortwährenden Zunehmen ist. Die Stadt ist
gut gebaut, und alle Häuser, in den Hauptstraßen mit schönen Gewölben
verziert, sind aus Ziegelsteinen oder Granit aufgeführt. Sie besitzt
sechs Kirchen und mehrere Bethäuser, ein Theater, Rathhaus, Markthallen
und große ~Hôtels~. Dazu kommt noch ein Leuchtthurm und ein
vortrefflicher steinerner Hafendamm, welcher immer voller Schiffe und
prächtiger Dampfboote ist. „Man erstaunt“, sagt Kapitän ~Marryat~
in seinem Tagebuche über Amerika, „wenn man bedenkt, daß Alles, was
Bezug auf ~Buffalo~ hat, seit 1814 entstanden ist; doch findet man
in Amerika überall ähnliche Wunder der menschlichen Betriebsamkeit. --
„Ueber Hals und Kopf!“ ist das wahre Motto dieses Landes. Jedermann
eilt, seinem Nachbar zuvorzukommen. Der Amerikaner lebt zweimal so
lange als andere Menschen, da er zweimal so viel vollbringt als Andere.
Er beginnt sein Leben schon früher; mit 15 Jahren gilt er für einen
Mann, stürzt sich in den Strom der Unternehmungen und schwimmt und
kämpft mit seines Gleichen. In jeder Kleinigkeit zeigt der Amerikaner,
wie kostbar ihm die Zeit ist. Er steht früh auf, verschlingt sein Essen
mit der Hast eines Wolfes und ist den ganzen Tag über hinter seinen
Geschäften. Ist er Kaufmann, so hat er selten einen Heller von seinem
Gelde in Papieren oder liegenden Gründen stecken, es läuft vielmehr
immerfort umher, sein Reichthum ist und bleibt stets produktiv,
und wenn er stirbt, muß sein Vermögen aus allen vier Weltgegenden
zusammengetrieben werden.“

Meine deutschen Begleiter zum ~Niagara~ setzten von hier aus ihre
Reise nach ~Pittsburg~ fort, ich hingegen beabsichtigte mit dem
Dampfschiffe auf dem ~Erie~-See nach ~Cleveland~ abzugehen.

Von der Fußparthie am Wasserfalle sehr erschöpft, hielt ich für
räthlich, abermals einige Tage hier zu verweilen, um die Gesundheit zu
befestigen, der Gebrauch von Tropfen, auf Zucker genommen, welche mir
von einem in unserer Herberge einkehrenden Indianer gereicht wurden,
und was, wie ich später erfuhr, weißes Terpentin gewesen seyn soll,
befreiten mich vom kalten Fieber.

Diese mit den Bewohnern ~Buffalo’s~ in friedlichem Verkehr
lebenden Indianer vom ~Seneca~-Stamme, haben ihre Niederlassung
drei Meilen von hier gewählt, nachdem ihre wilden Väter aus dem
Geburtslande vertrieben worden waren.

Schon war das Dampfschiff ~Erie~ am 14. November zur Abfahrt
bereit, als es ein stark wehender konträrer Wind am Auslaufen hinderte,
da die vielen Klippen im ~Erie~-See diese Fahrt äußerst gefährlich
machen und jährlich mehre Schiffe als Opfer dort fallen sollen.

Am 15. wurde die Reise bei Windstille angetreten. Das Fahrzeug war
außer verschiedenen Waaren, dem Gepäck der Reisenden, auch noch mit
über 200 Passagieren befrachtet, woraus man schließen kann, wie viel in
Amerika gereist wird, da gewöhnlich ein solches Fahrzeug täglich diese
Tour unternimmt.

Bei der Stadt ~Tonkrik~ sollten Waaren und Passagiere ausgesetzt
werden, weshalb der Steuermann, mehr nach dem Ufer zu, dem Schiffe die
Richtung gab, dabei aber die richtige Passage verfehlte, so daß das
Schiff auf eine Sandbank fest zu sitzen kam. -- Unter verschiedenen
Manövern, das Fahrzeug wieder flott zu machen, nahm der Kapitän auch
die Hülfe der Passagiere in Anspruch, indem sich die sämmtliche
Mannschaft auf der einen Seite des Verdecks versammelte, während die
Dampfmaschine mit voller Gewalt in Thätigkeit war. -- Auf das Kommando
des Steuermannes mußten Alle im Trabe nach der entgegengesetzten
Seitenblanke springen und eben so schnell zurückkehren, wodurch das
Boot schaukelnd, sich leichter ablösen sollte. Lange blieb auch dieser
Versuch ohne Wirkung, bis endlich der sandige Boden nachgab und wir
~retour~ von Neuem das Fahrwasser erreichten.

Am Abend wurde zum zweiten Male bei dem Orte ~Erie~ Halt gemacht,
und frisches Holz zur Heitzung der Dampfmaschine eingenommen. -- Nach
Mitternacht ging der sich erhebende Wind in Sturm über, wodurch die
Fahrt bei der Nähe felsiger Ufer äußerst gefährlich wurde, und sich
bei mir durch das Schaukeln des Schiffes die Seekrankheit von Neuem
einstellte. Zum Glück legte sich am Morgen der Orkan eben so schnell
wie er entstanden, wodurch wir ohne weitern Unfall am 16. dieses
Mittags in ~Cleveland~ ankamen.

Diese Stadt, von dem Flusse in zwei Theile getheilt, ist noch wenig von
Bedeutung, und wird von dicht daranstoßenden Bergen begrenzt.

Ist auch hier, wie überall in Amerika, die englische Sprache
vorherrschend, so wird dennoch von den Landsleuten die Muttersprache
beibehalten.

Zum Glück kam ich hier zur rechten Zeit noch an, da morgen den 17.
November das letzte Kanalboot in diesem Jahre nach ~Portsmouth~,
wo der große ~Erie~-Kanal in den ~Ohio~-Fluß einmündet,
abgehen sollte.

Der Kapitän (wie sich auch die Führer von Kanalbooten nennen, obgleich
jeder Laie einen solchen Posten bekleiden kann), war das richtige
Konterfei eines Räuberhauptmanns, und seine Physiognomie flößte mir
eine solche Aversion, oder war es Ahndung meines bösen Geschicks
auf dieser Reise, ein, daß ich nur mit Widerwillen dieses Fahrzeug
bestieg, weil keine andere Gelegenheit sich darbot, da bei vorgerückter
Jahreszeit zu befürchten stand, daß man noch vor beendigter Reise
unterwegs einfrieren könne, welches letztere uns auch leider widerfuhr.

Die ungünstige Witterung der ersten Tage erlaubte den Aufenthalt auf
dem Verdeck nicht, und machte die Fahrt äußerst lästig, zumal da mehre
Familien mit kränklichen und ungezogenen Kindern in dem engen Raume
sich befanden, welche meine Geduld auf eine harte Probe stellten, da
ich vor Allem ein Feind des Kindergeschreies bin. --

Am 19. erreichten wir die Stadt ~Medina~, welche, wie so viele
Städte in Amerika, äußerst unbedeutend ist, da ein Wirthshaus, ein
Kaufladen mit Spezereien, Tüchern und gebrannten Wassern und noch
ein halbes Dutzend Häuser, von Schuhmachern, Schneidern, Schmieden
und Wagnern bewohnt, sich den Namen einer Stadt beizulegen pflegen.
-- Dörfer, wie bei uns, giebt es gar nicht, da jeder Farmer seinen
Grundbesitz um die Wohnung herum hat, und die mitunter nicht
unbedeutenden Holzflächen die Nachbarhäuser weit entfernen. Aller
gesellschaftliche Verkehr hört dadurch auf und jede Familie bleibt nur
auf sich selbst beschränkt. Ihr Reichthum ist der Wald, ihre Nachbarn
sind die Bäume, das Schulhaus, ihr eigenes Gebäude. Die Kirche ist
groß, sie steht frei da und ladet täglich zum Gebet ein. Doch nicht ein
Jeder findet darin, was zu des Menschen Heil genüget, drum sucht er oft
in weiter Ferne ein gottgeweihtes Haus. In der Mitte des dichtesten
Gehölzes steht solches da, und dieses ist der Ort, wo man des Sonntags
sich begrüßt, nicht aber wie bei uns durch Tanz und freudige Gelage.
Nicht Sturm und Wetter werden gescheut, und ringsum Meilenweit kömmt
Jung und Alt, des Predigers Worte zu hören.

Von der Gegend war an diesem Tage nicht viel zu sehen, da der Kanal
zwischen holzbewachsenen Bergen durchführt, wo nur dann und wann ein
Blockhaus zum Vorschein kommt, welches dem Aeußern nach, nur ärmlichen
Bewohnern zum Aufenthalte dient.

Am 20. kamen wir bei der Bergstadt ~Acrem~ an, wo sämmtliche
Passagiere das Boot verließen, um theils im Orte die nöthigen Einkäufe
zu besorgen, theils den Schleusenbau besser zu besehen, durch welchen
die Boote mittels 17maliger Steigung 160-170 Fuß hoch auf den Berg
gehoben und jenseits nach und nach bis zur frühern Tiefe hinabgelassen
werden.

Meine Aufmerksamkeit nahm besonders das in der Nähe befindliche
Eisenstein-Bergwerk, mit Anwendung von Dampfmaschinen, in Anspruch.

Eine englische, vornehmthuende Familie von unserm Boote, welche in der
Kajüte sich plaçirt hatte, war mir gefolgt, und in dem Wahne, eine des
Weges kundige Person in mir zu sehen, da ich nicht zurückging nach dem
Stege, auf welchem wir das Wasser passirt waren, sondern in gerader
Richtung vorwärts dem Boote nachzukommen suchte, verfolgte sie auch
hier meine Fersen. Der Bach gestattete an einer seichten Stelle das
Durchwaden, so daß nur die Stiefeln etwas naß wurden.

Der Graf, und selbst sein kleiner Sohn entschlossen sich, gleich mir,
das Wasser zu durchgehen, doch die arme Lady blieb zurück, da nach
dem Stege, worüber wir gekommen, zurückzugehen, der Weg zu weit war,
um zeitig noch das Fahrzeug zu erreichen. Da der Mann zu schwach war,
um selbst das Lastthier abzugeben, die liebe Frau hindurchzutragen,
so entschloß ich mich, theils aus Mitleid, theils um zu zeigen, daß
der Deutsche, wenn er will, auch galant seyn kann, den Träger einer
angenehmen Last hier zu machen. Schon war ich glücklich durch den
Bach, und nur der Erdwall noch zu ersteigen, um auf festem Boden
erst der Last mich zu entledigen, und muthig hatte ich schon die
Hälfte des Weges erstiegen, als, o höllisches Geschick! die Füße mir
auf dem nassen Boden entglitten und, wer kann vor Unglück! da lag
unter mir die stolze Britin im Moraste. Der lose Mann, gleich Vielen
seines Gleichen, freute sich des Unfalls seiner Frau, und gab durch
Händeklatschen seinen Beifall zu erkennen. Das Söhnchen weinte und die
beschmutzte Frau suchte möglichst ihren Unmuth zu verbergen. Als aber
beim Aufstehen die Schuhe den ferneren Dienst versagten und in Schmuz
zurückbleiben wollten, da konnte sich die Weibernatur nicht länger
verleugnen und, Gott sey’s gedankt! in englischer Sprache nur, da sie
kein deutsch verstand, erhielt ich meinen Lohn, obgleich nicht ich,
sondern der nasse Boden nur die Schuld alles Unglücks trug.

In der Nacht auf den 21. passieren wir die Stadt ~Massilon~, und
desselben Tages den kleinen Ort ~Bethlehem~, welcher, der Angabe
nach, das beste Trinkwasser haben soll.

Die schöne Witterung an diesem Tage veranlaßte uns, das Boot zu
verlassen, welches im letzten Orte auf die nöthigen Zugpferde warten
mußte, und wir verfolgten den Pfad, welcher fort und fort durch
Felsenschluchten in verschiedenen Krümmungen sich windet. Die Berge,
mit Tannen bewachsen, waren nur wenig gelichtet, eben so verriethen nur
wenig angebaute Stellen die Nähe von Menschen.

Gegen Abend, bei dem Orte ~Bolivar~, wurde mir eine besondere
Freude zu Theil, da uns ein Reisender begegnete, welcher, bei
Nennung meines Namens, mir freudig die Hand drückte und die Zeit
ins Gedächtniß rief, in der er in Weimar bei mir als Kupferschmidt
gearbeitet, und dort glückliche Tage verlebt habe. Auch er, vom
Schwindel der Auswanderung ergriffen, unternahm die Reise, landete in
~New-Orleans~, erhielt aber, aus Mangel der Sprachkenntnisse in
seinem Geschäfte keine Arbeit und suchte deshalb mit Holzfällen sich
so viel zu verdienen, um nach den nördlichen Staaten reisen zu können,
wobei er vorzüglich auf die Gastfreundschaft der Farmer rechnete.
Das Glück begünstigte sein Unternehmen, da er auf einem Dampfboote,
welches den ~Missisippi~ und ~Ohio~ befährt, eine Stelle als
Feuermann erhielt und so nach ~Cincinnati~ gelangte, von wo aus er
die Weiterreise zu Fuß unternahm.

Die Nacht zum 22. wurde abermals, wegen Mangel an Pferden, gehalten.
Den 22. war es empfindlich kalt. Die Gegend war bergig und mit vielem
Holz bestanden, welches theilweise umgehauen, zum Faulen die Erde
bedeckte, oder niedergebrannt war, weshalb die Gegend nahe am Kanal
noch wenig urbar und eben so wenig von Menschen bewohnt ist. --
Mittags erreichten wir ~Newankom-Stadt~, wo sich ein mir ewig
denkwürdig bleibender höchst trauriger Fall ereignete. Das Boot fuhr
unter einer Brücke durch, als ein junger hoffnungsvoller Mensch, auf
einem Stuhle auf dem Verdeck sitzend, den späten Ruf des Steuermanns
nicht beachtete, welcher durch das Wort: „~Bridge!~“ (Brücke) den
Durchgang unter derselben anzeigte. Ersterer, mit dem Rücken der Brücke
zugekehrt, bemerkte die Annäherung derselben und die Gefahr nicht.
Der Raum des Durchgangs war nur gering und man konnte nur mit dem
Körper flach auf dem Verdeck des Bootes liegend, unter einer solchen
gewöhnlichen Brücke wegfahren, ohne sich zu beschädigen. Während des
Falles vom Stuhl kam der Kopf des Unglücklichen mit dem Stuhle in
Berührung, und in demselben Augenblicke war der Beklagenswerthe eine
Leiche, da ihm Kopf und Brust zerquetscht waren.

In der Nacht vom 23/24. gab es viel Schnee, welcher aber bis Mittag
des 24. von den warmen Sonnenstrahlen eines der schönsten Herbsttage
wieder geschmolzen wurde. Der Kanal führte am 23. ebenfalls durch die
mit Mühe und großem Geldaufwand gesprengten Felsenklüfte, welche mit
Eichen und Tannen bewachsen sind. Hier in dieser Gegend traf ich eine
höchst romantisch gelegene Farmer-Wohnung, von welcher die stattlichen
Gebäude den begüterten Besitzer verriethen, und es war das erste Mal
auf dieser Reise, daß ich einen solchen um sein Loos beneidete.

Nachmittag wurde bei der Stadt ~Newark~ Halt gemacht, wo die
Passagiere sich mit dem Nöthigsten versahen, und ich in gleicher
Absicht das Boot verließ, um Brod einzukaufen, wobei ich mir eine
leichte Erkältung zuzog, welche mich später nöthigte, das Fahrzeug
zu verlassen, um ein Bedürfniß zu verrichten. Eben im Begriff vom
Boot ans Land zu springen, stieß der Schurke von Steuermann, mein
Vorhaben bemerkend, das Boot vom Lande ab, wodurch die Kluft des
Wassers sich erweiterte, und ich bei zu kurzem Sprung bis an den
Unterleib in dasselbe fiel. Alle Personen auf dem Verdeck brachen
in ein Gelächter aus, nicht ahnend, welche traurige Folgen dieser
Vorfall für mich haben sollte, da die nassen Kleider nicht sofort mit
trockenen vertauscht werden konnten, und eine passende Stelle das
Fahrzeug wieder zu besteigen, erst nach Verlauf einer halben Stunde
sich darbot. Mein altes Uebel stellte sich ein, und die Schmerzen der
Kolik wurden, um größeres Unglück zu vermeiden, durch das möglichste
Zusammenschnallen der Leib-Bandage noch vermehrt. Ohne Hülfe, nichts
was mir Linderung gewährte, lag ich besinnungslos oder raste wie
unsinnig, mich selbst nicht mehr kennend. Erst spät am Abend erreichten
wir ~Schelekatie~, wo ein herbeigerufener Arzt Magenpflaster und
Fußumschläge verordnete, auch zum innerlichen Gebrauche mir Quecksilber
eingab. Was übrigens Alles diese Nacht mit mir vorgenommen wurde, wußte
ich nicht, da meine Lebensgeister zu sehr abgespannt waren. Erst am
Morgen, als das Magenpflaster erneuert werden sollte, wurde ich gewahr,
daß man mir die, der Sicherheit wegen um den Leib getragene Baarschaft
entwendet hatte, und solche, aller Nachforschung ohngeachtet, nicht
wieder erlangt werden konnte, schon deshalb nicht, weil der Kapitän,
welcher mich entkleidet hatte, den Diebstahl selbst vollbracht haben
mußte. -- Was nun anfangen, da mir nur zwei Dollars in Papier, welche
in der Brieftafel und in der Seitentasche des Rockes, schlecht
verwahrt, geblieben waren? -- Das Ziel der Reise war nicht mehr fern,
und ließen auch die großen Schmerzen mich wenig an die Zukunft denken,
so glaubte mein stets reger Geist doch wieder Mittel zum Erwerb
auffinden zu können.

In der Nacht zum 26. hatte es stark gefroren, so daß es nur vier
Pferden möglich wurde, das Boot durch das mit einer Eisdecke belegte
Wasser fortzuziehen; bei zunehmender Kälte in der folgenden Nacht
fror das Fahrzeug förmlich ein und wir saßen, noch 14 Meilen von
~Portsmouth~ entfernt, förmlich fest.

Die Passagiere sahen sich am Morgen des 27. genöthigt, auf Bauernwagen
oder ~per pedes~ diesen Ort zu erreichen; ich selbst war durch
den an mir verübten Raub gezwungen, mich der Zahl der Fußgänger
anzuschließen, nachdem ich wegen Mangel des Fahrgeldes, mein gutes
Gewehr dem Schurken von Kapitän überlassen mußte. --

~Portsmouth~, die vornehmste Stadt des ~Scioto~-Landes,
am ~Ohio~-Ufer, besitzt eine Bank, einen Gerichtshof und die
gewöhnliche Zahl öffentlicher Gebäude mit ungefähr 1000 Einwohnern. --

Am 28. Mittags ging auf dem ~Ohio-River~ (Fluß) ein Dampfschiff
nach dem 114 Meilen entfernt gelegenen ~Cincinnati~ ab, und
meine Kasse reichte eben noch zu, das Fahrgeld dahin zu bestreiten,
da der Platz im Deck nur einen Dollar betrug. -- Die Passagiere im
Zwischendeck bildeten auch hier wie auf den Seeschiffen ein Gegenstück
zu den Kajüten-Passagieren. Nirgends Ordnung, Jeder treibt nach
Wohlgefallen, wie es ihm gutdünkt, und nur den Frauenzimmern wird der
Vorrang gelassen. Die Bequemlichkeiten, welche den Kajüten-Passagieren
zu Gute kommen, fehlten hier ganz, selbst die vorhandenen Schlafstellen
reichten nicht aus für die vielen Reisenden, und deshalb lag Mann an
Mann auf dem Fußboden rings um den rothglühenden Ofen, welcher in der
Mitte des Raumes angebracht, seine Wärme, da die Nacht sehr kalt war,
wohlthuend mittheilte. Mir selbst kam jedoch dieser Genuß nicht lange
zu Gute, da ich nur auf einen Augenblick mein Lager verlassen, es von
einem Anderen sogleich eingenommen sah und mir daher nichts übrig
blieb, als im Mantel gehüllt, entfernt vom Feuer, die Nacht auf einem
Baumwollen-Ballen zuzubringen. Das kalte Fieber stellte sich wieder
ein, und von Allem entblößt, ging die dunkle Zukunft in traurigen
Bildern an mir vorüber.

Nachdem das Dampfboot an mehren kleinen Ortschaften vorbeigefahren,
hielt es bei ~Maysville~ am ~Kentucky-~Ufer an, wo Passagiere
und Waaren ausgesetzt, und andere eingenommen wurden. Diese Stadt
auf einem engen Grund und Boden in der Mitte grauer Hügel, welche
sich gerade hinter ihr und dem ~Ohio~ erheben, erbaut, hat drei
Straßen, welche parallel mit dem Flusse laufen und von vier andern im
rechten Winkel durchschnitten werden; sie zählt über 2000 Einwohner
und ist das Magazin der Güter und Waaren, welche bestimmt sind, den
östlichen Theil des ~Kentucky~-Staates zu versehen.

Bis ~Cincinnati~ wurde von hieraus die Fahrt ununterbrochen
fortgesetzt, wo wir an manchem aber unbedeutenden Orte vorbeifuhren,
und den 28. Mittags erstere Stadt erreichten.



Zwanzigster Brief.

Aufenthalt in ~Cincinnati~.

    Im Dezember 1839.


Ans Land gestiegen, folgte ich mechanisch mit meinen wenigen
Habseligkeiten (da die übrigen Sachen in New-York zurückgeblieben),
einem unserer Landsleute, dessen Bekanntschaft ich auf dem Dampfschiffe
gemacht hatte, nach einem deutschen Kosthause, dessen Besitzer als
äußerst human geschildert wurde.

Das Mittagessen war eben aufgetragen und nicht wissend, von was ich
solches bezahlen sollte, nöthigten mich doch Appetit und Hunger,
daran Theil zu nehmen. Das Tischgespräch an der reichlich mit Gästen
besetzten Tafel bestand in Klagen über schlechte Zeiten, da Viele
hier eine bessere Existenz zu finden gehofft, aber getäuscht, sich
und Andere durch übermäßigen Andrang der Arbeitsuchenden, ins Elend
stürzten. Mir erstarb bei dieser Kunde der Bissen im Munde, und als ich
selbst bei meiner Wanderung durch die Straßen überall nur arbeitslose
Menschen stehen sah und von Letztern die Bestätigung erhielt, daß
Tausende in Noth und Elend einer ungewiß bessern Zukunft entgegen
sähen, da bangte mir selbst vor meiner eigenen Existenz und ermattet,
körperlich und geistig, suchte ich am Abend bald die mir nöthige Ruhe.

Doch so sehr auch der geschwächte Körper des Schlafes bedurfte, so
war dennoch der Geist zu sehr aufgeregt, als daß ich dazu hätte
gelangen können. Mein ganzer Lebenslauf ging an meiner Seele vorüber,
nie war ich so arm, nie fühlte ich mich so verlassen als jetzt. Ohne
Familie, ohne Freunde und Bekannte unter einer lieblosen Nation, deren
Wahlspruch ist: „Hilf Dir selbst!“ welche den Deutschen mit der größten
Verachtung behandelt, was hatte ich da, vom Geld entblößt, von der
Zukunft zu erwarten? Ein Trost nur blieb mir übrig, die Zuflucht zu
Dem zu nehmen, welcher Mittel und Wege kennt, wenn des Menschen eigene
Macht nicht mehr ausreichend ist, und zu keiner andern Zeit habe ich
die Gottheit inbrünstiger um Beistand angerufen als in dieser, bis ich
unter Thränen und dem Gebet des schönen Verses: „Befiehl du Deine Wege,
und was Dein Herze kränkt“ u. s. w., entschlummerte.

Am Morgen entdeckte ich dem Wirth die wahren Verhältnisse meiner Lage
und bat ihn um Rath was zu thun oder zu lassen sey. Dieser sah mir wohl
an, daß ich zu schwerer Arbeit noch zu sehr entkräftet, was ich mir
selbst nicht zugestehen wollte und empfahl mich daher, bei Mangel an
leichter Arbeit, der deutschen Gesellschaft mit der Bitte, Etwas für
mich zu thun.

Herr Schweizerhoff, Präsident der Gesellschaft, ersah aus meinen ihm
vorgelegten Attesten, daß er nicht einen gewöhnlichen Bettler vor sich
habe, und bedauerte sehr, daß er nicht mit Vollmacht versehen sey,
mir aus der Gesellschaftskasse Etwas verabreichen zu können, da den
Statuten gemäß nur die Mitglieder der Gesellschaft sich gegenseitige
Unterstützung zugesagt hätten; mit mir aber eine Ausnahme zu machen,
würde leicht Veranlassung zu anderweiten Anforderungen geben. „Doch“
fuhr er fort, „giebt es hier Viele reiche und dabei brave Männer, von
denen Sie gewiß Keiner ohne Gabe entlassen wird und deshalb werde ich
Ihnen einige Namen derselben aufschreiben“, worauf er selbst Etwas in
ein Papier wickelte und mich in Gnaden entließ.

Also bis zum Bettler herabgesunken! „O Philosophie, verlaß mich nicht
und erhalte mir den Verstand!“ war mein erster Gedanke, als ich den
Bettelbrief entfaltete, welcher ½ Dollar enthielt. -- Apotheker Refuß
war der erste Name auf der Liste. Was sollte ich thun? Doch, wie der zu
Ertrinkende im Wahne, sich zu retten, nach einem Strohhalm greift, eben
so blieb mir keine Wahl und langsam ging ich der Apotheke zu.

„Der Herr ist nicht zu Haus“, versetzte auf deutsch der Provisor, als
ich nach dem Prinzipal frug, „doch kann ich vielleicht selbst Ihnen die
gewünschte Auskunft ertheilen!“

„„Ist auch dieses nicht der Fall, so trägt schon Ihre Theilnahme an
meinem Geschick zu dessen Linderung bei. Doch, als Beweis, wen Sie vor
sich haben, lesen Sie zuvor das Attest meiner Behörde.““

„Aus Weimar sind Sie?“

„„Ja!““ entgegnete ich.

„So haben Sie hier einen Landsmann, den Apotheker Aacke!“

„„Sie irren, Freund! denn dieser ist in ~Cleveland~, etablirt,
wohin ich vom Vater Briefe mit über See gebracht.““

„Er war es!“ fuhr Jener fort, „doch sein Kompagnon hat das Farmer-Leben
vorgezogen, wozu ihn dessen Frau bestimmte, und Acke, selbst nicht
vermögend das Geschäft auf eigene Rechnung fortzusetzen, hat sein
Etablissement wieder aufgeben müssen und konditionirt jetzt in der
Apotheke bei Colb.“

Freudige Nachricht! Vorbote einer noch größern. Unverzüglich wurde
jetzt Freund Acke aufgesucht; doch er erkannte mich nicht, so hatten
Gram, Sorgen und Krankheit der letztern Tage mich entstellt.

Nach herzlicher Begrüßung, worauf dieser Brave meine Verhältnisse
erfuhr, bat er mich vor Allem, Niemandem mehr meine Lage zu vertrauen,
indem er für alle Bedürfnisse sorgen würde.

„Waren Sie schon bei Tanneberg’s?“[41] frug er im Laufe des weitern
Gesprächs.

„„Tanneberg hier, so weit im Lande, den ich nirgends anders als in
~Baltimore~ geglaubt?““

„Ja! und wie es scheint, zu Ihrer Pflege vorausgeschickt.“

Jetzt erst erkannte ich Gottes weise Fügung. So und nicht anders mußte
Alles kommen, um mich prüfend zu erniedrigen, und mir dadurch Aacken
und Tanneberg’s zuzuführen, die ich vielleicht auf anderm Wege nicht
getroffen, wenn ich nicht, wegen Mangel an Geld, zu dem Mitgetheilten
die Zuflucht hätte nehmen müssen.

Freudiges Wiedersehen! Zu keiner passendern Zeit hätte ich wohl
Tanneberg’s in Amerika auffinden können, als hier in ~Cincinnati~.
Die brave Frau suchte durch Wartung und Pflege, da ich sogleich ihre
Wohnung beziehen mußte, meinen Zustand möglichst zu erleichtern und
versetzte mich durch Speise und Trank in die geliebte Heimath, wodurch
sich leichter vergessen ließ, so weit von den Meinen entfernt zu seyn,
deren geliebtes Andenken bei in Schranken gehaltenem Geist, dem Herzen
um so schmerzlicher wurde.

Auch dieser Familie hatte in Amerika das Glück nicht gelächelt, von
welchem sie in der alten Heimath geträumt. -- In ~Baltimore~
gelandet, fand der Mann bei einem reichen Tischler und Möbelhändler
als Lackirer einen solchen Verdienst, der zwar bei angestrengter
Arbeit den Lebensunterhalt sicherte, nicht aber die Möglichkeit
gab, die Reisekosten wieder zu erübrigen. Letzteres bestimmte ihn,
dieses Geschäft wieder aufzugeben, um mit einem Zimmermaler ein
Kompagniegeschäft zu arrangiren, welches besser rentiren sollte.
Doch das Letztere war nicht der Fall und da Ersterer einen Ruf nach
~Cincinnati~, um daselbst eine Kirche zu malen, ausschlug, so nahm
Tanneberg für ihn den Auftrag an und machte mit Frau und Kind die weite
Landreise, in dem Glauben, selbstständig das bis hieher Zugesetzte bald
wieder verdienen zu können.

Die angefertigten Skizzen und Zeichnungen über Styl und Ausführung der
Kirchen-Malerei wurden von dem Gemeinde-Vorstand anerkannt, ebenso
die verlangte Summe für Ausführung der Arbeit genehmigt, als aber die
Kirche noch für das nöthige Gerüste zum Malen stehen sollte, zerschlug
sich der Handel, die Arbeit unterblieb und der betrogene Maler wurde
wieder in die kritische Lage versetzt.

An einem fremden Ort, ohne alle Bekanntschaft und Fürsprache, mußte er
allein, da die Frau selbst immer kränklich war, sich und seine Familie
drei Monate lang durch allerhand saure Arbeiten durchzuhelfen suchen,
wobei die letzten mit über See gebrachten Louisd’or’s noch vollends
zugesetzt wurden. Doch in diesem Lande gilt als erste Regel: nur nicht
den Muth verloren! Denn auch sein Geschick sollte sich von Neuem wenden.

Ein reicher Kleiderhändler, das Mode-Journal der Stadt, welcher sich
zur Aufgabe gemacht, Alles in ~Cincinnati~ noch nicht Vorhandene
zuerst zu besitzen, hörte von dem Zimmermaler und übertrug ihm die
Arbeit in seinem Laden auszuführen. Eben noch damit beschäftigt, kam
ich zu ihm und mit wahrer Freude hörte ich oft, wenn er die Kunde mit
nach Hause brachte, daß seine Leistungen Anklang fänden und er deshalb
einer bessern Zukunft entgegen sehen könne[42].

Der gehabte Verlust machte meinen Plan, als Volontär auf einer der
größern Farmen hiesiger Gegend die Welschkorn-Brennerei zu erlernen,
unmöglich und die zerrüttete Gesundheit, welche sich nicht wieder
regeln wollte, um Lohn zu dienen, zur Zeit unausführbar. Ich nahm daher
den Vorschlag meines Freundes Aacke mit Freuden an, um mit ihm, auf
vorgestreckte Kosten, die westlicher gelegenen Staaten zu bereisen
und bis ~New-Orleans~, wohin er berufen, die Reise fortzusetzen,
welche nach Verlauf von 14 Tagen anzutreten sey, bis wohin sein
Nachfolger eingetroffen seyn werde.

Schon in meinem frühern Plane lag das Projekt, diese Tour zu machen
und da vorzüglich die Jahreszeit die Ausführung begünstigte, ich
mich auch bis zur Ankunft in dem von hier noch 540 Stunden entfernt
liegenden ~New-Orleans~ wohler zu befinden glaubte, um dort, wo
alle Arbeit doppelt bezahlt werden sollte, mir den Bedarf zur Rückreise
zu verdienen, so sagte ich zu und füllte die noch bis zum Abgang übrige
Zeit mit Sehen, Hören und Aufnotiren alles mir Merkwürdigen dieser
Stadt aus.



Einundzwanzigster Brief.

    Im Dezember 1839.

Fortsetzung.


~Cincinnati~, nach Orleans die größte Stadt des Westens, wurde
im Jahre 1790 gegründet und zählt jetzt schon über 37,000 Einwohner.
Sie liegt auf dem rechten Ufer des ~Ohio~, der Mündung des
~Licking~-Flußes gegenüber, auf einer weiten Ebene, welche von
Wald bedeckten Hügeln umgeben ist. Von der Höhe dieser Hügel aus kann
man die Stadt mit allen ihren Straßen, Gärten, Gebäuden, so wie den
mit Dampfbooten bedeckten ~Ohio~, die Städte ~Newport~ und
~Cavington~ auf dem ~Kentucky~-Ufer und das Leben und Treiben
der geschäftigen Menge deutlich übersehen. Das Auge nimmt das große
Amphitheater auf einmal ein und nirgends wird man wohl eine schönere
Aussicht, einem Panorama gleich, aufzufinden Gelegenheit haben.

Die Stadt selbst liegt 70 Fuß höher als der Fluß und ist so vor dem
Strom geschützt, der oft durch Regenwasser und schmelzenden Schnee bis
zu einer beträchtlichen Höhe anschwillt. Das ziemlich steile Ufer, an
welchem die Dampfboote anliegen, ist mit vielem Aufwande in einer der
schönsten Landungsplätze umgeschaffen worden, indem derselbe vom Wasser
an bis zu seiner Höhe in einer Länge von mehr als 1000 Fuß, ganz mit
Steinen gepflastert und an verschiedenen Stellen mit eisernen Ringen
versehen ist, an welche die Dampfschiffe befestigt werden können.

Die mit dem ~Ohio~ parallel laufenden Straßen, wie alle anderen,
welche jene in rechten Winkeln durchschneiden, sind fast alle breit,
gerade, gut gepflastert und mit Trottoirs versehen; sie führen theils
besondere Namen, oder sind nach der Zahl der Nummer benannt. In allen
Straßen herrscht die größte Reinlichkeit, da sie in Folge ihrer
sanften Steigung vom Regenwasser abgespült werden. -- Quellwasser
fehlt, dagegen wird die Stadt reichlich mit Wasser aus dem ~Ohio~
versorgt, welches durch Dampfkraft in alle Straßen und viele Gebäude
geleitet wird, und wofür die Einwohner jährlich eine Abgabe zu
entrichten haben.

Unglaublich schnell blüht ~Cincinnati~ auf und Bevölkerung,
Wohlstand und Verbesserungen aller Art nehmen täglich zu.
Ihr Handelsgeist zeigt große Thätigkeit, Unternehmung und
Spekulation. Dampfboote kommen und gehen täglich mehre ab und der
~Miami~-Kanal, welcher von Norden her in die Stadt tritt,
unterhält einen ausgedehnten Handel in das Innere. Täglich ist Markt
und es scheint die Meinung aller Fremden zu seyn, daß hinsichtlich des
Ueberflusses, der Billigkeit und Vortrefflichkeit der verschiedenen
vorhandenen Gegenstände kein Markt der andern Staaten mit dem von
~Cincinnati~ zu vergleichen sey. Die Menge der ~Stores~
(Kaufläden) und ihre Vorräthe, wie der Betrag verwendeter Kapitalien,
vermehrt sich immer mehr und eine der größten Niederlagen der
westlichen Staaten scheint sich hier zu gründen. Nächstdem geben die
vielen Manufakturen der Stadt ihren Reichthum, wie überhaupt alle
Handwerke ausgedehnt und großartig betrieben werden.

Unter einigen vierzig Fabriken, wo fast bei Jeder Dampfkraft verwendet
wird, fiel mir besonders eine Nagelschmiede-Manufaktur auf, wo in einer
Hitze ein 5-6 Zoll in Quadrat starkes und 1 Fuß langes Stück Eisen
mittelst Walzwerk zum schwächsten Bandeisen ausgestreckt und dieses
dann sogleich wieder kalt auf Nagelmaschinen in der Geschwindigkeit
des Pulsschlages in vollkommene Nägel verwandelt wird. -- Eine
Dampf-Säge-Mühle, deren vier Sägen, jede 80 Schnitte in der Minute
machen und 800 Fuß Bret in einer Stunde liefern. -- Dampf-Mahl-Mühlen,
deren 4 Paar Steine wöchentlich 200,000 bis 250,000 Pfund Frucht in das
feinste Mehl verwandeln. Eine Schuhleisten-Maschine, durch deren Hülfe
die Leisten aus grob zugehauenen Stücken Holz nach beliebiger Façon und
in der größten Schnelligkeit angefertigt werden.

An Banken fehlt es hier wie in allen großen amerikanischen Städten
nicht, da es ohne solche schlecht aussehen würde, weil der
Geschäftsgang weit größer ist, als daß die dazu im Umlaufe befindlichen
baaren Geldsummen ausreichen könnten. Das Papiergeld ist demnach zum
Betriebe und Aufblühen des Handels nöthig und befördert auf diese Weise
den allgemeinen Wohlstand. Zu bedauern ist es aber, daß dergleichen
Anstalten zu wenig Garantie bieten und durch oft vorkommende Bankbrüche
Tausende um das Ihrige betrogen werden.

Mit den süßesten Vorspiegelungen wird der fleißige und sparsame
Arbeiter veranlaßt, sein sauer erworbenes Gut hier niederzulegen
und Viele lassen sich von Prospekten, wie nachstehend einer folgt,
hintergehen und betrügen.

       *       *       *       *       *


~Cincinnati’s~ Wechsel- und Sparbank.

Die Unternehmer dieser Anstalt erachten es für nothwendig, dem Publikum
folgende Punkte zur Erwägung und Uebersicht vorzulegen:

1) Die Banknoten einer jeden zahlungsfähigen Bank in den Vereinigten
Staaten werden für vollgiltig angenommen, im Falle dieselben der
Wechsel- und Sparbank zur Aufbewahrung übergeben worden; zu der durch
gegenseitige Uebereinkunft festgesetzten Zeit wird die hinterlegte
Summe in Gold, Silber oder gangbaren Noten zurückerstattet.

2) Jede Summe Geldes, welche man in der genannten Wechsel- und Sparbank
hinterlegt, wird auf Verlangen, nebst fünf Prozent Interessen zu jeder
beliebigen Zeit zurückbezahlt.

3) Arbeitsame Handwerker, so wie jeder andere Arbeiter, welche
ihr Vermögen oder einen Theil desselben der Wechsel- und Sparbank
anvertrauen wollen, sind dadurch versichert, daß ihnen genannte
Wechsel- und Sparbank in jedem Unternehmen unterstützen wird, wenn sie
solches ohne eigene Gefahr und Schaden thun kann.

4) Einwanderer, welche von Deutschland oder jeder andern Gegend
Europa’s Geld zu beziehen oder dahin zu versenden haben, können ein
solches Geschäft mit vollkommener Zuversicht der Wechsel- und Sparbank
anvertrauen, indem dieselbe stets bereit und im Stande ist, dasselbe
mit größter Sicherheit und Rechtlichkeit gegen möglichst billige
Vergütung zu besorgen.

5) Für eine Summe Geldes, welche auf bestimmte Zeit in der Wechsel- und
Sparbank hinterlegt wird, werden höhere Zinsen bezahlt.

6) Für ausländische Geldsorten ohne Unterschied wird der höchst
mögliche Werth bezahlt. Wechsel- oder Schuldscheine, welche in den
östlichen Seestädten oder in Europa zahlbar sind, werden unter billigen
Bedingungen eingelöst.

~NB.~ Das Publikum wird aus vorstehenden Artikeln zur Genüge
ersehen, daß es die hauptsächlichste Absicht der Wechsel- und Sparbank
ist, fleißigen und ordentlichen Handwerkern und Geschäftsleuten, deren
Mittel nicht hinreichend sind mit den andern Banken ~Cincinnatis~
in Geschäfts-Verbindung zu treten, die möglichste Erleichterung zu
verschaffen etc.

       *       *       *       *       *

Wer möchte wohl unter solchen Versprechungen nicht eine Gelegenheit
benutzen, um das Erworbene, im Glauben am sichersten niederzulegen und
dabei noch den Vortheil der Vermehrung des Kapitals durch sich selbst,
in Aussicht zu haben, das Seinige anvertrauen wollen? Und dennoch ist
dieses gerade der Weg, auf welchem Leuten Vertrauen geschenkt wird,
die sich kein Gewissen daraus machen, ihren heiligen Versicherungen
entgegen, anvertraute Gelder zu unterschlagen, wie solches häufig in
Amerika vorkömmt, und deshalb erst kürzlich in ~Cincinnati~ vom
betrogenen Volke drei Banken erstürmt und demolirt worden sind.

Auch hier wetteifern alle christlichen Kirchenpartheien in
gottesdienstlicher Frömmigkeit, und die Bethäuser sind des Sonntags
drei Mal überfüllt. -- Ich selbst fühlte mich, seit ich amerikanischen
Boden betreten, theils durch glücklich überstandene Gefahren zur
Dankbarkeit verpflichtet, als auch durch allgemeine Frömmigkeit
bestimmt, mehr nach Gottgeweihter Stätte gezogen, als es sonst
der Fall war. Da mich aber nicht sowohl der Vortrag des Predigers
selbst, welcher nicht immer mit meinen religiösen Ueberzeugungen
übereinstimmend ist, zum Kirchengehen bestimmt, sondern mehr, um im
stillen Gebet und erhabenen Lobgesang in der dazu eingerichteten
Stätte die Herzensempfindungen dem Höchsten vorzutragen, so ist mir
jede Konfession gleich und ihr Tempel, als auch für mich geheiligt,
anzusehen. Demnach habe ich schon mehre Religionssekten in ihren
kirchlichen Gebräuchen zu beobachten Gelegenheit gehabt und solche mehr
oder weniger vernünftig gefunden. Hier in dem Methodisten-Tempel aber
geht mir wirklich der Glaube an vernünftige Menschheit ab. -- Unsinn
über Unsinn! Fände man sich nicht angezogen, der Sache die lächerliche
Seite abzugewinnen, so könnte man sich versucht fühlen, diese Armen,
Verirrten, selbst in’s Gebet zu nehmen.

Der Kanzel zur Rechten sitzt der männliche, zur Linken der weibliche
Theil der Gemeinde. Die Emporkirchen sind mehr mit Neugierigen als
andächtig Gestimmten besetzt. Die Melodien der Lieder sind über einen
Leisten komponirt, und gleichen dem Handwerksburschenliede: „Prinz
Eugen, du edler Ritter“ etc., wie ein Ei dem andern. Während also die
christliche Gemeinde das Kirchenlied sang, fielen meine Nachbarn,
deutsche Handwerker mit: Prinz Eugen du edler Ritter etc. ein, was
vollkommen übereinstimmte. Nach dem verlesenen Psalmen tritt derjenige
der Gläubigen, welcher sich vom Geiste dazu inspirirt fühlt, in
seinem Sitz in die Höhe, oder legt sich vor die Bank knieend mit dem
Kopfe auf Erstere, und spricht aus dem Stegreif Anfangs leise, dann
immer stärker, bis er ganz aus dem Athem kömmt, und besinnungslos
im besten Fluß der Rede stecken bleibt, und ein Anderer die ihm vom
Geiste eingegebenen Gedanken auf ähnliche Weise vorträgt. -- Ihr
Hauptprediger war zu der Zeit krank, wie die für ihn gehaltenen Gebete
kund gaben, und ein herumreisender Pensylvanier hatte am heutigen
Sonntage den Kanzelvortrag übernommen, wovon ich den Anfang aufnotirt,
und als Probe des Unsinnes hier mittheile.

„Lieben Freunde und Brüder! Die Zeit der Besserung ist da, denn
Gott, des langen Wartens überdrüßig, schlägt nun mit dem Donnerkeil
drein, wenn Ihr nicht umkehrt aus dem Luderleben. Ich sage es Euch
nochmals, bessert Euch, da es noch Zeit ist. Der Herr Jesus Christ
hat es mir selbst gesagt, weil ich bei ihm war, daß er Euch verirrte
Schafe aufnehmen wolle, welche sogleich umkehren, da es noch Zeit ist.
Schwestern und Brüder zu bekehren, bin ich weit und breit herumgereist,
ja zehn Meilen in der Runde!“ Hier fiel eine Stimme von der Emporkirche
ein: „Das ist was Rechts!“ worauf der Prediger fortfuhr: „Wer Du
auch seyst! Du bist ein Flegel! ein ......“ hier fehlten vermuthlich
die deutschen Worte, und dann wurde in englischer Sprache, welche er
geläufiger redete, dem unberufenen Sprecher gehörig der Text gelesen.
Mich selbst langweilte die ganze Geschichte, deshalb verließ ich noch
vor geendigtem Gottesdienste das entweihete Haus.

Am nächsten Sonntage wurde ich veranlaßt, eine Kirche zu besuchen, wo
ebenfalls kein Theolog als Kanzelredner auftrat, sondern diesen Posten
ein gelernter Schlosser bekleidete, welcher unter dem Namen: „der
Schlosser-Prediger“ den Deutschen hier bekannt ist. Dieser, im Besitz
einer Rednergabe, und dabei von der Ansicht beseelt, daß es jedem
Menschen Pflicht sey, zum Seelenheil Anderer beizutragen, fühlte sich
ebenfalls berufen, Hammer und Ambos mit der Kanzel zu vertauschen, so
wie Trauung, Tauf- und Leichenreden zu halten, je nachdem es die um ihn
gebildete Gemeinde wünschte.

Bei stattfindender Religionsfreiheit hat Niemand gegen solche
Handlungsweise Etwas einzuwenden. Die Gesetzgebung läßt hierin
freien Spielraum, da sie sich für inkompetent hält, in religiösen
Ueberzeugungen über das innere Verhältniß des Menschen zur Gottheit
zu entscheiden. Sie gestattet vielmehr hierin jede Form in
gemeinschaftlicher Gottesverehrung, wie verschieden und mannigfaltig
solche auch immer seyn mag, und hält sich nur verpflichtet, ihre Wahl
zu schützen.

Die Kirche war ebenfalls überfüllt, die ganze Zeremonie geregelt, und
der Kanzelvortrag so gut, als er sich nur immer von einem unstudirten
Professionisten erwarten ließ. --

Am 10. Dezember mußte ich von Neuem Tannebergs verlassen, da das
Dampfschiff (Amazone, Kapitän Lauterbach) mit welchem mein Freund Aacke
akkordirt, abgehen sollte. Schwer war der Abschied, da er für das Leben
war. Viele Grüße befahl die kleine Auguste (ein Kind von 4½ Jahren)
an die Großmutter und ihre alten Gespielen, meine Kinder, ebenso
Tanneberg, an Alle, die sich Seiner in der geliebten Heimath noch
erinnerten und fügte den Wunsch bei, daß Keiner seiner Bekannten dem
Urtheil eines Windbeutels Glauben schenken möchte, welcher Amerika als
das Land, in welchem Milch und Honig fließe, anpreißt. Er selbst habe
deshalb noch nicht geschrieben, um nicht Anlaß zu einem Vorhaben zu
geben, welches nur Wenigen Glück, Vielen aber Noth und Elend bereite. --



Zweiundzwanzigster Brief.

Reise nach ~New-Orleans~.

    Im Dezember 1839.


In der ersten Kajüte zu reisen, erlaubten unsere finanziellen Umstände
nicht, und es wurde demnach in der zweiten, welche geräumig und
hinlänglich mit Schlafstellen versehen war, Posto gefaßt, wofür die
Person bis ~Orleans~, ohne Beköstigung, 8 Dollar zahlte. Fünf
Dollar sind nur zu entrichten von denjenigen, die sich verpflichten,
das nöthige Brennholz von den oft sehr steilen Uferplätzen nach dem
Dampfboote mit zu tragen, welches aber nicht anzuempfehlen ist, wie
sich solches im Laufe meiner Erzählung ergeben wird.

Bis zur Einmündung des großen ~Miami~-Flusses in den
~Ohio-River~ welcher an dieser Stelle die Gränze zwischen
den Staaten ~Indiana~ und ~Ohio~ bildet, hielt ich mich
fortwährend im Freien auf, um nichts von der Gegend zu verlieren,
durch welche das Dampfboot längs der mit Wald bedeckten Ufer schnell
dahin flog und wo von Zeit zu Zeit hübsche Landhäuser auf beschatteten
Höhen dem Auge sichtbar wurden. Die Abendkühle nöthigte mich aber
bald zum Rückzuge, und um so bedauerlicher war es, daß die Nacht
schon eingebrochen, als wir bei ~Vevay~ ankamen, wo der nöthige
Holzbedarf gefaßt wurde, leider aber von der Stadt nur wenig gesehen
werden konnte.

Der Boden, wo dieser Ort auf dem ~Indiana~-Ufer im Jahre 1804
gegründet worden, ist sehr fruchtbar und soll sich vorzüglich zum
Weinbau eignen, weshalb mehre Schweizer-Familien, welche sich hier
angesiedelt, vom Kongreß begünstigt, besonders diesen Zweig der
Landwirthschaft zu kultiviren sich angelegen seyn lassen.

Während der Nacht passirten wir die Einmündung des
~Kentucky-River~ und das auf einer Anhöhe gelegene Städtchen
~Madison~.

Gegen Mittag des 11. langten wir bei ~Louisville~ an, welche
Stadt 131 Meilen von ~Cincinnati~ entfernt, unter der Mündung des
~Beergrass~-Flusses liegt. Es ist die wichtigste Stadt vom Staate
~Kentucky~, und der Sitz der Justiz für ~Jefferson~. Die
Hauptstraßen, welche mit Trottoirs versehen und gut gepflastert sind,
laufen mit dem ~Ohio~ parallel und werden von mehren Querstraßen
in rechten Winkeln durchschnitten; die Stadt zählt über 14,000
Einwohner.

Der Ort selbst war früher wegen der in der Umgegend befindlichen Sümpfe
und des stinkenden Wassers äußerst ungesund. In neuerer Zeit hat man
aber diesem Uebel durch angelegte Kanäle und Graben abgeholfen.

Die vielen Sandbänke, welche sich in dem eine Meile breiten Fluß
vor ~Louisville~ befinden, machten bei niederem Wasserstand die
Passage äußerst gefährlich, weshalb mit ungeheurer Mühe und einem
Aufwand von 400,000 Dollars bis ~Schippingport~ ein Kanal gebaut
worden ist, welcher 2 Meilen lang, 40 Fuß tief und breit genug
ist, um von Dampfbooten passirt werden zu können. Der Kanal fängt
unterhalb ~Louisville~ in einer kleinen Bucht am Ufer an, geht hinter
~Schippingport~ hinweg und vereinigt sich wieder mit dem ~Ohio~
zwischen ~Schippingport~ und ~Portland~, wo sich das Flußbett wieder
verengt. Drei unweit der Ausmündung angebrachte Schleusen stellen bei
einem Fall von 24 Fuß das Wasser-Niveau her. Der Wasserstand war zur
Zeit unserer Durchfahrt äußerst niedrig, (5½ Fuß) so daß das Boot nur
mit der größten Mühe und zu seinem Nachtheil, da es beständig auf dem
felsigen Grunde wegging, vorwärts gebracht werden konnte und wegen
einbrechender Nacht bis zum nächsten Morgen im Kanal verweilen mußte.

[Illustration]

Ich und Freund Aacke hatten das Boot verlassen, um von einem erhöhten
Standpunkte aus, bei einem großen Magazin, die herrlichste Aussicht zu
genießen. Vor uns war der Fluß mit seinen vielen Klippen und Sandbänken
und einer mit Wald bewachsenen Insel, rechts die Wasserfälle im Fluß
und im Hintergrunde die Stadt ~Louisville~. Links auf dem andern Ufer
erblickte das Auge die Städtchen ~New-Albany~ und ~Clarksburg~ und
etwas mehr zurück den Wald, welcher leider jetzt die Bäume blattlos
zeigte. Es stehen wohl an keinem andern Orte der Vereinigten Staaten
die blühenden Städte so nahe zusammen, als hier an beiden ~Ohio~-Ufern.
~Jeffersonville~, ~Clarksburg~ und ~New-Albany~ im ~Indiana~-,
~Louisville~, ~Schippingport~ und ~Portland~ im ~Kentucky~-Staate.

Um die Lage und Namen der Städte auf dieser Wasserreise genau kennen
zu lernen, hatten wir uns den ~Western-Pilot by Sam. Cummings~
angeschafft; ein Werk, welches Freund Aacke in ~Cincinnati~ gekauft
hatte, und das uns mit seinen Abbildungen des ~Ohio~- und des
~Mississippi~-Laufes[43] jetzt als Wegweiser herrlich zu Statten kam,
da wir schon im Voraus auf alles Sehenswerthe aufmerksam gemacht wurden.

Am Morgen des 12. Dezember nahm auch Freund Aacke beim Flottmachen
des Bootes den thätigsten Antheil und wich erst dann von seinem
eingenommenen Platz, als ich ihn auf die Gefahr aufmerksam machte, die
seiner dort drohte. Denn kaum hatte ein Matrose den eben verlassenen
Posten besetzt, als solchen der Druckbaum mit Gewalt niederwarf, den
Arm quetschte und die ganze Seite stark beschädigte.

Mein geretteter Freund stand jetzt dem Verunglückten bei, versah
die Stelle des Chirurgen, und schiente und verband die beschädigten
Theile mit solcher Gewandtheit, daß man darüber vergaß, daß er nur ein
gelernter Apotheker sey. In Amerika aber gilt die Geschicklichkeit,
Niemand fragt „was hast Du gelernt?“

Die Reisegesellschaft hatte sich in ~Louisville~ um 2 Personen
vermehrt, welche, nach dem Aeußern zu urtheilen, nicht unter die Zahl
der vom Glück Begünstigten gehörten. Dabei wurden alle Gegenstände
genau von ihren Augen gemustert, auch waren sie immer auf den Beinen
und pflegten wenig der Ruhe, welches Benehmen mir um so auffallender
war, da sie sich nicht zum Holztragen verstanden, um durch Uebernahme
dieser Arbeit ein billigeres Fahrgeld zu erzielen.

Die Witterung war am Tage ausnehmend schön, so daß wir fast die ganze
Zeit über auf dem Verdeck zubrachten und uns sonneten.

Von der Mündung des ~Salt-River~ an, schlängelte sich der Fluß in
großen Windungen durch die meist hohen Felsenufer, auf welchen nur
dann und wann ein Haus zum Vorschein kam. Mittags erreichten wir das
Städtchen ~Leawenworth~ und die Sonne neigte sich schon zum Untergang,
als man bei den auf beiden Ufern des ~Ohio~-Flusses erbauten Orten
~Rome~ und ~Stevensport~ ankamen, welche mittelst einer hölzernen
Brücke verbunden sind.

Schon war es Nacht, als der Kapitän anlegen ließ, um den nöthigen
Holzbedarf vom Ufer einzunehmen. Die Witterung war äußerst ungünstig,
der Regen ergoß sich in Strömen, weshalb die Passagiere, welche zum
Holztragen engagirt waren, lange zögerten, ehe sie dem Kommandowort des
Steuermanns Folge leisteten. Durchnäßt und über und über beschmuzt,
suchten die Geplagten am Ofen sich zu trocknen, wobei mancher seine
Reue zu erkennen gab, daß er sich zu diesem Geschäft verstanden.
Mir selbst war dabei um so wohler, da ich alle Ursache hatte, mich
zu freuen, daß Freund Aacke mich abgehalten, solche Verpflichtung zu
übernehmen, wozu ich mich aus Oekonomie zuerst entschlossen hatte.

Während der Nacht vom 12. zum 13. fuhr das Boot an den Orten
~Hawsville~, ~Troy~, ~Rockport~, ~Owensborough~ und ~Evansville~
vorbei. Bei letzterer Stadt wurde eine deutsche Schneiderfamilie ans
Land gesetzt, welche hier bei Verwandten in einer fruchtbaren Gegend
sich von Neuem anzusiedeln beschlossen hatte, nachdem sie schon 11 Jahr
am ~Erie~-See gewirthschaftet und sich dabei ein hübsches Vermögen
erworben hatte, um das sie jedoch zum größten Theil durch einen
Bankbruch und durch Ankauf von Lotten, (Bauplätzen) welche später
bedeutend im Preis gefallen wären, gekommen seyn sollte. Der Mann war
mehr über sein Schicksal gefaßt, doch die Frau weinte Tag und Nacht.
Von Allen aber dauerten mich die jüngsten Kinder, welche in aller
Unschuld die Mutter zu trösten suchten, diese aber die Liebkosungen der
Kleinen mit Härte abwies, da sie sich nicht über ihren Schmerz erheben
konnte. Beim Zusammenpacken der Effekten dieser Familie, vermißten
sie ein Paar neue Stiefeln und ein Tuch, welche Sachen trotz aller
Nachfrage, nicht wieder herbeigeschafft werden konnten.

Früh am Morgen des 13. Dezember sah man auf dem hohen ~Kentucky~-Ufer
das Städtchen ~Hendersonville~ und bei der Insel ~Diamond~, welche 4
Meilen lang und über eine Meile breit sein soll, ragte ein gesunkenes
Dampfboot noch theilweise aus dem Wasser.

Das Städtchen ~Mont-Vernon~ auf hohem Ufer, ward ebenfalls bemerkt
und bei der Mündung des ~Wabash~-Flusses, wurde an einem uns
begegnenden Dampfboot so nahe vorbeigefahren, daß auch keine Hand breit
Spielraum zwischen beiden Fahrzeugen blieb und leicht eine Carambolage
hätte Statt finden können.

Gegen Mittag erreichten wir am linken Ufer im Staate ~Illinois~
den ansehnlichen Handelsplatz ~Shawnee-Town~. Etwas später wurde
uns eine große Höhle gezeigt, welche über 150 Fuß in den Uferfelsen
eingehen soll und früher einer Räuberhorde zum Aufenthalt diente,
welche die vorbeipassirten Fahrzeuge beraubten.

Während der Nacht vom 13. bis 14. wurde an dem Städtchen
~Golconda~, der Ausmündung des ~Cumberland-~Flusses und den
Orten ~Wilkinsonsville~ und ~Amerika~, vorbeigefahren.

Am 14. mit Anbruch des Tages kamen wir bei dem Orte ~Trinity~
an, welche Gegend äußerst gefährlich für die Schifffahrt seyn soll,
wie solches auch zwei verunglückte, noch aus dem Wasser hervorragende
Boote bekundeten; einige Zeit darauf wurde ~Mouth-Ohio~ erreicht,
wo der ~Ohio~ sich mit dem ~Mississippi~-Fluß vereinigt, in
welchen Letztern sich schon 20 Meilen oberhalb ~St. Louis~ der
~Missouri~ ergossen hat. Diese drei Flüsse vereinigt, bilden einen
der größten Ströme der Welt, welcher wegen seiner lehmigen Sandufer
ein äußerst schmutziges Wasser hat, was um so auffallender bei dem
Zusammenfluß des reinen hellen ~Ohio~ mit dem ~Mississippi~
ist und den Reisenden nun um so lästiger wird, da man gezwungen ist,
solches Lehmwasser zu trinken und zum Kochen zu verwenden.

Mittags sah man am jenseitigen Ufer wiederum ein erst kürzlich
gestrandetes Dampfschiff, von welchem die Uferbewohner die Ladung noch
möglichst zu retten suchten.

Die vielen Unglücksfälle wurden besonders dem niedern Wasserstande
zugeschrieben und die auf dem ~Mississippi~ fahrenden Dampfboote
scherzweise mit schwimmenden Särgen verglichen, weshalb uns bei dem
Gedanken, schon mit einem Fuß im Grabe zu stehen, nicht wohl zu Muthe
ward.

Der Kapitän, selbst für sein Schiff besorgt, stellte die Fahrt des
Nachts ein und benutzte nur die Tageszeit, um mit möglichster Vorsicht
die Reise fortzusetzen. Wurde auch dadurch die Fahrt verlängert, so
gewährte sie doch den Genuß, daß nichts von der Gegend, welche wir
passirten, für das Auge verloren ging.

Am Nachmittag fuhren wir gleichzeitig mit einem andern Dampfboot auf
einer Sandbank fest, welche sich vermuthlich erst gebildet und noch
nicht auf der Flußkarte angegeben war. Alle Versuche, wieder flott zu
werden, schlugen fehl, welches zuletzt unsern Kapitän bestimmte, das
Schiff zu erleichtern, weshalb gegen 400 Faß Mehl mittelst Kähnen ans
Ufer geschafft wurden.

Auf diesen Aufenthalt nicht vorbereitet, reichte unser vorräthiges
Proviant nicht aus und wir sahen uns genöthigt, bei einem Farmer, wenn
ein solcher nicht allzuweit vom Ufer entfernt wohnte, das Nöthige zu
kaufen, oder einen Braten zu schießen. Nirgends war beim Eindringen in
das mit Wald bedeckte Ufer eine Spur von Ansiedlern zu sehen und schon
suchten wir, mit zwei Wasserhühnern beladen, um bei einbrechender Nacht
nicht die Spur zu verlieren, den Weg zurück, als die Schmerzenstöne
einer Stimme die Nähe von Menschen verriethen; diesem Schall folgend,
erblickten wir, wie ein Unmensch einen seiner schwarzen Sklaven an
einen Baum gebunden mit einer Peitsche schlug, da solcher, wie uns der
Wütherich selbst erzählte, die Milch verschüttet habe.

Mit den erhaltenen Kartoffeln und etwas Brod eilten wir nach dem Boot
zurück, wo während unserer Abwesenheit Aackes Koffer erbrochen und
außer Zucker und Kaffee dessen Rasirzeug nebst einiger Leibwäsche
entwendet worden war. Von jetzt an verließen wir niemals beide zu
gleicher Zeit das Boot und hatten besonders ein scharfes Auge auf
die beiden schon erwähnten Individuen, da solche uns des Diebstahls
verdächtig vorkamen.

Das andere Dampfboot, welches mit dem unsrigen zugleich auf der
Sandbank fest gefahren, konnte trotz aller Versuche nicht flott gemacht
werden, da es der Kapitän nicht erleichtert hatte und es saß noch fest
auf, als wir am 15. Morgens die Reise fortsetzten.



Dreiundzwanzigster Brief.

    Im Dezember 1839.

Fortsetzung.


Vom Zusammenflusse des ~Ohio~ und ~Mississippi~ an, macht
der letztere Strom ebenfalls bedeutende Windungen, und den ersten Ort,
welchen man wieder antrifft, ist ~New-Madrid~, wo noch Spuren
von dem im Jahr 1811 und 1812 gewütheten Erdbeben vorhanden seyn
sollen. Später hielten wir bei ~Point-plaisant~ an, um Reisende
auszusetzen, welche die in der Nähe befindlichen Handelsniederlagen
besuchten, wo, wie erzählt wurde, die Indianer Niederlagen von Hirsch-,
Reh-, Otter- u. a. Häuten haben, und solche gegen Schießbedarf und
Kleidung umzutauschen suchen. Hier hört auf dem rechten Ufer der
~Missouri~-Staat auf, und der von ~Arkansas~ beginnt. Linker
Hand vom ~Mississippi~ hört der ~Kentucky~-Staat auf und es
beginnt der Staat ~Tennessee~.

Während der Fahrt am 16. wurde keine Stadt oder ein sonst merkwürdiger
Ort angetroffen, auch passirte nichts, was des Aufnotirens werth war.

Am 17. Mittags holte uns das auf der Sandbank zurückgelassene Dampfboot
wieder ein, und der Kapitän desselben suchte sogar unserm Boote den
Vorsprung abzugewinnen, was jedenfalls in der Absicht geschah, zuerst
~Memphis~ zu erreichen, um dort unserm Kapitän die Reiselustigen
wegzufischen.

In Amerika macht es sich jeder Kapitän zur Ehrensache, bei einem
solchen Wettlauf den Vorrang zu erhalten, und oft wird dadurch das
Leben vieler Passagiere aufs Spiel gesetzt, da häufig in diesen Fällen
der Dampfkessel springt, weil zur schnellern Betreibung der Maschinen
eine zu große Menge Dampf entwickelt wird, und die Seitenwände des
Kessels solchen zu widerstehen nicht vermögen. Was nur immer unter die
Dampfkessel von Holz gehen will, wird eingefeuert, und bei erschwerten
Ventilen fliegt das Boot wie ein Vogel in die Luft. Wie den Passagieren
dabei zu Muthe war, läßt sich denken, da die traurige Katastrophe
von ~Cincinnati~ noch zu neu war, wo durch Sprengung eines
Dampfkessels das Schiff zertrümmert und die Gebeine der Verunglückten
bis in die Straßen der Stadt und auf die Häuser geschleudert wurden,
und Keiner der Passagiere mit dem Leben davon gekommen war.

Zu unserm Glück drohten im Strome liegende Bäume den Schiffen doppelte
Gefahr, und war es dieses oder was sonst, schnell ließen sie im
Wettlaufe nach, und verfolgten ruhig die Straße.

An der Mündung des ~Wolf~-Flusses liegt ~Memphis~, ein noch
wenig bedeutender Ort, welcher die Gränze bildet zwischen dem Staat
~Tennessee~ und dem Staate ~Mississippi~. Sechszehn Meilen
weiter wurde wieder bei ~Presidents-Island~ angehalten und Holz
eingenommen.

In Folge der ungünstigen Witterung des gestrigen Tages hatte ich mir
eine Erkältung und eine schlaflose Nacht zugezogen, weshalb ich heute
das Lager nicht verlassen konnte. Freund Aacke übernahm daher, damit
keine Lücke im Tagebuche entstünde, am 18. die Führung desselben, und
fuhr fort.

Die Ufer sind niedrig, und nur wenige Höhen wurden wahrgenommen. Das
viele Holz und die mitunter vorkommenden schlechten Wohnungen ließen
vermuthen, daß diese Landstriche längs der Ufer noch wenig angebaut
seyen, weil solche den Ueberschwemmungen ausgesetzt sind. Die Fahrt ist
höchst unsicher, da wir mitten durch Treibholz schifften, und von den
Baumstämmen, welche das Wasser von den Lehm-Sandufern abgespült, mehre
Stöße erhielten.

Bewohner von ~Helena~ grüßten freundlich, und, nach dem Aeußern
ihrer Wohnungen zu schließen, geht es ihnen gut.

Mittags wurde die Ausmündung des ~Arkansas~ erreicht, wo sich ein
Waarenhaus zur Unterbringung der Sachen befindet, welche aus dem Innern
des Landes kommen und zur Weiterverschiffung bestimmt sind. Dieser Fluß
ist nächst dem ~Missouri~ und ~Ohio~ der größte, welcher
sich in den ~Mississippi~ ergießt und bei seiner Ausmündung 360
~Yards~ breit ist; er entspringt in den mexikanischen Gebirgen
und soll eine Länge von 1500 Meilen besitzen. Die ausgedehnte Gegend,
durch welche er fließt, enthält abwechselnd Berge, zahlreiche Anhöhen
und fruchtbare Thäler, wo unzählige Heerden verschiedenartiger wilder
Thiere zu weiden pflegen.

Längs der Wasserstraße geht die Gegend einförmig fort; die hohen Bäume
auf waldigen Ufern und auf den Inseln beschränken die Aussicht und nur
die Erscheinung von Alligatoren, Schlangen und Adlern, welche Letzteren
zur Vertilgung der Schlangen viel beitragen sollen, gewähren dem
Reisenden etwas Neues. Auch Bären, doch mehr zahm als wild, sollen in
dieser Gegend hausen.

[Illustration: =SNAGS (Sturzel, Knorren)= gefährliche Schiffahrt
auf den Amerikanischen Flüssen.]

Gegen Abend fuhren wir an einem Fahrzeug vorbei, dessen Ladung aus mehr
denn 100 Ochsen bestand, welche alle so placirt waren, daß sie mit
den Köpfen ins Wasser schauten, und so ohne Zuthun der Führer ihren
Durst nach Belieben zu stillen vermochten. Das Boot selbst war leck,
und die armen Thiere standen hoch im Wasser, welches die Mannschaft
zur Thätigkeit zwang, um solches nicht vor seiner Bestimmung nach
~New-Orleans~ sinken zu lassen.

Diese Art Fahrzeug, Flachboots genannt, sind gewöhnlich alle in der
Bauart überein, 80 Fuß lang, 16 Fuß breit und mit zwei Verdecken
versehen, 3½ Schuh tief gehen sie beladen im Wasser und ragen eben
so weit heraus. Ein Mann hinten am Steuer, und ein anderer mit dem
Ruder am Vordertheile, lenken das Schiff beständig in die Mitte der
Flußströmung, und je nachdem diese nun stärker oder schwächer ist,
bestimmt sie die Schnelligkeit der Fahrt. Während der Nachtzeit wird
dieselbe unterbrochen und das Flachboot an irgend einem Baumstamme
festgebunden. Stromaufwärts wird ein solches Boot niemals gefahren,
sondern an seiner Bestimmung angelangt, und nachdem die Fracht verkauft
ist, um jeden Preis losgeschlagen und gewöhnlich als Brennholz verkauft.

Am 19. Morgens entspann sich zwischen zwei sich veruneinigten
Passagieren ein Faustkampf, welcher mit dem Ausdrucke: „Boxen“ belegt
war, doch schon beim ersten Gange stürzte Einer der Kämpfenden und
fiel den Arm aus. Freund Aacke, auch hier wie immer behülflich, suchte
solchen wieder einzurichten, was aber leider! da der Patient nicht
stille hielt, nicht gelang. Später aber, als der Verunglückte, von
Schmerz gepeinigt, sich der Operation unterwerfen wollte, war es zu
spät, da es die Geschwulst unmöglich machte.

Auch heute lieferte die passirte Gegend nichts Neues. Die waldigen
Ufer werden nur mit unbedeutenden Baumwollen- und Maispflanzungen
unterbrochen. Dagegen wurde die Fahrt äußerst gefährlich, da die
vorhandene Flußcharte nicht mehr ausreichte, um sich genau über
die Lage der verschiedenen im Flusse vorkommenden Sandbänke mit
Sicherheit orientiren zu können. Viele von den im ~Mississippi~
befindlichen Inseln, Sandbänken und das Strombett selbst, verändern
häufig die Gestalt und werden oft ganz von dem reißenden Wasser
weggespült, und nur stark hervorragende Baumstämme verrathen die
Stelle, wo das Strombett oder die Inseln früher gewesen sind. Neue
Sandbänke setzen sich an, welche mitunter zu bedeutenden großen
Inseln erwachsen. Entwurzelte, riesenartige Bäume lagern sich quer
über das Fahrwasser, und solche bei niederem Wasserstande nicht zu
berühren, ist fast unmöglich. Eben so sind selbst bei größerer Fluth
die mitten im Wasser noch fest gewurzelten Bäume den Booten äußerst
gefährlich, da die Wipfel derselben häufig das darauf stehende Fahrzeug
durchbohren, und das eindringende Wasser solches schnell zum Sinken
bringt[44]. Alle diese Gefahren halten doch Niemanden vom Reisen auf
dem ~Mississippi~ ab, und wie wenig sich der Amerikaner durch
Unglücksfälle abschrecken läßt, mag folgender Vorfall beweisen:

Beim Zerspringen des Kessels wurden die Passagiere eines Dampfbootes
mit den Trümmern desselben hoch in die Luft geschleudert und verloren
das Leben. Nur Einer hatte das Glück, bei dieser Katastrophe mit dem
Schreck davon zu kommen, und unbeschädigt aus dem Wasser gezogen
zu werden. Der Gerettete that jetzt nichts Eiligeres als nach dem
Taschenbuche zu greifen, wo er die Banknoten verwahrt und als er solche
geborgen fand, so bestieg er, hoch darüber erfreut, ein anderes,
eben abgehendes Dampfboot, wo er die naßgewordenen Banknoten am Ofen
trocknete, ohne sich weiter um das Geschehene zu bekümmern.

Nicht weit von der Mündung des ~Yazoo-~Flusses wurde heute etwas
später als gewöhnlich Halt gemacht, und da während des Holzeinnehmens,
wo die meisten Passagiere die Kajüte verließen, sich einer der
Verdächtigen ängstlich in mehren Schlafstellen umsah, so erweckte
dieses bei mir Verdacht und ehe Freund Aacke wieder eintrat, sah
ich beim Scheine der Lampe, wie er mit einer Reisetasche die Kajüte
verließ, gleich aber zurückkehrte und ein Gewehr nachholte, welches,
wie ich bestimmt wußte, nicht sein eigen war. Neugierig, wohin er
die Sachen trage, wollte ich folgen, doch die naßkalte Abendluft und
mein kranker Zustand selbst, nöthigten mich zum Rückzuge. Aacke,
welcher jetzt kam, verfolgte statt meiner den Gauner, doch ohne ihn zu
finden, und die zurückkehrenden lärmenden Holzträger ließen bald das
Vorgefallene vergessen.

Sehr verschieden von einer Seereise war diese Dampfschifffahrt. Die
mannichfaltigen heitern Gemüthslagen unserer Reisegesellschaft gaben
interessante und angenehme Unterhaltung. Der Amerikaner, und wenn er
auch zur niedrigsten Volksklasse gehört, verräth immer einen Anstand
und dem Deutschen gegenüber, einen gewissen Stolz, und so lange man
dieser Nation nicht zu imponiren versteht, bleibt man die Zielscheibe
ihres Witzes.

Ich selbst hielt mich daher abseits und machte den stillen Beobachter,
auch Freund Aacke kam nur dann mit ihnen in Berührung, wenn sie dessen
Hülfe bedurften, und so lebten wir in Frieden und Freundschaft mit
Allen.

Durch Krankheit aufs Lager gebannt, fehlte es selbst da an Unterhaltung
nicht, weil die verschiedenartigsten Scenen Stoff zum Zeitvertreib
gaben. Ein Kerl lachte über Alles den ganzen Tag, und ärgerte mich
so, ohne daß ich selbst nicht recht wußte, warum. „~God damn~“
war der Abendsegen, und mit einem „Gott verdamme mich!“ wurde der
Morgen begrüßt, von einem Subjekte, welches nicht unter die Zahl
der Temprinsmänner[45] gehörte, leider aber den deutschen Namen
schändete. Jemehr dieser fluchte, um so ärger lachte der Erstere,
und zu diesem Quodlibet spielte ein Dritter von früh bis zur Nacht
auf drei Saiten einer Geige das einzige Stückchen, was er konnte,
den Gänsetutel; welcher Nationaltanz unwillkührlich die Beine zweier
sich gegenüberstehender junger Bursche zum Springen hob, bis solche
erschöpft, wiederum Andern Platz machten, welche mit grotesken Sprüngen
jene auszustechen suchten. Verstummten die Saitentöne, so erschallten
die Lieder aus einer deutschen Fleischerkehle, welche im Jodeln Etwas
zu leisten glaubte. Währenddem hütete eine alte Matrone mit Argusaugen
ihre beiden liebenswürdigen Töchter, welche verschämt, doch gezwungen,
die Erzählung eines Liberalen mit anhören mußten, worin solcher die
glücklichen Stunden zu schildern suchte, die er in vergangener Nacht
in den Armen eines Freudenmädchens vollbracht, welche Person in
einem kleinen Kämmerlein, dicht neben meinem Lager logirte, und zum
Dienst für die erste Kajüte engagirt war. Hier wurde geschnupft und
gebremt[46], dort geraucht, welchen Qualm überlaufendes Fett auf dem
Ofen noch vermehrte, worauf Alles dem herbeieilenden schönen Kinde,
welches das Abendbrod am Feuer für die Ihrigen besorgte, Platz zu
machen suchte; denn auch hier findet, wie überall in Amerika, die
schöne Sitte Statt, daß dem schönen Geschlechte der Vorrang gebührt
und ohne Bedenken weicht Jeder vom Platze, welchen er seines Gleichen
streitig zu machen suchte. Weder der Ruf leidet, noch kömmt die Ehre
in Gefahr, wenn eine Dame ohne Begleitung in Gesellschaft von Männern
eine Reise unternimmt. „Achtung den Schönen!“ ist das Loosungswort des
Amerikaners, und bietet solche die Reize nicht freiwillig, so wird sie
beschützt von Jedem, der ihr nahe steht. --

Am Morgen des 20. wurde bei ~Viksburgh~, einem noch unansehnlichen
Orte, der unter einer Reihe von Hügeln, und theilweise auf selbigen
erbaut ist, angehalten und Passagiere und Waaren ausgesetzt. Auch
unsere Gesellschaft verminderte sich um einige Köpfe, welche erst jetzt
gewahr wurden, daß ihnen Sachen fehlten, mit welchen ich am vergangenen
Abend während des Holztragens, den Dieb hatte entweichen sehen. Vor
Allem war es der Verlust des Gewehrs, welchen sie beklagten.

Ist auch der Landungsplatz hier nicht der beste, da solcher schräg,
nicht gepflastert, und der lehmige Sandboden vom Regenwasser zerrissen,
den Transport der Waaren äußerst erschwert, so ist doch der Verkehr
nicht unbedeutend und besonders viel Baumwolle wird von hier aus nach
~Orleans~ geschickt, wohin Dampfboote die Kommunikation beständig
unterhalten.

Zehn Meilen weiter passirten wir an dem Städtchen ~Warrenton~
vorbei. Die Ufer dieser Gegend sind, ebenfalls niedrig,
Ueberschwemmungen ausgesetzt und deshalb noch wenig bebaut. Nur kleine
Plantagen, und ärmliche schlechte Blockhäuser kommen mitunter zum
Vorschein.

Während des Anlegens am Abend hatte sich beim Holzfassen ein von einer
Plantage entsprungener Negersklave auf das Boot geflüchtet und sich
daselbst zu verstecken gesucht, ward aber am Morgen des 28. entdeckt,
an Händen und Füßen gebunden und in dieser erbärmlichen Lage mit
nach ~Orleans~ genommen. Während der Reise diente der Arme der
Schiffsmannschaft zur Zielscheibe ihrer Witze und der Unterhaltung; er
war aber klug genug, keine ihrer Fragen zu beantworten, sondern in der
Ecke sich ruhig zu verhalten.

Am Mittag war ~Natchez~ erreicht und daselbst angehalten, und
auch hier wurden Passagiere ausgesetzt und andere mitgenommen. Dieser
Ort mit 4000 Einwohnern ist romantisch auf einem hohen Ufer erbaut
und eine der größten Städte des ~Mississippi-~Staates, wo
sich viele wohlhabende Pflanzer aufhalten, welche von hier aus die
Baumwollenversendung stark betreiben. Die Stadt ist romantisch, vom
Sandufer etwas entfernt, auf einer Anhöhe erbaut, und auf Letzterem
bilden nur Breterhäuser eine Straße, wo meistens ~Stores~
errichtet sind, in welchen der Reisende sich mit Allem versehen kann.

Nachdem das Fort ~Adams~, welches auf hohem felsigen Gestade erbaut
ist, so wie die Ausmündung des breiten ~Red-~Flusses passirt war, wurde
Halt gemacht.

Die am 22. durchschiffte Gegend hat ebenfalls niedrige, mit Wald
besetzte Ufer, wo der wilde Wein sich bis in die Wipfel der höchsten
Bäume in die Höhe rankt. Der Lauf des Flusses machte jetzt viele und
große Windungen, wo auf den Ufern ansehnliche große Plantagen sichtbar
sind.

Die Baumwollenfelder hören in dieser Gegend auf und die
Zucker-Plantagen machen den Anfang.

Je näher man ~Orleans~ kömmt, um so lebhafter wird die Wasserstraße;
mehre Dampfboote begegneten uns heute in kurzen Zwischenräumen, so wie
auch viele Flachboote. Diese Fahrzeuge, welche schon erwähnt worden,
führen meistens die Landesprodukte an Getraide, Mehl, Branntwein,
Kartoffeln, Schweinefleisch etc. aus den Staaten ~Ohio~, ~Indiana~,
~Illinois~, ~Virginien~ und ~Kentucky~ nach ~Orleans~, um daselbst
verbraucht oder weiter verschifft zu werden. Der ~Tennessee~-
und ~Alabama~-Staat, liefern Baumwolle, der ~Missouri-~ und
~Mississippi-~Staat Ahorn und Rohr-Zucker.

Einen Begriff von der Menge zugeführter Viktualien erhält man durch die
Zahl der Fahrzeuge, welche während der Wintermonate (in der heißen
Jahreszeit stockt aller Verkehr) in ~Orleans~ eintreffen, und zwischen
13-14,000 betragen sollen.

Gegen Mittag wurden die felsigen Ufer steiler, und bald kamen wir bei
dem Städtchen ~Baton-Rouge~ vorbei, welches auf demselben erbaut ist.
-- Das Laubholz wird hier seltener und Cypressen so wie Akazien treten
an dessen Stelle.

Nachdem wir ~Donaldsonville~, die letzte Stadt auf dieser Tour, 80
Meilen von ~Orleans~ entfernt, im Rücken hatten, wurde beigelegt.
Die waldigen Ufer verschwanden, und die Zucker-Plantagen breiteten sich
bis dicht an das Flußbett aus; mehr entfernt von Letztern sind erst
Cypressen-Wälder sichtbar.

Gegen Mittag des 23. näherten wir uns dem Ziele der Reise. Einzeln
stehende Häuser, noch zwei Stunden von solchem entfernt, verriethen
den Anfang der Stadt ~Orleans~. Obgleich mein Gesundheitszustand
während der letzten Zeit sich mehr verschlimmert hatte, gab ich doch
den Bitten Freund Aackes nach, verließ das Lager, bestieg mit ihm das
Verdeck und sah so von hier aus das sich immer mehr entfaltende Gemälde.

Die Häuser der Vorstadt ~St. Marie~ rücken mehr zusammen und aus
den dazwischen liegenden Gärten schauten freundlich die grünen Zweige
der Bäume hervor, von denen manche in voller Blüthe standen, welches
bei jetziger Jahreszeit dem Auge um so gefälliger war.

Je näher wir kamen, desto malerischer wurde der Anblick, bis hinter
einem Walde von Schiffsmasten dieses Bild so lange verschwand, bis wir
an solchem vorbei, die Station der Dampfboote erreicht hatten. -- Noch
war das Fahrzeug nicht befestigt, als vom Ufer viele dienstanbietende
Kreaturen auf solches zusprangen und die Räume füllten.

Während Aacke mit einem Fuhrmann wegen des Transportes unserer Effekten
akkordirte, wurden die benachbarten Schlafstellen ausgeräumt, wobei die
zweite uns verdächtige Person, welche die Fahrt bis hieher mitgemacht,
behülflich war. Noch waren wir am Bord, als einer der Passagiere
zurückkam und ein Kistchen suchte, was ihm fehle, doch dieses war
vergebliche Mühe; vermuthlich war dasselbe während des Transportes vom
Boot nach dem Karren von dem gefälligen Mithelfer entwendet worden.

Ueberall, vorzüglich aber in Amerika ist es den Reisenden
anzuempfehlen, seinem bei sich führenden Gepäck die größte
Aufmerksamkeit zu schenken und kommen auch Anfälle von Wegelagerern
hier wenig vor, so ist doch die Gefahr oft näher, als man glaubt. Der
fortwährende Ab- und Zugang von Reisenden auf Kanal- und Dampfbooten
und das oft vorkommende Landen während der Nacht in einsamen Gegenden,
wegen Einnahme von Holz, giebt Gelegenheit zum Diebstahl und wird
häufig von Schurken benutzt. Oft werden auf solchen Booten die
abscheulichsten Verbrechen gar nicht entdeckt, oder lange zuvor verübt,
ehe man des Thäters habhaft wird. Zum Beleg der Wahrheit meiner Aussage
und zur Beachtung für Reisende, die sich, vielleicht durch falsche
Berichte eingeschläfert, einer zu großen Sorglosigkeit während der
Reise überlassen möchten, lasse ich hier die Selbst-Biographie eines
Bösewichts folgen, welche ich mir aus einer amerikanischen Zeitschrift
notirt habe.

    +=Bekenntniß=+

    +von S. Walker und B. Dix seines Genossen,
    welcher Herrn ~Barker~ in der ~Mechanics-Savings-Bank~
    zu ~Louisville Ky~ ermordete.+

Mein Name ist Samuel Walker, ich wurde im Jahr 1812 zu New-York
geboren. Meine Eltern waren reich und angesehen. Man erzog mich für das
Advokatenamt, aber ich lief 1824 davon, ohne meine Studien vollendet
zu haben, und ging nach dem Westen, welcher der Hauptschauplatz meines
Lebens wurde. Es trug sich mit mir nichts Erhebliches zu, bis ich
~Cincinnati~ erreichte, wo ich mit sehr vielen, auf dem Flusse
sich herumtreibenden leichtsinnigen Jungen wie ich Bekanntschaft
machte, die mich überredeten, mit ihnen gemeinschaftlich auf dem Fluß
zu agiren. Ich that es, und ließ mich auf dem alten Dampfschiffe
~Caledonia~, geführt von ~John Russel~, als Kajütenjunge
anwerben; auf diese Art, obschon nicht gerade die angesehenste,
fristete ich mein Leben 6 oder 8 Monate und erhielt monatlich 6, 7
oder 8 Dollars. Da ich das war, was man einen flinken Jungen zu nennen
pflegt, so dachte ich, daß mein Lohn zu niedrig stehe und kam daher
zu dem Entschlusse, mir aus den Taschen der Passagiere, wenn sie
schliefen, zu einer bessern Bezahlung zu verhelfen. Die erste That
dieser Art, welche ich ausführte, war, daß ich einem Herrn am Bord der
alten ~Feliciana~ ein Taschenbuch stahl, als dies Dampfschiff am
~New-Orleans-Wharf~ lag und worauf ich zu jener Zeit angestellt
war. Dies ist, wie ich glaube, nie unter dem Publikum bekannt geworden.

