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Title: Eine Reise nach Freiland
Author: Hertzka, Theodor
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Eine Reise nach Freiland" ***


                                  Eine
                          Reise nach Freiland.


                                  Von
                            Theodor Hertzka.


                                Leipzig
                Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.



                                Vorwort.


Zunächst das Geständnis, daß dieses Büchlein eine Tendenzschrift im
schlimmsten Sinne des Wortes ist. Unter dem Deckmantel der Unterhaltung
und Belehrung will sie den Leser nicht bloß für eine bestimmte Meinung,
sondern geradezu für bestimmte Handlungen gewinnen, sie hat es nicht
bloß auf seinen Geist und sein Herz, sondern auf seine Entschlüsse und
seinen Geldbeutel abgesehen.

Wohl dürften die meisten -- an diese Stelle angelangt -- mit überlegenem
Lächeln sich sagen, der allzu gewissenhafte Autor hätte diese Warnung
sparen können; die Gemüter sowie die Geldbeutel seien heutzutage viel zu
gut verwahrt, als daß es noch so aufdringlicher Tendenz leichthin
gelingen könnte, sich ihrer zu bemächtigen. Wenn ich hinzufüge, daß das
Unternehmen, zu welchem ich thatkräftige Mitwirkung durch diese Schrift
gewinnen will, nicht mehr und nicht weniger ist, als die Schaffung eines
Gemeinwesens der socialen Freiheit und Gerechtigkeit, d. i. eines
solchen, welches jedermann den vollen und ganzen Ertrag der eigenen
Arbeit bei unbedingter Wahrung seines freien Selbstbestimmungsrechtes
gewährleisten soll, dann wird wahrscheinlich besagtes überlegene Lächeln
eine leise Beimischung von Mitleid erhalten, und wenn ich vollends
gestehe, daß dieses Eldorado in den Hochlanden Afrikas just unter dem
Äquator geplant ist, so dürfte es wohl wenige geben, welche die
Zumutung, sie könnten derart überspannte Phantasien ernsthaft nehmen,
nicht als beleidigenden Zweifel in ihre Bildung, in ihren gesunden
Menschenverstand, ja in ihre Zurechnungsfähigkeit auffassen würden. Der
Autor möge nur ruhig sein, so höre ich sie ausrufen; Utopien dieser Art
liest man -- falls sie unterhaltend geschrieben sind -- um sich über
eine müßige Stunde hinwegzuhelfen, und damit holla!

Aber der verständige Leser irrt! Ich spreche aus Erfahrung! Dieses
Büchlein ist nämlich nicht das erste, das ich zu gleichem Zwecke
geschrieben. Vor vier Jahren veröffentlichte ich »Freiland, ein sociales
Zukunftsbild«, von welchem er vielleicht dunkle Kunde bereits vernommen.
Nun denn, die bisher erschienenen neun deutschen und zahlreichen
fremdsprachlichen Auflagen dieses Werkes verlockten tausende und
abertausende von Männern und Frauen aus allen Teilen der bewohnten Erde
und aus allen Ständen, vom reichsunmittelbaren Fürsten bis zum einfachen
Arbeiter zu dem Entschlusse, auszuführen, was in ihm geschildert ist; in
achtundzwanzig Städten Europas und Amerikas haben sich Vereine zum
Zwecke der freiländischen Propaganda gebildet, Gelder wurden zur
Verfügung gestellt, eine Vereinszeitschrift[1] gegründet, an der
ostafrikanischen Küste sind der Gesellschaft zur Anlage von
Etappenstationen geeignete Ländereien geschenkt worden und alle
Vorbereitungen zu praktischer Inangriffnahme des großen Werkes sind im
Zuge.

Und die Erklärung dieses seltsamen Unterfangens, die Traumgebilde eines
Buches zu verwirklichen? Sie liegt darin, daß dieses Traumgebilde den
Stempel höchster innerer Wahrhaftigkeit trägt, daß es buchstäblich
verwirklicht werden kann, sofern sich nur eine genügende Anzahl
thatkräftiger, von Mitteln nicht allzusehr entblößter Menschen in diesem
Entschlusse zusammenfindet und daß damit vollbracht wäre, was
Jahrtausende hindurch den edelsten Geistern unseres Geschlechts als Ziel
all ihres Denkens, Kämpfens und Leidens vorgeschwebt. Der Verfasser von
»Freiland« maßt sich nicht an, weiser, scharfsinniger oder mutiger zu
sein als diese großen Vorfahren, indem er zur That machen will, was jene
bloß ersehnten; aber er zeigt, daß und warum nunmehr möglich, ja
notwendig geworden, was im bisherigen Verlaufe der menschlichen
Entwickelungsgeschichte unmöglich gewesen. »Freiland«, so behauptet er,
ist nichts anderes, als das Schlußkapitel jenes großen Erlösungswerkes,
an welchem die Menschenfreunde aller Generationen mitgearbeitet.

[Fußnote 1: »Freiland, Organ der Freilandvereine«, Wien VIII., Lange
Gasse 53.]

Für diese erlösende That neue Helfer zu gewinnen, das ist die
ausschließliche Absicht auch des vorliegenden Büchleins. Der Leser wird
darin nach Freiland geführt, als ob es schon bestände, in der Erwartung,
daß die Einrichtungen, die ihm dort vor das geistige Auge treten, den
Entschluß in ihm erwecken, das Seinige zu möglichst rascher und
großartiger Verwirklichung dieses Gemeinwesens der Freiheit und
Gerechtigkeit beizutragen. In welcher Weise diese Verwirklichung vor
sich gehen soll, oder vielleicht schon vor sich geht -- denn möglicher-,
ja wahrscheinlicherweise sind die ersten freiländischen Pioniere bereits
unterwegs, wenn die »Reise nach Freiland« die Presse verläßt --, muß in
meinem oben erwähnten früheren Werke[2] nachgelesen werden; nur so viel
sei hier nochmals versichert, daß der äußere Schauplatz wie die innere
Begründung der im nachfolgenden geschilderten, überaus einfachen
Begebenheiten in allen Stücken der nüchternsten Wahrheit entspricht. Die
Alpenlandschaften des Kenia sind thatsächlich jenes irdische Paradies,
als welches sie sich hier dargestellt finden, und die Menschen, die ich
handelnd und redend auftreten lasse, sie handeln und reden zwar
einstweilen nur in meiner Phantasie, aber alles, was sie thun und was
sie sprechen, folgt den Gesetzen der nüchternsten Notwendigkeit.
Freiland ist zur Stunde, wo ich dies schreibe, noch nicht gegründet;
aber wenn es gegründet sein wird, kann in ihm nichts wesentlich anderes
geschehen als was die »Reise nach Freiland« ihren Lesern erzählt.

Und zum Schlusse noch eines.

Ich habe in meiner Geschichte einen Professor der Nationalökonomie als
Kritiker der freiländischen Einrichtungen auftreten und seine
Bemängelungen durch meine Freiländer widerlegen lassen. Es könnte nun
scheinen, als ob in dieser Figur ein Popanz vorgeführt würde, der
möglichst durchsichtige Irrtümer eigens zu dem Zwecke vorzubringen habe,
um der freiländischen Sache zu wohlfeilen Siegen zu verhelfen; dem ist
jedoch nicht so. Zwar die Person besagten Professors lebt nur in der
Vorstellung des Verfassers, dagegen ist alles, was er sagt, wörtlich in
den gegen »Freiland« gerichteten gelehrten Kritiken zu lesen. In der
Vorrede zu meinem erwähnten früheren Buche hatte ich nämlich in
Anbetracht des Umstandes, daß selbiges in erzählender Form ein Bild der
wirklichen socialen Zukunft zu bieten den Anspruch erhebe, die
fachmännische Kritik aufgefordert, es in allen seinen Teilen der
strengsten Prüfung zu unterziehen. Dieser Aufforderung wurde denn von
seiten meiner Fachgenossen in ausgiebigstem Maße entsprochen; zahllose
Artikel in den großen Tagesblättern, in gelehrten Fachzeitungen und
Broschüren haben sich mit »Freiland« teils zustimmend, teils tadelnd
beschäftigt, und was ich nun meinem Professor Tenax in den Mund lege ist
nichts anderes, als eine Blütenlese aus den gegnerischen Recensionen.
Dabei darf ich versichern, daß es nicht die schlechtesten, sondern die
besten Argumente der Gegner sind, die sich hier behandelt finden; ich
habe nichts übergangen, was irgend durch das persönliche Gewicht des
Kritikers oder durch den leisesten Anschein innerer Berechtigung
Anspruch auf Berücksichtigung haben mochte, und ebenso nichts
aufgenommen, was nicht unter dem einen dieser beiden Gesichtspunkte
Beachtung erforderte. Ich habe nichts erdichtet und nichts verschwiegen,
und wenn der unbefangene Leser finden sollte, daß die Angriffe, die mein
Professor Tenax gegen die freiländische Sache richtet, durchaus danach
angethan sind, deren Unanfechtbarkeit erst recht in helles Licht zu
setzen, so wird dies ein Erfolg sein, den ich nicht mir, sondern meinen
Kritikern verdanke.

[Fußnote 2: »Freiland, ein sociales Zukunftsbild« von Theodor Hertzka.
Erste vollständige Ausgabe bei Duncker und Humblot, Leipzig; die
folgenden Ausgaben bei E. Pierson, Dresden und Leipzig.]

_Wien_, 1893.

                                                      Theodor Hertzka.



                            Erstes Kapitel.

                         Warum ich auswanderte.


Jetzt hält mich nichts mehr; mein Entschluß steht fest; ich ziehe nach
Freiland!

Warum? -- Meine guten Freunde sagen, weil ich ein überspannter Phantast
sei, ja, ich vermute, daß es, wenn ich nicht dabei bin, kürzer und
einfacher heißt: »weil er ein Narr ist.«

Ob sie nicht vielleicht recht haben?

Wenn in allen Stücken anders denken, als alle andern, närrisch sein
heißt, dann bin ich ein Narr. Denn ich denke wirklich in allen, zum
mindesten in allen wichtigen Stücken anders, als meine Bekannten und
Freunde, deren ich, da ich reich bin, eine erstaunlich große Zahl
besitze. Und sie alle halten mich für glücklich, beweisen mir täglich
mit unwiderleglichen Gründen, daß ich es sei, während ich -- und das ist
eben meine fixe Idee -- mich tief unglücklich fühle. Nicht etwa, daß ich
den Spleen hätte; bewahre! Ich bin voll Lebensdrang und von Natur aus
heiteren Gemütes; dabei jung, gesund und wie schon gesagt, reich,
besitze ein angenehmes Äußere und meine Erfolge in der »Gesellschaft«
lassen so wenig zu wünschen übrig, daß ich bis vor wenigen Stunden der
vielbeneidete Bräutigam eines der schönsten, gebildetsten und
liebenswürdigsten Mädchen aus einer der ersten Familien unserer Stadt
war.

Wenn der scharfsinnige Leser hier die Schlußfolgerung zieht, daß ich zur
Stunde, wo ich dieses schreibe, nicht mehr Bräutigam dieser schönen,
gebildeten und liebenswürdigen Dame aus vornehmem Hause sei, so hat er
richtig geraten; wenn er aber weiter kombinieren sollte, daß vielleicht
dieser Verlust mich in so weltschmerzelnde Stimmung versetze, so irrt
er. Mein Weltschmerz trägt die Schuld, daß ich meine Braut verlor, aber
der Abschied, den mir meine Braut gab, ist ganz und gar unschuldig an
meinem Weltschmerz. Im Gegenteil; ich darf behaupten, daß ich mich
ruhiger, hoffnungsvoller fühle, seitdem mich mein zukünftig gewesener
Schwiegervater für einen unverbesserlichen Faselanten erklärte, der sich
hinfort seine Tochter aus dem Kopfe schlagen möge, und diese Tochter,
unter Thränen, aber deshalb nicht minder entschieden, ihm Zustimmung
genickt hatte. Aber auch gegen die Auffassung muß ich mich verwahren,
als ob mir meine Braut gleichgültig gewesen, es sich zwischen ihr und
mir wohl gar um eine bloße Konvenienzehe gehandelt, bei welcher
gesellschaftliche Stellung und Vermögen die Hauptsache, die Personen
bloßes Beiwerk gewesen. Zwar auf der andern Seite -- darüber gab ich
mich keinen Augenblick einer Täuschung hin -- waren meine äußeren
Glücksumstände wohl stets das ausschlaggebende; meiner Braut und ihrer
ganzen Familie wäre es sicherlich nicht beigefallen, an eine Verbindung
mit mir zu denken, auch wenn ich tausendfach klüger, hübscher, gelehrter
wäre, als thatsächlich der Fall, dabei aber nicht genügendes Vermögen
besäße; indessen gerade der Anlaß des Bruches beweist, daß ihnen denn
doch auch meine persönlichen Eigenschaften nicht ganz gleichgültig
erschienen, denn nur um diese, nicht um meine Glücksumstände hatte es
sich bei der Lösungskatastrophe gehandelt. Und was vollends _meine_
Gefühle betrifft, so kann ich mit gutem Gewissen versichern, daß
dieselben stets nur den persönlichen Tugenden und Reizen meiner
Verlobten galten. Für »ewig« hatte ich meine Liebe selber niemals
gehalten; doch wer mir gestern gesagt hätte, daß ich auf dieses
schönheitstrahlende Geschöpf verzichten könnte, ohne in gelinde
Verzweiflung zu verfallen, den hätte ich für einen schwarzen Verläumder
erklärt. Aber Thatsache ist eben, daß mich der Bruch dieses Verlöbnisses
wunderbar gleichgültig läßt, ja daß ich eine sonderbare Genugthuung und
Beruhigung darob empfinde. Mir ist zu Mute, als ob ich einer Fessel
ledig wäre, als ob ich meinem ureigensten Selbst wiedergegeben sei und
jetzt erst thun könne und müsse, was ich längst hätte thun sollen und
eigentlich, ohne mir selbst klar darüber geworden zu sein, längst
gewollt.

Doch mit all dem habe ich immer noch nicht gesagt, worin mein Unglück,
oder das, was ich dafür halte, zu suchen sei. Es ist -- fast schäme ich
mich, es zu gestehen -- das Elend anderer Leute. Ich leide, weil
Menschen, die mich offenbar gar nichts angehen, hungern und frieren, in
Not und Entwürdigung schmachten. Ich werde den Gedanken nicht los, daß
es meine Pflicht wäre, ihnen irgendwie zu helfen, trotzdem sie durchaus
keinen andern Anspruch auf mein Mitgefühl besitzen, als die Thatsache,
von einem menschlichen Weibe geboren zu sein, gleich mir. Und das ist
nicht etwa ein kühler, nüchterner Gedanke, der durch die Vorstellung,
daß sich diesen Elenden eben nicht helfen lasse, leicht zum Schweigen zu
bringen wäre, sondern ein brennendes, stürmisches Begehren, welches
allen Einschläferungsversuchen standhält. Der leckerste Bissen wird mir
vergällt, wenn ich, indem ich ihn zum Munde führe, zufällig daran denke,
daß Mitmenschen, die durchaus für meinesgleichen zu halten ich mir nun
einmal in den Kopf gesetzt habe, Mangel am Notwendigsten leiden, während
ich prasse. Meine krankhafte Phantasie gaukelt mir in solchen Momenten
allerlei aberwitzige Vorstellungen von hohläugigen, verschmachtenden
Männern, Weibern und Kindern vor, und gesellt sich dazu noch die
Einbildung, daß diese Ärmsten vielleicht gerade diejenigen sind, die den
Schweiß ihres Angesichtes und das Mark ihrer Knochen daransetzen mußten,
dasjenige hervorzubringen, was zu genießen ich mich anschicke, so wird
mir, als röche ich diesen Schweiß, als schmecke meine Zunge das Mark --
und mit dem behaglichen Genießen ist es natürlich vorbei. Ähnlich ergeht
es mir mit all den guten und schönen Dingen, die ich mir kraft meines
Reichtums verschaffen kann, und deren sich andere, normal veranlagte
Menschen harmlos erfreuen; mir grinst aus ihnen allen die Marter um ihr
Recht am Leben betrogener Mitmenschen entgegen.

Und wenn es dabei noch sein Bewenden hätte! Aber der Quälgeist in meinem
Gemüte macht mich verantwortlich für die Laster und Verbrechen anderer.
»Jener Dieb, den sie heute eingefangen,« so raunt er mir zu, »hätte sich
niemals gegen die Gesetze vergangen, wenn ihm diese die Möglichkeit
ließen, sich und die Seinen ehrlich zu ernähren; du aber bist es, der
Vorteil aus diesen Gesetzen zieht. Der Raubmörder, den sie morgen henken
werden, er hat seine That aus Not begangen; du mit den deinen, ihr
schuft seine Not! Das Mädchen dort an der Straßenecke, das seinen Leib
um Geld feil hält, es wäre glückliche Gattin und Mutter, hättet ihr den
Mann, der sie liebte, nicht gehindert, eine Familie zu gründen!«

Und so erfolgreich waren diese unablässigen Einflüsterungen, daß der
Dämon mich endlich dahin brachte, Redensarten wie: »Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst« oder: »Was du nicht willst, daß man dir thu',
das füg' auch keinem andern zu,« buchstäblich zu nehmen und mich mit dem
Gedanken ihrer Ausübung zu beschäftigen, als ob nicht jeder Gebildete
wüßte, daß sie nur da sind, damit empfindsame Gemüter sich an der
Erhabenheit ihres Inhaltes erbauen, nicht aber, damit man danach handle.
Wohin kämen wir, wollten wir unsern Nächsten wirklich lieben _wie uns
selbst_? Wir leben im Zeitalter der Humanität und leisten an
Nächstenliebe ohnehin das Menschenmögliche; aber: »wie sich selbst«, das
hieße ja: »wie ein Wesen derselben Art, desselben Rechts an das Leben,
wie wir, also nicht wie unsere Haustiere, die wir ausnützen, als bloße
Mittel zu unseren Zwecken behandeln.« Oder: »Andern nicht zufügen, was
man nicht wolle, das einem selber geschehe!« Kann ich wollen, daß andere
mich zum Tragen ihrer Lasten gebrauchen? Sicherlich nicht. Also dürfte
ich auch andere nicht zum Tragen meiner Lasten gebrauchen?

Zum Entsetzen all meiner wohlgesinnten Freunde schrecke ich selbst vor
dieser äußersten Konsequenz nicht zurück. Die erprobtesten
Vernunftgründe scheitern an meiner Verblendung. Das möge dem Ideale der
Gerechtigkeit entsprechen -- so wird mir vorgehalten --, wenn wir aber
allesamt an der Last dieser Welt gleichmäßig mitzutragen hätten, dann
wäre das unvermeidliche Ergebnis, daß wir allesamt hart beladene, arme
Teufel blieben, was nicht bloß ein schlechter Tausch für die Wenigen
wäre, die in der angenehmen Lage sind, ihre Last den Vielen aufzubürden,
sondern schließlich auch für diese Vielen selbst. Denn allgemeine Armut
bedeute ja Stillstand der Kultur, Barbarei; die Kultur aber sei es, was
uns die Mittel zu Erleichterung der Lasten des Lebens an die Hand gebe,
mit andern Worten, der ausgebeutete Arbeiter der Kulturwelt sei immer
noch besser daran, als der Wilde.

Und was antworte ich auf diesen grundgelehrten, von tiefster Einsicht in
den Zusammenhang aller Dinge Zeugnis ablegenden Vorhalt? Bin ich gerührt
vom Opfermute jener Edlen, die sich lediglich im Interesse des
Kulturfortschrittes dazu hergeben, zu genießen, was das Ergebnis der
Arbeit anderer ist? Keineswegs. Ich frage mit teuflischem Hohne, wozu
wir denn all die herrlichen Erfindungen der Neuzeit, auf die wir so
stolz sind, gemacht hätten, wenn nicht dazu, den _Elementen_ jene Last
aufzuerlegen, die wir gestützt allein auf die eigene Kraft allerdings
nicht ohne Schaden für die Kultur gerecht verteilen könnten? Ob wir den
Wolken ihren Blitz, der Unterwelt ihr Feuer bloß deshalb geraubt, damit
aus zahllosen Schloten möglichst dichter Kohlendampf als süßer Opferduft
gen Himmel steige? Ob das vielleicht der Weihrauch sei, mit dem wir
unserem Götzen »Mammon« räucherten? Denn einen andern Zweck unseres
sogenannten Fortschritts vermochte ich bisher nicht zu entdecken. Keines
arbeitenden Menschen Plage sei zur Stunde durch die Riesen »Dampf« und
»Elektrizität« erleichtert worden, ja das Elend von Millionen werde nur
desto ingrimmiger und bitterer, je höher unsere Kunst wachse, Überfluß
zu erzeugen. Und ob denn die Menschheit wirklich so blödsinnig geworden
sei, das alles für selbstverständlich und unabänderlich zu halten, eine
Gedankenlosigkeit, von welcher frühere Jahrhunderte und Jahrtausende
frei gewesen. Zwar, daß Elend und Knechtschaft notwendig seien, habe man
vor Zeiten ebenso geglaubt als gegenwärtig, aber man habe wenigstens
gewußt, warum man das glaubte und auch recht klare Vorstellungen darüber
genährt, was geschehen müßte, damit Elend und Knechtschaft überwunden
würden. Schon Plato und Aristoteles hätten gelehrt, daß die Knechtschaft
in dem Unvermögen begründet sei, Reichtum und Muße für alle zu erzeugen.
»Wenn das Weberschiffchen ohne Weber läuft und der Pflug ohne Stier sich
bewegt, dann werden alle Menschen frei und gleich sein --« erklärte
Aristoteles. Und ganz im gleichen Sinne, nur viel bestimmter noch, habe
sich zwei Jahrtausende nach dem großen Griechen Bacon von Verulam, der
Begründer der modernen Naturwissenschaften, ausgesprochen. Er habe
prophetischen Blicks die Zeit kommen sehen, wo die Elemente alle grobe
aufreibende Arbeit für den Menschen verrichten würden, und als
selbstverständliche Folge davon vorhergesagt, daß Knechtschaft und Elend
aus der Welt verschwinden. Nun denn, diese Zeit sei gekommen, das
Weberschiffchen bewege sich ohne den Weber, der Pflug ohne den Stier,
die Elemente seien bereit, alle grobe aufreibende Arbeit für den
Menschen zu verrichten; das Geschlecht aber, das all das erlebt und das
dreimal selig zu preisen wäre, wenn es zu nützen wüßte, was ihm zu teil
geworden, es verschließe seine Augen gegen die einzig vernünftige
Bedeutung des unermeßlichen Heils, glaube noch immer der Knechtschaft zu
bedürfen und verurteile sich damit selber zum Elend.

Nur freilich, wie man es anzustellen habe, um die Menschheit dieses
Heils teilhaftig werden zu lassen, darüber hatte ich, trotz meines
Dämons, lange Zeit keinerlei klare Vorstellung. Daß die kommunistischen
und anarchistischen Weltverbesserungspläne nichts taugten, begriff ich.
Die einen hätten die Erde in ein großes Zwangsarbeitshaus verwandelt,
die zweiten unmittelbar der Barbarei überantwortet. Ich wollte weder die
Freiheit noch die Ordnung missen -- wie beide zu vereinbaren wären,
wußte ich nicht, so felsenfest auch meine Überzeugung war, daß es
geschehen müsse und daher geschehen werde.

Da erstand Freiland, der Weg der Freiheit und Ordnung war gefunden und
mächtig drängte es mich, ihn zu betreten. Aber mein Wille war nicht
stark genug, um die Bande zu zerreißen, die mich hier festhielten. Ich
hätte eine alte Mutter und als diese gestorben war, eine reizende Braut
zurücklassen müssen; zu beidem fand ich nicht den Mut und nicht die
Kraft. Jetzt aber bin ich frei, frei wie der Vogel in der Luft, und das
ist folgendermaßen gekommen. Man erwarte hier keine hochromantische
Verwickelung; alles, was sich begab, ist so alltäglich als möglich, und
was für mein Verlöbnis zur trennenden Katastrophe geworden, würde die
meisten in meiner Lage sehr gleichgültig gelassen haben. Doch zur Sache.

Nach all dem, was ich dem Leser schon gebeichtet, wird er es erklärlich
finden, daß es meinem Geschmacke nicht entsprach, als vornehmer
Müßiggänger zu leben, wie mir mein Reichtum ermöglicht hätte. Nicht daß
ich mir einbildete, durch welche Thätigkeit immer innerhalb des Rahmens
der bestehenden Gesellschaft das Unrecht, welches deren Unterlage ist,
gutmachen oder auch nur mildern zu können. Ich wollte arbeiten,
ernstlich arbeiten lediglich aus dem Grunde, weil mir der Müßiggang
verächtlich erschien. Ich wählte daher einen Beruf und zwar den eines
Ingenieurs und bewarb mich nach beendigten Studien um eine entsprechende
Stellung. Meiner Verlobten und deren Eltern war das nicht recht, denn
sie meinten, daß für einen jungen Mann meines Reichtums und meines
gesellschaftlichen Ranges, wenn er schon durchaus »arbeiten« wolle, ein
anderer Beruf passender gewesen wäre. Indessen, da ich auf meinen Willen
bestand, ließ man mich gewähren. Aber die Anstellung verzögerte sich; es
verstrichen zwei Jahre und immer noch kam das erwartete Dekret nicht. Da
mengte sich der Vater meiner Braut in die Sache: Sicherlich hätte ich --
als unpraktischer Idealist, der ich nun einmal sei -- alles so verkehrt
als möglich angefaßt, da andernfalls ganz und gar unbegreiflich wäre,
daß man einen Mann von meinen »Konnexionen« so lange auf eine so
bescheidene Stelle warten lasse. Darauf antwortete ich, daß meine
Konnexionen mit meinem Anstellungsgesuche nichts zu thun hätten. Der
Amtsvorstand, mit dem ich in der Sache verkehrte, kenne mich nicht
näher, und da mein Familienname zu den häufig vorkommenden gehört, so
vermute der gute Mann offenbar nicht im entferntesten, daß es der
vornehme, reiche N. sei, der ihm die Ehre anthun wolle, unter seiner
Leitung Pläne zu zeichnen und Maschinen zu konstruieren.

Dieses Gespräch hatte vorgestern stattgefunden. Heute morgens brachte
mir ein Amtsdiener mein Bestallungsdekret ins Haus. Freudig überrascht
eilte ich in die Anstalt, um dem Direktor meine Dankesvisite
abzustatten. Er empfing mich mit freundschaftlichen Vorwürfen darüber,
daß ich gleichsam inkognito mich um ein Amt beworben und entschuldigte
sich geradezu, mich so lange warten gelassen zu haben. »Hätte Ihr
zukünftiger Schwiegerpapa mich nicht mit seinem Besuche beehrt,« meinte
er schmunzelnd, »so wüßte ich heute noch nicht, wer Sie sind.«

Mich ärgerte das nicht wenig. Ich hatte mir geschmeichelt, durch meine
Zeugnisse, die Beweise meines Fleißes und meiner Kenntnisse, etwas
erlangen zu können und sah mich nun durch meine »Konnexionen« ins Amt
gebracht. Allein die Sache war einmal geschehen und so machte ich denn
leidlich gute Miene zum bösen Spiel. Ich verabschiedete mich unter den
üblichen Höflichkeitsphrasen und hatte nur die Absicht, meinem
schwiegerväterlichen Freunde einige Vorwürfe wegen seiner unerbetenen
Einmischung zu machen. Allein es sollte anders kommen.

Im Begriffe fortzugehen, stieß ich im Wartezimmer des Direktors auf
einen Kollegen, den ich schon wiederholt hier getroffen und der, wie ich
wußte, gleichfalls auf Anstellung wartete -- nur, zum Unterschiede von
mir, nicht seit zwei, sondern schon seit vier Jahren. Ich erzählte ihm,
daß ich soeben eine Stelle erhalten hätte und bezeichnete dieselbe auf
Befragen genauer. Da verfärbte sich der Mann plötzlich und wäre, hätte
ich ihn nicht rasch aufgefangen, zu Boden gesunken. Peinlicher Ahnungen
voll forschte ich nach der Ursache dieses auffallenden Benehmens und
erfuhr denn, daß die mir zuteil gewordene Stelle gerade diejenige sei,
auf die man ihn seit Jahr und Tag vertröstete. Nun wußte ich, daß der
Bedauernswerte früher einmal schon Angestellter des nämlichen Instituts
gewesen, seinen Dienst auch zu voller Zufriedenheit versehen und nur
deshalb entlassen worden war, weil die Abteilung, in welcher er
beschäftigt gewesen, aufgelöst wurde. Dabei war der Mann verheiratet,
Vater von vier Kindern und während der langen Wartezeit allgemach ins
tiefste Elend geraten. Die letzte Habe war bereits gepfändet und die
Familie stand unmittelbar vor dem Hungertode. Das alles erzählte er mir,
mühsam die Worte hervorwürgend, und in seinen Augen flimmerte es seltsam
unheimlich, wie von Gedanken an Rasiermesser, Kohlendunst oder sonstige
Mittel des Selbstmordes.

Mein Entschluß war sofort gefaßt. Ich ersuchte den Ärmsten, mich zu
erwarten und ließ mich neuerlich beim Direktor melden. Diesem erklärte
ich in kurzen, dürren Worten, was ich erfahren, gab ihm mein Dekret
zurück und forderte ihn auf, die Anstellung dem älteren, besser
berechtigten Bewerber zuzuwenden. Er lachte mich aus. »Wenn Sie es nicht
werden, so giebt es andere Aspiranten in Fülle, die Ihrem Schützling
vorangehen. Ich selbst bedauere den armen Teufel, aber was soll ich
machen? Nicht weniger als sieben Bewerber um dieselbe Stelle werden von
unterschiedlichen einflußreichen Persönlichkeiten protegiert und sie ist
nur aus dem Grunde bisher nicht vergeben worden, weil diese
verschiedenen Einflüsse sich gegenseitig die Wage hielten. Ihre
Konnexionen gehen denen aller anderen entschieden vor; dies hat dem
Schwanken ein Ende gemacht. Sie blicken mich verächtlich und
zornsprühend an? Ja, vermuten Sie denn, daß mir Protektionskinder lieber
sind als verdiente Kollegen? Bin ich denn der Herr hier? Hänge ich nicht
selber ab von jenen Einflüssen, die bei dieser Anstellung spielen? Ließe
ich mir beifallen, gegen diese Gönnerschaften anzukämpfen, sie würden
sehr bald mich selber hinwegfegen. Glauben Sie mir, junger Freund, mit
den Wölfen muß man heulen, und wer es nicht ertragen kann, Hammer zu
sein, der wird sich gar bald als Ambos finden, auf den die anderen
loshämmern. Wenn Sie das nicht einsehen, taugen Sie nicht für unsere
Verhältnisse, und ich kann Ihnen nur den Rat geben, uns möglichst bald
den Rücken zu wenden.«

Ich erklärte dem weltklugen Geschäftsmann, dem ich im übrigen nicht
unrecht geben konnte, er möge es mit der Stelle halten wie er wolle und
könne, ich für meinen Teil verzichte endgültig auf dieselbe. Meinem
Mitbewerber erzählte ich draußen, was vorgefallen und händigte ihm eine
Summe ein, genügend groß, um ihn und seine Familie für längere Zeit vor
Not zu bewahren, gab ihm aber den wohlgemeinten Rat mit auf den Weg,
sein Bündel zu schnüren und nach Freiland auszuwandern.

Eine halbe Stunde später hatte ich eine Auseinandersetzung mit dem Vater
meiner Verlobten. Ich wollte ihm seine unberufene Einmischung vorhalten;
kaum aber hatte er erfahren was geschehen, als er den Spieß umkehrte und
mich mit den heftigsten Vorwürfen überschüttete. Ich sei ein durchaus
unzurechnungsfähiger, für den »Ernst des Lebens« schlechthin
unbrauchbarer Mensch; längst schon habe er es bereut, seine Einwilligung
zur Vermählung seines Kindes mit solchem Faselanten erteilt zu haben;
nunmehr aber wäre seine Langmut zu Ende; ich möge mich zum T.....
scheren und meine Menschenfreundlichkeit anderswo an den Mann bringen.

Der Engel, dem ich mich hatte verbinden wollen, war Zeuge dieser Scene.
Einen Augenblick lang hoffte ich, die Erwählte meines Herzens für mich
Partei nehmen zu sehen. Es geschah nicht; im Gegenteil, sie stand auf
Seite des Vaters und versuchte bloß schüchtern, auf mildernde Umstände
für mich zu plaidieren. Ich sei noch jung, meinte sie, eine
augenblickliche Gefühlswallung habe mich wohl übermannt und man dürfe
die Hoffnung nicht aufgeben, daß ich, durch Schaden klug geworden,
hinkünftig derlei Thorheiten unterlassen würde. Als ich aber erklärte,
mit gutem Vorbedachte gehandelt zu haben, als ich hinzufügte, ich müßte
mich verachten, wenn ich jemals anders handeln könnte, da kehrte sie mir
geringschätzig den Rücken.

Als sie sah, daß ich mich, ohne Buße zu thun, zum Abschied anschicke,
machte sie zwar noch einen Versuch, mich unter Thränen und Beschwörungen
festzuhalten. Aber der Kehrreim all ihrer Bitten war immer und immer
wieder, ich möge doch endlich ein »vernünftiger Mensch« werden,
aufhören, mich um fremder Leute Angelegenheiten zu kümmern. Der Zauber,
der mich an das anmutige Geschöpf bis dahin gebunden, war gründlich
zerstört; ich erkannte, daß es eine gemütlose Puppe gewesen, der ich
gehuldigt. Was ich anfangs als Opfer meiner Überzeugungstreue angesehen
-- der Bruch mit ihr -- das nahm, je mehr sie sprach und weinte, mehr
und mehr die Gestalt einer Belohnung an. Ich sah, meine Handlungsweise
hatte mich davor bewahrt, Opfer eines Irrtums zu werden, den ich bei
Auswahl meiner zukünftigen Gattin begangen. Das merkte endlich der
Gegenstand meiner einstigen Zärtlichkeit selber; ich erhielt unter
zornigen Worten meinen Abschied.

So ist das letzte Band, das mich festhielt, gerissen. Meine
Angelegenheiten hier werden in wenigen Tagen geordnet sein und dann auf
nach Freiland!



                            Zweites Kapitel.

                               Die Reise.


Ich wählte für die Reise nach Freiland ein freiländisches Schiff. Es
flößte mir zwar einiges Bedenken ein, daß auf den Riesendampfern, welche
dieser Staat seit einer Reihe von Jahren zwischen der ostafrikanischen
Küste und den Haupthafenplätzen Europas wie Amerikas laufen läßt,
keinerlei Klassenunterschiede bestehen, denn da diese Schiffe in der
Regel von mehr als tausend Auswanderern benutzt werden, so hegte ich
hinsichtlich der Bequemlichkeit dieser gleichförmigen Unterkunft einige
Zweifel und ich war einen Augenblick lang versucht, die Seereise mit den
französischen _Messageries maritimes_ oder mit der englischen _P. & O.
Company_ zu machen. Indessen, schließlich überwog der Wunsch, das
freiländische Wesen so früh als möglich kennen zu lernen, und so meldete
ich mich denn bei der nächsten freiländischen Agentur für den am 2. Mai
von Triest abgehenden Dampfer »Urania« an.

Ich hatte diese Wahl nicht zu bereuen. Wir waren unser nicht weniger als
1160 Passagiere, aber die freiländischen Schiffe sind so eingerichtet,
daß alle Mitfahrenden in zwar kleinen, aber netten, bequem
ausgestatteten Kabinen gesonderte Unterkunft finden. Tagsüber nehmen
gewaltige, luftige Speise- und Gesellschaftssäle die Reisenden auf, für
die Nacht hat jedermann und jede Familie gesonderte Schlafräume. Da
insbesondere während der Fahrt durch das rote Meer die Hitze mitunter
sehr groß ist, so wird durch kräftige Ventilationsapparate, die allen
Räumen des Schiffes frische Luft zuführen, für ausreichende Abkühlung
gesorgt. Die Verpflegung ist einfach, aber vortrefflich, die
Reinlichkeit über jedes Lob erhaben.

Die Erlebnisse der Seefahrt will ich übergehen. Am 8. Mai passierten wir
den Suezkanal, am 19. desselben Monats warf die »Urania« in der Reede
von Lamu Anker.

Dieser Ort, noch vor sieben Jahren, als Freiland gegründet wurde, ein
unansehnliches Arabernest, ist jetzt eine große, mit allen Behelfen des
modernen Verkehrs ausgestattete Handelsstadt. Die Engländer, die hier
herrschen, haben die Vorteile, die ihnen das freiländische Hinterland
gewährt, trefflich auszunutzen verstanden.

Die Einwanderung nach Freiland, die mit verschwindenden Ausnahmen die
Richtung über Lamu und die Tanamündung nimmt, hat im Vorjahre die Ziffer
von 500000 Seelen nahezu erreicht und ist in stetem Wachstum begriffen;
der Warenhandel betrug im selben Jahre 92 Millionen Pfund Sterling in
der Ausfuhr und ebenso viel in der Einfuhr. Dieser Handel ruht zwar in
den Händen des freiländischen Gemeinwesens, aber die Engländer und die
ganze Küstenbevölkerung haben selbstverständlich kolossale Vorteile
davon, wie sich am rapiden Wachstum Lamus und dem sichtlichen Wohlstande
der dortigen Bevölkerung deutlich zeigt.

Der größere Teil von uns Einwanderern stieg in Lamu ans Land, wo große,
Freiland gehörige Hotels uns aufnahmen. Bloß ein kleiner Teil -- nicht
ganz zweihundert -- bestiegen sofort in der Reede einen kleinen Dampfer,
der, das Vorgebirge von Ras-Schaga umschiffend, durch die Bay von Ungama
direkt in die Tanamündung einläuft. Diese direkte Einfahrt in den Strom,
der auch uns später als Weg in die neue Heimat diente, ist mitunter,
wenn der Wind nicht gerade günstig weht, nicht ungefährlich, denn der
Tana bildet an seiner Mündung eine Barre, die früher beinahe ganz
unpassierbar war und auch jetzt, nachdem Baggerungen vorgenommen worden
sind, der Schiffahrt ernstliche Hindernisse bereitet. Man muß die
Brandung passieren, die dabei in recht häßlicher Weise über Deck zu
spülen pflegt, wird aus diesem Anlasse jedenfalls gehörig hin- und
hergeworfen, und das ist, insbesondere wenn man gerade eine
siebzehntägige Seereise glücklich hinter sich hat, nicht jedermanns
Sache.

Die Mehrzahl, und darunter auch ich, zog es -- wie gesagt -- vor, die
Tanabarre auf dem Landwege zu umgehen. Lamu liegt auf einer Insel, vom
Festlande durch einen schmalen Kanal getrennt. Dieser Kanal bildet Lamu
gegenüber eine tief in das Land hineinreichende Bucht und vom äußersten
Endpunkte dieser Bucht, wo die Ortschaft Mkonumbi liegt, haben die
Engländer eine Eisenbahn an den untern Tana gebaut, die wir dann
benutzten.

In Engatana, wo wir den Tana erreichten, nahmen uns freiländische
Flußdampfer auf, und zwar standen zu diesem Behufe für die
signalisierten neunhundert Passagiere fünf Dampfschiffe bereit. Der Tana
ist ein mächtiger Strom, so breit und tief als der Rhein bei Köln oder
die Donau bei Wien, und ich konnte daher nicht begreifen, warum man es
nicht vorzieht, größere Schiffe zu bauen. Später, als wir nach
vierzehnstündiger Bergfahrt Odaboruruwa erreichten, wurde mir das Rätsel
gelöst. Der Tana teilt sich von da ab in zahlreiche Arme, die so
mannigfaltig verschlungen und gewunden sind, daß größere und
insbesondere längere Schiffe leicht steckenbleiben könnten; deshalb
zieht es die freiländische Verwaltung vor, kleinere Schiffe gehen zu
lassen, die dafür den Vorzug haben, die Reisenden, ohne daß ein
Umsteigen nötig wäre, bis Hargazzo befördern zu können, wo die
Stromschnellen und Katarakte beginnen und alle Schiffahrt ein Ende hat.

