Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Nachbarsleute
Author: Thoma, Ludwig
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Nachbarsleute" ***


  Ein Verzeichnis von Ludwig Thomas Büchern
  befindet sich am Schluß dieses Bandes



                        Nachbarsleute

                             von

                         Ludwig Thoma

                     13. bis 15. Tausend


                    Albert Langen, München



                Übersetzungsrecht vorbehalten
               Albert Langen      Ludwig Thoma

           Copyright 1916 by Albert Langen, Munich



                            Inhalt


                                            Seite

          Junker Hans                           7

          Das Volkslied                        59

          Auf dem Bahnsteig                    73

          Tja -- --!                           81

          Der Biedermann                       91

          Unser guater, alter Herzog Karl      99

          Liebe um Liebe                      107

          Auf der Elektrischen                117

          O Natur!                            129

          Das alte Recht                      135

          Anfänge                             157



                 Junker Hans

          Eine Kleinstadtgeschichte


Wie es gekommen war, ob Herr Pfaffinger höflich oder in barschem
Tone das Schließen der Türe verlangt, ob Herr Tresser nach dieser
Aufforderung erst recht die Türe aufgerissen, ob Herr Pfaffinger
in rüder Weise sie dann ins Schloß geworfen hatte und hierauf von
Herrn Tresser als ungebildeter Lümmel bezeichnet wurde, während Herr
Pfaffinger diesen, Herrn Tresser nämlich, mit dem Worte Lauskerl schon
vorher betitelt hatte, läßt sich aus den erregten Schilderungen der
angesehenen Bürger Dornsteins nicht unwiderleglich feststellen, --
Tatsache ist, daß Herr Tresser Herrn Pfaffinger einerseits an der
Gurgel packte, während Herr Pfaffinger andererseits diesem, dem Herrn
Tresser nämlich, eine derart schallende Ohrfeige versetzte, daß der
Schlag sogar in den hintersten Sitzreihen des Höllbräusaales vernommen
wurde.

Von vielen Zeugen des Vorfalles wird erzählt, daß die Tochter des
Herrn Magistratsrates Trinkl, Fräulein Fanny Trinkl, über Zugluft
geklagt habe, was den neben ihr sitzenden Brauereivolontär Pfaffinger
veranlaßte, aufzuspringen und die Saaltüre zu schließen, worauf Herr
Rechtspraktikant Tresser dieselbe sogleich wieder öffnete, sei es nun,
weil er und einige mitanwesende Beamte es zu heiß fanden, sei es, weil
er über die eigenmächtige Handlung des Herrn Pfaffinger entrüstet
war, was aber wiederum diesem, Herrn Pfaffinger, als eine Beleidigung
seiner Dame erscheinen mußte, so daß er sich zu einem Schimpfworte
hinreißen ließ, wobei freilich nicht bestimmt behauptet werden kann,
daß nicht etwa Herr Tresser schon vorher den Ausdruck ungebildeter
Lümmel gebraucht hatte, kurz und gut, was hier auch übereinstimmend
oder verschieden berichtet wird, -- Tatsache ist, daß Herr Pfaffinger
von Herrn Tresser an der Gurgel gefaßt wurde, und daß dann Herr Tresser
eine dermaßen starke Ohrfeige erhielt, daß seine linke Wange anschwoll.

Mir war und ist es nur darum zu tun, eine vollkommen wahrheitsgetreue
Schilderung des Herganges zu geben, wobei ich keineswegs, wie Herr
Magistratsrat Trinkl, das Verhalten des Herrn Pfaffinger oder, wie
Herr Sekretär Hundertkäs, das Benehmen des Herrn Tresser als absolut
berechtigt hinstelle, sondern ich möchte ausschließlich die Tatsache
klarstellen, daß Herr Tresser einerseits Herrn Pfaffinger körperlich
anfiel, während Herr Pfaffinger andererseits diesem eine wuchtige
Maulschelle applizierte.

Das Geschehnis läßt sich weder leugnen noch beschönigen, noch auf
irgendeine Weise aus der Welt schaffen, und es ist weiter nichts
zu erörtern als die Frage, welche Folgen die Mißhandlung eines den
besseren Kreisen angehörigen Mannes haben konnte.

       *       *       *       *       *

In der Tat wurde der Vorfall auch von den bürgerlichen Elementen nach
Verlassen des Höllbräusaales lebhaft erörtert, und Bäckermeister
Schwarz bewies vielleicht die größte Heftigkeit der Gesinnung.

»Also mir ... net ... also mir bal oana so was saget ... net ... also
ung'hobelter Lackel oder so was ... net ... also i ... mei Liaba ...
i den bei de Ohrwaschel nehma und beuteln ... hast d' g'hört ... und
nacha oani links und oani rechts abahau'n ... vastehst ... und nacha
no a paar ... also mir bal oana kam! Was? sag i ... an ung'hobelter
Lackel bin i ... moanst du vielleicht, weil di dei Vata studiern hat
lass'n ... derfst du an Bürgersmann, der wo seine Steuern zahlt ... net
... und wo seine Familli rechtschaff'n ernährt ... schimpf'n ... sag i
... Wer is ung'hobelt? sag i ... vielleicht net a Beamta, der si a so
aufführt? Was bin i? A Lackel bin i? Hab Eahna i scho amal an Lackel
abgeb'n? Han? Du Herrgottsakrament! sag i. Da hast a paar! sag i ...«

»Plärr do net a so!« rief Magistratsrat Trinkl ... »Bleib'n ja d' Leut
steh' und schaug'n ...«

»Ja no ... muß ma si so was hoaß'n lass'n?«

»Zu dir hat er nix g'sagt!«

»Dös is sei Glück, mei Liaba ... mir bal er so was saget! Also den
schlaget i sei Batterie scho a so her, daß er alle Engel pfeif'n
hörat ... Ung'hobelter Lackel möcht er an Bürgersmann hoaß'n ... so
a Schreibersg'sell, so a notiger, der wo si net amal was G'scheit's
z' fress'n kaff'n ko.... Dir gib i scho an Lackel ... also bloß sag'n
braucht er's zu mir ... nix als wia sag'n ... sag' i ...«

»Mir g'fallt de G'schicht gar net ... dös ... dös ... i woaß net ... da
derleb'n mir no was!« sagte der Gold- und Silberarbeiter Elfinger und
machte ein bekümmertes Gesicht ... »De G'schicht is no net firti ...«

»Was is net firti?« fragte Trinkl.

»Ja ... dös mit dera Schell'n ...«

»Dös is allerdings firti. Der hat sei Fotz'n, und gar is ...«

»Wer'n ma's sehen, ob die Sache so einfach verläuft, also gewissermaßen
im Sande,« erwiderte Elfinger, der nicht ungerne hochdeutsch sprach.

»Was will er denn mit a Klag?« höhnte Magistratsrat Trinkl.

»Bal er z'erscht 's Maul aufreißt, net, und ganz ordinär werd' ... und
nacha aufs G'richt laff'n! Na, mei Liaba!«

»G'richt laufen!«

»Ja ... da werd halt 's G'richt sag'n, Herr Rechtspraktikant,
werd's sag'n, bald Sie eine würkliche Bildung besitzen, dürfen Sie
nicht anfangen und die Leute aufreizen, und bald Sie aber die Leute
aufreizen, müssen Sie Ihnen halt diese Behandlung gefallen lassen. A so
red't 's G'richt! Vastand'n?«

»Ich rede ja überhaupts nicht vom Gericht,« sagte Elfinger etwas
ungeduldig.

»Net?«

»Nein ... durchaus nicht. Das weiß man doch, daß diese Herren ...
also ... die wo auf der Universität studiert haben ... eine Ohrfeige
durchaus nicht hinnehmen dürfen wie unsereiner ...«

»Geh! Hör' auf!«

»Nein! Das lest man doch in der Zeitung, daß für solchene Herren eine
Ohrfeige sozusagen eine tödliche Beleidigung ist, und auch bald sie
nicht wollen, müssen sie doch, indem es ein Ehrenstandpunkt ist ...«

»Geh! Hör' auf!«

»Na, frag' halt Leut', die 's wissen! Ob eine Ohrfeige nicht mit Blut
abgewaschen werden muß, und bald der Betreffende auch vielleicht nicht
will ...«

»Jetzt muaß i scho sag'n ... Elfinger ... red' net gar so saudumm
daher!«

»Ich rede durchaus nicht saudumm daher ... und überhaupts möchte ich
mir das verbitten ... net wahr ...«

»Kam er da mit'n Bluat o'wasch'n ... und solche Sprüch!«

»Weil es wahr ist! Jawohl! Wenn einer natürlich seiner Lebtag in
Dornstein hockt als Lebzelter, weiß er nicht, wie solche Vorkommnisse
sich auswachsen ...«

»O mei! Da balst net gehst!...«

»Ich war dritthalb Jahr in Erlangen, mein Lieber, wo sich eine
Universität befindlich ist, und bald du das nicht woißt, kannst es ja
nachles'n im Sulzbacher Kalender ...«

»I huast dir auf dei Universatät!«

»Das ist die Sprache der Ungebildeten ... das kann ich dir sagen ...«

»Han?«

»Jawohl! Da muß man einmal in der Welt herumgekommen sein, dann schaut
man die Sache etwas anders an. Ich hab viel erlebt in dieser Beziehung,
und bald ein Student dem anderen eine Ohrfeigen gibt, diese Fälle kenn'
ich, und da entscheidet dann das Ehrengericht, ob dieser Betreffende
nicht mit der Pistole in der Hand Rechenschaft verlangen muß ...«

»Herrgottsakrament, jetzt sag' i 's nomal, a so a spinnata Tropf is ma
do aa no net fürkemma ...«

»Da spinnt niemand!«

»Net z' weni, sag' i ...«

»Nein! Durchaus nicht! Das ist der Standpunkt der Satisfaktion, wennst
d' scho amal was g'hört hast von dem!...«

»Da müaßt da Schorschl ...?«

»Jawohl!!«

»Da müaßt da Pfaffinger Schorschl si vo an so an notinga Hanswurscht'n
nauf schiaßn lass'n?«

»Jawohl!! Das heißt, in dieser Beziehung weiß ja der Betreffende nicht,
ob ihn das Schicksal trifft, und äh ...«

»Da Pfaffinger Schorschl, der in a paar Jahr de Brauerei von sein Vata
kriagt mit achtavierz'g Wirt ... und ...«

»Was hat denn das damit zu tun ...?«

»Und dös schöne Sach in Matzing drauß'n ... langa koane vierhundert
Tagwerk ...«

»... Also ...«

»Und a Stuck an achtz'g Küah im Stall ... der soll si ...? Geh! Wia no
a Mensch so daher red'n ko!«

»Wenn du oan net red'n laßt und all's besser woaßt, na brauch ja i net
red'n,« schrie Elfinger, den der Zorn wieder ins Altbayerische brachte.

»Für dös red'n kriagst d' nix,« erwiderte der Herr Magistratsrat
Trinkl mit gleichfalls erhobener Stimme. »Kam er do mit sein
Student'nschmarr'n daher! A Duwäl! Ah! Ah! da kunnt'st scho Grean
Baamwirt wer'n!«

»Wenn er an Ehr im Leib hat ... vastehst!«

»An Ehr! Woaßt, was da Pfaffinger Schorschl hat? An Diridari hat a!
Maxi hat a! Und auf dei Ehr is ...«

»Mit dir ko ma net streit'n; dös woaß ma scho! Weil du a Hammi bist!«

»I?«

»Ja du! Für dös bist du bekannt in ganz Dornstoa!«

»Ah! Der is guat! Was bist na du?«

»Is scho recht!«

»Was bist na du? A spinnata Deifi bist d'. Mit'n Bluat o'wasch'n kam er
daher! Wasch da du 's Hirn mit Salmiak, dös werd g'scheiter sei!«

»Sie sind ein ordinärer Mensch, Herr Trinkl! Ich verkehre nicht mehr
mit Ihnen ...«

»Bleib' halt weg, spinnata Deifi! Spinnata!«

Herr Elfinger hatte sich mit raschen Schritten entfernt und war schon
in der Dunkelheit entschwunden, da schrie ihm Herr Trinkl noch durch
die hohlen Hände nach: »Druck di, du Hanswurscht, mit dein Duwäl!«

Und zum Bäckermeister Schwarz sich noch immer erregt wendend, fragte
er: »Hast d' scho amal so was Dumm's g'hört? Der bracht's außa, als
wenn da Pfaffinger Schorschl so a Karmenadlstudent waar!«

»I hab'n net recht vastand'n,« sagte Herr Schwarz. »Moant er, daß de
mit'n Sabl da so aufanand trischak'n müaßt'n?«

»Oder schiaß'n, vastehst? Mit da Pistol'n! Der Pfaffinger Schorschl
werd si von so an Hungerleider aufi schiaß'n lass'n. Dös kost da
denk'n!«

»Als der oanzige Sohn vom Danglbräu in Matzing!« rief Bäckermeister
Schwarz voll Hohn aus, denn auch er hatte sogleich die ganze
Lächerlichkeit dieses Gedankens erfaßt.

»Also mir sollt oana mit so a'ra Duwälforderung kemma!« setzte er
hinzu. »Grad kemma sollt oana! Was? sag i ... fordern möcht'n Sie mi?
Auf was denn, sag i ... und an Schiaßa fürag'langa hintern Bachofa
und den am Kopf aufi hau'n mit da Pretsch'n ... vastehst ... daß er
drei Tag lang auf alli vieri umanandkriachat ... fordern möcht er mi
... so waar's recht! Fordern! An Bürger aa no koan Ruah lass'n mit
dena Duwälg'schicht'n! I an Nudelwalgla nehma und den aba scho so
umanandlass'n ... da hast dei Duwäl! sag i ... und hau eahm oani über
sein Gipskopf umi, daß er grad staubet ... da ... sag i ... und da ...
hast d' no oani ...«

»Herrgott! Gib do acht! Haut er mir an Huat aba!« schrie Trinkl.

»Muaßt scho entschuldinga ... aba da kunnt'st scho belzi wer'n ... net
... bal oan so was unterkimmt ... Fordern möcht oan der Schreiberg'sell
...«

Und man hörte noch lange ihre erregten Stimmen, da sie den Stadtplatz
mehrmals hinauf und wieder herunter gingen.

       *       *       *       *       *

»Sie san aber einer!« lispelte Fräulein Fanny Trinkl, als sie in
Gesellschaft des Herrn Pfaffinger den Höllbräusaal verließ.

Der stattliche Brauereivolontär warf sich in die Brust und sagte mit
geheucheltem Gleichmute: »Da gibt's bei mir nix!«

»Ich bin #so# derschrocken, wie Sie auf einmal aufg'sprungen sind.
Jessas Maria! hab ich mir denkt, es werd doch kein Unglück geb'n, daß
er Ihnen was tut ...«

»Der -- mir?«

»Man weiß halt oft nicht ...«

Herr Pfaffinger schob den Hut verwegen aus der Stirne.

»Solchene derfen drei daherkemma, nacha fürcht' i s' aa no net.«

Das üppige Mädchen sah bewundernd zu dem Ritter auf, der sich kraftvoll
in den Hüften wiegte und mit den Fingern schnalzte, gleichsam um zu
beweisen, wieviel ihm an einer ganzen Schar von Gegnern läge.

Fannys rehbraune Augen trafen sich mit seinen etwas hervorquellenden
wasserblauen und senkten sich sofort, indessen sie wiederum rief:

»Nein, Sie sind aber einer!«

Offenbar hegte Herr Pfaffinger die gleiche günstige Meinung von sich;
denn sein ganzes Gebaren verriet, daß er mit der Bewunderung seiner
Persönlichkeit beschäftigt war.

»Ich hätt' mir gar nicht denkt, daß Sie so heftig sein können ...«
sagte Fräulein Fanny.

»Ja, da kenn i nix.«

»Wie Sie den Stuhl z'ruckg'stössen haben, und auf und hin ...«

»Da gibt's koana Würschtel!...«

»Und wie Sie ihm eine hing'haut haben, daß 's ihn gleich draht hat!«

Wieder gingen sie eine Weile schweigend nebeneinander, und indessen
Herr Pfaffinger beim Schein einer Straßenlaterne respektvoll seine
große Hand betrachtete, huschten Fannys Blicke wieder beifällig über
ihn hin.

Schön war er nicht --

Ein gewissermaßen viereckiger Kopf auf einem kurzen Halse; eine stumpfe
Nase, dicke Lippen, die sich nicht ganz schlossen, so daß man die
unregelmäßigen Zähne sah, der Teint von jener biersäuerlichen Blässe,
wie sie Schenkkellnern und Bräuburschen eigen ist ... All das ließ den
Pfaffinger Schorschl nicht gerade als verführerisch erscheinen, und
doch besaß er Reize, die ein altbayerisches Mädchen, wenn auch noch so
flüchtig, wohl bemerken konnte.

Derbe Rundungen und Breiten und Grobschlächtigkeiten, die
vielverheißend waren.

»Eigentlich san S' wegen meiner in die G'schicht nein kommen, weil ich
mich beschwert hab', daß die Tür offen war, und mich hat's nachher
schon g'reut ...«

»Da braucht Ihnen nix reu'n, Fräulein Fannerl ...«

»Aber do, wenn S' jetzt solchene Unannehmlichkeiten hamm ...«

»Dös is mir ganz egal ...« Schorschl sagte wirklich egal ... »Bald ich
amal bei einer Dame sitz ... nacha muß ich auch für die Dame eintreten
...« Ein zärtlicher Blick traf ihn, und seine wasserblauen Augen
streiften wohlgefällig über den sehr stattlichen Busen des Mädchens und
blieben daran haften.

Vielleicht war es der Wunsch, diesen straffen Formen näher zu rücken,
vielleicht war es eine aufquellende Zärtlichkeit ... Schorschl streckte
seinen Ellbogen hin und fragte: »Darf ich Ihnen nicht meinen Arm
anbieten, Fräulein?«

Fanny hing sich ein, und beide fühlten wohlig eines die Wärme des
anderen.

»Da gibt's nix,« sagte Schorschl, »bal ich amal mit einer Dame
beisammen bin ...«

»Sie sind einer!«

»In Freising, wia 'r i studiert hab', da hat amal oana auf an Ball
meiner Dame auf 'n Fuaß tret'n. Dem hab i a paar abazog'n und hab'n
über d' Stiag'n abi g'schmiss'n, daß er dös halbe G'lander mitg'numma
hat ...«

»Jessas Maria!...«

»Und amal hat inser Verbindung a Gartenfest g'habt ...«

»Waren's bei an Studentenkorps?«

»Bei der Cerevisia in Weihenstephan in der Brauschul' ... und da hamm
mir a Gart'nfest g'habt, und da hat oana mit meiner Dame 's Speanzeln
o'g'fangt ... dem hab i aa zoagt, wo der Bartl an Most holt ...«

»Sie sind g'wiß ein rechter Don Schuang g'wesen?«

»Han?«

»Daß Sie recht poussiert hamm?«

»Gar so arg is 's net g'wes'n ...«

Schorschl lächelte aber doch vielsagend, und Fanny wollte hastig ihren
Arm zurückziehen und wurde festgehalten.

»Mit Ihnen sollt' man sich gar net geh'n trauen ... Sie sind vielleicht
ein ganz gefährlicher ...«

»Eahna waar i net Feind, Fräulein Fannerl!«

»Sie Schlimmer!«

»G'wiß is wahr, i hab's Eahna scho lang sag'n woll'n ...«

»Was?«

»Daß S' mir gar so guat g'fall'n ...«

Ein zärtlicher Blick streifte ihn.

»Sie möcht'n mich g'wiß derbleck'n!«

»G'wiß net ... überhaupts gibt's dös bei mir durchaus net ... Freil'n
Fannerl ... dös dürfens net glaub'n ... Fannerl ...«

Sie drückte sich näher an ihn, und er wurde eifriger.

»Moana S' denn, i hätt' mi so gift' über den Tresser, wenn i Eahna net
gern hätt ...«

»Das sagen S' halt so ...«

»Na! Wenn i no red'n kunnt ... aba da auf da Straß ko ma ja net red'n
... wenn S' mi bloß a bisserl ins Haus nei lasset'n, Fannerl!«

»Aba Herr Pfaffinger!«

»Bloß in Hausgang! Daß ma dischkrier'n kunnt'n ...«

»Aba dös geht doch net!«

»Warum denn net? Bloß red'n, Fannerl, weil i Eahna gar so gern hab'.«

»Dös merkt doch der Vata!«

»Der merkt nix!«

»Hören S' auf! Was Sie red'n!«

Und wenn Herr Pfaffinger auch nicht gewandt genug war, um eine
Situation blitzschnell zu überschauen, bemerkte er doch den sachlichen
Ernst, der in der Abwehr des Mädchens lag.

»Geht's gar net ... Fannerl?«

»Genga's Sie!«

»I waar mäuserlstaad ...«

»Aba Herr Pfaffinger!«

»Geh! Wenn i d' Stiefeln ausziahg ...«

»Jessas na!«

»Höret mi koa Mensch ...«

»Ja, wia red'n denn Sie?«

»Fannerl!«

Er zog das Mädchen an sich. Seine linke große Hand verirrte sich auf
den prallen Busen, indes er mit der rechten die schwach sich Sträubende
rückwärts faßte und auch hier Anlaß zur stürmischen Werbung fand.

»Du Trutscherl, du liab's!«

»Herr Pfa ...«

Seine breiten Lippen erstickten ihre Stimme, und sie legten sich breit
und feucht auf ihren Mund. Ehrlich erwiderte sie den Kuß.

»Du Gschmacherl du!«

»Schorschl!«

       --       --       --       --       --

»Also paß auf, Fannerl, i ziahg d' Stiefeln aus ... werst sehg'n, es
hört mi neamd ...«

»Aba da Vata schlaft do no net ...«

»Der schlaft scho!«

»Geh! Wenn er do jetzt erst hoam geht ...«

»Nacha wart i halt a halbe Stund, bis er eing'schlaf'n is ... und du
machst mir d' Haustür auf!«

»Na ... Schorschl ... dös geht net ...«

»Leicht geht's.«

»Was denkst da denn du von mir? So schnell! Na ... dös geht amal net
...«

»Geh weiter ... Trutscherl! Jetzt dös derfst mir net o'toa!«

»Was?«

»Jetzt hab' i mi a so g'freut ... und nacha waar's nix!«

»Aba wenn's net geht!«

»Und i hab' mi so für di ins Zeug g'legt!«

»Aba Schorschl!«

»Ja ... Und du tatst mir gar koan G'fall'n!«

»Wenn aba da Vata net so g'schwind ei'schlaft!«

»Na ... wart i a Stund ...«

Fannerl schien zu überlegen, und da die Ergebnisse solcher
Überlegungen immer die gleichen sind, sah Schorschl beseligt in die
Zukunft ...

»Aba daß d' ja net früher kummst ...«

»Na ...«

»Und net an d' Stiag'n hi stößst ...«

»I sag da ja ... daß i d' Stiefeln ausziahg ...«

»Jessas! Jessas! Was muaßt dir du von mir denk'n!«

»Daß du a G'schmacherl bist!«

»Dös hast g'wiß scho zu viele g'sagt!«

»Dös? Na ... dös hab i no zu gar koane g'sagt! Derfst d'as g'wiß
glaab'n ...«

Er war doch ein Don Schuang und kannte das weibliche Herz.

Ein neuer Kuß befestigte das Versprechen, und innig
aneinandergeschmiegt schritten die beiden dem Hause zu, in das
Schorschl so bald einzuschleichen gedachte.

Auf dem Stadtplatze hörten sie die rauhen Worte des Herrn Schwarz durch
die stille Nacht schallen und stießen auch bald auf den ahnungslosen
Vater, der sie freudig begrüßte.

»Ah! Der Herr Pfaffinger! Hamm S' mei Fannerl begleit'?«

»Ich hab mir erlaubt, weil mir Ihnen nicht mehr g'sehen haben ...«

»Ja ... i hab da a kloane Aussprach' g'habt ... über Eahna, Herr
Pfaffinger ...«

»Ah so! Weg'n der Gaudi?...«

»Ja ... und die Folgen, wo mir der Elfinger, der Hansdampf, der
spinnate, hätt erzähl'n mög'n. Daß Sie a Duwäl kriag'n ...«

»I?«

»Ja ...« sagt der Elfinger ...

»Um Gott'swill'n ... Herr Pfaffinger ... weg'n mir ...«

»Da brauchen Sie keine Angst nicht zu haben, Fräulein!«

»Dös hab i aa g'sagt ... so a Schmarrn, sag i ... auf d' Kirta laden S'
den Kerl ei, wenn er Eahna was will ...«

»Geh, Vata!«

»Is ja wahr aa ... dös is de richtige Antwort ... Also guat Nacht, Herr
Pfaffinger, und b'suachen S' mi amal ... werd mir an Ehr sei!«

»Guat Nacht, Fräulein!«

»Gut Nacht!«

Noch ein Blick, der alles auf ein neues bestätigte, dann huschte
das Mädchen ins Haus, die Türe klappte ins Schloß, Herr Pfaffinger
entfernte sich mit absichtlich lauten Schritten.

       --       --       --       --       --

Ob es nun gerade eine Ehre für den Stadtvater Trinkl war, als Schorschl
eine schwache Stunde später und sehr viel leiser wieder zu dem Hause
kam, die Türe frohlockend geöffnet fand und auf den Fußspitzen gehend
sich einschlich? Für ihn war es jedenfalls ein Glück.

Da stand er im Dunkeln und fühlte die Nähe des Mädchens. Ein leises
Rascheln. »Pst!«

Eine Hand ergriff die seine ... eine Stimme flüsterte dicht an seinem
Ohr: »Ziahg' d' Stiefeln aus!«

Und er zog sie aus.

       *       *       *       *       *

Es ist Zeit, von Anton Gumposch zu reden. Denn über allem darf nicht
vergessen werden, daß in der tätlichen Mißhandlung eines akademisch
gebildeten Mannes der Anlaß zu einem Ehrenhandel vorlag, jedenfalls
vorliegen konnte, wenn anders die uralten Gebote der Ehre auch in
diesem südlichen Winkel unseres deutschen Vaterlandes noch nicht alle
Geltung verloren hatten.

