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Title: Der zerstörte Tasso - Ausgewählte Gedichte Author: Tagger, Theodor Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Der zerstörte Tasso - Ausgewählte Gedichte" *** DER ZERSTÖRTE TASSO AUSGEWÄHLTE GEDICHTE VON THEODOR TAGGER LEIPZIG KURT WOLFF VERLAG Bücherei »Der jüngste Tag«, Bd. 62/63 Gedruckt Ende 1918 bei E. Haberland in Leipzig INHALT OHNMACHT UND AUFRUHR Seite Drei Stoßgebete 9 Der Dichter 12 Abraham und Lot 15 Eva und Susanna 18 Die Eselin 20 Lilie 21 Fantasia Contrappuntistica 23 Preludio, Fughetta ed Fuga Esercizio 25 Die Irren 28 Ariadne 32 Bilder und Aufraffung des Einsamen 35 Der Löwenbändiger 38 Das Bett 42 Der zerstörte Tasso 44 LANDSCHAFTEN Mann am See 51 Abendsonne 52 Späte Landschaft 54 Nacht 55 Ohnmächtige Stunde, Versailles 56 Landschaft 57 Nasser Abend 58 Mitternacht 59 Mittag 60 Winter 61 Sommerabend 62 PSALMEN DAVIDS Der erste Psalm 65 Der sechzehnte Psalm 66 Der einhundertundzweite Psalm 67 Der siebenundsechzigste Psalm 70 Der fünfundvierzigste Psalm 71 Der dreiunddreißigste Psalm 72 Der neununddreißigste Psalm 74 Der einhundertundneununddreißigste Psalm 76 Der einhundertvierundvierzigste Psalm 80 Der einhundertsiebenundvierzigste Psalm 83 Der einhundertfünfzigste Psalm 86 OHNMACHT UND AUFRUHR STOSZGEBETE I. Ich liebe dich, Herr. Aufgerissen über alle Maßen stehe ich zwischen den Tagen. Ich habe keine Hinneigung mehr, bin nur noch Schwanken, allem zugeöffnet --, und beraubt. Aber es kommt einmal deine Hand und du verschließt mich leise, daß ich reife und mich ausblaue in mir. O, hebe mein Weinen auf, Herr, laß mich erseligen an dir, du Grünen und du Träne an den Zweigen des Frostes. II. Herr, du mein Mond, o scheine mir wieder nächtliche Erlösung. Gieße die heißen und dunkelen Balsame aus deinen Händen, hebe die Lider vor den Psalmen deiner Augen. O, wie kannst du kühlen, sänftigen und verscheinen! O, wie kannst du, Herr, überschleiern! Sieh, ich leide hier an den schmerzlich schreckvollen Tagen, ach, die brennenden Tumulte der Sonne wirren mich müd und schwindelig, daß vor meinen Augen alles auseinandersplittert. Ich fasse nicht mehr, was die Erscheinungen sagen, ich höre nicht mehr die Stillen in den Stimmen, nur mehr das Klirren, ununterbrochen und sehne mich, Herr, ach, nach dir, o du, du Herr, du Nacht, du Dunkelblau der Tröstungen, du Überschleierer aller Anblendungen. III. Alles in mir brüllt zu dir hin, alles reißt sich dir zu. Ich bin nicht mehr dein Baum und dein Wild, dein Knecht und dein Kind. Ich bin dein Hunger, deine Müdigkeit, der Schlag aus deinem Mund, und der Schmerz aus deiner Hand. O Herr, o Donner der über meine Himmel weht, ich will zu dir restlos mich verflüchtigen, o Blitz du, streife mich an und verbrenne mich in die Landschaft. DER DICHTER I. Alle Schritte führen mich den einen Weg, südliches Orchester des Herzens tausend Stimmen unter einem Stab. Ich habe keine Bilder und keine Gesichte stelle ich vor den Blick, ihn zu verschließen. Ungeheuer bauen sich meine Leben auf. Was ich fasse zerteilen meine Hände in die Verse des Augenblicks, Ding weilen in Sänften meines Denkens. Lang und im geduldigen Lauf trage ich sie vorüber an den Denkmälern vergessenen Aufwands. Anhauchen Herzen, steigen schlagend vor meinem Munde auf, Verzückungen der Knie -- o welche Strophen! Lieder, menschliches Veräußern, strenge Hände, angelehnte Blicke, und das weibliche Verschaukeln der Schultern, aufgestellte Seelen und die Verschlingungen des Teppichs umrasen sanft meine segelnde Stirn. II. Führen Zypressen der Blicke mich in einen Hain, drehen elektrische Bahnen auf der Straße, und klein um mich herum, Menschen schwimmen. Aber ich gehe, wie Moses, auf den Wellen schaukelnd über sie hin. Winkt der Turm Verheißung der Sammlung, und ich breite die Arme, mich zu zerstreun. Bahnhofshallen dunkeln kirchlich an, Wiesen blühen auf den Asphalten, Autos werden breite, mähende Kühe, die Welt steht still auf einer platten Scheibe. Gott herbstet vor meinen Augen, aber ich trage mich nicht zu seinem Verwelken hin. Ich blüte, unbegrenzt kommen Farben ohne zu verfallen. III. Pole sammeln mit fechtenden Spitzen sich wieder, meine Brust trägt sie beide im Schoß. Sommernächtig verkupfern kaum angekündete Lieder, lösen langsame Blätter von den Herzen sich los. Blutig wandet die Seele Blick und Gedächtnis, alles wird Einkreis, Brot und gequält. Bleibt ein Traum, schwarzes, dünnes Vermächtnis, plötzlich stehen und verzählt. Landschaften wellen keinen Hügel, und die berauschten weißen Hirsche springen nicht mehr auf und ab. Milchstraße, äthernde Augen, ländliches Geräusch vertauschten sich und dunkelten in den Morgen hinab. Zinnober und Sepia wäscht der gelbe Aufgang aus dem Gesichte der Nacht. Ich gehe, unbändig angetan, fröstelnd und vergeblich lang über die Wiesen der Gassen hinan. ABRAHAM UND LOT I. Da der Herr Abraham aus seinem Lande rief, ihm zu folgen: sanft mit des Gläubigen unbedunkeltem Herzen nahm Abraham sich auf und folgte. Fünfundsiebzigjährig zog er aus Haran mit den leichten Schritten des Jünglings bis zum berühmten Tale und nahm Mühsal und Unruh späten Aufbruchs mit der milden Demut des Wanderers zu Gott. Gab voll Verheißung sein Weib dem Pharao preis, um zu leben, und war Abraham wie der Strauch Strauch ist und blüht und nicht fertig wird, es zu sein. Dieweil Lot sich krümmte und feilschte um die Worte des Herrn, verbrannt sein Gesicht war und nicht schimmerte zu den blauen Wiesen trächtiger Einfalt. Doch der Herr hat verflucht sein Geschlecht und mit der Faust gestoßen in die dunklen Keller