Auch die zwanzig Stunden dauernde Stromreise auf dem Tana, von Engatana
bis Hargazzo, will ich kurz übergehen. Bis Odaboruruwa war die Fahrt
ziemlich einförmig. Die Ufer des herrlichen Stromes sind auf beiden
Seiten von Gebüschen und Waldungen eingesäumt, die das Hinterland dem
Blicke vollständig entziehen. Häufig zwar sind diese Uferwaldungen von
üppigen, mitten in denselben eingebetteten Ansiedelungen, sei es der
schwarzen Ureinwohner, sei es weißer Einwanderer, unterbrochen; aber
diese Ansiedelungen gleichen mit ihren netten, von Bananen beschatteten
Häuschen, mit ihren üppigen Feldern und Obsthainen einander so sehr, daß
sie schon nach wenigen Stunden die Aufmerksamkeit nicht mehr erregen.
Ganz anders wird die Scenerie von Odaboruruwa an. Hier bieten die
zahllosen Inseln und die Krümmungen des Flußlaufes stets neue und
entzückende Ansichten, dabei beginnt der Fluß, der von da ab äußerst
fischreich ist, eine überaus belebte Tierwelt zu zeigen. Flamingos und
anderes Wassergevögel besetzt zu Myriaden alle seichten Uferstellen; die
Flußpferde sind an einzelnen Plätzen so zahlreich und dichtgedrängt, daß
es fast scheint, als würden sie den Schiffslauf aufhalten; doch sind die
ungeschlachten Gesellen stets, bevor sie der Dampfer erreicht,
untertauchend verschwunden, um mit einer Behendigkeit, die man ihnen gar
nicht zutrauen sollte, erst in weiter Entfernung wieder aufzutauchen.
Nicht so eilig haben es in der Regel die Krokodile, die gleichfalls in
großer Zahl an allen sonnigen Uferbänken lagern und im Vertrauen auf
ihren Panzer die Dampfschiffe unbesorgt herannahen lassen.

Nach Mitternacht erreichten wir Hargazzo, die Umschlagstation zwischen
Tanaschiffahrt und freiländischer Eisenbahn. Hier haben die Freiländer
ihre erste Ansiedelung gegründet, die jedoch noch außerhalb ihres
eigentlichen Gebietes liegt. Sie ist dazu bestimmt, den Reisenden
Unterkunft zu bieten, und eine großartige Land- und Gartenwirtschaft
dient dazu, die für den Empfang der zahllosen, täglich wechselnden
Ankömmlinge erforderlichen Bedarfsartikel an Ort und Stelle zu erzeugen.
Die Fruchtbarkeit ist hier eine außerordentliche, alle Vorstellungen
überflügelnde. Die oberhalb dieses Ortes beginnenden Stromschnellen
ermöglichen die reichliche Bewässerung des fetten Humusbodens, die
glühende äquatoriale Sonne -- denn Hargazzo liegt bloß einen halben
Breitegrad südlich vom Äquator -- bringt jegliche Frucht in fabelhaft
kurzer Zeit zu üppigster Reife, so daß einhundertzwanzig- bis
einhundertfünfzigfache Ernte vom gesäeten Korn hier zweimal im Jahre die
Regel ist.

Ich habe mich in Hargazzo nur einen Tag lang aufgehalten und muß
erklären, daß ich trotz der äquatorialen Lage und trotzdem die Seehöhe
des Ortes nicht ganz dreihundert Meter ist, von absonderlicher Hitze
wenig bemerkte. Die Gegend beginnt hier schon gebirgig zu werden, kühle,
schattige Thäler verlaufen sich bis unmittelbar an den Fluß und da es in
der Nachbarschaft keine Sümpfe giebt, so halte ich den Ort auch für
durchaus gesund. Trotzdem betrachten die Freiländer Hargazzo nicht als
dauernden Ansiedelungspunkt. Die Bewohner verweilen hier immer nur kurze
Zeit und werden längstens nach Jahresfrist durch Ersatzmänner abgelöst.
Die Freiländer haben nämlich die Erfahrung gemacht, daß die, wenn auch
nicht übermäßige, so doch andauernde Hitze, die überall im äquatorialen
Tieflande herrscht, den meisten Europäern auf die Länge der Zeit nicht
zuträglich sei. Einige Monate, ja selbst Jahre hindurch erträgt man sie
ohne Beschwerde, dann aber stellt sich leicht Appetitlosigkeit in
Verbindung mit lästigen Leberleiden ein. Und da die Freiländer es nicht
nötig haben, ihre Gesundheit zu gefährden, um reichlichen
Lebensunterhalt zu finden, so vermeiden sie es, einen der Ihren auch nur
der entfernten Möglichkeit solcher Gefahren auszusetzen.

Nach eintägigem Aufenthalte dampfte ich mit der freiländischen Eisenbahn
nordwestwärts dem Kenia zu. Der Ausdruck »dampfen« ist jedoch hier bloß
figürlich zu nehmen, denn diese Linie wird nicht durch Dampf, sondern
durch Elektrizität betrieben. Die Stromschnellen und Katarakte des Tana
liefern hierfür, wie für eine Menge anderer Verkehrs- und
Industrieanlagen Freilands, die elektrische Kraft. Um das begreiflich zu
finden, muß man wissen, daß der Strom von Hargazzo bis Kikuja eine
ununterbrochene Kette von Schnellen und Wasserfällen bildet, deren
Großartigkeit in der ganzen übrigen Welt nicht ihresgleichen hat. Der
Tana besitzt auf dieser rund 200 Kilometer langen Strecke ein Gefäll von
über 5000 Fuß und einzelne der Katarakte haben eine Fallhöhe von 300
Fuß. Es ist also hier eine motorische Energie von vielen Millionen
Pferdekräften verfügbar und trotzdem Freiland bisher schon für die 2½
Millionen seiner derzeitigen Einwohnerzahl diese Kraftquelle recht
ausgiebig angezapft hat, so ist für fernere Zwecke noch immer genug
vorhanden.

Also der Tana war es, der, auch nachdem wir ihn verlassen, unsere
Beförderung weiter besorgte. Die Schwerkraft, die sich in seinen Wässern
auf ihrem Wege vom Kenia zum Thale gleichsam aufgestapelt hatte, dient
nun dazu, in Elektrizität verwandelt uns bergauf durch alle Windungen
der mächtigen Gebirgswelt, in die wir jetzt eintraten, dem Kenia
entgegenzuheben.

Unser Zug brauchte für die 280 Kilometer der Tana-Keniabahn zwölf
Stunden. Vom Schlusse des nächsten Jahres ab, wenn die bereits im Bau
begriffene neue Tana-Keniastrecke vollendet sein wird, dürften für den
gleichen Weg vier Stunden genügen. Die derzeit noch im Betriebe
befindliche Linie ist ein provisorischer Bau, den Freiland im zweiten
Jahre seines Bestandes in Angriff genommen und vollendet hatte. Es giebt
da eine Menge sehr scharfer Krümmungen und steiler Steigungen; die
Brücken und Viadukte sind zum Teil aus Holz gezimmert, was alles
notwendig macht, daß langsam gefahren werde.

Die großartige Romantik der Hochgebirgswelt, in welche wir bald nach
Hargazzo eindrangen, spottet jeder Beschreibung. Die Bergriesen, an
deren Fuß und Seite der Zug emporkletterte, haben bis zu 12000 Fuß Höhe;
ihre Lehnen sind teils von undurchdringlichem, majestätischem Urwalde
bestanden, teils von parkartigen Wiesen bedeckt, teils aber starren sie
uns in unheimlicher, wilder Schroffheit entgegen. Die Mittagsrast
hielten wir in einem Thale, dessen lachende Lieblichkeit an die
schönsten Landschaften der oberitalienischen Alpenwelt erinnert; eine
Stunde später rollte der Zug durch eine Felsenwildnis von schauriger
Öde, in welcher kein Grashalm, kein Tier die Starrheit des Todes
unterbrach. Und abermals eine Stunde später durchmaßen wir ein üppiges
breites Flußthal, welches von ungezählten Schaaren friedlich weidender
Antilopen, Zebras und Büffel, Rhinocerosse und Elefanten gleichsam
erfüllt schien.

Alles bis dahin Gesehene trat jedoch weit in den Hintergrund, als um die
vierte Nachmittagsstunde der Zug den Kamm des zwischen Tana und Kenia
gelagerten Gebirgsstockes erklommen hatte und nun die Gletscherwelt des
Kenia sich urplötzlich unseren entzückten Blicken darbot. Zugleich
machte die bis dahin herrschend gewesene ziemlich drückende Schwüle
einer erfrischenden Kühle Platz, hervorgerufen offenbar durch die vom
Kenia herabwehenden Brisen. Wir hatten die Hochebene von Freiland
erreicht und liefen um fünf Uhr nachmittags in die erste freiländische
Station, Washington geheißen, ein.

Mit der Schilderung auch dieses Ortes will ich mich nicht aufhalten. Um
acht Uhr abends langten wir in Edenthal, der Hauptstadt Freilands, an.
Der Bahnhof und alle Straßen, die ich auf dem Wege nach dem Gasthofe
durchfuhr, waren mit elektrischen Bogenlampen taghell erleuchtet. Von
Häusern sah ich auf dieser ersten Fahrt durch Edenthal so gut wie
nichts, denn die Straßen sind von mehrfachen Palmenalleen eingesäumt,
die Häuser selber liegen allesamt inmitten üppiger Gärten, so daß alles,
was man von ihnen wahrnehmen konnte, das Blinken einzelner beleuchteter
Fenster war. Desto deutlicher sagte mir mein Ohr, daß Edenthal keine
ausgestorbene Stadt sei. Aus zahlreichen Gärten, an denen ich
vorüberfuhr, tönte mir Musik, Becherklang und fröhliches Lachen
entgegen.

Ich war übrigens zu müde und erschöpft von der Reise, um die Versuchung
zu spüren, irgend wie an der allgemeinen Fröhlichkeit heute schon
teilnehmen zu wollen. Der Omnibus, den ich am Bahnhof mit sieben anderen
meiner Reisegefährten bestiegen, setzte uns nach einviertelstündiger
Fahrt vor einem jener großen Gasthöfe ab, die von besonderen
freiländischen Gesellschaften unterhalten werden.

Nachdem ich ein einfaches Mahl genommen, suchte ich mein Bett auf und
trotz der fieberhaften Erwartung, mit welcher ich dem nächsten Tage
entgegensah, umfing mich alsbald tiefer, erquickender Schlaf.



                            Drittes Kapitel.

                Wo Freiland liegt und was Freiland ist.


Nachdem mir der gütige Leser bereitwillig bis in die Hauptstadt von
Freiland gefolgt ist, wird es an der Zeit sein, ihm etwas ausführlicher
zu sagen, wo sich diese Stadt und dieses Land befinden, was es mit ihnen
für eine Bewandtnis hat und was ich eigentlich hier suche. Ich habe
bisher vorausgesetzt, daß er das alles so gut weiß, wie ich selber. Und
in der That hat seit sieben Jahren Freiland und die von ihm vertretene
Sache der wirtschaftlichen Gerechtigkeit viel von sich reden gemacht;
aber wenn ich es bei Lichte besehe, so schreibe ich denn doch gerade für
diejenigen, die all das noch nicht oder wenigstens nicht ganz genau
wissen, und es ist daher durchaus notwendig, zur Klarlegung des
äußerlichen und innerlichen Schauplatzes der sich in den folgenden
Kapiteln abspielenden, im übrigen höchst einfachen Begebenheiten zu
schreiten.

Also Freiland ist ein socialer Freistaat, der vor sieben Jahren von ein
paar tausend Enthusiasten auf den Hochlanden des Kenia begründet wurde.
Verfolgt man auf der Karte von Afrika die Ostküste vom Kap Guardafuy
nach Süden zu genau bis zum Äquator und geht dann der durch diesen
gebildeten Linie westwärts ins Innere des Kontinents nach, so wird man
in der Luftlinie nicht ganz 500 Kilometer von der Küste des indischen
Oceans entfernt den Kenia finden, einen Berg, der zu den großartigsten
und merkwürdigsten des ganzen Erdballs zählen würde, auch wenn die
Freiländer nicht auf den Gedanken geraten wären, sich an seinem Fuße
anzusiedeln. Es ist das kein vereinzelter Gipfel, sondern ein gewaltiger
Gebirgsstock, dessen centrale Spitze nahezu 6000 Meter hoch in die
Region des ewigen Eises und Schnees hineinragt. Das eigentümliche des
Kenia aber ist, daß er sich, unähnlich dem etwa 500 Kilometer weiter
südlich gelegenen, ihm an Mächtigkeit im übrigen ähnlichen
Kilimandscharo, nicht unmittelbar aus der Tiefebene erhebt, sondern
rings um sich her, viele Hunderte Kilometer weit nach allen Seiten, ein
1200 bis 2200 Meter über dem Meeresspiegel sich erhebendes Hochplateau
vorgelagert hat. Und dieses Hochplateau, unterbrochen von zahlreichen
mehr oder minder mächtigen hochromantischen Gebirgszügen und bewässert
von mannigfaltigen, teils dem Kenia selber, teils den Riesen der
Vorberge entspringenden Flüssen, Strömen und Seen, bildet das Gebiet von
Freiland.

Soviel über die Geographie meiner nunmehrigen Heimat. Über ihre
politische und sociale Verfassung will ich einstweilen nur soviel sagen,
daß durch dieselbe verwirklicht worden ist, was seit dritthalb
Jahrtausenden das Ideal der Menschheit gewesen, nämlich die vollkommene,
sich auch auf das wirtschaftliche Leben erstreckende Gleichberechtigung.
Die Freiländer sind keine Kommunisten, sie gehen nicht von der Ansicht
aus, daß alle Menschen schlechthin gleich seien, anerkennen vielmehr
deren Verschiedenheit nach Fähigkeiten sowohl als nach Bedürfnissen;
aber sie halten alle Menschen für gleich_berechtigt_, und unter
Gleichberechtigung verstehen sie nicht bloß die allen Menschen
gleichmäßig zuerkannte Befugnis, Abgeordnete zu wählen, Steuern zu
zahlen, eingesperrt zu werden und sich für das Vaterland totschießen zu
lassen, sondern auch das allen gleichmäßig zu sichernde Recht, zu leben.
Sie behaupten, daß demjenigen, der auf den guten Willen anderer
angewiesen ist, um die eigenen Kräfte zur Fristung seines Lebens
gebrauchen zu können, alle anderen noch so freigebig erteilten
Freiheiten nicht das geringste nützen, daß er vielmehr ein Knecht
desjenigen bleiben muß, von dessen gutem Willen seine Existenz abhängt.

Aber die Freiländer haben sich des ferneren nicht begnügt, dieses Recht
auf das Leben im Prinzipe zu verkünden; sie sind weiter gegangen und
haben jedermann auch jene Mittel gesichert, die notwendig sind, um
dieses gute angeborene Menschenrecht praktisch auszuüben. Nicht etwa in
der Weise, daß jedermann von Gesamtheitswegen mit dem, was er zur
Fristung seines Lebens braucht, versehen würde; sie denken nicht daran,
die Gesamtheit für den einzelnen sorgen zu lassen, meinen vielmehr, daß
es jedermanns Sache sei, für sich selber zu sorgen. »Jedem das Seine«,
ist ihr Wahlspruch, ganz ähnlich dem Wahlspruche der bürgerlichen Welt,
mit dem Unterschiede aber, daß dieses jedermann gebührende Seinige nach
freiländischer Auffassung das ist, was jedermann selber hervorbringt,
während es nach bürgerlicher Auffassung dasjenige ist, was sich
jedermann auf welche Weise immer anzueignen vermag, sofern er nur dabei
die über Mord, Raub, Diebstahl und Betrug geltenden Satzungen nicht
verletzt.

Des ferneren aber glauben die Freiländer beileibe nicht, daß zur
Einrichtung der menschlichen Wirtschaft auf diesen soeben entwickelten
Grundsätzen eine besonders künstliche Organisation vonnöten sei. Auch in
diesem entscheidenden Punkte haben sie mit den früheren Socialisten oder
Kommunisten nichts gemein, halten sich vielmehr an den Grundsatz der
bürgerlichen Welt, daß sich durch das freie Spiel der wirtschaftlichen
Kräfte die möglichste Harmonie aller wirtschaftlichen Interessen ganz
von selber einstelle. Um Vorsorge dafür zu treffen, daß alle Bedürfnisse
der Gesamtheit in der denkbar vollkommensten Weise befriedigt werden,
sei nichts anderes notwendig -- so sagen sie -- als jeden einzelnen
möglichst ungestört unter der Triebfeder der ihm angeborenen natürlichen
wirtschaftlichen Beweggründe handeln zu lassen. Die Meinung, es könne
irgendwie notwendig sein, von Staatswegen dafür zu sorgen, daß jene
Dinge erzeugt werden, deren man gerade bedürfe, laufe auf dasselbe
hinaus, als ob man es für notwendig hielte, das Wasser eines Flusses in
Fässern und Tonnen thalab zu befördern, aus Angst, daß es andernfalls
bergauf fließen würde. Wo jedem gehöre, was er erzeuge, und wo ein
freier Markt bestehe, auf welchem die eigenen Erzeugnisse gegen die
Güter des eigenen Bedarfs umgetauscht werden, dort verstehe es sich ganz
von selbst, daß jedermann erzeugen werde, was dem allgemeinen Bedarfe
entspricht, weil er ja nur unter dieser Voraussetzung den eigentlichen
Zweck seiner Thätigkeit erreichen könne, der in nichts anderem besteht
als in der Absicht, bei möglichst geringer Plage die eigenen Bedürfnisse
möglichst reichlich zu befriedigen. Das könne aber jedermann nur, wenn
er solche Dinge verfertige, wie sie dem Bedarfe entsprechen, und den
Eigennutz der Arbeitenden frei gewähren lassen, sei daher die beste
Methode, die Produktion in einer dem allgemeinen Wohle entsprechenden
Weise zu organisieren.

Man sieht, das ist Punkt für Punkt die Lehre, welche schon vor
anderthalb Jahrhunderten Adam Smith verkündet hat und deren Richtigkeit
nicht erst bewiesen zu werden braucht. Seltsam ist nur, daß man bisher
von der Meinung ausging, diese zur höchsten wirtschaftlichen Harmonie
führende Wirkung des freiwaltenden Eigennutzes habe zur Voraussetzung,
daß nicht alle, sondern bloß einige wenige Menschen thun und lassen
können, was ihnen ihr Eigeninteresse vorschreibt. Die große Mehrzahl --
so glaubte man -- müsse gezwungen sein zu thun, nicht was ihr selbst,
sondern was anderen nützt, dann erst sei sicher, daß geschehen werde,
was allen nützlich ist. In Freiland nimmt man die Lehre Smiths
buchstäblich; man räumt die der freien Bethätigung des Eigeninteresses
entgegenstehenden Hindernisse für alle hinweg und hält sich daraufhin
erst recht überzeugt, daß der Erfolg dem Interesse aller entsprechen
werde.

Künstliche Maßnahmen und Einrichtungen welcher Art immer zu gedeihlicher
Fortführung der Arbeit erachten die Freiländer schon aus dem Grunde für
überflüssig, weil sie behaupten, daß die bei ihnen geltenden
wirtschaftlichen und socialen Satzungen durchaus der menschlichen Natur
entsprechen, ein vollkommen natürlicher Zustand der Dinge sich aber am
besten aus sich selber heraus erhalte und fortentwickle. Bekanntlich
sagt das nämliche auch der bürgerliche Liberalismus; auch er erklärt,
der wirtschaftliche und sociale Zustand, wie er ihn aufrecht erhalten
wolle, entspreche der menschlichen Natur. Und auch er zieht daraus die
Schlußfolgerung, daß seine Wirtschaft am besten gedeihen und sich
entwickeln würde, wenn man sie ohne jeden gewaltsamen Eingriff sich
selber überließe. Auf welcher Seite die Wahrheit liegt, ist -- für mich
zum mindesten -- klar wie das Sonnenlicht. Ich glaube, es entspricht der
menschlichen Natur, zu arbeiten, damit man selber, nicht aber damit
andere genießen, was man hervorgebracht hat, und nicht dem geringsten
Zweifel unterliegt es in meinen Augen, daß die bürgerliche Wirtschaft
sich auch nicht einen Tag lang erhalten könnte, überließe man sie sich
selber, d. h. entzöge man ihr den Schutz der Staatsgewalt. Sich den in
der bürgerlichen Welt geltenden socialen Satzungen zu fügen, dazu müssen
neun Zehnteile aller Menschen gewaltsam gezwungen werden, denn diese
Satzungen widersprechen ihren wichtigsten, ureigensten Interessen. Die
freiländische Wirtschaft dagegen bedarf eines solchen Schutzes zu ihrem
Fortbestande wirklich nicht, weil in ihr die Interessen aller
gleichmäßig gewahrt sind. Um hier die Ordnung zu stören, müßten einzelne
die Macht besitzen, ihren Willen den anderen aufzuerlegen; diese Macht
aber besitzen sie eben infolge der vorweg hergestellten wirklichen
Gleichberechtigung aller, nicht, sie kann ihnen niemals zuteil werden,
so lange die freiländischen Einrichtungen fortbestehen, denn niemals, so
lange dies der Fall ist, kann es geschehen, daß irgend ein Freiländer
abhängig wird vom guten Willen oder von der Laune eines Nebenmenschen.
Es kann geschehen und geschieht auch in Freiland jederzeit, daß der
eine, weil er geschickter, fleißiger oder sparsamer ist als der andere,
reicher wird als dieser; aber diesen seinen höheren Reichtum kann er
stets bloß dazu benutzen, mehr zu genießen als dieser, niemals aber
dazu, sich dessen Kräfte dienstbar zu machen. Denn auch der
ungeschickteste, nachlässigste, sorgloseste Freiländer ist in der
Verwertung seiner Arbeitskraft auf die Mittel anderer nicht angewiesen,
da alles, wessen er zu diesem Behufe bedarf -- nämlich Boden und Kapital
-- ihm unter _allen_ Bedingungen zu uneingeschränkter, freier Verfügung
steht.

Dies die Grundzüge der freiländischen Einrichtungen. Man sieht,
dieselben laufen dem Wesen nach auf nichts anderes hinaus, als auf die
Verwirklichung gerade jener Prinzipien, welche die bürgerliche
Gesellschaft stets als die ihrigen verkündet, niemals aber befolgt hat.
Freiland ist die endliche Bewahrheitung all dessen, was die Kulturwelt
sich bisher selber vorgelogen; es thut gar nichts anderes, als was stets
gethan zu haben, der moderne Liberalismus von sich selbst behauptet.

Es verkündet die Gleichberechtigung -- das thut die bürgerliche Welt
auch; aber Freiland macht die Gleichberechtigung zur Wahrheit, die
bürgerliche Welt lügt sie bloß; was sie verwirklicht, ist die
Ausbeutung.

Es verkündet die Freiheit -- die bürgerliche Welt desgleichen; aber die
Freiheit Freilands ist Wahrheit, die der bürgerlichen Welt eine Lüge mit
dem richtigen Namen »Knechtschaft«.

Es verkündet den Eigennutz als Triebfeder der Arbeit -- genau so die
bürgerliche Welt; aber in Wahrheit kennt bloß Freiland Arbeit zu eigenem
Nutzen des Arbeitenden, während die bürgerliche Welt den Eigennutz als
Triebfeder ihrer Arbeit erlügt; was _sie_ kennt, ist Arbeit zu fremdem
Nutzen, oder Nutzen aus fremder Arbeit.

Die Art und Weise, wie alle diese Prinzipien in Freiland ihre praktische
Durchführung finden, wird sich aus dem nachfolgenden ergeben; schaden
jedoch kann es nicht, wenn ich zu vorläufiger Orientierung das
freiländische Grundgesetz hier im Wortlaute wiedergebe. Dasselbe besteht
bloß aus fünf Absätzen, welche lauten:

1. Jeder Bewohner Freilands hat das gleiche unveräußerliche Anrecht auf
den gesamten Boden und auf die von der Gesamtheit beigestellten
Produktionsmittel.

2. Frauen, Kinder, Greise und Arbeitsunfähige haben Anspruch auf
auskömmlichen, der Höhe des allgemeinen Reichtums billig entsprechenden
Unterhalt.

3. Niemand kann, sofern er nicht in die Rechtssphäre eines andern
greift, in der Bethätigung seines freien individuellen Willens gehindert
werden.

4. Die öffentlichen Angelegenheiten werden nach den Entschließungen
aller volljährigen (mehr als zwanzigjährigen) Bewohner Freilands ohne
Unterschied des Geschlechts verwaltet, die sämtlich in allen, das
gemeine Wesen betreffenden Angelegenheiten das gleiche aktive und
passive Stimm- und Wahlrecht besitzen.

5. Die beschließende sowohl als die ausübende Gewalt ist nach
Geschäftszweigen geteilt und zwar in der Weise, daß die Gesamtheit der
Stimmberechtigten für die hauptsächlichen öffentlichen Geschäftszweige
gesonderte Vertreter wählt, die gesondert ihre Beschlüsse fassen und das
Gebaren der den fraglichen Geschäftszweigen vorstehenden
Verwaltungsorgane überwachen.



                            Viertes Kapitel.

     Wer mir in Freiland die Stiefel putzte und wie es dort in den
             Straßen aussieht. Das Eigentum an Wohnhäusern.


Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als ich am ersten Morgen meines
Aufenthaltes in Edenthal erwachte. Trotzdem war es noch recht kühl, und
erfrischend wehte die balsamische Luft zum offenen Fenster herein, so
daß ich die behagliche Wärme der mir am Abend durch ihre Dichte und
Schwere aufgefallenen Bettdecken wohlig empfand. Edenthal liegt gerade
unter dem Äquator, es sollte mich nicht wundern, wenn derselbe
mathematisch genau just durch mein Zimmer hindurchzieht; man wäre also
versucht zu meinen, daß es hier stets gleichförmig heiß sein müsse und
daß besondere Verwahrungen gegen die Nachtkühle zu den denkbar
überflüssigsten Dingen gehören. Dem ist jedoch nicht so; ein in der Nähe
des Bettes angebrachtes Minimal- und Maximalthermometer zeigte, daß die
Temperatur des Nachts bis auf 9 Grad Celsius gesunken war und auch jetzt
-- es war bereits acht Uhr morgens -- erst 16 Grad Celsius erreicht
hatte.

Den Sonnenaufgang, der in diesen Breiten jahraus jahrein pünktlich um
sechs Uhr stattfindet, hatte ich also um zwei Stunden verschlafen. Das
ärgerte mich, denn ich war ungeduldig, die Stadt und mehr noch die
Einrichtungen Freilands kennen zu lernen, und so beschloß ich denn,
rasch aufzustehen.

Der Drücker einer elektrischen Klingel zu meinen Häupten deutete darauf
hin, daß hier -- was mich allerdings Wunder nahm -- auf Wunsch Bedienung
zu haben sei. Wenige Sekunden, nachdem ich geklingelt hatte, betrat ein
Mann das Gemach, der sich in seiner Kleidung sowohl als in seinem
übrigen Auftreten in nichts von jenen anderen Freiländern unterschied,
die ich auf der Reise bis dahin zu sehen Gelegenheit hatte. Er fragte in
höflichem, aber sichergeschäftlichem Tone nach meinem Begehren.

»Sie entschuldigen« -- so leitete ich die Konversation ein -- »daß ich
Sie zu mir bemüht habe. Ich weiß sehr wohl, daß hier in Freiland
Gleichheit herrscht, daß es keine Herren und Diener giebt; aber diese
Klingel hier verlockte mich, von ihr Gebrauch zu machen, und so bitte
ich Sie denn, mir unerfahrenem Fremdling zu erklären, erstens, wozu es
in freiländischen Hotelzimmern Klingeln giebt, und zweitens, wo ich die
zum Reinigen meiner Kleider erforderlichen Utensilien erhalten kann.«

»Ihre Vermutung bezüglich der Klingel hat Sie nicht getäuscht,« war die
lächelnd abgegebene Entgegnung. »Ich bin einer der sechs Hoteldiener,
die abwechselnd hier Tag und Nacht zur Verfügung unserer Gäste stehen.
Dagegen mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie, um die Kleider
gereinigt zu erhalten, hinkünftig besser thun werden, dieselben schon am
Abend an den zu diesem Behufe vor Ihrer Thür angebrachten Haken zu
hängen. Denn jedes Läuten kostet Geld, nebenbei bemerkt, genau halb so
viel, als die Benutzung des Zimmers für einen ganzen Tag, d. i.
fünfundzwanzig Pfennig, während, wenn Sie die soeben angedeutete
Vorsicht gebrauchen, Ihre Kleider und Ihr Schuhwerk ohne weiteres von
den Kleiderreinigern abgeholt und zeitig morgens an der gleichen Stelle
hinterlegt werden. Auch das kostet fünfundzwanzig Pfennig täglich, aber
Sie ersparen doch die unnütze Ausgabe für mich.«

»Also Sie sind eine Art Kellner und es giebt hier außerdem noch
Hausknechte zum Putzen der Kleider und Stiefel? Wie vereinbart sich das
mit der freiländischen Gleichheit? Und warum kostet das einmalige
citieren Ihrer Person so viel, wie der doch jedenfalls anstrengendere
Dienst des Hausknechtes, und beides zusammen so viel wie der Tagespreis
dieses ganzen so nett eingerichteten Zimmers?« konnte ich mich nun nicht
enthalten zu fragen.

»Die Gleichheit, wie wir sie in Freiland verstehen, leidet nicht im
geringsten darunter, wenn ich und meine Kollegen von der >Gesellschaft
für persönliche Dienstleistungen< uns zur Befriedigung Ihrer Wünsche zur
Verfügung halten und wenn andere Kollegen von derselben Gesellschaft
Ihre Kleider reinigen. Wir sind eben Geschäftsleute, Arbeiter, die in
solcher Weise ihren Erwerb suchen. Wird Ihre persönliche Würde Schaden
nehmen, wenn Sie morgen für uns Kleider oder Stiefel verfertigen, Häuser
bauen oder Bücher schreiben? Jeder leistet eben, was er kann und was am
besten seinem Nutzen entspricht, und einen Unterschied kennen wir nur
insoweit, als schwierige, unangenehme oder besondere Fähigkeiten
erfordernde Arbeiten besser entschädigt werden müssen als leichte,
angenehmere, alltägliche. Ich z. B. könnte ebensogut auch als Gärtner
oder als Schreiber in irgend einem Bureau meinen Verdienst suchen; aber
in der Gärtnerei würde ich, weil dort die Arbeit leicht und angenehm
zugleich ist, bloß dreieinhalb Mark stündlich erwerben, die sitzende
Lebensweise in einem Bureau gefällt mir nicht, und so habe ich denn mein
derzeitiges Geschäft gewählt, wo ich nahezu fünf Mark stündlich
verdiene, ausreichende Bewegung mache, was mir sehr dienlich ist und
mitunter recht interessante Bekanntschaften anknüpfen kann, was meinen
Neigungen gleichfalls in hohem Grade zusagt. Dabei halte ich mich für
einen Gentleman und alle meine Mitbürger halten mich dafür; hätte
ich nur sonst das Zeug dazu, so würde sich wegen meiner
Beschäftigung niemand in Freiland besinnen, mir seine Stimme für ein
Abgeordnetenmandat zu geben, wenn ich mich darum bewürbe. Genau
das nämliche gilt natürlich von meinen Kollegen aus der
Kleiderreinigungsbranche; niemand fällt es auch nur im Traume ein,
zwischen ihrer Arbeit und derjenigen eines beliebigen anderen irgend
welchen Unterschied zu machen. Wohin kämen wir auch, wenn dies geschähe?
Gezwungen kann man hier zu keiner Arbeit werden, es steht einem jeden
von uns die Wahl zwischen allen Berufen frei, insofern man zu deren
Ausübung geeignet ist; würde nun irgend welchen besonderen
Dienstleistungen auch nur der geringste Makel in der öffentlichen
Meinung anhaften, so würde sich natürlich niemand finden, sie auszuüben.
Dann wären z. B. Sie genötigt, Ihre Kleider selber zu reinigen, Ihr
Zimmer selber aufzuräumen u. s. w., während Sie vielleicht ein Gelehrter
sind, dessen Zeit weit ersprießlicher mit anderen Gedanken, oder ein
Geschäftsmann, dessen Zeit weit nützlicher mit anderen Verrichtungen
ausgefüllt ist.

»Was aber die Preise unserer Dienstleistungen anlangt, so richten sich
diese, wie die Preise aller Dinge in Freiland, nach dem erforderlichen
Arbeitsaufwande. Es ist wahr, die Erledigung eines kleinen Auftrages,
den Sie mir etwa erteilen mögen, kostet scheinbar weniger Zeit als das
umständliche und gewissenhafte Reinigen Ihrer Kleider, aber das ist eben
nur scheinbar so. Ich mit meinen engeren Kollegen muß mich für jeden
Ihrer zufälligen Wünsche jederzeit bereit halten, selbst nachtsüber, da
es ja immerhin möglich ist, daß Sie aus irgend einem Grunde, z. B. wegen
eines plötzlichen Unwohlseins, auch des Nachts unser dringend bedürfen;
deshalb sind für dieses Hotel sechs Aufwärter angestellt, die
abwechselnd Tag und Nacht Dienst haben, und Sie werden es nur gerecht
finden, daß uns auch die Wartezeit vergütet werden muß. Das
Kleiderreinigen dagegen kann zu bestimmten Stunden für alle
Hotelbesucher gleichzeitig vollbracht werden, und da dabei sehr
sinnreiche Maschinen Verwendung finden, so ist der Zeitaufwand für die
damit beschäftigten Arbeiter verhältnismäßig gering. Und die Zimmermiete
vollends ist ja nichts anderes als jene Summe, die erforderlich ist, um
die Herstellungskosten des Zimmers während der ganzen Dauer seiner
Benutzbarkeit abzutragen. Fünfzig Pfennig täglich machen, wenn man
dreihundert Miettage im Jahre rechnet, einhundertundfünfzig Mark
jährlich: das genügt reichlich, um das hineingesteckte Kapital bis zum
Zeitpunkt seiner Abnutzung abzutragen und etwa erforderliche Reparaturen
und Neuanschaffungen zu decken.«

Ich kann nicht verschweigen, daß mir die Sicherheit, auch in Freiland
meine Stiefel nicht selber putzen zu müssen, trotz aller meiner
Begeisterung für Gleichberechtigung einen kleinen Stein vom Herzen
wälzte. Zwar hatte ich das auch während der ganzen Reise nicht nötig
gehabt, auf dem Schiffe so wenig als in Lamu und in Hargazzo; aber ich
hatte mir das eben damit erklärt, daß außerhalb Freilands das
freiländische Wesen auch von der freiländischen Verwaltung selber noch
nicht in aller Reinheit gehandhabt werde. Diese Meinung wurde
insbesondere dadurch bestärkt, daß es in Lamu und Hargazzo Neger waren,
die ich mit der Bedienung der Reisenden beschäftigt fand. Und ich hatte
mir eingebildet, daß diese Neger von den Freiländern zu Hantierungen
benutzt oder doch zugelassen würden, denen sie sich selber nicht
unterziehen wollen. Dies erwies sich nun als Irrtum und ich will
nebenbei bemerken, daß die schwarzen Diener in Lamu und Hargazzo ebenso
zu einer Association vereinigt und ganz nach denselben Grundsätzen
organisiert sind, wie ihre kaukasischen Berufsgenossen in Freiland.

Nachdem ich mich angekleidet und im Hotelsaale mein Frühstück
eingenommen hatte, welches aber nicht von der Hotelgesellschaft selber,
sondern von der Edenthaler Speisenassociation hergestellt wird -- die
Hotelgesellschaft besorgt bloß Bau und Einrichtung der Gebäude und
beschränkt sich im übrigen auf die Beaufsichtigung des ganzen Betriebes
-- betrat ich die Straßen der Stadt.

Es war jetzt -- die Uhr zeigte nahezu die zehnte Stunde -- schon
ziemlich warm, 22 Grad Celsius im Schatten. Ich will hier gleich
bemerken, daß die Hitze in der Regel um ein Uhr ihren Höhepunkt
erreicht; an diesem ersten Tage, gegen Ende des zu den minder heißen
Monaten des Jahres zählenden Mai, betrug das Temperaturmaximum 28 Grad
Celsius; das überhaupt vorkommende Jahresmaximum ist 33 Grad Celsius,
also eine ganz respektable Hitze, die jedoch nur selten eintritt,
keineswegs häufiger, wie in Europa mit vielleicht alleiniger Ausnahme
von England, Norwegen und des nördlichen Rußland. Von jener Qual für
Mensch und Tier, die im gemäßigten Europa heiße Sommertage in der Regel
mit sich bringen, weiß man jedoch hier unter dem Äquator in 1700 Meter
Seehöhe nichts, und zwar aus verschiedenen Gründen. Erstens ist die Luft
so rein und dünn, daß jenes Gefühl des beängstigenden Druckes, welches
in unseren Breiten große Hitze zumeist hervorbringt, gar nicht entstehen
kann; zum zweiten wehen hier in Edenthal gerade während der heißen
Tagesstunden stets die erfrischenden Brisen vom Kenia herab; drittens
aber und hauptsächlich weiß man sich hier vortrefflich gegen die
Sonnenhitze zu schützen. In den Mittagsstunden arbeitet niemand im
Freien und auch in den gedeckten, kühlen und luftigen Werkstätten werden
um diese Tageszeit nur wenige Betriebe im Gang erhalten. Von zwölf Uhr
vormittags bis drei Uhr nachmittags speisen, baden, lesen und ruhen die
Freiländer. Auch die Straßen sind in diesen Stunden minder lebhaft
besucht, trotzdem hier die überall vorhandenen mehrfachen Palmenreihen
mit ihren tiefen, kühlen Schatten jede wirkliche Belästigung durch die
Hitze fernhalten.

Diese prachtvollen Alleen und die wunderlieblichen Gärten, welche sie
auf beiden Seiten einsäumen, verleihen ganz Edenthal sein
charakteristisches Gepräge. Jede freiländische Familie bewohnt ihr
eigenes Wohnhaus und jedes derselben ist von einem 1000 Quadratmeter
großen Garten umgeben. Diese Häuschen sind Privateigentum der Bewohner
und dienen, gleich den dazu gehörigen Gärtchen, zu deren Privatgebrauch.
Die Freiländer anerkennen zwar im allgemeinen keinerlei Grundeigentum,
gehen vielmehr von der Anschauung aus, daß der Boden jedermann zur
beliebigen Verfügung anheimgegeben sein müsse, was im buchstäblichsten
und weitesten Sinne des Wortes so zu verstehen ist, daß jeder Freiländer
jeden ihm beliebigen Boden jederzeit bearbeiten dürfe. Aber das bezieht
sich eben nur auf Boden, der zur Bearbeitung, nicht aber auf jenen, der
zum Bewohnen bestimmt ist. Daß es jedermann gestattet ist, seine
Arbeitskraft wo immer zu verwerten, schließt nach freiländischer
Auffassung nicht aus, daß jedermann das Recht beanspruchen dürfe, ein
Stückchen Erde, wo er ungestört von anderen seinen Wohnsitz aufschlagen
könne, für sich allein zu beanspruchen. Auch die Tiere besitzen ja ihre
Höhlen und Nester für sich, teilen diese mit niemand und wissen trotzdem
nichts von Grundeigentum. Der Unterschied zwischen ursprünglichem
Naturrecht und freiländischem Recht in dieser Beziehung besteht bloß
darin, daß sich die Tiere nach Laune und Zufall ihre Wohnstätten wählen,
während die Freiländer übereingekommen sind, hinsichtlich des Ausmaßes
und der Anordnung der zur Anlage ihrer Wohnsitze dienenden Bodenflächen
eine feste Ordnung aufzustellen, eine Art Baupolizei, deren Handhabung
Sache ihrer Behörden ist. Die Baubehörde hat zu bestimmen, welcher Boden
zu bebauen sei und welcher nicht, sie parzelliert die Bauflächen, sorgt
für Anlegung von Straßen, Kanälen u. dergl. und überwacht insbesondere,
daß auf keiner Bauparzelle mehr als ein Wohnhaus entstehe. Es ist zwar
niemand verboten, auf brachliegendem Boden auch ohne ausdrückliche
Zustimmung der Baubehörde sein Wohnhaus zu errichten, aber er hat es
sich dann nur selber zuzuschreiben, wenn vielleicht späterhin andere
Leute denselben Boden zu anderen Zwecken benutzen wollen, woran sie zu
hindern er, auf sich allein angewiesen -- und das wäre er natürlich in
diesem Falle -- weder das Recht noch die Macht besitzt. Um sich dagegen
zu schützen und um Anspruch auf volle Entschädigung für den Fall zu
erlangen, daß der zu einem Wohnhause ausersehene Boden vielleicht
nachträglich zu anderen Zwecken in Anspruch genommen wird, muß die
Zustimmung der in dieser Frage durch die Baubehörde vertretenen
Gesamtheit eingeholt werden, d. h. man muß zu seinen Bauzwecken entweder
solche Grundflächen benutzen, die von vornherein durch die Baubehörde zu
diesem Behufe vermessen und angewiesen sind, oder man muß doch die
Genehmigung dieser Behörde einholen, wenn man irgendwo bauen will. Eine
Abgabe für die Benutzung des Baugrundes wird nicht erhoben.

