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Title: Die Harpyen von Madrit, oder die Postkutsche - Aus dem Spanischen des Verfassers der Donna Rufina
Author: Solórzano, Alonso de Castillo
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Die Harpyen von Madrit, oder die Postkutsche - Aus dem Spanischen des Verfassers der Donna Rufina" ***


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  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1791 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung
    und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend
    korrigiert. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter eingefügt.

    Einige altertümliche Ausdrücke sind aus heutiger Sicht teilweise
    schwer verständlich, dennoch wurden diese unverändert übernommen.
    Inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten, sofern diese im
    Text mehrfach auftreten. Fremdsprachige Zitate und Ausdrücke wurden
    nicht korrigiert.

    Die von der Normalschrift abweichenden Schriftschnitte wurden in
    der vorliegenden Fassung mit den folgenden Symbolen gekennzeichnet:

    kursiv:   _Unterstriche_
    gesperrt: +Pluszeichen+

  ####################################################################



[Illustration: Donna Feliciana.

    _Ch. Sambach del._      _Cl. Kohl Sc. N._
]



                                  DIE

                                HARPYEN

                                  VON

                                MADRIT,

                               ODER DIE

                             POSTKUTSCHE.

                          AUS DEM SPANISCHEN

                   DES VERFASSERS DER DONNA RUFINA.

                                _Wien_,
                gedruckt und verlegt von Ignaz Alberti.
                                 1791.



Inhalt.

                                      Seite

    DIE HARPYEN VON MADRIT.               3

    ERSTE SPAZIERFAHRT.                  37

    ZWEYTE SPAZIERFAHRT.                 93

    DRITTE SPAZIERFAHRT.                140

    VIERTE SPAZIERFAHRT.                160



                                 _DIE
                                HARPYEN
                              VON MADRIT,
                                 ODER
                           DIE POSTKUTSCHE._


Sevilla, eine alte Stadt in Spanien, die Hauptstadt Andalusiens, die
Schatzkammer der Reichthümer im südlichen Indien, die Vaterstadt
der edelsten und erlauchtesten Familien, erzeugte auch zwey schöne
Schwestern. Ihr Vater hatte in einer indischen Expedition sein Leben
eingebüßt, und so lebten sie denn als arme, verlassene Waisen in
Gesellschaft ihrer Mutter, die sich als Wittwe kümmerlich behalf;
denn sie hatte mit ihrem Manne zu Havana zugleich all ihr Vermögen
verloren. Ihre letzte Hoffnung bestand in einigen kleinen Schulden,
die sie in Sevilla stehen hatte, und die ihr nun heraus bezahlt werden
sollten. Es gelang ihr auch nach Wunsche, und sie beschloß, ihren
Wohnsitz, und ihre Lebensart zu ändern, und zwar bevor sich das Gerücht
vom Tod’ ihres Gemahls weiter verbreitet haben würde. Sie konnte noch
nicht mit sich selbst überein kommen, ob sie Granada oder Cordova
vorziehen sollte; und mitten in dieser Verwirrung trat eine ihrer
ältesten Freundinnen zur Thür herein, der sie auch alsobald ihren
Entschluß sammt den Schwierigkeiten, die sich fänden, vortrug. Das
Mütterchen hatte manches in der Welt erfahren, und sprach der ehrlichen
Frau bald Muth ein.

„Liebe Theodore,“ sagte sie (so hieß unsre Wittwe), „es freut mich, daß
Sie mir so treuherzig begegnet; und ich -- dabey nahm sie eine tüchtige
Prise Spaniol -- und ich will eben so unbefangen reden; denn ich habe
manche Schule durchlaufen, und habe Sie herzlich lieb. Wenn Sie eine
Reise machen will, so fahre Sie nicht auf dem Teich’ auf und nieder;
man kommt nicht weit. Granada und Cordova sind schon breite Ströme, auf
denen sich eine schöne Spazierfahrt machen, und nebenbey ein tüchtiger
Hecht an die Angel kriegen läßt. Sie wimmeln von Kaufleuten, Notarien;
sie haben alle Edelleute und vermögliche Bürger; aber was sind sie
wohl gegen Madrit, gegen die Residenz des Hofes? -- Ein Dorf. Was
sag’ ich ein Dorf? -- Eine elende Bauernhütte. Madrit ist ein großes
Meer, auf dem der Kahn, wie das Kriegsschiff, fortkommt, und auch ein
kleines Boot nicht zurück bleibt. Alle Fremden versammeln sich dort;
wer sich verstecken will, findet dort seinen Schlupfwinkel; es ist so
groß, so belebt; mit einem Worte: wer sein Glück machen, wer aus dem
Staube kriechen will, muß dort anfangen. Wie manche niedere Abkunft
ist dort umgekauft worden, und hat für altes adeliges Geblüt gegolten!
Alle Wunder und Verwandlungen geschehen dort. O Theodore, du hast ja
gewonnen Spiel! Der Himmel hat dir so hübsche Dingerchen zu Töchtern
gegeben. Wären sie mein, die lieben Närrchen; jede sollte mir so viel
Ausbeute liefern, als eine Goldgrube in Indien.“

„Ich hatte nur eine Nichte, mit der ich nach Madrit ging. Sie hatte
nichts, als ein Paar schwarze Augen, und eine angenehme Stimme; aber
ein gelehriges Köpfchen hatte sie, das sich in all und jedem nach mir
richtete. Dafür ging auch alles wie am Schnürchen. Was gab es da nicht
für Dublonen, für Gallakleider, für Perlen, für Schmuck? Wo war ein
Fest, dem wir nicht beygewohnt hatten? Kurzum, sie war der Abendstern,
der in Madrit schimmerte wir hatten alles in Überfluß, und hätten es
noch, wenn sich die Hexe nicht Narrheiten in den Kopf gesetzt hätte.
Da vergaffte sie sich in einen Hauptmann, der sie und mich ins Unglück
stürzte. Gott verzeih’ ihm die Sünde, dem garstigen Kerl! Zuerst
schwatzte er uns alles ab, was wir zusammen gebracht hatten, und am
Ende kostete er sie gar ihr junges Leben. So ein Mädchen, das sein
Glück in der Residenz machen will, muß gar nicht verliebt werden. Wenn
nun erst du mit deinen zwey bildschönen Mädchen nach Madrit kommst, was
kannst du dir erst versprechen? Was können sie nicht mit ihren übrigen
angenehmen Eigenschaften für Glück machen? -- Der ganze junge reiche
Adel wird dir nachlaufen. Je mehr ihr diesen Herrchen schmeichelt,
desto untertäniger werden sie vor euch herum kriechen. Könnt’ ich dir
Gesellschaft leisten, du würdest sehen, wie gut ich dir immer mit
Rath und That an die Hand gehen würde. Ich hab’ aber schon über zwey
Drittheile meines Lebens verlebt, und bereite mich nun in der Stille
zu einem seligen Ende. Dafür will ich dir aber einen ausführlichen
Unterricht niederkritzeln, und wie eine kleine Hausapotheke mitgeben,
in der du alles finden wirst, was Zeit und Umstände fordern.“

Die gute Alte weinte noch einige Thränen, und nahm von ihrer Freundinn,
die sie nun vor ihrer Zusammenkunft in Elysium nicht mehr zu sehen
Hoffnung hatte, den zärtlichsten Abschied. Sie hielt auch Wort, und
schickte den kleinen Entwurf, von dem wir eben gehört haben, und
der Theodoren in der Folge wirklich manche gute Dienste that. Die
Reisegesellschaft bestellte sofort ihre Plätze auf dem Postwagen von
Sevilla, versah sich mit einer ansehnlichen Guarderobe, und fuhr
fröhlich nach Madrit ab.

Indeß wir sie hinfahren lassen, ist es billig, daß wir die zwey
Töchter Theodorens, die doch eigentlich unsere Hauptheldinnen sind,
näher kennen lernen. Die ältere -- Feliciane hieß sie -- war zwischen
achtzehn und neunzehn Jahren; ihr Antlitz war nach dem schönsten
Ebenmaße geformt; sie hatte schwarze Haare, pechschwarze Augen, schön
geschlitzte Nasenlöcher, einen reitzenden kleinen Mund, frische
lüsterne Lippen, und kleine, enge, schneeweiße Zähne. Ihre Wangen
hatten, ohne das, was die Kunst hinzu that, eine gesunde Röthe; ihr
Blick war mild, und ihre Stimme war der feinste Silberton. Diese hatte
sie auch nicht ganz ungebildet gelassen; sondern ein Musikmeister hatte
sie so weit gebracht, daß sie zur Harfe oder Guitarre verschiedene
Lieder so schmelzend singen konnte, daß es Wunder wirkte. Dabey war
sie die reitzendste, leichteste Tänzerinn, die man sich vorstellen
kann; man hätt’ ihr stundenlange zusehen können.

Die andere Schwester, welche Louise hieß, war nun ein Jahr jünger als
Feliciane; sie war ein wenig brunetter, hatte hell funkelnde Augen,
die wie Blitze wirkten. Nase, Mund und Zähne waren ein wenig kleiner,
als die ihrer Schwester, aber sie verloren nichts dadurch, sondern
gewannen vielmehr einen eigenthümlichen Reitz. Sie war nicht so schlank
aufgeschossen, aber dafür war sie lieblich, rund und kernicht. Sie
tanzte und spielte auch die beyden Instrumente ein wenig besser, als
ihre Schwester; wenn sie aber beyde spielten, war man in Verlegenheit,
welcher man den Vorzug geben sollte.

Mit diesen zwey Töchtern steuerte nun Theodore fort, wie ein Corsar,
der mit einem festen Schiff’, und zwey Kanonen, denen nichts
widerstehen kann, vom Lande stößt.

Der Mutter lachte das Herz vor Freuden, wenn sie die zwey Lämmchen,
die sie zum Schlachtaltare führte, so allerliebst vor sich sitzen sah,
und schmiedete nun unablässig an Planen, die sogleich auf die Bahne
gebracht werden sollten.

Von Felicianen wußte man weiter keine Narrheit, die sie begangen hätte,
als einige kleine Begünstigungen, die sie dem artigen Tanzmeister
für seine Mühe mit Anstand nicht wohl abschlagen konnte. Ihre Mutter
drückte ein Auge zu, da es nun schon vorbey war; dafür schärfte sie
ihr aber nun Standhaftigkeit und Widersetzlichkeit ein, und hoffte
von Louisen, sie würde ihre Erstlinge so reichlich an Mann bringen,
daß damit beyde bezahlt wären, wie ein Vogelkrämer manchmahl ein Paar
Rebhühner theuer verkauft, weil das eine um desto fetter ist, als das
andere.

Nun blieb Theodoren nichts mehr übrig, als daß sie ihren Töchtern
Nahmen gab, und sich selbst einen anständigen beylegte; denn diese
Vorsicht hatte ihr die Alte als höchst wichtig eingebunden. Da es
nun schon einerley war, welchen sie wählte, beschloß sie sich in die
vornehmsten Familien des Königreichs einzulügen. Sie nannte daher ihre
älteste Donna Feliciana von Toledo; für die zweyte zog sie den Nahmen
aus dem Hause Alba mit Haaren herbey, und sich selbst nannte sie mit
Erlaubniß des Herzogs Donna Theodora von Cordona. Mit diesen prächtigen
und wohlfeilen Nahmen geziert, erreichte die Gesellschaft das Stadtthor
von Toledo. Sie packte nun ihre zwey Fräulein und ihr weniges Geräth
ab; denn sie hatte fast alles zu barem Gelde gemacht, weil sie sich
dann in Madrit ganz neu einrichten wollte.

Sie brachten die Nacht ziemlich unbequem zu, und bezogen den nächsten
Morgen eine ansehnliche Wohnung in der Degenstraße. In demselben wohnte
ein alter Cavallero, der in der Erwartung einer Seneschallstelle für
die Dienste, die er Seiner Majestät geleistet hatte, hier schon ein
ganzes Jahr zubrachte. Es plagte ihn mit unter manchmahl die lange
Weile, und er war denn sehr zufrieden, so artige Nachbarinnen zu
erhalten. Er war auch ohne Verzug so höflich, sich ihnen zu allem, was
sie befehlen würden, anzutragen. Sie dankten ihm für diese besondere
Gefälligkeit, da sie nun weiter in keiner Verlegenheit wären, als wie
sie einen anderen Miethwagen bestellen könnten, der sie den folgenden
Tag nach Madrit brächte. Der Cavallero nahm auch sogleich dieß Geschäft
über sich, und sie fuhren in seinem eigenen Wagen nach Madrit ab.

Der Kutscher führte sie durch die Straße de la Merced in die
Tolederstraße, von da kamen sie ans Thor von Quadalaxara, und in die
Goldschmidgasse[A], und endlich auf die allberühmte große Straße
(_calle mayor_). Da besann sich Theodore, daß diese Straße die Rennbahn
sey, von der sie nun auf einem Chariot (_Galera_) auslaufen müßte, um
ihr Seeräuberhandwerk zu treiben. Ohne lange zu berathschlagen, hielt
sie so wohl nach ihrem eignen Urtheile, als nach den weisen Ermahnungen
ihrer alten Freundinn, dafür, daß die Gegend um St. Sebastian von
der Madriter Jugend am häufigsten besucht werde, theils weil hier
das Theater wäre, theils weil diese Gegend, wie ihr der Kutscher zu
ihrem größten Ärgernisse sagte, hierum manche Damen von zweydeutigem
Gelichter bewohnten. Theodore ging über diesen Umstand hinaus, und
beschloß, ihren Wohnsitz nicht weit von hier aufzuschlagen. Da sie aber
dem Kutscher keinen Argwohn geben wollte, hieß sie ihn noch ein wenig
weiter fortfahren, und so kamen sie durch die Hieronymusstraße in die
Fürstenstraße. Als sie beyläufig in der Mitte derselben seyn mochten,
sahen sie auf einem ganz artigen Hause einen Anschlagzettel an der Thür
kleben. Theodore ließ anhalten, und las, daß ein geräumiges Gelaß zu
vermiethen sey. Sie ließ den Wagen an das Haus fahren, und fragte, in
welchem Stockwerke das Gelaß sey. Man sagte ihr, daß es zu ebner Erde,
nur einige Stufen von der Hausthür, kurz, gerade so wäre, wie sie es
nach ihrem löblichen Plane wünschen könnte. Sie ward denn mit der Magd,
einem alten verdächtigen Figürchen, das ihnen die Wohnung gezeigt
hatte, sogleich über den Preis einig, und ließ sich die Schlüssel geben.

Sie gingen ins erste Gemach, und fanden eine ältliche Wittwe auf
einem kleinen Polsterstuhle sitzen, die einen langen Rosenkranz in
der Hand hielt, und eben ihre Abendstunden bethete. Sie saß ganz
gravitätisch da, und ein Paar große Augengläser, die sie unter dem
kleinen Häubchen fest gemacht hatte, gaben ihr ein noch ehrwürdigeres
Ansehen. Sie stand sogleich auf, als sie Fremde kommen sah, und grüßte
sie mit vieler Höflichkeit; als sie aber erst die zwey Mädchen näher
erblickte, umarmte sie beyde mit einem lauten Jubel, und schrie:
„So schöne Engelchen sollen wir ins Haus kriegen? Das ist ja gar
allerliebst! Wollen Sie wirklich bey mir wohnen? -- Nu, das freut mich
herzinniglich. Sie können unmöglich von Madrit seyn; denn sonst müßt’
ich ja längst von so schönen Gesichtern gehört haben.“

Theodore antwortete, daß sie gar nicht irre, und daß sie gerade aus
Mexico in Neu-Spanien kämen.

„Dacht’ ichs nicht gleich,“ sagte die Alte, indeß sie den langen
Rosenkranz in die Tasche schob, und die Augengläser abnahm -- „dacht’
ichs nicht gleich, daß sie aus einem andern Welttheile kommen, die
Schätzchen? Ich bitte, setzen Sie sich; meine Töchter schlafen noch
sorgenlos; das junge Völkchen schläft immer gern.“

Die drey Mexicanerinnen gehorchten, und begannen über den Preis des
Gelasses zu sprechen. Das Mütterchen erklärte ihnen sofort, daß das
Haus nicht ihr gehöre; daß sie aber fünf Monathe befugt wäre, die
leeren Wohnungen zu vermiethen; eigentlich gehöre das Gelaß einer ihrer
Freundinnen, die sich nur auf eine kurze Zeit aus der Residenz entfernt
hätte; indessen wolle sie sie doch bald zufrieden stellen, und mit
dem Hausherrn sprechen, der ein friedliebender reicher Ritter wäre,
der sich gern gegen jedermann gefällig bewiese. Sie sagte ihnen auch
gleich, wie weit sie sich einlassen dürften. Sie kamen auch wirklich
überein, gaben sich den gewöhnlichen Handschlag zum Zeichen, und nun
traten aus einem Nebensaale zwey Damen, beyläufig von demselben
Alter, und beynahe eben so schön, als unsre Heldinnen. Sie waren erst
zur Hälfte gekleidet, in reinen weißleinenen Überröcken, und kleinen
Mützchen von grüner Seide, die ihnen gar lieblich ließen. Die Haare
waren aufgelöst, und schwammen großen Theils um die Schultern. Sie
waren über die schönen Mexicanerinnen beynahe betroffen, grüßten sie
aber doch ungemein artig; und als sie gar hörten, daß sie bey ihnen
unter einem Dache wohnen würden, bezeugten sie außerordentliche Freude
darüber. Indessen muthmaßten beyde wechselseitig wohl, mit wem sie die
Ehre zu sprechen hätten, obschon sie sichs nicht im geringsten abmerken
ließen. Donna Theodora von Cordona bewunderte noch die geschmackvolle
Einrichtung von Stephaniens, des alten Mütterchens, Wohnung, und
beschloß, ihr Gelaß eben so einrichten zu lassen.

So hätten wir denn nun unsre schönen Sevillanerinnen glücklich nach
Madrit gebracht, hätten sie mit Wohnung versehen, hätten die Wohnung
mit einem ansehnlichen Sümmchen eingerichtet; sie hätten sittsame
Bettgardinen, Fußteppiche, weiche Stühle, einen bequemen Sopha, und ein
Paar Putztische. Nun fehlt denn nichts mehr, als eine Gelegenheit, den
ersten Tritt mit Anstand’ und Aufsehen in die große Welt zu thun, und
in diesem Meere, wie sich die Alte zu Sevilla ausgedrückt hatte, den
ersten Pfundhecht zu angeln.

Zum Glücke fiel ein Festtag im Dreyfaltigkeitskloster vor, dessen
Kirche alles zu besuchen pflegte, was Schimmerndes und Artiges am Hofe
lebte. Zu diesem Feste nun führte sie Donna Stephanie, und um es ihnen
bequemer zu machen, miethete sie einen von den bekanntesten Wagen, die
sonst immer ihre Töchter zu haben pflegten. Feliciane und Louise hatten
schon zwey gewöhnliche Kleider genommen, erkundigten sich aber noch
glücklich vor der Abfahrt bey ihren Nachbarinnen, wie sie sich putzen,
und überhaupt benehmen müßten; und da sie schöner waren, als diese,
hatten sie nun durch den treulichen Unterricht, den sie erhielten,
viel vor den andern voraus. Sie kamen denn zum Feste, und da um das
Kloster ein Umgang gehalten wurde, nahmen sie ihren Platz bey einem der
vier Altäre, die in den vier Ecken standen. Hier mußte alles bey ihnen
vorüber, und allem, was in Galla war, standen sie gerade im Gesichte.
Unter den vielen Edelleuten, die nun vorüber gingen, kamen auch vier --
aus Cordova waren sie -- die das Antlitz der zwey schönen Schwestern
sehen konnten; denn sie hatten, als diese vorüber gingen, die Schleyer
gelüftet.

Unter ihnen war Don Fernando Antonio, ein rascher Jüngling von fünf
und zwanzig Jahren, schön gebildet, und seit einigen Monathen Herr
von zwey Majoratgütern, die ihm jährlich ein beyläufiges Sümmchen
von vierzehn tausend Ducaten abwerfen mochten. Er lebte nun am Hofe
vollauf, und bezahlte für die drey anderen, die ihn begleiteten. Als
sie nun zu den Sevillanerinnen kamen, banden sie bald ein Gespräch mit
ihnen an, und Donna Louisa von Alba sprach so sanft, so launig, so
schmelzend, so fein, daß Don Fernandos Liebeszunder Feuer fing. Sein
Herz war fort, wie die Taube aus dem Schlage; er hätte gern unablässig
geplaudert; aber er mußte ihr aus Artigkeit Raum lassen, den Umgang zu
sehen, und als dieser vorüber war, nahm er mit höchstem Widerwillen
Abschied; denn gern wär’ er diesem andalusischen Engel nimmer von der
Seite gewichen. Die schlaue Theodore merkte den Spuk sogleich, mengte
sich ins Gespräch, fragte ihn, mit wem sie zu reden die Ehre hätte,
und gab ihrer Tochter einen sprechenden Wink, die Beute ja nicht
fahren zu lassen. Die Damen gingen zur Kutsche, und fuhren nach dem
Prado, von dem sie spät zurück kamen; denn alles, was am Hofe glänzte,
hatte sich dort versammelt. Auch Don Fernando fand sich ein. Er
erkannte den Wagen, in dem die schöne Zauberinn mit ihren Freundinnen
fuhr, und sprang flink an den Schlag, um im Anschauen seiner Louise
vollends ein Narr zu werden. Die Dämmerung brach immer stärker ein.
Der Wohlstand forderte, daß er sich entfernte, indessen beschloß er
doch nicht eher nach Hause zu gehen, bis er ihr den ersten Besuch
abgestattet hätte. Er nahm denn einen von den drey Freunden zu sich,
der ihn begleiten sollte, und nun strichen sie, wie verlorne Schafe,
immer vor der Wohnung auf und nieder, bis seine Schöne ans Fenster kam,
und ihn einzutreten ersuchte. Das ließ er sich nicht zwey Mahl sagen;
er ward von Mutter und Tochter mit besonderer Artigkeit empfangen;
das Gespräch währte mit größter Lebhaftigkeit von beyden Seiten, so
lang’ er nur immer mit Ehren bleiben konnte, und er schied endlich
nur, nachdem er die Erlaubniß erhalten hatte, sich den nächsten Tag
wieder einzustellen. Er kam nun immer öfter; man begegnete ihm immer
mit Höflichkeit, aber auch immer mit mehr Zurückhaltung, je näher er
trat. Das konnt’ er in die Länge nicht aushalten, und er beschloß, sich
der Mutter zu erklären. Er beschwor sie, ihr Vorwort bey dem Herzen
ihrer Tochter einzulegen, und ihn nicht länger wie einen Fisch ohne
Wasser schmachten zu lassen. Er vermaß sich hoch, daß seine Liebe wie
die hellste Wachsfackel brenne, und daß er in seinem eignen Feuer
aufgehen müsse, wenn sie ihn nicht bald lösche, und dergleichen andere
auserlesene Floskeln mehr. Die schlaue Theodore lächelte, und hörte den
Strom seines Herzensgusses recht gern fortrauschen.

„Don Fernando,“ sagte sie endlich, „ich bin zu sehr Mutter, und denke,
ob es mir gleich vielleicht nicht zusteht, zu vortheilhaft von meinen
Kindern, als daß ich mich zu sehr wundern sollte, daß Ihnen das Mädchen
gefallen hat. Sie sind aber -- nehmen sie mirs doch immerhin nicht
übel, Don Fernando -- Sie sind wie alle junge Herren mit dem ersten
Blicke verliebt geworden, und haben vielleicht noch gar nicht erwogen,
wer der Gegenstand sey, in den sie sich vergafft haben. Sie haben sich
vermuthlich in der Person getäuscht, und ich bekenne, daß ich selbst
es bin, die dieses Mißverständniß veranlaßt hat. Ich bin, -- obschon
ich Ihren Stand und Charakter nicht im mindesten betasten will --
ich bin für ein Frauenzimmer, für eine Fremde, für eine Mutter mit
meiner Einladung zu rasch gewesen. Ich hatte eigentlich aus langer
Weile gewünscht, bald einige anständige Bekanntschaften zu machen.
Ich muß Ihnen denn sagen, daß Louise und Feliciane die Töchter eines
sehr angesehenen Cavaliers aus Mexico sind, der sein Vermögen und sein
Leben auf einer Reise über Meer eingebüßt hat, so daß wir nun von
einem Gnadengehalte leben. Sie sehen denn, daß ich Ihnen nur darum den
Zutritt gestattet habe, weil man am Hofe gern gesellschaftlich lebt.
Ich zweifle an der Aufrichtigkeit Ihrer Erklärung nicht; aber wenn Ihre
Absichten wirklich ernsthaft, das heißt, auf eine Verbindung gerichtet
sind, so müssen Sie sich mir deutlicher erklären, wie ich mich Ihnen
erklärt habe.“ Über diese letzte Erklärung war Don Fernando ein wenig
betreten: ein Heirathsanschlag war ganz und gar nicht in seinem Plane
gewesen, und sein Feuer war für den Augenblick wirklich ein wenig
zurück geblasen. Er faßte sich aber schnell, und antwortete: „Donna
Theodora, ich war um keine weitere Auskunft Ihres Standes verlegen; die
ehrwürdige Gegenwart Ihrer selbst, und Ihrer liebenswürdigen Töchter
war mir genug. Ich zweifle an keinem Ihrer Worte; aber meine Absicht
war nur -- ich muß es als Ehrenmann unverhohlen gestehen -- Donna
Louisa zu dienen, und wünschte für meine aufrichtigen Dienste die Bande
der Liebe, -- nicht der Ehe zur Belohnung.“

„Don Fernando,“ wollt’ ihm die Mutter in die Rede fallen --

„Erlauben Sie,“ fuhr er fort: „ich scheue diesen engen Knoten, und
hab’ ihn mir in meinem Plan’ in eine ziemlich weite Entfernung hinaus
gesetzt, obschon ich mich dann dazu bequemen werde, um doch einen
Erben meines Vermögens, das nicht unansehnlich ist, zu haben. Ich bin
Edelmann, und kann schweigen; Sie können vollkommen auf mich bauen, daß
Donna Louise durch meine Neigung zu ihr, und durch die Begünstigung
meiner Liebe nichts von ihrem guten Nahmen verlieren wird. Mit einem
Wort’, ich liebe sie unaussprechlich, und bin bereit, alles für sie zu
thun, was mir meine Liebe gebeut, und was mir Klugheit gestattet.“

Donna Theodora stutzte nicht wenig schon beym ersten Anpochen die Thür
der Ehe verschlossen zu finden, das war ein starker Streich, und sie
war in den tieferen Geheimnissen ihrer Kunst noch zu sehr Schülerinn,
als daß er sie nicht hätte betäuben, und von jedem ferneren Versuche
zurück schrecken sollen. Sie merkte zugleich auch zu deutlich, daß
Fernando festes Fußes zu Werke gehe, als daß sie auf Wankelmuth oder
Übergewicht der Leidenschaft hätte rechnen sollen. Sie hätte doch gern
geantwortet, und wußte nicht, wo sie eigentlich einlenken sollte. Sie
suchte denn lange herum, bis sie ein Wort fand, und sagte endlich:
„Bester Don Fernando, ich muß Ihnen nur aufrichtig gestehen, daß ich
mir im Herzen selbst nichts anders vorgestellt habe, als daß Louise
ungeachtet all’ meiner Vorstellungen sich am Ende doch von ihrer
Leidenschaft würde hinreissen lassen. O Gott, wer kann ein Mädchen
hüthen? -- wenn Sie mir ihr Wort geben, mich nicht zu verrathen, so“ --

„O ich bitte, reden sie,“ sagte Fernando.