Das Nächste, wobei ich thätig auftrat, war die Beraubung eines
Flachbootführers um ungefähr 7-800 Dollars und einer Menge von
Juwelenwaaren. Dies geschah an der ~Levon~ in ~New-Orleans~,
bald nachher, als ich die ~Feliciana~ verlassen hatte. Kurz darauf
ging ich nach ~Natchez~, wo ich mehre Personen beraubte. Von hier
verfügte ich mich nach ~Memphis~, wo ich einen Reisenden auf dem
alten ~Onkel-Sam~ bestahl. Hierauf kam ich nach ~Louisville~,
wo ich so ziemlich drei Jahre lebte, ohne irgend etwas anderes zu
thun, als kleinen Kindern das Geld zu rauben, wenn man sie nach Etwas
geschickt hatte.

Während meines Aufenthalts an diesem Orte wurde ich mit ~Gro~,
~Lovette~, ~Jones~, ~Hooves~ und ~Thomson~ bekannt, die seitdem Alle
schon gehangen worden sind, und beging mit ihnen zu verschiedenen
Zeiten folgende Gewaltthaten: Zuerst schifften wir uns Alle auf einem
Flachboote ein, das nach ~New-Orleans~ bestimmt war, wo wir Jeder 25
Dollars Lohn erhalten sollten. Alles ging ziemlich gut am Bord, bis wir
zwischen ~Padukah~ und der ~Ohio~-Mündung anlangten. In dieser Gegend
ermordeten wir den Besitzer des Bootes nebst seinem Bruder. Beide
wurden von uns über Bord geworfen. Wir ließen das Boot in ~Memphis~
anlegen und verkauften Boot und Ladung für 4374 Dollars, welche
Summe wir unter uns theilten, so daß ~Lovette~, ~Jones~, ~Thomson~
und ich, Jeder 1093 Doll. 50 ~Cents~ erhielten. Wir beschlossen
nach ~New-Orleans~ zu gehen, was wir auch im alten Dampfschiffe
~Cincinnatienne~ thaten. In ~New-Orleans~ hielten wir uns beinahe
den ganzen Winter auf, und Alles, was von uns verübt wurde, war die
Ermordung eines Mannes hinter Müller Gordan’s großem Hause in der
~Girard-Street~, wo wir ihn auch verscharrten. Dies war im Jahre 1830.
Da ich damals erst 18 Jahre alt war, und schon so viele Schandthaten
verübt hatte, erfreute ich mich im achtbaren Rathe der Schufte, Räuber
und Mörder eines hohen Ansehens. Sie Alle sagten, daß ich ein fähiger
Junge, ein großer Mann sey, und daß, wenn ich jemals gehangen werden
sollte, ihr Gewerbe an mir viel Ehre einlegen werde. Angespornt durch
Dieses, betrieb ich das Gewerbe weiter.

Zuerst ermordete ich einen Mann jenseits des Stromes, ~New-Orleans~
gegenüber, und raubte ihm 14,000 Dollars in ~Louisiana-~ und
~New-York~-Noten. Dies geschah im Monat März 1831. Hierauf ging ich an
Bord des alten Dampfschiffes ~Farmer~, verfügte mich nach ~Louisville~
und von da nach ~Wheeling~ in ~Virginien~ wo ich einem Manne sein Pferd
und 500 Dollars stahl, nach ~Mariette~ zurückritt, und das Pferd für
75 Dollars verkaufte. Dann kam ich auf das Dampfschiff ~Natesman~,
Kapitän ~Forsyth~, wo ich die Kasse des ~Clerc~ um 300 Doll., eines
Herrn Taschenbuch um 120 Dollars und einem Andern Koffer und Pistolen
raubte, womit ich in ~Galliopolis~ ans Land stieg. Dort stahl ich
wieder ein Pferd von einem Herrn ~Hereford~ und ging nach ~Portsmouth~,
wo ich die Kasse des ~Exchange-Hôtels~ um 73 Dollars bestahl, bestieg
mein Pferd und gelangte nach ~Maysville~, woselbst ich das Pferd um
62 Dollars verkaufte. Ich schiffte mich am Bord des ~Little-Spy~ ein
und ging nach ~Cincinnati~. Dies war im Herbst 1831, dann kam ich an
Bord des ~Michygan~, Kapitän ~Sewan~ und Kapitän ~Rott~, wo ich als
Kajütenjunge, zweiter und erster Aufwärter beinahe zwei Jahre blieb,
ohne irgend eine Gewaltthat zu verüben. Endlich fiel mir ein, daß ich
schon zu lange auf ehrliche Weise gelebt hätte, und ging im Jahre 1833
auf dem Dampfschiffe ~Helen Mar~, Kapitän ~Juller~, nach ~Louisville~,
auf welcher Fahrt ich mehre Deck-Passagiere und einen Kajüten-
Passagier zusammen um 523 Dollars bestahl.

Bis im Sommer 1834 blieb ich nun in ~Louisville~ und ging dann an
Bord des Dampfschiffes ~Galenian~, Kapitän ~Clarenten-Dix~
als Aufwärter. Hier will ich meinem Bericht beifügen, wie wir zusammen
agieren, der hoffentlich allen Dampfschiffleuten, vom Kapitän bis
zum niedrigsten Arbeiter herab, lehren wird, alle bösen Kniffe zu
meiden; auch hoffe ich, daß dadurch Schiffsbesitzer gewarnt werden
mögen, den Charakter jedes Befehlshabers eines Dampfschiffes auf das
Sorgfältigste zu untersuchen, und zu den Kapitäns möchte ich sagen:
„Seyd vorsichtig in der Anstellung von Leuten, selbst wenn es nur zum
Feuerunterhalten wäre“; denn wenn ich Namen nennen wollte, so dürften
Männer, die jetzt von Allen, die sie kennen, sehr angesehen und geehrt
sind, aus den Verhältnissen, in denen sie jetzt stehen, gerissen
werden und für immer der Schande verfallen. Aber dies ist nichts,
was mich betrifft, denn ich weiß, daß meine Lebenszeit auf Erden nur
noch kurz ist, und darum fahre ich fort: Sobald der ~Galenian~
von ~Louisville~ abging, beobachtete ich alle Passagiere scharf,
um zu sehen, wer von ihnen Geld habe oder nicht. Unter den Uebrigen
bemerkte ich einen ältlichen Herrn, der gegen 6000 Silber-Dollars in
seinem Koffer hatte. Er kam zu mir, und sagte: „Wärter! wenn Sie diesen
Koffer in mein Zimmer bringen wollen, gebe ich Ihnen einen Dollar.“
„Sicherlich,“ antwortete ich, und that es sogleich. Als wir von den
übrigen Reisenden hinweg in das Zimmer kamen, erkundigte ich mich,
wo er an das Land zu steigen beabsichtige. Er sagte mir, daß er bei
~Smythland~ abgehe; und ich war entschlossen, daß er seinen Koffer
oder irgend etwas von dessen Inhalte nicht mit sich nehmen sollte. Da
ich jedoch wußte, daß wir ~Smythland~ mit Anbruch des nächsten
Morgens erreichen würden, so beabsichtigte ich, ihm den Koffer, sobald
er eingeschlafen sey, zu stehlen. Gegen 12 Uhr öffnete ich seine Thür
und fand Kapitän ~Dix~ beschäftigt, den Koffer auszuräumen. „Halt
Kapitän!“ sagte ich, „das ist meine Sache, ich sehe, Sie haben es auch
zur Ihrigen gemacht, drum halb Part!“ In diesem Augenblicke sah ich
nach dem Bette, wo der alte Mann lag, und fand, daß das Blut aus seinem
Herzen emporschoß, auch einen Degen an seiner Seite liegen. ~Dix~
sagte nun zu mir: „Wenn Du mein Freund bist, und so Etwas Deine Sache
ist, so halte Dich nur an mich, und ich will Dein Glück machen; komm
also, und laß uns dieses alte.... in den Fluß werfen.“ Wir öffneten
das Fenster, ich stellte mich an die Außenseite desselben, und Kapitän
~Dix~ reichte mir den Kopf des Ermordeten. Ich umfaßte Kopf und
Körper mit meinen Armen und gab ihm einen Stoß in den Fluß, wobei ich
nicht vergaß, ihm das Bettzeug nachzuwerfen. Nach dieser That sagte
mir ~Dix~, daß ich nicht mehr Aufwärter seyn solle, daß er aber
in ~Louisville~ neue Deckmannschaft annehmen werde und ich als
Passagier bei ihm bleiben müsse. Als wir ~Louisville~ erreichten,
zahlte er die Leute aus, und nahm andere an. Ich ging mehrmals als
Passagier den Fluß mit ihm auf und nieder; ich galt als reisender
Jäger und beraubte gemeinschaftlich mit Kapitän ~Dix~ jedes Mal
einen Passagier nach dem andern, bis wir das Boot verließen. Er ging
sodann irgend wohin den Fluß hinauf, und heirathete, wie ich glaube,
eine junge Dame, die ihm ein Kind gebar. Etwa vor drei Jahren kam er
wieder nach ~Louisville~ herunter und wohnte bei einer Dame,
Namens ~Caroll~, und ging, so viel ich weiß, seitdem nie wieder
auf den Fluß; auch seine Frau sah ich nur dann, als sie ihr drei Wochen
altes Kind hatte. Ich denke, er ging nach ~Maysville~ um sie zu
besuchen, und blieb dort.

Kurz darauf kam er nach ~Louisville~ zurück und ist, wie ich
glaube, seitdem dort geblieben. Er wohnte noch immer bei ~Mad.
Caroll~, bis er letzten Sommer unter einem falschen Namen, den ich
nicht nennen werde, weil ich in meiner Brust dafür Gründe hege, die
eine junge Dame in ~Louisville-Hôtel~ betreffen, im Gasthause
bordete[47] und ein ähnliches Leben führte. Vorigen Herbst aber, als
~Dix~ eines Tages zu mir kam und mir erzählte, daß er kein Geld
mehr habe, in tiefen Schulden sitze, seit den letzten 10 Tagen drei
Briefe von seiner Frau erhalten und daß er sie zu besuchen wünsche,
war seine Ehrlichkeit zu Ende. Er sagte: „ich will mein Gehirn zum
Teufel schicken, wenn ich ohne vieles Geld gehe; ich habe mir einen
Plan entworfen, um genug zu erhalten, wenn du mir helfen willst.“
„Gewiß will ich“, sagte ich und folgender Plan wurde entworfen: Er
sagte mir, daß ich um 12 Uhr nach dem Gasthaus an dem Tage, an welchem
er Herren ~Barker~ ermorden wolle, kommen sollte. Ich ging zu
ihm. „Sieh“, sagte er: „ich bin mit ~Barker~, dem ~Clarc~
des ~Mechanics-Savings-Instituts~ bekannt und weitläufig verwandt
und kann zu jeder Zeit Eintritt erlangen. Gieb mir deinen Dolch.“ Ich
antwortete, daß ich keine Waffen bei mir hätte und nie dergleichen
trüge. Hierauf bemerkte er, daß er ein Pistol habe, welches ihm die
Sache vollbringen werde; er ging, um es zu holen. Als er zurückkam,
kam ein junger Mann, den er Julius, oder Julian nannte, aus der Bank
heraus. Er und ich standen beisammen an der Lampenpfoste vor Lynchs
Garten. Er ging auf das Bankfenster zu und Julian fragte ihn, ob er
nicht zum Mittagessen gehe? „Nein“! erwiderte er, „ich habe keine Lust
zu essen“. Julian ging und er näherte sich mir wieder und sagte, daß
ich warten müsse, bis Julian zurückkomme, dann solle ich an die Thüre
treten und +Panken-Dudle+ pfeifen. Er ging in die Thüre der Bank
und ich über die Straße hinüber an die Ecke der ~Pear~-Straße bis
hinunter nach ~Marwells~ Buchladen.

Da ich +Julian+ zurückkommen und schnell gehen sah, suchte ich
ihm den Vorsprung abzugewinnen, ging an der Thür vorüber, pfiff
verabredetermaßen und setzte meinen Weg bis zur nächsten Ecke fort. Ich
hielt mich so lange hier herum auf, bis +Julian+ den Alarm gab,
worauf ich unverzüglich den Platz verließ und nach dem Flusse ging. --
Dort blieb ich, bis ich hörte, ~Dix~ habe sich selbst ermordet.

Nun eilte ich nach Hause, wechselte meine Kleider, legte einen
falschen Bart an und ging in die Bank. Im dortigen Getümmel stahl ich
einem Mann ein Schnupftuch und ein Taschenbuch, das 1500 Dollars in
~Kentucky~-Noten enthielt. Es war ein junger Mann, mit einem alten
beschmutzten, weißen Hute, breiter Krämpe, ~Kenkudy~, Jeansrock,
gestreiften Kasinethosen und Kragenhemd. Das Taschenbuch war
aufgetrennt und trug die Buchstaben ~G. E. H.~ aus ~New-York~
eingeschrieben. Warum ich ihn so genau beschreibe, geschieht deshalb,
weil sein Geld nahe bei der ~Millwerk~-Brücke unter einer
kleinen Hauszelle vergraben ist. -- Erste und letzte Zuflucht in
~Cincinnati~. -- Mein Leben geht nun zu Ende und ich habe nur noch
wenige Augenblicke zu leben. Ich möchte Euch, meine jungen Gefährden,
die ihr auf dem Bette und nicht vor einem irdischen Tribunale als
verurtheilte Verbrecher sterbt, ermahnen, führt ein rechtschaffenes
Leben! Lebt wohl.

    +S. Walker+,

    (Er starb unter furchtbaren Gewissensbissen).



Vierundzwanzigster Brief.

Aufenthalt in New-Orleans.

    Im Januar 1840.


Unvergeßlich wird mir das im Jahr 1839 erlebte Weihnachtsfest bleiben
und stets werde ich beim Wiederkehr des schönsten aller Feste, wo Jung
und Alt sich freut, der damals erlebten trüben Tage mit Wehmuth mich
erinnern.

Am Tage vor dem heiligen Weihnachtsabend war es, wo ich am Körper
schwach und am Geiste abgespannt in ~New-Orleans~ ankam und
wo wir gegen Bezahlung von vier Dollars à Person die Woche, bei
einem gewissen ~Prak~, Wirth eines deutschen Kosthauses, ein
Unterkommen und Beköstigung fanden. -- Langsam ging ich am Abend durch
einige Straßen, um durch Anschauen ausgestellter Waaren mich mehr zu
zerstreuen, doch alles umsonst; nur eines Gedankens war ich mächtig,
an Weib und Kinder, welche bei jedem Freudenruf über schöne Geschenke
aus lieben Händen sich des Vaters erinnerten, der jetzt traurig und
verlassen in weiter Ferne weilte. Bei mangelndem Appetit erstarb der
Bissen mir im Munde und kränker war ich, als ich es mir selbst gestehen
wollte. Aber ein Retter und Helfer in der Noth stand tröstend mir zur
Seite, mein braver Freund, mein treuer Aacke war es. Doch auch diesem
lächelte nicht sogleich das Glück. Die ihm versprochene Stelle war
wegen längeren Außenbleibens, als die festgesetzte Zeit bestimmte, an
einen Andern schon vergeben und er wurde auf die Zeit vertröstet, wo
die Krankheitsfälle sich mehren würden und die Provisoren Beschäftigung
erhielten.

Auf diesen Fall nicht vorbereitet, waren die Mittel nicht ausreichend,
uns Beide auf längere Zeit zu erhalten, und Aacke zu brav, um seine
wohlthuende Hand von mir Kranken abzuziehen. Lange wurde jetzt
überlegt, was in so kritischer Lage zu thun sey, bis Freund Aacke auf
den Einfall kam, ~Matches~ (Zündhölzchen) anzufertigen, welche in
einzelnen Paqueten verkauft, einen guten Lohn versprachen und solches
eine leichte Arbeit war, die ich mit verrichten konnte. Schnell ging es
ans Geschäft, das nöthige Werkzeug, Säge und Schnitzer wurden gekauft,
und vom nächsten Bauplatz Abfallholz herbeigeschafft. Schon war ein
Quantum fertig und zum Hausiren für mich der nöthige Korb bereit, als
das verwendete nasse Holz die Zündkraft hemmte, und die Hölzer erst
mehr getrocknet werden mußten.

Meine seit dem unglücklichen Wassersprung und dem Genuß von Quecksilber
zerrüttete Gesundheit wollte sich nicht wieder regeln und die Kräfte
nahmen zusehends ab. Bis zum Neujahrstag wurde es täglich schlimmer, da
keine Medizin anschlagen wollte und schon glaubten Alle, welche mich
sahen, daß meine letzte Stunde nicht mehr fern sey. Mein guter Aacke,
mein treuester Freund in der Noth, stand tröstend, immer fragend, wie
es gehe und was ich wünsche, mir zur Seite. Das letzte, warum ich ihn
bat, da ich sah, daß sich meine Gesundheit nicht günstiger gestalten
wollte, war der Wunsch, mich ins Hospital bringen zu lassen, um ihm so
wegen der Zukunft weniger Sorge zu verursachen.

„Um nichts in der Welt gebe ich das zu“ versetzte der Brave. „Sie ins
offene Grab zu legen, ehe verkaufe ich alle meine Sachen, wenn das
Geld nicht ausreichen sollte.“ Der Genuß einiger Löffel Suppe, welche
die theilnehmende Wirthin auf meinen Wunsch bereitete und der, wenn
auch nur wenige Schlaf in der Nacht vom 1. zum 2. Januar, halfen den
Lebensgeistern von Neuem auf und als Freund Aacke am Mittag mit der
erfreulichen Nachricht an mein Lager trat, daß das Glück ihn begünstigt
und er eine gute Stelle in einer Apotheke erhalten und so der Zukunft
ohne Bangen entgegengesehen werden könne, so fühlte ich mich schon im
Glauben um Vieles besser.

Das Ordnen der zum Verkauf fertigen Zündhölzer konnte durch Aacken
nicht mehr geschehen, da er sofort sein Engagement antreten mußte,
weshalb mir der Auftrag wurde, die Hölzer in angeschafften Blechkasten
aufzubewahren, wenn die Mittagssonne nicht mehr auf die am Fenster des
dritten Stockes auf einer Tafel aufgestellten Hölzer einwirken könne.

Ein deutscher Sattlergeselle, welcher ebenfalls auf Arbeit wartend,
mit uns zusammen in einem Hause wohnte, suchte sich theils in meiner
Gesellschaft, oder durch Schlafen die Zeit zu kürzen, und legte sich,
da er mich schlummernd fand, mit einer brennenden Cigarre auf das neben
den Schwefelhölzern stehende Lager. Halb im Schlafe, legte er Erstere
auf den Tisch, und in dem Augenblick standen über 60 Dutzend Paquete
Zündholzer in Flammen.

Der Unvorsichtige, durch den Vorfall, aller Geistesgegenwart beraubt,
suchte eben das Zimmer zu verlassen, als der Schwefeldampf mich weckte.
Meine Bitte, vereint mit mir möglichst schnell zu retten, befolgte er
nicht, sondern floh zur Thür hinaus und machte im Hause Lärm.

Ich suchte durch Umstürzen der Paquete die Flamme zu ersticken, was
aber nur theilweise gelang. Der Qualm nahm dabei schrecklich überhand
und nur durch Oeffnen des Fensters konnte ich mich vor dem Ersticken
schützen. Doch der Zutritt der Luft trieb die Flamme nach den Betten
und jetzt blieb mir weiter nichts übrig, wollte ich nicht verbrennen,
als auf allen Vieren den Rückzug anzutreten. Außerhalb des Zimmers
unterlag ich einem solchen Erbrechen, wie ich es während der Seereise
nicht gehabt. Von jetzt an, wo der Magen gereinigt, stellte sich der
Appetit wieder ein, so daß sich mein Zustand zusehends besserte und zur
Kur, wozu der Arzt mich zu schwach hielt, gab der Zufall, oder wie man
es nennen will, Veranlassung.

Das Feuer wurde durch schnelle Hülfe in so weit getilgt, daß es nur die
Betten und das Innere des Zimmers zerstörte, das Haus selbst aber blieb
gerettet.

Die schönen warmen Tage bei jetziger Jahreszeit, gleich unsern
Sommermonaten, wirkten wohlthätig auf mich und ich suchte mich
täglich im Gewühl der geschäftigen Menge, den Hafen entlang spazieren
gehend, zu sonnen. -- Keine Stadt der Welt mag wohl eine größere
Verschiedenheit der sich im geschäftigen Gewühl durch einander
drängenden Bevölkerung darbieten, wie ~Orleans~. Schwarze
und weiße Einwohner aus allen Vereinigten Staaten, welche der im
Winterhalbjahr hier gezahlte hohe Lohn herbeizieht (2-3 Dollars
täglich), Eingewanderte aus allen Theilen Europa’s, vermischt mit
Creolen und allen Abstufungen der farbigen Bevölkerung, bilden einen
erstaunlichen und interessanten Kontrast von Sitten, Gebräuchen,
Sprachen und Gesichtsfarben. Der Handel dieser Stadt von 50-60,000
Einwohnern ist bedeutend groß und ausgedehnt. Bisweilen sollen außer
den Dampfbooten und Segelschiffen, 1000-1500 Flachboots auf den
Werften liegen. Dampfboote kommen und gehen jede Stunde, wie sich
überhaupt außer den schwülen Monaten ein Wald von Schiffsmasten im
Hafen befindet. Besonders bieten die Monate Januar, Februar, März
und April ein großes Bild von Geschäfts- und Handelsthätigkeit. Die
Produkte aller Zonen finden hier ihren Markt, und was Früchte und
Vegetabilien betrifft, so wird wohl schwerlich ein anderer Ort mehr und
Vortrefflicheres aufweisen können.

Selbst die Sonntags-Feier bringt keine Unterbrechung in die
Geschäftswelt; der Sonntag wird hier nicht, wie in den nördlichen
Staaten, heilig gehalten. Alle Läden bleiben offen, und Nichts
unterbricht den Geschäftsgang. Das Fahren, Reiten und Treiben der Menge
bleibt sich wie an Wochentagen gleich; die Märkte bieten sogar an
Sonntagen einen noch stärkern Verkehr, weil den Sklaven die Erlaubniß
zusteht, an diesem Tage Alles, was sie verkaufen wollen, öffentlich
feil zu bieten. Nur dann und wann sieht man einen andächtig Gestimmten
dem Gotteshause zu pilgern, wo die leeren Räume hinlänglich Platz
bieten, und der Lärm vor der Kirche durch betrunkenes Gesindel, wie der
Gesang herumziehender Drehorgelspieler, zum Aergerniß Anlaß giebt.

Die ungesunde Jahreszeit, welche gewöhnlich mit dem Monat Juni anfängt,
bringt Stockung in das bewegte Leben und erschlafft die Geschäftswelt,
da der größte Theil der merkantilischen Bevölkerung die Stadt verläßt,
und sich mehr nach den nördlich gelegenen Staaten zurückzieht. Die
wenigen Zurückbleibenden werden dagegen in ihren Waarengewölben vom
Müssiggang und Langweile aufgerieben, wenn sie auch das Glück haben
sollten, dem tödtlichen Einfluß des Klima zu entgehen, und dem gelben
Fieber nicht zu unterliegen, welches hier den Sommer über heimisch ist.

Dieses Bild der geschäftigen Massen wird jetzt aber durch die
Geld-Krisis gestört, welche den Handel lähmt und Stockung in alle
Geschäfte bringt. Tausende stehen ohne Beschäftigung am Strande, oder
verbringen die Zeit in Branntweinhäusern, wovon wohl keine Stadt mehr
dergleichen aufzuweisen hat, als ~Orleans~. Branntwein ist das
Universalmittel der Amerikaner. Branntwein muß Appetit schaffen und
die Verdauung befördern, muß beruhigen und ermuntern, und ohngeachtet
aller Mäßigkeitsvereine wird wohl nirgends mehr von diesem Gift
genossen als in den Vereinigten Staaten von Amerika. Besonders ist es
aber ~Orleans~, wo von diesem Göttertrank der größte Gebrauch
gemacht wird, da man das schlechte Wasser als Entschuldigungsgrund
anführt. Laufende Brunnen sind nirgends hier zu finden, und der
sumpfige, morastige Boden liefert schon bei 2-3 Fuß Tiefe das nicht zu
genießende faulige Pumpwasser; man bleibt daher auf Regen- oder das
lehmig-schmuzige Flußwasser des ~Mississippi~ beschränkt, welches
zum Verkauf in der Stadt herumgefahren wird.

Alles klagt jetzt über schlechte Zeiten, und vor Allem empfinden dieses
die zur See hier ankommenden deutschen Auswanderer. Ohne Beschäftigung
und Verdienst, lernen sie hier, wo alles doppelt theuer ist, oft in der
größten Verzweiflung Noth und Sorgen kennen, von denen Viele früher
nichts gewußt und um so weniger hier kennen zu lernen glaubten, wo
ihnen die erhitzte Einbildungskraft nur goldene Berge verheißt. Bei
alle dem sind sie gezwungen, länger hier zu weilen, da der Winter in
den nördlichen Staaten die Flußschifffahrt beschränkt, und die Reise
dahin erschwert, weshalb sich mancher genöthigt sieht, zu ergreifen,
was der Augenblick bietet, wenn die Mittel für die Dauer nicht
ausreichend seyn sollten.

Vor Allem ist es am schwierigsten ein Unterkommen auf das gelernte
Geschäft zu finden, da der größte Theil der Waaren als Handelsartikel
aus den nördlichen Staaten und Europa zugeschafft wird, weshalb man
hier nur wenig Neues fertigt. Gröbere Arbeiten, wie Brennholz zu
spalten und das Ausladen von Bau- und Pflastersteinen, welche letztere
mehre Meilen weit um ~Orleans~ nicht gefunden werden und deshalb
die Schiffer als Ballast mit hieher führen, werden meistens von
Schwarzen ausgeführt, welche die Hälfte der Bevölkerung ausmachen und
deren Zahl die Höhe von 25-30,000 erreichen soll. Ebenso verrichtet
diese Klasse Menschen alle Arbeiten in den Tabacks-Magazinen und den
ungeheuren Baumwollen-Niederlagen, und wo Weiße mit beschäftigt sind,
da giebt der Amerikaner lieber seinen geprüften Arbeitern höhern Lohn,
als daß er einen erst ankommenden Deutschen, welcher der Sprache
unkundig, für geringere Vergütung anstellen sollte.

Nichts bleibt demnach übrig, um sich und den Seinigen das Nöthige zu
verdienen, als das Ein- und Aus-Laden der Dampfschiffe und Flachboote.
Diese Arbeiten werden von Kapitäns ~Entrepreneurs~ übergeben,
und von diesen die nöthige Mannschaft angenommen. Doch auch hierzu
haben sich wiederum besondere Gesellschaften gebildet, welche selten
außer ihren Kameraden einen Andern mit Hand anlegen lassen, wenn nicht
vermehrte Arbeit und Mangel an Leuten dieses nöthig macht. In solchem
Falle nur kömmt der arme Deutsche erst an, welcher mit den Pfiffen
und Ränken des Amerikaner noch nicht vertraut ist und sich gern mit
jedem Lohn, den man ihm bietet, begnügt. Nach vollendeter mehrtägiger
Arbeit wartet er bescheiden des Rufes zur Empfangnahme der Zahlung und
glaubt, wenn dieser nicht erfolgt, seine Person in Erinnerung bringen
zu müssen, doch mit Schrecken wird er jetzt gewahr, daß der, welcher
zu zahlen verpflichtet, nicht mehr vorhanden ist. Der Rekurs an den
Kapitän bleibt ohne Erfolg, da ihm das Geschäft nichts mehr angeht,
indem die akkordirte Summe schon gezahlt worden ist. Kommt nun Tages
darauf der entwichene Schurke wieder zum Vorschein, so hilft alles
Zuredestellen nichts. Ja, ich war Zeuge, wie man einen betrogenen
Elsasser, welcher bescheiden den andern Tag nach dem sauer verdienten
Lohne fragte, gleich Einem behandelte, welcher doppelte Löhnung
verlangte, und mit Faustschlägen abwies.

Solche Betrügereien sind mir mehre bekannt worden, von denen ich eine
noch anführen will: Drei jetzt mit bei uns wohnende Professionisten
hatten, weil sie auf ihr erlerntes Geschäft kein Unterkommen finden
konnten, vier Monate ihr Leben damit gefristet, daß sie bei einem
Farmer Holz gefällt, und solches jetzt zum Verkauf nach ~Orleans~
gebracht hatten. Das Flachboot nebst Ladung war als Unterpfand des
rückständigen Lohnes an die Betheiligten verpfändet, weshalb auch
immer Einer von den Dreien auf dem Boote zur Aufsicht zurückblieb.
Doch der Eigenthümer verkaufte ohne Vorwissen der Betheiligten das
Holz und suchte eben mit der empfangenen Summe zu entweichen, als
durch einen Zufall der Handel verrathen wurde, und dieser Schurke noch
arretirt werden konnte. Vor Gericht gestellt, erklärte er Letzteres
für inkompetent, da er zu einem andern ~County~ (Gerichts-Kreis)
gehöre, und gab frech genug dabei zu verstehen, daß selbst dort, wo
er her sey, seine Gläubiger wenig gewinnen würden, da sie außer Kost
schon etwas Geld erhalten, und mehr zu geben er sich nicht verpflichtet
fühle, indem bei dem abgeschlossenen Vertrage ein höherer Lohn nicht
bedungen, und das Gegentheil zu beweisen, ihnen die Zeugen fehlten.
Frei und triumphirend zog er von dannen, und die Geprellten wußten
nicht, von was sie den Wirth bezahlen sollten; sie sahen einer
traurigen Zukunft entgegen, da ihre Sachen versetzt, und die Mittel sie
wieder einzulösen fehlten.

In der Gegend von ~Orleans~ ist das Holzfällen nicht allein
beschwerlich, sondern auch äußerst ungesund, da auf den sumpfigen
Stellen die Arbeiter oft im Wasser waden müssen und dabei noch froh
sind, wenn sie ihren Lohn richtig empfangen, welches, da man immer
Reste zurückhält, welche beim Abgange der Holzmacher in der Regel
kassirt werden, selten der Fall ist. Ich rathe daher den Auswanderern,
nicht ~New-Orleans~ zum Landungsplatze zu wählen, sondern jeden mehr
nördlich gelegenen Hafen vorzuziehen, wo man immer Gelegenheit findet,
in die westlichen Staaten, wenn man dahin sein Ziel gesetzt hat, reisen
zu können.

Bis zur völligen Genesung, wo mir in einer Eisen-Manufaktur Arbeit
zugesagt worden war, hier ohne Zweck zu verweilen, ließ der Geist mir
nicht die Ruhe, und da der Hauswirth die Anfertigung von Zündhölzern
nicht wieder erlaubte, so war ich Willens, mit einem Franzosen,
welcher gut englisch und deutsch sprach, die nächsten Zuckerplantagen
zu besuchen, um mich daselbst mit den gebrauchten Utensilien bekannt
zu machen, und auf Gastfreundschaft gestützt, billiger als es hier
möglich, die Zeit bis zu meiner völligen Genesung zu verleben.

Bis Monat März gedachte ich überhaupt nur in ~Orleans~ zu verweilen
und dann zur See nach ~Richmond~ zu fahren, von wo aus die Reise über
~Washington~ und ~Baltimore~, durch ~Pennsylvanien~ nach ~Philadelphia~
und ~New-York~ zurückgemacht werden sollte, wenn dieses ein höheres
Wesen nicht anders bestimmte. -- Ueber die Zeit meines dortigen
Eintreffens, wie über alles Andere, läßt sich hier nichts mit Gewißheit
voraus bestimmen, da man dem Zufall und den Launen des Schicksals
fortwährend unterworfen bleibt; ist man aber gesund, so läßt sich als
einzelne Person bei Selbstbeherrschung und Mäßigkeit das leicht wieder
erwerben, was schlechte Menschen und Krankheit entrissen haben. Nur
für Trennungsschmerzen giebt’s keine Linderung, und offen will ich
gestehen, daß ich nicht geglaubt, daß der Gedanke an die Seinen in
einsamen schweren Stunden, den Menschen so ganz niederschlagen und
muthlos machen könnte; nur die Hoffnung des Wiedersehens, die höchste
irdische Freude für mich, ist vermögend den Schmerz zu mildern und
Balsam in das wunde Herz zu gießen. -- Um Nichts in der Welt gebe ich
die Stunde, in welcher ich Euch wieder in die Arme zu schließen hoffe,
und dann soll nur der Tod mich von meiner Familie wieder trennen.



Fünfundzwanzigster Brief.

Wanderung nach ~Texas~.

    Im Januar 1840.


Die eingetretene nasse Witterung hielt uns von dem Ausfluge ab, und
so kam es, daß wir am 8. Januar noch in ~Orleans~ verweilten,
an welchem Tage vor 25 Jahren die Engländer den Versuch wagten,
diese Stadt zu erobern, vom General ~Jackson~ aber geschlagen
und zum Rückzuge gezwungen wurden. Am Tage des Festes, welches der
alte General persönlich zu verherrlichen beschlossen hatte, sollte
auch auf dem Schlachtfelde der Grundstein zu einem Denkmale gelegt
werden, wie es die Zeitblätter bekannt machten, und die Eigenthümer
von Dampfbooten ihre Fahrzeuge zur Reise dahin empfahlen. Selbst die
Eisenbahngesellschaft machte bekannt, daß die Wagen um 11 Uhr für das
Militär bestellt seyen; wenn sich Privatpersonen derselben bedienen
wollten, so müsse dieses früher oder später geschehen.

Wer würde demnach wohl daran zweifeln, daß nicht Alles in Wahrheit
beruhe, und so ließen sich Viele verleiten auf dem Schlachtfelde der
Dinge zu harren, die da kommen sollten. Doch Alles war nur ein Scherz,
mehr auf die Geldbeutel der Leichtgläubigen abgesehen[48], weil ohne
diesen Kunstgriff während der Festlichkeiten in der Stadt, weder
Eisenbahn noch Dampfboote gebraucht worden wären. Während Viele nun
vergeblich auf dem Schlachtfelde harrten, kam General ~Jackson~
auf einem Dampfboote in ~Orleans~ an, und wurde im Triumph in
einem vierspännigen Wagen auf dem Platz vor der Kathedrale abgeholt,
wo die Nationalgarden in Parade aufgestellt, ihn mit Salven aus dem
groben Geschütz begrüßten. Nach beendigten Honneurs wohnte man dem dazu
veranstalteten Gottesdienste bei, worauf die Truppen vor dem General
vorbei defilirten, und durch einige Straßen nach einem andern Platze
marschirten, wo sich Alles in Wohlgefallen auflöste, und das Fest als
beendigt anzusehen war.

Dem ganzen Ceremoniel fehlte vor Allem militärische Haltung und
durch die verschiedene Equipirung der Truppen glaubte man mehr einen
Maskenaufzug zu sehen. -- Dem Gesetze nach haben 20 Mann, welche
zusammentreten, das Recht, sich einen Führer zu wählen, und sich
nach eigener Wahl zu uniformiren. Demnach wird beim Ausrücken der
uniformirten Nationalgarden die Gelegenheit geboten, eine lebende
Mustercharte von allem Militär ~in natura~ zu sehen, denn einem
Trupp Engländern folgten Franzosen, Preußen, Russen, Schotten u. s.
w. Das Musikchor von 20-30 Mann, welches jede Kompagnie vor sich her
marschiren läßt, ist oft stärker als das ganze Bataillon selbst, und
wenn auch mitunter die Musik gut ist, verstehen die Tambours ihre Kunst
um desto schlechter, deren Trommeltöne, in Begleitung einer Querpfeife,
unwillkührlich an den Bärentanz erinnern. -- Vor Allem nimmt sich die
Kavallerie possirlich zu Pferde aus, da, wie bekannt, der Amerikaner
ein schlechter Reiter ist.

Nicht militärische Kenntniß bestimmt den einzunehmenden Grad einer
Charge, sondern mehr die Bereitwilligkeit, zu welcher sich der
Gewählte zur Mehrausgabe der mitunter höchst brillanten Auszeichnung
der Offiziere versteht, und die Gelder nicht schont, welche ein so
Glücklicher bei verschiedenen Gelegenheiten seinen Kameraden opfern
muß. Wie es bei alle dem um die Disciplin steht, läßt sich denken.
Jeder sieht den Beruf zum Militär als Nebensache an, weshalb es oft der
Fall ist, daß beim Ausrücken Nachzügler vorkommen. Ein Gleiches war es
mit dem Fahnenträger des 20 Mann starken Grenadier-Bataillons, welcher
sich noch im nächsten ~Stoor~ fest machte, als seine Kameraden
bereits abmarschirt waren und er nun, anstatt in der Mitte der
Kompagnie zu marschiren, derselben mit der Fahne im Trabe nachzukommen
suchte.

Früh am Morgen des 9. Januar wurde endlich die Wanderung angetreten.
Jeder von uns war nur mit Wechsel von Leibwäsche versehen, da die Tour
nur auf kurze Zeit berechnet, und auch schon beim Mangel der Kräfte der
mitgenommene Zucker, Thee und Kaffee, wie das nöthige Kochgeschirr,
im Fall uns keine gastfreundliche Aufnahme werden sollte, das Gehen
erschwerte. Mein Begleiter dagegen, war hinlänglich mit Pulver und
Blei, sowie mit den beiden Gewehren versehen.

Des Gehens entwöhnt, sehnte ich mich schon nach wenig zurückgelegten
Meilen nach Ruhe, und es war beschlossen, auf nächster Plantage
einzusprechen. Der Herr sey, wie versichert wurde, in ~Orleans~,
und der Aufseher der Sklaven war hartherzig genug, uns die Herberge zu
versagen, und verwischte so das schöne Bild gerühmter Gastfreundschaft
der Amerikaner. Die nächste Plantage sey nicht weit, ward uns zur
Antwort, und heute noch zu erreichen, worauf ein Neger Befehl erhielt,
uns bis zur Grenze zu geleiten, und dann den richtigen Holzweg zu
zeigen. -- Von diesem armen Schwarzen erfuhren wir nun, wie sie von
den Launen des Gebieters die härtesten Mißhandlungen zu erdulden,
und wie überhaupt eine grausame Disciplin gehandhabt werde. Zur Zeit
der Aerndte gönne man ihnen wenig Ruhe, und von früh bis spät Abends
der Sonnengluth ausgesetzt, unterliegen mehrere den Strapazen. Beim
Abschiede reichten wir ihm ein Glas Rum, was er begierig verschluckte
und dankbar dafür uns die Hände drückte, wobei er der Thränen sich
nicht enthalten konnte und mich selbst zur Wehmuth stimmte. -- Schon in
~Orleans~, wo man das ganze Jahr hindurch dieser Menschenklasse
nur die halbe Sonntagsruhe gönnt, ging ihr Loos mir sehr nahe, und
mit wahrhaft schmerzlichen Gefühlen sah ich die armen Schwarzen mit
entblößtem Haupte und niedergeschlagenem Blicke, oft nur mit einigen
Lumpen bedeckt, zum Verkauf ausgestellt, oder auktionsmäßig aus einer
Hand in die andere gehen, wobei man sie gleich dem Vieh betastete, um
sich von dem mehr oder weniger muskulösen Körperbau zu überzeugen. Ist
es nicht eine Schande für ein Volk, das Freiheit und Gleichheit immer
im Munde führt, und dabei die heiligsten Menschenrechte mit Füßen
tritt? Sind die Schwarzen denn nicht auch Menschen? Mit welchem Rechte
unterdrückt man die geistigen Kräfte dieser Armen (Keiner darf lesen
noch schreiben lernen), statt sie allseitig auszubilden, und diesem
Menschengeschlecht dadurch die erhabene Stellung, zu der es, vermöge
seiner geistigen Anlagen gleich dem Weißen berufen ist, zu sichern?
Es ist mir versichert worden, daß es in ~Orleans~ mehrere Neger
geben soll, die nur durch Gehör die englische, französische, spanische
und deutsche Sprache erlernt hätten.

Gleich hinter dem Gehölz sollte, wie der jetzt zurückkehrende Neger
versicherte, die nächste Plantage den Anfang nehmen, wohin zu
gelangen wir nicht säumen durften, da das Dickicht der Bäume den Weg
verfinsterte und zu befürchten stand, uns noch zu verirren. Bald
rechts, bald links schlängelte sich der Fußpfad, welcher zuletzt
nicht genau mehr zu erkennen, da er nur wenig betreten war, und wir
auf das Ungewisse dem Zufalle folgen mußten. Schon befürchtete ich,
wir wären irre gegangen, als Menschenstimmen sich hören ließen und
der Schein eines Lichtes zu uns drang; in dieser Richtung fortgehend,
führte der Weg zu einer Reihe kleiner Hütten, welche als Aufenthalt
der Neger dienten. Sehr gern hätten uns die Bewohner der ersten Hütte
aufgenommen, wenn es der Raum gestattet hätte, da hier aber schon zwei
Familien sehr beengt untergebracht waren, welche auf ihrem Mooslager
der Ruhe pflegten, so wurden wir in eine andere der Hütten, welche nur
zwei Männer in sich faßte, gebracht, an deren Seite wir, von Müdigkeit
erschlafft, bald dem Schlafe verfielen.

Noch pflegten wir der Ruhe, als am Morgen der Aufseher der Schwarzen,
vermuthlich durch die Schlafgesellen von unserm nächtlichen Besuche
unterrichtet, vor dem Lager stand, und mit barscher Stimme nach unserm
Begehr fragte. Meinen Wunsch, die Utensilien und die Einrichtung der
Zuckersiederei besehen zu dürfen, schlug er aus dem Grunde ab, daß an
diesen jetzt außer Gebrauch gesetzten Geräthschaften nicht viel zu
sehen sey, er aber auch keine Zeit und Lust habe, die verschiedenen
Räume zu öffnen, und wir deshalb immerhin ungesäumt den Weg fortsetzen
könnten, wo wir mehre Plantagen antreffen würden.

Dieser unvermuthete zweimalige Empfang hatte das Feuer der Reiselust
merklich gedämpft und mich zum Umkehren bestimmt, wenn es mein
Reisegefährde, der leidenschaftlicher Jäger war, zugegeben hätte;
vielmehr suchte mich derselbe zu überzeugen, daß im Innern des Staates
~Louisiana~, wohin die Reiselustigen aus ~Orleans~ weniger
wanderten, uns freundlichere Aufnahme werden würde, und der erste
Tag keinen Maßstab der gemachten Erfahrungen abgeben könne. Diesem
konnte ich Nichts entgegensetzen und da die schöne Witterung das
Unternehmen zu begünstigen schien, so wurde von Neuem der Wanderstab
ergriffen und die Schritte vorwärts gerichtet. Die, wie es schien,
fruchtbarsten und mitunter schönen Landstriche, welche jedoch der
Ueberschwemmung ausgesetzt sind, wie dieses an den Gesträuchen zu
sehen war, wurden durchwandert, im Gehölz das noch nicht verscheuchte
Wild erlegt und bei Plantagenbesitzern, welche uns gastfreundlicher
aufnahmen, eingesprochen, die uns Alles zeigten und die gewünschte
Auskunft ertheilten. Auch der üble Eindruck wurde gemildert,
welchen oft Hunderte von Sklaven, die mit Umhacken der Erde auf den
Zuckerfeldern beschäftigt waren, auf uns machte, und die erbärmlichsten
Lebensverhältnisse, in welchen dieselben sich zu befinden schienen,
wurden weniger von den daran Gewöhnten und nichts Besseres Kennenden,
gefühlt, wie dieses auch das mitunter fröhliche und gute Aussehen
dieser Menschenklasse bestätigte.

Nachdem in ~Opelousas~ der Schießbedarf ergänzt worden war,
wurde der Marsch nach ~Alexandria~ fortgesetzt. Am letztern Orte
bestimmte uns die nasse Witterung, das Fußreisen auszusetzen, und um
mehr Ruhe zu genießen, wurde beschlossen, auf dem ~Red-~Flusse bis
nach ~Natchitoches~ zu fahren, von wo aus der Retourweg durch eine
andere Gegend angetreten werden sollte. Doch wie so Manches in der Welt
eine andere Richtung erhält, als man sich vorgestellt hat, eben so
sollte es jetzt unserm Ausfluge ergehen.

Zwei Reisende, ein Schweizer und ein verbannter Pole, von ~St.
Louis~ kommend und auf dem Wege nach ~Texas~ begriffen,
gesellten sich in ~Natchitoches~ zu uns, und wußten ~Texas~
so zu rühmen, daß es nichts zu wünschen übrig lasse, und bei mangelnden
Arbeiten könne sich jeder guten Verdienst dort versprechen; deshalb
willigten wir ein, bis dahin unsern projektirten Ausflug zu verlängern,
und auf gemeinschaftliche Kosten, da, wie es schien, einer so wenig wie
der andere hatte, die Fußreise fortzusetzen.

Wurde auch durch oft zu übersteigende waldige Höhen, welche menschliche
Kultur noch nicht gelichtet, und zum Aufenthalte wilder Thiere
dienten, wie das Reisen bei starken Regengüssen auf unwegsamen Pfaden
und das Durchwaden entgegentretender Gewässer lebensgefährlich, so
fühlten wir dieses doch weniger, als das Nachtquartier unter freiem
Himmel bei empfindlicher Kälte auf die Tageshitze, welches in dem
weniger angebauten ~Texas~, oder wegen unfreundlicher Kolonisten
mitunter vorkam, und man den empfindlichen Stich der Insekten
(Muskitos) blosgestellt wurde. Doch alle diese Strapazen, die eine
derartige Reise immer im Gefolge hat, wurden durch mannichfaltige
Begebenheiten und Abenteuer reichlich vergütet, welche die Harmonie
vier gleichgestimmter Seelen noch erhöheten, und von keinem Unfall
oder Krankheit unterbrochen wurden. -- Vor Allem verkürzte der Pole,
beim Lagern an dem Feuer, die Zeit durch Erzählung seines Antheils am
Revolutionskriege, seiner Verbannung und Schicksale in Amerika, und
fehlte auch zum Mahle das Brod, so war solches immer vom Fleische der
Bewohner des Waldes reichlich ersetzt.

Bis zum ~Sabine~-Flusse empfand ich außer Müdigkeit weiter
keine Beschwerde, leider hatte aber während der letzten Zeit die
Leib-Bandage einige schadhafte Stellen bekommen, wodurch das Gehen
täglich immer schmerzhafter wurde.

Meine Klage brachte den Polen auf den glücklichen Einfall, uns beritten
zu machen, welches bei den hier weidenden Pferden und Maulthieren
leicht ausführbar schien. Schon am dritten Tage wurden, wie im Kriege,
wo immer Gewalt vor Recht ergeht, vier Stück acquirirt, welches,
auf militärisch, recht lieblich klingt, im Civil aber, gleich dem
Stehlen, ein und dasselbe ist, und hier bei Todesstrafe verboten war,
da es vermuthlich häufig vorkommen mochte. -- Wegen der nöthigen
Zäume half schon den Tag vorher der Seiler aus, dessen Arbeiten hier
mehr zum Geschirr verwendet werden, als die des Riemers. Die Reit-
und Fahr-Utensilien des Farmer gleichen den polnischen auf ein Haar,
weshalb sich unser Pole in dieser Hinsicht immer in sein Vaterland
versetzt glaubte.

Von jetzt an sahen wir stolz wie ~Gentlemen~ von unsern
Lastthieren herab, durchstreiften bequem nach allen Richtungen das
Land, da überall die grüne Weide Futter und der Wald mit seinen
Bewohnern aushalf, auch mitunter ein gastlicher Farmer uns beherbergte
und sättigte, bei welcher Gelegenheit wir uns für neue Ansiedler
ausgaben und so über Alles Erkundigung einziehen konnten, deren
Resultate ich im nächsten Briefe zu schildern versuchen werde.



Sechsundzwanzigster Brief.

~+Texas+.~

    Im Januar 1840.


Die sich im Jahre 1836 von Mexiko losgerissene Provinz ~Texas~, welche
aber von diesem Reiche noch nicht als unabhängiger Staat anerkannt
worden ist, faßt 4-500,000 engl. Q. Meilen in sich, welche erst jetzt
von 15,000 Seelen bewohnt seyn sollen, so daß auf 4-5 englische
Q. Meilen 1½ Person kommt, und daher noch Millionen Einwanderern
Gelegenheit zum Aufenthalte bietet, ehe die Bevölkerung Deutschlands
hier erreicht wird.

Das Verhältniß des weiblichen Geschlechts zum männlichen ist sehr
gering, weshalb für Frauenzimmer sich immer Gelegenheit zum Heirathen
darbietet, und man hier weniger als bei uns auf Schönheit und Reichthum
sieht. Nicht selten fällt es vor, daß Mädchen schon im 13. Jahre in den
heiligen Ehestand treten.

Das Klima, welches im Sommer heiß ist, steigt oft über 90 (Fahrenheit),
wird aber fast täglich von Süd- oder West-Winden gemildert. Die Nächte
dagegen sind empfindlich kalt und setzen im Winter Thau ab; obgleich
zu dieser Zeit die Flüsse nie mit Eis bedeckt werden und in den
Monaten Dezember, Januar und Februar Regengüsse die Stelle des Schnees
vertreten.

Längs des Golfes von Mexiko ist das Land flach und ohne alle Felsen,
erhebt sich aber nach und nach bis es seine Hochebenen erreicht hat.
Das fruchtbarste Erdreich enthält das angeschwemmte Küstenland, welches
sich vorzüglich zum Anbau des Zuckers und der Baumwolle eignen soll.
An diese beinahe endlosen Ebenen schließt sich ein wellenförmiges
Land an, welches immerwährend eine Abwechselung von Hügeln, Thälern,
Wiesen und Wäldern bietet, und das hohe Gras, wie der wilde Roggen
ebenfalls die Fruchtbarkeit des Bodens bekunden, auf dem die oft mehre
Meilen entfernt voneinander gelegenen Wohnungen den Mangel menschlicher
Bevölkerung anzeigen.

Die von Indianern bewohnten Hochebenen, bis wohin solche zurückgedrängt
worden sind, sollen ebenfalls an Fruchtbarkeit nichts zu wünschen übrig
lassen, und unerschöpfliche mineralische Schätze enthalten. Gold,
Silber, Kupfer, Blei, so wie Eisenerze liegen in geringer Tiefe, und
nur die tiefe Stufe der Kultur, auf welcher die Bewohner noch stehen,
so wie Mangel an Fonds und nöthigen Arbeitern, verhindern den Bergbau.
Wilde Pferde, Esel, Büffelochsen, Bären, Leoparden, Panther, Wölfe,
wilde Schweine, Ziegen und Schaafe werden von den Indianern gejagt,
und diese Thiere verbreiten sich selbst bis zur Mittel-Region herab,
wo der Jäger außerdem noch Rothwild, wilde Katzen und Eichhörner in
Menge antrifft. Viele bei uns noch unbekannte Wasservögel beleben die
wasserreichen Gegenden, und wilde Gänse, Enten, Schwäne, Kraniche und
Pelikane, durchstreifen die Gegend in großen Zügen. Geflügel aller
Art belebt die Wälder und Wiesen. Rebhühner, Fasanen, Schnepfen,
Paradiesvögel, Papageien, Wachteln, Tauben und wilde Truthühner wurden
von uns in Menge geschossen und würzten das frugale Mahl.

Zahlreiche Flüsse, welche das Land in allen Richtungen durchschneiden,
erleichtern den Verkehr und versorgen die Bewohner des Landes mit
Fischen aller Art.

Die mannichfaltigsten Holzarten sind in den Wäldern anzutreffen als:
Eichen, Fichten, Eschen, Buchen, Ahorn, Cypressen und Akazien stehen
durch einander. Cedernholz wird in Menge angetroffen, das wie der
~Osage-Orangen-~Baum ein äußerst festes Holz liefert, welches die
Indianer zu ihren Pfeilen und Bögen verwenden. Die vielen Sorten wilder
Apfelbaum, Nußbäume, Kirsch-, Pfirsich- und Maulbeerbäume, beweisen,
daß alle Produkte des Gartenbaues in diesem Lande gedeihen würden,
obgleich bis jetzt nur wenig in diesem Zweige der Kultur gethan worden
ist. Der wilde Wein rankt sich auch hier an den stärksten Stämmen bis
in die Wipfel der Bäume, oder läuft ohne Stützpunkt auf der Erde umher.

Außer Zucker und Baumwolle wird gewöhnlich nur noch Mais und die süße
amerikanische Kartoffel gebaut, doch ist auch der Anfang mit Taback
gemacht worden und eben so mit Waizen. Die Verbreitung dieser Fruchtart
wird aber erst von den nöthigen Mühlen abhängen, welche jetzt noch
fehlen, da nur Handschrotmühlen aushelfen und das benöthigte Mehl aus
den Vereinigten Staaten herbeigeschafft wird.

Die Viehzucht ist erst im Entstehen und nur wenig Kolonisten
befleißigen sich damit im Großen, wozu die fetten Wiesen und
fruchtreichen Wälder die beste Gelegenheit bieten. Das Fleisch ist
übrigens nicht vom besten Geschmack und wildert sehr; Schweinefleisch
dagegen ist gut und dieses Thier ist eines der ersten, welches sich der
Ansiedler zu verschaffen sucht, da die Vermehrung derselben wenig, oder
auch gar nichts kostet, weil dieses Thier seine Nahrung überall in den
waldigen Gegenden findet.

Um die Bevölkerung möglichst schnell zu vermehren, gewährte die
Regierung allen Einwanderern gegen das Versprechen, wenigstens drei
Jahre im Lande zu bleiben und alle Bürgerpflichten zu erfüllen, vom 1.
März 1836 an bis letzten Dezember 1838 das Recht des Anspruchs auf:

    1200  ~Acres~ den Verheiratheten,
     650     -          -   Ledigen,
     320     -          -   Kindern über 14 Jahre.

Vom 1. Januar 1839 bis 1. Januar 1840.

    640  ~Acres~ den Verheiratheten und
    320     -          -  Ledigen,

wobei das Recht verknüpft war, selbst zu bestimmen, wo ein Jeder
angewiesen und ausgemessen haben wollte, dafür aber die desfallsigen
Bemühungskosten zu bezahlen hatte. Mit dem Jahre 1840 hörten alle
Schenkungen auf und nur Militärdienste werden noch mit Abgabe von
Ländereien belohnt, deren Zahl die Länge der Dienstzeit bestimmt.

Wer würde wohl nach solcher Schilderung des Landes nicht Lust bekommen,
hier seinen Wohnsitz aufzuschlagen, wo noch besonders die angeführten
Schenkungen von Grund und Boden zum Ansiedeln reizen mußten? Doch
Manches spricht dagegen. Wie viele hier eingewanderte Nordamerikaner,
die eben so schnell diesen Staat wieder verlassen, beweisen, wie
Tausende meiner Landsleute Amerika verlassen würden, wenn ihnen die
Mittel dazu nicht fehlten.

Die Zahl der neu eingewanderten Bevölkerung besteht in der Mehrheit
immer nur aus Nordamerikanern aller Staaten, da die Beimischung
europäischer Völker, worunter immer die Deutschen noch die Mehresten
sind, nur gering ist. -- Vor Allem liefern ~Louisiana~,
~Mississippi~ und ~Alabama~ eine Menge Individuen, welche
wegen unbezahlter Schulden oder sonstiger Streiche, der Justiz
glücklich entwischt, hier eine Freistätte suchen. -- Dann glauben auch
viele Amerikaner, hier ohne Arbeit und Beschäftigung die goldnen Berge
zu finden, welche der Deutsche vergeblich in Amerika sucht; sie fallen
durch getäuschte Erwartung und Faulheit der übrigen Bevölkerung zur
Last und verderben die Sitten. Unruhige Geister, gelehrt sich dünkend,
Doktoren, Advokaten und Theologen kommen in der Meinung, durch ihren
Kopf allein reich zu werden, wozu die junge Republik am wenigsten
Gelegenheit bietet, gerathen oft nothgedrungen auf Abwege und fallen
Abenteurern, Spielern und Trunkenbolden in die Hände, wodurch, da Alles
erst im Entstehen ist, bei mangelnder energischer Gerechtigkeitspflege,
Betrug, Duelle und Meuchelmord unvermeidlich sind, daß dabei die
Grenze zwischen Mein und Dein nicht immer gesichert ist, läßt sich
denken.

Der moralische Zustand dieser vermischten Volksmasse steht hier noch
tiefer als in den Vereinigten Staaten selbst; da alle Volksbildung
fehlt, keine Schulen und Religionsanstalten vorhanden und nur
Missionäre in religiöser Beziehung das Ihrige zum Seelenheil der
Menschen beitragen. Sucht man auch in neuerer Zeit diesem Uebel
durch Erbauung von Kirchen und Schulen abzuhelfen, so haßt doch der
Amerikaner vor Allem den Zwang und lebt lieber im natürlichen Zustande
fort.

Geldmachen ist auch hier der Punkt, um den sich Alles dreht und wendet
und Nichts wird gescheut, diesen Zweck zu erreichen. Dabei hat das
Laster der Trunksucht die höchste Stufe erreicht und die Zahl der
mit geistigen Getränken Handeltreibenden, übersteigt alle Erwartung,
da dieser Handel die schönste Gelegenheit bietet, auf dem kürzesten
Wege reich zu werden, wozu mitunter ein fein angelegter und gescheidt
ausgeführter Bankerott das Beste beiträgt. In keinem Lande werden wohl
im Verhältniß der Bewohnerzahl mehr geistige Getränke konsumirt, als
hier. Die Hauptursache mag wohl auch in dem schlechten Trinkwasser
und in den schnell wechselnden klimatischen Witterungseinflüssen zu
suchen seyn, weshalb man Branntwein als Arznei und Schutzmittel für
die Gesundheit des Menschen hält. Auch lebt der größte Theil der
Bevölkerung außer ehelichen Verhältnissen und ist wegen Wohnung und
Kost auf die Speisehäuser verwiesen und dadurch in die Nähe geistiger
Getränke versetzt, deren Reiz zu mächtig ist, wobei der Genuß durch
Gewohnheit leicht zum Bedürfniß wird. Im ehelichen Verhältnisse,
wo Mann und Frau beim Genuß geistiger Getränke nur zu oft aus den
Schranken der Mäßigkeit treten, sucht man auch die Kinder schon
frühzeitig daran zu gewöhnen, um, wie der Wahnglaube des Volkes
ist, den Körper mehr gegen die Witterungsseinflüsse abzuhärten. Kein
Geschäft, kein Versöhnungsakt wird abgeschlossen, ohne durch Leeren der
Gläser. Mit solchen in der Hand, wird jeder empfangen, der ein Lokal
betritt, wo geistige Getränke verkauft werden und gegen Anstand und
Sitte würde man stoßen, wollte man keinen Bescheid thun. Da sich aber
mitunter der Bekannten zu viel einstellen, so ist es häufig der Fall,
daß der Mensch aufhört, Mensch zu seyn und im Zustand der Trunkenheit
unter das Vieh herabsinkt. Untergräbt schon der unmäßige Genuß
geistiger Getränke die Gesundheit, so muß dies in Amerika noch mehr
der Fall seyn, da man sich hier nicht scheut, durch alle künstliche
Mittel Wein, Bier und Branntwein stärker und berauschender zu machen,
und gewissenlos werden spanischer Pfeffer, Kokoskörner, Tabacksblätter,
Paradieskörner, Krähenaugen, Stechäpfel, Bilsenkraut, Opium, Belladonna
und dergleichen Ingredienzien in Anwendung gebracht. So lange dieses
nicht unterbleibt, kann die Gesundheit des Menschen nicht gewahrt
werden und der Tod wird fort und fort seine Opfer fordern und dem
gelben Fieber leichtern Eingang verschaffen, welches in den meisten
Städten von Texas den Menschen in den letzten Jahren so gefährlich
worden ist.

Die Witterungseinflüsse auf die Menschen, besonders der Neuankommenden,
halten die Gesundheit derselben beständig im Schach und sind auch die
Fieber nicht immer tödtlich, so untergraben sie doch die Gesundheit
und schwächen den Körper, so daß der Mensch schnell altert und im
vierzigsten Jahre mit einem Sechziger verglichen werden kann. Nur
wer daselbst geboren und gleichsam schon im Mutterleibe an das Klima
gewöhnt worden ist, hat von alle dem weniger zu befürchten. Schon aus
dem Angeführten sollten fleißige und industriöse Einwanderer diese
südlichen Länder meiden und sich nicht der Hoffnung hingeben, daß
sie im Innern des Landes weniger von diesem Uebeln zu befürchten
hätten. Ist dieses nun auch der Fall, so sind sie doch mehr den
Ueberfällen der Indianer bloß gestellt, wie uns Familienglieder solcher
Ueberfallener, welche das Skalpirmesser nicht erreicht hatte, erzählt
haben. Unvermuthet stellt sich diese Mordbrennerschaar ein, überfallen
die wehrlosen Kolonisten, ermorden, was ihnen in die Hände fällt und
ein Schutthaufen bezeichnet den Abwesenden den Ort ihrer friedlichen
Hütten. Wird auch von der Regierung Alles gethan, diese unberufenen
Gäste abzuhalten, so ist doch die zu Gebote stehende Macht bei den
ausgebreiteten Distrikten weit auseinander liegender Städte und
einzelner Wohnungen nicht immer hinreichend.

Man hat daher im Juli 1839 den Sitz der Regierung von ~Hauston~
weg und mehr in das Innere des Landes zurückgelegt und an dem
~Colorado~-Fluß, 170 Meilen von ersterer Stadt entfernt, die
Stadt ~Austin~ gegründet, welche Gegend außer Fruchtbarkeit, ein
gesundes Klima enthält. Es wird demnach die konzentrirte Macht mehr
in die Mitte des Staates verlegt, um die Kräfte nach allen Seiten
verwenden zu können. So lange übrigens dieser junge Staat noch nicht
unter die Zahl der vereinigten nordamerikanischen Staaten aufgenommen
worden ist, worüber die gepflogenen Verhandlungen bis jetzt kein
günstiges Resultat geliefert haben, wird immer zu befürchten stehen,
daß ~Mexico~ seine Ansprüche an diese abgefallene Provinz von
Neuem geltend machen, das Land mit Krieg überziehen wird und so die
Bewohner den Drangsalen einer solchen Periode ausgesetzt sind.



Siebenundzwanzigster Brief.

    Im Februar 1840.

Fortsetzung.


Die von uns besuchten Städte, wie überhaupt alle vorhandenen in
~Texas~, sind noch im Entstehen und enthalten Nichts der
Anmerkung werth. Steinerne Häuser findet man nirgends, da aus Mangel
an Ziegelöfen das dazu nöthige Material aus den Vereinigten Staaten
bezogen werden muß und wegen des hohen Preises, den es durch den
Transport erhält, nur wenig in Anwendung kommen kann und man deshalb
sich mit Holzhäusern begnügt.

Ziegelbrenner, die dieses lesen, werden nun glauben, hier guten
Verdienst zu finden und dennoch kann ich versichern, daß ein solcher
mit mir nach ~Orleans~ zurückkehrte, um sich von da nach den
nördlichen Staaten zu wenden, da er in ~Texas~ auf sein Metier
kein Unterkommen finden konnte und kein eigenes Vermögen besaß, um
sich Grundbesitz zu kaufen. Unternehmer großartiger Geschäfte, wie
Branntweinbrennereien, Mühlen, Gerbereien, Kalk- und Ziegelbrennereien,
müssen unbedingt ein dem Geschäft angemessenes Kapital besitzen, um
die Anlagen davon bestreiten zu können, welche jedoch hier bedeutend
höher als bei uns zu stehen kommen. Einer, der kein Geld hat, wird
hier immer eine untergeordnete Rolle spielen müssen und im Besitz von
Vermögen lebt es sich wie bekannt, bei uns recht gemüthlich. Besonders
ist jedem Handwerker anzurathen, darauf Rücksicht zu nehmen, ob sein
Gewerbe zu den ersten Bedürfnissen erforderlich ist, ob sein Fabrikat
mehr in das Fach der Luxus-Artikel einschlägt, oder seine Produkte
Handelsartikel sind. Zimmerleute, Wagner und Grobschmiede werden
leichter ein Unterkommen und Verdienst finden, wie Goldschmidte,
Juweliere und Instrumentenmacher, welche bei aller Geschicklichkeit
in die größte Noth gerathen, und um das Leben zu erhalten, eine andere
Beschäftigung ergreifen müssen; Schuhmacher, Schneider und Hutmacher
werden sich mehr mit Repariren abzugeben haben, weil ihre Waaren als
Handelsartikel aus den Vereinigten Staaten zugeschafft werden und sie
nicht mit den großartigen Fabriken daselbst konkurriren können, da ihre
Materialien hier äußerst theuer und selbst nicht immer zu bekommen
sind. Zinngießer, Glaser, Drechsler und Buchbinder habe ich nirgends
getroffen. Bäcker, obgleich dieses Handwerk meistens durch Schwarze
verrichtet wird, sind immer noch besser daran als Müller, da Mühlen
fehlen und das Mehl als Handelsartikel zugeschafft wird. Posamentirer,
Krepinmacher und Strumpfwirker kennt man den Namen nach nicht. Nur
Handwerker, deren Gewerbe auch bei uns in kleinern Landstädten
gefordert wird, kann man auch als hier fortkommend annehmen.

Der Verdienst ist dem Anschein nach hier noch viel größer als in
~Orleans~ und erreicht nicht selten die Höhe von 6-8 Dollars
täglich. Wäre nun Silbergeld gebräuchlich, so ließe sich wohl bei
Sparsamkeit und Fleiß leicht ein Kapital erübrigen, so aber ist nur
Papiergeld im Verkehr, und der Werth Texanischer Noten ist zur Zeit in
den Vereinigten Staaten so tief gesunken, daß bei unserer Zurückkunft
in ~Orleans~ am 5. März, der Dollar von 100 ~Cents~ Werth
verausgabt, nur für 16-18 ~Cents~ angenommen wurde. Ein mit
erspartem Verdienst zurückkehrender Arbeiter, sah sich dadurch
schrecklich enttäuscht, als auf diese Weise sein sauer erworbenes
Gut bis auf Nichts herabsank. -- Nur dann erst, wenn ein Handwerker
mit Familie es ermöglichen kann, sich in der Nähe seines Wohnortes
einen kleinen Grundbesitz zu verschaffen, worauf er außer Wohnung
noch das Nöthige zum Lebensbedarf erbauen kann und eine Kuh, Hühner
und Schweine das Weitere ersetzen, welches ihm nicht viel zu erhalten
kostet, wird es möglich seyn, von dem Gewerbeverdienst zurückzulegen,
welches weniger möglich ist, wenn er außer theurer Wohnung auch noch
alle Lebensbedürfnisse kaufen muß, die mitunter hoch im Preise stehen,
wie es mit dem Mehl der Fall ist, wovon ein Faß von 196 Pfund 25-26
Dollars kostet, das in den Vereinigten Staaten mit 5-6 Dollars bezahlt
wird.

Die Bequemlichkeiten höherer Stände lassen bei allem Aufwand noch
Vieles zu wünschen übrig, weil Dienstboten schwer zu erhalten sind,
und weiße Individuen es für eine Schande halten, in solchem Verhältniß
zu leben, daher nur Sklaven die dienende Klasse ersetzen, welchen
die Kenntnisse häuslicher Verrichtungen abgehen, da sie mehr zur
Feldwirthschaft erzogen sind. Genüsse eines civilisirten Lebens, wie
sie Deutsche kennen, fehlen hier ganz, da man Alles vermißt, was
das Leben verschönern und veredeln kann; das leitende Prinzip des
Amerikaners ist nur grober Materialismus.

Bei weniger Ansprüchen an geistige Genüsse und Entsagung menschlicher
Gesellschaft, befindet sich der Ansiedler auf dem Lande noch am
besten. Jagd und Fischerei sind frei, und Wild, so wie Geflügel immer
vorhanden, wobei wilde Bienen mit Honig versehen, und der wilde
Traubensaft das Getränke liefern. Der Boden, bei fast immerwährendem
Sommer, bringt ohne viele Bearbeitung die Saaten zur Reife, und den
Erndtesegen schmälern nicht Steuern und Zinsen. Dabei bleibt freilich
der Mann nur auf seine und der Familie Kräfte beschränkt, wenn ihm die
Mittel zum Sklavenkauf fehlen, da freie Arbeiter schwer zu erhalten und
ihr Lohn nicht im Verhältniß zum Verdienste steht. --

Das häusliche Verhältniß und schlechte Lebensweise der niedern
Volksklasse in Städten ist dem wenig begüterten Ankömmling, welcher
unter derselben leben muß, nichts weniger als angenehm, da das
herrschende Laster der Trunksucht alle andern im Gefolge hat, und man
so oft unverschuldet in Händel verwickelt wird, die nicht immer den
besten Ausgang nehmen, wie überhaupt auch schlechter Umgang die besten
Sitten verdirbt.

Von allen in ~Texas~ lebenden Indianer-Stämmen, die in vielen Resten
aufgeriebener Horten aus den Verein. Staaten bestehen sollen, zeichnen
sich besonders die ~Camanches~ durch große Wildheit und Treulosigkeit
aus, die ihren Ursprung von einem der vornehmsten Stämme herschreiben,
welche bei der Eroberung Mexiko’s durch die Spanier ihren Aufenthalt
in der Gegend von ~Mentezumes~ gehabt, statt aber sich zu unterwerfen,
die Auswanderung vorgezogen und hier in den Hochgebirgen von ~Texas~
sich niedergelassen haben. Ihr Oberhaupt soll, wie die Sage angiebt,
beim Erblicken ihres jetzigen Aufenthaltes, ausgerufen haben: ~Texas!~
(welches in ihrer Sprache: „Paradies“ heißt), und dieser Name ist für
diesen Theil Mexiko’s bis jetzt beibehalten worden.

Geschlossene Verträge werden selten von den ~Camanches-~Indianern
gehalten, da neben der Jagd, Raub und Mord ihre
Lieblingsbeschäftigungen sind, und nur durch die Gewalt der Waffen sind
solche in ihren Grenzen zu halten.

Von den friedlicher lebenden Indianer-Stämmen ist weniger zu fürchten
und mehre von ihnen leben sogar mit den Texanern im Handelsverkehr, und
werden von diesen zum Auskundschaften der Feinde gebraucht.

Mehr oder weniger suchen die Indianer ihr Aeußeres zu entstellen und
schon in ~Orleans~ nahmen ~Chaktaw~-Indianer, welche mit geflochtenen
Körben aus Palmenzweigen dorthin Handel treiben, meine Aufmerksamkeit
in Anspruch. Die kupferfarbige Haut wird auf der Brust, den Armen
und im Gesicht theils gemalt oder tatowirt, und die großen Ringe
in Nase und Ohren geben dem Ganzen ein frappantes Ansehen. Bunte
Glasperlenschnüre mit einem Muschelschloß zieren den Hals, eben so
blanke, kupferne Ringe die Handgelenke. Um die Beine sind Schellen und
Klingeln gebunden und in den langen Haaren ein Federbusch befestigt.
Eine wollene Decke bedeckt die Blöße, Kinder aber gehen ganz nackend.

Während der fünf Wochen, welche wir bereits in ~Texas~ umher irrten,
ward Keinem von uns Gelegenheit, ein gutes Unterkommen in einem der
größern Orte zu finden. Mein Metier als Kupferschmidt hatte hier noch
nicht gewurzelt, eben so wenig war in einer Brennerei Beschäftigung
zu finden, da Branntwein größtentheils aus den Vereinigten Staaten
zugeschafft wird.

Der Pole als Kürschner, so wie der Schweizer als Müller, fanden
ebenfalls keine Stellen, auch der französische Kaufmann suchte
vergebens als Marqueur ein Unterkommen. Als Domestiquen sich zu
vermiethen, fühlte Keiner den Beruf, und des längern Reisens ohne Zweck
müde, gaben die beiden Ersteren den lockenden Werberworten Gehör und
nahmen in ~Hauston~ unter Texanischem Militär Dienste. Wer weiß,
zu was auch ich mich entschlossen hätte, wenn ich nicht Familienvater
und meiner Pflichten als solcher weniger eingedenk gewesen wäre.

Die beiden kleinen Pferde, welche Raçe in ~Texas~ einheimisch
ist, wurden verkauft, der Erlös brüderlich getheilt, und dieser
war ausreichend, um mich und den Franzosen nebst den beiden besser
konstituirten Maulthieren auf einem Dampfboote nach der Hafenstadt
~Galveston~ zu spediren, wo wir am 20. Februar mit dem Kapitän des
Segeldampfschiffes ~Neptun~ die Reise nach ~Orleans~ zurück
akkordirten, in Ermangelung des nöthigen Reisegeldes die Maulthiere
einsetzten, und nach einer sechswöchentlichen Abwesenheit, am 23.
Februar wieder in letzter Stadt ankamen.

Freund Aacke zahlte das bedungene Fahrgeld aus, darauf wurden die
beiden Maulthiere verkauft, die Schulden bezahlt, und von Neuem nach
Arbeit umgesehen. -- Nur einmal auf der ganzen Tour hatte ich einen
Anfall vom Fieber, und kehrte gesünder nach ~Orleans~ zurück, als
ich es verlassen hatte.

Von alle den mannigfaltigen Begebenheiten dieser Reise, will ich am
Schlusse dieses Briefes nur eines Vorfalls erwähnen, welchen mir jedes
Gewitter in Erinnerung bringen wird. -- Eines Tages hatten wir den
gebahnten Weg, welcher im Thale die Anhöhen umgehend, sich hinzog,
verlassen, und in Folge der Angabe eines Indianers einen Holzweg
betreten, welcher über das waldige Gebirge näher und schattiger nach
der nächsten Plantage führen sollte. Die hintereinander gebundenen
Zaumthiere wurden durch mich geleitet, während dem die Reisegefährden
die Jagd verfolgten, die sich hier in mannigfaltiger Auswahl darbot.

Immer weiter in das Dickicht der Bäume wurden die Jäger verleitet,
und nur der Knall ihrer Büchsen schallte noch zu mir, als der sich
theilende Weg mich unschlüssig machte, welcher von beiden zu betreten
sey. In der Hoffnung, daß einer der Schützen sich zeigen werde,
hielt ich schon längere Zeit, während dem die Thiere weideten, bis
herabfallende Regentropfen und der dumpfe Donner ein herannahendes
Gewitter verkündeten. Noch hatte ich den Muth nicht verloren und
suchte, etwas entfernt von den Thieren, Schutz unter den Zweigen der
Bäume; doch als der Donner immer vernehmlicher ward, und dicke schwarze
Wolken am Horizonte die Sonne verfinsterten, so daß aus Tag Nacht ward,
wurde mir bänglich, als aber der Sturm die Bäume zu entwurzeln drohte,
was nur der dichte Wald verhinderte, und der Blitz nicht fern von mir
in den Zweigen herabfuhr, und den Stamm spaltete, da wurde ich selbst
für mein Leben besorgt, ließ Pferde und Esel im Stich, und ging langsam
im Regen bis zu dem Vorsprung eines Felsens.

Gleich als ob es abgesehen wäre, mir die Ohnmacht des Menschen zu
zeigen, sey man auf der See oder dem Lande, so wurde das Wetter
stündlich abscheulicher, und ein Fieberfrost schüttelte meine Glieder.

Schützte auch die Grotte vor Nässe, so fehlte doch die wohlthuende
Wärme, und nur die Hoffnung, das Wetter werde bald vorübergehen,
belebte meinen Muth. -- Doch es wurde Abend, und war auch der Donner
verhallt, so sauste noch schrecklich der Wind durch die Bäume und
schüttelte das Wasser in Strömen von den Aesten. Jetzt blieb nichts
übrig, als die Nacht hier zu verweilen, und ein Feuer anzuschüren um
mich zu erwärmen und den Reisegefährden den Ort zu bezeichnen, wo sie
mich finden würden. Nur mit Mühe gelang es Feuer anzumachen, da der
feuchte Boden und das nasse Holz die helle Flamme immer wieder zu
ersticken drohete. Doch Ausdauer überwindet Alles. Zu meiner Freude und
Trost schlug die Flamme auf, und verbreitete Wärme und Licht um sich
her. Knurrte auch der Magen, so mußte er sich doch in Geduld fügen, da
nichts zu kochen vorhanden und das Herbeischaffen von Holz die Zeit in
Anspruch nahm. --

Glücklich drang der Schein des Feuers bis zum Versteck der Jäger,
welche gleich mir der Regen genöthigt, in einem Felsenrisse Schutz zu
suchen, wo sie, verabredetermaßen, das Feuermahl zu erspähen suchten,
und jetzt beladen mit Wildpret und der Haut einer großen Schlange, bei
deren Abziehen sie das Wetter erwischt hatte, bei mir ankamen.

Vor Allem wurden die zurückgelassenen Pferde und Esel wieder
herbeigeschafft, das Nöthige zum Kochen war bald geschehen, und so der
Hunger gestillt.

Schon früh am Morgen, wozu das harte Lager Veranlassung gab, folgten
wir der Richtung, von woher die Jäger am vergangenen Abend den Schein
eines Lichtes wahrgenommen hatten, und Hunde-Gebell verrieth bald
darauf die Nähe einer menschlichen Wohnung. -- Der Herr der letztern,
von der Stimme des Hundes geweckt, trat vor die Hütte, um zu sehen,
was so früh die Ruhe störe; doch als er uns gewahr wurde, ging er von
Neuem ins Haus, und kam sogleich bewaffnet zurück. Mit der barschen
Frage, was wir wollten, und uns zu bewillkommnen bereit, hielt er das
Gewehr entgegen. Nachdem er jedoch vernommen, was unser Geschick sey,
meine Begleiter unbewaffnet näher traten und die alte Geschichte von
deutschen Emigranten, die in ~Texas~ sich anzusiedeln beschlossen,
erzählten, öffnete er freundlich die Wohnung und stellte uns der
Familie vor, welche während des Wortwechsels das Lager verlassen und
sich nun anschickte, das Frühstück zu bereiten.

Leider sprach der Spanier wenig französisch, englisch und deutsch gar
nicht; doch gaben Geberden, wie der kredenzte Branntwein, Maisbrod und
Schweinefleisch zu erkennen, daß wir ihm herzlich willkommen waren.
Nach genossenem Frühstück brachte uns einer seiner Söhne auf die
richtige Spur zur nächsten Plantage, und die Gastfreundschaft dieser
braven Leute in einsamer Wildniß war aufrichtiger und herzlicher, als
ich sie irgendwo gefunden habe.



Achtundzwanzigster Brief.

Zweiter Aufenthalt in ~New-Orleans~.

    Im März 1840.


Die Anzahl Arbeit Suchender hatte sich in ~Orleans~ während
unserer Abwesenheit eher vermehrt als gemindert, da neue Zufuhr
aus Europa angekommen, und die schlechten Zeiten in den nördlichen
Staaten von Amerika dieses Jahr die dasigen Bewohner weit mehr als
sonst gewöhnlich, veranlaßt hatten, den Winter über hier im Süden zu
arbeiten, und eine Summe zu verdienen, groß genug, um die kostspieligen
Reisekosten davon zu bestreiten, und, wie es früher der Fall war, einen
nicht unbedeutenden Ueberschuß mit nach Hause zu bringen. Doch dieses
war jetzt anders. Alle Kosthäuser waren mit Individuen angefüllt,
welche um jeden Lohn ihre Dienste anboten; selbst bei unserm alten
Wirthe, Herrn Brack, hatte die Zahl der Gäste sich vermehrt, worunter
zwei Deutsche waren, die in ~Boston~ wohnhaft, jetzt hier als
Schuhmacher und Tischler Beschäftigung suchten, und, obgleich im Besitz
der Sprache, doch kein Unterkommen finden konnten.

Bei mangelnder Kasse wußte der Erstere schlau genug, den sonst
vorsichtigen Wirth zu kirren, der ihn ohne irgend ein Unterpfand, als
das gegebene Wort, schon drei Wochen lang ernährt hatte, bis der leere
Platz am Tische zu erkennen gab, daß der Vogel den Käfig verlassen.
Einige Tage darauf traf Freund Aacke ihn in einer Barbierstube, wo er
versteckt bei seinem Landsmann, die erste Gelegenheit erwartete, um
zur See wieder zurück zu fahren. Daß Aacke ihn nicht verrieth, war zu
erwarten.

Die mir versprochene Stelle war ebenfalls, während des längern
Weilens in ~Texas~, besetzt, bis durch Fürsprache Aackens und
dessen Empfehlung ein Allerwelts-Vormund mir die Aussicht stellte,
im deutschen Theater-Magazine, nahe der ~Délord-~Straße, wo ein
gewisser Herr ~Stawinsky~ Thalien’s Tempel errichtet hatte, den
Posten als Hell- und Dunkelmacher zu übernehmen, welcher bis jetzt von
einem, dem Trunke ergebenen Subjekte versehen worden war. Schon des
Originellen wegen sagte ich zu, und wurde beim Leeren einiger Flaschen
Wein zum Generaldirektor der wenigen Lichter, welche während der
Vorstellungen brannten, ernannt.

Doch auch dieses Glück war nur kurz; denn schon im Laufe der ersten
Woche ging der Direktor durch, ohne die Rente für die Scheune und die
rückständige Gage dem Personale gezahlt zu haben. Es erfolgte daher von
diesem in der deutschen Zeitung eine Desertions-Anzeige, mit der Bitte,
da fortgespielt werden solle, um zahlreichen Besuch der Vorstellungen,
um den Verlust, vorzüglich den Aktricen, weniger fühlbar zu machen.
Doch die Theilnahme blieb aus, und die Bühne wurde geschlossen.

Abermals ohne Verdienst, wünschte ich ~Orleans~ möglichst schnell
zu verlassen, da bei der Theuerung hier die Kasse schmolz, wie Schnee
an der Sonne. Es wollte sich aber durchaus keine Gelegenheit bieten,
da alle nach den nördlichen Staaten abgehenden Schiffe mit Waaren voll
beladen, keinen Raum für die Deckpassagiere hatten, und in der Kajüte
zu reisen, die Mittel nicht ausreichen wollten.

Voll Unmuth und Verdruß, geplagt von Langweile, gab ich endlich den
Vorstellungen des Sohnes eines Advokaten aus ~H.~ Gehör, und
verstand mich, gleich ihm, zu einer Beschäftigung, welche man bei
uns aus dummen Vorurtheil als entehrend ansieht, worüber man aber in
Amerika, wo nur Faulheit schändet, anders denkt. -- Versehen mit zwei
Bürsten, Messer, einer kleinen Bank und Wichse, postirte ich mich
nicht weit von meinem Rathgeber an einen der gangbarsten Plätze, um
Fußbekleidung, die hier ungewichst angezogen wird, zu reinigen. Die
gewöhnlich nur bis Mittag dauernde Arbeit brachte 1-1½ Dollar
ein; und war die Arbeitsjacke mit dem Rock vertauscht, so konnten wir
den Nachmittag an Orten zubringen, wo Kaufleute und Plantagenbesitzer
verkehrten, ohne daß es Jemandem auffallen würde, den Stiefelputzer
neben einem ~Gentleman~ zu erblicken, da in Amerika nur der Mensch
gilt und nicht der Posten, den er bekleidet, oder das Geschäft was er
treibt, wenn nur Geld damit zu verdienen ist.

Ein gelernter Kaufmann aus ~M.~, welcher auf sein Geschäft kein
Unterkommen in ~Baltimore~ gefunden, setzte die Reise nach
~Cincinnati~ fort, und bei gleichem Schicksal in dieser Stadt,
sah sich derselbe genöthigt, in der Apotheke, wo Aacke konditionirte,
die vakante Stelle als Stößer anzunehmen. Doch der Wunsch, sich zu
verbessern, und die gefaßten fixen Ideen zu realisiren, folgte er
unserer Bahn, und kam in ~New-Orleans~ aus dem Regen in die
Traufe. Mehr aus ~Desperation~, als aus Leidenschaft, da er auf
keine Weise Beschäftigung und Verdienst finden konnte, ergab er sich
dem Trunke, und nachdem von seinen Sachen ein Stück nach dem andern
verkauft worden war, ergriff er das Letzte dieser Unglücklichen und
wurde Soldat.

Dieser zum Nichtsthun gezwungene Stand wird von dem immer rührigen
Amerikaner verachtet, und selten giebt sich ein solcher dazu her, die
durch den Tod und den Indianerkrieg in Florida gelichteten Reihen
wieder auszufüllen; nur neue Einwanderer aus allen Ständen, welche
nothgedrungen diese Branche ergreifen müssen, ergänzen das Militär.

Dem Anschein nach ist die Löhnung des amerikanischen Soldaten eine
der besten; doch ist auch hierin die Sache so gestellt, daß der
Staat Nichts dabei verliert, und der Unwissende um so leichter den
lockenden Aussichten sich hingiebt, und den Worten der Werber glaubt,
die sich in allen bedeutenden Orten befinden, und deren Aufenthalt
die ausgesteckte Fahne angiebt. -- Außer Kost, welche auch nicht
die beste seyn soll, und Montirung, werden monatlich noch 7 Dollars
zugesichert, wovon jedoch nur ein Dollar baar ausgezahlt wird, um davon
das nöthige Putzzeug und sonstige militärische Ausgaben zu bestreiten.
Die übrigen sechs Dollars hebt die Kriegskasse bis nach abgelaufener
Dienstzeit, welche fünf Jahre dauert, auf, in welcher Zeit jedoch
der Krieger einige Mal gegen die Indianer verwendet wird, wo Pfeile,
Klima, Strapazen und Reue dafür sorgen, daß nur Wenige das fünfte Jahr
erleben, und die Sparkasse dann als Erbe eintritt.

