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Title: Faust - Eine Gedicht
Author: Nürnberger, Woldemar
Language: German
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Faust.
—
Ein Gedicht
von
Woldemar Nürnberger

(M. Solitar.)

 — — — — — — — — — — — — — — et omnis
Subinitur natura, dolor quam consequitor rem.
Lucret.

Berlin 1842.
Bei Wilhelm Logier.

Inhalt
1. Im Giebelhaus
2. Die schönen Bützerinnen
3. Calvari
4. Dolores
5. Lucretia
6. Die letzte Manto
7. Die heimath
8. Zu Sankt Maria
9. Diana von San Pietra
10. Am Ocean
11. Schön Hertha
12. Die alten Zechner
13. Paraklet
14. Das Elixir des Mönches
15. Beim Schwanenwirth
16. Die Klosterchronik
17. Am finstern See
18. Grinnus
19. Gebrochener Leib


Sa personnalité remplissait la nature;
On eut dit qu’avant lui aucune créature
      N’avait soupiré, aimé, perdu, gémi!
Qu’il était a lui seul le mot du grand mystère,
Et que tonte pitié du ciel et de la terre
      Dût rayonner sur sa fourni.
                  – Lamartine.
 
Im Giebelhaus
 
Im Giebelhaus am Platz Ambrosius
Wohnt Faust, ein Anatom und Medicus,
Ein tief gelehrter und gescheidter Mann,
Der manchen Griff, und manchen Schnitt ersann. —
Das Haus ist weit, mit viel verschlung’nen Bogen,
Durchkreuz’t von finstern Gängen mannichfach,
Am Frontispiz mit Schnörkeleien umzogen,
Ein alter Thurm ragt aus dem dunkeln Dach. —
Jetzt blickt zur nächt’gen todtenstillen Zeit,
Durch eines hohen Fensters runde Scheiben,
Ein Lämpchen noch mit düstrer Wachsamkeit,
Bei welchem Faustus sitzet um zu schreiben. —
Er kam unlängst von der Anatomie,
Ihn hüllet noch das Schwarze Tafft Gewand,
Das er bis Abends von des Morgens Früh’
Vom Leib nicht zog, am Leichnam festgebannt.
Auf seinem Antlitz ist viel Ernst zu lesen,
Und von Gedanken ohne Maaß und Zahl
Scheint jeder Zug durchstürmt gewesen,
Tief liegt sein Aug’ voll Gluth und Strahl,
Schwarz seine Bärte niederhingen
Von Lipp’ und Kinn, und schwarz ist auch sein Haar.
Wie war er bleich in dem Gedankenringen,
Dem er so lange heut ergeben war. —
Er legt den Griffel hin, stützt in die Hand
Das Haupt, und murmelnd ordnet er den Gang
Der Meditation, der ihm entschwand:
Als laut ein Ach! Aus seinem Busen klang.
Empor vom Sessel sprang er bald hernach
Und also lautete sein Monolog,
Wie deren oft in stiller Nacht er sprach,
Wenn Weh durch seine Seele flog.
Ruft er aus, es wäre Zeit,
Daß sich der stolze Geist, der in dem Hirne
Wühlet in überspannter Eitelkeit,
Hinabließ zu der gattenlosen Dirne
Natur, die uns das Blut im Herzen kocht,
Geheimnißvoll und launenhaft verschwiegen
Den rothen Saft durch alle Rinnen pocht,
Und wie sie will gebietet unsern Zügen.
O wir sind blind! Die zähen Nervenstränge,
Die von dem Hirne zu dem Gliedern führen,
Wir halten sie für herrschaftlich Gepränge —
Das Weib hat uns an ihren Gängelschnüren!
O daß ich stürzen dürft’ mich in den Brand,
Aus welchem sie das glühn’de Leben siedet,
Daß mir versänke die verfluchte Wand,
An der ich schon zum Wahnsinn mich ermüdet!
Dahin die bübische Glückseligkeit,
Wo ich in meinem Gott zufrieden war,
Hatt’ ich halbweg mit flinker Fertigkeit,
Muskel und Nerv geleget bloß und baar!
Wenn ich am Finger die lateinschen Namen
Hermurmelte wie an dem Rosenkranz
Gebete, die sich alle schließen Amen,
Beruhigung des grübelnden Verstands!”
Nicht mehr vermag ich’ jetzt, wie an dem Scapulier,
Das Schandlatein am Leichnam abzubeten;
Mich zehrt es auf mit glühender Begier,
Und nieder bin ich in den Staub getreten!
Für mein Verlangen giebt es keine Gnade,
Für meinen Kummer kein Madonnenbild,
Und für mein Weh entträufet keinem Bade,
Ein Tropfen Heilung kühl und mild!
So hab’ ich als ein Mörder mehr gethan,
Und kränker bin ich denn ein gichtisch Weib
In meines Busens ungestümen Wahn
Der mir zernagt die Seele mit dem Leib!
Den Tag trieb ich mich unter Leichenfratzen
Im Saale der Anatomie umher;
Bei ihren Muskeln die Studenten schwatzen,
Ein lauter, lebenslustiger Verkehr!
Und geh’n sie dann die kecklichen Gefellen,
Zum Mädel oder zu dem Glase Bier,
Laß ich die frische Leiche vor mich stellen,
Und weil’ daran mit brennender Begier,
Bis blind das Auge, bis die Finger beben,
Und so verstreicht die stumme Nacht;
Wer möcht’ nur eine so wie ich durchleben,
Und o! Wie viele hab’ ich schon durchwacht!”
So redet Faust, und setzt sich wieder hin,
Und legt den Kopf auf seine Schreiberei;
Die Lampe flimmert bänglich her und hin;
Bei jeder Regung zitternd, matt und scheu:
Als sie erlischt bis auf den rothen Funken,
Der mälig schwindend allgemach verglimmt
Und nun die Nacht, im Mondglanz schwärmend, trunken,
Des düftern Schatten Bildung übernimmt. —
———
Da klopft es an die Thür, verstohlen leis’,
Sie öffnet sich und einer blickt herein,
Zu dem ein anderer sagt, “Du Naseweis,
Laß dir doch Zeit, du gierig Höllenschwein!
Mach zu! Mach zu! Man drückt die Thüre zu,
Fort flüstert’s auf dem wirren, finstern Gange,
“Zu diesem einen Traum laß ihm noch Ruh,
Und er ist endlich reif für deine Zange!”
Sei sie doch nicht so altklug liebe Tante,
Ich bin wahrhaftig just kein Junge mehr!
Wie lang’ nach dem mir schon der Gaumen brannte,
Und lange wart’ ich nun und nimmermehr!”“ —
Und Faust, von stillem Mondenschein umglüht,
Am hohen Fenster stumm und einsam kniet.
Die schwarze Locke schweift im kühlen Wind,
Der, wo die Scheiben eingeknicket sind,
Hineinweht zu dem blassen, ernsten Mann,
Den einem Büßer man vergleichen kann.
So in die Knieen beugt er sein Gebein,
Sein Haupt ruht auf dem Fensterrand von Stein,
Wie auf des Betgestühles dunkler Bank;
So fliegt die Locke frei und frank,
Als träfe sie die öde Kirchenluft;
Als stünd’ sein Haar, wie es von oben ruft,
Vom Orgelchor, wie’s von dem Alter schellt,
Ihm starr zu Berg: steigt diese ird’sche Welt,
Dem Menschenkind in wüster Nichtigkeit
Zum innern Aug’ ob solcher Heiligkeit;
Will es sein schlecht elendiglich Bemühn
Auf Ewiges, Unendliches beziehn.
So liegt er da, ein simpel Büßerkind,
Doch murmelt er kein Sprüchlein süß und lind,
Wie in dem Dom der unermüdlich thut,
Daß nicht die Hand er leg’ ans eigene Blut:
In starrem, ödem Schlafe, wie entseelt,
Kniet Faustus da, und was sein Traum erzählt,
Das hat noch keine Menschenbrust vermessen;
Wie er erwacht, da ist es fast vergessen,
Versunken in unendlich blaue Ferne,
Zerronnen gleich dem schnell verglomm’nen Sterne.
Schwarz ausgezackt flieht ein Gewölk am Mond,
In dessen Schein sich still die Scheibe sonnt;
Schwarz ausgezackt, erzählt die Chronika,
Wie man am Mond die Wolke nimmer sah. —
Wer mit geweihtem Auge hingeschaut,
Erblickt ein Bild des Schreckens, drob ihm graut;
Dem Drachen gleich, vergleichbar den Hyänen,
Das trug ein dunkles Kreuz in seinen Zähnen
Zerrollt, zerknickt wie morsches Fensterblei,
So fliegt es an dem glimmen Mond vorbei.
Wie knirscht es im Metalle mit dem Zahne,
Wie drehet sich des Domes Wetterfahne!
Der ist erwacht: sein Aug blickt stier und scheu,
Rings auf das wüste, gothische Gebäu,
Und einsam eine Thräne drinnen zittert —
Nicht solche, wie gerühret und erschüttert
Selbst starke Männer nicht verschmähn zu weinen;
Es war das Naß, das demuthsvolle Greinen,
Das eines Menschen blödes Aug’ durchbricht,
Schaut’s in ein sengendes unsterblich Licht,
Ein Nebelhauch, in den die Seel’ sich kleidet,
Die winz’ge Göttin, wenn beschämt sie leidet:
Und er beginnt: “den kürzsten Augenblick
O laßt mich noch an diesem Wahn mich weiden!
Es ist ein hohes, unerträglich Glück,
Dann wie ihr wollt, murr’ ich mein altes Leiden!
O dies Erwachen war so leer und gräßlich,
Als wenn der Nonne, die im Burgverließ
Fest eingesargt, an Gnaden unermeßlich
Der Schlaf die Scherbe kühlen Tranks verhieß.
Sie beugt sich nach dem Wonnetrank,
Der, wie sie trinkt, in ödes Nichts zersank.
Und wie sie öffnet nun das Augenlied
Die blut’ge Geißel drohend niedersteht.”
Wie er so murrend mit sich selber spricht,
Sieht unten er im falben Mondenlicht,
Zween närr’sche, menschliche Gestalten hüpfen,
Die um die Eck’ am Dom Ambrosii schlüpfen. —
Rasch sind sie fort: und nur ein rother Schein
Flirrt ihm im Aug’ von einem Mäntelein.
Das andre hat ihm einem Weib geglichen
Im gelben Rock mit blutig rothen Strichen.
Dürr wie die Spindel, dünner als die Mücke,
Rasch wie der Wind, trägt sie doch eine Krücke.
Ihm graute fast: er starret durch die Scheiben,
Als ob sie noch vor seinen Blicken stünden;
Dann wieder setzt er sich zu schreiben,
Wo ihn am Tisch noch die Patienten finden.
———
Faust steht auf seinem Astrologium,
Dem hochgemauerten, uralten Thurme,
Die Nacht ist klar, und er schaut ernst und stumm
Zur Stadt hinab, dem finstern Erdenwurme. —
“So sah ich”, redet er nach langem Schweigen,
“Auf dieser Welt das Mondlicht nimmer ruhn,
Ich sah es nur in der Planeten Reigen:
Nichts macht ich ihm mit dieser Welt zu thun.
Ja! Ich begreif’s! Der durch den Aether weht,
Der Strahl vom Hauch der Götter angefacht,
So himmelsklar voll Majestät,
Er kann begeistern in der ird’schen Nacht!
Er, der des Raumes Unermeßlichkeit
Durchflog, in diesem miserablen Herz,
Zünd’t er Verlangen, banges, wildes Leid,
Und tiefer Sehnsucht bodenlosen Schmerz.
In diesem Auge malt er seinen Brand,
Von dieser schwanken, menschlichen Gestalt
Wirft er den Schatten auf der Erde Sand!
So fesselt sich mit höhnender Gewalt
Das irdische den Unermeßlichkeiten
Und eben so stürzt uns der bleiche Tod
In unbegriffene Unbändigkeiten!
Nur hier verschmachten wir in enger Noth!
Verflucht der Morgen, welcher angegraut
Mir in das übernächt’ge Aug’ geblickt,
Wenn ich den Kopf, als säß ich bei der Braut,
Dem Leichnam auf die faule Brust gebückt!
Verflucht der dumpfen Nacht Alleinsamkeit
Da das Scalpell mir in der Hand geblitzt,
Fluch meiner Brust mit ihrem wüsten Leid,
Das noch um keinen Schritt mir hat genützt!
Ich weiß nicht mehr als der elende Fant,
Der Ader läßt mit prahlender Lanzette,
Und wenn mir fast die Augen ausgebrannt,
Bei seinem Weibe schmort im warmen Bette. —
Du dumpfer, ernster Gott! Bist du noch wach?
Und siehst mich hier im alten, öden Thurme,
Mit bangem Herzen auf dem Trümmerdach,
Umweht von meiner Leiden Flammensturme!
Du kannst mich erhören, bin ich dein Sohn,
O mir genügt das kleinste, was du giebst,
Doch, ich erliege diesem kalten Hohn,
Den du so stumm verachtend an mir übst!
Ich trag’ es nicht, im abgetretnen Schmerz
Der Menschenbrust verzehr’ auch ich mein Sein,
Thorheit im Kopf und Sehnsucht in dem Herz,
So geh ich fort, und so trat hier ich ein!”
So redet er in stummer Mondesnacht,
Stumm wandeln sich die schwärzlichen Gestalten,
Hier wird was breit, dort etwas spitz gemacht,
Und also fort in melanchol’schem Walten.
Da gellt es schrill mit einem Mal
Empor zu ihm: “salve mi Faustule!”
Dem schwindelt auf des Thurmes Höh’,
Er schaut entsetzt hinab ins dunkle Thal.
Und bald gar klopft es an die Thür,
Er ruft: “herein!” mit todtenbleichem Munde.
Da tritt mit Anstand und mit Hofmanier
Ein Mann aus der Fallthüre Grunde.
Und grüßt noch einmal gar bescheidentlich:
Ein blutroth Mänt’lein weht ihm um die Glieder,
Den Sporn am Fuße trägt er ritterlich,
Von gelber Mütze schwankt die Feder nieder;
Sein aufgedunsen Angesicht
Sieht zwar gar gelb und etwas abgelebt;
Doch liest man d’rauf des Herren Alter nicht,
Die Spur der Zeit sich nicht darin begräbt.
Am Kinne prangt der rothe Bart,
Und was vom Haupthaar ist zu sehen,
Ist röthlich auch; und nach moderner Art
Zween große Locken auf den Schläfen stehen. —
Wie Faustus diesen Herrn erblickt,
Und ihm in sein Gesichte sieht,
Ins wilde Aug’, das fest auf ihn gezückt
Seltsamen Glanzes, so begehrlich glüht: —
Erräth er bald, wer der Besucher sei,
Schlägt’s kreuz und rufet: “Satan heb dich weg!”
“Ha!” hohnlacht der, “und nun bei meiner Treu,
Die abgenutzte Phrase laßt doch weg;
Die ward bereits von Millionen Zungen
Gar laut und barsch entgegen mir gebrüllt;
Und bald darauf hat man mich freundschaftlich umschlungen,
Von meiner Dienste Nutzbarkeit erfüllt!”
Faust
Doch einer war’s, der warf damit dich nieder!
Mephisto
‘Sist lange her, das hat nicht mehr Gewicht,
Doch laß mich erst zu Athem wieder,
Die Stieg’ ist jäh, und machte mich zu nicht.
Wie sich der Teufel nun verschnaubt,
Sich räuspert und sich in den Haaren klaubt,
Stützt Faust den Kopf in seine heiße Hand,
Und lehnt sich auf den Mauerrand.
So starrt er nieder in die Mondesgluth,
In finsterm, fieberhaftem Brüten:
Sein herbes Leid ist wach in aller Wuth:
“ murmelt er, “wer möchte mich behüten!”
Mephisto beugt sich traulich zu ihm vor,
Und um den Hals er seinen Arm ihm legt,
Dann flüstert er gar leif’ ihm in das Ohr
So rasch, so rasch, daß kaum den Mund er regt.
Kein einzig Wort ist dem entgangen,
Wie überflog der Wechsel der Gefühle
Ihm seine Stirn, ihm seine kranken Wangen,
In aufgeregtem, geisterhaften Spiele.
Das dauert lang’, schon war der Mond verschwunden,
Des Morgens düstrer Nebelflor flog auf,
Noch immer hat kein Ende der gefunden,
Da ächzet Faust: “ich bitte dich, hör’ auf! —
Es ist genug für dreimal! Sei nun still!”
“Und willst du, fragte der, auf Tod und Leben?
“Nimm meine Hand, sprich ernsthaft Faust, ich will,
“Und bin dir nun und immerdar ergeben!”
 
Die schönen Büßerinnen
 
Am Weidenbusch im stillen Dämmerthal
Geht Faust am schwülen Abend ganz alleine
Verfunken ernst in seiner Leiden Qual,
Verdumpfet und erstarret wie zum Steine.
Am Felsengipfel flammen stumme Blitze,
Aus schwarzen, schweren Wolken angefacht,
Der Gießbach fällt aus wild geborstner Ritze,
Und murmelnd schwätzt die Weide in die Nacht.
Im Grase drüben weiden dunkle Pferde,
Ihr Hirte streicht den Hund beim Laubwerkfeur.
“Ach wie!” spricht Faust und stampfet auf die Erde,
“Wie graut mir vor dem Höllenungeheuer!
Wie lockt er mich! Verflucht sei diese Gluth,
Die er in meiner Brust zu zünden wußte,
Der list’ge Bube kannte mich zu gut,
Und war’s gewiß, daß ich ihm folgen mußte
Wie war die Nacht so wild verführerisch
Und reizend lag im Mondenschein die Welt,
Ein Wollufthauch umfing mich köstlich frisch:
Mein einsam Leben war mir gleich vergällt —
Verflucht sei mir die ungeheure Nacht,
Verflucht der träumerisch milde Mondenschein,
Der Sünde Fluch, des Teufels Macht,
Verflucht dies schwanke menschliche Gebein!
Mir pocht das Herz, es wird mir dumpf zu Sinnen,
Und meine thränenlosen Augen glühn,
Ich muß der schauderhaften That entrinnen,
Ich muß in dieser Nacht entfliehen!
Er sprichts und deckt die Augen mit der Hand,
Da flammt blitzhell ein Bündel Laub empor,
Sein wüster Schatten färbt sich auf dem Land,
Und rings der schwanken Bäume nächt’ger Chor.
Sein wildes Denken treibt ihn ab und auf,
Er athmet rasch, da scheint’s ihn wild zu fassen,
Zur Wiese nimmt er seinen Lauf,
Wo um den Hirten her die Pferde fraßen.
Er schwingt sich auf ein Roß mit Sturmesschnell
Ob sich’s auch bäumt, fest hält er in den Mähnen:
Den großen Hund hetzt nun der Hirte schnell,
Das schwarze Thier mit blendend weißen Zähnen,
Der heult und hascht, das Pferd jagt wild davon,
Der Hund ist auf dem Tritte hinterdran.
Von ferne rauscht des Donners dumpfer Ton,
Doch nichts erschrekt den Reitersmann.
Die Mähne wirbelt, seine Haare fliegen
Jetzt sprengt er wild den Fels hinan,
Den kaum ein kund’ger Ziegenhirt erstiegen,
Er spornet blutig, und es ist gethan. —
Fort saust es auf dem steilen Felsenrücken,
An dessen Fuß der Gießbach wild entbrennt, —
Der Hund verschwand — da fühlt er ihn umdrücken
Zween magre Arme, welche wohl er kennt.
Er kennt die Finger, die ihn so umkrallen,
“Weh mir!” ruft er: “er ist’s der grause Wicht,
“Hinfort! Hinfort!” und seine Sporen fallen
Dem Gaul ins Fleisch mit eisernem Gewicht,
Die Wolke fliegt, die Mähre stürzt dahin.
Allein Mephisto weiß so fest zu sitzen,
Das rothe Mäntlein sieht man glühn,
Es schwirrt die Feder auf der gelben Mützen;
Da fehlt das Roß, geblendet von den Blitzen.
Es fällt und stürzt hinab die Felsenwand,
Es überschlägt sich und die Wellen sprützen
Hoch über Faustus und den Höllenbrand. —
Die Fluth reißt wild das Pferd von Fall zu Fall,
Die beiden stehn geborgen auf dem Stein.
“Ihr wilder Doktor, Teufel noch einmal,
Wohin so toll? Kaum holt’ ich euch noch ein!
Dankt mir’s, daß ich en croupe bin aufgestiegen,
Sonst würd’t zerschmettert ihr im Trümmergrunde liegen.”
Faust seufzet tief in Traurigkeit
Und ringet aus das schwer durchnäßte Kleid.
Der Sturm tos’t fort, die Blitze werden dichter,
Vielfält’ger Donner tönt den Blitzen nach;
“Schneid’ mir nur nicht so gräßliche Gesichter,”
Spricht der: “und suchen wir ein heimlich Dach!”
 
      Sie kam’n zu einer Hütte, die im Grunde
Am einem dunklen Röhrichtteiche liegt;
Im kleinen Fenster glänzt um diese Stunde
Ein matter Strahl, der sich im Teiche wiegt,
Mit grasser Blitze hohem Widerscheine —
Der Donner brüllt, und wie sie näher treten,
Gewahren sie bei einer Lampe Scheine
Zwei junge Mädchen, welche innig beten.
Das bunte Heiligenbild klebt an der Thür,
Marias Bild mit goldner Gloria,
Bestaubt, geschwärzt vom Rauch, ohn’ alle Zier,
Die beiden liegen tiefer Andacht da.
Und wenn die Blitze sengend niederglühen,
Dann zucken sie entsetzlich zum Erbarmen,
Und heben sich empor auf ihren Knieen,
Als wollten sie das heilige Weib umarmen. —
Wie eifrig murmelte ihr süßer Mund;
Wie fieb’risch greift zum Küglein ihre Hand,
Wie seufzen innig sie aus Herzens Grund,
Daß im Gebet der Athem schier entschwand. —
Zerrollet ist der Locken reiche Fluth,
Zum holden Busen wallt sie frei hernieder,
Ihr Aug’ blickt wirr in ihrer Andacht Gluth,
Die jeder Donner neu erreget wieder. —
“Sieh!” flüstert Faust, der unverwandt geblicket
Ins Fensterlein, “das wäre meine Wahl!
diese hier, wie hat sie mich berücket,
Die hierher kniet, am Lid das dunkle Maal!
Wie schwärmt der holde Blick in lichten Flammen,
Und senkt sich dann so still bescheidentlich.
Die Wimpern schließen friedlich sich zusammen,
Sie übergiebt der milden Göttin sich! —
Ja! Die ist schön! Ich fühl’s, daß ich sie ehre,
O schau! Wie sie die weiße Hand zerringt;
Nun komm! Nun komm! Daß ich nicht mehr begehre,
Und mir der tolle Busen nicht zerspringt!”
“Wollt ihr sie Doktor, ‘s ist zwar nicht Kleinigkeit,
Ich scheue das Gepinsel an der Thür;
Doch bin zu allem euch ich gern bereit,
Sobald’s nur thunlich ist und mit Manier!”
Faust schweigt; sein Herz pocht laut und ungestüm,
Er schaut das Mädchen starren Blickes an,
Und seufzet tief; nun lacht das Ungethüm,
“Nur nicht so toll: sollt ja die Dirne ha’n!
Da gehe drüben auf die Felsenplatte,
Und warte bis ich komme mit dem Mädel;
Doch daß dich nicht die Langweil’ ermatte,
Nimm mit dir diesen schönen frischen Schädel!
Er ist der mein’ nach aller forma juris,
Ich schlepp, ihn eine Weile schon herum,
Ihr präparirt den nervus facialis,
Dazu meintwegen den Trigeminum!
“Nein,” redet Faust, “heut laß den Schädel sein,
“Im Herzen lebet mir das holde Bild
Der schönen Betenden: von Lust und Pein
Ist meiner Seele tiefster Grund erfüllt!
O könnt’ ich wie das holde Mädchen büßen!”
Er spricht’s und steigt zum Felsgeröll,
Die Hütte liegt zu seinen Füßen,
Und drum herum hinkt nun der Teufel schnell —
Faust senkt den Kopf und spielt in seinen Träumen,
Ihm hats die schöne Büß’rinn angethan,
Er weilt mit ihr in lieblich klaren Räumen,
Ihr Athem wehet seine Wangen an.
Da tönt ein wüst Geräusch im Felsenthal,
Er schaut hinab: die Hütte steht in Brand;
Im finstern Teiche spiegelt sich der Strahl
Der Flamme, die hoch auf gewandt.
Dann beugt sie sich des Sturmes wilder Last,
Der schwer und ungeheuer auf ihr wieget;
Bald an der glüh’nden Wurzel sie erfaßt,
Bald rechts und links von oben sie zerbieget —
Die Ziegen blöken und ein bänglich Schrei’n
Von Menschenstimmen hört er matt erklingen;
Er schauert: angstvoll zittert sein Gebein;
Nicht all das kann er niederringen;
Unmächtig seiner Sinne sinkt er nieder,
Wenn auch noch lohe Blitze schießen,
Die Flammen fast bis an den Fuß ihm sprießen,
Und wilder Donner hallt von jedem Berge wieder. —
 
      Als Faust erwacht am Morgen trüb und kalt,
Find’t er nicht mehr sich auf der Felsenplatte,
Er ist in einem wilden Fichtenwald,
Den er noch nie zuvor gesehen hatte.
Mephisto kauert wachend dicht daneben,
Noch häßlicher sieht er heut Morgen aus. —
Er ist verdrüßlich: ungeheuer heben
Die schwell’nden Lippen sich in Hohn und Graus.
Der, ob vor Kälte schaudernd, spricht
“Und nun, wo ist die schöne Magd?
Was du versprachst, du hältst es nicht,
Und warst doch gar so eifrig auf der Jagd!”
“O frag mich nicht,” sagt jener mit Verdruß
“Für diesmal ist das Wildpret mir entgangen, —
Zum wenigsten ward mir doch der Genuß,
Daß sie im Teich ersoffen, diese Rangen! —
Doch laß nur das, laß die verfluchte Dirne,
Mein Wort, daß ich dich reichlich schadlos halt’:
Drauf trink den Becher hier von edler Firne
S’ist diesen Morgen gar so höllisch kalt!”
 
