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Title: Vertraute Briefe an eine Freundin Author: Garve, Christian Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Vertraute Briefe an eine Freundin" *** images of public domain material from the Google Books project.) #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1801 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche sowie inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten, insbesondere wenn diese in der damaligen Zeit üblich waren oder im Text mehrfach auftreten. Fremdsprachige Zitate werden dem Original entsprechend unverändert wiedergegeben. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter erstellt. Das Buch wurde in Frakturschrift gedruckt, wobei üblicherweise zwischen den Großbuchstaben ‚I‘ und ‚J‘ nicht unterschieden wird. Daher wurde in einer Passage (‚Frau von I.‘) willkürlich der erstere Buchstabe gewählt. Für die von der Normalschrift abweichenden Schriftschnitte wurden die folgenden Sonderzeichen verwendet: gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ Einzelbuchstaben in Antiquaschrift wurden bei der Auszeichnung nicht berücksichtigt. #################################################################### Christian Garve’s Vertraute Briefe an eine Freundin. Leipzig, bey P. Phil. Wolf und Compagnie. 1801. Inhalt. Seite Vorrede des Herausgebers. iii Erster Brief. 3 Zweyter Brief. 10 Dritter Brief. 13 Vierter Brief. 18 Fünfter Brief. 28 Sechster Brief. 41 Siebenter Brief. 51 Achter Brief. 58 Neunter Brief. 60 Zehnter Brief. 68 Eilfter Brief. 77 Zwölfter Brief. 81 Dreyzehnter Brief. 88 Vierzehnter Brief. 95 Funfzehnter Brief. 105 Sechzehnter Brief. 111 Siebenzehnter Brief. 123 Achtzehnter Brief. 130 Neunzehnter Brief. 141 Zwanzigster Brief. 145 Ein und zwanzigster Brief. 155 Zwei und zwanzigster Brief. 165 Drey und zwanzigster Brief. 172 Vier und zwanzigster Brief. 178 Fünf und zwanzigster Brief. 187 Sechs und zwanzigster Brief. 194 Sieben und zwanzigster Brief. 202 Acht und zwanzigster Brief. 205 Neun und zwanzigster Brief. 215 Dreyssigster Brief. 221 Ein und dreyssigster Brief. 227 Zwey und dreyssigster Brief. 231 Drey und dreyssigster Brief. 237 Vier und dreyssigster Brief. 244 Fünf und dreyssigster Brief. 246 Sechs und dreyssigster Brief. 250 Sieben und dreyssigster Brief. 254 Acht und dreyssigster Brief. 263 Vorrede des Herausgebers. Die Freundin Garve’s hat bey der Herausgabe dieser Briefe keine andere Absicht, als mit allen Freunden und Verehrern des guten Mannes ein kleines, ihr sehr theures Erbtheil von ihm zu theilen. Daß dieser Gedanke ihrem eignen Herzen und ihrer Gesinnung gegen ihren verstorbenen Freund wohlthun, ist sie gern geständig. -- So wenig auch Garve’s +gelehrter Nachlaß+ dadurch um ein Bedeutendes vermehrt werden mag, so kann doch auch der Gelehrte sich wohl dieser Briefe freuen; er sieht in ihnen den Geist blühen, von dem er die Früchte kennt und schätzt. Was man von Schriftstellern nicht heraus geben muß, sind taube Blüthen und unreife Früchte; von einem philosophischen Geiste ist die Blüthe so angenehm, als die Frucht stärkend; und wenn ein Mann etwas geworden ist -- dann wird der Welt die Frage interessant: wie wurde er es? -- Diese Briefe enthalten vielleicht manche interessante Data zur Beantwortung der Fragen: Wie war Garve, der Jüngling? -- Wie früh war sein Geist gereift, gefaßt, in sich gegründet? -- Wie wurde Garve, der Mann? -- Wie entwickelte sich der Plan seines Lebens? -- Wie wurde Garve, der Schriftsteller? -- -- Diese Briefe sind unmittelbar vor seiner Bearbeitung des Cicero geschrieben, und man kann sie in mehr als einer Hinsicht als einen Eingang in sein öffentliches schriftstellerisches Leben ansehen. So viel für diejenigen, die in diesen Briefen Garven, den Gelehrten, suchen. Diese und alle gute Menschen, denen dieselben in die Hände kommen, mögen sich freuen -- dieß ist der lebhafteste, ja ich kann wohl sagen, der einzige Wunsch der Herausgeberin, ihren Freund hier in den ersten, reinsten, natürlichsten Verhältnissen des Lebens zu sehen, Garven, den +Sohn+, -- den +Freund+ -- und den +Menschen+. -- Hier kann ihn der Gute lieben, der den Gelehrten nicht kennt; und gern wird vielleicht der Gelehrte sein philosophisches Werk einen Augenblick hinlegen, um mit dem menschlichen Verfasser desselben einige Zeit im Zirkel seiner Familie, seines Jugendlehrers, und seiner Freunde, zuzubringen. Dieß sind die Gedanken der Freundin Garve’s bey der Herausgabe dieser Briefe, nach welchen sie wegen derselben von dem Publikum beurtheilt zu werden wünschen muß. Vertraute Briefe an eine Freundin. Erster Brief. Dienstags Nachmittags um 3 Uhr, den 11. May, 1767. Endlich bin ich wieder bey Ihnen, und vergesse in diesem Augenblicke alle die Schwermuth, den Verdruß, und die Langeweile, die ich seit unserer Trennung ausgestanden habe. Wir haben es uns hundert Mal gesagt, daß die empfindlichen Herzen mehr zum Leiden als zur Freude gemacht sind. Und wenn ich der Sympathie, die alle unsere Neigungen einander so gleich gemacht hat, trauen darf, wenn meine Empfindungen den Ihrigen ähnlich waren, so sind Sie diese drey Tage über nicht glücklich gewesen. Zuerst eine mehr süße als unangenehme Schwermuth, aber bald darauf eine finstere und traurige Melancholie, die alle Ideen der Seele in ihre Farbe kleidete, und selbst der Hoffnung nicht zuließ, sie zu trösten. Ich finde, daß ich gemeiniglich in dem Augenblicke, wenn mir ein Unglück widerfährt -- und unsere Trennung halte ich für eins -- mehr bestürzt als traurig bin. Die Geschwindigkeit, mit welcher es mich überrascht, benimmt mir die Fähigkeit darüber nachzudenken. Ich werde einiger Maßen fühllos, ich erstarre. Aber wenn mein Gemüth wieder ruhig genug ist, die Größe und die Folgen des Uebels zu überlegen; wenn es sich die Scenen des Vergnügens wieder vorstellt, deren es jetzt beraubt ist; wenn es von da sich zu den künftigen Aussichten wendet; dann wird erst sein ganzes Gefühl rege, und alle seine Kräfte vereinigen sich bloß dazu, es in der Traurigkeit zu unterhalten. Ich bin Ihnen noch so nahe, und es scheint mir eine unermeßliche Entfernung zu seyn. Und doch werde ich Ihnen in einem halben Jahre nicht näher kommen, -- vielleicht niemals. Aber lassen Sie mich diese unglückliche Furcht unterdrücken. Ich sehe Sie wieder.... Mein Herz ist mir dafür Bürge, das der Himmel nicht umsonst mit dem Ihrigen so sympathetisch gemacht hat. Selbst unter einem entfernten Himmelsstriche würde ich Sie geliebt haben, ohne Sie zu kennen, -- eine Person, die Ihnen ähnlich wäre, eine zweyte Wilhelmine. Und nun, da uns die Vorsicht zusammen gebracht hat, da wir uns haben kennen lernen müssen, da wir diesen geheimen Zug der Aehnlichkeit in uns entwickelt, unsere Seelen gegen einander gehalten, und sie so ähnlich gefunden haben, als zwey freundschaftliche Seelen seyn müssen; da wir überzeugt worden sind, daß dieses höchste Geschenk der Gottheit, die Freundschaft, für unsere Herzen gemacht ist: nun sollten wir einander auf immer verlassen? um wieder in der Welt nach einer uns verwandten Seele zu suchen und zu seufzen, und sie vielleicht nicht zu finden. Sie sehen, ich schreibe stolz. Ich nenne mich keck Ihren Freund; und zwar in der hohen Bedeutung, in welcher dieses Wort nur selten gebraucht wird. Aber wen sollte auch Ihre Gütigkeit nicht stolz machen. Mein Herz ist noch von derjenigen gerührt, die Sie mir den letzten Tag erwiesen haben. Wie oft habe ich mir nicht die Auftritte dieses Tages von meiner Einbildungskraft wieder vorspielen lassen! Und immer verweilte ich mich bey dem Augenblicke, wo ich in einer Bestürzung, die mich von meinen Bewegungen nicht mehr Herr seyn ließ, meinen Huth suchte, und Sie mir das unerwartete Vergnügen ankündigten, daß ich noch einen halben Tag länger bey Ihnen seyn könnte. Niemals hat man eine freundschaftlichere Gefälligkeit zu einer gelegenern Zeit gethan, zu einer so gelegenen Zeit, daß ich Ihnen die Grausamkeit vergebe, daß Sie mich die Angst des Abschieds haben zwey Mal empfinden lassen. Ich sollte Ihnen nun meine Reise beschreiben. Ich wollte sie Ihnen beschreiben. Ich habe jede Kleinigkeit bemerkt, von der ich hoffte, daß sie entweder einer kleinen Satyre fähig wäre, oder, durch Ihre freundschaftliche Theilnehmung an allem was mich betrifft, Ihnen wichtig seyn könnte. Ich hatte in meinen Gedanken eine ganz kleine Sammlung von solchen Zügen, und schon dachte ich mit Eitelkeit an die Reisebeschreibung, die ich daraus zusammensetzen wollte. Aber dieses war noch in der ersten Zeit, wo der Einfluß Ihrer noch nicht längst verlornen Gegenwart meiner Seele noch Muth und eine gewisse Munterkeit erlaubte. Aber seit diesem Zeitpunkte sind alle jene Ideen weggewischt worden. Der Schmerz hat sie alle so einförmig gemacht, daß ich sie nicht ohne Mühe, und gewiß ohne Anmuth aus ihrer Dunkelheit hervorziehen würde. Also will ich Ihnen nur kurz sagen, daß ich meine Reisegesellschaft nicht genauer kennen gelernt habe, als wir sie im Wirthshause schon kannten, ausgenommen, daß der Macedonier ein großer Schläfer war, den ich herzlich beneidete, durch die ärgsten Stöße niemals in seiner Ruhe gestört zu werden; daß der Herr Magister sehr wenig sprach, und daß dieses Wenige alle Mal etwas kraftloses und langweiliges war; daß mein Nachbar ein Kaufdiener, und noch ein vierter ein Dreßdner war. Ich selbst habe den Postwagen in W*** verlassen. In der That war es beynahe eine Unbesonnenheit, die ich beging. Die Sache war so. Der Postwagen war auf das erschrecklichste befrachtet. Eine Menge Geldfässer und anderer schwerer Waren! Vier elende und abgetriebene Pferde würden ihn mit Mühe und Noth bey dem besten Wege gezogen haben. Aber dieser war entsetzlich. Aus einem Loch ins andere! Ich stieg drey bis vier Mal ab. Ich ging zu Fuß. Aber so oft ich wieder aufstieg, verschlechterte sich alle Mal der Weg. Das Gewicht des Wagens machte, daß er bey jedem Abhange sehr stark schwankte; wir waren zwey Mal in der größten Gefahr gewesen, umzuwerfen. Endlich bemächtigte sich die Furcht meiner. Ich dachte an den schrecklichen Fall bey B***werda. Ich fuhr beständig in Angst. Wir erreichten endlich W***. Einer von der Gesellschaft, eben der Dreßdner, der eben so furchtsam wie ich war, nahm hier Extrapost für sich bis H****burg. Ich entschloß mich, ihm Gesellschaft zu leisten. In der That war es unüberlegt: denn ich hatte mit genauer Noth so viel Geld bey mir, als nöthig war; und meinen Koffer hatte ich auf der ordinären zurück gelassen. Wir kamen um 9 Uhr nach H***burg. Ich fand keinen Menschen aus G****dorf. Man erwartete mich erst Montags. Ich wußte also von neuem nicht, wie ich nach G****dorf hinüber kommen sollte. Ich erwartete erstlich die ordinäre Post, um meinen Koffer zu haben. Ich ganz allein, in der Poststube, wo ein durch die jetzigen Meßexpeditionen abgematteter Postschreiber auf einem Stuhle schlief, bey einem kleinen einsamen Lämpchen, hatte alle mögliche Zeit zur Schwermuth. In der That brachte ich die Stunden höchst traurig zu. Endlich kam mein Koffer. Ich nahm noch einmal Extrapost nach G****dorf. Hier kam ich um 11 Uhr an. Meine Freunde, oder vielmehr mein Freund, der eben zu Bette gehen wollte, empfing mich liebreich. Hier lebe ich nun nicht mit der düstern Melancholie, die durch die Einsamkeit genährt wird, aber in einem gewissen Tiefsinn, den man mir auch anmerkt. Ich habe kaum diesen Augenblick finden können. Man ruft mich schon etliche Mal, und ich muß nothwendig den Brief endigen, ob ich gleich nicht den hundertsten Theil von dem gesagt habe, was ich Ihnen sagen wollte. Was für eine elende, unvollkommene Art der Unterredung ist doch ein Brief! Gott segne Sie. Von ganzem Herzen der Ihrige. Zweyter Brief. G***dorf, den 28. May, 1767. Ich reise diesen Augenblick von hier nach H****burg. Dort erwarte ich Hr. M.. und mit ihm -- das angenehmste, was ich in meinen gegenwärtigen Umständen erhalten könnte, Ihre eigne Gegenwart ausgenommen. Ich fange an, das Leben als eine lange und oft beschwerliche Reise anzusehen, auf der wir von einem höhern Führer geleitet werden. Von Zeit zu Zeit kommen einige angenehme Ruheplätze, wo wir uns nur erholen sollen, und wo wir ganz und gar zu wohnen wünschen. Ihr Haus und ihre Gesellschaft war einer von diesen. Ich fing schon an in demselben zu vergessen, daß ich bloß zur Fortsetzung meiner Reise gestärkt werden sollte. Es kommt der fürchterliche Befehl zum Aufbruche. Ich verlasse in einer Art von Betäubung den angenehmen Aufenthalt. Endlich kommt meine Empfindung wieder; aber nur um mich meinen Verlust fühlen zu lassen. Lange, lange sehe ich mit einer zaudernden Sehnsucht nach dem gewünschten Orte zurück, indeß ich mich immer mehr von ihm entferne. Dort, dort, sage ich, ist meine Freundin, und ich reise nach der entgegenstehenden Gegend. +Von einem unbefriedigten Verlangen zur Schwermuth ist nur ein einziger Schritt.+ Endlich verlieren sich alle diese schmerzhaften Ideen in dem Gedanken an meinen großen und gütigen Anführer. Er ist zugleich der Führer meiner Freundin. In ihm, unserm gemeinschaftlichen Vater, vereinigen sich wieder unsere Seelen, wenn sie auch durch noch so weite Entfernungen von einander getrennt sind. +So ist der Schmerz oft unser Lehrer; und eine menschliche Seele, die niemals traurig gewesen wäre, müßte gewiß lasterhaft seyn.+ Die Pferde sind angespannt, alles ist fertig. Ich schreibe mitten unter dem Geräusch. -- Ich bin unaufhörlich der Ihrige. Dritter Brief. B***, den 3. Juni. Fleuch, Brief, eile, so geschwind wie meine Gedanken, um es meiner besten Freundin zu sagen, daß ich meine Reise überstanden, daß ich meine Mutter wieder gesehen habe, und daß ich mich doch über beydes nur halb so sehr freue, als wenn sie mit daran Theil nähme. O meine gefühlvolle Freundin, was wäre das für eine Scene für Sie gewesen, da ich meine Mutter wieder sah. Denken Sie nur. Sie wußte nicht ein Wort davon, daß ich Sonntags kommen würde. Der Himmel hatte sogar zu meinem Glück den Brief unrichtig gehen lassen, worin ich es Ihr von G****dorf aus meldete. Sie war den Tag zuvor mit meinem alten Lehrer (den Sie schon kennen und hochschätzen) dem Hrn. Ringeltauben, vom Lande herein gekommen. Die Wiederkunft in die Stadt hatte den Schmerz über den Verlust der liebenswürdigsten Tochter wieder aufgeweckt. Meine Reise war ihr ein neuer Kummer. Eine Menge von andern unangenehmen Umständen hatte ihr Gemüth für das Vergnügen verschlossen. Sie stand am Fenster in einer bekümmerten und traurigen Stellung. Zu eben der Zeit komme ich an. Ich steige bey einem fremden Hause ab. Ich fliege mit einer gewissen Art von ängstlicher Eile über die Straßen. Ich komme an das Haus meiner Mutter, ohne daß mich ein Mensch gewahr wird, die Treppe hinauf, fort, fort, bis an das Zimmer meiner Mutter. Ich eröffne die Thüre mit Zittern. In diesem Augenblicke sehe ich meine Mutter mit ausgebreiteten Armen auf mich zufliegen. -- Mein Sohn, mein allerliebster Sohn, du bist es! -- Ihre Thränen ersticken das übrige. Ich war völlig sprachlos. Ich küßte alle, die in der Stube waren, ohne ihnen ein Wort zu sagen. Ich ging, wie ein Mensch in der Irre, von einem zum andern herum, ohne zu wissen, wer um mich war, und was in mir selbst vorging. Endlich fingen die Thränen an zu fließen. Mein Herz wurde leichter. Meiner Mutter ihres auch. Ein sanfter und stiller Schmerz über die Abwesenheit einer Person, die ich bey einem solchen Auftritte am liebsten würde gegenwärtig gesehen haben, vermischte sich mit unserer Freude, und brachte eine gewisse stille, aber nicht verdrießliche Schwermuth hervor, die unter allen Zuständen der Seele vielleicht der angenehmste ist, und den sie am längsten aushalten kann. O meine gütigste Freundin! Ich habe noch nicht alles gewußt, was ich an meiner Cousine verloren habe. Die liebenswürdigste Gestalt, ein richtiger und durchdringender Verstand, ein sicheres und feines Gefühl, Adel und Hoheit in den Empfindungen, Unschuld und Tugend im Herzen; das waren die Vorzüge, die jeder an ihr kannte, und jeder, der für Vollkommenheiten von dieser Art Augen hat, hochschätzte. Aber sie war für mich noch mehr. Sie war die einzige Freundin, der Trost und die Stütze meiner Mutter, das Band unserer Familie, die Hoffnung und die Belohnung eines Freundes, den ich verehre, und der in ihr sein Glück würde gefunden haben. Denken Sie, was ich dabey fühlen muß, wenn man mir noch die letzten Beweise ihrer Gewogenheit gegen mich erzählt, ihren Wunsch, mich wieder zu sehen, ihre Freude bey der Hoffnung von meiner nahen Zurückkunft. Ist denn alles, was gut und vortrefflich ist, nur bestimmt, zu leiden und zu sterben? Schon fange ich an, für Sie selbst zu fürchten. Eine so gute, rechtschaffene Frau, eine so zärtliche Freundin, eine so verständige Mutter, ist vielleicht nur ein Darlehn, kein Geschenk, das der Himmel der Erde macht. Werden Sie ja wieder gesund, oder Sie machen mich ganz melancholisch. Ich bin es ohnedieß schon halb; meine Mutter kränklich, von Schmerz und Kummer verzehrt; mein Onkel seiner geliebtesten Tochter beraubt; meine übrigen Freunde theils zerstreut, theils unglücklich: ist das nicht mehr als genug, selbst ein hartes Herz zu beunruhigen? -- Sie sehen, ich habe Ihre Briefe erhalten. Einen durch Hrn. M.., den andern gestern mit der Post. Sie sind die angenehmste unter meinen Ergötzungen gewesen. Was meynen Sie wohl? Herr M.. gab mir ihn erst in Stauchitz. Bis dahin sagte er nicht ein Wort, daß er einen Brief von irgend einem Menschen hätte. Glauben Sie nicht, daß mich diese fehlgeschlagene Hoffnung, einen Brief von Ihnen zu bekommen, den Weg über sehr unruhig machte? Und doch fürchtete ich mich zu fragen, weil ich den Zweifel für besser hielt, als einer unangenehmen Sache gewiß zu seyn. Endlich wagte ich es, ihn ganz leise zu fragen, ob er von Niemand Briefe hätte. Ja, sagte der Mensch ganz gelassen, ich habe einen von ***. Was ist doch der Mann für eine Schlafmütze, dachte ich. Geschwind, geschwind her mit dem Briefe! Aber was ist denn das für eine Dame, die an Sie so zeitig schreibt? -- Eine gute Frau, eine recht sehr gute Frau! Aber geben Sie mir den Brief her. Nun denken Sie sich das übrige. -- Den Augenblick kommt man, und sagt, daß die Post abgeht, und ich meine Briefe würde hier behalten müssen. Ums Himmelswillen, mein lieber Post-Sekretär, wenn ich Euch jemals eine solche Freundin, wie ich habe, wünschen soll, so bestellt diesen Brief an die meinige! Vierter Brief. B***, den 8. Juni. Ungeachtet ich anfangs über die neue Einrichtung, die es Ihnen mit meinem Posttage vorzunehmen beliebte, ein bischen murrete, so muß ich Ihnen doch jetzt sagen, daß Sie es recht gut gemacht haben. Sie kennen die Theorie des Vergnügens. Sie wissen, wie notwendig es sey, seine Vergnügungen zu sparen, um sie recht zu genießen. Durch Ihre gegenwärtige Einrichtung haben Sie zwischen dem Vergnügen, von Ihnen Briefe zu bekommen, und dem beynahe eben so großen, Briefe an Sie zu schreiben, fast gleiche Zwischenräume gesetzt, da sie sich vorher unmittelbar auf einander drängten. Auf diese Art wird mir die Zeit von einem Freytage zum andern kürzer, und zwischen beyden Unterredungen, die ich mit Ihnen die Woche halte, bey deren einer ich Sprecher, und bey der andern Hörer bin, ist doch auch Raum genug, um das Verlangen nach einer neuen wieder recht lebhaft zu machen. Wissen Sie, was mir das ärgste bey dieser Art von Umgang zu seyn scheint? Dieses, daß ein Brief, den man (wenn unsere Freunde sehr gütig sind) acht Tage erwartet hat, in eben so viel Minuten zu Ende gelesen ist, und nach Verlauf dieser glücklichen acht Minuten, in denen man den Brief lieset, schon wieder die neuen acht Tage angehen, in denen man auf den folgenden wartet. Bey alle dem bin ich doch noch immer sehr glücklich, daß Sie so gütig sind, und meinem Vergnügen alle Wochen einen Theil Ihrer Zeit schenken. Ihre Briefe geben mir wieder in meinen Augen einen gewissen Werth. Und dieses ist sehr nöthig, da ich mir hier zuweilen in gewissen Gesellschaften recht einfältig vorkomme. Ich habe mir vorgenommen, Ihnen heute viel von mir selbst vorzuschwatzen. Nicht eben, daß ich mich für einen sehr guten Gegenstand des Gesprächs hielte; aber ich habe heute nun einmal keinen bessern, oder wenn ich ihn hätte, so wäre ich nicht dazu aufgelegt, ihn zu nutzen. Ich muß mich also schon mit mir selbst begnügen. Ueberdieß sind Sie selbst daran schuld, daß Sie mir die Eitelkeit in den Kopf gesetzt haben, als wenn alles, was mich anginge, sehr wichtige Sachen für Sie seyn müßten. Diese Einbildung mache ich mir also zum Vortheile meiner Trägheit zu Nutze, und mache getrost meine Briefe zu einem guten, ehrlichen Zeitungsblatte von mir selbst. Heute sollen Sie also erfahren, wie ich meinen Tag hier gewöhnlicher Weise zubringe; obgleich der Ausnahmen beynahe so viel sind, als der Fälle, die unter die Regel gehören. So wissen Sie denn, daß ich nicht bloß gewöhnlich, sondern beständig sehr spät aufstehe. Dieses +spät+ aber müssen Sie weder früher noch später annehmen, als acht Uhr des Morgens nach B***scher Uhr. Ich habe schon lange die Ursachen dieser Begebenheit, die mit meinen Entwürfen und Vorsätzen so wenig übereinstimmt, aufgesucht; ich bin aber noch nicht weiter als bis auf die Dunkelheit der Alkove gekommen, in der ich liege, und die der Sonne vor Mittag den Besuch nicht erlaubt. Dieses ist ein sehr gutes Mittel die fernere Untersuchung wenigstens aufzuschieben, die sich vermuthlich damit endigen würde, daß ich ein wenig faul wäre. Der erste Gedanke, wenn ich erwache, ist, nach einem kurzen Dank für das Geschenk eines neuen Tages, der Gedanke an meine Freunde. Wie glücklich, denke ich alsdann, bin ich, daß ich wieder in einer Welt erwache, in der so manches edle, vortreffliche Herz an meinem Leben und an meiner Wohlfahrt Theil nimmt! Ich überzähle alsdann mit aller der Begierde, mit der ein reicher Geitziger am frühen Morgen seine Summen wieder überzählt, die Anzahl dieser Freunde. Ich bin nicht mißvergnügt, daß ich sie so klein finde. +Das Herz liebt desto stärker, je mehr es konzentrirt ist.+ Dieser stille Genuß der Glückseligkeit, Freunde zu haben, bereitet mich zu einer andern vor; -- zu der, ihnen Gutes zu wünschen. Wie rührt und wie erhebt mich in diesem Augenblicke ein Gedanke an den Herrn und den Vater, den ich mit allen meinen Freunden gemein habe. Er ist bey ihnen, so wie bey mir gegenwärtig; er regiert ihr Leben, so wie das meinige; er sorgt für ihre Glückseligkeit mit alle dem Eifer, mit dem ich dafür sorgen würde, wenn ich die Macht dazu hätte. Durch diese Erinnerung scheinen sich mir die weitesten Entfernungen zu verengern. Ich vereinige mich mit meinen Freunden. Bürger einer und derselben großen Republik, in einerley gemeinschaftlichen Plan von allgemeiner Glückseligkeit verflochten, von einerley Gesetzen regiert und von gleichen Hoffnungen belebt, sind unsere Geister unter einem beständigen, gemeinschaftlichen Einfluß eben derselben Güte! -- Ich muß mich mit Gewalt von diesen Betrachtungen losreissen. Das Vergnügen macht geschwätzig. Und doch sind Worte so wenig fähig, Vergnügungen von der Art zu beschreiben, daß man nothwendig entweder einem Herzen, das sie niemals empfunden hat, verdrießlich, oder einem solchen, das sie kennt, matt und kraftlos vorkommen muß. Auf diese geheimen Ergötzungen folgt eine andere, an der meine liebe Mutter, und meine Cousine, die beständig bey ihr ist, Theil nimmt. Wir trinken gemeinschaftlich auf einem kleinen Altan, den wir haben, und der mit Grünem besetzt ist, Thee. Sie wissen schon, was ich Ihnen sonst von dem Vergnügen der Theestunde vorgeschwatzt habe; und in der That bleibt es noch immer eine der schönsten Stunden des ganzen Tages. Sie können es auch daraus schließen, daß wir sie fast niemals vor zehn Uhr endigen. Ich habe mich hier zum Lekteur meiner ganzen Familie aufgeworfen, und man hört mich noch so ziemlich gern. Ich lese also diesem Amte zu Folge auch manchmal beym Thee ein Stück vor. Das gewöhnlichste aber ist, daß wir bloß sprechen; sehr oft von Leipzig, noch weit öfter von Ihnen; das können Sie denken. Um zehn Uhr gehe ich herunter, und diese beyden Stunden bis zu Mittage lasse ich mir ungern rauben. Mein Geist wird ohne eine tägliche Nahrung trocken und leer. Er ist keine immerbrennende Flamme, die durch ihre eigene Kraft in die Höhe steigt. Er ist wie das in Stein eingeschlossene Feuer, das nur von Zeit zu Zeit Funken giebt, und auch diese müssen erst heraus geschlagen werden. Ich lese also in diesen zwey Stunden, oder ich schreibe. Das was ich lese, und was ich davon denke, das sollen Sie alles nach und nach erfahren. -- Aber diese zwey kostbaren Stunden sind eben jetzt vorbey; ich habe sie dazu angewendet, an Sie zu schreiben; und das ist gewiß der beste Gebrauch, den ich die ganze Woche davon mache. Dem ungeachtet verzweifle ich noch nicht, ehe man mich zu Tische ruft, zu Ende zu kommen. Das nächste also, was jetzt folgt, ist, daß ich esse. Die Gesellschaft eben dieselbe, die es beym Thee war. Die Gerichte sehr mäßig, aber sehr wohlschmeckend. Und hier kann ich nicht unterlassen, eine kleine Lobrede für die Schlesischen Köche und Köchinnen einzuschalten. Wenn ein Land durch gute Suppen, durch sehr fettes und derbes Rindfleisch, durch vortreffliches und wohlzugerichtetes Kräuterwerk glücklich würde, so wäre in der Welt nichts ungerechter, als die Klagen, von denen meine Ohren hier gar nicht ausruhen. Denn alles das und noch weit mehr, als ein solcher Idiot in der jetzigen Favorit-Wissenschaft der Welt, wie ich bin, sagen kann, das besitzt Schlesien. O warum kann ich nicht hier Ihren Geschmack aufbieten, mir Recht zu sprechen! Warum kann ich Sie nicht einmal mit dem Manne, ohne welchen alle mögliche Schlesische Gerichte umsonst vor Ihnen stünden, an unserm Tische sitzen sehen! -- Wenigstens will ich den Einfall in meinen Gedanken verfolgen. Ich werde den Augenblick gerufen. Wie wäre es, wenn Sie, ohne ein Wort zu sagen, nach B***lau gekommen wären, wenn Sie mich heute überraschen wollten, wenn ich Sie oben schon an unserm Tische sitzen und auf mich schmälen sähe, daß ich Sie so lange habe warten lassen. Ich gehe, ich gehe, -- um meinen Traum zu vernichten. -- Ich komme eben von Tische wieder, und ich habe nur noch einen Augenblick Zeit bis zur Post. Auf meiner Mutter Stirne saßen, wie ich heraufkam, einige finstere Wolken. Einige verdrießliche Geschäfte, und noch mehr als das, die Unruhe eines Baues, der sie beynahe aus ihrem Zimmer vertreibt, hatten diese Wolken zusammengezogen. Ich schreibe mir heute die Ehre zu, sie zerstreut zu haben. Wenigstens habe ich meine Mutter heiterer verlassen, als ich sie fand. -- Um also meinen Tag vollends bis zum Abend zu bringen, so müssen Sie wissen, daß ich unmittelbar nach Tische eine kleine halbe Stunde den Flügel spiele. In meiner Mutter Stube steht ein ziemlich guter mit zwey Klavieren. Dann kommt der gesellschaftliche Kaffee. Sie können glauben, daß ich den niemals ohne meine Mutter und Cousine trinke, ausgenommen, wenn diese Frauenzimmerbesuch hat, den ich nicht kenne. Nichts ist ungewisser und unsicherer als der übrige Rest des Nachmittags. Wir fahren zuweilen in Gesellschaft einiger Freunde spazieren. Ein ander Mal gehe ich ganz allein mit einem einzigen Bekannten. Ich besuche dann und wann die hiesigen öffentlichen Bibliotheken; ich mache zuweilen Staats-Visiten, die mich ennuyiren; und dann endlich bleibe ich einmal zu Hause, um recht viel oder gar nichts zu thun. Der Abend ist dem Mittag vollkommen ähnlich. Ordentlicher Weise ist mein Onkel bey uns, der der rechtschaffenste Mann, aber fast immer kränklich und dann und wann ein wenig argwöhnisch ist. Leben Sie wohl. Ich bin -- N. S. Denken Sie einmal, liebste Freundin! gestern bekomme ich von Herrn Weisen einen Brief, -- einen sehr gütigen, freundschaftlichen Brief. Und dieses Vergnügen muß mir durch eine so traurige Nachricht verbittert werden, als die von Meinhards Tode. Ja, dieser rechtschaffene Mann, dieser große Gelehrte, dieser schöne und empfindliche Geist, dieser mein Freund -- ist todt. ~Peace to his gentle shade!~ Fünfter Brief. B***, den 9. und 10. Juni. Niemals ist ein Brief mit einem so schmerzhaften Verlangen erwartet worden, als ich gestern den Ihrigen erwartete. Selbst in dem Schoße meiner Familie, und an der Seite der vortrefflichsten Mutter, empfinde ich dem ungeachtet, daß mir noch ein Freund und eine Freundin fehlt, um diesem Glück seine Vollständigkeit zu geben. Ich fühle es, daß mir Ihr Umgang nothwendig geworden ist; und ohne die Gütigkeit, mit welcher Sie mir Ihren Briefwechsel versprachen, und ohne die Beständigkeit, mit welcher Sie dieses Versprechen ausführen, würde ich meine hiesigen Freunde mit dem beständigen Anblick einer gewissen Unruhe beleidigt haben, die sie vielleicht auf die Rechnung eines Mangels von Zärtlichkeit geschrieben hätten. Aber jetzt setzt mich Ihre Gütigkeit in den Stand, zwey der angenehmsten Beschäftigungen mit einander zu verbinden, die Unterhaltung mit meiner Mutter und das Andenken an Sie. Meine Mutter kannte Sie schon als eine sehr gütige Freundin von ihrem Sohne, ehe ich noch Leipzig verließ. Aber nun kennt sie Sie als eine vortreffliche Frau, als eine zärtliche Freundin, mit einem Worte, als eine Person von einem solchen Geiste und einem solchen Herzen, als die Liebe und die Freundschaft nöthig hat, wenn sie beschlossen hat, einen glücklichen Ehemann und einen kleinen Kreis glücklicher Freunde zu machen. Was meynen Sie wohl? Ich zeige meiner Mutter alle Ihre Briefe. Sie liest sie beynahe mit eben dem Feuer, mit welchem ich sie lese. Bey gewissen Stellen füllen sich ihre Augen mit Thränen der Zärtlichkeit und der Freude. So stark wirken diese gleichgestimmten Herzen auf einander, selbst in der weitesten Entfernung. Glauben Sie wohl, daß ich es hätte aushalten können, ein ganzes halbes Jahr zuzubringen, ohne Jemand zu haben, mit dem ich mich von Ihnen unterreden könnte, und in dessen Schoß ich zuweilen mein volles Herz ausleerte, wenn Ihre Gütigkeit und die Sehnsucht nach Ihrem Umgange dasselbe mit zu unruhigen und stürmischen Wünschen anfüllte? Und könnte wohl diese Person Jemand anders als meine Mutter seyn? Sie, die an den kleinsten Vergnügen ihres Sohnes Theil nimmt, sollte sie nicht in der Glückseligkeit, die ihm der Himmel geschenkt hat, eine Freundin und einen Freund zu besitzen, einen Theil derjenigen wieder finden, die sie durch den Tod einer Tochter, die zugleich Freundin war, verloren hat? Ja, gütigste Freundin, schon theilt meine Mutter alle die Empfindungen mit mir, die mir die Bekanntschaft mit einer so edlen und zugleich zärtlichen Seele eingeflößt hat, und die ich, wenn es möglich ist, durch die Abwesenheit noch gestärkt und vermehrt finde. Unsere Unterredungen beleben sich am meisten, wenn sie Sie zum Gegenstand haben; und ohne daß wir es gewahr werden, kommen sie durch die wunderbarsten Irrgänge immer wieder auf diese Lieblingsmaterie zurück. So viel Gewalt hat das Herz über unsere Denkungskraft, daß die leichtesten und schwächsten Verbindungen schon genug sind, Ideen in die Seele wieder zurück zu bringen, die durch ein starkes Interesse an uns gebunden sind. Lassen Sie sich dieses von +Home+ viel besser und gründlicher sagen. Ich mag nicht philosophiren, ich will Ihnen bloß sagen, was ich empfinde. -- Aber gütigste Freundin, wie haben Sie es übers Herz bringen können, mir mit einem so versteckten, aber für mich doch sehr fühlbaren Vorwurf wehe zu thun? -- Oder trauten Sie es der Feinheit meines Gefühls nicht zu, daß ich den kleinen Ansatz von Empfindlichkeit gewahr werden würde, der Ihnen die Worte eingab: „Ich suchte in der Folge Ihres Briefes Trost, aber ich fand keinen. Sie, der Sie mit mir einerley Gefühl haben, Sie empfinden den Unterschied wohl, der zwischen der Verstorbenen und mir ist!