„Louise hat ihr armes Herzchen an Sie schon eingebüßt. Was wir das
Mädchen nun peinigen und aufziehen!“ --

Fernando wußte wohl, wie er diese Antwort aufzunehmen habe, und war
innigst vergnügt, daß er die Sache so glücklich zu Ende gebracht hätte.
Er war nun der glücklichste Mensch von der Welt, nahm Theodoren bey
beyden Händen, und schwor ihr, daß er sich gewiß dankbar bezeugen
werde. Er gab ihr auch zum Anfange eine Kette von zweyhundert Thalern
am Werthe, die er am Halse trug. Er hing sie der Alten um den
ihrigen, und führte sie zu den zwey Schwestern hinüber, deren jeder
er einen Ring von eben so großem Werthe gab. Er stand auch nicht
länger an, seinen Platz bey Louisen einzunehmen. Ein bedeutender Wink
der Mutter, und der kostbare Ring machten das schöne Mädchen zur
zahmsten Taube. Sie brachten den Tag vergnügt zu, und den nächsten
frühen Morgen schickte er ihr eine reiche Bettdecke, eine Art von
Galanterie, die einzig in ihrer Art ist. Dieß Geschenk schickte er
durch seinen Haushofmeister, der auch Theodoren eine kleine Rolle
von funfzig Escudos in Golde überreichen mußte. Das war ein Jubel und
ein Frohlocken im Hause! -- Theodore dankte dem alten Mütterchen von
Sevilla tausend Mahl, und wünschte ihr für die guten Lehren, die sie
ihr vor ihrer Abreise gegeben hatte, ein seliges Ende zur Belohnung.

Es versteht sich von selbst, daß er seine Wohlthaten nicht an Louisen
allein verschwendete, sondern auch Mutter und Schwester wie Igel
an ihm sogen. Er ward immer verliebter, und stellte sich beynahe
mit jedem Tage herrlicher ein; es war nun kein Spectakel, daß diese
liebenswürdige Familie nicht zuerst gesehen, keine Mode, die sie
nicht unter den ersten getragen hätte. Er hatte zwey Wagen, und der
weniger bekannte, an den vier rasche Rappen gespannt waren, stand ihnen
vollkommen zu Befehle. Sie fuhren auch bald die eine, bald die andere,
den ganzen Tag, Straß’ auf, Straß’ ab.

Man kann sich wohl leicht vorstellen, wie ihre zwey schönen
Nachbarinnen über den schönen Fortgang ihres Glückes mochten gestutzt
haben; indessen da sie jene von allen Leckerbissen, die Fernando’s
Haushofmeister im Überflusse verschaffte, mit naschen, und sie
wechselsweise an jeder Spatzierfahrt Theil nehmen ließen, gaben sie
sich wieder zufrieden, und begnügten sich damit, daß sie sich der
schönen Welt in einer so auffallenden Gesellschaft zeigen konnten.

Acht Monathe verflogen so in Saus und Braus, und Don Fernando hatte in
dieser kurzen Zeit an Schmucke, Kleidern, Freudenfesten, und so weiter
über zwölf tausend Escudos versplittert. Während dieser Zeit hatte sich
aber auch nicht einer gefunden, der sich um Felicianen beworben hätte;
denn keiner wagte es, sich an des verschwenderischen Fernando Seite
sehen zu lassen. Das war freylich ein Umstand, der sein Unangenehmes
haben mochte, und es wär’ allerdings angenehmer gewesen, wenn sich noch
ein zweyter schön befiederter Papagey in ihren Schlingen verfangen
hätte: unterdessen gebrach es Felicianen im Wesentlichen an nichts,
und sie konnte sich immer mit der Hoffnung eines ähnlichen, vielleicht
noch glücklichern Looses trösten.

Eines Tages hatte Theodora, ihre Familie, und die zwey schönen
Nachbarinnen beschlossen, auf den Prado, einen Spaziergang, auf dem
auch S. Majestät Philipp der zweyte immer zu jagen pflegten, zu fahren.
Sie hatten Don Fernando davon Part gegeben; er both sich aber nicht
zu ihrem Begleiter an, sondern ließ ihnen nur melden, daß er ihnen
gute Unterhaltung wünsche, daß er aber, so unlieb es ihm wäre, eines
dringenden Geschäfts halber nicht in ihrer Gesellschaft seyn könne;
indessen würde sie sein Haushofmeister mit allem, was sie befählen,
versehen. Sie fuhren denn nach dem Prado, und wir wollen uns nach Don
Fernando umsehen.

Er hatte wirklich diesen Tag einen Contract von Wichtigkeit zu
schließen, und seine drey Freunde waren nach Alcala zu einem
Stiergefechte gereist. Er hatte denn den ganzen Tag über lange Weile,
schlenderte verdrießlich die Straße auf und nieder, lehnte sich unter
die Hausthür, kam, was er sonst nie that, zur Mittagsstunde pünctlich
nach Hause, und warf sich nach Tische auf sein Ruhebett, weil ihm
durchaus nichts einfallen wollte, womit er sich den Unmuth verjagen
konnte.

Vor beyläufig zwey Jahren war Don Fernando in einem Spielhause zu
Cordova bey einer Wette mit einem Ritter in Hader gerathen. Dieser war
sehr entrüstet; Don Fernando hatte aber mehrere Bekannte bey sich, und
wagte es daher, seinen Gegner über seine Hitze aufzuziehen, und ihn
lächerlich zu machen. Der Cordovese ward noch zorniger, um desto mehr,
da er eine Memme war, und es nicht wagte, Fernando einen Zweykampf
anzubiethen. Er faßte denn von der Stunde einen unversöhnlichen
Groll gegen unsern Fernando, und schwor ihm Rache, auf was immer für
einen Weg er sie erreichen würden. Seine eigentliche Absicht war
Meuchelmord; da aber Fernando immer in der großen Welt lebte, und immer
wenigstens drey Bediente bey sich hatte, war all sein Auflauern immer
vergeblich gewesen. Er war aus Verdrusse nach Portugall gegangen;
da er aber hörte, daß sich Fernando nun zu Madrit befände, eilte er
wieder dorthin, um seinen Plan endlich einmahl auszuführen. Um nicht
erkannt zu werden, ließ er sich den Bart wachsen, und schloff in ein
Pilgerkleid. Nun ließ er Fernando nimmer aus den Augen. Wie wir wissen,
war dieser bisher keinen Tag ohne Gesellschaft gewesen; daß er es aber
diesen Tag sey, hatte der fromme Pilger ausgespähet. Er bettelte auf
der Straße Almosen, und ging ungehindert zu Fernando’s Hausthür hinein.

Fernando wohnte in seinem Hause ganz allein; das Hausgesinde hatte
gegessen, und hielt die Sieste; der Pilger konnte denn ungestört bis
auf Fernando’s Zimmer dringen. Dieser schlummerte noch immer sanft
fort; der Pilger schlich leise bis ans Schlafgestell, zückte den Dolch,
tauchte ihn sechs Mahl in sein Herz, und entfloh.

Das Hausgesinde erwachte allgemach, und ging an seine Arbeit;
niemand ahndete den Unglücksfall. Erst nach einigen Stunden kam der
Haushofmeister, auf Fernando’s Zimmer, schlug die Jalousien auf, und
sah seinen Herrn im Blute liegen. Er stand vor Schrecken wie eine
Bildsäule da, und machte endlich Lärmen. Alles weinte und jammerte, und
konnte nicht begreifen, wie der Mord geschehen konnte, da sie doch alle
-- fest schliefen. Ihr Schmerz war indessen nicht von langer Dauer, und
sie faßten bald sammt und sonders den Entschluß, sich die Belohnung,
auf die sie für ihre treuen Dienste allerdings Anspruch machen zu
können glaubten, und die ihnen nun aus Mangel eines Testaments entgehen
würde, selbst zu verschaffen, und dann heimlich abzuziehen, um allen
Verdacht des Mordes von sich abzulehnen. Wie klug diese Berechnung
gewesen sey, leuchtet so ziemlich von selbst ein. Indessen ward der
Anschlag, dem der Herr Haushofmeister in eigener Person beytrat, an der
Stelle ausgeführt, alle Kasten, Kisten, Kästchen und Kistchen geöffnet,
alles, was sich an Geld’ und Geschmeide fand, nach Billigkeit getheilt,
und jeder zog nun hin, wo er sich am sichersten glaubte.

Sie hatten sich schon nach allen Himmelstrichen begeben, als einer
von Fernando’s Freunden ihn besuchen wollte, und gerade auf sein
Schlafzimmer ging. Hier sah er das gräßliche Schauspiel, und schrie,
daß alle Nachbarn zusammen liefen. Das Gericht war auch bald bey der
Hand; man wollte ein Verhör vornehmen, aber es war niemand da, den
man hätte verhören können; kein Bedienter war zu hören oder zu sehen,
und die Nachbarn erklärten mit Einer Stimme, daß sie nicht eine Sylbe
von der ganzen Sache wüßten. Es blieb nichts übrig, als daß man in
dem andern Hause, wo er seine Pferde hatte, nachsuchte. Dort fanden
sich auch wirklich vier Lackeyen und ein Kutscher, die aber ebenfalls
von der Sache noch nichts gehört hatten, und auf der Madratze ruhig
schnarchten. Dem überklugen Gerichte schien gerade dieses Schnarchen
ein verdächtiger Umstand und eine List, durch die die Thäter den
Verdacht von sich abzulehnen suchten. Sie wurden durchsucht, und
in des Kutschers Tasche ein Brotmesser gefunden. Die Gerichtsperson
erklärte, daß wider jeden, bey dem sich Waffen fänden, gegründete
Inzüchten vorhanden wären, und folglich auch auf diejenigen, die mit
ihm in vertraulichem Umgange betreten würden, gegründete Verdacht
obwaltete. Kutscher und Bediente mußten denn, was sie sich auch
sträubten, ins Gefängniß wandern. Sie läugneten standhaft, und es war
schon nahe daran, daß sie auf die Folter gebracht werden sollten.

Während all dieß vorging, hatten sich unsere Damen auf dem Prado
sehr gut unterhalten, waren zurück gekehrt, und hatten dem Kutscher
befohlen, vor Fernando’s Hause anzuhalten; die Hiobspost kam ihnen
schon auf dem Wege entgegen; sie konnten ihr aber unmöglich glauben,
und fuhren bis ans Haus. Der Kutscher, der ein Sclave war, brachte
ihnen die Bestätigung des Unglücks; und da er diesen Augenblick
benutzen wollte, um sich in Freyheit zu setzen, lief er hastig davon,
und ließ sie allein stehen.

Theodora, die sich in jedem Schicksale männlich zu fassen wußte, und
die daher in ihrem Leben selten noch in Verlegenheit gekommen war,
wußte sich auch hier gleich Rath zu schaffen. Sie bezahlte den ersten
Vorübergehenden, daß er den Wagen in die nächste Remise führte, deren
Inhaber sie wieder reichlich bezahlte, damit er den Wagen niemanden,
wer es auch immer seyn möchte, ausfolgen ließe. Nun erst eilte sie mit
ihren Töchtern nach Hause, wo sie wie die Wölfe in der Wüste heulten,
und sich ihre schönen Haare ausgerauft haben würden, wenn sie nicht
der Gedanke eines unordentlichen Kopfputzes abgehalten hätte. Indessen
weinten sie bitterlich, und waren erst nach drey bis vier Stunden
wieder zu lachen im Stande.

Theodora konnte doch die ganze Nacht kein Auge zuthun; denn sie dachte
unablässig, wie sie den Wagen mit den vier schönen Rappen in Sicherheit
bringen könnte. Sie ließ ihn auch mit Tages Anbruche von Madrit nach
Illescas führen, wo er verborgen bleiben sollte. Denselben Tag stellte
sich das Gericht auch bey unsern Sevillanerinnen ein, und verlangte
ihre Aussage. Da es aber nicht das mindeste Anzeichen fand, zog es
wieder in Frieden ab. Theodora fand nun nöthig, einen weiblichen
Staatsrath zu versammeln; ihre Töchter, und ihre schönen Nachbarinnen
setzten sich in einem Zirkel; Theodora räusperte sich, und hielt ihnen
folgende Rede.

„Meine Damen,“ sagte sie, „bey dem Lebensplane, den wir uns
vorgezeichnet haben, ist uns nichts nöthiger, als daß wir uns mit
Würde benehmen, damit uns die dreisten Herren Männer nicht auf die
Ferse treten. Wir müssen sie durch unser Benehmen, wie durch eine Art
von Zauberspiele, anzulocken, aber auch zu körnen wissen, so, daß
sie die Schranken nie überschreiten können. Jeder Mann ist bey dem
geringsten Anlasse zudringlich, und ein zudringlicher Mann erkaltet
sehr geschwinde, wenn wir ihn nicht standhaft in den gehörigen Abstand
zurück weisen. Alles, worauf er Anspruch zu machen hat, muß ihm nur
als der höchste Grad freywilliger Begünstigung gewährt werden. Diese
goldene Regel habt ja immer gegenwärtig, meine Kinder, und vergeßt sie
auch dann nicht, wenn ich todt bin, und nur von oben herab auf euch
sehen kann. Der Weg, den wir mit so vielem Glücke begonnen haben, ist
uns durch den Tod des edlen Fernando auf ein Mahl abgeschnitten, und
wir müssen nun einen neuen einschlagen. Der arme Fernando! Wir hätten
noch drey Jahre von seinem Vermögen leben können; aber der Himmel hat
es nicht gewollt, und seine Rathschlüsse sind nicht zu ergründen.
Nun müssen wir vorzüglich den Wagen, der uns von ihm geblieben ist,
zu erhalten suchen; denn in einem Wagen kommt man auf jedem Wege
geschwinder fort: versteht ihr mich? Im Häuslichen mag es immer hier
kleinlich hergehen; der Wagen macht alles wieder gut. Mein Rath ist
denn, daß ihr eine um die andere in demselben eine Spazierfahrt macht,
und wie die Freybeuter irgend einen wackern Kriegsmann anzuwerben
sucht. Unser Wagen muß nun eine Postkutsche seyn, in der auf jeder
Station ein anderer Reisender fährt. Feliciane mag den ersten Versuch
machen.“

Alle fanden den Vorschlag der weisen Theodora vortrefflich; sie
theilten die Stadt ordentlich unter sich in bestimmte Bezirke ein, und
Feliciane machte sich reisefertig.


Fußnote:

[A] Plateria.



ERSTE SPAZIERFAHRT.


Feliciane kleidete sich nun, wie sichs zu einer so wichtigen
Unternehmung ziemte, wobey ihr das übrige Frauenzimmer unter tausend
lustigen Anmerkungen hülfreiche Hand both. Ihr Kleid, das auch nicht
den kleinsten Reitz ihres Wuchses dem Aug’ entgehen ließ, war vom
grünem Atlasse, und sehr einfach gemacht. Ihr schwarzes Haar, das nur
mit einem Bande von derselben Farbe durchflochten war, blieb in schöner
Unordnung, und schien von der Natur gelockt. Sie gefiel sich, wie sie
da vor dem Spiegel saß, so gut, daß sie beynahe an sich selbst die
erste Eroberung gemacht hätte. Nun war sie fertig, und sprang mit so
leichtem Blute in den Wagen, als wohl noch nie in weiblichen Adern
getanzt hatte. Sie war ihres glücklichen Erfolges beynahe gewiß, und
nahm denn die Glückwünsche, die ihr die Fächer ihrer Gesellschaft noch
aus dem Fenster zuwinkten, nur als Ceremonie auf.

Sie fuhr auch nicht so ganz auf blindes Glück fort, sondern hatte schon
ihr Augenmerk auf einen tüchtigen Fang gerichtet, den sie an die Angel
kriegen wollte. Es war ein reicher Mailänder, der sich seit kurzer
Zeit am Hof’ aufhielt, und eine Summe von mehr als funfzig tausend
Ducaten zu empfangen hatte, die ihm nach dem Tode eines Vetters, der
keine Kinder hinterlassen hatte, zugefallen war. Er trieb eigentlich
ein Kaufmannsgeschäft, und war übrigens gerade der Mann, von dem man
erwarten konnte, daß es ihm nicht sauer werden würde, die Erbschaft
eben so leicht wieder los zu werden, als er sie gemacht hatte. Horazio,
so hieß er, war beyläufig zwey und zwanzig Jahre alt, hatte eine
einnehmende Bildung, ein derbes, frisches Ansehen, und -- was kein
gleichgültiger Umstand war -- konnte die castillanische Sprache nicht
sehr behende sprechen, obschon er sie sehr gut verstand. Übrigens that
er sich nicht wenig auf seine Geschicklichkeit zu Gute, mit der er die
Laute und die Theorbe spielte. Er pflegte auch immer wie ein echter
Spanier des Abends vor den Fenstern der Damen Ständchen zu halten. Er
wohnte in der großen Alcalastraße, und bewohnte das Haus, an dem ein
großer Garten war, ganz allein. Sein ganzes Hausgesinde bestand aus
zwey Bedienten, einem Pagen, den er von seinem Vetter geerbt hatte,
einer mailändischen Haushälterinn, die die Küche besorgte, einem
Kutscher, der über zwey rothe Friesländer hofmeisterte, und einem
elenden Klepper, auf dem er selbst zu Madrit angekommen war, und um den
sich nun weiter niemand mehr bekümmerte. Über diesen Jüngling suchte
nun Feliciane ihr Netz auszuwerfen.

Die Zeit, die sie zu ihrer ersten Spazierfahrt bestimmte, war sehr
glücklich gewählt. Es war eine schöne warme Nacht, mitten im Julius,
und der Mond schien spiegelhell. Sie nahm eine alte Magd mit sich,
die sie als Duenna kleidete. Über dieß hatten sie auch einen alten
Escudero mitgenommen, der sie nun schon seit längerer Zeit im Hause
bediente. In dieser ausgelernten Gesellschaft fuhren sie beyläufig um
neun Uhr an des Mailänders Hause vorüber. Sie trafen den Zeitpunct so
glücklich, daß der Mailänder eben auf dem Balcon in der angenehmen
Kühle bey dem Abendessen saß. Er hatte nur Beinkleider und ein Wamms
an, und klimperte eben auf der Theorbe. Der Wagen fuhr dicht an der
Mauer des Hauses vorüber, und als er der Thür gerade gegen über war,
rief man mit lauter Stimme: „Halt! Kutscher, halt!“ der Wagen hielt an,
und der Mailänder hörte auf, seine Theorbe zu spielen, um zu hören, was
Feliciane sagte. Er horchte ganz leise, und vernahm folgende Worte:
„Sie bemühen sich vergebens, meine Mutter! und eher würd’ ich mir mit
dem Messer, das ich in der Brieftasche trage, das Leben nehmen, als nur
einen einzigen Schritt vorwärts thun. So hat man mich betrogen? Solche
Fallstricke hat man mir gelegt?“

Nun hörte er eine andere Stimme, welche die Duenna, oder eigentlich
die alte Magd war. Sie sagte: „Meine Beste! fluchen Sie ihrer Mutter
nicht; gehorchen Sie ihr, und machen Sie ihr Alter nicht unglücklich.
Wie viele würden das Glück, das Sie von sich stoßen, mit beyden Händen
ergreifen!“

„Es ist Verrätherey,“ sagte Feliciane wieder; „es ist Grausamkeit, mich
zu dem zwingen zu wollen, was mir unmöglich ist. Niemand hat mit meiner
Freyheit zu schalten. Die Natur hat sie mir gegeben, und ich werde
sie gegen jedermann bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen
wissen.“

Bey diesen Worten fing sie bitterlich zu weinen und zu schluchzen an.
Der Mailänder hatte keine Sylbe verloren, und zu gleicher Zeit lehnte
sich der alte Escudero an den Wagenschlag, und sagte: „Mäßigen sie doch
Ihre Stimme, gnädiges Fräulein, sonst laufen uns Leute zusammen, und
meinen am Ende, es sey etwas an der ganzen Sache.“ „Nun denn,“ schrie
Feliciane in einer Art von Verzweiflung, „so ist denn die Flucht mein
letztes Mittel, und ich will sehen, wer im Stande seyn soll, sie zu
hindern.“

Dem Mailänder schien, daß sie nun im Wagen handgemein würden, und er
irrte auch nicht; denn sie rangen wirklich zum Scheine mit einander.
Der Escudero schien sich besonders tapfer zu widersetzen; endlich
gelang es Felicianen doch, aus dem Wagen zu springen, wobey sie, um das
Schauspiel tragischer zu machen, den Mantel und einen Schuh verlor.
Sie sprang gerade in des Mailänders Haus, und schrie: „Dieses Haus,
wem es immer gehören mag, soll meine Freystätte seyn. Es wird mich
aufnehmen, und sollte es eine Löwengrube seyn, so hoffe ich doch mehr
Menschlichkeit darin zu finden, als unter euren Händen.“ Bey diesen
Worten legte Horazio sein Instrument weg, nahm seinen Degen, und eilte
die Treppe hinunter. Feliciane stürzte ihm sprachlos zu den Füßen. Die
Duenna und der Escudero standen stumm da. Nun schien sich Feliciane
aus ihrer Betäubung zu erhohlen. „Unbekannter Ritter,“ sagte sie, indeß
sie immer noch fortweinte, und durchaus Horazio’s Knie umfassen wollte,
-- „unbekannter Ritter, wenn Sie Menschengefühl im Herzen haben, so
erbarmen Sie sich meiner, und lassen Sie mich von Ihren Bedienten
unterstützen; denn meine Nerven sind mir abgerissen; ich kann nicht
aufrecht stehen.“ Horazio ließ sogleich Licht bringen, und befahl die
Hausthür zuzusperren, damit kein Auflauf würde. Man brachte Lichter,
und Horazio erstaunte über Felicianens Schönheit; denn ihr Schmerz
kleidete sie noch ein Mahl so reitzend, und die Stellung, in der sie
hingesunken war, hätte zum Modelle dienen können. Horazio sagte der
Duenna und dem Escudero voll edlen Unwillens, und mit einer Kühnheit,
über die sie als Komödianten nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit
erschrecken konnten, daß sie sich ja nicht einbilden sollten, er werde
diese schöne Dame von ihnen an einen Ort schleppen lassen, gegen den
sie Abneigung trüge; er würde sie vertheidigen, und wenn er darüber
sein Leben einbüßen sollte. „Aber um Gottes willen,“ schrie die Duenna,
und rang die Hände, „was werden wir ihrer Mutter sagen? In ihrer
Gegenwart ist sie mit uns fortgefahren; wo ist sie nun hingekommen?“
„Was kümmert mich das?“ sprach Horazio; „ich bin ihr Beschützer gegen
Gewaltthätigkeit, und für das Übrige mögt ihr sorgen.“ „Nun,“ sagte
Mogrobejo, so hieß der Escudero, „so ist es um mich geschehen; ich darf
mich in Madrit nicht mehr sehen lassen.“ „Nein,“ schrie die Duenna
wieder, „ich kann mich nicht von meinem Fräulein trennen, und sollt’
alles zu Grunde gehen!“ „Ich auch nicht,“ sagte Mogrobejo; „aber
nicht aus einfältiger Liebe, sondern weil es meine Pflicht ist, sie
nicht aus den Augen zu lassen.“ „Alter Verräther,“ schrie Feliciane,
„ihr sollt mich gewiß nicht anders, als stückweise, von der Stelle
bringen. Ich weiche keinen Schritt. Morgen bin ich in einem Kloster,
und vor eurer Boßheit für immer sicher.“ Was wollten sie thun? Der
Escudero kehrte den Rücken, setzte sich in den Wagen und fuhr fort.
Horazio nahm aber seinen schönen Gast an der Hand, und führte ihn
in einen niedern Saal, der zunächst bey ihnen war; die Duenna ging
langsam nach. Das Herz schlug ihm laut, als ihm die schöne Unbekannte
durch einen matten Druck der Hand Dank sagte. Sie setzten sich, und
Feliciane wußte ihren Kummer durch so manigfaltige reitzende Bewegungen
zu äußern, daß Horazio’s Seele die ganze Tonleiter der Empfindungen
hinauf kletterte, und er endlich in folgende Worte ausbrach: „Reitzende
Unbekannte, wie glücklich bin ich, daß ich dazu bestimmt war, Sie aus
der dringendsten Gefahr zu befreyen! Wie überglücklich wär’ ich, wenn
ich Sie vor allen weiteren Verfolgungen sicher stellen könnte! Rechnen
Sie aber darauf, daß ich nichts unversucht lassen werde, diesen hohen
Zweck zu erreichen, der mich von nun an ganz allein beschäftigen soll.
Mein ganzes Haus steht Ihnen unumschränkt zu Befehle; Sie können da so
lange verborgen bleiben, als es Ihnen räthlich scheinen wird. Wohin
Sie es immer verlangen, werde ich Sie bringen. Ich bin Edelmann, und
denke auch edel. Ihre Tugend läuft bey mir keine Gefahr; und nur wenn
es zu Ihrem eigenen Besten nöthig ist, daß ich Ihre Geschichte erfahre,
wünsche ich sie zu hören, so hohen Antheil ich auch an Ihrem Schicksale
nehme.“

Während dieser ganzen Rede hatte Feliciane von einem prächtigen Ringe,
den Horazio am Finger trug, und dessen Billanten sie allzu schön
anfunkelten, kein Aug’ abgewendet. Er mußte an ihren Finger herüber
kommen, und gehe es, wie es wolle; das war nun einmahl beschlossen.
„Ich finde keine Worte,“ sagte sie „mit denen ich Ihnen bezeugen
könnte, was in meinem Herzen vorgeht. Die Vorsicht hat mich Ihnen
zugeführt, großmüthiger Mann! hätten Sie sich nicht durch mein Unglück
rühren lassen, so wär’ ich jetzt schon ohne Rettung verloren. Die
nähmliche Großmuth, die Sie zu meiner Befreyung angetrieben hat,
wird Sie auch auffordern, die Rechte einer Freystätte, für die ich
Ihr Haus nun ansehe, nicht zu verletzen. Ich werde von Ihrer Güte
Gebrauch machen, und werd’ Ihnen so lange hier lästig fallen, als
es unumgänglich nöthig seyn wird.“ „Um Sie vollends zu beruhigen,“
sagte Horazio, „will ich nicht einmahl im Hause hier bleiben, sondern
mich bey einem Verwandten aufhalten, bis Sie mit Ihrer Mutter
ausgesöhnt sind.“ „Nein, durchaus nicht!“ fiel ihm Feliciane in die
Rede; „Sie müssen hier bleiben; denn ich will sie überzeugen, daß ich
unumschränktes Vertrauen in Sie setze. Wenn man käme, und mich mit
Gewalt fortführen wollte, wer würde mich vertheidigen?“ „Was für ein
Befehl könnte mir auch willkommener seyn?“ sagte Horazio.