von Neugier und Verbrechen. Ließ erstarren sein Weib und die Töchter schänden vom Vater, daß in die Ewigkeit sie der Mißbrauchnis des Lebens unzüchtiges, drohendes Beispiel sind. Straflos schreien die Taten des Herrn, aus der Menschen Lust und Wildnis brechen geschlossene Leiber auf, und die Hände des Richters pressen Eiter und Blut der Verruchnis aus den klaffenden Herzen. II. Doch werden einmal Abraham und Lot freundlich aufeinandergehen und sich umarmen. Der eine bricht dem andern langsam von dem Brot, aus dem die Paradiese bluten für die Armen. Der jüngste Tag errötet alle Städte und Sodom und Gomorrha duften unter Flieder, die Wollust kauert sanft an einem Knabenbette, nächtige Sünder singen Morgenlieder -- der Tiger hebt die ungekrallte Tatze, schon lächeln Mörder und Blutschänder leise, sorglos sitzt der Dieb und kaut auf offnem Platze, und alles Leben stummet auf in niegehörter Weise. EVA UND SUSANNA I. Strahlt deine Keuschheit Schuschan durch das geläuterte Glas erhaben in das betörte sündenflammende Babel leicht mit dem Geruch des jungfräulichen Knaben, der aus dem getöteten Abel noch heute duftend strömt. Tausend Wege schäumender Verführung miedest du in der Stadt lauten Versündens sanft wie ein Gruß des Herzens. Die Wasser der Wollust schiedest du und gingst, eine himmlische Wolke mit unbeflecktem Fuß. Dieweil Eva, deine Schwester, in die Gärten mildesten Verscheinens eine Schlange lockte und die Äpfel giftete. Panther, Tauben und Hyänen nährten sich vom sanften Anblick, aber deine Schwester überließ sich dunkelnder Versuchung kleiner Triebe, und sie stiftete Elend, Verfolgung und Scham in der Stadt warmen Verstillens, dem Paradies. II. Doch werden einmal schwesterlich umschlungen die beiden in den Himmel fahren und ihre Körper auferstehend runden. Engel haben dünne Zungen schon angehoben, und wilder Honig sprießt ihnen entgegen. Umringt von selig aufkläffenden Hunden und freundlich angetan mit den zahlreichen Jahren, kommt Gott und breitet über Niederungen die eine Hand. Schmelzen die Sünden ausgesungen und stehen Götter, Heilige und Scharen himmlischer Geschwister -- und alle leuchten im Gesang -- um dich und sehn dich an -- liegst, Eva, du im Paradiese wieder ausgestreckt, keusch gehen deine Schenkel auf und deine Blöße schimmert sanft und lang. DIE ESELIN Hat der Heiland dich verkannt, du stilles Tier, und setzte sich auf deinen Rücken, als er einzog. War es nicht, als wollte er noch mit größerer Zier strahlen von dir ab, die du so arm bist? Aber unsäglicher Glanz ging aus von dir, kahl und voller Dürftigkeit erschienest du auf und zogst die Blicke nach den ungereinten Hufen, hinter deinem klaffenden und harten Lauf sprachloser Magdschaft. Alles auf der Erde hier färbt ab von deinem langgedrückten Rufen und erschrickt zu sich und seiner Nüchternheit und wird ärmlich kahl und schier, und es grauen die Gefühle an. Auf allen Stufen stehen Dürftige zu Gott gewandt. Deine Demut schreit häßlich und geschlagen von der Niedertracht, während Jesus noch in Lumpen auf dir sitzt und strahlt. Doch mild und von den Einfalten des Herzens eingeschlossen sind deine Blicke blind und offen vorgerichtet und es lacht die Landschaft blitzend erst von weißen Rossen sanft in seligem Eindummen, während sie schon fahlt. LILIE Die heilige Gertrudis und Anton von Padua stehen angetan, aufrechte Statuetten auf den Lüften in deinem rosenlichten Glanz. Schimmernd umweißt dein sanftes Blühen den heiligen Franz, dich trägt Josef auf den Bildern mit Maria, der jungfräuliche Mann. Die keusche Schuschan hat ihren Namen schon von dir, und sie blaut noch immer vor den Augen angesonnt. In den Kirchen aus dem Stengel kelcht der Welten Horizont, und es umarmen deine Linnen schmelzend Mensch und Tier. Du arbeitest nicht und du spinnest nicht, und selbst Salomon hat Gott nicht bekleidet wie dich und deine Blumen. Du wächst leise scheinend in den überhellten Ruhmen aus des Heilands rechtem Auge, sitzt beim Weltgericht er auf dem Thron. Schießt das Schwert aus seiner Linken gegen die Verdammten, Lilie, den Verklärten öffnet deine Taufe sich und leuchtet lang, überscheinet sie wie Morgensonne rot verperlt und samten, und sie sternen vor dir ein, fromm und langsam zu Gesang. FANTASIA CONTRAPPUNTISTICA An Ferruccio Busoni Choral auf dem Klavier, der vergeistigten Orgel. Sanfte Weisen des Orchesters scheinen eines Chores ausspannenden Meergesang. Gott ist in den Welten, geistlich Lied: die Welt, männliches Thema, von mondenen Wolken bald umspielt und himmelgezogen. Sanft und leicht, leise und begeistert ruht entscheidender Aufstieg auf frauenhaften Schultern. Hebt des Chores Inbrunst entbürgerlichten Bach in die Reiche volkloser, geistoffenbarter Musik. Wunder, das Pianoforte von erlauchter Überstimmenschaft, überstrahlt feuernd der Orgel erstickendes Gleichmaß, blendet in Farben, orange, purpur und ocker kommen die Klänge, festliche Gestalten, Prozessionen mit Fahnen, Weihrauch und marienhaftem Blau. Arien der Madonna in leise durchlichtetem Sopran lagern, schweben schäferwolkenweiß über den Köpfen mit. Aber Nerven und Zuckungen und die Konfessionen ekstatischen Gefühls verschmelzen, aus Tasten gehoben zu lebendigem Zittern angespannte Saiten. Kommt die Fuge, zweifach, dreifach und vierfach in das Firmament der Klänge und die Wölbungen der Kontrapunkte aufgebaut. Majestätisch, gütig, schweigsam und erhaben dringt B, A, C, H in die Führung vor, und es gehen mild und im milden Duft der Milch die vier Stimmen schwesternhaft ineinander ein. Noch einmal erbraust, aus dem erstickenden Gleichmaß der Pfeifen