“ Und noch dazu eine so ceremoniöse Vorsichtigkeit, Ihren Namen nicht zuerst zu schreiben! Ein kleiner, ganz kleiner Rest von Weiblichkeit! würde Onkel Selby sagen. Wie? glauben Sie wohl, daß ich meine Cousine liebte, und die Eigenschaften nicht von ganzem Herzen hochschätzte, die sie liebenswürdig machten? daß ich ihren Verlust beweinen, und mich nicht zugleich über den Besitz von Freunden erfreuen sollte, in denen ich ihren Geist und ihr Herz wieder finde? Oder können Sie so ungerecht gegen sich selbst seyn, diese größten Geschenke des Himmels in sich zu verkennen, und sich unter Ihren eigenen Werth herabzusetzen? Liebste, gütigste Freundin, lassen Sie sich niemals durch einen gewissen Unmuth die Erhabenheit der Seele schwächen, die ohne Stolz, dennoch ihre eigene Vollkommenheit fühlt, und indem sie die Stufe erkennt, auf welche die Güte des Schöpfers sie gesetzt hat, dadurch nur noch mehr Muth bekommt, höhere zu erreichen. -- Aber lieber will ich glauben, daß Sie nur darum diese Stelle in Ihren Brief gesetzt haben, um mir die Gelegenheit, die ich so sehr wünsche, zu geben, es Ihnen noch einmal zu sagen, wie hoch ich meine Freundin schätze, und wie theuer sie meinem Herzen ist. Ich kann dieses, zu meinem eigenen Vergnügen nicht oft genug wiederholen. Denn welche Glückseligkeit ist der gleich, seinem Freunde zu sagen, daß man ihn liebt, wenn es nicht die Glückseligkeit ist, zu hören, daß man von ihm geliebt wird? Wenn ich also von meiner Cousine rede, so glauben Sie nur, daß keine Ideen verwandter sind und einander leichter erwecken, als der Gedanke an ein Gut, das man verloren, und der an ein anderes, das uns der Himmel noch läßt; und daß der Abgang von so theueren Freunden das Herz nur noch zärtlicher gegen diejenigen macht, die uns noch übrig sind. Ich glaube, ich habe Ihnen schon in Leipzig gesagt, daß ein Freund von mir und von unserm Hause, ein junger angehender Dichter, der jetzt in Halle studirt, ein Gedicht auf meine Muhme gemacht hat. Ich habe es hier erst zu sehen bekommen. Weil viel gute Stellen darin sind, obgleich manche gegen die übrigen matt, andere in der Verbindung, in der sie stehen, nicht richtig und zusammen hängend genug, und noch andere zu überhäuft und nur durch die Rechte der Poesie zu entschuldigen sind, so will ich es Ihnen abschreiben. Aber schöner, als das ganze Gedicht, ist meinem Urtheile nach ein Motto aus dem Petrarch, welches er demselben vorgesetzt hat. Wo ich nicht irre, so ist es eine der schönsten Stellen im ganzen Petrarch. Es ist aber zur Anwendung auf die Person, die der Gegenstand dieses Gedichts ist, nicht schicklich und angemessen genug, und überhaupt kann es nur im Munde eines Liebhabers und eines solchen Liebhabers als Petrarch, sein rechtes Verhältniß bekommen. Ich will es wagen, die Stelle zu übersetzen, ob ich Sie gleich zu eben der Zeit bedauren werde, daß Sie nicht das Original lesen können. „Wer alles sehen will, was nur die Natur und der Himmel unter den Menschen vermag, der komme, diese zu sehen. Aber er komme bald. Denn der Tod raubt zuerst die besten, und läßt die schlechtern stehen. Dieses in dem Reiche der Götter schon lang erwartete schöne und sterbliche Geschöpf geht nur vorüber, und bleibt nicht. Wenn er noch zu rechter Zeit kommt, so wird er jede Tugend, jede Schönheit, jede erhabene Eigenschaft in einem Körper mit wunderbarer Mischung vereinigt sehen. Aber wenn er zu lange zaudert, so wird er nur kommen, um beständig zu weinen“[A]. Ist diese Apostrophe nicht das rührendste Gemählde eines von Schmerz ganz durchdrungenen Herzens? Aber nun zum Gedicht selbst. Sie sollen nur die besten Strophen davon bekommen. Also blühte rühmlich Doris Leben -- Rühmlich mußte sie es wieder geben; Und das grosse Beyspiel im Erblassen Noch der Erde zum Vermächtniß lassen; Da ihr lieblich Auge brechen sollte, Stürmend Feuer durch die Adern rollte, Freunde sprachlos matte Hände rangen, Und die Engel froh die Flügel schwangen, Schaute sie des Todes letzten Schlägen Voll Geduld und Majestät entgegen, Ruhig, da die Trennung jetzt begonnte, Weil sie nur die Hülle wechseln konnte. Keusche Jungfraun, eilt ihr Grab zu ehren. Pflanzt Zypressen, oft benetzt mit Zähren, Und gelobet auf dem Staub der Schönen Euren Wandel einst wie sie zu krönen. Aus den Zweigen soll ein Hayn entsprießen, Junge, leicht verführte Töchter müssen Ihn besuchen, die Geschichte hören, Und erröthend sittsam wiederkehren. Jährlich sollen freundschaftliche Reyhen, Wo sie schlummert, zarte Lilien streuen, Und das Opfer mit gedämpften Saiten Und wehmüthigem Gesang begleiten. Nie, Geliebte, nie wirst du vergessen! Deinen Nachruhm wird kein Ruhm ermessen. Laß noch Einen für die Tugend brennen, So wird er auch dich mit Ehrfurcht nennen. Und sollt’ einst auf der undankbar’n Erden Sie verkannt, gehaßt von allen werden; Darf sie nur, um alle zu entzücken, Sich mit deinem süßen Reitze schmücken. Dürfte ich wohl so eigennützig seyn, und mit diesem kleinen Geschenke wuchern? Meine Freunde kennen Sie noch nicht als eine eben so empfindungsvolle Dichterin, als Sie eine gefühlvolle Ehegattin und Freundin sind. Einige von den kleinen Stücken, die Sie mir einmal vorlasen, und unter diesen auch das Hochzeit-Gedicht, das Sie für einen Ihrer Bekannten gemacht haben, würden mich in den Stand setzen, dieses Vergnügen meiner Mutter zu machen. Ich würde sogar durch die Mittheilung derselben ein gewisses Ansehen bekommen. Ich würde Macht haben, Gefälligkeiten auszutheilen; und ich würde gewiß meine Geheimnisse nicht so wohlfeil verkaufen. Sie sehen schon, daß ich unbescheiden genug bin, auch wohl gar eine kleine Mühe Ihnen aufzulegen. -- Wenn ich nur dafür im Stande wäre, Ihr Tagebuch, das mich so sehr unterhält und mich auf einige Augenblicke wieder zu Ihnen zurück bringt, mit einem eben so angenehmen zu vergelten. -- Aber meine Geschichte (ich nehme die Unterhaltung mit meiner Mutter aus, und die wissen Sie schon größten Theils) ist so einförmig, oft für den Helden derselben so langweilig, und fast immer für die Leser so wenig unterrichtend, daß ich alle Mal abgeschreckt werde, so oft ich daran denke, meine Briefe mit meinen Begebenheiten, anstatt mit meinen Empfindungen anzufüllen. Sie sollen unterdessen alle meine Freunde, die ich hier hochschätze, kennen lernen. So bald nur der Cirkel von Besuchen, in dem ich mich jetzt herumgedreht habe, durch seyn wird, so werde ich es mir zu einer fest gesetzten Beschäftigung machen, Sie ganz in unsere Familie und in unsere Bekanntschaften einzuführen, und mich auch zuweilen für die Langeweile, die mir einige davon machen, zu rächen. Meine Reise ist, wie Sie wissen, glücklich, aber dem ungeachtet ziemlich unangenehm gewesen. Meine Gesellschafter waren entweder Misanthropen oder Schläfer. Ich dankte unterdessen beyden für die Muse, die sie mir gaben, an meine Freunde zu denken. Oft in der Mitte der Nacht, wenn alles um mich schlief, schweifte meine durch die Stille noch mehr aufgeweckte Seele zu allen Wohnungen meiner Freunde umher, und segnete ihren sanften und ruhigen Schlaf. Bald flog ich unsern langsam kriechenden Pferden zuvor, warf mich in Gedanken zu den Füßen des Bettes meiner Mutter, küßte sanft ihre Hand um sie nicht zu wecken, und flehte den Beystand der sie bewachenden Engel an, sie mir zu beschützen. Bald überraschte ich Sie, weit glücklicher als mein Freund Reiz, in Ihrem Schlafzimmer, und gebot Ihrem Schutzgeist, Ihnen mitten im Schlafe die angenehmsten, fröhlichsten und schönsten Bilder vorzustellen, und Ihre Seele, selbst ohne ihr Wissen, noch vollkommener zu machen. -- Alsdann -- Ich freue mich, theuerste Freundin, daß unsere Freundschaft von der Beschaffenheit ist, daß meine Seele von dem Andenken an Sie, unmittelbar zu dem Gedanken an Gott, unsern großen und gemeinschaftlichen Freund, übergehen kann, zu dessen Verehrung solche Seelen, wie die Ihrige, geschaffen worden. Meine Seele steigt durch diese Stufen auf eine leichtere Art bis zu ihm hinauf. Aber ich muß, ich muß schließen u. s. w. Fußnote: [A] Für Freunde des Originals folgt hier das ganze Sonnet: ~Chi vuol veder quantunque può natura, E’l Ciel tra noi, venga a mirar costei, Ch’è sola un Sol, non pur agli occhi miei, Ma al mondo cieco, che virtù non cura;~ ~E venga tosto, perchè morte fura Prima i migliori, e lascia stare i rei; Questa aspettata regno degli Dei Cosa bella mortal passa, e non dura.~ ~Vedrà s’arriva a tempo, ogni virtute, Ogni bellezza, ogni real costume Giunti in un corpo con mirabil tempre. Allor dirà, che mie rime son mute. L’ingegno offeso dal soverchio lume; Ma se più tarda, avrà da pianger sempre.~ Sechster Brief. B***, den -- Juli. 1767. Wissen Sie auch wohl, daß ich Ihre Frage, ob wir noch einerley Empfindungen mit einander hätten, für einen Vorwurf würde angesehen, und daß mich dieser Vorwurf würde gekränkt haben, wenn ich nicht selbst in den Beyspielen, die Sie dafür anführen, eine nette Bestätigung dieser Gleichheit Ihrer Gesinnungen mit den meinigen, auf die ich so stolz bin, gefunden hätte. Ich kann mir also unmöglich helfen. Ich muß erst diese beyden Punkte erörtern, ehe ich ein Wort weiter schreiben kann, gesetzt auch, daß Ihnen indeß der Brief vor Langerweile aus der Hand fallen sollte. Zuerst also meine Unzufriedenheit bey meiner Ankunft in B****. Sollte ich Ihnen erst nöthig haben, die Quellen davon zu entdecken? Sie sagen, ich hatte Freunde verlassen, die mich liebten, und ich kam zu andern, die ich auch liebte. Haben Sie niemals diese angenehme Mischung von Schmerz und Vergnügen, von Verlangen und von Befriedigung, von Sehnsucht nach abwesenden Gütern, und von Genuß der gegenwärtigen empfunden? Haben sich niemals mit den Thränen, die Sie über den Anblick neuer Freunde vergossen, diejenigen vermischt, die Ihnen das Andenken an die, von denen Sie sich losgerissen hatten, ablockte? Sie, die Sie die menschliche Seele so gut kennen, da Sie Ihre eigene mit so vieler Sorgfalt studirt haben, wissen Sie nicht, wie geschickt eine gewisse Art von Freude ist, die traurigen Empfindungen, die eine Zeit lang in der Seele geschlafen haben, wieder zu erwecken, und mit ihnen vermischt einen gewissen Zustand der Ermattung hervorzubringen, wo die Seele, zu denken und zu handeln unfähig, unter der Menge von dunkeln Ideen, die sich in ihr zusammen drängen, erliegt. So empfand meine gute Mutter den Verlust ihrer Tochter niemals mehr, als da sie ihren Sohn wieder sah, und ich fühlte in den ersten Umarmungen meiner Mutter am meisten, wie viel ich an Freunden verloren hatte, die in diesem Augenblicke mit mir die Glückseligkeit einer wieder vereinigten Familie würden getheilt haben. Dieses waren die Regungen der ersten Augenblicke. Ihnen folgten andere eben so traurige, aber weniger angenehme. Glauben Sie ja nicht, daß die guten Leute immer glücklich sind. Wenn sie es wären, so bin ich stolz genug zu sagen: unser Haus würde mehr als einen Glücklichen einschließen. Aber wie weit, wie weit ist es davon entfernt, daß dieses ganz wahr seyn sollte? Meine Mutter, durch die natürliche Zärtlichkeit ihres Körpers, und durch die große Empfindlichkeit ihrer Seele, einer Menge von Uebeln bloß gestellt, mit denen die Natur härtere und fühllosere Menschen verschont hat; durch eine beynahe fortgehende Reihe von Unglücksfällen in einer beständigen Uebung dieser Empfindlichkeit unterhalten; durch eine sehr schwere und sorgenvolle Nahrung, die sie seit dem Tode ihres Mannes ohne Gehülfen und Rathgeber besorgt, abgemattet und entkräftet, von Krankheit und der Annäherung des Alters bis zu dem äußersten Grade der Zärtlichkeit in ihren Nerven gebracht; und in diesem Zeitpunkte ihrer besten Stütze beraubt, und fast mitten unter ihrer Familie einsam und verlassen, -- sagen Sie mir, geliebte Freundin, was würden Sie in meinen Umständen fühlen, wenn Sie, so wie ich, sich außer Stande sähen, dieser Mutter zu helfen; wenn Sie ihr sogar in der Zukunft keine Aussicht, wenigstens keine nahe Aussicht anweisen könnten, durch die Sie ihre gegenwärtigen Umstände erträglich machten? Sagen Sie mir, liebe Freundin, wo ist die Stelle, die für mich zubereitet ist, und von der ich hoffen könnte, meiner Mutter die ihrem gütigen Herzen so theuere Glückseligkeit zu verschaffen, in der Gesellschaft ihres Sohnes ihre letzten Tage in Ruhe und Zufriedenheit zuzubringen? Ich selbst in die Welt nur noch so hingeworfen, in die Welt, die, dem Himmel sey es gedankt, nicht ganz leer von Freunden für mich, aber vielleicht leer von Beförderern und dem, was man darin Patronen nennt, ist; ich selbst noch von einem Orte zum andern herumirrend, zwar nicht ganz ohne Endzweck, aber doch noch ohne große Mittel, diesen Endzweck auszuführen; was kann ich für meine Mutter thun, da ich für mich selbst nichts zu thun vermag? Glauben Sie wohl, daß es mir unter diesen Umständen leicht wird, daran zu denken, daß ich meine Mutter verlassen soll; sie so verlassen, ohne ihr vorher zu sagen, nach was für einem Plane ich arbeiten werde, um ihre Glückseligkeit mit der Erreichung meiner Wünsche zu vereinigen? Und doch kann ich nicht anders; ich muß sie verlassen. Alles, sie selbst ausgenommen, macht, daß ich diesen Augenblick beynahe wünsche. Die Beförderung, die mir meine Vaterstadt darbieten kann, ist, wie Sie wissen, nur von einer einzigen Art. Glauben Sie nicht, daß mich der Name und die gewöhnliche Verachtung eines Schulmannes abhalten würde, in einen Stand zu treten, der, wenn er recht verwaltet wird, ehrwürdig ist, und den die Vortheile und die Erleichterung, die ich meiner Mutter dadurch verschaffe, mir auch sogar liebenswürdig machen würden. Aber die Verrichtungen, die hier zuerst denen auferlegt sind, die in diesen Stand treten, die Unwissenheit, und noch mehr der elende Geschmack, der unter den meisten der hiesigen Schullehrer herrscht, und durch sie ohne Zweifel die Studirenden ansteckt; der durchgängige Mangel an guter Lebensart bey dieser ganzen Zunft Leuten, unter denen ich doch genöthigt würde zu leben; der Mangel an Ermunterung und Hülfsmitteln zur Vermehrung der Wissenschaften, die ich mehr schätze als alles; endlich, was darf ich es erst sagen, die Entfernung von Freunden, die mir theuer sind, um so viel theurer, weil ich sie nicht bloß der Natur und Familienverbindungen zu danken habe; -- alles dieses, und was weiß ich noch, was für hundert dunkel damit vermischte Vorstellungen mehr, machen mir es ganz unmöglich, daran zu denken. Nun gut also. Ich gehe von B****. Aber wohin? Nach L***zig? Ja freilich ist dieß der Ort, der mich unter allen am meisten an sich zieht. Aber was hälfe es, wenn ich vor mir selbst es verbärge. Es ist nicht Hoffnung der Beförderung, sondern das Vergnügen, meine Freunde wieder zu sehen, welches mir diese Stadt vor allen andern so angenehm macht. Sie wissen selbst, und wenn Sie es nicht wissen, so lassen Sie sich es den braven und rechtschaffenen Ebert sagen, was für Geduld und Aufopferungen dazu gehören, sein Glück bey der Leipziger Akademie zu erwarten. Und während der Zeit, daß ich diese vielleicht fehl schlagende Probe machte, würde meine arme Mutter von Alter und Sorgen verzehrt, von ihren noch übrigen Freunden vollends entblößt, und stürbe, ehe sie die so lange gehoffte und so theuer errungene Ruhe ihres Alters gekostet hätte. Lassen Sie mich also auf eine andere Universität gehen, wo die Beförderung leichter und geschwinder ist. Setzen Sie den besten möglichen Fall. Machen Sie mich in einigen Jahren zum Professor in Halle, oder in irgend einem andern solchen Winkel der Erde. Jetzt soll ich meine Mutter in ihrem Alter aus ihrem natürlichen Boden in ein ganz fremdes Land verpflanzen, sie aus einer belebten und volkreichen Stadt in einen todten und finstern Flecken führen, sie aus dem Cirkel ihrer Freunde und ihrer Bekanntschaften, die sie von langer Zeit her kennen, die sie alle hochschätzen, unter ganz fremde und für sie noch gar nicht eingenommene Menschen bringen, -- oder mir mit einem so groben Stolze schmeicheln, daß ich allein aller deren Stelle würde ersetzen können. -- Ist dieses vielleicht nicht ein eben so schwerer und trauriger Schritt für beyde? -- Und doch bey dem allen, was bleibt mir übrig? Sie sehen, liebe Freundin, wenn Sie diese Ueberlegungen machen, Sie werden meine Unruhe nicht schelten, so gütig Sie mich auch von Ihrer Gewogenheit versichert haben, und so gewiß ich von der Liebe der Meinigen bin. -- Aber das ist noch lange nicht alles. Ich behalte mir dieß auf einen andern Brief vor. Ich kann nicht anders; ich muß Sie mit meinen eigenen Angelegenheiten unterhalten. Der Wohlstand würde dieß bey Personen, die weniger meine Freunde wären, verbieten. Aber es ist gar zu eine große und eine zu unentbehrliche Glückseligkeit, zuweilen sein volles Herz in den Schoß eines Freundes ausschütten zu können. Ich habe Ihnen schon oft gesagt, Sie und Ihr liebster Gemahl machen in meiner Einbildungskraft nur Eine Person aus. Sie sind in meinen Gedanken eben so unzertrennlich, als Sie es durch Ihre Liebe sind. Alles also, was ich Ihnen schreibe, ist zugleich für ihn geschrieben. Sein kurzer Brief ist mir dem ungeachtet so angenehm gewesen, als der längste Brief hundert anderer mir nicht seyn würde..... Ich sehe, ich stehe in Gefahr, meinen Brief eben so lang und so voll von Digressionen zu machen, als es des Tristram Shandy Roman ist. Also nur noch ein Wort von Klopstock und seinen Briefen, und dann nehme ich bis auf künftigen Freytag von Ihnen Abschied. (Können Sie wohl errathen, was ich da erwarte?) -- Ich wundere mich gar nicht darüber, daß Ihnen des Mannes, und mir der Frau ihre Briefe zärtlicher vorkommen. Das macht, würde Onkel Tobias sagen, Sie sind eine Frau, und ich ein junger Mensch. Ich habe des Klopstocks Briefe flüchtig gelesen, der Frau ihre recht aufmerksam. Sie haben vielleicht das Gegentheil gethan. Mit einem gleichen Grade der Aufmerksamkeit würden wir bey beyden vielleicht gleich viel empfunden haben. Ich wenigstens, durch die Verschiedenheit Ihres Gefühls aufmerksam gemacht, habe sie noch einmal gelesen, und schon habe ich des Klopstock Briefe viel zärtlicher gefunden. Aber, daß es ihre weniger sind, das wollte ich doch noch nicht gerne für wahr halten. Wie gern fieng’ ich noch die eilfte Seite an, um Stellen zu meiner Vertheidigung anzuführen! Aber es hilft nichts. Es ist jetzt ein Uhr, Dienstags in der Nacht. Möchten doch die gütigen Engel Ihre und Ihres Geliebten Ruhe beschirmen u. s. w. Siebenter Brief. B***, den -- Juli 1767. Wahrheiten, die uns sehr am Herzen liegen, können niemals zu oft bewiesen werden. So ein sophistisches Ding ist dieses Herz, daß es sich der Ueberzeugung von eben der Sache am meisten widersetzt, von der es am meisten gewiß zu seyn wünscht. Ich, zum Beyspiel, bedarf keiner neuen Proben mehr, um zu wissen, daß Sie meine Freundin sind. Und doch, mit welchem Vergnügen habe ich diejenigen aufgenommen, die Sie mir in Ihren letzten Briefen gegeben haben, gerade so, als wenn dieß die ersten gewesen wären. Sie wissen, wie schwer sich Empfindungen durch Beschreibungen deutlich machen lassen. Man kann nichts weiter thun, als diejenigen, welche ähnliche gehabt haben, an ihr eigenes Gefühl erinnern. So stellen Sie sich also Ihren lieben Mann, meinen Freund, an dem Abende eines sehr geschäftigen Tages vor. Er tritt zuerst mit einer etwas tiefsinnigen und zerstreuten Miene in ihr Zimmer. Seine von fremden Bildern ganz angefüllte Seele empfängt schon die geheimen Einflüsse Ihrer Gegenwart, ohne sie noch zu fühlen; selbst die ersten Liebkosungen verschwenden Sie an den Undankbaren vergeblich. Endlich thut Ihr Anblick und Ihre Zärtlichkeit ihre gehörige Wirkung; und jetzt schweben nur noch die Sorgen der Geschäfte auf der Oberfläche der Seele, wie die Nebel an einem heitern Frühlingsmorgen auf dem Gipfel der äußersten Berge. So gewinnt der Ehemann einen Schritt nach dem andern über den Geschäftsmann -- bis er zuletzt nur ganz allein übrig bleibt. Was Ihnen in diesem Augenblicke ein stillschweigender Kuß ist, den er Ihnen aus vollem Herzen giebt, ein Druck seiner Hand, bey dem er sie zugleich seine Wilhelmine nennt, sehen Sie, das waren für mich Ihre Briefe. Versicherungen von Sachen, die wir lange wissen, die wir aber gern vergessen, an denen wir sogar zweifeln, aus bloßem Muthwillen, um sie uns noch einmal versichern zu lassen! Ich glaube, Sie müssen es schon bemerkt haben, daß es eins von meinen Steckenpferden ist, (hieraus können Sie schließen, daß ich den Tristram Shandy lese) über alles, was in und mich herum vorgeht, zu philosophiren, jede Begebenheit, wenn sie auch die natürlichste und gewöhnlichste von der Welt ist, zu erklären und aus Gründen zu zeigen, wie sie möglich gewesen ist. Wenn ich mich nicht irre, so war ich eben im Begriffe, einen guten Ritt darauf zu thun. Denn, anstatt Ihnen mit drey Worten zu sagen, liebe Freundin, Ihre Briefe waren mir herzlich lieb, und dann gleich zur Beantwortung ihres Inhalts fortzugehen; verwende ich eine und eine halbe Seite, um es zu beweisen, daß es möglich gewesen ist, daß ich mich über Ihre Briefe habe freuen können. Und doch, welcher Beweis wäre stärker gewesen, als die Aufmerksamkeit, mit welcher ich alle Ihre gütigen Vorschläge erwogen habe. Nach dem Wunsche, bey Ihnen zu seyn, ist keiner stärker als der, daß Sie es zuweilen wünschen möchten, daß ich bey Ihnen wäre. Denken Sie also, was es seyn muß, wenn Sie noch mehr thun, und nicht bloß wünschen, sondern schon Anstalten machen, mich bey sich zu behalten. Wenn es mir jemals schwer angekommen ist, Schwierigkeiten gegen den Rath meiner Freunde zu machen, so ist es gegen einen solchen, der die größten Wünsche meines Herzens vereiniget. Der Entwurf, den Sie mir machen, der freylich der natürlichste und ohne Zweifel auch der sicherste ist, ist dem ungeachtet viel zu weit aussehend, als daß ich damit meine Mutter beruhigen könnte, die bey Ihrem Alter und bey Ihrer Schwäche eine Glückseligkeit, auf die sie so viele Jahre warten muß, für gar keine hält. Und wie kann sie hoffen, diesen Zeitpunkt zu erleben, wenn die Zeit, die dazwischen ist, mit Sorgen und Mißvergnügen angefüllt seyn sollte. Gesetzt aber, ich hätte das Ziel erreicht, und meine Mutter wäre noch im Stande, eine so große Veränderung vorzunehmen; was sind es nicht für neue Beschwerden, die die Ausführung unsers Vermögens verursachen würde. -- Meine Mutter hat bey allen Beschwerlichkeiten ihrer Nahrung doch auch den Vortheil gehabt, daß sich ihr Vermögen besser verinteressirt hat, als durch bloßes Ausleihen. Lassen Sie nun von einem nicht großen, aber doch für einen ehrlichen Mann hinlänglichen Vermögen das abgehen, was der Abzug kostet; setzen sie dazu die Verschiedenheit des Geldes und der Preise der Dinge in beyden Ländern, und endlich rechnen Sie noch die Schwierigkeiten, die mit der Errichtung einer neuen Haushaltung verbunden sind; und Sie werden sehen, daß meine Mutter nicht die Hälfte der Bequemlichkeiten würde haben können, zu denen sie hier gewohnt ist. Denn daß meine eigene Einnahme einen beträchtlichen Zuschuß zu unserer Oekonomie in wenig Jahren machen sollte, dazu sehe ich keine andere, als sehr unsichere Hoffnungen. Sehen Sie, so partheiisch ich für einen Entschluß bin, der mit meinen Neigungen so sehr übereinstimmt, so kann ich es mir doch nicht verhehlen, daß dieses sehr beträchtliche Schwierigkeiten sind; und was kann ich darauf antworten, wenn meine Mutter sie mir entgegensetzt? -- Was anders, als daß die Schwierigkeiten für mich, in B**** zu bleiben, noch größer sind, und wenn sie sich auch alle auf eine einzige zurück bringen ließen, ich meyne diese, daß ich zu dem Stande, der für mich der einzige ist, nicht die geringste Neigung habe? Sie müssen es diesem Briefe ansehen, daß er unter sehr vielen Zerstreuungen geschrieben ist. Ich bin gar nicht mit ihm zufrieden. Denn bey alle den Schwierigkeiten, die ich mache, wollte ich doch nicht, daß Sie glaubten, ich hätte jetzt mehr Lust hier zu bleiben, als ehemals. Ich komme mit Gottes Hülfe gewiß auf Michaelis nach Leipzig, aber ob um beständig dort zu bleiben, das ist in den Händen der Vorsehung. -- Ich reise morgen mit dem Herrn Oberforstmeister S**** und seiner Gemahlin nach S***witz, wo mein ehmaliger Lehrer und Hofmeister Pfarrer ist. Meine Mutter kommt auf den Freytag mit meinem Onkel und seiner Tochter nach. Dieser geht alsdann mit dem Herrn Oberforstmeister weiter ins Gebirge nach L***, um da die Brunnenkur zu brauchen. Wir übrigen bleiben in S***witz, und werden dort in einer vortrefflichen Gegend vier oder fünf Wochen in dem Hause meines Lehrers zubringen. Dieser Aufenthalt könnte mir durch nichts in der Welt unangenehm gemacht werden, als wenn Ihre Briefe nicht mehr so richtig einliefen, oder die meinigen nicht zu rechter Zeit auf die Post gegeben würden; denn das Dorf ist sechs Meilen von B****. Ich werde aber alles mögliche thun, um beydes zu verhüten. Diese Reise macht heute meinen Brief so kurz, und nöthigt mich, den an meinen lieben M. Reiz ganz aufzuschieben. Es ist jetzt 12 Uhr in der Nacht und morgen muß ich um 6 Uhr auf seyn. Leben Sie wohl! Achter Brief. Mittwochs des Morgens. Ich wende noch die Augenblicke, die ich vor dem Antritte meiner Reise übrig habe, dazu an, an Sie zu denken, und das, was ich gedacht habe, niederzuschreiben. Ich weiß, daß sich Ihre freundschaftliche Neubegierde nicht bloß damit beruhigen wird, zu wissen wo ich bin. Sie werden auch wissen wollen, was ich da mache. -- Wenn ich mich nicht irre, so müssen Sie schon Herrn Ringeltauben, in dessen Hause ich seyn werde, aus meinen Beschreibungen kennen. Ich verehre ihn als meinen Lehrer; und ich liebe ihn als meinen Freund und meinen Bruder. Hochachtung und Dankbarkeit sind gewiß die festesten Bande, die die Natur hat, zwey nicht ganz unedle Seelen mit einander zu verbinden. Sein Haus soll sehr bequem, und die Gegend vortrefflich seyn. Meine Mutter, die das Land über alles, und den Herrn Ringeltauben als ihren Sohn liebt, wird sich dort wieder erholen, und das wird auf mich zurück wirken. Endlich werde ich Bücher genug haben, um die leeren Stunden auszufüllen. Der Herr Oberforstmeister, mit dem ich reise, ist lange im Kriege mit dem General Wobersnow in Leipzig gewesen. Er ist ein Mann von sehr vielem Verstande, von einer großen Erfahrung, (da er lange Zeit mit den Vornehmsten der Armee und einige Zeit auch mit dem Könige selbst umgegangen ist;) und der Mann einer Frau, die beynahe meine Gespielin gewesen ist. Der Weg heraus geht an der Oder, in einer sehr angenehmen Gegend. Ihre Briefe dürfen Sie nicht anders als bisher addressiren. Ich habe gemessene Ordre gestellt, sie mir gleich nachzuschicken. Erwarten Sie also ins künftige Briefe, die voll von ländlicher Unschuld und Einfalt, aber auch voll von ländlichem Vergnügen sind. Neunter Brief. S***witz den -- Juli. Es giebt gewisse Arten von Vergnügungen, die uns unempfindlich machen, weil sie uns berauschen. Indem alsdann die gegenwärtige Empfindung die ganze Seele ausfüllt, und ihre gesammten Fähigkeiten bloß in dem Genuß erschöpft werden, so werden alle Erinnerungen, alle Reflexionen aus der Seele verdrängt, und mit ihnen zugleich die feinern Vergnügungen, die auf dieselben gegründet sind. In diesem Zustande ist die ganze Seele Maschine, und sie bewegt sich ganz unwillkührlich nach der Richtung des Stoßes, die ihr ein so heftiger äußerer Antrieb giebt. Eine andere Art hingegen, die nur die Sinnen in so weit rührt, als es nöthig ist, durch sie die Einbildungskraft rege zu machen, eröffnet allen Arten von moralischen Empfindungen den Zugang. Sie macht das Herz weich, und so zu sagen -- schmachtend. Die Vernunft ist dabey heiter genug, alle verwandten Ideen herbeyzurufen, jede angenehme Erinnerung mit der augenblicklichen Empfindung zu verbinden, und unter die Ergötzungen des Auges und des Ohres die moralischen Vergnügungen der Freundschaft und der Tugend zu mischen. Unter diese letztere Gattung gehört diejenige Art von Vergnügen, die ich jetzt genieße. Sie sind so still und so ruhig, wie die Fluren des Abends, durch die ich gehe, und eben so heiter und rein, als das blaue Gewölbe, das mich deckt. Alles das, was ich sehe, und was die Quelle des Vergnügens ist, ist zugleich ein Stoff zu Betrachtungen, die vielleicht noch ergötzender sind, als der sinnliche Eindruck selbst. Wenn ich dann auf einer großen lachenden Wiese, die von alten ehrwürdigen Eichen rings um eingeschlossen, und von dem schwankenden Schatten derselben halb überstreut ist, die mildern Einflüsse der Abendsonne genieße; dann versetze ich in diese Gegend alle meine Freunde. Ich sammle in Gedanken diesen kleinen aber ehrwürdigen Haufen von Leuten, die ich liebe und die mich wieder lieben, um mich herum, alle durch gegenseitige Neigungen an einander gebunden, alle von einerley Geiste beseelt, zu einerley Empfindungen aufgelegt, und mit eben denselben Arbeiten des Wohlthuns und der Mildthätigkeit beschäftigt. Dieses Spiel meiner Einbildungskraft treibe ich so lange fort, bis ich ganz von den Gegenständen, die um mich sind, entfernt in andern Welten und noch glücklichern Gegenden herumschwebe. Von diesem Fluge ermüdet kehre ich wieder zu dem Orte und dem Stande zurück, in welchem ich bin, und, Dank sey es meinem Geschick! ich habe bey dem Ende meines Traumes noch nicht alles verloren. Meine Mutter, meine Cousine, und mein Lehrer und Bruder, die um mich herum sind; Sie, die erste meiner Freundinnen, und die übrige Reihe meiner männlichen Freunde, die von mir entfernt, aber durch ihr Andenken, durch ihre guten Wünsche, und durch ihr Theilnehmen an meinem Wohl, nahe um mich sind, alle diese theuern Personen, die mir die gütige Vorsicht auf dem Wege des Lebens aufstoßen ließ, um durch ihre Begleitung das Rauhe und Unangenehme meiner Reise zu versüßen, alle diese sind wirklich da, sie lieben mich, sie machen mich durch ihre eigenen Verdienste hochachtungswürdig, und geben mir durch ihre Achtung den Werth, den ich mir selbst niemals erwerben würde. Ich habe ausfindig gemacht, (denn was für Mittel sucht man nicht auf, wenn man gewisse Sachen nicht verändern kann, um wenigstens uns eine andere Seite von ihnen zuzukehren?) daß die Abwesenheit in der Freundschaft zu etwas nützlich ist. Sie ist das Maß ihrer Stärke. Ich habe neulich im Plutarch gelesen, und wenn es nicht Plutarch gesagt hätte, so hätten Sie mir es sagen können, daß der Beweis einer recht heftigen Liebe nicht sowohl die Größe des Vergnügens sey, die einer in des andern Gegenwart empfindet, als vielmehr die Größe des Schmerzes, die ihnen die Trennung verursacht. Mich deucht, man kann eben dieses von der Freundschaft sagen. Das Vergnügen des freundschaftlichen Umganges ist, ruhig, gemäßigt, und beynahe mehr Heiterkeit als Freude; das Verlangen aber, wenn man desselben entbehrt, ist heftig, zuweilen gar stürmisch. Sie können glauben, daß ich diese Erfahrung bloß von den Empfindungen abstrahire, die mir die Erinnerung an unsere ehemaligen Vergnügungen erweckt. Ich weiß also zuverlässig, wie sehr ich Ihr Freund bin, ich weiß, wie sehr Sie meine Freundin sind. Diese Ueberzeugung ist mir sehr viel werth. Soll ich Ihnen erst sagen, daß ich Sie nicht allein meyne, wenn ich von Ihnen rede? Ich habe Ihnen bisher nur meine Empfindungen erzählt. Jetzt sollen Sie noch etwas von meiner Geschichte wissen. Ich habe Ihre Briefe noch nicht. -- Ich meyne die, die Sie vergangene Woche geschrieben haben, und die verwichenen Freytag in B*** angekommen seyn müssen. Sagen Sie mir, ist es nicht mir recht zum Possen, daß die Post nach B***, die die Briefe von B**** hierher bringt, gerade eine Stunde eher des Freytags abgehen muß, als die Ihrigen ankommen? und dann geht keine wieder eher, als auf den Dienstag. Ich bekomme sie also erst Mittwochs. -- Diese Sache ist gar nicht zu ändern; ich muß also nur aufhören, daran zu denken. Meine Reise ist sehr glücklich und bequem gewesen. Der Herr *** ist ein durch seinen Verstand und Erfahrung angenehmer Gesellschafter. Seine Frau ist es etwas weniger; und da ein großer Theil ihres Werths in dem Range und dem Stande ihres Mannes liegt, so schlägt sie denselben auch ein bißchen zu hoch an. Aber das thut nichts. Gegen mich, als einen alten Freund und Verwandten, ist sie immer sehr gütig. Die zwey Tage, die bis zu meiner Mutter Ankunft verflossen, recognoscirten wir, ich und mein lieber Bruder, die Gegend. Sie können sie nicht leicht schöner jemals gesehen haben. Wir liegen sehr nahe an der Oder, an deren Ufer überhaupt die schönsten Gegenden von Schlesien sind. Dunkle, ehrfurchtsvolle Hayne, angenehme Wiesen, die