Er hatte sein Abendessen, wie wir wissen, noch nicht eingenommen, und
da ihn eben ein Bedienter daran erinnerte, suchte er Felicianen zu
bewegen, daß sie mit ihm einige Erfrischungen nähme. Sie war ihm zu
viel Dank schuldig, als daß sie ihm nicht hätte Gesellschaft leisten
sollen, und er wußt’ es durch seine unwiderstehliche Beredtsamkeit
gar dahin zu bringen, daß sie aß und trank, wie ein kummerloser
Mensch. Sie sah zu deutlich, wie sehr sie auf ihren Wirth Eindruck
gemacht hatte, als daß sie diese Episode in ihr Schauspiel nicht hätte
einrücken sollen. Horazio war nun schon so über und über verliebt, daß
er nicht mehr im Stande war, auch nur dem geringsten Verdachte gegen
die Wahrheit der Geschichte Platz zu geben. Er war der einzige am
Tische, der keinen Bissen aß, und doch machte ihn dieser Umstand nicht
aufmerksam.

Er hätte nur gar zu gern Nahmen, Stand, und die Geschichte der Dame
erfahren; er durfte es aber nicht wagen, die Wunde wieder aufzureißen,
und ihren Kummer etwa zu verdoppeln. Es war nun hohe Zeit, dem Fräulein
Ruhe zu gönnen, die ihr so nöthig schien. Er begleitete sie denn selbst
in das Gemach, das er für sie und Banuelos, die Duenna, hatte bereiten
lassen. Er tröstete sie noch mit den zärtlichsten Ausdrücken, und begab
sich in das obere Stockwerk. Es läßt sich denken, daß Horazio und
Feliciane die Nacht in ganz verschiedenen Betrachtungen zubrachten.
Horazio konnte kein Auge zuthun, und sann unablässig auf Mittel, ihre
Verbindlichkeit zu fesseln, und ihre Liebe zu verdienen. Feliciane aber
weidete sich an dem glücklichen Erfolge ihrer List, und erwog, wie
sie dieses Haus mit dem möglich größten Gewinne in möglich kürzester
Zeit verlassen könnte. Sie berathschlagte sich mit ihrer wohlerfahrnen
Banuelos, und überließ sich endlich einem gesunden, ungestörten
Schlummer. Was sie in ihrem Rathe beschlossen haben, werden wir hören.

Horazio war vor Tages Anbruche schon auf den Beinen, kleidete sich an,
und konnte den Augenblick nicht mehr erwarten, in dem er seinen Gast
wieder würde sehen und sprechen können. Er konnt’ es auf seinem Zimmer
nicht aushalten, und ging denn in den Hof hinunter, um sein Herz in
der Morgenluft zu erleichtern. Wie er die Treppe hinunter kam, fand
er die Duenna, die sorgfältig etwas auf dem Boden zu suchen schien,
und mit unter tiefe Seufzer ausstieß. Er fragte sie voll Besorgnis,
was sie suche; sie antwortete aber ganz ängstlich: „Nichts, gnädiger
Herr!“ seufzte aber noch tiefer, als zuvor. Horazio besorgte, daß
irgend ein Unglück geschehen seyn dürfte, und bestand durchaus darauf,
daß sie mit der Sprache heraus solle. „O gnädiger Herr,“ sagte die
alte Schlange, „ich will es Ihnen wohl sagen; verrathen Sie mich aber
nicht.“ Er gab ihr sein Wort, und sie sprach: „Was ich suche, ist ein
Ring, den mein Fräulein verloren hat. Sie glaubt, es sey geschehen, als
sie aus dem Wagen sprang; denn zuvor hat sie ihn gehabt, und nachher
vermißt. Er war von Diamanten von großem Werthe, und das schlimmste
bey der Sache ist, daß er nicht ihr selbst, sondern einer von ihren
Freundinnen gehört, der sie dagegen einen andern, der besondern Fassung
und eines Nahmens wegen, auf kurze Zeit geliehen.“ Horazio tröstete
sie, schickte einen Bedienten vor die Hausthür, um den Ring zu suchen,
und sagte zur Duenna, sie möchte sich nicht betrüben; denn wenn er sich
auch nicht fände, solle es ihrem Fräulein doch nicht an andern fehlen,
und die von größerm Werthe wären. Er wünsche nur, flickte er hinzu,
mehrere Gelegenheiten zu haben, dem Fräulein auf eine wesentlichere
Art beweisen zu können, wie sehr er sie hoch -- schätze und -- liebe.
Er war so begeistert, daß er die Alte in seine Arme schloß, und so heiß
küßte, als ob sie Feliciane selbst gewesen wäre. Sie stellte sich nun
getröstet an, und meldete ihm für seine Großmuth, daß er ihr Fräulein
nun schon werde sprechen können. Er eilte mit ihr ans Gemach, und
Feliciane war wirklich schon halb angekleidet. Horazio wollte durchaus
nicht ins Zimmer treten, bevor nicht Banuelos erst zu ihr hinein gehe,
und sie frage, ob er ihr nicht ungelegen falle. Feliciane rief aber
mit lauter Stimme durchs Vorzimmer: „Bester Horazio! in Ihrem eigenen
Hause sollte ich Ihnen den Zutritt versagen? Sie erweisen mir so viele
Güte, und ich sollte so unartig seyn? Ich bin ja schon angekleidet;
kommen Sie doch!“ Er ließ sichs nicht zwey Mahl sagen, eilte hinein,
und fragte sie, wie sie die Nacht zugebracht habe.

„Wie anders,“ sagte sie, „als in der größten Unruhe: ich habe kein Auge
zugethan. Banuelos ist mein Zeuge.“

„Ja wohl,“ sage die Alte; „das war eine Nacht! Wenn Sie noch mehrere
solche haben, gnädiges Fräulein, so sind Sie bald eine Leiche. Wenn sie
auch ein wenig schlummerte, das liebe Fräulein, so saß sie doch gleich
wieder im Bett’ empor, und häftete den Blick starr an die Wand, als ob
sie ein Gesicht sähe.“

„O meine arme Mutter!“ stimmte Feliciane wieder an; „verzeihe mir den
Kummer, den du vielleicht jetzt um meinetwillen leidest. Es ist aber
nicht meine Schuld; du magst mir vergeben, daß ich es für Verbrechen
halte, sich dem Eigensinn’ eines Menschen aufzuopfern, und wenn dieser
Mensch eine Mutter wäre.“

„Trösten Sie sich doch,“ sagte Horazio, „obschon dieser edle Schmerz
Ihrem Herzen Ehre macht; Sie sind aber sich selbst Mäßigung schuldig.“

Feliciane vergaß auch bey dieser Unterredung nicht, jeden Vortheil,
den ihr die leichte Morgenkleidung anboth, geltend zu machen; sie
sprachen noch manches, und endlich fragte Feliciane die Alte wie im
Vorbeygehen, ob sich der Ring gefunden habe. Banuelos antwortete,
daß er noch nicht gefunden sey, daß aber Horazio’s Bediente eben mit
dem Suchen beschäftiget wären. Feliciane dankte ihm für seine zuvor
kommende Gefälligkeit, und Horazio sagte: „Es ist mir wahrhaftig sehr
unangenehm, daß Sie mit dem Verluste des Ringes Verdruß haben; belieben
Sie aber diesen hier anzusehen.“ Hier zog er den seinigen vom Finger;
sie betrachtete ihn mit ungehäucheltem Vergnügen, und sprach: „Dieser
Ring macht Ihrem Geschmack Ehre; er ist unvergleichlich gefaßt, und
übertrifft den verlornen an Werthe ungemein. Dieser war nicht über drey
hundert Escudo’s werth; und dieser gilt wenigstens acht hundert.“

„Sie sind wahrhaftig eine Kennerinn,“ erwiederte Horazio, „und sie
haben wenigstens nahe an den eigentlichen Werth gerathen; denn er kam
meinem Vater, dem ihn der Herzog von Savoyen überließ, auf etwas über
tausend Escudo’s. Darf ich Sie aber um eine Gefälligkeit bitten? Darf
ich Sie vorläufig um die Versicherung bitten, daß Sie mir sie nicht
abschlagen werden?“ Feliciane merkte zu gut, wo er hinaus wolle,
und antwortete: „Bester Horazio! Sie haben mir gestern Ihr Ehrenwort
gegeben, daß ich nicht ein unanständiges Wort aus Ihrem Munde hören
werde; ich hoffe, Sie sind ein Mann. Übrigens bin ich Ihnen zu viel
Dank schuldig, als daß ich Ihnen was immer für eine Gefälligkeit
abschlagen sollte.“

„Sie geben mir also Ihr Ehrenwort?“

„Ja.“

„So nehmen Sie also auch,“ fuhr Horazio voll Feuer fort, „diesen Ring
anstatt des verlornen an.“

Feliciane stellte sich betroffen, und schob seine Hand sachte zurück.

„Sie weigern sich, ein unbedeutendes Andenken von dem Manne zu nehmen,
der nichts so innig wünscht, als nie von Ihnen vergessen zu werden?“

„Horazio!“ rief Feliciane.

„Sie wollen also Ihr Ehrenwort brechen? Sie kränken mich
unaussprechlich!“

„Nein! Das will ich nicht,“ sagte Feliciane wieder, und wusste ihren
Augenliedern einen so geschickten Druck zu geben, daß eine helle
Thräne ihre Wange herunter rollte. „Ich nehm’ ihn, und will ihn
als Andenken ehren. Aber halt! ich darf ihn nicht nehmen. Nur dann
könnte ich ihn als Andenken nehmen, wenn er an meinem Finger bliebe:
ich hatte den verlornen aber nur von einer Freundinn auf einige
Zeit ausgetauscht; denselben kann ich ihr nicht wieder zurückgeben;
ich werd’ ihn ihr also zu ersetzen wissen. Ich denke nun der
Verbindlichkeit meines Ehrenwortes ledig zu seyn.“

Horazio antwortete: „Nein, meine Beste! Sie sind Ihres Ehrenwortes
nicht ledig. Ihre Freundinn wird sich den Ring nicht mit Geld ersetzen
lassen, sondern wird sich mit einem andern Ringe von gleichem Werthe
begnügen müssen. Mein Andenken haben Sie angenommen“ -- nun sprang er
zu einer auf einem Kasten stehenden Schatoulle, und hohlte ein Futteral
mit sechs anderen brillantenen Ringen hervor -- „und nun werden Sie von
diesen hier einen für Ihre Freundinn annehmen.“

„Was denken Sie von mir, Horazio?“ sagte Feliciane; „ich würde fähig
seyn, die Verletzung des Gastrechts so weit, bis zur Unverschämtheit
zu treiben?“

„Schönste Feliciane,“ sagte der Sophist, „Sie sind es ja nicht, die den
Ring annimmt; und ich würde es nicht gewagt haben, Ihrer Delicatesse
nahe zu treten. Ihre Freundinn ist es ja, die ihn von mir annimmt, und
der ich ihn für das Vergnügen schuldig bin, den mir das Andenken hier
an ihrem Finger macht.“

„Trauen Sie also meiner Freundinn weniger Delicatesse zu, als mir?“
sagte Feliciane. „Wie Sie auch die Sache drehen! wie Sie mir die
unschuldigste Absicht übel ausdeuten!“ sagte Horazio. „Wie kann es die
Delicatesse Ihrer Freundinn reitzen, wenn sie von einem Manne etwas
annimmt, was er ihr eigentlich schuldig ist, da es in seinem Hause
verloren worden; von einem Manne, den sie nicht einmahl kennt; wenn
sie es nimmt, ohne selbst zu wissen, woher es kommt? Warum wollen Sie
mir dieß Vergnügen versagen, das Ihnen weiter keine Beschwerlichkeit
macht, als daß Sie etwas mit der einen Hand nehmen, und mit der anderen
abgeben?“ „Denken Sie also,“ sagte Feliciane, die herzlich froh war,
daß sie nun plötzlich auf einen andern Weg einlenken konnte, „denken
Sie also, daß ich bey einem Vergnügen, das ich Ihnen verschaffen soll,
auch nur daran zu denken im Stande sey, was es für einen Eindruck auf
mich machen werde? O Sie kennen mich noch sehr wenig; und um Sie zu
überzeugen, daß ich von so einer niedrigen Bedenklichkeit weit entfernt
bin, geb’ ich Ihnen nach, und will nicht einmahl erwägen, ob mich Ihre
Gründe, oder Ihre Beredtsamkeit bestimmt.“

Horazio öffnete das Futteral, und Feliciane war bey dem Anblicke der
sechs kleinen Fixsterne nicht wenig überrascht. „Wählen Sie nach
Geschmacke,“ sagte Horazio; aber Feliciane konnte sie nicht bestimmen,
denn sie war keine große Kennerinn, und hätte doch gern dem würdigsten
die Ehre der Wahl erwiesen. „Nun müssen Sie mir ein Mahl nach meinem
Kopfe thun. -- Eingeschlagen!“ -- Horazio that es, und Feliciane fuhr
fort: „Für meine Freundinn werden Sie nun wählen.“ Horazio konnte
nichts entgegen sagen, und hob den vorzüglichsten aus, der ebenfalls
über tausend Escudo’s werth war. Nach einem kurzen Gespräche ließ er
sie allein, damit sie sich vollends ankleiden konnte. Sie war nun
Besitzerinn eines Schmuckes von mehr als zwey tausend Escudo’s, und
Horazio hatte ein Vergnügen darüber, das er um drey tausend nicht hätte
entbehren wollen.

Er fuhr aus, sprach verschiedene Freunde, hüthete sich aber, ein Wort
von seinem schönen Gaste zu verlieren; auch seinen Bedienten hatte er
ein strenges Stillschweigen eingeschärft.

Gegen Mittag kam er wieder nach Hause, wo er den alten Escudero fand,
der ihm meldete, daß er sich, um seiner Frau wieder unter die Augen
treten zu dürfen, einer Lüge bedient, und ihr gesagt hätte, daß sie
ihre Tante binnen drey oder vier Tagen abholen würde, und daß er
der Tante gesagt habe, er hätte das Fräulein in ihrer Mutter Hause
gelassen. Feliciane war mit seinem Einfalle wohl zufrieden, und Horazio
gab ihm eine Dublone. „So sauer mir auch das Lügen wird,“ sagte die
Duenna, „so könnte ich doch für Don Horazio immerhin eine wagen.“
Horazio hatte nun eben die Hand im Beutel, und bezahlte auch ihr diese
liebevolle Äußerung mit einer Dublone. Feliciane befahl ihr zwar, sie
nicht anzunehmen; aber Horazio bestand durchaus darauf.

Sie gingen nun zu Tische, und nachdem sie wacker gegessen hatten,
äußerte Horazio wieder seinen Wunsch, Felicianens Geschichte zu hören,
und diese konnte sie ihm nicht länger vorenthalten. Sie begann denn.

„Don Lope Zopata von Meneses, der zweyte Sohn des Don Bernardo Zopata,
war mein Vater; er diente in Flandern, und bracht’ es bis zum Capitäne.
Er kam an den Hof zurück, um eine Zulage an Gehalt zu begehren, und
verliebte sich da in meine Mutter, aus dem Hause Arancivica, einer der
ansehnlichsten Familien in Biskaja. Er wußte ihre Ältern in wenig Tagen
zu gewinnen, erhielt sie zur Gattinn, und mit ihr einen Eisenhammer zur
Mitgift; ein ganz ansehnliches Geschenk, da er über jährliche vier
tausend Escudo’s eintrug. Sie hatten zwey Töchter, mich, Blanca, und
meine jüngere Schwester Lucretia. Mein Vater diente noch mehrere Jahre,
und starb als Seneschall in Cordova. Dort gefiel es einem Edelmanne,
mich ins Auge zu fassen, und mir mit seinen zudringlichen Erklärungen
so unablässig in den Ohren zu liegen, daß er mir vollkommen zuwider
war, und ich ihn ohne innigen Verdruß nicht mehr nennen hören konnte.
Nach meines Vaters Tode zog meine Mutter nach Madrit, wo wir nun zwey
Jahre sind. Sie hat eine Schwester, eine Wittwe mit zwey Töchtern, in
deren Hause wir uns meisten Theils, obschon in verschiedenem Gelaß’,
aufhalten. Der Ritter von Cordova kam auch hierher, nicht aber in der
Absicht, seine Werbung um mich fortzusetzen, sondern sein Augenmerk war
auf die Tochter eines Rathes gerichtet, die ihn aber bald abfertigte.
Als er dort kein Gehör fand, fand er es für gut, sich wieder an mich zu
wenden, und beschloß endlich zur größeren Sicherheit seines Erfolges,
mich geradezu zur Ehe begehren. Ich will Ihnen eine kleine Schilderung
von ihm machen. Er ist sehr leibig, und dabey sehr klein, sieht sehr
tückisch her, und ist auch wirklich, wie seine Bedienten einhällig
sagen, meistens von so übler und ungestümer Laune, daß er sich mit
niemanden vertragen kann. Urtheilen Sie nun selbst, ob ich recht
that, daß ich die Hand so eines Mannes ausschlug. Unterdessen so sehr
sich mein Herz gegen eine Verbindung mit ihm von jeher empört hatte,
so wenig mißfiel er doch meiner Mutter. Sie hatten öfters besondere
Unterredungen, und ich entdeckte bald, daß ihm meine Hand verheißen
sey. Sie waren auch nur mehr über die Bedingnisse uneinig. So reich er
ist, macht’ er doch große Forderungen, zu denen sich meine Mutter nicht
verstehen konnte, weil sie selbst größten Theils nur vom Wittwengehalte
lebte, und ihr Vermögen eigentlich nur für uns Schwestern ersparen
wollte. O sie ist doch eine gute Mutter, und sie hat seinen Antrag
gewiß nur darum so eifrig begünstigt, weil sie mich noch an ihrem Leben
versorgt sehen wollte, und mich bey ihm gut versorgt glaubte.“ --
Sie weinte, und Horazio überzeugte sich wieder neuerdings, daß eine
vortreffliche Seele in diesem makellosen Körper wohne.

„Endlich,“ fuhr sie fort, „ließ er doch von seinen Forderungen ab, und
erklärte sich, daß er mir auch ohne Mitgift die Hand reichen wolle.
Der Tag zur Unterzeichnung war bestimmt, und es war so abgekartet,
daß ich in das Haus meiner Tante geführt werden sollte, um mein
Todesurtheil zu unterzeichnen. Man befahl mir, ohne der Hauptsache
nur mit einem Worte zu erwähnen, mich anzukleiden, und sagte mir nur,
daß ich abgeholt werden würde. Mir kam alles verdächtig vor, und das
Herz schlug mir mächtig; indessen konnt’ ich nichts vorschützen,
warum ich nicht zu meiner Tante fahren wollte. Der Wagen kam, und wir
stiegen ein; mit jedem Schritte schlug mein Herz stärker; Banuelos
sichtbare Ängstlichkeit, des Escudero ununterbrochenes Schweigen,
ihrer beyder Verlegenheit, wenn ich sie fragte, warum wir zur Tante
führen, enträthselten mir alles. Nun wollt’ es mich nicht mehr im Wagen
leiden; ich forderte, sie sollten anhalten lassen; sie thaten’s nicht:
ich schrie dem Kutscher selbst zu; er hielt gerade vor Ihrem Hause
an: ich sprang aus dem Wagen, -- das übrige wissen Sie selbst.“ --
Nun vergoß sie wieder einen Strom von Thränen; die Duenna schluchzte,
und Horazio selbst weinte mit. Nachdem sie sich alle wieder erhohlt
hatten, erklärte Feliciane, daß sie überhaupt, so lange sie nun Madrit
bewohne, in einer seltsamen Stimmung sey, und in einer ununterbrochnen
Fröhlichkeit ihrem Herzen nie eine ernsthafte Neigung habe nahe kommen
lassen. Horazio’s ganzes Wesen heiterte sich nun auf; denn er hatte
nicht mehr und nicht weniger vermuthet, als das sie am Ende ihrer
Erzählung das Geständniß hinzu fügen würde, daß ihr Herz schon an einen
andern verschenkt gewesen sey.

„Eine glückliche Stimmung, in der Sie waren!“ sagte Horazio; „denn was
ist wohl glücklicher, als durch sein Leben munter und sorgenlos wie
durch einen Garten hinhüpfen zu können! Wenn nun aber einmahl diese
Art von unversuchter Fröhlichkeit, die in unsern Verhältnissen auch
nicht lange währen kann, vorüber ist, dann gibt es auch wirklich keinen
Zustand, der uns für jenen schadlos halten könnte, als den Zustand
einer glücklichen Liebe. O ja!“ fuhr er mit einer Art von Begeisterung
fort, „so vielen Kummer eine unglückliche willkürliche Liebe, so viele
Nachreue eine unvorsichtige und zu rasche nach sich zieht; so übergroße
Seligkeit bringt auch eine glückliche, und so viele Vorwürfe haben
sich zwey Herzen zu machen, die sich vielleicht wechselseitig auf
immer glücklich machen könnten, und doch“ -- -- bey den letzten Worten
hatte er Felicianens Hand mit einer Art von Wuth ergriffen; sein Blick
hing starr an ihrem Auge; und diese Zauberinn, der alle animalischen
Verrichtungen des Körpers zu Gebothe zu stehen schienen, wußte sich
schnell die gehörige Masse Bluts in die Wangen zu pumpen, das sich wie
ein Rosenflor über sie ausbreitete. „O Gott!“ seufzte Horazio, und
Feliciane sagte ganz leise, und indem sie sich eine Thräne vom Auge zu
wischen schien: „Wollen Sie mir nicht die Theorbe spielen?“ Er dachte
weiter nichts, als daß sich Feliciane aus einer nur allzu sichtbaren
Verlegenheit zu retten wünsche, und nahm die Theorbe augenblicklich
zur Hand. Er spielte und sang mit wahrem Eifer; was er aber dieß Mahl
an Ausdrucke gut machte, das verdarb er mit falschen Griffen. Als er
geendigt hatte, sagte Feliciane, daß auch sie eine große Liebhaberinn
von Musik wäre, und zu Hause eine Harfe und eine Guitarre habe. Horazio
sprang auf, hohlte seine Guitarre, und ließ nicht eher ab, bis sich
auch Feliciane zu einem kleinen Gesang’ entschloß. Man hätte eine große
Wette eingehen können, daß kein Mädchen in Madrit die Guitarre mit mehr
Grazie zu halten im Stande war, als sie; man wußte nicht, wenn sie
spielte, ob man sich von dem sanften Auf- und Abgleiten ihrer Finger,
oder ihrer ausdrucksvollen Stimme, oder von dem reitzenden Wiegen ihres
Körpers, mit dem sie den Gesang begleitete, hinreißen lassen solle. Sie
sang:

      Ein Vöglein auf dem Felde saß;
    Es pfiff und sang ohn’ Unterlaß;
    Es saß bald hier, es saß bald dort,
    Und sang, und trillert’ immer fort.