Calvari
 
Aus finsterm Wald, am schwarzen dumpfen See,
Erhebt’s sich nackt zu eines Berges Höh’:
Dort oben bleichen alte Kloster-Ruinen:
Es sind zerspaltne Marmorsteine;
Zerfetzt Gebild von Himmelsköniginnen,
Und halb verkohlte, schwarze Heiligenschreine. —
Von Allem, blieben noch drei dunkle Säulen
Auf hon’n basaltnen Fußgestellen, —
Doch oben abgebrochen, dreien Pfeilen
Vergleichbar, die das ferne Ziel verfehlen,
Die mit den Spitzen in dem Boden stecken;
Und von hier oben war zu überschau’n
Der düstre See mit seinen Tannenhecken; —
Als nun gradüber aus dem nächt’gen Graun
Der Mond sich hob ob schwarzer Wolken Rand,
Ein Todtenkopf auf düsterm Grabessand;
Und über See und Wald sein Schimmer strich,
Am Fuß des Bergs ein einsam Pärchen schlich,
Faust und Mephisto: dieser unverdrossen
Doch jener matt und unentschlossen
Der Teufel geht vorauf, sein Mäntelein
Fliegt in dem Wind, und stolpernd hinterdrein
Gesenkten Hauptes mit getrübtem Blick,
Kommt Doctor Faust: ihm brechen fast die Knie,
Er flucht in seinem Barte dem Geschick,
Gott und dem Teufel: “o Mephisto sieh
Das schöne Moos,” spricht er, wohin wir gehen,
Gelangen wir noch immer allzufrüh:
Ich dächte besser blieben hier wir stehen;
Und ruhten uns im Moos: Mephisto blickt
Sich lachend um und spricht: “Du armer Gecke,
Oft hast du unter deines Bettes Decke
In heimlich stillen Räumen ganz entzückt
Von solcher Nacht gesprochen, als wie diese,
Hast Raum und Schlaf verfluchtet: Dich gesehnet,
Daß rege Welt sich deinem Blick erschließe,
Mit solcher Inbrunst, daß dein Aug’ gethränet!”
Der hatte schon sich in das Gras gedehnet,
Er war zu müd’, der arme wilde Knabe,
Wie so er lag’: und in begier’gen Zügen
Einsog des Schlafes Wunder: Labe! —
— Der Teufel, ließ ihn dorten liegen,
Auf zu dem Berge stieg er aus dem Hain,
Und setzte sich auf einem Trümmerstein.
— Weithin erstrahlt im Mondlicht die Mantille:
Und wie er mit den scharfen, blanken Sporen
Am Steine hämmert, schwirrt es durch die Stille;
Ein Rauschen tönt zu seinen Ohren. —
Ein dunkler Ring von flatternden Gestalten,
Umweht von langem, wirren, schwarzen Haar,
Wind’t sich empor aus der Ruine Spalten
Zahlloser Menge, Paar auf Paar. —
Schon ist der Teufel mitten unter ihnen,
Er führet das gespenst’ge, wilde Heer;
Sie rauschen nieder von den Bergruinen,
Und jagen ob dem See wild umher.
Wie sich nun da entspinnt ein seltsam Regen!
Im schwarzen Spiegel des Gewässers flechten,
Sie sich das wirre Haar, und zierlich legen
Die reichen Zöpf’ sie an den magern Kopf.
Wenn nun aus den unzähligen, Geflechten,
Der müden Hand entrollte sich ein Zopf,
Da ring’n sich in des Waldsee’s dumpfen Wellen,
Zahllose Kreise die am Strand zerschellen. —
Zurück zum Berge rauscht das wilde Heer,
Zum Boden lassen sie vom Flug sich nieder,
Ein ungestümer Tanz beginnt nunmehr,
Wie er sich mag begeben nimmer wieder;
So viele Paare, so unendlich viel;
Als Flocken Schnee der Nordwind je getrieben:
Und immer steigt das schaurige Gewühl,
Von nah’ und fern, von hüben und von drüben
Mephisto ist von ganzer Seel’ vergnügt:
Die mittelste von den drei Trümmersäulen
Steigt er hinan; wie er sich äffisch schmiegt
Um das Gestein, gleich einem Jesus, eilen
Flugs zu den beiden seitlichen Basalten
Noch zween andre nächtige Gestalten.
So stellt das grasse Teufelskleeblatt dar
Die Schädelstätte von Calvar’,
Und höhnt mit schauderhaftem Spott
Den Menschensohn, den schmerzensreichen Gott.
So raset rastlos fort das wilde Spiel,
Wer es gesehn, dem wirbelten die Sinne.
Noch immer wächst das schreckliche Gewühl,
Im hellsten Mondlicht flimmt des Berges Zinne;
Und Faust verträumet all’ den Saus und Braus,
Er strecket sich, als läg er still zu Haus.
 
Dolores
 
Im Mondenschein gehen sie durch eine Gasse
Selbander in dem nächtigen Florenz.
Hier steht in wirrem Kreis die Häusermasse,
Ohn’ Plan gesetzt, und ohn’ Intelligenz.
Schaut, sagt Mephisto, der ein wenig trunken,
Schaut diese wüsten, nächtigen Spelunken.
Die kennt ihr nicht, mein grundgelehrter Mann,
Doch ich hab’ da recht meine Freude dran!
Wie kunstgemäß in langem, schlanken Kreise
Das Höllennest gefügt auf seine Weise:
Wie es sich klüglich in einander windet,
Und eine Schlange, die den Schwanz sich beißt,
Sich in sich selber schließlich wieder mündet!
Seht jenes Haus, es gleichet allermeist
Dem platten, breitgedrückten Schwanze,
Und dieses hier, die ganz vulgäre Pflanze,
Ist recht zu Jedermanns Erbauen
Als wie ein kluger Schlangenkopf zu schaun.
Lobsinget, wem ihr wollt, in salbungsreicher Weise,
Daß wir hierher gelangt auf uns’rer Reise.
Ihr schweigt verächtlich, o! Ich hör’ euch flüstern,
“Nach solchem Oertlein war ich lange lüstern!”
Florenz! Florenz! Du kleine Höllenwelt,
Ich bitt’ den Teufel, daß er dich erhält!
Faust
O siehst du dort den hübschen jungen Knaben?
Sein Antliß ist besond’rer Weise schön!
Mephisto
Gar schön und liebenswürdig; doch sie haben,
und kannst noch selbst die grassen Spuren sehn,
Das süße Herz ihm aus der Brust geschnitten.
Er hat nichts mehr als nur ein feines Leibchen,
Priap’sche Lüsternheit und freche Sitten.
Faust
Die Augen sind zwar sanft als wie die Täubchen,
Doch soll’n sie mich wahrhaftig nicht berücken,
Mir ekelt schier vor diesen Bettlerblicken!
Mephisto
Doch denket auch, der hat als Ideal
Als Prosopopoeie all’ Fehler auf einmal.
Faust
So find ich dich ein Schild an Kneipenthüren,
O Eros! Eros!
Mephisto
      Laßt’s euch nur nicht rühren:
Auch so ist er charmant in seiner Art,
Und zupft und zaust euch kecklich euren Bart. —
Doch wohl merkt auf, mein tiefgelehrter Mann
Ich führ’ euch jetzt, die Gunst ist nicht geringe,
Und bitt’ ich, daß ihr öfters denkt daran,
Zu ‘nem erotischen, besondern Dinge:
Wenn die eur Herzlein nicht bestrickt,
So saget dreist, mir sei noch nichts geglückt! —
Wißt, daß sie ein grundaus verdorben Ding,
Wenn ich das sag’, so scheints euch nicht gering.
Doch wett’ ich, mein erfahrener Geselle,
Erzählt sie ihre rührende Geschichte
Die wunderbaren, seltnen Schicksalsfälle;
Es gleichet einem euerer Gedichte;
Wie sie in dieses kleine Haus gekommen;
Sie hat euch gleich mit Sturm genommen.
Doch denkt zur Vorsicht noch daran,
Wie sie es euch erzählt, erzählt sie’s Jedermann.
Faust
Ich leugn’ es nicht, sie interessirt mich schon,
Und mich verlangt’s den Lebenslauf zu hören
Durch den, wie ihr es meint mit keckem Hohn,
Sie so gewißlich werde mich bethören.
Doch wißt ihr, wie so blöd ich auf Visiten
Und an den Eingangsformeln nicht zu reich,
Um mir Verlegenheiten zu verhüten,
Sagt mir des Kindleins Namen allsogleich.
Daran schließt sich für mich vielleicht ein Wort
Von hoher Ahnung, kurz ein Kompliment,
Leicht spinnt sich dann die Unterhaltung fort,
In der ihr oft mich schrecklich fade nennt.
Mephisto
Den Namen werd’t ihr früh genug erfahren,
Sie wird euch selbst die Frage danach sparen.
Auf ihren schönen Namen hält sie sehr,
Und treibt damit ein ungeheu’res Wesen,
Zu Tode quält sie einen mit der Begehr,
Man soll ihn gar auf ihrer Stirne lesen.
Sie find’t ihn gar so hübsch so weich,
Und wie sich selbst vor Weh und Schwermuth bleich.
Hier klopft —
      sie klopfen an ein niedres Haus:
Zum Guckloch blinzt ein altes Weib heraus,
Sie weiß die Herr’n und ihren Wunsch zu ehren,
Und öffnet ihnen schleunigst nach Begehren.
Zween Thüren fliegen auf: im blauen Zimmer,
Sitzt schöne Donna auf dem Sophaende,
Den Lockentopf gestützt in beide Hände,
Umglänzt von heimlich matten Kerzenschimmer.
Faustus tritt ein: indeß im Corridor
Im Haus verwandt, Mephisto sich verlor.
Das Weib ist schön: ein orientalisch Kleid
Verhüllt des Leibes schlanke Zierlichkeit,
Das Auge schwimmend wie in ew’gen Thränen,
Der Busen halb entblößt, und üppig weich,
Erklingend oft vom Ach! In tiefem Sehnen.
Die Stirne rein, die Wange schmachtend bleich.
Faust neiget sich gar höflich und galant,
Und weiß, mit schönen Damen unbekannt,
Im Anfang sich nicht gleich zu fassen,
Den tölpisch langen Arm zu lassen. —
Die Donna dankt: ein Lächeln überfliegt
Die Züge, die die Schwermuth so besiegt,
Als träumt sie ewiglich von düsterm Leid,
Entbehrend jeder Luft und Freudigkeit.
Doch nöthigt sie mit vieler Gratie
Den guten Doctor auf das Kanapee
Sie schaut ihm lang’ in Aug’ und Angesicht:
Sennor, sagt sie: verdammt mich nicht,
Weil ihr in diesem Raum mich findet,
Habt ihr mein Leid mein Weh’ ergründet?
Errathet ihr nicht meines Namens Laut?
Ich bin die ewig kummervolle Braut.
Faust
O sicherlich, daß ich’s errathe,
Du himmlisch schönes Weib! Du heißt Agathe!
Madonna
Agath’ ist gar ein schwermuthssüßer klang
Ein schöner Name, den ihr wohl gewählt.
Ich denk’ Agathen bleich und liebeskrank,
Doch ist’s nicht der, den Ahnung mir vermählt.
Ich heiß’ Dolores — — an dem Felsenstrande,
Daran Granadas schönes Meer zerrann,
Erstand, sein Name war La stella grande,
Des Vaters Schloß, in dem mein Sein begann,
Ein weiter Bau, gefüget sonder Regel
Von vielen Meistern, die verband kein Plan. —
Hier hob ein Thurm sich ründlich wie ein Kegel
Mit halben Mond, und welche ragten hier
Mit einer Spitz’ geschliffen scharf wie Nägel.
Saht von dem fernen Berg das Bauwerk ihr,
Mit all’ den Monden und den Kreuzeszeichen:
Hättet gerufen ihr in das Gewirr:
Dort unten auf dem Meeressand, dem bleichen.
Dort liegen Türken still und reuevoll
Vor Kreuzen aus des Heilands heil’gen Reichen.
In diesem wundersamen, reichen Baue,
Welches nach vorn das Mittelmeer umfing,
Und das die Sierra bis zum fernsten Blaue
Des Horizonts im Hintergrund umging,
Verlebt’ ich meine Jugend: und ich schaue
In stiller Wehmuth auf den schönen Ring
Der Augenblicke, die mir dort verstrichen.
Ich war so schön und froh, und an mir hing
Ein Mutterherz, o wär’s es nie verblichen!
Und Saïd! Schöner Maure — doch vergebet,
Ist mir der Faden aus der Hand gewichen!
Und du mein Vater! wehe, weh! vergräbt
Denn nimmer Erde diese blut’gen Hände
Wie sich das stolze Löwenauge hebt,
Es nagt der Zahn die väterliche Lende —
O Gott! Verleih mir Kraft — in unser Haus
Kam als ich eben überschritt, die Wende
Des Mädchenthumes: und in Grabesgraus
Schon längst der Mutter Busen sich gekühlet,
Ein schöner Sklave, Saïd — — seht hinaus
Schaut hin, wo an der Scheib’ der Vorhang spielet,
Es ist sein Antlitz, o! So bleich entstellt!
Und seine dunkeln Bärte sind zerwühlet,
Ich schwärme, träum!, ach! diese kleine Welt
Von mädchenhaften, simpelen Gedanken,
Vor diesem Angesicht in Trümmern fällt.
Die Augensterne sind es diese blanken,
In die ich an des Meeres Felsenstrand
Geschauet lange Stunden: bis sie sanken
Zu stillem Traum: o! er war zu galant!
Und bald verband uns innig süße Liebe.
Wenn ich mich so in seinen Armen wand,
Von Himmel strahlt der Stern der zarten Triebe!
      Mein Vater sorgte wenig nur für mich.
Es war ein hoher, ernster, stummer Mann.
Sein düstres Auge war oft fürchterlich,
Die langen Tage saß er still und sann,
In einem Zimmer, zu dem Meer gekehrt.
Das Fenster, das vom Boden schon begann,
War schwarz verhängt, vom Lichte abgesperrt,
Und dennoch wußt’ er alles was geschah
Im weiten Schloß: auch hat’s nicht lang gewährt,
Daß ich mit Saïd mich verrathen sah.
      O wenn die Worte sich in wahnsinnsbleiche
Weibsbilder mit zerfleischten wilden Haaren
Verwandelten: und mit bachant’scem Streiche
Die Brüste geißelten! Seht ihr sie fahren
Die Jungfrau in dem Kahn dem flügelleichten.
Ein Jüngling sitzt am Ruder: und sie waren
Schon außerhalb der Brandung: schwer umkeuchten
Gestades: es ist Saïd, der die Pinne
Des Steuerruders lenkte, und mir neigten
Sich die Antennen: in der glatten Rinne
Lief flink das Seil, so flohen wir die Rache
Des Vaters, und die mondumstrahlte Zinne;
Denn unter afrikan’schem Palmendache
Gedachten wir als Mann und Frau zu leben,
Und freuten uns zum sel’gen Laubgemache.
Die Gondel flog in mächtig wall’ndem Heben
Und Senken: voll das Segel, und ich hatte
Zum Steuer neben Saïd mich begeben,
Umschlang den Hals ihm: und mein treuer Gatte
Hielt sanft das Haupt auf meine Bruste geneiget,
Und da! — — o unterstütze mich die matte,
Daß meine Zung’ dem werthen Herrn nicht schweiget,
O gnäd’ger Allah, der du’s so beschlossen,
Allmächtiger Gott! Dem sich der Maure beuget —
Ein Strom von Blut kömmt gluthenheiß geflossen,
Auf meine Brust ein harscher Knall erdröhnet,
Und Saïd war tief in die Stirn geschossen. —
Am dunkeln Fels das Echo heiser stöhnet.
Und als ich rückwärts zu dem Schloß geblicket,
War mir’s, als wenn der Vorhang, der erwähnet,
Am hohen Bogenfenster sich gerücket
Aus seinen Falten; und ich hab’ gesehen
Den letzten Streif des Antlitz’s — — und genicket
Hat mir das schwarze Aug: — — indeß im Blähen
Der immer kühlern, abendlichen Brise
Flog jäh der Kahn: und bald darauf vergehen
Des Schlosses letzte Schatten: o nun fließe
Du Thräne, die die kalte Hand der Leiche
Mir frei nicht gab, die mir der Schmerzens-Riese
Verhielt: es war als ob der purpurreiche
Blutstrom in seiner königlichen Fülle
Beschämt’ die Thrän, die schwesterliche bleiche.
Weh diese Nacht, da in der dumpfen Stille
In wilderregter, schaumgekrönter Welle
Gedankenleerem, träumerischen Spiele
Die Leich’ im schwanken Arm mit Geisterschnelle
Ich durch das afrikan’sche Meer gejagt;
Und seine Hand hielt fest noch an der Stelle
Des Steuergriffs da hab ich mir gesagt,
Es ist der Tod Dolores! der dich führet;
Habt ihr ein Herz von solchem Weh zernagt,
Und eine Brust, drin solche Gluth geschürt!
      Am Segel hatt’ ich wenig nur zu rücken,
Ein schwerer Traum in tödtlicher Gestalt
Verwebte sich vor meinen trüben Blicken.
Und als der Morgen frisch heraufgewallt,
Da ich erhob die schweren Augenliede,
Machte mein Kahn schon auf dem Strande Halt,
Im Arme ruht’ mir noch der todesmüde
Saïd: Saïd, wir sind an Ort und Stell,
Am flachen Strand spielt Schwesterchen Zaïbe!
Doch Saïd schwieg, und ich besann mich schnell.
Das Ufer war gar seltsam anzuschauen,
Als wenn das Thier dort mit dem schwarzen Fell,
Das riesige Gebirg sich auf der grauen
Düne gewälzt — denn Brandung war hier nicht;
Die Wogen rollten sich in langen, blauen
Streifen zur Küste. So im Morgenlicht
Saß einsam ich auf afrikanschem Strande,
Und hielt aus Leid die Hand mir vor’s Gesicht.
Die Sonne ruht schon auf dem höchsten Rande
Der Zacken des Gebirges: wie ein Mohr
Gezeugt in diesem afrikanschen Lande.
Ein tiefgefärbter, unterthän’ger Mohr
Eilet herab zu mir sein finstrer Schatten.
Ich sitze schaudernd: wage kaum empor
Zu schaun und dränge fest mich an den Gatten. —
So war von Tod und Schatten ich umringt;
Doch als die Dunkel sich zerstreuet hatten,
Lös’ ich die Hand, die ihn noch fest umschlingt,
Vom Steuergriff, und glaubet ihr’s, ich lade,
Wenn tausendmal auch in die Knie sinkt
Mein schwanker Leib, den Todten auf und bade
Ihn in den Armen durch den feuchten Sand. —
Und laß ihn nieder landwärts vom Gestade,
Wo eine halb verdorrte Tanne stand.
Es war gluthheiß, ich sinke hin daneben,
Und mein Bewußtsein bald im Schlummer schwand.
Da träumte mir wie nimmer noch im Leben!
Die Sonne stand im glühenden Zenith:
Und nach ihr sah den rothen Mond ich schweben,
Die schönste Blum’ in ihrem Strahl verglüht;
Der Stengel wurzelt in dem Meeresgrunde
So lang und schwank; da trat zu mir Saïd:
Einen Löwen führt er an dem Turbanbunde,
Dem blutbesprützten: sah mich liebreich an,
Und sprach zu mir aus seinem schönen Munde:
“Mein Bruder und mein Rächer!” drauf begann
La stella grande meinem Blick zu zeigen
Die wüsten Formen: o und was ersann
Mein Traum! vielfältiglich sah ich den Löwen steigen
Auf jeden Thurm, am Hals das Tuch, ein Drehn,
Ein Tanz begann, ein ungestümer Reigen;
Als wie ein Wetterhahn im Sturmeswehn
Umhergeworfen, und mein Vater nickte,
Am Fenster stehnd den Takt in das Gedröhn.
Darauf erwach ich: als ich um mich blickte
Da kauert sich ein Löwe bei der Leiche,
Wie der im Traum: ich seh das unverrückte
Gluthaug’ geheftet auf mich starre, bleiche;
Und aus dem Hals hing ihm die Flammenzunge.
Ich fasse Muth, und als ich ihn erreiche,
Mit einem wild verzweiflungsvollen Sprunge
Schling um den Hals ich ihm die beiden Hände, —
Und seufze tief aus schwer beengter Lunge:
Mein Trost! Mein Traum! Der du für mich elende
Von ihm gesandt zum Rächer bist: verlasse
Mich arme nicht: gnadenvoll dich wende!
Hier trink aus meinem Mund von meinem Hasse! —
      — So sprach ich zu dem königlichen Thier,
Und jammervoll geberdet’ ich die Glieder.
Mit solch inbrünstig lodernder Begier
Nach der Erhörung sank noch niemand nieder.
Und auch kein Büßer den Triumph errang,
Daß solche Gnad’ ihm dafür wurde wieder. —
Als ihn mein Arm so eng und fest umschlang,
Schloß er das Aug’ in schweigendem Gefallen,
Und reckte sich und machte sich so lang,
Ich ließ nicht nach: an niemand wohl von Allen
Verschwendet’ ich belohnter meine Zier.
Ich sehe noch die hohe Mähne wallen.
Und wie auf Knien den hehren Fürst vor mir.
      — — Drauf dacht ich, daß wohl Zeit es zu bestatten
Meinen Saïd in dem Vaterlande hier;
Und nähert’ also trauernd mich dem Gatten,
Und hob ihn auf und will ihn mühsam fort
Landeinwärtts tragen, aber meine matten
Glieder gehorchen nicht: und als ich dort
Zu Boden sink’, und mir die Hände beben
Und ich zu Gott mich wend’ der Gläubigen Hort:
Steht wiederum der Löwe dicht daneben,
Und beugt den schlanken Leib, als wenn er sagt;
Mir kannst Du ja die Leich’ zu tragen geben
Ich heb sie nun und wo die Mähne ragt,
Da, bind ich fest den Kopf des theuren Mauren:
Mit seinem Turbantuch: als wenn es tagt,
So hell war’s in den Oeden: um uns kauern
Sich tausend Schatten: doch bedächtig geht
Der wüste Leichenzug: erblaßt von Schauern
Gedenk’ ich sein: ich geh’ voran, im Winde weht
Mein aufgelöstes Haar: die Schatten alle
Der dürren Bäume neben mir: als steht
Ein Chor von Nonnen um mich aus der Halle
Des finstern Domes, und es folgt zuletzt
Der Löwe mit dem theueren Gemahle. —
Graut Euch vor diesem Zug: wie er gesetzt
Voll Majestät im stillen Mondenscheine
Dahin gewallet: sehet vor uns jetzt
Höhlt sichs in einem dunklen Felsensteine
Als wie zur Nisch’: ich winke und im Nu
Steht still der Löw, ich löse die Gebeine
Und bring sie sorglich in dem Stein zur Ruh.
Nach Osten blickt das Angesicht des Mohren,
Wo seine Kaaba steigt dem Himmel zu:
Die Schatten schwanden; und vor meinen Ohren
Lispelt der Wind, der dürres Laub durchregt:
Der Löwe starrt als in sich selbst verloren,
Und an die Dün’ die lange Woge schlägt — —
      — Monde verstrichen, und ich lebte dort
Genährt von Muscheln und von Vogeleiern:
Des Löwen Treu währt unverändert fort,
Und einsam so gedenkend an den theuren
Gemahl am Strand in düstrer Abendstunde
Web ich den Rachetraum den ungeheu’ren,
Zur Seit’ den Löwen, in dem Herzensgrunde.
Wie hab’ ich oft in’s wilde Meer gesprochen
Bald gellend laut und bald mit leisem Munde! —
Kein Ungewitter war seit jenen Wochen
Wo ich mit Saïds Leiche hier gelandet
Ob Libyas dürren Oeden ausgebrochen,
Es war mein Kahn mir unzerschellt gestrandet. —
Einst steh’ ich auf in stiller Mitternacht,
Als über mir ihr Sterne flammend standet!
Ich seh’ mich um: des Kahnes Segel flaggt,
Ein weiß Gespenst, erregt von einem Winde,
Der sich im lauen Süden aufgemacht. —
Nun tret ich in die Barke; und geschwinde
Folgt mir der Löw’: mit einer Ruderstange
Lös’ ich den Kiel vom Sand’ dreh’ an der Winde
Des Seegeltau’s, daß sich der Zug mir fange.
Fort rauscht der Kahn, ich schau zum weißen Strande,
Und in das flammende Geleise, lange
Verschwand er schon; ich streichle mit der Hand
Den Löwen der zu meiner Seite stand.
      — Und wieder ist es Abend und ich sitze
Mit meinem Freund, dem väterlichen Schlosse
Zur Rechten, auf der hohen Felsenspitze.
Drin war kein Licht und nur im Erdgeschosse
Des mächtigsten aus dieser Thürme Runde,
Der dastand wie ein König in dem Trosse
Des Vaters Schlafgemach, brennt Licht um diese Stunde. —
Ich flechte rasch’ an meinen wirren Haaren
Und schmücke mich mit Saïds Türkenbunde.
Wie Kinder thun, die in der Fremde waren,
Und nun eh’ sie den letzten Weg durcheilen,
Zu seiner Zier die lichten Locken schaaren.
Und drauf verlass’ den Felsen ich den steilen.
Der Löwe wandelt stumm; doch mit dem Schwanze
Schlägt er gar wunderlichen Ring; und Pfeilen
Gleich ich den Blick: jetzt sind wir in dem Glanze,
Der hellen Scheib’: jetzt an der hohen Thür
Und jetzt o Gott! — — — in einem lichten Kranze
Von goldnen Leuchtern steht in heil’ger Zier
Ein offner schwarz umflorter Sarg: und drinnen
Da liegt mein Vater — — o Saïd! — — ich wink dem Thier
Fast unwillkührlich, und wie ohne Sinnen. —
Es stürzt drauf hin! Die matte, schlaffe Leiche
Packt’s in die Kehl: — — ich seh’ es und von hinnen
Stürz’ ich, und flieh, und flieh von wo der bleiche
Vater im Sarge liegt, sein starres Blut
Den Löwen netzt! Wie ich den Strand erreiche,
Werf’ ich hinab mich in die Meeres Fluth. —
Doch da ich wieder zu mir selbst gekommen,
Lieg’ ich auf einem Lager, warm und gut,
Ein kreuzend Schiff hatt’ mich an Bord genommen.
Wie konnt’ ich, Herr, noch wider’s Schicksal streiten
Ich war entnervt, geschwächt bis in den Tod:
Für meinen Gram mußt ich mir Ruh’ bereiten,
Und in Florenz ergriff ich was sich bot!
Ihr find’t mich hier als wie bei Anverwandten,
Im Schmerzenstraum von schwerer Sorg’ befreit,
Ich denke nur an Saïd den galanten,
Obgleich auch Ihr mir gar willkommen seid!
Ihr habt mir so aufrichtig zugehört,
Ich las es wohl in euren offnen Mienen;
Wißt denn daß meine Gunst euch ganz gehöret,
Ihr seid ein lieber — lieber Fremdling mir erschienen. —
Sie schwieg verschämt: in loderndem Entzücken
Greift Faust nach ihrer marmorweißen Hand,
Er darf sie, wie er mag, mit Feuer drücken:
Auch einem Kuß findt er nicht Widerstand,
Auf ihrem holden, himmlisch süßen Munde — —
Und eine lange selige Minute
Ward diesem armen Träumer nun zu Gute —
Er schwatzte schwärmend von dem stolzen Leu’n
Der tief im Herzen heiße Liebeswunde
Gedienet so gehorsam und so rein.
Er leb’ der starke Wächter dieser Holden.
Wo ist das Kloster, das den Nimbuskranz
Um’s stolze Haupt ihm flechte rein und golden
Und schmücke seiner Mähnen dunkeln Glanz!
Die Heiligsprechnung, die Apotheose
Verlang ich fürs das wundersame Thier,
Das diese welke, schmachtend weiße — Rose
Mit Treu bewahrt ein frommer Diener ihr;
Ja dieses Aug’ so glimmt es in Kastilien.
Ein Flammenmeer, aus dem der reine Sinn,
Des Mädchenthumes aphroditengleich
Empor sich schwingt: der Busen wie die Lilien,
Die auf der marmornen Balkone Zinn’
In milder Nacht erblühen himmlisch bleich!
Also der Doktor in extat’schem Courtoisiren
Bis fast die Nacht verdampfet, und es stand
Der Mond schon in des Westens dunkeln Thüren.
In schwarzer Nebel flatterndem Gewand.
Da steht Dolores von den seidnen Pfühlen
Führt zu dem Fenster den entzückten Mann
Den Vorhang, drin die lauen Lüfte spielen,
Zieht sie nach rechts und links zu sich heran.
Und zu dem Mond sie mit dem Finger zeiget:
“O Schwärmerin,” spricht Faustus: “ja sie schwebt,
Die weiße Taub’ an deiner Hand und neiget
Sich wie der zarte Faden, der erbebt!”
Mephisto plötzlich neben ihm sagt leise:
“O Thor, das ist hier nicht die rechte Weise
Du kämest auf der Mimik Deutung nie!
Ich lehr’ dich andere Astronomie.
Die Dein’ge der Sennora nicht entspricht.
Jetzt gilt der Mond ihr nur einen Dukaten,
Und ähnelt, sag’, das Nebelangesicht
Nicht ganz dem Brustbild eines Potentaten,
Wenn auch schon abgegriffen das Gepräge?
Sieb du dein Gold und gehn wir unserer Wege!”
 
Lucretia
 
Später Abend. Faust und Mephisto
 am Fenster einer Klosterkirche.
 