fruchtbarsten Felder, alle Theile einer bezaubernden Landgegend wechseln mit einander ab. An dem einen Orte gehen wir auf einem erhabenen Damm, (denn deren müssen hier sehr viele der Gewalt des Stroms im Frühjahr entgegengesetzt werden), von dem man auf beyde Seiten die Aussicht auf die angrenzenden Wiesen und den dabey gelegenen Wald hat. Der Damm selbst ist mit Eichen besetzt, die ihre hohen Wipfel einander zuwehen. An einem andern Orte ist ein weitläuftiger Thiergarten, von drey Stunden in der Rundung, wo man den angenehmsten Schatten, die erfrischendste Kühle, und den erfreuenden Anblick von munteren, freyen und glücklichen Geschöpfen zugleich genießt. An einem dritten Orte ist ein dicker beynahe unwegsamer Wald, wo selbst die mittägliche Sonne keinen Zugang findet, und wo die melancholische Stille nur durch das Rauschen der Aeste, oder das entfernte Girren der Turteltaube, oder das Geräusch eines sich mitten im Walde durch die Aeste durcharbeitenden Hirsches unterbrochen wird. Hier stellen Sie sich also mich, an meiner Seite meine Mutter, meine Schwester (denn so habe ich meines Onkels Töchter immer betrachtet, und so habe ich sie geliebt) und meinen Freund vor. Da der Herr ****, seine Frau, und mein Onkel, in das Bad gegangen sind, so herrschen wir hier ganz allein. Wir stehen nicht eben sogar früh auf. Wir trinken gemeinschaftlich unsern Thee. Wir verdienen unsere Mittagsmahlzeit durch einen recht guten Spaziergang, von dem wir zuweilen unterwegs unter einer hohen Eiche ausruhen. Die heißen Stunden sind zur Lektüre und zur Arbeit bestimmt. Der Abend ist ganz zu ländlichen Vergnügungen. Wir schlafen ruhig und vergnügt, weil keine unsere Ergötzungen etwas anders als das Verlangen zurück läßt, sie zu wiederholen. Ich lese meiner Mutter zuweilen auf einer Rasenbank, die eine große Haselstaude beschattet, aus den Gedichten des +Gisecke+ vor. O diesen Mann müssen Sie lesen. Er ist der Dichter der Freundschaft und der ehelichen Liebe. Wer kann also ihn besser richten? und wessen Beyfall würde ihn mehr belohnen? Er ist nicht immer stark, aber er ist immer gut. Leben Sie tausend Mal wohl u. s. w. Zehnter Brief. S***witz den 27. Juli. Ob ich gleich befürchten muß, daß meine Briefe Sie nicht in Leipzig treffen, so kann ich es doch nicht über mich erhalten, keine zu schreiben. Einen Brief an Sie schreiben, ist wenigstens halb so viel, als einen von Ihnen bekommen. Ich glaube, ich habe Ihnen das schon einmal gesagt. Aber das thut nichts. Ich fürchte es nicht, mich in einer Sache zu wiederholen, die auf einerley Art empfunden auch nur auf einerley Art ausgedrückt werden kann. Ich habe überhaupt gemerkt, daß wahre Empfindungen sich zwar richtiger, aber niemals so mannigfaltig ausdrücken lassen, als diejenigen, welche Geschöpfe der Einbildungskraft sind. Der schöne Geist und das empfindliche Herz sind deßwegen nicht immer beysammen, und zu gefallen und zu rühren, sind zwey sehr verschiedene und oft einander entgegenstehende Sachen. Sie sind also in Dreßden. Denn ich bin so glücklich gewesen, Ihren ersten Brief Mittwochs, und den andern unmittelbar darauf Freytags zu bekommen. Ich weiß nicht, warum mir diese Reise gar nicht recht war. Sie schienen nicht mir näher zu kommen, sondern sich von mir zu entfernen. Endlich bin ich auf die Ursache gekommen; wenigstens das Wahrscheinliche fürs Gewisse zu nehmen. Ich fürchtete, unser Briefwechsel würde gestört werden. Ueberdieß, glaube ich, weiß ich Sie gern zu Hause, weil ich mir den Ort, wo Sie sind, und die Beschäftigungen, die Sie da vornehmen, besser vorzustellen weiß. Das Bild ist lebhafter, weil es mehr bestimmt ist. In Dreßden können Sie da und da und da seyn. Aber wo Sie wirklich sind, und was Sie wirklich machen, das kann ich mir zu keiner einzigen Stunde des Tages mit Gewißheit denken. Ich befinde mich in einem fremden Ort, wo ich meine Freundin bey jedem Schritt, den sie sich von mir entfernt, verliere, und sie kaum mit der größten Mühe des Abends im Gasthofe wieder finde. Endlich, (denn Sie müssen wissen, ich suche mein Herz zu studiren, besonders wenn ich irgend eine ungewöhnliche Bewegung darin merke, und das nicht mehr bloß um meinet, sondern auch um Ihretwillen;) endlich also überfiel mich die bey einer wirklichen Freundschaft so natürliche Eifersucht. Ich weiß die eigentliche Absicht Ihrer Reise nicht. Aber das konnte ich mir doch vorstellen, daß Sie dort neue Verbindungen errichten würden, oder durch schon gemachte Verbindungen dazu wären veranlasset worden. Könnten eine Menge von neuen Eindrücken nicht die alten verdunkeln, wenn sie auch nicht im Stande wären, sie auszulöschen? Sie werden allenthalben, wo Sie hinkommen, und wo man noch Geist und Herz genug hat, um es an andern gewahr zu werden, Freunde finden. Ich müßte sehr verblendet, und mehr eitel als ehrgeitzig seyn, wenn ich mich überreden sollte, daß mich nicht viele dieser Freunde an allen Arten von Vorzügen übertreffen sollten. Und ist es nicht in der Natur, dachte ich, daß man das bessere dem weniger guten vorzieht? Dieser Gedanke würde mich niedergeschlagen haben (und doch bin ich sonst großmüthig genug, mich wie Phocion, oder wer es sonst war, zu freuen, daß es so viel bessere Menschen giebt als ich) aber jetzt würde mich dieser Gedanke niedergeschlagen haben, wenn mir nicht noch ein Vorzug von mir eingefallen wäre, den ich willens bin, dem größten Theil Ihrer Freunde, oder lieber (denn was soll ich heucheln?) allen Ihren Freunden streitig zu machen. Ich liebe und schätze Sie so hoch, -- als es Ihr Bruder thun könnte. Erlauben Sie mir immer, daß ich mir einen Ehrennamen beylege, zu dem Sie mir selbst das Herz gegeben haben. Ich liebe Ihren Mann, ich liebe Ihre kleine Wilhelmine, ich liebe Ihre Freunde; selbst ehe ich sie noch kenne, empfehlen sie sich mir schon durch diesen Namen mehr als durch alle Lobsprüche. Ich brenne vor Begierde, an dem Glück und an dem Vergnügen einer solchen würdigen Familie zu arbeiten; selbst meiner Freundschaft wünschte ich den Segen, daß sie ein neues Band der ehelichen Liebe zwischen Ihnen beyden wäre, auf die sich Ihre ganze Glückseligkeit gründet. Ich wünschte mir einen größern Verstand, um Sie durch meinen Rath zu der glücklichsten Mutter der vollkommensten Tochter zu machen; und mehr Tugend und mehr Herrschaft über meine Leidenschaften, um Sie auf eben dem Wege, durch welchen ich gegangen wäre, zu der Ruhe und der Heiterkeit der Seele zu führen, die wir uns beyde so sehr wünschen, und die so oft durch geringe Veranlassungen unterbrochen wird. Ich bin jetzt nahe dabey, Ihre Frage zu beantworten, und nicht bloß Ihre, sondern auch meine eigene. Der heutige Tag, sagte ich manchmal zu mir selbst, ist vollkommen dem gestrigen ähnlich. Alle Umstände sind dieselben. Nicht ein einziges von meinen Gütern ist mir genommen. Nicht ein Wunsch ist heute von seiner Befriedigung weiter zurück gesetzt, als er es gestern war. Und doch war ich gestern vergnügt, und heute bin ich traurig und mißvergnügt. Ich habe diese Betrachtung erst vor wenig Tagen wiederholt, wo mein Zustand des Gemüths dem Ihrigen vollkommen ähnlich war; ob ich Sie gleich warnen muß zu glauben, daß eine gewisse Munterkeit im Ausdrucke ein richtiges Maß für den Grad des Vergnügens sey, den ich zu der Zeit genieße. Man kützelt sich zuweilen um zu lachen, eben indem man Schmerzen empfindet. Ich bin heute recht vergnügt, aber es würde die unnatürlichste Sache von der Welt für mich seyn, Lachen zu erregen. Also zu unsrer Untersuchung zurück! Sie wissen, daß die stärksten Triebfedern unsrer Seele im Dunkeln liegen. Die Wirkung wird um desto schwächer, je sichtbarer die Ursache ist. Das Deutliche reducirt sich immer auf wenige Begriffe, die bald überzählt sind, und deren Summe niemals etwas so großes ausmachen kann, daß man davor erschrecken sollte. Alles das kommt uns nur unermeßlich vor, dessen Grenzen wir nicht kennen. Sehen Sie, eben so entsteht unser Unmuth, wie an dem heitern Himmel sich ein kleiner schwarzer Punkt erst in eine kleine Wolke ausbreitet, dann sich immer mit den benachbarten Dünsten vermischt und endlich den ganzen Horizont ringsum verdüstert. So lassen Sie also in diese fröhliche Seele, deren ganze Saiten von dem Vergnügen ausgespannt sind, jeden Eindruck anzunehmen und zu verdoppeln, lassen Sie in dieselbe ein einziges Wort eines Geliebten fallen, eines Ehegatten, oder eines Freundes, das dem Grade der erwarteten Zärtlichkeit nicht entspricht; eine kleine Ungeschicklichkeit, die wir selbst begehen, und die in uns die Erinnerung unsrer übrigen Schwachheiten wieder erweckt; eine kleine Schwierigkeit bey der Ausführung irgend einer unsrer Absichten, selbst die Empfindung einer kleinen Unordnung im Körper. Auf einmal kommen die Vorstellungen von alle dem Unangenehmen, was in unserm ganzen Zustande ist, zu Hauf. Das Vergnügen hatte sie, so wie die Sonne den Nebel, nicht vernichtet, sondern nur aus einander getrieben. Gegenwärtiges, Vergangenes, Zukünftiges, alles drängt sich in unsere enge Seele zusammen, und macht darin ein solches Chaos, und so eine wilde Vermischung, daß aller unser Verstand, und wenn wir auch der Stoische Weise wären, nicht zureicht, es aus einander zu setzen. Alle Uebel werden in diesem Augenblicke unendlich, unaufhörlich, unvermeidlich. Altes verliert sein Maß und seine Grenze, weil es beständig mit etwas anderm vermischt ist, das wir davon nicht scheiden können oder wollen. Wenn man einmal so glücklich ist, so weit zu kommen, sich sein ganzes Unglück nach einander herzuerzählen; oder wenn man genöthiget wäre, es in diesem Augenblicke einem andern zu sagen, so würde man sich wundern, wie Sachen, die, wenn man sie sagt, so wenig betragen, doch, wenn man sie bloß dunkel fühlt, einen so großen Eindruck machen und so viel Verwüstung anrichten können. Ergänzen Sie diese Gedanken durch Ihre eigene Erfahrung. -- Aber sagen Sie mir auch dazu, was ich nicht thun kann, wie man es anstellen muß, um dieser Unruhe -- ich will nicht sagen, ganz los zu werden, denn das möchte ich nicht einmal; wenn man die Empfindlichkeit von seinem eigenen Uebel wegnimmt, so verliert man auch die gegen die Uebel anderer, -- aber sie doch zu mäßigen. Bloß moralische Vorschriften sind vergebens. Der Verstand geht seinen Weg, und die Einbildungskraft den ihrigen. Es müssen Uebungen, ordentliche Uebungen seyn. -- Aber das ist eine Materie, wozu ich Ihren Verstand brauche. -- Ich schriebe gerne mehr, aber Sie möchten alsdann wirklich anfangen, kürzere Briefe zu wünschen, und dann sehe ich schon zum Voraus, würde ich trotz aller meiner Philosophie in eben den Unmuth und die Unzufriedenheit verfallen, die ich beschreibe. Leben Sie wohl u. s. w. Eilfter Brief. S***witz den 4. Aug. Ich wußte wohl, daß ich die Reise nach Dreßden nicht umsonst fürchtete. Ich habe keine Briefe von Ihnen, und das zu einer Zeit, wo ich sie am allermeisten nöthig gehabt hätte, um mir Muth und Entschlossenheit dadurch zu geben. Sie sind also noch nicht aus Dreßden zurück gewesen, oder Sie waren von der Reise zu müde, oder -- diese unglückliche Sucht Ursachen zu allem zu finden, macht daß wir jede gewöhnliche Begebenheit durch unsere Auslegung zur Qual für uns machen. Denn daß Sie noch meine Freundin sind, daß Sie es noch eben so sehr sind, als da ich Sie das letzte Mal in Borsdorf Thränen vergießen sah, (ein sehr kostbares Denkmal Ihrer Freundschaft!) das lasse ich mir selbst meine melancholische Einbildungskraft in ihren finstersten Stunden nicht ausreden. Aber warum konnte mein Freund Reitz nicht schreiben, daß Sie noch nicht gekommen wären? Gewiß, ich würde in ähnlichem Falle diese Aufmerksamkeit für ihn gehabt haben. -- Mit mir sind unterdessen manche Veränderungen vorgegangen; -- nicht eben mit meinen Umständen, aber mit meinen Aussichten. Ich stehe seit einigen Tagen alles Unangenehme der Unentschlossenheit und des Zweifels aus. -- Gellert hat mir seit drey Posttagen drey Mal geschrieben. -- Sie wissen, daß, als ich noch in Leipzig war, ein Hofmeister für des Graf F.. ältesten Sohn gesucht wurde. Gellert hielt mich dazu für tüchtig. Ich selbst hatte Lust. Globig aber hatte dazu schon Jemand erwählt, der aus Göttingen angekommen war. Dieser wurde vom Grafen nicht angenommen. Nach ihm wurde M. Kraft, (eben der, dem ich in meiner Abwesenheit meine Stube eingeräumt hatte) vorgeschlagen und angenommen. Dieser geht nach Petersburg als Astronom. Gellert war so aufmerksam, diese Gelegenheit sogleich zu ergreifen, und mich an Globigen mit aller seiner gütigen Partheylichkeit zu empfehlen. Vor acht Tagen erhalte ich einen Brief von Gellert, in welchem einer vom Präsidenten an ihn eingeschlossen ist. Er meldet ihm, daß der von ihm empfohlene Mensch wäre angenommen worden, oder auf Michaelis angenommen werden könnte. Der Graf verlangte dabey einen Plan zu dem Unterrichte seines Sohnes, der 15 Jahr alt, von guten Talenten, und nicht ohne Wissenschaften seyn soll. Kaum hatte ich diesen Brief beantwortet, ihm für seine Güte gedankt, und ihm meinen Entschluß und die Einwilligung meiner Mutter gemeldet, so kommt von ihm ein zweyter. Ich erwartete nichts Geringeres, als den Tod des Grafen; denn er ist sehr krank gewesen. Aber es war noch ein zweyter Vorschlag. Sie kennen die Frau von I., eine K..sche Tochter, und ihre zwey Söhne, von denen der älteste lahm ist. M. Hahn war bisher ihr Hofmeister. Dieser kommt nach Hamburg, und die Frau Obersten sucht einen neuen. Der junge Herr soll bald in die Collegia gehen, und der jüngste soll bloß der Aufsicht, nicht aber dem Unterricht des Hofmeisters anvertraut werden. Das Gehalt ist 150 Thaler. Wenn diese Stelle außer Leipzig läge, so hätte ich sie geradezu ausgeschlagen. Aber meine Freunde wieder zu sehen, Sie wieder zu sehen, Gellerten -- alle, alle wieder zu sehen, bey Ihnen zu leben, -- das ist mehr als man braucht, um eine noch seltsamere Frau, als die Frau von J. ist, und einen noch beschränkteren Eleven, als ich mir ihren Sohn vorstelle, ertragen zu lernen. Sagen Sie mir, was hätten Sie mir gerathen, Sie und Ihr lieber Mann, wenn ich bey Ihnen gewesen wäre? Ich will Ihnen sagen, was ich gethan habe. Ich habe die Entscheidung Gellerten überlassen; ich habe ihm die Bewegungsgründe und die Schwierigkeiten auf beyden Seiten vorgestellt. Wenn alles gleich wäre, so würde ich ohne Streit F..s Haus dem J..schen vorziehen, von dem ich weder mehr Ansehen, noch mehr Umgang mit der großen Welt, noch mehr Glück aufs künftige zu erwarten habe. In beyden Fällen komme ich doch erst nach Leipzig, und sehe Sie wieder. -- Ich schriebe gern noch mehr, aber um mich selbst zu verläugnen, und um Sie von meinen langen Briefen ausruhen zu lassen, sage ich kein Wort mehr, als daß ich u. s. w. Zwölfter Brief. Ein treuer, freundschaftlicher Rath kommt niemals zu spät, wenn er auch gleich eine geschehene Wahl nicht mehr ändern kann. Sie wissen, ich schrieb Gellerten, an eben dem Tage, da ich Ihnen die Nachricht davon gab. Es würde mir schwer werden, eine Entscheidung, die ich ihm einmal übergeben habe, wieder zurück zu nehmen. Ich bin in der That vollkommen Ihrer Meynung, daß es immer gefährlich ist, dem Urtheile eines andern (und wäre dieser andere auch der weiseste und rechtschaffenste Mann) eine Entscheidung zu überlassen, bey der er, wenn es möglich wäre, sich in uns verwandeln müßte, wenn er richtig urtheilen sollte. Dem ungeachtet glaube ich, daß ich es nach den Umständen, in welchen ich war, so machen mußte. Diese Erinnerung wird mich trösten, der Ausgang der Sache mag seyn, welcher er will. Um mich aber auch bey Ihnen zu rechtfertigen, so sollen Sie diese Umstände wissen. Sie kennen die Schwierigkeit, (oder wenigstens können Sie sich sie vorstellen), die es einen Menschen kostet, dessen Glück oder Unglück nicht ihn allein trifft, sondern sich auf Personen ausbreitet, die ihm theurer als sein eigen Leben sind, was es diesen Menschen, sage ich, kostet, einen Entschluß zu fassen, von welchem diese Personen glauben, daß er für sein künftiges Schicksal so wichtig ist. Wenn man das Unglück hat, Niemand in der Welt anzugehören und eine mit dem übrigen menschlichen Geschlecht nicht zusammenhängende Insel auszumachen, so hat man entweder Muth oder Unbesonnenheit genug, geschwind zu entscheiden. Neigung, und die auf eine gewisse Seite gerichtete Einbildungskraft geben der Wahl bald den Ausschlag. Wenn man aber so wie ich, als Sohn, als Verwandter, als Freund, in Verbindungen steht, die an unser Wohl das Wohl anderer verknüpfen, so wird ein Entschluß schon weit schwerer, für dessen Erfolg man so vielen Personen Rechenschaft zu geben hat. Setzen Sie nun noch, daß die Sache so sehr ungewiß ist, wie die meinige, und daß so viel andere, von uns ganz unabhängige Begebenheiten zusammen kommen, und uns helfen müssen, wenn sie nicht fehl schlagen soll: wer kann alsdann kühn genug seyn, für den Ausgang zu stehen, besonders wenn man durch unglückliche Beyspiele geschreckt ist. Man glaubt in diesen Fällen sehr leicht, daß das, wozu sich eine besondere Gelegenheit anbietet, mehr als ein Ruf der göttlichen Vorsehung angesehen werden kann, als das, wozu nichts als unser Entschluß etwas beygetragen hat. Vielleicht ist dieses zuweilen Vorurtheil. Aber scheint es uns alsdann nicht Wahrheit, wenn die Unternehmung mißlingt? Nach Leipzig ohne Ruf und Veranlassung zu gehen, und auf gut Glück Vorlesungen anzufangen, wie viel Stimmen glauben Sie wohl, daß ich hier dafür würde gefunden haben? Noch dazu da Leipzig außer unsers Herrn Ländern liegt, wo, wenn gegen die Regeln der Wahrscheinlichkeit alles aufs glücklichste fällt, am Ende doch immer die Schwierigkeit übrig bleibt, die die Versetzung einer ganzen Familie und ihres Vermögens in einen entfernten Ort mit sich führet. Was blieb mir also bey dem Wunsch und beynahe bey dem Bedürfniß, das ich hatte, nach Sachsen zurückzukommen, was blieb mir anders übrig, als eine Art von Beruf zu wünschen, die mir mehr und stärkere Ursachen verschaffte, mein Vaterland wieder zu verlassen, als meine bloße Neigung seyn konnte. Dieses war die erste Ursache, warum ich eine Hofmeisterstelle wünschte, zu der mich sonst nicht Noth noch eine sehr große Lust, Hofmeister zu seyn, antrieb. Diesen Gesichtspunkt einmal festgesetzt, erschien mir die Sache auch von andern Seiten vortheilhaft, so wie gemeiniglich, wenn unsere Neigung festgesetzt ist, unser Verstand die Mühe über sich nimmt, sie durch Gründe zu rechtfertigen, die doch nichts dazu beygetragen hatten, sie hervorzubringen. Ich fand als Hofmeister eines jungen Herrn von Stande meine Lust, die Welt, und wenn es seyn könnte, die große Welt etwas kennen zu lernen, befriedigt; ich sah in der Ferne die Aussicht zu Reisen. Endlich glaubte ich, daß, wenn sich durch diesen Weg die Schwierigkeiten des akademischen Lebens, besonders in Leipzig, etwas erleichtert hätten, wenn es dadurch für mich wahrscheinlicher geworden wäre glücklich zu seyn, als es für jeden andern ist, der mit eben so viel Zuversicht, wie ich, seine Vorlesungen anschlägt: daß, sage ich, ich alsdann meine Verwandten und Freunde durch stärkere Gründe würde bewegen können, einen beständigen Aufenthalt in Leipzig genehm zu halten. Dieses sind die Ursachen, warum ich es für nothwendig gehalten habe, unter einem von beyden Vorschlägen wählen zu müssen. Wenn sich keine solche Gelegenheiten angeboten, oder wenn ich sie ausgeschlagen hätte; wissen Sie, was für ein Entwurf an dessen Stelle getreten wäre? Ich würde diesen Winter in B**** geblieben seyn. (Und würde ich wohl diese Bitte meiner Mutter haben abschlagen können, wenn ich ihr weiter nichts, als bloß die Begierde lieber anderswo als bey ihr zu seyn, zum Bewegungsgrunde hätte vorzulegen gewußt?) Man würde während der Zeit Versuche auf mich gethan haben, meinen Aufenthalt in meinem Vaterlande beständig zu machen. Wenn ich gegen alle Vorschläge hartnäckig genug ausgehalten hätte, so würde ich endlich künftige Ostern nach Halle gegangen seyn, und zu lesen angefangen haben. Ich weiß, daß dieß doch vielleicht das Ende der Sache seyn wird. Aber genug, ich bin zufrieden, wenn es nur jetzt nicht geschieht, und wenn ich noch zuvor das Ziel von Geschicklichkeit und Wissenschaft an einem dazu weit bequemern Orte erreiche, ohne welches ich mich selbst für einen unwürdigen Lehrer der Akademie halten würde. -- Was nun die Wahl unter beyden betrifft, so war die Zeit zur Ueberlegung kurz; meine Neigung durch die Vortheile der Nation des Ministers, und durch die Vortheile des Orts bey der andern getheilt; meine Mutter höchst unschlüssig, furchtsam, mich den Schwierigkeiten und Gefahren bloß zu stellen, die sie im Dienste der Großen für mich zu finden glaubte, und doch auch ungewiß, ob die Vortheile diese Gefahren nicht überwiegen; ich selbst nicht vermögend genug, sie von allen Umständen, die die J..sche Condition heruntersetzen, zu unterrichten, und nicht dreist genug, mir alle die Talente zuzuschreiben, die des Grafen seine zu erfordern schien. Was konnte ich thun, um mich und sie zugleich zu beruhigen, als die Entscheidung einem Manne auftragen, der beyde Stellen besser kennen muß, wie ich. -- Noch ist von ihm keine Antwort da. Wenn er für die J..sche entscheidet, so bestehe ich durchaus auf der Bedingung, Collegia lesen zu dürfen. Ohne das wird nichts daraus; das versichere ich Sie heilig. Und nun, l. F., verlassen Sie mich nicht mit Ihrer Liebe, Ihrem Rathe und mit Ihrem Beystande. In unserer Freundschaft finde ich einen Trost, der mir jede Schwierigkeiten leichter überwinden, und jeden Kummer ertragen hilft u. s. w. Dreyzehnter Brief. S***witz den 12. Aug. Wenn Sie noch mehr solche schöne Briefe, und solche angenehme Erzählungen nach S**** schreiben, so werden alle meine Freunde anfangen auf mich neidisch zu werden. Wenn Sie nur sehen sollten, mit was für Begierde hier Jedermann Ihre Briefe erwartet, mit wie viel Ungeduld wir uns nach dem Bothen umsehen, der sie uns bringen soll, und wie wenig einer dem andern Zeit lassen will, sie durchzulesen. Sie können glauben, daß ich mir nicht wenig darauf zu Gute thue, daß an mich die Briefe zuerst kommen, und daß ich nicht nur dieses Vergnügen zuerst genieße, sondern es auch alsdann in meiner Macht habe, Gefälligkeiten damit auszutheilen. In der That, ich würde meine hiesigen Freunde nicht so hoch schätzen, wenn sie das Glück, eine solche Freundin zu besitzen, nicht für beneidenswerth hielten. Meine Mutter insbesondere, die jeder Beweis von der Rechtschaffenheit ihres Sohnes mehr als alles erfreut -- (und welcher Beweis könnte stärker seyn, als der, daß er von solchen Freunden ihrer Gewogenheit werth gefunden wird?) meine Mutter ist so sehr von ihren Briefen eingenommen, daß ein Posttag ohne Briefe ihr beynahe schon eben so viel Unruhe macht, als mir selbst. Darf ich es Ihnen wohl erst sagen, daß uns der letzte diese Unruhe gemacht hat? Denn in der That hatten wir Herz genug, drey Tage nach dem Empfang Ihres letzten Briefes schon wieder einen neuen zu erwarten. Ich habe immer geglaubt, man müsse den Menschen aus den Gegenständen seines Vergnügens kennen lernen. Ich habe Leute gesehen, die in ihren Geschäften vernünftig genug schienen, und die sich doch nach geendigter Arbeit in der elendesten Gesellschaft und durch die abgeschmacktesten Zeitvertreibe erholen konnten. Diese Leute könnte ich nimmermehr zu meinen Freunden machen. Wenn ich aber Jemand, so wie meine Freundin, sich an dem Anblick einer tugendhaften und glücklichen Familie erfreuen sehe; wer durch den Anblick einer zärtlichen und sorgfältigen Mutter, eines gütigen Herrn, liebreicher und gutgearteter Bedienten, kurz eines solchen Hauses, wie Sie mir das Gärtnersche beschreiben, gerührt wird, für dessen Güte bin ich Bürge, und ohne ihn zu kennen, öffnet sich schon mein Herz gegen ihn zu sympathetischen Empfindungen. Wie gern möchte ich der Rektor von Königsbrück in dem Augenblick gewesen seyn, da Sie ihn in seinem Hause überraschten. Ich habe mich schon oft darüber gefreuet, daß das Schicksal einige unserer Begebenheiten eben so ähnlich gemacht hat, als es unsere Empfindungen sind. Ich weiß, Sie sagten mir einmal, daß Sie von allen Ihren Lehrern wären außerordentlich geliebt worden. Der Besuch in Königsbrück hat mich wieder an dieses Gespräch erinnert. Mein gütiges Schicksal hat mir eben so nachsehende, oder eben so liebreiche Lehrer gegeben. Alle sind meine Freunde gewesen, und haben mich mit einer vorzüglichen Gewogenheit beschenkt. Sie wissen, daß ich jetzt sogar in dem Hause meines Lehrers wohne, der aber noch weit mehr mein Freund ist. -- Von diesem glücklichen Montage, wo Sie vergnügt waren, weil Sie andere vergnügt machten, habe ich Sie mit Freuden wieder zurück an die Stelle begleitet, wo Sie sonst oft von einem andern mehr ungestümen Freunde überfallen wurden, der bey Ihnen alle Mal seine Ruhe und seine Heiterkeit wieder fand, wenn er beydes durch seine eigene Schwäche, oder durch unglückliche Nachrichten von seinen Freunden, verloren hatte. Die Beschäftigungen der Ehegattin, der Hausfrau, der Mutter haben mir immer die edelsten geschienen, die ein menschliches Geschöpf einnehmen könnten. Sie sind mir aber jetzt noch viel mehr werth, da ich weiß, daß es die Beschäftigungen meiner Freundin sind. Ich stelle sie mir hundert Mal des Tages in jedem dieser Geschäfte vor, und entwerfe mir von ihrem ganzen Leben den schönsten und vortrefflichsten Plan. Von einer Stufe der weiblichen Vollkommenheit zur andern führe ich Ihre Wilhelmine bis zu dem Augenblicke, wo Sie sie einem glücklichen und tugendhaften Manne zuführen, für den Ihre Sorgfalt sie zubereitet hatte. Indeß, daß Sie in dieser Ihrer Erstgebohrnen schon alle Freuden und Belohnungen einer Mutter fühlen, theilen sich noch andere Kleinere in die Sorge und die Arbeiten einer Mutter. So erblicke ich Sie endlich am Ende Ihrer Laufbahn, unter der Gestalt einer ehrwürdigen Shirley, das Haupt und die Krone einer ganzen sich immer mehr ausbreitenden Familie, die durch Dankbarkeit, durch Hochachtung, durch Liebe, durch alles, was die Natur zärtliches hat, an Sie gebunden ist. Wenn denn von einem Winkel der Erde, wo Ihr Freund die Erfüllung seiner Wünsche nur aus der Ferne, aber doch mit der lebhaftesten Bewegung seines schon matt gewordenen Herzens hört, wenn er sich aus diesem Winkel einmal hervorbegiebt, um noch seinen letzten Tagen die Glückseligkeit zu geben, seine Freundin glücklich zu sehen, und sich unter den Haufen ihrer Kinder mischt -- und ihre Hand mit den Thränen der Freude und Zärtlichkeit benetzt; -- welchen Monarchen würde ich alsdann beneiden? Sie werden sagen, ich machte Schimären. Aber lassen Sie mich sie immer machen; sie sind oft viel angenehmer als die Wirklichkeiten. Und glücklich müssen Sie doch seyn mit den Gesinnungen und dem Herzen, welches Sie haben; Sie mögen es nun werden, auf was für eine Art Sie wollen. Und ich muß an Ihrer Glückseligkeit Theil nehmen, als Ihr Freund -- oder als Ihr Schutzgeist. Denn auch bis dahin führt mich oft meine Einbildungskraft, wenn sie in der gehörigen Mischung von Melancholie und Vergnügen ist. Ich prophezeihe mir ein kurzes Leben, und ich bin sehr damit zufrieden. Ich wäre es noch mehr, wenn ich nur noch zuvor etwas Gutes gethan, und eine Spur von meinem Daseyn zurück gelassen hätte. In allen Fällen werde ich doch nicht glauben, umsonst gelebt zu haben, wenn ich auch nur einen Menschen zurück lasse, den ich besser oder glücklicher gemacht habe. -- Ich habe von Gellerten noch keine Antwort. Unterdessen habe ich ihm den Aufsatz geschickt. Wie gern hätte ich zuvor unsern gemeinschaftlichen Freund zu Rathe gezogen. Ich verwahre die Kopie für ihn, um sein Urtheil noch hintennach zu erfahren. -- Und nun empfehle ich Sie und Ihren geliebten -- auch von mir geliebten guten ** der Vorsicht und der Beschützung des Himmels, und trage es diesem freundschaftlichen gütigen Mond auf, der eben jetzt über meinen Gesichtskreis kommt, Sie mit seinen Strahlen zu begrüßen -- und Sie an Ihren Freund zu erinnern, wenn Sie ihn unter bessern Freunden vergessen sollten u. s. w. Vierzehnter Brief. Breßlau den 26. Aug. Wenn der Brief in eben dem Augenblicke zu Ihnen kommen könnte, in welchem ich ihn schreibe, wenn ich tausend Empfindungen mit einem Worte ausdrücken, und die ganze Fülle meiner Seele ohne Zeichen, durch eine Art von Inspiration der Ihrigen mittheilen könnte, dann, glaube ich, würde die Ungeduld gestillt werden, mit welcher ich jetzt diesen Brief anfange. Die Zeit, bis er zu Ihnen gelangt, scheint mir unermeßlich; und ich wollte gern, daß Sie es diesen Augenblick wüßten, daß nur der Zufall, nicht Ihr Freund an Ihrer Unruhe schuld gewesen ist; daß er eben dieselbe Unruhe um der nämlichen Ursache willen ausgestanden hat; und daß, so gern er jeden sorgenvollen Augenblick aus Ihrem Leben austilgen wollte, ihm doch diese Ihre Bekümmerniß, mehr als jedes andere Zeichen Ihrer Freundschaft schätzbar und theuer ist. Ja in der That, l. F., das Schicksal hat sich recht bemühet, unsere Seelen die letzte Woche mit einerley Gedanken und mit eben denselben Bekümmernissen einzunehmen. Ihr Brief, (der, den ich in S**** schon vor acht Tagen erhalten sollte) blieb aus, und ich fand ihn nicht eher, als des Sonntags bey meiner Zurückkunft in B****. Ich weiß nicht, warum Ihre Briefe gerade da am ehesten ausbleiben müssen, wenn ich sie am meisten wünsche. Denken Sie nur, ich trug schon die ganze Woche vorher, aus Ursachen, die ich mir so wenig erklären, als ihre Wirkung aufheben kann, einen gewissen stillen mehr nagenden, als heftig beunruhigenden Verdacht mit mir herum, Sie wären mir nicht mehr so gut, als vordem. Sie wissen, Gründe richten sehr wenig gegen Empfindungen aus. Ich erwartete also Ihren nächsten Brief, um meine Furcht und mein Mißtrauen zu beschämen. Wir konnten den Tag, an welchem Ihre Briefe ankommen, keinen Boten in die Stadt schicken, und diese Briefe (so dachte ich damals) blieben also auf der Post bis den folgenden Tage liegen. Ein sehr unangenehmer Verzug, der aber die Begierde und die Erwartung noch mehr schärfte. Endlich hatten sich die Stunden bis zur Ankunft des Boten langsam und traurig genug fortgeschlichen -- und nun kam er ohne Briefe. Stellen Sie sich selbst vor, was eine Fehlschlagung in einer solchen Verfassung für Wirkungen auf ein Gemüth haben mußte, das dem Ihrigen ähnlich ist. Sie schienen mir blos deswegen nicht geschrieben zu haben, um mir zu sagen, daß ich Recht gehabt hätte mich zu fürchten. Ich bildete mir ein, als hätten Sie in meiner Seele eine Unruhe lesen können, und hätten deswegen geschwiegen, um ihren Grund zu bestätigen. Ich hörte schon auf, mein eigner Freund zu seyn; denn gewiß, ich würde mich selbst für ein nichtswürdiges Geschöpf ansehen, wenn Ihre Freundschaft mir in meinen Augen keinen Werth mehr gäbe. Die Seele kann in einem so unangenehmen Zustande nicht lange beharren. Er ist, so wie Sie sagen, und so wie meine Erfahrung mich lehrt, ein Stand der Unthätigkeit, der Philosophie unsers Freundes ungeachtet. Sie wankt also eine Zeit lang zwischen Reflexion und Gefühl, zwischen deutlichen Gründen und dunkeln Einbildungen hin und her; sucht eine Menge Beweise, um das nicht zu glauben, was sie scheut, und stürzt sich doch wieder, trotz aller Beweise, in ihre traurige Ueberzeugung zurück. Dieses Mal siegte ich aber doch endlich! denn das war ich gewiß genug, daß Ihre Freundschaft nicht so, wie der meisten Menschen ihre, ohne besondere Ursache nur erkalten kann, blos deswegen, weil die nähern sie immer umgebenden Gegenstände unaufhörlich einen Theil ihrer Wärme rauben, und sie durch diese allmählige Ausdämpfung zuletzt bis zu der ordentlichen Temperatur der Gleichgültigkeit zurückbringen. Aber das wußte ich nicht, daß Sie mich Ihrer Freundschaft immer auf gleiche Art würdig finden würden. Ich habe immer geglaubt, daß die Freundschaft, so wie die Liebe, eine gewisse Art von Verblendung erfordere; nicht eine solche, die die Gestalten verkehrt, sondern die, welche den guten Eigenschaften allein Licht giebt, und die schlechten in Schatten setzt. Wie wäre es nun, wenn Sie diese Verblendung gewahr geworden wären, -- wenn Sie anfingen, mich eben so zu sehn, wie mich alle übrige Menschen sehn? -- Aber kurz, Sie hatten