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Title: Mümmelmann - Ein Tierbuch
Author: Löns, Hermann
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Mümmelmann - Ein Tierbuch" ***


Internet Archive (https://archive.org)



Note: Images of the original pages are available through
      Internet Archive. See
      https://archive.org/details/Mummelmann_Ein_Tierbuch_


Anmerkungen zur Transkription

      Das Original ist in Fraktur gesetzt.

      Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+, in Antiqua
      gesetzter Text ist ~so markiert~.

      Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
      Buches.



HERMANN LÖNS

MÜMMELMANN


      *      *      *      *      *      *

In unserem Verlage sind von

Hermann Löns

ferner erschienen:


Aus Wald und Heide

21 Erzählungen für die Jugend, 16.--20. Tausend, Illustr. Kart. M. 1.--.


Mein braunes Buch

21 Erzählungen aus der Heide. 17.--21. Tausend, brosch. M. 3.--, geb.
M. 4.--, Luxusband M. 6.50.


Mein blaues Buch

Balladen und Romanzen, 4. Tausend, brosch. M. 3.--, geb. M. 4.--,
Luxusband M. 6.50.


Der letzte Hansbur

Bauernroman aus der Lüneburger Heide. 9.--10. Tausend, brosch. M. 3.50,
geb. M. 4.--, Luxusband M. 7.--.


Dahinten in der Heide

Niedersächsischer Roman, 13.--15. Tausend, brosch. M. 3.--, geb.
M. 4.--, Luxusband M. 6.50.


Kraut und Lot

Ein Buch für Jäger und Heger, 8.--10. Tausend, geb. M. 4.20, Luxusband
M. 7.--.


Der zweckmäßige Meyer

Ein schnurriges Buch. 20 Humoresken aus dem Naturleben. 8. Tausend,
geb. M. 3.50, Luxusband M. 6.--.


Auf der Wildbahn

Jagdnovellen, 8. Tausend, geb. M. 4.--, Luxusband M. 6.50.


Haidbilder

Neue Folge von »Mein braunes Buch«, 6. Tausend, geb. M. 3.50, Luxusband
M. 6.--.


Mein buntes Buch

Naturschilderungen, 7. Tausend, geb. M. 3.50, Luxusband M. 6.--.


Goldhals

Ein Tierbuch für die Jugend, 4.--8. Tausend, geb. M. 1.80.


Adolf Sponholtz Verlag G. m. b. H., Hannover.

      *      *      *      *      *      *


HERMANN LÖNS

MÜMMELMANN

Ein Tierbuch

21.--25. Tausend

         Höret:

      Es gibt nichts Totes auf der Welt,
      Hat alles sein' Verstand,
      Es lebt das öde Felsenriff,
      Es lebt der dürre Sand.

      Laß deine Augen offen sein,
      Geschlossen deinen Mund
      Und wandle still, so werden dir
      Geheime Dinge kund.

      Dann weißt du, was der Rabe ruft
      Und was die Eule singt,
      Aus jedes Wesens Stimme dir
      Ein lieber Gruß erklingt.



Hannover 1915
Adolf Sponholtz Verlag
G. m. b. H.



Inhalt.


                                  Seite

     1. Mümmelmann                    5

     2. Murkerichs Minnefahrt        13

     3. Krähengespräch               21

     4. Sein letztes Lied            27

     5. Goldhals                     34

     6. Der letzte seines Stammes    41

     7. Achtzacks Ende               49

     8. Böbchen                      57

     9. Der Zaunigel                 64

    10. Jakob                        72

    11. Hausfriedensbruch            79

    12. Mein Dachs und meine Dackel  86

    13. Die Zeit der schweren Not    93

    14. Des Rätsels Lösung           99

    15. Das Eichhörnchen            105

    15. Hasendämmerung              116

    17. Der Mörder                  123

    18. Der Alte vom Berge          134

    19. Die Einwanderer             144

    20. Ein Hauptschwein            154

»Der Zaunigel« und »Das Eichhörnchen« sind mit Erlaubnis des Verlages
beim Prachtwerke »Lebensbilder aus der Tierwelt«, herausgegeben von H.
Meerwarth, Verlag von R. Voigtländer, Leipzig, entnommen.

[Illustration]



Mümmelmann.


Sie zogen aus, bis an die Zähne bewaffnet, an die dreitausend, an
die dreihundert, an die dreißig, schrecklich anzusehen in ihrem
Kriegsschmucke.

Unten steckten sie in langen Stiefeln, oben in kühnen Hüten. Um ihre
Unterleiber schlotterten oder strammten sich rauhe Jacken, deren
Taschen reichlich mit Nikotinspargeln gespickt waren. An der Seite
hing ein Ränzlein, strotzend von braunen, grünen, roten oder gelben
Hülsen, enthaltend das scharfe Pulver, ferner eine Flasche, bergend
das nicht minder scharfe Visierwasser, und diverse Pakete, worin die
kurzgehackten sterblichen Überreste toter Schweine und Kühe waren. Vor
dem Magen trugen sie Müffchen, um die Handgelenke gestrickte Stulpen,
und auf dem Rücken Donnerrohre aller Konstruktionen und jeglichen
Kalibers.

Sie erfüllten das Bahnhofsvestibül mit lauten Stimmen, den Perron mit
schallenden Tritten, drei Coupés mit Zigarrendampf und die Schaffner
mit Grausen, denn jeder dritte zog ein erwachsenes Exemplar von
~canis familiaris~ hinter sich her und verlangte Platz dafür
nächst sich.

Während der Fahrt nickten die einen, die abends vorher allzu lange beim
geisteserfrischenden Männerskat und beim seelenerhebenden Bitterbier
gesessen hatten, noch etwas nach, die edlen, etwas gedunsenen Züge auf
die Mündungen der Flinten stützend; andere hatten des Teufels Gebetbuch
in der Hand, schielten sich in die Karten und nahmen sich das mehr
oder minder redlich erworbene Kleingeld ab. Die dritten sprachen Latein.

Der Dicke mit den apoplektischen Kulpsaugen erzählte mit einer Stimme,
die die Fensterscheiben zum Klirren brachte, er habe gestern auf
achtzig Schritt einen Krummen geschossen, wie gerädert sei der im Dampf
geblieben, alle Knochen gebrochen. Und dann zeigte er seine Flinte
herum, alle guckten hinein und taten, als glaubten sie es, und jeder
sah sein Gegenüber mit einem Blick an, der da sagte, daß er es durchaus
nicht glaube.

Sie sprachen eine fremde Sprache, die kein vernünftiger Mensch
verstand, redeten von Rammlern und Satzhasen, Schweiß und Wolle,
Löffeln und Blumen, Läufen und Gescheide, Kesseln und Suchen, Stokeln
und Strecke, meinten aber immer ganz was anderes. So fuhren sie dahin
durch die weiße, morgendliche Winterlandschaft, auf die die aus dem
Bett kriechende Sonne einen schwachen Rosenschimmer warf.

Dieser Rosenschimmer traf auch in der Feldmark von Knubbendorf die Nase
eines alten Rammlers, der langsam und hochläufig über die Landstraße
hinkte, Haanrich Mümmelmann genannt in seiner Sippe. Er machte einen
Kegel, putzte sich ein Flöckchen Schnee aus dem Schnurrbart mit der
rauhen Bürste seines Vorderlaufes, und überlegte, ob er noch nach der
reichlich geästen Roggensaat etwas Rinde von jungen Apfelbäumen in den
Gärten von Knubbendorf zu sich nehmen solle, oder ob es bekömmlicher
sei, einige vorjährige Brommelbeerblätter zu genießen, denn er fühlte
einen Druck im Magen.

Da teilte ihm derjenige Teil seines Körpers, mit dem er auf einem
plattgefahrenen goldgelben Apfel saß, der nicht von den Hesperiden,
sondern von dem edlen Rosse stammte, mit, daß ein Wagen sich nähere.
Er drehte sich um, spitzte die schwarztimpigen Löffel und sagte sich
dann in seinem lieben Gemüte, daß das weder die Post sei, die führe
schneller, noch der Molkereiwagen, der führe langsamer, ein Marktwagen
sei es auch nicht, der käme schon bei nachtschlafender Zeit. Item sei
es etwas Ungewohntes, und das Ungewohnte sei stets unbekömmlich.

Er hoppelte bis an den Graben, setzte trotz seiner drei Läufe über
die hohe Schneewehe und hoppelte den Patt entlang. Auf dem großen
Schlehbusch saß der Neuntöter. Den fragte er, ob er nicht sähe, was da
die Straße entlangkomme, seine Augen hätten nachgelassen. Der Würger
sagte ihm, daß es Jäger und Hunde wären, und flog nach der Dieme, denn
da hatte er eine Maus gesehen.

Mümmelmann kratzte sich bedenklich hinter den Löffeln und hoppelte
weiter, bis an den großen Stein, der an der Sandkuhle lag. Dort klopfte
er dreimal mit dem linken Hinterlauf. Er hatte nur den einen, den
rechten fraßen nach der vorjährigen Treibjagd die Nebelkrähen. Auf sein
Klopfen tauchten hinter einem dürren Kamillenbusch zwei sauber gekämmte
Löffel auf. Sie gehörten Geesche Wittblaume.

»'n Dag, Geesche«, knurrte Mümmelmann, »van Dage giff dat Drievjagd.
Eck weit blot noch nich, wenn sei in Holte drieven oder inn'e Feldmark.
Seih deck vör!«

»Eck rücke to Holte, da kann'n seck lichter bargen,« meinte Geesche.
»Adjüs, Haanrich« und damit hoppelte sie von dannen.

»Segg et de annern an,« rief Mümmelmann ihr nach, und Geesche machte
einen Kegel, spitzte die Löffel, nickte und hoppelte fort.

Mümmelmann traf bei Wege noch Trine Geelzahn und Jochen Pielsteert
und sagte ihnen, daß sie gut täten, die Löffel steif zu halten. Und
dann hoppelte er weiter, bis nach einer ganz kahlen, hoch gelegenen
Stelle. Dort lief er eilig hin und her, als habe er etwas verloren,
schlug Haken auf Haken, und schob sich dann in einen Pott, den er sich
scharrte.

Eine Stunde mochte er in seinem Lager gelegen haben, da vernahm er
ein Geräusch und machte einen Kegel. Da sah er Aadje Slappuhr eilig
daherkommen, Aadje, dessen Löffel keinen Halt hatten, weil ihm im
vorigen November die Schroten die Knorpel zerschlagen hatten.

»Junge,« sagte Aadje und verpustete sich, »dat ward leege van Dage. De
Driever drücket dat Holt dör und denn schall ekesselt weern.«

»Dübel,« sagte Mümmelmann, »de vermuckten Schinners war'd von Dag to
Dag heller. Na, will't sehn, wat seck dohn lätt. 'djüs.« Und damit
rückte er sich wieder in seinem Pott zurecht, und Aadje lief weiter.

Noch eine Stunde lag Mümmelmann da und dachte nach, daß der Mensch doch
das böseste Raubzeug sei, trotz Reinke Rotvoß und Griepto Höhnerdeiw,
dem Habicht, und daß es Zeit wäre, daß man dagegen etwas täte; da hörte
er von weitem einen Ton, als klopfe da ein riesiger Rammler. Und der
wiederholte sich immer wieder.

Haanrich Mümmelmann machte sich hoch und äugte nach der Gegend hin,
aber seine Lichter trugen so weit nicht. So rückte er wieder zusammen
und wartete. Die Sonne brannte ihm warm auf den billigen Balg, der
Wind hatte sich gelegt, das war alles gut und schön soweit, wenn nur
die Jäger nicht gewesen wären. Na, sein Testament hatte der Olle schon
lange gemacht, er war nun fast zehn Jahre alt, und ewig kann man nicht
leben. So philosophierte er.

Auf einmal spielohrte er. Er hörte den Mordschrei der Nebelkrähe. Er
machte sich ein ganz klein bißchen höher und seine Seher wurden starr.
Über das Feld kam ein Hase in ungleichen Sätzen, und über ihm strichen
zwei große graue Krähen. Eine stieg immer und strich vorwärts, und
die andere fuhr herab und stieß nach den Lichtern des armen Hasen, und
Arr und Err ging es. Alle Augenblicke wurde der kranke Hase kürzer,
dann fuhren beide Krähen auf ihn los. Und dann rappelte er sich wieder
auf und machte ein paar Sätze, aber nach wenigen Sätzen wurde er
wieder kürzer. Und vom Horizont kam ein schwarzer Punkt und noch einer
und immer wieder einer, lauter Krähen, graue und schwarze, und wie
eine Wolke von Blut und Tod zog es über den Kranken her. Und jetzt,
Mümmelmann schauerte zusammen und legte die Löffel an, denn er wußte,
was jetzt kam, jetzt kam der Graben, und das war das Ende. Und da
scholl es auch zu ihm heran: »O weh, o weh, o weeäh, o weih mir,« und
dann war alles still und nur die Galgenvögel, die sich zankten, hörte
man.

Nach einem Weilchen vernahm der Alte wieder ein Gepolter und sah die
Krähen abstieben. Er richtete sich ein bißchen hoch, und sah einen
großmächtigen Köter einen kranken Hasen hetzen. Schwer krank, das
sah der Alte, war der andere nicht, aber doch so, daß der flüchtige
Hund ihn bald zu Stande hetzen würde. Das war ein guter Kerl, Natz
Klewersitter vom Uhlenbrink. Dem mußte geholfen werden.

»Natz,« knurrte Mümmelmann leise, »eck stah upp, sett di dahl!« Der
kranke Waldhase nahm alle Kraft zusammen, fuhr in das warme Lager, und
mit einem Hui, eine Schneewolke hinter sich werfend, fegte der alte
Feldhase aus dem Pott, schlug ein halbes Dutzend Haken, daß der Hund
ganz verbiestert wurde, sauste dann geradeaus, schlug wieder Haken,
machte einen Kegel, nahm wieder das Feld hinter sich, bis dem Hunde die
Zunge aus dem Halse hing und er die Jagd aufgab. Mümmelmann äugte ihm
nach, lachte, hoppelte bis zum nächsten Brink und rodete sich wieder
ein. Seine alten Knochen brauchten Ruhe.

Lange dauerte es damit aber nicht, da vernahm er ein Dröhnen und
Knirschen. Erst war es nördlich, dann westlich, dann südlich, dann auch
im Osten. Er machte sich hoch und sah rundum lauter schwarze Pfähle.
Und nach einer Weile ging es, »Tara, Tarattata«, und die Pfähle kamen
auf ihn zu. Und dann hörte er es knallen und er sah hier einen aus
seiner Sippe über den Schnee rennen, und da einen von den Waldhasen,
und da stand einer auf dem Kopf und hier rollte einer im Dampf.
»Dübel,« dachte der Alte, »eck sitte in'n Kessel!«

Die schwarzen Pfähle kamen näher. Überall stob der Schnee, prasselten
die Schrote, flog der Dampf, knallten die Schüsse. Mümmelmann blieb in
seinem Pott und überlegte. Rechts, nein, da ging es nicht, da knallten
wenige Schüsse und immer einzeln, da standen gute Schützen. Links,
da ging es bergab, das war auch schlecht. Aber gerade aus da war ein
Jäger, der schoß immer beinah beide Läufe auf einmal, und sein Nachbar,
der fuchtelte immer erst lange hin und her, ehe er drückte.

Die Schritte kamen näher. Dicht neben Mümmelmann schlug Kunrad
Flinkfoot ein Rad, sprang noch einige Todessprünge und färbte den
Schnee rot. Weiter rechts machte Dorette Quappbuk ihr Testament,
nicht weit davon Lischen Hopsinskrut. Aber zwischen dem langen
Schnellschießer und dem kurzen Fuchtelmeier passierten eben Jochen
Pielsteert und Fritze Pattlöper heil die Schützenlinie, und da richtete
sich der alte Hase steif auf, hoppelte in gerader Linie voran, gerade
auf die Lücke zwischen den beiden Schützen zu, ganz langsam, bis er
fast in Schußnähe war, witschte dann nach links, schlug einen Haken
nach rechts, einen nach links, einen nach rechts, sah noch eben, wie
zwei Gewehrläufe in der Luft herumfuhren, wie Schwänze von Kühen, um
die die Bremsen sind, und dann gab er her, was er in sich hatte, fuhr
durch die Lücke, schlug sieben Haken, hörte einen Knall, einen Schrei,
einen Fluch, nähte aus, bis er nichts mehr hörte, und dann machte er
ein Männchen und äugte zurück.

Das Jagdhorn erklang. Die Schüsse hörten auf. Die Jäger liefen nach
einem Fleck, hoben etwas auf und gingen nach dem Dorfe. Und es war
doch erst Mittag. Als sie alle weg waren, hoppelte Mümmelmann nach
dem Kessel. Da lag Schweiß, hier wenig, Hasenschweiß, und da viel.
Menschenschweiß, und dem alten Hasen schwoll sein kleines Herz von
befriedigter Rachsucht; nun wollte er gern sterben, er hatte sein Volk
gerächt.

Nachts um zwölf Uhr, als der Vollmond klar am Himmel stand, kamen die
Knubbendorfer Hasen auf dem Felde, wo der letzte Kessel gewesen war,
zusammen. Mümmelmann rief sie alle der Reihe nach auf. Zweiundsechzig
antworteten nicht, zwanzig waren entschuldigt, sie heilten ihre Wunden
im Lager, sechzehn humpelten, sie waren leicht angekratzt. Und als sie
alle zusammen waren, da hielt Natz Klewersitter eine Rede und sagte
allen, wie Haanrich Mümmelmann ihm das Leben gerettet hatte, und alle
zweihundert klopften dem guten Kameraden Beifall und rieben ihre Nase
an seiner. Und dann machte Jochen Pielsteert ein Männchen und erzählte,
daß der Alte vom großen Stein sie alle gerettet habe. Er, Jochen, habe
gesehen, daß Mümmelmann durch seine Taktik den einen Jäger so dötsch
gemacht habe, daß er seinen Nachbar schwer angeflickt habe. »Kommt mit,
eck will ju dat wiesen!« so schloß er seine Rede.

Reinke Rotvoß, der oben an der Straße unter dem Winde herangeschnürt
kam, blieb plötzlich stehen und seine Nüstern schnupperten wohlig, denn
die Witterung von zweihundert Hasen kitzelte sie. Aber dann setzte er
sich plötzlich, denn eine wimmelnde, krimmelnde Masse kam über das
mondlichte Schneefeld, Hase bei Hase, und jetzt hielten sie an.

So etwas hatte Reineke noch nicht erlebt, und er hatte viel mitgemacht.
Als aber die zweihundert Hasen anfingen, mit den Hinterläufen zu
klopfen und gespenstisch im Kreise herum zu tanzen, da kriegte er
es mit der Angst, er machte kehrt und gab Fersengeld, daß ihm die
Standarte nur so flog. Als am anderen Tage der Jagdaufseher Nachsuche
hielt, da fand er um den roten Fleck, wo der Assessor den Baurat
laufkrank schoß, einen Kreis, festgestampft wie eine Tenne. Und er sah,
daß das die Hasen gemacht hatten, und er schüttelte den Kopf und machte
ein ganz verstörtes Gesicht.

Das war die Stelle, wo vorige Nacht die Knubbendorfer Hasensippe
Mümmelmann, den Heldenhasen, nach Hasenweise geehrt hatte.



Murkerichs Minnefahrt.


Auf der Spitze der großen Pyramide stand ein Mann. Der Abend hatte die
gelbe Wüste in braune und blaue Farben getaucht, hatte die Palmen und
Kuppeln der fernen Stadt mit Gold und Purpur umwebt.

Der Mann auf der Plattform des Riesenbaues sah die zauberhaften
Farben, die märchenhaften Töne nicht. Er war das ganze Ägypten satt,
die eleganten Reisenden, das schmierige Volk, den Spielsaal und die
Blumengärten. Traumverloren sah er nach Norden hin.

Da zuckte er zusammen und sah sich um. Nicht der Ruf der Eule war es
gewesen, der ihn aus seinem Sinnen geweckt hatte, nicht das von weitem
heranschallende Geschrei der Kameltreiber, nein, ein ganz anderer
Laut, der ihm die gelben Troddeln der Haselbüsche im dämmernden Wald,
Drosselschlag und Ammernsang vor die Seele rief.

Er rieb sich die Augen und lächelte: »Ich habe geträumt,« dachte
er. Aber da war er wieder, der seltsame, tiefe, quarrende Ton, das
»Quoark, quoark, quoark«, und da kam es auch schon herangestrichen,
ein schwarzes Ding, eulenhaft die Fittige bewegend, zwischen denen ein
langer, senkrechter schwarzer Strich sich abhob, und verschwand in der
Dämmerung.

Das war Murkerich. Auch dem war dieses Ägypten langweilig geworden
mit seinen Palmen, seinem Nilschlick, seinen fetten Fliegenmaden und
Kamelsmistkäfern. Nach weißschimmernden Birkenwäldern sehnte er sich,
nach braunem Fallaub zwischen goldenen Schlüsselblumen, jungen Fichten
und breiten Weißdornbüschen und einem ordentlichen, deutschen Regenwurm.

Er moarkte verdrießlich, als ihm eine große Fledermaus mit einem
blattähnlichen Gewächs auf der Nase etwas zuzwitscherte, das er
nicht verstand, strich weiter, den Nil hinauf, und pfuitzte schnell
sein »Pssewitt« in den Abend hinein. Antwort erhielt er wohl, aber
Begleitung bekam er nicht. »Noch zu kalt da oben«, pfuitzte Kulpsauge.
»Noch keine Würmer draußen«, quarrte Silbersteert. »Noch Frost im
Boden«, wispelte Stecherine. Da reiste Murkerich allein.

Im Garten des Augustinerkellers in München ging ein Mann. Er ließ sich
die Abendluft um die Stirn ziehen, denn arg viele Maße Bier hatte er
binnen. Plötzlich blieb er stehen und sah nach dem Himmel, wo ein
einziger, kleiner, blasser Stern blinzelte. »Herrgottsaxen«, brummte
er vor sich hin, »hoab i oan Rausch. Alleweil hoab i meint, daß i die
Schnepfen hör'!«

Einen Rausch hatte er, aber richtig gehört hatte er doch. Murkerich
hatte Afrika hinter sich, das Mittelmeer und den Balkan, Tirols weiße
Gipfel und Bayerns dunkle Berge. Viele Gefahren zu Wasser und zu Lande
hatte er erlebt, Seesturm und Meeresgewitter, Lawinengepolter und
Telegraphendrahtsurren; am Gardasee stellte eine verwitwete Schnepfin
seinem Herzen Garn und Schlinge und wollte ihn bewegen, dort zu
bleiben. Er pfuitzte ihr etwas und strich weiter.

Über dem Dorfe Sievershausen im Solling stand ein Mann. Rotkehlchen und
Amseln sangen, Waldwühlmäuse pfiffen im Fallaub, unten im Dorf rief der
Totenvogel und im hohen Ort lachte der Kauz. Stillzufrieden lauschte
der Mann den Stimmen des Vorfrühlings.

Auf einmal durchfuhr ihn ein Ruck. Er riß das Gewehr von der Schulter,
spannte und packte an, sah sich wild um und ließ die Waffe wieder
sinken. Er schüttelte den Kopf und lachte in sich hinein: »Ich dachte,
ich hörte schon die Erste. Aber wir haben ja noch nicht einmal
Reminiscere!«

Er hatte doch richtig gehört, und wenn der Kauz gerade nicht solchen
großen Schnabel gehabt hätte, dann hätte Murkerichs Minnefahrt schon
hier ein Ende gehabt. Aber Glück muß ein junger Schnepfenhahn haben.
Schon im Taunus waren ihm die Schrote um den Stecher gepfiffen und in
seinem linken Fittig fehlte die Spitze der Malfeder. »Die kann ich
missen,« hatte Murkerich gedacht; »die ist ja doch bloß zum Staat da«,
und war weiter gestrichen. Und diese Nacht strich er noch weiter, bis
er seine engere Heimat erreichte, den Ahltener Wald bei Hannover. Da
strich er laut pfuitzend in der Frühdämmerung die Gestelle auf und ab,
fiel, als die erste Drossel pfiff, todmüde unter einer Schirmfichte ein
und schlief wie tot.

Ein Rascheln im Laube weckte ihn. Eine Waldmaus wäre ihm fast auf den
Kopf gesprungen. Als er sich spreizte, fuhr sie zitternd in ihr Loch.
Die Sonne stand schon hoch und behaglich genoß Murkerich, Flügel und
Ständer von sich streckend und das Halsgefieder aufrichtend, ihre
Wärme. Dann richtete er sich auf, gähnte gefährlich, trippelte einige
Schritte vorwärts, bis er an dem kleinen Ellernbruch anlangte, wo die
ersten Blätter und Blüten sich über dem pechschwarzen, nassen Boden
zeigten.

Dort stellte er den Stecher senkrecht, fuhr damit über die goldenen
Blüten des Milzkrautes, die fetten Blätter des Aaronstabes, die blauen
und weißen von Leberblume und Windröschen, bohrte den Stecher in den
Boden, vollführte mit den Ständern ein seltsames Getrampel, wobei er ab
und zu leise schnurrte, und holte alle Augenblicke einen krampfhaft
sich windenden Regenwurm oder eine langgeschwänzte Sumpffliegenlarve
heraus, die er sich dann mit kurzem Ruck einverleibte. Dann trippelte
er wieder unter seine Schirmfichte und schlief weiter.

Als die Dämmerung die Bäume zusammenschmolz und der Kauz sein hohles
Lied sang, wachte Murkerich auf. Der Abend war lau und die Luft dumpf,
so recht geschaffen für ein zärtliches Flugspiel über den Wipfeln der
Birken. Aber ihm lag noch die lange Luftreise in den Knochen, und so
beschloß er, weiter zu schlafen, da erstens morgen auch noch ein Tag
und zweitens eine Balz auf eigene Faust eine ziemlich öde Beschäftigung
sei. Da vernahm er ein brünstiges »Pssewitt«, und er schwang sich auf
und folgte dem lockenden Rufe.

Auf der großen Rodung holte er die Dame ein. Quarrline war es, eine
Schnepfenmadam reiferen Alters, die im Frühling vor einem Jahre hier
Witwe geworden war. Sie hatte damals gelobt, unvermählt zu bleiben,
aber, die Liebe, das ist eine sonderbare Sache, und wenn eine alte
Scheune ins Brennen kommt, dann helfen alle guten Vorsätze nicht. Und
als sie Murkerichs flehendes Morken vernahm, da tat sie zwar erst
etwas verschämt, quarrte etwas von Aufdringlichkeit und Belästigung
alleinstehender Damen, aber die kokette Art und Weise, wie sie ihn über
den Rücken anschielte, gab Kunde davon, wie heiß ihr Herz dem eleganten
jungen Mann entgegenschlug. Ja, wer kann auch für die Gefühle bei
solcher lauen Luft!

Und so ging es denn mit Pssewitt und Mork-mork über die Gräben und
Tümpel, Schläge und Dickungen, bald neben-, bald hinter-, bald
übereinander, jetzt langsam und leise, dann laut und schnell,
in gerader Richtung ein Gestell entlang, im Zickzack durch den
Lichtschlag, wo Quarrline ihrem Galan in dem Stockausschlag der Birken
verschwand. Aber er fand sie bald, denn es war bei ihr nur Ziererei,
und als er ihr erzählte, daß er in guten Verhältnissen lebte und ein
Grundstück hätte, das sich selbst im dürrsten Sommer reichlich mit
Regenwürmern verzinste, da gab sie bald ihre Sprödigkeit auf und wurde
aus einer älteren Witwe schnell eine junge Braut.

Als Murkerich sich am anderen Tage die Sache überlegte, fand er, daß
er etwas voreilig gewesen war. Seine Quarrline paßte doch nicht so
ganz zu ihm. Sie war ein bißchen zu sehr in die Breite gegangen, ihr
Gefieder war stark ergraut, kurz und gut, eine Schönheit war sie gerade
nicht. Und dieses ewige Gequarre von ihrem Seligen, das war nicht zum
Aushalten. Wenn sie so schon als Braut war, wie würde sie erst später
werden, dachte der glückliche Bräutigam und hörte mißmutig ihrem
Gequarre zu, mit dem sie ihn sogar jetzt, mittags, wenn jede richtige
Schnepfe schläft, anödete.

So vernahm sie vor lauter Schwatzen das leise Rauschen nicht, das
hinter ihr im dürren Grase daher kam. Faul und breit lag sie da und
erzählte von ihrem Seligen. Da fuhr ein rotes Ding rauschend und
rasselnd durch das Gras, Murkerich strich schreiend ab und konnte eben
noch eräugen, daß Reineke Rotvoß mit Quarrline im Fang davonschnürte.
Unter einem gewaltigen Weißdornbusch fiel Murkerich ein. Der
entsetzliche Vorfall bekümmerte ihn tief, aber bei ruhigerer Überlegung
fand er, daß es so am besten für sie beide war; glücklich wären sie
zusammen doch nicht geworden. Über diesen Betrachtungen schlief er ein.

Das Gezeter der Amsel weckte ihn. Die saß auf dem Dornbusch und
machte einen Mordskrach, weil zwei Männer das Grenzgestell entlang
gingen. Im großen Windbruch rief der Kauz, von der breiten Wiese
erklang das Schreien der Kiebitze, Kraniche trompeteten über den Forst
hin, Goldammern und Rotkehlchen sangen ihre Abendlieder. Da vernahm
Murkerich über sich ein tiefes, dumpfes Quarren und ein ängstliches
Pfuitzen. Ein alter Schnepfenhahn machte in grober Weise einer
schlanken Schnepfin den Hof. Klack, klack, machten Murkerichs Flügel,
und schon war er neben dem Pärchen. Der alte Hahn machte ein höchst
erbostes Gesicht, als er den jungen Mann erblickte, und versuchte, ihm
eins zu stechen, aber Murkerich war gewandter, er wich ihm aus, stieg
und stach ihn derartig in die Seite, daß der alte Herr wutquietschend
in das Quergestell einschwenkte. Murkerich wollte ihm folgen, da fuhr
ein langer, roter Strahl empor, der alte Hahn fiel wie ein fauler Ast
zu Boden, ein Donnerschlag ertönte, Stinkrauch stieg auf, und Murkerich
und das kleine Fräulein schwenkten schleunigst ab.

»Glück muß ein junger Mann haben«, dachte Murkerich, als er mit
der Kleinen durch das Birkenbruch zickzackte. Die hatte sich so
erschrocken, daß sie froh war, einen Mann bei sich zu haben. Pfuitzing
hieß sie und war noch nicht ein Jahr alt. Murkerichs Herz brannte. »So
ein niedliches Ding«, dachte er, »so schlank und adrett, das ist doch
etwas anderes, als die alte Dame von gestern.« Und zärtlich morkend,
sagte er ihr die schönsten Sachen über ihre wunderschönen dunklen
Seher, über die blitzenden Silberspitzen ihres Stoßes, und die Kleine
legte geschmeichelt den Stecher an die Brust und dachte bei sich:
»Ein reizender junger Mann, viel netter, als der alte Murrkopf von
vorhin.« Und in niedlicher Koketterie ließ sie ihres Stoßes silbernes
Spitzenwerk leuchten, und wenn sie auch so tat, als wollte sie sich
ihres Anbeters Schmeicheleien entziehen und hastig fortstreichen, sie
tat nur so.

Es war ein herrlicher Abend. Die Luft war weich und warm, in den
Sinken braute der Fuchs, der Mond stand über den hohen Eichen. In
seliger Minnefahrt strich das Pärchen über die Schläge, zickzackte
um die Überhälter, ruderte durch das Bruch, und fiel ab und zu zu
kurzem Gekose an einem silbern blitzenden Graben ein, um bald wieder
in langsamem Fluge über die Gestelle zu streichen, er in männlichem
Bariton schmeichelnd und sie im hellen Diskant kichernd, wenn er ihr
erzählte, welch ein herrliches Leben sie hier im schönen Ahltener Walde
führen wollten, wo der Boden so tief und locker und würmerreich ist und
wo Dornbusch an Dornbusch steht, die beste Wehr gegen Reinekes Tücke
und Griepto Heuhnerdeiws, des Habichts, Roheit.

Und als sie so schwärmten und träumten, da blitzte und krachte und
rauchte es, und Pfuitzing stieß einen Schrei aus, stürzte, nahm sich
wieder auf und flatterte in das Unterholz. Murkerich war sofort bei
ihr und trieb sie zur Eile an, denn er vernahm eine laute Stimme, und
hörte einen Hund durch die Pfützen patschen. Da flatterte das arme Ding
mit Aufwand aller Kraft ein Endchen weiter und fiel erschöpft in den
gewaltigen, undurchdringlichen Windbruch. Noch ein Weilchen hörten sie
den Hund hechelnd im Unterholz herumstöbern, dann ertönte ein Pfiff,
und alles war ruhig.

Pfuitzing lag auf der Seite und wimmerte ganz leise. Ihr linker Lauf
war von einem Hagelkorn getroffen und gebrochen. Sie zog ihn fest an
den Leib und ließ sich von Murkerich trösten. Den ganzen Tag blieb
sie so liegen und humpelte erst abends ein bißchen hin und her, um zu
wurmen, und Murkerich blieb immer bei ihr. Nach acht Tagen war der Lauf
fast heil; die weichen Bauchfederchen hatten einen festen Verband darum
gebildet, so daß die Kleine schon wieder ganz gut auftreten und sich
auch wieder aufschwingen konnte.

Es war wieder ein wundervoller Abend, so lau, so weich, so milde,
aber dem Pärchen war alle Lust am Strich vergangen. »Weißt Du was,
Pfuitzing,« quarrte Murkerich, »ich glaube, wir ziehen weiter. Wenn
man immer geradeaus gegen Mitternacht streicht, dann kommt man hinter
dem Meer in Länder, da gibt es kaum einen Menschen, und die da sind,
die kümmern sich nicht um uns. Hier muß man ja immer wie eine Maus im
Verborgenen leben und hat nichts vom Leben. Wollen wir weiter?«

Pfuitzing war es zufrieden, und als der Mond sich hinter den Wolken
versteckte, da stiegen beide ganz hoch in die Luft, kreisten dreimal
und strichen dann geradeaus, nach dem Lande, wo es noch nette Menschen
gibt. Und da leben sie heute noch.



Krähengespräch.


Jeden Nachmittag um 3 Uhr achtundfünfzig Minuten, wenn der
Barsinghausener Zug über die große Bult bei Hannover keucht, kommt
ein alter Herr mit einem alten Hunde den Fußweg entlang, der sich am
Rande der Eilenriede nach der Bult hin zwischen dem Döhrener Turm und
Bischofshol hinzieht. Auf der Höhe der Rüsterburg bleibt der alte Herr
stehen, nimmt eine Prise, sieht gegen den hellen Abendhimmel und niest,
und meistens niest sein Hund zur Gesellschaft mit. Dann gehen beide
weiter.

Genau um diese Zeit kommt eine große graue Krähe angeflogen, die bei
der Korndieme auf Mäuse lauerte, läßt sich auf einer der höchsten
Eichen am Rande des Waldes zwischen dem Eisenbahndamm und der
Rüsterburg nieder, schüttelt ihr Gefieder glatt und ruft dreimal laut:
»Arrr!«

Wenn dann der Deister in dicken, rotgesäumten Abendwolken
verschwimmt, wenn in dem Bultkrankenhause, im Heiligengeiststift
und im Schwesternhause die ersten Lichter aufblitzen und die Sonne
mit unheimlicher Behendigkeit an dem Schornstein der städtischen
Bierbrauerei hinunterklettert, dann kommt von den Komposthaufen
eine zweite, aber schwarze Krähe her, nimmt neben der grauen Platz,
schüttelt ihr Gefieder und ruft ebenfalls dreimal, aber in schwächerem
Ton: »Aerr!«

Dann dauert es gar nicht mehr lange, und während der Wald zu
einem violetten Gemussel zerfließt, aus dem nur das rote Laub
der Buchenjugenden hervorleuchtet, um die Zeit, wenn die heimlich
Verlobten, die da spazieren gehen, anfangen, sich unterzuhaken, dann
kommen von allen Seiten einzelne Krähen angeflogen, graue Nebelkrähen,
schwarze Rabenkrähen und manchmal auch einige stahlblaue Saatkrähen.

Im ganzen sind es so fünfzehn bis fünfundzwanzig, die um die
Schlummerstunde auf der hohen Eiche zusammenkommen; einige davon
sind ausgebrütete Hannoveraner, zwei sogar Stadthannoveraner, da sie
in der Eilenriede groß wurden, die andern stammen aus Brandenburg,
Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Sachsen, Posen und Ostpreußen. Die
Ostelbier sind alle grau mit schwarzen Köpfen, Flügeln und Schwänzen,
die andern schwarz. Die Ostelbier sind nur im Winter hier, wenn sie zu
Hause nichts haben.

Den Tag über treiben sie sich auf der großen Bult herum, die eine bei
der Tierärztlichen Hochschule, die andere vor dem Schlachthause, wieder
andere in den Ländereien der Stadtgärtnerei, oder in den Stiftsgärten,
auf den Fußballspielplätzen, bei den Bahnwärterhäusern, der Dieme und
den Komposthaufen. Dort stochern sie ruhig und besonnen, ob sie nicht
einen Wurm, einen vor Kälte lahmbeinigen Käfer, einen Knochen mit noch
einem Bißchen daran, eine Wurstschläue, ein Stück Brot oder dergleichen
finden oder eine Maus oder einen Maulwurf übertölpeln.

Die Graue, die zuerst kommt, ist eine Ostpreußin. »Känigsbarg« ist ihr
drittes Wort. Die Schwarze, die immer gleich nach ihr kommt, stammt
aus der Eilenriede; die beiden kennen sich seit drei Wintern: »Guten
Aabend, mei Herzche«, schnorrt die Graue; »was haben Sie heit gemacht
de ganze Tag? War's Assen gut?« Die Schwarze macht vergnügte Augen: »'n
Aeöbend, das will ich maanen; ich waaß doch hier Beschaad. Ich häöb 'n
angeschossenen Häösen gefunden. Delikäöt, säöge ich Ihnen.«

»Einen Hasen«, plärrt da eine graue Sächsin, die eben ankommt, »ach
nee, was Se sagen? Hären Se mal, meine Kuteste, den genn' Se mir mal
zeigen. Ich hab' Se nämlich noch nie 'n doten Hasen kesehen, wissen Se.
Wo liegt er denn, der Hase, wenn ich so frei sein darf?« Die Schwarze
meint: »Da is jetzt nich mehr viel anne«, was die Ostpreußin, die die
Sächsin nicht leiden kann, veranlaßt, laut aufzulachen: »Hulla, hulla,
hullahahaha, salba assan macht fatt; nicht wahr, mei Härzche?«

Eine schwarze Kalenbergerin erscheint und mit ihr eine graue Polin.
Der steht der Schnabel lose: »Gutten Abbend, Frau Schwarrzhals, gutten
Abbend, Frau Dickkopf, gutten Abbend, Frau Blänkeersteert, habben Se
sich Guttes gefunden zu essen heite? Habe ich mich gefunden Knochen
großiges mit Fleeisch vielliges drran, serre guttes Fleisch, gar nicht
stinkiges, von Schaff hammliges.«

Die Kalenbergerin sieht sie von der Seite an: »Da süht Sei ook gerade
nach ut! Man mächtig lökrig is Jue Bunk! Awer eck, eck hebbe 'ne ganße
Wost estohlen von 'n Schlachterkerl ut de Molle. Das freut meck noch
drei Dage nah minen Dode. Watt hebbe eck meck ehöget. Un wat hett de
Kärel eßchimpet. Höhöhö!«

»Is sich serre selten«, fällt ihr die Polin in die Rede, »hierr zu
finden Wurst schweinerrne. Is sich vill besserr bei uns zu Hause in
Wongrowitz, wo man findett serr oft Wurrst odder Knochenn. Sind sich
Pollen nicht so ängstlich mit Eingrabben von alles Abfall, wie Leite
hannovversches.«

»Ohle Döllmer«, krächzt sie die Kalenbergerin an, »worümme blivst
De denn nich to Huse? Tatternvolk! Erst hier rümmetobetteln un denn
ßchimpen! Dat is de rechte Art von so'n Volk. Wat meinst' Nahwersche?«
fragt sie dann die Eilenriedekrähe.

