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Title: Wir Menschen - Gedichte Author: Hartmann, Walther Georg Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Wir Menschen - Gedichte" *** Walther Georg Hartmann Wir Menschen Gedichte Kurt Wolff Verlag München Bücherei »Der Jüngste Tag« Band 79 Gedruckt bei Dietsch & Brückner, Weimar Copyright 1920 by Kurt Wolff Verlag, München I Wir Menschen Menschen Über die Berge rauschen schwankende Wälder, An die Küsten schlagen die Ozeane, Wolken ziehen weiß von Stadt zu Stadt, Und in die Ebenen fallen Winde ein. -- Ausgeschüttet in die unendlichen Nächte, Die aufgewölbt strömendes Mondlicht tragen, -- Wir Menschen, Veratmen wir uns aneinander. An Sonnen und Sternen drehen wir uns vorbei, Kleine Erde rollt unfühlbar durch kreisenden Raum, Glühende Endlichkeiten springen an uns vorüber, Und schwebendes Gleichgewicht trägt uns durch schimmernde Welten. -- Aufgesogen von blauen, zitternden Tagen, -- Wir Menschen, Werfen wir uns gegen Schöpfung und Ewigkeit. Wann wird der Mensch sich endlich ausgestalten, Daß alle Kraft in seinem Inneren kreist? O fremde Sehnsucht, stürmische Gewalten, Wir sammeln Schöpfung, die euch schweigen heißt! Bist du, mein Blut, denn meinen Adern fremd Und immer wieder treu uralten Säften? Bist, Seele, du noch immer eingehemmt Und immer nur noch Kraft in dunklen Kräften? Fühlst du, mein Atem, dich noch eingeengt Und suchst dich in des Himmels Wind zu drängen? Bist du, mein Traum, noch immer formbezwängt Und mußt das irdische Gesetz zersprengen? Wann wird der Mensch sich endlich ausgestalten, Daß alle Kraft in seinem Inneren kreist, Daß seine Adern alle Ströme halten? Wann endlich überflügelt sein Entfalten Die Sehnsucht, die ins Leere uns zerreißt, Daß wir uns Erde werden, Kraft und Geist?! Wir sind begraben Unter der Welt Wie unter dem riesigen Himmel der Sterne. Schicksale haben Uns ins Leben gestellt Wie in zerwehte, nachtdunkle Ferne. Nun fühlen wir, Daß etwas mit uns geschieht, Dem wir nicht gebieten; Daß dunkle Gier Uns in die Wirrnis von Taten zieht, Die wir nicht schmieden. Zuweilen denken wir lächelnd der toten Zier Von Wollen und Träumen, die nicht gerieten. Wir singen doch niemals unser eigenes Lied! Wir sagen doch niemals, was unsere Seele hält Als eigenstes Wort! -- Befehlende Tage haben Erstickt unsere Stimmen ... Wir sind begraben Unter dem Übermaß der Welt. Abend Jetzt geht Licht auf in allen Stuben, Und das tägliche Wunder macht alle zarter. Gesichter wenden sich zueinander, Die sich eben einsam im Dunkel vergruben. Tisch und Stuhl und Buch werden neu begonnen. Straße sinkt tiefenblau hinter spiegelnde Fenster. Gutes Allein-Sein in Stille perlt durch die Sinne, Als sei ein warmer, emsiger Hafen gewonnen. Ich sehe euch alle, Gesichter, erleuchtete Wangen, -- Von einer Lampe mildem Licht bin ich mit euch umfangen. In den Tag wächst Liebe aus dem Traum In Nächten ausgeströmter Träume reisen Wir in das Ahnen, das der Tag uns bot. In Sternen schmilzt die Angst, die ihn umdroht, Die Dinge treten aus des Schicksals Not, Und Welt und Menschen lassen sich ergreifen. Leis drängt sich ein, was ohne Antwort blieb, Und viele Worte fließen zu Gesang. Was leer gefragt, wird als Geheimnis lieb. Die Seelen