Die bewaffnete Landmacht ist in den 27 Vereinigten Staaten nur gering,
und soll nicht über 9000 Mann stark seyn. -- Das Ehrgefühl wird bei
dem gemeinen Soldaten nicht gehoben, da gezeigte Bravour nicht durch
Ordensverleihung belohnt wird, auch findet kein Avancement Statt,
weil die Offizierstellen nur von Kadetten besetzt werden, welche die
nöthige Vorbildung erhalten haben. -- Dagegen ist die gesammte Miliz,
wozu jeder amerikanische Bürger gezählt wird, um so stärker, und soll
1,150,000 Mann betragen, welche sich theils freiwillig uniformiren, wie
ich schon erwähnt, oder gleich unserm Landsturm, nur mit Seitengewehr
und Flinte bewaffnet, sich zu den alljährigen Uebungen stellen müssen.
-- Hier ist nun den Amerikanern ein größeres Feld gelassen, um sich
den Besitz einer militärischen Charge zu verschaffen, wo es nicht auf
Kriegskenntnisse abgesehen ist.

Besteht nun auch hier die grelle Scheidewand der Stände weniger
wie bei uns, so hört es doch der Amerikaner gern, wenn man ihm im
allgemeinen Verkehr den militärischen Ehrentitel beilegt, und z. B.
einen Schuhmacher mit: „Herr Major“ einen Schneider mit: „Herr Obrist“
anredet.

Das gestörte Aeußere eines mir als höchst solid bekannten jungen
Mannes, der mit bei uns wohnte, fiel mir eines Tages auf, und der
Seelenkampf malte sich auf allen seinen Zügen so deutlich, daß ein
geheimes Vorhaben nicht zu verkennen war. Mitleid bestimmte mich, ihn
nach der Ursache seines Kummers zu fragen, und ihm meine Kräfte, so
weit sie ausreichend waren, anzubieten. -- Er sey, vertraute er mir
jetzt, der zweite Sohn eines nicht unbemittelten Müllers, und habe mit
seinem Bruder das Geschäft des Vaters erlernt. Doch mit Ersterem einst
im Zwist, und dem Briefe eines Schulfreundes mit lockenden Nachrichten
aus Amerika vertrauend, habe er gegen den Willen seiner Eltern das
Vaterland verlassen, und sey in ~Baltimore~ gelandet. Hier habe er
leider Alles anders gefunden, als man im Briefe geschrieben, und wegen
Unkenntniß der Sprache habe sich keine Gelegenheit dargeboten, als
Müller anzukommen, weshalb er das Anerbieten eines Bäckers benutzt,
und dessen Metier bei ihm erlernt habe. -- Im dritten Jahre seines
Hierseyns sey ihm die Kunde geworden, daß die Mutter, deren Liebling er
gewesen, wegen seines, aus falscher Schaam beobachteten Schweigens, da
er noch nicht geschrieben habe, in Schwermuth verfallen sey, welches
ihn so beunruhige, daß er abermals, um seine Lage zu verbessern, und
dann Bericht von sich zu geben, den Nachrichten aus ~Texas~ gefolgt,
und dorthin ausgewandert wäre. Zum zweiten Male betrogen, habe er
dort das gehoffte Glück nicht gefunden. Sein Kamerad, welcher mit
ihm, und er hauptsächlich auf dessen Vorspiegelung, die Reise von
~Baltimore~ aus unternommen, sey in ~Texas~ in Kriegsdienste gegangen,
er aber, da die Mittel noch hinreichend, hierher nach ~New-Orleans~
gereist. Seit drei Wochen warte er jetzt auf Arbeit, doch vergebens,
die Kasse sey bis auf Nichts geschmolzen und um das Maas des Unglücks
voll zu machen, habe heute der Wirth die Wohnung gekündigt, und an
die Bezahlung des Kostgeldes für die letzte Woche gemahnt. Dieses nun
möglich zu machen, bleibe ihm nichts übrig, als die Sachen zu verkaufen
und Militärdienste zu nehmen, welches Letztere der Vater schon beim
Abschied prophezeiht habe; um nun dieses nicht zu verwirklichen, wolle
er lieber ins Wasser gehen, um sich so mit einem Male seiner Qual zu
entledigen.

Mit baarem Gelde konnte ich nicht helfen, doch den Armen aus der
Gewalt des Wirths und aus der Stadt zu bringen, bot ich die Hand.
Seine Sachen wurden, mit dem Vorgeben, daß es schmutzige Wäsche von
mir sey, aus dem Hause gebracht, und ein Dampfschiff bestimmt, ihn
mit nach ~Pensacola~ zu nehmen, wohin es eben abgehen wolle,
wie die ausgehängte Tafel anzeigte. -- Beim Mangel des Fahrgeldes,
welches immer erst auf der Reise abverlangt wird, stand freilich eine
tüchtige Tracht Schläge zu befürchten, doch hier half kein Besinnen!
Fort mußte er, und über Nacht ändert sich oftmals Vieles. -- Leider
kam ich mit dem zweiten Transport Sachen etwas zu spät, so daß das
Fahrzeug schon vom Lande abgestoßen und nicht mehr zu besteigen war.
Während dem wir beriethen, was nun zu thun sey, um nicht dem überall
herum spionirenden Wirthe in die Hände zu fallen, verkündete der Schall
einer Glocke den Abgang eines zweiten Dampfschiffes, wohin, war nicht
mehr zu sehen, da die Tafel, woran es bemerkt, schon eingezogen war;
doch hier blieb, da der Flüchtling nicht zurück durfte, keine Wahl,
und so sprang er von einem nebenstehenden Fahrzeuge auf das Boot, und
ihm die Sachen nachwerfend, wünschte ich eine glückliche Reise. --
Neugierde plagte mich jetzt, zu erfahren wohin des Armen Bestimmung
sey, und, o Schicksal! ~Texas~ war das Ziel der Reise. -- Was mag
der Unglückliche bei Nennung dieses Namens empfunden haben, und welche
Zukunft ward ihm aufgespart? Gewiß geht die Prophezeihung des Vaters in
Erfüllung, und er wird Soldat.

Unser Wirth im Wilhelm Tell, Herr Brack, den das Reichwerden, wie
so vielen Andern auf geradem Wege auch nicht schnell genug gehen
mochte, schaffte nach und nach die mehresten Sachen aus dem Hause und
verschwand dann nebst seiner Ehehälfte. -- Seine Entfernung wurde so
geheim als möglich gehalten und auf dessen Kredit nach wie vor täglich
Fleisch, Brod, Bier und was sonst in der Küche nöthig war, aufgebracht.
-- Der Keller war noch gut besetzt und einige zwanzig Kostgänger lebten
jetzt herrlich und in Freuden auf Allerwelts-Rechnung noch sechs Tage,
wobei man nicht vergaß, unsern Wohlthäter bei jeder Bouteille, welche
geleert wurde, leben zu lassen.

In dieser Periode lernte ich den frühern Studiosus ~D.~
kennen, der von einem Hausirhandel mit Stiefeln lebte und in unserm
~Store~ einen auf die Lippen zu nehmen beabsichtigte. Diesen
als meinen Landsmann den Tischgästen vorstellend, wurde er unter die
Freigäste aufgenommen, stellte den Handkorb bei Seite, und that sich
mit gütlich.

Jeder der hier wohnenden Gäste sah sich während der Freudenzeit nach
einem andern Quartier um, und brachte die Sachen in Sicherheit, wobei
manches, jetzt den Kreditoren gehörige Stück, mit eingepackt wurde.

Ich für meine Person hatte mit der Köchin und deren Mann ~Moitié~
gemacht, ein kleines Quartier in der Vorstadt gemiethet und daselbst,
auf die Zukunft bedacht, von den auf Brod- und Fleischbuch gefaßten
Rationen für Brack’s Küche, manche Wurst und Stück Speck in Sicherheit
gebracht.

Der sich steigernde Tumult, das auf die Straße Werfen leerer
Bouteillen und der nicht mehr zum Vorschein kommende Wirth, machte
die Nachbarschaft aufmerksam und durch Letztere wurde der weit
entfernt wohnende Hauseigenthümer von des Miethsmannes Verschwinden in
Kenntniß gesetzt. Gegen Abend (es war der 6. Tag dieses Wonnelebens)
erschien Ersterer, und verlangte die sofortige Entfernung der Gäste
und Schließung des Ladens, wurde aber, statt ihm Folge zu leisten, aus
seinem Eigenthum ohne alle Umstände hinausgeworfen und zwar mit dem
Bemerken: „daß Jeder kommen und sich Eigenthumsrechte anmaßen könne.“
-- Daß der Gemißhandelte am andern Morgen mit den nöthigen Konstablern
wieder erscheinen würde, war gewiß, weshalb am selbigen Abend die Küche
ausgeräumt und in der letzten Freinacht noch mancher Bouteille der Hals
gebrochen wurde. Beim Frühstück war das Kränzchen aufgehoben, das Haus
geschlossen, und Jeder von uns bezog seine neue Wohnung, ohne daß einer
der Gäste zur Verantwortung gezogen worden wäre. -- Herrliche Freiheit!

Immer noch keine Reisegelegenheit für mich, obgleich täglich alle
darauf Bezug habenden Anzeigen von mir gelesen wurden. -- Die
Zeit langweilte bei Meidung aller Spiele sehr, und um so mehr, da
kostspielige Vergnügungen, wie Theater, Bälle und Redouten nicht
besucht werden konnten und Leuten unsers Standes vornehme Einladungen
abgehen. Nur Balgereien zwischen Matrosen und Arbeitern, wie sie häufig
vorkommen, unterbrachen den Verkehr. Nicht selten enden solche Kämpfe
erst mit dem Tod des Einen, da die Matrosen immer ihre Messer bei der
Hand haben und das Aeußerste wagen. --

Ein ähnlicher Fall fand dieser Tage zwischen zwei Fuhrleuten statt, wo
keiner dem andern sattsam ausweichen wollte, so, daß die Wagenachsen
zusammenrannten. Ein Peitschenschlag gab die Ausforderung zum
Faustkampf (Boxen), Jacke und Weste wurden abgelegt, das Hemd unterm
Oberleib zusammengebunden und so entblößt, begann der Angriff. Eine
Menge Neugieriger bildeten sofort einen Kreis, sich an diesem blutigen
Schauspiel ergötzend, und wehe dem Zuschauer, welcher die Kämpfenden
trennen wollte, gemeinschaftlich würden sie über ihn herfallen. --
Nach einigen Gängen lag Einer der Raufbolde blutig zu Boden. Doch
nicht zufrieden, sprang er auf, und griff von Neuem den Gegner an.
Lange schlugen sie sich jetzt mit geballten Fäusten die Gesichtstheile
entzwei und blutend, bis der Erste durch einen Tritt vor den Unterleib
zum zweitenmal zusammen sank. -- Schrecklich hatten sie sich zugedeckt,
doch als an der nächsten Pfütze die blutenden Theile möglichst
gereinigt, der Kopf verbunden und die Kleider wieder angelegt waren,
wurde im Eck-~Store~ die Versöhnung durch einige Gläser Branntwein
bekräftigt und die alte Freundschaft war wieder hergestellt.

Auf den Wunsch meines Freundes Aacke, ihm seinen zweiten Koffer,
welchen ich beim Räumen des Gasthauses an mich genommen, zu
überschicken, wollte ich das Fuhrlohn ersparen, und trug denselben
am Abend mit einem von der Arbeit zurückgekehrten Stubengenossen
nach der weit abgelegenen Apotheke; doch der kothige schlechte Weg
auf ungepflasterten Stellen und die nasse Witterung verlängerten
die Strecke, und kaum hatten wir dieselbe erst halb passirt, als
der Signalschuß fiel[49]. Jetzt, um mehr den ~Watchmen~
(Nachtwächtern) aus dem Wege zu gehen, schlugen wir die Richtung nach
der Flußseite ein. -- Zu unserm Unglück kamen uns aber hier betrunkene
Matrosen und Gesellen der untern Volksklasse entgegen, und wohl
möglich, daß sie selbst nicht auf dem besten Wege waren, vermutheten
sie in uns Diebe zu erblicken und machten Miene, den Koffer gewaltsam
wegzunehmen. Auf unsere Wehr wurde der Spectakel ärger, und ehe noch
die nächste Wache kam, war mein Begleiter mit einem Messer verwundet,
als er einen der Matrosen zu Boden geworfen hatte. Noch Schlimmeres
befürchtend, suchte er jetzt die Flucht, und ließ mich unter der Rotte
allein zurück. Ihren Faustschlägen vermochte ich nicht länger zu
widerstehen und lag auf dem schmutzigen Boden, als die Wache kam, uns
sämmtlich arretirte, und in Verwahrung brachte. Erst am andern Tage,
als der Eigenthümer des Koffers die Wahrheit meiner Aussage bestätigte,
erhielten wir sämmtlich die Freiheit wieder.



Neunundzwanzigster Brief.

Seereise nach ~Baltimore~.

    Im März 1840.


Endlich sollte ich erlöst werden. Freund Aacke hatte den Kapitän vom
dreimastigen Schiff ~Ferray~, welches Fracht nach ~Baltimore~
geladen hatte, bestimmt, mich gegen Bezahlung von 20 Dollars[50] als
Deck-Passagier mit aufzunehmen, obgleich auch auf seinem Fahrzeug nur
Kajüten-Reisende zulässig waren.

Auf erhaltene Nachricht wurde das Schiff im Hafen aufgesucht, wo
mir bei der Abwesenheit des Kapitäns durch den Steuermann die
Schreckenskunde ward, daß außer der Kajüte auch für keine Maus mehr
ein Plätzchen auf dem Schiff zu finden sey, von dessen Wahrheit ich
mich selbst überzeugte, denn das Verdeck bis über die Brustwehr fand
ich mit Fässern und Baumwollen-Ballen belegt. Die Matrosen-Kajüte
war das Einzige, worauf ich mich stützte, doch auch hier fand ich
keinen Raum, da ein Kajüten-Passagier eine in ~Orleans~ gekaufte
Negersklaven-Familie daselbst untergebracht hatte. Voll banger
Erwartung lauerte ich auf den Kapitän, in der schmeichelnden Hoffnung,
daß mir vielleicht ein Plätzchen in der Kajüte selbst zugetheilt würde.
-- Eitle Hoffnung! Nach Rückkunft des Kapitäns, durch den Steuermann
dazu bestimmt, sah ich mich auch von diesem von Neuem abgewiesen, und
hatte schon den Abmarsch genommen, als ich wieder zurückgerufen, den
Antrag empfing, in dem in der Mitte des Schiffes aufgestellten Boote
mein Lager aufzuschlagen.

Dieses Boot, nur bei drohender Gefahr von der Mannschaft zur Rettung
benutzt, wurde außerdem als Rumpelkammer vom Koch und Zimmermann
gebraucht, und diente auch zugleich mit als Aufbewahrungsort der
außer Gebrauch gekommenen Segel und Taue, womit es vollgestopft war.
Nur zum Liegen war noch Raum darin, und versprach demnach für den
Bewohner nicht die beste Existenz. -- Doch hier galt kein Besinnen,
~Orleans~ zu verlassen, war mein einziger Wunsch, und der
Diogenes-Behälter wurde bezogen. Das zur Seereise Nöthige ward auf
das Allernothwendigste beschränkt, um nicht die von Freund Aacke
vorgeschossenen Gelder zu schwächen. Außer Brod und Käse nur noch
Kaffee und Zucker eingekauft und zwar auf drei Wochen berechnet, welche
Zeit die Fahrt ohngefähr dauern konnte.

Der 15. März war der traurige Tag, welcher mich von einem der besten
Menschen, meinem so theuren Freund Aacke trennen sollte, und nur die
Hoffnung, daß das Geschick uns doch noch ein Mal in diesem Leben
zusammenführen könnte, machte die Scheidestunde weniger schmerzhaft.
Beim Abschied mußte ich ihm noch das Versprechen geben, im Falle der
Noth mich seiner Adresse zu bedienen, da er, wenn es irgend in seiner
Macht stehe, immer bereit sey, mir zu helfen. Edler Mensch, solch
Handeln verdient der Vergessenheit entrissen zu werden!

Den 16. März nahm unser Fahrzeug ein Dampfschiff am Schlepptau, und
brachte es dem ~Mississippi~ hinab, welcher Fluß bis in die
offene See ganz mit Treibholz bedeckt war. Kaum hatte der Lootse uns
verlassen, als sich ein so dicker Nebel auf die Wasserfläche legte,
daß man nicht Schiffslänge vor sich sehen konnte. -- Die Segel wurden
eingezogen und das Schiff sich selbst überlassen. Erst am dritten Tage
wurde es wieder heiter und um einen günstigen Wind zu benutzen, alle
Segel aufgespannt. -- Der Wärme nach zu urtheilen, mußten wir weit
südlich fahren, und nur mit dem Hemde bedeckt, befand ich mich in
meinem Käfig am wohlsten. Von einem Eingang in Letztern war freilich
keine Rede, denn nur auf allen Vieren kriechend, wurde es möglich, ein-
und aus- zu gelangen, da die vorliegenden Baumwollen-Ballen mit der
Luke, welche die Thür bildete, gleiche Höhe hatten. -- Um so frischer
und gesünder war aber die mich umgebende Luft, da diese von keinen
mephitischen Ausdünstungen faulig gewordenen Wassers verpestet wurde,
wie es bei der Ueberfahrt der Fall war. -- Außer leichtem Schwindel
spürte ich nichts von Seekrankheit und, bei gesundem Appetit fehlte
nur die gute Kost, da Brod, Käse und Wasser das Einzige waren, was
mich nährte. -- Zum Glück hatte ich mir beim Auszug in ~Orleans~
einige vom durchgegangenen Wirth zurückgelassenen Bücher zu Nutze
gemacht, die ich zum Zeitvertreib studirte, um, bei aller Entbehrung
menschlicher Gesellschaft, die schreckliche Langweile zu vertreiben.
Der große Eindruck, welchen Gottes herrliche Schöpfung auf den
Seefahrer das erste Mal macht, verliert sich merklich, wenn der Reiz
der Neuheit durch wiederholtes Anschauen geschwächt worden ist. Auch
die glücklichste Seereise bei voller Gesundheit hat bei weitem nicht
das Angenehme, was eine Landreise bietet. Die ungeheure Wassermasse,
welche durch Nichts unterbrochen wird und der Umstand, daß die in
kurzer Entfernung dem Anschein nach aufliegenden Wolken die Aussicht
beschränken, macht die Sache einförmig und todt, und die peinlichste
Langweile würde bei Windstille Einem umbringen, wenn sie nicht mitunter
von zum Vorschein kommenden fliegenden Fischen, Seeblasen, Boniten,
Doraden und Delphinen unterbrochen würde. Mit dem Fangen der Letztern,
durch Auswerfung von Harpunen, vergnügten sich die Matrosen, doch nur
einmal glückte es, einen zu fangen, da sie sich gewöhnlich wieder
losreißen.

Bis zum 21. bot die Fahrt in dem Meerbusen von Mexiko nichts besonderes
Merkwürdiges dar. Tags darauf überzogen schwarze Gewitterwolken den
ganzen Himmel und von allen Seiten durchkreuzten Blitze das Firmament,
doch nur schwach vernahm man noch den Donner, was vermuthen ließ,
daß das Gewitter ohne Entladung an uns vorüberziehe, weshalb Niemand
froher war als ich, da das in ~Texas~ erlebte Naturereigniß
einen solchen Eindruck bei mir hinterlassen hatte, daß jeder Blitz
eine Erschütterung des Körpers verursachte. Die Läden vor meinem
Behälter suchte ich zu schließen, um den Schein vom Blitze weniger zu
empfinden und war auch dafür geholfen, so drang doch immer stärker der
herabfallende Regen durch die Fugen des zusammengetrockneten Daches auf
mich ein, und war eine Ritze mit Baumwolle verstopft, so schüttete
die nächste das Wasser um so reichlicher über mich aus, weswegen ich
die Arbeit einstellte und mich geduldig dem Tuschbade unterwarf und
nur das Brod vor Nässe zu bewahren suchte. -- Bis jetzt waren die
schlagenden Wellen noch wenig fühlbar, und das Schiff ging ruhig
seinen Lauf, schnell drehte sich aber die Luft, und in dem Augenblicke
stellte sich der Sturm ein, der immer stärker und stärker das Fahrzeug
auf den schäumenden Wogen herumwarf und der Abgrund des Meeres es zu
verschlingen drohete. Fürchterlich krachte das Schiff in allen seinen
Fugen und als selbst mein Käfig zu wanken anfing, war mir nicht wohl
zu Muthe, da die über ihn sich brechenden, herstürzenden Wellen die
Decke zertrümmern zu wollen schienen. Die See ging Berge hoch, und
Blitz auf Blitz setzte den Himmel in Flammen, Wind und Regen warfen das
Schiff auf und nieder, und in dieser fürchterlichen Periode feuerte
das Kommandowort des Kapitäns die Matrosen an, die lose gewordenen
Ballen und Fässer, welche vom Verdeck jeden Augenblick in die See
geschleudert zu werden in Gefahr waren, von Neuem zu befestigen. -- Der
Sturm hatte die Bande eines meiner Vorsätzläden ebenfalls gelöst und
mit angestrengter Kraft suchte ich denselben zu erhalten bis die sich
einstellende Seekrankheit es mir unmöglich machte, und solcher über
Bord ins Wasser flog. So wurde mir wider Willen die Aussicht auf das
Meer eröffnet und den nun einschlagenden Wellen Platz gemacht, welche
das Schiff über und über mit Wasser bedeckten und die Möglichkeit
boten, mich in meinem Behälter ersaufen zu lassen. Durch und durch naß,
drückte ich mich aus einer Ecke in die andere und war bei dieser großen
Gefahr keines andern Gedankens mächtig, als an Frau und Kinder, die
mich verlieren konnten, ohne je zu erfahren, wo ich hingekommen sey.
-- Noch waren die Matrosen mit den Segeln beschäftigt, die der Sturm
abzureißen drohte, welche Arbeit bei dem unsichern hohen Stand auf
nassen Fässern und Ballen äußerst gefährlich war, als der Wirbelwind
den obersten Aufsatz des Mittelmastes herabriß und mit solcher Gewalt
auf die Decke meines Kahnes schleuderte, daß ich nichts anders
vermuthete, als der Blitz habe eingeschlagen, und mit klopfendem Herzen
jeden Augenblick den Ruf „Feuer!“ zu vernehmen glaubte. -- War auch
Ersteres nicht geschehen, so hatte ein anderes Unglück sich ereignet,
denn der herabfallende Balken schleuderte einen jungen Matrosen, der
zum ersten Mal zur See war, von seinem unsichern Stande in die tobende
See. Der Anblick war herzergreifend, wie der junge Mensch aus Liebe
zum Leben mit den Wellen kämpfte, bis er zwischen den schäumenden
Wassermassen verschwand. -- Erst gegen Abend legte sich der Sturm,
doch der Himmel blieb fortwährend umwölkt, und machte die Nacht so
stockfinster, daß die Fahrt bei der Dunkelheit und der Nähe der Insel
~Cuba~, nur langsam fortgesetzt wurde, um dem leicht möglichen
Stranden zu entgehen, was häufig bei den ~Bahama~-Inseln vorkommen
soll.

Ganz entkräftet durch das fürchterliche Erbrechen und der
ausgestandenen Angst, durchnäßt bis auf den Leib, und in ein Seebad
gebettet, da die verquollenen Fugen des Bootes die eingeschlagenen
Wassermassen nicht wieder durchließen, machte die Nacht zur Ewigkeit,
da an Schlaf nicht zu denken war, und nur meiner guten Natur verdanke
ich, daß ich diese fürchterliche Katastrophe überlebt habe. Zum Glück
verscheuchte die Morgensonne alle Nebel und ihre warmen Strahlen
trockneten die ausgespannten Kleider. Das Boot wurde von Sachen
geleert, das Wasser ausgeschöpft, und hatte auch der Inhalt meines
gut verwahrten Koffers wenig gelitten, so war doch der im Hutfutteral
aufbewahrte Zucker zerweicht, der Kaffee verschüttet und das Brod vom
Seewasser durchdrungen, daher es zu schimmeln anfing, und bald darauf
nicht mehr zu genießen war. Der wenige Käse war das Einzige, was mir
zur Nahrung übrig blieb.

Der Kapitän, von meiner Lage unterrichtet, wünschte mich für die
Arbeit des verloren gegangenen Matrosen zu gewinnen, und versprach
Kost gleich den Andern, wenn ich mich deren Geschäften mit unterziehen
wolle. Dieses war jedoch nicht möglich, denn wie konnte ich, der
auf dem Schiffe nicht fest hinter sicherer Brustwehr stehen konnte,
das verrichten, was ein Matrose in der Nacht und bei Sturmeszeit zu
vollbringen verpflichtet ist. -- Um mich geneigter zu machen, die
vakante Stelle anzunehmen, wurde mir nichts von Nahrung gereicht. Doch
mein Schutzgeist verließ mich nicht, auf anderm Wege wurde geholfen.
-- Eines der Kinder der Neger-Familie, welche mit auf unserm Schiffe
war, hatte ich mir durch die Gabe kleiner Zuckerdüten geneigt gemacht
und so lange der im Koffer aufbewahrte Farinzucker auslangte, steckte
mir verstohlen das zehnjährige Mädchen von der ihrer Familie gereichten
Kost manches Stückchen Fleisch zu, welches zu verzehren, freilich
nur der Hunger möglich machte, da die schwarzen Händchen, welche das
Pökelfleisch zu verbergen suchten, nicht die appetitlichsten waren,
und die Art zu geben, der Fütterung eines Hundes glich, dem man in
seinen Behälter ein Stückchen Fleisch zuwirft. -- Das von der Mutter
bestrafte Kind, welches bei der Entwendung erwischt worden, zog seine
wohlthuende Hand zurück, und die immer spärlichere Spendung des auf
die Neige gehenden Zuckers war nicht geeignet, die Gunst des Mädchens
zurückzubringen.

Der letzte Käse war verzehrt, und vom verschimmelten Brod nichts mehr
genießbar, daher ich nothgedrungen, so viel ich es im Stande war,
den Matrosen zu helfen suchte. -- Mit Begierde ward die erste mir
gereichte Reissuppe verschlungen, welche den zusammengeschrumpften
Magen erwärmte, und die Kartoffeln mit einem Appetite verzehrt,
als wären es die besten Leckerbissen. Zum Glück für mich hatte der
Ertrunkene, ein Bötticher, aus leeren Fleischfässern sechs Stück
Wassereimer bis auf’s Binden angefertigt, und diese Arbeit auszuführen,
war jetzt bei ruhiger See meine Arbeit. -- Die Zuneigung der Matrosen
erwarb ich mir bald, der Koch wurde durch Schenkung eines Rasirmessers
gewonnen, und dieser jetzt weniger wegen meiner Person vom Steuermann,
einem äußerst barschen Menschen, beaufsichtigt. So wurde mir an
Speisen mehr zugesteckt, als ich bedurfte und um vor möglichem Unfall
mich zu wahren, trug ich von diesen ein, wie ein Hamster und verbarg
Schiffszwieback und Pökelfleisch im Koffer. -- Doch diese Vorsicht war
nicht nöthig, denn da die Eimer fertig, die eisernen Reife schwarz, und
das Holz mit grüner Farbe angestrichen waren, erlaubte der Kapitän,
mich gleich den Matrosen mit Schiffskost zu versehen, da er meinen
guten Willen zur Arbeit nicht verkannte, wenn nicht die gewaltsamen
Bewegungen des Schiffes gewesen wären, die jedesmal die Seekrankheit
bei mir hervorriefen, und das Arbeiten unmöglich machten. --

Nichts besonderes Merkwürdiges kam während der weitern Reise vor, da
alle Begebenheiten mit Donner, Blitz, Wind und Wetter durchflochten,
nur das schon Erlebte und Erzählte wiederholen. -- Das Auffallendste
dieser Tour bleibt die ~Golf-~Strömung, welche die Fahrt aus
dem mexikanischen Meerbusen bis zur Höhe von ~Baltimore~ sehr
begünstigt, und den Lauf des Schiffes auch ohne Wind immer in einer
gewissen Geschwindigkeit erhält.

Sonntag, am 12. April wurde nach einer dreiwöchentlichen Seefahrt am
~Marine-Arsenale~ bei ~Norfolk~ beigelegt, um den größten
Theil der Schiffsladung, die in eingesalzenem Schweinefleische
bestand, auszuladen, welche viertägige anhaltende Arbeit mir äußerst
sauer ankam, weil durch das Ziehen am Seile des Krahnes meine Hände
voller Blasen wurden. So gern ich auch das Innere der Arbeitsgebäude
dieser Anstalt besichtigt hätte, so erlaubte dieses doch die mir am
Tage zu Gebote stehende Zeit nicht.

Am Morgen des 17. wurde die Fahrt von Neuem fortgesetzt, und in der
~Chesapeak-~Bai, der Stadt ~Baltimore~ zugesegelt. -- Das
malerische dieser Landenge bietet bei weitem nicht den Reiz, welchen
die Einfahrt zwischen ~Staaten-Island~ und ~Long-Island~ bei
~New-York~ dem Reisenden gewährt, ein Panorama, das die erhitzte
Einbildungskraft derer zum Paradies erhebt, die zum ersten Male die
Seereise machen und durch langentbehrte Ansicht bergiger, mit Wald
besetzter Höhen und grüner Thäler entzückt werden; wenigstens mir kam
es so vor. Mit ganz andern Gefühlen und Ideen, gemäßigt durch Erfahrung
und gewonnene Ueberzeugung im Lande der Freiheit selbst, betrat ich den
Boden vom Staate ~Maryland~, als es das erste Mal der Fall war, wo
ich bei ~New-York~ an’s Land stieg.



Dreißigster Brief.

~Baltimore.~

    Im April 1840.


Am 18. April Vormittags befanden wir uns ganz in der Nähe der Stadt.
Die Fahrt ging bei wenig ausgespannten Segeln nur langsam vorwärts,
während dem der Lootse mit dem Senkblei in der Hand, die Tiefe des
Wassers zu erforschen suchte. -- Ohne weitere Quarantaine halten
zu müssen, da der Kapitän mit den Kajüten-Passagieren schon von
~Norfolk~ aus, mit dem Dampfboote nach ~Baltimore~ vorausgegangen war
und vermuthlich über Alles schon rapportirt hatte, fuhren wir bis in
die Mitte der Stadt an die Magazine an, wo die noch auf dem Fahrzeuge
befindlichen Waaren niedergelegt wurden.

Mit der Adresse meines Landsmanns Gottfried Lieber in der Hand,
wünschte ich vor Allem dessen Wohnung aufzufinden, wurde aber aus
einem Stadttheile in den andern verwiesen, da der Name des Gäßchens,
wo er wohnen sollte, undeutlich geschrieben war. Ermüdet suchte ich im
nächsten Speisehause Stärkung, wo ich so glücklich war, einen Bekannten
von ihm zu finden, welcher nach dem Mahle so gefällig war, mich bis in
die Nähe der gesuchten Wohnung zu bringen. -- Mit offenen Armen wurde
ich von Lieber empfangen und seiner Familie als alter Schulfreund
vorgestellt. -- Ein zweiter Landsmann, Papst, welcher bei Ersterem in
~boarding~ war (in Wohnung und Kost seyn), bot gleichsam zum Willkommen
die Hand, und von Beiden dazu bestimmt, schlug ich in ihrer Mitte die
Wohnung auf.

Mehrere sich hier niedergelassene Landsleute, welche während meines
Aufenthalts besucht wurden, versprachen Alle, für eine Stelle für mich
zu sorgen, welche aufzufinden um so weniger schwer halten würde, da
ich auf eine besondere Branche nicht eigensinnig bestand, sondern in
verschiedenen Fächern zu arbeiten mich erbot.

Am zweiten Tage meiner Ankunft waren wegen der Feier des Sonntags die
Straßen wie ausgestorben und das Leben der geschäftigen Menge bot das
Gegenstück von ~New-Orleans~, denn nur Kirchengänger fand man in
den Straßen. Der Tag wurde zu Hause im geselligen Kreise zugebracht,
und von der alten Heimath erzählt, in welcher mancher jetzt in Amerika
lebende Landsmann so viele glückliche Tage verlebt. Es wurden
Geschichten Amerikas eingewebt, die sich während der Anwesenheit meiner
Freunde zugetragen oder mir auf der Reise selbst begegnet waren.

Den hierauf folgenden Montag machten Lieber, Papst und Schenk blau
und begleiteten mich nach dem zwei Stunden von ~Baltimore~
entfernt gelegenen ~Franklinwork~, wo auf einer Kasimir-Faktorei
Freund Thalemann beschäftigt war[51]. Freudiges Wiedersehen!
Herzliches Willkommen in der neuen Welt, worüber in der alten so viel
gekannegießert worden war, und nun hinter den Luftschlössern nichts als
Entbehrungen aller Art, ohne Beschäftigung, bei welcher sich aber immer
Interesse, Bevortheilung und Betrug im Gefolge befinden. Thalemann
wünschte auf einige Zeit meine Gegenwart, und ich konnte hier ungenirt
im Kreise wahrer Freunde von der Reise ausruhen, da ~Baltimore~
nahe war.

Auch Thalemanns Bemühung, bei seiner Ankunft in Amerika, als
Bierbrauer, Branntweinbrenner oder Destillateur anzukommen, war
vergebens, weshalb er seine Zuflucht zu des Vaters Geschäft als
Tuchmacher nahm und sich in mehren ~Carpet-~ (Teppich) Fabriken
nach Arbeit umsah; doch Alles umsonst. Schon war die letzte
Baarschaft verausgabt, und eine trübe Zukunft verbitterte noch mehr
die beengte Gegenwart, als der Besuch zweier Schiffsreisegefährden,
Weber und Maler, ihn bestimmten, die vakante Stelle in einer
Steinkohlen-Niederlage anzunehmen, wo sie arbeiteten, da kein anderes
Unterkommen sich gefunden hatte. Es galt hier kein Besinnen, die
weichen Hände unternahmen die harte Arbeit. Leider waren aber am
zweiten Tage diese schon voller Blasen und aufgesprungen, und nur,
um den Lohn der ersten Tage nicht zu verlieren, wurde unter Schmerzen
die Woche ausgehalten. Die erhaltenen sechs Dollars langten eben aus,
um die laufenden Ausgaben der nächsten Woche zu bestreiten, und auf
gut Glück wurde im Lande umgeschaut, bis ihn sein guter Engel nach
~Franklinwork~, seinem jetzigen Aufenthaltsorte, geleitete, wo
er als Woll-Sortirer beschäftigt war. -- Bei wenigen Bedürfnissen und
ökonomischer Haushaltung seiner lieben Frau ist es ihm möglich, Etwas
zu erübrigen, wenn er bei anhaltender Arbeit gesund bleibt, und den
aufgesparten Lohn kein betrügerischer Bankerot zu Nichte macht.

~Baltimore~, mit 100,000 Einwohnern, worunter der zehnte Theil
Deutsche seyn sollen, bietet im kleinern Maßstabe das Großartige im
Geschäftsleben, was den ankommenden Einwanderer in ~New-York~ mit
Erstaunen überrascht, und wer jenes Drängen und Treiben nicht gesehen
hat, glaubt schon hier das ~Non plus ultra~ zu erblicken, wo
jährlich über 2000 Schiffe ankommen sollen.

Aus dem eigentlichen Hafen, das Becken genannt, sind Kanäle in
die am Wasser liegenden Straßen geführt, wodurch den Schiffen die
Gelegenheit wird, in der Nähe der Vorrathshäuser und großen Speicher
der Kaufleute landen zu können, und ihre flatternden Wimpel, an
hervorragenden Masten der Schiffe in der Mitte der Häuser, imponiren
den kolossalen Schornsteinen gegenüber sehr. -- Wird man auch
unter der Menge der arbeitenden Klasse weniger Neger und Mulatten
gewahr, als in ~New-Orleans~, so ist ihre Zahl doch größer,
als in ~New-York~, und bekundet, daß ~Maryland~, worauf
~Baltimore~ erbaut ist, zu den Sklavenstaaten gehört. -- Die
Straßen der Stadt sind meist breit, gepflastert, mit Trottoirs versehen
und Bäumen besetzt. Die schönste, eine halbe Stunde lange Straße
(~Baltimore-Street~ genannt) zieren Kaufmannsgewölbe und Läden
aller Art, und dient zur Promenade der schönen Welt, welche hier sieht,
und gesehen zu werden, zu kaufen oder nur durch mehrmaliges Anschauen
der Waaren, dem Verkäufer das Leben sauer zu machen sucht.

Sind auch die Dämme zwischen den Häuserreihen und den Kanalufern breit
genug, um den zweiräderigen Lastkarren das Ausweichen zu gestatten, so
muß doch der Fußgänger sehr Acht haben, um nicht zwischen zwei Feuer zu
gerathen, und sich glücklich preisen, wenn er nur mit einem Seitenstoß
sich durch die regsame Menschenmenge durchgearbeitet hat. Deshalb
bedient sich der Geschäftsmann immer, um schnell und sicher zum Ziele
zu gelangen, der Fiaker, Wagen, welche auch hier gleich ~New-York~
und ~Orleans~ in den Straßen der Stadt, am Ufer und allen Plätzen
dem Winke der ~Gentlemen~ harren, die sich ihrer bedienen wollen.
-- Die Häuser, von Backsteinen erbaut, verdrängen immer mehr die noch
wenigen Holzwohnungen, und von allen Gebäuden tritt besonders schön die
Douane, von weißem Marmor aufgeführt, hervor. Zwölf kolossale Säulen
tragen einen Theil vom Innern des Gebäudes, welches hier von oben herab
durch eine hohe Kuppel erleuchtet wird. An beiden Seiten sind die
Amts- und Geschäftszimmer, so wie die Wohnungen der Angestellten. Die
katholische St. Paulus-Kirche, ebenfalls mit einer Kuppel versehen,
ist die zweite Zierde der Stadt und ihr innerer Ausbau, reich und
geschmackvoll ausgestattet, sie war die schönste, welche ich bis
jetzt unter allen Kirchen Amerikas gesehen hatte; dann treten noch
von allen den vielen Bethäusern, der Tempel der Unitarier und die
Episkopal-Kirche hervor.

Das auf einer Anhöhe stehende Monument ~Washingtons~ ist aus
weißem Marmor in Form einer Säule bis zu einer Höhe von 160 Fuß
aufgeführt, und auf der Kuppel der Säule steht die kolossale Statue des
großen Mannes selbst. Eine Wendeltreppe im Innern der Säule führt zum
schönsten Standpunkte, von wo aus ~Baltimore~ mit einem Blicke
übersehen werden kann. -- Ein zweites Denkmal, zu Ehren der Bürger
errichtet, welche 1814 bei der Vertheidigung von ~Baltimore~
gefallen sind, besteht ebenfalls aus einer auf einem Piedestal
errichteten Säule, auf welcher die Statue einer Victorie steht und
die Namen der gefallenen Bürger auf den die Säule umgebenden Bändern
eingegraben sind.

Die hiesigen Theater und das vorhandene Museum wurden von mir nicht
besucht, um die Kasse möglichst zu schonen, so lange Verdienst solche
nicht wieder zu füllen versprach. Leider hatte sich aber bei der Menge
arbeitsloser Menschen während meines vierzehntägigen Aufenthaltes noch
keine Stelle gefunden, obgleich sich Freund Schenk und Senftleben
alle Mühe gegeben hatten. Viele Fabrikherren hatten den größten Theil
ihrer Arbeiter entlassen, und wehe thut Einem der Anblick leerer
Gebäude und unbenutzter Maschinen. -- Ein ähnliches war der Fall mit
der großen Eisen-Manufaktur, wo Dampfboote gebaut, und Senftleben
gewöhnlich als Zimmermann beschäftigt wurde, welche zur Zeit über 200
Arbeiter entlassen hatte, worunter der Letztere mit inbegriffen war.
Die Herren dieser Fabrik waren äußerst zuvorkommend und artig, als beim
Vorstellen meiner Person um die Erlaubniß gebeten wurde, mich in der
Fabrik umsehen zu dürfen, und bedauerten, wegen Drange der Umstände,
von meinem Anerbieten, unter die Zahl der Kupferarbeiter aufgenommen
zu werden, keinen Gebrauch machen zu können. -- Ueberhaupt ist in
Amerika der Einlaß in Fabriken weniger schwer zu erlangen, als es in
England der Fall ist; obgleich auch hier am Eingange gewöhnlich die
Worte: „~No admittance~“ andeuten, daß der Zutritt von Neugierigen
nicht erlaubt ist, so reicht doch immer die gestellte Bitte an den
Fabrikherrn selbst, oder in dessen Abwesenheit, an den Vormann der
Anstalt hin, Einem die Thüre zu öffnen, und nur ein Mal bin ich, bei
den vielen Besuchen von Fabriken, ungehört abgewiesen worden. Dabei
herrscht die gute Sitte, daß nicht wie bei uns, Leute mit offenen
Händen den Ausgang versperren, da der Amerikaner sich in solchen Fällen
schon mit dem Danke begnügt.

Der 4. Mai brachte eine Unterbrechung in das alltägliche Leben der
Bevölkerung von ~Baltimore~, da auf diesen Tag eine große
~Whig-Konvention~ ausgeschrieben war, wozu von der betreffenden
Parthei, selbst aus den entferntesten Staaten, um das Fest zu
verherrlichen, Deputationen hierher geschickt waren, welche sich zu
mehren Tausenden zum festlichen Zuge, mit Fahnen und verschiedenen
andern Insignien geschmückt, in der West-~Baltimore-~Straße
aufstellten und mit klingendem Spiele vor jeder Abtheilung und den
Hauptrednern an der Spitze, in Prozession nach einem freien Platz
vor der Stadt zogen. Längs der Straßen, durch welche der Zug, den
~Whig~-Blätter auf 10,000 Mann angaben, passiren mußte, hatten
auf beiden Seiten die politischen Gegner (Demokraten) in Unzahl
sich aufgestellt, da diese meist den niedern Ständen angehören, und
suchten auf mancherlei Art die ~Whigs~ zu höhnen. Lange blieb es
beim gegenseitigen Beschimpfen ohne weitere Störung herbeizuführen,
als sich aber einige 40-50 junge Leute von der demokratischen
Parthei, zum Schimpfe der Gegner mit einem ausgestopften Mann, den
~Whig~-Kandidaten zur Präsidenten-Stelle, General Harrison
vorstellend, dem Zuge anschließen wollten, fühlten sich mehrere
~Whigs~ veranlaßt, dieses zu vereiteln, wodurch eine förmliche
Prügelei entstand, wobei einem Kämpfenden ein solcher Schlag auf den
Kopf versetzt wurde, daß er sogleich entseelt zu Boden sank, und leblos
hinweggetragen wurde. Solche Vorfälle sind nicht neu, und machen daher
kein Aufsehen mehr, denn während das Gefecht vorfiel, setzte der übrige
Zug, als sey nichts geschehen, seine Bewegung fort. Keine Behörde
fühlte sich veranlaßt einzuschreiten oder eine Kriminaluntersuchung
einzuleiten, um des Thäters habhaft zu werden, das hieße zu weit in die
so gepriesene Freiheit eingreifen, da ja Keiner zum Mitziehen, oder zum
Maulaufsperren gezwungen werde, sich also selbst zuzuschreiben habe,
was ihm bei einem solchen Falle begegne. Schöne Grundsätze! Für die
Wittwe mit sechs Kindern wurde eine Kollekte eingesammelt, und dieselbe
damit ein für alle Mal abgespeist. --

Die Lage aller von mir getroffenen Landsleute hier, ist nicht von der
Art, daß sie um das Glück, was sie in Amerika getroffen, zu beneiden
wären. In der Nähe besehen, nimmt sich Vieles anders aus, als man
durch briefliche Schilderungen glauben zu machen sucht. Ohne mich
weiter auf gewünschte Auskunft einzulassen, bemerke ich nur noch, das
nicht alles Gold ist, was glänzt. -- Was die zweite Anfrage anlangt,
wegen der hierher importirten Verbrecher[52], erlaube ich mir die
Bemerkung, daß ich nur Einen davon, und wie es schien, gebessert, in
~Baltimore~ getroffen, aber dieser Zusendung halber, mitunter
viel Vorwürfe habe hören müssen. Wie man darüber hier urtheilt, mag
folgender Zeitungs-Auszug bekunden: „Daß deutsche Verbrecher, und
zwar auf Befehl deutscher Regierungen nach den Vereinigten Staaten
importirt worden sind, scheint keinem Zweifel zu unterliegen und
wird uns von den glaubwürdigsten Männern versichert, nur scheinen
darüber keine schriftlichen Dokumente vorhanden zu seyn. -- Daß es
schließlich in einer Seestadt, wie ~Baltimore~, überhaupt an
Gesindel und charakterlosen Geschöpfen jeder Art, so auch an deutschem
Gesindel nicht fehlen wird, und an verworfenen Menschen, welche Hang
zum Müßiggang und Hoffnung auf Gewinn aus unserm Vaterlande hierher
gelockt, und die hier wie dort eine Last und Schmach der Gesellschaft
sind, versteht sich leider von selbst, und die schamlosen Betteleien
mit Trug, List und Undank gepaart, die von deutschen Einwanderern
handwerksmäßig getrieben werden, und wofür wir selbst zahlreiche
Beweise liefern können, sind allerdings der biedern, betriebsamen und
allgemein geachteten deutschen Bevölkerung unserer Stadt längst ein
Greuel, und je mehr dieses in den Augen der Amerikaner auffallen,
Widerwillen und öffentlichen Tadel hervorbringen muß, desto mehr ist es
die Pflicht aller Bessergesinnten unter unsern deutschen Mitbürgern,
mit vereinten Kräften dahin zu wirken, daß zur Ehrenrettung des
deutschen Namens, diesem Unwesen gesteuert werde etc.“

Was muß sich nun der eingeborne Amerikaner nach diesem Geständnisse
der Deutschen selbst für einen Begriff von der Kenntniß deutscher
Regierungen über den moralischen und sittlichen Zustand Amerika’s
machen? Da man sich nicht scheut, ihnen den Abschaum menschlicher
Gesellschaft zu überschicken, wird dadurch nicht geradezu
einer freundlichen, humanen Aufnahme von Seiten der Amerikaner
entgegengearbeitet, und geht nicht Achtung für denjenigen, welcher
geehrt und geliebt in der Heimath, nur aus überspannten Ideen, oder
sonstigen Maximen sein Vaterland verläßt, hier verloren? Muß dadurch
nicht der Gerechte mit dem Ungerechten leiden?

Um die falschen Ansichten der Eingebornen über unser Vaterland und
dessen Verfassung noch zu mehren, tragen besonders solche Emigranten
bei, welche sich als verfolgte Demagogen ausgeben, die für das Beste
der deutschen Freiheit, mit Mund und Feder gestritten haben wollen,
und von ihrer Regierung verfolgt, nur im freien Amerika sichere
Zuflucht gefunden hätten, obgleich sich Niemand in der lieben Heimath
um solch ein Subjekt bekümmert hat, welches vielleicht schlechter,
unpolitischer Streiche halber relegirt oder im Examen durchgefallen
ist und sich hier nun durch Erzählung solcher Mährchen, Theilnahme
und Unterstützung zu verschaffen sucht. Daß das von solchen Menschen
geschaffene Bild über deutsche Verfassung den deutschen Emigranten
nur zum Nachtheil gereichen muß, ist natürlich, da der sich allein
frei dünkende Amerikaner darin nur despotische Regenten und sklavische
Bettler zu erblicken glaubt.

Gewöhnlich gesteht sich auch der mit dem getroffenen Loos unzufriedene
Deutsche hier nicht ein, daß nur er allein und außer ihm Niemand
weiter die Schuld trägt, warum er nach Amerika versetzt worden ist,
und sucht immer die Regierungsform vorzuschützen, welche zu diesem
Vorhaben die Ursache gewesen wäre, obgleich diese zu beurtheilen,
ihm selten die Kenntniß zusteht, wie die Widersprüche seiner Angaben
hinlänglich bekunden. Als Beispiel mag die Bemerkung gelten, wie einer
meiner Landsleute, (Schuhmacher) bis im dritten Himmel entzückt, sich
über amerikanische Freiheit ausließ, wo jeder treiben dürfe, was er
wolle. Auf die von mir gestellte Frage, welches die ihm zum Auswandern
bestimmte Ursache sey, da ich doch wisse, daß er in seiner Vaterstadt
recht gute Tage verlebt habe, gab er zur Antwort: wie höchst ungerecht
es von der Behörde sey, jeden zum Meister sich Anmeldenden aufzunehmen,
wodurch der Verdienst der alten Meister geschmälert und deshalb
dieselben einer trüben Zukunft entgegen sehen müßten, aus welcher
Ursache er den Wanderstab ergriffen und in das schöne freie Amerika
gereist sey!



Einunddreißigster Brief.

Reise nach ~Washington~.

    Im Juni 1840.


Die Arbeit im Gärtchen vor Thalemanns Wohnung in ~Franklinwork~,
welches in Stand zu setzen, mich beschäftigte, wenn ich nicht in
~Baltimore~ war, wurde beendigt, und da man in der Stadt nur
solche Arbeit fand, welche die sich damit Beschäftigenden im Laufe der
ersten Woche gewöhnlich wieder verlassen, so fühlte ich keinen Beruf
und Lust, in Steinkohlen-Niederlagen oder Backstein-Fabriken meine
Zeit zu verlassen, oder als Feuermann bei dem Dampfkessel einer Fabrik
einzutreten, und es wurde beschlossen, ~Baltimore~ unverzüglich
zu verlassen, da auch die letzte Aussicht, bei einem Destillateur ein
Unterkommen zu finden, sich nicht realisirte, indem der Herr mich für
zu gescheidt hielt, und sich nicht, wie er vorgab, der Gefahr aussetzen
wolle, durch mich seine Geheimnisse weiter verbreitet zu sehen. Dabei
gab er mir den Rath, mit meinen Kenntnissen nicht eher als im Laufe der
Arbeit hervorzutreten, da der Amerikaner nicht gern gescheidtere Leute
anstelle, als er selbst sich dünke; noch weniger aber von Deutschen
Lehren annehmen würde.

Am 6. Mai brachte mich Freund Thalemann auf die Chaussee, welche von
~Baltimore~ nach ~York~ führt, in welcher Stadt hauptsächlich
viele kleinere landwirthschaftliche Brennereien angefertigt werden
sollten, und wo ich in meinem Fach Beschäftigung zu erhalten hoffte.

Der Bau der Kunststraßen, ~Turnpikeroad~ genannt, wird ebenso wie
Eisenbahnen und Kanäle, von Spekulanten ausgeführt; Chausseen sind
gewöhnlich 25 Schuh breit und mit Meilensteinen versehen. -- Daß bei
Ausführung solcher Kunststraßen, wie Eisenbahnen, nicht immer auf
einen soliden Unterbau gesehen wird, um möglichst wenig Anlagekapital
zu verwenden, mag die Ursache seyn, daß solche bei mangelhafter
Beaufsichtigung, sich nicht immer in einem soliden Zustande befinden,
wenigstens ließ die von mir heute passirte Strecke Vieles zu wünschen
übrig. -- Bei eingezogener Erkundigung, ob die Landstraßen auf
Staatskosten erbaut und erhalten würden, wurde mir gesagt, daß dieses
nur mit wenigen der Fall sey; großartige Unternehmungen, wie Kanal-,
Brücken-, Eisenbahn- und Straßen-Bauten würden in der Regel von einer
zusammengetretenen Gesellschaft Aktionäre unternommen, und vorzüglich
von denen unterstützt, welche der zu errichtenden Straße am nächsten
wohnen, weil durch Erleichterung des Waarenverkehrs ihre Erzeugnisse
leichter Absatz fänden, und dadurch der Werth ihrer Grundstücke sich
steigere. -- Nach vollendeter Arbeit wird von den Aktionären ein
Wegegeld erhoben, doch nicht auf die ganze Länge der Straße in gleichen
Ansätzen für die Meile, sondern jenachdem das Terrain zwischen den 1½
bis 2 Stunden auseinander gelegenen Einnahmestellen mehr oder weniger
Anlage-Kapital erfordert hat, wodurch der Reisende genöthigt ist, die
auf Verlangen vorgezeigten Tariftabellen zu studiren, wenn er sich
nicht der Gefahr aussetzen will, daß ihm zu viel abgenommen werde. --
Dann soll es aber auch vorkommen, daß zusammengetretene, großartige
Spekulanten den Plan zu einer Eisenbahn der Regierung vorlegen, mit dem
Bemerken, daß man im Besitz eines großen Vermögens sey, dasselbe aber
in Cirkulation merkantilischer Geschäfte sich befände und Hemmung in
ihre Geschäftsthätigkeit bringen würde, wenn man es einziehen wolle.
Man stellt daher das Gesuch, für so und so viele Millionen Papiergeld
machen zu dürfen, welches nach Verlauf einer bestimmten Zeit wieder
eingezogen werden solle. Die Erlaubniß erfolgt, ohne daß jedoch der
Staat eine Garantie übernimmt, und nichts geht schneller, als das
Papiergeldmachen. Die Bahn, in verschiedene Sektionen getheilt, wird
zu gleicher Zeit an allen Orten angegriffen, da das Geld vollauf
vorhanden ist und langt die veranschlagte Summe nicht aus, so giebt
es Papier ohne Ende, und schnell ist der Schaden geheilt. Je nachdem
nun den Unternehmern Vertrauen geschenkt wird, richten die Lieferanten
ihre Kontrakte darnach ein, und die Entreprenneurs von Erdarbeiten
lassen sich darnach zahlen, welche wiederum ihre Arbeiter annehmen und
verlohnen; so kommen nun solche Eisenbahn-Noten in die Hände der ärmern
Klasse, wo sie den Werth des Silbers als Papiergeld verlieren und immer
nur einen momentanen Werth besitzen; denn sobald eine Bank die Annahme
solcher Noten verweigert, wozu sie Niemand zwingen kann, so ist es um
ihren Kredit geschehen und von Tag zu Tage sinken sie im Werthe, je
mehr man sich bemüht, sie los zu werden, bis sie ganz außer Kurs sind
und der Sparer wieder von vorn anfangen muß. Was hat nun die Eisenbahn
gekostet? Nichts weiter, als einige Ries Papier und Druckerlohn der
Noten. -- Die Regierung mischt sich in solch einen Handel nicht, da
nach dem Gesetz Niemand zur Annahme von Papiergeld gezwungen werden
kann, und wer solches gethan, sich allein die Schuld beizumessen hat.

Im Städtchen ~Manchester~, welches von mir berührt wurde, traf ich
den Kupferarbeiter Albrecht aus Sangerhausen, und bei ihm einen seiner
Söhne, der in Weimar bei mir in Arbeit gestanden. Bis zum 13. Juni
blieb ich in ihrer Mitte, um solche im Bau der neuesten Brenngeräthe
zu unterrichten. -- Diese brave Familie hat auch in Amerika nicht das
Glück gefunden, welches ihnen zu wünschen ist. Bei starker Familie,
Vater von 10 Kindern, hat er mit manchen Widerwärtigkeiten kämpfen
müssen, bis ihm das Plätzchen wurde, wo er jetzt mit seiner Familie
lebt und von seiner lieben Frau treulich unterstützt wird. Der älteste
Sohn hat der Fahne geschworen, und ist Soldat, der zweite hilft
treulich dem Vater im Geschäfte, der dritte lernt als Papiermüller, der
vierte als Schmidt, die älteste Tochter ist verheirathet, die übrigen
jüngern Geschwister sind noch im Hause der Eltern und suchen treulich,
jedes nach Kräften, mit zu erwerben.

Während meines Aufenthaltes hier, fand ich in dem Schwiegersohn des
Albrecht, den Schneider Eck, einen fleißigen, braven und geselligen
Menschen, in dessen Nähe ich gewöhnlich meine Freistunden verlebte.
-- Einst saßen wir nach beigewohntem Nachmittags-Gottesdienst, da das
Kirchengehen hier zur sonntäglichen Erholung gerechnet wird, in der
Stube, und vertrieben uns bei unfreundlicher Witterung die Zeit mit
Kartenspielen um Marken, als ein Kunde von Eck eintrat, nach seinen
neu angefertigten Sachen frug und uns Kartenspielen sah. Bald darauf
kam der ~Esquire~ (Richter), um uns, die den Sonntag entheiligt
hätten, in Strafe zu nehmen; zum Glück war das Spiel geendet und
wir kamen mit der Drohung davon. Eben so wurde ich einen andern
Sonntag zur Verantwortung gezogen, weil von mir zwischen der Vor- und
Nachmittags-Kirche Zwecken in Stiefeln geschlagen worden waren.

Bei aller Gewissensfreiheit darf dennoch am Sonntag weder gearbeitet,
oder gespielt, noch gejagt, am wenigsten aber getanzt werden, da
solches unter die Todsünden gerechnet wird. Mit was soll nun der Mensch
hier, bei welchem aller Sinn für das Höhere verloren geht, wo der Geist
bei dem Streben nach leiblicher Wohlfahrt gänzlich unterliegt, die Zeit
zwischen und nach den Kirchen an Sonn- und Ruhetagen ausfüllen? Die
Hausfrau und Mutter bleibt im Kreise ihrer Familie zu Haus eingesteckt,
der Mann aber sucht sich in einem Trink-~Store~ die Zeit zu
kürzen; doch ist es hier nicht ein nahrhaftes Bier, was zum Getränke
dient, nein, Branntwein ist es, der, um ihn dem Gaume wohlschmeckender,
dem Magen aber verderblicher zu machen, noch mit Zucker, Citronensäure
und verschiedenen andern Essenzen vermischt wird. -- Stoff zur
Unterhaltung geben nur politische Gegenstände und die Zeitblätter
sorgen immer dafür, daß es an dieser oder jener Maßregel etwas zu
tadeln giebt, worüber, ohne allgemeine Kenntniß von der Sache selbst
zu besitzen, ja wovon oft nicht ein Wort wahr ist, ein Urtheil gefällt
wird. Partheigeist veranlaßt ewige Streitigkeiten und immer versucht
Einer seinen politischen Glauben einem Andern aufzudringen, wobei oft
die erhitzten Gemüther thätlich an einander gerathen, wenn des Guten zu
viel genossen worden und man für die Sache eingenommen ist.

Sobald der Amerikaner ausgefunden hat, wozu wenig Scharfblick gehört,
daß ein Europäer in seiner Nähe ist, so schaut er mit stolzem Haupte
auf, prahlt mit seiner Konstitution und Freiheit, und preißt sich
glücklich in einem Lande zu leben, wo ein Jeder ungestraft denken,
reden und schreiben kann, was er will, wo wir dagegen Sklaven, die
man leider Unterthanen nenne, durch Zensur und Preßzwang am geistigen
Aufschwung zurückgehalten, wo nicht gar unterdrückt würden. -- Doch nur
zu bald wird man die Schattenseite dieses Wahnglaubens gewahr und man
fühlt sich in der Nähe solcher Menschen nicht heimisch, und wer nicht
aufgelegt ist, solche Debatten zu bestehen, sieht sich genöthigt, in
seiner Behausung zu bleiben oder in Gottes freier Natur seinen Gedanken
Audienz zu geben.

Um vor meiner Abreise nach ~Washington~ die von ~Orleans~
nach ~Baltimore~ mitgebrachten Sachen zum Transport nach
~New-York~ zu packen und von den Freunden Abschied zu nehmen,
kehrte ich am 10. Juni zu Fuß nach ~Baltimore~ zurück und
den ersten Tag schon vom Stiefel gerieben, suchte ich solches zu
verbessern, als ein Reiter mit zwei Pferden daher trabte und mir
zurief, ob ich nicht mit reiten wolle. Hatte auch das Handpferd
keinen Sattel, so glaubte ich doch: schlecht geritten sey besser, als
gut gegangen und willigte ein. Doch bald wurde ich gewahr, daß der
Gaul blind war, über jeden Stein stolperte und mich der Gefahr des
Halsbrechens aussetzte und nur weil der schelmische Amerikaner das Aas,
welches mich trug, nicht gut fortbringen konnte, offerirte er es mir
zum Reiten. Nur bis zum nächsten Gasthof noch, vermeinte ich das Thier
zu gebrauchen, aber kaum gedacht, stürzte der Gaul und spedirte mich
gleich einem geprellten Frosch in den Chausseegraben. Nicht vermögend
aufzusteigen, und noch weniger im Stande zu gehen, da der Knüppeldamm,
worauf ich gefallen war, die Seite verletzt hatte, nahmen mich auf mein
Bitten daherkommende Frachtfuhrleute auf und der gereichte Branntwein
mußte die Stelle des Spiritus ersetzen. Der Verführer zum Reiten hatte
gleich nach dem Unfall, welcher mich betroffen, sich mit den Pferden
auf und davon gemacht und durch die Flucht sich meinem Unmuth entzogen.

Der Pennsylvanische Fuhrmann, dessen Wagen mich aufgenommen, und welche
nie anders, als vom Sattel fahren, setzte sich traulich zu mir, um von
dem Lande, aus dem sein Großvater abstammen sollte, Etwas zu hören,
und was, wie ich vermuthen mußte, Hessen-Kassel gewesen war. Dunkel
erinnerte sich selbiger noch, wie ihm als Kind der Eltern Vater von
einem großen Manne erzählt habe, welcher Christoph geheißen, und zu
welchem viele Leute gereist seyen, doch warum, wisse er nicht mehr.
Um so angenehmer war es mir, daß ich dem Amerikaner die Geschichte
vom großen Christoffel, und alle den Wasserkünsten in seiner Umgebung
erzählen konnte, worüber der Mann sich kindlich freute und seine
Kameraden herbeirief, um solchen in englischer Sprache das Vernommene
sogleich wieder mitzutheilen, weil man in Amerika von derartigen
Wasserkünsten nichts kennt und sich nur auf das nöthige Röhrwasser
beschränkt.

Die deutsche Sprache dieser Pennsylvanier-Deutschen war unrein,
platt und kaum zu verstehen, und dabei versicherte man mich, daß die
englische Sprache die deutsche immer mehr verdränge, und man ohne die
erstere in Pennsylvanien wohl fortkommen, aber keine Handelsgeschäfte
machen könne. --

Die grün oder blau angestrichenen Fuhrmannswagen sind gleich den
unsrigen mit Leinwand überzogen und mit vier, fünf oder sechs Pferden
bespannt, wobei immer nur so viel Fracht aufgeladen wird, als die
Kräfte der Thiere gestatten, um die Last über steile Höhen zu ziehen,
da Vorspannepferde hier nicht in Anwendung kommen.

Die vielen Gasthäuser und Herbergen längs der Straße benutzt der
Fuhrmann nur, um seine Person mit Speise und Trank zu versehen. Die
vorhandenen Ställe oder Schoppen werden von ihm für sein Vieh nicht
benutzt. Sowohl Mittags als Abends beim Ausspannen, bindet man die
Pferde, auch wenn sie noch so warm sind, an die Deichsel fest, ohne die
erhitzten Thiere mit einer Decke zu belegen, die mitführende Krippe
an solche, und das Futter, welches auch auf dem Wagen vorräthig ist,
wird sogleich gegeben. Auch selbst in den Städten, wo die Fuhrleute
oft wochenlang auf die Ergänzung ihrer vollen Fracht warten müssen,
kommen die Pferde während dieser Zeit nie unter Obdach, da der Fuhrmann
die Ausgabe für Stallgeld scheut. Streue für das Vieh wie für den Mann
ist ebenfalls nicht Mode, da die Erstern im Freien mit Gottes Erde
sich begnügen müssen, und der Fuhrmann seine ausgestopfte Matraze
nebst wollenen Decken immer mit sich führt. Daß durch diese schlechte
Abwartung die Pferde bald steif und unbrauchbar gemacht werden, läßt
sich denken.

Nicht immer nimmt sich der Amerikaner des Verunglückten an, wie es der
menschenfreundliche Fuhrmann an mir gethan hatte. Mitleid ist keine der
Tugenden, welche den Amerikaner ziert, und nur zu oft reicht man erst
die rettende Hand, wenn es zu spät ist, wie dieses folgende traurige
Begebenheit bezeichnet, welche die Pittsburger Zeitung bekannt machte.
„Ein junger Mensch, dessen Namen man nicht genau ermitteln konnte,
Heinrich Fricken, oder Ficken, acht Stunden von Bremen zu Haus, aus
dem Hannöverschen, fand am letzten Sonntage unter folgenden traurigen
Umständen ein frühes Grab. Der Unglückliche war erst ohngefähr 9 Monate
in Amerika, hatte sich eine Zeitlang von ~Baltimore~ aus hier
aufgehalten und wahrscheinlich auf seine Profession (als Schneider
oder dergl.) gearbeitet. Auf seiner Reise, dem Kanale entlang, wurde
er von der Ruhr befallen, allein entblöst von allem Gelde, nahm sich
Niemand des armen Tropfes an. Er schleppte sich mühsam eine kleine
Strecke weit bis oberhalb ~Alleghanytown~, wo er vor Erschöpfung
und gänzlicher Ermattung liegen blieb. Böse Buben, in der Meinung er
sey ein Trunkenbold, warfen ihn mit Koth und Steinen. Am Freitag Morgen
schleppte er sich bis in ein Wirthshaus am ~Alleghany-~Markt und
bat den Wirth, ihm bei einem Friedensrichter eine Armenbescheinigung
auszuwirken. Doch der angegangene Friedensrichter verweigerte diese
Bescheinigung, unter dem Vorgehen, man könne nicht jeden hergelaufenen
und betrunkenen Kerl ins Armenhaus bringen, worauf ihn auch der Wirth
gehen ließ. -- Wiederum schleppte sich der zum Tod Kranke bis nach
dem untern Theile von ~Alleghanytown~, wo er an der Kirchenfense
(Zaun) der deutschen Kirche liegen blieb. Des Abends sahen ihn die
Kinder der deutschen Schule, und erzählten: daß ein betrunkener
Mann an der Fense liege, doch Niemand bekümmerte sich darum. Gegen
Abend durchnäßte ein furchtbarer Platzregen den Elenden, der dann in
der Nässe und Kälte die Nacht im Freien zubringen mußte. Des Morgens
kam ein Söhnlein des Herrn Lehmann dahier an der Fense vorüber, und
betrachtete den Daliegenden. Der Kranke sprang plötzlich auf und fiel
dem Knaben um den Hals. Dieser führte ihn in seiner Eltern Haus, wo
man den Erstarrten und Kranken mit warmen Getränken labte und dann
für seine weitere Verpflegung die nöthige Sorge traf. Aber die Leiden
hatten des Unglücklichen Lebenskräfte in dem Maaße gebrochen, daß alle
Pflege und ärztliche Hülfe fruchtlos war. Er starb am Sonntag Abend
und wurde am Montag auf dem hiesigen Kirchhofe beerdigt. Wäre von
Seiten des obenerwähnten englischen Friedensrichters die ihm obliegende
Pflicht erfüllt worden und hätte dieser den Kranken untersuchen lassen,
ehe er ihm die Bescheinigung verweigerte, so hätte vielleicht derselbe
gerettet werden können.“ --

Um noch vor dem Auseinandergehen der Kongreß-Mitglieder, welches den
21. Juni Statt finden sollte, in ~Washington~ einzutreffen, da
ich den öffentlichen Verhandlungen gern beizuwohnen wünschte, so
entschloß ich mich, und da durch den Sturz vom Pferde das Fußreisen
mir noch Schmerzen verursachte, diese 40 Meilen lange Strecke von
~Baltimore~ bis dahin, auf der Eisenbahn zurückzulegen.

Bei der Schnelligkeit der Fahrt ließ sich von der Gegend nur so viel
erkennen, daß solche nicht sonderlich fruchtbar zu seyn schien, wie
auch die ärmlichen Wohnungen bekundeten, welche zum Aufenthalte von
Negerfamilien dienten, deren Kinder nackend vor den Hütten sich
herumtummelten. --

Die nach einem großartigen Plane angelegte Stadt ~Washington~,
im Staate ~Columbia~, mit 20,000 Einwohnern, ist seit 1800 der
Sitz der Regierung von den 27 Vereinigten Staaten, und wird, nach dem
vorhandenen Plane ausgeführt, dereinst die schönste Stadt der Erde
darstellen, jetzt aber bieten die zerstreut liegenden Häuser noch
nichts Ganzes. -- Das Kapitol, worinnen die Repräsentanten der Staaten
ihre Zusammenkünfte halten, ist an einem Abhange, von weißem Marmor
erbaut. Die Vorderseite ziert ein Portal von korinthischen Säulen, und
an der hintern Seite ist ein großer, ebenfalls mit Säulen gezierter
Balkon, von welchem man die schönste Aussicht nach der Seite der Stadt
genießt, wo jetzt die mehrsten Häuser neben einander aufgebaut sind,
und förmliche Straßen bilden. Das Dach bildet drei Kuppeln, von deren
mittelster von oben das Licht in die darunter befindliche große Halle
eindringt, wo in der Mitte die Statue ~Washingtons~ aufgestellt
ist und die Wände Oelgemälde zieren. Unter dieser Halle befindet sich
eine zweite von drei Reihen Säulen getragen, welche zum Durchgange
dient. Hinter der obern Halle ist der große Bibliotheksaal. Im rechten
Flügel des Gebäudes ist der Versammlungssaal des Senats, das Bureau des
Präsidenten und der Versammlungssaal des höchsten Gerichtshofes der
Vereinigten Staaten. Dieser und der Senats-Saal sind halb zirkelförmig
gebaut, im Mittelpunkte befindet sich der Sitz des Vorsitzenden, vor
welchem amphitheatralisch die Mitglieder des Senats, Jedes hinter einem
Bureau, placirt sind. Im andern Flügel des Gebäudes befindet sich der
Versammlungssaal der Repräsentanten, ebenfalls so geordnet, wie der
Senats-Saal. Die Gallerien dieser Säle werden von jonischen Säulen
getragen und dienen zum Aufenthalte der Zuhörer bei Versammlungen. Die
Gallerie über der großen Kuppel soll eine sehr weite Aussicht gewähren.
In allen Räumen herrscht Pracht mit Würde und republikanischer
Einfachheit vereinigt.

Die Wohnung des Präsidenten ist ebenfalls aus Marmor-Quatern erbaut,
und steht in der Mitte der vier Bureaux der Staatsverwaltung,
nicht weit vom ~Potomac-~Flusse, in einem Garten. -- Alle auf
Staatskosten errichteten Gebäude werden von weißem Marmor aufgeführt
und meist geschmackvoll mit Säulen verziert. An mehren Bauten wurde
thätig gearbeitet was den Gewerken gut lohnen soll, denn der Verdienst
ist ein sicherer, da in ~Washington~ nur in Silbergeld gezahlt
wird, ja selbst im Verkehr die Annahme von Papiergeld bei Strafe
verboten ist. In dieser Hinsicht ist ~Washington~ der einzige Ort
in den Vereinigten Staaten und verdient bald Nachahmung zu finden.

Die aus Backsteinen aufgeführten einfachen Privathäuser wechseln mit
Holzwohnungen ab. Letztere sollen jedoch nach Verlauf einer bestimmten
Zeit verschwinden. -- Mehre hundert Acker Landes in der Nähe des
Präsidenten-Hauses hat man in Gärten verwandelt. Ein großer Park,
südlich von diesem, läuft in östlicher Richtung von dem Flusse nach dem
Kapitol. Auf andern Plätzen sind die Kirchen, Theater und Kollegien
erbaut. Zwischen dem Kapitol und dem Präsidentenhause, auf einer
kleinen Anhöhe, steht die Statue des Generals ~Washington~ zu
Pferde.

Nach dem Plane der Stadt beträgt ihr Umfang sechs Stunden, und
die Straßen derselben, nach allen Himmelsgegenden zu laufend,
durchschneiden sich im rechten Winkel, und sind 90-100 Fuß breit.
Doch um die Einförmigkeit zu vermeiden, hat man in verschiedenen
Stadttheilen 160 Fuß breite Avenüen angelegt, welche in die Schräge
laufen, und wo sie sich durchschneiden, von gerundeten Plätzen
unterbrochen werden, die zur Aufnahme von Statuen bestimmt sind. --

In dem großen neuen Postgebäude, wo man eben mit dem Ausbaue der
Parterre-Pieçen beschäftigt war, befindet sich im ersten Stocke die
~Patent-Office~, und in einem großen Saale sind alle die Modelle
aufgestellt, welche wegen Einholung eines Patents auf gemachte neue
Erfindungen, oder Verbesserung schon vorhandener Sachen, eingeschickt
worden sind, da jedem Gesuche ein solches, oder die genaue Zeichnung
der Erfindung beigefügt werden muß. Der tägliche freie Zutritt für
Jedermann bietet hier Tausende von Modellen über alle nur denkbare
Gegenstände dem Auge dar, und Jeder findet gewiß für sein Geschäft
etwas Sehenswerthes. Dabei ist auffallend, wie schnell alle neue
Erfindungen nachgemacht und mitunter wesentlich verbessert worden
sind. Leider aber ist oft nicht abzumerken, wo bei der nachgemachten
Erfindung die Verbesserung stecken soll. Eine wenig abweichende
Stellung, ein anderer Bug eines Theils des Ganzen, einige Nägel
oder Schrauben mehr oder weniger, reichen hin, um für das gezahlte
Honorar die Erlaubniß zu erhalten, die schon vorhandene und einem
Andern garantirte Arbeit nachmachen zu dürfen. Am Auffallendsten kam
mir solches bei den Pflugschaaren und andern landwirthschaftlichen
Geräthen vor, wovon eine große Menge solcher Modelle vorhanden sind. --
Große, zwanzig Fuß lange, fünf Fuß breite Glasbehälter, jeder mit drei
Realen versehen, schützten die Sachen vor dem Staube und dem Antasten
frevelnder Beschauer, doch werden auf den Wunsch die Thüren geöffnet,
und die Modelle selbst dürfen unter Aufsicht herausgenommen und genau
besichtigt werden, wobei jedoch eine Zeichnung abzunehmen, nicht
erlaubt ist.

Für mich hatte von Allem, was ich bis jetzt in Amerika gesehen, diese
Modell-Sammlung und öffentliche Ausstellung das größte Interesse und
nahm mehre Tage meine Zeit in Anspruch. --

Die letzten zwei Sitzungen der Kongreß-Mitglieder im Kapitol, welchen
beizuwohnen ich nicht versäumte, gaben das Bild ächt republikanischer
Freiheit, und bedauern mußte ich sehr, nicht so viele Kenntnisse in
der englischen Sprache zu besitzen, um während des Debattirens den
Wortkampf genau verstehen zu können. Die erhitzten Gemüther der sich
schroff gegenüberstehenden Partheien, ~Whigs~ und Demokraten,
mußte fortwährend der Vorsitzende durch den Schlag des Hammers zur
Ordnung und Ruhe verweisen, da selten ein begonnener Vortrag bis zu
Ende durchgeführt wurde, ohne von den Gegnern unterbrochen zu werden,
welches wiederum Andere bestimmte, solche Bemerkungen zu widerlegen,
wodurch man sich in eine Judenschule versetzt glaubte. Dabei bleibt man
nicht ruhig hinter seinem Bureau sitzen, sondern ändert nach Belieben
den Ort und sucht durch mündliche Demonstrationen Andere für seine
Ansicht zu gewinnen; auch tragen die vorhandenen ~Buffets~ das
Ihrige bei, die Lebensgeister zu erhitzen, und da oft die Sitzungen
bis gegen Morgen anhalten, so kann es nicht anders kommen, daß man,
des Guten zu viel genossen, sich oft zu Handlungen hingerissen fühlt,
welche am wenigsten an einem Orte vorkommen sollten, wo die auf höchste
Bildung Anspruch machenden Männer über des Volkes Wohl berathschlagen,
und derartige Auftritte dem Kongresse Schande und Verachtung zuziehen
müssen.



Zweiunddreißigster Brief.

Reise über ~Frederik-Town~ nach den Farmen meines Landsmannes Rehling
bei Straßburg.


Da die Seitenschmerzen nachgelassen und sie das Fußreisen nicht mehr
hinderten, verließ ich, mit Pulver und Blei versehen, indem ich mir
auf einer Auktion wieder zu einem Gewehre verholfen hatte, am 24.
Juni ~Washington~. -- Nicht aus Jagdliebhaberei oder der Sicherheit
willen trug ich von Neuem eine Waffe, sondern um dem Amerikaner für den
Fußreisenden mehr als sonst gewöhnlich ist, Respekt einzuflößen, da er
nicht begreift, wie man eine weitere Tour, ohne Jäger oder Bettler zu
seyn, zu Fuße unternehmen kann, weil er sich selbst auf der kürzesten
Strecke des Pferdes oder Wagens bedient.

Während der Reise über ~Georgetown~, welchen Ort nur ein kleiner
Fluß von dem Terrain ~Washingtons~ trennt, ~Simsonville~,
~Montgomery~, ~Seneca~, ~Middlebrock~, ~Clarkbury~, ~Hyallstown~ nach
~Fredericstown~, fiel nichts besonderes Merkwürdiges vor; mehr oder
weniger fand ich eine gastfreundliche Aufnahme bei den Farmern.

Die Gegend ist hügelig, viel von Holz besetzt und nur theilweise
angebaut. -- Zur Feldwirthschaft (meist Tabacksbau), werden nur
Negersklaven verwendet. --

Die Stadt ~Frédéric~, wie sie von den Deutschen kurz genannt wird,
ist eine der größten im Staate ~Maryland~, mit 9000 Einwohnern,
regelmäßig angelegt, hat breite Straßen, welche andere im rechten
Winkel durchschneiden, und dient vielen Deutschen zum Aufenthalte.
-- Da aus der Umgegend die Produkte hierher kommen, um weiter nach
~Baltimore~ spedirt zu werden, so bieten solche einen bedeutenden
Verkehr, welcher durch die Eisenbahn noch vermehrt worden ist, da
letztere die Kommunikation mit ersterer Stadt erleichtert. --

Ein geriebener Fuß zwang mich abermals, hier zu weilen, wodurch der
Zufall mir zwei Israeliten in die Hände führte, welche die Seereise
von ~Bremen~ mit uns gemacht hatten. Ueber die Schnelligkeit, mit
welcher sie die englische Sprache erlernt hatten, war ich erstaunt, und
nur ihr Schachergeist, der sie immerwährend mit den Amerikanern in
Verkehr bringt, da von den Deutschen nicht viel zu schmusen ist, ließ
solches erklären.

Der Markttag füllte alle Hauptstraßen mit Wagen, und besonders nehmen
sich neben dem weiblichen Geschlechte, welches ebenfalls reitet, wenn
es nicht gefahren wird, die männlichen Ritter possirlich aus. Die
Sättel sitzen gewöhnlich zu weit vorn, den Pferden auf dem Halse; dabei
sind die Steigbügel lang, so daß die vorgestreckten Beine mit der Nase
des Pferdes in Berührung kommen, wenn dasselbe den Kopf etwas dreht.
Vom richtigen Gebrauche der Zügel ist den Amerikanern nichts bekannt,
dabei fehlen die Sporen, und der Regenschirm, welcher sowohl gegen
Nässe wie gegen Sonnenstich gebraucht wird, läßt keine Reitgerte zu.
Im Schritte reiten zu wollen, geht ihnen zu langsam; der Trott ist
ihnen verhaßt, da, wie sie meinen, derselbe die Glieder zusammenstaucht
und unbequem ist, weshalb sie Wark vorziehen, wo das Pferd mit den
Vorderbeinen galloppirt, und mit den hintern Füßen trottirt. Diese
Art zu reiten hält man in Amerika für bequemer als den ordentlichen
Gallopp, und ist überall Sitte. --

Zu meinem Glücke kehrte ein Plantagen-Besitzer aus der Gegend von
~Montgomery~ in dem Gasthause ein, wo ich logirte, machte meine
Bekanntschaft, und da er selbst etwas deutsch verstand und neugierig
von Natur zu seyn schien, trug er mir an, mit auf seinem Wagen Platz
zu nehmen, da er eine Tagereise meines Weges fahre. Dieses kam mir
ganz erwünscht, und unterm Austausche der Gedanken, in welchem die
Pantomime eine Hauptrolle spielen mußte, wurden die Stöße weniger
verspürt, die uns der Wagen auf dem schlechten, vom Regen gelösten Wege
versetzte. -- Aus seinen Mittheilungen konnte ich so viel entnehmen,
daß er vorzüglich viel Taback baue, von welchem er Proben bei sich
führte, und mir zum Versuchen reichte, über deren Werth ich mir aber
kein Urtheil erlaubte, da ich selbst kein Raucher bin. Auch er rauchte
nicht, doch verriethen seine Mundwinkel, daß das Tabackkauen seine
Lieblings-Passion sey, wobei er versicherte, daß keiner seiner Sklaven
rauchen dürfe, auch keiner derselben Neigung dazu verspüre, da sie dem
Bremen den Vorzug gäben.

Die Gewohnheit des Tabackkauens, besonders in den südlichen und
westlichen Staaten, ist bis in die höhern Stände Mode geworden; denn
selten spricht man mit einer Mannsperson, welche nicht den Mund voll
Taback hat, und dieses Laster hat so tief Wurzel gefaßt, daß man
ungenirt, ohne Rücksicht auf Damen zu nehmen, an jedem Orte fortwährend
ausspuckt und den ausgekauten Taback mit neuem ersetzt. -- Diese
Sorte Kautaback wird eigens dazu gefertigt, ist schwarz von Farbe und
fest in kleine Röllchen gepackt, von welchem nach Belieben, wie vom
Johannisbrod, abgebissen wird. -- Für den Anfänger in diesem Laster
ist dieser Taback äußerst beißend, und das Kauen schwieriger, als das
Rauchen zu erlernen.

Bei immer schlechterem Wege trug ich Bedenken für die Dauer des
Wagens, da solcher äußerst zart im Holzwerk war, wie dieses bei allen,
ausgenommen den Lastwagen, der Fall ist. Doch um mich vom Gegentheil zu
überführen, und mich von der soliden Bauart der Wagen zu überzeugen,
wurden die Pferde stärker angetrieben, so daß der Stuhlwagen mehr auf
zwei, als auf vier Rädern zu laufen kam, und wir bei dem Hinüber- und
Herüberschlagen der Gefahr ausgesetzt wurden, vom Wagen geschleudert zu
werden, wobei ich die Geschicklichkeit bewundern mußte, mit welcher die
Rosse regiert und zum Gehorsam gezwungen wurden. -- Der Beweis von dem,
was ich schon mehrmals zu erfahren Gelegenheit hatte, wurde mir auch
hier gegeben, daß der Amerikaner ein um so besserer Fuhrmann ist, als
ihm die Geschicklichkeit zum Reiten abgeht.

Nur das gute, zum Wagenbau verwendete Holz der weißen Eiche und das
noch vorzüglichere, wegen seiner Zähheit so brauchbare Holz des
Wallnußbaumes (~Hickory~) macht es möglich, daß man solche
leichte, und dabei so dauerhafte Wagen hier anfertigen kann. Die Felgen
der Räder wie die Speichen derselben erhalten nur die Stärke eines
Daumens und werden leicht beschlagen, die Wagenachse erhält keine
eiserne Schiene zur Verstärkung, sondern nur eine dünne, zwei Zoll
breite Platte zur Erleichterung der Reibung. -- Dabei will ich der
Schnelligkeit erwähnen, mit welcher die Schmiedearbeiten hergestellt
werden; denn das im Gebrauche habende Werkzeug gestattet, daß man hier
mit allen vier Rädern zu beschlagen eher fertig ist, als dieses bei uns
in Deutschland einem Meister in derselben Zeit mit einem Rade möglich
seyn würde.

Der Reif kalt durch drei Walzen gezogen, richtet sich schnell in
die Runde, und da er lang genug ist, weil nur gewalztes Eisen hier
gebraucht wird, so macht dasselbe nur eine Schweißstelle nöthig, die
bei gutem Eisen und Steinkohlen im Nu gefertigt ist. -- Sind die
Nägel- oder Schraubenlöcher durch Auflegen des genau runden Reifes auf
die Felge auf diesen gezeichnet, so werden diese ebenfalls mittels
eines Stempels kalt durchgepreßt und zwar bei einer Eisenstärke,
welches auszuführen man für unmöglich hält, so lange man nicht selbst
Augenzeuge der Arbeit gewesen ist. -- Die am Holzfeuer erwärmten Reife
scheinen, da Alles genau paßt, von selbst sich aufzuziehen.

