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Title: Das Weiberdorf
Author: Viebig, Clara
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Das Weiberdorf" ***


                    Das Weiberdorf


Einundzwanzigste Auflage



        Von =C. Viebig= sind folgende Werke im Verlage von
        #Egon Fleischel & Co. / Berlin W# / erschienen:

        =Romane=: Rheinlandstöchter / Dilettanten des
        Lebens / Es lebe die Kunst / Das tägliche Brot
        / Das Weiberdorf / Die Wacht am Rhein / Vom
        Müller-Hannes / Das schlafende Heer / Einer Mutter
        Sohn / =Novellen=: Kinder der Eifel / Vor Tau und
        Tag / Die Rosenkranzjungfer / Naturgewalten /
        =Theater=: Barbara Holzer. Schauspiel / Pharisäer.
        Komödie / Der Kampf um den Mann. Dramenzyklus.



                     Das Weiberdorf

                  Roman aus der Eifel

                          von

                       C. Viebig

               Mit Umschlagzeichnung von

                Professor Max Liebermann

                  Egon Fleischel & Co.
                         Berlin
                          1907



                      Alle Rechte
                      vorbehalten



                    I.


Trapp, trapp -- hart klingen die Schritte auf der steinigen Landstraße.
Männer, ein ganzer Trupp! Und nun noch ein Trupp und etwas weiter
zurück kommt noch ein dritter. Männer mit Schweiß auf den Stirnen, mit
Staub auf den Stiefeln, mit der ganzen Glut des frühen Sommers und
des hastigen Wanderns auf den geröteten Gesichtern. Jeder trägt sein
Bündel am Stecken über der Schulter, paarweise schleppen sie auch ein
Köfferchen; alle haben sie die Taschen der städtischen Sonntagsröcke
vollgestopft zum Platzen.

Nun halten sie an auf der Höhe von Schwarzenborn und verschnaufen.

Da unten liegt das Salmthal, schmal und grün und lieblich. Die klare
Salm schlängelt sich als Silberband; dort, an der letzten Krümmung,
ragen die Ruinen von Kloster Himmerod, schon verschleiert vom
Abendduft, und da, dicht zu Füßen, scheinbar mit einem Steinwurf zu
erreichen, Eifelschmitt! Daheim, daheim!

Ein froher Schein glitt über die heißen Gesichter, ein tiefer Atemzug
hob jedem der Wanderer die Brust unter dem zerknüllten Hemd. Da wurden
rasch die Hüte vom Kopf gerissen und geschwenkt. »Hurrah! Helao!
Derhäm!«

Der jüngsten einer, der schlanke Kerl mit dem Feldblumensträußchen am
Strohhut, fing ein Lied an; er schmetterte aus Leibeskräften, sein
starker, etwas kratziger Tenor zitterte in mächtigen Schallwellen
über die Bergrücken. Unten im Thal erwachte ein Echo. Das machte ihm
Vergnügen; er hielt den einen Ton an, gleich stark, endlos, die Bänder
am Halse schwollen ihm, sein Gesicht wurde blaurot, die Augen quollen
ihm vor -- immer noch!

Die anderen bewunderten ihn: »Dän kann et!«

Immer noch -- da knacks, der Ton brach ab! In gekränkter Eitelkeit
versuchte der Bursche noch einmal, aber die Stimme gehorchte nicht mehr.

»En Krümmel in der Tröt, saon se lao unnen zu Cöllen. Haha, en Krümmel
in der Tröt.« Die Männer lachten.

Der Sänger wurde zornesrot und räusperte sich gewaltsam.

»Looß sin,« sagte begütigend einer der älteren und klatschte ihn
freundschaftlich auf die Schulter. »Hal dei Maul, Jong! Sei net e su
bubsterzig[1], de Stimm kann mer net kommandieren, se es ken Maschien
on ken Framensch.« Und dann augenzwinkernd. »Wat maanste, Lorenz, ob
Lenzen Bäbb heit awend besser pariert?«

»Dat Bäbbchen?!« Lorenz zeigte, schnell getröstet, die tadellosen
Zahnreihen. »Et gitt gäckig vor Freid. Se maanen all, mir kommen erscht
morjen.« Er patschte sich auf die Lenden. »Helao, dat gitt ebbes! Seit
Weihnachten en halw Jaohr ohne Schatz gesäß! Dat es net pläsierlich.«

»Nä, nä, dat es et aach net!« Eine gewisse Rührung bemächtigte sich
ihrer sämtlich; ein jeder dachte an die, die an seiner Brust liegen
würde. Die Ehemänner dachten an ihre Frauen, die Ledigen an die
Mädchen, die sie beim letzten Besuch zu Weihnachten am heißesten
geküßt, heiß geküßt im kalten Schnee. Und jetzt war Sommer -- die
hatten lange fasten müssen!

»Dat gitt en Freid!« Man warf sich in die Brust, man brachte ja das
Glück. Schnell noch einen Blick hinunter in's dämmernde Thal. Da
warteten die Hütten im milden Abendlicht, leichter Rauch kräuselte sich
vom heimischen Herd. Da träumten die Wiesen, und die Büsche am Waldsaum
lockten mit verschwiegenem Dunkel.

Es schwebte etwas herauf, es kam mit dem Wind und flüsterte im
Gras; die Luft koste leise und weich, Nebelstreifen wie winkende
Brautschleier stiegen aus dem Grund am Bach, Bäume streckten
verlangende Arme aus. Jetzt -- hier -- da -- dort glomm ein Lichtchen
auf! Blasse Sterne, sehnsüchtige Augen in einsamer Kammer.

Niemand mehr auf den abschüssigen Äckerchen. Alles still, wie begraben.

»Häh! Halloah! Gieht noch net schlaofen, eweil sein mir elao! Halloah
-- -- -- oa -- -- oah -- --!« Einer da oben hielt die hohlen Hände vor
den Mund und tutete hinein, dann warf er lustig sein Bündel in die Höh.
»Lorenz, Josef, Mathesen, Hanni! Wän es dän erschten unnen? Hopp! Bonz
unnen, Bonz owen[2], voran gemaach!«

Wie Pfeile schossen die Burschen bergunter, sie verschmähten die
vielfach gewundene Fahrstraße, auf steilen Richtwegen schnitten sie die
Serpentinen ab; polternd, prasselnd stürzte ihnen loses Geröll nach.
Auch die gesetzteren Männer eilten sich, eine plötzliche Ungeduld hatte
sie alle ergriffen, das Blut floß nicht mehr träge in den Adern, es
kreiste unruhig und stieg ihnen zu Kopf.

Heller und heller flimmerten unten die Lichtchen, sie warfen einen
trauten Schein aus den engen Kammerfenstern. Voran, voran! Süße
Vogelstimmen piepten im Nest. Voran, quer durch's Brombeergestrüpp!
Da saß schon eine weiße Hauskatze auf der Lauer, sie sprang nicht
fort, sondern stieß den sammetweichen Kopf schnurrend gegen die sie
streichelnden Hände. Aber weiter -- die warteten!

Der Berghang wimmelte von dunklen kletternden Gestalten. Nun kam der
letzte Absatz, man rutschte, man glitt, man sprang -- nun lag das
Dorf ganz nah, melodisch tönte das »Muh« einer Kuh, ein sehnsüchtig
langgezogener Liebesschrei.

Noch atemlos, begann Lorenz zu schmettern, da war keiner, der nicht mit
einstimmte:

    »Kommen wir in dieser Nacht,
    Fein Liebchen, fein!
    Seid ihr tot oder lebt ihr noch,
    Fein Liebchen, fein?« -- -- --

Da war schon das erste Haus.

    »Will das Mädchen net obstohn,
    Fein Liebchen, fein!
    So wollen wir's in die Blotz drohn[3]
    Fein Liebchen, fein!« -- -- --

Immer lauter wurde der Gesang, er schwoll an und wuchs und drängte:

    »Will das Mädchen sich net tummeln,
    Wollen wir die Thür auftrummeln« -- -- --

Horch! Ein heller Schrei: »Jesses, die Mannsleit!«

Die Thür des ersten Hauses war aufgeflogen, ein Weib in Unterrock und
halb geöffneter Taille stürzte heraus, mit einem Satz stand sie mitten
unter den Männern, wild sah sie sich um -- wieder ein Aufkreischen --
da, sie stürzte dem einen an den Hals.

»Jesses, Hubert, lao biste! Komm erein, Mahn, komm erein. Ech haon uf
dech gelauert! Dag on Naacht, onsen Hährgott waaß et. Gelowt sei de
Jongfra Maria!« Sie bekreuzte sich und ihn. »Könner, Könner« -- schon
sprang sie wieder zur Thür -- »Könner, dän Vadder es elao!« Sie zog
ihren Mann hinter sich drein, kaum daß sie ihm Zeit ließ, den Kameraden
zuzunicken; sie hielt ihn so fest am Ärmel, als fürchte sie, ihn
gleich wieder zu verlieren. Die Frau mit dem schon faltigen Gesicht,
mit dem schlaffen Busen und den Zahnlücken, zeigte die Glut einer
Zwanzigjährigen.

»Se sein hei, se sein hei!« Nur dieser eine Ruf, und alle Häuser waren
plötzlich belebt, alle Fenster hell, alle Thüren geöffnet. Kinder,
in Hemden und barfüßig, wie sie aus dem Bett gesprungen, standen auf
der Schwelle; Frauen und Mädchen eilten auf die Gasse. Der weiche
Sommernachtwind spielte mit ihrem halbgelösten Haar und den hastig
übergeworfenen Kleidern. Laternen tauchten auf vor den Ställen, in den
Höfen, im Wirtshaus wurden alle Lampen angezündet; Peter Krumscheid
stieg eilig in den Keller und stach ein Faß an. Die Straße wimmelte
von Menschen, wie mit Zauberschlag waren sie alle erschienen, alle
umringten die Ankömmlinge. Das war ein Gesumm, ein Lachen, ein
Geschrei. »Se sein hei, se sein hei!«

Lorenz Schneider stand an der Ecke am Prellstein. Hier ging's hinein
in ein dunkles Gäßchen, erst zwischen Stallwänden, dann zwischen
Hecken -- nichts rührte sich darin, -- und da war die Straße, hell vom
Lichtschein, der aus den geöffneten Fenstern und Thüren fiel. Alle,
die er kannte, standen da umher, aufgeregt, lachend und schwatzend;
die Weiber hatten die Männer untergefaßt, die Mädchen begrüßten ihre
Schätze.

Immer wieder suchten seine Blicke; enttäuscht fing er leise an zu
fluchen: Dunnerkiel, wo war das Bäbb? Schlief sie schon so fest, daß
sie den Lärm nicht hörte? War sie ihm untreu geworden? Da mußte er
doch lachen, war denn hier wohl ein Mannsbild gewesen, um das sich's
verlohnte, ihn zu vergessen?! Er ärgerte sich; warum kam sie nicht? Ob
er nach ihr fragte?

Vor dem Wirtshaus hatten sich die ganz jungen Mädchen, die heurigen
Hasen, in einer Reihe aufgepflanzt; neugierig und ein wenig neidisch
guckten sie zu, wie die älteren Schwestern und Bekanntinnen mit ihren
Burschen abzogen. Die Augen funkelten ihnen im Kopf, sie brachten die
Mäuler nicht zusammen. Sie stießen sich mit den Ellenbogen an und
kicherten, als Lorenz nach ihnen hinsah.

Den Schnurrbart aufdrehend, trat er zu ihnen. Das Gekicher wurde
stärker. -- »'n Aowend, dir Mädercher!«

»Boschur, Lorenz,« sagte keck die erste.

»Tina?« fragte er erstaunt. Zu Weihnachten war sie noch halbwüchsig
gewesen, und jetzt trug sie einen langen Rock und sah ihn an mit
dreisten, unbewußt begehrlichen Augen. »Es dat Bäbbche net mieh hei,
Tina?« fragte er hastig. »Lenzen Bäbb?«

Tina zeigte lachend ihre weißen Zähne. »Ech waaß net!« Mutwillig
blinzelte sie den Gefährtinnen zu, er fühlte seine Hand ergriffen,
kräftig geschüttelt und dann festgehalten. In einem Augenblick hatten
ihn die Mädchen umringt; er stand mit Tina in der Mitte, die anderen
hopsten im Kreis, ausgelassen wie junge Böcklein, um ihn und die Dirne
herum.

»Dommhaaten! Laoß los!« Unwirsch suchte er sich frei zu machen.

»Autsch, autsch!« Tina schlenkerte ihre Finger, gleich darauf packte
sie ihn auf's neue; wie ein Wall stemmten sich die Mädchenleiber ihm
entgegen.

»Schneidersch Lorenz, kucktelhei, Schneidersch Lorenz! Haha, hahahaha!«
Sie lachten wie die Tollen; dem Burschen schwirbelte es vor Augen
und Ohren, er wurde hin- und hergerissen, von einer gegen die andere
gepufft, Tina hing sich an ihn, er wurde sie nicht los, nirgendwo
konnte er den Kreis durchbrechen.

»Dunnerknippchen, noachehs, wuh es dat Bäbb?« stieß er mit einer
letzten Anstrengung heraus.

    »Bäbb hin, Bäbb här,
    Bäbb, dat es en Zoddelbär -- hahaha --!«

Immer dichter umdrängten sie ihn, immer schallender wurde das Lachen,
immer wilder das Drehen; er fühlte Tinas Hände an seinem Rock, sie
preßte ihm seine beiden Arme fest an den Leib. Jedesmal, wenn sie
aufhüpfte, kitzelten ihn ihre krausen Haare unter der Nase, ihr Gesicht
kam dem seinen ganz nah. Da, ehe sie sich's versah, hatte er die Arme
frei; er schlug sie ihr um die Taille, ein derber Schmatz brannte ihr
auf dem Mund.

Sie schrie hell auf und wandte sich zur Flucht; mit lautem Gekreisch
stoben sämtliche Mädchen davon, er hinterdrein. Hier suchte er noch
eine zu fassen und da eine -- die Röcke flatterten -- jetzt waren sie,
um das Wirtshaus herum, im Dunkel verschwunden.

»Verflixte Rotznaosen,« schimpfte der Bursche, und doch schmunzelte er
dabei. Die Tina war gar nicht garstig, noch schmeckte er ihre frischen
Lippen. Er schnalzte mit der Zunge, sein Durst war erwacht -- wo blieb
die Bäbbi?

Langsam kehrte er zu seinem Prellstein zurück, in verdrossenen
Gedanken blieb er dort stehen. Da -- er schreckte auf, jemand zupfte
ihn von hinten am Ärmel. Am Eingang des Heckengangs stand eine
weibliche Gestalt.

»Bäbbchen?« fragte er zweifelnd. Sie kam ihm so wenig schlank vor,
Lenzen Bäbb war lang nicht so völlig gewesen. »Bäbbi?«

»Heihin!« Schon zerrte sie ihn hinein in das dunkle Gäßchen; es schien
ihr noch nicht dunkel genug, sie schob ihn hinter die Regentonne an
der einen Stallwand. Jetzt schlang sie die Arme um ihn und küßte ihn,
daß ihm der Atem verging. Sie gebärdete sich wie närrisch, lachte und
schluchzte und drückte ihn, ohne ein Wort zu reden; ihre warme Brust
bebte an der seinen, schwer hing sie ihm am Halse. Immer wieder preßten
sich ihre Lippen auf seinen Mund, sie saugten sich förmlich daran fest.

Ein lange nicht gekanntes Wohlgefühl durchrieselte den Burschen -- so
küßt doch nur der Schatz in der Heimat! Sein Blut, durch das eilige
Wandern und hastigen Trunk ohnehin erhitzt, schäumte über; nun war
er es, der sie immer mehr hinein in's Dunkel drängte und gegen die
Stallwand preßte. Er erstickte sie fast.

»Lorenz,« ächzte sie endlich, »laoß!« Ein schmerzlich zitternder
Seufzer folgte.

»Bäbb,« flüsterte er zärtlich, »mei Mädche! Eweil sein ech widder hei,
eweil wolle mer ons verlustieren. Dat gitt en Pläsier! Komm!« Er zog
sie kosend dem Ausgang des Gäßchens zu. »Komm ehs zom Krumscheid, ech
traktieren dech!«

»Jao, jao.« Sie schmiegte sich fester an ihn und drängte ihn doch immer
wieder tiefer hinein in's Dunkel.

»Nä, nä,« flüsterte sie dann hastig und verlegen, »eech kann net ehnder
met der giehn, ech moß der erscht ebbes saon.«

»Wat dann? Waorom kannste net met mer giehn?« Er hielt sie von sich ab,
etwas erstaunt; nun fiel ihm auch sein Verdruß von vorhin ein. »Waorom
haste mech e su lang lauern laossen, dau sakramentsch Dingen? Wollste
mech for en Naor halen? Eweil es et schuns e su spät, ech han Honger on
Dorscht!« Von einem plötzlichen Ärger erfaßt, rüttelte er sie. »Haste
geschlaof?«

»Nä, nä!« Sie drängte sich wieder ganz dicht an ihn. »Ech wollten
der nor vorerscht ebbes saon. Saog« -- wie von einer dringenden
Notwendigkeit getrieben, faßte sie seine Hand -- »wanneh wolle mir
onsen Hillig[4] haalen?«

»Waorom?« fragte er verwundert und beunruhigt zugleich. Und dann nach
einer Pause des Bedenken:

»Zo Christdag; wat fraogste? Wann ech Vormann gänn!«

»Nä, ehnder,« sagte sie rasch und küßte ihn heftig. »E su bal als
miëlich[5]! Ech moß der ebbes saon.« Jetzt flüsterte sie, aber ihr
Flüstern war eindringlich, jedes Wort hob sich deutlich heraus. »Ech
sein im sechsten Monat!«

»Kreizdonnerparaplüi!« Es entfuhr ihm so wider Willen -- das kam zu
plötzlich! Er stieß sie zurück und erhob die Hand wie zum Schlag.
»Maach! Gott verzeih mer de Sünd -- dau Onglöcksmensch!«

Sie fing an zu weinen.

Stumm stand er neben ihr und schob den Hut von einem Ohr auf das andere.

Auf der Straße war der Lärm verstummt, auch die Helle war weg, die
Thüren hatten sich hinter den Glücklichen geschlossen. Kein Mensch mehr
draußen, die meisten saßen im Wirtshaus. Jetzt tönte da der Jubel;
bis in den dunklen Winkel hinter der Regentonne verirrte sich das
Gläserklingen und Juchzen.

Die Sterne waren aufgezogen, immer mehr entfalteten sie ihren Glanz.
Nachttau fiel, man hörte ihn in den Hecken tropfen; dazwischen
klang leises Schluchzen. In dem verschleierten, bleichen und doch
durchdringenden Licht, das vom Himmel niederzitterte, sah Lorenz zum
erstenmal deutlich die entstellte Gestalt seines Mädchens.

Mit einem: »Dunnerkiel!« fuhr er zurück, aber gleich darauf streichelte
er die Weinende.

»Kreisch net, Bäbbchen,« sagte er gutmütig, er war heute nun einmal in
einer so weichen Stimmung. »Kreisch net e su, domm Dingen! Wat passiert
es, es passiert, duh kann niemand neist dran ännern. Sonndag es Peter
on Paul, dän erschten Kirmesdag; onsen gaastlichen Hähr verkünn ons,
ein for allemaol. Hän es su ebbes gewehnt, annere han aach schuns Malör
gehatt. Mir maachen stracks Hochzeid, on dann« -- er kratzte sich
hinter'm Ohr -- »jao, dann es dän Urlauw zu End. Mir Bochumer han zehn
Dag, de annern von Dortmund on Steele han aach net länger. Äwer uf dän
Momang mösse mir redur kommen. Kreisch net, Bäbb!«

Er schlang den Arm um ihre Hüfte; langsam wandelten sie den Heckengang
weiter.

Rechts Gärten, links Gärten. Obstbäume hängen ihre Zweige über dichte
Weißdorn- und Wildrosenhecken; zuweilen wechseln sie ab mit morschen
Bretterzäunen, die sich schief neigen und ihren modernden Holzgeruch
mit dem süßlichen Duft der Gebüsche mischen.

Wie zwei Schatten schleichen die Liebenden unter'm Blätterdach dahin,
von weißlichem Dunst in einer Wolke umschwebt. In dem nahen Wiesengrund
erheben die Frösche ein leidenschaftliches Liebeskonzert; jetzt
verstummen die auch. Nichts regt sich, nichts lebt scheinbar rundum,
und doch ist ein stummberedtes Fordern in der Frühsommernacht, eine
warme treibende Sehnsucht.

Stärker und stärker fällt Tau, silbrig glänzt er auf den Gräsern und
auf den gesenkten Scheiteln. Wie ein feuchtes Tuch legt es sich um
die heißen Gesichter, um die heißen Glieder; schauernd schmiegen sich
beide Gestalten fest aneinander. Sie stehen still und küssen sich, im
schmachtenden Sternenlicht scheinbar in Eins verschmolzen.



                    II.


Die Männer von Eifelschmitt hatten nie viel Zeit; rasch wurde geliebt,
rasch wurde gefreit. Zweimal im Jahr -- im Winter zu Weihnachten, im
Sommer zu Peter und Paul -- kamen sie heim in's enge Salmthal. Sie
konnten da nicht ihren Lebensunterhalt verdienen; der Erwerb ist knapp
in der Eifel, karg hängen die Äckerchen an den Bergen, lang sind die
Winter, kurz die Sommer.

Es war kurz nach dem deutsch-französischen Kriege. Das Aufblühen der
rheinischen Eisenindustrie machte das Heranziehen vieler Arbeitskräfte
notwendig.

So hatte ein Agent irgend einen Eifelschmitter hinausgelockt, der kam
zu Besuch heim, Geld in der Tasche; nun zogen die anderen hinter ihm
drein, wie die Schafe hinter'm Leithammel. Vater, Sohn, Gatte, Bruder,
alles wanderte aus nach Westfalen und tief in's Rheinland, wo auf der
meilenweiten Ebene düstre Fabrikstädte sich zusammendrängen und mit
ihrem nie stockenden schwarzen Atem aus Riesenschornsteinen den Himmel
anfauchen. Die Luft ist dick vom Kohlenstaub, die reinen Wolken selbst
sind angegraut; ewiger Rauch, Geprassel, Gerassel, Gekeuch, Geächz,
Gestampf, Sausen von Rädern, Schnauben von Maschinen, Pfeifen von
Lokomobilen, Pusten und Stöhnen von Dampfkesseln. Kein Rasten, kein
Ruhen. Zur Nachtzeit bricht lodernde Glut aus Riesenbauten, an den Öfen
stehen Männer, nackt bis zum Gürtel, heiß und berußt wie Teufel, die
Höllenfeuer schüren. Schweißtropfen rinnen, Funken sprühen.

Hier konnte man die Eifelsöhne finden: umglüht von Flammen, eingeengt
von Mauern, sehnsüchtig des Heimathimmels gedenkend, der sich rein und
kühl über den Eifelkuppen wölbt; unter dem die wohnen, die ihnen das
Leben gegeben; die auf sie warten, denen sie die Ehe versprochen, oder
die sie schon gefreit haben; wo die Kinder nach den Vätern verlangen.

Aber dann die Heimkehr! Durchjubelte Tage, durchjubelte Nächte. -- --

Heute saßen sie alle bei einander im Wirtshaus. Der alte Krumscheid
mit seinem vertrockneten Holzgesicht kommandierte hinter'm Schenktisch.
Ein ganzes Regiment Weiber war zur Bedienung gedungen; mit lachenden
Gesichtern, flink wie Wiesel, liefen die Dirnen ab und zu. Bald wurde
die von ihrem Schatz gerufen, bald jene; dann setzte sie sich für zwei
Augenblicke neben ihn, wohl auch auf seinen Schoß, trank aus seinem
Glas und ließ sich die glühenden Wangen streicheln.

Die schmalen Holzbänke längs der gescheuerten Tische waren dicht
besetzt. Mann reihte sich an Mann. Nur wenige Frauen waren da, die
kamen erst gegen abend, wenn das Tanzen losging und die Musik; wenn das
Vergnügen so groß wurde, daß der Boden dröhnte vom Stampfen der Füße,
Bänke umpolterten, Gläser in Scherben klirrten.

Auf dem Platz vor der Kirche, um die paar Buden, darin Halsketten,
Fingerringe, Rosenkränze, Lebkuchenherzen und Gerstenzuckerstangen
feilgeboten wurden, trieben sich Kinder herum, große Stücke
Kirmeskuchen in den Händen, die mit Blaubeerenmus beschmierten
Mäuler begehrlich gespitzt. Es hockten auch ihrer welche auf der
Kirchentreppe, bliesen in die neuen Trompeten oder zeigten einander die
vom 'Pappa' mitgebrachten Puppen.

Noch war die Straße feiertäglich still. Hinter den kleinen Fenstern
putzten sich die Weiber; das vom vormittäglichen Kirchgang her über's
Bett gespreizte Sonntagsgewand wurde einer eingehenden Musterung
unterzogen. Wer noch ein besseres Kleid hatte, zog's heute nachmittag
an; glücklich die, die was Neues anthun konnte, das der Mann oder der
Schatz mitgebracht. Die Haare glänzten vom Strählen mit Wasser und
Fett, die Röcke rauschten, die Gesichter waren blankgerieben, die Ohren
rot.

Die Sonne fiel schon schräg in's Thal und malte huschende, rasch
verschwindende Goldkringel an die weißgetünchten Hauswände.

Die sich bauschenden Röcke sorgsam gerafft, spazierten jetzt Mädchen am
Wirtshaus vorbei, immer hin und her. Kinder balgten sich um den besten
Platz vor den Fenstern, schleppten Steine herzu und Schemel, krochen
hinauf und drückten die Nasen an den Scheiben platt.

Drinnen in der Schenkstube, die zugleich den Kramladen des Orts
vorstellte, war die Luft dick, durchwürzt vom Duft eines ganz infamen
Knasters. An den geschlossenen Fensterscheiben krochen summende Fliegen
und drehten sich oben an der Decke in surrendem Spiel.

Man war noch ziemlich schweigsam, der erste Kirmestag verlief immer am
wenigsten stürmisch. Doch jetzt -- lautes Halloh!

»Hä, Pittchen! Helao, Pittchen. Uf dein Spezielles, Prost!«

Peter Miffert war eingetreten; das linke Bein etwas nachziehend,
näherte er sich langsam dem ersten Tisch. Nicht jeder reichte ihm die
Hand; er schien das garnicht zu bemerken, er hatte für alle das gleiche
halb gutmütige, halb verschmitzte Lachen. Als sie zusammen rückten,
ließ er sich auf dem schmalen Plätzchen am Ende der Bank nieder. Er
sagte nicht: »Röckt noch ebbes« -- er sagte: »Met Verlöw« und placierte
seine Beine so bequem als möglich unter dem Tisch.

»No, Pittchen,« rief Niklas Densborn, einer der älteren, der obenan
saß, »wat schaffste? Dau giefst jao fett wie en Hammel! Dat glauwen ech
der, dau has jao aach en Läwen wie onsen Hährgott in Frankreich!«

»Spaor dei Red,« schrie Thomas Laufeld, ein stämmiger Bursche mit
einer Stupsnase. »Dän kann dat Läwen jao bal net mieh mantenören[6]!
Kucktelhei dat Pittchen!« Er brüllte, um sich in dem allgemeinen
Gelächter verständlich zu machen, packte den neben ihm sitzenden
Miffert bei'm Handgelenk, streifte ihm den Ärmel zurück und hielt
gewaltsam den mageren Arm in die Höhe. »Kucktelhei, Haut on Knochen, ke
halw Pündche Fleisch!«

Peter strebte, sich frei zu machen, aber ohne Gewalt, ganz sanft; sein
hübsches Gesicht lächelte noch immer. »Laoß de Dommhaaten,« sagte er
gelassen.

Laufeld brüllte weiter, er schien einen besonderen Ingrimm zu hegen.

»Dau thätst aach besser, dau gingst met ons uf Arweit. Wat hockste
hei bei de Fraleider?! Kuck« -- er hielt seinen fleischigen Arm neben
den dürren des Peter und schlug sich auf die herausgedrückte Brust,
daß es klatschte -- »dat es en Kerl! Dat micht de Arweit, on wann mer
net alleweil de Menscher am Schörzenzippel hängt! Dau deierlicher[7]
Schmachtlappes, dürr wie en Axstill, dein Fra haot dech wohl« --

»Mein Fra aus em Spill,« sagte Miffert plötzlich und machte eine kurze
Bewegung, als ob er eine Fliege wegscheuche -- da lag auch schon der
Laufeld unter der Bank, wie niedergeschmettert.

Man half dem Gestürzten auf; ganz verdutzt stand er da und klopfte den
Staub von seinen Hosen. Die anderen lachten, einige schimpften.

»Dürr wie en Axstill, äwer Kraft wie en Ochs,« brummte anerkennend
Niklas Densborn; und dann sich zu Miffert wendend, der dasaß, als ginge
ihn all das nichts an, sagte er vorwurfsvoll: »Et es en Schand, Peter,
dat dau net erunner maachst in die Fabrik; dau has Schlosser gelernt,
dat kömmt der lao zo paß. On guden Verdienst gitt et lao unnen; bei
owen kannste Hongerpoten kötschen!«[8]

Miffert zog das Maul schief; er sah unbeschreiblich faul aus in der
nachlässigen Haltung, mit der etwas hängenden Lippe und dem schläfrigen
Blick unter schweren Lidern. Er sprach auch schläfrig, kaum daß er die
Zähne von einander brachte:

»Dir wollt mech wohl pisacken?! Hei« -- er wies auf sein lahmes Bein
-- »dat es mer zu schanierlich, ech kann net e su trawalljen[9] wie en
annern.« Seine Stimme wurde kläglich: »Ech haon dat Wieh im Enkel; ech
haon et met uf de Welt gebraach, lao es neist bei zo maachen!«

»Ojeh, Alfanzerei,« schrie Mathesen Martin und schlug auf den Tisch,
daß die Gläser sprangen, »wat micht dän for Fisematenten! Wieh im Enkel
-- haha, wän dat zweifelt![10] Laoß de Comedi, faules Luder! Schlaofen
on erum lungern on de Weibsbiller karessieren, dat es sein Gu!«[11]

Miffert verzog keine Miene, er hatte die Ellenbogen aufgestützt und
guckte in sein Glas.

»Hän es faul, faul, dat et stinkt!«

»Jao, jao,« stimmte der vorhin zu Boden geworfne Laufeld eifrig bei.
»Faul wie de Sünd! Sitzt im Dreck on röhrt sech net!«

»Ehnder gänn Brameln[12] Weinbeeren, als dat Pittchen arweiten duht,«
schrie irgend einer.

Die ganze Gesellschaft stimmte zu: »Jao, Brameln gänn ehnder
Weinbeeren, hahahaha!«

Peter Miffert lachte selbst mit, ein lautloses Lachen, das ihn aber
inwendig ordentlich stieß; er kniff die Augen zusammen und schüttelte
sich.

»Waorom sollen ech mech e su afrackern,« sagte er dann gutmütig, »dat
Läwen es korz, mir haon nor einmaol Pläsir dervon. Wat de gaastlichen
Hähren aach saon, wat mer haot, haot mer. Uf dat, wat mer versproch
krieht« -- er lachte verschmitzt und stieß einen leisen Pfiff aus --
»dat gilt en Dreck!«

Die Männer sahen ihn verdutzt an. Er ließ seinen schläfrigen Blick, in
dem es zu funkeln begann, reihum gehen.

»Wer waaß, wie bal hän verspillt haot! Ech muß en Dauer met eich haon,
ihr Leit, dat dir eich e su schindt. Awer jeden naoch senem Ehs!«[13]
Er zuckte die Achseln.

Sie nickten betroffen. »Recht haot hän!« Auf viele Gesichter lagerte
sich ein plötzlicher Ernst; da waren Falten eingegraben, Furchen, wie
im aufgewühlten Acker, die man vorher nicht gesehn.

»Mer moß sech schinnen, on wat haot mer dervon?« murmelte der Densborn
und ließ die Faust schwer niederfallen.

Eine Weile schwiegen sie alle, dann sagte der Densborn mit einem
Seufzer: »Äwer et es doch emaol net anners. Hal dei dreckig Maul,«
schrie er plötzlich Pittchen an, »dau schandlusen Kerl.«

Dieser musterte mit pfiffigem Lächeln die stumpfen Gesichter. »Mer moß
wissen, wän mer dreiwt, wann mer en Esel vor sech haot!« sagte er.

Sie verstanden ihn nicht -- was wollte er damit sagen? Sie sahen nur
sein spöttisches Lächeln, und das genügte. Die Köpfe wurden rot, eine
gewisse Unruhe fuhr in die Beine, Fäuste ballten sich heimlich.

Ein paar von den jungen legten sich herausfordernd über den Tisch.
»Wat? Wat? Esel --?! Esel haot hän gesaot! Wän es dän Esel? Hä, saog
dat noch ehs!«

Ein Murren ging von einem Ende der Stube zum andern. »Esel, Esel!«
Die Füße scharrten ungeduldig, die Augen funkelten, das Murren wurde
grollender. Die schönste Prügelei schien in Aussicht.

Martin Mathes hielt schon drohend dem Miffert die Faust unter die Nase:
»Maach!«

Pittchen duckte sich wie eine Katze. Aus seinen tiefliegenden Augen
schoß ein versteckter Strahl, aber seine Stimme klang geschmeidig: »Wat
willste? Wat haon ech dann gedahn?«

»Esel -- Esel! Mir wollen dech liehren, Esel saon! Dau Hongerlieder.
Saog noch ehs: Esel! Mir schlaon der alle Rippen im Leif dorch, dattste
ke Glied mieh röhre kanns!«

»Jesses, seid dir gäckig?!« Peter that sehr verwundert. »Esel -- Esel
-- wän haot ebbes von Esel gesaot?!« Er drehte den Kopf hin und her,
als ob er jemanden suche. »Su ebbes von Ausverschämtheit. Wän kann sech
onnerstiehn, ebbes von 'Esel' zo saon?!«

Er war ganz Empörung, Erstaunen und beleidigtes Ehrgefühl. Sein Gesicht
trug den Ausdruck ruhiger Unschuld und harmlosester Verwunderung; mit
offenem Lächeln sah er einen nach dem andren an und hob dann sein Glas.
»Zogott,[14] dir sollt läwen! Ech duhen der Bescheid, Nikla! Mathes!
Thom! Zogott!«

Zögernd stießen sie mit ihm an; sie waren ganz unsicher geworden.

Peter seufzte und stützte den Kopf schwer in die Hand. »Jao, et es en
dreckig Welt, ech haon et bal saat! Dir haot et noch gud, äwer ech arm
Luder!« Er gähnte. »Ech kriehn neist von der Welt zo siehn. Mer hockt
alleweil hei in der buckeligen Gäjend, on de Weibsbiller sein mer bis«
-- er fuhr mit dem Handrücken unter'm Kinn her -- »bis heihin!«

Das hätte er nicht sagen sollen, mißtrauische Blicke trafen ihn; da
war besonders der Mathesen Martin, der schien ihn auf dem Strich zu
haben. Man munkelte im Dorf, dem Mathesen sein Zweiter sei dem Pittchen
wie aus den Augen geschnitten.

»Dau Faxenmaacher,« schrie Martin. »Glauwt net, wat hän babbelt! Dän de
Fraleider saat --?!« Er lachte zornig. »Dau Filu!« Er sprang auf und
ging drohend auf Miffert zu. »Hinner jeder Diehr sticht hän, an jeder
Schörz hängt hän! Waart, ech will dech Conduiten liehren!« Rot vor Wut
wollte er sich auf Peter stürzen, dieser blieb gelassen sitzen.

»Gemaach, gemaach, Martin,« mischte sich der Densborn ein, »laoß hän!
Mir wollen ke Streit anfänken, heit am erschten Kirmesdag. Wat willste
maachen? Wat geschehn es, es geschehn. Framenscher sein Framenscher. On
Dag on Naacht allein! Mer moß en Dauer met ihnen haon. Dän elao« -- er
wies auf den Wirt hinter'm Schenktisch -- »dän on de paor annern alden
Knackstiebel kannste doch net für voll rechnen!«

Der alte Krumscheid hatte trotz seiner Harthörigkeit verstanden;
nun war er beleidigt. Er warf sich in die Brust und pustete die
eingesunknen Backen auf. »Dau Lausbub,« schrie er herüber, »kömmst hei
erin geschneit on willst ebbes saon? Dattste net de Blaatz kriehst
vor Eingebildhaat! Lao sein Mädercher genog, de nach mer kucken. Gäl,
Nettche?!« Er kniff eine der Kellnerinnen in die Backe.

»Laoßt!« Das Mädchen schlug ihn derb auf die Finger. »Ech haon eweil
ebbes Schieneres zo siehn, wie su en Stück Dörrflaasch!«

Brüllendes Gelächter dröhnte durch die Stube.

Miffert lachte nicht mit; er schlich vom Tisch weg, um sich unbemerkt
zu entfernen. Er war schon an der Thür, da sprang ihm Mathes nach. »Hei
gebliewen,« schrie er und drängte ihn zum Tisch zurück. Peter ließ sich
drängen, er widersetzte sich nicht.

»Kucktelhei,« schrie der andere weiter, dem schon ein Rausch zu Kopf
stieg, »dän Kalmäuser![15] Dat es dän Bock, dän mir zom Gärtner gemaach
haon! Frißt de Blumen in anner Leit's Gaarten! Äwer hol dech in Aacht,
dattste net ausgezaohlt giefs -- dein Fra, dat Zeih, dat haot Aagen im
Koap! Ech dähten er net drauen uf fünnef Schritt. In der Not frißt dän
Deiwel Fliegen; äwer laoß nor en annern kommen! -- Dat Zeih, dat es en
staatsch[16] Luder, en schnipp-schnappig[17] Mensch, dat -- --«

Ein furchtbarer Schlag auf den Mund ließ Mathes jäh verstummen, betäubt
taumelte er zurück.

Mit sprühenden Augen und erhobner Faust stand Miffert; nichts mehr
von schläfriger Trägheit war an ihm, ein lebendiger Mensch stand da,
mit rollendem Blut in den Adern, jede Muskel straff. In grimmiger
Wildheit biß Pittchen die Zähne aufeinander, und dann brüllte er: »Hal
dei Maul!« Seine erhobene Faust sauste nieder. »Dat es für dat 'Luder'
-- on dat« -- wieder hob und senkte sich die Faust -- »dat es für dat
'schnipp-schnappig Mensch' -- on dat -- on dat -- onnerstieh dech noch
ehs!«

Wie der Hammer auf den Ambos, so sauste die Faust nieder -- hierhin,
dorthin -- hei, waren das Schläge! Da mußten Funken sprühn und Eisen in
Stücke gehn.

Kein Mensch hatte sich gerührt, starr vor Überraschung standen sie
alle. Aber jetzt brach's los, mit Geschrei und Fluchen sprang man dem
Mathes zu Hilfe. Pittchen wurde weggerissen; in eine Ecke gedrängt,
wehrte er sich mit Händen und Füßen. Bänke stürzten um, Gläser klirrten
zu Boden -- Schimpfen, Lachen, Drohen, Schreien, Stampfen, Fluchen,
Toben -- da -- die Thür ging auf!

Wie erschrocknes Hühnervolk in die Ackerfurche, wenn aufscheuchende
Schüsse knallen, so fiel es in die Stube ein, mit Rauschen und Rascheln
und Schwirren -- die Weiber! Voran eine, die anderen alle durch ihre
üppige Fülle in Schatten stellend.

»Schkandal?« rief Lucia Miffert fragend.

Entschlossen stieß sie die vordersten bei Seite, stellte sich vor ihren
Mann und deckte ihn mit ihrer kräftigen Gestalt.

»Wat gitt et hei?« rief sie hell. »Ruhig, Pitter! Dao haste ebbes!« Sie
teilte dem ersten, der wieder auf sie eindrang, eine Maulschelle aus,
halb scherzhaft, halb im Ernst; jedenfalls zeichneten sich alle ihre
fünf Finger auf der Wange des Getroffenen ab.

»Dunnerkiel!« Der Mann fuhr zurück und rieb sich das Gesicht.

»Kuckste,« lachte sie heiter, »dat kömmt dervon! Laoßt de Dommhaaten,
heit wolle mir Pläsier haon, ihr Mannsbiller!« Aus ihren schönen runden
Augen sandte sie einen vollen Blick über die ganze Gesellschaft, ihre
weißen Zähne blitzten, ihre Stimme übertönte allen Lärm. »Jesses, die
Mannsleit, e su ebbes! Haha! Haun sech wie de Könner! Hahahaha!«

Sie wollte sich ausschütten vor Lachen; ihre gesteiften Röcke
raschelten, ihr braunrotes Sonntagskleid, das sich knapp über die volle
Brust spannte, krachte in allen Nähten. »Hahahaha!« Wieder das Lachen.
Es klang so lustig, so leichtherzig; es wirkte ansteckend, die Mäuler
zogen sich breit, alle Gesichter grinsten. Die geballten Fäuste thaten
sich auseinander oder versenkten sich in die Hosentaschen.

Frau Lucia ersah ihren Vorteil; wieder sandte sie einen vollen Blick
umher und wiegte sich lachend in den Hüften.

An der Thür standen die anderen Weiber zusammengedrängt, jetzt wagten
auch sie sich heran; jede packte ihren Mann unter dem Arm, die Mädchen
hingen sich an die Burschen. »Danzen! Danzen!«

Wie gerufen tönte in der Ferne Musik.

»Muhsik! De Muhsik!«

Das waren die Musikanten von Manderscheid, fünf Mann hoch kamen sie
eben vom Berg herunter. Sie spielten sich selber zum Einzug was auf.

»De Muhsik kömmt! Helao, de Muhsik!« Die Kinder auf der Straße stießen
ein gellendes Freudengekreisch aus, pfeilgeschwind rannten sie den
Fünfen entgegen, umringten sie und begleiteten sie hüpfend und
jauchzend zur Wirtshausthür.

Unentwegt fiedelnd und blasend, zogen die Musikanten in die
Schenkstube; man ließ ihnen kaum Zeit, einen Trunk zu thun. Mit starken
Armen schleppten die Männer die Tische auf die Straße, die Weiber
rückten die Bänke längs der Wände -- nun war der Tanzsaal fertig. Der
schwenkende Rheinländer hub an, auf dem engen Platz drehten sich an die
dreißig Paare auf einmal.

Das war ein Stoßen, Drängen und Puffen. Jeder wurde auf die Füße
getreten und trat wieder; noch keine halbe Stunde war vergangen, und
die Luft war undurchdringlich von Staub. Man konnte kaum sehen; durch
den Dunst schimmerten die glühenden Gesichter wie rote Flecke. Man
öffnete kein Fenster, nur die Thür stand offen, in dem dunklen Hausflur
tanzten auch noch welche.

Lucia Miffert war eine begehrte Tänzerin; sie tanzte nicht leicht, man
fühlte eine volle Last, aber gerade das war schön, man wußte, was man
hatte, und sie verstärkte das noch, indem sie sich recht fest auf den
Arm ihres Tänzers lehnte. Und dabei war sie nicht stumm wie die andren
Weiber, die sich drehen ließen, immer mit dem gleichen feierlichen
Ausdruck des Gesichts. Sie schwatzte und lachte, ihre lustigen Augen
blitzten nah in die des Tänzers, ihr warmer Atem kitzelte seine Wange;
kein Wunder, daß die Männer sie immer fester und fester drückten.

Von einem Arm wanderte sie in den andren, ihre gesteiften Röcke wurden
schlaff, das dunkle Haar hing ihr verwirrt in's Gesicht. Ihr helles
Lachen übertönte die Musik; wo sich in den Tanzpausen die Männer am
dichtesten zusammenknäulten, da stand sie.

Dem Peter wurde zugetrunken: »Prost, dat Zeih soll läwen!«

Mit verdrossnem Gesicht stand er hinter der Stubenthür und folgte ihr
mit den Augen. Er tanzte nicht mehr; als ein besonders helles Lachen
die Musik überschrillte, hatte er mit einer heftigen Bewegung plötzlich
seine Tänzerin stehen lassen, die er vorher, trotz seines lahmen
Beines, mit viel Gewandtheit geschwenkt.

Die Männer tanzten mit der Cigarre im Mund, über die Schulter der
Tänzerin paffend; durch den undurchdringlichen Qualm bohrte Peter die
Blicke -- wo war sie? Mit wem tanzte sie?

Gerade jetzt schwenkte sie der Bursche, auf dessen Wange sie vorhin
ihre fünf Finger abgedrückt; es schien dem Peter, als schmiege sie sich
besonders fest an den, als flüstre der ihr was Verliebtes in's Ohr.

Mit einem Satz stürzte er sich auf das Paar; rechts, links im Gewühl
Püffe austeilend. Nun hatte er sie erreicht. »Gief Obacht, Zeih,« sagte
er, halb bittend, halb grollend, »danz net e su vill, ons Josefche
schreit sons de ganz Naacht!«

»Laoß hän schreien,« lachte sie und tanzte weiter. Sie hatte seiner
nicht Acht.

Verzweifelt ging er vor's Haus, er konnte das da drinnen nicht mehr mit
ansehen.

Auf dem Prellstein an der Ecke saß ein altes Weib mit einem fest
eingewickelten Kind auf dem Schoß.

»Kömmt se noch net?« kreischte sie Miffert entgegen. »Dat Könd gitt
schuns ganz blao[18] für Schreien!«

Er beugte sich über das quiekende Bündel. Die Augen hatte das
Sechswochen-Kind geschlossen, aber das Mäulchen stand durstig offen,
immer jammerndere Laute drangen daraus hervor.

Finster sah der Vater auf das verquollne Gesichtchen; langsam, in
Gedanken, ging er dann zur Wirtshausthür zurück. Er schickte einen
Knaben hinein. »Saog dem Lucia Miffert, et soll ehs erauskommen.
Äwer saog net, wän naoch er schickt,« schärfte er ihm ein. »Saog: et
pressiert!«

Sie kam, die Wangen heiß gerötet, schnell atmend, mit wogender Brust
und geöffneten Lippen. Neugierig spähte sie aus.

»Dau --?! Wat willste?« fragte sie verwundert ihren Mann.

»Ons Josefche,« sagte er nur vorwurfsvoll und wies mit dem Daumen nach
der Ecke hinüber. Klägliches Schreien kam von dort her.

»Jesses, ons Josefche! Dän hatt ech ganz vergäß! Mein arm Josefche!«
Frau Lucia riß der alten Frau das Bündel vom Schoß, wiegte es tänzelnd
hin und her, setzte sich dann auf den Prellstein, knöpfte ihre Taille
auf und legte das Kind an die volle Brust.

Das hungrige Josefchen war still; sie selbst lehnte den Kopf hintenüber
an die Hauswand. Mit geblähten Nasenflügeln, schwer atmend, die Lider
halb geschlossen, lauschte sie mit verzücktem Lächeln nach der Musik im
Tanzsaal.

Es war noch nicht dunkel genug, Peter sah die weiße Haut schimmern, die
so weich und sammetig war, wie das Fell einer jungen Katze.

Zärtlich murmelte er: »Zeih, danz ehs met mer!«

»Gären, e su gären,« flüsterte sie, schlug die Augen auf und sah ihn
voll an.

»Zeih -- dau Framensch -- ech -- ech sein gäckig naoch der,« stieß
er lauter hervor, zwischen zusammengepreßten Zähnen. »Saog, datste
mech noch liew has -- Zeih, saog et!« Sein mißtrauischer Blick glitt
zwischen ihr und der Wirtshausthür hin und her.

Sie lachte so herzlich, daß das Kind wimmerte. »Ksch -- ksch -- hahaha!«

»Laach net!« Er stampfte mit dem Fuß und sah sie von unten herauf unter
zusammengezogenen Brauen an.

»Jesses Maria, wat michste für en Visasch,« sagte sie heiter.
»Pittchen, ech sein eweil e su fidel! Dau wirst mer doch net dat
Pläsier verfumfeien[19]? Pittchen!« Sie streckte die Hand aus und zog
ihn zu sich heran; ihre Augen baten. »Sei net unkommod, Pittchen, et es
jao nor om en klein Verännerung zo maachen. Ech danzen aach met der.«

»Su komm,« drängte er, »komm!«

Er ließ ihr keine Zeit mehr; lachend schob sie der Alten das Kind in
die Arme, knöpfte ihre Taille zu, schüttelte ihre Röcke und hing sich
an den Arm ihres Mannes.

Es dunkelte jetzt stark. Immer noch eilten Gestalten in's Wirtshaus;
unter den Spätkommenden waren auch Lorenz und seine Verlobte, die heute
zum ersten und letzten Mal Aufgebotenen.

Bäbbi sah verweint, aber doch strahlend aus; der Bursche weniger
strahlend, mit einer gewissen gleichgiltigen Energie gewappnet. Sie
hatten heut einen schweren Stand gehabt, den ganzen Nachmittag hatten
sie bei den alten Schneidersch um die Kammer neben dem Stall gebettelt;
da sollte die junge Frau wohnen, wenn der Mann wieder über alle Berge
war.

Noch schluckte Bäbbi an ihren Thränen, aber stolz erhobnen Hauptes ging
sie an der Hand ihres Lorenz -- wer konnte ihr jetzt etwas nachsagen?!