Endlich ist zu bemerken, daß das ausschließliche Benutzungsrecht bloß
unter der Voraussetzung gilt, daß der Baugrund eben nur zur Errichtung
der eigenen Wohnstätte benutzt werde. Wer sich etwa ein Geschäft aus dem
Bauen und Vermieten von Häusern machen wollte, den würde niemand daran
hindern, aber der von ihm zu solchem Zwecke benutzte Boden fiele damit
ganz von selber wieder der allgemeinen Benutzung anheim, ja, da er zu
derartigen Bauzwecken die Zustimmung der Baubehörden nicht erhalten
hätte, so besäße er auch gar keinen Ersatzanspruch für den von ihm
gemachten Bauaufwand, wenn andere Leute sothanen Boden benutzen wollten.
Natürlich giebt es in Freiland keine Miethäuser im Privatbesitz.
Gesellschaften, welche das Vermieten von Wohnräumen zu ihrem Geschäfte
gemacht haben, sind allerdings vorhanden; da aber jedermann jederzeit
das Recht hat, diesen wie allen anderen freiländischen Gesellschaften
beizutreten, so gilt für den von diesen bebauten Boden genau dasselbe,
wie von anderem Boden in Freiland: er kann von jedem benutzt werden, der
dazu Lust hat.

Doch darüber näheres später. Hervorheben will ich hier nur noch, daß es
keinem Freiländer einfällt, sein Wohnhaus, etwa in der Weise der
Hinterwäldler in Nordamerika, selber zu bauen. Das läßt er durch
Baugesellschaften besorgen, die er dafür und zwar je auf Wunsch entweder
auf einmal oder in Jahresraten bezahlt, welch letztere aber -- nebenbei
bemerkt -- in diesem Falle vom Käufer nicht den Baugesellschaften,
sondern dem Staate geschuldet sind, indem die Baugesellschaften, wie
alle freiländischen Associationen, ihr Betriebskapital vom Staate
vorgestreckt erhalten. Natürlich gehören die käuflich erworbenen
Häuschen jedem zu freiem Eigentum. Er kann sie verkaufen, verschenken,
vertauschen, vererben, ganz nach seinem Belieben.

Die Edenthaler Häuschen zeigen, entsprechend der Verschiedenheit in den
Ansprüchen der Eigentümer, mannigfaltige Unterschiede hinsichtlich ihrer
Größe und Ausstattung. Es giebt welche, die nicht mehr als fünf
Wohnräume aufweisen, und welche, die bis an zwanzig Wohnräume zählen.
Einige sind sehr einfach, andere mit viel Geschmack und Luxus
ausgestattet. Ihr Alter kann man hier allen Häusern ziemlich genau am
Äußern ablesen. Die ältesten, aus den zwei ersten Jahren der Gründung
von Freiland herrührenden sind Holzbaracken; doch giebt es deren nur
noch sehr wenige, wie mir mitgeteilt wurde, in ganz Edenthal bloß sechs,
während alle anderen Bauten aus jener Epoche längst schon durch neuere,
schönere und behaglichere ersetzt worden sind, denn der Reichtum der
Freiländer ist in ununterbrochenem rapidem Aufschwunge begriffen, und
derzeit besitzt der einfachste Arbeiter des Landes ein Einkommen,
genügend groß, um ihm den Luxus eines geschmackvollen, schönen
Wohnhauses zu gestatten. Seit fünf Jahren baut man in Edenthal nur noch
aus Backsteinen, Stein und Eisen; die Ausführung wird von Jahr zu Jahr
vollendeter und reicher. Wie es im Innern der Edenthaler Privathäuser
aussieht, darüber werde ich wohl noch zu sprechen haben.

Von öffentlichen Gebäuden giebt es in Edenthal eine große Menge. Die
hervorragendsten sind: der Volks- und Regierungspalast, die Centralbank,
die Universität, die Akademie der bildenden Künste, drei öffentliche
Bibliotheken, vier Theater, die große Centralwarenhalle -- ein vier
Hektare deckender Riesenbau -- eine große Anzahl von Schulen u. s. w.
Was bei den meisten dieser öffentlichen Gebäude auffällt, ist der ganz
außerordentliche Luxus, der an ihre Ausschmückung gewendet wird; es ist
klar, daß die Freiländer großen Kunstsinn haben und diesen in erster
Reihe bei ihren öffentlichen Einrichtungen bethätigen; sie gleichen in
diesem Punkte den alten Athenern, deren Häuslichkeiten ja auch
verhältnismäßig bescheiden eingerichtet waren, während für die schöne
Ausstattung öffentlicher Bauten kein Aufwand als zu groß erachtet wurde.
Wie ich späterhin erfahren habe, beschäftigt die freiländische
Verwaltung nicht bloß eine große Anzahl von Künstlern, die auf
Bestellung arbeiten, sondern kauft auch jedes Kunstwerk, das ihr
angeboten und von den Kennern als geeignet zur Ausschmückung irgend
eines öffentlichen Gebäudes oder Platzes erachtet wird. Welchen
Aufschwung unter solchen Verhältnissen die große Kunst nehmen muß, wird
der Leser erst dann voll zu ermessen in der Lage sein, wenn ich auf die
ungeheueren Mittel zu sprechen kommen werde, welche der Verwaltung von
Freiland zur Verfügung stehen.

Ganz außerordentliches geschieht auch für die Pflege der öffentlichen
Reinlichkeit und Gesundheit. Die Edenthaler Wasserleitungen dürften
heute schon kaum irgend wo in der Welt ihresgleichen haben und immer
noch wird an ihrer Erweiterung gearbeitet; die Abfuhr des Unrats erfolgt
mittels eines Systems pneumatischer Aufsaugung; die Straßen sind
durchweg makadamisiert, von Schmutz oder Staub ist auf ihnen keine Spur
zu sehen; sie sind nach allen Richtungen von einem Netze elektrischer
Bahnen durchzogen, die auch alle Vororte mit der Stadt in Verbindung
setzen. Sämtliche Fabriken Edenthals sind in diesen Vororten
untergebracht, so daß in der Stadt nirgends lästiges Geräusch die nur
durch Vogelgesang und Kinderlachen unterbrochene idyllische Ruhe stört.
Auch Pferdegetrappel ist nirgends zu hören; es werden zwar Wagen
benutzt, doch nicht durch Tiere, sondern durch mechanische Kraft --
meist Elektrizität -- in Bewegung gesetzt. Im übrigen fehlt es in
Edenthal, wie überhaupt in Freiland, keineswegs an Pferden; die
Freiländer sind sogar leidenschaftliche Reiter, doch werden Pferde nur
zu Ausflügen außerhalb des Weichbildes der Stadt benutzt und die
Stallungen befinden sich nicht in den Privathäusern, sondern in Händen
von großen Transportgesellschaften, deren Stall- und Wartepersonale
seinen Dienst nicht in der bei uns üblichen Weise, sondern -- wie fast
alles in Freiland -- beinahe durchwegs mit Hilfe von Maschinen
verrichtet, so daß ein Arbeiter im Durchschnitt für die Wartung von
fünfzig Pferden genügt. Das Halten dieser Tiere ist dementsprechend ein
Luxus, den sich jeder freiländische Arbeiter gönnen kann, wenn es seinem
Geschmacke zusagt, trotzdem selbstverständlich die »Stallknechte«
denselben Arbeitslohn beanspruchen und finden, wie durchschnittlich
jeder andere freiländische Arbeiter.



                            Fünftes Kapitel.

     Wie ich in Freiland einen Beruf wählte und im Speisehause mein
                         Mittagessen bezahlte.


Nachdem ich meiner Neugierde durch Besichtigung der hervorstechendsten
Sehenswürdigkeiten von Edenthal einige Stunden lang Genüge gethan hatte,
wobei die mir begegnenden Freiländer bereitwilligst das Amt der Führer
und Erklärer übernahmen, entschloß ich mich, vorläufige Orientierung
über jene Schritte einzuholen, die ich behufs meiner zukünftigen
Beschäftigung in Freiland für notwendig erachtete. Daß hier alle Arbeit,
soweit sie nicht, wie z. B. Post, Telegraph, Eisenbahn, Staatssache ist,
in Händen großer Produktivgesellschaften ruht, die ihre Erträge an ihre
Mitglieder verteilen, und das jedermann das Recht hat, sich einer
solchen Gesellschaft anzuschließen, wußte ich, und es galt daher nur,
eine meinen Fähigkeiten und Interessen entsprechende Wahl zu treffen.
Ebenso war mir bekannt, daß dafür Sorge getragen ist, dem Publikum alle
Behelfe zugänglich zu machen, die behufs richtiger Berufswahl nur immer
erforderlich sein mögen. Man hatte mir jedoch den Rat gegeben, mich der
Bequemlichkeit halber zunächst an das Auskunftsbureau des statistischen
Centralamtes zu wenden, und so lenkte ich denn meine Schritte diesem zu.

Der Beamte, der mich empfing, fragte, welchem Arbeitszweige ich mich
zuzuwenden gedächte. Meine eigentliche Spezialität war bisher das
Maschinenwesen, soweit es in das Bereich des Eisenbahnbetriebes gehörte.
In diesem Fache, so erfuhr ich, sei der den Ingenieuren eingeräumte
Verdienst derzeit um ein Kleines geringer als in den anderen
Maschinenwerkstätten. »Das soll Sie natürlich nicht abhalten,« fügte der
Beamte hinzu, »sich trotzdem dieser Branche zuzuwenden, wenn Sie
glauben, gerade in ihr besonders Tüchtiges leisten zu können, denn in
diesem Falle können Sie darauf rechnen, durch raschere Beförderung den
anfänglichen Minderertrag Ihrer Arbeit sehr schnell auszugleichen.«

»Darauf möchte ich mich denn doch nicht verlassen,« entgegnete ich in
unbewußter Nachwirkung meiner europäischen Erfahrungen. »Wer weiß, ob es
mir so sicher gelingen würde, meine Fähigkeiten zur entsprechenden
Geltung zu bringen?«

»Sie scheinen zu vergessen, daß es für alle Fälle eine _freiländische_
Gesellschaft ist, in welche Sie hier eintreten wollen,« entgegnete
lächelnd der Beamte. »Damit hier Ihre Fähigkeiten -- vorausgesetzt
natürlich, daß Sie wirklich solche in höherem Maße besitzen -- nicht zur
Geltung gelangen, müßten Sie dieselben absichtlich geheim halten. Daß
hervorragende Fähigkeiten unbeachtet bleiben, ist hier ganz und gar
ausgeschlossen. Zwar wird es von den Vorgesetzten abhängen, ob Sie an
die Ihnen gebührende Stelle befördert werden, aber diese Ihre
Vorgesetzten selber sind insofern abhängig von ihren Untergebenen, als
sie ihre Stellung einer jederzeit widerruflichen Wahl verdanken und
dieser Widerruf ganz gewiß stattfinden würde, bemerkte man, daß die
Direktoren sich bei ihren Entscheidungen durch andere als rein sachliche
Beweggründe leiten lassen.«

»Und wer bürgt dafür,« so fragte ich, »daß diese Untergebenen sich
meiner annehmen, für den Fall, daß mir Unrecht geschieht?«

»Nun, zunächst deren eigenes Interesse. Diese Untergebenen sind ja keine
mit festem Lohn abgefundenen Söldlinge, sondern gleichberechtigte
Teilnehmer des Geschäftes, und die Höhe des Anteils, welchen sie aus dem
Unternehmen ziehen, hängt stets von der größeren oder geringeren
Geschicklichkeit ab, mit welcher diese Geschäfte besorgt werden. Können
Sie nicht auch in Europa überall dort, wo der Eigentümer des Geschäftes
der oberste Leiter desselben ist, darauf rechnen, an die richtige Stelle
gesetzt zu werden, sowie nur der Herr erkannt hat, wo er Sie am besten
für sich verwerten kann? Nun denn, in Freiland werden Ihre Kollegen, Sie
mögen wo immer eintreten, eben diese Herren des Geschäftes sein.«

Es versteht sich von selbst, daß mich diese Auseinandersetzung sehr
wesentlich beruhigte; indessen stellte ich doch -- wenn auch nur zu
meiner Belehrung -- die Frage, ob denn auch Sicherheit dagegen vorhanden
wäre, daß nicht etwa meine zukünftigen Vorgesetzten in Übereinstimmung
mit meinen zukünftigen Kollegen, ja vielleicht sogar in deren
ausdrücklichem Auftrage mich chikanieren würden, um mir die
Teilhaberschaft an ihrem Geschäfte zu verleiden.

»Damit das möglich sei,« lautete die Auskunft, »müßte ein solcher
Auftrag ganz im geheimen nicht bloß erteilt, sondern auch ausgeführt
werden, d. h. es dürfte niemand in ganz Freiland merken, daß in der
fraglichen Gesellschaft derlei Absperrungsgelüste vorwalten. Denn unser
Grundgesetz gebietet, daß der Eintritt in jede Association jedem
freistehen müsse, der dazu geeignet sei. Die Direktoren oder wen sonst
die Generalversammlung der Genossen mit diesem Amte betraut, haben
allerdings das Recht, über die thatsächliche Verwendung der sich
Anmeldenden zu entscheiden; sie können ihres Erachtens ganz Unfähige
auch gänzlich unverwendet lassen oder allenfalls zu bloßen
Handlangerdiensten gebrauchen. Gewinn aus dem Unternehmen zieht nun
jedermann bloß nach Maßgabe seiner thatsächlich geleisteten Dienste, und
wen man daher nicht dazu gelangen ließe, etwas zu leisten, der hätte
wenig oder nichts von seinen Fähigkeiten. Sowie aber die öffentliche
Meinung dahinter käme, daß man fähige Bewerber planmäßig fernhalte,
würde sie derartigen Umtrieben sehr rasch ein Ende machen.«

»Wieso?« -- fragte ich. »Die Gesellschaften sind doch ganz unabhängig,
der Staat enthält sich jeder Einmischung und es bleibt, wenn ich recht
unterrichtet bin, den Genossen anheimgegeben, über alle Angelegenheiten
des eigenen Betriebes zu entscheiden?«

»Da sind Sie ganz recht berichtet. Aber Sie vergessen, daß jeder
Freiländer das Recht hat, Genosse jeder beliebigen freiländischen
Gesellschaft zu werden; es bedarf zu diesem Behufe bloß einer einfachen
Anmeldung, denn die Direktoren entscheiden bloß über die Verwendung der
Mitglieder, nicht aber über die Mitgliedschaft selber. Nun werden Sie
einsehen, daß es niemand in Freiland gleichgültig mit ansehen könnte,
wenn irgend eine freiländische Gesellschaft sich gegen die Grundlage
aller unserer socialen Einrichtungen, die volle Freizügigkeit der
Arbeitskräfte, versündigte. Jedermann muß jederzeit die Möglichkeit
haben, jede seinen Fähigkeiten entsprechende Arbeit zu ergreifen; ganz
Freiland weiß, daß die gewissenhafte Beachtung dieses Grundsatzes die
Voraussetzung ist, auf welcher sich unsere Freiheit wie unser Wohlstand
aufbauen. Wenn man also merken würde, daß irgendwo dieser Grundsatz
verletzt wird, so würde sich sofort die halbe Arbeiterschaft von
Freiland in einer solchen Gesellschaft anmelden, bloß zu dem Zwecke, um
durch ihr Votum in der Generalversammlung die Direktion zu beseitigen.
Das alles ist so selbstverständlich, daß nur Thoren auf den Gedanken
geraten könnten, derartige Experimente zu versuchen, und am
allerwenigsten giebt es einen Direktor, der sich dazu bereit finden
ließe.«

»Ich bin vollkommen beruhigt,« antwortete ich. »Aber Sie gestatten wohl,
daß ich nun das entgegengesetzte Bedenken äußere. Da es so gefährlich
ist, fähige Bewerber abzuweisen und die Meinungen über Fähigkeit und
Unfähigkeit doch sehr weit auseinandergehen können, so meine ich, daß
unsere Direktoren um ihrer eigenen Sicherheit willen Krethi und Plethi
anstellen werden. Das kann doch unmöglich für die Tüchtigkeit des
Betriebes förderlich sein?«

»Richtig,« schmunzelte der Beamte. »Dabei könnte kein vernünftiger
Betrieb bestehen; aber gerade weil es so ist, versteht sich ganz von
selbst, daß die Direktoren die öffentliche Meinung nicht zu fürchten
brauchen, sofern sie nur ihre Entscheidungen vor dem eigenen Gewissen zu
verantworten vermögen. Denn gerade so, wie jeder Freiländer weiß, daß
die Freizügigkeit die Grundlage unserer gesellschaftlichen Ordnung ist,
ebenso weiß er, daß vernünftiger, geordneter Betrieb aller
Gesellschaften die Grundlage unseres Reichtums ist. Und da gerade wegen
unserer Freizügigkeit, die es jedermann ermöglicht, die Stätte des
höchsten Verdienstes aufzusuchen, das Gedeihen jeder einzelnen
Gesellschaft in jedermanns unmittelbarem Interesse liegt, so hat auch
jedermann ein unmittelbares Interesse, alles zu vermeiden, was diesen
gedeihlichen Betrieb stören könnte. Man hütet sich also vor
leichtfertigen Eingriffen in das Verfügungsrecht der Betriebsleitungen.
Es wird keinem Freiländer beifallen, für Sie Partei zu ergreifen gegen
einen Direktor, der Sie nicht Ihren Wünschen entsprechend verwendet, Sie
mögen noch so großen Lärm in den Zeitungen darüber schlagen, ja es mag
Ihnen sogar gelingen, zahlreichen Personen glaubhaft zu machen, daß Ihr
Direktor es an richtigem Verständnisse für Ihre Talente habe fehlen
lassen. Auch diejenigen, die Ihnen das glauben, werden sich doch sagen,
daß es nicht angehe, sich in solchen Fragen zum Richter über die
Betriebsleitung aufzuwerfen. Ja selbst, wenn sich die Meinung verbreiten
sollte, daß der fragliche Direktor ganz unfähig sei, die Eigenschaften
seiner Untergebenen richtig zu beurteilen, wird noch immer kein
außerhalb der fraglichen Gesellschaft stehender freiländischer Arbeiter
sich anmaßen, helfen zu wollen, da er sich sagen wird, über die
_Tüchtigkeit_ der Direktoren zu wachen, sei ausschließlich Sache der in
der fraglichen Gesellschaft thatsächlich beschäftigten Arbeiter. Kurzum,
damit sich die öffentliche Meinung Freilands für Sie interessiere, dazu
ist nicht bloß notwendig, daß Sie einen Irrtum, sondern daß Sie bösen
Willen der Betriebsleitung nachweisen und daß überdies die Meinung
entstehe, die Majorität Ihrer Genossen sei mitschuldig an diesem bösen
Willen. Erst in einem solchen Falle bemächtigt sich die öffentliche
Meinung der Frage und die Entscheidung erfolgt dann in einer
Generalversammlung der solcherart angeklagten Gesellschaft, an welcher
Generalversammlung jedermann teilnimmt, der sich für die Sache
interessiert.«

Der Beamte sagte mir hierauf noch, daß ich nähere Anhaltspunkte über
alles, was mir für die Wahl meiner zukünftigen Arbeitsstätte nützlich
wäre, aus den überall erhältlichen und insbesondere auch in den
öffentlichen Leseanstalten und Bibliotheken aufliegenden Ausweisen des
statistischen Centralamtes, sowie in den auf Grund dieser Ausweise
gemachten Auszügen und Erläuterungen der unterschiedlichen Fachblätter
ersehen könne. Ich verabschiedete mich daher und begab mich zunächst, da
die Speisestunde herangenaht war, in eine jener großen Speiseanstalten,
in denen alle Freiländer, welche nicht eine eigene Haushaltung führen
oder es aus irgend welchem Grunde vorziehen, einmal außer Hause zu
speisen, ihre Mahlzeiten zu halten pflegen. Diese Restaurants werden --
durchaus fabrikmäßig -- von großen Gesellschaften betrieben, und auch
die Haushaltungen beziehen ihren Bedarf beinahe vollständig aus dieser
Quelle. Die Speisekarte wird täglich in den Zeitungen veröffentlicht und
jede Hausfrau bestellt per Telephon die ihr zusagenden Gerichte. Zu
diesem Zwecke eigens eingerichtete Wagen befördern die Speisen von Haus
zu Haus und man versichert mich, daß dies nicht bloß wesentlich
wohlfeiler, sondern auch weitaus besser sei, als wenn jede Familie
daheim kochen würde.

Von beidem konnte ich mich sofort überzeugen: die Speisen waren
durchwegs aus dem auserlesensten Materiale mit -- ich möchte beinahe
sagen -- künstlerischer Vollendung bereitet und der Preis stellte sich
auf ungefähr die Hälfte dessen, was ich im letzten europäischen
Restaurant für eine gleich reichliche Mahlzeit hätte zahlen müssen.
Diese Wohlfeilheit ist allerdings zum Teil die Folge davon, daß die
Preise aller Rohmaterialien hier am Kenia infolge der unbeschreiblichen
Üppigkeit der Natur fabelhaft billig sind; aber sie erklärt sich wohl
auch dadurch, daß sich durch die Fabrikation im großen die
Zubereitungskosten, trotz aller Sorgfalt, die darauf verwendet wird,
unverhältnismäßig niedrig gestalten. Ein Küchendirektor, fünf Aufseher
und zwanzig Arbeiter -- so erfuhr ich -- kochen im Tagesdurchschnitt für
27000 Personen. Allerdings stehen ihnen dabei Apparate und Maschinen zur
Verfügung, von denen man selbst in den größten europäischen oder
amerikanischen Gasthöfen keine Vorstellung besitzt und die daher sehr
viel kosten; aber was hat das gegen die außerordentliche
Arbeitsersparnis zu bedeuten, insbesondere hier, wo menschliche
Arbeitskraft das Wertvollste unter allen Dingen ist!

Nachdem ich gespeist hatte, brachte mir einer der Aufwärter die
Rechnung, und da er bemerkte, daß ich ein neuer Ankömmling sei, der über
die hiesigen Gepflogenheiten noch nicht vollkommen unterrichtet sein
dürfte, so bedeutete er mich, ich möge meinen Namenszug darunter setzen.

»Wozu das?« fragte ich.

»Nun, als Beleg für die Centralbank.«

»Speist man denn hier auf Generalunkosten? Was hat die Bank mit meinen
Tischrechnungen zu thun?«

»Die Bank wird natürlich den Betrag auf Ihr Konto setzen.«

»Aber ich habe kein Konto bei der Bank.«

»Nun, dann werden Sie es sich eröffnen lassen, denn hier hat jedermann
sein Bankkonto, wo ihm alles gutgeschrieben wird, was er verdient, und
alles zu Lasten geschrieben, was er ausgiebt.«

»Und wenn ich nun beispielsweise mich hier bloß auf der Durchreise
aufhalte und mir gar kein Konto eröffnen lassen will, oder wenn ich hier
zu bleiben und trotzdem nichts zu arbeiten beabsichtige? Wer zahlt dann
für mich?«

»Darauf lassen wir es getrost ankommen. Im übrigen habe ich noch nichts
davon gehört, daß jemand, der einmal in Freiland war, wieder fortgezogen
wäre, oder daß ein kräftiger Mann hier nicht arbeiten wollte; und wer
wirklich nichts arbeiten will, mit dem haben wir allzuviel Mitleid, als
daß wir ihn verhungern ließen. Doch gleichviel, wenn Sie aus irgend
welchem Grunde Ihr Konto nicht begleichen, so wird das ein Verlust sein,
den wir verschmerzen. Wegen solcher Kleinigkeiten belästigt sich niemand
in Freiland mit dem Einnehmen und Ausgeben von Bargeld. Ebensowenig, als
Sie irgendwo hier bare Zahlung erhalten werden, ebensowenig wird irgend
jemand bare Zahlung von Ihnen verlangen.«

Ich dankte dem Mann für die Belehrung, unterfertigte die Rechnung und
verabschiedete mich.

Da es erst zwei Uhr nachmittags war und ich daher nicht erwarten konnte,
irgend eine Direktionskanzlei geöffnet zu finden, so suchte ich zunächst
eine der öffentlichen Bibliotheken auf. Es war das ein gewaltiges
Gebäude, in dessen Hofraum sich eine großartige Gartenanlage befindet,
nach welcher hin alle Leseräume münden. Man sitzt solcherart halb im
Freien, halb im gedeckten Raume, und an der großen Menschenmenge, welche
hier teils lesend, teils plaudernd versammelt war, ließ sich sofort
erkennen, daß die Freiländer ihre Bibliotheken mit Vorliebe als
öffentliche Versammlungsorte zum Gedankenaustausch und zu mannigfaltigen
Unterhaltungen benutzen. Auf der einen Seite des den Hofraum
einschließenden Rechtecks herrschte tiefe Stille, denn dort befinden
sich die Studiersäle für jenen Teil des Publikums, welcher nicht der
Unterhaltung, sondern der Belehrung wegen herkommt; im übrigen aber war
allenthalben in den luftigen hohen Sälen und in den bloß durch einen
Säulengang von diesen getrennten schattigen Gartenanlagen das
lebhafteste Treiben.

Ich erfragte den Saal, in welchem die technischen Fachschriften
aufliegen, und war bald in den mich zunächst interessierenden
Gegenstand, nämlich in die Vergleichung der letzten Erträgnisse der
verschiedenen Maschinenbauanstalten des Landes, vertieft. Dabei bemerkte
ich sofort, daß die Zeitschriften in ihren Artikeln sowohl die
Bedürfnisse der gelehrten technischen Fachwelt als die der
Arbeiterschaften berücksichtigen. Wer Lust und Verständnis dafür hat,
der kann, insbesondere wenn er das in den Ausweisen des statistischen
Centralamtes gebotene Urmaterial mit zu Rate zieht, sich über alles, was
auf dem Gebiete seines Produktionszweiges nur irgend vorgehen mag, bis
in die kleinste Einzelheit unterrichten. Oberster Grundsatz in Freiland
ist, daß jedermann, also auch jedes Institut, thun und lassen könne, was
ihm beliebt, daß aber die Öffentlichkeit über alles unterrichtet werden
müsse, was in der Produktion vorgeht. Die Gesellschaften sind daher
verpflichtet, ihre gesamte Buchhaltung öffentlich zu führen. Einkaufs-
und Verkaufspreise, Reingewinn und Arbeiterzahl müssen in bestimmten,
von der Centralstelle je nach deren Ermessen festgesetzten Zeiträumen
mitgeteilt werden, hierauf wird das einlangende Material gesichtet und
mit solcher Beschleunigung veröffentlicht, daß ich z. B. aus den mir
vorliegenden Tabellen ganz genau ersehen konnte, wie viel Stunden
während der abgelaufenen Woche von dem gesamten dort beschäftigten
Personale in jenem Institute gearbeitet worden war, auf welches der
Beamte des statistischen Centralamtes meine Aufmerksamkeit gelenkt
hatte, wie viel von diesen überhaupt geleisteten Arbeitsstunden auf die
Handlanger und auf die geschulten Arbeiter, wie viel auf das
Aufsichtspersonal und auf die Techniker entfielen und wie hoch sich der
auf jeden einzelnen entfallende Gewinnbetrag stelle. Täuschungen sind
ganz und gar ausgeschlossen, nicht bloß aus dem Grunde, weil jedermann
das Recht hat, in die Bücher jederzeit Einsicht zu nehmen, sondern weil
alle Ein- und Auszahlungen durch die Centralbank gehen, die mit dem
statistischen Amte in steter Verbindung steht, so daß die von diesem
letzteren geforderten Mitteilungen eigentlich mehr den Zweck haben, eine
doppelte Kontrolle der so überaus wichtigen, mit zu den Grundlagen der
freiländischen Arbeitsorganisation gehörigen Ausweisungen zu
ermöglichen.

Den statistischen Tabellen kann jeder Arbeitende auf den ersten Blick
entnehmen, wo für ihn momentan der höchste Verdienst zu finden sei.
Allerdings ist damit allein noch nicht alles gesagt, denn dieser höchste
Verdienst kann in Umständen begründet sein, die manchen abschrecken
mögen. Es kann z. B. das Leben in der betreffenden Gegend langweilig
oder die Gelegenheit zur Erziehung der Kinder mangelhafter sein als
anderwärts in Freiland; das genügt, um freiländische Arbeiter, die ja
nicht in Verlegenheit sind, ihre Arbeitskräfte auch unter angenehmen
Bedingungen hoch zu verwerten, davon abzuhalten, einer solchen
Arbeitsgelegenheit zuzuziehen, auch wenn dort bei gleicher Anstrengung
einige Hundert Mark im Jahre mehr zu erzielen wären. Aber es versteht
sich von selbst, daß auch darüber in den Ausweisungen Auskunft zu holen
ist, ja einzelne der Fachschriften gruppieren die verschiedenen
industriellen und landwirtschaftlichen Gewerke geradezu unter solchen
Gesichtspunkten und es ist mir z. B. eine Darstellung zu Gesicht
gekommen, in welcher eine Wellenlinie anzeigt, wie sich die an den
verschiedenen Orten zu erzielenden Gewinste zur Beschaffenheit und Nähe
der Theater verhalten. Daß in der That der Gipfelpunkt der Gewinnlinie
sich mit dem Tiefpunkte der Theaterlinie schneidet, d. h. daß momentan
in Freiland jene Arbeiter die höchsten Gewinne erzielen, welche keine
Gelegenheit haben, irgend ein Theater zu besuchen, erwähne ich bloß
nebenbei und will auch nicht untersuchen, ob das wirklich auf besondere
Schaulust der hiesigen Bevölkerung zurückschließen lasse, oder nicht
etwa ein bloßer Zufall sei.

Die Gewinnlinie, die mich persönlich interessierte, nämlich die für
Maschineningenieure, zeigte, wie mir bereits bekannt war, bei
jenem großen Institute, welches sich mit der Herstellung von
Eisenbahnbetriebsmitteln beschäftigt, eine Einsenkung. Da jedoch
dieselbe nicht sehr groß war, so entschloß ich mich, bei meiner
ursprünglichen Absicht zu beharren und dieser Gesellschaft
-- sie führt den Namen »Erste Edenthaler Maschinen- und
Transportmittel-Baugesellschaft« -- beizutreten. Drei Uhr war inzwischen
vorüber und ich konnte daher sofort zur Ausführung schreiten.



                           Sechstes Kapitel.

      Das Statut einer freiländischen Erwerbsgesellschaft und die
                            Arbeitserträge.


Die elektrische Bahn brachte mich in zehn Minuten vor den gewaltigen
Gebäudekomplex, welchen in einem der südlichen Vororte Edenthals die
»Erste Edenthaler Maschinen- und Transportmittel-Baugesellschaft«
einnimmt. Eine Orientierungstafel wies mir den Weg zum
Aufnahmebureau dieser Anstalt und kurze Zeit darauf stand ich vor dem
Vorstandsmitgliede, welches über die vorläufige Verwendung der sich
Anmeldenden zu entscheiden hat.

Nachdem ich meinen Wunsch vorgetragen, dem Ingenieurkorps der
Gesellschaft zugeteilt zu werden, fragte mich der Direktor zunächst, ob
ich über Zeugnisse oder sonstige Papiere verfügte, in denen meine
Befähigung nachgewiesen wäre. Ich habe zu diesem Behufe natürlich nichts
als die Zeugnisse der technischen Hochschule, doch diese sind
vorzüglich, und so erklärte mir denn der Direktor, nachdem er dieselben
sorgfältig geprüft, es sei gut, diese Papiere überhöben ihn der
Notwendigkeit, mich zuvor einer Prüfung unterziehen zu lassen, er wolle
mich sofort der Abteilung für Maschinenkonstruktion zuweisen. Zuvor
jedoch müsse ich Einsicht nehmen in die Statuten der Gesellschaft, da es
ja immerhin möglich sei, daß irgend ein Paragraph derselben meinen
Erwartungen nicht vollkommen entspreche. Dies könne sich natürlich -- so
fügte er hinzu -- nur auf bestimmte Einzelheiten der Gewinnverteilung
beziehen, denn in den Grundzügen glichen sich die Statuten aller
freiländischen Associationen. Ich möge das mir hiermit übergebene
Blättchen sorgfältig durchlesen und erst wenn mir dessen Inhalt
vollkommen zusage, meine Unterschrift unter dasselbe setzen.

»Wozu verpflichtet mich denn diese Unterschrift, wenn ich sie einmal
gegeben habe?« so fragte ich.

»Streng genommen, zu nichts oder doch zu so viel als nichts. Sie
erklären damit einfach Ihren Beitritt zu unserer Gesellschaft und sind
von da ab Mitglied derselben. Sie übernehmen zwar, wie Sie aus dem
Paragraph 6 ersehen werden, die Haftung für die Darlehen unserer
Anstalt, jedoch, wie derselbe Paragraph sagt, nur nach Maßgabe Ihrer
Gewinnbeteiligung, und da Sie am Gewinn nur nach Maßgabe Ihrer
geleisteten Arbeit teilnehmen, so haften Sie, so lange Sie nicht
gearbeitet haben, thatsächlich für nichts und auch später stets nur in
jenem Verhältnisse, in welchem Ihr aus unserm Institute bezogener
Gewinnanteil zur Gesamtsumme der seit Beginn der Schuldentstehung für
die Gesamtheit aller Mitglieder erwachsenen Gewinne sich stellt. Unsere
derzeit aushaftenden Verpflichtungen dem freiländischen Gemeinwesen
gegenüber belaufen sich insgesamt auf rund 2½ Millionen Pfund Sterling,
aber die Gewinne, welche unsere Mitglieder seit dem Bestehen dieser
Schulden bisher bezogen haben, summieren sich mit nahezu acht Millionen
Pfund Sterling und vermehren sich natürlich mit jedem Tage und mit jeder
Stunde des fortlaufenden Betriebs. Wenn Sie also, sagen wir
beispielsweise: nach Monatsfrist aus irgend einem Grunde austreten und
inzwischen 60 Pfund Sterling Gewinnanteil bezogen haben, so sind Sie --
im Momente Ihres Austrittes -- bis zur Höhe von 20 Pfund Sterling für
unsere Außenstände mitverhaftet und diese Ihre Haftung erlischt, auch
wenn Sie uns verlassen, erst dann vollständig, wenn unsere
Verpflichtungen, und zwar wohlverstanden jene unserer Verpflichtungen,
die während der Zeit Ihrer Mitgliedschaft entweder schon bestanden oder
neu eingegangen wurden, vollständig abgezahlt sind. Sollte, bevor dies
eingetreten ist, das Unternehmen aus irgend einem Grunde sich auflösen
müssen und aus dem Verkaufe der vorhandenen Maschinen und sonstigen für
die Schuld verhafteten Werte diese nicht volle Deckung finden, so würden
Sie, auch wenn Sie dann nichts mehr mit uns zu thun haben, doch zur
Tragung des auf Sie entfallenden Schadenanteils herangezogen werden.
Einige materielle Bedeutung hat also diese Unterschrift immerhin, auch
wenn Sie augenblicklich zu nichts verpflichtet, und die Gefahr möglicher
zukünftiger Opfer, welche Ihnen schlimmsten Falls auferlegt werden
könnten, eine sehr geringe ist. Doch es ist für alle Fälle notwendig,
vorher zu erwägen, was man unterschreibt, und ich wiederhole daher meine
Aufforderung, das in Ihren Händen befindliche Statutenexemplar bedächtig
durchzulesen.«

Ich muß gestehen, daß ich trotz dieser Aufklärung, ja gerade infolge
derselben die Empfindung einer wirklichen greifbaren Verantwortung, der
ich mich durch unmittelbares Unterschreiben der Statuten unterziehen
könnte, nicht im geringsten hatte. Da ich jedoch selbstverständlich
begierig war, den Inhalt eines freiländischen Gesellschaftsstatuts näher
kennen zu lernen, so leistete ich der an mich ergangenen Aufforderung
ohne weiteres Folge. Der Wortlaut des Statuts war der folgende:

1. Der Beitritt in die E. E. M. u. Tr.-Baugesellschaft steht jedermann
frei, gleichviel ob er zugleich Mitglied anderer Gesellschaften ist oder
nicht; auch kann jedermann die Gesellschaft jederzeit verlassen. Über
die Verwendung der Mitglieder entscheidet die Direktion.

2. Jedes Mitglied hat Anspruch auf einen, seiner Arbeitsleistung
entsprechenden Anteil am Nettoertrage der Gesellschaft.

3. Die Arbeitsleistung wird jedem Mitgliede im Verhältnis der
geleisteten Arbeitsstunden berechnet, mit der Maßgabe jedoch, daß
älteren Mitgliedern für jedes Jahr, um welches sie der Gesellschaft
länger angehören als die später Beigetretenen, ein Alterszuschlag von
zwei Prozent eingeräumt ist. Vormänner und Gießer erhalten einen
Zuschlag von zehn Prozent; ebenso wird Nachtarbeit um zehn Prozent höher
angerechnet.

4. Die Arbeitsleistung des technischen Personals wird mit einem Werte
von zehn bis fünfzehn Stunden täglich berechnet und ist es der Direktion
überlassen, innerhalb dieses Spielraumes den Gehalt jedes einzelnen
dieser Angestellten zu bemessen. Die Bezüge der Direktoren werden bei
Wahl derselben durch die Generalversammlung im Wege einer mit jedem
einzelnen derselben zu treffenden Vereinbarung einer bestimmten Anzahl
täglich geleisteter Arbeitsstunden gleichgesetzt.

5. Vom gesellschaftlichen Ertrage gelangen zunächst die
Kapitalrückzahlungen und nach diesen die Abgabe an das Gemeinwesen in
Abzug. Der verbleibende Rest wird an die Mitglieder verteilt.

6. Die Mitglieder haften für den Fall der Auflösung oder Liquidation der
Gesellschaft nach Maßgabe ihrer aus den gesellschaftlichen Erträgen
bezogenen Gewinnanteile für die kontrahierten Darlehen, welche Haftung
sich bezüglich der noch aushaftenden Beträge auch auf neueintretende
Mitglieder überträgt. Auch erlischt mit dem Austritte eines Mitgliedes
dessen Haftung für die schon kontrahiert gewesenen Darlehen nicht.
Dieser Haftbarkeit für die Schulden der Gesellschaft entspricht im Falle
der Auflösung, der Liquidation oder des Verkaufes der Anspruch der
haftenden Mitglieder an das vorhandene Vermögen oder die zum Verkaufe
gelangenden Bestandteile desselben.

7. Oberste Behörde der Gesellschaft ist die Generalversammlung, in
welcher jedes Mitglied das gleiche Stimmrecht und das gleiche aktive und
passive Wahlrecht ausübt. Die Generalversammlung faßt ihre Beschlüsse
mit einfacher Stimmenmehrheit; zu Statutenänderungen und zur Auflösung
und Liquidation der Gesellschaft ist dreiviertel Majorität erforderlich.