Ebenso muß beim Beschlagen der Pferde der Schmidt diese Arbeit allein
verrichten, indem er den Fuß des Pferdes zwischen seine Beine nimmt.
Dabei besitzt er eine solche Gewandtheit, daß er mit dem schon von
Natur ruhig geschaffenen Pferd eher fertig wird, als in Deutschland, wo
eine zweite Person zum Aufheben des Fußes nöthig ist. Daß demnach ein
deutscher Schmidt, gleich andern Gewerken, in Amerika von Neuem lernen
muß, habe ich nicht allein selbst erfahren, sondern ist mir vielfach
von Meistern, welche in der alten Heimath diese Stelle begleiteten,
versichert worden. Wie überhaupt in Bezug auf Maschinenbau, Fabrikwesen
und jeder gewerblichen Verrichtung, der Amerikaner uns weit voraus ist,
drückt Gall in seinem Reisebericht mit folgenden Worten aus:

„Ja, von der Werkstätte des Dampfmaschinen-Fabrikanten bis zu jener
des Zimmermanns herab, fühlt man sich versucht, auszurufen: Hat Euch
der Himmel, um die Nationen der alten Welt zu beschämen, mit den
Talenten geboren werden lassen, welche Jene achtzehnhundertjähriger
Uebung und dem Nachdenken verdanken? Vervollkommnet sich, was Ihr
nur berührt unter Euren Händen? -- Vom Nagel, welchen eine Maschine
hervorbringt, bis zu dem hunderträderigen Mechanismus einer Mühle,
ist alles zweckmäßiger, als man es in Europa sieht. Der Nagel hat an
seinen vier scharfen Ecken feine Widerhaken, vermöge deren er sich
unausreißbar im Holze festklammert; die kunstreiche Mühle macht ¹¹⁄₁₂
der Arbeiter, welche die unsrigen erfordern, entbehrlich. Durch die von
~Han Eli Whitnay~ in ~Connecticut~ erfundene Säge-Maschine wird die
Handarbeit gar in dem Verhältniß, wie 1000 zu 1 erspart. Das Zimmerwerk
eines Hauses scheint vom Tischler gearbeitet; die Tischlerarbeiten
werden von den Parisern nur durch gefälligere Formen übertroffen.
Brüsseler Wagen machen den hiesigen den Rang nicht streitig; eine
zweckmäßigere Verbindung der Backsteine und eine nettere Ausführung
der Maurerarbeiten, als man hier allgemein findet, ist gar nicht
denkbar. Selbst die einfachsten Werkzeuge, die Axt, der Spaten, der
Bohrer, die Sägen, haben eine, in vielen Ländern Europas nicht geahnte
Vollkommenheit.

Nicht weniger haben die Amerikaner im Gebiet der nützlichen Künste
geleistet. -- Die englische Regierung ließ im Jahr 1817 amerikanische
Brückenbauer nach Irland kommen. -- Die Londoner Bank hat die Gravirung
der Platten zu ihren Banknoten drei amerikanischen Kupferstechern,
~Terkins~, ~Troppan~ und ~Fairfax~ übertragen und für ihre Reise eine
Entschädigung von 5000 Pfund Sterlingen, für ihre Arbeit aber im Fall
des vollkommenen Gelingens, eine Belohnung von 100,000 Pfund Sterlinge
zugesichert. -- Die Herren ~Han Buck~ und ~Brewster~, Besitzer einer
Tuch-Manufaktur, haben es selbst den Engländern zuvorgethan, indem
sie die Wolle vom Schaaf weg in neun Stunden funfzehn Minuten in
einen Rock verwandelten, eine Aufgabe, die in England nur in dreizehn
Stunden zwanzig Minuten gelöst wurde. Die amerikanischen Schiffe
übertreffen alle anderen an äußerer Schönheit und Zweckmäßigkeit und
in dem Patentamt zu ~Washington~ zeugen mehrere Tausende der Modelle
vom amerikanischen Erfindungsgeiste. Rechnet man hierzu, was Alles im
Bau der Dampfboote und Wasserleitungen gethan worden ist, so darf man
wohl behaupten, daß die Amerikaner auch in Anwendung nützlicher Künste
keiner Nation der alten Welt nachstehen.“

Bis ~Woodsborough~ kam mir die Fahrgelegenheit zu Gute; doch hier
verließ der Fuhrmann meine Straße und von Neuem sah ich mich genöthigt,
den Wanderstab zu ergreifen. Doch wer beschreibt meinen Aerger, als
ich beim Absteigen vom Wagen jetzt erst gewahr wurde, daß bei dem
unsinnigen Fahren das Gewehr aus dem Wagen gefallen war. Schon hatte
ich eine Stunde Wegs retour gemacht, um vielleicht das Verlorene wieder
zu finden, als zwei entgegenkommende Amerikaner versicherten, weder
Etwas gefunden, noch gesehen zu haben. -- Mit mir und meinem Geschick
unzufrieden, allein und ohne alle Zerstreuung, wünschte ich bald die
Gegend zu erreichen, wo mein Landsmann, Herr Rehling sich angekauft,
und die deutsche Sprache wieder vorherrschend seyn soll. -- Zu meiner
Freude und Beruhigung erfuhr ich im Nachtquartier zu ~Taneytown~
von einem deutschen Schuhmacher, dessen Hülfe ich bedurfte, daß morgen
schon in der Nähe von ~Petersburg~ mehr deutsch als englisch
gesprochen werde.

Der Mann hatte Recht. Viele Deutsche waren im letzten Ort, mehr noch in
~Hannover~, und in der Umgegend der Farmen meines Landsmannes bei
~Strassburg~ glaubte ich mich in die Heimath versetzt.



Dreiunddreißigster Brief.

Aufenthalt bei dem Farmer Herrn Rehling.

    Im Juli 1840.


Die freundliche Aufnahme des Herrn Rehling gab mir während der
Anwesenheit bei ihm, wie auch die in der Umgegend gemachten
Bekanntschaften anderer Farmer, Gelegenheit, Alles was Bezug auf
amerikanische Branntweinbrennerei, Feldwirthschaft und Farmerleben hat,
kennen zu lernen, und mit wahrer Wollust genoß ich hier den ländlichen
Aufenthalt im Kreise einer lieben gastfreundlichen Familie, welche ein
wahrhaft religiöses Leben führte. Mittags und Abends wurde vor dem Mahl
vom Hausvater Gott ein kurzes Dankgebet gebracht und jeden Morgen mit
Tages-Anbruch weckte mich ein Choralgesang, welche herrliche Melodieen
von den zusammen akkordirenden Stimmen des Vaters, der Mutter und der
vier Kinder unwillkürlich zur Andacht stimmten, da dieser vor dem Hause
aufgeführte Lobgesang die aufsteigende Sonne hervorzulocken schien.
Möge Gott diesen frommen harmonischen Seelen lange noch ein frohes,
glückliches Zusammenwirken vergönnen, und nicht durch Trennung der
Glieder eine Unterbrechung in dieses freundliche Stillleben bringen.

Wie ganz anders muß dieser Mann in Amerika umgewandelt worden seyn?
-- Werden bei Lesung Dieses seine Bekannten fragen, welche Rehling
in Deutschland nur als lebenslustigen Menschen kannten. -- Auch mir
war, bei Beobachtung meiner Landsleute, bei Vielen die Umwandlung
ihrer religiösen Ansichten nicht erklärlich, bis ich mich selbst
unwillkürlich mehr und mehr zum höchsten Wesen hingezogen fühlte,
welches dem Menschen in Amerika viel näher als im Vaterlande zu seyn
scheint, da hier die mannigfaltigen Lebensverhältnisse und Gefahren,
in welchen sich der Mensch befindet, ihm immer seine Abhängigkeit von
Gott vor Augen stellt. -- Mehr noch fühlt sich aber der einsam, nur
seiner Familie lebende Farmer von Gottes herrlicher Natur begeistert,
und nicht von weltlichen Vergnügungen betäubt, zur Dankbarkeit
verpflichtet. -- Daß es leider auch hier an Freigeistern nicht
fehlt, dazu tragen die verschiedenen Gottesverehrungen selbst, die
hier vorkommen, bei, welche zu dem Wahnglauben führen, daß alle die
irreligiösen Ansichten, welche die freie Schrift verbreitet, und von
antichristlichen Kanzelrednern vertreten wird, wahr seyn müssen.

Ist auch die Gegend, wo die Familie Rehling sich niedergelassen,
nicht unter die fruchtbarsten zu zählen, so gewährt sie doch den
Vortheil, alle erbauten Produkte schnell und gut abzusetzen, da eine
nach ~=Baltimore=~ führende Eisenbahn dessen Flur berührt.
Dabei leben sie nicht in einer Wildniß von aller Welt verlassen, was
dem gesellschaftlichen Deutschen die Trennung vom Vaterlande um so
fühlbarer und schmerzlicher macht, sondern befinden sich inmitten von
Landwirthen, die alle deutsch verstehen und es gewöhnlich sprechen, was
für den Einwanderer, der nicht englisch versteht, einen um so größern
Werth haben muß. Was der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens abgeht,
verstehen ökonomische Kenntnisse, Leibeskräfte der ganzen Familie und
Arbeitslust, reichlich zu ersetzen, und der Erde mehr abzugewinnen, als
es der Industrie des Vorgängers, von welchem Herr Rehling diesen Farmen
gekauft hatte, möglich geworden war.

Dann ist es auch nicht immer die Unfruchtbarkeit des ausgesogenen
Bodens, was den Amerikaner bestimmt, sein Eigenthum zu verlassen,
sondern mehr die Habsucht des Gewinnstes, der beim Verkauf gemacht
wird. -- Nichts ist ihm heilig und theuer, sondern Alles verkäuflich.
Das väterliche Erbe oder die Nähe der Blutsverwandten haben für ihn
eben nicht mehr Werth, als ein erst kurze Zeit besessener Farmen
unter fremden Nachbarn. Nicht an geselliges Leben gewöhnt, ist es ihm
gleich, wo er sich von Neuem niederläßt, und er spielt die Rolle eines
Robinson Crusoe, in wilder, noch nicht kultivirter Gegend so lange bis
ein neuer Käufer ihn abermals bestimmt, mehre hundert Meilen weiter
seinen Wohnsitz zu verlegen. Daher kommt es auch, daß die Bewohner der
Vereinigten Staaten so zerstreut wohnen und mitunter in ungesunden
Gegenden sich niederlassen, obgleich die gesundesten und kultivirtesten
Theile der mittleren Staaten noch zwei Mal so viel Einwohner aufnehmen
und ernähren könnten.

Das zweistöckige Wohnhaus des Herrn Rehling ist nur aus Holz, aber in
allen seinen Theilen bequem und regelmäßig aufgeführt und geräumig
genug, um zwei Familien beherbergen zu können. Die Scheune, hundert
Schritte vom Wohnhause entfernt, dient zugleich mit zum Obdache für
Pferde und Kühe. Der untere Raum solcher Speicher wird in Amerika immer
zur Stallung verwendet, daher die Tenne sich im zweiten Stocke des
Gebäudes, wenn man solches von vorn ansieht, befindet; zum Aufbau einer
Scheune wählt man gern als die passendste Lage den Abhang eines Hügels,
wodurch das Gebäude hinten um einen Stock niedriger als vorn wird, und
so das nöthige ~Niveau~ zur Einfahrt herstellt. -- Diese Bauart
gewährt noch den Vortheil, daß bei dem Dreschen mit Maschinen das durch
die Tennen-Luke zugeschleuderte Stroh vor die Scheune geworfen wird, wo
man es erst nach dem Dreschen am Abend aufbindet.

Daß man bei Anlage der Gebäude eines Farmen besonders Rücksicht auf
den Stand der Scheune nehmen muß, bedingt die Art und Weise, wie
man hier die Scheunen aufzuführen pflegt, welches von dem Ansiedler
nicht übersehen werden darf. -- Im Fall sich aber in der Nähe des
zum Wohngebäude ausersehenen Platzes kein natürlicher Hügel befinden
sollte, so wird die nöthige Steigung zur Einfahrt auf die Tenne durch
Kunst geschaffen.

Waren auch die Höhen noch reichlich mit Holz besetzt, so hatte doch
Rehlings Vorgänger unbarmherzig alle Bäume rings um die Wohnung
niedergehauen, wie es der gewöhnliche Gebrauch der Amerikaner ist, da
sie eine unüberwindliche Abneigung gegen Bäume besitzen, und dieselben
als der Kultur sich entgegenstemmende Uebel, die beseitigt werden
müssen, betrachten, und daher ohne Gnade Alles auf die Seite schaffen,
was sich von solchen in der Umgegend ihrer Wohnungen befindet.

Rehlings erste Sorge war daher, das Schöne mit dem Nützlichen wieder
zu vereinen, und in verschiedenen Gruppirungen Obstbäume aller Arten
anzupflanzen. Den Sitz vor dem Hause aber beschatteten Akazien, die der
Wohnung eine angenehme Kühle gewährten.

Doch das Kultiviren und Verschönern beschränkte er nicht auf die
nächste Umgebung seiner Wohnung, sondern so weit die Gränze seines
Eigenthumes geht, sah man in mannichfaltiger Abwechselung die Hand der
Verbesserung angelegt. Hier wurde ein Sumpf trocken gelegt, dort eine
Wiese durch gezogene Gräben bewässert, auch weislich der Viehdünger,
welchen das Regenwasser von abhängigen Wegen mitbringt, in Gruben
aufgefangen; auf den Bergen wurde nach Bedarf das Holz gelichtet,
und am Abhange wiederum ein neues, zum Feldbau geklärtes, (von Holz
gereinigtes) Stück Land mit einer Fense (Zaun) umgeben.

Doch auch der Hausfrau thätige Hände gaben Zeugniß von dem, was solche
außer dem Hause zu schaffen vermögen, da im Hausgarten, welcher zu
ihrem Departement gehörte, nichts versäumt war, um die Küche mit Gemüse
aller Art zu versorgen. Auch einige Blumen zeigten wenigstens, daß hier
eines Deutschen Farmer-Wohnung ist, welcher Sinn hat für das Schöne,
was man bei dem Amerikaner vergebens sucht.

Doch nicht immer ist hier zu gebrauchen und bei der Feldwirthschaft in
Anwendung zu bringen, was man im deutschen Vaterlande für zweckmäßig
fand. Klima, anderer Boden und sonstige Verhältnisse mahnen zur
Vorsicht und machen Aufmerksamkeit nöthig, wie die Nachbarn ihre
Saaten und welche Sorten sie zu bestellen pflegen. -- Herrn Rehlings
vermeintes Besserwissen brachte ihn im ersten Jahre um die Aerndte,
wodurch er klüger geworden, sich später mehr nach Sitte und Gebrauch
des Landes richtete, und bei Abweichungen immer nur erst kleine
Versuche anstellte. Dabei lies’t er fleißig nach vollbrachtem Tagewerke
solche Zeitschriften, welche sich mehr über Landwirthschaft als Politik
aussprechen, und auf diesem Wege kann sich der Neuling über Alles das
leicht belehren, was er zu wissen nöthig hat.

Ueber den Werth der Zeitungen als Beförderungsmittel der Volksbildung
in Amerika, und warum ein amerikanischer Farmer, so und nicht anders
sein Feld bewirthschafte, drückt sich ~Gall~, wie mir aus dem
Herzen gesprochen, in seinem Reiseberichte folgendermaßen aus:

„Je weniger ich dem politischen Theil der amerikanischen Zeitblätter
meinen Beifall zollen kann, um so mehr haben sie mich in
wissenschaftlicher Rücksicht befriedigt. Diese Aeußerung mag mit dem
Urtheile anderer Reisenden im Widerspruche seyn, das thut aber nichts;
dafür ist es auch der Ausspruch meiner eigenen Ueberzeugung. Ich habe
darin zwar nie eine Untersuchung der wichtigen Frage gefunden: ob das
erste Huhn vor oder nach dem ersten Ei gewesen, noch, wer der Mann im
Monde sey? Solche Forschungen überlassen die Amerikaner bescheiden uns
überlegenen Europäern. Aber ich habe auch nicht ein einziges Blatt in
die Hände genommen, welches nicht irgend einen belehrenden Artikel über
Gegenstände des nützlichen, praktischen Wissens enthalten hätte und
zwar in einer für alle Leser verständlichen Sprache. Da ist kein Zweig
der Landwirthschaft, kein Gewerbe, keine nützliche Kunst, auf deren
Vervollkommnung nicht immer die Aufmerksamkeit Tausender gerichtet
wäre. -- Kein Tag vergeht, an welchem nicht aus allen Theilen der
Union bewährte Erfahrungen, neue Entdeckungen und Verbesserungen ohne
Rückhalt mitgetheilt, oder angestellte Versuche mit ihren Erfolgen
bekannt gemacht werden, damit deren Anwendbarkeit auch in andern
Gegenden versucht werden könne. Unterrichtende Aufsätze über Gewitter,
brennende Dünste, Mehlthau, Selbstentzündungen, Komete, Meteore,
farbige Regen etc. erklären diese und ähnliche außerordentliche
Erscheinungen in der Natur und indem sie so der gefährlichsten Pest,
dem Wunderglauben, eine unübersteigliche Schranke entgegenstellen,
machen sie zugleich auf die bekannten oder möglichen, wohlthätigen
oder nachtheiligen Einwirkungen solcher Erscheinungen auf Witterung,
Vegetation etc. aufmerksam.“ --

„Ausführliche Beiträge, um verstanden zu werden, geschrieben über
Gegenstände der Geographie und Naturgeschichte der Vereinigten Staaten,
machen den Amerikaner mit seinem Vaterlande täglich genauer bekannt und
lehren ihn täglich, in seinen Wäldern, Gebirgen, Flüssen und Seen neue
Schätze aufsuchen. Kurz, in einem Blatte, welches jährlich nur fünf
Dollars kostet, zwar nur ein Mal die Woche erscheint, aber jährlich in
52 Nummern eben so viel Gedrucktes enthält, als 500 Bogen eines der in
Deutschland in gr. 8. erscheinenden Journale, findet der Amerikaner
außer den ihm zum Bedürfniß gewordenen politischen Neckereien,
einen nicht weniger reichen Schatz von belehrenden und nützlichen
Nachrichten, als sechs oder acht europäische Journale für verschiedene
Fächer des praktischen Wissens zusammengenommen darbieten; vergebens
würde man das leugnen. Die Allgemeinheit einer Erstaunen erregenden
Masse von nützlichen Kenntnissen, welche sich nicht wegraisonniren
lassen, zeugt laut von dem Vorhandenseyn eines eben so allgemeinen,
als zweckmäßigen Mittels des Unterrichts und der Mittheilung des
individuellen Wissens durch die ganze Union.“

„Bei dem ersten Anblicke eines Ackers, in welchem noch Baumstumpfe
und über 1½ Fuß hohe Stoppeln hervorragen, zuckt der dünkelvolle
Europäer über den beschränkten Amerikaner die Achseln, da dieser
seinen Boden und dessen Produkte nicht besser zu nutzen weiß. Er tritt
näher, und sieht den Boden des Feldes gar von Aehren fast bedeckt;
er schlägt die Hände über dem Kopfe zusammen über einen solchen
Verschleuderer, und würde ihn, hätte er die Macht dazu, ohne Weiteres
für einen Verschwender erklären und sein Gut nach den Regeln der Kunst,
durch einen obrigkeitlich ernannten Verwalter bestellen lassen. Wir
aber wollen erst den verständigen, Gewinn beflissenen amerikanischen
Landwirth selbst hören. -- Den höchst möglichen Ertrag mit den
geringsten Kosten zu erringen, ist ihm Zweck der Landwirthschaft. Er
läßt die Stöcke nicht ausrotten, weil dieses in dem Verhältnisse des
Arbeitslohnes zum Preise der Produkte mehr gekostet haben würde, als
der Boden, den die Stöcke einnehmen, in zehn Jahren tragen könnte;
in fünf bis sechs Jahren sind sie faul, und weichen dann leichter.
Uebrigens weiß er seine starke Pflugschaar, selbst durch einen Wald,
mit einer solchen Gewandtheit zu führen, daß in der That nichts
ungenützt bleibt, als gerade der Fleck, den der Baum einnimmt. Die
Stoppeln stehen noch 1½ Fuß hoch auf dem Felde, indem er: 1) keinen
Absatz für sein Stroh hat, 2) weil, damit die Frucht dicht am Boden
abgeschnitten werden könne, das Feld durch Eggen und Walzen nach der
Einsaat geebnet werden müßte, was aber mehr kosten würde, als es den
Ertrag erhöhete, indem seine Schnitter viel weniger zu schneiden im
Stande seyn würden, wenn die Frucht dicht am Boden abgeschnitten
werden sollte, und 3) weil das Feld doch wieder mit Stroh gedüngt
werden müßte. Ist nun gleich die verfaulte Stoppel dem Dünger aus
den Ställen nicht gleich zu achten, so erspart er dagegen auch die
Kosten, die Stoppeln heimzufahren, den Dünger aus den Ställen zu
ziehen, zur Gährung aufzuschichten, auf Wagen zu laden, auf das Feld
zu fahren und auszubreiten, welche Kosten der höhere Betrag ganz
bestimmt nicht aufwiegen würde. Aus demselben Grunde bleiben auch die
Aehren ungelesen, um so mehr, da er gerade durch diese anscheinende
Vernachlässigung sich wieder die Arbeit erleichtert und also Kosten
spart. Sobald die Frucht eingescheuert ist, läßt er sein Vieh auf dem
umzäunten Acker, wo es reichliches Futter findet, und von welchem es,
bis Schnee den Boden bedeckt, nicht wieder in den Stall kömmt, wobei
es zugleich das Feld düngt. Zwei bis drei Hundert Stück Federvieh
aller Art picken die einzelnen Körner auf, welche das Rindvieh nicht
erreichen konnte.“

Ob und wie der Amerikaner die Vortheile zu benutzen versteht, welche
die bloße geschickte Anwendung bekannter Erfahrungen gewährt, sieht
man auch in allen seinen häuslichen Verrichtungen und ~Gall~
fährt hierüber fort: „Die Eier erhält er in Kalkmilch nöthigenfalls
ein ganzes Jahr lang frisch; genau bekannt mit der Wirkungsart
verschiedener Erhaltungsmittel des Fleisches, verdirbt er dasselbe
weder durch zu viel noch zu wenig Salz. Seine Seife, so schön und gut
als die des Seifensieders in der Stadt, ist sein eigenes Erzeugniß, aus
einer Verbindung von Fett, Asche und Kalk, einer Pottasche, welche die
beste in der Welt ist. Seinen Zucker, aus dem leicht gewonnenen Safte
des Zucker-Ahorns, hat er selbst gesotten. Die Teppiche, welche den
Boden seines ganzen Hauses bedecken und selbst bis in die Küche sich
ausbreiten, sind das Produkt langer Winterabende. Seine Apfelpresse,
seine Spinnräder, seine Flachsschwingen sind nach den neuesten
Verbesserungen vervollkommnet.“



Vierunddreißigster Brief.

Aufenthalt in einer Branntweinbrennerei, Papierfabrik und Mahlmühle.

    Im Juli 1840.


Rehling selbst besaß keine Branntweinbrennerei, da mehrere
Brennerei-Besitzer aus der Umgegend ihn versichert hatten, daß dieser
Erwerbszweig nicht mehr rentire, und ein solches Geschäft zu etabliren,
um so weniger anzurathen sey, weil auf der Eisenbahn und den Kanälen
der Branntwein aus den westlicher gelegenen Staaten so billig nach
den Seehäfen geliefert würde, daß sie, um Preis zu halten, nicht
mehr den Spülig als Viehfutter für reinen Gewinn ansehen könnten,
weshalb auch schon mancher Farmer im Staate ~=Maryland=~
und ~=Pennsylvanien=~ die Brennerei-Utensilien unbenutzt
stehen habe. -- Hier wurde mir nun die Ueberzeugung, daß die hohe
Steuer, welche bei uns auf den gewonnenen Branntwein der Produzent zu
entrichten hat, demselben nicht schadet, da die Abgabe durchaus nicht
den Verdienst vom Geschäfte schmälert, indem immer die Waare wegen der
Steuer im Verhältniß wieder höher im Preise gehalten werden muß, was
der Fall nicht seyn würde, wenn bei übergroßer Konkurrenz keine Abgabe
statt fände. Die Fabrikanten würden dann, um möglichst großen Absatz zu
haben, ihre Waare für einen Preis verschleudern, bei welchen eben nicht
mehr Gewinn erzielt werden könnte, als es jetzt bei zu entrichtender
Steuer der Fall ist.

Von einer Steuer, welche der Produzent von Branntwein zu entrichten
habe, kennt man in Amerika zur Zeit noch nichts; sondern derjenige,
welcher sich in Städten mit dem Wiederverkaufe von Branntwein
beschäftigt, hat jährlich nach der Größe des Erwerbszweiges eine
bestimmte Abgabe zu entrichten. Ohne alle Beaufsichtigung betreibt der
Brenner sein Geschäft, und keine Zeit, kein Ort und auf welche Art es
geschehen muß, ist vorgeschrieben. Jeder handelt nach eigener Willkür,
und hängt nicht von den Launen hoher und niederer Steuer-Offizianten
ab, welche oft im Diensteifer die Sache strenger nehmen, als es im
Sinne des Gesetzgebers gelegen haben mag. Dabei geht freilich in
Amerika die bei uns stattfindende Akkuratesse während des Betriebes
verloren und Zeit, Holz und Licht werden nicht berücksichtigt.

Eben so wenig verwendet (mit wenig Ausnahme) der Brenner auf
Verbesserung seiner Brenngeräthschaften Kapitale. Blase, Hut und
Schlangenrohr sind die einfachen Bestandtheile seiner Brennerei, und
es wird demnach, wie es früher bei uns der Fall war, Lutter, Halbwein
und Sprit gewonnen, da der Branntwein nur zu hohen Graden in dem Handel
angenommen wird. --

Zwei Stunden von Rehlings Niederlassung wurde mir auf einem großen
Farmen Gelegenheit, die Welschkornbrennerei kennen zu lernen, wobei ich
zugleich zu der Ueberzeugung gelangte, daß, wenn ein amerikanischer
Brenner nicht beabsichtigt, das Geschäft ganz ins Große zu betreiben,
wozu mehrere Gehülfen nöthig sind, er auch keinen Gebrauch von
verbesserten Brenngeräthschaften machen kann, weil Letztere die
Aufmerksamkeit mehr in Anspruch nehmen, als es bei der alten Manier
zu brennen der Fall ist. Der Brennknecht muß hier nicht nur allein
einmaischen, den Apparat besorgen, das nöthige Holz zerkleinern,
die Schweine füttern, sondern auch alle noch beim Brennereibetriebe
vorkommenden Arbeiten in eigener Person verrichten, ohne dazu einen
Gehülfen zu erhalten. -- Um die Ausführung dieser seiner Obliegenheiten
nun möglich zu machen, maischt der Brennknecht das auf einen Tag
bestimmte Quantum Schrot nicht mit einem Male ein, sondern die
Gährtösen, in denen sogleich gemaischt wird, stehen mit der Größe
der Blase im Verhältniß, so daß jede Blasenfüllung den Inhalt des
Maischfasses aufnimmt, weshalb täglich so viel Fässer einzumaischen
sind, als Blasenabtriebe gemacht werden sollen. Das nöthige kochende
Wasser (da eingeteigt wird) gewinnt man auf einer zweiten Blase, welche
man auch den vierten oder fünften Tag zum Gutbrennen benutzt. -- Die
Arbeit des Einmaischens ist demnach auf die ganze Tageszeit vertheilt,
so daß während der Zeit, wo die Blasenfüllung abdestillirt, eins von
den Tags vorher leer gewordenen Fässern frisch bemaischt wird. Das
aufgefangene Quantum Lutter bestimmt die Zeit, wann die ausgekochte
Maische abzulassen ist, welche nach den hinter dem Brennereigebäude
stehenden Schweinebehältern fließt, und daselbst nach Belieben durch
Rinnen in die verschiedenen Abtheilungen der Stände vertheilt wird. --
Die nöthige Stellhefe versteht der Brenner sich aus Malz und Hopfen zu
bereiten.

Gleichwie den in der Nähe von Seehäfen wohnenden Branntweinbrennern
durch den erleichterten Verkehr der Verdienst geschmälert worden ist,
eben so ist solches der Fall in Bezug auf alle anderen Erzeugnisse des
Feldbaues. Den weiter entfernt wohnenden Kolonisten wird durch die
zahlreichen Wasserstraßen und Eisenbahnen die Gelegenheit gegeben, ihre
Erzeugnisse, auf wohlfeilem Grund und Boden erbaut, schnell und billig
nach dem Orte zu schaffen, wo sie verbraucht werden. -- Wie vermag nun
der Farmer, welcher vor Erbauung der vielen Kommunikations-Wege, wegen
der Nähe der Verbrauchsorte von seinem Grundbesitze, den Acker mit
50-100 Dollars bezahlte, mit seinen Konkurrenten Preis halten, welchen
ein Grundstück von gleicher Größe und oft fruchtbarerem Boden nur 3-4
Dollars zu stehen kommt?

Nur wenn der Landwirth, welcher nahe genug an einer stark bevölkerten
Stadt wohnt, sich auf Gemüsebau legt und die Milch dahin absetzen kann,
steht er im Vortheil, weshalb diese auch, um möglichst großen Viehstand
halten zu können, meistens nur Futterkräuter bauen.

Wie sich der Grundbesitz eines deutschen Farmer durch die fleißige
Bewirthschaftung des Areals vor dem Farmen eines Amerikaners
auszeichnet, ebenso steht der Deutsche dem Amerikaner nach in der
Ordnung, Reinlichkeit und eleganten Einrichtung, welche dieser in
seiner Wohnung beobachtet. Alle ~Pieçen~ des Hauses sind immer
so anzutreffen, wie dieses höchstens bei uns in Deutschland zur
Kirchweih-Zeit der Fall ist, wo der Landmann Gäste erwartet. Die
Stuben und Treppen sind mit Teppichen belegt, die Hausflur blank
und mit weißem Sand bestreut, das linnene Tischzeug täglich weiß,
die nöthigen Schlafstellen zum Besuche immer bereit, und dabei drei
Mal täglich eine gut besetzte Tafel, woran der geringste Arbeiter,
gleich wie der Herr selbst Platz zu nehmen pflegen. Nur die Neger
bleiben davon ausgeschlossen, und für diese werden die Speisen allein
angerichtet. Neben dem Hausherrn bleiben immer zwei Gedecke leer für
möglichen Besuch während der Mahlzeit, wo dann ein solcher ungenirt
Platz zu nehmen pflegt und gleich den Uebrigen sich’s schmecken läßt;
das viele Nöthigen, wegen Zulangen der Speisen, wie es bei uns Sitte
ist, kennt der Amerikaner nicht. „~Help your self~“ (Bedienen Sie
sich selbst), ist der einzige Zuspruch, welcher beim Platznehmen an die
Gäste ergeht, und nun ist es gleich, ob Einer viel oder wenig Appetit
mitbringt. -- Alle Speisen, welche zum Mahle bestimmt sind, werden
zusammen aufgesetzt, und in der Regel ist es Rindfleisch und Zugemüse,
in Scheiben geschnittenes und im Schaffen gebratenes Schweinefleisch,
gebratene Fische, mehre Sorten Eingemachtes, vorzüglich rothe Rüben,
Butter, Käse, Schmalzkräpfel, oder Tellergroße Torten (Bay genannt) mit
einer Fülle von Eingemachtem und Waizenbrod. Als Getränke wird Kaffee
vorgesetzt und nur die umgelegte Obertasse giebt zu erkennen, daß man
davon genug hat. -- Beim Frühstück und Abendbrod bleibt sich Alles
gleich, und nur das Rindfleisch und Gemüse fällt weg, dafür werden
jedoch Eier aufgetragen, so wie die Kartoffeln bei keiner Mahlzeit
fehlen. -- Abends vertritt Thee die Stelle des Kaffees.

Besonders fiel es mir auf, daß man zum fetten Schweinefleische noch mit
Butter bestrichenes Weißbrod zu essen pflegte, und ich konnte nicht
umhin, mich über diese Verschwendung gegen den Brenner auszusprechen,
worauf mir entgegnet wurde, daß ebenso mein genügsames Zulangen bemerkt
worden sey, und man dieses einem dummen Schwaben zu Gute halte, welcher
es nicht besser kenne.

Da Suppe bei den amerikanischen Farmern nicht gebräuchlich ist, so
fehlen auch die Löffel, und man kömmt um so mehr bei vielen Gerichten
in Verlegenheit, wie man solche zum Munde führen soll, da nur
zweizinkige Gabeln vorhanden sind. Das ohne Spitze vorn runde, breite
Messer wird daher nicht allein zum Zerkleinern gebraucht, sondern es
muß auch die mehrzinkige Gabel und den Löffel ersetzen.

Die Hausfrau, Töchter nebst weiblichem Dienstpersonal nehmen erst nach
Entfernung der Männer am Mahle Theil.

Leider waren, wenigstens für mich, die Speisen bei aller verschwendeten
Zuthat nicht schmackhaft. -- Das Fleisch kömmt halb gahr, noch
blutend auf den Tisch, und das Beste, die Fleischbrühe, bleibt
unbenutzt; nur das abgenommene Fett wird zum Seifekochen verwendet.
Dabei verstehen die Amerikaner nicht, wie unsere deutschen Frauen,
das Gemüse schmackhaft zu bereiten; es kommt trocken, meist tüchtig
gepfeffert, auf den Tisch. -- Als Beispiel will ich anführen, daß man
einen Krautkopf, nicht wie es bei uns gebräuchlich, vor dem Kochen in
mehrere Stücke zerlegt, sondern den Kopf ganz, nur ein wenig im Wasser
aufkochen läßt, und ihn in diesem Zustande, ohne weiter zu schmelzen,
servirt, wovon dann jeder Tischgast nach Belieben sich seine Portion
losschneidet, und solche auf dem Teller, nach Appetit, süß oder sauer
zubereitet.

Mit keinem Geschäfte wird der Amerikaner schneller fertig, als mit dem
Essen. Tischgespräche sind ihm verhaßt, weil, wie er meint, solches
die Gedanken von den wohlschmeckenden Gerichten abzieht und der Gaumen
weniger von dem bereiteten Genusse spüre; die Langeweile würde ihn
umbringen, müßte er stundenlang an der Tafel verweilen. Ja, ehe wir
Europäer die Serviette entfaltet und zurecht gelegt haben, hat der
Amerikaner, welcher dieses Vortuch für überflüssig hält, schon die
halbe Mahlzeit verschlungen und in zehn Minuten ist er mit Allem
fertig. Nach genommenem Platze am Tische und der Ladung zum Angriffe
der Speisen, holt sich Jeder nach Belieben von den aufgetragenen
Gerichten, in der linken Hand die Gabel, in der rechten das Messer,
und es kann das Gebiß nicht schnell genug verarbeiten und die enge
Halspassage verschlucken, was die gewandten Hände dem Munde zuführen.
Daher mag es auch kommen, daß die genossenen Speisen den Menschen so
häufig aufsteigen, und der Amerikaner ungenirt, als müßte es so seyn,
sich des Aufstoßens nicht enthält.

Während meiner Lehrzeit in der Brennerei machte ich die Bekanntschaft
eines Papierfabrikanten und von diesem eingeladen, benutzte ich die
Gastfreundschaft, um bei ihm wieder andere Maschinen, als mir hier
schon gezeigt worden, im landwirthschaftlichen Gebrauche zu sehen.
Dabei wurde mir die Gelegenheit, die Fabrikation von Papier ohne Ende
kennen zu lernen.

Eine genaue Definition über die Einrichtung dieser Anstalt in diesem,
meinen Reisebericht zu geben, liegt nicht in meinem Plane. Zu einer
andern Zeit werde ich mehr darüber bekannt machen. Nur im Allgemeinen
will ich jetzt den Geschäftsgang kurz berühren.

Die auf einer mit drei Schneidemessern versehenen Maschine
zerkleinerten Lumpen, von verschiedenen Stoffen und Farben, wurden in
einem Draht-Cylinder vom Staube gereinigt, hierauf in einem Kessel
mit Kalkwasser gekocht und dann dem Holländer zugeführt. Eine halbe
Stunde werden solche hier rein gewaschen, worauf man dem Wasser drei
scharfe Spezies zusetzt, wodurch in Zeit einer Viertelstunde aller
Farbestoff zerstört und eine blüthend weiße Masse sich zeigte. Diese
breiige, mit Wasser verdünnte Substanz hängt sich in der Stärke eines
Papierbogens in das feine Drahtgeflechte eines sich in der zufließenden
Masse herumdrehenden Cylinders ein und wird auf einer Unterlage von
zusammengenähten Wollentüchern, welche sich im Kreislaufe drehen,
nach und zwischen eiserne Gußwalzen geleitet. Diese nun ausgepreßte,
zu einem festen Körper wieder gestaltete, nur noch feuchte Masse geht
von hieraus ohne Unterlage über fünf kupferne Cylinder, welche durch
einströmende Dämpfe erhitzt, sofort das Papier trocknen, und sich
nun so lange auf eine Weife aufwickelt, bis dem Draht-Cylinder kein
Papierbrei mehr zugeführt wird. -- Eine zweite Maschine, welche mit der
Weife in Verbindung steht, schneidet das Papier nach dem gewünschten
Format, worauf Letzteres nochmals gepreßt in den Handel kommt.

Nach dieser Behandlung wurden täglich auf zwei Holländern und der
Dampf-Papier-Maschine unter Leitung zweier Menschen, dreizehn Centner
Lumpen in zum Verkaufe fertiges Papier verwandelt.

Um während meines Aufenthaltes in Amerika auch möglichst viel von den
Einrichtungen der Mahlmühlen kennen zu lernen, ging jetzt mein Bemühen
dahin, in einer solchen Zutritt und Belehrung über die Konstruktion
der einzelnen Theile des Mechanismus zu erhalten, und in der Person
des Herrn ~Bekley~ fand ich einen äußerst humanen Lehrmeister.
Die innere Mühleneinrichtung, wie das Gebäude selbst, war noch neu und
das Geschäft erst seit einigen Jahren etablirt. Die zu Gebote stehende
Wasserkraft war nur gering, und dennoch vermochten zwei Mahlgänge,
deren vier vorhanden waren, in kurzem Zeitraum unglaublich viel vom
weißesten und feinsten Waizenmehl zu liefern.

Die Frucht wurde nicht, wie in unsern Mühlen, von den Mühlburschen
aufgeschüttet, sondern hier, aus einem im Erdgeschoß befindlichen
Behälter durch Wasserkraft bis zum obersten Bodenraum gehoben, wo
die Reinigungs-Maschine plaçirt war, und auf diese ohne menschliche
Beihülfe gebracht. Das von allem Schmuz und den Schalen befreite Korn
setzte von hier aus seinen Lauf nun als Graupe nach dem Mühlrumpfe
fort, und langte, durch die Mühlsteine zermalmt, als feiner Mehlgries
im Erdgeschoß wieder an. Hier wird das noch ungebeutelte Mehl in einem,
unter allen vier Gängen fortlaufenden, sechzehn Zoll weiten Kanal,
aufgefangen. In diesem Kanale dreht sich eine horizontal liegende
Welle, welcher durch einen vier Zoll breiten, senkrecht aufgesetzten
Streifen von starkem Sohlleder, die Gestalt einer Schraube ohne
Ende ertheilt ist, durch deren Umdrehung das Mehl aus diesem Kanale
heraus, und in ein halbkugelförmiges Becken geschoben wird. Hier
wird der Gries, gleich wie das Korn, bis auf den Kühlboden gehoben,
wo er sich durch eine eigene Vorrichtung, fortwährend umgerührt und
gewendet, abkühlt, durch eine Oeffnung im Boden nach dem darunter
sich befindenden Beutel geleitet wird, und daselbst das feinste Mehl
absetzt. Von hieraus geht der Gries in einen zweiten Beutel, welcher
wiederum um ein Stockwerk tiefer steht, und eine weniger feine Sorte
Mehl liefert. Der noch vorhandene Gries wird den Tag über gesammelt,
zum zweiten Male auf die Mühle gebracht, und, von Neuem mit dem andern
Gries vermengt, gebeutelt. Das in Fässern, deren jedes, dem Gesetze
nach, nicht schwerer als 18 Pfund seyn darf, gut zusammengestampfte
Mehl, wovon das angefüllte Faß (~Barrel~) 196 Pfund enthält, kömmt
so in den Handel.

Die Vorrichtung, mit welcher die Körner in die Reinigungsmaschine, und
der Gries nach dem Kühlboden gehoben wird, ist ein lederner Riemen,
dessen beide Enden mit einander verbunden, und an welchem von zehn zu
zehn Zoll viereckige blecherne, oben offene Büchsen befestigt sind.
Dieser Riemen wird durch zwei Walzen, deren eine sich unten in dem
Schrot- oder Körner-Behälter, die andere aber auf dem Kühlboden oder
über der Reinigungsmaschine befindet, immer in einer kreisförmigen
Bewegung erhalten, so daß die sich unten füllenden, und durch einen
aufrecht stehenden viereckigen hölzernen Kanal aufwärts steigenden
Büchsen, oben angekommen, sich entleeren müssen. -- Vor Allem zeichnen
sich die amerikanischen Mühleinrichtungen dadurch aus, daß ohne
Mehlverlust im ganzen Gebäude die größte Reinlichkeit vorherrschend
ist. Bei Nachahmung dieser Einrichtungen von Seiten unserer deutschen
Müller würde freilich der so vielen Gewinn bringende Staubboden, und
dadurch der schönste Deckmantel aller andern Nebenverdienste verloren
gehen! -- Doch glaube man ja nicht, daß in Amerika alle Müller aus
lauter Reellität zusammengesetzt sind, sondern auch in diesem Geschäft
weiß man sich hier dadurch einen Vortheil zu verschaffen, daß die
Fässer nicht immer 18, sondern mitunter etliche 30 Pfund schwer sind,
wie man dergleichen in ~Cincinnati~ eingebracht, und konfiszirt
hatte.

Hinsichtlich der Qualität des verpackten Mehles kann weniger Betrug
vorkommen, da alle Mehlfässer, bevor sie in den Handel kommen dürfen,
von verpflichteten Personen mittelst eines Schrauben-Löffelbohrs,
welcher die Länge der Faßhöhe hat, durchbohrt werden, und nachdem das
im Bohr sich eingehängte Mehl in der Hand durcheinander gemengt worden
ist, wird die gefundene Qualität durch ein bestimmtes Zeichen nebst
Revisions-Stempel auf dem Faßboden eingebrannt.



Fünfunddreißigster Brief.

Reise nach ~Philadelphia~.

    Im August 1840.


Unser nächster Nachbar, welchen ich als Mahlgast in der Mühle
kennen gelernt, führte ein sehr bigottes Leben, und gehörte zu den
Albrechtsleuten, welchen Namen diese Sekte sich nach ihrem Gründer,
einem gewissen Albrecht, beigelegt hatte. -- Vor Allem glaubte dieser
Fromme sich eine Stufe höher im Himmel zu erbauen, wenn er zur
Vergrößerung der Gemeinde beitrage. -- Er unterließ daher nicht, seine
Versuche auch bei mir fortzusetzen, da ich dem Anscheine nach, um das
Ganze ihres Glaubensbekenntnisses kennen zu lernen, in seine Lehre
eingegangen war. Um mich nun ganz zu bekehren und meine Seele dem
Himmel zu erhalten, mußte ich versprechen, der ~Kemt-Meeting~, wie
diese Sekten ihre Versammlungen im Freien benennen, beizuwohnen.

Meinen Apostel hielt die Krankheit seiner Ehehälfte ab, an dieser drei
Wochen langen Büßübung Theil zu nehmen; mir selbst kam aber diese
Gelegenheit eben recht, um auch von dieser Seite das amerikanische
Treiben kennen zu lernen. Um so mehr fühlte ich mich veranlaßt, dieser
Zusammenkunft, wo nur in deutscher Sprache verhandelt werden sollte,
beizuwohnen, da der dazu ausersehene Platz nur eine halbe Stunde von
der Straße, welche nach ~York~ führt, und welchen Ort ich auf der
Reise nach ~Philadelphia~ passiren mußte, abgelegen war.

Den 2. August verriethen mir drei Meilen über ~Strassburg~
entgegenkommende, mit Menschen besetzte Wagen, welche links von der
Straße ab in das Holz einbogen, daß der Pilgerort nicht mehr fern
seyn konnte. Der Spur folgend, fand ich bald auf einem freien Platze
in der Mitte des Waldes eine Menge Wagen, welche aneinander gereiht,
ein förmliches Quarrée bildeten. Vor der Wagenburg waren die Zelte
und aus Laubholz erbaute Hütten errichtet. In der Mitte der obern
Seiten-Fronte stand die aus Baumästen und Bretern errichtete Tribüne,
und vor derselben hatte man zum Sitzen die eingeschlagenen Pfähle
mit Bretern belegt, welche durch einen Gang in zwei Abtheilungen
geschieden, die Geschlechter trennte. Mit einbrechender Nacht wurden
auf den an beiden Seiten der Bänkereihen eigens dazu errichteten
sechs Stellagen Holzfeuer unterhalten, deren Knistern, sowie die
zum Himmel aufsteigenden Rauchsäulen, der Schatten riesiger Bäume
und die grotesken Gestalten, zu welchen durch den Schein des Feuers
die Holz herbeischaffenden Männer gestempelt wurden, und das dumpfe
Murmeln der Abendbetenden, alles zusammen etwas Schauerliches hatte,
und den Gedanken erweckte, in der Mitte von Wilden zu seyn, um deren
Ceremonieen beizuwohnen, wenn solche nach erfochtenem Siege am Feuer
die Gefangenen zum Mahle bereiten.

Vergebens sah ich mich, da der Magen seine Rechte geltend zu machen
suchte, nach einem Marketender-Zelte um, wurde aber belehrt, daß hier
nur der Ort sei, um in frommer Andacht sich Gott wohlgefälliger zu
machen und Keiner mit weltlichen Gerichten handeln dürfe. Jede Familie
sey auf die Dauer der Bußübung hinlänglich mit Speise und Trank
versehen und auch für Gäste sey gesorgt. -- Dieses Letztere war mir der
angenehmste Theil der Rede und im Zelt angelangt, wollte ich mich eben
an den Gerichten erquicken, als der Schall der Glocke zur Versammlung
rief. Nur in der Geschwindigkeit, da mein Wohlthäter zum Abmarsch
bereit war, vermochte ich einige Bissen zu genießen. -- Nach geendigtem
Lied hielt Einer der fünf Prediger, welche sich auf der Tribüne placirt
hatten, eine Rede, worinnen er den Gang der Ceremonieen und den
Zweck ihres Beisammenseyns der Versammlung vortrug und besonders den
verirrten Schafen an das Herz zu legen suchte, wie Jedes einzeln im
stillen Gebet sich zu den allgemeinen Bußübungen vorbereiten solle. Zum
Schluß wurde bemerkt, daß, wenn unter der Versammlung solche wären, die
nicht den nöthigen Lebensunterhalt bei sich hätten und bei Verwandten
keine Lagerstätte fänden, solche im Zelt der Prediger sich anmelden
sollten. Ich war der Einzige, welcher dieser Ladung folgte, und von
einem schon bejahrten Manne mit nach dessen Zelt genommen, wurde ich
von ihm zwei alten Matronen, die das Abendbrod auftrugen, als Gast
vorgestellt. Während des Mahles, welches meine Tischgenossen unter
Gesprächen von Teufel, Hölle und Verdammniß, zu sich nahmen, darüber
aber das eigentliche Essen vergaßen, schmeckte es mir um so besser, und
von Ersterem beobachtet, mochte solches den Glauben erwecken, daß ich
an Leib und Seele verwahrlost seyn müsse.

Das Lager war bald eingenommen, da in der Frühe des nächsten Tages der
Gottesdienst beginnen sollte und an der Seite meiner gewesenen Schönen
pflegte ich bald der Ruhe. Kaum graute der Morgen, als es im Lager
lebendig wurde, da Jeder der Erste seyn wollte, Gott mit seinem Gebet
zu überraschen und so gern ich noch auf dem Lager verweilt hätte, so
gebot doch Anstand und Sitte mich den Gebräuchen zu unterwerfen; ich
empfahl mich daher Gottes weiser Führung und machte im Uebrigen den
stillen Beobachter.

Beim Frühstück stellte sich der Redner vom gestrigen Abend ein und
nahm mich nach der Mahlzeit ins Gebet, ohne jedoch weiter zudringlich
zu werden. Als sich aber bei dem Mittagsessen und Abendbrod die andern
inspicirenden Prediger auch einstellten und vergebens sich abmüheten,
mir den Staar zu stechen, so entsagte ich der schönen Gelegenheit auf
anderer Leute Kosten ein frommes Freudenleben zu führen, gab den
nächsten Morgen vor, die Leibwäsche zu wechseln, entfernte mich mit
meinen Sachen ins Dickicht der Bäume und sagte den Frommen Valet. --

In ~York~, wo ebenfalls der größte Theil der Bewohner aus
Deutschen besteht, wurde nicht lange angehalten, da ich daselbst
vernommen hatte, daß am 6. August in ~Lancaster~, welcher Ort 20
Meilen von hier entfernt liegt, eine demokratische Staats-Konvention
stattfinden sollte, welcher beizuwohnen ich nicht gern versäumen wollte.

Von ~Wrights-Ville~, welches der große ~Susquehanna-River~
von ~Columbia~ trennt, ist von der Eisenbahn-Gesellschaft über
diesen Fluß eine überbaute Brücke errichtet worden, welche wohl zu
den größten der existirenden zu rechnen ist, da ihre Länge, nach
meinen Schritten gemessen, 2400 beträgt. -- In ~Columbia~ kam
ich gerade noch zur rechten Zeit an, um mit dem Eisenbahnzug nach
dem noch zwölf Meilen entfernten ~Lancaster~ abgehen zu können,
da diese Fahrgelegenheit heute für alle Demokraten, welche an der
Versammlung in letzter Stadt Theil nehmen wollten, frei war, und da die
ankommenden Wagen schon überall mit Menschen besetzt waren, so wurden
in ~Columbia~ alle vorhandenen Packwagen noch angehängt, worauf
mehre Hundert Reiselustige sich möglichst gut zu plaçiren suchten;
Breter wurden quer über gelegt und von den verwegenen Amerikanern bis
vorn an die überhängenden Theile besetzt. Ja, man war tolldreist genug,
in aufrechter Stellung auf diesen schaukelnden Unterlagen die Fahrt zu
wagen und durch Recken, Stoßen und Schwenken der Fahnen, die Gefahr zu
vergrößern. Ewig wird mir solch leichtsinniges Benehmen unvergeßlich
bleiben.

Niemand fühlt sich veranlaßt und verpflichtet, für die Sicherheit
der Reisenden eine Verantwortung zu übernehmen, weil die gepriesene
Freiheit keine Grenzen zu stellen gestattet, und der Amerikaner Herr
seines Lebens zu seyn glaubt, mit dem er machen könne, was er wolle.

In der kürzesten Zeit, da der Wagenzug pfeilschnell durch die Lüfte
flog, erreichten wir und o, Wunder! ohne Unfall ~Lancaster~, fuhren
mit klingendem Spiel in die mit Menschen angefüllte Stadt und hatten
Mühe, ein Unterkommen zu finden, da alle Häuser, bis zu den geringsten
Kneipen herab, besetzt waren.

In der Regel giebt es, durch die erhitzten Gemüther veranlaßt, bei
solchen Gelegenheiten Paukereien und ich war hier abermals Zeuge,
wie sich ein Demokrat mit einem ~Whig~ im Faustkampf den Sieg zu
verschaffen suchte; diesmal aber endete nicht nur derselbe mit
blutenden Gesichtern, sondern die Unmenschen ließen nicht eher nach,
bis dem Einen ein Auge ausgestoßen war.

Diese Manier, mit den Händen zu fechten, wo es die Kämpfer
hauptsächlich auf die Augen abgesehen haben, wird ~Gouging~ genannt.
Diese scheußliche Operation auszuüben, bemüht sich jeder der Kämpfer
während des Gefechts die Seitenlocken von dem Haar seines Gegners zu
erfassen, solche um seine Vorderfinger zu winden, den Daumen ins Auge
hinein zu pressen und dasselbe aus der Höhlung herauszutreiben. War mir
schon mancher Einäugige in Amerika begegnet, so hielt ich dieses mehr
für Naturfehler; jetzt wurde ich aber eines Andern belehrt und erhielt
dabei die Versicherung, daß besonders in den Staaten ~Georgien~,
~Karolina~ und ~Virginien~ die Menschen sich zur Aufgabe gemacht
hätten, sich so zu verstümmeln, daß immer der fünfte oder sechste Mann
nur mit einem Auge erscheine. --

Verstimmt durch den unglücklichen Faustkampf, und um mich möglichst
entfernt von solchen Raufbolden zu halten, deren es mehre in der
Herberge gab, die mit Jedem, welcher nicht ihrer politischen Meinung
war, Händel anzufangen suchten, übergab ich dem Wirth meine Sachen
zur Aufbewahrung und suchte bis zur Zeit des Aufzuges, welchen mehre
Tausend hier versammelter Demokraten beschlossen hatten, im Gewühl
der auf den Straßen wogenden Menge, die Stadt zu besehen, welche nach
~Philadelphia~ die größte im Staate ~Pennsylvanien~ seyn soll.

Dieser Ort ist regelmäßig angelegt, besitzt gerade, breite Straßen,
in welchen meist von Steinen aufgeführte Häuser sichtbar sind. Die
Mehrzahl der Einwohner besteht aus Deutschen und deshalb ist auch
diese Sprache hier die herrschende. Auf meiner Wanderung war ich so
glücklich, zu einer Fabrikanstalt zu kommen, in welcher Maschinen zu
landwirthschaftlichen Zwecken angefertigt wurden, wie ich dergleichen
schon im Gebrauch gesehen und abgezeichnet hatte. Jetzt wurde von mir
an keinen Aufzug mehr gedacht. Hier fand der Geist volle Beschäftigung
und das Gesuch an den Werkführer reichte hin, mir den Eingang zu
gestatten und, durch einige Geschenke an die Arbeiter vertheilt,
wurde ich überall herumgeführt. Augenblicklich wurde Alles gemustert,
die einzelnen Theile noch unzusammengesetzter Maschinen mit meinen
Zeichnungen verglichen und nachgemessen, so wie auch manches Neue
notirt, was ich mit Nutzen bei meiner Zurückkunft im Vaterlande
anzuwenden gedachte.

Nach genossenem Mittagsmahl, bei welchem der Wirth näher mit mir
bekannt wurde, ward mir von diesem die Möglichkeit gezeigt, daß ich
auf der Eisenbahn die siebzig Meilen bis ~Philadelphia~ frei
fahren könne, wenn ich kein dummer Teufel wäre. Da er nun nicht
glaube, daß ich unter die Zahl der Genannten gehöre, so mache er mir
den Vorschlag, heute Abend, beim Rückgang der Eisenbahnwagen nach
~Philadelphia~, ganz dreist einen derselben mit zu besteigen,
besonders da diese Fahrgelegenheit nicht nach der Anzahl von Personen,
sondern ins Allgemeine von der Gesellschaft, welche vom erstern Orte
aus, um den Aufzug hier zu verherrlichen, angekommen sey, bezahlt
worden wäre; es könne also auch nicht darauf ankommen, ob eine oder
zwei Personen mehr führen. Ohne Bedenken, setzte er hinzu, könne ich
in den Vorschlag eingehen, da es Niemandem einfallen würde, einen gut
demokratisch Gesinnten aus der Gesellschaft zu weisen. Alles käme
daher nur darauf an, wie ich die Rolle ausführen würde. Die Sache
schien mir nicht ganz ohne Grund zu seyn, und was war weiter dabei zu
riskiren? Im schlimmsten Fall mit ein Paar Ohrfeigen aus dem Wagen
spedirt zu werden. Von der andern Seite betrachtet, war aber die Fahrt
nach ~Philadelphia~ nichts anders als eine Wiederholung der
Fahrgelegenheit, welche mich heute Morgen erst von ~Columbia~ frei
hieher gebracht hatte. Dieses Letztere bestimmte mich, in den Vorschlag
einzugehen.

Der Nachmittag wurde wieder in der Fabrik zugebracht, und zur rechten
Zeit bestieg ich kurz vor dem Abgang des Eisenbahnzuges, einen der
schon ziemlich besetzten Wagen. Um mir alle Nachbarschaft möglichst
entfernt zu halten und von den zudringlichen Fragen verschont zu
bleiben, die ich schwerlich richtig beantwortet haben würde, spielte
ich, wie der Wirth mir gerathen hatte, die Rolle eines Halbseeligen,
und mischte, wie ein richtiger Amerikaner in meine unverständliche
Rede, ein „~Goddamn~“ nach dem andern, ein, schimpfte über
General ~Harrison~, einen Mann, den ich nicht kannte, welcher
aber der Gegner meiner Reisegefährden war und ließ ~Van Buren~,
den derzeitigen Regenten und Gönner der Demokraten, welchen ich
aber nicht weiter zu kennen, die Ehre hatte, hoch leben! Tobte, um
lästig zu werden, eine Weile fort, bis ich das Bild eines Schlafenden
darzustellen suchte, welchen zu wecken Niemandem in den Sinn kam, um
nicht von Neuem beunruhigt zu werden und so kam ich ohne Anstoß und
wohlbehalten in ~Philadelphia~ an. Leider ging aber während der
Nachtfahrt für mich die schöne Gegend von ~Lancaster~ bis hieher,
wie solche mir dieselbe geschildert worden war, verloren.



Sechsunddreißigster Brief.

Aufenthalt in ~Philadelphia~.

    Im August 1840[53].


Hier, wo ich mich nicht lange aufzuhalten beabsichtigte, durfte keine
Zeit verloren gehen, um alles Merkwürdige in dieser Stadt zu besehen.
Es wurden daher von mir am ersten Vormittag schon alle Aufträge
besorgt und unter andern die vermeinte reiche Tante aufgesucht, in
welcher Person ich aber, nach ihrem eigenen Geständniß, eine mit ihren
Verhältnissen zwar zufriedene aber nichts weniger als wohlhabende
Frau zu finden, die Ehre hatte. Herr Sontag von Erfurt, welchen ich
ebenfalls besuchte, war zur Zeit außer Kondition und beabsichtigte in
den südlichen Staaten ein Engagement als Kunstgärtner zu suchen.

In einem mir als billig empfohlenen ~Hôtel~, welchen Charakter
sich dieses Kosthaus beigelegt hatte, traf ich mehre, erst seit
Kurzem angekommene Landsleute, unter andern den Oekonomen S., welcher
verstimmt über fehlgeschlagene Pläne, nutzlos hier die Zeit verlebte
und sich den Transport der Sachen zu erleichtern suchte! Mit einem
Kollegen aus Bornheim bei Frankfurt wurde gleich nach gehaltenem
Mittagsmahl die Wanderung durch die Stadt angetreten und das Forschen
während meines viertägigen Aufenthaltes fortgesetzt. Was ich nun hier
gesehen und gehört, will ich in Nachfolgendem zu schildern suchen.

[Illustration: Plan von Philadelphia]

~Philadelphia~, mit 200,000 Einwohnern, worunter 30,000 Deutsche
seyn sollen, ist die größte Stadt im Staate ~Pennsylvanien~ und nach
~New-York~ die größte in den Vereinigten Staaten. Sie liegt zwischen
dem ~Delaware-~ und ~Schuylkill-~Fluß, über welchen Letztern sie
hinaus geht und durch zwei Brücken mit diesem Stadttheil verbunden
wird. Ihr Seehandel ist im Verhältniß zu ~Baltimore~ und ~New-York~
wenig von Bedeutung, ebenso sind hier nur wenige Fabrikanstalten
etablirt. Das Drängen und Treiben der schaffenden Menge, wie dieses
den ankommenden Fremden in erstern Städten überrascht, fehlt hier
ganz, und läßt sogleich vermuthen, daß ~Philadelphia~ der Wohnsitz
reicher Kapitalisten seyn muß, welche ihre Gelder weniger im
merkantilischen Geschäfte zu vergrößern suchen, sondern es mehr durch
Bank-Spekulationen oder durch Ankauf und Verkauf von Ländereien zu
vermehren trachten, welches Letztere in Amerika einen Handelsartikel
ausmacht, für den sich Geld-Spekulanten am mehrsten interessiren.

Bei der großen Menschenmasse, welche hier, da die mehrsten Häuser
keine Höfe haben, zusammengedrängt leben, ist es auffallend, welche
Stille in den volkreichen Gassen überall herrscht, mit Ausnahme der
~Water-Street~, die mit dem ~Delaware~-Flusse gleichlaufend, das
Bild eines lebhaften Verkehrs bietet, welches aber den zu Schiffe
ankommenden Fremden um so mehr überrascht, da er sich in seinen
Erwartungen betrogen glaubt, hier die wegen ihrer Reinlichkeit so
gerühmte Musterstadt ~Philadelphia~ zu finden, und nun bei jedem
Schritt, den er vorwärts thut, der Gefahr ausgesetzt ist, im
Schmuze stecken zu bleiben. Doch um so mehr wird man überrascht,
je weiter man in der 100 Fuß breiten Marktstraße hinaufgegangen
ist, wo längs derselben in der Mitte sich die überbauten reinlichen
Markthallen befinden, in denen die Verkäufer, gegen das Wetter
geschützt, ihre Erzeugnisse ausgestellt haben, und man auf beiden
Seiten der Häuserreihen nichts als Kaufmannsgewölbe und Laden neben
einander sieht. Allenthalben begegnen dem Blick in den geraden,
sämmtlich mit Trottoirs versehenen breiten Straßen, von Backsteinen
aufgeführte Häuser. Die mit Steinplatten ausgelegten Fahrstraßen sind
sämmtlich, mit Ausnahme der Wasserstraße, sauber und rein, da sie mit
unterirdischen Kanälen versehen sind, in welche wöchentlich einige
Mal aller Schmuz gespült wird, wozu die zahlreichen Brunnenröhren das
Wasser liefern. Schon wie die Fahrwege hinsichtlich der Reinlichkeit
befriedigen, um so mehr werden die längs der Häuser 10-12 Fuß breiten
und etwas erhöhten, mit Backsteinen belegten Fußwege gesäubert und
alles Stäuben durch Sprengen vermieden. --

Lassen schon die geraden, sich immer quer durchschneidenden Straßen,
den Fremden das verlassene Quartier leicht und sicher wieder auffinden,
so erleichtert dieses noch mehr, der in jedem Kosthause aufgehängte
Plan von ~Philadelphia~ und nach einem solchen liefere ich
die Beschreibung vom Terrain der Stadt. -- Von Osten nach Westen
sind zwischen dem ~Delaware-~ und ~Schuylkill-~Fluß neun
Straßen gezogen, welchen die Namen von Bäumen, wie sie erst auf
diesem Platze gestanden, gegeben worden sind, sie heißen: Wein-,
Sassafras-, Maulbeeren-, Kastanien-, Wallnuß-, Fichten-, Tannen- und
Cedern-Straßen. Diese Straßen, sämmtlich eine Stunde lang, werden
durch dreiundzwanzig von Norden nach Süden laufende Straßen im rechten
Winkel durchschnitten, welche nach der Reihenfolge vom ~Delaware~
anfangend, erste (~Frontstreet~), zweite, dritte u. s. w. bis
dreizehnte Straße, heißen. Mit der dreizehnten Straße hört die vom
~Delaware~ hergeleitete Reihenfolge auf, und eine andere beginnt
am ~Schuylkill~, welche jedoch nur acht Straßen in sich begreift,
nämlich: erste (~Frontstreet~), zweite u. s. f. -- Zwischen der
achten ~Schuylkill-~ und der dreizehnten ~Delaware-~Straße
liegt die ~Broad-Street~, welche das Terrain der Stadt in zwei
ungleiche Hälften theilt. Die ~Broad-Street~ ist 113, die
~Market-Street~ 100, die Maulbeer-Straße 60, und jede andere
genannte Straße 50 Fuß breit. Außer diesen nach dem ersten Plane,
welchen ~Penn~, der Gründer der Stadt selbst entworfen, weit von
einander angelegten Straßen, sind der Bequemlichkeit halber in späterer
Zeit viele Zwischenstraßen errichtet worden, eben so hat sich die Stadt
nach beiden Seiten erweitert und viele neue Straßen sind entstanden,
welche jedoch alle, mit Ausnahme von ~Dock-Street~ schnur gerade
sind. -- Die Haupt-Markthalle, die größte in der Welt, erstreckt sich,
von dreihundert Pfeilern getragen, durch die Mitte von ~Front-~
bis ~Fourth-Street~. Außer dieser giebt es zur Bequemlichkeit des
Publikums noch ähnliche Hallen in verschiedenen Theilen der Stadt.

Vom Thurme des Rathhauses, wo hinauf 180 Stufen geleiten, und der
in der Regel von allen in ~Philadelphia~ ankommenden Fremden
bestiegen wird, von denen eine Menge Reisender ihre Namen auf
Säulen und Pfosten neben und über der Glocke geschrieben und als
Andenken zurückgelassen haben, übersieht man mit einem Blick die
unten auf einer Ebene sich ausbreitende herrliche Stadt, welche ein
Parallelogramm bildet, mit Straßen, in denen mehrere Häuser oft nur
einen einzigen Pallast darzustellen scheinen und geometrisch geordnete,
in gegenüberliegenden Stadtvierteln befindliche Plätze, welche die
Stadt zieren; sie sind theils, wie die Straßen mit Bäumen besetzt, zur
Erholung in Freistunden einladend, oder durch in der Mitte derselben
stehende prächtige Gebäude geschmückt.

Von dieser Thurmaussicht, von der mich der Führer auf alle merkwürdige
Gebäude und Anstalten aufmerksam gemacht hatte, begab ich mich
sogleich am ersten Tage noch zu dem eine Stunde von der Stadt am
~Schuylkill-~Strome erbauten Kunstwerk, durch welches in alle
Straßen der Stadt, und selbst bis in die höchsten Stockwerke der Häuser
das Wasser geleitet wird. -- Durch Erbauung eines Wehres ist der
nöthige Fall geschaffen worden, welcher zum Umtreiben von drei 16 Fuß
im Durchmesser haltenden Wasserrädern nöthig ist, die jetzt die Stelle
einer früher in Anwendung gebrachten Dampfmaschine vertreten. Diese
Wasserkraft setzt drei horizontal liegende Pumpen in Bewegung, welche
durch eiserne Röhren täglich 4 Millionen ~Gallons~ (der Gallon
~à~ 4 Maas Wasser) in ein auf einem Hügel erbautes Bassin heben,
welches 96 Fuß über der Oberfläche des Flußwassers erbaut ist. Von hier
aus wird nun in eisernen Röhrenfahrten das Wasser überall in der Stadt
verbreitet, wo es hauptsächlich bei Feuersgefahr, da in allen Straßen
in gewissen Distancen Brunnenstöcke stehen, die den Spritzen das Wasser
im Ueberfluß liefern, von größtem Nutzen ist. Die Erbauung dieser
Wasserleitung soll einen Aufwand von 432,500 Dollars verursacht haben,
weshalb jeder Eigenthümer eines Hauses nach der Menge Wasser, welche er
verbraucht, jährlich 5-20 Dollars zu zahlen hat.

In der Nähe dieses Wasserwerks befindet sich auch das neue Gefängniß,
einzig in seiner Art, da in ihm die Einrichtung getroffen ist, daß
alle Gefangenen, einzeln verwahrt, immer beaufsichtigt werden können,
ohne daß der Wächter von denselben gesehen wird. Zu diesem Zwecke
hat man im Quadrat einen großen Hof erbaut, dessen Seiten eine Länge
von 650 Fuß haben. Das einzige Thor, welches als Eingang dient, ist
äußerst fest und massiv erbaut, und bildet zugleich das Erdgeschoß
vom Gebäude, wo sich die Beamten-Wohnungen befinden. -- In der Mitte
dieses Hofes steht ein runder Thurm zum Aufenthalte der Wächter,
von welchem Mittelpunkte aus, wie Radien eines Kreises, sechs lange
Flügel angebaut sind, und die Wächter so, von einem Punkte aus, in
alle Strahlen-Gänge sehen können. Jeder dieser sechs Flügel besteht
aus einem gewölbten Corridor, an welchem auf beiden Seiten die Zellen
für die Gefangenen, jede von acht Fuß Länge und fünf Fuß Breite,
angebaut sind. Das Licht erhalten solche durch ein in der gewölbten
Decke eingesetztes kleines Patent-Glas. Zum Darreichen der Nahrung ist
vom Corridor aus eine kleine Oeffnung angebracht, durch welche der
Wächter auch den Bewohner dieses Käfigs beobachten kann. Vor jeder
Zelle befindet sich ein 16 Fuß langer und 7 Fuß breiter Hofraum mit
einer 20 Fuß hohen Mauer umgeben, aus welchem der Eingang in die Zelle
geht und dazu dient, um den Gefangenen täglich eine bestimmte Zeit
den Aufenthalt in freier Luft zu gestatten. Außerhalb dieser Mauern
kömmt er während seiner Gefangenschaft nie, und erhält auch durchaus
keine Arbeit; eben so wenig darf er mit sich selbst laut sprechen oder
singen, wodurch dieser Unglückliche hier lebendig begraben ist. Die
Zellen, wie das ganze Gebäude, werden durch erwärmte Luft geheizt und
es befindet sich in einer solchen, außer der Schlafstelle, nur noch ein
Wasser-~Closet~, welches mit einer Hauptröhre in Verbindung steht,
die unter dem Corridore den Flügel der Länge nach durchläuft.

Durch dieses Gefängniß auf die Verbrechen der Menschen aufmerksam
gemacht, besuchten wir den andern Tag das ~Countygoal~ (Gefängniß), wo
die Gefangenen in Verwahrung waren, welche sich noch in Untersuchung
befanden. -- In dem vordern Hauptgebäude sind die Wohnungen der Beamten
und der Wächter, so wie die Verhörzimmer. In den beiden Seitenflügeln,
wo in der Mitte ein Corridor den Eingang in die auf beiden Seiten
desselben befindlichen Stuben gestattet, waren die Verbrecher
untergebracht. Der eine Flügel faßte das männliche, der andere das
weibliche Personal, und in beiden fehlte es nicht an Gesellschaft,
obgleich die gute Einrichtung Statt finden soll, daß nur selten ein
Gefangener länger als einen Monat, ohne gerichtet zu werden, hier
sitzen soll. An Langweile leiden die Inhaftirten hier nicht, da nur
die Hauptverbrecher, welche schon ihr grobes Vergehen gerichtet hat,
oder solche, welche bei überführter That dennoch nicht eingestehen
wollen, so lange in enge, dunkele Zellen eingesperrt sind, bis sie
gewilliger, der Wahrheit die Ehre gegeben haben. Die andern Gefangenen
dagegen leben in Truppen von 8 bis 10 Mann in reinlichen Stuben, wo
sie auch des Nachts auf dem Fußboden schlafen und nur wollene Decken
zum Zudecken erhalten. -- Am Ende jedes Flügels ist ein Hofraum, in
welchem die Gefangenen am Tage herumgehen dürfen, oder sich mit Zupfen
von Roßhaaren beschäftigen. Selbst als Verbrecher glaubt der Weiße
noch über seinem schwarzen Nebenmenschen zu stehen und sondert sich
in gemeinschaftlicher Verwahrung von Letzterem dadurch ab, daß es dem
Schwarzen nicht erlaubt ist, auf der Bank, wo schon ein Weißer Platz
genommen hat, sich niederzulassen.

Das große weltberühmte Hospital mit seinen gefälligen Formen, welches
an 10,000 Kranke fassen soll, ist von freiwilligen Beiträgen der
Quäker-Gemeinde in einem großen Garten errichtet worden, und wird auch
von dieser administrirt. Vor dem Hauptgebäude steht die lebensgroße
Bildsäule ~William Penn’s~ in Quäkertracht, dem Gründer der
Stadt ~Philadelphia~ zu Ehren, nach welchem auch der Staat
~=Pennsylvanien~ seinen Namen erhalten hat. Ueberall soll in
den innern Räumen der Anstalt eine musterhafte Reinlichkeit herrschen
und der Wartung und Pflege der Kranken alle Aufmerksamkeit gewidmet
werden. Das Innere der Gebäude betrat ich nicht, da eine besondere
Aversion mich vor allen Lazarethen abschreckt, und mein Aufenthalt in
der Anstalt zu ~New-York~ mir noch zu neu vorschwebte, um Lust zu
bekommen, hier das Elend der leidenden Menschheit von Neuem zu sehen.

Noch viele andere milde Stiftungen, wie Waisenhäuser, Schulen und
dergl. sind von den Quäkern errichtet worden und werden auch von ihnen
mit erhalten. Machte mich schon die einfache Tracht dieser Gemeinde,
welche sie von den 22 in ~Philadelphia~ sich aufhaltenden Sekten
auszeichnet, aufmerksam, um so mehr fühlte ich mich durch ihre Werke
veranlaßt, über ihre religiösen Grundsätze, die zu solchem Handeln
führten, Erkundigung einzuziehen. -- Die Tempel der Quäker sind einfach
und ohne alle Ausschmückung; in denselben fehlt jedoch die Kanzel, da
sie keine besondern Prediger haben, welche von dieser herab das Wort
Gottes verkündigen, sondern sie glauben, daß der, welcher den Geist
Christi in seinem Herzen aufgenommen, dieser nun in Erscheinungen,
Träumen und geheimen Erleuchtungen sich kund gebe, weshalb ein Jeder
predigen kann, ohne deshalb durch Studiren darauf vorbereitet zu
seyn. Gott, sagen sie, berufe nicht die Weisen dieser Welt in den
Vornehmen und Mächtigen, sondern die Einfältigen habe er auserwählt,
daß sie die Weisen zu Schanden machen. Daher verhält sich die ganze
Kirchenversammlung ruhig und ein Jeder erwartet so im stillen Gebet bis
der Geist Gottes über ihn kömmt, und ihm die Worte in den Mund legt,
welche er der Versammlung verkünden soll. Glaubt sich nun eine Person
inspirirt, ob Mann oder Weib, so richtet solche sich im Sitze auf
und drückt in ruhigem, gelassenen Tone die Gedanken ihrer Seele aus.
Sie schwören nie einen Eid, weil dieses den Namen Gottes entheiligen
hieße, wenn man solchen zum Zeugen der Wahrheit menschlicher Worte
anrufe. Keine religiöse Meinung wird von ihnen verfolgt. Das Gewissen
eines Andern zwingen wollen, hieße gegen Gott handeln, da dieser nur
allein es erleuchten könne. In dem Zeichen der Erniedrigung vor einem
andern Menschen, glauben sie eitlen Stolz zu nähren. Du! ist das Wort,
mit welchem sie Jeden anreden. Der Christ soll sein Leiden geduldig
ertragen, sich weder rächen noch Blut vergießen. Die Sittenlehre
Christi allein soll den Menschen führen, deshalb setzen sie eine
geistige Gottesverehrung an die Stelle äußerer Ceremonieen, Liturgieen
und kirchlichen Pomp. Hierarchische Grade machen die Religion nicht
aus, sondern Reinheit des Herzens und gute Werke sind die Hauptsache.
-- Gegen sich selbst sind sie äußerst streng, entsagen Allem, was
das Herz und die Gedanken von Gott abziehen könne, und meiden daher
Tanz, Musik, Jagd, Hazardspiele und Theater. Ihre Kleidertracht ist
einfach, und entbehrt allen Schmuck, sowohl bei Männern als Weibern
(was zumal bei den Letztern gewiß viel sagen will). Arm oder reich, --
Keiner zeichnet sich vor dem Andern aus, und nur einem Stande scheinen
sie alle anzugehören. In jeder männlichen Gestalt glaubt man einen
Landgeistlichen zu erblicken, da sie auf die Treue im Halten ihres
gegebenen Worts und ihrem Wohlthätigkeits-Sinn stolz einhergehen, und
der altmodische Schnitt des Frackrocks mit einer Reihe Knöpfe und einem
Stehkragen, nebst breitkrämpigem Hut und Stock, vervollständigen das
Bild. Selbst bei Todesfällen ändern sie nichts an der gewöhnlichen
Tracht, legen nie besondere Trauer an, oder geben durch einzelne
Symbole den Trauerfall zu erkennen.



Siebenunddreißigster Brief.

Fortsetzung.

    Im August 1840.


Von meinem Kollegen aufmerksam gemacht, welcher früher schon den
~Navy-Yard~ (Schiffswerfte) besucht hatte, begab ich mich auch
dahin, um das große, im Bau begriffene Dampfschiff zu sehen, welches
für Rechnung des Kaisers von Rußland hier gefertigt wurde. -- Dieses
kolossale Schiff, das unter einem, zu solchen Schiffbauten errichteten
großem Gebäude stand, war, auf dem Deck gemessen, 250 Fuß lang und 40
Fuß breit, erhielt eine Maschine von 600 Pferden Kraft, und soll für
die Summe von 420,000 Dollars verakkordirt worden seyn.

Mit der Zusammensetzung einzelner Theile des zu diesem Bau bestimmten
Dampfkessels war man noch nicht weit vorgeschritten, und es ließ
sich daher über die Konstruktion, welche von der gewöhnlichen runden
~Boiler~-Form abwich, noch nichts Bestimmtes sagen. Nur so viel
konnte ich beurtheilen, daß der Kessel eine Façon erhielt, welche
bei wenigstem Brenn-Material und in der kürzesten Zeit das möglichst
größte Quantum Dampf zu erzeugen im Stande seyn werde, wie die vielen
Verbindungsröhren zwischen dem Siedkasten, welche alle vom Feuer
umspült werden, es möglich machten. Bei einer solchen Konstruktion
kommt alles darauf an, daß bei Anfertigung die größte Solidität Statt
findet, da die komplizirte Zusammensetzung keine Reparatur zuläßt
und deshalb auch dergleichen Dampferzeuger nicht für das Allgemeine
anzuempfehlen sind. Man hatte daher auch, um die möglichst lange Dauer
zu erzielen, statt Eisenplatten, hier Kupfer verwendet, damit außer dem
Gebrauche solches nicht vom Roste ergriffen werden könne. Ueber die
Größe der Summe, welche dieser Dampfkessel allein bestimmt, war ich
erstaunt; leider ist solches, da es nicht sogleich von mir aufnotirt
wurde, meinem Gedächtnisse entschwunden. Nur so viel kann ich mich
erinnern, daß ich dabei bemerkte: bei uns kostet das größte Haus nicht
so viel.

Gleich ~Baltimore~ sind auch hier große Mahlmühlen vorhanden,
deren Konstruktion, wenn sie nicht durch Dampf in Bewegung gesetzt
werden, denjenigen gleich ist, die ich schon angegeben habe. Vorzüglich
werden diese Etablissements bei Anwendung von Dampfkraft in dem größten
Maaßstabe ausgeführt, wovon man sich erst einen Begriff machen kann,
wenn man Dampfmaschinen von 80-100 Pferde Kraft acht Paar Steine in
Bewegung setzen sieht, die täglich 50-60,000 Pfund des feinsten Mehls
liefern. Der Mechanismus einer solchen Mühleneinrichtung, welcher
sich im ganzen Gebäude verbreitet, verrichtet alle vorkommenden
Arbeiten, ohne alles menschliche Zuthun. Nur zur nöthigen Beschickung
der Dampfmaschine und Verpackung des Mehles sind ein Paar Arbeiter
vorhanden.

Auf einer Schneidemühle, wie ich eine ähnliche zu sehen schon in
~New-Orleans~ Gelegenheit hatte, fand ich auch hier eine Maschine
im Betrieb, welche die Breter zu gleicher Zeit hobelt, fugt, den
Wasserspunt anzieht und alles mit einer Schnelligkeit, daß immer ein
Arbeiter beschäftigt war, das fertig aus der Maschine kommende Stück
wegzunehmen und ein zweiter Gehülfe ein neues Bret einlegen mußte.
Der Unterschied bei diesen Maschinen bestand darin, daß die Eine den
Spund anhobelte, die andere dagegen, mittelst kleiner Cirkelsägen,
solchen anschnitt, welches Letztere mir räthlicher schien, da die
abgeschnittenen Federn weniger Kommersch verursachten und leichter
beseitigt werden konnten, als dieses bei den wie Spreu herumfliegenden
kleinen Hobelspänen der Fall war.

Durch die in kleineren Steinhauer-Werkstätten sich mit Zerschneiden von
Marmor- und Granit-Blöcken beschäftigenden Arbeiter wurde ich von Neuem
an die von Dampfkraft in Bewegung gesetzten Sägemaschinen erinnert,
wie ich dergleichen schon in ~New-York~, ~Cincinnati~ und
~Baltimore~ gesehen hatte. -- Eine dieser Anstalten, welche mit
der Kraft von 12 Pferden arbeitete, setzte eine Gittersäge mit funfzehn
Blättern in Bewegung, so daß mit einem Schnitt der aufgelegte Block,
wenn er die dazu nöthige Breite hat, in sechszehn Platten getrennt
wird. Auf die Länge der Steine kommt es nicht an, aber nur bis zu
einer Breite von fünf Fuß können solche geschnitten werden, da dieses
die Sägeblattlänge bestimmt. Möchten doch unsere Steinhauer, welche
jetzt mit ihrem Pulversprengen und Abschällern der Steine so viele
gute Werkstücken zu dem bestimmten Zweck unbrauchbar machen, sich
dieser amerikanischen Methode bedienen, und, wenn sie auch nicht
Dampfmaschinen in Anwendung bringen, wenigstens nur, wie hier auch
tausendfältig geschieht, mit großen Handsägen arbeiten. Die Menge von
Verbrauch solcher geschnittenen Steinplatten, und die Schnelligkeit,
mit welcher solche Gittersägen arbeiten, mag daraus hervorgehen, daß
zwanzig Menschen während ihrer ganzen Lebenszeit nicht so viel Schnitte
zu thun vermögen, als in einem Jahr eine solche Maschine macht.

Auch die großen ~Porter~-Brauereien, worauf mich schon in der
Heimath ~Gall’s~ Reisebericht aufmerksam gemacht hatte, sind zu
besehen und hauptsächlich Bierbrauern zu empfehlen. Wie sehr bleiben
hinter diesen nicht unsere Anstalten zurück! Mehr noch, als in der
großen Branntweinbrennerei zu ~New-York~ wird hier zu allen
Arbeiten, welche in unsern Brauhäusern durch Menschenhände verrichtet
werden, Dampfkraft verwendet. Die Früchte hebt die Maschine vom Wagen
auf die obersten Böden des Brauhauses, von wo aus solche in die großen
Quellbottiche laufen, und zu bestimmten Zeitabschnitten von der
Maschine mit frischem Wasser übergossen werden. Ist die Frucht nach
gehöriger Weiche auf die Malztenne hinabgelassen und durch die Maschine
in die gehörigen Haufen gebracht worden, so sorgt solche ebenfalls
durch kunstgerechtes Wenden, daß alle Körner den richtigen Wurzelkeim
erhalten, worauf das gewachsene Malz ebenfalls durch Dampfkraft auf
die Schwelgböden gehoben, ausgebreitet und gewendet wird. Von hier
läuft es auf die Malzdarre, wo die Maschine ebenfalls das Umwenden
besorgt. Auf die Speicher über der Mühle gehoben, wird es von solcher,
welche gleich den andern Maschinen durch Dampf in Bewegung gesetzt
wird, geschroten. Ferner bringt die Dampfmaschine das Schrot in drei
ungeheuere Würzbottiche, rührt es darin um, pumpt das erforderliche
Wasser und hebt die Würze in die Braukessel, von hier läuft solche
auf Rinnen in die, Teichen ähnlichen, Kühlschiffe, wo sie ebenfalls
durch mechanische Vorrichtung umgerührt und so, schnell abgekühlt,
in den Keller fließt. Von hier aus wird das Bier ebenfalls durch
Dampfkraft zum Verkauf aus den Lagerfässern in die im Hofraum liegenden
~Barrels~ (Fässer) aufgepumpt. Alle diese Verrichtungen setzt die
Dampfmaschine mit ihren mechanischen Verbindungen Tag und Nacht fort
und nur fünf oder sechs Menschen sind dabei nöthig.

So gern ich auch in die Kellerräume hinabgestiegen wäre, so geboten
doch meine finanziellen Umstände die größte Sparsamkeit und da ohne
Geschenk der in diesem Departement angestellte irische Arbeiter keine
Lust bezeugte, mir dahin freien Eintritt zu gestatten, so mußte ich auf
das, was ~Gall~ mit folgenden Worten beschreibt, mit eigenen Augen
zu sehen, verzichten:

„Was mich bei dem Eintritt in den Keller ebenso in Erstaunen setzte,
waren die ungeheuren Bierfässer, oder vielmehr Kufen, in welchen
das Bier für die heißesten Sommerwochen, in welchen nicht gebraut
werden kann, aufbewahrt wird. Eins dieser Riesenfässer enthielt 3000
~Barrels~ oder, das ~Barrel~ zu fünf Dollars angeschlagen,
für 15,000 Dollars oder 80,000 Franks ~Porter~. Es maß 27 Fuß
im Durchmesser und hatte dabei eine Höhe von 22 Fuß. Noch vierzehn
andere, jüngere Riesen von 600 bis 1000 ~Barrels~, wovon jedoch
nur fünf gefüllt waren, standen in einem und demselben unermeßlichen
Gewölbe. -- Man läßt das Bier, damit es sich möglichst vollkommen
reinige in kleinen Fässern von einem ~Barrel~, gähren. Sechs
hundert hierzu bestimmte Fässer liegen in zwölf langen Reihen auf
eben so vielen, beinahe achtzig Fuß langen Rinnen, welche sich nach
einem Ende um etwa acht Zoll neigen. Die Hefe aus allen diesen Rinnen,
ergießt sich in ein großes gemauertes Becken, aus welchem sie in
besondere Gefäße aufgepumpt wird. Nachdem es hierauf ausgespült worden,
werden die Fässer auf den Rinnen umgedreht, das Bier strömt alsdann in
dasselbe Becken zusammen und wird durch die Maschine in die erwähnten
Aufbewahrungskufen gehoben.“

Dieses hier gebraute Getränke, welches in die meisten Staaten versendet
wird, ist dem Deutschen in Amerika, unter den Namen: ~Porter~,
Englisch ~Ale~ oder ~Strong-Beer~ bekannt, und ist, wie
dieses die Amerikaner lieben, äußerst stark, so daß ein Bierglas
voll davon schon berauscht. Aus gewöhnlichem Bier, wie es bei uns
gebraut wird, machen sich die Amerikaner nichts. Es haben daher schon
mehrmals deutsche Bierbrauer mit verschiedenen Sorten von Bieren
Versuche gemacht, aber ohne Glück. Ja, eine auf Baierische Manier
eingerichtete großartige Bierbrauerei, welche des guten Wassers halber
in ~Newark~ sich etablirt und Niederlagen in ~New-York~
errichtet hatte, mußte schon im ersten Jahre aus Mangel an Absatz den
Betrieb wieder einstellen, obgleich ihr Produkt, wie mir versichert
war, äußerst gut gewesen seyn soll. -- Da nun die ~Porter~-Biere
zu theuer und stark sind, so wird für gewöhnlich außer Thee und
Kaffee, selbst von den vornehmsten Familien, nur Wasser getrunken. Die
ärmere Klasse, bei welcher das viele Wassertrinken häufig Bauchgrimmen
verursacht, findet darin den schönsten Grund, einem Glas Wasser, ein
Glas ~Whisky~, (Branntwein aus türkischem Waizen, oder Welschkorn,
in Amerika Mais genannt) nach zu schicken. Der ankommende Deutsche
aus dem Bierlande vermißt daher nichts mehr, als sein gutes nahrhaftes
Getränk und deshalb haben Spekulanten in allen größern Städten kleine
Hausquetschen etablirt, wo Halb- oder ~Small-~Bier fabrizirt
wird. Dieses hat nun zu Errichtung deutscher Bierhäuser Anlaß gegeben,
welchen Verkaufsgeschäftes sich die Frau befleißigt, während der Mann
seiner Hände Arbeit nachgeht. Der Verkauf des Biers unterliegt noch
keiner Abgabe, da diese kleinern Lokale nicht der Beachtung werth
scheinen und größere Restaurationen schon hinlänglich auf spirituöse
Getränke besteuert sind, worunter das ~Porter~ mit gerechnet wird.