Daß sie es #nicht# hatten, daß sie zum mindesten nicht stillschweigend
übergangen werden konnten, dafür bürgte die Existenz des Herrn Anton
Gumposch.

Er war wohlhabender Rentner, Sohn und Enkel reicher Gutsbesitzer,
der seine Stellung in der Gesellschaft wie seinen Bildungsfonds als
Hospitant einer Universität erhöht hatte, oder, genauer gesagt, als
Mitglied eines Korps. Er liebte den Schein der Arbeit und war immer
bemüht, ihn sich zu geben, und wenn ihm auch jeder Trieb zu ernsthafter
Beschäftigung fehlte, war er doch Tag für Tag lebhaft und regsam und
beobachtete nicht ohne Strenge die Arbeit seiner Nebenmenschen.

Wer sich rechtschaffen plagte, durfte sicher sein, daß ihm Gumposch
wohlwollend auf die Achsel klopfte, und wer es im Kampfe ums Dasein
vorwärts brachte, konnte in dem anerkennenden Lächeln des Herrn
Gumposch den Ansporn zu neuen Anstrengungen erblicken.

Naturgemäß und ganz von selbst mußte sich ein so liebevolles Interesse
für die Umwelt auch auf das Gemeinwohl erstrecken, und Gumposch war
denn auch rastlos bemüht, alle Maßnahmen, Fürsorgen, Veranstaltungen
und Anordnungen der städtischen Behörden Dornsteins einer sachlichen
Prüfung wie einer ständigen Besprechung zu unterziehen. Sein nie
ruhender Geist ersann täglich Pläne zur Hebung des Wohlstandes und
Ansehens der Gemeinde; Hebung, Entwicklung, Fortschritt waren die
Leitmotive seiner unzähligen Probleme, und so sehr stand er unter ihrem
Banne, daß er nicht einmal die Möglichkeit eines Vorschlages prüfte,
wenn er unter dem Zeichen von Hebung und Fortschritt zu stehen schien.

Gumposch versah im Geiste alle Berge der Umgebung mit Drahtseilbahnen,
wollte auf den Höhen Riesenhotels anlegen, Bäche anstauen, um Seen für
den Wintersport zu erhalten, rundum im Lande alle Wasserkräfte erwerben
zu großen städtischen Fabrikanlagen, er projektierte elektrische Bahnen
nach allen Ausflugsorten, Konzertsäle und Kaffeehäuser in der Stadt,
und war immer mit einem neuen Plane zur Hand, wenn die Dornsteiner
Rückständigkeit den alten kopfschüttelnd abgelehnt hatte, und war immer
begeistert und ließ über den Häuptern einer grämlichen Philisterschar
die Fahne des Fortschrittes flattern, des Fortschrittes, der Hebung und
der Entwicklung.

Gumposch war als Politiker jenem früher allgemein üblichen Liberalismus
zugetan, der ohne eigentliches Programm nur ab und zu bemerkbar wurde,
wenn er sich gegen ultramontane Bedrückung aufbäumte oder sich bei
Festen in Liedern erging. In gewöhnlichen Zeitläuften machte er nicht
viel Aufhebens von seinen politischen Meinungen und vermochte sie
auch wohl zu ändern und anzupassen, aber wenn Wahlen im Reiche waren,
erhob Herr Gumposch einen starken Lärm, ließ sich auf den Schild heben
und vermaß sich, der liberalen Idee neues Terrain zu erobern. Im
»Dornsteiner Boten« tauchten Nachrichten auf von Reden, die unser Herr
Gumposch hier und dort gehalten hatte, und von sichtbaren Eindrücken,
die seine vaterländisch tiefempfundenen Worte auf die Bevölkerung
gemacht hatten.

Das »Dornsteiner Wochenblatt« hingegen strotzte von hämischen
Invektiven gegen den verdienten Bürger der Stadt und mußte in jeder
Nummer Gumposchische Erwiderungen auf Grund des bekannten Paragraphen
bringen, mit Repliken und Dupliken, in denen ein überlegener Hohn bald
auf dieser, bald auf jener Seite zu finden war.

In solchen Zeiten, da deutsche Männer ihre ganze Vaterlandsliebe
aufbieten müssen, um nicht vom Ekel übermannt zu werden, und ihre
ganze Kraft, um nicht erschöpft zusammenzubrechen, und ihren nimmer
versiegenden Glauben an Deutschlands Zukunft, um nicht daran zu
verzweifeln, in solchen Zeiten fühlte sich Gumposch am wohlsten.

Das Zielscheibesein für gewissenlose Angriffe oder für Pfeile aus dem
Hinterhalte war seiner Natur so recht entsprechend und stillte sein
Bedürfnis, ein Mittelpunkt zu sein.

In solchen Zeiten konnte er es freudig erleben, daß auch stumpfe
Naturen bei seinem Anblick in Bewegung gerieten, daß sonst
gleichgültige Bürger vielsagend mit den Augen zwinkerten, wenn sie ihm
begegneten, daß im Gasthause bei seinem Eintritte die Leute die Köpfe
zusammensteckten und es kam auch vor, daß der eine und andere ihm
lautes Lob erteilte.

Und wenn dann am Wahltage, wohlgemerkt auf Kosten des Herrn Gumposch,
im Redaktionsfenster des »Dornsteiner Boten« nach ganz neuzeitlichen
Prinzipien die Wahlresultate hinter beleuchtetem Glase auftauchten und
in diesem magischen Licht auch der Name Gumposch erstrahlte, und war es
mit noch so wenig Stimmen des Durchfalles, dann bildete dieser Moment
einen schönen Abschluß beseligender Wochen. Man sieht, daß dieser Mann
ein Pol im Kreise der öffentlichen Interessen war, und darum noch
einmal: es ist Zeit, bei diesem Ehrenhandel von ihm zu reden.

Er stand vor der Tatsache, daß Herr Rechtspraktikant Tresser nach
einem heftigen Wortwechsel im überfüllten Höllbräusaale von Herrn
Pfaffinger geohrfeigt worden war, und er war keineswegs geneigt, diesen
Vorfall leicht zu nehmen oder ihn mit sattsam bekannten Vernunftgründen
aus der Welt schaffen oder mit Worten einer billigen Entrüstung abtun
zu lassen.

Nein! Hier war endlich ein wirklicher Skandal gegeben, an dem Leute
beteiligt waren, von denen der eine gewiß, der andere vielleicht zum
Verständnisse des tiefen Ernstes der Sache gebracht werden konnte.

Und Gumposch fühlte sogleich, daß er der Mann dazu war, diese
Angelegenheit in die Hand zu nehmen, ihr Einschlafen zu verhindern, ihr
einen honetten Ausgang zu verschaffen.

War es ohne Bedeutung für den gebildeten Teil der Dornsteiner
Gesellschaft, wenn die bürgerliche Welt sah, daß dieses Renkontre nicht
anders und nicht ernsthafter behandelt wurde wie etwa eine Schlägerei
in den niederen Schichten? War es ohne erzieherischen Wert, wenn das
Bürgertum einsehen lernte, daß zwischen seiner Auffassung von Händeln
und ihren Folgen und der Auffassung von satisfaktionsfähigen Männern
denn doch ein unüberbrückbarer Abgrund klaffte? War es zuletzt für die
Reputation der Stadt so gleichgültig, wenn hier Prügeleien nicht anders
bemessen wurden als in dem nächsten Bauerndorfe?

Noch einmal nein!

Hier war Gelegenheit geboten, mit höheren Ansichten durchzudringen,
dem Ehrenstandpunkte Geltung zu verschaffen gegenüber einer
Bevölkerung, die nur zu leicht geneigt war, die Schranken nicht zu
sehen, welche sie von der gebildeten Klasse trennten.

Wenn diese Bevölkerung mit aus Grauen und Bewunderung gemischten
Empfindungen sehen mußte, daß in gewissen Sphären ein Mann eben doch
anders für seine Handlungen einzustehen habe als Krethi und Plethi --
jawohl Krethi und Plethi -- dann fiel von der abgerungenen Hochachtung
auch für den Mann ein gut Teil ab, der dem Ehrenstandpunkte zum Siege
verhalf und seine Zugehörigkeit zur besten Klasse klar und deutlich und
weithin sichtbar bewies.

Alle diese Gründe, in einem Selbstgespräche und vor dem Spiegel mit
Kraft vorgetragen, brachten Herrn Anton Gumposch schnell zu dem
Entschlusse, seine Person in den Vordergrund zu schieben und das
pöbelhafte Ereignis auf ein höheres Niveau zu bringen.

Der Weg zu diesem Unternehmen war vorgezeichnet. Daß Herr Tresser nicht
erst einer Überredung bedurfte, um in der Sache klar zu sehen, war wohl
anzunehmen.

Hingegen erschien es mehr als zweifelhaft, ob Herr Georg Pfaffinger
nach Erziehung und Charakter in der Lage war, seine Pflicht zur
Genugtuung voll zu begreifen.

Hier also mußte der Leiter der Angelegenheit einsetzen.

Zum ersten war die Frage zu prüfen, ob der Brauereivolontär
satisfaktionsfähig war.

Vor nicht langer Zeit hatte die Regierung der Brauereiakademie den
Charakter einer Hochschule verliehen, und damit war offenbar nicht nur
dem Biersieder die Würde einer gelehrten Beschäftigung zugesprochen
worden, sondern auch den Kandidaten die Eigenschaft des akademischen
Bürgers.

Es bestand sohin gegründete Hoffnung, daß Herr Georg Pfaffinger auch
von strengen Beurteilern für satisfaktionsfähig betrachtet werden
konnte -- -- aber!

Ob sich der Mann diese Eigenschaft selbst zuerkannte, in einem
Zeitpunkte, da sie für ihn brenzlich war, das mußte bezweifelt werden.

Gumposch, der sich zuweilen auch jovial zu geben wußte, kannte
Schorschl von einigen gemeinsamen Früh- und Abendschoppen her und hatte
einen Einblick getan in dessen robustes und bildungsfremdes Wesen.

Der ungeschlachte Jüngling hatte von Welt und Menschen eine durchaus
bräuburschige Ansicht, und seiner Art lag es bestimmt näher,
Streitigkeiten mit Watschen als mit Pistolenschüssen auszutragen.

Vielleicht wäre jeder andere zurückgeschreckt vor der Aufgabe, einen
Pfaffinger über ritterliche Pflichten aufzuklären, vielleicht hätte
jeder andere dieses hoffnungslose und übel angebrachte Beginnen von
sich gewiesen, aber Gumposch hatte das stärkste Vertrauen auf die
Macht seiner Persönlichkeit, und er ging sogleich daran, sein Vorhaben
auszuführen.

Er zog seinen Gehrock an und bedeckte das Haupt mit einem Zylinderhute,
und wenn dieser feierliche Aufzug an einem Werktage in Dornstein
Aufsehen erregen mußte, so war das ganz und gar nicht den Absichten des
Herrn Gumposch zuwider, denn er war nicht der Mann, eine so wichtige
Sendung in Heimlichkeit und Stille zu vollziehen.

Im Gegenteil, als er an diesem hellen Vormittag über den Stadtplatz
wandelte, verstärkte er so viel er nur konnte durch seine düstere Miene
die Seltsamkeit seiner Erscheinung, und er bemerkte es gerne, daß man
die Hälse reckte und aus Fenstern nach ihm sah.

Der Metzgermeister Eder pfiff und schrie hinter ihm her, was denn los
wäre, und der Uhrmacher Haas nahm hastig das Vergrößerungsglas von
seinem Auge und humpelte ins Freie.

»Herr Gumposch! Pst! Sie Herr Gumposch, is a Leich oder was?«

»Heut is keine Leich oder was,« sagte Gumposch ungnädig und wie ein
Mann, der nicht aufgehalten zu werden wünscht.

»Ja no! Weil S' an Bratlrock o'hamm. Machen S' an B'suach?«

»Besuch?«

Gumposch blickte dem neugierigen Uhrmacher ins Auge und sagte, jede
Silbe betonend: »Jawohl, Herr Haas, ich mache einen Besuch!«

Haas verstand, daß hier irgend etwas im Hintergrunde lauere, und
erschrak beinahe darüber.

»S ... soo? Und bei wem, wenn i frag'n derf?«

»Sie dürfen eben nicht fragen.«

»Net?«

»Respektive,« sagte Herr Gumposch, »respektive ich darf Ihnen keine
Antwort nicht geben ...«

»Ja, aber ...«

»Was?«

»I moan, warum nacha net?«

»Weil es Dinge gibt, Herr Haas, über die man nicht spricht.«

Bei diesen Worten machte Gumposch eine scharfe Wendung nach links in
die Hafnergasse und ließ den verblüfften Uhrmacher in tiefem Sinnen
stehen.

».... Wei ... weil ...?«

Weil es Dinge gibt, von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen
läßt, schlichter Bürger ...

Schauen Sie ihm nach, wie er dahin geht mit dem in die Stirne
gedrückten Zylinder, winken Sie Ihrem Nachbar, dem Lohgerber, zu,
der mit noch aufgekrempelten Ärmeln unter der Türe steht, wispert
miteinander, lacht oder klopft vielsagend an die Stirne, ihr ahnt es
nie, daß dieser Mann einen Gang geht, von dem Leben oder Tod abhängen
kann!

Obwohl dem bedeutsam Ausschreitenden auch von hinten etwas anzusehen
wäre, was man Schicksalsschwere nennen könnte.

       *       *       *       *       *

»Herein!«

Mit stark verschleimter Stimme: »Herein!«

Herr Pfaffinger drehte sein Haupt, auf dem alle Haare wirr
durcheinander geraten waren, mühsam gegen die Türe hin und versuchte
es, die verklebten Augen zu öffnen.

Sein unsagbar leerer Blick fiel auf seine Hausfrau Margarete
Holdenried, die ihn eifrig und mehrmals anrief.

»Herr Pfaffinger! Herr Pfaffinger!«

»Wos denn?«

»Da Herr Gumposch is da!«

»Da ... da ...?«

»Da Herr Gumposch!«

Das Erinnerungsvermögen Schorschels erstreckte sich offenbar nicht auf
diese bedeutende Persönlichkeit.

Er sagte »von mir aus!«, gähnte und drehte sich um.

»Ja, aba Herr Pfaffinger, da Herr Gumposch möcht Ihnen doch sprechen!«

»Han?«

»Er muß Ihnen auf der Stell sprechen, hat er g'sagt ...«

»Mi?«

»Freilich, es muaß was Dringends sei ...«

»Er soll ma mei Ruah lass'n ...«

»Ja, aba, wenn er do sagt ...!«

»I steh net auf.«

Frau Holdenried stand ratlos unter der Tür und sah auf ihren
Zimmerherrn, der die Decke über die Schultern zog und zu schnarchen
anfing.

»Aba ...«

»Lassen S' mich nur herein,« sagte Herr Gumposch, schob sie höflich ein
wenig beiseite und betrat das Zimmer.

»Jessas, wia's aba da ausschaugt!« seufzte Frau Holdenried, »... und
... und ...« setzte sie bei und öffnete ein Fenster.

»Ich muß eine Viertelstund' allein sein mit 'n Herrn Pfaffinger,«
mahnte der Besucher.

»Aba wia's da ausschaugt!«

»Das ist jetzt Nebensache ... auf das geb' ich gar nicht acht ...«
sagte Herr Gumposch.

»Ja no, wenn S' meinen, aba ...«

Frau Holdenried schüttelte mißbilligend das Haupt und übersah noch
einmal mit einem Blick die wüste Unordnung im Zimmer, hob die Weste vom
Boden auf, erhaschte die beiden Stiefel, schüttelte wieder das Haupt
und ging.

Es war still in dem Zimmer; vom Bett her tönte es leise und gleichmäßig
wie der Klang einer langsam gezogenen Säge.

»Herr Pfaffinger!«

Es kam keine Antwort, und die Haarwildnis, welche in den Kissen lag,
geriet nicht in die geringste Bewegung.

Gumposch klopfte mit dem Stock auf das Bett, einmal, zweimal, öfter.
»Herr Pfaffinger!«

Die Haarwildnis drehte sich um, langsam schob sich die Decke ein wenig
herunter, und langsam schob sich der Deckel des einen Auges so weit
hinauf, daß dieses verständnislos auf Herrn Gumposch starren konnte.

Dieser nahm einen Stuhl und setzte sich mitten in das Zimmer. Sein
Kinn stützte er fest auf die Hände, die er über der Krücke seines
Spazierstockes gefaltet hatte, und richtete seine Augen ernst und
unverwandt auf den jungen Menschen, dem er eine Pause gönnte, um die
Wichtigkeit des Augenblickes wie jene des Besuchers allmählich zu
begreifen.

Schorschl schloß vor den strengen Blicken des Herrn Gumposch die Augen
und öffnete sie nur zögernd wieder, und immer auf ein neues zeigte sich
darin Erstaunen über die Erscheinung des Sendboten der Ehre.

Dieser räusperte sich etliche Male und sagte mit tiefer Stimme:

»Ja, ja ... das ist eine böse Sache, Herr Pfaffinger!«

Schorschels Gedanken reihten sich noch keineswegs geordnet aneinander.

»Wia?« fragte er.

»Sie haben sich was Böses eingerührt, gestern nachts ...«

Die Erinnerung an eine leise knarrende Stiege, an eine Türe, die beim
Schließen ein wenig geächzt, an eine Hand, die ihn geführt hatte, die
Erinnerung an volle Arme, die sich um seinen Hals geschlungen hatten,
tauchte in Herrn Pfaffinger auf und vermochte ihn, seine Augen weiter
zu öffnen.

Da saß vor ihm ein Mann, der ihn bitter ernst anblickte und beinahe
traurig mit dem Kopfe nickte ... irgendein Grund mußte ihn doch
hergeführt haben ... sollte wirklich der Vater was gemerkt ... die
Tochter was gestanden haben?

Sein Herz fing an, schneller zu schlagen.

»Wia?« fragte er unsicher, beinahe ängstlich.

Gumposch, als ein gewiegter Menschenkenner, sah wohl, daß seine
Anwesenheit Gemütsbewegungen verursachte, und das freute ihn und
erregte in ihm sogar ein gewisses Wohlwollen mit seinem Opfer.

»Tja!« sagte er, »lieber Pfaffinger, wie stellen Sie sich das vor, daß
die Sach 'nausgeht?«

Wie stellte man sich das vor?

Die Gedanken Schorschels richteten sich langsam auf ein paar
Möglichkeiten, Unannehmlichkeiten, auf Verdruß daheim, Verlust an Geld,
auf lange Weibsbilderreden.

Er sah zerknirscht aus, was Gumposch sich hoch anrechnete, und da er
nun den Augenblick gekommen sah, wo er mit einer wohlgesetzten Rede
einfallen mußte, erhob er sich und wandelte im Zimmer hin und wieder
und war darauf bedacht, seine Perioden abzurunden.

»Da haben wir die alte Geschichte,« sagte er, »die Jugend, die einfach
... brrr ... drauf los stürmt, nichts überlegt, an keine Folgen nicht
denkt, hitzig, nichts wie hitzig! Wacht man hernach am andern Tag auf,
dann kommt die Überlegung. Jetzt sieht der Mensch, was er für eine
Dummheit gemacht hat. Wie? Was sagen S'?«

Schorschl sagte eigentlich nichts. Er brummte wohl etwas in die
Bettdecke hinein, aber es gehörte nicht unbedingt zur Sache und paßte
keineswegs zu dem würdigen Ton, den Herr Gumposch angeschlagen hatte
und festhielt. Bemerkenswert war nur, daß der junge Mensch in diesem
Augenblicke beschloß, faustdick zu lügen und nichts zu gestehen, nicht
das geringste zu gestehen und faustdick zu lügen. »Ja, da brummen Sie!«
konnte nun der Redner fortfahren, »das verdrießt Sie womöglich noch,
daß man Ihnen die Wahrheit sagt, aber die müssen Sie schon annehmen
von einem Manne, der das Leben kennt und der in solchen Dingen seine
Erfahrung hat. Seine reichliche Erfahrung, mein lieber Pfaffinger, und
Sie müssen ja nicht glauben, daß ich über die Sache urteile, wie ...
wie ... sagen wir ... ein Prolet oder ein Bürger ... Ich sage auch
nicht, daß so was absolut nicht vorkommen kann ... du lieber Gott! Ich
war auch kein Guter, wie ich so alt war wie Sie, ich war ein verdammt
scharfer Kerl, das kann ich Ihnen sagen, und deswegen verstehe ich das
Vorkommnis, verstehe es vollkommen. Sie müssen nicht glauben, daß ich
Ihnen Vorwürfe machen will, ich betrachte es nur als meine Aufgabe,
Ihnen mit Rat und Tat beizustehen ...«

Schorschl fand, daß dieser Mann sehr lange brauchte, bis er die Katze
aus dem Sack ließ, und er betrachtete ihn blinzelnd und voll Unbehagen,
wie er da auf und ab schritt und redete wie ein Buch.

Er sollte endlich einmal herausrücken mit der Farbe, damit man
frischweg lügen konnte ...

»Pfaffinger,« sagte Herr Gumposch nun väterlich und zutunlich und sah
den jungen Menschen wohlwollend an, »Pfaffinger, Sie betrachten sich
doch selber als satisfaktionsfähig?«

»... Wia?«

»Nachdem Weihenstephan jetzt eine Hochschule ist, nicht wahr, haben
doch die Angehörigen dieser Hochschule, nicht wahr, auch ihrerseits das
Bestreben, als satisfaktionsfähig zu erscheinen ...?«

»Wia?«

Gumposch wurde ärgerlich.

»Also, das ist doch klar, daß Sie dem Herrn Rechtspraktikant Tresser
nicht bloß eine herunterhauen können und damit fertig! Wir leben doch
nicht unter den Aschantis, nicht wahr, oder unter den Bauern ...«

»Ja so!« Schorschl sagte es nicht eigentlich und deutlich. Seine
ganze ängstliche Spannung löste sich auf in einem »Ja so!« Er rutschte
mit einem kaum zu beschreibenden wohligen Gefühle tiefer unter die
Decke, er streckte froh und erleichtert die Beine aus und spielte
behaglich mit den Zehen und drehte sich gegen die Wand, und sein ganzes
Wesen war nur ein »Ja so!« »Wir leben doch nicht unter den Aschantis!«
wiederholte Gumposch, der diesen seelischen Vorgang nicht bemerkte,
weil er eben seinen Marsch durch das Zimmer wieder aufnahm. »Wenn ihr
Weihenstephaner das Bestreben habt, unter die Gebildeten aufgenommen
zu werden, so müßt ihr auch klar sein, daß es hier, daß es in solchen
Dingen nur ein Entweder -- Oder gibt. Entweder man ist Knote, oder man
gehört zu den Leuten, welche die Verantwortung für ihre Handlungen auf
sich nehmen. Ist man Knote, will man Knote sein, -- gut! Dann war es
nicht notwendig, daß ich mich hierher bemüht habe, dann war es sehr
überflüssig, sich den Rat eines Mannes zu erbitten, der von Jugend auf
gewohnt ist, Differenzen in ehrenhafter Weise auszutragen. Dann war
es ganz und gar nicht angebracht, sage ich, einem solchen Manne die
Entscheidung zu überlassen, die Entscheidung darüber, ob hier anständig
oder proletenhaft, jawohl, ich sage proletenhaft, verfahren werden
soll; denn darüber konnte kein Zweifel sein, wie meine Ansichten sind,
und jedenfalls würde ich es mir ganz energisch verbitten, in diesem
Punkte Zweifel zu haben. Wie gesagt, die Frage lautet ganz einfach:
»Wollen Sie ein Knote sein und als Knote gelten, Herr Pfaffinger? Ja
oder nein?«

Es ertönte weder das eine noch das andere. Sondern, erst leise
einsetzend, dann zäh und wuchtig, als gelte es, Verlorenes nachzuholen,
schnarchte der junge Mensch, dem hier so eindringlich wie uneigennützig
ins Gewissen geredet worden war. Schnarchte dergestalt, daß jede
Aussicht auch auf zeitweilige Unterbrechung ausgeschlossen erschien.
Gumposch war mehr als indigniert, er war angefüllt mit Verachtung. Er
nahm Stock und Hut, stellte sich vor das Bett und warf einen stechenden
Blick auf diese jedes Pflichtgefühles bare und trotzdem in tiefstes
Behagen versunkene Masse.

»Also Knote!« sagte er und ging.

       *       *       *       *       *

Aber, wie gesagt, über all dem darf man nicht vergessen, daß
ein Mitglied der besseren Stände, und einer, dem die Laufbahn im
Staatsdienste eröffnet war, vor einem zusehenden Publikum das erhalten
hatte, was auch eifrigste Beschönigung eine Maulschelle heißen mußte.
Daß sie nicht einfach hingenommen werden konnte, war die Meinung aller
Beamten, deren Leidenschaftlichkeit nicht gänzlich unter Aktenstaub
erloschen war, und so konnte denn ein aufmerksamer Beobachter wohl
bemerken, daß zwei Tage nach dem Vorfalle ein lebhafter Frühschoppen
im Gasthofe zur Post herrschte. Der gebildete Teil der Bevölkerung
trank hier ein Glas Wein und trank es mit tiefstem Unwillen, mit einem
Gefühle, das man seiner weisen Mäßigung halber Indignation nennen
könnte.

Er hatte sich immer mehr erhitzt, als Gumposch erklärte, daß der
ungehobelte Flegel, nämlich Herr Georg Pfaffinger, nicht das geringste
Verständnis für das Wesen der Satisfaktion besitze.

Solange darüber nicht Klarheit herrschte, hatten die alten
Studenten und freien Burschen das unangenehme Nebengefühl gehabt,
daß ein Waffengang in Dornstein auch für entfernt Beteiligte große
Unannehmlichkeiten nach sich ziehen könne. Jetzt, da für ängstliche
Bedenken kein Platz mehr war, traute sich bei Oberamtsrichter
Herzensfroh wie bei jedem der tiefe Ingrimm über den Lümmel hervor. Man
war sich sogleich darüber einig, daß unter diesen Umständen dem ganzen
klobigen Spießbürgertum ein heilsamer Schrecken eingejagt werden müsse
durch eine scharfe Forderung auf Pistolen.