8. Die Generalversammlung übt ihre Rechte entweder direkt als solche,
oder durch ihre gewählten Funktionäre, die ihr jedoch für ihr Gebahren
verantwortlich sind.

9. Die Leitung der gesellschaftlichen Geschäfte ist einem Direktorium
von drei Mitgliedern übertragen, die von der Generalversammlung bis auf
Widerruf gewählt werden. Die untergeordneten Funktionäre der
Geschäftsleitung werden von den Direktoren ernannt.

10. Die Generalversammlung wählt jährlich einen aus fünf Mitgliedern
bestehenden Aufsichtsrat, der die Bücher, sowie das Gebahren der
Geschäftsleitung zu kontrollieren und darüber periodischen Bericht zu
erstatten hat.

Was mir in diesem Statut sofort auffiel, war der Mangel einer jeden
Bestimmung über das Vermögen der Gesellschaft. Da dieses Vermögen doch
offenbar aus jenen Anlagen besteht, die mit Hilfe des vom freiländischen
Gemeinwesen entlehnten Kapitals errichtet werden, und da es die
Mitglieder der Association sind, welche dieses Kapital aus den ihnen vom
Reineinkommen gemachten Abzügen bezahlen, so schien es mir das einzig
Gerechte, daß besagtes Vermögen den Mitgliedern gehören müsse, was ich
denn auch dem Direktor unverhohlen sagte.

»Sie irren,« war dessen Antwort. »Die Abzahlungen auf das
Associationskapital werden nicht von den Mitgliedern, sondern vom
konsumierenden Publikum geleistet. Es ist doch offenbar, daß der auf
jedes erzeugte Gut entfallende Bestandteil der Kapitalbenutzung in
dessen Preise Bezahlung finden muß. Geschähe es nicht, so würde den
Mitgliedern weniger als der dem durchschnittlichen Werte der Arbeit in
Freiland entsprechende Gewinn verbleiben und die selbstverständliche
Folge wäre, daß zahlreiche Arbeitskräfte das von einem solchen Zufalle
betroffene Institut verließen; dadurch würde sich das Angebot der
fraglichen Waren vermindern und die Preise müßten insolange steigen, bis
das Gleichgewicht der Arbeitserträge hergestellt wäre. Es ist das ja im
übrigen nichts Freiland allein eigentümliches; auch in der bürgerlichen
Welt da draußen wird der Amortisationsbetrag für die zur Herstellung
eines Gutes erforderlichen Maschinen, Werkzeuge und sonstigen
Einrichtungen in die Herstellungskosten eingerechnet, und der
Unterschied zwischen Freiland und der bürgerlichen Welt besteht in
diesem Punkte bloß darin, daß sich infolge der Freibeweglichkeit unserer
Arbeitskräfte und der durch diese so überaus erleichterten und
vervollkommneten Ausgleichung der Reinerträge aller Arbeit dieser Prozeß
hier viel pünktlicher und sicherer vollzieht als draußen. Diese
Überwälzung der Kapitalabzahlung auf die Konsumenten kann nur dann nicht
stattfinden, wenn eine Association schlechte, überflüssige Maschinen
angeschafft hat, die zur Herstellung der von ihr fabrizierten Güter und
zur Deckung des Bedarfes nach denselben nicht oder nicht in dieser Weise
notwendig sind. Derartige Maschinen amortisiert das Publikum allerdings
nicht, die Mitglieder müssen dies thun, d. h. sie sehen durch die
Kapitalabzahlung ihren Gewinnanteil unter den Vollwert von Arbeitskraft
sinken. Aber derartige Maschinen sind gerade infolge dessen unbrauchbar,
sie müssen verkauft werden, und sofern das geschieht und die Haftbarkeit
der Mitglieder für den erwachsenen Schaden nun wirklich ins Leben tritt,
übergehen sie ja, wie Paragraph 6 sagt, in ihr Vermögen, d. h. der beim
Verkaufe erzielte Erlös wird ihnen in Anrechnung gebracht. So lange aber
das Kapital, d. h. das Vermögen einer Gesellschaft _arbeitend_ thätig
ist, kann und soll es im Sinne unserer Einrichtungen niemand gehören,
sondern jedermann zu beliebiger, seinen Fähigkeiten entsprechender
Benutzung verfügbar sein.«

Ich war über diesen Punkt zufriedengestellt und ging nun zur Erörterung
jener Bestimmung unserer Statuten über, die mein persönliches Interesse
unmittelbar berührt.

»Ich setze voraus« -- erklärte ich -- »daß Sie mich als Neuling zunächst
in die unterste Gehaltsstufe des Ingenieurcorps einreihen werden; meine
Tagesarbeit wird also der zehnstündigen Arbeit eines gewöhnlichen
Arbeiters gleichgesetzt sein. Den statistischen Ausweisungen zufolge, in
welche ich bereits Einsicht genommen, sind auf die Stunde gewöhnlicher
Arbeit hier in der letzten Zeit durchschnittlich fünf Mark entfallen,
ich würde sohin bis auf weiteres fünfzig Mark täglich beziehen. In
welcher Form und in welchen Zeitabschnitten -- täglich, wöchentlich oder
monatlich -- wird mir nun mein Gehalt ausgezahlt? Daß man hier kein
Baargeld zu zahlen pflegt, weiß ich bereits; erhalte ich vielleicht von
der Kasse des Institutes Anweisungen auf die freiländische Centralbank?«

»Wir haben keine Kasse und Sie erhalten von uns mit Bezug auf Ihren
Gehalt gar nichts. Alles, was wir mit den Zahlungsangelegenheiten zu
thun haben, beschränkt sich darauf, daß wir die Centralbank pünktlich --
und zwar geschieht dies Woche für Woche -- von der Arbeitsleistung aller
unserer Mitglieder verständigen. Dort wird Ihnen dann der auf Sie
entfallende Ertrag gutgeschrieben; ebenso werden alle Ihre Ausgaben von
den Geschäften, bei denen Sie Ihre Bedürfnisse beziehen, der Centralbank
mitgeteilt. Diese führt Buch über Ihr Konto und sendet Ihnen Woche für
Woche einen Auszug.«

»Und wie steht es um das zeitliche Ausmaß der von mir zu leistenden
Arbeit? Es werden mir zehn, später vielleicht mehr Stundenwerte
angerechnet; wie lange habe ich thatsächlich zu arbeiten?«

»Sechs Stunden täglich, von neun bis zwölf Uhr vormittags und von drei
bis sechs Uhr nachmittags. Sonntags wird gefeiert und außerdem haben wir
fünfzehn verschiedene Festtage. Durch zwei Monate genießen Sie, wie
jeder Freiländer, alljährlich Ferien, über deren Zeitpunkt Sie sich mit
Ihren Kollegen ins Einvernehmen zu setzen haben. Es besteht kein Zwang
zur Einhaltung der Ferien, denn da nicht alles gleichzeitig, sondern in
vereinbarter Reihenfolge Urlaub nimmt, so kann derjenige, der kein
Bedürfnis oder keine Lust zum Feiern hat, ruhig weiter arbeiten.
Natürlich ist in der Ferialzeit auch der Verdienst unterbrochen; Zahlung
wird, sofern man nicht Versorgungsrecht genießt, hierzulande nur für
wirklich verrichtete Arbeit geleistet.«

»Würden Sie es mir wohl nicht als Unbescheidenheit auslegen,« so fuhr
ich nun fort, »wenn ich Sie frage, nach welchen Grundsätzen Ihr und der
anderen Vorstandsmitglieder Gehalt festgestellt wird? Giebt es dafür
bestimmte Regeln oder hängt es von Ihnen ab, was Sie fordern?«

»Das Fordern hängt, was meinen Gehalt anbelangt, durchaus von mir, und
was den Gehalt meiner Kollegen betrifft, von diesen ab; aber das
Bewilligen ist Sache der Generalversammlung.«

»Und ist nicht gerade in diesem Punkte Ihre Abhängigkeit von denjenigen,
denen Sie vorstehen sollen, mit gewissen Unzukömmlichkeiten verknüpft?
Leidet die Disciplin nicht darunter?«

»Wie das? Die Generalversammlung bewilligte mir ja meinen Bezug -- er
beträgt fünfundzwanzig Stundenwerte täglich -- nicht nach Laune und
Gunst, sondern nach Notwendigkeit, d. h. nach demjenigen, was die
Genossen für notwendig und nützlich in ihrem eigenen Interesse
erachteten. Ich erhalte so viel, als die Mitglieder unserer Association
bezahlen müssen, um einen Mann an ihre Spitze zu bekommen, wie sie ihn
brauchen. Es ist ja möglich, daß sie sich über meine Befähigung nach der
einen oder nach der andern Seite in einem Irrtume befinden, mich
überschätzen oder vielleicht nicht hoch genug schätzen; aber von dieser
ihrer Meinung über das Ausmaß meiner Geschicklichkeit und nicht von
ihrer Gunst hänge ich ab. Die Direktorengehalte richten sich, wie alle
wirtschaftlichen Angelegenheiten Freilands, ausschließlich nach dem
Gesetze von Angebot und Nachfrage. Glauben Sie denn, daß _Ihre_ Bezüge
deshalb ungefähr zweifach so hoch als die eines gewöhnlichen Arbeiters
bemessen werden, weil es irgend jemandes Absicht ist, Ihnen mehr
zuzuwenden als jenem? Erhielten wir Leute von Ihrer Befähigung zum
selben Preise wie gewöhnliche Arbeiter, so müßten und würden Sie sich
mit demselben Gewinn zufrieden geben. Ihre Kraft ist die seltenere, d.
h. wohlverstanden trotz des geringeren Bedarfes nach solcher Kraft noch
immer verhältnismäßig die seltenere und deshalb wird Ihnen gezahlt, was
gezahlt werden muß. Genau das nämliche gilt für mich. Wenn Männer meiner
Erfahrung und Geschäftskenntnis um denselben Preis zu haben wären wie
gewöhnliche Handlanger, so müßte ich mich mit dem Gewinn eines
Handlangers zufrieden geben.«

»Sie würden aber« -- so meinte ich nun -- »auch in diesem Falle
vorziehen, die Direktionsgeschäfte zu leiten, statt gewöhnliche
Handlangerdienste zu verrichten; ebenso würde ich meinen Beruf
demjenigen eines Handarbeiters vorziehen, auch wenn dabei nicht der
geringste materielle Mehrgewinn für mich heraussähe, und ich glaube
deshalb, daß es sehr wohl möglich wäre, alle Unterschiede des Einkommens
zu beseitigen, wenn nur grundgesetzlich bestimmt würde, daß mit Bezug
auf die Gewinnbeteiligung niemand vor dem andern etwas voraus haben
dürfe.«

»Letzteres ist vor allem unrichtig,« antwortete der Direktor. »Damit
hätten Sie bloß die verschiedenen Fähigkeiten, nicht aber die
verschiedenen Grade des Fleißes auf denselben Gewinn gesetzt. Oder
halten Sie es vielleicht auch für notwendig, den Faulen und den
Fleißigen gleich zu bedenken? Wollen Sie etwa damit helfen, daß Sie den
Ertrag mechanisch nach der bloßen Dauer der Arbeit bemessen? Wer würde
dann ohne Zwang die schwereren, unangenehmeren Arbeiten leisten? Oder
ziehen Sie solchen Zwang der Ungleichheit vor? Sie schütteln den Kopf;
warum wollen Sie dann den Klugen und den Einfältigen zwangsweise auf
dieselbe Stufe stellen? Aber zugegeben selbst, daß dies gerecht wäre, so
ist es doch nicht möglich, zum mindesten nicht möglich, ohne den
Wohlstand aller in einer solchen Weise zu schädigen, daß auch die
Ungeschickten bei aller Gleichheit um vieles schlechter führen als bei
der thatsächlich herrschenden Ungleichheit. Ich bemerke vor allem, daß
es durchaus nicht so ausgemacht ist, daß sich alle Geschickten um
verantwortliche Stellungen sonderlich lebhaft bewerben würden, wenn
dabei nichts zu erlangen wäre, denn eine Schande ist bei uns auch
ordinäre Handarbeit nicht. Jedenfalls ist der dem Geschickteren
eingeräumte höhere materielle Vorteil das sicherste Mittel, ihn an jene
Stelle zu setzen, wo er den größten Nutzen stiften kann. Es giebt ja
schließlich auch verschiedenartige Ehrenstellen, und ich weiß z. B. für
meinen Teil wirklich nicht, ob mir eine Lehrkanzel an unserer
technischen Hochschule nicht lieber wäre als diese meine Direktorstelle.
Es scheint aber, daß mein Organisationstalent hier zu besserer
Verwertung kommt als dort der Fall wäre, und der höhere Gewinn, den mir
unsere Association zugesichert hat, ist das einzige Mittel, um mich in
dieser Stellung, wo ich nützlich bin, festzuhalten.

»Dem allen sei jedoch wie immer: zwangsweise herbeigeführte Gleichheit
widerspricht jedenfalls dem Grundsatze der Freiheit. Mit welchem Rechte
soll die Gesamtheit verbieten, daß eine Vereinigung freier Männer die
Ergebnisse ihrer Arbeit solcherart untereinander teile, wie sie es ihrem
Interesse am besten entsprechend erachtet, wenn sie nur dabei niemandes
Recht kränkt? Meine Genossen finden ihren Vorteil darin, daß gerade ich
an ihrer Spitze stehe; wer darf sie hindern, dafür, daß ich ihren
Vorteil wahrnehme, auch ihrerseits mir einen Vorteil einzuräumen?«

Da es meinem freundlichen Chef sichtlich Vergnügen zu machen schien,
meine Zweifel zu zerstreuen, so nahm ich mir den Mut, noch eine Frage an
ihn zu richten.

»Daß auch zwischen den Leistungen der gewöhnlichen Arbeiter Unterschiede
gemacht werden, ist mir nach dem soeben Gehörten vollständig
begreiflich, und über die Zuschläge für Vormänner und Gießer, die
entweder anstrengendere oder schwierigere Verrichtungen haben mögen als
die anderen, ist nichts weiter zu bemerken. Ebenso leuchtet mir ein, daß
Nachtarbeit höher honoriert werden muß, sofern man überhaupt ihrer
bedarf, da sich ja andernfalls niemand zu ihr herbeiließe; aber in dem
Alterszuschlage, so gerechtfertigt derselbe auch sein mag, scheint mir
eine Gefahr zu liegen. Da die Statuten, wie mir bekannt ist, in den
Generalversammlungen gemacht werden, so liegt es in der Hand jeder
Arbeiterschaft, dadurch, daß sie diese Alterszuschläge recht hoch
feststellt, den Zuzug neuer Arbeitskräfte zu erschweren. In unserem
Statut sind zwei Prozent für das Jahr angesetzt; das ist jedenfalls
gerechtfertigt, denn um mindestens zwei Prozent wächst von Jahr zu Jahr
die Geschicklichkeit und Erfahrung eines Arbeiters; ein Mann, der
fünfundzwanzig Jahre bei uns thätig war, erhält zwar solcherart um
fünfzig Prozent mehr als der an seiner Seite arbeitende Neuling, aber es
unterliegt keiner Frage, er leistet auch entsprechend mehr. Wie aber,
wenn es etwa unseren Arbeitern plötzlich beifiele, den Alterszuschlag
von zwei auf fünf, vielleicht auf zehn Prozent oder darüber jährlich
festzusetzen? Dann bekäme ein Mann, der zehn Jahre hier ist, zweimal so
viel, und wenn er zwanzig Jahre hier ist, dreimal so viel als ein
Neuling von im übrigen gleicher Fähigkeit. Und das würde meines
Erachtens dieselbe Wirkung haben, als ob sich unsere Arbeiter gegen
jeden neuen Zuzug abschlössen. Wer hindert unsere selbstherrlichen
Arbeiter an solchen Beschlüssen?«

»Niemand,« war die Antwort. »Es wäre ganz gut denkbar, daß in einer
unserer nächsten Generalversammlungen ein solcher Beschluß gefaßt wird;
doch verlassen können Sie sich darauf, daß er nicht lange in
Kraft bestehen würde, denn so gut eine morgen einzuberufende
Generalversammlung beschließen kann, daß der Alterszuschlag zehn Prozent
für das Jahr zu betragen habe, ebensogut kann eine übermorgen
einberufene Generalversammlung diesen Beschluß wieder umstoßen und Sie
können leicht erraten, was für eine Majorität es wäre, die diesen
Widerruf beschlösse. Die freiländische Freizügigkeit bietet Schutz auch
gegen derartige Ausschreitungen des fessellosen Eigeninteresses. Im
übrigen liegt es sogar im Interesse der älteren Arbeiter selbst, den
Alterszuschlag nicht so hoch zu bemessen, daß dadurch der Zufluß neuer
Arbeitskräfte unterbunden werde. Der Alterszuschlag hat doch nur dann
überhaupt Sinn und Bedeutung, wenn er denjenigen, die ihn genießen,
einen Vorzug vor anderen einräumt, die seiner noch nicht oder nicht im
selben Maße teilhaftig sind. Nehmen wir an, daß eine Million unter
tausend Genossen zu verteilen ist, so bleibt es sich für dieselben ganz
gleich, ob sie bestimmen, daß jeder _eine_ Einheit erhalten solle, oder
ob sie sich ein jeder zwei Einheiten zu diktieren. Im erstern Falle wird
die Einheit tausend, im zweiten fünfhundert sein. Erst wenn mit dem
Hinzutritt neuer Genossen die zu verteilende Summe entsprechend
gewachsen ist, hat es einen Sinn, wenn den älteren Teilnehmern ein
Vorzug eingeräumt wird. Die alten Arbeiterschaften sehen also schon im
eigenen Interesse darauf, bei der Bemessung ihrer Vorzugsrechte gegen
das, was im Sinne der öffentlichen Meinung für recht und billig gilt,
nicht zu verstoßen.«

»Doch nun ist's genug geplaudert. Ich will Sie jetzt Ihrem zukünftigen
Bureauvorstande vorstellen und Sie können dann, wenn es Ihnen paßt,
morgen schon Ihre Arbeiten beginnen.« Damit erhob sich mein freundlicher
Chef und lud mich mit einer Handbewegung ein, ihm zu folgen.



                           Siebentes Kapitel.

      Warum Freiland so viel Maschinen verwendet und woher es sie
                                 nimmt.


Wir durchschritten eine Reihe von Korridoren und betraten endlich das
Arbeitskabinett des Oberingenieurs der Anstalt. Derselbe machte auf mich
den Eindruck eines Menschen, mit dem ich vor kurzem noch vertrauten
Umgang gepflogen haben mußte; doch paßte der Bart und das äußere Wesen
nicht ganz zu meinen Erinnerungen, so daß ich nicht recht wußte, wo ich
den Mann unterbringen solle. Er aber erkannte mich sofort, und mich mit
einem Freudenrufe in die Arme schließend, erklärte er dem Direktor: »Das
ist derselbe Robert N., von dem ich Ihnen schon wiederholt erzählte, daß
sein Enthusiasmus es gewesen, was zuerst in mir die Begeisterung für die
sociale Freiheit erweckte und was mich schließlich hierherbrachte. Es
sind jetzt vier Jahre her, daß wir auf der Polytechnik voneinander
Abschied nahmen; er hat sich gar nicht verändert, aber ich bin
inzwischen wohl stark verfreiländert, so daß er mich nicht sofort
erkannte.«

Der Direktor, der seine fernere Anwesenheit für überflüssig hielt, nahm
mit einigen herzlichen Worten bald Abschied. Ich blieb mit meinem
Freunde allein. »Schon seit langem« -- so wandte er sich an mich --
»habe ich dich erwartet. Daß du kommen würdest, war mir unzweifelhaft,
und regelmäßig durchforschte ich die von unserm statistischen Amte
veröffentlichten alphabetisch sowohl als nach Berufen und Ursprungsorten
geordneten Listen der Einwanderer. Dein Absteigequartier wirst du
natürlich sofort verlassen und bis auf weiteres unser Gast sein. Du mußt
nämlich wissen, daß ich seit zwei Jahren verheiratet bin. Über meine
Frau erzähle ich dir nichts, du wirst sie sehen. Jetzt aber laß uns hier
unsere Geschäfte erledigen und dann so rasch als möglich heim zu meiner
Wera, die längst begierig ist, dich kennen zu lernen. Also zunächst
Vorstellung bei den Kollegen, dann kurze Besichtigung der Werkstätten.
Doch halt; beinahe hätte ich vergessen, dein Reisegepäck aus dem Hotel
in unsere Wohnung schaffen zu lassen. Dein Hotel ist?« --

Ich nannte den Namen und hörte, wie mein Freund -- wir wollen ihn mit
seinem Taufnamen Karl nennen -- der Edenthaler Transportgesellschaft
telephonisch den Auftrag gab, den fraglichen Umzug zu bewerkstelligen.
Dagegen Einsprache zu erheben, hätte ich angesichts des Umstandes, daß
wir einst die innigsten Freunde gewesen und daß diese Freundschaft in
der Zwischenzeit nicht erkaltet zu sein schien, für überflüssige
Ziererei gehalten.

Über den Empfang, der mir von meinen nunmehrigen Kollegen zu teil wurde,
will ich mich nicht weiter verbreiten, sondern nur bemerken, daß mich
dessen ausnehmende und sichtlich aufrichtig gemeinte Herzlichkeit sehr
angenehm überraschte. Auf eine Bemerkung, die ich diesfalls Karl
gegenüber machte, nahm er mich lächelnd bei der Schulter und meinte:
»Ja, Herzbruder, wir sind eben in Freiland. Warum sollten sich die
Jungens nicht freuen, einen Kollegen zu erhalten, dem man's am Gesichte
absieht, daß er ein prächtiger Mensch ist? Braucht sich hier einer zu
fürchten, daß ihm deinetwegen der Brotkorb höher gehängt wird? Brauchen
sie in dir ein Protektionskind zu wittern, das ihnen den Rang abläuft?
Kann ja sein, daß der eine oder der andere sich sagt: >Der sieht mir
ganz danach aus, als ob er's weiter bringen würde als ich.< Aber was
schadet das ihnen? Je tüchtiger du bist, desto besser für uns alle. Hier
wirst du niemand zum Feinde haben, es sei denn, daß du ihm wirklich
etwas zuleide thust, wozu aber wieder für dich kein Anlaß vorliegen
wird.«

Was mich in den Werkstätten, die wir hierauf betraten, mit staunender
Bewunderung erfüllte, das war weniger ihre Großartigkeit an sich als die
Vollendung der maschinellen Einrichtungen in Verbindung mit geradezu
raffinierter Vorsorge für Bequemlichkeit, Gesundheit und Sicherheit der
Arbeitenden. Gleich große Gewerke giebt es vereinzelt auch in Europa,
aber es giebt außerhalb Freilands keines, in welchem die Maschinenkraft
so durchgängig die menschliche Kraft steigert und ersetzt. Die Apparate,
die ich hier sah, verhielten sich zu den besten, die ich bis dahin
kennen gelernt, ungefähr ähnlich wie diese zu der Einrichtung einer
gewöhnlichen Maschinenschlosserei. Der Mensch war hier in Wahrheit nur
der Aufseher, welcher die Arbeit der Elemente überwachte und leitete.

Auf eine Bemerkung, die ich diesfalls Karl gegenüber machte, meinte er:
»Das ist ja ganz natürlich; derart vollkommene Maschinen kann es in
Europa gar nicht geben, weil sie dort unrentabel wären, genau aus dem
nämlichen Grunde, der z. B. ein englisches oder französisches
Etablissement in China unrentabel machen würde. Was sind denn Maschinen?
_Ergebnisse_ vergangener Arbeit, mit deren Hilfe gegenwärtige und
zukünftige Arbeit erspart werden soll. Nun besteht in Europa zwischen
dem Werte des Arbeitsergebnisses und demjenigen der Arbeitskraft ein
bedeutender Unterschied, denn die gegenwärtige und zukünftige Arbeit,
welche durch die Maschine erspart werden soll, erhält bloß nackten
Arbeits_lohn_, während an der Maschine, dem Ergebnisse vergangener
Arbeit, außer dem zu ihrer Herstellung erforderlich gewesenen
Arbeitslohne auch noch Unternehmergewinn, Grundrente und Kapitalzins
haften. Bei uns existiert dieser Unterschied nicht, hier hat der
Arbeitstag, den ich erspare, für mich genau den nämlichen Wert wie der
Arbeitstag, den die Maschine zu ihrer Herstellung beanspruchte, denn
beide sind so viel wert, wie das durch sie hergestellte Erzeugnis, und
für mich rentiert sich daher die Verwendung jeder Maschine, die
überhaupt technisch brauchbar ist, d. h. die mehr menschliche
Arbeitskraft erspart, als sie zu ihrer Herstellung selber in Anspruch
nimmt, während in Europa bloß jene verhältnismäßig wenigen Maschinen
rentabel sind, die so viel mehr Arbeit ersparen, daß durch dieses Mehr
der Unterschied im Werte zukünftiger und vergangener, bereits in
Warenform krystallisierter Arbeit aufgewogen wird. Sieh z. B. hier diese
Wägemaschine! Sie kostet 12000 Pfund Sterling und muß binnen zehn Jahren
amortisiert sein, sie beansprucht also jährlich 1200 Pfund Sterling;
aber sie ersetzt die Arbeit von zehn Menschen und ist daher für uns hoch
rentabel, denn zehn Freiländer -- und wären es auch bloß ganz
gewöhnliche Handlanger -- beanspruchen per Mann mindestens 350 Pfund,
zusammen also 3500 Pfund Sterling im Jahr, die Maschine erspart uns
folglich reine 2300 Pfund jährlich. Unsere Konkurrenzinstitute in Europa
hingegen können diese Maschine nicht verwenden; sie würden zu Grunde
gehen, wenn sie es thäten; denn sie können unmöglich 1200 Pfund Sterling
jährlich aufwenden, um zehn europäische Jahreslöhne zu ersparen,
sintemalen diese zehn Jahreslöhne nach europäischem Zuschnitt, hoch
gerechnet, 600 bis 700 Pfund Sterling jährlich beanspruchen und es doch
nicht angeht, 1200 Pfund aufzuwenden, um 600-700 Pfund zu ersparen. In
China ist es natürlich noch ärger; dort kann man, um zehn Arbeiter zu
ersparen, nicht einmal 60-70 Pfund im Jahre aufwenden, denn dort
betragen zehn Jahreslöhne nicht einmal 60-70 Pfund Sterling.«

Daß das den Thatsachen vollkommen entspräche, mußte ich zugeben, wie
denn überhaupt erst dieser Gesichtspunkt erklärt, warum gerade die
Länder mit den miserabelsten Arbeitslöhnen in der großen
Fabriksindustrie die geringste Konkurrenzfähigkeit besitzen. Es ist also
einleuchtend, daß das Gesetz, welches mir hier mein Freund entwickelte,
richtig sein muß. Aber ich glaubte doch, behufs vollständiger
Klarstellung des Sachverhalts, die Einwendung machen zu dürfen, wie mir
scheine, daß die Länder mit höherem Arbeitslohne die Maschinen teuerer
in Händen haben müßten als diejenigen mit billigem Arbeitslohne. Die
Maschine, so meinte ich, ist doch selber das Ergebnis menschlicher
Arbeitskraft, und wo die Arbeitskraft hohe Entlohnung findet, dort muß
das, was durch sie hervorgebracht wird, eben teuerer sein.

»Das Gegenteil ist richtig,« erklärte Karl. »Zunächst bitte ich dich zu
bedenken, daß, wie ich bereits hervorgehoben habe, am Preise der
Maschine in Europa außer dem Arbeitslohn auch noch Grundrente,
Kapitalzins und Unternehmergewinn haften; du mußt dem Eigentümer des
Bodens, auf welchem das Erz und die Kohle geschürft, das Holz geschlagen
wurde, für die hierzu erteilte Erlaubnis Rente zahlen, du mußt dem
Kapitalisten das zur Herstellung der Maschine erforderlich gewesene
Kapital verzinsen und außerdem selber Zins bezahlen oder dir selber Zins
anrechnen für das in die Maschine gesteckte Kapital, und schließlich
will auch der Unternehmer, der sogenannte Arbeitgeber, in Europa seinen
Gewinn haben. Diese verschiedenen Zuschläge zum Arbeitslohn sind
_verhältnismäßig_ desto größer, je geringer der letztere ist, und das
erklärt, warum die Erzeugnisse von Ländern mit billigem Arbeitslohne im
Durchschnitt doch nicht billiger sind als diejenigen der Länder mit
hohem Arbeitslohne; der Wert des Produktes ist in beiden derselbe, aber
dieser Wert wird nach anderem Verhältnisse zwischen den Arbeitern und
den Ausbeutern geteilt, die letzteren erhalten mehr, wo die ersteren mit
wenigerem zufrieden sind ...«

»Also glaubst du« -- unterbrach ich hier den Freund -- »daß die
besitzenden Klassen in den Ländern, wo mäßiger Arbeitslohn herrscht,
besser daran sind als dort, wo der Arbeitslohn hoch ist? Das scheint mir
den Thatsachen zu widersprechen, denn in China z. B. sind auch die
Besitzenden ärmer als in England.«

»Richtig,« antwortete Karl. »Und das erklärt sich daraus, daß in England
viel mehr produziert wird als in China. Vom einzelnen Stücke derselben
Ware haben freilich Grundrentner, Kapitalisten und Unternehmer in China
mehr als in England, aber auf _ein_ Stück, welches sie erzeugen und
absetzen können, kommen in England zehn, was gleichfalls
selbstverständlich ist, wenn man sich nur daran erinnert, daß zehnfach
besser bezahlte Arbeiter zehnfach mehr konsumieren und daß zehnfacher
Konsum zehnfache Produktion voraussetzt. Und deshalb, weil sie einen
zwar verhältnismäßig geringeren Gewinnanteil, diesen aber von einer so
vielfach größeren Menge von Gütern erzielen, sind die Besitzenden
in England reicher als in China, abermals nichts mehr als
selbstverständlich, wenn man erwägt, daß aller Besitz der Besitzenden
der Hauptsache nach aus dem Eigentum an den Produktionsmitteln besteht
und daß dort, wo die Massen mehr konsumieren, die Reichen
notwendigerweise mehr Produktionsmittel besitzen.

»Doch lasse mich fortfahren, wo du mich unterbrachst. Bei uns in
Freiland giebt es überhaupt keine besitzende Klasse, die davon lebt, was
sie den Arbeitenden vom Vollertrage ihrer Arbeit vorenthält, und hier
braucht deshalb der Preis der verfertigten Güter erst recht nicht höher
zu sein. Aber was mehr ist, er kann in der Regel sogar niedriger sein,
und trotzdem entfällt auf unsere Arbeitenden nicht bloß soviel, wie auf
die Arbeitenden und die Besitzenden zusammengenommen in Europa, sondern
noch wesentlich mehr. Denn genau das nämliche, was von den Dingen gilt,
die wir mit Hilfe dieser Maschine hier herstellen, daß wir nämlich zu
ihrer Erzeugung viel mehr und vollkommenere Maschinenkraft aufwenden
können, als in Europa möglich ist, genau das nämliche gilt ja auch bei
Herstellung dieser Maschine selbst; auch sie wurde hier hergestellt
unter Aufwendung von weit mehr und vollkommenerer Maschinenkraft, als in
Europa möglich gewesen wäre. Wie ich dir gesagt habe, kostet diese
Maschine 12000 Pfund Sterling; sie wurde vor zwei Jahren gekauft und zu
jener Zeit war der durchschnittliche Jahreslohn eines freiländischen
Arbeiters 300 Pfund Sterling. Sie mitsamt den zu ihrer Herstellung
erforderlich gewesenen Rohmaterialien und Betriebsmitteln ist also das
Jahresprodukt von vierzig freiländischen Arbeitern gewesen. In Europa
hätte man nun wesentlich größeren Arbeitsaufwand zu selbem Zwecke
notwendig gehabt, und du siehst also, daß diese Maschine hier billiger
verkauft werden kann als in Europa, auch wenn die dabei beschäftigten
Arbeiter ein Vielfaches dessen bezögen, was in Europa Arbeiter,
Grundrentner, Kapitalisten und Unternehmer zusammengenommen erhalten.
Wir erzeugen im Durchschnitt viel wohlfeiler als Europa, aber wir
erzeugen unendlich mehr, und alles, was wir erzeugen, gehört uns, den
Arbeitern.«

Nachdem wir eine Reihe von Werkstätten durchschritten hatten, forderte
mich mein Freund auf, die Anstalt nicht durch den Haupteingang, sondern
von rückwärts zu verlassen, da er unterwegs nachsehen wolle, ob bei den
dort im Zuge befindlichen Erweiterungs- und Neubauten alle seine
Anordnungen pünktlich befolgt würden.

»Wir sind nämlich im Begriffe,« fügte er erläuternd hinzu, »unsere
Anlagen wesentlich zu erweitern.«

Auf der Baustätte angelangt, erregten die mannigfaltigen, in Europa ganz
ungebräuchlichen maschinellen Hilfsvorrichtungen, die ich hier
allenthalben von Maurern und Steinmetzen verwendet sah, mein Erstaunen.
Auf elektrischen Bahnen wurden die Ziegel herbeigerollt, durch
bewegliche elektrische Krahne unmittelbar aus den Waggons in die
verschiedenen Stockwerke gehoben und dort durch automatisch bediente
Paternosterwerke den Arbeitern zugeführt, so daß diese im Grunde
genommen die Maschinen bloß zu beaufsichtigen hatten, während der Bau
der Hauptsache nach von diesen vollführt wurde. Zugleich aber fiel mir
die Großartigkeit der Neuanlagen auf. »Da stecken wir aber ein schönes
Geld hinein,« interpellierte ich Karl, »und das alles liefert das
Gemeinwesen; von wo dieses die erforderlichen Summen nur nehmen mag?«

»Aus dem Ertrage unserer Abgaben, lieber Freund. Im Vorjahre haben
650000 freiländische Arbeiter Güter im Werte von rund 360 Millionen
Pfund Sterling produziert und davon hat das Gemeinwesen nicht weniger
als 125 Millionen Pfund Sterling für seine Zwecke zurückbehalten.
Außerdem haben die Associationen als Abzahlung auf die in früheren
Jahren empfangenen Darlehen ungefähr zwanzig Millionen Pfund Sterling
geleistet, so daß alles in allem 145 Millionen in die Kassen unseres
Staates flossen. Natürlich kann nur ein Teil dieser Summe für Neuanlagen
verfügbar sein, da doch das Gemeinwesen auch seine eigenen Aufgaben zu
erfüllen hat; aber du begreifst, daß sich aus solchen Beträgen schon
etwas leisten läßt.«

»Allerdings,« entgegnete ich. »Aber da, wie ich weiß, jeder Association
das Recht zusteht, zu verlangen, was sie nur immer will, ist mir doch
nicht klar, wie selbst mit solchen Riesensummen das Auslangen gefunden
wird, denn die Wünsche sind ja grenzenlos und alle Einkünfte haben denn
doch eine, wenn auch noch so weit gesteckte Grenze.«

»Jawohl,« antwortete Karl, »die Wünsche sind grenzenlos, aber nur dann,
wenn man seine Wünsche nicht zu bezahlen braucht. Wir bekommen ja die
Kapitalien nicht geschenkt, sondern nur vorgestreckt, zwar zinslos
vorgestreckt, aber doch gegen Rückzahlung.«

»So leicht bringst du mich nicht zum Schweigen,« entgegnete ich. »Ihr
werdet, da ihr es abzahlen müßt, gewiß kein Kapital zu unvernünftigen
Zwecken, wenigstens nicht absichtlich, verlangen; aber jede Maschine,
die menschliche Arbeitskraft erspart, ist doch, wie du mir soeben
auseinandergesetzt hast, hierzulande rentabel, und wenn ich daher
fordern kann, so viel ich will, mache ich mich anheischig, die 2900
Millionen Mark eueres derzeitigen Jahresbudgets für ein einziges großes
Institut zu verbrauchen.«

»Das möchtest du wohl bleiben lassen, lieber Freund,« lachte Karl. »Du
vergißt die Kleinigkeit, daß Anlagen und Maschinen, um rentabel zu sein,
nicht bloß Arbeitskraft ersparen müssen, sondern daß sich auch
Verwendung für die durch sie erzielten Produkte finden muß. Würdest du
diesen Neubau da befürworten, wenn du nicht darauf rechnen dürftest, daß
die Waren, die du in ihm erzeugen willst, sich verkaufen lassen? Frage
doch die Millionäre und Milliardäre in Europa und Amerika, ob sie alles
bauen können, wozu sie Kapital haben, und du wirst die Antwort erhalten,
daß ihnen das ganz und gar unmöglich sei, weil sie sich in ihren Anlagen
nach dem Absatze richten müssen. Nun wissen die Wackeren seltsamerweise
allerdings noch immer nicht, daß ihr Absatz bloß deshalb so
jämmerlich gering ist und bleiben muß -- so lange die bürgerliche
Wirtschaftsordnung nicht über den Haufen geworfen ist -- weil die
proletarischen Massen der bürgerlichen Welt von steigender Ergiebigkeit
keinen Vorteil haben, also ihren Konsum, d. h. ihre Kaufkraft nicht
erhöhen können. Bei uns wächst die Kaufkraft schritthaltend mit jeder
Verbesserung der Produktion, aber deshalb ist es auch bei uns nicht
minder richtig, daß die Produktion nur schritthaltend mit dem Verbrauche
wachsen kann, d. h. daß Anlagen, für deren Ergebnisse die Abnehmer nicht
gegeben sind, ein Unsinn wären. Ja, was mehr ist, bei uns ist diese
Harmonie zwischen Wachstum des Absatzes und der Produktion eine noch
viel vollkommenere als in der bürgerlichen Welt. Denn dort lassen sich
die Unternehmer, gerade weil sie nicht wissen, was sie mit ihrem
Kapitale anfangen sollen, häufig doch zu Anlagen verleiten, die niemand
braucht, in der Hoffnung, daß es ihnen gelingen werde, den Konkurrenten
die Kunden abzujagen. Häufen sich solche Unternehmungen, so ist eine
Krisis die Folge. Bei uns ist das nicht denkbar, hier kann niemand
absichtlich überflüssige Anlagen fördern oder errichten, weil ja niemand
in Verlegenheit ist, wie er Kapital anwenden soll. Hier plant man nur
solche Werke, deren Erzeugnisse Abnehmer finden, und diese Abnehmer
fehlen natürlich, wenn das zur Herstellung der Anlagen erforderliche
Kapital die Mittel der Gesamtheit übersteigt, weil ja in diesem Falle
die Anlage auf Kosten des Konsums vor sich gehen müßte und ein solcher
Versuch darauf hinausliefe, mehr zu erzeugen, weil man weniger
gebrauchen kann.«

»Also bestreitest du« -- fragte ich -- »jede Möglichkeit, daß zu
Anlagezwecken mehr verlangt werden könnte, als überhaupt verfügbar ist?
Wie kommt es dann, daß in der bürgerlichen Welt der Zinsfuß mitunter so
enorm steigt? Hat das nicht darin seinen Grund, daß die Kapitalnachfrage
zeitweilig das Kapitalangebot überwiegt? Du wirst wohl nicht leugnen,
daß es in Europa und Amerika häufig nur dieses Steigen des Zinsfußes
ist, was dem ferneren Wachstume der Kapitalnachfrage eine Grenze zieht
und dadurch wieder das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf
dem Kapitalmarkte herstellt. Uns in Freiland fehlt dieses
Sicherheitsventil des Zinsfußes; wie soll ich mir erklären, daß trotzdem
gerade hier das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem
Kapitalmarkte nicht gestört werden kann, sondern daß hier unter allen
Umständen die Verwendung gerade jenes Kapitals rentabel sein muß,
welches eben vorhanden ist? Denn wenn es unmöglich sein soll, mehr
Kapital zu verlangen, als verfügbar ist, so muß es umgekehrt auch
unmöglich sein, weniger zu verlangen. Wie ich mich auf der einen Seite
frage, ob nicht durch übertriebene Kapitalansprüche die
Leistungsfähigkeit unseres Gemeinwesens überschritten werden könnte, so
drängt sich mir auf der andern Seite die Frage auf, was wir, wenn
weniger Kapital gefordert wird, mit den überschüssigen Ersparnissen
machen?«

»Ich will dir zunächst die Frage beantworten, mit welcher du geschlossen
hast, weil damit eigentlich auch schon die Antwort auf alle früheren
Fragen der Hauptsache nach gegeben sein wird. Wir können niemals mehr
Kapital haben, als beansprucht wird, weil unsere Kapitalansammlung nicht
dem Zufall überlassen ist, sondern planmäßig in Form einer
Abgabenerhebung vom Staate vorgenommen wird. Die Höhe dieser Abgabe ist
ja nichts unwandelbar von der Natur Gegebenes und es ist
selbstverständlich, daß die Steuer stets so bemessen wird, um den
gesamten Bedürfnissen des Gemeinwesens, unter denen eben die
Kapitallieferung mit inbegriffen ist, zu genügen. Unsere
Vertretungskörper machen auf Grund der an sie gelangenden Anmeldungen
und der durch Erfahrung gegebenen Anhaltspunkte ihre Voranschläge über
den voraussichtlichen Bedarf und bemessen danach die Höhe der Steuer.
Nun sind dabei allerdings Irrtümer möglich, die Eingänge überschreiten
in dem einen Jahre den Bedarf um einige Millionen, in einem andern
können sie hinter dem Bedarfe zurückbleiben; aber solche Ungleichheiten
haben eben nur zur Folge, daß im erstern Falle die Überschüsse auf das
nächste Jahr übertragen werden, und im zweiten Falle ein Bruchteil der
Anlagen um einige Wochen verschoben wird. Also ein Zuviel an verfügbarem
Kapital ist unmöglich, da es doch ganz ersichtlich ausschließlich von
unserem Belieben abhängt, nicht mehr zu verlangen, als wir brauchen.«

»Gestatte, daß ich dich einen Moment unterbreche. Ich sehe ein, daß
unser freiländischer Staat niemals -- von ganz vorübergehenden
Ungleichheiten abgesehen -- über mehr Kapital verfügen kann als
gebraucht wird; aber das Kapital kann sich ja in den Händen des
Publikums aufhäufen. Was geschieht mit dem, was die einzelnen erzeugen
und nicht verzehren?«

»Das ist jedes einzelnen Sache; wer mehr erzeugt, als er gebrauchen will
oder kann, der mag selber zusehen, was er mit dem Überschusse anfängt.
Er wird ihn verschenken, in welchem Falle ihn eben ein anderer, der
Beschenkte, verzehren dürfte, oder aufstapeln, in welchem Falle er für
zukünftigen Verzehr bereitliegen wird, ja, er kann ihn, wenn er will,
auch zu Kapitalanlagen im Auslande benutzen, so lange es ein solches
Ausland giebt, d. h. so lange nicht alle Welt unsere Einrichtungen
angenommen hat. Mit _unserm_ Kapitalmarkte haben die Privatersparnisse
unter keinen Umständen etwas zu thun, denn da hier der Kapitalbedarf,
soweit er nur überhaupt vorhanden ist, durch die Gesamtheit zinslos
gedeckt wird, so giebt es hierzulande niemand, der dem Kapitaldarleiher
irgend einen Vorteil einräumen würde, und ohne einen solchen entäußert
sich doch niemand seines Besitzes. Es giebt zwar auch hier eine Art von
Privatersparnissen, die dem Kapitalmarkte in der nämlichen Weise
zugeführt werden, wie das Erträgnis der allgemeinen Steuer; es sind das
die Einzahlungen bei unserer Versicherungsanstalt, die du ja kennen
lernen wirst. Aber gerade weil dieses vom Staate verwaltete Institut
seine Prämieneinnahmen dazu verwendet, um einen Teil des Kapitalbedarfs
zu decken, werden diese Prämieneingänge bei Zusammenstellung unserer
staatlichen Voranschläge ebenso berücksichtigt wie die Steuereingänge,
d. h. ihr voraussichtlicher Betrag wird vorweg beim Steuersatze in Abzug
gebracht. Also auf unserm Kapitalmarkte kann unter keinen Umständen das
Angebot größer sein als die Nachfrage. Damit ist aber der Hauptsache
nach auch die Frage beantwortet, warum bei uns jener Kapital_mangel_
nicht eintreten kann, der sich zeitweilig in der bürgerlichen Welt
zeigt. Denn beachte wohl, auch dort ist der Kapitalmangel eine bloß
zeitweilige Erscheinung, hervorgerufen durch den Umstand, daß die dem
Zufall überlassene Kapitalbildung der Zeit nach nicht immer genau
Schritt hält mit dem Bedarfe, zu dessen Deckung sie bestimmt ist. Wir
überlassen die Kapitalbildung nicht dem Zufall, und wenn daher der
Bedarf steigt, so bilden wir eben mehr Kapital, d. h. wir erhöhen den
Steuersatz in entsprechender Weise.