mir noch keine Veranlassung gegeben, diese Veränderung zu glauben. Ich konnte selbst den Ursprung dieses Gedankens in meiner Seele nicht ausfindig machen. Er erfüllte die Seele so, wie manches falsche Gerücht die Stadt, ohne daß man sagen kann, wer das Ding zuerst erzählt hat. Und konnten endlich Ihre Briefe nicht aus tausend andern Ursachen zurückgehalten werden? Aber dabey schmeichelte ich mir doch nicht, daß Sie wirklich geschrieben hätten, und es blos Unrichtigkeit der Post wäre, die mir Ihren Brief vorenthielte. Ich verließ S**** des Sonntags, nicht mit so viel Widerstreben, als ich sonst gethan haben würde, wenn ich nicht Ihre Briefe in der Stadt zu erwarten gehabt hätte. Ich fand sie, und in denselben die zärtlichste, gütigste Freundin, die Sie immer waren, dazu gemacht, das Leben nicht bloß Eines Mannes glücklich zu machen. In der That bedurfte ich dieses Trostes, um nicht allen meinen Muth unter der Menge unangenehmer Zufälle zu verlieren, die auf uns in der Stadt warteten. Meine Mutter kam halb krank nach Hause. Ihr Bruder, der, wie Sie wissen, im Bade gewesen ist, war kurz zuvor durch den Banquerout eines der ansehnlichsten hiesigen Häuser, dem er einen beträchtlichen Theil seines Vermögens anvertraut hatte, zurückgerufen worden. Ein andrer unsrer Freunde, der brave T****, sah durch eben diese Begebenheit eine Summe von 10000 Rthlr. auf vielleicht weit weniger als die Hälfte heruntergesetzt; eine andre Freundin, die Mad. P*** (eine von den wenigen Frauen, die Ihrer Bekanntschaft werth wären), war gefährlich krank, und der Arzt hatte ihr erst vor kurzem die Hoffnung zum Leben wiedergegeben. Meines Onkels jüngste Tochter war es auch. Die allgemeinen Klagen vermischten sich mit der besondern Noth unsrer Familie. Endlich bekam ich Gellerts Brief, und die Nachricht von des Grafen Tode. Mit diesem verschwand alle Aussicht auf künftigen Winter. Die nächsten Monate sogar hüllten sich wieder in Dunkel und Finsterniß ein; -- und nirgends, nirgends sahe ich irgend einen Schimmer eines Lichtes, der mich zu meiner Freundin wieder zurückführte. An die Stelle dieser verschwundenen Hoffnung trat eine Furcht, die ich schon überwunden zu haben glaubte. Während meines Aufenthalts in B*** ist der Prorektor des hiesigen ersten Gymnasiums wegberufen worden. Meine Freunde dachten ganz natürlicher Weise an mich. Ich verzeihe Ihnen den Wunsch, mich hier zu behalten; er entspringt aus einem so gütigen Herzen, daß ich ihn gern mit meinem Wunsche bestätigen wollte, wenn es auf weiter nichts als Vergnügen dabei ankäme. Man redete also viel davon, man erforschte meine Gesinnungen, man ersann sich allerhand Möglichkeiten. Alles das war gut, so lange die Sache noch in einer gewissen Ferne blieb. Ich gestand, so oft die Rede davon war, meine vollkommene Abneigung; und ich gab, wie ich denke, Gründe davon, um ihr nicht den Schein des Eigensinns und des Vorurtheils zu geben. Man hörte endlich, da die Wahl ins Lange gezogen wurde, auf davon zu reden. Heftige Bestrebungen verzehren sich selbst, wenn sie nicht sogleich thätig werden können. Ich erklärte mich ein Mal für alle Mal, daß ich keinen Schritt der Sache entgegen thun würde. Eine ganz freywillige, unveranlaßte Anbietung dieses Amtes würde alsdenn von mir nicht ohne Ueberlegung verworfen werden. Ich glaubte, daß ich gewiß sehen könnte, daß dies niemals geschehen würde, da der hiesige Magistrat die Maxime hat, den ungestümsten Bittern die Aemter am ersten zu geben, und da die Jahrbücher von B*** noch kein Beyspiel von einem jungen Menschen haben, der, ohne die niedern Stufen des Schuldienstes durchkrochen zu seyn, zu dieser Würde erhoben worden wäre. Mitten unter diesen Sachen reiseten wir aufs Land, mein Onkel ins Bad. Die Briefe Gellerts brachten uns alle diese Gedanken aus dem Sinne, und Leipzig und Dreßden nahmen unsre Aufmerksamkeit so sehr ein, daß wir nicht mehr wußten, ob es einen Prorektor in B*** giebt. Ich kam wieder zurück mit der vollkommensten Sicherheit, daß diese Stelle längst würde besetzt seyn, und daß alles entschieden sey. Kein Mensch dachte wieder daran, bis Gellerts Brief dem Laufe unsrer Vorhersehungen eine neue Richtung gab. Gestern war ich mit meiner Mutter in einer großen und zu meinem Unglück sehr vermischten Gesellschaft. Einer davon, ein Herr von P***, ein Mann, dem große Reichthümer und viele Verbindungen eine Art von Ansehn geben, dem es übrigens weder an Verstande, noch einem gewissen Grade von Empfindung mangelt, zog mich gleich bei seinem Eintritte auf die Seite. -- Hören Sie, sagte er, wollen Sie Prorektor seyn? -- Die Frage war sehr kurz, und die Antwort schien entscheidend seyn zu müssen. -- Ich wiederholte ihm kurz das, was ich allen meinen Freunden schon längst gesagt hatte. -- Ich war von Herzen froh, als ich endlich erfuhr, seine Frage bedeutete nichts mehr, als jede andre Frage von der Art; als ein Freund meines Onkels und meiner Mutter hatte er ihre Wünsche vorhergesehn, und wollte es bloß erfahren, ob es auch die meinigen wären. Unser Gespräch war noch nicht zu Ende, da es von einem Schwarme andrer Leute unterbrochen wurde. Ich hatte bey einem sehr vollen Tische den langweiligsten elendesten Abend von der Welt. Ich dachte fast an nichts, als an den Kontrast dieser Gesellschaft, und der kleinen an Ihrem Tische, in der ich so viele Stunden unter dem heitersten Vergnügen verlor. -- Nur einen einzigen solchen Abend, l. F., und ich wäre auf einen Monat zufrieden u. s. w. Funfzehnter Brief. B***, den 9. Septbr. Unerachtet mich meine Reise gehindert hat, an der besondern Lustbarkeit dieses Tages Theil zu nehmen, so bin ich nichts desto weniger bey Ihnen gewesen, so wie ich es alle Tage bin. Und vielleicht war es ein gewisser geheimer Einfluß, den Ihre Seelen auf die meinige hatten, der mich diesen Tag (es war der letzte, den ich in M*** zubrachte), beynahe vergnügter machte, als ich die ganze übrige Zeit gewesen war. -- Eine Grille, die mir Schwedenborg, und sein Kommentator, M. Kant, in den Kopf gesetzt hat, kann ich mir noch nicht ausreden. -- So geht es; Sätze, die uns lieb sind, nimmt man gar zu leicht für Wahrheiten an, und das Sicherste, was ein Philosoph thun kann, um uns von seinen Hypothesen zu überzeugen, ist, daß er den Wunsch in uns erregt, daß sie wahr wären. -- Aber zur Sache selbst. Schwedenborg sagt, das Verhältniß, das die Geister gegen einander haben, und welches ihren Ort ausmacht, ist von dem Orte, den ihre Körper einnehmen, durchaus unterschieden. Die Geister machen zusammen eine Welt für sich aus, und die Körper, die ihren Stand bestimmen, in so fern sie durch Empfindungen denken, und ihre Begriffe aus dem sinnlichen Gebiete herholen, schränken sie doch nicht im mindesten ein, in so fern sie Geister sind. -- So ist es also möglich, daß zwey Geister ganz dicht aneinander stoßen, deren Körper hundert Meilen weit von einander entfernt sind. Zwischen beyden kann der vertrauteste Umgang seyn, der aber niemals zum Bewußtseyn kommt, -- als bey gewissen auserwählten Seelen, denen, wie Schwedenborg sehr deutlich sich ausdrückt, das Innere geöffnet ist; -- oder bey außerordentlichen Gelegenheiten, wo der hellere Glanz der Empfindungen, der sonst alle andere Ideen auslöscht, so sehr verdunkelt wird mit sammt dem ganzen Gefolge von Erinnerungen und Phantasien, daß jene geistigen Eindrücke sich aus dem Grunde der Seele herausheben. Durch dieses Mittel will Schwedenborg alle die wunderbaren Dinge gewußt haben, durch die er in den Ruf des größten Narren und des größten Wahrsagers unsrer Zeit gekommen ist. -- Aber kurz und gut, die Theorie gefällt mir, und ich dächte also, daß sie wahr wäre. Meine Seele würde nichts so sehr wünschen, als um alle die von ihr geliebten und mit ihr verwandten Seelen so nahe zu seyn, daß sie die Einflüsse derselben empfangen, und auf sie wieder Eindrücke machen könnte. Der Körper ist bisher zu der Erreichung dieses Wunsches ein beschwerliches Hinderniß gewesen, jede Vereinigung forderte immer eine vorhergegangene Trennung, und Freunde wiederzusehen und von Freunden geschieden zu seyn, waren immer zwey unzertrennliche Sachen. Aber nun, die Theorie Schwedenborgs einmal festgesetzt, wer hindert mich, meine Seele an den Ort hinzubringen, wo es ihr am besten gefällt, und um sie herum alle die Geister zu pflanzen, deren Gemeinschaft so oft ihren Wunsch und ihre Sehnsucht erregt hat? Lassen Sie mich also 50 Meilen, und -- was sind diese? lassen Sie mich um halbe Erddiameter von Ihnen entfernt seyn, -- und doch soll meine Seele von der Ihrigen nicht um ein Haar breit weiter kommen. Denken Sie, wenn unsre sterblichen Augen den himmlischen Anblick ertragen könnten, was es wäre, diese Gesellschaft von Geistern bey einander zu sehn; erst die unsrigen, wie sie unsichtbare Begriffe von einander annehmen und sich mittheilen, Begriffe, die erst in künftigen Epoquen unsers Daseyns uns selbst bekannt werden sollen; wie sie sich vielleicht einander aufklären, reinigen, bessern, und ohne unser Wissen schon die Glückseligkeit künftiger Zeitalter verbreiten; -- alsdann die Seelen unsrer liebsten Freunde, Ihres Gemahls, meiner Mutter, unsers Reizes, -- und dann, wenn irgendwo in der Welt eine Julie oder eine Schirley lebt, -- ein reizendes Mädchen, deren Schönheit die Ankündigung von Verstand und Unschuld ist, -- eine zärtliche Ehegattin, deren geschäftiger Fleiß, -- so wie der Ihrige, -- den Abend eines mühsamen Tages ihrem Manne und ihrem Freunde mit stiller und unschuldiger Fröhlichkeit krönt, -- eine ehrwürdige Mutter, der ein neues Geschlecht seine Tugend und seine Glückseligkeit dankt, -- diese alle bey uns, unsre Vertrauten, schon vorbereitet, uns künftig, wenn wir einander erkennen werden, zu lieben, und das Vergnügen einer Gemeinschaft zu fühlen, die hier nur bloß unsre Reflexion beschäftigte. Sie sehen, ich bin in Gefahr, vielleicht ein eben so großer Schwärmer zu werden, als Schwedenborg selbst. Und in der That ist ein Traum, der uns vergnügt macht, hundert Mal besser, als eine Wahrheit, die uns Kummer verursacht. Ueber ihr Gedicht und noch mehr über dessen Mittheilung bin ich von Herzen vergnügt gewesen. Die zwey letzten Strophen haben mir am meisten gefallen, vielleicht weil Sie darin an mich denken. -- Ich hätte Ihnen noch so viel zu sagen, als auf diesem Blatte und auf zehn andern nicht Raum hätte. Aber ich bin einmal schon des Mißvergnügens gewohnt, meine Briefe da schließen zu müssen, wo sich meine Unterredung mit Ihnen erst recht anfangen sollte. Die Ideen drängen sich so in meinem Kopfe zusammen, sobald ich die Feder ansetze, an Sie zu schreiben, daß sich endlich eine aus dem Haufen hervordrängt, -- nicht die die vornehmste und wichtigste gewesen wäre, sondern die sich am schnellsten der Seele und meiner Feder bemächtigen konnte. -- Aber das muß ich Ihnen doch noch sagen, daß ich von Gellerten, seit dem letzten, der mir des Grafen Tod ankündigte, keine Briefe habe, und daß ich ohne Vorschläge von ihm, -- wenig Mittel sehe, diesen Winter mit Ihnen zuzubringen u. s. w. Sechzehnter Brief. Lassen Sie mich Sie immer heute zu einer ungewöhnlichen Zeit überfallen. Ungelegen kann es Ihnen doch nicht seyn (so zuversichtlich hat mich schon Ihre Freundschaft gemacht). Mein Herz ist zu voll; und ich weiß schon, eher wird es nicht ruhig, bis es sich ganz in das Ihrige ausgegossen hat. Wie sehr empfinde ich heute das Glück, eine Freundin zu haben, die meinen Schmerz gern mit mir theilt, und lieber mit mir trauert, als allein fröhlich ist. Aber erschrecken Sie nur nicht über diesen Anfang. Es ist nur Mitleiden, nicht eignes Unglück, das diese unruhige Bewegung in mir hervorbringt -- aber Mitleiden, das auf seinen höchsten Grad gestiegen ist, und beynahe zu eignem Gefühl wird. -- Ich war gestern von meiner Reise den Augenblick angekommen, als man mir sagte, meine Mutter wäre in dem Krankenzimmer einer Freundin, und sie würde den Abend dort zubringen. -- Ich habe Ihnen schon mehrmals das P***sche Haus genannt, als eine von den Familien, die mit der unsrigen am genauesten verbunden ist und von mir am meisten hochgeschätzt wird. In der That besteht sie beynahe aus lauter hochachtungswürdigen Personen. Das Haupt der Familie, der alte Herr P***, ehemals ein sehr angesehener Kaufmann, war noch außerdem, -- was selten Kaufleute sind -- ein empfindlicher und zärtlicher Ehemann, ein dienstfertiger Freund, ein gütiger Vater, und ein durch Erfahrung und vielfache Kenntnisse angenehmer Gesellschafter. Seine Frau, unsre Anverwandte, -- die Krone ihres Hauses, und beynahe auch des unsrigen, ist von der Natur und durch ihren Fleiß recht dazu ausgerüstet, Glückliche zu erfreuen, und die Unglücklichen zu trösten. Ein starker und beynahe männlicher Verstand, der nur durch eine beständige Uebung, nicht durch Unterricht ausgebildet ist; eine Gegenwart des Geistes, die selbst durch ihre zarte Empfindsamkeit niemals geschwächt wird; ein gewisses Feuer und eine Thätigkeit andern Dienste zu leisten, die die Schwierigkeiten überwindet, wovor die andern nur erschrecken; ein freundschaftliches Herz, das seine Befriedigung im Gutes thun findet, und eine gewisse Art von Mangel fühlt, so bald es sich zu Niemandes Besten beschäftigen soll; und dieses alles war zu ihrer glücklichen Zeit mit einer beständigen Heiterkeit der Seele, und mit so viel Lebhaftigkeit verbunden, daß sie gemeiniglich die Seele der Gesellschaft wurde, in der sie sich befand. Herr P**** hatte von seiner erstern Ehe eine Tochter, die schon ziemlich erwachsen war, als er sich mit unsrer Freundin vermählte, und die einige Jahre darauf den Halbbruder ihrer Stiefmutter heyrathete. Die Frau ***, so heißt diese würdige Frau, hatte von der Natur nicht so viel vorzügliche Gaben, aber dafür eine gewisse Sanftmuth und Stille in ihrem Charakter, eine tiefe und mehr durchdringende als lebhafte Empfindlichkeit, und ein so kindliches, gutes, freundschaftliches Herz bekommen, daß sie die vertrauteste Freundin und die ehrerbietigste Tochter ihrer Eltern zugleich war. Ihre Seele war der Seele ihrer neuen Mutter, oder vielmehr ihrer Schwester (denn so liebten sie sich, und so ist ihr Betragen gegen einander noch bis auf den heutigen Tag) nicht ähnlich, aber sie war dazu gemacht, dieselbe auszufüllen, und mit ihr ein Ganzes auszumachen. Ihr Gemahl, der Frau P**** Bruder, den sie schon vor drey Jahren durch eine grausame Krankheit verlor, hatte vielleicht unter allen die wenigsten Talente, aber er besaß ein so durchaus gutes Herz, er liebte seine Frau und seine Schwester so innigst, und er räumte ihre Vorzüge über ihn so gern ein, daß man ihm bloß um seiner Ehrlichkeit willen gut wurde. Und so wie er war, wurde er auch wieder von seiner Frau, die sonst vielleicht zu einem scheinbarern Glück Hoffnung gehabt hätte, so geliebt, als wenn er der vollkommenste aller Männer gewesen wäre. Von diesem ihrem Manne hatte sie zwey Kinder, einen Sohn und eine Tochter, deren Geburt nun erst alle Hoffnungen des Großvaters und alle Wünsche der gesammten Familie erfüllte. Beyde Familien wohnten in Einem Hause, aßen an demselben Tische, liebten sich alle unter einander mit einer Zärtlichkeit ohne Beyspiel, und machten das Bild einer einträchtigen und glücklichen Familie aus. Wenn die Geschäfte des Tages sie von einander entfernt hatten, so kamen sie doch gewiß am Abend alle zusammen, ihre lieben Kleinen mit; und dann genossen sie in einer beneidenswerthen Ruhe alle Freuden des häuslichen Lebens, die einzige Glückseligkeit des Menschen, wenn anders Menschen glücklich seyn können. Ihre äußern Umstände störten diesen Genuß eben so wenig. Ihr Vermögen war weit mehr als hinlänglich, ihrer Freunde waren viel; -- und wenn es, um ein Gut zu genießen, nothwendig ist, daß andre wissen, daß wir es haben; so war die allgemeine Hochachtung für sie eine Bestätigung ihrer Glückseligkeit und ihrer Verdienste. Und diese ganze Familie, dieser ganze kleine Kreis von tugendhaften und glücklichen Freunden, liebe Freundin, ist jetzo nur noch fähig, Mitleiden zu erregen; -- das ganze Gebäude ihrer häuslichen Glückseligkeit ist durch eine Reihe auf einander folgender Unglücksfälle zerstört; jede Wurzel des Vergnügens ausgerottet, und fast hat selbst die Zukunft für sie nichts mehr als Schrecken. Der Tod des Herrn B***, der vor drey Jahren zu eben der Zeit erfolgte, als ich hier meine Mutter besuchte, war der Anfang und gleichsam die Ankündigung davon. Dieser Tod war so schmerzhaft, und mit so traurigen Umständen begleitet, daß er auf das Gemüth aller einen sehr tiefen Eindruck machte -- auf das Gemüth seiner Gattin aber einen immerwährenden. Diese schon von Natur furchtsame und schüchterne Frau wurde durch den Verlust ihres Mannes beynahe zu Boden gedrückt. Nur die Gesellschaft und die Zärtlichkeit ihrer Mutter, der Frau P****, und die Sorgfalt für die Erziehung der beyden liebenswürdigen Kinder, in denen sie die Liebe der Mutter und der Gattin vereinigte, nur diese hatten sie bisher erhalten, und ihr nach und nach den Muth und die Freudigkeit wiedergegeben, ohne die das Leben eine Last ist. Eine andere glückliche Begebenheit schien die Freude wieder in dieses Haus zurückführen zu wollen. Eine Tochter der Frau P****, von einer erstern Ehe, ihrer Mutter bey weitem nicht gleich, aber doch auch ihrer nicht ganz unwürdig, heyrathete den Hrn. Z****, der lange Zeit im Felde Dienste geleistet hatte, ein Liebling der Vornehmsten der Armee und selbst des Königs gewesen war, und die glücklichsten Aussichten vor sich hatte. Ein Mann von vielem Verstande, von einer wahrhaft guten Lebensart, und der, wenn er noch nicht die richtigsten Grundsätze hatte, doch fähig war, sie anzunehmen. Er war damals ***, und wurde bald darauf ****, welches eines der ansehnlichsten Aemter in unserm Lande ist, und unmittelbar auf den geheimen Rath folgt. Dieser Mann liebte seine Frau, ob sie gleich weder ihm an Gaben gleich, noch seinen Erwartungen und Wünschen gemäß war. Aber vielleicht liebte er sie noch mehr um ihrer Mutter als um ihrer selbst willen; und beynahe glaube ich, daß noch bis auf diese Stunde die Hochachtung, die er für seine Schwiegermutter hat, die Liebe gegen seine Frau erhält. Diese Verbindung, die ihrer Familie ein neues so würdiges Glied gab, wurde kurz darauf die Quelle mehr als eines Jahres voll Kummer und Angst. Z**** empfand, nachdem er zur Ruhe kam, die Folgen der Ermüdungen des Krieges. Er fiel in dem ersten Jahre seines Ehestandes in eine gefährliche Gliederkrankheit, die ihn zuerst mit den grausamsten Schmerzen angriff, und alle Augenblicke seinen Tod drohte, bald darauf ihn des völligen Gebrauchs aller seiner Glieder beraubte, und ihn ganz hülflos der unaufhörlichen Pflege und Wartung seiner Freunde selbst in seinen kleinsten Bedürfnissen benöthigt machte. Diese Krankheit ist endlich, nachdem sie sechs Vierteljahre das ganze Haus in einer beständigen Abwechselung von Furcht und von Betrübniß erhalten hat, durch eine sehr beschwerliche Kur, und durch den Gebrauch mannigfaltiger Bäder gehoben worden. Sie wissen, daß er nur erst neulich mit meinem Onkel im Bade gewesen ist. -- Aber dieses war noch nicht der einzige Kummer. -- Die unglücklichen Umstände unsers Landes haben die Handlung des Herrn P*** sehr geschwächt; -- aber noch würden sie ihnen wenig Schaden gethan haben, wenn sie nicht auch zugleich den Kopf dieses würdigen Alten geschwächt hätten. Dieser sonst so lebhafte und geschäftige Mann, der die Thätigkeit selbst war, sich immer herzhaft entschloß und klug ausführte, dieser versinkt in seinem Alter, von Kummer und Sorgen niedergedrückt, in eine völlige Unempfindlichkeit. Seine Gemüthskräfte erlöschen; seine Seele, die durch so viele und starke Eindrücke zu heftig erschüttert worden, nimmt jetzo gar keine mehr an, oder alle verlöschen augenblicklich auf dem Grunde, der schon völlig von den vergangenen Ideen eingenommen ist. So ist er für seine Familie und seine Freunde schon todt, ob er gleich sich noch unter ihnen bewegt; und seine Gattin, die sonst von ihm Ansehn und Ehre erhielt, ist jetzo kaum mit aller ihrer Klugheit und der zärtlichsten Sorgfalt vermögend, ihn vor der Verachtung der Fremden, und selbst vor der Geringschätzung seiner Freunde zu schützen. Denken Sie sich nun seine Tochter, die noch immer dieselbe kindliche, ehrerbietige Zärtlichkeit für ihn hat, und denken Sie, was es einem Herzen, wie das ihrige, kosten muß, ihn alle seine schätzbaren Eigenschaften verlieren zu sehn. -- Noch war ein einziger Trost für dieses Haus übrig, aber ein sehr großer, und der vielen Leiden das Gegengewicht halten konnte; -- der Trost, zwey hoffnungsvolle und liebenswürdige Kinder in ihrem Schooße aufwachsen zu sehen, die die Verdienste, und, wenn es möglich wäre, die ehemalige Glückseligkeit ihrer Eltern erneuerten. -- Und nun liegt das jüngste davon, ein Knabe von ungefähr acht Jahren, die unschuldigste, sanftmüthigste, geduldigste Seele, das Bild und der Liebling seiner Mutter -- und ringt mit dem Tode. Bey seinem Bette fand ich meine Mutter. Ich bin niemals von einem Anblicke so gerührt, so durchdrungen worden. Die Krankheit des Kindes ist die allerschmerzhafteste und grausamste, glaube ich, die ich jemals gesehn habe: die allerentsetzlichsten Kopfschmerzen, die, wie der Arzt muthmaßt, aus einer Beschädigung des Gehirns entstehen, und schon vier Tage und Nächte ohne den geringsten Nachlaß fortdauern. Sie pressen dem armen liebenswürdigen Knaben, der alles, alles sonst mit der größesten Gelassenheit erträgt, und selbst jetzo die schmerzhaftesten Operationen ohne Murren mit sich vornehmen läßt, ein Geschrey aus, das mir bis in das Innerste der Seele geht. -- O Gott, wer muß der Unmensch seyn, der die Stimme des Schmerzes ertragen kann, wenn er selbst der Urheber davon ist! -- Mein Herz wird davon zerrissen! -- Und dann in dem Augenblicke einer kleinen Linderung ihn mit einer ängstlichen Zärtlichkeit nach seiner Mutter rufen zu hören, diese vor seinem Bette knien zu sehen, und dann ihn, wie er seine kleinen Arme um sie herumschlingt, sie fest an sich drückt, und dann mit einer gewissen dringenden Heftigkeit sie seiner Liebe versichert, -- dann mitten unter diesen Liebkosungen, von dem Schmerz überwunden, auf einmal in das kläglichste Geschrey ausbricht, und das zu ganzen Nächten fortsetzt -- Gott, kaum kann ich den Gedanken davon ertragen. -- Heute ist der Schmerz schon Herr über sein Bewußtseyn, und er kennt nicht mehr seine Mutter. -- Liebste Freundin, werden Sie mir es wohl vergeben, daß ich Sie mit so traurigen Gegenständen unterhalte? Aber mir wird meine Noth leichter, wenn ich denke, Sie wissen sie und nehmen daran Theil. N. S. Zu gleicher Zeit mit dem Ihrigen erhielt ich auch einen sehr freundschaftlichen Brief von Herrn Weise. Eine kleine Anekdote, die er mir von Meinhardten erzählt, kann ich Ihnen unmöglich verschweigen. Bey seiner Abreise von Leipzig fragte ihn der Post-Commissar Gellert: Ob er nicht einige günstige Aussichten hätte? O ja, sagte er, die glücklichste Aussicht von der Welt -- die Aussicht auf mein Grab. Siebenzehnter Brief. Den 16. September. Der Kleine, dessen Leiden ich Ihnen schilderte, hat sich gebessert. Er ist keines menschlichen Leidens mehr fähig. -- Für den tugendhaften Mann und für den Christen ist der Tod wenig; aber für den Menschen ist der Schmerz immer etwas sehr Großes. Neulich war mein ganzes Mitleid für das Kind selbst, jetzo ist es nur noch für seine Mutter. Ich will Ihnen nicht ihren Schmerz beschreiben, um nicht den Ihrigen rege zu machen. Sie wissen, was es heißt, Mutter seyn. -- Aber einen andern Verlust muß ich Ihnen erzählen, der nicht so schmerzhaft, -- aber doch für uns empfindlich ist; noch dazu einen Verlust, der die ganze Begierde, zu Ihnen zu kommen, bey mir wieder rege macht, da er mir die vortrefflichste Gelegenheit dazu verschafft hätte. Denken Sie nur, ich hätte in Gesellschaft eines Tralles zu Ihnen kommen können, ich hätte Sie gesehn, Sie hätten einen unsrer besten Freunde gesehn, die Hochachtung, die ich für meine Freundin habe, hätte sich noch eines rechtschaffenen Herzens bemeistert, und -- Aber hören Sie erst die Geschichte. Tralles als einen Arzt kennen Sie, glaube ich. Aber das müssen Sie noch wissen, daß er beynahe der würdigste Gelehrte und der beste Gesellschafter in B**** ist. Diese Titel werden Sie, denke ich, noch nicht so aufmerksam machen, (welche Eigenliebe!) als wenn ich Ihnen sage, daß er der älteste Freund unsers Hauses, daß er fast der einzige recht vertraute Freund meines Onkels ist, -- daß seine erste Frau die beste und die einzige Freundin war, die meiner Mutter ihr ganzes Herz besessen hat. Dieser Mann, der neulich nach Warschau als Leibarzt kommen sollte, und es aus Liebe zu seinen Freunden ausschlug, hat jetzt einen andern Antrag, der just in einer so unglücklichen Epoque kommen muß, da sich B**** bey ihm durch einen ansehnlichen Verlust, den er durch die Betrügerey eines Freundes leidet, verhaßt gemacht hat, daß er fast geneigt ist, ihn anzunehmen. Die Fürstin von Gotha verlangt ihn zu ihrem Beystande bey ihrer jetzigen schwachen Gesundheit, -- und wünscht ihn als Leibarzt zu behalten. Er kam eben von einer Reise wieder, als er einen Brief von dem Gothaischen Hofe fand, wo man ihn unter den schmeichelhaftesten Hoffnungen, die man einem Menschen geben kann, einladet, noch diesen Herbst nach Gotha zu kommen, seine Familie mitzubringen, -- und den Winter dort zu bleiben. Es sollte alsdann von seiner Wahl und von dem Grade von Zufriedenheit abhängen, den er mit dem dasigen Aufenthalte, und der Art von Aufnahme, die er erhalten hätte, haben würde, ob er nach Breßlau zurückkehren oder bey ihnen sein Leben beschließen würde. Denn er ist schon sechszig Jahr. -- Er ist nun entschlossen, die Reise zu thun, ob er gleich ihren Erfolg noch nicht vorhersieht. Seine jetzige Frau wird ihn mit ihrem kleinen Sohne begleiten. Von zwey Töchtern aus der ersten Ehe ist die eine verheyrathet, und kann also ihrem Vater nicht folgen, die andre will zum Beystand ihrer Schwester zurückbleiben. Dieser D. Tralles nun reist auf den Sonnabend ab, -- und reist über Leipzig. -- Was würde ich nicht darum gegeben haben, so einen Gesellschafter zu finden; und wie sehr gütig war nicht seine Anerbietung. -- Wenn ich mitführe, sagte er, so wollte er wechselsweise auf dem Kutschersitze fahren, wenn er keinen andern Platz hätte. Demungeachtet bleibe ich hier, -- verliere einen Freund, den ich noch hatte, und komme zu denen nicht, die ich entbehrte. -- Ich sinne schon die ganze Zeit, seitdem ich diese Reise weiß, auf Mittel, den D. Tralles Ihnen oder Ihrem lieben Gatten vorzustellen. Ich schmeichle mir, Sie würden einen Mann nicht ungern sehen, der erst vor wenig Tagen aus unserm Hause kommt, der uns alle kennt, der unser Freund ist, -- und der es verdient, auch der Ihrige zu seyn. Aber ich gestehe es, ich begreife noch nicht, wie die Sache zu machen ist. Er bleibt nur einen halben Tag und über Nacht in Leipzig. -- Er will Gellerten besuchen, an den ich heute schreibe, und bey dem ich ihn anmelde. -- Er ist ein Anverwandter von ***. Man erwartet ihn in diesem Hause, und man wird ihn ohne Zweifel dahin ziehn. -- Wo mir recht ist, so ist diese ***sche Familie nicht eben im Besitz einer sehr großen Achtung. Ich kenne sie nur vom Parterre aus; aber von da sah mir die Tochter sehr einfältig und eitel -- ihre Mutter stolz und ein bischen verbuhlt aus. -- Zum Glück hat Tralles eine Gabe, die uns allen beyden fehlt, -- sich die Narren ganz gut gefallen zu lassen. Er wird aus der Gesellschaft der vernünftigsten Leute in die Versammlung der Thoren übergehn, ohne von seiner guten Laune etwas einzubüßen. Im Vorbeygehen, -- Sie hätten meine Fehler nicht besser treffen können; -- fast eben dieselben, die mir meine Mutter so oft vorwirft. Sie gesteht mir, daß sie noch so ziemlich mit mir zufrieden ist, wenn ich bey ihr oder bey gewissen Personen bin (und das sind noch dazu sehr wenig), die mir gefallen; aber daß ich der unerträglichste Mensch wäre unter einer Gesellschaft, die mir mißfiele. In der That verliere ich unter Leuten von einer gewissen Art nicht bloß meine Lustigkeit, sondern auch meinen gesunden Verstand; ich denke nicht mehr, ich vegetire nur. -- Aber wieder zu unserm Tralles zurück! Nach dem Plane seiner Reise, den er erst gestern Abend in einer Gesellschaft entwarf, bey der ich gegenwärtig war, wird er erst auf den Sonnabend über acht Tage in Leipzig ankommen. Seine Frau und sein Kind nöthigen ihn, langsamer zu gehen. Bis dahin kann ich Ihnen also noch einmal schreiben. -- Aber nun meine eigne Rückreise zu Ihnen! -- Meine Mutter mag es Ihnen sagen, ob es mir leicht wird, diese aufzuschieben. In der That sehne ich mich zuweilen nach einer einzigen Viertelstunde, die ich mit Ihnen zubringen könnte, -- mit einer solchen Ungeduld, die im Stande wäre, mich zu Ihnen zu führen, wenn unsre Begierden uns Kräfte gäben. -- Aber meine Mutter wünscht meine Gegenwart; sie hält sie zu ihrer Gesundheit auf diesen Winter für nothwendig; sie thut alles, was sie kann, und sie würde noch mehr thun, um den Winter hindurch von einer andern Seite meinem Studiren gewisse Beförderungen zu verschaffen, die ich von der einen verliere. -- Mein Freund hat seine Gedanken recht aus meiner Seele herausgenommen, -- eben dieselben Vorstellungen, fast mit eben den Worten, mit welchen ich sie schon manchmal meiner Mutter gemacht habe. Bücher, Muße, Lehrer, das würde ich hier vielleicht alles haben, -- aber Freunde, die mich aufmuntern, die mich in einer beständigen Bewegung erhalten, deren Seele, mit der meinigen gleich gestimmt, jeder von ihren Gedanken entspräche, und ihnen gleichsam zur Geburt hülfe -- die fehlen mir durchaus. Meine Mutter sehnt sich bald so sehr nach Ihnen, als ich selbst. Ihr Brief hatte sie ganz aufgeheitert. O Freundschaft und kindliche Liebe, deinen geheiligten Banden sey meine ganze Seele gewidmet! -- -- Aber was wäre die Freundschaft ohne Tugend, und was die Tugend ohne Aufopferungen? u. s. w. Achtzehnter Brief. Den 23. September. Ich werde heute einen langen Brief schreiben, das sehe ich voraus. Ich habe wenig Zeit dazu, ich werde ihn also geschwind und schlecht schreiben. Sie werden ihn also nicht lesen können, und ich werde ihn umsonst geschrieben haben. Aber das schadet nichts. Für die Mühe, die es mich kostet, einen Brief an Sie zu schreiben, bin ich schon belohnt, wenn er geschrieben ist. Meine Seele, die sich jeden Tag mit Ihnen, -- und mit Niemanden lieber beschäftigt, -- heftet sich doch niemals so ganz, so lange, so ununterbrochen auf meine Freundin, als während dem ich an sie schreibe. Allen fremden Gedanken, jedem unwillkommenen Besuche ist in dieser Zeit der Zutritt versagt -- und ich bin so völlig mit meiner ganzen Seele bey Ihnen, als ich es war, wenn ich des Abends an Ihrem Fenster (wenn der Mond und die Nachtigall Ihres Nachbars die ruhige Heiterkeit und die harmonischen, aber simpeln Bewegungen unsrer Seele abbildeten) der Freundschaft genoß, -- und einen Augenblick lang, in dem ich die Sorge für die Zukunft und selbst den Wunsch nach derselben vergaß, sagen konnte: +Nun bin ich glücklich!