In der engen Thür stießen sie mit den Mifferts zusammen, etwas unsanft
prallte Pittchen gegen die Braut. Sein Mund verzog sich, er zwinkerte
pfiffig. »Helao, dat Lenzen Bäbb! Ech dachten, et wär en Luftballon!«

Lucia kicherte.

Lorenz schnob ihn wütend an: »Kehr vor deiner Diehr! Duh nor net e su,
als ob dat Zeih alleweil uf 'm Extrastiehlche gesäß hätt. On dau, dau
sollst et doch sälwer wissen, dau Schörzenhänker --«

»Still biste!« Lucia legte ihm die Hand auf den Mund. »Net e su
onmanierlich, mein Jong!« Ihre weichen, wenig verarbeiteten Finger
drückten fest und warm, jedes zornige Wort starb dem jungen Mann auf
den Lippen.

»Neist for ongud,« murmelte er. »Laoß los, Zeih!«

»Ech gradelieren der, Lorenz,« sagte sie freundlich; und dann sich mit
ihrem strahlenden Lächeln zu Bäbbi wendend, schüttelte sie der herzlich
die Hand. »Ech gradelieren der, Bäbb, dau sollst glöcklich gänn!«

»Merci!« Das Mädchen brachte den Mund nicht zusammen, die Gratulation
machte ihr so viel Vergnügen. »Mir maachen kein groß Hochzeid,« sagte
sie dann wichtig, »en Stöcker fünneszehn oder zwanzig; äwer wenn dir
forliew nehme wollt, et soll ons freien!«

»Merci!« Die Miffert knixte zierlich. »Met Verlöw, mir sein gären von
der Pardi!«

Lorenz machte ein böses Gesicht -- hatte der Pitter nicht auch einmal
um sein Mädchen herumgeschnuppert? Die Bäbb hatte es ihm selber
erzählt. Daß ihm das nicht eher eingefallen war! Wie lang war's her?
Traue einer den Frauenzimmern! Er glaubte ein Blickewechseln zwischen
den beiden zu bemerken. Zornig riß er Bäbbi mit sich fort: »Komm doch!«

Auch Peter sagte ungeduldig: »Komm!« Keine war doch wie seine Zeih!
Er hätte mit ihr fort mögen, dahin, wo kein ander Mensch war; keiner
sollte sie sehen, keiner sie lachen hören!

Als er mit ihr tanzte, preßte er sie, daß ihr der Atem verging.

Rund herum wirbelten die Paare. Immer rascher wurden die Tanzweisen,
immer wilder schwenkten die Röcke, stampften die Schuh; die
glattgeflochtenen Zöpfe lösten sich, hie und da hingen einer schon die
losen Haarsträhnen über den Rücken.

Immer fester packten die Männer zu. Die kleine Tina hatte auch einen
Schatz gefunden. Der stupsnasige Laufeld hielt sie in den Pausen auf
dem Schoß und ließ sie aus seinem Glase trinken.

Heute nachmittag erst hatte sich das angebandelt. Tina hatte in ihres
Vaters Garten gestanden und den Hals gereckt, als der Bursche vorüber
kam. Ihre begehrlichen Augen zogen ihn an, er blieb stehen; die Arme
auf den Zaun gestützt, sprach er zu ihr herüber. Sie war im hellen
Staat, Blumen hatte sie vor die Brust gesteckt. Lange hatten sie
miteinander geschwatzt, sie schnippisch, neugierig und verliebt; er im
Ton eines Eroberers.

Nun war sie sein erklärter Schatz. Da konnten noch so viele kommen und
mit einem Kratzfuß bitten: »Leih mer dei Mensch!« -- nur er tanzte mit
ihr. Er war galant und bestellte Wein, Bier und süßen Likör.

Sie trank alles durcheinander; zuletzt wußte sie nicht mehr, was sie
sprach, was sie that, sie saß unbeweglich und starrte mit glasigen
Augen vor sich hin. Da führte er sie hinaus.

Das war kein Tanzen mehr, das war ein Rasen. Kein Takt, kein Schritt,
kein Drehen mehr, nur ein wildes Durcheinanderhopsen. Lenzen Bäbb war
mitten dazwischen. Der Lorenz war schwer betrunken, er wirbelte sie
herum, daß sie gegen alles anstießen, gegen Menschen, Bänke, gegen den
Schenktisch; zuletzt kam er mit ihr zu Fall. Kein Mensch half ihr auf;
man stolperte über sie weg, jeder hatte mit sich zu thun, keiner stand
mehr fest auf den Füßen.

Wer noch gehen konnte, stahl sich mit seinem Schatz zur Thür hinaus.
Ein Paar nach dem andren schlich um die Regentonne an der Stallwand,
hinein in's dunkle Heckengäßchen. -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Und weiterhin die nächtlichen Felder in Tau und ahnungsvoller
Dämmerung. Eine unendliche Reinheit ist in der Luft, eine unendliche
Reinheit am Himmel; die Sterne funkeln in überirdischer Klarheit, ehe
sie erbleichen. Unendliche Reinheit weht über die Berge, unendliche
Reinheit steigt zu Thal. Mit angehaltenem Atem lauscht die Natur und
schauert und bebt vor der unendlichen Reinheit des Morgens.

Horch! Im Dorf der erste Hahnenschrei! Er klingt wie eine Fanfare, wie
ein Trompetenstoß zum Beginn neuer Lust. Der zweite Kirmestag bricht an.



                    III.


Es ist früh am Morgen, die Sonne noch nicht aufgegangen, nur über den
Bergen im Osten rötet sich schwach eine Wolkenschicht. Grau liegt das
Thal; von Frühnebel die Wiesen überwogt, wie von wallendem Wasser. Die
Hähne schreien sich heiser, Hunde schlagen an.

Ganz fern am Horizont blinkt noch ein Stern, ein schwaches Abbild
früheren Glanzes. Drei Uhr.

So früh ist man sonst in Eifelschmitt nicht auf den Beinen. Heut
klappen alle Thüren; Weiber, notdürftig bekleidet mit Hemd und
Unterrock, eilen hinaus in den grauen Morgen zum Brunnen. Feucht geht
es nieder, als hätte es geregnet; die niedrigen Scheiben der Fenster
sind dick angelaufen.

Aus jedem Schornstein kräuselt schon Rauch und steigt mühsam durch die
schwere Luft zum farblosen Himmel.

Mit finster durchfurchten Stirnen stehen die Frauen am Steinherd
und kochen den Kaffee; unter'm hängenden Kessel schwehlt das feuchte
Reisig, der Dampf beißt in die Augen, daß sie weinen. Die Küche ist
kalt, das Herz schwer wie Blei.

Drinnen im Ehebett liegt noch der Mann und wälzt sich in den Federn;
er kann gar nicht herausfinden, der Kopf ist ihm schwer vom letzten
durchzechten Abend. Er stöhnt und flucht.

Wie Gespenster schleichen die Weiber herum, blaß, übernächtig,
hohläugig; die blühendste Wange ist heute bleich, der lachendste Mund
schmerzlich verzogen. Langsam tappen die bei der Kirmes müde getanzten
Füße.

Der letzte Morgen!

Rasch, rasch, die Zeit vergeht! Noch haben sie weit zu wandern, und
die Eisenbahn wartet nicht. Mit vor Hast ungeschickten Händen hilft
die Frau dem Mann in die Kleider; Zärtlichkeiten werden nicht mehr
getauscht, die haben sich erschöpft in den paar Tagen -- und wozu auch?
Er geht jetzt fort in die weite Welt, und sie bleibt sitzen im engen
Thal. So ist's nun mal! Mit der gewöhnlichen Alltagsstumpfheit nimmt
man schon wieder sein Geschick auf sich.

Die kleinsten Kinder nur schlafen noch, die größeren bringen Hut und
Stock und stecken dem 'Pappa' noch ein Brot und ein Stück altbacknen
Kirmeskuchen in's Bündel; sie wagen nicht zu sprechen, der Vater ist
unwirsch, die Mutter haut beim geringsten Lärm zu.

Still, still! Als wäre ein Toter im Haus, so schleichen sie; winselnd
schnuppert der Hund herum und drückt sich dem Herrn an die Füße. --

In der Kammer der jungen Schneiderschen Eheleute brannte noch das
Lämpchen; es war so dunkel hier neben dem Stall, nicht Licht noch Luft
kam durch das schmale Fensterchen.

Bäbbi wankte vom Herd zum Tisch, vom Tisch zum Bett, vom Bett zum
Schrank, immer vergaß sie noch etwas. Nackt und kahl engten die
rotgetünchten Wände die dürftige Kammer ein; wirr glitt ihr Blick
darüber hin, ein Grauen kam sie an, -- und war's gestern nicht noch
hier wie ein Paradies?!

Sie war das rasche Abschiednehmen vom Ehemann noch nicht gewöhnt; vor
zwei Tagen war erst die Hochzeit gewesen. Schluchzend sank sie auf den
Schemel am Tisch: »Wanneh kömmste widder?!«

Lorenz saß ihr gegenüber, die Ellbogen aufgestemmt, und stierte in
seinen dampfenden Kaffeenapf. »Kreisch net, Bäbbi,« sagte er endlich;
aber es würgte ihn selber in der Kehle, seine Stimme war beklommen.

Sie sagten nichts mehr.

Die bunte Wanduhr in der Ecke tickte, der Zeiger rannte rasend schnell
-- schon zeigte er beinah vier. Eine fahle Dämmerung schlich durch den
düstren Raum; Bäbbi pustete in das Lämpchen, daß es stinkend erlosch.

»Eweil giehn ech,« sprach er und stand auf.

»Noch net!« Sie hing sich an ihn, von einer verzweifelten Angst erfaßt.
»Dau has noch Zeid, bleiw« -- krampfhaft packte sie seine Hand --
»bleiw noch ebbes!« Sie schrie laut auf: »Nor ein Minut!«

»Nä!« Er machte sich los. »De anneren waarten!«

»Ech siehn dech gewiß net widder -- Jesses Mari Juseb -- ech graulen,
wann ech stärwen moß!«

»Dommhaaten!« Mit verzognem Mund versuchte er zu lachen. »Haal dech
gesond, on schreiw bal, hörste?! Adjes, Bäbb!« Er setzte sich den Hut
auf und griff nach seinem Bündel, mit dem freien Arm zog er sie an
sich. »Jesses, Bäbbchen, kreisch net e su! Bäbbchen, biste gäckig?!
Bäbbche, mei liew Bäbbche!«

Wütende Küsse brannten auf seinem Mund, glühende Thränen flossen auf
seine Wange, zitternde Arme hielten ihn umklammert. Mit Gewalt machte
er sich endlich los.

Ganz benommen taumelte er zur Thür -- noch ein Blick zurück, noch ein
Kopfnicken -- nun stolperte er über die Schwelle. Nun war er fort.

Sich aufbäumend stand das junge Weib in der Kammer -- da, horch! --
noch einmal seine Stimme! Er nahm Abschied von Vater und Mutter. Jetzt
eilende Tritte -- jetzt nichts mehr!

Mit furchtbarem Schreien warf sie sich vor der Bettstatt auf die Kniee
und verbarg das Gesicht in dem noch warmen Kissen. --

Am Wirtshaus trafen sie sich alle; Lorenz war der letzte. Sie foppten
ihn, daß er sich nicht hatte trennen können. Auch viele Frauen und
Mädchen waren hier, die den Männern das Geleit geben wollten; mit
verstörten Gesichtern und fröstelnd standen sie umher.

Oben, längs der Chaussee, auf der Höhe von Schwarzenborn, stand ein
Busch, wie ein Haarschopf auf kahlem Scheitel; das war die Grenze,
soweit gingen sie immer mit. Da war schon manche Thräne auf den nackten
Felsgrund gefallen, und der einsame Busch hatte wie eine dornige Wand
letzte Umarmungen versteckt.

Niklas Densborn kommandierte zum Abmarsch, es war hohe Zeit. Noch
ein Schluck aus der Branntweinbuttel, die der Krumscheid in die Runde
reichte, und dann: -- »Voran gemaach!«

Seine Frau am Arm ging der Densborn voran. Die Kathrine hatte schon
manches Mal Abschied genommen, die verzog keine Miene. Bald war ihr
ältester Sohn fünfzehn, dann wanderte der auch mit; 's war Zeit, daß
der fortkam.

Trapp -- trapp -- -- --. Hart tönen die Schritte auf dem holprigen
Dorfpflaster. Trapp -- trapp -- das klingt wie Hammerschläge auf einen
Sargdeckel.

Haus nach Haus vorüber; verödet bleiben sie alle zurück. Leer sind die
Gärtchen, thränenschwer nicken die Blumen am Zaun. --

Stumm schreiten sie die Straße gen Schwarzenborn hinan. Alle Gesichter
sind grau, alle Blicke trüb, traurig suchen sie den Himmel -- oben auf
dem Scheitel des Berges ragt der einsame Busch. Eine gelbliche Helle
ist um ihn, die ihn dunkler erscheinen läßt, fast schwarz; scharf hebt
er sich ab vom weiten Hintergrund des Himmels.

Und dieser Hintergrund färbt sich röter und röter; die wie träumend
hingelagerte Wolkenschicht belebt sich, bewegt sich, wird durchschossen
von rosenfarbnen Bändern, von goldnen Linien, von feurigen Blitzen.
Alles Grau der Wolken ist schon verdrängt. Eine Flamme loht auf, voll,
stark, groß -- riesengroß -- sie leckt himmelan mit gierigen Zungen,
mit Windesschnelle greift sie um sich; auf dem Gipfel des Berges
entfacht, schlägt ihre lodernde Glut höher und höher, breitet sich
weiter und weiter.

Der Busch ist eine Fackel; jeder Zweig ist feurig durchglüht, jeder
Dorn, jedes Blatt.

Er brennt, er brennt! Der ganze Berggipfel brennt! Der Himmel brennt!

Ein Riesenbrand ist entglommen, staunend schauert die Erde; ein
Feuervorhang verhüllt den Himmel -- da -- jetzt -- jetzt hebt er sich,
er zerteilt sich! Ruhig, in majestätischer Größe schwebt ein Ball empor
hinter'm Felsgrat, eine goldne Scheibe, eine Welt voll Glanz -- die
Sonne!

Über Schwarzenborn stand die Sonne; und sie wanderten mitten hinein in
die Flut von Licht. Der Goldglanz fiel auch auf die grauen Gesichter;
die der Männer erhellten sich, die Frauen bedeckten die Augen mit der
Hand.

»Voran gemaach,« rief der Densborn und hob mahnend die Hand. »De Sonn'!«

Und Lorenz stimmte den 'Abschied' an; er mußte singen, da saß was auf
der Brust und in der Kehle, das mußte weg.

Er schmetterte der Sonne entgegen:

    »Der, der, der, on der Abschied fällt mir schwer!
    On die, die, die, on die Abreis' noch viel mehr!
    Also fällt mir dieser Trost noch ein,
    Ech kann net immer an einem Ort sein,
      Mein Glück muß ech probieren,
        Marschieren!«

Sie sangen alle mit:

    »Hinaus, hinaus, zum engen Thal hinaus!
    Wir haben hier gehauset im besten Saus und Braus;
    Wir wünschen euch zu guterletzt
    Ein andern, der die Stell ersetzt,
      Damit sei'n alle Wunden
        Verbunden!«

Gegen den Schluß fiel der Gesang schon etwas auseinander; die Weiber
schluchzten, der einsame Busch war nah. Da war manch einer, der ein
wenig zurückblieb und die Seine auf offener Straße umfing.

Die junge Tina hing Thomas Laufeld am Hals; er hatte sie in den
Chausseegraben, hinter ein vorspringendes Stück Fels gezogen, da küßte
er sie noch ordentlich ab. Die Augen funkelten ihr im Kopf, bei ihren
Küssen biß sie, bei ihren Umarmungen kniff sie; immer, wenn sie ihn
schon losgelassen hatte, stürzte sie sich noch einmal auf ihn.

Ihre kleine Schwester, die mitgelaufen war, zog sie am Rock: »Komm ehs,
Tina!«

»Frech Dingen!« Ein Schlag brannte auf der Wange der Kleinen, aber
diese ließ nicht nach, sie zerrte die andre am Rock, dabei spitzte
sie den Mund und lächelte den Burschen an: »Adjes, Thomas!« Der küßte
zuletzt das hübsche Kind auch noch.

Die Kathrine Densborn reichte ihrem Mann nur die Hand, dann machte sie
das Zeichen des Kreuzes.

»Jesus! Maria! Josef! Datste gesond widder kömmst! Zu Weihnacht --
vergeß net! -- für ons Trautche en Kleid von Kottong,[20] sechs Ehlen
-- äwer, dat de Farf net schanschört![21] On für mech en Gedrucks, elf
Ehlen, et es nor fünnef Viertel breit. Adjes, Nikla!«

»Adjes, Kättche! -- Hä, allons,« schrie der Densborn.

Lorenz wandte sich noch einmal zurück und schaute in's Thal hinunter;
er schwenkte seinen Hut, eigentlich war ihm nun schon ganz leicht um's
Herz. »Adjes, Bäbb,« murmelte er, und dann pfiff er hell. Da lag die
Welt, sonnbeschienen, vor der Arbeit scheute er sich nicht, Pläsier
gab's auch, zu Weihnachten kam man schon wieder nach Hause -- warum
denn grämen?!

Küsse, Umarmungen, Abschiedsblicke, Abschiedsworte. »Adjes, bring mer
ebbes Schienes met!« -- »Schreiw als bal!« -- »On dau aach!« -- »Bleiw
gesond!« -- »Grüß ons Könner!« --

Händeschütteln, Nicken, Winken. Trapp, trapp, fort geht's! Trapp,
trapp! Hohl verklingen die Schritte, hinter der nächsten Erdwelle sind
die Männer verschwunden.

Allein. -- Da standen sie nun um den einsamen Busch, eine verlassene
Herde. Der herbe Morgenwind wehte scharf über's kahle Plateau; er
blähte die Röcke der Frauen, daß sie flatterten wie Flaggen, in der Not
gehißt.

»Eweil sein se weg,« sagte eine und starrte trübselig hinter den
Entschwundenen drein.



                    IV.


Peter Miffert saß vor seiner Thür auf dem Bänkchen. Die Beine hatte
er weit von sich gestreckt, die Hände hielt er in den Hosentaschen;
behaglich schabte er den Rücken an der sonndurchwärmten Hauswand.

Still war die Luft, sehr heiß; zwischen den Bergwänden hatte sie sich
gefangen und kochte und brütete da, wie in einem Kessel. Kein Windchen
rührte sich, die Bäume regten kein Laub, lautlos schlängelte die Salm
ihr sehr schmal gewordenes Silberband gen Himmerod hin.

Hier herauf zur letzten Hütte, abseits von allen übrigen, drang kein
Ruf, kein einziger Hall. Im Sonnenbrand lag weiter unten das Dorf, ohne
Leben, wie versunken in einen Märchenschlaf; seine kleinen, weißen
Häuser, blendend im flimmrigen Licht, duckten sich scheu im engen
Thälchen.

Peter dehnte und rekelte sich; dann saß er ganz still, die schweren
Lider fielen ihm noch tiefer über die Augen, die Mütze rutschte ihm
bis auf die Brauen, er gähnte, daß man seinen allerhintersten Zahn
sah. Willenlos wackelte sein Kopf nach der linken, nach der rechten
Schulter, dann sank er ihm auf die Brust. Pittchen schlief. -- -- -- --
-- -- -- -- -- --

Frau Zeih war heut nicht zu Hause; ein Reisender in Knöpfen, Litzen
und Kleiderstoffen hatte das Dorf passiert, auf dessen Wagen war sie
in aller Frühe mit dem Kind zu ihren Verwandten nach Manderscheid
gefahren. Sie hatte die Gelegenheit benutzt.

Peter hatte sie vor's Wirtshaus gebracht und abfahren sehen, hatte dann
beim alten Krumscheid einen gekippt und war dann langsam nach Hause
geschlendert, um die Ziege und die Hühner zu füttern. Eben wollte er
sich von dieser Anstrengung erholen, da kam der Hubert, der Enkel vom
alten Steffes, gerannt; der Pflug war nicht in Ordnung, die Stoppel
sollte gepflügt werden, es pressierte!

»Gieh nor als voran, ech kommen e su bal als ech kann,« sagte Pittchen
wichtig und schob den kleinen Boten zur Thür hinaus. Dann lachte er in
sich hinein -- das sollte ihm fehlen, bei der Hitz sich auch noch mit
Arbeit echauffieren! Morgen war auch noch ein Tag, vielleicht war's da
kühl genug.

»Uf, dat es en Strawatz!« Er riß das Hemd auf der Brust von einander
und warf sich querüber, mit den Stiefeln, auf das noch ungemachte Bett.
Mit schläfrigen Augen starrte er zur niedrigen Decke auf, die der Rauch
schwarz gebeizt hatte, an der die Spinnweben in langen Festons hingen,
und dachte an seine Frau. Donnerwetter, sah die staats aus, als sie
bei dem Reisenden auf dem Wagen saß. Wie 'ne Dam'! Ihr bestes Kleid
hatte sie an, auf Kleider hielt sie was; wie lange lag sie ihm schon
in den Ohren, um ein neues! Und einen Hut hatte sie auf, den hatte sie
sich zurecht gestutzt mit allen möglichen Bandschnippelchen; halbe
Tage konnte sie sitzen und an so was herumputzen. Aber wie stand ihr
der auch! Unter dem Strohrand mit den blauen und roten Schlupfen lag
das dichte Haar schön wellig an den Schläfen; bis auf die Augenbrauen,
die wie ein dunkler Strich über die lustigen, hellen Augen zogen, hing
es in glänzenden Kräuseln. Dem Reisenden war auch das Wasser im Mund
zusammengelaufen, das hatte der Peter wohl bemerkt.

Kotzdonner, war er nicht ein großer Esel, daß er die Zeih mit dem
fremden Mannskerl allein fahren ließ?!

Er zog die Stirn kraus; in einer ärgerlichen Unruhe sprang er auf -- da
-- es klopfte schon wieder!

Die Thür ging auf; ohne ein 'Herein' abzuwarten, steckte Tina Pötsch
den Kopf in die Stube. Schlau lächelnd sah sie sich um.

»Es dat Zeih net derhäm?«

»Nä!« Er sagte es ziemlich grob; sie kam ihm ungelegen, er hatte so
viel nachzudenken.

Wie ein Kätzchen schlich sie sich näher, ihre Augen funkelten. »Es dat
Zeih metgemaach bis nao Manderscheid?«

Woher wußte sie das? Er sah sie verwundert an.

Sie sagte nichts, aber ihr Lächeln verriet sie. Aha, die hatte
aufgepaßt!

Sie stand vor ihm, den Kopf zur Seite geneigt, und blinzelte ihn an. Er
konnte nicht umhin, sie hübsch zu finden; das helle Kopftuch stand ihr
gut zu dem bräunlichen Gesicht, einen Mund hatte sie, so rot wie eine
Kirsche.

»Wolltste ebbes vom Zeih?« fragte er viel freundlicher.

»Nä, von Eich,« sagte sie keck, hob ihren Rock auf und krabbelte lange
in der Tasche ihres Unterrocks. Dabei wandte sie keinen Blick von ihm
und lächelte ihn an mit ihrem Kirschenmund.

Endlich brachte sie ein kleines Packetchen zum Vorschein, mit spitzen
Fingern wickelte sie die Zeitungspapierfetzchen auseinander. Ein
Schmuckstück war darin, ein vergoldetes Kreuzchen, die Gestalt Christi
als winziges Püppchen hing daran.

»Kuckt!« Sie legte es vor ihn hin und beugte sich zugleich über seine
Schulter.

Er nahm es prüfend in die Hand; das Kreuzchen war verbogen, unten ein
Stück abgebrochen. »Wat sollen ech dermit?«

»Heil maachen!«

»Dat kann ech net.«

»Ojeh« -- sie lehnte sich von hinten her fest an ihn -- »wän dat
zweifelt! Se saon, Ihr seid e su gescheidt, Ihr haot dat Tolent, Ihr
könnt ales maachen!«

»Laoß mech gewärden[22],« brummte er.

»Dat Pittche haot heit kei gud Schur[23],« lachte sie. »Schnauzt mech
doch net e su ahf!« Sie griff über seine Schulter nach dem Kreuzchen
und streifte dabei zart seine Wange. »Kuckt, lao maacht Ihr ebbes Neies
dran -- wupptich, su schnell wie gespauzt[24] -- ons Hährgöttche es
färdig!«

»Dau Fladdiererin,« schmunzelte er und strich ihr die Wange. »Saog ehs,
Mädche, von wem haste dat Hährgöttche? Von deim Schatz?«

»Nä, nä.« Sie that sehr verschämt. »Ech haon ken Schatz. Ech sein eweil
noch vill zo jong!«

»Hm, hm.« Er betrachtete sie interessiert. »On dän Thomas Laufeld --
no?!« Er kniff sie augenzwinkernd in den Arm.

Sie schlug ihn auf die Finger. »Autsch! Bah, dän domme Jong.« Sie warf
die Lippen auf. »Eweil es dän weit weg, waaß Gott, wat dän micht! Et
gitt'r aach noch annere -- haha!« Sie lachte hell und neigte sich ganz
zu ihm hinüber.

»Dao haste rächt in,« stimmte er zu.

Sie gefiel ihm immer besser, er begriff nicht, daß er nicht längst mit
der Tina angebändelt hatte; so jung wie die, war keine von den andren
-- und Augen hatte sie! Da kam selbst die Zeih nicht gegen an. Die
hier hatte brennende Zündhölzchen im Kopf, mit denen flackerte sie ihm
in's Gesicht, als wollte sie sagen: 'Brenn dich an; ich brenn' schon
lichterloh!'

»Dau Racker,« sagte er, zog sie an sich und küßte sie mitten auf den
Mund.

Sie erwiderte seinen Kuß, und dann kicherte sie: »De Katz es net zo
Haus, eweil haon de Mäus frei danzen! Dat Zeih --«

»Dat Zeih,« unterbrach er sie rauh; es schien, als wolle er das Mädchen
von sich drängen.

»Ojeh,« kicherte sie, »dat Zeih werd sech aach schuns amesieren, dän
Hähr waor e su onöwel net!« Sie sah ihn von der Seite an. »Puh, maacht
ken e su garschtig Visasch -- köß mech, sons kössen ech dech!«

Sie warf sich ihm so stürmisch an den Hals, daß er hintenüber auf einen
Schemel fiel. Ihre brennenden Augen sahen ihm gierig in's Gesicht,
ihre Lippen schimmerten blutrot über den spitzigen Zähnchen -- das
war die junge Katze, die erst kürzlich das Rauben gelernt, auf deren
Zungenspitze noch der Blutgeschmack des ersten Fraßes schwebt und sie
lüstern auf neuen macht.

Sie saß auf seinem Schoß, ihre Arme umstrickten ihn fester, fester. Er
dachte nicht daran, sich zu wehren. Junger Most berauscht am meisten;
und dazu kam die geschmeichelte Eitelkeit.

Es war ein heißes Schäferstündchen in der schmutzigen Stube unter
der rauchgeschwärzten Decke. Das Herrgöttchen lag am Boden, achtlos
trat Tinas Fuß darauf; der goldne Zierrat knirschte unter dem
nägelbeschlagenen Schuh. Sie achtete es nicht, sie hörte auch nicht das
Huschen unter'm Fenster und das Kraspeln auf der Schwelle.

Jetzt öffnete sich die Thür spaltbreit, grade weit genug, daß Tinas
Ebenbild, Schwester Billa, den Kopf hereinstecken konnte. Ihre
altklugen Kinderaugen sahen alles. Mit einem Wutschrei fuhr Tina auf,
Peter stand sehr betroffen.

»Dau sollst erunner kommen.« Billa riß die Thür sperrangelbreit auf.
»Äwer tutswit[25]!«

»Maach, datste weg kömmst,« schrie die andre und ballte die Faust.

»Bäh.« Billa streckte ihr die Zunge heraus und rannte dann fort mit
Geschrei, den Weg zum Dorf hinunter. »Ech waaß ebbes! Helao, ech saon
et, ech saon et!«

Tina wie eine Furie hinterdrein.

»Kreizgewieder!« Pittchen sah ihr verdutzt nach; Hören und Sehen war
ihm vergangen.

»En hongrig Laus beißt am stärksten,« brummte er, und dann schloß er
seine Thür. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, es war ihm sehr warm
geworden.

Er hockte sich auf den Schemel und stützte den Kopf in die Hand. --
'Dat Zeih werd sech aach schuns amesieren!' Jetzt, wo er wieder zur
Besinnung gekommen, peinigte ihn der Gedanke: 'Wo war die Zeih jetzt?
Was trieb sie?'

-- -- -- -- -- -- -- -- --

Da -- »Kreizdunner,« fluchte er -- schon wieder Klopfen!

Ei, da kam die Mutter vom Hubertche selber, die junge Frau Steffes, die
allein mit dem alten Großvater hauste; der Mann war unten in der Fabrik.

»Ech haon als ons Hubertche geschickt,« stammelte sie atemlos und
setzte sich auf einen Schemel, »wollt Ihr net kommen?«

»Gewiß, gewiß,« versicherte er. Die Annemarie Steffes war eine hübsche
Frau, keine von den großen, aber munter und wohlgeformt wie eine
Wachtel.

»Et es pressant,« sagte sie und legte die Hand auf die heftig wogende
Brust; gelaufen mußte sie sein wie der Wind, sie war hochrot und
keuchte.

Und doch schien es ihr jetzt nicht zu eilen; behaglich sah sie sich um
und musterte die armselige Stube.

»Dat Zeih es net zo Haus?« sagte sie dann.

»Nä.«

»Et es nao Manderscheid?«

»Jao.«

»Duh kömmt et wohl erscht diesen Awend widder?«

»Jao.«

»Jesses, on dir haot niemand, dän Eich ebbes for zo äßen kocht! Nä,
su en Fra, läßt dän armen Mahn ganz allein!« Sie schlug die Hände
zusammen. »Es et menschenmiëlich?!«

Er nickte, es that ihm wohl, bemitleidet zu werden, während seine Frau
mit dem Reisenden durch den einsamen Wald fuhr. Ja, die Zeih, die ließ
ihn schön im Stich! Aber wart, das wollte er der eintränken!

»Su en armen Mahn,« rief die Steffes wieder, sie konnte sich gar nicht
beruhigen. Ȁwer waart, ech duhn Eich ebbes schicken; oder -- Pittchen,
wißt Ihr wat? Kommt bei ons, mir haon heit ebbes extra Feines:
Grombieren met Griewen on Kaabes! On en Flasch Bitburger spendieren ech
aach derzu!«

Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, so gut hatte er lange nicht
gegessen.

»Kommt nor,« sagte sie dringend und kam auf ihn zu.

Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, und dann legte er
den Arm um ihre Taille und zog ihre Gestalt an sich. »Dat es net zo
veraachten,« seufzte er.

Sie spitzte den Mund und lehnte sich an ihn. »On des Dauner Käs haon
ech aach noch derhäm!«

Donnerwetter, Dauner Käs! Den aß Pittchen für sein Leben gern. Dauner
Käs! Er drückte ihr einen Kuß auf den Mund, daß es schallte. Sie küßte
wieder. Kuß auf Kuß. Sie packte ihn beim Kopf, sie war heiß und rot,
ihre Hitze steckte ihn an -- da -- sie schreckten auseinander.

Von der Thür her sagte jemand: »Met Verlöw,« und die Kathrine Densborn
stand mit spöttisch verzognem Mund in der Stube.

»Exkusört! Ech kommen wohl onpaß bei der schienen Onnerhaalung? Ech
haon gekloppt on gekloppt!«

Sie warf einen verächtlichen Blick auf die kleine Steffes.

»Dau has wohl kein Ohren mieh?! Dein Könner kreischen, dat mer se
hunnert Schritt weit hört. Dat Sußche es de Trepp erunner gefaal, dän
Jakob on dän Jobann haun sech. Dat Hubertche haot met Steiner naoch ons
Äppeln geschmiß, duh haot em ons Hannickel ordentlich de Bux verwixst;
eweil haste ebbes zo flicken!«

»Jesses Maria!« Die Steffes rannte zur Thür, auf der Schwelle drehte
sie sich noch einmal um: »Komm dau mer ehs, dau ale Schatehk!«

Die Densborn lachte grimmig. »Dau denkst: 'Besser half geleiert, als
ganz gefeiert' -- dech kennen ech nau, dau mannsdoll Mensch! Waart, ech
schreiwen deim Mahn e Briefche, dat hän sech net hinner dän Spiegel
sticht!«

»O dau -- dau --« Die Steffes wollte noch etwas sagen, aber die
Densborn schob sie über die Schwelle und krachte die Thüre zu.

»Gemaach, gemaach,« sagte Peter; er war ärgerlich, die junge, saubere
Frau war ihm bei weitem lieber, als die starkknochige ältliche.

Entrüstet wandte sich die Kathrin gegen ihn.

»Ech moß mech siehr wonnern, dat Ihr Eich met su aner inlaoßt! Duh es
dat Zeih doch en anner Persohn, su alert on freindlich on artlich im
Omgang, on de Schienste weid on breid!«

Sie lobte die Zeih über alle Maßen. Peter war ganz verdutzt, er hatte
nie geahnt, daß die da was von der Zeih hielt -- im Gegenteil. Aber es
schmeichelte ihm gewaltig, daß die angesehene Densbornin seine Frau
lobte.

Er lächelte und strich sich den Schnurrbart. »Womit kann ech ufwaarten,
Fra Densborn?«

Ihr Gesicht mit den breiten Backenknochen und der zu Leder verbrannten
Haut schmunzelte. »Ech wollten Eich nor fraogen, ob Ihr net e su gud
sein wollt, on mer de Adreß an dän Densborn schreiwen, ech haon net
e su en schien Handschriwt. On de annren hei sein e su ongebildt, se
können net emaol ihren eignen Naomen schreiwen, dat mer hän läse kann.
Hei!« Sie zog ein Briefcouvert aus der Tasche, hinten sorgfältig mit
Siegellack verklebt; der Fingerhut hatte als Petschaft gedient.

»Nä, wat Ihr geliehrt seid,« sagte sie bewundernd, als er die Adresse
schrieb und noch einen kecken Schnörkel unter das 'Densborn' zog. »Ihr
könnt besser, wie dän Hähr Lährer zo Oberkail; äwer dat es aach schuns
e su en Alden, de Alden sein for neist mieh notz. Wat bin ech Eich
schullig, Pittchen?«

»Neist, neist,« beeilte er sich zu versichern; er war immer galant,
wenn er sich dabei nicht allzusehr anzustrengen brauchte.

»Merci, merci! Kommt doch ahf on an, on drinkt e Dröppche; von meim
Bruder onnen an der Musel hammer noch e Fäßche im Keller.« Sie drückte
ihm die Hand und sah ihn dabei an mit breitgezognem Mund und sanften
Blicken der sonst so strengen Augen, daß ihm ganz bänglich wurde. Er
war erleichtert, als sie ging.

Aber noch hatte er keine Ruh, das Gelauf nahm kein Ende.

Da waren noch mehrere gekommen, die schwarze Vrun, die blonde Leis,
und zuletzt des Mathesen Martin Frau, die Traut; die hatte über ihren
Mann geklagt, daß sie der schimpfe und mit Eifersucht quäle, sie hatte
geweint und geschluchzt und Pittchen an 'früher' erinnert.

Mit der einen lachen, die andere trösten und -- alle karessieren, das
war ein bißchen viel verlangt! Pittchen schwirbelte der Kopf, er war
ganz abgemattet; kein Wunder, daß er nun vor seiner Hüttenthür saß und
schlief. --

In der heißen Mittagsluft summten honigbeladene Bienen, ein starker,
fast strenger Geruch stieg von den Wiesen um die Salm auf; sie standen
hoch im Gras, längst that ihnen das Mähen not.

Auf den Äckerchen an den Hängen schimmerten weiße Kopftücher, wie
hellere Flecken auf blaßgelblichem Grund -- da schafften jetzt die
Weiber.

Aber keine Sense blitzte und legte in langen Schwaden das Korn nieder;
die Weiber rutschten auf den Knieen und schnitten den Roggen mit der
Sichel, wie man Gras schneidet. Sie arbeiteten hart, der Schweiß rann
in Strömen; das Hemd klebte, naß zum Auswinden, am Leib, die braunen
Beine, von den Stoppeln zerkratzt und zerstochen, steckten nackt
unter'm kurzen Rock.

Kein Mann zwischen den Arbeitenden; nur hier und da saß so ein Alter
am Grasrain, als Aufseher, und stopfte sich die Pfeife, oder ein paar
halbwüchsige Jungen hetzten mit 'Hot und Hahrüh' eine magere Kuh, die
mühsam den Pflug durch die Stoppel schleifte.

Glühend heiß der Sonnenprall an die steilen Wände; mager, mager die
Erdkrume, darunter harter Fels. Erbärmlich das Getreide; in winzigen
Mandeln stand es da, dünn im Stroh, gering in der Ähre.

Auch Bäbbi war bei der Arbeit. »Jesses,« sagte sie und richtete sich,
schwer atmend, aus ihrer gebückten Stellung auf.

Die alte Schneidersch, die hinter der Schwiegertochter das Korn
raffte, keifte: »Voran gemaach! Sei net e su faul!«

»Ech kann net mieh!«

»Ech kann net mieh,« äffte die Alte nach. »Hammer dech dafor in de
schiene Stuw einloschiert? Hei gieft net gefaullenzt! Mir haon ke Gäld,
om onnötze Mäuler zo fudern!«

Bäbbi verbiß die Thränen; es wollte sich ihr wie ein Schrei aus der
Kehle ringen: 'Wenn das der Lorenz wüßt'!'

Aber sie schwieg, mit der Schwiegermutter war nicht gut Kirschen
essen. Neulich, als der Lorenz Geld geschickt, hatte die es wie
selbstverständlich an sich genommen; der jungen Frau, die schüchtern
ihr Teil verlangte, wurde grob über den Mund gefahren.

Lenzen Bäbb hatte keinen Anhang, ihre Eltern waren tot. Der alte
schwachköpfige Lenzen-Ohm, bei dem sie halb als Tochter, halb als
Magd gewohnt, hatte ihr das, was er ihr vermacht hätte, zur Hochzeit
ausgezahlt; nun war das verjubiliert, kaum für die notwendigsten
Anschaffungen war etwas geblieben.

'Wenn er doch hier wäre! Wenn er bald wiederkäm'!' Das war der
Stoßseufzer, der sich stündlich von Bäbbis Lippen rang; mit einer
verzehrenden, krankhaften Sehnsucht gedachte sie seiner, Tag und Nacht.
Schwer wie die Bürde ihres Leibes, schleppte sie ihr Leben hin. 'Wär'
er nur wieder da!'

In der Ecke ihrer Kammer machte sie mit Rötel jeden Abend einen Strich
an die Wand -- wieder ein Tag vorüber! Noch hundertzwei Tage, dann kam
er!

Die Sichel in der Hand, auf den Knieen liegend, starrte das junge Weib
traumverloren in den blendenden Sonnenflimmer.

Nebenan auf der Stoppel pflügte die Tina Pötsch. Sie hatte ihre beiden
jüngeren Geschwister, den dreizehnjährigen Karl und die vierzehnjährige
Billa in den Pflug gespannt; nur wenige im Dorf konnten sich den
leisten, die meisten arbeiteten den Acker mit der Hacke um. Stolz
schwang sie die Peitsche, mit einer besonderen Wollust hieb sie sausend
durch die Luft. Das Schnurende traf Villa am Hals, mit einem Aufschrei
drehte die sich um.

Tina lachte.

»Waart, dau frech Dingen,« kreischte die jüngere wütend.

Tina lachte noch immer.

»Hü, hott, meine Peerdches!«

»Ech sein net dein Peerd!« Billa warf sich in der Furche nieder.

»Hü, hott! Willste ziehn?!«

Sie blieb halsstarrig in der Furche liegen, kein Peitschenschlag trieb
sie zum Aufstehen; aber als Tina hinter dem Pflug vorsprang und sie mit
dem Fuß in die Weiche stieß, packte Billa zu. Ihre Finger krallten sich
in Tinas Wade, mit einem Aufkreischen riß sie die Überraschte zu sich
nieder. Sie wälzten sich beide auf der Stoppel.

Karl, nicht faul, nahm die Partei der jüngsten Schwester; es war ihm
gelungen, sich loszusträngen, nun warf er sich über die beiden Mädchen,
auf Tinas Rücken mit den Fäusten trommelnd. Billa, zu unterst am Boden
liegend, erstickte fast unter der doppelten Last.

Das war aber alles noch Spaß, in das Gekreisch mischte sich Lachen;
jedoch nun wurde es Ernst.

Tina hatte den Bruder in's Bein gekniffen, dafür riß er sie an den
Haaren; mit der einen Hand zerrte er ihren Kopf in die Höhe, mit der
andern Faust schlug er ihr in's Gesicht. Das Blut floß ihr aus der
Nase, das Wasser aus den Augen; sie schrie laut.

Verschiedene kamen herzu und umstanden die Wolke von Staub, in der
sich die drei wälzten. Die Meinungen waren geteilt.

»Dat schadt dem Tina neist, wann dat ordentlich wat uf de Schnöß
krieht,« sagte eine.

»Jesses, hän haut se kappores!«

»Speck on Schwart sein von einer Art -- die duhn sech neist!«

»Haal dem Jong de Bein fest, hän trampelt dat Bill zo Schannen!«

»Ä wat, Onkraut vergieht net!«

»Et blut jao!«

»Hilf! Hilf!« kreischte Tina. Ihr Hilfeschrei gellte weit über die
Äcker.

Von allen Seiten liefen jetzt neugierig die Weiber herbei.

»Wat es passiert? Wän schreit e su? Kuckt elao! Jeßmarijusep!«

»Et es en Schand,« rief die Densborn, »dat dir dat Tina half dud
schlaon laoßt! Krieht hän beim Schlawittchen! Läßte los, dau infamichte
Karnallij!« Sie zerrte den Jungen am Bein.

»Laoßt hän nor,« schrie die Steffes gegen, »kömmert Eich erscht om
Eiren Jong! Dän Karl haot ganz rächt, dat Tina pisakt se Dag on Naacht.
Wän onschullige Könner schlät, es sälwer Prüjel wert. Eier Hannickel
soll mer nor kommen! Hän haot dat Hubertche geschlaon, dat em ale
Rippen wieh duhn; ech verklaogen hän bei de Hähren vom Gericht, on Eich
derzu, Eich scheinheilig Luder!«

»Wat -- wat,« zeterte die Densborn, »Ihr wollt noch räden?! Su en
Mensch, su en mannsdoll Mensch, su en« -- in der Wut versagten ihr die
Ausdrücke -- »dat zu de Mannsleit rennt, e su bal als de Fra net derhäm
es! Pfui!« Sie spuckte aus. »Su en --«

»Et es net waohr, et es net waohr,« kreischte die Steffes; sie war
blutrot im Gesicht und wirbelte auf die große starkknochige Gegnerin
zu. »Ihr seid nor neid'sch -- jao, neid'sch! Haha!« Sie lachte
krampfhaft. »Ihr wollt sälwer gären, Ihr« --

Die andre schlug ihr auf den Mund: »Liegnersch!«

»Ihr wollt sälwer gären -- haha -- alde Schatehk!«

»Haha! Alde Schatehk!« Wie einen Schlachtruf nahmen die jüngeren Weiber
das auf.

Die schwarze Vrun, die blonde Leis gesellten sich zur Steffes; sie
hatten längst einen heimlichen Groll auf die Densborn, die allem
nachschnoberte. »Annemarei, dat es rächt! Laoß der neist gefaalen,
Annemarei! Dat scheel Luder maant, et könnt hei kommandieren?! Su
hammer net gewett! Olau, Schatehk, alde Schatehk! Hahahaha!« Ein nicht
endenwollendes Gelächter pflanzte sich fort.

Die paar, die noch arbeiteten, erhoben sich auch von den Knieen; in
großen Sprüngen stürzten sie herzu, die Sichel in der Hand schwingend,
mit flatternden Röcken und Geschrei.

Da wurden Haare gelassen!

Kathrine Densborn hatte Annemarie Steffes am Schopf gepackt.

»Dau mannsdoll Mensch, dau -- saog et noch ehs -- dau!«

»Neid'sch, dir seid neid'sch! Alde Schatehk!«

»Liegnersch!«

»Wolltst sälwer gären!«

»Waart, ech will dech liehren!«

Der Kampf wurde ernsthaft. Die große Gegnerin schüttelte die kleine wie
ein Bündel Kleider; diese schlug mit Händen und Füßen aus. Ließen sie
sich einen Augenblick los, um Atem zu schöpfen, gleich stürzten sie
wieder aufeinander.

Schreie, Schimpfworte, Kreischen, Lachen, ohrenbetäubendes Geschnatter.

Zwei Parteien hatten sich gebildet, Frau stand gegen Frau; so manche
hatten heimlichen Groll auszufechten, es waren nicht mehr die Densborn
und die Steffes allein, die aufeinander losgingen.

Die Geschwister Pötsch waren vergessen. Karl, die Hände in den Taschen
seiner zerlumpten Hose, sah grinsend dem Tumult zu; Billa lag heulend
am Boden. Tina wischte mit dem Handrücken das Blut von der Nase, dann
schlich sie mit funkelnden Augen dem Weiberknäuel näher. Sie hatte auch
ihre Feindinnen darunter -- rasch der Steffes ein Bein gestellt! Warum
hatte ihr die vorhin nicht beigestanden?!

Nun steckte sie mitten drin im Kampf; die blonde Leis, das Bäschen
von der Steffes, und, mit ihren goldnen Zöpfen, Tinas gefährlichste
Nebenbuhlerin -- war sie nicht erst vorhin aus Pittchens Thür
geschlichen? -- versetzte ihr eins.

»Hol dech in Aacht, dau Schleckermaul,« zischelte Tina hinter
zusammengebißnen Zähnen.

»Dau Rotznaos,« schrie die Blonde verächtlich; sie war um ein oder zwei
Jahr älter.

»Dau öwerstännige Kwetsch!«[26]

»Dau unreifen Appel!«

»Ech roppen der dein rot Börschten[27] aus!« Tina griff kräftig in die
goldnen Zöpfe.

»Vrun, Vrun,« rief Leis die Freundin zu Hilfe. »Komm ehs här! Gief dem
dao eins hinnen druf, ech halen derweil der verliewten Katz de Poten.«

»Hal dau dein Schnöß! Vrun, komm bei mech,« schrie Tina. »Ech saon der,
dat Leis -- Vrun, Vrun! -- et es heit beim Pittchen gewest, et haot zom
Pittchen gesaot: et hält dech für en Naor! Vrun, Vrun!«

»Wat?!« In einem Augenblick hatte sich das Blättchen gewendet, die
Schwarze kehrte sich gegen die Blonde. »Beim Pittchen gewest? Mech für
en Naor halen? -- O dau falsch Dingen!«

Mit triumphierenden Augen sah Tina zu, wie die beiden Freundinnen auf
einander losfuhren.

Das war ein Spektakel! Ein Lärmen, ein Schimpfen, ein Schreien. Vom
Berghang tönte es nieder zum Thal, an Pittchens Hütte vorbei -- der
schlief ruhig weiter -- und und brach sich schallend an der jenseitigen
Höhenwand.

Sie hörten alle nicht das Mittagsglöcklein; nur Bäbbi. Die stand
abseits und starrte mit großen traumverlornen Augen in's Gewühl. Früher
hätte sie auch frischweg am Kampf teilgenommen, -- aber jetzt?! Es war
alles untergegangen in der großen Sehnsucht.

Als das Glöcklein läutete, bekreuzte sie sich; die Sichel entfiel ihr,
langsam sank sie auf die Kniee und faltete die Hände. Was that der
Lorenz wohl jetzt? Dachte er jetzt auch an sie? -- -- Wär' er doch erst
wieder hier -- ach! -- -- -- -- -- --

»Steh uf,« schrie die alte Schneidersch sie an. »Schläfste?« Die Alte
hatte sich auch am Zank beteiligt, besonders mit dem Mundwerk; sie
hatte aber auch bald darin ihren Meister gefunden, nun ergoß sich die
ganze aufgestaute Flut von Scheltworten über die Schwiegertochter,
diesen Dorn in ihrem Auge.

Mit einem wilden Ingrimm fuhr die Alte auf sie los. Es wurde Bäbbi
nichts erspart; laut und gellend, vor aller Welt, wurde ihr ihr
Fehltritt vorgeworfen. Kein Mädchen war je so schlecht gewesen, so
lumpig, so armselig und so berechnend dazu. Was hätte der Lorenz für
Partien machen können, aber sie hing ihm ja wie ein Klotz am Bein,
merkte es gar nicht, daß er sie gern los geworden wäre -- ja, er hatte
sie satt, der Mutter hatte er's vertraut!

Schwerfällig richtete sich Bäbbi auf, stumm, mit düstren Augen
hatte sie auf den Kampf der Weiber gestarrt -- Heulen, Schreien,
geschwungene Fäuste, verzerrte Gesichter, ein wildes Durcheinander
erregter Gestalten -- jetzt schien sich auch ihr Blick langsam daran zu
entzünden. Als die Schwiegermutter schloß: »Hän haot dech saat, saat
bis zom Ekel, hän wünscht dech, wuh dän Peffer wächst,« flammte er auf.