»Hast recht, hast recht«, antwortet die, und fährt dann leiser fort,
»äöber das stimmt schon, anstellen tun sie sich heute, die Leute,
da ist das Ende von weege. Alles einkuhlen und des-, na, wie heißt
das olle vermuckte Wort doch, so, desinfezinieren, das wird immer
dummerhaftiger. Und mit der Raanlichkeit häöben Se sich! Raanlichkeit
muß sein, äöber was zu viel ist, ist zu viel. Auf 'm Schlachthofe,
glauben Sie, daß sie däö ein Priepelchen Fleisch liegen lassen? I
bewäöhre, jeden Fetzen fäöhren Se raus und roden ihn bei.«

»Sa'n Se mal«, fällt eine Berlinerin ein, »ob dett woll wahr is, wat
ick heite jeheert habe, dat de Rennbahn hier uff de jroße Bult kommen
dhun soll! Na, dett wär 'ne scheene Pleite für uns. Ick pfeife uff den
janzen Sport: Rasse is Mumpitz, 'ne Abdeckerei is mich ville lieber.
Det wird iberhaupt immer dammlicher uff de Welt!«

»Besser wird es überhaupt nicht«, meint die aus der Eilenriede. »Wenn
ich noch daran denke, vor zehn Jäöhren, als die hohen Fuhren noch
vor der Seelhorst standen! Was wäör däö wintertags für ein Leben; an
die Tausend von uns schliefen däö. Aber die Leute, die Leute! Erst
schmissen sie Giftbrocken hin, und als wir die nicht mehr näöhmen, da
trieben sie das Holz ab. Ich häöbe denn bis vor zwei Jäöhren immer
in dem Holze vor Misburg geschläöfen, äöber da käömen die Jäger und
schossen nach uns. Und seitdem gehe ich nach dem Aäöhltener Holze. Es
ist däö jäö 'n bißchen gemischt, zu viel Sääötkrähen und sogäör Dohlen,
äöber was soll 'n machen? Hier in der Eilenriede ist an einen ruhigen
Schläöf doch nicht mehr zu denken. Noch bei nachtschläöfender Zeit
läuft das Volk in 'n Holze herum und überall sind Laternen. Die Welt
wird immer dümmer!«

»Da haben Sie wieder recht, mein Süßing«, schnarrt die dicke graue
Pommerin, »auch bei uns wird es immer schlechter«, und die Ostpreußin
stimmt bei: »Bei uns da oben bei Känigsbarg ist es noch nicht so
schlimm; aber weiter hinauf, auf der Nahrung, bei Rossitten, da assen
die Manschen Krähenfleisch, und jetzt sitzt da ein Kärlche, Thienemann
heißt er, der fängt die Krähen und macht ihnen Ringe um die Beine mit
dem Datum darauf und bittet, daß man überall Krähen totschieße und ihm
die Füße einschicke, der Wissenschaft wagen. Nu' bitt' ich Sie, was hat
die Wissenschaft mit unsern Beinen zu tun. Der Mensch kommt jeden Tag
auf neue Dummheiten.«

»Is sich serr rrichtig«, meint die Polin, »setzen sich bei uns in
Pollen feeine Herren in Errdheiser, machen sich Uhu grroßes auf Pfahl;
kommen sich Krrähen an auf zu beißen Uhu dickköpfiges, schießen sich
Herren feine dann mit Gewehrre auf Krrähen, Hundsblutt gemeines
niddertrrächtiges!«

»Dat dauet se hiertolanne ook«, meint die Kalenbergerin, »up de
Vahrenwohler Heide und hier dichte bi-e, in der Seelhorst, da kümmt
ook jümmerst so'n Vogelutstopper ut de Slägerstraate, Wiegand heit
dat Lork, de kruppt in'n Busch, sett da so'ne olle utstoppte Kattuhle
henne, und wenn 'n denn antofliggen kümmt und will de Uhle einen
wischen, pardautz, denn ballert de Kerl los. Awer eck falle up den
Swindel nicht mehr rin.«

»Wat eck awer noch seggen wullt: dat mit de Rennbahn hier up de Grote
Bult, dat drafft wi üsch nich gefallen laaten. Wenn eck man nich min
Haus bi Degersen hätte, denn wüßt eck schon, wat eck dohn deihte. Laat
se man koomen met öhre smächtrigen Päre! Eck wollt' se all ball up den
Drab bringen. Mit den Snabel den Pären gegen die Oogen, wenn se öwer de
Hürden wullt, dat se dat Gnick bräken! Ja! Dat wör dat Richtige! Dann
schallt se hier woll wegblieb'n. Laat se doch wo anners herümmejöckeln.
Meint Sei nich ook so?«

Die Eilenriedekrähe, an die sie sich wandte, nickt; sie weiß, daß
gegen die Menschen nicht viel auszurichten ist. Und dann antwortet
sie einer guten Bekannten, die aus hoher Luft ihr einen rauhen Gruß
herunterschreit, macht die Flügel auseinander, läßt sich drei Fuß von
ihrem Sitz fallen, steigt in die Luft und fliegt krächzend fort.

Und die andern alle, die Schwarzen wie die Grauen, krächzen und
folgen ihr, über die Bahn, über Bischofshol, den Kirchröder Turm, den
Nackenberg, die breite Wiese, Misburg bis zum Ahltener Holze, wo jeden
Abend vom November bis zum März Tausende von Krähen schlafen.



Sein letztes Lied.


Ehe der Frühling den Bergwald bezwang, hatte es lange, sehr lange
gedauert. Unten im Auwalde hatte er längst schon den Winter zum Kuckuck
gejagt; da blühten Windröschen, Schlüsselblumen und Milzkraut schon, da
flog Fuchs und Zitronenfalter, da saß die Amsel auf dem vollen Gelege.

Aber auf der Höhe lag noch der Schnee. Da, wo die Sonne gut hin konnte,
verschwand er schließlich; die Heidelbeere schwellte ihre Knospen,
das Wallgras schob seine Kätzchen, die Kriechweide schmückte sich mit
Gold, Fliegen und Bienen und Käfer summten und brummten, laichende
Frösche knurrten in den Moorsümpfen, Molche ruderten in den Tümpeln
über den klaren Granitgrus und auf den leuchtenden Moospolstern grauer
Steinblöcke sonnte sich die Bergeidechse und schnappte die Fliegen vom
blühenden Sauerklee fort.

Hier, wo bisher nur der Kreuzschnabel lockte, Meisen pfiffen und
das Goldhähnchen piepste, sang jetzt die Märzdrossel ihr Jubellied,
schwebte der Baumpieper mit frohem Geschmetter hernieder, zwitscherte
die Braunelle, schlug der Fink, wippte die Bergbachstelze von Stein zu
Stein, und hier stellte sich auch alles wieder ein, was vor dem herben
Winter zu Tale geflohen war, der edle Hirsch und das schüchterne Reh,
Reineke, der Schleicher, Lampe, der friedliche Mann, und des Gebirges
stolzestes Geflügel, der Urhahn.

Ein alter Haupthahn war es, der zuerst die tieferen Lagen verließ und
sausenden Fluges die Talschlucht entlang strich, berganwärts, dahin, wo
selten der Förster hinkam und fast nie ein fahrender Stadtmensch. Dort,
wo Moor an Moor den Kopf des Berges umlagert, wo nie die Axt kracht,
wo die Fichten wachsen und fallen, wie sie wollen, hat er seit Jahren
seinen Stand, lebte er sein heimliches Leben zwischen Felsblöcken und
Baumtrümmern schon manches Jahr, sicher vor Kraut und Lot.

Aus einer wilden Trümmerhalde, die jäh zum Tal abschoß, hatte sich
zwischen den gewaltigen Blöcken eine Eberesche einen Platz ertrotzt.
Leicht war es ihr nicht geworden, und sie hatte sich viel winden
und biegen müssen, ehe sie sich durchkämpfte. Wie der Leib einer
Riesenschlange ringelte sie sich aus den grauen, von knallgelben
Flechten gesprenkelten Blöcken hervor, wuchs wagerecht fünf Fuß über
den Abgrund und dann schoß der knorrige Stamm gerade empor. Jahr
für Jahr versuchte der Sturm ihn zu morden, wie er ringsumher die
Fichten zerbrach, wenn der Rauhreif sie umsponnen hielt, aber der alte
Ebereschenbaum wich und wankte nicht, denn allzu tief reichten seine
Wurzeln in die Spalten, zu sehr hatten Frost und Sturm ihm Rinde und
Holz gehärtet.

Von hier aus sang Jahr für Jahr während der Schneeschmelze der alte
Hahn sein minnigliches Lied, wenn der Nebel wie eine Mauer in den
Fichten stand. Jeden Morgen klang seine Strophe in das große Schweigen
des Berges hinein, bis der Tag sich langsam aus dem Nebelbette erhob
und drüben von der fernen Wand die Misteldrossel die Sonne grüßte und
unten das Land sich entschleierte. Pfiff der Frühwind auch scharf und
hart, den alten Hahn focht das nicht an; sein Herz war heiß, seine
Kraft zu groß, der Kälte, dem Tauschnee und dem Eiswasser zum Trotz
sang er sein seltsames, wunderliches Lied von dem alten Ebereschenbaum
herab.

Wenn aber Braunelle und Drossel schlugen, Fink und Pieper schmetterten,
Zaunkönig und Laubvogel jubelten, dann verschwieg der stolze Vogel,
als schämte er sich, daß er, der ernste Kämpe, wie das geringe Volk
zeigen müsse, daß auch ihm nicht anders um das Herz sei. Polternd
strich er dann ab und fiel dort ein, wo die Hennen zwischen den
mächtigen Steinblöcken nach kleinem Getier suchten und Knospen und
Samenkörner auflasen, und er holte sich bei ihnen was sein gutes Recht
war als ihr Herr Gemahl, und das ihm kein anderer Hahn länger als eine
Viertelstunde streitig machte, um zerzaust und geschunden dorthin zu
streichen, wo kein so krimmer Kämpe, wie der Hahn vom rauhen Hang
seinen Harem schirmte.

Wenn dann die Frühsonne so recht warm schien, daß das Moos wie Gold
und die Sauerkleeblumen wie Silber leuchteten, wenn aus allen Fliegen
Diamanten und aus allen Heidelbeerblüten Rubinen wurden, dann konnte
es geschehen, daß hier in dieser Einsamkeit die Tannenmeise und das
Goldhähnchen, der Laubvogel und der Zaunkönig ganz etwas Absonderliches
zu sehen bekamen; denn nachdem der Hahn eine lange Weile schläfrig
dagestanden hatte, schritt er gemessen den Hennen näher, schwang
sich auf einen bunten Steinblock, daß die Sonne sein adelig Gefieder
von allen Seiten bestrahlen konnte, spreizte die Schwingen, fächerte
den Stoß, blies die Kehle auf und sang so herrlich, so wunderbar, so
rührend, daß eine Henne nach der anderen die Käfersuche aufgab und
ergriffen seinem Liede lauschte. Und es konnte auch vorkommen, daß
der Hahn in seiner Verliebtheit polternd auf die Spitze einer der vom
Wintersturme mißhandelten, vom Rauhreife zernagten Fichten einfiel
und, ohne sich um den Hirsch oder das Stück Wildbret zu kümmern, das
er aus dem Bette gescheucht hatte, von hier aus auf das ernsthafteste
die Sonnenbalze betrieb. Ja, oft quälte ihn sein Herz so arg, daß er
noch abends, wenn tief unten im Tale die Sonne von dem Lande Abschied
nahm und die Misteldrossel ihr Nachtlied sang, der Hahn, wenn er sich
auf seinem Schlafbaume eingeschwungen hatte, noch nicht gleich den Kopf
versteckte, sondern noch einmal seine uralte Weise in die dämmernde
Einsamkeit hinaussang.

Der Fuchs, der unter den Klippen herschnürte, spitzte die Gehöre
und schlich weiter; er wußte, das war nichts für ihn. Eine Urhenne
hatte er wohl schon einmal auf dem Neste gerissen, auch einst ein
ganzes Gesperre vertilgt, aber an den alten Hahn war er noch nie
herangekommen. Ein einziges Mal wäre es ihm fast geglückt, als der Hahn
am Boden balzte, aber die Hennen hatten den Schleicher gewahrt und
waren mit hellen Warnrufen davongepoltert, und hinter ihnen her ritt
der Hahn ab und der Fuchs hatte von seinem ganzen Weidwerken weiter
nichts, als daß er die Witterung von der Stelle nehmen konnte, wo der
Hahn gebalzt hatte; und daraus machte er sich nicht viel. So schlich er
denn an dem Hang entlang, um zu versuchen, ob er tiefer unten nichts
Besseres fände, als nur Rüsselkäfer und weiter nichts, als Rüsselkäfer,
und wenn das Glück es wollte, eine magere Maus.

Aber es war jemand da, der das Balzen des Hahnes vernommen hatte.
In aller Herrgottsfrühe war es im Tale entlang geschlichen, immer
die Rehwechsel entlang, und da war der Teckel des Försters auf
seine Witterung gekommen und hatte es mit hellem Halse durch die
Trümmerwildnis des riesigen Wildbruches gehetzt. Und als es sich
in einer einsamen Klippe gesteckt hatte, hatten Menschenstimmen
es verscheucht, und wieder war es bergan geflüchtet, bis er über
den rauhen Hang gelangte, der alte Kuder aus dem Tale. Bis in den
Spätnachmittag hatte er in einer Spalte geschlafen, aber dann hatte ihn
der Hunger hinaus getrieben, und auf Sammetsohlen war er, bald eilig,
bald langsam, durch die Wildnis geschlichen, an den Mooren entlang
zwischen den Klippen hindurch, unter den gestürzten Fichten her, über
die Blöcke, Rinnsale und Spalten hinweg, ohne mehr zu erwischen, als
eine einzige Spitzmaus, vor deren Moschusgeruch es ihn so ekelte, daß
er sie liegen ließ. Wohl war er auf die Witterung von Auergeflügel
gestoßen, aber soviel er auch suchte, er fand kein einziges Stück, und
es gelang ihm noch nicht einmal, einen armseligen Pieper oder eine
Braunelle zu greifen, denn das dichte Heidelbeergestrüpp schützte die
Schläfer zu gut.

So war der Kater dann oben über den rauhen Hang gekommen und hatte mit
hungerig leuchtenden Sehern dem Hasen nachgeäugt, den das Edelwild
fortgetreten hatte. Mit aller Macht zog es ihn zu Tale, wo das Leben
sich leichter lebt, als im harten Berge. Dort unten wimmelte es im
Niederwald von Mäusen, da ist ein Feldhuhn zu erwischen, eine Forelle
zu angeln; aber leider gibt es dort auch Förster, die Eisen stellen,
und Teckel, die hetzen. Immerhin ist es dort noch besser, als hier,
wo es keine Grünröcke und keine Hunde, aber auch nichts zu reißen
gibt, wo der Nebel jeden Halm biegt und der Wind in schnöder Weise
pustet. Kleinvögel sind hier wenig genug und das große Geflügel, das
hier seinen Stand hat, mehr als alte Witterung hat der Kater davon
nicht gehabt heute abend auf seinem Birschgange. Mißmutig äugt er
von der Klippe in das Tal hinab und will gerade umdrehen, um wieder
gesegneteren Gegenden zuzuwechseln, da saust es über ihn fort, und
dicht vor ihm, in der alten, krummen Eberesche, fällt es polternd auf.

Ehe der Hahn um sich geäugt hat, ist der Kater verschwunden. Stand er
bisher hoch aufgerichtet auf der Kante der Klippe, so ist er jetzt
völlig mit ihr verschmolzen. Wie ein langer, flacher, grauer Stein
liegt er da. Die Seher sind bis auf einen schmalen Spalt geschlossen,
die Schulterblätter ein ganz klein wenig hochgezogen, die Flanken
heben sich beim Luftholen kaum, und nur das alleräußerste Ende der
Rute zuckt ab und zu ein ganz klein wenig. So liegt er und äugt nach
dem Hahne hin. Der äugt rund um sich her, reckt den Kragen, senkt ihn
wieder, schüttelt sein Gefieder, ordnet es, wirft seine Losung ab,
daß sie lautklatschend auf die Klippe fällt, überstellt sich, wörgt
einigemale leise, ordnet hier und dann noch eine Feder, wird mit einem
Ruck lang und schmal, läßt die Flügel fallen, entfaltet sein Spiel ein
wenig, sträubt den Kragen und beginnt erst schüchtern, dann kräftiger
zu balzen.

Zweimal hat es den Kater schon durchzuckt, zweimal hat er sich
bezwungen. Doch jetzt, wo der Hahn den Hauptschlag und das Schleifen
beginnt, fliegt, wie von stählerner Feder getrieben, der Kater durch
die Luft. Haarscharf hat er den Sprung bemessen, so scharf, daß seine
Hinterpranten an dem Stamme der Eberesche noch Halt fanden, während
er die Vorderpranten um den Kragen des Hahnes schlug. Mit heiserem
Angstlaut will der Hahn abreiten, aber zu fest hält der böse Feind, zu
scharf sind seine Krallen, so spitz die Fänge; wild mit den Fittichen
schlagend, rasselt der Hahn, den Kater am Halse, durch das Geäst des
Baumes den Hang hinab, daß das Edelwild, das sich dort unten an den
jungen Sprossen äste, entsetzt von dannen flüchtet und mit langen
Hälsen aus sicherer Entfernung vernimmt, wie das Rascheln und Rauschen,
Brechen und Knistern nach und nach schwächer wird und schließlich ganz
aufhört.

Im Nebel verschwindet der rauhe Hang; die Lichter im Tale erlöschen,
der Abendwind pustet hohler, ein Reh schreckt irgendwo, ein
aufgestörter Pieper klagt ängstlich. Schneewasser kluckst zwischen
Gestein, in schneller Folge schlägt Tropfenfall auf eine Klippe, wie
ein Uhrwerk tickend, weit, weit weg johlt im Tale die Bahn. Es wird
Nacht im Berge.

Es wird wieder Tag werden. Hinter dem Hornfelskegel wird es rosig
schimmern; von der Wetterfichte an der kahlen Wand wird die
Misteldrossel singen, unter der hohen Klippe wird ihr die Zippe
antworten, Fink und Pieper werden wieder schlagen, Zaunkönig und
Braunelle werden singen, aber niemals wieder wird von der alten
Eberesche am rauhen Hange sein ritterlich Minnelied in den grauen
Morgen erschallen lassen, der es seit sieben Jahren hier sang.



Goldhals.


Die Sonne verschwindet hinter dem Kamme des Berges, die Krähen
rudern hastig am roten Himmel hin, die Misteldrossel beendet ihr
Abendlied und das Rotkehlchen schnurrt von dem dürren Zacken in sein
Schlummerversteck.

Den lauten, lustigen Wesen des Tages folgen der Nacht heimliche, stille
Geschöpfe. Aus dem faulen Laube schiebt sich der Salamander hervor, die
Rötelmaus rutscht durch das Geknäk, die Spitzmaus schrillt im Krautwerk
und die Fledermaus zickzackt zwischen den Stämmen her.

Wie der Kauz dreimal ruft, vernimmt der Wanderfalke, der auf der Platte
der hohen, grauen Klippe schläft, ein leises Kratzen unter sich. Er
hält den Kopf schief, aber was er vernimmt, das ist ihm bekannt, und so
zieht er den Kopf wieder ein, schließt die Augen und kümmert sich nicht
um das, was unter ihm geschieht.

Fünf Ellen unter dem Falkenhorste läuft ein schmales Felsband an
der Klippe entlang. Darauf huscht ein schwarzes Ding hin und her.
Es ist lang und schmal wie ein Aal und schnell wie eine Natter. Es
huscht lautlos nach rechts, macht einen spielenden Sprung, dreht eine
Schleife, huscht nach links, tut wieder einen Sprung gegen die Wand
und treibt dieses Spiel wohl eine Viertelstunde lang.

Dann wird aus der schwarzen Schlange ein dunkler Knäuel, der sich einen
Augenblick ruhig verhält, dann zu einem schwarzen Pfahl emporwächst,
der sich in seltsamer Weise dreht und krümmt, windet und biegt, so
daß die beiden grünlichen Punkte bald rechts oder links, bald oben
oder unten schimmern, und wird wieder zu einer schwarzen Schlange, die
bald kriechend, jetzt kletternd, nun hüpfend von Zacke zu Zacke, von
Vorsprung zu Vorsprung eilt und endlich oben auf der Platte der Klippe
auftaucht.

Da sitzt er im Lichte des halben Mondes, er, Goldhals, der stärkste
Edelmarder des Berges, der Schleicher und Schweifer, der Meister aller
Künste, der Schrecken der Friedfertigen und Frommen, sitzt da in seiner
ganzen braunseidenen Schönheit zwischen den blauen Glocken der Akelei
und den weißen Sternen der Lichtnelke und tut, was er hier immer tut,
er löst sich.

Dann keckert er höhnisch, denn er weiß, Schnapp Krähentot, der
Wanderfalke, ärgert sich blau und blaß, wenn er morgens auf seinem
Luginsland die frische Losung findet. Goldhals beschnuppert die Reste
einer Krähe, die neben den Blumen liegen, dreht sie hin und her und
stößt sie schließlich über den Rand der Klippe, daß sie rauschend in
das Fallaub fallen. Dann überspringt er den tiefen Spalt zwischen der
Zwillingsklippe, erreicht mit einem mächtigen Satze den tiefen Ast der
Krüppellinde, holzt in ihr weiter bis zu der ersten Buche und fährt an
ihrem Stamme herab.

Tapp, tapp, tapp geht es dann den Dohnenstieg entlang. Bei jeder Dohne
macht er halt, aber jedesmal schnürt er mißmutig weiter. Endlich fällt
ihm ein, wie gestern und vorgestern auch, daß um die Zeit, wenn der
Bärenlauch stinkt, weder rote Beeren noch bunte Vögel in den Dohnen
wachsen, er verläßt den Dohnenstieg und schlägt den Pürschpfad
ein. Raschelt es da nicht? Goldhals wird zum Pfahl. Richtig, dort,
halblinks. Ein Satz, ein Quietschen, und eine fette Rötelmaus ist
geliefert.

»Spaß muß sein,« denkt Goldhals, und läßt sie los, faßt aber sofort zu,
ehe sie in ihr Loch kann. Siebenmal läßt er sie springen, siebenmal
packt er sie wieder, beim achten Male quiekt sie nicht mehr. »Is doch
was, sagte Schnabel, und brät sich 'ne Mücke«, meint Goldhals, als er
die Maus binnen hat, und schleicht den Pürschsteig weiter. Da raschelt
es wieder. Hops, er hat es, aber »pfui Spinne!«, ein Salamander. Er
niest und prustet und reibt den Fang im taunassen Moose, denn das ist
ja noch schlimmer, als das Stück gepfefferte Wurst, das er im Januar
vor Heißhunger herunterwürgen mußte. Schnell einen Maikäfer hinterher,
dessen öliger Geschmack nimmt das Beißen fort!

Da ist die Köte, die wird aus alter Gewohnheit erst abgesucht. Aber nur
deswegen, denn im Mai, da mag Goldhals keine trockene Wurstpelle und
harte Käserinde. Ein kleines Andenken mitten auf den Tisch, das wird
den Förster ebenso freuen, wie den Wanderfalken. Halt, da ist ja schon
jemand! Goldhals macht von der Pritsche aus einen langen Hals. Ach so,
Sie sind es! Ein kleines graues Geschöpf sitzt dort und knabbert an
einem Brotrest, den es in den Pfötchen hält. Schon hat der Marder es
am Wickel. Einmal noch quietscht der Bilch und zuckt mit der buschigen
Rute, dann läßt er alle Viere hängen.

»Ein bißchen wenig daran,« denkt Goldhals, als er den armen
Siebenschläfer verspeist, »im Oktober sind sie fetter.« Dreiviertel
davon läßt er auf dem Tische liegen und legt seine Visitenkarte
daneben, dann verschwindet er in dem Pflanzgarten. Dort ist nichts,
nicht einmal eine Maus, nur eine Kröte, die ihn mit entzündeten Augen
boshaft ansieht. Goldhals schüttelt sich vor Ekel und huscht weiter,
den Holzweg entlang, den Hang herab, an dem Born vorbei, in dessen
Staubecken die Unken läuten, in den Schälwald hinein und hinaus,
bis an den Bach. Dort gibt es immer etwas: junge Wasseramseln oder
Bergbachstelzen, einmal sogar sechs junge Eisvögel auf einmal, fett
wie Schnecken; ein anderes Mal erwischte er eine zweipfündige Forelle,
die nach einem Maikäfer aufging, auch fette Reitmäuse lebten dort, und
wintertags gab es dort Schlehen und Hagebutten. Heute gab es gar nichts
als Unannehmlichkeiten. Der Waldkauz wurde unverschämt. Er hatte seine
drei quappenfetten flüggen Jungen in der Eiche sitzen und stieß in
einem fort knappend und fauchend nach ihm, bis er geärgert in den Wald
zurückkehrte.

»Gibt es unten nichts, gibt es oben vielleicht etwas,« dachte Goldhals
und huschte an einer Eiche empor. Dort saßen drei Eichkatzenkobel. Im
ersten war nichts, im zweiten dasselbe und im dritten ebensoviel. »Wenn
es so beibleibt,« dachte Goldhals, »dann kann ich Maikäfer fangen«, und
wütend holzte er von einer Eiche zur andern. Halt, da riecht es ja nach
Specht! Hinein mit der Nase in das Loch. Autsch, da hat er eins darauf.
Mutter Spechten versteht keinen Spaß. Als er sich verdutzt die Nase
reibt, saust sie an ihm vorbei. Hops, jawohl, das ging daneben. Aber
die Jungen! Ach ja, der Specht ist auch nicht so dumm, er macht das
Loch nicht so groß, daß ein Marder hinein kann.

»Wenn nicht, denn nicht,« faucht der und holzt weiter. Sitzt da nicht
ein Taubennest? Ja, da sitzt ein Taubennest! Taubeneier schmecken
fein, junge Tauben noch viel feiner; natürlich nur, wenn man sie hat.
Das ist diesesmal nicht der Fall. Klapp, klapp, da geht die Taube ab
mitsamt den Eiern, die sie erst legen will. »Na, dann ein ander Mal!«
tröstet sich Goldhals, aber davon wird er auch nicht satter. Aber
da fällt ihm etwas ein. Richtig, daß er daran nicht früher gedacht
hat. In der alten Wetterfichte am Bullerborn schlafen ja immer die
hagestolzen Ringeltäuber. Mehr wie einmal hat er sich einen von ihnen
dort gelangt. Darum schnell den Stamm herab, in die Klippen hinein, die
Schlucht hinab und hinauf, am Steinbruch vorbei, in dem das Käuzchen
sitzt und gräßliche Gesichter schneidet, weil das Maikäfergewölle,
das es herausgewürgt, ihm heftig im Halse kratzt, den Pürschweg
unter dem Hange entlang, rechts ab nach dem Erdfall hin, in dem
Murrjahn Grämlich, der Dachs, nach Untermast sticht, am Steinkreuz
vorüber, wo man den Förster erschossen fand, zum zweiten Erdfall, in
dem die Geburtshelferkröten ihr Glockenspiel rühren, vorüber an der
Schutzhütte, an den beiden Grenzsteinen, am Wegweiser, auf dem die
Ohreule sitzt und so kläglich unkt, als habe sie Leibweh, und dann ist
er da.

Da steht sie, die von allen vier Winden zerzauste alte Fichte, und
läßt ihre zerrupften Zweige hängen. Goldhals schnüffelt um ihren Stamm
herum: Taubenfedern mit frischer Witterung, frisches Gestüber, die
Sache ist richtig! Aber nun Vorsicht, daß die schlafenden Bauchredner
nicht aufwachen! Langsam erklimmt er den Stamm, springt von Aststumpf
zu Aststumpf mit sicherem Satz, holzt den ersten Ast entlang, vermeidet
geschickt das dürre Gezweig, gewinnt den zweiten Ast, den dritten,
vierten, fünften, hält inne, zieht sich auf den nächsten Zweig, faßt
den folgenden, schleicht darauf entlang und hängt sich an den Stamm.

Der Fall muß überlegt werden. Da sind sie; der Mondschein macht sie
kenntlich. Aber rund herum spreizt sich dürres Gezweig. Goldhals
überlegt; heranschleichen geht nicht, denn einige sind schon erwacht;
er hört, wie sie sich schütteln, und einer hat sich eben überstellt.
Da bleibt nichts weiter übrig, als fest darauf zugehen; also den
Rücken krumm, die Schultern hoch, ein Satz, das Dürrholz bricht, noch
einer, Rindenschuppen prasseln, und jetzt der letzte Sprung, und da
poltern die Täuber ab und Goldhals sitzt da, starrt ihnen mit den
grünschimmernden Sehern nach und hört ihrer Fittiche klingenden Schlag
verhallen. Der halbe Mond aber grinst spöttisch auf ihn herab.

Goldhals rutscht in einer Schraubenlinie den Stamm hinab. Wütend ist er
nicht mehr, aber geknickt. Er schleicht zum Kleestück, aber die Mäuse
sind seit dem Märzregen selten geworden. Er sucht die Raine entlang,
aber Ammer und Lerche haben dort nicht gebaut. Überall riecht es nach
Has und Huhn, aber antreffen tut er nichts. So würgt er mißmutig einen
Maikäfer nach dem anderen herab und hofft, daß ihm der Morgen besseres
bringe.

Schon flötet die erste Drossel im Berg, schon steigt die erste Lerche.
Der Kauz hört auf zu rufen, die Unken stellen ihr Läuten ein, und immer
noch sucht Goldhals im taufeuchten Felde, die Wasserfurchen entlang
schleichend, die Koppelwege hinauf- und hinabhuschend; aber kein
Hummelnest findet er, keinen bewohnten Hamsterbau, kein Hühnergelege,
kein Junghäschen. Und wenn ihm der Magen auch schief hängt, es wird
Zeit, an den Heimweg zu denken. »Der Tag ist keines Marders Freund«,
das hat die Mutter ihn gelehrt.

Dreihundert Schritte vor dem Walde stutzt er und richtet sich auf:
Der graue Pfahl dort vor ihm bewegte sich doch? Und daneben, die zwei
braunen Dinger, erst recht! Und jetzt trägt der Wind ihm die bösen
Witterungen zu, die die Mutter ihn meiden hieß, die Witterung von
Mensch und Hund.

Mit einem Riesensatz ist er im nassen Klee. Höchste Zeit, denn da
hört er es zischen, flüstern: »Hu faß!« und hinter ihm her keucht es.
Schnell in den Brombeerbusch, wo er am dicksten ist. Aber die Hunde
achten der Dornen nicht. Heraus und in den Wasserdurchlaß! Aber auch
dahinein folgen ihm die Teckel. Und über der Erde poltert es. Schnell
aus dem anderen Ende heraus, aber das geht nicht, ein schwarzes, nach
Hund riechendes Ding steckt darin.

Da fährt Goldhals herum und will den Hund überrollen! der aber faßt
zu, jault auf, denn scharfe Fänge griffen um seine Lefzen, aber jetzt
fühlt Goldhals sich vom andern Teckel am goldenen Halsfleck gepackt
und heraus geht die Balgerei aus dem Durchlaß, draußen greift der
erste Dackel ihn am Hinterteil und so wird Goldhals lang gezerrt; zwei
auf einen, das ist auch zuviel, und nun weiß er, daß es aus ist mit
Freijagd in Berg und Busch und Minnefahrt über Stock und Stein. Noch
einmal, ehe sein Bewußtsein erlischt, fällt der Mutter Warnung ihm ein:
»Der Tag ist keines Marders Freund, die Nacht ist gut und lieb.«



Der letzte seines Stammes.


Mitten in dem einsamen Bergwalde liegt ein tiefer Erdfall. Jäh stürzen
die grauweißen, zerborstenen Gipsfelsen an seinen Steilwänden ab. Eine
Fichtendickung, ein schwarzer, verfilzter Klumpen, umringt ihn zur
Hälfte. Ihr gegenüber am anderen Rande ragt aus weichem, leuchtendem
Moose eine steinerne Säule empor, ein grober, ungeschlachter Block.
Die Inschrift, die das Denkmal trug, ist nicht mehr zu deuten. Schwach
hebt sich aus der grauen Flechtenkruste ein kunstloses Kreuz ab, roh in
den Stein gemeißelt, und ebenso grob hineingehauen ist das gestielte
Dreieck daneben. Es soll ein Beil vorstellen.

Kein Mensch weiß, zu wessen Gedenken der Blutstein gesetzt wurde. Aber
er machte den Wald unheimlich. Kein Bauer, kein Holzarbeiter geht gern
allein hier vorbei. Es geht da um. Man hört es rascheln und sieht
nicht, was da geht. Man hört es schreien, und weiß nicht, von wem. In
der Dämmerung tanzen grüne Lichter um den Stein. Der alte Waldwart hat
sie oft gesehen.

Auch heute, an diesem hellen Maienmorgen, sieht er unhold aus, der
graue Block. Unheimlich sind die Blumen, die um seinen Sockel blühen:
blasser, gedunsener Aaronsstab, menschenhautfarbiger Schuppenwurz,
der Vogelnestwurz, wachsgelbe Blütengespenster, der Nachtviole
leichenfarbene Blumen. Das Reh, das am Rande des Erdloches entlang
zieht, verhofft jäh, äugt nach dem Mordsteine, windet, tritt hin und
her und flüchtet laut schreckend von dannen. Eine Märzdrossel, die
mit einer bunten Schnecke im Schnabel auf einem Felsbrocken einfällt,
läßt ihre Beute fallen und stiebt mit Gezeter ab. Der Rotspecht,
der vorüberschnurrt, hebt sich höher und schreit entsetzt auf. Der
Holzschreier wendet jäh seinen Flug und kreischt voller Angst. Auch das
Rotkehlchen flattert mit Furchtgeschrille davon.

Der graue Felsblock am Sockel des Mordsteines, schwarz gestreift von
den Schlagschatten der Eschenzweige, gelb gefleckt von einfallendem
Lichte, hat Leben bekommen. Er reckt sich, streckt sich, läßt eine grau
und schwarz geringelte Schlange sich winden und drehen, rundet sich,
dehnt sich und bläht sich, wird lang und dünn und kurz und dick, läßt
zwei grüngelbe Lichter aufblitzen, eine rote Flamme aufleuchten, duckt
sich, schnellt sich empor und bildet plötzlich eine seltsame Bekrönung
des unheimlichen Steins.

Sie haben alle recht, die da sagen, bei dem Warloche gehe es um, da
schleiche unhörbar ein Gespenst, da schreie ein unsichtbarer Kobold,
da blitzten grüne Augen. Has und Reh, Eichhorn und Haselmaus, Drossel
und Rotbrüstchen, sie kennen es allzugut, das graue Gespenst, das leise
heranschleicht und lautlos zufaßt mit unfehlbarem Griffe und sicherem
Biß. Die letzte Wildkatze des Tales ist es, die im alten Mutterbau
auf dem Grunde des Warloches haust, ein Kuder, so stark wie ein alter
Fuchsrüde.

Oben auf dem Denkmale bleibt er eine Weile sitzen, den Sonnenstrahl
genießend, der durch das Eschenlaub auf seinen Rücken fällt. Dann
stellt er sich aufrecht, reckt die Lunte steif empor, rundet den
Rücken, macht ihn lang, reckt sich und gähnt, setzt sich, wäscht und
putzt sich und ist im Nu wieder am Boden, wo der alte Holunderbusch
den schiefen Stamm über das Erdloch schiebt. Der Kuder reibt, wohlig
schnurrend, den Rücken an dem rauhen Stamm, dann fährt er zurück,
springt vor, versetzt der Rinde einen Prankenhieb, zieht die Krallen
durch die Rinde, ganz schnell viele Male und dann wieder ganz sacht,
bis die Rinde wund ist und stechender, dumpfer Duft ihr entströmt. Und
da wirft sich der Wildkater schnurrend und murrend und knurrend gegen
sie, streichelt sie zärtlich, drückt die Nüstern an sie, versetzt ihr
grausame Krallenhiebe, reißt Bastfetzen herunter, wirft sich auf den
Rücken und zerfetzt das starkriechende Laub mit langsamen Griffen und
schnellt plötzlich auf alle vier Läufe, zu Stein erstarrt, die Gehöre
steil aufgerichtet, und lautlos gleitet er an der Gipswand hinab.

Es knickte ein dürrer Stengel, es knitterte ein trockenes Blatt, leise,
ganz leise, aber doch nicht so leise, daß des Katers scharfes Gehör das
Geräusch nicht richtig deutete. Das war nicht Reh und war nicht Has',
und war nicht Vogel und war nicht Maus, das war nicht Bauer und war
nicht Magd, das war die seltsam riechende Sohle, die seit dem letzten
Vollmond den Wald durchschleicht.

Tief unter der Erde, hinter der steilen Gipswand, da liegt der Kater in
sicherer Ruh. Kein Grabscheit stört ihn dort, kein Rauch erreicht ihn
da, kein Hund kann zu ihm heran. Da sind Gänge, die der Dachs grub, den
der Fuchs vertrieb, der die Fluchtröhren scharrte. Da sind jähe Spalten
und steile Kanten, und hinter ihnen verrotten die Gerippe der Teckel,
die an Dachs und Fuchs und Katze jagten und niemals wieder zu Tage
kamen. Dort ist so weich der Mulm und so trocken der Lößboden, warm ist
es da zur Winterszeit und sommertags so kühl. Dort ist der heimliche
Jäger in guter Hut und kann den Tag verschlafen und träumen, soviel er
mag.

Er schläft und träumt. Die Rutenspitze zuckt, die Krallen schlüpfen aus
dem Sammet der Pranken heraus, greifen in die Luft und verkriechen sich
wieder. Alte Bilder brachte der Traum. Von jener Zeit, als der Kater
noch ein Kätzchen war, das mit seiner Mutter buschiger Lunte spielte
als das erste der drei Geschwister, das den Wert der Krallen erkannte.
Er hatte als erster die Maus an sich gerissen, die die Kätzin zu Baue
trug, zuerst den Siebenschläfer geknickt, die flügge Drossel gewürgt,
den Junghasen totgequält, ehe die Geschwister es sich trauten. Und als
erster hatte er geweidwerkt, sich an das Eichkätzchen herangebirscht,
als es Pfifferlinge suchte, es im Sprunge gerissen und stolz zum
Warloche geschleppt.