»Schließlich aber möchte ich mich dagegen verwahren, als ob der Sinn
meiner Behauptungen dahin ginge, es sei ganz und gar und unter allen
Umständen undenkbar, daß bei uns mehr Kapital gebraucht werden könnte
als das Gemeinwesen beizusteuern vermag. Es ist allerdings richtig, daß
Arbeitsinstrumente, für deren Ergebnisse keine Abnehmer vorhanden wären,
unrentabel sind und daher gar nicht gefordert werden; ebenso richtig
aber ist es, daß auch die Herstellung solcher Arbeitsinstrumente, für
deren Erzeugnisse die Abnehmer gegeben wären, das Vorhandensein eines
gewissen Ausmaßes von Reichtum zur Voraussetzung hat. Und es fragt sich
daher immer, ob die erste oder die zweite Grenze der Kapitalbeschaffung
praktisch zu berücksichtigen ist. Wenn ich eine Fabrik bauen will, so
handelt es sich auf der einen Seite für mich darum, ob ich darauf
rechnen darf, Abnehmer für meine Erzeugnisse zu finden, und ich werde
gewiß nicht bauen, wenn diese Abnehmer fehlen; ebenso aber handelt es
sich auf der andern Seite für mich darum, woher ich das Kapital für
meine Fabrik nehmen soll, auch wenn die Abnehmer für deren
Erzeugnisse vorhanden wären. Welche Frage ist nun die praktisch zu
berücksichtigende? Für den reichen Mann die erste, für den armen die
zweite. Wir sind jetzt so reich, daß uns die Beschaffung aller wirklich
rentablen Arbeitsinstrumente keinerlei Sorge mehr machen kann; das
äußerste, wozu eine größere Anspannung unserer Unternehmerthätigkeit
führen mag, ist eine vorübergehende Erhöhung des Steuersatzes; und unter
allen Umständen gilt jetzt für uns der Grundsatz, daß die Steuer sich
nach dem Kapitalbedarfe zu richten hat. Für den Anfang, als wir noch arm
waren, verhielt es sich aber thatsächlich umgekehrt; damals war unsere
Leistungsfähigkeit so gering, daß wir selbst bei höchster Anspannung
unserer Sparkraft nicht alles mit einem Schlage herstellen konnten, was
damals schon rentabel gewesen wäre; wir mußten uns folglich damals an
den entgegengesetzten Grundsatz halten, die Anlagen nach unserer
Leistungsfähigkeit einrichten.«

»Und wie thatet ihr das?«

»Indem wir für die Zeit des Überganges, nämlich bis zu dem Zeitpunkte,
wo unsere Leistungsfähigkeit die Höhe jedes irgend zu erwartenden
Bedarfes nach rentablen Kapitalanlagen erreicht haben würde, unseren
Behörden das Recht einräumten, unter den von den Associationen
geforderten Krediten eine Auswahl zu treffen.«

»Und führte das nicht zu Reibungen zwischen den durch Kapitalbewilligung
begünstigten und den durch Kapitalverweigerung benachteiligten
Gesellschaften?«

»Nein. Unsere freiländische Freizügigkeit trägt in ihrem Schoße das
Heilmittel selbst für solche scheinbare Abweichungen von dem allgemeinen
Grundsatze der Gleichberechtigung. Da jedermann das Recht hat, jeder
beliebigen Gesellschaft beizutreten, so war es den durch die
Kapitalbewilligungen scheinbar begünstigten Gesellschaften unmöglich,
den daraus erwachsenden Vorteil für ihre zufälligen Mitglieder allein zu
behalten. Zunächst sorgte schon unsere Centralverwaltung dafür, die
Auswahl der bewilligten Kredite derart zu treffen, daß die Ausgleichung
der dadurch bewirkten einseitigen Produktionssteigerungen möglichst
glatt vor sich gehen könne. Es wurde z. B., wenn nur irgend möglich,
darauf gesehen, daß stets die Gesellschaften des gleichen Arbeitszweiges
gleichmäßig behandelt wurden. Das heißt z. B., da es nicht möglich war,
die Landwirtschaft und die Industrie gleichzeitig mit verbesserten
Maschinen auszustatten, so bewilligte man die zur Anschaffung dieser
verbesserten Maschinen erforderlichen Kredite nicht einzelnen Landwirten
und einzelnen Industriellen, sondern in erster Linie bloß den Landwirten
und zwar auch diesen nicht in der Weise, daß zuerst die eine
landwirtschaftliche Gesellschaft vollkommen mit allem ausgestattet
wurde, was sie verlangte, und dann erst die anderen an die Reihe kamen,
sondern derart, daß man beispielsweise zuerst allen die Mittel zur
Anschaffung des gleichen verbesserten Pfluges, dann die Mittel zur
Anschaffung verbesserter Dreschmaschinen u. s. f. bewilligte. Das hatte
zur Folge, daß die Produkte der begünstigten Gesellschaften, also sagen
wir die landwirtschaftlichen Produkte, im Preise entsprechend
zurückgingen, derart, daß die scheinbar Hintangesetzten zwar ihre
Produktion nicht zu steigern vermochten, während dies bei den
Begünstigten der Fall war, daß aber die Tauschkraft des da und dort
erzielten Tagesproduktes doch die nämliche blieb. Hatte z. B. früher ein
Paar Schuhe den Wert eines Metercentners Getreide gehabt, weil beide zu
ihrer Erzeugung je einer Tagesarbeit bedurften, so erhielt nun der
Schuster für sein Paar Schuhe zwei Metercentner, weil die Schuhe noch
immer einer Tagesarbeit für das Paar bedurften, während in der
Landwirtschaft auf das Tagwerk zwei Metercentner entfielen. Aber
durchweg ließ sich natürlich mit dieser Form der Ausgleichung nicht das
Auslangen finden. Störungen derselben durch den Einfluß des Außenhandels
auf die Preise waren nicht zu vermeiden und ebensowenig konnte der
Grundsatz streng eingehalten werden, die Gesellschaften des gleichen
Arbeitszweiges in allen Stücken gleichmäßig zu behandeln. Hier half nun
zunächst das Zu- und Abströmen von Arbeitskraft. Aber auch dieses Mittel
hätte unter Umständen nicht volle Abhilfe geschaffen, zum mindesten
nicht, ohne den Nutzen aus den ins Werk gesetzten Anlagen mitunter recht
empfindlich zu beeinträchtigen. Wir konnten z. B., als im dritten Jahre
des Bestehens von Freiland die Anlage elektrischer Kraftleitungen
beschlossen wurde, diese unmöglich auch nur für die ganze Landwirtschaft
gleichzeitig vornehmen, sondern es mußte notwendigerweise eine
Reihenfolge auch unter den Landwirtschaftsgesellschaften eingehalten
werden. Wenn ich mich recht erinnere, war die Gesellschaft von Obertana
diejenige, die zuerst die elektrische Leitung, gespeist vom großen
Kilolumifall, erhielt. Das setzte sie in den Stand, auf ihrem Gebiete
mit zweitausend Arbeitern soviel zu erzeugen, als zuvor mit viertausend
Arbeitern erzeugt worden war. Um jedoch diesen Vorteil voll auszunutzen,
mußte sie ein Mittel finden, die bei ihr überschüssig gewordenen
zweitausend Arbeiter zum Wegziehen zu veranlassen. Zwingen konnte sie
die Leute dazu nicht; sie hätten, wenn sie geblieben wären, allerdings
nicht unbeschäftigt bleiben müssen, man hätte die überschüssige Kraft
dazu benutzt, um viermal zu pflügen, wo früher zweimal gepflügt wurde,
die Felder sorgfältiger einzuhegen, zu bewässern u. s. w.; aber es ist
natürlich, daß damit nicht sonderlich viel zu gewinnen gewesen wäre.
Doch nicht genug daran; da die viertausend landwirtschaftlichen Arbeiter
von Obertana infolge der elektrischen Kraftleitung immer noch mehr
verdient oder sich weniger geplagt hätten als landwirtschaftliche
Arbeiter in den anderen Gesellschaften des Landes, so hätte das sogar
einen neuen Zuzug von Arbeitskraft dorthin gelockt, bis durch diesen
neuen Zuzug der Arbeitsertrag auf das in Freiland dazumal, d. h. also
ohne elektrische Kraftleitung erzielbare Maß gesunken wäre. Dieser
allgemeine Durchschnitt hätte sich zwar höher gestaltet, da ja die in
den anderen Associationen zurückgebliebenen Arbeiter dort pro Mann und
Stunde etwas mehr hätten erzeugen können als zuvor; aber dieser Zuwachs
wäre keineswegs so groß gewesen, wie die auf der andern Seite
hervorgerufene Kraftvergeudung. Um dem vorzubeugen, gab es kein anderes
Mittel, als daß die Leute von Obertana ganz aus freien Stücken dazu
schritten, die aus der elektrischen Kraftleitung für sie erwachsenden
Gewinne zwischen sich und den anderen landwirtschaftlichen
Gesellschaften zur Aufteilung zu bringen. Demselben Beispiele folgten
die anderen begünstigten Gesellschaften in der Reihenfolge der
Begünstigung, die sie erfuhren, insolange, bis diese Begünstigung
aufhörte, eine einseitige zu sein. Einige Industrien zogen es vor, die
in ähnlicher Weise erzielten Überschüsse an die Kasse des Gemeinwesens
abzuführen, aber nirgends hatte das Gemeinwesen den geringsten Anlaß,
sich in diesen Ausgleichungsprozeß einzumischen, da es im ureigensten
Interesse der Beteiligten selber lag, von dem ihnen zuteil gewordenen
Vorteil nicht mehr zurückzuhalten, als ohne Heraufbeschwörung störender
Arbeiterzuflüsse möglich war.

»Also es gab auch für uns eine Zeit, wo wir nicht jedem Kapitalbedarfe
entsprechen konnten; das war damals, als die Ausrüstung mit
arbeitsparenden Maschinen erst noch zu vollbringen und gerade deshalb
unsere Leistungsfähigkeit noch sehr beschränkt war. Jetzt ist unsere
Ausrüstung mit kraftersparenden Maschinen der Hauptsache nach
durchgeführt, es kann sich nun bloß darum handeln, diese Maschinen zu
verbessern und zu ergänzen; unsere Leistungsfähigkeit aber ist gerade
dadurch unermeßlich groß geworden.

»Wenn du also siehst, daß wir von der >Ersten Edenthaler Maschinen- und
Transportmittel-Baugesellschaft< im Begriffe sind, neuerlich dreiviertel
Millionen Pfund Sterling in Gebäuden, Maschinen und Werkzeugen
anzulegen, so verlasse dich darauf, das geschieht nicht deshalb, weil
wir diese dreiviertel Million wie unser übriges Anlagekapital zinslos
vorgestreckt erhalten, sondern weil die Aufträge, die uns teils schon
zugegangen, teils nach dem Aufschwunge des freiländischen Verkehrswesen
mit Sicherheit zu erwarten sind, dringend nach solchen Neubauten
verlangen.

»Doch jetzt trachten wir heimzukommen!«



                            Achtes Kapitel.

           Ein freiländisches Hauswesen und das freiländische
                           Versorgungsrecht.


Die elektrische Bahn beförderte uns mit Blitzesschnelle nach Edenthal
und da Freund Karl sein Häuschen mit Rücksicht auf möglichste
Bequemlichkeit der Verbindung gewählt hatte, setzte uns unser Waggon
unmittelbar vor demselben ab. Wenige Sekunden später eilte uns die
Hausfrau entgegen, die offenbar durch das Anhalten des elektrischen
Wagens auf die Ankunft ihres Mannes aufmerksam gemacht worden war. Die
Vorstellung erforderte nicht viel Zeit und da mich Karl in der That
seiner Gattin gegenüber sehr oft erwähnt hatte, so waren wir bald gute
Freunde.

Wir betraten das Haus, wo mir dessen verschiedene Räume gezeigt und die
für mich bestimmten angewiesen wurden. »Ich habe,« so erklärte mir Karl,
»gleich bei Anlage des Baues für etwas Nachwuchs vorgesorgt, und wir
haben daher jetzt, wo sich dieser Nachwuchs auf einen Knaben von
vierzehn Monaten beschränkt, noch überflüssigen Raum. Du erhältst also
ein Schlafgemach nebst Badezimmer, einen Empfangssaal und eine
Gartenterrasse zu deinem ausschließlichen Gebrauch.«

Nun fiel mir plötzlich ein, daß es in Edenthal keine Dienstboten gäbe,
und es tauchten in mir Skrupeln auf, ob ich nicht vielleicht meine
Gastgeber gewaltig belästigen würde. Doch meine über diesen Punkt Frau
Wera gegenüber vorgebrachten Entschuldigungen hatten das Mißgeschick,
von ihr nicht verstanden zu werden.

»Robert« -- so erläuterte Karl ironisch -- »scheint zu besorgen, daß ich
oder du ihm die Kleider werden putzen müssen.«

Gegen diese Auslegung meiner Bedenken protestierte ich denn doch
energisch, nicht ohne Genugthuung auf meine diesfalls schon im Hotel
gewonnenen Erfahrungen mich stützend. »Ich kann mir wohl denken,« meinte
ich, »daß das Kleiderreinigen auch in den Privathäusern von Angestellten
der Gesellschaft für persönliche Dienstleistungen besorgt wird; aber es
mag vorkommen, daß man anderer Dienste bedarf; was thut man, um sich
solche zu verschaffen?«

»Dasselbe, was du in diesem Falle im Hotel gethan hättest. Man klingelt
und binnen längstens zwei Minuten steht ein dienstbeflissener Geist zur
Verfügung.«

»Und wo hält sich dieser dienstbeflissene Geist vor dem Klingeln auf, um
so rasch zur Hand zu sein?«

»In einer der Wachtstuben, welche die soeben von dir genannte
Gesellschaft in allen Stadtteilen unterhält und mit deren einer alle
Schellen eines jeden Edenthaler Hauses in Verbindung stehen. Jedes
Gemach hat sein elektrisches Läutewerk, und wenn irgendwo geläutet wird,
zeigt ein in der Wachtstube befindlicher Apparat die Hausnummer, ein
anderer im Vorraum jedes Hauses die Nummer des Zimmers an, in welchem
geläutet worden ist. Dein Klingeln wird uns also gar nicht stören, ja
von uns nicht einmal gehört werden. Einer der wachthabenden Angestellten
der Gesellschaft eilt auf dem Velocipede herbei, sieht im Vorraume deine
Zimmernummer und begiebt sich dann direkt zu dir. Im übrigen wirst du,
wenn du nicht sehr bequem bist, diese Klingel wenig gebrauchen. Denn die
meisten regelmäßig wiederkehrenden Bedürfnisse, wie Säuberung der
Kleider und Zimmer, Bereitung des Bades (das wir Freiländer nebenbei
bemerkt täglich zu nehmen pflegen), Herrichten des Frühstücks-, Mittags-
und Abendtisches u. dgl. werden von dieser Gesellschaft, ohne daß wir
uns darum zu kümmern brauchen, mit größter Pünktlichkeit besorgt. Ich
habe die Direktion schon davon verständigt, daß ein neuer Gast in mein
Haus gezogen ist; binnen kurzem wird einer ihrer Beamten bei dir
erscheinen und dich einem eingehenden Kreuzverhör über alle deine
Gewohnheiten, Bedürfnisse und Wünsche unterziehen; hast du dem Manne
einmal Rede und Antwort gestanden, so kannst du dich darauf verlassen,
hier besser bedient zu werden als in irgend einem europäischen
Gasthause.«

»Das ist ja wunderbar,« mußte ich gestehn. »Ihr habt solcherart die
vortrefflichste Bedienung ohne unsere europäische Domestikenmisere. Aber
teuer muß die Sache sein, denn natürlich verlangen alle diese
Angestellten und Arbeiter der Gesellschaft für persönliche
Dienstleistungen jene Bezahlung, wie sie in Freiland allgemein üblich
ist?«

»Das ist natürlich,« erklärte Frau Wera. »Aber teuer finde ich diese
Dienstleistungen trotzdem nicht; wir haben im Vorjahre alles in allem
zweiunddreißig Pfund Sterling für Bedienung gezahlt.«

»Wie ist das möglich?« fragte ich. »So hoch kommt ja in Europa trotz der
miserablen Löhne der letzte Diener zu stehen.«

»Weil ein europäischer Diener« -- erklärte Karl -- »alles mit seinen
Händen verrichtet, während unsere Leute alles durch Maschinen besorgen.
Diese Maschinen gehören teilweise zur Einrichtung des Hauses, teilweise
werden sie von den Angestellten der Gesellschaft mitgebracht, teilweise
nehmen diese die Gegenstände mit sich und vollbringen deren Reinigung in
ihrer Anstalt vermittelst der dort vorhandenen Apparate.«

»Ich bin jetzt ganz darauf gefaßt, zu hören,« sagte ich, »daß diese
allgegenwärtige Gesellschaft für Dienstleistungen Ihnen, verehrte Frau,
auch die Last der Wartung und Pflege Ihres Kindes von den Schultern
nimmt.«

»Mit Verlaub, das besorge ich in der Regel doch selbst,« war die
Antwort. »Aber völlig auf mich angewiesen bin ich dabei keineswegs, und
wenn ich wollte, könnte ich die ganze Mühe von mir abwälzen. Es besteht
nämlich auch eine Gesellschaft weiblicher Pflegerinnen eigens zu dem
Zwecke, um Frauen, die infolge von Krankheit oder Schwäche auf weibliche
Unterstützung angewiesen sind, solche jederzeit bieten zu können. Diese
Gesellschaft ist der Hauptsache nach geradeso organisiert, wie die
Association für persönliche Dienstleistungen; sie hat ebenfalls ihre
Wachtstuben, man kann sich auch mit ihr wegen regelmäßiger
Dienstleistungen in Verbindung setzen, und ich brauchte mich daher um
mein Kind nicht mehr zu kümmern, als dies, wie ich aus meiner Kindheit
weiß, europäische Damen zu thun pflegen. Dies widerspräche jedoch meinen
Neigungen. Bis vor wenigen Monaten hatte die Frauengesellschaft
allerdings ziemlich viel auch in unserem Hause zu thun, und wenn es Sie
interessiert, kann ich Ihnen mitteilen, daß mich die zur Wartung meines
Knaben in dessen erstem Lebensjahre in Anspruch genommene Hilfe
siebenundzwanzig Pfund Sterling kostete; jetzt aber haben diese
Helferinnen so gut als nichts bei mir zu thun; das Pflegen und Warten
meines Kindes ist _mein_ Geschäft.«

»Also tragen Sie Ihr Kind, das ja mit vierzehn Monaten noch schwerlich
weite Ausflüge machen kann, bei Ihren Ausgängen, oder schieben Sie es im
Rollwägelchen vor sich her?« fragte ich.

»Bewahre! Wozu hätten wir denn die Krippe und den Kindergarten in der
Nachbarschaft? Wenn ich ausgehe, gebe ich meinen Kleinen dorthin, wo er
unter vortrefflicher Pflege und Aufsicht steht. Doch auch, wenn ich zu
Hause bin, lasse ich Paulchen tagsüber sehr viel dort, denn man will,
man sei noch so zärtliche Mutter, etwas für sich selber thun, lesen,
sich unterhalten, am öffentlichen Leben teilnehmen u. s. w., wobei
Kinder stören; aber den größten Teil der Zeit behalte ich ihn unter
meinen eigenen Augen.«

»Sie sprachen vorher von den Mitgliedern der Frauengesellschaft, die
solcherart Geld verdienen; wie ich zu wissen glaube, haben alle Frauen
Freilands Anspruch auf Versorgung durch das Gemeinwesen -- wozu brauchen
also die fraglichen Frauen derartigen Verdienst?«

»Freilich besitzt jede freiländische Frau Versorgungsrecht; aber unter
diesem Titel wird nicht mehr gezahlt, als drei Zehntel des
Durchschnittsverdienstes eines freiländischen Arbeiters und es giebt
eben Frauen, die mehr haben wollen; außerdem mag bei vielen der Wunsch
ausschlaggebend sein, sich irgendwie außer Hause zu beschäftigen, und da
es nicht jedem gegeben ist, dies auf dem Gebiete geistiger Thätigkeit zu
thun, so liegt den meisten Frauen nichts näher, als die Pflege
hilfsbedürftiger Mitschwestern und Kinder. Jene Frauen, die das Zeug zu
geistiger Thätigkeit in sich verspüren, wählen mit Vorliebe den Beruf
der Lehrerin, was natürlich nicht ausschließt, daß alle anderen Berufe
ihnen eben so offen stehen.«

Unter diesen Gesprächen war es sieben Uhr abends geworden und es
erschien ein Angestellter der Speisegesellschaft mit der Meldung, daß
das Abendmahl angelangt sei.

Wir begaben uns auf eine in den Garten hinausführende Terrasse, wo der
Tisch gedeckt war, und nahmen an der Tafel Platz. Von Speisen war nichts
zu sehen, bis Frau Wera einen Wandschrank öffnete, der sich im Bereiche
ihrer Hände befand, und demselben eine dampfende Suppe, dann einen
kalten Fisch entnahm; diesem folgte ein Gemüse, hierauf ein Braten und
den Schluß bildete ein Dessert, bestehend aus Käse und mannigfachen
Obstsorten. Die Hausfrau erklärte mir, daß dieser Wandschrank auch von
der andern Seite, nämlich vom Vorraume aus, zu öffnen sei und daß in ihm
die von der Speisegesellschaft gebrachten Gerichte hinterlegt würden;
diese gebrauche dabei besondere Apparate zum kühl- oder warmerhalten der
Speisen; auf Wunsch der Kunden würden einzelne Gerichte, die den
Transport schlecht vertragen, von den Angestellten der Gesellschaft an
Ort und Stelle gargekocht. Es befänden sich zu diesem Behufe in den
meisten Häusern kleine Küchen mit elektrischen Öfen, die im Bedarfsfalle
augenblicklich in Glut gebracht werden können. Ebenso besorgen, wenn es
gefordert wird, die Angestellten der Gesellschaft das Aufwarten bei
Tisch, was jedoch sehr teuer, und mit Ausnahme besonders festlicher
Gelegenheiten, in Freiland nicht üblich sei. Sie zum mindesten empfinde
die Anwesenheit fremder Personen in traulichem Kreise stets als eine
Störung.

Während des Tafelns kam das Gespräch abermals auf die Frauenfrage,
insbesondere auf das den Frauen durchwegs eingeräumte Versorgungsrecht.
Man muß nämlich wissen, daß der bereits mitgeteilte zweite Punkt des
Grundgesetzes: »Frauen, Kinder, Greise und Arbeitsunfähige haben
Anspruch auf auskömmlichen, der Höhe des allgemeinen Reichtums billig
entsprechenden Unterhalt,« derart gehandhabt wird, daß ein wegen Alter
oder Gebrechen arbeitsunfähig gewordener Mann vier, jede Frau
drei Zehntel des vom statistischen Amte jeweilig erhobenen
Durchschnittswertes der freiländischen Arbeit vom Gemeinwesen ausgezahlt
erhält; mit Kindern gesegnete Familien beziehen während der Unmündigkeit
der Sprößlinge einen Zuschlag von einem Zwanzigstel des jeweiligen
Arbeitswertes für jedes Kind; dieser Zuschlag erfährt für den Todesfall
des einen der Eltern eine Verdoppelung, und Waisen werden gänzlich in
Verpflegung des Gemeinwesens genommen, wo sie eine Wartung und Erziehung
erhalten, die in allen Stücken der in freiländischen Familien üblichen
ebenbürtig ist. Da im Vorjahre der durchschnittliche Arbeitsverdienst in
Freiland sich mit 360 Pfund Sterling berechnete, so entfielen als
Versorgungsanspruch auf einen arbeitsunfähigen Mann 144 Pfund Sterling,
auf jede Frau 108 Pfund Sterling, der Kinderzuschlag betrug 18 Pfund
Sterling für das Kind, wenn beide Eltern lebten, und sechsunddreißig
Pfund Sterling für das Kind einer Witwe oder eines Witwers. Da die
Preise aller wichtigeren Lebensbedürfnisse in Freiland außerordentlich
wohlfeil sind, so ist der wirkliche Wert dieser Versorgungen wesentlich
höher als der jener Pensionen, welche europäische Staaten ihren
bestgezahlten Beamten oder deren Witwen und Waisen gewähren; sie genügen
nicht bloß, um die also Bedachten vor Not zu schützen, sondern
ermöglichen ihnen auch, an allen jenen Annehmlichkeiten und Vergnügungen
teilzunehmen, die jeweilig in Freiland, dem allgemeinen Stande des
Reichtums entsprechend, üblich sind. Da die Bezüge nicht in festen
Summen, sondern in Bestandteilen des Arbeitsverdienstes bemessen werden,
so erhöhen sie sich mit jedem Wachstume der durchschnittlichen
Arbeitsergiebigkeit, und es ist solcherart dafür gesorgt, daß auch der
Nichtarbeitende teilnehme an allen Fortschritten des allgemeinen
Wohlstandes.

Als ich mich anschickte, die in diesen Bestimmungen zum Ausdruck
gebrachte Großmut zu loben, unterbrach mich Freund Karl mit der
Bemerkung, daß hierzulande niemand Großmut in einer Handlungsweise sehe,
die nichts anderes sei, als einfache Erfüllung einer Pflicht, die
Anerkennung eines Rechtes, welches auch die Arbeitsunfähigen an dem
allgemeinen Reichtum haben.

»Das scheint mir denn doch etwas zu weit zu gehen,« meinte ich. »Ich
billige es, wie gesagt, durchaus, daß auch den Hilflosen möglichst
ausgiebige Unterstützung zu teil wird; aber daß die Gesamtheit der
Arbeitenden zu sothaner Hilfeleistung verpflichtet sei und daß die in
solchem Umfange Versorgten ein _Recht_ auf ihre Bezüge besäßen, vermag
ich nicht einzusehen. Was ihnen zu teil wird, ist ja doch das Ergebnis
der Arbeit anderer, die Arbeitsfähigen haben es aus eigenen Kräften
hervorgebracht und könnten es also, wenn sie nur das strenge Recht üben
wollten, ausschließlich für sich behalten.«

»Meinen Sie das wirklich?« -- unterbrach mich Frau Wera mit blitzenden
Augen. »Nach allem, was mir Karl über Sie erzählte, kann ich gar nicht
glauben, daß das Ihre letzte wohlerwogene Ansicht sei. Sie stehen
offenbar noch teilweise unter dem Banne jener Wahnvorstellungen, die
unzertrennlich verknüpft sind mit den schrecklichen Verhältnissen, denen
Sie erst kürzlich entrannen. Ich habe eine sehr hohe Meinung von meinem
Manne, aber daß er das, was er leistet, aus eigener Kraft hervorbringe,
daß die Lehrsätze der Geometrie und Algebra, die er anwendet, von ihm
ersonnen seien, daß die Dampfmaschinen, die er konstruieren läßt, seinem
Geiste entsprangen, scheint mir denn doch eine allzuweitgehende
Schmeichelei. Ich glaube, mein lieber Karl würde, wenn er wirklich bloß
darauf angewiesen wäre, was er kraft seiner eigenen Fähigkeiten
hervorzubringen vermöchte, als armseliger Wilder nackt in den Wäldern
umherstreichen, und ich bezweifle, daß es irgend einem von uns besser
ginge. Alles, was wir haben und sind, verdanken wir der Vorarbeit
ungezählter Generationen, und daraus, so glaube ich, folgt, daß die
Stärkeren und Geschickteren unter uns, welche die Errungenschaften der
Vorfahren allein zu handhaben vermögen, deshalb noch kein alleiniges und
ausschließliches Anrecht auf die Früchte dieser ihrer Arbeit haben, denn
diese ihre Arbeit wird erst möglich auf Grund jener Behelfe, die unser
aller gemeinsames Eigentum sind. Oder meinen Sie vielleicht, daß Watt
die Dampfmaschine und Stephenson die Lokomotive nur für Sie und meinen
Mann, nicht aber auch für mich und mein Kind oder für den Greis und den
Krüppel erfunden haben? Ein solcher Gedanke kann nur entstehen in einer
Welt, die den Nutzen aller Erfindungen einigen wenigen Privilegierten
zuspricht. Wo man sieht, daß die ungeheuere Mehrzahl aller Menschen
ausgeschlossen ist vom Mitgenusse der Ergebnisse wachsender
Arbeitsergiebigkeit, und von denjenigen, die im Alleinbesitze allen
Reichtums der Menschheit sind, bloß das zu kümmerlicher Fristung ihres
Lebens Erforderliche als Lohn dafür zugemessen erhält, daß sie die von
den Vorfahren überlieferten Reichtümer für jene wenigen nutzbar macht --
dort allerdings muß auch die Vorstellung entstehen, daß jene, die
arbeitsunfähig sind, gar keinerlei Recht genießen. Man füttert doch bloß
nützliche Haustiere, die nutzlosen haben keinen Anspruch auf Stall und
Futterraufe, und wenn ihnen diese trotzdem zu teil werden, so ist es
eben das _Gnaden_brot, das man ihnen zumißt. Hier hat jedermann, sofern
er überhaupt der menschlichen Familie angehört, ein _Recht_ auf alles,
was Eigentum der menschlichen Familie ist. In Freiland werden bei
Beurteilung des Ausmaßes dieser Rechte dieselben Grundsätze in Anwendung
gebracht, die auch in Europa und Amerika zur Geltung gelangen, wenn es
sich darum handelt, den Fruchtgenuß einer reichen Erbschaft unter den
Erben zu verteilen. Stellen Sie sich vor, daß es sich um die Fabrik
eines Mannes handelt, der mehrere Kinder hinterließ, unter denen einige
arbeitsfähig, andere arbeitsunfähig sind; werden die ersteren das ganze
Erbe erhalten, weil sie allein dasselbe nutzbringend zu verwerten
vermögen? Sie werden sich, wenn sie den Geschwistern kein Geschenk
machen wollen, ihre Mühewaltung vergüten lassen, sie werden einen
größeren Anteil fordern; aber als frechen Hohn würde es jedermann
betrachten, wollten diese Tüchtigen sich als die alleinigen Erben und
ihre Geschwister als Bettler hinstellen, denen man bestenfalls im
Gnadenwege ein Almosen hinwerfen müsse.«

Beschämt gestand ich der tapferen kleinen Frau, daß sie mich vollständig
überwunden habe, wenn überhaupt das Widerlegen eines mit den eigenen
Grundsätzen gar nicht übereinstimmenden Vorurteiles »überwinden« genannt
werden darf. Und aus Eigenem fügte ich dann hinzu, daß die in Freiland
geübte Ausdehnung der Gleichberechtigung auch auf die Arbeitsunfähigen
in dem schließlichen Interesse selbst der Arbeitenden läge. Denn Not und
Elend, Entwürdigung und Schande seien ein fressendes Geschwür, das,
unerbittlich um sich greifend, endlich den ganzen Organismus zerstören
müsse, wenn ihm nur irgendwo am Körper der Gesellschaft Raum gelassen
werde. Gleichwie eine vornehme Familie nicht dulde, daß eines ihrer
Mitglieder der Entwürdigung verfalle, so dürfe auch eine zu wirklicher
Vornehmheit emporgediehene ganze Gesellschaft nicht dulden, daß wer
immer aus ihrer Mitte in seiner Menschenwürde gekränkt werde. Auf sich
selbst, auf eigenem Recht muß in einer solchen Gesellschaft jedermann
stehen, sonst kann die Würde und das Recht der anderen nicht ungefährdet
bleiben.

Ein anerkennender Blick aus Frau Weras Augen belohnte mich. Indessen
hielt mich dies nicht ab, eine andere Frage zur Erörterung zu bringen,
die mir im freiländischen Versorgungswesen trotz des Vorhergegangenen
noch nicht ganz klar geworden war. »Warum,« so fragte ich, »haben in
Freiland alle Frauen ohne Ausnahme Versorgungsrecht? Man könnte hierin
sogar eine Art Herabsetzung des weiblichen Geschlechtes erblicken.
Vermögen denn die Frauen wirklich nichts zu leisten und können sie
zugeben, daß solches grundsätzlich von ihnen vorausgesetzt werde? Oder
hält man vielleicht hier die europäische >Dame< für das Frauenideal,
jene Dame, die, um durchaus und in allen Stücken als solche zu gelten,
selbst den entferntesten Verdacht, daß sie zu irgend etwas in der Welt
nütze sei, von sich fernhalten muß?«

Frau Wera protestierte energisch. »Wir freiländischen Frauen wollen uns
nützlich machen und wir thun es auch. Aber wir meinen, und unsere Männer
teilen diese Anschauung, daß uns die Natur der Hauptsache nach auf einen
Beruf angewiesen hat, der fernab von Erwerbsthätigkeit liegt. Wir sind
zunächst die Gebärerinnen und die Erzieherinnen unserer Kinder, dann
aber die Vertreterinnen des Schönen und Edlen in der Gesellschaft; zu
diesem Berufe werden wir erzogen und erziehen wir uns fortgesetzt
selber. Wir haben das Recht, auch jeden beliebigen andern Beruf zu
ergreifen, aber wenn wir mit Bezug auf die Sicherung einer unabhängigen
Existenz auf diese andern Berufe angewiesen würden, so wäre das im
Prinzip vielleicht sehr schön, würde aber der übergroßen Mehrzahl von
uns Frauen nicht das geringste nützen. Sehen Sie z. B. mich; ich könnte
zwar ganz gut als Modellzeichnerin mein Brot verdienen, aber ich thäte
es eben nicht, auch wenn ich kein Versorgungsrecht genösse; weder mir
noch meinem Manne und am allerwenigsten meinem Kinde würde das passen.
Ich würde also thatsächlich nichts verdienen und wäre auf die Gnade
meines Herrn und Gebieters angewiesen. Das Schlimmste aber ist, daß ich
höchst wahrscheinlich auf diese Versorgung durch den Mann gewartet, daß
ich also in der Ehe eine Versorgung gesehen hätte, während ich gestützt
auf mein freiländisches Versorgungsrecht, ausschließlich dem Zuge meines
Herzens folgen konnte. Und auch das ganze Eheverhältnis nimmt bei uns in
Freiland gerade wegen dieser durchgängigen Unabhängigkeit der Frauen
einen ganz anderen Charakter an, wie in Europa. Wir stehen nicht unter
der Vormundschaft unserer Männer und deswegen haben wir niemals das
Gelüste, sie unter unsern Pantoffel zu bringen. Die europäische Frau ist
der Hauptsache nach ja doch nur eine Sklavin, und wenn sie
Freiheitsgelüste spürt, so muß sie dieselben auf Schleich- und Umwegen
zu bethätigen trachten; sie muß, da sie eigenen Willen nicht haben darf,
bestrebt sein, sich den Willen ihres Mannes unterthan zu machen. Bei uns
ist das alles anders. Hier ist mein Mann weder der Herr noch der
Versorger, sondern ausschließlich« -- hier traf den also Angeredeten ein
zärtlicher Blick aus den schönen Augen, der auch sofort gleich feurige
Erwiderung fand -- »der Geliebte; ich glaube, das ist wohl das Beste,
und zwar nicht bloß für mich, sondern auch für ihn. Aber es ist nicht
bloß gut so, das Gegenteil wäre auch ungerecht. Kann ich erwerben, wenn
ich mich meinem Kinde und meinem Hause widme, kann ich es zum mindesten,
ohne eine Überbürdung auf mich zu laden, von welcher der Mann in
Freiland nichts weiß? Oder ist vielleicht meine Leistung als Mutter und
Hausfrau minder nützlich, als beliebige Erwerbsthätigkeit? Aber
alleinstehende Frauen, so werden Sie vielleicht einwenden, könnten doch
erwerben, ohne sich zu überbürden. Richtig, und zahlreiche thun es auch.
Aber sie dazu _nötigen_ wollen, wäre unklug und ungerecht zugleich.
Ersteres, weil die Mädchen dadurch von ihrem eigentlichen Berufe
abgelenkt, ihre Ausbildung in falsche Bahnen gedrängt würde; letzteres,
weil damit gerade jene Frauen, deren Erziehung die richtige, dem
weiblichen Berufe entsprechende bliebe, zu wirtschaftlicher Abhängigkeit
verurteilt würden. Jetzt müßten sie erst recht Versorgung in der Ehe
suchen, und das, diese Entwürdigung des schönsten heiligsten Gefühls der
Menschenbrust -- der Liebe nämlich -- zu einer Sache des Erwerbs, das
ist es, was zu verhüten vornehmster Zweck des freiländischen
Versorgungsrechts der Frauen ist.«



                            Neuntes Kapitel.