Faust
O sieh Mephisto, sieh dort wandelt sie,
Lucretia Frangimani,
Und traurig ist sie: Wesen hochgeliebt
Sag’ mir; wer hat so tödtlich dich betrübt?
Vor jedem Heil’gen kniet sie betend nieder,
Und lispelt reuig die latein’schen Lieder.
Lucretia! höre! Dein Geliebter sieht,
Wie du dich Gott zu sühnen bist bemüht!
Jetzt nimmt die trauernde das heilige Mahl!
Den langen Schatten, der sich zu mir stahl,
Möcht’ ich an meinen heißen Busen legen,
Gleicht er auch einem häßlichen Phantom,
Verzerrt und schwarz; erhörte milder Seegen
Das fromme Kind im düstern Klosterdom!
Mephisto
Du phantasirst. Doch ich als echter Teufel
Ich hasse diese Magd mit ihrem Zweifel. —
Was hat sie dir gar Großes denn gewährt,
Daß sie also nach reu’ger Sühne lechzet,
Die eklen feuchten Keller spät durchstört
So jämmerlich geberdet sich, und krächzet?
Faust
Schweig höhn’scher Spötter! Diese Büßerin
Ist schön! Mir rauscht es wild durch Herz und Sinn!
O ich bereu! — mich faßt ein fiebernd Sehnen
Nach ihren reinen göttergleichen Thränen!
O eine jed’ ist ein Strom der Himmelsgnade
Näßt ich doch meine Lippen in dem Bade!
Lucretia, ich habe dich gekränkt, mein Leben,
Mein ist die Schuld! dir ist schon lang’ vergeben!
Mephisto
Du armer Schwärmer! — sie gleicht einem Kind,
Das wurd’s nur ein klein wenig kastigirt,
Erbärmlich schreit und heult und toll und blind
Unsinnig jämmerlichen Lärm vollführet.
Dann spricht der Vater: hör! du ringst danach,
Ich geb dir was zu weinen Schlag auf Schlag!
Um das, was du ihr thatst, solche Lamente
Ein Kuß ein Blick; sie braucht wohl noch die Sakramente.
Faust
Weh! Weh! Jetzt langt sie das Flagell hervor,
Nein, dies ertrag ich nicht!
Mephisto
                  So geh’ zu ihr
Dort hinten an dem kleinen Gitter Chor
Steht halb geöffnet der Sakristei Thür. —
      Mephisto sagt’s; Faust folgt dem guten Rath,
Eilt in den Dom, kniet vor Lukretien nieder,
Und spricht: vergieb, daß ich so zu Dir trat,
Doch nimmer treff die Geißel deine Glieder!
Lucretia
Ich soll nicht sühnen, was ich schwer gefehlt,
Mir hast du’s bös im Sinn, in stiller Stunde
Stört weltlich mich das Wort aus deinem Munde!
Laß mich, bis ich zur Tugend mich gestählt,
Und rein mich ring in meiner Schwestern Bunde,
Die sich mit mir dem Himmelsfürst vermählt. —
Faust
Hier öffne meiner Adern glüh’nde Rinnen,
Laß mich zu Tode bluten: dich verschone
Dir, Dir gebührt die Himmelskrone!
Und dich zu geißeln — schreckliches Beginnen!
Hier meine Hand und hier mein bloßer Arm!
Hier lösche sich dein wilder, heißer Harm! — —
      So redet dieser, und noch immer sieht
Mephistos häßlich Antlitz durch die Scheiben
Er höhnt und lacht, wie sich das ziert und zieht,
Und trotz dem allerliebsten, närrschen Sträuben
Spielt in dem Aug’ der roth: Wiederglanz
Der Luft, die in des Herzens Gründen sprüht!
Hier meine Hand — hier mein entblößter Arm —
Ja! hättst du nicht ein Herzchen roth und warm!
Er sagt’s und reibet sich die gelben Hände,
Ich kenn’ den Anfang und ich kenn’ das Ende. —
Die bleiche Büßerin hält Faustens Hand,
“Nein geh!” spricht sie und lasse mich alleine
Ich liebte dich und hab’ es dir bekannt.
Doch jetzt — doch jetzt, bin ich nur noch die Seine!
Faust
Ich geh’, gehorch dir: doch dies eine
Mußt du gewähren, heil’ge, himmlisch reine!
Gieb mir das Lämpchen dort: und laß mich gehn,
Und jene Laub’ im Klostergarten sehn,
In der ich dich erblickte und dich liebte,
Und dir die ernste Himmelsandacht trübte!
Ich seh den stillen, wundersüßen Ort,
Häng’ drin das Lämpchen an, und schleich mich fort.
Lucretia
Dein frommes, kindlich reines Resigniren
Hat mich gar tief gerührt, nein laß mich mit Dir gehen,
Ich will dich zu der stillen Laube führen,
In der du mich zum ersten Mal gesehn.
Ich fühl mich stark! was kann mir dann geschehn?
      Sie langt das Lämpchen von der Säulenblende,
Nimmt Faustum an die Hand; in ernster Majestät
Durchwandelt sie die Gänge die ohn’ Ende,
Und in einander wunderlich gedreht.
Wie war sie schön im dunklen Kleid der Nonne:
So bleich: doch diese klare Blässe glich,
Des Todten nicht, und auch nicht der Madonna,
Der Schmerzensmutter, als der Sohn verblichen
Nicht Marmors Blaß: es war erblaßte Gluth,
Zu streng gefacht vom rothen Herzens-Flügel.
Und ihrer Augen aufgeregte Fluth,
Durchflimmerte ein Wolkenheer ohn’ Zügel,
Der wilde Zug der wogenden Gedanken.
Der Schwärmer Faustus schreitet still daher;
In der Ergebung fromm bescheidnen Schranken
Nun dreht die Thür sich auf der Angel schwer. —
Bald decket sie der Laube dunkles Dach.
Aus des Jasmines schwanenweißer Blüthe
Strömt dumpfig süßer Hauch in das Gemach.
Erbauet war die lieblich stille Hütte,
Aus dieser Blume, die im Ost gezeuget
Im weichen Orient, und seltner Bau!
Von ihr umranket, ernst und düster steiget
Die trauernde Cypress’ ins nächt’ge Grau.
An einen Zweig hängt sie die düstre Leuchte:
So traulich schwebt am finstern Grün ihr Schein!
Sie schweigen, matter Zug des Nachtwinds scheuchte
Die Blätter, Faust fährt auf: “hier warst Du mein!
Ich danke dir, ich habe sie gesehen,
Die Laube meiner selig stillen Träume.
Leb’ wohl! ich geh! jetzt will und muß ich gehn,
Lebt wohl, ihr heil’gen vielgeliebten Bäume! —
Ich fliehe: sinkt der Tag in deiner Zelle,
Gedenk in dämmerlicher Einsamkeit
Des düstern Freund’s: er irrt auf finstrer Welle
Des öden Schicksals: unbegrenztes Leid
Verschleiert seiner Phantasie Gestalten:
Du lebe fort in deinem keuschen Walten!
Bet’ nie für mich: Bet’ nie für mich; es schreit,
Und krächzt ein Höhner das Gebet für mich.
Leb’ wohl! Leb wohl! ich denk gar oft an Dich.
Lucretia deckt die Augen mit der Hand,
Von ihren Fingern fließen heiße Zähren.
Faust wollte gehn; schon hat er sich gewandt:
Sie sagt nicht: bleib! möcht doch zu gehn ihm wehren.
“Nicht Lebewohl! Ich hab’ dich so geliebt.
Ohn’ Lebewohl soll ich verlassner scheiden!
Lucretie! Was hab’ ich denn verübt? —
Sie schweigt in übermäßgem, stummen Leiden
Seufzt tief; Faust greift nach ihren Händen.
Sie spricht nicht, wankt nicht; als mit wilden Küssen
Er sie bedeckt in flammendem Genießen.
Sie ächzt, und ihre Thränen woll’n nicht enden,
Doch spricht sie nicht; sie weint: und wanket nicht,
Tritt nicht zurück, und eilt zum Kloster nicht.
Als er sie wie unbändig an sich ziehet,
Weint sie: Doch tritt sie nicht zurück und schweigt, —
Als Kuß auf Kuß auf ihre Lippen glühet,
Weint sie, doch wankt sie nicht; flieht nicht und schweigt.
Plötzlich vergeht am Zweig die kleine Leuchte,
Gelöscht mit einem pfeifend scharfen Hauch;
Kein Fünkchen mehr, daß es gebrannt, bezeugte;
Auf einmal todt, und schwarz ohn’ Dampf und Rauch.
Die Zweige schütteln duftig schaudernd sich;
Indeß am Tannen-Busch einfältiglich
Die Arm’ auf seiner dürren Brust verschränket
Geht still vergnügt Mephisto ein und aus,
Lächelt behaglich für sich hin und denket:
Er ist der Herrgott bei dem Apfelschmauß.
———
Faust und Mephisto auf einer Hochebene.
Morgendämmerung.
Mephisto
Siehst du, ich habs gesagt! Sie ringt danach,
Nun hat sie was zu weinen Schlag auf Schlag!
Faust
O nicht doch! wiß! mir ist es eine Schmach
Und ärgert mich und dauert mich herzinnig:
Dar arme Kind so schön, so zart, so sinnig!
O wo mag jetzo sie alleinsam weilen
Und beten, jammern und verzweifelt heulen.
Mephisto! hör! Ich fürcht’ es gar zu sehr:
Das überlebt sie nun und nimmermehr.
Noch tönt der grasse Schrei zu meinen Ohren,
Als sie zu spät sich meinem Arm entwand:
Weh’ mir! ich bin auf immerdar verloren,
Es bleibt nur Tod, so sagt sie und verschwand. —
Mephisto
Es kömmt anders als du denkst — doch weißt du wohl
Bei Wasser ist leicht zu verzagen:
So nun, daß dich kein Vorwurf treffen soll,
Rath ich dir diesen Krug ihr hinzutragen.
Der Wein ist schön, und es wird mir gar schwer
Daß ich ihn geb’! alt ist er wie das Feuer
Und stammt mit jenem von der Schöpfung her:
Doch weißt du ja: Du bist mir gar zu theuer!
Ein Trunk: sie ist gerettet, ist befreit:
Das Blut mit lohem Flügel durch die Ader
Gehetzt, erfrischt der Seel’ Lebendigkeit,
Von Nerv’ zu Hirn mit üpp’ger Kraft; der Hader
Verdampft: und reuemüthige Moral
Setzt nimmermehr auf’s warme Herz den Stahl.
Faust
Ich bring’s ihr gern: wie komm ich jetzt hinein?
Mephisto
An ihrem Fenster baumelt eine Leiter:
Sie harrt auf dich, und hält sich ganz allein;
Doch sei auch du zum Morgengruße heiter,
Und schau nicht gar so kummervoll darein
Nun geh! sei klug und laß dich Niemand sehn,
Sonst ist es um das arme Ding geschehn.
 
      Faust geht und nimmt den Krug im Arm in Acht,
Rings um ihn liegt noch tiefe Dämmernacht.
Jetzt steigt empor aus düstrem Nebelgrunde
Bleich und gigantisch, seltsam anzuschaun,
Der Klosterbau, die leuchtende Rotunde.
Laut tönt sein Schritt durch’s nächt’ge Graun.
Im nahen Garten rauscht belebter Zug
Des Dämmerwindes — sonst ist tiefe Stille.
Schwarz sind die Fenster all’, und keinen Flug
Von Schatten bringt die Nacht: denn düstre Hülle
Umflatterte des Himmels Lichtgestalten.
Hier hängt das Seil: Faust stieget keck hinan,
Sein Fuß ist sicher und die Schnüre halten.
Jetzt langt er dem Fenster oben an.
Es ist geöffnet, doch kein Licht erhellt
Den dunklen Raum: Faust ruft Lucretia!
Lucretia um Alles in der Welt
Erwach! dein armer Freund ist wieder da,
Lucretia schweigt, als wenn sie ruhig schliefe.
Faust bebet vor dem hohl erklungnen Laut
Des eignen Rufs, und vor der dumpfen Tiefe
Der bodenlosen Nacht ihm schrecklich graut.
Da seufzt’ es vor ihm: schrecklich seufzt es da,
Wie fährt er auf, als stäch ihn eine Natter
Tief in sein Herz; vernichtend seufzt es da,
Noch einmal und noch einmal todtenmatter;
Ihm schweigt der Puls, und eh’ er sichs versah,
Ist ihm der schwere Krug hinabgeschossen,
Zerspringt am Stein, und eine Flamme schnellt
Sich gelb empor: ersteigt die schwanken Sprossen
Der Leiter und die Zelle wird erhellt.
Er sieht Lucretian auf den nackten Dielen
Dicht an dem Fenster, rothe Tropfen stocken
Am Busentuch, die weißen Hände wühlen
Unmerklich noch in ihren braunen Locken.
Es nagt blitzschnell die Flamm von Sproß zu Sprosse
Und leckt an seinen Sohlen, er erbebt,
Ruft Hülfe, daß es klingt durch die Geschosse
Des stummen Hauses, Glockenruf belebt
Die öde Nacht herab vom Wächterthurm.
Bald läuten näh und ferne Glocken Sturm.
Faust sieht ringsum — er fühlt sich ohn’ Besinnen —
Halbnacktes Volk, mit klagender Gebehrde, —
Gewalt’ge Ströme Wassers rinnen
Aus Haar und Bart ihm und er fällt zur Erde.
———
       In eines Kerkers dumpfigen Gemäuer,
Liegt einsam Faust in stiller Mondesnacht;
Er sieht verstört und blaß, ein Ungeheuer
Von Traum umschwebt ihn, und er weint und lacht. —
Im Hof vollendet sich ein großer Bau,
Ein dürrer Scheiterhaufen ist errichtet,
Die Hölzer sind gezimmert, und genau
Und kunstgemäß ist Alles aufgeschichtet.
Nicht in der Mitte fehlt der lange Pfahl.
Der Mond, der volle, seltsam aufgeregte,
Blickt in des Fensters längliches Oval,
Und wie sich der Gefangene bewegte,
Im Traum die Arme senket und erhebt,
Ein tiefgefärbter Schatten macht’s ihm nach,
Und jeder Laut, den seine Stimme belebt,
Sich vielfach an dem Kreuzgewölbe brach.
Oft seufzt er schwer und ruft “Lucretia,
Du vielgeliebte! bleibe nur da!
Komm nicht zu mir, ich werd dich künftig brauchen,
Bleib still, bleib still und spar dein süßes Blut,
Und wenn ich in der Hölle werde rauchen,
Koch mir davon ein Tränklein kühl und gut!
Siehst du den hagern Greis mit dürrem Arm,
Der harrt auf mich und wird schon ungeduldig,
Leb woht! leb wohl! du meine Lust, mein Harm,
Faustus muß fort, er ist’s dem Alten schuldig!
Hu! wie du blaß wirst, und dein Lockenhaar
Lucretia! Ist eine Wolkenschaar!”
— So faselt Faust, da klopft es an die Thür,
Mit streng gebieterischem Ungestüm
Ernst und gesetzt mit sittsammer Manier
Tritt Freund Mephisto ein, in dem Kostüm
Welches die Herrn Großinquisitoren tragen,
Es fehlt ihm nichts zu dem vollkommnen Staat,
Auch nicht ein Fältchen und nicht Knopf nicht Kragen,
Und die Perück’ vollendet den Ornat.
Faust läßt nicht ab vom wilden Deliriren,
Und spricht so rasch und so veränderlich,
Wie eine Flamme sich im Sturme dreht,
“O Doktor höret auf zu phantasiren”!
Beginnet der: wär nicht Mephisto ich,
Ich selber würd’ von diesem Zeug verdreht!
Du armer Knab’ sitzst erst zehn Tag gefangen,
Dein Bart ist armlang wie mein Pferdeschweif,
Läss’st immer du sobald die Flügel hangen,
Bist du zur Hölle lang noch nicht reif!”
Faust schlägt die trüben Augen auf, erblickt
Die seltsame possierliche Figur,
Die große Kraus’ in Falten fein geknickt
Und der Perücke ungeheure Schur.
Ihm schwand zum andern Mal der schwache Sinn.
Und wieder spricht er wilde Phantasie’n;
Mephisto zupft ihn bei dem welken Kinn;
“Nun, steh nur auf, ich bin ja nur der Teufel,
Nimm hier dies Kleid, drin kannst du leicht entfliehn,
Und überlaß mir alle fern’ren Zweifel!”
Faust seufzet sich besinnend, steht vom Lager,
Und ziehet aus das arme Sünderkleid,
“Verdammt! speicht der, “wie bist du schon so hager;
Wie ruinirt dich noch die Traurigkeit!
Also verwechseln ihre Kleider beide,
Mephisto soll den armen Sünder machen,
Faust sieht sich an, trotz allem seinem Leide,
Muß er als Inquisitor sich belachen.
Und in dem braunen, här’nen Büßerkleide
Des Teufels niederträchtiges Gesicht.
“Nun geh’ spricht der, du ausgedorrter Wicht,
Erwart du auf dein Hügel mich da drüben,
Da kannst du ruhig schlafen nach Belieben!
So geht dir Jedermann gern aus dem Wege
Du hübscher Kerl von der Justizpflege!”
      Faust schleicht davon mit frohem Angesicht:
Im schaurig stummen, dumpfen Frohngelaß,
Spaziert Mephisto ruhig hin und wieder.
Am Fenster steht er in dem Mondenlicht,
Sieht zu dem dürren Scheiterhaufen nieder,
Und schwatzt und lacht und treibet tausend Spaß.
Die Spindelmütz von weißer Leinewand,
Zieht grüßend er, als nickten ihm Bekannte,
Er wirft Kußhände mit der langen Hand,
Als recommandirt’ er sich ‘ner alten Tante.

      So wie es dämmert wird’s im Kloster helle,
Ein Lämpchen zündet sich in jeder Zelle
Man wickelt Fackeln in der Morgenfrüh
Und zupfet Werg, als wäre es Charpie. —
      Und Faustus steht allein,
Auf des einsamen Berges sand’gem Gipfel.
An eines Grabes frisch aufgeworf’nem Rain.
Schwarz ist der Himmel, Sturm durchbraust die Wipfel
Er sieht den Hügel ohne Schmuck und Zier,
“O!” ruft er aus: “Die Ahnung sagt es mir,
Hier ruht Lucretia, mein theures Leben!
Seh’ ich dies arme Grab sich nicht erheben,
So sorglos aufgeworfen und geründet,
Als wie der Wandersack dem ungeliebten Kind,
Geschnüret und gepacket ist geschwind!
Ja hier ruhst Du, für die mein Herz entzündet!
Ich möchte Dich umarmen noch als Leiche!
Vergöttert Dich so ewig meine Liebe?
Wie oft wenn ich beschaut das starre, bleiche
Reliquium der wunderbar’n Getriebe
Im stillen Saale der Anatomie,
O so entgöttert, so entblättert waren sie!
Und nimmer Schauer ich empfand,
Wenn ich erfasset ihre kalte Hand!
Dort hab’ ich viele Nächte zugebracht,
Ohn’ daß die Wimpern zuckten: unvergessen
Blieb mir der Zweck der stillen Forschungsnacht.
Ich bebte nie und war frivol, vermessen!
Und sah nur träge, dumme, dumpfe Masse.
Ein wild Gewirr von Nerven und Gefäßen,
Und nicht entsinn’ ich mich, daß ich zum Hasse
Zu Abscheu, Liebe wär’ geneigt gewesen!
Doch Dich Lucretie! Dir möcht’ auch so ich sehen,
In Dein geliebtes Angesicht das bleiche:
Umlispelt mich nicht Deines Athems Wehen,
Wär’ es genug, daß ich die Hand Dir reiche!
— — Doch weh mir! Daß der kalten fünfe Zahl,
Die Flamme noch in meinen Pulsen zündet,
Aus Grabesnacht ein geisterheller Strahl,
Der Lieb’ den Weg in meinen Busen findet.
Soll ich Dich ewig lieben! wird Dein Leib
Mir nie zur Leiche und bleibt ewig Weib?”
———
      Da tönt ein ungeheueres Geheule,
Empor zu Faustus aus dem Klosterthal,
Und eine riesenmäß’ge Feuersäule,
Flammt hoch empor mit blendend hellem Strahl.
Wie jauchzten unten die im Henkermuth!
Doch sieh! Da wächst ein ries’ger Priapus
Ein glühender Colossus aus der Gluth
Bis an die Wolken fast in schnellem Schuß.
Die Klosterfrauen fliehen durcheinander,
Und jammern schrecklich ob der Zauberei; —
Da steht so frisch als wie ein Salamander,
Mephisto neben Faustus frank und frei.
Er will zerbersten schier vor tollem Lachen;
“Sahst du,” sprach er: “sahst du den Priapus,
O den verkohl’n sie nie, wie sie’s auch machen,
Und was war’s mir für höllischer Genuß,
Wie sie so schuldbewußt die Augen wandten,
Und in einander floh’n in Angst und Graun,
All’ dieses Volk, und viele Vettern, Tanten
Der Klerisei, die hier, sich zu erbaun
An deines Leibes süßem Fettgeruch
Versammelt waren mit dem Singebuch. —
Der Lärm tos’t fort, die Flamme jagt im Sturm,
Die Asche sinket, man beginnt zu läuten
Die Glocke zum Gebet vom alten Thurm,
Den bösen Spuk zu ban’n für ew’ge Zeiten.

      Halb wach liegt Faustus in der nächsten Nacht,
Den Rücken an den Eichenstamm gelehnet;
Mephisto schwatzet für sich hin und lacht,
Und lauter Sturm im dürren Blatte stöhnet;
Und Faust verstehet folgende Zwiesprach
Die jener hält mit einem Unsichtbaren:
“Nun geh!” sagt er: “mach mir nicht Ungemach,
Verdammter Sturm zu deinen Wolkenschaaren,
Was quälst du mich? für dies Auto da Fè,
Das deinem Gaum’n ich diese Nacht entzogen,
Mußt du aus seinen Aug’ noch eine See
Von Thränen trocknen? hab’ ich dich betrogen?
Und dieses Stöhnen seiner bangen Lunge,
Du kannst es ja mir nie genug beloben.
Dies Alles halte schadlos deine Zunge,
Und aufgeschoben ist nicht aufgehoben!”
Da brüllts daß sich die alten Eichen biegen;
Faust schauert, und ihm stockt des Herzens Schlag,
Doch bald wird’s still auf seinen bleichen Zügen;
Süß schläft er ein, ob es auch tosen mag.
Wie wogt der Flug von Wolken und von Geiern,
Von düstern Raben durch den Eichenhain,
Wie krächzt der wilde Zug von Ungeheuern,
Und zornig jagt der Sturmwind hinterdrein.
———
      Es scheint kein Mond: im schwarzen Tannenhain
Ging Faustus auf und ab, still und allein.
Die Nacht sie schwieg so wie die Nächte schweigen,
Ein dumpfig Flüstern: ein wahnsinnig Spiel,
Von schwärzlichen Gestalten, dieses Neigen
Der Gipfel und der Nadeln an dem Stiel.
Und Fausto schaudert nicht: tief in Gedanken,
Die Arm’ auf seinem Rücken eng verschränkt,
Durchschweifet er der wirren Schatten Schwanken,
Redt mit sich selber, meditirt und denkt
Das Mäntlein und die dunklen Locken wehen
Im mitternächtig aufgeregten Wind,
Fest auf dem Boden bleibt sein Auge stehen,
Wie er sich der Vergangenheit besinnt.
Das war ein Strom von Denken und von Fühlen
Der ihn zu stiller Stunde so umrauscht!
In so viel Blättern kann der Wind nicht spielen,
Als er der flüsternden Gestalten lauscht:
So viele Wolken nicht den Mond umjagen,
Als da Gesicht ihm auf Gesicht enttaucht:
Und sind nicht Blätter, dran die Winde nagen,
Nicht todte Wolke die den Mond umraucht.
Es sind Gestalten frisch an Glut und Licht.
Hell wie der Stern, der durch die Wolke bricht. —
Und wie er geht im düsteren Gehäg’,
Das Nadelhölzer jeder Art durchwinden
Wird plötzlich in der Fern’ ein Schimmer reg,
D’ran tausend Schatten eifrig Leben zünden.
Er geht drauf zu, bei einer Fackel Lichte
Dem halb verglommenen, ein Jüngling kniet,
An einem Bild, das an die schlanke Fichte
Genagelt, ähnlich einem Weibe sieht.
Es ist zerlumpt, verwittert und zerrissen,
Und eben nur siehts noch dem Weibe gleich.
Doch fromm liegt ihm der junge Mann zu Füßen,
Er ist so hübsch, und doch auch gar so bleich. —
Wild fliegt sein Lockenhaar in dunkeln Wirren,
Und schwärmend ist des blauen Auges Sinn!
Der Wamms zerrissen: und wie einem Irren,
Tönt ihm das Wort von seiner Lippe hin.
Er kniet gebeugten Haupts, und in der Hand,
Hält er ein rostig Messer, das er schwenket
Und aufwärts wendet wo das Bildniß stand:
“O wenn sie mein, o wenn sie mein gedenket,
Als ihres Mörders herz’ges Mütterlein
Des hohen Sohnes, o verschone mein!
Misericordia! Misericordia!
Ich war’s, ich war’s, barmmüthige Dolorosa,
Ich war es allerheiligste Madonne
Der Dir erstach die wunderschöne Nonne,
Lucretia: ich hab nicht Ruh, nicht Rast
Eh’ also ich entbürdet mich der Last;
Gebüßet Dir und Deinem hohen Kinde
Den Mord der Eifersucht, die schmutz’ge Sünde;
O sie schwur mir, daß sie so treu mich liebte,
Ich sprach sie an des Klostergartens Zaun,
Und bracht’ ihr Rosen, die ihr vielgeliebte
Lilie, in offnem, herzlichen Vertrau’n.
Noch öfter sprach ich sie in ihrer Zelle,
In stummer und alleinsam tiefer Nacht.
Ihr Flammenkuß — weh’ ich vergaß der Stelle
Vor deinem Bild — du keusche Himmelsmacht! —
So hielt sie lange mich an ihrer Kette
Doch als ich einstens Abends ganz allein
Für sie die Saiten stimmte, und Sonnette
Auf ihren Namen machte, fiel’s mir ein
Zu zweifeln an der schönen Nonne Treue,
Das kam mir angeweht als wie ein Zug,
Und ob ich gleich mich vor dem Dunkel scheue,
Eil ich in’s Thal zum Garten: o genug
Weißt Du, Du Heilige! Ich sah
Mit einem Mann deine Lucretia!
Wie wogte diese Brust, als ich’s erblickt,
Wie schnürte sich zusammen diese Kehle,
In eines andern Arm, was mich beglückt:
Und was entzücket meine arme Seele!
Ja heil’ge Mutter, ja ich hab’s gethan,
O ich armseliger elender Mann!
Und du hast keinen Segen mehr für mich!
Du schweigst! Du gehst mit mir in das Gericht!
Nicht Gratia! Gratia! Es ist fürchterlich!
Vergieb mir Mutter und verstoß mich nicht!”
Da überfliegt ein gelber, greller Schein
Das nächt’ge Laub in diesem düstern Hain,
Das heil’ge Bild, das Schmerzensangesicht,
Des Fackelbrands schwermüthig Licht.
„Ich bin erhört! o! bin erhört durch dich
Du Holde, himmlisch Hochgebenedeite!
Der helle Tag der Gnade strahlt für mich,
Der meines Kummers öde Nacht zerstreute.
Es war ein Leuchten deines goldnen Blickes!
Es war ein Winken deiner weißen Hände,
O was es war! Ein Zeichen meines Glückes
Daß es sich wieder zu mir Armen wende!
Triumph! Triumph! der Sieg ist nun erstritten,
Und stiller fiebert mir dies kranke Herz!
O heil’ges Licht ich habe ausgelitten,
In Wonne wandelt sich der Schmerz!
Verflogen war der wilde, gelbe Schein,
Die stille, düstre Fackel glimmt allein.
Der Büßer sprach’s: und drauf als im Entzücken
Jauchzt er empor, und stürzet fort mit Hast
Himmelhoch warf er das Messer, das zu Stücken
Zerschlug den dürren Zacken an dem Ast. —
Ein alter Rabe flattert schwer empor,
Schlaftrunken kreis’t er über diesen Bäumen,
Und krächzt zerreißend für ein menschlich Ohr,
Ein Schauerlied aus seinen wüsten Träumen.
Wie klang das! so sind zu besingen
Die Galgen und die Sünder auf den Rädern.
Verschlafen regte der die alten Schwingen
Und zupfte mürrisch in den dunklen Federn.
Und nun war’s still, das Messer lag am Boden,
Nachdem’s hinabgetanzt von Ast zu Ast.
Der Rabe schwieg, der Jüngling außer Oden,
War weithin in den tiefen Wald gerast.
Faust steht in sich verloren, wie im Traum,
Die Stirn gelehnt an einen Fichtenbaum
Den Blick gewendet wo das Bildniß hing
In düstrer Gluth der Fackelbrand zerging.
“So also liebte mich Lucretia!”
Da rauscht’s im Zweig, der schrickt empor und da
Kommt langsam Freund Mephisto herspazirt!
“Was stehst du hier, du gar zu stiller Thor?
Ich hab’ mich eben köstlich amüsirt:
Ich war verschnupft, es summte mir vor’m Ohr
Und gar zu gräßlich brannte mir die Nase:
Da hab’ ich solchen nächt’gen ungezognen Rangen
Den man ‘nen Irrwisch heißt mir eingefangen:
Wie spiel’nde Knaben eine Seifenblase,
Ihn vor mir hergejagt durch Stock und Stein.
Gewahrtest du des Buben gelben Schein?
Im Waldbach drüben hab’ ich ihn ertränkt,
Die Jagd hat mich mir wieder eingerenkt!”
———
      Nach ein’gen Tagen wandern jene beide
Im milden, frommen Abendsonnelicht,
Einen Berg entlang nicht fern von jener Haide,
An dessen Fuß die Wog’ sich brandend bricht.
Des Mittelmeeres Woge lang gewallt,
Die unermüdlich am Gestad zerfällt;
Wie es im Meer am stillen Abend schallt
Und drüben aus der Nacht der Nebel schwellt!
Es schwebt der Sonne glühend rothes Licht
Auf weißen langen unendlichen Wogen,
Hier drüben des Mondes stilles Gesicht
Von dumpfen Nebeln schattenhaft umflogen:
Unausgedachter, unausdenkbar hoher
Melancholie, wie drüben in dem Thal,
Er ob dem Kirchthurm wandelt, und dann loher
Im Bogenfenster brennt den Silberstrahl!
Des Herzens Schmachten und des Busens Sehnen,
Der ird’schen Lyrik Tand, der vielgestalte,
Der Pulse Fiebern und die wehen Thränen
Dies all’s strahlt aus seines Antlitz’s Falte.
Da waren sie an eine Schlucht getreten,
An eine wüste Tiefe, daß ohn Graun
Mephisto selbst kaum kann hinunterschaun
Und für den Augenblick erscheint betreten.
Da unten schäumt das Meer an tausend Spitzen,
Der starren Felsen weiß und wild empor,
Und jeder Wellenschlag, es ist ein Sprützen
Der jähen Brandung, die verdröhnt das Ohr.
Es war schon Nacht, und Faustus schaut hinab
Als er gewahret auf der Felsen Zacken
Ein Leiche die gefunden hier ihr Grab.
Er kennt den Leib und kennt den Locken-Nacken
Der hier sich brach, er sieht es und erschrickt,
“O du,” begann er; “liegest hier zertrümmert,
Dem, wie du meinst, die Göttin zugeblicke
Dem himmlischer Erhörung Strahl geschimmert,
Du liegst am Fels zerschmettert und zerstückt,
Hier hast du die Entzückung ausgewimmert! —
O! so verwirrt das himmlische Erhören
Ist’s auch nur Lug und Trug und Teufelschein
Wir tragens nicht; wir müssen uns zerstören,
Und in den Abgrund stürzen wir hinein!
Es macht uns trunken, o! es macht verrückt,
Und es verführet uns in Nacht und Tod,
Da liegt er an dem Felsen, liegt zerstückt,
Der arme Knab’, der Meeresraben Brot.
Und so verstummt sein göttliches Entzücken,
So schweiget der Begeist’rung Flammengluth:
Wie jauchzt er hin! da liegt auf dem Rücken,
Und aus dem Mund wäscht ihm das Meer sein Blut.
Verfluchter Teufel! deine nächt’ge Jagd,
Hat mir das arme Kind zu nicht gemacht!”
Mephisto lacht: doch Faust blickt wild und stier,
Und drauf faßt’s ihm mit rasender Begier,
Er greift den dürren Teufel bei dem Schooß
Und schleudert nieder ihn zum Meerestoß. —
Drauf steht er einen Augenblick allein;
Doch bald stellt sich Mephisto wieder ein,
“Ich danke dir,” spricht er mit höhn’schem Munde:
“Ein Bad bekömmt gar gut zur Abendstunde.”
Sie schwiegen beid’, als Faustus drauf begann,
“Du sage mir! wie hat es sich gebühret,
Daß in der Nacht als ich Lucretien gewann,
Und sie zu schlimmer Sünde mir verführet;
Der da geahndet, was sich würd’ begeben,
Zum Garten kam und mich mit ihr entdeckte.”
Mephisto gähnte, daß sich Faust erschreckte
Und sprach: “das hat der Teufel ihm eingegeben.”
———
      So schwiegen sie, und stierten in die Nacht,
Und in das finstre Meer, als wie man schauet
In ein hinsterbend Feuer ohn’ Bedacht,
Und so gedankenlos daß einem grauet. —
Im Abgrund drunten, in dem Trümmergrabe
Kämpft um des Jünglings starre, düstre Leiche
Mit weißer Wog der schwarze Rabe.
Dazu erstrahlt mit geisterhafter Bleiche
Das kranke, sieche Mondes Angesicht.
Ein so wahnsinnig Zucken in den Zügen,
Als trüg’ er seine Phantasieen nicht
Und müßte schier dem irren Wahn erliegen.
Die beiden schwiegen, stierten in die Nacht,
Es wird jetzt lauter: wilder wird der Hauch
Der Brise, daß die schäum’ge Woge kracht,
Und ungeberdig flieht der Wolke Rauch.
 