Er erwacht, blinzelt um sich, reckt sich und steigt bedachtsam über die
Kanten und Spalten. Mitten in der kleinen Lichtung der Fichtendichtung
mündet das Notrohr, das der Fuchs sich scharrte. Kein Jäger findet es;
ein breitverzweigter Fichtenast spreizt sich darüber hin. Immer ist
es dort überwindig und trocken und es kommt Sonne genug dahin. Und
so weich ist das rote Nadelwerk und das seidene Moos. Da träumt es
sich noch besser als unter Tage, von heimlichen Birschgängen in lauen
Sommernächten, von Fischweid im Februar am Klippenufer des Baches, wenn
die Forelle laichdumm ist und sich so bequem auf das Ufer angeln läßt.

Über Minnefahrten läßt sich dort nachsinnen. Weit weg führten sie,
in rauher Berge schwarze Fichtenwälder, denn ringsumher lebte keiner
mehr vom Geschlechte der freien Katzen. Als die alte Kätzin todwund zu
Bau gefahren kam mit zersplitterten Knochen, als sie kalt war und die
Witterung verlor, da hatten sich die drei Geschwister zerstreut. Sie
fanden sich nicht wieder zusammen trotz des Ältesten allnächtlichen
Sehnsuchtsrufes einen ganzen Hornung hindurch. Da war er fortgezogen,
hatte tagsüber in Felslöchern und Dachsbauen geschlafen, zwei Zehen in
einem Eisen gelassen, sich mit einem schnellen Hunde gebalgt, Schrote
hatten seine Keulen geschrammt und eine Kugel ihm Felssplitter um den
Kopf gesprengt. Da zog es ihn wieder in das heimatliche Tal zurück.

Im Februar aber trieb es ihn, wenn er in Busch und Klippe Nacht
für Nacht umhergestrichen war, kläglich nach Minnelohn jammernd,
hinaus in die Fremde, über kahle Felder, in unbekannte Wälder, wo er
seinesgleichen antraf. Grimmige Gefechte hatte er bestehen müssen mit
freien Katern, zerrissen war oft sein Balg und rot seine Pranken,
aber immer hatte er obgesiegt und seine Lust büßen dürfen. Aber allzu
gefahrvoll wurden ihm die Minnefahrten und so strich er nachts an dem
Dorfe entlang, trieb die unfreien Kater vor sich her und jagte ihnen
ihre Bräute ab, und die Bauern fanden es verwunderlich, daß die jungen
Katzen in ihren Ställen von Jahr zu Jahr grauer wurden und dickere
Köpfe, rauheres Haar und kürzere Schwänze bekamen. Als aber der Jäger,
der jeden Juli hier auf den roten Bock weidwerkte, ihnen sagte, in
den Katzen stecke wildes Blut, da lachten sie und sagten, die letzten
beiden Wildkatzen in der Gegend hätte der Förster vor sechs Jahren im
Eisen gefangen und an die Schule in der Kreisstadt gegeben.

Der Jäger aber spürte nach jedem Regen alle Wege ab und er sah sich
jeden alten, geschundenen Holunderbusch an und strich um jeden Bau und
lauerte an allen Uferstellen, wo er die Reste von Forellen fand und
saß stundenlang vom Abend bis tief in die Nacht auf dem Hochsitz, bei
unsicherem Mondenlicht in den Wald spähend, und ließ sich auslachen
von dem Förster und von den Holzarbeitern, weil es ihm dieses Jahr mit
den Böcken nicht glücken wollte, denn er hatte sich gelobt, nicht eher
wieder den Finger auf einen Bock krumm zu machen, bis daß das Kitz
gerächt sei, das er im Busche fand, mit den Krallennarben an der Kehle
und dem säuberlich benagten Blatt. Denn daß das der Fuchs nicht gewesen
war, das stand für ihn fest.

Und so hatte er vorgestern und gestern, wie die Tage vorher, vor Tau
und Tag die Krone der alten Samenbuche erstiegen, die oberhalb des
Warloches an dem Zwangspasse zwischen den grauen Klippen steht, sich im
Frühwind vor Frost geschüttelt, in der Mittagsglut vor Hitze geseufzt
und sich nicht gerührt und geregt und immer nur auf die Sohle des
Erdfalles nach dem schwarzen Flecke an der Wand der grauen Gipswand
gestarrt. Und einmal, als ihm der Schlaf Sand in die Augen warf, und
er fester in den Riemen hineinsank, mit dem er sich an den Stamm
geschnürt hatte, da hatte er geträumt, die Wildkatze stände unter ihm
und war wach geworden. Und als er sich die Augen rieb, da stand sie auf
dem Blutsteine und verschwand, ehe er den Dreilauf von dem Astzacken
nehmen, scharf machen und anbacken konnte, wie ein Schemen, wie ein
Traumgesicht.

Wie er dann, müde und verärgert, jeden Fleck um die Fichtendickung
abspürte, da fand er die starke Katzenspur, und jeden Raum zwischen
den Jungfichten absuchend, stieß er auf das Notrohr und überlegte
nicht lange und verwitterte es nach Jägerart in gröblicher Weise, um
den Kater zu zwingen, dort aufzutauchen, wo er ihm sichtig kommen
mußte. Und jeden Tag verwitterte er das Notrohr von neuem, und alle
dicken schwarzen Käfer und alle fetten blauen Fliegen wußten das bald
und brummten und summten nach der Dickung hin, und nun auch an diesem
Spätnachmittage war dort ein großes Gebrummse und Gesummse.

Der alte Kater will dort den Abend erwarten. Langsam schiebt er sich
in dem Notrohr entlang. Schon von weitem vernimmt er das Summen und
Brummen, und die üble Witterung fällt ihm ziemlich auf die Nerven.
Er reckt sich, schiebt sich vor und starrt nach der Lichtung. Dann
fährt er zurück und schleicht über die Felszacken, springt über die
Spalten und bleibt lange nachdenklich auf seinem Schlafplatze sitzen.
Endlich schiebt er sich voran, Zoll um Zoll, bis er sich der Mündung
des Hauptrohres nähert. Da verhofft er lange Zeit, windet und äugt,
bis Mausepfiff und Jungvogelgepiepe seinem Magen heftiger zusetzt.
Da steckt er den dicken Kopf aus dem schwarzen Loche und äugt an den
Gipswänden entlang.

Kein Blatt rührt sich, es regt sich kein Halm. Fern pfeifen die jungen
Käuze, im Stangenorte ruft ein Kitz nach der Ricke, Mäuse schrillen,
die Fledermaus zwitschert, Rotkehlchen singt sein letztes Lied. Lautlos
schleicht der Kater an der Schattenseite des Felskessels entlang,
unhörbar schnürt er an der Wand empor, unter dem Holunderbusch verharrt
er lange regungslos, den Kopf hin und her wendend, jedes Abendfalters
Schwingenschlag, jedes Käfers Gekrabbel vernehmend. Und nun steht er
auf dem Mordsteine, setzt sich und äugt ringsumher.

Ein ganz leises Kratzen in der alten Buche reißt seinen Kopf herum.
Aber oben aus den Kronen der Bäume kam noch nie ein falscher Laut, eine
gefährliche Witterung. Lange starren seine grünen Seher in den breiten
Wipfel. Es lebt und webt da etwas. Vielleicht der Siebenschläfer, oder
eine Taube, die sich im Schlafe rührt, ein Häher, oder die Eule.

Ein roter Blitz zerreißt die Dämmerung, ein Hagelgeprassel
zerschmettert den Holunderbusch, ein Donner fällt in die Ruhe des
Waldes, Stinknebel tanzt blau um den Silberstamm der Buche; die Taube
prasselt durch das Laubwerk, der Hase rauscht durch das Gekräut, der
Berg wirft den Donner zurück und trägt der Rehe Schrecken heran.

In der alten Buche raschelt und knistert es. Etwas Großes, Graues
klettert in ihrem Astwerk, steigt langsam herab, fällt dumpf zu
Boden. Ein Lichtchen brennt auf, fährt hinter ein Glas, eine Flamme
leuchtet, tanzt nach dem Blutsteine und schwebt um ihn herum, den Stein
beleuchtend und ein braunes Mannesgesicht rot färbend.

Die Augen des Jägers leuchten auf. Rote Flecken findet er auf dem
grauen Steine und ein graues Büschel an einem roten, nassen Fetzen,
der zwischen den zerschossenen Flechten hängt. Und weiter nichts, gar
nichts. Auch nicht an den Wänden des schwarzen Schlundes, auch nicht
auf dem Schotter der Sohle des Erdfalles, auch nicht in der Mündung
des Baues. Er führt einen belaubten Zweig hinein und zieht ihn heraus,
jedes Blatt ableuchtend. Nichts! Doch, hier ein winziges Fleckchen
Schweiß.

Der Jäger wirft sich lang hin, schiebt sich vor den Bau, legt das
Ohr vor das Rohr, hält den Atem an und lauscht. Schwach, als wäre es
unendlich weit, ertönt ein einziger dünner, kläglicher Laut, einmal nur
und dann nicht mehr.

Der Holunderbusch wird keinen Krallenhieb mehr spüren, kein Kitz klagt
mehr unter dem Prankengriff, keine Forelle fliegt mehr im Bogen auf den
Uferschotter.

Der letzte von der Sippe der freien Katzen weit und breit ist nicht
mehr.



Achtzacks Ende.


Im Walde ging es um. Was es war, wußte niemand; aber etwas Gutes war es
nicht. Es haßte den Frieden und liebte die Zerstörung.

Alle Böcke diesseits des Fuchsbaches hatten das erfahren. Dem Gabelbock
vom Schälwalde war die linke Keule aufgeschlitzt. Dem Sechser vom
Jagen drei fehlte ein Licht und die rechte Stange. Der Bock aus dem
Kinderbruch lahmte vorne rechts. Dem vierjährigen Spießbock vom
Birkenschlag war ein großer Hautlappen auf dem Ziemer abhanden gekommen.

Keiner von ihnen wußte wie es zugegangen war. Friedlich hatten sie
mit ihren Schmalrehen geäst. Da hatte es in der Dickung gebrochen,
etwas Großes, Braunes war herausgepoltert, hatte sie über den Haufen
gerannt, die Schmalrehe vor sich hergetrieben und war in der Dickung
verschwunden.

Ihre Wunden hätten die Böcke wohl vergessen, ihre Bräute vergaßen sie
nicht.

Der Vierjährige mit den langen Dolchen hielt es nicht mehr aus.
Nichts schmeckte ihm mehr, nichts wollte ihm munden, weder Klee noch
Brombeerblätter, weder Gras noch Johannestrieb. Tag und Nacht zog er
umher und dachte an sie.

Eines Morgens, als nach kurzem Donnerschlage ein feiner, warmer Regen
fiel, faßte er sich ein Herz. An dem Weidenbusche vor dem Holze wetzte
er seine Dolche, daß Bast und Blätter flogen, und plätzte, daß Moos und
Mulen nur so sausten. Dann trat er in den Bestand.

Er zog vorsichtig und zaghaft dahin. Der Hase, den er aus dem Lager
jagte, erschreckte ihn, die Taube, die er von der Salzlacke scheuchte,
ließ sein Herz klopfen. Aber dann warf er wieder mutig den Kopf auf,
schlug mit den Vorderläufen den Boden, daß das Fallaub stob, und fegte
mit den Stangen den Bast von einem Eschenbäumchen.

Auf einmal vergaß er Angst und Vorsicht. Aus dem Stangenorte klang
ein Ton, der ihm in das Herz fuhr, ein Laut der Sehnsucht, des
Verlangens, der Zärtlichkeit. Das war sie, die er so lange nicht
gesehen, sein kleines, hübsches Schmalreh. Und was ihm da vom Boden aus
entgegenduftete, das war ihrer Fährte Witterung.

Mit weitgeöffneten Nüstern zog er auf der Fährte fort, durch das
Altholz, durch den Stangenort, nach dem Ellernbruch am Fuchsbach.
Und da sah er auch schon ihre schlanke Gestalt hellrot auf grünem
Himbeerblättergrund.

Spornstreichs trollte er auf sie zu. Aber als er dicht bei ihr war,
bewegte sich rechts der braune Ellernstumpf, und dort stand ein alter,
hoher, schwerer, dunkelbrauner Bock mit fast weißem Gesicht, über dem
acht weiße, scharfe, lange Enden im einfallenden Sonnenlichte blitzten.
Das war Achtzack, der Raufbold, der jedes Jahr am Ende des Juli hier
erschien und Mitte August wieder verschwand. Einen Augenblick lief es
dem Vierjährigen kalt und heiß über den Ziemer. Dann warf er trotzig
den Kopf auf, verdrehte die Lichter, daß die weiße Bindehaut teuflisch
leuchtete, senkte den Kopf, daß die langen, weißendigen Dolche
gefährlich funkelten, schlug mit den Vorderläufen den Boden, daß Laub
und Moos nur so wirbelten, stieß ein tiefes, böses Keuchen aus und zog,
die Läufe im spanischen Tritt setzend, dem Nebenbuhler entgegen.

Achtzack war zuerst ganz starr. So etwas von Frechheit war ihm doch
noch nicht vorgekommen. Ein Vierjähriger, der ihm Trotz bot? Ein
zurückgesetzter Bock, der noch nicht einmal sechs Enden hatte, hielt
ihm stand? Zu lächerlich! Sorglos zog er dem Frechling entgegen, ein
höhnisches Grinsen um den kohlschwarzen Windfang. Gleichgültig senkte
er den Kopf; mit einem einzigen Stoß wollte er ihn abtun, den Dummkopf.
Der aber war auf seiner Hut. Als die acht Dolche dicht vor ihm waren,
wich er zur Seite und forkelte blitzschnell von unten nach oben. Es
klirrte hell und klang hohl und als beide voneinander abließen und sich
gegenüberstanden, keuchend und jappend, da hing Achtzacks linkes Licht
als feuerroter, häßlicher Klumpen aus der Augenhöhle heraus.

Im nächsten Augenblick strich der Pirol, der in den Zweigen über den
beiden Kämpen sich im Flöten geübt hatte, entsetzt ab. Denn unter ihm
war mit einem Male ein Wirbel von Laub und Moos, Kraut und Reisig.
Ein Kreischen erscholl, laut und schrecklich, und dann klang es, als
schlüge der Specht gegen einen hohlen Baum, und schließlich kam ein
Röcheln.

Endlich hörte der Blätterwirbel auf und Achtzack tauchte daraus hervor.
Seine Dünnungen bebten, seine Lungen pfiffen, aus der Brust kam ein
tiefes Keuchen. Fortwährend schüttelte er den Kopf, an dessen linker
Seite es rot herunterlief. Aber seine acht Enden waren rot.

Das Schmalreh war abgesprungen, als der Zweikampf begann. Achtzack zog
ihm auf der Fährte nach, sprengte es, als es vor ihm flüchtig wurde,
schlug es noch in die Rippen und trieb es in die Tannen.

Gleich darauf huschte ein grüner Schatten durch den Wald, tauchte
hinter einem Stamme auf, verschwand hinter einem andern, kam wieder
hervor und war wieder verschwunden. Laut schimpfte die Amsel über
das Waldgespenst, und der Kauz in der Eiche machte große Augen und
schüttelte den dicken Kopf, denn lautlos zu jagen, hatte er gedacht,
könnte außer ihm niemand.

Dieses grüne Gespenst war ein Mensch, ein langer, junger, blonder,
blauäugiger Mann mit braunen Backen und Händen, der Förster. Er
war wütend. Er hatte eben festgestellt, daß die zwölf achtjährigen
Weißtannen, die zwischen den vielen Rottannen standen, und die zehn
Edelebereschen zu schanden gefegt waren von einem Bocke.

Außerdem war er falsch, weil er keinen Bock gesehen hatte. Er sollte
einen auf das Schloß liefern. Vor Tau und Tag war er zu Holze gezogen,
jetzt war es neun Uhr und nichts hatte er gesehen, außer einer alten
Ricke. Wenn da nur nicht wieder Achtzack die Schuld war. Seit drei
Jahren machte ihm der das Holz von Böcken blank. Lahm hatte er sich
gepürscht und krumm gesessen, aber nie konnte er ihn fassen. Fünfzig
Nächte hatte er sich um die Ohren geschlagen, hunderte Abende auf ihn
gelauert, aber alles war für die Katz' gewesen.

Hastig sog er an seiner Pfeife, daß der Dampf durch das Holz zog, lang
und breit, wie ein Pferdeschwanz. Da blieben seine Augen am Boden
hängen. Zwei Fährten standen auf die Dickung zu, die zierliche eines
Schmalrehs, die grobe eines ganz alten Stückes.

Ganz tief bückte er sein Gesicht zum Boden. Seine großen Augen
glänzten, als er sah, daß an der Fährte des rechten Vorderlaufes eine
Lücke war.

Gerade, als er sich aufrichtete, hörte er es zu seiner Linken
rascheln. Das Rascheln wiederholte sich und mischte sich mit einem
Geröchel. Der Förster trat einen Schritt vor, noch einen, wie eine
Katze dahinschleichend, aber im nächsten Augenblicke kniete er nieder,
faßte den geforkelten Bock um die langen Spießer, fuhr mit der rechten
Hand nach der Hosennaht, kam mit etwas Blitzendem zurück, eine schnelle
Handbewegung nach der Brust des Bockes, und der streckte sich und ließ
den Kopf schlaff in das grüne, rotbetaute Moos fallen.

Sorgfältig untersuchte der junge Mann den Bock. »Dieser Schinder«,
murmelte er als er den Kopf umdrehte und sah, wie das zerrissene
Gescheide fußlang aus den aufgeschlitzten Dünnungen hing, »eins, zwei,
drei, sechs, acht, zehn, vierzehn mal hat er ihn geforkelt. Nun aber
ist Schluß mein Lieber! Heute mußt du stürzen oder ich will die Kunst
nicht verstehen!«

Er lud den Bock auf, ging auf das Feld, brach ihn auf, rodete den
Aufbruch ein und hing den Bock in eine Fichte. Dann ging er in weitem
Bogen nach dem Fuchsbach zurück.

Vor einer großen Samenbuche machte er sich seinen Stand zurecht,
scharrte leise alles Fallaub beiseite und entfernte jeden dürren
Ast. Dann suchte er ein halbes Dutzend gleichmäßig gewachsener
Buchenblätter, schnitt sie zurecht und legte sie vor sich auf den
Rucksack. Zuletzt schnitt er leise einen langen, verästelten Zweig ab
und steckte ihn vor seinem Stande in den Boden.

Es war ganz still im Walde. Kein Blättchen regte sich. Man hörte die
Ameisen krabbeln und die Flügel der großen Wasserjungfer knistern,
die raubend über dem Bach hin- und herstrich. Einmal ruckste fern ein
Ringeltäuber, ein Bussard rief hoch über den Kronen der Buchen, eine
Maus raschelte im Fallaube.

Der junge Förster rauchte langsam seine Pfeife zu Ende, spannte
lautlos die Büchsflinte, zog die Knie hoch und legte die Waffe quer
über seinen Schoß. Dann nahm er eins von den Buchenblättern und hielt
es gegen die Lippen.

Ein weicher, leiser, zärtlicher Ton erscholl, das sehnsüchtige
verlangende Fiepen des Schmahlrehs, einmal, zweimal, dreimal.

Drüben in der Dickung saß der alte Bock im Bett, neben ihm das
Schmalreh. Als der dünne, feine Ton erscholl, spielten die Lauscher
Achtzacks.

Wohl eine Viertelstunde verging, da erklangen noch einmal die lockenden
Laute. Achtzack stand auf. Aber zu oft hatte er in seinem Leben die
Erfahrung gemacht, daß hinter dem zärtlichen Locken das tödliche
Blei wartete, so manche Kugel war in seinen grünen Jahren an ihm
vorbeigepfiffen, wenn er liebeshungrig aus der Dickung gestürmt war;
mehr wie einmal hatte ihn das Blei gestreift. Gern hätte er sich das
geliebte Ding aus der Nähe angesehen, das da fiepte, denn unbekannt
klang ihm die Stimme. Aber es würde ja auch wohl noch da sein, wenn es
dunkel wäre, und wenn nicht, die Kleine neben ihm war ja auch hübsch
und jung.

Auf einmal aber kam Leben in ihn, denn nun erklang der von Scham und
Angst erfüllte Klageruf des Rehjüngferchens. Was, wagte es wieder
einer, ihm ins Gehege zu kommen? In seinem Wald, in dem alles ihm
gehörte, was hübsch und fein war!

Langsam schob er sich durch die Tannen. Alle paar Gänge blieb er stehen
und sicherte. Aber als das Angstgeschrei lauter erscholl, als er
deutlich des Nebenbuhlers Stürmen und Poltern vernahm, da trat er ganz
aus der Dickung heraus.

Der Förster, der wie verrückt mit seinem Hute zwischen die dürren
Zweige am Boden geschlagen hatte, hielt inne, als er von den Tannen
her ein ganz feines Geräusch vernahm. Ein leises Lächeln ging um seinen
Mund. Er hielt den Atem an und schloß die Augen bis auf einen Spalt.

Lange blieb es drüben still; dann klang das Brechen wieder. Aber dieses
Mal lauter, näher. Dem Förster schlug das Herz und die Büchse zitterte
in seinen Händen. Er schloß die Augen ganz und atmete tief und langsam.

Als er die Augen wieder öffnete, sah er in der Dickung einen grauen
Fleck. Und darüber, über den schwarzgesäumten Lauschern, das schwere,
weitausgelegte Gehörn mit den roten Enden.

Eine Ewigkeit dünkte ihm die Spanne Zeit, bis daß Leben in den grauen
Fleck kam, eine Ewigkeit, die ihm das Blut wild durch die Adern jagte
und den Schweiß aus allen Poren trieb. Als aber der graue Fleck sich
vorschob und ein brauner ihm folgte, da zog er ganz langsam die Büchse
an die Backe und machte den Finger krumm.

Nach dem Schuß stand er auf und lauschte. Ein paarmal brach es noch
in den Tannen, dann war alles still. Er trat leise an die Dickung,
bückte sich, nickte befriedigt, als er hellrote Blasen auf den blauen,
zerdrückten Glockenblumen sah, und ging fort.

Das Schmalreh war erstaunt aus seinem Bette aufgestanden, als sein
grober Bräutigam es verließ. Das war sonst seine Art nicht, bei
hellichtem Tage in den raumen Bestand zu ziehen. Und er hatte nicht
einmal von ihm verlangt, daß es mit sollte.

Als es dann so laut donnerte, hatte Schmalrehchen eine Flucht gemacht.
Aber nur eine, denn zu viel Angst hatte es vor seinem rohen Gebieter.
Es wußte, er suchte doch auf der Fährte, und dann setzte es Hiebe,
hageldicht.

Da vernahm es ihn auch schon. Laut brachen die dürren Zweige. Da war
er! Aber was ihm nur fehlte? Er taumelte, schwankte, stürzte, richtete
sich mühsam wieder auf, zog drei Schritte voran, brach wieder zusammen
und blieb liegen.

Verschüchtert zog die Kleine an ihn heran. Sie machte ihr
liebenswürdigstes Gesicht, denn es war ein launenhafter, roher Kerl,
der Alte, viel unzarter, viel weniger liebenswürdig als ihr erster
Liebster.

Matt hob er den Kopf, als sie bei ihm war, und ließ ihn wieder fallen.
Zärtlich beschnupperte sie ihn, prallte aber zurück, denn er hatte eine
so seltsame, unheimliche Witterung jetzt an sich.

Aber sie blieb bei ihm, eine ganze Stunde lang. Ab und zu versuchte er,
aufzustehen, aber immer wieder brach er röchelnd zusammen, und jedesmal
quoll es rot aus seinen Blättern.

Dann überlief ihn ein Zittern, er röchelte noch einmal schrecklich,
machte sich lang, und von da ab rührte er keinen Lauf mehr.

Dann brach es wieder in der Dickung. Das Schmalreh stand auf.
Menschenworte erklangen: »Zur Fährt, mein Hund, so recht, mein Hund!
Such verwundt, mein Hund!«

Das Brechen kam näher. Lautes Gehechel eines Hundes tönte heran. Das
Schmalreh sprang ab, von Entsetzen gepackt.

Hinten in den Birken verhoffte es. Der dumpfe Hals des Hundes erklang,
dann des Waldhorns heller, froher Ruf: »Bock tot!«

Neben dem Bock kniete der Förster. Freudig betrachtete er den
Kopfschmuck, dessen scharfe Enden noch rot waren von dem Mord.

Schmalrehchen aber zog im Wald umher. Es fühlte sich einsam. Laut
rief es nach einem fühlenden Herzen. Das fand sich bald. Es war ein
dreijähriger stattlicher Bock. Und er war viel liebenswürdiger und nie
so grob, wie der alte Achtzack.



Böbchen.


Unser Bob war das, was man so im Volke unter einem Terrier versteht,
denn er war kurzhaarig, von weißer Farbe mit schwarzen Flecken, zu
kurz koupiert und äußerst frech, mithin ein Terrier. Er hatte auch
Terrierblut in sich, ganz entschieden und er war auch ein hübscher
Hund, das sagte jeder, und wer langen Fang, hartes Haar usw. von ihm
verlangte, dem wurde bedeutet, daß Böbchen kein Schablonenterrier
sei, sondern eine Individualität und mehr auf persönliche, denn auf
generelle Rasse Wert legte. Seine Mutter hatte übrigens blauestes
Terrierblut, aber entschieden die Tendenz nach unten gehabt, denn Bobs
Vater war unbekannt und blieb es, denn: ~la recherche de la paternité
est interdite~. Hatte Bob also nur einen halben Stammbaum, so
besaß er dafür eine doppelte Portion von Temperament. Leider hatte er
verhältnismäßig wenig Verwendung dafür, sintemal er ein Damenhund war.
Er gehörte nämlich meiner Schwiegermutter und spielte sich als einziges
männliches Wesen in der Familie vollkommen als Hausherr auf.

Über ein Jahr dauerte es, ehe die Frage halbwegs entschieden war,
wer nun Herr im Hause sein sollte, Bob oder ich. Bob benahm sich,
als ob ich nichts zu sagen hätte. Das durfte ich mir nicht gefallen
lassen und trat ihm kühn entgegen. Von seiner Seite wurde der
Kampf mit stundenlangem Kläffen oder Piepen, Kratzen an den Türen
und heiserem Wutgebell geführt, von mir mit der Zwille und Schrot
Nr. 6. Die raffinierte Technik siegte; Bob erkannte meine physische
Überlegenheit in gewisser Hinsicht an, besonders wenn es ihm gerade
paßte, und gehorchte mir, aber nie ohne sein historisches Recht dadurch
zu betonen, daß er »bö« sagte. Im übrigen liebte er mich trotz der
Zwille und ungeachtet einer seiner Ansicht nach völlig unzweckmäßigen
gelegentlichen Verwendung meines rechten Absatzes. Er liebte mich
allerdings mehr mit dem Verstande, mehr aus praktischen Gründen, denn
aus innerer Neigung; er liebte mich, weil ich mit ihm spazieren ging,
sehr weit spazieren ging ohne ihn anzuleinen, weil ich ihn Emailletöpfe
apportieren ließ, ihn Steine aus dem Wasser tauchen ließ und die
Stellen kannte, wo es Feldmäuse, Hamster und Zaunigel gab. Er war von
Natur ein Mäusefänger. Lief eine Maus durch die Waschküche, dann stand
er regungslos und wartete, bis die Maus wieder kam, und ruhig und
besonnen faßte er zu. Dann ging er zu einer von den Damen des Hauses,
legte die Maus auf ihre Schuhspitze und machte hübsch; das hieß: »Ich
bitte um ein Stück Zucker zum Lohne!«

Aber wilde, richtige wilde Mäuse auf der Stoppel zu jagen, das war doch
etwas anderes, das war noch schöner, als Emailletöpfe zu trudeln und
Seife und Ätherflaschen zu bekämpfen. Jawohl! Seife beißt, Äther auch,
also sind es wilde Tiere und wilde Tiere gehören totgebissen, meinte
Bob. Und so verbellte er die Seife, als wäre sie ein Igel, und biß
hinein und schimpfte und fluchte, daß ihm der Schaum vor der koddrigen
Schnauze stand. Genau so machte er es mit brennenden Zigarrenstümpfen.
»Sterben mußt du«, dachte er, »und wenn du noch so beißt«, und
schließlich kriegte er sie tot. Aber so ein richtiger dicker Zaunigel,
das war doch noch schöner, und das beste war ein Hamster, ein ganz
dicker und fetter, der sich gehörig wehren konnte, denn ein Hamster,
der ist doch reeller als die infamigen Schweinskatzen, die das unfaire
Aufdiebäumegeklettre nicht lassen können, dachte Böbchen. Aber wehe
der, die er erwischte; sie mußte hin werden, vorausgesetzt, daß es eine
alte war; denn jungen Katzen tat er nichts, weil er zu kinderlieb und
zu sehr Kavalier war.

Letzteres ging daraus hervor, daß er liebendgern Sekt trank, nur mußte
er sich etwas beruhigt haben, und dann aß er Spargelköpfe für sein
Leben gern. Leider brach das väterliche Erbteil immer wieder bei ihm
durch. So war er in seinem weiblichen Umgange gar nicht wählerisch und
verkehrte mit den proletischsten Hündinnen, was ihm den Haß des ganzen
Stadtviertels einbrachte. Wenn ihn die Hunde des Kohlenfuhrmanns nur
von weitem sahen, dann murrten sie dumpf und das sollte heißen: »Den
ganzen Tag nischt tun, als bloß fein fressen, und wir können nachher
die Alimente bezahlen, wo wir doch Tag für Tag mit dem Kohlenwagen
gehen und aufpassen müssen!« Aber Bob feixte sie frech an und knurrte
ihnen zu: »Seht euch bloß vor, ich habe eine Zwille.« Und das glaubten
ihm die Schafköpfe wirklich. Einmal aber hatten sie ihn doch zu fassen
bekommen und er kam als Beefsteak ~à la Tartare~ nach Hause.
Gerade hat der Tierarzt ihn zurechtgeflickt und ich hielt ihn, während
ich mich von dem Arzte verabschiedete, in der Haustüre auf dem Arme. Da
ging der eine Kohlenhund vorbei und machte eine höhnische Bemerkung.
Im Hui war Bob von meinem Arme herunter und stürzte auf drei Beinen
auf ihn los, und da Bob halb in weiße Leinwand genäht war, kratzte der
andere Hund entsetzt aus.

Merkwürdig war es, daß ihm bei seinen nächtlichen Debauchen nie
etwas zustieß. Er konnte wochenlang den anständigen jungen Mann von
Erziehung markieren, aber mit einem Male blieb er über Nacht aus.
So um vier oder fünf Uhr in der Frühe piepte er vor der Haustüre;
machte man dann nicht sofort auf, so schlug er einen Riesen- oder
Abgottskrach. Außerdem machte er es so wie manche Männer, er beugte vor
und schnauzte, sobald er in das Haus kam, damit er nicht angeschnauzt
wurde. War er dann im Hause, so ging er nicht in die obere Etage zu
meiner Schwiegermutter, sondern in das Erdgeschoß in unsre Küche, wo er
sich unter den Herd legte. Da blieb er den ganzen Tag liegen, roch nach
Bier und gemeinen Zigarren, aß nichts und soff abscheulich viel Wasser,
solchen Brand hatte er, und duftete übel. Anfangs wußten wir nie, wo er
gewesen war; später bekamen wir heraus, daß er in einer Destille in der
Nachbarschaft verkehrte, wo es einen tadellosen Harzkäse gab. Außerdem
mußte er noch anderswo verkehren, denn als er einmal wieder einen
ausschweifenden Lebenswandel geführt hatte und ohne Halsband, aber mit
einem Bombenjammer, sehr dreckig und voll von Flöhen heimgekehrt war,
kam ein Herr, gab sein Halsband ab und sagte, Bob pflege öfter bei
ihm zu schlafen; er ginge durch das Gitter, hüpfe auf die Veranda und
von da in das Eßzimmer, wo er auf dem Sofa schlafe. Als wir Bob nach
Details fragten, wurde er grob, wie immer in solchen Fällen, denn das
fand er taktlos.

Er war in jeder Beziehung merkwürdig. Er trank nur aus einem Glase.
Wenn man ihn fragte, er solle zusehen, ob oben jemand zu Hause wäre,
lief er die Treppe hinauf, hängte sich an den Klingelzug und läutete,
daß das Haus bebte. Wenn er ganz fest schlief und man flüsterte:
»Brauner Kuchen!« so hörte er das sofort, obschon er manchmal tat, als
wenn er stocktaub wäre. Wenn es draußen nichts anderes gab, bog ich
ihm einen Ast herunter und dann hängte er sich daran, schwebte frei in
der Luft und zerrte knurrend eine halbe Stunde lang darum. Er litt an
Zahnschmerzen, und war dann oft sehr verdrossen, denn er hatte sich an
Steinen und Emailletöpfen alle Zähne kaputgebissen; aber als er schon
zehn Jahre alt war, brauchte man nur an einen zentnerschweren Stein
oder an einen Straßenbahnmasten zu klopfen und zu sagen: »Schönes
Steinchen!« und dann versuchte er mit furchtbarem Getöse, das Ding vor
sich herzutrudeln, wie er es vor dem Tore stundenlang mit Emailletöpfen
und Blecheimern zum Vergnügen der Einwohner machte. Niemals aber
brachte er so ein Möbel mit nach Hause; sobald wir in die Nähe der
Stadt kamen, stellte er den Pott in den ersten besten Hausflur. Als ich
jedoch mit ihm einmal verreiste und in eine kleine Stadt kam, wo ihn
niemand kannte, trudelte er seinen Pott durch das ganze Nest und nahm
ihn in das Gasthaus mit. Außerdem fraß er sehr gern Zwetschen, deren
Steine er mit hörbarem Avec aus der linken Maulecke spuckte.

Als ich ihn kennen lernte, war er ein Augentier; seine Nase brauchte
er höchstens, um sich von der Beschaffenheit der Atmosphärilien, die
dem Erdgeschoß entströmten, wo die Küche lag, zu überzeugen. Er kannte
jeden Freund des Hauses von weitem; wenn er vom Fenster plötzlich zur
Erde sprang und piepend nach der Türe lief, dann wußten wir, daß es
Besuch gab; nie benahm er sich so, wenn der Briefträger kam. Als dann
Muk, der blondgelockte Teckel, einzog, brachte der ihm bei, daß der
Hauptsinn des Hundes die Nase sei, und Bob, den jede Hasenspur und
alle Rehfährten bis dahin völlig kühl gelassen hatten, fand allmählich
Gefallen am Jagen auf der frischen Fährte, trotzdem er damals schon
zehn Jahre alt war. Aber so recht kam er nicht dahinter, fiel jede
neue Fährte an, die die andere kreuzte, bis es ihm zu dumm wurde und
er reuevoll zu seinem Blechtopfe zurückkehrte. Wenn er sich auch
manchmal etwas formlos gab, in einer Beziehung hielt er streng auf die
hergebrachte Sitte.

Ich hatte später einen Teckel namens Putt Battermann, einen lieben
Hund; ich würde den König und den Kronprinzen von Serbien, Castro,
und andere entbehrliche Gegenstände mit Wonne hergeben, könnte ich
Battermann damit wieder lebendig machen. Dieser Hund hatte eine
eigentümliche Angewohnheit, oder vielmehr, er hatte sie nicht, denn
wenn er ein größeres Geschäft erledigt hatte, machte er nie die
üblichen drei Kratzfüße hinterher. Als Bob das sah, war er starr, ganz
schnell lief er hin und scharrte, um dem dummen jungen Hunde zu zeigen,
was sich gehöre. Aber Battermann erklärte ihm, das habe erstens auf dem
Asphalt keinen Zweck und sei zweitens überhaupt nicht mehr Mode. Was
sollte Bob machen? Gekratzt mußte werden, also kratzte er jedesmal,
wenn Battermann das unterließ, wenn er sich auch nicht mehr bis zu der
betreffenden Stelle hinbemühte. Aber er kratzte.

Wenn Bob jagdlich gearbeitet wäre, hätte er sich mit Ruhm bedeckt, und
wäre er ein Mensch gewesen, hätte der Erdball unter ihm so gedröhnt,
wie unter dem ersten Napoleon, denn was Furcht war, das kannte er
nicht. In aller Lerchenfrühe nahm ich ihn einmal in den Zoologischen
Garten mit, aber auch nur einmal, denn hätte ich ihn nicht an der Leine
gehabt, so hätte ich einen neuen Löwen kaufen können. Ohne sich zu
besinnen fiel er eine eselsgroße Dogge an, und Bullen auf Weidekämpen
zu hetzen, das dünkte ihm ein harmloses Spiel. Und doch bekam er es
einmal, ich will nicht sagen mit der Angst, aber mit jenem Gefühl der
Hilflosigkeit, das den Menschen befällt, wenn er bergab radelt, die
Pedale verliert und merkt, daß die Bremse versagt. Das war in einer
Gastwirtschaft; da sah er ein großes weißes Tier, das ganz sonderbar
roch. Er wollte es totbeißen, aber es nahm ihn auf die Hörner und warf
ihn in den Busch, daß ihm die Rippen krachten. Mit einem furchtbaren
Fluche rappelte er sich zusammen und fiel das Ungetüm wieder an,
aber alle Mühe, die er sich gab, es von hinten zu erwischen, war
vergebens; mit Schaum vor dem Maul und Scham in der Brust schob er ab,
ging in tiefe Grübelei versunken neben mir nach Hause, beachtete die
schönsten Blechpötte nicht und aß nichts zu Abend, denn allzusehr war
sein Selbstbewußtsein zerknittert. Und noch etwas gab es, das ihn mit
Hilflosigkeit erfüllte, ein Floh auf dem Rücken. Dann fühlte er sich
wie Lazarus. Ganz unglücklich war er, piepte jammervoll und schüttelte
sich unter den Ecksofas, bis eine Franse nach der andern den Weg aller
Wolle ging. Sonst kannte er keine Furcht; ein Stock versetzte ihn in
Ärger, die Hundepeitsche in Zorn und die Zwille in schäumende Wut. Aber
Angst? Keine Spur! Dreizehn Jahre wurde er alt und blieb wie er war,
immer lustig, immer frech, immer ein Verehrer der Weiblichkeit. Ganz
plötzlich bekam er Krämpfe und ein Schuß gab ihm ein schnelles Ende.

Er hat mich viel geärgert und oft in Wut gebracht, wenn er mich durch
Piepen und Kratzen bei der Arbeit störte. Aber viel Freude habe ich
doch an ihm gehabt, und immer denken wir gern zurück an unser Böbchen.



Der Zaunigel.


Außerhalb des Dorfes nach der Heide zu liegt an dem Moorbache ein
Eichenhain. Ein halbes hundert grauer Bauwerke erhebt sich dort,
halb versteckt von dem breiten Astwerke der alten Eichen. Es sind
die Schafställe und Scheunen der Bauern, kunstlose, strohgedeckte
Fachwerkbauten, deren Wände graues Flechtenwerk und gelber Lehmbewurf
bildet und deren Grundbalken auf dicken Findlingsblöcken liegen.