gehoben, der lebendigen, verzückt aufgespannten Saitenleiber unbeschreibliches Schwingen, ehe sie selig verklingend sich in der Ruhe südlicher Sonne dehnen und das weiße Meer der Tasten ebbt zur klaren, sanft spiegelnden Fläche. PRELUDIO, FUGHETTA ED ESERCIZIO An Ferruccio Busoni I. PRELUDIO Zartgestrichene Monotonie italienischer Landschaft, und braungrauende Horizonte wandern in gleichmäßigen Hügeln. Langsam beschattet die Sonne unbewegte Luft und die getragenen Züge ferner Schalmei. Winzer im offenen Hemd lesen gebückt und in frommer Trägheit. Und der jungen Mägde gedehnter Ton geht bedürfnislos und lang. Pianopianissimo schreiten tänzerische Quarten Triolen abwechselnd mit Achteln durch die einschlafende Campagna. II. FUGHETTA Hebt mit süßer Ausdruckslosigkeit des Kanons junger Bursche dunkelen Tenor in C. Kommen bald die Mägde weich im Mezzo und der Alten melodischer Baß. Führen ihre unbesorgten Stimmen freundlich und in abendlicher Rast. Schimmerndes Untergehn der Sonne rötet ihre offenen Brüste an. Nun noch knabenhaft Soprane singen ihr die letzten Töne nach, lassen schon die Stimmen etwas steigen weil es dunkler wird. Unversehens kommen sie zu viert in den Choral, breiten angehaltne Töne ehrfürchtig und dankbar. Gehn die Mägde jetzt nach Brot und Beeren und der Mezzoalt verstummt. Werden die Tenöre ruhiger, wischen sich die Stirn, und die Bässe sagen wenig, legen noch befriedigt, ungenau letzte, tiefe, angeruhte Töne, und verstummen trocken. III. ESERCIZIO Lachen schon in einem Walzer ihre ländlichen Gesichter, bläst der Hirt die Melodie durchgehend und ohne einmal seine Flöte aus dem Mund zu nehmen. Steht er plötzlich allegretto elegante im Vierviertel, bleibt das tanzgewohnte Mädchen der Gitarre doch entschlossen auf dreiviertel. Lautes Durcheinander rhythmischer Vergnügung, springt der Bursch mit seinem Mädchen unbeirrt im festen Tritt und heiß. Geht der Weinkrug bei den Alten her und hin, und sie lachen rot. Sanfter, angelehnter Hirte, schwarz gelockt und umschattet sind die Augen, er verläßt den Takt jetzt gänzlich, stürzt vom höchsten F in sprudelnden Triolen delikat herunter, läßt sich kurz nur fangen und wird wieder boshaft, und die Tänzer, schwitzend, braun und ohne Atem, lösen ihre abendlichen Reihn. DIE IRREN I. Wenn sie langsam die Arme breiten, mit glashart aufgezückten Mienen, dann ist es ihnen als würden ihre Herzen schreiten in Prozessionen unter Baldachinen. Die Hände weihrauchweit in dem Empfang und jenseits aller Berge stehn die Augen. Doch manchmal halten sie, plötzlich aufgestummt, als würden sie das Graun gräßlich weiß und grell ihrer Tage schauen: sie haben die unbegrenzte Welt in sich, und Wärterschritte rund herum. II. Doch finden sie zu der Unendlichkeit die Brücken, wenn ihre Seele einen Festtag fastet, da ihnen königliche Herrlichkeiten glücken. Nur schmerzt sie etwas, daß auf ihrem Rücken der schwere Purpurmantel großer Herren lastet. Als wenn sie über allen Hindernissen ein wenig müde, aber sicher ständen, sprechen sie viel von ihren Überflüssen und greifen ein fühlbares Besitzenwissen in ihren aufgeweißten Händen. Sie haben eine enge Zelle. Ihr Geist entfliegt, weil sie ihn quälen. Er türmt sich sichtlich groß und stürzt in das Gefälle ihrer Gedanken, wild, breit, und da wird der helle Osterhimmel ein wallender Mantel ihrer Seelen. III. Auf Filzspuren kommt die Nacht. Fisteldünne Stimmen, müd gemacht, singen in den geschlossenen Zisternen Lieder von unerhört aufgetanen Fernen. Jetzt ziehn Legenden durch das Herz der Kranken. Wie gekühlt von schmalen Scheiben Eis fühlen sie die Stirn. Es summen selige Gedanken in dem verwundeten Gehirn. Immer dunkler eingeträumt, kommt, auf Filzspuren, mondangepflanzt, die Nacht. Nun sehn sie sich, einer hinter dem andern, in ihren weißen Nachtgewändern und barfuß schreiten auf Seide, Düften, Seligkeiten, die sie unter die Füße hingedacht. IV. Jetzt, da sie wie die Kinder schlafen, mit offnem Munde und ganz leicht, fühlen sie die Stunde nicht mehr, die vorüberschleicht und die Wunden nicht mehr, die sie einstmals trafen. So werden sie mit offnem Munde sterben, und wie hinübergleitend, und leise aufgestummt in das Gestern. ARIADNE I. Schreiende Landschaft steht gefaltet gegen den bergigen Himmel auf. Bäume blasen Verlassenheit, und ich finde dich nicht. Täglich altet ruhig Sonne bronzen auf dem Rasen. Dringen zisternende Lieder schmerzlich aus mir her, wachsen vergeblich Schiffe und verschwinden wieder, irrvoll gelassen, übernächtig duftend geht das Meer, Arien und Einsamkeit senken sich undurchdringlich nieder. Immer gleichförmig schaukelt das rote Beet von Himmel und Wasser. Ich winke, Nacht tanzt, am fernen Firmament, dünn und heiß, steht Theseus mit dem Rücken gegen mich und verglanzt. II. Habe ich dich gerettet aus gefräßigen Händen, aber du fliehst. Brüllen schon Gräser mich an, die ich wachsen sehe langsam an den Wänden, Kuh und Hirsch und die Leoparden werden Untertan meiner Verlassenheit. Alle geben mir ihr Gefühl, ich zerfalle langsam und die langsamen Gesänge halten mich nicht mehr. Kommt ein dünner Kiel, leicht und unhörbar, an den ich meine Augen hänge, landet er leer, und ich versinke staubend zurück in meine monotone Ausfahrt. Alle deine Bilder und die Küsse klaubend bleibe ich arm und verwesend aufgespart. III. Theseus, o deine Schritte runden in meinem Leib. Ich reiße deine Spuren laut aus mir heraus, ich schlage mich in deine Augen zurück. Dröhnt schon mein Körper dir entgegen? Ich fahre aus, ich segle nicht mehr mit den Augen, und nehme Schiffe, Lanzen, Steinwerfer, Leoparden und wilde