      Im Herbste und im Winter war
    Es fröhlich, wie im frühen Jahr;
    Es saß bald hier, es saß bald dort,
    Und sang und trillert’ immer fort.

      Doch lange hatt’ ihm schon im Feld’
    Ein Vogelsteller nachgestellt;
    Er pfiff -- es pfiff den Wald hinein,
    Im Netze war das Vögelein.

Feliciane hatte eine so angenehme Melodie zu diesem Texte gewählt,
daß Horazio, der den Inhalt des Gesanges ohne allen Anstand auf sich
auslegte, ganz bezaubert war. Er pries ihre Talente in seiner halb
castellanischen Sprache mit so sonderbaren Ausdrücken, daß sich
Feliciane kaum des Lachens erwehren konnte.

Ihr Gespräch war durch die Ankunft des alten Escudero gestört, der
einen kleinen Pack, mit einem sonderbarem Überzuge von Leinwand, trug.
Er nahm ihn unter seinem Mantel hervor, und öffnete ihn. „Wie?“ sagte
Feliciane; „wo hast du das Kleid, das ich ausdrücklich verlangt habe?“
„Ich bitte um Vergebung! gnädiges Fräulein; es war aber unmöglich:
denn alle Ihre Kleider hat man schon in die Wohnung der gnädigen Tante
geschafft.“

„Wie werden wir sie nun kriegen?“ sagte Feliciane; „nun muß ich immer
das nähmliche auf dem Leibe tragen.“ Sie stellte sich sehr verdrießlich
an, und Horazio, der jede Gelegenheit, sie sich verbindlich zu machen,
mit beyden Händen ergriff, unterbrach sie, und sprach: „Lassen Sie
sich doch nicht so eine Kleinigkeit kümmern, beste Donna Blanca!
so einem Übel wird doch bald abgeholfen seyn. Bis heute Abends
lassen sich wohl zwey Kleider ganz nach Ihrem Geschmacke, mit allem
Zugehöre verfertigen.“ Feliciane warf ihm einen zärtlichen Blick zu,
und sagte: „Sie sind wirklich zu gefällig, und ich sollt’ Ihre Güte
nicht mißbrauchen. Wenn Sie mir aber in dieser Verlegenheit auf meine
Rechnung zwey Kleider verschaffen wollen, werden Sie mich Ihnen
unendlich verbinden.“ Horazio war voller Freuden, und machte, nachdem
er sich noch genau Farbe, Stoff und Zugehör hatte vorschreiben lassen,
die nöthigen Anstalten. Nun suchte Feliciane das Gespräch auf einen
andern Gegenstand zu leiten. Sie sagte ihm, daß sie dem Escudero,
ungeachtet aller Betheurungen, doch nicht vollkommen traue, und daß
sie unaufhörlich der Zweifel peinige, ob es wohl wahr sey, daß er
sie von beyden Seiten, so wohl bey ihrer Mutter, als bey ihrer Tante
sicher gestellt habe. „Sie, Horazio,“ sagte sie, „wären im Stande, mich
hierüber vollkommen zu beruhigen. Hören Sie, in meiner Tante Wohnung
wird ein Gelaß vermiethet; wenn sie es besuchen wollten, könnten Sie
bey dieser Gelegenheit auch meine Tante selbst sprechen, und so im
Gespräch’ abnehmen, wie sie gestimmt, und ob sie meiner Flucht nicht
etwa auf der Spur sey.“ Horazio nahm den Auftrag desto freudiger an, da
er zugleich eine nähere Auskunft über Felicianens Schicksal, und über
die ganze Geschichte zu erhalten hoffte; Feliciane schickte aber in
der Eile ihrer Mutter durch den Escudero einen Zettel, in der sie ihr
ganz kurz meldete, wie sie sich gegen Horazio zu benehmen habe.

Horazio ging nun fröhlich zum Thore von Quadalaxara hinaus, und kaufte
den Stoff für die zwey Kleider; auf das eine schwarzen Atlaß, und auf
das zweyte blaß rosenfarbigen Taffet. Als er auch die Verfertigung
besorgt hatte, ließ er den Wagen gerade an das Haus der Tante seiner
Feliciane fahren, und an der Hausthür halten. Er schickte einen
Bedienten um die Schlüssel zu dem Gelasse, das hier vermiethet wurde,
hinein; eine Magd kam, zeigte ihm das Gelaß, und er fragte nun nach
der Person, mit der er sich über den Preis zu besprechen hätte; man
nannte sie ihm, und er erkannte sogleich an dem Nahmen Laura, daß es
Felicianens Tante wäre. Er ward zu Theodoren geführt, und fand sie in
einer sehr betrübten Stellung; sie kamen über den Preis überein, und
Theodora bath ihn, ihr auch den Nahmen der Person, für die er das Gelaß
gemiethet hätte, bekannt zu machen. Horazio sagte ihr, daß es eine
Wittwe, eine Base von ihm, wäre. „O bringen Sie mir sie doch bald!“
sagte Theodora; „denn ich leb’ ohne dieß wie im Kerker, ohne alle
Gesellschaft, und leide besonders seit zwey Tagen großen Kummer.“ „Das
zeigt sich nur zu deutlich an Ihrer Miene,“ antwortete Horazio; „und
so wird sich meine Base vortrefflich zu Ihnen schicken, denn sie ist
immer sehr munter und aufgeweckt.“ „Nun,“ antwortete Theodora, „bringen
Sie mir sie doch recht bald! ich trage schon eine rechte Sehnsucht nach
ihr.“ „In der That,“ erwiederte Horazio, „Ihr Kummer geht mir nahe, und
wenn es nicht unbescheiden wäre, würd’ ich es wagen, Sie um die Ursache
desselben zu fragen.“

„O mein Bester!“ sagte Theodora; „das ist es eben, was ihn noch größer
macht, daß ich ihn nicht mittheilen kann.“

„So will ich auch nicht weiter in Sie dringen; indessen, wenn dieser
besondere Umstand nicht eingetreten wäre, so hätt’ ich Ihnen meine
Dienste angebothen. Ich bin zwar kein Spanier, aber doch Edelmann, und
schmeichle mir, hier mit ansehnlichen Häusern in Verbindung zu stehen.“

„Sie sind also kein Spanier?“

„Nein, wie Ihnen auch schon meine schlechte Aussprache zeigt; ich bin
aus Mailand, und nur eines Geschäftes wegen hier, übrigens aber, wie
gesagt, zu jedem Dienste bereit, den ich Ihnen leisten kann.“

„Ich danke Ihnen, vortrefflicher Mann! Nach Ihrer freundschaftlichen
Äußerung, zu der Sie nur Menschenliebe auffordern kann, da Sie mich
nicht einmahl kennen, würd’ ich wirklich undankbar seyn, wenn ich
Ihnen die Ursache meines Kummers noch länger vorenthalten wollte.
Belieben Sie in dieses Gemach herein zu kommen; hier könnte man uns
belauschen.“ Sie gingen hinüber, setzten sich, und Theodora begann:
„Ja mein Bester! diesem Hause ist ein großes Unglück widerfahren.
Ich hatte die Tochter meiner Schwester, und einen Ritter von gutem
Charakter und untadelhaftem Vermögen zu mir bestellt, um zwischen ihnen
einen Heirathsvertrag richtig zu machen. Ich muß freylich gestehen,
daß das Mädchen eben nicht besondere Neigung gegen den Ritter trug;
unerfahrne Mädchen wissen sich aber nicht selbst zu rathen, und so
glaubte ich denn meine Pflicht zu thun, wenn ich meine Erfahrung
anstatt der ihrigen gebrauchte, und sie so gewisser Maßen zu dieser
Verbindung nöthigen würde, wofür sie mir in der Folge noch danken
dürfte. Es war schon alles verabredet; sie war mit ihrer Duenna, unter
der Begleitung eines Escudero, abgehohlt; aber, Gott weiß wie es
geschehen seyn mag, mit einem Mahle verschwanden sie dem Escudero aus
den Augen, und der gute Alte weiß nicht im geringsten zu sagen, wo sie
hingekommen sey. Ich habe sie bey allen Bekannten, in allen Klöstern
aufsuchen lassen; aber nirgends ist sie zu finden. Ihre Mutter liegt
krank, und meint, sie sey in meinem Hause. O mein Bester! Sie kommen
in viele Gesellschaften; wie würden Sie mich nicht verbinden, wenn Sie
nur die geringste Nachricht von ihr geben könnten, damit meine Unruhe
nur in etwas gemildert würde. Vielleicht ist sie nicht einmahl mehr in
Madrit; von einem entschlossenem Mädchen ist alles zu fürchten. Gern
will ich ihr vergeben, wenn sie vielleicht mit einem Ritter von ihrem
Stande ein geheimes Liebesverständniß gepflogen hat: wenn sie aber ihr
Blut verläugnet; wenn sie sich von einer blinden Leidenschaft hinreißen
läßt, und sich etwa einem Häuchler aus niederm Rang’ in die Arme wirft,
o Gott! dann ist es um die Ruhe meines Lebens auf immer geschehen. Wie
leicht ist ein unschuldiges Mädchen nicht verführt; besonders ein so
schönes Mädchen! O Mädchen, Mädchen! was für Kummer machst du mir!“

Horazio, der nun eher an Gottes Wort, als an der Wahrhaftigkeit dieser
Erzählung gezweifelt hätte, antwortete ihr: „Ich danke Ihnen von ganzem
Herzen, gnädige Frau, für das Zutrauen, das Sie mir schenkten, und will
es durch eine Nachricht zu bezahlen suchen, die Ihnen wahrscheinlich
willkommen seyn dürfte. Ich weiß nun eine Dame, die nur drey Tage von
Haus’ entfernt ist; sie heißt Donna Blanca.“ „Was höre ich,“ schrie
Theodora; „das ist meine Nichte! das ist meine verlorne Blanca!
Engelsmann!“ schrie sie, und küßte ihn, „wo ist sie? ich sterbe vor
Freuden; ein Engel hat mir’s eingegeben, daß ich Ihnen alles erzählen
sollte. Wo ist sie denn? wo ist sie denn?“ Er erzählte ihr denn, daß
sich Donna Blanca in seiner Wohnung befinde; wie sie zu ihm gekommen
sey; daß er sich auf ihren Befehl hier befinde, und das Gelaß nur zum
Vorwande gemiethet habe. Sie überströmte ihn nun wieder mit einem
Hagel von Küssen, und dankte ihm für sein gütiges Benehmen gegen ihre
Nichte; um aber das Frohlocken noch feyerlicher zu machen, schrie
sie: „Louischen! Louischen! komm geschwinde, wie du auch aussehen
magst! fröhliche Neuigkeiten! gute Nachrichten!“ Louise kam in einem
blaßgelben Habite, die Haare in Unordnung, herein geflogen, und so
schön sie war, war Horazio’s Fantasie doch schon von Felicianens Bilde
zu sehr befangen, als daß ihre Reitze mit voller Gewalt auf ihn hätten
wirken können. Sie grüßte den Ritter sehr artig mit einem schwebenden
Complimente, und hüpfte ihrer Mutter zu. „Dieser Herr hier, oder
vielmehr dieser Schutzgeist,“ sagte Theodora, „hat mir von Blanca
Nachrichten gebracht.“

„Gott sey Dank!“ schrie Louise.

„Sie ist in seiner Wohnung, und wir werden sie wieder haben.“

„Wir waren auch schon alle beynahe todt vor Angst,“ sagte Louise wieder.

„Sie sind aber doch verheirathet?“ fragte Theodora.

„Nein,“ antwortete Horazio; „seyn Sie aber versichert, daß Donna Blanca
bey mir mit aller Ehrfurcht behandelt wird, die ihrem Range gebührt.“

„Daran trage ich auch nicht den geringsten Zweifel,“ erwiederte sie.

Unter diesem Gespräche war die Dämmerung eingefallen; man steckte
Lichter an, und eine Magd meldete, daß Don Diego de Orozo im Vorzimmer
wäre. Horazio war bereit, sich zu entfernen; aber Theodora bath ihn,
zu bleiben, da der Besuch nicht von Belange wäre. „Es ist nur ein
Freyer um Louisen,“ sagte sie, „der ihr aber, wie mehrere andere, nicht
ansteht, weil er so wenig Welt, und über dieß auch nicht hinlängliches
Vermögen hat, um ein Weib standesmäßig zu ernähren.“ Nun trat Don
Diego ein; man reichte ihm einen Stuhl, und sprach eine Weile von
gleichgültigen Dingen. Da er sah, daß ihm Mutter und Tochter ungünstige
Blicke zuwarfen, sprach er: „Ich habe Donna Louisa schon seit mehrern
Tagen in übler Laune gefunden; ich habe denn heute versuchen wollen, ob
ich sie nicht aufzuheitern im Stande bin. In dieser Absicht hab’ ich
einen geschickten Tonkünstler mitgebracht, den man auch bey Hofe gerne
hört, und der Sie ein wenig unterhalten soll.“ Man fand seinen Antrag
sehr artig; der Tonkünstler trat ein, nahm sein Instrument zur Hand,
und sang mit einer sehr angenehmen Stimme ein schmelzendes Adagio.
Mit einem Mahle änderte er aber den Ton, und sang unter verschiedenen
Grimassen folgendes Lied:

      Liebe Inez, höre mich,
    Höre mich doch an!
    Liebe Inez, liebe mich;
    So bin ich dein Mann.

      Deine Schönheit thu’ ich kund,
    Ach, zu meiner Qual:
    Purpurroth ist dieser Mund
    Wie ein Cardinal.

      Deine Augen schwarz und traut
    Blicken durch den Schleyer schlau,
    Wie durchs Fenstergitter schaut
    Eine Klosterfrau.

      Deine Tugend zu erheben,
    Fehlen Worte mir:
    Denn es ist dein ganzes Leben
    Eine Tugend schier.

      Alle Menschen zu ertragen
    Ist dir keine schwere Pflicht.
    Drum verschmähest du die Klagen
    Selbst der Götzendiener nicht.

      In dem Drange des Gewimmels
    Folgst du standhaft deiner Spur,
    Und versichert deines Himmels,
    Lebest du dem Menschen nur.

      Weil zum Beyspiel böser Laien
    Niemahls dich der Himmel straft,
    Bist du selbst, dich zu casteyen,
    Fromme Seele! -- lasterhaft.

Während dieser Hymnus gesungen wurde, stand Diego rückwärts mit
verhaltenem Munde, um das Lachen zu verbeißen. Die beyden Damen
bedurften keines Dolmetschers, um das Loblied Strophe für Strophe
auf Louisen auszudeuten. Louise warf ihm einen Blick voll Verachtung
zu, und sagte: „In der That, Don Diego, Sie sind ganz dazu gemacht,
eine Gesellschaft in eine andere Stimmung zu bringen; Sie haben den
Tonkünstler wohl immer im Solde? Verfertigen wohl gar die Poesie?“
„Wahrhaftig,“ sagte Theodora, indem sie nach der Uhr sah, „schon so
spät! das hätt’ ich nimmermehr gedacht. Ich dank’ Ihnen, Don Diego,
daß sie uns einen so langen Besuch haben schenken wollen; unterdessen,
dieser Herr hat mit mir Sachen von Wichtigkeit abzuthun; und da ich
nicht verlangen kann, daß er sich so lange hier aufhalte, werden Sie
es nicht unartig nennen, wenn ich Sie bitte, uns morgen dafür einen
allenfalls noch längern Besuch zu schenken.“ Der hämische Diego war
mit dem Unwillen, den er an ihrer Stirn las, vollkommen zufrieden, und
ging fort, zum Glück’, ohne nach Felicianen zu fragen, und die ehrliche
Theodore wieder zu einer Nothlüge zu zwingen. Horazio blieb nun allein
bey ihnen, und Theodora sagte: „Dieser abgeschmackte Ritter hat sich
in dieses Haus eigentlich eingedrungen, und mich hat wirklich nur die
gute Nachricht von Blanca bey Laune erhalten, sonst würd’ ich ihn mit
seiner einfältigen Musik in die Schenke gewiesen haben.“ Sie fügte
hinzu, daß sie ihrer Nichte einen kleinen Zettel schreiben wolle, und
Horazio sich unterdessen mit ihrer Tochter unterhalten möchte. Sie ließ
sie denn allein, und schrieb geschwinde zwey Zettel. Den einen gab sie
dem Escudero, und schärfte ihm ein, geschwinde zu laufen, damit ihn
Feliciane noch erhielte, bevor Horazio nach Hause käme. Mogropejo lief
auch an der Stelle ab, und Theodora kam, den andern Zettel in der
Hand, in das Gemach zurück. „Bester Horazio,“ sagte sie, „übermorgen
werd’ ich meiner Schwester Wagen hohlen lassen, und werde dann meine
Nichte bey Ihnen abhohlen; bis dahin muß ich Sie bitten, sie bey sich
zu behalten. Daß ich es nicht länger gestatten kann, sehen Sie selbst
ein; Sie sind unverheirathet, und mir liegt Ihre Ehre und Ihr Ruf so
nah’ am Herzen, als der Ruf meiner Nichte.“ Horazio konnte nichts
entgegen sagen; er fühlte aber schon ganz die Bitterkeit der bevor
stehenden Trennung. Er nahm von Louisen den wärmsten Abschied, und
eilte nach Hause.

Feliciane hatte den Zettel ihrer Mutter, der einen ausführlichen
Unterricht enthielt, schon erhalten; sie empfing ihn mit anscheinender
dringenden Ungeduld, und fragt’ ihn, wie es ihm mit ihrer Base gegangen
sey. „Gut und nicht gut,“ antwortete Horazio; „gut, weil ich eine Frau,
wie Ihre Tante, kennen gelernt habe; und nicht gut, weil alles, was
der Escudero gesagt hat, grundfalsch war, und sie Ihre Flucht schon
wußte. Ich fand sie so innigst bestürzt, und so voll Sehnsucht nach
Ihnen, daß ich sie nicht länger hätte ungetröstet lassen können. Ich
sagte ihr denn, daß Sie sich in meiner Wohnung befänden, worüber sie
in ein lautes Frohlocken ausbrach, und an der Stelle den Entschluß
faßte, Sie übermorgen bey mir abzuhohlen.“ Feliciane sank ohnmächtig
auf den Stuhl; die Duenna und Horazio sprangen ihr zu Hülfe. „Was ist
Ihnen, Blanca?“ schrie Horazio. „So gibt’s denn nichts, als Unglück!“
schrie die Duenna. „O ich seh’ es nur zu spät ein, daß ich der Tante
nichts hätte merken lassen sollen.“ „Sie haben der Tante also wirklich
entdeckt, daß das Fräulein hier ist?“ sagte die Duenna. Horazio bejaht’
es, und Banuelos fuhr fort: „Gott im Himmel, was haben Sie gethan? Was
für ein böser Geist hat Sie dazu angetrieben? Was haben wir nun zu
erwarten? Die Tante ist noch weit unbarmherziger, als des Fräuleins
Mutter. Wer hat Sie denn zu ihr geschickt?“ „Donna Blanca selbst;“
antwortete Horazio; „auf ihr Geheiß bin ich hingegangen.“ Unterdessen
erhohlte sich Feliciane aus ihrer Ohnmacht, und sagte: „Bester
Horazio! wenn Sie meine Beherbergung in Verlegenheit setzte, hätten
Sie mir es nur erinnern dürfen, und ich hätte mich zu einer meiner
Freundinnen begeben. Nur meine Tante weiß, daß ich mich hier aufhalte;
ich bin verloren; und ich fürchte nicht sie allein, sondern auch meine
Onkel, denen sie auch ohne Zweifel an der Stelle davon Nachricht
geben wird. Nun wird man mich erst zwingen wollen, und ich bin zu
edel geboren, als daß ich meinem Herzen den geringsten Zwang anthun
lassen sollte.“ So schrien sie und die Duenna unablässig fort, daß
Horazio ganz verwirrt war, und das Zimmer auf- und ablief, ohne sich
im geringsten Rath schaffen zu können. Daß Feliciane aus seinem Hause
kommen sollte, war ihm ein unerträglicher Gedanke, und beschäftigte ihn
mehr, als was Mutter und Tante mit dem armen Mädchen vorhaben dürften.
Er gerieth auf dieß und das; ein Anschlag verdrängte den andern, und
sein Entschluß, der am Ende heraus kam, war, daß er der ganzen Welt
Trotz biethen, und bis zum letzten Blutstropfen hindern wolle, daß
man sie ihm entreiße. Um nun diesem Unglücke vorzubeugen, schlug er
ein anderes Mittel vor. Er sagte ihr nähmlich, daß der Garten seines
Hauses mit dem Garten des nächsten daran zusammen stoße; daß dieser
Garten nun leer stehe, und er ihn für sich gemiethet habe; daß in der
Spalierwand, die beyde Gärten von einander trenne, eine kleine Thür
wäre, die man nicht bemerke, und durch die sie sich retten könne, wenn
man sie abzuhohlen käme. Da er allein der Tante die Nachricht gebracht
habe, wolle er sie nun standhaft läugnen.

Feliciane nahm den Vorschlag an, und sammelte nun bald ihre Kräfte
wieder. Sie gingen auch gleich alle in den Garten, versuchten die Thür,
und versprachen sich den besten Erfolg. Die Tante beliebte sich den
folgenden Tag noch nicht einzufinden, sondern ließ nur melden, daß
sie sich übel befinde; und nun schöpfte Horazio wieder neuen Muth.
Denselben Tag nach dem Abendessen seufzete Feliciane tief, und sagte:
„Wahrhaftig, bester Horazio! ich komme mir in dem Verhältnisse gegen
meine Mutter so abscheulich vor, und kann es doch nicht aufheben,
ohne mich auf immer unglücklich zu machen. Wenn ich mir meine Lage da
so lebhaft vorstelle, so möcht’ ich weit über die Grenzen Spaniens
hinaus fliehen, und hoffe nur weit von hier Ruhe zu finden.“ Nun sah
Horazio den Himmel offen. „Ist’s möglich?“ sagte er; „sollten Sie wohl
diesem Vorsatze treu bleiben? Ich will ihn ausführen; ich will Sie auf
die anständigste Art nach Mailand bringen; nicht unter dem Titel der
Gamahlinn: denn leider hab’ ich, bevor ich Sie kennen lernte, meine
Hand schriftlich einer Dame zugesagt, und ihr meine Erklärung auch
schon geschickt. Ich will Sie aber unter dem Nahmen einer Verwandten
hinführen, will Sie wie meine Schwester lieben; und wenn diese Dame
bey der Schilderung der Leidenschaft, die ich für Donna Blanca
empfinde, bewegen läßt, meinem Herzen freye Wahl zu lassen, und mir
meine Erklärung zurück zu geben, so ist niemand meiner ewigen Liebe so
würdig, als Sie.“

Feliciane hatte nichts sehnlicher erwartet, als eine Erklärung aus
seinem Munde. Sie sprang auf, und sagte, indem sich ihr ganzes Wesen
aufzuheitern schien: „Horazio, ich will alle Ziererey des Frauenzimmers
abwerfen. Sie haben alles, folglich auch das Größte um mich verdient.
Ich gesteh’ Ihnen denn, daß es mir unmöglich ist, ohne Sie jemahls
wahrhaft glücklich zu seyn. Ich muß bey Ihnen bleiben; und kann ich Sie
nicht als Gattinn lieben, so will ich Ihre Schwester seyn. Machen Sie
Anstalt zur Reise, so bald Sie wollen. Ich gehe mit; hier ist meine
Hand.“ Horazio war trunken vor Entzücken; er wagte es, sie zu umarmen,
und sie küßte ihn so feurig, als er sie. „Vielleicht,“ schrie er, „ist
der Courier, dem ich die Schrift mitgegeben habe, noch nicht fort;
vielleicht kann ich sie zurück nehmen; o dann wäre ich der glücklichste
Mensch auf Erden! Erlauben Sie nun, daß ich hineile, und nicht einen
Augenblick verliere.“ Sie umarmten sich noch ein Mahl feurig; er eilte
fort, und kam mit der glücklichen Nachricht zurück, daß die Schrift
noch nicht abgelaufen sey; daß er binnen drey Tagen alle seine
Geschäfte abgethan habe, und daß sie dann ungehemmt auf den Flügeln der
Liebe nach seinem Vaterlande eilen könnten. Sie gingen freudig zu Bett;
aber Horazio konnte kein Auge zuthun. Den nächsten Morgen ließ er für
sich und Felicianen zwey Reisekleider nach italienischer Tracht machen;
alles war zur Abreise bereitet, und den folgenden Tag des Abends
sollten sie abfahren.