Dort wohnt auch der Schäfer. Eine mächtige Mauer aus Ortsteinblöcken,
von Moos übersponnen und von Engelsüß und Glockenblumen und Efeu
überwuchert, hinter der sich ein gewaltiger, von Wacholder, Holunder,
Stechpalmen und Schlehen bewachsener Hagen erhebt, grenzt das
Wohnwesen gegen die Stallungen ab. Allerlei Getier haust hier; in
den Strohdächern brüten Rotschwanz und Ackermännchen, auch ein paar
Schleiereulen und ein paar Käuzchen hausen dort, unter den Scheunen
haben es Spitzmaus und Waldmaus gut, Kröte und Ringelnatter, und nicht
minder Wiesel und Iltis. Auch Igel sind hier immer anzutreffen.

Der Schäfer läßt sie gewähren. Sie mögen ihm wohl ab und zu ein Ei oder
ein Kücken fortnehmen, dafür halten sie aber auch die Mäuse kurz. So
treiben sie denn ungescheut schon am späten Nachmittage im Garten oder
auf dem Hofe oder unter den Eichen ihr Wesen, und Wasser und Lord,
die beiden alten Hunde des Schafmeisters, kümmern sich nicht mehr um
sie; nur Widu, der junge Hund, ist noch etwas albern und quält sich
dann und wann ein Viertelstündchen mit einem Igel ab, um schließlich
mit zerstochener Nase das Spiel aufzugeben. Auch heute hat er das so
getrieben und hat sich endlich ärgerlich und müde vor den Herd gelegt,
wo er schläft und im Traume das Stacheltier weiter verbellt.

Der Igel hat noch eine volle Viertelstunde zusammengekugelt dagelegen,
dann hat er sich aufgerollt und ist in das Gestrüpp des Hagens
gekrochen. Er hatte vor, im Garten Schnecken zu suchen, aber der dumme
Hund brachte ihn davon ab. Und nun krabbelt er in dem alten Laube
herum, scharrt in dem Mulm und verzehrt laut schmatzend bald einen
Regenwurm, bald eine Schnecke, dann eine Assel und nun eine dicke
Spinne. Und jetzt geht es wie ein Ruck durch ihn; er hat junge Mäuse
pfeifen gehört. Ein Weilchen noch verharrt er in seiner aufmerksamen
Haltung, dann schleicht er vorwärts, macht einen kleinen Satz und stößt
seine Nase in einen Knäuel fahlen Grases, der zwischen den Ortsteinen
der Hofmauer steckt. Sechsmal stößt er zu, und jedesmal erklingt ein
dünner, schriller Todesschrei. Dann langt er sich die jungen Mäuschen
heraus und schmatzt sie hastig auf.

Ein Weilchen schnüffelt er noch an dem Mauseneste herum, dann trippelt
er weiter, ab und zu fauchend oder stehen bleibend und sich mit Krallen
oder Zähnen heftig da juckend, wo die Flöhe und Holzböcke ihn am
meisten zwicken. Bald langsam, bald eilig begibt er sich nach dem
Eichenhain. Dort gibt es immer allerlei im Grase, ein Taufröschchen
oder eine fette Raupe, ein Mäuschen oder auch einmal einen jungen
Vogel, der aus dem Neste fiel. Brrr, macht es laut, und ein dickes,
braunes Dings stößt mit hartem Anprall an die blutende Eiche. Es ist
ein Hirschkäfer. Er hat gefunden, was er suchte. Gierig steckt er die
goldgelbe Pinselzunge in den gärenden Saft. Da raschelt es hinter ihm.
Wütend dreht er sich um und spreizt die scharfbewehrten Zangen. Aber
schon hat der Igel ihn gefaßt, ihm den Leib abgerissen, und während der
Kopf des Käfers im Grase liegt und mechanisch die Zangen öffnet und
schließt, knabbert der Igel den dicken Hinterleib vollends auf. Dann
jagt er unter den Schafställen weiter und sucht einen nach dem andern
ab.

Viel ist heute da nicht zu finden. Einige Spinnen, etliche Käfer,
auch ein gutgenährter Regenwurm, das ist alles. Es ist zu trocken
gewesen den Tag über, die Junisonne hatte es reichlich gut gemeint,
und der Wind ging scharf; das gibt schlechte Jagd. So schiebt denn der
Stachelrock nach dem Bache zu; vielleicht daß sich dort die Jagd besser
lohnt. Unterwegs dreht er jedes Blatt um und scharrt jeden Grasbusch
auseinander, immer prüfend und schnaufend und seine Nase in das Moos
und in die Blätter bohrend und ab und zu sitzend bleibend, um irgend
ein kleines Tier zu verzehren. Einmal bleibt er lange sitzen; er hat
eine alte Maus pfeifen gehört, und vorsichtig pürscht er sich näher.
Jetzt hört er sie dicht bei sich vorüberhuschen. Gleich wird sie wieder
zurückkommen und dann hat er sie. Aber gerade wie er zufahren will,
löst sich ein grauer Schatten von der Wagenleiter, die Maus quiekt auf
und das Käuzchen streicht, sie in den dolchbewehrten Fängen haltend,
auf die hölzernen Pferdeköpfe des Stalles, und der Igel hat das
Nachsehen.

Mürrisch begibt er sich weiter. Ein Kieferschwärmer, der am Nachmittage
die Puppe verlassen hatte und sich, nachdem er seine Schwingen fertig
gereckt hat, nun zum ersten Fluge rüstet, verschwindet unter den
spitzen Zähnen. Ihm folgt eine Ackerschnecke; von der dicken schwarzen
Schnecke, auf die der Igel stößt, wendet er sich aber mit Ekel ab. Sie
riecht abscheulich und schmeckt scheußlich. Aber das laute, rollende
Flöten da in dem anmoorigen Sande am Bachufer, das lockt ihn. Ein
schnelles Getrippel, ein fester Stoß, und schon ist die Maulwurfsgrille
erledigt. Weiter geht es am Bachufer entlang. Halt, hier hebt sich die
Erde. Etwa ein Maulwurf? Das wäre kein schlechter Fang. Oder gar eine
Wühlmaus? Das wäre noch besser. Ganz vorsichtig schiebt er sich voran.
Lange muß er lauern, ehe die Erde sich wieder rührt, aber schließlich
kann er zufahren. Er stieß zu kurz. Mit jähem Ruck wirft sich die
schwarze Erdwühlerin in den Bach, daß es plumpst, und nach einer langen
Besinnungspause wendet sich der Igel wieder den Eichen zu.

Hier ein Mistkäfer, da eine Raupe, dort ein Brachkäfer und daneben ein
Regenwurm, das wird so nebenbei alles mitgenommen. Aber was ist das da,
was sich da im Grase fortschiebt? Der Igel sträubt die Kopfstacheln,
steckt die Nase vor, rollt sich halb auf und trippelt so auf die Beute
los. Jetzt ist er bei ihr. Zß, geht es, und einmal, zweimal, dreimal
fährt die halbwüchsige Kreuzotter gegen seinen Stachelpanzer. Ein
viertes Mal noch, dann aber nicht mehr. Er hat sie überrannt, hat sie
mit den Kopfstacheln an den Boden gequetscht, hat mit den Zähnen ihren
Hinterkopf gefaßt, und während sich ihr Leib in wilden Kreisen dreht,
zerkaut er erst den Kopf und schmatzt ihn hinunter und läßt den Leib
hinterdrein wandern. Nach einem Viertelstündchen verschwindet auch die
äußerste Schwanzspitze, die sich immer noch windet, in seinem Rachen.

Vorläufig ist er nun satt. Spaßeshalber faßt er noch einen großen
Taufrosch, der ihm dicht vor die Nase hüpft an das Hinterbein, aber
gerade als der arme Frosch seinen schrillen Todesschrei hören läßt,
gibt ihn sein Bezwinger frei und der Frosch springt in gewaltigen,
ungeschickten Sätzen ab. Ganz furchtbar eilig trippelt der Igel
nach dem Weißdornbusch hin, der sich neben einem der Schafställe
spreizt. Der leise Luftzug weht ihm von da eine Kunde zu, die ihn
ungestüm vorwärts treibt. Ohne eine Pause zu machen, trippelt er in
schnurgerader Richtung weiter, und gerade als die Dorfuhr ausholt um
die zehnte Stunde zu verkündigen, gerade als des Nachtwächters Horn
hohl an zu heulen fängt, langt der Igel vor dem Busche an.

Da ist noch ein Igel, ein dicker, großer Igel, der eben einen langen,
dicken Tauwurm hübsch langsam aus seiner Erdröhre herauszieht. Wie
besessen stürzt der erste Igel auf ihn zu. Blitzschnell wendet der
andere sich um und beißt nach ihm. Verdutzt bleibt der erste sitzen,
dann nähert er sich wieder dem anderen. Wieder setzt es einen Hieb,
wieder gibt es eine Verlegenheitspause, und so zehnmal und noch
zehnmal. Und dann schlägt der erste Igel eine andere Taktik ein.
Schnaufend und fauchend trippelt er um den anderen und versucht,
sich ihm von hinten zu nähern, dieser aber dreht sich schnaufend und
fauchend fortwährend im Kreise herum und wehrt jeden Annäherungsversuch
mit einem blitzschnellen Bisse ab. Schließlich sitzen sie sich beide
gegenüber, daß ihre Schnauzen sich fast berühren, und verschnaufen,
der Igel überlegend, wie er sich wohl beliebt machen könne, die Igelin
immer zur Abwehr bereit.

Bisher war der Igel immer von rechts nach links um seine Auserkorene
herumgetrippelt; jetzt versuchte er es in der umgekehrten Richtung. So
muß auch die Igelin von links nach rechts sich im Kreise drehen. Wenn
er sie zehn- oder zwölfmal umkreist hat, wird er plump vertraulich.
Dann setzt es von ihr aus einen Schmiß. Verdutzt bleibt er dann
sitzen und überlegt den Fall, und sie bleibt auch sitzen. Sie sehen
sich mit ihren kleinen schwarzen Augen an, Nase an Nase, bis er wieder
Mut bekommt und von neuem um sie herumtrippelt, jetzt von links nach
rechts, nach dem nächsten Hiebe von rechts nach links, dann wieder
umgekehrt und so weiter.

Elf Uhr schlägt die Turmuhr; elfmal heult des Wächters Horn. Immer noch
murksen und fauchen die beiden stachligen Liebesleute umeinander herum.
Es wird Mitternacht; das sonderbare Karussel ist noch immer im Gange.
Es schlägt ein Uhr; er ist noch immer nicht müde, sie zu umwerben, und
ihre Sprödigkeit hält immer noch an. Es schlägt zwei Uhr; noch immer
trippelt er fauchend und pustend um sie herum, bald von rechts, bald
von links, und nach jedem Hiebe, den sie ihm versetzt, hält er inne
und überlegt, ob es nicht besser sei, ihr von der andren Seite zu
nahen. Eine halbe Stunde bleibt der Jagdaufseher bei dem Paare stehen
und lacht und schüttelt den Kopf, bis die Helligkeit im Osten ihm
sagt, daß es Zeit für ihn werde, nach dem Moore zu gehen. Schon singt
der Rotschwanz von dem Dachfirst, die Schleiereule sucht ihr Loch am
Giebel, der Igel und die Igelin tanzen immer noch ihren sonderbaren
Reigen; erst als die Amsel zeternd zur Regenwurmsuche ausfliegt,
verschwindet sie unter dem Stalle und er folgt ihr nach. Als der
Schäfer die Schafe ausläßt, hört er unter dem Estrich das Gefauche und
Geschnaube und ruft dem jungen Hunde zu: »Widu, bring sie zur Ruhe!«
Aber Widu mag nicht; er hat von gestern genug.

Der Juni geht hin und der Juli auch. Als die Frau des Schäfers den
Komposthaufen auseinander stößt, findet sie in einem Haufen welken
Grases fünf kleine, rosige, weißstacheliche Dingerchen neben der alten
Igelin liegen. Nachmittags will sie sie ihrem Manne zeigen, aber sie
sind nicht mehr zu finden. Die Igelin hat ihre Jungen verschleppt.
Unter dem alten Schlehbusche hat sie ihnen ein neues Nest gekratzt und
sie warm zugedeckt. Da säugt sie sie tagsüber, aber nachts treibt sie
sich im Garten umher und frißt sich an Schnecken und Würmern dick,
scharrt Mäusenester aus und fängt junge Frösche, schont auch die
junge Brut der Rotkehlchen, trotz des Gezeters der Alten, nicht und
nimmt auch die junge Amsel mit, die ihr in den Weg tolpatscht, wie
sie denn auch mit den nackten Wieselchen, die sie aufstöbert, nicht
viel Federlesens macht. Sogar die große Wanderratte, die sich in dem
Schlageisen gefangen hatte, muß daran glauben; trotz ihres Strampelns
und Quietschens wird sie totgebissen und bis auf Kopf, Fell und Schwanz
aufgefressen.

Nach vier Wochen führt die Igelin ihre fünf Kleinen aus. Eines Abends,
als der Schäfer vor der Türe sitzt und seine Pfeife raucht, raschelt
es hinter dem Brennholze und da kommt erst schnaubend und prustend
die Igelin angetrippelt und hinter ihr wackeln die fünf Kleinen. Der
Schäfer ist ein ernster Mann und lacht selten; heute aber muß er doch
lachen, denn es sieht zu putzig aus, wie die kleinen Dinger hinter der
Alten herbummeln, überall kratzen und scharren und ihre Nasen in alle
Löcher am Boden stecken, oder hastig hineinrennen, wenn die Mutter
einen tüchtigen Wurm bloßgescharrt hat und ihn sich von den Kleinen
fortnehmen läßt. Seit der Zeit ist es für den Schäfer und seine Frau
ein Hauptvergnügen, den Igeln zuzusehen, und damit sie nicht gestört
werden, wird Widu jeden Abend angelegt. Auch allerlei Eßbares legt
der Mann den Igeln hin; Butterbrot verschmähten sie, aber frisches
Fleisch nahmen sie gern, und auch kleine Fische, die der Schäfer für
die Hechtangeln gefangen hatte. Als der Schäfer sah, daß die Igelin
sich immer so viel kratze, fing er sie, und als er fand, daß sie voller
Ungeziefer saß, salbte er sie mit der Schmiere, mit der er seinen
Schafen das Ungeziefer vertrieb. Seitdem gab sie das Kratzen auf.

Mittlerweile wurden die kleinen Igel immer größer, hielten auch nicht
mehr zu der Alten, sondern gingen ihre eigenen Wege, und wenn sie der
Alten begegneten, wurden sie von ihr weggebissen. So wanderten sie denn
aus; der eine in die Heidberge, der andere in die Eichen, der dritte
in den Wiesenbusch, noch einer in das Dorf und der letzte nach dem
Immenzaun, und wenn der Schäfer einen von ihnen antraf, denn er kannte
sie gleich wieder, weil er ihnen allen, dem einen am Kopfe, den andern
hier oder da am Rücken, ein Büschelchen Stacheln abgeschoren hatte,
dann zeigte er sie den Leuten und sagte: »Das ist einer von meinem
Hofe.« Bis in den Herbst hinein sah er bald hier, bald da einen von
seinen Igeln, und sogar im Februar, als nach einem leichten Schnee die
Sonne schön warm schien, traf er die alte Igelin am hellen Nachmittage
vor der großen Hecke am Immenzaun, und nahm sie mit und setzte sie in
den Schafstall, und als im März die Sonne die Oberhand bekam, traf er
fast jeden Abend einen Igel an im Garten, auf dem Hofe oder unter den
Eichen und hatte sein Vergnügen an ihnen.

Eines Tages aber kam eine Zigeunerbande zugewandert und der Vorsteher
wies ihnen die Heide bei den Eichen als Lagerstätte an. Während die
Männer sich überall herumtrieben und die Weibsleute wahrsagen gingen,
zogen die Jungens auf die Igeljagd. Sie hatten Stöcke, an denen oben
ein langer, dicker, spitzgefeilter Draht befestigt war, und damit
stachen sie in alle Laubhaufen, Hecken und unter die Schafställe. Ab
und zu quietschte es und einer von den Bengeln zog einen aufgespießten
Igel aus seinem Verstecke, den er dann totschlug.

Abend für Abend saß der Schäfer auf der Bank vor der Tür und wartete
auf seine Igel. Er sah sie nie wieder.



Jakob.


Mitten im Bruche stand eine gewaltige, hochschäftige, breitkronige
Kiefer, ein Wahrbaum für die ganze Gegend.

In ihr horstete Jahr für Jahr ein Kohlrabenpaar und erfüllte im April
das Bruch mit seinen rauhen Balzrufen.

Ab und zu versuchten Schreiadler, Wanderfalken oder Habichte den Raben
den Horstbaum abzutreiben, aber die Raben hatten zu grobe Schnäbel und
blieben stets siegreich.

An einem schönen Junimorgen kam ein junger Jäger unter dem Wahrbaume
her und sah einen fast flüggen Raben im Heidekraute sitzen. Er nahm ihn
mit und verschenkte ihn an Bekannte in der Stadt, die in ihrem Garten
allerlei Tiere hielten.

Es gab einen großen Aufstand in dem Garten, als Jakob, wie das schwarze
Ungetüm genannt wurde, auf den Rasen gesetzt wurde. Jaköble, der Häher,
war ganz entsetzt, als das großmächtige Rabenvieh seinen Riesenrachen
aufsperrte und ihm auf den Leib rückte; aber schließlich holte er
Futter und stopfte es ihm in den roten Schlund. Auch Jackelchen, die
Elster, kam herangehüpft, sah sich das Scheusal an und als das Gegiere
nicht aufhören wollte, holte sie irgend etwas Eßbares und tat es
vorsichtig in Jakobs unersättlichen Schnabel.

Jakob war immer hungrig. Was man ihm gab, das war ihm ganz gleich; er
schlang alles hinab. Und wenn man ihn auch gerade gefüttert hatte,
und irgend etwas, das Federn hatte, kam ihm in den Weg, ganz gleich,
ob Jaköble oder Jackelchen oder Adam, der Turmfalke, oder Hans, der
Waldkauz, oder eins von den Hühnern, es wurde angeplärrt. Ja, als
einmal das Stubenmädchen aus Versehen den Flederwisch in den Garten
fallen ließ, hüpfte Jakob sofort heran und schrie nach Futter und
ein anderes Mal machte er den Versuch, einen Federhut, der auf dem
Gartenstuhl lag, zu bewegen, ihm den Hals zu stopfen.

Eines Nachmittags war die ganze Familie ausgegangen. Vor einer Stunde
war in Jakob, die Dranktonne, wie die Mutter ihn auch noch nannte, erst
soviel hineingestopft, wie nur hineingehen wollte, aber unaufhörlich
hüpfte das gefräßige Ungetier im Garten umher und stieß seinen
Heißhungerschrei aus. Da Jaköble und Jackelchen eingesperrt waren,
damit sie keine Dummheiten machen sollten und Adam, der Turmfalke, in
der Nachbarschaft Besuche machte, plärrte Jakob solange dem Kauze Hans
etwas vor, bis es diesem auf die Nerven ging. Er bequemte sich also
nach seiner Futteranstalt in der Efeuberankung des Aquariumsockels,
holte ein Stückchen Fleisch hervor und hielt es Jakob vor, damit er es
ihm fortreiße, wie es die jungen Eulen machen. Aber Jakob kannte die
Sitten der Eulen nicht und schrie nur noch scheußlicher und da wurde es
Hans zu dumm und er tat, was noch nie eine Eule getan hatte, er stopfte
Jakob das Fleisch in den Rachen.

Es dauerte sehr lange, ehe daß der junge Rabe fressen konnte und noch,
als er schon beflogen war, krächzte er hinter allem, was eine Schürze
trug oder in Federn gekleidet war, hinterdrein und bettelte um Futter.
Schließlich bequemte er sich aber doch dazu, selber zu fressen und
als er das erst verstand, war nichts mehr vor ihm sicher. Jaköble und
Jackelchen mußten scharf aufpassen, daß sie überhaupt etwas bekamen.
Nur vor Hans hatte Jakob Achtung, denn der konnte seine großen Augen
so seltsam auf- und zuklappen und so gefährlich mit dem Schnabel
klappen. Das merkte sich Jaköble, der Häher bald, und da er mit dem
Kauz gut Freund war, so stopfte er ihm immer den Rest von seinem Futter
unter den Flügel, so daß er sicher vor Jakob dem Großen war. Kam
Jaköble mit einem Fleischbröckchen angehüpft, so lüftete Hans sofort
den Fittich und Jakob mußte zusehen, wie das Fleisch unter Hansens
Achsel verschwand. Ab und zu versuchte er wohl, Hans am Schwanze zu
ziehen, damit er das Fleisch fallen lasse, aber wenn die Eule sich
dann umdrehte, die großen schwarzen Augen aufriß und mit dem Schnabel
klappte, dann fuhr Jakob zurück, als wenn, ja, als wenn eine überreife
Birne neben ihm hingeplatscht wäre. Denn so frech er war, er hatte in
der großen Stadt Nerven bekommen. Wenn eine Tür zuflog, verjagte er
sich und schrie: »Kräcks«.

Sonst aber war er frech, wie es eben nur ein Kolkrabe sein kann. Er
hatte vor niemand Achtung, als vor dem Besen und vor Hans. Wehe dem
jungen Mädchen, das mit roten Strümpfen in den Garten kam; sie empfing
einen Hieb in die Wade, daß sie noch lange einen blauen Fleck behielt.
Blieb ein Buch im Garten liegen, so las Jakob auf seine Art darin und
die Fetzen flogen überall herum. Erwischte er den Drückschlüssel des
Hausherrn, so stopfte er das dreieckige Loch ganz fest mit faulen
Blättern voll und stand ein Stuhl vor der Tür, so machte er es mit dem
Schlüsselloche genau so. Unglücklich der Hund, der sich im Garten sehen
ließ. Jakob lauerte in seinem Verstecke, bis der Hund vorbeikam. Wupps,
wischte er ihm eins und saß sofort auf dem Tisch oder der Stuhllehne
und der Hund zog mit eingekniffenem Schwanze fort. Katzen kamen nie
mehr in den Garten. Sowie sich eine sehen ließ, um nach jungen Amseln
zu fahnden, machte Adam einen schrecklichen Lärm und Jakob brannte ihr
eins auf das Fell, daß sie wie wahnsinnig über den Zaun fuhr.

Er saß voller Unarten, aber da er so ulkig war, sah man darüber hinweg,
daß er die Butter aus der Dose hackte oder wenn der Aquariumdeckel
offen stand, fischte. Dann saß er eine ganze Stunde auf dem Rande des
Gefäßes und sobald ein Goldfisch emporkam, erhielt er einen tödlichen
Schnabelhieb und wurde verspeist. Ebenso ging es auch den unglücklichen
Fröschen, die sich in den Garten verirrten und mehr als einmal
erwischte Jakob sogar eine Maus und einmal sogar einen Maulwurf, den er
in die Laube brachte, wo die Familie beim Kaffeetische saß. Jakob legte
seine Beute in den Weißbrotkorb und sagte: »Quatsch!«

Das war sein Hauptwort. Einmal kam ein Herr und besuchte den Hausherrn.
Als er sich verabschiedete und sagte: »Hoffentlich haben Sie für
Ihre Heidfahrt schönes Wetter!« unkte Jakob dazwischen: »Quatsch,
Quatschquatsch!« Ein anderes Mal kam der Pastor und erzählte, wie
traurig es mit dem Nachbar stehe, der nicht leben und nicht sterben
könne. »Quatsch!« rief Jakob und der geistliche Herr erschrak sich
sehr, denn die Stimme kam unter seinem Stuhle her. Wieder einmal kam
ein junger Geck zu Besuch und stellte seine Angströhre hinter sich auf
den Rasen. Als er sie aufsetzte, rieselte ihm Sand daraus über sein
Pomadenhaar. »Was ist denn das?« lispelte er. »Quatsch!« rief Jakob und
machte ein Gesicht, als könne er kein Wässerchen trüben.

Immerwege hatte er Dummheiten im Kopfe. Eines Tages ging die Familie
aus und vergaß ihn einzusperren. Auf dem Rasen lag die Wäsche zum
Bleichen. Jakob pflückte sich Kirschen, setzte sich damit auf
die Wäsche und massakrierte die Kirschen, daß der rote Saft nur
so herumstob. Sechs Hemden und vier Unterröcke mußten noch einmal
gewaschen werden. Im Frühjahr wurden Maßliebchen gepflanzt, abwechselnd
rote und weiße. Nach dem Mittagessen gab es ein großes Geschrei: alle
Maßliebchen waren geköpft und Jakob stand vor zwei Löchern, die er in
ein Beet gehackt hatte und besah wohlgefällig seine Sammlung; in dem
einen Loche lagen die weißen, in dem andern die roten Blumen.

Zu seinem Hauptvergnügen gehörte es, sich auf das Eisen der Harke zu
setzen, wenn die Gartenwege geharkt wurden; dann benahm er sich so
stolz, wie ein Mann, der sich eine Sonntagsdroschke geleistet hatte.
Einmal stellte er sich tapprig dabei an und büßte einen Zeh dadurch
ein. Er plärrte eine halbe Stunde lang und verzichtete fortan auf das
Fahren auf der Harke. Sehr albern benahm er sich einige Tage später.
Er flog auf die schlappe Waschleine und konnte das Gleichgewicht nicht
halten. Ein Vaterunser lang schaukelte er auf der Leine hin und her
und schrie, als zöge man ihm die Federn einzeln aus. Gräßlich dämlich
benahm er sich, als ihm ein Besucher eine Küchentüte über den Kopf
stülpte. Erst saß er ganz begossen da, dann schüttelte er den Kopf wie
unklug, darauf versuchte er Rad zu schlagen und Kobolz zu schießen,
schließlich hüpfte er im Kreise und schlug mit den Flügeln, wie eine
verrückt gewordene Windmühle. Seitdem haßte er alle Tüten.

Am alleralbernsten aber stellte er sich an, als er den ersten Schnee
seines Lebens sah. Erst machte er ein Gesicht wie eine Kuh, die es
donnern hört. Dann fraß er ein bißchen von dem weißen Zeug. Darauf
warf er Stücke davon in die Luft, kratzte darin herum und schließlich
kollerte er sich darin umher. Plötzlich machte er die Entdeckung, daß
er eiskalte Füße hatte. Er zog den einen Fuß an, aber der andere blieb
kalt. Dann zog er den linken an, aber nun wurde wieder der rechte
kalt. Auf einmal begann er so erbärmlich zu quaken, daß das ganze Haus
zusammenlief. Seitdem haßte er auch den Schnee und ging nicht mehr auf
die Wäsche, wenn sie zum Bleichen im Garten lag.

Eines Tages hatte er Durst und fand ein volles Glas Bier stehen. Erst
schmeckte es ihm nicht, aber der Durst trieb es hinunter. Als der
Hausherr zurückkam, war das Glas umgeworfen und Jakob war so betrunken,
wie ein Pole am Zahltage. Erst sprach er so schnell, wie er es noch
nie getan hatte. »Quaquaquaquaquatsch«, wohl hundert Male, dann
versuchte er zu krähen, bekam aber den Schlucken. Alsdann versuchte er
geradeaus zu gehen, taumelte aber, wie ein Anfänger beim Radfahren;
dann flog er steil in die Luft und kam mit großem Geflatter und noch
größerem Gekrächze wieder herunter und zwar in einem Rosenbusche, in
dem er so lange herumkrabbelte, bis der Hausherr, der sich halbtot
lachen wollte, ihn erlöste. Darauf versank er in Melancholie, zog den
Kopf ein und stierte eine Weile vor sich hin, um dann wie verrückt
auf die Waschschüssel loszustürzen und diese, als er sie leer fand,
mit Schnabelhieben zu bedecken. Er bekam Wasser und trank so viel,
wie er sonst in einer ganzen Woche nicht trank. Nun überfiel ihn der
Zerstörungskoller und er riß Gras und Blätter ab und sprang dabei
herum, wie ein Mensch, der die Hosen voller Ameisen hat. Und dann
verschwand er und kam erst spät am andern Morgen mit sehr schlechter
Laune, großem Brand und völliger Freßunlust wieder zum Vorschein.

Als er drei Jahre alt war, war er ein vollendeter Heuchler und ein
gerissener Dieb und wurde deshalb auf das Land verschenkt. Dort führte
er sich aber so übel auf, daß man ihn in einen Käfig sperrte. Aber
selbst das half nichts; wenn die Kücken auf dem Hofe herumliefen,
lockte Jakob genau so, wie die Klucke und sowie eins der Kücken an
seinen Käfig kam, schnappte er zu und zog es hinein. Schließlich trieb
er es so arg, daß man ihn dem Zoologischen Garten schenkte.

Da sitzt er heute noch, läßt sich von den Besuchern füttern und sagt
zum Dank: »Quatsch!«



Hausfriedensbruch.


Er war von jeher dagegen gewesen, aber sie wollte es gern, und so mußte
er sich fügen; was sollte er machen?

»Sieh mal, Watschelinchen,« hatte er gesagt, »zu was willst Du in
der Stadt wohnen? Erstens kennst Du niemand dort, zweitens wohnt Dir
allerlei ruppiges Volk vor dem Schnabel herum, diese Radaumacher
von Turmschwalben und dieses gemeine Spatzengesindel; und dann die
Luft! Na, ich sage Dir bloß, Du wirst Dich wundern! Dein schönes
Changierendes ist da bald hin vor dem Ruß. Und was muß man weit
fliegen, um satt zu werden! Hier im Walde hast Du die fettsten
Schnecken und die besten Regenwürmer dicht bei der Wohnung. Und alle
Nachbarn sind nette Leute: der Pirol, so elegant und stolz er ist, Dir
singt er gern etwas vor. Und der Trauerfliegenschnäpper besucht Dich,
wenn Du brütest, Buchfink, Mönch, Schwirrsänger, sie alle sind nett
zu uns. Und ist Dir diese Wohnung nicht groß und hübsch genug, ein
freundliches Wort, und Spitzhack, der Specht, baut Dir eine andere.
Laß uns nur im Walde bleiben.«

Sie ließ ihn ruhig ausreden wie immer, machte nur die Augen halb zu und
ließ die Flügel herunterhängen; und dann fing sie an:

»Ja, Dickkopp, das ist ja alles ganz gut und schön. Aber das mit den
Spatzen und Mauerschwalben, das wird nur halb so schlimm sein. Und
das mit dem Ruß auch. Und überhaupt, mein gutes Zeug ist doch immer
gleich hin von dem Brüten und Kinderpäppeln. Und Du hast gut reden von
Unterhaltung hier; was wissen die denn alle hier zu erzählen? Immer
dasselbe langweilige Zeug: daß es bei Markwarts Krach gegeben hat, daß
die Taubersche die Eier hat kalt werden lassen, daß die Amsel kleine
Vogelkinder fressen soll und weiter nichts. Und das ewige Gedudel von
dem Pirol, das hängt mir schon zum Schnabel heraus; immer dasselbe und
immer dasselbe und hinterher dieses alte Geknarre; schließlich geht es
einem auf die Nerven. Du hast natürlich gut reden: Du fliegst hierhin
und dahin und triffst bald den oder bald die, und da hörst Du immer
allerlei Neues und erlebst vielleicht auch mal ein Abenteuerchen, nicht
wahr, Kopp? Ich aber, ich sitze hier in dem engen Loch, brüte mich
dumm und albern und höre und sehe von der Welt nichts. Höchstens, daß
Schnurrjahn einmal vorkommt und mich ein bißchen unterhält. Und die
Wohnung? Ach, Du lieber Himmel! Eng und feucht und voll Ameisen, und
jedes Frühjahr großes Reinemachen, bis man den Fledermausmist heraus
hat, na, ich danke. Und dabei stehen in der Stadt die schönsten,
hellsten, luftigsten Villen frei!«

Dickkopp sagte nichts mehr. Wenn seine Frau »Kopp« zu ihm sagte und
auf seine kleinen galanten Abenteuer draußen anspielte, dann tat er am
besten, den Schnabel zu halten. Und daß sie außerdem von Schnurrjahn
anfing, diesem alten Poussierstengel, der nichts lieber tat, als
anderer Stare Frauen schön zu tun, das schätzte er nun schon gar nicht.
So sagte er Ja und Amen, und sie zogen in die Stadt.

Eine Wohnung war bald gefunden. In einem großen Garten lag sie und
hing in einem Zwetschenbaume. Blumenbeete waren da, ein Springbrunnen
zum Baden und Trinken, Rasen mit Regenwürmern, Beete mit Schnecken,
Kirschbäume waren in der Nähe und gar nicht weit davon war am Teiche
eine ungeheure Pappel, der richtige Versammlungsplatz, wie die Stare
ihn lieben, und viel Rohr, im Herbst eine gute Schlafstatt. Dickkopp
war sehr zufrieden und Watschelinchen erst recht.

Die erste Zeit ging es sehr gut. Er saß vor dem Hause, schlug mit den
Flügeln und sang nach Herzenslust. Sie schlüpfte aus und ein, holte
Hälmchen und Federchen und richtete die Wohnung ein. Heimlich stöhnte
sie zwar ein bißchen, denn das große Haus machte doppelte Arbeit, aber
sie ließ sich nichts merken.

Bald aber stellten sich allerlei Unannehmlichkeiten heraus. Erstens zog
es in der Wohnung; es war ein richtiger städtischer Schwindelbau; und
durchregnen tat es manchmal auch. Und alle Naselang steckte ein frecher
Spatz seinen Kopf herein, machte faule Witze über Watscheline oder
behauptete gar, sie hätte hier nichts zu suchen. Im Mai, als sie schon
längst Eier hatte, fand sie, als sie vom Baden zurückkam, eine große,
weißbunte Katze an ihrem Hause beschäftigt. Watscheline machte solchen
Lärm, daß der Besitzer des Gartens kam und die Katze herunterschoß;
darüber war sie froh, aber der Schreck lag ihr noch drei Tage in den
Gliedern.

Allmählich bekam sie auch Nerven. Erst hatte ihr das städtische Leben
Spaß gemacht, aber dieser ewige Lärm der Wagen und der Straßenbahn,
dieses rücksichtslose Schreien und Türenzuschlagen, dieses Ausrufen
und Peitschenknallen, und vor allem das ewige Geschilpe der Spatzen und
das Geschrei der Turmschwalben war auf die Dauer nicht auszuhalten. Und
von allen ihren alten Bekannten sah und hörte sie nichts: noch nicht
einmal Schnurrjahn kam und erzählte ihr, wie es im Walde aussähe.

Dann gab es noch dieses und das, was nicht schön war. Der Ruß war
wirklich arg; sie brauchte die doppelte Zeit zum Waschen. Und bis sie
sich an die Leitungsdrähte gewöhnte, das hatte auch lange gedauert. Und
niemals konnte sie, wenn sie in den Anlagen Würmer suchte, wissen, ob
nicht so ein Menschenjunges mit der Schleuder oder mit dem Flitzbogen
oder dem Pustrohr ihr zu Leibe wollte. Und die Regenwürmer in der
Stadt waren zäh von dem Schwefelsäuregehalt des Bodens. Und nahm sie
sich eine Kirsche, dann gab es Unfrieden mit den Besitzern. Manchmal
wünschte sie, sie wäre in ihrer alten Wohnung im Walde geblieben, aber
sie wollte ihrem Manne nicht so schnell recht geben, und dann waren ja
auch die Kleinen da, und als die groß waren, da mußte sie wieder sitzen
und brüten.

Endlich war auch die zweite Brut flügge und nach einigen Wochen
selbständig. Watscheline war froh; sie sah zu, daß sie ihr altes Zeug
los wurde, schaffte sich ein pikfeines, schöngemustertes Reisekleid
an und machte mit ihrem Alten Ausflüge in die Umgegend. Heute war
man am Fluß, wo Tausende von Staren im Krummet Käfer suchten, morgen
besuchte man den Wald und ließ sich vom Spitzhack Specht erzählen, was
dort unterdessen geschehen sei. Der Pirol war schon fort, die Taube
hatte zweimal faul gebrütet, die jungen Fliegenschnäpper waren von der
Eichkatze gefressen, den Häher hatte der Förster totgeschossen.

Als die Bäume schon mehr gelbe Blätter bekamen, meinte Dickkopp, jetzt
sei es Zeit, zum Süden zu reisen, erst nach der Pfalz, wo jetzt die
schönen Trauben reif wären, dann nach Italien und Spanien, vielleicht
auch nach dem Balkan, und bei gutem Wind auf eine Mittelmeerinsel.
Watscheline war es zufrieden; den letzten Winter, der sehr milde
gewesen war, waren sie im Lande geblieben, aber sie hatten es bereut,
denn es regnete viel, und wenn einmal Frost und Schnee einsetzte, dann
sah es mit der Beköstigung recht mäßig aus. Aber sie meinte, sie müsse
erst noch einmal nach der Wohnung sehen, und Dickkopp stimmte zu. So
flogen sie denn zu ihrer Gartenvilla.

Schon von weitem sahen sie ihr Häuschen im halbkahlen Baum zwischen
den blaubereiften Zwetschen. Als sie aber näher kamen, saß ein dicker,
frecher, alter Spatz darin und tat so, als ob er immer darin gewesen
wäre. Dickkopp als diplomatisch veranlagter, besonnener Mann setzte
sich oben auf das Dach und sah sich den frechen Kerl von diesem höheren
Standpunkte aus an, überlegend, was da zu machen sei. Watscheline aber
fuhr wie wild auf den Eindringling los.

»Sie, was soll das heißen? Was fällt Ihnen denn ein? Was machen Sie da?«

»Ich sitze hier, wie Sie sehen,« sagte der Spatz, und seine Augen
funkelten höhnisch.

»Solche Unverschämtheit,« zeterte Watscheline los, »er sitzt da in
anderer Leute Wohnung. Machen Sie, daß Sie herauskommen, oder ich
bringe Ihnen Manieren bei.«

»Sie haben ja selber keine übrig,« ödete der Sperling, »behalten Sie
das bißchen man alleine; ich will Sie nicht berauben.«

»Mann, Vater,« schrie Watscheline, »hast Du gehört? Das ist doch zu
frech! So ein Prolet! Schmeiß ihn heraus, Dickkopp!«

»Dickkopp ist gut,« sprach der Spatz, »Dickkopp ist schön, Dickkopp
kann so bleiben.«

»Lümmel!« dachte Dickkopp, aber da er wußte, daß mit solchem
Asphaltproleten schlecht anbinden ist, versuchte er es erst mit Güte.

»Entschuldigen Sie, Herr Sperling,« begann er höflich »das ist unser
Haus.«

»Ihr Haus? So? Ich dachte, es gehörte dem Doktor!« fragte trocken der
Spatz. »Haben Sie es gemietet oder gekauft? Und gleich bar bezahlt oder
was?«

»Wir haben es vom Frühjahr an mit Erlaubnis des Besitzers bewohnt und
darin zweimal gebrütet und haben so ein historisches Recht darauf.«

»Historisches Recht ist gut,« meinte der Spatz. »Das sagte die Katze
auch, als sie die Maus fraß. Jetzt bewohne ich es mit Erlaubnis des
Besitzers und beanspruche ebenfalls ein historisches Recht, denn meine
Frau wollte schon früher darin brüten, und auf einmal waren Sie da.«

»Hätten wir das gewußt, so wären wir zurückgetreten,« meinte Dickkopp
höflich. »Sie hätten sich nur zu melden brauchen. Aber ich denke, wir
einigen uns. Wir haben uns nun so an das Haus gewöhnt. Wir verreisen
jetzt bis zum März, solange können Sie darin wohnen.«

»Danke schön, sehr liebenswürdig, zu viel der Güte,« höhnte der Spatz.