Natürlich würde sie Pfaffinger nicht annehmen, wie Herr Gumposch immer
wieder versicherte, aber die bange Erkenntnis würde in ihm aufdämmern,
daß er mit seiner Roheit an Kreise geraten war, deren scharfkantige
Ehrbegriffe ihm furchtbar erscheinen mußten. Ihm und den anderen, die
gegenüber von der Post beim Lammwirt saßen und, wie man recht gut
wußte, ein unflätiges Vergnügen an dem bisherigen Gang der Ereignisse
bezeigten.

Also über diese Notwendigkeit war man sogleich einig, und nun warf
Oberamtsrichter Herzensfroh die wichtige Frage auf, wer das Amt
des Kartellträgers, des, wie Gumposch versicherte, vergeblichen
Kartellträgers übernehmen sollte.

In die engere Wahl kamen nur zwei Herren: Anton Gumposch und der
pensionierte Leutnant Hans Mühlritter, denn es stand fest, daß kein
Beamter sich der Aufgabe widmen durfte, weil die Expedition nicht
geheimbleiben konnte und sollte.

Gumposch, ein mit dem Kodex der ritterlichen Pflichten vertrauter
Mann, mußte die Wahl ablehnen, da er schon in anderer Eigenschaft, als
Ratgeber und eventueller Sekundant, dem Menschen, nämlich Herrn Georg
Pfaffinger, nähergetreten war, und so blieb nur Mühlritter übrig, der,
ohne einen Augenblick zu zögern, seine Zusage gab.

»Für einen alten Soldaten,« sagte er, »gibt es da kein langes hin
und her. Man stellt sich auf den Posten. _Bong!_« Alle dankten ihm
herzlich, fast lärmend, und Gumposch, der, wie immer, den günstigen
Augenblick ersah und das Richtige traf, bestellte eine Flasche guten
Rheinweines.

Unter ihrem Einflusse wurde Mühlritter sehr gesprächig, und da er
in seinem Leben wohl nie derartig in den Mittelpunkt des Interesses
gestellt gewesen war, nützte er diese einzige und späte Gelegenheit
nach Kräften aus.

Er war durch den magersten Ruhegehalt gezwungen, als Inspektor einer
Lebensversicherung Nebenverdienst zu suchen, und in dieser Eigenschaft
hatte er sich eine hinströmende und bilderreiche Redeweise angeeignet.

So verbreitete er also eine Atmosphäre von Ritterlichkeit und rauher
Soldateska um sich und gab zu verstehen, daß solche Gänge, wie der
vorhabende, zu seinen Gewohnheiten gehört hätten in jenen Tagen, die er
mit Zungenschnalzen und Verdrehen der Augen seine tolle Leutnantszeit
hieß.

Da Gumposch fleißig einschenkte und die Tafelrunde ihn mit
Wohlwollen anhörte, geriet er immer tiefer in seine waffenklirrende
Vergangenheit und berichtete Abenteuer, als wäre er bei Pappenheims
Kürassieren gestanden und nicht im glorreichen Jahr 1866 zum Leutnant
auf Kriegsdauer ernannt worden, und er überschüttete die Krämer,
Brezelbäcker und Kälberstecher Dornsteins mit unsäglicher Verachtung,
ganz vergessend, daß sie seine Mitbürger und Gläubiger waren.

Als die Mittagsglocke läutete, erwachten alle Familienväter aus ihren
Heldenträumen und erhoben sich.

Junker Hans Mühlritter sah jedem vielversprechend ins Auge und teilte
derbe Händedrücke aus und vermaß sich noch einmal und immer wieder,
er wolle noch desselbigen Tages ein Feuerlein anschüren, an dem die
Frechheit Pfaffingers wie Butterschmalz zergehen werde.

Dann blieben sie zu dritt am Tische sitzen, der Leutnant-Inspektor,
Anton Gumposch und Tresser.

Die Gläser klangen hell und häufig aneinander, und Mühlritter trank,
wie es recht war, Bruderschaft mit dem Jüngling, dessen Fehdebrief er
dem Gegner überbringen sollte, und der Korpsphilister Gumposch hielt
nicht an sich, sondern bot dem alten Kriegsknecht das traute »Du« an
und küßte ihn auf das weinsäuerlich duftende Maul.

Und ein rauhes Wort gab das andere, und jugendliche Abenteuer tauchten
auf und verschwanden wieder im Nebel des Zigarrenrauches, und Tresser
versank in tiefe Traurigkeit darüber, daß sein Feind nicht auf dem Plan
erscheinen werde.

»Und nacha,« so erzählt die Kellnerin Zenzi, »und nacha hat der Herr
Gumposch an Schampaniger zahlt, und da san 's allaweil b'suffener worn,
und der notige Leitnant is auf an Sessel durchs Zimmer g'ritt'n und
hat kummadiert, und de andern san hinter eahm drei' g'ritt'n, und wenn
er Galopp g'schriean hat, sans mit die Stühl so umanandbockelt, daß
zwoa brocha san, und g'sunga ham 's, und da Herr Gumposch hat mit sein
Steck'n umanandg'fuchtelt, als wenn er an Sabl in da Hand hätt', und
nacha hat er a Lamp'n aba g'haut, und nacha san 's hoam.«

       *       *       *       *       *

Nicht alle gingen heim, wie Zenzi glaubte, sondern Junker Hans
marschierte über den Stadtplatz, und obwohl er krampfhaft sein Ziel,
den Eingang der Hafnergasse, ins Auge faßte, landete er dennoch in
schräger Linie seitab davon auf dem jenseitigen Bürgersteig und
gelangte erst nach mehreren Schwierigkeiten vor die Wohnung der Frau
Holdenried, welche erschrocken über den heftigen Klang der Glocke
herausstürzte.

Der ihr nicht unbekannte Inspektor der Assekuranzgesellschaft Bolivia
gab sich die größte Mühe, finster und ahnungsschwer auszusehen und das
selige Lächeln aus seinem Antlitze weichen zu lassen.

Er fragte mit hohler Stimme, ob ein gewisser Georg Pfaffinger anwesend
und gegenwärtig sei.

»Nein, der komme erst in einer guten Stunde heim, und Jessas -- Jessas
na! was es denn schon wieder gebe?«

»Nichts für Weiber!« war die Antwort, und da schaute nun die gute
Witwe Holdenried dem über die Treppe hinab Polternden in banger, aber
ungestillter Neugierde nach und faltete die Hände ineinander, wie es
die Frauenzimmer in solchen Lagen tun.

»Jessas na! Also seit zwei Täg' is keine Ruh und kein Fried mehr im
Haus ...«

Und eine Treppe tiefer kam die Frau Sattlermeister Widmann, welche
durch den lauten Abstieg Mühlritters in Argwohn versetzt worden war,
aus ihrer Wohnung.

»Was gibt's denn, Frau Holdenried?«

»Denken S' Ihnen nur, g'rad jetz is der Inspektor dag'wes'n und hat
nach 'n Herrn Pfaffinger g'fragt ...«

»Der Mühlritter?«

»Ja, und wie der ausg'schaut hat, sag' ich Ihnen, und wie der g'fragt
hat ... na ... das is grad, als wenn mein Zimmerherr kein Ruh' mehr
krieg'n derf ...«

Frau Widmann kam nach oben und stand lange bei ihrer Hausgenossin und
tauschte mit ihr die schlimmsten Befürchtungen aus.

Aber das war an diesem Tage das Los aller Dornsteiner, dieses Leben in
Angstzuständen.

Als Anton Gumposch, den Hut tief in die Stirne gedrückt, nach Hause
ging, befiel ihn ein Gedanke, der seiner Gewissenhaftigkeit und
allgemeinen Fürsorge angemessen war.

Wie? Wenn er sich getäuscht hatte? Wenn der junge Mensch die Last
der Verachtung als zu groß befand und im letzten Augenblicke den
Forderungen der Ehre Gehör schenkte?

Mußte nicht zum wenigsten die Möglichkeit ins Auge gefaßt werden?

Und wer sollte sie ins Auge fassen, wenn nicht er?

Die Verantwortung, die so mit einem Male vor ihm stand, hob beinahe
alle Nachwirkungen des Frühschoppens in ihm auf, und er vermochte sich
Rechenschaft zu geben über die Reihenfolge der Pflichten, die ihm
bevorstehen konnten.

Einen Platz auswählen, Fuhrwerke besorgen, einen Arzt ins Vertrauen
ziehen, nun natürlich ... einen Arzt um Beistand ersuchen, drei
Kutschen bestellen, einen Platz aussuchen ... einen Arzt ... Da lag
nun wieder einmal, wie so oft schon, alles auf seinen Schultern,
die anderen redeten und ließen sich's weiter nicht kümmern, bloß er
natürlich hatte die Arbeit, die Lauferei, die Sorge.

Er war zu Hause angelangt und stellte sich vor den Spiegel und sah
kummervoll in das blaurote Antlitz, welches ihm mit verschwommenen
Augen entgegenblickte.

»Wer dankt dir's eigentlich, Toni?« fragte er wehmütig. »Und was hast
du davon? Scherereien und Ärgernis, jawohl, und zuletzt Undank ...«

Als er so fast in Schmerz versinken wollte, fiel sein Blick auf die
Pistolen, die an der Wand hingen, und sogleich fand er seine Tatkraft
wieder. Freilich! Pistolen brauchte man ja auch, und in ganz Dornstein
war vielleicht kein gleiches Paar außer den seinen zu finden.

Er nahm sie herunter, und da sie Rost angesetzt hatten, wollte er sie
sogleich zum Büchsenmacher bringen.

Vergessen war jedes lähmende Gefühl.

Er umwickelte die Waffen sorgfältig mit einer alten Zeitung und stand
schon eine Viertelstunde später mit seinem Paket unterm Arm in der
Werkstatt des Xaver Reindl, der einen Gewehrlauf putzte und dabei
Unterhaltung pflog mit Herrn Magistratsrat Trinkl.

Gumposch setzte seine geheimnisvollste Miene auf und erregte die
Neugierde des Büchsenmachers durch Nicken und Blinzeln.

Er räusperte sich, gab ausweichende Antworten, trat von einem Fuß auf
den andern und zeigte so viel Ungeduld und Heimlichkeit, daß es sogar
Herr Trinkl merkte und ging.

»Reindl,« sagte nun Gumposch, indes er dicht vor den Meister hintrat
und ihn durchbohrend anblickte, »Reindl, können Sie schweigen?«

»Ja, was glauben S' denn, Herr Gumposch ...«

»Kein Mensch darf nichts erfahren ...«

»Aba Herr Gumposch, i bin do a Mann, der ...«

»Gut, ich verlaß mich auf Sie.«

Bei diesen Worten öffnete Gumposch sein Paket.

»A paar alte Vorderladerpistol'n?«

»Reindl, die Pistolen müssen heut noch herg'richt werden, Lauf, Piston,
alles sauber geputzt.«

»Heut no?«

»Es muß unbedingt sein.«

Wieder traf ein durchbohrender Blick den Büchsenmacher.

Der musterte eine Pistole und probierte die Feder.

»Rostig san 's ... no, wenn's sei muaß ...«

»Unbedingt.«

»Aber net, daß i ...«

»Was?«

»Aber net, daß i da in a Schlamassel nei kimm.«

»Wieso denn? Ich brauch die Pistolen zum Übungsschießen. Sie haben sich
um gar nichts zu kümmern.«

Der Meister drückte sein linkes Auge zu und schaute Herrn Gumposch
vielsagend an.

Der nickte und wiederholte: »Zum Übungsschießen. Hab' ich was andres
g'sagt?«

Seine Blicke verrieten freilich, daß hinter seinen Worten ein blutiges
Geheimnis lauerte, aber es kam nichts über seine Lippen, und darum
konnte Reindl sein Gewissen beschwichtigen.

»Von mir aus,« sagte er, »Sie schaffen's o -- net? Und i mach's -- net?
Und es g'hört zu mein G'schäft -- net?«

»Ganz richtig,« entgegnete Gumposch, »und dann bleibt's dabei, ich hol'
abends die Pistolen und komm' hinten herein. Adieu!«

»Adjes! Sie ... Herr Gumposch ...«

»Was?«

»Aba net, daß i in a Schlamassel einikimm?«

»Nein, sag' ich. Reden nur Sie nix drüber.«

Er ging.

Der Meister kratzte sich hinter den Ohren und schaute bedenklich vor
sich hin. »Sakera! Sakera!«

»Pst! Xaverl! Is der spinnata Deifi weg?«

Reindl wandte sich hastig um. Der Herr Magistratsrat Trinkl war durch
die hintere Tür eingetreten. »I bin zu deiner Alt'n eini und hab'
g'wart', bis der furt is. Was hat er denn woll'n, daß er's gar so gnädi
g'habt hat?«

»Ah ... nix b'sunders!«

»So?« machte Trinkl mißtrauisch und warf flinke Blicke herum.

»Zu was g'hör'n denn de Pistol'n?«

»De? Ah ... de hab i scho lang do.«

»Lüag no net a so, Mannderl! De hat der bracht. Ah, da schau her! Jetzt
kam's do no so weit!«

»Was denn?« fragte der Büchsenmacher neugierig.

»De möcht'n den junga Mensch'n frei zwinga zu dera Dummheit! De
Spitzbuab'nbande überananda!«

»Red do!« drängte Reindl.

»Ja ... red! Und du muaßt aa no dazua helf'n!«

»I? Zu was?«

»De Pistol'n herricht'n, gel, daß de eahna Duwäldummheit ausführ'n
kinna!«

»Was denn für a Duwäl?«

»Du woaßt nix, du Schlaucherl!«

»I woaß aa nix. Mach' halt amal 's Maul auf!«

»So, woaßt d' net, daß de an Pfaffinger Schorschl o'stift'n möcht'n, er
müaßt si duwelieren, weil er an Tresser a richtige Pretsch'n geb'n hot,
wia 's a si g'hört. Vo dem host du no gar nix läut'n hör'n?«

Reindl pfiff durch die Zähne.

»So? Dös waar's?«

»Ja, dös waar's, und du bist der Dumm' und laßt di in de G'schicht
einiziahg'n ...«

»Herrgott, wenn i nix woaß ...«

»Jetzt woaßt d' as, weil i dir's g'sagt hab. Aba wart no, da wer i
glei g'holf'n hamm,« sagte Trinkl und nahm mit einem raschen Griff die
Pistolen und steckte eine in die linke und eine in die rechte Tasche.

»Wart! De ko si der Hansdampf jetzt bei mir hol'n.«

»Aba Michl!«

»Wos aba? Nix aba! I bin an Amtsperson, verstand'n? Und bal i a
Werkzeug siech, wo ein Verbrech'n damit beganga wer'n soll, dös
konfiszier i ganz oafach ...«

»Ja, mir is gleich ...«

»Derf da scho gleich sei ... Derfst d' sogar froh sei, daß i di von
dera Dummheit z'ruckg'halt'n hab. Dös waar dös wahre, wenn a Bürger aa
no zu so was helfat!«

»Wenn i dir sag, daß i nix g'wißt hab!«

»Aber unwissend was hättst du eahm de Waff'n g'liefert. Wurdst scho
g'schaugt hamm, Manndei, wia s' di füra zog'n hätt'n!«

»Ja no, du host jetzt de Pistol'n, und mi geht's nix mehr o, bal du
sagst, daß du's von Amts weg'n gnumma host ...«

»Hab' i aa.«

»Aba, was soll i denn zu eahm sag'n, bal er kimmt?«

»Zu eahm? Zu dem Gschaftlhuaba? Sagst d' eahm, die Waffe hat der
Magistrat an sich gezogen, sagst d'; und bal er a Duwäl hamm will, soll
er si a Wurschtspritz'n z' leicha nehma, sagst d' eahm! Pfüat di Good!«

Und in aufrechter Haltung schritt Herr Trinkl hinaus und schritt durch
die Gassen Dornsteins, anzusehen wie ein Räuberhauptmann, denn aus
jeder Tasche sah drohend ein Pistolenkolben hervor.

       *       *       *       *       *

Gärung in der Stadt. Die Bürgerschaft, durch einen ihrer Besten
in Kenntnis gesetzt und durch Vorzeigung zweier Pistolen zur
zweifelsfreien Überzeugung gebracht, daß in den Mauern Dornsteins
ein hoffnungsvoller, auch wohlhabender junger Mensch zu einem
lebensgefährlichen Abenteuer, ja zu einem Verbrechen gezwungen werden
solle, fühlte sich bedroht und vergewaltigt und in ihrem Glauben an die
Gesetzlichkeit der Zustände schwankend.

Jeder wußte über Beobachtungen zu berichten, die er in den letzten
Tagen gemacht hatte. Der eine war dem Rädelsführer Gumposch, der andere
dem notigen Leutnant in der Pfaffengasse begegnet, dieser hatte den
Oberamtsrichter, jener den Assessor in die »Post« wandern sehen, ein
dritter wußte schon, welche drohenden Reden beim Frühschoppen gehalten
worden waren, und die ganze Kette der Verdachtsgründe war geschlossen
durch die Entdeckungen, welche Trinkl beim Büchsenmacher zu machen so
glücklich war.

Es bestand also eine Verschwörung in dieser friedlichen Stadt,
angezettelt von Dienern des Staates und darauf gerichtet, das Blut
eines jungen, auch wohlhabenden Menschen zu vergießen und dem Moloch
der Ehre ein Opfer zu bringen.

Der Abendschoppen beim Lammwirt glich einer Volksversammlung, und
Bäckermeister Schwarz konnte die ganze Zügellosigkeit seines Wesens
offenbaren, ohne den geringsten Widerspruch zu finden.

Von Lohgerber Holzböck aber ging eine Anregung aus, die Besseres
bezweckte als diese wütende Despektierlichkeit: die Anregung, eine
Deputation nach München zu schicken, dem Abgeordneten Hiempsel den
Sachverhalt vorzulegen und durch ihn den Landtag zum schleunigsten
Einschreiten zu veranlassen.

Dieser Antrag fand außerordentlichen Beifall, und man ging sogleich
daran, die geeigneten Männer auszusuchen.

Bäckermeister Schwarz erbot sich freiwillig, als Sprecher dieser
Deputation das seinige zu tun, wurde aber von dem Vater der Idee, Herrn
Bartholomäus Holzböck, darüber belehrt, daß Männer, die gewissermaßen
als Gesandte der hier versammelten Bürgerschaft auftreten müßten, nur
nach geheimer Abstimmung aus einer Wahlurne hervorgehen könnten, und
man war eben dabei, die dazu nötigen Zettel zu verteilen, als die
Tür aufging und -- Georg Pfaffinger an der Seite Hans Mühlritters
eintrat. Die überraschende, sonderbare und alle bisherigen Vermutungen
zerstörende Erscheinung der beiden wirkte so stark, daß sogleich
betretenes Schweigen herrschte.

Man konnte in Gegenwart Mühlritters, der doch aus dem feindlichen Lager
kam, nicht in der Wahl fortfahren, man konnte auch angesichts der
Gelassenheit Pfaffingers nicht mehr so fest an einen Mordplan glauben,
man fühlte sich behindert und unsicher und fühlte auch mit Bedauern,
daß eine schönste Gelegenheit zum Spektakelmachen zu entschlüpfen
schien.

Die Gegenstände der Aufmerksamkeit setzten sich in offenbarer Harmonie
an einen Nebentisch, bestellten Bier und stießen wahrhaftig miteinander
an. Da hielt es Trinkl nicht mehr aus!

Er bat den Jüngling, für dessen Menschenrechte er so lebhaft
eingetreten war, um eine Unterredung und ging mit ihm an jenen Ort,
wo solche geheimen Angelegenheiten mit Vorliebe behandelt werden, und
erfuhr nun, daß nichts los sei.

Daß rein gar nichts los sei.

Keine Rede von einer Forderung, einem Duell, einem Mord.

Aber der Gumposch? Der Frühschoppen in der Post? Aber die Pistolen?

Was wußte Schorschl davon? Nichts. Was gingen ihn der damische Gumposch
und seine Geschichten an? Gar nichts.

»Aba der Mühlritter? Sie wer'n do mir d' Wahrheit sag'n, Herr
Pfaffinger, indem daß mir für Eahna so auftret'n!«

»Natürli sag' i Eahna d' Wahrheit, Herr Trinkl. Überhaupts.«

»Indem daß mir a Deputation auf Minka hamm schick'n woll'n!«

»I tat do Eahna nix verheimlinga, Herr Trinkl!«

»Aba was hat na da Mühlritter von Eahna woll'n?«

»Nix. Oder daß i's richtig sag', er hat mi in sei Lebensvasicherung
aufgnumma ...«

»In ...?«

»In sei Boliefia ...«

»Ja ... Herrgott ... und mir strapaziern ins da oba ...«

Gewiß war es merkwürdig. Noch viel merkwürdiger, als ein Bürger wissen
konnte, der den Schwur des Junker Hans nicht mit angehört hatte. Aber
trotzdem -- es war so.

Sei es nun, daß Mühlritter unter der Einwirkung der starken Weine den
Zweck seines Besuches vergessen, sei es, daß er sich bei allmählicher
Ernüchterung auf seine eigentlichen Berufspflichten besonnen hatte,
Tatsache ist, daß er Herrn Georg Pfaffinger in gewählten Worten
die Vorzüge der Assekuranzgesellschaft Bolivia vor jeder anderen
gleichen oder ähnlichen Unternehmung vor Augen stellte und ihn, Herrn
Pfaffinger nämlich, auch bewog und überredete, seine Unterschrift
zu geben, Tatsache ist ferner, daß von einer Forderung oder irgend
etwas dem ähnlichen nicht die leiseste Erwähnung geschah. Mit diesen
Tatsachen hatte sich, da in Dornstein nichts verborgen bleiben konnte,
die gesamte Einwohnerschaft abzufinden, und sie erregten, was hier
konstatiert werden soll, allgemeine Zufriedenheit.

Die größere bei dem Beamtenkörper, dessen Mitglieder jene beim
Frühschoppen gefaßten Beschlüsse noch am selben Nachmittag heftig
bereut hatten, die kleinere Zufriedenheit bei den Bürgern, die schon
begonnen hatten, sich in aufgeregten Zuständen behaglich zu fühlen.

Ein einziger Mensch war empört über das unglaublich niedrige Niveau,
auf dem sich die Gesellschaft Dornsteins nun ein für allemal zu bewegen
schien: Herr Anton Gumposch.



          Das Volkslied


Es erwachte damals die Freude am Volkstum, und man konnte überall
recht wohl den Drang bemerken, sich von echten, kleinsten Zügen der
Volksseele zu überzeugen und sie in gehaltvollen und gewundenen Sätzen
wiederum zu schildern.

Neben Wortprägungen, die mit Heimat, Scholle, Erde, Erdgeruch wackere
Zusammenhänge fanden, begegnete man herzig schlichten Romanen, die, als
Aufgüsse über den würzigen Bodensatz Gottfried Kellerscher Getränke,
Farbe und Geschmack annahmen, und begegnete auch heimatliebenden,
von jeder peinlichen Tendenz abgekehrten Schulaufsätzen, welche man
ehedem Feuilletons genannt hatte. In dieser wonnigen, schollenseligen
Zeit bemühten sich auch Berufsmenschen, Perlen im Aktenschutte zu
finden, und so nahm sich ein Rechtsanwalt namens _Doctor juris_ Anton
Habergais vor, seine mitten in Land und Leute verschlagene Existenz
folkloristisch zu verwerten und seltene Lieder zu sammeln. Er glaubte,
daß sich ungehobene Schätze genug unter niederen Dächern befinden
konnten, und er wollte sie ans Licht ziehen und mit ihrer Naivität
ein heimatfrohes Publikum entzücken. Der Gedanke war kaum gefaßt und
im vorhinein lieblich verbrämt, als Herr Habergais auch an seine
Verwirklichung schritt und sich ein in Leder gebundenes Heft von
schönem Büttenpapier kaufte.

Er stellte sich freudig vor, wie er wohl an stillen Winterabenden hier
hinein Lied für Lied mit Beibehaltung der ursprünglichen Schreibweise
eintragen wollte benebst Anmerkungen unter einem mit roter Tinte zu
ziehenden Striche.

Nach etlichen fleißigen Monaten ließ sich dann wohl ein Büchlein
daraus formen, welches den Forschern zur Erquickung, anderen aber zur
Belehrung dienen mußte. Wie war nun aber das Material herbeizuschaffen?

Der ehedem solchen Zwecken gerne dienstbare Volksschullehrer hatte
sich leider im Laufe der Zeiten daran gewöhnt, seine Entdeckungen
selbst zu Aufsätzen, zu Heften und Büchlein zu verwerten, und war
als selbstloser, höchstens im Vorworte erwähnter Mitarbeiter kaum
mehr zu haben. Darum blieb nichts übrig, als unter Umgehung dieses
Sammelbeckens sich geradeswegs an die Quellen zu begeben, was ja einem
Rechtsanwalt immerhin möglich war.

So kam also Herr Doktor Habergais mit sich überein, von rechtsuchenden
Bauern selbst Beiträge zu erbitten.

Ein in seiner Gemeinde Weidach wohlangesehener Ökonom, Jakob Hirtner,
genannt Matheiser, kam in seiner Angelegenheit zu Habergais, als dessen
Entschluß gerade gereift war.

Nach dem Geschäftlichen ging der Rechtsanwalt zu einem jovialen Ton
über, klopfte dem Matheiser auf die Schulter und begann zu fragen.