Sie kehrte sich gegen die Alte, raffte die Sichel auf; ihr Gesicht
glühte, ihr Auge glitzerte unheimlich, ein irres wildes Lachen rang
sich aus ihrer gequälten Brust. Sie hob drohend die Sichel -- aber,
da, sie ließ sie wieder fallen. Statt dessen schwang sie die Faust und
schmetterte sie nieder auf den Rücken der Schwiegermutter, daß der
Hören und Sehen verging.

Die Alte knickte in die Kniee, schützte den Kopf mit beiden Armen und
schrie laut.

Hageldichte Schläge. Die Alte duckte sich und wand sich wie ein Wurm,
Bäbbi stand über ihr gleich einer Rächerin, totenbleich, die Lippen
fest aufeinander gepreßt. Sie schlug darauf los mit einer Art von
Befreiung, von Erlösung.

»Hör uf,« kreischte die Alte, »ech zeigen dech an! Ech fluchen der!«

Ununterbrochen fielen die Schläge.

»Hör uf, ech saon et dem Lorenz! --«

»Lorenz --!«

Jammernd, beschwörend, bittend zugleich schrie Bäbbi den Namen nach;
der erhobne Arm fiel ihr zur Seite, sie starrte verwirrt drein, als
erwache sie aus einem Traum. Ein Zittern, ein Rütteln ging durch ihren
ganzen Körper; sie schwankte, die Füße schienen sie nicht länger zu
tragen. Mit einem dumpfen Laut schlug sie die Hände vor's Gesicht.



                    V.


»Bimmel, bimmel, bimmel« tönt das Glöckchen der Kirche. Sein dünner
heller Klang fliegt durch's Dorf und steigt an den Thalwänden in die
Höhe; oben von Schwarzenborn antwortet ein anderes Glöckchen. »Bimmel,
bimmel, bimmel« -- Vesper.

Aus den Steinfliesen der Kirche lag Bäbbi. Ihr Gesicht war blaß, ihre
Augen rot, vom Weinen dick verschwollen. Sie hob die Hände zu dem
Marienbild, das in der Nische des Seitenaltares stand; weiße und rote
Papierrosen umkränzten die Heilige, ein paar dünne Kerzchen flackerten
ihr zu Füßen.

Kein Mensch war sonst mehr in der Kirche. Die braunen Holzbänke
standen leer; hie und da war ein Gebetbuch liegen geblieben, ein buntes
Heiligenbildchen steckte als Zeichen darin. Derbe Lederschuhe hatten
vom Kot der Dorfstraße mit herein geschleppt; die ausgetretenen Fliesen
vor dem Marienbild waren am meisten beschmutzt, da hatten die Weiber
vorhin gekniet, die Stirn tief gesenkt, unablässig die Lippen bewegend.

Ein Gewitter war am Nachmittag aufgezogen, rasch kam es, ungeahnt, ohne
vorherige Anzeichen; schwarz war der Himmel, schwer wie Blei. Er drohte
mit Hagel. Angstvoll schauten die Frauen aus -- sollte das schon die
himmlische Strafe sein für den heutigen Zank?

Sie glichen heute alle blessierten Kriegern nach der Schlacht; einen
Kratz, einen Stoß, einen Schlag, einen Tritt hat jede wegbekommen.
Mit funkelnden Augen waren sie vom Acker heimgekehrt, Schimpfworte,
Verwünschungen auf den Lippen. Die Hüttenthüren wurden zugeschmettert,
die Kinder verkrochen sich scheu, die Schüsseln klapperten -- manch
eine ging heut in Scherben; mit noch nicht gestilltem Zorn verzehrte
man ein sehr verspätetes Mittagbrot, es schmeckte wie Galle.

Da -- krach -- der erste Donner!

Furchtbar rollte er im engen Thal; wie ein böses Tier im Käfig, das
keinen Ausweg findet, so grollte er zwischen den Bergwänden. Krach,
krach -- Hall und Widerhall. Und der Himmel so drohend, und die Blitze
niedersausende Schwerter.

»Jeßmarijusep!« Wie eine Herde Schafe, vom Wolf gescheucht, flüchteten
sie in die Kirche. Da lagen sie auf den Fliesen und schlugen die Brust
und beteten und seufzten zum Steinerweichen. Sie waren ganz zerknirscht.

»Maria, Jongfra voller Gnaden, bewaohr ons!«

»Heiliger Donatus, sänftig dat Ongewieder, dau kannst et! Heiliger
Donatus, ech flehen dech an, laoß meine Gerscht net zu Schannen gänn --
se stieht als in Mandeln!«

»Heilige Maria, Moddergotts, ech haon et net e su bees gemaant, wie ech
dem frech Mensch eins appliciert haon. Dau wirst en Einsiehn haon -- o
liew Moddergöttesche, rechen et mir net an!«

Draußen kracht der Donner. Kanonenschüsse feuert er durch's Thal, von
einem Ende zum andren.

»Gegrüßet seist du, Maria -- hilf, hilf, heiliger Donatus!«

    »Meerstern, ich dich grüße,
    Gottes Mutter süße -- --«

Der Tag ist schwarz wie die Nacht, in den Winkeln der Kirche hockt
grauliche Dämmerung. Jetzt bebt der alte Bau -- jetzt loht ein feuriger
Blitz durch die Dunkelheit, noch feuriger durch das bunte Glas des
Fensters, darauf das Bildnis des heiligen Donatus steht, mitten
zwischen Blitzen. Ein gellendes Aufkreischen drinnen antwortet der
dröhnenden Stimme draußen, immer lauter wird das Murmeln, immer rascher
bewegen sich die Lippen.

»Heiliger Donatus, ech grüßen dech, gelowt seist du!«

»Maria, Moddergotts, bitt for ons!«

»O Maria, ech grüßen dech, dreiunddreißigtausendmal!«

Die Stirnen neigen sich bis auf die Fliesen; Gelöbnisse, Versprechungen
werden den Wunderthätigen gemacht.

Sie brauchten nicht allzulange mehr zu beten; so rasch wie es gekommen,
so rasch ließ das Unwetter nach, es zog über die Berge ab in einem Hui.
Vor der Kirchthür gackerten schon wieder die Hühner und scharrten nach
Würmern, Spatzen schirpten vergnügt und lupften das nasse Gefieder.
Die Jauche floß, durch den Regen von den Misthaufen weggespült, quer
über die Gasse; aber am blauen Himmel stand schon wieder die Sonne und
lachte.

Sie knixten und bekreuzten sich noch einmal an der Kirchthür und
tunkten den Finger in's steinerne Weihwasserbecken.

»Dunnerknippchen, waor dat en Wäder,« sagte die eine. Und die andre:
»Deiwel aach, dat konnt en bees Onverlegenhaat gänn!«

Sie waren alle guter Dinge, lachten und schwatzten. Die Feindinnen
sprachen wieder miteinander; mit Geschäker machte man sich selbander
auf, aus dem Wald das abgeschlagne Dürrholz zu holen.

Bäbbi war allein zurückgeblieben. Ihr Murmeln hallte wider im einsamen
Raum; sie hatte nicht beten können zwischen den andren, jetzt betete
sie. Sie wußte selbst nicht, was sie sprach; Worte waren es kaum, nur
ein Gestammel, ein schmerzvolles Lallen.

Flehend richtete sie den trüben Blick auf das Marienbild; das lächelte.

Sie nickte traurig -- ja, die war rein und heilig, darum lächelte sie
auch so stumm; die verstand so viel Sündhaftigkeit nicht!

»Erbarm dech!«

Mit einem Stöhnen schlug Bäbbi die Stirn auf den kalten Stein. Sie
hatte die Hand erhoben gegen die, die den Lorenz geboren hatte, sie
hatte seine Mutter geschlagen! Was würde der Lorenz sagen?!

Wenn sie das Schreckliche, das ihr Gewissen bedrückte, doch nur einem
Menschenohr anvertrauen könnte! Wenn ein reinerer Mund für sie bei der
da oben den Fürsprecher machte, dann würde auch der Lorenz ihr verzeihn!

Eine furchtbare Angst erfaßte sie. Wenn er sich von ihr wendete, wenn
er nicht wiederkehrte!

Halb irr vor Furcht, wand und krümmte sie sich und rang die Hände.

»Maria, Moddergotts, verzeih mer! Lorenz, komm widder! Lorenz! Ech will
dein Modder uf Händen dragen, se soll mech schlaon, half dud schlaon,
ech mucksen net! Komm widder, komm widder!«

Es raschelte in den Papierrosen um's Marienbild, ein Zugwind hatte sie
gestreift; oben am Orgelchor klappte ein Fenster -- die Sakristeithür
hatte sich geöffnet.

Bäbbi hörte nicht, inbrünstig flehte sie.

Der geistliche Herr war eingetreten, sein gutes bäuerliches Gesicht
glänzte rot und zufrieden. In der Sakristei hatte es nicht eingeregnet,
im Pfarrgarten war auch nicht eine von den kostbaren Speckbirnen
abgeschlagen! Gelobt sei der heilige Servatius, der Schutzpatron von
Eifelschmitt!

»Ei, Lenzen Bäbb,« sagte er freundlich und tupfte die
Zusammengekauerte auf die Schulter. »Was machst du hier?«

Sie hob den Kopf und sah ihn verstört an. »Hähr Pastor -- Hähr!« Sie
stotterte, verlangend glitt ihr Blick hinüber zum Beichtstuhl an der
jenseitigen Wand, in dem das grüne, verschleiernde Gardinchen so
hoffnungsvoll schimmerte. »O Hähr Pastor« -- sie stieß es heraus mit
einer Art Gier -- »wann ech eweil zor Beicht giehn dörft!« Ihre Hände
haschten nach dem Zipfel seines speckig glänzenden, langen Rockes; sie
drückte die Lippen darauf. »Hähr Pastor, zor Beicht!«

»Jetzt nicht, meine Tochter,« sagte er etwas verwundert, »nächsten
Freitag! Du weißt doch, nach der Messe morgens, und nachmittags von
fünf bis sieben. Heut ist Montag. Warst du denn gestern nicht im
Hochamt? Es ist doch abgekündigt worden. Nächsten Freitag« -- er
betonte nachdrücklich jedes Wort -- »von fünf bis sieben ist Beichte.
Behalte, nächsten Freitag!«

»Oh,« wimmerte sie, »Hähr Pastor!«

»Also am Freitag, meine Tochter!« Er hob mit einer segnenden Bewegung
die Hand zum Abschiedsgruß.

Sie sah ihn an, wie ein verhungerndes Tier.

Lächelnd fuhr er in die abgegriffene Tasche der Soutane und brachte
ein Bildchen heraus, ein weißes Cartonkärtchen mit Spitzenpapierrand;
ein rotes, flammendes Herz war darauf gemalt, von einem Pfeil
durchbohrt -- 'das süße Herz Jesu'.

»Hier, meine Tochter!« Er machte das Zeichen des Kreuzes über sie.

Sie küßte das Bildchen, sie küßte seine Hand; und dann war sie wieder
allein. Der Herr Pastor ging, um sein Brevier zu beten; das that er,
wie täglich, auf seinem Spaziergang gen Himmerod zu, da führte der Weg
lieblich im Bergschatten und wanderte sich sacht und eben.

Lange noch lag Bäbbi vor dem Altar; süßlächelnd blickte das Marienbild
nieder, kein Zug in dem Wachsgesicht veränderte sich. Ein grenzenloses
Gefühl der Verlassenheit überkam die Einsame; da war niemand, der ihr
helfen konnte! Zerschlagen an allen Gliedern schlich sie sich endlich
fort.

Als sie bald darauf, die Hotte auf dem Rücken, den andren Weibern
nach, zum Kunowald hinaufwanderte, schloß sich ihr Peter Miffert an. Er
wollte der Zeih entgegengehen. Seinen zerlumpten Werktagsanzug hatte er
mit dem Sonntagsstaat vertauscht; viel war an dem auch nicht dran, aber
die Hosen, die ihm sonst schlotterten, hatte er stramm heraufgezogen,
die Mütze mit dem blanken Wachstuchschild saß ihm verwegen auf den
dunklen Ringelhaaren.

Er pfiff und sang, aber sein Singen war mißtönend wie das Gekrächz
des Hähers, der, aufgeschreckt, in den Baumwipfeln flatterte und
argwöhnisch von dort niederäugte. Die Zeih mochte sich heut schön
'veramesiert' haben! Pittchen hatte sich eine Haselgerte abgeschnitten,
mit der hieb er rechts und links, daß die Blätter der Büsche flogen.

»Duht dat net!« Bäbbi sah ihn aus ihren traurigen Augen beweglich an.
»De arm Dinger! Am Busch sein se e su lostig grün, Ihr haut se ahf, duh
liejen se kapot uf der Straß on gänn zertret!«

»Waorom net gaor,« sagte er leichthin; aber er hieb doch nicht mehr.

Schweigend gingen sie beide weiter, jeder in seine Gedanken versunken.
Plötzlich schluchzte Bäbbi auf, schwer ließ sie sich auf einen Stein
am Weg fallen. »Glauwt Ihr, dat dän Lorenz widder kömmt?« stieß sie
hervor; ihr Blick bohrte sich mit angstvoller Frage in Pittchens
Gesicht.

Er fühlte ihre Angst heraus und lachte gutmütig: »No, waorom dann
net?! Waor soll hän dann annerschter giehn?!«

»Maant Ihr? Maant Ihr werklich?« Sie preßte seine Hand. O wie gut that
ihr seine Zuversicht! Schluchzend hielt sie ihn am Ärmel fest und
lehnte die Stirn gegen seinen Rock.

»Äwer, Bäbb, seid doch net gäckig!« Ob schön oder häßlich, er konnte
kein Frauenzimmer weinen sehen; er war ganz gerührt von ihren Thränen,
er quetschte sich neben sie auf den Stein und streichelte ihre Hand.
»Bäbb, Bäbbchen, kreisch doch net e su!«

»Wann hän mech net mieh liew haot, duhn ech mer en Leid an,« murmelte
sie mit finsterer Entschlossenheit.

Das traf Pittchen wie ein Schlag. Wenn ihn die Zeih nicht mehr lieb
hätte, was würde er dann thun -- -- --?!

Er sprang so hastig auf, daß Bäbbi ihn erschrocken ansah.

»Eweil giehn ech. Adjes!«

Das war nicht sein gewöhnlicher fauler Schlendergang, bei dem er die
Füße kaum hob und nur langsam weiter schlorrte; er rannte.

Tannen rechts, Tannen links. Schwarze Riesenwände, die einen schmalen
Streifen Himmel einrahmen. Keine Hütte, kein Stückchen bebautes Land
mehr. Kein Mensch; keine grasende Kuh, keine meckernde Ziege, auch kein
Wild, kein Vogel.

Ohne eine Nadel zu regen, in majestätischer Größe stehen die Tannen,
wie aus der Urwelt stammend, mit ihren Riesenbärten von abgestorbenem,
grauem Moos, ihren überhandlangen, braunen, schuppigen Zapfen, ihrem
dunkelflüssigen Harz, das in zähem Rinnsal aus der zerklüfteten Borke
sickert.

Tiefstes Schweigen. Ein Schweigen, in dem auch der leichtherzige
Wanderer stumm wird; eine gebieterische Hand streckt sich aus dem
Dunkel der Äste und legt sich auf seinen Mund: »Still!«

Hinter den finstren Stämmen tauchen Gedanken auf, dämmernde,
ahnungsbange Gedanken; tückisch brechen sie hervor, wie Räuber aus dem
Hinterhalt, und überfallen den Harmlosen. Man erschrickt vor dem eignen
Fußtritt, man hält den Atem an und steht und lauscht; und dann packt
einen die Angst im Genick, wie ein schwarzes Tuch fällt es einem über
den Kopf -- weg ist der Frohsinn. Ein grüblerischer Ernst hält den
Menschen umklammert und läßt ihn nicht los in dieser Einsamkeit.

Weltabgeschieden ist der gewaltige Wald. Wer hier um Hilfe schreit,
wird nicht gehört; was man hier treibt, wird nicht gesehen; wer etwas
verbergen will vor andrer Augen, kann's hier dreist, ein Schutzdach
wölbt sich über ihn und um ihn.

Pittchen pfiff und sang nicht, er rannte auch nicht mehr; argwöhnisch
bohrte sich sein Blick rechts und links in die Tannen. -- Ob die Zeih
allein daher kam? Wenn sie nun hier ginge, begleitet von einem andren
-- -- --?!

Der verfluchte Wald! Hätte der Weg über freies Feld geführt, würde er
sich gar keine Gedanken machen, aber so -- -- --!

Grüblerisch hing er den Kopf auf die Brust. -- -- Da ging die Zeih von
Manderscheid fort, auf der Chaussee begegnete ihr einer, es schlich
ihr wohl gar einer nach von Manderscheid -- hätte er's denn nicht
selber so gemacht? -- Nun kam der große Wald, nun gingen die zwei mit
einander hinein, immer tiefer in's heimliche Versteck. Kein Mensch sah
sie, nicht einmal die Sonne lugte verstohlen; es dämmerte bereits,
Abendwolken verschleierten das Himmelsauge. Dem Mann wurde warm an der
Seite der schönen Zeih, er redete verliebtes Zeug, und sie lachte dazu.
-- Peter hörte ihr halblautes Gekicher, so kicherte sie auch, wenn er
zärtlich wurde -- sie wiegte sich in den Hüften, der Dreiste faßte sie
um die Taille, sie wehrte sich nicht, sie lachte nur -- -- -- -- --

»Kotzdonner noch ehs!« Peter fluchte ingrimmig in sich hinein -- jetzt
fuhr er zusammen; deutlich erklang das Lachen, das verfluchte Lachen!
Er stand, wie der Teckel vor'm Fuchsbau, zitternd, lauernd, aufgeregt.

Im dürren Gezweig knackte es -- Rehe waren das nicht! Wieder das Lachen
-- und jetzt --

»Haalt,« schrie es hell.

Ein Rudel junger Weiber setzte aus dem Dickicht und verstellte den Weg.

Peter sah verblüfft drein.

»Helao,« lachte die wilde Tina, »hei gitt et Wegzoll bezaohlt, eweil
sein mir de Sperrbarriär!«

Sie faßten sich an den Händen und bildeten eine feste Kette; die Tina,
die Leis, die Vrun, das Kättchen, das Nettchen, die Billa und noch ein
paar Halbwüchsige, in Röckchen, die grade bis unter's Knie langten.

Mit ihren bloßen Füßen, die gebräunt von der Luft, beschmutzt vom
nassen Moos, zerkratzt vom Reisig waren, trippelten sie ungeduldig. Sie
schrieen alle:

»Sperrbarriär! Pittchen, helao, Pittchen, wat zaohlste?!«

Er suchte, sich geschwind an der Seite vorbeizustehlen.

»Hei gitt et net strawätzt[28]!« Tina hielt ihn fest.

Sie ließen ihn nicht durch; drohend ragten die Hotten mit den
quergelegten Reisigbündeln über ihren Köpfen.

»Laoßt mech dorch, ihr Mädercher!«

Ein vielstimmiges. »Nä!«

»Wat wollt ihr dann?«

»Wegzoll! Dau moßt zaohlen, zaohlen!« Sie lachten und drängten sich um
ihn her und hopsten und reckten sich an ihm in die Höhe.

Kein Durchkommen. Was sollte er machen, er konnte sich doch nicht mit
Gewalt befreien?

»Wegzoll,« lachte Tina, »dau kömmst net ehnder dorch!«

»Net ehnder, nä, nä,« schrie der Chor.

Scherzend riß Miffert Tina an sich.

»E Küßche,« raunte sie ihm zu.

Lachend ließ sie sich küssen, und lachend küßte Peter weiter, eine
nach der andren nahm er beim Kopf; kreischend und doch willig ließen
sie sich's gefallen, der stille Wald hallte wider von den jauchzenden
Mädchenstimmen.

Weg war die bange Einsamkeit. Peter schäkerte; je toller, je lieber,
die warmen Lippen hatten ihn ganz berauscht. Ganz benommen torkelte er
weiter -- es dunkelte hier innen schon; nun fiel ihm die Zeih wieder
ein.

Tina war hinter den andren zurückgeblieben, er hörte ihr leises: »Pst,
pst!« Sie winkte ihm.

Er that, als ob er's nicht sähe. Ein andermal gern; aber jetzt hatte er
Eile. Er setzte sich in Trab. -- Donnerwetter, da kamen noch welche!
Waren denn heut alle Weiber auf den Beinen?!

Er wollte sich seitwärts unter die tiefhängenden Äste drücken --
umsonst -- sie hatten ihn schon gesehen. Die Steffes, mit ihren
harmlosen Augen, konnte ausschauen, scharf wie ein Falke; die Kathrine
Densborn nicht minder, und die Traut erst recht. Auch noch ein paar
andre waren dabei. Himmel, so viel Weiber!

Pittchen fühlte einen leisen Schauer den Rücken hinabrieseln, und doch
war ein gewisses Wohlgefühl dabei. War er nicht der Herrscher über alle
die da?!

Sie kamen seinem Gruß zuvor, ihre Blicke hingen an ihm.

»'n Aowend,« nickte er herablassend und wollte weitergehen.

Sie hielten ihn an, jede hatte was mit ihm zu sprechen, eine immer
dringender wie die andre.

Er kam nicht los; grob konnte er doch nicht sein! Als sie sich endlich
trennten -- schon war er ein paar Schritte fort -- da drehte die Traut
noch einmal um: »Hä, Pittchen! Hä!«

Und hinter der Traut lief wieder die Steffes drein.

»Uf ein Wort, Pittchen! Ech moß Eich ebbes saon, Pittchen!«

Da gab er Fersengeld.

»Hä! Hollah, Pittchen! Waartet ebbes -- haalt!«

Da rannte er in den Wald hinein, was hast du, was kannst du. Hinter
sich hörte er das Rufen der Weiber. Mischte sich nicht jetzt auch Tinas
Stimme darein? -- Lachen, Schreien, nun verfolgende Tritte!

Er verließ den Weg und sprang über den Graben, quer durch's Unterholz,
daß dürres Reisig knickte und krachte und überhängende Zweige ihm in's
Gesicht stachen.

Es peitschte ihn mit Ruten; er rannte, daß ihm der Schweiß ausbrach.

Immer glaubte er, rufende Stimmen zu hören; wie mit Armen griff es
nach ihm, heißer Atem blies ihm in's Genick, Röcke rauschten und
raschelten -- hochatmend hielt er endlich inne. Ach, das war ja nur der
Buchenwald, der rauschte so!

Erleichtert sah er um sich. Das Tannendickicht hatte nun ein Ende;
unter den grünen luftigen Buchen war's weit heller, sanftes Licht floß
an den glatten Stämmen nieder, und die Blätter regten sich traulich
flüsternd im Abendwind.

Er suchte den Weg wieder auf, rückte sich den Rock zurecht und
schlenkerte die Mütze aus, Tannennadeln und dürre Zweiglein hingen
daran.

Kam die Zeih denn noch nicht?! Er hatte sich verspätet, aber sie
scheinbar noch viel mehr. -- Der würde er aber einen schönen
Empfang machen, die Lust sollte ihr vergehen, sich so spät im Wald
herumzutreiben!

Da war ja der Kaisergarten. Da zweigte der Weg nach Großlittgen ab,
und da, unter dem Trupp himmelhoher Fichten, die abgegrenzt mitten im
Buchengrün sich hoben, stand die Moosbank, so recht ein Versteck für
Liebespaare.

Er stutzte. Ein Chaischen war quer über die Straße gefahren, der
braune Gaul mit hängenden Zügeln rupfte friedlich die Gräser am
Grabenrand ab. Waren das nicht Pferd und Wägelchen vom Gastwirt Pauly
zu Oberkail?! War der hier?!

Leises Kinderweinen schlug an Peters Ohr. War das nicht das Josefchen?
Zwischen den Stämmen blinkerte eine Uniform. Wer war da?!

Jetzt Lachen -- das war die Zeih!

Mit einem Satz war er unter den Fichten. Richtig, die Zeih saß auf der
Moosbank und neben ihr -- traute er denn seinen Augen recht? -- neben
ihr saß ganz gemütlich der schöne Gendarm von Oberkail!

»Zeih!« Er rief es so laut, daß der friedliche Gaul einen Satz machte
und das Josefchen gellend aufschrie.

»Aha, der Herr Gemahl,« sagte der Gendarm und legte höflich die Hand an
den Helm. In seinem vollwangigen Milch- und Blutgesicht vertieften sich
zwei Grübchen. Er hatte nicht umsonst bis zuletzt als Unteroffizier
bei der Garde in Berlin gestanden, er wußte, daß man gegen die Männer
hübscher Frauen artig zu sein hat, und wären es auch die größten Lumpe
und Lüderjahne.

»Na, Herr Miffert,« -- er rückte in die Ecke der Bank und legte das
Seitengewehr über die Kniee -- »wollen Sie nicht Platz nehmen?«

»Nä,« sagte Pittchen kurz. »Komm, Zeih!« Er sah sie zornig an; sie
schien das gar nicht zu bemerken; umständlich nahm sie von dem Gendarm
Abschied und lächelte ihn an, die Lippen dabei spitzend, daß ihr
Pittchen am liebsten einen Schlag drauf gegeben.

»Merci, merci, Hähr Schandarm, et waor e su freindlich, dat Sie mech
metgeholt haon. Pittchen, bedank dech aach ehs. Dän Hähr Schandarm waor
zo Manderscheid, hän haot mech invitiert, met uf dem Wägelche redur zo
faohren. Duh haon ech et kommod gehaot!« Sie lachte vergnügt.

Peter sagte kein Wort.

Der Gendarm erhob sich und steckte zwei Finger hinter den mittleren
Brustknopf der Uniform. »Ich hab's Ihnen schon gesagt, wenn Sie den
Umweg über Großlittgen nicht scheuen, schöne Frau, können Sie auch
noch weiter mitfahren. Habe da noch Wichtiges zu thun; unser einem
wird zu viel aufgepackt, keine Minute Pause, strammen Dienst bis
zum späten Abend. Für mein schweres Geld hab' ich mir den Wagen vom
Pauly genommen, nur um keine Zeit zu verlieren.« Er gab sich ein sehr
wichtiges Aussehen.

Lucia sah ihn mit offnem Mund bewundernd an.

Er machte eine einladende Handbewegung: »Steigen Sie nur auf, schöne
Frau!« Zu Pittchen sprach er mit Gönnermiene. »Für Sie ist auch noch
Platz, Miffert!«

Peter schielte ihn von unten herauf an. »Willste met de grußen Hähren
Kerschen äßen, maach, datste de Steiner net an dän Koap kriehst -- nä,
merci!«

»Was wollen Sie damit sagen?« Der Gendarm verstand den Dialekt noch
nicht und witterte immer gleich eine Verhöhnung der Obrigkeit. Er
versuchte seinem harmlosen Knabengesicht einen martialischen Ausdruck
zu verleihen und zwirbelte den Schnurrbart aufwärts. »Nanu, was wollen
Sie damit sagen?«

»Neist!« Pittchen sah ihn unbefangen, etwas blöde an, aber in seinem
Innern kochte es: 'Waart, dir spielen ech aach als en Possen!' »'n
Aowend!« Er zog Zeih unwiderstehlich mit sich fort.

»Tappert,« brummte der Gendarm, als er ihnen nachsah. 'Tappert,' das
war ungefähr das einzig Eiflerische, was er bis jetzt gelernt; es war
gleichbedeutend mit dem hochdeutschen 'Dummes Luder', und wurde hier
bei den 'dämlichen Bauern' mit Vorliebe von ihm angewendet.

»Autsch, reiß mech doch net e su,« schmollte Lucia, als sie ein Stück
weiter weg waren. Sie blieb stehn und sah sich um. »Wat soll eweil dän
Hähr Schandarm denken?! Jesses, laoß mech doch los!«

Er hatte sie unsanft am Handgelenk gefaßt, sie machte sich frei, mit
Thränen in den Augen. »Autsch, ech giehn jao schuns allein! Laoß los!
Ech haon e su als schuns schwer zo schleppen, et es mer net kommod!«

Schweigend nahm er ihr das Kind ab, dieses ganz in ein großes
Tuch gewickelte Bündel; nun trug sie nur noch ein Packet, das war
verschnürt, und sie trug es mit besondrer Sorgfalt.

»Wat haste lao?« brummte er.

»Raot ehs!« Ihr Gesicht hellte sich schon wieder auf, ihre Augen
glänzten vor Vergnügen. »O su ebbes Schienes, su ebbes Wonnerschienes!
Waart, Pittchen, ech zeigen et der!«

Lebhaft kniete sie nieder, legte das Packet sacht auf's weiche Moos und
begann es aufzuschnüren. »Dau sollst dein blao Wonner siehn,« schwatzte
sie dabei, »su ebbes Schienes! Kuck ehs hei, Pittchen! Kuck ehs!« Sie
schlug die Hände zusammen in eitel Glückseligkeit und lachte wie ein
Kind.

Da lag ein schöner roter Flanellunterrock und schimmerte grell auf dem
dunklen Moos. Und daneben eine Tändelschürze von schwarzem Seidenstoff,
unten mit bunter Blumenguirlande bestickt.

»Haste su ebbes schuns gesiehn?« stammelte sie entzückt; und dann
griff sie mit beiden Händen zu und hielt sich das viel zu kleine
Seidenläppchen vor den starken Leib. »Wat werden se saon!« Sie jauchzte
förmlich.

Er staunte auch über die Pracht, aber zugleich ergriff ihn eine
plötzliche Unruhe, ein jähes Unbehagen -- wie kam die Zeih dazu?

»Wuhär haste dat?« fragte er finster.

Sie lachte fröhlich: »Geschenkt kritt!«

»Geschenkt kritt?« wiederholte er. »Von deim Tant doch sicher net; on
dein Modder haot sälwer neist!« Er sah sie lauernd von der Seite an.

»Olau, von dänen -- nä!« Nun lachte sie, daß sie sich schüttelte. »Von
dänen, su ebbes Schienes?! Hahahaha!«

»Von wäm dann?« fuhr er sie an.

»Olau, dau domm Pittchen,« -- noch immer lachend stieß sie es heraus
-- »von dem Hähr Reisenden, von dem freindlichen Hähr! Von wem
annerschter?!«

»Biste doll?!« Er sprang auf sie zu wie ein Rasender und riß ihr die
Schürze vom Leib. »Gief her!«

Das Lachen verging ihr, jammernd suchte sie ihm die Schürze wieder zu
entreißen. »Mein Schörz, Pittchen! Mein Schörz, mein schien Schörz!«

»Dän Lappen, dän Dreck!« Er knäulte die Seide zusammen und schmiß sie
hin; auf dem roten Rock trampelte er herum. »Onnerstieh dech noch ehs
-- ebbes aanzonähmen von Hähren, von fremde Hähren! Ech schlaon dem
Kerl ale Rippen im Leiw dorch, ech schlaon hän kapores, ech schlaon
hän dud. -- Dau Mensch, dau lidderlich Mensch, wat haot hän dafor
gekritt? Saog!« In seiner Wut gab er ihr einen Stoß, daß sie zu ihren
mißhandelten Schätzen auf's Moos niederfiel. »Saog de Waohrhaat --
lüg net! Wat haot hän dafor gekritt?!« Er schrie; unter den schweren
Augenlidern sah er sie durchbohrend an mit stechenden, gefährlichen
Blicken.

Sie suchte die Geschenke zusammenzuraffen; er schleuderte sie in weitem
Bogen auf die schmutzige Straße.

»Wat haot hän dafor gekritt -- willste't nau saon?!«

»E Küßche,« wimmerte sie, »nor en anzig Küßche. For den Rock zwaa --
for de Schörz ans -- nä, aach zwaa! Föhrwaohr on enklich, ech saon de
Waohrhaat. -- Pittchen, Pittchen!« Sie hatte Angst bekommen.

»Neist mieh? Lüg net!« Er knirschte mit den Zähnen. »Dau kömmst
net labendig hei aus em Wald, wannste net de Waohrhaat saost. Ech
raoten der!« Er hob die Faust, jede Muskel seines hagren Körpers war
angespannt; er war nicht so groß und kräftig gebaut wie seine Frau,
aber in diesem Augenblick erschien er ihr wie ein Riese.

»Hän haot mech uf dän Schoß geholt,« stotterte sie scheu. »Hän haot
dat Josefche hinnen in et Chaische gelät. Hän saot, hän wollt mer
noch ebbes vill Schieneres metbringen, wann hän dat nächste Maol nao
Eifelschmitt käm. -- O mein Schörz! Mein rot Röckche! Mein schien
Schörz!«

Die Thränen liefen ihr stromweis über die blühenden Wangen, jammernd
rang sie die Hände: »Ech arm Dier! Hätten ech dech nie geheiraod!
Hätten ech uf mein Vadder sälig geheert! Ech konnten en annern kriehn!
Duh sitzen ech eweil zo Eifelschmitt in dem dreckige Loch -- ke Gäld --
ken Penning -- mer waaß oft net, wat mer äßen soll -- dän Mahn stiehlt
onsem Hährgott dän Dag ahf -- im Winter friert mer sech zo Schannen --
im Sommer haot mer net emaol en anstännig Kleid, om uf de Kirmes zo
giehn! Hei dat Fähnche« -- sie hob ihr verschossenes, an allen Enden
zu knappes Kleid in die Höhe -- »dat dragen ech schuns e su lang mir
verheiraod sein -- zwaa Jaohr! On im Dienst zo Manderscheid haon ech
et aach als drei Jaohr gehatt. Mer moß sech schämen for de Leit!« Das
Schluchzen erstickte sie fast: »Ech arm -- arm Dier -- ech deierlich
Fra!« Sie warf sich ihren Kleiderrock über den Kopf und saß nun ganz
vermummt.

Das Kind auf Pittchens Arm fing kläglich an zu schreien; er warf es der
Mutter in den Schoß: »Dao lieg, dau Bankert!«

Aber gleich darauf packte ihn die Reue; sie schluchzte so herzbrechend,
so hatte er sie noch nie gesehen. Sonst war sie immer fröhlich. Die
hörte wohl nie mehr zu weinen auf!

Und hatte sie nicht recht, ging's ihnen nicht erbärmlich genug? Hatte
er ihr nichts Besseres versprochen, als er die schöne, lustige Zeih
freite?! Er stand betroffen.

»Zeih,« sagte er sanfter, und dann räusperte er sich. »Zeih!«

Wenn sie ihn auch nicht sah, nun wußte sie doch, woran sie war;
sie schluchzte jetzt noch jämmerlicher und krümmte sich wie in
unerträglichen Schmerzen.

»Zeih,« sagte er ganz kleinlaut und zog ihr den Rock vom Kopf.

Sie sah ihn gar nicht an, nahm das Kind in den Arm und herzte es unter
Thränen: »O dau mein Josefche, mein arm Josefche.« Sie küßte es mit
stürmischer Zärtlichkeit. Der Hut war ihr vom Kopf geglitten, das Haar
hing ihr lang und wellig an den Schläfen nieder, ihr lieblicher Mund
zuckte wie bei einem Kind, das sich ausgeweint hat und dem nur noch
stoßweise ein letztes Schluchzen kommt. Die Lider hielt sie beharrlich
gesenkt, ihr Blick ruhte auf dem Kinde; die goldig-braunen Wimpern
lagen auf den schwellenden Wangen, die die Sommersonne nicht verbrannt,
nur mit einem pfirsichähnlichen Anhauch überzogen hatte.

Keine war doch so hübsch wie sie -- und alleweil so fidel!

Peter sah unverwandt auf sie nieder. »Haste de Waohrhaat gesaot, Zeih?
Schwör! Beim Josefche bei!« Er legte die Hand auf das Kind.

Sie legte die ihre dazu. »Ech schwören!«

Nun hob sie den Blick und blinzelte ihn an: »Biste mer bees,
Pittchen?« Ein Schluchzen stieß sie noch. »Ech kann doch neist dafor!«

»Nä, nä, kreisch nor net -- Kotzdonner, dau sollst net kreischen,
Zeih!« Er stieß mit dem Fuß auf. »Ech haon et jao net e su bees
gemaant. Äwer dau moßt mer aach net ontreu gänn -- hörste, Zeih, net
ontreu. Zeih!« Er rüttelte sie schon wieder.

»Nä, nä -- o mein schien Röckche! Mein Schörz!«

Er ging schon auf die Straße und holte beides. »Dao haste dän Dreck!«

»O Pittchen!« Sie faßte seinen Kopf und zog ihn zu sich herunter, beide
Hände legte sie an seine Wangen. Ganz zart flüsterte sie -- es war
schon wieder was von dem früheren vergnügten Klang in der Stimme --:
»Eweil biste mer widder gud, gäl? On en anner Kleid kaafste mer aach,
gäl? E su bal dän Hähr Reisenden widder kömmt. Ech saon der, dän haot
Kleider!« Schmeichelnd rieb sie ihr Gesicht an dem seinen. »Gäl, dau
kaafst mer ans?« Sie wartete auf seine Antwort; als keine kam, warf sie
den Kopf zurück: »Dän wollt mer ans schenken!«

Er zuckte zusammen. »Dau sollst kans geschenkt kriehn, dau därfst kans
geschenkt kriehn, ech leiden dat net, ech -- jao« -- er nickte und
kratzte sich nachdenklich hinter den Ohren -- »ech kaafen der sälwer
ans!«

Mit einem Freudenschrei riß sie ihn ganz zu sich herunter, preßte seine
Lippen auf ihren Mund und küßte ihn heiß.

Er lag mit seinem Kopf neben dem Kind in ihrem Schoß; sie streichelte
seine Haare und wickelte sie um ihre Finger.

»Gäl, Pittchen, dau kaafst mer ans? Jesses Maria, haon ech en Freid.
Pittchen, ech haon dech su liew!«

»On dän Schandarm?« fragte er leise, noch einmal von einem düstren
Argwohn beschlichen.

Sie lachte hell auf. »Dän Lappes! Waaßte, wie dän micht? Kuck hei.« Sie
drückte die Augen heraus, warf sich in die Brust und zwirbelte an ihrer
rosigen Oberlippe. »Alleweil micht dän e su. O dän! Hahaha!«

Er hatte sich halb aufgerichtet; auf den Ellbogen gestützt, sah er
verliebt in ihr lachendes Gesicht.

Sie strich ihm die Falten auf der Stirn glatt und kitzelte ihn mit
einem Halm unter der Nase. Er mußte mit ihr lachen. Und dann tuschelte
er ihr etwas zu und drückte ihren Fuß.

Das Kind schlief unbeachtet. Das Moos war weich, der Wald einsam,
dunkler und dunkler wurde der Abend. So weich, so zärtlich ging die
Luft, und die Blätter lispelten sacht, als hätten sie sich heimlich,
ganz verschämt etwas anzuvertrauen.

Als sie gingen, hing sie an seinem Arm, und er schleppte beides,
das Kind und das Packet. Sorgfältig hatte er selbst die Geschenke
eingepackt und verschnürt, dann hatte er sich den Bindfaden um den Hals
gehängt; das Päckchen baumelte, bei jedem Schritte spürte er's.

Der Weg schimmerte kaum erkennbar, im Tannenforst war's stockfinster.
Zeih that furchtsam; bei jedem Knistern der Rinde, jedem Niederrieseln
einer Nadel fuhr sie zusammen und schmiegte sich fester an ihn. Sie
ruhte mit ihrer ganzen Schwere auf ihm, unter dem dünnen Fähnchen
spürte er ihren warmen vollen Körper.

Es war ihm sehr heiß, sein Atem ging unruhig; er schwitzte, trotzdem es
nun bergab ging und der Nachtwind feucht und scharfkühl wehte.

Dunkel lag Eifelschmitt; nur in wenigen Häusern schwacher Lichtschein,
die Straße leer. Am eintönig plätschernden Brunnen standen noch ein
paar Weiber und wuschen ihre Füße in dem ausgehöhlten Baumstamm, der
als Brunnentrog diente. Sie hatten ihre Röcke hochgeschürzt; in dem
Mondstreif, der jetzt durch's Nachtgewölk brach, schimmerten ihre
nackten Arme und Beine lockend silberweiß.

Peter fühlte wieder das seltsame Gruseln, jenen wunderlichen Schauer,
der ihm leise über den Rücken hinabrieselte, sein Blut für Augenblicke
erstarren machte, um es dann desto heißer anzutreiben.

Unweit ihrer Hütte strich eine Gestalt an ihnen vorbei; Peter glaubte
Tina zu erkennen an ihren glitzernden Augäpfeln und den geschmeidigen
Bewegungen. Sie schlüpfte zwischen ihm und der Hecke durch; für eine
Sekunde fühlte er seine Hand gestreift von heißen, feuchten Fingern --
dann war's vorbei, verschwunden wie ein Spuk. In der Ferne noch ein
leis verklingendes Lachen. --

In der Nacht träumte Pittchen schwer.

Er ging denselben Weg, den er heut der Zeih entgegengegangen. Aber oben
am Kaisergarten wandte er sich rechts, gen Großlittgen zu; er mochte
wollen oder nicht, er mußte dahin. Es puffte ihn von hinten was in den
Rücken, ein starker Wind blies ihn fort.

In der Ferne hörte er Stimmen, sie riefen und lockten: »Pittchen!
Komm, Pittchen!«

Lachen klang dazwischen -- jetzt hörte er die Zeih rufen, und jetzt die
Tina -- jetzt fielen andre bekannte Stimmen ein: »Pittchen! Pittchen!«

Wo war er denn? Erschrocken sah er sich um. Da ging er durch die öde
Heide, der Wind stöhnte drüber hin mit unheimlichen Klagelauten.

Er wollte nicht weitergehen, umkehren -- sein Fuß strauchelte über
abgestorbne Strünke, es roch nach Pech und Schwefel. Eine glühende Luft
schlug ihm entgegen wie Flammenhauch, versengte ihm Haar und Brauen und
tief innen im Leibe das Herz.

Er wollte Hilfe schreien und konnte nicht. Fern, fernab tönte heisres
Hundegebell -- das waren die Hunde von Großlittgen. Hilfe, Hilfe,
dorthin!

Er wollte laufen und konnte nicht. Er stand wie festgewurzelt.

Der Boden war heiß, als brenne unterirdisches Feuer darunter. Und da
war ein Kreis seltsamer grüner Pflänzchen, wie abgezirkelt standen sie
im Kranz mitten auf totem verbranntem Land; im schwefligen Licht, das
die Nacht erhellte, sah er deutlich ihr giftiges Grün.

Hilfe, Hilfe! Der Hexenkranz! Hatte ihn seine Mutter nicht schon als
Kind dort, sich bekreuzend, vorüber geführt und scheu geflüstert:
»Hei es't net geheuer!« Da tanzten vormals die Hexen, und loderndes
Feuer prasselte auf. Der Boden verbrannte unter ihren Füßen; nur diese
Pflänzchen sproßten, grüne Stengel, ohne Blatt und Blüte, das einzig
Lebendige ringsum.

»Pittchen, Pittchen!«

Wer rief?

Im Flammenschein hüpften ihm Gestalten entgegen mit raschelnden
Röcken und flatternden Haaren, sie lachten und winkten und riefen und
streckten die Arme nach ihm und reichten sich die Hände und wirbelten
um ihn in tollem Tanz. Immer toller, toller -- immer wilder, wilder --
Weiber, Weiber, lauter Weiber!

Und auf einmal stand die Zeih mitten im Kreis, sie hatte die
Seidenschürze wie ein Mäntelchen um die Schultern hängen und den neuen
roten Unterrock an -- weiter nichts. Sie schlug die andren auf die
ausgestreckten Finger und lachte hell.

»Dän es mein!« Sie warf den Unterrock und die Schürze ab -- da stand
sie nackt und schön im Flammenschein und sprach gebieterisch: »Kaaf mer
e nei Kleid!«

Laut kreischten die andren auf, heulend sprangen sie in die Höhe, sie
wurden zu Flammen, die ihm entgegenzüngelten -- -- --

»Jesus! Maria! Josef!« -- Da, der Boden wich ihm unter den Füßen, er
that einen tiefen Fall, abgrundtief -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Mit einem Schrei erwachte Pittchen.

Der Mond schien hell durch's unverhängte Fensterchen, mitten auf das
zerlumpte Federbett. Der Kopf der Zeih lag schwer auf seiner Brust und
drückte ihn.

Sie schlief mit offnem Mund und schnarchte regelmäßig.

Noch vom Grauen des Traumes erfaßt, rüttelte er sie: »Zeih, Zeih, Zeih!«

Sie wachte nicht ganz auf, schlaftrunken öffnete sie nur ein Spältchen
die schwarzen Lider.

»Dat Kleid,« lallte sie. -- »Kleid -- kaaf mer e schien nei Kleid!«



                    VI.


Lucia Miffert hatte ihren Mann seit Wochen gequält, den ganzen Tag und
die Nacht auch. Sie hatte sich angeschmiegt wie ein bittendes Kind
und ihn dann wieder spröde von sich gestoßen. Sie hatte gebettelt,
geschmollt, gedroht; sie bestand auf ihrem Recht, sie wollte ihr neues
Kleid.

Seit gestern war der Reisende wieder im Dorf. Mit Wut und Angst
im Herzen hatte Pittchen das Wägelchen ankommen sehen; hinten
aufgeschnallt wankten zwei hohe Musterkoffer.

Beim alten Krumscheid war der Reisende abgestiegen, da hatte er
seine Muster und Waren zur Schau ausgelegt. Die Weiber rannten hin
und staunten und feilschten; auch Lucia war unter ihnen. Sie blieb
stundenlang aus; längst waren die andren zurück -- Peter hatte
aufgepaßt -- noch immer kam sie nicht! Da ging er hin, sie zu holen.

Es war ein trüber Herbsttag. Unten im Thal an geschützten Stellen
war's zwar noch leidlich, aber oben auf den Höhen sauste der
Oktoberwind mit Ungestüm und fegte ganze Lawinen welker Blätter die
Hänge hinunter. Der Wald stand traurig.

Die Dorfstraße war schmutzig, zum Durchwaten; an Stellen, wo das
Pflaster fehlte, sank man ein bis über die Knöchel. Ein modriger Geruch
stieg von Hütten und Ställen auf, es hatte acht Tage ohn' Unterlaß
geregnet.

Gegen das Ende des Thales, nach Himmerod, war die Aussicht versperrt;
die Ruinen des heiligen Bernardus hüllten sich in Regendunst und
Nebelwolken. Quirlend, brausend wirbelte die Salm dahin; ihr klares
Wässerchen war zu lehmigten Wogen geworden mit Köpfen von milchigem
Gischt.

An allen Ecken und Enden tropfte es; vom Himmel herab, der sich wie ein
Trauertuch spannte; von den Bäumen, die zitternd die schwarzen Äste
reckten -- hie und da hielt noch eine Eberesche an der Chaussee eine
Dolde verschrumpelter, roter Beeren fest --; von den Dächern, die,
triefend, tief über den durchweichten Hausmauern hingen.

Alles war dunkler von Nässe, ohne Farbe, schwer und unlustig.

Als Peter am Schneiderschen Häuschen vorbeiging, hörte er hinten vom
Stall her, über den Hof weg, jammernde Rufe schallen, Heulen und
Winseln. Er guckte in das papierverklebte Fenster vorn neben der
Hausthür. Drinnen in der Stube lag der alte Schneider im Bett, da
kroch er hinein, sowie es kalt wurde; die Frau saß am Tisch, hatte
ihren Kaffeenapf vor sich und tupfte mit dem Finger die letzten
Brotbröselchen von ihrer Schürze.

Wieder das Geheul, das nichts Menschliches hatte! Und doch schrie kein
Tier.

Peter klopfte an die Scheiben: »Hä, ihr! Wat es denn hei passiert?«

Die Schneidersch öffnete das Fenster ein Ritzchen und steckte ihre
spitze Nase heraus. »Dat Bäbb,« sagte sie lakonisch und wollte eilends
wieder zuschlagen, als fürchte sie, ein Atom Wärme möge von drinnen
entweichen.

»Haalt!« Pittchen klemmte die Faust zwischen das Fenster. »Et schreit
doch e su! Gieft dann de Weis-Fra von Oberkail net geruf?«

»Saogt doch liewer gleich: dän Hähr Dokter!« Die Alte wackelte
ärgerlich mit dem grausträhnigen Kopf. »Ihr haot wohl dat gruße Los
gezillt[29]? Mir sein arme Leit, mir haon neist öwrig. Laoßt se
schpektaklen, se werd schuns rohig gänn!«

Und vom Bett her schalt die zornige Stimme des Alten: »Wat es dat
for en Manier?! Dat Fenster zugemaach, Zapperloot.« Er hüstelte und
schimpfte; rasch schlug die Schneidersch zu.