+ Wenn es Ihnen ganz gleichgültig wäre, daß ich nicht nach Leipzig komme, -- so wüßte ich nicht, was mir schwerer seyn würde, als der Winter hier in Breßlau. Die Freundschaft ist, wie ich sehe, auch grausam. Sie will das Recht, den Freund vergnügt und glücklich zu machen, so ganz allein, so ausschließungsweise haben, daß er beynahe darüber murrt, wenn er es ohne sie seyn könnte. Ich habe es immer den Dichtern übel genommen, wenn sie ihre Verliebten so eigennützig machen, daß sie ihre Geliebte mit weniger Schmerz sterben, als in den Armen eines Andern leben und glücklich seyn sehen. -- Aber ich merke nun schon, daß unsre edelsten Neigungen immer so eigennützig seyn müssen. Die Liebe ist eine Leidenschaft. Die Freundschaft ist nur eine Gesinnung. Ihre Wirkungen sind nur in den Graden unterschieden, -- in ihrer Natur eben dieselben. -- Wenn es einen Menschen gäbe, der Ihnen meine Stelle so vollkommen ersetzte (verzeihen Sie mir einen Stolz, den Sie mich gelehrt haben), daß Sie, ohne Wunsch nach meiner Zurückkunft, mich an jedem Orte der Welt gleich gern sähen: diesem Menschen würde ich nicht gut seyn können. -- Ich vermehre nun in meinen Gedanken diese Empfindung bis zu der Stärke, die der Leidenschaft der Liebe proportionirt ist, und ich sehe es ein, daß der Dichter das menschliche Herz besser versteht, als der Philosoph; -- und daß, so göttlich Plato auch seyn mag, Shakspeare doch mehr von der Liebe weiß, als er. Sie haben doch wohl Romeo und Juillet gesehn? Nun wohl! Glauben Sie nicht, daß Juillet ihren Romeo lieber vernichtet, als untreu sehen würde? -- Aber davon genug, und vielleicht schon zu viel, wenn ich es mit dem vergleiche, was ich noch zu sagen habe. Tralles, unser guter Tralles, ist mit seiner Frau und seinem Kinde am Sonnabend fort. -- Aber er hat keinen Brief an Sie mit. Zuerst, weil es hier sogar gefährlich ist, einem Reisenden andre als offne Briefe, oder solche, die er öffnen kann, mitzugeben. Ein neues Edikt setzt auf diese Vervortheilung der Posten mehr als 100 Rthlr. Strafe. Zum zweyten, weil ich meine Absicht, Sie und den D. Tralles zusammen zu bringen, doch nicht würde erreicht haben. Er hätte Ihnen den Brief zugeschickt, oder seine Frau hätte Ihnen Visite gemacht, -- oder Ihr lieber Gatte wäre zu dem D. Tralles gegangen. -- Kurz, ich sehe nicht, wie Sie eigentlich mit ihm in Bekanntschaft gekommen wären. Endlich will er nur über Nacht in Leipzig bleiben. Ich glaube, es wird nichts daraus werden, dem ungeachtet wollte er doch, -- und nach diesem Entschlusse nahm er hier seine Maßregeln. Nun hat er Verwandte in Leipzig, wie Sie schon wissen. Gellert, dem er von vielen Seiten empfohlen ist, wird ihn aufhalten. -- Ludwig ist sein alter Schulfreund und sein Korrespondent. Die Zeit wird also selbst für seine alten Bekanntschaften zu kurz seyn. -- Und doch wollte ich -- ich weiß nicht wie viel dafür geben, wenn Sie ihn sähen, oder Ihr lieber Mann, -- oder wenn er Sie sähe. -- Er wird im blauen Engel wohnen. -- Schon dachte ich, ob Sie ihn vielleicht über eine wirkliche oder erdichtete Krankheit von sich oder Ihrem Kinde zu Rathe ziehen wollten; dieses würde immer für ihn schmeichelhaft, aber doch ein bischen seltsam seyn. Dann dachte ich wieder, ob Ihr Mann nicht den Tag zu Gellerten gehn könnte. -- Alles das dachte ich, und doch bin ich noch nicht auf das gekommen, was mir gefällt und genug thut. -- Der einzige Trost ist, -- er will auf dem Rückwege (denn zurückkommen wird er gewiß) länger in Leipzig verweilen, -- und alsdenn bin ich entweder schon bey Ihnen, oder ich schreibe durch Sie an Tralles. -- Von Kaufleuten, die nach Leipzig gingen (Kaufleute meine ich, nicht Krämer), weiß ich keinen, als Herrn ****, und der geht noch dazu mit seiner Frau. Sie sind beyde -- eben nicht Freunde -- aber Bekannte von uns. Und die Frau ist noch dazu, -- oder war wenigstens als Jungfer -- eines unsrer schönsten Gesichter. Der Mann ist wohlhabend, und hat den besten Garten um B***. Für die Meisten ist dies Verdienst genug, seine Bekanntschaft sehr angelegentlich zu suchen. Für Sie und mich ist es wenig. Ueberdieß geht er schon morgen ab. Mein Brief also, den ich heute abschicke, kommt eher an, als er, -- und was brauche ich erst auf Gelegenheiten zu warten, an Sie zu schreiben, so lange die Posten richtig gehen? Sie verlangen von mir mein Tagebuch? -- Nichts in der Welt wünschte ich mehr, als daß Sie alle meine Handlungen wüßten, meine ganze Aufführung unter jeden Umständen, bey jeglicher Veranlassung sähen, -- daß Sie die Aufseherin meines Herzens seyn könnten, und durch Ihren gütigen Beyfall das Wahre und das Gute bestätigten, -- und durch Ihren liebreichen Tadel meine Vorurtheile und meine Schwachheiten besiegen hülfen. -- Aber wie kann eine kurze, unvollständige, trockne, oft Ihnen vielleicht langweilige Erzählung diese Absichten erreichen? -- Dem ungeachtet sollen Sie so viel wissen, als ich zu sagen vermag. Keinen treuern Geschichtschreiber sollten Sie je gesehen haben, als ich es von mir selbst seyn wollte. Nur vergeßlicher, mangelhafter.... Ich weiß nun selbst nicht mehr, was ich mir noch alles für Schimpfnamen geben wollte. Man rufte mich ab, -- und nun, in den zwey Minuten, die mir noch übrig sind, habe ich was bessers zu thun, als auf mich zu schelten. Meine Lebensart also zuerst, -- wäre noch so ziemlich, wenn ich weniger faul, weniger zu einer anhaltenden Arbeit ungeschickt, weniger unruhig, und wegen meiner künftigen Aussichten ein bischen scharfsichtiger wäre. Ich stehe spät auf, -- ob ich mir es gleich am Abende alle Mal vornehme, früh aufzustehn. -- Die Theestunde bleibt immer noch die goldne Stunde des Tages. Ich, meine Mutter und meine Muhme, ein jedes durch den Schlaf erfrischt, und durch keine Arbeit noch entkräftet, bringt seine erste noch nicht vernutzte Munterkeit in die Gesellschaft. Während des Thees lese ich vor. Neulich hatten wir den Hausvater und den natürlichen Sohn, -- jetzo ist es der Hypochondrist. Der Schriftsteller wird bewundert, -- und der Vorleser bekommt auch etwas von dem Dank, oder nimmt sich wenigstens selbst seinen Theil davon, ohne erst daran erinnert zu werden. Der übrige Morgen wäre nun dazu, etwas zu arbeiten, -- wenn ich jetzt oft zum Arbeiten aufgelegt wäre. Wenn ich es bin, so arbeite ich jetzo für Herrn Weisen, in seiner Bibliothek. Essen und Kaffee ist wieder die gesellschaftliche Stunde. Ich spiele auf dem Klaviere, ich liege im Fenster, ich schwatze, ich höre, ich lese vor, eins ums andre, manchmal alles zugleich, zuweilen nichts von allem. Zwey oder drey Stunden sind auf die Art leicht hinweg geschwärmt. Sonntags sind öfter Freunde bey uns, als andre Tage. Den vergangenen machte ich eine neue Bekanntschaft. Der junge Herr v. **** besuchte mich mit seinem Schwager, dem H*** ***. Der erste war von seiner Familie zum Kaufmann bestimmt, von seinen Neigungen zum Studiren; und seine Talente sind wenigstens nicht wider diese Neigung. Er hat großes Geld, -- schafft sich also eine prächtige Bibliothek, liest viel, hat prächtige Instrumente und Musikalien, spielt gut auf dem Flügel, und macht seine Person, die von Natur nicht sonderlich einnehmend ist, durch seine Mühe und durch seinen Fleiß wenigstens hochachtungswürdig. -- Ordentlicher Weise gehe ich des Abends von fünf Uhr an spatzieren. -- Ganz allein; und welche Gesellschaft könnte mir auch angenehmer seyn, als die, die ich mir alsdann aus allen vier Gegenden der Welt zusammen hole? Shakspeare sagt: Die Welt ist nur eine Werkeltagswelt, wo alle Sachen, gar nicht so, wie wir wünschen, und wie wir es einrichten würden, sondern ihren gewöhnlichen alltäglichen Lauf kommen, sie mögen nun dadurch unsern Wünschen in die Queere kommen, oder nicht. -- Um also diesem Mangel abzuhelfen, schaffe ich mir alsdann auf meine Hand eine andre, eine Feyertagswelt. In dieser Welt ist Ihr Mann kein Advokat mehr, seine Arbeiten unterhalten ihn nur, aber sie nehmen ihn nicht ganz ein, -- er lebt für den Staat nützlich, aber doch immer für seine Gattin mehr, als für seine Klienten, -- in dieser Welt sind Ihre Stunden alle heiter, alle voll Hoffnung, daß die künftige Stunde die gegenwärtige an Glückseligkeit noch übertreffen werde. In dieser Welt schreibt mein guter Reiz keine Register mehr; endlich in dieser bin ich bey Ihnen, -- ich bin Ihr Bruder; meine Mutter ist Ihre Mutter, wir machen alle nur eine Familie aus. Aber nun muß ich Sie nur schon wieder sicher zu unsrer Welt zurückbringen. -- Denken Sie nur, ein ganz neuer Auftritt. Heute früh, eben in dem Augenblicke, da ich Ihren Brief schreiben will, schreibt der Kriegsrath von Klöber, der ehemalige Hofmeister des ersten Sohns vom Minister ****, mir einen französischen Brief. -- Der jüngste Sohn des Ministers soll jetzo nach Halle gehn. -- Er schlägt mir vor, ich sollte die Stelle als Hofmeister bey ihm annehmen. Zweyhundert Thaler Gehalt; ein Engagement auf zwey Jahre; Hoffnung zu Reisen, und die Versicherung befördert zu werden. -- Was meinen Sie, daß ich gethan habe? Ich mußte noch denselben Morgen antworten. Die Sache war dringend. Ich schicke Ihnen meine Antwort mit. Leben Sie wohl u. s. w. Neunzehnter Brief. Den 30. September. Nach Ihrem Briefe zu urtheilen, hatten Sie meinen Brief noch nicht empfangen oder noch nicht gelesen, als Sie den Ihrigen schrieben. In der That habe ich es mir schon vorgeworfen, daß meine Briefe immer so lang und so übel geschrieben sind. Ich würde es Ihnen für übel halten, wenn Sie sich die Mühe nehmen wollten, sie bis ans Ende zu entziffern. Um es Ihnen also etwas leichter zu machen, und Ihnen doch dabey nicht ganz unbekannt zu werden, werde ich Ihnen von nun an nichts als Geschichte schreiben. Bringt der Himmel uns wieder zusammen, so werden wir Zeit genug haben, Betrachtungen anzustellen. -- Wenn Sie also nun jetzo meinen vorigen Brief gelesen hätten, so wüßten Sie, daß es noch nicht so ganz gewiß ist, ob ich in Breßlau diesen Winter bleibe. Herr v. Klöber, bey dem ich gestern wieder gewesen bin, schreibt heute noch ein Mal an den Minister; und die Antwort, die wir künftigen Sonntag, erwarten, wird die Sache entscheiden. -- Klöber hatte, wie er mir sagte, nicht sowohl zur Absicht, mir selbst diese Hofmeisterstelle vorzuschlagen, als durch mich Jemanden kennen zu lernen, der dazu tüchtig wäre. -- Er vermuthete, daß ich schon andre gewissere Aussichten hätte, und daß ich das Reisen zu einer nothwendigen Bedingung machen würde, das doch bey dem Sohne des Ministers noch ungewiß wäre. -- Ich sagte ihm, daß der Entschluß zu meiner künftigen Lebensart ziemlich fest, aber der Weg, den ich dazu wählen wollte, noch gar nicht so bestimmt wäre; daß meine größte Sorge sey, der Charakter des jungen Herrn oder seine Denkungsart könne vielleicht nicht genug mit der meinigen übereinstimmen, um die Art von Freundschaft und Vertraulichkeit zu errichten, die zu einer glücklichen Ausführung meines Geschäfts unumgänglich wäre; daß endlich mir der Aufenthalt auf einer Akademie noch weit lieber seyn würde, wenn ich während desselben schon Vorbereitungen und Uebungen auf meine künftige Lebensart anstellen könnte. Bey allen diesen meinen Antworten müssen Sie daran denken, daß ich es mit dem Minister von *** zu thun hatte, dessen Gewogenheit mir in jeder Verfassung von Gewicht seyn würde. -- Ich will Ihnen nicht erst sagen, was mir Klöber antwortete. Er war außerordentlich gütig in der Beurtheilung meiner Fähigkeit zu einem solchen Posten, -- er erzählte mir sein eigen Beispiel, -- endlich versprach er, noch ein Mal an den Minister zu schreiben, und das, was ich wünschte, ihm vorzutragen. -- Wenn Sie diesen v. Klöber kennten, so würden sie einen rechtschaffenen Mann, einen Mann von Grundsätzen, von Geschmack und von einer großen Belesenheit an ihm finden. Er ist sehr lange gereiset. Er spricht alle drey moderne Sprachen gut. Er kennt die Litteratur von jeder; aber für die Engländer ist er enthusiastisch. Sie sollten ihn von Shakspeare reden hören! Aber was machen Sie denn, beste beste Freundin? warum lassen Sie mir denn nichts von diesen Ihren Geschäften, von Ihren häuslichen Unruhen, von Ihren Bekümmernissen, von Ihren Vergnügen wissen? Warum wollen Sie mir denn so ganz fremd werden? -- Warum mit mir eine so allgemeine Sprache, die dem Kompliment so ähnlich sieht? Sie sagen mir wohl, daß Sie mir noch gut seyn, -- aber bald möchte ich daran zweifeln, da Sie mich so wenig Ihres Vertrauens würdigen. -- Wie wohl, ich bin heute ohne dieß unruhig. Vielleicht giebt mein Gesicht den Gegenständen die finstre Farbe, in der sie mir erscheinen. Ich habe endlich eine lange, verdrießliche Arbeit geendigt. Ich schicke heute ein ganzes Packt an Herrn Weisen. Von Gellerten habe ich Briefe, die mich ermahnen, hier zu bleiben. -- Haben Sie nichts von Tralles gesehen? -- Leben Sie wohl u. s. w. Zwanzigster Brief. Recht! liebe Freundin, von den Eindrücken am Morgen hängt das Vergnügen oder der Verdruß des ganzen Tages ab. Ich folge Ihren Regeln und ahme Ihrem Beispiele nach, -- und der erste meiner Gedanken ist heute für Sie. Warum kann ich doch den Gang dieses Briefes nicht beschleunigen, oder warum habe ich Ihnen nicht eher geschrieben, um Ihnen geschwind genug zu sagen, wie richtig Sie gemuthmaßt haben. Ja, ja, tausend Mal hat es mich gereuet, daß ich diesen Brief geschrieben hatte. Nicht, als wenn es nicht einerley Empfindungen der Freundschaft wären, die mir ihn damals eingaben, und die jetzt machen, daß er mich reut. Aber diese Empfindungen hatten sich den Tag so wunderlich mit einer Menge verdrießlicher Vorstellungen vermischt, daß Sie selbst diese Gestalt annahmen und unter einer so fremden Miene beynahe unkenntlich wurden. -- Ich hasse argwöhnische Freunde; ihre Zärtlichkeit besteht bloß in dem Verdrusse, den sie leiden oder den sie verursachen. Aber dem ungeachtet -- eine gewisse Art von Besorgniß begleitet die Zärtlichkeit, und es kann Gelegenheiten geben, wo sie wirklich in Argwohn ausbricht. -- So fürchtet Niemand die Verachtung mehr, als der die Hochachtung wünscht, und der beständige Verdacht, gering geschätzt zu werden, ist ein sicheres Zeichen des Stolzes. „Ja, dachte ich, sie ist wohl noch meine Freundin, aber nicht mehr so zärtlich, so feurig, als ehemals; sie nimmt nicht mehr an meinen Angelegenheiten Theil; sie läßt mich nichts mehr von den ihrigen wissen. -- Wer weiß, sind nicht diese gütigen Gesinnungen, von denen sie mich versichert, ein bloßer zurückgebliebener Schimmer von dem Feuer ehemaliger Empfindungen? Und warum, thörichter Mensch, warum sollte sie dich auch mit dem hohen Grade von Freundschaft lieben? Welche Verdienste hast du um sie, was für Dienste hast du ihr geleistet, was für Beweise von deiner Freundschaft ihr gegeben? Nein, nein! sie kann nicht ohne Ursache lieben; die Natur will, daß Empfindungen, die auf einer bloßen Verblendung beruhten, mit ihr zugleich aufhören. Die Einbildung schmückt zuweilen einen Gegenstand weit über seinen Werth aus, und leiht ihm alle die schönen glänzenden Farben, durch die er uns gefällt; -- aber dieser Schmuck fällt ab, die Farben verlöschen und der Verstand kommt zuletzt und zerstört die ganze Bezauberung. Ja! Abwesenheit und neue Eindrücke haben ihre Wirkung gethan, -- und vielleicht, was ich, was sie selbst noch für Zärtlichkeit hält, ist nichts als die Erinnerung, daß sie ehemals zärtlich gegen mich gewesen ist.“ Stellen Sie sich nun meine Seele vor, die durch finstre Irrgänge von melancholischen Betrachtungen bis auf diesen Punkt gekommen war, und dann bewundern Sie die Gelassenheit, mit der ich meinen letzten Brief schrieb. -- Die Seele bleibt nicht lange in einem Zustande des Mißvergnügens, den sie sich selbst verursacht hat. Die Einbildungskraft nimmt bald wieder einen andern Weg; die Vernunft kehrt sich die lichtere Seite des Gegenstandes zu, -- und dann wundert man sich über die feste Gewißheit, mit der man vor wenig Augenblicken Sachen glaubte, die man jetzt für unmöglich hält. „Nein, -- so fing meine Seele an, sich wieder zu erheben -- nein, die Freundschaft kann in einer edlen Seele niemals ohne Grund entstehen; -- und wenn sie einmal die Vernunft gebilligt hat -- kann sie alsdann in derselben erlöschen? Diese falsche Demuth, mit der du dich selbst erniedrigst, würde das Urtheil und die Wahl deiner Freundin verunehren. Ja, du hast Verdienste um sie: die Begierde, ihr alle mögliche Dienste zu leisten; ein Herz, welches sich fähig fühlt, um ihretwillen große Schwierigkeiten zu überwinden; ein Gefühl, welches mit dem ihrigen übereinstimmend und darauf gerichtet ist, sie, und wenn es möglich ist, mit ihr gemeinschaftlich alle Menschen glücklich zu machen; -- dieß sind die einzigen Verdienste, die die Freundschaft verlangt, und mit denen sie sich beruhigt. -- Und nun, dieses festgesetzt, warum sollte dich ein Brief beunruhigen, der an sich voll von Gütigkeit, -- nur deswegen dir nicht genug thut, weil er deinen Erwartungen nicht entspricht? Du erwartetest von ihr Rath, Beyfall, Ermunterung; du erhieltest dafür nur Versicherungen ihrer Freundschaft und ihres Wunsches, dich wieder zu sehn. Würden diese dich nicht in einer jeden andern Gemüthsverfassung, nur nicht in der, in welcher du warst, zufrieden gestellt haben? -- Und du hast ihr einen Brief schreiben können, der, wenn sie wirklich das wäre, was du argwöhnst, sie unwillig machen; und wenn sie das ist, was du wünschest, sie kränken muß.“ -- Wie hätte ich in diesem Augenblicke den mit Vergnügen empfangen, der mir diesen Brief wieder gebracht hätte! -- Sehen Sie, so bin ich gestraft worden, noch ehe Sie es wünschen konnten, daß ich gestraft würde. -- Aber da ich nicht das Ganze rechtfertigen kann, so muß ich wenigstens einen Theil entschuldigen, -- wenigstens den Theil, wo ich wünschte, mehr von Ihren Umständen zu wissen. -- In der That ist das, was ich dabey dachte, was ich mir noch jetzo dabey denke, nur dunkel, und es wird mir schwer, es auszudrücken, -- aber doch empfinde ich, daß es etwas Wirkliches ist. -- Sehen Sie, mitten unter diesen angenehmen Kreis von Vergnügen und Beschäftigungen, die Ihre unschuldigen Tage ausfüllen, stehlen sich nicht oft kleine Gelegenheiten und Ursachen zur Bekümmerniß, zur Sorge, zur Betrübniß, zur Freude, zur Hoffnung? Kleine vorübergehende Wolken, die unsern Himmel auf eine kurze Zeit verfinstern; unvorhergesehene kleine Stürme, die uns von dem ordentlichen Laufe unsers Lebens auf einige Augenblicke verschlagen; -- dann wieder auf einmal ein lächelndes, schönes Ufer, eine unerwartete Aussicht, die die Krümmung des Stroms, auf dem wir fuhren, uns verborgen gehalten hatte. -- So sehe ich Sie vielleicht den einen Tag, bey einer kleinen Blässe, die Sie auf dem Gesichte Ihrer Wilhelmine bemerken, oder bey einer kleinen Verminderung ihrer gewöhnlichen Munterkeit, -- in eine ganze Reihe von sorgsamen und traurigen Betrachtungen gerathen, die selbst die Vergnügungen dieses Tages mit einem gewissen Nebel überziehn; und dann schweben dunkle Bilder, wie die eines schwermüthigen Traums, auf dem Grunde der Seele. Den andern empfing Sie vielleicht Ihre liebe Tochter mit einem freudigen Lächeln, vielleicht erwiederte sie auf eine mehr als gewöhnliche Art Ihre mütterliche Zärtlichkeit, und zeigte Ihnen von fern die Belohnungen Ihrer Sorgfalt, in den süßen Ergießungen einer kindlichen Dankbarkeit; vielleicht blickten durch ihre Bewegungen oder durch ihre noch unartikulirte Sprache die ersten Strahlen der aufgehenden Vernunft; -- und dieser Eindruck stimmte die Seele für diesen Tag zu lauter angenehmen Bewegungen; -- dann wieder eine zärtlichere Liebkosung von Ihrem Gemahl; ein unerwartetes Merkmal von der Hochachtung eines Freundes; -- eine auffallende und mit Ihren Ideen recht übereinstimmende Betrachtung eines Ihrer Schriftsteller; eine glücklich ausgeführte Arbeit, -- ein vollbrachtes Werk des Wohlthuns und der Menschenliebe: -- auf der andern Seite eine kaltsinnigere oder eine zerstreutere Miene auf dem Gesichte Ihres Mannes; eine kleine Uneinigkeit in Ihren Meinungen; selbst das Mißvergnügen über eine Handlung, die man wünschte ändern zu können, weil sie unsern Absichten und unserm Plane nicht vollkommen gemäß gewesen ist; -- alles das ist es, was ich oft von Ihnen zu wissen wünschte, -- und wobey sich mein ganzes Herz bewegen würde, wenn ich es von Ihnen hörte. -- O Freundschaft, wenn deine geheiligten Bande zwey tugendhafte Seelen so mit einander verbinden, daß alle Empfindungen und Gedanken der einen in die andre übergehen, -- dann verdoppeln sich ihre Kräfte, Gutes zu thun; ihre tugendhaften Regungen werden zu Entschlüssen; ihre Fehler werden ihre Lehrer; und jede fliegt mit der zusammengesetzten Kraft und Geschwindigkeit von beyden ihrem großen Ziele zu. Mein Herz ist zu voll. Ich kann nicht mehr schreiben. -- Ich habe Zeit gehabt, mich von meinem Enthusiasmus wieder zu erholen. Die älteste Tochter des D. Tralles ist den Augenblick bey uns gewesen, und hat einen Brief von ihm aus Leipzig gebracht. Er hat bey O... gewohnt. Professor Gellert hat ihn mit einer ungemeinen Freundschaft aufgenommen; er hat ihm selbst wieder in dem O...schen Hause die Gegenvisite gemacht. D. Ludwig hat seinen alten Freund erkannt, -- und alle haben sich um die Wette bestrebt, ihm seinen kurzen Aufenthalt angenehm zu machen. Er ist mit Leipzig und seinen Einwohnern so wohl zufrieden, daß er ihnen beynahe auf unsre Unkosten Lobsprüche macht, und sie ehrt, indem er seine Breßlauischen Freunde herunter setzt. Mir ist bey dieser Begebenheit vorzüglich lieb, daß er mit der Aufnahme Gellerts vergnügt gewesen ist. Ich habe dadurch ein kleines Verdienst um Tralles, und einen Beweis von der Gewogenheit Gellerts. Aber daß ich von Klöber noch keine Antwort habe, daß ich noch immer in derselben Ungewißheit bin, in der ich meinen letzten Brief schrieb; daß ich gestern, da nach Klöbers Vermuthung die entscheidende Antwort vom Minister (der auf seinen Gütern ist) kommen sollte, gar nichts, weder von ihm noch dem Minister, gehört habe: alles das ist mir höchst verdrießlich, und bringt meine Seele in eine gewisse ungeduldige Bewegung, die sie zu wenig Sachen geschickt läßt. -- Ich erhalte aber vielleicht noch diese Woche die Antwort -- und dann will ich -- nicht zur Strafe -- sondern zum Ersatz der unruhigen Stunden, die mich Ihr und mein neulicher Brief gekostet hat, Ihnen auf den Sonnabend schreiben. Alsdann sollen Sie zugleich etwas von meiner jetzigen Lektüre hören. Denken Sie nur, ich lese die ~Fairy Queen~ von Spencer, einem Dichter, ohne den Milton vielleicht nicht gewesen seyn würde. -- Ich habe nicht geglaubt, ihn in Breßlau zu bekommen; aber es sind einige sehr vollständige Englische Bibliotheken hier. Leben Sie wohl u. s. w. Ein und zwanzigster Brief. Den 4. Oktober. So wenig steht es oft in unsrer Gewalt, unsre Wünsche, oder auch unsre Versprechen zu erfüllen! Dieses kurzsichtige Ding, die Seele, macht immer Entwürfe, ohne die Hindernisse eher zu bemerken, bis sie von ihnen gestört wird; dann springt sie plötzlich auf, sieht um sich herum nach Hülfsmitteln, findet keine, und überläßt sich endlich einem trägen und unthätigen Mißvergnügen. Ungefähr dieß ist die Geschichte des Briefes, den ich an Sie schreiben wollte, und den ich nicht geschrieben habe. Danken Sie es meiner Bescheidenheit, daß ich Ihnen die Erzählung aller der kleinen Störungen und Geschäfte erspare, die jede für sich nichtswürdig, doch zusammen genommen zum Herrn meiner ganzen Zeit wurden. Ich werde mich nun hüten, Ihnen so bald wieder einen Brief außer den gewöhnlichen zu versprechen. Denn nichts ist verdrießlicher, als eine erregte Erwartung nicht befriedigen. Aber ich werde desto aufmerksamer seyn, die Augenblicke ausfindig zu machen, wo ich, ohne mich vorher angemeldet zu haben, bey meiner Freundin einen unerwarteten Besuch machen kann. Nun kommt Ihr Brief. -- O Sie haben also auf den meinigen gewartet! Jetzt komme ich mir nicht bloß unglücklich, sondern strafbar vor. Ich weiß, wie mir es seyn würde, hätten Sie mir ein ähnliches Versprechen gethan, ohne es zu halten. Lassen Sie mich geschwind von dieser unangenehmen Erinnerung wegeilen. Der Himmel wird schon heiter, der Weg gut und die Luft kalt, um Pferd und Postillion hurtig zu machen, und meinen Brief so geschwind als möglich zu Ihnen zu bringen. Außerdem muß ich Ihnen sagen, daß ich jetzo nicht bloß ruhiger, sondern auch vergnügter bin, als seit einigen Wochen. Vorgestern erhielt ich einen Brief von Klöber. Die Sache mag wohl ungefähr so seyn, wie ich vermuthete. Unterdessen weiß Klöber so wenig davon, als ich. So viel hat er nur durch die dritte Hand gehört, daß in dem Plane des jungen Herrn Veränderungen gemacht wären, daß er nach Frankfurt an der Oder gehen sollte, wo ihn schon sein Gouverneur erwartete. Dieser Brief bestätigt mein Urtheil über das Herz des Herrn von Klöber, denn in Ansehung seines Verstandes ist es ohnedieß schon ausgemacht. Mich dünkt, dieser Mann ist zu einer wahren Freundschaft gemacht. Er ist mit den Großen umgegangen, ohne ihre Denkungsart anzunehmen, und ehrt die Rechte der Menschlichkeit mehr, als alle die Unterscheidungen, die der Stolz oder die Sklaverey eingeführt haben. Er liebt die Engländer, und sein Charakter nähert sich wirklich dem ihrigen. Ich bin zufrieden, daß ich jetzo einen würdigen Mann mehr kenne, und seine Freundschaft ist für mich eine größere Akquisition, als eines Ministers Gnade. -- -- Das ist also die Ursache meiner Zufriedenheit. Aber das ist doch noch nicht Vergnügen. -- So wissen Sie denn also, daß der Himmel will, Sie sollen in die meisten meiner Vergnügen einen gewissen stillen aber wirksamen Einfluß haben. Eine gewisse Beziehung auf Sie macht eine Sache angenehm, die mir sonst gleichgültig wäre, und vermehrt den Werth einer andern. -- Vor zwey Tagen tritt Herr von Grischanowsky, ein Russischer Kavalier, der, mit einem Griechischen Popen zum Hofmeister, in Leipzig studirte, in mein Zimmer. Sie müssen ihn ohne Zweifel wenigstens vom Fenster aus gekannt haben. Ich bin zuweilen mit ihm in Gesellschaft gewesen; und da mir Ebert seine Lernbegierde und seinen Fleiß rühmte, und an ihm selbst mir seine natürliche Offenherzigkeit gefiel, so war mir sein Umgang nicht ganz unangenehm, ob gleich zu einem guten Gesellschafter sein Kopf noch zu leer und seine Zunge zu ungebildet ist. -- Diesen ruft nun sein Vater, Gouverneur der Russischen Ukräne, zurück. Er reist hier durch, und wird sich acht Tage hier aufhalten. Ein Bekannter also, der vor wenig Tagen erst aus Leipzig kommt, der mit Ihnen auf derselben Straße gewohnt hat, der Sie vielleicht gesehen hat, ohne Sie zu kennen; der außerdem ein Schüler und ein Freund meines guten Eberts ist; ein solcher Mensch, wenn er nur halb so gut wäre, wie der Herr von Grischanowsky, muß mir ohne Zweifel sehr willkommen seyn. Er brachte mir außerdem noch einen Brief von Ebert, worin dieser mich bittet, seinem Freunde den Aufenthalt hier, so viel ich könnte, angenehm zu machen. Ich habe nun nach meiner Art Anstalten dazu gemacht. Heute Nachmittag kommt er zu mir, und da er die Flöte recht hübsch spielt, so werden wir zusammen ein kleines Duett machen. Nach drey Uhr führe ich ihn auf die beste unsrer Bibliotheken, und morgen zu Mittag ist meine Mutter auf mein Verlangen so gütig gewesen, und hat eine kleine Gesellschaft zum Essen gebeten, die sich ungefähr zur Gesellschaft des jungen Herrn und seines Hofmeisters schicken wird. Zum Glück ist unter meinen Verwandten ein Mann, der ehemals in Russischen Diensten als Officier gestanden hat, der bis zu den äußersten Gränzen des Russischen Reichs gegen China, den Nordpol und die Türkey gekommen ist, der selbst Russisch spricht, und eine große Kenntniß von diesem Reiche und seinen Einwohnern, und also natürlicher Weise (weil wir doch das, was wir uns die Mühe gegeben haben, zu untersuchen, auch unfehlbar lieben) auch viel Neigung für sie hat. Er ist jetzo Bau-Direktor von unsrer Stadt, ein Mann von einer vollkommenen Kenntniß seiner Wissenschaft, von einer sehr guten Einsicht in die Mathematik, und von einer ausgebreiteten Erfahrung. Diesen werde ich zur Gesellschaft des jungen Herrn bestimmen. Für den Popen ist ein hiesiger Geistlicher, Herr ***, der ein recht guter Gesellschafter seyn würde, wenn er seinen Kanzelton ablegen könnte. Wenigstens hat er doch Neubegierde genug, sich von einem Fremden recht viel erzählen zu lassen; -- und das ist immer schon ein großes Verdienst. -- Den Nachmittag wollen wir alsdann, wenn das Wetter günstig ist, in einem Garten zubringen, und dann des Abends wieder ein kleines Koncert machen. Kleinigkeiten von der Art würde ich sonst an keinen andern Menschen schreiben. Aber weil wir doch in so viel Stücken ähnlich denken, so werden wir vielleicht auch noch darin übereinstimmen, daß diese kleinen Umstände uns am meisten in den Stand setzen, bey unserm Freunde gegenwärtig zu seyn; und das ist immer für ein Herz, wie das unsrige, wichtig. Noch ist ein andrer von meinen Bekannten aus Leipzig, und noch dazu mein Landsmann, obgleich aus dem entferntesten Winkel von Schlesien, Herr von P****, angekommen. Er hat nach mir gefragt, und hat mich noch nicht gefunden. Auch ich muß ihn sprechen, um alle Gelegenheit zu nutzen, mich an die vergangene Zeit zu erinnern. Diese Besuche nehmen mir einen großen Theil meiner Zeit weg, ob ich gleich außerdem nicht so viel davon übrig habe. Von zehn bis zwölf habe ich meine Vorlesungen mit dem Herrn v. K*** angefangen. Eine Stunde ist für die Philosophie, die zweyte für die Römer und Griechen. Ich werde Ihnen künftig einmal meinen Plan schreiben, nach dem ich das Studium der Philosophie einrichten würde, wenn ich ganz Herr von der Einrichtung der Erziehung eines jungen Menschen wäre. -- Jetzo muß ich auf Ihren Brief kommen. Daß Weise an mich gedacht und von mir vortheilhaft gesprochen hat, ist mir lieb. Aber daß er nicht schreibt, ist mir unbegreiflich. Ich habe ihm vor ungefähr 5 Wochen einige Beyträge, die er selbst in vielen Briefen so gütig war, von mir zu verlangen, geschickt. Ich habe ihm nach der Zeit noch ein Mal geschrieben, nachdem ich seine Lieder durchgelesen hatte. Auch dieser Brief ist schon wieder vierzehn Tage fort, und noch auf keinen eine Antwort. In dieser Ungewißheit hat mich Ihre kurze Nachricht wirklich getröstet; besonders da unser Reiz, den ich bat, noch an dem Tage zu Weisen zu gehn, und mir von ihm Nachricht zu geben, Hindernisse muß gefunden haben, meine Bitte zu erfüllen. Sagen Sie es doch unserm Freunde im Vertrauen, daß der Entwurf unsrer Geschäfte nicht richtig gemacht ist, wenn gar keine Lücken für unsre Freunde darin sind. Sie nur, meine geliebte Freundin, Sie allein ersetzen mir den Verlust, den mir die Arbeitsamkeit oder die Zerstreuung meiner übrigen Freunde verursacht. Dank sey es der Liebe, die durch Ihre heftigen Erschütterungen Ihrer Seele zuerst die Weiche, die Empfindlichkeit und die schnelle Beweglichkeit gegeben hat, die sie jetzt so sehr zur Freundschaft fähig macht. Sie wollen, ich soll über die Liebe philosophiren. Ich wüßte nicht leicht einen Gegenstand, der reicher und zugleich einnehmender wäre. Aber heute sollen Sie anstatt meiner Philosophie nur Einen Vers aus dem ältesten Englischen Dichter, dem Spencer, bekommen, der es werth ist, daß Sie ihn kennen lernen. Sein Werk ist eine Ariostische Epopee; noch unordentlicher, wenn es seyn kann. Aber einzelne Stellen sind ausnehmend schön. Sein Werk besteht aus sieben Büchern, wovon jedes eine gewisse Tugend unter einer Reihe von allegorischen Rittergeschichten vorstellt. So fängt er das dritte Buch an, welches die Keuschheit zum Gegenstande hat: ~Most sacred fire, that burnest mightily In living breasts, ykindled first above, Amongst th’ eternal spheres, and lamping sky, And thence pour’d into men, which men call Love; Not that same, which doth base affections move In brutish minds, and filthy lust inflame; But that sweet fit, that doth true beauty love, And chooseth vertue for his dearest dame, Whence spring all noble deeds, and never-dying fame.~ II. ~Well did antiquity a God thee deem, That over mortal minds hast so great might, To order them, as best to thee doth seem, And all their actions to direct aright etc.