Die letzte Manto
 
Und wieder dämmerts Abend — Faustus ruht
Am Fuße eines Schlosses, eines alten
Und wüsten Baus, der zu nichts mehr gut,
Die tiefste Nacht lugt aus des ungestalten
Gefensters goth’schem Rund — der Abendwind
Spielt mit den ries’gen, dunk’len Spinngeweben
Die vor dasselbe hingesponnen sind,
Als in des Vorhangs heimischen Geweben. —
Wie sich nun drüben fern der Mond entzündet
So einsam auf dem tiefen, dunkeln Blau,
Wie sich in ird’scher Ebene dieser Bau,
Von allem Leben fern schwermüthig ründet;
Beginnt er so: “wie oft hab’ ich geblickt
Empor zu dir, o du allträumend Licht,
In mancher Nacht, die still und unverrückt,
Gestarrt ich in des Leichnams Angesicht
O dann ist seelenvoll, ja! Seelenvoll
Dein Blick: hab’ ich nach dir mich umgewandt
Vom Todten-Aug, das leer und starr und hohl
Benetzte mein Skalpell und meine Hand
O Nacht! Dein Blick ist so gedankenreich
so schwärm’risch, überschwenglich, unermeßlich,
Des Todes Blick, so finster, stier und bleich,
Und für den Laien schauderhaft und gräßlich.
Ich lieb dich Nacht! Dir schlägt das Herz im Busen,
Das prahlrisch auf der Zunge trägt der Tag,
Und voll Entzücken zähl’ ich jeden Schlag!
— Mein Fluch traf noch nicht Alles, und ich kann,
Nach Bildern und Gedanken zahllos greifen,
In diese Brust, und hab’ nie Mangel dran
Und ewig so in ungemessnem Schweifen! —
Er schlummert ein den Kopf zurück gelehnt,
An einer Säule Trümmer-Piedestal. —
Fort schauerte die Nacht, die Brise stöhnt,
Und Sterne jagen wechselnd sich ohn’ Zahl.
Da über ihm erscheint auf dem Balkone,
Ein junges Weib in alter, griech’scher Tracht.
Ein schmales Band von Gold gleich einer Krone,
Durchflicht der düstern Locken wirre Pracht.
In ihren Händen hält sie eine Leuchte
Vom Erz Korinths mit hohem Postament.
Als sie die auf die moosig feuchte
Brüstung gesetzt, zieht sie ein Pergament
Aus ihrem Busen, läßt sich auf die Knie’n,
Schaut auf zum Himmel, und mit kund’gem Styl,
Wie hell die Sterne dort vorüberglüh’n,
Verzeichnet sie das flammende Gewühl;
Und Stern an Stern, Gedanken an Gedanken,
Ein nächt’ges, stummes, unermessnes Spiel! —
Wie ihre schwarzen Augen traurend sanken;
Und drauf in der Erkenntniß Hochgefühl,
Den Sternen droben ähnlich flammend stiegen,
Und Siegesglanz strahlt in der Seherin Zügen. —
Es war so still, im dürren, stäub’gen Blatt,
Der krüppelhaften, trocknen Sycomore,
Raschelt kaum noch der leise Nachthauch matt,
Und tönet zu der schönen Schwärmrin Ohre.
Und Faustus schläft, in seines Traumes Walten
Im Riesenflug der ernstlichsten Gedanken,
Ersteigen lieblich und verführerisch Gestalten
Von Schönen, die auf dieser Erde wanken.
So blinket durch der Nächte Wolkenflug,
Den dumpfen, rauchigen und nebeldüstern,
Des blanken Sterngebilds lasciver Zug,
So reizende Figuren und so lüstern. —
Als drauf in des Gesichts Lebendigkeit,
Die Seherin rhetorisch schwenkt die Hand,
Fällt plötzlich nieder von der Brüstung Rand
Das gelbe Blatt, das sie so hoch erfreut.
Es trifft den Schläfer Faustus ins Gesicht,
Der schaut empor und sieht die bleiche Dirne:
Sie merket den Verlust des Blattes nicht,
Ihr Aug’ steht ruhig auf des Himmels Firne,
Er liest nun in des Pergamentes Zügen,
Die wunderlich und seltsam sich verschlingen
Ein Punkt, ein Kreuz, ein Ineinanderfügen,
Von tausend Kreisen und so vielen Ringen:
Und er steht auf, da wird sie ihn gewahr,
Und sieht das Wunderblatt in seinen Händen:
“O stolzer, übermüthiger Barbar,”
Spricht sie zu ihm: “das willst du mir entwenden!
O gieb mir wieder, was ich schwer errungen
Du hast ein ernstes, sinniges Gesicht:
Ich hab’s den stummen Göttern abgedrungen,
Beraube du des theuren Blatts mich nicht!
Du ehre meinen ernstlichen Beruf! —
Ehr’ blos das Weib in mir, nur mein Geschlecht,
O gieb mir, gieb mir, was ich mir erschuf,
Der Sterne, der Gedanken Sinn Geflecht.
Faust ritterlich, wies nimmer er vergaß,
Wenn auch erstaunt und seltsam aufgeregt,
Springt auf den Marmorfels, auf dem er saß,
Und wie den Arm er um die Brüstung schlägt,
Schwingt er sich auf das Astrologium.
Sie stehn sich beide gegenüber stumm,
Der Schläfer Faust mit dem verworrnen Haar,
Mit dem verschobenen Barett von Sammt
Die Seh’rin mit dem glüh’nden Augenpaar,
Die Wange bleich, als wie dem Tod entstammt.
“Hier hast Du Weib Dein wunderlich Papier!
Beginnet Faust, “ und wohl bekomm’ es Dir!”
“Doch sprich! wer bist du, schön wie eine Braut,
Und angeputzt wie eine Königin,
Schwärmst Du umher in Räumen, wo mir graut,
Und seltne Träume führest du im Sinn?
Weib
Wir sind in Rom, ein wunderbar Geschick
Macht diese Stadt zur ersten Stadt von allen!
Was noch so hoch erhoben hat das Glück
Bis zur Anbetung, hier ist es gefallen!
Hier sanken jene Götter in den Staub,
Die wandelnden in freundlichen Gestalten
O Alles wurde hier der Zeit zum Raub,
Und alle Hoheit wurde hier zerspalten!
So bin auch ich der hochberühmten Frauen,
Von Delphi Sprosse, die ein schleichend Sein
In diesen Trümmern fristet, diesen grauen
— — Umstrahlet mich der alten Größe Schein?
Ich bin die Manto! — — jenem Mittelpunkte
Der Erd’ entsprossen, da des Weltalls Gab’
Im stolzen Tempeln aufgerichtet prunkte,
Die goldnen Becher und der goldne Stab! —
Vier Schwäne, wie vier Adler, die geflogen,[1]
Nach den vier Winden von den Weltenenden,
Zu gleicher Stund’, begegnen sich am Bogen,
Der Tempelhallen, an den heiligen Blenden!
— — In dieser Trümmerstadt, der Stadt des Falls,
Fällt nun das herrliche Geschlecht in mir —
Die Manto fällt, die Königin des Alls,
Der Zukunft geben ihren Schleier wir!
Faust
O hochgelobt sein mir die nächt’gen Stunden,
Da ich Dich wunderbares Weib gefunden,
Ich frage nicht nach Deinem Alter, Namen,
Noch wie Dir diese Trümmern überkamen.
Sei mir gegrüßt in aller Herrlichkeit,
Du schöner Sprosse jener mächt’gen Zeit!
Glücksel’ger du als ich! — du hast erkämpfet,
Der düstern, heiligen Geheimniß eins,
Die droben Er mit stummer Nacht umdämpfet,
Und davon mir, ach — offenbart sich keins!
O du bist glücklich! hochgebenedeiet,
Sei meine Schwester, Herrin, sei mein Weib’.
Dein Sieg! Dein Sieg, der seine Macht entzweiet, —
O rasend tost mein Blut durch meinen Leib.
Nun flammt mein Herz himmelhoch in Entzücken,
Im Busen rauscht ein Quell von Seligkeit!
Noch einmal freu dich Faust der Jugend Sonnenblicken.
Und dann sei wieder deinem Gram geweiht!”
So sprechen mit einander jene Beiden,
Da tanzt noch einmal auf dem Trümmerdach
Die Eul’ von ihren nächt’gen Leiden,
Die Hallen tönen’s schaurig nach,
Die Fledermaus, die in der Rinne
Vom Flug sich ruhet, schnarret auf,
Und stößt sich am Geweb der Spinne,
Die eilt geschäftig nieder, ‘naus,
Und flickt besorgt an den Geweben. —
So regt im alten Wald der neuen Welt,
Wenn kaum die nächt’gen Gipfel beben,
Der Thau vom Blatte träufelnd fällt,
Urplötzlich sich ein wildes Leben,
Den Tapir hetzt der Jaguar;
Er fliehend rüttelt die Bananen,
Auf denen schnarcht die Affenschaar,
Die höhnet, schimpft den unhumanen’
Und weckt der Papageien Chor,
Der wilde Lermen toset hin und wieder,
Dem Wanderer zerreißt’s das Ohr,
Im Hamak wirst er schlaflos seine Glieder. —
———
      Ein grüner Vorhang scheidet in zwei Theile
Den hohen Saal wo jetzo Faustus steht,
Er ist allein in stummer nächt’ger Weile. —
Und wie er sinnend auf und niedergeht,
Und in dem Dämmerschimmer um sich blickt, —
Indessen Manto wie er sie gebeten,
Sich ihm die Zukunft zu enthüll’n beschickt,
Jenseits des Vorhangs stell’nd an den Geräthen:
Spricht er also; O! und sie wagt zu klagen,
Daß sie des hohen Stamm’s verlorne Tochter sei,
Verachtet einsam, deren Ahn’ zu fragen,
Geeilt aus Nord und Süden man herbei;
Glich ich einem lahmen, dummen Ungeheuer
Einem Hunde, einem schrecklichen Scheusal
Gehört ich einem Stamme, der das Feuer
Das heiligste der neid’schan Götter Saal
Dem ihr’gen gleich enttrug! — weh mir! ich habe,
Auch gar nichts übrig als ein wildes Herz
Voll glühn’den Blutes, — Bettler an dem Stabe
Schwank ich dahin und schlepp’ an meinem Schmerz. —
Ich hab’ ihm Schlaf, ihm meine Ruh geschlachtet,
Und mich mich selbst! — o! denk ich nicht daran
Und dieses Hirn und dieses Auge schmachtet,
Noch nach wie vor nach der ersehnten Bahn!”
Faustus also: die bleichen Cariatiden
Die matten, seufzenden an ihrer Last,
Sehn stieren Auges auf den lebensmüden,
Dem alle Welt wie er sich selbst verhaßt.
Ein dumpfes Schattenspiel: entlang den grünen Schleier,
Rauscht’s geisterhaft im kühlen Zug der Nacht,
Da steht Mephisto da, das Ungeheuer
Sieht Fausto in sein trübes Aug’ und lacht!
“Du geh mir jetzt,” spricht Faust, als er ihn sieht:
“Ich mag dich nicht in dieser heiligen Stunde,
Da in Erwartung mir der Busen glüht,
Anekelt mich das Wort aus deinem Munde!
Ein Weib kann mir mehr als Du selbst gewähren
Geh! ich erwürge Dich Du lahmer Wicht,
Willst Du mir diese Mitternacht zerstören
Da wenig mir zu meinem Glück gebricht!”
Mephisto
Herr Anatom sind gar gebieterisch,
Ich wollte nur nach Dero Wünschen fragen,
Die Nacht ist heute köstlich kühl und frisch,
Zur Reise gut, doch hat das nichts zu sagen!
Mag’s euch nach Wunsche gehn, ich will nicht stören,
Und morgen werden wir das Weitre hören.”
Er lacht und geht: Faust höret ihn noch kaum,
Und misst mit ungeduld’gem Schritt den Raum.
———
      Noch hallt Mephistos schleichend lahmer Gang
Im öden Trümmerhaufe: nächt’ger Sturm,
Saust an das Fenster ungestüm und bang,
Die Sycomore krümmt sich wie ein Wurm.
Da rauscht in schweres, dunkeles Gefalt
Der grüne Vorhang und ein trübes Licht,
Von süßer Wolke düstrem Dunst umwallt,
Umstrahlt der Manto blasses Angesicht;
Wie sitzt sie auf dem mysteriösen Fuß
Im Seelenkampf, doch lieblich zum Entzücken,
Wie sie die Locke schüttelt, die den Rücken
Herniederfließt im rabenschwarzen Guß.
Im Auge glüht die Unermeßlichkeit
Es steht verrückt und schwärmet: fest verbissen
Sind ihre Lippen wie in stumm bekämpften Leid,
Von schweren Falten ist die Stirn zerrissen. —
Sie springt empor: schon öffnet sich der Mund,
Zum Wort — sie schweigt — verdreht die weißen Hände
Und sinkt bestürzt zurück auf ihres Sitzes Rund.
Das alte Spiel — im Auge glüh’n die Brände
Des Geist’s von Neuem auf zu wilder Gluth.
Die blaue Wolke fliegt in duft’gem Tanze,
Ihr Busen wogt: sie schöpft nach Luft und Muth;
Die Ampel glüht in stierem, düstren Glanze
Jetzt springt sie auf — Da reißt es Faustum fort;
Das Weib entzückt ihn; sein entfesselt Blut,
Durchwühlt sein Hirn; wie sie zum Zukunftswort,
Die Lippe regt, erliegt er seiner Wuth:
Umschlinget sie in bodenloser Luft
Mit heißem Arm; die aufgeregte sinket
Betaubt, hingebend an des Mannes Brust,
Und seufzt und weint wie ihren Kuß er trinket.
Die Myrrhenwolke wirbelt wilde Ringe
Gescheucht von solcher Athem Sturmesschwinge.
———
      Es war ein wüstes ganz verdorrtes Feld,
Vielfach gespalten von der Sonne Gluth;
Hier weilte Faust da sich der Morgen hellt,
Vom Himmel gießt die Regenfluth; —
Ein eisiger, durchdring’der feiner Schauer,
Durch den blutroth die Morgensonne glüht,
Die kaum erstanden ob der Trümmer Mauer,
So man von hier nicht allzufern sieht —
So bleich, so dumpf, so traurig und zerrissen
Sah nimmer noch sein Angesicht,
Die Haare starr und träufelnd niederfließen,
Und wie gebrochen ist der Augen Licht,
Als könnt’ nie wieder sie der Geist durchbeben,
So hohl und ohne Glanz, so starr und stier,
Sie die der Flammenzug des reichsten Leben
Gefacht, und der Erkenntniß Gluthbegier.
Der arme schleichet ruhlos hin und wieder,
Gesenkten Haupts mit wankem Gang,
Dann wirft er auf dem feuchten Feld sich nieder,
Auf das Gesicht und liegt minutenlang:
“Du hast gesiegt!” so ruft er endlich aus:
“Ja! Und auch diesmal darfst Du triumphiren!
Maaßlos ist dein Triumph, gleicht er dem Graus,
Den meine Qual’n in diesem Busen schüren.
— So sei von nun ein jedes Band zerrissen,
Wenn eines, ein letztes noch, mich dir verkettet:
In niedrer Sinnlichkeit taumelnden Genüssen
Sanken wir hin! — o bittre Schmach! — wer rettet?
Du hast dir dein Geheimniß so umwallt,
Mit list’ger Schlang und schöner Weibsgestalt!
Was lässst du michs nun gar so schwer empfinden,
Wenn ich erlag! ich sollte ja verblinden!
Schon der Gedanke daß ich dich begriffe
Er schleuderte mein Schifflein an die Riffe! — —
— Kam nur Mephisto nicht: ich muß mich schämen,
Ich möcht umarmen diesen Höllensohn,
Ihn um Verzeihung flehn’d für mein Benehmen,
Daß er mein schont mit seinem Hohn!”
—— Und so und anders tönen seine Klagen
Im alleinsamen Monolog,
Es saust des Regenschauers wildes Schlagen,
Noch düstrer Flor das Tagsgestirn umzog.
———
      Mephisto hinkt voran, Faust schleichet nach,
Hehr liegt vor ihnen Roma ausgebreitet
Sie schwiegen beide, doch wie Faustus schreitet,
Er also mit sich in Gedanken sprach:
“Froh könnt’ ich diesen Teufel jetzt umarmen,
Und möcht’ ihn gar auf meinen Händen tragen,
Auch nicht ein Wort sprach er um mich zu harmen.
Ernst und gesetzet hat er sich betragen;
Er ist ein Kamerad viel edler denn ich meint,
Ich lieb’ ihn nun als einen werthen Freund.”
———
      Da Faust bis auf das Hemde naß durchaus,
Und ihn ein Schauerfrost durchbebte,
So traten sie am Wege in ein Haus,
Ob dessen Thür ein Wirthshauszeichen klebt. —
Sie setzten sich zum glimmenden Kamin,
Und tranken Wein, wie ihn der Wirth gegeben,
Faust stierend in der Kohle Glüh’n,
Dacht trüb an sein verflossen Leben.
Sein Auge sank in schmerzlich tiefem Traume
Und Todesblässe färbt sein Angesicht:
So saßen die im dumpfen Raume,
Des wüsten Saals im Dämmerlicht
Mephisto ernst und feierlich:
Gar seltsam stund es seinen Zügen: ——
Als eine Weile so verstrich,
Trat ein viel Volk mit lärmendem Vergnügen.
Verwilderte Physiognomien
In weitem Hut: man rief nach Krügen
Voll rothen Wein’s, fing an zu zechen,
Der wildste Lärm durchbraust den Saal,
Man sang, man pfiff, man disputirte,
Daß einem die Ohren scholl’n von dem Scandal,
Und man verwünscht’ das Volk das ungenirte. —
Auf’ einmal schaut ein junger Fant.
Seitwärts dorthin wo jene saßen,
Noch stumm, dem Feuer zugewandt.
Der Bursch lacht laut und ohne Maaßen,
Da er den fremden Mann erblickt,
Der wüsten Haars das Kleid verrückt
Im Antlitz tiefe Traurigkeit,
Als wie verschroben und vernarrt
Nun schon die ganze, lange Zeit
So seltsam in die Kohlen starrt —
Er wies mit seinem Finger hin,
Den ganzen Raum durchschallet Lachen
Sie standen auf, umstellten ihn
Um zum Gelächter ihn zu machen.
Mephisto saß als wie vorher,
Und deß verwunderte sich keiner,
Es war ganz als gehörte der hierher.
Doch diesen schont’ von Allen auch nicht einer
Der eine sprach: “Schlecht ging’s ihm auf der Serenade
Sie haben ihn da weidlich durchgedrescht,
Die Schöne selbst, sie hat mit einem Bade
Von kühlem Wasser seine Gluth gelöscht.
Hier schmort er nun der niederträcht’ge Hund,
Gern würf ich ihn hinaus zur Stund!”
Der Andere: “Hinter dem Thorweg hat der Fuchs gestanden,
Und auf die blonde Magd geharrt,
Der kühle Zugwind blies ihn ganz zu Schanden,
Dieweil im Ziegenstall sie mit ‘nem andern narrt.”
Ein Dickwanst sprach: den Burschen kenn ich lange!
Schon wiedermal ist er dem Irrenhaus entlaufen
Der tolle Jakob ist’s, mir wird ganz bange,
Wenn ihm sein Stündchen kömmt, rennt er uns über’n Haufen.
“Hoho,” ein anderer, “die ordinaire Range,
Tobt er nur los, wir wollen ihn schon packen,
Nur frisch darauf, es giebt ja Narrenjacken!”
Da schreckt Faust auf aus seinem Traum
Er starrt empor mit wilden Blicken,
Und sieht das Volk, den scheußlichen Abschaum,
Häßlich und lüderlich sich um ihn drücken:
Was er empfand, wie ihn verhöhnt,
Das wüste Volk mit Henkermienen,
Zum Teufel kehrt er sich und stöhnt.
“O du! o du! befreie mich von ihnen!”
Da schleicht ein häßlich, gelber Junge,
Hervor, tritt auf die Zehn’ ihm hart,
Und blökt ihn an, weist ihm die Zunge,
Und huscht ihm an dem Knebelbart.
Faust wüthend, greift ihm um den Nacken,
Und drückt ihn daß er ihn erstickt;
Der stürzt zur Erde; aber packen
Will ihn nun selbst das Volk, das groß erschrickt.
Viel Knüppel sieht er schon geschwungen,
Viel Kling’n, Stilett und Fackelstange;
Als ihn Mephisto schnell umschlungen,
Und ihn enthoben diesem Drange. —
 
      Draußen in der Nacht, da stehen sie nun wieder
“Verfluchtes Volk,” sagt Faust: ich danke dir!
Doch aus dem Wamms tropft noch das Naß mir nieder
Wie kommen nun zu einem Feuer wir?
Es ist so kalt, ich bebe wie im Fieber,
Ich werd’ verrückt, o! ich bin schrecklich krank!
Mephisto
Siehst du den Felsen dort jenseits der Tiber,
Den ungeheuern, riesig jähen Hang
Da brennen Feuer meine Kameraden,
Komm mit dahin, du wärmst dich herrlich dort,
Sträube dich nicht! es thut dir keinen Schaden!
Sie thun dir nichts, bald gehn wir wieder fort,
Doch muß ich noch einmal zur Schenke hin!
Wir ließen dort den Krug mit Weine,
Ich hol ihn, da ich durstig bin,
Wart hier indeß im Maulbeerhaine!”
———
      Bescheiden tritt Mephisto in die Thür
Der Schenke, grüßt die Herr’n einfältiglich,
Die um den Tisch gereiht, mit ekler Gier
An einer Schüssel Nudeln laben sich:
Die sind mit Oel gekocht, wie es in Welschland Brauch,
Und duftig dampft der süße Rauch.
“Ihr esset Herren schöne Makaronen,”
Beginnt der Teufel: “und mich hungert sehr,
Ich bin so arm, und Gott er wirds euch lohnen,
Stellt ihr mir meine Kräfte her!”
Die rücken dichter auf der Bank zusammen:
“So setzt euch her Rothmantel in des Teufels Namen!” —
Der nimmt den Löffel in die Hand,
Und wie er wühlt im duft’gen Schmauß,
Sieht man ein Haupt, halb angebrannt,
Mitten darin, o Schreck! o Graus!
Des Knaben Haupt, den Faust erstickt’,
Weil er ihm so am Bart gezwickt.
Die stieren Augen blicken scheußlich drein,
Und aus dem Mund leckt ihm das Fett;
Mephisto sprach: “das wird euch schon gedeihn’
Prosit ihr Herrn! zum köstlichen Bankett!”
Die sind wie angedonnert, und entsetzt,
Schau’n sie sich an und sinken von der Bank,
Laut heulend: weidlich hat Mephisto sich ergößt,
Und macht den Krug im Arm sich auf den Gang.
———
      Am Maulbeerbusche trinken sie den Wein,
Die beiden, stärkend sich zum Flug,
Dann schmettern sie an einem schwarzen Stein,
In tausend Stücke den geleerten Krug.
Mephisto drauf sich um den Doctor schlingt,
Und mit ihm auf zu hohen Lüften dringt. —
— Die Nacht wird wild, unbänd’ge Wolkenschaaren
In schwülstigen, wahnsinnigen Gestalten,
Umrauschen diese, wie sie aufwärts fahren,
Manch’ Scheusal wird von ihrem Flug zerspalten,
Mit dumpfen Angstgekäuz die Eule flieht,
Wenn sie den rothen Mantel flattern sieht;
Der Berg ist fern, so fern, ganz unermeßlich,
Doch sturmesschnell ist auch ihr luft’ger Flug:
Jetzt sind sie da; ein schwarzer Felsen gräßlich,
Zertreten von den Füßen, die er trug
Blutfarbig glimmt ein riesengroßes Feuer,
Auf einem Felsensturz zur Nacht empor,
Teufel ringsum, häßlich und ungeheuer,
Ein wüster, wilder, mitternächt’ger Chor. —
Der ärmste nun auf warmem Lager ruht,
Das ihm aus rothen Mänteln aufgeschichtet,
Aus zahllos vielen, unfern von der Gluth,
Die immer ries’ger sich zum Himmel richtet.
Ringsum die wüsten, finstern Gestalten,
Mephisto mitten unter ihnen.
Eifrig Gespräch sie durch die Flammen halten,
Den rothen Wiederschein auf ihren Mienen.
Die Nacht rauscht fort in mysteriösem Treiben
Weithin erglänzt der teuflische Kamin.
Der Doktor schläft; es ist nicht zu beschreiben
Wie diese ganze Grupp’ erschien.