Peter zögerte noch einen Augenblick. Horch, wieder schlug der
scharfe, gellende Jammerschrei an sein Ohr! Das Blut wich ihm aus dem
Gesicht, sein Herz setzte den Schlag aus; ein Grausen kam ihn an.
Noch deutlich stand ihm die Stunde vor Augen, in der das Josefchen
geboren worden. Aber da hatte die weise Frau am Lager gesessen, ein
Strom der Beruhigung ging von ihrer gewichtigen, geheimnisumwobenen
Persönlichkeit aus; sie hatte den fetten Zeigefinger erhoben: »Dat elao
kömmt e su leicht dervon wie en Katz. -- Pittchen, kocht mer en Kaffee!«

Und jene da, abseits in der Kammer neben dem Stall, lag verlassen wie
ein hilfloses Tier. Peter rannte weiter, er konnte das Jammern, das
jetzt in ein ruckweises Stöhnen überging, nicht mehr anhören; das Herz
wurde ihm davon zusammengepreßt und die Tropfen herausgequetscht. Sie
traten ihm in die Augen.

Geld, Geld! Ja, wer Geld hatte, der konnte sich alles gewähren, auch
Hilfe in der Not! Der brauchte nicht zu leiden.

Geld, Geld! Eine Gier überkam ihn. Er fuhr sich in die Tasche --
verflucht, nur ein paar lumpige Kupferpfennige darin!

Ja, wenn da Thaler geklappert hätten, harte Silberthaler! Dann konnte
er der Zeih ein Kleid kaufen -- noch mehr -- alles, was ihr Herz
begehrte! Dann würde sie nicht im Wirtshaus sitzen und dem Reisenden
um den Bart gehen; sie würde nicht mehr schmollen, nicht mehr weinen,
nein, sie würde die Arme um seinen Hals schlingen und unter Küssen
flüstern: 'Pittchen, mein anziger Schatz, wat haon ech dech liew!'

Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, tropfte herunter und vermischte
sich mit dem Naß seiner Augen. Und dabei überlief ihn ein Frösteln.
'Mir sein arme Leit', hatte die Schneidersch gesagt -- -- -- -- --

'Arme Leit -- armes Pittchen' pfiff der Wind ihm entgegen. Wie mit
Geisterhand strich es ihm über's Gesicht. Wenn die Bäbbi nun umkam,
krepierte da hinten in der verlassenen Kammer --?! Wenn die Zeih ihm
untreu wurde --?! Er schüttelte sich wie im Fieber, eine unbezwingliche
Angst packte ihn und zugleich ein Grimm. Er ballte die Faust im Sack in
ohnmächtiger Wut. -- Geld, Geld!

Immer noch hörte er das Jammern, es mischte sich mit dem Sausen des
Windes und dem Brausen der Salm. Zweifelnd, unschlüssig stand er.
Sollte er nicht hinlaufen nach Oberkail und auf eigne Faust die weise
Frau holen? War es nicht Menschenpflicht, Christenpflicht? Würde ihm
die Gutthat nicht vergolten werden vom himmlischen Vater, schon hier
auf Erden, bald, jetzt?

»Hahaha!«

Wer hatte da gelacht?! Erschrocken sah er sich um, das eigne
Hohngelächter gellte ihm in den Ohren.

Der da oben -- haha -- ja, das hatte sich was mit der Vergeltung. Die
gab's nicht.

Er hatte ein Hungerleben geführt, seit er denken konnte; war's nun
nicht endlich Zeit, daß er in der goldnen Kutsche fuhr und seiner Zeih
Kleider kaufen konnte, so viele die wollte?

Die Zeih, ja die -- hin, schnell! Der mußte er das Scharmuzzieren
legen. Nur schnell, sehen, was die macht! Dann hin nach Oberkail.

Dicht vor'm Wirtshaus stieß er auf Tina. Sie trug einen Kamm
mit großen, blauen Steinen im Haar und ein bunt-schottisches
Knüpftüchelchen um den Hals. Sie schlenkerte den Rock und drehte sich;
sie wurde alle Tage hübscher, das sah er doch.

»Pittchen,« rief sie und lachte, daß alle ihre Zähne blitzten. »Eweil
sein ech fein, gäl? Dän Kamm haon ech gekaaft, dat Düchelchen« -- sie
verdrehte die Augen in der fruchtlosen Anstrengung, sich selber zu
bewundern -- »dat haon ech zukritt.«

»Maanswäjen,« brummte er.

»Pittchen,« -- schon hing sie schmeichelnd an seinem Arm -- »kaaf mer
noch ebbes!«

Ohne etwas zu sagen, schüttelte er verneinend den Kopf.

»Dau moßt -- Pittchen, nor e klaan Andenken.« Schnell sah sie sich
um, dann strich sie ihm rasch über die Backe, ihr Ton war bittend:
»Pittchen!«

»Ech haon ke Gäld!«

»Dau Lappes!« Sie stieß ihn von sich, daß er gegen die Hauswand
taumelte.

Mißmutig trat er in die Schenkstube. Da saß der Reisende auf dem
einzigen Polsterstuhl des Hauses, und auf der Bank, dicht neben ihm,
die Zeih. Sonst war kein Mensch im Zimmer.

Eine Flasche Erdener hatten sie vor sich, eine geleerte stand schon am
Boden. Der mußte der Zeih fleißig eingeschenkt haben; sie glühte wie
roter Mohn, ihre Augen waren kleiner geworden und schwimmend.

Als sie ihren Mann erblickte, sprang sie freudig auf. »Pittchen! Eweil
kommste?! Hähr Reisender,« -- vertraulich legte sie ihre Hand auf den
Arm des Städters -- »wollen Se eweil net su gud sein, on Ihr Mustren
nehme giehn? Dat Pittchen es hei, for dat Kleid zo kaafen!«

War sie toll? Peter zupfte sie am Rock, er riß ihn ihr fast aus den
Falten; sie hörte nicht. Beide Ellbogen auf den Tisch gestemmt,
studierte sie das Musterbuch, das ihr der Reisende vorgelegt hatte.

»Dat rote oder dat blaoe? Wat es nau schiener?« Sie legte zweifelnd den
Kopf auf die Seite.

»Nehmen Sie das blaue,« redete der Reisende zu, »die Elle kostet nur
ein Kastemännchen[30] mehr. Sie haben dafür aber ganz andre Ware. Ein
Kastemännchen spielt doch keine Rolle!«

»Nä,« sagte Lucia.

Peter gab ihr einen Puff. »Biste gäck?« raunte er ihr zu.

»Also das blaue?« fragte der Reisende.

»Dat blaoe. On wie vill Ehlen haon ech netig?«

»Siebzehn. Pro Elle fünfzehn Silbergroschen, macht fünfundzwanzig Mark
fünfzig Pfennig, oder -- die neue Währung werden Sie hier noch nicht so
recht kapieren -- acht Thaler fünfzehn Silbergroschen. Für dieses Kleid
ein Spottgeld!«

»Jao, dat es et aach. Gäl, Pittchen?« Freudig erregt drehte sich Lucia
nach ihm um.

»Acht Thaler --?!« Er stand betroffen. Acht Thaler -- --! Die Stube
schien mit ihm herum zu tanzen, es schwindelte ihm. Acht Thaler --
woher sollte er die nehmen?!

»Gäl, Pittchen, mei nei Kleid es wonnerschien?!« Sie jauchzte fast.

»Komm -- eweil kann ech net -- ech -- net heit, en annermal --
villeicht morjen,« murmelte er verlegen. Er faßte über ihre Schulter
und schlug ihr das Musterbuch vor der Nase zu. »Pisack' mech net e su!«
Und dann klang seine Stimme rauher, ganz heiser: »Ech haon ke Gäld.«

»Ach was!« Der Reisende lächelte. »Für so'n hübsches Weibchen muß man
immer Geld haben!«

Dies verdammte Lächeln! Peter krampfte die Hände zusammen und riß
sie wieder auseinander, daß alle Gelenke knackten. Lucias Blick ruhte
flehend auf ihm; jetzt glaubte er eine gewisse Verachtung darin
zu entdecken, jetzt wendete sie ihre Augen ab. Ihre Brauen waren
zusammengezogen, ihre Lippen aufgeworfen; sie kehrte ihm den Rücken.

»Zeih, hör ehs!«

Sie gab gar nicht Acht auf das, was er sagte. Sie stand dicht vor dem
Reisenden -- der war ein großer hübscher Mann und paßte gut zu der
großen hübschen Frau -- und flüsterte ihm etwas zu.

Was hatten die miteinander zu tuscheln?! Als wäre der Ehemann garnicht
dabei, so ungeniert benahmen die sich! Immer dichter steckten sie die
Köpfe zusammen.

»Zeih!« Zitternd stieß Pittchen ihren Namen hervor.

Der Reisende lächelte, und Lucia kicherte.

»Eweil maachste en End!« Miffert schlug auf den Tisch, daß die Gläser
klirrten.

»Seien Sie doch nicht ungemütlich.« Der Reisende zwinkerte der jungen
Frau zu und klopfte dem Erregten auf die Schulter. »Ich bitte Sie,
Herr Miffert, was ist denn da lange Überlegens?! Ich will Ihnen gern
entgegenkommen; Sie zahlen mir jeden Monat einen Thaler ab, das merken
Sie gar nicht, in achteinhalb Monaten sind wir quitt.«

»Nä.« Peter sah unschlüssig zu Boden, aber er bemerkte doch, wie die
Zeih den Herrn zupfte.

»Wahrhaftig kein Geschäft! Ich will Ihnen noch mehr entgegenkommen
-- 's thut mir wahrhaftigen Gott leid, daß die junge Frau nicht das
Plaisir haben soll -- den halben Monat, die fünfzehn Groschen will
ich gar nicht von Ihnen haben. Nur acht Thaler! Halb geschenkt!
Menschenskind, seien Sie doch nicht so stierköpfig! Wenn ich so'n
hübsches Weibchen hätte -- gelt, mein Kind?!« Er kniff Lucia in die
tiefgerötete Wange.

Peter fühlte einen bitteren Geschmack auf der Zunge; das Blut wallte
ihm so jäh zu Kopf, daß seine Augen undeutlich sahen. Ein wirres
Durcheinander wogte um ihn, durchschossen von feurigen Punkten. Und die
feurigen Punkte fügten sich zu Buchstaben: Geld, Geld! -- Und aus allen
Ecken kreischte es: Geld, Geld! -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Lucias erwartungsvolles Gesicht tauchte dicht vor ihm auf: »Gäl,
Pittchen, eweil kaafste't?«

Sie lächelte ihn an; nun spielte sie mit seiner Hand und puffte ihn
mit dem runden Ellbogen leicht in die Seite. »Pittchen!« Tausend
Bitten, tausend Versprechungen lagen in dem einen Wort!

»Acht lumpige Thaler! Seien Sie doch nicht so ungalant!«

»Hol mech der Deiwel, här met dem Kleid!« Peter wußte kaum mehr,
was er sprach. Ȁwer uf Ahfzaohlung will ech net, mir sein kein
Lumpenpackasch. Här met dem Dreck -- wat kost de Welt, ech will se
zaohlen!«

»Ich werde unserem Geschäftshaus Order geben, daß man Ihnen mit
wendender Post per Nachnahme das Gewünschte zugehen läßt, Herr Miffert!«

»Wohl, wohl,« nickte Peter. Lucia hing an seinem Hals, ganz närrisch
vor Freude.

»Es 't waohr, es 't aach wirklich waohr? Kriehn ech dat Kleidche? O
Pittchen, ech haon dech e su liew!«

Das war's, worauf er gewartet hatte. Nun mit ihr allein sein, nun sie
herzen und drücken und sich betäuben an ihren Küssen! Er wollte sie zur
Thür ziehn; willig wäre sie mit ihm gegangen, aber der Reisende vertrat
ihnen den Weg.

»Das wäre! Ne, Sie dürfen mich nicht hier mutterseelenallein sitzen
lassen, bei dem abscheulichen Wetter, in diesem öden Drecksnest! Habe
ich Ihnen dafür zu dem Kleid verholfen, schöne Zeih? Kommen Sie,
Miffert, wir trinken en Schöppchen!« Er pfiff und sang:

    »Dann setzen wir uns hin,
    Wohl auf das Kanapee,
    Und singen: Dreimal hoch
    Das Kanapee!

Das neueste vom Jahr, frisch importiert aus der Haupt- und
Residenzstadt Berlin. Ja, seit wir Siebzig-Einundsiebzig hinter uns
haben, haben wir Pli gekriegt. Sowas kennen Sie hier noch nicht, was?«

»Dat es schien!« Zeih riß begierig die Augen auf. »Sein Se so gud,
singen Se't noch ehs!«

Als er den Singsang wiederholte, summte sie mit; sie hatte ein
gelehriges Ohr.

Und der Reisende gab Couplet auf Couplet zum besten, sie konnte sich
gar nicht satt hören; ihre Augen tanzten förmlich, ihre Lippen bewegten
sich, leis murmelnd, wie beim Rosenkranzbeten.

Pittchen hatte den Arm um sie gelegt. Der Reisende hatte ihm
eingeschenkt, nun wurde auch er fidel.

Der Nachmittag ging schon in den Abend über; die frühe Dämmerung stahl
sich in's Fenster, noch früher als sonst durch den finster umzogenen
Himmel und die regenschwangere Luft.

Der Krumscheid brachte schon wieder eine Flasche und zwar nicht vom
schlechtesten. Das war ein Mosel, der sich süffig trank, aber der's in
sich hatte; er lief durch die Adern, wie prickelndes, fröhliches Leben.

»Spielen Sie auch Karten, Herr Miffert?« fragte der Reisende. Die
hübsche Frau fing an, ihn zu langweilen; da er doch nicht mit ihr
allein war, was nutzte ihm da ihre Bewunderung?! »Machen wir 'n
Spielchen!«

Peter dachte an seine paar Kupferpfennige. Verflucht, wenn er jetzt
Geld hätte! Die Eifeler spielten nicht gern mit ihm, sie schimpften ihn
'Fauteler'[31], und wenn er gewann, gab's jedesmal Prügelei. Fatal, nun
hatte er so schöne Gelegenheit, seine Geschicklichkeit zu nutzen, und
da mußte er nun kein Geld haben, nicht einmal den niedrigsten Einsatz!
Geld, Geld -- --! Seine Augen funkelten.

Der Reisende warf einen Thaler auf den Tisch. Als hätte er Pittchens
Gedanken erraten, sagte er: »Ich pumpe Ihnen. Was spielen wir denn?«

»Sechsunsechzig. Hä, Wirtschaft, Kaarten! Licht.« Peter mischte; die
verfetteten, vom Schmutz dick gewordenen Karten flogen durch seine
Hände, als seien es Rosenblätter. Und dabei wendete er keinen Blick von
dem Thalerstück auf dem Tisch, wie ein Magnet zog ihn das runde Silber
an. Solcher Dinger brauchte er acht -- nein, noch mehr, mehr! Er hatte
das Hungerleben satt.

Unwillkürlich, fast wider seinen Willen, streckten sich seine Finger
aus; er nahm den Thaler in die Hand und betrachtete ihn.

»So gut wie neu,« sagte der Reisende, »und ganz echt. Unser Kassierer
hat sich mal 'nen falschen anschmieren lassen; den haben wir ihm an die
Kasse genagelt -- haha! Aber nu los; nu wollen wir sehn, wer mehr Glück
in der Liebe hat -- Sie oder ich!« Er sah dreist die junge Frau an und
lachte.

Peter lachte auch; ein schlaues und zugleich grimmiges Lächeln verzog
seine Lippen.

Sie spielten. Den Reisenden amüsierte es, wie eifrig der arme
Teufel bei der Sache war. Hätte man wohl einem hier aus dieser
'zurückgebliebenen, unkultivierten Gegend' so viel Gewandtheit
zugetraut? Und Glück hatte der. Immer bekam er die besten Karten; er
gewann.

Zeih sah dem Spiel zu, das heißt, sie blinzelte mit verschlafenen
Augen drein, der ungewohnte Weingenuß hatte sie müde gemacht; sie
lehnte sich hintenüber an die Wand. Pittchen bemerkte nicht, daß der
Reisende unter'm Tisch ihr Knie drückte. Sie ließ es sich gefallen, sie
rückte ihm näher, ihr Kopf neigte sich immer mehr zur Seite, bis er ihm
an die Schulter sank. Sie hatte einen kleinen Rausch.

Draußen war es stockdunkel. Regen klatschte an's Fenster, ein starker
Wind hatte sich aufgemacht und heulte mit wilder Stimme. Ungestüm stieß
er gegen das Haus, die Läden klapperten, lose Riegel drehten sich
kreischend. Es war ein seltsames Pfeifen und Ächzen, ein unheimliches
Wimmern in der Nacht.

Peter war ganz beim Spiel, auf seinen Backenknochen zirkelten sich
rote Flecken ab. Der Reisende schenkte ihm wacker ein; er trank wacker
aus. Er hatte einen unauslöschlichen Brand in sich, einen Durst, der
gar nicht zu stillen war. Schon wurde sein Blick unklar, er sah alles
doppelt. -- -- -- -- -- Da war das Thalerstück, nicht einmal, nein,
zwei, drei, vier, fünf, sechs, siebenmal -- hundertmal! Hei, die
Thaler! Das war schön, wenn die sich so mehrten. Thaler -- wie die sich
in der Hand fühlten, glatt und rund! Thaler -- die klapperten im Sack;
herrliche Musik! Thaler -- die machten den Knecht zum Herrn, das arme
Pittchen zum reichen Peter! Thaler -- Thaler -- -- -- --!

Er schnalzte mit der Zunge und leckte sich die Lippen; der Gaumen war
ihm trocken, sein Schlund war so ausgebrannt, wie oben der Krater auf
dem Mosenkopf. Mechanisch ergriff er sein schon wieder gefülltes Glas
und trank es leer auf einen Zug.

»Glück im Spiel, Unglück in der Liebe,« lachte der Reisende und legte
der verschlafenen Zeih den Arm um die Schultern. »Da, stecken Sie ein,
Sie haben ihn gewonnen!« Er schob den Thaler über den Tisch.

Peter faßte gierig zu und hielt dann das Thalerstück fest in der
krampfhaft geschlossenen Faust. Er achtete es nicht, daß der Herr jetzt
die Zeih küßte; all seine Sinne, sein ganzes Denken waren bei dem
runden Silber. Es blinkte überall, auf dem Tisch, auf dem Boden, an den
Wänden, es füllte den Raum von der Diele bis zur Decke.

»Tha--ler,« lallte er.

»Ehr--lich -- ge--won--nen!« sagte der Reisende. Jede Silbe kam
zwischen einem Schlucken. Er war auch nicht mehr ganz nüchtern.

»Mei -- mei Kleid,« stammelte die Zeih.

Es wurde still in der Schenkstube, das Spiel hatte ein Ende.

Der Reisende hielt die Zeih im Arm; sie staunte mit starr aufgerissenen
Augen, in stummer Bewunderung, seine dicke goldene Talmikette und die
falsche Brillantnadel in seinem Schlips an.

Peter saß am Tisch in seiner beliebten Stellung, beide Ellbogen
aufgestützt, den Kopf zwischen die Hände geklemmt und stierte vor sich
hin. In seiner Brusttasche brannte der Thaler, durch Rock und Hemd
durch fühlte er ihn, bis auf die bloße Haut.

Da schlorrte was draußen an der Thür. Nun wurde sie geöffnet, die alte
Schneidersch wankte herein. Ein großes Tuch hatte sie über den Kopf
gezogen; geblendet, wie eine lichtscheue Eule guckte sie darunter vor.

»Was ist denn das für ein Hutzelweib? Haha! Nur herein,
Hutzelweibchen,« schrie der Reisende.

Träumte der Peter, oder wachte er? Wie hinter einer dicken Mauer,
die den Schall dämpft, hörte er die Alte sprechen. Horch! Sagte sie
nicht, das Bäbb wäre tot, und der Peter Miffert sollte kommen, den Sarg
zunageln? -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-- -- -- --

Er fuhr auf aus seinem Dusel; die scharfe Stimme der Alten zeterte
nach dem Krumscheid, und als dieser kam, verlangte sie Branntwein, ein
halbes Mäßchen.

»Dat Bäbb es schwaach gefaal[32], eweil moß et ebbes Herzliches
einholen.« Sie kostete und leckte sich dann die Lippen. »Duh werd et
schuns noch ehmaol ufgerappelt gänn. Ah --!«

»Reiwt er aach ebbes unner de Naos,« riet der Wirt.

»Sauft hän net onnerwegs aus,« schrie Peter.

Er wurde plötzlich so wütend, daß er Miene machte, sich auf die
Schneidersch zu stürzen. »Wat haot Eich dat arm Dier gedahn, dat Ihr et
krepiere laoßt, lao hinnen im Stall -- hä?«

Er rüttelte die Alte. »Wuh es de Weis-Fra, hä, dau schandluse, alde,
knahschtige[33] Hex?!« Seine Hand hob sich zum Schlag, die Alte wich
aus, das Mäßchen wackelte, kippte über, der Branntwein floß auf die
Diele.

Kreischend und schimpfend kauerte sich die Schneidersch nieder und
tupfte mit dem Finger den köstlichen Fusel auf; sie leckte und
schleckte, am liebsten hätte sie die Diele mit der Zunge aufgewischt.

Der Reisende wand sich vor Lachen -- war dieses arme Volk urdrollig!
Er lachte Thränen.

Peter stand mit geballten Fäusten; wollte er die Alte niederschmettern?
Nein, er gab sich selbst eins vor die Stirn, daß er ein paar Schritt
zurücktaumelte.

»Wirt, geben Sie der Frau doch 'n ordentlichen Droppen für ihren
Durst,« rief der Reisende. »Hahaha! Auf meine Rechnung!«

Krumscheid näherte sich mit Schnapsflasche und Mäßchen; fluchend riß
ihm Pittchen die noch halbvolle Buttel aus der Hand, setzte sie an und
trank sie leer. Grell lachend taumelte er dann gegen die Wand.

Er hatte genug. Jetzt fühlte er nicht mehr Gewissensbisse, jetzt hörte
er nicht mehr Jammern und Winseln draußen in der Nacht. Jetzt plagte
ihn der Thaler nicht mehr, der Teufel, der rund und blank über den
Tisch kollerte.

Mit verglasten Augen, den Kopf auf die Brust hängend, torkelte er zur
Stubenthür.

Zeih sprang auf. »Eweil moß ech giehn, ech kann eweil net mieh hei
bleiwen!«

»Warum nicht gar?!« Der Reisende zog sie mit Gewalt nieder. »Jetzt
bleibst du erst recht hier, mein Schätzchen!«

»Ech moß hän hämführen. Hän könnt en Malör kriehn, mei Pittche!«

»Der?! Haha! Wenn er im Dreck liegt, wird er schon aufstehn.
Donnerwetter, was der Wind heult! -- Scheert Euch fort, alte Madam, so
verlegne Ware wird nicht mehr verlangt -- haha! -- -- -- auf meinen
Schoß, schöne Zeih!

    Dann setzen wir uns hin
    Wohl auf das Kanapee -- --«



                    VII.


Erster Flatterschnee war gegen Morgen gefallen, in die Lachen und
Pfützen gesunken und da zerflossen; aber er strömte, auch nicht mehr
sichtbar, eine winterliche Kälte aus. Er steckte in der Luft, die
naßkalt und scharf wie mit Messern schnitt; er dräuete in dem Himmel,
der gleichmäßig grau und schwer über'm Thal hing.

Verschrumpelter schienen die wenigen Blätter, die Ebereschen hatten
ihre letzten Beeren verloren; Krähen kamen unruhig von den Bergen
herunter und saßen krächzend auf den Dachfirsten.

Wer kein Reisig aufgestapelt hatte, fror; die Hütten waren dumpf wie
die Keller.

Peter Miffert lag noch im Bett; die zerlumpte Decke hatte er bis an die
Nase gezogen, aber er schlief nicht. Mit düstren Augen starrte er nach
Lucia, die am kalten Herd saß, das Kind an der Brust.

Sie hatte sich einen alten Deckenfetzen um die Schultern gehängt,
fröstelnd zog sie ihn fest um sich. Sie war ganz blaß, nur ihre
Nasenspitze rot verfroren; jetzt nieste sie, und das Josefchen hustete.

Peters Stirn zog sich in noch tiefere Falten; über der linken Braue
hatte er eine mächtige Beule, das Auge war schwarz-blau unterlaufen.
Der Kopf schmerzte ihn und war so schwer wie ein Wackelstein; er
stöhnte.

»Willste ebbes, Pittchen?« Zeih sah nach ihm hin.

»Et es kalt, -- brrrr.« Er klapperte mit den Zähnen.

»Ech hoan ken Holz.«

»Verflucht!« Peter drehte sich nach der Wand um und sprach nicht mehr.

Sie sagte auch nichts.

In der Stube war's frostig, noch frostiger durch das Halbdunkel,
das darinnen herrschte; Zeih hatte einen Lappen vor das Fensterchen
gehängt, sonst pfiff der Wind allzu ungehindert durch die Ritzen.
In trauriger Mißfarbe schimmerten die nackten Wände, hie und da war
der Bewurf abgebröckelt, und der rohe Stein kam zum Vorschein. Im
Estrich waren tiefe Mulden ausgetreten. Der Holztisch war lange nicht
gescheuert, Bank und Schemel auch nicht; auf dem Tellerbord standen die
Schüsseln zerbrochen.

Lucia gähnte, es war ihr recht öd im Magen; prüfend sah sie sich um --
war denn gar nichts da, um die Flauheit wegzubringen und den Hunger,
der allmählich anfing, ihr den Magen zusammen zu krampfen? Ein warmer
Kaffee würde ihr gut thun. »Ha!« Sie schmeckte ihn schon in Gedanken.

Leise, um ihren Mann nicht zu stören, schlich sie auf den Zehen an den
Tellerbord. Auch nicht eine Bohne mehr in der Düte, kein Happen Brot
mehr da!

Trübselig starrte sie vor sich hin; da fiel's ihr plötzlich ein, hatte
der Peter nicht was gewonnen, gestern abend beim Kartenspiel? Daß sie
das vergessen konnte! Ja, einen Thaler, einen ganzen harten Thaler!
Vor Freuden machte sie einen Satz, daß ihr das Kind fast aus den Armen
geglitten wäre; sie lief an's Bett.

»Pittchen, hä, Pittchen, mir haon jao wat vergäß!« Sie lachte und fing
an, Hose und Rock, die am Fußende lagen, zu untersuchen. »Hei!« Sie
hielt triumphierend den Thaler in die Höhe, »eweil sein mir aus aler
Bredullich!«[34]

Er hatte sich halb aufgerichtet, mit blöden Augen starrte er sie an.
Jetzt schien ihm plötzlich das Verständnis zu dämmern, mit einem Satz
war er aus dem Bett und zog ihr den Arm herunter. »Giefste här!«

Sie nahm das als Spaß und lachte vergnügt.

Er riß ihr unsanft das Geldstück aus der Hand. »Onnerstieh dech noch
ehs. Dän Dahler es mein!«

»Äwer Pittchen!« Ganz betroffen sah sie ihn an -- was war ihm denn?
Sonst behielt er doch nichts für sich!

Sie streckte wieder die Hand aus: »Gief doch här, ech moß ebbes kaafe
giehn. Et es su kalt hei, ons Josefche hust!«

»Laoß mech zofrieden,« murmelte er, sprang wieder in's Bett und hielt
den Thaler in der geschlossenen Faust unter der Decke versteckt.

»O Jesses, on ech haon e su en Appetitt!« Thränen füllten rasch ihre
Augen, aber sie sagte nichts mehr; Vorwürfe machen, war nicht ihre Art,
sie nahm's eben, wie's kam. Resigniert setzte sie sich wieder auf ihren
Schemel.

Das Kind fing kläglich an zu wimmern; Peter sah das erbärmliche
Gesichtchen, so welk und alt wie das eines Alraunen. Er sah die dünnen
winzigen Hände, die in der Luft herumgriffen, und jetzt hörte er das
Husten, das Rasseln auf der kleinen Brust und den pfeifenden Atem. Er
sah auch, daß Zeih weinte. Die dicken Thränen rollten ihr über die
heut gar nicht blühenden Wangen. Sie kam ihm plötzlich ganz elend und
abgezehrt vor.

Es gab ihm einen schmerzhaften Stich durch's Herz; nur ein Wort hätte
es ihn gekostet, eine Handbewegung: 'Da hast du den Thaler', und sie
wäre aufgesprungen mit einem lustigen Juchhe, Freudenröte auf den
Wangen.

Nein, nein! Wie ein Verzweifelter preßte er den Thaler zwischen den
Fingern; er konnte sich nicht von ihm trennen. Der lag wie Blei in
seinen Händen, der klebte daran fest. Als hätte das tote Metall Leben
bekommen, so dehnte es sich in seiner Hand -- es wurde größer und
größer, immer schwerer und schwerer, es nahm ihn ganz in Beschlag mit
Leib und Seele, es wuchs und wuchs. -- -- -- -- Und eine Stimme bekam
es, die flüsterte, nur ihm allein verständlich, flüsterte und flüsterte
-- -- -- -- -- -- -- -- --

Durch Peters Kopf rasten seltsame Gedanken. Sie wurden darin
herumgewirbelt, wie welke Blätter im Gewittersturm. Düster hafteten
seine Blicke auf dem weinenden Weib und dem elenden Kind, glitten
an den öden Wänden auf und nieder und fuhren unstet durch die kalte
armselige Stube.

Immer dringlicher flüsterte die verführerische Stimme, immer
verständlicher, immer klarer; und er lauschte ihr, den Kopf auf die
Brust geneigt, ganz versunken.

Es klopfte; er fuhr aus seinem Brüten auf.

Ein kleiner Schuljunge trat ein, Tafel und Federrohr unter den Arm
geklemmt; sehr wichtig und hochgeehrt durch den ihm gewordenen Auftrag,
brachte er seine Botschaft vor:

»Dän Pittchen soll eweil gleich beim Hähr Pastor in de Kerch kommen,
dän Kronleuchter es erunner geporzelt. Hän leit eweil uf em Boden!«

»Laoß hän liegen,« brummte Peter. Er war unwillig, wollte nicht
gestört sein; er mußte lauschen, der Stimme lauschen, die so
vernehmlich zu ihm sprach. 'Arm, arm -- warum brauchst du arm zu sein?
Es liegt nur in deiner Hand -- in deiner Hand --!' Ja, in seiner Hand
lag das Thalerstück, das kleine und doch so mächtige Ding, das, nur von
Menschenhand geschaffen, doch die Welt regierte, tausendmal mächtiger,
wie der Herrgott im Himmel.

»Wat stiehste noch hei?« fuhr er den Knaben an. »Hei gänn kein
Maulaffen feil gehaal!«

»Ihr sollt eweil kommen, bei den Hähr Pastor,« beharrte der Junge.

»Jao, gieh doch, Pittchen,« mischte sich die Zeih ein.

»Ech haon ken Zeit!«

»Äwer bei den Hähr Pastor,« sagte Lucia vorwurfsvoll, »bei dän
gaastlichen Hähr?! Daor muß mer doch giehn!«

»Gaastlich oder net gaastlich, ales ein Packasch! Laoß mech zufrieden!«
Er hob die Hand gegen den Knaben.

»Maach, datste eraus kömmst!«

»Gieh daor, Pittchen,« redete Lucia zu. Sie hatte das Kind hingelegt
und faßte ihren Mann nun kräftig unter die Achseln. »Eweil kriehste
villeicht ebbes zu verdienen!«

»Ae, verdienen! Ech peifen druf!«

»O Jeß, dän Honger!« Zeih hielt sich den Leib und krümmte sich.
»De Gedärm sein mer eweil schuns binnewennig zusammengeschnorrt --
Pittchen, gieh doch!«

»In drei Deiwels Naomen!« Fluchend streckte er ein Bein aus dem Bett,
wie ein Pfeil schoß der Knabe zur Thüre hinaus, er fürchtete Prügel.

Lucia lachte hinter ihm drein, und dann hielt sie ihrem Mann die Hose
hin. »Dein Buxen, Pittchen! Hei es dat rechte Bein, hei dat linke!« Sie
half ihm in die Kleider.

Wie im Traum ließ sich Peter anziehen, seine Gedanken waren weit weg.
Zwischen den zusammengezogenen Brauen saß eine grüblerische Falte; er
brütete in sich hinein und schrak zusammen, als ihm Zeih mit einem
lachenden: 'Färdig' die Mütze auf's Haar stülpte.

Er sah nicht rechts noch links; mit hängendem Kopf, den Blick zu Boden
gesenkt, mit schlaff baumelnden Armen und schlorrenden Füßen ging er
die Dorfstraße hinunter. Er beachtete kein 'Gutentag' und keinen Zuruf;
er hörte auch nicht den Schrei eines neugeborenen Kindes, der hell und
kräftig über den Schneiderschen Hof gellte.

Ehe er in die Kirche trat, zog er in dem versteckten Winkel beim
Weihwasserbecken rasch noch einmal den Thaler hervor. Sein düstrer
Blick wurde heller, wie er das Silberstück betrachtete; falkenscharf.
Ein triumphierendes Lächeln umspielte seinen Mund, und um seine Augen
zuckten schlaue Fältchen; er stand ganz in Betrachtung verloren. Da,
Geräusch! Er fuhr zusammen, blitzschnell verschwand der Thaler in der
Tasche.

Pferdegetrappel, Räderrasseln. Ein Wägelchen nahte; der Reisende
fuhr vorbei, zum Dorf hinaus. Peter streckte den struppigen Kopf um
die Ecke und sah ihm mit höhnischem Grinsen nach, dann tunkte er
gewohnheitsmäßig den Finger in's Weihwasser, bekreuzte sich flüchtig
und trat in die Kirche.

Drinnen war der geistliche Herr. Die Hände über'm Bauch gefaltet, auf
dem guten Gesicht den Ausdruck ratloser Verzweiflung, stand er vor den
Trümmern des ehrwürdigen Kronleuchters.

Mitten in's Schiff war der heruntergestürzt; viele, viele Jahre hatte
er schon an der weißgetünchten Decke gehangen, seine tropfenden Kerzen
hatten an hohen Feiertagen gebrannt, mit ihrem zitternden Licht den
Andächtigen geleuchtet und dem geheiligten Raum eine noch höhere Weihe
verliehen. Wie ein himmlischer Strahlenkranz, ewig wie Sonne, Mond
und Sterne, hatte er über der Gemeinde geschwebt; da war kein Mensch
im Dorf, der nicht mit Stolz zu dieser Hauptzierde des Kirchleins
hinaufgeblickt und bei besonderen Gelegenheiten eine Kerze in den Kranz
gestiftet hätte.

Nun lag der Kronleuchter unten. Die Vergipsung an der Decke hatte sich
gelöst, in einer Wolke von Staub war er niedergefahren, mit einem
dumpfen Dröhnen aufschlagend; Schutt und Kalk kamen nachgeprasselt, ja,
ein ganzer Mauerstein.

Schreckensbleich eilte der Küster zum Pfarrer. Wer sollte den Schaden
nun reparieren? Das Einmauern war nicht so schwer, aber der schöne
Kronleuchter war arg zugerichtet; seine zinnernen Arme waren verbogen,
die Stacheln, drauf die Kerzen gespießt wurden, und viele der flachen
Lichttellerchen darunter, abgebrochen.

Der Pfarrer rang die Hände, der Küster jammerte. Was würde das kosten,
ließ man einen Künstler kommen, der das wieder herstellen konnte?!
Oder gar das kostbare Stück per Axe weit über die Berge zu schaffen!
Immer wieder wischte sich der geistliche Herr mit dem Sacktuch über die
Stirn, nahm auch eine Prise um die andre und trommelte nachdenklich auf
die Schnupftabacksdose.

Endlich sprach eines der Weiber, die sich neugierig eingefunden hatten,
von Pittchen.

Der konnte alles. Der einen hatte er einen neuen Boden in den
Milcheimer gesetzt; der andren die Wanduhr, die immer stehen blieb, zum
Gehen gebracht; dieser das plattgetretene und verbogene Amulettchen
mit den heiligen drei Königen schön aufgehämmert; jener den in zwei
Stücke gebrochenen Ehering so zusammengeflickt, daß ihm kein Mensch
mehr was ansah. Ohrringel, Broschen und Kreuzchen, Uhren und Ringe und
Hausgerät, alles konnte der Peter ganz machen, wenn er nur wollte.
Warum denn dies nicht?

»Pittchen, holt Pittchen!«

Der Herr Pastor drehte auf seinem Heimweg, den er schon trübselig hatte
antreten wollen, noch einmal um.

Und nun war der Peter da. Die Hände in den Hosentaschen, mit
gespreizten Beinen, das Maul schief gezogen, stand er und besah den
Schaden.

»Jao, jao, e su es et. Jao, jao, et es nau e su!« Er wiegte den Kopf
und sah schläfrig drein, ohne jegliches Interesse.

»Könntet Ihr das nicht wieder reparieren?« sprach der Pfarrer.

»Nä, nä, dat es net mein Metjä!«

»Seht einmal, Miffert,« -- der geistliche Herr bückte sich selber und
hob eins der abgebrochenen Stücke auf -- »ich denke, das ließe sich
wieder anlöten. Das ist Euch gewiß leicht möglich; mit Metall und so
was hantieren, löten und hämmern und gießen und feilen, was weiß ich,
das schlägt doch in Euer Fach!«

Einen raschen Blick, von unten herauf, warf Pittchen auf den
Geistlichen; es war ein eigentümlicher Blick, ein schlauer Blick, in
dem zugleich plötzlicher Argwohn dämmerte. »Wat beliewt?« fragte er
lauernd. »Wie maant dän Hähr Pastor dat? Ech haon ganz simpel Schlosser
gelernt, met su ebbes Apartem haon ech nie neist im Sinn gehatt. Nä,
duh mößt Ihr bei ener anneren Dühr ankloppen. Lao kann ech neist bei
maachen!«

»Aber Ihr könnt es doch versuchen,« bemühte sich der Pfarrer ihn zu
überreden. »Sie sagen alle, Ihr seid so geschickt!«

»Wän haot dat gesaot?« Peter warf einen unruhigen Blick um sich.

»Nun, nun,« -- der geistliche Herr lächelte arglos -- »das ist doch
keine Beleidigung! Du bist zu bescheiden, mein Sohn. Was du zur Ehre
der Kirche versuchst, wird dir schon gelingen. Die Heiligen werden
deine Arbeit segnen, die allergnädigste Himmelskönigin wird sich
deiner erbarmen.« Er hob die Hand. »Sei ohne Furcht.« Und dann in
minder weihevollem Ton: »Wir haben da vielerlei altes Zinngerät in
der Sakristei; wir wollen einmal nachschauen, Miffert, ob Ihr davon
nichts zum Ausbessern verwenden könnt. Zinn schmilzt leicht; schön
verarbeitet, ja, ja, kann man's von Silber kaum unterscheiden!«

Wieder dies seltsame, rasche Aufblitzen in Peters Augen. Er widersprach
nicht mehr.

In der Sakristei war es kellrig und roch nach Moder und Weihrauch;
Peter schloß die Thür hinter sich.

Da hingen Chorhemden und Meßgewänder; ein in Schweinsleder gebundenes
Buch lag auf dem Tisch, lauter Requisiten für den Gottesdienst.
Peter entsann sich wohl, wie er als kleiner Junge hier einmal
hineingeschlüpft war und mit andachtsvoller Neugier alles durchmustert
hatte. Die Neugier war noch da, aber die Andacht war weg.

Seine Blicke stöberten in allen Winkeln herum und blieben dann auf dem
alten Schrank in der Ecke haften; da mußte das Zinngerät drin sein! Er
hätte hinstürzen mögen, ihn aufreißen -- Zinn, Zinn! Bald hielt er's
in der Hand, ein Metall, aus dem sich was formen und gießen ließ, man
mußte es nur verstehen.

Seine Hand tastete verstohlen nach dem Thaler in der Brusttasche. Der
war noch da! Er preßte die Hand fest dagegen; so drückte er ihn an's
Herz.

Umständlich rasselte der geistliche Herr mit dem Schlüsselbund; endlich
hatte er den richtigen Schlüssel gefunden. Knirschend drehte sich der
rostige Bart im Schloß; widerwillig gab es nach und sprang so schwer
auf, daß Wurmmehl aus der zerfressenen, dunkelgebeizten Schrankthür
stäubte.

Da stand die Monstranz, verhängt mit weißem Mulltüchlein, neben Kelch
und Hostienschrein; im zweiten Gefach ein paar Weinflaschen zur
Stärkung für den Geistlichen. Und da, im alleruntersten Fach, verstäubt
und zerbrochen, lauter altes Gerümpel; darunter eine verbeulte
Taufschale. Und hier, mit den gebrochenen Enden herausragend, ein paar
in Stücke gegangene Altarleuchter.

Der Geistliche bückte sich und kramte in dem Wust. Peter beugte sich
über seine Schulter, den Mund offen, die Augen aufgerissen, rasch
atmend.

»Da,« sagte der Kaplan und streckte ihm ein paar Leuchterarme hin, »nur
Zinn, aber jetzt Goldeswert. Ist das genug zur Reparatur?«

Peter hatte mit einem raschen Blick alles überflogen; auf die
Taufschale sehen und sie über die Schulter des andren weg herauszerren,
war eins. »Nä,« sagte er schnell, wog die Schale einen Augenblick in
der Hand und versteckte sie dann halb hinter'm Rücken, »dat haon ech
eweil aach noch nedig!«

»Nimm dir nur! Nimm dir nur, was du brauchst, mein Sohn,« schmunzelte
der Pfarrherr, erfreut über Peters Willfährigkeit. »Alles noch aus
dem vorigen Jahrhundert, wertloser Plunder; da mußte sich unsere
Kirche zu ihren heiligen Zwecken armseliger Zinngefäße bedienen. Aber
die Heiligen werden es in deiner Hand segnen. Uff« -- er erhob sich
seufzend von den Knieen und stäubte seine Hosen ab -- »ist das eine
Ungelegenheit! Hätt' ich das heute morgen geahnt, als ich so friedlich
schlummerte! Nun geh, mein Sohn!« Er legte seine Hand, wie segnend, auf
Peters Schulter. »Du leihst deine geschickte Hand zu gutem Werk. _Quod
bonum felix faustumque sit._ Hol dir den Kronleuchter beizeiten ab, der
Küster wird dir helfen.«

Peter antwortete nicht mehr; die Taufschale vorn unter'm Rock
versteckt, die Leuchterarme, allen sichtbar, in der Hand, eilte er zur
Kirche hinaus.

Draußen gesellte sich Tina zu ihm; sie sah verfroren aus und drängte
sich dicht an ihn, als suche sie Wärme bei ihm.

»Biste mer bees, Pittchen?«

»Nä,« murmelte er zerstreut.

Sie trippelte neben ihm her. »Pittchen, maachste am Sonntag met nao
Oberkail? Se danzen beim Pauly. Holste mech bei de Muhsik, dann« -- in
ihrem Blick lag eine glühende Verheißung.

Als er schwieg, funkelten ihre Augen; sie verzog spöttisch den Mund.
»Olau, et es nor gud, dat dernaoch de Mannsleider widder kommen. Dau
bis e su en power Luder, hast net emaol e Kastemännche, om dei Mädche
zo traktieren!«

Das traf! Er fuhr in die Brusttasche und ließ seinen Thaler um ein
weniges herausblinkern. »Kuckste eweil, dat ech net e su power bin, hä?
Wann ech nor will. Äwer« -- er schüttelte verneinend den Kopf, drehte
ihr den Rücken und ging mit großen Schritten davon; er lahmte heute gar
nicht, er ging so aufrecht und forsch, wie einer, der den Sieg in der
Tasche trägt.

Mit offnem Mund sah ihm Tina nach -- einen Thaler, so viel Geld?! Wie
der Wind lief sie hinter ihm drein; als sie ihn erreicht hatte, faßte
sie ihn am Rockschoß. »Hä, Pittchen, hä, wuher haste dän Dahler? Sao't
mer doch, Pittchen, mei liew Pittchen!«

Er besann sich einen Augenblick, dann lächelte er verschmitzt.
»Geärwt,« flüsterte er ihr in's Ohr. »Pst, pst, Maul gehaal! Dau darfst
niemand neist dervon saon, ech kriehn noch mieh. Äwer« -- er schlug
sich selbst auf den Mund.

»Ech saon neist, waohrhaftgen Godds,« versicherte sie.

»Eweil holste mech aach bei de Muhsik, gäl?« Sie schmeichelte ihm und
zog ihn abseits zwischen die Hecken, die, obgleich entlaubt, doch noch
guten Schutz boten. Dort küßte sie ihn stürmisch und gierig.

Ihm wurde ganz duselig im Kopf, eine wilde Freude bemächtigte sich
plötzlich seiner. Alles konnte er haben, alles! Mit einem Juchzer
schlang er den Arm um Tinas geschmeidigen Leib und lupfte sie in die
Höhe. --

So fleißig wie diesen Nachmittag war Peter noch nie in seinem Leben
gewesen. Aus allen Ecken stöberte er seine selten benutzten Werkzeuge
auf, schimpfte laut, wenn ihm eins fehlte, und ruhte nicht eher, als
bis er alle zusammen hatte.

In der Rumpelkammer neben der Stube, die nur durch eine Luke
spärliches Licht erhielt, richtete er seine Werkstatt her. Den Tisch
schleppte er dorthin, die einzige Lampe und den Schemel.

Lucia sah lachend zu, sie wußte nicht, was sie davon denken sollte. Als
sie den Einwand machte, daß er ihr das Beste aus der Stube weg trage,
kniff er sie zärtlich in die Wange und kitzelte sie unter'm Kinn.

»Dau sollst et schuns kommod kriehn,« brummte er und lachte in sich
hinein; nahm dann einen Hammer und probierte ihn auf dem Tisch. »Eweil
noch net, äwer bal. Dän Pittchen es en Filu. Gudendag, Dahlerpittchen,«
er machte einen Kratzfuß, »wat kost de Welt?!«

Stolz richtete er sich auf, warf sich in die Brust und summte:

    »Dahler, Dahler, dau mußt wannern
    Von der anen Hand zor annern,
    Dingderlink, Dahler dau -- -- -- --

Himmelkreizgewieder!« schrie er, zusammenschreckend, dann plötzlich
seine Frau an, »wat willste hei? Weibsbiller haon hei neist zo suchen!«
Er schob sie aus der Kammer und schloß zu.

Mit dem Kind auf dem Arm ging Lucia hinunter in's Dorf. Trotz des
unlustigen Wetters ständerte sie an den Thüren herum und schwatzte.
Diese und jene rief sie herein; dann setzte man ihr einen Kaffee vor
und ein Schmierchen und fragte sie aus nach Leibeskräften.

Wie ein Lauffeuer hatte sich's im Dorf verbreitet: der Miffert hatte
eine Erbschaft gemacht! Wer es aufgebracht, wußte man nicht recht; aber
man schwur darauf, wie auf das Amen in der Kirche.

Lucia lachte harmlos dazu, sie sagte nicht 'nein' und nicht 'ja' -- was
wußte sie denn davon? Aber sie nützte die Gelegenheit; so bereitwillig
zum Geben waren die Weiber noch nie gewesen. Als sie wieder zur Hütte
hinaufstieg, war sie schwer beladen, mit Kartoffeln, Brot und Speck;
sie hatten für ein paar Tage genug daran. Satt und behaglich schlief
sie ein.

Erst lange nach Mitternacht, die Hähne krähten schon den grauenden
Morgen an, suchte Pittchen sein Lager auf.

Aus dem Spiegelscherben neben dem Bett starrte ihn ein fahles,
seltsames Antlitz an. So hatte der Peter noch nie ausgesehen, er
erschrak vor sich selber. Seine Lippen waren fest aufeinander gepreßt,
als hätten sie ein Geheimnis zu verschließen; seine Augen fuhren scheu
lauernd umher, wie die eines Diebes, der Überraschung befürchtet.

Eine Maus kraspelte; er schrak zusammen und löschte rasch das Lämpchen.

Ein Mondstrahl stahl sich durch das verhängte Fensterchen und malte
helle, runde Lichtflecke auf die Thür zur Nebenkammer. Peter schlüpfte
im Hemd, auf bloßen Füßen an's Fenster und zog den Lumpen fester vor,
prüfte sorgsam, ob die Thür der Werkstatt verschlossen, und verbarg den
Schlüssel hinter einem losgebrochnen Stein des Herdes.

Dann erst kroch er fröstelnd in's Bett. Aber er wurde nicht warm. Von
Schauern überrieselt, mit brennenden, weitoffnen Augen lag er, von
Zweifeln und Ängsten beschlichen. Würde es ihm auch gelingen?! -- -- --
-- Was hatte der Pfarrer gesagt? 'Die Himmelskönigin wird sich deiner
erbarmen!' -- -- -- -- »Ech gelowen der en Kerz, e su dick wie mein
Arm, nä, noch dicker,« murmelte er. »Nä, zwa! On en Kleid von Seid, on
Messen for de armen Seelen im Fegfeuer.«

Bah, was ging denn nur mit ihm vor?! Er riß die gefalteten Hände
auseinander -- so rasch ein Betbruder geworden? Das sollte ihm fehlen!
Seine Gesichtsmuskeln zuckten in einem höhnischen Grinsen -- nur keine
Furcht!

    »Wän net wagt, dän net gewinnt,
    Wän net sucht, dän net findt,«

sagte er sich laut vor. Wo Reichtum und Armut so ungerecht verteilt
sind, muß man da nicht selber suchen, sich was zu verschaffen? Wer
zuerst beim Weihwasser ist, segnet sich zuerst. Und hatte ihm die
Heilige nicht selber den Weg gewiesen?