~ Von diesem Gedichte, von der Philosophie der Liebe und von meiner jetzigen Lektüre werden meine nächsten Briefe handeln, wofern Sie mit diesen Materien zufrieden sind. Lessings Dramaturgie werden Sie ohne Zweifel schon gelesen haben. Außerdem müßten Sie nicht einen Augenblick anstehen; nur müßten Sie suchen, die Stücke, die er beurtheilt, kurz zuvor durchzulesen u. s. w. Zwei und zwanzigster Brief. Breßlau, den 14. Oktober. Wie haben Sie es über Ihr freundschaftliches Herz bringen können, mich heute ohne Briefe zu lassen, da Sie es empfinden mußten, daß ich eines neuen Zeugnisses Ihrer Freundschaft jetzo am meisten bedürfte? Aber es ist nun einmal beschlossen, daß ich diese Woche in nichts ruhig werden soll. Weiter wäre nichts nöthig, um mich auf diese ganze Woche unglücklich zu machen, als daß sich in dem Innersten meiner Seele ein kleiner Argwohn erhübe, und mich überredete, Sie wären unwillig, oder welches mir noch weit unerträglicher wäre, gleichgültig. -- Denn daß Sie oder einer von Ihren lieben Theuern krank seyn sollten, daran kann ich gar nicht einmal denken. -- Aber fürchten Sie nichts. Ich arbeite aus allen Kräften, alle Art von Argwohn bey mir zu zerstören, oder ihm zuvor zu kommen. Außerdem, daß er unsern Freund beleidigt, und uns kränkt, ist er noch eine gewisse Folge eines schwachen Geistes. Ich setze nämlich zum Voraus (und ich bilde mir ein, daß das nichts ist, als was ausgemacht ist), daß es Stärke des Geistes sey, eine einmal durch Gründe erlangte Ueberzeugung, auch ohne immer neue und wiederholte Beweise, in ihrer ersten Zuverlässigkeit zu erhalten, und sie gegen die Angriffe, die die bloße Einbildungskraft auf sie thut, in Sicherheit zu stellen. So sehe ich manche Leute an der Religion, oder an der fortdauernden Existenz unsrer Seele zweifeln, nicht weil sie die Gründe niemals erkannt, oder falsch gefunden hätten, sondern weil sie zu schwach sind, vergangene Betrachtungen sich wieder gegenwärtig zu machen, und weil das Bild von einer gewissen Möglichkeit, daß die Sache anders seyn könnte, über ehemals gemachte Schlüsse die Oberhand hat. -- Wie? -- werde ich also zu mir selbst sagen, wenn der Anfall von Argwohn heftig und gefährlich ist -- sollte mich dieser Brief erst lehren, daß sie meine Freundin ist? Oder wenn dieses auch ohne ihn schon ausgemacht war, kann mir alsdenn sein Ausbleiben mehr rauben, als ich durch seinen Empfang würde bekommen haben? Ich würde wissen, was sie macht, wie sie meinen Brief aufgenommen, ob sie mir vergeben hat. Das ist es also, was ich nicht weiß; und ob es gleich immer unangenehm ist, sich solche Fragen nicht eher als in vier Tagen beantworten zu können, so ist es doch immer nur ein kleiner Aufschub. -- Und endlich, konnte nicht mein feindlicher Dämon ihr eben solche Hindernisse in den Weg gelegt haben, als ich selbst hatte, da ich am Sonnabend schreiben wollte? Würde ich wünschen, daß sie das Ausbleiben meines versprochenen Briefes einer andern Ursache als der Unmöglichkeit zuschriebe, ihn zu schreiben? -- Ich will Ihnen diese Hindernisse erzählen, zuerst um mich zu zerstreuen, und mich also gegen einen Feind zu sichern, der aller meiner Entschließungen ungeachtet mich leicht überfallen könnte, wenn ich unverwandt den ersten Gegenstand ansähe; und zum andern, weil sie beynahe den wichtigsten Theil meiner Geschichte auf diese Woche ausmachen. Eben da ich im Begriff war, mich zum Schreiben zu setzen, kommt der Bediente vom Herrn von Klöber, und bittet mich, in einer halben Stunde zu ihm zu kommen. Es war Vormittags nach zehn. Ich ziehe mich in aller Geschwindigkeit an, und gehe. -- Hören Sie, sagte er, indem er mich empfing, der Minister ist gestern Abends unvermuthet angekommen, und ich soll Sie jetzo den Augenblick zu ihm führen. -- Diese Nachricht war mir nicht ganz unerwartet; denn da der Minister nicht antwortete, so wußte ich dieß keiner andern Ursache zuzuschreiben, als daß er selbst bald von seinen Gütern, wo er sich aufhielt, herein kommen wollte. Beynahe aber wäre es mir lieber gewesen, ihm zuerst durch Briefe bekannt zu werden, weil ich weiß, daß eine natürliche Furchtsamkeit, über die ich nicht Herr bin, mir bey dem ersten Besuche selbst von Leuten, deren Stand weit unter dem eines Ministers von Schlesien ist, nicht die völlige Gegenwart des Geistes läßt, ohne die man sich niemals von einer vortheilhaften Seite zeigen kann. Ueberdieß ist der Anblick von Hoheit für ein etwas edles Gemüth immer zu demüthigend, als daß man mit der ganzen Freyheit und Freudigkeit des Geistes handeln könnte, die allein unsern Reden und Handlungen Anmuth geben kann. Wir gingen also hin. Die Abwesenheit des Ministers hatte die Geschäfte gehäuft; wir waren nicht die einzigen, die auf einen Augenblick warteten, wo sie ihn sprechen könnten. Endlich kam der Minister aus seinem Kabinet, und ging auf uns zu. Herr von Klöber stellte mich ihm vor. Der Minister that an mich nichts als die gewöhnlichen Fragen, wer meine Eltern und meine Verwandten wären, wo ich studirt hätte, wie lange ich hier wäre; lauter Fragen, die in jedem andern Munde wenig in Verlegenheit setzen würden, und die doch in dem Munde eines Ministers auf gewisse Weise niederschlagend seyn können. Ich beantwortete sie so kurz, als ich konnte; -- aber das hätte ich nicht geglaubt, daß dieß alles seyn würde; ich hielt sie nur für eine Einleitung zu einem Gespräche, das, wie ich hoffte, der Hauptsache näher kommen, für den Minister wichtiger und mir angenehmer seyn würde. Aber in diesem Augenblicke kehrte er sich zu dem Bedienten, der im Zimmer stand. „Ist der Doktor noch bey meiner Frau?“ -- „Ja, Ihre Excellenz!“ -- „Nun, so muß ich wohl noch einen Augenblick zu ihr gehen; kommen Sie nur zu Tische. Sie auch, Herr v. Klöber.“ -- Und damit war er fort. -- Wir kamen also gegen die in diesem Hause gewöhnliche Tischzeit, gegen zwey Uhr wieder. Die ganze Gesellschaft, die auf diesen Tag eingeladen war, versammelte sich nach und nach im Vorzimmer. Ich lernte bey dieser Gelegenheit den Graf Dönhof, einen Kriegsrath, den geheimden Rath Meinike und noch eine ganze Menge andrer kennen, die größtentheils Männer von vielem Verstande sind. Der Minister erschien nicht eher als um halb drey Uhr. So lange hatten ihn seine Geschäfte aufgehalten. -- In diesem Augenblicke setzten wir uns auch zu Tische. Die Gemahlin des Ministers und seine noch unverheyrathetete Tochter waren die einzigen Damen an der Tafel. Die Damen sprachen bloß französisch. Ueberhaupt waren die Gespräche gleichgültig. Der Minister bestimmte selbst ihren Gegenstand, und da sie größtentheils Begebenheiten betrafen, die ich nicht wußte, so war es ganz natürlich, daß ich dabey stumm war. Die Tafel dauerte bis 5 Uhr; und so wie der Minister aufstand, so ging er auch ohne einen Augenblick zu warten, in sein Cabinet zurück, wo ihn schon wieder eine ganze Menge Leute und Geschäfte erwarteten. Wir unterhielten uns noch eine kleine Weile in dem Tafelzimmer. Herr von Klöber sagte endlich, da er sahe, daß die Hoffnung, diesen Nachmittag bey Sr. Excellenz vorzukommen, vergeblich wäre, daß wir uns beurlauben wollten, und daß er dem Bedienten aufgetragen hätte, ihn zu rufen, sobald der Minister nach ihm fragen würde. Von diesem Augenblicke an nun weiß ich wieder nichts, und die ganze Sache ist noch nicht einen Schritt weiter. Ich wünschte sie nur entschieden, nur auf irgend eine Art entschieden zu sehn; denn die Ungewißheit ist unter allen das schlimmste u. s. w. Drey und zwanzigster Brief. Den 28. Oktober. Allemal, wenn ich mich niedersetze, an Sie zu schreiben, ist mein Kopf von Gegenständen, die alle geschrieben seyn wollen, so voll, daß ich über der Wahl endlich den größten Theil davon vergesse, oder mein Brief und die Zeit schon zu Ende ist, wenn ich noch kaum über den ersten Punkt heraus bin. Indem ich alsdann den Brief schließe, und es empfinde, wie wenig ich Ihnen gesagt habe, und wie viel ich Ihnen noch zu sagen hätte; so ärgere ich mich über den elenden Ersatz, den ein kurzer kaum angefangener Brief für den Umgang mit einer solchen Freundin, wie Sie sind, thun soll. Ich thue mit dem Kinde in Weisens Liede den Wunsch: O wenn ich doch ein Vogel wär, So schnell und federleicht, Der über Berg und Thäler hin Im Augenblicke streicht! Dann flög’ ich über Land und See, Durchreiste jeden Ort, Wär bald -- wo denn? Gewiß nirgends, oder doch nirgends öfter, als bey Ihnen. Was für einen kleinen freundschaftlichen Schrecken würde ich Ihnen nicht abjagen, wenn ich, ehe Sie sich es versähen, den gegenüberstehenden Stuhl an Ihrem Fenster einnähme, indem Sie an dem andern sitzen. Ich sehe schon zum Voraus, ich würde kein Wort vorbringen können, ich würde stammeln, und wenn ich meine Stimme wieder hätte, so würden es nur gebrochene Laute seyn, die ich vorbrächte. -- Weg, angenehme Schwärmerey, die geschwind genug meine Einbildungskraft ganz anfüllen, und dann aus meinem Briefe alle wichtigere Gegenstände verdrängen könnte! -- Nun habe ich mir in meinem Kopfe gewisse Punkte geordnet, unter welche dieser Brief gebracht werden soll. Aber ich sage sie Ihnen nicht zuvor, bis ich erst sehe, wie viel ich davon zu Stande bringe. Sage ich jetzo nur wenig, so können Sie immer glauben, ich habe nicht mehr schreiben wollen, da Sie sonst hätten denken müssen, ich hätte nicht mehr schreiben können. Also zur Sache: Zuerst fragen Sie mich in Ihrem vorletzten Briefe, ob ich Ihre Briefe aufhebe? Die Frage würde fast eine kleine Beleidigung seyn, wenn ich nicht, die Wahrheit zu sagen, ähnliche Beleidigungen auf meiner Rechnung hätte. Meine Mutter ist die Depositaria davon, so wie von Ihren Porträts. -- Also wollen Sie diese wirklich wieder haben? Ich bin in der That so unverschämt gewesen, sie schon für ein halbes Geschenk anzusehen. Unterdessen, wenn Sie über das Porträt Ihres Gemahls Herr sind, so sind Sie es doch nicht über das Ihrige. Ich werde Ihnen das erste zurück schicken, wenn Sie es so befehlen, aber ich werde dadurch mein Recht auf das andere nur verstärkt glauben. Meine Mutter, die Sie wahrhaftig liebt, würde an dem Schmerz Theil nehmen, den es mich kosten würde, dieses kleine Stück von Ihnen selbst aus den Händen zu geben. Indessen, wenn Sie darauf auch bestünden; so muß ich Ihnen nur sagen, daß die Gelegenheiten, solche Sachen zu schicken, nicht so häufig sind; und ich habe immer in meiner Macht, zu sagen, daß ich keine gehabt habe. Sehen Sie eine andere kleine Beleidigung in Ihrem vorletzten Briefe, die ich ungeahndet gelassen habe. Aber nun auf Ihren jetzigen zu kommen, der so voll von Freundschaft und gutem Herzen ist, und der mich würde zu Ihrem Freunde gemacht haben, wenn ich es noch nicht wäre; so muß ich nur Ihre zu große Demuth ein bischen schelten. Sage nur deiner Freundin, sagte meine Mutter, indem sie Ihren Brief las: Eine Frau, die eine so edle Freude an einer guten Handlung haben konnte, als die ist, die sie in ihrem Briefe erzählt, kann vieler andern Vorzüge entbehren. Glauben Sie nur, dieses Herz, welches Ihnen der Himmel gegeben hat, ist immer das größte Geschenk, welches er einem Sterblichen machen kann. Ohne dieses Herz ist der Verstand ein bloßes blendendes Licht ohne Wärme, und die Schönheit eine unbedeutende Form. Aber dieses Herz kann der Schönheit und selbst höherer Einsichten entbehren, und doch immer noch nicht bloß liebenswürdig sondern verehrungswerth bleiben. Wenn aber diese glückliche Verbindung zwischen Empfindung und Einsicht, zwischen dem Kopf und dem Herzen vorhanden ist, die ich in meiner Freundin finde und hochschätze, wenn der eine der Diener ist, die gutthätigen Absichten des andern auszuführen: dann kann das Glück immer seine übrigen Güter zurückhalten; die Natur hat ihm schon genug vorgearbeitet, um in jedem Umstande, in jeder Verfassung, selbst unter den Beunruhigungen, die eine Folge dieser Eigenschaften sind, die Person selbst glücklich, und andre zu ihren Verehrern und Freunden zu machen. -- Um Sie nun in Ansehung meiner in Ruhe zu stellen, so muß ich Ihnen sagen, daß, ob ich gleich noch keine Nachricht habe, ich doch die Sache für entschieden halte, und auch recht zufrieden damit bin, daß sie entschieden ist. -- Wenn man bey einer Reise in der Nacht lange Zeit ohne seinen Weg zu sehen, fortgegangen ist, und nicht gewußt hat, ob man nicht vielleicht in fremden und unwegsamen Wüsten herumirrt; wenn dann auf einmal ein aufgehender heller Stern uns zeigt, daß wir, ohne es zu wissen, noch immer auf dem rechten Wege sind, und von einer unsichtbaren Hand geleitet, unvermerkt dem Ziele unsrer Bestimmung näher kommen: dieser Freude ist diejenige gleich, die man fühlt, wenn man mitten unter dem Zusammenlauf mannichfaliger und uns oft unangenehmer Begebenheiten einen einzigen fortgehenden Plan erblickt, der mitten unter diesen verschlungnen Irrgängen immer fortgesetzt worden ist, und durch alle die Hindernisse, die uns beunruhigten, nicht aufgehalten werden konnte. Ich kann Ihnen nicht das ganze Räthsel erklären, wie ich zu dieser Betrachtung komme. In der That aber glaube ich Ursache zu haben, zufrieden zu seyn, wenn ich dem Minister mißfallen habe u. s. w. Vier und zwanzigster Brief. Den 11. November. Lassen Sie uns immer einige unsrer Erwartungen fehlschlagen, der Himmel versorgt uns dafür wieder mit Vergnügen, auf die wir weder Anspruch noch Hoffnung hatten. So war der Brief, den ich gestern von ihrem lieben Gemahl, so die zwey Briefe, die ich zu gleicher Zeit von Herrn Weisen erhielt. Meiner Mutter und mir waren Ihre Briefe, wenn nicht eben so unerwartet, doch gewiß eben so erwünscht. Alle so voll von Freundschaft, Liebe, Zärtlichkeit, daß mein Herz in unaussprechlichen Empfindungen überfloß, und wenn der Geist Kraft genug hätte, diese Einschränkung des Raums und seine enge Wohnung zu durchbrechen, wenn er, ohne seinen schweren Gefährten, den Körper, mitzunehmen, mit ätherischer Leichtigkeit mit seinen Wünschen in gleicher Geschwindigkeit sich bewegen könnte, so wäre Ihr Wunsch und der meinige gestern erfüllt, ich hätte Sie alle, alle gesehn; auch ihn, meinen guten und zu geschäftigen Freund, dem ich für den Brief, den er an mich schreiben will, gern alle die erlasse, die er nicht geschrieben hat. Ich danke es Ihnen recht sehr, liebster Freund (ich rede jetzt mit Ihrem guten Manne), daß Sie für die Erhaltung meiner Freunde -- der größten Glückseligkeit die ich kenne, -- oder welches eben so viel ist, für meine Gewißheit, daß ich sie noch besitze, so viel Mühe und Sorge über sich nehmen. -- Weise ist in der That einer von meinen schätzbarsten Freunden, und, Dank sey es seinem gütigen Herzen, auch von meinen zärtlichsten. Ich habe zwey lange Briefe von ihm bekommen, die beyde vortrefflich sind, wenn sie nur nicht gar zu schmeichelhaft für mich wären. Meine Mutter, die an meiner ganzen Correspondenz Theil nimmt, sorgt immer, meine Freunde werden mich verderben. Und in der That, ich glaube beynah, ihre Furcht ist nicht ganz ungegründet. -- Aber nun verderben oder nicht, so werde ich doch nimmermehr zugeben, daß selbst die übertriebenen Lobsprüche von Freunden mit Schmeicheleyen einerley wären. Wenn uns die ersten in einen kleinen Irrthum über unsre Verdienste führen, so sind sie zuerst selbst darin. Ihr Herz hat zuerst ihrem Verstande den unschuldigen, und beynahe sagte ich, zur Freundschaft nothwendigen Betrug gespielt; und hundertmal mehr können sie sagen, als wahr ist, aber niemals ein Wort mehr als sie denken. Da fängt erst die Schmeicheley an, wo der Ausdruck größer ist als die Gesinnung, und unser Verstand den Werth des andern richtiger bestimmt, als unsre Worte. -- Der eine Brief von Weisen war schon längst vorher geschrieben, und war mit einem kleinen Geschenk von Büchern, das er mir bestimmte, einem hiesigen Buchhändler übergeben worden, der eben erst gestern ankommen mußte; der andre kam mit der Post, und den habe ich vielleicht zum Theil Ihnen zu danken. Darf ich Ihnen nun wohl noch erst sagen, daß gestern einer von meinen angenehmsten Tagen gewesen ist, oder vielmehr Stunden, -- denn eine von den größten Sonderheiten, ich weiß nicht ob der menschlichen Natur oder der meinigen (leider vermischen sich diese beyde nur gar zu oft in den Augen des Beobachters; aber genug, ich empfinde sie, diese Sonderheit, und wie ich sie empfinde, so will ich sie Ihnen ausdrücken; vielleicht entdecken wir wieder einen neuen Punkt, wo unsre beyden Seelen an einander gränzen); und die seltsamste Wirkung des Vergnügens ist gewiß Schwermuth; und demungeachtet ist es bey mir die gewöhnlichste, wofern das Vergnügen nur mehr empfindlich als rauschend ist. Wenn meine Seele nach der Befriedigung gewisser Begierden geschmachtet hat, und sich diese ihr endlich mit einemmale anbietet; so weigert sich die Seele gleichsam einen Augenblick, dieselbe anzunehmen; sie entzieht sich dem Genusse eines Vergnügens, das sie für zu schmeichelhaft hält, als daß sie sich gleich überzeugen könnte, daß es für sie wirklich bestimmt ist, und das Herz verschließt sich vor den Eindrücken, die es doch so sehnlich erwartete. Nach und nach, wenn die erste Bestürzung vorüber ist, wenn sich die angenehmen Bilder in der Einbildungskraft anhäufen, wenn die wiederholten, aber sanften Schläge des Vergnügens diese muthwillige Unempfindlichkeit überwunden haben, öffnet sich das Herz wieder; die Empfindungen strömen von allen Seiten zu und erfüllen es; die Bewegungen werden lebhafter, das Gesicht heitrer; unsre ganze Seele bekommt eine Art einer neuen Existenz, und diese Empfindung von der Verdoppelung ihrer Kräfte verbindet sich noch mit den Eindrücken des Vergnügens, um diesen glückseligen Zustand eine Zeitlang zu erhalten. Wer in diesen Augenblicken die Gabe zu gefallen, wenn sie auch ihm sonst fehlt, nicht durch die Zauberkraft des Vergnügens erhält, der mag es nur aufgeben, jemals zu gefallen. In der That ist ein von Vergnügen durchdrungnes Herz schon an sich der angenehmste Gegenstand für den Zuschauer; und außerdem hat der Mensch niemals mehr, als in diesen Zeiten, seine eignen Talente zu seinem Gebote; seine Ideen werden lebhafter, seine Einfälle gelingen, sein Witz verliert den Zwang und die Steife; und alles, was er sagt, bekommt durch die harmonischen Züge, mit denen sein Gesicht es bekräftigt, und durch eine gewisse lebhafte und doch anständige Bewegung, mit dem es begleitet wird, mehr Kraft und mehr Anmuth. O wenn diese glücklichen Augenblicke fortdauern könnten! Ich habe von der Macht des Vergnügens so große Ideen, daß ich glaube, es könnte Trägheit in Feuer, und Dummheit in Witz verwandeln, wenn wir erst die Kunst erfunden hätten, es dauernd zu machen. -- Aber so verzehrt sich die Freude, wie eine Flamme, durch ihre eigne Stärke. -- Die Spannung der Kräfte, ohne welche sie nicht entstehen würde, bereitet schon die Erschlaffung vor, mit der zugleich die Schwermuth zurück kehrt; der Genuß erfordert eine gewisse Anstrengung, die wir nicht gewahr werden, weil sie angenehm ist, und die uns erst die darauf folgende Erschöpfung entdeckt; und durch eine unausbleibliche Rückkehr, die ein Gesetz der ganzen Natur ist, sinkt die Seele eben so tief unter ihre gewöhnliche Höhe, als sie sich über dieselbe erhoben hatte. Ich sehe, ich verliere mich in einer Art von Philosophie, die für mich alle Mal gefährlich ist. Ich grüble vielleicht gar zu gern über meine eignen Empfindungen, und oft verliert sich mir der Gegenstand aus dem Gesichte, indem ich seine Wirkungen aufsuchen will. -- Was ich eigentlich zu sagen vorhatte, ist dieß. Eine so große Anzahl von Beweisen der Zärtlichkeit und Freundschaft der würdigsten Personen hatten meiner Seele eine gewisse Selbstzufriedenheit gegeben, die nicht Eitelkeit, -- aber doch höchst süß ist. Aber eben diese verlor sich mir unter der Hand, als ich sie eben erst bemerkte. Auf sie folgte eine gewisse Furcht, daß einmal eine Zeit kommen könnte, wo diese Freunde von mir richtiger oder strenger urtheilten; eine Art von Kummer, wie ich so vortheilhaften Meinungen und so günstigen Erwartungen, die sie von mir hätten, ein Gnüge leisten könnte. -- Ich schien mir unter einer Art von Verbindlichkeit zu erliegen, die mir ihre Gütigkeit auferlegt hatte, und indem ich mein eignes nichtsbedeutendes Selbst mit dem vergrößerten und geschmeichelten Bilde verglich, welches sie als ähnlich mit mir annehmen; so wurde mir angst, daß ein solcher Irrthum einmal vielleicht aufgehoben werden, und irgendwo ein solcher unglücklicher Brunnen seyn möchte, wie ihn Ariost beschreibt, der, wenn man ihn kostet, alle Verblendungen der Liebe heilt, und dem bloßen kalten Verstande alle seine Freyheit zurück giebt, zu prüfen. Dieser Wunsch, meinen Freunden zu zeigen, daß ich ihrer nicht unwürdig sey, mit der Unmöglichkeit, die ich vor mir zu sehen glaubte, ihn zu befriedigen, brachte eine Art von Aengstlichkeit in mich, die endlich, ohne ihren Gegenstand zu wissen, nach etwas suchte, was mir fehlte, und was sie doch nicht finden konnte. Sehen Sie nun, würde eine andre Freundin, gegen die Schwachheiten ihres Freundes weniger nachsichtig als Sie, eine solche Anatomie seiner eignen Thorheiten ertragen; besonders wenn ich darüber das vergesse, was Sie eigentlich von mir wissen wollten, und was ich auch zu schreiben im Sinne hatte? -- Herr von Grischanowsky ist beynahe alle Tage bey uns, wenigstens eine oder zwey Stunden. Meine Mutter ist ihm seines wirklich guten Herzens wegen recht gut worden. In der That habe ich in ihm noch weit edlere Gesinnungen entdeckt, als ich selbst in Leipzig in ihm kannte. -- Aber sein Hofmeister -- ob er gelehrt ist, das mag er selbst am besten wissen, -- aber daß er höchst grob, unempfindlich gegen alle Höflichkeit, bäurisch stolz, und ohne alle Annehmlichkeit im Umgange ist, das wissen wir leider alle, die wir ihn in unsrer Gesellschaft gehabt haben. Jetzo bitte ich nur immer den jungen Herrn ohne ihn u. s. w. Fünf und zwanzigster Brief. Den 18. November. O wenn Sie wüßten, was mich Ihr Brief für einen traurigen Tag gekostet hat, Sie würden ihn nicht geschrieben haben, oder Sie schrieben heute einen zweyten, um ihn zu widerrufen! Aber gewiß, gewiß, Sie werden keinen schreiben. -- Ich lese ihn wieder, Ihren Brief, und er beunruhigt mich noch mehr. Ich sollte weniger zärtlich gegen Sie seyn, -- ich sollte mich dem Brunnen des Ariosts nähern, +von dem einige Freunde vielleicht schon getrunken haben+. Wer sind diese Freunde? -- Setzen Sie einmal (um einen Satz, den ich nur in Absicht auf mich wahr hielt, auf die Freundschaft überhaupt auszudehnen), setzen Sie, daß eine Art von Uebertreibung dazu gehöre, um den Grad von Liebe hervor zu bringen, ohne den die Freundschaft kalt und die Ehe in kurzem beschwerlich ist; setzen Sie, daß unsre Einbildungskraft die Vollkommenheiten unsers Lieblings vergrößern müsse, wenn sie das Herz mit der gehörigen Stärke treffen sollen; setzen Sie dieß alles: so behaupte ich doch, daß selbst diese Verblendung Größe des Geistes voraus setze, und daß es Stärke des Geistes sey, sie zu erhalten. Achten Sie also ja nicht meine Theorie für so gefährlich, daß sie den Kaltsinn für eine natürliche Folge der Ueberlegung erklären sollte. Wenn er eine beständige Eigenschaft unsers Herzens ist, so ist es Kleinheit, und folgt er auf einen feurigen Anfang, so ist es Schwäche der Seele. -- Sie hatten neulich eine Philosophie der Liebe von mir verlangt. Hier sind einige kleine Züge davon, auf die mich diese Betrachtungen natürlicher Weise leiten. Man kann immer sicher vermuthen, daß in den Meinungen etwas Wahres sey, die allgemein von den Menschen angenommen werden; und die in den rohesten Zeiten zuerst. Die Wirkung der Natur, und die Gesinnungen, die unmittelbar durch den Einfluß der Dinge um uns herum hervor gebracht werden, erkennt man am besten in den Epoquen, wo wenig andre Principien der menschlichen Gedanken vorhanden sind. Nun in diesen Zeiten war Tapferkeit und Liebe die größte Tugend der Männer, und Keuschheit, oder mit einem andern Worte, Beständigkeit und Treue das einzige Verdienst der Frauen. Die Rittergeschichten, so ausschweifend sie sind, vergnügen mich demungeachtet um dieser richtigen und mit der Natur harmonirenden Grundsätze willen, die allenthalben durchblicken, und ohne die selbst diese Ausschweifungen nicht Statt gehabt hätten. -- Wenn die Philosophie sich nun damit bemengt, den Grund dieser Gesinnung zu erklären, so kann es seyn, sie geräth auf falsche Ursachen; der Zusammenhang dieser Leidenschaft mit den wesentlichen Vollkommenheiten des Menschen kann vielleicht durch eine ganz andre Kette gehen, als die ich einsehe; -- aber sie thut demungeachtet ihr eigentliches Werk, sie ist in ihrem Berufe. Denn wozu soll Philosophie, wenn sie nicht die Meinungen und Neigungen, die die Seele einnehmen, ohne daß sie weiß, woher sie sie hat, als Phänomene behandelt, deren Ursprung gefunden werden soll? Meine Erklärung ist diese. Jede unsrer Ideen ist nach einem gewissen Eindrucke gebildet, den die Empfindung zuerst in unsrer Seele hervor gebracht hat. Diese Eindrücke zergliedern, zusammen setzen, anders ordnen, als sie zuerst in die Seele gekommen sind, das ist alles, was die Seele damit thun kann. Ideen, deren Theile nicht ursprünglich sinnliche Eindrücke wären, sind unmöglich. Der Umfang, die Lebhaftigkeit, kurz alle Vollkommenheiten unsrer Ideen (und diese machen doch wohl den eigentlichen Vorzug des denkenden Wesens aus) hängen von der Beschaffenheit dieser ersten Impressionen ab. Sind die Gepräge, die die Gegenstände in unsrer Seele abdrücken, richtig und vollständig, so werden ihre Kombinationen ebenfalls richtig seyn, und der Kopf wird helle; sind sie tief und stark, so werden ihre Kombinationen lebhaft und eindringend, und der Geist wird schön. Die Kraft zu empfinden ist also die vornehmste Fähigkeit der Seele, nach deren Größe sich die übrigen richten. Sie verschafft die Materialien, aus welchen die übrigen bauen; sie bemahlt zuerst die leere Fläche der Seele mit den Bildern, aus denen die übrigen auf eben die Art neue machen, wie Apelles seine Venus aus den schönsten Theilen der Mädchen von Gnidus zusammen setzte. Die Größe der Seele besteht in der Fähigkeit, viele und große Eindrücke auf einmal zu bekommen, und sie ohne Verwirrung zu erhalten. Die Stärke der Seele, in der Fähigkeit, einmal empfangene Eindrücke nicht durch den beständigen Zufluß von neuem verlöschen zu lassen, sondern sie gegen das unaufhörliche Reiben neuer Ideen unverletzt zu erhalten. -- Sie sehen schon, wie nahe wir zu Ihrer Lieblings-Leidenschaft gekommen sind. Eben dieselbe Lebhaftigkeit, dasselbe Feuer der Impression, durch welche große Geister gebildet und große Unternehmungen vorbereitet werden, bringt diese reizende Tochter, die Liebe, hervor, wenn die Vollkommenheiten eines andern denkenden Wesens der Gegenstand sind. Eben diese Dauer, dieses Anhalten der Impression, welche dem Mathematiker die langwierigsten Untersuchungen zu Ende bringen hilft, und die weitaussehendsten Entwürfe durch alle Hindernisse und Schwierigkeiten verfolgt, bringt die Treue in der Freundschaft, und die Beständigkeit in der Liebe hervor. Wenn sich nun noch mit der Empfindung, welche Vollkommenheit und Schönheit erregen (und das ist alles, was bey der Freundschaft nothwendig ist), noch diese süße Wallung, dieses Gefühl von Lust verbindet, die das Eigenthum der Liebe ist; wenn der Körper, sonst ein Störer unsrer geistigen Vergnügungen, sie hier unterstützt, und seinem edlern Theile zu neuen Quellen von Empfindungen verhilft: dann steigt vom Himmel diese ehrwürdige Göttin herab, und knüpft zwey menschliche Wesen mit unauflöslichen Banden an einander; dann weist sie jedem von ihnen als den vornehmsten Gegenstand und die größte Uebung seiner Empfindungskraft, seinen Geliebten an. Von ihm soll die Seele diese ewig dauernden Einflüsse bekommen, die ein Beweis und eine Ausübung ihrer eignen Kraft sind. Durch diese Gewohnheit gestärkt, und durch diese unaufhörliche Uebung erhöht, soll seine Empfindung sich von da aus über das ganze Gebiet von Vollkommenheit und Schönheit ausbreiten; sich nach jeder Tugend, jeder Vortrefflichkeit ausstrecken, dieselbe umfassen, und durch eine untergeordnete, aber eben so unveränderliche Liebe mit sich verbinden. -- So wie die allgemeine Menschenliebe durch die beständige, aber stufenweise Erweiterung der Familienliebe entsteht; so wird in edlen Seelen die Tugend durch die Liebe geboren. Die in dem Geliebten koncentrirte Empfindung entwickelt sich, und geht von einer Vollkommenheit zur andern, die alle zusammen in dem Gegenstande der Liebe durch ein dunkles Gefühl wahrgenommen wurden. Die Seele erlangt die Macht, den äußern Dingen und dem Strome ihrer eignen Ideen zu widerstehn; sie lernt, mitten unter den beständigen Revolutionen, die der stets veränderte Eindruck der äußern Dinge in unsern Gesinnungen hervor zu bringen sucht, die Ideen, die ihr wichtig sind, aufrecht zu erhalten; und so lehrt die Liebe einen verständigen Geist denken, und ist die Vorbereitung zur Tugend für das Herz u. s. w. Sechs und zwanzigster Brief. Den 21. November. Noch ist die Sonne nicht über dem Haupte meiner schlafenden Freundin aufgegangen. Aber ich, von der Freundschaft und der Begierde bey ihnen Ihnen zu seyn aufgeweckt, empfinde ein weit süßer und höher Vergnügen, als Sie selbst in den Armen des Schlafs. Unter dem Schirme dieser stillen und ehrwürdigen Dunkelheit, die noch Ihr Schlafzimmer bedeckt, kann ich ungestört den angenehmen Schwärmereyen nachhängen, die von dem Gelärme und den Zerstreuungen des Tages verdrängt werden. Mich dünkt, ich sehe Sie mit der Miene der Unschuld, und mit einem gewissen sanften Lächeln, das durch fröhliche Träume hervor gebracht wird, an der Seite Ihres lieben Gatten. Wenn Ihre tugendhafte Seele, für die Ruhe und Glückseligkeit erschaffen, zuweilen durch die verdrießlichen Zufälle des Tages aus sich selbst heraus gerissen, und mit einer unruhigen Heftigkeit von Gegenstand zu Gegenstand umher getrieben wird, so kehrt sie doch des Nachts wieder zu sich selbst und zu der Wohnung der Zufriedenheit und der Ruhe zurück. Der Geist, der des Tages über oft von seinem Gefährten, dem Körper, Befehle annehmen mußte, wird nunmehro ganz wieder sein eigen, und bringt unter den Bildern, die ihm vorher aufgedrungen wurden, jetzo nur die reinsten und schönsten wieder hervor. O möchten Sie doch beym Erwachen diese muntre und fröhliche Heiterkeit, diese Erhöhung Ihrer Kräfte, diese wiedererlangte Leichtigkeit fühlen, die eines solchen Schlafs unausbleibliche Frucht ist. O möchten doch meine Wünsche über Ihren heutigen Tag den glücklichen Einfluß haben, daß dieses Licht, welches Sie jetzt zum ersten Mal erblickt, keine andern, als die Scenen der Liebe, der Tugend und der Freundschaft erleuchtete. Möchte der Himmel Ihnen heute manchen Unglücklichen in den Weg führen, dem Sie beystehen, manchen Rechtschaffenen, dessen Glück Sie befördern können! Möchte Ihre Seele, wie die Fläche des Meeres an einem stillen Morgen, von keinem Sturme bewegt, das Bild des Himmels in sich auffangen, und dem betrachtenden Zuschauer, Ihrem Gemahl oder Ihrem Freunde, in gemildertem aber unverfälschtem Glanze wieder zurück werfen. Nun gehe ich zu meiner alten Materie fort. Wenn die Metaphysik der Liebe, die in den Französischen Dichtern und Schriftstellern so häufig ist, ein elender Ersatz für die wirklichen Ergießungen der Empfindung ist, die wir in der Julie von Shakspeare oder Rousseau finden; so wäre sie doch immer ein sehr wichtiges Stück von Psychologie, wenn man nur mehr die Art, wie diese Leidenschaft entsteht, und die Zusammenstimmung der verschiedenen Fähigkeiten der Seele, die da seyn muß, wenn sie zu einem gewissen Grade gelangen soll, erklärte, als alle die kleinen Symptome, die sich bey ihrer Gegenwart äußern, und die doch so oft nur von der Galanterie erzeugt, und von der wahren Empfindung, wie von einem zu heftigen Feuer, verzehrt werden. -- Man kann schon daraus, daß diese Leidenschaft so selten ist, und daß von tausenden, die sich mit einander verbinden, oft nur zwey von dieser himmlischen Göttin einander zugeführt werden, -- schon daraus kann man vermuthen, daß diese Eigenschaft, welche die Seele des Feuers der Empfindung fähig macht, eine eben so seltne Gabe sey, als die, welche den Verstand zur Hervorbringung neuer Ideen in den Stand setzt. Die Geschichte macht gewissen großen Männern, deren Andenken sie uns aufbehalten hat, eine Schwachheit aus ihrer Liebe. Aber gewiß, diese Geschichtschreiber waren keine Philosophen; sie verstanden es nicht, daß eben dieselbe Quelle die beyden Ströme der Empfindung und der Einsicht ausgießt; daß die Fähigkeit zu großen Leidenschaften die großen Männer hervor bringt; und daß Heinrich, wenn er in Nacht und Nebel, in einem Bauerkittel verkleidet, sich mitten durch die Postirungen und Wachen der Feinde zu seiner geliebten Estrées schleicht; wenn in dem heftigesten Anfalle körperlicher Schmerzen diese Emfindung dennoch bey ihm siegt, und er am Rande des Grabes seiner Estrées noch schreiben konnte: ~Mon premier penser est à Dieu, et le second à Vous~; eben dieselben Fähigkeiten des Geistes brauchte, durch die er der große Feldherr und der vortreffliche König wurde. Ich habe die Liebe neulich blos als eine Folge von Eindrücken angesehen, deren Stärke und Dauer zeigt, wie