Dickkopp stieg die Wut in die Augen, aber er bezwang sich noch: »Und im
März treten Sie es uns dann wieder ab, nicht wahr Herr Sperling?«

»Dieses nicht, sondern nein,« meinte der.

»Ja, aber zum Donnerkeil,« schrie Dickkopp, dem die Sache zu dumm
wurde, »sind Sie denn verrückt?«

»Ich nicht, Sie vielleicht?« tönte es zurück.

»Heraus mit Ihnen, oder ich mache Ihnen Flügel!«

»Danke, habe selber welche!«

»Wollen Sie heraus oder nicht?«

»Ich ziehe das letztere vor!«

Wütend hackte Dickkopp von oben nach dem Frechling, der aber kannte
das, zog den Kopf zurück, und als Watscheline so unvorsichtig war und
in das Schlupfloch kroch, faßte er sie beim Hals und kniff sie, daß sie
schrie.

Rasend vor Wut stürzte Dickkopp vom Dach, kroch in das Haus, fiel über
den Spatz her und hackte gewaltig auf ihn los. Als der Sperling merkte,
daß er an den Unrechten gekommen war, schrie er Mord und Brand, und nun
kamen sie von allen Seiten heran, die Spatzen, und fielen mit Verbal-
und Realinjurien über das Starenpaar her.

»Solch Prachervolk! Haben im Walde nichts zu fressen und schnurren sich
in der Stadt satt! Sollen hingehen, wo sie hergekommen sind! Bagage!
Kirschendiebe! Schneckenfresser! Und krumme Beine haben sie! Und gelbe
Schnäbel bei ihrem Alter! Kein Wunder, daß sie sich so benehmen! Wartet
nur, wir wollen es Euch beibringen! Euch die bunten Lappen abreißen!
Mit uns wolltet Ihr anfangen! Ihr! mit uns! Na, wartet bloß!«

»Komm, Dickkopp,« sagte Watscheline, der es ängstlich zumute
wurde, »laß uns fortfliegen. Was sollen wir uns mit dem Gesindel
herumschlagen!«

Sie erhoben ihr Gefieder und stoben ab. Und als sie draußen über der
Wiese auf dem Telegraphendraht ihre Federn ordneten, rückte die Frau
an ihren Mann heran und sagte: »Dickkopp, im März bauen wir wieder im
Walde, nicht wahr?«

»Na, siehst Du, Alte,« meinte er, »hab' ich es nicht gleich gesagt.
Aber ihr Frauen wollt nur immer nicht hören!«



Mein Dachs und meine Dackel.


Im April wurde in meiner Wohnung von unbekannter Seite eine Kiste
abgegeben, die einen kleinen Dachs enthielt. In seinem Begleitschreiben
teilte der unbekannte Absender mit, der Dachs sei für meine Hunde
bestimmt.

Daraus wurde nun selbstverständlich nichts. Erstens einmal des
Jagdgesetzes wegen, zweitens, weil es eine Schinderei gewesen wäre,
die Hunde an dem wehrlosen Tierchen zu arbeiten, und drittens war
es auch viel zu niedlich dazu. Meine drei Hunde, nämlich Bob, ein
kleiner, weißer, scharfer Terrierbastard, ferner Patzel, ein schwarzer,
rotgezeichneter, stichelhaariger Teckel, Inhaber erster Preise,
und sein elf Monate alter, roter, glatter Bruder Battermann, waren
allerdings anderer Ansicht. Jaulend, winselnd, bellend und pfeifend
tanzten sie um mich herum und baten: »Laßt uns doch den Stinker, wir
möchten ihn bloß ein ganz klein bißchen langziehen!«

Da das Dächschen nicht fressen und saufen wollte, so wurde ein
Gummisauger geholt, eine Bierflasche mit lauwarmer Milch gefüllt, und
nachdem er einige Male durch gellendes Keckern sein Mißbehagen über
den ungewohnten Gummigeruch ausgedrückt hatte, lutschte er kräftig und
anhaltend, während auf der Erde den drei Hunden die Mordlust nur so aus
den Augen leuchtete. Vormittags hatte ich ihn bekommen, nachmittags
lief er schon hinter mir her, wenn ich die Pulle hatte. In drei Tagen
war er ganz an mich gewöhnt und hörte sofort mit Keckern auf, sowie
er meine Stimme vernahm. Dann setzte er sich auf meinen rechten Schuh
und lutschte ruhig und besonnen an meinem linken herum, wenn er nicht
plötzlich zusammenzuckte und mit Zähnen und Branten ein furchtbares
Gemetzel unter seinen Inquilinen anrichtete. Er saß nämlich lebendig
voll von langen, dicken Flöhen und noch dickeren Holzböcken, so voll,
daß sein Bauch ganz wund war. Eine gehörige Schmierkur befreite ihn
aber für immer von dieser Plage.

Als Schlafraum wurde ihm eine mit alten Decken vollgestopfte Kiste im
Keller angewiesen, in der er so lange blieb, wie es ihm paßte. War das
aber nicht der Fall, dann keckerte er gellend und anhaltend und kratzte
wie verrückt an der Kellertür. Sein Keckern war so durchdringend, daß
eines Nachts das ganze Haus davon wach wurde, so daß ich aufstehen und
ihm eine Flasche machen mußte. Schwach war er übrigens auch nicht. Da
er nachts immer im Keller herumtobte, wurde er abends warm eingepackt
und mit einem Eisengitter zugedeckt, auf das zwei dicke Steine gelegt
wurden. Er murkste aber gegen Morgen so lange in seinem Bett herum,
bis er Steine und Gitter herunter hatte. Aber reinlich war er. Seine
Bedürfnisanstalt hatte er in einer bestimmten Kellerecke, vor der ein
Stein lag, und es war höchst lustig anzusehen, wie er sich mit viel
Mühe rückwärts über den Stein schob. Seine Sprache bestand außer dem
gellenden Gekecker, das er ertönen ließ, wenn er Hunger hatte oder
sich langweilte, in einem lauten Schnauben, wenn man ihm plötzlich zu
nahe kam, wobei er seine Haare sträubte, sich aufblähte und sich nach
Möglichkeit den Rücken zu decken suchte, in einem behäbigen Schmatzen,
wenn er die Flasche bekam, und in einem ärgerlichen Schnarchen, wenn
ihm irgend etwas nicht paßte.

Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich die Hunde an ihn gewöhnte.
Bob, der schon sehr verständige Terrier, ignorierte ihn, nachdem
ich ihm erklärt hatte, daß Dächschen tabu sei. Patzel sah ihn mit
weißfunkelnden Augen an, war aber zu gut erzogen, um sich an ihm zu
vergreifen. Battermann, der Jüngling, aber raste auf ihn los, sowie
er ihn erblickte, und es gab jedesmal ein großes Theater. Als er aber
einsah, daß der Dachs sich unseres Schutzes erfreute, da fing er an zu
mucken. Er guckte uns nur noch von der Seite an und machte ein Gesicht,
als wenn er sagen wollte: »Wenn Ihr mit solchem Stinker verkehrt, dann
brech' ich allen studentischen Verkehr mit Euch ab.« Nach vierzehn
Tagen hatten die Hunde sich an Dächschen gewöhnt, und ich konnte sie
schon, allerdings nur, wenn ich aufpaßte, mit ihm zusammen lassen.

Der Dachs war auch gehörig gewachsen, denn er lutschte täglich einen
bis anderthalb Liter Milch aus und wußte sich seiner Haut brav zu
wehren. Nach drei Wochen brauchte ich keine Angst mehr zu haben. Die
Hunde taten dem Dachs nichts und waren froh, wenn er sie in Ruhe ließ.
Er hatte nämlich die niederträchtige Gewohnheit, sie fortwährend in die
Hinterläufe zu beißen, und da sie ihm nichts tun durften, so kniffen
sie peinlich berührt, vor ihm aus, wenn er sich sehen ließ, oder
retteten sich auf Stühle und Bänke. Am traurigsten ging es dem Terrier,
dessen schwarzweiße Kopffarbe mußte den Dachs wohl an seine Mama
erinnern, denn sowie Bob auf der Bildfläche erschien, sauste Dächschen
hinter ihm her und versuchte zu saugen, eine Zumutung, die Bob stets
mit großer Entrüstung und Verlegenheit erfüllte.

Mit der Zeit gewöhnten sich die Hunde so an den kleinen Grimbart, daß
sie mit ihm spielten, wobei oft Szenen entstanden, daß alle Zuschauer
Tränen lachen mußten. Am lustigsten sah es aus, wenn die Dackel ihn die
Treppe hinuntertrudelten und der Terrier Schleuderball mit ihm spielte,
indem er ihm mit der Nase unter den Leib fuhr und ihn die Treppe
hinaufbugsierte. Battermann dagegen tat nichts lieber, als den Dachs in
den Nacken zu packen und viertelstundenlang herumzuschleppen. Gar zu
gern hätte er ihn gewürgt, aber der Dachs ließ sich nie an die Kehle
fassen, immer schob er den Nacken vor und steckte die Nase weg, und
wenn es ihm der Teckel einmal zu toll machte, dann schlug er um sich,
daß es nur so brummte.

Den Mai über verlebte ich im Harz, wo Battermann Gelegenheit hatte,
einen Bock zu arbeiten und einen alten Fuchs zu zausen, aber auch die
Staupe durchmachen mußte und seinen lieben Bruder Patzel durch einen
unglücklichen Zufall verlor. Als ich zurückkam, war der Dachs beinahe
stärker als der Teckel und ein ganz unverschämter Brite geworden, der
sich vor nichts mehr forcht. Nun war es höchst lustig anzusehen, wie
Battermann sich zu ihm stellte. Er hatte den Dachs zuerst nicht mehr
in der Erinnerung und fuhr ihm sofort an die Schwarte. Als der sich
aber gehörig wehrte und wir dem Hunde bedeuteten, daß er ihm nichts tun
dürfe, ignorierte er ihn vollständig und ging mir sogar aus dem Wege,
wenn er witterte, daß ich mich mit dem Dachs beschäftigt hatte. Er war
eifersüchtig und beleidigt.

Eines Nachmittags nun lag ich auf dem Faulbett und las. Da der Dachs
mich fortwährend störte, stieß ich ihn zurück und sah dabei, wie
Battermanns Augen leuchteten. Ich lud ihn ein, bei mir Platz zu nehmen,
eine Gunst, die ich ihm noch nie gewährt hatte. Von diesem Augenblicke
an änderte der Teckel sein Benehmen gegen den Dachs; er hatte
eingesehen, daß er doch der Beste war, und spielte von nun an immer mit
Dächschen. Ihr Hauptspiel war Schliefen. Dächschen schliefte unter das
Faulbett, und Battermann versuchte hinterher zu schliefen. Dächschen
schlug tapfer um sich, Battermann lag fest vor und verbellte standhaft,
bis ihm die Sache zu langweilig wurde und er ihn beim Nacken herauszog,
worauf dann die wilde Jagd unter allen Stuhl- und Tischbeinen her
weiter ging.

Bis dahin hatte Dächschen noch keine Miene gemacht, zu fressen oder
allein zu saufen, sondern interessierte sich nur für die Flasche. Eines
schönen Tages biß er sich an der Hand eines Bekannten, der ihn neckte,
den letzten Milchzahn aus. Eine halbe Stunde später stürzte er sich wie
rasend auf die Hundeschüssel und fraß den baß erstaunten Hunden ihren
schön geschmälzten, mit Fleischstückchen interessant gemachten Reis
vor der Nase fort. Von der Zeit an interessierte er sich auch lebhaft
für den Garten, murkste in allen Ecken herum, stach unter heftigem
Schnauben und Prusten unter den Efeueinfassungen und im Komposthaufen
und verzehrte schmatzend die fetten Regenwürmer und Salatschnecken, die
er zu Tage förderte, obgleich er tags vorher noch gehacktes Fleisch,
das ich ihm in den Rachen gestopft hatte, mit einer Gebärde tiefsten
Ekels im hohen Bogen ausgespieen hatte. Jetzt aber schlang er alles
hinab, was ihm vorkam; am liebsten nahm er Weißbrot mit Milch, aber
auch kalte Kartoffeln, Fleisch, Brot, Gemüse, rohe Mohrrüben und Obst
verschmähte er nicht, und die Herren Hunde mußten sich mittags beeilen,
wenn sie überhaupt etwas kriegen wollten.

Je älter und stärker Dächschen wurde, um so unverschämter wurde er.
War er bei mir im Zimmer, so erlaubte er es nicht, daß ich ruhig am
Schreibtisch saß. Immer wollte er, daß man sich mit ihm beschäftigte,
und tat ich ihm nicht den Willen, so biß er mich empfindlich in die
Knöchel. War er gar im Keller eingesperrt, so keckerte er über das
ganze Haus und rappelte derartig an der Kellertür, daß es nicht zum
Aushalten war. Vor den Hunden hatte er schon längst keine Angst mehr.
Er jagte sie im Haus und Garten herum und brachte Battermann durch
sein ewiges Zwicken so in Wut, daß er sich mit einem Wutgeheul auf ihn
stürzte, und ihn nach allen Regeln der Kunst beutelte.

Schließlich wurde der Dachs so unverschämt, daß nach längerem
Familienrat beschlossen wurde, ihn dem Zoologischen Garten zu verehren.
Er war kaum einige Tage da, so erschien ein Freund unseres Hauses und
teilte uns mit, der Dachs sei mit acht Eskimohunden zusammengesperrt,
die ihn schmählich mißhandelten. Tiefbetrübt eilte ich zum Zoologischen
Garten und stürzte nach den Eskimohunden. Da war kein Dachs, und als
ich den Wärter fragte, lachte der und sagte: »Der? den sollen die Hunde
mißhandelt haben? Umgekehrt war's! Ich habe ihn herausnehmen müssen, er
ließ die Hunde nicht ans Futter. Jetzt sitzt er bei den Affen!«

Ach du lieber Himmel! dachte ich, denn wie gemein das Affengesindel
ist, das wußte ich. Als ich aber an den Rhesuskäfig kam, da spazierte
Dächschen ruhig und besonnen darin herum, fraß alles, was das liebe
Publikum durch das Gitter stopfte, und die Affen waren auf die höchsten
Akazien geklettert, trauten sich nicht herunter und hatten das Zusehen
gratis und franko. Wagte sich aber einmal einer von ihnen ins Parterre,
dann sauste Dächschen sofort hinter ihm her und stach ihm ganz gehörig
einen. Da er durch seine Erziehung an das Tageslicht und an die
Menschen gewöhnt ist, trieb er sich den ganzen Tag im Käfig herum
und amüsierte das Publikum durch sein fideles Wesen. Er hatte sogar
Radschlagen gelernt, von wem, weiß ich nicht. Die Affen gewöhnten sich
schon etwas an ihn, befolgen aber immer noch den alten Wahlspruch:
»Vis-a-vis is beeter as dichte bi«. Im Herbst war Dächschen halb
erwachsen, hatte sein Winterhaar angelegt und sah sehr stattlich aus.
Aber Dummheiten hatte er immer im Kopf; jeden Morgen, wenn die Affen
aus dem Schlafkäfig in den Freikäfig gelassen wurden und sich auf das
Wasserbecken stürzten, um zu trinken, gab Dächschen jedem von ihnen,
den er erwischte, einen Puff, daß er in das Bassin flog, und wenn die
nassen Affen herauskrabbelten, dann lachte er.

Diese Beschäftigung genügte aber auf die Dauer seinem ungestümen
Tatendrange nicht, und er begann, den Asphaltestrich aufzureißen, was
er so gründlich besorgte, daß er in den Nebenkäfig gesperrt wurde. Dort
machte er es nicht besser, und so wurde ihm die hochherrschaftliche
Wohnung im Affenhause gekündigt und er mußte im alten Dachshause
Unterkunft suchen, was ihm zuerst durchaus nicht behagte, weil er eine
größere Wohnung gewöhnt war.

Da die Backsteine und das Gitter seinem Zerstörungstriebe widerstanden,
suchte er sich andere Zerstreuung und die besteht darin, daß er
jedesmal, wenn einer seiner Nachbarn, der Stachelschweine, sich zu
sehr seinem Käfig nähert, ihm einen oder mehrere Stacheln mit großer
Behendigkeit ausrupft, die er dann, hat er gerade nichts Besseres,
ruhig und besonnen zerkaut.

Heute noch, wo doch schon Jahre darüber hin sind, daß ich ihm die
Flasche gab, kennt er mich und wenn mein Trillerpfiff erklingt, stürzt
er aus seiner Höhle und wartet der guten Dinge, die da kommen sollen.

Meine lieben Hunde aber sind alle tot.



Die Zeit der schweren Not.


Der Wind pfiff halb von Nord, halb von Ost. Allem was am Berge lebte,
mißfiel er, alle, Maus und Eichhorn, Has und Reh, Fuchs und Dachs,
blies er in ihre Verstecke und Bussard und Krähe, Meise und Häher
pustete er über den Kamm des Berges an den Westhang. Es fror, daß es
knackte. Die Weizensaat unter dem Walde winterte aus, die Rinde der
Eiche sprang, still stand der Graben und der Bach verschwand.

Sieben Tage schnob der bitterböse Wind im Lande umher, dann verlor er
den Atem. Über den Berg stieg eine Wolkenwand, schwarzblau und schwer,
schob sich über den hellen, hohen Himmel und legte sich tief auf
das Land, bis sie sich an den scharfen Klippen des Berges den Bauch
aufschlitzte. Da quoll es heraus, weiß und weich, einen Tag und eine
Nacht, und noch einen Tag und noch eine Nacht, und so noch einmal,
bis alles zugedeckt war im Lande und auf dem Berge und so sauber
aussah und so reinlich, daß die Sonne vor Freuden lachte. Ihr Lachen
brachte Leben an den Osthang des Berges. Mit einem Male waren die Rehe
wieder da und die Hasen, Fuchs und Dachs fuhren aus ihren Gebäuden,
das Eichhorn verließ den Kobel und die Maus das Loch, Bussard, Krähe
und Häher tauchten auf und überall wimmelte es von buntem, lustigem
Kleinvogelvolke.

Das Lachen der Sonne war falscher Art, es kündete Blut und Tod. Der
tauende Schnee ballte sich und brach Äste und Bäume, er knickte die
Fichten und krümmte die Jungbuchen, und auf dem Boden überzog der
Schnee sich mit einer Kruste, hart wie Eis und scharf wie Glas. Der
Ostwind hatte ausgeschlafen und blies auf das Neue gegen den Berg. Da
kam die Zeit der schweren Not.

Die Maus hatte ihren Gang unter dem Schnee, das Eichhorn behalf sich
mit Blattknospen und Rinde, der Hase rückte in die Kohlgärten, der
Dachs verschlief die hungrigen Nächte, der Fuchs suchte die Dungstätten
ab. Übel daran aber war das Reh. Die Saat war begraben in steinhartem
Schnee. Die Obermast im Holze war verschwunden. Verschneit waren die
Himbeeren, verweht die Brombeeren, unsichtbar die Heide. Buchenknospen
und dürre Halme, trockene Blätter und harte Stengel, das war alles, was
der Berg an Äsung bot.

Der Hunger ging durch den Wald. Wo seine Augen ein Reh trafen, da fiel
es ab. Der Hals wurde lang, die Dünnungen tief, rauh die Decke und
immer größer die Lichter.

Langsam und vorsichtig zogen die Rehe am Hange entlang, aber alle
Behutsamkeit half ihnen nichts; eins nach dem anderen trat durch die
Eiskruste des Schnees und zerschabte sich die Läufe. In jedem Wechsel
zeichneten sich blaßrote Flecke ab.

Und wieder baute sich eine schwarzblaue Wand hinter dem Berge auf,
schob sich über den hellen Himmel, legte sich über das Land, riß sich
an den Klippen den Pansen auf und schüttete Schnee auf das Gefilde,
einen ganzen Tag und eine volle Nacht.

Und wieder lächelte die Sonne ihr hinterlistiges Lächeln und machte Eis
aus dem Schnee. Noch langsamer, noch vorsichtiger zogen die Rehe dahin,
mit Hälsen, so dünn wie Heister, schwarze Löcher in den Dünnungen. Und
wo sie zogen, da wurde der Schnee rot.

Der Tod ging durch den Wald. Da war kein Reh am ganzen Berge, das nicht
an den Läufen klagte. Das eine blieb stehen, wo es stand, und zitterte,
bis es fiel. Ein anderes tat sich nieder und stand nicht wieder auf.
Ein drittes stürzte halb verdurstet in die Quellschlucht und erstarrte
im eisigen Wasser.

Noch niemals ging es dem Fuchs so gut, wie da. Sein Tisch war gedeckt,
war reicher beschickt, als zur Maienzeit, wenn alle Mäuse hecken und
das Feld von Junghasen wimmelt. Auch der Marder konnte zufrieden
sein und Bussard und Krähe nicht minder; sogar für die bunten Meisen
blieb noch Fraß genug übrig, und die Waldmäuse nagten die letzten
Sehnenfetzen von den Knochen.

Kein Ende der Not kam; jeden Tag ging der Tod seinen Belauf im Berge
ab. Selbst die Hasen schonte er nicht; mancher von ihnen, der sich am
gefrorenen Kohl verdarb, füllte den Pansen des Fuchses, der von Tag zu
Tag mehr in die Breite ging.

Eines Morgens aber fuhr er mit ledigem Leibe zu Baue. Vor der Dickung
lag ein gefallenes Reh, an dem er sich schon eine Nacht gütlich getan
hatte. Doch als er die zweite Nacht heranschnürte, da schlug ihm eine
seltsame Witterung entgegen, ein Geruch, den er nur einmal gewittert
hatte. Rund um den Fleck, wo das gefallene Stück lag, schnürte er, und
eine geschlagene Stunde dauerte es, ehe er sich ein Herz faßte und
heranschlich. Und da stand er und windete und äugte lange Zeit, und
schließlich schnürte er mit hängender Lunte und angelegten Gehören
mißmutig ab, denn sein Reh war fort, war bis auf die Schalen und
einige Deckfetzen verschwunden, und weiter war nichts da, als die
niederträchtige und dabei doch verlockende Witterung.

Aber der Tod ging immer noch durch den Wald und er schlug Stück um
Stück mit harter Hand. Der Fuchs verlor den Mut nicht. Behende trabte
er von Wechsel zu Wechsel, bis er einen fand, in dem eine kranke
Fährte stand, und der hing er nach. So ganz leicht war es nicht, sie
zu halten. Es schneite und schneite und der Wind pfiff böse; er schob
den Schnee von den Blößen vor die Dickungen, fegte ihn hier zusammen,
kehrte ihn dort fort, verdeckte auf weite Strecken die Rotfährte und
verwischte sie endlich völlig. Das ganze helle Holz suchte der Fuchs
ab; er nahm die Fährte wieder auf, wo er sie zuerst gefunden hatte, und
er hing ihr nach bis zu der Stelle, wo sie in der großen Schneewächte
unterging. Da saß er eine ganze Weile auf den Keulen und dann schnürte
er weiter, hungrig, müde und verdrießlich. Er suchte alle Rehdickungen
ab; sie waren leer. Er schlich durch den Stangenort; da war es tot. Er
trabte den Bach entlang bis zum Vorholze; es war dort unten so, wie
oben.

Da schnürte er zu Felde, um an der Dieme auf Mäuse zu passen. Als er
dort angelangt war, vergaß er alle Mäuse, denn er fand die kranke
Fährte wieder. Eilig, aber behutsam, nahm er sie auf und hielt sie bis
zu dem Fichtenmantel unter dem Altholze. Immer länger wurde er, denn
immer wärmer wurde die Fährte, und schon war er in den Fichten, da fuhr
er wie besessen heraus und stob in das Feld zurück. Denn in den Fichten
war es nicht geheuer. Es hatte da gebrochen, so laut und so grob, als
wenn ein Mensch da gegangen wäre, und es hatte dort geschnauft und
geschnarcht, wie kein Tier des Waldes zu schnaufen und zu schnarchen
vermag.

In guter Sicherheit stand der Fuchs im Schatten der krausen Feldeiche
und überlegte. Dann holte er sich Wind. In weitem Bogen trabte er
am Vorberge entlang, verschwand bei der Quellschlucht im Altholze,
schnürte hoch über dem Fichtenmantel durch die Räumdungen und schlich
vorsichtig näher. Gerade, als der Mond die Wolken fortschob, kam der
Fuchs bei den Fichten an. Da war es still und einsam. Der Fuchs schlich
näher, den vollen Wind nehmend. Rehwitterung zog ihm entgegen. Langsam
schlich er näher, verhoffte, schlich wieder näher, der guten Witterung
entgegen; da fuhr er zurück. Denn da war eine zweite Witterung, die
fremde Witterung von vorhin, dieselbe, die er bei dem gefallenen Stücke
wahrgenommen hatte, das ihm verloren gegangen war, eine unbekannte,
verdächtige, absonderliche, geheimnisvolle, niederträchtige Witterung,
zwar keine von Mensch oder Hund, aber immerhin nicht ungefährlich
und auf keinen Fall vertrauenswert. Und jetzt der Ton! Ein Blasen,
Schnaufen, Schnarchen, wie es nachts oft aus den Ställen bei den
Gehöften kommt. Der Fuchs drehte um und stahl sich davon. Er traute dem
Frieden nicht.

Eine gelbgesäumte Wolke brachte den Mond wieder zu Bett. Das
Schneetreiben setzte abermals ein. Da blies es lauter in den Fichten,
da krachte es im Schnee, brach es in dem Fallholz, und schwarz und grob
schob es sich aus der Dickung, verhoffte, nahm laut schnaubend Wind,
trat dichter an das gefallene Stück, daß der harte Schnee krachend
zerbrach, prüfte noch einmal blasend den Wind und nahm dann den Fraß an.

Der Waldkauz, der allabendlich an dem Tannenmantel entlang strich, um
eine Maus zu schlagen oder einen Vogel aus dem Verstecke zu klatschen,
rüttelte einen Augenblick neugierig über der kleinen Lichtung, von der
ein lautes, gieriges Schmatzen und Schlabbern erscholl, untermischt
mit dem Knirschen der Schneekruste und dem Krachen von Knochen. Dann
strich die Eule ab; wo es so laut war, gab es für sie nichts zu fangen.

Als der Fuchs am Spätnachmittage des anderen Tages den Tannenmantel
absuchte, fand er dort, wo das Schmalreh gelegen hatte, nur noch die
Schalen, einige zertrümmerte Knochen und etliche Fetzen der Decke in
dem zerwühlten, niedergetretenen, besudelten Schnee. Alles andere hatte
der von weither zugewechselte, versprengte Schwarzkittel verschlungen.

Der Tod ging immer noch durch den Wald, aber dem Fuchs bescherte er
nicht. Jedes Stück, das Hunger und Hartschnee umwarfen, verschwand im
Gebräche der Sau, so daß auch Reineke empfand, daß sie gekommen war,
die Zeit der schweren Not.



Des Rätsels Lösung.


Waldmann ist unter die Philosophen gegangen. Etwas Rätselhaftes
ist in sein Leben getreten, etwas Mystisches, Unbegreifliches,
Transzendentales.

Was mag das wohl sein, wovon morgens immer der Hof des Forsthauses eine
so sonderbare Witterung hat? Die Katze ist es nicht, eine Ratte auch
nicht? Also: »Was ist es?«

Es gibt mehr Dinge zwischen dem Hundehause und der Belaufsgrenze, als
eine Hundenase verstehen kann. Das ist das Ergebnis der philosophischen
Betrachtungen Waldmanns, ein Ergebnis, das ihm seine ganze Gemütsruhe
genommen hat. Es ist ein Tier, aber ein unbekanntes Tier, das eine ganz
andere Witterung hat, als Fuchs und Dachs und Has' und Reh und Hirsch
und Sau, und auch eine andere, als Igel und Wühlratte und Wiesel und
Eichkater.

Es kommt nachts aus dem Schweinestalle und geht in den Torfschuppen.
Manchmal bleibt es drei Tage aus, aber am vierten ist es wieder
dagewesen. Einmal war es eine volle Woche fort und Waldmann dachte
kaum mehr daran. Dann auf einmal roch wieder der Wechsel zwischen
Schweinestall und Torfhaus so stark danach, daß Waldmann wie toll hin-
und herlief und winselte und kratzte und kläffte, bis der Hegemeister
fragte, ob er nicht ganz klug sei.

Wenn Waldmännchen mit seinem Herrn im Revier war, vergaß er die
unerklärliche Witterung, draußen gab es immer so schrecklich viel zu
schnüffeln und ab und zu auch etwas zu zausen; heute einen Fuchs,
der die Kugel zu kurz bekommen hatte, und dann ein geltes Tier, das
Waldmann arbeiten mußte, weil Hirschmann, der sich den Vorderlauf
vertreten hatte, zu Hause geblieben war. Das war ein großes Vergnügen,
am Riemen auf der Rotfährte nachzuhängen, und ein noch größeres,
das Stück zu Stande zu hetzen, und das größte, es an der Drossel zu
schütteln, als es im Fangschusse zusammenbrach. Bei solcher hohen
Arbeit vergaß Waldmann das unheimliche Wesen, das Nacht für Nacht auf
dem Hofe umging.

Sobald er aber in die Nähe des Hauses kam, schoß ihm der Gedanke
daran in den Sinn. Und wenn er noch so hungrig war und die Frau
Hegemeisterin ihn auch noch so gut fütterte, so fuhr er doch zuerst auf
den Schweinestall los, steckte seine Nase zwischen die Planken, kratzte
und winselte, schnüffelte sich dann bis zum Torfschuppen hin, benahm
sich da ebenso, wie beim Schweinestalle und schlich schließlich mit
nachdenklich gerunzelter Stirn und hängender Rute in das Haus, und der
Hegemeister lachte und meinte: »Unser Waldmann hat den Rattenkoller.
Wir wollen Fallen aufstellen!« Und am anderen Morgen schlug sich
Waldmann in der Waschküche zwei dicke Ratten um die Behänge, und dann
schoß er wieder auf den Schweinestall los und fing an zu schnüffeln.

Eines Abends, als er auf der Sauschwarte vor dem Sessel saß, fuhr
er wie wahnsinnig zur Türe, riß beinahe das Mädchen um, das mit dem
Nachtmahl hereinkam, rannte in den Hof und kläffte und winselte an dem
Torfschuppen herum, bis der Knecht mit der Laterne kam und ihn in den
Schuppen hineinließ. Da schoß Waldmann nun hin und her, sprang an den
Wänden hoch, kletterte über die Törfe, schnaufte in alle Ecken hinein,
bis er von dem Torfmull einen Husten bekam, und zog schließlich, von
dem Hegemeister weidlich ausgelacht, vergrämt wieder ab. Mürrisch lag
er während des Abendessens auf seiner Sauschwarte, und selbst der
Todesschrei der Wurst, wie der Hegemeister es nannte, wenn er der
Mettwurst die Haut abriß, lockte ihn nicht an den Tisch.

»Lacht mich nur aus,« dachte er, »wer zuletzt lacht, lacht am besten!
Ich habe es deutlich vernommen, daß da etwas auf dem Hofe war, und es
war nicht Müschen, die Katze, und eine Ratte war es auch nicht, und es
war etwas, das ich nicht kenne, das ich noch nicht gewürgt habe. Wer
weiß, ob es nicht ein ganz gefährliches Tier ist, ein Tier, das die
Schweine fressen will oder den Torf. Ich muß aufpassen, daß es kein
Unglück gibt. Herrchen ist ja der klügste Mensch, den ich kenne, aber
gegen uns ist er doch ziemlich dumm, und seine Nase ist auch nicht
besser, als die anderer Menschen, sonst würde er es nicht aushalten,
das Zeug zu rauchen, das ich für den Tod nicht ausstehen kann, und
Apfelsinen zu essen und Bier zu trinken, Dinge, die jeder feinen Nase
entsetzlich sind!«

Als der Hegemeister in das Bett wollte, sah er, daß Waldmann noch
einmal nach dem Wetter sehen wollte, und er ließ ihn hinaus. Wieder
ging das Hin- und Hergerenne und das Gewinsel los; und als sich der
Hegemeister zu dem Hunde hinunterbückte, um zu sehen, was er an dem
Torfschuppen zu kratzen habe, da sprang Waldmann an ihm empor, pfiff in
den höchsten Tönen und stellte sich an, als hinge das Wohl und Wehe des
ganzen Hauses davon ab, daß die Sache ihre Aufklärung erführe. Und der
Hegemeister ließ ihn in den Schuppen und half ihm oben auf die Törfe;
da lief Waldmann hin und her und machte einen Lärm, wie eine ganze
Meute, bis schließlich ein halbes Hundert Törfe ins Rutschen kamen und
mit dem Hunde dem Hegemeister um die Beine polterten. Und da hieß es
denn wieder: »Nun komm, Waldmann, und rege dich nicht um die albernen
Ratten auf!« Als aber mitten in der Nacht Waldmann mit fürchterlichem
Gekläffe aus seinem Korbe schoß, vom Boden auf den Korbsessel und von
da gegen das Fenster sprang, da wurde es seinem Herrn denn doch etwas
zu bunt, Waldmann bekam einen Pantoffel an den Hals und wurde in einer
Weise angeschnarcht, die ihm durchaus nicht paßte.

Deshalb muckte er denn auch den ganzen folgenden Tag; er ließ seine
Milch stehen, ging seinem Herrn aus dem Wege und verkniff sich das
Pfeifen und Wedeln, als er mit in den Wald durfte. Um ihn wieder zu
versöhnen, schoß ihm sein Herr eine Eichkatze; aber anstatt sie mit
großem Getöse abzuschütteln und mit Stumpf und Stiel zu verspeisen,
wie er es sonst tat, beroch er sie kaum und ließ sie liegen, und der
Hegemeister schüttelte den Kopf, lachte und sagte nachher zu Hause:
»Der Hund trägt es mir jetzt noch nach, daß ich ihm heute nacht den
Pantoffel an den Kopf warf.« Aber das hatte Waldmann nicht so übel
genommen, als das Anschnauzen und vor allem hatte ihn der Ausdruck:
»Kartoffelkopp« tief gekränkt. So wedelte er beim Abendbrot noch nicht
einmal, als ihm eine Fetthaut von der Leberwurst hingeworfen wurde, und
es dauerte fast fünf Minuten, ehe er geruhte, sie zu verspeisen.

Er war auch mehr traurig, als wütend. Ist es denn möglich, daß die
Menschen essen und trinken und lachen können, während es draußen
umgeht? Wer weiß, ob nicht schon heute nacht das schreckliche Wesen
sich in das Haus schleicht und irgend ein Unheil anrichtet! Und deshalb
schlüpfte Waldmann, als das Mädchen abdeckte, zur Türe hinaus und war
und blieb verschwunden, ob auch der Hegemeister pfiff und pfiff. Die
ganze Nacht blieb er draußen, bald auf der Schwelle lauernd, bald am
Schweinestalle oder am Torfschuppen schnüffelnd, aber er fand nichts,
und als die Magd in aller Frühe in den Stall ging, schlich Waldmann
sich beschämt in das Haus, kroch unter den Herd und ließ sich erst
wieder blicken, als es etwas zu fressen gab. Der Hegemeister war dann
noch so taktlos, ihn zu fragen, ob er im Dorfe ein Stelldichein gehabt
habe, eine Äußerung, die nicht geeignet war, Waldmann in bessere
Stimmung zu versetzen.

Eines Tages aber wurde er glänzend gerechtfertigt. Der Knecht kam
herein und sagte: »Wir haben nämlich die erste Neue, Herr Hegemeister,
und ich glaube, der Waldmann der war nämlich klüger als wir alle
zusammen. Vom Schweinestall bis zum Torfschuppen spürt sich nämlich ein
Iltis hin und her. Und nun weiß ich nämlich auch, warum das morgens
auf dem Hofe immer so mulsterig roch und ich glaube nämlich, wir tun
dem Hunde den Gefallen und machen ordentlich Blechmusik, indem das
nämlich der Iltis für den Tod nicht vertragen kann. Bei dem vorigten
Hegemeister wurde das nämlich auch immer so gemacht. Der stellte sich
nämlich mit der Flinte an und wir ließen die Hunde in die Ställe und
machten mit Kasserollen und Sensen Lärm und dann sprang er nämlich, der
Iltis, und entweder wurde er geschossen oder die Hunde kriegten ihn zu
fassen.«

Der Hegemeister lachte und sagte: »Dann wollen wir das nämlich so
machen.« Und so ging die Geschichte los. Der Knecht und die Line
und sogar die Frau Hegemeisterin nahmen Topfdeckel und zogen in den
Schweinestall, der Hegemeister machte scharf und stellte sich auf dem
Hofe an und Waldmann wurde in den Stall geschickt. Aber als der Lärm
los ging, machte er, daß er fortkam und schlüpfte in den Torfschuppen
und winselte da so lange herum, bis der Knecht ihn hineinließ. Da
stellte sich Waldmann ganz wild an, so wild, wie er wurde, wenn er
eine kranke Sau verbellte, und er scharrte und kratzte an dem Torfe
herum, daß der Hegemeister sagte: »Johann, schmeiß einmal die Törfe
auseinander.«

Das tat Johann auch und Line mußte derweilen weiter mit den Topfdeckeln
klappern. Auf einmal schrie sie auf, ließ die Deckel fallen, hielt sich
die Röcke zusammen, rannte dem Hegemeister vor den Leib, daß dem die
Pfeife aus dem Munde fiel, und ehe er und der Knecht eigentlich wußten,
was los sei, fuhr etwas Schwarzes zur Türe hinaus und hinterher sauste
Waldmann. Und da hörten sie auch, wie die Frau Hegemeisterin schrie:
»Bravo, Waldmann, bravo! Er hat ihn, er hat ihn! Hu, faß den Stinker,
so recht, so schön, Waldmann!« Als der Hegemeister und der Knecht und
Line auf den Hof kamen, war der Fall schon erledigt. Waldmann stieß den
Iltis, der nur noch ein ganz wenig zuckte, hin und her, schlug ihn sich
noch einmal um die Behänge, trug ihn dann ins Haus und legte ihn auf
seine Sauschwarte, wo er ihn von neuem beroch, bis der Hegemeister den
Iltis aufnahm und dann den Hund abliebelte.

»Bravo, Waldmann!« Na, das ging Waldmann ja ganz glatt hinunter, aber
er dachte doch bei sich: »Ihr hättet mir viel Ärger und Kummer ersparen
können, wenn ihr eher auf den Gedanken gekommen wäret, daß ich immer
recht habe, wenn ich mich aufrege. Aber euch fehlt eben die Nase und so
kann man euch schließlich nichts übel nehmen.«



Das Eichhörnchen.


Es ist noch ganz grau im hohen Holze. Und ganz still ist es. Der
Nordost, der drei Tage und drei Nächte tobte, hat sich gelegt. Dem
scharfen Nordwest hat weiche Südwestluft Platz gemacht. Das gefällt den
Rehen, die langsamer als in den drei letzten Tagen den Dickungen am
Hange zuwechseln, ab und zu im Schnee nach Obermast plätzend, und dem
Kauz sagt die laue Luft gleichfalls zu; so laut, als wäre es im April,
jauchzt er auf und dann streicht er lautlosen Fluges zwischen den
dunkelen Stämmen der Buchen einher.