tauchen auf, an deren Saum Wir streiften, spenden tiefverwandten Klang. Und in den Tag wächst Liebe aus dem Traum. Frühe Stunde Im Morgenhimmel schwammen die Sterne heilig und blau, Wind kam von Höhen und Bäumen feucht von Nacht. Träume liefen auf Straßen, geschreckt vom Tau, Und kindliches Wachsein ward in den Herden entfacht. Gelöst aus Schlaf und stillem Stubenlicht Ging jeder schwer noch mit sich selbst allein, Gewöhnte sich dem alten Angesicht Und schwand so wie die Sterne in den Tag hinein. Begegnung Kann denn das sein: daß ich hingehe zu dir Unter dem Sternenhimmel, Durch wirbelnden Straßenklang Und Netze von Laternen, Hinreise wie zu der kleinsten Insel, Auf der wir uns treffen werden? Kann denn das sein: daß in tausendfacher Bewegung, Inmitten Millionen Menschen Und im Schwunge der Welten Wir uns begegnen In der schmalen Wärme des Händedrucks Und fühlen, wie wir uns anders nahe sind Als irgendeinem ...? Geliebte, auch du mußt das große Jahr In ungelöschten Adern fühlen. Ewige Stimmen wehen, Verblassende Bilder wühlen Aus tiefem Bleiben und tieferm Vergehen Empor. Wie wir uns vergruben, Ängstlich vor unserm Feuer, In Kissen und Haar Und dunkles, schwermütiges Nichts. Atem der Stuben War hütend um unsern Traum gestellt, Und leise aus scheuer Vergessener Welt Ans Fenster, verirrt und blind, Stieß Landstraßen-Wind. Und jeden Morgen fuhren wir aus Weit von den Häfen des Traumes In die blauen Buchten des Tages, Pflückten die Stunden zum bunten Strauß, Wandelten ohne Gewicht des Raumes In Straßen und Treppen und Haus. Und wie wir uns verweinten In Schmerz und Wut Tiefer nur ineinander. Nächte, schwer von unserm Blut, Da wir uns fern und tot vermeinten, Wild unsre Leben einten. In Tagen und Nächten Ein Strom, unaufhaltsam, Jagte gewaltsam Aus dunkelsten Schächten Unser Geschick. Geliebte! Der menschliche Bogen spannt Einig und klar sich von Hand zu Hand, Jeder ist Schöpfer, und jeder ist Kind, Solange wir sind. Treue Leben, köstlich und stark immer wieder aufs neue, Leben durchrinnt mich kühl Wie lösender erster Gewitterwind. Durch Schmerz und Lust wechsle ich wie ein Kind, Doch daß ich innig im fernsten und nächsten Gefühl Mich verliere -- das ist meine Treue. Mütter Mutter, ich weiß ja noch, Wie ich, ein Knabe, Aus deinem Schoße stieg In das Märchen der Blumen Und aus den Kissen entwehte Im Kindertraum Von Mohn und Vergißmeinnicht. Du aber wachtest durch blasse Nächte, Und über deinen Worten schwebte Die Träne des Todes schon. War es deshalb so süß, Ihrer Sanftheit zu lauschen Und einzuschlafen Unter deiner verwehenden Hand? Und wie kommt ihr nun wieder, Wehmut-heilig, Aus dem Vergangenen -- Mutter und Märchen! In jeder Stunde kannst du Schicksal lösen, In jede Stunde Wunder niederstürzen, Dich in die Güte finden mit den Bösen, Das Leid der Welt zu einem Lächeln kürzen. Leg nur die sanfte Hand auf einen Scheitel Und sag das Wort, das dir im Herzen brennt, Geh hin und sprich: Ach, aller Schmerz ist eitel. Ich bin dir gut. -- Es blüht das Firmament. II Die Zeit Mein Bruder Feind! Sie haben ein Tuch zwischen uns gehängt, Mein Bruder, Durch das unsre Degen nach unsern Herzen bohren. Wir wollen uns vergeben, Die wir lieben, Daß die Waffe so streng unsern Willen zerschnitt. Sie