Mit einem Mahle hielt Theodorens Kutsche an der Hausthür. Sie trat
ein, und erkundigte sich nach Felicianen: Horazio sagte ihr aber,
daß ihre Nichte des Morgens zur Beicht gefahren wäre, und daß sie
selbe vermuthlich noch in der Kirche treffen würde. Theodora stellte
sich treulich an, als ob sie es glaube; indessen war Horazio doch
übel zu Muthe, daß er sie auf keine klügere Art abgefertigt habe, da
sie diese nicht auf lange Zeit entfernen könnte. Er eilte daher zu
Felicianen, und sagte ihr, was vorgegangen sey. Feliciane war damit
ganz zufrieden, und nun ging es wieder hastig über die Anstalten
zur Abreise her. Besonders sorgte Feliciane, daß so viele Kleider,
als möglich, eingepackt wurden. Um die Stunde des Abendgebeths hielt
Theodore schon wieder mit dem Wagen vor der Thür; sie erfuhr von einem
Bedienten, daß Horazio zu Hause wäre, und ließ ihn rufen. Er war sehr
ungehalten, daß sie ihn nicht verläugnet hatten, und daß er sich
nun wieder mit einer List behelfen sollte, was, wie wir nun gesehen
haben, überhaupt eben nicht seine Sache war. Er meldete Felicianen mit
sichtbarer Ängstlichkeit, daß Theodora schon im Vorhofe stehe, lief
dann zu ihr hinunter, und sie fragte ihn rasch, wo ihrer Nichte Zimmer
wäre. Er sagte ihr, daß es ihm leid thue, sie noch ein Mahl vergebens
bemühet zu haben, sie sey aber wirklich heute Morgens schon, was er
nicht gewußt habe, zu einer Freundinn gefahren, von der sie noch nicht
zurück gekommen sey. „Vortrefflich, vortrefflich!“ sagte Theodore mit
verbissener Wuth; „genug, daß ich weiß, daß sie hier im Hause ist! Ich
will sie durchaus sehen, und mit mir nehmen. Solche zügellose Mädchen,
wie mein artiges Nichtchen, haben keinen eignen Willen. Nicht genug,
daß sie, wie ein Ausreißer, davon läuft, und wie ein Landstreicher im
nächsten besten Haus übernachtet, ohne zu denken, was ihre Ehre dabey
leidet; nun fährt sie auch noch sorglos spazieren, und spielt die
Hausfrau, als ob man sie aller mütterlichen Gewalt entlassen hätte.“
Horazio bestand darauf, daß das Fräulein wirklich nicht in seinem Hause
sey; und Feliciane eilte mit der Duenna in demselben Augenblicke durch
den Garten in das andere Haus. Ein Bedienter gab Horazio ein Zeichen,
daß die Auswanderung glücklich überstanden sey, und Horazio bath
Theodoren nun, nicht unmuthig zu werden, und sich durch den Augenschein
zu überzeugen, daß er die lautere Wahrheit spräche. Er reichte ihr den
Arm, und führte sie Treppe auf, Treppe ab, Stube aus, Stube ein, bis
das ganze Haus rein durchsucht war. „Sie sehen nun selbst,“ sagte er,
„daß ich Sie nicht getäuscht habe, und ich versichere Sie vielmehr, daß
mir über ihr langes Außenbleiben selbst bange wird. Es ist schon spät;
wenn ihr nur kein Unglück widerfahren ist!“

„Ungerathenes Kind! Unvorsichtiges Kind!“ murmelte Theodora zwischen
den Zähnen. „Was ist nun zu thun?“

„Nichts,“ antwortete Horazio, „als daß Sie die Güte haben, ein wenig zu
warten.“

Sie wartete gegen einer Stunde; da sie aber sah, daß es vergebens sey,
fragte sie, zu was für einer Freundinn sie gefahren wäre. Man rief den
Kutscher; es war aber schon abgeredet, daß er nicht kommen sollte.
Endlich sagte Theodora: „Das Mädchen scheint zu wissen, was es zu thun
habe; aber auch ihre Oheime werden ihre Pflicht kennen, und werden sie
zurück zu halten wissen, wenn sie sich auch selbst in’s Unglück stürzen
will. Leben Sie wohl!“ Mit diesen Worten stieg sie in den Wagen, und
fuhr fort.

Es vergingen nicht zwey Stunden, so kamen auch schon zwey Bekannte
Theodorens, und fragten nach Donna Blanca.

Die Bedienten hatten schon den Auftrag, jedermann zu sagen, daß sie
des Abends nicht zu Hause speise, und daß sie sich, wenn es dringend
wäre, nach Mitternacht, oder den folgenden Tag sehr früh wieder
einfinden könnten. Die Oheime gingen denn wieder die Straße hinunter,
und Feliciane sagte, als sie sie erblickte: „Wehe mir! das sind
meine Oheime.“ Den nächsten Morgen brachte Horazio seine Blanca in
das Haus, das er gemiethet hatte, machte sich aller Geschäfte ledig,
und bestellte des Nachts Wagen und Maulthiere, um nach Barcelona
abzufahren. Nach Tische besann er sich, daß er mit einem unbeschuheten
Carmeliten noch etwas abzuthun habe, und wollte noch in das Kloster,
das ganz in der Nähe war, hinüber gehen. Er gab Felicianen unterdessen
ein kleines Felleisen, in dem über zwölf tausend Escudo’s an Geld’
und Geschmeide waren, in Verwahrung, und eilte hinüber. Dieser kleine
Umstand löste nun den Knoten mit einem Mahle. Ohne nun weiter auf etwas
zu denken, packten Feliciane, Banuelos und Mogrobejo das Felleisen
und das Bündel mit Felicianens Kleidern zusammen, schlichen durch
das andere Haus, und erreichten die Wohnung Stephaniens, einer guten
Freundinn Felicianens, mit heiler Haut. Horazio kam zurück, und ließ
den Wagen an der Thür des anderen Hauses, in dem Feliciane seyn sollte.
Er suchte sie überall, und fand sie nicht. Er fragte die Haushälterinn
nach ihr; diese wußt’ ihm aber nichts zu sagen, als daß sie das
Fräulein auf die Straße geschickt habe, um zu sehen, ob nicht etwa ihre
Oheime wieder kämen. Horazio war ganz verwirrt, suchte sie neuerdings,
und beschloß endlich, die Nachbarn zu fragen, ob sie keiner gesehen
habe. Niemand hatte sie gesehen; nur einen einzigen Bedienten hatten
zwey Ritter, denen drey oder vier Bediente nachtraten, nach ihnen
gefragt. Horazio dachte sogleich, daß dieß die Oheime gewesen seyn
dürften, und es befiel ihn eine solche Angst, daß er sich plötzlich
auf einen von den Mauleseln, die zur Abreise in Bereitschaft standen,
setzte, und nach Alcara ritt; seinen Bedienten aber befahl er, Donna
Blanca, so bald sie zurück käme, zu sagen, daß sie ihm mit dem Wagen
folgen sollte. In Todesangst kam er zu Alcara an, und konnte mit sich
selbst über Blanca’s schnelles Verschwinden nicht einig werden. Vier
Tage hielt er sich dort auf, und wartete voll Ungeduld; da sie aber
noch nicht kam, war er überzeugt, daß sie ihren grausamen Oheimen in
die Hände gefallen sey. Er war so gutmüthig, daß er ihr Schicksal
beweinte, und der sichern Hoffnung war, daß sie ihm ihre Lage in einem
Briefe nach Mailand schildern werde. Um nun ja gewiß bey der Ankunft
desselben in seiner Vaterstadt zu seyn, und ihn nicht eine Stunde auf
der Post liegen zu lassen, eilte er, was er konnte, nach Barcelona,
und Feliciane feyerte unterdessen den Triumph ihrer List, und die
Niederlage seiner Zärtlichkeit.



ZWEYTE SPAZIERFAHRT.


Feliciane ward zu Hause mit allem Jubel empfangen, mit dem man
gewöhnlich einen großen Feldherrn empfängt, der von einer gewonnenen
entscheidenden Schlacht, und, was hier der wesentlichste Umstand war,
mit einer reichen Beute beladen, nach Hause kehrt. Nun traf die Reihe
die schöne Louise, die schon vor Verlangen brannte, ihrer klugen
Schwester auf dieser edlen Rennbahn den Vorsprung abzugewinnen. Die
wichtigste vorläufige Anstalt war, daß der Wagen anders zugerichtet
ward, die Rappen in Schimmel, und der schwarzköpfige Kutscher in einen
blonden verwandelt wurde. Louise war ihres glücklichen Erfolges so
gewiß, daß ihr Feliciane das nöthige Geld auf diese Unkosten leihen
mußte.

Da nun alles veranstaltet war, suchte sie in der Stummengasse eine
Wohnung. In dieser wohnte seit kurzer Zeit ein reicher Graubart aus
Genua, den eigentlich nichts nach Madrit geführt hatte, als seine
seltsame Gemüthsart, die ihn immer peinigte; er konnte nicht lange an
einem Orte leben, ohne daß ihn die tödtlichste lange Weile plagte. Er
war ein großer Freund des Frauenzimmers, war aber so karg, daß ihm auch
diese Quelle des Vergnügens unmöglich reich zuströmen konnte. Er hieß
Cäsar Antonio, hielt einen Wagen, vier Bediente und eine Haushälterinn.

Gegen über nun von diesem Manne bezog unsere schöne Sevillanerinn
das erste Stockwerk, mit einem Balcon auf die Gasse. Die Tracht, in
der sie sich einführte, war ein Wittwenkleid, und zwar die tiefste
Trauer, als ob sie ihren seligen Gatten erst vor einigen Tagen begraben
hätte. Sie trug ein kurzes gefaltetes Mäntelchen, darunter ein enges
Kleid mit langen Spitzärmeln und niedlichen Krausen, die ihrer Hand
vortrefflich ließen; am Halse war der Kragen zurück geschlagen, und an
der Brust lief ihr wieder eine breite lockere Spitzenkrause zusammen.
Im blonden Haare hatte sie nichts, als einige schwarze Schleifen, und
einen flornen Schnabel gegen die Stirn. Über den Rücken schwebte der
Schleyer, und um den Hals hing ihr eine lockere Kette von schwarzen
Perlen. Welcher Mann wäre nicht gern gestorben, um seine schöne Wittwe
in einem so reitzenden Trauerhabite zu sehen?

Sie richtete ihre Wohnung auch ganz nach dem Stande, den sie angenommen
hatte, ein, und kam in derselben mit ihrer Mutter, die ihr als Duenna
diente, der frommen Banuelos, und ihrer Schwester, die eine nahe
Verwandte spielen mußte, an. Sie fuhren Schritt vor Schritt, und der
alte Escudero ging neben dem Wagenschlage. Als sie diesen feyerlichen
Einzug hielt, stand der Genueser eben auf dem Balcon. Er riß die
Augen groß auf, und brannte vor Neugierde, wer wohl seine Nachbarinn
seyn dürfte. Die Gesellschaft war nun ausgestiegen, und das Erste,
was Louise that, war, daß sie das Mäntelchen ablegte, und sich dem
Genueser auf ihrem Balcon in unverhüllter Schönheit zeigte. Der Alte
gaffte wie ein hundertäugiger Argus herüber; das Herz schlug ihm
wie eine Wanduhr, und er meinte keine grössere Schönheit in seinem
Leben gesehen zu haben, als diese Proserpina; und er hatte doch viele
gesehen. Louise sah unterdessen bald die Straße hinauf, bald die Straße
hinunter, und stellte sich an, als ob sie nun plötzlich erst einen
Blick auf den unbeweglichen Genueser hinüber wärfe, was ihm Gelegenheit
gab, eine tiefe Verbeugung, die er schon lange in Bereitschaft hatte,
anzubringen. Louise erwiederte sie zwar sehr höflich, kehrte sich aber
sogleich zu ihrer Gesellschaft um, und sagte halb laut, doch aber
so, daß der Genueser jedes Wort hören konnte: „Das Einzige habe ich
vergessen; gleich morgen muß der ganze Balcon mit Jalousien versehen
werden; mein Stand erlaubt es durchaus nicht anders.“ Der Genueser, der
gerade keiner von den schüchternsten war, mischte sich ohne Anstand ins
Gespräch, und sagte: „Ich wäre untröstlich, wenn ich Sie durch mein
Gegenüberwohnen in dem Vergnügen stören sollte, auf Ihrem Balcon die
frische Abend- oder Morgenluft zu genießen. Ich werde Sie überzeugen,
daß es mir Ernst ist; und wenn Sie morgen Ihren Balcon mit Jalousien
schirmen, lass’ ich den meinigen mit Bretern verschlagen. Oder wenn
mir das der Arzt verbiethen sollte, beding’ ich mir aus, daß Sie Ihre
Jalousien immer völlig schließen, und“ -- Louise hatte nun eben den
Handschuh abgezogen -- „mir nicht einmahl diese schöne Hand hervor
gucken lassen. Auch muß ich es fordern, um mich nie mit einiger Gefahr
im Neglige auf meinem Balcon sehen zu lassen. Vergeben Sie, daß ich
so zudringlich bin, und mich sogleich ins Gespräch gemengt habe; aber
meine gute Laune sucht mich selten heim.“ Louise lächelte ihm gefällig
zu, machte ihm eine Verbeugung, und ging hinein.

Der Graubart aus Genua hatte nun weder Rast noch Ruhe mehr. Er lauschte
den ganzen Abend an der Hausthür, bis er den Escudero ausgehen sah, den
er auch an der Stelle anhielt, und fragte, wer seine Gebietherinn wäre.
Dieser hatte seine Rolle schon gut gelernet, und sagte ihm denn, daß
sie eine Dame aus Saragossa wäre, daß sie Donna Angela de Bolea heiße,
und an einen vornehmen Edelmann dieser Stadt verheirathet gewesen sey.
Sie sey nach Hofe gekommen, um da einen Oheim zu erwarten, der hier
mit einem unermeßlichen Reichthume aus Indien ankommen werde, und sie
zur einzigen Erbinn seines ganzes Vermögens bestimmt habe, welches in
mehr als achtzig tausend Escudo’s bestände, wie sie auch jetzt schon
jährlich mehr als zwey tausend von ihm empfange.

Der Genueser glaubte ihm jedes Wort, und sann nun schon unablässig,
wie aus seiner Nachbarschaft eine vertraute Bekanntschaft werde. Er
dankte dem Escudero recht höflich, und bath ihn, seiner Gebietherinn
zu melden, daß alles, was in seinem Hause sey, zu ihrem Befehle wäre.
Der Escudero dankte ihm aber, und versicherte, daß sie mit allem
überflüssig versehen wären.

Die Jalousien blieben am folgenden Tag’ aus, und Antonio, der dem
Verlangen, sie zu sehen und zu sprechen, nicht länger widerstehen
konnte, ergriff diese Gelegenheit, um zu ihr hinüber zu schicken, ihr
dafür zu danken, und sie zugleich um die Erlaubniß bitten zu lassen,
daß er ihr aufwarten dürfte. Sie war zu artig, als daß sie selbst in
ihrem Wittwenstande, den Besuch eines alten Nachbars, der sich über
dieß zuvorkommend höflich bezeigt hatte, hätte ablehnen sollen. Er war
voller Freude, putzte sich so gut heraus, als er konnte, ließ zwey
Bediente nachtreten, und spazierte wie ein Pfau die Straße hinüber.
Er fand die schöne Wittwe auf einem schwarz überzogenen Stuhl’, und
um sie herum war ein schwarzer Teppich aufgebreitet, auf dem die zwey
Duennen saßen, die sich mit Mäntelchen und Schleyern ein ehrwürdiges
Ansehen gegeben hatten. Er brachte eine lange Glockenstunde in diesem
angenehmen Zirkel zu, ohne daß er den geringsten Anfall von seiner
gewöhnlichen Krankheit der langen Weile gehabt hätte. Endlich brach
Louise das Gespräch ab, und bath um Vergebung, daß sie nicht länger
von der Gesellschaft seyn könne, da sie um diese Stunde sich zurück
zu ziehen pflege. „Diese Stunde,“ sagte sie, „ist dem Andenken meines
seligen Mannes geweihet.“ „Ich darf Sie aber doch wieder besuchen?“
sagte Antonio. „Es wird mir immer ein Vergnügen seyn,“ antwortete
Louise, und ging in’s Nebenzimmer: der Genuese ging voll Vergnügen
fort, und schickte ihr noch einige Früchte aus seinem Garten zur
Erfrischung herüber.

Unter seinen Bedienten war ein Spanier, ein Toledaner, den er wegen
seiner besonderen Geschicklichkeit in Musik, und seinen drolligen
Einfällen aufgenommen hatte. Auch war sein Gehirn ein Bißchen von
Poesie verbrannt. Mit diesem Burschen nun wollte er Louisen ein
Fest machen, welches in einem Liedchen bestehen sollte, das er ihr
sänge. Als sie nun des Abends mit ihrer Gesellschaft auf dem Balcon
nachtmahlte, stellte er Leonardo, so hieß der Bediente, auf seinen
Balcon, ihnen gerade gegen über. Leonardo nahm seine Guitarre zur Hand,
und sang:

      Holder Stern der schönen Nacht!
    Wenn dein Auge freundlich lacht,
    Dann erfreuet sich mein Sinn,
    Daß ich dein Geliebter bin.

      Du leuchtest in sanftsüßer Pracht,
    Wie ein Gestirn in finstrer Nacht.
    Dein Blick mein Herze gleich erhellt,
    Wie, wenn vom Stern ein Schnupfen fällt.

      Ich sehe dir von ferne zu,
    Und wie ein Irrwisch flimmerst du;
    Ich folge deinem matten Schein,
    Und locktest mich in’s Koth hinein.

      Denke meiner, schönes Kind,
    Und entschlafe nicht geschwind!
    In Gedanken, glaub’ es mir,
    Bin ich auch des Nachts bey dir.

Der Genuese küßte ihn, und die Damen waren so artig, ihm Beyfall
herüber zuzuklatschen. So albern der Bursche war, hatt’ er doch, wie
gesagt, seine eigene Weise, und war überhaupt so gewandt und launigt,
daß man ihm nicht abhold seyn konnte. Auch unsere schöne Wittwe hatte
diese Serenate so unterhalten, daß sie den folgenden Tag wieder zu
ihrem Nachbar hinüberschickte, und ihn zu sich bitten ließ. Das
Gespräch ward immer lebhafter, und der Genuese gerieth, bevor er
dessen gewärtig gewesen war, in solche Flammen, daß er seinem Triebe,
sich näher zu erklären, nicht länger widerstehen konnte: er sagte ihr
tausend abgeschmackte Schönheiten, küßte ihr die eine Hand um die
andere, warf so feurige Blicke, wie eine Katze in der finstern Kammer,
und geberdete sich, mit einem Worte, so läppisch, daß sich Louise und
ihre Gesellschaft darüber kaum des Lachens erwehren konnten. Sein
Meisterstück kam aber erst nach. Ein leichtes Zittern, das Wechseln
der Gesichtsfarbe, und ein beständiges Trippeln gingen voraus: endlich
sprang er wie einer, den der Fieberanfall packt, vom Stuhle auf, und
bath Louisen, mit ihr einige Worte unter vier Augen sprechen zu dürfen.
Louise sah deutlich, wo das hinaus wolle, und führte ihn sogleich in
ein Nebenzimmer. Hier ließ sich der alte Bock auf seine vordern Knie
nieder, und beichtete ihr die Sünde seines verliebten Herzens, das für
sie in hellen Flammen stehe, und nur durch einen plötzlichen Aufguß
von Gegenliebe zu löschen sey. Louise nahm seine Liebeserklärung mit
vieler Schonung auf, und sprach lächelnd: „In der That, mein Herr,
Sie haben mich überrascht, und am wenigsten hätt’ ich eine solche
Verwandlung von dem Mann’ erwartet, der vorgestern noch seinen Balcon
mit Bretern verschlagen lassen wollte. Auch muß ich Ihnen gestehen,
daß es mich Wunder nimmt, wie ein Mann, der doch eben nicht mehr in
den blühenden Jugendjahren ist, und manches erfahren zu haben scheint,
mit diesem -- erlauben sie mir, daß ich es sagen darf -- hastigen
Geständnisse eine Wittwe in Verlegenheit setzen kann, die noch
nicht vierzehn Tage das Trauerkleid trägt.“ Der Genuese wollte sich
entschuldigen, stotterte aber, daß ihm nicht eine ordentliche Sylbe
gelang. „Indessen,“ fuhr Louise fort, und lächelte, daß es einen Todten
im Grabe hätte wecken können, „indessen muß ich Ihnen sagen, daß ich
eitel genug bin, über keine Erklärung, und käme sie noch so zur Unzeit,
aufgebracht zu werden; und einem Manne zu gefallen, dessen Herz nicht
zum ersten Mahle gewonnen wird, ist mir immer schmeichelhafter, als
wenn ich ein Jünglingsherz berücke, das noch niemahls ins Freye kam.“
„O Sie geben mir das Leben wieder,“ sagte Antonio, und einige Thränen
suchten durch die Furchen seiner Backen abzufließen; „darf ich also
hoffen?“

„Bester Antonio!“ sagte Louise, „was wird unsere Gesellschaft denken,
wenn wir an unsern wenigen Worten so lange zu sprechen haben?“ Mit
diesen Worten ging sie in das Gesellschaftszimmer zurück, und Antonio
folgte ihr ganz verstört nach.

Indessen glaubte er doch in ihren Blicken mehr als Nachsicht zu lesen,
und war diesen Abend so inniglich vergnügt, daß seine ganze Großmuth
erwachte, und er ihr ein Paar Handschuhe und einen Fächer überreichte,
die er aus Mexico erhalten zu haben vorgab, um ihren Werth doch einiger
Maßen zu erhöhen. Louise erklärte nun, daß sie wünsche, ihrem Nachbar
seine Musik mit einer andern erwiedern zu können. Es war schon ziemlich
spät, und Antonio mußte sich Wohlstands halber empfehlen; er muthmaßte
aber, daß ihm Louise das Vergnügen machen würde, ihn ihre Engelstimme
hören zu lassen, und setzte sich denn mit Leonardo auf seinen Balcon.
Beyläufig nach einer halben Stunde erschien Louise wirklich, von
Felicianen allein begleitet, mit einer wohl gestimmten Guitarre, auf
dem ihrigen, setzte sich, und sang:

      Einsam irrt die fromme Taube,
    Findet nirgends Ruh’,
    Flattert traurig in die Laube,
    Girret ihrem Tauber zu.

      Weit von hier ist er geflogen;
    Bänglich suchet ihn ihr Blick.
    Ist er andern nachgezogen?
    Kehrt er nicht getreu zurück?

      Tauber! laß sie nicht so flehen!
    Tauber! laß sie nicht allein!
    Sieh! er kommt! das Wiedersehen
    Wird nun doppelt freudig seyn.

Der Genueser und sein Leonardo waren ganz entzückt, und wollten eben
laut klatschen, als beyde Damen mit einander zu singen anfingen.

      Bitter sind der Liebe Leiden,
    Fürchterlich der Trennung Schmerz;
    Doch wer kann die Liebe meiden,
    Denn sie kommt von selbst ins Herz.

      Eigensinnig ist ihr Wille;
    Sie bestimmt, was schön ist, nur;
    Bald besucht sie die Myrtille,
    Bald des alten Damons Flur.

Sie hatten sich bemühet, jede Sylbe vernehmlich auszusprechen, und so
war denn die letzte Strophe kaum zu Ende, als Octavio zu klatschen
anfing, daß man es in der ganzen Straße hören konnte. Man ging
allerseits zu Bette, aber mit ganz verschiedenen Gedanken. Antonio
dachte ihr Herz mit den geringsten Kosten zu erobern, und Louise sann,
wie sie sein Geld Beute machen könne, ohne auch nur das geringste von
ihrem Herzen einzubüßen.

Als Antonio eines Abends wieder bey ihr einen Besuch abstattete,
hörte man auf der Straße plötzlich ein Gezänke zwischen Mogrobejo, dem
Escudero, und einer unbekannten Person. Louise fragte, was es wäre,
und vernahm, daß der Escudero mit einem Bedienten des Hausherrn in
Streit gerathen sey. Sie ließ ihn herauf kommen, und bath den Genueser
um Vergebung, daß sie ihre Neugierde sogleich in seiner Gegenwart zu
befriedigen suche, was sie vor einem andern, auf dessen Freundschaft
sie weniger rechne, nicht wagen würde. Nun trat der Escudero ganz
zornig ein; Louise fragte ihn um den Hergang des Gezänkes, und
Mogrobejo antwortete: „Der Henker möcht’ auch nicht zanken! da kommt
mir der Bediente des Hausherrn, und verlangt die Miethe für unser
Quartier, das wir auf ein Jahr gemiethet haben, und von dem man doch
die Miethe erst mit Ende des Jahres zu bezahlen pflegt. Da hat er
durchaus zu Euer Gnaden herauf gewollt, und weil ich ihn nicht ließ,
war der Kerl grob; aber er soll mir!“ -- „Lass’ er ihn kommen,“ sagte
Louise; und es trat ein Page ein, der ihr ehrfurchtsvoll einen Zettel
überreichte. Sie las ihn flüchtig durch, und sagte: „Sag’ er seinem
Herrn, ich ließe mich empfehlen, und ließ ihm sagen, daß ich gar
nicht abgeneigt bin, ihn jedes Mahl für den Monath in vorhinein zu
bezahlen. Daß er in Verlegenheit ist, konnt’ ich nicht wissen; und
es gefällt mir, daß er so offenherzig spricht. Ich sey aber für den
Augenblick selbst in Verlegenheit; meine Gelder sind aus Sevilla noch
nicht angekommen, und ich ließe ihn denn ersuchen, höchstens acht Tage
Geduld zu haben, dann wollt’ ich ihm die Miethe für drey oder noch mehr
Monathe auf ein Mahl schicken. Übrigens, Mogrobejo, weiß ich nicht,
warum er ihn nicht sogleich verließ.“ Der Page trat ab, und Louise
sagte: „Es ist wahrhaftig sonderbar, daß ein Hausherr, dem man für ein
einziges Gelaß tausend Realen des Jahrs bezahlt, so dringend auf eine
Monathsmiethe ansteht. Der Mann muß unglücklich, oder ein Taugenichts
seyn, und ich wollte einen Finger von der Hand verlieren, wenn ich ihm
seine tausend Reale augenblicklich in die Betteltasche werfen könnte.“
Sie meinte nun mehr, als zu viel, gesagt zu haben, um Antonio’s
Großmuth und Ehrgeitz in Bewegung zu setzen; diese beyden Eigenschaften
ruhten aber in seinem Herzen in einem so abgelegenen Winkel, daß sie
ein schulgerechter Anatomiker zu suchen gehabt hätte.