»Jao, jao,« -- er bekreuzte sich nun doch unter der Bettdecke --
»unsre liebe Fra, gelowt sei se!« Die hatte das so gewollt; die war
dem Pittchen gut, wie alle Weiber. Die hatte den Kronleuchter stürzen
lassen; die hatte ihm das Zinn und das silberne Taufbecken in die Hände
gespielt; die hatte dem armen Pittchen helfen wollen, die würde ihn
auch ferner nicht im Stich lassen.

Seine Aufregung legte sich allmählich, die finstren Falten auf seiner
Stirn glätteten sich.

Allerhand liebliche Bilder kamen. Wenn er sich auch erst unruhig warf
und stöhnte, daß die Zeih aufwachte und erschrocken den Arm um seinen
Hals schlang, bald schlief er sanft.

Er lag noch und schnarchte, als der Pfarrherr den Küster schickte und
fragen ließ, wie dem Pittchen die Arbeit gelinge?



                    VIII.


Der alte Krumscheid knallte mit seiner Peitsche, daß Krähen und
Spatzen entsetzt aufflatterten und magere Häschen sich in den kotigen
Ackerfurchen versteckten. Wenn die lange Peitschenschnur sich in
den nackten Ebereschenzweigen, rechts und links von der Straße,
verfing, fluchte er und riß und zerrte. War es ihm endlich gelungen,
loszukommen, weifelte er hin und her und setzte dann in Bogen und
Zickzacklinien seinen Heimweg fort.

Er kam von Spang-Dahlem, da hatte er eine trächtige Kuh verkauft; ein
gut Stück Geld trug er im Lederbeutel, unter'm Mantel versteckt, auf
dem Leib. Kein Wunder, daß er einen Kleinen sitzen hatte; in Oberkail
war er auch noch einmal eingekehrt.

Als er zum Dorf hinaus war, stieß er auf Pittchen; fast schien es so,
als hätte der da auf ihn gepaßt. Pittchen kam auch von Oberkail, hatte
sich beim Maurer dort ein Säckchen Gips geholt, eine recht reichliche
Portion, zum Eingipsen des Kronleuchters in der Kirche.

Sie redeten dies und das. Der Krumscheid war sehr guter Laune, und
Pittchen ging ihm um den Bart, so geschmeidig, wie eine schnurrende
Katze ihrem Herrn um die Füße streicht. Zuletzt wurde der Alte
vertraulich; wenn er gar so sehr schwankte, stützte Peter ihn.

»Gud gelaoden,« lallte Krumscheid und schlug sich auf den Bauch, daß
es lieblich im Lederbeutel klimperte. Und dann blinzelte er, von der
Seite her, dem andren dummpfiffig in's Gesicht. »No, bei Eich werd et
eweil aach bal klimpern, wat? Saot« -- er flüsterte wichtig und spitzte
neugierig die Ohren -- »mir könnt Ihr't eweil dreist anverdrauen,
wän -- wän« -- der Schlucken stieß ihn -- »wän haot Eich -- ebbes --
ver--vermaacht?«

»Jongfra Maria!« Peter flüsterte auch und legte dann, sich scheu
umsehend, dem Angetrunkenen die Hand auf den Mund. »Still, äwer still,
dat se 't net hört! Dat haot se net gären. Wann mer dervon babbelt,
krieht mer de Krankhaat!«

»Wän haot Eich -- ebbes -- ver--maacht -- wän?« Der Alte riß blöd die
Augen auf.

»Hei dän Däumerling,« lachte Peter und streckte seinen Daumen in die
Höhe.

»O dau Filu!« Der Krumscheid stieß ihn kichernd in die Seite. »Ihr
spillt jao Kumedi! Ihr wollt et nor net saon!«

»Kann sein, kann aach net sein!« Peter zuckte die Achseln. »Äwer,
Krumscheid, hört ehs« -- er zwinkerte vertraulich -- »seid eweil e su
gud, on lehnt mer e paor Dahler, Stücker aacht oder ziehn. Ihr krieht
se met Zönsen widder, e su bal ech -- no, Ihr waaßt jao schuns! -- E su
bal ech ausgezaohlt gänn!«

»Lehnen -- Dahler --?!« Trotz seiner Trunkenheit wurde der Alte
argwöhnisch; er hielt die Hände vor den Bauch, als wolle er so die
Thaler schützen.

Sie waren unweit Schwarzenborn, ein starker Wind blies über die kahle
Höhe; der Alte torkelte, daß er sich kaum aufrecht halten konnte.

Peter packte ihn fest unter den Arm. »Met Zönsen widder,« raunte er
ihm in's Ohr. »Anstatts ziehn, fünnefziehn Dahler! Dat es en Geschäft,
gäl? Hört Ihr dän Wind? Wie dän heult! Wann ech Eich loslaoßen, eweil
kullert Ihr hei dän Berg erunner, bonz onnen, bonz owen! Se können Eier
Knöchelcher anzeln ufsuchen.«

»Jesses!« Der Alte klammerte sich fest an den stützenden Arm. »Kriehn
ech se dann aach widder, mein Dahlersch?« stammelte er ängstlich.

»Uf Ehr on Säligkaat,« sagte Pittchen feierlich. »Hopp! Maacht, gieft
Obacht, eweil kunnt Ihr dat Genick brächen, wann ech net derbei waor!«

»Jeßmarijusep!« Der Alte knöpfte schon seinen Mantel auf; Pittchen half
ihm dabei, allein konnte der Krumscheid nicht mehr damit zu stande
kommen.

Auf einem Stein am Weg kramten sie den Beutel aus; die Papierscheine
schob Pittchen mit Verachtung zurück, aber die harten Thaler, die darin
waren -- grade acht -- packte er mit Gier. Er betrachtete sie scharf --
lauter Thaler verschiedener Prägung, schon durch viele Hände gegangene;
die Bildnisse verwischt, die Schrift nicht mehr leicht leserlich, das
fein Gekerbte des Randes etwas abgegriffen. Er klopfte sie prüfend an
den Stein. Waren sie auch echt? Sie gaben keinen sonderlich hellen
Silberklang mehr.

Mit einem tiefen Aufatmen, sehr befriedigt, steckte er sie in die
Tasche. Dann führte er, sorgsam wie eine Mutter, den jetzt völlig
Sinnlosen den abschüssigen Weg in's Thal, leitete ihn gutmütig bis in
die Schenkstube und half ihm sogar selber noch in's Bett.

Es war ganz dunkel, als er nach Hause ging.

Zeih hatte ein Talglicht brennen; eine leere Flasche diente als
Leuchter. Sie hatte es auf den nun einzigen Schemel der Stube gestellt
und kauerte davor am Boden, wie ein Türke, mit untergeschlagenen Beinen.

Josefchen schlief fest in seinem Weidenkorb; sein Gesichtchen, mit dem
unkindlich spitzen Näschen und den wachsgelben Wänglein, sah aus wie
das eines toten Kindes.

Das armselige Licht flackerte mit langer Schnuppe und stank abscheulich
nach ranzigem Fett; auf dem Herd schwehlte Reisig, warf ab und zu einen
aufzuckenden Schein über die Wände und sank dann jäh wieder zusammen.
Das gab dem öden Raum etwas Leeres, Ausgestorbenes. Die nackten Mauern
glichen Grabmauern in der gespenstischen Beleuchtung.

Nur Zeih atmete volles Leben. Über ihrer üppigen Brust straffte
sich die bunt-baumwollene Nachtjacke, der oberste Knopf war nicht
geschlossen, man sah die weiße Kehle schimmern. Aus den Flechten hatte
sie die Haarnadeln gezogen, nun hingen sie ihr halbgelöst herunter, und
das flackernde Licht warf einen goldenrötlichen Glanz auf ihr Braun.
So sah sie fast mädchenhaft aus, trotz ihrer Fülle von einer keuschen
Lieblichkeit.

Mit flinken Fingern kramte sie in dem bunten Gelappe auf ihrem Schoß --
hier ein Bandflickchen, da ein Spitzenendchen -- es war rätselhaft, wo
sie das alles aufgetrieben hatte. Nun langte sie neben sich und hielt
die Taille des roten Sonntagskleides gegen's Licht -- an der Brust
ganz speckig gerieben, alle Nähte blank, der Stoff so fadenscheinig
abgetragen, daß das Licht durchschimmerte, wie durch ein Spinngewebe.

Sie seufzte. Schade, daß das neue Kleid nicht schon fertig war! Der
Stoff war noch nicht einmal angekommen; was hätte sie sonst für einen
Staat machen können, morgen zu Oberkail! Jammerschade!

Ein paar Augenblicke ließ sie die Lippen hängen, aber gleich darauf
hoben sich die Mundwinkel wieder in einem vergnügten Lächeln. Ei was,
amüsieren würde sie sich auch in dem alten Kleid, war nicht der schöne
Gendarm da?! Und wenn der nicht, dann doch andre!

Es wurde ihr heiß, wenn sie an die Lustbarkeit dachte; sie öffnete die
Nachtjacke weiter über der Brust. Pittchen mußte mit ihr hingehn, er
mußte; hei, das würde fidel werden! Sie hielt den hübschen Kopf schief
über ihre Arbeit geneigt und summte sich halblaut eins.

Da knarrte die Thür; Peter trat ein.

Mit einem unterdrückten freudigen 'Jesses' sprang sie ihm an den Hals.

Er war durchfroren; das Haar hing ihm, vom Nebel genäßt, in die Stirn.

Sie ließ ihn gar nicht zu Atem kommen. »Pittchen, mir maachen morjen
nao Oberkail, gäl? Dau giehst met mer danzen, gäl?« Sie flüsterte und
drückte ihn heftig an ihre weiche volle Brust.

»Watt dann?« Er sah sie verwundert an. »Wie kömmste e su im Momang dao
druf? Wän haot dir dat in dän Koap gesetzt?«

»Dat Tina waor hei,« sagte sie hastig. »Et saot, dau hättst em
versproch, dau wollst et metholen nao Oberkail. Kuckste hei?« Sie
hielt ihm die Wange hin, über deren weiches Fleisch sich ein scharfer
Kratz zog. »Mir haon en ordentlichen Diskurs gehaott. Äwer ech giehn
met. Jesses« -- sie machte einen kleinen Hopser -- »ech hören se
schuns fiedeln! Gäl, Pittchen, mir giehn daor?« Sie blinzelte ihn mit
schwimmenden Augen an.

»Dat Tina, dat frech Mensch,« murrte Peter und kratzte sich mißmutig
hinter den Ohren. »Ech giehn net nao Oberkail, ech haon ken Zeit!«

»Olau!« Lucia lachte ihm in's Gesicht, und dann sagte sie ernsthafter:
»Dän Küster waor hei, hän wollt kucken, wie weit datste als met dem
Kronleuchter wärst. Hän wollt et absolut wissen; hän saot, dän Hähr
Pastor däht em schicken. Mir wollten in de Kammer kucken, mir haon
versucht --«

»Onnerstieh dech noch ehs!« Peter fuhr sie so heftig an, daß sie
betroffen zurückwich. Mit großen Schritten eilte er zur Kammerthür, zog
den Schlüssel aus seiner Tasche und stieß ihn in's Schloß; dann krachte
er hinter sich zu. Zeih hörte, daß er zweimal herum zuschloß.

Er blieb sehr lange in der Kammer; als sie ihn zur Abendsuppe rief, war
ein dumpfes Grunzen seine einzige Antwort.

Sie klopfte und schlug gegen die Thür. »Pittchen, hörste dann net?
Pittchen! Eweil sollste kommen, Pittchen!«

Urplötzlich, mit einer solchen Vehemenz trat er heraus, daß er ihr
die Thür gegen den lauschend vorgeneigten Kopf stieß. Er beachtete
nicht, daß ihr die Thränen in die Augen schossen; stumm und hastig
schlingend, verzehrte er am Herdrand das Mus und die paar vom Mittag
übrig gebliebenen kalten Schalenkartoffeln.

Als er satt war, kam eine ruhigere Stimmung über ihn; er ließ seinen
heißen Kopf, wie erschöpft, an Lucias Schultern sinken und umfaßte
ihren Leib. »Dat waor en Strawatz,« stieß er unwillkürlich heraus,
»hährjeh!«

»Wat dann?« fragte sie zerstreut; sie dachte nur an den morgenden Tanz.

Ohne zu antworten, wühlte er den Kopf immer tiefer.

Sie strich mechanisch über sein Haar, vor ihren Augen drehten sich die
Tänzer.

Er murmelte in sich hinein: »Mer kann jao eweil dat Läwen net mieh
mantenören.« Und dann fuhr er plötzlich auf: »Zeih, freu dech!«

»Dau giehst met mer nao Oberkail? O dau Pittchen!« Froh überrascht
drückte sie ihm einen schallenden Kuß auf die Backe. »Nao Oberkail!«

»Gieh met wäm datste willst! Laoß mir mein Ruh!«

Heftig sprang er auf und eilte in die Kammer; wieder schloß er hinter
sich zu. -- -- --

Zum zweiten Mal schon wachte Lucia in dieser Nacht auf, und noch immer
lag ihr Mann nicht neben ihr. Schlaftrunken rieb sie sich die Augen.
Unter der Schwelle der Kammerthür stahl sich noch ein Lichtstreif
in die Stube; nun hörte sie auch drinnen noch hantieren, hastiges
Hinundhergehn und unterdrücktes Fluchen.

Sie bedauerte ihren Mann; was der sich plagen mußte!

Seit der Kronleuchter im Hause war, war das arme Pittchen wie behext;
wär' der nur geblieben, wo der Pfeffer wächst!

Leise schlich sie sich aus dem Bett und lugte, mitleidig und neugierig
zugleich, durch den Spalt, der mitten im Holz der Kammerthür klaffte.
Nichts zu sehen, von innen war er verklebt.

»Pittchen,« rief sie und klopfte.

Keine Antwort.

Innen Gemurmel, als ob einer betet oder Geister beschwört.

Draußen erhob der Nachtwind ein stöhnendes Geheul. Das pfiff und
ächzte und tobte und johlte; das Wodesheer jagte im Kunowald, oder der
Teufel rief die Hexen auf dem Tanzplatz bei Großlittgen zusammen. Der
wilde Herbststurm riß am Strohdach, nicht viel fehlte mehr, und die
Hütte wurde abgedeckt. Eine schauerliche Nacht.

Sie fror in dem dünnen Hemd, das ihr nur bis zu den Knieen reichte.
Zitternd schlich sie in's Bett zurück. -- -- --

Vorwurfsvoll blickte Lucia Miffert am andren Morgen in der
Sonntagsmesse zur Kirchenwölbung auf, an der ein großes Loch die Stelle
zeigte, wo der Kronleuchter gehangen. »Dau,« murmelte sie drohend und
ballte die Faust in den Falten ihres Kleides. »Brauchst dau erunner zo
porzeln, konntste net waarten bis morjen? Eweil däht hän heit met mer
nao Oberkail giehn!«

So war mit dem Peter nichts anzufangen; der bastelte den ganzen
heiligen Sonntag in seiner Werkstatt und wurde unwirsch, wenn man ihn
störte.

Sie betete recht angelegentlich zur Jungfrau Maria; wenn die ihr doch
einen schickte, der sie mitnähme!

Am frühen Nachmittag wusch und strählte sie sich noch einmal; die
Haare glänzten ihr wie Seide auf dem wohlgeformten Kopf, das Kleid
sah doch noch erträglich aus, nun sie es mit einem Spitzenkrägelchen,
von einer gelben Bandschleife geschlossen, ausstaffiert hatte. Mit
Wohlgefallen guckte sie in den Spiegelscherben. Hei, wie die Ohrringel
blitzten, wie pures Gold! 's war zwar nur blankgeputztes Messing, ein
Hausierer hatte ihr die Ringelchen einmal eingetauscht gegen alte
Lumpen; freilich, ein paar handvoll Federn aus dem Bett hatte sie auch
noch mit dreingeben müssen.

Mit naiver Freude besah sie sich lange, dann trat sie vor die Hausthür,
stemmte die Arme in die Seiten und lugte aus.

Jesus, Maria, Josef! Wer kam denn da mit Säbelgerassel die Dorfstraße
herauf?! Sie traute ihren Augen nicht; einen hellen Freudenschrei stieß
sie aus -- das war ja der schöne Gendarm von Oberkail!

Ihr Kleid raffend, sprang sie in großen Sätzen ihm entgegen. Daß ihr
nur keine zuvorkam!

Die einsame Dorfstraße hatte sich plötzlich belebt, aus allen
Fenstern fuhren Köpfe; Thüren klappten. Rufen, Laufen, Lachen. Mit
Zauberschnelle war Leben, wo eben noch alles ausgestorben erschienen.
Da waren schon die Tina, die Brun und die Leis! Die kleine Billa kam
auch gerannt, und noch ein ganzer Schwarm andrer.

Der schöne Gendarm versandte rechts und links freundliche Blicke aus
seinen blanken Augen und lachte über das ganze runde Kindergesicht, daß
sich die Grübchen in seinen Backen zu zwei Löchelchen vertieften.

Wen suchte er?

Nun war Lucia bei ihm. »Hähr Schandarm, Hähr Schandarm,« stammelte sie
atemlos, mit ihrem strahlendsten Lächeln.

»Verfluchtes Schwein -- pardon, wollte sagen: riesiges Jlück!« Er
legte zwei Finger an den Helm und betrachtete sie mit der Miene eines
Eroberers. »Ich dachte jrade an Sie, schöne Frau!« Er gab sich Mühe,
das ein wenig von oben herab zu sagen, aber im Grunde war er so erfreut
über die Begegnung, daß er schmunzelnd den Mund breit zog. Er strich
sich unternehmend den Schnurrbart. »Riesig erfreut!«

»Es et waohr?« fragte sie treuherzig. Die Häuser tanzten vor ihren
Augen einen wiegenden Walzer, ihr Herz klopfte in kindischer
Glückseligkeit -- den hatte ihr die Jungfrau Maria geschickt!

Sie waren bald einig. Der schöne Gendarm hatte in Eifelschmitt beim
Krumscheid, dem Ortsvorstand, etwas zu thun gehabt; das sagte er aber
nicht, er behauptete, einzig und allein nur gekommen zu sein, um die
schöne Zeih zum Tanz abzuholen. Nun wollte er auf sie warten, unten am
Berg, wo das Fußfällchen[35] steht.

Vor Freuden hüpfend, eilte sie zurück in ihre Hütte; sie küßte und
bekreuzte das Josefchen in der Wiege, wickelte es fest ein, daß es sich
nicht rühren konnte, und steckte ihm den Zulp mit gekautem Brot in's
Mäulchen.

Jetzt rasch ein Tuch um die Schultern gehängt und dann an die
Kammerthür geklopft. »Pittchen, adjes! Ech giehn derweil!«

Drinnen fuhr einer erschreckt auf, wie aus tiefem Schlaf, man hörte den
Schemel umpoltern.

»Ech giehn nao Oberkail, adjes!« Sie wartete keine Gegenrede ab,
schnell war sie auf und davon; die Thür ließ sie in der Eile offen, ein
starker Zugwind blies in's Haus.

Als sie mit ihrem Begleiter die Höhe gen Schwarzenborn hinaufstieg,
folgten ihr viel neidische Blicke.

Was wollte die denn mit dem? Die hatte ja zuhause einen Mann! Die
Weiber standen zusammen, Enttäuschung und Ärger in den Mienen, und
schimpften hinter ihr drein; heute wurde Lucia Miffert von allen gehaßt.

Tina schmählte, gegen ihre sonstige Gewohnheit, wenig; sie lahmte
merklich mit dem linken Fuß. Auf den hatte ihr die Zeih gestern den
Schemel geworfen; da hatte sie ordentlich Respekt bekommen.

Als es dunkelte, schlich sich Tina zu Mifferts Hütte, sie hörte ihn
drinnen poltern und fluchen.

Vor einer Viertelstunde war Peter erst aus der Kammer gekommen; sein
blasses Gesicht zeigte scharlachrote, abgegrenzte Flecken auf den
Backenknochen, seine Augen, die tief in den Höhlen lagen, glänzten
übernatürlich.

»Zeih,« schrie er aufgeregt, »Zeih!« Für heute war er fertig, und nun
mußte er einen Menschen haben, mit dem er reden konnte, einerlei was,
nur reden, reden! Eine wilde Unruhe quälte ihn.

»Zeih!« schrie er, daß die Wände widerhallten. Sie antwortete nicht,
nur das Josefchen wimmerte, halberstickt in seiner festen Umwicklung.

Die Thür stand sperrangelbreit offen, eiskalt war's in der Stube -- die
Zeih nicht da, wo war sie?

Verstört fuhr er sich über die Stirn -- hatte sie's ihm denn nicht
zugerufen: 'nao Oberkail' --?!

Wie ein Keulenschlag traf es ihn in's Genick; er brüllte auf: »Nao
Oberkail!«

Und mit wem --?! Hatte er denn keine Ohren gehabt, keinen Verstand?!
Wie ein Wahnsinniger rannte er in der Hütte umher -- nach, ihr nach! Er
wollte sich anziehen und fand seine Sachen nicht, wütend warf er alles
durcheinander; am liebsten hätte er geweint, wie ein altes Weib.

Da kam Tina.

Erst war er grob, sie ließ sich nicht abschrecken; schlau wie ein
Kätzchen umschmeichelte sie ihn. Sie küßte ihn und streichelte ihn; sie
sah schön aus in dem Sonntagskleid, mit dem goldenen Kamm in den Haaren
und frisiert wie ein Fräulein.

Er wurde schwach. Und hatte er denn nicht auch versprochen, sie
mitzunehmen?!

Sie drängte ungeduldig zum Aufbruch. Nur so viel Zeit ließ sie ihm
noch, daß er von neuem Feuer anzündete und das Kind loswickelte; die
Zeih hatte es ja eingepackt, daß es ersticken mußte.

Dann gingen sie mit einander fort, aber Peter verschloß das Haus
sorgfältig und legte sogar die morschen Läden vor.

Sie waren kaum zwanzig Schritt weit, da rief die Leis sie an; die
hatte wohl hier auf der Lauer gelegen. Sie war vollständig zum Gehen
gerüstet, nur die schönen blonden Haare trug sie unbedeckt, als goldig
umstrickende Fäden wehten sie im Herbstwind. Sie sagte, sie wolle auch
nach Oberkail, und schloß sich ihnen an, ohne weiter aufgefordert zu
sein.

Die schwarze Brun war auch nicht weit. Wenn Tina auch ein noch so
wütendes Gesicht machte, die beiden stahlen sich an Pittchens andere
Seite.

Und so fanden sich ihrer noch mehrere ein. Die Steffes kam daher, ganz
sittsamlich ihr Hubertche an der Hand führend; gleich darauf die Traut,
die immer noch ein besonderes Anrecht auf Pittchen geltend machte, von
früher her.

Als sie endlich die Chaussee gen Schwarzenborn hinaufstiegen, trabte
Pittchen inmitten von zehn Weibern. Als letzte hatte sich die kleine
Billa eingefunden, atemlos war sie nachgerannt in ihrem flatternden
kurzen Rock. -- »Tina, waart! Waart!« Sie kreischte immerfort: »Helao,
ech saon et! Dau sollst net allein giehn! Tina, Tina!«

Zuletzt hing sie sich dem Peter an den Rockschoß. --

-- -- -- -- -- -- -- -- --

Die letzten Lichter von Oberkail schimmerten wie vereinzelte
Glühwürmchen durch die Finsternis, als die Eifelschmitter heimkehrten.
Es war spät, gegen Mitternacht, und noch hatten sie eine gute Stunde
Wegs.

Ihre Gesichter glühten trotz des scharfen Bergwindes, der die Haut
schnitt wie mit Messern; ihre Kleider blähten sich, flatternd gleich
Fledermausflügeln. Irgend jemand trug eine Laterne, aber sie löschte
bald aus; nur der Mond, der für Augenblicke zwischen jagenden Wolken
hervorlugte, zeigte den Weg. Er war ein sehr unsicherer Führer -- jetzt
verschwand er ganz; mit Gekreisch drängten sich die Weiber in der
tiefen Dunkelheit um Pittchen. Wohin der tappte, weiche Leiber.

Das war ein 'Jux' gewesen zu Oberkail!

Als der Peter mit seiner Eskorte angekommen war, tanzten sie schon;
mitten im dicksten Knäuel drehte sich die Zeih. Sobald sie ihren Mann
erblickte, ließ sie ihren Tänzer, den Gendarmen, stehen und lief
lachend auf Pittchen zu. Dieser aber that patzig, sah sie gar nicht
an und tanzte los mit einem herausfordernden Trotz. Und als er gar
Apfelwein kommen ließ und die Eifelschmitter Damen traktierte, war er
König des Tanzbodens; die dummen Bauernburschen von Oberkail trauten
sich ihm nicht in's Gehege, von denen hatte ohnehin jeder sein Mädchen
mitgebracht.

Lustig, lustig! So toll hatte es der Peter noch nie getrieben; sein
lahmes Bein schien vergessen, er sprang wie ein jähriges Kalb, immer
gab ihm was inwendig einen Peitschenschlag: »Hü, hott, trab, trab!«
Gestachelt durch Eifersucht, geschmeichelt von der Bewunderung, gejagt
von -- was war es nur, das ihn so hetzte?!

Er schwang die Tina und die Leis, er schwang die Vrun und die Traut --
alle. Erst gab es ihm einen schmerzhaften Stich, wenn er sah, wie der
Gendarm und die Zeih sich gar nicht losließen; dann ging alles unter in
einem wilden Dusel.

Der letzte Groschen von dem Vorschuß, den er vom geistlichen Herrn auf
seine Arbeit erbeten, war verjubelt; was kümmerte es ihn, er schrie
immer weiter nach Bier, Schnaps und Wein und ließ es auf Rechnung
schreiben.

Jede drängte sich dazu, mit ihm zu tanzen; jeder mußte er zutrinken.
Rechts hatte er die Tina neben sich, um den Platz an seiner Linken
stritten sich Vrun und Leis erbittert mit der Traut; zuletzt wurden sie
dahin einig, sie saßen nacheinander ihre Zeit ab. Sie schmeichelten ihm
alle, er that mit jeder schön; zuletzt konnte er sie nicht mehr von
einander unterscheiden. Keine nahm's ihm übel, sie waren schon alle
halbvoll.

Billa war zuerst abgefallen. Sie fing plötzlich, mitten im Lachen,
laut an zu weinen, legte den Kopf auf den Tisch und schluchzte, daß es
sie stieß. Als jemand nach einer Weile sie aufrichten wollte, sank sie
wieder schwer vornüber; sie schlief fest, unbekümmert um das dröhnende
Gelächter der andren und das Gedudel der Musik.

Pittchens Augen starrten trüb und glasig, wie die eines toten
Schellfisches. Er sah nicht mehr, daß der schöne Gendarm drüben mit
Zeih in einer Ecke saß und ihr Wein und Kuchen bestellt hatte; er
merkte nicht, daß sie miteinander verschwanden.

Er riß unflätige Witze, lachte, schlug auf den Tisch, drückte jetzt
die, dann die, und wurde zuletzt windelweich.

Sie hielten ihn umstellt, wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe den
waidwunden Bracken; ihre Augen glänzten und glitzerten, sie maßen sich
untereinander mit Raubtierblicken -- wem fiel er zu? Dumpf knurrend
zeigten sie sich die Zähne.

Der Kampf des Abends wurde auf der mitternächtigen Straße fortgesetzt.
In der schwarzen Finsternis gab es heimliche Tritte und Püffe, alles
still, ohne Laut. Jede suchte die neben sich von Pittchen weg zu
drängen und allein was von ihm zu erhaschen; sie warfen ihn fast um.

Peter war schwer betrunken. Er war kein Gewohnheitssäufer, es war
zu zählen, wie oft er in seinem fünfunddreißigjährigen Leben bezecht
gewesen; aber in letzter Zeit warfen ihn schon ein paar Gläser um, er
goß sie zu aufgeregt, zu hastig hinunter.

Willenlos ließ er sich von den Weibern schieben und zerren; wie ein
unlöslicher Klumpen hingen sie dicht um ihn geballt. So kamen sie
langsam voran.

Nun zeigte sich wieder einmal der Mond -- da fiel's der Tina auf, die
Bill fehlte. Richtig, die hatten sie oben vergessen im Tanzsaal. Da
lag sie auf der Ofenbank wie eine Tote, mit wirrem Haar, die Kleider
halbgelöst um den noch kindlich hagren Körper; die Bauernburschen
standen darum her, glotzten und machten ihre Scherze.

Auch das Hubertche war abhanden gekommen; das schlief wohl auch
in irgend einem Winkel. Niemand beunruhigte sich wegen der
zurückgebliebenen Kinder.

Ganz zurück in der Ferne zeigte sich ein wanderndes rötliches
Pünktchen, das war die Laterne, die der Gendarm trug; er gab
seiner Liebsten bis Schwarzenborn das Geleit. Sie verabredeten ein
Stelldichein am nächsten Tage, dann ließ sich Zeih einen zärtlichen
Abschied gefallen und bedankte sich vielmals 'für alles Pläsir.'

Noch ein Kuß. Dann rief sie laut nach ihrem Mann, daß es durch die
Nacht gellte, und stolperte, so rasch sie konnte, den Vorangegangnen
nach. --

Ein Ungeheuer, vielfüßig vielköpfig, schiebt sich langsam die
Weiberschar bergab. Sie hat den Weg verloren.

Über Gestein und Geröll, durch Acker und Gestrüpp, ohne Pfad wälzt
sie sich zu Thal, mitfortreißend, was nicht Kraft hat, sich zu wehren.
Einer Lawine gleich, die verheert und zerstört; furchtbar in fühlloser
Lebendigkeit, unheimlich in unerbittlichem Vorrücken, todbringend in
grausamer Geschlossenheit.



                    IX.


Allerseelen.

Die Gräber des kleinen Kirchhofs, draußen an der Straße gen Himmerod,
waren geschmückt mit Tannenzweigen und Papierrosen. Hoch hatte sich
schon der Schnee auf den Hügeln getürmt und sie alle weiß und gleich
gemacht; nun waren sie sorgsam reingefegt und geschaufelt, zierliche
Kreuze, Kränze, Herzen und Buchstaben waren von roten Beeren gelegt und
Lichtchen zwischen hineingesteckt. Aus der erstarrten Erde schien es
zu brennen; die da unten ruhen, sprechen zu denen oben mit ängstlich
flackernden kleinen Flämmchen, die der leiseste Windhauch verlöschen
kann.

Aber kein Wind wehte. Noch einmal war der Winter gewichen, über den
Bergen die Sonne erschienen; bleich zwar und müde, aber doch eine
Sonne. Das hängende, verschrumpfte Laub der Friedhofsrosen schien sich
noch einmal zu heben; um die Mittagszeit war es lind und still im Thal,
der Himmel zeigte ein blasses Blau. Allerheiligensommer.

Da haben die Toten ihren Festtag. Die längst Vergessenen kommen wieder
zu ihrem Recht, rühren sich in den morschen Särgen und senden einen
Gruß hinauf in's Leben. Allerheiligen -- Allerseelen.

Die Weiber von Eifelschmitt hatten ihr Bestes gethan, ihre Gräber waren
so schön geschmückt, wie die im reichsten Dorf. Schon am Morgen strömte
die ganze Schaar hinaus zum Kirchhof; man sprengte die geschmückten
Hügel mit geweihtem Wasser, lag lange auf den Knieen und betete für die
ewige Ruhe der Verstorbenen. --

Am Nachmittag, als sie alle bei Festtagskaffee und Kuchen saßen,
schlich sich Pittchen hinaus; er ging gebückt wie ein Alter, und die
Schale mit geweihtem Wasser in seiner Hand schwankte.

Daheim saß die Zeih bei dem kranken Josefchen und weinte sich die Augen
rot; die 'Gichter' plagten das Kind, warfen bald seinen kleinen Leib
hoch in die Höhe und reckten ihn dann wieder lang.

Seit jenem Sonntag in Oberkail war das Josefchen krank; da waren die
Eltern spät in der Nacht heimgekommen, ohne einen Blick auf die Wiege
zu werfen, torkelten sie sinnlos in's Bett. Am Morgen lag das Josefchen
nackt da, steif und blaugefroren; bald kamen die Krämpfe.

»Kreischt net e su,« sagte die Weise-Frau, die Peter in seiner Angst
holte, »bal hatt ihr e schien Engelche im Himmel!« Davon wollten die
Eltern nichts wissen; Anschuldigungen flogen hin und her, es gab einen
heftigen Zank. Der Schluß war, daß sich Peter finster und wortkarg in
seiner Werkstatt verschloß und Zeih betend und weinend an der Wiege
verblieb.

Aber bald ertönte ihr Singen, erst leise, dann schallend; die Leute
sagten immer bewundernd. »Dat Zeih haot en Stimm, om de Duden
ufzoerwecken.« Sie sang:

    »Hoch uf em Daach, uf em Daach,
    Haot sech en Könd half dud gelaach,
    Et fiel erunner, erunner --
    Rube-de-bub -- Rube-de-bub!«

Das wiederholte sie ein paar Mal, beim Kehrreim stieß sie jedesmal an
die Wiege, daß sie heftig schaukelte.

»Rube-de-bub -- Ruube-de-bub!« Und dann weinte sie wieder ein Weilchen.

Peter war nicht so leicht getröstet; wenn er nicht in der Werkstatt
steckte, stand er bei der Wiege und starrte finster brütend, mit
zusammengekniffenen Lippen auf das kranke Kind.

Heute schlich er wie ein armer Sünder auf den Kirchhof; auf den Gräbern
seiner Eltern warf er sich nieder und krallte die Finger in die kalte
Erde. Er suchte eine Zuflucht bei ihnen vor den eigenen Gedanken.

Lange war er nicht hier gewesen, wohl das ganze Jahr nicht; aber
nun sollte es besser werden, er versprach es denen da unten hoch
und heilig. Und einen Marmorstein sollten sie kriegen mit goldner
Inschrift; koste es, was es wolle, er konnte es ja zahlen. Zahlen --!

Er fuhr auf und sah sich scheu um. Wenn er nur Mut gehabt hätte! Er
knirschte mit den Zähnen und ballte die kalten Finger zu Fäusten --
den Mut, den Mut! Da lag was in seiner Werkstatt verborgen, nicht
Sonne noch Mond hatten es beschienen, niemand hatte es gesehn, und
doch ängstigte es ihn Tag und Nacht. Es konnte ihn reich und glücklich
machen, und doch --

Mit einem unterdrückten Fluch sprang er empor, sein Fuß trat in
die Schale geweihten Wassers, daß sie umstürzte und ihr Naß in den
aufgetauten Pfad ergoß.

Nur Mut! Er fuhr sich in die Tasche -- klapperte es nicht schon darin?
Nein, nein -- leer, ganz leer! Und zu Hause weinte die Zeih, wimmerte
das Josefchen; kalt war die Hütte, der Tod stand auf der Schwelle -- --
-- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Der Angstschweiß brach ihm aus, mit der verkehrten Hand wischte er sich
über die Stirn; die Hand zitterte.

»Feiges Luder,« murmelte er zwischen den Zähnen. Nur ein bißchen
Courage brauchte er zu haben, dann wurde alles wieder gut. Dann lachte
die Zeih, dann kam der Doktor und heilte das kranke Kind -- er sah es
schon mit roten Bäckchen, auf flinken Füßchen durch die Hütte trippeln,
ein großes Butterbrot in der Hand, -- und die Zeih küßte ihn, heiß
fühlte er den Kuß. Und am Kirchhof vorüber zog eine ganze Schar --
nickende, winkende Weibergestalten. Verjubelte Tage, verjubelte Nächte
-- immer fidel --!

Die Hütte würde er ausbauen lassen, nein, eine neue kaufen, einen
Bauernhof! Vielleicht gar die Eichelhütte, drüben gen Himmerod zu,
deren schloßähnlicher Bau über die Eichenwipfel ragte.

Da hatte ihn sein Vater vorbeigeführt, als er noch ein Knabe war; da
hatten sie am Gitter gestanden und neugierig in den Park gelugt. Ein
reicher Herr hatte im Schlößchen gewohnt, der war längst tot, und der
jetzige Besitzer wollte verkaufen. Wenn er nun der Herr Besitzer würde
--?!

Wie die Zeih sich freuen würde! Was die da unten im Grab wohl dazu
sagen würden?!

Er kniete nieder, legte sein Ohr an den Hügel und horchte.

Tief, tief innen in der Erde glaubte er was zu hören, ein Summen und
Rauschen, ein Flüstern und Raunen; hohl, wie aus einem Gewölbe, drang's
an sein Ohr. Ein Schauder überlief ihn, -- das kam aus der Ewigkeit! --
-- -- -- -- -- --

'Wie mer sech bett', su schläft mer,' -- hatte so sein Vater nicht
immer gesagt?

Zitternd flüsterte Peter: »Sollen ech et duhn? Sollen ech et net duhn?«

Und die Stimme aus der Tiefe antwortete: »Du sollst!«

Da sprang er auf. Der Kirchhof war leer. Hinter den Bergen verkroch
sich schon die Sonne, und im Säuseln eines Lüftchens flackerten die
Gräberkerzen höher.

Von Schauern überrieselt ging Peter, die Füße waren ihm wie gelähmt;
langsam, ungewiß machte er Schritt für Schritt. Auf dem großen Kreuz,
das sich mit der Gestalt des Heilands inmitten des Kirchhofs erhebt,
lag ein blendender Schein; gerade auf die Inschrift fiel er, die sich
in goldenen Buchstaben über den breiten Sockel zieht.

'_Amor me cruci affixit_'

Was hieß das? Nie hatte Peter darüber nachgedacht, nun stand er in
Sinnen verloren. Er buchstabierte, und dann starrte er hinauf zu dem
dornengekrönten Leidensantlitz, bis ihm die Augen übergingen.

Plötzlich schreckte er zusammen, eine Hand legte sich auf seine
Schulter. Ah, der Herr Pastor! Er riß die Mütze vom Kopf.

»Seh einer, der Miffert!« sagte der Geistliche wohlgelaunt und schlug
ihm mit dem Brevierbüchlein, das er stets bei dem täglichen Spaziergang
mit sich führte, leicht auf den Rücken. »Na, wie steht's mit dem
Kronleuchter? Seid Ihr bald fertig?«

»Nä, nä,« stotterte Peter erschrocken; die gutmütige Stimme klang ihm
wie die Posaune des jüngsten Gerichts. »Eweil sein ech noch net e su
weit, ech -- eweil -- äwer bal -- ech --«

»Ich glaube es wohl, das ist kniffelige Arbeit!« Der Geistliche legte
ihm selber die Entschuldigung in den Mund, Peter schnappte danach, wie
ein Fisch nach dem Köder.

»Dat es et, dat es et,« beeilte er sich zu versichern. »Ech arweiden
Dag on Naacht, äwer --«

»Ich habe es gehört,« unterbrach ihn der Pfarrherr freundlich. »Das
ist brav, mein Sohn. Deine Arbeit wird schon wohlgelingen; Mariä Sohn
selber« -- er wies hinauf zum Kreuz, das sie hoch und breit überragte
-- »wird dich in seine Fürbitte aufnehmen!«

Ein Stich ging Peter durch und durch, er fühlte, wie eine heiße
Blutwelle ihm in's Gesicht schoß; scheu sah er hinauf zu dem verzerrten
Leidensantlitz.

Der goldne Glanz vom Himmel hatte sich gewandelt, rot wie Blut war er
geworden und umspielte mit flammendem Schein die eingemeißelte Schrift.
Sie flimmerte vor seinen Augen.

»Lao stieht wat,« stammelte er und zeigte mit dem Finger hinauf. »Wat
heißt dat?«

»_Amor me cruci affixit_ -- Liebe hat mich an's Kreuz geschlagen,«
sprach der geistliche Herr und wandte sich zum Gehen. Er nickte noch
einmal zurück: »Guten Abend, guten Abend, ich komme in den nächsten
Tagen selber zu Euch, Miffert, und sehe nach Eurer Arbeit.« Mit
segnendem Gruß hob er die Hand. Sein Brevier murmelnd, tauchte er
hinter den Hügeln unter.

Einsam war wieder der Kirchhof; so still war's um Pittchen, daß er das
eigne Atmen als lautes Geräusch hörte.

Schwerfällig ließ er sich auf dem Sockel des Kreuzes nieder.

'Liebe hat mich an's Kreuz geschlagen' -- ja, die Liebe! Seine
Brust hob sich unter einem tiefen Seufzer -- die war's! Eine große
Erleichterung kam über ihn. Was er that, that er ja auch nicht für
sich, nur aus Liebe zu andren! Da waren die Zeih, das Josefchen und die
andren alle -- aus purer Liebe!

Sein unsteter Blick wurde ruhiger, er heftete ihn fest auf das Bild des
Gekreuzigten. Der da oben litt, und er selbst litt auch -- ja, leicht
war's nicht, am Kreuz zu hängen! Aber die Angst, die Angst, die er
hatte, war die nicht noch schrecklicher?!

»Wann se mech atrappieren, gänn ech villeicht aach ufgehang,« murmelte
er finster. »Nä, dat duhn se eweil net mieh, äwer se sperren mech ein,
wuh Sonn on Mond net scheinen, wuh mer kein Luft krieht, wuh mer -- ha
--!« Er holte tief und zitternd Atem, der Kopf sank ihm auf die Brust.
Aber gleich darauf hob er ihn wieder.

Die Gestalt des Heilands verschwamm schon im Grau des rasch sinkenden
Abends, nur um das Haupt wob sich noch ein flüchtiger Schimmer wie eine
Glorie. Es schien sich zu neigen.

Mit unterdrücktem Schrei streckte Peter die Hände aus. Ja, der da oben,
der verstand ihn! '_Amor me cruci affixit_' -- der würde ihn nicht zu
Schanden werden lassen!

Er warf sich am Fuß des Kreuzes nieder und betete, wie er es noch nie
gethan. Getröstet stand er auf; einen vertraulichen Gruß sandte er noch
hinauf, ein verständnisvolles Nicken.

Festen Fußes schritt er an den Gräbern entlang. Es war fast dunkel, die
Lichtchen niedergebrannt, nur hie und da flackerte noch eins wie ein
Irrwisch mit aufzuckendem Schein.

Als er das Gatter des Friedhofs schloß, pfiff er. Er fühlte sich so
leicht, so vergnügt; nun wußte er, was er zu thun hatte, nun wurde
nicht länger gefackelt.

Von der Eichelhütte her kam ein Wägelchen über die Chaussee, es rollte
dicht an ihm vorüber. Er erkannte den Besitzer der Eichelhütte, den
Herrn van Beuren, darauf, der immer nur zweimal im Jahre ein paar
Tage zur Jagd herkam; der neben ihm sitzende dicke Mann, mit einem
Wollenshawl vermummelt und mit Ohrenklappen an der Mütze, war ihm
fremd. Wer war denn das? Neugierig sah Peter dem Gefährt nach.

Dicht vor'm Dorf stieß er auf Krumscheid. Donnerwetter, der kam ja von
seiner Hütte heruntergestelzt, was wollte denn der da oben? Aha --
Peter lachte in sich hinein -- der hatte wohl Angst um sein Geld?!

Geschmeidig grüßte er den Alten: »'n Aowend, Vadder Krumscheid!«

Dieser hielt ihn fest. »Saot, Pittchen, wie stieht et eweil met mein
Dahlersch, hä?« Man merkte es dem Alten an, er wollte es nicht gern
mit dem Pittchen verderben; er suchte einen Vorwand. »Et duht mer
laad, dat ech ebbes dervon saon moß, äwer ech -- ech sein sälwer in
Onverläjenhaat, ech haon ebbes zo zaohlen; et pressiert!«

Pittchen lächelte.

Krumscheid deutete dies Lächeln falsch, die Angst überkam ihn. »Ech moß
mein Gäld haon,« stieß er grob heraus.

»Tutswit,« sagte Peter gelassen. »Ihr könnt et jeden Momang haon,
wann Ihr wollt. Kommt bei mech eruf, lao könnt Ihr se metholen, de
Dahlersch!«

»Nä, nä!« Der Alte traute nicht recht, er fürchtete Prügel. »Kommt
liewer bei mech, dann drinke mir e Schöppche.«

»Nä!« Jetzt, wo es zur That ging, bebte Peter doch plötzlich zurück;
eine jähe Angst überfiel ihn, sein Herz hämmerte, daß er's bis in den
Hals spürte. »Eweil kann ech net,« sagte er hastig. »Heit net. Morjen
-- morjen.«

»Morjen, gewiß on waohrhaftig?« Der Alte packte ihn am Rockschoß.

»Morjen,« sagte Pittchen gepreßt und entwand seinen Rock den knöchernen
Fingern.

Eilig rannte er heim, er fand die Zeih, in Thränen aufgelöst, an der
Wiege. Das Josefchen verdrehte die Augen, ballte die Fäustchen und zog
die Beinchen krampfhaft herauf an den Leib.

»Wann mer noren dän Hähr Dokter hätten! Wann ons Josefche dem sein
Medezin einhole könnt, gäb et gesond! Josefche, mei Josefche, ech duhn
mer e Laad an -- stärw net, Josefche, mei Josefche!« Schreiend warf sie
sich über das Kind.

Peter konnte es nicht mehr mit ansehen, an allen Gliedern zitternd,
stand er da. Er wollte sprechen und konnte nicht, so trocken war es ihm
im Halse; er schluckte und schluckte. Leeren Blickes stierte er auf das
Bettchen -- da lag sein Kind, es glich ihm genau; so hatte er wohl auch
einst der Mutter in der Wiege gelegen. Wie ihm, so fehlte dem Josefchen
das unterste Stückchen am linken Ohrlapp, auch die Brauen waren so über
der Nase zusammengeschoben und die Haare in dunklen Ringeln so tief in
die Stirn gewachsen. Sein Kind -- sein Ebenbild! Der heiße Wunsch stieg
in ihm auf, das Kind zu behalten.

Und glühend heiß fielen ihm die Thränen der Zeih auf's Herz, er konnte
ihr Jammern nicht mehr hören; schwankenden Schritts, wie ein Trunkener,
taumelte er nebenan in seine Kammer.

Als er nach einer Weile wieder herauskam, war er ruhiger. Auf seiner
Stirn stand ein Entschluß; seine Lippen waren fest zusammengepreßt.

Beim Morgengrauen würde er den Doktor holen, sagte er der Zeih.

Und dann eilte er noch einmal zum Hause hinaus; er lief, wie gejagt.
Durch eine Gutthat wollte er sich den Beistand des Himmels sichern.

Er wußte, wohin er zu gehen hatte. Da war die Hütte der Schneidersch;
mit der Bäbbi ging's schlecht, die konnte sich nicht erholen.
Zweimal schon hatte der Kauz nachts an ihrem Fenster geschrien.
Krokodilsthränen vergießend, erzählte es die Alte im Dorf herum, aber
ihr Jammern galt mehr der eignen gestörten Nachtruhe, als den Leiden
der Schwiegertochter; wenn sie sich auch dreidoppelt ein Tuch um die
Ohren band, sie hörte doch durch die rissigen Lehmwände das Stöhnen
der jungen Frau und das Schreien des halbverhungerten Säuglings. Die
Bäbbi fieberte und fieberte; ein paarmal hatte sie schon versucht,
aufzustehen, nach wenigen Schritten war sie mit einem schmerzlichen
Schrei zusammengebrochen.

Vorsichtig tappte Peter über den Hof, bis zur Thür neben dem Stall.
Drinnen hörte er ein Kind greinen und eine kranke Stimme sprechen: »Sei
still -- sch -- sch -- waart nor, bis dän Pappa kömmt! O Jeß, wann hän
net bal kömmt, sein ech dud -- sch -- sch --!«

Der sehnsuchtsvolle Ton verzitterte in einem langen Seufzer. Die
sprach ja, wie eine Sterbende! Peter erschrak. Leise schlich er an's
Fensterchen und guckte hinein.

Da saß sie im Bett, das einzige Kissen hatte sie sich in den Rücken
gestopft; sie war so schwach, daß sie den Kopf nicht halten konnte,
bald sank er ihr zur linken, bald zur rechten Seite.

Wie traurig hatte die sich verändert! Sie war nicht häßlich, nein,
vielleicht hübscher, als sie jemals zuvor gewesen. Schmerzen und Gram
hatten ihr Gesicht verfeinert, die sonst gebräunte Haut war abgeblaßt,
silbrig schimmernd wie Perlmutter. Das straffe Haar bauschte sich ihr
lockrer um den Kopf, und im Blick ihrer weitgeöffneten großen Augen lag
etwas Überirdisches.

Es fröstelte Peter. Sacht klopfte er an die Thür und trat zugleich ein.