»Hirtner, nicht wahr, bei Ihnen in Weidach wird doch häufig gesungen?«

»G'sunga?«

»Ich meine die jungen Mädchen, die zum Brunnen gehen, die Burschen auf
der Landstraße -- --«

»Brunna?«

»Ja, die Mädchen, die vom Dorfbrunnen Wasser holen -- --«

»Mir hamm ja gar koan Dorfbrunna net -- --«

»Nu also, bei einer anderen Gelegenheit, nach der Arbeit, wenn der
Abend sinkt -- --«

»Bei ins hat a jeda selm sein Brunna -- --«

»Ich sage Ihnen ja, die Gelegenheit, bei der es geschieht, ist ganz
Nebensache. Ich denke überhaupt an den Feierabend, wenn alt und jung
vor den Türen steht -- --«

»Beim Schuastahansl waar scho a Brunna bei da Straß hiebei, aba dersell
hat koa Wassa it -- --«

»Ja ... ja ... lassen wir diese Brunnenfrage endgültig fallen. Ich
möchte nur in Erfahrung bringen, #was# diese jungen Mädchen, verstehen
Sie, Matheiser, #welche# Lieder sie singen.«

»Han?«

»Und Sie sollen mir dabei helfen, Matheiser. Sie sollen mir die Texte
verschaffen.«

»Han?«

»Sie müssen mir aufschreiben oder aufschreiben lassen, Wort für Wort,
was eure jungen Mädchen singen.«

»I?«

»Jawohl, und ich will Ihnen genau sagen, wie Sie das machen müssen ...«

»Ja, was woaß denn i?«

»Also, passen Sie auf! Nicht wahr, zum Beispiel, Sie hören die Anna
oder die Liesel singen ...«

»Was für a Liesel?«

»Irgendeine; ich meine irgendein Mädchen, das nächstbeste Mädchen hören
Sie singen ...«

»Bal i aba koane hör'?«

Herr Doktor Habergais sah mit einem gramvollen Zug im Gesichte
sein Gegenüber an, und er fühlte, wie eine nervöse Abspannung, ein
prickelndes Gefühl den Rücken entlang seinen Eifer vermindern wollte;
aber er gab sich einen Ruck, er lächelte, er klopfte Herrn Hirtner mit
der flachen Hand auf die Schulter, obwohl sich ihm die Finger krümmten,
obwohl sich ihm die Hand ballen wollte. »Verstehen Sie mich wohl,
Matheiser, Sie hören schon eine, oder Ihr Nachbar hört eine, oder Ihre
Frau hört eine ...«

Habergais sprach jedes Wort scharf und gereizt aus. »Gut also, irgend
jemand hört irgendeine« -- es klang wie ein Befehl --, »verstanden,
dann gehen Sie zu ihr hin und sagen: Meine liebe Liesel ...«

Hier wollte nun Hirtner doch nicht länger schweigen.

»Was für a Liesel?«

»Herrgott, Mensch! Matheiser, will ich sagen, Liesel, Anna, Marie,
ganz wurscht, wie sie heißt; Sie sagen zu ihr: Mein liebes Mädchen«
-- Habergais machte hinter jedem Wort eine Pause und schrie das
nachfolgende um so lauter --, »mein liebes Mädchen, du hast soeben ein
Lied gesungen. Welches ist der Inhalt desselben? Sprich mir die Worte
vor, oder, noch besser, schreibe sie mir auf! Das sagen Sie zu ihr!
Haben Sie mich jetzt verstanden, Matheiser?«

»Na!«

Der Rechtsanwalt setzte sich und blickte zu Boden, während eine
fliegende Hitzwelle von seinem Nacken über die Ohrlappen hinzog,
während seine Stirnhaut pelzig wurde, bis dann ein erlösender Schweiß
ausbrach.

»Sie haben mich nicht verstanden?«

Die Frage klang heiser.

»Weil Sie sag'n von an Brunna, und weil mi do koan Brunna durchaus gar
it hamm ...«

»Ja, wer redet denn noch von einem Brunnen? Ja, wer redet denn noch von
einem blöden Himmelherrgottsakramentsbrunnen?«

»Net?«

»Nein! Aber ich will von vorne anfangen. Setzen Sie sich einmal,
Matheiser! Da, mir gegenüber -- so! Also lassen wir in drei Teufels ...
also lassen wir die Mädchen ... nicht wahr, Ihre Burschen singen doch
auch?«

»Bal's b'suffa san, scho ...«

»Nüchtern oder betrunken ... das ist mir jetzt ganz egal ... Matheiser
... jetzt schweifen Sie nicht mehr ab!... Belauschen Sie Ihre Burschen
...«

»Wia?«

»Hö--ren Sie ihnen zu! Hö--ren Sie den jung--en Bur--schen zu!«

»Bal's b'suffa san?«

»Wenn sie sing--en! Nicht wahr?«

»De plärr'n scho a so, daß ma's hört ...«

»Ja -- also, dann können Sie um so leichter tun, was ich meine. Hören
Sie ihnen zu und schreiben Sie auf, #was# die Burschen singen ...«

»Schreib'n? Allssammete?«

»Jawohl! Ich will die Lieder sammeln. Ich will genau wissen, was für
Lieder sie singen ...«

»Ja ... aba ...«

»Nichts aber. Sie können doch schreiben, nicht wahr ...? Es braucht
nicht schön zu sein ... Sie schreiben einfach Wort für Wort auf, und
damit Sie es lieber tun, will ich Ihnen für jedes Lied was bezahlen.
Verstehen Sie mich jetzt?«

»Ja, guat! I vasteh Eahna ganz guat ...«

»Na, endlich? Und dann sind wir einig?«

»Was kriag i nacha, bal i schreib?«

»Hm ... sagen wir ... für jedes Lied ... hm ... sagen wir fünfzig
Pfennige ...«

»A Fufzgerl?«

»Für jedes Lied; wenn Sie mir zum Beispiel sechs bringen, bekommen Sie
drei Mark, einen Taler, Matheiser.«

»Aha, an Taler! Na bring i halt sechsi ...«

»Soviel Sie eben hören, nicht wahr? Es können mehr sein, es können
weniger sein ...«

»Ja ... ja ... sechsi wern's leicht ...«

»Gut, und damit adieu, Matheiser!«

»S' Good, Herr Dokta!«

Habergais blickte dem Ökonomen nach, lange und sinnend.

Denn hier drängte sich nun auch ein Allgemeines und ein Besonderes der
Betrachtung auf. Die schlichte, geradeaus zielende Art, zu denken,
welche dem Volke eignet, dieses Festhalten an einer Vorstellung und
diese gewisse Unbiegsamkeit der Folgerungen, welche in einer Linie auf
einen Punkt hinstreben und nie nach den Seiten hin ausladen. Dieses
schien ein Problem zu sein, und zwar ein beachtenswertes.

       *       *       *       *       *

Tja -- ja.

Übrigens waren seitdem etwa drei Wochen ins Land gegangen, und Doktor
Habergais gedachte wohl öfter seines Vorhabens und malte sich nicht
ohne Behaglichkeit die literarischen Aufgaben aus, welche ihm die
Wintermonate verkürzen konnten.

Er blätterte in dem Hefte aus schönem Büttenpapier und sah im Geiste
die Seiten mit reinlicher Schrift gefüllt, die Titel der Lieder in
zierlicher Rundschrift in die Mitte gesetzt, dann den roten Strich, und
kluge landeskundige Anmerkungen und Erläuterungen darunter geschrieben.

Es konnten sehr lange, begleitende Kommentare werden, wenn man etwas
Dialektforschung trieb, über Wortwerte, Wertunterschiede einzelner
Dialektformen sich verbreitete, Belegstellen anführte und überhaupt
wissenschaftlich verfuhr.

Ob sich der Matheiser noch an sein Versprechen erinnerte?

Es däuchte Herrn Doktor Habergais manches Mal zweifelhaft, aber dann
glaubte er doch wieder, daß die Freude am leichten Verdienst den Mann
anspornen könnte.

Und wirklich kam eines Vormittags Jakob Hirtner zur Türe herein und
holte ein in Zeitungen gewickeltes verknittertes Schulheft aus der
Tasche.

»Ha! da ist ja mein Mitarbeiter ... da ist ja der Matheiser! Na, also
haben Sie Lieder gefunden?«

»Herr Dokta, i sag's glei, wia's is, schö hab i net g'schrieb'n ...«

»Macht doch nichts!«

»Und ... an Arbeit is dös! Des sell tat i fei nimma! A Markl derfat'n
S' no extra zahl'n, a so hab i mi scho plagt ...«

»Darüber läßt sich reden ...«

»D' Bäurin hat aa g'sagt, daß dös koa Macha net is, sagt's, und wei ma
mit da Tint'n a so umanandschmiert, sagt's ...«

»Wie viele Lieder haben Sie denn, Matheiser?«

»Sechsi, wia ma's ausg'macht ham.«

»Sechs? Bravo! Das ist schon ein Anfang!«

»Ja, san drei Markl, und oane derfat'n S' no spitz'n, weil d' Bäurin aa
sagt, dössell derfat ihr nimma fürkemma ...«

»Na -- gut, Matheiser! Ich gebe Ihnen vier Mark, aber Sie versprechen
mir, daß Sie auch weiter für mich sammeln, das heißt gelegentlich ein
Lied aufschreiben ...«

»Na ... na! Herr Dokta, dössell konn i durchaus gar it vasprecha, und
mit'n Schreib'n hon i's überhaupts it. I tua ma scho so bluati hart,
daß 's höcha nimma geht ...«

»No ... no ... Matheiser, so schlimm ist das nicht. Später haben Sie
vielleicht selber Freude daran ...«

»Dös glaab i gar it.«

»Da haben Sie vier Mark, und nun geben Sie mir Ihre Aufschreibungen!«

Hirtner nahm das Geld und wickelte das fettige Zeitungspapier
auseinander.

»I ho's in a Heft von mein Deandl einig'schrieb'n,« bemerkte er,
»müassen's scho entschuldinga, bal's it schö g'schrieb'n is ...«

»Das ist ganz nebensächlich ... nur her damit!«

Doktor Habergais nahm nicht ohne Hast das verschmierte, öl-, tinten-
und fettfleckige Heft an sich und öffnete es.

Es war wirklich auf den ersten Blick zu erkennen, daß hier eine
ungeübte, schwere Hand gewaltet hatte, aber das gerade verlieh dem
Ganzen einen gewissen Reiz.

Wie die Buchstaben bald schief, bald gerade standen, wie die Zeilen
bergauf und talab liefen, wie hier die Feder sich gesträubt und dort
festgehakt hatte, wie sie hier ausgeglitten war und dort sich mühsam
in das Papier eingebohrt hatte, wie unter verwischten, aufgeschleckten
länglichen und runden Klecksen Buchstaben, halbe Worte, ganze Worte
versteckt lagen, alles das war unvergleichlich anziehender als etwa
eine glatte, charakterlose Schrift.

Eben weil es echt war, von unleugbar schwielenbedeckter Hand oder --
nein! -- Faust mühsam hingesetzt.

Habergais lächelte befriedigt und begann zu lesen.

Äs ... p ... brr ... prraußt ... ein ... r ... rh ... ruhf ... wie t
... tohner ... hal ... wie s ... ß ... schwärth ... ke ... geklirr un
... wa ... wah ... gen ... bral ...«

..................................??

»Was ist das? Was soll das sein, Matheiser?«

»Han?«

»Was das sein soll, frage ich.«

»A Liad ...«

»Das ist doch 'Die Wacht am Rhein'!«

»Ko scho sei, daß 's a so hoaßt ...«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen mir Lieder aufschreiben, die
Ihre Burschen singen --«

»Ja, dös singan s'.«

»Das??«

»Dös singan s' fei gern!«

»Also ... Matheiser ...!«

Habergais überflog die anderen Seiten, die aus Bruchstücken
erkenntlichen Lieder.

Ein sehr langes. »Heul unsern Känig ... heul!« ein kurzes »... im
gruhnen walth is holzauxion ...« und wieder »O du liber augastien«,
»Ich hath einen Kahmeraten« und das letzte noch »Das schöne land,
wo meine wihge stand.« Der Rechtsgelehrte blickte den Ökonomen
durchdringend an.

»Also das sind ...??«

»Dös singan s' allssammete,« sagte Hirtner treuherzig und ohne Arg ...
»und derfan S' g'wiß glaab'n, Herr Dokta, daß i mi schö plagt hab', und
d' Bäurin sagt aa, mit dem Glump derfst ma nimma komma, sagt s' ...«

»Es ist recht, Matheiser, Sie haben Ihre vier Mark, gehen Sie!«

»Und, sagt d' Bäurin, a so a spinnate Arbet, sagt s', muaß 's net glei
wieda geb'n ...«

»Gehen Sie, sage ich!«

»Und ... Herr Dokta ... bal 's grad gang, soll i Eahna nomal a sechsi
aufschreib'n ...?«

Habergais wollte heftig werden, besann sich eines Besseren und sagte
mild:

»Nein, Matheiser, es genügt ...«

»Aba wenn S' moanen?«

»Es genügt. Adieu!«

»S' Good, Herr Dokta!«



          Auf dem Bahnsteig


»Es wird Herbst!« sagte Major Burkhardt und blickte den Studienlehrer
fest an mit seinen furchtlosen Soldatenaugen.

Er sagte es mit Betonung, als suchte er in seinem Begleiter bestimmte
Vorstellungen zu erwecken.

»Ja -- -- ja,« seufzte Professor Hasleitner, »es wird allmählich kalt.«

»Und ungemütlich. Kalt und ungemütlich.«

Der Major wies auf die Kastanien vor dem Dornsteiner Bahnhofe, deren
gelbe Blätter sich fröstelnd zusammenkrümmten.

»Um fünf Uhr wird es Nacht. Ein schlecht geheiztes Zimmer. Eine
qualmende Lampe. Die Zugeherin bringt lauwarmes Essen aus dem Gasthof.
Stellt es unfreundlich auf den Tisch. Das ist Ihr Leben.«

Hasleitner hatte ins Weite geblickt, zu dem Walde hinüber, an dessen
Fichten der Nebel lange Fetzen zurückließ.

Der soldatisch bestimmte Ton des pensionierten Majors weckte ihn auf.

»Wie?« fragte er.

»Ich sage, Sie müssen heiraten.«

Der alte Soldat deutete auf die tiefer gelegene Stadt, deren Häuser
behaglich aneinandergerückt waren.

»Das ist das Glück!« sagte er. »Eine Frau am Herde, fleißig, um unser
Wohl besorgt und stattlich.«

Er beschrieb mit der Rechten eine nach rückwärts ausbauchende runde
Linie.

»Und stattlich!« wiederholte er.

Hasleitner sah, wie es weiß und grau und dick und dünn aus vielen
Kaminen rauchte, und er schien die Gemütlichkeit des Anblickes zu
verstehen.

In seine Augen trat ein freundlicher Schimmer, und man konnte glauben,
daß er an Herdfeuer dachte, oder an die runde, sich nach rückwärts
ausbauchende Linie.

Überhaupt, er war ein träumerischer Mensch.

Sorglos im Äußeren, den Hemdkragen nicht immer blendend weiß, die
Krawatte verschoben, den Bart naß von der letzten Suppe, aber in den
Augen Herzensgüte, im ganzen Wesen eine Verträumtheit, die immer wieder
zum Nasenbohren führte.

Kein Mann, der Backfische begeistern konnte, aber einer, der älteren
Töchtern hundert Dinge zeigte, die man in lieber Häuslichkeit flicken,
stopfen und bürsten mochte.

Und doch -- dieser Mann, geschaffen, von den Ärmeln einer bürgerlichen
Schlafjacke umfangen zu werden, war durch eine seltsame Laune des
Schicksals mit einer verdorbenen Phantasie belastet, also daß seine
Gedanken an das weibliche Geschlecht sich stets mit Vorstellungen
von Eisbärenfellen verbanden, von Eisbärenfellen, auf denen dünne,
lasterhafte Beine in schwarzen Seidenstrümpfen ruhten. Noch dazu
lehrte er die Wissenschaft der Geographie und stieß auf der Landkarte
immer wieder auf Orte, wo seine Sinne knisternde Seide und herrlich
verstöpselte Parfüms vermuten durften.

Paris -- Wien -- Budapest --

Ein Gefühl, das mit seiner heimlichen Sehnsucht zusammenhing, trieb ihn
täglich zum Bahnhofe, wo Punkt fünf Uhr der große Schnellzug hielt, der
glücklichere Menschen von einer Großstadt in die andere führte.

Hier hatte nun der quieszierte Major den Träumer angesprochen, und ein
freundlicher Zufall fügte es, daß beide, als sie auf dem Bahnsteige
kehrtmachten, der Gattin des Offiziers gegenüberstanden, wie auch der
Tochter Elise.

In merkwürdig schnellem Gedankengange brachte der Professor das
vorausgegangene Gespräch von Stattlichkeit in Zusammenhang mit der
Erscheinung Elisens, und vielleicht ohne daß er es wollte, drang seine
unlautere Phantasie dem älteren Mädchen durch Mantel und Rock und
begann, sich Dinge auszumalen.

Freilich nicht langgestreckte, seidenumhüllte Beine, aber
Rundlichkeiten, mit denen sich die Vorstellung von Wärme und Innigkeit
verbindet.

Die Tochter des Majors fühlte den sengenden Blick des Philologen, und
als eine reife Blume, die sie war, öffnete sie willig ihre Blätter
den wärmenden Strahlen. Dieses heimliche, unbewußte Suchen und dieses
bewußte Entgegenkommen spann Fäden zwischen den beiden, welche das
erfahrene Mädchen bald genug aufzuspulen beschloß, und es schickte sich
alsbald mit einem lieblichen Lächeln dazu an.

Freilich war dieser Professor kein Gegenstand für brennende Wünsche und
verzehrende Glut, indessen wohl ein Objekt, das sich mit baumwollenen
Ärmeln sanft umfangen ließ, nachdem es vorher sorgfältig gereinigt war.

Keine berauschend süße Frucht, sondern ein säuerlicher deutscher
Hausapfel, der aber, im Kachelofen gebraten, einigen Wohlgeschmack
bieten konnte.

Und das Mädchen schickte sich alsbald an, den heimlichen Faden zu
ergreifen, als mit dumpfem Brausen der Schnellzug in die Station
einfuhr.

Die riesige Lokomotive schnaufte, als wäre sie in der langen,
stürmischen Fahrt außer Atem gekommen, und die langen, schönen Wagen
standen da, als ruhten sie kurze Augenblicke, um weiterzujagen in die
weite Welt.

Mit einem Male hatte Hasleitner alle Gedanken an runde Mädchenreize
vergessen; sie versanken vor ihm, er sah sie nicht mehr.

Dort im ersten Coupé schob eine schmale Hand den Vorhang zurück, und
ein Paar müde Augen blickten entsetzt auf die Philister, hier prallte
ein entzückender Kopf entrüstet zurück.

Es war die große Welt, die eine Minute lang Dornsteiner Luft einzog und
Pariser Odeurs zurückgab.

Und da stand es auf weißen Tafeln und war darum kein phantastisches
Märchen: Paris -- Avricourt -- Wien --

Ja ... ja ... diese nämlichen Wagen waren gestern noch in Paris gewesen!

Jene fabelhaften Damen, von denen man sich erzählt, daß sie gierig
und unerbittlich Jagd machen auf gut gebaute Männer, waren an ihnen
vorbeigewandelt, hatten süße Blicke in sie hineingeworfen, und von
ihrem Dufte hing etwas an Türen und Fenstern und verwirrte den Sinn
eines deutschen Jugendbildners.

Wußte man, ob nicht eine solche Tigerin da drinnen auf schwellenden
Polstern saß und einen breitbrüstigen Germanen mit ihren Blicken
verschlang?

Odette, Suzette -- Germaine -- ah!

Hier steht ein Gymnasiallehrer von gänzlich unverdorbener Jugend,
und der für schlanke Waden und schwarze Strümpfe die heftigsten
Empfindungen angestaut hat.

Warum seufzt ihr erleichtert auf, da sich nun der Zug in Bewegung setzt?

Ihr saht erstaunt auf die Kostüme, die im Dornsteiner Atelier für
_modes_ und _confection_ kreiert waren, ihr saht Spitzbäuche und
gepreßte Busen, faltenreiche Hosen und geschmierte Stiefel, aber ihr
saht nicht in das Herz des blonden Professors und wißt nicht, wie er so
ganz der Eure ist!

Fort!

Die Lokomotive pfeift jubelnd aus der Station hinaus, als freute auch
sie sich, diesem Neste entronnen zu sein ...

Diesem Himmelherrgott ...

»Warum so träumerisch?« lispelte Elise und blickte schelmisch auf den
Professor, der dem Zuge nachstarrte und in der Nase bohrte.

Da traf sie ein Blick, so leer, so fremd und so feindselig ..., daß sie
unter dem flanellenen Höschen eine Gänsehaut überlief.

-- -- Der Faden war zerrissen -- --



          Tja -- --!


Eine bunte Gesellschaft, wie sie die Sommerfrische zusammenführt,
saß im Postgarten zu Binswang und freute sich des schönen Abends und
führte kluge Gespräche über dies und das. Alle Anwesenden vorzustellen,
wäre ermüdend, denn es waren zwei lange Tische, an denen in dichter
Folge Männer und Frauen saßen, und es genüge hier zu sagen, daß ein
Kommerzienrat Diestelkamp aus Barmen, wie auch ein Landgerichtsdirektor
Höfler aus Fürth und ein pensionierter Hauptmann darunter waren und dem
Kreise das Gepräge der besseren Gesellschaft verliehen.

Auch das bedeutende oder interessante Element fehlte nicht, da am
Vormittage der bekannte Schriftsteller Harry Mertens eingetroffen war,
dessen lyrische Gedichte und Versdramen nicht erst hervorgehoben werden
müssen.

Er saß neben seiner Frau, die ihn an Stattlichkeit bei weitem
übertraf, denn er war eine kleine semmelblonde Erscheinung mit
kreisrunden blauen Augen und einem merkwürdig entsagungsvollen Lächeln
um den süßen Dichtermund, während sie einen heftig arbeitenden Busen
und pralle Arme und ein Doppelkinn hatte.

Die Gesellschaft würdigte vollkommen die Ehre, mit einem gedruckten,
besprochenen und aufgeführten Genius unseres Volkes an einem Tische zu
sitzen, und nicht nur waren es die Damen, welche mit leuchtenden Augen
an ihm hingen, sondern auch die Herren Diestelkamp und Höfler legten
eine mit Neugierde vermischte Ehrerbietung an den Tag.

Man hatte unmittelbar nach Mertens Ankunft nicht geahnt, mit wem man
es zu tun hatte, und Frau Mertens hatte nicht früher als beim ersten
Mittagmahle Gelegenheit gefunden, solche Bemerkungen hinzustreuen,
welche allgemeine Aufklärung verschafften, indem sie laut nach einer
Zeitung rief und den Semmelblonden fragte, ob nichts von ihm oder
über ihn darin stünde. Sie wiederholte die Frage, schlug die stark
rauschenden Blätter hastig um, überflog das Gedruckte und sagte, daß zu
ihrer Verwunderung keine Notiz zu finden sei.

Sie beruhigte sich erst, als die Pfeile saßen und von den Nebentischen
forschende Blicke ihren Mann streiften, der seine Suppe aß und sich
apathisch wie ein dem Publikum vorgezeigter Menagerielöwe verhielt.

Frau Mertens warf zwischen Rindfleisch und Mehlspeise und zwischen
Mehlspeise und Kaffee noch mehrmals die Angel aus, und als man sich
erhob, biß Frau Direktor Höfler an und erhielt auf schüchterne Fragen
eine erschöpfende Belehrung über das Stück Literaturgeschichte, welches
der Zufall in ihren Kreis geworfen hatte.

Am Abend war dann alle Welt so unterrichtet, daß sie dem Dichter
Bewunderung zeigen und Kenntnis seiner Werke heucheln konnte.

»Woher nehmen Sie Ihre Stoffe?« fragte Landgerichtsdirektor Höfler, der
hier zum ersten Male eines Genius inquirieren konnte und entschlossen
war, das Wesen der Schriftstellerei zu zerlegen. »Bietet sich Ihnen der
Stoff, wenn ich so sagen darf, zufällig dar, oder erfassen Sie durch
einen Willensakt die Materie, der Sie dann poetische Form verleihen?«

»Tja ...« sagte der Dichter.

»Ich meine, gehen Sie mit Überlegung und Absicht an das Objekt
heran, oder drängt es sich unabhängig und gewissermaßen fertig Ihrem
subjektiven Empfinden auf, oder ...«

»Tja ...« sagte der Dichter.

»#Oder#,« wiederholte Höfler mit erhobener Stimme, denn er liebte es
nicht, unterbrochen zu werden, »oder ist die Produktion in ihrem ersten
Stadium ein von den den Willen bildenden Momenten unabhängiger Vorgang
Ihrer Phantasie, welcher dann erst in seinem späteren Verlaufe in den
Bereich Ihrer geistigen Machtsphäre gelangt und so Ihrem formenden
Verstande unterworfen wird?«

»Er macht alles mit der Phantasie,« warf Frau Mertens ein, »er sitzt
oft den ganzen Tag da und hat bloß Phantasie im Kopf; und dann kann man
mit ihm reden, was man will, -- er hört einen nicht.«

»Das wäre also ein passiv empfangender Vorgang, der zeitlich dem aktiv
gestaltenden vorausgeht,« bestätigte Direktor Höfler und sammelte
zustimmendes Kopfnicken ein, indem er die Tafel entlang blickte.

»Ich denke es mir furchtbar interessant,« sagte Frau Kommerzienrat
Diestelkamp, »wie so eine Dichtung entsteht; das muß zu spannend sein!
Was hat man da nun eigentlich für ein Gefühl dabei?«

»Tja ...« sagte der Dichter.

»Das kann ich Ihnen ganz genau sagen, was wir da für ein Gefühl haben,«
warf wiederum Frau Mertens ein. »Zuerst, wenn wir anfangen, ist es
sehr nett, weil man sich darauf freut, und dann in der Mitte wird es
traurig, weil es oft nicht geht, aber dann, wenn es heraußen ist, sind
wir wieder froh.«

»Ich kann mir das sehr gut vorstellen,« meinte Frau Diestelkamp,
»zuerst und dann ...«

»So daß wir gewissermaßen drei Momente der aktiven Gestaltung
unterscheiden,« warf der Direktor in erklärender Weise ein, »der
von Hoffnungen getragene Beginn, das behinderte Werden und die
Erleichterung der Vollendung.«

»Ja, ich bin immer erleichtert, wenn er es heraußen hat, denn Sie
glauben nicht, was man als Frau dabei aussteht. Beim zweiten Akt ist es
am ärgsten, weil man da immer stecken bleibt. Beim ersten hat er noch
Appetit und schläft gut und hat auch seinen regelmäßigen Stuhlgang. Sie
entschuldigen, wenn ich das erzähle ...«

»Aber ich bitte Sie, es ist ja so interessant,« unterbrach hier Frau
Diestelkamp die lebhafte Dichtersgattin, welche sogleich fortfuhr: »Ja,
beim ersten Akt ist alles in Ordnung, aber sowie der zweite angeht,
ißt er weniger und wacht mitten in der Nacht auf und verliert seine
Regelmäßigkeit und verändert sich überhaupt. Ich kenne es sofort, wenn
der zweite Akt angeht, und ich sage dann zu meiner Köchin, daß sie
leicht verdauliche Speisen kocht, und daß mir immer Kompott auf den
Tisch kommt, und ich lasse ihn dann auch fleißig Hunyadywasser trinken,
bis wir den zweiten Akt heraußen haben, denn der dritte geht schon
wieder viel leichter. Er kriegt dann eine bessere Gesichtsfarbe und
schwitzt auch nicht mehr so stark in der Nacht.«

»Also die Lösung des Knotens gestaltet sich weniger schwierig, Herr
Mertens?« wandte sich der Direktor an den Mann, der sich teilnahmslos
erklären ließ.