haben die Macht, die Sprecher der Staaten, Daß wir töten einer den andern, Aber nicht, Daß wir uns hassen, mein Bruder! Ich liebe dich Um deines Lebens willen, warm wie das meine, Um aller Sehnsucht willen, deiner Mütter und Schwestern, Um deiner Arbeit willen, still und schwer wie die unsre, Um deiner Schmerzen willen liebe ich dich, Mein Bruder. (1914) Am blassen Morgen fühlt ich mich entstehen Aus Nacht und Schlaf, War mir die Welt ein jugendliches Wehen, Das hold mich traf, Erlernt ich wieder: Berg und Haus und Baum Wie Tief-Vergessenes Und faßte Wirklichkeit nach blindem Traum Wie Nie-Besessenes. Da grüßte ich die Schöpfung brüderlich, Die mir erschienen, Ding schmiegte lächelnd sich an Ding, -- und ich: Ding zwischen ihnen. (Laon) Regennacht Über uns Millionen Soldaten sinkt Regen. Wolken und Tote hauchen dumpfen Geruch, Blutrieseln singt. Sternloser Himmel plätschert in Trichtern und Gruben, Trostloser Wind weht Nebel und Stöhnen in Schlaf. Aber neben uns wacht der Posten: Verzweiflung. Weit hinter den Gräben rattern Kolonnen auf Straßen, Die wie schmale Brücken im endlosen Elend stehn. Granaten fegen durchs Spiel der schwebenden Feuer. Ein Gewehr schreit vor Haß. Seit wieviel hundert Jahren stehn wir im Tode, In diesem trägen Sumpfe von Hirn und Blut? Regen rieselt über uns Millionen Soldaten. Nacht fröstelt in uns und ermüdeter Schmerz. Das Land dunkelt fremd und kennt uns nicht. (Verdun 1916) Geschlechter, ihr nach uns! 1 Von schmerzlicher Welt durchbohrt, Unfaßbar von Leid überströmt, Ruf ich dich, Gott. Geist, zu dem als Kinder wir beteten, Geist, in dessen Brand als Jünglinge wir dich verneinten, Geist, der erneut uns zuwuchs aus hartem Gestein In der Jahre Erkenntnis und Tat. Verhetzt von Qual, Mensch gegen Mensch Ist aufgebäumt, Gegeneinander gerissen in Wut, Die das eigene Herz zerreißt. Erniedrigt in Neid, zermartert in Haß Hör' ich ausgestoßen Worte der Feindschaft Aus verzweifeltem Munde. Ich rufe dich, Gott. Unter Wolkenzug steh ich, Horizont kreist berg-blau um meine Augen. Ich rufe die Hand, die herunter greift Und Segen austeilt durch ein einziges Wort, Durch ein Wort, das sieghaft wär Aus dem Reiche der Ewigkeit: Menschen! 2 Nicht über die grausam tätigen Hände allein Ergieße dich, helfender Geist! Nicht über die donnernde Feindschaft der Stirnen allein, Die unterm Tage hassend zusammenschmettern. Doch in die Herzen stürze, In die verborgensten Falten, Wo bittre Worte aufgären wie Fäulnis, Wo böse Tat aufkeimt in verstecktester Feindschaft, Wo liebeleer Wille aus bleichen Wurzeln sich nährt. Überschütte doch, Hülle doch Alle heimlichste Bitterkeit In jedem Herzen, in jedem Sinn, Auch in dem meinen, Mit deinem Lichte! 3 So wie ich hier steh, -- ein Mensch, der wenig geliebt wird, Und bin nicht Mutter, die Kinder in dieses gierige Leben geboren, Und bin nicht Vater, der Träume in tätige Söhne geschaffen, Und nicht Geliebter, dem Herz und Wille in sanfteste Hand gegeben, -- Ich bin ein Mensch nur, der fremd und wenig umschlossen Mit anderen Gästen der Erde den Tag verbringt: Ich kann den Haß dieser Welt doch nicht mehr tragen, Ich kann die Qual geheimster Verfeindung nicht mehr ersticken, Ich werfe mich wild von Leid und Liebe zwischen die meuternden Menschen Und weine. 