„Ja, wahrhaftig,“ antwortete Antonio, „es sind schwere Zeiten, und der
ordentlichste Mann hat zu sorgen, daß er sich von einem Tag’ auf den
andern behilft.“

Louise merkte nun wohl, daß sie dieses Schalthier nicht mit der Angel
fangen könne; sie brachte denn das Gespräch auf andere Gegenstände, und
sie schieden nach einiger Zeit aus einander.

Es mußte denn ein neuer Plan angelegt werden. Mogrobejo hatte jemahls,
bevor er es bis zum Stallmeister gebracht hatte, als Schreiber bey
einem Sachwalter gedient, und hatte sich da die einer Gerichtsperson
unentbehrliche Geschicklichkeit, jede Handschrift täuschend
nachzuahmen, beygelegt. Diesem befahl nun Louise, die Firma irgend
eines der bekanntesten Genueser zu Sevilla nachzuahmen. Um dieß nun
ins Werk setzen zu können, mußte er in einem von den Kaufmannshäusern,
von welchem Briefe abgeschickt wurden, Bekanntschaft machen. Es gelang
ihm auch bald, und er war mit einem Buchhalter bald so vertraut, daß er
ihn täglich auf seiner Schreibstube besuchte. Nach wenigen Tagen sah
er einen Brief, wie er ihn wünschte. Er war von Carlo Grimaldi, dem
reichsten Genueser in Sevilla. Der Buchhalter war mit seiner Arbeit
beschäftigt, und Mogrobejo benutzte diese Gelegenheit, um den Brief so
geschickt nachzuschreiben, daß es schwer fiel, die echte Schrift von
der nachgemachten zu unterscheiden. Er eilte nun freudig nach Hause,
und Louise beschenkte ihn im vorhinein mit dreyßig Escudo’s.

Als sie Antonio den folgenden Tag besuchte, fand er sie eben mit einer
Menge Geldes beschäftigt, das ihr Feliciane, die unterdessen einen Ring
zu Gelde gemacht, vorgestreckt hatte. „Erlauben Sie,“ sagte sie, „daß
ich nur erst ein kleines Geschäft abthue.“ Sie machte tausend Reale in
eine Rolle zusammen, und rufte Mogrobejo. „Hier, nehm’ er,“ sagte sie;
„ich lasse mich dem Hausherrn empfehlen, und hier schick’ ich ihm gegen
Quittung den ganzen Jahreszins. So hat es doch ein Mahl ein Ende.“

Nun fühlte Antonio erst, wie unartig und unverzeihlich es von ihm
gewesen sey, einer Dame von solchem Rang’ und Vermögen nicht sogleich
all sein Hab’ und Gut anzutragen. Indessen war es nun einmahl
geschehen, und es blieb ihm nichts übrig, als daß er sein Versehen
wieder gut zu machen suchte. Das erste, was ihm beyfiel, war ein
Antrag, sie in die Komödie zu führen. Der Zufall wollte, daß man
denselben Tag gerade ein Zwischenspiel aufführte, das sein Leonardo
verfaßt hatte, und das ihm nun allerdings einen Vorwand zum Antrage
gab. „Wahrhaftig,“ sagte Louise, „ich wäre gar nicht abgeneigt,
hinzugehen; denn, wie ich schon neulich aus Leonardo’s Gesang’
abgenommen habe, ist er ein aufgeweckter Geist, und hat lustige
Einfälle.“

„Über dieß,“ erwiederte Antonio, „verdient auch das eigentliche Stück
selbst, gesehen zu werden. Es ist die _adelige Küchenmagd_ von unserm
berühmten Lope de Vega.“

„Ja, wir gehen,“ sagte Louise; „aber halt! was bin ich doch für eine
Thörinn? Meine Kleidung und das Theater! Es würde trefflich zusammen
passen!“

„Seyn Sie doch nicht so strenge; was Ihnen auch Ihr Kleid verbiethen
würde, erlaubt Ihnen Ihr Alter. Eine junge, schöne Wittwe! -- Gerade
Sie müssen sich ja zerstreuen und aufheitern.“

„Aber was würde die Welt sagen?“

„Die Welt! die Welt! Sie sind auch gar zu genau. Was nennen Sie die
Welt? Die Leute! -- gut! die Klugen werden es klug finden, daß Sie sich
nicht einkerkern, wie eine Nonne, und Ihrem Kummer durch die Einsamkeit
noch Nahrung geben; und um die Narren werden Sie sich wenig bekümmern.
Auch läßt sich ein Kleid ablegen.“

„Wenn ich auch dieß einzige Mittel ergreifen wollte, zu dem so viele
andere junge Wittwen ihre Zuflucht nehmen, so kann ich es doch um
meines Oheimes willen nicht wagen, der ein Erzgrübler ist. Ich erwart’
ihn mit jeder Stunde, und stehe mit ihm in solchen Verhältnissen,
daß ich sehr unklug seyn würde, wenn ich seine Freundschaft um einer
Kleinigkeit willen auf’s Spiel setzen wollte.“

„Vortrefflich, klug, und schön gesprochen!“ sagte Antonio; „aber mir
fällt eine Art ein, wie Sie das Zwischenspiel sehen können, ohne in’s
Theater zu gehen.“

„Lassen Sie hören!“ --

„Leonardo hat mehrere junge Freunde, Leute von Talenten, mit deren
Bildung und Unterricht in verschiedenen Dingen er sich immer abzugeben
pflegt; mit diesen soll er uns nun in ein Paar Tagen das Zwischenspiel
in meinem Hause aufführen. Es soll niemand dabey seyn, als Sie, Ihre
Gesellschafterinnen und ich; und gegen diese Art es zu sehen, wird auch
Ihre pünctlichste Vorsicht nichts einzuwenden haben.“ Unter diesen
Bedingnissen nahm sie seinen Antrag an, und schlug ein. Sofort sprachen
sie von verschiedenen anderen Dingen, und da denselben Tag die Post
aus Andalusien ankam, fragte sie ihn, was er wohl Neues aus Sevilla
höre. Er antwortete, daß er nichts von Belange höre, und daß seine
Briefe immer nur trockene Geschäfte enthielten. „Ich habe heute,“ fuhr
sie fort, „diesen Zettel von einem Genueser erhalten, der mit meinem
Vetter in Indien im Briefwechsel steht; lesen Sie ihn zur Güte: ich
möchte gar zu gern wissen, ob Sie ihn, und die Person, an die der Brief
gerichtet ist, kennen.“ Er gab sich alle Mühe, ihn ohne Augengläser zu
lesen, und las:

    „Ich habe vom Capitäne Bolea den Auftrag erhalten, Euer Wohledlen,
    nebst unterthänigstem Gruß, zu melden, daß selber seine Abreise
    so geschwind’ als möglich beschleunigen wird. Er befiehlt mir
    zugleich, Euer Wohledlen acht tausend Thaler abzuliefern, als
    weßwegen beyliegender Brief die Anweisung enthält; mich empfehlend,
    und meine Dienste auch in wichtigen Gelegenheiten antragend.

    E. W.
      Carlo Grimaldi.

Im Zettel lag der Brief:

    „Herr Juan Baptista Lomelie beliebe an Donna Angela de Bolea, am
    Hofe anwesend, acht tausend Thaler in Doppelgeld auf vierzig Tage
    verabfolgen zu lassen, wofür ich eben so viele vom Capitäne Don
    Genealo Bolea, ihrem Oheime, empfangen habe.

    Sevilla, den 12. September 1630.

    Carlo Grimaldi.

„Der Mann,“ sagte Antonio, „von welchem der Brief kommt, ist ein
ungemein ordentlicher und sehr reicher Mann, und der, an den der Brief
gehört, ist es nicht minder.“

„Es ist mir genug,“ erwiederte Louise, „daß ich es aus Ihrem Munde
höre; aber ist die Sache deßhalb nicht minder unangenehm? Was denkt der
Mann? Er weiß, er schreibt mir da selbst, daß mein Oheim erst kommen
wird, daß ich folglich allein hier bin, und setzt mir doch nur vierzig
Tage. Wer steht mir gut, daß der Capitän bis dort angekommen ist?
wahrhaftig, eine Verdrießlichkeit um die andere kommt mir über den
Hals.“ Nun glaubte Antonio, sein neuliches Versehen ohne die mindeste
Gefahr wieder gut machen zu können, und sprach: „Beste gnädige Frau,
lassen Sie dem Manne seine Grillen, und nehmen Sie die Zahlung gar
nicht an. Sie sagen mir, was Sie beyläufig brauchen, ich bring es
herüber; Sie stellen es mir nach Belieben zurück, und somit gut.“

„Es ist mir wirklich eine große Gefälligkeit,“ sagte Louise, „wenn
Sie mich aus dieser Verlegenheit bringen. Sechs tausend Thaler sind
mir genug.“ „Mit Vergnügen!“ fuhr Antonio fort; „Sie schicken morgen
früh Ihren Mogrobejo, mit einem Paar Zeilen zu mir hinüber, und
empfangen die Summe.“ „Ich bin Ihnen wirklich Dank schuldig,“ sagte
Louise, drückte ihm die Hand, und hieß ihn auf das Zwischenspiel nicht
vergessen. Er ging fort, und so innigst vergnügt sie war, daß er an
die Angel gebissen, so vergnügt war auch er, daß er sein Capital auf
so angenehme Zinsen, wie er hoffte, anlegen konnte. Er wartete den
nächsten Morgen nicht einmahl ab, daß Mogrobejo das Geld abzuhohlen
komme, sondern machte es zusammen, und schickte Leonardo mit seinem
Morgengruße und der Summe hinüber, ohne zu bedenken, wie viel Gefahr
das bare Geld in den Händen eines Poeten laufe. Louise war über seine
Pünctlichkeit ganz entzückt, und drückte Leonardo ein ansehnliches
Trinkgeld in die Hand. Auch ließ sie Antonio melden, daß sie die
Vorstellung des Zwischenspiels denselben Abend in ihrem Hause wünsche;
daß sie alle Anstalten dazu treffen werde, und ihn unausbleiblich zu
sehen hoffe. Nun lud sie auch die zwey Mitschwestern bey ihrer neuen
Unternehmung, und ihre Mutter zum Schauspiele. Es war Abend; der
Saal war prächtig beleuchtet, und mit dem angenehmsten Wohlgeruche
durchräuchert, und der Genueser war mitten unter den Damen so gelagert,
daß er bequem mit jeder sprechen konnte.

Es ward Stillschweigen gebothen, und drey Tänzer traten mit Guitarren
auf, und spielten eine sehr artige Sarabande. Als diese zu Ende war,
erschien Leonardo allein, in einer seltsamen Tracht, die er sich
selbst aus den buntesten Stücken Stoff zusammen gekünstelt hatte, und
sprach einen Prolog, in dem er den Zuhörern ganz sanft unter die Nase
rieb, daß er der Verfasser sey; daß er dieses Stück Arbeit, ohne zu
prahlen, für eines der witzigsten und originellsten Producte seines
Geistes halte, und daß es den Titel führe: Der Commissarius von
Figueras.


    DER
    _COMMISSARIUS VON FIGUERAS_.

    +EIN ZWISCHENSPIEL+.

    ERSTER AUFTRITT.

    (_Der Commissarius mit einem langen weißen Stabe, einem
    schwarzen Unterkleide, einem Mantel darüber, und einer gefärbten
    Kräuseschlafhaube. Der Wirth._)

    _Commiss._ Ja werther Freund, dem Geschäfte hat
    Der Richter von Toledo mich gesandt,
    Daß ich es schlichten soll mit allem Ernst.
    An diesem edlen Hofe strotzen ja
    Von Ungeziefer alle Fugen; ich
    Bin nun gekommen sie zu reinigen.
    Der weise Rath hat mich hierher gesandt
    Von Madrits Ufern --

    _Der Wirth._ -- -- Ja, Herr Commissär,
    Die Plage, die der span’sche Boden trägt,
    Ist ärger noch, als einst Ägyptens Fluch.

    _Commiss._ Laß er die Sorge mir, mein edler Wirth,
    Obschon mein Geist es ahndet, das Geschäft
    Sey groß und mühsam; drum bereit’ er mir
    Zwey Flaschen Malaga und weißes Brot.
    Doch stille! was für Lärmen macht man hier?

    (_Ein Alguazil tritt ein, und schleppt einen Stutzer, mit einem
    Hute voll Bänder, Schleifen, und Federn mit sich._)

    _Der Wirth._ Was ist das?

    _Commiss._ -- -- -- Meine Alguazils sinds.

    (Sie bringen den Gefangenen zum Verhör.)

    _Alg._ In einem Straßenwinkel fanden wir,
    Hochedler Herr, den Narren hier; er gab
    Ein Zeichen auf dem prächtigsten Balcon,
    Auf dem ein Affe saß mit zwey Duennen;
    Der Affe knackte fleißig Nüsse auf,
    Und seine Frauen fraßen ihm den Kern;
    Der Bursche hätte gerne mitgenagt,
    Denn seine Zeichen waren voll Begierde --
    Was quält den Burschen aber wohl, als Eßlust?
    Wir hätten ihm sein tolles Spiel gegönnt,
    Doch trieb er’s weiter bis zur Raserey.
    Er sprang von einem Haus ans andre hin,
    Und wo ein Kätzchen in dem Fenster saß,
    Da macht’ er Sprünge, wie ein junger Hund,
    Und schwang den Zopf, wie Budel ihren Schwanz.
    Die Kätzchen strichen mit den Pfötchen sich
    In süßem Selbstgefallen -- Bart und Kopf,
    Und warfen ihm für seine Gaukeley
    Flor, Blumen, Federn, Band und Handschuh zu.
    Er las es gierig auf, wie Haberkorn
    Die jungen Hühner, und sprang weiter fort.

    _Commiss._ Wer bist du? sprich!

    _Stutzer._ -- -- Ich bin des Glückes Sohn,
    Und wenigstens sein allernächster Freund.

    _Commiss._ Du bist ein Narr, drum ist das Glück dir hold;
    Drum hängest du den Schild der Narrheit aus.
    Doch sprich, was soll wohl dieser tolle Hut?

    _Stutz._ Des Ruhmes, der mir war, Posaune seyn.

    _Commiss._ Sie bläst sehr laut. Wo ist der Zierath her?
    Hast du vielleicht San Jago ausgeplündert?

    _Stutz._ Von sieben Damen sind es die Trophä’n.

    _Commiss._ Ich glaub’ es gern, daß du sie mit Gewalt
    Errungen hast.

    _Stutz._ -- -- Die Liebe gab sie mir.

    _Commiss._ Du lügst; wer liebet einen Narren wohl?

    _Stutz._ Die Damen. O Herr Commißär,
    Sie scheinen selbst für Weiber gut bestimmt.

    _Commiss._ Verwegner! wer hat dich gelehrt, so frech
    Dem Richter von Toledo zu begegnen,
    An dessen Statt ich hier bin? Doch Geduld,
    Hier hast du ein Geschenk, das er dir schickt,
    Und das dich immerfort bezeichnen soll.

    _Stutz._ Wie? Was?

    _Commiss._ -- -- Du hast der Kerne gar
    Zu viel gegessen; faste nun im Thurm.

    _(Sie setzen ihm einen carmoisinrothen Frauenzimmerhut auf, und
    stoßen ihn gewaltig in die Scene. Der zweyte Alguazil tritt mit
    einem Gecken, der sich schön zu seyn wähnt, ein.)_

    _Alg._ Hier ist ein andrer.

    Commiss. -- -- Was ist sein Vergehen?
    In was hat er gesündigt? nur heraus!

    _Alg._ Er meint, er wäre schön.

    _Geck._ -- -- Bin ich es nicht?
    Ach tödtet mich doch nicht mit diesem Wort!

    _Commiss._ _(indem er die Brille aufsetzt.)_
    Nach Recht und Pflicht! Man hat ihn hoch getäuscht,
    Mein lieber Freund! denn seine Nase war
    Für zwey Gesichter wenigstens bestimmt;
    Sein Mund ist wie ein Thor gestaltet, und
    Die Nasenlöcher sind geschlitzt, wie Augen;
    Sein Haar ist wie des Blutgerichts Fahne;
    Sein Aug’ ist stumpf und seine Höcker hat
    Er selbst vielleicht noch nie bemerkt. Mein Freund,
    Wenn er sich schön glaubt, hat er gar nicht Unrecht.

    _Geck._ Herr Commissär, Sie sprechen nicht nach Recht;
    Der Richter muß nicht nur das Eine sehen.
    Belieben Sie nur diese weiße Hand,
    Die sich so zärtlich küßt,
            _(er küßt sich selbst die Hand)_
                              auch zu betrachten.

    _Alg._ Laß er doch sehn!
            _(er küßt ihm auch die Hand)_
                                  Es schmeckt nicht sonderlich.

    _Commiss._ Wie nennt er sich?

    _Geck._ -- -- Don Fenix.
    Ach wie schön klingt schon der Nahme!

    _Commiss._ -- -- Ja, ganz sonderbar
    Bist du vom Kopfe bis zum Fuß; doch sehet
    Auch nach, was er in seinen Taschen hat.
            _(sie durchsuchen die Taschen.)_

    _Alg._ Ein Büchschen! -- -- sieh! voll Schminke, Spiegel, Kamm.

    _Geck._ Ach, laßt mir das! nehmt lieber mir das Leben!

    _Alg._ Hier noch ein Zettel -- seht, noch mehrere,
    Und sonderbare Zeichen drauf gekritzelt.

    _Commiss._ Ein Mittel, das die Hände weißer hält, --
    Die Stirn zu glätten, an den Fingernägeln
    Die weißen Flecken zu vertreiben, Lippen
    Und Wange sich zu röthen. --

    _Geck._ -- -- Alles trifft
    Genau so ein.

    _Commiss._ -- -- Schon gut! vollkommen reif
    Bist du fürs Tollhaus. Thuet eure Pflicht.

    _(Sie setzen ihm eine Narrenkappe auf, und
    der erste Alguazil tritt mit einer Dame
    ein.)_

    _Alg._ Am Spiegel fanden wir die Dame hier.
    Sie machte sich die allertiefsten Knixe,
    Und -- hört! erklärte selber sich die Liebe.

    _Dame._ Ich liebe mich vor allen; niemand soll
    Mir dieses Herz entreißen, denn es schwor
    Die Treue mir.

    _Commiss._ -- Fürwahr ein seltsam Weib!
    Die Weiber sind sich selber sonst nicht treu.
    So treten Sie doch näher, Frau Narcisse!
    Wie war Sie wohl so in sich selbst verliebt?

    _Dame._ Ich konnte länger mir nicht widerstehen;
    An allen schönen Gaben fand ich mich
    So reich; jung war ich, hatt’ ein schön Vermögen;
    Mein Herz errieth gar bald den stillen Gram,
    Der mich verzehrte, kam auf halben Weg
    Entgegen mir, in feuriger Umarmung
    Gestand ich stotternd ihm, was ich empfand.
    Nun ist es mein Geliebter, weichet nimmer
    Von mir, eilt jedem Wunsche schnell zuvor,
    Und wird mich lieben, treu bis in den Tod.

    _Commiss._ Ihr seyd ein glücklich Weib; denn Eifersucht
    Wird euch gewiß nicht martern.

    _Dame._ -- -- Ach, mein Herr,
    Sie foltert mich nur allzu oft,
    Denn manchmahl hebt es doch den scheuen Blick
    Auf -- --

    _Commiss._ -- Eine Dame?

    _Dame._ -- -- oder einen Mann,
    Und quält mich.

    _Commiss._ -- -- Ja, das glaub’ ich euch,
    Und rath euch, keines Menschen Sohn’
    Mit eurer Liebe jemahls zu beglücken.
    Die Kappe!

    _(Sie erhält die ihrige, und der zweyte Alguazil tritt mit einem
    Poeten, der Bücher ausschreibt, ein.)_

    _Der Wirth._ -- Seht, da kommt ein andrer Narr.

    _Alg._ Wir haben ihn ertappt, daß er gar frech
    Um Verse bettelte; und als man ihm
    Nichts gab, bestahl er kühn die Bücher selbst.

    _Commiss._ Nehmt ihm doch sein Gewehr, die Feder ab!

    _Poet._ Mein Herr, sie dienet nicht statt Waffen mir;
    Ich schneide Käse nur und Brot damit.

    _Commiss._ Nun gut! so sprich, was hat dich wohl veranlaßt,
    Die Dichter anzubetteln, die fürs erste
    So karg sind, daß sie ihren Geistesschwamm
    Wohl selber drey Mahl pressen, über dieß
    Nicht schenken dürfen, was Apollo jedem
    Zum Fruchtgenuß auf die Person verlieh?
    Doch welche, nenne sie, hast du bestohlen?

    _Poet._ Zu nennen weiß ich sie wahrhaftig nicht;
    Das war mir gleich, und ich bekenn’ es gern,
    Ich suchte meistens in der Nacht die Taschen.

    _Commiss._ Und fürchtetest du nicht, man werd’ am Tag’
    Erkennen, daß es fremde Habe sey.

    _Poet._ Man läßt es niemahls, wie es war.

    _Commiss_. Du bist ein großer Mann. Die Kappe! Nimm,
    Hier dieser Lorbeer prang’ auf deinem Haupt!

    _Poet._ Ein Lorbeer?

    _Commiss._ -- -- Ja, doch ist er nur entstellt,
    Wie Verse, die du guten Dichtern stahlst.
    Sie kleidet ihren Mann.

    _Poet._ -- -- Doch nehmet mir
    Die Schelle; mir genügt bescheidner Ruhm.

    _Commiss._ Mein edler Freund, durch diesen schönen Zug
    Hast du fürwahr der Schellen -- zwey verdient.

    _(Man führt ihn mit gebundenen Händen ab; er scheint in
    Begeisterung. Der erste Alguazil führt einen Ritter ein.)_

    _Ritter._ Mein Herr, ich bin ein Held.

    _Commiss._ -- Wer seyd ihr?

    _Ritter._ -- -- Held, und zwar ein großer.

    _Commiss._ -- -- Wer hat euch gekrönt?
    Wer hat beschrieben, was ihr all’ gethan?

    _Ritter._ Ich selbst.

    _Commiss._ -- -- Wie nennt ihr euch?

    _Ritter._ -- -- Don Wunderbar,
    Und jetzt quält mich mit euren Fragen nicht!
    Ich spreche nur mit Sterbenden und Todten.

    _Commiss._ Wo habt ihr euer Schwert?

    _Ritter._ -- -- Ihr seyd ein Schroll.
    So lange diese Faust noch Nerven hat,
    Und diese Nägeln Schärfe, soll kein Schwert
    Mich eh’ umgürten. Jene gab mir Gott,
    Und dieses ein gemeiner Handwerksmann.

    _Commiss._ Erzählt mir doch, was ihr gethan.

    _(Der Held drückt durch stumme Geberden aus, daß er erwürgt, und
    mit Füßen ertreten.)_

    _Commiss._ Was sprecht ihr nicht?

    _Ritter._ -- -- Was unaussprechlich ist,
    Beschreibt man nicht mit Sprache.

    _Commiss._ -- -- Großer Mann!
    Neigt euer Haupt, daß ich euch kröne; tiefer!

    _(Der Held neigt sich sehr tief; der Commissär setzt ihm die Kappe
    auf, und der Held geht unter der Begleitung des Alguazil mit
    stolzen Schritten ab.)_

    _Commiss._ Wahrhaftig, edler Freund, die Narren sind
    So zahlreich hier, daß meine Kappenzahl
    Mir nicht auf heute hinreicht; lass’ er mir
    Den Schneider kommen, -- wenn er nicht ein Narr ist.
    Indessen trinken wir vergnügt und klug
    Den Malaga, und essen unser Brot.

    _(Der Wirth und der Commissär gehen ab.)_

Nun traten wieder die drey Guitarrspieler auf, und sangen folgende
Weise:

      Das ist so der Welten Lauf:
    Jeder nähret Grillen;
    Einer mutzt den andern auf;
    Alle möchten trillen.
    Haltet diesem Tadlerchor
    Ein Mahl doch den Spiegel vor;
    Sie -- die Weise waren,
    Sehen selber Narren.

Der Vorhang fiel, und die ganze Gesellschaft äußerte ihren Beyfall
mit lautem Händeklatschen. Leonardo, dem es gewaltig schmeichelte,
zeigte sich bald, und erntete sein Lob ein. Besonders überhäufte ihn
Louise damit, und alle ersuchten ihn, bald wieder ein kleines Stück zu
verfassen, was er auch mit Mund und Hand versprach. Louise gab jedem
Schauspieler zwanzig Realen, und Antonio lud sie auf den folgenden Tag
zu sich zu Tische.

Louise war diesen Abend so nachsichtig, daß sie selbst über einen
kleinen Schmatz, den er ihr zu rauben wagte, nicht ungehalten war. Um
Antonio mit einer angenehmen Gegenunterhaltung zu überraschen, beschloß
die weibliche Gesellschaft, ihm über acht Tage ein kleines Stück in
demselben Saal’ aufzuführen, das sie schon vorlängst einstudiert
hatte, und dessen Vorstellung nur durch den unvermutheten Tod Don
Fernando’s gehindert worden war. Daß sich Louise die Hauptrolle
vorbehielt, versteht sich von selbst. Der Tag der Vorstellung kam; die
Gesellschaft war schon versammelt, und es fehlte nur mehr Antonio, als
plötzlich Leonardo erschien, und Louisen meldete, daß sein Herr von dem
Präsidenten des hohen Rathes in Geschäften Seiner Majestät abgerufen
worden sey, und daß es ihm ungemein leid thue, eine so vortreffliche
Gesellschaft und Unterhaltung entbehren zu müssen, und daß er ihn
deßhalben mit zweyen seiner Freunde geschickt habe, um mit ihnen dem
Schauspiele beyzuwohnen.