Da ich schon in ~New-Orleans~, ~Baltimore~ und
~Washington~ versäumt, die dasigen Museums zu besuchen und mir
gleichsam diesen Genuß bis jetzt aufgespart hatte, so fand ich auch
hier zusammen, was wahrscheinlich jene drei Museen nicht bieten können.
Aller hier in ~Peals-Museum~ zu ~Philadelphia~ aufgestellten
naturhistorischen Gegenstände zu erwähnen, noch gar zu beschreiben,
fühle ich mich viel zu schwach. Es soll diese Bemerkung nur als
Fingerzeig gelten, damit meine Landsleute, welche dieses lesen und
hieher kommen sollten, nicht versäumen, eines der größten Museen der
Welt zu sehen.

Das merkwürdigste Stück ist ein im Staate ~New-York~ in einem Sumpf
aufgefundenes Mammuths-Skelett, dessen Höhe zwölf und seine Länge
18 Fuß beträgt. Die Vorderzähne fehlen, dagegen sind die beiden
Fangzähne um so auffallender, da jeder über fünf Fuß lang und an der
Wurzel zehn Zoll im Durchmesser stark ist. Die Backzähne haben, wie
angegeben wird, 1½ Fuß im Umfang und sind vier Pfund schwer. -- Die
über 5000 Exemplare starke Vögelsammlung enthält Alles, vom Strauß
bis zum kleinsten Kolibri herab, und unter den schön gefiederten
Papageien, Paradiesvögeln &c. zeichnet sich vor Allem eine, in einem
besondern Glaskasten stehende ~Mäunra~ aus. Von den vielen Schlangen,
welche theils leben, sind die Klapperschlangen am Auffallendsten.
Außer einer großen Menge vierfüßiger Thiere, Fische, Insekten,
Raupen, Schmetterlinge, Conchilien und Mineralien, sieht man noch
verschiedene thierische Mißgeburten, Menschen- und Thier-Schädel, wie
ganze Gerippe. Eben so interessant sind die mannichfaltigen Waffen und
Kostüme indianischer Stämme, so wie die Bildergallerie ausgezeichneter
Staatsmänner und Gelehrter aus der alten und neuen Welt.

Ein heftiger Wortkampf, welcher am gestrigen Abende alle Anwesenden
in unserer Wohnung in Allarm brachte, gab Anlaß, daß heute mehrere
der Gäste an Ort und Stelle sich von der Ursache des Streites
überzeugten, welchen ich mich anzuschließen nicht verfehlte. -- Es
sollten nämlich einige Tage vor meiner Ankunft in ~Philadelphia~
in einem Stadttheile, durch das Gesetz dazu berechtiget, von der
Eisenbahn-Kompagnie die Schienen gelegt werden, da aber die daselbst
Wohnenden sich in ihrem Marktgeschäft beeinträchtigt glaubten, so
widersetzten sie sich der weitern Arbeit und demolirten einen Theil der
schon fertigen Bahn. Auf desfalsiges Anrufen des Gesetzes, wodurch die
Polizei einzuschreiten suchte, nahm die Erbitterung der Demolirenden
zu, welches den Gerichtshof veranlaßte, die Miliz zu requiriren,
um mit entschiedener Kraft einschreiten zu können. Leider kam aber
Letztere den erhaltenen Befehlen nicht nach, wodurch die Insurgenten
in ihrem Muthwillen noch mehr bestärkt wurden und sich erfrechten, die
Eisenbahngebäude, nebst den Gasthof des Herrn ~Emory~ in Brand zu
stecken, und die herbeieilenden Spritzen vom Löschen abzuhalten. Herr
~Emory~ hatte nämlich für einige zwanzig Polizei-Offizianten,
welche zur Herstellung der Ordnung möglichst gewirkt hatten, eine
Abendmahlzeit bereitet. -- Hiernach kann man beurtheilen, wie
schwach die Gesetzgebung bei Ausübung ihrer Rechte in diesem sich
freidünkenden Lande ist, da sie nicht einmal vermag, das Eigenthum der
Bürger und die erworbenen Rechte einer Gesellschaft vor der Willkühr
roher Menschen zu schützen.

Am Morgen des vierten Tages meines Aufenthaltes waren
~Philadelphia’s~ Straßen wie ausgestorben, und keine Spur war
vorhanden, daß hier 200,000 Menschen zusammen verkehren sollten. Die
Feier des Sonntags hatte alle Geschäfte gelähmt, und selten verließ
Jemand das Haus eher, als die Kirchenglocken zum Gebet in die Tempel
riefen. Auch ich konnte diese Zeit nicht besser benutzen, als in
frommer Andacht an Gottgeweihter Stätte mich der ferneren göttlichen
Gnade zu empfehlen. In einem Tempel der Quäkergemeinde, welche Sekte
mich durch ihre Handlungsweise für sich eingenommen hatte, ließ ich
mich nieder. Die Räume waren mehr als überfüllt und eine tiefe Stille,
welche nur durch neugierig Kommende und Gehende unterbrochen wurde,
herrschte im Gebäude. Wohl eine Stunde harrte ich der Dinge, die da
kommen sollten, doch vergebens. Keiner der Frommen glaubte sich vom
Geiste inspirirt, um durch lautes Gebet den Andern seine Gedanken
vorzutragen und Alle murmelten nur still vor sich hin. Dadurch ward ich
zuletzt selbst gelangweilt und verließ den Ort, um eine andere von den
60 hier vorhandenen mitunter prachtvollen Kirchen zu besuchen.

Leider hatte ich durch Erkältung heute wieder viel von Kolik zu leiden
und ich sah mich genöthigt, auf dem Wege zum Tempel in einer Apotheke
einzusprechen, worauf ich, ins Quartier zurückgezogen, mir Linderung zu
verschaffen suchte.

Die Theater hier zu besuchen, erlaubte der Stand meiner Kasse nicht,
und nur auf die nöthigsten Ausgaben beschränkt, war es möglich; mit
der Baarschaft ~New-York~ wieder zu erreichen, wohin ich mit dem
Dampfschiffe am Morgen des 11. August abzugehen gedachte. Doch die
Schmerzen nahmen am Abend zu, und der Leibesschaden machte die Hülfe
eines Arztes nöthig, wodurch die zur Fuhre bestimmten letzten vier
Dollars mit angegriffen wurden und ich so am nächsten Morgen zwar von
Schmerzen befreit, doch sehr schwach, von Neuem den Wanderstab ergriff
und zu Fuße langsam dem auf meiner Tour liegenden ~Newark~ zu
pilgerte, wo ich in Freundes Armen wieder einen Tag der Ruhe genießen
konnte.



Achtunddreißigster Brief.

Wanderung nach ~Newark~.

    Im August 1840.


Ohne Reisegefährten mußte ich ~Philadelphia~ verlassen, und der
sieben Stunden lange Weg bis ~Bristol~ ward mir zur Ewigkeit,
da kein gesellschaftliches Gespräch die Zeit kürzte und die matten
Glieder oft der Ruhe bedurften. Dabei war der Gedanke, daß man in
bessern Verhältnissen, als die meinen, diese Reise schnell und ohne
alle Strapaze machen könne, nicht geeignet, meine trübe Stimmung zu
erheitern. Erst spät kam ich am letztern Orte an, traf aber zum Glück
eine mitleidige Seele, welche mich für wenige Zahlung gut aufnahm.

In ~Bristol~ werden die mit dem Dampfschiffe auf dem
~Delaware-~Flusse nach ~New-York~ reisenden Passagiere
ausgesetzt, und von da auf Wagen 40 Meilen zu Land bis ~Brunswick~
befördert, wo sie ein anderes Dampfschiff, welches Passagiere von
~New-York~ gebracht hat, als Retour-Fracht aufnimmt und auf dem
~Rariton-~Flusse und ~Hudson~ nach letzterer Stadt bringt.

Bei stattfindendem starken Verkehr der beiden Hauptstädte
Amerika’s, ~New-York~ und ~Philadelphia~, rentirte diese
Dampfschifffahrt sehr gut, welches andere Spekulanten auf die Idee
brachte, zwischen beiden genannten Städten eine direkte Verbindung
herzustellen, und über ~Newark~ eine Eisenbahn zu errichten. War
auch das Terrain dem Unternehmen wenig günstig, so hielt man sich
doch bei der Vorrede nicht lange auf. Die nachgesuchte Erlaubniß
zum Bau wurde von der Regierung, um sich der Betheiligten Gunst zu
erhalten, gegeben, und über das Aber (welches immer bei uns die größte
Schwierigkeit bietet), wie die nöthigen Gelder herbeizuschaffen seyen,
war man hier, wie immer, weniger besorgt. Die Presse kam in Thätigkeit,
und in Kurzem lagen so und so viele Millionen Papiernoten zur
Disposition bereit. Ein Berg wurde in successiver Steigung in krummer
Linie befahren, stundenlange Schluchten durch Sprengen haushoher
Felsenmassen gebildet, morastige Stellen durch Roste und Knüppeldämme
zu festen Unterlagen geschaffen und große, herrliche Brücken geleiteten
über die Flüsse.

Terrain-Schwierigkeiten kennt der Amerikaner nicht, denn ist einmal
die Ausführung eines projektirten Unternehmens beschlossen, so werden
alle Hindernisse beseitigt und ich hege den Glauben, legte sich unser
Herr Gott selbst dazwischen, sie wären im Stande, ihn aus dem Wege zu
schaffen.

Was zu befürchten stand, traf ein. Die Eisenbahn-Gelegenheit wurde
mehr benutzt als die Dampfschiffe, und die Interessenten der Letztern
setzten daher den Fahrpreis herab, um dadurch das Publikum wieder für
sich zu gewinnen. Doch die Eisenbahn-Gesellschaft blieb nicht zurück
und beförderte von dieser Zeit an die Reisenden noch billiger, worauf
die Dampfschiff-Aktionäre zum Aeußersten schritten, und ihre Schiffe
dem Publikum zur unentgeldlichen Benutzung offerirten. Tausende
machten jetzt von dieser Gratis-Fahrgelegenheit Gebrauch, und die
Herren Gastwirthe beider Städte befanden sich dabei am wohlsten. Doch
nur zu bald sahen beide Gesellschaften ein, daß sie ihr unsinniges
Handeln zu Grunde richten mußte, und trafen das Uebereinkommen, nur für
einen bestimmten Preis (~à~ Person 4 Dollars) die Passagiere zu
befördern.

Die Dampfschifffahrt, welche bei weniger Schnelle dem Reisenden
mehr Angenehmes bietet, als es auf der Eisenbahn der Fall ist, hat
noch durch ihre Eisenbahn-Verbindung der Städte ~Bristol~ und
~Brunswick~, wo früher nur Eilwagen hin und hergingen, sehr
gewonnen.

Die schöne Witterung am 12. dieses und der Umstand, daß ich wieder von
allem Leibesschmerz befreit war, machte das Fußreisen weniger lästig,
und heitern Sinnes durchwandelte ich längs des ~Delaware~ die
herrliche Gegend, in der immer reichlich angebaute Felder, hübsche
Landhäuser und Bauernhöfe, mit Scheunen und Wirthschafts-Gebäuden
umgeben, wechselten. Obstgärten, Hügel, Thäler und waldige Höhen
boten sich dem Auge in mannichfaltigen Gestalten dar, und das Weiden
zahlreicher Heerden auf fetten Wiesen und die geschäftige Thätigkeit
der Landleute auf den Feldern brachte Leben in die Natur.

Hier ist es auch, wo am Ufer des ~Delaware~ auf einer Anhöhe,
welche die herrlichste Aussicht gewährt, ~Joseph Buonaparte~, der
vormalige König von Spanien, seinen Landsitz aufgeschlagen hatte und
unter dem Namen eines Grafen ~Survilliers~ den Amerikanern bekannt
ist.

In ~Trenton~, der Hauptstadt vom Staate ~New-Jersey~,
führte mir der Zufall einen Dresdner, von Profession ein Schneider,
wieder zu, welcher in den Freudentagen zu ~New-Orleans~, wo auf
Regiments-Unkosten gelebt wurde, eine Hauptrolle spielte. Von diesem
erfuhr ich, wie sich der Geschäfts-Zustand nach meiner Abreise zur See
um nichts gebessert, täglich der Arbeit Suchenden mehrere geworden,
und Vielen durch Veräußerung ihrer Sachen es erst möglich geworden
sey, die Reise nach ~St. Louis~ zu machen, wo sie jedoch aus dem
Regen in die Traufe gerathen seyen. Ihm selbst sey, im Besitz der
englischen Sprache und einiger musikalischen Kenntnisse (die Guitarre
führte er immer bei sich), das Weiterreisen nach den nördlicher
gelegenen Staaten weniger schwer geworden und er wäre jetzt im Begriff,
in ~Philadelphia~ sein Glück zu suchen, da er dasselbe in
~New-York~ ebenfalls nicht gefunden habe. -- Dies passirte einem
Schneider, sonst eines der besten Geschäfte in Amerika, welcher im
Besitz der englischen Sprache, von angenehmem Aeußern, und dabei eine
Kunstfertigkeit besaß, die nicht allen seinen Zunftgenossen eigen ist,
wovon ich mich, während unseres Zusammenwohnens in ~Orleans~, zu
überzeugen Gelegenheit hatte.

In der Stadt ~Trenton~, mit 3000 Einwohnern, ist außer dem
~Court-House~ nichts besonders Merkwürdiges zu sehen, was mir
aufgefallen wäre; sie besitzt nur eine lange breite Hauptstraße mit
wenig Querstraßen und unter den großen steinernen Häusern zeichnet
sich besonders das ~State-House~ und das Bankgebäude aus. -- Um
so merkwürdiger ist aber die nach besonderer Konstruktion über den
1000 Fuß breiten ~Delaware-~Fluß errichtete bedeckte Brücke. In
acht großen, 36 Fuß breiten und 135 Fuß weiten Bogen, welche das Dach
der Brücke tragen, hängt zugleich die Brücke selbst. Jene Bogen, aus
fünf oder sechs übereinander gelegten, drei Zoll starken tannenen
Bohlen gebildet, ruhen mit ihren Enden auf großen Pfeilern, welche
sich über 40 Fuß hoch aus dem Flusse erheben. Die Brücke selbst liegt
auf Querbalken, welche starke eiserne Stangen-Bolzen mit den hohen
Bögen verbinden. Längs der Mitte theilt eine Scheidewand die Brücke in
zwei Hälften, wodurch nicht allein zwei Fahrstraßen gebildet werden,
von welchen der Fuhrmann die zur Rechten einschlagen muß, wie die
Ueberschrift an beiden Einfahrten besagt, sondern sie trägt auch die
unter ihr liegenden Balken mit, und giebt so dem Baue eine noch größere
Festigkeit.

Beim Passiren der Brücke wurde mir eine nicht geringe Verlegenheit
bereitet, als 10 ~Cent.~ Wegegeld verlangt wurden und meine ganze
Baarschaft nur noch in einer Zwei-Dollar-Note bestand. Um mir diese
Ausgabe zu ersparen und hier nicht wechseln zu müssen, schützte ich
vor, nicht im Besitze irgend einer Geldsorte zu seyn, und bat deshalb
um freien Durchlaß. Doch alle in deutscher und englischer Sprache
gethanen Vorstellungen halfen nichts, keine Grimasse war im Stande die
Herzen zu rühren, und so stand ich wohl eine halbe Stunde lang wie
ein Narr, unschlüssig, was ich thun oder lassen sollte. Ich hätte die
Kerls, welche den Weg verrammelten, umbringen können. Die Note, meinen
letzten Reichthum, jetzt hervorzuholen, war um so weniger räthlich,
weil ich dadurch zeigte, daß ich die Geldeinnehmer nur zum Besten
gehabt, und dann gewiß ein Paar amerikanische Rippenstöße auf den Weg
~gratis~ erhalten haben würde; wer mag wissen, wie lange ich noch
wie ein armer Sünder an diese Stelle gebannt gewesen wäre, wenn nicht
ein in einem Cabriolet ankommender ~Gentleman~ meinen Zahlmeister
gemacht hätte.

Die Gegend bis ~New-Brunswick~ ist hügelig und größtentheils
waldig, doch längs der Straße gut angebaut, und überall wechseln große
Meierhöfe mit kleinen Farmen ab.

In ~Princeton~, einem noch wenig ansehnlichen Ort, welchen man auf
der Tour nach ersterer Stadt passirt, befindet sich eine Hochschule,
die für eine der vorzüglichsten in den Vereinigten Staaten gehalten
wird und von mehr als 200 Studirenden besucht werden soll.

~Kingston~ dehnt sich längs der Straße in einer doppelten
Häuserreihe aus, und gewährt dem Reisenden eine freundliche Ansicht.
-- Am Ende des Ortes traf ich einen Quacksalber am Chausseegraben
sitzend, beschäftigt, die in Unordnung gekommenen Pillen, Latwergen,
Wundertropfen und sonstigen Universalmittel wieder zu ordnen, da
sein Medizinkasten, welchen er gleich einer Drehorgel trug, eher vom
Wagen, auf welchen ihn ein mitleidiger Farmer bis hieher mitgenommen,
die Erde erreicht hatte, als er selbst. So bedauerlich auch dieser
Vorfall war, so konnte ich mich doch des Lachens nicht enthalten, als
ich ihm behende die übrigen Tropfen aus verschiedenen zerbrochenen
Gläsern in unversehrt gebliebene leere Fläschchen durcheinanderfüllen
sah, woraus ein Tränkchen bereitet wurde, welches gewiß mit einem
Male von Zahnschmerz, Magendrücken und Podagra geholfen hat. Dieser
Deutsch-Amerikaner verleugnete anfänglich sein Vaterland, wie es
gewöhnlich die Deutschen, wenn sie der englischen Sprache erst
kundig sind, an der Mode haben; da er aber in mir einen Weimaraner
erkannte, und er aus Leipzig abzustammen vorgab, so öffneten sich
die Herzen, und nachdem er einige meiner amerikanischen Affairen
vernommen hatte, so theilte auch er mir mit, daß er eigentlich ein
gelernter Haarkräusler sey, bei seiner Ankunft in ~New-York~ aber
auf sein Geschäft kein Unterkommen gefunden, und daselbst die sich
darbietende Gelegenheit benutzt, in einer Barbierstube die vakante
Stelle eines Barbierbeflissenen einzunehmen, weshalb er Kamm und
Scheere dem Rasirmesser untergeordnet habe. Während seiner Condition
in ~Lancaster~ sey ihm beim Herausnehmen eines Zahnes, in dem
Patienten die Bekanntschaft eines herumreisenden Wunder-Doktors
geworden, und dieser habe ihn bestimmt, einen ähnlichen Erwerbszweig
zu ergreifen, der mehr als Kamm, Scheere und Rasirmesser zu rentiren
verspreche. In ~New-York~ habe er sich mit dem Nöthigen versehen
und sey eben auf der Reise nach ~Pennsylvanien~ begriffen; leider
gebe aber der heutige Unfall nicht die besten Aspecten für die Zukunft.

Hierbei erlaube ich mir eine interessante Bekanntmachung aus ~Gall’s~
Reisebericht anzuführen, woraus man sehen kann, wie ausgedehnt
mancher Quacksalber hier sein Geschäft betreibt: „Herr ~T. W. Dyott~,
der bei seiner Ankunft in ~Philadelphia~ das bescheidene Gewerbe
eines Schuhputzers trieb, dann Schuhwichse fabrizirte, versendet
gegenwärtig täglich ganze Ladungen von Arzneien nach allen Richtungen
ins Innere des Landes bis nach ~Pittsburg~, von wo sie auf dem
~Ohio~, dem ~Mississippi~ und ~Missouri~ zum Theil über 2000 Meilen
weit verschifft werden. Dieser Wunderdoktor kündigt in der Union und
in der ~United-States-Gazette~, indem er sich einen ~grand-son of
the celebrated Dr. Robertson~ (Enkel des berühmten ~Dr. Robertson~)
nennt, 147 verschiedene Salben, Pillen, Tränkchen, Pflaster, Tropfen,
Oele, Tinkturen gegen alle wirklichen und noch möglichen Feinde der
menschlichen Gesundheit an. Eine große Anzahl dieser Universalmittel
gegen alle nur erdenklichen Zahn-, Ohren-, Augen-, Lungen-, Magen-,
Nerven-, Gallen-, Leber-, Nieren- etc. Uebel, führen des Herrn Doktors
eigenen Namen, z. B. ~Dr. Dyott’s infallible patent tooth-ache-drops~.
(~Dr. Dyott’s~ unfehlbare Patent-Zahnschmerzen-Tropfen), welche er,
als eine eigene Erfindung, vermöge eines Patents vierzehn Jahre lang
allein fabriziren darf. Auch wer Schönheit und blühende Farbe bis ins
späteste Alter erhalten will, wird in seinen Anzeigen das dazu Nöthige
finden.“ Nach den blassen Leichengesichtern der Amerikaner aber zu
urtheilen, scheinen diese Mittelchen bisher noch nicht die erwünschte
Vollkommenheit erreicht zu haben.

~New-Brunswick~, am ~Rariton-~Flusse, ist schon eine ansehnliche Stadt
mit einer breiten Hauptstraße, welche von andern weniger breiten im
rechten Winkel durchschnitten wird. Die Häuser sind meist von Stein
aufgeführt, und geben durch ihre Größe dem Ganzen ein imposantes
Ansehen. Die Umgebung des Orts ist äußerst reizend, gut angebaut und
mit netten Landhäusern verziert. Ueber den Fluß führt eine hölzerne
Brücke, welche gleich der bei ~Trenton~ für die Fuhrwerke in zwei
abgesonderte Wege getheilt ist.

Der Stand meiner Kasse war ziemlich erschöpft und erlaubte nicht, ein
Gasthaus in ~Brunswick~ zu beziehen; ich verließ daher gegen Abend
noch die Stadt, um Nachtquartier bei einem gastfreundlichen Landmanne
zu suchen. Doch ~Fortuna~ war mir nicht hold, Gott mochte wissen,
mit was ich das Weib schon wieder einmal erzürnt hatte. Schon zweimal
von Farmern abgewiesen, wurde beschlossen, da die Nacht eben nicht kalt
war, unter freiem Himmel zu campiren und eine Hafermandel gleich einem
Kanninchen zu beziehen.

Was ist doch der Mensch nicht für ein närrisches Geschöpf; entweder
ist er bestimmt, die höchsten Stellen im Leben zu bekleiden und auf
seidenen Matten zu ruhen, oder unbeachtet und vom Geschick bis zur
Lagerstelle des Thieres auf dem Felde verwiesen.

Hatte ich auch Ruhe hier vor den Wanzen, dem häßlichen Ungeziefer,
welches überall in den Vereinigten Staaten heimisch ist, so stachelten
doch die Strohhalme um so empfindlicher an Kopf und Gesicht, da der
Nachtthau nöthigte, mich tiefer zu verscharren und eine Decke zu
bilden. An Schlaf war nicht zu denken; der rege Geist schweifte aus der
Vergangenheit in die Zukunft über, und aus meiner Jugendzeit, die ich
auf der Wanderschaft verlebt und auf derselben viele Nächte auf hartem
und unbequemem Lager zugebracht, stellte sich manche Scene lebhaft
dem Gedächtnisse vor. -- Wer hätte mir vor 23 Jahren in der Hungerzeit
1817, wo ich als Bäckergeselle ohne Erlaubniß Rußlands Gränzen
überschritt, und dafür mit meinen drei Reisegefährten, auf Stroh
gebettet, mit dem Kantschu gestriegelt ward, oder, nachdem ich das
Geschäft changirt, im Jahre 1822 als Kupferschmidt auf der Wanderschaft
nach der Türkei begriffen, in Ungarn die Bekanntschaft der Wölfe
machte, auch später staunend den Rheinfall bei ~Schaffhausen~ als
etwas Großartiges bewunderte -- wer hätte mir zu jener Zeit voraussagen
können, daß ich in Amerika noch Manches sehen, noch Vieles erfahren
würde, was meine frühern Lebensereignisse in den Hintergrund verdrängen
könnte? Doch, je mannichfaltiger die Gegenwart sich um mich gestaltete,
um so mehr wurde die Neugier auf die Zukunft gesteigert, und was
mag wohl das Schicksal mir noch alles aufgespart haben, bevor die
Pilgerschaft in dieser Welt vollbracht, und ich hingehe in das Reich,
von wo aus den Hinterbliebenen keine Reiseberichte zugeschickt werden
können.

Der freundliche Morgen schaute schon in meine Strohhöhle hinein, als
ich, der erst spät entschlummert war, von dem Gerassel vorbeifahrender
Wagen geweckt wurde. Schnell war die Toilette gemacht, das Reisegepäck
geordnet und von dem Nachtquartier Abschied genommen, bei welchem kein
gefälliger Wirth, von handausstreckenden Marqueuren umgeben, glückliche
Reise und baldiges Wiederkommen wünschte. Was mögen wohl beim Auffinden
des leeren Nestes die Amerikaner gedacht haben, da dergleichen
Acquisitionen hier nicht, wie es häufig bei uns geschieht, vorkommen? --

Der hungerige Magen und der schlaffe Geldbeutel spornten zur Eile, da
bis ~Newark~ nicht eingekehrt werden durfte, und jemehr man sich
den Hafenstädten näherte, um so mehr pflegte die Freigiebigkeit der
Menschen abzunehmen.



Neununddreißigster Brief.

Aufenthalt in ~Newark~.

    Im August 1840.


Der Stiefsohn des Herrn Riemermeister Wimmer, Freund Köhler, welchen
ich schon gleich nach meiner Ankunft in Amerika, zu ~Newark~
besucht und mit Briefen aus der alten Heimath erfreut hatte, nahm
mich zum zweiten Male herzlich auf und war hoch erfreut, daß ich Wort
gehalten und ihn nach vollbrachter Reise, wie ich versprochen, wieder
aufgesucht habe und nun über Alles berichten konnte.

Dieser Landsmann war noch am Ausgange der Zeit, in welcher in Amerika
leichter wie jetzt Geld verdient wurde, hier angekommen, und hatte
sich nicht allein auf sein Riemergeschäft durch Fleiß und Sparsamkeit
ein hübsches Sümmchen erworben, sondern auch durch seinen sittlichen
Lebenswandel die Zuneigung und das Herz einer jungen, hübschen Wittwe
zu erobern verstanden, durch welche er in den Besitz eines Hauses
gelangte; doch auch ihn trafen des Schicksals Schläge, und das
Eigenthum wurde durch die Flammen vernichtet, so daß nur die Baarschaft
gerettet werden konnte.

Das Aufblühen der Fabrikstadt ~Newark~, welches mehr und mehr
Menschen von ~New-York~ dahinzog, bestimmte ihn, daselbst eine
Wohnung zu renten (miethen) und ein Kosthaus zu etabliren, welches
bald durch seine Bekanntschaft mit vielen Arbeitern, verbunden mit
Reellität, eine nicht unbedeutende Anzahl Kostgänger erhielt. -- Das
Verdiente im Kasten aufzubewahren, hielt er nicht für räthlich, eben
so wenig glaubte er solches auf einer Bank sicher untergebracht und
folgte daher dem Beispiele vieler Anderer, indem er Lotten (Bauplätze)
kaufte, welche zwar schon hoch im Preise standen, aber noch täglich
an Werth zunahmen. Doch schnell, wie ein Zauberschlag, wovon man
sich bei uns keinen Begriff machen kann, trat ganz unerwartet eine
Stockung im Geschäftsleben ein; mehre große Bankerotte folgten kurz auf
einander, wodurch im Drange der Umstände viele Fabriken das Geschäft
ganz einstellen oder bedeutend vermindern mußten, und so mit einem Male
Tausende von Fabrikarbeitern, welche Zahl die verabschiedeten Arbeiter
an Neubauten, wovon ganze Straßen in ~Newark~ im Angriffe waren,
noch vermehrten, nun ohne Verdienst umherirrten, nicht wissend, von was
sie leben sollten, da selten der Amerikaner aus der arbeitenden Klasse
auf einen Nothpfennig bedacht ist, und eben so schnell wieder vergeudet
und auf seine Kleidung verwendet (da in letzter Beziehung kein Stand
dem andern nachstehen will), was er die Werktage über verdient hat. Die
unausbleibliche Folge war, daß auch die Lotten täglich mehr im Werthe
sanken, da Viele nothgedrungen, solche wieder veräußern mußten, selten
einen Käufer fanden und mit 90 pCt. Verlust ihren vermeinten Reichthum
in andere Hände übergehen sahen. Auch meinem Freund Köhler traf dieses
Loos, da viele seiner Kostgänger, außer Stande zu zahlen, sich heimlich
davon gemacht und nicht unbedeutende Schulden zurückgelassen hatten. So
sah sich derselbe zum zweiten Male ohne Schuld vom Schicksale verfolgt
und so um das Seine betrogen. Doch immer rührig und unverdrossen, und
eine Frau zur Seite, die ihn treulich unterstützte, brachte er sich und
seine Familie rechtlich durch und von Neuem wurde der Anfang gemacht,
auch den Kindern Etwas zu erübrigen, da er durch Schaden klüger
geworden, seinen Kostgängern nicht mehr kreditirte.

~Newark~ ist sehr großartig angelegt, besitzt meist breite
Straßen, worunter sich besonders die Marktstraße auszeichnet, auch eine
Anzahl schöner Gebäude. Doch verriethen dem Fremden mehre Ruinen neuer
im Aufbau gewesener Häuser, daß sich die Stadt nicht wieder erholt
habe und ihre jetzige Geschäftsthätigkeit in keinem Verhältnisse zu der
frühern Zeit stehe. Ueberall, wo man hinkam, hörte man über schlechte
Zeiten und den zunehmenden Verfall der Fabriken klagen.

Durch Freund Köhler und dessen Bruder, welcher bei Ersterem mit
~boardet~ (in Kost war), bin ich in verschiedene Fabriken und
Werkstellen eingeführt worden, von denen mich besonders eine patentirte
Schneiderscheeren-Fabrik interessirte, da ich hier die nothwendigste
Waffe dieser edlen Zunft in der größten Vollkommenheit zu sehen
Gelegenheit hatte. Das gußeiserne Scheeren-Gestelle, welches genau
nach Form und Lage der Hand abgepaßt war, beschwerte die Hand des
Zuschneiders während des Gebrauches nicht im Geringsten, wie solches
bei unsern gewöhnlichen Scheeren der entgegengesetzte Fall ist und
deshalb der Handgriff mit Anschrode umwunden werden muß. Dabei besaß
ein solches Instrument nach dem Zunftausdruck: eine solche Eleganz,
daß man sich darin spiegeln könne, und eine Schneide, welche nichts zu
wünschen übrig lasse.

Mancher Feuerarbeiter, der dieses liest, wird freilich staunen, wenn
er von Gußgestelle und guter Schneide hört; doch dieses Räthsel wird
dadurch gelöst, daß die hier arbeitenden Amerikaner verstehen, Gußeisen
mit dem besten Stahl zu belegen und eine Schweißstelle zu verfertigen
wissen, welche dem forschenden Auge nicht leicht sichtbar ist. Gern
hätte ich eine Scheere angekauft und als Muster mit in die Heimath
gebracht, da aber eine solche 6-8 Dollars kosten sollte, so hielten
mich triftige Gründe davon ab.

Auch die Herren Fußbekleider finden hier die hohe Schule, da eine
einzige Schuh-Manufaktur jährlich 60,000 Paar Schuhe verfertigt, doch
diese nicht nach unserer Manier zusammennäht, sondern zusammennagelt.
-- „Ho, Ho!“ werden unsere deutschen Meister ausrufen: „das muß eine
schöne Arbeit seyn!“ und dennoch kann ich versichern, daß sowohl die
Façon, wie die saubere Arbeit selbst, vollkommen befriedigt, und der
Amerikaner, welcher vom Ausbessern und frischen Besohlen, nichts weis,
sondern seine unbrauchbar gewordene Fußbekleidung sofort mit neuer
wechselt, bevorzugt solches genagelte Schuhwerk dem anderen, da dieses
an Haltbarkeit jenes weit übertreffen soll.

Die mittelst einer besondern Vorrichtung zugeschnittene Sohle
erhält durch eine andere Maschine ringsum am Rande drei Reihen
regelmäßig geordnete Löcher, in welche ein anderes Kunstwerk kleine
Blechnietchen einsetzt. Ist das Oberleder durch Ueberziehen auf eiserne
Formen in Façon gebracht und der Rand mit schmalen Lederstreifen
belegt, so wird die Sohle aufgepaßt und das Ganze kömmt nun in
einen besonderen Mechanismus, durch welchen, indem mehre ringsum
befindliche Schraubestöcke zugleich das Oberleder und die Sohle fassen,
bewirkt wird, daß sich die Blechnieten in den doppelten, einwärts
gekehrten Rand des Oberleders drücken, und gleichzeitig die inwendig
hervorragenden Seiten umgeben und vollkommen platt pressen. Zwölf bis
sechszehn Menschen wird es durch diese Vorrichtungen möglich gemacht,
täglich 200 Paar Schuhe bis zum Verkauf anzufertigen, welche im Handel
mit 2½-3 Dollars bezahlt werden.

Wie nun in Amerika immer ein Geschäft dem andern in die Hände zu
arbeiten pflegt und man Reellität nur dem Namen nach kennt, so sorgen
auch in diesem Artikel die Herren Gerber dafür, daß eine an sich starke
Sohle, welche nicht, wie dieses mitunter bei uns der Fall ist, mit
Schuhspahn kunstgerecht gefüttert worden ist, dennoch bald den Weg
alles Fleisches geht und der Nachfolgerin Platz zu machen sucht. --
Das Garmachen der Häute wird hier, im wahren Sinne des Wortes, mit
Dampf betrieben, da man die Häute nicht, wie bei uns, schichtweis
aufeinander in die Gruben zur jahrelangen Aufbewahrung legt, wie es
ein gut zubereitetes Leder verlangt, sondern solche auf Stangen in
die Behälter hängt, und die Lauge, welche die Felle umgiebt, mit
Dampf immer in den bestimmten Wärmegraden zu erhalten sucht, wodurch
es möglich wird, daß eine so behandeln Kuh- oder Ochsenhaut nach 6-8
Wochen als fertiges Leder zum weitern Verbrauch in den Handel kommen
kann. Wie es dabei mit der Güte der Waare aussieht, darüber werden
wohl Sachkenner am besten urtheilen können. Doch darnach fragt der
Amerikaner nicht, wenn nur das im Geschäft steckende Kapital schnell
wieder umgesetzt wird.

Hier wurde mir auch eine Splitmaschine gezeigt, welche die Häute in 6-8
Theile spaltet, und solche unversehrt zum schwächsten Leder fertigt.

Besonders viel Fässer zur Aufbewahrung von Aepfelwein werden in
~Newark~ gemacht und weit versendet. In einer der größten
Werkstätten sah ich mit Staunen, welche Fertigkeit die Arbeiter,
welche nichts anderes, als solche Fässer machen, erlangt haben, und
mit welchem Geschick der eiserne Hammer, der die Stelle der Klopfkeule
und des Schnitzers ersetzt, geführt wird. Eine einfache Vorrichtung am
Kamin, mit Anwendung einer Winde, bringt die an der einen Seite, mit
einem 1 Zoll starken Bundreif zusammengehaltenen Faßdauben, nachdem
solche erwärmt worden sind, in die Façon des Fasses, in welcher es
der nun an der andern Seite übergelegte Bundreif erhält, wenn das zum
Zusammenwinden gebrauchte Seil abgenommen wird. Das Einstreichen der
Kimme (Gärgel), das Abrunden des Bodens, wie das Anlegen der Reife
selbst, geht mit bewundernswürdiger Schnelle von Statten, und nur
wenige Fässer wurden beim Probiren als leck befunden, und in diesem
Fall mit eingelegtem Schilf verwahrt. Mein Landsmann Köhler, welcher
mich in diese Werkstätte geleitete, bestätigte die Angabe, daß ein
Arbeiter täglich zwei Zwei-Eimer-Fässer nicht nur zusammensetze,
sondern dazu auch noch die nöthigen Reife spalten und zurichten müsse.
Er habe daher in Amerika erst das, was arbeiten heiße, kennen gelernt
und in der ersten Zeit, da diese Faßarbeit nach dem Stück bezahlt
wurde, nicht das Salz verdient.

In einer Wagen-Manufaktur, welche ein Patent auf die Anfertigung
einspänniger zweiräderiger Stadtwagen erhalten hatte, bei denen nach
einer besondern Konstruktion der zusammengesetzte Kasten auf den
Federn steht und der Eingang an der hintern Wagenseite angebracht war,
wurde besonders der aufgelegte Lack und die bunte Arabesken-Malerei
bewundert. Der Amerikaner baust bei derartiger Malerei nur die
Hauptpartieen auf und malt die Ausläufe aus freier Hand, da er hier
eine zu genaue Symmetrie nicht liebt, sondern so viel mannichfaltige
Veränderung anbringt, als möglich.

Besonders merkwürdig war mir in ~Newark~ noch die erbaute
Eisenbahn, auf welcher Kanalboote vom Fluß-Wasser auf einen nicht
unbedeutenden Berg gefahren, oder von der auf der Höhe angelegten
Kunst-Wasser-Straße in den am Fuß des Berges weggehenden Fluß
herabgelassen wurden. An einer starken eisernen Kette, welche in
der Mitte der Eisenbahn liegt, befindet sich der beschwerte Wagen,
damit er nicht vom Wasser von den Eisenbahn-Schienen, welche bis
weit in jenes hinein angelegt sind, gehoben und das beladene Boot
auf den Wagen gefahren werden kann. Eine auf dem Berg befindliche
Maschine zieht die Kette mit dem Wagen an und bringt so das oft schwer
beladene Wasserfahrzeug langsam auf trockenem Boden die steile Anhöhe
hinauf und bis hinter die erste Schleuse. Da angelangt, werden die
Thore geschlossen und die hintere Schleuse, welche das Kanalwasser
abgesperrt hat, geöffnet, wodurch das eindringende Wasser das Boot vom
Wagen hebt, wo solches nun in dem Kanal seinen Lauf fortsetzen kann.
-- Soll ein Boot hinabgelassen werden und ist es bis auf den Wagen
gefahren worden, so wird das Kanalwasser durch Schließung der hintern
Thore abgesperrt, und das zwischen den beiden Schleusen befindliche
Wasser durch eine Seitenöffnung abgelassen, wodurch der Wagen mit dem
Boote trocken auf der Eisenbahn steht, und durch Oeffnen der vordern
Schleusenthore nun langsam hinab gleitet, bis, im Flußwasser angelangt,
die Fluth ebenfalls das Boot von dem Wagen hebt. Vom Führer aufmerksam
gemacht, sah man aus den nachgemachten Gelenken der starken Kette, daß
auch der Fall eintritt, daß während des Aufziehens die Kette reißt, wo
dann mit Blitzesschnelle der Wagen in die Fluth hinabstürzt und das
Boot dann weit auf der Wasserfläche hin gleitet.

Viele, doch weniger für mich interessante Fabrik-Anstalten gab es in
~Newark~ noch zu sehen, welche alle zu besuchen meine Zeit nicht
erlaubte, da mir vorzüglich daran gelegen seyn mußte, möglichst bald
wieder Beschäftigung und Verdienst zu erhalten.

Von ~Newark~ bis ~New-York~ bieten sich dem Reisenden zwei
Fahrgelegenheiten dar, da man dahin mit dem Dampfschiff oder auf der
Eisenbahn abgehen kann. Doch keines von Beiden wurde von mir benutzt,
da die größte Oekonomie zu beobachten war, und die Fußwanderung längs
der Eisenbahn sich auch besser dazu eignete, dieses Kunstwerk zu
besehen.

Den 17. August traf ich wieder in ~New-York~ ein, wo vor Allem
meines Bruders Sohn aufgesucht wurde, welcher aber mit seinem Meister
verschwunden und nirgends aufzufinden war. Ein Gleiches war der Fall
mit andern Bekannten, von welchen ich Erkundigungen einziehen wollte.
Keiner war mehr in seinem alten Quartier oder bei seinem Brodherrn
anzutreffen und so sah ich mich genöthigt, da ich kein Kosthaus
beziehen konnte, auf gut Glück über den ~East-River~ zu fahren,
um in ~Williamsburgh~ bei unserm Landsmann, dem Maurer Rademacher
~jun.~ aus Apolda, wieder einzusprechen, welchen ich bei meiner
Ankunft in Amerika schon einmal besucht hatte. -- Zum Glück wohnte
derselbe noch in seinem alten Quartier und dessen liebe Frau nahm mich,
im Namen des Mannes, welcher auf der Arbeit war, gastfreundlich auf.
-- Hier setzte ich nun nachfolgendes Schreiben, welches in’s Englische
übersetzt wurde, auf, fertigte die nöthigen Zeichnungen dazu und
übergab solches ~Mr. John Benson~, mit welchem ich schon, wie sich
die Leser erinnern werden, vor meiner Abreise in die südlichen Staaten
in dieser Angelegenheit unterhandelt hatte. Das Schreiben lautete
wörtlich also:

„Auf meiner Reise durch das Innere der Vereinigten Staaten habe ich
mich überzeugt, daß die Farmer, welche das Branntweinbrennen nicht ganz
großartig und zwar mit Anwendung eiserner kostspieliger Dampfkessel
betreiben, nur gewöhnliche kupferne Blasen und Schlangenröhre zum
Kühlen im Gebrauch haben und deshalb noch ein Mal so viel Zeit und
zwei Mal so viel Holz verbrauchen, als solches der Fall ist, wenn ein
Dampf-Brenn-Apparat nach beiliegenden Zeichnungen angewendet wird.
Derselbe kann von allen Größen angefertigt werden, kömmt nicht viel
höher zu stehen, als die gewöhnlich zum Branntwein-Brennen nöthigen
Geräthschaften, liefert sogleich aus der Maische den stärksten
Branntwein rein, wohlschmeckend und in möglichst größter Menge, kann in
allen einzelnen Theilen gut gereinigt werden, ist leicht zu behandeln,
im Gebrauch ganz gefahrlos und nimmt im Brennereilokal nur wenig Raum
ein. -- Ich bin erbötig ~Mr. John Benson~ einen solchen Apparat
nach von ihm zu bestimmender Größe anzufertigen, in einer Brennerei
aufzustellen, einzumauern und die Behandlung desselben zu zeigen
und zwar gegen einen täglichen Lohn von sechszehn Schillingen (zwei
Dollars). -- Wünscht aber ~Mr. John Benson~, nach genommener
Ueberzeugung von der vorzüglichen Brauchbarkeit dieser Erfindung, ein
Patent auf die alleinige Anfertigung solcher Dampf-Brenn-Apparate zu
besitzen, so hat derselbe sich zuvor erst mit mir abzufinden und die
Summe von 1000 Dollars zu zahlen.“

Der Antrag wurde angenommen und den 20. August trat ich wieder in der
Kupfer-Fabrik des ~John Benson~ auf der Insel ~Brooklyn~, ein.



Vierzigster Brief.

Zweiter Aufenthalt in ~New-York~.

+(Unsicherheit des Lebens).+

    Im September 1840.


Alle Räume in der Werkstelle waren mit Arbeitern besetzt und die neuen
Bestellungen mehrten sich täglich, weshalb ich selbst vorerst mit Hand
an dergleichen bestellte Waaren legen mußte, welches mir gleich seyn
konnte, da der ausbedungene Lohn von zwölf Dollars wöchentlich alle
Sonnabende richtig ausgezahlt wurde. Bei einem unserer Landsleute,
Namens Gerhardt, welcher in einer großen Eisen-Manufaktur beschäftigt
war, und dessen Frau einen Schank besorgte, logirte ich mich ein,
lebte äußerst sparsam, so daß es möglich wurde, alle Woche neun auch
zehn Dollars zu erübrigen, welches Geld, da die Zahlung in Papiernoten
erfolgte, ich dem Bäckermeister und Mehlhändler Herrn Wallrabe
aufzubewahren anvertraute, welcher dieses Papiergeld, damit nichts
daran verloren ging, sofort in seinem Handelsgeschäft wieder mit
verausgabte, worauf dieser brave Mann mir bei meiner Abreise die ganze
zurückgelegte Summe, ohne die geringste Provision davon zu nehmen, in
englischem und französischem Golde auszahlte.

In dieser Mehlhandlung fand ich auch den bei der Abreise in die
westlichen Staaten zurückgelassenen und meinem Neffen zur Aufbewahrung
übergebenen Koffer, nebst den übrigen Sachen wieder, wobei mir die
Nachricht wurde, daß der Bäckermeister, bei dem meines Bruders Sohn
in Arbeit gestanden, und welcher mich, aus dem Hospital kommend,
so gastfreundlich aufgenommen hatte, jetzt selbst wieder als armer
Bäckergeselle arbeite, und mein Neffe bei einem Amerikaner ein
Unterkommen gefunden habe, wo ihm die Gelegenheit zu Gute komme, bald
die englische Sprache zu erlernen.

Von ~New-Orleans~ aus wurde dem gegebenen Versprechen gemäß von
mir über alle dortigen Verhältnisse meinen Bekannten in ~New-York~
treulich geschrieben und dabei gewarnt, ja nicht den lockenden
Berichten zu folgen und hier den Himmel zu suchen, wo nur die Hölle
zu finden sey. -- Leider mußte ich aber aus einem Antwortschreiben,
welches mir in ~Baltimore~ zuging, ersehen, daß man jener
Nachricht, wie es gewöhnlich der Fall ist, wenn der Vogel nicht schön
pfeift, keinen Glauben geschenkt, die Sache als übertrieben angesehen,
ja sich sogar beleidigender Ausdrücke bedient hatte, weil ich im
Widerspruch mit günstigern Berichten, Andere vom bessern Verdienst,
als in ~New-York~ zu machen sey, abzuhalten suche, und der
Meister, Louis Hallbauer und mein Neffe, welche Letztern noch bei
Ersterm in Arbeit waren, mit dem nächsten Schiff die Seereise dahin zu
unternehmen, entschlossen seyen. -- Hier war keine Zeit zu verlieren
und mit umgehender Post schrieb ich an Hallbauer, daß ich weit entfernt
sey, Jemanden von seinem Glück abzuhalten, und mir Vormundschaft über
Männer anmaßen zu wollen, welche die amerikanischen Verhältnisse,
wenn sie sich darum bekümmert hätten, besser kennen sollten, als ich,
der erst so kurze Zeit im Lande sey. Mein Bruder habe aber seinen
Sohn nicht nach Amerika geschickt, daß dieser junge Mensch, mit Allem
noch unbekannt, der Ueberredungskunst unterliege und auf solcher
beschwerlichen Reise und ungesundem Klima Verdienst, Gesundheit und
Leben aufs Spiel setze. Ich mache ihn (Hallbauer) daher verantwortlich
über Alles, was sich bei diesem Unternehmen zutrage. Mein Neffe solle
sich aber nicht wieder vor mir sehen lassen, wenn er der Warnung nicht
Folge leiste und meine Ankunft in ~New-York~ abwarte.

Zum Glück kam der Brief noch zur rechten Zeit an, da das Schiff, auf
günstigen Wind wartend, noch nicht abgegangen war und der Neffe, aus
Furcht vor meinem Zorn, besann sich eines Bessern, schaffte den Koffer
wieder vom Fahrzeug und blieb zurück. Die Andern aber segelten ihrem
Unglück entgegen, fanden, wie zu erwarten war, in ~New-Orleans~
kein Unterkommen, unterlagen den klimatischen Verhältnissen, setzten
während der Krankheit und des kurzen Aufenthaltes daselbst ihre
Baarschaft zu und kamen, von Allem entblößt, nur mit gemachten
traurigen Erfahrungen bereichert, nach ~New-York~ zurück, wo der
frühere Meister, jetzt als Geselle, Frau und Kinder zu erhalten suchte,
Freund Hallbauer mit Sparen von vorn anfangen mußte, und mein Neffe dem
zu Folge alle Ursache hatte, mit seinem Geschick zufrieden zu seyn.

In meinem Geschäftsleben trat jetzt ein anderes Verhältniß ein; denn
hatte ich im vorigen Jahre in der Kupfer-Fabrik den Lehrling gespielt,
so wurden mir jetzt Gehülfen untergeordnet, welche mit an den nach
meiner Angabe gefertigten Brennerei-Utensilien Hand anlegen mußten.
Leider war die erste Zeit außer mir nur noch ein Deutscher mit in
der Werkstelle, welcher in Frankenthal Meister, jetzt ebenfalls hier
als Geselle mit seiner Hände Arbeit ein Weib und sechs Kinder zu
ernähren hatte, wobei der tägliche Lohn von 1½ Dollar, da er ein
sehr guter Arbeiter war, nur knapp zureichen wollte. Dieser brave
Kollege, erst kurze Zeit im Lande, war ebenfalls der englischen Sprache
noch nicht mächtig, und so war er wegen Austausch der Gedanken nur
auf mich verwiesen, wodurch unsere gleichgestimmten Seelen sofort ein
Freundschafts-Bündniß schlossen und wir uns inmitten der rohen, meist
dem Trunk ergebenen Amerikaner, das Leben möglichst angenehm zu machen
suchten.

Nach vollbrachtem Tagewerk fehlte es im Quartier ebenfalls an
Unterhaltung nicht, nur mit dem Unterschied, daß sich hier keine
reichen ~Gentlemen~ und spekulirende Kaufleute einfanden,
sondern deutsche Arbeiter und Geschäftsmänner aus dem niedern und
Mittelstande zusammen kamen, um nach deutscher Sitte, bei einem Glas
~Small-~Bier sich der alten Heimath zu erinnern, oder über das
amerikanische Drängen und Treiben zu sprechen, und so gesondert,
weniger von heillosen Ruhestörern zu befürchten hatten. Als Beleg, wie
mitunter hier alle Grenzen der Sittlichkeit und der Sicherheit des
Lebens überschritten werden, habe ich folgenden Zeitungsbericht notirt:

„Raub, Mord, Aufruhr etc. -- Noch nie ist wohl eine Stadt, die
sich zu den aufgeklärten und civilisirten rechnet, der Tummelplatz
solcher Schandthaten gewesen, wie in voriger Woche, am Schlusse des
alten und Beginn des neuen Jahres, unser ~New-York~. Mordthaten
scheinen zur Tagesordnung werden zu wollen. Eine Bande von ohngefähr
50-60 verworfenen Schuften, der Auswurf großstädtischer Laster, die
anerkannten Repräsentanten aller denkbaren Schlechtigkeiten, hat
es durch ihre tollkühnen Streiche dahin gebracht, daß sich kein
friedlicher und ruheliebender Bürger weder auf der Straße, noch
in seiner Wohnung mehr für sicher halten kann und darauf bedacht
seyn muß, räuberische und mörderische Angriffe mit tödlichen Waffen
zurückzuweisen. Jene Verworfenen, die in ihrem Uebermuthe kein anderes
Gesetz kennen und achten, als ihren Willen, haben den Stadt- und
Staats-Gefängnissen, selbst dem Galgen schon viele ihrer Zöglinge
überliefert, ohne daß deren schreckbar warnendes Beispiel einen
andern Eindruck auf sie machte, als ihre Wuth nur zu steigern. Sie
haben gewisse Trinkhäuser, in denen sie sich fast stets aufhalten
und von wo aus sie ihren Unfug regelmäßig treiben. Eine Nacht, wie
die Neujahrsnacht, schien sie zu ganz besondern Lustbarkeiten zu
berechtigen, die zufolge ihres Charakters und ihrer Sitten natürlich
in nichts als in den abscheulichsten Brutalitäten bestehen. Anfänglich
nur 20-30 Mann stark, traten sie gegen Abend ihren Kreuzzug durch
die Stadt an. Zuerst drangen sie in ein deutsches Wirthshaus in der
~Pitt-~Straße, zerschlugen Gläser und Möbeln, tranken reichlich,
ohne zu bezahlen, verwüsteten die übrig bleibenden Getränke, banden
der Wirthstochter die Kleidungsstücke über dem Kopfe zusammen etc.
Angeführt von einem gewissen ~Armstrong~, der sich durch seine
Thaten vor Allen Verdienste auf seine Würde erworben, suchten
sie mehrere andere Plätze heim und traten unter andern in das
~Porter-~Haus des Herrn Kraft, an der Ecke der ~Grand-~ und
~Forsyth-~Straße, zerbrachen auch hier Gläser und Geräthschaften,
versuchten falsche Noten anzubringen, schleppten ein deutsches
Dienstmädchen aus der Küche, zogen es nackend aus, und während es
mehrere Andere festhielten, wollte ~Armstrong~ Nothzucht an ihr
verüben, woran er nur durch ihr Mordgeschrei und das Herbeieilen von
Leuten verhindert wurde. „Der Gang“ (wie sich diese Bande selbst
nannte) verfügte sich nun nach einem Lieblingssammelplatze aller
Feuerläufer, nahe ~Centre-Market~ und stärkte dort seine Courage
mit einigen Gläsern Branntwein. -- Die Runde begann aufs Neue. Eines
Landmanns Pferd wurde vom Zügel abgeschnitten und in vollem Gallopp die
~Bowery~ entlang fortgetrieben, wobei der Besitzer aus dem Wagen
stürzte und sich gefährlich beschädigte; ein Kutscher wurde vom Bock
gerissen und seine schüchtern gemachten Pferde die ~Chatham-St.~
hinabgetrieben; ein Frauenzimmer wurde in ~Ann-St.~ ergriffen,
über die Straße geschleppt, fast ganz nackend entkleidet, geschlagen
und mehr als viehisch gemißhandelt. In der ~Bayard-St.~ wurde
einem Manne seine hochschwangere Frau vom Arme gerissen und er
festgehalten, während Andere die Frau entkleideten und ihren nackten
Leib peitschten. Unter ihrem jammervollen Geschrei wurde ein junger
Mann, der zur Hülfe herbeieilte, augenblicklich niedergeschlagen,
und der Polizeibeamte ~Tompkins~, der ebenfalls einzuschreiten
suchte, barbarisch gemißhandelt. In ~Church-St.~ suchte ein Theil
der Bande ein Haus zu stürmen, wurde aber abgeschlagen und demolirte
aus Rache die Thüre. Viele andere Personen, die zufällig den Schurken
begegneten, wurden unbarmherzig durchgeprügelt und jedes Gesetz mit
Füßen getreten. Endlich gegen halb 12 Uhr kam die Bande vor dem Hause
des Herrn B. Mager, ~Elisabeth-St.~, 101, an, wo deutscher Ball
gehalten wurde. Funfzig bis sechzig Mann stark, marschirten sie wie
Soldaten durch die Thür und schlossen dieselbe augenblicklich hinter
sich zu. Ohne ein Wort zu sagen, oder ohne die geringste Aufreizung,
begann das Werk der Zerstörung und Verwüstung. Ehe der Lärm noch die
Hausbewohner und Gäste aus dem obern Saale herbeizog, wurde das im
~Bar-~Zimmer aufwartende Mädchen gemißhandelt, Tische, Stuhle,
Gläser und Flaschen zerschmettert etc. Herr Mager, den das Geschrei
nach Wache mit einigen Andern die Treppe hinabführte, befand sich
in dem jetzt beginnenden allgemeinen Gefechte und Tumulte mehrmals
in der drohendsten Lebensgefahr; man setzte ihm unter Andern eine
Pistole auf die Brust, welche glücklicherweise versagte. Einige
anwesende Deutsche bewaffneten sich, wie es schien, mit Säbeln und
schlugen wacker auf die wüthenden Eindringlinge los; leider verlor
Oberst ~Ming, jun.~, zwei Finger durch einen Säbelhieb, als er,
in der löblichen Absicht, Ordnung zu stiften, zwischen die Fechtenden
sprang. Nach vielen blutigen Wunden wurde die Bande endlich zur Thüre
hinausgetrieben und begann nun auf der Straße, unter dem Geschrei: „Tod
den Deutschen!“ mit Eisstücken und Steinen ein Bombardement des Hauses,
während an den Thüren der furchtbare Tumult fortdauerte. Plötzlich
fielen von den obern Fenstern des Hauses herab Flintenschüsse und von
zwei Kugeln durchbohrt sank, mitten auf der Straße, der Rädelsführer
des Haufens, jener erwähnte ~Armstrong~, nieder und schwamm in
seinem Blute. Als man ihn hinwegtrug, war er schon zur Leiche geworden
und mitten in seinen Unthaten der Nemesis zum Opfer gefallen! Man hörte
den Knall von etwa zwanzig Schüssen, wodurch drei oder vier Andere
verwundet wurden; der Eine in den Arm, ein Anderer in die Hüfte. Stadt-
und Polizei-Behörden eilten herbei, zerstreuten glücklich den sich
sammelnden Pöbelhaufen und arretirten mehrere Personen, die sie in der
Sache betheiligt hielten. -- Von Seiten der Deutschen wurde Jedermann
wieder auf freien Fuß gesetzt, da ihre That sowohl vor dem Gesetz,
wie der öffentlichen Meinung vollkommen als Nothwehr gerechtfertigt
erschien; ja die allgemeine Volksstimmung sprach sich laut dahin aus,
daß dieser Widerstand der Deutschen gegen die Friedens- und Ruhestörer
ein verdienstvolles Werk sey.[54]

Die Beerdigung John ~Armstrongs~ fand am vorigen Freitage Statt;
seiner Leiche folgten gegen 700 Personen und viele Kutschen. Viele
der Leidtragenden waren mit kleinen Aexten bewaffnet und schwuren
laut, den Tod ihres Führers blutig rächen zu wollen. Anstatt durch
das furchtbare Geschick ~Armstrongs~ gewarnt zu seyn, erhöhte
sich nur ihre Erbitterung und da die Behörden erfuhren, daß man einen
abermaligen Angriff auf das Haus des Herrn Mager beabsichtige, so
wurden vom ~Mayor~ und dem Polizeirichter ~Bloodgood~, die
einige der folgenden Nächte sich persönlich in der Nähe aufhielten,
alle möglichen Vorkehrungen getroffen, um einer Erneuerung dieser
Blutscenen vorzubeugen. Ihren Bemühungen war dieß bisher gelungen; doch
dürfte es zweckmäßig erscheinen, den hiesigen Deutschen möglichste
Vorsicht anzurathen, da es bei dem Charakter jener Bande außer allem
Zweifel liegt, daß sie der Gegenstand ihrer erbitterten Rachsucht
sind. Da namentlich, wiewohl fälschlich, geglaubt wird, daß deutsche
Miliz-Kompagnieen die Hand im Spiele hätten, was man aus einigen
aufgegriffenen Gewehren zu folgern scheint, so würde es zweckmäßig
seyn, wenn die Schützen-Kompagnie, welche wöchentlich zwei Mal in der
~Ludlow-St.~ exerzirt, ihre Gewehre geladen und die Hirschfänger
bereit hielte, um beim Nachhausegehen, was wo möglich nicht vereinzelt
geschehen sollte, auf mögliche Anfälle vorbereitet zu seyn.

Möchten unsere deutschen Landsleute, so lange als es ohne Lebensgefahr
möglich ist, jeder beklagenswerthen Reibung auszuweichen suchen, und
nie Anlaß zu andern Tumulten geben; möchten sie aber auch, wenn Raub,
Mord, Plünderung und Schändung auf sie lauern, den Verhöhnern aller
bürgerlichen und moralischen Gesetze muthig entgegentreten und ihre
Rechte nachdrücklich geltend machen. Die Schlechtigkeit wird durch
Nachsicht und Nachgeben nur kühner und verwegener, und da, wo der Staat
seinen Schutz nicht unmittelbar gewähren kann, beginnt das Recht der
Selbsthülfe[55].

Der ~Mayor~ von ~New-York~ versprach für die Angabe eines
Solchen, der an den Unruhen in der Neujahrsnacht Theil nahm, 50 Dollars
Belohnung. -- „Gut! Aber noch besser wäre es gewesen, wenn 500 Dollars
versprochen worden wären.“ --“



Einundvierzigster Brief.

Fortsetzung.

(+Banken+.)

    Im November 1840.


Außer der bevorstehenden Präsidenten-Wahl waren es besonders die
Bank-Angelegenheiten, welche den in meinem Quartier zusammenkommenden
Deutschen Stoff zur Unterhaltung gaben und vor Allem wurde eine
Flugschrift besprochen, welche die Deutsch-Amerikaner für das
Bank-System zu gewinnen suchte, und so für die Sache einzunehmen
verstand, daß Viele, welche nicht mit den Gegengründen und Unwesen
der Banken vertraut waren, sich auf die Seite der ~Whigs~, von
welchem diese Flugschrift ausging, neigten, was oft Anlaß zu heftigem
Wortkampfe gab, da die demokratisch Gesinnten nicht versäumten,
beißende Gegenartikel anzuführen, von welchen ich auch ein Paar als
Probe nach dem jetzt folgenden Auszug jener Flugschrift anhängen
werde, um diese hier so verderblichen Institute zu beleuchten: „Die
Zeiten sind schlecht! das ist allgemeine Klage, und leider ist es
nicht zu leugnen; ja sie sind gegenwärtig schlechter, wie wir sie
in den drangvollsten Perioden in Deutschland nur erlebt haben. Eine
auffallende Erscheinung in einem so schönen, jungen und kraftvollen
Lande, versehen mit so reichen Naturgaben, und so unendlich vielen
Hülfsquellen, im tiefsten Frieden und unter dem augenscheinlichsten
Segen der Gottheit! -- Hat sich Manches im Laufe der Zeit verändert,
so ist es Pflicht einer weisen Gesetzgebung, dem Geiste der Zeit zu
folgen, und Veränderungen, Zusätze oder Weglassungen eintreten zu
lassen, wie es die jedesmaligen Bedürfnisse erfordern. Werfen wir
einen Blick auf die Vergangenheit, und sehen, wie es früher hier
war. Unsere Stadt ~Baltimore~, vor hundert Jahren kaum ein
Fischerdorf zu nennen, ist jetzt in eine der blühendsten Städte des
Landes verwandelt, sehen wir im ganzen Westen, welcher vor noch nicht
einmal so langer Zeit noch eine rohe Wildniß war, wo kaum auf einer
Quadratmeile im Durchschnitt gerechnet, ein einziger Indianer sich
nothdürftig ernähren konnte, Tausende von Menschen, meist unsere lieben
Landsleute, vergnügt, glücklich und wohlhabend neben einander wohnen,
sehen wir blühende Städte, fruchtbare Farmen, fahrbare Landstraßen,
schiffbare Flüsse und Kanäle, kurz sehen wir das Ganze gleich einem
schönen Paradiesgarten prangen und das Alles in so kurzer Zeit
entstanden, welches in früheren Zeiten bei Ansiedelungen von neuen
Ländern wenigstens Jahrtausende Zeit nahm, so muß uns dieses nothwendig
in Erstaunen und Bewunderung setzen, und es drängt sich uns von selbst
die Frage auf: Wie war dieses möglich, was waren die Ursachen, welches
waren die Mittel, die dieses Alles bewirkten? Und das gerade ist es,
meine Freunde, was wir untersuchen und womit wir uns bekannt machen
wollen. -- Zuerst wollen wir die Fragen erläutern: 1) was ist Ackerbau?
2) was sind Fabriken und Gewerbe? 3) was ist Handel? 4) was ist Geld?
und 5) was sind Banken?

„Ackerbau verbunden mit Viehzucht, Milcherei etc., ist der achtbarste
Stand in der menschlichen Gesellschaft; durch seinen Fleiß erzieht
er aus der mütterlichen Erde den Grundstoff unserer Existenz,
unsere nothwendigsten Lebensmittel, und nebenbei noch so manches
zur Bequemlichkeit und Annehmlichkeit unseres Lebens, und doch was
wäre dieses Alles, wenn die Handlung nicht wäre? Der Landmann würde
nicht mehr bebauen, als hinreichend wäre, sich und seine Familie
nothdürftig mit Lebensmitteln zu versehen, dabei zerlumpt einhergehen
und keinen andern Genuß haben, als den ihm seine Felder gewährten, und
Neunzehntheile würden unbenutzt liegen.

„Der Fabrikant, Manufakturist und Handwerker, sind diejenigen
nützlichen Glieder eines wohleingerichteten Staates, welche die
Erzeugnisse des Landmannes veredeln, zubereiten und zugleich ihn mit
nützlichen Geräthschaften versehen, um seine Arbeit zu erleichtern.
Doch was wären auch diese, ohne den Handelsstand?

„Der Handelsstand nimmt daher wenigstens den dritten Rang im Staate
ein; er verbindet alle Stände unter einander, führt den Ueberfluß
der einen Gegend in die andere, wo Mangel daran ist. Er ist der
Unterhändler und bewirkt, daß der Landmann seine überflüssigen
Produkte, die er nicht selbst gebraucht, gegen andere nützliche
Sachen vertauscht, ebenso die Arbeiten der gewerbtreibenden Klasse
abnimmt, und sie wiederum mit Produkten und Sachen versieht, die sie
nicht selbst zu erzeugen im Stande sind. Zu diesem Behufe erbaut er
Schiffe und belebt die Gewässer, befördert Kanalbau und Anlegung
von Landstraßen, befrachtet Wagen mit Gütern, setzt Millionen von
Händen in Bewegung, und beschäftigt und ernährt sie. Ist dieser
Stand nun verachtungswürdig? Hat man Ursache uns dagegen anzuhetzen,
in unsern eigenen Eingeweiden zu wühlen und uns mit eigener Hand
unsern Lebensfaden abzuschneiden? Oder ist es vielmehr Pflicht der
Selbsterhaltung, Pflicht für unsere Kinder und Nachkommen, diesen so
sehr wichtigen Zweig, der uns Leben und Nahrung giebt, nach Kräften zu
unterstützen und zu befördern, wie es die ehrwürdigen Väter unserer
Republik und deren würdige Nachfolger thaten? Und, fragen wir zum
zweiten Male, sind die neuen Nachfolger, die wir als Führer unsers
gemeinschaftlichen Wohls erwählt, den Fußtapfen ihrer Vorgänger
gefolgt, oder sind sie abgewichen? Haben sie mehr ihr eigenes, als das
Wohl des Landes besorgt, oder sind sie, statt befördernd, vielleicht
gar zerstörend gegen die höchsten und heiligsten Interessen der
Nation aufgetreten? -- Ueberlassen wir dieses dem eigenen Nachdenken
unserer geliebten Landsleute, und werden wir dieses späterhin genauer
untersuchen, bevor wir uns darüber aussprechen.

„Handel und Wandel, sehen wir, ist daher ein unumgänglich nothwendiges
Bedürfniß für die Menschheit, und ein Land, wie das unsrige, kann
ohne einen ausgebreiteten Handel ganz und gar nicht bestehen, und
wird dieser gestört, oder gar vernichtet, so werden wenigstens drei
Viertheile der hiesigen Bevölkerung auswandern oder verhungern müssen;
der Arbeitslohn wird zu Nichts herabsinken, und wenn das Faß Mehl auf
Einen Dollar kommt, und wir wissen ihn nicht zu verdienen, dann kann
es uns Allen nichts helfen. Wir sehen deutlich, wie weit es schon mit
uns gekommen ist. Unsere Schiffe müßten im Hafen verfaulen, wenn sie
nicht noch größtentheils dazu gebraucht würden, unsere unglücklichen
Landsleute herüber zu transportiren, die es uns aber schlechten Dank
wissen werden, wenn sie erst einmal zur Erkenntniß kommen, die wir
bereits haben sollten, und einsehen lernen, was Recht oder Unrecht war.
Noch liegt es in unsern Händen, ob wir freie und unabhängige Menschen
seyn und bleiben wollen, ob wir unser schönes Land wieder zu seinem
vorigen Glanze erheben und uns durch Fleiß und Thätigkeit, Wohlstand
und Vermögen für unsere alten Tage verschaffen wollen, wie Tausende
unserer frühern Landsleute thaten, oder ob wir ferner uns noch von
besoldeten Treibern, wie eine Heerde Schafe, welche gutmüthig einigen
abgerichteten Lockhammeln in den Stall des Schlächters folgen, wo sie
nach und nach ihren Tod finden, treiben lassen wollen.

„Handel und Gewerbe können nur gedeihen unter höchst möglicher
Freiheit, und wer das eine antastet, versündigt sich an dem andern; er
ist kein Freund des Vaterlandes und wüthet gegen sich selbst und gegen
seine Nachkommen. Um nun aber diesen Handel zu beleben und aufzuhelfen,
dazu gebraucht man Geld.

„Aber nicht bloß die aus Metall geprägten Münzen, sondern Alles, was
einen angenommenen Werth hat, oder Alles, was sich auf einen wirklichen
Werth begründet, und zur Ausgleichung im Handel und Geschäften, statt
des rohen Tauschhandels, gebraucht wird, ist Geld. In den frühesten
Zeiten, und wie es auch noch bei vielen rohen Völkern gebräuchlich ist,
schätzte man so und so viel Schafe, Schweine etc. auf einen Ochsen,
ein Pferd und mehrere dergleichen Sachen. Doch wie die Bevölkerung
mehr und mehr zunahm, reichte dieses Auskunftsmittel nicht mehr hin;
denn wer konnte so ein schwerfälliges Geld immer mit sich herumführen?
Auch brauchte nicht immer ein Jeder gerade Schafe oder Schweine, der
Ochsen zu verkaufen hatte und so umgekehrt, und man sann daher auf
Mittel, Sachen aufzufinden, welche einem Jeden lieb und angenehm waren.
Anfangs gebrauchte man schöne Steine, Perlen, Muscheln, Spezerien etc.
hierzu. Zuletzt verfiel man auf die edlern Metalle, Gold und Silber,
weil diese ihres schönen Glanzes und ihrer leichten Bearbeitung wegen
allgemein beliebt waren, auch weil sie nicht sehr häufig in einem
allgemeinen Werthe standen. Man zertheilte sie in Stücke jeder Form,
nur von verschiedener Größe und Gewicht, gravirte oder prägte, gewiß
Anfangs sehr roh, auf die größern das Bildniß von Ochsen, Pferden etc.
auf die kleinern Schafe, Schweine und dergl. Dieses war die erste
Entstehung unserer jetzigen Münzen. Diese Erfindung erleichterte
den Austausch, Handel und Gewerbe allgemein, so daß die Herrscher
damaliger Zeit, den Werth dieser Einrichtung erkennend, diese edeln
Thiere bald von ihrem Platze verdrängten, den Münzen eine regelmäßige
Form, meistens die runde, wie wir sie noch jetzt sehen, gaben, und ihr
eigenes Bildniß darauf prägen ließen. Solche Münze nun war mehrere
Jahrtausende hindurch dasjenige, was wir Geld nennen, und aller Handel
und alle Geschäfte wurden hiermit betrieben. Doch war im Laufe der
Zeit, wo sich so Manches verändert, da die Bevölkerung sich immer mehr
und mehr ausdehnte, auch die Transportirung und Versendung dieses
Geldes mit vielen Schwierigkeiten verknüpft. Plünderungen, Beraubungen,
Verluste durch Schiffbruch und mehrere andere Hindernisse erschwerten
den Verkehr ungemein, und man sann wiederum auf Mittel, auch diesem
Uebelstande abzuhelfen. Da nun Mancher an einem Orte für erhaltene
Waaren zu zahlen hatte, vielleicht Andere des nämlichen Orts, oder der
Gegend, wiederum hier schuldeten, so glich man sich durch schriftliche
Anweisungen aus, ohne daß ein Thaler dabei angerührt wurde, und
hieraus entstanden die nachherigen Wechsel oder Wechselbriefe, die man
bald so bequem fand, daß man sich fast allgemein im Verkehre dieser
Art zu zahlen bediente. Zu noch größerer Bequemlichkeit fanden sich
bald Leute, welche solche Wechselbriefe von Andern einkauften, sie
vorräthig hielten, und man nach Belieben gegen eine geringe Provision
sie stets auf die vorzüglichsten Handelsplätze haben konnte. Diese
Leute nun nannte man Wechsler, oder auf französisch: ~Banquiers~.
So sehen wir nun, theure Landsleute, wie unser allgütiger Schöpfer
Alles so weise geordnet hat, wie er dafür sorgt, daß, so wie seine
Geschöpfe sich vermehren, sie selbst durch den Gebrauch ihrer, uns
von ihm verliehenen Vernunft Mittel und Wege erdenken, die es möglich
machen, daß so viele Menschen ernährt werden und ihr Auskommen finden.
Und dieses sollten wir nicht dankbar erkennen und wider unsere Vernunft
und Gewissen uns anhetzen lassen gegen die Beförderer des menschlichen
Wohls? -- Nimmermehr wird dieses ein braver deutscher Mann über sich
vermögen, der in seinem Vaterlande eine gute Erziehung und guten
Schulunterricht genossen hat, denn der Deutsche ist von jeher für
bürgerliche Ordnung, Sittlichkeit und gesetzliche Freiheit gewesen.

„Um nun wieder auf den Gegenstand, das Geld, zurückzukommen, so muß
dieses ebenfalls frei und unabhängig seyn und sich selbst reguliren.
Keine gerechte und vernünftige Regierung darf sich, ohne das Wohl des
Ganzen zu untergraben, einen Gewaltgriff hinein erlauben, als nur in so
fern sie die polizeiliche Aufsicht darüber führt, daß keine Mißbräuche
entstehen. Wo sie solche bemerkt, stelle sie diese ab, stürze aber
nicht ein ganzes Gebäude, welches aufzurichten, Zeit und Mühe gekostet
hat, weniger schadhafter Ziegeln oder Schindeln wegen, über den Haufen.
Niederreißen ist immer leichter, denn Aufbauen; man stelle das Dach
her, und das Haus wird wohnbar seyn und bleiben, wie vorher. Geld ist
in der Waagschale gegen Arbeitslohn und Mühe, oder menschlichen Fleiß,
was die Gewichtstücke gegen Waare sind; beides muß sich gegen einander
balanciren. Jetzt, liebe Freunde, kommen wir wiederum zu Einrichtungen
und Anstalten, welche das Bedürfniß der Zeit ebenfalls herbeigerufen,
und welche gewiß eben so wohlthätig und zweckmäßig zur Beförderung
menschlicher Glückseligkeit mitwirken, als alle vorhergehenden, d. h.
wenn sie ihrer Bestimmung entsprechen, nicht gemißbraucht, aber auch
nicht ungerechter Weise angegriffen und verfolgt werden; diese sind die
Banken!

„Sie sind verschiedener Art, als: Leihbanken, Wechselbanken, Sparbanken
etc., und auch nicht in allen Ländern überein; doch machen wir uns
hauptsächlich mit den Banken unseres Landes bekannt und lernen
ihren Zweck kennen. Es sind Anstalten, wo mehrere Männer, welche
Geld besitzen, es aber gerade nicht selbst zu eigenen Geschäften
gebrauchen, demohngeachtet aber nicht unbenutzt liegen lassen und es
dem allgemeinen Wohle entziehen wollen, und dieses zusammen legen.
Der Zweck davon ist nun: dem Handelsstande, dem Gewerbtreibenden und
Farmer in Fällen eintretender Verlegenheit zu unterstützen, und ihm
zu seinem bessern Fortkommen behülflich zu seyn. Zum Beispiel: Ein
Kaufmann sieht die Produkte seines Landes oder andere Erzeugnisse
des Fleißes durch Ueberfluß derselben, oder Mangel an Absatz in sehr
niedrigem Preise und weiß, wenn er diesen oder jenen Artikel, in
dieser oder jener Gegend oder dem und dem Lande hätte, wo vielleicht
Mangel und Nachfrage darnach ist, er einen guten Nutzen dabei haben
würde, seine Kräfte aber reichen in dem Augenblicke nicht so weit,
weil er seine Gelder ausstehen hat; nun geht er zu einer Bank, wo er
als ein rechtschaffener und zahlungsfähiger Mann bekannt ist, bekommt
gegen eine schriftliche Versicherung oder Note auf gewisse Zeit Gelder
vorgestreckt, kann nun seinen Zweck erreichen, und zur abgelaufenen
Zeit seine Note wieder einlösen, und, indem er selbst verdient,
verschafft er seinen Nebenmenschen Absatz und versieht sie mit Geld,
damit sie auf’s Neue weiter arbeiten können.

„Ebenso der Fabrikant und Handwerker, der sein Geschäft etwas in’s
Große zu treiben und mehrere Menschen zu beschäftigen wünscht. Für den
kommt wohl einmal eine Zeit, wo seine verfertigten Waaren nicht so
raschen Abgang finden, jedoch ist er fest überzeugt, daß, nach Verlauf
einiger Zeit, sie für sein Fach günstiger werde und er vielleicht
mehr absetzen könne, als er vorräthig habe; er ist jedoch nicht im
Stande, es durchzusetzen und muß mit blutendem Herzen seine Arbeiter
und Gesellen gehen lassen, welche nun außer Stand gesetzt werden, sich
selbst oder gar ihre Familien zu ernähren und oft zu den niedrigsten
Arbeiten, die sie nicht gewohnt sind, greifen müssen, um nur ihr Leben
zu fristen, oder gar Frau und Kinder verlassen und Vagabunden und
Bettler werden. Ist das nicht schrecklich, und stehen wir nicht leider
schon auf diesem Punkte? Wollen wir noch weiter gehen? -- Ist nun aber
ein solcher Handwerker oder Fabrikant in einer guten Bank bekannt,
oder hat er einen guten Freund, der seine Rechtschaffenheit, seine
Zahlungsfähigkeit kennt und seine Noten mit unterschreibt, so kann oder
konnte er vielmehr einen Vorschuß erhalten, womit er seinen Arbeitern,
wo nicht ganz, doch so viel bezahlen, wie die Nothdurft erforderte.
Aenderten sich nun die Zeiten, konnte der Meister oder Fabrikherr
seine Waaren verkaufen, so konnte er seinen Gehülfen den rückständigen
Lohn auf einmal auszahlen, und Mancher bekam so viel, daß er für sich
selbst aufsetzen und Leute halten konnte; so war es, aber so ist es
nicht mehr. An uns liegt es aber, es wieder dahin zu bringen, wenn
wir wollen, und Tausende von unsern Landsleuten sind auf diese Art zu
Männern geworden; war das nicht gut?

„Wenn ein Farmer, ein Landmann, einer gesegneten Erndte entgegensieht,
wenn ihm nichts fehlt, als Hände, sie hereinzuschaffen, diese Hände
aber Geld haben, und leben wollen, sein Kapital aber zu Ende ist, und
er die Gaben Gottes verfaulen sehen muß, wie muß ihn dieses betrüben
und wie nachtheilig ist es für das Ganze. Kann er nun aber zu einer
solchen Bank gehen, die ihn kennt, welche weiß, daß er zahlungsfähig
ist, sobald er geerndtet und verkauft hat, und ihm etwas Geld
vorschießt; ist das nicht lobenswerth? Auch wenn Einwanderer etwas
Geld mitbrachten und wollten sich dafür ein Grundeigenthum kaufen, so
konnten sie immer, wenn sonst der Platz gut, und der Verbesserung fähig
war, zwei Drittheile darauf geliehen bekommen. Die Banken kündigten
nicht leicht das Kapital auf, wenn sonst die Zinsen richtig bezahlt
wurden, und konnten sie nach und nach davon abtragen, bis sie ihr Gut
frei hatten, welches leider aber jetzt Alles gestört ist.