[1] Aetus tinas chai chuchnous mythogoysin acho ton achnoon
tes echi to meson phenomenous eis tauto sumpesein Puthoi
chenoi ton chaloumenon omphalon.
- Plutarch, De Pythia.

Die Heimath
 
Bei seiner Lampe finsterm Trauerscheine,
Sitzt Faust in seinem Zimmer heut alleine;
Wie schwoll die Brust ihm als er es betrat,
Das er seit manchem Jahr verlassen hat. —
      Hier schwand der Tag’ und Nachte lange Kette,
Ohn’ daß ein einz’ger Menschentritt erklang:
Die Schatten nur der mageren Skelette
Mal’n sich in düster’n Reih’n die Wand entlang.
Wie wilde Nächte wurden hier gefeiert
Als Faustus der Bewohner dieser Räume
In Näh und Ferne wild geabentheuert,
Des Weib’s genoß und aller Erdenträume.
So wüst und graß, war es hier hergegangen,
So toll wie’s keine Menschenbrust begreift.
Wie wild auch in unbändigem Verlangen
In mancher Nacht hier Faustus ausgeschweift;
Wenn übermächt’gen Sinns sein Aug’ gestieret,
Und in der tollen Unersättlichkeit
Nach der Erkenntniß er malediciret
Den starren Schellen seiner Menschlichkeit.
Zu dem gespenst’gen, geisterhaften Treiben,
Das in den Räumen, seit er war geschieden,
Lugte die Nacht durch all’ die runden Scheiben,
Glich das im Menschenbusen mildem Frieden.
Das bleichende Gebein in dunkler Nische,
Der alte Mond von Hirngespinnsten trunken,
Verzerrten Blicks: die Schädel auf dem Tische:
Und aus dem feuchten Bogengang die Unken:
Betrieben ein gar schauderhaftes Spiel
Im Raum, da kein Gedank’ mehr kam zur Sprache,
Und nicht pulsirt ein menschliches Gefühl;
Wenn so der Mond, der alte Flammendrache
Die Unken quälte, die am Fenster kauern,
Und die nun schrecklich schrei’n und lamentiren,
Die dürren Knochen wecken an den Mauern,
Dem Mond, dem Feind, entgegen sie zu führen.
Manch’ wüster Wurm, der in dem Holze pickt,
Die in den Knochen bohret die Monade,
Und manche Spinn’ die ihr Gewebe strickt,
Nimmt Theil an dem gespenstigen Blutbade.
Dazu der tolle Wandel noch der Schatten
Die einem Menschen schier das Hirn verdreht:
So tost es ohne Rasten, ohn’ Ermatten,
Bis an dem Dom der Mond herniedergeht.
      In dieses Zimmer kehrte Faustus heut,
Aus weiten Fernen und auf kurze Zeit,
Das Herz schlägt wild an seines Busens Wand,
Als er im alten Raume plötzlich stand. —
Die Schreiberei liegt noch auf ihrem Platz,
Wie er’s verließ, da ihn der Teufel lockte.
Und unbeendet ist der letzte Satz,
Wo ungeduldig ihm die Feder stockte.
Ja! unbeendet ist das letzte Wort,
Der letzte Buchstab’ ist ihm halb geblieben,
Da warf er seine müde Feder fort,
Und stürzte hin zu leben und zu lieben!
Rings an den Wänden steh’n noch die Krystalle
Mit theuren, edlen Säften angefüllt:
Farblos’ und farbige; er find’t sie alle
Damit er manchen Menschen-Schmerz gestillt:
Damit er übergoß des Fiebers Gluth,
Damit des Herzens Flammensturm er beugte,
Den sich die Seele in wahnsinn’ger Wuth
Der Selbstzertrümm’rung spielend tollkühn zeugte.
Entfesselt ras’t der wilde Feuersturm
Von seinem Königssitz den Geist zu heben,
Daß der sich krümmt als wie ein blöder Wurm
Und bang’ und schwächlich zaget für sein Leben. —
Die armen Kinder seiner Phantasieen
Die wüste, tolle mißgezeugte Brut,
Wirft er zerschmetternd in die Fluth
Schiffbrüchiger so rettend sich, zu fliehen.
“O! rufet Faust, als er so alles fand,
Wie er’s verlassen in dem dunklen Raume,
Als selbst der Salamander an der Wand
Noch immer ruht im seel’gen Flammentraume;
Der seltsamliche, räthselhafte Mohr,
Lang hingestreckt die dunkelfarbnen Glieder
Im klaren Glas auf leuchtendem Phosphor,
Gleich wie auf bleichem Meeressand die Hyder.
“O! rufet der: “Skelette ihr bliebt treu,
“Die wie ich mit dem Finger euch berühr’,
In Staub zerfliegt, des Todes lustge Spreu,
Auf dieser Welt ergeben einzig mir. —
Denn so zerfiel in meiner finstern Brust
Die Sehnsucht nach dem rasch bewegten Leben,
Die Sehnsucht, diese stürmisch wilde Luft,
Die wie in mir, in keinem mochte beben!
O ich war glücklich als ich nicht mehr Blut,
In meinem kind’schen Herzen konnte spüren,
Als eure Carotiden pulsen Fluth,
Gewiß euch nimmermehr zu extasiren!
Da war ich glücklich als in dem Erkennen,
Das tausende vor mir beglückt;
Ich noch verstand in Hochmuth zu entbrennen,
Und wie ein Irrer Fühlte mich entzückt!
Wie regte sich allmählig die Begier,
An diesen immer höher schwell’nden Rippen
Und brannte lodernd aus den Augen mir,
Aus der Erkenntniß Born, allein zu nippen!
Die Kenntniß, die sich mir einmal entzündet
Nachdem sie freud’ge Klarheit mir verkündet,
Gleich einem licht gefachten Feuerbrand,
Sollt’ immerdar aus meiner Hand,
In tiefer Fluth zu dunkler Nacht vergehen,
Daß niemand säh, was ich allein gesehen!
Aus diesen ausgezischten todten Bränden,
Geschaut von aller Menschheit mit stupider
Bewunderung sollt sich ein Thron vollenden
Ein hehrer Thron für meine Königsglieder!
Aus diesen Kohlen, wie aus Ebenholz,
Zu unausdenklichem Triumph und Stolz.
Doch gleich verhungerten und magern Hunden,
An einem Bein mit anderen zu nagen,
Das wir auf irgend einem Weg gefunden;
Verflucht ich! wenn das länger ich ertragen!
Mit Ihm wollt’ ich in hoher Eintracht leben,
Mit Ihm dem Hehren, Unermeßlichen
Mir sollt Er sein Geheimniß übergeben
Mir, mir allein von den Verweslichen!
Dem Priester steht auf heil’gem Hochaltare
Des Hehren klarer, ernster Schmerzenssohn,
Das Zauberbildniß der Religion,
Mir unverkündet bleibt das theure Wahre,
In keinem Bild von Erze oder Thon. —
Dazu der Sinne herzzuschnürend Sehnen,
Welches in schlangengleichem Zerrn und Dehnen,
Hinauf sich an des Lebens Stamm gewunden
Und mich zerrissen, mich zerschunden!” —
Das Klagewort von Faustens ew’ger Pein,
Rauscht in der ew’gen Nacht gigant’sche Flucht,
Bis endlich die um Morgenrothes Schein
Ein Todtengeier ihre Felsen sucht. —
 
Zu Sankt Maria
 
Am wilden Strom stand die Anatomie,
Des alten Klosters graues, dunkles Haus,
Ehmals benannt zur weinenden Marie.
      Wie schaut der melanchol’sche Bau hinab,
In dieses düstern Stromes Sturmeswelle,
Ein Mönch, der dumpfem Grame sich ergab!
      Und in dem Wald am Felsenstrande drüben,
Wie rauscht’s in seinen ewig düstern Wipfeln
Schwermuth und Tod, Verlangen so wie Lieben.
      Es sind Cypressen, Tannen, Trauerweiden,
Dazu die starre, wüste Riesenfichte
Sinnbilder aller Menschenherzen-Leiden.
      So steht das Klosterhaus am dunkeln Strome,
Und es war schön, wenn schwere Schauernacht,
Darüber schwebte mit dem Mondphantome.
      Wo ernste Mönche weilten in den Zellen,
Mit nassen Augen und mit blut’gem Herzen,
Gemartert von den schrecklichen Flagellen.
      Wo sie dem eingebornen Kreuze knieten
Und klagend ihre Hände sich zerrangen,
Wenn stumme Sterne durch die Scheiben glühten:
      Wo Martyrkronen, der Apotheosen
Ringscheine glänzten und am Hochaltare
Zum Frohnleichnam die jungfräulichen Rosen.
      Da lagern jetzt die ewig stummen Leichen,
Gebrochnen Auges mit zerrissner Stirne,
Und als geknickt von einer Geissel Streichen.
      Ja unermess’ner Andacht hingesunken
Liegen sie da verstummet und erstarret,
Von heil’ger Entzückung himmlisch trunken.
      Der stille Mond der manchen Schmerz gefacht,
Der mancher Sehnsucht Pulse hier entzündet,
Keinen Herzschlag weckt er dieser Todesnacht. —
      Das frömmste Kloster ist dies nun geworden,
Es ist das Kloster der Abstraction,
Niemals entzweite Sinnlichkeit den Orden.
      Die Glocke ruft zur heiligen Vesperfeier,
Und ihre Schläge sind fast ausgeklungen,
Ein wilder Sturm ertobt, ein Ungeheuer.
      Es schäumt im Strom, es wüthet in den Forsten,
Die Wolken flattern um den Glockenthurm,
Wie Raubgevögel aus den wildsten Horsten.
      Da schwanket Doktor Faust zu diesem Haus,
Der ernste Lehrer der Anatomie,
Der hier manch’ Jahr gegangen ein und aus.
      Als er in einer engen, dumpfen Zelle
Vor einer Leiche steht, o!” ruft er aus:
“Wie wird mir doch so wohl an dieser Stelle!
      Der unbekannte, dieser bleiche, trübe,
Der hingestreckt auf dunklem Brette liegt
Ich weihe nicht ihm Haß und auch nicht Liebe!
      Ich weih’ ihm nicht Triumph, weih’ ihm nicht Thräne.
Gleichgültig schau ich seine blassen Wangen,
Such’ trocknen Aug’s nach Nerve und nach Sehne!
      Gesegnet sei mir die Verlassenheit,
Die so uns allen Schrecknissen entfremdet,
Und Hohn dem Tode wie dem Unglück beut!
      Man wage nicht zu hassen noch zu lieben,
Geliebter stirbt, Gehasster triumphirt.
O wär ich ewig so abstrakt geblieben.
      Jetzt laßt genießen mich die Seeligkeit,
Ich fühl mich wohl in den verschwiegnen Räumen,
Wie auch der Sturmwind durch die Föhren schreit;
      Wie auch er durch des Hauses Gänge krächzt
Und an der Fenster ries’ge Kreuze klopft,
Vom alten Thurm die tolle Eule ächzt.
      Ein schwacher Hauch als wie aus Todtenmunde,
Ein Hauch der Stille weht durch meine Seele,
So schwermuthsvoll aus tiefem Herzensgrunde,
      An dieser Leiche ruh ich heute aus,
Von dem bewegten, teuflisch wilden Leben,
Von meines Neigens, meines Hassens Graus;
      So wie ein Wandrer, der die Schlange fliehet,
Die riesige, baumstarke Abgottsschlange
Und die Savane schreckensvoll durchziehet:
      Dann todesmüde von der jähen Flucht
Kreisend zur selben endlich wiederkehret,
Und in dem Schlafe, den er eifrig sucht,
      Zum Kopffühl wählt die gift’ge Mißgestalt,
Daß er erwacht zu neuer Flucht erschrecket,
Und flieht zum andern Mal ohn’ Rast noch Halt.”
      So redet Faustus zu der nackten Leiche,
Die vor ihm auf dem schwarzen Tische liegt,
Der Sturm tost fort, der grasse, schreckensreiche
Wie sich die schwarzen Wipfel drüben neigen,
Als wenn sein Wort sie feierlich bejahten,
In wortelosem, ehrfurchtsvollen Beugen.
      Da tönt’s im Hof von raschen Rosseshufen,
Von ungebändigten, und ungestümen,
Schon klingt’s zur Zell’ herauf die schwarzen Stufen.
      Faust schaut hinaus; es sind zwei gelbe Mähren,
Ein lust’ger Handbub’ reitet auf der einen,
Die Ausgeburt der närrischsten Chimären.

      Da klopft es an die Bogenthür der Zelle,
Mephisto tritt herein in bester Laune,
O sag mir was verziehst du deine Braune
So sonderlich du düsterer Geselle!
      Ein Mägdlein hab ich dir ausspioniret,
Ein Himmelskindlein voller Sitt’ und Zieren
Will nun auch ich einmal so ekstasiren,
Wie du es schrecklich oft an mir probiret.
      O sei doch nicht so fürchterlich blasiret
Und schau dem Balg da in die Augenlöcher;
Komm trink’ hier eins aus diesem Kummerbrecher,
Der Flasch’ die an der Hüft’ mir balanciret.
      Sie ist der Schönheit treue Märtyrin,
Vernimmst du dies, und macht’s dich nicht zum Narren?
Zween Gaule hab’ ich unten: hör’ sie scharren,
O komm Kind schwachen Will’ns und wilder Sinn’!
      Eh’ noch der Mond von Himmel ist verschwunden
Ha’n wir sie in Venetia angebunden
Am Marcusplatz Tavern zum rothen Thurm
O komm, o komm du alter Leichenwurm!
———
      Im öden widerhalln’den Hofesraume,
Besteigen sie die beiden scharr’nden Gäule,
Die ungeduldig spiel’n mit weißem Schaume.
      Der Bube, der die Pferde hält am Zügel,
Ein loser Bursch’ mit einem blinden Auge,
Hilft beiden gar manierlich in die Bügel.
      Und wie sie schallnder wilder Flucht enteilen,
Wie brausend sie, mit mir sturmgeschwellter Mähne,
Des aufgeregten Flusses Welle theilen.
      Winket der Handbub’ einem alten Raben,
Der niedersaß auf einem Cruzifixe
In den Basalt der Klosterwand gegraben.
      Den sattelt sich der wilde Teufelsknabe,
Schwingt sich darauf mit troz’gem Ungestüme,
Hoch überflattert schon den Thurm der Rabe;
      Hoch überflattert er die Riesenfichte,
Wie ihn der Bube mit dem Sporne stachelt
Zum Monde fort dem fiebrischen Gesichte!
      Wie kriecht der Schatten als ein schwarzer Wurm,
So klein und krüpplig über Berg und Thal
Ein dürres Blatt gehetzt von einem Sturm!
      Die sprengen durch den echolauten Wald.
Um Mitternacht bei einem Hochgerichte,
Auf dürrem Hügel schickt man sich zum Halt.
      Und wie sie zügeln ihrer Gäule Hufe,
Harrt ihrer schon der flinke Rabenreiter,
Halb eingenickt auf des Suppliciums Stufe,
      Der alte Rabe kauert stumm verdrossen,
Mit mürr’schen Blicken bei den abgenagten,
Gebleichten Beinen auf des Rades Sprossen.
      Wie beide nah’n, erwacht der Bub’ geschwinde,
Er nimmt die schäum’gen Rosse von den Reitern
Und führt sie auf und ab im kühlen Winde.
      Faust und Mephisto sitzen auf dem Sand
Und sprechen schnell und eifrig aber leise,
Daß es der Teufelsbube nicht verstand.
———
Wie schon der Mond in das Gebirge geht.
Farbt sich Venetias vielgestalter Schatten
Auf stummem Meer, in stummer Majestät.
      Ein schart’ger Felsen ragt er in die Welle
Ein leis’ gehobnes düstres Geisterschiff:
Allnächtig festgeankert an der Stelle. —
      In phantasienreichem, schwanken Gange,
Geht Faustus auf und ab am schönen Meere,
Das ihm die Brust erfüllt mit heißem Drange.
      Am schönen Meer, deß Steigen und deß Neigen
Des Menschen Blick in stierem Schauen fesselt,
Wie in dem Wald das Spiel von Laub und Zweigen.
      Wie wenn man Aug’ in Auge sich besiehet,
Die Seel’ in Seel gedankenlos versinket,
Und in bewustlos dumpfem Traum entfliehet.
      Gefährlich ist’s in solchem wüsten Stieren
Sich unermessne Wünsche zu entzünden,
Und bänglich sich den Busen zu umschnüren.
      Wir schrecken aus dem selbstvergess’nen Traume,
Wir wissen diese Sehnsucht nicht zu nennen,
Wie gleichet uns’re Seel so einem Baume; —
      Deß Zweig’ im Nachthauch schwanken, beben, wehen,
Er dauert uns, als hätt’ auch er Gedanken,
Als könnten sein Verlangen wir verstehen.
      Fort rauscht es in den leis’ erregten Zweigen,
Die düster sich bis an den Boden senken,
Doch ohn’ Erwiedern bleibt das stumme Neigen,
      Nicht tauchet aus des Mond’s geschwelltem See
Ein lichtes Weib, die um den Stamm sich schlänge,
Um zu genügen dem sprachlosen Weh.
      Dies dachte Faust am Meer um diese Stunde,
Am sand’gen Lido von Venetia
Der Mond entschwand lang’ zu der Alpen Grunde.
      Da wandelt über einer Brücke Bogen,
Die zween Palläste mit einander einigt,
Hoch hingewölbet ob der Brenta Wogen,
      Wohl sah es Faust, ein Mensch in schwarzem Kleide,
Zerrung’nen Haars, todtbleichen Angesichts,
Und wie zerknickt von einem Riesenleide.
      Dann schien es ihm, als wär’s ein leerer Schatte,
Von irgend einer närr’schen Nachtgestalt,
O toller Stern! der ihn geworfen hatte.
 
Diana von San Pietra
 
Der Morgen graut, es regt sich in dem Meere
Das in der stummen Nacht so dumpf geschwiegen.
Am Strand zerrol’n der Wellen weiße Heere.
      Als hätt’ ein Zauber ihm die Brust versiegelt,
In der gewalt’gen finstern Schattennacht,
So freudig rauscht’s am Morgen nun entzügelt.
      Wie hier noch Faustus auf und ab spazieret,
Tritt zu ihm an Mephisto, der indessen
Zum rothen Thurm, vergnüglich poculiret.
      Er stolpert ein klein wenig in dem Sande,
Doch unverrückt sind seine gelben Züge,
Die Trunkenheit bringt dem nicht Schimpf noch Schande.
      “Willst du sie seh’n?” spricht er zum düstern Träumer
“Die schönste Magd, die ich dir je erkoren,
“Wenn sie’s nicht ist, so geb’ ich ein Paar Eimer:
      “Die dorten segelt in dem schwarzen Kahne,
Das blasse Kind, bei ihr der kleine Mohr,
“Das ist die wunderniedliche Diane.
      “Sie fährt auf’s Land nach ihrer Inselville,
“So wie du willst, kannst ihr dahin du folgen,
“Gekleidet als venetischer Nobile.
      “Ja dies ist schön,” spricht Faustus ganz versunken,
“In dieser schwarzen Gondel Wellentanz,
“Die macht zum letztenmal mich liebetrunken!
      “Noch einmal Liebe, und noch einmal lieben!
“Dann stürmisch zu den anderen Genüssen,
“Im Höllenboden wuchernd aufgetrieben!
      “Noch einmal Liebe! — die ist zum Entzücken —
“Ich liebe dieses Schmachten auf den Wangen,
“Und diese Gluth in wunderschönen Blicken!
      “Die Bleiche, die ein jegliches Empfinden,
“Als träufelt Blut auf’s Blatt der Myrthenblüthe,
“In wunderschönen Gluthen kann entzünden.”
      “Ich liebe diese tiefen Augensterne,
“Bei Angst und Schreck von dunklem Ring umfurchet,
“O schönes Weib in lichter Meeresferne!”
      Verschwunden ist der dunkle Segelkahn,
Es rauscht empor die hehre Morgensonne,
Da fängt Mephisto so zu reden an:
      “Ich weiß noch nicht,” sagt er: “wird’ es gelingen,
“Sie ist an Tugend, an Erziehung reich,
“Und matt regt noch ihr Herzchen seine Schwingen;
      “Doch bis du gut! wenn wir sie nur erst kennen,
“Oft schafft uns ein zerbrochen Lieblingsglas
“Mit einem Mal, wonach wir lange brennen!
      “Der schrille, harsche Klang, die armen Scherben:
“Das hallt im Herzchen gar so seltsam wieder,
“Der Wehmuth folgt so treulich das Verderben.
      “Die soll dir nicht entgehn im dunklen Kahne,
“Sie unverzagt, Mephisto ist dein Freund,
“Und auch ein Weibername ist Diane!”
      Er schwätzt ins Meer, das ihm die Füße netzet,
Er hinkt und taumelt auf und ab im Sande,
Von seinen Frevelplänen still ergötzet.
———
      Die beiden schleichen um die Inselville,
Auf San Pietras Strand, dort schäumen Strudel,
So wirbelnd und gefräßig wie die Scylle.
      Auf wogenüberwölbendem Altane,
Sitzt in der abendlichen Meereskühle,
Im Mondenschein die schmachtende Diane.
      Und wie die Wog’ sich träumend hebt und senket,
Singt sie ein sehnsuchtsvolles, süßes Lied:
“Ob er wohl meiner, meiner noch gedenket!”
      “Ob er wohl meiner, meiner noch gedenket,
Wie, redet Faust, so hast du mich betrogen,
Und um die schöne Hoffnung mich gekränket,
      “Du hast das reinste Wesen mir versprochen,
Das noch nicht Neigung und nicht Sehnsucht fühlte,
Ist nicht recht schurkenhaft dein Wort gebrochen?”
      “Ha!” lachte jener, muß dich ich es lehren,
Hochedelster Schatzmeister der Gefühle
Die euer Herz zernagen und verzehren?
      Begreifst du nicht die Unermeßlichkeiten,
Des Nichts, in die solch üppig Abendlied
Das Mädchen lockt, das weißt du nicht zu deuten!
      Noch keinem Mann hat sie ins Aug gesehen,
Um keines Jünglings Brust den Arm geschlungen,
Und will vor Lieb’ und Zärtlichkeit vergehen!
      Du Thor! um solche närrische Gefühle,
Die fern und fern, verhallen und zerschellen,
Als du’s gesehn im Meer beim Wellenspiele:
      Plagst du dich schon mit eifersücht’gen Grillen,
O wisse diese nicht’gen Gaukeleien,
Die machten schon gar manchen mir zu Willen!
      Da selbst — du selbst!” o schweig beredter Schuft
Ruft Faust, ich hab’s nun völlig eingesehen,
Wenn du so sprichst, benimmt’s mir Muth und Luft!
      Ich weiß, ich habe wenig widerstanden,
Da’s mich verlockt in der Unendlichkeiten
Grundlose Wirbel, die nun schon versanden.
      Was mahnst du mich an dieses dunkle Ringen,
Fluch der Gedanken tollen Wolkenjagd,
Umdüsternd mich mit ihren finstern Schwingen!”
      Mephisto lacht: “sag’ nur, was sprichst du wieder,
Das hört ich öfters als das Lied der Raben,
Die an dem Galgen hüpfen auf und nieder.
      “Doch nun zu ihr, ich schwör’s zum letzten Male,
“Singt sie wie heut: ob er wohl mein gedenkt,
“So sittsamlich bei dieses Mondes Strahle”!
———
      Es war zur Zeit der dumpfen Mitternacht,
Im tiefen Vollmond schauert’s geisterhaft,
Und Wog’ und Strudel brüllt und tobt mit Macht.
      Der weiße Schaum tanzt auf den Wellenhügeln,
Er wogt und wallet blinkend auf und nieder,
Als wär’s ein Schwan mit blüthenweißen Flügeln!
      Ein Kahn rauscht durch der Insel wilde Strudel,
Kein Segel glänzt vom dürren, kahlen Maste,
Danebenher schwimmt ein kohlschwarzer Pudel.
      Im Kahn sitzt Faust, zu Seiten ihm Diane:
Wild stürmt es fort, als heult in tausend Segel,
Der aufgeregt’ste tollste der Orcane.
      Dian’ ist bleich, ihr Auge roth geweinet,
Zur Welle hangt die aufgelöste Locke,
Von keiner Kunst geebnet und geeinet.
      Die Blicke Faustus leuchten wild entzündet,
Und wie er redet, zittert seine Stimme,
Daß er zuerst fast keine Worte findet.
      Als käm er von dem üppigsten Bankette,
So pocht es in den Adern seiner Stirne,
Hoch weht die dunkle Feder vom Barette.
      Er schwatzt von seiner heißen Brust Verlangen,
Von Furcht und Sehnsucht, und von Tod und Thränen
Wie allgewaltig ist sein zärtlich Bangen!
      Wie rauscht die Barke durch der Woge Schaum,
Sturmrasch schwimmt nebenher der tolle Pudel.
Faust ist beglückt im Meer, im Liebestraum.
      Doch wie er aufblickt zu dem Vollmondhimmel
Gewahrt er vieler höllischen Gestalten,
Verrücktes, schwarzes, teuflisches Gewimmel.
      Den Mast umtanzt ein scheußliches Gelichter
Von schwarzen Buben, die die Barke treiben,
Verzerrte, grasse, höhnende Gesichter.
      Das war ein wirres, ekelhaftes Regen,
Wie sie unzählig an dem Holze klammern,
Gleich Fledermäusen an der Kirchthür Schlägen.
      Schon dämmert immer näher von dem Strande
Des riesigen Gebirges starr Gewinde,
Die finstern Bäume auf dem Felsenrande.
———
      Wie sie’s gemacht, die Magd sich zu gewinnen,
Deß kann die Kund sich nicht besinnen,
Ihr Aug’ ist trüb, ihr Blick ist weich,
Das Haar gelöst, die Wange bleich,
Faust ist entflammet, extasiret,
Sein Blick ist wild, sein Blut pulsiret.
Auf dem Altan, da Diana saß
Liegt um der Tisch mit vielem Glas.
Manch schön Geräth ins Meer versank,
Ein Schleier fliegt den Strand entlang.
Die Laute liegt zerschellt am Boden,
Der Mohr dabei ohn’ Hauch und Oden;
Es war ‘ne wüste, nächt’ge Stunde,
Doch was geschah, verschweigt die Kunde.
———
      Auf Lotterbetten sitzen sie beim Mahl,
Im dämmerlichen, wunderschönen Saal,
Wie strahlet von Dianens holder Wange,
Das milde Roth im Sonnenniedergange.
Noch röther glänzt’s, wo Faustus sie geküßt
Der Liebe ganz und ganz Entzücken ist.
Schön ist die Dämmerung, schön der Felsentrümmer
Dran niedersteigt der letzte lichte Schimmer.
Leis’ weht der Abend in der Trauerweide
Im stillen See und in der Tannenhaide.
Da schwirrt es an die Glasthür vom Balkon,
Ein schauriger, gespensterhafter Ton.
Es zerret an den blanken, goldnen Ringeln,
Es dränget an die Scheiben wie mit Flügeln,
Dian’ erbleicht, doch Faust eilt keck hinaus,
Zu schaun, was ihm bedroht der Liebe Haus.
Als einen großen Geier er erblickt,
Der gar verständig an den Riegeln rückt.
Ein Blatt Papier halt er im Klauenfange,
Faust nimmt’s und liest’s, es bleichet seine Wange.
Mit Ungestüm schwingt er sich auf den Geier,
Und aufwärts steigt mit ihm das Ungeheuer;
Wie schweben die im bleichen Sternenlichte,
Wie ächzt des Thiers bleischwerer Flügelschlag.
Verzweiflung wühlt auf seinem Angesichte,
Er blickt zur Erde, wo der Pallast lag,
Und länger kann er’s nicht ertragen,
Wie er der Liebsten fernen Schatten sieht.
Er sieht sie weinen, sich die Brust zerschlagen;
Er flucht und wild sein Auge glüht.
Aus seinem Busen zieht er eine Schneide,
Durchsticht des Unthiers Hals mit rascher Wuth,
Das sinket flatternd in die dunkle Heide,
Und wälzt sich sterbend in dem heißen Blut.
— Doch Faustus eilt mit sturmesschneller Hast
Zu seinem Weib im leuchtenden Pallast.
“O komm,” spricht er mit gramumwölkter Stirne,
Zu der in Aengsten hingesunknen Dirne:
“O komm,” spricht er: “o komm laß uns entfliehn,
“Du süßes Kind, wo sie uns nicht mehr finden.”
“Mein Lebenslicht, o weine nicht, sei kühn!
“Fort! fort! aus diesem Höllenhaus der Sünden!”
Er schlingt ums Mädchin seinen Arm mit Macht,
Und stürzt hinaus in Wald und Nacht.
———
      Als sie gegangen, trat Mephisto ein:
Er lacht und zecht von dem Burgunderwein,
Bespiegelt in dem Kerzenglanz,
Den Ziegenbart, den schwarzen Schwanz.
“Nein;” höhnet er: “das ist zu toll.
“Wie ist der Geckenwicht befangen,
“Er kennt mich lang, er kennt mich wohl,
“Entgeht mir nicht, und ist mir nie entgangen.
“Nun stürzt er mit der Dirne fort,
“Die ich, ich selbst, ihn lehrt verführen
“Mit tollem Abscheu gegen diesen Ort,
“Voll Teufelshaß, voll sittlicher Begieren,
“Der Geier kam zum falschen Augenblick:
“Es ward ihm wohl an ihrem Munde:
“Er träumt sich schuldlos, wohl verdient sein Glück,
“Und fluchet unserm freundschaftlichen Bunde.
“Ich kenn’ dies schlechte Tugendwähnen,
“Die Exaltation der Dämmerstunde:
“Die Wehmuth und das Himmelssehnen
“Ich kenn’ dies wirrste, menschliche Gefühl
“Die ganze Leerheit in dem Höllenspiel:
“Ich schuf’s — der kluge Mann ließ sich bethören,
“In Teufelsangst rennt er durch Feld und Wald,
“Ich lass’ ihn unbesorgt gewähren:
“Es ruft mich doch sein holdes Liebchen bald.
“Und wär’ ich auf viel tausend Stunde,
“Es zöge mich unwiderstehlich hin,
“Er küsset mich von ihrem Munde,
“In jedem Pulsschlag fühlt er mich erglühn.”
Er sprach in seinem Höllengrimme
Die Worte mit erhobner Stimme.
Und wie er auf und nieder keucht,
Flackert die Kerz’ vom Zug gescheucht.
———
Im dämmerlichen, wilden Eichenwald,
Sitzt Faustus bei der schlafenden Diane,
Und wie’s im Baume mächtig rauscht und hallt,
So rauscht’s und hallt’s im nahen Oceane.
      Tiefstummen Schlafes schläft das schöne Kind,
Kein Traum pulsirt das Blut in ihre Wangen,
Des Lides Schleier, der ihr Aug’ umspinnt,
Zuckt nicht verrathend Hassen oder Hangen.
      Und wie vom Schlafe so entseelt sie ruht,
Ganz regungslos und ohne Lebenszeichen,
So scheint auch Faust ein Mann ohn Hauch und Blut
Und er wie sie, sie ähneln zween Leichen.
      So starr blickt er ihr in das Angesicht,
So hält er fest umspannet ihre Hände,
Lebendig wankt im schwanken Dämmerlicht,
Um sie ihr Schatten hurtig und behende.