sehr die Seele fähig ist, lebende und bleibende Bilder der äußern Gegenstände zu empfangen. Aber die Seele verhält sich nicht blos leidend; es sind nicht Wirkungen, die nur auf sie geschehen, und denen sie nur nicht widerstehen darf. Ihre eigne Kraft muß diese Eindrücke beleben, sie fest halten, sie in diejenige Form bringen, in welcher sie ihren Einfluß noch immer auf dieselbe fortsetzen, wenn sie gleich selbst ihre erste Stärke verloren haben. Akenside macht in seinen ~Pleasures of Imagination~ eine vortreffliche Anmerkung, die für den Moralisten, und ich denke auch für den Liebhaber, höchst wichtig ist. Gewisse unsrer Pflichten und unsrer schönsten Neigungen beruhen auf einer Art von Illusion, die nur durch eine starke und mächtige Einbildungskraft aufrecht erhalten werden kann. Von der Art ist die Vaterlandsliebe. Der Begriff von Societät ist viel zu allgemein und abstrakt, und die Bande, mit welchen wir an diesen Haufen unbekannter und uns gleichgültiger Menschen geknüpft sind, wären für uns viel zu schwach, um uns Gefahr und Tod für diese leicht zu machen: wenn nicht die Einbildungskraft an die Stelle dieser reellen Objekte, die zu groß und zu weit sind, als daß wir sie mit unsrer Empfindung umfassen könnten, ein gewisses Phantom setze, welches wir selbst ausschmücken, und unter dessen Bilde wir diese unsichtbare Gottheit, das Vaterland, anbeten. So erhitzte sich der Römer bey dem Anblicke seines Senats, des Kapitols oder irgend eines andern öffentlichen Monuments, das himmelweit von dem wahren Vaterlande entfernt war, und welches er doch dafür annahm, um seine Empfindung in eine engere Sphäre zusammen zu drängen, und sie dadurch zu beleben. Lassen Sie uns dieses auf die Liebe anwenden. Sie ist, wenn wir sie zergliedern, das Resultat aus den vereinigten Wirkungen des Vergnügens an Vortrefflichkeit, der Freundschaft und der sinnlichen Lust. Es ist augenscheinlich, daß, wenn die Leidenschaft nur aus einer dieser Quellen entsteht, sie mit derselben zugleich versiegt; und da alle Arten von sinnlichem Vergnügen vermöge der Natur der Seele abnehmen, so muß ein Feuer erkalten, welches blos durch sie angezündet war. -- Aber es giebt eine andere Art von bessern Seelen, die nicht blos wie Silenen lieben, und die die Venus, die aus dem Schaume des Meeres entstand, von der himmlischen, die vom Olympus entspringt, und an dem Throne Jupiters selbst ihren Sitz hat, unterscheiden; ihr Geist liebt in der That, nicht blos ihr Körper; und demungeachtet werden diese rechtschaffnen Liebhaber doch kalte Ehemänner. Die Gewohnheit übt über ihre Seelen ihre gewöhnliche Gewalt aus, und weil ihre Leidenschaft blos durch die Eindrücke auf sie hervor gebracht wurde, so verlischt sie, so wie die Zeit ein Stück nach dem andern von diesen Eindrücken verwischt, und sie zu der gewöhnlichen Stärke aller übrigen Begriffe in unsrer Seele zurück bringt. Nur eine dritte Gattung von Seelen, die an die Stelle ihres Freundes oder ihres Geliebten ein gewisses erhöhtes Ideal setzen; die aus den Vollkommenheiten, die sie wirklich in ihm gewahr werden, die sie aber noch verschönern, ein Ganzes zusammen setzen, welches wirklich vollkommner ist, als der Gegenstand selbst; die in sich selbst beständig eine neue Quelle von Empfindung finden, und in der Beschauung des Bildes, was sie sich selbst geschaffen haben, und zu dem ihnen das Original so zu sagen nur die ersten Striche gegeben hat, sich mit neuem Feuer beleben: diese sind es allein, die der Liebe ihre Schwingen ausreissen, und das Feuer, das sonst durch den Zufluß neuer Materie unterhalten werden muß, durch ihr eignes ernähren. Ich bin jetzt auf dem Wege, zu zeigen, wie eben diese Kraft der Imagination, ohne die niemals eine große oder dauerhafte Liebe gewesen ist, große Männer und vortreffliche Thaten hervor bringt. -- Aber dieses ist selbst für einen neuen Brief noch zu viel Materie, und man ruft mich schon ein Mal über das andre u. s. w. Sieben und zwanzigster Brief. Ich habe heute einen so heftigen Schnupfen und Kopfschmerzen, daß nichts in der Welt, als die Begierde, Ihnen auch die kleinste, und wenn es nur eine minutenlange Unruhe wäre, zu ersparen, mich hätte bewegen können, die Feder anzusetzen. Demungeachtet habe ich zwey so liebe werthe Briefe von Ihnen vor mir, die ich beantworten sollte; und die mir auch Stoff genug geben würden, wenn ich nicht heute zu allem, als zu einem gänzlichen Müßiggange, unaufgelegt wäre. Wenn Sie meine Briefe nicht verstehen, so ist es immer gewiß meine Schuld. Ich bringe oft meine Gedanken zur Welt, ehe sie völlig ausgebildet sind; und es ist natürlich, daß meine Freunde, wenn ich sie ihnen in diesem Zustande übergebe, nicht recht wissen, was sie mit diesen ungeformten Massen machen sollen. Thun Sie an diesen verunglückten Geschöpfen die Barmherzigkeit, die Sokrates an ähnlichen Geburten seiner Freunde that; wenn Sie sie nicht gleich bey der Entstehung haben retten können, so geben Sie ihnen wenigstens, so wie sie da sind, die erträglichste Figur, die sie machen können. Bilden Sie sie aus, erziehen Sie sie; und wenn sie es werth sind, so vermählen Sie sie mit den weit liebenswürdigern Kindern eines so sanften und zarten Herzens, und eines so richtigen Verstandes, als der Ihrige ist. Ich habe diese Materie noch nicht erschöpft. Ich habe mir die Liebe blos in ihrer Entstehung vorgestellt. Sie sollen nun auch meine Gedanken über ihre Wirkungen wissen. Ich sehe schon zum Voraus, daß ich in Gefahr komme, meine Schwäche sehen zu lassen, indem ich vielleicht mit meinen Beschreibungen bey Ihnen, die es empfinden, nicht schließen, was Liebe ist, ungefähr in eben den Rang kommen werde, in welchem bey uns Sehenden der blinde Philosoph steht, der sehr gründlich, wie er dachte, die rothe Farbe durch den Schall einer Trompete erklärte. -- Ich sehe, ich fange an, meinen Kopfschmerz zu vergessen, indem ich mit Ihnen rede. Wäre der Abgang der Post nicht so nahe, so glaube ich, ich schriebe vier Seiten voll, ehe ich daran dächte, daß ich nur so viel Zeilen schreiben wollte. Erzählen Sie mir doch etwas von Ihrer jetzigen Lektüre u. s. w. N. S. Romeo und Julie ist nun gedruckt. -- Aber Sie müssen das Stück entweder schon gesehen haben, oder es noch sehen, ehe Sie es lesen. Acht und zwanzigster Brief. Den 9. December. Ich bin jetzo etwas mehr beschäftigt, als sonst; und wenn ich also jetzt etwas kürzere Briefe schreibe, so ist es doch gewiß wenigstens mit dem Wunsche, Ihnen längere schreiben zu können. Der Freundschaft, so wie der Tugend ist die nächtliche Stille heilig. Ich ergötzte mich schon sonst an der Vorstellung, daß sich alsdann vielleicht oft unsre Gedanken und Betrachtungen begegnen, und unsre Wünsche vereinigt zum Himmel steigen; und jetzt sehe ich, daß ich Ursache dazu hatte. Ja, liebe Freundin, die Tugend, diese himmlische Göttin, breitet ihren Glanz auf alles aus, was sie umgiebt; sie erleuchtet die Freundschaft, und sie erwärmt sie auch; sie verwandelt die Liebe, die ein blos körperliches Bedürfniß ist, in die edelste und erhabenste Leidenschaft, deren eine menschliche Seele fähig ist, und verlängert sie, die sonst mit dem Genusse zugleich unterging, bis an die letzten Gränzen unsrer Existenz. Durch sie wird die mütterliche Zärtlichkeit das Glück des menschlichen Geschlechts, und der Grund, worauf die Wohlfahrt und die Tugend seiner Glieder erbaut wird; sie endlich macht alle unsre Vergnügungen heilig, und unsre Ergötzungen zu so viel guten Werken. Sie haben ohne Zweifel jetzo Romeo und Julie gelesen oder gesehen. Wenn ich es eher bedacht hätte, so hätte ich meine ganze Philosophie ersparen können. Dieses Stück ist der vortrefflichste Kommentar über die Liebe. Alle Ausdrücke scheinen von dem Hauche dieser Leidenschaft beseelt; und das heftigste Feuer brennt durch und durch, und greift selbst die unempfindlichsten Herzen an. -- Aber sagen Sie mir, wenn Sie es gelesen haben, warum ist die Rührung im dritten Akte angenehmer, als die heftige Erschütterung im fünften? Ist es nicht, daß dort Pflicht mit Liebe, Tugend mit Leidenschaft streitet? Die vortrefflichste Seele ist zwischen der kindlichen und ehelichen Zärtlichkeit getheilt. Man sieht sie kämpfen, und wenn endlich die Liebe alle übrigen Empfindungen verschlingt, so ist sie uns doch schon auf einer so vortrefflichen Seite bekannt, daß wir ihr ihren Entschluß zum Heldenmuth anrechnen. Im fünften Akte wirkt blos die Situation, wenig der Charakter. Die Begebenheit auch bey jeden andern Personen würde eben so traurig seyn. Die beyden Verliebten zeigen nun nichts mehr als Liebe, mit keiner andern Empfindung, mit keiner Tugend mehr vermischt. So wie Fluthen des Meeres, wenn sie sich über ein Land ergießen, die Mannigfaltigkeiten der Natur auf ein Mal verdecken, und statt tausend verschiedner, ergötzender Gegenstände nur ihre eigne traurige, allenthalben gleiche und einförmige Fläche dem Auge darbieten: so löscht in diesen Augenblicken die Liebe jeden andern Begriff, jedes Gefühl in der Seele aus. Der Begriff von Tugend, den wir in die Liebe dieser Personen geheftet hatten, und der uns diese Liebe noch weit schöner macht, verschwindet vollends, da sie sich zu Ausschweifungen bringen lassen, die der Tugend so durchaus entgegen sind. Die ganze Scene ist theatralisch vortrefflich. Der Selbstmord mag nun entweder durch die heftigen Triebfedern, die in dem außerordentlich Schrecklichen der Begebenheit dazu enthalten sind, bey uns entschuldigt werden; oder er mag, wie Moses glaubt, gar nothwendig seyn, um uns von der Größe der Leidenschaft, auf der doch unsre ganze Rührung beruht, zu überzeugen. Ob ich gleich das letztre nicht recht glaube. Vergebens wäre der Selbstmord, um uns zu rühren, wenn wir nicht schon zuvor für die Person eingenommen, und von der Leidenschaft, die sie einnimmt, ergriffen wären. Aber im Leben wenigstens würde uns ein solches Schauspiel mehr Schaudern als Vergnügen erwecken. Lieber wünschte ich, Julien wie Heloisen in einem Kloster zu sehen. Oft würde ich dieses alsdann besuchen, um durch die dunkeln und einsamen Wohnungen die durchdringenden aber doch süßen Klagen der Schwermuth, der Liebe und der Sehnsucht zu hören. Gottseligkeit sollte mit der Liebe kämpfen; und Julie würde eine Heilige werden. -- Einen Theil der Wirkungen der Liebe sehen Sie also in dem Stücke meines Freundes zugleich mit ihren Symptomen. Freylich nur die schrecklichsten und die traurigsten. Aber mich dünkt, sie sind doch sehr geschickt, uns auf die erfreulichen zu führen. Wie schmerzlich sollte es mir seyn, wenn hier meine Grundsätze von Ihren Empfindungen abwichen. Aber doch muß ich sie sagen; die Freymüthigkeit, die in dem Gefolge der Freundschaft ist, und ein gewisser Eifer, den ich in mir selbst fühle, Ihnen auch alle meine Vorurtheile, so lange ich sie noch für wahr halte, ohne Verstellung mitzutheilen, fordert es von mir. Sie sehen, ich habe schon meine Meinung gesagt. Es giebt, wie ich glaube, überhaupt bey jeder unsrer Neigungen eine doppelte Seite. Die eine will blos genießen, sie sucht den Gegenstand nur auf, hält ihn fest und ergötzt sich an ihm. Die andre bereitet sich den Genuß erst vor, indem sie den Gegenstand verschönert, vollkommener, besser, und wenn er dessen fähig ist, glücklicher macht. Diese schiebt den Genuß auf, um ihn zu erhöhen. Die Leidenschaft hat eigentlich in dem ersten Theile unsrer Neigung ihren Sitz. Hier gehört weniger Thätigkeit, nur Empfindung dazu; man empfängt blos, fühlt und genießt. Die Vernunft stört hier mit ihren Reflexionen die Heftigkeit der Begierde nicht; sie wird sogar, wenn die Empfindung heftig wird, eine Zeit lang völlig unthätig, -- alle Spannkräfte der Seele erschlaffen, sie sinkt in eine bezaubernde, aber deswegen vielleicht oft gefährliche Schwärmerey. -- So war die Liebe der Julie in Romeo größtentheils. Wenn sie von dem andern Theile abgesondert ist, so geschieht das, dessen ich oben gedachte. Der Grund der Seele, der sonst mit einer Reihe von mannigfaltigen schönen und lieblichen Bildern bemahlt war, wird nun mit einer einzigen einförmigen Farbe überzogen; die Einbildungskraft kennt nunmehr keine andern Bilder, als die zu diesem Gegenstande gehören; und der Verstand selbst entzieht sich einer jeden andern Reflexion, als der, welche die Hitze ernähren oder vermehren kann. Hiervon, wenn sich ein trauriges Geschick mit einer solchen Leidenschaft verbindet, erwarte ich alle schrecklichen Folgen, die vom Anfange der Welt her so oft die Begleiter der Liebe gewesen sind. Ein solches Feuer verzehrt den Menschen, den es nur erwärmen sollte. -- Zum guten Glück sind auch dazu nur große Seelen fähig. Aber ist es nicht traurig, daß eben diese am leichtesten durch eine Leidenschaft überwältigt werden, die jede andre Kraft, jede Fähigkeit ihrer Seele vernichtet; alle ihre angebornen und erworbenen Vollkommenheiten verschlingt, oder doch für nichts als für sie arbeiten läßt; der Tugend selbst nur die Gestalt der Liebe läßt, und dieselbe zu Boden tritt, sobald sie sich ihr entgegen setzt. Gesetzt aber, daß das glücklichste Ende eine Liebe, die blos von dieser Art ist, bekrönte. Geben Sie der Julie einen Romeo, der alle Entzückungen der Liebe mit ihr theilt; versöhnen Sie ihre beyden Familien mit einander, lassen Sie sie mit dem Beyfalle des Himmels und ihrer Eltern Eheleute werden. Nehmen Sie der Zeit und dem beständigen Umgange die Gewalt, die sie sonst über die meisten Herzen haben, die Heftigkeit der Neigung zu mäßigen, und Feuer in Wärme zu verwandeln, lassen Sie sie in unaufhörlichen Ergießungen ihrer ersten Liebe ihr Leben zubringen. -- Glücklich können sie vielleicht dabey seyn, -- aber nützliche brauchbare Leute gewiß nicht; sie sind alsdann für die Welt verloren. Und wenn sie das erhabenste Genie und den größten Heldenmuth hätten, so würden sie mit allen beyden nichts weiter ausrichten, als die Flamme, die bey andern Menschen aus Mangel der Nahrung auslöscht, unterhalten; sie würden immer empfinden und genießen, -- aber niemals thun. Doch nun wollen wir diese unvollständige Neigung ergänzen, wollen den andern weniger eigennützigen Theil hinzusetzen. Wir sehen alsdann in unserm Gemahle oder Freunde nicht mehr blos ein Gut, das wir genießen sollen; sondern auch ein Eigenthum, das wir verbessern, erweitern und vortrefflicher machen wollen. Er ist alsdann nicht mehr ein bloßer Gegenstand unsers Gefühls, sondern auch unsrer Bemühungen. Dieser Theil der Neigung muß nothwendig ruhiger und gelassener seyn, und bey nicht sorgfältigen Beobachtern zuweilen den Schein der Kälte annehmen; zuerst, weil nach der Natur der Seele jede Neigung, die unmittelbar mit dem Genusse verknüpft ist, stärker seyn muß, als die, welche erst durch eine Kette von vielen Gliedern mit dem Genusse zusammen hängt; zum andern, weil wir alsdann von dem Gegenstande selbst mit unsern Gedanken und unsern Betrachtungen eine Zeit lang abgehen, und sie auf unsre Bemühungen, auf die Mittel, die wir zu unserm Zwecke wählen wollen, und auf die Art und Weise, wie wir sie am geschicktesten anwenden, richten müssen. Diese Neigung ist thätig, bringt alle Kräfte der Seele in Bewegung, spannt alle ihre Triebfedern, erweckt alle ihre Begriffe, und erhöht unsre natürliche Stärke bey jeder Handlung, durch den neuen Endzweck, den wir bey derselben außer dem Unmittelbaren der Handlung hinzusetzen. So kann der geschäftigste Mann, aus Liebe zu seiner Gattin, alle die Arbeiten thun, die ihr seinen Umgang entziehen. Weit von seiner Geliebten, kann der Jüngling sich unter einen Haufen gezückter Schwerdter stürzen, oder den brausenden Wellen trotzen, indem das Bild seiner Geliebten wie eine unsichtbare Göttin um ihn schwebt, seinen Arm stärker, und seinen Muth unerschrockner macht. -- Dann lassen Sie auf Mühseligkeit und Arbeiten, selbst auf die Entbehrung, der man sich aus Liebe unterzogen, eine Stunde des Genusses folgen. -- Dann lächelt der Himmel selbst über ihre Freuden! u. s. w. Neun und zwanzigster Brief. Meine Geschäfte sind kaum von der Erheblichkeit, daß man ihnen diesen Namen geben kann. Demungeachtet füllen sie meine ganze Zeit aus, besonders, da ich manchmal viele Tage durch Zerstreuungen verhindert werde, daran zu denken. Außer dem, was ich zu meinem eigenen Unterrichte vornehme, haben Gellert und Weise von mir einige Arbeiten gefordert, die ich beschleunigen muß. Ich werde dazu die Zeit zu nutzen suchen, da Herr von K****, der mich sonst jeden Tag einige Stunden kostet, verreist ist. Fürchten Sie aber nichts für unsern Briefwechsel. Die Freundschaft kennt ihre Rechte, und sie weiß sie gegen alle andre Ansprüche und Forderungen zu vertheidigen. Ueberdieß ist ihre Sprache kurz. Man versteht sie durch Sympathie. Sie erklärt nicht sowohl ihre Empfindungen, sie macht nur den andern auf seine eignen aufmerksam; und nur indem sie des Freundes Herz in Bewegung setzt, zeigt sie ihr eignes. -- Aber warum lassen Sie Ihre Tage durch Träume beunruhigen? -- Oder warum geben Sie einem Traume, der so vieler guter, glücklicher Auslegungen fähig ist, gerade die, welche Sie kränken muß. Ich sehe in demselben nichts, als Ihre eigne Zärtlichkeit, die selbst in den nächtlichen Gemählden, die Ihnen Ihre Einbildungskraft vorstellt, der Freude des Wiedersehens eine Gewalt über das Herz giebt, unter welchem dasselbe erliegt. -- Ich bin als Freund verpflichtet auf Mittel zu denken, die Ihnen diese öftern Unruhen, wenn es nicht möglich ist, ihnen zuvor zu kommen, wenigstens mäßigen. Ist es nicht wahr, daß eine solche Unruhe (ich rede nicht bloß von der letzten) unthätig und zur Verrichtung eines jeden Geschäftes, selbst zu dem Genusse des Vergnügens unwillig und unfähig macht? Und ist dieß wohl der Zustand, in dem wir oft seyn sollen, in dem wir am meisten Gutes zu thun hoffen können? Vermehren Sie den Grad, oder verlängern Sie diesen Zustand. Sie werden sehen, daß er nach und nach den Gebrauch jeder unsrer Fähigkeiten aufheben und uns zu einer Art von Schlaf bringen wird, der voll von fürchterlichen Träumen ist, und uns eben so viel Zeit raubt, als der natürliche, ohne uns dieselbe Erquickung zu geben? -- Demungeachtet fühlt die Seele eine gewisse Süßigkeit darin, um deren willen sie sich dieser Unruhe überläßt, und sich selbst den Mitteln entzieht, die sie aufheben könnten. Ich kenne diesen Zustand, aber ich finde ihn allemal für mich schädlich, ob ich gleich nicht allemal so glücklich bin, mich davon zu befreien. Wenn es aber gelingt, so ist es niemals anders, als durch eine anhaltende und die Seele sehr einnehmende Beschäftigung. Man muß gleich im Anfange, wenn man die erste Anlage zu einer solchen Gemüths-Verfassung bemerkt, die Aufmerksamkeit mit Gewalt von dem Gegenstande abziehen und auf etwas richten, was im Stande ist, sie anzuheften und von der Rückkehr abzuhalten. Ein andres Frauenzimmer würde vielleicht den Mangel solcher Gegenstände vorwenden können; aber Sie nicht, liebe Freundin, die außer den Geschäften einer Hausmutter auch noch alle die für sich haben, die die Wissenschaften und die Lektüre verschaffen. Wählen Sie sich also alsdann eines von den Büchern, die Sie am meisten lieben; oder noch besser, arbeiten Sie selbst etwas. Sie werden sich zuerst zwingen müssen. Die Seele wird mit Widerwillen sich von dem neuen Gegenstande wegwenden. Aber nach und nach, wenn besonders der erste Anfang geglückt ist, wird sich der Gegenstand der Seele bemächtigen; es wird eine neue Leidenschaft rege; der Wunsch und die Hoffnung, die Sache, die man vor hat, schön zu machen. Endlich arbeitet man aus Geschmack fort, da man blos aus Ueberlegung angefangen hatte. Ich freue mich auf Ihre Anmerkungen über die eheliche Liebe, und wenn sie auch von meinen Grundsätzen abgiengen. Sie wissen nun schon, wenn wir Philosophen einmal ein System im Kopfe haben, so muß sich alles darnach richten, und entweder seine Form annehmen, oder es wird verworfen. Nun nach diesem Systeme finde ich allerdings zwischen der Liebe vor der Ehe, und in derselben, einen Unterschied. Nicht in dem Feuer, noch in der Delikatesse derselben; aber in der Art, sie auszudrücken. Ich nehme wieder meine Eintheilung zu Hülfe. Das was in der Liebe blos Begierde ist, und zu seinem Endzwecke den Genuß hat, herrscht nothwendig vor der Ehe. Das was in derselben Bestrebung und Eifer ist, und zum Gegenstande mehr des Andern Glück, als unser Vergnügen hat, sollte in der Ehe herrschen. Dem zu Folge muß nothwendig die Leidenschaft des Liebhabers aufwallend und ungestüm seyn, denn sie streckt sich erst nach einem Gute aus, welches sie erreichen will; die Liebe des Ehemannes ruhig und thätig, denn sie arbeitet nun an der Erhöhung und Verschönerung eines Gutes, das schon ihr Eigenthum ist. Ohne diese Einschränkung ist die eheliche Liebe in Gefahr, tändelnd zu werden, welches sie von ihrem wahren Zwecke beynahe eben so weit abbringt, als die Kälte. Ich sage Ihnen alle meine Gedanken, liebe Freundin, als einer Person, die zu meiner größten Vertraulichkeit und zu einer Kenntniß meiner innersten Gesinnungen ein Recht hat. Läutern Sie meine Grundsätze, und arbeiten Sie selbst an der Verbesserung Ihres Freundes u. s. w. Dreyßigster Brief. Ihr Urtheil über den Romeo, und Ihr Wunsch wegen seines Schlusses ist mit meiner Mutter ihrem vollkommen einerley. In der That ist der letzte Auftritt mehr schrecklich als rührend, Julie mehr unsinnig als schwärmerisch, und ihre Liebe mehr Raserey als Leidenschaft. Ich bin begierig, auch von den beyden übrigen Stücken, die in eben diesem Theile stehen, Ihr Urtheil zu wissen. Marmontels Erzählungen lassen sich vielleicht um desto schwerer in Dramata verwandeln, je ausgearbeiteter schon der Dialog ist. Man kann schwerlich verhindern, daß der Leser nicht die neuen angesetzten Stücke von den alten unterscheide; und man geht gar zu leicht aus einem Charakter heraus, der nicht von Anfang an unser eigen ist. So geht es, dünkt mich, mit der Corally ihrem, der in dem Stücke, die Freundschaft auf der Probe, am meisten hervor sticht, und den er zuweilen verfehlt hat. -- Aber ich höre, die Mademoisell Schulz verläßt das Theater. Versäumen Sie doch ja nicht, Romeo zu sehen, ehe sie fortgeht. Sie macht diese Rolle unnachahmlich schön; ich setze nur das Einzige an ihr aus, daß sie in den Stellen, wo ohnedieß schon der zu weit getriebene Affekt beynahe bis ins Widrige geht, noch einige Grade hinzu setzt. Aber genug von dieser Materie, die ohnedieß schon erschöpft ist. Ich hätte mehr Lust, meinen Streit mit Ihnen, als meine Kritik zu verlängern. Sie wissen noch nicht, wie hartnäckig ich bin, wenn ich mir einmal in den Kopf gesetzt habe, etwas zu behaupten. Ihr Brief hat mir gefallen; und mit weniger Eigensinn, als ich habe, hätten mich Ihre Gründe verblendet oder überzeugt. In der Verfassung, in welcher ich bin, kann ich noch nicht sagen, welches von beyden. Denn wenn ich sagte, daß ich ohne Eigensinn hätte müssen überzeugt werden, so wäre dieß eben so viel, als gestünde ich zu, ich hätte Unrecht. Sie wollen also zwischen dem Liebhaber und dem Ehemanne durchaus keinen Unterschied zulassen; und ich bildete mir ein, ich hatte es recht förmlich bewiesen, daß einer seyn müßte. So kann einem die Eigenliebe verblenden! Vielleicht richte ich durch eine Allegorie aus, was meine Metaphysik nicht vermochte. -- Wenn zuerst nach einer langen Dürre, oder am Ende des Winters, Jupiter in einem fruchtbaren Regen in den Schoos der mütterlichen Erde herab steigt: dann wird auf einmal die ganze Gestalt der Natur geändert. Blumen und Gewächse von aller Art bedecken die erst nackte Oberfläche; die Bäume schimmern von jungem Grün, das nur noch wie zartes Moos auf die kahlen Aeste gestreut ist; die todte Stille der Natur wird rege und lebendig; Luft und Erde bekommen wieder Bewohner; der Wechsel ist eben so plötzlich, als schön. -- Aber wenn nun diese erste Rückkehr der Natur zum Leben geschehen ist, dann kann der ganze liebliche Sonnenschein, und die schönsten, erfrischendsten Regen, durch die er unterbrochen wird, nicht gleich große und gleich merkliche Veränderungen hervor bringen. Im Stillen, ungesehen, wächst nunmehr durch eben die Kraft, die ihn zuerst hervor brachte, der Halm zur Aehre, das Gras zur Staude, und die Blüthe zur Frucht heran. Noch immer empfängt die Erde dieselben wohlthätigen und kräftigen Einflüsse des Himmels; aber sie kann jetzt nicht mehr durch sie eine ganz neue Schöpfung hervor bringen, sie kann nicht mehr die ganze Gestalt der Natur umändern. -- Aber in ihrer geheimen Werkstatt empfängt und nutzt sie noch auf eben die Art den himmlischen Segen, sie verschließt ihn jetzt in sich, um ihn den Pflanzen ganz allein mitzutheilen, die sie hervor gebracht hat, und um Korn, Obst, Wein auf den stillern Herbst zu bereiten. Sollten alle folgenden Eindrücke dem ersten gleich seyn? -- Das ist wider die Natur der Seele. Sie selbst, Sie selbst, die die Natur mit der zärtlichsten von weiblichen Seelen beglückt, Sie würden sich blos selbst hintergehen, wenn Sie das als eine gemachte Erfahrung ansähen. -- Soll die Leidenschaft niemals zum Grundsatze, zur Gesinnung werden? -- Alsdann ist sie unnütz und gefährlich. Das stürmende Meer kann nur Schiffbruch und Untergang verursachen, wenn es ohne Aufhören wüthet. Aber wenn der heftige Sturm zu einer noch lebhaften aber ruhigern Bewegung gemäßigt wird, dann bringt er das Schiff mit vollen Segeln in den Hafen. -- Soll die Seele immer nur von einem einzigem Gegenstande erfüllt seyn, wie es die Seele des Liebhabers ist? -- Dann verschlingt und vernichtet dieser Gegenstand alle Kräfte derselben, er verbraucht alle ihre Fähigkeiten, und läßt für alle ihre übrigen Pflichten und Geschäfte nichts, als matte, unwillige und kraftlose Bestrebungen. Aber wie muß die Liebe seyn, auf deren Flügeln der Geist erhoben, und seiner Bestimmung und seinem Schöpfer näher gebracht wird? Die Seele, deren ganze Neigungen und Fähigkeiten sich in einem einzigen würdigen Gegenstande koncentrirt hat, muß sich von ihm aus auf alles, was gut, schön und vortrefflich ist, verbreiten. Er muß das Band seyn, welches die Seele an alle ihre Pflichten verknüpft, und sie mit Freuden an die Sachen anzieht, die sie sonst aus andern Bewegungsgründen nur mit Widerwillen, oder doch ohne Vergnügen würde gethan haben. Das Feuer der Liebe muß sich in eine gleiche und fortdauernde Wärme verwandeln, die jeder andern gutthätigen Neigung zum keimen hilft, jede tugendhafte Handlung empor treibt, und jeden Widerstand aus dem Wege stößt. -- Noch ein Mal: der Liebhaber und die Geliebte wollen nichts, als sich sehen, sich umarmen und sich genießen. Der Ehemann und seine Gattin wollen sich und die Welt glücklich machen, und diesen Zwecken zu Ehren entbehren sie jene Vergnügungen ohne Murren u. s. w. Ein und dreyßigster Brief. -- -- Ich bin außerordentlich vergnügt darüber, daß Sie meinen Brief vollkommen nach den Gesinnungen erklärt haben, in denen ich ihn geschrieben hatte. Sie haben mir eine große Probe abgelegt. Ich fürchtete nicht, daß Sie über meine Freymüthigkeit böse werden würden; aber ich erwartete doch eine kleine Empfindlichkeit über einen so beherzten Widerspruch. Bey jedem andern Frauenzimmer, als bey einer solchen Philosophin, wie Sie sind, wäre meine Erwartung ganz gewiß eingetroffen. -- Diese Materie ist jetzo erschöpft, oder ich will sie doch wenigstens dafür ansehen. Wenn Sie nur wahrhaftig glücklich sind, so will ich es Ihnen verzeihen, wenn Sie es auch zum Theil durch ein Vorurtheil wären. -- Ich habe diese Woche eine ganze Gesellschaft von Leuten gesehen, die es noch durch ein weit handgreiflicheres Vorurtheil sind, oder wenigstens vorgeben es zu seyn. Ich bin mit einer großen Gesellschaft von Frauenzimmern in einem Nonnenkloster gewesen, und zwar bey denen, die barmherzige Schwestern heißen, und sich mit der Wartung armer Kranken beschäftigen. Ein wirklich verehrungswürdiger Orden, der großen und beschwerlichen Dienste wegen, die seine Mitglieder der Gesellschaft leisten. Sie sind dabey arm; und da die Anzahl reicher Katholiken bey uns in B*** immer mehr abnimmt, und die eignen Kapitalien des Klosters nicht nur an sich klein, sondern auch jetzt ohne Nutzen für sie sind, weil sie bey einem Hause ausgeliehen stehen, das im Begriff ist, banquerout zu machen (ehemals einem Besitzer von 500000 Thalern), so müssen die 21 geistlichen Jungfrauen, aus denen das Kloster besteht, sich auf das äußerste einschränken, weil sie nicht nur sich, sondern auch ihre Kranken zu ernähren haben, und noch dazu Aerzte und Arzeneyen bezahlen müssen. Meine Mutter und verschiedene unsrer Bekannten, die ihnen deswegen von Zeit zu Zeit eine kleine Beysteuer schicken, werden in dem Kloster als große Wohlthäter angesehen. So sehr ist die Dürftigkeit auch für kleine Erleichterungen empfindlich. Wir wurden also sehr wohl aufgenommen. Wir tranken in der Apotheke, wohin auch Mannspersonen kommen dürfen, in Gesellschaft der artigsten und vernünftigsten Schwestern, Kaffee. Die Frauenzimmer wurden hierauf im ganzen Kloster, ich nur in der Kirche und im Krankenzimmer, herum geführt. -- Sie können nicht glauben, wie sehr mich diese Leute für sich interessirt haben. -- Es giebt Personen von den besten Familien, von gutem Verstande und von einer wirklichen Schönheit darunter. Besonders ist die würdige Mutter eine höchst vernünftige, gesetzte und von dem klösterlichen Wesen ziemlich freye Person. Ausser ihr zieht ein Fräulein Mucius, eine ehemalige Bekannte einer Dame aus unsrer Gesellschaft, die auch deswegen von der Superiorin die Erlaubniß erhielt, bey uns zu bleiben, die Augen auf sich. Ungeachtet sie schon 16 Jahre im Kloster ist, so hat sie doch noch alle Züge von Schönheit. Ein feuriges und schönes Auge, das durch die Kopfbinde ihres Habits halb verdeckt, und auf eine gewisse Weise schmachtend und zugleich einnehmend gemacht wird; -- in ihrem Betragen eine gewisse stille und ruhige Zufriedenheit mit ihrem Zustande, die man bey den glücklichsten Personen so selten antrifft; eine Stimme, die sehr angenehm und sanft ist; -- und wenn man sich dieses noch junge Frauenzimmer denkt (deren Vater ein reicher und vornehmer Mann ist), in einem sehr schlechten Kleide (ob es sie gleich nicht verstellt), allen Bequemlichkeiten des Lebens und der Gesellschaft entzogen, zum strengsten Gehorsam verpflichtet, und oft mit den niedrigsten, beschwerlichsten und ekelhaftesten Dienstleistungen der Kranken beschäftigt: so muß man Hochachtung und Mitleid für sie zugleich haben u. s. w. Zwey und dreyßigster Brief. Den 9. Januar 1768. Für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre freundschaftliche Sorgfalt, mir Vergnügen zu machen, und es mir an dem Tage[B] zu machen, wo ich durch tausend andre angenehme Eindrücke mehr als gewöhnlich vorbereitet bin es zu genießen; dafür danke ich Ihnen aufs verbindlichste. Meine Mutter hat Ihren Willen sehr genau befolgt. Ich erfuhr Dienstags nichts davon, daß Briefe angekommen wären, und ich dachte also gewiß, Sie wollten Ihren Posttag verlegen, und würden von nun an Donnerstags schreiben. Diese Vermuthung machte, daß ich selbst nicht schrieb, und dabey blieb ich also ganz ruhig, bis des Donnerstags Morgens, indem wir alle beysammen waren, meine Mutter, die sich einen Augenblick entfernt hatte, mit einer sehr feyerlichen Miene, einem großen Kuchen in der Hand, auf dem Ihr Brief lag, und einem noch größern Glückwünschungs-Komplimente, das sie, wie sie sagte, von Ihnen auszurichten hätte, zurück kam. Die Sache war mir so unerwartet, daß sie mir Anfangs ein Räthsel zu seyn schien. Ich öffnete endlich Ihren Brief, die Schwierigkeiten wurden durch meine Mutter gehoben, und meine erste Ueberraschung endigte sich mit einer stillen und angenehmen Fröhlichkeit. So viel war auch nöthig, wenn ich an einem Tage heiter seyn sollte, wo ich mich von einem heftigen Schnupfen, oder wovon es sonst war, so übel befand, daß ich eine ernsthafte Krankheit hätte befürchten können. Ich schob deswegen eine kleine Solennität, die auf diesen Tag bestimmt war, bis auf den folgenden auf. Gestern also habe ich mir das Vegnügen, ein Koncert bey mir zu machen, zum zweyten Male erlaubt. Meine Mitspieler waren noch besser, als das erste Mal. Die Gesellschaft war, außer meines Onkels Familie, der Hauptmann R*** mit seiner Frau; er ein sehr geschickter und verständiger Mann, jetzo der Ober-Bau-Inspektor von B****; sie, eine Sachsin von Geburt, aus Chemnitz, das beste Herz und die liebreichste, zärtlichste Ehegattin; endlich eine gewisse Fräulein von W****, ein Frauenzimmer von sehr guter Erziehung und Lebensart, und von vielem Verstande. Ihr Bruder, bey dem sie lebt, steht in eben dem Posten, wie mein Onkel, ist ein angenehmer und allenthalben willkommener Gesellschafter, und verdient um desto mehr Hochachtung, weil er sich aus einem Stande der Dürftigkeit, in dem er und seine Schwester, ihres Standes ungeachtet, ihre Jugend zugebracht haben, durch seine Geschicklichkeit, seinen Fleiß und seine gute Wirthschaft hat wissen heraus zu ziehen, und sich also die bequeme und artige Weise, mit der er jetzo lebt, ganz allein schuldig ist. So viel von unsrer Gesellschaft. Unter der Musik nahmen sich die Sachen von einem gewissen Schobert, dem, der in Paris an Champignons gestorben ist, sehr vorzüglich aus. Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich mit Ihnen schon davon geredet habe; aber gesetzt, das wäre auch geschehen, so kann ich es, zum Dank für das Vergnügen, was mir des Mannes Arbeit gemacht hat, nicht oft genug wiederholen, daß es die schönsten Sachen sind, die jemals aufs Klavier sind gesetzt worden; insbesondre die Duetts, Trios und Koncerte von ihm. Man kann nichts Neueres und zugleich Schöneres hören. Alle Ideen des ganzen Stücks sind original, und zuweilen so außerordentlich frappirend, daß sie den unverständigsten Zuhörer treffen müssen. Sie erfordern aber viel Uebung. Er selbst (denn wenn eine Nachricht wahr ist, die hier herum geht, so habe ich den Schobert selbst hier auf meiner Stube mehr als ein Mal vor langen Zeiten spielen hören, er ist sogar einen halben Monat, oder so etwas, mein Lehrmeister gewesen), er selbst also, vorausgesetzt, daß es dieser ist, hat die allergrößte Flüchtigkeit der Hände, die ich jemals gesehen habe. Er setzt also seine Stücke so, wie sie für seine eignen Finger am besten sind. Aber sie thun eine unbeschreibliche Wirkung, wenn sie auch nur mittelmäßig vorgetragen werden. Seine Stücke sind selten, und ich würde sie ohne die Gütigkeit eines Freundes niemals zu Gesichte bekommen haben. So brachten wir also den gestrigen Tag ziemlich vergnügt zu. Demungeachtet befinde ich mich heute noch nicht ganz wohl. Ich schreibe deswegen auch nicht so viel, als ich mir vorgenommen hatte. Meine Mutter wird durch andre Hindernisse in einem ähnlichen Vergnügen gestört. Ihre Nahrung erfordert um diese Zeit viele Rechnungen, die sehr beschwerlich sind, und für jede andre Frau beynahe unmöglich wären. Aber sie verrichtet das alles mit einer Genauigkeit und Akkuratesse, deren ich gar nicht fähig wäre. Sie wird überdieß von einem Flusse im Ohre beschwert, und hört deswegen schlecht. Ich erinnere mich, daß Sie vor langer Zeit einen Plan zur Erziehung Ihrer Wilhelmine verlangten. -- Zu einem solchen Plane habe ich weder Geschicklichkeit noch Geduld genug. Aber zerstreute Anmerkungen, wenn Sie die haben wollen, wenn Sie sich die Mühe geben wollen, sie so gut zu verbinden, als sie selbst es werden zulassen, wenn Sie mir versprechen, die Lücken durch ihre eignen Bemerkungen auszufüllen, die sollen Sie von mir bekommen. Flößen Sie Ihrer Wilhelmine, wenn Sie können, etwas von Freundschaft gegen einen Menschen ein, den Sie selbst mit so vieler beehren. Lassen Sie sie wissen, daß ich eher für sie gute Wünsche gethan habe, als sie selbst etwas wünschen konnte u. s. w. Fußnote: [B] Garvens Geburtstag fällt auf den siebenten Januar. Drey und dreyßigster Brief. Das ist wirklich eine Feyer meines Geburtstages, auf die ich mir etwas zu gute thue. Wenn ein Freund an mich denkt, und diese Erinnerung ihm Vergnügen macht; wenn er mir so viel Einfluß auf sein Herz zugesteht, daß ich es zuweilen ruhiger, freudiger, mit sich und mit andern zufriedener machen kann, das ist die größte Befriedigung, die meine Liebe und meine Eitelkeit verlangt. Sie, liebe Freundin, verstehen die Kunst, sich zu vergnügen, schon recht gut. Ihre Hoffnungen darauf werden Ihnen weit seltner fehlschlagen, wenn Sie es, so wie Sie es gethan haben, ohne viele Vorbereitungen bey sich selbst suchen. Aber wenn Sie nur die Kunst, sich zu quälen, nicht zuweilen eben so gut verstünden. O, liebe Freundin, beynahe liegt noch das ganze Jahr mit allen seinen Tagen und Stunden vor Ihnen. Es scheint nun noch völlig in Ihrer Gewalt zu seyn, was Sie daraus machen wollen. Aber eilen Sie, eilen Sie, jede, schon die gegenwärtige Minute für die Glückseligkeit aufzuwenden. Das Vergnügen und die Tugend sind nicht blos als Wirkung und Ursache, sondern als zwey verschwisterte Eigenschaften der Seele mit einander verwandt, die gemeiniglich nicht ohne einander zu finden sind. -- Die Unzufriedenheit und das Mißvergnügen ist immer unthätig oder in Verwirrung; das Vergnügen ist zugleich ruhig und wirksam. Die Aufmerksamkeit der Seele ist dann jedes Mal bey dem Gegenstande zusammen, den sie vor hat, und ihre Kraft ist also ungetheilt, das, was sie thut, aufs beste zu thun. Das Vergnügen ist für die Seele, was die Gesundheit für den Körper ist; es macht sie zu allen ihren Verrichtungen aufgelegter und geschickter. Das alles ist nun recht schön und vortrefflich. Aber die Frage ist, was für eine Art von Diät muß man der Seele vorschreiben, um sie bey diesem Wohlbefinden zu erhalten? Eine Regel dazu ist uralt, aber sie ist wahr: man soll mit seinen Wünschen sich in der Natur der Dinge einschränken, und nichts begehren, was diese nicht zuläßt. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen deutlich genug werde sagen können, was ich denke. Aber das weiß ich, in meinem Leben und in dem Leben meiner Freunde sehe ich den größten Theil ihres Verdrusses aus betrogenen Wünschen und Erwartungen entstehen, die nur deswegen betrogen wurden, weil sie selbst auf einen Irrthum gegründet waren. Sie z. B. (um meiner Absicht näher zu kommen) haben bey einem eingezogenen und ruhigen Leben, bey einem gutgearteten und rechtschaffenen Herzen, bey einem wohlgebildeten Geiste, und bey dem Genusse der vornehmsten Bequemlichkeiten des Lebens, wenig andre Ursachen, unzufrieden zu seyn, als die Besorgnisse, daß Sie von Personen, deren Liebe Sie über alles schätzen, nicht genug geliebt, nicht genug hochgeachtet werden. Da diese Leidenschaft, in der That unter den übrigen die edelste, bey Ihnen die stärkste ist, so muß auch natürlicher Weise aus dieser Quelle die meiste Unzufriedenheit bey Ihnen entstehen. Aber wenn Sie doch nun mit mir ruhig untersuchten, welches wohl zuweilen die Merkmale sind, aus denen Sie diesen Mangel der Zärtlichkeit schließen. Ohne Zweifel sind es Unterlassungen von Handlungen, die Sie als die unausbleiblichen Wirkungen einer solchen Neigung ansehen. -- Aber wie? sind sie dieses auch wirklich? Ist der Schluß von diesen Aeußerungen auf die Sache selbst unfehlbar, und können sie umgekehrt nicht ausbleiben, ohne die Gesinnung selbst zweifelhaft zu machen? Sie werden dieses selbst nicht denken, -- wie würde es Ihnen sonst möglich seyn, wieder ruhig zu werden? Aber gehen Sie in Ihrer Untersuchung noch einen Schritt weiter. Ist es der Natur der Dinge und des Menschen nach möglich, daß sich die stärkste, die eingewurzeltste, die mit dem Wesen der Seele selbst verwebte Leidenschaft (ich will Ihnen zu gefallen es so nennen) immer durch einerley Beweise zu erkennen giebt? Um davon nur ein frappantes Beyspiel anzuführen, ob es gleich nicht vollkommen auf den Fall paßt: ist es möglich, oder wenn es möglich wäre, würde es anständig seyn, daß sich die Zuneigung eines Greises auf eben die Art und durch eben die kleinen Beweise zu erkennen gäbe, wie die Zuneigung eines jungen Menschen? Hier ist der Unterschied handgreiflich, und die ganze Welt kommt überein, den einen alten Gecken zu nennen, der selbst rechtmäßige Neigungen auf eine zu seinem Alter und seinen Umständen unschickliche Art an den Tag legt. Aber kann es nicht im menschlichen Leben eben solche andre Unterschiede geben, die nicht eben so in die Augen fallen, aber doch eben so wirklich sind? -- Und sollte es also nicht eine Forderung unmöglicher Dinge seyn, wenn man, allen diesen Unterschieden zuwider, von demselben Menschen unter den verschiedensten Umständen doch immer einerley Zeichen seiner Liebe verlangte? -- Ich gebe es zu, daß Ihr lieber Gatte Sie jetzo so liebt, wie damals, da er Bräutigam war. -- Aber wenn Sie verlangten, daß er Sie davon alle Augenblicke aufs neue mit aller der Eilfertigkeit und dem Empressement versichern sollte, als wenn er es Ihnen zum ersten Male sagte; wenn Sie eine beständige Wiederholung aller der kleinen Zeichen der Zärtlichkeit forderten, die bey einem Liebhaber oft nur den Mangel an Gelegenheit zu größern Proben ersetzen: so forderten Sie etwas, was der Natur der Dinge, und wo nicht dieser, doch gewiß Ihrer Ruhe und der Ruhe Ihres Mannes zuwider wäre. Sehen Sie, das ist der Inhalt meiner ehemaligen Theorie, und gewiß meine Absicht ist Ihre Glückseligkeit. Also verlange ich keine Abnahme der Liebe, keine Kälte, sondern nur in ihrem Ausdrucke mehr Ernsthaftigkeit und weniger Spielwerk. -- Wenn die Leidenschaft vor der Heyrath blos Leidenschaft ist, sagen Sie, so wird sie niemals Gesinnung werden. Vollkommen richtig! wenn Vorurtheil und sinnliche Lust die Wahl anstellen. Aber lassen Sie die Leidenschaft des Liebhabers auf alle Vollkommenheiten des Geistes und Herzens gegründet seyn: so wäre doch dieß die einzige Sache in der ganzen Natur, wo die erste Bekanntschaft mit einem gewissen Gut und der fortgesetzte Genuß desselben vollkommen einerley Wirkungen hätte. -- Wie? wenn Mann und Frau sich nicht wie Liebhaber und Geliebte gegen einander betragen, wenn sie die vertrautesten, die zärtlichsten Freunde von einander werden, so sollten sie sich keine Gefälligkeiten mehr thun können, so sollten sie sich einander blos nicht beleidigen? Und das wäre doch Freundschaft? -- Ich verstehe Sie nicht, liebe Freundin. -- Sie sagen, wenn Sie alle diese Dinge (diese +kleinen+ Zärtlichkeiten, Bemühungen und Opfer) wegnehmen, so hat die Ehe keinen wesentlichen Reiz mehr. Wie? so sollte die Ehe, die ehrwürdigste und heiligste Verbindung, ihren Reiz verlieren, wenn sich die beyden Eheleute nicht alle Augenblicke sagten, daß sie sich lieben; wenn sie sich nicht die Hände drückten; wenn nicht eins dem andern nachsähe, so oft es auf zwey Minuten von ihm geht; wenn es ihm nicht entgegen käme; wenn es ihm nicht auf der Stelle und mit aller geflissentlichen Aufmerksamkeit jede Liebkosung erwiederte, die ihm von dem andern gemacht worden? Ich sehe, da ich dieses noch ein Mal durchlese, nur die vertrauteste Freundschaft kann die Freymüthigkeit entschuldigen, mit der ich Ihnen geschrieben habe. Aber ich müßte Sie nicht so sehr lieben, wenn ich Sie nicht von Vorurtheilen frey zu machen suchte, die sonst das Elend Ihres Lebens seyn könnten u. s. w. Vier und dreyßigster Brief. Den 24. Januar. Ihr letzter Brief ist schön, und das Gedicht, was Sie mir abgeschrieben haben, recht vortrefflich. Es ist gewiß eine Ihrer besten Arbeiten von dieser Art. Ihr Herz ist bey dem Gegenstande gewesen, und das Herz führt immer den Verstand und das Genie sehr glücklich. Aber warum gehen Sie nicht nach Halle, wenn Sie schon in Crellwitz sind? Ich wünschte doch, daß Sie einen Ort, wo ich zwey Jahre sehr übel zugebracht habe, und wo ich vielleicht noch viele andre, aber besser, werde zubringen müssen, kennten. Der erste Anblick ist widrig, das gebe ich zu; aber das ist doch eben so ausgemacht, daß das Auge die prächtigsten Häuser und die elendesten Leimhütten gleich gut gewohnt wird, und daß alsdann der Verdruß über die Häßlichkeit, und das Vergnügen an der Schönheit, beynahe zu einer gleichen Empfindung der Gleichgültigkeit herunter gestimmt werden. O besetzen Sie die Hütten mit Freunden, die ich liebe und die ich verehre, und sie werden mir schöner vorkommen als Palläste. Doch auch diese habe ich in Halle noch nicht. Unterdessen kenne ich doch Leute, die vielleicht aufgelegt dazu wären es zu werden. Auf oder nach Ostern, den Tag weiß ich nicht, komme ich mit Gottes Hülfe nach Leipzig. Ein Brief von Gellert, voll von Gütigkeit und Freundschaft, hat mich erst vor fünf Tagen dazu eingeladen. Dieser Mann ist wahrhaftig mein Freund. -- Ist mir nun ein kleiner Stolz nicht zu verzeihen? -- Ich bringe hier meinen Winter sehr vergnügt zu. Am Freytage war ich in dem Hause eines Hrn. v. P***, dessen Fräulein Tochter, eine sehr gute und sehr angenehme Freundin von meiner Mutter und von uns allen, ein kleines Koncert machte. Sie spielt sehr gut auf dem Flügel. Ich spielte einige Sachen von Schobert τῷ πάνυ; lassen Sie sich Reizen dieses erklären. Wir waren bis um 11 Uhr recht vergnügt. -- Gestern kam wieder eine kleine Wolke. -- Aber kurz ich bin vergnügt, und bin u. s. w. Fünf und dreyßigster Brief. So schmeichelhaft es mir ist, daß Sie meine Ankunft wünschen, und so angenehm mir also auch die Hoffnung ist, solche Freunde wieder zu sehen; so muß ich doch sagen, daß mich die Vorstellung des Abschieds erschreckt. Eine Menge alter, und einige neue Freunde, die ich hier besitze, machen mir meinen Aufenthalt sehr angenehm, und die Trennung fürchterlich. Vor allem aber ist es meine Mutter, die mir bange macht. Ich hinterlasse sie zwar unter einer Menge von Personen, die sie hochachten; aber doch kaum bey einer einzigen, die ihre vertraute Freundin wäre; und selbst vor dieser würde doch ihre mütterliche Zärtlichkeit meiner Gesellschaft noch einen Vorzug geben. Die Umstände unsers Landes und die häuslichen, die davon abhängen, werden immer trauriger; und es ist schwer zu bestimmen, wo dieser Fortgang vom Bösen zum Schlimmern still stehen wird. Meine Mutter empfindet dieses bey einem ziemlich weitläufigen Hauswesen, das ganz allein von ihrer Sorgfalt in Ordnung gehalten werden muß, weit mehr, als ein jedes andre Frauenzimmer. Ueberdieß ist sie oft kränklich, und braucht von einer andern Seite eine kleine Aufmunterung, wenn die Schwachheit ihres Körpers und ihre Umstände sie niederschlagen. Ich bedaure also beynahe zuweilen, daß ich meinen Plan nicht so angelegt habe, daß ich zwischen dem praktischen und dem akademischen Leben hätte wählen können. Meine Freunde hier würden für mich viel gethan haben. Nach meiner jetzigen Aussicht kann ihre Liebe mein Leben nur angenehmer, nicht mein Fortkommen leichter machen. -- Doch ich will alle diese unangenehmen Ideen mit freudigern abwechseln lassen. Ich habe diese Woche ein sehr empfindliches Vergnügen gehabt; das Vergnügen, ein neues Verdienst kennen zu lernen. An unsern D. Tralles war aus Lausanne von dem berühmten Tissot eine gewisse Frau von Wyllamons empfohlen worden, die hier durch, nach Polen, in das Haus des Fürsten Czartorinsky als Hofdame ging. Der Herr Tralles bat mich und einige Andre beyde Mal zu sich, als er sie bey sich hatte. Wenig Frauenzimmer habe ich in meinem Leben gesehen, die mich durch die Größe ihres Geistes, die Richtigkeit und die Tiefe ihres Raisonnements, die Genauigkeit und Schönheit des Ausdrucks, und eine gewisse unbeschreibliche Annehmlichkeit, mit der sie dieß alles begleitete, so beym ersten Besuche für sich eingenommen hätten. Sie war weder sehr jung, noch sehr schön, aber die Anmuth selbst. Augen, welche redeten, und deren Bewegungen alles, was sie sagte, unterstützten; ihre ganze Aktion war damit übereinstimmend; und ohne die geringste Achtsamkeit auf sich selbst zu zeigen, that sie doch alle Mal das, was die strengste Aufmerksamkeit hätte fordern können. Sie redete Französisch und Englisch gleich gut, das erste in einem Grade von Vortrefflichkeit, der auch bey Franzosen selten seyn mag; ihre Ausdrücke waren alle Mal edel, gewählt, beynahe philosophisch richtig, und doch so frey und so ungezwungen, als es zum Gespräche nothwendig ist. -- Ich habe wenig Stunden angenehmer zugebracht, als die, welche ich mit ihr in Gesellschaft war. Sie hatte viel gelesen, und urtheilte darüber nicht blos richtig, sondern auch fein. -- Jedermann wurde von ihr bezaubert. Alles das schreibe ich Ihnen, weil ein genossenes Vergnügen seinem Freunde mittheilen ein zweytes Vergnügen ist u. s. w. Sechs und dreyßigster Brief. Den 24. Februar. Auf der empfindlichsten Seite hätte mein Brief Sie angegriffen? Wahrhaftig, das war nicht die Absicht seines Schreibers. Selbst nicht einmal die kleine Bosheit, die doch noch so gut mit der Freundschaft bestehen kann, eine Art von Eifersucht zu erregen, um sich von neuem von der Liebe des Andern zu versichern. Meine Absicht war noch weit einfältiger und mein Bewegungsgrund noch weit unschuldiger. Ich glaubte nicht, daß ich an der Frau von Wyllamons Vollkommenheiten lobte, die Ihnen fehlten. Ich dachte blos, Ihnen ein Vergnügen durch die Erzählung des meinigen zu machen. Sie wissen, die Eindrücke, die das Gute oder das Böse von Personen oder Sachen auf uns macht, stehen nicht in unsrer Gewalt. Die, welche die Frau von Wyllamons gemacht hatte, waren alle für sie günstig. Ich schrieb diese in der Einfalt meines Herzens nieder, um sie in Ihnen, wenn ich könnte, auf eine schwächere Art zu erregen (Sie sagen selbst, Eindrücke von der Art sind angenehm). Ich glaubte dabey um desto weniger Behutsamkeit zu bedürfen, je ähnlicher diese Empfindungen denjenigen waren, die Ihre erste Bekanntschaft bey mir erregte. Sie konnten es wahrscheinlicher Weise nicht einmal wünschen, daß ich die Vorzüge, auf die sich zuerst meine Freundschaft und meine Hochachtung für sie gründete, bey einer andern verkennen oder gering schätzen sollte. -- Aber deswegen sind diese Frau und Sie nicht auf gleichem Fuße mit mir. Die erste ist eine bloße Bekannte, die ich ihrer Talente wegen hochschätzen muß, deren Herz ich noch nicht kenne, und von der ich bisher nichts als Vergnügen und Höflichkeiten erhalten habe. Sie sind meine Freundin, deren Herz ich geprüft habe, von deren Freundschaft ich gewiß bin, und deren Einsichten mir nicht blos zu dem flüchtigen Vergnügen eines Abends, sondern zu dem Glücke meines Lebens gereichen. Ihr heutiger Brief selbst ist voll von den freundschaftlichen Gesinnungen, die Ihr Herz von andern Herzen so sehr unterscheiden. Lassen Sie sich also die neuen Freunde nicht beunruhigen. Sie würden auch die Ihrigen werden, wenn Sie sie kennten. Wollten Sie wohl Jemanden zu Ihrem Freunde haben, den die ganze übrige Welt verschmähte? Und würden Sie sich nicht Ihrer Neigung schämen müssen, wenn der Gegenstand derselben unfähig wäre, irgend einem Andern eine ähnliche Neigung einzuflößen? -- Ich kenne den Werth alter Freunde, und ich empfinde den Vorzug, den eine bestätigte Liebe vor einer blos flüchtig bezeigten Gefälligkeit haben muß. Alles also, was ich noch ins Künftige von dem Vergnügen sagen werde, was mir meine hiesigen Freunde machen, -- sehen Sie es niemals anders, als wie eine Aufforderung an Sie an, an diesem Vergnügen Theil zu nehmen, und wie ein stillschweigendes Versprechen, daß ich eben dieses Vergnügen, wenn es noch mit einer mehr gründlichen, wesentlichen Glückseligkeit verbunden ist, noch weit stärker empfinden werde. Meine Mutter -- wissen Sie das? -- ist auch eifersüchtig. Sie wollen nicht, daß ich mich vor meinem Abschiede fürchten soll? Wie kann ich das, wenn es nicht blos um meine eigne Glückseligkeit zu thun ist, sondern auch um meiner Mutter ihre? Sie müßten mich nicht für fähig halten, ein guter Freund zu seyn, wenn ich ein schlechter Sohn seyn könnte. Und wäre ich das nicht, wenn ich eine solche Mutter, wie die meinige, gern verlassen könnte? u. s. w. Sieben und dreyßigster Brief. Den 19. März. Wenn ich jetzt nicht mehr als gewöhnlich beschäftigt wäre, und wenn ich nicht den Zeitpunkt immer näher kommen sähe, in dem ich Sie wieder sehen soll: so würde ich mir es selbst nicht vergeben, daß ich Sie zuweilen auf meine Briefe einen Posttag länger warten lasse, als es unserm ersten Vertrage gemäß ist. Ich könnte zwar sagen, es wäre Rache. Aber ich finde nichts davon in meinem Herzen; und wenn Sie mir auch noch seltnere und noch kürzere Briefe schrieben, so würde mich doch mein eignes Vergnügen nöthigen, an Sie zu schreiben. Es ist also nicht Vorsatz, sondern Unvermögen, wenn ich mir dieses Vergnügen zuweilen versage. Ein Unvermögen, welches (erlauben Sie mir, das zu sagen) ich bey Ihnen nicht voraus setzen kann, da Sie mir selbst versichern, daß Ihr Umgang eingeschränkter als jemals ist, und Ihre Geschäfte sich doch nicht häufen können. Aber um Ihnen eine Probe von meiner Uneigennützigkeit zu geben: so muß ich Ihnen gestehen, daß, wenn ich gleich zuweilen dadurch eines Theils Ihres Andenkens, ja sogar Ihres persönlichen oder schriftlichen Umganges (nur nicht Ihrer Freundschaft) beraubt seyn sollte; ich Ihnen doch einen etwas ausgebreitetern Umgang wünschte, und zwar vornehmlich unter Ihrem eignen Geschlechte. -- „Unter meinem eignen Geschlechte? Wie können Sie mir etwas wünschen, wovon ich Ihnen so oft gesagt habe, daß ich es nicht zu meiner Glückseligkeit rechnen würde, wenn ich es hätte?“ Aber wollten Sie mir wohl noch einmal die Ursachen wiederholen, warum Sie es nicht darunter rechnen? „Was habe ich nöthig, Ihnen das erst zu sagen? Sollten Sie nicht wissen, wie leer der Umgang mit den mehresten Frauenzimmern ist; wie wenig sich mit --“ ihnen anfangen läßt, wollen Sie sagen. Zum Unglück wahr genug! Aber warum wollen Sie nicht daran arbeiten helfen, daß ihr Umgang lehrreicher werde, daß sich mehr mit ihnen anfangen lasse? Was würde aus dem niedrigern Theile unsers Geschlechts, oder des menschlichen Geschlechts überhaupt werden, wenn sich der edlere Theil demselben entziehen wollte, und ihm mit seinem Umgange zugleich die Mittel benähme, ihm ähnlich zu werden? „Aber ich habe nicht eben den Beruf, und auch nicht das Vermögen, eine Verbesserin zu seyn. -- Ueberdieß, wozu bedarf ich den Umgang? Ich habe meinen Gatten, den liebe ich; und die Stunden, die er nicht bey mir ist, sind gut genug mit der Erwartung von ihm ausgefüllt; wenn noch ein kleines unbefriedigtes Verlangen in meinem Herzen übrig wäre, so würde die Freundschaft von zwey oder drey Freunden meines Mannes es doch ganz ausfüllen. Und endlich --“ Und was endlich? „Sie wissen, ich liebe meinen Mann über alles -- ich wünsche, daß er mich über alles liebt --“ Und was denn also --? „Ich würde es nicht leiden können, wenn eine meiner Freundinnen ihm eben so gut gefiele, daß ich nicht mehr gewiß genug seyn könnte, daß seine Frau ihm noch besser gefiele.“ Mich dünkt, Sie würden (wenn Sie mir meine Freymüthigkeit vergeben wollen) diesen Bewegungsgrund nicht zuletzt angeführt haben, wenn Sie den stärksten hätten zuerst anführen wollen. „Gut! lassen Sie es seyn, daß es der stärkste ist. Ja, ich bin eifersüchtig; und man kann gar nicht lieben, ohne eifersüchtig zu seyn. -- Ich kann sogar keine Freundschaft für echt halten, die ihren Freund so ruhig mit Vielen theilen kann. Hüten Sie sich, daß nicht Ihr Rath, meinen Umgang zu erweitern, mich argwohnen läßt, daß Sie ihn nicht mehr so eifrig für sich selbst wünschen.“ Das können Sie im Ernste nicht denken; -- noch viel weniger, wenn Sie meine Gründe hören. „Und diese Gründe?“ Nur noch einen Augenblick Geduld! Sagen Sie mir, haben Sie nicht gehört, daß die Natur mit jeder Neigung, die sie uns giebt, oder mit jedem Vergnügen, das Sie uns genießen läßt, eine andre Absicht habe, als dieß Vergnügen selbst? „Ums Himmels willen! so weit müssen Sie ausholen? Sie werden doch nimmermehr die halbe Metaphysik abschreiben müssen, um mich zu bewegen, daß ich ein halb Dutzend Karkassen in meiner Stube zusammen bringe.“ Nun gut also, wenn ich Sie nicht mit der Ueberzeugung überraschen kann, so will ich sehen, ob ich mit offenbarer Gewalt gewinne. -- Sie sind eine Ehegattin, aber auch zugleich ein Frauenzimmer und eine Mutter. „Ja, eine Mutter! Und eben deswegen, weil ich diesen süßen, ehrwürdigen Namen trage, brauche ich weniger als jemals eine Gesellschaft, die mir blos die Zeit vertreiben soll. Meine Wilhelmine und mein Mann werden mir bald die Stelle der ganzen Welt ersetzen. Aber ein Frauenzimmer auch, sagten Sie, wäre ich; was soll das zur Sache?“ Als Frauenzimmer müssen Sie nothwendig die allervertrauteste Freundschaft, die möglich ist, nur mit einem Frauenzimmer haben können. „Und die Ursache davon?“ O hätten Sie nur erst diese Ihnen verwandte Seele unter Ihrem eignen Geschlechte gefunden; kennten Sie nur erst das Frauenzimmer, das würdig wäre, Ihre Freundin zu seyn: dann würden Sie mir die Frage selbst beantworten. O wie glücklich würde ich seyn! Ihre Vertraute würde auch meine Freundin seyn. -- Sie kennen Julie und Claire; Clarissa und Howe. Sagen Sie mir, wäre es möglich, daß eine von beyden an die Stelle ihrer Freundin einen Freund gesetzt hätte, ohne daß doch das Wesen ihrer Freundschaft zerstört worden wäre? „Wie? also giebts gar keine Freundschaft unter den beyden Geschlechtern? Also sind Sie nicht mehr mein Freund?“ Nicht so hitzig, liebste Freundin! Ich denke nicht, daß ich unsre Freundschaft herunter setze, wenn ich sage, daß es noch eine höhere giebt, -- aber keine höhere, wenn die Wahl wieder auf eine Mannsperson fällt. -- Wenn ich aber einem Frauenzimmer den Vorrang gebe, so denke ich, ich bin blos großmüthig, nicht kaltsinnig. „Gut! Eine Freundin ließ ich mir gefallen, eine ganz vertraute Freundin, wenn ich sie hätte. Aber wozu der Umgang mit Vielen?“ Um diese Eine darunter zu finden. Muß man nicht erst wählen können, ehe man sich entschließt? „Und dann -- als Mutter, sagten Sie auch, müßte ich mit Frauenzimmern Umgang haben. -- Eine beständige Zerstreuung ist wohl also ein gutes Mittel, seine mütterliche Pflicht zu erfüllen?“ Nein, die größte Hinderniß, glaube ich. Aber nicht aller Umgang ist eine Zerstreuung, die schädlich wäre. „Aber sagen Sie mir doch den Nutzen, den mein Kind davon haben könnte.“ Ich muß Ihnen gestehen, ich bilde mir ein, zur Erziehung eines jungen Frauenzimmers ist der Umgang mit Personen ihres Alters und ihres Geschlechts nicht blos nützlich, sondern nothwendig. -- Es wird sonst nicht Frauenzimmer genug; es verliert etwas von dem Charakter, und also auch von den Annehmlichkeiten seines Geschlechts; es nähert sich dem unsrigen, ohne doch dadurch mehr zu gefallen. Wie kann aber eine Mutter ihrer Tochter eine Gesellschaft von ihrem Alter und Geschlecht verschaffen, wenn sie selbst keine hat? „Meine Tochter soll in meiner Gesellschaft lieber seyn, als in der Gesellschaft der ganzen übrigen Welt. Mein Umgang muß ihr, wenn ich anders es verstehe, eine Mutter zu seyn, den sehr leicht ersetzen, den ich ihr nicht werde schaffen können. Und ich hoffe, mein und meiner Freunde Unterricht wird sie alles das lehren, was Sie sie aus dem Umgange wollten lernen lassen.“ O liebste Freundin, wer wollte wohl daran zweifeln, daß Sie nicht die beste Mutter seyn würden, der Sie kennt? Ich wollte auch Ihrer Tochter keinen andern Lehrer zugestehen, als Sie. Aber um seine Sitten zu bilden; um den Menschen mit einer gewissen Dreistigkeit unter die Augen sehen zu können; um von allen seinen guten Eigenschaften in der Welt Gebrauch machen zu können, deren man sich in seinem Kabinet bewußt ist: dazu gehört, daß man die Menschen bey Zeiten kennen lerne; daß man viele Muster vor sich habe; daß man weiß, was für ein Grad von Vollkommenheit in der Welt gemeiniglich angetroffen und gefordert werde; und daß man -- soll ich es sagen? -- das Zutrauen auf sich selbst durch die öftern Beweise von den Schwachheiten Andrer vermehre. „Also sehe ich wohl, meine Wilhelmine wird eine Herumläuferin werden müssen, wenn sie Ihnen gefallen soll.“ Nicht so ganz und gar. Sie verstehen mich besser, liebste Freundin, als Sie mir es gestehen wollen. -- Müßte ich nicht entweder Sie hochachten, oder sehr eigennützig seyn, wenn ich nicht einer Person, der ich Verdienste zuschreibe, so vielen Einfluß auf Andre, eine so große Sphäre ihrer Wirksamkeit, als möglich ist, wünschen sollte? Da haben Sie eine kleine Probe von einem der Gedanken-Gespräche, mit denen ich meine Entfernung von Ihnen zu vergessen suche. Wenn es Ihnen nicht ganz mißfällt, so will ich mich öfter unterstehen, Ihnen die Unterredungen zu erzählen, die ich ohne Ihr Wissen und Willen mit Ihnen gehalten habe. Gellerts Bild habe ich durch Hubern sechs Mal bekommen, und unter meine guten Freunde ausgetheilt. Danken Sie dem Herrn Bause dafür, wenn Sie ihn sehen. Er wird unser zweyter Wille werden. Und nun möchte ich doch wissen, ob Herr M. Reiz noch unter den Lebendigen ist. Ich glaube, daß ich meine Freunde öfterer aus meinem Grabe, wenn ich gestorben wäre, besuchen würde, als er aus seinem Kabinet es thut. -- Lesen Sie doch: +Vergleichung des Zustandes und der Kräfte der Menschen mit dem Zustande und den Kräften der Thiere+ u. s. w. Acht und dreyßigster Brief. Ich bin in der That über das Ausbleiben Ihrer Briefe ein wenig unruhig gewesen. Das kann Ihnen M. Reiz aus dem Briefe sagen, den ich an ihn beygelegt habe. In einer solchen Verfassung war es wirklich grausam, -- doch Ihr Brief selbst ist so voll von Freundschaft und Güte, daß ich nicht mehr daran denken kann, wie sauer ich mir ihn verdient habe. Gellert hat den Ausspruch gethan. Ich weiß, Sie werden es selbst billigen, daß ich ihm diese Entscheidung übertragen, oder daß er so entschieden hat, sobald Sie sich in meine Verfassung setzen. Stellen Sie sich einen Menschen vor, der nach zwey verschiedenen Gegenden zugleich getrieben wird. Vor sich sieht er ein Ziel, welches er gern erreichen möchte, und nach welchem zu laufen er von alten Athleten, die seine Stärke oder Geschwindigkeit besser als er selbst zu kennen glauben, aufgemuntert wird. Schon ist seine Seele, schon sind seine Muskeln in einer Bewegung, die er noch seinen Füßen nicht hat geben können; er steht zitternd und unruhig, und erwartet das Zeichen des Aufbruchs. An beyden Seiten der Schranken sieht er Freunde, die ihm zurufen, ihn aufmuntern, und ihm auf alle Fälle ihre Glückwünsche oder ihr Mitleid versprechen. Auf der entgegengesetzten Seite sieht man Mutter, Onkel, alle natürlichen Freunde des jungen Kämpfers, mit einem ganzen Kreise von erworbenen Freunden, die sich immer weiter und weiter von der Laufbahn entfernen, und ihm zurufen, zu ihnen zu kommen, und noch für immer, oder für eine Weile, mit ihnen zu gehen. Der junge Mensch ist unentschlossen, verwirrt, ängstlich. Unterdessen geht die Zeit immer fort. Der Augenblick, wo das Zeichen zum Lauf gegeben werden soll, nähert sich; seine Freunde entfernen sich immer weiter und vermehren ihre Zurufungen. Was kann natürlicher Weise der junge Mensch thun? Nachdem er eine Zeit lang beydes zu vereinigen gesucht, bald sich nach dem Ziele ausgestreckt, bald seine Freunde zurück zu halten gesucht hat; und durch entgegengesetzte Bewegungen, die einander wechselsweise aufheben, in eine Art von Unthätigkeit und Leblosigkeit gekommen ist; wird er nicht alsdann einen alten Kämpfer, besonders den, der ihn zuerst ermuntert hat, sich in die Schranken zu stellen, fragen, wie lange noch Zeit zum Aufbruche sey, und wie weit er noch die Seinigen begleiten könne? -- Und werden die gütigen Freunde, die ihn an den Schranken erwarten, wohl unwillig seyn, wenn er diesem Ausspruche folgt, und sich aus einer solchen Verlegenheit reißt? Meine Allegorie ist viel zu lang, denn sie hat mir zwey Drittheile von dem Platze genommen, den ich noch zu ganz andern Sachen bestimmt hatte. -- Wenn ich nicht jetzo über meiner Disputation arbeitete, so würde mich nichts hindern, den zweiten und den dritten Bogen zu nehmen. Aber jetzo muß ich wirklich ein Wirthschafter mit meiner Zeit seyn. In drey Wochen, so viel ich jetzo voraus sehe, denke ich abzureisen. Erfreuen Sie mich unterdessen oft mit Ihren Briefen, und machen Sie mir, oder bestätigen Sie mir vielmehr die Hoffnung, daß ich Sie nicht nur so freundschaftlich, so zärtlich, wie Sie immer gewesen sind, sondern auch gesund, munter und fröhlich antreffen werde u. s. w. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Vertraute Briefe an eine Freundin" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.