„Diese Banken nun sind durch alle Theile und Staaten unseres
ausgedehnten Landes verbreitet und es sind deren besonders viele in
neuerer Zeit durch den Umsturz der Hauptbank unseres Landes entstanden,
vielleicht mehr, als das Bedürfniß erfordert; doch sie sind einmal da,
gesetzlich durch unsere Regierungen erlaubt und von Bürgern gegründet,
von Bürgern gleich uns, und ist es nun nicht himmelschreiend, wenn
einzelne Menschen, ja leider Deutsche zum Theil selbst, ihre Landsleute
mit Vorurtheilen, Verdrehungen, ja sogar den gröbsten Lügen gegen ihre
Mitbürger erfüllen, und „Krieg gegen die Banken“! „Krieg gegen die
Geld-Aristokraten“ -- Etwas, was sie selbst nicht einmal verstehen
-- zu ihrem Feldgeschrei machen, und Bürger gegen Bürger aufhetzen?
Können diese Vaterlandsfreunde, können diese gute Menschen seyn? --
Kehren wir wieder zu den Banken zurück. Diese kleineren Banken sind
geeignet, den Verkehr im Innern zu beleben, aber auf das Ausland können
sie nicht wirken, da sie zu unbedeutend sind. Selbst in unserm eigenen
Lande nimmt man die Noten oder Wechsel entfernter Banken, die man nicht
kennt, welche aber vielleicht in ihrer Gegend recht gut und sicher seyn
mögen, entweder gar nicht oder mit großem Verluste, und dieses ist das
Uebel, woran wir jetzt leiden.“

„Die größern Städte dieses Landes, wie ~New-York~,
~Philadelphia~, ~Baltimore~ etc. sind gleichsam wie unsere
Meßorte in Deutschland zu betrachten. Die Kaufleute des Innern pflegen
alle Frühling und Herbst diese Orte zu besuchen, um ihren Bedarf an
Fabrik- oder Manufaktur-Waaren für ein halbes oder ein ganzes Jahr hier
einzukaufen, entweder gegen baar, oder gegen Kredit, und ihre zuvor
gemachten Schulden zu bezahlen; hierzu sind sie aber jetzt außer Stand
gesetzt. Gold und Silber ist nun einmal so viel nicht da, und kein
Präsident und keine Regierung kann uns dieses verschaffen, wie wir
gesehen haben; auch würde es den hundertsten Theil nicht ausreichen,
den Handel und Verkehr im Großen zu beleben. Das Wenige, was da ist,
hält das allgemeine Mißtrauen zurück, jedoch wird es alsobald wieder
in Umlauf kommen, so wie das Vertrauen wieder hergestellt, und wir
wieder eine, von der Regierung unabhängige Hauptbank haben, nämlich wie
unsere vorige war; Verbesserungen, wie sie Zeit und Erfahrung an die
Hand gegeben, mit zugerechnet, welche Kapital und Kredit genug besaß,
um den Handel und Wandel im Großen zu unterstützen, deren Papiere nicht
allein im ganzen Lande, sondern sogar im Auslande sehr gern genommen
und überall so hoch und höher noch als Silber standen. Hatten nun die
Kaufleute hier oder an andern Orten etwas zu zahlen, so konnten sie
immer Noten dieser Bank gegen diejenigen ihrer Gegend einwechseln, und
überall damit auskommen; jetzt aber ist ihnen der Weg versperrt, und
sie kommen lieber gar nicht, ehe sie 25 pCt. und darüber an ihrem Gelde
verlieren. Sie haben Mangel an Waaren, und ihr Geld liegt nutzlos und
wir haben Ueberfluß an Waaren, und Mangel an Geld, und können uns doch
einander nicht helfen. Ist dieses eine gute Zeit zu nennen? Wollen wir
noch weiter hineinrennen, oder haben wir an der Probe genug?“

„Als wir mehrere Jahre hintereinander Mißwachs und Theuerung hatten,
hätten wir verhungern müssen, wenn der Handelsstand uns nicht aus
entfernten Ländern Früchte und Lebensmittel zugeführt hätte; diese
müssen nun aber bezahlt werden, wenn man ehrlich bleiben will. Hätten
wir nun unsere Hauptbank noch gehabt, so konnten wir dieses mit
Wechseln bezahlen, bis wir Gelegenheit fanden, wiederum von unsern
Produkten auszuführen und diese Wechsel damit einzulösen; jetzt aber
muß dieses Alles in Gold und Silber geschehen, denn unsere kleinen
Noten, denen wir selbst nicht trauen, werden sie im Auslande nicht
nehmen. Und nun frage man noch, warum Gold und Silber rar wird? Es wird
und muß noch rarer werden, je länger wir einer Parthei anhängen, die
uns leider nur schon zu lange irre geleitet hat etc.“

Ich selbst muß gestehen, daß dieser Aufsatz, welchen ich um der
Kürze willen nur zur Hälfte wiedergegeben, mich mit den Banken
ausgesöhnt, und für eine allgemeine, von sämmtlichen Staaten garantirte
Nationalbank umgestimmt hatte. -- „Wo ist aber die Garantie?“ rufen
die Gegner aus: „Was wollen die sämmtlich bankerottirten Staaten noch
verpfänden?“ und, fahren sie fort: „daß eine Nationalbank, ebenso
wie die jetzigen kleinen Banken, ihre sittenverderbende Macht zum
Nachtheil des Volkes ausüben wird, und schon während ihres Bestehens
ausgeübt hat, legt klar die Geschichte dieses Landes vor Augen und
entdeckt ein Blick in den Gang und die Wirkungen des Banksystems.
Aus unwiderlegbaren Thatsachen wissen wir, daß gerade der Handel der
Verein. Staaten am schwankendsten gewesen ist, und die Zeiten am
schlechtesten waren, als die Banken in voller Thätigkeit wirkten und
mit Papier über Papier das Land überschwemmt wurde. Die Geschäfte
gingen zwar, und Mancher verdiente viel. Aber was? Papier, und damit
konnte er sich nur eine papierene Glückseligkeit verschaffen. Auf eine
künstliche Höhe wurde Alles geschraubt, in unverhältnißmäßigen Preisen
wurden alle Dinge verkauft, im Schwindel war die Sache begonnen, im
Schwindel wurde sie fortgeführt und endlich bekam Alles den Schwindel
und stürzte zusammen. Den Papiermühlen fehlte das Wasser und es
war ihnen unmöglich, mehr Geld zu fabriziren; die Kaufleute hatten
noch einige Lumpen in der Tasche und schauten mit sehnsuchtsvollen
und schmachtenden Blicken nach Großbritannien, wo die Früchte ihrer
Bemühungen und ihr Geld gefressen wurden; nur die Eingeweihten und
Getauften der Bank blieben ruhig, schnitten zwar ein bitteres Gesicht
mit, setzten aber im Stillen ihr Werk fort und dachten: wir angeln
den großen Fisch als unsern Braten doch noch. So erging es schon oft
unserm Lande und so wird es ihm noch oft ergehen, wenn das Bank-
oder Kredit-System noch länger fortgelten sollte, bis endlich die
~Whigs~ ihre Absichten erreicht, die Oberhand gewonnen und die
Masse des Volkes zu ihren Arbeitern und Knechten erniedrigt haben.“

„Die ~Whigs~ sagen uns zwar, ohne Banken könne dieses Land nicht
bestehen, das Papiergeld sey zum Betreiben und Aufblühen des Handels
nothwendig und befördere auf diese Art den allgemeinen Wohlstand;
denn wenn Handel und Gewerbe im Aufblühen seyen, so verdiene auch der
Handwerker und Arbeiter und könne sich desto leichter etwas erwerben
und ein bequemes Leben verschaffen. Wenn man dieses so oberflächlich
anhört, so glaubt man Anfangs, es verhalte sich allerdings so, und
wird beinahe geneigt, den Banken zu huldigen. Spürt man aber dem Dinge
weiter nach, so findet man, daß allerdings die Banken den großen
Fabrikherren und großen Handelshäusern dienlich seyn können, daß aber
auch bald die großen Fabrikherren die kleinen, die großen Handelshäuser
die kleinen auffressen, und der Handwerker und Arbeiter nichts anders
wird, als ein Sklave, eine bemitleidenswürdige, traurige Kreatur dieser
harten Geld-Seelen, daß diese Geld-Aristokraten sie in ihren Klauen
halten, und ihnen nur so viel geben, als sie bedürfen, um nicht zu
verhungern etc.“

Eine andere Zeitschrift, welche diesen ernsthaften Gegenstand
bespricht, zieht ihn ins Lächerliche, und bringt unter der
Ueberschrift: „Schönheiten des Bankwesens“ Folgendes zur Kenntniß des
Publikums:

„In der Stadt ~New-York~ hat sich unter dem allgemeinen
Bankgesetze auch eine „~City-Trust-~ und ~Banking-Company~“
gebildet, die zufolge der bestehenden Bankschwindelei-Gesetze in
zwölf Monaten zahlbare Postnoten ausgiebt und dieselben namentlich im
Lande zahlreich auszubreiten sucht. Hinter den Worten „~promise to
pay~“ steht mit ganz niedlichen, für bedachtlose Augen unsichtbaren
Buchstaben: „~12 months after date~.“ Die Geschichte dieser Bank
wird so erzählt: Die ~City-Trust-~ und ~Banking-Company~
deponirte anfänglich für 2000 Dollars ~Arkansas State-Stocks~
und erhielt dafür vom Kontroleur 1200 Dollar-Noten. Jetzt ging das
Bankgeschäft los. Zuerst wurde für 22 Dollars eine Kiste gekauft,
wofür sie die 22 Dollars in Postnoten zahlte. Der Koffermacher wußte
sich davon 20 Dollars vom Halse zu schaffen und verlangte für die
übrigen zwei Dollars courantes Geld, was die Kompagnie verweigerte.
Dann wurde ein ehrbarer Tischler angenommen, um das Bankzimmer
einzurichten. Er that es, konnte aber seine Bezahlung nicht eher
erhalten, als bis er die Kompagnie durchzuprügeln drohte. Jetzt fing
man an Deposit-Certifikate auszugeben, die Herr ~Ackermann~,
ein Halbbruder des Kompagnie-Präsidenten ~Munson~, fleißig
unterzeichnete; und hie und da gingen nun die Postnoten ins Land,
um Produkte damit einzukaufen. Dies erreicht, machte sich Präsident
~Munson~ rückenfrei, dankte ab und gründete ein anderes liebes
Bank-Institut, die „~North-Amerikan-Banking Co.~“ -- Diese neue
Bank befindet sich eine Treppe hoch über der ~Trust-Co.~, doch
wollte der Maler das ausgefertigte Schild nicht ausliefern, wenn er
nicht vorher bezahlt werde. -- ~Sail ho!~“

~Sylvester’s Reporter~ und ~Counterfeit Dotektor~, machten
eine Liste von 152 Banken bekannt, welche gebrochen waren. Der Betrag
der zirkulirenden Noten dieser Banken betrug in der Durchschnittssumme
für jede Bank 250,000 Dollars, zusammen also die ungeheure Summe von
achtunddreißig Millionen Dollars, „welche sich nun nutzlos in den
Händen des Volks befinden.“

Wiederum ein anderes Blatt bemerkt:

„Um betrügerisches Bankwesen zu hindern, hat die Gesetzgebung von
~Mississippi~ verordnet, daß alle diejenigen, welche von Banken
borgten, dieselben mit ihren Noten abbezahlen können, gleichviel
ob diese Noten noch einigen Werth haben oder nicht. Es ist dies
ein sehr zweckmäßiger und durchgreifender Schritt, um die Pflanzer
~Mississippi’s~ aus den Händen der Bank-Spekulanten zu retten.
Man gab so viele Noten aus, daß an Wiedereinlösung derselben nicht
zu denken war. Kurz darauf brachen die meisten Banken, oder ihre
Noten fielen mehr als die Hälfte im Preise; dennoch blieben die
Zahlverbindlichkeiten der Schuldner an die Banken unvermindert,
und es ist daher bloße Gerechtigkeit, daß diejenigen, welche eine
betrügerische Masse Noten für voll ausgeben, dieselben für voll wieder
zurücknehmen. Hier reduzirt sich also der ausposaunte Reichthum auf
dem einfach natürlichen Wege zu seiner wahren Substanz. Wenn der
verschuldete Pflanzer vor seinen Bankgläubiger tritt und ihm die
schönen Bilderchen zurückgiebt, so kann er sagen: Du hast mir für
50,000 Dollars Nichts geborgt, hier hast du für 50,000 Dollars nichts
wieder. Das Beste ist, alle diese Wische ins Feuer zu werfen.“

Doch damit nicht diesem Briefe ein Gleiches wiederfahre, da ich zu
lange schon bei einem Gegenstande verweilte, welchen ich aber dem
Auswanderungslustigen nicht vorenthalten durfte, damit solcher sehe,
welche papierne Glückseligkeit seiner warte, so gehe ich zu meiner
eigenen Angelegenheit im nächsten Schreiben über, und werde, wie es die
Gelegenheit giebt, Landesverhältnisse einzuflechten suchen.



Zweiundvierzigster Brief.

Fortsetzung.

(+Hausbau+.)

    Im Dezember 1840.


Nachdem der Brennapparat bis auf die nöthigen Dampf- und
Wasserleitungs-Röhren angefertigt war, wünschte ich zu erfahren, in
welcher Brennerei er aufgestellt und erprobt werden solle, worauf mir
die Kunde wurde, daß ~Mr. Benson~ im Blumthal (einer Vorstadt
~New-Yorks~), ein Haus dazu gemiethet habe. Auf mein Bemerken,
daß dieses nicht hinreichend sey und es rathsamer wäre, diese Probe
in einer im Betriebe seyenden Branntweinbrennerei vorzunehmen, da
dieses viel weniger Kosten verursache, indem das fertige Maischgut dazu
benutzt werden könne, wurde mir erwidert, daß hier von Geldersparen
keine Rede sey, und man nicht wünsche, daß außer den betheiligten
Personen ein Anderer die Nase in das projektirte Unternehmen stecken
solle. Ich möge daher nur Alles zum Brennerei-Betriebe Nöthige ordnen,
das Gebäude dazu umschaffen, Fässer, Kübel und Bottiche ankaufen und
jedes Mal am Ende der Woche in Rechnung bringen und das weiter nöthige
Geld in Empfang nehmen.

Herr, Dein Wille geschehe! dachte ich. Jetzt war ich ganz in meiner
Sphäre, und da keine Kosten gescheut wurden, so wurde Alles auf das
Beste und Bequemste nach meiner Angabe eingerichtet. -- Daß es hierbei
nicht ganz ohne Aerger abgehen konnte, läßt sich denken. Da mir Alles
allein übergeben war, so war meine Gegenwart überall nöthig und bei
mangelnder Fertigkeit der Sprache konnte ich mich oft nur undeutlich
expliziren, wurde daher mitunter falsch verstanden und mußte, wenn ich
den Maurern am Abend ihre nichtsnutzige Arbeit wieder zusammengetreten,
oft den andern Morgen selbst mit Hand an das Werk legen und ihnen so
die Sache begreiflich zu machen suchen.

Hier wurde mir auch die Ueberzeugung, daß die Maurer in Amerika, wie
bei uns, wenn Arbeiten nicht verakkordirt worden sind, sich dabei
nicht übernehmen; und findet auch hier die Sitte nicht Statt, während
der Arbeit zu rauchen, weshalb der nasse Schwamm überflüssig wird, so
erfordert doch das Wechseln der Bremen und das Ausfüttern der Backen
mit Taback, seine gehörige Zeit, und es ist hier wie dort: Wurst wie
Schale. --

Dagegen sieht man staunend, was der Mensch vermag, wenn er muß.

Zwei Häuser unter unserer Brennerei wurde ein nicht mehr zum Geschäft
benutztes Zuckersiederei-Gebäude abgetragen, um auf dieser Stelle ein
großes Wohnhaus aufzubauen. Schon die Art und Weise des Einreißens
war mir neu. Nicht bedächtig, wie bei uns, wurden Sparren, Balken und
Bleichen eingenommen und zum weitern Gebrauche einstweilen bei Seite
gesetzt; sondern dieses große Gebäude wurde für vogelfrei erklärt,
so daß mit einem Male eine Masse Menschen darüber herstürzten, und
binnen kurzer Zeit nichts mehr vom Holzwerke zu sehen war. Mit
wahrer Verwegenheit riskirte man dabei das Leben, denn während die
Umfassungsbleichen herabgeworfen wurden, suchte unten Einer dem Andern
die Stücke zu entreißen.

Auf meine geäußerte Verwunderung, daß man dieses Holz so Preis
gebe, wurde mir gesagt, daß das Wegreißen und Wegschaffen des alten
Bau-Materials durch bezahlte Leute mehr Arbeitslohn betragen würde,
als die Sachen selbst werth seyen, daher man, um sich dieser Ausgabe
zu entledigen, zwei Wege wähle, entweder man brenne so eine alte
Holz-Baracke, welche einem steinernen Hause Platz machen solle,
nieder, oder gebe, wie ich eben jetzt gesehen, das Gebäude zum
allgemeinen Besten. Das Erstere gewähre noch den Vortheil, daß man
aus der Brand-Assekuranz ein Sümmchen zu heben habe, und deshalb die
täglichen Feuerunglücke, oder besser Glücksfälle, da die Sachen in
verschiedenen Anstalten hoch genug versichert seyen, entständen. --
Eine nachahmungswürdige Sache!

Die Gelegenheit, einen solchen Neubau ganz von vorn herein entstehen zu
sehen, kam mir recht zu Passe, und jede Stunde, welche ich bei meinen
Leuten abkommen konnte, ward benutzt, mich mit der amerikanischen
Manier zum Bauen bekannt zu machen.

Wie das Niederreißen, ebenso waren die Erdarbeiten von den unsrigen
verschieden. Keine Schuttkarre, durch Menschen gefahren, kömmt in
Anwendung, um damit das Erdreich aus der Vertiefung auf einen Haufen
zu fahren, und da fest getreten, solches von Neuem aufzuhacken und zum
weitern Transport auf Wagen zu laden, welche, wie bei uns, mit 1½
Bret versehen, sich besser zu Stein- als zu Schutt-Fuhren eignen,
sondern man bedient sich hierzu zweckmäßiger, einspänniger zweirädriger
Karren, welche rund herum gut verwahrt, das bestimmte Quantum aufnehmen
müssen und solches, ohne halb auf der Straße zu verlieren, sicher auf
den bestimmten Platz befördern. Die Fuhrleute, welche selbst für die
nöthigen Gehülfen zum Aufladen zu sorgen haben, fahren sogleich auf den
zum Ausgraben bestimmten Platz, und suchen sich mit der zunehmenden
Tiefe die schräge Ausfahrt so lange zu erhalten, bis die Nothwendigkeit
eintritt, selbst diesen Weg in Angriff zu nehmen, und das unmittelbare
Einladen in die Karren nicht mehr möglich ist, worauf man den letzten
Rückstand mit der Schaufel einander zu- und auszuwerfen sucht. Diese
Arbeit geht wie Alles, äußerst schnell, da eine gehörige Anzahl
Fuhrwerke die zum Aufladen angenommenen Arbeiter immer beschäftigt und
der Bau-Unternehmer dabei nichts weiter zu thun hat, als die Anzahl der
gethanen Fuhren zu notiren.

Bruchsteine werden wenig zum Bau verwendet, da das Behauen dieses
Materials zu theuer ist, und man daher den gebrannten Backsteinen den
Vorzug giebt. Eben so wenig wird Lehm, Thon oder gar schwarze Erde,
wie es mitunter bei uns geschieht, als Bindungsmittel benutzt, sondern
Alles mit Sandkalk gemauert. Das Löschen in Gruben vor dem Verbrauche,
wie es bei uns Sitte ist, in der Meinung, daß durch das Auf- und
Ausquellen der Kalkmasse das Volumen und die Güte desselben zunehme,
stimmt nicht mit der Ansicht des Amerikaners überein. -- Ist ein Haufen
Sand muldenförmig ausgebreitet, so kömmt der noch ungelöschte, und in
Fässern verwahrt gewesene Kalk hinein, wird mit wenig Wasser benetzt,
und sogleich, nach Art des Aeschermachens zum Seifenkochen, mit der
übrigen Masse bedeckt. Hierdurch, während des Löschens von der Luft
abgesperrt, und von einer unnöthigen Wassermasse befreit, glaubt man
den Bindestoff der Kalkmasse zu erhöhen, und ist Letztere gut mit
dem übrigen Sande vermischt, so hält sich diese bis zum Verbrauche
fertige Substanz schmierig und gelind, wie die bei Neubauten vorräthig
aufgethürmten Haufen bezeugen.

Das Trommeln auf den Gelten, um das Leerseyn derselben zu bekunden,
in welcher Zeit des Füllens der Maurer in der Regel ruht, kennt man
ebenfalls in Amerika nicht. Man geht hier von der Ansicht aus, daß
die Handlanger nicht deshalb am Baue seyen, um die Arbeit der Maurer
zu erleichtern, oder was noch schlimmer wäre, in ihrer Faulheit zu
bestärken, sondern durch zweckmäßiges Eingreifen das Ganze zu fördern.
Deshalb fallen auch hier die Krahne mit den Seilen zum Aufziehen der
Steine und des Kalkes weg, weil schon das Abnehmen auf dem Gerüste die
kostbare Zeit eines andern Arbeiter in Anspruch nehmen würde. Jeder,
zum Herbeischaffen des nöthigen Materials beauftragte Gehülfe, ist
daher mit einem Tragkasten versehen, welcher aus zwei 24 Zoll langen,
im Spitzwinkel zusammengenagelten Bretern besteht, die an der Rückseite
mit einem Boden und unter der vordern Oeffnung mit einem Stiel versehen
sind. Zwanzig Backsteine füllen den Raum des Kastens und mit solchen
auf der Achsel, steigt der damit Befrachtete auf der schwankenden
Leiter bis in die obersten Stockwerke des Gerüstes, wo er seine Last
zwischen die alle 8-10 Fuß von einander aufgestellten Sandkalk-Kasten
niederlegt, oder die Letztern mit neuer Masse speist, da es den mit
Mauern Beschäftigten nie an Material fehlen darf.

Nur solche Ziegelsteine, welche zum Belegen von Trottoirs gebraucht
werden, haben die Größe, daß zwei genau so breit sind, wie einer
lang ist. Mauer-Backsteine sind aber etwas schmäler, welches den
Vortheil gewährt, daß man ein, sich dem festen Lager der Ziegel
entgegenstemmendes Sandkorn in der Kalkmasse, nicht wie bei uns, mit
den Fingern herauszugrübeln nöthig hat, sondern dasselbe mit dem Steine
zwischen die Fuge schiebt, wo es ohne zu geniren, Platz findet.

Die Kelle, welche den Hammer mit ersetzt, ist während des Gebrauches
wie in die Hand gewachsen, und der Arbeiter trägt mit derselben
sogleich in der ganzen Länge der ihm angewiesenen Distanz den Sandkalk
auf, legt mit der linken Hand den Ziegelstein ein, und während diese
Hand wieder nach einem andern Steine greift, streicht die Kelle den an
der äußern Seite vorgedrungenen Kalk ab und an die Steinseite an. Diese
Manipulation geht so schnell, daß es Einem erklärlich wird, wenn man
hört, daß bei solch einer Arbeit ein Mann täglich 3000 Ziegelsteine
vermauern muß, um bei Akkord-Arbeit das gewöhnliche Tagelohn zu
verdienen. Ja, es ist in ~New-York~ allgemein bekannt, daß bei
einer Wette an der Wasserleitung ein Maurergeselle von 7-12 und von
1-6 Uhr, 4000 Ziegelsteine kunstgerecht verarbeitet haben soll. Die
Entrepreneurs der Bauten stellen an beide Flügel der zu errichtenden
Mauer solche Matadore an, welche genau das Loth im Auge behalten, und
die längs der Front ausgespannte Schnur bei jeder Backstein-Schicht
vorwärts stecken, wodurch die in der Mitte der Mauerfront angestellten
Arbeiter immer genöthigt sind, gleichen Schritt zu halten; denn ein
Mal zurückgeblieben, ist es keine Möglichkeit, wieder nachzukommen, und
so bedingen eine Paar gute Vormänner die Geschwindigkeit, mit welcher
die andern Gehülfen arbeiten müssen.

Wie leicht, und mit welcher Kühnheit, zwei und dreistockige Häuser
aufgeführt werden, ist erstaunt. Nicht selten sind die Umfassungsmauern
im Erdgeschoß zwei, im zweiten Stockwerk 1½ und höher hinauf gar nur
einen Backstein stark, und dabei stehen die Mauern nach allen Seiten zu
kerzengerade in die Höhe, welches erklären läßt, daß man ein solches
Haus, welches zwischen zwei andern Gebäuden eingeklammert ist, ohne
eines oder das andere Nebenhaus zu beschädigen, in die Höhe schrauben
kann, wie ich weiter unten im Briefe berühren werde. -- Gewölbte Keller
kommen in der Regel nicht vor, und man begnügt sich, eine Balkenlage,
gleich wie in den andern Stockwerken, zu legen; werden jene bei einem
Neubau verlangt, so kommen sie vor das Gebäude unter das Pflaster der
Straße. Lassen dieses aber Lokal-Verhältnisse, wie Kanäle etc. nicht
zu, so bringt man dieselben im Gebäude unter dem Souterrain an, da
solches gewöhnlich noch zu bewohnbaren Pieçen benutzt wird. Um das
nöthige Licht zu erhalten, ist längs des Gebäudes vier Fuß breit bis
zur Souterrain-Tiefe ausgegraben und vor der Grube der Trottoir mit
schönen eisernen Spalieren eingefaßt, womit auch die äußern Treppen
versehen und verziert sind, welchen Glanz die angebrachten messingenen
blanken Knöpfe noch erhöhen. -- Bei Gebäuden höherer Stände sind meist
auch die Treppen, wie die Thürschwellen und Säulen, wenn nicht gar ein
geschmackvoll mit Säulen verzierter Vorbau vorhanden ist, von weißem
Marmor aufgeführt.

Von Anfertigung einer Zulage, wie solche bei einem deutschen Hausbau
die Zimmerleute vornehmen, weiß der Amerikaner nichts; eben so wenig
versteht solcher mit einem unbehauenen Baumstamm, welcher die Axt und
das Breitbeil des deutschen Zimmermanns nöthig macht, umzugehen, da die
Sägemühlen alle diese Mühen ersparen und besser als es bei uns durch
Menschenhände geschieht, zum Hausbau vorarbeiten. Zu allen Häusern
werden fertig geschnittene Balken und Säulen verwendet, und dieses
Holz sogleich nach Bedarf auf die Baustelle geschafft. Die Balken
sind in der Regel nur drei Zoll stark, aber 12-16 Zoll breit, und
werden alle 18-20 Zoll auseinander auf die hohe Seite in das Mauerwerk
eingelegt. Die Schiedbleichen im Innern des Hauses bestehen gewöhnlich
nur aus drei, selten aus vier Zoll starken Säulen, welche drei Fuß
auseinandergestellt, durch schräg eingenagelte Riegel mit einander
verbunden werden, und so jeder Riegel ein Band bildet, welches das
Gebäude vor dem Schieben schützt. Gelocht und gezapft wird nichts,
sondern Alles gut mit eisernen Nägeln verwahrt. Die Schiedbleichen,
wie die Balkenlagen bleiben hohl, da man Erstere nicht ausmauert und
Letztere nicht schalt oder windet, wodurch wegen Beseitigung der
Steinmassen zum Ausmauern der Bleichen, der Strohlehm-Verblendung
und des Brechannen-Tünches, so wie der Schutte unter den Dielen, dem
Gebäude eine bedeutende Last entzogen wird. -- Die Fußböden werden mit
starken, gespundeten Bretern gedielt, die Decken, wie die Bleichen mit
dünnen ½ Zoll breiten Latten so benagelt, daß zwischen einer Jeden
etwas Spatium bleibt, wohinein der aufgetragene Kalk sich theilweis
drückt, und um so besser hält. Man geht bei diesem Verfahren, Alles
hohl zu lassen, von der Ansicht aus, daß erstens der Bau bedeutend
billiger komme, und dann auch, daß die im Innern des Hauses in
Zwischenräumen abgesperrte Luft die Zimmer eben so warm halte, als es
bei ausgemauertem schwachen Bleichwerk der Fall sey.

Gebrannte Dachziegeln kennt man nicht, da ein Ziegeldach schwerlich
von den leichten Bauten getragen werden könnte und gewöhnlich waren es
Schindeln und weniger schwacher Schiefer, welche früher zum Bedecken
der Häuser verwendet wurden. Jetzt macht man die Dächer flach und
belegt die Breter-Schalung mit Weißblech, weniger mit Zink. Eine
Fallthür gestattet den Ausgang auf solches und die Bewohner des Hauses
trocknen bei beschränktem Hofraum daselbst ihre Wäsche. Vorzüglich gut
bewähren sich bei Feuerunglück diese flachen Dächer, da man von ihnen
leicht in der Nachbarschaft von oben herab dieses verwüstende Element
bekämpfen kann.

Die ganz aus Holz zusammengesetzten Häuser haben bei weniger Dauer
dennoch ein äußerst gefälliges Ansehen. Wird nun schon nach Verlauf
von 6-8 Wochen ein großes massives Haus bis zum Bewohnen fertig und
gewöhnlich nach Verlauf dieser kurzen Zeit auch sogleich bezogen, so
möchte man sagen: ein solches ~frame house~ entstehe über Nacht. -- Die
Umfassungswände, wie die Schiedbleichen werden ebenfalls nur aus 3-4
Zoll starken Stollen zusammengenagelt. Die Balken und innern Bleichen
des Hauses bleiben hohl wie in Backstein-Gebäuden. Die äußern Wände
aber sind mit 6-8 Zoll breiten tannenen, sauber abgehobelten und später
mit Oelfarbe angestrichenen Bretern bekleidet, welche man von oben nach
unten schuppenartig ½ Zoll übereinander legt. Von der innern Seite
kommen die schwachen Lättchen zur Unterlage des Kalk-Ueberzugs und die
Zwischenräume werden mit ausgelauchter Lohrinde oder Moos ausgestopft,
wenn man es nicht der Billigkeit wegen vorzieht, auch diesen Raum hohl
zu lassen, wo in letzterm Fall von Wärmehalten freilich keine Rede
seyn kann. -- In Zeit von vierzehn Tagen ist so ein Haus angefangen,
vollendet und bezogen.

Soll ein Gebäude um ein Stock erhöht werden, so reißt man nicht, wie
bei uns, das Dach ab, und setzt das neue Stockwerk darauf, sondern man
unterfährt das Gebäude, schraubt solches in die Höhe, und bringt die
neuen Pieçen im Erdgeschoß an. Eine solche Prozedur geht so sicher und
gut, daß oft die Logis nicht völlig geräumt werden und bewohnt bleiben.
Wollte man oben aufbauen, so ging das mit Weißblech zusammengelöthete
Dach verloren und oft würde auch der Unterbau die neu aufgebürdete
Last nicht tragen. -- Ja, die Maschinerieen, um damit massive Häuser
in die Höhe zu schrauben, sind so praktikabel, daß man ganze Straßen
durch Retourschieben der Häuser erweitert hat, und während meines
jetzigen Aufenthaltes in ~New-York~ sind wiederum Gebäude von
ihrem alten Platz um mehrere Schritte verrückt worden, welches eine
der interessantesten Erscheinungen für mich war. Mit Holzhäusern macht
man gar keine Umstände, und transportirt solche nach Belieben weite
Strecken.

Der Zimmermann in Amerika ist eine Vermischung von dem Handwerker
dieser Benennung in Deutschland, und jenem Tischler, welchen man
bei uns Bauschreiner zu nennen pflegt. -- Alle bei einem Hausbau
vorkommenden Holzarbeiten macht der amerikanische Bauzimmermann,
welches Geschäft ganz verschieden von dem des Schiffszimmermanns ist.

Der Ausbau eines Hauses geht ebenfalls, wie es mit dem Mauerwerk der
Fall ist, wie mit Dampf. Die Fußböden, Treppen, Thüren und Fenster
entstehen nur so unter der Hand, da das zu verwendende Material schon
durch Maschinerie vorgearbeitet ist, und die einzelnen Stücke nur
der Zusammensetzung bedürfen. Die Dielen, welche gewöhnlich nur 6-8
Zoll breit sind, da man wegen des Verwerfens den Kern beseitigt und
diese Breite auch der Maschine, welche das Hobeln, Fugen und Spunden
besorgt, besser zusagt, werden in der ganzen Bretslänge aufgenagelt,
weil Verzierungen der Fußböden mit Friesen nicht vorkommen und die
Hausbewohner in der Regel Teppiche legen. Ein vorher sich nöthig
machendes Ebenen der Balken, worauf die Breter zu liegen kommen, wie
es bei uns geschehen muß, findet nicht Statt, da die Balkenlagen genau
nach einer Stärke geschnitten sind.

Besondere Stiegenhäuser findet man nur selten und mit Nichts geizt
man im Innern des Hauses mehr, als mit dem Raum zur Treppe; selten
sind solche breiter wie drei Fuß, gehen in der Regel gleich hinter dem
Hauseingang in die Höhe und werden nur im Nothfall mit Winkelstufen
versehen. Der Transport der größern Möbelstücke oder Instrumente muß
daher durch die Fenster geschehen.

Die Rahmenstücke zu Thüren und Fenstern sind alle vorher durch
Maschinerie gehobelt, gestemmt und gezapft. Flügelfenster kennt man
nicht, sondern dieselben werden beim Oeffnen von unten herauf in
die Höhe geschoben. Die Arbeit des Verglasens ist das Geschäft des
Bauzimmermanns mit und geht, gleich Allem, schnell von Statten, da man
nur drei verschiedene Größen der Glastafeln in Anwendung bringt und
solche überall genau nach der Nummer bekömmt, welche man ohne Diamant
einsetzen kann.

Der Thürbeschlag ist einfach und enthält außer Band und Angel nur noch
eine schlichte Klinke, weshalb der Miethsmann, welcher seine Sachen
besser verwahren will, ein Vorlegeschloß anzulegen pflegt.

Stuben-Oefen nach unserer deutschen Manier kommen nicht ins Haus,
sondern die russische Oesse bildet im Zimmer, welches geheizt werden
soll, ein französisches Kamin; der Miethsmann hat daher, gleich den
andern Möbeln, auch für den Ofen zu sorgen, und stellt denselben,
welcher mit Löchern zum Einhängen der Töpfe und einer Bratröhre
versehen ist, im Winter mitten in die Stube, im Sommer auf den Boden,
oder wenn man nicht im Kamin kochen will, im Hofraume auf, da in der
Regel die Küchen fehlen. -- Nur in Gebäuden, welche die Hauseigenthümer
selbst bewohnen, oder nur von einem Miethsmanne bezogen werden,
befindet sich eine Küche im Souterrain.

Die Häuser erhalten äußerlich keinen Kalk-Abputz, sondern die beim Bau
theilweis verloren gegangene rothe Farbe der Ziegelsteine wird wieder
durch einen Anstrich hergestellt, und die Kalkfugen mit weißer Farbe
hervorgehoben. Zur vordern Façade verwendet man auch aus feinerer Masse
bereitete Steine, welche wie geschliffen sind.

Die Fenster erhalten gewöhnlich Jalousieen, um dadurch während der
heißen Sommertage den Zimmern eine erquickende Kühle zu verschaffen, da
die dahinter geöffneten Fenster den Luftzug gestatten.

Nie kömmt der Abtritt ins Haus, sondern immer an den entferntesten Ort
des Hofraumes, da es der Amerikaner für unreinlich und unpassend hält,
diesen Ort in seiner Nähe zu haben, was bei den heißen Sommertagen
lästig werden würde.

Daß, wenn vom schnellen und leichten Aufbau der Häuser die Rede ist,
nur Privat-Wohnungen gemeint werden, versteht sich wohl von selbst.
Große massive, meist aus Marmor-Quadern aufgeführte öffentliche Gebäude
verlangen ebenfalls die gehörige Zeit, wie bei uns; nur daß man hier
besser versteht die Zeit zu benutzen und die Hände in Bewegung zu
setzen.



Dreiundvierzigster Brief.

Fortsetzung.

(+Staats-Aemter und Bürgerrecht.+)

    Im Dezember 1840.


Eines Abends, als ich aus dem noch im Bau begriffenen Brennerei-Lokal
nach meinem ~Boarding-~Hause gehen wollte, rief eine Stimme hinter
mir zwei Mal meinen Namen, ohne daß ich beim Umsehen Jemand Bekanntes
gewahr wurde. Doch, wer stellt sich das Erstaunen und meine Freude
vor, als aus dem nächsten Fleischladen ein Weib auf mich zusprang,
und während es meine Hände faßte und drückte, erkannte ich die Frau
des Meister Fickardt, welche Familie sogleich nach unserer Ankunft in
Amerika verschwunden war, wie sich der Leser erinnern wird. Keines
von uns Beiden hatte später erfahren können, wo das Schicksal uns
hingeführt hatte, und ich mußte sogleich der Frau in ihre Wohnung
folgen, um deren Mann, so wie den alten Irrläufer auf der deutschen
Reise, den Großvater, zu überraschen.

Diese arme getäuschte Schuhmacher-Familie, welche zur Zeit in einem
kleinen Breterhäuschen, nur mit Hausthür und einem Fenster versehen,
sich eingemiethet hatte, war bei unserer Ankunft in ~New-York~,
wo der Mann auf sein Geschäft kein Unterkommen gefunden, in die größte
Bedrängniß gerathen, und hatte sich mit Aus- und Einladen der Schiffe
das Nothdürftigste zu erwerben gesucht. Während der Wintermonate aber,
wo der Seehandel liegt, mußten Vater und Sohn durch Steineklopfen das
ärmliche Leben fristen, und die Frau mit den ältesten Kindern suchte
durch Anfertigen kleiner Pappkästchen in eine ~Matches~-Fabrik
(Zündhölzer-Fabrik) den Verdienst zu erhöhen. Auch sie beklagten
vor Allem die mangelnde Kenntniß der Landessprache, da jetzt, wo die
Kinder zur Noth den Dolmetscher machen könnten, das Geschäft auf die
Profession schon besser ginge, und in der Zwischenzeit, wenn sonst
keine andere Arbeit vorhanden, mit Ausbessern alter Fußbekleidung das
zum Leben Nöthige verdient werde. -- Da diese meine braven Landsleute
und Seereisegefährten nicht weit von dem Brennereigebäude wohnten, so
brachte ich manche freie Stunde in ihrer Nähe, uns der lieben Heimath
erinnernd, zu. -- Hier erfuhr ich auch, daß zur Zeit der Seiler Schmidt
mit seinem Ehegespons, da er ebenfalls auf seine Profession keine
Arbeit erhalten, in der ~Matches-~Fabrik arbeite, wohin Frau
Fickardt ihre Kästchen lieferte.

Während dieser Zeit meines Aufenthalts in ~New-York~ nahm der
leidenschaftliche Ton der zahllosen Zeitungen, welche sich abmüheten,
dem Kanditaten zur Präsidentenstelle kein gutes Haar auf dem Kopfe
zu lassen, immer mehr zu, und je näher der Wahlakt herbeikam, um so
mehr wurde von ~Whigs~ und Demokraten Nichts unterlassen, um
die möglichste Anzahl Stimmen zu sammeln, und deshalb im Freien, so
wie in Sälen Zusammenkünfte veranstaltet, besondere Lokale hierzu
erbaut, und die abscheulichsten Karrikaturen darin aufgehängt, um
die Gegenparthei lächerlich zu machen und zu beschimpfen. Doch
diese ununterbrochene, zur Gewohnheit gewordene Verunglimpfung und
Beleidigung der rechtlichsten Männer, wie sie von der ihnen ergebenen
Parthei geschildert wurden, machte solche zuletzt selbst gleichgültig
gegen alle Verläumdung, und das Ehrgefühl des besten Menschen muß
ersterben, wenn jeder, auch der besten Handlung, eine schlechte Absicht
untergelegt wird. -- Wahrlich, wem die Gelegenheit wird, hier zu
sehen, mit welcher Leidenschaft man den Federkrieg führt, und welcher
Mißbrauch mit der freien Presse getrieben wird, der kann unmöglich
wünschen, daß Aehnliches bei uns entstehen möge.

Doch nicht allein, daß man dadurch geradezu verfehlt, die Gebrechen
des Landes zu heilen, und bei den am Ruder stehenden Männern den Muth
und die Lust, das allgemeine Beste zu fördern, erstickt, sondern man
lodert auch bei jedem Laien das Feuer auf, welcher glaubt, durch das
Zeitungslesen und Politisiren, welches hier zur Tagesordnung gehört,
sich auf dem Gipfel intellektueller Vollkommenheit zu befinden und im
Stande zu seyn, die tiefsten politischen Untersuchungen anstellen zu
können, auch dabei sich erdreistet, den Weg mit vorzuschreiben, welchen
die Regierung verfolgen soll.

Für mich, der sich nicht naturalisiren lassen wollte, konnte es ganz
gleich seyn, wer den Sieg bei der Präsidenten-Wahl davon tragen
würde, weshalb ich auch, um keiner Parthei ungehört das Urtheil zu
sprechen, mit umso größerem Interesse ~Whigs-~ und demokratische
Schriften las. Besonders waren es zwei neue deutsche Zeitblätter: der
Wahrheitsverbreiter, in ~Baltimore~ erscheinend, welches den Demokraten
huldigte, und der ~Pennsylvany-~Deutsche, von einem Herrn ~Grund~ in
~Philadelphia~ redigirt, welches jetzt den General ~Harrison~, den
~Whig-~Kandidaten, in den Himmel hob, und den derzeitigen Präsidenten,
~Van Buren~, welchem er früher gleichen Weihrauch gestreut, von
ihm aber bei Besetzung der Aemter übergangen worden war, jetzt das
Verdammungs-Urtheil sprach, und mitunter eine Sprache führte, die
an Derbheit nichts übertraf, ja oft bis ins Gemeine herabzusteigen
pflegte, wenn von Gegnern gereizt, solchen bewiesen werden sollte,
daß, wenn der Wahrheits-Verbreiter an der ersten Lüge erstickt sey,
schwerlich die zweite Nummer erschienen seyn würde. Zu diesen zwei
Blättern gesellte sich eine dritte neue Zeitschrift: der Wächter
am ~Hudson~, in ~New-York~ erscheinend, welche zuerst von dem
berüchtigten ~Dr. Frösch~, Prediger der Vernunftsgläubigen, redigirt
wurde; als dieser aber, um die Kasse vor möglichem Bestehlen zu
sichern, die anvertrauten Gelder selbst verthat, so wurde er seiner
Stelle entsetzt, und einem andern Herrn, dessen Name mir entfallen
ist, die Redaktion übertragen. Nur einen Artikel hebe ich aus dieser
Zeitschrift aus, um den theologischen Styl zu zeigen: „General
~Harrison~ wurde nicht bloß allen bankerotten und halbbankerotten
Spekulanten, allen Geld- und Aemter-Jägern, sondern auch dem ganzen
Volke als Heiland und Erlöser angekündigt. Wir, die wir zum ungläubigen
Volke gehören, verlangen zur Bestätigung seiner hohen Sendung, das
Unmögliche möglich zu machen, ein Zeichen. So that Jesus, so wollen
alle Religionsstifter gethan haben. Jesu erstes Wunder war, daß
er Wasser in Wein verwandelte; dies verlangen wir nicht von Herrn
~Harrison~, -- wir sind ein nüchternes Mäßigkeitsvolk und behelfen uns
mit „~Hard-Cyder~“ (saurer Apfelwein), -- namentlich da er so vieler
„Improvements“ fähig ist. Alles, was wir von unserm neuen Heilande
~Harrison~ verlangen, ist, daß er alle kleinen Noten unter fünf Dollars
in Silber, und alle größern Noten in Gold verwandle. Thut er dies, so
prophezeihen wir, daß alles Volk anbetend vor ihm niederknieen wird.
-- Denn wir wissen, wo uns Amerikanern der Schuh drückt, und welches
Glaubensbekenntnisses wir fähig sind.“

Bald wird dem unbefangenen Leser beim Studiren dieser Zeitschriften die
Ueberzeugung, daß es den Herren Verlegern bei allem Anscheine, den sie
sich zu geben verstehen, um das allgemeine Beste befördern zu helfen,
doch nur darum zu thun ist, bei dem Wechsel der ersten Staatsämter, da
der Präsident, wie die Gouverneure der einzelnen Staaten eine große
Anzahl meist gut besoldeter Stellen zu vergeben haben, eine solche
zu erhalten, und dieses die eigentliche Triebfeder ist, welche,
außer den baaren Zuschüssen von der sich verkauften Parthei, die
Zeitungsschreiber und Partheiführer in Bewegung setzt. ~Gall~
giebt darüber eine weitere Definition indem er sagt:

„Die wirklichen Beamten, deren Existenz von dem Ausgange der
Gouverneurs- oder Präsidenten-Wahl abhängt, sind daher die eifrigsten
Mitarbeiter an den Zeitungen, welche für die Wiederwählung des
wirklichen Gouverneurs oder Präsidenten Parthei nehmen, und diejenigen,
welche die Drucker der Gegenparthei am thätigsten unterstützen,
erwarten dafür einträgliche Stellen zum Lohne. Dieses mächtige
Reizmittel erklärt am besten die Anstrengungen der Partheieen, welche
so weit gehen, daß man einige Monate vor der Wahl neue Zeitungen
entstehen sieht, welche nur bis zur Entscheidung des Kampfes um die
Herrschaft fortgesetzt werden. -- Daß ein Präsident oder Gouverneur bei
seinem Amtsantritte alle von seiner Ernennung abhängige Beamten, welche
nicht zu seiner Parthei gehören, absetzt und seine Anhänger mit den
vakanten Stellen und Gehalten belohnt, findet man gar nicht auffallend.
Die Folgen einer solchen Ordnung der Dinge sind unschwer zu würdigen.
Jeder benutzt die kurze Glücksperiode der Herrschaft nach Kräften,
und die häufigen Untersuchungen gegen Staatsbeamte, deren ich oben
erwähnte, haben gewöhnlich Bestechungen und Geldunterschlagungen zum
Gegenstande.“

Um dem Leser einen Blick in die amerikanische Staatsverfassung
zu gewähren, habe ich, was Bezug auf die Staats-Aemter hat, aus
~Lem’s~ Briefen über Amerika entnommen, welcher bemerkt:

„Die ganze gesetzgebende Gewalt, der Kongreß der Vereinigten Staaten,
welcher aus dem Hause der Repräsentanten und dem Senate besteht,
und die vollziehende Gewalt ist dem Präsidenten der Vereinigten
Staaten auf die Zeit von vier Jahren, und einem Vice-Präsidenten,
der zu gleicher Zeit, und auf dieselbe Zeit von Jahren erwählt wird,
anvertraut.“

„Das Haus der Repräsentanten besteht aus, alle zwei Jahre durch das
Volk der verschiedenen Staaten gewählten Mitgliedern. Keiner kann zu
einem Repräsentanten erwählt werden, der nicht das fünfundzwanzigste
Lebensjahr erreicht hat, seit sieben Jahren Bürger der Vereinigten
Staaten und Einwohner des Staates ist, von welchem er gewählt wird.“

„Die Zahl der Repräsentanten ist für jeden Staat der Union nach der
resp. Zahl seiner freien Einwohner bestimmt, und zwar Einer, auf jedes
Mal 30,000 Einwohner.“

„Der Senat besteht (weil jeder Staat zwei Senatoren ernennt, welche
sechs Jahre im Amte bleiben), aus 48 Senatoren, da 24 Staaten (jetzt
27) zur Union gehören, wovon jeder Eine Stimme hat. Keiner kann zum
Senator erwählt werden, wenn er nicht 30 Jahr alt, seit 9 Jahren Bürger
der Vereinigten Staaten, und zur Zeit seiner Wahl Einwohner des Staates
ist, der ihn wählt. Der Vicepräsident der Vereinigten Staaten präsidirt
dem Senate, hat aber keine Stimme, außer wenn die Stimmen gleich sind.
Der Senat wählt seine übrigen Beamten, und ernennt einen Präsidenten
~pro tempore~ in Abwesenheit des Vice-Präsidenten.“

„Der Kongreß versammelt sich alle Jahre wenigstens ein Mal, und die
Zeit der Eröffnung ist auf den ersten Montag des Dezember bestimmt.“

„Jeder Staat ernennt so viel Wähler, als er Senatoren und
Repräsentanten auf den Kongreß zu schicken das Recht hat. Die Wähler
versammeln sich in ihren resp. Staaten, und schlagen durch Ballotiren
zwei Personen, wovon eine wenigstens nicht zum Staate der Wählenden
gehören darf, zum Präsidenten oder Vice-Präsidenten vor, der ein
geborner Mitbürger der Vereinigten Staaten seyn, das 35ste Lebensjahr
erreicht, und 14 Jahre sich im Staate aufgehalten haben muß. Der
Präsident, der Vice-Präsident und alle Beamten der Vereinigten Staaten
müssen ihrer Stellen entsetzt werden, wenn sie der Verrätherei, der
Bestechung und anderer Verbrechen angeklagt und überführt worden
sind. Der Präsident ist Oberhaupt der Land- und See-Macht und
schwört folgenden Eid: „Ich schwöre feierlich, treu die Stelle eines
Präsidenten der Vereinigten Staaten zu versehen, und die Konstitution
derselben, so gut als es mir möglich seyn wird, zu erhalten, zu
schützen und zu vertheidigen.““

„Die richterliche Gewalt ist einem obersten Gerichtshofe und untern
Gerichtshöfen anvertraut und bezieht sich auf alle Streitigkeiten.
-- Der oberste Gerichtshof besteht aus einem Oberrichter und sechs
Richtern und hat jedes Jahr seinen Sitz zu ~Washington~. Die
Staaten der Union bilden in gerichtlicher Hinsicht 24 Distrikte
und auch wieder 7 Kreise. In jedem Distrikte ist ein Gerichtshof,
ausgenommen für den Staat ~New-York~, wo ihrer zwei sind. Diese
Gerichtshöfe haben vier Mal des Jahres in den zwei Hauptstädten
des Distrikts abwechselnd ihre Sitzungen. In jedem Kreise hat ein
Kreis-Gerichtshof einmal jährlich eine Sitzung. Es giebt einen
General-Prokurator der Vereinigten Staaten, welcher den Ankläger
vor dem Ober-Gerichtshofe macht. In jedem Distrikte befindet sich
gleichfalls ein Advokat und ein Marschall. Der Advokat macht den
Ankläger vor den Kreis- und Distrikts-Gerichts-Höfen, der Marschall
leitet den Prozeßgang dieser Gerichtshöfe, bei welchem er die Stelle
eines Sherifs versieht. Der Obergerichtshof übt eine ausschließende
Jurisdiction aus in allen Prozeß-Sachen, worin einer von den Staaten
der Union Parthei ist, und in allen Prozeß-Sachen gegen die
öffentlichen Beamten.“

Um bei einer Beamtenwahl seine Stimme mit abgeben zu dürfen, und
im vollen Genusse aller Bürgerrechte sich zu befinden, muß man
naturalisirt seyn, wozu im Staate ~New-York~ ein fünfjähriger,
doch in einigen andern Staaten kürzerer Aufenthalt verlangt wird. Wer
daher entschlossen ist, für immer in Amerika zu bleiben, der thut wohl,
sogleich bei seiner Ankunft sich zum Bürgerwerden zu melden, und hat
für Einschreibung seines Namens und für Ausstellung eines Attestes über
die geschehene Anmeldung Einen Dollar zu zahlen. Zwei Jahre darauf
giebt man folgende Erklärung ab:

„Ich Endesunterschriebener, gebürtig aus ~N.N.~ in ~N.N.~, so
und so alt, früherer Unterthan Sr. Majestät von ~N.N.~, erkläre
hiermit, daß ich gesonnen bin, Bürger der Vereinigten Staaten zu
werden, und mich für immer von der Unterthanen-Treue und Pflicht gegen
irgend einen andern fremden Fürsten oder Staat, besonders aber aller
Unterthanen-Schuldigkeit gegen obengenannte Majestät, meinen frühern
Souverain, los zu sagen.“

Ueber Erfüllung dieser Formalität erhält man ebenfalls ein Attest und
zahlt dafür ½ Dollar. Fünf Jahre nach der ersten Anmeldung wird
an die nächste ~Court~ des Staates, in welchem man wohnt, die
folgende Bittschrift um Aufnahme als Bürger gerichtet, welcher obige
Atteste beigefügt werden müssen: „Der hochzuverehrenden ~Court~
des Staates ~N.N.~ überreicht ehrfurchtsvoll der Unterzeichnete
folgendes Gesuch: Der Supplikant hat zu gehöriger Zeit, der bestehenden
Ordnung gemäß, sich einregistriren lassen, und seine Erklärung,
daß er gesonnen sey, Bürger der Vereinigten Staaten zu werden, wie
es das Gesetz erfordert, abgegeben, weshalb genannter Supplikant
ehrfurchtsvoll den hochzuverehrenden ~Court~ bittet, denselben in
der üblichen Form zum Bürger der Vereinigten Staaten aufzunehmen.“

Nach der Aufnahme muß noch folgende Schlußerklärung ausgestellt und
beschworen werden.

„Ich Endesunterschriebener erkläre hiermit, daß ich die Konstitution
der Verein. Staaten unterstützen, und gänzlich aller Unterthanenpflicht
und Treue gegen jeden fremden Fürsten, Potentaten, Staat oder sonst
eine oberherrliche Gewalt, welche sie auch seyn mag, abschwören,
und mich gänzlich in dem weitesten Sinne des Worts von der
Unterthanspflicht gegen meinen frühern Souverain lossagen will.
Außerdem entsage ich noch ganz ausdrücklich aller Ansprüche auf irgend
einen erblichen Titel oder Adelsprivilegium, und zwar besonders auf die
Titel: Baron, Graf oder Herr von ~N. N.~, welchen ich bis hierher
geführt habe, wozu ich mich vor der ganzen öffentlichen ~Court~
verpflichte und mit meinem Eide bekräftige.“

Wie aus dem Vorhergehenden zu ersehen ist, erfolgt die Aufnahme zum
Bürger im Staate ~New-York~ erst nach Verlauf von fünf Jahren
des ersten Einregistrirens, und nicht wie viele Einwanderer irrig
glauben, nach fünfjähriger Wohnung im Lande; denn es könnte einer 10
Jahr hier seyn, ohne sich zu melden, so müßte er immer noch fünf Jahre
warten, ehe dem Gesetze nach, seine Aufnahme erfolgen könne. Doch man
braucht hierüber nicht so ängstlich zu seyn. Wie man in Amerika für
Alles Mittel und Wege kennt, so genügen auch hier zwei Zeugen, welche
beschwören, daß der um Aufnahme Suchende die gesetzliche Zeit im Lande
sey, wobei aber dann noch fünf Dollars entrichtet werden müssen,
welche Summe, um die Stimme des Betheiligten für den vorgeschlagenen
Kandidaten der Präsidenten-Stelle zu erhalten, von den Häuptern der
Partheieen bezahlt wird. Ja, meinem Landsmann R., welcher ebenfalls
versäumt hatte, sich einschreiben zu lassen, und noch nicht einmal
volle fünf Jahre im Lande war, wollte man, um sich seiner Stimme bei
der jetzigen Wahl zu versichern, auf diese Weise zum Bürgerwerden
verhelfen, wovon er aber keinen Gebrauch machte, da er keinen falschen
Schwur, wozu seine bestochenen Zeugen sich verpflichtet, ablegen wollte.



Vierundvierzigster Brief.

Fortsetzung.

(+Schule und Kirche.+)


Im Dezember =1840=.

Die Sonntagsfeier in ~New-York~ konnte von mir, der sich
Enthaltsamkeit von allen kostspieligen Vergnügungen zum Gesetz
gemacht, nicht besser verwendet werden, als in und außer dem Tempel
des Herrn die verschiedenartigsten Gottesverehrungen zu beobachten,
und Erkundigungen über die Schulen einzuziehen, woraus ich Folgendes
zusammengestellt habe:

Es liegt wohl unstreitig im Interesse jedes Staates, daß die Jugend
eine vernünftige Erziehung genieße und daß möglichst für Ausbildung der
geistigen Fähigkeit gesorgt wird, worin vor Allem der Grund zu einer
vernünftig wahren Gottesverehrung zu legen ist, damit bei vorgerücktem
Alter die Erlernung eines praktischen Geschäfts um so leichter, und
ein Staatsbürger gewonnen werde, der zum allgemeinen Menschenwohl nach
Kräften beiträgt, und die wahre Zufriedenheit in sich selbst suchen
kann, aber auch findet. Wie ist dieses aber wohl anders zu erringen
möglich, als durch gut organisirte Schulen, welche besucht werden
müssen, und wo die geistigen Kräfte des Menschen, wenn sie nicht im
Keime wieder ersticken sollen, frühzeitig entwickelt und ausgebildet,
diese Ausbildung aber bis zur Mannbarkeit fortgesetzt wird, wie dieses
bei uns der Fall ist.

Ganz anders denkt und handelt man hier, wo der Amerikaner sich keine
Beschränkung der individuellen Freiheit gefallen läßt, und deshalb da,
wo Schulen vorhanden sind, diese nicht von den Kindern besucht werden,
sie auch keine Behörde dazu anhalten darf, weil die Konstitution
nichts davon enthält, und die Freiheit des Menschen sich bis auf das
schulfähige Kind herab erstreckt, welches, dem Gesetze nach, nicht
einmal der Vater selbst bestrafen darf.

„Hätte Amerika so viele Schulen als Kirchen, welche besucht werden
müßten“, äußert sich ein Reisender, „wo außer Lesen, Schreiben und
Rechnen auch das gelehrt wird, was zur Menschenbildung nöthig ist,
so stände es mit dem Amerikanischen Volke besser, als jetzt, wo das
junge Geschlecht aufwächst, wie der Baum in den Urwäldern. Kirchen
giebt es mehr wie nöthig, und besser wäre es, die Hälfte davon würde
zu Schulgebäuden benutzt. Hunderte von Kirchen werden hier jährlich
neu gegründet, und doch nimmt die Zügellosigkeit, Rohheit und
Irreligiosität immer mehr zu.“

Lesen, Schreiben und Rechnen sind die Hauptlehrsätze, denen nur noch
wenig Andere untergeordnet sind, und welches Alles, wie mir versichert
ward, auf eine leicht faßliche Manier gelehrt werde. Dabei besitzt
der Amerikaner ein angebornes Genie, welches ihn schnell Alles
auffassen und zur Schlauheit im Handel und Fabrikwesen geschickt
macht, so wie die Grundregeln der Mechanik zu Maschinenbau erlernen
läßt. Doch außer seinem eigenen Geburtslande und dessen Verfassung,
welche die Zeitschriften unaufhörlich besprechen, und solche zu
lesen, zur allgemeinen Gewohnheit geworden ist, kennt, außer den
höhern Ständen, der Amerikaner nichts, und von Europa nur wenig; die
niedern Volksklassen stellen sich daher Deutschland als eine Wüste
vor, welche nur von Despoten und sklavischen Bettlern bewohnt werde,
die aus Mangel vom Begriff der Menschenrechte und durch Entziehung der
Mittel zur eigenen Existenz in Amerika ein ferneres Fortkommen und ein
neues, freies Vaterland suchen. Deshalb ist auch hier im Allgemeinen
der Deutsche so verachtet, gleich den Juden in Deutschland, und nicht
schnell genug kann man die englische Sprache erlernen, um sich und sein
Vaterland verläugnen zu können, und dem Amerikaner als gewachsener
Gegner gegenüber zu stehen.

Wie nun durch Mangel von Schulen auf dem flachen Lande, und durch
Nichtbesuch der vorhandenen von vielen Städtern die geistige Ausbildung
im Allgemeinen aufgehalten und erschwert wird, eben so ist dieses der
Fall in Bezug auf Religion und wahre Gottes-Verehrung, und selbst
in den Schulen ist die Glaubenslehre kein Gegenstand der besondern
Beachtung, oder man verwickelt die Grundlagen, worauf man fußt, so in
Widersprüche, daß der Schüler in ein Labyrinth geräth, woraus er später
als Mann sich nicht wieder herauszufinden vermag, wenn man nicht gar
allen Religionsunterricht aus der Schule verbannt, und so den Menschen
ohne alle Grundlage heranwachsen läßt, wo durch solcher als schwaches
Rohr in spätern Jahren nicht weis, welchen von den 61 verschiedenen
Sekten er sich zugesellen soll, von einer Glaubensansicht in die andere
fällt, und so an sich selbst und der Gottheit irre werden muß.

Nur wenn die Entwickelung der Begriffe vom höchsten Wesen bei der
Jugend gleichmäßig fortschreitend, den Vernunftskräften angepaßt würde,
damit die zur Erlangung menschlicher Glückseligkeit nöthige Harmonie
nicht gestört werde, und sich so ein fester, wahrer, auf Vernunft
gegründeter Religionsglaube in dem Menschen bilden könne, welcher ihn
im Genuß des Glücks seine Menschheit nicht vergessen läßt, in Tagen
der Trübsal aber wahren Trost gewährt und seinem Herzen himmlischen
Balsam spendet, kann der Mensch mit weniger Gefahr für seinen Glauben
die in Amerika bestehenden, so verschiedenartigen christlichen
Religions-Sekten bei Ausübung ihres Gottesdienstes besuchen, ohne dabei
von der Menschheit, Teufel und Hölle, so wie vom höchsten Wesen selbst
falsche Begriffe zu bekommen. Denn was man hier, wo alle Glaubenslehre
frei ist, zu sehen und zu hören Gelegenheit hat, grenzt an das
Unglaubliche, und oft habe ich mich im Stillen gefragt: „Sind das auch
mit Vernunft begabte Menschen, welche auf solch abgöttische Weise dem
Schöpfer zu gefallen suchen?“

Was man von Sekten, wie die der Zitterer, Methodisten u. dgl., deren
Bekenner meistentheils den niedern Ständen angehören, und welche
entweder mit Blindheit geschlagen, oder, ihres weltlichen Vortheils
willen, den Unsinn und die Abgötterei bis ins Weiteste treiben,
denken und halten soll, ist leicht zu erklären; was soll aber der
wahrhaft vernünftige Mensch zu einer Glaubenslehre sagen, die von
Männern ausgeht und gelehrt wird, welche sich unter die Gebildetsten,
Aufgeklärtesten und Verständigsten des Volkes zählen, und deren
Grundlehre die ist: -- „Verbannt alle Religionslehre, verbannt die
Bibel aus den Schulen, denn das sonst für heilig gehaltene Buch ist
veraltet, die Menschheit aber verjüngt. Unsere Bibel sey die Vernunft
und deren Ausspruch die Religion. Kein Pfaffe lasse die Schwelle
betreten, wo dem Menschen gelehrt wird, warum und wozu er auf der Welt
sey, damit er nicht mit seinem Pesthauch die neue Moral vergifte und
im Keime tödte. Laßt dem Jüngling freie Wahl, ob er sich zu einer
Religions-Sekte bekennen, und welcher er sich anschließen will; denn
Freiheit im Glauben ist das erste, wozu der Mensch die gerechtesten
Ansprüche hat“ u. s. w.

Welch herrliche Lehre, wie passend in die jetzigen Zeiten! Welch
weites Feld öffnet sich nicht der Gewissensache? Der Zeuge ist nicht
mehr verlegen, wenn es auf einen Schwur ankommt. Der Spekulant, der
Geschäftsmann hat nur noch den weltlichen Arm der Justiz zu fürchten,
und dafür giebt es ebenfalls Advokaten, welche der neuen Lehre
huldigen. Himmel und Hölle sind nicht mehr, und Gott ein zu erhabenes
Wesen, um sich um solche Kleinigkeiten, wie das Drängen und Treiben der
Menschen auf der Erde sey, zu bekümmern.

Wie steht es aber mit diesen Verblendeten, wenn bei der Leere des
Herzens Noth und Trübsal über sie kömmt? Wo bleibt der himmlische Trost
und die beruhigende Seelenruhe, die dem Menschen so Noth thut, wenn er
nach dem allgemeinen Naturgesetz alles Irdische verlassen muß?

Mehrere Kirchen und Bethäuser sind von Spekulanten erbaut und werden,
gleich den Gasthöfen, verpachtet, worin eine Sekte so lange in
ruhigem Besitz verbleibt, bis ihr Kontrakt abgelaufen und von einer
andern Religions-Parthei überboten worden ist. Kein Geistlicher
wird vom Staate besoldet, und in der Regel sind es die Einkünfte
des Klingelbeutels und der Trau- und Taufgelder, wofür er dient.
Jedes Gemeinde-Mitglied zahlt jährlich einen bestimmten Beitrag zur
Kirchenkasse; da aber die oft nicht unbedeutende Summe für Miethe des
Gotteshauses nicht zulangend ist, oder um Gelder zu einem Neubau zu
sammeln, so muß jeder, nicht zur Gemeinde gehörende Kirchenbesucher vor
seinem Eintritt sechs ~Cents~ (2½ Sgr.) entrichten.

Bei aller Religions- und Glaubens-Freiheit sieht es doch der Brodherr
gern, wenn seine Arbeiter mit ihm gleiche Gottesverehrung ausüben,
weshalb mein Neffe unter die Chorsänger einer frommen Gemeinde, welcher
sein Meister huldigte, aufgenommen worden war und Sonntags drei Mal zum
Lobe des Herrn seine Stimme erschallen lassen mußte. Unser Landsmann
R. hatte sich dagegen auf die Seite der Vernunftsgläubigen geneigt und
abwechselnd das Herumtragen des Klingelbeutels mit übernommen.

Diese Sekte, welche zur Zeit den berüchtigten ~Dr.~ Frösch an
der Spitze hatte, welcher keine Grenzen in seinen Religions-Vorträgen
kannte, aber, zum Lobe sey es gesagt, von vielen seiner frühern
Anhänger deshalb verlassen worden war, hatte, wie ich schon berührt,
eine förmliche Umwandlung mit den Grundpfeilern der christlichen
Glaubenslehre vorgenommen, die Bibel und die Auslegung der Evangelisten
nach vernünftigen, den Menschen Heil bringenden, Grundsätzen aus der
Kirche verbannt, und zum Gegenstand seines Vortrags entweder nur
solche Stellen der heiligen Schrift gewählt, welche zu den forschbaren
Wahrheiten gehören, z. B. Untersuchungen der evangelischen Nachrichten
über die Himmelfahrt Jesu, dann die Ungereimtheiten und Widersprüche
in den evangelischen Nachrichten über Jesu, u. s. w., oder weltliche
Begebenheiten, wie: die Kreuzzüge, die Bartholomäus-Nacht, die Jungfrau
von Orleans, zu seinem Zweck bearbeitet, wobei nie unterlassen wurde,
den Staatsbürger, (da der Ausdruck Unterthan ihm zu verhaßt ist) gegen
seine Vorgesetzten aufzuhetzen, und wobei er es hauptsächlich auf
die Europäischen Regenten und die Geistlichkeit abgesehen hatte und
darauf Bezug habende Themata z. B. Wer ist ein wahrer Republikaner?
Grundsätze, nicht Personen sollen den Menschen regieren! zu seinem
Kanzelvortrage machte.

Der Gesang hat ebenfalls der Musik Platz machen müssen, doch erwarte
man keine wie bei uns gebräuchliche altmodische Kirchenmusik, das wäre
wider die Vernunft, wie sie sagen, sondern dem Geist der Gemeinde
angemessene Ouverturen und beliebte Theaterstücke werden aufgeführt und
mitunter auch, wenn der Redner seine Zuhörer überzeugt zu haben glaubt,
daß des Menschen Bestimmung auf dieser Welt nur die sey, sich des
Lebens zu freuen und angenehm zu machen, die heilige Andacht mit einem
Schottischen oder sonstigen Galopp schließt.

Dem denkenden Beobachter bleibt hier die Frage zu beantworten übrig,
was wohl für den Menschen besser sey, vorwärts zu streben nach
unheilbringender Aufklärung, oder rückwärts ins dunkle Pfaffenthum zu
gehen. Ich glaube, daß der Mittelweg, wie er bei uns betreten wird, der
beste ist.

Doch nicht allein der Mann fühlt sich in Amerika berufen, zum
Seelenheil seiner Nebenmenschen beizutragen, sondern auch das schöne
Geschlecht glaubt dazu auserwählt zu seyn, und diese Frommen, welchen
vorzüglich ein gutes Mundwerk nicht abzusprechen ist, erzählen der um
sich versammelten Menge in einer Viertelstunde mehr aus dem Stegreif,
als einem alten Geistlichen möglich ist, in zwei Stunden seiner
Gemeinde vorzutragen.

Besonders amüsirte mich ein Fischerweib, welches an Tagen des Herrn
vom Kahne aus mit heiligem Feuereifer den nahen Untergang der Welt
und die ewige Verdammniß dem sündhaften Menschen verkündigte und ihre
Stimme um so ärger erhob, je weniger Zuhörer sie hatte, um dadurch die
Vorübergehenden zum Stillstand zu bewegen. Während des ewigen Kommens
und Gehens der Menschen, von welchen die Reuigen weinten, die Gottlosen
lachten, rauften und schlugen sich zügellose Buben, doch ohne dadurch
die Prophetin irre zu machen. Als aber beim Apportiren der Hunde ins
Wasser die ausgeworfenen Ballen in den Kahn geschleudert wurden und
die wilden Bestien der Geist nicht abzuhalten vermochte und solche
unter den Beinen der frommen Rednerin herumspionirten, da war es aus
mit der Langmuth Gottes und das Zetergeschrei des Weibes verkündigte
noch in dieser Stunde das Strafgericht des Herrn, weshalb ich mich
zurückzog und ins Tagebuch notirte, was ich so eben gesehen und gehört
hatte.



Fünfundvierzigster Brief.

=Fortsetzung.=

(+Ursache der schnellen Abreise.+)

    Im Januar 1841.


Als die Einrichtung des Brennerei-Lokals so weit fertig war, um mit
dem Apparat Proben anstellen zu können, so wurde zum Einmaischen der
verschiedenen Schrotmassen geschritten; da aber die zum Gähren nöthige
Wärme im Brennhaus noch fehlte, auch die zum Anfang verwendete Bierhefe
nicht die beste seyn mochte, so ging die Fermention nur langsam von
Statten und es wurde aus vier- eine fünftägige Maische (Bier), wie man
diese flüssige Masse in Amerika nennt.

Das um einen Tag später reif gewordene Maischgut verlegte die Zeit des
Abdestillirens zufällig auf den Sonntag (18. Oktober 1840), welches
den Amerikanern schon unangenehm war, als ich aber vollends das
Unglück hatte, dabei die Hände zu verbrennen, so erkannte man darin
das Strafgericht Gottes, weil ich den Tag des Herrn entweiht. Doch um
dadurch auch einen weltlichen Gewinnst zu erzielen, so wollte man mir
auf die Zeit der Kur den wöchentlichen Lohn vorenthalten und nur auf
die Drohung, in diesem Fall ~New-York~ zu verlassen und einem Ruf
nach ~Philadelphia~ (welches Letztere jedoch nur eine Nothlüge
war) zu folgen, blieb es beim Alten, da man überzeugt zu seyn schien,
daß der Brenn-Apparat ohne mich nicht behandelt werden könne.

Als nach abgelegter Probe von mir angefragt wurde, ob man nun gesonnen
sey, auf die alleinige Anfertigung solcher Brenn-Apparate ein Patent
zu nehmen, wofür die bedungene Summe ausgezahlt werden müsse, gab
man mir zu verstehen, daß dieses für jetzt nicht der Fall sey, da
~Mr. Benson~ in ~Mr. Sperring~ einen Kompagnon gefunden,
welcher Letzterer auf Rechnung des Erstern das Brennereigeschäft mit
fortzubetreiben beschlossen habe und man den Verdienst in solchem und
nicht durch Verbreitung der Apparate suche. -- An diesen Fall hatte
leider beim Aufsetzen des Kontrakts Niemand gedacht, und so unangenehm
mir solches auch war, so verhielt ich mich doch ruhig, da bei wenig
Arbeit die bestimmte wöchentliche Löhnung alle Sonnabende richtig
erfolgte, wodurch die zurückgelegten Gelder sich schnell mehrten.

Für Branntwein kann man von den niedern Volksklassen in Amerika
Alles erhalten, und besonders sind es die hier sich niedergelassenen
Irländer, welche dem Laster der Trunksucht ergeben sind. Selbst das
Leben wird gewagt, wenn eine Bouteille Branntwein zu verdienen ist, wie
mir ein solch irisches Vieh zeigte, welches meinen, in einen tiefen
Brunnen gefallenen Hut heraufholte und sich deshalb an einem Seil bis
auf die Wasserfläche hinabließ, aber auch nach überstandener Gefahr die
Flasche bis auf den Grund leerte.

Um dem verderblichen Einfluß, den die Säufer auf die Sitten des Volks
ausüben, und eine Menge von Lastern, Verbrechen und Elend aller
Art erzeugen, Einhalt zu thun, so errichtete man in Amerika die
Mäßigkeits-Vereine, worüber in Europa so viel geschrieben, und deren
Sieg über das größte Laster eines Volks, als vollkommen gelungen,
dargestellt wurde. Leider ist dieses nicht überall in dem Grade,
wie man glauben zu machen sucht, geglückt, da man in den meisten
Staaten die Mäßigkeits-Vereine nur noch dem Namen nach kennt, und
Alles seinen alten Gang fortgeht. Die Gründer derselben mußten nur
zu bald die Erfahrung machen, daß sich ein so tief gewurzeltes
Laster, welches mit dem Verdienste einer großen Anzahl mit geistigen
Getränken Handeltreibender so innig verwebt war, sich nicht so leicht
ausrotten lasse, als man von vornherein geglaubt hatte. -- Im Staate
~Pennsylvanien~ sind noch die meisten Spuren von gänzlicher
Enthaltsamkeit des Genusses geistiger Getränke vorhanden und stets ist
man dort bemüht, der Trunksucht Einhalt zu thun, demohngeachtet wird
aber in diesem Lande noch sehr viel Branntwein verbraucht und fabrizirt.

Mitte November wurden mir von dem Fabrikherrn schriftlich mehrere
Fragen vorgelegt, welche auf das Brennerei- und Destillateur-Geschäft
und die Behandlung des Apparats Bezug hatten und worüber er eine genaue
Definition verlangte, welche ebenfalls schriftlich von mir abgegeben
werden sollte. -- Dieses gab Veranlassung, von meiner Seite dabei
die Bedingung zu stellen, daß mein wöchentlich festgesetzter Lohn
bis Ostern k. J. fortbestehen müsse, gleich, ob ich in der Brennerei
oder in der Kupfer-Fabrik beschäftigt würde, und bei meinem Abgang zu
Ostern, wenn ich nicht länger zu bleiben beabsichtigen sollte, mir dann
noch die Summe von 500 Dollars ausgezahlt werde.

Der Vorschlag wurde angenommen, von einem Sachkenner in zwei
gleichlautenden Exemplaren alle Bedingungen festgestellt und von beiden
Theilen mit den nöthigen Zeugen, wozu ich unsern Landsmann Herrn Ratz
erwählt hatte, unterzeichnet. -- Von dem Grundsatz des Amerikaners
ausgehend, daß man jeden Menschen so lange für einen Schurken halten
müsse, bis man von seiner Rechtlichkeit überzeugt sey (welches
freilich mit der Ansicht des +biedern+ Deutschen im Gegensatz
steht), erläuterte ich zwar alle gestellte Fragen durch Zeichnung
und schriftliche Erklärung so, daß man vollkommen damit zufrieden
gestellt zu seyn schien, behielt aber die Hauptsache, hinsichtlich der
Behandlung des Apparats, noch zurück, um mich in der Brennerei weniger
entbehrlich zu machen, besonders da man beabsichtigte, aus Melasse Rum
zu fabriziren, welche Prozedur mir selbst noch nicht genau bekannt, und
man deshalb einen Franzosen zugezogen hatte, nach dessen Angabe das
dazu Nöthige in dem Brennereigebäude hergerichtet wurde.

Während dieser Zeit wurden von mir die Pumpen gefertigt und das sonst
weiter Nöthige in der Brennerei besorgt. Doch mehr und mehr suchte
man mich jetzt zu chicaniren, da man glauben mochte, nun im Besitz
aller Geheimnisse zu seyn, und mich, dem sie mehr als einem andern
Arbeiter an meiner Stelle zahlen mußten, auf diese Weise zum Abgang
zu veranlassen. Ich ersuchte daher, als die Sache zu toll wurde, am
8. Januar einen Landsmann, welcher der englischen Sprache vollkommen
mächtig war, den Dolmetscher zu machen, und sich zu erkundigen wo ich
gefehlt, und was sie wollten, da ich mir selbst keiner Schuld bewußt
sey. Im Laufe des Gesprächs wurde mein Vertreter hitzig und stieß
einige beleidigende Worte aus, worauf der Gegner die Thüre öffnete und
Miene machte, ihn hinaus zu werfen. Ich, der bis jetzt den ruhigen
Zuschauer abgegeben, sprang dazwischen, und während der Karambolage
setzte es Blut, da ein unglücklicher Faustschlag den Gegner verwundet
hatte.

Von mehreren Seiten wurde mir gerathen, weder die Brennerei, noch die
Kupfer-Fabrik wieder zu betreten, weil das Schlimmste zu befürchten
stehe, weshalb ich beschloß, Amerika unverzüglich zu verlassen, wenn
die bedungenen 500 Dollars ausgezahlt wären, da liebe Briefe aus der
Heimath die Sehnsucht nach der Familie mehrten und ich das Leben im
gelobten Lande bis zum Ueberdruß satt hatte.

Um zu dem Gelde zu gelangen, war der Kontrakt von Nöthen und vom
Sachwalter erfuhr ich jetzt, daß er das Original mit der deutschen
Uebersetzung Herrn Ratz mit der Bitte zugestellt, mir Beides, wenn
ich ihn besuchen würde, zu übergeben. Doch, wer stellt sich meinen
Schreck vor, als ich von Letzterem erfuhr, daß durch ein unglückliches
Verhängniß das Dokument vernichtet und solches nur noch theilweise
vorhanden sey, da sein kleiner Sohn während seiner Abwesenheit mit
dem Wasserglase diese Schreiben benetzt und, aus Furcht vor Strafe,
dieselben auf dem Windofen zu trocknen versucht, sie leider aber über
dem Spielen vergessen und so verbrannt habe.

Der Rechtsweg blieb zwar zu betreten übrig, da die Zeugen noch
vorhanden waren; doch wie konnte ich, den das böse Geschick überall
verfolgte, einen Streit wagen, welchen durchzuführen mir die Mittel
fehlten, da die Herren Advokaten hier vor Allem das ~Liquidiren~
am besten verstehen und wobei meine zurückgelegten Gelder riskirt
werden mußten, ja nicht ausgereicht haben würden, wenn die Sache in
die Länge gezogen und ich den Ausgang unbeschäftigt hätte abwarten
müssen. Froh war ich daher, daß ich durch Sparsamkeit mir wenigstens
ein hübsches Sümmchen erworben und die Rückreise über England und
Frankreich unternehmen konnte.

Jetzt, da ich fest entschlossen war, Amerika Valet zu sagen, hätte
mich nichts in der Welt länger hier zurückhalten können. Hoch
schlug das Herz und nur eines Gedankens, an Weib und Kinder, war ich
mächtig. Schnell, als sey Etwas versäumt, wurde Alles geordnet, meine
Sachen durch die gefällige Vermittelung des Herrn Ludekus den geraden
Weg über Hamburg, den Meinen zugeschickt und mit dem Paquetschiff
~Montreal~, welches den Abgang nach London schon auf den 10.
Januar angesetzt hatte, akkordirt und, ohne Kost im Zwischendeck zu
reisen, funfzehn Dollars gezahlt.

Außer einigen Leckereien, welche mir von der Gattin des Herrn Wallrabe
bei Abholung meiner daselbst deponirten Gelder gefälligst gereicht
wurden, war nur noch Brod, Schinken, Käse und eine Flasche Rum zur
Seereise angeschafft; Thee und Kaffee sollte gegen ein ~Douçeur~
der Schiffskoch mir gewähren.

Die Anzahl der Deckpassagiere war wegen ungünstiger Jahreszeit
gering, und außer mir nur noch drei männliche und eine Frauens-Person
vereinigt, um im Zwischendeck einen Raum zu beziehen, welcher wohl zum
Liegen groß genug, da vier Logen leer waren, außerdem aber nur noch
höchstens sechs Q. Fuß Platz enthielt, wo die Kisten der Reisenden
standen, die das Promeniren unmöglich machten. War auch die Wohnung
gesund, da sie nicht von einer großen Anzahl Passagiere verpestet
wurde, so gewährte doch der enge Raum keinen bequemen Aufenthalt im
Innern des Schiffes und versprach demnach bei der kalten Jahreszeit,
welche das Verweilen auf dem Deck nicht wohl gestattete, auch nicht
die angenehmste Fahrt. Aber hätte man mich auch in einen Sarg
gebettet, gern hätte ich es mir gefallen lassen, da der Gedanke, die
Meinen nun bald wieder zu umarmen, alles Andere vergessen ließ. Um so
unwillkommener war daher die Nachricht, daß die Abreise verschoben
sey, und erst den 16ten d. angetreten werde, welches abermals bewies,
wie wenig man in Amerika dem gegebenen Worte trauen kann, da bei
bezahlter Passage die Versicherung gegeben wurde, daß ein Paquetboot
unwiderruflich, wenn solches nicht widrige Winde unmöglich machten, die
bestimmte Zeit einhalten müßte.

Am Morgen des 16ten verließ ich den Amerikanischen Boden, um ihn nicht
wieder zu betreten, und war deshalb glücklicher als Tausende meiner
Landsleute, welche wider Willen lebenslänglich hier festgehalten wurden.

Die Kälte hatte nachgelassen, der Schnee aber sich in einem so dicken
Nebel verwandelt, daß es unmöglich war, ohne Gefahr von der Stelle zu
kommen, wodurch abermals die Abreise verschoben werden mußte. Am 17.
des Mittags wurde die Luft freier und der Wind blies zu unsern Gunsten,
weshalb man ernstliche Anstalten zum Abgange machte. Vom Verdeck aus
sah ich nochmals ~New-York~ an mir vorübergehen und mannichfaltige
Gefühle wurden in mir rege bei dem Gedanken, was ich während des kurzen
Aufenthalts in der neuen Welt Alles erlebt, und solches den bunten
Bildern meiner Jugendzeit anreihte, wo ich die mannichfaltigsten
Situationen durchgemacht; wie ein Traum kam mir Alles vor, als ich aufs
Lager gestreckt, nichts mehr von Amerika, nichts von der Wassermasse
sah, auf welcher ich jetzt der alten Welt wieder zusegelte. Nur die
gesammelten Erfahrungen blieben zurück, und der ausgestreute Saame wird
mir, da die Witterung wohlthätig mit einwirkt, die gewünschten Früchte
tragen und einen neuen Wirkungskreis zu betreten, die Veranlassung
geben.



Sechsundvierzigster Brief.

Seereise nach London.

    Im Februar 1841.


Im Zwischendeck wurde von mir allein eine der untern Schlafstellen
bezogen und das Arrangement so getroffen, daß im Lager auch der
Koffer und die übrigen Viktualien untergebracht wurden, wodurch die
zur Seereise angeschafften hartgebackenen Brode, mit welchen ich mich
gehörig versorgt, eine Schanze bildeten, durch welche der große Käse
wie eine Bombe hervorschaute, und den genügsamen, an frugale Kost
gewöhnten Deutschen vor Hunger schützte.

~Vis-a-vis~ war die junge Amerikanerin gebettet, deren Reize dem
neugierigen Blick ein zum Vorhang benutztes Tafeltuch entzog, hinter
welchem die Schöne wie in einem Himmelbette ruhte. Durch unsere Lage,
nur von einem niedrigen Bret getrennt, konnte ich jedes Ach und O,
welches der beängstigten Brust entschlüpfte, deutlich vernehmen, und
die Seufzer, wie das ängstliche Wimmern harmonirten trefflich mit
einander, wenn das wüthende Element das Leben in Gefahr brachte. Nur
wenn bei Sturmeswuth die Seekrankheit den Körper erschlafft hatte, und
solchem Erquickung Noth that, dann öffnete meine Hand den neidischen
Schleier und theilte mitleidig von dem Eingemachten, welches die
Gemahlin des Herrn Wallrabe mir verehrt, weshalb dieses Geschenk mir
jetzt um so trefflicher zu Statten kam, da meine Leidensgefährtin mit
dem Schiffskoche einen Privat-Kontrakt geschlossen, durch welchem sie
und ihr Mann mit Zucker, Thee und Kaffee versorgt wurden, und man diese
Genüsse als Recompense jedes Mal brüderlich mit dem alten ~German~
(wie sie mich nannten), theilten. Darüber neidisch, suchten die über
mir liegenden zwei Passagiere den über seiner Frau placirten Ehemann
eifersüchtig zu machen, was ihn aber nicht aus seiner Contenance zu
bringen vermochte, da er unbedingt und mit Recht dem Weibe Vertrauen zu
schenken Ursache zu haben glaubte, welche ihm zu Liebe das Vaterland
verlassen und mit nach England überzusiedeln sich entschlossen hatte.

Die ersten Paar Tage blies der Wind ziemlich günstig, so daß das Schiff
schnell aber ruhig seinen Lauf verfolgte, dann aber wuchs seine Gewalt
mit jedem Tage, doch meist zu unsern Gunsten, da er aus Norden kommend,
das Fahrzeug wie ein Pfeil vor sich her trieb; daß wir dabei nicht
immer auf die angenehmste Art gewiegt wurden, läßt sich denken. Doch
zu viel habe ich schon über dergleichen Begebenheiten gesagt, als daß
ich nochmals alles das Fürchterliche, was ein Seesturm im Gefolge hat,
dem geehrten Leser auftischen sollte. Es ist und bleibt immer dasselbe,
und wohl dem Menschen, welcher im sichern Hafen nicht die Beschwernisse
einer solchen Reise durchzumachen hat, sondern nur das, was Andern
begegnete, erzählen hört.

Die Kälte war äußerst empfindlich, so daß selbst bei ruhiger See
es Keinem der Passagiere auf dem Deck behagen wollte, und wir nur
nothgedrungen den untern Raum und die Schlafstellen verließen.
Dabei war es vor Allem das Lager, welches mir das Ende der Seereise
wünschenswerth machte, indem ich aus Mangel an Stroh, auf Anrathen in
~New-York~ den Leinwandsack mit Hobelspähnen hatte ausstopfen
lassen, wobei jedoch der schurkische Tischlerlehrling, vielleicht auch
nur aus Mißverständniß, da solche Spähne häufig zum Brennen benutzt
werden, mir trotz des mitgeschickten Trinkgeldes den Sack reichlich
mit Bret- und Stollen-Abschnitten gefüttert hatte, worauf ich, wie
auf einen Steinhaufen gebettet, zu liegen verdammt war. Dabei wurde
die Langweile, welche durch nichts unterbrochen ward, für mich umso
empfindlicher, da ich auf der Reise gern spreche, und von Anderen
erzählen höre, sich aber nicht ein einziges Individuum auf dem
Schiffe befand, welches ein Wort Deutsch verstand, und ich deshalb
nur unvollkommen über das Allgewöhnliche im Leben die Gedanken in
englischer Sprache austauschen konnte. Zum Glück war ich reichlich mit
amerikanisch-deutschen Zeitschriften versehen, woraus ich während der
Fahrt immer besser das Gute, so wie das Böse der neuen Welt kennen
lernte, und mitunter höchst interessante Aufsätze fand, von welchen
ich einen, der die Ueberschrift führte: „Das weibliche Geschlecht in
Amerika“, welches Thema noch zu wenig in meinen Briefen berührt worden
ist, hier mittheilen will:

„Vom zartesten Alter an widmet sich der Amerikaner den Geschäften, denn
kaum kann er lesen und schreiben, so wird er Kaufmann. Der erste Klang,
der zu seinen Ohren dringt, ist der des Geldes. Die erste Stimme, die
er vernimmt, ist die des Interesses. Mit der Geburt schon athmet er
gewissermaßen eine industrieelle Luft ein. Die ersten Eindrücke, die
er empfängt, überzeugen ihn, daß das Geschäftsleben das einzige sey,
welches für ihn paßt.

„Ganz anders gestaltet sich das Loos des Mädchens aus gebildeten
Familien; seine moralische Erziehung währt bis zu dem Tage, an welchem
es sich verheirathet. Es erwirbt sich Kenntnisse in der Literatur
und Geschichte; im Allgemeinen erlernt es eine fremde Sprache, meist
französisch, und versteht etwas von Musik.

„Diese so unähnlichen jungen Leute beider Geschlechter vereinigen
dereinst sich durch eine Heirath. Der Mann folgt dem Laufe seiner
Gewohnheiten und bringt seine Zeit entweder auf der Börse oder in
seinem Magazine zu. Die Frau, welche von dem Tage ihrer Vermählung an
vereinzelt dasteht, vergleicht das reelle Leben, welches ihr zu Theil
wird, mit der Existenz, von der sie träumte und da von dieser neuen
Welt, welche sich ihr öffnet, nichts zu ihrem Herzen spricht, so nährt
sie sich von Luftbildern und lies’t Romane. Es lächelt ihr wenig Glück,
sie wird fromm, und lies’t Predigten. Hat sie Kinder, so lebt sie unter
diesen, pflegt und liebkoset sie. Auf solche Weise fließen ihre Tage
dahin.

„Am Abend kommt ihr Mann nach Hause; er ist sorgenvoll, unruhig, von
Anstrengungen erschöpft und träumt von Spekulationen des folgenden
Tages. Er setzt sich zum Essen und giebt kein Wort von sich; die Frau
weiß nichts von den Geschäften, welche seine Seele ausfüllen, und so
kommt es denn, daß sie selbst in Gegenwart des Mannes noch vereinzelt
dasteht.

„Der Anblick seines Weibes, seiner Kinder, vermag den Amerikaner nicht
der Geschäftswelt zu entreißen, und so selten giebt er denselben ein
Zeichen seiner Liebe und seiner Zärtlichkeit, daß man demjenigen
Familienvater, wo dieses mitunter vorkommt, und der Mann seine Frau
und Kinder bei der Heimkehr umarmt, den Spottnamen: „küssende Familie“
beilegt.