Hunde, aufgehetzte Hähne jage ich in dein Gesicht und fahre aus gegen dich, dich zu zerbeißen. Meine Fäuste, meine Arme, mein Mund, o Theseus, werden dich langsam verschlingen. Die Luft wühlt deinen Namen über das Wasser und erreicht dich doch nicht --, wie du flohst, feig und betrügerisch. Ich werde herrisch mich vor dir errichten, und meine Rache wird entsinnend sein, erdrosselt lege ich dich in meine Arme wieder, kühl, langsam und ohne Leidenschaft befriedigen sich meine heißen und verletzten Glieder an deinem törichten Gesicht. BILDER UND AUFRAFFUNG DES EINSAMEN I. Einmal kommen die letzten Wunden aus dem Blut herauf, durch sanfte Erdrückungen fallen wir in die Knie: o gib leichtes und ungläubiges Leben uns noch einmal, scheinen nicht alle Wege ausgeweitet zum roten Horizont? Bohrmaschinen und Kräne wühlen dröhnend, qualmig und mit rußvollen Spuren täglich unser Herz heraus. Es blutet längst nicht mehr rauschend, aber die Tropfen, wie Quallen und giftig, verlassen uns schmerzvoll. II. Eine Nacht, übergossen und eingeschnitten von unbelaubten Zweigen, schärfen in schreckenvollen Strichen, und wie Messer stoßen sie mich ein. Große aufgedunsene Steine stehen einsam am Weg, blähen meinen Hungermagen auf und wackeln. Aber ich sehe die beulende Landschaft aus Pappe, schiefe Häuserfronten erzittern leinern und wild, und ein Mensch mit aufgehobenem Kragen, und er allein unter Regen, spreizt sich, ein Drache, vor mir aus. Zäune stehen stechend um leere Bauplätze und Geröll. Große Löcher schwimmen auf der Erde, trockene Häuser sehe ich fern in den Dunkelheiten eines Schlundes stehn. Es dröhnt nächtlich auf aus den Kulissen, und ein Stück Eiter springt mich an -- ein gelber Mensch grinst höhnisch und schlotternd, seine Zähne schwimmen in einer roten Lache und wehen hin und her. Ich fliehe vor den Schrecknissen seiner Hände, dieser gequälten, hungrigen und sprunglauernden Tiere, die er an den Seiten hängen hat. III. Das schien eine Mauer, an die ich stieß, ich falle furchtbar verletzt, das Haus dröhnt in meinem Kopfe wider, schreit die Nacht aus meinem Mund, und die Nasenflügel knallen auf. Sterne, schießt mir euern Schleim ins Gesicht! Überbricht mich, denn ich will nicht mehr leben, aber erstickt zugleich vor meiner Wut. Ich fahre in euren bettüberzogenen Himmel, ich reiße die Laken des lieben Gottes herunter, er soll nicht schlafen, wenn ich leide, und nicht sitzen, wenn ich komm'. Er soll nicht scheinen, wenn ich rufe, nicht spielen, wenn ich vergeh' -- zittern vor dem Weltgericht, das hinter meiner Stirn auffährt -- und wenn meine gebeulte Faust aufschlägt soll er sich verteidigen, der Angeklagte, der Hauptangeklagte unaussprechlicher Vergehn, und der Einsame wird Richter sein über ihn und seine vorgetäuschten Leben. DER LÖWENBÄNDIGER Er ist im roten Frack mit einem Orden und macht gerecht Verbeugungen nach allen Seiten. Das Publikum, gespannt und einfältig, klatscht in die Hände. Er sieht die lauten Galerien um sich und tausend Menschen, die ihm nie helfen werden. Er sammelt sich und fühlt: sein Kopf steht gut. Die Angst ist fern. Doch wären die tausend Menschen nicht, die lebhaft und selbst ungewollt in diesem Zirkus auf die Dunstwand malen, wie plötzlich er aussähe, zerfleischten ihn die Tiere, und wäre der Direktor nicht, der alles überrechnet, klein, hager, jüdisch und eingebildet Honorare dreht nach dem Applaus, und wäre nicht die nächste Nummer schon wartend hinter dem Samtvorhang voll Staub --, und er, Timolnandi, der berühmte Löwenbändiger, auf den Programmen fettgedruckt und zweimal mit schwarzen, weisenden Zeigefingern ergebenst angekündigt, und hielten jetzt nicht plötzlich der Musik dröhnende Blechklänge wie abgeknackst in heißer Luft: er träte einfach ein zu seinen sanften Tieren, versteckte fast die Peitsche, gäbe jedem langsam und klar ein Zeichen und sein Wort, ließe sich nieder auf den Stuhl und schliefe leicht auch und beruhigt ein. Denn diese Welt ist gieriger als der Löwe, und seine Wildheit weckt sie nur immer wieder auf. Wie wurde um den frommen Urwald seines Herzens erst ein Gefängnis eingebaut, und diese Stäbe lassen durch enge Streifen Luft seinen ausschnellenden Schmerz nie sich beruhigen. Immer wieder, wenn schon sein Auge väterlich sich schließen will, eilen auf jener andern Seite Gestalten, reizend; und er liegt im Käfig fest, Sand, nasses Laub und das Strecken der ungeheueren Ebene noch in der Nase. Doch die Manege der Galerien wartet, trampelt und klatscht schon anspruchsvoll, und statt still einzutreten in den Käfig, macht Timolnandi, man verlangt Gefahr zu zeigen, einen Sprung und knallt. Schon kreisen die gallonierten Diener aufgeregt mit großen Stangen und bieten eifrig, eingelernt und ahnungslose Hilfe jedem sichtbar auf der Galerie. Die Löwen liegen träg herum, doch man will Wildheit in den Logen, Verfolgung, Katzensprung und Fellgeruch, Timolnandi weiß es, und er knallt, feixt und springt. Die Löwin sieht ihn ernst und freundlich an, und alle Tiere stehen auf zur Arbeit. Sie machen den Rundgang, der sie wenig unterhält, und geben ihre Gruppenbilder. Der große Löwe auf dem Stuhl öffnet den Schlund mit Furchtbarkeit und wartet gehorsam auf den grellen Pfiff, und schließt ihn wieder. Nun hebt die Löwin seit langem stets nach jenem Pfiff die Tatze, schon hat der Bändiger den Kopf darunter, die Diener bleiben sprungbereit und halten selbst den Atem. Es kommen noch die kunstvollen Figuren, die Pyramide, eine Löwenwendeltreppe, nun kommt noch der verfluchte Peitschenschlag, den jene Bestien mit dem Geld von ihm verlangen, und Timolnandi, tief