»Tja ...« antwortete dieser und schnitt an seinem Rettig weiter.

Seine Frau aber ließ den Faden nicht aus der Hand gleiten.

»Der dritte Akt geht auch viel schneller. Wir haben höchstens vierzehn
Tage Arbeit damit. Heuer, beim 'Barbarossa' haben wir drei Wochen
gebraucht, weil eine Szene vorkam, wo sich alles reimen mußte. Ich
habe es ihm gleich gesagt, daß wir stecken bleiben; aber es war eine
Liebeserklärung, und da hat er es so im Kopf gehabt. Ein paar Tage hat
es gefährlich ausgesehen, und meiner Köchin ist es auch aufgefallen.
Sie hat mich gleich gefragt: 'Was hat denn der gnä' Herr? Es wird doch
um Gottes willen nicht schon wieder einen zweiten Akt geben?' 'Nein,'
sagte ich, 'Lina, den haben wir dieses Jahr glücklich hinter uns, aber
es muß sich vier oder fünf Seiten voll reimen, und Sie können ja für
morgen eine Eierspeise mit Pflaumenmus richten, und wenn es dann noch
nicht besser wird, wollen wir schon sehen.' Aber zum Glück waren dann
am andern Tag die Verse heraußen, und es ging wieder von selbst.«

Die Frauen der Tafelrunde hatten mit großem Ernste zugehört und nickten
nun verständnisvoll mit den Köpfen.

»So lebt man doch eigentlich als Frau die Werke seines Mannes mit!«
unterbrach Frau Direktor Höfler das kurze Schweigen.

»Ich kann es mir so gut vorstellen!« sagte Frau Kommerzienrat
Diestelkamp.

»Sie dürfen mir glauben, daß ich als Frau meinen Kopf beisammen haben
muß, wenn #er# dichtet.«

Frau Mertens zeigte bei diesen Worten auf ihren Gatten, der kindlich
lächelnd seinen Rettig einsalzte. »Ich muß an alles denken, und mich
trifft es viel härter wie ihn. Er sitzt einfach in seinem Zimmer und
schreibt, aber ich habe die Haushaltung und muß genau achtgeben, daß
wir noch waschen und reinemachen, vor der zweite Akt angeht, denn dann
ist keine Zeit mehr zu so was, und es muß gut eingeteilt werden. Wie
wir den 'Perikles' gedichtet haben, sind wir mit dem Stöbern gerade
noch drei Tage in den zweiten Akt hineingekommen, und ich kann Ihnen
bloß sagen, ich möchte das nicht wieder erleben, und ich habe auch beim
'Theodorich' eine zweite Zugeherin genommen, daß wir nur ja schnell
fertig geworden sind.«

»Wie interessant!« rief Frau Diestelkamp aus, »es wird einem alles so
näher gebracht. Ich habe bis jetzt gar keine rechte Vorstellung gehabt,
wie es wohl in Dichterfamilien ist, und nun verstehe ich manches.«

»Sie müssen aber trotzdem sehr glücklich sein,« fügte Frau Höfler
hinzu. »Als Gattin eines Dichters! Ich stelle mir das entzückend vor.«

»Ich möchte mit niemand tauschen,« erwiderte Frau Mertens, »obschon
manches vorkommt, was einem Sorgen macht. Denken Sie sich, wir haben
fünfzehn Jahre lang romantisch gedichtet, und jetzt geht das nicht
mehr, und wir müssen modern schreiben, oder realistisch, wie man auch
sagt. Das ist ein Schlag, kann ich Sie versichern! Mein Mann wollte
noch immer nicht, aber was kann man gegen die Kritiker machen?«

»Erlauben Sie mir die Bemerkung, gnädige Frau, daß ich da ganz auf
Seite Ihres verehrten Gemahls stehe,« rief Herr Diestelkamp, »wir
wollen gerade in unserer nüchternen Zeit die Romantik nicht missen, und
wir suchen bei unsern Dichtern die herrliche Quelle der ... den ... den
Ritt in ... ich wollte sagen, wir wollen immer noch einen Trunk aus der
romantischen Quelle schlürfen.«

»Es geht nicht,« sagte Frau Mertens mit einer Schärfe, die erraten
ließ, daß man hier auf ein eheliches Streitthema gekommen war; »es geht
durchaus nicht. Das nächste Stück muß er modern schreiben. Ich will
nicht, daß die Zeitungen noch einmal von veralteter Manier schreiben,
oder daß die Frau Nathusius die Nase rümpft, wenn sie mir begegnet,
weil ihr Mann schon dreimal hochmodern gedichtet hat.«

»Aber die romantische Muse Ihres Mannes wird sich dagegen sträuben,«
sagte Direktor Höfler.

»Sie #hat# sich gesträubt,« rief die streitbare Frau und blickte dabei
mit einiger Strenge auf ihren Mann, der den endlich weinenden Rettig
aß; »sie #hat# sich allerdings gesträubt, aber das ist jetzt vorbei.
Ich muß es auch aushalten, und wenn es noch schlimmer wird bei den
zweiten Akten.«

»So geben also auch Sie den Ritt ins alte romantische Land auf?« fragte
Diestelkamp, der sich nun auf das Zitat besonnen hatte, mit starkem
Pathos.

»Tja ...« antwortete der Dichter.



          Der Biedermann


Der alte Buchberger Hans saß auf der Hausbank und ließ sich so
behaglich wie die Katze neben ihm die warme Märzensonne auf den
Pelz brennen. Auf dem Dache zerging der letzte Schnee, und eintönig
plätscherte es von der Rinne auf die Kieselsteine. Drüben am Waldrande
lag schon ein grüner Schimmer über den Sträuchern, und dem Hans kamen
fröhliche Gedanken von schönen Tagen und Wiederaufwachen aus langem
Schlafe.

Zufrieden patschte er sich auf das linke Knie und rieb ein wenig daran.

Das war auch wieder gut geworden; viel besser, als er geglaubt hatte
nach dem bösen Fall im vorigen Jahre.

Hätte leicht steif bleiben können, und das wäre ihm hart gefallen in
seinen alten Tagen, und weil er ja auch noch arbeiten wollte neben den
Jungen in dem kleinen Haushalte, der jede Beihilfe brauchen konnte.

Aber so war es nun wieder recht geworden. Der Unfall zahlte ihm
fünfzehn Mark alle Monate, und weiß Gott, wie wohl ihnen das Bargeld
tat, wenn es noch so wenig war, und faulenzen brauchte er deswegen doch
nicht.

Er schlenkerte mit dem Fuß und streckte ihn wieder geradeaus.

Es ging schon, jawohl, und vor ein paar Tagen war er mit dem Jungen
auch auf der Bergwiese droben gewesen und war rechtschaffen müd
geworden.

Aber es ging und wurde alleweil besser.

Alleweil besser.

Da schau her! Den sonnigen Hang herauf kam ein Spaziergänger, ein
städtischer Herr, der oft stehenblieb und ausschnaufte.

Tat halt einem jeden wohl, Wärme und Sonnenschein.

Jetzt nahm der Herr den Hut ab und trocknete sich die Stirne.

Der sah beinahe aus wie der Bezirksarzt mit seinem langen Vollbart, und
so groß und breitschultrig war er auch.

Richtig, da fiel dem Buchberger ein, daß die Leitnerbäuerin krank war,
und vielleicht ging jetzt der Doktor zu ihr ...

Und war schon so.

Von weitem schon lachte der Bezirksarzt freundlich, wie er den Alten
erkannte, und der Hans stand auf und grüßte höflich.

»Das is ja der Buchberger? Grüß Gott! Darf ich mich a bissel hersetzen?«

»Ja freili, Herr Bezirksarzt! Oder soll i an Sessel außa hol'n?«

»Na! I sitz gut g'nug.«

»Gengan's g'wiß zum Leitner aufi?«

»Ja ... mhm ... no, wie geht's Ihnen?«

»Guat ... Herr Bezirksarzt ... Bin woh z'fried'n ...«

»Das hört man gern ... ja! so ein alter Veteran laßt nicht aus!«

Der leutselige Bezirksarzt klopfte dem Hans auf die Schulter und
schaute ihm mit herzlichem Wohlwollen in die Augen.

»Sie sind ja noch einer von Anno siebzig?« fragte er.

»Siebazgi und sechsasechzgi.«

»Und sechsundsechzig! Allen Respekt! Da haben Sie was durchg'macht im
Leben!«

»Ja ... dös ko ma wohl sag'n.«

»Fürs deutsche Vaterland!«

Und der freundliche Mann tätschelte wieder den braven alten Soldaten
auf die Achsel.

»No, von sechsasechzgi kann i net viel prahl'n,« sagte der Hans. »Da
san ma de mehra Zeit retariert, weil si koa Mensch net auskennt hot und
überhaupts ...«

»Ja ... ja ... der Bruderkrieg!« sagte der Arzt lächelnd.

»Aba ... siebazgi! Sakera Hosenzwickl! Da hamm's as ins dafür
ei'kocht! I bin bei Wörth dabeig'wen und bei Sedan ... und nacha bei
Orleanß hinten! Bei Kulmirs hamm s' an Major Gruaba neben meiner aufi
g'schoss'n, und i und da Hage Pauli, mir hamm an im größt'n Feuer
z'ruckbracht ... und hab aa 's Eiserne Kreuz kriagt für dös und bin
belobigt wor'n vorn ganz'n Regament ...«

»Ja, was Sie sagen!«

Der Bezirksarzt streckte dem eifrigen Alten seine Hand hin. »Respekt --
Buchberger! Ein deutscher Ritter des Eisernen Kreuzes! Da müssen wir
Jüngeren den Hut ziehen!«

»No ja! Es hätten's eigentli alle vadeant, denn was mir selbigsmal
durchg'macht hamm, dös war a wengl hart ... und i sag's oft, de junga
Leut achten's nimmer a so, aba es hat scho was braucht!«

»Ja, die jungen Leute! Die werden von den sozialdemokratischen
Zeitungen vergiftet. Das findet man nicht mehr, wie früher ... diese
... diese Einfachheit und ... ah ... diese ... diese Vaterlandsliebe
...«

»Gel? I sag's aa'r allaweil! De Patriot'n san nimmer gar so viel! Und
wenn ma was sagt, wurd ma glei ausg'lacht von de Grasteufl!...«

»Es ist schlimm, Buchberger! Schlimm! Aber ein alter Soldat, wie Sie,
der laßt sich nicht irrmachen ...«

»Ja, was waar denn net dös? I laß net aus.«

»Einer von der alten Garde! Han?«

»Und de Erinnerung gab i net her ... dös derfen S' g'wiß glaab'n, Herr
Dokta ... Sakera Hosenzwickl ... wia mir einmarschiert san ...«

»In Paris? Was?«

»In Paris net; da bin i net dabeig'wen, weil inser Regament heraußd
bleib'n hat müass'n ... aba in Münk'n ... do bin i nobl mit ...«

»Vor dem Kronprinz'n?«

»Und an Kini; vor der Feldherrnhalle san ma an eahm vorbei ...«

»Parademarsch?...«

»Dös glaab i! Neig'haut, daß d' Stoa g'wackelt hamm!«

»Eins ... zwei! Eins ... zwei ...! Ob's heut noch ging, Buchberger?«

»Probier ma's!« lachte der Alte und sprang von der Bank auf und nahm
die Hände an die Hosennaht. Augen links! nach dem Bezirksarzt, und eins
und zwei ... eins und zwei ... und es ging noch.

Freilich nicht mehr so stramm, daß die Steine wackelten, aber ganz
passabel, daß der joviale Arzt in die Hände patschte und herzhaft
lachte.

»Bravo, Buchberger!« rief er, als sich der Hans wieder setzte und
patschte ihm urkräftig auf das Knie ... »ja, ihr alten Veteranen, ihr
seid aus einem andern Stahl als wir!«

»Woaß net,« sagte der Hans, »i g'spüret's glei im Hax'n ...«

»I wo! Sie sind ja marschiert wie ein Gardeleutnant ... also, jetzt muß
ich aber gehen ... es hat mich recht g'freut ...«

»Mi scho aa, Herr Bezirksarzt, und kehren S' wieder amal zua! Adjes!«

»Dös is a liaba Mo!« sagte er noch vor sich hin, als sich der Doktor
langsam entfernte -- »a ganz a g'führiger Mo!«

       *       *       *       *       *

Eine Woche später, und es war schlechtes Wetter, regnete und schneite
durcheinander, brachte der Postbote dem Buchberger ein Schreiben, das
sich der Länge und Breite nach amtlich ausnahm und auch einen Stempel
trug.

»Geh, Alte, hol mir mei Brill'n!« Als er sie bedächtig aufgesetzt und
das Schreiben geöffnet hatte, las er langsam die Mitteilung, daß ihm
die monatliche Unterstützung von fünfzehn Mark entzogen werde ...
entzogen werde ... indem daß der Königliche Bezirksarzt Dr. Stierlinger
sich persönlich davon überzeugt habe ... daß genannter Buchberger von
den Folgen des Unfalls gänzlich geheilt sei und nicht die geringsten
Beschwerden ... Beschwerden am Fuße mehr verspüre ...

Ah!

Ja ... Himmel ... Herrgott ...



          Unser guater, alter Herzog Karl


Das neue Jahr soll uns eine andere Behandlung der Majestätsbeleidigung
bringen. Ich will es nicht entscheiden, ob die Neuerung viel verbessern
wird in der deutschen Welt.

Aber eines weiß ich, und eines bedauere ich.

Mein alter Freund Simon Lackner wird sich nicht mehr so leicht ein
billiges Winterquartier verschaffen können.

Und das ist hart.

Denn Simon Lackner ist neunundsechzig Jahre alt; ein herzensguter Kerl.

Jetzt soll er als Greis eine neue Methode ersinnen, nachdem er sechzehn
lange Jahre hindurch mit der alten so schöne Erfolge erzielt hat.

Ihr lieben Mitmenschen, denkt euch in seine Lage!

Von Jugend auf war er ein stellenloser Schreinergehilfe; ein fahrender
Handwerksbursche. Das ist wohl ein schönes Metier, wenn der Apfelbaum
am Straßenrand blüht, und wenn ein Mensch, der auf dem Rücken im Grünen
liegt, mit blinzelnden Augen der Lerche hoch hinauf in die blaue
Luft nachschaut. Das ist wohl ein schönes Metier, wenn die Kornähren
sich über dem müden Haupte wiegen und am heißesten Sommertag einen
erquickenden Schatten spenden. Auch ist es fröhlich und freudenvoll,
wenn noch eine mildtätige Herbstsonne auf den Buckel brennt, und wenn
die zerrissenen Schuhe durchs gelbe Buchenlaub rascheln.

Aber wenn die kalten Novemberwinde pfeifen und alte Felber in
die Gräben rollen? Wenn die Landstraßen aus dem Leim gehen und
pfundschwerer Brei an den Sohlen hängen bleibt?

Wenn der kalte Regen mit tausend Nadeln sticht oder die Schneeflocken
wirbeln? Wenn alle warmen Ofenbänke von hartherzigen Bauern besetzt
sind, die für einen armen Handwerksburschen nicht zusammenrücken?

Da wird's dem abgehärteten Landstreicher wehmütig ums Herz, und er
sehnt sich nach einem trockenen Platz, nach einem Dach, unter dem es
nicht tropft.

Simon Lackner widerstand lange, aber endlich kriegte er das Reißen in
seinen Gliedern, und er fand ein Mittel, sich zu helfen. --

Im Herzogtum Neuburg regierte Karl III., ein gemütlicher, braver
Landesfürst.

Natürlich, Simon Lackner kannte ihn nicht, aber er stand doch in
gewissen Beziehungen zu ihm.

Denn wo er in einem Bauernwirtshaus um Gotteslohn eine Halbe Bier
trank, sah er von der Wand das dicke Gesicht Karls III. herunterlächeln.

Und er begriff die Gutherzigkeit, welche sich in dem breiten Mund, in
den hängenden Backen des Landesherrn ausdrückte.

Er sah mit Liebe in die kleinen, hinter Fettpolstern verschwimmenden
Schweinsäuglein und dachte sich, wie bürgerlich und selchermäßig
doch oft der liebe Gott die von seinen Gnaden regierenden Häupter
ausgestaltet. Kein kleinstes Restchen Feindseligkeit haftete im Herzen
des Simon Lackner.

Er liebte den Fürsten auf seine bescheidene Weise und nahm es ihm nicht
übel, wenn seine Gensdarmen grob und rauhändig waren.

Denn nicht einmal der allmächtige Gott hat alle seine Geschöpfe
liebenswürdig geschaffen.

Warum sollte man's von einem irdischen Fürsten verlangen?

Trotz seiner Hinneigung war aber Simon Lackner gezwungen, alle Jahre
einmal dem Herzog Karl III. eine Despektierlichkeit zu zeigen, die ihm
nicht innewohnte.

Aber es war eben seine Methode, und es war notwendig, um unter ein
schützendes Dach zu kommen.

Wenn zu Ende Oktober die kalten Winde anhuben, ging Simon Lackner zum
herzoglich neuburgischen Gefängnisse, welches auf freiem Felde lag,
hinaus.

Dort versteckte er sich in einem Holzschupfen, welcher gegenüber dem
Eingange der Anstalt lag, und wartete.

Wenn dann einige Gendarmen kamen, trat er allsogleich hervor und schrie
mit lauter Stimme:

»Unser guater, alter Herzog Karl is a Rindviech!«

Das erstemal und das zweitemal stürzten die Gendarmen gierig auf den
frevelhaften Menschen und glaubten, daß sie einen wichtigen Fang
gemacht hätten. Aber schon im dritten Jahre erlahmte ihr Eifer, denn
sie wußten jetzt, daß Simon Lackner sich nur auf diese harmlose Weise
ein Winterquartier verschaffen wollte.

Simon Lackner mußte oft und oft schreien, bis sie ihn gefangen nahmen.

Und das wiederholte sich sechzehn Jahre lang mit schöner Regelmäßigkeit.

Man wußte es nicht mehr anders.

Wenn gegen Ende Oktober schwere Wolken am Himmel aufzogen, schaute
der Gefängnisinspektor in die herbstliche Natur hinaus und sagte:
»Jetzt wird der Lackner bald wieder schreien.« Und richtig: den andern
Tag zogen sich nasse Bindfaden vom Himmel zur Erde herunter, und vom
Holzschupfen herüber brüllte es: »Unser guater, alter Herzog Karl is a
Rindviech.«

Die Gendarmen lächelten; Simon Lackner lächelte und betrat freudig die
Halle des Gefängnisses, wo ihm der Inspektor wohlwollend entgegentrat.

Lackner wiederholte zur Sicherheit: »Unser guater, alter Herzog Karl
is a ..« »Weiß schon, weiß schon,« sagte der Inspektor, »Sie kriegen
schon Ihre fünf Monat.«

Wenn die Amseln pfiffen, kam Simon wieder heraus und walzte fröhlich
durch das Herzogtum Neuburg.

Und wo er in einem Wirtshaus das Konterfei seines lieben Karls III.
sah, lächelte er ihm verständnisinnig zu. Er hatte ja nie vergessen,
ihn den guten, alten Herzog zu nennen, und das mit dem Rindvieh war
nicht ernst gemeint.

Jetzt wollen sie den schönen Paragraphen ändern, mit dem mein Freund
Simon Lackner seit sechzehn Jahren sich recht und schlecht über die
Wintersnot hinweggeholfen hat.

Ist das nicht hart?



                Liebe um Liebe

          Eine patriotische Stimmung


Durch Stoppelfelder und frisch gemähte Wiesen rollte ein Eisenbahnzug,
und die buttergelbe Herbstsonne glänzte in die Fenster eines lackierten
Salonwagens, der sich überhaupt in dieser Umgebung recht sonderbar
ausnahm.

Darin saß Prinz Xaver, ein Seitensprosse des königlichen Hauses,
und fuhr mit seinem Adjutanten, Rittmeister Baron Schröfel, nach
Weißkirchen zur landwirtschaftlichen Ausstellung, die unter sein
Protektorat gestellt worden war.

Weil aber hier Herablassung und dort Untertanenliebe gezeigt werden
sollte, hielt man überall; und wo größere Menschenmengen sich dem Auge
darboten, fragte Prinz Xaver seinen Begleiter: »Muaß i?«

»Einen Augenblick, Königliche Hoheit!« antwortete alsdann der Baron
und sah in seinem Notizbuche nach. »Faistenhamm ... Kirchdorf ... 163
Seelen ... katholisch ... 37 Pferde ... 281 Stück Rindvieh ... ja ...
Königliche Hoheit ... da ist's vorgemerkt.«

Und Prinz Xaver hielt das edle große Haupt zum Fenster hinaus und
blickte durch seinen Kneifer, den er nur bei solchen Anlässen trug,
auf einige fette Herren, die das besitzende und bessere Publikum
vorstellten.

»Diese Gegend,« sprach der Prinz, »ist sehr lieblich.«

»Han?« fragte ein Posthalter oder Tafernwirt, der mehr Treue als
Schliff besaß.

»Diese Gegend, sie ist sehr reizvoll,« wiederholte der Prinz.

»Jawoi, Königliche Hoheit!«

»Sie ist von sanften Höhen durchzogen und mit Wäldern bedeckt ...«

»Jawol, Königliche Hoheit!«

»Aber das Auge erblickt auch fruchtbare Felder, welche den Fleiß des
Landmannes belohnen und ... und ...«

»Jawoi, Königliche Hoheit!«

»Und ...«

»Saftige Matten ...« soufflierte der Adjutant.

»... und saftige Matten, welche dem kernigen Vieh dieses Volkes ...
welche dem Vieh dieses kernigen Volkes Nahrung bieten.«

Prinz Xaver rückte den Zwicker, der ihm von der schwitzenden Nase
heruntergeglitten war, zurecht, und der Posthalter oder Tafernwirt
schaute mit geistlosen Augen in die ebenso blauen des Königssprossen,
und er fühlte, daß nunmehr die Aufgabe an ihn herangetreten war.

»Königliche Hoheit ... diese Gefiehle, wo ins heute besäligen ...
durch dieses, daß Sie hier durchfahren und für Kinder und Kindeskinder
...«

Die Lokomotive pfiff, und da legte der Tafernwirt die ganze ungeheure
Treuherzigkeit seines Landes in den Satz: »Pfüad Good, Königliche
Hoheit, aufs Wiederschaugen, und kemman S' halt wieda zu ins außa
...« Er entschwand den gütigen Blicken des Fürsten, der sich in die
Kissen zurückwarf, und sagte: »Dös hätt' ma wieda! Wo muaß i denn 's
nächstmal?«

»Einen Augenblick, Königliche Hoheit!« antwortete Baron Schröfel.
»... Sünzing ... nein ... Matzling ... 214 Seelen ... katholisch ...
311 Stück Rindvieh ... in Matzling werden Königliche Hoheit wieder
sprechen.«

»O jegerl!« seufzte der Prinz und wiederholte gewissermaßen im Geiste
jene Rede des Wohlwollens und lebendigen Interesses.

Nach zwei langen Stunden fuhr der Zug in Weißkirchen ein, wo
ein Beamtenkörper, eine ergeben lächelnde Geistlichkeit, wo
Veteranenvereine, Feuerwehren und Schützen, wo alles, was
repräsentieren durfte, den kleinen Bahnhof füllte, nach vorwärts
gedrängt von einer wimmelnden Menge, die in dem aussteigenden Prinzen,
der sein quellendes Fleisch in eine blitzblaue Uniform gepreßt hatte,
alles Anverwandte und Angestammte erblickte und darüber in ein
gellendes Hoch ausbrach.

Ein kleiner, stülpsnäsiger, aufgeregter Herr gab sich dem Prinzen
durch viele und schnell wiederholte Bücklinge als den zu erkennen, der
hier als Erster zu beachten war, und als einen Titularregierungsrat und
vorstehenden Chef des Bezirks.

Dicke Herren mit mehr landwirtschaftlicher Färbung der feisten
Gesichter und Hälse wurden in zweiter Reihe als Tierärzte und
Ökonomieräte und verdiente Braun- oder Fleckviehzüchter erkannt, und
in veralteten, seit Jahren die Bäuche nicht mehr bedeckenden Gehröcken
schoben sie sich vor, und ehe es sich der Prinz versah, war er von
Leuten umringt, die als starke Esser viel animalische Wärme und als
treue Untertanen eine ungemeine Ergebenheit ausstrahlten.

Und da ihre patriotischen Gefühle nirgends hinauskonnten, nicht durch
die verknüllten Hosen, nicht durch die krampfhaft geschlossenen Westen,
so drängten sie sich schweißtreibend nach oben und saßen hinter
schwimmenden Augen, die sich auf ihr prinzliches Ebenbild richteten.

Der stülpsnäsige Herr hielt eine Rede, in der alle Gefühle, die weder
er noch sonst wer hegte, in Superlativen ausgedrückt waren, und niemand
lehnte sich innerlich dagegen auf.

Im Gegenteile hörte Prinz Xaver mit tiefem Ernste die erhabenen
Tugenden aufzählen, die ihn und sein Haus schmücken sollten, obgleich
er es doch besser wissen mußte, und gleichermaßen hörten alle
Festgäste, die von Weißwürsten kamen oder zu Weißwürsten gingen, daß
sie in diesem Augenblicke den Schwur der Treue erneuert hätten und Gut
und Blut opfern wollten.