“In den Augen des Mannes ist die Frau keine Gefährtin, sondern eine
Handelsgenossin, die das von ihm durch den Handel oder sonstige
Spekulationen gewonnene Geld für seine Wohlfahrt theilweis wieder
ausgiebt.

„Aus der sitzenden und zurückgezogenen Lebensweise der amerikanischen
Frauen, und aus den klimatischen Verhältnissen erklärt sich die
Schwäche ihres Geschlechts; sie verlassen das Haus selten oder nie,
machen sich keine Leibesbewegung, leben von leichter Nahrung und haben
meist viele Kinder. Es darf daher nicht verwundern, wenn sie vor der
Zeit altern und jung sterben.“

„Solche Gegensätze bildet das Leben beider Geschlechter in der
vornehmen reichen Volksklasse; das der Männer ist bewegt, das der
Weiber, traurig und eintönig. Gleichförmig verfließt es bis zu dem
Tage, wo der Mann seiner Frau ankündigt, daß er bankerott gemacht
habe. Dann wird aufgebrochen, und dieselbe Existenz anderswo aufs Neue
begonnen.“

Die Lebensweise der amerikanischen Frauen aus den Mittelständen hat
Vieles gemein mit dem Leben der vornehmen Volksklassen, doch schließt
es sich schon mehr den deutschen Sitten an; dabei unterlassen sie aber
nicht, öfters ihre Ueberlegenheit, wozu sie das Gesetz erhebt und
beschützt, den armen Männern fühlbar zu machen.

Bei Führung der Haushaltung suchen die Frauen möglichst wenig Arbeit
selbst zu übernehmen, und wenn die Domestiken fehlen, so muß die liebe
Ehehälfte, der gute Mann, außer den sonstigen häuslichen Verrichtungen,
auch noch für die Herbeischaffung der nöthigen Lebensmittel sorgen. Im
niedrigsten Stande sucht die Frau, gleich wie bei uns, mit ihrer Hände
Arbeit Geld zu verdienen, um es dann wieder in Gemeinschaft des Mannes
zu vertrinken.

In ihrer Jugend sind die amerikanischen Frauenzimmer meist sehr
hübsch, aber mit dem Kindbette verlieren sie ihre Schönheit, und
mit zunehmender Familie schwindet ihr blühendes Aussehen ganz. Die
Zähne fangen an schlecht zu werden, und mit wenig Ausnahme sind im
dreißigsten Jahre keine Spuren der frühern Reize mehr vorhanden.

Bei der Verehelichung der Geschlechter findet nicht, wie es bei uns
Sitte ist, ein kirchliches Aufgebot oder eine sonst gerichtliche
Bekanntmachung des Vorhabens Statt, sondern der Pfarrer vollzieht, wenn
die Gebühren entrichtet worden sind, die Trauung zu jeder Zeit und an
jedem beliebigen Orte, ohne weiter danach zu fragen, ob die Verbindung
mit oder ohne Einwilligung der Eltern geschieht, oder ob sonst Jemand
Etwas dagegen einzuwenden hat. Daher kommt es auch, daß in Amerika
Viel-Weiberei nichts Ungewöhnliches ist und Fälle vorgekommen sind, daß
dem Gesetze zum Hohne, welches solches verbietet, Männer sich sechs und
mehr Weiber haben antrauen lassen. In wilder Ehe leben Tausende von
Menschen, und nach der neuen Vernunftslehre paßt es gar nicht mehr in
jetzige Zeit, bei Vereinigung der Geschlechter einen Geistlichen oder
sonst eine weltliche Macht zuzuziehen.

Viele der neugebornen Kinder bleiben nach solchen Grundsätzen
ungetauft, und die Eltern legen ihnen selbst einen beliebigen Namen
bei, weshalb auch keine Kirchenbücher zum Einzeichnen des Tages der
Geburt und des Namens vorhanden sind.

Weder über die Geburten, noch über die Sterbefälle werden authentische
Register geführt, wodurch die bürgerlichen Rechte, welche aus der
Geburt und der Ehe erwachsen, sehr gefährdet werden, und je älter
das junge Amerika wird, um so nachtheiliger muß dieses Verfahren für
die Geschlechter sich herausstellen, und Anlaß zu einer Unzahl der
verwickeltsten Prozesse abgeben.

Während der Zeit von drei Wochen, wo man auf dem Schiffe nichts weiter
zu thun hat, ward alles bei mir habende Gedruckte gelesen, und jetzt
die Zuflucht zu den vielen mir anvertrauten, unversiegelten Briefen
genommen, welche ich entweder persönlich überbringen, oder, von mir auf
dem Kontinent mit Kouverts versehen, der Post zur weitern Besorgung
übergeben sollte.

Weit entfernt, die brieflichen Geheimnisse verrathen zu wollen, so
halte ich es doch für räthlich, über diese Schreiben nur so viel zu
sagen, daß in manchen, aber leider nur in den wenigsten, die wahren
Verhältnisse der Abwesenden geschildert waren und dem gegebenen
Versprechen gemäß ohne falsche Schaam über das betroffene Loos
treulich berichteten, um vor ähnlichem Schritte zu warnen. Andere
dagegen standen im grellsten Widerspruche mit dem Leben und Wirken der
Schreiber, welche sich brüsteten, täglich so und so viel zu verdienen,
und dabei verschwiegen, daß sie Monate lang unbeschäftigt, nicht mit
dem auskommen konnten, was während der Arbeitszeit übrig geblieben war,
und auf bessere Zeiten los, Schulden machen mußten. Mitunter ist es
auch wahr, daß der tägliche Lohn zur Zeit der Absendung des Briefes die
in Letzterem angegebene Höhe erreicht hat, es fragt sich aber, ob der
Verdienst auch von Dauer ist, in welchem Falle sich der Handarbeiter
in Amerika bei Selbstbeherrschung schnell eine hübsche Summe ersparen
kann, welches ihnen bei uns nach den Statt findenden Arbeitslöhnen in
der Hälfte seines Lebens nicht möglich seyn würde. So aber ist in der
Regel hier alle Arbeit nur momentan, da der amerikanische Fabrikherr
nicht nach deutscher Manier, eine Bestellung nach der andern in Arbeit
giebt, und so fortwährend eine bestimmte Anzahl angelernter Arbeiter
beschäftigt, sondern zu gleicher Zeit alle Aufträge vornehmen läßt,
wozu ihnen die zweckmäßigen Maschinen die Möglichkeit verschaffen,
auch dabei Gehülfen mit anstellt, welche das Geschäft eigentlich nicht
erlernt haben, und es demnach nur einiger guter Vormänner bedarf,
welche die Aufsicht führen. Wie nun die neu eingehenden Bestellungen
nachlassen, und die Arbeiten schnell gefördert werden, so vermindert
sich auch die Zahl der Arbeiter oft bis auf die wenigen Vormänner,
und die fleißigsten Hände erwarten dann mit Ungeduld die Zeit, wo
sie von Neuem Beschäftigung und Verdienst erhalten. Daher darf man
nicht fragen: Was verdient ein Arbeiter in Amerika den Tag? Sondern:
Was bleibt übrig, wenn das Jahr um ist? und das ~Facit~ ist
in der Regel, wie bei uns, Nichts! Dabei lebt man aber in unserm
Vaterlande in einer heilbringenden, geregelten Freiheit, welche der
Gerechtigkeitsliebende aus jedem Stande, der das Gute nur erkennen
will, überall, wenn auch zu Zeiten umwölkt, auffinden kann. Jedem
Menschen es recht zu machen, vermag kein Gott, noch weniger eine
Behörde. Wo sind aber in Amerika die Staaten, in denen für Alle, arm
oder reich, gleiche Rechte wie bei uns, zu finden sind? Und dennoch
lassen Viele sich bethören, verlassen, um der Freiheit willen, ihr
liebes Vaterland, und übergeben sich der Gnade und Abhängigkeit der
reichern amerikanischen Volksklassen.

Einige meldeten, daß sie in Amerika mehr Fleisch äßen, als sie in
Deutschland gesehn hätten, und vor Allem Kalbs-, Rinds- und andere
Köpfe, von welchen der Amerikaner keinen Gebrauch mache, um einen
Spottpreis kaufen könnten; desgleichen wären auch Knochen mit noch
vielem Fleischanhang beinah um nichts zu haben.

Wie ich schon erwähnt habe, ist der Amerikaner kein Freund von Suppen
und legt daher um so weniger Werth auf Knochen, mit welchen wir in
Deutschland von unsern Fleischern als Zulage leider nur zu reichlich
versehen werden. Aus diesem Grunde wird in Amerika alles Fleisch ohne
Knochen und Letztere werden nur auf besonderes Verlangen gegen einen
sehr billigen Preis, verabreicht. Hinter den Fleischerscharren befindet
sich eine förmliche Wagenburg, auf welcher man die ausgeschälten
Knochen sehr unappetitlich den Tag über aufbewahrt, bis sie Abends an
Fabrikanten zum Seifekochen etc. ihrer weitern Bestimmung zugeführt
werden. Schreibt nun mitunter ein Deutscher aus einer großen Stadt in
Amerika, (auf dem Lande ist dieses etwas anders) daß er mehr Fleisch
äße, als er in Deutschland zeither gegessen habe, so ist er, bezüglich
dieser Delikatesse, wie man aus Vorstehendem ersieht, nicht immer zu
beneiden.

Wurst- oder Kesselsuppe kennt der Amerikaner ebenfalls nicht, da er
es für Sünde hält, den Schweiß vom Schweine aufzufangen und Blutwurst
davon zu machen. Nur von eingewanderten Fleischern wird gegen des
Landes Sitte Wurst gemacht.

Ein Schuhmacher zeigte an, daß er mit den Seinigen bei jedem Mahle
verschiedene Gerichte verzehre, die ihm äußerst billig zu stehen kämen;
er ließ aber weislich die nähere Definition weg, daß nämlich seine Frau
aus den Speisehäusern die Ueberbleibsel der Mahlzeiten zusammentrage,
welches buntschäckige Gemenge nicht immer das appetitlichste war.

Ein Bäcker berichtete unter andern, über das ihm in Amerika betroffene
Mißgeschick, mit folgenden Worten: „Ich miethete mich bei meiner
Ankunft in ~New-York~ bei einem Schneider ein, mit der Bedingung,
in seinem Hause einen Backofen und das sonst Nöthige zum Geschäft
aufbauen zu dürfen. Zu meiner Freude sah ich täglich die Kundschaft
sich mehren, zahlte pünktlich alle Monate im Voraus, wie der Kontrakt
besagte, die Rente, ohne mich weiter um etwas zu bekümmern.

Da ich die Quittungen vorsichtig aufbewahrte, so war ich ruhig ½ Jahr
im Besitz des Quartiers, als eines Morgens ein stattlicher Herr nach
dem Aufenthalte meines vermeintlichen Hauswirths frug, bei welchem,
wie ich vermuthete, ein neuer Anzug bestellt werden sollte, wurde aber
statt dessen in Kenntniß gesetzt, da wir die Thür zu dessen Stube
verschlossen fanden, daß der Schneider, als Miethsmann vom ganzen
Hause, auf ein halbes Jahr die Rente schulde und sich deshalb, wie es
schien, auf und davon gemacht habe. Daß für mich, welcher Quittung über
richtig geleistete Zahlung von dem, bei welchen ich eingemiethet, in
den Händen hatte, Nachtheil daraus entstehen könne, kam mir nicht in
den Sinn; um so unerwarteter war daher der Bescheid, daß ich, den man
im Hause gefunden, auch für den entlaufenen Miethsmann mit einstehen
müsse, und die Bescheinigung vom fälschlichen Hausbesitzer über
gezahlte Rente ohne Unterschrift des wahren Hauseigners ungültig sey,
und ich mich deshalb besser hätte erkundigen sollen.

Der Bau des Backofens, wie die übrige Einrichtung, hatte mein
mitgebrachtes Geld verschlungen, und bei weniger Kundschaft und
gezahlter Miethe an den verteufelten Schneider, war nichts weiter, als
eine bessere Zukunft übrig geblieben, welcher ich froh entgegenging.
Jetzt aber, da ich unvermögend war, die geforderte Summe zu erlegen,
und bei der Vorstellung, daß ich als Fremder unmöglich die Gesetze
kennen könne, und es auch schicklicher gewesen sey, mich früher aus
dem Irrthume zu reißen, mußte ich froh seyn, mit Zurücklassung der
Backgeräthschaften meine Freiheit zu erhalten, und als armer Geselle
das weitere Fortkommen zu suchen.“

Hier hat der Gesetzgeber, von der Ansicht bestimmt, daß ein Miethsmann
den andern besser beaufsichtigen könne, als es dem Besitzer mehrerer
Häuser möglich sey, für den Reichen trefflich gesorgt, und den armen
Miethsmann, welcher seinen Geschäften nachgehen muß, der Gefahr
ausgesetzt, daß der Hausvoigt, im Einverständniß mit dem Hausbesitzer,
sich mit dem einkassirten Gelde entfernt, und so die Zurückgebliebenen
in den Fall kommen können, doppelt auszahlen zu müssen.

Ein anderer Bäcker berichtete, wie einer seiner amerikanischen
Kollegen mit dem Vorgeben, Familien-Verhältnissen halber nach einem
andern Staat zu ziehen, seine Kundschaft, wohin er das Brod fahre,
ausgeboten, und an ihn für einige hundert Dollars verkauft habe. Nach
empfangener Zahlung hätte aber der Schurke seinen Entschluß geändert,
ein anderes Haus bezogen, einen Backofen gebaut, und jetzt wie früher
das Backgeschäft fortbetrieben und ihn so um das sauer ersparte Gut
geprellt. „Herrliche Freiheit!“

Dann beliebte es wieder einem unserer Landsleute, den Seinen brieflich
zu erzählen, wie er in Freistunden und des Sonntags auf der Jagd
sich erlustire, immer in Freude und Herrlichkeit lebe, und die Kinder
der schönsten Zukunft entgegen gingen, obgleich in der Gegend, wo
der Erzähler wohnte, nicht ein Schwanz mehr zu schießen war und
nur das Nothdürftigste erworben wurde, die Kinder ohne Schule wild
heranwuchsen, weshalb sie um die schöne Zukunft wahrlich nicht zu
beneiden sind.

Alle Briefe zu besorgen, hielt ich für Pflicht, da ich mich einmal dem
Geschäfte unterzogen und sonst keine Verantwortung übernommen hatte,
gleich, ob der Inhalt wahr, oder erlogen sey. Nur einer wurde von mir
vernichtet, da durch solchen ein armes Weib hintergangen und betrogen
war, und es mir besser schien, diesem bedauernswürdigen Geschöpfe keine
Kunde vom Mann zukommen zu lassen, als in dem betrogenen Mutterherzen
falsche Hoffnungen zu erregen. Der Absender dieses Schreibens,
welcher sich in Amerika für ledig ausgab, und wie Alle, die mit ihm
zusammenwohnten, auch nicht anders glaubten, feierte einige Tage
vor meiner Abreise die Verlobung mit der Wittwe eines erst kürzlich
verstorbenen Amerikaners, welcher einen Trinkstoor besessen, weshalb,
um dieses Geschäft nicht eingehen zu lassen, die Frau schnell wieder
einen Mann zu erhalten suchte. Erst auf dem Meer, nach Lesung des mir
übergebenen Briefes, wurde die Maske dieses leichtsinnigen Menschen
gelichtet, welcher im Vaterlande Frau und Kinder im Stiche gelassen,
und in Amerika ein Weib betrog.

Die abgeschmacktesten Lügen, wie die Angabe von abgeschicktem, aber
wie zu befürchten stehe, nicht angekommenen Gelde, um welches er nun
gekommen, dann die Unmöglichkeit, da er krank sey, die Familie jetzt
nachkommen zu lassen und dieses bis auf bessere Zeiten verschoben
werden müsse und dergleichen Geschichtchen mehr, enthielt der Brief.

Durch solche Fälle aufmerksam gemacht, kann es einer Behörde, oder dem
Vorstand einer Gemeinde nicht verargt werden, wenn sie dem ohne Frau
und Kinder zur Auswanderung entschlossenen Mann Hindernisse in den
Weg legen, da selten die gemachten Pläne der Letztern in Amerika sich
realisiren, und dadurch selbst mancher brave Familienvater wider Willen
von den Seinen getrennt leben muß, und dann ist es leicht möglich, daß
die Zurückgelassenen der Verpflegung der betreffenden Gemeinde anheim
fallen.

Schon gaben wir uns der Hoffnung hin, daß das Ziel der Reise ohne
einen besondern Unglücksfall bald erreicht sey, und waren so an das
gewaltsame Anschlagen der Meereswogen, wie an das unsanfte Auf- und
Absteigen des Schiffes, gewöhnt worden, daß wir, gleich den Matrosen,
wenig Gewicht mehr auf die Ankündigung von Sturm legten, da diese Kunde
häufig zu unsern Ohren drang.

Nach der Wärme zu schließen, mußten wir die letzte Zeit der Fahrt
weit südlich schiffen, weshalb wir bei ruhiger See den Tag über auf
dem Deck zuzubringen suchten, um durch die scharfe Seeluft ermattet,
die Nacht besser zu ruhen. So lag ich einst in süßen Träumen des
ersten Schlummers, als der ungewöhnliche Lärm der Matrosen, während
des Beilegens der Segel und der mit der Leuchte zu uns herabsteigende
Zimmermann, welcher Werkzeug holen wollte, die Kunde gab, daß ein
Unwetter im Anzuge sey, weshalb der Kapitän, bei der Nähe des Landes,
zeitig alle Vorkehrungen treffen wolle.

So willkommen uns die letzte Nachricht zu einer andern Zeit gewesen
wäre, so stand jetzt zu befürchten, während der Nacht an die Küste
getrieben, noch Schiffbruch zu erleiden; doch dieser Gedanke, so
schrecklich er war, wurde bald von dem Geheul und Lärmen der Wellen,
dem Pfeifen des Windes durch die Segel, wie von den Jammertönen unserer
Leidensgefährtin, verscheucht, welche gleich mir schrecklich von der
Seekrankheit geplagt wurde. Jedes von uns suchte sich so gut als
möglich während der dunkeln Nacht im Lager festzuklammern, da die
Gefahr, herausgeworfen zu werden, mit jeder Viertelstunde zunahm, und
die gewaltsam anschlagenden Wassermassen das Fahrzeug in allen seinen
Fugen zu zerreißen drohten, welches Geprassel die Ladung des Schiffes
noch vermehrte, von welcher die obersten Mehlfässer aus nicht vollen
Reihen knarrend sich gegen die Rippen des Schiffes andrückten, und bei
jeder veränderten Stellung des Fahrzeugs hin und her rollten, sich
aneinander rieben und ein recht widriges Getöse verursachten.

Wie einem Jeden von uns zu Muthe war, gaben die Klagetöne zu erkennen.
Als aber während dieser Katastrophe die verschlossene Luke über der
Treppenstiege geöffnet wurde, und mit den sofort hereinschlagenden
Wellen die Schreckensworte herabtönten: „auf Befehl des Kapitäns,
unsern Aufenthalt schnell zu verlassen und in der Kajüte das Weitere
abzuwarten“, glaubten wir sicher, in den Wellen begraben zu werden. So
schnell als es die erschöpften Kräfte bei dem Schwanken des Fahrzeugs
erlaubten, welches taumelnd jeden Augenblick bald rechts, bald links
schräg auf den Meereswogen lag, raffte sich ein Jeder auf, um durch
die aufschlagenden Wassermassen, dem Schiff entlang, auf allen Vieren
kriechend, da ein Aufrechtgehen unmöglich war, die Kajüte zu erreichen.

Ohne selbst recht zu wissen, was geschehen sey, da der in englischer
Sprache gegebene Befehl bei dem Getöse nur wenig verständlich war,
hatte ich glücklich bei dunkler Nacht das Verdeck erreicht, um
mechanisch den Andern zu folgen, wurde aber sogleich durch eine
aufschlagende Welle übergossen, welches mich bestimmte, wieder
hinabzusteigen, da ich noch bei der Gefahr, zu ertrinken, durch
Erfahrung an Erkältung dachte und die wollene Decke nachzuholen
beabsichtigte, wobei ich leider, während der Fuß unsicher nach der
nächstfolgenden Stufe suchte, die noch zurückseyende und vom Manne
verlassene Amerikanerin vor die Brust trat, wodurch dieselbe mit einem
Schrei hinabstürzte und bewußtlos am Boden zwischen den Koffern liegen
blieb.

Wie war es jetzt möglich, da ich selbst, ohne mich fest anzuhalten,
nicht stehen konnte, dieses durch den unglücklichen Tritt an der Flucht
gehinderte, bedauernswürdige Geschöpf mit fortzubringen? Sie ihrem
Geschick zu überlassen, wäre unmenschlich gewesen, und obiger Vorwurf
hätte mich betroffen, wären wir Uebrigen beim schlimmsten Ereigniß
gerettet worden und nur diese Arme hätte durch meine unschuldige
Veranlassung, mit dem Leben büßen müssen.

Nicht zu beschreiben war unsere beiderseitige Lage. Angst und
Bangigkeit im Herzen, über das, was noch kommen konnte, fort und fort
durchnäßt von den einschlagenden Wellen, welchen wir, gerade unter
der Luke, ausgesetzt waren, dabei das anhaltende Erbrechen, welches
die Brust zersprengen wollte, und nicht vorsichtig beseitigt werden
konnte, wodurch Eines das Andere beschmutzte. O! ihr beneidenswerthen
Kajüten-Reisenden, von allen Diesem habt ihr nichts zu erfahren und
deshalb auch nichts davon zu berichten.

Während ich mich noch abmühte, das junge Weib auf die Füße zu bringen
und Trost zuzusprechen, in der Angst vergessend, daß sie kein Wort
Deutsch verstand, und ich eben so wenig ihre halb ausgesprochenen
Gedanken enträthseln konnte, wurde von einem Matrosen, der nicht wußte,
daß wir noch zurück waren, um den innern Raum vor dem einschlagenden
Wasser zu verwahren, die Decke der Oeffnung mit einem „~God
damn!~“ zugeschlagen und so der letzte Sternenschein von uns
abgeschnitten.

Wie in Grabesnacht der Erwachende ängstlich horchen mag, ob sich nichts
rühre, was sein Pochen vernimmt, so übertönte hier als Gegensatz das
tobende Element unsern Ruf und gleichsam lebendig begraben, wurden wir,
von den übrigen Passagieren abgeschieden, unserm Schicksal überlassen.

Nach langer Mühe gelang es mir endlich, die arme Frau, welche
besinnungslos nicht mehr wußte, was um sie vorging, in die Koje zu
bringen, worauf ich selbst nach meinem Lager kroch und abgespannt an
Leib und Seele, nicht im Stande war, einen Gedanken zu fassen und eben
so wenig betete, als wie ein Murren meinen Lippen entging. Gott und
die Welt waren vergessen. Der Angstschweiß lief über Kopf und Wangen,
wobei die nassen Sachen den Unterleib erstarrten, weshalb ich mich zu
entkleiden bemühete. Doch dieses Geschäft, wozu nur eine Hand verwendet
werden konnte, da die andere zum Festklammern diente, brachte mich, da
es nicht gehen wollte, so in Harnisch, daß ich mich vergessend, wie ein
Landsknecht fluchte. ~O, German!~ rief mir eine Engelsstimme zu,
worauf ich beschämt jetzt wieder an meine Nachbarin erinnert wurde und
solcher mit dem Ausdruck: „Arme Lady“ meine Reue zu erkennen gab.

Was ist doch der Mensch für ein erbarmungswürdiges Geschöpf, wenn
er unvermögend, der Gefahr zu entrinnen, ruhig abwarten muß, was
die Mächte des Himmels über ihn beschlossen. Ja in solcher Lage
ist wahrlich das Vieh, welches nicht weiß, was mit ihm vorgeht,
glücklicher. Um weniger zu erfahren, wie im schlimmsten Falle das
Wasser schmecke, empfahl ich Gott meine Seele und suchte durch Leeren
der Rumflasche die Sinne zu betäuben, welches auch, da der Magen leer
und der Kopf ohnedies ganz wüste war, schnell gelang, worauf ich im
Schlaf versunken, nichts mehr von Allem vernahm, was um und über uns
nach Mitternacht vorging.

Noch heulte der Wind am Morgen durch die Segel und peitschte die
Wellen, daß solche keine Ruhe finden konnten, als die Luke sich öffnete
und mit dem jungen Tage uns neue Hoffnung beseelte. Der Schiffskoch,
in Begleitung des Mannes, brachte der Lady Kaffee und die Nachricht,
daß die Gefahr vorüber, da der Orkan durch die geschickten Manövres des
Kapitäns das Fahrzeug rückwärts gedrängt, und man jetzt weit vom Ufer
entfernt, wieder auf hoher See schiffe.

Der reuige Mann suchte seine Unschuld zu beweisen, daß er, getrennt
vom Weibe, die fürchterlichste Nacht habe zubringen müssen, da er
mehr um ihr als sein Geschick besorgt gewesen sey. Doch verrieth auch
das liebende Weib nicht durch Worte, was ihr Herz empfunden, so malte
sich doch deutlich ihr Unmuth im Gesicht, wobei sie meiner freundlich
gedachte, der ihr hülfreich während der Gefahr zur Seite gestanden;
dabei war sie sich jedoch nicht bewußt, daß durch mein Retourgehen
sie am Ersteigen der Treppe gehindert und dieses die Veranlassung zum
Fall gegeben, sondern während der Bestürzung und bei der Dunkelheit
der Nacht hatte sie den Fußtritt für etwas vom Verdeck Herabfallendes
gehalten, von welchem Wahn ich sie auch weislich nicht befreite.

Drei Tage später kamen wir Englands Küste wieder nahe und nachdem ich
vernommen, daß der Pilot an Bord und das Schiff sicher auf der Themse
Englands Riesenstadt zuführe, schlug das Herz freudig im Busen, denn
bald sollte wieder einer meiner Lieblingswünsche in Erfüllung gehen.

Nach einer Fahrt von nur 25 Tagen, wobei das Schiff retour geschlagen
und dadurch Zeit verloren ging, langten wir glücklich am 12. Februar
in London an, wo uns sogleich die Kunde wurde, daß bei dem letzten
Sturm an Englands Küsten mehrere Fahrzeuge gestrandet, und wir froh
seyn könnten, nur mit dem Schreck davon gekommen zu seyn, und jene Zahl
nicht vermehrt zu haben.



Siebenundvierzigster Brief.

Aufenthalt in London.

    Im Februar 1841.


Noch vor Ankunft unsers Packetschiffs, an seiner bestimmten Station,
in dem seinem Welthandel angemessenen großen Basin, wohin es aus
der Themse durch einen Seitenkanal langsam an Seilen gezogen wurde,
verließen die, während der Seereise über mir logirt gewesenen zwei
Passagiere das Fahrzeug und verschwanden alsobald unter der gaffenden
Menge am Ufer, welches zu der Vermuthung Anlaß gab, da solche vor ihrer
Entweichung aus einem unter ihrem Lager versteckt liegenden Packet
etwas zu sich steckten, daß solches Kontrebande seyn müsse. Selbst als
das Schiff in der Mitte der ringsum auf dem Basinufer erbauten Zoll-
und Lagerhäuser wie in einer Festung sich befand und kein Fahrzeug
bei Konfiskation außerhalb dieses Terrains und in solchen auch nicht
das Geringste von Waaren vor der Revision ausladen darf, kamen die
Schwärzer durch die mit Wachthäusern besetzten Ausgänge dieser Anstalt,
versahen sich von Neuem mit Waaren und trugen solche am Leibe versteckt
dreist durch die wachthabenden Zollbeamten, ohne weiter angehalten,
noch weniger visitirt zu werden. -- Was soll man dabei denken?
Neugierig, was es wohl seyn mochte, um dieses Risiko zu unternehmen,
untersuchte ich den Versteck und fand Kautaback, welcher, wie ich
später erfuhr, hoch besteuert sey.

Während der Zeit, bis die Matrosen eine Passage zum Transport unserer
Sachen aus dem Schiffe besorgten und die Koffer selbst genau visitirt
wurden, so daß auch das letzte Stück ausgeräumt werden mußte, hatten
die Kontrebandiers, einzeln oder in Gesellschaft Anderer, mehrmals
die Eingänge passirt, ohne Verdacht zu erregen und durch geschickte
Manövres die Wächter getäuscht und so die weislich außer ihrem
Koffer im Schiff verwahrten und bei etwaigem Verrath als ihnen nicht
zugehörige Waaren, in Sicherheit gebracht.

Das junge Ehepaar war ebenfalls mit Zurücklassung seiner Sachen
sogleich bei unserer Ankunft verschwunden, und so stand ich fremd,
ohne Rathgeber und gehörige Kenntniß der Sprache, in der Mitte einer
Menge Allerwelts-Freunde, welche ihre Dienste anboten, ein Jeder etwas
zu erinnern wußte und sich bemüheten, den deutschen, aus Amerika
angekommenen Vogel die Federn mit rupfen zu helfen. Wider Willen
schleppte mich einer dieser dienstfertigen Leute nach dem Bureau, wo
eine Aufenthaltskarte gelöst werden müsse, ohne welche mich Niemand
beherbergen dürfe, mit der Bemerkung, daß während der Zeit die Andern
meine Sachen in Aufsicht behalten wollten.

Die Schuldigkeit eines jeden Reisenden ist, sich in die örtlichen
Gesetze zu fügen, wobei ich zugleich erinnert wurde, daß ich nicht mehr
in Amerika war, wo Niemand bei der Ankunft, während des Aufenthalts
und der Abreise sich die Mühe giebt, zu fragen, ob Einer Hans oder
Kunz heiße, wo und wie lange man in den Vereinigten Staaten zu
bleiben willens sey und was Einer zu treiben gedächte. Alles dieses
sind Sachen, welche nur mit den relativen Begriffen von Freiheit der
Amerikaner übereinstimmend sind.

Nur einige hundert Schritte entfernt, da man mich durch mehrere
Hausgänge führte, war die ~Office~, und an der Thür angelangt,
gab mein Begleiter durch das Oeffnen der Hand zu verstehen, daß er
für seine Mühe abgelohnt seyn wolle, mit dem Bemerken, daß er mich
dann eben so schnell wieder retour geleiten werde. Zu meinem Verdruß
fand ich beim Durchsehen des Silbergeldes keine kleinere Münze als ein
~Six-pence~-Stück (5 Sgr.), erhielt aber zur Verwunderung statt
Dank, das mir zu viel scheinende Geld mit der Bemerkung zurück, daß
unter einem Schilling (10 Sgr.) ein Engländer keinen Dienst erweise.
Hier half kein Besinnen, das Geforderte zu zahlen, da seine Kollegen im
Besitze meiner Sachen waren.

Nachdem man mich, da kein Paß aufgezeigt werden konnte, in deutscher
Sprache sehr zuvorkommend examinirt hatte, stellte man einen Schein
über geschehene Meldung aus, welcher von mir am Tage der Abreise
zurückgegeben werden sollte. Diese ganze Verhandlung dauerte höchstens
eine Viertelstunde, welche Zeit meinem Wegweiser doch zu lange
vorgekommen seyn mochte, um das Geld wieder im allgemeinen Verkehr
zu bringen, oder durch neuen Verdienst zu vermehren; kurz er war
verschwunden, und ich so genöthigt, den Rückweg allein anzutreten.

Obgleich keiner der Hüter meiner Sachen in deren Nähe sich befand,
welche auch, wie ich später erfuhr, ohne besondere Aufsicht sicher
gestanden haben würden, so hielten doch alle drei die Hände auf, in
dem Glauben, daß in jede ein Schilling gelegt werde. Der Gemahl meiner
jungen Leidensgefährtin, welcher zurückgekommen war, nahm sich aber
der Sache an, und fertigte in meinem Namen Alle für ihr Nichtsthun mit
einem Schilling ab.

Um ein deutsches Kosthaus, wo man billig logiren sollte, zu beziehen
(wenn das Wort „billig“ in London Anwendung finden kann), nahm ein
vereideter Lastträger, wie es das angehängte Schild zu erkennen gab,
meinen Koffer mit auf seinen schon mit andern Sachen beladenen,
zweirädrigen Wagen, welcher von zwei kleinen Buben gezogen wurde, und
bestimmte, da dieses ~Hôtel~ weit entfernt seyn sollte, sechs
Schillinge Fuhrlohn. In der bald erreichten ~Bishopsgate-Street~,
bei ~Old Catherine Wheel Jun.~, wurden die übrigen Sachen
abgeladen und zu meiner Freude fand ich hier einen Straßburger wieder,
den ich schon in Amerika kennen gelernt, und der jetzt, wie ich, auf
der Heimreise begriffen war, da er jenseits des Meeres auch nicht
gefunden, was Tausende vergeblich suchen. Auf den Vorschlag, hier zu
logiren, und dann mit ihm und einem zweiten Landsmann, welcher auch aus
Amerika kam, die Reise über Paris zu machen, war nichts einzuwenden,
und da er versicherte, daß der Wirth, ein geborner Franzose, zwar auch
die Feder zu spitzen verstehe, er doch nicht, wie es hier die Sitte in
andern ~Hôtels~ sey, das Fell über die Ohren ziehe, und ich leicht
auch bei dem rekommandirten deutschen Wirthe aus dem Regen in die
Traufe kommen könne, so gab ich nach und blieb hier.

Dagegen hatte der Fuhrmann nichts einzuwenden; als ich aber statt
sechs nur drei Schillinge für den Transport des Koffers zahlen wollte,
da noch nicht die Hälfte des akkordirten Weges zurückgelegt war, und
dieses schon übertheuer bezahlt sey, wie die Andern versicherten, so
predigte ich doch tauben Ohren. Ohne seine Schuld sey der Weg gekürzt
worden, war die Antwort, und Niemand könne sein gutes Recht auf die
bedungene Summe ihm absprechen, auch würde er bei weiterm Aufenthalt
noch wegen Zeitverlust auf Vergütung Anspruch machen.

Mit den englischen Gesetzen zu wenig bekannt, und um einen Rechtsstreit
zu beginnen, nicht nach London gekommen, zahlte ich also, und mache
dieses als Vorgeschmack bekannt, damit man sehe, was den wenig
bemittelten Reisenden für Genüsse in England erwarten.

Noch zu sehr erschöpft und ärgerlich gestimmt über die unverschämten
Forderungen dienstbarer Geister, ward beschlossen, die letzten
Stunden des heutigen Tages zu ruhen, und morgen erst die Wanderung
durch Britanniens Hauptstadt zu beginnen. -- Um die Wollust, auf
einem weichen Bette sich zu pflegen, recht zu empfinden, muß man, wie
ich, mehrere Wochen vorher unter immerwährenden Stürmen auf hartem
Lager zugebracht haben. -- Schon war es hoch an der Zeit, was ich
nicht bemerkt hatte, da die herabwallenden Bettvorhänge dem Auge die
Tageshelle verbargen, als die im Nebenzimmer logirenden Landsleute mich
weckten, da der auf heute bestellte Lohnbediente angekommen sey.

Schnell war die Toilette gemacht, schneller noch das Frühstück
verzehrt, und: „Wohin nun zuerst die Schritte gerichtet?“ war die
Frage des Wegweisers. Die Ansichten stimmten nicht überein. Der
Themse-Tunnel, dieses Riesenwerk, erregte vor Allem meine Neugierde,
dagegen der dritte Landsmann, als Bierbrauer, die großartigen Anstalten
Londons zuerst besehen wollte, der Straßburger, als Handelsmann, aber
die Börse und von der großen Brücke herab, das Gewühl der Fahrzeuge
auf der Themse zu sehen wünschte. „Es wird wohl das Beste seyn“,
versetzte der ~Cicerone~, „wenn Sie sonst keine bestimmten
Geschäfte abzumachen haben, und die Briefe nebenbei abgegeben werden
können, daß wir uns zuerst nach dem volkreichsten Theile der Stadt,
der ~City~, begeben, damit Sie sogleich einen Blick in Londons
Geschäftsleben werfen, und auf dem Wege durch ~Lutgad-hill~, das
Packet besorgen können.“

Kaum hatten wir unser Logis im Rücken, als der Führer den Antrag
stellte, im Falle wir einige Wochen hier verleben wollten, unsern
jetzigen Aufenthalt zu verlassen, wo, im Verhältniß zu andern großen
Städten, bei aller Billigkeit noch theuer zu logiren sey. Dagegen
finde man mit leichter Mühe, wie auf den an den Häusern angeschlagenen
Zetteln zu ersehen sey, überall zur Miethe ausgebotene Wohnungen, groß
oder klein, elegant und einfach meublirt, je nach Bedarf. Da wir aber
nur einige Tage in London zu bleiben gedachten, wurde für die Nachricht
gedankt, ohne selbst Gebrauch davon zu machen. Ich halte es aber der
Angabe werth, da es vielleicht dem geehrten Leser zu Gute kommen mag,
wenn er nach vollendeten Eisenbahnen einen Abstecher nach England zu
machen, willens seyn sollte.

Größer noch, wie in ~New-York~, ist das Treiben und Wogen der
geschäftigen Menge in diesem Stadtviertel. Die Trottoirs in den
Hauptstraßen, breit genug um sechs und mehreren Personen neben einander
das Gehen zu gestatten, sind beständig mit Menschen überfüllt.
Schwieriger aber noch wird das Durchkommen in den engen und krummen
Gassen der eigentlichen ~City~, wo die Fußwege schmal und der
Koth in den, wie es scheint, nie gereinigten Fahrstraßen, den dahin
Tretenden, oder quer über die Straße Gehenden, in die Gefahr versetzt,
die Fußbekleidung im Stiche zu lassen. Demnach befinden sich gewöhnlich
Bettler, mit Besen bewaffnet, an den Orten, wo die Trottoirs durch
eine Straße unterbrochen werden, um einen schmalen Fußweg zu fegen. Da
aber die Arbeit nur ein Gewerb zum Betteln ist, und das ewige Fahren
Alles wieder sogleich mit Koth überzieht, auch bei dem ewigen Nebel die
Trottoirs nicht immer die reinlichsten sind, so bedient man sich in der
Regel der Galloschen, und die Frauenzimmer mit Zwecken beschlagener
Stelzschuhe, welches Klappern schon aus der Ferne die Ankunft der
Schönen verräth.

Die vornehme Welt besucht diesen Stadttheil nie zu Fuß, und selbst der
Mittelstand bedient sich der Miethwagen, welche den ganzen Tag auf den
angewiesenen Plätzen bereit stehen, und deren Zahl über 1200 seyn soll.

Da durch das ewige Hin- und Herfahren, so wie das durch Einanderdrängen
nach allen Richtungen, im Fahrwege ohne Gefahr zu gehen, nicht möglich
ist, so spatzieren auch auf den Trottoirs die vielen Lastträger,
Schubkärner, Milchhändler, Brod- und Kuchen-Händler mit ihren Körben,
Straßenkehrer mit ihrem Geräthe, wie alle mit Baumaterial belasteten
Maurer und Zimmerleute, und die größte Vorsicht ist nöthig, um
nicht umgerannt zu werden. Durch die langen Züge der sich aneinander
reihenden Wagen entstehen oft bei Passirung der Querstraßen,
Viertelstunden lange Stockungen, welche Zeit des Aufenthaltes der
Fußgänger verwendet, um die geschmückten Läden, da fast jedes untere
Stock dazu eingerichtet ist, zu besehen. -- Die Pracht und Schönheit
dieser Gewölbe, mit all den sinnreich aufgestellten Waaren, setzt
den Fremden in Erstaunen, und der Reichthum und Glanz der Gold-
und Silber-Arbeiter ist nicht zu beschreiben. Die Galanterie-Läden
bieten jedes Luxuriöse, und die schönen Draperieen, mit welchen die
Schnitthändler hinter großen Spiegelfenstern die Waaren dem Publikum
zeigen, reizen zum Kauf. Die lockenden Obst- und Kuchen-Läden erwecken
den Appetit, und wässern den Mund unwillkürlich, da Alles, was
Konditoren nur erfunden haben, hier zur Schau aufgestellt ist. Auch
die Apotheker stehen nicht nach, und verzieren die Ladenfenster mit
gläsernen Kugeln, gefüllt mit gefärbtem Spiritus, zwischen welchen
Vasen mit künstlichen Blumensträußen aufgestellt sind, welche,
vorzüglich Abends erleuchtet, einen imposanten Anblick gewähren. Vor
Allem aber fesseln den Blick die Kupferstichläden, wo täglich neue
Gegenstände ausgehängt sind, weshalb immer ein Kreis Neugieriger die
Fenster umlagern, und den Weg verengen. Nichts mag es wohl in der Welt
geben, womit Handel getrieben wird, was in London nicht zu bekommen
wäre.

Um aber auch bei ungünstiger Witterung dem Publikum die Gelegenheit zu
geben, geschützt vor Koth und Wetter, ihre Einkäufe machen zu können,
den Neugierigen und Geschäftslosen Promenaden, wie den Verkäufern
trockene und sichere Magazine zu verschaffen, so sind mit Glas bedeckte
Passagen errichtet worden, welche prachtvollen Glasgallerien Alles
bieten, was man wünscht und sucht, und diese Durchgänge noch dem
Fußgänger den Vortheil gewähren, den weiten Weg zu kürzen, indem man
durch solche schnell aus einer Straße in die andere gelangen kann. Mein
Gefährte hatte beim Passiren der ~Arcade Bourlington~ die Gewölbe
gezählt und deren zweiundsiebenzig gefunden.

Je mehr man sich wieder aus der ~City~ entfernt, desto mehr
nimmt das Gewühl der geschäftigen Menge ab, denn hier wohnt mehr der
konsumirende Theil der Einwohner, welche in größter Bequemlichkeit sich
des Lebens zu freuen suchen. Kein rauschender Erwerb, kein Gedränge der
arbeitenden Klasse, nur geputzte Herren und Damen und bunte Livreen
beleben die Straßen, so wie nur glänzende Equipagen und Lohnkutscher
sichtbar sind.



Achtundvierzigster Brief.

Fortsetzung.

    Im Februar 1841.


Die durch den fortwährenden Steinkohlendampf schwarz geräucherten
Häuser haben im Allgemeinen, mit Ausnahme einiger fürstlichen
Wohnungen, kein imposantes Ansehen; sie sind meist drei Stock hoch, von
Ziegelsteinen ohne die geringste äußere Verzierung aufgeführt, meist
schmal, da sie in der Regel nur von Einer Familie bewohnt werden und
haben deshalb keinen Thorweg; dabei sind die Hausthüren auffallend eng
und hoch, eben so die Fenster, welche, gleich den Amerikanischen, keine
Flügel haben, sondern zum Aufschieben eingerichtet sind. Die Treppen
sind ebenfalls äußerst schmal, und im Souterrain befinden sich die
Küche und Bedienten-Wohnungen.

Alle, meist von großen Plätzen ausgehende, oder in solche einmündende
Straßen sind gerade, breit und mit Trottoirs versehen. Die schönste
Straße ist aber die ~Regent-Street~, in welcher an beiden Seiten
längs der Häuser, eine Säulen-Colonnade aufgeführt ist.

Mit Besteigung der Säule, das Monument genannt, welche zur Erinnerung
der Stelle, wo 1666 der große Brand entstand, der 13,000 Häuser
zerstörte, errichtet ist, wurde der erste Tag beschlossen. Von der Höhe
der Säule, welche oben mit einer Gallerie umgeben ist, und wohinauf 365
Stufen einer Wendeltreppe führen, genießt man eine herrliche Aussicht,
wenn die Witterung günstig und der Steinkohlendampf weniger die Luft
verdickt. Leider war es jetzt der Fall, daß der Nebel die Fernsicht
hemmte, und wir unbefriedigt den Ort verließen.

Alles, was wir während des siebentägigen Aufenthalts in London,
bei wenig Ruhe, Gelegenheit zu sehen hatten, genau zu beschreiben,
würde einen ganzen Band füllen, und durch meine ungeübte Feder nur
unvollkommen geschehen können. Dabei würde solches über das gesteckte
Ziel hinausführen, und Zeit in Anspruch nehmen, welche mir jetzt schon
zu andern nothwendigen Arbeiten verloren ginge. Im Allgemeinen will ich
nur bemerken, was mir unter der Größe und Pracht Londons am Meisten
aufgefallen, wovon aber manches weniger Merkwürdige dem Gedächtniß
wieder entschwunden ist.

Die schönen Statuen, Monumente, Brücken und die Eisenbahnen, von
welchen eine der Letzteren in einem Stadttheil über die Häuser führt,
die Straße unter dem Wasser weg (der Themse-Tunnel), die großartigen
Bierbrauereien, die Theater, die St. Paulskirche, der Palast von
Westmünster, Westmünster-Abtey und der so geschichtlich berühmte Tower.

Unter andern Aufträgen von Amerika aus, war mir auch die Besorgung
eines Briefes an Prinz Albert (Gemahl der Königin), übertragen, weil
man glaubte, daß solcher auf diesem Wege sicherer, als durch die Post,
in seine Hände gelangen würde. Die Veranlassung zeigte, daß nicht immer
auf das Wort großer Herren zu bauen, und die Sache selbst interessant
genug ist, um sie hier zu veröffentlichen.

Ein Schneidergeselle in ~New-York~, mit Namen Karl, welcher auf
Stück für einen Kleiderhändler arbeitete, und dessen Bekanntschaft
ich machte, hatte die Milchschwester des Prinzen Albert von Koburg
geehelicht, welche ihren Mann mit einem kleinen Söhnchen beschenkte.
Nach langem Berathschlagen, wer wohl der annehmbarste Pathe seyn
möchte, erinnerte sich die Wöchnerin der Worte des Prinzen, welcher bei
ihrer Konfirmation, wo sie ihm vorgestellt worden, gesagt haben sollte:

„Bedürfen Sie Meiner einmal in spätern Jahren, so erinnern Sie sich
nur des Milchbruders, und ich werde, der Worte eingedenk, helfen, wenn
ich’s vermag.“

Der Bedarf war da, denn der arme Modekünstler verdiente nur zur Noth,
was er nebst Frau täglich brauchte. Leider blieb aber nichts zur
Bestreitung der nöthigsten Ausgaben für den kleinen Wurm übrig, auf
welchen gar nicht gerechnet worden war.

In aller Form wurden Tauf- und Trau-Schein und sonstige Atteste der
Armuth nach London abgeschickt, und bis die gewünschte Antwort ankommen
würde, das Kind ungetauft gelassen. Nach langem Hoffen kam endlich das
ersehnte Schreiben, mit Königlichem Siegel gut verwahrt, an, und nach
seiner Größe zu schließen, enthielt es vielleicht gar noch außer der
Banknote als Pathengeschenk, ein Diplom als Leibschneider Sr. Majestät,
für den lieben Mann.

Zum Unglück für die Frau war bei Ankunft des Briefträgers der Mann
nicht zu Haus, und ruhig abzuwarten, bis er komme, ließ die Neugierde
der Hochbeglückten nicht zu. Boten wurden nach allen Seiten
ausgeschickt, und die nächsten Bekannten gerufen.

„Wenn nur nicht gar ein Orden darin verborgen ist“, bemerkte im Scherz
der Hauswirth, „denn ein solcher darf hier nicht angenommen und
getragen werden.“

„Dafür weiß ich Rath“, versetzte die Frau lakonisch, „wir verlassen
sogleich Amerika, denn allerliebst muß sich mein kleiner Mann, mit dem
großen Orden geschmückt, ausnehmen.“

Dem aufgefundenen Schneider wurde nicht allein die Ankunft des Packets
gemeldet, sondern mehr noch zugesetzt, als wahr war, und wer konnte es
dem Freudetrunkenen verargen, wenn er sogleich auf Pump einige Gläser
leerte, und so seelenvergnügt der Familie zueilte. Mit ängstlicher
Spannung wurden die Siegel gelöst. Doch wer malt das Erstaunen der
versammelten Menge, als nichts mehr, noch weniger in dem Packet
enthalten war, als was man nach London abgeschickt hatte. Mit keiner
Sylbe war über das Verfahren berichtet, die Unterschrift des Absenders,
oder dessen Bevollmächtigten fehlte und eben so Ort und Datum des
Abgangs.

Der Mann hätte gern das auf Pump Getrunkene dem Wirthe wiedergegeben,
wenn dieses möglich gewesen wäre, und die Frau dem Briefträger das
ganze Schreiben überlassen, wenn dieser das Postgeld restituirt hätte.
Vor Allem aber schien das kleine Pathchen selbst, welches die Mutter
im Geiste reichlich bedacht, jetzt aber, über der Freude, zu füttern
versäumt hatte, wegen des Vorgefallenen erzürnt zu seyn, denn es schrie
entsetzlich, und vertrieb uns, die noch zusammen waren, um zu berathen,
was nun zu thun sey, aus dem Hause.

Beschlossen ward, da zu vermuthen stand, daß die Hauptperson von der
Sache gar nicht in Kenntniß gesetzt worden sey, daß ich bei meiner
Ankunft in England, einen Brief mit dem kurzen Inhalte des Ereignisses
in die Hände des Gemahls Ihrer Majestät der Königin, nun auf Umwegen,
zu bringen suchen sollte, da diesmal nicht der gerade Weg, wie das
Sprichwort sagt, der beste war.

Bei einem Londoner Restaurateur, wohin der Kammerdiener des Prinzen
zuweilen kommen sollte, und welchen ich bat, den Brief in die Hände
des Dieners des Prinzen Albert zu legen, da Ersterer die Mutter des
Kindes von Koburg aus kenne, und zu erwarten stehe, daß solcher sich
deshalb des Auftrages unterziehen würde, wurde mir die Nachricht:
daß der Dienerschaft streng verboten sey, Schreiben an die höchsten
Herrschaften anzunehmen, und demnach zu befürchten stehe, wenn ich
nicht persönlich den Brief dem Kammerdiener nebst Fürsprache übergeben
würde, daß derselbe ebenfalls unbeachtet verloren gehen könnte. Jetzt
blieb nichts übrig, als auf gut Glück nach dem ~Buckingham-Palast~
wo die Majestäten residirten, bis zum -- Kammerdiener vorzudringen.

Der Hofraum dieses Palastes, mit zwei Seitenflügeln versehen, wird von
eisernen Spalieren geschlossen, und die Eingänge mit Garde-Grenadieren
besetzt, welche jedem unberufenen Gast den Zutritt verwehren. Gern
hätte ich mit der Equipage des Königs der Belgier, welcher zur Zeit
zum Besuch in London war, und dessen Ankunft im Schlosse die Soldaten
unter’s Gewehr rief, den Eingang erstürmt, wenn nicht die reichlich
hintenaufstehende Dienerschaft dieses unmöglich gemacht hätte. So
standen wir lange, und berathschlagten, was zu thun sey, da der Rückweg
zu unserer Wohnung weit war, indem solcher durch die Gärten von
~Kensington~ und ~Hyde-Park~ genommen werden sollte.

Endlich erschien, wie seine Eilfertigkeit verrieth, der Laufbursch des
Gehülfen vom Fußbekleidungs-Reiniger des Kammerdieners, der durch ein
Geschenk bewogen wurde, den Brief anzunehmen, und in die Hände seines
Gebieters zu legen[56].

Die Gärten von ~Kensington~ bieten in Bezug auf die daselbst
befindlichen Thiere nichts besonderes Merkwürdiges dar, und nur
Wildpret, Fasanen und verschiedene andere Vögel sind in eingezäunten
Distrikten zu sehen.

Die Königliche Menagerie mit ihren reißenden Thieren, wie Löwen, Tiger,
Panther, Leoparden und verschiedene andere Bewohner der Wüste waren
früher im ~Tower~ mit verwahrt, wo den Reisenden die Gelegenheit
ward, solche sehen zu können, nach dem daselbst statt gehabten Brande
aber, dort nicht mehr existiren.

Der ~Hyde-Park~, dieses große Terrain, ist nach englischer Manier
angelegt, und hie und da sind nur einige Bäume sichtbar; wegen der
Winterzeit verlor sich auch das Grün der Rasenplätze, wodurch dieselben
eher einer Sandwüste glichen, doch ist der Geschmack verschieden.
Der Engländer liebt einmal die weite Aussicht, und des Sonntags
Nachmittags, wo hier 5-6 Tausend Personen aus allen Ständen auf- und
abwandeln, und die Wege voll sind von Reitern, Wagen und Kabriolets,
wovon immer ein Pferd, ein Fuhrwerk schöner als das andere ist, soll
auch dieser Ort höchst interessant seyn, und zum öftern Besuche
einladen.

Herzog ~Wellington’s~ und ~Sutherland’s~ Paläste wurden nur
von fern gesehen, denn als in einer andern Richtung eine Rauchsäule,
welcher bald die helle Flamme folgte, in die Luft wirbelte und
die Umgegend erhellte, wurden die Schritte verdoppelt da wir uns
verpflichtet hielten, hier, wo’s Noth that, mit zu helfen.

Noch ehe wir ankamen, waren schon einige Spritzen in Thätigkeit,
wovon die erste 30, die zweite 20 Schillinge als Prämie erhielt.
Auffallend war die Ruhe, welche dabei herrschte. Keine Sturmglocke
ertönte, kein Feuerlärm wurde vernommen. Niemand war beängstigt und
bestürzt. Von der Brandstätte etwas entfernt, standen Hunderte und
sahen mit Wohlgefallen diesem schönen Schauspiele zu, doch Keinem
fiel es ein, thätig mit einzuschreiten, weil auf den ersten Feuerruf
die aus allen Stadtvierteln mit Pferden und Menschen bespannten
Spritzen herbeieilten, und nur dazu beauftragte Leute dem Feuer sich
nähern dürfen. Die Direktion dieser Löschanstalten ist weislich den
Häuptern der Feuer-Assekuranzen anvertraut, da diese bei Feuerunglück
am mehrsten interessirt, nichts unterlassen, um der Kasse den Verlust
weniger fühlbar zu machen.

Nicht allein jedes Gebäude ist versichert, wie man an den Schildern
der Häuser sehen kann, sondern in der Regel auch das Mobiliar, und es
steht dem Eigenthümer der Sachen, wegen möglicher Veruntreuung, nicht
zu, beim Ausräumen derselben mit Hand anzulegen, sondern dies geschieht
Alles durch eigends dafür besoldete Leute.

Des Feuers wurde man bald Meister, da es sich selbst verzehrte, die
Spritzen, denen es nicht an Wasser fehlte, welches durch unterirdische
Röhren durch alle Straßen Londons geleitet wird, nicht nutzlos in
die Feuersäule gossen, und die Bemühung der Spritzenleute nur darauf
gerichtet war, die weitere Ausbreitung des Feuers zu hindern, als das
einmal in Brand gerathene Haus zu löschen.

Die neugierige Menge verlor sich mehr und mehr und eine besondere
Art Nachtvögel wurde bemerkbar, welche die einzelnen oder in kleinen
Trupps zusammenstehenden Jünglinge und Männer umschwärmten. Auch zu uns
gesellten sich einige dieser öffentlichen Stadtnymphen und stellten
Anträge, welchen am besten zu entgehen unser ~Cicerone~ den
Vorschlag machte, eine Lohnkutsche zu besteigen, bis wo hinein nur auf
Verlangen der Fuß einer Begleiterin sich verirren darf.

An Kreaturen, welche für Geld ihre Reize feilbieten, fehlt es, wie
überall in der Welt, auch in Amerika nicht, doch werden öffentliche
Häuser dort nicht geduldet, und streng wacht das Gesetz über die
moralischen Sitten des schönen Geschlechts. Kupplerinnen dürfen nur
im Geheimen die Hand zur Verführung bieten, und bei der geringsten
Anzeige oder Verdacht wird ihnen das Handwerk gelegt und sie büßen mit
Gefängniß und ihrer weltlichen Habe. Aber auch dem lüsternen Manne wird
der Appetit benommen, da nach dem Gesetz die verworfendste Dirne selbst
den Familienvater zum Vater ihres Kindes nicht allein schwören kann,
sondern dazu ermuntert wird, indem 400 Dollars der geringste Preis ist,
welchen das Gesetz zum Lohn für einen solchen Schwur aus dem Beutel
des angegebenen Vaters bewilligt, insofern nicht durch Zeugen bewiesen
wird, daß die Klägerin schon früher oder gleichzeitig auch gegen Andere
nicht ..... unerbittlich gewesen sey.

Doch auch diese Strenge hat ihre Schattenseite, da, wie Gall bemerkt,
der Beklagte in den meisten Fällen vorzieht, mit jenem Sündenlohn
lieber die erforderlichen Zeugen nöthigenfalls zu erkaufen. Daß die
scandalösen Prozesse, welche sich aus solchen Klagen entspinnen, den
verderblichsten Einfluß auf die Sittlichkeit ausüben, kann man sich
denken.



Neunundvierzigster Brief.

Reise nach Paris.

    Im Februar 1841.


Den 20. Februar ward das Dampfschiff ~City of Londonderry~
bestiegen, um mit diesem nach Frankreich abzugehen, und in ~Havre
de Grace~ zu landen. Die zweitägige Seereise dahin ist freilich
länger, als durch den Kanal von ~Dover~ nach ~Calais~, welche
Fahrt in so viel Stunden gemacht wird, dabei ist aber zu bemerken, daß
die Landreise von ~Havre~ nach ~Paris~ auch weit kürzer und
billiger ist, als von ~Calais~ dahin, und dann wünschte ich auch
die Hafenstadt kennen zu lernen, von wo aus meistens die Rheinländer
die Reise nach Amerika antreten.

Ueber die Rechnung des Wirths, bei welchem wir während der Zeit des
Aufenthalts in London logirt hatten, konnte man sich nicht beschweren,
und zwar aus dem triftigen Grunde, da wir bei ihm außer Bett, früh
Kaffee und Abends einem Krug Bier, nichts erhalten hatten. Frühstück,
Mittag- und Abend-Brod wurde nach Bedarf auf der Wanderung verzehrt,
und da wir nicht, um den Gaumen zu kitzeln, nach London gekommen waren,
so wurden auch nicht die vornehmsten Restaurationen besucht, sondern in
gewöhnlichen Speisehäusern eingesprochen. Zu jeder Zeit kömmt man hier
recht, immer füllen und leeren sich die Tische; man speis’t ungenirt
und hat den Vortheil, nicht nach einem guten Trunke lüstern zu werden,
da die Wirthe dieser Tabernen keine Getränke verkaufen dürfen, und
deshalb Wasser, woran ich und meine Begleiter schon in Amerika gewöhnt
waren, ~gratis~ verabreichen.

Wie zu vermuthen steht, ißt nur die vornehme Welt in England die
Speisen halb gar gekocht, denn niemals habe ich in den besuchten
Speisehäusern darüber zu klagen gehabt, daß die Zähne mit dem
Zerkleinern nicht hätten fertig werden können. Im Gegentheil war
alles Fleisch mehr als zu weich; dagegen herrscht aber auch hier,
wie in Amerika, die Sitte, alles Gemüse nur in Wasser zu kochen und
ungeschmelzt zu serviren. So gelebt, hat man über die Theuerung
unumgänglich nöthiger Lebensbedürfnisse in Betracht des Maaßstabes,
wie solcher in England angewandt werden muß, nicht zu klagen, und die
direkten Ausgaben schmerzen den Reisenden weniger, als die indirekten,
da hier das Sprichwort gilt: „Für Nichts hat man Nichts!“ Alles, was
man sehen will, wie die geringste Handleistung muß theuer bezahlt
werden.

Vorsichtig gemacht, wurden die Transportkosten unserer Sachen nach dem
Dampfschiffe vorher bestimmt; da aber das Boot einige Schritte vom
Ufer abstand, weil ein zwischenliegendes Fahrzeug das Näherankommen
verhinderte, so wurde abermals eine Ausgabe herbeigeführt, und für
diesen geringen Dienst von der Person ein Schilling bezahlt. Als man
aber nach Erreichung des Dampfboots für die mit uns zugleich mit
übergesetzten drei Koffer noch besonders eine Vergütung verlangte,
und sich mit dem in fünf Minuten verdienten Thaler nicht begnügen
wollte, wäre es bald zu einer thätlichen Demonstration gekommen, da
der Bierbrauer Miene machte, diesen Schurken über Bord zu werfen, wenn
nicht die dazwischenspringenden Matrosen es verhindert hätten.

Zwanzig Schillinge war der bestimmte Preis, in der zweiten Kajüte zu
reisen. Als aber das Geld von dem Steward einkassirt wurde, verlangte
derselbe noch von jeder Person zwei Schillinge, als Trinkgeld für
sich, da dieses so Gebrauch sey. Alles Einreden der Passagiere wegen
Unbilligkeit dieser Forderung, fruchtete nichts. Wer kein Geld habe,
solle nicht reisen, war die lakonische Antwort des Britten, und so
blieb nichts übrig, als abermals den englischen Blutegeln den Beutel
vorzuhalten und als Wiedervergeltung wäre die Strafe nicht zu hart,
wenn man den Herren Insulanern, welche nur, um Geld zu ersparen, nach
Deutschland gehen, ihnen wenigstens dieses weniger möglich zu machen
suchte.

War auch die Witterung am ersten Tage der Reise nicht die günstigste,
so gewahrte sie doch einen freien Blick, und die Fahrt der Themse
hinab, an welcher an beiden Ufern diese Riesenstadt mit ihren
Schiffswerften sich hinzieht, gewährte einen herrlichen Anblick. Unter
den vielen großen und kleinen Fahrzeugen zeichnete sich besonders ein
schwimmendes Lazareth aus, welches kolossale Gebäude mitten auf dem
Wasser über tausend Kranke beherbergte; es ist mit allem Nöthigen
versorgt, von aller Kommunikation des festen Landes abgeschnitten, und
daher bei ansteckenden Krankheiten eine treffliche Anstalt.

Das Packet-Dampfboot ~Londonderry~, welches jetzt regelmäßig die
Fahrt zwischen London und ~Havre de Grace~ zu machen bestimmt ist,
soll an bequemer Einrichtung seinen Vorgänger, welcher acht Tage zuvor
untergegangen und an dessen Stelle Ersteres von der Kompagnie dieser
Anstalt angenommen war, nicht nachstehen. Um so unverzeihlicher war es
aber, das Kommando von diesem Fahrzeug Männern, wie der Kapitän, Ober-
und Untersteuermann waren, anzuvertrauen, welche diese so gefährliche
Tour, wie der sich erst ereignete Fall bewies, noch nicht gemacht
hatten. Wie unkundig sie mit der Gegend waren, ging daraus hervor, daß
sie von annähernden Fischerbooten das Nähere wegen der Fahrt erst zu
erforschen suchten. Als aber der Nebel, statt sich zu verlieren, in
dicken Wolken sich auf die Wasserfläche legte und außer dem Dampfboot
nichts mehr erkannt werden konnte, da sah man dem Kapitän im Gesicht
an, wie ihm zu Muthe war, da er die Gefahr, in welcher wir schwebten,
besser kennen mochte, als die Passagiere, welche, ins Innere des Bootes
zurückgezogen, von keinem Unglück träumten. Plötzlich erhielt aber das
Schiff einen heftigen Stoß, welchem weniger fühlbare folgten und in
allen seinen Theilen krachend, glaubte man es schon auseinander bersten
zu sehen.

Jesus Marie! schrie eine neben mir sitzende gute Katholikin und holte
in der Angst ihren Rosenkranz hervor; wir Andern eilten alle bestürzt
dem Ausgang zu, wodurch die Treppe verstopft, dieses weniger möglich
gemacht werden konnte. In dem Augenblick verstummten die Töne der
Dampfmaschine und das Boot saß unbeweglich auf Steinbänken fest, wie
dieses das ausgeworfene Senkblei bekundete. Zum Glück war dasselbe
dauerhaft genug, um bei ruhiger See und langsamer Fahrt einen solchen
Stoß vertragen zu können, ohne einen Leck zu erhalten. Was wäre aber
aus den Passagieren geworden, wenn bei Sturm das tobende Meer die
Gewalt verdoppelt hätte?

Alle Anstrengung, wieder flott zu werden, war vergebens und immer
schwieriger, da während der Zeit der Ebbe das zurückgehende Wasser
immer seichter wurde, bis das Dampfschiff, förmlich trocken, mitten in
Steinmassen stand und bei sich zertheilendem Nebel Frankreichs nahe
Küste sichtbar wurde, wohin man trocknen Fußes gelangen konnte.

Der uns sogleich bemerkt habende Telegraph berichtete diesen Vorfall
nach ~Havre~, worauf ein von dort abgeschicktes Pilotenboot ankam
und nach wieder eingetretener Fluth der des Weges kundige Führer uns
sicher in den Hafen von ~Havre de Grace~ geleitete.

Schon war es spät, als wir am 21. dieses in den leeren Straßen der
Stadt den deutschen Gastgeber Köhler noch aufsuchten, da Hunger und
Durst uns vom Dampfboote trieb, und nur mit Mühe gelang es, die aus dem
tiefen Schlafe geweckten Wirthsleute zu bewegen, uns noch aufzunehmen,
da schon einige auswanderungslustige Familien hier logirten. Erst als
der Straßburger Handelsmann seinen Namen nannte, wodurch der Wirth
einen seiner frühern Gäste erkannte, der bei seinem Abgange nach
Amerika hier gewohnt hatte, änderte sich die Scene. Die Thür wurde
freudig geöffnet, das Feuer schnell geschürt und bald saßen wir um
eine ~Bowle~ Glühwein. Vor Meereswellen, Feuer- und Hungersnoth
geborgen, erhöhten die überstandenen Strapazen nur die allgemeine
Fröhlichkeit und auf das Wohl des ~Continents~, des lieben
Vaterlandes, und Aller, welche es wohl mit uns meinen, wurden die
Gläser geleert. Durch die Stille der Nacht drang bald der Freudenruf
zu den neben und über uns schlafenden Auswanderern, welche glaubten,
daß wir als halbe Millionärs zurückkehrten und von dem Wunsche beseelt,
von gleichem Glück begünstigt zu werden, wünschten sie am Morgen zu
erfahren, wie man es in Amerika anfangen müsse, um in kurzer Zeit
reich zu werden. Doch belehrt, daß wir darüber hoch erfreut wären,
wenigstens mit heiler Haut zurückgekommen zu seyn, erzählten wir ihnen
einzelne Bruchstücke unserer ~Aventuren~ und stellten ihnen das
Prognostikon, was im gelobten Lande Jeden erwarte; aber man predigte
doch tauben Ohren. Ein Jeder glaubte, daß ihn ein besseres Geschick
erwarte und begeistert von Berichten, welche lieblicher geklungen, als
unsere Töne, eilten sie unaufgehalten ihrem Elend entgegen. -- Möge
Gott sie bewahren, daß sie nie Ursache haben, einen Schritt zu bereuen,
welchen zu verbessern nicht immer einem Jeden möglich ist.

Als Beleg, wie die Reue oft zu spät kömmt, mag folgender Vorfall noch
bezeugen. Unser Landsmann, der Müller S.[57] landete mit Familie in
~Baltimore~, wurde während der Seereise schon bestohlen, fand auf
keine Art mit seinem Tochtermann und Kindern bei der Ankunft in Amerika
Unterkommen und Verdienst, und setzte so Alles zu. In dieser bedrängten
Lage erfuhr er, daß ich aus den südlichen Staaten nach ~New-York~
zurückgekehrt sey und machte es möglich, allein dahin zu kommen, um
meine Hülfe in Anspruch zu nehmen. Doch, ein gebranntes Kind scheut
das Feuer; ich kannte jetzt Amerika und seine Grundsätze zu gut, um
mich abermals der Gefahr auszusetzen, eine Summe zu verlieren, da ihm
mit Wenigem nicht geholfen war. Auf die Frage, warum der Bittsteller
versäumt, vor Ausführung seines Vorhabens bei meiner Frau in Weimar
Erkundigung einzuziehen, über das, was ich an sie von Amerika und dem
Loose der Auswanderer berichtet hatte, gestand er mit weinenden Augen,
daß dieses zwar geschehen sey, aber man hätte dem Inhalt meiner Briefe
nicht geglaubt, weil andere Nachrichten mit demselben widersprechend
gewesen wären. Leider müßten sie aber jetzt die Ueberzeugung gewinnen,
wer es am Besten mit dem Menschen gemeint und daß ich nur zu wahr
gesprochen habe.

Manchem Andern wird es nicht besser gehen, da Viele, der Warnungen
ohngeachtet, immer noch das Vaterland verlassen und ein Jeder glaubt,
es besser als seine Vorgänger zu machen; er vergißt aber, daß die
Zeiten in Amerika schwerlich besser, leider aber durch den ungeheuern
Zudrang großentheils unbemittelter Einwanderer für den Armen immer
schlechter werden müssen.

Um zu zeigen, wie groß der Zudrang in den Verein. Staaten ist, habe
ich Haxard’s kommerzielles und statistisches Register mit aufgenommen,
welches eine umständliche Aufzählung der Anzahl des Geschlechts,
Alters, der Beschäftigung und der Heimath aller Fremden, welche im
Laufe des Jahres 1839 in amerikanischen Häfen landeten, enthält. Diese
Zusammenstellung ist den jährlichen Berichten des Staats-Sekretärs
entnommen und es erhellet daraus, daß die ganze Anzahl von Passagieren,
welche im Verlaufe dieses Jahres landeten, 74,666 betrug, von welchen
70,509 Eingeborne fremder Länder und 4157 Eingeborne der Vereinigten
Staaten waren. 47,688 landeten in ~New-York~, 10,306 in ~New-Orleans~,
6081 in ~Baltimore~, 3949 in ~Philadelphia~, 3081 in ~Boston~ und
sonstigen Plätzen. 34,213 waren Eingeborne von Großbritannien, 10,474
von Deutschland, 7018 von Frankreich, 1234 von Preußen und 2108 von
andern Theilen Europas; also im Ganzen 64,227 Europäer. Der Ueberrest
kam von Westindien, Südamerika und hauptsächlich von den Britischen
Provinzen von Nordamerika. 37,658 hatten keine Beschäftigung; in
dieser Zahl sind jedoch 26,001 Frauenzimmer und der größte Theil von
15,166 Knaben unter 15 Jahren mitbegriffen. 12,870 waren Ackerbauer,
8930 Handwerker, 1870 Arbeitsleute und 5633 Kaufleute, (von denen
wahrscheinlich die meisten Amerikaner waren). 571 Matrosen, 143
Geistliche, 254 Mediziner, 296 Näherinnen, und 208 Ladendiener. 7195
waren über 40 Jahre alt, 61,078 in einem Alter von 18-40 Jahren.

Wer eine nicht zu weite Landreise bis ~Havre~ zu machen hat, wird
wohlthun, in diesem Hafen sich nach Amerika einzuschiffen, da die
Passage eben nicht theurer wie in Bremen und Hamburg zu stehen kommt,
wenn die zur Reise nöthige Verproviantirung von den Schiffsrhedern
mit besorgt wird. Auch findet man hier immer Fahrgelegenheit, ohne
Beköstigung, welches in Bremen nicht der Fall ist und es zahlte zur
Zeit meines Aufenthaltes hier, die erwachsene Person 100 Franks
(25 Thaler). Der Betrag für anzuschaffende Nahrung läßt sich nicht
bestimmen, da es darauf ankommt, ob man an frugale Kost gewöhnt oder
als Leckermaul sich auch auf dem Schiff nichts abgehen lassen will.
Alle Ursache habe ich, den Auswanderungslustigen das deutsche Gasthaus
von J. C. Köhler, ~Daffin~-Straße No. 48 in ~Havre~ zu empfehlen, da
man hier in jeder Hinsicht gut und billig bedient wird.

Das Dampfboot war sogleich bei der Ankunft unter Aufsicht gestellt
worden und die am Morgen nach dem Zollhaus geschafften Koffer streng
untersucht, so daß Alles bis auf das letzte Stück ausgeräumt werden
mußte. Nach einem Reisepaß oder sonstiger Legitimation wurde auf die
Angabe, daß wir aus Amerika kommend über London gereist seyen und ohne
einen solchen Begleitschein wären, weiter nicht gefragt, sondern nur
bemerkt, daß wir sogleich bei Ankunft in Paris die nöthigen Schritte
deshalb thun sollten.

Theils um die Stadt besser kennen zu lernen, theils auch die zur
Fastnachtzeit auf den Straßen maskirt herumziehende Menschenmenge,
welche mitunter hübsche Aufzüge darstellten, zu sehen, folgten wir
Herrn Köhler, welcher so gefällig war, uns herumzuführen, um uns das
Merkwürdigste zu zeigen.

~Havre~ liegt auf dem rechten Ufer der ~Seine~-Mündung, ist mit
Festungswerken umgeben, hat eine Citadelle, zwei Thürme, welche
den Hafen vertheidigen, zwei Kirchen, ein Marine-Arsenal, ein
Quarantainehaus, ein Ursulinerkloster, ein städtisches Kollegium, eine
Schifffahrt-Schule und eine Börse; verschiedene Manufakturen, eine
Ankerfabrik, bedeutende Seilereien, und Schiffswerfte, beschäftigen
Viele der Einwohner und durch den bedeutenden Handel, da ~Havre~ nicht
allein über die Mündung der ~Seine~ gebietet, sondern seine Schiffe
in die entferntesten Länder der Erde sendet, gewinnt es täglich an
Wohlstand. Der Hafen, welcher durch eine lange Mulje[58] gebildet
wird, wie das Bassin, sind tief genug, um Fregatten von 60 Kanonen zu
tragen und mehr als 400 Schiffe aufnehmen zu können. Doch soll für die
Fahrzeuge bei Strömen nicht die gewünschte Sicherheit vorhanden seyn.
~Havre~ ist der Sitz eines Handels-Tribunals, einer Handelskammer, hat
Wechsler, Mäkler und eilf Assekuranz-Gesellschaften, so wie 26,000
Einwohner.

Am 23. Februar wurden zur Landreise nach Paris, wohin man auch von
hier auf der ~Seine~ gelangen kann, bei der Postanstalt ~Laffitte,
Coillard et Comp.~ Plätze belegt und für die Entfernung von 52
Stunden nur zwanzig Franks bezahlt. Abends ~präcis~ sechs Uhr ging
die ~Diligence~ ab, welcher ein zweiter Wagen, von einer andern
Gesellschaft abgesendet, folgte, und diese nun, hinsichtlich der
Schnelligkeit, mit welcher jede Kompagnie die Passagiere zu befördern
sucht, sich den Rang abzulaufen streben. Während des Umspannens,
welches alle zwei Stunden erfolgte, da die fünf Pferde bergan im Trabe,
sonst immer Gallopp laufen mußten, blieb höchstens den Passagieren so
viel Zeit, nöthigenfalls aus- und wiedereinsteigen zu können; doch darf
mit Podagra wahrlich kein Reisender behaftet seyn, wenn er in dieser
Frist den Kutschenhimmel, wo wir placirt waren, verlassen und wieder
erklimmen will.

Obgleich der Schaffner während der Fahrt die Offerte machte, im
zweiten Wagenrange leere Plätze einzunehmen, so blieben wir doch,
gegen die Witterung gut verwahrt, auf unsern hohen Sitzen, um nicht
durch unzeitige Bequemlichkeit die freie Aussicht zu verlieren und
Frankreich, wenn auch nur wie im Fluge, zu sehen.

Die schnelle Reise wurde während der Nacht nur ein Mal unterbrochen um
den hungrigen Magen zu beschwichtigen, und so war es möglich, schon den
andern Tag um ein Uhr in Paris anzukommen.



Funfzigster Brief.

Aufenthalt in Paris.

    Im Februar 1841.


Jetzt war ich am Ziele aller derzeitigen Wünsche, ich sage derzeitigen,
denn welcher rege Geist ließe sich wohl Grenzen setzen? Mit eigenen
Augen sollte ich die Kaiserstadt sehen, nach welcher schon der
jugendliche schwärmerische Geist sehnlich verlangte und der die jungen
Männer, wie die im Dienste ergrauten Krieger beneidet hatte, die nach
errungenem Siege hier den Triumph ihrer Thaten feierten.

Während der Fahrt von ~Havre~ nach ~Paris~ kam uns von Frankreich nicht
viel zu Gesicht, denn bald nach Abgang aus der Hafenstadt verbarg die
Dunkelheit die Orte, welche während der Nacht durchflogen wurden, und
der trübe, naßkalte Morgen war unfreundlich genug, der Sonne nicht zu
gestatten, die bei ungünstiger Jahreszeit erstarrten Glieder von Neuem
zu erwärmen und zu stärken. -- Zum Glück war der gewöhnliche Landwein
nicht theuer und mundete, beim Mangel besserer Sorten, ganz trefflich.
Dabei war der Kondukteur ein ganz charmanter Mann, welcher, in Betracht
der schlechten Passage von unserm Thronhimmel herab, die leere Flasche
wieder zu füllen, mit übernommen hatte.

So fuhren wir seelenvergnügt in Frankreichs Hauptstadt ein, nachdem
wir in jeder Lehmhütte ein hübsches Landhaus, und in einem solchen,
einen Palast erblickt, ja mein Gefährte, der Bierbrauer, eine nach der
Hauptstadt zu getriebene Heerde Ochsen, für schwere Kavalerie ansah und
meine Sinne für umnebelt hielt, als ich es nicht glauben wollte. Mir
selbst kam es zuletzt auch vor, als wenn der Wagen stille hielt, und
die Häuser so lange vorüber marschirten, bis der Posthof ankam, und
die verpflichteten Lastträger, wegen des Transportes der Koffer, sich
erkundigten, wo man logiren wolle.

Das in nächster Straße gelegene Gasthaus war schnell erreicht, und
von uns jetzt nichts Besseres zu thun, als bis zur Ankunft des
Lohnbedienten das Räuschchen auszuschlafen.

Ohne Führer nur das Merkwürdigste in Paris aufzufinden, würde einen
längern als von uns beabsichtigten Aufenthalt zur Folge gehabt haben,
wobei immer noch eine nähere Definition über das Gesehene verloren
gegangen seyn würde, weshalb beschlossen wurde, wie in London, einen
~Cicerone~ anzunehmen, und sogleich bei Ankunft in der Hauptstadt
die Wanderung zu beginnen.

Auf dem ~Vendome-~Platze waren Briefe abzugeben, weshalb wir dahin
zuerst die Schritte richteten. Doch bald glaubten wir uns in den bald
engen, bald weiten, meist aber krummen und mit hohen Häusern besetzten,
Straßen von Paris in die Londoner ~City~ versetzt, da man hier wie
dort, in den von Koth überzogenen, mit Menschen und Wagen gefüllten
Gassen, sich nur mit Mühe durchzuwinden vermochte, und beim Mangel von
Trottoirs, dem fortwährenden Rufen und Schreien der herumziehenden
Verkäufer, wie dem Getöse der rollenden Räder, welche Wagen kaum Platz
genug haben, sich einander ausweichen zu können, der Fußgänger immer
in Gefahr kömmt, überfahren oder an die Häuser gequetscht zu werden.
Die allgegenwärtige Polizei hat daher immer ein wachsames Auge auf
die Lenker der Rosse, und ohne Erbarmen wird ein solcher zur Strafe
gezogen, welcher das Unglück hat, während des Ausweichens, oder um eine
Ecke fahrend, einen der Fußgänger zu verletzen.

Die Häuser dieser Riesenstadt sind fast alle 4 bis 5 Stockwerk
hoch, viele noch höher, und bis in das letzte Dachstübchen bewohnt;
daher kommt es, daß Paris aus drei bis vier gleichsam übereinander
gethürmten Städten besteht, deren viele Bewohner sich alle unten
in dem kleinen Raume herumdrängen müssen. London dagegen bietet
außer der ~City~ ein ganz anderes Bild. Die Häuser, weniger
zusammengedrängt, sind meist nur von einer Familie bewohnt, wodurch
die Stadt an Umfang bedeutend gewinnt, und die Masse der Bevölkerung,
weniger konzentrirt, keinem Ameisenhaufen gleicht, wie in Paris.

Die engen Straßen der Stadt, in welche, wegen der Höhe der Häuser, kein
Sonnenstrahl dringen kann, sind hauptsächlich während der Winterszeit
ewig naß und düster, und die kellerartigen Wohnungen hinter den Läden
selbst am Tage dunkel und mit Kerzen oder Gas beleuchtet, welche
Lichtflammen aus allen Etagen bis zum Lämpchen des Dachbewohners am
Abend einen magischen Schein über die bis spät in die Nacht auf den
Straßen wogende Menge verbreiten, deren Lärm dumpf bis zum Ohr der
Bewohner der höchsten Region dringt.

Wohler und freundlicher wird dem Wanderer, wenn er die innern
~Boulevards~ erreicht hat, wo auf breiten Trottoirs, vor dem
Fuhrwerk geschützt, in der Mitte des regsten Lebens, der höchste Glanz
und die reichsten Kunstprodukte dem Auge sich entfalten. Die Menge der
elegant aufgeputzten Magazine aller Art erinnern wieder an Londons
großartigen Markt, und Paris wetteifert im Bieten des Luxuriösen
mit jener Riesenstadt. Hinter Spiegelscheiben erblickt man auch
hier, was menschlicher Erfindungsgeist zur Verschönerung des Lebens
hervorgebracht hat. Gold und Silber, Seide und Spitzen, wie Prunk
aller Art sind zur Schau aufgestellt und eine Anzahl von Gemälden und
Kupferstich-Handlungen suchen den neugierigen Beobachter zu fesseln.
Daß es dieser Promenade der schönen Welt nicht an Restaurationen und
Kaffeehäusern fehlt, verrathen die Schilde, und um uns mit solchen auf
eine feine Manier bekannt zu machen, schützte der Führer entsetzlichen
Durst vor, und lud uns ein, ihm zu folgen, wohl wissend, daß ihm diese
Restauration nichts kostete.

Mit neugierigem Blicke schauten wir nach dem kleinen Manne, dem großen
Napoleon empor, welcher in moderner Kleidung, Ueberrock und dreieckigem
Hute, auf der ~Vendome-~Säule thront. -- Als Kind stand ich schon
einmal dem lebenden Manne in meiner Geburtsstadt nahe und jetzt sollte
mir zum zweiten Male die Gelegenheit werden, die Bekanntschaft des
Abgottes der Franzosen in seiner Residenz zu erneuern, um von seinem
Standpunkte aus die am Fuße pilgernden Liliputtaner zu betrachten.
Statt mit Empfehlungsschreiben an den sonstigen Machthaber versehen
zu werden, empfängt man, um den Zutritt sicher zu erlangen, von dem
wachthabenden Invaliden der Napoleonischen Garde eine Leuchte, mit
welcher der Führer die schmale dunkle Treppe voranschreitet und die
Fallthür öffnet. -- Die herrliche Säule, mit der Statue 140 Fuß
hoch, ist äußerlich mit bronzenen Basreliefs bekleidet, welche sich
schneckenförmig an ihr in die Höhe ziehen, und die Heldenthaten
der großen Armee vom Jahre 1805 an verzeichnen. Die Plattform, mit
eisernem Geländer umgeben, gewährt einen sichern Stand, und bietet
einen Ueberblick der Stadt, welcher leider! von den umstehenden hohen
Gebäuden beschränkt wird.

Die mehr und mehr zunehmenden Lichtflammen in den Läden gaben zu
erkennen, daß es Zeit sey, aus der Nähe des Kaisers sich zu entfernen,
um auf Umwegen durch herrlich beleuchtete Straßen dem Glanzpunkte von
Paris, dem weltberühmten ~Palais-Royal~, uns zu nähern, wo das
Auge bald rechts, bald links mit Entzücken auf reich geschmückten
und mit einer Menge von Gas-Flammen beleuchteten Magazinen verweilt.
Hier steht der Fremde bei dem ersten Anblicke wie bezaubert. Hunderte
von Gas-Laternen, welche mit Tausenden der illuminirten Läden die
Nacht zum Tage umwandeln, geben den Waaren einen blendenden Reiz und
bestimmen Einen, hier seine Einkäufe zu machen. Die Arkaden, die sich
längs der Läden hinziehen, so wie die Gallerieen, sind mit Menschen
überfüllt, da zur Winterzeit die freien Plätze weniger besucht sind,
und die vor dem unfreundlichen Wetter Schutz suchende Menge sich hier
erlustiget, wo man nicht nur Alles, was man an Schmuck und Kleidung
bedarf, sondern auch in Restaurationen und Kaffeehäusern erhält, was
zur Erhaltung des Lebens von Nöthen, und wo auch für geistigen Genuß
durch Lesekabinete und Theater gesorgt ist. Ja, in diesem Königlichen
Palaste, welcher mehrere Millionen Renten trägt, soll es unter seinen
Tausenden von Bewohnern Viele geben, welche das ganze Jahr hindurch
diesen Aufenthalt nicht verlassen, weil sie auf diesem Punkte beisammen
finden, was sie zu ihrer Art von Lebensgenuß nöthig haben.

Am nächsten Morgen machte ein Jeder von uns seiner Gesandtschaft die
Aufwartung, um die nöthigen Pässe zur Weiterreise zu erhalten, und
solche wegen Zulaß in öffentlichen Anstalten zu benutzen.

Ganz anders, wie in London, wo ohne Geld nichts zu sehen ist, wird
in Paris dem Fremden mit der größten Liberalität Alles gezeigt, und
derselbe genießt sogar noch das Vorrecht, daß ihm zu jeder Zeit nach
vorzeigen seiner fremden Legitimation da die Thüren geöffnet werden,
wo den Franzosen nur an bestimmten Wochentagen der Zutritt frei
ist. Trinkgelder sind nur dann zu entrichten, wenn eine besondere
Dienstleistung von dem Aufsichts-Personale verlangt wird, sonst ist
nirgends etwas zu bezahlen.