betroffen, schmerzlich ein jedesmal, gibt einem Löwen mit der Peitsche dieses Opfer eines Hiebs. Der Löwe brüllt und alle andern brüllen, wie fühlt sein Herz mit ihnen ob der Schmach während er springt, fuchtelt und pfeift, die Diener laufen angstvoll und entsetzt zweimal um den Käfig, und das Programm ist aus. Timolnandi läßt den Karren wieder schieben, das Publikum sieht lüstern seinen unberührten Frack, der auch für morgen abend nicht gebügelt werden braucht, und jenes vielsagende Zirkuslächeln auf der Lippe, das ebenso bezahlt wird wie die Schauer gequälter unschuldiger Wildheit, die gefangen ist. Während der Bändiger vor Logen wie vor Galerie, als wären es ausschließlich Fürsten, sich tief verbeugt und ehrfurchtsvoll die Arme breitet, die Hände schaukelt, sich immer wieder streckt und wendet und verbeugt: »Und hinten hab' ich einen Hintern«. DAS BETT Heilige Heimat, meiner Ausgesetztheit unbeschreibliches Gehäuse, und nach den Umdonnerungen des Gehenden windgestillte Zuflucht, o du weiße Madonna der Beschützung: Trost vor den Erschütterungen des Draußen und seinem ungleichen, bösen Schwanken. Trostreiche Mutter, die mich einwiegt in Ruhe und Sammlung --, und die sanftesten Verzückungen des Ichs, Einkehr zu mir und Aufruf meiner Abgeschiedenheiten schenkt. Maßlos versplittert und angetan mit den erbärmlichsten Geschwüren der Feinde und den Aussätzen mitmenschlicher Berührung -- wie linderst du aufgepflanzte Wunden und Angriffe gegen mein inneres Leben, das nun auf ruhigen, strömenden Bahnen leise zurückkehrt, und heilst mit den Wärmen, Geborgenheiten und Verschmelzungen des Schoßes Willkür und Verzweiflung. Das Blut aus deinen linnenduftenden Armen übergeht in meine Verwirrungen, kühlt fiebernde Pulse und den heroischen Aufwand vergeblichen Einsatzes. Du, marienhaft, senkst schwesterliche Rührung und die verzeihenden Gefühle demütiger Unerreichbarkeit in die Flocken meines Herzens, einst das zerstückelte wieder zu den sanften, gesammelten und ergriffenen Schlägen gläubiger Aufrichtung und des glückselig lächelnden Aufblickes zu Gott. DER ZERSTÖRTE TASSO I. Das dünne Zirpen der Harfen um mein Haupt, und leblos lösen Akkorde von den Ohren sich, große unwirtliche Töne. Durch die Waldung schimmern Tücher sanfter Rötung hin und her. Abendliche Szene taut hinter Blumen gelb auf, es folgen dicht die weißen, kleinen Wolken. Ich hebe die Hand mit gespreizten Fingern, leise, schmerzlich löst sich Krampf gegen die Landschaft, und die Knöchel spüre ich gebettet in segelnder Luft. II. Himmel spannt gefasert. Grün liegt aufgeschlagen auf den weiten Flächen der Erde, ein Hügel wellt gelenkig in den Horizont hinauf. Stürmische Sonne umsticht mich, daß ich wirrend fliehe, schreiend mein Herz verweißt. Und ich gehe schon ganz auf und auseinander in den Äther und die rinnende Bläue sprengt meine Lunge mich aus. III. Fäuste schließen mich ein, Gewänder werfe ich ab. Ich stehe selbstlos angedrängt und verzweifelt wie eine zerwindete Fahne gezückt gegen den zudunkelnden Himmel, ich, Dichter der Leben, schreiender Gott, vertausendfacht geboren und gelebt, in die Stunden der millionen Leben hineingesaugt. Flucht, o tobsüchtige Befreiung, aber wie sich herausbeißen aus den geschlossenen Lippen der Sänger und aufbrechen die Münder der Mädchen? IV. Nackte Zehen klatschen über meiner Stirn. Bin ich wach, sind die Nächte aller Frauen mir auferlegt? Gehen die Türen, die Gemächer verdunkeln, Fackeln stehen nicht mehr. Huschen weiße Hemden und eilige Beine an mir vorbei. Erfaßte ich eine. Ich zerdrückte sie tödlich an meinem gestemmten Körper. Meine Hände kriechen schon. Ich liege versteckt und geduckt auf den Fließen. Ruft der Mond euch heraus? Aber ich zerfresse euch die Schritte, ich zerschlage eure Knöchel klirrend. Kommt nur, mit meinen Liedern, auf dem bereiten Mund, an mir vorbei. Die Stunden sind wild gezählt. Ich breche von unten mit meinen Fäusten in euch hinein. V. Dunkler Kerker, angeleuchtet von meinen Augen. Deine Wände zerschmelzen vor meinem Finger. Und ich gehe über die geschlossenen Wiesen, die hinter dir stehn. Meine Schritte sind heilig, die Schritte des Dichters, und auf Wasser sinken sie nicht ein. Ich fliehe mit den Spitzen auf den Spitzen der Gräser, selig breiten Mücken summende Gefolgschaft aus, aufschreien gebückte Fische, Würmer und Schlangen, Elefanten mit roten Satteln schweben langsam hin und her. Hunderttausend Hirsche fliegen mit dünnen Beinen. Der Himmel dreht sich mir wie ein Teppich entgegen, er verblättert zu Zweigen unter meinen Füßen, und die Fanfaren des befreiten Jerusalem stehen als brennende Kugeln den Weg. LANDSCHAFTEN MANN AM SEE Der Mann steht unter dem eingedrückten Hut schon spät in der Landschaft. Kühl und von grauenden Nebeln verwäscht die Luft. Weißer Riese, der Berg, geht über den See, dunkeln die Wasser, und es verlöscht links geräuschvoll der Wald. Blauen die Sterne schon angestrengt herunter, nasse Lichter ziehen um die Horizonte herum, der See geht auf, biegen die Ufer, und er versenkt immer wieder sich in den Himmel, eine große Kehle. Stumm segeln Küsten vorbei. Rufe, sagenhaft, schlagen an das Herz des späten Mannes, doch er bleibt herbstend, ungenau erregt, während auf den Wassern Bäume in schattenhaften Kugeln jagen über den Berg und den Wald, der sich immer wieder hebt und in die Kniee legt. ABENDSONNE Grüne Berge, weitgeflächt, schaukeln in den Himmel auf, Schluchten rote Rosen, ausgefaltet, scheinen himmelauf. Flüsse werden gläsern dicht und brennen in der Erde, springen weiße schlanke Hirsche durch die Luft, schwarze Pferde, aufgenüstert seliger