4 Die Zeit steht ehern wie ein Koloß, Läutet und dröhnt den unerbittlichen Donner, Übertürmt die wütend flehenden Hände. Die an ihr reißen. Wenn Sonne emporschießt wie eine Fanfare, Wenn die Sterne ihr schweigendes Gloria klingen, Wenn der Wind über Länder sich biegt, -- Zeit steht, Zeit geschieht, Zeit braust Und bleibt errichtet, Drückt uns die Zentnerlast auf versagende Nacken. Wir werden verzweifeln müssen. 5 Stürze zusammen unsichtbarer Bau, Gewölbt aus Menschsein und einigstem Gefühl! Stürze zusammen, heilige Spannung Über Herz und allverständlichem Wort! Stürze zusammen, Bogen des Lebens, Aufsteigend und ruhend über uraltem Grund! Stürze zusammen, lichtes Gewölbe, Gefügt aus Erkenntnis rollender Zeiten! Kein Boden trägt mehr, Kein Land ruht mehr In Flut und Getöse. Weggerissen in Brandung von Schrei und Angst Zerbirst das Gefüge der Welt. Nicht Haß hat gesiegt, -- aber Verzweiflung! Verzweiflung zerrüttet den Bau der Welt. 6 Es gehen Engel in den Städten um. Und sei's nur _einer_ in den tausend Straßen, Nur _einer_, dessen Auge Wahrheit leuchtet, Und dessen Herz im Gang der Welten schlägt, -- Es bieten reine Hände sich ins Leben, Und reine Stimmen sagen ew'ge Namen. Doch die Gnade des Glaubens ist uns versagt, Zu fremd die Liebe, der die Hand sich böte. Eingefressen in die tiefsten Adern Treibt die Not den toten Gang Und vergiftet jeden Wunders zartesten Keim. Es gehen Engel in den Städten um. Vergebens! 7 Preßt den Ring des Verzichts um das stürmende Herz! Nehmt die Hand aus den Händen, die man euch reichte! Schreitet hinunter in die brodelnde Zeit! Vergebens Geduld und Schrei und Gebet, Erfülle dich, tobender Abgrund! Nicht _wir_ mehr halten und retten, Nicht _uns_ mehr spannt sich der himmlische Bogen, _Wir_ sind verdammt. Aber, Geschlechter ihr, nach uns, Hebt euch auf aus unserem armen Blut, Aus dem Schutt unsres Schmerzes Mit euren Stirnen in das Schneelicht der Gerechtigkeit. 8 Aber Geschlechter ihr, nach uns, hebt euch auf aus unserem dumpfen Streit! Unsern Wunden ist der Lohn versagt, Über unsern Schlachten stand kein Stern, Über unsern Scharen keine Liebe. Unsre Sünde trat den Glauben nieder. Aber Geschlechter ihr, nach uns, euch vertrauen wir. Wir strömen alle Hoffnung euch ins Blut, In euere Geburten alle Liebe, In euren Aufgang alle reinste Tat. Des Menschen ew'ges Sternbild steig euch auf! III Lobpreisung Preis der Vergänglichkeit 1 Ich bin vergänglich, und ich _will_ vergehn, Auslöschen wie eine Lampe In den roten Morgen, Wenn meine Nacht um ist; Abklingen wie ein Ton, Wenn der Bogen absetzt. Ich bin vergänglich, und der Gedanke Des Gesetzes berauscht mich. Abgleiten will ich wie eine Fahne, Die vom Maste sinkt In den Lüften des Hafens; Wie Rauch der sich hebt Von gestillter Flamme. Ich bin vergänglich, und selig bin ich, Hinwegzugehen gleich allem Lebendigen, Wie eine Wolke mich auszuregnen ins Land, Wenn mein Wind still ist. 2 Wir haben kein Recht zum Schmerz! Welten schwingen sich durch die Nacht. Abende kommen und Sonnen. Fahnen wehen im Winde. Und Fenster trinken Den Himmel. Und Lampen lächeln geduldig Vergessenen Stuben -- Unvergänglich. Was vorbestimmt lag im Geboren-Sein, Hüllt sich leis in Geschick und Erfüllung. Seelen wandern