Eile mit Weile! Die Bureaux waren noch nicht geöffnet, was unser
~Cicerone~ wohl gewußt, dieses Manövre aber benutzt hatte, um
uns vor der Frühstückszeit aus der Wohnung zu locken, und in nächster
Restauration als unser Gesellschafter ~gratis~ an dem Frühstück
Theil nehmen zu können. Dieser Mensch, ein wahrer Nassauer[59],
verstand die deutsche Dreistigkeit mit der französischen Pfiffigkeit zu
vereinen, um sich so außer dem bedungenen Lohne auch noch die Zehrung
frei zu machen.

Mein Paß, bis zur Unterschrift des abwesenden Minister-Residenten in
aller Form ausgestellt, blieb zurück, und die Zeit des Abholens wurde
auf den nächsten Tag bestimmt. Die Reisegefährten dagegen erhielten
auf ihren Bureaux die vollständige Legitimation, welcher nur das
~Visa~ zur Weiterreise fehlte, und so wurde ich wider Willen schon
in Paris von ihnen getrennt, da sie den andern Morgen den Postwagen
bestiegen und mir voraus nach Straßburg eilten. So unangenehm mir
der Vorfall war, so gab er doch Anlaß zu größerer Freude, da dieses
Gelegenheit darbot, an Freundeshand die Hauptstadt von Frankreich in
ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit kennen zu lernen.

Noch ehe der Polizei-Palast erreicht war, wo die Gefährten das Weitere
besorgten, machte uns der Führer auf die ~Morgue~ aufmerksam, in
welchem Todtenhause alle unbekannten Leichname aufgestellt werden,
welche man im Flusse, in den Straßen, auf den Plätzen und in nächster
Umgebung der Stadt findet, und wo die über dem Kopfe aufgehängten
Sachen der oft nicht mehr kenntlichen Leichen den Angehörigen und
Freunden, welche in der Regel ein vermißtes Familienglied hier suchen,
das Loos dieser Unglücklichen bekannt machen, welche die Leichen
reklamiren können, wenn sie nicht auf Staatskosten beerdigt werden
sollen.

Bald war das Nöthige auf der Polizei geschehen und dem Thiergarten
zugepilgert, wo man ohne Anstoß Einlaß findet und Alles mit der
größten Artigkeit dem Fremden gezeigt wird.

Der Thier- oder Botanische Garten, ein Vergnügungsort der Pariser und
ein Lockvogel für Fremde, vereinigt Alles in sich, um den Botaniker,
Naturforscher, Mediziner und Pharmaceuten zu belehren und zu bilden,
dem Lustwandelnden Ruhe, Schatten und Wohlgerüche zu verschaffen und
das Publikum zu ergötzen, da man die reichhaltigste Menagerie, welche
es wohl geben mag, hier zu sehen Gelegenheit hat.

Nachdem der Garten in allen Richtungen durchwandelt, Irrwege,
Treibhäuser, Lauben und Sitze gemustert waren, und der Führer zum
Schlusse auf die große Ceder von Libanon aufmerksam gemacht hatte,
sollte von hier aus über die eiserne Brücke ~d’Austerlitz~
nach dem berühmten Gottesacker ~Pére la chaise~ die Wanderung
fortgesetzt werden. Doch auf dem so geschichtlich merkwürdigen
Bastille-Platze, wo jetzt an der Stelle des frühern Staatsgefängnisses
eine Säule, ähnlich der auf dem ~Vendome-~Platze, errichtet ist,
auf welcher eine Siegesgöttin prangt, besannen sich meine Gefährten
eines Anderen, ließen die Todten ruhen und verzichteten auf einen
Genuß, welcher mir später noch zu Gute kam.

Schon schickten wir uns an, nachdem auch das neben der Siegessäule
stehende kolossale Elephanten-Modell[60] mit seinem Thurme auf dem
Rücken besehen worden war, nach dem Invalidenhause zu eilen, als der
Führer, welcher neben dem Fehler, immer Durst zu haben, auch den
Hunger nicht zu beschwichtigen verstand, an die Mittagszeit erinnerte,
welche längst vorbei sey.

Beim nächsten ~Marchand de vin~, wo Posto gefaßt ward, fanden
wir außer einem reinlichen Zimmer, gebratene Fische und einen Wein,
gut genug für Seereisende, welche an weit geringere Kost gewöhnt und
aus ökonomischer Rücksicht keine vornehmen Speisehäuser frequentiren
konnten.

Jeder Zeit von der Ansicht ausgehend, nur unter Wölfen mit zu heulen,
wurde von mir nie Anlaß gegeben, die Gelder durch Leckereien zu
vergeuden, dagegen immer unverdrossen jedes Opfer gebracht, wenn es
galt, Etwas zu sehen und die Kenntnisse zu bereichern.

Der Weg zum Invalidenhause war weit, und daher an der Zeit nichts zu
verlieren, weshalb ein ~Omnibus~ bestiegen wurde, welche Wagen die
Hauptstadt in allen Richtungen durchfahren und den Passagier für sechs
~Sous~ von einem Ende der Stadt bis zum andern spediren.

Das ~Hôtel des Invalides~, welches funfzehn Morgen Land bedeckt,
und seine Gebäude funfzehn Höfe einschließen, die durch ~Corridors~
verbunden sind, ist groß genug, um 7000 Mann aufnehmen und mit allen
Bequemlichkeiten versehen zu können, auf welche Versorgung jeder
Krieger Anspruch zu machen hat, der durch Wunden arbeitsunfähig,
oder dreißig Jahre untadelhaft gedient hat. Alle die Schönheiten
und Meisterwerke der Kirche dieser Anstalt zu besehen, ging für uns
verloren, da hinter dem Hochaltare, wo die zweite Abtheilung oder
der Dom anfängt, wegen Vorarbeiten zur Aufnahme der Napoleonsleiche,
dieselbe zugeschlagen und der Zutritt verwehrt war. Die Decke der
ersten Kirche schmücken meist spanische, portugiesische und algierische
eroberte Fahnen, da die mehrsten der 3000 Flaggen, welche unter
Napoleon die Kirche zierten, vor dem Einzuge der Alliirten am 31. März
1814 verbrannt worden sind, wie der Führer erzählte.

Auf der herrlichen Esplanade vor dem Gebäude standen noch theilweis
die, Napoleons Leichenbegängnisse zu Ehren, mit vielen Kosten
errichteten Statuen, Krieger alter und neuerer Zeit darstellend,
unterbrochen von Ornamenten und Kandelabres, welche man jetzt wieder
demolirte, und Plätze wie Straßen von den Ueberbleibseln großartiger
Anstalten des Trauerfestes gereinigt wurden.

Die unfern der Invaliden-Wohnungen liegenden Elysäischen Felder werden
im Winter von den Parisern weniger besucht, und dienen zur Zeit meist
nur zu Revüen, Mannövres und Pferderennen.

Nachdem die ~Champs Elysées~ passirt waren, gelangten wir auf den
~Place de la Concorde~, der imposanteste von Paris, welcher mehrmals
den Namen, wie seine Ausschmückung, verändert hat. -- Vieles Bürgerblut
ist hier im Kampfe der streitenden Partheien geflossen, unzählige Opfer
sind hier während der Revolution unter der Guillotine gefallen; auch
Ludwig ~XVI.~ und seine Familie.

Jetzt prangt da, wo früher das Henkerbeil mordete, auf einem Piedestal
von schönem französischen Granit der aus Egypten mit großer Mühe
hieher geschaffte Obelisk von Luxor, der durch seine Alterthümlichkeit
die allgemeine Aufmerksamkeit fesselt. Dieser 72 Fuß hohe Block ist
noch vollkommen erhalten, aus einem Stück gearbeitet und ganz mit
Hieroglyphen von der feinsten und kräftigsten Arbeit bedeckt. Mit dem
Piedestal ist das Ganze 89 Fuß hoch. -- Zu beiden Seiten des Obelisks
befinden sich große, reich und geschmackvoll verzierte Wasserkünste,
wie überhaupt eine Menge stark vergoldeter Kandelabres-Figuren und
Marmor-Gruppen, die dem Ganzen ein imposantes Ansehen geben.

Durch den Tuilerieen-Garten eilten wir der Wohnung des Königs zu,
um mit Beschauung dieses Schlosses die Wanderung für diesen Tag zu
beschließen, welches meine Gefährten in jeder Hinsicht befriedigte,
und diese, im Glauben nun Paris gesehen zu haben, am andern Morgen
die Hauptstadt verließen, nicht ahnend, was für den Fremden noch an
Kunstschätzen hier zu sehen ist, und ein günstiges Geschick mir diesen
Genuß noch gewährte.

Nur anständig gekleideten Personen ist der Zutritt in den Garten der
Tuilerieen gestattet, da die Eingänge mit Militär besetzt, Jeden
abweisen, welcher diesem Befehl zuwider handeln will. Deshalb ist
dieser Königliche Park auch der Einigungspunkt der vornehmen Welt,
welche hier sehen und gesehen seyn will.

Diese herrliche, wohlunterhaltene Anlage vereinigt Alles, was zur
Verschönerung der Natur, und dem Vergnügen der Menschen beitragen kann,
und bei jeder Wendung begegnen dem Blicke die schönsten Statuen und
Gruppen, welche von Wasserkünsten und Fontänen unterbrochen werden.

Der Name des Palastes der französischen Könige soll seinen Ursprung von
Ziegelhütten haben, welche früher da standen, wo Katharine von Medicis
das jetzige Tuilerie-Schloß angelegt hat, welcher Bau von jedem der
nachfolgenden Regenten vergrößert und verschönert worden ist. Auch
Ludwig Philipp unterläßt nicht, ihn von innen und außen zu verbessern
und zu erweitern.



Einundfunfzigster Brief.

Fortsetzung.

    Im Februar 1841.


Der Minister-Resident, Herr Staatsrath Weiland, wünschte persönlich
meine Bekanntschaft zu machen, nahm mich sehr zuvorkommend auf, und
stellte mir beim Abschiede eine Karte zu, welcher ich mich da, wo der
Paß nicht auslangen würde, um Einlaß in die Kunstkabinete zu erhalten,
bedienen möchte. Dabei war ich auch von dem Aufenthalte der zur Zeit
in Paris lebenden Weimaraner in Kenntniß gesetzt, von welchen ich vor
Allen Herrn Martersteig aufzufinden mich bemühte. Dieser, in seinem
Atelier mit einem großen Kunstgemälde beschäftigt, war nicht wenig
erstaunt, als er den Amerikaner erblickte, der, ihm in Paris einen
Besuch abzustatten, gekommen war, und ich mußte sogleich bei diesem
Braven meine Wohnung nehmen, da ein mehrtägiger Aufenthalt unerläßlich
war, um das Weitere von Paris kennen zu lernen. Ein zweiter Landsmann,
Herr Rückoldt, zur Zeit außer Kondition, wurde nun mein ~Cicerone~, und
dieser, ebenfalls in Paris von ~A~ bis ~Z~ bekannt, unterzog sich dem
Geschäfte, mit mir die Stadt nach allen Richtungen zu durchstreichen
und nichts unbesucht zu lassen. Den Abend mehrte die Gesellschaft ein
dritter Landsmann, Herr Schaller, und so genoß ich nach der Abreise
meiner Reisegefährten manche herrliche Stunde im Kreise der Freunde.

~Vendome~-Platz, ~Palais-Royal~, ~Morgue~, Thiergarten, Invalidenhaus,
die Elysäischen Felder, ~Place de la Concorde~, ~Tuilerieen-~Garten,
so wie die Wohnung des Königs, der ~Tuilerieen-~Palast, waren die
ersten Tage besehen worden. Jetzt sollte vom Polizei-Bureau aus, wo
der Paß niedergelegt war, das Versäumte nachgeholt und der berühmte
Gottesacker besucht werden. Auf der Tour dahin ward die alte ehrwürdige
~Notre-Dame~ besichtigt und die immer mit Menschen und Wagen
besetzte Brücke ~Pont-neuf~ passirt, wo die bronzene Reiter-Statue
Heinrichs ~IV.~ aufgestellt ist, und die auf den Trottoirs dampfenden
Kohlenbecken und Oefen den Vorübergehenden immer frisch gebackene
Schmalzkräpfel und Pasteten liefern; doch waren wir nach diesem
Backwerke nicht lüstern, da die Sage geht, daß hier Hunde-, Pferde- und
Menschen-Fett die Hauptrolle spielt.

Auf den ~Grêve-~Platz angelangt, fällt vor Allem das schöne Rathhaus
auf, in dessen Hofe das Standbild Ludwig ~XIV.~ prangt. Dieser Platz,
auf welchem früher gehenkt, gerädert, geviertheilt und guillotinirt
worden ist, hier, wo schuldige und unschuldige Opfer in Unzahl das
Leben verloren haben, behält immer etwas Grausiges, und der Gedanke,
auf dem gräßlichen Platze zu stehen, wo während der Revolution Ströme
Bluts geflossen, wo der Henker ~Robespierre~ ohne Zahl die Menschen
schlachten ließ, und als gerechte Strafe selbst durch Henkersbeil
das Leben verloren hat, erfüllt den Menschen mit Abscheu gegen die
Bluthunde damaliger Zeit.

Vor dem Todtenacker ~Pére la chaise~ verrathen die auf beiden Seiten
der nicht breiten Straße in ~Ateliers~ arbeitenden Steinhauer, durch
Aufstellung ihrer bestellten, oder vorräthig gefertigten Kunstwerke
von Monumenten und Denksteinen, daß man nicht zu bereuen hat, die
Schritte aus dem geräuschvollen Leben nach dem Eingange zur Lebensruhe
gerichtet zu haben. Der Friedhof selbst überrascht den Pilger auf jede
Weise. Kunst und Natur wetteifern hier, dem Orte das Abschreckende
zu benehmen, und dem Besuchenden einen einladenden Garten zu zeigen.
-- Schöne Wege und Alleen führen zur Höhe hinauf, an dessen Abhang
frei, und im Gebüsche versteckt, die schönsten Grabsteine, Kreuze,
Monumente und Kapellen sichtbar sind. Herrliche Denkmäler, große
und geschmackvolle marmorne Obelisken, Säulen und Statuen bezeichnen
die Stellen, wo ausgezeichnet gewesene Männer ruhen. Die Namen der
Marschälle ~Suchet~, ~Massena~, ~Lefevre~ findet man hier. Auch der
durch sein tragisches Ende noch merkwürdiger gewordene Marschall
~Ney~ ist hier beigesetzt, doch ohne daß auf dem Steine, welcher ihn
deckt, der Name verzeichnet ist. Besonders prächtig nehmen sich die
Denkmaler der russischen Gräfin ~Demidoff~, das der beiden liebenden
~Abaelard~ und ~Heloise~, des General ~Foy~ und das in neuerer Zeit dem
Staats-Minister ~Casimir Perier~ errichtete, aus.

Ist man auf dem ersten Vorsprunge des Hügels angelangt, wo eine Kirche
steht, so ändert sich die Scene. Der Mensch wird abgezogen von seinen
Betrachtungen über Tod und Ewigkeit, da von diesem Standpunkte aus,
Paris in seiner ganzen Größe und Herrlichkeit sich vor seinem Blicke
entfaltet, und die Sinne, vom Reize des Irdischen umstrickt, sich
wieder dem sündhaften Leben zuwenden.

Im Kreise der Freunde ward beschlossen, den Abend dieses Tages auf
einem deutschen Kaffeehause zu verleben und bei gutem Bier uns der
lieben Heimath zu erinnern.

Zahlreich war die angetroffene Gesellschaft, da der in Paris lebende
Deutsche noch zu sehr an dem gewohnten Gerstensaft hängt, als daß er
letztern über den Wein, welcher mehr von den Franzosen getrunken wird,
vergessen sollte. Alle Tische waren in den ersten Zimmern besetzt,
und die qualmenden Pfeifen ließen mich um so mehr wünschen, besser im
Hintergrund gedrängt, außer dem Bereiche der Rauchsäulen, leere Plätze
zu suchen.

Das Bier, Straßburger Fabrikat, mundete trefflich, und schon war es
spät an der Zeit, wie die um uns leer werdenden Sitze kund gaben,
als wir uns auch zum Rückzuge anschickten, und die Freunde auf den
leer gewordenen Straßen jetzt mit Schrecken gewahrten, daß kein
~Omnibus~ mehr fahre. Wie sie die weit abgelegenen Quartiere
erreicht, war Keinem am nächsten Tage mehr bewußt, ich selbst wanderte
mit meinem seelenvergnügten Maler langsam und friedfertig unserer
Wohnung zu.

Auffallend ist der Kontrast, welchen eine so bevölkerte Stadt, wie
Paris, zwischen Nacht und Tag bietet, und ein wahrhaft interessantes
Bild davon giebt ein Autor, indem er sagt:

„Wie ganz anders gestaltet sich die Stadt am späten Abend. Die Lampen
und Laternen sind erloschen, nur das Gas leuchtet noch auf einigen
Plätzen und in größern Straßen; die Läden sind geschlossen, die Lichter
in den Zimmern sind verlöscht, und nur in den obersten Stockwerken
flimmert noch hin und wieder ein Licht. Der Journalist, der Poet,
der Gelehrte arbeitet da noch; die arme, von der harten Tagesarbeit
ermüdete Mutter, sucht für ihre hungrigen Kinder noch Etwas zu
verdienen. Die Grisette erwartet noch ihren Geliebten; die feile Dirne
lauert auf Beute, um morgen essen zu können. Dunkle Gestalten, von
denen viele das Tageslicht scheuen mögen, schleichen gespensterartig
mit leisen und gellenden Tritten an den Häusern hin; Patrouillen
durchreiten und durchwandern die Stadt. Die Chiffonniers, mit ihren
kleinen Laternen, hölzernen Butten und eisernen Hacken durchwühlen
die Gossen und Ecken, um spärliche Papierschnitzel, verdorbene und
weggeworfene Eßwaaren aufzusuchen. Nur selten rasselt ein Wagen;
die pestilenzialisch stinkenden Ausleerungskarren schleppen langsam
einher und gleichen Leichenwagen in einer ausgestorbenen Stadt, und
Paris ist jetzt todt. Nur in den Salons der Großen, in den Spiel- und
Freuden-Häusern ist noch Leben.“

Etwas spät stellte sich am andern Morgen mein wackerer Führer ein, da
Heiserkeit und Kopfschmerzen ihn länger als gewöhnlich, aufs Lager
gefesselt hatten. Doch solch ein nächtlicher Kommers genirt einen
braven Burschen nicht. Der fleißige Maler stand schon früh mit Pinsel
und Palette an seinem Meisterwerk, und korrigirte nebenbei vorkommende
Fehler seiner jungen und talentvollen Schülerin, welche die Mutter mit
Argusaugen bewachte, da in Paris den Männern in diesem Punkte zu wenig
getraut wird, und man in jedem unbewachten Frauenzimmer, welche auf der
Stube eines Mannes angetroffen wird, ein Grisettchen erkennt.

Ohne Appetit wollte heute bei einem ~Marchand de vin~ das
Frühstück nicht munden, welches uns bestimmte, um nun auch die
Wirthschaft einer der größten und vornehmsten Pariser Restaurationen
kennen zu lernen, im ~Palais-Royal~ das Mittagsbrod einzunehmen.

Gute Bedienung, schmackhafte Speisen und trefflichen Wein findet man
hier, doch ist solch ein Genuß, den Gaumen zu kitzeln, bei beschränkten
Mitteln um so weniger anzuempfehlen, wenn man vom Hause aus kein
Feinschmecker ist, und das Sprichwort: „Was hilft der Kuh Muskate!“[61]
hier Anwendung finden möchte. Solch ein Vergnügen ist zu kostspielig,
als daß der mit Glücksgütern nicht gesegnete Fremde hierauf nicht
verzichten sollte. In ebenfalls anständigen Restaurationen, woran es in
Paris nicht fehlt, ist es um drei Theile billiger.

Das geschichtlich merkwürdige ~Palais de Luxembourg~, jetzt der
Versammlungsort der ersten Kammer, der Pairs von Frankreich, wurde
heute besucht. Die Gemäldegallerieen, in welcher nur Meisterwerke
jetzt lebender Künstler aufgestellt werden, ist sehenswerth; der daran
stoßende herrliche Garten soll besonders von den Herren Studenten
frequentirt werden, welche mit dem Liebchen am Arm, sich in den
schattigen Gängen erholen, denn hier ist es Sitte, daß die Pariser
Musensöhne, wie ihre deutschen Brüder ohne lange Pfeife nicht leben
können und sich öffentlich zeigen, diese, ohne ein Grisettchen am
Arm zu haben, die Straße nicht betreten und sonst in vertraulicher
Eintracht mit ihren Stubengenossinnen leben.

Solche Stubenmädchen, deren es 18-20,000 in Paris geben soll,
verdienen sich in der Regel vom Nähen und Sticken ihren Unterhalt,
welcher Verdienst jedoch nicht ausreichend ist, um auch Putz und Logis
davon bestreiten zu können, weshalb das liebe Geschöpfchen zu einem
Studenten oder sonst jungen Mann nach ihrem Geschmack zieht, dessen
Wirthschaft besorgt und die Frau vertritt, woher es kommen mag, daß
die Findelhäuser immer reichlich besetzt sind. Dennoch findet man in
einem solchen gesellschaftlichen Verhältniß nichts Anstößiges und weder
Eltern, Vormünder noch die Obrigkeit haben Etwas dagegen einzuwenden.

Von hieraus wurde das ~Panthéon~ besucht, ein Meisterwerk der
Architektur, welches schon über dreißig Millionen Franks gekostet hat
und im Bau noch nicht vollendet ist. Es nimmt einen der ersten Plätze
der Pariser Merkwürdigkeiten ein. Die Bestimmung dieses prächtigen
Tempels des Ruhmes ist: die Gebeine berühmter Männer aufzunehmen,
weshalb unter dem Gebäude eine lange Reihe von Gewölben angebracht ist.

Auch das ~Musée d’Artillerie~ wurde heute besichtigt, wo in fünf
Gallerieen verschiedene Kriegswerkzeuge aufgestellt sind.

Auch zeigt man dort, außer den wirklich authentischen Waffen der
größten französischen Kriegshelden und Monarchen, den Helm des
~Attila~.

Am Abend wurde die große Oper besucht, wo wir bei frühzeitiger Ankunft
schon eine Menge Menschen versammelt fanden, welche die im Zick-Zack
errichteten Barrieren füllten und in Reihe und Glied das Oeffnen
der Kasse erwarteten. Eine lobenswerthe Ordnung findet dabei Statt,
bedungen von den vor dem Stück aufgestellten und nach Anfang desselben
wieder weggenommenen Verschlägen, wodurch das Zudrängen von allen
Seiten nach dem Eingang unmöglich wird, und so geschützt, der Vorderste
Einlaß erhält, die Folgenden nachrücken und die Neuangekommenen sich
immer dem Hintersten erst anschließen müssen.[62]

Pracht und Eleganz herrscht hier bis auf den letzten Sitz der obersten
Gallerie und, wie in London, erhöhen die Lichtflammen fünf großer und
brillanter Leuchter den Glanz der Vergoldung und Malerei, mit welchen
das Haus reich und geschmackvoll dekorirt ist.

Die Vorstellungen dauern sehr lange, von acht Uhr bis Mitternacht;
füllt ein Theaterstück diese Zeit nicht aus, so werden in mehrern
Schauspielhäusern öfters vier bis fünf verschiedene Stücke gegeben.

Nicht wie bei uns, bekundet ein anhaltender Applaus die Kunst
der Spieler, wie den anerkannten Werth des Stücks, denn hier,
wie in London, giebt das Publikum nicht durch Klatschen seinen
Beifall zu erkennen, sondern dies Geschäft verrichten die von den
Theater-Direktionen, Akteurs und Aktricen, sowie vom Autor des Stücks
bezahlten Klatscher (~Claqueurs~), welche sich im ganzen Theater
verbreiten und je nachdem es bezahlt worden ist, werden die Hände in
Bewegung gesetzt. Wer zu zischen und pfeifen wagt, indem sie klatschen,
wird maltraitirt, wer klatscht, wenn sie ruhen, verhöhnt.

Vor Allem vermißt der Fremde in Amerika, London und Paris das
gesittete und stille Betragen der Zuschauer vor Beginn des Stücks.
Man spricht hier laut miteinander, ruft aus dem Parterre den in Logen
und Gallerieen Sitzenden zu, macht allerhand launige Bemerkungen,
lacht, schreit und singt nach Belieben und nicht weniger geniren sich
später kommende Zuschauer, welche über Bänke und Sachen weglaufen,
und sich einzudrängen suchen. Ebenso belästigen Verkäufer, welche
Theaterzeitungen, Lorgnetten, Eßwaaren etc. feil bieten, und sich durch
die Reihen Platz zu machen verstehen. Je nachdem das Stück Anklang
findet, so hängt davon die Ruhe und Aufmerksamkeit des Publikums ab.
Zieht das Stück an, so geht es erträglich, mißfällt es dagegen, so hat
der Lärm keine Grenze, da ein Jeder für sein erlegtes Geld das Recht zu
haben glaubt, sein Urtheil laut abgeben zu können.

Sonntag, den 28. Februar, fuhren wir auf der am rechten
~Seine-~Ufer angelegten Eisenbahn nach dem vier Stunden von
Paris gelegenen ~Versailles~, um daselbst das schöne Schloß, die
in demselben aufgestellte große Bildersammlung, Statuen, wie die so
berühmten Wasserkünste im Schloßgarten zu sehen.

~Versailles~, zur Zeit Ludwig ~XIII.~ noch ein Dorf, erhielt
erst sein Ansehen, nachdem dieser Regent ein Jagdschloß daselbst
erbaute, seine Nachfolger aber solches erweiterten, immer vergrößerten
und bis zur Revolution den Sitz des Hofes und der Regierung dahin
verlegten, wodurch die Stadt an Größe schnell zunahm und gegen 100,000
Einwohner zählte; nach jener Schreckenszeit kam sie aber schnell in
Verfall, so daß die Seelenzahl bis auf 30,000 herabsank, jetzt aber
wieder im Zunehmen ist, da durch das von Ludwig Philipp daselbst
angelegte Museum viele Fremde hingezogen werden und eine doppelte
Verbindung mit Paris durch zwei Eisenbahnen hergestellt worden ist.

Eine genaue Beschreibung des Schlosses, der Kunstschätze, so wie des
Gartens, findet man in dem Fremdenführer von Moritz Grimm, welcher
Wegweiser jedem Fremden in Paris anzuempfehlen ist.

Die Wasserkünste, mit einem ungeheuern Geldaufwand errichtet,
überbieten Alles, was wohl Derartiges auf der Welt existiren mag, und
wenn sie spielen, glaubt sich der Zuschauer in das Feenreich versetzt.



Zweiundfunfzigster Brief.

Fortsetzung.

    Im März 1841.


Die Kunstschätze des Schlosses von ~Versailles~, wie die Wasserwerke
des Parks, lassen erklären, warum man aus zwei verschiedenen Pariser
Stadttheilen hieher kostspielige Eisenbahnen errichtet hat, da der
Zudrang von Schaulustigen, sowohl Fremder als Einheimischer, sehr groß
ist und die Herren Aktionärs bei stattfindender Konkurrenz immer noch
hohe Prozente beziehen sollen.

Bis ~St. Cloud~, einer kleinen Stadt an der ~Seine~, wurde auf der
Schienenbahn, die uns nach ~Versailles~ gebracht hatte, zurückgefahren,
um das daselbst befindliche Schloß, für welches Napoleon eine besondere
Vorliebe gehabt haben soll und welches Carl ~X.~ gewöhnlich zum
Aufenthalt diente, zu besehen, und die im Schloßgarten befindlichen
Bassins und Statuen zu bewundern; sowie später die Fußwanderung
nach ~Sévres~ fortgesetzt wurde, um daselbst die weltberühmte
Porzellan-Manufaktur und das in dieser befindliche Museum von fremdem
und einheimischen Steingut und Töpferwaaren, Muster der Erden, aus
denen sie fabrizirt werden, so wie Modelle aller Arten, Vasen, Figuren
und Service, die seit 1755, dem Bestand dieser Anstalt, hier verfertigt
worden sind, kennen zu lernen; dann besahen wir das zwischen ~Sévres~
und ~Meudon~ auf einem Hügel sehr schön gelegene ~Bellevue~, wo man
auf der Terrasse einen herrlichen Ueberblick von ~Paris~ und den
~Seine-~Fluß hat.

Park und Schloß zu ~Meudon~ sind in neuerer Zeit von Ludwig
Philipp durchaus neu eingerichtet worden, obgleich schon Napoleon für
seinen Sohn dasselbe restauriren ließ.

Bis hierher ging Alles gut, und da das schönste Wetter diesen Ausflug,
auf welchem ich gesehen, was ich wohl schwerlich zum zweiten Male sehen
werde, es müßte denn Fortuna ein besonderes Auge auf mich werfen,
begünstigte, so blieb nichts zu wünschen übrig, als möglichst schnell
den knurrenden Magen zu beschwichtigen, da er sich mit dem geistigen
Genuß nicht begnügen wollte.

Das herrliche Frankreich mit seinem Feuerwein, wie das bescheidene
Vaterland mit seinem Gerstensaft, ließen wir bei dem nächsten
~Marchand de vin~, wo eingekehrt wurde, hoch leben, und dadurch
immer beredter und fideler, versäumten die Freunde an den Aufbruch zu
mahnen und schon war der Wagenzug vorüber, als wir, um mitzufahren, zur
Eisenbahn eilten.

Höllisches Geschick! Weder ein Fiacker, noch ~Coucous~[63] ließ
sich sehen und da keine Zeit zu verlieren war, indem wir am Abend der
Vorstellung im Theater ~Franconi~ beiwohnen wollten, wo die
Zurückkunft der Asche Napoleons theatralisch aufgeführt werden sollte,
so blieb nichts übrig, als im Sturmschritt nach der Barriere zu eilen,
um daselbst einen ~Omnibus~ zu besteigen, welcher uns nach dem
weit entfernt gelegenen ~Boulevard du Temple~ transportiren sollte.

Auf dieser Tour rettete ich die Ehre meiner Landsleute, von denen
die meisten während ihres Aufenthaltes in Paris vor Allem über
das beschwerliche Zufußgehen geklagt haben, und ohne Wagen nicht
fortzubringen gewesen seyn sollen, ich dagegen meine wackern Freunde
immer hinter mir ließ, und dadurch zeigte, daß eine Reise nach Amerika
nicht so mitnehmend sey, als ein Leben in Paris.

Der bei dem ~Omnibus~ wachthabende Sonnenbruder, welchem
das Geschäft oblag, zur rechten Zeit den in der nächsten Kneipe
sich wärmenden Kutscher zu rufen, hatte sich selbst das Geschäft
erleichtert, war in den Wagen gestiegen und sanft entschlafen, mußte
jedoch im Traume sich berufen fühlen, dieses Terrain frei zu halten,
denn er schlug bei unserm Einsteigen um sich herum und machte, nachdem
wir Posto gefaßt, Miene, uns wieder aus dem Wagen zu werfen, bis durch
den Lärm der Kutscher selbst herbeieilte und den Trunkenbold auf die
Seite schaffte.

Was ich vermuthete, war geschehen. Das Theater war längst angegangen
und schon ein Stück vorüber, wie die aus dem Hause kommenden
Schaulustigen zu erkennen gaben, von welchen die nicht Zurückgehenden
ihre Billets an bereit stehende Kontremarken-Händler verkauften und
Letztere solche wieder an später kommende Zuschauer anzubringen
suchten, weshalb mehrere dieser Industriellen sich an uns drängten und
Marken offerirten.

Dieser Billethandel, wogegen die Theater-Direktion nichts einzuwenden
hat, geht in Paris ins Große und verschafft dem Publikum den Vortheil,
daß man nicht für die ganze Vorstellung, welche an einem Abend Statt
findet, zu bezahlen hat, im Fall man vor dem Schluß des Hauses das
Schauspiel verläßt, oder erst in dem bald beendigten Stück das Theater
besuchen will.

Mit allem Pomp und getreuer Nachahmung der stattgefundenen Ceremonieen,
bei Abholung der Leiche Napoleons von ~St. Helena~ bis zur
Uebernahme derselben im Invalidenhaus zu Paris von Ludwig Philipp,
wurde diese Begebenheit theatralisch dargestellt, welcher Genuß mir um
so willkommner war, da ich bedauern mußte, zu spät nach der Hauptstadt
gekommen zu seyn, um der wirklichen Trauerfeierlichkeit beiwohnen zu
können.

Am nächsten Morgen wurde die Magdalenenkirche besucht, welches
herrliche Gebäude, von Napoleon zu einem Tempel des Ruhms bestimmt,
jetzt wieder, nach dem Willen ihres ersten Gründers Ludwigs ~XV.~,
unter die Zahl der Gottgeweihten Häuser aufgenommen ist. Das vollendete
Aeußere dieses großartigen Tempels gewährt einen freundlichen Anblick,
ohne daß der Styl verräth, daß man einer christlichen Kirche nahe stehe.

Aehnlich der Magdalenenkirche ist die Börse großartig aufgeführt,
und wie jene 52 Säulen von Außen zieren, so sind hier 66 dergl.
angebracht. Die von oben erleuchtete und mit einem herrlichen Plafont
geschmückte Halle ist groß genug, 2000 Personen fassen zu können; am
schönsten kann man von der Gallerie herab das Gewühl der versammelten
Menge von Spekulanten, Banquiers, Kaufleuten bis zum kleinsten Krämer
herab, durchmengt von Neugierigen und Dieben, beobachten, wenn man
nicht selber in der Nähe die großartigen Handels- und Geldgeschäfte
mit ansehen und hören will, und weniger besorgt für seine Uhr und
Börse ist, denn mit unglaublicher Keckheit werden hier, besonders den
Fremden, nicht allein Taschentücher entwendet, sondern die Virtuosität
dieser Industriellen erstreckt sich besonders auf Dosen, Uhren und
Brieftaschen, welche, ehe man es ahndet, verschwinden. Paris und London
werden sich wohl in diesem Fach immer den Vorrang streitig zu machen
suchen und die unerreichbaren Vorbilder aller Gauner und Diebe bleiben.

Von hier aus wurde die große ~Passage des Panorames~
durchschritten und durch diese aufmerksam gemacht, verschiedene andere
Glasgallerieen besucht; auch wurde mir das Haus gezeigt, woraus Fieschi
seine Höllenmaschine auf den König abgeschossen hatte.

Die Beschauung des ~Louvre~ kam jetzt an die Reihe. Dieser Palast,
von Franz ~I.~ (1528) errichtet, von allen nachfolgenden Regenten
aber vergrößert und verschönert, interessirte mich ungemein. Er
erweckt viele historische Erinnerungen und war häufig die Wohnung der
Könige. Karl ~IX.~ schoß von hier aus auf die Hugenotten in der
Bartholomäusnacht und hier fand der erbitterte Kampf des Volks gegen
die Schweizergarde in der Juli-Revolution Statt. Das Aeußere, wie der
innere Ausbau, dieses großartigen Gebäudes ist äußerst imposant und
reich ausgeschmückt und soll für den Architekten viel Merkwürdiges
enthalten. Die innern Räume des ~Louvre~ sind jetzt beinahe ganz
von verschiedenen Museen eingenommen, und die Kunstschätze, welche hier
aufbewahrt werden, übertreffen Alles, was man sich vor dem Beschauen
davon verspricht.

Am letzten Tage meines Aufenthaltes in Paris fuhren wir nach ~St.
Denis~, einer Stadt von 5000 Einwohnern, um die daselbst befindliche
merkwürdige Cathedrale zu besehen, wo die Gräber der französischen
Könige sich befinden.

Wir besahen das alterthümliche Grab Dagoberts, das Grabmal Ludwigs
~XII.~, und Anna’s, seiner Gemahlin; dann das Denkmal von Heinrich
~II.~ und Catharina von Medicis, das Monument Franz ~I.~ und
der Königin Claude.

Schon war die Pforte geöffnet und der Führer bereit, uns unter das Chor
hinab zu geleiten, wo die Grabgewölbe der übrigen Könige und ihrer
Familienglieder sich befinden, als mich Kolik-Schmerzen zum Rückzug
zwangen.

Keine Zeit war zu verlieren, um nach Paris zurückzueilen, weil daselbst
heute noch die nur bis vier Uhr geöffnete Königliche Teppichfabrik
der ~Gobelins~ besucht werden sollte. Doch vergebens harrten
wir im Kuckuk auf den Abgang des Wagens, obgleich der Kutscher beim
Einsteigen den schnellsten Transport versprochen hatte. Mein Freund
mochte toben und fluchen, so viel er wollte, der Wagen rückte nicht von
der Stelle, denn noch waren nicht alle Plätze besetzt und der Fuhrmann
verlangte seine volle Ladung. Nur, als wir Miene machten, wieder
auszusteigen um einen andern, besser besetzten Wagen zu frequentiren,
wurde das erbarmungswürdige Thier durch Peitschenhiebe zum Fortgehen
bewegt. Unterwegs wurden noch Höckenweiber und Arbeiter aufgenommen,
wodurch sich die Passagiere dermaßen mehrten, daß der Kutscher die
Freude hatte, noch ~Lapins~[64] zu placiren. -- An der Barriere
angelangt, wurde sogleich ein ~Omnibus~ bestiegen; doch da vier
Uhr längst vorüber war, als wir bei den ~Gobelins~ ankamen,
so wurde der Zutritt nicht mehr gestattet und das Anschauen dieser
berühmten Kunstteppich-Weberei ging für mich verloren.

Aergerlich gestimmt, gingen wir langsam durch das öde, garstige
Stadtviertel, wo die Lohgerber an dem ~Bievre-~Flüßchen wohnen und
das Geschäft meines Freundes und Führers getrieben wurde, nach dessen
Wohnung zu und an der Anatomie vorbei, wo Mediziner und Chirurgen ihr
Geschäft an Hunderten von Leichen üben. In dem Logis angelangt, mußte
ich bemerken, wie ein so großes Haus in Paris gleichsam eine kleine
Welt umschließt, und das nämliche Dach oft den ausschweifendsten Luxus
neben der drückendsten Armuth bedeckt. Man wird hier geboren, man lebt,
man stirbt, man freut sich oder man verzweifelt, und Niemand im Hause,
außer denen, die es zunächst berührt, erfährt etwas davon. -- Erst als
am Abend im Atelier des fleißigen Malers, meines braven Wirths, die
Freunde sich versammelt und der dampfende Glühwein von Neuem den Leib
erwärmte, war mir wohler, und bis spät in die Nacht wurde unter Sang
und Klang der Gläser der Abschied gefeiert.



+Die Heimkehr.+


Am Morgen des 3. März war bei der Postanstalt ~Laffitte, Caillard et
Comp.~ die Reise nach Straßburg akkordirt und für den Platz auf dem
Kutschenhimmel 33 Franks für 120 Stunden Wegs bezahlt; wobei noch 50
Pfund Gepäck und ein Hund frei waren.

Das von Freundes Hand mir anvertraute alte Thier, um solches dem Vater
zu überbringen, hatte gewiß seine Jugendzeit auf dem Combat in Paris
verlebt und daselbst bei den Hundepaukereien als kunstgerechter Kämpfer
sich Lorbeeren erworben, obgleich der Händler diese Bestie mit seinen
fletschenden Zähnen, als noch in besten Jahren stehende Bulldogge
verkauft hatte, welche die grauen Haare nur aus Verdruß über nicht
anerkannte Verdienste bekommen habe.

Freud und Leid verschaffte dieser Begleiter, welchen ich mir während
der Reise durch Schmeichelei und Leckerbissen geneigt zu machen suchte.
Bald fuhr er knurrend meiner nicht allzuhübschen Nachbarin nach den
Waden, wenn sie das Unglück hatte, ihn mit ihren großen Füßen zu
berühren; dann verrieth die Feuchtigkeit an den Füßen, daß die Bestie,
ungalant genug, sich nicht genirte, über den Häuptern der tiefer
sitzenden Passagiere der Nothdurft sich zu entäußern.

Während der 2½ Tag und zwei Nächte unausgesetzten schnellen Reise über
~Chalons~ und ~Nancy~ wurde nichts der Aufnotirung Werthes bemerkt und
wir erreichten wohlbehalten am 5. d. Nachmittags Straßburg, wo ich
bei dem mir rekommandirten und empfehlungswerthen ~Jacob Phisterre~
einkehrte und sogleich das Nöthige auf dem Paß-Bureau besorgte,
währenddem die Bulldogge angebunden in der Gaststube zurück blieb. Doch
dem freien Franzmann beliebte nicht eine solche sklavische Behandlung,
knurrend säuberte er seine Nähe von zudringlicher Bekanntschaft und
zerriß die Bande, um mit einem Satz nicht über den Rhein, sondern
nach einer sich in aller Unschuld nähernden Katze zu springen, welche
zu spät gewarnt, durch die rächende Nemesis jetzt gleiches Schicksal
erfuhr, was sie Tausenden von Mäusen bereitet hatte. Mir selbst diente
das Geschehene zur größern Vorsicht, und da zum Glück das gefallene
Opfer nicht der Liebling der Frau Wirthin mehr war, indem das jüngere
Geschlecht sie aus der frühern Gunst verdrängt hatte, so war auch von
dieser Seite der Friede bald wieder hergestellt, woran mir am mehrsten
gelegen war, da ich es nicht gern mit den Weibern verderbe.

Schon war der Name auf dem Postamte zur Weiterreise notirt, als mein
böser Genius, der Hund, diese Fahrgelegenheit vereitelte, da man
solchen weder frei, noch gegen Vergütung als Passagier mit aufnehmen
wollte. Lohnfuhrwerk zu miethen, kam als einzelne Person zu theuer,
weshalb ich einen Allerweltsfreund beauftragte, in den andern Gasthöfen
nach einer Retourfuhre sich umzusehen.

Den andern Morgen wurde die Stadt besehen, wobei die Straßen
derselben mit ihren engen, unregelmäßigen, meist hohen und altmodisch
aufgeführten Häusern keinen freundlichen Anblick gewähren, und nur
der Paradeplatz, mit ansehnlichen Häusern umgeben, macht hiervon eine
Ausnahme.

Die mir als merkwürdig gezeigten Gebäude sind: der ehemalige
bischöfliche Palast, das vormalige Jesuiten-Kollegium, die Münze, das
Zeughaus, die Kanonengießerei, das Rathhaus und das Theater, vor Allem
aber der berühmte Münster, das Meisterstück altdeutscher Baukunst. Der
bewunderungswürdige hohe Thurm, welcher sein kühnes Haupt stolz bis zur
Höhe von 438 Pariser Fuß in die Lüfte emporhebt, wurde bestiegen.

Eine herrliche Aussicht lohnt für die Mühe und das ängstliche
Emporklimmen in einen der kleinen schlanken und mit durchbrochener
Arbeit gezierten vier Thürmchen, welche bis hoch in die Lüfte den
Hauptthurm umgeben, und in jedem eine schmale Schneckenstiege
hinaufführt, die in der Spitze wieder in den Mittelthurm geleitet. Von
diesem Standpunkte aus entfaltet sich dem Blicke das prachtvollste
Panorama. Die Stadt mit ihren beträchtlichen Festungswerken liegt
ausgebreitet unter dem Beschauer und gewährt den großartigen Anblick
eines der ersten befestigten Orte. Ueber den Schanzen und Gräben
hinaus fängt eine gut angebaute Gegend an, welche von schönen Gärten,
Landhäusern und Dörfern angefüllt ist. Nachdem in allen Theilen
die Riesen-Pyramide des Thurmes, welches Kunstwerk reichlich mit
durchbrochener und anderer Bildhauerarbeit geziert, gemustert war, und
ich auch die als Meisterstück anerkannte Thurmuhr besehen, verfügte ich
mich nach der Thomas-Kirche, um das merkwürdige, dem Marschall Moritz
von Sachsen errichtete Denkmal zu sehen. Eben daselbst werden auch in
einer Nebenkapelle zwei in Särgen liegende Mumien gezeigt, von welchem
der Zahn der Zeit schon einmal die Kleidungsstücke zernagt und Letztere
mit neuen ersetzt worden sind; die Leichname selbst waren dagegen noch
gut erhalten.

Eben als der Pförtner im Begriffe war zu erzählen, wer die längst
Verstorbenen gewesen, trat der mich suchende Kundschafter ein und
brachte die Nachricht, daß ein Herr mit mir vereint die Reise bis
Frankfurt zu machen wünsche und im Logis meiner harre.

Ein mit der Post von Paris gekommener Musen-Sohn war das Herrchen,
welcher mir die Ehre zugedacht, in seiner Gesellschaft und auf
gemeinschaftliche Kosten die Reise fortzusetzen, und jetzt unserer
Zwei, wurde es auch leichter, einen von Mannheim gekommenen, und auf
Retourfuhre wartenden Lohnkutscher zu gewinnen.

Wohl hat freudiger, wie ich, kein Deutscher die große Schiffbrücke über
den Rhein bei Straßburg passirt, denn mit wonnigen Gefühlen betrat ich
von Neuem Deutschlands Boden. Während die Zolloffizianten bei Kehl
sich mit Visitiren meiner Effekten beschäftigten, und ich von einigen
Kleinigkeiten Eingangszoll zu entrichten hatte, war mein Reisegefährte
um so schneller expedirt, da er außer seinem noblen Anzuge nur noch ein
kleines Päckchen bei sich führte, dessen Inhalt mir unbekannt, aber
doch nichts Steuerbares enthielt.

Den 7. März, Nachts 1 Uhr, in Karlsruhe angekommen, wurde von da
früh 9 Uhr die Reise fortgesetzt, und von mir, wegen vorgeschütztem
Mangel kleinen Geldes, für meinen Musensohn die Zeche ausgelegt.
-- Wie Letzterer erzählte, war er ein Schüler der Malerkunst,
welcher im Begriffe stehe, in Frankfurt einen Onkel zu besuchen,
sich da zu erholen, und frische Gelder zu erheben und in Dresden
das Studium fortzusetzen; er war übrigens ein fideles Haus und ein
guter Gesellschafter, welcher mir noch so Manches von dem Pariser
Studentenleben mittheilte.

Abends 8 Uhr trafen wir in Mannheim ein und fanden im König von
Portugal Unterkommen. Von hieraus wurde, um mich eines Auftrags zu
entledigen, ein Abstecher nach Frankenthal nöthig, welches Geschäft
einen Tag Zeit in Anspruch nahm, und meinen Reisegefährten bestimmte,
um Jugendfreunde zu besuchen, auf der Eisenbahn nach Heidelberg
zu fahren, morgen aber zu rechter Zeit zurückzuseyn, und auf dem
Dampfschiffe wieder vereint mit mir, die Reise nach Mainz fortzusetzen.

Gegen den Beschluß war nichts einzuwenden; doch die Zumuthung, abermals
die Zeche zu erlegen, machte mich bedenklich, als aber gar noch ein
baares Anlehn kontrahirt werden sollte, wurde ich stutzig und nur als
die Versicherung gegeben wurde, in Frankfurt sich der Pflicht pünktlich
wieder zu entledigen, und man das Ehrenwort verpfändet hatte, gab
ich theilweise nach, und machte wenigstens die Fahrt nach Heidelberg
möglich.

Mir selbst wurde in Frankenthal ein herrlicher Genuß. Durch Briefe
aus Amerika, von meinem Freund und Kollegen in der Kupferfabrik,
brachte ich den Geschwistern und der Schwiegermutter Nachricht von dem
Kinde, der lieben Tochter und dem Enkelchen. Außer sich vor Freude,
wußte das Mütterchen nicht, wie sie ihre Dankbarkeit beweisen sollte,
nöthigte zum Kaffee und ließ die Milch dabei überlaufen; invitirte
zum Wein, und vergaß über alles Fragen, solchen zu holen, welches
mir um so lieber war, da ich des Guten schon genug bei den Schwägern
genossen, wo ich auch übernachten mußte. -- O! hättest Du ahnen,
und jetzt sehen können, alter Freund, und ihr Alle, welche Gleiches
zu thun willens sind, wie es für Eltern schmerzlich ist, wenn sie so
weit von den Ihrigen getrennt, sie mehr als todt beweinen, diese Wunde
nie verharrscht, und bei jeder Nachricht von Neuem aufgerissen um so
schmerzlicher wird, gewiß, ihr würdet vor der Ausführung, von dem
unglücklichen Gedanken, Vaterland, Eltern und Geschwister zu verlassen,
geheilt.

Am Morgen des 9. dieses traf ich wieder in Mannheim ein doch der Maler
war noch nicht zurück, und, wie zu vermuthen stand, der Philister um
das Anlehn geprellt, wenn nicht während meines Aufenthalts in dem
bestimmten Gasthause zu Frankfurt, das Ehrenwort eingelöst wurde.

Bei dem Bezahlen auf dem Dampfschiffe wurde der Hund als halber
Passagier in Rechnung gestellt, welche Ausgabe mir weniger unangenehm
war, als daß ich solchen beständig an der Leine führen mußte, da diese
Bestie einem deutschen Kameraden etwas unsanft den Gruß erwiderte,
welchen der Pinscher kneffend anzubringen versucht hatte.

Die unfreundliche Witterung ließ wenig von der Gegend genießen, ebenso
wurde von der Bundesfestung Mainz, welche wir um 4 Uhr erreichten,
wenig gesehen, da um 5 Uhr der Eisenbahnzug nach Frankfurt abging wo
ich mit diesem um 6 Uhr eintraf.

Während der Fahrt, wo ich bei meinem Nachbar, einem Frankfurter,
Erkundigung wegen Gelegenheit zur Weiterreise einzuziehen suchte, wurde
mir eine Herberge, in welcher in der Regel die Lohnkutscher logiren
sollten, und wo man auch sonst gut aufgehoben sey, empfohlen, welches
mich bestimmte, daselbst einzukehren, und den vom Maler empfohlenen
Gasthof nicht zu beziehen, sondern nur Letzterem wegen des verpfändeten
Ehrenworts einen Besuch abzustatten.

Am andern Morgen stattete ich sogleich dem Amerikaner Herrn
Bindernagel, welcher sich zur Zeit in Bornheim aufhielt und dessen
Bekanntschaft ich schon in ~New-York~ gemacht, einen Besuch ab,
indem ich Briefe überbrachte. Dieser begleitete mich nach Frankfurt,
und auf das dasige Polizei-Bureau, um mir daselbst den Unterschied
zwischen amerikanischer und deutscher Geschäftsbedienung zu zeigen, da
hier die ärmern Reisenden oft Stundenlang auf Einlaß wegen ~Visa~
warten müßten, währenddem die Herren Beamten im geselligen Diskurs
ihre Zeit auszufüllen suchten. -- Er selbst auf dem Bureau bekannt,
geleitete mich durch eine Nebenthür in dasselbe, wo ich dieses leider
bestätigt fand. Schnell wurde ich expedirt; um so zahlreicher aber
standen die Reisenden vor dem Hause, harrten des Rufes zum Einlaß und
übten sich in Geduld. Da schien es mir doch, als wenn Herr Bindernagel
nicht ganz Unrecht hätte; er behauptete nämlich, daß nur in Amerika der
Mensch überall als Mensch geachtet, und, gleich welchem Wirkungskreise
er angehöre, bei jeder Behörde freien Zutritt und auf schnelle
Bedienung Anspruch zu machen habe. Dem Amerikaner geht nichts über
seine Zeit, und Wehe dem Angestellten, welcher gegen seinen Nächsten
eine Geringschätzung blicken ließ, oder auf einem faulen Pferde
gefunden würde.

Während Beseitigung dieser Geschäfte war der Hund dem Hausknecht zur
Verwahrung übergeben worden, Letzterer solchem aber aus dem Gefängnisse
entwischt, zu dessen Wiedererlangung die Nachmittagszeit verwendet
werden mußte und dadurch versäumt wurde, in dem Absteigequartier des
Malers zu hinterlassen, wo ich zu finden sey. -- Am nächsten Morgen
hatte ich den Verdruß, zu erfahren, daß dieser mit dem gestern Abend
eingetroffenen Eisenbahnzuge angekommen, der Studiosus kein Schurke,
sondern eingedenk seines gegebenen Wortes gewesen sey, sogleich nach
mir gefragt, beim Nichtauffinden meiner Person aber vermuthet habe, daß
ich bei meiner Ankunft in Frankfurt die Stadt sogleich wieder verlassen
und die Reise fortgesetzt habe. -- Die vermaledeiete Bestie, der Hund,
war daher abermals Ursache des erlittenen Schadens, wenn der Schuldner
die Generosität nicht so weit treiben sollte, mir einmal in Weimar die
Ehre seines Besuches angedeihen zu lassen, was jedoch bis zur Zeit der
Niederschreibung dieses noch nicht geschehen ist. Vielleicht kommen ihm
diese Zeilen zu Gesicht und erinnern ihn an den alten Reisegefährten
und sein gegebenes Wort.

Am Morgen des 10. März wurde von Frankfurt aus die Reise mit der
von einer Privatgesellschaft errichteten Eilfuhrgelegenheit[65]
fortgesetzt. Leider war aber hier Eile mit Weile gepaart, da bei jedem
aus einem Haus herausschauenden Arme, Pferde und Menschen getränkt
wurden, weshalb wir erst spät in Fulda ankamen. Statt aber unverweilt
den Wagen zu wechseln, hielt der Herr Wirth für räthlicher, die
Passagiere die zweite Hälfte der Nacht zu beherbergen und erst am
Morgen die Tour fortzusetzen.

Das zweite Nachtquartier wurde in Eisenach gehalten, und der 13. März
war der mir ewig unvergeßliche Tag, an welchem ich wieder in dem lieben
Weimar eintraf und im Kreis meiner Familie von den Strapazen dieser
Reise mich erholen konnte.

Die Erinnerung an all’ das mannigfaltig Erlebte auf dieser Reise bleibt
zurück und gewiß viele der geehrten Leser hegen beim Schluß dieser
Mittheilung den Wunsch, Gleiches, wie ich, erlebt zu haben, denn hier
bewährt sich so recht das Sprichwort: „Wenn Jemand eine Reise thut, so
kann er was erzählen.“ Nur muß ich bedauern, keinen bessern Vortrag zu
haben und nochmals um gütige Entschuldigung bitten.



+Nachschrift.+


Daß mehrere der vorstehenden Briefe nur dem wesentlichsten Inhalt
nach, kürzer gefaßt den Meinen zugeschickt wurden und Vieles erst,
nachdem Erstere zum Druck bestimmt, aus meinem Tagebuch und andern
Druckschriften, wie dieses die mit Gänsefüßchen („“) eingeschaltenen
Sätze anzeigen, ergänzt worden ist, bedarf wohl kaum der Erwähnung.
Da es aber häufig der Fall ist, daß Leser eines Buches die Vorrede
überschlagen, so erlaube ich mir noch die Schlußbemerkung: weniger
streng über den schwerfälligen, nicht immer fließenden Styl zu
urtheilen, da ich selbst nur zu bald beim Beginn dieser literarischen
Arbeit die Bemerkung machen mußte, daß die den Tag über von technischen
Geschäften angegriffenen und zerstreuten Gedanken, des Nachts dann
die ungeübte Feder nicht immer dem Aufschwung des Geistes zu folgen
vermochten, was mich bestimmte, das von mir Niedergeschriebene nochmals
der Ueberarbeitung eines jungen Literaten zu unterwerfen. Leider war
aber von diesem das Geschäft gegen die Tendenz der Vorrede und meinen
Willen aufgefaßt worden, so daß nicht eine Ueberarbeitung, sondern
eine förmliche Umarbeitung Statt fand, zu welcher ich den Namen nicht
hergeben konnte, indem meine gereiftern Grundsätze sich nicht mit den
Romanideen eines schwärmerischen Geistes einigen wollten, und sich
auch dadurch mehrere Sinn entstellende Sätze eingeschlichen hatten. --
Um nun nicht abermals Zeit zu verlieren, so sah ich mich genöthigt,
dabei auf die Nachsicht der geehrten Leser vertrauend, das Werkchen
schmucklos so in die Welt zu schicken, wie es von mir geboren worden
ist.

    =Fr. Höhne.=


Druck der Albrecht’schen priv. Hof-Buchdruckerei.



+Bei dem Verleger dieser Reisebeschreibung sind folgende Werke
erschienen+:


    Die Erscheinungen der Elektrizität und des Magnetismus in ihrer
                       Verbindung mit einander.

Nach den neuesten Entdeckungen im Gebiete des Elektro-Magnetismus
und der Induktions-Elektrizität. Für Freunde der Naturwissenschaften
und besonders für Aerzte ausführlich dargestellt von +~D.~ I.
Eydam+. Mit 60 Abbildungen.

                     gr. 8. 1 Thlr. 26 Sgr. 3 Pf.

Unstreitig hat kein Theil der Naturwissenschaften einen so vielseitigen
und lebhaften Anklang im Publikum gefunden, wie die wunderbaren
Beziehungen zwischen Elektrizität und Magnetismus, welche unter dem
Namen des Elektro-Magnetismus begriffen werden, besonders seitdem
dieselben angefangen haben, eine Rolle in der Mechanik zu spielen und
sich unter andern die Ansicht eröffnet hat, daß durch Einführung der
elektro-magnetischen Treibkraft die durch den steigenden Preis des
Brennmaterials immer kostspieliger werdende bisher gebräuchlichste
Maschinenkraft, der Dampf, endlich verdrängt werden wird. Ich
zweifle daher nicht, daß obige Schrift, die mit besonderer Rücksicht
auf die technische Anwendung des Elektro-Magnetismus und der
Magneto-Elektrizität sich über alle die interessanten Erscheinungen
verbreitet, welche aus dem Conflikte der magnetischen Kraft mit der
elektrischen hervorgehen und zugleich eine gründliche, dem neuesten
Zustande der Wissenschaft angemessenen Darstellung der Lehre von
der Elektrizität und dem Magnetismus, von dem Thermo-, Photo- und
Rotations-Magnetismus, der Galvanoplastik, der elektrischen Telegraphie
u. s. w. enthält, sich einer willkommenen Aufnahme zu erfreuen haben
werde, zumal da der Verfasser seinen Gegenstand so auffaßte, daß
nicht nur der gebildete Laie, sondern auch der Physiker vom Fache
Befriedigung bei Aneignung der Schrift hoffen darf. Besonders werden
auch Aerzte bei Lesung derselben Gelegenheit finden, sich über die
Verhältnisse der medizinischen Anwendung der Elektrizität und des
Magnetismus, so wie der elektro-magnetischen und magnetelektrischen
Rotations-Apparate und deren Einrichtung, wie sie in neuester Zeit
gebräuchlich worden sind, sich zu unterrichten. -- Indem wir im
Uebrigen auf das dem Werke vorgedruckte reichhaltige Inhaltsverzeichniß
verweisen, bemerken wir nur noch, daß bei der äußern Ausstattung
desselben von uns nichts verabsäumt wurde, was zur Empfehlung desselben
dienen kann.


  Interessante civilrechtliche Entscheidungen der höchsten deutschen
  und andern Spruchbehörden. Gesammelt und herausgegeben von ~Dr.~ G.
                             v. Hellfeld.

                            gr. 8. 1 Thlr.

Diese Sammlung wird kein Jurist unbefriedigt aus der Hand legen. Sie
enthält keineswegs eine weitläufige juristische Polemik, sondern immer
nur den Kern von 25 Entscheidungen auf 14 Bogen und unter diesen
besonders folgende: über ~actio in factum de syndicatu~ gegen Richter
und Kollegien aus nachlässigem Handeln, oder Unterlassen; -- über den
Beweis der ~condictio indebiti~ nach dem Sinne und Geiste der ~C. 25.
D. de probationibus~; -- über Erbvertrag, Umfang des deutschrechtlichen
~mundii~; -- über Erbschaftsklage und Specifikation bei Universal- und
Singular-Klagen; -- über Suppletoria, Dos und Paraphernal-Vermögen;
-- über Perception industrieller Früchte durch den Usufruktuar;
-- über Miethvertrag, Einrede des nicht erfüllten Kontrakts und
Ehescheidung wegen Haß; -- über Privation wegen Ehebruches; --
~Juramentum novorum~; -- über der Rechtskraft nicht unterliegende
Dekrete, Extrajudicial-Appellation und deren Eigenthümlichkeit; über
devolutive und nicht devolutive Rechtsmittel; -- über Zulässigkeit
der Geschäftsführer zum Zeugenbeweis und über die Nachtheile der
Zuvielforderung, nebst Register zum leichteren Gebrauche etc.


                                 +Die+
                  innern Hals- und Brust-Krankheiten
                              der Kinder.

           Dargestellt von Aug. Höcker. Fol. Tabellen-Format
                            1 Thlr. 20 Sgr.

Wir machen bei Anzeige dieses Werks, des dem ärztlichen Publikum
bereits durch seine in unserm Verlage erschienene und mit
allgemeinem Beifalle aufgenommene Schrift: +Die Geschäftsführung der
Staatsarznei-Wissenschaft+ etc. rühmlichst bekannten Herrn Verfassers,
besonders auf das leicht Uebersichtliche der Tabellenform aufmerksam,
in welcher dasselbe bearbeitet ist. Nach dem uns zugekommenen
Urtheile Sachkundiger sind die einzelnen in dasselbe aufgenommenen
Krankheitsformen, selbst in ihren individuellen Verhältnissen mit
seltener Sorgfalt und der genauesten Sachkenntniß dargestellt und mit
Hervorhebung der charakteristischen Merkmale, durch welche sie sich von
einander unterscheiden, so neben einander gereihet, daß die bei den
Krankheiten der Kinder so äußerst schwierige Kunst der Diagnose auf das
Wesentlichste erleichtert wird. Wir glauben deshalb die Schrift, die
eine fühlbare Lücke in der medizinischen Literatur ausfüllt, als eine
Bereicherung derselben den Herren Aerzten mit Recht empfehlen zu können.



Fußnoten:


[1] Bei Weimar.

[2] Bei Erfurt.

[3] Hinter Erfurt.

[4] Bei Gotha.

[5] Nachdem ich fest entschlossen war, die Reise nach Amerika ohne
Familie zu unternehmen, so war dabei sogleich festgestellt, mich nur
auf die allernothwendigsten Ausgaben zu beschränken, um in pekuniärer
Hinsicht so wenig als möglich zu opfern und dabei zu beweisen, daß
der Mensch alles kann, wenn der gute Wille nicht fehlt. Ich theilte
daher sogleich vom Anfang der Reise an, die Lebensweise meiner, zum
Theil armen Gefährten, unter denen sich einige befanden, deren weniges
Vermögen mir zur Bestreitung der Reisekosten anvertraut worden war;
schlief mit ihnen auf der Streu, lebte eben so dürftig wie sie, aß
Mittags nie warm, sondern erst Abends, in Gemeinschaft der ganzen
Gesellschaft. Hierdurch wurde es möglich, daß erwachsene Personen
täglich mit 6 gr. ~Cour.~ auslangten, und daß Familien ~pro~ Kopf 4 gr.
~Cour.~ bedurften. Als Fracht für den Zentner Effekten wurde von Weimar
bis Bremen 1 thlr. 6 gr. berechnet, und um bei gutem Wege fahren zu
können, zahlten außerdem die Erwachsenen 2 thlr. ~pro~ Kopf, Kinder die
Hälfte.

[6] Bis weit vor die Stadt schicken die Herren Wirthe, welche
Auswanderer beherbergen, diese Makler entgegen, wovon Jeder die
billigste Bewirthung und das solideste Haus offerirt. Die Wahrheit
solcher Anweisungen lernt man erst während des Aufenthalts kennen.
Ich kann aber Auswanderern, welche ein billiges Unterkommen suchen
und keine großen Ansprüche machen, den Schneidermeister Achelpohl
empfehlen, wo man gut aufgehoben ist.

[7] Für Kost und Logis mit einem Bett ~à~ Person 10 gr. ~Cour.~
täglich. Bei gemeinschaftlichen Schlafen auf der Streue im großen
Saale, 8 gr. ~Cour.~

[8] Friedr. Jos. Schlevogt aus Oettern bei Weimar, lebt jetzt glücklich
in Baltimore und ist Besitzer einer Basket-Faktory (Korbmacherei).

[9] Einige Schiffskapitäne, an welche ich mich wegen Akkordirung zur
Seereise wendete, versicherten, daß sie zur Zeit (ob dieses immer der
Fall ist, weiß ich nicht, da ich das Gegentheil gehört habe) streng
angewiesen wären, ohne Vorwissen der Herren Schiffsmakler, keine
Zwischendeckpassagiere aufzunehmen, dieses sei jedoch nicht der Fall
mit den Kajütenpassagieren.

[10] Wichelhausen.

[11] Der Grot hat 4 pf., 72 Groten werden auf einen Bremer Thaler
gerechnet.

[12] Wichelhausen.

[13] Wie mir später versichert wurde, soll es wirklich gesetzlich seyn
daß derjenige, welcher Auswanderer zu einem Makler bringt, für jede
Person 1 Gulden in Gold als Douçeur erhält. Herr ~W.~ suchte zwar
dieses zu widerlegen, als ich, Bezug darauf nehmend, um Ermäßigung des
Fahrgeldes für eine unserer armen Familien bat, ließ sich dennoch aber
bestimmen, statt 35 nur 30 Thaler für den Säugling anzunehmen.

[14] Wie dem gegebenen Versprechen nachgekommen war, sieht man im Lauf
meiner Erzählung. Es ist daher räthlich, den Kontrakt gerichtlich zu
machen, und zwar um so mehr, wenn derselbe für mehre Personen lautet.
Darin ist genau zu bestimmen, was vor und während der Reise dem
Passagier zu gewähren sei, und im Fall, daß die gegebene Zusage nicht
gehalten würde, auf Kosten des Herrn Schiffsmaklers, in Amerika das
Weitere gerichtlich verfolgen zu können.

[15] Gebot auch die Vernunft, den gewünschten Vorschuß nicht zu
leisten, weil, wie ich mehrfach gehört und gelesen, im freien Amerika
sich selten einer noch verpflichtet hält, überseeisch gemachte
Versprechungen zu erfüllen, so folgte ich dennoch dem Drange meines
Herzens und gab das Erbetene, ohne mehr als das Wort zum Unterpfand zu
verlangen. Wie schändlich ich dafür belohnt worden bin, zeigt der Gang
meiner Erzählung.

[16] Wichelhausen.

[17] Dieses Alles fanden wir in Bremerhaven bestätigt, wo Niemand nach
einem Reisepaß oder sonstiger Legitimation fragte. Die Passagiere
wurden beim Abgang des Schiffes nicht in dasselbe hinein gezählt
und Keinem Quittung über gezahltes Fahrgeld abverlangt und so hatte
jeder Vagabund die schönste Gelegenheit, unerkannt den Rächerhänden
der Justiz zu entschlüpfen. Zwei sich auf dem Schiffe ohne Vorwissen
der Makler und des Kapitäns eingeschlichene Individuen wurden von
uns selbst, da sie sich unpolitischer Weise verriethen, dem Gericht
übergeben.

[18] Vor Allem sind zu einer Seereise nöthig: blecherne Eß-, Trink-
und Nachtgeschirre, worunter sich ein Schaffen befinden muß. Eine
mit Seegras oder Stroh ausgestopfte Matratze nebst Kopfkissen und
wollener Decke, welche letztere von Hause aus mitzunehmen ist, um
sie auf der Landreise bis Bremen benutzen zu können. Ein Korb mit
weißem Schiffszwieback, einige Pfund Waizenmehl, worin Eier sich
gut aufbewahren lassen, etwas Butter, Schweizerkäse, oder einen
geräucherten Schinken, auch Wurst vertritt die Stelle; Pfeffer, Salz,
Kaffee, Zucker, Wein und Essig leisten ebenfalls während der Seereise
gute Dienste. Sollte auch von den besonders angeschafften Lebensmitteln
bei der Ankunft in Amerika noch Etwas übrig seyn, so wird dieser Rest
dem Passagier trefflich zu statten kommen und dieses ist um so mehr
der Fall, wenn man sogleich eine Privatwohnung bezieht, woran es nie
mangelt, und sich nicht den Uebertheuerungen der Wirthe aussetzt.

[19] Wichelhausen.

[20] Eine Familie mit erwachsenen Töchtern sollte nie die Ausgabe
scheuen, diese Schiedbleichen der Schlafstellen ganz zuschlagen zu
lassen, wozu in Ermangelung von Bretern, Tisch- oder Betttücher
verwendet werden können. Eben so rathsam ist es, den Breterboden der
obern Schlafstellen mit einem Tuche zu überziehen, wo dann zwischen den
Fugen dieses Bodens kein Schmutz auf die darunter Liegenden fallen kann.

[21] Warum nur Anfangsbuchstaben? Eine Reisebeschreibung hat
natürlich weit mehr Glaubwürdigkeit, wenn die Namen ausgeschrieben
sind; aus diesem Grunde habe ich schon vorher den Namen Wichelhausen
zur öffentlichen Kunde gebracht und nenne nunmehr auch den Namen
Ulrich, als dessen Agenten in Bremerhaven, und zwar auf Veranlassung
folgender Umstände: Ein hiesiger Partikulier hatte Auszüge aus Höhne’s
Reisebriefen und zwar gerade diese empörende Behandlung der Auswanderer
an den „allgem. Anzeiger d. D.“ nach Gotha gesendet, wo sie =1840= in
No. =71= und =73= abgedruckt stehen. Der Herausgeber der Dorfzeitung
fand sich bewogen, bezüglich dieser Auszüge folgende Notiz in der
Dorfzeitung =1840= No. =51= erscheinen zu lassen:

    „Der Allg. Anzeiger enthält Abscheu erregende Mittheilungen über
    die Schiffe, auf welchen die armen deutschen Auswanderer nach
    Amerika überfahren und von den Betrügereien vor, während und nach
    der Ueberfahrt. Warum werden aber solche Bursche in Bremen wie W.
    und ihre Agenten blos mit den Anfangsbuchstaben bezeichnet, warum
    brandmarkt man solche Seelenkäufer nicht öffentlich? Sind die
    meisten Auswanderer nicht ohnehin unglücklich genug, daß man sie
    noch solchen Blutsaugern in die schmutzigen Hände giebt?“

Hierauf erschien nun in dem Allg. Anzeiger No. 84 desselben Jahres
folgende

    +=Erklärung.=+

    „Eine in der Dorfzeitung vom 16. März erschienene Anzeige, welche,
    mit Bezugnahme auf einen Aufsatz in dem Allg. Anzeiger, einen
    Bremer Schiffsexpedienten, bezeichnet mit dem Buchstaben W.,
    betrifft, zwingt mich zu der Erklärung, daß ich demjenigen die
    Summe von +tausend Gulden+ sofort auszahlen lassen werde,
    welcher mich überführen kann, mich auf eine so empörende Weise,
    wie dort geschildert wird oder überhaupt nur auf eine unrechtliche
    Weise gegen die von mir expedirten Auswanderer benommen zu haben.“

    „Mein Charakter, welcher, wie ich mir schmeicheln darf, in ganz
    Deutschland allgemein als rechtlich und ehrliebend anerkannt ist,
    sollte mich freilich gegen alle Angriffe dieser Art schützen,
    allein Mißverständnissen ist in einem solchen Falle nicht
    vorzubeugen und es handelt der Einsender jenes Aufsatzes sehr
    unrecht, wenn er den Namen desjenigen verschweigt, welcher die
    Unbilde begangen, indem er dadurch den Zweck verfehlt, welchen
    er durch seine Bekanntmachung zu erreichen beabsichtigte.“
    +Bremen+ den 19. März 1840.

    Fried. Jac. Wichelhausen

Ohne an dem rechtlichen Charakter des Herrn Wichelhausen zu zweifeln,
so sind die angeregten Unbilden wenigstens durch sein Komptoir begangen
worden, möglich ohne sein Vorwissen, allein der Chef des Komptoirs
bleibt immer dafür verantwortlich. Unverantwortlich bleibt der Umstand,
daß man das Fahrgeld, welches man mit seinem Agenten besprochen und
gewissermaßen accordirt hatte, in Bremen erhöhete; unverantwortlich,
daß man 208 Auswanderern die accordirte Schiffskost vorenthielt,
welche erst dann erfolgte, als man gerichtliche Hülfe suchte und
daß wahrscheinlich Herr Ulrich 277 [*Gulden] für achttägige nicht
gelieferte Schiffskost in die Tasche steckte.

Der Zweck, den man übrigens durch den Abdruck dieser Briefe in den
Anzeiger beabsichtigte, wurde vollkommen erreicht, durch die bald
darauf erfolgte obrigkeitliche Bekanntmachung des Bremer Senats, nach
welcher dergleichen überseeische Seelentransportirungen unter eine sehr
vernünftige Aufsicht gestellt wurden.

    =W. H.=

[22] Recht gut ist es, sich außer den schon angegebenen, zur Seereise
nöthigen Gegenständen, noch mit einigen Leckereien, wie Bonbons,
zu versehen, welche man bei passenden Gelegenheiten an Kinder
verschenkt und dadurch sich die Zuneigung der Eltern erwirbt, welche
in vorkommenden Fällen durch Hülfeleistungen gern dafür erkenntlich
sind. Ferner schaffe man sich zur Kurzweil ein Bretspiel oder Domino
an, vergesse ein Gebetbuch nicht, da Beten das Herz erhebt und füge
dem noch einige Bücher zur Lektüre bei. Selbst eine Brieftafel mit
Bleifeder ist von Nutzen, um immer das Nöthige notiren zu können.

[23] Zum Malheur für uns waren unter den am Bord habenden Kartoffeln
viele faulige, welche während der Reise auch die guten ansteckten, so
daß der ganze, in Fäulniß übergegangene Vorrath ins Wasser geworfen
werden mußte, wodurch wir um eines der besten Lebensmittel kamen. --
Die zur Aufbewahrung des Wassers bestimmten Fässer waren vor dem Füllen
nicht gereinigt worden, und so konnte es nicht anders kommen, daß der
dort zurück gebliebene Unrath das frische Wasser bald so verdarb, daß
es nur aus Noth genossen werden konnte. -- Ob Arzneien oder sonstige
Leckereien für die Kranken auf dem Schiff sich befanden, wie dieses uns
von Herrn W. bekannt gemacht worden war, vermag ich nicht zu behaupten,
da eben so wenig +Kranke+, wie +Gesunde+ Etwas davon verspürten.

[24] Ein Universalmittel für gänzliche Abwendung der Seekrankheit giebt
es bis jetzt noch nicht. Bei sämmtlichen Deckpassagieren, 208 an der
Zahl, welche verschiedene Kuren machten, half keins vollkommen. Nach
meiner unmaßgeblichen Ansicht ist es das beste sich schon vor dem
Antritt der Seereise in Diät zu üben, den Magen nie zu überladen, Leib
und Füße warm zu halten, möglichst wenig und nur mit Essig vermischtes
Wasser zu trinken, auch, um den Stuhlgang zu befördern, mitunter
Pflaumen zu genießen. Auch ist es gut, so lange die Kräfte es erlauben
und die Witterung es gestattet, sich auf dem Verdeck aufzuhalten, um
den mephitischen Ausdünstungen im innern Raume zu entgehen und sich
Bewegung zu machen.

[25] Die gethane Bitte, uns für Geld ein Paar Flaschen Wein abzulassen,
wurde mit der Bemerkung abgeschlagen, daß für Kranke kein Wein am Bord
sey und der Kapitän selbst nur das nöthige Quantum für die Kajüte
besitze.

[26] Der für die Zwischendeck-Passagiere bestimmte Schiffszwieback wird
aus Roggenschrot gemacht, von welchem das feine Mehl weggenommen ist.
Die kleinen hart gebackenen Brode werden, in zwei Hälften geschnitten,
geröstet, und so vor dem Verschimmeln auf der See geschützt. Der
Zwieback für die Matrosen hingegen ist aus Waizenmehl bereitet und
gleicht an Geschmack unsern Fastenbretzeln.

[27] In den Speisen Haare zu finden, waren wir schon gewöhnt, als aber
meinem Neffen eine ganze Locke zwischen den Zähnen hängen blieb, so
verging uns doch der Appetit auf einige Tage, bis solcher, durch Hunger
veranlaßt, sich wieder einstellte.

[28] Die Schwaben hatte das Schiff in Ostindien erhalten und waren,
wie die Matrosen versicherten, aller bis jetzt angewandten Mittel
ungeachtet, noch nicht auszurotten gewesen.

[29] Der Lootse, oder Pilot, soll für seine Bemühung, das Schiff
unbeschädigt in sichern Hafen zu bringen, 50 Dollar erhalten.

[30] Zwei Passagiere kommen auf fünf Tonnen.

[31] Wenn auch den Männern nicht mehr so oft das Glück auf
Amerikanischem Boden lächelt, so bleibt solches doch noch immer den
Frauenspersonen hold. Der Verdienst für Letztere ist gut, 4 bis 6
Dollars monatlich, und bei der Ankunft sind in der Regel offene Stellen
vorhanden. Auch wenn sie heirathslustig sind, fehlt es nicht an Männern.

[32] Ein Dollar oder spanischer Thaler ist gleich fünf Franks 30
Centimes französisches Geld, oder 1 Thlr. 14 gGr. Preuß. Cour. hat 8
Schillinge, der Schilling 12½ Cents. Der Cents ist die kleinste
Kupfermünze in Amerika und gehen 100 Stück auf den Dollar.

[33] Dergleichen Kommissionäre giebt es hier in allen Städten, und
nur zu oft werden von ihnen die Arbeitsuchenden geprellt. Auch oben
bemerkter Herr hatte schon einige Mal wegen sich schuldig gemachten
Betrugs, vor Gericht gestanden, sich aber als echter Amerikaner den
Rückweg offen zu erhalten gewußt. Die Versprechungen, immer für
tüchtige und fleißige Arbeiter in jeder Branche Stellen offen zu haben
und solchen einen hohen Lohn zu stellen, beruht selten in Wahrheit und
ist dieses nur die Lockspeise, um damit die Einwanderer zu bestimmen,
sich seiner Person als Vermittler zu bedienen.

[34] Als Gehülfe in einem Fabrikgeschäft oder bei einem Meister
einzutreten, wenn ein solcher einen Gesellen braucht, wirft nicht so
viel ab, um sich und eine Familie ernähren zu können. Auf eigene Hand
aber, sofort bei Ankunft in Amerika zu arbeiten, ist noch schwieriger,
denn dazu gehören Mittel, Kundschaft und die nöthige Landessprache.
Außer Kredit fehlen auch noch die hier gebräuchlichen Handgriffe, um
mit seinen Kollegen konkurriren zu können. Alles dieses kommt erst mit
der Zeit. Die ersten Jahre sind Leidensjahre, da Jeder wieder von vorn
anfangen muß in seinem Geschäft zu lernen.

[35] Sehr oft trifft man solche Unglückliche, die in Amerika an Kanälen
und Eisenbahnen arbeiten müssen, während sie im Vaterland eine weit
glänzendere Rolle gespielt haben.

[36] Wie ich später erfuhr, hatten 4 Mann auf gemeinschaftliche
Rechnung die Gastwirthschaft im Pacht, und einer von ihnen war es,
welcher mich beim Bezahlen einer Flasche Bier um einen halben Dollar
betrog.

[37] Ich selbst habe als Probe ein Zeitblatt aus Amerika mit
zurückgebracht, welches 6 Fuß breit und 4½ Fuß hoch ist.

[38] Ein ähnliches Gesetz bestimmt auch, daß die Schiffseigner
verbunden sind, jeden Einwanderer, welcher im ersten Jahr seines
Aufenthalts in Amerika kein Unterkommen findet und aus Mangel an
Geldmitteln dem Magistrat zur Last fällt, unentgeldlich nach dem Hafen
wieder zurückzufahren, von wo aus der Auswanderer seine Reise nach
Amerika angetreten hat. Leider ist dieses Gesetz nicht bekannt genug,
denn sonst würden wohl Tausende meiner Landsleute mit Freuden in die
liebe Heimath zurückkehren.

[39] Vergebens habe ich mich bemüht, die Entstehung dieses so
sonderbaren Schimpfwortes, was in allen Vereinigten Staaten unter den
niedern Volksklassen üblich ist und gegen die Deutschen gebraucht wird,
zu erfahren.

[40] Gewöhnlich werden fünf englische Meilen auf eine deutsche
gerechnet und es sind im Lauf dieser Briefe immer nur Erstere zu
verstehen, wenn auch das Wörtchen: „englische“ weggelassen ist.

[41] Tanneberg, ein geborner Weimaraner, war dort 6 Jahre mein
Freund und Hausgenosse gewesen. Wir hatten beide beschlossen, die
Seereise nach Amerika, wo er sich förmlich übersiedeln wollte,
zusammen anzutreten, während meine Absicht war, nur drei Jahre dort zu
verweilen. Geschäftsangelegenheiten zwangen mich jedoch, den Abgang auf
ein Jahr hinaus zu verschieben; da Ersterer aber nicht so lange warten
wollte, trat er die Reise ohne mich an.

[42] Nur zu gewiß ist, daß dieser Arme sich abermals in seinen
Hoffnungen getäuscht hat, da er seinem gegebenen Versprechen gemäß,
mir nach meiner Heimkehr dann und wann Kunde zuzuschicken, bis jetzt
nicht nachgekommen ist. Ebenso sind die noch lebenden Mutter und Bruder
ohne alle Nachricht geblieben, obgleich Letzterer in mehren Briefen
dringend darum gebeten hat. Die wahren Verhältnisse seines Geschicks
mag er vermuthlich aus falscher Scham nicht schreiben und die Seinigen
zu belügen denkt er zu rechtschaffen.

[43] Zur Versinnlichung dieser herrlichen Ansicht folgt hier aus dem
~Western-Pilot~ ein Kärtchen mit dem Kanal.

[44] Zu besserer Verständigung sehe man die Abbildung.

[45] Zum Mäßigkeitsvereine Gehörende.

[46] Bremen, Taback kauen.

[47] Borden, in Miethe und Kost gehen.

[48] Betrug und Geldschneiden gehören also in den Vereinigten Staaten
Amerikas in die Kategorie erlaubter Spekulationen.

=W. H.=


[49] Im Erdgeschoß des Rathhauses befindet sich die Wachtstube der
Bürgerwache nebst einem Gefängniß für Neger und sonst aufgegriffenes
Gesindel. Vor der Wache steht eine Kanone, aus welcher jeden Abend 8
Uhr ein Schuß geschieht, welches das Signal ist, daß von dieser Zeit
an kein Neger ohne Erlaubnißschein sich auf der Straße blicken lassen
darf, desgleichen kein Gepäck mehr durch die Straßen transportirt
werden soll, um dadurch das Entwenden der Sachen mehr zu verhüten, und
aufgegriffenen Dieben mehr die Ausrede zu benehmen.

[50] Die Fahrpreise von ~New-Orleans~ nach den nördlichen Staaten sind
immer um die Hälfte theuerer, als es der Fall umgekehrt ist.

[51] Thalemann war die dritte Person, welche mit mir und Tanneberg zu
gleicher Zeit die Reise nach Amerika beschlossen; durch meinen späten
Abgang aber getrennt, nur mit Tanneberg vereint, ein Jahr früher als
ich, den amerikanischen Boden betreten hatte.

[52] Die Stadt Weimar sandte eine Anzahl Verbrecher nach Amerika, die
ihre Strafzeit abgebüßt hatten.

[53] Siehe den beigelegten Plan.

[54] Ein Lobspruch für unsere deutschen Brüder in Amerika! Die
Deutschen, in ihrem Vaterlande an Ruhe und Sicherheit gewöhnt, werden
nach und nach durch ihre Ueberzahl Zucht und Ordnung verbreiten, die in
Amerika herzustellen von Nöthen zu seyn scheint.

[55] Die Polizei und die Sicherheitsanstalten in ~New-York~ müssen nach
dieser Erzählung wirklich vortrefflich seyn. Das ist also amerikanische
gepriesene Freiheit, wo Niemand seines Lebens und Eigenthums sicher ist.

=W. H.=


[56] Welches Schicksal dieses zweite Schreiben gehabt, liegt im Dunkel,
da, wie ich erst kürzlich aus Amerika berichtet worden bin, dorthin
keine Antwort darauf eingegangen ist, und das Kind noch immer nicht die
heilige Taufe empfangen hat. Vielleicht trägt das hier Mitgetheilte
dazu bei, die Sache dennoch an die rechte Schmiede zu bringen, so daß
das Sprichwort in Erfüllung geht: „Was lange währt wird gut.“

[57] Schellhorn.

=W. H.=

[58] Ein durch Dämme abgeschlossener Raum.

[59] Spottweise -- er trank gern und viel.

=W. H.=


[60] Diese ungeheure Figur sollte bei Napoleons Regierung aus Erz
gegossen werden; das Projekt wurde jedoch unausgeführt gelassen, und
das Modell nimmt jetzt den dazu bestimmten Platz ein.

[61] Ein thüringisches Sprichwort, welches so viel bedeutet: Man weiß
eine Sache nicht zu schätzen.

=W. H.=


[62] Man nennt dieses in Paris die ~Queue~, und eine solche
Veranstaltung wäre in Weimar und an andern Orten zur Verhütung von
Unglücksfällen einzuführen.

=W. H.=


[63] ~Coucous~, auf Deutsch „Kuckuk“, sind einspännige, zweirädrige mit
einem Verdeck versehene Kutschen, welche von Paris aus in die Umgegend
und von da zurück die Reiselustigen befördern.

[64] ~Lapins~, auf Deutsch „Kaninchen“, werden in Paris die Passagiere
genannt, welche bei schon besetzten Plätzen im Wagen auf unbequemen
Sitzen außerhalb derselben, die Reise für ein geringes Fuhrlohn
mitmachen.

[65] Rumpelpost genannt.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Wahn und Ueberzeugung - Reise des Kupferschmiede-Meisters Friedrich Höhne in Weimar - über Bremen nach Nordamerika und Texas in den Jahren 1839, - 1840 und 1841." ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home