Ja, und darauf mußte etwas gesagt werden.

Der hohe Protektor umfaßte mit einem wohlwollenden Blicke diesen
Patriotismus, der um ihn herum schwitzte und schnaubte, und sagte es.

»Diese Gegend,« hub er an, »sie ist sehr lieblich. Sie ist von sanften
Höhen durchzogen und mit Wäldern bedeckt. Aber das Auge erblickt auch
fruchtbare Felder, welche den Fleiß des Landmannes belohnen und ... und
...«

»Seine Königliche Hoheit lebe hoch!« schrie jetzt verfrüht, unzeitig
und taktlos der Zimmermeister Schlegel, der immer etwas voraushaben
mußte.

»Und saftige Matten ...« fuhr Prinz Xaver fort, aber das Hoch hatte
im Pulverfasse der angestammten Liebe gezündet, und die brausenden --
oder auch donnernden -- Rufe übertönten die letzten Worte vom Vieh des
kernigen Volkes.

Der Protektor lächelte gerührt und wurde zum Wagen verbracht, rechter
Hand die Stülpnase, linker Hand den dicksten Fleckviehzüchter.

Er fuhr durch beflaggte Gassen an schreienden Menschen vorbei,
grüßte allerleutseligst, sah die Herzen, die ihm entgegenschlugen,
Triumphbögen, die sich wölbten, und langte auf dem Festplatze an,
wo es nicht minder laut blökte, quiekte und brüllte von treuen
Haustieren, die ihren Lärm nur so und unwissend warum vollführten. Da
sah Prinz Xaver alles, was unter sein Protektorat gestellt worden war.
Breitnackige Stiere, die ihn böse anblickten, wollige Schafe, die ihm
mild ins Auge schauten; braune, gelbe, weiße Kühe, die ihre Rücken
hoch zogen, wenn sie behaglichst ihre Wasser rinnen ließen, Kälber und
Schweine.

Die Stülpsnase erklärte eifrig, aber ein besserer Menschenkenner, als
Prinzen sind, hätte wohl merken können, daß der bewegliche Beamte auch
nicht mehr verstand als der Protektor, welcher nur lebendige Eßwaren in
dem Getier sah.

Auch in der viktualischen Abteilung überkamen Prinz Xaver mehr
reflektierende als züchterische Vorstellungen. Bei den Krautköpfen
dachte er an rosiges Surfleisch, beim Sellerie an gebratene Gänse, bei
Kartoffeln an den Fürst und Volk einigenden Nierenbraten, und Rettiche
sah er gebeizt, und Zwiebeln geschmort.

Als man zuletzt noch die Hühner, denen man harte und weiche Eier,
Ochsenaugen und Rühreier verdankt, besichtigt, gut befunden und gelobt
hatte, war so eigentlich die Aufgabe der Königlichen Hoheit erledigt.

Aber eine neuzeitliche Sitte ließ den Prinzen nicht sogleich zur Ruhe
kommen.

Es geht ein demokratischer Zug durch unser Volk.

Die Tage, da es in alle Schulbücher kam, wenn der Fürst einen kleinen
Mann aus dem Volke leutselig ansprach, sind vorüber, und heute spricht
der kleine Mann leutselig den Fürsten an.

Ein Spenglermeister aus Sünzing fand hier den Mut, indem er vortrat,
nach Bier roch und treuherzig sagte:

»Geh, Königliche Hoheit, unterschreiben S' de Kart'n an meine Spezeln,
daß de aa 'r a Freud hamm!«

Die Stülpsnase winkte ihm strenge ab, jedoch der Prinz lächelte und
setzte seinen Namen auf die fettige Postkarte.

Ein schöner Moment trat ein. Fürst und Untertan Auge in Auge, und der
wackere Spengler traf den Ton des echten Volksstückes, als er sagte:

»Königliche Hoheit ... dös ... dös ... kimmt unter Glas und Rahmen, und
in hundert Jahr no müass'n d' Leut' sehg'n ...«

»Ist schon gut,« sagte die Stülpsnase und schob den Redner ungnädig
weg, denn er roch wirklich sehr stark nach Bier, und auch wollten nun
viele die gleiche Gnade erlangen.

»Königliche Hoheit ... an insern G'sellenverein ... dös war an Ehr' für
Kinda und Kindeskinda ...«

»Königliche Hoheit ... an insern Stammtisch 'De Grüabig'n' ...«

Den Prinzen überkamen väterliche Empfindungen, er hielt diese Leute für
anhängliche Kinder, ihre Wünsche für naiv, und er hatte keine Ahnung
davon, daß hier gar nichts ehrlich oder tiefwurzelnd war, außer seiner
eigenen Beschränktheit.

Er schüttelte gütig alle Hände, die sich in seine Rechte schoben,
kalte und warme, trockene und feuchte, er unterschrieb wohlwollend
alles und setzte seinen Namen neben Ober- und Niedermayer unter ihre
Fröhlichkeit.

»Menschen ... Menschen san mir alle ... Jakob Schanderl, #Xaver,
königlicher Prinz# ... Eins ... zwei ... drei ... g'suffa!... Es lebe die
Viecherei! Hans Breitsameter, Jakob Leistl, #Xaver, königlicher Prinz#
...«

Die Karten wanderten hinaus in die Kneipen des Landes, und wenn sie
gleich nicht Ehrfurcht in Kindern und Kindeskindern erregen konnten,
spannen sie doch Fäden vom zünftigen Prinzen zu zünftigen Stammtischen.
Neue Fäden zum alten Bande, das Volk und Herrscherhaus verknüpft.



          Auf der Elektrischen


In #München#. Der schwere Wagen poltert auf den Schienen; beim Anhalten
gibt es einen Ruck, daß die stehenden Passagiere durcheinander
gerüttelt werden.

Ein Schaffner ruft die Station aus.

»Müliansplatz!«

Heißt eigentlich Maximiliansplatz.

Aber der Schaffner hat Schmalzler geschnupft und kann die langen Namen
nicht leiden.

Ein Student steigt auf. Er trägt eine farbige Mütze, und der Schaffner
salutiert militärisch.

Er weiß: das zieht bei den Grünschnäbeln. Sie bilden sich darauf was
ein.

Und wenn sich Grünschnäbel geschmeichelt fühlen, geben sie Trinkgelder.

Er ist Menschenkenner und hat sich nicht getäuscht.

Der junge Herr mit der großen Lausallee gibt fünf Pfennige.

Er sieht dabei den Schaffner nicht an; er sieht gleichgültig ins Leere;
er zeigt, daß er dem Geschenke keine Bedeutung beimißt. Der Schaffner
salutiert wieder.

Wumm! Prr!

Der Wagen hält.

»Deonsplatz!« schreit der Schaffner.

Heißt eigentlich Odeonsplatz.

Eine Frau, die ein großes Federbett trägt, schiebt sich in den Wagen.
Ein Sitzplatz ist noch frei.

Die Frau zwängt sich zwischen zwei Herren. Sie stößt dem einen den
Zylinder vom Kopfe.

Das ärgert den Herrn. Er klemmt den Zwicker fester auf die Nase und
blickt strafend auf das Weib.

»Aber erlauben Sie!« sagt er.

-- ?! --

»Aber erlauben Sie, mit einem solchen Bett!«

Die Leute im Wagen werden aufmerksam.

Der Mann scheint ein Norddeutscher zu sein; der Sprache nach zu
schließen. Ein besserer Herr, der Kleidung nach zu schließen.

Was fällt ihm ein, die arme Frau aus dem Volke zu beleidigen?

Ein dicker Mann, dessen grünen Hut ein Gemsbart ziert, verleiht der
allgemeinen Stimmung Ausdruck.

»Warum soll denn dös arme Weiberl net da herin sitzen? Soll's
vielleicht draußen bleib'n und frier'n? Bloß weil's dem nobligen Herrn
net recht is? Wenn ma so noblig is, fahrt ma halt mit da Droschken!«

Der dicke Mann ist erregt. Der Gemsbart auf seinem Hute zittert.

Einige Passagiere nicken ihm beifällig zu; andere murmeln ihre
Zustimmung. Ein Arbeiter sagt: »Überhaupt is de Tramway für an jed'n
da. Net wahr? Und dera Frau ihr Zehnerl is vielleicht g'rad so guat,
net wahr, als wia dem Herrn sei Zehnerl.«

Die Frau mit dem Bett sieht recht gekränkt aus. Sie schweigt; sie will
nicht reden; sie weiß schon, daß arme Leute immer unterdrückt werden.

Sie schnupft ein paarmal auf und setzt sich zurecht. Dabei fährt sie
mit dem Bette ihrem anderen Nachbarn ins Gesicht.

Der stößt das Bett unsanft weg und redet in soliden Baßtönen: »Sie, mit
Eahnan dreckigen Bett brauchen S' mir fei's Maul net abwisch'n! Glauben
S' vielleicht, Sie müassen's mir unta d' Nasen halt'n, weil S' as jetzt
aus 'm Versatzamt g'holt hamm?«

Die Passagiere horchen auf.

Da ist noch einer, der die Frau aus dem Volke beleidigt; aber, wie es
scheint, ein süddeutscher Landsmann.

Die Stimmung richtet sich nicht gegen ihn. Übrigens sieht er so aus,
als wenn ihm das gleichgültig sein könnte.

Er hat etwas Gesundes an sich, etwas Robustes, Hinausschmeißerisches.

Er imponiert sogar dem Herrn mit dem grünen Hute.

Und dann, alle haben es gesehen:

Die Frau ist ihm wirklich mit dem Federbette über das Gesicht gefahren.
So etwas tut man nicht. Der Mann selbst ist noch nicht fertig mit
seiner Entrüstung. Er wirft einen sehr unfreundlichen Blick auf die
Frau aus dem Volke und einen sehr verächtlichen Blick auf das Bett.

Er sagt: »Überhaupt is dös a Frechheit gegen die Leut', mit so an Bett
do rei'geh'. Wer woaß denn, wer in dem Bett g'leg'n is? Vielleicht a
Kranker; und mir fahren S' ins G'sicht damit! Sie ausg'schamte Person!«
Einige murmeln beifällig.

Der Mann mit dem grünen Hute gerät wieder in Zorn.

Er sagt: »Der Herr hat ganz recht. Mit so an Bett geht ma net in a
Tramway. Da kunnten ja mir alle o'g'steckt wer'n. Heuntzutag, wo's so
viel Bazüllen gibt!«

Der Gemsbart auf seinem Hute zittert.

Alle Passagiere sind jetzt wütend über die Unverschämtheit der Frau.

Man ruft den Schaffner.

»De muaß außi!« sagt der Mann mit dem Gemsbart, »und überhaupts,
wia könna denn Sie de Frau da einaschiab'n? Muaß ma sie vielleicht
dös g'fallen lassen bei der Tramway? Daß de Bazüllen im Wag'n
umanandfliag'n?«

Der Schaffner trifft die Entscheidung, daß die Frau sich auf die
vordere Plattform stellen muß. Sie verläßt ihren Platz und geht hinaus.

»Dös war amal a freche Person!« sagt der Mann mit dem Gemsbart.

Der Herr mit dem Zwicker meint: »Eigentlich war sie ganz anständig. Nur
mit dem Bette ...«

»Was?!« schreit sein robuster Nachbar. »Sie woll'n vielleicht dös
Weibsbild in Schutz nehma? Gengan S' außi dazua, wann's Eahna so guat
g'fallt!«

Alle murmeln beifällig.

Und der Arbeiter sagt: »Da siecht ma halt wieda de Preißen!«

       *       *       *       *       *

Ein kalter Wintertag.

Die Passagiere des Straßenbahnwagens hauchen große Nebelwolken vor sich
hin. Die Fenster sind mit Eisblumen geziert, und wenn der Schaffner
die Türe öffnet, zieht jeder die Füße an; am Boden macht sich der
kalte Luftstrom zuerst bemerklich. Die Passagiere frieren, nur wenige
sind durch warme Kleidungen geschützt, denn der Wagen fährt durch eine
ärmliche Vorstadt.

Da kommt ein Herr in den Wagen; er trägt einen pelzgefütterten
Überrock, eine Pelzmütze, dicke Handschuhe.

Er setzt sich, ohne seiner Umgebung einen Blick zu schenken, zieht eine
Zeitung aus der Tasche und liest.

Die anderen Passagiere mustern ihn; das heißt seine untere Partie. Die
obere ist hinter der Zeitung versteckt.

Die größte Aufmerksamkeit schenkt ihm ein behäbiger Mann, der ihm
gerade gegenübersitzt.

Er biegt sich nach links und rechts, um hinter die Zeitung zu schauen.
Es geht nicht.

Er schiebt mit der Krücke seines Stockes das hemmende Papier weg und
fragt in gemütlichem Tone:

»Sie, Herr Nachbar, wissen Sie, aus welchan Pelz Eahna Hauben is?«

Der Herr zieht die Zeitung unwillig an sich.

»Lassen Sie mich doch in Ruhe!«

»Nix für ungut!« sagt der Behäbige.

Nach einer Weile klopft er mit seinem Stocke an die Zeitung, die der
Herr noch immer vor sich hinhält.

»Sie, Herr Nachbar!«

»Waßß denn?!«

»Sie, dös is fei a Biberpelz, Eahna Haub'n da.«

»So lassen Sie mich doch endlich meine Zeitung lesen!«

»Nix für ungut!« sagt der Mann und wendet sich an die anderen
Passagiere.

»Ja, dös is a Biberpelz, de Haub'n. Dös is a schön's Trag'n und kost'
a schön's Geld, aba ma hat was, und es is an oanmalige Anschaffung. De
Haub'n, sag' i Eahna, de trag'n no amal de Kinder von dem Herrn. De is
net zum Umbringa. Freili, billig is er net, so a Biberpelz!«

Die Passagiere beugen sich vor. Sie wollen auch die Pelzmütze sehen.

Aber man sieht nichts von ihr; der Herr hat sich voll Unwillen in seine
Zeitung eingewickelt.

Da wird sie ihm wieder weggezogen. Von dem behäbigen Manne, mit der
Stockkrücke.

»Sie, Herr Nachbar ...«

»Ja, was erlauben Sie sich denn ...?!«

»Herr Nachbar, was hat jetzt de Haub'n eigentlich gekostet?«

Der Herr gibt keine Antwort.

Wütend steht er auf, geht hinaus und schlägt die Türe mit Geräusch zu.

Der Behäbige deutet mit dem Stock auf den leeren Platz und sagt: »Der
Biberpelz, den wo dieser Herr hat, der wo jetzt hinaus is, der hat ganz
g'wiß seine zwanz'g Markln kost'; wenn er net teurer war!«

       *       *       *       *       *

Der alte Professor Spengler fährt jeden Morgen gegen acht Uhr vom
großen Wirt in Schwabing bis zur Universität.

Er fällt auf durch seine ehrwürdige Erscheinung; lange, weiße Locken
hängen ihm auf die Schultern, und er geht gebückt unter der Last der
Jahre.

Ein Herr, der auf der Plattform steht, beobachtet ihn längere Zeit
durch das Fenster.

Er wendet sich an den Schaffner.

»Wer ist denn eigentlich der alte Herr? Den habe ich schon öfter
gesehen.«

»Der? Den kenna Sie nöt?«

»Nein.«

»Dös is do unsa Professa Spengler.«

»So? so? Spengler. M--hm.«

»Professa der Weltgeschüchte,« ergänzt der Schaffner und schüttet eine
Prise Schnupftabak auf den Daumen.

»Mhm!« macht der Herr. »So, so.«

Der Schaffner hat den Tabak aufgeschnupft und schaut den Herrn
vorwurfsvoll an.

»Den sollten S' aba scho kenna!« sagt er. »Der hat vier solchene Büacha
g'schrieb'n.«

Er zeigt mit den Händen, wie dick die Bücher sind.

»So ... so?«

»Lauter Weltgeschüchte!«

»Ich bin nicht von hier,« sagt der Herr und sieht jetzt mit sichtlichem
Respekte auf den Professor.

»Ah so! Nacha is 's was anders, wenn Sie net von hier san,« erwidert
der Schaffner.

Er öffnet die Türe.

»Universität!«

Professor Spengler steigt ab. Der Schaffner ist ihm behilflich; er gibt
acht, daß der alte Herr auf dem glatten Asphalt gut zu stehen kommt.
Dann klopft er ihm wohlwollend auf die Schulter.

»Soo, Herr Professa! Nur net gar z' fleißig!«

Er pfeift, und es geht weiter.

Der Schaffner wendet sich nochmal an den Herrn:

»Alle Tag, punkt acht Uhr, fahrt dös alte Mannderl auf d' Universität.
Nix wia lauta Weltgeschüchte!«

       *       *       *       *       *

In #Berlin#. Der Straßenwagen fährt durch den Tiergarten. Seitab werden
Bäume gefällt, und es ist ein sonderbarer Anblick, mitten in der
Großstadt Waldarbeit zu sehen.

Der Schaffner wendet sich an einen Herrn, der Ähnlichkeit mit dem
Kaiser hat. Die man in Norddeutschland so häufig trifft. Starkes Kinn.
Habyschnurrbart.

Der Schaffner sagt: »Das geht nun schon so vier Wochen.«

Er deutet auf die Holzarbeiter.

Der Doppelgänger Kaiser Wilhelms schweigt.

»Wenn sie nur nich den ganzen Tiergarten umschlagen!« sagt der
Schaffner.

Keine Antwort.

Der Schaffner versucht es noch einmal.

»Den ganzen Tiergarten! Es wär doch jammerschade!«

Jetzt blickt ihn der Doppelgänger Kaiser Wilhelms an; strenge und
abweisend.

Und er sagt:

»Ich habe nicht die Absicht, mich mit Ihnen in eine Konversation
einzulassen.«



          O Natur!


  Personen: Er --- Sie -- Ein Holzknecht.

  Ort: Im Gebirge.


  Er: Wie das hier schon ganz anders riecht, Lizzi! A--ah! Endlich
      aus der Stadt in die Natur geflohen!

  Sie: Himmlisch!

  Er: Stelle dir vor! Der Schnee in unseren Straßen, schwarz,
      schmutzig, naß. Und hier blinkt und glitzert er.

  Sie: Er ist direkt keusch, finde ich.

  Er: Man denkt an Weihnachten, Christabend, an irgend was Poetisches.

  Sie: Karl, du Guter! Nein, wie bin ich dir dankbar, daß du mich aus
      dem schrecklichen Trubel in diesen Frieden gebracht hast!

  Er: Nicht wahr?

  Sie: Weißt du, als ganz kleines Mädchen bin ich auch einmal im
      Winter auf dem Lande gewesen. Bei Großmama. Da weiß ich noch,
      wie da auch die Bäume verschneit waren und so merkwürdig
      aussahen.

  Er: Du bekommst förmlich große Augen, wie du das sagst, Lizzi!

  Sie: Es muß die heimliche Sehnsucht nach der Natur sein, die in
      einem lebt. Trotz allem, weißt du, Karl?

  Er: Ja, ja. Trotz allem.

  Sie: Nein! Sieh mal dort die große Tanne! Wie ein Ungeheuer sieht
      so ein Zweig aus. Wie was Lebendiges.

  Er: Wie ein Märchen.

  Sie: Die Natur ist doch das einzig Wahre!

  Er: Man sollte hier immer leben!

  Sie: Das wäre herrlich! Ich ließe mir einen großen Pelz dazu
      machen; weißt du, grünen Samt, mit Zobel besetzt, und innen
      auch Zobel, oder Seal.

  Er: Das sollte man tun, hier leben.

  Sie: Oder Skunks, Karl, obwohl ich eigentlich Skunks nicht sehr
      liebe.

  Er: Das würde sich schon finden.

  Sie: Und weißt du, eine Pelzmütze sollte ich haben. Ich habe
      vorgestern bei Bachmann eine entzückende Mütze gesehen.

  Er: Dieser Friede ringsum!

  Sie: Ich glaube, sie war aus Otterfellen und hatte vorne eine
      Agraffe, in der eine Reiherfeder steckte.

  Er: Sieh dort, Lizzi, wie die Bergspitze noch von der Abendsonne
      beschienen ist.

  Sie: Wun--der--voll! Weißt du, man könnte statt Reiher auch eine
      andere Feder nehmen. Meinst du nicht?

  Er: Ja -- ja. Ich könnte hier stundenlang in den Anblick versunken
      stehen.

  Sie: Und ich möchte am liebsten durch den Schnee waten. Wie ein
      Schulmädchen, und ganze rote Backen davon kriegen.

  Er: Und nasse Füße, Liebling!

  Sie (enttäuscht): Das ist wahr!

  Er: Man müßte eben andere Schuhe tragen. Und sich überhaupt daran
      gewöhnen. Oh! Hier muß ein Mensch gesund werden!

  Sie: Ich fühle mich jetzt schon ganz anders.

  Er: Ich meine körperlich #und# geistig gesund werden. A--ah! Diese
      Luft! Diese Luft!

  Sie: Wie die Sonne verglüht! Das sollte man jeden Abend haben.

  Er: Und sich von dem Zauber der Natur umfangen lassen.

  Sie: Ich möchte am liebsten gar nicht mehr weg.

  Er: Weißt du was? Wir bleiben einfach morgen noch hier.

  Sie: Ach ja -- das wäre himmlisch! Aber es geht nicht, Schatz. Ich
      #muß# morgen zur Schneiderin, und dann sollen wir bei Hofrats
      Besuch machen, und abends ist der »Rosenkavalier«, und ...

  Er: Richtig ja! Na, denn nich! Eigentlich ist es schade!

  Sie: Mir blutet ja das Herz, daß man sich von hier losreißen soll.

  Er: Mir auch. Diese Farben! Nein, diese Farben!

  Sie: Du, dort kommt ein Mann.

  Er: Er hat so was wie 'ne Säge umhängen. Das ist sicher 'n
      Holzfäller.

  Sie: Wie stilvoll er aussieht!

  Er (seufzend): Ach, wer auch so einer wäre! He, guter Mann!

  Holzer: Han?

  Er: Sie leben wohl immer hier heraußen?

  Sie: In der Natur?

  Er: Und wissen vielleicht gar nicht, wie beneidenswert Sie sind!

  Holzer: Am -- -- -- -- --! (Entfernt sich.)

  Sie: Wie? Was hat er gesagt?

  Er: Ach, so was ... so was Bäuerliches, was die Leute hier oft
      sagen. Nun wollen wir aber umkehren. (Bleibt stehen und atmet
      tief auf.) Nein! Diese Natur!



          Das alte Recht


Es scheint mir, daß jene uns Deutschen oft nachgerühmte Scheu vor
gewissen Vorrechten der Geburt, des Ranges, des Besitzes in Wahrheit
besteht und unser öffentliches Leben vergiftet, indem sie das Fundament
der Gesellschaft, die Gleichheit vor dem Gesetze aufhebt, während sie
hinwiederum unserem privaten Leben durch Anreiz zur Eitelkeit, zur
Selbsterniedrigung, zu allen Gegenteilen von Stolz und Selbstgefühl
einen bedenklichen Einschlag gibt -- -- ja, das alles scheint mir so,
und ich finde diese Meinung durch alle möglichen Vorkommnisse immer
wieder auf ein neues bestätigt. Auch in unseren kleinen Provinzstädten,
wo doch wahrhaftig der Anblick des Hofes, der Umgang mit glänzenden
Militärs, die Bewunderung genialer Staatsmänner, wo all dies nicht die
klaren Begriffe von Recht verwirren könnte, selbst da finde ich immer
wieder, natürlich ins kleine übertragen, aber nicht minder verderblich
-- was wollte ich sagen? -- Ja, also in Dornstein -- aber das muß
ordentlich und der Reihe nach erzählt werden, und weil das Thema an
sich etwas unappetitlich ist oder sein könnte, muß es auch mit Zartheit
vorgetragen werden. Nur eine Frage vorher!

Wenn nach allgemein gültigen Begriffen von Moral, Anstand und Hygiene
die Verunreinigung von öffentlichen Plätzen und Straßen -- ich möchte
absichtlich keinen starken Ausdruck gebrauchen -- als ordinär,
jedenfalls aber als verboten gilt, wenn dieses Verbot in deutlichen
Verfügungen der Ortspolizeibehörde niedergelegt ist, mit Ausdrücken,
die keinerlei Deutung zulassen, so meine ich doch, dieses Verbot müßte
für alle Bewohner des Ortes gelten? Aber wir werden ja sehen!

Ich meine sogar, gerade Leute von Bildung müßten im Falle einer
Zuwiderhandlung stärkere Mißbilligung und strengere Strafe finden, denn
wenn Bildung wirklich Bildung ist -- aber wir werden ja sehen!

Jedenfalls hier will ich nur die Tatsachen in ihrer zeitlichen Folge
berichten und feststellen, und jeden Schein einer irgendwie gearteten
Färbung vermeiden.

Alles, was sich in der Zeit vom 17. März bis mit 11. April 1913 in
Dornstein ereignete, das heißt: in dieser betreffenden Sache sich
ereignete, werde ich chronologisch erzählen.

Eigentlich müßte man das Datum weiter zurücklegen, denn schon am 21.
Februar, 2. März und wieder am 11. März erschienen im Dornsteiner
Volksboten »Stimmen aus dem Publikum«, welche auf die Vorkommnisse
Bezug nahmen.

»Gibt es =keine Polizei=, welche in der Luitpoldstraße =gewisse
Schweinereien gewisser Herren betrachtet=, und dürfen selbe tun, was
sie wollen?!? (Volksbote vom 21. 2. 1913, Seite 3.)

»Es scheint, daß die =Nemesis= sich vor #gewissen Leuten# =verkriecht=,
welche die Luitpoldstraße zum Schauplatze ihrer =Gemeinheit= machen,
und daß sie in diesem Falle nicht so pünktlich bei der Hand ist, wie
vielleicht gegen die =minder bemittelte Klasse!!!=« (Volksbote vom 2.
3. 1913, Seite 3.)

»Auch unsere gute Stadt Dornstein soll, wie es scheint, ihren
=Panamaskandal!!= haben, ohne den es #überhaupt in Deutschland nicht
mehr abzugehen scheint#!! Trägt der Kadi eine stärkere Binde vor den
Augen, wenn es #sogenannte Gebildete# betrifft?!? Wir fragen zum
=letzen Male!!=« (Volksbote vom 11. 3. 1913, Seite 2.)