Mephisto kommt, der Höllenbrand,
Ein lohes Fackelstümpflein in der Hand,
Naht er sich aus des Waldes tiefstem Grunde,
Und Hohn und Spott verzerret seinen Mund.
Als wenn man trocknes Reiserholz zerbricht,
So knackt sein Schritt: “o du wortbrüch’ger Wicht,
Was kommst du nicht, wenn ich dich mahne;
Verdammt das schnöde Weibsgebild Diane!
Um was erstachest du mein Leiblingsthier,
Das ich zum Ritt gesendet dir!
Jetzt eile nur, sie werden ungeduldig,
Du bist es mir, bist es den andern schuldig!
Ich habe viel, gar viel bei dir zu gut;
Quält’ ich dich je um einen Tropfen Blut?
Nicht einen Buchstab und kein Blatt Papier,
Verlangt’ ich je zur Sicherheit von dir!
Um all’ den amüsanten Zeitvertreib,
Ist dir kein Haar gekränkt an deinem Leib!
Jetzt aber brauch ich dies, und brauch noch mehr,
Du zögre nicht, sie peinigen mich sehr!
Bald bring ich wieder auf die Erde dich;
Du bist wie sonst, verliebt und liederlich.
Faust hört ihn an in glüh’nder Herzensqual,
Wie schläft die Dirn’, sein schönes Bettgemahl!
“Bis sie erwacht, laß mich, ein Abschiedswort
Von ihr, dann will ich, wie du forderst fort!”
“Du ruhest nicht, als bis ich zornig werde,”
Sagt der mit einer häßlichen Geberde,
“Küss’ sie ins Teufelsnamen noch einmal,
Dann komm’, und sei mir nicht zu Hohn und Qual!”
      Wie sie nun gehn, erwacht Diane,
Und sieht den Teufel mit dem glimmen Spahne,
An seinem Arme den geliebten Mann,
Um den sie so viel Sündliches begann.
Sie zweifelt noch, ihr Aug vom Schlaf verwirret
Beredt sie nicht, daß sie sich nicht geirret;
Sie sammelt sich, dann springt sie plötzlich auf,
Und stürzet hin in wahnsinnsraschem Lauf.
Wie ihr es dünkt, so eilen nicht die beiden,
Gemess’nen Schritts durchwandeln sie die Haiden,
Doch mag Diane jagen, daß sie sinkt,
Nicht naht sie dem, der ruhig vor ihr hinkt. —
Ihr Busen klopft, und ihre Pulse tosen,
Dem Kranz im Haar entrollen Band und Rosen,
Der Athem keucht, vertrocknet ist ihr Mond,
Oft fällt sie hin und schlägt die Stirne wund.
      Gekommen sind sie zu den tiefsten Gründen,
Des finstern Waldes, in häßlichen Gewinden,
Verfaulet hier ein ungeheurer Moor,
Darin sich schon manch Menschenkind verlor.
Hier war es grausenhaft und fürchterlich,
Daß Sterblichen der Lebensmuth entwich,
Wie auf des Oceanes Abgrund-Riffen
Die Schreckniß wohnt, von Menschen unbegriffen.
Der Schauderhaufen von geschwollnen Leichen,
Verfall’n den Mächtigsten in diesen Reichen,
Noch namenloser Ungeheuer Spiel,
Ein zauberhaftes, schreckliches Gewühl:
So starren hier in greller Irrlicht Scheine,
Viel weiße, dürre, menschliche Gebeine,
Zerrupft Gefieder treibt im nächt’gen Wind,
Im Moor verwest der Balg von Schaaf und Rind.
Wie bieget sich als unter Steingewicht
Der Eichenast, der fast zu Boden bricht;
So sitzt auf ihm in schwarzen, finstern Schaaren
Der wüste Hauf von Geiern und von Aaren.
      Die beiden gehn gelassnen Schrittes hin,
Noch siehet man Mephistos Fackel glühn.
Um diesen Brand viel Irrwisch fliegen
In unabsehbar langen Feuerzügen;
Um ihre Kön’gin schwärmen so die Bienen,
Ergötzend sich am Sonnenschein im Grünen.
Diana schauert, wilder Wahnsinn sprüht
Aus ihrem Aug’ die Stirne klopft und glüht.
Noch stürzt sie fort, den Boden kaum sie streift,
Von ihrem Haare schauerlich umschweift.
Mit hoch erhobnem Arm am Meeresrand
Sinkt sie hin und stirbt, laut lacht der Höllenbrand
Mephisto, daß es durch die Eichen gellt,
Drauf er mit Faust sich in die Wolken schnellt.
———
      Und wie sie schweben, brauset hinterdran
Der alte Sturm, der zornesmüth’ge Mann,
Emporgetauchet aus dem Grund der Eichen,
Die düster bebend von einander weichen.
Wie schüttelt er das ries’ge Wolkenheer,
Und jagt sie närrisch in die Kreuz und Queer,
Zerraufend sie, wie man ein Tuch zerreißt,
Der arme Faustus und sein böser Geist,
Sind ganz in dumpfe Nebel eingehüllet,
Und dunkler Thau aus ihren Haaren quillet.
“Mephisto” braust der Sturm: “geh nicht so schnell
“Du weißt, heut komm’ ich mit an Ort und Stell.”
“So komm nur, komm!” entgegnet der: “und eil,
“Wie ichs gesagt, heut kriegst du auch dein Theil.”
Wie tostt’s im Meer, ob dem sie grade schweben,
Als solche Antwort er dem Sturm gegeben;
Wie brandet’s weiß am Strand, dem klippenreichen,
Als wär’ es Schimmer von viel tausend Leichen.
———
      In dumpfer, melanchol’scher Regennacht,
Steht schauerlich das Haus Sanktae Marie,
In seiner Schwermuth mitternächtger Pracht,
Am Waldesstrome die Anatomie. —
Wie rauscht es zum Entsetzen öd’ und bang
Hinauf, hinab, den langen Bogengang:
Und was da wirbelt, in des Zuges Spiel
Hinauf, hinab, ein schwirrendes Gewühl!
Der schöne Engel, der geglänzt im Bilde,
Der hehren Weihnacht süßer Himmelsmilde
Der sich geneigt dem schönen Jesuskinde
Als wüster Fetzen flattert er im Winde,
Wie ein lichtscheuer Schmetterling der Nacht
Sich hurtig wirbelnd in der wilden Jagd.
Und an der Säule hängt der leere Rahmen,
Erwünscht den Fledermäusen, die erlahmen.
———
      Wie nun in dieser Nacht vom schwarzen Thurme
Der zwölften Stunde hohler Klang verschollen
Ferne verhallend in dem Waldessturme.
      Was schleicht da durch die Wolken ob der Eichen,
So matt und sacht, als wie ein Zug von Todten,
Die aus dem Grab um diese Stund’ entweichen!
      Faust ist es, welcher wallet in der Mitte
Zur Zeit geneigt das bleiche Angesicht,
Verloschnen Aug’s mit todtenmattem Schritte.
      Geführt von zween häßlichen Gesellen
Welche den schwachen an der Achsel stützen.
Sie haben Mäntel um aus rothen Fellen.
      So nähern sie sich in trübseel’gem Schleichen
Hoch wandelnd in dem Sturme in den Wolken,
Und wie sie wandeln, beugen sich die Eichen.
      Zum Klosterhofe steigen sie hernieder
Und in der weißen Nische am Gewölbe,
Da lassen sie den armen Faustum nieder,
      Und aufwärts steigen wieder sie geschwinde
Und Hand in Hand sind sie im Sturm entschwunden,
Die grasse, wilde Bettelbrut der Sünde.
      Allein sitzt Faust im dumpfen Hofesraume.
In schweren Schlaf ist seine Seel’ versunken,
Ersinnend kein Gebild zum Schauertraume.
      Also verrauschet eine finstre Stunde
Der bleiche Mensch schläft in der Bogennische
Der Regensturmwind braust im Waldesgrunde.
      Da naht Mephisto aus der dunklen Weite,
Er lacht dem Schläfer spöttisch ins Gesichte.
“Das also, spricht er, war zu viel Dir heute!
      Und doch hab’ ich noch wohl für Dich gestritten,
Manch lüstern Höllenweib schlng ich zu Boden,
Doch bei dem alten Sturmwind half kein Bitten.
      Doch nun vergiß das Galgennest die Hölle,
Deine Natur ist gut, dein Puls ist stark,
Bald wird’s vor Hirn und Augen wieder helle.
      Ich weiß für Dich die herrlichste Blondine,
So was ist Dir noch nicht zu Theil geworden,
Fern an des deutschen Meeres rauher Düne.
      Du freutest Dich bisher an schwarzen Dirnen.
An Welschlands dunkelfarbigem Geschlechte,
Versuch’ es nun einmal mit schnee’gen Stirnen.
      O die ist schön! so recht für Dich mein Junge!”
Mephisto beugt zu seinem Ohr sich nieder,
Und schwatzt und schwatzt mit sturmgeschwinder Zunge.
      Daß Fausti todtenbleiche Mange glühet.
Der Busen tönt in wildem Herzenschlage,
Zu üppigem Lächeln sich der Mund verziehet
      Und wie der Sturm enthüllt das Mondgesichte.
Da wandeln schon sie in der weiten Ferne
Im lauten Wald, im Schatten und im Lichte.
 
Am Ocean
 
Sie stehn am Meer dem sturmzerrissnen wilden,
Dess’ Wogen sich zu gräulichen Gebilden
Verzerrn, zu schwermuthsvollen finstern Fratzen,
Ein wildes Heer von brunstentflammten Katzen. —
Und wieder strahlt der Mond in falbem Licht,
Ein abgezehrtes kränkelndes Gesicht,
Der gern erscheint die Nacht da Faustus irrt,
durch Wald und Dün’ mit seinem Seelenhirt.
Der wilde Sturm hat endlich ausgebraus’t,
Die krampfig fesgeballte Riesenfaust,
Von Wog’ und Wolke löst sich allgemach.
Unheil die Schlang’ die ihren Nerven stach,
Enteilt zur finstern Fern’ in langen Ringen,
Die weit sich mit der Nebelnacht verschlingen.
      Faust athmet kaum, er stiert ins Element,
Darin er seines Lebens Bild erkennt.
Wie Unheil der gewaltge Drach
Die Spiegelfluth der See durchbrach,
Daß sie am Fels verspritzt, verschäumt,
Hyänenhaft emporgebäumt,
Sich selbst zerriß, die klar und licht
Des Himmels Gluth, des Mondes Licht
Im Schoß empfing: nun wild zertrümmert,
Laut heulend ihren Schmerz verwimmert:
So war durch seines Herzens helle Fluth,
Unheil gerast in Bachanal’scher Wuth,
Und hat an ödem Strande sie verspritzt,
Des Himmels Bild zerworfen und zerritzt.
      Im Mondenlicht das glüh’nder jetzt erstrahlt,
Des Faustus Bildung in der See sich malt,
Zu ihr gepaart die von dem Seelenhirt
Der dumpf und schläfrig auf den Boden stiert.
Und auf der Düne liegt ihr finstrer Schatte,
So lang als wie von Tod gestreckt: der matte
Nachtwind weht durch ihr Mäntelein
Und zerrt und zieht am schwarzen Wiederschein.
Faust ist so bleich: die Stirne hochgewölbt,
So klar und hell ist nun verwelkt, vergelbt,
Von einer tiefen Falte schwer durchzogen
Hoch über seiner Augenbraunen Bogen.
Die hat das Ansehn ganz, die hat die Farbe
Als ob sie eine wüste, tiefe Narbe.
“Was sagtest Du, spricht er nach langem Schweigen
Da er geblickt zum wüsten Wellenreigen:
Was sagtest Du, schieb ich in diesen Sand,
Zur Ebbezeit: “hier Doctor Faustus stand,
Der sich mit seiner Seele Seeligkeit
Dem allerbesten Teufel hat geweiht;”
Oder gleich in dem sonderen Idiom
Das mit Gewicht der Prister spricht zu Rom,
Der heil’gen Sprache der vier Fakultäten
Die wie gemacht zum Richten, Heilen, Beten,
Zum andern Irrsal menschlichen Verstandes
Im süßen Gaue dieses deutschen Landes.
“Hoc stetit Doctor Faustus littore
Qui sese pro aeterno tempore
Addicavit malo diabolo
Cum corpore divino animo.”
Was sagtest Du, braust nun heran die Fluth
Und läßt mir stehn das Stücklein Uebermuth,
Und steh’ts so ewig, weckt wie ein Gerippe
Ein Stoßgebet auf jedes Schiffers Lippe; —
Wenn hier die Wog’ als schwebt sie über Gründen
Deren Boden unermessen nicht zu finden
In ew’gem, wahnsinnsraschen Kreis sich dreht,
So daß mir nie die grasse Schrift verweht.
Hier steht im Sonnen: steht im Mondenschein
Was ich gezeichnet in den Flugsand ein.
Die Striche flöh’ das Meergevögel
Und mehr als Fels verscheuchten sie ein Segel!”
“O Thor” sagt der “hörst Du nur meine Lehren
Sie mir im Mund willkührlich umzukehren.
Ihr tolles Volk begehet keinen Mord
Ohn daß ihr meint, es tob’ dazu der Nord
Ihr möget nicht erröthen, nicht erbleichen,
Ohn’ daß der Wang’ die Himmel sich euch gleichen. —
Nicht schreib Du’s in den trocknen flücht’gen Sand,
Daß seinen Freund im Teufel Faustus fand
Actz’ Du’s in einen Eichenstamm auf’s Mark,
Natur bedeckt’s: sie ist so gut und stark:
Umspülend es mit frischem, kräft’gem Saft,
Der Narben bald der scharfen Wunde schafft.
Nicht schreib Dus in den irren, losen Sand,
Hier wußt’ dem Bösen Faust nicht Widerstand
Schreib’s mit dem Meissel in den Felsen dort,
Und Regen, Wog’ verlöschen Dir das Wort.
Und klingt’s auch der Philisterinn
Wie Grabesschrift in seinem Frevelsinn,
Sie schont es drum nicht mehr als die Millionen
So sie verlöscht im Laufe der Aeonen.
Ihr Moos hüpft gern auf einen Leichenstein
Und ranket sich wie an dem Holzspalier,
An solche Schrift: voll edeler Begier
Zernagt mit Luft der Wurm das Todtenbein.
An euers Leibes schmerzlicher Verkohlung
Sich sättigend, in eigensinn’gem Hohn,
Ersteht sie jung in ew’ger Wiederholung,
Streng fesselnd euch in sklavenhafter Frohn;
Verflucht dies eigennütz’ge schlechte Weib,
Das eurer Seel geboten solchen Leib.
Ich aber ruf’ ins Meer, ruf’ himmelan,
Erlöser ist, und bleibet euch Satan!
Der tollen Rausch durch dies Geäder hetzt:
Und euch belehrt wie ihr euch widersetzt.”
Faust hört das Wort: doch weiß er nicht,
Sprach er dies selbst, sprachs sein Begleiter,
Der seelenlose Höllenwicht.
Die Woge klingt es fort und fort und weiter
      Es tropft der Mond ins Meer um diese Stunde:
So roth und schwer wie Blut aus einer Wunde:
Geschmolzen Gold, das in der Menschen Sinn
Den unersättlichen, Gebieterinn
Die siegesreiche Königinn Schwermuth träuft,
Den nimmer satten in den Tod ersäuft.
Mephisto schweigt: auf glimmer Wog’ im West.
Hintreibt ein Wrack: ein dunkler, kleiner Rest
Dem dürren Blatt vergleichbar, das zernagt,
In wüstem Wind auf öden Fluren jagt.
 
Schön Hertha
 
Faust wandelt auf und ab im Corridor:
In prachtvoll mondeslichter Abendstunde:
Des Nordmeers Stimme schlägt zu seinem Ohr
Und still und zärtlich seufzt’s aus seinem Munde,
Sein Blick ist friedlich, seine Stirne rein,
Das Haar geregelt, neu sein Mäntelein;
Die blankste Feder wallt vom sammtbarette,
Und um das Wamms hangt eine goldne Kette.
Die felsumgränzte helle Meeresbay
Strahlt ihm in wunderhellem Wiederscheine
Das Trümmerschloß erhöht so keck und frei,
Auf starrer Felsen schwarz bemoostem Steine.
Und wie der volle Mond dann höher wallt,
Und statt der zarten goldnen Lichtgestalt,
Die in dem Meeresgrund sich sanft gewiegt,
Der wüste Schatten trübe niederkriecht!
Faust schauert in der Einsamkeit
Da hoch und höher sich sein Busen hebet.
Er hört ihr Klingen das ihn oft erfreut
Dies ernste Säuseln, wies sein Ohr umbebet.
Was tönet dieser Laut der trüben Nacht,
Dies Fächeln wie von vielen, vielen Zweigen,
O unbegriffen und unausgedacht,
Dies schwirre Plaudern in dem tiefsten Schweigen.
Es ist kein stürmisch Herze das so schlägt
Nicht Meer nicht Baum vom Nachtwind aufgeregt.
Es ist kein Lispeln einer scheuen Lippe,
Kein schrecklich Zittern wachender Gerippe.
Allein den Geist versetzt dies dunkle Schwirren,
In eben solche räthselhafte Wirren
Und es versenkt in bängliche Gefühle,
Gleich wie der Wellen und der Zweige Spiele.
      Da winkt’s ihm durch der Scheiben rundes Glas,
Mephisto steht auf einem spitzen Stein
Der dürre Wicht so häßlich und so graß
Und murmelt heiser: “jetzo geh’ hinein!”
Faust sieht der zween Finger dürre Knochen
Die ihm so altverständig lüstern winken:
Er fühlet bänglich seinen Busen pochen,
Und seine Keckheit scheint ihm zu entsinken.
Doch schreitet er mit Fassung Sitt’ und Ziere
Gesetzten Schrittes auf die nächste Thüre.
Drin sitzt am rauhen Tische von Basalt,
Bei dumpfen Lämplein eine Weibsgestalt
Ein bleiches Wesen, hager, knochendürr
So still und starr, als hätt’ es keine Seele,
Das blonde Haar zerrupft und schrecklich wirr,
Das blöde Aug’ in tiefer, finstrer Höhle.
Die Wang’ ist dürr und blässer als der Tod,
Die blut’ge Lippe färbt den Busen roth.
Und wie sie in das trübe Flämmchen schauet,
Und an den trocknen Spindelfingern kauet,
Murrt sie in kläglich jammervollem Laut
Schwer aus dem tiefsten Busen: “Braut!”
Dann küßt sie heftig die verdorrte Hand,
Und zuckt es in der Leuchte trübem Brand,
Vor ihrem Hauch, dann schreckt sie wild zusammen,
Und wirft sich wüthend auf den kalten Boden,
Flucht grasse Flüche, die der Höll’ entstammen,
Und reißt und fetzt vom Leib’ die schwarzen Loden.
      Und als verlosch das Lämpelein
Traf sie wie Blitz der Vollmondschein.
Da tobt sie noch unmenschlicher, und wilder,
Was sah in diesem Licht ihr Geist für Bilder
Die noch vor Menschenauge nicht geschwebt,
Bis sie erstarrt zur grausen Leich entstellt,
Ganz wie man auf dem Kirchhof sie begräbt,
Ein schrecklich Unding auf den Boden fällt.
Faust sah mit starrem Blick das wilde Spiel.
Es fesselt ihn, einschläfernd sein Gefühl,
Und sein Besinnen, doch wie er erwacht,
Erfaßt’s ihn selber mit des Wahnsinns Macht,
Er stürzt hinaus als Hertha eben,
Der arme, bleiche, nackte Wurm,
Gepeitscht von ihres Wahnes Sturm
Emporstieg an des Fensters Eisenstäben.
Hin zu Mephisto, der an weicher Düne sitzt
Und seinen Kopf im Arme schläfrig stützt.
“Verfluchtes Thier, ruft er zum Feinde Gottes
Was machst Du mich zum Spielwerk deines Spottes?
Was machst Du mich zu dem wahnsinn’gen Kinde
Verheitzend mir des Himmels Seeligkeit
Da ich ein arm, unglücklich Scheusal finde
Zerknickt Gott weiß! von welchem Herzeleid!
      “Ihr hattet ich so baar und kahl gemacht,
Ich war so todtenmatt und dumpf befangen!
Du Teufel hast Dir’s wieder angefacht
Das dir gehorchet dieses Gluthverlangen.
Was ließt du’s nicht als eine Leiche,
Wie es in meinem Busen lag begraben,
Nun wars nicht klug, da ich die Hand dir reiche
Also mich jetzt zum Narrn zu haben!
Einen kurzen Sonnenblick von Illusion,
Ein Blumenbett an dem Abgrunde,
Wohl noch einmal verdient ich schon,
Von Dir dem widerspenst’gen Hunde!”
Wie so er sprach, steigt an dem Eisenstab
Die arme bleiche Hertha auf und ab.
Sie regt sich sacht’ als ob im süßen Traume
Sie schweb’ am Zweig vom Lebensbaume,
Daran die schönsten Früchte lächeln,
Deß’ Blätter seelig sie umfacheln.
Wem der Gedank’ in stillem Kreis sich regt,
Wem Tag auf Tag gleichsinnig sich bewegt
Von keinem Leid und Gram gerührt,
Von keinen Wonnen exaltirt
Der ahnet nichts von solchen unermess’nen
Abgründen, in dem felsenfesten Herzen:
In welche die zerrung’nen und zerfreßnen,
Gefühle, schneidend wilde, bange Schmerzen,
Herniederzieh’n in ihre Todtenhöhle
Das Ich, den heil’gen Götterhauch der Seele.
Ein dumpfes Echo nur darf noch erklingen
Im Grunde liegt es mit gebrochnen Schwingen. —
      Mephisto der sich kurz besinnt,
Zu dem erzürnten Doktor so beginnt:
“Thu mir’s zur Liebe, sei nicht böse!
Von solchen Kleinigkeiten kein Getöse.
Es thut mir leid ich habe Dich gequält!
Mich trifft nicht Schuld, wenn das Gedächtniß fehlt.
Ich irrte mich blos um ein halbes Jahr
Da war beim Teufel Alles wahr,
Was gestern ich Dir an der Magd gelobt,
Die dorten so gar unverständig tobt!
Der Satan hol’s, vergaß ich’s eben
Zween Prinzen hatt’ ich sie zum Bräutlein schon gegeben.
Dem Prinz von Wales, und dem von Turindur,
Zween Herrn wie sie zu wünschen nur!
Doch bis nur still — schau nicht so kummervoll
Wir finden wohl noch eine die nicht toll!
Ein holdes Täubchen soll Dir nicht entgehn.
Ich weiß schon was, — — doch laß mich’s noch bedenken,
Und sollt ein Fürstenkind zum Teufel gehn,
Glück auf! Dir Faust und Deinen Liebesschwänken!”
 