vorbei an den Jahren, Und Geist wächst in die Formen der Erde Unvergänglich. Und Liebe ist -- nicht deine Liebe --, Und Augen erwachen -- nicht nur die deinen --, Und Schmerz ist, -- nicht dein Schmerz --, Schmerz ist und Seligkeit Unvergänglich. Wunder Glocken klangen an und riefen, Türme sangen leis im Wind. Stimmen wundersam verliefen Sich im Traum der Straßentiefen, Tasteten beseelt und blind. Menschen aneinander rührten, Ließen Wunsch und Lust entgleiten; Bang noch, daß die scheu verspürten Sie in Wunder fremd entführten, -- Schon im Wunder sank ihr Schreiten. Helle Fenster warfen Blüten, Klänge bauten Spiegel auf. Sterne überm Dach versprühten, Augen ineinander glühten, Sprengten letzte Siegel auf. Musik Zu hundert Gipfeln bin ich aufgestiegen, In hundert Täler weich hinabgerauscht. Landschaften sah ich in den Wind gebauscht Und Felder friedvoll in der Sonne liegen. Verschränkte Stimmen, wundersam vertauscht, Entflogen vogelgleich aus Wälderwiegen. Posaunen schrien aus sturmdurchwühlten Siegen, Und Worte sangen, Nächten abgelauscht. Wie Silberflüsse liefen Melodien Ausbuchtend durch das ungewisse Land, Geleiteten wie fromme Führerhand. Doch fern wie Wolken zogen Harmonien, In keine dinggewohnte Form gespannt: Nur Gruß und Farbe von dem andern Strand. Fünf Sonette I Der Wind hat feierlich die Welt entfaltet, Und alle Farben prunken unterm Licht. Von Bäumen, Rasengrün und Dächern bricht Der Glanz, noch eh er sich zur Form gestaltet. Und wenn ihr durch die Straßen geht, behaltet Ihr keines Dinges Namen noch Gewicht: Nur Fensterspiegeln, Wolken, ein Gesicht, Und die Bewegung stark und unveraltet. Von steilen Dächern rinnt die Sonne, prallt Wie ein Trompetenstoß auf Mensch und Wagen Und springt zurück vom hastigen Asphalt. Markisen, rot- und weiß-gestreifte, schlagen In mächtgen Wogen, und der Himmel wallt Wie eine Fahne, -- üppig und getragen. II Wenn sich die Türme alt, barock und schlank Ganz selig in die Abendwellen heben, Dann zu den wunderzarten Wesen streben Entzückte Blicke auf und sagen Dank. Von Brückenbögen, Dampfer, Park und Bank Wehn Grüße auf in festlichem Erleben, Und von den kupfergrünen Dächern schweben Jahrhunderte und Freuden, sanft und schwank. Durch die Theaterstunde, die, noch hell, Die Lichter aufgesteckt vor den Portalen, Rollen die Wagen, -- aber voll und schnell Erraffen noch die Augen dieses Grüne, Dies Gold, das Türme vor den Himmel malen; Und fühlen's noch in Licht, Musik und Bühne. (Dresden) III Und um die Städte breitet sich das Land Mit Wäldern, Äckern, wolkenüberzogen, Mit Bergen, die in fernem, zartem Bogen Vor einem großen Himmel ausgespannt. Da sind wir plötzlich für die Welt entbrannt, Und leicht wie Vögel landwärts ausgeflogen Entwehen wir durch Wind und Sonnenwogen, Und Leben fließt wie Gold durch unsre Hand. Nie bist die Straßen du so leicht geschritten, Alleen, ganz von Weiten eingesäumt! Nun bist du dir und jedem Sein entglitten, Verstehst der Schwalben Tage und der Bienen, Bist tief in Blütenbäume eingeträumt Und bist der Duft, das Licht, das Lied in ihnen. IV Da liegen vor mir die verschollenen Jahre, Da man von Wald und Strom und Hörnern sang, Da Dichter ihrer Heimat Dorf am Hang Erträumten, drin sie Kind und selig waren. Da seh