       Die Centralbank, das Geldwesen und das Lagerhaus. Über die
                         Freiheit in Freiland.


Ich hatte meine Stellung als Ingenieur in der »Ersten Edenthaler
Maschinen- und Transportmittel-Baugesellschaft« angetreten und mich
rasch in derselben zurecht gefunden. Meine Lebensweise richtete ich, so
unabhängig ich auch in allem war, im Wesen doch nach derjenigen meiner
Gastgeber und der Freiländer überhaupt. Es wird hier ziemlich allgemein
bald nach Sonnenaufgang, d. h. also nach sechs Uhr Morgens, aufgestanden
und zunächst ein kühles häusliches Bad genommen. Hierauf folgt ein
erstes Frühstück, bestehend zumeist aus einer Tasse Schokolade, Kaffee
oder Thee, und diesem ein Spaziergang entweder durch die Straßen und
großartigen öffentlichen Anlagen der Stadt oder wohl auch auf eine der
umliegenden Höhen, welche durch elektrische Bahnen in zehn bis fünfzehn
Minuten zu erreichen sind. Dieser Spaziergang, unterbrochen in der Regel
von etwas leichter Lektüre findet seinen Abschluß durch ein kompakteres
Frühstück, und darauf begiebt man sich an sein Geschäft. Um zwölf Uhr
sucht man entweder sein Haus oder eines der zahlreichen und großartig
eingerichteten Badehäuser auf, die an den Ufern des Tana und des
Edensees erbaut sind. Um ein Uhr wird gespeist, jedoch nicht
allzureichlich, da die eigentliche Hauptmahlzeit in Freiland erst nach
Erledigung aller Geschäfte, also des Abends, gehalten wird. Man begnügt
sich des Mittags mit einer Warmspeise, Käse und Obst; nur besonders
starke Esser legen noch ein Gericht zu. Nach dem Mittagessen sind die
meisten Freiländer, sofern sie nicht ein Schläfchen vorziehen, in den
öffentlichen Bibliotheken und Lesesälen zu finden, die Verheirateten
meist in Begleitung ihrer Frauen, die dort Bekannte treffen, lesen, und
die öffentlichen Angelegenheiten des Landes besprechen gleich den
Männern. Um drei Uhr wird wieder ans Geschäft gegangen und bis sechs Uhr
gearbeitet. Hierauf lassen diejenigen, die nicht schon vor Tisch gebadet
haben, ein zweites Bad im Edensee oder Tana folgen, doch giebt es viele
Freiländer, die morgens, mittags und abends baden, ein Vergnügen, das,
wenn die einzelnen Bäder nicht zu lang ausgedehnt werden, in diesem
Klima als der Gesundheit sehr zuträglich gilt. Um sieben Uhr wird die
Hauptmahlzeit eingenommen, bestehend in der Regel aus drei bis vier
Gerichten. Dann macht oder empfängt man Besuche, besucht die Theater
oder Konzertsäle, hört irgend einen wissenschaftlichen Vortrag, kurz,
geht allerlei Vergnügungen oder Belehrungen nach, an denen in Edenthal,
wie überhaupt in Freiland, nirgends Mangel ist. Die Sonntage sind des
Vormittags ernster Lektüre, bei fromm angelegten Gemütern wohl auch
Andachtsübungen gewidmet, die Nachmittage gehören meist dem Vergnügen.
Man veranstaltet Ausflüge, Picknicks, bei denen musiziert und vom jungen
Volke leidenschaftlich getanzt wird.

Ich benutzte natürlich meine freie Zeit mit Vorliebe zur Besichtigung
der öffentlichen Anstalten Freilands, unter denen die Centralbank und
das Centrallagerhaus mein besonderes Interesse erregten. Daß erstere der
Bankier des ganzen Landes ist, angefangen von der öffentlichen
Verwaltung und den großen Produktionsgesellschaften bis zum letzten
Arbeiter, ja bis zum letzten Kinde, die allesamt ihr eigenes Konto in
den Büchern besitzen, habe ich bereits mitgeteilt. Natürlich unterhält
die Bank Zweiganstalten in jedem größeren Orte des Landes. Man würde
aber irren, wollte man glauben, daß diese sich auf alles erstreckende
Buchführung einen sonderlich großen Apparat von Angestellten und sehr
verwickelte Schreibereien notwendig mache. Gerade weil alles durch die
Bank geht, ist deren Gebarung eine überaus einfache. Jedes Guthaben des
einen entspricht genau der Verpflichtung irgend eines anderen
Foliobesitzers; Zinsenberechnungen existieren nicht und außerdem sind
die meisten Ein- und Austragungen so gleichmäßiger Art, daß in
vorgedruckte Formulare bloß die Ziffern eingetragen zu werden brauchen.
Die Folge davon ist, daß siebzehnhundert Bankbeamte genügen, um für den
freiländischen Staat, für nahezu zweitausend Associationen und für 2½
Millionen einzelne Menschen Buch zu führen, und die Fachmänner sind der
Überzeugung, daß mit dem Wachstume der Bevölkerung die Gebarung sich
verhältnismäßig noch vereinfachen wird.

Da in Freiland niemand mit Bargeld zahlt -- ich habe in den acht Wochen
meines bisherigen Aufenthaltes hier außer den Barmitteln, die ich selbst
mitbrachte, noch kein Geldstück zu Gesicht bekommen -- wunderte es mich
anfänglich, warum die Freiländer überhaupt das Gold beibehalten haben
und nach demselben rechnen. Ihre Hauptmünze ist nämlich das Pfund
Sterling, jedoch nicht das englische, welches 25 Franken 22,15 Centimes
wert ist, sondern ein Pfund in genauem Goldfeingehalte von französischen
25 Franken. Dieses Pfund wird in 20 Mark und die Mark in 100 Pfennige
geteilt. Ich erklärte mir die Sache durch die Bedürfnisse des
Außenhandels, den Freiland in sehr bedeutendem Umfange mit fremden
Ländern treibt, beschloß aber doch, mir an maßgebender Stelle Auskunft
zu holen und machte mich zu diesem Zwecke mit dem Leiter der
freiländischen Bank bekannt, der dieselbe Lesehalle wie ich zu besuchen
pflegte.

Dieser gemütliche, schon etwas ältere Herr war mit Vergnügen bereit,
mich zu belehren, und so erfuhr ich denn, daß man in Freiland
hauptsächlich aus dem Grunde das Gold als Geld beibehalten habe, weil es
der beste aller derzeit möglichen Wertmesser sei, Freiland aber eines
guten Wertmessers noch viel dringender bedürfe als irgend ein anderes
Land.

»Ist denn nicht Arbeit der beste Wertmesser? Tauschen wir die Dinge
nicht im Verhältnis des zu ihrer Herstellung erforderlichen
Arbeitsaufwandes gegeneinander?« fragte ich. »Wenn dieses Buch fünf Mark
und jener Tisch zehn Mark kostet, so heißt das doch nichts anderes, als
daß die Herstellung des Buches so viel Arbeit erfordere, wie die
Herstellung des in fünf Mark enthaltenen Goldes, und die Herstellung des
Tisches so viel Arbeit, als die des in zehn Mark enthaltenen Goldes.
Wäre es nicht viel einfacher, den Arbeitsaufwand, der in Buch und Tisch
enthalten ist, direkt zu bezeichnen und das Gold ganz aus dem Spiele zu
lassen, etwa zu sagen: Das Buch ist eine Stunde und der Tisch ist zwei
Stunden Arbeit wert?«

»Ich kann Ihnen das Lob nicht vorenthalten, mein junger Freund,«
antwortete verbindlich der Bankmann, »daß Sie gerade durch die
zutreffende Art und Weise, mit welcher Sie das Wesen des Geldes
auseinanderlegten, mir den Nachweis, daß Gold ein guter, der
Arbeitsaufwand aber der denkbar schlechteste Wertmesser ist,
außerordentlich erleichtert haben. Wenn wir sagen: das Buch kostet fünf
und der Tisch zehn Mark, so haben wir damit allerdings den Wert nicht
für alle Zukunft bezeichnet, denn das Buch kann nach Jahresfrist
ebensogut vier als sechs Mark und der Tisch neun oder elf Mark wert
werden, wenn sich nämlich das wechselseitige Verhältnis des in Buch,
Tisch und Mark enthaltenen Arbeitsaufwandes zwischenzeitig verändert.
Geschieht dies aber auch, so spricht mindestens die Vermutung dafür, daß
die Ursache nicht im Golde, sondern im Buche oder im Tische gelegen sei,
d. h. wir können voraussetzen, daß, wenn z. B. ein solches Buch im
nächsten Jahre bloß vier Mark kostet, dies nicht deshalb der Fall sei,
weil nunmehr zur Herstellung von vier Mark Gold eine Stunde erforderlich
geworden sei, wie früher zur Herstellung von fünf Mark, während zur
Herstellung des Buches nach wie vor eine Arbeitsstunde erforderlich ist;
vielmehr wird unsere Vermutung dahin gehen, daß nach wie vor fünf Mark
Gold in einer Stunde fabriziert werden können, der zur Fertigstellung
eines solchen Buches erforderliche Arbeitsaufwand aber sich um ein
Fünftel verringert habe. Und zwar vermuten wir das nicht etwa aus dem
Grunde, weil dem Golde irgend eine mystische Eigenschaft der
Wertbeständigkeit innewohnen würde, sondern deshalb, weil der Wert aller
anderen Dinge der Hauptsache nach von jenem Arbeitsaufwande abhängt, der
augenblicklich zu ihrer Herstellung erforderlich ist, während beim Wert
des Goldes, von welchem seiner großen Haltbarkeit wegen im Verlaufe der
Jahrhunderte und Jahrtausende sich große Vorräte aufgestapelt haben,
dieser Einfluß einer Änderung des Arbeitsaufwandes nur verhältnismäßig
langsam vor sich geht. Der Wert des Goldes ist also etwas zum mindesten
verhältnismäßig Beständigeres als der Wert der anderen Dinge, und da es
im Wesen der Sache liegt, daß man zum Messen des Wertes besser solche
Dinge gebrauchen kann, deren eigener Wert möglichst beständig bleibt, so
ist Gold zwar kein absolut guter, aber doch unter allen Dingen der
verhältnismäßig beste Wertmesser. Das wird Ihnen auch allen anderen
Dingen gegenüber von Anbeginn eingeleuchtet haben. Es bedarf keines
tieferen Nachdenkens, um einzusehen, daß der Wert jedes Dinges viel
besser, sicherer, dauernder bestimmt ist, wenn man ihn in gewissen
Mengen Goldes ausdrückt, als wenn man es in bestimmten Mengen einer
beliebigen anderen Ware thäte. In tausend Mark besitzen Sie doch
offenbar einen unveränderlicheren Wert, als beispielsweise in hundert
Centnern Getreide. Denn Sie werden im großen und ganzen mit diesen
tausend Mark alle Ihre Bedürfnisse im nächsten Jahre ziemlich genau so
gut decken können, wie heute, während, wenn heuer eine gute und im
nächsten Jahre eine schlechte Ernte ist, dieselben hundert Centner
Getreide Ihnen im nächsten Jahre die Deckung der doppelten Gesamtsumme
von Bedürfnissen ermöglichen wie heuer.

Unter allen möglichen Dingen aber wäre der Arbeitsaufwand der denkbar
schlechteste Wertmesser. Denn während alle andern Dinge ihren Wert, d.
i. ihre Tauschkraft der Gesamtheit der andern Lebensbedürfnisse
gegenüber nur _möglicherweise_ verändern können, verändert menschliche
Arbeit ganz gewiß fortwährend ihre Tauschkraft der Gesamtheit der
Lebensbedürfnisse gegenüber, denn mit jedem Fortschritte der Kultur
sinkt der zu Beschaffung der Gesamtheit aller Bedarfsartikel
erforderliche Arbeitsaufwand. Dieser Tisch z. B. wird, wenn er in diesem
Jahre zweistündigen Arbeitsaufwand zu seiner Herstellung erfordert, im
nächsten Jahre wahrscheinlich in 1-9/10 Stunden, abermals nach einem
Jahre in 1-8/10 Stunden, nach zehn Jahren vielleicht in einer Stunde
herzustellen sein. Und da es sich durchschnittlich mit allen andern
Dingen ebenso verhalten dürfte, so folgt daraus, daß, wenn ich Ihnen
tausend Arbeitsstunden schuldig bin, diese meine Verpflichtung nach zehn
Jahren den doppelten Wert erlangt hat, während es doch meine und Ihre
Absicht bei Feststellung unseres Schuldverhältnisses ist, Vorteil und
Last desselben möglichst dauernd zu bestimmen, was am besten dadurch
geschieht, daß wir dieses Schuldverhältnis nicht in Arbeitsstunden,
sondern in Gold feststellen, also nicht sagen: ich bin Ihnen tausend
Arbeitsstunden, sondern: ich bin Ihnen fünftausend Mark schuldig. Ich
will dies an einem Beispiele erläutern. Sie sind Mitglied der »Ersten
Edenthaler Maschinen- und Transportmittel-Baugesellschaft«, welche
Association in unsern Büchern mit 2½ Millionen Pfund Sterling belastet
ist. Diese Schuld entspricht zum heutigen Arbeitswerte ziemlich genau
zehn Millionen Arbeitsstunden; zur Zeit jedoch, wo diese Darlehen
aufgenommen wurden, war der Wert der Arbeitsstunde viel geringer. Die
Herstellung der Gebäude und Maschinen, welche Sie heute benutzen, hat
weit über zwanzig Millionen Arbeitsstunden verschlungen, weil der
Arbeitsaufwand zur Herstellung der nämlichen Dinge ein desto größerer
war, je weiter wir in der Reihe der Jahre zurückschreiten. Wäre es nun
nicht die schreiendste Ungerechtigkeit, ja, wäre es überhaupt mit dem
Bestande Ihrer Association vereinbar, wenn sie zwanzig Millionen
Arbeitsstunden schuldig wäre und zahlen müßte, während doch nach den
heutigen Arbeitsverhältnissen in zwanzig Millionen Arbeitsstunden ihre
gesamten Gebäude, Maschinen und Werkzeuge zweimal hergestellt werden
könnten? Und nach ferneren zehn Jahren würden vielleicht zwanzig
Millionen Arbeitsstunden genügen, um jene Anlagen viermal zu erneuern.
Da wir in Gold rechnen, seid ihr 2½ Millionen Pfund schuldig und das ist
so ziemlich der Betrag, um welchen euere Einrichtungen auch heute zu
erneuern sind und nach zehn Jahren wahrscheinlich zu erneuern sein
werden. Eine Verschiebung kann ja Platz gegriffen haben und in Zukunft
Platz greifen; aber wenn es der Fall ist, so wäre das eine bloß
zufällige Verschiebung, gegen die sich nichts machen läßt und die
keineswegs besonders große Tragweite besitzt; die Verschiebung des
Arbeitswertes dagegen wäre eine notwendige, gewaltige, und ein
Zahlungsverhältnis auf Grund des Arbeitswertes aufbauen, hieße den
Verpflichteten von vornherein und absichtlich ruinieren.«

»Aber das ist noch nicht alles. Unsere ganze Wirtschaft würde in der
Luft schweben, wenn wir den Wert der Dinge nach dem in ihnen steckenden
Arbeitsaufwande bestimmen wollten. Denn der erste und wichtigste Zweck
des Wertmessers ist ja, den Wert der Arbeit selber zu messen. Wieviel
das Buch, der Tisch, das Getreide oder das Eisen wert sein mögen, das
sind Fragen von untergeordneter Bedeutung; worauf es uns zunächst
ankommt, das ist, jederzeit genau zu wissen, wieviel die auf eine Sache
gewendete Arbeit wert ist. Wüßten wir _das_ nicht, von wo sollten wir
wissen, worauf wir unsere Arbeit zu wenden haben? Oberste Aufgabe jeder
Wirtschaft ist doch, daß jene Dinge erzeugt werden, auf welche sich der
Bedarf richtet, und das vollzieht sich in der Weise, daß die Arbeiter
sich jenem Produktionszweige zuwenden, in welchem sie bei gleicher
Anstrengung den ihren Fähigkeiten entsprechenden höchsten Ertrag für die
aufgewendete Mühe finden. Das heißt z. B.: dieser Tisch wurde aus dem
Grunde produziert, weil die zehn Mark, die er wert ist, den mit seiner
Produktion beschäftigten Arbeitern fünf Mark für die Stunde abwarfen,
womit sie zufrieden waren. Diese zehn Mark für den Tisch oder fünf Mark
für die Stunde erhielten sie bloß, weil Nachfrage nach Tischen war;
hätten sich der Tischlerei mehr Arbeiter zugewendet, als der Nachfrage
nach Tischlereiprodukten entsprach, so wäre der Preis des Tisches
gesunken, die mit seiner Herstellung beschäftigten Arbeiter hätten
weniger erhalten, als dem Durchschnittswerte der Arbeit entsprach; das
hätte sie veranlaßt, ein anderes Gewerbe aufzusuchen, nach dessen
Produkten verhältnismäßig stärkere Nachfrage herrschte, und gerade
dadurch wäre das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage
wiederhergestellt worden. Wenn aber der Wert des Tisches nicht in Geld,
sondern in dem zu seiner Herstellung erforderlichen Arbeitsaufwande
ausgedrückt würde, dann erhielten die Tischler, gleichviel ob man ihre
Erzeugnisse braucht oder nicht, unabänderlich den gleichen Preis,
nämlich zwei Stunden, solange ein Tisch zweier Stunden zu seiner
Herstellung bedarf, weniger nur dann, wenn der Arbeitsaufwand zur
Herstellung des Tisches sinkt, und unter allen Umständen für den
gleichen Arbeitsaufwand den gleichen Wert, ihre Erzeugung mag dem
Bedürfnisse entsprechen oder nicht. Dann bliebe uns nur zweierlei
Möglichkeit offen: entweder müßten wir uns damit zufrieden geben, daß
Dinge erzeugt werden, die niemand braucht, während an Dingen, die
dringend gesucht werden, der größte Mangel herrschen könnte; oder wir
müßten an die Stelle der Freiheit in der Berufs- und Arbeitswahl
obrigkeitlichen Zwang setzen. Unsere Behörden hätten dann darüber zu
bestimmen, was erzeugt werden soll, was natürlich zur ferneren Folge
hätte, daß die Behörden die ganze Leitung der Produktion in die Hand
nehmen müßten. Um das zu vermeiden, giebt es kein anderes Mittel, als
den freien Markt mit wirklich brauchbarem, d. h. möglichst
wertbeständigem Wertmesser; ein solcher ist das Gold und deswegen haben
wir am Goldgelde als Wertmesser festgehalten.«

»Und warum werden einzelne Leistungen hier doch nach Arbeitsstunden
bemessen?« fragte ich.

»Weil wir bei diesen Leistungen -- wie Gehalte, Versorgungsansprüche u.
dgl. -- haben wollen, daß ihr Wert _nicht_ unveränderlich bleibe,
sondern schritthaltend mit dem Wachstume der Arbeitsergiebigkeit
zunehme.«

Ich dankte für die empfangene Belehrung, fragte aber des ferneren, wie
man in Freiland über jene abergläubische Angst denke, welche die meisten
Socialisten Europas und Amerikas vor dem Golde empfinden.

»Wir halten dies« -- so war die Antwort -- »für ein bloßes
Mißverständnis. Ob Gold oder irgend etwas anderes, meinethalben selbst
der Arbeitsaufwand das Wertmaß wäre, bliebe sich mit Bezug auf jene
Gefahren, die dem Gelde nachgesagt werden, mit diesem aber nicht das
Geringste zu thun haben, ganz gleichgültig. Nehmen Sie an, man würde in
Europa nicht nach Geld, sondern nach Arbeitscertifikaten rechnen; würde
dadurch die Macht der großen Kapitalisten geringer werden, wenn sie
statt über so und so viele Millionen Mark, Franken oder Pfund über so
und so viele Millionen Arbeitsstunden oder Arbeitstage verfügen würden?
Das Übel der ausbeuterischen Welt liegt darin, daß der Arbeitende nicht
den vollen Wert dessen erhält, was er erzeugt, sondern den Löwenanteil
an Grundrentner, Kapitalisten und Unternehmer abtreten muß. Oder glauben
die europäischen Socialisten, daß, wenn beispielsweise ein Centner
Getreide statt mit zehn Mark mit zehn Arbeitsstunden bezahlt würde,
diese zehn Arbeitsstunden dem Arbeiter gehören würden, der das Getreide
hervorgebracht hat? Um das zuwege zu bringen, nützt die Änderung des
Wertmessers nicht das Geringste; Boden und Kapital muß den Arbeitern
zugänglich gemacht und ihnen dadurch die Möglichkeit geboten werden, den
Arbeitsprozeß zu eigenem Nutzen zu betreiben; dann gehört ihnen das
Produkt, gleichviel wie dessen Wert ausgedrückt wird, und damit, daß
ihnen dieser Wert gehört, ist gründlich geholfen. Die Furcht vor dem
Gelde gleicht dem Zorne des Kindes, das den Fußboden schlägt, auf dem es
gestürzt, vermeinend, dieser Boden sei schuld an seinem Sturze; laßt
dieses Kind einmal das Gehen erlernt haben und es wird desto sicherer
auf seinen Füßen stehen, je fester der Boden ist, auf dem es sich
bewegt.«

Um die freiländischen Lagerhäuser kennen zu lernen, stattete ich den in
Edenthal gelegenen in Begleitung Karls einen Besuch ab. Auch die
Lagerhausverwaltung unterhält, trotzdem ihr Betrieb einheitlich für das
ganze Land zusammengefaßt ist, in den meisten größeren Orten besondere
Zweiganstalten, die dazu bestimmt sind, auf der einen Seite die
Erzeugnisse der örtlichen Produktion aufzunehmen und an die Centrale
abzugeben, auf der andern Seite für den örtlichen Bedarf die Erzeugnisse
des ganzen Landes verfügbar zu halten. Nicht minder geht der Außenhandel
durch die Hände der Lagerhausverwaltung. Es mag hier sofort bemerkt
werden, daß Freiland beinahe ausschließlich bloß solche Güter
fabriziert, bei deren Produktion Maschinenkraft eine hervorragende Rolle
spielt, während jene Güter, die ihrer Natur nach hauptsächlich durch
Handarbeit hervorgebracht werden müssen, vom Auslande eingeführt werden.
Denn die freiländischen Arbeiter wären vermöge ihrer höheren Intelligenz
und körperlichen Tüchtigkeit wohl auch in Handarbeit den ausgemergelten
Knechten der bürgerlichen Welt in allen Stücken überlegen; trotzdem kann
freiländische Handarbeit ihres hohen Wertes halber, der im Durchschnitt
ungefähr das fünfzehnfache europäischen Tagelohns beträgt, mit
bürgerlicher Handarbeit nicht konkurrieren: unsere Konkurrenzfähigkeit
beginnt erst, wenn wir unsere stählernen Sklaven eintreten lassen können
für die Knechtesarbeit der bürgerlichen Tagwerker. Denn diese unsere
Sklaven sind noch genügsamer als die Knechte des Auslandes, die doch zum
mindesten Kartoffeln zur Füllung ihres Magens und einige Lappen zur
Bedeckung ihrer Blößen verlangen, während die unserigen durch die
Elemente beinahe kostenlos gespeist werden und ein wenig Schmieröl
genügt, um ihre Glieder gelenkig zu erhalten. Freiland nimmt solcherart
im Außenhandel gleichsam die Rolle des großen Fabrikherrn, das Ausland
die Rolle des Taglöhners ein, ganz dasselbe Verhältnis, welches, wenn
auch nicht in so ausgesprochenem Maße, im Außenhandel aller Länder
stattfindet, deren Arbeitslöhne verschieden sind. So ist es z. B. die
englische Fabriksindustrie, welche für China, und die chinesische
Handarbeit, welche für England produziert.

Das freiländische Lagerhaus berechnet den Produzenten nichts für
Einlagerung und Verkauf der Waren; die Gebühr wird aus der allgemeinen
Steuer gedeckt und gelangt solcherart in der einfachsten Weise zur
Verteilung an alle Produzenten. Der Verkauf der Massenartikel geschieht
im Wege von Auktionen, in welchen die großen Kunden, das sind die
freiländischen Associationen und das Ausland, ihren Bedarf decken. Doch
auch die Gegenstände des Einzelbedarfs werden in der Regel von der
Lagerhausverwaltung der Güte nach klassifiziert und der Preis für
dieselben nach dem von der statistischen Centralstelle und der Bank
mitgeteilten durchschnittlichen Kostenbetrage angesetzt, welcher
Kostenansatz jedoch keineswegs als etwas Unabänderliches gilt, sondern,
so oft die Nachfrage das Angebot zu überflügeln sich anschickt,
entsprechend erhöht, im umgekehrten Falle entsprechend ermäßigt wird.

Als wir die Möbelabteilung des Lagerhauses durchschritten, wo tausende
und abertausende der verschiedenartigsten Einrichtungsstücke
übersichtlich geordnet und mit Preisangaben versehen ausgestellt waren,
fiel uns vor einem besonders kunstreich ausgeführten Schrank, in tiefe
Gedanken versunken stehend eine Gestalt auf, in der wir alsbald
Professor Tenax, unsern einstigen Lehrer der Nationalökonomie -- wir
hatten nämlich beide während unserer technischen Studien dieser
Wissenschaft zwei Semester an der Universität unseres Geburtsortes
gewidmet -- erkannten. Wir begrüßten freudig den grundgelehrten, bei all
seinen Schülern überaus beliebt gewesenen Mann und wollten ihn eben
fragen, was ihn hierher geführt und wie lange er sich in Freiland
aufzuhalten gedenke, als er, diese Auseinandersetzung kurz abwehrend, in
die zornigen Worte ausbrach: »Und das nennt man das Land der Freiheit!
Seht her, Ihr jungen Leute, dahin muß es kommen, wenn man gegen die
Grundsätze der Wissenschaft verstößt! Dieses wundervolle Stück hier,
welches in Europa seine guten tausend Mark wert ist, muß sich gefallen
lassen, hier unter allerlei miserable Marktware gemengt für fünfhundert
Mark feilgehalten zu werden. Ist das nicht der Tod aller hervorragenden
Geschicklichkeit, wenn solcherart die Produzenten gezwungen werden, ihre
Erzeugnisse nach der unberechenbaren und unkontrollierbaren Laune einer
allmächtigen obersten Behörde abschätzen zu lassen?«

»Aber, mein verehrter Lehrer,« so wagte Karl schüchtern einzuwenden, »es
zwingt ja niemand die Erzeuger dieses Schrankes, sich der Abschätzung
der Lagerhausverwaltung zu fügen; wenn ihnen diese unzutreffend
erscheint, wenn sie glauben, mehr erhalten zu können, so steht es ihnen
frei, einen beliebig hohen Preis anzusetzen. Wenn sie sich mit
fünfhundert Mark für ein Stück begnügen, welches in Europa allerdings
den doppelten Preis hätte, so liegt dies nur daran, daß man hier alles
mit Maschinen, in Europa dagegen zumeist durch bloße Handarbeit
fabriziert. Sie werden dieselbe verhältnismäßige Wohlfeilheit auch bei
den anderen Möbeln finden. Der Preisansatz der Lagerhausverwaltung
entspricht offenbar dem wirklichen Werte des Stückes.«

Es war die Eigenheit unseres geschätzten Lehrers, eine Widerlegung,
gegen welche er nichts Stichhaltiges vorzubringen vermochte, damit zu
beantworten, daß er eine ganz neue Frage aufwarf; und so meinte er denn
mit einem verächtlichen Achselzucken: »Und ist es vielleicht >Freiheit<,
daß man hier jeden Menschen zwingt, sich in irgend eine große
Association einschachteln zu lassen, wenn er irgend etwas arbeiten
will?«

»Auch dazu wird ja niemand gezwungen,« nahm nun ich das Wort.

»So?« -- fragte ironisch Professor Tenax. »Dann sagen Sie mir einmal,
Sie junger Alleswisser, wer in Freiland auf eigene Faust, allein auf
sich gestellt, arbeitet?«

»Niemand,« gab ich zu. »Aber das unterbleibt nur, weil niemand Lust dazu
hat.«

»Wundervoll!« höhnte Tenax. »Es hat niemand Lust dazu, weil niemand es
wagen darf, ein solches Gelüste zu zeigen. Ist es etwa nicht wahr, daß
ihr die Benutzung jedes Fleckchens Boden und die Bewilligung jedes
Produktionskredits an die Bedingung knüpft, daß alle Welt an der mit
Hilfe dieses Bodens und dieses Kredits in Gang gesetzten Produktion
teilzunehmen das Recht haben müsse?«

»Allerdings,« erklärte ich. »Aber abgesehen davon, daß ich darin, wenn
an die Benutzung einer aller Welt gehörigen Sache die Bedingung geknüpft
wird, deren Gebrauch müsse aller Welt zugänglich sein, kein Unrecht zu
erblicken vermag, abgesehen davon ist es gar nicht das, was irgendwen
hindert, auf eigene Faust zu arbeiten Sollte sich ein Sonderling finden,
der Lust bezeugte, eine Arbeit für sich allein zu betreiben, so würde
wohl alle Welt hier über ihn verwundert den Kopf schütteln, sich aber
schwerlich jemand finden, der sich ihm zu dem Zwecke aufdrängte, an
seiner Thorheit teilzunehmen.«

»Was man nicht alles lernt, wenn man alt genug wird!« rief Professor
Tenax. »Also auf eigene Faust zu arbeiten, ist eine so unermeßliche
Thorheit, daß hier in diesem Lande der alles durchdringenden Vernunft
sich niemand findet, der derselben fähig wäre? Merkwürdig nur, daß wir
da draußen all die Jahrtausende unserer bisherigen Kultur hindurch just
das Gegenteil von dem vor uns sahen, was hier mit einemmale als das
einzig Mögliche hingestellt wird. Möchten Sie mir nicht erklären, woher
dieser Umschwung in den Anschauungen und Neigungen der Menschen hier so
urplötzlich eingetreten ist?«

»Es ist das kein Umschwung der Anschauungen und Neigungen, sondern ein
solcher der äußeren Existenzbedingungen,« antwortete Karl. »Auch da
draußen würde jedermann lieber mit vereinten Kräften mehr und besseres,
als vereinzelt weniger und schlechteres erzeugen, wenn er nur die Mittel
dazu hätte, nämlich das zu großer Produktion erforderliche große
Kapital. Hier wo diese Möglichkeit für jedermann gegeben ist, zwingt den
Arbeiter sein eigener Vorteil, sich einer großen Vereinigung von
Arbeitskräften anzufügen, weil er nur in dieser Vereinigung jene
großartigen Arbeitsbehelfe handhaben und ausnutzen kann, die den Ertrag
seiner Arbeit verzehnfachen und verfünfzigfachen.«

Abermals wechselte Professor Tenax das Thema und fragte, schon
einigermaßen gereizt, ob wir denn auch rechtfertigen könnten, daß
Produzenten, die unter allem erdenklichen Aufwande von Fleiß und
Geschicklichkeit ihr Geschäft in Blüte gebracht hätten, durch die
sogenannte Freizügigkeit der Arbeitskräfte gezwungen würden, jeden
Unhold in ihrer Mitte aufzunehmen, der ihnen die Ehre erweisen wolle, an
den Früchten ihrer Arbeit teilzunehmen. »Wenn ich nicht einmal das Recht
habe, mir die Genossen meiner Arbeit nach meinem Geschmacke auszuwählen,
so ist das nicht Freiheit, sondern Galeerensklaverei.«

»Also wählen sich in der bürgerlichen Welt die Arbeiter ihre Genossen
nach ihrem Geschmacke?« fragte nun ich, Spott mit Spott zurückgebend.
»Davon habe ich in europäischen Fabriken nichts bemerkt.«

»Aber in Europa hat wenigstens der Arbeitgeber oder dessen
Stellvertreter das Recht, sich die Leute anzusehen, bevor er sie
aufnimmt.«

»Richtig. Doch thut er dies nicht auf ihre Liebenswürdigkeit und ihre
gefälligen Umgangsformen hin, sondern sieht sie bloß darauf an, ob sie
ihm für die Arbeit, zu welcher sie sich anbieten, geeignet erscheinen
oder nicht; das thun unsere Direktoren auch, und der Unterschied liegt
bloß darin, daß diese unsere Direktoren, welche zwar nicht über die
Aufnahme, wohl aber über die Verwendung jeglicher Arbeitskraft zu
entscheiden haben, Beauftragte nicht eines den Arbeitern fremd und kalt
gegenüberstehenden Arbeitgebers, sondern der Arbeiter selbst sind.
Schlimmer also, als in der bürgerlichen Welt, ist es bei uns in diesem
Punkte auf keinen Fall.«

»Aber auch nicht um vieles besser,« knurrte Professor Tenax; »und ihr
rühmt euch doch, die beste aller Welten eingerichtet zu haben.«

»Daß ich nicht wüßte,« erklärte Karl. »Wir glauben, die den derzeitigen
Existenzbedingungen der Menschheit entsprechende best_mögliche_ Ordnung
eingeführt zu haben; das absolut Beste, an und für sich Vollkommene zu
erreichen, überlassen wir den Göttern. Solange die Menschen nicht Engel
geworden sind -- und wir maßen uns nicht an, sie dazu machen zu können
-- werden sie etwaige Folgen ihrer Fehler zu ertragen haben. Und wenn
daher einzelne Genossen nicht in allen Stücken _eines_ Herzens und
_eines_ Sinnes mit den übrigen sind, so müssen das beide Teile als etwas
Unabwendbares hinnehmen, ohne sich das Recht anzumaßen, um dieser
mangelnden vollkommenen Harmonie willen den andern Teil in seinem Rechte
zu kränken.«

»Aber begreifen Sie denn nicht,« rief Professor Tenax, »daß es unter
Umständen geradezu unleidlich werden kann, sich an Personen gekettet zu
sehen, die einem -- gleichviel aus welchem Grunde -- nun einmal zuwider
sind?«

»Es fragt sich nur, was Sie unter diesem >aneinander gekettet sein<
verstehen. In mein Haus, in meine Familie, in meinen gesellschaftlichen
Verkehr werde ich nur Menschen zulassen, die mir angenehm sind; aber in
der Fabrik handelt es sich ja nicht um geselligen Umgang, sondern um
Produktion, und damit diese einträchtig von statten gehe, genügt es, daß
mein Nebenmann die Arbeit verstehe, auch wenn er keinerlei Verständnis
und Sympathie für meine geistigen oder gemütlichen Regungen besitzt.
Insbesondere im modernen Großbetrieb tritt die Persönlichkeit des
Arbeitenden so sehr in den Hintergrund vor der Gewalt der Maschine, daß
nur einigermaßen vernünftige Disciplin vollauf genügt, um alle aus
persönlichen Gegensätzen herrührenden Mißhelligkeiten von vornherein
unmöglich zu machen. Wenn wir uns das Recht anmaßen wollten,
unsympathische Personen von unsern Fabriken fernzuhalten, warum sollten
wir sie dann in unseren Städten dulden? Unangenehme Gewohnheiten,
Anschauungen oder Neigungen eines Menschen sind mir viel unbequemer,
wenn ich mit ihm denselben Wohnort, als wenn ich die Arbeitsstätte mit
ihm teilen muß. Denn nur in dem ersteren habe ich mit ihm als Menschen,
in der letzteren hauptsächlich als Gütererzeuger zu thun. Wenn Sie also,
geehrtester Professor, ein Feind der Freizügigkeit sind, weil sie uns
mit jedem beliebigen >Unhold< in Verbringung bringen kann, dann sollten
Sie in erster Linie gegen die _politische_ Freizügigkeit zu Felde
ziehen, die aber, wie ich sehr gut weiß, obenan steht auf dem Programme
gerade jener politischen Richtung, zu deren Zierden Sie gehören, nämlich
der liberalen.«

»Mit Fanatikern gleich euch ist nicht fertig zu werden,« brach jetzt
Professor Tenax das ihm unbequem gewordene Gespräch ab, was ihn jedoch,
da er von Natur guten Herzens ist, nicht hinderte, Karls Einladung,
während seiner Anwesenheit in Edenthal recht häufig unser Gast zu sein,
bereitwilligst anzunehmen.



                            Zehntes Kapitel.

        Unmöglichkeit von Krisen in Freiland. Die freiländische
                          Rentenversicherung.


Ich hatte sehr rasch begreifen gelernt, warum der Grundsatz der
Freizügigkeit, der in nichts anderem als in der Hinwegräumung jedes dem
wohlberatenen Eigennutze entgegenstehenden Hindernisses besteht, zur
Harmonie aller wirtschaftlichen Verhältnisse führen müsse; um
Unklarheiten, die sich mir in diesem Punkte aufdrängen mochten, vollends
zu beseitigen, genügte es, wenn ich die großen Klassiker der
nationalökonomischen Wissenschaft, insbesondere Adam Smith zu Rate zog,
deren Lehre ja in allen Stücken auf der Durchführung dieses Grundsatzes
beruht und die bei ihren Schlußfolgerungen bloß darin irrten, daß sie
vermeinten, die _politische_ Freiheit allein könne genügen, um die der
freien Bethätigung des Eigennutzes Aller entgegenstehenden Hindernisse
zu beseitigen. Nur eines wurde mir nicht völlig klar, die Frage nämlich,
ob denn nicht unter Umständen auch über Freiland eine jener Krisen
hereinbrechen könne, eine jener allgemeinen Absatzstockungen, von denen
die bürgerliche Welt periodisch heimgesucht wird. Die Arbeitserträge
gleichen sich in Freiland unter dem Einflusse der Freizügigkeit in der
Weise aus, daß es den Arbeitern ermöglicht ist, der Stätte des jeweilig
höchsten Ertrages zuzuziehen. Das ist nun in der bürgerlichen Welt
allerdings nicht möglich, denn die Arbeiter haben dort nicht die Macht,
sich ihre Arbeitsstätten auszuwählen; sie müssen warten, bis der
Unternehmer ihrer bedarf. Aber der Nutzen der Unternehmer ist es, was in
der bürgerlichen Welt -- zum Teile wenigstens -- den freiwaltenden
Eigennutz der Arbeitenden ersetzt; wenn es den Unternehmern schlecht
geht, entlassen sie Arbeiter, wenn es ihnen gut geht, nehmen sie welche
auf, und man sollte also meinen, daß -- langsam zwar, aber schließlich
doch in der gleichen Weise wie in Freiland -- die Gewinne sich
ausgleichen, jede Absatzstockung vermieden werden müßte. Da dies in der
bürgerlichen Welt nicht der Fall ist, ja, da mehr und mehr allgemeine
Absatzstockung, d. h. Überproduktion zur Regel wird, so suchte ich lange
vergeblich nach dem letzten Erklärungsgrunde für den Unterschied, den
ich so sinnfällig vor Augen sah und von welchem eine innere Stimme mir
sagte, daß er sich als notwendig begründen lassen müsse. Der Vorsteher
des Lagerhauses brachte mich bei einem Besuche, den ich ihm kürzlich in
geschäftlichen Angelegenheiten meiner Gesellschaft abstattete, mit
wenigen Worten auf die rechte Spur.