Die alten Zecher
 
Wie sie vorübergehn am Meeresschlosse,
Schaun sie ins Fenster in dem Erdgeschosse.
Es ist erhellt, vom gothischen Oval
Liegt schwanken Lichts der helle Wiederstrahl,
Auf schönen, langgestreckten Wellen,
Die brüllend an dem Felsenrand zerschellen.
Von drinnen braust ein gleich gewaltig Lärmen,
Als wie von Zechern, die beim Glase schwärmen
Ihr Singsang tobt so brüllend laut
Als wie die tolle Sturmesbraut,
Wie Wellen wild entsetzlich klingt,
Wenn in den Händen ein Pokal zerspringt.
Die übernächt’gen, wüsten Schlemmer waren
Drei dürre Greise mit schneeweißen Haaren!
Sie füll’n das Glas aus hohem schwarzem Krug,
Und zechen frisch und wacker Zug um Zug.
Die Stirne schwillt, das Auge glüht und stieret.
Und bubenhaft die Zung extravagiret.
Der Teufel spricht: hörst du, so hab’ ichs gern
Das sind Gesellen von meinem Schlag und Kern,
Die so versaufen ihren Herzensgram,
Die bittre Reu’ die tiefgefühlte Schaam.
Solchen allein kann ich’s nach Wunsche machen,
Sie würden mich verhöhnen und verlachen,
Wenn ich sie nicht nach bester Möglichkeit
Bedacht mit Sorg’ und schwerem Herzeleid!
Für sie ist das nur Anlaß zur Erquickung,
Bei eines Bechers toll erschall’ndem Lärm,
“O Himmel! Himmel! welche finstre Schickung!
Schrein sie: o Trost! gießt Wein mir ins Gedärm!
Was thäten sie die lange, lange Zeit,
Hetzt’ ich sie nicht zu Luft und Heiterkeit.
Die Welt wünscht drum sie noch nicht zu den Teufeln.
Sie thun: so heißt’s damit sie nicht verzweifeln.
Sich, jene schmale, trockene Gestalt,
Die an die graue Säule sich gesetzt!
Horch, wie die schwere Zunge säuisch lallt,
Schau, wie er sich am süßen Safte letzt!
Sieh die verdorrte, gelbe Runzelwange!
Sein Schloß lag rechts dort an dem Felsenhange,
Es ist verbrannt und liegt in Asch’ und Staub,
Sein Sohn durchschweist Gebirg’ und Moer auf Raub!
Sein Weib ist Kupplerin, die Tochter Hur’!
Bewunderst du die himmlische Natur?
Und jener mit dem ausgezackten Bart,
Der in das Glas mit stierer Wonne starrt:
Dem auf der Stirn der Ader fast zerspringt.
Und dessen Lippe tolle Rede klingt:
Dem ward unlängst bei Hof das Schwerdt zerbrochen,
Der Herzog hat kein Wort mit ihm gesprochen.
Auf ewig ist befleckt sein alter Adel
Vom alten Gothen stammend ohne Tadel!”
Mephisto schweigt: er hat sich fast erhitzt
Und sondern Glanz sein fahles Auge blitzt.
Faust, der ihn gar gespannt gehört,
Mit solchem Wort sich wieder zu ihm kehrt:
“Nicht hast du mir erzählet von dem dritten
Der zwischen beiden sitzet in der Mitten?”
“Der, sagt Mephisto, mit der strupp’gen Stirn,
Der sich die Hand zerschlug am scharfen Splitter,
Der kleine Kerl ist Vater von der Dirn’
Die dorten balancirt am Eisengitter,
Wie ist das Thier von ganzer Seel’ vergnügt,
Da ihn die Wuth des Rausches toll durchfliegt.
Was schaust du mich so gar verzweifelt an?
Ich geh hinein zu dem charmanten Mann!
Du willst nicht mit! So bleib’ indeß hier draußen,
Du hörst so gern das Sturm: und Wellenbrausen.
Und find’st die Nacht am Meer so intressant,
So warte hier ein wenig an dem Strand.
Beschau des Mondes tief ergreifend Sinken
Ich gehe blos hinein, um mal zu trinken.
Sie leeren da ein Gläslein alt und gut,
Und die Gesellschaft hat mein muntres Blut!”
Er schlüpft sturmrasch durchs dunkele Portal,
Unmenschlich wilder Lärm erdröhnt im Saal:
“Auf du und du, auf ewiglich der deine!”
Das leere Glas zerklirrt am Säulensteine.
Gewalt’ger braus’t die Nacht, die Fluth,
Der Mond versinkt in voller blut’ger Gluth,
Faust nässt die Stirn in dunk’ler Welle
Da ihm vor Aug’ und Sinne nicht gar helle.

Paraklet

Die Nacht ruht auf dem Tannenwald,
Und schauerlich Gewölke wallt
Wie flügellahme Raben todtenmatt,
Dem Monde nach, der sich erhoben hat.
Die schwarze Brut schleicht traurig, müd’ und schwer
Ein unabsehbar langes, düstres Heer:
Als müßten sie mit blutigem Gefieder,
Von Zweig zu Zweige hüpfend sinken nieder:
      Und Faustus liegt das Haupt in seiner Hand,
An eines tiefen Waldsees moos’gem Rand:
In dessen Wog’ die volle Mondesgluth
Entzückend schönen Schimmers ruht:
In dessen Wog’ der finstre Tannenbaum
Den Schatten wirft in seinem wanken Traum.
— — Und er erglüht in seinen Phantasien,
Die ihm allmächtig durch den Busen fliehen,
Der lindste Laut der geistervollen Nacht
Gedanken in der regen Seele facht.
— “Ich seh’ dich Schwermuth! ruft er ganz entzückt:
Ans Herz der wunderschönen Nacht gedrückt.
O himmlisch seid ihr liebliche Geschwister
Die ihr bei dieser Bäum’ Geflüster
In dieses See’s tiefdunkler Fluth
Im Wiederglanz des Mondes schlummernd ruht.
Von mir laßt Schläferinnen euch begrüßen,
Laßt diesen Anblick meine Seel’ genießen:
Ich sprach zu Euch so oft als nie,
Ein Mensch in seiner Leiden Phantasie!”
Die Woge wallt, die Tanne flüstert,
Der Mond bald hell und bald verdüstert,
Das wirre Spiel der Schattenschaar,
So zahllos wie die Sterne war. — —
      Wie kein verfinsternd Wolkenbild,
Den blendend glimmen Mond verhüllt,
Der als ein sinnverwirr’nder Zauberspiegel
Hoch fluthet über Waldesgrund und Hügel,
Als stumm die dürre Tanne steht
Im starren See die Well’ nicht geht,
Gleich war die Nacht so schweigend, so entbrannt,
Auf immerdar und ewig festgebannt:
Der hohe Mond so ewig klar,
Ohn’ Regung und unwandelbar:
“Nein, ruft er in den dunkeln, stummen See,
Zu sanft schaut ihr für meinen kranken Busen,
Für meines Herzens tief empfunden Weh,
O Nacht! o Schwermuth! glichet ihr Medusen,
Die mich erstarr’nd zu kaltem, wüsten Stein
Vertrockneten die Adern im Gebein:
Nicht wie ihr dorten so beseeligt ruht,
In dieses Himmels nächt’ger Wiedergluth,
Das schwarze Haar so schwesterlich verschlungen,
Von euren Armen liebevoll umdrungen,
Zartinnig Lipp’ an Lippe festgesaugt,
Vom Athemzug die Stirne mild umhaucht,
Nein! stürzt von Felsen blutig nieder,
Verwachs’nes Zwillingspaar, das hassend ringt,
Und seinen Arm so glatt als Schlang und Hyder
Erstickend um der Schwester Nacken schlingt!
Ich trag’ euch nicht in dieser Engelsmilde,
Erscheinet mir in einem finstern Bilde!”
      Und er springt auf, und in dem Mondesschein,
Dringt in den Wald noch tiefer er hinein
Durch wilden Busch, durch dorniges Geheg’,
Bahnt ohne Rast er seinen finstern Weg.
Sein Sinn verwildert und sein Haar wird wirre
In dieser unermess’nen Waldesirre.
Und wie er nun so lange fortgestürmt,
Da Abends sich die rothe Wolke thürmt,
Gelangt er an des Schauerwaldes Rand,
In ein geöffnet wunderschönes Land:
Ein Kloster steht auf milder Au,
Ein Haus, zernagt vom Altersgrau:
Am Wald ringsum nicht mehr die finstern Bäume,
Die bebenden der dumpfsten Schwermuth Träume,
Die in dem Sturm so herzerstickend wehn,
In Windesstill’ so todtenschweigend stehn.
Ein junger Wald von Weiden, Sycomoren,
Umsäuselt sanft des Klosters Bau:
Wie betend zu dem Herren, und der Frau
Der Allbarmherzigen, die ihn geboren. —
Wie neigen sie in stiller Andacht Feier,
Des Gipfels Laub, als wär’s ein schwarzer Schleier,
Wie sind sie von der Abendgluth umwallt,
Als trüge Kerzen eine Bußgestalt:
So steht der junge, milde Baum,
Am wüsten, öden Waldessaum.
Und dieses Kloster in der Abendsonne
Erschimmerte wie in extat’scher Wonne:
Es gleicht so weiß, und engelgleich
Der Märtyrin, die welk und bleich
Erblickt das grasse Opferfeuer,
Entflammt vom Heidenungeheuer.
Schon walln die Flammen immer gelber,
“Bist du die Tochter Christi, hilf dir selber!”
Und wie die Sonne, tiefer, dunkler Gluth
Schon auf des fernsten Berges Gipfel ruht,
Da ist sie wie der hehre Hochaltar,
Umstellt von einer flamm’nden Rosenschaar:
Hier spricht man heilig diese Märtyrin,
Der bittern Leiden milde Dulderin:
In Mondslicht, das drüben sich erhebt
So weiß und bleich ihr Geist vorüberschwebt. —
      Im Garten unter einer schlanken Weide
Da saß ein Abt, im ersten, schwarzen Kleide.
Ein wundermilder, hoher, greiser Mann,
Der über einem alten Buche sann.
— Faust war ergriffen, diese stille Milde
Des schönen Greisen freut ihn.
Nicht so las er, wenn er zum Steingebilde,
Dem Götzen Flamm’n im Busen glühn,
Bei seinem Buch erstarrend sich vergaß,
Daß er wie Hyacinthus an der Quelle,
Sein eigen Bild anstierend in der Welle
Der Geisterfluth als eine Leiche saß.
Gebietend den Gedanken, den Gestalten,
Ein Engel Gottes schwebt der Geist des Alten.
Die Mönche sang’n ein sanftes heiliges Lied,
Den süßen Gruß: o salve Paraclete!
Verglommen ist die Abendröthe
In ferner Bäume dunkelem Gebiet. —
———
      O salve sancte Paraclete
O lux beata trinitas,
Miraculosa unitas!
Vos dulces angeli salvete!
      Et o viri mysteriosi,
Qui conspexistis gloriosi,
Aeternum et sanctissimum
In facie nostrum dominum.
      Lux ecce cadit aurea,
Portamus lilia nitida!
Cantamus dulcia cantica,
Dum surgit nox mirifica!
      Plasmator! des, ut resistamus
Malefico, et ut vincamus
In tuam ipsam gloriam!
Plasmator misericordiam!
      O salve sancte Paraclete!
O lux beata trinitas,
Miraculosa unitas!
Vos dulces angeli salvete!
———
      An diesem Abend zu der schönen Stunde
Stehn Faustus und Mephisto hier beisammen,
Und solch Gespräch ertönt aus ihrem Munde,
Da dunkle Wolken um das Mondbild schwammen,
Da in dem Schein des Klosters Fenster glühten,
Als wären’s Blätter eines Buchs voll Mythen,
Das für die Nacht in ernster Andacht Trieben
Mit goldner Schrift der fromme Mond geschrieben.
So redet Faust, sein Auge glüht begeistert,
Und süße Wehmuth hat sich sein bemeistert.
“O sage mir, hast du ihn je gesehn?
Ihn, weicher jetzt mit seines Geistes Wehn,
Als hört ich nie die Hölle und ihr Lied,
Allmächtig, unabwendbar mich umflieht!
— Die Wehmuth ist es, die mich so errettet,
Und mich an ihn auf Augenblicke kettet! —
Wie sahst du ihn, als welch elender Wurm,
Verkrochst du dich vor seiner Stimme Sturm,
In banger Dumpfheit, sie nicht zu verstehn?
In welches Thal versenget und entblättert
Verbargst du dich, von seinem Blick zerschmettert?
Mephisto
Wie schwatzest du gleich einem irren Pater
So wenig als wie du sah ich des Weltalls Vater,
Und wie bei euch auf der verdrehten Welt,
Ist es damit im Höllenreich bestellt!
Es geht von ihm, auch solche frost’ge Sag,
Doch fragen gar zu wenig wir danach,
Und ohne Macht ist der verschollne Klang,
Der ausgesungne, echolose Sang.
Faust
Du sahst ihn nie! nie hat er seine Hand,
Zerknickend dir um deinen Hals geschlungen,
Sein Fuß trat nie dich in des Kraters Sand!
Am Abgrund hat er nie mit dir gerungen?
Mephisto
Ich krieche kecklich durch die Erd’ und Hölle,
Und hab’ mich nie an ihn gekehrt,
So wenig als an eine Kirchenschwelle,
Und niemals hat er meiner auch begehrt.
Die alte gute Mutter Natur,
Ich brauche sie gar oft als meine Hur’,
Das wirst du wohl an ihren Gaben,
Ohn’ sondre Müh’ empfunden haben. —
      Er sprach’s und schwieg, darauf hub er wieder an:
“Doch eins drängts mich dir noch zu sagen
Von dem, was ich dir offenbaren kann,
Der Rolle, die mir übertragen,
Des ganzen Spiels bin ich oft herzlich müde,
Und sehn’ mit Schmerzen mich nach Tod und Friede!
Schwer ists verdammt, stets Humorist zu sein!
Voll Tück und List und lust’gen Teufelei’n.
Auch wird der Weinkrug einem leer zuweilen,
Dann möcht’ ich gar wie alle schrein und heulen!
— — Hätt ich die Macht, als der, der es erschuf,
Hätt’ seines Armes Kraft mein Pferdehuf,
Mich trieb es nicht blos zu zernagen,
Als blöder Wurm, nein zu zerschlagen
Die schlechte Welt mit einem Mal,
Und zu vernichten Luft wie Qual.
Jed’ Leben, jed’ Bewußtsein zu zerstören,
Zuletzt Ihn und mich selbst wär mein Begehren!
— So gut wie ihr hab ich oft meine Stunden,
Wo ich die ganze Leerheit schwer empfunden!
Was ist das nun sich mit ‘nem armen Herrn,
Von Doktor, als wie Ihr, herumzuzerrn!
Ich ließ euch gern in Gottes Namen gehn,
Es ist mir Pflicht! mir Drang! ich kann nicht widerstehn!
O sei verflucht! erbärmlich Hundeleben!
Ich kann nicht mal wie ihr, dem Teufel mich ergeben!
— Nennt mich ‘nen Hurensohn nennt mich ‘nen schlechten Affen,
Ich sei nun, wer ich will, ich habe nicht geschaffen!
Doch still, damit ich nicht aus dem Charakter falle!
Und vorwärts, frisch in meiner Rolle!
Eins nach dem andern, so erliegen Alle!
Ist diesmal doch ein Faustus die Parole!”
 
Das Elixir des Mönches
 
Und der entschlummert an dem Waldesrand,
Daran vorher er mit dem Bösen stand:
Sein mattes Haupt lehnt an der Hangeweide,
Allmächtig weht es in der tiefen Haide,
Verklingend in die dumpfe, schwarze Ferne,
Allmächtig strahlt der Mond, so wie die Sterne.
Das Kloster liegt im sonnenhaften Schein,
Gleich eines Engels heilig Fleisch und Bein.
Da naht dem Schläfer an der schönen Weide
Der ernste Greis im dunklen Klosterkleide.
Wie Faust ihn in dem Garten heut erblickt,
Der ihn im Buche lesend so entzückt.
Gleich einem Geist mit himmlischem Gefieder,
Schwebt er dahin, und beugt sich zu ihm nieder:
“Nimm,” flüstert er, du armer, müder Knabe,
Ich gebe dir das Beste, das ich habe
Erlösen wird es dich, wird dich befrein,
Und du wirst glücklich, dauert dein Bereun!
Das, was du dir aus heißer Brust begehrt:
Du hast’s! Triumph! es ist gewährt.
Dein glühend Sehnen, dein allmächtig Bangen
Dein Feuerwunsch, dein loderndes Verlangen!
Von Stern zu Sterne mögen sie es hören:
Faust ist ein Mensch! gestillt ist sein Begehren.
Triumph! mein Sohn! ich legs in deine Hand,
Leb wohl! es sprach der Alte und entschwand.
Und jener hielt ein kleines dunkles Glas,
Durchstrahlt von einem feuerfarbnem Naß.
Er schaut es an verwundert und entzückt,
Da ist er seinem Lager schnell entrückt.
Und als ihm wiederkehret das Besinnen,
Von seiner Stirn fühlt heißen Schweiß er rinnen.
In öder Wildniß sieht er sich gebettet,
Rings dürren Sand und Felsen starr verkettet.
Hier war nicht Nacht, hier schimmerte kein Tag,
Bleischwere Dämmrung auf der Oede lag.
Es rauscht kein Laut von Woge, Baum und Strauch,
Die Wolke scheint der wildsten Flamme Rauch,
Und Faustus heißer Mund vertrocknet schier,
Die Pulse pochen und sein Aug’ ist stier.
Die Zunge gleicht dem dürren Blatt,
Sein Athem keucht und röchelt todtenmatt.
Da naht Mephisto schleppend mühsam schwer
Die Centnerlast von einem Krug daher.
Gebückter Brust, als trüg er tausend Ohm,
Im Kruge gleich an einem ganzen Strom.
Er lagert sich in einer Felsenspalt,
Und löst den Pfropf, der gar ergötzlich knallt.
Er zecht vergnügt, und trinkt sich satt und schwer,
Und singt ein Lied, und tanzt im Kreis’ umher.
“Gieb mir,” ächzt Faust in seiner Todesqual,
“Du schlimmer Wicht, o gieb mir auch einmal!”
“Dir,” sagt Mephisto “ich zu trinken dir,
“Du lechzest noch nach einem Trunk von mir!
“Und drückst ein Himmelskleinod an dein Herz;
“Zu trinken dir! o treibe keinen Scherz!”
Und wieder tanzt er lustig rings umher,
Sein tolles Haupt wankt wüst und schwer.
Und Faust verkommt in Todespein,
Die Flamme wühlt zernagend durchs Gebein:
Das Kleinod selbst glüht als ein Feuerbrand,
In seiner welken und versengten Hand.
“O! röchelt er in ärgster Qual und Angst:
Mephisto nimm, o nimm, was du verlangst.”
Rasch langt die dürre, scharfe Teufelstatz,
Das Fläschen ihm von seinem Busenlatz.
En reicht ihm den gewalt’gen schweren Krug,
Der trinkt und trinkt in tiefem, tiefen Zug.
Drauf schleudert er, in wilder Wuth entbrannt,
Den großen Krug an eine Felsenwand.
Hoch sprüßt empor der rothe dunkle Wein,
Verzischend auf dem glühenden Gestein.
Der Teufel stürmt von dannen wie besessen,
Im Schlaf hat wieder Faustus sich vergessen.
———
      Wild schäumt in schwarzer Mitternacht das Meer,
Die Wog zerollt am Strande lang und schwer,
Anstürmend aus der dumpfen Ferne Grab,
Gewaltig nahend schwankend auf und ab.
Der Sturmwind keucht im dünnen, dürren Rohr,
Und wiegt der müden Vögel schwarzen Chor.
Mephisto aber wandelt an dem Strand,
Des Mönches Fläschlein haltend in der Hand:
Und wie die Well’ an öder Dün zerfließt,
Ein Tröpflein er aufs schäum’ge Haupt ihr gießt.
So lange, lange hat das Spiel gewährt,
Bis langsam er das Gläslein ausgeleert. —
Die Welle mächtig endlos rollt,
Das Röhricht rauscht, der Sturmwind tollt.
Drauf knieet er an einem schwarzen Stein,
Zermalmt das Glas zu einem Pulver fein,
Und bläst dann rasch mit seines Athems Braus
In alle Welt den trocknen Staub hinaus. —
Er triumphirt, er schwatzet laut und lacht;
Entsetzlich wild ist solche Teufelsnacht. —
Hoch schäumt das aufgeregte schwarze Meer,
Die Wog’ zerrollt am Strande lang und schwer,
Anstürmend aus der dumpfen Ferne Grab,
Gewaltig nahend, schwankend auf und ab.
———
      Faust steht so traurig in der Nacht allein,
Wo er entschlief, am dunkeln Waldesrain;
Mephisto ist nicht bei ihm, doch er spricht,
Als säh er wohl das grinsende Gesicht;
Sei’s in dem Mond, der in den Zweigen ruht,
Sei’s in des Irrwisch’s feurigrother Gluth:
“O höre! sagt er: “ich verdamme dich!
Treff’ dich mein Fluch auf ewig, fürchterlich!
Ich rief dich nicht, du kamst von selbst gegangen,
Um mich, den irren Zweifeler, zu fangen!
Ich gab mich dir! doch was gabst du dafür
Nicht einer schönen Blume holde Zier!
— Ein wild Gewühl von frevelnden Gestalten,
Sah ich mir Aug’ und Sinn berückend walten!
Ich stürzte hin in zehrendem Genießen,
Da mich die Himmel spöttisch von sich stießen!
Nicht drücktest du die Rose weiß wie Schwäne
Mit ihrem Dorn, im bleichen Kelch die Thräne,
Der Liebe Ros’, mir an die welke Brust,
Daß mich’s entflammt zu menschlich reiner Luft,
Daß ich verging in Sehnen und in Schmachten,
Ein Sklav’ mich bückt gekränket im Verachten,
Ein König mich erhob und triumphirt,
Von der Erhörung Zauberrei; verführt. —
Kein Tropfen Blut in solchen Liebeshadern
Von solchem Dorn versprützt, entquoll den Adern!
Um was allein war denn ich dir ergeben,
So manches Jahr im wüsten Bubenleben?
Um einen Wurm, den mit bemalten Flügeln
Du ausgeschmückt, das Blut mir aufzuwiegeln,
Um jenen Wurm bin ich dir nachgejagt,
Der mir so lang das eigene Herz zernagt!
Wie oft hat er in öder Mitternacht,
Wenn ich das stille Lämplein angefacht,
Durchstört der Kerze süßen, matten Schein,
Der glüh’nden Seele lichte Träumerein:
Mit seines halb zerrissnen Fittichs Trümmer,
Vernichtet in und um mich jeden Schimmer!
      Wie du mich bübisch so verlockt,
Wovor in Luft und Lieb erglüht,
Daß mir das Blut im Busen stockt,
In Andacht still ich hingekniet;
Wonach ich rang von Herzen inniglich,
War ich erhört, ich fand’s so schlecht als mich!”
So spricht er zu den närrischen Gesichtern
Der wirren Nacht, den Schatten und den Lichtern
Im finstern Busch, da rauscht’s wie im Triumphe
“Noch nicht enttäuscht der arme, dumme, dumpfe!
Noch schwebt vor seinen halb verloschn’n Blichen
Der Sehnsucht Land, ein leuchtendes Entzücken!”
Doch starren Blickes Faustus sieht,
In das Gesicht: das durch die Fichten glüht,
“Vergißt du,” flüsterts: “unsere Königsmaid,
Schwarz Haar, blau Aug’ im goldgewebten Kleid!
So was hast du noch nie erschaut,
O Thor zur vielgeliebten Braut,
Komm, eh’ der Morgen graut!”
Die Stimm’ verklinget zischelnd im Gebüsch,
Der Nachtwind wehet unbehaglich frisch.
Das dürre Blatt reißt sich vom Zweige los,
Und schwirret raschelnd in dem finstern Moos.
Gleich solchem Blatt, durchschwirrt die Brust, die kranke
Der liebeleere, düstere Gedanke,
Die Menschenbrust, sich sehnend nach dem Tod.
Nur lebend noch, weil Gott es ihr gebot:
Wie fallen diese Blätter ohne Zahl,
Von solcher Seele Baum, der trüb und fahl,
Ohn’ seines Gleichen in der Welt zu haben,
Dasteht ein Stamm, besat von finstern Raben!
Wild weht der Sturm der öden Leidenschaft,
Verschmähte Liebe trinkt den Herzenssaft!
Wie schaut der Mann, der solche Seele hat,
So gern, so stumm auf jedes gelbe Blatt,
Das in dem Wald, im kalten Winde weht,
Bis ihm die Thrän’ im finstern Aug’ zergeht.
O süße Schwermuth, wie verlockst du mich,
O dürres Blatt, wie schwirrst du wonniglich!
 
Beim Schwanenwirth
 
Drin in der Schenk’, d’ran sie vorübergehn,
Braust frech und toll ein rasend Lustgedröhn.
Es rauschet von der weinverstimmten Zunge,
Ein wüstes Lied in fieberhaftem Schwunge.
Beim flotten Wirth am Schwanengraben,
Da dröhnt Musik, da wirbelt Tanz,
Da greifen die heißen Mädel die Knaben,
Beim Schwanenwirth am Unkengraben
Da raschelt’s dürr im Jungfernkranz.
Es heult der Sturm, der Regen fallt,
An’s Fenster scharf, daß er ergellt.
Und wie erschütternder der Wald erbraust,
Da drinnen es gewaltiger ersaust.
Wie hart die Schlossen an die Fenster schnalzen,
Dreht frischer, in dem Saale sich das Walzen.
“Siehst du” spricht der: das Volk da auf der Flur
Wie’s gern zusammenklingt mit der Natur.
Sie treiben gern solch’ fesselloses Schweifen
Stößt sie in ihre tollsten, schrillsten Pfeifen.
Trägt in die weite Ferne solche Rede
Der Sturm ankeuchend aus der Waldesöde.
Du glaubst es nicht, wie sehr es mir geneigt,
Das Völkchen, das da drinnen wogt und reigt
Was wetten wir, Doctoren nicht allein,
Verschreiben sich den ew’gen Teufelein.
Was wetten wir, in einer halben Stunde
Sind insgesammt die drin mit mir im Bunde!
Die roh’ste Leidenschaft nur brauch ich zu entzügeln,
Daß gleich den ew’gen Packt sie untersiegeln.
Nicht so viel Umschweif macht’s als mit Doctoren
Davon für mich nur der und der geboren:
Nicht kümmert hier das Wogen weißer Brüste,
Nicht eines Mund’s versengendes Gelüste,
Nicht rothe Rosen, süßes Gluthverlangen,
Die in der Unschuld kühlem Schnee entsprangen.
Mit diesen Kuben ohne Wiederhall
Stürzt in den Arm mir gleich der ganze Schwall.
Die Hoffnung auf Besitz das allgewalt’ge Locken,
Macht diesem rohen Volk die tollen Pulse stocken.
Vivat der Doktor der um den Genuß
Verzücket schwimmt im raschen Höllenfluß!
Mit diesen Kuben die man Würfel nennt,
Die ganze Schaar mir in den Rachen rennt.
Sie saugen fest und tief sich in mein Bein,
Als hielt ich’s Egeln in den Teich hinein” —
Faust höret ihn und auf der Schenke Bank,
Gleich an der Thür in tiefen Schlaf er sank.
In seinem Haar der nasse Sturmwind weht,
Auf seiner Stirn der Regentropfe steht,
Fern braust’s im Wald, die gelle Fidel leiert,
Die Volke jagt von Ost nach West gesteuert,
Wie’s in des Schläfers Traum so unerquicklich schwirrt,
So hat’s die wilde Nacht entsetzensreich durchirrt.
In seines Traumes Geist scheint sich der Sturm zu zeugen,
Dess’ Wehn erdrückend schwer wiegt auf den Tannenzweigen.
      Ein schreiend Volk stürzt aus des Hauses Thür
Mit fahler Wang’ im Blicke stiere Gier:
Die Augenhöhl’ so tief: Die wilden gelben Züge
Krampfig verzerrt, Gefild zum Teufelssiege. —
Der hält die Faust an die zerrissne Stirn,
Der schlägt verzweifelt sich ans trunk’ne Hirn,
Der nagt in stillem Ingrimm an dem Daume,
Dem bleicht der Mund von weißem gift’gen Schaume.
So ras’t das Volk; Mephisto hinterdran,
Den Fußsteg lang, die sumpf’ge Wiesenbahn.
Der Wald brüllt dumpf, das schwarze Ungeheuer.
Noch tönt das alten Fiedelers Geleier,
Des blinden Mann’s, der in dem wüsten Saal,
Still sitzen blieb, bei diesem Mordscandal.
Er geiget fort und fort die alte Melodei,
Ohn’ Sorge wo die Schaar der Tänzer sei.
In diesen mißgepaarten, üblen Tönen
In dieser Klänge wild zerrung’ner Fluth,
Ersteh’n ihm Ideale; alles Schönen,
Urbild, wie es in seiner Seele ruht,
Er spielet fort und fort, was ihn erhebt, erwärmt,
Vergaß den Buben-Tert, der rings gelärmt
Sein Seufzer ist es, seinem Schmerz enthoben,
Nicht wie’s zum frechen Bubenwort verschoben.
Jetzt lauscht er länger nicht der Heller Klang,
Darauf gehorcht er ängstiglich und bang’;
Wieviel des Volkes Generosität
Ihm in den wettergelben Filz geweht,
Er geiget fort, er denket nach und sinnt,
Bis dem geschloss’nen Aug’ die Thrän’ entrinnt,
Die sich darinn wie in aparter Welt
Von eignem Jammer, schmerzlicher Idee
Erzeugt, und auf die Wange niederfällt,
Gelockt von dieser Töne stillem Weh.
So tönt die ew’ge, melancholsche Klage,
Die er verkauft zum frechen Festgelage,
Noch lange fort an diesem wüsten Orte,
Dieweil der Wind braust in die ofine Pforte.
Dieweil der Staub in dicker schwarzer Schicht,
Sich ringelt um der Ampel düstres Licht.
      Und mit Mephiston kämpft um Hab’ und Gut,
Im Grund das Volk mit der Verzweiflung Muth:
Der steht und krächzt: “es ist verspielt verloren,
Keck wie ein Fürst den reines Blut geboren.
Es ist verspielt, so spricht er zu den Bauern,
Die voll Betrübniß seh’n die üpp’gen Schauern,
Es ist verspielt, so spricht er zu den Weibern,
Verworren hingekniet mit nackten Leibern;
Das harsche Wort, er spricht es zu den Kleinen,
Die voller Schlaf ihm heiße Thränen weinen.
Und wie die Bauern drauf mit harter Faust,
Ihn schwer umsteh’n, daß ihm das Ohr ersaust:
Da geht das Dorf in hellem Feuer auf,
Mit lautem Jammer schauet es der Hauf.
      Faust steht erschrocken von der Schenke Bank,
Der Wirth, die Wirthin liegt im Schlaf schon lang,
Um jener Leute Schicksal unbekümmert,
Was ihr’s ist, in dem schweren Kasten schimmert:
Drum steht das Wirthshaus immer so allein,
Daß ihm kein Theil von seinen Teufelein.
Laut heult des Volkes vielgemischter Chor,
Hoch steht die Flamme in die Luft empor,
Mephisto jauchzt, und Teufel, Nacht und Flamme,
Umarmen sich, entsprossen einem Stamme.
Faust blickt hinab in diesen Flammensee,
Den Wogensturz von Armuth, Elend, Weh,
Wie er heran sich wälzt ein Siegessturm,
Wie er sich krümmt als ein zertretner Wurm.
Das Wolkenbild in schleppendem Gewand
Vorüberzieh’nd versengt sich in dem Brand.
Es fliegt zur wilden Waldeseinsamkeit
Mit tiefdurchglühtem, angebrannten Kleid.
Und wen der Sturm der mächtig schürt,
Den blutig rothen Brand entführt,
Und ihn auf eine hag’re Fichte jagt,
Da ist es rings so hell als wenn es tagt.
Die Eule flattert knarrend schwer empor,
Das Käuzlein mit dem scharfgespitzten Ohr
Dem Teufel gleicht es in dem gelben Lichte,
Das sich genistet auf der trocknen Fichte.
Dann wie sie wild entsetzet höher fliegt,
Daß um den Leib die Flammenwolke liegt,
Der purpurröth’re, matt’re Wiederschein,
Schaut sie wie ein verklärtes Engelein.
So schwebt von Baum zu Baum der tolle Brand,
So fliegt’s Gewölk im schimmernden Gewand:
Und um sie Myriaden von Gestalten,
Von dunkeln Vögeln finstern Hirngespinnsten,
Ob diesen Bäumen die wie Wogen wallten,
Ein toll Gemisch von Leben und von Dünsten.
Wo nun zuletzt der Sturm die Brunst verhallt,
Da machen die gespenst’gen Schaaren Halt.
Und in des tiefsten Waldesthales Schweigen,
Darin die schwarzen Aeste träumend beben,
Erwecken sie zum Hassen und zum Neigen,
Ein allgewaltig, mächtig, lautes Leben.
Die Wolk’ verraucht, der Brand verlischt im Sumpf,
Nicht mehr getragen von der Windesbraut.
Die Eul’ verfällt in Schlaf so schwer und dumpf,
Und wieder liegt der Wald ohn’ Ton noch Laut.
 