In der dicken, schwarzen Kugel, die in der höchsten Zwille der
langschäftigen Buche schwebt, knistert es leise. Ein halblautes
Schnalzen ertönt von da. Der Fuchs, der leise den Holzweg
hinaufschnürt, verhofft und lauscht empor, aber mißmutig trabt er
weiter. Das ist nichts für ihn. Es hat zwar Haare und keine Federn, es
hält sich zuzeiten auch auf dem Boden auf, aber wenn man denkt, man hat
es, macht es einen Riesensprung und rasselt den nächsten Baum in die
Höhe, wippt mit dem Schwanz und schimpft: »Kwutt kwutt kwuttkwutt,« so
wie das da oben.

Bei der schwarzen Kugel hoch oben in der Buchenzwille raschelt es
stärker. Die Eichkatze hat ihr Nest verlassen und putzt sich. Ab und zu
hebt sie den Kopf und schnuppert in den Wind hinein. Das Wetter gefällt
ihr. Ein bißchen zu dunkel ist es zwar noch, aber da unten über den
schwarzen Hügeln wird der Himmel schon rot. Und der Hunger ist groß.
Drei Tage und drei Nächte vom eigenen Fette zu leben, das hält nicht
vor. Wer weiß, wie lange das gute Wetter anhält? Dem Februar ist nicht
zu trauen. Morgen regnet es vielleicht schon wieder Schlackschnee und
dann heißt es abermals: schlafen und hungern.

Die Eichkatze rückt auf dem Aste hin und her, schnuppert an der Rinde,
knappert ein paar dünne Knospen ab, und ist mit einem jähen Satze in
der nächsten Krone. Dünn sind die Zweige und brüchig vom Frost, aber
ehe sie dazu kommen, abzubrechen, sind sie die Last schon wieder los,
federn rasselnd empor und die Eichkatze rennt schon über einen Zweig
in dem folgenden Baume, wirft sich in den vierten, schlüpft einen
dünnen Ast entlang, daß er sich tief biegt und sie in den fünften Baum
befördert, und dann noch ein Sprung und noch einer und sie fällt in den
Wipfel der alten Samenfichte.

Hastig geht es einen langen Ast hinunter, fast bis in die Spitze.
Schwer beladen war er im Herbste mit langen Zapfen, wenige hängen nur
noch daran. Einen nach dem anderen holte sich das Eichkätzchen und
half sich mit der mageren Kost über manchen strengen Wintertag. Der
ganze Boden unter der Fichte ist besät mit den rostroten Schuppen,
überall ragen die Zapfenquirle aus der Schneedecke hervor und auf den
halbverschneiten Felsbrocken liegen in ganzen Haufen die Überreste der
kärglichen Mahlzeiten. Und zwischen dem Geröll liegen auch allerlei
Knochen, die die Eichkatze auf den Frühstücksplätzen der Holzhauer
fand und hierhin schleppte, um die Fleischrestchen abzunagen und die
knorpligen Enden, und wenn gar nichts Eßbares mehr daran saß, so nagte
es doch jeden Tag aus Langeweile daran herum.

Der Rehbock, der in Wipfelhöhe der Fichte am Hange hinzieht, macht eine
jähe Flucht und zieht laut schreckend ab, denn vor ihm rauscht und
rasselt es ganz gefährlich. Die Eichkatze hat einen Zapfen losgebissen,
hält ihn im Maule und klettert mit ihm kopfüber den Stamm hinab, ganz
eilig, aber ab und an innehaltend und nach allen Seiten spähend. Dann
ein Sprung und sie sitzt auf ihrem Felsblocke, hoch aufgerichtet,
zur Flucht bereit, falls etwas Verdächtiges nahen sollte. Aber es
kommt nichts Arges. Da hinten ziehen die Rehe durch den rotlaubigen
Buchenaufschlag, ein Hase hoppelt langsam bergan, ein Zaunkönig
schrillt im Geklüft. Schnell dreht die Eichkatze den Zapfen mit den
Vorderfüßen um, die gelben Nagezähne fassen die Schuppen, beißen sie
durch, und hastig nehmen die Lippen ein Samenkorn nach dem anderen
fort. Eben war das Ding noch ein glatter, schöner Tannenzapfen, jetzt
liegt nur noch der Kern hier und rund herum bedecken die Schuppen den
grauen Stein.

Es ist ganz hell im Holze geworden. Die grauen Stämme schimmern
silbern, die Schneedecke des Bodens leuchtet goldig. Zwitschernd und
pfeifend lärmt ein Flug Zeisige über den Wald hin, der Häher kreischt,
ein Bussard klagt. Die Eichkatze hüpft rastlos unter den Fichten umher,
kratzt hier, scharrt da, schnüffelt dort, macht alle Augenblicke ein
Männchen, heftig mit den langpinseligen Ohren zuckend und die Rute
schnellend, dann ganz regungslos verharrend, und schließlich wieder
hastig über den Boden schlüpfend, jetzt einen Zweig der Knospen
beraubend, dann eine Buchennuß zerknappernd, und nun einen weißfaulen
Ast zerfasernd, in dem die Puppen von Käfern stecken.

Dann auf einmal rennt sie wie gehetzt zu Tale, ohne auch nur einmal
Halt zu machen, ohne rechts und links zu äugen, und erst am Rande des
Holzes hält sie ein. Da recken einige dicke Eichen ihr graues Astwerk
über dichtem Buschwerk von Schlehe, Weißdorn und Wildrose. Ohne sich
zu besinnen, fährt das rote Tier in das hohe gelbe Gras, springt
hierhin, hüpft dahin, kratzt den Schnee fort, scharrt das Laub auf,
zernagt gierig eine Eichel, verspeist eilig eine Mehlbeere, schält den
Schlehenstein aus seiner Hülle und knackt ihn auf, schärft die Zähne an
einer Abwurfstange vom Rehbock, wie so manches Mal schon, tut sich an
drei Pflaumenkernen gütlich, die im Herbste der Jäger von dem Hochsitze
warf, findet noch eine dicke Brotrinde, einen Apfelkropf mit vielen
leckeren Kernen und zuletzt noch zwei Schweinsrippen mit schönen mürben
Knorpelenden.

Nun, da der Magen ruhig ist, findet die Eichkatze, daß es ganz allein
ein langweiliges Leben im Walde sei. Die Sonne scheint so schön warm,
da gelüstet es sie nach einem kleinen Spiele kopfüber, kopfunter,
stammauf, stammab. Den ganzen Winter hat sie solche Anwandlungen nicht
gehabt; sie war froh gewesen, wenn ihr keiner von ihrer Sippe in den
Weg kam, denn ob rot oder grau, braun oder schwarz, Weibchen oder
Männchen, Hunger hatten sie alle und so ganz viel gibt es wintertags im
Bergwalde nicht. Aber wenn der Februar auf die Neige geht, dann sehnt
man sich doch nach Gesellschaft und ist froh, wenn man auf eine frische
Fährte stößt, in der Sonne eine rote Lunte leuchten sieht oder auf dem
Geäst das bekannte Gerassel und das liebe Schnalzen und Fauchen hört.
Und so, ganz Ungeduld und Sehnsucht, hopst das Eichhörnchen an der
Holzkante entlang, bäumt zur Abwechslung einmal auf, holzt eine Weile
weiter, geht wieder zu Boden und fährt dort erschreckt zusammen.

Denn von der anderen Seite kommt auch etwas den Pürschsteig entlang in
schnellen, hastigen Sprüngen. Und jetzt macht es auch Halt. Steif sitzt
es da, ein kohleschwarzes Männchen mit schneeweißer Brust. Prächtig
sieht es aus; die grauen Spitzen der Haare geben dem Balge einen blauen
Schein. Steif sitzen die beiden Eichkatzen sich gegenüber. Ab und an
zuckt eines mit dem Schwanz. Dann schimmert es hier kupferrot in der
Sonne und dort stahlblau. Jetzt macht das schwarze Männchen einen
Satz und sofort schnalzt das rote Weibchen und wendet um. Über den
hellen Schnee und das rote Laub geht die Jagd, in einem Fichtenhorste
verschwindet das Weibchen und fährt wieder heraus, und hinterher saust
der schwarze Verfolger, folgt ihr in die Bachschlucht, rasselt über das
Lufteis, flitzt über die Felsblöcke, hopst die Klippe hinab und prallt
auf eine dritte Eichkatze, eine große, braunrote, deren Balg ganz grau
bereift ist.

Das fuchsrote Weibchen hängt unten an dem Stamme einer Buche und äugt
regungslos hinter sich. Regungslos sitzen die beiden anderen auf ihren
Keulen, die Vorderpfoten fast bis zu den Schnurrhaaren erhoben, die
Ruten in schönem Schwunge fest an den Rücken gelegt. Sie sitzen und
stieren sich an. Der Specht schilt, der Häher schimpft; sie rühren sich
nicht. Eine Kohlmeise zetert; noch immer sitzen sie da. Da raschelt es
hinter ihnen im Laube. Steil richten sich die beiden Männchen auf, das
Weibchen macht einige Sprünge am Stamme empor, und dann jagen ihm die
beiden Männchen nach, das schwarze und das rotbraune, und noch eins,
ein fuchsrotes mit breitem schwarzen Rückenstrich und dunklem Schwanze,
das der Spur des Weibchens gefolgt ist.

Specht und Häher und Kohlmeise und Spechtmeise und Zaunkönig schimpfen
mörderlich, denn das ist ihnen denn doch ein bißchen zu viel des Lärms.
Das ist ja beinahe so schlimm wie gestern, als der Nordwest im Walde
herumtolpatschte. Das rasselt und prasselt und klirrt und klappert,
hier fällt ein Zweig, da plumpst ein Ast, jetzt rieseln Tannennadeln
und nun knistern Flechten hernieder, und bald hier, bald da schnalzt
und faucht und quietscht es, jetzt wirbelt es durch die alte Fichte,
nun saust es in der entwurzelten Buche, daß die drei Rehe ganz unruhig
hin- und hertreten und die Dompfaffen schleunigst machen, daß sie
weiter kommen, und dann fährt der Hase, der in seinem Lager unter der
dichtbelaubten Jungbuche am Verdauen war, entsetzt heraus, einen Regen
von Schnee um sich werfend, denn es fiel plötzlich etwas rasselnd in
den Busch.

Das war die rote Eichkatze gewesen, der es nachgerade zuviel wurde
mit der Anbeterei. Keinen Augenblick hatte sie Ruhe gehabt seit einer
vollen Stunde. Bald war ihr das schwarze Männchen auf den Fersen, bald
das braune, und wenn die beiden sich balgten, dann hatte sie es mit
dem schwarzrückigen zu tun. Wurde der von dem braunen abgebissen, dann
rückte ihr der schwarze auf den Leib, und so ging es in einem fort,
bis es ihr zu dumm wurde und sie sich, als die drei in einem einzigen
Klumpen verfilzt von der einen Seite der Fichte in den Schnee kugelten,
von der anderen Seite in den Buchenbusch fallen ließ. Da sitzt sie
nun, ein bißchen außer Atem, putzt sich, leckt sich und sieht den drei
Männchen nach, die nach drei Richtungen hin im Walde verschwinden. Dann
eilt sie in hastigen Sprüngen auf die Klippenwand zu.

Das ist ihre Hauptspeisekammer im Winter. Dort steht ein krummer
Lindenbaum, der alle Jahre trägt. Vier alte Nußsträucher spreizen
sich dort unter zwei sturmzerfetzten Samenfichten, und obgleich dort
keine Eiche wächst, so sind in den Felsspalten immer Eicheln zu
finden, die die Häher hierhin vertragen, und die alte Buche wirft
jedes zweite Jahr reichlich Früchte in die Schlucht, die dort vor
den Mäusen sicher sind, weil es dort immer nach Fuchs riecht. Auch
ein Wildapfelbaum schiebt sich aus der Wand, am Ausgange der Schlucht
stehen Vogelkirschen und an Schlehen, Weißdorn und Rosen mangelt es
nicht. Ist es mit der Kost im Walde einmal schlecht bestellt, hier
findet sich immer etwas für den Magen und unter der Felswand gibt es
das Feinste, was der Wald zu bieten hat, dicke, würzige Trüffeln.
Nicht weit davon liegt das Forsthaus, und in dem Garten wachsen Äpfel,
Birnen, Pflaumen, Kirschen und Walnüsse. Ein bißchen lebensgefährlich
ist es dort freilich, denn seitdem der Förster dahinter gekommen ist,
wer ihm seine Birnen zernagt und seine Nüsse fortschleppt, paßt er sehr
auf, doch vor Tau und Tag lebt es sich da herrlich.

Das wissen alle Eichhörnchen am Berge und darum finden sie dort immer
Gesellschaft, und kaum ist das rote Weibchen dort angelangt, so ist
auch schon ein braunrotes Männchen bei ihm, das ihm eifrig den Hof
macht. Anfangs ziert sich das Weibchen und es gibt eine kleine Hetzjagd
durch Busch und Kraut, über Stock und Stein, aber es ist noch müde von
vorhin und da das Männchen mit seinen Liebenswürdigkeiten nicht abläßt,
wird es quer über die Nase gekratzt und tüchtig in die Lippe gebissen
und zieht schließlich ab. Während der warmen Mittagsstunden turnt das
Weibchen dann bedächtig an der Wand herum und sucht im Laube nach
Eicheln und Buchnüssen. Nachmittags aber, als die Sonne hinter Wolken
verschwindet, sucht es sein nächstes Nest in der gegabelten Fichte auf,
einen weichen, warmen Kobel, den es stets bezieht, wenn es der Abend
hier bei den Klippen überrascht.

Die Tage kommen, die Tage gehen. Weiches Wetter tritt ein, und die
Eichkatze ist den ganzen Tag in Bewegung. So manchen Käfer scharrt sie
aus dem Laube und findet Raupen und Puppen unter dem Moose. Als sie
dann noch die Fütterung entdeckt, wo der Förster den Rehen Eicheln
schüttet, da geht es ihr besser, als bisher, und ohne sich um die Rehe
zu kümmern, holt sie sich Tag für Tag ihr Teil, schleppt auch manche
Eichel beiseite und stopft sie unter das Moos oder verbirgt sie in
Fels- und Baumritzen. Fällt kalter Regen aus den Wolken oder bläst eine
rauhe Luft, dann verschläft sie einen Tag oder auch zwei, und ist das
Wetter heiter, dann läßt sie sich auch wohl wieder zu lustiger Balgerei
und fröhlicher Hetz mit irgend einem netten Männchen herbei, das ihr in
den Weg läuft.

Schließlich hörte diese Spielerei auf. Die Männchen laufen ihm nicht
mehr nach und das Weibchen hat andere Sachen im Kopfe. In einer
ganz langen, hochschäftigen Buche baut es ein ganz großes, festes,
dickwandiges Nest. Es gibt sich viele Mühe damit. Fortwährend schleppt
es Moosbüschel, welkes Gras, dürre Würzelchen und trockenes Laub
herbei, filzt Schicht auf Schicht mit den Vorderpfoten zusammen,
dreht sich so lange darin herum, bis die Höhlung glatt und eben ist,
setzt ein dichtes Dach darauf, stopft jede Ritze zu, in die der Wind
hineinschnauben könnte, und läßt nur im Osten ein Schlupfloch, das aber
leicht verschlossen werden kann, wenn der Wind von der Morgenseite weht.

Die Finken schlagen, die Drosseln pfeifen. Die rote Eichkatze ist jetzt
nicht mehr so oft zu sehen. Ganz früh am Morgen sucht sie nach Nahrung
und in der Abenddämmerung, und gierig fällt sie über alles her, was
sie vorfindet. Jeder Käfer ist ihr recht, jeder Schmetterling wird
mitgenommen. Die Morchel im Laube verschwindet unter den schnellen
Zähnen und die Blütenknospen des Ahorns werden ebensowenig verschmäht,
wie die keimende Eiche und die treibende Buchecker. Magerer noch als
der Winter ist die Frühlingszeit und die Eichkatze hat vierfachen
Hunger, denn in ihrem Neste im Buchenwipfel liegen sechs junge
Eichkätzchen, und deren sechs Mäulchen müssen gestillt sein. Da heißt
es denn: fressen, was zu fressen ist, damit die Kleinen satt Milch
bekommen.

Je größer sie werden, um so gieriger sind sie, und mit der Kost wird
es nur langsam besser. Maikäfer sind noch nicht da und die Raupen sind
noch gar zu klein. Eicheln und Bucheckern gibt es nicht mehr und die
Knospen sind alle aufgesprungen. Die schlimmste Zeit im Jahre ist es
für die Eichkatze, wenn die Buche ihr Blatt entfaltet. Hunger, Hunger,
immer Hunger, und so dürftige Kost! Bei der Käfer- und Raupenjagd stößt
sie auf ein Drosselnest. Die blauen Kugeln sehen so blank aus, wie
reife Eicheln. Am Ende schmecken sie auch so. Das, was herausquillt,
ist ein bißchen naß, aber schmeckt nicht schlecht, und es stillt den
Hunger. Da ist schon wieder ein Nest. Eier sind nicht darin, nur
nackte Vögel. Sie piepen erbärmlich, und die Alte flattert wild und
schimpft und zetert, aber es ist doch besser, als Baumrinde oder junge
Sprossen und die Hauptsache ist, es sättigt mehr, als das sechsbeinige
Grabbelzeug, das im Moose und Grase herumwimmelt.

Endlich burren die ersten Maikäfer, die Raupen nehmen zu an Länge
und Dicke und die Grashüpfer werden immer fetter. Nun läßt es sich
allmählich schon leben im Walde. Außerdem liegt an der Waldstraße
ein eingegattertes Stück Land, in dem sind Löcher und darin stecken
Eicheln, die zwar schon stark keimen, aber noch ganz leidlich sind.
Wie die sechs Jungen die Milchzähne verloren haben und auf eigene
Gefahr ihre Nahrung suchen, da gibt es schon allerlei bessere Sachen.
Hier und da findet sich ein leckerer Erdpilz, die Nüsse haben kleine
milchige Kerne, es wimmelt von Raupen, Puppen und Heuhüpfern und die
Roggenähren lohnen schon eine Fahrt zu den Feldern am Waldrande; von
den tiefherabhängenden Hainbuchenzweigen aus lassen sich die Ähren
leicht pflücken und aushülsen. Das herrlichste aber, was der Wald in
dieser Zeit zu bieten hat, das ist der säuerliche, schäumende Saft, der
aus den alten Eichen quillt. Jeden Tag um die elfte Stunde findet sich
die Eichkatze dort ein, jagt die Schmeißfliegen und Hornissen fort, die
sich dort laben, und leckt den gärenden Saft ab, bis ihr ganz sonderbar
im Kopfe wird und sie anfängt, wie unklug hin und her zu springen, zu
schnalzen und mit dem Schwanze zu schnellen, als wäre es Vorfrühling.
Alle Vorsicht und Aufmerksamkeit vergißt sie über ihrem Rausch und wenn
sie sich nicht im letzten Augenblicke in das Gebüsch gestürzt hätte,
so wäre sie in den Fängen des Habichts geblieben, der wie ein Schatten
durch das Geäst fuhr.

An Gefahren mangelt es überhaupt im Walde nicht. Vor dem Habicht ist
die Eichkatze nie sicher. Mitten im fröhlichsten Hetzspiel griff er
ihren letzten Liebhaber, das kohleschwarze Männchen, und strich damit
ab. Zwei von den Jungen, die noch recht unbeholfen waren, fing an zwei
Abenden nacheinander der Kauz. Dreimal mußte sie sich kopfüber aus
ihrem Neste zu Boden werfen, als der Edelmarder sie fassen wollte, und
einmal hetzte er sie am hellen Tage über eine halbe Stunde lang von
Baum zu Baum, bis sie sich aus der Pappel in den Teich fallen ließ und
sich zitternd im Schilfe versteckte. Aber allmählich ist sie so gewitzt
geworden, daß sie die Gefahr zu meiden weiß. Gleichwohl ging es ihr
ab und zu hart am Leben vorbei. Einige hundert Schritte vom Waldrande
steht ein hoher Birnenbaum im Felde. Der Bauer, dem er gehört, bekommt
niemals eine Birne davon, denn ehe sie reif sind, hat das Eichhörnchen
eine nach der andern durchgebissen und die Kerne verzehrt. Eines Tages
erwischte sie aber der Bauer dabei und schickte seinen Jungen in den
Baum, während er mit dem Hunde unten wartete. Der Junge stieg ihr bis
in den obersten Wipfel nach und schüttelte diesen so lange, bis sie im
Bogen in den Klee flog. Es hätte nicht viel gefehlt, so hätte der Hund
sie beim Wickel gehabt, aber im letzten Augenblicke schlüpfte sie in
das enge Entwässerungsrohr und von da in den Schlehbusch und aus diesem
in den Weizen und kam noch einmal glücklich in den Wald zurück. Seit
der Zeit unternimmt sie ihre Streifen zum Felde immer nur in der ersten
Morgenfrühe, denn die halbreifen Roggen-, Hafer- und Weizenkörner
entbehrt sie nicht gern und am Waldrande finden sich auf dem Raine
überall die Spreuhäufchen, die Reste ihrer Mahlzeiten.

Die liebste Zeit aber ist ihr der Herbst. Dann ist im ganzen Walde
Futter für ihre Zähne da. Unter den Ahornbäumen und Hainbuchen liegen
massenhaft die geflügelten Kerne, in den Eichen schimmern die Eicheln,
die Haselbüsche tragen schwer und in den Kronen der Buchen reifen die
fetten Nüsse. Dann wimmelt es im Walde von Eichkatzen, die von weit
und breit sich hierher zusammenziehen. Überall am Boden hüpft und
schlüpft es; die fuchsroten Eichhörnchen aus dem Hügellande treffen
hier mit den schwarzen und braunen aus den Fichtenbeständen von den
höheren Lagen des Gebirges, wo es jahrein jahraus weiter nichts gibt
als Fichtensamen. Wenn sie sich dann hier im Mittelbergwalde alle ein
tüchtiges Ränzlein angemästet und ihr leichtes Sommerkleid mit dem
dichten, langhaarigen, graubereiften Winterpelze vertauscht haben, dann
verteilen sie sich wieder und der alte Stamm hat den Wald ganz für
sich.



Hasendämmerung.


Jans Mümmelmann, der alte Heidhase, lag in seinem Lager auf dem blanken
Heidberg, ließ sich die Mittagssonne auf den billigen Balg scheinen und
dachte nach über Leben und Tod. Sein Leben war Mühe und Angst gewesen.
Aber dennoch fand er, daß sein Leben köstlich gewesen war. Auf grünen
Feldern hatte sich seine Jugendzeit abgespielt; seine Jünglingsjahre
hatte er im Walde verlebt; die Jahre seiner männlichen Reife verbrachte
er in der Heide, nachdem ihm Feld und Wald Menschenhaß gelehrt hatten,
und nur, wenn sein Herz sich nach Zärtlichkeiten sehnte, verließ er die
Öde.

Da lebte er, ein einsamer Weltweiser. Die Äsung war mager, aber es
stand nicht wie beim Klee im Felde und bei der üppigen Wiese im Walde,
die Angst bleichwangig und schlotterbeinig immer neben ihm; in Ruhe und
Frieden konnte er da leben, sorglos im feinen Flugsande des Heidhügels
die rheumatischen Glieder baden und dem Gesange der Heidelerchen
lauschen.

Mümmelmann fand heute aber doch, daß er etwas Abwechslung in seine
Nahrung bringen müsse. Keine Philosophie der Welt tröstet den Magen
und keine Weltweisheit befestigte die Appetitlosigkeit. Beim Dorfe
gab es jetzt schon junge Roggensaat. Auch brauner Kohl war da, ferner
Apfelbaumrinde, etwas ganz Feines, und der Klee war schon hoch genug,
an den Gräben wuchs allerlei winterhartes Kraut; Mümmelmann lief das
Wasser hinter den gelben Zähnen zusammen.

Allerdings, so ohne Gefahr ging ein Diner beim Dorfe nicht ab. Fast
immer stöberten Wasser oder Lord oder Widu oder Hektor oder ein anderer
dieser scheußlichen Köter im Felde herum. Der Jagdaufseher hatte im
Felde überall Tellereisen und Schwanenhälse liegen und der Jagdpächter
hielt sich immer in der Nähe des Dorfes mit seinem Schießknüppel auf.
Er war ein bißchen sehr dick und hatte eine trockene Leber, so daß er
sich nicht gern weit vom Kruge entfernte.

Aber schließlich was kann das schlechte Leben helfen? dachte
Mümmelmann; +einen+ Tod sterben wir Hasen ja doch nur, und besser
ist es im Dampfe dem guten Schützen sein Kompliment zu machen, als vor
Altersschwäche den Schnäbeln der Krähen zum Opfer zu fallen. Und so
machte er sorgfältig Toilette und rückte erst langsam, dann schneller
gen Knubbendorf, wo er bei tiefer Dämmerung ankam.

Es war eine gemütliche Nacht. Der Schnee war weich und trocken, die
Luft windstill, die Kälte nicht zu stark und der Himmel bedeckt,
so daß Jans und die anderen keine Angst zu haben brauchten vor dem
alten Krischan, dem Armenhäusler und Besenbinder, der mit seinem
verrosteten Vorderlader bei hellen Nächten hinter dem Misthaufen auf
die Hasen lauerte. Es gab ein langes Begrüßen und Erzählen, und so kam
es, daß Jans völlig die Zeit verpaßte und erst lange nach dem ersten
Hahnenschrei, als der Tag schon mit rotverschlafenem Gesicht über die
Geest stieg, nach seiner Heide zurückhoppelte in Begleitung eines
jungen strammen Moorhasen, Ludjen Flinkfoot, seines im letzten Herbst
bei dem großen Kesseltreiben im Feuer gebliebenen Freundes Sohn. Den
hatte er bewogen, mitzukommen; er wollte ihn erziehen und als Erben
einsetzen.

Als sie aber an den Heiderand kamen, da stutzten sie und machten
Männchen, denn vor ihnen zappelten im Frühwinde lauter bunte Lappen.
Voller Angst liefen sie zurück und scharrten sich, nachdem sie erst
viele Haken geschlagen und Wiedergänge gemacht hatten, in einem
mächtigen Brombeerbusch bei den Fischteichen ihr Lager.

Inzwischen war im Dorfe großes Leben. Dreißig Männer waren gekommen,
bis an die Zähne bewaffnet, schrecklich anzusehen in ihrem
Kriegsschmuck. Sie waren in den Krug gegangen, aßen und tranken, was es
gab, machten sich mit Pfeifen und Zigarren und auch sonst blauen Dunst
vor, prügelten ihre Hunde, die sich bissen, kniffen allen weiblichen
Wesen unter fünfzig Jahren die Arme braun und blau, erzählten sich
mehr oder minder starke neuaufgewärmte alte Witze und zogen dann los,
die reine Winterluft mit dem Rauch ihrer Zigarren und die Morgenstille
mit dem Geknarre ihrer Stimmen erfüllend und sich freuend über den
klaren windstillen, schönen Tag, der so recht geeignet sei für den
Hasenmassenmord.

Dicht hinter dem Dorfe wurde der erste Kessel gemacht. Ein Waldhorn
erklang, Schützen und Treiber setzten sich nach dem Zentrum in
Bewegung und das Kriegsgeschrei der rauhen Kehlen dröhnte durch den
Wintermorgen. Da wurden überall graue Flecke im weißen Schnee sichtbar,
die sich zu Pfählen verlängerten, unschlüssig hin und her hoppelten,
wie besessen dahinrasten, und dann knallte es hier, blitzte es da,
rauchte es dort, und ein Hase nach dem anderen rückte zusammen,
wurde kürzer, immer kürzer, blieb schließlich liegen, sprang noch
einmal in die Höhe und lag dann ganz still. Andere schlugen im Dampf
ein Rad, daß der Schnee stäubte, wieder andere liefen wie gesund
weiter und fielen plötzlich um. Und immer enger wurde der Kessel,
immer zerfurchter seine Schneedecke von den Spuren des Hasen und den
eingeschlagenen Schroten, und hellrote Flecke und Streifen, sowie die
dunklen Patronenpfropfen unterbrachen seine Farblosigkeit.

Ein Leiterwagen nahm die toten Hasen auf, und es ging zum zweiten
Kessel. Und als der abgetrieben war, kam der dritte an die Reihe,
und dann ging es zum Jagdhause vor dem Moore, wo der Wirt mit seinen
Töchtern Bohnensuppe auffüllte und Glühwein einschenkte und Grog. Da
gab es ein großes Erzählen hin und her, so daß Herr Markwart, der
Häher, und Frau Eitel, die Elster, entsetzt abstoben und es weit und
breit herumbrachten, daß die Jäger wieder einmal da wären und schon
hundertundsiebzig Hasen gemordet hätten.

Mümmelmann hörte aufmerksam zu, als Frau Eitel das Herrn Luthals, dem
Würger, erzählte und er dachte sich: »Wenn sie schon soviel haben, dann
werden die Schinder wohl nicht mehr hierher kommen,« und der flüsterte
Ludjen Flinkfoot zu: »Bleib immer hübsch still liegen, mein Junge, mag
kommen, was da kommen will; wer sich nicht zeigt, wird nicht gesehen,
und wer nicht gesehen wird, den trifft kein Blei.«

Es kam aber anders: Wieder klang das Horn. »Schwerenot noch einmal,«
knurrte Jans unter seinem bereiften Bart her, »noch ein Kessel? Die
Sonne geht ja schon in ihr Lager. Und ich glaube, die Bande kommt auf
uns zu.« Ein furchtbares Gebrüll erhob sich von allen Seiten, der Boden
dröhnte, Schüsse knallten. Ludjen wollte weg, aber der Alte rief: »Bliw
liggen, du Döskopp,« denn wenn er erregt wurde, sprach er Platt, was
er sich sonst als unfein abgewöhnt hatte, und dann setzte er hinzu:
»Man kann nicht wissen, was passiert. Ich habe so eine Ahnung, als ob
ich die Sonne nicht mehr aufgehen sehen soll. Und nun höre zu: Falle
ich und du bleibst gesund, so rückst du in die Heide, bis du an den
Heidberg kommst, wo die großmächtigen Steine aufeinanderliegen. Da
bist du das ganze Jahr sicher, da kommt niemand hin, als die dämlichen
Schafe und höchstens einmal Reinke Rotvoß, der alte Schleicher; der
erzählt ganz gut, aber halte ihn dir drei Schritt vom Leibe. Einem
Fuchs darf man erst trauen, wenn er kalt und steif ist.«

Näher kam das Getrampel, dichter folgten die Schüsse, hin und her
flitzten die Hasen, kobolzten von den Dämmen auf das Eis der Teiche und
blieben da liegen. Auf einmal schwoll das Gebrüll noch weiter an: »De
Voß, de Voß!« riefen die Treiber und domm, domm, domm, domm krachte es.
Mümmelmann hörte es in den Brombeeren knistern, etwas Rotes sauste über
ihn fort, dann etwas Schwarzweißes, und dicht vor ihm schlug sich ein
großer Hund den Fuchs um den Kopf.

»Meinen Segen hat er,« dachte der alte Hase bei aller Angst; doch im
nächsten Augenblicke fuhr er aus seinem Lager, denn ein zweiter Hund
kam an und wollte ihn gerade fassen: »Da löppt noch een!« schrieen die
Treiber. Aber Jans war nicht umsonst bei seiner Mutter, der erfahrenen
Gelke Mümmelmann, in die Lehre gegangen. Er schlug einen Haken über den
anderen und hielt sich immer dicht vor dem Hunde, so daß kein Schütze
zu schießen wagte. Auf einmal aber krachte ein Schuß, die Schrote
schlugen pfeifend auf das Eis, der Hund jaulte auf und wütende Stimmen
erhoben sich.

»Junger Mann, Sie haben meinen Hund totgeschossen!« brüllte ein dicker
Herr.

»Ja, was kann ich dafür,« rief der dünne Student, »ich habe ihn nicht
gesehen; was hat der Hund auch im Kessel herumzubiestern?«

Und der Dicke schrie wieder: »Er sollte den Fuchs apportieren. Der Hund
hat mich dreihundert Mark gekostet.«

Und der Student rief: »Dreihundert Mark? Na, der Ihnen das abgeknüpft
hat, der wird schön gelacht haben. Ich habe den Hund ja arbeiten sehen;
hühnerrein war er, straßenrein auch, und Hasen hetzte er famos. Und
wenn er auch nicht eingetragen war, ein ausgetragenes Biest war er
doch, und die Rassenmerkmale hatte er innerlich, wie die Ziegen den
Speck, Dreihundert Mark? Lächerlich, Sie meinen wohl Pfennige?«

So ging es weiter und keiner achtete auf Mümmelmann. Der machte, daß
er fortkam, denn er haßte Zank und Streit. Ihm tat nur Ludjen leid, um
den Jungen hatte er Bange. Es dämmerte schon, als er an den Heidrand
kam und gerade dachte er, er wollte sich um die Lappen nicht kümmern,
da krachte es, und wie zwanzig Peitschenhiebe auf einmal fühlte er es
in Rücken und Keulen. Das war der Jagdaufseher gewesen, der die Lappen
aufrollen wollte.

Jans fühlte, daß es mit ihm aus war. Aber er kam doch noch vom Fleck
und tauchte in der Dämmerung unter. Ihm war sehr schwach zu Mute,
obgleich er gar keine Schmerzen hatte; nur das Laufen wurde ihm schwer
und das Atmen. Er kam noch bis zu dem alten Steingrab auf Heidberg, und
da wühlte er sich in den weichen Sand, lag ganz still und äugte nach
dem hellen Sternbilde, das über dem fernen Walde stand und ganz wie ein
riesenhafter Hase aussah.

Als der Mond über den Wald kam, da hoppelte auch Ludjen Flinkfoot
heran. Er hatte, so schwer es ihm bei seiner Angst auch wurde, seines
Oheims Ratschläge befolgt und war gesund davongekommen. Der gute Junge
war sehr betrübt, daß er ihn todkrank fand; er rückte dicht an ihn
heran und wärmte den Fiebernden.

Als es vom Dorfe Mitternacht schlug, da wurden Mümmelmanns Seher
groß und starr; er sah die Zukunft vor sich. »Der Mensch ist auf die
Erde gekommen,« sprach er, »um den Bären zu töten, den Luchs und
den Wolf, den Fuchs und das Wiesel, den Adler und den Habicht, den
Raben und die Krähe. Alle Hasen, die in der Üppigkeit der Felder
und im Wohlleben der Krautgärten die Leiber pflegen, wird er auch
vernichten. Nur die Heidhasen, die stillen und genügsamen, wird er
übersehen, und schließlich wird Mensch gegen Mensch sich kehren und
sie werden sich alle ermorden. Dann wird Frieden auf Erden sein. Nur
die Hirsche und Rehe und die kleinen Vögel werden auf ihr leben und
die Hasen, die Abkömmlinge von mir und meinem Geschlecht. Du, Ludjen,
mein Schwestersohn, wirst den reinen Schlag fortpflanzen, und dein
Geschlecht wird herrschen von Aufgang bis Untergang. Der Hase wird Herr
der Erde sein, denn sein ist die höchste Fruchtbarkeit und das reinste
Herz.«

Da rief der Kauz im Walde dreimal laut: »Komm mit, komm mit, komm mit
zur Ruh, zur Ruh, zur Ruhuhuhu!« und Mümmelmann flüsterte: »Ich komme,«
und seine Seher brachen.

Ludjen hielt die Totenwacht bei seinem Oheim; drei Tage und drei Nächte
blieb er bei ihm. Als er aber nach der vierten Nacht zurückkam zum
Hünengrab, da war der Leib seines Ohm verschwunden, und Ludjen meinte,
die kleinen weißen Hasen wären gekommen und hätten ihn weggeholt zu dem
Hasenparadiese, wo der große weiße Hase auf dem unendlichen Kleeanger
sitzt.

Reinke Rotvossens Vetternschaft aber wunderte sich, daß der alte
dreibeinige, schwanzlose Heidfuchs, der immer so klapperdürr war,
seit einigen Tagen einen strammen Balg hatte. Er hatte seinen Freund
Mümmelmann bestattet auf seine Art.



Der Mörder.


Die halbe Heide entlang waren alle Förster und Jäger in Aufregung; es
spürte sich ein fremder Haupthirsch.

Gesehen hatte ihn noch kein Menschenauge. Nach der Uhlenflucht trat er
zur Äsung aus und vor Tau und Tag zog er wieder in die Dickung.

Der Fährte nach war es ein Hirsch von mehr als dem zehnten Kopfe;
bequem konnte ein Mann die vier Finger der Hand hineinlegen. Es war
eine Fährte, die tief und fest in dem Sande stand; danach gab man dem
Hirsche dreihundert Pfund und darüber. Und weil sie ein ganz anderes
Bild zeigte, viel mehr Zwang aufwies, als die der Standhirsche, so
schlossen die Förster, daß der Hirsch von weit her zugewechselt sein
mußte.

Dreihundert Büchsen die Heide auf, die Heide ab lauerten tagtäglich auf
ihn; sie lauerten vergebens. Spürte er sich drei Tage in dieser Forst,
morgen war er verschwunden und die rätselhafte Fährte setzte übermorgen
zehn Meilen weiter die Jäger in Verwirrung. Drei Nächte nacheinander
stand der Jäger auf der Schneiße in der wilden Hudewohld und sah das
Kreuzgestell auf und ab; er bekam nur Wildbret zu Blick. Als er sich
schon zum Abgang rüstete, da war ihm so, als stände etwas Böses hinter
ihm. Erschrocken wandte er den Kopf und sah zwei Schritte hinter sich
ein furchtbares Gesicht. Er erblaßte und griff nach der Büchse, aber
da schnaufte es und mit Kling und Klang und Knick und Knack stob der
Hirsch in das Geheimnis des Bruchwaldes hinein.

Der Jäger starrt hinter der Erscheinung her. Ist das ein Hirsch gewesen
oder ein Gespenst? Er hatte ein Gesicht gesehen über einem schwarzen
Brunfthalse, schrecklich und böse. Quer um die Lichter war ein breiter,
weißer Strich gezogen, und darüber leuchteten und funkelten in der
halben Frühsonne lange, blutrote Spieße. Wie viele es waren, wie viel
Enden der Hirsch trug, der Mann weiß es nicht. Das Herz ist ihm in den
Hals gesprungen, Schwäche ist über seine Kniee gekommen, Eis auf seinen
Rücken, Fieber über seine Stirn und Nebel vor seine Augen.

Die gespannte, gestochene Büchse in der Hand tritt er in den wilden
Wald. Da steht die Fährte, wie in Erz gegossen, in dem anmoorigen
Boden; leicht nimmt sie vier Finger auf. Ihr zu folgen ist ein Unding;
wohl zieht der Wind nach Wunsch, aber sie steht auf das Postbruch zu,
wo nur Fuchs und Marder lautlos schlüpfen können, wo schon der Bock
laut brechen muß, so viel Geknäck deckt den Boden, so eng verfilzt sind
Weiden und Ellern, Birken und Fuhren durch Risch und Post.