Verwundert drehte Bäbbi den Kopf nach ihm, sie erkannte ihn nicht
gleich. Dann aber flog ein freudiger Schein über ihr Gesicht, sie
wollte seine Hand gar nicht loslassen. »Es dat schien, dat Ihr mech
besuche kommt -- oh -- dat es schien!«

Er beugte sich über sie und suchte hinter einem Lachen und einem
Scherz seine Rührung zu verbergen. »No ruhig, Bäbbche, ruhig! Jao, wann
dän Ehmahn net derhäm es, dann kömmt onser anen e su apropos wie Räjen
im Mai. Gäl, Bäbb?« Er strich ihr gutmütig über die schmale Wange.
»Wanneh danzen mir zwa dann zosammen?«

Sie blieb ernst. »Ech haon de Engel schuns Hallelujah singe gehört; ech
danzen net mieh!«

»Gott bewaohr, Bäbb,« sagte er erschrocken, »Ihr werdt doch net
himmeln?«[36]

Sie sah ihn wehmütig lächelnd an. »Duht mer de Liew -- ech verlangern e
su -- schreiwt mer e paor Wörtcher an dän Lorenz! Ech haon heiwel[37]
vill Däg gelauert, dat ans kömmt, wat schreiwe kann.« Sie machte einen
Versuch, sich höher aufzurichten, traurig schüttelte sie den Kopf.

»Ech kann jao net ufstiehn, ech sein innewennig wie ausenanner. Lao im
Schößche[38] sticht Papier on Feder -- lao es de Dint -- schreiwt --
schreiwt!«

Mit ängstlicher Hast trieb sie ihn an. Sie diktierte schwerfällig,
ruckweise, zu jeden paar Worten machte sie eine neue Anstrengung.

Beim Schein des winzigen Lämpchens schrieb Pittchen:

               'Deurer Lorenz!

        Ech grüßen dech vill dausendmaol! Ons Könd leit
        in der Heija[39] on dräumt von seim Pappa. Ech
        haon e su lang neist von Dir zo hören kritt, ech
        verlangern e su, datste bei mech kömmst, ehnder ech
        --'

Hier stockte Bäbbi; in schmerzliche Thränen ausbrechend, schlug sie die
Hände vor's Gesicht.

»Kreischt net, Bäbb,« tröstete Peter mit weicher Stimme.

»Nä, nä!« Sie raffte sich schon wieder zusammen. »Streicht dat vom
Verlangern on Stärwen aus, ech will em dat Herz net schwer maachen.
Schreiwt nor:

        'lang neist von Dir zo hören kritt, ech hoffen, Dau
        bis gesond on veramesterst Dech aach. Ech beten Dag
        on Naacht for Dech, ech --'«

Sie schöpfte zitternd tief Atem.

        »'Ech sein eweil ganz alert[40] --'«

Peter sah sie verwundert an.

»Nä, nä, neist vom Kranksein,« sagte sie rasch. »Schreiwt dat 'alert'
dick on groß, dann freut hän sech.

        'Adjes, mein villdeurer Lorenz, bis in die Ewigkaat

                                   Dein Bäbbchen.'«

Erschöpft sank sie zurück, Totenblässe überzog ihr Gesicht; ihre
Lippen wurden weiß, sie war halb ohnmächtig.

»Bäbbi, Bäbbi,« Peter faßte sie am Arm, »wat es Eich? Ihr mößt Stärkung
haon.« Verstört sah er sich um. »Haot Ihr dann bei gaor neist for zo
drinken?«

Sie schüttelte den Kopf. »Neist,« sagte sie tonlos.

Da lag sie in dem elenden Bett, seit Tagen war es nicht gemacht; sie
lag wie eine Sterbende, blutleer und hilflos.

Das Kind schrie auf, besorgt versuchte sie nach der Wiege zu blicken.
Peter nahm das kleine Bündel und legte es ihr an die Brust; da suchte
es wimmernd, mit gespitztem Mäulchen.

»Ech haon ken Milch mieh,« sagte sie leise.

Ein Krampf ging über Peters Gesicht; er wurde blaß und rot, einen
argwöhnischen Blick warf er in alle Winkel, und dann fuhr er rasch in
die Tasche und legte drei harte Thaler vor sie auf's Bett. »Dao,« sagte
er mit gepreßter Stimme. »Kaaft davor, wat Ihr braucht!«

Für ein paar Augenblicke sah sie ihn verständnislos an.

Er nickte. »Morjen holen ech dän Dokter, dän besten, dän zo kriehn es;
ons Josefche es krank. Duh kann dän Eich aach ebbes ufschreiwen for
gesond zo gänn!«

Eine jähe Röte flog über ihr Gesicht, in ihren matten Augen blitzte es
auf, sie haschte nach seiner Hand; ehe er's hindern konnte, hatte sie
die geküßt.

»Merci, merci! Onsen Hährgott sei met Eich! -- Pittchen -- o Ihr --!«
Sie war ganz außer sich, sie lachte und schluchzte, zog ihn an sich und
küßte ihn mit ihren matten blutleeren Lippen; wie Schnee fühlte er den
Kuß auf seiner Stirn.

»Ech danken, ech danken Eich villdausendmaol, Pittchen! Es et denn
wirklich waohr -- Gäld, Gäld -- drei Dahler -- Dahler?!« Sie drückte
die Geldstücke liebkosend an ihre Wange. »Ech kann eweil ebbes kaafen
beim Krumscheid, on Milch for dat Könd, alle Dag! On ech sälwer« --
sie faßte ihren Kopf mit beiden Händen -- »dän Dokter kömmt bei mech!
Ech soll gesond gänn -- ech kann dän Lorenz widdersiehn! Jesus, Maria,
Josef -- oh Pittchen, Pittchen!«

Langsam sank er an ihrem Bett nieder; ein abergläubischer Schauer und
zugleich eine freudige Wollust des Gebens zog ihn auf die Kniee.

Ihre Hände falteten sich über seinem Kopf, sie betete; mit rührender
Stimme flehte sie den Segen des Himmels auf ihn herab.

Er wagte nicht, sich zu rühren. Ein himmlischer Gruß, weihrauchduftend,
rein und heilig, schien ihm durch die verlassene Kammer zu wehen.
Schwebten nicht Engel mit großen Flügeln gen Himmel und trugen auf
goldner Schale die Dankesthränen der armen Bäbbi? Und seine Gutthat,
als weiße Taube, flog voran.

Eine mächtige Erschütterung ging ihm durch den Körper, er lag wie
niedergeschmettert. Die ganze Qual der letzten Wochen, die gehetzte
Arbeit der Nächte, das Versuchen und Grübeln, das Sorgen um's Gelingen,
Zweifel und Furcht, wilde Freude und dann wieder kindische Angst, all
das brauste und brandete auf einmal durch sein Gehirn.

Bäbbi betete, und die wilden Gedanken wurden plötzlich so glatt wie
Meereswogen, auf die man Öl gießt.

Thränen brachen ihm aus den Augen, erlösende Thränen; sie liefen ihm
über das hagre Gesicht und rannen nieder auf das elende Bett.



                    X.


Der Winter war über Eifelschmitt hingezogen, es mit seiner Schneelast
verschüttend. Weihnachten war dagewesen und hatte die Männer nach Hause
gebracht. Jubel in den Hütten, Gedudel im Wirtshaus, Gläserklingen und
Kuchendüfte. Heilig Dreikönigstag hatte der Lust ein Ende gemacht;
morgens darauf waren die Männer wieder abgezogen, und die große
Wintereinsamkeit hatte das Dorf in ihre Arme genommen und eingelullt,
bis daß es schlief.

Jetzt wollte es lenzen.

Unter der modrig feuchten Decke des abgefallenen Buchenlaubes sproßte
der Waldmeister, an besonders heimlichen Stellen trieb schon ein erstes
scheues Reis, und in den noch toten Chausseebäumen lärmten die Staare.

'Naoch Lichtmeß es et Aushalt' sagen die Eifeler, 'warm oder kalt, de
Dag gänn lang on dän Fuß krieht sein Gang.'

Sankt Matheis hatte das Eis gebrochen; auf den überschwemmten Wiesen um
die Salm ruderten lustig die Dorfenten.

Auf dem Äckerchen der Schwiegereltern arbeitete Bäbbi. Sie hackte mit
starken Armen den Boden auf, drehte die Schollen um, zerstieß und
klopfte und verkleinerte die harten Erdklöße, und bückte unermüdlich
den Rücken. Verschnaufend hielt sie wohl eine kurze Weile inne und
blickte prüfend über die Berghänge.

Noch keine im Dorf hatte an die Frühjahrsbestellung gedacht, und
sie wußten doch alle: Schneifurr -- Gedeihfurr! Da lotterten sie zu
Hause herum, in Unterrock und Nachtjacke, und verschliefen den halben
Tag. Ernst, fast vorwurfsvoll, ruhte Bäbbis Blick auf dem Dorf; sie
schüttelte den Kopf, und dann spuckte sie in die Hände und griff von
neuem zur Hacke und arbeitete wieder, bis ihr der Schweiß die vom
scharfen Wind zerwühlten Haare an die Stirn klebte.

Sanct Gertraud mußte den Acker bestellt finden; und der Lorenz sollte
sich darauf verlassen können: da war eine daheim, die für sein Kind und
seine alten Eltern schaffte.

Ein warmes Rot stieg ihr in die Wangen, ihr Mund wölbte sich stolz.
Mit frischer Kraft, neu belebt, trieb sie die Hacke in den Boden, daß
die noch winterharte Rinde tief auseinander barst und ein feuchter,
treibender Erdduft aufstieg. Die Muskeln an ihren Armen strafften sich,
man sah's unter dem fadenscheinigen Blaudruck-Kleid; sie arbeitete wie
ein Mann.

Jetzt machte sie keine Pause mehr; gleich einer Maschine, regelmäßig,
ohne Ermüdung, hob und senkte sie die Hacke, Furche nach Furche
wurde abgeschritten. Der Schweiß fiel in Tropfen in die gelockerte
Erde, die das warme Naß gierig einsog. Blitzschnell bückte sie sich
zwischen den Schlägen, hier einen Stein aus dem Acker zu lesen und
dort; in mächtigem Schwung flog der dann den felsigen Abhang hinunter,
aufprallend, sich überschlagend und prasselnd andres Geröll mit sich in
die Tiefe reißend. Laut hallte es im einsamen Thal nach, die Stille gab
das Geprassel doppelt stark wider, es wurde zum Gepolter; drüben an der
Berglehne antwortete dumpf ein verschlafenes Echo.

Der Unkrautstellen im Ackerland wurden weniger und weniger, die
schwachbegrünten Flecke verschwanden einer nach dem andren -- nun
breitete sich das gleichmäßige Schwarz bis zum Wegrain aus. Im Dorf
bimmelte das Glöckchen; die reine Luft trug den Klang hell hier herauf;
mit einem Seufzer der Befriedigung ließ Bäbbi die Hacke zum letzten Mal
niedersausen. Fertig für heute!

Morgen wurde wieder von frischem angefangen und übermorgen wieder,
und dann wieder, bis die lehmigen Erdklöße -- sie bückte sich und
zerbröckelte einen in der Hand -- so fein waren wie Mehl; dann wollte
sie zufrieden sein. Dann gab's auch eine gute Ernte, Kartoffeln genug
und auch ein wenig Korn. Was würde der Lorenz sagen, wenn sie so viel
erübrigte, um eine Ziege zu kaufen? Wie gut würde die Milch dem Kind
und den beiden Alten thun! Auch zu einem Ferkel würde es vielleicht
noch langen, das wurde fett gemacht und dann auf dem Markt zu Wittlich
verkauft.

Sinnend ging der Blick der jungen Frau in's Weite und verlor sich im
duftigen Blaugrau, jenseits der Berge. Da weilte der Lorenz, weit,
weit. Ein Ausdruck sehnsüchtiger Liebe machte ihren herben Mund weich.
Kam wohl je eine Zeit, in der nicht mehr so viel Berge, so viel Wald,
so viel Wasser sie von einander trennte?!

Bäbbis Gestalt reckte sich höher auf, ein tiefer Atemzug hob ihre Brust
-- die Zeit #mußte# kommen!

Mit der schwieligen Hand strich sie sich das Haar zurück, zog das
Kopftuch tiefer in die Stirn, schulterte ihre Hacke und schritt rasch
dem Abhang zu. Scharf umrissen zeichnete sich ihre Gestalt vom lichten
Horizont ab. Sie schien gewachsen, groß und stark hob sie sich über der
Umgebung.

Eilenden Schrittes stieg sie den Pfad gegen das Dorf abwärts, ihre
derben Nägelschuhe trapsten fest. Elf Uhr, nun warteten die Alten
daheim schon, daß sie kam und das Mittagessen kochte. Die waren beide
recht hinfällig geworden in diesem Winter, der Vater lag immer im
Bett, und der Schwiegermutter Maulwerk war nicht halb mehr so scharf
geschliffen; sie greinten wie die Kinder, wenn sie ihren Willen nicht
kriegten.

Und dann der Kleine! Ein glückliches Lächeln verschönte das ernste
Gesicht der jungen Frau -- ach, der kannte die Mutter schon! Wenn die
kam, strampelte er und reckte die Ärmchen und wollte nicht mehr bei der
Großmutter bleiben.

Rasch und rascher schritt sie zu; nun war sie unten auf dem Thalweg.
Aber trotz ihrer Eile sah sie die jungen Blätter des Wegebreits am
Grabenrand -- die waren heilsam zum Auflegen für den offenen Fuß der
Schwiegermutter; erfreut kniete sie nieder und pflückte die ab. Und da
sproßte der erste Löwenzahn -- geschwind griff sie zu -- und da noch
einer, und weiter drinnen im Gras noch mehrere! Das sollte ein Salat
werden für den Alten, so lecker, wie ihn nur Herren an der Tafel haben,
und dazu so gesund für's Geblüt. Sie sammelte eifrig.

Plötzlich hob sie lauschend den Kopf. Ein Stöhnen klang an ihr Ohr --
war da jemand in Not? Sie rief.

Wieder ein Stöhnen, und dann ein Fluch. Jetzt sah sie erst: unten
im Graben lag einer und suchte vergebens an den steilen Rändern
aufzuklimmen. Sie hatte ihn vorhin in ihrem Eifer gar nicht bemerkt.

Das war ein Betrunkener! Furchtlos ging sie näher und streckte ihm
die Hand hin. »Jesses,« sagte sie unwillkürlich und blieb stehen, wie
angewurzelt; es war Pittchen.

»Wat stiehste elao on hälst Maulaffen feil, Framensch?« grunzte er sie
an. »Siehste dann net, eweil stechen ech in der Bredullich. Ech sein
net si--si--sicher, ech haon hei im Dr--Dreck geläjen -- de -- de ganz
Naacht,« schloß er weinerlich.

Er sah danach aus. Rock und Hose waren von oben bis unten beschmutzt,
er hatte sich recht im Schlamm gesielt. Eine Mütze hatte er nicht; von
nasser Erde verklebt, starrten seine Haare, ein paar Zotteln hingen ihm
in's fahle Gesicht. Seine Lippen waren blau, die Augen verglast, noch
hatte er seinen Rausch nicht ausgeschlafen.

Ohne Wort beugte sie sich zu ihm nieder und hielt ihm die Hand hin. Er
haschte mit seinen verklammten Fingern danach; so steif durchfroren war
er, daß er sich kaum rühren konnte. Fast riß er auch sie hinab.

»Olau,« grinste er, »dau willst e Küßche? Verliewt wie de Weibsbiller
al!« Er schmatzte mit den aufgesprungnen Lippen. »Küß mech, dau
Leckermaul,« -- erschrocken fiel er zurück -- »Dunnerwäder, dat Bäbb!«

»Miffert,« sagte sie bestimmt, »seid net e su gäckig! Hei, faßt de Hack
an! On hei es mein anner Hand! Däut[41] gäjen, däut! Ans, zwa un ans --
ech trecken[42] Eich eruf!«

Sie stemmte die Füße ein und zog mit Kraft; unfähig, sich selber zu
helfen, ließ er sich willenlos zerren. Nun hatte sie ihn oben, wie ein
Klotz lag er am Rand auf den Knieen.

»Pittchen,« sagte sie betrübt, »es et dann waohr, wat se im Dorf saon?
Ihr sauft?! Pittchen,« -- sie faßte ihn unter den Achseln und stellte
ihn auf die Füße -- »ech haon et net glauwen wollen, wat se saon. Laoßt
doch dat Tina laufen on de Fraleider al, bleiwt derhäm! Ihr rujiniert
Eich. Wat haot Ihr dann von al Eirem Gäld?«

»Willste ebbes?« lallte er und suchte nach der Tasche.

»Nä!« Sie hielt seine Hand fest und sah ihn voll herzlicher Teilnahme
an. »Ke Gäld! Ihr hatt mir als e su vill Gudes gedahn; Eire drei Dahler
haon mer Säjen gebrach, ech mechten Eich davor --«

Er unterbrach sie mit einem lauten Auflachen: »Haha, Säjen! Säjen!« Die
Zähne klapperten ihm aufeinander, und er schauderte.

»Gieht häm,« riet sie besorgt, »Ihr hatt Eich verkält -- Jesses, de
ganze Naacht hei im Grawen! -- Kommt, kommt!« Sie wollte ihn unter den
Arm fassen und führen, er stieß sie zurück.

»Dau willst mer Mores liehren, bleiw mer vom Leiw, dau Quiesel[43]! Ech
haon kein Predigt nedig -- gieh -- gieh!« Er strampelte mit Händen und
Füßen, verlor das Gleichgewicht und stürzte wieder rücklings in den
Graben.

Hatte er sich weh gethan? Erschrocken wartete sie ein paar Minuten,
dann blickte sie hinunter. Da lag er mit geschlossenen Augen und
offnem Mund, blaß wie ein Toter; aber jetzt ertönte sein regelrechtes
Schnarchen. --

Bäbbi lief dem Dorf zu; sie hatte ihren Salat vergessen.

Kräftig pochte sie an Mifferts Hütte und trat zugleich ein. »Zeih! Eier
Mahn leit drau --«

Das Wort blieb ihr im Halse stecken. Da saß der Gendarm von Oberkail
und hielt die Zeih auf dem Schoß. Etwas verlegen sprang die auf.

»Was ist denn los?« fragte der Gendarm unwillig.

Bäbbi stotterte: »Eier Mahn leit draußen im Grawen, kommt, kommt!«

»Laßt ihn ruhig liegen,« sprach der Gendarm und strich sich den
Schnurrbart auf.

»Äwer hän kann sech den Dod holen, hän es eweil als ganz verklomm!«

»Wat Ihr net saot?!« Zeih horchte nun doch auf, sie ließ sich den
Hergang umständlich erzählen, keinen Augenblick verlor sie dabei
ihr vergnügtes Lächeln. »Im Grawen -- de ganz Naacht?! Jeß, dat arm
Pittchen! Jao e su es hän, alleweil strawätzt hän erum. Bäbb, seid e su
gud, weist mer de Stell!«

Als die beiden Frauen die Hütte verließen, kamen Tina, Leis und Vrun
daher; sie hatten die Bäbbi so rasch laufen sehen. Ihre Augen funkelten
neugierig. »Wat es passiert?!« Zeih berichtete.

»Dat Pittchen -- im Grawen?! Hahahaha!« Tina krümmte sich vor Lachen
und hielt sich die Seiten; vor Vergnügen juchzend, warf sie den Kopf
hintenüber, daß ihre dunklen Haarsträhnen sich lösten.

»Hahaha,« lachten Vrun und Leis, und Zeih lachte mit.

»Wir wollen hän hole giehn! Hole giehn, olau!«

Im Laufschritt, ausgelassen kreischend, mit fliegenden Haaren und
flatternden Röcken, sich neckend und jagend, stoben sie hinter Bäbbi
drein. --

Es war nicht das erste Mal, daß Peter betrunken nach Hause kam. Er
machte sich ein Gewerbe daraus, von Dorf zu Dorf zu wandern und die
Wirtshäuser abzusitzen.

Seit er 'geerbt', arbeitete er gar nichts mehr; nicht, daß er früher
viel geschafft, aber er hatte doch wenigstens hie und da etwas
gebastelt, und mit der Reparatur des Kirchenkronleuchters sogar ein
Meisterstück geliefert. Der geistliche Herr hatte ihn auch öffentlich,
von der Kanzel herunter, deswegen belobt.

»Eweil haot hän dat Arweiden net mieh nedig,« sagte die Zeih und
sah wohlgefällig an ihrem schönen Kleid herunter. Bald nach dem
Tanzvergnügen in Oberkail war der Stoff gekommen, und der Peter hatte
dem Postboten stolz acht harte Thaler auf's Fensterbrett gezählt; es
waren noch dieselben alten Thaler, die er vom Krumscheid geborgt,
Thaler mit verschiedenen Randschriften, wie: 'Gott mit uns,' 'Gott
segne Sachsen,' 'Gott -- Ehre -- Vaterland.' Auf den Stücken, die der
Alte wieder erhalten, waren Kopf und Schrift weniger deutlich; sie
waren wohl schon durch sehr viele Hände gegangen. Ordentlich fettig
fühlten sie sich an, das Gekerbte an den Rändern war abgegriffen. Aber
es waren vollgewichtige Thaler, und schmunzelnd verschloß der Alte sie
in seinem Sparkasten, glücklich, so ohne weiteres Drängen zu seinem
Gelde gekommen zu sein.

Eine seltsame Rastlosigkeit hatte sich Peters bemächtigt. Es gab
Nächte, in denen er gar nicht heimkehrte, andre, in denen er wohl
zuhause war, aber zu Zeihs größter Verwunderung erst bei Morgengrauen
zu ihr in's Bett schlich. Sie gewöhnte sich an beides. In ihrer
gedankenlosen Art, fragte sie nun auch nicht mehr: 'Saog ehs, Pittchen,
wat maachste e su lang lao binnen in der Kammer?' Er hatte sie ein
paarmal angefahren: 'Hal dei Maul, schär dech om dein Saachen!' Jetzt
rekelte sie sich bequem, wenn sie ihn drinnen noch hantieren hörte, und
drehte sich gähnend auf die andre Seite.

Sie war immer guter Dinge; seelenvergnügt fiel sie ihm um den Hals,
wenn er ihr etwas von seinen Wanderungen mitbrachte.

Bald war er in Oberkail, bald in Spang-Dahlem; den einen Tag in
Großlittgen, den andren in Ober-Öfflingen; heut in Musweiler, morgen,
in entgegengesetzter Richtung, in Bettenfeld; diesseit in Landscheid
und jenseit in Hupperath, immer die kreuz und quer, von Dörfchen zu
Dörfchen. Bis nach Manderscheid lief er und gar bis gen Daun; in der
ganzen Gegend war er bekannt, im näheren und weiteren Umkreis. Die
Wirte sahen ihn gern kommen, er hatte eine flotte Art, den blanken
Thaler auf den Tisch zu werfen: 'Dao, zieht de Rechnung ahf!' Mitunter
ließ er sich auch von einem Bäuerlein wechseln, das froh war, seine
grünspanigen Kupferpfennige und abgeschabten Gröschchen einzutauschen
gegen das blanke Silberstück.

Sie litten keine Not mehr, und doch sah Peter elend aus; so tief hatten
ihm nie die Augen im Kopf gelegen, scheu und gedrückt schlug er den
Blick zu Boden, nur nach ein paar Gläsern Schnaps flammte der auf.
Dann glühten die düstren Augen, wie hell brennende Kohlen; in wilder
Lustigkeit schlug Pittchen auf den Tisch: 'Wat kost' de Welt?!' Und
dann trank er und trank, bis daß er sinnlos davon taumelte. Regen
und Schnee ernüchterten ihn nicht, torkelnd zog er über die einsamen
Landstraßen und durch den nachtdunklen Wald. Dann sprach er wild vor
sich hin; schrie, laut schimpfend, die Bäume an und focht mit den Armen
wie ein Verrückter.

Die Kleider schlotterten ihm um den Leib, sein Gesicht war abgezehrt,
und doch hingen die Weiber an ihm wie die Kletten. Heute die, morgen
die. Die Tina beherrschte ihn ganz; die loderte um ihn her, wie eine
Flamme um ein dürres Holzscheit, und züngelte und leckte, bis daß er
Feuer fing. Dann konnte er auch aufflammen, und alle 'Wiehduhns'[44]
gingen in Rauch auf; zwar nur für Augenblicke, aber um diese
Augenblicke that er ihr allen Willen.

Sie war unersättlich, bald begehrte sie dies, bald das: eine Brosche,
eine Schleife, einen Ring, eine Schürze, Zuckerzeug und wohlriechende
Pomade. Bald mußte er sie dahin führen, bald dorthin. Sie schmeichelte
und trotzte, sie versprach und versagte, und wenn er zuletzt gequält
rief: 'Laoß mech in Ruh, maach, datste weg kömmst,' lachte sie ihm in's
Gesicht. 'Maach dau, datste weg kömmst! Lauf bei dein Zeih, lao kannste
zukucken, wie dän Oberkailer dat caressiert!'

Sie hatte nicht die Unwahrheit gesprochen. Als er zum ersten Mal den
Gendarm bei der Zeih antraf, brüllte er in sinnlos eifersüchtiger Wut.
Die geballten Fäuste schwingend, sprudelte er wilde Drohungen: »Eraus,
eraus! Ech schlaon Eich dod, ech -- eraus, tutswit, eraus!«

Der Gendarm ging schon, ganz gekränkte Würde; nur auf der Schwelle
drehte er sich noch einmal um und drohte mit dem Zeigefinger der
wildleder-behandschuhten Rechten: »Nehmen Sie sich in Acht! Beleidigung
der Obrigkeit wird mit Gefängnis bestraft. Sie überhaupt -- Sie --« er
spuckte aus; es schien Peter, als hefte sich sein Blick durchdringend
gegenüber auf die Kammerthür. -- »Sie haben überhaupt jar keine Ehre
mehr, mitzureden. Bitte mir Achtung aus, werde Ihnen sonst mal auf die
Bude rücken, Sie -- Tappert!« Rasch die Thür zuwerfend, verließ er
schleunigst das ungastliche Haus.

»Wat maant hän dermit?« schrie Pittchen die Zeih an; seine Augen
rollten hin und her.

»Bis still, Pittchen! Bis still!« Sie war in Angst vor ihrem Mann.

»Ech sollen mech in Aacht holen -- uf de Bud rücken?!« murmelte Peter.
Und dann brüllte er: »Wat haot hän von der Kammer gesaot -- wat?
Antwort!«

Sie sah ihn betroffen an und stotterte verlegen: »Mir -- mir -- hän
haot gesaot, mir wollten lao erin giehn, lao --«

»Kreizgewieder!« Schwer fiel Peter auf den Schemel und stützte den Kopf
in die Hände. So saß er lange regungslos, wie aus Stein.

Sein Schweigen machte sich Zeih zunutze. Nun hatte sie Oberwasser; mit
großer Geläufigkeit, halb ärgerlich, halb lachend warf sie ihm seine
Grobheit vor. »Och Jesses, wann ech noren dän kleinsten Diskurs met
anem haon, stracks bis dau e su schroh![45] Wat soll hän nau von ons
denken, dän Hähr Schandarm?! Mer kann nie wissen, wie ei'm e su anen
trillsen[46] on tribelieren kann; et es doch alleweil besser, mer haot
ken Onverläjenhaat met der Owrigkaat!«

»Ken Onverläjenhaat met der Owrigkaat,« sprach er ihr nach und
schüttelte sich, als liefe es ihm kalt über den Buckel.

Von nun an bekomplimentierte er den Oberkailer höflich, wenn der
Zufall ihn den in seiner Hütte finden ließ. Sein blasses Gesicht trug
dabei aber einen so verbissenen Ausdruck, daß der schöne Gendarm es
vorgezogen hätte, die Zeih draußen im Freien zu treffen; wäre es nur
nicht gar so kalt gewesen! Der Miffert war ihm riesig ungemütlich,
und ebenso war er's dem Miffert; sie gingen beide umeinander herum,
vorsichtig schnuppernd, wie Füchse um die Falle.

'Es muß doch mal Frühjahr werden, auch in dieser verfluchten Gegend,'
tröstete sich der Gendarm. Dann gab der Buchenwald einen angenehmen Ort
für's Stelldichein, es saß sich gut auf dem weichen Moos. Er hatte noch
keinen Eifelwinter mitgemacht, und der dünkte ihn schier endlos, zum
Sterben langweilig mit seinen ungeheuren Schneelasten, die das Bergland
von jedem Verkehr abschnitten.

'Eweil moß et bal Frühjaohr gänn,' tröstete sich auch Pittchen. Dann
war das Wandern von Dorf zu Dorf nicht mehr so beschwerlich, man
konnte 'kommoder' über Land gehn und seinen Rausch gemächlich im Wald
ausschlafen. -- -- --

»Frühjaohr,« kreischten auch jubelnd die Weiber, als sie nun längs der
Wiesen dahinliefen, um den Betrunkenen heimzuholen.

Ein feuchter Dunst stieg auf, ein Duft nach jungem Gras und erdiger
Kraft. Sie atmeten mit geblähten Nüstern, ihre Gesichter waren rot,
glühend vor Übermut. Mit einem Schrei riß sich Tina das Tuch vom Hals
und ließ es wie eine Flagge in der Luft wehen.

»Frühjaohr! Hä, helao, Pittchen, wuh stichste?[47]« Mit verschmitztem
Lachen erhob sie einen durchdringenden Gesang:

    »Im Mai, im Mai,
    Moß mer sein zo zwei --«

»Still,« sagte Bäbbi und drehte sich um. »Hör uf met dem
schnippschnappig Lied! Hörste dann net de Lerch? Still! Se es Gottes
Vogel.«

Auf einem nahen Grasbüschel saß die Lerche. »Tirili, tirili!« Mit den
Flügelchen schlagend, erhob sie sich, jetzt schoß sie aufwärts wie
ein Pfeil; in Kreisen, höher und höher steigend, schmetterte sie ihr
jauchzendes Tirili himmelan.

»Iwickelchen, Liwickelchen,«[48] schrien die Mädchen und sprangen, in
die Hände klatschend, wie die Tollen in die Wiese hinein. Sie rauften
mit beiden Händen das kurze Gras aus und schleuderten es sich in's
Gesicht, wie ein Regen rieselte es ihnen über Haar und Schultern;
sie trappten hin und her, mit Gelächter und Gekreisch, ihre schweren
Nägelschuh traten die zarten sprossenden Hälmchen tot.

Zeih blieb ein wenig zurück, die hageren Dinger liefen ihr denn doch
zu schnell. Und da sah sie auch ein paar gelbe Blumen des Löwenzahns,
erfreut pflückte sie sie ab und steckte sie sich in's Haar -- glänzten
die nicht wie eitel Gold? Anmutig nickten die leuchtenden Blüten auf
den braunen Scheitel.

Kaum sah Tina die also Geschmückte, riß sie ihr auch schon die Blumen
vom Kopf. Zeih schalt lachend und riß ihr Eigentum wieder an sich; das
ging hin und her, ein förmlicher Kampf begann, ein halb spielerisches,
halb ernsthaftes Balgen. Zuletzt schleuderte Tina die zerknickten
Stengel von sich: »Lao haste dän Dreck!« Die Füße der Weiber schritten
achtlos darüber weg.

Bäbbi war den anderen weit voraus; jetzt blieb sie stehen und wartete
auf die Nachzügler. Mit zusammengezogenen Brauen sah sie ihnen
entgegen. »Kommt, kommt!« rief sie unwillig. »Laoßt de Alfanzereien!«

»Alfanzereien?!« Tina lachte spöttisch und hob keck ihre Nasenspitze zu
der um einen Kopf Größeren, »sei dau nor net e su fürnehm, Lenzen Bäbb,
mer waaß jao doch, wän dau bis!« Kichernd stieß sie die Vrun an, und
die Vrun stieß die Leis an, und die Leis die Zeih.

Eine dunkle Röte stieg Bäbbi in die Wangen, aber sie sagte nichts; mit
einem ernsten Blick sah sie von oben herunter auf die Kleinere.

»Haha,« fing Tina wieder an -- sie hatte den Blick wohl verstanden und
boste sich darüber -- »dau wills ons Conduitten liehren -- dau?! Dau
maanst wohl, dau därfst dat, weil de noch in der elften Stund onner de
Hauw gekommen bis? Olau, e su domm! Mer kennt dän Vogel an sein Federn,
wann hän sein Stimm aach noch e su verstellen duht. Hahaha!«

Die Mädchen schlugen ein Gelächter auf, auch Zeih lachte, ihr
gedankenloses, fröhliches Lachen.

»Zeih, kommt!« sagte Bäbbi und faßte sie am Arm. »Laoßt eweil dat Tina!
Ein faul Ei verdirbt dän ganzen Brei!«

»Hollah« -- Tina packte die Zeih am andren Arm -- »hei gebliewen!
Wat saoste, Lenzen Bäbb? Ein faul Ei -- wän maanste dermit, hä?« Sie
fauchte die Große böse an, ihre Augen funkelten. »Dau Sauerpot, dau
Quiesel, onnerstieh dech! Stillwässer -- Grundfresser. Duh dei Maul uf,
dau Grundfressersch, laoß ehs hören, waorum ech faul sein? Faul!« Sie
ballte die Fäuste. »Saog!« Nun stampfte sie mit den Füßen. »Saog!«

»Je mieh mer im Kot rührt, desto mieh stinkt hän. Ech haon ken Lust
derzu,« sagte Bäbbi ruhig und drehte sich kurz um.

Sie hatte die Lacher auf ihrer Seite, aufkreischend vor Entzücken
fielen sich Vrun und Leis in die Arme; Zeih hing sich ihr
freundschaftlich an den Arm.

Jämmerlich abgeschlagen zog Tina allein hinterher; einer andren wäre
sie auf den Rücken gesprungen und hätte ihr das Fell mit den Nägeln
zergerbt. Der da traute sie sich nicht. Die ging so ruhig und sicher
ihren Weg und führte die drei anderen wie selbstverständlich mit sich
fort.

Tinas Augen kniffen sich zusammen, wie die einer lauernden Katze;
der Bäbbi konnte sie nicht ankommen, aber der Leis und der Vrun, und
besonders der Zeih, denen wollte sie's eintränken.

»Eweil sein mer elao,« sagte Bäbbi und wies auf einen Dornbusch, dicht
am Grabenrand. »Bei dem Busch liegt hän unnen.« Mitleidig beugte sie
sich über, mit einem Ruf der Uberraschung fuhr sie zurück. Da unten
lag wohl noch der Peter und schnarchte; aber neben ihm hockte eine
Frauensperson, den Oberrock über den Kopf gezogen, ihr grellroter
Unterrock blähte sich wie eine große Mohnblume. Die Traut!

Mit einem triumphierenden Lächeln sah diese aufwärts in die verblüfften
Gesichter; sie hielt Pittchens Kopf in ihrem Schoß.

Ein vierstimmiger Schrei antwortete dem Lächeln, mit einem Satz war
Tina unten, Vrun und Leis stürzten nach; dann folgte die Zeih. Das war
ein Gewälze von Leibern im Graben, ein Gewirr von Armen und Beinen, ein
Schimpfen und Lachen, Zanken und Zerren. Einen Augenblick sah Bäbbi
darauf nieder, dann machte sie Kehrt.

Mit raschen Schritten ging sie davon. Kurz vor'm Dorf blickte sie
noch einmal zurück; die stille Luft trug ein Getöse an ihr Ohr, ein
Stimmengewirr, als ob ein Heer anrücke.

Da tauchten sie in der Ferne auf, von der Märzsonne grell beschienen,
wie von goldnem Flimmer umhüllt. Als Kernpunkt der Peter; von den einen
geschoben, von den anderen gezogen, nahte er wankend.



                    XI.


Eine Aufregung war im Dorf, kaum weniger groß, als bei der Heimkehr
der Männer. In das stille Thal war's gefallen wie ein Kanonenschuß und
hallte unaufhörlich von allen Ecken und Enden wider: ein Mann, ein
Herr! Ein reicher Herr!

In der Eichelhütte würde er wohnen, die hatte er dem van Beuren
abgekauft. Aber nicht bloß ein paar Jagdtage wollte er da verweilen,
nein, den ganzen Sommer sicher, und vielleicht auch den Winter. Der
Krumscheid hatte es erzählt und sich schmunzelnd dabei die Hände
gerieben; er witterte einen sicheren Verdienst. Denn der Fremde hatte
einen zartrötlichen Hauch auf der Nase, und seine etwas verschwommenen,
blaßblauen Augen blickten gemütlich in die Welt.

Gleich bei der ersten Einkehr hatte der Wirt das nähere und nächste
erfahren. Herr Anton Nikolaus Schmitz, 'Rentner', wie er sich schrieb,
hielt durchaus nicht mit seinen Angelegenheiten hinter'm Berge; er
erzählte gern.

Er stammte aus der Eifel. Als armer Waisenknabe war er ausgewandert
und hatte sich durchgefochten bis unten an den Niederrhein, wo ein
entfernter Verwandter von ihm wohnte; der that ihn zu einem Gerber in
die Lehre. Es glückte ihm; der Lehrling wurde Geselle, der Geselle
Meister -- jetzt paßte bald das Sprichwort:

    'Häutchen, wie stinkst du,
    Geldchen, wie klingst du!'

Zuletzt hatte er eine große Gerberei in Köln besessen. Aber was sollte
er sich noch länger schinden? Junggeselle war er, nähere Verwandte
hatte er nicht, sein Haar war grau geworden, die Gicht suchte ihn
öfters heim, und der Hals kratzte ihn vom Lohstaub. Jetzt war's Zeit,
sich zur Ruhe zu setzen.

Da meinte der Herr van Beuren, den er beim Frühschoppen in der
'Kevverndoos'[49] kennen gelernt, das grüne Salmthal, das so geschützt
und lieblich zwischen den Bergen läge, das wäre recht der Ort für
so einen. Sie besuchten miteinander die Eichelhütte, und was noch
mächtiger wirkte, als das eifrigste Zureden des Herrn van Beuren, das
war das Heimatsgefühl, das plötzlich in dem geborenen Eifeler erwachte.
--

Nun standen die Fenster der Eichelhütte weit offen, der laue
Frühlingswind durchfächelte die Stuben und spielte mit den großblumigen
Vorhängen des gemütlichen Himmelbetts. Mit allem, was da lag und
stand, hatte der Schmitz das Haus gekauft, von den Geweihen und
rostigen Flinten an den Wänden bis herab zum Wildschweinsfell vor der
Thürschwelle. Er wanderte in seinem doppeltgefütterten Schlafrock, die
lange Pfeife im Mund, von einem Raum in den anderen, trieb freundliche
Scherze mit den Weibern, die da fegten und scheuerten, und fühlte sich
ganz als Herr und Besitzer.

Gestern war er durch's Dorf spaziert und hatte die ausgesucht, die ihm
zur Arbeit am tauglichsten schienen. Alle waren gelaufen gekommen und
hatten sich angeboten, selbst die alte Schneidersch und die kleine
Bill. Die hübschesten waren die tauglichsten; Herr Schmitz hatte sich
schon ein Trüppchen zusammengestellt, da kam die Zeih des Wegs --
Donnerwetter, war das ein Frauenzimmer!

Der alte Junggesell riß seine blauen Äuglein auf. Merkwürdig, Jahre
lang hatte er keine Anfechtung mehr gehabt, nur an seine Häute gedacht
-- Gerberlohe trug ihm die schönste Farbe -- nun blieb sein Blick auf
diesen braunen Flechten haften, die sich so glänzend, zu einem dicken
Nest gesteckt, zeigten. Und ein Fellchen hatte die! Hell und zart, wie
ein junges Kalb.

Machte es die Frühlingsluft, die stark und lebenerweckend von den
Bergen wehte? Machte es der Dunstkreis all des Weibervolks, das sich um
ihn drängte? Herr Schmitz fühlte eine seltsame Unruhe in den Beinen,
das Wasser lief ihm im Mund zusammen.

Linkisch galant zog er die Mütze. »He, junge Frau. Guten Tag!«

Lucia lächelte, daß man all ihre weißen Zähne sah; das leicht
bewegliche Blut schoß ihr in die Wangen, sie waren rot wie reife Äpfel.

'Fett wie ein Hammel,' dachte Schmitz und ließ einen väterlich
wohlwollenden Blick über die junge Frau gleiten; er liebte das
'Völlige'. Wohlbeleibte Menschen waren immer gemütlich im Umgang; er
selbst hatte sich ja auch ein Bäuchlein zugelegt. Ein instinktiver
Selbsterhaltungstrieb zog ihn zu Zeihs angenehmer Fülle, die doppelt
auffiel zwischen den sehnig schlanken, fast hageren Gestalten der
übrigen Weiber.

Das war was für ihn! Die wollte er zur Aufwärterin wählen! Ihr
freundlich heitrer Blick aus klaren, braunen Augen bestärkte ihn noch
darin.

»No, junge Frau,« sagte er, »haben Se et auch als jehört, dat der
Schmitz hier sein Residenz aufschlage will? He? Ich brauch en
Frauensperson, die mer et Bett macht un en Taß Kaffee kocht; ich bin
simpel jewöhnt, aber en Buttel muß se aufziehn können un auch en Spaß
verstehn. Im übrigen hab ich jern mein Ruh.«

Zeih sah ihn mit offnem Mund an; sie verstand den Herrn nicht, aber sie
lächelte.

Sie gefiel ihm immer besser; die anderen waren ihm viel zu geschwind
mit dem Mundwerk, besonders die eine, die junge Schwarze, die sie Tina
nannten und die mit ihren dreisten Blicken unheimlich herumfunkelte.

»No,« sagte er wieder und klopfte Zeih auf die Schulter, »können Sie
bei mer die Aufwartung machen? Wie steht et dermit, he? Oder sind Sie
zu fein derzu?« Jetzt erst war ihm ihr ausgeputztes Kleid aufgefallen,
das handbreit länger war, als die Röcke der anderen.

Die umstehenden Weiber stießen sich an und kicherten halblaut.

»Se es dem Pittchen sein Fra,« rief Tina keck, »dän haot geärwt.
Eweil haot dat Zeih dat Arweiden net mieh nedig. Wann hän net bal
ales versoff haot; dann gieft dat freilich en anner Mod! On wann dän
Oberkailer Schandarm net schplendid --«

»Bis still,« fiel ihr Zeih hastig in's Wort und zupfte sie am Rock.
Und sich mit dunkelrotem Kopf wieder zu dem Herrn wendend, flüsterte
sie schüchtern, die Wimpern gesenkt: »Ech moß erscht dat Pittchen
fraon, hän es e su -- e su -- ech glauwen net, dat dän et gären sieht.«
Zögernd sagte sie es, sie hätte für ihr Leben gern die Aufwartung
übernommen, nicht das Geld war's, das sie lockte -- zu essen und
trinken hatte sie ja -- aber so ein Herr aus der Stadt konnte allerlei
Präsente machen, von denen man hier nichts ahnte. Schade, daß mit dem
Pittchen jetzt so gar nichts anzufangen war! Wie ein Rasender war er
auf und nieder gerannt und hatte geflucht und geschimpft, als er von
dem neuen Besitzer der Eichelhütte gehört hatte.

Mit einem Seufzer schlug sie die Augen auf, die feucht schimmerten.
»Ech därf jao net!«

Mitleidig sah ihr Schmitz nach, als sie mit gesenktem Kopf
davonschritt -- das war ja eine rechte Kreuzträgerin, und so ein
sanftes, kreuzbraves Weibchen! -- -- -- --

Heute, als der Besitzer der Eichelhütte die Schar der fegenden Weiber
besichtigte, bedauerte er wieder auf's neue, die hübsche Zeih nicht
darunter zu sehen. Die hätte gewiß nicht so gepoltert und unbändig
hantiert, sondern so nett gemächlich, wie es einem Mann in seinen
Jahren angenehm war. Fast wollte es ihn bedünken, als trieben die
Weibsbilder ihren Possen mit ihm; die kecke Schwarze, hoch oben auf der
höchsten Leitersprosse, wippte hin und her, daß ihm der Angstschweiß
ausbrach; und die mit den blonden Zöpfen goß ihm einen vollen Eimer
Wasser grade vor den Füßen aus. Er flüchtete vor die Hausthür.

Da stand er nun in seinen grasgrünen Pantoffeln, die Hände in den
Schlafrocktaschen vergraben, einen Shawl um den Hals, mächtige
Tabakwolken in den hellen Morgen hinausqualmend. Mit behaglicher
Rührung musterte er die Umgebung. So waren ihm die Heimatberge mit
ihren runden Buckeln und den daranhängenden, winzigen Äckerchen
manchmal im Traum erschienen! Und dann dachte er an das 'Mus', an
'Kabes met Grombieren on Griewen', die er sich für heut mittag beim
Krumscheid bestellt, und sein Eifeler Magen knurrte in süßer Erinnerung.

Schmunzelnd blickte er die Straße zum Dorf hinunter. Alles ruhig
und friedlich, kein Wagen, kein störender Lärm. Nur eine einsame
Frauengestalt kam des Weges; als diese sich bemerkt sah, zögerte sie
und trat dicht an die Mauer des Kirchhofs heran.

Schmitz ständerte noch ein wenig vor der Hausthür herum und besichtigte
dann seinen Garten. Wenn die hohen Bäume sich erst belaubten, mußten
sie einen köstlichen Schatten geben. Mochte die Sonne noch so brennen,
hier war's angenehm; man konnte eine Hängematte aufhängen und sanft
darin duseln, und dort auf dem grünbemoosten Steintisch mit der
rätselhaften, eingemeißelten Inschrift hielt sich der Moselwein gewiß
kühl.

Sehr befriedigt kehrte er aus dem Garten zurück; da sah er am Gitter
eine Gestalt vorbeischleichen, die jetzt still stand und neugierig
durch die Stäbe lugte. Als er die Brille aus der Tasche gezogen, mit
seinen plumpen Fingern daran gewischt und sie auf die Nase geschoben
hatte, erkannte er die Zeih.

»Sieh ens an!« sagte er erfreut. »Weißt du auch, mein Dochter, dat ich
heut als an dich jedacht hab?!«

Sie stand verlegen lächelnd. Hinter sich her hatte sie ein
Holzwägelchen gezogen; darin saß ein erbärmlicher, kleiner Junge. Er
ließ die Unterlippe hängen, der Sabber lief ihm ununterbrochen aus dem
Mund und vereinte sich mit dem Brünnlein, das aus der Nase quoll, vorn
auf dem Lätzchen.

»Dat es ons Josefche,« sprach die Zeih, als sie den Blick des Herrn
bemerkte.

»So so. Hm hm!« Er konnte seine Verwunderung kaum verbergen -- wie kam
das hübsche, frische Weib zu dem elenden Kind?! Der Vater mußte doch
gar nichts taugen. Die Leute hatten sicher recht, die den Miffert einen
Säufer und Weiberjäger nannten; so allerlei war ihm hintenherum über
den Kerl zu Ohren gekommen. Das arme Weib!

»Kommt doch herein,« sagte er freundlich, öffnete das Gitterthor und
zog selbst das Wägelchen in den Garten.

Schüchtern trat die Zeih ein und ließ ihre Blicke an den hohen Stämmen
hinauf und hinunter gleiten; vor lauter Verlegenheit nahm sie dann das
Josefchen auf den Arm und herzte es.

Das Gesicht des alten Junggesellen trug alle Zeichen der Anteilnahme.
Er klopfte dem Kind die aufgedunsenen Bäckchen und nahm das welke,
blasse Händchen zwischen seine fleischigen, roten Finger. »Du, du, kß,
kß, kß,« machte er und kitzelte es am Hälschen.

Josefchen verzog das Gesicht und fing an zu weinen; es war kein lautes,
kräftiges Schreien, nur ein jämmerliches, dünnes Greinen.

Zeih war heute auch einmal schlechter Stimmung. Als sie das Kind weinen
hörte, zogen sich ihre Mundwinkel abwärts; schon hingen ein paar
Thränen in ihren langen Wimpern.

Mit dem Peter war eben gar kein Aushalt mehr, heut in der Frühe war
er nach Hause gekommen, sternhagelvoll. Gelärmt hatte er nicht, er
war in einem weit schlimmeren Stadium, dem der verbissenen Wut. Sie
traute sich nicht heran; aber nachdem er dann ein paar Stunden fest
geschlafen, glaubte sie ihn in der richtigen Verfassung, um ihr
Anliegen wegen der Aufwartstelle vorzubringen. Aber da kam sie gut an!

Wie ein Verrückter trommelte er mit den Fäusten auf's Bett und schrie
sie an: ob sie denn noch nicht genug an einem hätte? Noch einen neuen
dazu?!

»Nä, nä,« brüllte er, raffte sein Kissen auf und warf es ihr an den
Kopf. »On bei däm Stehler? Mein es dat Schlößche -- mein mußt et sein
-- Stehler! Hal dei Maul!«

Sie wagte gar keine Gegenrede mehr; aber er sprang aus dem Bett, drang
auf sie ein und trommelte mit seinen Fäusten auf ihrem Rücken, wie
vorher auf's Bett.

Das waren die ersten Schläge, die sie von ihm erhielt; und wenn
er auch durch seine Betrunkenheit zu entschuldigen war, übel nahm
sie ihm die Prügel doch. Um sich zu trösten, war sie mit dem
Josefchen herausgebummelt, in der Richtung nach der Eichelhütte.
Eine schmerzliche Neugier trieb sie; vielleicht, daß sie, am Gitter
lauschend, das Gelächter der anderen hören und einen Blick erhaschen
konnte in die ihr verschlossene Herrlichkeit!

»Hei es et schien,« sagte sie und sah sich, mit offnem Munde, staunend
um; noch nie hatte ihr Fuß diesen vornehmen Grund und Boden betreten.
Sie ging wie auf Eiern.