Die letzte Anfrage des Blattes war denn doch in einem Tone gestellt,
der hätte gehört werden müssen, wenn die maßgebenden Behörden dazu eine
Lust verspürt hätten, ich möchte sagen, wenn sie eine durchaus strenge
Auffassung von ihrer #Pflicht# besessen hätten.

Sie hatten diese Auffassung #nicht#. Und nun traten in diesem Drama die
Personen aus den Kulissen heraus vor die Rampe der Öffentlichkeit.

-- Ich glaube, man kann dieses Bild füglich gebrauchen? --

Am 17. März gelangte folgendes hier wörtlich wiedergegebenes Schreiben
der Realitätenbesitzerswitwe #Ursula Hirgstettner# in den Einlauf des
Stadtmagistrats Dornstein:

An den Maschißtrath, hochwolgebohren dahir und zu Händen des Herrn
Bürchermeisters.

Eigene Angelegenheit des Emfängers!

Beträf: Notdurfth und unberächtigte Ausübung dersälben in der
Luitpoldstraße. Auch beträf gegen die Sitlichkeith.

Es ist gewieß ales recht und man schweicht oft und denkt sich blos
etwas, denn man wiel nichd fier eine frau gelthen, die wo zimbferlich
ist und die wo gleich iber ales sich empörth ist und obwoll man doch
auch seine Steuern und Abgahben zahlt und Gemeindeumlahgen.

Aber was zu arch ist ist zu arch und mahn braucht sich nicht ales zu
gefallen zu lassen, indem man doch auch zum weiblichen Geschlächte
gehörth und vielleicht mehr bieldung besiezt als die wo immer davon
sprechen. Oder muß sich vieleicht eine schuzlose Wittwe ales gefallen
lasen? Oder denkt man vieleicht, ja hier braucht es keine Rücksicht
durchaus nicht mehr, weil diese Beträfende keinen Man nicht besiezt,
der wo solchene Angriefe auf das Schahmgefühl nicht erlaubt?? Alerdings
wenn mein unvergeslicher Leonhard nicht dahin geraft wäre durch ein
unerbitliches Geschiek, hernach würden sich vieleicht #gewise Herren
der Schöpfung# besinnen, ob sie sich so etwas trauen oder vieleicht
lieber ihre nothurft anderswo verriechten.

Aber freilich ich bin ja blos eine schuzlose Wittwe und da braucht
man keine Rücksicht nicht zu nehmen!! Aber ich zeige es hiemit dem
hochwolgebornen Maschißtrate an und gebe keine Ruhe nicht mehr sondern
apeliere.

Im Gasthaus zum Schiemel sitzen die »#besseren#«!! Herren beinahe ale
tage bis in die späthe Nacht obwol es mich nichts angeht und verlasen
selbes meistens um Mitternacht und sage ich auch nichts obwol oft ein
groser Spetakel ist, aber man denkt sich, es gibt auch feinere Herren,
wo so viel trinken wie ein Fuhrmann.

Aber leider dises ist nicht ales, sondern sie bleiben auf der Strase
stehen und verichten selbes, wo man vieleicht als feinere Herren
anderswo veriechten soll und unterhalten sich dabei mit lauther Stimme.
Dises sind meistens der Herr Majohr Röklmeier und der penzionirte
Oberambsriechter Pollner und verschiedene Bürger und Maschißtratsräthe,
wo ich auch den Herrn Haslinger und Mühlberger deuthlich unterscheiden
konnte. Dieses geschieth vor meinem Hause, indem ich davon oft erwache
und mit Schmertzen frage, ob mahn dieses einer schuzlosen Wittwe
ales biethen darf. Ich habe es schohn dem Polizeiwachtmeister genau
beschriehben, aber leider es hilft nichts, sondern die feineren Herren
betreiben erst recht ihr schweinisches Geschäft und man hört auch daß
sie sich dabei zu Anspillungen auf meine Persönlichkeit erfrächen. Der
betrefende ist besonders erkannt und wenn es auch ein Beahmter ist,
besiezt er doch keine Bieldung und soll vieleicht denken, das er nicht
so unferschämbt zu sein braucht gegen leuthe, wo seine Penziohn auch
mitzahlen.

Hochwollgeborner Maschißtrat ich zeige es hiedurch an, daß ich mir
durchaus nichts mehr gefahlen lasse und mich nicht mit Injuhrien auch
noch behaften lasse, sondern meine Geduld ist erschöpft, wodurch ich
auf einen standpunkt bin, das mahn sich sagt, bis hieher und nicht
weither!

Wenn der Maschißtrat vieleicht sein Auge zudrüken will weil es feinere
Herren sind und die besiezende Klasse, dann weiß ich schon was ich thue.

Ich verlange die strengste Bestraffung dieser Obigen und eine Tafel
gegen nächtliche Verunreinigung und ich glaube das auch eine schuzlose
Wittwe disses erreichen kann gegen die wo sich nicht schähmen, sondern
ihre sogenannte Bieldung in disser weise bezeichen. Ich verlange die
strengste Bestraffung!! Disses möchte ich noch bemerken.

          Laut Unterschrift: Ursula Hirgstettner,
                 hochachtungsvoll dahir.

Am 26. März kam dieser Brief in geheimer Magistratssitzung zur Sprache.

Herr Bürgermeister Dr. Pilzweyer hatte ursprünglich die Absicht
gehegt, und diese Absicht auch gegenüber dem Magistratssekretär Weigel
kundgetan, die Eingabe der Hirgstettner zu perhorreszieren, aber eine
Notiz im Volksboten brachte denn doch die Sache in Gang, da man nun
befürchten mußte, daß weitere sehr unangenehme Preßerörterungen das
stille Begräbnis der Anklage verhindern würden.

Also ging man daran, die Angelegenheit amtlich, wenn auch nicht
ernstlich, zu behandeln.

Denn schon die Miene des vorstehenden Sekretärs verriet die merkwürdige
Neigung, diese Herzensnöte einer Frau als Spaß zu betrachten, und
ein den Vortrag begleitendes Lächeln des Bürgermeisters schien die
Anwesenden aufzufordern, auch ihrerseits den Humor des Schriftstückes
zu erkennen.

Allein Magistratsrat Mühlberger, ein angesehener Bäckermeister, konnte
trotzdem seinen aufsteigenden Zorn nicht meistern und sprang sogleich
auf, indem er rief:

»Dös san ja Insinationa! Hat ma scho so was g'hört von so an alt'n
miserablinga Trankhafa? Dös san ja Insinationa!«

»Herr Magistratsrat,« sagte der Bürgermeister in verbindlichem Tone,
»wir können und wollen uns über dieses Schriftstück doch wahrhaftig
nicht aufregen -- --«

»Sie Eahna net! Aber i!« schrie Mühlberger. »Dös san ganz oafach
Insinationa! Und dös sag' i!«

»Wir werden später darauf zurückkommen,« sagte immer lächelnd Herr Dr.
Pilzweyer. »Aber,« fuhr er fort, indes er seinen Kneifer abnahm und ihn
spielend an der Schnur pendeln ließ, »ich muß nun wohl das tatsächliche
Material den Herrn unterbreiten.«

»Es handelt sich hier,« sagte er und lehnte sich zurück, indes er
jedes Wort mit verstandesmäßiger Betonung aussprach und im Wohlklange
seiner Rede schwelgte, »es handelt sich hier zweifellos um das Haus
Nummer 104a, als welches zu Eigentum der Witwe des verstorbenen
Realitätenbesitzers Leonhard Hirgstettner im Grundbuche vorgetragen
ist, -- und welches sich auf der nördlichen Seite der ehemaligen
Bachleitergasse, jetzt Prinzregent Luitpoldstraße befindet. Gegenüber
von diesem Hause ist die Gast- und Tafernwirtschaft zum Schimmel,
welche von den Eheleuten Johann und Maria Leutgschwendtner betrieben
wird.

Dieses Gasthaus erfreut sich des Besuches gerade der Honoratioren.«

»I g'hör aa dazua,« fiel hier die Baßstimme des Magistratsrates
Haslinger ein.

»Gerade der Honoratioren,« fuhr der Bürgermeister fort, indes ein
Lächeln über seine Züge flog, »und man begegnet dort außer angesehenen
Bürgern« -- er machte eine leichte Verbeugung nach der Richtung, wo
Haslinger und Mühlberger saßen -- »man begegnet dort Offizieren,
Angehörigen des Beamtenkörpers, also Herren, denen eine Störung der
Ordnung, ein Zuwiderhandeln gegen Sitte und Anstand niemals, ich betone
das, niemals zuzutrauen wäre!«

»Dös moan i halt aa,« rief Mühlberger ...

»... Zuzutrauen wäre. Die streng vertraulich gepflogenen Recherchen
haben ergeben, daß vielleicht hier und da einer der Herren, dem Zwange
und Drange der Natur folgend, ganz gewiß in unauffälligster Weise ...«

»Bitt ums Wort!« schrie Herr Haslinger.

»Sogleich! Sie werden das Wort sogleich erhalten, Herr Magistratsrat
... also in diskretester Weise jenem Drange vielleicht Folge leistete.
Aber eine Beschuldigung wie diese hier« -- Herr Dr. Pilzweyer klopfte,
nun ernster werdend, auf das Schriftstück -- »eine solche Beschuldigung
ist frivol. Ich stehe nicht an zu sagen, es ist ein starkes Stück von
Frivolität.«

»An Insination is!« rief Mühlberger ...

»Eine haltlose Verdächtigung, und ich erteile nun, bevor ich einen
Antrag stelle, das Wort dem Herrn Magistratsrat Haslinger.«

Dieser, von Beruf Brauereibesitzer, ein beleibter Mann von stattlicher
Größe, erhob sich, und da er gerade geschnupft hatte, zog er ein
blaues, geblümtes Taschentuch von der Größe einer Serviette aus der
Tasche und entfernte von Bart, Weste und Rock die Tabakreste. Dann
begann er in jovialem Tone zu reden. »Also, meine Herrn, de Sach'
is eigentli ganz oafach; und i muaß scho sagn, daß ma über so was
überhaupts red'n muaß, dös g'hört aa zu de Erscheinunga der Neuzeit.
Also i sag ganz oafach, de Beschwerde von dera ... Beißzanga da ... is
eigentli a Frechheit ersten Grades. Indem daß also Familienväta und
verheirate Männa, und daß ma 's scho glei sag'n, lauta Leut, de wo
eppas san und de wo eppas hamm und de wo eppas vorstell'n -- net --
lauta richtige Leut -- net --- indem daß diese Leute a so hingestellt
wern als wia Sittlichkeitsverbrecher -- net -- und von an solchen alt'n
Trankhafa, bei der ma sie do überhaupts nix mehr denkt ...«

Der Bürgermeister rührte an der Glocke. »Ich möchte den Herrn
Magistratsrat bitten, im Interesse einer sachlichen Behandlung ...«

»Net unterbrecha!« sagte Haslinger grob. »Sie hamm dös überhaupts
a bissel gern, Herr Bürgermoasta, und i sag 's Eahna, daß über dös
bereits Stimmen laut geworden sind.

Ȇber diese Unterbrecherei von Eahna. Da kimmt ma ja aus 'n Thema
außi! Also, meine Herrn, daß i 's kurz sag, seit i ins Wirtshaus geh,
und aa früherszeit, wia no mei Vata ganga is, und natürlicherweis
mei Großvata grad so, also da woaß ma's nia anderst, als daß ma vom
Wirtshaus außa ... no ja ... in Gott's Nam ... Sie verstengan mi scho.
I möcht überhaupts sag'n, dös is an alts Recht! Wenn ma so seine
vier, fünf oda sechs Maß Bier trunka hat -- no ja -- in Gott's Nam!
De Damenwelt is do um de Zeit nimma auf da Straß, und so lang unser
Dornstoa steht, hat ma dös net anderst g'wißt. Jetzt auf oamal kam de
Mistamsel, de abscheilige daher ... Theans mi net unterbrecha, sag
i, Herr Bürgermoasta, -- jetzt kam de daher und möcht ins des alte,
guate Herkomma für an Unsittlichkeit histell'n. Aba i sag bloß dös,
solchena Beleidigunga, solchena neumodische Unverschämtheiten, von dera
grauslinga Beißzanga, diese prallen an unserer Brust ab!«

»Brafo! Brafo!« riefen die Magistratsräte und patschten auch lebhaft
in die Hände, so daß Herr Haslinger sich dankend noch einmal halb vom
Stuhle erhob und wiederholte. »Sie prallen ab, sag i, und mehra sag i
net ...«

»Dös Luada mit ihre Insinationa!« rief Mühlberger, worauf sich der Herr
Bürgermeister räusperte und also begann:

»Meine Herren! Nach den bemerkens- und auch dankenswerten Ausführungen
des Herrn Vorredners, nach diesen von den Tönen eines beleidigten
Ehrgefühles durchzitterten Worten erübrigt mir jetzt nur ... wie?«

»Ich bitte ums Wort!« sagte zum zweiten Male der Buchbindermeister
Kallinger ...

»Ach so! Pardon! Der Herr Magistratsrat Kallinger hat das Wort.«

»Meine Herren!« sagte dieser, ein Freund feinerer Bildung, der einige
Jahre in Norddeutschland befindlich gewesen war, ... »meine Herren!
Ich glaube fürwahr mit Recht behaupten zu dürfen, daß ich einige
Erfahrungen besitze in betreff nämlich der Sitten und Gebräuche fremder
Städte ...«

»Geh, hör auf!«

»Ich höre #nicht# auf, Herr Haslinger, und ich möchte nur bemerken,
bald Sie sich beschweren in betreff von Unterbrechungen, dann dürfen
auch Sie nicht einen Redner unterbrechen ... ich möchte also nur
dieses sagen, daß ich in fremden Städten einige Erfahrungen gesammelt
habe auch in betreff dieses Themas, über das ich mich nicht näher
ausdrücken kann und ich behaupte, daß auch in anderen Städten dieses
häufig vorkommt. Dann möchte ich sagen, daß zum Beispiel während einer
Regenperiode sicherlich kein Grund zur Beschwerde vorhanden ist,
während im Schnee fürwahr zu viele Spuren zurückbleiben. Ich möchte
hierdurch nur eine bescheidene Anregung geben, ob die betreffenden
Herren nicht doch eine gewisse Rücksicht auf die Witterungsverhältnisse
walten lassen könnten ...«

Damit setzte sich Herr Kallinger, und Herr Haslinger stieß Herrn
Mühlberger mit dem Ellenbogen an, und Herr Mühlberger stieß Herrn
Arzböck an, und es herrschte die allgemeine Ansicht, daß der Kallinger
natürlich wieder seinen Senf habe dazu geben müssen.

Aber der Bürgermeister hustete leicht und fuhr an der alten Stelle fort.

»Es erübrigt mir jetzt nur die Frage, ob der Magistrat sich irgendwie
offiziell, also beschlußfassend, mit der Sache beschäftigen soll ...«

»Nix da! Da werd überhaupts nix mehr g'redt! Freili! Daß der alte
Trankhafa sei Freud hätt!...«

»Ja, also, ich entnehme den allgemeinen Zurufen, daß man über die
Beschwerde zur Tagesordnung übergeht ... Herr Kallinger?«

»Ich möchte nur einen Beschluß darüber vorschlagen, daß während
einer Schnee- oder Kälteperiode auch nachts keine solche Verrichtung
stattfinden dürfe ...«

»Wer für den Antrag des Herrn Magistratsrates Kallinger ist, möge sich
erheben!... Niemand? Also, der Antrag ist mit allen gegen eine Stimme
abgelehnt ... und damit gehen wir zur Tagesordnung über. Es liegt vor
ein Antrag des Kaufmanns Oberloher ...«

       *       *       *       *       *

Das war am 26. März.

Am 29. des gleichen Monats brachte der »Volksbote« einen geharnischten
Artikel über »Korruption«:

»Es ist einem Häuflein Bevorzugter gelungen, dem Gesetz ein Schnippchen
zu schlagen ... usw. ... bis ... wir erinnern aber an das so wahre
Sprüchwort _justitia fundamentum regnorum_, welches denn doch auch in
Dornstein einige Geltung haben dürfte ...«

(Siehe Beilage 5 im Akt: Beschwerde der Ursula Hirgstettner usw.)

Am Abend des 1. April brannte im Hause der Frau Hirgstettner das
Gaslicht nicht mehr. Tagsüber hatten zwei städtische Arbeiter sich
an der Leitung in der Luitpoldstraße zu schaffen gemacht und jede
Auskunft verweigert. Als nun Frau Offiziant Koppenwallner, welche in
dem Hirgstettnerschen Hause wohnte, im Gange Licht machen wollte und
immer wieder den Gashahn aufdrehte, blieb es dessenungeachtet dunkel.

Obwohl sofort eine Magd zum Leiter der Gasanstalt geschickt wurde, kam
niemand zur Abhilfe. Auch den 2. und 3. April ließ sich der städtische
Installateur nicht blicken.

Am 4. April ging Frau Ursula Hirgstettner selbst im Zustande der
höchsten Aufregung, da die Familie Koppenwallner sofort kündigen
wollte, zu Herrn Gasanstaltsdirektor Pfrombeck und stellte ihn
entrüstet zur Rede.

»Nur net so hitzig!« sagte Herr Pfrombeck gelassen. »Am Gas fehlt's
net, aba wahrscheinli fehlt's an der Leitung. Vielleicht hamm S' dös
letzte Quartal net zahlt?«

»Dös tat i mir scho verbitt'n! I bin meiner Lebtag nix schuldi blieb'n
...«

»Ja no! Na werd's wo anders fehl'n. Mi geht dös nix o. De Gasleitung
hat da Herr Magistratsrat Mühlberger unter sich. Da müassen S' zu dem
geh' und frag'n.«

Nun ging der Frau Ursula Hirgstettner allerdings ein Licht auf, aber
als resolute Witwe ging sie unverzagt in den Kampf um ihr gutes Recht
und in den Laden des Bäckermeisters und Magistratsrates Mühlberger.

Sie mußte warten, bis alle Kunden bedient waren, und stand endlich in
dem Hinterzimmer vor dem finster blickenden Stadtvater.

»Was woll'n denn Sie?«

»I? Da tat i no lang frag'n, wenn seit vier Tag 's Gas nimmer brennt!«

»So?«

»Ja! Zahlt ma desweg'n seine Umlag'n und Gebühr'n, daß nacha a solchena
Schlamperei vorkimmt ...«

»Sie, thean S' Eahna a bissel z'ruckhalt'n!«

»Gar net halt i mi z'ruck, und auf der Stell muaß i wiss'n, warum daß
de Arbeita mei Leitung abdraht hamm ...«

»Welchane Arbeita?«

»Ja, ma hat's scho g'sehg'n! Für gar so dumm müaßt's oan aa net halt'n!«

»Wenn de Arbeita Eahna Leitung unterbrocha hamm, nacha hat am Rohr was
g'feit. Vastand'n?«

»So, warum fehlt denn grad bei mir was? Und bein Schimmiwirt net? Und
bei koan Nachbarn net?«

»Dös is de Rohr eahna Sach.«

»I wer scho sehg'n, ob i mir dös g'fall'n lass'n muaß. I woaß scho, was
da für a Spitzbuamg'schicht dahinta steckt.«

»Halten S' Eahna z'ruck, sag i!«

»Und a Spitzbuamg'schicht is, sag i!«

»Sie, passen S' auf, Eahna kennt ma!«

»Sie kenna mi no lang net, und wenn i net auf da Stell mei Gas kriag,
nacha zoag i Eahna, mit wem Sie's z'thoa hamm!«

»Dös braucht's net. Eahna kennt ma, sag i. Sie san eine Frau, de wo
Insinationa macht. Verstengan Sie? Insinationa!«

»I mach Eahna no ganz was anders, Sie Loawibacha, Sie ausgschamta!«

»Jetzt hab i Eahna! Dös is an Amtsbeleidigung!«

»Mei Gas möcht i!«

»An Amtsbeleidigung is dös! Verstengan Sie? Jetzt san Sie
g'richtsmaßig!«

»Gengan S' aufs G'richt! Auf da Stell geh i mit und bring mei Sach vor!
I will amal sehgn, ob Sie mir's Gas abdrahn derfa, weil i Eahna Sauerei
anzoagt hab' -- Sie!«

»Und jetzt macha S', daß S' naus kemma, sunst gibt's an
Hausfriedensbruch aa no, Sie Trebernfaß, Sie ordanärs! Sie Mistamsel,
Sie gräusliche!«

»So? So red'n Sie? Aba ...«

»Außi!«

Der Befehl war so kategorisch und mit Schub und Druck begleitet, daß
die fassungslose Witwe, ohne zu wissen wie, vor der Türe und auf der
Straße stand.

Ihr eiligster Lauf ging in die Redaktion des Volksboten.

       --       --       --       --       --

Aber der Kämpfer für ihre Rechte, Herr Martin Irzinger, war nicht wie
sonst.

Er hörte sie nicht an, er unterbrach sie lange, bevor ihre Klagen zu
Ende waren.

»Dös is alles ganz recht, Frau Hiergstettner, und i kenn ja de ... i
will sag'n, i waaß ja alles, aba, es thuat mir leid, i ko in dera Sach'
nix mehr thoa.«

»Sie san guat. Zerscht hamm's mi allaweil aufghetzt, daß i de Eingab'
mach, und Sie hamm in Eahnern Blattl de G'schicht aufgrührt ...«

»Ja ... ja ... Dös hoaßt, i hab mi für Eahna a bissel einseitig ins
Zeug g'legt. Einseitig, verstengan Sie?«

»Aba Sie hamm do g'sagt ...«

»I #hab# g'sagt, aba jetzt sag i Eahna was anders, Frau Hiergstettner.
Schauen's, i muaß #von# de Leut' leb'n, und #Sie# müass'n #mit# de Leut
leb'n. Wir kinnan den Kriag net weiter führ'n.«

»Mir geht da Proviant aus. Verstengan S', der diri dari -- und Eahna
geht 's Liacht aus.«

»Ja, was soll i denn thoa?«

»An Fried'n schliaß'n. Es bleibt ins nix anders net übrig ...«

Da verließ die Witwe aller Kampfes- und Lebensmut, und sie fing
gottesjämmerlich zu weinen an.

Es müssen hier einige Tatsachen nachgeholt werden.

Am 1. April wurde dem »Volksboten« amtlich mitgeteilt: 1. daß der
Magistrat das bisherige Abonnement von zwei Exemplaren nicht erneuere,
2. daß der »Volksbote« künftighin keine amtlichen Inserate mehr zu
gewärtigen habe.

Noch den gleichen Tag suchte Irzinger den Bürgermeister auf und bat um
Aufklärung.

»Wundern Sie sich darüber?« fragte Herr Dr. Pilzweyer mit Nachdruck.
»Konnten Sie etwas anderes erwarten, nachdem Sie in jeder Nummer Ihres
Blattes ...?«

»Entschuldinga, Herr Bürgermoasta ...«

»Oder, ich will sagen, wenn Sie beinahe in jeder Nummer die
angesehensten Männer der Stadt, ja die Stadtverwaltung selbst, in
maßloser Weise angreifen?«

»Entschuldinga, Herr Bürgermoasta ...«

»Jawohl, maßlos, Herr Irzinger! Das Wort ist keineswegs stark gewählt
...« Herr Dr. Pilzweyer spielte hier wieder mit dem Zwicker und
lauschte auf seinen Tonfall. »Sie zweifeln unsere Intaktheit an, unsere
Gerechtigkeitsliebe, Sie sprechen von einem Panama ...«

»Entschuldinga, Herr Bürgermoasta ...«

»Wortwörtlich Panama! Das ist ein schlimmer Vorwurf, Herr Irzinger! Und
ich kann Ihnen nur sagen, er hat mich persönlich geschmerzt, denn ich
verkenne keineswegs die Bedeutung der Presse ...«

»Entschuldinga, Herr Bürgermoasta ...«

»Ich kann aber, und das werden Sie mir zugeben, ein Blatt nicht
unterstützen, welches in unser Gemeinwesen den Unfrieden trägt, welches
das Ansehen der besten Bürger zu untergraben sucht, welches die Leitung
der Gemeinde verdächtigt, welches ...«

»Entschuldinga, Herr Bürgermoasta, und bald diese Angriffe
unterbleiben?«

»Wenn Sie mir das Versprechen geben ...«

»Und bald ich den Herren vom Magistrat gewissermaßen im Volksboten eine
Genugtuung gebe?«

»Dann abonniere ich wieder.«

»Und de Inserat'?«

»Bekommen Sie wieder.«

»Gilt scho!«

»Ihr Ehrenwort, Herr Irzinger?«

»Auf Ehr und Seligkeit, sag i. Und bal i amal was sag', da gibt's nix;
dös is wia Stahl und Eis'n ...«

»Also gut! Sie unterlassen die Angriffe -- auch in dieser etwas
komischen Sache ...«

»A glänzende Ehrerklärung gib i, wenn i 's amal sag, Herr Bürgermoasta!
A glänzende Genugtuung.«

»Schön, dann sind wir wieder einig.«

»Dös glaab i.«

Die glänzende Ehrenerklärung kam am 5. April, denn einiger Zeit
bedurfte Herr Irzinger denn doch, um seinen Gesinnungswechsel zu
stilisieren. Er packte die Sache beim richtigen Ende an, indem er
zuerst etwas humoristisch wurde, dann aber doch die echt altbayrische
Standhaftigkeit der Männer hervorhob, welche auch in einer kleinen
Sache, deren allzu deutliche Beschreibung sich von selbst verbot,
am alten Herkommen festhielten und durch diese Hartnäckigkeit alle
Widerstände besiegten.

Auch wie Herr Irzinger freimütig bekennen zu müssen erklärte, den
Widerstand der Presse.

Der im vollsten Sinne des Wortes verlassenen Witwe blieb nichts anderes
übrig, als die Verzeihung der standhaften Verunreiniger zu erflehen.

Sie tat es.

Nicht ganz so leichten Gemütes und nicht ganz so rasch wie der
Redakteur des Volksboten; aber die Notwendigkeit, Gas zu erhalten,
erlaubte auch kein allzulanges Zögern.