Vorsichtig schleicht der Jäger das Gestell entlang und umgeht das
Bruch; nirgendswo steht die unheimliche Fährte heraus; der Hirsch
steckt im Bruche. Mit halbem Winde dringt der Jäger auf einem
verwachsenen Altwege in die modrige muffige, schwüle, enge Wildnis
hinein, Schweiß auf der Stirn, Herzklopfen in der Kehle, Durst am
Gaumen, bis er nach einstündigem Schleichen und Kriechen, nach
manchem voll Zittern und Beben gemachten Sprung, nach manchem Bogen
und vielen Pausen vor den großen Windbruch inmitten der Wohld tritt.
Dort tritt so gern das Wild herum, dort schlägt der Hirsch, wie die
geschundenen Stämme zeigen, dort setzt das Mutterwild, dort horstet
der Schwarzstorch in der alten Fichte, dort sonnt sich der Giftwurm
im Grase, dort paßt der Schreiadler auf die Waldmaus. Heute ist die
Blöße blank und leer. Aus dem grünen Risch leuchten die roten Stämme
und verlieren sich in den schwarzen Kronen, zwischen denen blaue Fetzen
Himmel lieb herabsehen.

An den modernden Wurfboden einer Fichte schmiegt sich der Mann an und
harrt mit halbgeschlossenen Augen. Müdigkeit reißt seinen Kopf herab,
er wirft ihn wieder hoch. Seltsame Bilder tauchen vor ihm auf, die
ihm seine überreizten Nerven vormalen. Die rote Spinne, die dicht vor
seinen Augen hängt, erscheint ihm als ein rotes Stück Wild, das dort
hinten auf der Lichtung steht, bis er lächelnd seinen Fehlblick gewahr
wird. Und wieder werden seine Augen groß, denn da unten schwebt der
Schwarzstorch. Aber es war nur eine Schwebfliege, die vor seiner Stirn
in der Luft stand. Dann hört er Lieder aus dem Gebrumme der Fuhren,
Lieder aus seiner Burschenzeit, und dazwischen einen schluchzenden Ruf
von einer, die einst von ihm unter Tränen Abschied nahm. Und Wellen
hört er schlagen gegen das Schiff, das ihn der Blonden entführte.

Aus dem trüben, ernsten, müden Gesichte springen die blauen Augen
heraus, wie blaue Seen aus nächtlichem Nebel. Vernahm seine Seele mit
der Erinnerung das Klatschen der Wellen, das Stampfen des Schiffsrades?
Oder waren es die Ohren, die ihm diese Laute wirklich meldeten? Aber es
ist so still, nur Meisen zirpen fernweg und Hummeln brummen nahebei.
Der Tabak bringt den Nerven Festigkeit. Blau steigt der Rauch empor;
träumende Augen sehen hinterdrein, besinnen sich, rufen sich selbst
zur Ordnung und wandern gehorsam wieder von Stamm zu Stamm, von Busch
zu Busch, langsam und stetig, ohne Hast und Unrast, halb von den Lidern
bedeckt. Sind aber mit einem Rucke voll und groß da, stehen in einem
Gesicht, in dem Hoffnung und Angst sich zanken, in dem der Mund sich
öffnet, um mitzuhorchen.

Es war kein Traum aus der Burschenzeit, nicht die Erinnerung spülte
vergessene Laute an das Ufer der Gegenwart, es klatscht und stampft
hier in der grünen Wohld. Das klatscht und quatscht und schlappt
und jappt, stöhnt und dröhnt, knackt und klackt, verstummt und hebt
von neuem an, und endlich bricht es in der Dickung, steht, wie in
einem Rahmen, halbrechts, zwischen zwei roten Stämmen unter einem
verschnörkelten roten Aste, von unten gedeckt durch einen dunklen
Busch, der Hirsch, schwarz wie der Satan, eben der Suhle entstiegen,
und äugt aus den weiß umzogenen Lichtern, über denen es blutrot in
der Sonne leuchtet, den Mann an, starr, wie der böse Feind eine arme
Seele. Einen Schlag fühlt der Mann auf dem Herzen, denn er sieht, daß
der Rauch seiner Pfeife stracks dem Hirsch entgegenzieht, aber ehe der
Kolben an der Backe liegt, ist der Rahmen leer und mit Kling und Klang
und Knick und Knack ist die Erscheinung verschwunden.

Noch an demselben Abend vernimmt der Förster, der eine Meile weiter vor
dem Moore die Hirsche verhört, ein hartes, trockenes, heiseres Röhren,
häßlich anzuhören, und hinterher einen Trenzer, niederträchtig und
gemein, und einen Schrei, hohl und häßlich. So hat hier noch nie ein
Hirsch geschrieen. Der Platzhirsch, der oben in der Moorwiese steht,
wirft auf und zieht langsam vor seinem Rudel her dem Moorwalde zu. Der
Förster hat das Glas vor den Augen und späht das silberne Gatter ab,
mit dem die Birken Moor und Forst trennen. Der Platzhirsch schreit
zornig in den Wald hinein; weiß springt sein Atem vor ihm her. Aus
der Forst kreischt der harte, häßliche Trenzer heraus, hinter ihm
her röchelt ein heiserer, höhnischer Ruf, ein trockenes, boshaftes,
gemeines Röhren, ganz unirdisch klingend, gespenstig, höllisch. Der
Platzhirsch zieht näher an den Moorrand. In dem Walde ist es still,
bleibt es stumm. Rund und voll ruft der Zwölfender sein ehrliches Wort
in das schwarze, mit Silber vergitterte Walddunkel. Es wird ihm keine
Antwort. Unwillig tritt der edle Hirsch den Grund, wirft die Moorerde
mit dem stolzen Geweih empor, zerfetzt damit einen Weidenbusch, schreit
dem Gegner einen verächtlichen Trenzer zu und wendet sich voller
Abscheu ab. Vor ihm her trollt sein Rudel.

Da fährt etwas aus dem Walde, ein schwarzes, unheimliches Ding, und ehe
der Zwölfender wenden und dem Gegner die Kampfsprossen weisen kann, ist
er überrannt, ist er von hinten niedergeforkelt. Über ihm steht der
schwarze Mörder und stößt auf ihn los. Dumpf klingt es, als schlüge
ein Stock auf einen Mehlsack. Starr steht das Rudel, die Hälse sind
lang, die Lauscher steif, die Lichter weit aufgerissen. Ein blutiger
Fetzen fliegt dem Kopftier an den Hals, noch einer vor die Brust. Es
schreckt und wendet. Aber im Nu ist der schwarze Hirsch mit der weißen
Augenbinde und den roten Stangen vor dem Rudel und forkelt es auf einen
Klumpen zusammen. Dann schreit er in das Abendrot hinein, so häßlich,
so gemein, so tonlos und trocken, wie hier noch nie ein Hirsch schrie,
und treibt das Rudel vor sich her in den Nebel hinein.

Starr sieht der Förster ihm nach, dann steigt er von dem Hochstand und
geht zu dem geforkelten Zwölfender. Der ist im Verenden begriffen. In
den weit herausgequollenen Lichtern liegt Todesangst. Armslang hängt
das zerfetzte Gescheide aus den zerrissenen Dünnungen heraus. Der
Förster gibt ihm den Fang und lüftet ihn. Dann schreitet er, den Kopf
auf der Brust, heim. Der Oberförster wird Augen machen; am anderen
Morgen sollte der Prinz den Zwölfender weidwerken.

Der Morgen kommt mit herber Luft; ein Brunftmorgen ist es, wie er nicht
schöner sein kann. Aber weit und breit meldet kein Hirsch, höchstens
röhrt hier und da ein Schneider. Die Platzhirsche sind verschwiegen.
Der Zwölfender tat gestern abend seinen letzten Schrei: er hängt an
der Wildwinde auf dem Hofe der Oberförsterei. Der kapitale Achtender,
der schon zwölf Enden aufwies und auf vierzehn gezeigt hat, sitzt im
Erlenbache und kühlt seine zerschundenen Seiten. Auch ihn überfiel
der Mordhirsch hinterrücks. Der Zehnender aus dem Brandmoore steht im
Stangenort und rührt sich nicht. Der Mörder hat ihm eine Stange in das
Gehirn gerannt und ihm die halbe Besinnung genommen.

Wäre nicht gerade der Prinz vorbeigefahren, so wäre der Hirsch auch zu
Tode geforkelt worden. Dicht vor den Rotschimmeln sauste der schwarze
Satan über das Gestell, daß die Gäule hochaufgingen. Der Prinz hatte
das Jagen, in dem der Hirsch steckte, umfahren, aber der Mordhirsch war
schneller gewesen und spürte sich schon heraus und in das unwegsame
Bruch hinein. Auf dem Quergestell spürte sich eine frische Rotfährte.
Sie führte zu dem kranken Zehnender. Der stand da stumpfsinnig, an eine
Stange gelehnt, stöhnte und röchelte und schüttelte fortwährend das
Haupt. Über dem rechten Lichte saß ein faustgroßer, rotweißer Klumpen,
die blutige Gehirnmasse, die aus der Forkelstelle herausgequollen war.
Ein Schrotschuß auf den Hals endete die Qualen des Gemeuchelten.

Acht Tage gingen über das Land. Zehn Meilen umher hatte alles, was den
grünen Rock trug, einen roten Kopf. Aller Jagdneid, jeder Grenzhaß
war vergessen. Der Förster sagte es dem Bauernjäger, der städtische
Jagdpächter dem Förster an, wenn sich der Schadhirsch spürte. Dreimal
hatte man ihn schon hinter den Lappen gehabt, aber nie war er vor die
Schützen gekommen, denn er hielt die Lappen nicht; bevor es hell wurde,
überfloh er sie. Bald hier, bald da erscholl sein heiseres, häßliches
Schreien, aber stets im unwegsamen Bruch oder in der verwachsenen
Dickung, und erst, wenn die Nacht Himmel und Erde verschränkte, trat
er aus und kämpfte auf den Wiesen die Platzhirsche ab. Am hellen
Mittag saßen die Jäger schon auf den Kanzeln, saßen bis in die Nacht
hinein, froren in ihren Pelzen, wenn der Frühwind über das Bruch blies,
sahen wohl schwarze Klumpen, die jäh hin- und herfuhren und im Nebel
verschwanden, hörten den Mörder trenzen und röhren, aber wenn der
Tag kam und die Büsche und Bäume aus dem Nebel zog, dann stand der
Unglückshirsch längst in der sicheren Dickung, oder saß in der Suhle im
wilden Bruche.

Keine fünfzig Schritte von dem Hochstande, auf dem der Forstmeister die
Nacht verbrachte, forkelte er einen angehenden Zehnender zu Schanden.
Der Forstmeister hörte jeden Laut, konnte den Kampf genau verfolgen,
hatte währenddem die gestochene Büchse unausgesetzt an der Backe,
bereit, trotz des fehlenden Lichtes den Schuß zu wagen. Er hörte das
Brechen der Büsche, das wilde Rauschen im Risch, das Aneinanderprasseln
der Geweihe, das Schnauben und Stöhnen der beiden Kämpen, und er hörte
auch, wie plötzlich hageldicht die Stöße fielen, dumpf dröhnend, wie
Stockschläge auf einen Mehlsack. Dann brach es laut in der Dickung,
dann rief der Schadhirsch seinen trockenen, gemeinen, höhnischen
Jubelruf dem Forstmeister zu, und dann stand die Stille wie eine Mauer
rund um die Wiese.

Als die Sonne sich durch den Nebel quält, ist die Wiese kahl, wie
eine Mädchenhand; eine einzige alte Ricke äst sich an dem Moorbache
entlang. Unausgesetzt lärmen in der Dickung die Häher. Mit steifen,
kalten Gliedern steigt der Weißbart von der Kanzel. Seine Stirn kraust
sich, wie er auf der zertretenen, zerwühlten, zerrissenen Wiesennarbe
Schweiß findet, dunkelbraunen, trüben Schweiß, Leberschweiß. Die
kranke Fährte führt gerade dahin, wo die Häher zetern und keifen. In
der Lichtung der alten Dickung liegt der Zehnender auf der Seite, die
Läufe weit von sich gestoßen. Der Lecker hängt weit aus dem Geäse, die
Lichter sind gebrochen. Er ist schon seit Stunden verendet. Ein Stoß in
die Leber brachte ihn um.

Der Forstmeister sendet reitende Boten ab und sein Sekretär steht den
halben Morgen am Fernsprecher. Der Schadhirsch muß sterben. Da alles
Passen und Weidwerken nichts nützte und das Einlappen auch nicht half,
soll der Hirsch bestätigt und vor dem Hunde geschossen werden. Abends
kommen die Schützen an. Dreißig Mann sind es, Förster, Jagdpächter,
Bauern, alles sichere Leute. Sie verteilen sich im Dorfe, denn der
Krugwirt kann sie nicht alle beherbergen. Am andern Morgen meldet der
Fernruf, daß der Hirsch in der hellen Weide fest sei, einem vermoorten,
verwachsenen Birkenwalde. Zu Rad und zu Wagen fahren die Schützen zu
dem Belauf, in dem die helle Weide liegt. Wie die Katzen, so leise,
schleichen sie sich an ihre Stände, und ebenso lautlos treten die
Treiber an. Der Hegemeister legt seinen uralten, lahmen Söllmann zur
Fährte: der einzige Schweißhund weit und breit ist er, der eine gesunde
Fährte arbeitet. Das unterschiedlichste Wild läuft die Schützen an, ein
jagdbarer Hirsch, Wildbret, zwei Sauen, ein guter Bock, der Fuchs; kein
Schuß fällt, denn nur auf den Schadhirsch, den Meuchelmörder, darf der
Finger krumm gemacht werden. Eine Stunde vergeht, da taucht der rote
Hund und hinter ihm das rote Gesicht des Hegemeisters bei den Schützen
auf. Der Hirsch ist nicht vorgekommen. Ein Förster spürt auf dem Rade
die Gestelle rund um das Jagen ab; der Hirsch steckt noch im Treiben.

Das Jagen wird noch einmal getrieben. Der Hirsch zieht in voller
Deckung am Rande des Treibens entlang. Der Forstmeister läßt das Jagen
noch einmal treiben und geht mit zehn Schützen mit der Treiberwehr. Das
hilft; endlich knallt es. Aber das Horn meldet nicht: »Hirsch tot!«
Er ist vorbeigeschossen. Wie eine Katze, so leise, war er bis dicht
vor einen Schützen gezogen und hatte mit jäher Flucht die Brandrute
überfallen. Zwei hastige Kugeln pfiffen taub hin und her. Alle Mühe,
alle Kosten waren vergebens gewesen. Der Hirsch spürte sich bis in das
Stiftsmoor und dort verlor sich die Fährte. Aber das Treiben hatte er
wohl übel genommen. Sein trockener Schrei ward nicht mehr vernommen in
dieser Gegend. Drei Jahre lang erzählten sich die Jäger die Schauermär
von dem Schadhirsch, der in einer einzigen Brunftzeit sieben gute
Hirsche zu Schanden geforkelt hatte. Wie der Dieb in der Nacht war
er gekommen und gegangen, wohin, das wußte keiner. In den Zeitungen
wurde Nachfrage nach ihm gehalten, aber es wurde nicht bekannt, wo er
geblieben war.

Ein Mann wußte um das Geheimnis des Mordhirsches. Das war der rote
Hein, der Waldbummler und Tagedieb, der in der Kreisstadt am Tage
Beeren und Pilze verkaufte und des Abends Ricken und Hasen, die er
in den Wäldern gestrickt hatte. Er war am Tage nach der Treibjagd
durch das Rauhe Horn geschlichen, um Schwämme zu suchen und nebenher
nachzusehen, ob sich nichts in den Schlingen gefangen hatte, die
Tags vorher seine beiden Jungens auf die Rehwechsel gestellt hatten.
Als er so durch den verwachsenen Moorwald schlich, sein Fuchsgesicht
gewohnheitsmäßig zu einer recht dummen Grimmasse verziehend, ab und zu
einen Pilz losschneidend und über die Schulter in den Tragkorb fallen
lassend, da war er plötzlich ganz in sich zusammengefallen und hatte
sich geduckt, wie ein Fuchs, der die Maus anspringen will. Das rote
Haar auf seiner sommersprossigen Stirn zuckte hin und her und seine
abstehenden Ohren bewegten sich langsam, denn da vorne ging etwas
Seltsames vor sich. Es stöhnte und ankte dort, als läge ein Mensch im
Sterben. Die Kreuzotter kriecht nicht so leise wie Hein Thomann kroch.
Den Tragkorb hakte er ab, setzte die alte Mütze auf und zog sie tief in
die Stirne, ließ die Schuhe bei dem Korbe stehen, und dann glitt er,
den kurzen Totschläger fest in der Faust haltend, schnell, aber lautlos
näher, jeden Zweig vermeidend, der sein verschossenes Zeug streifen
konnte. Vorsichtig bog er den Weidenbusch zur Seite, hinter dem her das
halblaute Stöhnen erklang, und hob den Stock mit dem Bleiknopfe zum
Schlage. Aber dann fuhr er zurück und sein fahles Gesicht wurde weiß,
denn was er da sah, das war gräßlich.

Hinter dem breiten, tiefen, steilwandigen Entwässerungsgraben hing
zwischen den beiden Stämmen einer Zwillingskiefer eingeklemmt ein
starker Hirsch mit weißumbänderten, weit hervorgequollenen Lichtern
und heraushängendem Lecker. Die ganze Nacht mußte er schon so gehangen
haben, denn von den Hinterläufen war der braune Boden zerkratzt und
zertreten. Schlaff hing der Hals zu Boden und das Geweih mit den
langen, dicken, spitzen, endenlosen Stangen berührte mit den blutrot
gefärbten Kampfsprossen fast die Erde; schrecklich aufgetrieben war
der Leib des Hirsches. Ein ohnmächtiges Zittern erschütterte ab und zu
seine Decke, matt spielten die Lauscher, krampfhaft zuckte ab und an
ein Lauf, und unaufhörlich kam aus dem weißschaumigen Windfange ein
hohles, trocknes, hoffnungsloses Stöhnen.

Ein Schauder überlief den Schlingensteller. Er nahm die schmutzige
Kappe ab und fuhr mit der goldhaarigen Hand über die nasse Stirn. Er
hatte nie Mitleid empfunden, fand er ein Reh in der Drahtschlinge
zappeln, das brachte das Handwerk mit sich. Aber dieses hier? Eine
ganze Nacht sterben? Ganz langsam, bei lebendigem Leibe? Der Mann
schüttelte sich. Er zog die Schnapsflasche hervor, tat einen kleinen
Schluck, sah scheu hin und her, und schlich näher. Ein dumpfer Schlag,
das Stöhnen brach; ein Blitz aus der Hand, und in gebogenem Strahl
plätscherte der rote Schweiß aus der Schlagader des Hirsches. Hein
Thomann verstand sein Geschäft; nach drei Stunden war der Hirsch
zerwirkt. Die Knochen und das Gescheide verschwanden im weichen
Schmorboden, bis auf einige schöne Stücke hing das ganze Wildbret an
Weidenruten in die Krone einer dichten Fichte, mit Papierfetzen gegen
Marder und Krähe verblendet, und in einer anderen Fichte hing der
Schädel des Mordhirsches mit dem blutroten Geweih. Drei Nächte lang
schleppte Thomann mit seinem hageren, schwarzhaarigen Weibe und seinen
drei hungerigen Taugenichtsen von Jungens Kiepe auf Kiepe nach der
Kreisstadt. Thomann ging zum Biere und hielt seine Freunde frei, seine
Alte hatte ein anständiges Kleid an und seine Jungens neue Stiefel.

In einer schlechten Wirtschaft in der großen Stadt, wo bemalte Weiber
an weißen Marmortischen auf Raub lauern, hängt an einem Pfeiler
das hohe, weitausgelegte Geweih des Vierenders, des Meuchlers,
des Schadhirsches, der sich selbst richtete und den langsamen,
schrecklichen Tod starb, den Tod des Mörders.



Der Alte vom Berge.


Hell scheint die Sonne gegen den weißen Berg. Die Buchenjungenden
brennen, der Stangenort lodert, der Fichtenhorst steht in Flammenschein.

Meisen zwitschern, Goldfinken flöten, Häher schwatzen. Das Geschwätz
bricht ab, setzt als Gezeter wieder ein, flaut ab, schwillt an und
endet in einem schneidenden Gekreische.

An der steilsten Stelle der grauen Wand, auf dem schimmernden
Schneefleck, leuchtet ein roter Fleck auf. Schimpfend und lästernd
fallen die bunten Vögel in der krummen Linde über der Felsplatte ein,
stellen sich entsetzlich giftig an und stieben ärgerlich keifend ab.

Einen schiefen Blick schickt ihnen der Fuchs nach; dann reckt er sich,
gähnt herzhaft, reckt sich abermals, fährt zusammen und beginnt sich
heftig mit dem Hinterlaufe hinter dem Gehör zu kratzen, wohlig dabei
knurrend, fährt dann mit dem Fange nach der Keule, flöht sich auch dort
ausgiebig, kratzt sich stöhnend und murrend den Nacken und sitzt dann
würdevoll da, ab und zu den Kopf wendend.

Vom Vorholze tief unter ihm fallen hastige Axtschläge herauf; es stört
ihn nicht. Das eilige Kreischen der Säge ertönt; ihn kümmert es nicht.
Ein knirschender Laut wird hörbar, dem ein Prasseln folgt, das in einem
dröhnenden Poltern endigt; ihm ist es gleich. Der Berg zittert leise,
dann stärker, ein wildes Gebrüll donnert durch die Luft; auch das läßt
ihn kalt. Die Arbeit der Holzfäller ist er seit sieben Jahren gewöhnt,
und die Sprengschüsse der Steinbrucharbeiter erst recht.

Auch das Piepsen der Goldhähnchen, das Zetern des Zaunkönigs und das
Trillern der Schwarzmeisen bringt ihn nicht aus seiner Ruhe; vor sechs
Jahren reizte es ihn, einen Versuch zu wagen; jetzt weiß er, daß das
keinen Zweck hat. Er gähnt, reckt sich, kratzt sich abermals, rekelt
sich in der Sonne und hockt dann wieder unbeweglich da.

Eine ganze Weile sitzt er so, bis die Flöhe unter der warmen Decke
gar zu frech in seinem graubereiften Balge werden und er sie wieder
mit Klaue und Zahn zur Ruhe bringen muß. Aber mitten in dieser
Beschäftigung hält er ein; seine bernsteingelben Seher erweitern sich,
seine schwarzen Gehöre stellen sich aufrecht.

Da, halbrechts unten, sind sie wieder, die beiden Töne, die er vernahm.
Und noch einmal das Brechen, und noch einmal das Husten. Der Fuchs
steckt wieder die sorglose Miene auf. Es ist nichts, wenigstens
nichts Schlimmes. Ein Mensch zwar, aber ein guter Bekannter, der alte
Oberholzhauer, in dessen tranduftender Fährte sich immer etwas Gutes
findet, ein Endchen Wursthaut, ein Stückchen Butterbrotsrinde, ein
Bückingskopf.

Ach ja, Wursthaut und Bückingskopf! Der Fuchs zieht Geschmacksfäden,
die silbern in der Sonne blitzen, und in seinem Wanst rumpelt und
pumpelt es. Vorgestern Plattfrost und steifer Nordost, gestern
Schlackschnee, das waren zwei magere Tage. Eine verluderte Krähe, ein
scheußlich salziger Heringsschwanz, ein steinharter Knochen mit nichts
daran und zwölf Nachtschmetterlinge, die hinter der losen Rinde eines
Buchenstumpfes überwinterten, das war alles.

Aber heute wird es mehr geben. Den ganzen Morgen hat es geschneit und
es wird noch mehr schneien, denn die Luft ist still und weich. Aber
brach da unten nicht etwas? Natürlich! Ein Hase ist es, den der alte
Mann aus dem Lager trat. Die dicke Lunte des Fuchses zuckt hin und her,
daß die weiße Blume blitzt. Der Hase hoppelt gerade auf die Steinplatte
zu. Langsam schiebt sich der Fuchs voran. Da bröckelt der Schneerand
der Steinplatte ab, fällt rauschend in das Buchenlaub, der Hase hält
inne, macht einen Kegel und hoppelt im rechten Winkel fort. Also dieses
Mal gelang es nicht, wie meistenteils.

Aber nun merkt der alte Fuchs recht, wie sehr es ihn hungert. Ganz
elend wird ihm inwendig. Es hat keinen Zweck, hier sitzen zu bleiben.
Sonne auf dem Balge wärmt ja, aber frisches Fleisch im Balge hält
wärmer. Es ist noch heller Tag, aber hier oben am Berge ist die Luft
rein, und wenn ein Bummel durch Busch und Stangenort auch nicht viel
einbringt, etwas kommt immer dabei heraus.

Fort ist er; ein leises Knirren der langen Grashalme, ab und zu das
Zerstäuben des Schneebehanges zeigt, wo er blieb. Jetzt taucht er in
der alten Holzriese auf, sichert einen Augenblick zum Abhange hin
und ist wieder fort. Der Wanderfalke, der auf der höchsten Zacke des
zopftrocknen Buchenüberhälters hakt, äugt unter sich, denn Reinecke
macht sich dort zu schaffen. Irgend etwas findet er dort immer, auch
heute. Viel ist es ja nicht, nur der Rest einer Krähe. Der Hunger
treibt es hinein.

Weiter geht es auf dem engen, hochverschneiten Passe zwischen den
Jungbuchen. Ab und zu unterbricht eine Flucht über einen faulen Stamm
oder eine hinderliche Klippe das langsame Schnüren, hin und wieder
verhofft er auch ein wenig. Allzu verlockend schwirrt und schnurrt das
Meisenvolk, nach Frostspannern suchend, über den Schnee hin. Meist
bringt diese Jagd nichts ein, aber einen Augenblick kann man schon
daran wenden; vielleicht glückt es. Aber schon schnürt er weiter. Die
Finkmeise hat ihn spitz; sie schlägt Lärm und schimpfend stiebt der
ganze Trupp in die Kronen.

Nun aber schnell fort, denn diese Gesellschaft ist lästig. Also
umgedreht, in die Dickung, den Berg hinauf, und von oben her in das
Stangenholz hinein. Langsam, hier riecht es nach Maus, ganz frisch
sogar. Mit schiefem Kopfe steht er vor dem schwarzen Loche in dem
Schnee. Etwas Graubraunes will heraus. Er faßt zu, es quitscht, eine
schnelle Bewegung des Kopfes, ein heftiges Wedeln der Lunte, ein lautes
Schmatzen, und weiter schnürt er. Hier riecht es nach Reh, darum halt!
Auch ganz frisch, darum entlang in der Doppelfährte! Ricke mit Kitz,
aber beide gesund. Dann hat es keinen Zweck!

Einen Augenblick überlegt er. Hier irgendwo wurde er einmal sehr
satt. Richtig, halblinks, um die grauen hohen Felsen herum, an dem
Fichtenhorst vorbei, unter den losen Steinplatten hindurch in das große
Trümmerloch hinein! Hier hatte er an einem schönen Spätherbstmorgen
gelegen und sich den Balg vom Nachttau getrocknet. Da hatte er es
knallen hören, nicht sehr weit, und nach einem Weilchen brach es über
der Schlucht, Steine polterten, Schutt rieselte und rasselnd fiel es in
Laub und Kraut.

Er hatte sich schnell in Sicherheit gebracht, aber abends, als die
Eule schrie, war er auf Umwegen an die Schlucht herangeschnürt. Da war
er auf Rehschweiß gestoßen, hatte immer mehr gefunden und hatte die
Rotfährte gehalten bis an die steile Wand, war das Zickzackband der
Wand hinabgeschlichen, und als er im Grunde war, da schlug ihm die
volle Rehwitterung entgegen. Das war ein Fest! Eine Flucht machte der
Bock noch, aber keine zweite mehr, da hatte er ihn an der Drossel,
und lange Zeit zum Klagen ließ er ihm nicht. In der Nacht war er satt
geworden, daß es für zwei Tage hinlangte. Aber alle Tage sind nicht so.
Heute riecht es hier nur nach Schnee und Moos und Mulm.

Also weiter, die Klippen hinauf, an der Wand entlang in den Hohlweg
hinein, wieder in die Klippen und wieder heraus. Aber die Höhle könnte
man mitnehmen; einmal gab es dort einen angeschweißten Hasen, der sich
da gesteckt hatte, ein anderes Mal einen Jungdachs, der vergeblich
an den Wänden herumfuhr, als Reineke in dem Ausgang erschien, und
einige Siebenschläfer wurden dort auch erbeutet, ja, einmal sogar eine
Eule. Hier ist nichts da, nur Eiszapfen und Schnee. Ein paar dicke
Motten finden sich schließlich noch; die werden mitgenommen. Aber die
Fledermaus bleibt hängen, nichts wie Haut und Knochen, und sie riecht
schlecht.

Mißmutig überlegt er, wohin er sich nun wenden solle. Da fährt er
zusammen. Über ihm erschallt des Hasen Todesklage. Mit jäher Flucht
nimmt er den Kopf der Klippe und will auf die folgende, von der er
in das helle Holz äugen kann, da verhofft er. Hasenklage verspricht
oft mehr, als sie hält. Es ist schon lange her, aber wer das einmal
durchgemacht hat, der vergißt es nicht. Das war auch so ein weicher,
milder Wintertag nach steifem Nordost und er hatte auch zwei Tage
gehungert oder noch länger. Er war um die Mittagszeit durch das
Stangenholz geschnürt. Es schneite breit und langsam und kein Lüftchen
ging.

Da erscholl über ihm der jämmerliche Laut. Er kannte ihn gut. So hatte
der Has geklagt, den er acht Tage vorher riß. Ein merkwürdiger Has,
denn er saß mit dem Halse in einer der dünnen, langen Ranken, von denen
oft Stücke an den guten Wursthäuten sind. Und da dachte Reineke, es
säße wieder so ein Häslein fest, und war, ohne erst Wind zu nehmen,
losgetrabt, bis vor den Baum, von woher das Klagen kam. Und da hatte
sich der Baum so merkwürdig schnell bewegt, Reineke fühlte ein Stechen
und Schneiden an der linken Seite, sah es blitzen, hörte es krachen und
kam erst wieder recht zur Besinnung, als er in seinem Feldloche saß und
sich die brennende Seite leckte. Seit der Zeit holt er sich immer erst
Wind. Seher und Gehör trügen, die Nase nie.

Eine Weile windet er. Dann schleicht er vorsichtig den Hang entlang,
bis er unter dem Winde ist. Und da bleibt er. Noch einmal klagt
der Hase, matter, schwächer, immer gedämpfter klingt es. Der
Fuchs schleicht langsam näher, immer den Kopf hoch, immer mit den
Nasenflügeln heftig schnuppernd und die Seher auf jeden Stamm richtend.
Dort, gerade aus, muß es sein. Aber er gewahrt auf dem Schnee kein
zuckendes, zappelndes Ding. Ringsumher ist es still und stumm und es
riecht nur nach Stein und Holz und Moos und Schnee.

Die Sache stimmt nicht. Reineke setzt sich auf die Keulen. Er hat ja
viel Hunger, aber er hat auch viel Zeit. War es ein Has, so kriegt er
ihn immer noch, und war es keiner, dann ist es um so besser. Aber jetzt
läßt sich da etwas vernehmen; es war, wie wenn eine Eichkatze am Stamm
kratzt. Aber dann ist wieder alles still. Jetzt hat sich da an dem
Baume etwas bewegt. Reinecke windet wieder. Hier kesselt der Wind. Ganz
leise und langsam schleicht der Fuchs nach rechts, alle Augenblicke
verhoffend, dann wieder weiter schleichend, um abermals zu verhoffen.
Auf einmal fährt er zurück, stößt ein kurzes heiseres Gebell aus,
wendet jäh um und trollt, so schnell er kann, dem dichten Bestand zu,
daß der Schnee stäubt.

Es war nicht Has, es war Mensch. Reineke ist sehr vorsichtig geworden.
Er traut sich aus den Dickungen nicht heraus und erst, wie der Himmel
alles Rot verloren hat, die Goldhähnchen schon tiefer suchen, die
Zeisige in den Fichten einfallen, im hellen Holze die Eule heult und
die Steinbruchsarbeiter laut singend hinter dem tanzenden Lichte den
Steinweg hinabtrampeln, da bekommt er die alte Sicherheit wieder. Aber
viel länger, als vorhin, holt er sich in jeder Schlucht und auf jedem
Kamme erst Wind.

Es ist schon recht dunkel, da schnürt er den Holzfahrweg entlang,
findet am Frühstücksplatz eine Wursthaut, an einem Stück Papier etwas
Schmalz, greift am Bach eine Maus, regt sich zwischen Holz und Feld an
den frischen Hasenspuren auf, prüft alle Rehfährten daraufhin, ob sich
nicht Schweißwitterung an einer davon findet, scharrt auf dem Felde aus
dem Mist einen faulen Hühnerkopf, würgt ein stinkendes Darmende hinein,
das er aus einem anderen Misthaufen kratzt, stattet dem Fischteich
einen erfolglosen Besuch ab und schleicht in der späten Dämmerung um
das Gut herum, bis laute Menschenstimmen ihn verjagen.

So trabt er in großem Bogen zum Dorfe, findet am letzten Hause auf dem
Dungplatz einen Ballen fettiger Schweinehaare vom Schlachtfest, die
er mit Widerstreben hinunterwürgt, gedenkt traurig der Nacht, als er
hier die halbwüchsige Katze erwischte, muß eilig abtrollen, weil ein
kläffender Spitz in den Hof hinausfährt, stellt am Bache fest, daß die
Enten und Gänse wohl da waren, aber nicht mehr dort sind, findet am
Luderplatze nur blanke Pferdeknochen, am Kalkofen überhaupt nichts, bei
der Mühle dasselbe, und macht auf seiner meilenlangen Fahrt durch die
Feldmarken und die sieben Berge hinter ihnen die Erfahrung, daß der Has
viel zu hellhörig ist und daß die Hühner verschwunden zu sein scheinen.
Eine einzige Maus scharrt er mit vieler Mühe noch aus, dann ist die
Nacht hin und er trollt dem Holze wieder zu, in der stillen Hoffnung,
in den Schlehenbüschen noch einen Igel im Winterlager zu finden oder
auf der Luzerne davor einige Mäuse zu greifen.

Der Igel aber liegt unter schützendem Schnee und Mäuse gibt es auch
nicht. Als er ganz trübselig den Bach entlang schnürt, stößt er auf
frische Rehwitterung. Gewohnheitsmäßig, aber ohne Hoffnung, schnürt er
der Fährte zu und steckt die Nase hinein. Sofort ist er wieder munter,
denn in der Fährte liegt ein Tröpfchen Schweiß. Bei dem Wurfboden einer
Buche findet er wieder Schweiß in der Fährte, einen breiteren Tropfen,
und je näher er an den Buchenaufschlag kommt, um so stärker werden die
Schweißflecken im Schnee, um so frischer sind sie und immer heftiger
weht Reinekes buschige Rute.

Ganz vorsichtig schleicht er in dem Hauptwechsel entlang, bis er in
dem Buchenaufschlag ist. Da hat er auch dicht vor sich die volle
Rehwitterung. Noch vorsichtiger schleicht er näher, da rauscht es auch
schon über ihm, poltert es, rasselt es, stiebt es, und nun schleicht er
nicht mehr, er schnürt eiliger, immer hastiger, und je schneller es vor
ihm bricht und rauscht, um so flüchtiger wird er, immer unter dem Winde
neben der kranken Fährte, die Nase einen halben Fuß über dem Schnee.

Das laufkranke Kitz flüchtet bergan, Reineke immer hinter ihm drein.
Es schlägt einen Haken, macht einen Wiedergang, läßt den Fuchs
hinter sich, aber der hält die Fährte, und als es zitternd und
keuchend verhofft, weil bei jeder Flucht die Schalen durch die harte
Schneekruste treten und die Läufe immer mehr schmerzen, da vernimmt es
des Verfolgers lautes Hecheln schon unter sich. Es flüchtet bergauf,
über faule Stöcke, zwischen Klippen hindurch, in die verschneiten
Dickungen hinein, in das Stangenholz, aber Reineke ist immer dicht an
ihm. Immer kürzer wird das Reh, immer länger der Fuchs. Einmal schon
faßt er Haar, aber laut aufklagend reißt es sich los, bricht seitwärts
aus und poltert in der vereisten Holzriese den Hang hinab.

Ihm nach trabt der Fuchs. Seine Seher glühen, lang hängt die Zunge aus
den schwarzen Lefzen, fest angelegt sind die spitzen Gehöre, die Lunte
flattert wie eine Fahne über seinem Rücken, Schaum spritzt rechts und
links in den Schnee. Jetzt ist er bei dem Reh, es wird noch einmal
hoch, flüchtet durch den verschneiten Aufschlag, aber der Fuchs ist
jetzt immer Seite an Seite mit ihm und springt bei jeder dritten Flucht
an ihm herauf. Jetzt faßt er an, zieht nieder, jämmerlich klingt das
Angstgeschrei durch den Wald, frecher antwortet der Baß eines Altrehes,
ein Schmalreh schmält, und dann ist es still.

In dem kleinen Erdfalle, neben dem breiten Steinblock unter dem
sparrigen Holunderbusch schlagen des Kitzes Hinterläufe den Schnee von
dem Buchenlaube. An der Kehle zerrt und reißt knurrend und keuchend
der Fuchs, bis es ihm naß und heiß entgegenquillt. Da hält er inne und
leckt und leckt, faßt noch einmal an, reißt noch einmal, stößt seine
Nase zwischen die Lauscher, unter das Vorderblatt, in die Dünnungen,
in den Spiegel des Rehes, zupft erst hinter dem Blatt, reißt heftiger,
verhofft, windet und schneidet an.

Er ist nicht mehr der saubere Fuchs, dessen eisgrau bereifter Balg wie
geleckt aussieht. Das Gesicht ist rot besudelt, der weiße Brustlatz ist
fort. Er zieht und zerrt, reißt die Öffnung weiter und hält plötzlich
inne. Sein Rückenhaar sträubt sich, heiser faucht, dumpf murrt er,
und giftig keckernd fährt er einem anderen Fuchse entgegen, der seit
einer Stunde der Rotfährte gefolgt ist. Wieder wird es laut im Walde,
so laut, daß die Steinbrucharbeiter, die in dem Hohlweg hintereinander
herstampfen, erstaunt stehen bleiben und eine Weile dem gellenden
Kreischen zuhören, das sich den Berg hinaufzieht, bis es auf dem Kamme
verhallt.

Der Alte vom Berge hat den Schmarotzer abgebissen. Eilig, aber immer
windend und verhoffend, schnürt er zu seiner Beute zurück und füllt
sich bis zum Platzen. Erst, als es ganz licht ist und die Forstarbeiter
mit Axt und Säge laut werden im hohen Holze, als die Zeisige die
Fichten verlassen, die Krähen über den Berg streichen, Goldfink, Häher
und Zaunkönig sich melden, schiebt er mit der Nase den Schnee von allen
Seiten über das Reh, es für die kommende Nacht aufhebend.

Faul und dick schnürt er den Steig entlang, bis zu dem Loche, in dem
sich die Quelle sammelt. Da schlappt und schlappt er das eisige Wasser,
bis sein Brand gestillt ist, rollt sich im weichen Schnee und schnürt
dann den Hang hinauf bis vor seine Burg.

Die Sonne kommt rot und rund an der Flanke des Berges hoch und trifft
eben noch die weiße Spitze von Reinekes Lunte, die gerade in der Spalte
verschwindet, die in seinen Bau führt.