Louise bezeigte ihr Mißvergnügen über seine Abwesenheit, und die
Komödie ward aufgeführt. Die Vorstellung war ein Meisterstück
von Lebhaftigkeit: sie waren alle prächtig, und Louise als Mann
gekleidet. Mogrobejo übertraf sich selbst an Munterkeit und Witz.
Als sie schon alle wieder ihre vorige Kleidung anhatten, kam Antonio
erst vom Präsidenten zurück, und war äußerst unmuthig, daß er
das schöne Schauspiel versäumet habe, das ihm Leonardo und seine
Freunde so reitzend schilderten. Nur Louise hatte ihr Mannskleid
noch nicht abgelegt, um ihn an der Thür zu überraschen. Es ließ ihr
so wunderschön, daß Antonio den holden Knaben nicht genug angaffen
konnte. Louise bedauerte sehr, daß sie ihn vermißt habe, und gab ihm
endlich ihr Wort, daß sie ihm wieder über acht Tage, in der Quinta des
Connetable, ein anderes Stück geben wolle; nun treffe aber wieder ihn
die Reihe, das Fest anzuordnen. Sie wußte wohl, daß er sich prächtig
einstellen werde, und er nahm auch den Befehl mit Freuden an. Sie
würden dann alle bey ihm ein kleines Abendschmäuschen halten, sagte er,
und sie solle ihm nur auf einem kleinen Zettel anmerken, was sie zum
Schauspiele vonnöthen habe. Er erhielt bey dem Besuche am nächsten
Abend’ ein vollständiges Verzeichnis von Kleidungsstücken von sechs
Personen: das Stück, das Mogrobejo in der Eile verfaßte, spielte in
der Heldenzeit, und die Personen waren alle Prinzen und Prinzessinnen.
Louise spielte einen jungen Helden, dem die Sclaven eine reiche Beute
nachtragen. Am Ende des Zettels waren Federn, Ringe und _falscher_
Schmuck nur hingeworfen. Louise hatte vorsetzlich _falscher_ Schmuck
geschrieben, weil sie gar nicht zweifelte, daß er wenigstens für ihre
Person echten ausborgen würde.

Antonio mußte freylich täglich vor dem Rath’ erscheinen; indessen war
doch aller Anschein, daß er denselben Tag würde los kommen können,
und ließ denn den Saal, Erfrischungen, Abendschmäuschen, nebst allem
übrigen, was zum Feste gehört, bereit halten.

Zwey Tage vor dem, der zum Schauspiele bestimmt war, schickte der
Genueser die ganze Guarderobe. Louise hatte vermuthet, daß er höchstens
die schönsten Kleider, die man allenfalls bey einem Trödler bekäme,
ausborgen würde; er hatte aber zu ihrer allen größtem Erstaunen alles
ganz neu verfertigen lassen. Alles war von Atlaß, Sammet, Taffet,
oder anderem Seidenstoffe, und reich mit Gold und Silber verbrämt.
Federn, Schnällchen, Blumen, Ketten und Ringe waren in Überfluß, und
für Louisen versprach er den Schmuck, der sie zieren sollte, des
Abends selbst mitzubringen. Er brachte auch wirklich den Schmuck
mit, den ihm seine selige Gattinn hinterlassen hatte, und erklärte
mit einem bedeutungsvollen Lächeln, daß er ungemein neugierig sey,
wie Louisen dieser Schmuck seiner seligen Frau passen werde. Louise
überhäufte ihn diesen Tag mit so vielen Liebkosungen, und wußt’ ihm
dabey doch so sittsam zu schmeicheln, daß er seiner Hoffnung immer
freyeren Spielraum ließ. Zwischen den zwey Tagen, bis zur Aufführung
des Schauspiels, war unsere Gesellschaft gar nicht müßig, und Theodore
machte Anstalt, daß in den beyden Nächten alles, was von Bedeutung im
Hause wäre, aufgeräumt, und anders wohin in Sicherheit gebracht würde.
Der Tag des Schauspiels erschien; Antonio’s Bediente waren schon in der
Quinta, und bereiteten alles. Der Genueser war, um Zeit zu gewinnen,
auf einem Maule in den Rath geritten. Theodora, ihre Töchter, Banuelos
und Mogrobejo setzten sich in ihre Kutsche, nahmen allen Schmuck, und
die ganze Guarderobe mit sich, und fuhren, anstatt zu Alcalathore
hinaus, in ein kleines Häuschen, in Quartiere Santa Barbara, das
Mogrobejo vorläufig gemiethet hatte. Hier nahmen sie augenblicklich
andere Kleider; Mogrobejo führte den Wagen zu einem Sattler, um sein
Äußeres so geschwind’ als möglich ändern zu lassen. Die Pferde wurden
auch heimlich untergebracht; und um noch sicherer zu seyn, theilte
sich unsere Gesellschaft in die ursprünglichen zwey Parteyen; die eine
begab sich nach Illescas, und die andere nach Valdemoro. Sobald unser
Genueser von dem Rath’ abgefertigt war, trappte er frohes Muthes,
und in den schönsten Aussichten von der Welt, der Quinta zu. Er fand
niemanden, als seine Bedienten, und die drey Köche, die er bestellt
hatte, fragte nach den Damen, und als er hörte, daß sie noch nicht da
wären, war er sehr unruhig; denn er dachte nichts anderes, als daß
ihnen irgend ein Unglück begegnet seyn dürfte. Er stieg denn wieder
auf seinen Maulesel, stieß ihm mit den Knien fleißig in die Lenden,
und kam sehr geschwinde bey Louisens Haus’ an. Er fand die Wohnung
gesperrt, erkundigte sich bey den Nachbarn, und vernahm, daß die ganze
Familie schon abgefahren sey. Er kam nun auf den Gedanken, daß sie ihre
Freundinnen abgehohlt haben würden, und so blieb ihm nichts übrig, als
in der größten Verlegenheit, daß nun er vielleicht auf sich warten
ließe, nach der Quinta zurück zu eilen. Er fand aber noch niemanden,
und wußte nun nicht, was er von diesem langen Ausbleiben denken sollte.
Er wartete bis neun Uhr in der peinlichsten Ungeduld, und es war noch
niemand zu sehen und zu hören. Endlich trat ein Bedienter ein, und gab
Antonio einen Brief, den ihm, wie er sagte, am Thor’ ein Unbekannter
gegeben habe. Er brach ihn zitternd auf, und las:

„Bester Antonio, seyn Sie nicht bekümmert, daß Sie Ihre Nachbarinnen
nicht finden; sie sind an einem Orte, wo man sie unmöglich finden kann.
So viel für jetzt.“

Der Genueser stand da, wie vom Donner gerührt; er gerieth endlich in
fürchterliche Wuth, und schwor allen, wenn sie ihn betrogen hätten, Tod
und Verderben. Seine Bedienten mußten ihn wie einen Tieger bändigen,
brachten ihn in den Wagen, und führten ihn nach Madrit. Auf dem Wege
besänftigte er sich wieder etwas, und schloß aus den letzten Worten des
Briefes: „So viel für jetzt,“ daß es vielleicht nur ein Scherz sey,
und daß sie ihn vielleicht in seinem Hause erwarteten; er war aber
nur zu bald vom Gegenteile überzeugt. Louisens Wohnung war auch noch
versperrt, und er wartete nun am Hausthore bis lange nach Mitternacht,
ob er ihre Ankunft nicht erwarten könnte; aber niemand kam. Er schlief
die ganze Nacht nicht eine Secunde, und ließ sich mit Tages Anbruche
bey Louisens Hausherrn, der noch im Bette lag, melden. Von diesem
vernahm er denn, daß ihm Louise Tages zuvor die Schlüssel der Wohnung
zurück gestellt, und ihm gesagt habe, daß sie sich Geschäfte halber
nach Toledo begeben habe.

„Sie hat Ihnen aber ja die tausend Reale bezahlt,“ sagte Antonio.

„Was für Reale?“

„Die Jahresmiethe für die Wohnung.“

„Die Jahresmiethe? Die Wohnung war ja nur auf zwey Monathe gemiethet.“

„Wie sagen Sie?“ schrie Antonio, und war im ganzen Antlitze
scharlachroth.

„Ich bin aber auch für diese zwey Monathe nicht bezahlt,“ sagte der
Hausherr, „und Sie werden belieben, mich zu bezahlen.“

„Wer? Ich?“ schrie Antonio, und erstickte beynahe vor Wuth.

„Ja, Sie,“ sagte der Hausherr; „Sie werden doch nicht läugnen, daß
die Dame bey Ihnen Gelder stehen hat; daß dieß hier Ihre schriftliche
Anweisung ist?“

„Diebe! Mörder!“ schrie Antonio, und packte den Hausherrn bey der
Brust, faßte sich aber doch gleich wieder, und sagte: „Vergeben Sie
einem unglücklichen Manne, den man zum Bettler gemacht hat. Man hat
Sie betrogen, wie mich. O ich Thor! ich Rasender! ich Narr! ich alter
Sünder,“ -- bey jedem dieser Titel schlug er sich mit geballter Faust
vor die Stirn -- „nun bin ich ein Bettler, bin auf ewig unglücklich.“

So weit war es eben nicht gekommen; indessen hatte ihn die schöne
Wittwe, die nun wieder Jungfrau geworden war, nebst den sechs tausend
Thalern, die ihr Grimaldi angewiesen hatte, um mehr als zwölf tausend
Escudo’s geprellt. Der arme Antonio eilte zu dem Richter, schickte die
Alguazils nach allen zwey und dreyßig Winden aus; aber alles Nachsuchen
war vergebens. Nach acht Tagen hatte man noch nicht die geringste Spur,
und nun erhielt er, um ihn vollkommen zu Verzweiflung zu treiben, die
Nachricht, daß sein einziger Sohn zu Genua auf den Tod läge, und ihn
um den letzten väterlichen Segen bitte. Er reiste denn mit dem festen
Vorsatz’ ab, nach seines Sohnes Tod’ oder Genesung eine kleine Reise
durch die ganze Welt zu machen, um die Schlange irgend wo zu finden und
zu zertreten.



DRITTE SPAZIERFAHRT.


Da nun auch dieses Abenteuer glücklich abgelaufen war, fingen die
beyden andern Schwestern ihr Werk desto freudiger an. Constanze war
älter, folglich gebührte ihr der Rang. Louise und Feliciane trugen
ihnen allen Beystand an, den sie ihnen leisten konnten; besonders aber
den Wagen, der ihnen vor allem unentbehrlich war. Die Sevillanerinnen
waren nun zu Valdemoro, und die andern zu Illescas: dort vereinigten
sie sich aber wieder, und Constanze stieg allein mit der alten Banuelos
und Mogrobejo in den Wagen, der unterdessen ganz ein anderes Ansehen
bekommen hatte; auch hatte sie andere Pferde und einen andern Kutscher.
Mogrobejo hatte, um sich unkennbar zu machen, seinen Spitzbart
länger wachsen lassen, und trug ehrwürdige Augengläser auf der Nase.
Auch Constanze hatte die Person schon ausersehen, die sie mit ihrer
Begünstigung glücklich machen wollte. Louise hatte ihr den Traueranzug
geschenkt, und diesen wählte sie auch zu ihrer Unternehmung, theils,
weil er ihr sehr gut ließ, theils, weil die Wittwenrolle mit dem
geringsten Aufwande gespielt werden konnte, theils, weil sie sich in
einen Plan einließ, nach dem sie durchaus scheinheilig seyn mußte.
Sie kamen wohl behalten in Madrit an, und bezogen eine Wohnung in
dem Stadtviertel de la Merced. Die Person, auf welche ihre Absicht
gerichtet war, war einer der reichsten Pfarrer am Hofe, ein gelehrter
Priester und Doctor der Theologie. Wir wollen ihn um gewisser Ursachen
willen nicht nennen, sondern ihn immer nur den Doctor heißen. Seine
Pfarre trug ihm sehr viel ein, obschon er ein großes Vermögen von
seinem Vater geerbt hatte, und von zwey Bischöfen jährlich mehr als
zwey tausend Escudo’s bezog. Er hatte also jährlich über viertausend
Escudo’s zu verzehren, und war doch dabey der größte Filz unter der
Sonne. Das Hausgesinde des Doctors bestand aus einer Schwester, die
schon lange über die Jahre der Anfechtung hinaus war, und die er schon
lange zur Nonne gemacht hätte, wenn sie es nicht in der Hoffnung einer
reichen Erbschaft weislich hätte bleiben lassen; einer Haushälterinn,
einem Studenten, der ihm Gesellschaft leistete, und einem alten
Maulesel. Constanze erschien täglich mit der sittsamsten Miene, und
einem langen Rosenkranz’ am Arm’, in der Messe; die Duenna und der
Escudero begleiteten sie. Eines Tages ging sie nach der Messe auf
den Kirchhof, der an das Gotteshaus stieß, wandelte auf und nieder,
betrachtete alles ringsum sehr aufmerksam, und sprach leise mit dem
Escudero. Unterdessen stand der Pfarrer immer am Fenster der Sacristey,
und hätte gar zu gern gewußt, was sie mit solcher Aufmerksamkeit
betrachte. Sie begab sich aber sittsam in den Wagen, und fuhr ab.

Den nächsten Morgen kam sie wieder zur Messe, ging wieder auf
den Kirchhof, und begnügte sich nicht damit, daß sie ihn sehr
aufmerksam betrachtete, sondern Mogrobejo mußte auch einen Theil
desselben schrittweise abmessen. Der Pfarrer hatte wieder aus dem
Sacristeyfenster zugesehen, und konnte nun sein Verlangen, dieses
Räthsel aufgelößt zu sehen, nicht länger unbefriedigt lassen; er ging
hinaus, machte ihr eine artige Verbeugung, und fragte sie womit er
ihr dienen könne. „Ich sehe,“ sagte Constanze mit niedergeschlagenen
Augen, „daß Sie die vornehmste Person in dieser Kirche sind. Mein
Escudero mußte mir hier diese Stätte der gottseligen Ruhe abschreiten,
damit ich sehen könne, ob auch Raum genug wäre, meine Absicht hier
auszuführen. Wenn es Ihnen nicht ungelegen wäre, würd’ ich Sie bitten,
mich in die Kirche zu führen, um Ihnen meine Absicht ausführlich
erklären zu können.“ Er führte sie in eine kleine Seitenkapelle, die
aber so schlecht mit Geräthe versehen war, daß sie sich auf einige
Altarpölster, und er in einen Beichtstuhl setzen mußte.

„Mein hochwürdiger Herr,“ begann sie, „ich bin aus Sevilla, von
adeligen Ältern geboren; mein Vater hieß Don Lope de Monsalva, meine
Mutter Donna Mencia de Sahabedra, und ich, ihre einzige Tochter,
heiße Donna Rufina de Monsalva und Sahabedra. Meine Mutter nahm mir
Gott sehr früh, und mein Vater, der noch ein sehr junger Mann war,
warf sein Augenmerk auf eine Dame derselben Stadt, und wollte sich
mit ihr verbinden; sie hatte aber zwey Brüder, die ihre Schwester gar
zu gern geerbt hätten; sie setzten sich heftig entgegen, und drangen
durchaus darauf, daß sie Nonne werden sollte. Sie war meinem Vater sehr
geneigt; sie fanden Gelegenheit, sich öfters heimlich zu sprechen, und
kamen endlich überein, daß sie sich heimlich wollten trauen lassen.
Sie thaten es, und setzten ihre heimlichen Zusammenkünfte fort; ich
war die Frucht ihrer Liebe. Nun entdeckten die Brüder plötzlich durch
eine treulose Magd das ganze Geheimniß, stellten meinem Vater heimlich
nach, und -- tödteten ihn. Ich war nun eine Waise, und ohne alles
Vermögen; niemand nahm sich meiner an, als eine Muhme, die mich in das
Nonnenkloster San Leander zur Erziehung gab, wo ich auch bis in mein
sechzehntes Jahr blieb. Damahls erst fing mein Glück zu dämmern an. Mit
einer Flotte aus Indien kam ein ansehnlicher Cavalier an den Hof; er
war sehr reich, und hatte von einem Vetter meiner Muhme, bey der ich
nun im Hause wohnte, ein Empfehlungsschreiben mit sich. Er besuchte sie
öfters, und sah auch mich bey dieser Gelegenheit. Er erkundigte sich,
wer ich wäre; meine Muhme erzählte ihm die unglückliche Geschichte
meines Vaters, und er gewann eine solche Neigung zu mir, daß er
förmlich um mich warb. Binnen vierzehn Tagen war ich ihm angetraut,
und er gab mir zur Morgengabe zwanzig tausend Escudo’s; sein ganzes
Vermögen aber beträgt über hundert zwanzig tausend Ducaten. Wir
lebten sechs Jahre mit einander, in welcher Zeit wir gar kein Kind
mit einander hatten. Endlich starb der gute Mann, und machte mich zur
Erbinn des ganzen Vermögens: nur vierzehn tausend Ducaten bestimmte
er zu einer prächtigen Kapelle, die ich in dieser Stadt bey irgend
einer Kirche bauen lassen sollte. Er bestimmte aber nur die Summe, und
räumt es übrigens ganz meiner Willkür ein, wie ich sie bauen lassen
wollte. Ich denke nun es so einzurichten, daß vier Kapelläne mit
einem jährlichen Einkommen von zwey hundert Ducaten, und einer, dem
die andern untergeben seyn sollen, mit drey hundert dabey angestellt
werden. Ich will sie auch nicht an diesen Kapellendienst allein binden;
denn warum sollt’ ich ehrwürdige Väter hindern, ihr ohne dieß geringes
Einkommen, das sie ohnehin meistens auf Almosen verwenden, noch in
etwas nebenbey zu vermehren. Ich bin nun vierzehn Tage hier, und habe
alle Kirchen besehen, aber hier nach meiner Meinung noch den besten
Platz gefunden. Man könnte unter der Kapelle die Gruft anbringen, was
ungleich prächtiger lassen dürfte, als der Kirchhof. Ob es mir nun
erlaubt seyn werde; ob mir die Stadtobrigkeit, oder der geistliche
Rath nicht entgegen seyn werden, wünsche ich jetzt aus Ihrem Munde zu
hören.“

„Dafür lassen Sie mich sorgen, gnädige Frau!“ antwortete der Pfarrer
voll Feuer, und sah sich schon im Besitze von drey hundert Ducaten.
„Das wäre schön, wenn der geistliche Rath die Erfüllung frommer
Vermächtnisse hindern wollte! Wie wollt’ er das? Wie könnt’ er das?
Jeder Platz gehört Gott, um so viel mehr ein Kirchhof, als ein eigens
geweihter Ort. Und was gingen die Stadtobrigkeit geistliche Dinge an?
Sie mag ihre profane Nase in andere Dinge stecken, mag Betriegern und
Betriegerinnen auf die Spur zu kommen suchen; aber unsere heiligen
Sachen gehen ihr nichts an. O gnädige Frau! Gott hab’ Ihren seligen
Gemahl selig! sein Werk ist um desto verdienstlicher, da er dadurch in
einer so verdorbenen Zeit ein heldenmüthiges Beyspiel des standhaften
Christenthums gibt. Säumen Sie auch nicht, seinen frommen Wunsch zu
erfüllen, damit wir ihn nicht aufhalten, wenn seine Seele etwa bis zur
völligen Herstellung noch etwas zu leiden hätte.“

„Ich weiß aber noch nicht,“ sagte sie, „ob wir hier das volle Maß, das
ich gewünscht hätte, heraus bringen werden.“

„Wollen sie denn Euer Gnaden gar so groß bauen?“ sagte der Pfarrer.
„Wie viele Schritte haben Euer Gnaden angeschlagen?“

„Sechzig in die Länge, zwey und dreyßig in die Breite.“

Nun fing der leibige Pfarrer augenblicklich an, wie ein fettes
Leichhuhn über die Gräber fortzutrippeln, und den Raum mit kurzen
Schritten abzumessen. „Mehr als zu viel!“ schrie er endlich; „es gibt
noch ein Beinhaus, und ein kleines Leichenbehältniß. Wir kriegen aber
doch auch ein Thürmchen, gnädige Frau? Wir haben eine überflüssige
Glocke, und irgend eine andächtige Seele wird uns es auch nicht an
einer Uhr fehlen lassen.“

„Um meines seligen Mannes Wunsch ganz zu erfüllen,“ sagte Constanze,
„wird es mir nicht zu viel seyn, auch diese Kleinigkeiten aus meinem
Vermögen zu bestreiten, das nach meinen Bedürfnissen ohne dieß viel zu
groß ist. Ich gestehe es Ihnen auch, hochwürdiger Herr Pfarrer, daß es
mir in so weit wirklich zur Last ist, als ich es nicht weiß, was ich
damit anfangen soll. Übrigens habe ich noch eine Bitte an Sie.“

„Sie befehlen, gnädige Frau! worin kann ich dienen?“

„Ich wünschte sehr, daß Sie es auf sich nähmen, meinen Bau gegen
alle Hindernisse zu schützen, mir erfahrne Leute zu dem Baue selbst
vorzuschlagen, und endlich -- thun Sie es um meines seligen Mannes
willen -- nehmen Sie dann die Oberaufsicht über die vier Kapläne an.“

„Mit Freuden,“ antwortete der Pfarrer; „zu was mich Gott in seinem
Dienste rufen will, dazu bin ich auch bereit. Sie haben mit mir zu
befehlen; und da Sie ein frommes Werk unternehmen, so bin ich Ihnen
gewisser Maßen Gehorsam schuldig.“

Sie wären nun über die Präliminarien einig gewesen. Sie sagte dem
Pfarrer ihre Wohnung; er besuchte sie sehr emsig, und befahl auch
seiner Schwester, sie zu besuchen, deren Liebe Constanze augenblicklich
zu gewinnen wußte. Das Erste, was sie that, war, daß sie dem Pfarrer
ihres Mannes Testament zeigte, und ihn versicherte, daß sie nun in
einigen Tagen thätig Hand ans Werk legen werde.

Sonntags Abends kam sie mit ihrer Duenna und dem Escudero in der Pfarre
an, um der Schwester des Pfarrers den erhaltenen Besuch zu erstatten.
Sie ward mit allem, was Küche und Keller vermochten, bewirthet; und
als sie mit einbrechender Dämmerung wieder nach Hause fahren wollte,
bath sie der Pfarrer, noch ein wenig zu bleiben, und der Sitzung einer
kleinen Akademie beyzuwohnen, die er aus Liebe zu den Wissenschaften
und der Musik, in seinem Hause, mit Hülfe einiger Freunde errichtet
hatte. Constanze nahm die Einladung unter dem Bedingniß’ an, daß sie
und seine Schwester ungesehen zuhören könnten. Das war ausführbar, und
er führte sie an ein Fenster mit einem Vorhange, aus dem sie in den
Saal sehen konnten, der auf eine merkwürdige Art zubereitet war. Er
war ganz mit Tannencisten geziert, und mit Sträußen von Wiesen- und
Gartenblumen behangen; oben am Saale standen drey lederne Stühle an
einem Schreibtische, und weil es schon dunkel war, begann man rings
um den Saal die messingenen Wandleuchter anzuzünden. In der Mitte war
ein Hängeleuchter, auf dem drey bis vier Altarkerzen brannten. Es
währte nicht lange, so erschienen die Akademiker. Der erste war der
Pfarrer selbst, der die Gesetze der Akademie, auf einer Rechentafel
geschrieben, trug; der zweyte war der Sacristeydiener, der in den
Nebenstunden kleine Predigten verfaßte; der Cantor und sein Bruder, der
bey einem Sachwalter als Unterschreiber diente, und welche beyde in dem
ganzen Pfarrsprengel das Monopolium der Hochzeit- und Leichengedichte
an sich gerissen hatten; sie verfertigten auch Neujahrswünsche, kleine
Verse für die Zuckerbäcker, und Inschriften auf die Leichensteine. Nach
diesen kam der Kapellan, der aus Wachs kleine Opferthiere verfertigte,
und mit besonderer Geschicklichkeit verschiedene Figuren aus Pflaumen-
und Aprikosenkernen zu schnitzeln wußte. Indessen, weil sie nicht einig
werden konnten, unter was für eine der schönen Künste sie seine Arbeit
rechnen sollten, hatten sie ihm, ungeachtet seiner Geistlichkeit, einen
so späten Rang angewiesen. Nach diesem kam ein Musicus, der zuweilen
auf dem Chore spielte, sonst aber in den Wirthshäusern seine Kunst
trieb, und Grab- Hochzeit- und andere Lieder verfertigte. Endlich
erschien der Student, der bey ihm im Hause wohnte, und den sie der
Tanzkunst widmeten, weil er geschickt Hunde abzurichten wußte. Um
Constanzen eine rechte Ehre zu erweisen, sagte ihr seine Schwester, daß
in der Gesellschaft noch ein Mitglied für die Baukunst fehle, und daß
sie gar nicht zweifle, ihr Bruder werde den Steinmetz, wenn er sich bey
der Kapelle auszeichnete, unter sie aufnehmen.