Schmitz fühlte sich sehr geschmeichelt, er führte sie in's Haus -- das
Josefchen konnte derweil draußen im Wägelchen sitzen -- und zeigte ihr
alle Räume. Mit neidischen Blicken glotzten die anderen Weiber; sie
standen nun mit geschürzten Röcken und zerzaustem Haar in Nässe und
Kehricht, und die da wurde herumgeführt, wie eine Dame!

Zeih kostete einen vollen Triumph aus; rasch kehrte ihre gute Laune
zurück, die Augen tanzten ihr ordentlich vor Vergnügen, zärtlich
streichelte sie über den verblichenen grünen Bezug des eingesessenen,
breitlehnigen Sofas. Ihre naive Bewunderung machte dem Alten das
größte Vergnügen. Dadurch wurde es ihm erst so recht klar, was er
doch eigentlich für ein verteufelter Kerl war, solch einen Besitz zu
erstehen. Er fühlte sich ordentlich jung; und als sie in den Keller
hinabstiegen, um den Platz anzusehen, wo das Moselweinfaß liegen
sollte, nahm er auf der dunklen Treppe ihre warme Hand und patschte die
und stieg so flink die steilen, schlüpfrigen Stufen hinab und wieder
hinauf, als wäre er sechzehn und nicht nahe sechzig, und als hätte die
leidige Gicht ihm nie einen Knüppel gegen die Beine geworfen.

Schade, schade, daß er dies Frauenzimmer nicht immer hier haben konnte!
Er fragte sie noch einmal wegen der Aufwartung, und sie berichtete ihm
haarklein den Vorfall des Morgens. Mußte der Miffert ein unangenehmer
Patron sein! Er schimpfte weidlich, und Zeihs Zunge rührte sich auch
munter -- nä, ihr Pittchen war gar nicht mehr kommod; seit der geerbt
hatte, war er alleweil kaprizig![50]

»Von wem hat er denn geerbt?« fragte Schmitz neugierig.

»Dat waaß ech net,« lachte sie. »Mir saon hei: 'Met Schweigen verredt
mer sech net' -- hän saot neist.«

Schmitz sah sie verwundert an.

»Jao, Ihr könnt et glauwen,« fuhr sie wichtig fort, »dat Pittchen, dat
es anen!« Ein geheimer Stolz auf ihren Mann regte sich nun doch in ihr.
»Dän es klug, dän hört dat Gras wachsen. Dän saot neist, wat hän net
saon will; net emaol, wann hän besoff es!«

»So, so.« Das zweifelhafte Lob Pittchens interessierte Herrn Schmitz
weiter nicht, seine Meinung stand einmal fest: ein unangenehmer Patron.
--

Von nun an fühlte es Pittchen, er hatte einen geheimen Widersacher im
Dorf. War es sein schlechtes Gewissen, das ihn so argwöhnisch machte,
oder die Eifersucht, nicht mehr der einzige Hahn im Hühnerhof zu sein?
Wahrhaftig, da brauchte er doch den alten 'Knickstiewel' nicht zu
fürchten, der im warmen Sonnenschein einen dicken Flauschrock trug,
Filzpantoffeln und um den Hals einen doppelten Shawl. Er fühlte einen
unbestimmten Haß gegen den Alten in der Eichelhütte, größeren Haß, als
auf den schönen, jungen Gendarm von Oberkail. Der Schmitz hatte einen
verdammten Blick; sah er nicht den Peter mit seinen Schweinsäuglein so
von der Seite an, als wollte er sagen: 'Ich weiß was' --?

Als Peter den Alten zum ersten Mal in Krumscheids Wirtsstube treten
sah, sprang er aus seiner Ecke auf, scharrte einen Kratzfuß und setzte
sich mit einem: »Met Verlöw!« dem Herrn gegenüber an die Breitseite des
Tisches. Zutraulich fing er eine Unterhaltung an, schwatzte harmlos und
zutäppisch, aber er hatte kein Glück damit. Seine Blicke, die flink und
unruhig umherhuschten, entdeckten keinen Zug des Wohlwollens auf dem
dicken, roten Gesicht gegenüber; Schmitz blieb zugeknöpft, das blühende
Fett der Wangen deckte jede Regung, die schlauen Äuglein verschwanden
ganz in ihren Schlitzchen. Er trank rasch aus, zahlte und ging; Peter
blieb sitzen wie ein Dummer.

Er fluchte in sein Glas hinein, fing an, mit dem Wirt zu krakehlen, und
schimpfte dabei auf, den 'alden Knickstiewel', den 'Kalmäuser', das
'Mastschwein'.

Was die Zeih nur an dem finden konnte?! 'Herr Schmitz' blieb ihr
zweites Wort. Von dem grünen Zitzsofa, über das sie einmal hatte
streicheln dürfen, erzählte sie, als sei es lauter Sammet und Seide.
Ganz beseligt kam sie heim, als der Herr Schmitz sie zur Veilchenzeit
in seinen Garten gerufen und ihr erlaubt hatte, für das Josefchen einen
Strauß Veilchen zu pflücken. Als ob es deren nicht auf der Flur unter
den Hecken weit blauere und duftendere gäbe! Peter riß ihr die Blumen
aus der Hand, zertrat sie und visitierte ihr dann die Tasche -- hatte
sie nicht noch was Anderes geschenkt bekommen?

Er glaubte ihr nicht, als sie beteuerte: »Nor Veilcher, su waohr ech
läwen, nor Veilcher!« Er riß ihr den Rock aus den Falten, kehrte alles
an ihr um und um, und als er nichts fand, schlug er sie.

Sie heulte, daß die Wände widerhallten; er schrie und lärmte wie
besessen. Zuletzt versöhnten sie sich wieder. Noch einmal schien in
Peter das frühere Pittchen zu erwachen; er schlug sich mit der Faust
vor die Stirn, nannte sich einen 'Wuodeswoor'[51], umarmte die Zeih,
bat ihr kläglich ab und küßte sie wild. Schnell versöhnt, gab sie seine
Küsse zurück; einander herzend und drückend, verabredeten sie auf den
nächsten Tag, den Jahrmarkt in Wittlich zu besuchen.

Zeih träumte die Nacht von einem Karrussel, von Buden mit allerhand
Herrlichkeiten, vom Oberkailer und von Herrn Schmitz, während Pittchen,
den Arm um ihre Schultern gelegt, mit brennenden Augen in's Dunkel
starrte und den Schlaf nicht finden konnte.

So jämmerlich hatte er sich noch nie gefühlt. War er denn krank? Wohl
zitterten seine Hände, wenn er ein Glas zum Munde führte, seine Beine
waren oft wie abgeschlagen; aber krank, nein, krank war er nicht. Im
Dunkel streckte er den Arm aus -- mager aber sehnig! Seine Finger
spreizten sich -- war das nicht eine Hand, recht gemacht, den Thaler
auf den Tisch zu schleudern und danach aufzuschlagen, daß Flaschen und
Gläser hoch sprangen? Wenn er nur mehr Freude davon hätte!

Freude -- -- --?! Er unterdrückte ein Hohnlachen; bei allem, was er
that, schlich ja etwas um ihn herum und tuschelte ihm in die Ohren,
legte eine Hand auf seine Brust und drückte ihn da, daß er nicht frei
atmen konnte.

Jüngst war er mit der Tina in der Sonntagnacht spät heimgekehrt; die
Arme umeinander geschlungen, schlenderten sie durch den Kunowald. Im
tiefsten Dunkel zog sie ihn auf's Moos; da zitterte plötzlich ein
Mondstrahl durch's dichte Geäst, mitten auf ihr lachendes Gesicht.
Es verzerrte sich zusehends zu einer Grimasse, die dunklen Augen
schimmerten in grünlichem Licht, die weißen Zähne fletschten, als
wollten sie ihn beißen. Mit einem Fluch hatte er sich losgerissen. Und
da stand der Mond plötzlich in einer Lücke zwischen den Tannen und
grinste über das ganze, volle Gesicht. Und den ganzen Weg ging er mit,
und über Eifelschmitt blieb er stehen mit seinem verdammten Grinsen und
wankte und wich nicht. Accurat so lachte der Schmitz.

In Peter war der Wunsch aufgestiegen, sich einer Seele anzuvertrauen.
Ein paarmal war er wieder auf den Gräbern seiner Eltern gewesen, aber
keine Stimme aus der Tiefe hatte ihm zugesprochen; vielleicht, daß sie
böse waren, weil noch kein Denkstein stand. Aber so rasch ging das
doch nicht. Alle Tage konnte er nicht einen harten Thaler wechseln, so
dumm waren die Bäuerlein am Ende auch nicht; und seit der Schmitz, der
Schlauberger, in Eifelschmitt hockte, war ihm ein Aufpasser gesetzt.
Einen immer weiteren Kreis mußte er auf seinen Wanderungen beschreiben.

Wenn er sich der Tina anvertraute! Die war schlau. Wenn er mit der
Halbpart machte! Rasch kam ihm der Gedanke, wie eine Erlösung -- nur
nicht allein sein mit der Angst! -- aber ebenso rasch verwarf er ihn
wieder.

    'Weiber haon lange Röck,
    Äwer en korzen Verstand', --

nein, das durfte er nicht wagen! Und zudem noch Halbpart machen?! Er
hatte ja für sich selber nicht genug; wie Butter unter der Sonne,
so zerrann ihm das Geld unter den Fingern, er wußte nicht, wo's
hinschwamm. Die Hütte war kahl, nach wie vor; und wenn sie auch
nicht mehr hungerten, ein Hundeleben blieb's doch. Zumal jetzt, wo
er dem Frieden nicht recht traute war's oft knapp. Und diese zerrte
an ihm, und jene; die zog ihn hier, und die dort -- das mußte ein
unversiegbarer Bronn sein, aus dem sie alle schöpfen konnten.

Eine gewaltige Erschütterung kam über Peter, eine Todesmattigkeit. Der
Kopf sank ihm vornüber, er hätte sich gern aufgerichtet, es war ihm
beklommen; aber er konnte nicht, sein Rücken war so schwach, als sei
kein Mark mehr darin.



                    XII.


Warme Tage waren über die Eifel gekommen, Früh-Sommertage. Die Sonne
brannte auf die nackten Kuppen, die Felsen schleuderten die Strahlen
zurück. Gewitter zogen jäh auf und gingen jäh nieder; oft stand ein
Regenbogen über'm Thal, hie einen Fuß, drüben den andren.

Was da gesäet war, ging der Reife entgegen.

Auf Bäbbis Acker stand der Roggen so hoch, wie das Lorenzchen war.
'Lukas Evangelist' hätten die alten Schneidersch gern ihren Enkel
genannt -- so war der Tag seiner Geburt im Kalender benamst, -- aber
Bäbbi hatte trotz ihrer Krankheit und Schwäche darauf bestanden, er
mußte nach seinem Vater getauft werden.

Sinnend schritt Bäbbi den Ackerrain entlang und ließ ihre Hand sacht
durch die leiswogenden Ähren streichen. Wie lange noch, drei Wochen
kaum, dann war Peter und Paul; dann fing das Korn an, sich zu bleichen
-- und die Männer kamen heim! Der Lorenz kam!

Mit einem Seufzer der Befriedigung sah sie über ihr Feld hin. Das
konnte sich sehen lassen! Gleich einer Bürste stand das Getreide, und
nebenan streckten die Kartoffeln, wohlgesetzt in Reih und Glied, ihre
steifen, dunkelgrünen Bäumchen. Wie eine Oase lag dies Fleckchen in der
Wüste der andren Äcker; kaum handhoch stand auf denen das Korn, und
manch Kartoffelland sah aus, als hätten Wildschweine darin gewühlt.

Mit der arbeitsrauhen Hand strich Bäbbi dem kleinen Lorenz die wehenden
Löckchen aus der Stirn und sah, das Kind, das kräftig aufgerichtet
auf ihrem Arm saß, liebevoll an sich drückend, mit selig verträumtem
Ausdruck in die Ferne.

Was würde er sagen, wenn er kam?! Bald, bald! Ihr Herz klopfte stark,
vor Freude. Hierher wollte sie ihn führen, gleich am ersten Abend --
kaum konnte sie's erwarten -- was würde er für Augen machen, wenn er
sah, wie gut alles stand?! Ja, es war ein rechter Gottessegen. Dankbar
faltete sie ihre Hände um die kleinen des Kindes und ließ sich auf den
Grasrain niedergleiten.

Da saß sie still. Heut durfte sie ja feiern am Sonntagnachmittag.
Sinnend ließ sie die Augen auf der Landschaft ruhen.

Bergland, so weit der Blick reicht; armes Bergland. Unter der mageren
Erdschicht starrer Fels; winzige Äckerchen, dem trocknen Heideboden
abgerungen oder dem Herzen des Waldes entrissen.

Und doch liebte sie dieses Land. Mit tiefem Atemzug sog sie die herbe
Luft ein, die ihr stark entgegenwehte. Wo gab's noch eine solche Luft?!
Als könne sie nicht genug davon bekommen, öffnete sie die Lippen und
schlürfte und schluckte, wie ein Trinker köstlichen Wein. Sie faßte
das Kind unter den Achseln und ließ es frei in der Luft schweben; es
zappelte mit den Beinchen und jauchzte vor unbewußter Lust.

Lange hielt sie es so mit starkem Arm. Eifelluft, Heimatluft -- sie
konnte ihm gar nicht genug davon geben. Durchwehen, sich durchwehen
lassen von dem reinen Wind, dann wurde man groß und stark; und wohnte
man auch im Rauch der Städte und sah statt der Bergspitzen die
Fabrikschornsteine ragen.

»Wuh ons Pappa es, lao sein mir aach zo Haus, gäl, Lorenzche?« fragte
sie das unverständige Kind und küßte es zärtlich. Sie dachte an die
eingeengten Straßen, an die graue Luft, an das Gestampf und Geächz der
Maschinen, und für Augenblicke irrte ein Bangen über ihr Gesicht; aber
gleich darauf lächelte sie freudig. »Wann hän ons ruft, mir kommen,
gäl? Mir giehn zo onsem Pappa on bringen ihm sein Heimat!«

Als hätte sie schon zu lange gesäumt, sprang sie auf. Schade, daß heute
Sonntag war, am liebsten hätte sie gleich weiter geschafft. Arbeiten
ohn' Unterlaß, nicht müde werden! Dann kam vielleicht die Zeit, in der
sie aufladen konnte, was not that, und ihm nachziehen durfte, hinunter
in's fremde Land. Mit praktischem Sinn berechnete sie, daß sein Lohn
ja dann auch viel weiter reichen würde. Er hatte wohl guten Verdienst,
aber es blieb -- außer dem, was er an Geschenken mitbrachte und beim
Besuch zuhause draufgehen ließ -- blutwenig davon übrig. Es spart sich
nicht viel, wenn man jedes Stück Brot, jede Handreichung an Fremde
bezahlen muß; die ziehen einem das Fell über die Ohren. Da durfte man
sich ja nicht trauen, ein frisches Hemd anzuthun! Mit Schaudern dachte
sie an die schönen, selbstgesponnenen Hemden, die sie ihm geschickt --
wie mochten die jetzt schon aussehen?!

Oh, sie wollte ihm wohl alles instand halten und ihm ein ordentliches
Essen kochen, und ihm den rußigen Schweiß von der Stirn wischen. Da
brauchte er in kein Wirtshaus mehr zu gehen, und der Gesellenverein
that auch nicht mehr nötig; dann hatte er seinen Diskurs. Er würde bei
ihr sitzen; im Winter am warmen Küchenherd, darüber das Lämpchen mit
seinem blanken Schild wie ein Sönnchen strahlte -- im Sommer vielleicht
auf dem Gartenfleck, den sie mit Kartoffeln und Salat bebaut; ein
paar Blumen mußten auch darauf wachsen. Am Himmel, zwischen den
Schornsteinen durch, blinkten die Sterne, dieselben Sterne, die auch
über den Eifelbergen leuchteten. Und er hielt ihre Hand, und er sprach
zu ihr: »So gut is mer't noch nie ergangen, Bäbb!« -- -- -- -- -- -- --
-- --

Mit einem tiefen, zitternden Seufzer fuhr sie aus ihren Träumen auf.
Sie hatte seine Hand gefühlt, seine Stimme gehört -- ach, es war nur
der Wind, der über ihre Stirn gestrichen, und das Lorenzchen, das
kindisch gelallt hatte! Weit war der Lorenz, weit jene Zeit! Und hier
waren die alten Eltern, die der Versorgung bedurften, die konnte sie
doch nicht im Stich lassen. Schrumplige Äpfel halten oft fester am Ast,
als rotbackige; und schütteln darf man nicht in fremder Leut's Garten.
Die konnten noch lange leben! Und die mußten auch #hier# zu Ende leben;
alte Bäume verpflanzt man nicht. Aber die jungen, die jungen?! Bäbbi
schüttelte den Kopf; in ihrem einfachen Sinn war es ihr klar: den
jungen that das Hierbleiben nicht gut! Die mußten hinaus, den Männern
nach!

Mit schwimmenden Augen sah sie in die rote Sonne, die dort langsam
hinter den Wald tauchte. Die Wipfel strahlten in lauterem Gold. So
unermüdlich die am Abend niederging und am Morgen wieder auf, so
unermüdlich mußte auch #sie# ihr Tagewerk immer wieder von neuem
beginnen, freudig in Geduld, gewiß in Hoffnung.

Hoffnung! Hoffnung!

Ja, der Tag der Vereinigung kam -- jetzt wußte sie's genau. So sicher,
wie diese Sonne, die diesseit hinter'm Wald versank, morgen jenseit
über Schwarzenborn stand im neuen, vollen Strahlenkranz und den
einsamen Busch in blendenden Glanz hüllte -- so sicher!

Ihre ernsten Augen erhellten sich, ein heiliges Feuer schien sich darin
zu entzünden. Höher und höher reckte sich ihre aufrechte Gestalt; wie
die Wurzeln eines starken Baumes standen ihre Füße fest im heimischen
Felsenboden, aber ihr offner Blick ging in's Weite.

Sie hob das Kind über sich und schwang es mit einem Jubelruf hoch in
die Lüfte. »Heissah, flieg! Lorenzche, flieg! Dein Vadder on dau on
ech, mir hören #zosammen#. Flieg, flieg!«

Eine namenlose Freude schien über sie gekommen, ihre Stimme erhob sich
zu einem langen Jauchzen. Es hallte in's Thal hinunter, drang in die
Hütten, weit über's Thal hinaus und verlor sich jenseit der Berge. Es
klang wie ein Weckruf: Auf, auf! Wie ein anfeuernder Schrei und ein
Locken zugleich: Kommt, kommt!

Strahlender Glanz lag auf Bäbbis Gesicht, strahlend wie die Lichtflut,
die die Sonne mit letzter Kraft auf ihren blonden Scheitel goß.

Starken Trittes stieg sie zu Thal, kraftstrotzend und siegessicher.

Tief im Thalhintergrund lagen die mächtigen Ruinen von Himmerod, schon
schwarz im Abendschatten, während die Eichelhütte mit ihren weißen
Mauern noch als heller Fleck am dämmrigen Waldrand glänzte. Alles
still, sonntäglich friedlich. In einer weihevollen Feierstimmung
schritt Bäbbi dahin. Da, horch! Geschrei schallte zu ihr herüber;
unweit der Eichelhütte stand ein Trupp Menschen auf der Straße. Sie
schrien alle durcheinander mit lauten Stimmen.

Was war geschehen? Bäbbi näherte sich rasch -- vielleicht eine
Nachricht von denen draußen, vom Lorenz?! Warum hatten sie sich nur
alle hier zusammengefunden, der Herr Pastor und der Herr Schmitz,
der Krumscheid und der Küster? Sie umstanden ein Bäuerlein, das, den
Stecken unter den Arm geklemmt, mit den Fäusten herumfuchtelte.

Ei, das war ja der Kemper aus Großlittgen! Bäbbi erkannte den
Handelsmann, der jahraus, jahrein mit seinem Karren voll Irden-Geschirr
die Eifel durchquerte. Er machte auch nebenbei Geschäfte mit Hasen-
und Marderfellchen, mit Lumpen und Knochen und allerhand anderem
Kram. Seine lustigen Scherze waren wohlbekannt; heut schienen sie ihm
vergangen.

Er schrie: »Et es en Schand on en Sünd! Mer schindt sech halw dud, mer
rennt sech den Odem aus em Leiw, mer schäst[52] dorch't miserabelste
Wäder! Wann mer ahf on an e Kastemännche eröwrigt, es mer als heilfroh;
on onseranen gieft bedrogen! Dat elao es schänderlich, schänderlich es
dat elao!« Er heulte laut.

»Wuh haot Ihr dän dann gekritt -- wuhähr? Jesses, saot doch!« Der
Krumscheid rüttelte ihn.

»Ech waaß net,« stöhnte das Hausiererchen und schlug sich vor die
Stirn. »Ech Dummkoap! Kann sein als vor Wochen uf der Wittlicher Meß,
kann aach net sein. Duh haot ech der Dahler mieh. Onsem Hährgott sei't
geklaogt, mer kann se jao nie lang behaalen. Onseranen kömmt heihin on
daor, duh kritt mer dat Stöck on duh dat, heit en Penning, morjen en
Groschen, öwermorjen en Dahler -- ech sein beschummelt met Bedaacht,
schänderlich beschummelt! Verfluchtes Schinnaos, dat mech e su beschiß
haot! En heilig Kreizdunnerwäder soll hän --«

»Aber, Kemper, Kemper,« begütigte der Pfarrer, »flucht doch nicht so!
Wer sagt Euch dann, daß Ihr mit Absicht betrogen seid? In unserer
Eifel ist man fromm und ehrlich; aus der bösen Welt wird uns die Sünde
eingeschleppt. Hier betrügt keiner den andren.«

»Äwer ech sein doch befautelt,« ächzte der Unglückliche, »ob met
Bedaacht oder net. Kuckt hei« -- er zog ein Thalerstück aus dem Kittel
und zeigte es auf der flachen Hand herum -- »dän es falsch!«

Falsch --?! Bäbbi stand mit offnem Mund.

Ein Murmeln, ein Raunen, ein hörbares Staunen ging durch den Kreis; sie
rückten enger zusammen, jeder drängte heran und reckte den Hals. »Es et
waohr? Wirklich waohr?! Es dat miëlich, menschenmiëlich?«

»In der That,« -- Schmitz hatte die Brille aufgesetzt und hielt sich
den Thaler dicht unter die Nase -- »der is falsch!«

»Ech sein beschiß, ech sein beschiß,« heulte Kemper.

Der geistliche Herr nahm den Thaler zur Hand. »Ich kann das noch immer
nicht glauben -- nein, nein!« Er schüttelte den Kopf.

»Sie können't schon glauben.« Schmitz fühlte sich ganz als
welterfahrener Mann. »Ich hab' zu Köllen als der Dinger mehr jesehn.
Drum hat ja auch der von Bismarck eben jetzt die Joldstücker
einjeführt; der is schlau, die sind nit e so leicht nachzumachen.
Der hier is falsch! Kiek ehs an« -- sein Portemonnaie aus der Tasche
ziehend, suchte er daraus einen Thaler hervor -- »der is echt!« Er
probierte beide Geldstücke auf einem Stein. »Hört, wie hell den klingt,
un wie anders den! Da heißt et aufjepaßt. Wo einen is, sind auch ihrer
mehr.«

Betroffen sahen sich alle an.

»Zom Schandarm, zom Schandarm nach Oberkail!« zeterte der Küster.

»Duh kommen ech jao als här,« jammerte der Handelsmann. »Duh sein
ech stracks hingerennt, e su bal als onsen Wirt zo Großlittgen saot,
dän Dahler wär falsch. Äwer dän Schandarm es net derhäm. Se saon
zu Oberkail: hän wär nao Schwarzenborn; on in Schwarzenborn: nao
Eifelschmitt. On hei, dän Krumscheid saot: hän wär nao Karl --«

»Lao kömmt hän,« schrie Bäbbi auf. Ihre scharfen Augen hatten den
Schimmer einer Uniform am Waldrand gesehen. »Lao kömmt hän aus em
Büsch, ech siehn de Knöpp blinkern!«

»On en Framensch haot hän bei sech,« brummte schmunzelnd der alte
Krumscheid. »Hä, Hähr Schandarm! Helao!«

»Hollah,« brüllte Schmitz. »Sie da!«

»Feuer, Feuer,« zeterte der Küster.

Sie erhoben alle die Stimmen, selbst der geistliche Herr rief. Endlich
schien der Oberkailer zu hören; das Frauenzimmer verschwand, wie vom
Boden verschluckt, er selbst sprang in großen Sätzen vom Waldrand auf
die Straße herunter. Nun kam er angetrabt. -- --

Wer die Kunde vom falschen Thaler in's Dorf getragen, wußte man
nicht. Obgleich der Gendarm den Erstwissern strengstes Stillschweigen
auferlegt -- »denn,« sagte er, »der Hallunke darf beileibe keinen
Wind davon kriegen, sonst macht er sich dünne« -- hatte einer doch
geplaudert.

Wie ein Lauffeuer ging's von Haus zu Haus: »Wißt ihr't schuns? Hatt
ihr't als gehört? Jesses, e su ebbes! Sollt mer't glauwen? En Dahler,
en falschen Dahler!«

Die Weiber standen alle auf der Gasse; außer Bäbbi war keine im Haus
geblieben. Sie schlugen die Hände über'm Kopf zusammen und rissen Augen
und Mäuler auf. Alle möglichen Geschichten tauchten auf im Anschluß an
den falschen Thaler; wer was zu erzählen wußte, erzählte: von Räubern
und Mördern und Einbrechern. Selbst der Schinderhannes, der vor siebzig
Jahren zu Mainz Geköpfte, trat leibhaftig wieder auf. Sie drängten sich
zusammen und schauderten und machten einander graulen. Das summte und
wirrte durcheinander, wie ein aufgestörter Bienenschwarm.

Das Wirtshaus wurde belagert; neugierige Gesichter drückten sich an
die Fenster, denn drinnen saßen ja die Herren und hielten Rat. Und da
war auch der Thaler zu sehen. Wie der nur ausschauen mochte?! Hie und
da machte sich eine eine Ausrede; zum Beispiel die Tina, die ging keck
herein und kaufte für einen Groschen 'Klümpcher'[53], aber es half ihr
nichts, der Krumscheid war ganz verstört und hatte kein Ohr für ihre
Fragen, und niemand von den Herren rief sie an den Tisch, so sehr sie
auch hinschielte. Sie kriegte den Thaler nicht zu sehen.

Der Schmitz führte das Hauptwort. Zu seiner Zeit hatte in Köln einmal
ein Falschmünzerprozeß gespielt, den gab er nun mit allen Einzelheiten
zum besten. Eine ganze Bande war's gewesen, zehn Mann hoch, mit so und
so viel Helfershelfern; was Ähnliches würde wohl auch hier dahinter
stecken.

Immer martialischer wurde das Gesicht des Gendarmen, er drehte den
Schnurrbart auf, daß ihn die Spitzen fast in die Augen stachen, und
fühlte verstohlen nach dem sechsläufigen Revolver, den er unter der
Uniform auf der Brust trug. 'Im Namen des Gesetzes' -- ha, wie sie
zitterten!

Darin waren sich fast alle einig, ein Eifeler konnte der Missethäter
nicht sein. Der Pfarrer sprach warm für die seiner Kirche anvertrauten
Schafe. Nun war er hier schon dreißig Jahre im Amt, nie, nie war etwas
Böses vorgefallen; er hätte es doch erfahren müssen durch die Beichte.

Schmitz, als geborener Eifeler, war ganz seiner Ansicht. Ja, draußen
waren sie alle raffiniert, aber hier?! »Ne,« sagte er, »hier sind se zu
ehrlich!«

Der Gendarm nickte dazu: »Und viel zu dämlich!«

Nur das Hausiererchen sagte kein Wort zur Entlastung der Einheimischen.

Er stöhnte und jammerte, am meisten darüber, daß der Gendarm den
Thaler eingezogen hatte, um ihn seinem Vorgesetzten, dem Obergendarmen
zu Wittlich, abzuliefern. »Jeß, Jeß,« klagte er, »duh sein ech vom
Räjen unner de Trauf gekomm! Hähr Scha--Schan--darm -- ech will mein
Dahler re--redur!« Er lallte schon, sie hatten ihm zum Trost wacker
eingeschenkt.

Heute brannten die Lichter in den Häusern länger denn je, nur Pittchens
Hütte lag still und finster.

Spät in der Abenddämmerung kam Zeih in's Dorf geschlichen; Tannennadeln
hafteten ihr im Haar, und am Kleid klebte ihr Waldmoos. Ungesehen
hoffte sie ihre Hütte zu erreichen, aber schon wurde sie angehalten.
»Hatt Ihr't gehört? Hatt Ihr't gehört vom falschen Dahler?«

Mit Ungestüm platzte sie daheim in die Stube, wo Pittchen quer über'm
Bett lag, die Augen starr gegen den Deckbalken gerichtet. Er hatte eben
den Rausch der vorigen Nacht ausgeschlafen, nach der Frühmesse war er
erst heimgekommen; nun schmerzte ihn der Schädel noch. Stumpfsinnig
brütete er. Als er seine Frau erkannte, schnauzte er sie an: »Wuh haste
dech widder erumgedriewen, dau --«

Sie achtete gar nicht darauf, gleich fuhr sie mit der Neuigkeit heraus:
»Haste't gehört? Se haon en Dahler, en falschen Dahler gefunnen! Se
sein dem Kerl als uf der Spur.« In grausenvollem Entzücken schlug sie
die Hände zusammen: »Dän hänken se uf, wann se dän kriehn! Pittchen,
wat saoste nau?«

Keine Antwort.

Sie beugte sich über ihn -- schlief er schon wieder? »Pittchen, en
falschen Dahler! Denk ehs! Hörste dann net?« Sie packte ihn am Arm.

»Ech hören.« Ihre Hand zurückstoßend, richtete er sich mühsam ein wenig
auf, seine Stimme klang heiser.

»Nä, datste dech aach e su wenig inderessierst,« sagte sie ordentlich
beleidigt, »e su ebbes passiert doch net alle Dag! Denk ehs, wann se
dän kriehn, dän --«

»Wän es et dann?« Sich auf den aufgestemmten Ellbogen stützend, sah er
sie stier an.

»Huh,« kreischte sie lachend, »maachst dau en Visasch! Eweil könnt mer
sech jao graulen!«

»Wän es et -- wat saon se?« stieß er hervor. Seine Lippen zitterten,
seine Hände auch.

Sie zuckte die Achseln. »Dat waaß ech net. Äwer waart,« -- sie ergriff
gern eine Gelegenheit, wieder fortzukommen -- »ech giehn noch ehs on
hören mech om!« Schon war sie zur Thür hinaus.

Allein!

Er stöhnte auf in verzweifelter Wut. Mit einem Satz war er aus dem Bett
und nebenan in der Kammer. Mit angstvoll prüfendem, scheuem Blick sah
er sich um -- nichts zu entdecken! Friedlich lag sein Handwerkszeug auf
dem Tisch, das niedrige Öfchen stand an der Wand, der Schemel daneben.
Sonst alles leer.

Erleichtert atmete er auf. Aber da, da in der Ecke, wo Lehm und Steine,
von der bröckligen Mauer herabgefallen, einen Schutthaufen bildeten --?!

Stechend bohrte sich sein Blick dort ein. Und dann räumte er in
fiebernder Hast den Schutt in eine andre Ecke, riß von der Wand noch
mehr darauf herunter und ließ den schmutzigen Estrich der ersten Stelle
unbedeckt. So war nichts verdächtig.

Draußen ging jemand in einiger Entfernung vorüber, dumpf hallten die
Schritte. Was, was, paßten sie ihm gar schon auf?! Blitzschnell löschte
er das Licht.

Mit angehaltnem Atem schlich er im Dunklen aus der Kammer in die Stube
zurück, und aus der Stube an die Hausthür. Vorsichtig öffnete er sie
spaltbreit und lauschte nach dem Dorf hinunter. Flimmernde Lichter und
Hundegebell, verworrene Stimmen und Rufen und Lachen.

Blätter säuselten im Nachtwind, durch das Gras huschte etwas --
er schreckte zusammen. Was war das?! Ach, nur eine Katze, die den
geschmeidigen Leib über den taufeuchten Rasen zog und sich, leise
raschelnd, unter'm nächsten Zaun verkroch.

Mit bebenden Fingern strich Pittchen das wirre Haar aus der Stirn;
dann stahl er sich, gewandt wie die Katze, im Schutz der Hecken zum
Dorf hinunter und, jeden Lichtstreif, der aus den Fenstern fiel,
vermeidend, schlich er lauschend um die Häuser.



                    XIII.


Das Kreisblatt zu Wittlich hatte eine Warnung erlassen, und die genaue
Beschreibung des falschen Thalers stand dazu gedruckt; auch im Dauner
Kreisblatt war's zu lesen.

Ein panischer Schrecken hatte die Bevölkerung ergriffen, manch
Bäuerlein rannte nach der Wittlicher Sparkasse und ließ von den
Sachverständigen daselbst seine paar Thälerchen prüfen. Sonst hatte
man der Sparkasse nicht viel Vertrauen geschenkt; da schienen doch
die Thaler viel sichrer daheim im Kasten, warm unter'm Bett, oder im
Strumpf zu unterst in der Lade.

Auch der Krumscheid begab sich nach Wittlich und borgte extra dazu das
Chaischen vom Pauly zu Oberkail; den Sparkasten stellte er neben sich,
sorgsam mit einer Decke verhüllt. Als er durch den dunklen Wald fuhr,
setzte er sich darauf.

Ein geschlagner Mann kam er heim -- elf von seinen Thalern waren
falsch! Die hatten sie gleich dabehalten zu Wittlich und hatten ihn
ausgefragt, daß ihm der Verstand knackte; er dachte nach und dachte
wieder nach, aber wie sollte er's noch wissen, von wem er die Thaler
bekommen?! Und der Obergendarm, mit dem -- weiß Gott! -- nicht zu
spaßen war, hatte ihn zum Stillschweigen verpflichtet, unter der
Drohung, ihn sonst in Untersuchungshaft zu nehmen. Das war das
bitterste, nicht einmal erzählen durfte er's!

Und noch mehr falsche Thaler tauchten auf, hier und da. In Hupperath
und Karl, in Oberkail und Spang-Dahlem, in Manderscheid und Bettenfeld,
in Oberöfflingen und Niederöfflingen, in Stadtfeld und Daun; die ganze
Gegend war verseucht.

In der ersten Zeit lief fast jeden Tag ein neues Gerücht um; bald
sollte am Rhein eine ganze Falschmünzerbande aufgehoben worden sein,
bald an der Mosel, bald waren die falschen Thaler von Holland über
die Grenze gekommen, bald von Frankreich. Die Weiber von Eifelschmitt
hatten soviel zu erzählen, daß sie gar nicht mehr zu ihrer Arbeit
kamen; sie brannten vor Neugier und Aufregung, und Pittchen stand
mitten unter ihnen auf der Gasse und schürte den Brand.

Seine Erzählungen überboten noch alle anderen; es war ein ganzes
Gewebe von Lügen, das er sich in seinen schlaflosen Nächten aussann und
den Dummen über den Kopf warf. In guten Stunden frohlockte er -- waren
die alle einfältig! Aber es kamen auch böse Stunden, in denen packte
ihn die Angst am Schopf und drückte ihm die Kehle zu.

Er traute sich nicht, etwas auszugeben, auch nicht, beim Krumscheid zu
borgen; der hätte so wie so jetzt nichts hergeliehen, da er immer von
'Verhungern' sprach. In den Wirtshäusern konnte Pittchen auch nicht
sitzen; in die allerentlegenste, im fernsten Waldwinkel versteckteste
Schenke war die Kunde von den falschen Thalern gedrungen.

Schmalhans war wieder eingekehrt in Mifferts Hütte, und zwar so
plötzlich, daß Zeih sich nicht in den jähen Wandel finden konnte. Was
half es dem Peter, daß er ihr kläglich beteuerte: es sei alles alle
geworden. Sie glaubte ihm nicht; soviel Geld konnte gar nicht alle
werden.

Sie lag ihm in den Ohren Tag und Nacht und quälte ihn und bettelte um
Geld und weinte; an was sie früher gar nicht gedacht, das brauchte sie
jetzt zur allerdringendsten Notdurft. Sie hatte eben das Bessere kennen
gelernt.

Und wenn er zur Tina kam, dann tribulierte auch die ihn. Was würde
die gucken, wenn er auf einmal sagte: 'Ech haon ken Gäld mieh!' Er
fürchtete sich vor ihren schlauen Blicken und ihrer Spürnase.

Und Spürnasen waren die Weiber alle; sie verfolgten ihn auf Schritt und
Tritt, sie hefteten sich an seine Fersen, hingen sich ihm an und zogen
ihn nieder.

Er spielte den Kranken, da kamen sie in seine Hütte und brachten ihm
Suppen. Und Thee mußte er trinken und Latwergen schlucken, höllischen
Mischmasch von allerhand Blattzeug und Gewurzel; und Einreibungen und
Umschläge mußte er probieren von Schneckenspeichel und gekautem Brod.

Da er sie so nicht los wurde, that er böse und schmollte, besonders mit
der Tina. Aber je mehr er sich abkehrte, desto mehr rannten sie ihm
nach; und die Tina kam ganz frech zu ihm am helllichten Mittag; setzte
sich ihm auf den Schoß, in Gegenwart der Zeih, und fragte ihn, wann er
sie ausführe? Und gab ihm lachend einen Nasenstüber, daß ihm das Wasser
vor Wut und Schmerz in die Augen schoß.

Kaum war die weg, machte ihm die Zeih einen Skandal. Also dafür mußte
sie hungern, daß er mit dem Mensch, der Tina, das Geld verpraßte?!
Bitterlich weinend rang sie die Hände:

»O ech arm Dier! Wären ech nor dud, ech on dat Josefche! Mir sein ganz
verlaoß, mir haon niemand, dän for ons sorgt!«

Ihr Jammern that ihm in der Seele weh -- sie war doch immer noch die
beste, hatte ihm nie ein schiefes Maul gezogen; und wenn sie jetzt
klagte, wahrhaftig, sie hatte ganz recht. Zerknirscht versprach
er ihr ein buntes Tuch, wie er der Tina eins von der Wittlicher
Messe mitgebracht, und dem Josefchen einen Zuckerkringel; auf den
Sonntag verhieß er sogar ein Stück Fleisch in den Topf. Selbst ganz
gerührt, wischte er ihr die Thränen von den Wangen, immer wieder
strich er ihr mit zitternder Hand über's Gesicht; sein Herz war wie
entzweigeschnitten, ganz auseinander in einem schmerzhaften, seltsam
öden, katzenjämmerlichen Gefühl.

Er wußte nicht mehr aus noch ein; in gräßlicher Ungewißheit und
qualvoller Unentschlossenheit verrannen ihm die Tage.

Währenddessen sänftigten sich draußen die erregten Gemüter, das
Geschwätz von den falschen Thalern war schon nicht mehr das einzige.
Bald wurde der gewohnte Alltagsklatsch wieder aufgenommen und
verdrängte das bis dahin herrschende Gespräch. Zudem rückte Peter
und Paul näher, bald kamen die Männer; die Weiber besannen sich auf
ihre Pflicht. Hütten wurden geweißt, Tische, Schemel, Töpfe und Bänke
gescheuert, Wäsche gewaschen, helle Kleider gesteift und in der Kirche
für glückliche Heimkehr gebetet. Auch die Zeih wurde still.

Pittchen atmete auf; in der gezwungenen Ruhe und bei dem Mangel an
geistigen Getränken erholten sich seine erschütterten Nerven. Er hatte
nun doch wieder einige Spannkraft, etwas von der alten Elasticität;
dabei kitzelte ihn eine gewisse Schadenfreude, den gar so Dummen ein
Schnippchen zu schlagen.

Vorsichtig ließ er seine Augen um und um gehen -- nichts Verdächtiges!
Wer würde es merken, wenn er einmal wieder einen wandern ließ?! Sie
brannten ihn ordentlich in der Tasche.

Er besuchte das Kreuz auf dem Kirchhof und saß lange auf dem steinernen
Sockel.

Merkwürdig, so spöttisch der Peter früher gewesen, so fromm war er
jetzt. Seit dem vergangnen Herbst ging er fleißig zur Kirche und lag
oft vor dem Bild der Himmelskönigin auf den Knieen; sie war seine
Schutzpatronin.

Und wie er sich einmal in abergläubischer Scheu den Segen des Himmels
durch eine Gutthat erkauft, so that er auch diesmal.

Die heilige Jungfrau würde ihm lächeln. -- --

Wohlgemut pfeifend, die Hände in den Hosentaschen, schlenderte
Pittchen heute wieder herum. Mit besonderer Zuvorkommenheit grüßte
er den Oberkailer Gendarm, der mit blitzenden Knöpfen, in Helm und
Sonntagsuniform, das Dorf passierte.

Der Oberkailer wanderte zu seinem Vorgesetzten nach Wittlich, um
dort Bericht zu erstatten. Sein dienstliches Notizbuch im Busen war
vollgepfropft mit allem möglichen Unwesentlichen; in der Hauptsache
konnte er nur melden: 'Nichts Neues vorgefallen, alles ruhig.'

Mit einem höhnischen Grinsen sah Pittchen ihm nach.

Es war eine kolossale Hitze. Die Straße lief wie ein blendendes Band
hin, in weißlichen Staub gehüllt; kein Gräschen am Rain, kein Blatt am
Baum rührte sich. Die Mittagsonne sog mit gieriger Glut jeden Tropfen
Flüssigkeit aus dem Körper.

Kein Wunder, daß der wohlbeleibte Oberkailer, stöhnend, einen
Augenblick im Schatten der großen Bäume vor der Eichelhütte anhielt
und, sich verschnaufend, die enge Halsbinde lockerte. Dankbar nahm er
den kühlen Trunk Bitburger Biers an, den ihm Herr Schmitz zum Fenster
heraus kredenzte.

»No, wohin dann?« fragte neugierig der Alte.

»Nach Wittlich zum Obergendarm -- bei der Bullenhitze! Verfluchte
Thalerjeschichte!«

»Kotzdausend -- wat -- wo?!« Schmitz riß die zwinkernden Äuglein weit
auf und rollte sie hin und her. »Haben Se wat auf'm Kieker?«

»I bewahre!« Ärgerlich preßte der Gendarm den Gurt seines
Seitengewehres tiefer herunter. »Lausenest, diese Eifel! Reineweg
nischt los; am besten, man verschliefe die janze Zeit.«

»Oha« -- der Alte machte ein wichtiges Gesicht -- »sagen Se dat nit!
Ich sage Ihnen« -- er dämpfte die laute Stimme zum Flüstern und wies
mit dem Daumen zurück gen Eifelschmitt -- »da is't nit geheuer! Seien
Se auf'm Quivive!«

»Wissen wir längst, wissen wir ja längst,« sagte der andere abweisend.
»Denken Sie denn, werter Herr Schmitz, die Polizei hat keine Augen
im Kopfe? Nee, Jott sei Dank, so helle sind wir auch noch! Der
Obergendarm hat längst die Meldung nach Trier abjejeben; seit der olle
Krumscheid die elf falschen -- Donnerwetter!« Er schlug sich auf den
Mund. »Na, angter nanu, Sie werden ja nischt davon verlauten lassen!
Auf Eifelschmitt liegt ein Verdacht und zwar auf den Eifelschmitter
Männern. Die stecken da unten in den Fabriken, mitten zwischen den
Werkzeugen und all dem Krempel, -- und dann sind sie jedenfalls
Sozialdemokraten, und die --.« Er spuckte aus. »Sehen Sie, die Kerle
sind die Attentäter, die Weiber in Eifelschmitt machen die Hehler. Aber
warte man! Weitjehende Recherchen sind sofort in den Fabrikdistrikten
anjestellt. Ja!«

»Wat Sie schlau sind,« sagte pfiffig schmunzelnd der Alte. »Ja, die
Preußen! Die Berlinersch besonders, die hören et Jras wachsen! Ich
würd' nu viel eher auf den Schlosser, den Miffert, en Verdacht haben.
Dat is en schlau Luder un en geschickten Kerl. Da war neulich sein
Frau bei mer un hat sich wat Jeld jeborgt. Von dem Momang, wo hier der
Rumor wejen dem falschen Thaler losjejangen is, rückt der Kerl nix mehr
eraus. Is Ihnen dat nit sehr verdächtig?«

»Nanu? Hahaha!« Der Gendarm amüsierte sich köstlich; da sah man doch
wieder, wie die Dummheit sämtlichen Eifelern angeboren war! »Mein
werter Herr Schmitz -- haha -- da sind Sie nett reinjefallen mit Ihrer
Schlauheit! Der Miffert -- haha! Den kenne ich wie meine Tasche, der is
das dümmste Luder, wo existiert. Nenee, haha! -- Na, Morjen!«

Kopfschüttelnd sah der Alte ihm nach. »Grünschnabel,« brummte er
ziemlich respektlos und schlug das Fenster zu. --

Als der Nachmittag sich neigte und die Bergwand angenehmen Schatten auf
den Thalweg warf, klopfte der geistliche Herr an die Eichelhütte. Es
war ihm zur lieben Gewohnheit geworden, dort einzukehren; nur wenn er
Herrn Schmitz nicht zuhause wußte, dehnte er den täglichen Spaziergang
bis Himmerod aus. Die alte Klosterruine kannte er längst in- und
auswendig, aber der Schmitz, der war ihm etwas Neues, ein Stück Welt,
das in seine Vereinsamung gedrungen war. Dann saßen die beiden beim
Gläschen Moselwein, die 'Kölnische Volkszeitung' lag auf den Tisch
gebreitet. Die hielt sich Herr Schmitz, der Freigeist; der Pfarrer
konnte nur mit dem 'Paulinusblättchen' aufwarten.

Sie politisierten mit Vorliebe. Schmitz sprach in einem belehrenden
Ton, schlug gern zur Bekräftigung seiner Kannegießereien auf den Tisch
und wurde krakehlig, wenn man nicht seiner Meinung war. Der Pfarrer
hörte zu mit stillem Lächeln; er war es gewohnt, sich zu fügen.

Heute politisierten sie nicht. Unentfaltet lag die Zeitung; der
Sonnenstrahl, der sich durch das dichte Dach der Bäume bis zu dem
steinernen Gartentisch stahl, blinzelte auf noch immer nicht geleerten
Gläsern. Ganz bekümmert lehnte der geistliche Herr in seinem Stuhl; den
einen Arm über die Lehne gehängt, den andren wie zur Abwehr erhoben,
starrte er sein Gegenüber an.

»Aber, Herr Schmitz, aber, aber! Der Miffert ist ein durchaus ehrlicher
Kerl, für den kann ich bürgen. Wie schön hat er den Kirchenkronleuchter
repariert! Das war im vergangnen Herbst. Aus altem Zinn und Blei und
der Himmel weiß was, hat er ihn wieder hergerichtet. Tag und Nacht hat
er dran gearbeitet.«

»So.«

Weiter sagte Schmitz nichts, aber er spitzte die Ohren und pfiff in
eigentümlicher Weise durch die aufeinandergebissenen Zähne.

»Nein, nein, auf den Peter laß ich nichts kommen, der ist wirklich
fromm. Wie oft treff' ich den nicht in der Kirche! Erst kürzlich sah
ich ihn in andächtigem Gebet versunken vor'm Altar unserer lieben Frau
auf den Knieen liegen. Und glauben Sie, daß der was dafür genommen hat,
als er dazumal mit der Arbeit fertig war? Den Heiligen hat er's zu
Gefallen gethan; nur einen Vorschuß zur Anschaffung einiger notwendiger
Werkzeuge hat ihm die Kirche gezahlt. Nein, nein, lieber Herr Schmitz,
ein bißchen leicht ist der Peter wohl, das liegt nun mal in den
Verhältnissen« -- der Pfarrer stieß einen Seufzer aus -- »da muß man
sich eben mit abfinden. Aber sonst --!«

»So?!« Der Alte zog die Augenbrauen hoch und hob den dicken
Zeigefinger. »Der Grünschnabel, das Berliner Großmaul, lacht zwar
derzu, aber ich« -- er schlug auf den Tisch -- »ich weiß, wat ich
weiß!« Er war heftig geworden und ganz rot im Gesicht; jetzt hatte er
seinen Kopf aufgesetzt.

»Aber, aber, Herr Schmitz,« sagte der Geistliche ganz kleinlaut.
»So ein guter Mensch wie Sie! Wie können Sie einen Nebenmenschen so
verdächtigen?!«

»Ich verdächtige ja gar keinen, ich sage bloß, wat ich weiß. Ich bin en
aufjeklärter Mensch, der sich in der Welt umjekuckt hat. Hat mir auch
erst nit in den Kopp jewollt, dat en Eifeler en so raffiniertes Luder
sein sollt, aber mer is doch kein Esel. En juter Mensch braucht doch
kein dummer Mensch zu sein. Ich will auch jar kein juter Mensch sein,«
schrie er krakehlig, »wer sagt Ihnen, dat ich en juter Mensch bin?!«

»Ach, Herr Schmitz« -- der Pfarrer legte ihm begütigend die Hand auf
den Rockärmel, -- »Sie haben ja erst grade so was Gutes gethan, unsrer
armen Kirche eine so reiche Spende gegeben --«

»Ich? Ne!«

»Thun Sie doch nicht so! Die rechte Hand soll freilich nicht wissen,
was die linke thut.«

»Ich weiß nit, auf wat Sie anspielen, Herr Pastor, ich --«

»Ich habe Ihren Thaler in der Büchse gefunden,« sprach lächelnd der
geistliche Herr. »'Zur Ausschmückung des Altars der Hochheiligen
Jungfrau!' Zufällig schüttete ich gestern abend die Büchse aus; sonst
thu' ich's nur alle halbe Jahr; es lohnt sich nicht eher. So was ist
ein rarer Vogel unter all den Kupferpfennigen!«

»En Thaler --?! Von mir?! Dunnerkiel, ich bin doch nit toll! Wann't
noch en Buxenknopp jewesen wär'! Der Thaler is nit von mir.«

»Nicht von Ihnen?! Aber --«

»Ne, wahrhaftig in's Gott nit!«

Verblüfft sahen sich beide an.