Da wird der Tag verschlafen und vielleicht die Nacht dazu, und am Ende
noch einen Tag, wenn ihn der Durst nicht hinaustreibt.



Die Einwanderer.


»Eine dumme Geschichte das«, dachten die Kaninchen, »wirklich, eine zu
dumme Geschichte!«

Nun waren es drei Tage her, daß sie nicht Wald noch Feld gesehen
hatten. Seit drei Tagen waren sie in Kisten und Kasten herumgefahren,
geschüttelt und gerüttelt worden, daß ihnen Hören und Sehen verging.
Jedes Mal, wenn das Rütteln und Schütteln aufhörte, dachten sie, nun
käme die Erlösung, aber es kam weiter nichts, als neues Rütteln und
Schütteln.

Froh und heiter hatten sie in ihren Sandbergen an der Emse gelebt, sich
an den guten Sachen fett geäst, die auf den Feldern und Wiesen wuchsen,
fleißig an ihren Bauen gearbeitet, ab und zu mit den Hirtenhunden
Kriegen gespielt, mit diesen albernen Hunden, die nicht dahinter kamen,
daß ein Kaninchen schneller ist, als alles auf der Welt, das Haare und
vier Beine hat und daß es sich unsichtbar machen kann, wenn es will.

Aber eines Tages kamen Männer mit Hunden und jagten die Kaninchen
allesamt aus Busch und Heide zu Baue. Das wäre weiter nicht schlimm
gewesen, denn unter der Erde ist es warm und gemütlich. Aber dann kam
das Schreckliche: ein langes, weißes Tier, was wie ein Iltis roch und
rote Augen hatte, war in die Baue eingeschlieft und da es eine Klingel
um den Hals hatte, entsetzten sich die Kaninchen so arg, daß sie Hals
über Kopf zu Tage fuhren. Das heißt, fahren wollten, denn ehe sie zur
Besinnung kamen, verstrickten sie sich in einem Netze und kugelten
damit im Heidkraute umher.

Und dann begann das eigentliche Elend. Sie wurden köpflings in einen
Sack gesteckt, in dem sie in Todesangst hin- und herschossen, bis sie
sich so abgestrampelt hatten, daß sie zitternd auf einem Haufen saßen.
Dann wurden sie in dem Sacke weit weggetragen, dann kamen sie in eine
dunkle Kiste. Allerlei Futter fanden sie vor, aber sie rührten es nicht
an und scharrten und knabberten an den Brettern, bis sie müde waren.
Dann fuhr man sie in der Kiste über holprige Heidewege und lud sie
irgendwo ab und dann wurden sie wieder aufgeladen und den halben Tag
gefahren.

Rumpeldipumpel machte der Wagen und die drei Kaninchen fuhren
übereinander hin. »Prr,« schrie der Jagdaufseher und das Pferd stand.
Der Kastendeckel öffnete sich, eine derbe Faust faßte hinein, erwischte
ein Kaninchen nach dem anderen und dann flogen die drei kopfüber,
kopfunter in das Heidekraut. Einen Augenblick saßen sie da, geblendet
von der Sonne, betäubt von dem Geruche der Kiefern und der Heide, aber
nur einen Augenblick, dann schlug jedes einen Haken und verschwand
in der hohen Heide. Hinter ihnen her erklang das Gelächter des
Jagdaufsehers.

Da saßen nun die drei unglücklichen Dinger, jedes unter einen Busch
Heidekraut gedrückt und wußten nicht, was sie machen sollten. Still
und stumm war es. Irgendwo schrie ein Häher, Wasserjungfern flirrten
vorüber, die Grillen schwirrten, die Hänflinge und Goldammern sangen
und es roch nach Heide, Kiefern und Birken. Aber es war eine andere
Heide, als die Heimatsheide. Dort führten überall die Pässe der
Kaninchen hin und her, ringsumher lag Kaninchenlosung und die Luft war
voll von Kaninchenwitterung. Hier war von alledem nichts. Nach Hase und
Reh roch es, aber nicht nach Kaninchen.

So dachte Hopps, der Rammler. Er war von Natur aus sehr vorsichtig,
denn er hatte im Gegensatze zu seinesgleichen einen kohlenschwarzen
Balg mit einer silbernen Blässe mit auf die Welt gebracht und fiel in
Sand und Heide zu sehr auf. Aber als er eine Viertelstunde unter dem
Heidebusche gesessen hatte, machte er einen Kegel und sah sich um.
Alles, was er sah, waren junge Kiefern und Birken, Heide, Sand und
der silbergraue Stumpf einer Kiefer. Darauf hoppelte Hopps zu, denn
da schien ihm besseres Kraut zu wachsen. Er putzte sich, äste einige
Blättchen und dann scharrte er ein Wühlmausloch, das unter den Stumpf
führte, größer, alle Augenblicke halt machend und witternd. Nach einer
Stunde hatte er seinen Notbau fertig.

Die Arbeit hatte ihn hungrig gemacht. Heide mochte er nicht, Kiefern-
und Birkenrinde noch viel weniger. So setzte er sich denn auf die
Keulen und prüfte ringsum die Luft. Halblinks roch es nach Klee.
Vorsichtig rückte Hopps nach dieser Richtung hin. Wahrhaftig, der gute
Geruch wurde immer stärker und da leuchtete auch schon zwischen den
grauen Kiefern eine saftige Kleewiese auf. »Noch zu hell, viel zu hell
noch,« denkt Hopps und bleibt am Rande der Dickung sitzen. Hinten in
der Wiese bewegt sich etwas Weißes hin und her. »Der Storch«, denkt der
Kaninchenbock. Ein Ruf kommt aus blauer Luft: »Das ist der Bussard.«
Das sind Tiere, vor denen hat er keine Angst. Aber nun kommt von dem
Felde ein heller Laut: »Also Hunde gibt es hier auch; dann ist es Zeit,
sich einen sicheren Bau zu graben.«

Hopps rückt, nachdem er am Grabenrand sich am Grase geäst hat, wieder
in die Dickung, eilig, aber vorsichtig. »Halt, da riecht es ja nach
Kaninchen!« Hopps schnuppert einen Augenblick. »Das war Flitzchen.«
Zweimal klopft er mit dem Hinterlaufe die Erde. Da taucht ein grauer
Fleck zwischen zwei Heidbüscheln auf. Flitzchen ist es. Steif und
starr sitzt sie da; ebenso steif, ebenso starr sitzt Hopps ihr
gegenüber. Keins rührt sich. Dann spielohrt Hopps und rückt näher.
Flitzchen wendet sich zur Flucht. Hopps macht Halt und klopft wieder.
Da faßt sie Vertrauen. Der Wind küselt und trägt ihr die Witterung
von dem schwarzen Ding vor ihr zu. »Ich glaube, es ist Hoppschen,«
denkt sie. Da ist er auch schon. »Bist Du es?« »Ja, wer sonst?« »Das
ist schön!« »Und wo ist Witschel?« »Keine Ahnung.« »Wollen wir sie
suchen?« »Nachher; jetzt müssen wir einen Bau graben; es sind Hunde in
der Nähe. Ein Rohr habe ich schon fertig.« »Weiß ich!« »Wieso denn?«
»Habe es gefunden und von der anderen Seite noch ein Rohr unter den
Kiefernstumpf nieder gebracht!« »Du bist ein mächtig kluges Mädel!
Aber nun komm', wir wollen jetzt den Kessel buddeln und dann können
uns die Hunde 'was husten!«

Husch, husch, geht es durch das Heidekraut. Hopps ist ordentlich
übermütig geworden, seitdem er Gesellschaft hat und macht vor lauter
Vergnügen allerlei dumme Sprünge, und Flitzchen wird von seiner
Lustigkeit angesteckt und wagt auch einen frohen Hopser über einen
bunten Stein. Als die beiden aber nach dem alten Stumpf kommen,
bleiben sie starr sitzen, denn da rührt sich etwas. »Warte, ich hole
mir Wind!« meint Hopps und leise schleicht er im Bogen zur Seite,
bis er Wind bekommt. Aber dann klopft er lustig, denn der Wind sagte
ihm, daß dort am Stuken Witschel ist. Da ist sie schon, die gute
Dicke. Hochaufgerichtet steht sie da und läßt die beiden herankommen.
»Was wollt Ihr denn hier?« »Die Rohre mit einem Kessel verbinden.«
»Habe ich schon längst gemacht. Aber wißt Ihr was? Seht mal dahin,
da steht ein dichter Dornbusch. Bis zum Kessel sind es keine sechs
Kaninchenlängen. Wenn wir nun eine Fahrt vom Kessel bis unter den Busch
bringen, dann sind wir fein heraus!« »Fein herein auch.« »Also los!«

Ein eifriges Gebuddel beginnt. Hopps fängt unter dem Dornbusche an,
Flitzchen arbeitet ihm vom Kessel aus entgegen, und Witschel führt von
dem anderen Rohre eine Verbindungsröhre nach der Dornbuscheinfahrt,
einmal der besseren Durchlüftung wegen, dann aber auch, weil sie weiß,
je mehr Fahrten ein Bau hat, um so leichter ist das Entkommen, verirrt
sich einmal so ein Stinker von Iltis hinein. Es war ein glücklicher
Gedanke von Witschel, der Einfall mit dem Dornbusche, denn kaum, daß
die drei in der Dämmerung am Rande der Kleewiese saßen und sich an den
saftigen Blättern gütlich taten, kam ein Bauer den Weg entlang und
hinter ihm her bummelte ein Spitz. So wie der die Kaninchen in die Nase
bekam, sauste er hinterdrein, und wenn er sie auch nicht bekam, so
hielt er doch die Fährte. Hopps und Flitzchen nahmen den kürzesten Weg
und fuhren über die Heide zu Baue, Witschel aber schlug vor dem Hund
Haken auf Haken, bis ihm ganz dumm und albern zu Mute war. Und deshalb
sah er sich nicht vor und rannte gerade dahin, wo Witschels Blume
verschwand, mitten in den Schlehbusch hinein, und rannte sich einen
dürren Dorn unter die Nase, so daß er heulte, daß es weit über die
Heide klang, und jammervoll winselnd kehrte er zu seinem Herrn zurück.

Die drei Kaninchen unter der Erde lachten. »Was ist denn da los?«
fragte Hopps. »Ach, ich habe den dämlichen Spitz in die Dornen gelockt
und die haben ihn gekämmt. Ich glaube, den Köter sind wir für eine
Weile los.« »Glaube ich auch,« meinte Flitzchen, »denn er hat nicht
schlecht gepfiffen.« Ein Weilchen warteten sie noch im sicheren Bau,
dann aber schlüpfte Hopps bis in die Dornen, sicherte lange und klopfte
die anderen heraus. Sie ästen sich lange in der Kleewiese und machten
durch ihr Hin- und Herhuschen die zwei Hasen, die seit Jahr und Tag
dort ihre Besuchsstelle hatten, so nervös, daß diese ärgerlich nach
dem anderen Ende der Wiese rückten, und auch der Rehbock, der am Kopfe
der Wiese immer austrat, wurde zu seinem Mißvergnügen die fremden
Gäste gewahr, schimpfte mörderlich, daß es weithin klang und zog
voller Verdruß den Hasen nach. Als es schon ganz dunkel war, bekamen
die Kaninchen einen großen Schreck, denn es brach und knickte in dem
Stangenort über dem Sandwege und etwas gewaltig Großes zog über die
Heide nach den Feldern. Was es war, wußten sie nicht, denn dort, wo sie
hergekommen waren, gab es keine Hirsche. Aber da seine Fährte nicht
nach Mensch, nicht nach Hund und nicht nach Fuchs roch, so rückten sie
bald wieder aus der Dickung heraus.

In acht Tagen hatten sie sich eingelebt. Außer ihrem Hauptbaue hatten
sie sich noch hier und da ein halbes Dutzend Notrohre gescharrt und
zu dem großen Bau noch vier lange Fahrten mit mehreren Abzweigungen
getrieben, deren Mündungen unter Baumstümpfen und in den dichtesten
Kiefernkusseln endeten. »Jetzt kann kommen, wer da will«, meinte die
gute Witschel, und bei sich dachte sie: »Es ist auch gut, daß wir
uns eingerichtet haben, denn zum Scharren habe ich keine Zeit mehr.«
Von Tag zu Tag hielt sie sich mehr allein und sah immer magerer und
ruppiger aus, und wenn Hopps ihr folgen wollte, ohrfeigte sie ihn,
daß es nur so brummte. Und bald ging es ihm bei Flitzchen nicht
anders; auch diese hielt sich allein und Hopps saß allein in seinem
großmächtigen Bau und dachte über die Launenhaftigkeit der Weiber nach
und sehnte sich nach der Emsheide, wo es nicht bloß ein Flitzchen
und eine Witschel, sondern viele viele hübsche Kaninchenfräulein
und -frauen gab, alte und junge, dicke und schlanke, so daß ein
Kaninchenherr, und besonders ein so schöner, schwarz mit einer
silbernen Blässe, sich nicht Tag und Nacht zu langweilen braucht.

Eines Tages aber machte er ein ganz dummes Gesicht und dachte: »Nanu,
träume ich oder ist mir der junge Klee in den Kopf gestiegen?« denn an
der Quelle bei dem Dornbusche wimmelte es von kleinen Kaninchen; sieben
waren es, sechs graue und ein schwarzes. »Die wollen wir uns doch
einmal näher besehen«, dachte er, aber da fuhr Witschel, die er gar
nicht gesehen hatte, hinter einem Farrnbusche hervor und benahm sich so
unfreundlich, daß er ihr aus dem Wege ging. Drei Tage später traf er
auf dem grasigen Gestelle vor dem Stangenorte wieder junge Kaninchen
an, zwar nur fünfe, aber zwei schwarze darunter, und als er sich die
Kinder ansehen wollte, bereitete ihm Flitzchen ebenfalls einen üblen
Empfang. Aber schon nach acht Tagen liefen die Kleinen alleine und die
beiden Mütter waren wieder nett zu Hopps.

Drei Monate gingen in das Land, da sah die Kiefernbesamung anders
aus, als an jenem Apriltage, an dem der Jagdaufseher die Kaninchen
ausgesetzt hatte. Überall war gescharrt, an den Wegen, an der
Feldkante, in den Gräben und überall war Kaninchenlosung. Der
Jagdpächter freute sich, wenn er in der Dämmerung von dem Hochsitze
in der Eiche den Graben in das Glas nahm und überall die Kaninchen
hin- und herflitzten, doch es wunderte ihn, daß der starke Bock, der
sonst immer hier austrat, sich nicht mehr spürte. Aber dem war es in
der Besamung und in dem Stangenorte zu unruhig geworden; Tag und Nacht
ruschelte und raschelte und pochte und kratzte es, und überall roch
es nach den fremden Tieren, und kein Fleck war, wo nicht deren Losung
lag. Deshalb war er in die Nachbarjagd ausgewandert. Auch die beiden
Hasen, die sich sonst jeden Abend vorn in der Kleewiese ästen, waren
verschwunden. Erst hatten sie tiefer in der Wiese geäst, als aber die
Kaninchen auch dort das Gras mit ihren Pässen durchzogen, rückten die
Hasen auch über die Jagdgrenze.

Reineke Rotvoß, der Schleicher, hatte es bald spitz, daß es in der
Besamung ein neues Wild gab. Er gab sich zwei Monate lang die größte
Mühe, eins von den unbekannten Tieren zu erwischen, aber es gelang ihm
immer vorbei. Und wenn er es noch so schlau anstellte, sie entwischten
ihm jedes Mal und dann stand er vor dem Bau, schnupperte in die Fahrt
hinein, zog Geschmacksfäden, wie ein Hund beim Hochzeitsessen, scharrte
sich lahm und müde und zog schließlich hungrig und ärgerlich ab.
Beinahe hätte er Flitzchen einmal geschnappt, aber da klopfte Hopps
laut auf den Boden und Flitzchen schlug drei Haken und fuhr durch den
Dornbusch zu Bau, der Fuchs schrammte sich heftig an den Dornen und
machte, daß er weiter kam. Auch Griepto Hoihnerdeiw, der Habicht, hatte
kein Glück bei den Kaninchen, und wenn er noch so listig an der Kante
der Besamung entlang strich. Jedes Mal, wenn er sich sagte: »So, nun
mache dein Testament!« dann witschten die grauen oder schwarzen Dinger
in den Busch oder in ein Loch. Einzig und allein Dickkopp, der Kauz,
hatte Weidmannsheil und griff, als er lautlos aus der Eiche abstrich,
ein Jungkaninchen. Die anderen aber retteten ihre Bälge und wuchsen
und gediehen und als ein neuer Frühling in die Heide zog, da machte es
nichts mehr aus, riß der Fuchs auch einmal ein Stück oder griffen sich
Kauz und Habicht eins, denn es waren ihrer schon viel zu viele und alle
vier Wochen wurden es mehr.

Schon bald fingen die Bauern an, lange Gesichter und runde Augen zu
machen, wenn sie die Gänge im Getreide sahen und einer klagte dem
anderen seine Not über das neue Unzeug. Als es von Monat zu Monat
schlimmer wurde, rückten sie dem Jagdaufseher auf den Leib, aber der
tat, als wüßte er nichts und ebenso machte es der Jagdpächter, denn
er sagte, ihm seien die Kaninchen selbst lästig, weil sie die Hasen
und die Rehe vertrieben. So war es auch; seitdem Hopps, Witschel und
Flitzchen und ihre Nachkommenschaft und die Nachkommenschaft davon und
deren Nachkommen und so weiter in den Heidbergen waren, hatten sich
die Hasen nach und nach verzogen und die Rehe waren in die Nachbarjagd
hinübergewechselt, die aus Bruch und Moorwald bestand und in der die
Kaninchen nicht leben konnten.

Als es ganz schlimm wurde, veranstaltete der Jagdpächter Treibjagden
allein auf Kaninchen und wenn auch den ganzen Tag über geknallt wurde,
auf zehn Schuß kam meist noch nicht ein Viertel Kaninchen, denn, wie
der Jagdpächter sagte: »Vorn ist das Deuwelszeug zu schnell und hinten
zu kurz.« Der Jagdaufseher kaufte Frettchen und Garne und ging ihnen
damit zu Balge, aber in der dichten Besamung und bei den verzweigten
Bauen, die alle keinen Anfang und kein Ende hatten, lohnte das auch
nicht. Er stellte Tellereisen in die Röhren und an die Kratzstellen,
aber die Kaninchen hatten den Schwindel bald heraus und fielen nicht
mehr darauf hinein, und als der Jagdaufseher Schwefelkohlenstoffbomben
in die Baue warf, hatte er erst recht keinen Erfolg, weil die Baue
zu viel Ausfahrten hatten. Und daß er sich hinsetzte und sie auf dem
Anstand abschoß, das brachte ihm nicht Schußgeld genug.

So lebten denn Hopps, Witschel und Flitzchen lustig weiter und von
Jahr zu Jahr nimmt ihre Sippe zu. Längst haben sie die Gemeindegrenze
überschritten, rund herum finden sich neue Siedlungen und alles, was
Land oder Garten hat, flucht ihnen.

Es schadet ihnen aber nicht im mindesten. »Der Mensch ist stark und
schlau,« sagt Hopps, der alte, »aber gegen uns kann er nicht ankommen.
Witschel hat voriges Jahr achtmal geworfen, meist sechs Stück, einmal
weniger, das andere Mal mehr, im Durchschnitt aber sechs. Sechs mal
acht sind achtundvierzig.«

»Und ich habe im letzten Jahre vierunddreißig gehabt«, meint Flitzchen.

»Na also«, spricht Hopps.



Ein Hauptschwein.


Im Helmetale war der Teufel los. Die Frühkartoffeln waren ausgewühlt,
die Erbsenfelder zertrampelt, die Saatkämpe umgebrochen, die
Haferfelder mit Wechseln durchzogen.

Von irgendwoher war ein Hauptschwein zugewechselt; überall spürte es
sich. Im Helmetal gab es keine Sauen; also war es kein Wunder, daß die
Aufregung groß war. Alles, was auf die Jagd ging, saß auf den Keiler
an, aber alle Mühe war vergebens.

So dumm war der Basse nicht, daß er immer in derselben Ecke blieb.
Er kannte die Welt; er hatte seine Erfahrungen hinter sich, sogar
mehr, als ihm lieb war. Ein Dutzend Jahre war er alt, hatte manche
Kugel pfeifen, Schrote genug klappern hören und auch sonst allerlei
durchgemacht.

Keine drei Wochen war er alt gewesen, da hatte ihn die Fuchshetze beim
Wickel gehabt, und hätte er nicht so hellaut geklagt und wäre die Bache
nicht ganz in der Nähe gewesen, so war es damals aus mit ihm; aber
seine Mutter rannte die Füchsin über den Haufen und richtete sie so
zu, daß sie mit knapper Not ihr Leben barg.

An dem Tage, da er seinen letzten Milchzahn verlor und zum ersten Male
nach Würmern und Wurzeln brach und vor Eifer zu weit hinter seiner
Mutter zurückblieb, hatten ihn zwei Hunde halbtot gehetzt, und er wäre
verloren gewesen, wenn die Bache nicht noch im letzten Augenblicke
herbeipolterte und die Köter beiseite brachte.

In seinem ersten Winter war er dreimal eingekreist gewesen, hatte mehr
als eine Kugel pfeifen hören, und das eine Mal hatten ihm die Paläster
ganz gehörig die linke Keule gekämmt.

Hinterher hatte er noch mehr erlebt. Daß er den rechten Hinterlauf
schonte, kam daher, weil ihn dort eine Kugel gefaßt hatte; viel hätte
nicht gefehlt, so wäre es damals mit ihm zu Ende gewesen, denn drei
Hunde hatten ihn gestellt. Er stritt sie aber tapfer ab, schlug den
einen zuschanden und rettete seine Schwarte.

Die sah bunt genug aus; das rechte Schild war mit Röllern gespickt,
die ein Bauer ihm da hineingepfeffert hatte, als er ihm die Erdäpfel
umpflügte. Die linke war halb kahl, denn die hatte ihm ein Streifschuß
zerfetzt. Die langen Federn auf dem Rücken zeigten eine breite Lücke,
denn dort hatte ihn eine Kugel gefaßt; das hatte scheußlich weh getan,
und er war erst wieder zur Besinnung gekommen, als ein Hund ihn hinten
und einer vorne zerrte; beide blieben mit aufgeschlagenen Rippen am
Platze.

Auch sein wehrhaft Gewaff hatte Schaden genommen; ein Schuß in das
Gebräch hatte den rechten Haderer der Schneide beraubt und einen Stumpf
daraus gemacht. Und der Pürzel, sogar der hatte daran glauben müssen;
er hatte einen Knick in der Mitte von einem Postenschusse.

Der eine Seher war blind; ein Hagelkorn hatte ihn durchschlagen, und
beide Gehöre waren aufgeschlitzt von Hundezähnen. Außerdem wies die
Schwarte überall Schmisse auf, die er sich bei den Kämpfen in der
Rauschzeit geholt hatte. Kurzum: er hatte allerlei erlebt, kannte die
Welt und benahm sich dementsprechend.

Darum ließ er es erst Nacht werden, ehe er die Dickung verließ, und er
trat da aus, wo er den Wind gegen sich hatte, und auch dann erst, als
er eine Viertelstunde gesichert hatte. Dann aber legte er sich auch
keinen Zwang auf und vergnügte sich damit, die morschen Fichtenstümpfe
auf dem verwachsenen Kahlschlage kurz und klein zu brechen, denn sie
saßen voll von Käfern, Puppen, Larven und Schnecken.

Darauf jagte er eine Fasanenhenne von ihrem Gelege, fraß die
Eier sämtlich auf, ließ eine Menge Mäusebrut und einen Junghasen
hinterdreinwandern, vergaß auch nicht, das Haferstück um und um
zu pflügen, denn es saß voll von Engerlingen, nahm mit, was er an
Fröschen, Blindschleichen und Vogelbrut antraf, scheuerte sich lange
und ausgiebig an einer harzigen Fichte, machte aus einem Kartoffelfelde
einen Sturzacker, verhunzte einen Saatkamp gänzlich und schlief um
die Zeit, als der Bauer und der Förster an der Stätte seiner Untaten
standen und den Zorn Gottes auf ihn herabwünschten, eine halbe Meile
weiter in einem verwachsenen Erdfalle, der im tiefsten Forste lag.

Selbstverständlich wurde die Fichtendickung, in die er sich den Tag
vorher versteckt hatte, getrieben, weil seine Fährte hinein- und
herausstand, aber natürlich bekam man ihn nicht, weil er eben nicht
mehr da war.

So trieb er es den ganzen Sommer über; bald war er hier, bald war er
dort, aber nie da, wo man ihn suchte. Heulen und Wehklagen gab es,
wo er erschien; hier waren die Frühkartoffeln ausgewühlt, dort die
Mohrrüben vernichtet, da die jungen Erbsen zuschanden getrampelt, und
im Getreide waren Gänge über Gänge. Aber man sah immer nur, daß er da
gewesen war; wo er war, das wußte man nicht.

Einige Leute behaupteten, es wäre gar kein wildes Schwein, sondern eine
Art von bösem Geist oder Gespenst, denn anders müßte man seiner doch
einmal ansichtig werden, denn alle Jäger weit und breit dachten an
nichts anderes, als an den Keiler und saßen die ganzen Nächte auf ihn
an.

Zu Blick bekommen hatte ihn aber nur einer, und der behielt das für
sich, denn als er in seinem Loche vor dem Felde saß, hatte der Basse,
wie aus der Erde gewachsen, plötzlich dicht vor ihm gestanden und so
schrecklich ausgesehen, daß dem Manne das Herz bis in den Flintenlauf
hineinschlug und er den Keiler gründlich vorbeischoß und dann lief,
was er nur laufen konnte, und dachte gar nicht daran, daß er Rucksack
und Jagdglas liegen gelassen hatte. Als er am andern Morgen die Sachen
holen wollte, waren sie verschwunden.

Endlich hieß es: »Wir haben ihn fest!« Ein Mann, der vor Tau und
Tag zum Arzte wollte, hatte gesehen, daß der Keiler eine mächtige
Weidenpflanzung, die im Felde lag, annahm. Nun wurde alles
zusammengeholt, was den Finger krumm machen konnte; man umstellte die
Weiden und schickte die Hunde hinein. Sie gaben Standlaut, aber als
sich endlich drei Mann zu ihnen trauten, hatten sie einen Zaunigel vor.

Das gab nun ein großes Hallo, und als sie alle auf einem Haufen
standen und lachten und schimpften, da plauschte es in den Weiden,
schnaufte es, brach es, und weg war er, der Keiler, und in den großen
Weizenschlag gewechselt. Als man den aber abspürte, stellte es sich
heraus, daß er in den Roggen hinein war, und da spürte man das
Roggenfeld ab und fand, daß er schon in den Viehbohnen war, und da war
er auch schon wieder heraus und in das Holz hinein.

Man hielt Kriegsrat ab, beschloß, das Holz zu treiben, machte drei
Triebe, aber wer sich nicht blicken ließ, das war der Basse, denn der
steckte schon längst in dem großen Haferschlage.

Der Sommer ging, der Herbst kam; der Keiler war noch immer im Helmetal,
aber das Helmetal war lang und breit. Da es mit Gewalt nicht ging,
versuchte man es mit List, körnte ihn an, streute ihm Mais, Hafer,
Rüben, Wurzeln. Er nahm sie manchmal auch an, aber nur dann nicht, wenn
irgendwo ein Jäger auf ihn ansaß, oder wenn schon, dann erst, wenn
Himmel und Erde eins waren und man das Ende vom Gewehre nicht mehr
sehen konnte.

Kinder, die Beeren pflückten, und Frauen, die Dürrholz lasen, lief er
am hellichten Tage an, nur keinen Mann, der einen grünen Rock anhatte,
bis auf den alten Forstmeister, der ihn am blanken Mittage aus der
Suhle steigen sah und sich beinahe seinen ehrwürdigen Bart ausriß, denn
als er die Büchsflinte von der Schulter und den Hahn übergezogen hatte,
da hatte ihn die Sau auch schon spitz und ging flüchtig ab, und die
Kugel traf sie ebensowenig, wie die unchristliche Redensart, die der
Weißbart ihr nachrief.

Schließlich kam er einem ganz jungen Förster, aber der führte Weichblei
und der Eingänger stand halbspitz von vorne; er bekam die Kugel zwar
gut Blatt, aber bei so einem alten Panzerschweine, dessen Schild
hart und dick wie die Haut des Nilpferdes ist und eine fingerdicke
Harzkruste trägt, ist gut Blatt von vorne der schlechteste Schuß und
schlecht Blatt von hinten die einzig wahre Stelle, und so schnaufte die
Sau bloß, machte kurz Kehrt und der Förster stand da und benahm sich
wenig geziemend.

Am übelsten aber ging es einem Gutsverwalter. Dem hatte der Eingänger
ein Kartoffelstück, das in einer Waldecke lag, so zugerichtet, daß der
Spaß dabei aufhörte. Nun war dieser Gutsverwalter ein ganz gerissener
Mann. Er ließ den Knecht anspannen und eine Leiter aufladen. Dann mußte
der Knecht unter eine Eiche fahren, die vor den Kartoffeln stand, und
vom Wagen aus, damit keine Fährten den Bassen vergrämten, wurde die
Leiter in den Baum gestellt und darüber ein Hochsitz gemacht, und den
nahm der Verwalter ein und der Knecht fuhr weiter.

Das war um fünf Uhr nachmittags. Um zehn Uhr abends meinte der
Verwalter, daß es allmählich Zeit für den Keiler wäre. Der wartete
aber, bis der Mond hinter den Wolken war und dann machte er sich in
aller Seelenruhe über die Kartoffeln her, schmatzte, daß es eine Freude
war, zu hören, wie es ihm schmeckte, aber als der Mond wieder die
Wolken beiseite schob, hielt der Keiler es doch für besser, sich zu
empfehlen. Zuvor aber schubbelte er sich noch solange an der Eiche,
auf der der Verwalter saß und sich bald den Hals abdrehte, bis daß er
glücklich die Leiter umwarf und erschrocken abtrollte.

Der Verwalter aber mußte die ganze Nacht im Baume sitzen und war,
als morgens der Knecht kam, um zu sehen, ob er noch lebte, vor
Kälte so steif, wie eine überjährige Mettwurst, so daß er kaum die
Leiter hinuntersteigen konnte. Der Keiler aber kam nicht wieder; die
Geschichte mit der Leiter hatte er übelgenommen.

Der Herbst ging und der Winter kam; der Keiler war noch immer da, aber
er schätzte die Abwechslung zu sehr und so kam er nicht zu Schusse.
War er gestern im Buchenaltholze gewesen und hatte sich an den süßen
Bucheckern gütlich getan, heute war er ganz gewiß nicht da, sondern
eine halbe Meile weiter, wenn nicht eine ganze, denn die Nächte waren
lang.

Unverschämt, wie er war, kam es ihm gar nicht darauf an, eingemietete
Kartoffeln oder Rüben auszuwühlen oder in den Pflanzgärten Unfug
anzustiften, und einmal, als er spät abends quer über die Landstraße
schoß, warf er den Briefträger um, der ohne Licht dahergeradelt kam; an
dem Rade waren drei Speichen und an dem Briefträger drei Rippen aus
der Reihe gekommen.

Das Schlimmste war, keiner wollte glauben, daß der böse Keiler das
gemacht hätte, sondern alle sagten, es würde wohl das gute Bier gewesen
sein. Aber es war wirklich der Keiler gewesen und ihm hatte der Vorfall
ebensowenig gepaßt, wie dem Briefträger und der Postbehörde, die, bis
der Briefträger wieder aus dem Bette war, was drei Wochen dauerte,
Vertretung stellen mußte.

Schließlich hieß es: »Wenn wir nur erst Spürschnee haben!« Der ließ
aber bis Weihnachten auf sich warten, und dann war es wieder verkehrt,
denn nun schneite es in einem Ende und schneite die Fährten, die der
Keiler machte, alle wieder zu, und dann gab es Tauwetter und Plattfrost
und Regen und wieder Plattfrost, und es war nichts zu wollen.

So wurde es Ende Januar, bis daß der Basse bestätigt wurde. Boten
liefen und ritten, Fernsprecher klingelten, Butterbröte wurden
gestrichen, Schnapsflaschen gefüllt, und um zehn Uhr hielten acht Wagen
bei der Oberförsterei.

Der Forstmeister hielt in Anbetracht der Schwere des Falles eine
Rede, teilte mit, daß ein Fehlschuß mit einem Taler zu Gunsten
der Hinterbliebenen im Dienste erschossener Forstleute bestraft
werde, empfahl Vorsicht, denn angeschweißte Sauen wären von großer
Rücksichtslosigkeit und kümmerten sich den Teufel weder um das
Strafgesetzbuch noch um die Haftpflicht, wären außerdem nervös und
hätten am liebsten ihre Ruhe, weswegen man sich völlig lautlos,
womöglich noch leiser, zu seinem Stande zu verfügen habe, auch sei
Niesen und Husten bis zum Abblasen zu verschieben.

Es war ein bildschöner Tag. Der Himmel war hoch und die Luft war still,
die Fichten hatten Schneemützen auf und die Jungbuchen weiße Hemden
an, die Krähen stachen sich in der Luft und die Meisen piepten in
den Zweigen. Es dauerte eine Stunde, bis daß die Schützen angestellt
waren, und mancher von ihnen fand, daß eine Saujagd auf die Dauer ein
fußkaltes Vergnügen wäre. Aber dann wurde angeblasen und warm lief es
ihnen zwischen Hemd und Haut über den Rücken.

Erst kam eine halbe Stunde gar nichts; dann dem einen ein Fuchs und
dem anderen ein Hase, aber darauf zu schießen, war bei Todesstrafe, ja
sogar bei zehn Mark Geldbuße verboten, und dann kam eine ganze Weile
wieder nichts, und dann ein Treiber und noch einer.

Schon seufzten die gesitteten Jäger, und die ungesitteten murrten
dumpf, da gab ein Hund Laut, und noch einer, und der dritte, und es
war ein Lärm, wie auf einer internationalen Hundeausstellung, und dann
pfiff ein Hund in den höchsten Tönen; die andern aber gaben Standlaut.

Und dann fiel ein Schuß, und dann schrie jemand: »Hülfe, Hüülfee!«
und die einen sahen sich nach anständigen Bäumen um und fanden es
rücksichtslos, daß ringsumher nur junge Bestände waren, die höchstens
eine Eichkatze, aber keinen ausgewachsenen Mann tragen konnten, andere
aber rannten, so schnell sie ihre langen Stiefeln tragen wollten,
dahin, wo der Lärm war, und da sahen sie ein Bild, schrecklich schön
und doch zum Lachen.

Da war nämlich ein Heringssalat von einem Keiler, sechs Hunden und vier
menschlichen Gliedmaßen, von denen zwei in langen Stiefeln steckten und
ganz erbärmlich zuckten, während ihr Besitzer andauernd um Hilfe schrie
und mit dem Büchsenkolben bald den Keiler, bald die Hunde abwehrte.

Es war ein solches Gekrabbel und Durcheinander, daß keiner wußte, was
ist nun Schütze, was Sau, was Hund, und so mochte niemand dem Keiler
den Fangschuß geben, noch ihm mit der kalten Waffe auf die Schwarte
rücken.

Da sprang der jüngste Schütz, ein dünner Forstlehrling mit einem
Milchgesicht und noch ganz glatt unter der Nase, mit drei Sprüngen
hinzu, setzte sich rittlings auf den Keiler, faßte ihn am Gehöre, zog
vom Leder und ehe die ausgewachsenen Männer noch recht wußten, wie es
zugegangen war, stand er neben dem Keiler, steckte die rottriefende
Wehr in die Scheide, trat die Hunde ab und riß den verunglückten
Schützen unter der Sau fort.

Nun schrie alles »Bravo!« und dann sah man sich den Mann an, der fünf
Minuten lang unter der Sau gelegen hatte. Er sah böse aus, denn die
Hunde hatten ihm in ihrer Wut die Hosen in ganz erheblichem Maßstabe
geflickt und ihm andauernd im Gesicht herumgestanden. Das war aber auch
alles; die Knochen hatte er noch alle zusammen und einen Fleischschmiß
auch nicht abbekommen.

Man gab ihm einen Schnaps und nun sollte er erzählen. Ja, was war da
zu erzählen? Er hatte gehört, wie dicht vor ihm die Hunde den Keiler
verbellten, hatte sich herangebirscht und geschossen. Von da ab
erinnerte er sich der Reihenfolge der Tatsachen nicht mehr ganz genau.
Er wußte nur, daß er auf einmal unter dem Keiler und zwischen einer
unglaublichen Masse von Hundebeinen lag, daß ihm bald der Schnee, bald
der Geifer der Sau in Mund und Augen flog und dann wäre es ihm heiß und
naß über das Gesicht gelaufen und dann hätte er gar nichts mehr sehen
können.

Er möchte bloß wissen, wo seine goldene Uhr und seine silberne
Zigarrettendose sei und ob drei Büchsenmacher wohl wieder seine
funkelnagelneue Doppelbüchse, Wert vierhundert Mark, halbwegs gesund
bekämen. Aber schließlich: die Hauptsache sei doch, daß er Jagdkönig
sei. Es sei die erste Sau, die er geschossen habe. Daraufhin trank er
noch einen Schnaps.

Der Keiler wurde auf die Brandrute gezogen und dann suchte man den
Anschuß. Es war keiner da. Rundumher Hohngelächter der Hölle; das
Gesicht des glücklichen Schützen wurde noch einmal so lang, das des
Forstlehrlings nahm eine vollmondartige Form an. Man drehte die Sau
um und um, besah sie von vorn und hinten, es war und war kein Anschuß
zu finden. Der Schütze mußte zeigen, wo er gestanden und wohin er
geschossen hatte, und da fand man den Anschuß; eine Jungfichte war
mitten durchgeschossen. Neues Hohngelächter! Drei Mark für den Verein
Waldheil fällig wegen Fehlschusses! Drittes Hohngelächter!

»Malhör über Malhör!« sprach der Forstmeister, brach einen Bruch,
zog ihn durch den roten Schweiß und reichte ihn auf seinem Hute dem
Forstlehrling. »Sau tot!« blies das Horn. Heim ging es. Fast alle
ließen die Köpfe etwas hängen. Und leise sprach der Forstmeister:
»Pech ist Pech! Das größte Pech hat der Bengel da; fängt ein gesundes
Hauptschwein mit der kalten Waffe ab. Wenn der nicht Größenwahn kriegt,
weiß ich es nicht!«

Am anderen Tage kam der Trichinenbeschauer, machte seine Proben und
sprach mit strahlendem Gesichte: »Trichinen hat er ooch!«

»Auch das noch!« sprach der Forstmeister und trank einen Schnaps.



      *      *      *      *      *      *



Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

Unterschiedliche Schreibweisen von Namen wurden beibehalten.

Korrekturen:

Titelseite: leivt → lebt
  Es {lebt} der dürre Sand

S. 65: sind → sich
  kümmern {sich} nicht mehr um sie

S. 129: hömschen → höhnischen
  trockenen, gemeinen, {höhnischen} Jubelruf

S. 134: bastige → hastige
  tief unter ihm fallen {hastige} Axtschläge

S. 163: Malöhr → Malhör
  {Malhör} über Malhör!





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