Gebärde, sternen glanzvoll ein in Duft. Schreie wiegen über Gipfel und der See voll roten Mohn rundet sich zu einem dünnen angestrengten Ton. Schäumende Sonnen voller Salz geht mein Atem abendverzückt und ciaconnen über Wiesen und Herz. Flüsse fiebern in den Fersen, Knie spannen sich verzückt und aus weitgetanen Seelen glückt tierisches Verversen. Rasen mildgedehnte Hände und das gezeltete Gehirn abendsternt. Gehen die verschichteten Gelände der Luft über das himmlische Angesicht, verschmelzen im Blitz der blauenden Brände Ampel und Dunkelheit, Mond und Licht. Grünen die Büsten auf gefeuerten Balkonen, Brust der Menschheit wehet auf, dröhnen die wiegenden Anemonen mitten im himmlischen Verlauf. SPÄTE LANDSCHAFT Die Bitterkeit der Abende fließt sickernd durch die Landschaft auf das Feld. Gezinkter Stern für Stern verschießt. Stumpf und mit der Fülle Mond entseelt ein großer Wald sich ein. Gehäusig und verdichtet fällt der Himmel ständig und ein Stein auf diese unerschöpflich dunkle Nebelwelt. Schweben langsam Himmelstücher auf und eine Wolke schaukelt vor den Mond. Summende Erde wiegt verschlossen auf und über allen Gräsern tont ein Schatten aquamarin, körperlos gefüllt. In Schleier grau und wehend eingehüllt frauengleichem Moll weich schreiten Terzen, und unaufhörlich rollt um sanft gespannte Herzen der nächtliche Verlauf. NACHT Magischer Urwald des Himmels breitet sich, Wolken schleichen schwarze Panther. Grau verliert ihr Schritt. Der Mond reitet auf, das große Zeichen der gekreuzten Sterne phosphoresziert grün und grundlos. Voller Nässe wäscht die Ferne zusammen und schwimmt aufgeblasen, Nacht und Regenmesse dröhnt mit schwarzen Stimmen an die Scheiben der Luft, heimatlos und irrend unter keinem Dach. Menschen schon verglimmen und die dunklen Spiegel rasen. OHNMÄCHTIGE STUNDE, VERSAILLES O, gehn wir den Weg bis zum Wasser, den langen, ausgehöhlten, die Bäume stehen kalt und grau auf beiden Seiten in Kutten, die Mönche des Herbstes. Der Weg ist bilderlos und lang, wie ein Gang in den Klöstern. Kein Leben schreit auf, nicht eine Krähe wirrt und der See glänzt bös und angefault. Mein Herz schlägt ohne Atem, angehalten, fröstelnd und schwer in den Klöstern des Bluts. LANDSCHAFT Der Berg geht über den Wiesen auf großtümlich und mit offenen Armen. Kühe weiden ernst und voll sanfter Bückung. Fern und in glänzender Verrückung faltet sich mit einiger Mühe der Himmelssturz hinauf. Seine Fasern gelben wie alterndes Pergament und die Wolken eilen fußlos unten vorbei, segelnde Unbesorgtheit. Weit und leise tönt ihre weiße Reise zurück, Krähen stechen, mit dickem Schrei blitzen sie ein in das Firmament. NASSER ABEND Dumpfen die kugelnden Sternbilder nassen Abend ein und die Luft schleiert in den hängenden Fäden des Regens langsam und grau zu einem Weiher ein. Dünn geht ein Schein durch die hängenden Wasser und in die Ermüdung eines Bewegens aufglotzender Chimären, naßstechend, bettet sich Spleen. Fernen stehen undurchsehbar um mich herum, und welches Wissen, daß sie ohne mich weiter unter dem Himmel ziehn, sonnig blau beschienen und freundlich, während ich stumm einsame unter den fallenden Kuttichen, wie ein Mönch mich zwänge durch der Regen lange, drohend dunkle kalte Klostergänge. MITTERNACHT Über die sich verschließenden Wiesen jagen letzte, tuschtiefe Wolken leicht, Nacht schwebt in Sänften vorübergetragen, Monde galeeren, Sterne verflaggen und das Firmament glast und entweicht. Gehen die stürmischen Himmel schon ein in das verzückte Luftreich da oben, sammelt sich rötlich verfließender Schein, Wolken verweiden, Bläuen vertoben, schaukeln die Erde in Finsternis ein. Herrisch ziehen die Planeten auf wachsen zu Wäldern, Schluchten und Ozean schleifen zerstörend stromauf -- sinken die Sterne und der Mond, vertan, spreizt ein breites Gesicht. Zartes wogendes Bewegen schleiert und dunkelt, und das Herz seelt aufgetan durch die Landschaften des Äthers nachtverwegen. MITTAG Opium kriecht spurig im Gedächtnis auf, schwarzes Morphium tont die Welt, der Landschaft weißkohlenes Vermächtnis mittagdunkelt überhellt. Rote Striche schießen nieder, platzt das kugelnde Firmament, heiß wirren die gezogenen Lider, das kühle Zimmer verbrennt. Maulwurf hält leise angeschienen, Sonne knäult das Blut, in den Hintergründen tut Muschel des Horizonts sich auf. Jagen über die Gipfel der Herzen Blumen und ich verstreue mein Blut an die staubende Seele, himmelhoch schichtet mein Fuß in den Ruhmen -- stürzet die Landschaft und bronzen zerwässert der Tag. WINTER Steinen die Gefühle in müder Erschrockenheit unerwartet ein, und in der Menschen sich schließenden Brust verglasen die Weiher. Vor dem schon immermehr dünnenden Sonnenschein steht in geschichteten Scheiben die Luft, klirrend und gefroren und das heiße Rasen der Herzen hält verwirrend. Breitet das Eis sich hart und stumm auf Bewegen, steifen die Gedanken und verloren, plötzlich schon alt, fahlen Gesichter und letzte herbstrote Ranken. Tiere in Käfigen gehen unruhig um, werden sprachlos und kalt. SOMMERABEND Gehen über den Fluß leichte versonnte Schritte des Himmels schon und die Wolken schatten einen blauen undurchwirkten Ton auf die rundenden Wellen. Dunkelt der Grund grün und scheinen schlanke blitzende Forellen vorbei, sickert ein grelles Weinen der gehenden Sonne nach durch die Fasern der Luft, Feldblumen schließen sich, Büsche und Sträucher schleiern in Duft. Silbern verschießen Villen und Brunnen und der Polarstern heilt, nachtblauender Heiland. Bäume verelfen aufrecht und hinter der weißenden Wiese steht der Horizont getan, hebt breite Hände gleichmäßig