»Aber, aber« -- der Pfarrer faßte sich an die Stirn -- »von wem
kann der Thaler sein? Hier in Eifelschmitt?! Ein Thaler in der
Kirchenbüchse?! Mir steht der Verstand still.«

»Dat jlaub ich,« sagte trocken Herr Schmitz. »Mir scheint, der Spender
von dem Thaler is nit e so weit. Wann einer zu fromm is, hört de
Klugheit auf. Wat meinen Sie, Herr Pfarrer? Lassen mir mal jehen, ich
möcht ihn mer doch emal ankucken, den --« er machte eine Pause und sah
den anderen bedeutungsvoll an -- »den Thaler!«

Und sie gingen. Der geistliche Herr fast widerwillig, in sich gekehrt,
ohne Wort, nur ab und zu den Kopf schüttelnd. Schmitz eilig, in einer
gewissen neugierigen Spannung.

In des Pfarrers Studierstube ließ er sich mit einem Seufzer der
Erleichterung in den alten Ohrensessel fallen. »So, nu zeijen Se mal
her!«

Mit zitternden Händen kramte der Geistliche in seinem tannenen
Schreibtisch; erst hatte das Schloß nicht schließen wollen, dann fand
er den Schlüssel zu dem Kästchen nicht, in dem er die Kirchenkasse
verwahrte. Der bloße Verdacht schon hatte ihn ganz außer Fassung
gebracht. Endlich hatte er den Thaler; aufgeregt hielt er ihn Schmitz
hin.

Dieser warf nur einen kurzen Blick darauf, nahm ihn dann in die Hand
und ließ ihn auf die Platte des Tisches niederkollern.

»Da haben wir't -- falsch!«

»Aber wie kommt der in die Sammelbüchse für den Altar der
Hochheiligsten?« jammerte der geistliche Herr. »Ein falscher Thaler in
die Kirche -- oh, die Sünde!«

»Oh, die Dummheit!« sagte der andere mit einer, eigentlich etwas
respektwidrigen Nachahmung im Ton.

»Wer kann das gethan haben?« ächzte der Pfarrer und hielt sich den
Kopf. »Keins meiner Beichtkinder, nein, nein!«

»Jedenfalls keins, dat en Weiberrock anhat!«

Schmitz betrachtete wieder den Thaler und brummte vor sich hin:

»Die sind ja hier so arm wie die Feldmäus' bei Mißernt', un Weiber
sind auch all viel zu geizig derzu. Bleibt niemand übrig, wie der
Peter mit der Erbschaft. Schlosser is den auch noch obendrein. Hm, hm
-- freilich, for so en dumm Luder hätt ich den nit jehalten, jeht un
schmeißt beim Muttersgöttesche en Thaler erein! Die Dummheit könnt ei'm
fast irr machen. Hm, hm!«

»Er hat es nicht gethan; er kann es nicht gethan haben,« stritt der
arme Seelenhirt; er war so entsetzt, als sei der Wolf über seine Schafe
geraten. »Er hat es nicht gethan!«

»Werden mir ja sehn,« sagte trocken Herr Schmitz. »Ich jeh' nach
Wittlich!«



                    XIV.


Es ist gegen zehn Uhr abend -- eine schwüle, dunkle Sommernacht; auf
leisen Sohlen geht sie über die Flur.

Am Himmel flimmern die Sterne, matt, bis sie ganz verschwinden hinter
undurchdringlichen Wolkenschichten. Nur zu ahnen sind die Berge; in's
Ungeheuerliche vergrößert, schmelzen sie in eins zusammen mit den
Wolkenballen, die auf sie niederhängen. Die einzelnen Felsnasen, die an
den Berglehnen vorragen, schauen fratzenhaft verzerrt in's Thal. Wie
ein schwarzer Raubvogel mit ausgebreiteten Schwingen hängt der Wald
über'm Dorf, bereit, sich niederzustürzen und die Wehrlosen mit seiner
Last zu erdrücken.

Vereinzelter Lichtschein blinzelte in den Hütten von Eifelschmitt.
Die faulsten der Weiber schliefen schon, die weniger faulen schafften
noch im stillen. Der Tag trödelte sich so hin, da mußte der späte Abend
herhalten; denn lange konnten die Männer nicht mehr ausbleiben.

Hier wusch noch eine, hinter dem mit alten Fetzen verhängten
Fensterchen. Da prügelte eine ihren Kindern das 'Artigsein' für den
Vater ein und erstickte das Geschrei, indem sie ihnen das bleischwere
Deckbett über die Köpfe zog. Dort saß eine ganz junge bei unruhig
flackerndem Kerzenschein und nähte sich rote Strumpfbändel zum Tanz.

In den Fugen der bröckligen Mauern zirpten die Grillen, in den
Ställen schnaufte das Vieh; die Stille trug beides weit in die Runde.
Verschlafen meckerte eine Ziege, ein Säugling greinte, ein Hund knurrte
-- dann alles ruhig, in Lautlosigkeit begraben.

Man hörte das Schweigen der Sommernacht.

Aber jetzt regte sich etwas zwischen den Hecken, die den schmalen Pfad
zu Mifferts Hütte einfaßten. Es streifte rauschend an den Büschen
entlang, die wild überhängenden Zweige knackten.

Ein paar dunkle Gestalten tappten vorsichtig die Steige hinan, man
hörte unterdrücktes Flüstern und dann ein warnendes: 'Pst, pst.'

In einiger Entfernung folgten noch zwei Gestalten, neugierig schlichen
sie hinterdrein.

»Es et dann wirklich waohr?« wisperte der Krumscheid dem neben ihm
Schleichenden in's Ohr. »On Se sein sicher, Hähr Schmitz? Jeßmarijuseb,
dän Pittchen!«

»Er is et,« antwortete ziemlich laut und bestimmt die Stimme des
Schmitz. »Meint Ihr, ich wär' umesonst stracks nach Wittlich geschäst,
wat haste wat kannste, un hätt' Alarm geblasen?! Der Kerl, der Esel --«

»Pst,« warnten die vorderen.

Zu spät! Schon wurde Mifferts Hüttenthür von innen aufgerissen, ein
Lichtschein fiel in's Dunkel hinaus. Und mitten im Lichtschein zeigte
sich eine Gestalt, Pittchen, in lauschender Stellung vorgeneigt, wie
ein aufgescheuchtes Wild nach allen Seiten spähend.

Den Männern stockte der Atem, sie drückten sich dichter in den Schutz
der Hecke.

»Wän es elao?« rief Peter argwöhnisch; seine Stimme klang aufgeregt.
»Kotzdunner, wän ramurt lao erum, dat mer net --«

»Im Namen des Gesetzes!« Mit einem Satz stand der Obergendarm vor ihm.

Blitzgeschwind duckte sich Pittchen und schien an der, wie aus dem
Erdboden aufgeschossnen Gestalt vorbeischlüpfen zu wollen. Vergebens!
Schon hatte ihn ein zweiter fest am Kragen.

»Peter Miffert, im Namen des Gesetzes!« wiederholte der Obergendarm
noch einmal mit Würde.

Einen Schrei stieß Pittchen aus, einen einzigen, kurzen Schrei, der
durch die Nacht gellte, wie ein Trompetenstoß, über das schweigende
Dorf hinfuhr, hin über die Wiesen und Äcker, und von der Bergwand
widerhallte. Die Kniee knickten ihm ein, in schlotternder Haltung stand
er auf seiner Schwelle.

Aber jetzt raffte er sich schon wieder auf. Sein erblaßtes Gesicht
rötete sich, mit Kraft entwand er sich der haltenden Faust, und, den
Oberkailer zurückstoßend, schimpfte er:

»Zackerloot noch ehs, wat soll dat haaßen?! Es dat en Manier, de Leit
zo erschrecken! Ech haon gemaant, de Räuwer fielen öwer mech här. Wat
wollt Ihr dann? Ha--o--uh« -- er zwang sich zu einem unterdrückten
Gähnen -- »mir wollten justement schlaofe giehn; ons Josefche es eweil
widder onpaß[54]. Ha--o--uh -- wat sein ech müd!«

»Laßt die Fisematenten,« sagte streng der Obergendarm. »Voran, zeigt
uns Eure Wohnung!«

»Die es bal gezeigt -- haha!« Pittchen brach in ein kurzes,
krampfhaftes Lachen aus. »En anzige Stuw, on neist mieh. Äwer Scherz
bei Seit, Ihr Hähren, wat wollt Ihr eweil in meiner Stuw, dat Zeih es
justement beim Ausduhn[55]!«

»Schadt nischt,« sagte der Oberkailer. »Voran, marsch!«

Peter zögerte, seine Blicke flogen nach allen Seiten.

»Voran!« Der Gendarm hielt ihm den sechsläufigen Revolver unter die
Nase. »Voran, im Namen des Gesetzes!«

Ein verächtlicher Blick Peters traf diesen; dann machte er, mit der
Energie der Verzweiflung sich bezwingend, eine einladende Handbewegung:
»Angtré!«

Miffert voran, traten sie alle in die Stube. Da war nicht viel zu
sehen; ein elendes Licht beleuchtete die kahlen Wände. Aufgeschreckt
vom Lärm draußen, stand die Zeih, halbentkleidet, im Zimmer und starrte
mit aufgerissenen Augen die Eintretenden an.

Schmitz, als letzter, fuhr ordentlich zurück -- Donnerwetter, was
hatte die für ein paar Arme! Und was für einen Busen! Er genierte sich
und konnte doch nicht wegsehen.

»Jesses,« rief die Zeih, halb erschrocken, halb amüsiert. »Pittchen,
biste gäck, wat führste de Hähren heihin?! Ech --.« Mit einer
verschämten Gebärde raffte sie ihr Kleid vom Boden auf und warf dabei
einen raschen Blick auf den Oberkailer.

Der hatte jetzt kein Auge für sie, sondern hing nur an den Lippen des
Vorgesetzten.

Der Obergendarm verzog keine Miene. Mochten da alle Frauenzimmer der
Welt im Hemde stehen; er hatte eisgraue Haare, was ging's ihn an?! Er
sprach nur das eine Wort: »Haussuchung!« Und wie ein Spürhund stürzte
sich der Oberkailer in alle Ecken.

Er riß die Kleider von der Wand und schüttelte sie um und um, guckte
in den Herd und stöberte die Asche auf, legte sich platt auf den Boden
und bohrte seine Blicke in jeden Winkel, stürzte sich auf's Bett, riß
es auseinander, wühlte in den Kissen und durchstocherte den Strohsack
mit seinem Seitengewehr.

Ein Hohnlächeln auf den, doch vor geheimer Angst verzerrten Lippen,
sah Peter ihm zu. Er stand mitten im Zimmer, die Arme ließ er schlaff
herunterhängen; den Oberkörper etwas vorgeneigt, mit aus dem Kopf
gequollnen Augen, schien er eine Gelegenheit zum Entwischen zu erspähen.

Aber vor die Thür hatte sich die vierschrötige Gestalt des Schmitz
gepflanzt. Neben dem stand der Krumscheid; zitternd vor Aufregung
schrie er Peter an: »Elf Dahler! Elf falsche Dahler! O dau Schubjack,
dau Filu! Dech mössen se hänken, su hoch dän Mosenkoap es! Dau
Bedröger, dau Befauteler, dau --«

»Ruhe,« gebot der Obergendarm. »Krumscheid, keine Schimpfereien!« Er
wandte sich an den Oberkailer: »Sie haften mir für den Miffert. Die
zwei Herren da bewachen das Frauenzimmer. Ich will derweil emal selber
dadrinnen Nachsuchung halten!« Er deutete auf die Kammerthür, die,
durch einen alten Schrank halb verstellt, ganz im Schatten lag.

Ein unartikulierter Laut rang sich von Pittchens Lippen.

»Sagtet Ihr was?« fragte der Obergendarm, sich auf der Schwelle noch
einmal umdrehend. »He, Miffert?!«

Keine Antwort.

Eine kleine Laterne, die er am Gürtel getragen und angezündet hatte,
hochhaltend, verschwand er in Mifferts Werkstatt.

Totenblaß, mit Augen, die unstät umherrollten, stand Peter wie
angewurzelt. Er fühlte an seinem Halse den Griff des Oberkailers,
aber schlimmer war der Griff jener eisigen Angst, die ihm das Herz
zusammenpreßte, daß es den Schlag aussetzte. In seinem Kopf war ein
wüstes Durcheinander, aus dem sich ihm nur der eine klare Gedanke
hervordrängte: 'der durfte nichts finden, nichts!' In ohnmächtiger
Wut knirschte er mit den Zähnen. Fand der da drinnen etwas -- fand er
nichts?!

Mit verzehrender Angst hing sein Blick an der Kammerthür.

Kein Wort wurde gesprochen. Mit einem dumm-leeren Ausdruck wanderten
Zeihs Augen von einem zum anderen; sie hatte keine Ahnung, was
eigentlich vorging, und doch wagte sie keinen Laut. Die Arme über der,
durch die hastig übergezogene Taille nur notdürftig bedeckten Brust
verschränkt, die Zöpfe, aus denen der Pfeil schon herausgezogen war,
lang über den Rücken hängend, hockte sie auf dem Schemel. Was wollten
die Männer? Was hatte ihr Pittchen gethan?! In unbestimmter, kindischer
Furcht fing sie an zu weinen.

Fünf Minuten vergingen, zehn Minuten, eine Viertelstunde, eine Ewigkeit.

Man hörte den Obergendarm drinnen hin und her trappsen und polternd
das Gerät um und um kehren. Für Minuten wurde es wieder ruhig. Und dann
hörte man sein Klopfen an den Wänden, sein Füßescharren -- jetzt sein
Fluchen, und jetzt -- dumpfe Schläge.

Dann Stille.

Schon atmete Pittchen auf, ein erlösender Seufzer wollte sich seiner
angstgepreßten Brust entringen -- da -- die Thür knarrte. Der
Obergendarm trat aus der Kammer, beschmutzt und bestaubt; aller Blicke
hingen an ihm.

Er trug etwas.

Peter wurde leichenblaß, vor seine Augen legte sich ein Schleier.

»Da,« sagte der Wittlicher kurz und ließ mit einem Plumps einen
geöffneten, schmutzigen Leinenbeutel auf den Herdrand fallen; ein paar
Thaler sprangen heraus und rollten mit bleiernem Geklapper über den
Fußboden. »Unter'm Estrich verstochen. Aber doch gefunden!«

»Hah!« Ein einziger Atemzug ging durch die Stube; kein Mensch wagte
ein Wort. Sie standen alle wie angenagelt, die Hälse gereckt, mit
aufgerissenen Augen.

Schmitz fand zuerst die Sprache wieder. »Da hammer de Jeschicht!« Und
sich aufreckend, schrie er: »Hab' ich et nit jesagt, hab' ich et nit
jesagt? Wat nu?!«

Ein Fauchen, wie das eines wilden Tieres, antwortete. Peter schien sich
auf den Alten stürzen zu wollen, aber gleich darauf ließ er den Kopf
auf die Brust sinken; ein zitterndes Stöhnen entrang sich seiner Kehle.

»In flagranti erwischt,« sprach der Obergendarm weiter. »Werkzeuge,
alle möglichen Dinger, ein Schmelztiegel, Blei, Zinn und so'n Zeugs,
alles lag da unten bei den Thalern. Das richtige Hamsterloch hat sich
der Kerl unter'm Estrich ausgegraben. Mehr brauchen wir wirklich nit --
hier!« Er zog eine Gipsmatrize aus der Tasche und zeigte sie herum. Und
dann verschloß er die Kammerthür. »Das bleibt alles stehen und liegen,
Ortsvorstand!«

Krumscheid grunzte ein: »Jaowoll!«

»Sie passen auf, daß nix wegkömmt. Hier den Thalerbeutel nehmen wir
gleich mit. Und nu allons!«

»Miffert,« wandte er sich an Peter und legte ihm die Hand schwer auf
die Schulter, »Sie sind überführt. Im Namen des Gesetzes verhafte ich
Sie!«

Peter rührte kein Glied.

»Sagt Eurer Frau adjö! Voran! Wird en Meng Wasser die Mosel erunner
laufen, bis ihr euch wieder zu sehn kriegt. So'n Falschmünzer!«

»Hau,« sagte des Krumscheid Stimme von der Thür her, »hau, eweil kömmt
hän in't Kittchen[56]!«

Peter zuckte zusammen.

'In't Kittchen' -- das hatte Zeih verstanden. Sie schrie hell auf:
»Jeßmarijuseb, in't Kittchen?! Pittchen, wat haste dann pexiert?
Pittchen! O die Schand! Wat werden se al saon?! Dat öwerläwen ech
net. In't Kittchen -- Jesses! Josefche, Josefche!« Sie stürzte an
die Wiege und riß das Kind heraus; es mischte sein durchdringendes
Jammergeschreih mit dem ihren.

»Dat arme Weib,« murmelte Schmitz und wischte sich den Schweiß ab.

»On dat Josefche,« flüsterte Krumscheid, »su en deierlich Worm!«

»Wat haot hän dann gedahn?« jammerte die Zeih und packte den
Obergendarm vorn an der Uniform. »O, liewer Hähr, laoßen Se ein doch
giehn! Hän es e su en gude Mahn, hän duht niemand neist Onüwels!« Sie
warf sich nieder und umklammerte seine Kniee. »O liewer Hähr, sein Se
doch als barmherzig, laoßen Se em doch hei! Wat sollen ech anfänken ohn
dat Pittchen?! Hän es e su brav, e su ordentlich --«

»Dat könnt Ihr ja alles vor Gericht aussagen!« Der Obergendarm machte
sich ungeduldig von ihr los. »Ihr habt Euch ohnehin vom Verdacht der
Beihilfe bei der Falschmünzerei zu reinigen. Ihr habt doch sicher drum
gewußt! Das Gericht --«

»Gerich -- wat? Ech vor't Gerich?!« Die Zeih fuhr auf, wie von einer
Schlange gebissen. »Ech vor't Gerich -- Jesses, Jesses! Ech haon
niemand neist Beeses gedahn! -- O hätten ech doch uf mein Vadder sälig
gehört, on dän Pitter net gefreit, eweil säßen ech net e su in der
Bredullich! Nä, nä, ech sein onschullig! Onschullig, dir Hähren, wie en
schnieweiß Lamm!«

»Dat is se, Herr Obergendarm,« rief Schmitz. »Ich bürge für die Lucia
Miffert!«

»Ich kann ihr auch nur das beste Zeugnis geben,« sagte etwas schüchtern
der Oberkailer.

»Huh, vor't Gerich, vor't Gerich! Ech sein onschullig,« kreischte Zeih
ohne Unterlaß, ihre Zähne schlugen aufeinander, in sinnloser Angst
klammerte sie sich an Herrn Schmitz. »Huh, vor't Gerich, vor't Gerich!«

Sie zitterte am ganzen Leib. Ihr Beschützer mußte ihr das Josefchen
abnehmen, das hätte sie sonst fallen lassen.

Der Obergendarm beruhigte sie: »Es geschieht Euch ja nichts, nur ruhig,
Frau! Ihr braucht nur Euer Aussag' zu machen!«

»Jao, dat will ech, dat will ech aach,« schrie sie heulend. »Hän haot
mech bedrogen, dän Lomp! Bedrogen, Dag on Naacht -- fraot noren dat
Tina on de annren Fraleider! Ech moßten hongren on derhäm sitzen, on
eweil haot hän de Ärwschaft verjuchheht! On wann hän besoff waor,
haot hän mech geschlaon. -- Kucktelhei!« Sie riß das Kleid von ihrem
weißen Nacken und zeigte Striemen, die darüber hinliefen. »Duh haot hän
mech geschlaon, derlätzt met der Haselgert. Ihr könnt et glauwen, dir
Hähren, ech kann dat Läwen bal net mieh mantenören -- o ech onglöcklich
Persohn, ech miserabel Framensch! Wän soll for ons sorgen, wann hän im
Bulles[57] sitzt?!«

»Ich!« sagte der Junggesell, trat heran, das Kind auf dem Arm, und
schnäuzte sich krampfhaft.

»O Hähr Schmitz!« Weinend haschte sie nach seiner Hand, die das rote
Taschentuch hielt, und packte sie mit ihren beiden Händen. Immer näher
neigte sie sich gegen ihn; sie standen dicht beieinander.

Ein Schrei gellte.

»Maach!«

Schäumend, zitternd vor Wut, stand Pittchen plötzlich vor Schmitz. Wie
ein Tiger war er gesprungen; die geballte Faust schlug er dem Alten auf
den Kopf, daß dieser betäubt zurücktaumelte. »Ech schlaon Eich dud! Ech
raoden Eich, laoßt Eier Fingren vom Zeih! Mein es se. Weg, weg, weg!«
Er schlug wie ein Rasender um sich, vergebens suchten ihn die Gendarmen
zu bändigen. »On wann dir mech einsperrt im tiefsten Bulles, Wochen on
Monat on Jaohr -- on wann dir mech köppt -- on wann dir mech ufhänkt --
ech kommen widder!«

Wie ein Schwur klang es, der Krumscheid zitterte vor Grausen; leise
stahl er sich zur Thür hinaus.

»Onnerstieh dech!« Peter packte die Zeih und riß sie hin und her,
daß sie auf die Kniee fiel. »Ech kommen widder, haste't gehört?« Mit
furchtbarer Drohung brüllte er sie an: »Dau bis mein!«

Und dann schmolz plötzlich seine Wut, jäh wie sie gekommen, auch jäh
dahin. In heiserem Schluchzen zusammenbrechend, ließ er sich willig
vom Oberkailer die Handschellen anlegen. »Zeih, Zeih,« schluchzte er,
»vergeß mech net!«

»Ech vergessen dech net, nie, nie!« Ebenfalls schluchzend hing sie an
seinem Halse; sie umklammerten sich beide, als könnten sie sich nicht
lassen.

»Ech vergessen dech net, e su waohr ech läwen, Pittche, mei Pittche!«

Herzzerreißend klang ihrer beider Schluchzen, und das Josefchen
wimmerte dazu in schrecklichen Schmerzenstönen. -- -- -- -- -- -- -- --
-- -- -- -- --

Als sie die Hütte verließen, wankte Peter wie ein Betrunkener, er
lahmte so stark, wie nie zuvor. Die Hände hatten sie ihm auf dem Rücken
zusammengeschlossen; neben ihm schritt der Wittlicher, hinter ihm der
Oberkailer.

Herr Schmitz war bei der Zeih zurückgeblieben, die brauchte Beistand.
Sie lag, ganz zusammengefallen, in einer Ecke und schlug wie eine
Rasende die Stirn gegen die Mauer. »Pittche, mei Pittche!« Dem alten
Junggesellen kamen selber die Thränen, er hob sie auf, suchte sie zu
beruhigen und erschöpfte sich in Trostreden.

»Jao, ech glauwen et sälwer,« schluchzte sie an seiner Brust, »ech moß
mech eweil verdrösten. Dän Pittchen« -- sie hob den Kopf und strich
sich resolut die Haare aus der Stirn -- »Hähr Schmitz, ech sein sicher,
dat dän net widder kömmt. Dän hänken se uf!« --

* * *

Vorsichtig tappten die Gendarmen mit ihrem Arrestanten den Heckenweg
hinunter; zur Sicherheit hielt ihn der Oberkailer hinten am Rock.

Noch war es dunkel, aber keine so tiefe Finsternis mehr, wie vorher;
der Mond hatte sich hinter einer schweren Wolkenwand vorgestohlen und
kämpfte jetzt mit zerrissenem Gewittergewölk. Über den fernen Bergen
wetterleuchtete es.

Blitzähnlich erhellten ab und zu scheue Mondstrahlen den Pfad; von
den nächsten Hütten fiel auch Lichtschein herüber. Das unsichre Gehen
hatte bald ein Ende, schon schimmerte heller die breite Straße -- da --
Gemurmel! Ein dunkler Trupp nahte sich und verstopfte den Ausgang der
Heckengasse.

Die Weiber!

Zu einer Kolonne geschlossen, harrten sie in trotzigem Schweigen.
Im huschenden Schein des Mondlichts sah man ihre herausfordernden
Gesichter und ihre funkelnden Augen.

Keine von ihnen rührte sich, als die Gendarmen nahten; sie hielten den
Weg besetzt.

»Platz,« sagte der Obergendarm und stieß die nächste mit dem Ellbogen
an.

Es war Tina. »Oho,« sagte sie und drängte sich, statt zu weichen, näher
an ihn heran. »Waorum schubst Ihr mech?! Hei haot jeden dat gleiche
Rächt!«

»Platz für die Obrigkeit,« wiederholte schneidig der Oberkailer und
warf sich in die Brust.

Ein allgemeines, schallendes Gelächter antwortete ihm.

»O dau Lappes,« schrie eine Stimme aus dem Hintergrund, »gieh nor
on laoß der dein Rotznaos wischen. Mir peifen uf dein 'Platz for de
Obrigkeit'!«

»Platz, Platz!« Sie äfften ihm alle nach.

»Seid ihr doll?« rief der Obergendarm. »Verrückte Fraumenscher macht
Platz! Wenn ihr nicht auf der Stelle geht, laß ich euch sammt und
sonders einsperren -- hört ihr, einsperren!«

»Können! Erscht können! Haha!« Tina lachte gellend. »Et wär' noch
gaor e su unöwel net, met dem Pittchen zosammen im Bulles. Äwer, gäwt
Obaacht!« Ihre zehn Finger wirbelten plötzlich dem alten Mann vor'm
Gesicht, ihre Stimme klang drohend: »Laoßt hän los!«

»Jao, laoßt hän los!« kreischte der Weiberchor.

»Heihin!« Tina packte Pittchen am Ärmel und zog ihn zu sich herüber.
»Ihr, laoßt hän! Wat wollt ihr vom Pittchen? Hän haot neist gedahn!«

»Das wird sich finden!« Wütend stieß der Obergendarm Miffert in den
Rücken. »Voran!«

Ein ohrenbetäubendes Gekreisch der Weiber erhob sich, in drohender
Haltung rückten sie näher und näher.

Die Gendarmen waren vollständig umzingelt. Dem Oberkailer brach der
Angstschweiß aus -- immer neue Weiber rückten heran, aus den Häusern
kamen sie gelaufen, mit Schimpfen und Lachen, und verstärkten den
Trupp. Und rückwärts knackten und raschelten die Hecken, ungestüm brach
eine Bande halbwüchsiger Mädchen durch, Bill voran, und verstellten
auch #den# Ausweg.

Mit der Linken packte der Obergendarm seinen Gefangnen fester;
er hätte das nicht nötig gehabt, Peter machte keine Anstalten,
zu entfliehen, mit niedergeschlagenen Augen stand er, bebend wie
Espenlaub. Mit der Rechten zog der Alte das Seitengewehr, die blanke
Waffe glitzerte im Mondlicht.

»Platz!« schrie er, »oder --!« Vielsagend fuchtelte er durch die Luft.

Der Oberkailer hielt den Revolver vor.

Die vorderen wichen zurück, die hinteren drängten vor. »Gäwt dat
Pittchen eraus, ons Pittchen! Hoho -- ho --!«

Das war ein furchtbares Lärmen. Drohend erhobne Arme reckten sich wild
durcheinander. »Ons Pittchen! Pittchen!«

»Ruhig, Weibsbilder!« brüllte der Wittlicher, Pittchen mit sich
reißend; die blanke Waffe vorgestreckt, erzwang er sich einen Durchgang.

Kreischend wichen die Weiber zu beiden Seiten auseinander, aber
gleich darauf schlossen sie sich wieder eng zusammen; der etwas
zurückgebliebene Oberkailer wurde hart umdrängt. Es regnete Püffe und
Stöße; da war manch eine, die ihm heimlich grollte, daß er kein Auge
für sie gehabt.

Er hielt den Revolver ausgestreckt und wagte doch nicht zu schießen.
Sich wie ein Kreisel drehend, um sich nach allen Seiten zu decken,
schrie er: »Ich schieße -- ich schieße! Platz!«

»Laoßt dän Lappes laufen,« rief verächtlich die blonde Leis, deren
Zöpfe halb gelöst flogen.

Noch ein Tritt gegen die Kehrseite -- nun stolperte der Oberkailer aus
dem Kreis und stürmte in mächtigen Sätzen seinem Vorgesetzten nach.

Alle Weiber hinterdrein.

Auf der stillen Straße, gen Himmerod hin, fegte die wilde Jagd. Das
war ein Getrappel, ein Gekreisch, ein Johlen und grelles Schreien,
ein Huschen flüchtiger Gestalten. Das quirlte durcheinander, wogte,
hüpfte und sprang. An der weißen Kirchhofsmauer zeigten sich, in's
Ungeheuerliche verzerrt, flatternde Schatten; unheimlich gespenstisch
tauchten sie auf und nieder, wischten vorbei und verschwanden.

Und hinter der bleichen Wand ragte das Kreuz aus dem Dunkel des
Friedhofes; wie ein Wahrzeichen stieg es empor und schien endlos bis in
den Himmel zu wachsen.

Peter wagte einen scheuen Blick dorthin; einen noch scheueren warf er
hinter sich auf die nachdrängenden Weiber; sein Fuß zögerte. Sollte er
sich wenden, jene zu Hilfe rufen?!

Ihn schauderte.

»Voran, voran!« trieb der Obergendarm.

Und Pittchen trottete wieder weiter.

Die Jagd wurde langsamer, jetzt fehlte es ihnen allen an Atem.

Schnaufend trabte der Oberkailer an des Gefangnen andrer Seite; rechts
und links hielten ihn beide Gendarmen gepackt, ab und zu wandten sie
sich um und streckten den in geringer Entfernung Folgenden die Waffen
entgegen.

Das laute Geschrei war verstummt, es hatte einem dumpfen Murren
Platz gemacht. Gleich einer bösen Bestie schlich die Weiberkolonne
hinterdrein; sie knurrte und lauerte und drohte in unheimlicher Tücke.

Näher und näher kam man dem Thalende, hoch und finster hoben sich die
Ruinen von Himmerod, dahinter schwarz ragende Bäume des unendlichen
Waldes.

Voll Besorgnis sahen die Männer darauf hin; schon gellten wieder einige
Schreie.

»Laoßt hän los! Pittchen, ons Pittchen!«

Ein Stein wurde geschleudert -- noch einer -- eine dreiste Stimme
schimpfte. Das Murren, das bis dahin ein halb unterdrücktes gewesen,
erhob sich lauter, kecker. Es schwoll an, wuchs und wuchs, wurde stark
und stärker, drohender und drohender, grollend wie Ungewitter. Fester
packten die Männer ihre Waffen. -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
--

Da -- ein Schrei!

Die Weiber stutzten.

Ein Ruf, der das Thal durchhallte von einem Ende zum anderen!

Wie versteinert standen sie alle.

Noch einmal der Ruf -- ein Ruf aus kräftiger Männerkehle:

»Hallo--o--oh.«

Das Echo war erwacht, jubelnd gab es den Ruf zurück:

»Hallo--o--oh!«

Und durch die Nacht flammte es auf, dort auf der Höhe von
Schwarzenborn. Erst wie ein Stern, dann rasch größer werdend, weithin
leuchtend, immer heller und heller, gelb und rot -- eine Sonne, eine
Riesenflamme, ein Freudenfeuer.

Der einsame Busch auf dem kahlen Scheitel zeigte sich deutlich; wie bei
Sonnenaufgang umlohte ihn Glanz und Glut. Aber jetzt brannte er selber.
Seine vertrockneten Äste hüllten sich blitzschnell in sprühendes
Geprassel, gierig züngelnd loderte es auf in feurigem Entzücken.

Eine Freudenfackel streckte sich empor zum nächtlichen Himmel.

»Se sein dao!«

Wie aus einem Mund kam's, nur ein einziger Schrei.

Das waren nicht der Weiber viele mehr, das war nur ein Weib noch --
#das# Weib! Jählings wandte es sich, alles vergessend, und stürzte in
rasendem Lauf dem Mann entgegen.



Verlag von #Egon Fleischel# & Co., Berlin W 35

Das schlafende Heer

#Roman# von #C. Viebig#,

Preis: geheftet M. 6.--; gebunden M. 7.50


Aus den Besprechungen:

=Pfarrer Naumann= schreibt in der =»Hilfe«=: Dieser Roman ist in
jeder Richtung eine große Leistung. Er ist zunächst ein Beitrag zur
Frauenfrage, denn er ist eine Frauenarbeit, die jedem Manne Hochachtung
abzwingt, er ist ein Dichterwerk, denn alles in ihm ist unmittelbar
lebendig von einer bewundernswert sicheren Einbildungskraft geschaut,
er ist gleichzeitig ein politisches Lehrbuch, denn er zeigt die
Polenfrage in ihrer ganzen Wucht und Verworrenheit, besser als eine
historisch-politische Untersuchung sie darstellen könnte. Es will
uns scheinen, daß nichts, was Clara Viebig bis jetzt geschaffen hat,
so voll, so rund, so einheitlich ist als diese Geschichte, die sich
zwischen drei Rittergütern, einem polnischen Dorf, einer Kleinstadt
und einer Kolonie der Ansiedelungs-Kommission irgendwo bei Lissa oder
sonst hinter Posen abspielt. Es ist fabelhaft, daß die Dichterin der
Eifelgeschichten und der Wacht am Rhein das polnische Leben so in sich
hineingenommen hat, daß man seine Wiedergabe ohne weiteres als einfach
wahr empfindet. Der Titel des Buches hängt ein wenig äußerlich an der
Geschichte, aber das schadet nicht viel. Es ist der Traum eines alten
polnischen Schäfers, daß unter dem Berge polnische Gewappnete ihrer
Wiederkunft warten, bis einmal das Volk selbst bereit ist, in seinen
Befreiungskampf einzutreten. Diese Gewappneten sind das schlafende
Heer, gleichsam die Vertreter aller der gespensterhaften Gedanken, die
über die Köpfe der verlorenen Nation hinfahren. Wir sehen als Glieder
des wachenden Heeres den Geistlichen, der alle Fäden in seiner Hand
hat, den Rittergutsbesitzer, der sich in den Reichstag wählen läßt,
den armen kopflosen, verängstigten Schullehrer, den schon erwähnten
Schäfer, die Bettelfrau und vor allem die gnädige Frau und ihre
Jungfer, die den deutschen Männern die Köpfe verdreht, und daneben ein
polnisches Mädchen voll Geduld und Treue. Auf deutscher Seite haben
wir den Edelmann, der sich als deutschen Vorposten fühlt und sich und
andere durch mangelndes Gefühl für die wirkliche Lage elend macht,
seine tapfere, feine Frau, einen alten deutschen Inspektor und eine
Kolonistenfamilie vom Rhein, die es unter mancherlei Leid drei Jahre
im baum- und berglosen Osten aushält. Die eigentlichen Verderber sind
die polnisch gewordenen Deutschen, ein Förster und ein Inspektor.
Nicht erhaben, aber auch kein Unhold ist der jüdische Krämer, dessen
Karren durch alles dieses Getriebe hin und her fährt. Aber was nützt
es, die Personen aufzuzählen? Damit ist ja doch weder die Stimmung
noch der Verlauf gekennzeichnet. Die Stimmung ist leidenschaftslose
Naturmalerei menschlicher Vorgänge. Man kann nicht sagen, daß die
Dichterin irgendwo selbst hervortrete, am ersten noch in der Gattin
des deutschen Gutsherrn. In gewisser Art erinnert ihre Art der
Darstellung an den »Büttnerbauer« oder den »Grabenhäger« von Polenz,
aber ihre Kunst ist darin größer, daß sie die Einheitlichkeit eines
Vorganges herzustellen weiß, ohne sich an Einzelpersonen zu binden.
Der Gegenstand, über den sie schreibt, ist der bewußte und unbewußte
Kampf zwischen Polentum und Deutschtum, gerade auch den unbewußten,
instinktmäßigen Kampf beschreibt sie gut. Und das Ergebnis ist die
Niederlage der Deutschen. Zwar wird uns im Schluß eine neue Generation
deutscher Kämpfer verheißen, die den Polen verstehen und zu nehmen
wissen, aber für jetzt schließt die Geschichte mit deutschem Tod und
Rückzug. Vergeblich, vergeblich! Und niemand sieht, wie es anders
werden soll, denn die Kräfte, die hier siegen, werden ja bis zur
nächsten deutschen Generation nicht schwächer. Clara Viebig zieht keine
politische Lehre aus ihrer Dichtung; es gehört nicht zum Schauen,
Vorschläge und Anträge zu bringen. Der Leser aber nimmt ihr Buch in die
Hand und denkt an Bismarcks Polenreden, an Caprivi, Hansemann, Delbrück
und vieles andere. Was nützt aber alles Politisieren gegenüber dieser
Kirche und diesem Gefühlsleben? Kann man die Polen zu preußischen
Staatsbürgern machen? Was soll ihnen versprochen werden, welche
Phantasie, welches politische Schaustück? Ich weiß es nicht. Die erste
Wirkung der Lektüre ist die Vergrößerung der politischen Ratlosigkeit
gegenüber der Polenfrage. Aber auch das ist etwas Gutes, wenn es dazu
hilft, schnellfertige Programme zu überwinden, wie Germanisierung durch
deutschen Unterricht oder Einheit aller Deutschen im Osten. Unter
allen Umständen gebührt der Schriftstellerin, die die Dokumente zur
Beurteilung der Polenfrage vermehrt hat, der Dank auch der politischen
Leute.


Auszüge aus Besprechungen.

        =»Neue Freie Presse«, Wien=: Das starke und
        ausgeprägte nationale Bewußtsein der Dichterin
        trübt nicht die Klarheit ihres Urteils über die
        Germanisierungspolitik der Reichsregierung in
        Preußisch-Polen und benimmt ihr nicht das schöne,
        edle Verständnis für die träumerische Sehnsucht
        eines besiegten Volkes... #Sie ist in ihrem
        jüngsten Werke über sich selbst hinausgewachsen
        und hat sich in die erste Reihe deutscher
        Sittenschilderer geschoben.#

        =Robert Jaffé= in der =»Neuen Hamburger Zeitung«=:
        Zu der erstaunlichen Schärfe der Charakteristik und
        der Stimmungskraft kommt noch ein goldener Dämmer
        hinzu, der über den Landschaften und Menschen
        dieses Buches liegt. Etwas von der Lieblichkeit und
        Reife, welche die Lektüre eines Fontaneschen Romans
        für manche geradezu zu einem glückseligen Ereignis
        macht, haftet auch an den Romanen von Clara
        Viebig, und #es findet sich unter den deutschen
        Romandichtern der Gegenwart wohl kaum einer, der
        mit dieser ungewöhnlichen Kraft der Darstellung
        noch so viel Anmut und Schönheit verbände#.

        =Paul Raché= im =»Hamburger Fremdenblatt«=: Es ist
        ein Kunstwerk in der einfachen Kraft der Sprache,
        in der Anschaulichkeit der Darstellung, in der
        wunderbaren Klarheit des Schauens von Personen,
        Verhältnissen, Gegenständen. Und es ist das Werk
        einer Dichterin.

        =»Hamburgischer Correspondent«=: Wir können den
        Roman als ein bedeutsames Kunstwerk, zugleich aber
        als packende Darstellung eines der wichtigsten
        Gebiete deutscher Kulturarbeit zu Anfang des
        20. Jahrhunderts unsern Lesern aufs lebhafteste
        empfehlen.

        =»Kölnische Volkszeitung«=: Alle die
        Gestalten erstehen in Fleisch und Bein vor dem
        Leser. Von bedeutender Wirkung sind auch die
        Naturschilderungen, und in der Darstellung
        einzelner Szenen von dramatischer Kraft und
        stimmungsvoller Weichheit bekundet die Verfasserin
        ihre gewohnte Meisterschaft. Alles in allem ein
        bedeutsames Werk.

        =»Prager Tageblatt«=: Wenn wir das Buch zuschlagen,
        stehen wir -- fern von jedem national-politischen
        Raisonnement -- ganz und gar im Bann einer rein
        menschlichen Erschütterung, die wir über die
        Schicksale der fesselnden, uns lieb gewordenen
        Gestalten des Romans empfinden. Und Clara Viebig
        hat in der Tat Menschen vor uns hingezaubert, die
        wir nie mehr vergessen können.

        =»Leipziger Neueste Nachrichten«=: Clara Viebig
        hat sicherlich nicht die Absicht gehabt, einen
        Beitrag zur Lösung des deutschen Ostmarken-Problems
        zu geben, aber sie hat uns das Land und die
        Menschen dort mit packender Energie vor Augen
        geführt. Man sieht das wirklich vor sich, den
        Lysa Góra, das Treiben auf den Feldern, die
        Hütten der Komorniks, die Herrenhäuser mit ihren
        Höfen, Treppen und Salons, die Dinergesellschaft
        auf Chawilorczyce, das Volksleben an Mariä
        Verkündigung und hunderterlei sonst. Eine feine
        und feinste Beobachtungsgabe geht Hand in Hand
        mit einem treffsicheren, prägnanten und sachlich
        erschöpfenden Stil.

        =Ferdinand Svendsen= in der =»Nation«=: #Ein
        echter Epenstoff: der Kampf der in die Provinz
        Posen eindringenden deutschen Landbebauer mit
        den ihren Grund und Boden und ihre Nationalität
        gleichzeitig verteidigenden Polen. Es ist etwas
        ungemein Kraftvolles in ihrer Darstellung. Ihre
        Romangestalten sind Menschen von Fleisch und Blut,
        und was sie uns schildert, ist wert, geschildert zu
        werden.#

        =Ernst Kreowski= im =»Vorwärts«=: #Der Roman
        besitzt unbestreitbare Vorzüge. Alles ist
        mit realistischer Kraft gestaltet und voll
        dichterischer, wenn auch schwer atmender Stimmung.
        So etwas wie Erdgeruch entströmt dem Ganzen.
        Desgleichen entspricht es nur der »poetischen
        Gerechtigkeit«, wenn Clara Viebig ihr Werk mit der
        zuversichtlichen Hoffnung auf das Erwachen einer
        neuen Aera des Deutschtums, welche die Sünden der
        Väter wieder gut zu machen, dem Land und dem Volke
        Glück und Frieden zurückzugeben berufen sein werde,
        frohgemut beendigt.#

        =Fritz Engel= im =»Berliner Tageblatt«=: Kein
        Tendenzroman! Die deutsche Feder wollte dem
        deutschen Pfluge zu Hilfe kommen. Aber an Ort und
        Stelle -- und das macht der Dichterin in ihr alle
        Ehre -- wurde nur noch ihre künstlerische Teilnahme
        rege. Nicht mehr die Parteien, nur noch die
        Menschen interessierten sie. Sie sah und lauschte.
        Daraus gestaltete sich dann wie von selbst das
        weitumfassende Gemälde, das seine Lichter und seine
        Schatten nicht mehr von der Willkür nationalen
        Eifers erhält.

        =»Die Zeit«, Wien=: Es ist vorauszusehen, daß
        dieser neue Roman eine erregte Debatte in deutschen
        und polnischen Blättern entfesseln wird. Um seinen
        künstlerischen Wert wird man erst in zweiter Reihe
        fragen. Und doch muß auch von diesem die Rede
        sein. Es ist ein Kulturbild voll jener warmen,
        pulsierenden Lebendigkeit und frischen Farbe, die
        alle Bücher der Viebig auszeichnen. Und ein feiner
        Schimmer jener Sentimentalität liegt oft auf diesen
        Blättern, wie er in Clara Viebigs »Wacht am Rhein«
        am hellsten war.

        =K. v. Perfall= in der =»Kölnischen Zeitung«=: In
        diesen Volksfiguren bietet sie wieder ein ganz
        hervorragend Lebendiges und zeigt sich als eine
        Menschengestalterin ersten Ranges, die frisch
        und unbefangen ins Leben hineingreift.... Wir
        möchten behaupten, »Das schlafende Heer« sei
        das bedeutendste Werk, das Clara Viebig bisher
        geschaffen hat. Es bringt ein bedeutungsvolleres
        Kulturbild, als »Das Weiberdorf« und »Das tägliche
        Brot« oder der »Müllerhannes« es waren, und der
        künstlerische Aufbau ist reiner, fester gefügt als
        in der »Wacht am Rhein«.

        _»=The Academy and Literature« (London)=: Clara
        Viebig's work bears many of the characteristics
        of that of George Eliot, Thomas Hardy and George
        Moore. She sees into the human heart, and describe
        what she sees with an ease and sureness that lend
        her books a charm not always to be found in novels
        that from the choice of their subject contain
        events spreading over a long space of years and
        deal with a wide field of locality._

        =J. Norden= in der =»Magdeburgischen Zeitung«=:
        So ist es kein politischer Tendenzroman geworden,
        obschon politische Verhältnisse und persönliche
        Schicksale der jüngsten Vergangenheit unserer
        Ostmark hineinspielen. Es ist gut, daß im
        Vordergrund die Kunst steht, die einen packenden
        und ergreifenden Kulturroman zu erschaffen
        vermochte.

        =Arthur Eloesser= in der =»Vossischen Zeitung«,
        Berlin=: #Clara Viebigs Buch ist gut deutsch, aber
        es schmettert keine chauvinistische Fanfare so
        wenig, wie es entmutigt zum Rückzug bläst, es ist
        ein Buch der Sorge, und in diesem Gefühl wird es
        die meisten einigen, die nicht nur die Erhaltung
        der politischen Herrschaft, sondern auch die
        Existenz unserer deutschen Kultur an der Grenze des
        Slaventums gesichert wissen wollen.#

        =A. Traeger= im =»Berl. Börsen-Courier«=:
        Ueberreich schier ist des Buches Inhalt, und mit
        staunender Bewunderung erfüllt uns aufs Neue die
        überwältigende Treue und Kraft der Schilderung,
        diese Belebung des Leblosen, überall nimmt die
        Dekoration mitwirkend teil an der Aktion, gehören
        Land und Leute unlösbar zusammen. #Clara Viebig#
        sieht mit dem Verstand und schreibt mit dem Herzen,
        das voll tiefen Gefühls und unerschrockenen Mutes.

        =Harry Maync= in der =»Deutschen
        Litteraturzeitung«=: Ueber alle herbe Wahrheit ist
        leicht der Schleier der Dichtung geworfen. Bezogen
        auf die großen kulturgeschichtlichen Zusammenhänge
        kommt überall das Menschliche rein zur Entfaltung.
        Wohl heben sich dramatische Gruppenszenen packend
        aus der Breite des langsamen, ereignislosen
        Dahinlebens heraus, aber im allgemeinen sind
        die Mittel dieser Darstellung ganz schlicht und
        einfach. Ohne Beredsamkeit und Schwung, aber mit
        sicherem Realismus und runder Schilderung sagt uns
        #Clara Viebig#, was sie uns zu sagen hat, und das
        ist nicht wenig.


FUSSNOTEN:

[1] eigensinnig.

[2] Kopf über, Kopf unter.

[3] in die Pfütze werfen.

[4] Hochzeit.

[5] möglich.

[6] ertragen.

[7] erbärmlich.

[8] Hungerpfoten kauen.

[9] arbeiten.

[10] glaubt.

[11] Geschmack.

[12] Brombeeren.

[13] nach seinem Geschmack.

[14] Zogott: statt »Prost« gebraucht.

[15] Duckmäuser.

[16] stattlich.

[17] leichtfertig.

[18] Blau.

[19] verderben.

[20] Kattun.

[21] changiert.

[22] ungeschoren.

[23] keinen guten Tag.

[24] gespuckt.

[25] sogleich.

[26] Zwetsche.

[27] Bürste.

[28] strawätzen: weglaufen, herumstreichen.

[29] gezogen.

[30] Zweieinhalb Silbergroschen.

[31] Betrüger.

[32] ohnmächtig geworden.

[33] geizige.

[34] Verlegenheit.

[35] Heiligenhäuschen.

[36] sterben.

[37] seit.

[38] Schublädchen.

[39] Wiege.

[40] gesund.

[41] Däuen: drücken, stemmen.

[42] ziehen.

[43] Betschwester.

[44] Schmerzen, Kummer.

[45] heftig, böse.

[46] quälen, peinigen.

[47] steckst du.

[48] Kosenamen für Lerche.

[49] Käferdose (alte Kölner Weinkneipe).

[50] launenhaft.

[51] Wüterich.

[52] fährt.

[53] Bonbons.

[54] krank.

[55] Ausziehn.

[56] Gefängnis.

[57] Gefängnis.



    Anmerkungen zur Transkription


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