Sie begannen nun ihre Arbeit, und jeder legte einen neuen Beweis seiner
Fähigkeit ab. Der Pfarrer eröffnete die Sitzung mit einer Abhandlung
über den Ursprung des Gebeths, in der er nicht undeutlich vermuthete,
daß Gott den ersten Menschen eine Art von täglichem Breviarium
vorgeschrieben, und ihnen daher auch die Gabe, Geschriebenes zu lesen,
eingegossen habe. Der Sacristeydiener ging vor die Thür, weil der Saal
zu ebner Erde war, zum Fenster herein, was eine Kanzel vorstellen
sollte, eine Predigt über die Raupen, die diesen Sommer alle Bäume
im Pfarrgarten verdorben hätten, zu halten. Der Cantor hatte drey
Gedichte gemacht, das eine enthielt die ganze Passion, und die andern
zwey die Geschichte des linken und des rechten Schächers; und diese
drey Gedichte hatte er in der Form eines Kreuzes geschrieben, so, daß
sie einen förmlichen Calvaria vorstellten. Sein Bruder, der Schreiber,
las unmittelbar darnach ein Gedicht zum Lobe des Tabakschmauchens. Der
Kapellan stellte ein neues Schwein dar, das er aus Wachs gemacht hatte,
und die Hälfte einer glücklich abgenommenen Frauenbrust, wovon man aber
das eine eben so gut für ein Schaf, und das andere für die Hälfte eines
Hinterbackens hätte ansehen können. Der Musikus hatte eine neue Melodie
auf das Nachtwächterlied verfertigt, und nun traf die Reihe den
Studenten, der seinen Hunden wieder neue Sprünge und Fratzen gelernet
hatte. Nun hatte aber der Pfarrer seinen Akademikern, wie gewöhnlich,
frischen Schinken, geräucherte Ochsenzungen, und kalte Pasteten
auftischen lassen; und da die Hunde des Studenten, da ihr Herr selbst
von des Pfarrers Gnade lebte, immer bey dem gesundesten Appetite zu
seyn pflegten, hatten sie auch jetzt kaum drey bis vier Sprünge durch
den Reif gemacht, als sie sich erdreisteten, mit ihren profanen Pfoten
den Tisch zu besteigen, und unter den Libationen eine solche Verheerung
anzurichten, daß alle Akademiker von ihren Stühlen aufsprangen, und
diese frechen Schüler der Erato aus ihrem Hörsaale vertrieben. Es war
aber leider zu spät, und man mußte sich mit sehr geringen Überbleibseln
begnügen. Die Versammlung ging also sehr mißmuthig aus einander, und
Constanze ging vergnügt nach Hause.

Nun war keine Zeit mehr zu verlieren. Den nächsten Morgen mußte sich
Mogrobejo nach einem vertrauten Freund’ umsehen, der sich für einen
erst aus Toledo angekommenen Architecteur ausgeben, und zwey oder
drey Risse von einer Kapelle mit sich bringen sollte. Der Escudero
war scharfsichtig, wie ein Falke, und wendete sich daher an keinen
untüchtigen Mann. Er sollte sich den folgenden Tag, an dem sie vom
Pfarrer Besuch erwartete, einfinden. Der Pfarrer kam; der Baumeister
kam; man vereinigte sich über den Plan, und ließ einen Notar rufen,
vor welchem und zwey Zeugen sich der Baumeister anheischig machte,
die Kapelle binnen einem Jahre herzustellen; dafür verlangte er zwey
tausend Escudo’s im vorhinein; Constanze fand aber diese Summe zu groß,
und erklärte sich, daß sie unterdessen drey hundert Escudo’s geben
wollte, womit sich der Baumeister befriedigte. Sie lud alle über zwey
Tage zum Mittagmahle ein, und da sollte sogleich Hand ans Werk gelegt
werden.

Nun schickte Constanze den Escudero noch denselben Abend zu ihren
Freundinnen um den Schmuck, und erhielt ihn auch sogleich in einem
ansehnlichen Futterale von carmoisinrothem Saffian. Sie schickte
dasselbe nun unverzüglich zu einen Futteralmacher, und ließ ein so
ähnliches verfertigen, daß man es von dem rechten kaum unterscheiden
konnte. Nun ließ sie den Pfarrer rufen, der sich auch im Augenblicke
einfand. Sie nahmen Stühle, und Constanze sprach: „Herr Doctor,
ich habe acht tausend Escudo’s bey den Fuggern[B] stehen, die ich
zu ansehnlichen Zinsen genieße; mein seliger Mann hat sie aber nur
unter dem Bedingnisse untergebracht, daß er sie einen Monath vor der
Herausbezahlung aufzukündigen habe. In der Verwirrung, in die mich
der plötzliche Tod meines Mannes setzte, hab’ ich nun vergessen, die
Aufkündigung einzuschicken, und bin nun in der Verlegenheit, daß ich
das Geld gerade jetzt, da ich es am nothwendigsten brauche, nicht
habe. Ich sehe mich denn, so schwer es mir fällt, gezwungen, meinen
ansehnlichen Schmuck bey einem vertrauten Manne, gegen billige
Bedingnisse, auf einen Monath einzusetzen. Hier ist er,“ sagte sie,
indem sie aus der Estrata ein Lädchen unter dem Überzuge hervor nahm,
und dem Pfarrer, der in seinem Leben nie solchen Schmuck gesehen hatte,
die reichen Geschenke des Mailänders und des Genuesers zeigte.

„Lieber Gott!“ sagte der Pfarrer; „das ist ja über hundert tausend
Escudo’s werth.“

„Nicht doch, Herr Pfarrer!“ sagte sie; „Sie sind ein schlechter Kenner:
der ganze Werth besteht in etwas über dreyßig tausend Escudo’s; und
gerade, weil dieß doch keine Kleinigkeit ist, wünscht’ ich irgend einen
Mann zu wissen, bey dem ich nicht Gefahr liefe; denn bey jetziger Zeit
kann man sich wahrhaftig nicht genug hüthen.“ Während dieser Rede
hatte sie das Futteral wieder versperrt, und in das Lädchen gelegt.
Der Pfarrer wünschte der großmüthigen Dame in allem Genüge zu leisten,
und both sich an, ihr die acht tausend Escudo’s noch denselben Tag
aus seinem eigenen Vermögen einzuhändigen. „Belieben Sie nur,“ sagte
er, „eine Schrift wegen Leben und Tod bereit zu halten.“ Constanze
nahm den Antrag mit Freuden an, und zog geschwinde unter dem Überzuge
der Estrata das andere Futteral, welches ebenfalls versperrt war,
hervor. Der Pfarrer nahm es, und wollte forteilen; an der Thür kehrte
er aber noch um, und sagte: „Hören Sie, gnädige Frau, die Baumeister
sind Leute, die immer bares Geld sehen wollen. Damit wir ihn nun nicht
abschrecken, bring’ ich Ihnen lieber gleich die tausend vier hundert
Escudo’s an der Stelle, und des Abends die andern acht tausend, damit
Sie dann Ihr Geld ganz beysammen haben.“ Er hielt auch genau Wort,
und Constanze hatte die ganze Summe in Händen. Der Pfarrer hätte
den Schmuck gern seiner Schwester gezeigt, wagte es aber nicht, zu
Constanzen um den Schlüssel zu schicken, weil es einem Mißtrauen
ähnlich gesehen hätte.

So bald die schöne Wittwe das Geld in Händen hatte, machte sie sich mit
ihrer Duenna und dem Escudero nach Lescas auf. Ihrem Hausherrn schützte
sie vor, daß sie das Quartier verlasse, weil es ihr zu melancholisch
wäre, und so fuhr sie denn mit allem Geräth’ ab, und verbarg sich bey
ihren Freundinnen so gut, daß sie niemand hätte finden können. Nun
kam der Pfarrer, und hörte, daß seine reiche Gönnerinn eine andere
Wohnung bezogen habe; die Hausleute versprachen ihrem hochwürdigen
Herrn Pfarrer aber, daß sie ihm bis morgen schon sagen wollten, wo sie
wohne. Den andern Tag sehr früh kam er wieder; man wußt’ es noch nicht:
er kam des Abends, und man wußt’ es noch nicht. Nun begann er erst
Argwohn zu schöpfen; er lief nach Hause, und da seine Schwester darauf
bestand, daß er einer Betriegerinn in die Hände gerathen sey, beschloß
er endlich, das Futteral zu öffnen, und sich aus dieser peinlichen
Ungewißheit zu reißen, es kost’ auch, was es wolle. Er öffnete es denn,
und fand anstatt der Diamanten die schönsten und artigsten kleinen
Kieselsteine. Die Pulsen standen ihm stille; seine Schwester rieb ihm
die Schläfe, und hielt ihm ein Riechfläschchen vor. Er erhohlte sich
wieder, und lief zu dem Richter: was half aber alles Nachsuchen des
Richters, wenn sich eine von unsern Heldinnen verbarg? Er fiel in eine
Todeskrankheit, von der er sich sehr langsam erhohlte, und vom Tage des
entdeckten Betruges an war er ein Teufel, der das ganze Haus peinigte,
und mit dem es niemand mehr aushalten wollte. Besonders hatten die
Akademiker seinen Unmuth empfunden; denn als sie ihn denselben Tag
besuchten, um wieder eine Sitzung zu halten, mißhandelte er sie so, daß
sie schworen, ihn vor Gerichte zu belangen.


Fußnote:

[B] Eine reichsgräfliche Familie, deren Reichthümer in Spanien zum
Sprüchworte geworden sind.



VIERTE SPAZIERFAHRT.


Dorothee, welche nun die Reihe traf, ließ vier Monathe verstreichen,
bevor sie eine neue Unternehmung wagte, damit sich unterdessen das
Gerücht vom Kapellenbaue verlieren möchte. Auch benützte man diese
Zeit, um den Wagen wieder anders zuzurichten, und Kutscher und Pferde
zu wechseln. Endlich fand sie es räthlich, in Gesellschaft ihrer
Mutter, und der alten Banuelos zu Madrid einzuziehen. Sie nahmen ihre
Wohnung dieß Mahl zur Abwechslung in dem Martinsviertel. Nach einigen
Tagen begaben sie sich mit dem neuen Escudero, den sie aufgenommen
hatten, unter das Thor von Quadalaxara. Als die jungen Herren, die auf
dem Markte herum spazierten, einen Damenwagen an einem Kaufmannsgewölbe
halten sahen, liefen sie wie Hasen davon, um nicht etwa in die
Verlegenheit zu gerathen, wenn es eine von ihren Bekannten wäre, aus
Artigkeit oder Tändeley ein Geschenk anbiethen zu müssen. Dorothee
ließ sich eine goldener Tabatiere, und etwas von Frauenputz an den
Wagenschlag bringen. Mit einem Mahle kam ein fremder Cavalier, der erst
unlängst aus Andalusien angekommen war, und nun hier den Zusammenfluß
der Madriter schauen wollte, an dem Wagen vorüber. Die schöne Dorothee
fiel ihm auf, und als ein Mann von Welt, machte er ihr sogleich
seine tiefe Verbeugung. Er mochte beyläufig sechs und zwanzig Jahre
haben, war klein von Person, aber niedlich gebaut, und ganz fertig,
ein Gespräch mit feinen Wendungen und drolligen Einfällen zu würzen;
dabey war er aber von ungemein verliebter Stimmung, und sein Kopf war
vom Romanenlesen ein wenig angebrannt. Dorothee bemerkte den raschen
Eindruck, den sie auf ihn gemacht habe, und begegnete seinem Blicke
vorsetzlich einige Mahl. Er ward muthiger, trat an den Wagenschlag, und
sagte: „Schöne Unbekannte, diese Waare ist schon bestellet.“ „Das thut
mit leid,“ antwortete Dorothee. „Indessen,“ fuhr der Andalusier fort,
„wenn sie Ihnen gefällt, bin ich bereit, sie mir abhandeln zu lassen,
und will sie als förmlicher Kaufmann in Ihre Wohnung bringen, die Sie
mir zu sagen belieben werden.“ Hiermit steckte er dem Kaufmann, was die
Waare beyläufig werth seyn mochte, in die Hand.

„In der That,“ sagte Dorothee, „wenn ich Sie kennte, würde ich Ihnen
vielleicht mit eben dieser -- wie will ich sagen -- Freymüthigkeit,
oder Zudringlichkeit, wenn Sie wollen, in Ihren Ton einstimmen; so
aber“ -- sie hatte sehr gut gesehen, was vorgegangen war -- „bleibt mir
nichts übrig, als die Waare wieder dahin zurück zu stellen, von wo ich
sie bekommen habe. Gnädiges Fräulein,“ sagte er, „denn Frau können Sie
doch unmöglich seyn; Sie scheinen ungehalten: seyn Sie es aber nicht.
Ich bin ein Mensch, der niemand auf Erden, am wenigsten aber eine Dame
beleidigen will, und der nur manchmahl den Rechnungsfehler begeht,
daß er meint, man würde seine -- ich kann es mit gutem Gewissen nur
Lebhaftigkeit nennen, eben so gerade aufnehmen, als er sie äußert. Bey
uns in Andalusien wird mir so etwas zu Gute gehalten; ich erwartete
denn, daß ich hier, wo ich erst zwey Tage bin, ein anderes Andalusien
finden werde.“

Dorothee merkte nun, daß sie ihren Mann gefunden habe, und fand es
für gut, an der Stelle eine nähere Bekanntschaft zu gründen. Sie
frage denn: „Mein Herr, das ganze Waarenlager werden Sie doch nicht
aufgekauft haben,“ stieg aus dem Wagen, und ging in das Gewölbe; Der
Andalusier ihr nach.

Sie ließ sich Federn, Bänder, und Seidenstoff für beyläufig hundert
Escudo’s vorlegen, und behandelte den Preis. Sie bemerkte, daß er vom
Kaufmanne heimlich die Rechnung fordre, und sagte daher: „Mein lieber
Herr, ich habe vor Tische noch einige Besuche vor mir: Sie würden mich
verbinden, wenn Sie mir alles nach Tische in meine Wohnung schickten;
dann werden Sie auch gleich das Geld dafür erhalten.“ Der Kaufmann
fand sich sehr bereit, und Dorothee sagte ihm ihre Wohnung. Der
Andalusier sprach nur: „Gnädiges Fräulein, ich weiß nun Ihre Wohnung:
wie würden Sie sich wohl benehmen, wenn ich unartig genug wäre, Sie zu
besuchen?“ „Fürs erste,“ antwortete Dorothee, „halt’ ich Sie nicht für
so voreilig; und wenn Sie es wären, würde mir nichts übrig bleiben, als
daß ich durch ein artiges Betragen Sie zu bessern suchte.“ Sie ging
fort, und fuhr nach Hause. Nach Tische kam der Diener des Kaufmanns,
brachte die Waaren, und als sie sich anstellte, als ob sie bezahlen
wollte, schlug er es unter dem Vorwande aus, daß die Summe noch zu
klein wäre, um eine Rechnung zu machen, und daß sie ihr noch mehr zu
verkaufen dächten. Es währte nicht lange, so war auch unser Andalusier
da. Dorothee empfing ihn in Gesellschaft ihrer Duennen sehr artig,
und er erzählte ihr, daß er Don Thadeo de Sylva heiße, eigentlich
aber Don Thadeo Tristan de Lorgenes, nach einem Oheime, der das
Abgeschmackte dieses Nahmens mit einer ansehnlichen Erbschaft wieder
gut gemacht hätte; Dorothee vertraute ihm dafür, daß sie mit einem
Ritter verheirathet sey, der sich in Indien befände, und so unglücklich
gewesen sey, in Lima gefangen zu werden; nun erwarte sie aber ihn
und ihr ganzes Vermögen mit der nächsten Flotte. Don Thadeo both ihr
feyerlich alle Dienste an, die in seinen Kräften ständen, indem er
wohl wisse, was sich für Schwierigkeiten fänden, wenn man am Hofe
Forderungen machte. „Es ist wahr,“ erwiederte sie; „aber zum Glücke
hab’ ich doch immer genug gehabt, um zwey Dienerinnen, einen Escudero,
und meinen Wagen zu halten.“ Nun war es Zeit, sich zu entfernen, und
Thadeo empfahl sich.

Dorothee suchte nun nähere Erkundigung über seine Umstände einzuziehen,
und alle Nachrichten waren nach Wunsche. Seine Besuche wurden immer
häufiger, und seine Neigung immer heftiger. Dorothee suchte seine
Schwächen aufzufinden, unter denen auch die Vorliebe für Lieder und
Melodien, die er selbst verfaßt hatte, war, und suchte sie auf’s
Beste zu benutzen; kurz, er ward so verliebt, als noch kein Liebhaber
ihrer Mitschwesterchen gewesen war. Dorothee, die eine sehr schöne
Stimme, und einen hinreißenden Vortrag hatte, sang von der Stunde an
kein Liedchen mehr, das nicht Thadeo verfertigt hatte, und verlangte
selbst noch Unterricht auf der Guitarre von ihm; dafür liefen sich
seine Bedienten mit Küchengeschenken müde, und er selbst brachte
beynahe jeden Tag irgend eine kostbare Kleinigkeit zum Putze mit.
Dorothee hatte jedes Mahl einen Vorwand bereit, unter dem es ihre
Bescheidenheit erlaubte, seine Großmuth nicht zurück zu schrecken.
Auch hatte sie sich schon zwey Mahl einen Kuß auf die Lippen gefallen
lassen, von denen sie den letzten sogar -- wer hätte sich’s von Donna
Dorothea träumen lassen? -- mit schamhaftem Erröthen erwiederte.

Den folgenden Tag kam Thadeo nicht, und Dorothee war in sichtbarer
Unruhe: sie konnte sein Außenbleiben nur mit der strengen Witterung
entschuldigen; denn es war mitten im Winter. Sie hatte sich auch nicht
getäuscht; denn er kam den andern Tag: indessen war es ihr doch ein
Fingerzeig, daß sie ihn noch nicht genug in Bewegung gesetzt habe. Sie
suchte daher alles Mögliche hervor, was einen Mann fest halten kann:
sie schmollte; sie bezeigte ihm bey jeder Gelegenheit Aufmerksamkeit,
und es gelang ihr auch, ihn bald so zu kirren, daß er mit Leib und
Seele an ihr hing, und nun weiter nichts mehr fehlte, als eine gute
Gelegenheit, um sein Vertrauen und seine Liebe so ergiebig als möglich
zu benutzen.

Während Dorothee in Illescas wohnte, war ein Student aus Toledo dort
angekommen. Er hieß Don Basil, war ein erzarmer Teufel, übrigens
aber so schön und wacker gebildet, und so aufgeweckten Geistes, daß
Dorotheens Standhaftigkeit selbst so vielen Reitzen nicht widerstehen
konnte. Sie wurden bald bekannt, noch geschwinder vertraut, und es war
bald so weit gekommen, daß sie ihm sogar gestattete, ihr nach Madrit zu
folgen, unter dem Bedingniß’ aber, daß er ihre Unternehmungen nicht im
geringsten stören sollte. Er ging es darauf ein, und lebte denn auch in
Madrit in dem besten Einverständnisse mit ihr, ohne sich von Eifersucht
plagen zu lassen. Alles wäre gut gegangen; nur wollte sich noch keine
besonders vortheilhafte Gelegenheit zeigen.

Endlich traf es sich, daß einer von Thadeo’s Freunden heirathete.
Thadeo sagte Dorotheen, daß die Vermählung bey San Sebastian mit einer
seltnen Pracht gehalten werden würde, und daß er selbst in einem Glanze
erscheinen werde, in dem sie ihn noch nie gesehen habe. „Wenn ich in
der Kirche erscheinen soll,“ sagte Dorothee, „so verlange ich ohne
dieß, daß mein lieber Thadeo die übrige Gesellschaft übertreffe. Wenn
Sie mir aber dann gefallen, bin ich nicht zufrieden, Sie nur in der
Kirche bewundern zu können; ich will Sie bey mir im Hause haben. Sie
werden sich doch gewiß um eilf Uhr vom Spiele los machen können; und
bis dahin will ich mit dem Abendessen auf Sie warten.“

Thadeo sagte es ihr heilig zu, und so schieden sie aus einander. Die
Vermählung ging vor sich, und Dorothee erstaunte über die Pracht ihres
Geliebten. Er war im prächtigsten Stoffe gekleidet, und schien alle
Juweliere von Madrit ausgekauft zu haben. Knöpfe, Ketten, Agraffen,
Ringe, alles war von Brillanten. Er kam auch um eilf Uhr des Abends
voll Vergnügen zu Dorotheen, und erzählte ihr, daß er so glücklich
gewesen sey, gegen zwey tausend Escudo’s zu gewinnen. Sie speisten; es
wurde immer später; Dorothee war ungemein gefällig, und sagte endlich,
daß sie ihn heute nicht mehr nach Hause lasse: denn wenn irgend ein
Schurke seinen Schmuck gewahr würde, könnte er ein Unglück haben.
Sie werde ihm daher ein Bett anweisen, und sie nehme durchaus keine
Widerrede an.

Thadeo meinte, nun schon den Gipfel seines Glücks erstiegen zu haben,
und war beynahe ausgelassen vor Freude. Er trank ein Glas ums andere;
aber Dorothee hatte ihm einen besonders köstlichen Trank bereitet,
dessen Wirkung er nicht vermuthet hätte. Es war zwölf Uhr, und Dorothee
wies ihm das Bett in dem Zimmer an dem ihrigen an. Er kleidete sich
hastig aus, hatte sich aber im Bette kaum ein wenig erwärmt, als
der Trank seine Wirkung that, und der verliebte Ritter so laut zu
schnarchen anfing, daß man es auf die Gasse gehört haben würde, wenn
ihm seine treuen Wärterinnen nicht die Bettdecke über den Kopf gelegt
hätten.

Nun ward alles, was er an dem Leibe gehabt hatte, sammt dem
beträchtlichen Spielgewinne, mit Hülfe des Studenten aus Toledo, und
des Kutschers zusammen gepackt, und nach ihrer einstimmigen Schätzung
auf mehr als vierzehn tausend Escudo’s angeschlagen. Es war nichts mehr
übrig, als was sie mit Don Thadeo anfangen sollten. Er hatte ein zu
schönes Spitzhemd auf dem Leibe, als daß es ihm der Student aus Toledo
hätte gönnen sollen; er zog es ihm denn ab, und bekleidete ihn dafür
mit einem Unterrocke der alten Banuelos. Vorn unter das Kinn band er
ihm ein Tuch, wie einem kleinen Kinde, und an eine Schnur knüpfte er
verschiedene Sachen, wie man den Kindern anzuhängen pflegt; ein Füßchen
von den Hasen, den er des Abends noch gegessen hatte; eine Elendklaue,
wider das Augenweh; einen kleinen Mörserstößel, und eine kleine Glocke.
In diesen Aufzuge setzten sie ihn auf einen großen Korb; der Student
und der Kutscher trugen ihn fort, hingen ihn an den Balcon eines armen
Indianers, und eilten nach Hause, um sich mit der übrigen Gesellschaft
in Sicherheit zu setzen.

Thadeo schlief in seinem Korbe fort, und träumte sich in den Armen
der schönen Dorothee. Mit Anbruch des Tages stand der Indianer auf,
schlug die Fensterbalken auf, und nahm den Korb wahr. Er setzte die
Augengläser auf, und sah zu seiner größten Verwunderung dieses große
Kind in dem Korbe liegen. Sein erster Gedanke war wirklich, daß es
ein Findelkind sey, das man ihm vors Haus gebracht hätte, und er rief
seinen Bedienten, daß er es herab nehmen, und vor ein anderes Haus
legen solle. Der Bediente konnte nicht sehen, was im Korbe wäre, weil
der Korb so hoch hing, und schnitt den Strick ab, um den Korb mit den
Händen aufzufangen; das Kind fiel aber mit solcher Gewalt herunter, daß
es den armen Bedienten zu Boden warf. Das Kind selbst schlief so sanft,
daß es selbst von dieser Erschütterung nicht erwachte. So wehe sich der
Bediente gethan hatte, brach er doch in ein lautes Gelächter aus, als
er das Kind erblickte. Er trug es mit Hülfe seines Herrn in die Stube,
und hier bemerkten sie erst einen Zettel, den es im Busen stecken
hatte. Er lautete: „Die Mutter dieses Kindes hat es Armuths halber
in ihren Armen hierher getragen, und bittet, sich seiner anzunehmen.
Übrigens ist es schon seit einiger Zeit getauft.“ Der Indianer und der
Bediente suchten es zu wecken; sie kitzelten und kneipten es; alles
war aber vergebens. „Wahrhaftig,“ sagte der Indianer; „ich habe noch
kein Kind gesehen, das einen so gesunden Schlaf gehabt hätte.“ Indessen
kamen sie doch bald auf die Vermuthung, daß dieser unnatürliche
Schlummer die Wirkung eines Schlaftrunkes sey. Erst gegen Mittag kam
Thadeo zu sich; und als er seinen lächerlichen Aufzug erblickte, und
sah, daß er in einer ganz fremden Wohnung sey, fing er zu schreyen
an, daß der Indianer und sein Bedienter herbey liefen, die ihm denn
erzählten, in was für einem Zustande sie ihn gefunden hätten. Er
schnaubte vor Wuth, und schwor allen, die an dieser Beschimpfung Theil
hätten, sie zu vernichten. Er ließ sich Kleider bringen, und machte
sogleich Anstalt, um Dorotheen mit ihrer ganzen Gesellschaft in Verhaft
nehmen zu lassen. Sie war aber schon längst zu Illescas, wo sie mit
ihren Mitschwestern überein kam, nach Granada zu reisen, um dort neue
Abenteuer, die ihrer würdig wären, aufzusuchen.

Wie lange sie dieselben fortsetzten, meldet die Geschichte nicht: so
viel läßt sich vermuthen, daß sie sich bald von einander zu trennen
genöthigt sahen, welches sie um so leichter thun konnten, da jede schon
in Schäfchen ins Trockne gebracht hatte.


_ENDE._





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Die Harpyen von Madrit, oder die Postkutsche - Aus dem Spanischen des Verfassers der Donna Rufina" ***

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