Als ich ihn fragte, ob sich nicht gelegentlich eine allgemeine
Überfüllung der Lagerräume infolge zum mindesten vorübergehender
allgemeiner Absatzstockung einstelle, antwortete er mir mit der
verwunderten Gegenfrage: »Ja wozu sollten denn in einem solchen Falle
alle hier aufgestapelten Waren produziert worden sein? Ihr von der
Edenthaler Transportmittel-Gesellschaft erzeugt doch die Maschinen,
welche ihr hersendet, nicht, weil es euch Vergnügen macht, mit Eisen und
Stahl zu hantieren, sondern weil ihr mit dem Ertrage eurer auf diese
Maschinen gewendeten Arbeit eure unterschiedlichen Bedürfnisse decken
wollt; das nämliche gilt von den Gesellschaften, welche die der
Lagerhausverwaltung eingesendeten Möbel, Kleidungsstoffe, Nahrungsmittel
u. dgl. erzeugt haben; alle verkaufen sie bloß, um zu kaufen, und es
kann sich daher stets nur darum handeln, ob gerade die richtigen Dinge
erzeugt worden sind, jene Dinge nämlich, auf welche sich die Nachfrage
der Verkäufer, welche zugleich Käufer sind, richtet, und damit das
zuwege gebracht werde, dafür sorgt eben unsere Freizügigkeit. Daß im
allgemeinen mehr erzeugt werde, als man braucht, dazu wäre erforderlich,
daß unsere Produzenten nicht arbeiten, um zu genießen, sondern um der
Plage der Arbeit willen.« Und als ich des ferneren einwendete, daß das
alles auch in der bürgerlichen Welt gelte und trotzdem Überproduktion
dort sogar die Regel sei, meinte der Lagerhausverwalter lächelnd: »Sie
übersehen, daß sich all das in der bürgerlichen Welt eben _nicht_ so
verhält; zwar arbeiten auch dort die Leute, nicht um sich zu plagen,
sondern um zu genießen, aber sie mögen um noch so vieles mehr erzeugen,
sie können deswegen doch nicht mehr genießen, weil ja der Ertrag ihrer
Arbeit nicht ihnen, d. h. nicht den Arbeitenden, sondern einer
Minderheit, den Arbeitgebern, gehört.«

»Richtig. Aber diese letzteren wollen doch genießen, was die anderen
hervorbrachten?«

»Nein, auch diese wenigen können und wollen nur zum Teil genießen, was
jene hervorbringen; sie können es nur zum Teil, weil sie ja schließlich
auch nur je einen Magen und je einen Körper haben; sie wollen es nur zum
Teil, weil sie es vorziehen, einen andern Teil der ihnen gehörigen
Arbeitserträge nicht als Genußmittel, sondern als Machtmittel
anzuwenden.«

»Sie meinen, die Arbeitgeber wollen einen Teil der Arbeitserträge
kapitalisieren?« entgegnete ich. »Kapitalisieren heißt aber den
Arbeitsertrag in ein Instrument neuer Arbeit verwandeln. Und ob nun die
Arbeitgeber Spitzen und feine Weine, oder ob sie Maschinen,
Fabrikseinrichtungen und Werkzeuge kaufen, bleibt sich in dem Punkte, um
welchen es sich hier handelt, ganz gleichgültig; sie wollen immer für
das, was sie verkaufen, etwas anderes kaufen. Und immer wieder sollte es
sich nur darum handeln, ob gerade die richtigen Dinge erzeugt werden,
nicht aber darum, ob überhaupt Dinge in genügender Menge auf dem Markte
gesucht werden.«

»Ja, wenn die bürgerlichen Arbeitgeber neben Spitzen und Weinen nur
Maschinen, Werkzeuge und Fabrikseinrichtungen auf dem Markte suchen
wollten oder könnten, dann gäbe es freilich auch in der bürgerlichen
Welt kein allgemeines Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage; aber
darin liegt's eben: sie können und sie wollen keine Werkzeuge und
Maschinen kaufen, weil sie keine Verwendung für diese haben, d. h.
wohlverstanden, keine über ein gewisses, sehr eng begrenztes Maß
hinausgehende Verwendung. Man kann doch keine neuen Spinnereien bauen,
wenn der Verbrauch an Gespinsten nicht zunimmt, keine neuen
Schuhwarenfabriken errichten, wenn nach wie vor die große Masse der
Menschen barfuß oder in zerrissenen Stiefeln umherlaufen muß. Den
Arbeitgebern bleibt nichts übrig, als ihre sogenannten Ersparnisse dazu
zu verwenden, um bereits bestehende Fabriken, Eisenbahnen und sonstige
Anlagewerte zu kaufen, d. h. den Preis derselben wetteifernd in die Höhe
zu treiben. Damit aber, daß eine bereits bestehende Fabrik oder
Eisenbahn oder die über diese Fabrik oder Eisenbahn im Umlauf gebrachten
Besitztitel im Preise steigen, wird keinerlei Nachfrage auf dem
Gütermarkte hervorgerufen; die Kapitalisten der bürgerlichen Welt sind
also regelmäßig in der Lage, zwar alle ihnen gehörigen Erzeugnisse
verkaufen, aber nur für einen Teil des Erlöses andere Erzeugnisse auf
dem Markte kaufen zu wollen; das ruft natürlich ein Mißverhältnis
hervor, welches man mit dem Namen Überproduktion belegt hat, und
welches, wenn es stärkeren Umfang erreicht, Krisis heißt.«

Diese einfache Darlegung machte mir klar, warum hierzulande ein
derartiges allgemeines Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage
gänzlich ausgeschlossen ist. Da es unzweifelhaft einem allgemein
geltenden Gesetze entspricht, daß niemand produziert zu anderm Zwecke,
als um für den Erlös seiner Produktion irgend etwas einzutauschen, und
da es hier nichts anderes als Erzeugnisse menschlicher Arbeit giebt, die
man eintauschen kann, so muß immerwährendes Gleichgewicht herrschen,
etwas, was bekanntlich die großen Ökonomisten auch für die bürgerliche
Welt als notwendig hingestellt haben, ohne sich selbst klar zu sein,
warum es, wie ihrem Scharfsinne niemals vollständig entging, doch
thatsächlich nicht zutraf. Auch der Freiländer kann dasjenige, was er
erzeugt, wenn er will in irgend einer Form beiseite legen, ersparen;
aber die Form, in der er das thut, kann unter keinen Umständen eine
andere sein, als daß er dem Markte irgend ein Erzeugnis menschlicher
Arbeit entnimmt. In ein Machtmittel, in einen verbrieften Anspruch auf
zukünftige Arbeitsergebnisse anderer Menschen vermag er in Freiland sein
Arbeitsergebnis niemals zu verwandeln und er kann daher niemals das
Gleichgewicht des freiländischen Marktes stören, indem er im Austausch
für seine Erzeugnisse statt der _Erzeugnisse_ anderer, solche
_Machtansprüche_ über andere zu erwerben sucht. So lange es für Freiland
ein Ausland giebt, geschieht es, daß freiländische Sparer ausländische
zinstragende Werte kaufen; aber auch das kann natürlich nur auf dem
fremden, nicht aber auf dem freiländischen Markte ein Mißverhältnis
zwischen Angebot und Nachfrage nach Waren hervorrufen; denn in diesem
Falle sind es eben freiländische Erzeugnisse, die für ausländische
Besitztitel hintangegeben werden; es vermindert sich also in einem
solchen Falle allerdings die Nachfrage, ebenso aber auch das Angebot von
Waren in Freiland.

Ebensowenig vermag der Außenhandel das Gleichgewicht zwischen Nachfrage
und Angebot in Freiland zu stören. Da es doch offenbar ist, daß uns das
Ausland nichts schenkt, sondern stets nur Ware gegen Ware tauscht, so
steht notwendigerweise den zum Verkaufe bei uns angebotenen fremden
Waren eine entsprechende Nachfrage aus dem Erlöse freiländischer, im
Auslande verkaufter Waren gegenüber. Der Außenhandel bewirkt bloß, daß
wir unsern Bedarf an solchen Gütern, die vorteilhafter im Auslande als
im Inlande erzeugt werden, nicht direkt durch die Selbsterzeugung dieser
Dinge, sondern dadurch decken, daß wir an ihrer Statt solche Dinge
hervorbringen, die vorteilhafter bei uns als im Auslande produziert
werden können, was natürlich zur Folge hat, daß wir diesen Teil unseres
Bedarfes besser und reichlicher zu decken vermögen, als wenn wir die
fraglichen Dinge unmittelbar selber herstellten. Dagegen läßt sich
allerdings nicht leugnen, daß die Handelsbeziehungen mit dem von
häufigen und heftigen Produktionsschwankungen heimgesuchten Auslande
häufigere und heftigere Schwankungen des Gleichgewichtes unserer eigenen
Produktionserträge hervorrufen, als durch die Schwankungen unserer
eigenen Produktions- und Nachfrageverhältnisse von Haus aus bedingt
wäre. Es kommt mitunter vor, daß das Ausland gewisse Güter, die auch bei
uns selbst erzeugt werden, zu Schleuderpreisen bei uns verkauft, was
dann zur selbstverständlichen Folge hat, daß auch unsere eigenen Preise
und damit die Erträge unserer eigenen davon zunächst betroffenen
Produktionen herabgedrückt werden; allein solche Ungleichheiten werden
dank unserer Freizügigkeit leicht und ohne tiefergehende Schädigung der
dabei Beteiligten überwunden. Wollten wir uns gegen das Ausland
absperren, so könnten wir uns gegen solche Schwankungen schützen; aber
da dies auf Kosten der internationalen Arbeitsteilung und folglich auf
Kosten unseres Wohlstandes vor sich ginge, indem wir solcherart dauernd
genötigt wären, statt jener Dinge, die wir mit dem größten Vorteil
produzieren, jene Dinge zu erzeugen, die wir unmittelbar selber
verbrauchen, so läßt sich hier niemand beifallen, derartige
Absperrungsmaßregeln zu befürworten.

Eine ganz besondere Art von Hinterlegung der Produkte gegenwärtiger
Arbeit für zukünftigen Gebrauch findet durch Vermittelung der
Versicherungsabteilung unserer freiländischen Centralbank statt. Wie
bereits erwähnt, hat jeder Freiländer für den Fall seiner
Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Versorgung durch die Gesamtheit; doch
beträgt dieser Versorgungsanspruch bloß vier Zehntel des
durchschnittlichen Ertrages freiländischer Arbeit für Männer und drei
Zehntel für Frauen; das genügt zwar für behäbiges, ja reichliches
Auskommen, nicht aber unter allen Umständen, um den Beteiligten die ganz
unveränderte Fortführung jener Lebensweise zu gestatten, an die sie sich
während der Zeit ihrer Thätigkeit gewöhnt haben mögen. Die
Versicherungsabteilung bietet nun denjenigen, die im späteren Alter für
sich und ihre Frau mehr als den allgemeinen Versorgungsanteil haben
wollen, das Mittel, diesen ihren Zweck zu erreichen. Wer eine nach
Altersklassen abgestufte Prämie zahlt, kann seine Versorgungsrente
beliebig erhöhen.

Das eigentümliche dieser freiländischen Versicherung besteht darin, daß
für die eingezahlten Prämien zwar keine Zinsen angerechnet werden, dafür
aber die gesamte Verrechnung nicht in Geld, sondern in Arbeitswerten vor
sich geht. Es ist dies folgendermaßen zu verstehen. Europäische oder
amerikanische Versicherungsanstalten bezahlen z. B. einem Manne
bestimmten Alters, der bis zu einem vorher bestimmten Zeitpunkte
jährlich fünfhundert Mark einzahlt, nach diesem Zeitpunkte -- sagen wir
-- jährlich tausend Mark als Rente; die freiländische Versicherung zahlt
einem solchen Manne für je hundert Stundenwerte, die er jährlich bis zu
eintretender Arbeitsunfähigkeit als Prämie entrichtet, von da ab eine
Jahresprämie von zweihundert Stundenwerten; nun beträgt aber der
Stundenwert gegenwärtig in Freiland fünf Mark; er dürfte bei Eintritt
des hier ins Auge gefaßten Rentenbezuges vielleicht zehn Mark betragen
und bis zum Tode des Bezugsberechtigten auf zwölf Mark steigen; unser
Mann hätte also eine allmählich von fünfhundert bis zu tausend Mark
steigende Jahresprämie gezahlt und sich dafür eine von zweitausend auf
zweitausendvierhundert Mark steigende Rente gesichert. Der Zweck dieser
Einrichtung ist, Leistung wie Gegenleistung mit der Leichtigkeit der
Einzahlung einerseits und mit dem durch den allgemeinen Reichtum
bedingten Wachstume der Bedürfnisse anderseits in Einklang zu bringen;
wenn der Wert der Arbeit in Freiland steigt, sollen, gleich den
allgemeinen Versorgungsansprüchen, auch die von der Versicherung
gezahlten Renten steigen.

Da die Versicherungsanstalt in Freiland natürlich keine Zinsen machen
kann, so ist das solcherart eintretende Wachstum der Versicherungsrenten
streng genommen nach versicherungstechnischen Grundsätzen
ungerechtfertigt; die Versicherten erhalten im Durchschnitt wesentlich
mehr, als ihrer Einzahlung entspricht, und der Unterschied muß natürlich
von der Gesamtheit getragen werden. Aber man ist in Freiland der
Ansicht, daß hierin keine Ungerechtigkeit liegt. _Zinstragend_ kann die
Versicherungsanstalt die Einzahlungen der Versicherten allerdings nicht
anlegen, aber sie legt sie eben doch und zwar durch Vermittelung der
Centralverwaltung _fruchtbringend_ an, sei es in Form dem allgemeinen
Nutzen dienender Bauten, sei es in Form der den Associationen gewährten
Kredite. Das Gemeinwesen ist es, welches den Vorteil aus allen diesen
Anlagen hat, und zwar nehmen daran nicht bloß die Einzahlenden und ihre
Zeitgenossen, sondern auch die kommenden Geschlechter teil; die
Versicherten haben aus ihren Ersparnissen der Gesamtheit für Gegenwart
und Zukunft Instrumente fruchtbarer Arbeit zur Verfügung gestellt, und
wenn ihnen nun bei Bemessung der Rente außer den eingezahlten Beträgen
selbst noch ein Teil des kraft dieser Einzahlungen erzielten Zuwachses
der Arbeitserträge vergütet wird, so ist dies nicht mehr als billig.

Nebenbei bemerkt erwächst für die Gesamtheit einstweilen und wohl noch
auf Jahrzehnte hinaus aus dieser Versicherungseinrichtung
keinerlei Last, im Gegenteil ermöglichen die Eingänge aus den
Versicherungsprämien, daß dem Kapitalbedürfnisse der Gesamtheit
entsprochen werden kann, ohne daß die allgemeine Steuer jene Höhe
erreichen müßte, die andernfalls zur Aufbringung der erforderlichen
Beträge notwendig wäre. Es übersteigen nämlich derzeit die
Prämieneinzahlungen weitaus die Renten, und das wird insolange währen,
als infolge der Neuheit dieser Einrichtung einerseits und des rapiden
Wachstums der Bevölkerung anderseits die Menge der zahlenden
Versicherten so vielfach größer ist als die Menge der Zahlung
Empfangenden. Später einmal wird sich das ändern; aber wenn es
geschieht, wird inzwischen die Ergiebigkeit der freiländischen Arbeit
und zwar unter Mitwirkung der von den Versicherten beigesteuerten
Kapitalien so gewaltig gewachsen sein, daß eine allfällige geringfügige
Erhöhung des Steuersatzes leicht zu ertragen sein wird.

Zum Schlusse will ich noch erwähnen, daß diese ganze Einrichtung sich
lediglich auf Altersrenten, nicht aber auf die Versorgung von Kindern
bezieht. Letzteren genügt unter allen Umständen ihr unveräußerlicher
Anspruch auf den Fruchtgenuß des Gesamtreichtums. Daß die Zukunft zu
Gunsten von Menschen belastet werde, die in der Vergangenheit noch
nichts geleistet haben, halten die Freiländer für unsinnig. Über die
Ergebnisse seiner eigenen Arbeit kann jedermann nach seinem Belieben im
Leben wie für den Todesfall verfügen; es steht ihm also frei, seinen
Kindern zu hinterlassen, was er ersparte -- mehr aber nicht.



                            Elftes Kapitel.

     Eine Ferienreise in Freiland. Der landwirtschaftliche Betrieb.
                   Verteilung von Boden und Kapital.


Da Karl die eine Hälfte seiner Ferienzeit für den Monat August
vorgemerkt hatte -- es werden nämlich in der Regel die üblichen zwei
Ferienmonate nicht in einem Zuge, sondern in zwei verschiedenen
Abschnitten genossen -- so beschloß ich, auch meinen Urlaub in der
gleichen Zeit zu nehmen. Im allgemeinen gilt es als Sitte, daß die
jüngeren Kollegen sich in Bezug auf die Verteilung der Ferien den
Wünschen der älteren anbequemen, in der Art, daß diesen die Wahl
gelassen ist und die jüngeren erst Urlaub nehmen, wenn jene
zurückgekehrt sind. Ein Zwang in dieser Beziehung besteht nicht, aber
ich hatte bald bemerkt, daß Sitte und Gepflogenheit hier eine Macht
ausüben, die derjenigen der strengsten Gesetze gleichzuachten ist. Es
ist das übrigens nichts Freiland Eigentümliches, sondern eine Erfahrung,
die, wenn auch selbstverständlich nicht im selben Maße, schon die
bürgerliche Welt überall gemacht hat, wo das in ihr überhaupt mögliche
Maß von Freiheit zur Geltung gelangte. Ich hätte mich also im August,
der als Ferienmonat stark begehrt wird, nicht frei machen können, wenn
nicht einer der älteren Kollegen aus Rücksicht auf mein
freundschaftliches Verhältnis mit Karl freiwillig zurückgetreten wäre
und dafür die mir zugefallene Ferienzeit, den September, in Tausch
genommen hätte.

Die Ferien werden von den Freiländern zumeist zu Reisen benutzt. Man
durchwandert die Gebirgswelt des Kenia oder der 70 Kilometer von diesem
westwärts gelegenen Aberdarekette, unternehmendere Touristen dehnen ihre
Ausflüge bis an den 350 Kilometer nordwestlich gelegenen Gebirgsstock
des Elgon aus, der zwar keinen einzigen dem Kenia auch nur annähernd an
Mächtigkeit ebenbürtigen Gipfel aufweist, dessen einzelne Höhen jedoch
gleichfalls bis in die, hier unterm Äquator bei 14000 Fuß Seehöhe
beginnende Schneeregion hineinragen. Andere steigen über Uganda zum
Ukerewesee herunter, dessen 4000 Fuß über dem Meeresspiegel gelegene
Uferlandschaften in der kühlen Jahreszeit einen sehr angenehmen
Aufenthalt und Gelegenheit zu großartigem Ruder- und Segelsport bieten.
Alle diese Ausflüge sind durch ein zwar noch in den Anfängen
begriffenes, für europäische Begriffe aber doch schon stark entwickeltes
Straßen- und Eisenbahnnetz ungemein erleichtert und an den best- und
schönstgelegenen Punkten haben verschiedene freiländische
Baugesellschaften Gasthöfe und Villen errichtet, in denen die Reisenden
je nach Geschmack entweder in idyllischer Einsamkeit oder zu größeren
Gesellschaften vereint zu den billigsten Preisen Unterkunft finden. Da
der Personentransport auf den Eisenbahnen durch ganz Freiland gar nichts
kostet, sondern -- gleich Post, Telegraph und elektrischer Kraftleitung
-- vom Gemeinwesen unentgeltlich geleistet, d. h. aus der allgemeinen
Auflage gedeckt wird, so stellt sich das Reisen in Freiland kaum
wesentlich höher als der Aufenthalt am ständigen Wohnorte. Für fünfzig,
höchstens achtzig Pfennige den Tag erhält man überall ein bequem
eingerichtetes Hotelzimmer, eine ganze, aus drei bis acht Wohnräumen
bestehende Villa für fünfzehn bis vierzig Mark die Woche; Lebensmittel
sind überall zu fabelhaft mäßigen Preisen zu haben, und nur die
Bereitung der Speisen verursacht in den einsamer gelegenen Villen etwas
größere Kosten. Ich habe während unseres einmonatlichen Umherwanderns
vom Kenia bis zum Ukerewe nicht mehr als zweihundertundzwanzig Mark
ausgegeben und von dieser Summe kamen reichlich drei Vierteile nicht auf
die Deckung der gewöhnlichen Lebensbedürfnisse, sondern auf den Aufwand
für Bergführer, Ruderboote, eine Segelyacht, Reitpferde u. dgl.; hätten
wir drei, nämlich Karl, seine Frau und ich, die kostspieligeren Ausflüge
nicht für uns allein, sondern in größerer Gesellschaft unternommen, so
wäre ich ganz gut mit der Hälfte dieser Summe und, falls ich mich auch
in Speise und Wohnung eingeschränkt hätte, mit etwa dem vierten Teile
ausgekommen.

Es bedarf wohl keiner ausdrücklichen Versicherung, daß mich auf diesen
Ausflügen neben der überwältigenden Schönheit der Naturscenen in erster
Linie die Einrichtung der verschiedenen freiländischen Industrien und
insbesondere der landwirtschaftlichen Gesellschaften interessierte,
deren in unmittelbarer Nähe Edenthals nur zwei kleinere, hauptsächlich
den Gemüse- und Obstbau betreibende, vorhanden sind.

Staunenswert ist, wie in allen freiländischen Gewerken, so auch in den
landwirtschaftlichen, die alles umfassende Anwendung von Maschinenkraft.
An der Spitze der landwirtschaftlichen Associationen steht in dieser
Beziehung derzeit die Gesellschaft von Obertana, die auf 600
Quadratkilometern oder 30000 Hektaren nicht mehr als 2400 Arbeiter
ständig beschäftigt hat, welche allerdings in der Saat- und Erntezeit
Wochen hindurch von aus den verschiedenen Industrien der Umgebung
zuwandernden 5000-10000 Arbeitern unterstützt werden. Und man glaube
nicht etwa, daß die Bewirtschaftungsmethode eine oberflächliche, auf
unvernünftigen Raubbau gerichtete ist. Im Gegenteil, es wird hier der
Boden mit höchster Sorgfalt bestellt, weit sorgfältiger und intensiver,
als -- vielleicht mit Ausnahme einzelner Gegenden Chinas -- in irgend
einem Teile der Welt; aber die Elemente sind es eben, die, in den Dienst
des Menschen gezwungen, neunundneunzig Hundertteile all dieser Arbeit
verrichten. Ein großartiges Bewässerungssystem führt dem Boden von der
Saat bis zur Ernte unausgesetzt reichliche Feuchtigkeit zu, so daß
Fehlernten beinahe gänzlich ausgeschlossen sind; das Ackern, Säen, Eggen
und Walzen, das Schneiden, Binden, Dreschen, Reinigen und Einspeichern
des Getreides besorgen von Elektrizität getriebene Maschinen; zahllose
Schienenstränge durchziehen nach allen Richtungen die Felder, und zwar
dient dieses Schienennetz nicht bloß zum Befördern von Lasten, sondern
auch zur Fortbewegung und Handhabung der elektrischen Kraftmaschinen. So
nur ist es möglich, daß hier zweimal im Jahre je 1½ Millionen
Metercentner, im Jahre also drei Millionen Metercentner Getreide und
außerdem durchschnittlich eine Million Metercentner anderer Feldprodukte
im Gesamtwerte von ungefähr fünf Millionen Pfund Sterling unter dem
Einsatz von nicht ganz dreizehn Millionen Arbeitsstunden erzeugt werden,
was für die einzelne Arbeitsstunde einem Rohertrage von acht Mark und
nach Abzug der Kapitalrückzahlungen und der Abgabe an das Gemeinwesen
einem Reinertrage von nahezu fünf Mark entspricht.

Wir besichtigten die Anlagen von Obertana auf der Heimreise und hatten
dort ein Stelldichein mit Professor Tenax, der, gleichgültig gegen
Naturschönheiten, es abgelehnt hatte, uns auf unsern Ausflügen in die
Gebirge und an den großen See zu begleiten. Er war, als wir seiner
ansichtig wurden, so zerstreut, daß er die üblichen Begrüßungen kaum
beantwortete, und man sah es seinem Mienenspiele an, daß ihm auf seinen
Kreuz- und Querzügen durch die verschiedenen Gewerke Freilands während
der letzten Wochen eine ganze Reihe neuer Bedenken und Einwendungen
aufgetaucht sein müsse, die an den Mann zu bringen es ihn drängte. Frau
Wera, die den Professor ob seiner großen Gelehrsamkeit und harmlosen
Gutmütigkeit in allen Fragen, die seine orthodoxen Prinzipien nicht
berührten, rasch liebgewonnen hatte, machte sich nichtsdestoweniger
bisweilen das Vergnügen, ihn dadurch, daß sie scheinbar seine Partei
nahm, zu äußerster Entfaltung all seiner Spitzfindigkeit und
dialektischen Kunststücke anzufeuern. Als er uns daher mit der ironisch
gemeinten Frage begrüßte, ob wir vielleicht hierher gekommen seien, um
unser freiländisches Bodenrecht geltend zu machen, und da wir dies nicht
sofort verstanden, höhnend hinzufügte: »Hier gehört ja der ganze Boden
einem jeden; ihr seid offenbar da, um mit der Verwaltung von Obertana
Prozeß anzufangen, weil sie euch bisher an ihren Dividenden nicht
teilnehmen ließ,« -- schaltete Frau Wera mit heuchlerischer Betrübnis
ein, auch ihr habe es immer Kopfzerbrechen gemacht, was denn darunter zu
verstehen sei: der Boden wäre frei wie die Luft, jeder könne ihn nach
Gutdünken benutzen.

»Ein Unsinn ist es, sehr geschätzte Frau,« entgegnete voll Eifer der
Professor. »Die Luft kann man aller Welt freigeben, weil sie in
unbegrenzter Menge vorhanden ist, nicht aber den Boden, von welchem doch
jedenfalls weniger da ist, als der menschlichen Begehrlichkeit
entspricht, und der, selbst wenn er in unbegrenzter Menge zu haben wäre,
doch schon wegen der Verschiedenheit seiner Güte zu Streitigkeiten Anlaß
gäbe, wenn es jedem überlassen bliebe, sich nach Laune und Lust das
beste Stück auszusuchen.«

»Professor,« entgegnete ich, »glauben Sie wirklich, daß wir danach
Verlangen tragen, Bodenbebauer zu werden? Kann ich gleichzeitig Pläne
zeichnen und den Pflug lenken? Ich bleibe bei meinem Geschäfte, obwohl
ich hier das zweifellose Recht besäße, an der Bodenbenutzung
teilzunehmen, weil ich dabei besser meine Rechnung finde, und das ist
der Fall, weil nach den Ergebnissen meiner Arbeit am Zeichenbrett
größerer Begehr ist als nach denen meiner Arbeit hinter dem Pfluge. Ganz
das nämliche gilt für alle jene Arbeiter Freilands, die bessere
Entlohnung ihrer Arbeitskraft finden, wenn sie anderes thun, als den
Boden bestellen. Und deren muß es natürlich stets eine schwere Menge
geben, weil ja die menschlichen Bedürfnisse nicht auf Bodenprodukte
allein gerichtet sind und also stets Bedarf nach den Erzeugnissen auch
anderer Arbeit vorhanden sein wird. Die Sorge, daß alle Welt
thatsächlichen Gebrauch vom Rechte der Bodenbearbeitung machen könnte,
hätte also nur dann Begründung, wenn man vermutete, daß es den Leuten
nicht darum zu thun ist, Dinge zu erzeugen, die Abnehmer finden, sondern
daß sie allesamt eine Leidenschaft für landwirtschaftliche Arbeiten
erfaßt, eine Art Landhabsucht, die nicht auf den Erfolg, sondern nur auf
die Art der Arbeit sieht.«

»Was _nützt_ euch aber dann euere sogenannte Bodenfreiheit? Was haben
Sie und Karl und was hat Frau Wera davon, daß ihr Boden bearbeiten
könntet, wenn ihr wolltet, da, wie Sie mir soeben auseinandergesetzt
haben, Ihr eigener Vorteil Sie dazu antreibt, von diesem Rechte keinen
Gebrauch zu machen? Ist es dann nicht für die übergroße Mehrzahl der
freiländischen Bevölkerung ganz das nämliche, ob der Boden ein
paar Tausend Grundbesitzern oder ein paarmal Hunderttausend
landwirtschaftlichen Arbeitern gehört?«

»Wenn der Boden hier jenen >gehören< würde, die ihn bearbeiten, dann
hätten Sie allerdings recht. Dann könnte es den andern allen ziemlich
gleichgültig sein, ob es viele oder wenige sind, welche die Erde mit
Beschlag belegt haben. Aber vergessen Sie nicht daran: wir, die wir hier
stehen, haben genau das nämliche Recht auf Benutzung des Bodens, wie die
Arbeiter, welche dieses Benutzungsrecht thatsächlich ausüben. Den
letzteren _gehört_ also der Boden nicht, sie dürften uns nicht
verbieten, ihn zu benutzen, wenn wir Lust dazu hätten, und die Folge
davon ist, daß sie den Vorteil der Bodenbenutzung mit uns teilen müssen,
d. h. daß unsere Arbeit den nämlichen Gewinn abwerfen muß, wie die
ihrige, da ja insolange, als dies nicht eingetreten wäre, die
Arbeitskraft sich aus allen andern Produktionen in die Bodenwirtschaft
zöge. Also: das freiländische Bodenrecht hat nicht zur Folge, daß alle
Welt Bodenwirtschaft treibt, wohl aber hat es zur Folge, daß der Ertrag
von Bodenwirtschaft sich mit demjenigen aller andern Produktionsarten
ins Gleichgewicht setzt.«

»Sie haben mir noch nicht beantwortet, welche mystischen Beweggründe den
einen Teil der freiländischen Bodenbearbeiter veranlassen, mit
schlechteren Grundstücken vorlieb zu nehmen, während vielleicht dicht
daneben andere Leute bessere Grundstücke bearbeiten?« beharrte Professor
Tenax.

»Die Kraft, die sie dazu veranlaßt, hat nichts Mystisches an sich,« war
Karls Entgegnung; »ihr Name ist >Eigennutz<. Sie selber haben uns
seinerzeit gelehrt, daß der Ertrag der Arbeit auf Boden
_verhältnismäßig_ desto geringer wird, jemehr Arbeit man dem Boden
zuwendet; zweihundert Arbeiter werden z. B. auf einer gegebenen
Bodenfläche nicht zweimal soviel erzeugen, als hundert, sondern
vielleicht bloß einundeinhalb Mal soviel, weil die Arbeit des zweiten
Hunderts nicht mehr so notwendig ist wie die des ersten. Wenn also dem
besseren Boden, und sei er noch so vielfach fetter, fruchtbarer,
günstiger gelegen, verhältnismäßig zu viel Arbeitskraft zuströmte, so
würde der einzelne Arbeiter von besagtem besseren Boden geringeren
Ertrag seiner Arbeitskraft erzielen, als auf minder stark besetztem
schlechten. Der Eigennutz des Arbeitenden verlangt aber nicht, daß er
seine Kraft auf möglichst fettem Boden, sondern daß er seine Kraft mit
möglichst hohem Ertrage verwerte, und es ist daher klar, daß man die
Leute bloß frei wählen zu lassen braucht, damit sich ganz von selbst
dasjenige einstelle, was der wirtschaftlichen Vernunft und Gerechtigkeit
gleichmäßig entspricht, nämlich daß sich die Arbeitskräfte über allen
Boden, er sei nun besser oder schlechter, derart verteilen, daß auf die
einzelne Arbeitskraft überall der nämliche Ertrag entfalle.«

Unser hartnäckiger Widerpart konnte sich, geschmeichelt wohl durch die
Berufung auf seine eigenen Lehren, eines zustimmenden Kopfnickens nicht
enthalten, faßte aber, durch Frau Weras Schelmerei aufgestachelt,
alsbald neuen Mut zu der triumphierenden Tones aufgeworfenen Frage, was
denn geschehen würde, wenn andere Arbeiter hier, wo z. B.
Kaffeepflanzungen sich dehnen, Baumwolle anbauen wollten; wer dem
erstbesten Ankömmlinge verwehren könnte, die Kaffeebäume auszurotten und
solcherart die Frucht jahrelanger Arbeit anderer zunichte zu machen?
»Hat euere freiländische Weisheit eine Panacee auch gegen solche
Ausschreitungen des >freiwaltenden< Eigennutzes?«

»Allerdings,« erklärte Karl. »Vor allem möchte ich Ihnen zu bedenken
geben, daß Sie über den Vorgang, der bei einem solchen Kulturwechsel
eingehalten werden müßte, nicht ganz im klaren zu sein scheinen. Nicht
die ersten besten neuen Ankömmlinge haben das Recht, hier nach ihrem
Gutdünken zu schalten und zu walten, sondern dieses Recht steht unter
allen Umständen der Majorität all jener zu, welche Lust an den Tag
legen, den Boden dieser Association zu bewirtschaften. Es müßte also
eine neue Majorität entstehen, damit das geschehe, was Sie befürchten.
Dies jedoch nur zur Aufklärung darüber, daß es nicht die zufällige Laune
des >Erstbesten< ist, welcher Erstbeste ja auch ein Narr sein könnte,
wovon die Verwendung der Bodenflächen in Freiland abhängt. Von dieser
letzteren Erwägung abgesehen, bliebe es sich dem Wesen nach ganz gleich,
ob es viele oder wenige sind, welche eine derartige Neuerung zu
beschließen haben, denn sie kann unter allen Umständen nur unter der
Voraussetzung beschlossen werden, daß durch sie der Vorteil aller dabei
Beteiligten Rechnung findet. Wer in die Wirtschaft dieser Association
eintritt, nimmt Teil an allen ihren Lasten und Vorteilen, und wenn er
also die Kaffeepflanzungen ausrottet und an deren Stelle Baumwolle baut,
so kann er dies nur thun, wenn der Nutzen des Baumwollbaues so groß ist,
um den durch die Zerstörung der Kaffeepflanzungen verursachten Schaden
wettzumachen. In diesem Falle aber ist es ja auch der Nutzen der früher
beschäftigt gewesenen Arbeitskräfte, daß ein so rationeller
Kulturwechsel stattfinde. Setzen wir den Fall, daß hunderttausend
Arbeitsstunden an diese der Zerstörung geweihten Kaffeepflanzungen
gewendet worden waren und daß die an deren Stelle tretenden
Baumwollpflanzungen gleichfalls hunderttausend Arbeitsstunden
beanspruchen, so würde der Nutzen aus dieser neuen Baumwollkultur unter
zweihunderttausend Arbeitsstunden verteilt werden müssen, und daraus
geht hervor, daß man die Kaffeebäume nur dann durch Baumwollsträucher
ersetzen wird, wenn dieselben nicht nur die an ihre eigene Anpflanzung,
sondern auch die an die Anpflanzung der zerstörten Kaffeeplantagen
gewendete Arbeitskraft vergüten.«

»Und wenn es ein ganz anders gearteter Arbeitszweig ist, für welchen
Boden beansprucht wird? Wenn z. B. hier auf dem Gebiete der
Landwirtschaftsgesellschaft von Obertana Fabriken gebaut werden
sollen, wer hat dann darüber zu entscheiden, ob sich das die
Landwirtschaftsgesellschaft gefallen lassen muß oder nicht?« fragte
Professor Tenax.

»Auch darüber entscheidet in letzter Linie der gleichlaufende
Nutzen beider Teile, nämlich der landwirtschaftlichen und der
Industriearbeiter,« antwortete Karl. »Da es eine notwendige Folge der
freiländischen Freizügigkeit ist, daß die Arbeitserträge sich überall
ins Gleichgewicht setzen, so ist es ganz unmöglich, daß industrielle
Arbeiter wünschen können, eine Fabrik dort zu errichten, wo durch die
Inanspruchnahme früher zu anderen Zwecken bestimmt gewesenen Bodens
anderen Arbeitern ein Schaden zugefügt würde, der größer ist als der
Nutzen, der diesen anderen Arbeitern durch die Errichtung einer Fabrik
in ihrer Mitte erwächst. Nutzen und Vorteil jedes wirtschaftlichen
Vorganges kommt hier am Arbeitsertrage zum Ausdruck, und der
Arbeitsertrag gestaltet sich infolge der Freizügigkeit für alle Arbeiter
gleichförmig. Es ist also nicht möglich, daß die Arbeiter einer Fabrik,
die etwa hier an dieser Stelle erbaut würde, den landesüblichen
Durchschnittsertrag ihrer Arbeit finden, wenn benachbarte Arbeiter in
ihrem Durchschnittsertrage geschädigt werden. Man kann folglich im
eigenen Interesse keine Fabrik errichten, wo dies zum Schaden der
Nachbarn geschehen müßte. Thatsächlich giebt es auf dem Gebiete der
Bodenwirtschaft von Obertana nicht weniger als siebzehn große
industrielle Werke, die zum Teil recht bedeutende Bodenflächen für sich
beanspruchen; aber Sie können sich darauf verlassen, daß alle diese
Werke nur errichtet wurden, weil die Einbuße, welche sie der
Landwirtschaftsgesellschaft durch Inanspruchnahme des Bodens zufügten,
mehr als aufgewogen wurde durch anderweitige Vorteile. Diese
anderweitigen Vorteile können sehr verschiedener Art sein; sie bestehen
teils darin, daß die Bodengesellschaft vermehrte Abnehmer ihrer eigenen
Erzeugnisse findet, teils darin, daß sie Nachbarn erhält, welche sie zum
Ausbessern, Instandhalten oder Erneuern ihrer Maschinen braucht,
hauptsächlich aber darin, daß in der Zeit der Ruhe in den
landwirtschaftlichen Arbeiten die landwirtschaftliche Bevölkerung
leichtere Gelegenheit zu nutzbringender Verwertung der eigenen,
zeitweilig überschüssigen Arbeitskraft findet, und umgekehrt, in der
Zeit der Saat und Ernte der vorübergehend stark anschwellende Bedarf an
landwirtschaftlicher Arbeitskraft leichter durch Zuzug aus den
umliegenden Fabriken befriedigt werden kann. Mit einem Worte, die
Errichtung eines solchen Werkes mußte ein Gewinn für die
Bodengesellschaft von Obertana sein, sonst konnte es dazu nicht kommen.«

»Aber es muß doch jemand da sein, der darüber zu entscheiden hat, ob in
einem solchen Falle Gewinn oder Verlust zu besorgen ist, und wer ist
dieser Jemand?« fragte der in die Enge getriebene Professor.