ich Wege, hell von stillen Paaren, Die schwärmen Arm in Arm den Wald entlang, Da höre ich der Glocken Morgenklang Den Geist der Andacht heimlich offenbaren. Und alles ist wie Vers aus alten Schriften, Wie liebe Zeilen, die man lächelnd sieht, Wie Reime nur von Berg und Strom und Triften, Und sind doch alles Unvergänglichkeiten! Wie nah ist mir dein Herzschlag und dein Lied, Mein Bruder du aus jenen sanftern Zeiten! V Ein einz'ges kleines Wölkchen sah ich stehen Hoch über meiner kühlen Rast im Gras; Das schwebte selig, wie gesponnen Glas, Und ließ den Wind durch seine Flocken wehen. Ich sah es weiß im ew'gen Blau sich drehen, Das leise seinen feinen Rand zerlas, Umschmeichelte mit seinem Übermaß, Daß es zerfloß in sonnigem Zergehen. Und wie als Kind erblickt' ich Bild um Bild: Nun war es Roß, nun Krone, Zelt und Greif, Um immer leichter, lichter, ungestillt Ganz zu zerfließen wie in lauter Raum: Es hob sich auf, ein blau-durchstrahlter Streif, -- Und nun war alles Bläue ohne Saum. Die selige Erde 1 Der Schwung der Erde Ist jung und gut. Die blonden Tage, Die duftenden Nächte Wiegen uns zärtlich Durch stiebenden Raum. Wimpel entwehen Den glücklichen Augen, Brüste verschmiegen Sich weich in den Wind. Kaum noch an Sohlen, Kühlen und schwingenden, Haftet uns Boden, Hält uns der Ball. Blau um die Stirnen Schlingen die Himmel Uns flatternde Bänder, Und die Gestirne Zischen wie Funken In unserm Blut. 2 Die Hand gib mir, Daß wir uns halten Und im Entwirbeln Nicht verlieren, Mein Bruder, du, Du Irgendwer, Geliebte du, Du Irgendeine. Die Hand gib mir, Wir fahren schnell Wir Menschen durch die blassen Räume, Und unser Atem bleibt uns nicht. Die Hand gib mir, Daß Himmelfahrt Durch unser beider Pulse ströme, Der Himmel weht durch deine Locken, Ich greife ihn. Die Hand gib mir, So schweben wir Im blauen Flug, Der unser Leben ist. 3 Schiffe aus bunter Musik Zittern in schwellenden Segeln, Heben die Brust aus den Wellen Und rauschen dahin. Golden umstäubt von den Straßen, Traben die glänzenden Wagen, Klirren die Räder der Reise Durch offene Welt. Gärten erklingen von Liebe, Küssen sich Kinder und spielen, Nahen sich Menschen und Tiere Mit wissendem Blick. Und die wandernden Schwalben Biegen die Himmel zusammen, Fremdester Zonen Geheimnis Zu unserem Land. 4 Hell-türmige Städte Halten sich nicht, Auch sie fliegen auf In den göttlichen Raum. Die silbrigen Wälder, Die alten und guten, Sie schicken sich rauschend In sphärische Fahrt. Die Ströme treiben Die Meere zum Himmel, Die glückliche Erde Wirft Wolken empor. Die dunkelen Menschen, O siehe, die schwersten, Nimmt heiter und gütig Und ungemerkt Der zärtliche Hauch In den Träumen mit. 5 Ich fühle leise Das Zittern der Erde Wie eines Dampfers Auf emsiger Fahrt: In der Weite des Meeres Wellend in Schnelligkeit. Die köstlichste Stunde, Hinter uns bleibt sie, Reißt uns vom Munde Der Wind des Flugs. Biegt euch kühn Über schäumenden Bug! Zukunft zerteilt sich An unsrer rauschenden Brust. Von Walther Georg Hartmann erschien im Verlag von Rudolf Kaemmerer, Dresden: DER BEGEISTERTE WEG mit sechs Holzschnitten von C. von Mitschke-Collande *** End of this LibraryBlog Digital Book "Wir Menschen - Gedichte" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.