gegen diese verballende Abendnacht, die kühl und schäumend sich verteilt. PSALMEN DAVIDS DER ERSTE PSALM Der nicht wandelt mit den Gottlosen gebenedeit, der nicht die Sünde geht und bei den Spöttern nicht ruht lobsingt des Herren Worte Tag und Tag. Ist ein Baum an den eilenden Bächen ruhig reift klar, nie braunen die Blätter ihm, dem alles gerät und sich versammelt doch die Gottlosen zerstreuen. Im Wind sind Spreu werden nicht geduldet im Gerechten und versinken ihre Wege vor Jehova. DER SECHZEHNTE PSALM Hüte mich, Herr, denn ich bin eingezogen in Dich. Ich bin gut Deinen Heiligen und Herrlichen -- fahlen unnennbare Läufer hinter erlogenem Gott. Du aber, Herr, wirst mein Erbe, der immer sitzt an meiner Rechten, und meine Ehre ist fröhlich, in den Nächten gehe ich auf, sicher liegt mein Fleisch. Du wirst Deinen Heiligen nicht verwesen lassen -- ist ewig der liebliche Atem um Dich. DER EINHUNDERTUNDZWEITE PSALM Nicht länger verberge Dein Antlitz, Herr, Stunden meiner Angst -- jetzt neige Dich mir und rasch antworte gleich, rufe ich Dich auf. Gehen meine Tage vorüber wie der Rausch und es verbrennen mir die Knochen im innern Herd. Geschlagen wurde mein Herz und es verdorrt wie das Gras und ausgebrannt ist mir Gedächtnis und ich vergaß mein Brot. Aber ich heule mich aus und auseinander und es erdrückt mein Fleisch schon die Knochen. Ich bin ein Pelikan in der Einöde und die Nachteule in den Ruinen und ich wache verlassen -- ein Sperling allein auf dem Dach. Meine Feinde schmähen mich und höhnen meinen Namen, denn ich aß die Asche wie das Brot und Weinen kam in meinen Trank vor Deiner Ungnade und Wut, aufhobst Du mich und schleudertest mich weit -- meine Stunden sind wie der Schatten wenn er verweht --, und ich trockne ein. Aber Du herrschest, Ewiger, unabänderlich dauerst Du die Zeitalter, Du stehest auf in Mitleid, denn es ist Zeit über Zion, denn der Augenblick ist gekommen, denn wir lieben diese Steine und haben Schmerz für den Staub. Dann werden die Völker fürchten den Namen des Ewigen und alle Könige der Erde den Glanz. Herr, wiedergebaut steht Zion und strahlt Deinen Glanz -- Betteln die Verlassenen laut und Du verjagst sie nicht -- melden es kommenden Geschlechtern Dich zu loben, Deine Erscheinung auf den Erhöhnissen der Heiligkeit -- herabfielen Deine Augen von den Himmeln und du hörst das Zittern der Schuldigen und machst los die vor dem Tod sich neigten. Sammeln sich alle Völker und die Königreiche Dir zu dienen. Er schlug ab meine Kraft unterwegs, er kürzte meine Tage. Herr! Nehme mich nicht heraus aus der Mitte meiner Tage. Deine Jahre gehen immerdar durch die Zeitalter. Du hast die Erde geschmolzen wurden die Himmel von Deinen Händen gemacht. Sie zerfallen -- Du überwährst, sie altern wie ein Kleid -- Du wirfst sie fort und wechselst sie wie ein Kleid. Immer bist Du, Gott, Dir gleich und Dein Jahr ist ohne Aufhör. DER SIEBENUNDSECHZIGSTE PSALM Möchte Gott Mitleid mit uns haben und uns benedein. Ließe sein Angesicht herab er auf uns scheinen. Gekannt wird Deine Stimme auf Erden und Dein Gruß bei allen Nationen. Alle Völker werden Dich preisen Lob singen alle Völker führest sie zur Erde, Herr. DER FÜNFUNDVIERZIGSTE PSALM Dichter Herz lobsingt einem König -- schönster Du der Menschen holdselige Lippen, umgürte leicht das Schwert und ziehe gerechten Weges. Wendet Deine Hand Stütze und Erhaltung den Armen. Versende die Pfeile, fallen Völker in die Knie und es fällt der Feinde König. Unverrückbar in die Tage steht der Herr Dein Stuhl und es steilt der Szepter, unter Freudenöl wandelt des Königs Kopf und Myrrhen sind Deine Gewänder trittst Du aus den chryselephantinen Palästen. DER DREIUNDDREISSIGSTE PSALM Gerechte erfreut Euch des Herrn lobredet! Feiert ihn mit der Harfe singt ihn auf den zehn Saiten der Lyra -- singt ein neues Lied, daß Eure Stimmen zittern und die Instrumente. Aufrecht ist das Wort des Herrn und seine Werke sind treu, sein Wort schuf die Himmel, die Heere des Himmels schuf der Atem aus seinem Munde mit einem Mal. Er sammelt die Meerwasser auf einen Haufen und er spricht, so ist es geschehn und er zerstreut die Entschlüsse der Nationen und wendet das Schicksal der Völker, doch die Schicksale seines Herzens dauern durch die Zeitalter. Herabblickt vom Himmel er auf alle Kinder der Menschen, keines Königs Macht errettet vor dem Herrn, und kein Pferd kann fliehn vor dem Herrn: liegt sein Auge auf die ihn fürchten und auf die ihn erwarten, daß er befreie die Seele vom Tod und stütze in der Hungersnot. DER NEUNUNDDREISSIGSTE PSALM Ich überwache meine Stimmen daß ich nicht Sünde begehe mit der Zunge, Herr. Ein Zaun bindet den Mund mir, solang der Böse vor mir schwebt und zu verführen versucht. Ich stumme in der Stille ein, Enthaltung des Wortes übe ich bis zum Verschweigen des Guten -- doch mein Schmerz schwillt immer lauter an hitzt mein Herz in mir, und das Klagelied umschlingt mich leidenschaftlich: Herr, zeige mir mein Ende und das Ausmaß meiner Tage. Du schufst meine Dauer vier Finger breit -- und ich bin nichts vor Dir -- ach jeder Mensch, aufrecht und stehend ist nichts als Vergeblichkeit alles ist Eitelkeit. Ach der Mensch lustwandelt sicher doch ein farbloser Schatten ach und vergeblich und eitel jede Bewegung und Sammeln von Gütern -- doch wer wird sie besitzen? Befreie mich, Herr, ich schweige, laut geschlossen bleibt der Mund, weil Du ihn mir schlossest, doch wende ab die Züchtigung, ich vergehe vor dem Schlag Deiner Hand. Fassest Du den Menschen an den Sünden zerfällt wie von Motten zerfressen selbst Schönheit an ihm -- alles ist Eitelkeit und