Mühlberger sträubte sich und verzieh nur unter bissigen Bemerkungen die
Insinuationen der schmähsüchtigen Frau.

Aber am 11. April brannten die Gasflammen wieder.

Lange nachdem sie in dieser Nacht erloschen waren, um die Geisterstunde
vernahm die Lauschende wiederum die Ausübung jenes alten Rechtes oder
Herkommens.

Und sie konnte feststellen, daß die vier Hauptkämpfer für den alten
Brauch samt und sonders sich betätigten.

Der Herr Major Stöckelmeier, der Oberamtsrichter Pollner und die zwei
kriegerischen Magistratsräte.



          Anfänge


Da war ich also Rechtsanwalt in dem kleinen Orte D., und weil ich
der erste war, der sich hierorts auf diese Weise sein Brot verdienen
wollte, konnte ich nicht verlangen, daß alle Welt von meiner Bedeutung
oder meinen Aussichten überzeugt war.

Der Schneidermeister, in dessem Hause ich eine Wohnung gemietet hatte,
brachte mir ein stilles, aber inniges Mißtrauen entgegen, das wiederum
nicht frei war von einem wohlwollenden Mitleid. Der Vorstand des
Amtsgerichtes, dem ich mich sogleich vorstellte, strich einen langen,
grauen Schnurrbart und heftete seine scharfen Augen auf mich.

Dann sagte er nur: »So, Sie san der?«

Es war manches aus den Worten herauszulesen, nur keine freudige
Zustimmung zu meinem Unternehmen.

Wenn ich über die Straße ging, merkte ich wohl, daß sich Leute nach mir
umdrehten, und wenn ich auch nicht feinnervig war, merkte ich doch,
daß sie sich frei von allem Respekt über meine mutmaßliche Zukunft
unterhielten.

Am reichbesetzten Stammtische legten mir alle diese fest angestellten,
besoldeten und pensionsberechtigten Männer Fragen vor, die ihre
Überlegenheit ebenso wie ihre Zweifel dartaten.

Das alles entmutigte mich nicht, aber wenn ich heim kam und durch meine
drei kärglich möblierten Zimmer ging, in denen die Schritte so stark
widerhallten, dann packte mich doch ein Gefühl der Unsicherheit und der
Vereinsamung.

Ich half mir auf meine Weise. Mit dem alten Zimmerstutzen meines Vaters
schoß ich nach der Scheibe und vertrieb mir die langweiligsten Stunden.

Denn wenn ich mich an den Tisch setzte und etwa zu lesen versuchte,
hörte ich mit einem Male diese Stille um mich, ich horchte auf sie, und
sie klang mir brausend in die Ohren.

Da fiel mir alles schwer aufs Herz, was einmal war und nie mehr sein
würde, und ein Heimweh kam über mich nach lieben Menschen, nach Dingen
und Zuständen, von denen ich für immer hatte Abschied nehmen müssen.

Das waren Trübseligkeiten, über die mir keine Arbeit weghalf, weil ich
keine hatte.

Wenn ich die Treppe herunterstieg und in die Werkstatt meines
Schneidermeisters einen Blick werfen konnte, beneidete ich die blassen,
jungen Leute, die darauflos nähten von Montag bis Samstag und jeden
Feierabend und jeden Feiertag sich redlich verdienten.

Das sah anders aus als in meiner leeren Stube, an deren Wand zwecklos
ein kleiner Tisch stand, auf dem ein Paket frischer Papierbogen lag
neben dem nagelneuen Tintenfasse, den ungebrauchten Federhaltern und
scharfgespitzten Bleistiften. Drei, vier lange Tage schlichen vorbei,
ohne daß jemand zu mir gekommen wäre.

Der fragende Blick des Hausherrn wurde eindringlicher, die Bemerkungen
am Stammtische wurden berechtigter, die Mienen aller mir begegnenden
Spießbürger wurden höhnischer. Wie lange ich nachts mit offenen Augen
im Bette lag und nun erst recht die brausende, tosende Stille um mich
herum hörte!

Leute standen vor mir, die mich mit ernsten Augen anblickten und mir
die Aussichtslosigkeit meines Versuches darlegten, Menschen, die ich
liebte und denen ich auch etwas galt, -- gegolten hatte.

Denn was war dann, wenn ich hier scheiterte und allen recht gab, die
mir abgeraten hatten?

Es waren lange Nächte.

Gegenüber lag eine Schmiede, und vor Tagesanbruch klangen schon die
Hammerschläge.

Da mußte ich aufstehen, zuschauen und mir immer wieder sagen, das sei
Arbeit, Freude und Leben.

Am fünften Tage kroch mir schon die häßlichste Mutlosigkeit ans Herz.

Aufstehen und warten, in der Stube herumgehen und warten.

Den Zimmerstutzen hatte ich in eine Ecke gestellt.

Mir war gottsjämmerlich zumut. Mein ganzes Vermögen von achtzig Mark
ging auf die Neige, und hier mit Schulden beginnen wollte mir doch als
Anfang vom Ende vorkommen.

Da!

Nein, es war keine Täuschung, hell und durchdringend läutet die Glocke
an meiner Wohnungstüre.

Ich eilte hinaus und öffnete.

Ein hochgewachsener, wohlbeleibter Mann mit einem mächtigen
altbayrischen Knebelbart stand vor mir, und sein städtischer Anzug
war für mich eine Enttäuschung, weil er so gar nicht wie ein
prozessierender Ökonom aussah.

Aber vielleicht ein Gutsbesitzer, Pächter oder Verwalter?

Das schien mir zweifelhaft. Eher konnte er ein behäbiger Bürger des
Marktes sein, und ja, das würde wohl stimmen.

»Hab' ich die Ehr', den Herrn Rechtsanwalt ...?«

»Bitte, kommen Sie nur herein ...«

Ich mußte so etwas von der einladenden Höflichkeit eines Friseurs,
eines Zahnarztes, des Besitzers einer schlechtbesuchten Schaubude an
mir haben.

Der Gast stand hoch und breit in meinem Zimmer und war sich, wie ich
merken konnte, sogleich über die Situation klar.

»Aha!« sagte er, »-- m--hm -- da is aber a bissel -- --«

»Wie meinen Sie?«

»A bissel laar is.«

»Ich lasse mir meine Möbel erst nachkommen,« sagte ich. »In den ersten
Tagen mochte ich natürlich nicht -- --«

»Freili, natürli. Aba wo san denn de Büacha?«

»Die kommen auch nach.«

»M--hm -- ja -- ja -- I will Eahna was sag'n, Herr Dokta. Dös erste,
was Sie hamm müass'n, san Büacha. Es is ja scho weg'n de Klient'n. Da
wenn oana rei kimmt zum Beispiel, nacha muaß 's ausschaug'n da herin,
als wia 'r in a alt'n Kanzlei. An dera Wand da drüb'n, da müass'n lauta
Büacha steh', und da herent, da müassen S' a so a Stellaschi mit Papier
und Aktendeckel hamm. Derfen S' ma 's glaab'n, i hab scho mehra junge
Herrn o'fanga sehg'n ...«

»Das kommt alles, aber mit was kann ich Ihnen dienen?«

»Mir? Dös wer i Eahna glei sag'n. I bin nämli der Vertreter von der
Buchhandlung Maier -- J. A. Maier & Sohn -- Sie kennan ja die Firma?...«

Es war wieder eine Enttäuschung, und diesmal eine ziemlich starke.

»N ... nein ...« sagte ich.

»Dös wundert mi, aba mir lerna uns scho no bessa kenna,« antwortete
er, und es strömte ein wirkliches und wohlwollendes Behagen von ihm
aus. »Mir lerna uns no guat kenna. Nämli, unser Spezialität is ja, daß
mir junge Herrn Rechtsanwält ausstaffiern, und i kann Eahna sag'n, i
hab scho ziemli viel Herrn ausstaffiert. Lesen S' no ...«

Er gab mir eine Karte.

J. A. Maier -- Buchhandlung -- Spezialität -- Anlage von Bibliotheken
für Herren Notare und Rechtsanwälte -- An- und Verkauf von juristischen
Bibliotheken -- Kulante Gewährung von Teilzahlungen -- usw.

»Sehg'n S', Herr Dokta, dös is dös, was Sie brauchan. De Wand da
drüben, de muaß ganz zuadeckt sei mit lauta Büacha. Erschtens -- er
streckte den Daumen aus -- brauchan Sie wirkliche juristische Büacha
-- dös kriag'n ma nacha -- zwoatens -- er gab den Zeigefinger dazu --
brauchan Sie Entscheidunga -- mir hamm antiquarisch a paar Sammlunga --
drittens -- und jetzt kam der Mittelfinger -- drittens, da gibt's so
Amtsblätter und alte Verordnungsblätter, de ja koan Wert nimmer hamm,
aba de san hübsch groß, in blaue Pappadeckel ei'bund'n, und macha an
recht'n Krawall, de nehman si großartig aus in da Kanzlei. De kriag'ns
von uns drein, an achtz'g Bänd für zwölf Markl ...«

»Das ist alles recht schön, aber ...«

»Nix aba!« Er sagte es energisch und jede Widerrede abschneidend. »Dös
is dös, was Sie brauchan, Herr Dokta. Und jetzt schreib'n mir amal auf,
was Sie für wirkliche Büacha hamm müass'n. Mit 'n Strafrecht fanga ma
'r o ...«

Und er fing mit dem Strafrecht an und nannte im befehlenden Ton alle
anderen im besten Ansehen stehenden Kommentare, schrieb sie mit der
Füllfeder auf, fand immer noch ein Buch und gab es dazu, und erklärte
endlich, daß mir nunmehr einigermaßen und fürs erste geholfen sei.

Alle Zahlungsbedenken schnitt er kurz ab, und erst, als er sein dickes
Notizbuch in die Brusttasche und seine Füllfeder in die Westentasche
gesteckt hatte, gab er den befehlshaberischen Ton auf und wurde wieder
umgänglich.

»Soo,« sagte er gemütlich, »jetza hamm ma 's, und Notabeni, i mach no
mei Gratulation, daß Sie Eahna hier niederlassen hamm. De Gegend is
guat, de Bauern streit'n gern, g'rafft werd aa no Gott sei Dank, da hat
a junger Rechtsanwalt a ganz a schön's Feld der Betätigung, und jetzt
bhüat Eahna Good!«

Er schied mit einem freundlichen Lächeln von mir, und seine Worte taten
mir wohl. Nur allmählich wurde mir klar, daß diese Anschaffung auf
Kredit meine Stellung nicht gerade gebessert und befestigt hatte.

Ein ereignisloser Tag, der nun folgte, und die Gewißheit, der ich
entschlossen ins Gesicht sehen mußte, die Gewißheit, daß ich das
nächste Mittagessen würde schuldig bleiben müssen, ließen mir die
Bestellung einer Bibliothek als verbrecherische Torheit erscheinen.

Die Schneider nähten, die Schmiede hämmerten, der Rechtsanwalt schaute
zum Fenster hinaus auf den Marktplatz.

Vor seinem Bäckerladen stand der dicke Herr Holdenried und stocherte
in den Zähnen herum und gähnte und spuckte aus, und tat das alles mit
Ruhe, wie sie eine gefestigte Sicherheit gibt.

Zwei Häuser weiter stand der Seiler Weiß auf dem Bürgersteig und zeigte
ebenso aller Welt, die es wissen wollte, daß er sich satt gegessen
hatte.

Sie riefen sich etwas zu und lachten, und Herr Holdenried ging ein
paar Schritte hinauf, und Herr Weiß ging ein paar Schritte herunter,
bis sie beisammen standen und offenbar von den gleichgültigsten
Dingen miteinander redeten. Jeder stand würdig und breitbeinig und
zahlungsfähig auf dem Pflaster und jeder wußte, daß aus irgendeinem
Fenster, oder aus mehreren Fenstern, neidische Blicke auf sie geworfen
wurden. Und jeder wußte, daß er wie Vater und Vatersvater den Neid
verdiente.

Ob je einer von diesen niederträchtigen Spießbürgern Sorgen getragen
hatte, oder auch nur wußte, wie der Gedanke an morgen bleischwer auf
dem Magen liegen konnte?

Sie bliesen die Luft von sich und waren zufrieden mit sich und einer
mit dem andern, und dann ging Herr Holdenried ein paar Schritte
hinunter und Herr Weiß ein paar Schritte hinauf, und sie schloffen
durch ihre Haustüren ins Behagen zurück.

       --       --       --       --       --


Und es war doch wieder die Glocke! Es war gewiß und wahrhaftig wieder
die Glocke! Ein kleiner, schmächtiger Mann stand vor der Türe. An
seinen Stiefeln hing zäher Lehm, und ich sah wohl, daß er auf Feldwegen
gegangen war, und in seinen Blicken lag etwas Unsicheres, Fragendes ...

»Sind Sie der neue Herr ...«

»Ja, jawohl, kommen Sie nur herein, bitte!«

Es klang immer noch wie die Einladung einer Schießbudenmadam, nur
zögernder.

Und das war also ein Lehrer aus Irzenham, einem weit entlegenen Orte,
der zu einem anderen Gerichte gehörte, aber der Herr Lehrer war etliche
Stationen weit mit der Bahn gefahren, hier ausgestiegen, und nun eben,
nun war er da.

Es handelte sich um eine Beleidigung. Eigentlich um eine
ununterbrochene Reihe von Kränkungen, Beleidigungen und
Ehrabschneidungen.

Man mußte weit zurückgreifen. Es handelte sich, wenn man es recht sagen
wollte, um einen förmlichen Krieg zwischen Pfarrer und Lehrer, Sie
wissen ja, wie das leider so häufig vorkommt ... Ob ich es wußte! Und
ob ich nicht, was ich wußte, mit starken Worten sagte, mit Entrüstung,
allgemeiner und gerade auf diesen Fall angewandter besonderer
Entrüstung!

Wie konnte man einen Mann, der ... und wie konnte man einen Lehrer,
dessen dornenvoller, verantwortungsreicher Beruf -- -- und so weiter --
Wie konnte man das?

Der Pfarrer hatte es gekonnt. Er hatte schon bald, nachdem der Herr
Lehrer nach Irzenham versetzt worden war, begonnen, die Stellung
des Mannes zu untergraben, ihn zu reizen, ihn zu verdächtigen, ihn
herunterzusetzen --. Man mußte da weit zurückgreifen und die Irzenhamer
Geschichte der letzten drei, vier Jahre kennen lernen, um dann wieder
hier vorgreifend, dort Rückschlüsse ziehend, um, auch den schlechten
Charakter des neu gewählten Bürgermeisters so ganz begreifend, zu
verstehen, warum und wieso die letzten Angriffe auf den Herrn Lehrer,
dessen Ehefrau Amalie und wiederum deren Schwester Karoline von langer
Hand vorbereitet und besonders giftig waren.

Man mußte weit zurückgreifen, und ob ich es gern tat!

Ob ich nicht politische Bemerkungen einfließen ließ und mich voll
und ganz auf die Seite der Lehrer stellte, ganz allgemein aus
Gesichtspunkten, die für jeden anständigen Menschen gelten mußten,
die in jedem vernünftig geleiteten Staat, die in jeder ordentlich
verwalteten Gemeinde überhaupt nicht in Frage kommen konnten!

Ob ich sie nicht mit juristischen Bemerkungen spickte!

Ob ich nicht selber von einer sittlichen Entrüstung durchbebt war!

Und ob ich nicht immer wieder betonte und feierlich versicherte, daß
diese seit Jahren auf Irzenham drückende, schwüle Temperatur bloß durch
das Gewitter einer Gerichtsverhandlung gereinigt werden könne und müsse!

Ja, ich hatte wirklich das Gefühl der Erleichterung, der Befriedigung,
als es nun endlich feststand, daß ich als Kläger gegen den Pfarrer
auftreten würde!

Es sollte dabei nichts verschwiegen werden?

Aber gewiß nichts!

Die Irzenhamer Geschichte der letzten vier Jahre sollte vor dem Forum
der Öffentlichkeit aufgerollt und unter eine alle Winkel erhellende
Beleuchtung gesetzt werden. Darauf konnte sich der Herr Lehrer
verlassen.

Darauf konnten sich der Herr Lehrer, seine Ehefrau und deren Schwester
Karoline unbedingt verlassen.

Die Vollmacht war unterschrieben. »Und ja, womit kann ich noch dienen?«

»Ich möchte,« sagte der ehrenwerte und in allen seinen Gefühlen heftig
verletzte Mann, »ich möchte natürlich einen Vorschuß erlegen, aber ich
habe leider nicht mehr als fünfzig Mark bei mir ...«

Er zog einen reizenden, von der liebenden Hand der Ehefrau gestickten
Geldbeutel hervor und nahm wundervoll klingende Goldstücke daraus ...

Ich schwieg und sah ihm zu.

Ich dachte durchaus ernsthaft darüber nach, wie unsagbar roh man
veranlagt sein mußte, wenn man diese Frau, welche die hübsche Geldbörse
vermutlich zu Weihnachten gestickt hatte, kränken oder ihrer Schwester
Karoline zu nahe treten konnte! Der Lehrer faßte mein tiefsinniges
Schweigen irrtümlich auf.

»Ich kann Ihnen ja noch einiges schicken, wenn das nicht genügt ...«

»Es genügt,« sagte ich und ließ meine Gedanken nicht weiter abschweifen.

Er zählte das Geld auf den Tisch, ich schrieb mit scheinbarem Gleichmut
eine Quittung, alles sah geschäftsmäßig und richtig aus, und er wollte
nach höflichem Abschiede gehen.

Da drängte sich mir eine Frage auf die Lippen.

»Herr Lehrer, wie kommt das nun eigentlich? Ich meine, wie kommen Sie
von Irzenham hierher und zu mir?«

»Hierher? Hm--m ...«

»Sie haben wahrscheinlich meine Anzeige im Wochenblatt gelesen?«

»Nein ... eigentlich nicht ...«

»Und wieso ...?«

»Ich wollte nämlich nach München fahren und dort zu einem Anwalt gehen,
aber in der Bahn ... wissen Sie ... da war ein Herr ... ein gebildeter
Mann, so militärisch hat er ausgesehen ...«

Der Lehrer zwirbelte mit der Hand einen imaginären Schnurr- und
Knebelbart ...

»... wie ein alter Soldat und auch in der Sprechweise ... nicht
wahr ... Und ja, wir sind ins Gespräch gekommen, wie man eben eine
Unterhaltung beginnt, und da erzählte ich dem Herrn von meinem Prozeß
...«

»Richtig, dem Herrn erzählten Sie ...«

»Daß ich nach München fahre, um einen Anwalt aufzusuchen, und da sagt
er zu mir: Was wollen Sie denn in München? Wissen Sie denn nicht, daß
ein ausgezeichneter Anwalt hier ist? Er meinte nämlich, hier ...« Der
Lehrer machte eine Verbeugung.

»Bitte!« sagte ich ruhig.

»Ja, und der Herr erzählte von Ihnen in sehr schmeichelhafter Weise
und er sagte, es sei ein Glück, wenn sich in der Provinz so gute
Anwälte niederlassen, Sie entschuldigen Herr Doktor, wenn ich das so
wiedererzähle, aber ...«

»Bitte!« sagte ich ruhig.

»Sie müssen schon öfter für den Herrn Prozesse gewonnen haben?«

»Möglich«, log ich. »Momentan natürlich kann ich mich nicht erinnern
...«

»Ein auffallend großer Mann mit einem militärischen Bart,« wiederholte
der Lehrer und zwirbelte einen unsichtbaren, martialischen Bart ...

»Hm! Ich kann mir ungefähr denken ...«

»Er war, wenn ich so sagen darf, sehr energisch. Wie der Zug hier
anhielt, und ich ... Sie entschuldigen, Herr Doktor, weil ich Sie doch
nicht kannte ... und ich wußte noch nicht, ob ich aussteigen sollte,
da hat er mich gewissermaßen hinausgeschoben und hat mir meinen Mantel
und meinen Regenschirm hinausgereicht, und er sagte immer: Sie müssen
zu dem Anwalt hier gehen. Das ist der rechte Mann für Sie, und er
sagte: Sie werden mir ewig dankbar sein, denn sehen Sie, sagte er,
in der Großstadt, da hat man nicht das Interesse und die Zeit, da
werden Sie kurz abgefertigt, sagte er, -- und da ist der Zug schon
weggefahren, und ich bin da gestanden. Ja, und der Herr hat noch zum
Fenster herausgesehen und hat mir gewunken ... hm ... ja ... und da
bin ich eben zu Ihnen gegangen ... und wenn ich so sagen darf, ich bin
eigentlich froh ...«

»Seien Sie unbesorgt, Herr Lehrer, ich werde energisch für Ihr Recht
eintreten ...«

»Ja, und wissen Sie, diese Äußerung gegen meine Schwägerin Karoline,
die muß besonders hervorgehoben werden ...«

»Sie #wird# hervorgehoben,« sagte ich mit starker Stimme, »wir wollen
einmal sehen, ob der politische Fanatismus alles und jedes beschmutzen
darf, wir wollen sehen, ob ... kurz und gut, Sie können beruhigt
heimfahren.«

Die Augen des Lehrers leuchteten auf. Er bot mir die Hand und
schüttelte sie und ging ...

Ich nahm zu allererst die Goldstücke und ließ sie klirrend auf den
Tisch fallen und wieder in den hohlen Händen aneinander klingen.

Ha!

Ob ich mich an den Mann erinnerte, der einen so befehlenden Ton hatte,
wenn er die Bestellung einer Bibliothek erzwang oder zaghafte Klienten
zum richtigen Anwalt schickte?

Es sollte mehr solche Männer geben!



        Werke von Ludwig Thoma


      Der Wittiber

    Ein Bauernroman. Illustriert von #Ignatius Taschner#
    15. Tausend. Geheftet 4 Mark, gebunden 7 Mark


      Andreas Vöst

    Bauernroman
    27. Tausend. Geheftet 4 Mark, gebunden 7 Mark


      Altaich

    Eine heitere Sommergeschichte
    50. Tausend, Geheftet 6 Mark, gebunden 9 Mark


      Lausbubengeschichten

    Aus meiner Jugendzeit
    80. Tausend. Geheftet 4 Mark, gebunden 7 Mark


      Tante Frieda

    Neue Lausbubengeschichten. Illustriert von #Olaf Gulbransson#
    48. Tausend. Geheftet 4 Mark, gebunden 7 Mark


      Kleinstadtgeschichten

    50. Tausend. Geheftet 4 Mark, gebunden 7 Mark


      Briefwechsel eines bayrischen Landtagsabgeordneten

    Illustriert von #Eduard Thöny#
    50. Tausend. Geheftet 2.50 Mark, gebunden 4.50 Mark


      Jozef Filsers Briefwexel 2. Buch

    Illustriert von #Eduard Thöny#
    25. Tausend. Geheftet 2.50 Mark, gebunden 4.50 Mark


      Hochzeit

    Eine Bauerngeschichte. Buchschmuck von #B. Paul#
    19. Tausend. Geheftet 3 Mark, gebunden 6 Mark


      Agricola

    Bauerngeschichten. Illustriert von #Hölzel# und #Paul#
    17. Tausend. Geheftet 5 Mark, gebunden 8 Mark


      Der heilige Hies

    Eine Bauerngeschichte. Illustriert von #Ignatius Taschner#
    10. Tausend. Gebunden 6 Mark


      Das Kälbchen

    Novellen
    30. Tausend. Geheftet 4 Mark, gebunden 7 Mark


      Assessor Karlchen

    Humoresken
    50. Tausend. Gebunden 1.50 Mark


      Das Aquarium

    Humoresken
    20. Tausend. Gebunden 1.50 Mark


      »Peter Schlemihl«

    Gedichte
    5. Tausend. Geheftet 3 Mark, gebunden 5.50 Mark


      Die Sippe

    Ein Schauspiel in drei Aufzügen
    3. Tausend. Geheftet 2.50 Mark, gebunden 4.50 Mark


      Magdalena

    Ein Volksstück in drei Aufzügen
    7. Tausend. Geheftet 2.50 Mark, gebunden 4.50 Mark


      Moral

    Komödie in drei Akten
    15. Tausend. Geheftet 2.50 Mark, gebunden 4.50 Mark


      Die Medaille

    Komödie in einem Akt
    13. Tausend. Geheftet 2 Mark, gebunden 4 Mark


      Die Lokalbahn

    Komödie in drei Akten
    10. Tausend. Geheftet 2.50 Mark, gebunden 4.50 Mark


      Erster Klasse

    Bauernschwank in einem Akt
    14. Tausend. Geheftet 2 Mark, gebunden 4 Mark


      Lottchens Geburtstag

    Lustspiel in einem Akt
    7. Tausend. Geheftet 1.50 Mark, gebunden 3 Mark


      Das Säuglingsheim

    Burleske in einem Akt
    5. Tausend. Geheftet 1.50 Mark, gebunden 3 Mark


      Der erste August -- Christnacht 1914

    Zwei Einakter
    10. Tausend. Geheftet 1 Mark, gebunden 1.50 Mark


      Brautschau

    drei Einakter
    5. Tausend. Geheftet 3 Mark, gebunden 5 Mark


      Waldfrieden

    Lustspiel in einem Akt
    3. Tausend. Geheftet 1.50 Mark, gebunden 3 Mark


      Gelähmte Schwingen

    Lustspiel in einem Akt
    3. Tausend. Geheftet 1 Mark, gebunden 2 Mark


      Heilige Nacht

    Weihnachtslegende. Illustriert von #Wilhelm Schulz#
    Gebunden 6 Mark


    Albert Langen / Verlag / München


    Druck von Hesse & Becker in Leipzig
    Einbände von E. A. Enders, Großbuchbinderei, Leipzig



    Anmerkungen zur Transkription


    Rechtschreibung und Zeichensetzung wurden übernommen, auch wenn
    verschiedene Schreibweisen des gleichen Wortes nebeneinander
    verwendet wurden. Nur offensichtliche Druckfehler wurden
    berichtigt.

    Im Original gesperrt gesetzter Text wurde mit # markiert. Im Original
    fett gesetzter Text wurde mit = markiert. Text, der im Original nicht
    in Fraktur, sondern in Antiqua gesetzt war, wurde mit _ markiert.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Nachbarsleute" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home