Die Klosterchronik
 
Auf jenes Buch in dem die Kunde steht
Vom Doctor Faust und seinem Seelenhirten,
Entschwebte von den Lippen manch’ Gebet:
      Geist Gottes auf den blitzzerriss’nen Wogen.
Manch’ Kreuz in bangen Aengsten ward geschlagen,
Auf die vergelbten und zerles’nen Bogen.
      Das las der Mönch in öder Dämmerstunde,
Verstohlen hingekniet am Betaltare,
Ein leiser Wind weht aus dem Eichengrunde.
      Die unermess’ne, wilde Sehnsuchts-Klage,
Schwebt ungehört vor seinem todten Ohre,
Dieweil sein Geist durchirrt des Buches Frage.
      Doch wie an seinem Trauen tief gekränket,
In seiner Seel’ erstarrt, vor kaltem Schauer,
Vom Buch den Blick zu seinem Gott er lenket:
      Zu seinem Gott, deß stummes Schmerzensbild,
Bei dem er sich in Ewigkeit verschworen,
Mit bleichem Arm die Bogennische füllt:
      Da öffnet sich sein abgestorben Ohr,
Das ihm des Teufels wilder Fluch vergellte,
Und er vernimmt den allgewalt’gen Chor.
      Und zu sich wall’n sieht er die finstern Schatten,
Die langgedehnten, Alles was die Welt,
Und die Natur ihm zu gewähren hatten:
      Von Bäumen, die die ew’ge Klage wimmern,
Von Bäumen, so die schwanken Blätter zeugen,
Um sie zu Staub und Asche zu zertrümmern.
      Und drüben steigt das lockende Gesicht,
Der volle Mond auf des Gebirges Wipfel
Ein Frauensbild in engelsklarem Licht.
      Das Zauberbild schmachtender Sinnlichkeit,
Von Fels zu Felsen fliegt’s triumphend höher,
Medusenkopf erstarr’nd zu süßem Leid.
      Wie spielen auf des Mönches blassen Zügen,
Die schwärmerischen Lichter, dunkeln Schatten,
Dazu die Thränen, die sich niederschmiegen. —
      Am Buch ist auch der schwarze Band verletzt,
Als wie an einem harten Ding zerstoßen,
Das glatte Leder mannigfach zerfetzt;
      Vielleicht, daß in dem Schädel er’s geborgen,
Der in dem Mondschein liegt am runden Fenster,
Wenn in den Chor er schritt am frühen Morgen.
      Vielleicht daß er’s im finstern Bogengange,
Der sich Trepp’ auf Trepp’ ab verworren windet
Hineilend zu der Brüder Nachtgesange
      Dem erz’nen Seraph in den Kelch geschoben,
Dem riesenhaften, der den stillen Dulder
Am Marterpfahl zur Labung aufgehoben. —
      Bei solchen Lesern, ist es leicht zu denken,
Daß manches Blatt zerkniffen und zerrissen,
Wie abgesung’ne Lieder in den Schenken.
      Doch wie bis hier es mit dem Faust gekommen,
Da schon sein Flammenstern beginnt zu sinken,
Hat sehr es mit den Kreuzen zugenommen.
      Manch’ halbes Blatt ist davon weggerieben,
Als wär’ es angesengt mit rothem Eisen,
Hier hat, so scheints, er’s gar zu toll getrieben,
      Hier stehen öft’re Spuren großer Thränen,
Hier ist das Blatt zerpflückt mit krampf’gem Finger
So hat den Mönch erschreckt sein trotzend Wähnen,
      Holzschnitte nur sind hier uns noch erhalten,
Verzweifelt keck erfunden und gezeichnet,
Und wimmelnd von entsetzlichen Gestalten.
      Noch lüsterner als auf den andern Seiten,
Mit voll’rem Busen und mit wüst’rem Haare
Die schönen Weiber um den Doctor schreiten.
      So die im Hemdchen, jene mit der Krone,
Die blonde, wundersüße Königstochter
Entschlafen auf dem goldenen Balkone.
 
Am finstern See
 
Als wie durch nächt’gen Zauber festgebannt,
Steht regungslos und ohne Lebenszeichen
Hier Faust an eines schwarzen See’s Rand.
      Der rings von finstern Felsen starr umwunden:
An diese stoßen schwere, schwarze Wolken,
In solcher düstern Nacht gewalt’gen Stunden.
      Doch mögen sich die grausen Schatten spalten
An dieser Felsen frechen, festen Stirne,
Mag über Haid’ und Flur der Sturmwind walten:
      Nicht trifft’s den See im schwarzen Felsengrunde,
Ihn jagt kein Sturm, daß ihm die Wogen rollen,
Er scheint nur mit der Unterwelt im Bunde. —
      Denn oftmals, da das Mondlicht freundlich lacht
Und ihn durchglühet in die tiefsten Gründe,
Wenn stumm der Sturm in milder Liebesnacht:
      Dann, dann beginnt’s sich in dem See zu regen,
Dann schäumt die Wog’ in schreckenhafter Bildung:
Ein einsam nächt’ges tobendes Bewegen!
      Und wie sie sich bis in die Wolken bäumt,
Die wilde Fluth in trunkener Entzündung,
Wie Berg und Thal toll durch einander schäumt,
      Ist sie auch schnell in wenigen Sekunden,
Gleich einem Becher, der jäh ausgeleert,
Bis auf den Grund in wildem Braus entschwunden.
      Und wie wenn sie zum Himmel aufgeschwollen
Die Wellen gräßliche Gebilde zeugen,
Die weißen Spitzen in einander rollen.
      So zeigt der Fluthen wunderlich Verschwinden
Ein grass’ Gewimmel schrecklicher Gestalten,
In diesen unermessnen Felsengründen.
      Der Schlangenproteus diese Räthselform;
In wunderbar bizarrer Zwiegestaltung,
Ganz abgewichen von der Schöpfung Form.
      Und andre viele seltene Gestalten,
Die durch einander auf dem schwarzen Grunde
Sich freundlich wirren, und sich feindlich spalten.
      Erstiegest du der Felsen steile Höh’
Das hochgereckte, schwärzliche Gerüste,
Daß dir zu Füßen liegt der dunkle See.
      Dann sahst du nichts, so weit dein Auge reichte,
Als dürren Sand bis in die Wolkensterne,
Der deinem Blick auch keinen Halmen zeigte.
      Nicht einer Fichte trauernde Figur,
Nicht eines Schilfes winddurchsäuselt Rohr
Kein armes Moos auf dieser todten Flur.
      Der Sturm, der hier entfesselt seine Zügel,
Kein trocknes Blatt und keine dürre Nadel
Trägt er auf seinem ungeduld’gen Flügel.
      Der trockne Staub ist hier der Blüthenschnee
Die blüh’nden Bäume jene Felsensäulen;
Getränket von dem schwarzen todten See.
      Und Wolken sind die Vögel die hier fliegen,
Die schwarzen finstern geisterhaften Schaaren,
Die sich in dieser Bäume Laub vergnügen.
      Versank dir, da du irrst auf solchem Raum,
Allein in öder mitternächt’ger Stunde,
Die bange Seel’ in einen stummen Traum:
      Dann scheint dir wohl im Phantasien-Tanze
Wenn auf den Grund der See just ausgeflossen,
In solchem Bild das schauerliche Ganze:
      Es ist die Hand die einem Becher hält,
Der dem die Hand, er hat ihn ausgeleert,
Daß er auch keinen Tropfen mehr enthält.
      Nun schleichet er, ein schmachtendes Gerippe,
Noch immer schleppend jenen leeren Becher,
doch wie auch dürstet seine dürre Lippe,
      Er kann ihn nicht mit einem Tropfen füllen:
Ihn zu dem heißen gier’gen Mund zu führen
Um den gewalt’gen Fieberdurst zu stillen.
      Schau hier, wie die fünf Furchen meilenlang
Verlaufen diesen Felsensee umklammernd,
Fünf krampf’ger Finger zuckend wilder Drang:
      Solch Gleichniß hätte Faustus wohl erkannt,
Doch starr stand der am gräulichen Gestade,
Als wie durch Höllenschwüre festgebannt. —
      Wie ob des todten Meers schwermüth’gen Wogen,
Kein Vogel fliegt ohn’ daß er niedersinke,
Vom giftgen Hauch erstickend angezogen:
      So stirbt in Faustus Seele jedes Bild,
Das sonst verklärend seinem Gram erstanden,
Durchstürmt er Fluren noch so öd’ und wild:
      Wär’s ihm vergönnt an Träumen sich zu weiden,
Die angeglüht von flamm’ger Phantasie
Umflatterten die Schwärme seiner Leiden.
      Er stehet auf des schroffen Vorsprungs Rand,
Als einer der etwas hinabgeschleudert,
Tief in den See vom schwarzen Felsenstrand.
      Noch ringelt sich ein riesenhafter Ring,
Rings nach den Ufern wohl die einz’ge Regung,
So diese Fluth von Menschenhand empfing.
      Und wie die ersten Ringe fast verwallt,
Da bilden sich noch einmal klein’re Ringe,
Hinrollend nach dem starren Strandbasalt.
      Und jedesmal durchschimmert es die Fluth,
Als wie vom Roth der Gluthenabendsonne,
Und jedesmal war es von Menschenblut:
      Das erstemal war es ein Mädchenleib
Den er hinabgerollet in den See,
Auf ihren Knieen lag das arme Weib:
      Die Hände streckt sie flehend ihm entgegen,
Die bitten starr gefaltet um das Leben,
Denn ihre Lippen kann sie nicht bewegen.
      Bleich ragen in die stumme, trübe Nacht,
Von Fleisch und Beine die fünf Krucifixe,
So starr als wie aus weißem Stein gemacht:
      Doch er ergriff die Schneide, die Satan,
Sorgsamer Bursch’, ihm in den Gürtel steckte:
Wild rollt sein Aug’, laut knirscht er mit dem Zahn:
      Laut pocht sein Herz, als donnert es Triumph,
Daß dieser Geist begehe blut’gen Frevel,
Wie schlägt es an die Rippen höhnisch dumpf:
      Als ob es spräch’ nun hab’ ich’s bald errungen,
Daß ich der dunkle Sklave mich befreie,
In dieses Geistes schweren Dienst gezwungen.
      Daß ich erhole mich von solchem Werke,
Drin ich gehorcht so viele Stunden, Tage,
Arbeitend bald mit Schwäche, bald mit Stärke.
      So spricht das Herz: und als ein Hochverräther
Zieht strammer es die rothen wirren Schnüre,
Die seinem Herrn gelegt der Uebelthäter.
      Das Aug’ steht still: auf einen Punkt gerichtet,
Schaut’s unverwendlich fest und starr hernieder,
Durchzuckt von einem Strahle der vernichtet;
      Und wie in ihm die finstre Gluth sich facht:
So schwell’n auf seiner Stirn die dunklen Adern
So wird’s in seiner Seele stumme Nacht;
      Das Mägdlein sinket auf den schwarzen Stein,
Kein weh, kein Ach ertönt aus ihrem Munde
Es dehnet sich und reckt sich das Gebein:
      Das Blut still rieselnd fließet aus der Munde,
Die sich am Halse weit und klaffend öffnet,
Schwer ist und schaurig diese nächt’ge Stunde:
      Dann schleudert er noch in des Zornes Gluth
Das arme rasch verblutende Geschöpf
Zuerst hinnieder in die schwarze Fluth.
      Und dann wie schon der Busen sich ihm engt,
Von schreckenhafter wilder Qual bestürmet,
Die Lippe von dem Athem schier versengt.
      Da schleudert er das Messer in die Fluth,
Und beidemal glimmt’s wie vom Sonnenroth
Und beidemal war es vom Menschenblut.
      “Ich morde dich, so rufet der Verruchte
Weil ich dich liebe, wie ich nie noch liebte
Und mehr als lieben sollte der Verfluchte,
      Und da ich meinen Wankelmuth wohl kenne,
Daß ich so irr’ von der zu jener schwanke,
Weil ich im Teufel für euch alle brenne,
      Und weil ich wahr geliebt dich, dir gelebt,
Ein sanft’rer Klang aus meinen reinen Tagen,
In deiner Brust mein tiefstes Herz durchbebt.
      Und weil wenn ich vom Satan angetrieben,
Mich stürzend in der andern Dirnen Arme
Zuerst dich würde schmerzlich tief betrüben:
      Und du darauf um dich an mir zu rächen,
Auch einem andern Manne würdest fröhnen,
Mußt’ diese Schneide deine Brust zerbrechen,
      Ich mochte nicht, noch konnt’ ich von dir lassen:
Unwiderstehlich werd’ ich fortgetrieben.
Doch durfte dich kein andrer Mann umfassen,
      Mocht’ ich zuhöchtst von allem Weib dich leiden,
So treibt es mich bis in die tiefste Seele
Um dich die Männer alle zu beneiden!”
      So redet er, erkaltend von dem Grimme,
So lautete sein klügelnd Raisonniren;
Und endlich stirbt ihm zitternd seine Stimme.
      Er blickt mit Schaudern in den Höllenteich,
Der fest und starr als ein Gestorbner ruht,
Die Wolk’ umbraust den Stern so weiß und bleich.
 
Grinnus
 
Sie sitzen auf zerfallenem Altane
An der Ruine, deren Modersteine
Verworfen liegen auf dem dürren Plane,
Bis dort zu des Gebirges schwankem Haine.
Starr ragen mit den abgeschlagenen Jochen
Die Riesensäulen in die Finsterniß:
Der rothe Mond ist durch den Dunst gebrochen,
Durch schwerer Wolken jäh geborstnen Riß.
Wer sich dem mondesnächtigen Entzücken
Hingab, da diese Flur er überschauet,
Dem schienen die gebrochnen Brücken
Zu stillen Geisterwelten fortgebauet.
Der füget Stein an Stein der schwarzen Trümmer,
Fort und empor in die Unendlichkeit,
Bis ihm der Bau versank im Mondesschimmer,
In seines Träumens Unermeßlichkeit.
So bau’n der Seele schweifende Gefühle.
Das Aug’ schaut stier zum Schutt zur dumpfen Nacht.
Die Wogen rollen in dem ew’gen Spiele
Vom Hauch der wilden Finsterniß gefacht.
Die schwarzen Fichten neigen ihre Wipfel
Der wilde, düstre, mitternächt’ge Chor,
Daß durch die Schluchten brausend durch die Gipfel
Und durch die Trümmer wüst’ der Lärmen gohr.
Den Stolzen im Gebirg, die in dem Grimme,
Der sie erzürnt, die Gegend rings durchbrausen,
Antwortet der Gestrüppe heisere Stimme,
So in den Trümmern, an den Steinen hausen.
Das kleine, lump’ge, dürre Zwerggesindel:
Der schwarze Dorn, der auf den Steinen kriecht,
Die Atropa mit ihrer Wurzelspindel,
Die krötengleich in finst’rer Nische siecht.
Die Palma auch, die fremde, hagre, kranke
Von bösem Stern auf jenen Achitraven
Gepflanzt: es neigt sich matt der Stamm der schwanke;
Ein Emir, der im Sterben winkt den Sclaven.
Also verhallt, was die gewaltig zürnen,
Bis in des dürren Hafers schwatzend Blatt,
Tief in den Schutt, murrt’s nach was auf den Firnen
Des Berg’s, der Riesenstamm gemurmelt hat.
Und jene sitzen stumm auf den Altan:
Ein Krug mit Wein steht auf dem Trümmerschafte,
Sie schau’n einander fest und düster an
Und trinken rasch vom starken Flammen-Safte.
“Könnt’st du, so redet Faust nach langem Schweigen,
Gesenkten Blickes dumpf und monoton,
Könnt’st du mir nur noch einen Dienst erzeigen,
Du strupp’ger, harrzerzaus’ter Höllensohn!
Schaue die Unzahl Stein hier auf der Flur,
Dort bis zum Berg verstreut, hier bis zum Meere:
Der Macht, des Ruhmes letzte schlechte Spur,
Und dann vernimm, was ich von dir begehre!
Du kennst die Mähr’ aus lang entschwunden Jahren [2]
Im braunen Band steht sie in meinem Schrank,
Wie, da voll sünd’gen Trotz die Menschen waren,
In wilder Fluth der ganze Stamm versank.
Und wie es dann dem Einen ward gewährt,
Dem bess’ren, der gelebet unbescholten,
Der sich nicht widersetzet, nicht empört:
Damit die Gotteseinheit würd’ vergolten:
Daß, warf er Steine hinter seinen Rücken,
Die Menschheit aus dem Tod ihm auferstand;
So will auch ich mich zu den Steinen bücken,
Vom Berge drüben bis hierher zum Strand.
Wie jener Götterfreund ins Leben rief,
Was in die Nacht entsunken und verschwunden,
Was im Vergehen dumpf und qualvoll schlief,
Emporrief in des Daseins freie Stunden:
So wandle mein Gedank’, der Gott verblieb,
Die Trümmern, so ich heb’, in all’ die Jahre,
Da ich mit dir dies wilde Leben trieb.
Und nehm’ sie nach einander von der Bahre.
Daß ich mein Sein auf’s Neue mir erschaffe
Durch dieses Schutt’s beseligend Verwandeln,
Wo ich nicht mehr verzage, nicht erschlaffe,
Wo ich als Mann mag leben und mag handeln.”
Er schweigt und harrt, daß der erwidernd spricht,
Doch der sieht starr hinab und redet nicht.
Faust greift mit Hast zum schwarzen, vollen Krug
Und trinkt in einem langen, gieren Zug.
Und drauf, als er lechzend sich satt getrunken,
Ist wieder trüb’ er in sich selbst versunken.
Der Mond schwoll hoch, er steht ob der Ruine
Mit seines Antlitz’s Grabesmiene. —
Auf dem verwitterten kopflosen Bild
Der Cariatide, die zerstäubt, zerspillt,
Am Eingang steht, erhoben noch den Arm
Nach jener Last, die ihr zu Hohn und Harm:
Ein Rabe schläft, und lüftet matt die Flügel,
Es saust im Baum, es schäumt im Vogenhügel.
Da springet Faustus wild entsetzt empor,
“That ich nicht recht, schreit dem er in das Ohr
That ich nicht recht? Du mußt es mir bezeugen:
So ward sie mir auf immerdar zu eigen!
Sie sitzt auf meinem Schooß, trinkt meinen Wein
Sie denkt mit mir, sie ward mein Fleisch und Bein.
Am See, am See drin keine Woge wallt,
Verband ich ewig mir die blasse Weibsgestalt!”
Und wie er’s sagt, aus Meeresgrunde bricht
Das Morgenroth in glühndem Strahlenlicht:
Aus farb’ger Wog’ der goldne Tag ersteigt
Und seinem Blick sich eine Insel zeigt,
Die in der nächt’gen Fern verborgen,
Dem Meer enttaucht am lichten Morgen;
Auf ihr ein Hain aus Schlanken Pappelbäumen,
Die weben, beben in den Dämm’rungsträumen:
Im schwanken Laub erglänzt von Marmorstein:
Die hohe Säul im Morgensonnenschein,
Ein plattes Dach mit einem Götterbilde:
Hell schimmerts von dem Fittich, von dem Schilde.
Schön liegt der Tempel, üppig wallt der Hain
Im blauen Meer, im Morgensonnenschein:
Vergleichbar jenem Haine von Kolon
Zu dem der Theber blinder Fürst geflohn.

[2] Ovid. Metamorph. Lib. I. 245. sqq.

Gebrochner Leib
 
Die Vesper klingt der Glocken Feierlauten
Vom Dom, der rechts am Platz Ambrosius war,
Zur Winterszeit: rings aus den dicht beschneiten
Gebäuden fließt der Beter dunkle Schaar.
Das reine Haus, das sich der Jesu: Glaube
In hehren, ernsten Wölbungen verträumt,
Dem Falken gleicht es mit der bunten Haube,
Wie ihm die Zinn das Dämmrungsroth umsäumt:
Er steht so kühn als höb’ er schon die Schwingen,
Doch er erblindet von der goldnen Blende. –
Drin in dem Tempel hebt es an zu klingen,
Des Weihrauchs Ring umflieht die Nischenwände.
Es klingt des Priesters ernst Rezitativ,
Wie rauscht’s, da all’ in ihre Kniee fallen,
Wenn sie des rothen Knaben Schelle rief:
“Der Herre hab’ Erbarmen mit euch allen!”
      Bei der Kirchthür steht eine hölzerne Bank,
An einem Pfahl, so ‘n Kästlein trägt,
Wer nun dem Herrn bezeugen will den Dank,
Thut wohl daß drin er einen Pfennig legt.
Darum, daß drüber es ist angeschrieben:
“Wer mich recht aus des Herzens Grund mag’ lieben,
Wer will einen Schatz im Himmel erwerben
In dieses Kästlein leg’ er einen Scherben,
Sei’s auch wohl gering, und sei’s wohl klein,
Mir wird es lieb und euch nützlich sein.
Geht zu wie ich sprech’ im Evangelisten,
So thut nach meinem Wort ihr lieben Christen!”
Besetzt das Bänklein ist von Krüppeln, Alten
Mit greisem Haar, mit langen schwarzen Krücken,
Die wohl mit Andacht ihre Hände falten
Und sich in Demuth vor dem Herren bücken.
Und einer kauert an des Bänkleins Ende,
Der sitzet stumm und ernst für sich allein.
Der faltet nicht die magern, gelben Hände,
Und in kein euge mater! Stimmt er ein.
Sein Aug’ ist blöd’, Gicht frißt in feinen Gliedern,
Die Brust geknickt: ein gar zu kranker Mann;
Er sitzt entfernt von seinen Leidensbrüdern,
Und blickt von ihnen keinen einz’gen an. –
Es ist ein fressender, unbänd’ger Schmerz
Der ihm das Mark durchwühlet und durchbraust;
Er betet nicht, er schlägt sich nicht ans Herz,
Der blöde Krüppel ist der wilde Faust. –
Die Orgel schweigt und ite missa est!
Erklingt’s beschwicht’gend aus des Priesters Munde:
Beendet ist der Andacht stilles Fest,
Und weithin schallt der Thurm es in die Runde.
Der fromme Beter steht vom kalten Boden,
Drei Ave’s noch spricht er in einem Odem,
Auf Herz und Stirn des Kreuzes reines Zeichen,
Verbeugend sich vor all dem stummen bleichen
Gebild an jedem leuchtenden Altar,
Dann taucht er in des Beckens heil’ge Fluth,
Unfern der Säul, wo’s Armenbänkchen war
Drei Finger, und empfiehlt sich Gottes Huth.
So wall’n sie rauschend aus des Domes Halle
Im Herzen, in dem Antlitz milden Frieden:
Und auch die Krüppel, Kranken gehen alle,
Hinaus zur Thür, die armen Lebensmüden
Da draußen stürmt es durch die schwarze Nacht,
Der Schnee treibt lange, hochgethürmte Wogen.
Es donnert an die Pforten, daß es kracht,
Und an der Fenster steile Riesenbogen.
Nur Faustus bleibt, der arme finstre Kranke
Er überschauet blöden Aug’s den Dom;
Verfolgt bewußtlos, was der matte schwanke
Schatten hinmalt vom nächtigen Phantom:
Des Lämpchens Schatten, dess’ umwölkter Schein,
Am Weihebecken flimmert noch allein.
      Und später noch, es war nach Mitternacht,
Da hinkt der Krüppel durch die Straßen sacht;
Hoch liegt der Schnee: harsch fegt der Sturm,
Es schau’rt den armen Menschenwurm.
Todt liegt der Biebelhäuses Gang,
Kein Licht erstrahlt die Reih’ entlang:
Die Nacht ist Herrin, und sein Lämpelein
Stört sie mit seines Irrlichts schwankem Schein.
Sie blickt durch der Scheiben schwarzen Kreis,
Tanzt auf dem Thurm in sonderer Weis’
Hat ihre Luft am Wolkenzug,
Und an des Sturms gewalt’gem Spruch.
      Drei trockne Fichten stehn dort oben,
Wo man das Hochgericht erhoben.
Von Rabennestern schwarz umwunden
Vom Sturm zerpeitschet und zerschunden.
So raget es ein Bild voll Schauer
Hoch ob der dumpfen Reichsstadt Mauer.
Faust keucht hinan den Babelthurm der Sünder,
“Hier find’ ich ihn, hier wohnen seine Kinder!”
Und drauf: “o meine Brust! Mein krankes Bein!”
Er setzet sich auf einen schwarzen Stein
Von dem der Sturm gefegt den Schnee,
Er ruhet sich, das Herz schlägt ihm so weh;
“Mephisto!” ruft er drauf gewaltig laut,
Den Ruf entführt die Windesbraut,
Doch Niemand kömmt, er bleibt allein,
Auf seinem schwarzen Ruhestein.
“Mephisto!” ruft er oft und zahllos oft,
Daß ihm die Ader pocht und klopft.
Er stehet auf, er ruft was oft er rief. – –
Der Sturm fegt gleichen Tons die dunkeln Fichten
Er sinkt zurück zum Stein und ächzet tief,
Und als er sucht sich wieder aufzurichten,
Ist seine Krück’ ihm in den Schnee geschlüpft.
Da schallt es, wo die Fichtengruppe stand:
Der Rabe krächzt, es kommt was angehüpft,
Und drückt die Krück’ ihm in die welke Hand.





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