vergeblich. Höre mich, Herr, sei vor meinen Tränen nicht taub, ich bin nur ein Fremder vor Dir ein Vorübergeher wie meine Väter o lasse mich los, daß ich meine Kräfte versammele bevor ich gehe und nicht mehr bin. DER EINHUNDERTUNDNEUNUNDDREISSIGSTE PSALM Mein Lot, Herr, warfst Du und erkanntest mich. Alles weißt Du jetzt, wann ich sitze und wann ich mich erhebe, und von der Ferne enthüllst meinen Gedanken, der Du siehst wann ich gehe, und wie ich mich hinlege -- alle Wege in mir vollenden Dich. Ach Herr, noch ist das Wort auf meiner Zunge, und der Gedanke endet in Deinem Gedächtnis schon. Du hast mich geschlossen vorne und hinten, und Deine Hand liegt mir oben und unten -- o welche Weisheit mir so unerreichbar mir -- wohin ginge ich, und wäre nicht in Deinem Geist, wohin flöhe ich und wäre nicht vor Deinem Angesicht? Steige ich in den Himmel und Du bist da, liege ich im Bett der Hölle Du bist da, trügen die Flügel der Tagesdämmerung mich an das Ende des Meeres: wieder, Herr, wieder Deine Hand unterstünde mich und Deine Rechte beschützte mich. Wollten mich die Nebel überhüllen -- aber die Nacht um mich leuchtet an, hell scheinen und sanft die Nebel Dir und aufleuchtet in Strahlen die Nacht, in den blendenden Finsternissen. In der Nacht des Schoßes schufen Deine Hände mein Bildwerk und die Nieren. Ich lobe herrlich Dich, der ich gemacht wurde auf eine wunderbare Weise. Sind Deine Werke alle erfremdend wunderbar, und im Geheimnis meine Knochen: schufst Du wie die Gewebe gearbeitet sind unbeschreiblich in den Orten unter der Erde. Deine Augen sehen mich, da noch im Teig der Lebenden ich unterging, und meine Tage hast Du eingetragen in das Buch und in die Reihe geordnet, da sie nicht einmal begonnen. O wie teuer, Herr, sind mir Deine Gedanken, o wie groß, Herr, ihre Anzahl! Lasse Du sterben den Bösen -- gehet ihr Männer des Blutes von mir -- ihr schwöret falsch seinen Namen, schändet ihn nicht Missetat? o ihr Bösen, wachet auf aus den brüllenden Höhlen der Verruchnis: ihr verbrechet an Euch. DER EINHUNDERTVIERUNDVIERZIGSTE PSALM Herrlich der Vater stehet ein Fels, führet die Hände im Kampf und in den Schlachten unsere Finger! O Wohltat Du, o meine hohe Zuflucht, Befreier, Schild meiner Rückkehr, was ist der Mensch, daß ihn siehst und um ihn sorgst, und der Sohn des Menschen daß Du in den Augen ihn hältst? Und er gleichet dem Windhauch, sind seine Tage wie der Schatten, der vorübergeht. O Herr! senke Deine Himmel nieder und steige herab, rühre die Berge an daß sie flammen! mache blitzen und zerstöre sie, schütte Deine Pfeile über sie und sie fliehen. Erhebe, ach, Deine Hand auf, und befreie mich und ziehe aus den großen Wassern mich heraus, und aus der Hand des fremden Sohnes, dessen Mund laut wagt die Lüge und dessen Rechte betrügt. O Herr, ich singe Dir ein neues Lied, ich lobpreise Dich auf den zehn Saiten der Leier -- Dich, ach, der Befreiung gibt den Königen -- der errettet David, Deinen Diener, vor dem tödlichen Schwert. Laß unsere Söhne wie die wachsenden Pflanzen sein in ihrer Jugend, und zierlich geschnitten Gärten in den Palästen unsere Töchter. Fülle unsere Gewölbe, und lasse die Lämmchen vertausendfachen sich auf den Feldern, und die Ochsen überlade mit ihrem Fett, und gebe, Herr keinen Lärm und Angriff, _und keine Abbrüche_ _in den wohnlichen Straßen_. DER EINHUNDERTSIEBENUNDVIERZIGSTE PSALM Lobet den Herrn, psalmet den Herrn, es ist gut, es ist süß, es ist verseligend. Er schuf Jerusalem und eint die Zerstörten, und heilt die zersplitterten Herzen, und überspannt die klaffenden Plagen. Er zählt die Zahl der Sterne, _allen_ ruft er einen Namen aus. Unser Herr ist groß und von Macht, und kein Ende hat seine Klugheit: die stützt die Elenden und niedertritt die Bösen unter die Erde. Besingt die Wohltaten psalmet seinen Namen. Er füllt mit Unwetter die Himmel, und bereitet für die Erde den Regen, und läßt auf den Bergen ausschlagen die Körner und nährt die Tiere und die schreienden Kleinen des Raben. Nicht vollendet ist der Herr im Pferde, und in den leichten Männern des Wettlaufs, aber ihn erfreuen die ihn fürchten und die warten: -- seine Güten kommen. O Jerusalem, lobe den Herrn, der kräftigt Deiner Tore Stangen, und segnet die Kinder in Dir, und hält den Frieden in Dir, und die Weizenmärkte macht er sättigend. Aussendet er die Befehle zu Erden, und es laufen über sie eilig seine Worte, sinket wie Leinen sein Schnee und Raureif streut er wie Asche aus. Und er schleudert in Stücken das Eis -- wer _hält_ vor der Kälte des Herrn? Aber er kennt sein Wort und alles schmilzt _bläst sein Hauch --_ _und die Wasser_ _gehen davon_. DER EINHUNDERTFÜNFZIGSTE PSALM Lobet! Lobet für die Heiligkeit! und diese Ausweitung der Macht! Lobet für die hohen Tatsächlichkeiten des Herrn ihn ohne Aufhör, im Ruf der Drommete in den Winden der Leier und Harfen und mit den Pauken des Tanzes und den Streichern und flötend: lobet! lobet! lobet! und mit den tiefen, strömenden Zymbeln und den Zymbeln, die widerhallen unaufhörlich widerhallen hallen HALLELUJA! Anmerkungen zur Transkription Hervorhebungen, die im Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_ gekennzeichnet. Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher): [S. 18]: ... und gingst, eine himmliche Wolke mit unbeflecktem Fuß. ... ... und gingst, eine himmlische Wolke mit unbeflecktem Fuß. ... [S. 39]: ... Doch die Manege der Galerien wartet ... ... Doch die Manege der Galerien wartet, ... *** End of this LibraryBlog Digital Book "Der zerstörte Tasso - Ausgewählte Gedichte" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.