»Dieser >Jemand< ist eine Majorität, die sich aus den beiderseitigen
Interessenten, d. h. aus den landwirtschaftlichen und industriellen
Arbeitern bildet. Dabei bitte ich Sie aber zu beachten, daß bei einer
solchen Majoritätsbildung sich nicht die Arbeiter des alten Werkes auf
der einen und die des neuen Wertes auf der andern Seite als zwei
gesonderte Parteien gegenüberstehen. Das wäre nur der Fall, wenn der
Vorteil der einen Hand in Hand gehen könnte mit dem Schaden der andern.
Da dem nicht so ist, da Vorteil und Nachteil in beiden Lagern auf das
nämliche hinauslaufen, so kann es hier niemals Interessengegensätze,
sondern bloß Meinungsverschiedenheiten geben. Ein Teil der Landwirte
wird die Errichtung des neuen Werkes für nützlich, ein anderer Teil für
schädlich halten, und ebenso wird es Industriearbeiter geben, die dafür
sind, daß man das Werk an dieser Stelle errichte, und andere, die
dagegen sind; die sich solcherart bildende Majorität kann irren, aber
ihre Absicht muß und wird immer sein, zu thun, was beiden Teilen
gleichmäßig nützt. Und wenn Sie den eigentlichen Sinn unseres
freiländischen Bodenrechtes unbefangen würdigen, so muß Ihnen von
Anbeginn klar sein, daß dies gar nicht anders möglich ist. Denn da sich
dank unserer Freizügigkeit der Nutzen jeglicher Art von Bodenbenutzung
gleichmäßig auf alle verteilt, so kann es sich bei uns gar niemals darum
handeln, zu wessen Gunsten der Boden benutzt werden soll, sondern bloß
darum, welche Art der Bodenbenutzung dem Nutzen aller am besten
entspricht. Der Boden gehört für alle Fälle allen. Wir sind also unter
allen Umständen gleichsam in der Lage von Compagnons, die ihr Geschäft
zu gemeinsamem Vorteil betreiben, und die daher in einzelnen Fällen wohl
darüber in Meinungsverschiedenheit geraten mögen, welche Art der
Geschäftsführung dem gemeinsamen Nutzen am besten entspreche, niemals
aber darüber, ob der Nutzen dieses oder jenes Geschäftsteilhabers dem
der anderen vorangehen oder hintangesetzt werden solle. Ich wiederhole,
es giebt bei uns auch in den Fragen der Bodenbenutzung wohl
Meinungsverschiedenheiten, aber keine Interessengegensätze.«

»Am Ende behauptet ihr das nämliche auch bezüglich der
Kapitalverteilung! Ist es euch Freiländern ebenso gleichgültig, wer das
von euch beigesteuerte Kapital erhält? Denn das Kapital, welches euer
Gemeinwesen an die unterschiedlichen Associationen verteilt, rührt ja
von einer Abgabe her, zu welcher jedermann beisteuern muß, gleichviel ob
er will oder nicht, gleichviel ob er Kapital braucht oder dessen
überflüssig genug hat. Man wird also hier zur Sparsamkeit gezwungen, und
zwar unter Umständen zu einer Sparsamkeit für fremden Nutzen. Ist auch
das gerecht?«

»Das wäre sehr ungerecht,« erwiderte Karl, »aber es geschieht nicht.
Hier wird niemand zur Sparsamkeit gezwungen, jedermann steuert nur
soviel Kapital bei, als er selbst gebraucht, und wenn er kein Kapital
gebrauchen will, so braucht er auch nichts beizusteuern. Denn die
Abgabe, in welcher allerdings der zur Kapitalverleihung bestimmte Anteil
mit enthalten ist, wird ja nicht auf die Personen, sondern auf den
Arbeitsertrag gelegt; es zahlt sie also nur derjenige, welcher arbeitet,
und zwar ein jeder Arbeitende genau im Verhältnis seiner
Arbeitsleistung; wer aber arbeitet, der benutzt Kapital und zwar genau
im Verhältnis seiner Arbeitsleistung. Ich dürfte z. B. dreimal soviel
Steuer zahlen, als der Feldarbeiter dort, jedoch nur aus dem Grunde,
weil ich den dreifachen Ertrag aus meiner Arbeit ziehe und folglich
dreifach so starken Vorteil von der Kapitalbenutzung habe.«

»Aber, Verblendeter!« rief Professor Tenax, »es ist doch nicht das
Kapital, zu welchem Sie beisteuern, aus welchem Sie Vorteil ziehen, und
nicht das Kapital, aus welchem jener Landmann Vorteil zieht, zu welchem
er beisteuert; Sie zahlen vielleicht für ihn oder er für Sie. Wie ich
gehört habe, seid ihr von der >Ersten Edenthaler Maschinen- und
Transportmittel-Baugesellschaft< gerade im Begriffe, dreiviertel
Millionen Pfund Sterling zu verbauen; was hat der Mann hier davon? Und
doch ist es seine Steuer so gut als die Ihrige, welche dazu herhalten
muß, Ihrer Gesellschaft dreiviertel Millionen Pfund zu borgen. Das ist
eine Ungerechtigkeit, die sich auf die Dauer unmöglich anders als durch
den gehässigsten Zwang aufrecht erhalten läßt.«

»Der Landmann dort,« erklärte Karl, »hat von den dreiviertel Millionen
Pfund, die unsere Gesellschaft verbaut, genau so viel wie ich, d. h.
wohlverstanden im Verhältnis seiner Arbeitsleistung genau so viel wie
ich. Ich habe vorausgesetzt, daß jener den dritten Teil meines
Arbeitseinkommens bezieht, folglich steuert er zu unseren Anlagen den
dritten Teil dessen bei, was ich zahle, und es ist klar wie das
Sonnenlicht, daß ebenso auch sein Gewinn aus der Anlage den dritten Teil
des meinigen beträgt. Dafür, daß das geschehe, sorgt die Freizügigkeit;
_sein_ Nutzen kann dadurch zum Ausdruck gelangen, daß der Preis von
Maschinen infolge unseres vermehrten Angebotes sinkt, oder dadurch, daß
die Getreidepreise infolge der durch uns bewirkten Vermehrung der
Verkehrsmittel steigen, oder dadurch, daß die Arbeitserträge sich heben,
oder vielleicht auch bloß dadurch, daß unsere Anlagen ein Sinken der
Arbeitserträge verhindern, welches ohne dieses eingetreten wäre. Für
alle Fälle verteilt sich das schließliche Endergebnis gleichmäßig auf
alle Arbeitenden Freilands, und so wahr es ist, daß in Freiland niemals
Streit entstehen kann über die Frage, wem der Gewinn aus der Benutzung
einer bestimmten Bodenfläche gehören solle, ebenso wahr ist es, daß auch
mit Bezug auf einen gegebenen Kapitalbestandteil niemals fraglich ist,
_wem_, sondern stets nur, _in welcher Verwendungsart er allen_ am besten
nutzbar zu machen sei. Die Kapitalien sind hier geradeso wie der Boden
Gemeingut, sie gehören unter allen Umständen allen Arbeitenden, und der
Mann dort benutzt daher die Gebäude und Maschinen, die wir bauen,
geradeso, wie ich die Speicher und Maschinen benutze, die wir hier in
Obertana vor unseren Augen sehen.«

»Ich will über diesen Punkt nicht weiter mit euch streiten,« murrte der
Professor. »Aber das eine sagt mir noch, da ihr eine Antwort auf alles
habt: mit welchem Rechte verbietet ihr hier den Leuten, Kapital, das sie
allenfalls auf eigene Faust erspart haben mögen, nutzbringend
anzulegen?«

»Wer verbietet denn das?« nahm nun ich das Wort. »Es findet sich hier
nur niemand, der einem Kapitalbesitzer dasjenige gewähren würde, was Sie
unter nutzbringender Verwendung von Kapital verstehen, nämlich Zins.
Niemand wird Ihnen verwehren, so hohe Zinsen zu verlangen als Sie nur
immer wollen, aber freilich wird Ihnen kein Freiländer weder hohen noch
niederen Zins bewilligen, aus dem sehr einfachen Grunde, weil ihm
jederzeit zinsloses Kapital von seiten des Gemeinwesens zur Verfügung
steht. Um dem zu genügen, was Sie in diesem Punkte Gerechtigkeit nennen,
müßte man die Leute _zwingen_, Zins zu zahlen, und das thut Freiland
allerdings nicht.«

»Ja thut man es denn in Europa?« rief erregt Professor Tenax. »Solch
grundlose Verdächtigungen und Unterstellungen beweisen in meinen Augen
nichts anderes als die Schwäche euerer Sache. Der Zins ist das Ergebnis
eines durchaus freien Verhältnisses von Angebot und Nachfrage, darin
Zwang zu sehen, legt von Selbstverblendung oder bösem Willen Zeugnis
ab.«

»Wenn dem so ist, wie unser lieber Professor sagt,« erklärte jetzt Frau
Wera, »so kann ich ihm nur recht geben. Wenn in Europa die Arbeitenden
es vorziehen, Zins für die Benutzung von anderer Leute Kapital zu
zahlen, anstatt daß sie ihr eigenes verwenden, so halte auch ich es für
unbillig, wenn man da von Zwang spricht.«

»Diese Leute, welche in Europa anderer Leute Kapital benutzen, thun dies
nicht aus Vorliebe für fremdes Kapital,« belehrte Tenax seine
hinterlistige Freundin, »sondern deshalb, weil sie kein eigenes haben.«

»Das sind also wohl leichtsinnige Verschwender und Prasser, die alles
vergeuden, was sie verdienen, oder Faulpelze, die nichts arbeiten
wollen, während die anderen, bei denen sie dann um Kapital betteln
müssen, die Sparsamen und die Fleißigen sind?«

»So ganz richtig ist auch das nicht, schöne Frau,« docierte der
Professor, der nun zu merken begann, daß ihn seine Freundin -- wie er
glaubte, allerdings ganz unschuldigerweise -- da arg aufs Eis gelockt
habe, der aber doch zu ehrlich und zu verständig war, um die Frage
kurzweg zu bejahen. »Es giebt zwar unter den von Kapital Entblößten auch
Verschwender, Trunkenbolde und Müßiggänger, gleichwie es unter den
Kapitalbesitzern sparsame und fleißige Leute giebt; aber im allgemeinen
kann man doch nicht eigentlich sagen, daß dieser Unterschied dasjenige
erkläre, worauf es hier ankommt. Ich will sogar zugeben, daß im
Durchschnitt die Reichen bei uns mehr verzehren und weniger arbeiten als
die Armen. Jedoch .....«

»Sonderbar, höchst sonderbar,« rief Frau Wera mit erstaunter Miene. »Wie
kommt es dann, daß jene die Armen und diese die Reichen sind?«

»Nun, Sie müssen wissen, die Armen haben eben nichts als ihre
Arbeitskraft, und diese allein ist unfruchtbar, während den Reichen
dasjenige gehört, was zur Befruchtung der Arbeitskraft erforderlich ist;
folglich haben sie das Recht, von den Armen dafür, daß sie ihnen die
Mittel zur Arbeit geben, Anteil vom Nutzen zu verlangen, und dieser
Anteil vom Nutzen, der sich in ihren Händen aufhäuft, ist es, was sie
reich macht, während jene arm bleiben müssen.«

»Ja, das verstehe ich schon, Herr Professor; jene sind arm, weil sie
nichts haben, und diese sind reich, weil sie viel haben -- das leuchtet
mir ein. Aber Sie entschuldigen schon die Begriffsstutzigkeit einer
Frau, die in frühester Jugend Ihr gesegnetes Europa verlassen hat und
sich in dessen Zuständen und Rechtsgrundsätzen nicht mehr ganz genau
zurechtfinden kann. Das, was die Reichen den Armen gegenüber
voraushaben, die Mittel zur Arbeit, das sind doch wohl Felder und
Wiesen, Gebäude, Maschinen und Geräte, nicht wahr? Da hat also wohl der
liebe Gott die Felder und Wiesen in Europa eigens für die Reichen
erschaffen, die Häuser, Maschinen, und Werkzeuge aber haben die Reichen,
weil sie die Klügeren sind, angefertigt und lassen sich nun all das von
jenen Leuten bezahlen, die wegen ihrer Gottlosigkeit ausgeschlossen sind
vom Besitze der Erde und die überdies dumm genug waren, bloß
Nahrungsmittel, nicht aber auch Arbeitsinstrumente zu erzeugen?«

Der Professor merkte nun freilich, wo Frau Wera mit ihm hinauswolle und
fing daher an, ärgerlich zu werden. »Das ist alles höchst
unwissenschaftlich, was Sie da sagen, verehrte Frau,« erklärte er. »Ob
Gott einen Unterschied zwischen arm und reich macht oder nicht und ob
die Armen es sind, welche die Arbeitsgeräte erzeugten, gerade so gut als
die Nahrungsmittel thut hier nichts zur Sache; irgend jemand muß doch
die Erde und die Arbeitsinstrumente besitzen, und das sind eben die
Reichen.«

»Professor, Professor,« sagte nun Frau Wera, die scherzhafte Miene
ablegend und Tenax mit ihren großen, klaren Augen voll anblickend, »Sie
bewegen sich da in einem häßlichen Cirkel; die Knechtschaft erklären sie
aus der Armut und die Armut aus der Knechtschaft. Wenn es richtig ist,
daß die Arbeitenden den Gewinn abtreten müssen, weil ihnen die
Arbeitsmittel fehlen, und wenn ihnen diese fehlen, weil sie den Gewinn
abtreten müssen; dann, so sollte man meinen, versteht es sich doch von
selbst, daß der Gewinn ihnen gehört, wenn sie im Besitze der
Arbeitsmittel sind, und daß diese ihnen gehören, wenn sie den Gewinn für
sich behalten. Oder hat der Gedanke der Freiheit und Gleichberechtigung
etwas gar so Abschreckendes für Sie, daß Sie sich, aller Logik zum Hohn,
gegen ihn sträuben?«

Der Professor wurde purpurrot und antwortete halb flüsternd, mit
gesenkten Augen: »Sie dürfen mit einem alten Manne nicht so schwer ins
Gericht gehen, wenn er sich sträubt, Überzeugungen abzulegen, die er
durch ein ganzes arbeitsvolles Leben in sich aufgenommen. Soll ich mich
so leicht entschließen, als unsinnig zu verwerfen, was ich ein
Menschenalter hindurch Tausenden und Abertausenden von Zöglingen als
Quintessenz allerhöchster Weisheit angepriesen? Auch kommt mir der
Umschwung zu plötzlich, er widerstreitet meinen Vorstellungen von der
Notwendigkeit organischer historischer Entwickelung aller menschlichen
Dinge. Man macht doch schließlich eine neue Gesellschaftsordnung nicht
wie eine neue Maschine in der Fabrik und ich kann an dieses Freiland
nicht glauben, da es eine künstliche Schöpfung ist, das Werk von
Menschen, die sich eigens zu dem Zwecke vereinigten, die Sache so und
nicht anders einzurichten, während meine Weltanschauung mich lehrt, daß
nur das organisch Gewordene vernünftig und dauerhaft sein kann.«

»Auch dieses Bedenken ist nur die letzte Schanze Ihres Vorurteils,«
antwortete unerbittlich die junge Frau. »Daß gesellschaftliche
Neugestaltungen, um vernünftig und dauerhaft zu sein, nicht künstlich
gemacht, sondern organisch entwickelt sein müssen, ist allerdings
richtig; aber welcher Organe soll sich denn der Genius der Menschheit
bedienen, wenn er eine dem Untergang verfallene, überlebte
Gesellschaftsform in eine neue, lebensfähige hinüberführen will, wenn
nicht der Menschen? Verstehen Sie unter natürlichem Werdeprozeß in der
menschlichen Entwickelungsgeschichte nur solche Gestaltungen, die sich
ohne Zuthun der Menschen ins Werk setzten? Soll wirklich nur die
Dummheit, die träge Gedankenlosigkeit, die geduldig das Heute trägt,
weil es dem Gestern gleicht, soll _sie_ die einzig berechtigte Kraft in
der menschlichen Geschichte sein? Ich verstehe den Satz von der
Notwendigkeit organischer Entwickelung gesellschaftlicher Neubildungen,
dahin, daß die Neubildungen das natürliche und vernünftige Ergebnis
geänderter Existenzbedingungen der Menschheit sein müssen. Aber dieses
Ergebnis muß trotz alledem und alledem durch Menschen herbeigeführt
werden; es wächst nicht gleich den Bäumen des Waldes oder den Blumen der
Wiese, so wenig, als die Gestaltungen euerer bürgerlichen Weltordnung
ohne das Zuthun von Menschen zu stande kamen und sich in Kraft erhalten.
Oder sehen Sie etwa als notwendiges Erfordernis gedeihlicher
gesellschaftlicher Neubildung an, daß sie mit Blut begossen, durch den
Donner der Kanonen eingeläutet werde? Widersetzt euch nur fernerhin
demjenigen, was zu thun unbefangenes Nachdenken und gesunder
Menschenverstand von euch fordern, und ihr werdet bei euch da draußen
der Feuer- und Bluttaufe wahrlich nicht entgehen. Wir aber halten unsere
Schöpfung deshalb für nicht minder lebensfähig, weil sie auf friedlichem
Wege zu stande gekommen, und wenn wir, um dies zu ermöglichen, Gebiete
aufsuchten, wo Unverstand und böser Wille uns nicht hindernd in den Weg
treten konnten, so haben wir auch damit nur gethan, was thatkräftige,
entschlossene Menschen in ähnlichen Verhältnissen alle Jahrtausende
hindurch thaten und wofür als letztes großartigstes Beispiel die
Gründung der Vereinigten Staaten von Nordamerika in der Geschichte
verzeichnet steht.«

Professor Tenax hatte den letzten Teil dieser sich über sein Haupt
ergießenden Strafrede schweigend, in tiefe Gedanken versunken, angehört.
Nach einer Weile reichte er uns allen die Hand, nahm darauf Frau Weras
Arm unter den seinen, und wir schlugen den Weg nach dem Bahnhofe von
Obertana ein, um den nach Edenthal gehenden Zug zu besteigen.



                           Zwölftes Kapitel.

                       Eine Gründung in Freiland.


Wer vom freiländischen Gemeinwesen Land und Kapital zur Inswerksetzung
eines Unternehmens haben will, der muß, er mag nun allein sein oder
Genossen seines Planes bereits gefunden haben, der Centralbank all seine
Wünsche und Absichten bekannt geben; diese veröffentlicht die ihr
gewordene Mitteilung und ruft daraufhin eine Generalversammlung ein, an
welcher jedermann teilnehmen kann, der sich für das Unternehmen
irgendwie interessiert. Es war nun letzthin in den Blättern die
Ankündigung zu lesen, daß ein kürzlich aus Amerika eingewanderter
Ingenieur mit einer Anzahl Genossen, die sich ihm teils schon in
Amerika teils in Freiland angeschlossen, zur Gründung einer
Luftschiffahrtgesellschaft 600000 Pfund Sterling verlangte. Seine Ideen
waren von verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften Europas und
Amerikas für undurchführbar erklärt worden und auch die freiländische
Verwaltungsbehörde für gemeinnützige Unternehmungen mitsamt dem dazu
gehörigen Vertretungskörper, denen er sein Projekt vorgelegt, hatten
sich ablehnend verhalten. Er beschritt daher den Weg der Selbsthilfe,
veröffentlichte eine umständliche Beschreibung seiner Erfindung und
forderte diejenigen, die gleich ihm an die Möglichkeit einer praktischen
Verwirklichung des Gedankens glaubten, auf, sich ihm anzuschließen.

Mich interessierte die Sache sowohl um ihrer selbst willen als auch weil
ich bei diesem Anlasse sehen wollte, wie sich die freiländischen
Einrichtungen einem so gewagten Unternehmen gegenüber bewähren würden,
und ich beschloß daher an der Generalversammlung teilzunehmen.

Die Idee des Erfinders war sinnreich, aber sie leuchtete mir nicht in
allen Einzelheiten ein, und angesichts der Höhe des zu dem Experimente
geforderten Betrages fand ich es ganz begreiflich, daß unsere Behörden
die Verantwortung scheuten, eine solche Summe aus den Mitteln des
Gemeinwesens zu bewilligen. Dagegen fand ich es nicht mehr als billig,
daß dem Manne Gelegenheit geboten werde, mit Hilfe der öffentlichen
Meinung seinen Gedanken zu erproben, und ich war entschlossen, mich
selbst an dem Versuche zu beteiligen.

Bei der Generalversammlung fanden sich nahe an zweitausend Personen ein,
die alle durch ihr bloßes Erscheinen Stimmrecht in derselben besaßen.
Während aber bei allen andern Arten von Generalversammlungen keinerlei
Unterschied zwischen den Teilnehmern gemacht wird, ist es bei den
Gründerversammlungen Grundsatz, daß diejenigen, welche die Gefahr der
Gründung auf sich nehmen wollen, dies ausdrücklich erklären; ihre Stimme
hat deshalb nicht größeres Gewicht als die der andern Mitglieder der
Generalversammlung, diese Bestimmung aber ist nötig, damit das
Gemeinwesen sowohl als die sich für den Gegenstand interessierende und
durch die andern Mitglieder der Generalversammlung vertretene
öffentliche Meinung sich ein Urteil darüber bilde, welche Deckung das
Gemeinwesen für die geforderten Kredite unter allen Umständen finden
werde, falls das Unternehmen zu Grunde gehen sollte, noch bevor es zu
arbeiten begonnen oder genügend zahlreiche Genossen seiner Arbeit
gefunden, um den Schaden der Auflösung decken zu können. Denn im Sinne
des § 6 der freiländischen Gesellschaftsstatuten wird bekanntlich der
Schaden unter die Mitglieder jeder Association nach Maßgabe des auf ein
jedes entfallenden Gewinnes verteilt. Wenn nun ein Unternehmen zu Grunde
geht, bevor es überhaupt Gewinne zur Verteilung gebracht hat, oder wenn
diese Gewinnverteilung unter einer so geringen Anzahl von Personen
stattgefunden haben sollte, daß die vom Schaden Betroffenen außer stande
wären, Ersatz zu leisten, so hätte das Gemeinwesen das Nachsehen, das
Unternehmen wäre thatsächlich nicht auf Kosten der Unternehmer, sondern
auf Kosten der Gesamtheit ins Werk gesetzt. Eine solche Vorsorge ist
umso notwendiger, als es Grundsatz der freiländischen Kreditgebarung
ist, daß niemand wegen welcher Kapitalverluste immer zu einer höheren
jährlichen Abzahlung an das Gemeinwesen verpflichtet werden könne, als
dem Werte einer »Jahresstunde« entspricht. Das heißt mit anderen Worten:
es darf niemand wegen Verschuldung an das Gemeinwesen eine Last
aufgebürdet werden, welche dem Werte nach die tägliche Mehrarbeit einer
Stunde übersteigt. Da nun der durchschnittliche Stundenwert derzeit fünf
Mark beträgt und auf das Jahr zweihundertundfünfzig Arbeitstage
gerechnet werden -- es kommen nämlich von den dreihundertfünfundsechzig
Tagen des Jahres die zwei Ferienmonate und die Feiertage in Abzug -- so
stellt sich das Maximum der Abschlagszahlungen, zu denen ein Freiländer
wegen Verlustes von ihm beanspruchter Kapitalien angehalten werden kann,
derzeit auf zwölfhundertundfünfzig Mark im Jahre.

Bei Neugründungen ist es also notwendig, daß sich eine dem geforderten
Kapitale entsprechende Menge von Teilnehmern finde, die von vornherein
erklären, daß sie ohne Rücksicht darauf, ob ein späterhin entstehender
Verlust durch die Gewinnanteile der Beteiligten Deckung fände oder
nicht, dem Gemeinwesen für die Abtragung der geforderten Summe haften --
welche Haftpflicht natürlich erlischt, sowie die Verteilung
des Verlustes im Sinne des Absatzes 6 des freiländischen
Gesellschaftsstatuts möglich wird, ohne irgend einen der Betroffenen mit
mehr als dem Werte einer Jahresstunde zu belasten.

Da es sich im vorliegenden Falle um zwölf Millionen Mark handelte, die
nach der Beschaffenheit der geplanten Anlagen in zwanzig Jahren
amortisiert werden sollten, so hätten sich 240 gründende Mitglieder
melden müssen, damit die geforderte Summe von vornherein Deckung finde.
Das war nun thatsächlich nicht der Fall; es meldeten sich nur 85
Personen, die so viel Vertrauen in die Durchführbarkeit des Planes oder
so viel Enthusiasmus für die ihm zu Grunde liegende Idee besaßen, um
sich der Gefahr auszusetzen, zwanzig Jahre hindurch mit einer 1250 Mark
erreichenden Ersatzpflicht belastet zu werden. Auch hatte das
Unternehmen in der Versammlung zahlreiche energische Gegner, die
haarscharf bewiesen, daß der ganze Plan theoretisch und praktisch
unsinnig sei und daß es thörichte Vergeudung der öffentlichen Mittel
wäre, sie an die Verwirklichung eines derartigen Hirngespinstes zu
setzen. Wenn sich -- erklärten diese Gegner -- 240 Thoren gefunden
hätten, um ihre eigenen Kräfte für die Sache einzusetzen, so müßte man
sie zwar bedauern, könnte aber nichts dagegen vorkehren, da es natürlich
jedermanns Recht sei, mit seinen eigenen Mitteln anzufangen, was ihm
beliebt; da dies jedoch glücklicherweise nicht geschehen, so möge der
Erfinder das Publikum fernerhin mit seinen Chimären nicht in Versuchung
führen. Ich konnte dieser Beweisführung, trotzdem sehr tüchtige
Fachmänner sie vertraten, nicht in allen Stücken beipflichten. Wie
bereits zugegeben, bezweifelte ich einigermaßen die Richtigkeit aller
Voraussetzungen des Erfinders, aber zwingende Beweiskraft vermochte ich
auch den Argumenten der Gegner nicht zuzuerkennen, und ich erinnerte
mich daran, daß es Fachmänner waren, die Galilei zum Widerruf gezwungen
und den Erfinder des Dampfschiffes, Foulton, für einen Narren erklärt
hatten. Ich war der Ansicht, daß die Großartigkeit der Idee in einem so
reichen Gemeinwesen, wie es Freiland ist, eines Versuches wohl wert sei
und fühlte mich in dieser Ansicht umsomehr bestärkt, als ich sah, daß
unter den fünfundachtzig Genossen des Erfinders sich einige Männer
befanden, deren Urteil in Sachen der Flugtechnik mir denn doch zum
mindesten beachtenswert erschien. Ich trat also nicht bloß den Gründern
bei, sondern schloß mich, als es zur Abstimmung kam, denjenigen an, die
trotz der mangelnden Kapitaldeckung doch dafür waren, daß die geplante
Gesellschaft den geforderten Kredit erhalte; es war die Majorität, die
sich in diesem Sinne aussprach.

Die Folge eines solchen Beschlusses ist nach freiländischem Rechte, daß
die Sache zunächst vor die Verwaltungsbehörde und den Vertretungskörper
für gemeinnützige Angelegenheiten kommt, d. h. wohlverstanden nur, wenn
es sich, wie im vorliegenden Falle, um eine Gründung handelt, deren
Kapitalbedarf nicht volle Deckung gefunden hat. Andernfalls wäre die
Sache mit dem Beschlusse der Generalversammlung erledigt gewesen, die
Verpflichtung der Centralbank zur Gewährung der erforderlichen Kredite
unmittelbar in Kraft getreten. So aber, wie die Dinge hier lagen, mußten
die gewählten Vertreter des Gemeinwesens sich über den von der
Generalversammlung gefaßten Beschluß aussprechen. Stimmen sie ihm zu, so
ist die Gründung vollzogen; lehnen sie ihn ab, so haben die Gründer das
Recht, eine neuerliche Generalversammlung zu fordern, in welcher dann
die öffentliche Meinung endgültig ihr Urteil abgiebt. Im vorliegenden
Falle geschah das letztere. Der Vertretungskörper für gemeinnützige
Angelegenheiten sprach sich infolge des ihm von der Verwaltungsbehörde
unterbreiteten Gutachtens gegen die Gewährung des geforderten Kredites
aus und es kam thatsächlich zu einer neuen Generalversammlung.
Inzwischen hatte sich die Zahl der haftenden Genossen des Erfinders
auf 152 erhöht und die von nahezu 8000 Personen beschickte
Generalversammlung bestätigte mit überwältigender Mehrheit den Beschluß
ihrer Vorgängerin. Es war offenbar, das freiländische Volk wollte etwas
daran wagen, um eine so großartige Erfindung zu erproben, und ich will
hier nur nebenbei erwähnen, daß der Erfolg der Volksstimme nachträglich
Recht gab. Der Gedanke des Erfinders bewährte sich zwar nicht vollkommen
in der von ihm vorausgesehenen Weise, sein Unternehmen mißlang, aber die
bei den angestellten Versuchen gemachten Erfahrungen waren so wichtiger
und so einschneidender Art, daß der nämliche Vertretungskörper, der
wenige Monate zuvor den Versuch hindern wollte, einstimmig einen Antrag
annahm, der darauf hinauslief, den Gründern das ganze Unternehmen
verlustlos abzulösen und die begonnenen Experimente auf Kosten des
Gemeinwesens fortzuführen; der von der Majorität seiner Fachkollegen
noch kürzlich als unzurechnungsfähiger Querkopf behandelte Erfinder
wurde von diesen nämlichen Fachkollegen zum obersten Leiter dieser
wichtigen Versuchsanstalt ernannt.

Unser Freund Tenax, der sich mehr und mehr als Freiländer zu fühlen
begann und auch nach Möglichkeit an allen öffentlichen Angelegenheiten
teilnahm, dabei aber sein Räsonnieren den sämtlichen freiländischen
Einrichtungen gegenüber noch nicht lassen konnte, war bei den zwei
Generalversammlungen mit dabei gewesen, hatte in der ersten eifrig gegen
den Erfinder gesprochen und gestimmt, in der zweiten dagegen sein Votum
für ihn abgegeben. Als ich mich damals nach den Beweggründen seiner
Handlungsweise bei ihm erkundigte, meinte er, er habe den Mann
ursprünglich für einen Gauner gehalten, der bloß darauf ausginge, der
freiländischen Centralbank 600000 Pfund Sterling zu entlocken und sich
dann aus dem Staube zu machen. »Denn das« -- so rief er triumphierend --
»ist einer der wunden Punkte Eueres Kreditsystems. Ihr habt an alles
gedacht, nur daran nicht, daß es auch Spitzbuben in der Welt giebt, und
da wollte ich denn nach Möglichkeit vorbeugen.«

»Seien Sie ruhig, Professor,« tröstete ich den alten Herrn, »Spitzbuben
vermögen unserer Bank nichts anzuhaben.«

»Oho!« rief Professor Tenax, »bekommt hier nicht jedermann Geld, soviel
er will und zu welchem Zwecke immer, ohne das Euere Centralbank auch nur
das Recht hat, bei der Verwendung des Geldes dem Schuldner auf die
Finger zu sehen?«

»Vor allem, verehrter Freund, bekommt jedermann, wie Sie soeben zu sehen
Gelegenheit hatten, für eigene Rechnung unbedingt nur soviel, als er
vernünftigerweise abzuzahlen in der Lage ist; fordert er mehr, so hat
unsere Centralbehörde bereits das Recht, sich seine Zwecke etwas näher
anzusehen, und der Betreffende müßte es besonders schlau anstellen, wenn
er diese Behörde mitsamt der öffentlichen Meinung so gründlich hinters
Licht zu führen vermöchte. Will jemand eine größere Summe haben, so muß
er sich Genossen suchen und es hat außerdem für alle Fälle jedermann das
Recht, sich ihm sowohl als seinen Genossen jederzeit anzuschließen.
Diese Genossen überwachen ihn, nehmen Einblick in alle seine Schritte,
setzen ihm Kollegen in der Leitung an die Seite, was an sich schon
genügt, um verbrecherische Pläne eines einzelnen zu durchkreuzen. Aber
setzen wir selbst den Fall, daß jemand ein ganzes Konsortium von Gaunern
auf die Beine bringt. Nehmen wir beispielsweise an, daß alle die
hundertzweiundfünfzig, die sich dem Erfinder da angeschlossen haben,
geriebene, abgefeimte Schurken wären; was nützt das den Leuten? Sie
haben jetzt einen Kredit von 600000 Pfund, aber zu welchem Zwecke und in
welcher Weise? Glauben Sie, daß die Centralbank den Herren 600000
Pfund Sterling auf den Tisch zählt? Die Centralbank wird
den Baugesellschaften, welche die Fabriksanlagen der neuen
Luftschiffahrtsgesellschaft errichten, den Maschinenwerkstätten, die ihr
die Einrichtungen liefern, Zahlung leisten; wo ist da Raum für Betrug?
Ich gebe Ihnen zu, daß die Leute vielleicht Maschinen im Auslande
bestellen und bei dieser Gelegenheit durch betrügerische Machenschaften
mit betrügerischen Fabrikanten irgend etwas auf die Seite bringen
könnten; im großen Stile dürften sie das schwerlich betreiben, ohne den
öffentlichen Verdacht auf sich zu lenken, womit dann natürlich -- immer
ohne die geringste Einmischung der Centralverwaltung -- ihr Spiel rasch
ein Ende hätte. Doch sehen wir selbst davon ganz ab, nehmen wir an, die
Herren stellten es so schlau an, daß niemand ihnen hinter ihre Schliche
käme, trotzdem sie einen recht namhaften Teil des ihnen eröffneten
Kredits unterschlagen hätten -- _wem_ unterschlagen sie das? Doch nur
sich selbst; mehr, als wofür sie haften, wird ihnen zu stehlen gewiß
nicht gelingen. Oder meinen Sie vielleicht, daß die Gauner, wenn sie
einen Fischzug gemacht haben, das Weite suchen könnten, in welchem Falle
dann das Gemeinwesen trotz der Haftpflicht der Unternehmer das leere
Nachsehen hätte? Halten Sie es für möglich, daß es zurechnungsfähige
Menschen giebt, die, um eines solchen Gewinnes willen Freiland den
Rücken kehren und sich der bürgerlichen Welt überantworten? Die Sache
löst sich in ein ganz einfaches Rechenexempel auf. Was können die Leute
hier stehlen? Äußerstenfalls den Wert _einer_ Stunde; und dafür sollten
sie auf die fünf, sechs andern Stunden ihres Arbeitswertes verzichten?
Denn sowie sie Freiland den Rücken kehren, haben sie diesen Wert selbst
vernichtet oder doch zum mindesten auf jenes Ausmaß des Elends
herabgedrückt, wie es in der bürgerlichen Welt der Anteil des
Arbeitenden ist. Menschen, die dessen fähig wären, könnten keine
Schlauköpfe, sondern nur Tölpel sein, die nicht einmal über das
Einmaleins hinaus sind, und solche sind -- als Betrüger zum mindesten --
nicht gefährlich. Aber ich bestreite, daß selbst der ärgste Tölpel,
sofern nur ein Rest von Menschentum in ihm steckt, um welchen Preis
immer dazu zu haben wäre, die freie Atmosphäre dieses Landes mit der
Kerkerluft der bürgerlichen Welt zu vertauschen.«

»Nun ereifern Sie sich nur nicht wieder,« begütigte mich Professor
Tenax. »Wenn es Ihnen Vergnügen macht, gebe ich zu, daß meine
Besorgnisse nach dieser Richtung überflüssig gewesen. Betrüger sind die
Herren von der Luftschiffahrtgesellschaft nicht, dafür aber sind es
herzlich unpraktische Leute. Sehen Sie, ich bin doch ein Kathedermensch
und habe mit Geschäften eigentlich niemals etwas zu thun gehabt; aber
eine solche Gefahr einzugehen, wie das die hundertundzweifünfzig thun,
und dabei nicht den geringsten Vorteil für sich auszubedingen, aller
Welt das Recht offen halten, am Gewinne, den ich unter Einsatz meiner
Mittel ermöglicht habe auf gleichem Fuße teilzunehmen, das wäre doch
nicht nach meinem Geschmack. Nebenbei will ich auch bemerken, daß es in
meinen Augen gerade kein Zeugnis für die hier herrschende
Gerechtigkeitsliebe ist, daß man eine solche Verteilung von Gefahr und
Gewinn als etwas Selbstverständliches betrachtet.«

»Ich kann Sie auch in diesem Punkte beruhigen,« entgegnete ich. »Haben
Sie nicht bemerkt, daß jener Absatz des Gesellschaftsstatuts, in welchem
vom Alterszuschlage der Genossen die Rede zu sein pflegt, in dem soeben
zur Annahme gelangten Statut der Luftschiffahrtsgesellschaft offen
gelassen wurde?«

»Allerdings, und das ist es gerade, was ich so überaus thöricht finde;
die Leute verzichten selbst auf jenen geringfügigen Zuschlag, den
überall die älteren Teilnehmer einer Gesellschaft genießen, während ich
in der Ordnung finden würde, daß hier, wo mit der Gründung so große
Gefahr verknüpft ist, der Vorzug der ersten Teilnehmer größer sei als
sonst der Alterszuschlag.«

»Das finden wir hundertzweiundfünfzig ersten Teilnehmer der
Luftschiffahrtgesellschaft auch und gerade deshalb haben wir diesen
Punkt einstweilen offen gelassen; wir wissen noch nicht, was wir fordern
sollen, und haben es daher für das Beste gehalten, darüber einstweilen
zu schweigen. Gelingt das Unternehmen, läßt sich über Bedeutung und
Tragweite eines in die Statuten aufgenommenen Zuschlagrechtes ein Urteil
bilden, dann werden wir Gründer mit unseren Forderungen hervortreten.«

»Und das nennen Sie praktisch, das nennen Sie vernünftig? Diese heutige
Generalversammlung, bei welcher außer den Gründern niemand zugegen war,
der sich am Unternehmen thätig beteiligen würde, wäre geneigt gewesen,
jeden beliebigen Alterszuschlag zu votieren; nach Jahresfrist, wenn das
Unternehmen dann gelungen sein sollte, wenn es sich herausstellt, daß
hier Tausende von Arbeitern lohnende Beschäftigung finden, dann mit
diesen Arbeitern, die auf ihre Kosten euch ersten hundertzweiundfünfzig
etwas bewilligen sollen, über das Ausmaß dieser Bewilligung verhandeln,
ist doch jedenfalls sehr unklug.«

»Diese Frage hat auch mir einen Moment lang zu denken gegeben, aber die
Antwort liegt ziemlich nahe. Uns Gründern hätte es auf der einen Seite
nichts genützt, wenn uns diese erste gründende Versammlung welchen
Zuschlag immer bewilligt hätte, weil jede folgende ihn widerrufen kann;
und wir brauchen auf der andern Seite nicht zu fürchten, daß spätere
Generalversammlungen, in denen die Genossen den Ausschlag geben, uns in
dem, was die öffentliche Meinung dazumal für billig halten wird,
verkürzen werden, weil die Freizügigkeit uns in solchem Falle Hilfe
schüfe. So gut sich hier bei dieser ersten Gelegenheit Tausende
eingefunden haben, um eine Gesellschaft, welche sie interessiert,
begründen zu helfen, ebenso würden späterhin sicherlich Tausende sich
bereit finden, helfend in eine Generalversammlung einzutreten, wo man
billige Ansprüche von Personen mißachten wollte, die unter dem Einsatz
ihrer Mittel die Verwirklichung einer gemeinnützigen Idee ermöglicht
haben. Nehmen Sie an, daß die zukünftigen Flugmaschinen zwar im Prinzipe
gelungen, aber doch so geartet sind, daß sie praktisch nicht sehr große
Verwendung finden können, so wird der Absatz des Unternehmens ein
geringfügiger bleiben und selbst ein verhältnismäßig hoher Zuschlag
nicht viel tragen; stellen Sie sich umgekehrt vor, daß Zehntausende von
Arbeitern notwendig werden, um dem Bedarfe nicht nur von Freiland,
sondern der ganzen Welt nach diesem zukünftigen Flugapparate zu genügen,
dann hätte auch ein geringfügiger Gründerzuschlag enormen Wert. Setzen
wir nun den Fall, daß man, auf einen mäßigen Absatz rechnend, einen
zehnprozentigen Gründerzuschlag durch -- sagen wir -- zwanzig Jahre
heute für billig halten würde und es stellte sich dann heraus, daß
dieser zehnprozentige Zuschlag, statt wenige Tausende Mark im Jahre zu
tragen, Hunderttausende von Mark jährlich erreicht, glauben Sie dann,
daß es billig wäre, diese hundertzweiundfünfzig Personen dafür, daß sie
schlimmsten Falls 1250 Mark im Jahre aufs Spiel setzten, mit je 100000
Mark jährlich zu belohnen? -- Ebenso unbillig, als es umgekehrt wäre,
wenn man unter der Voraussetzung, daß der Absatz sehr groß sein werde,
einen sehr mäßigen Gründerzuschlag festgestellt hätte und sich dann
herausstellte, daß dieser Zuschlag in Wahrheit ein Bettel sei, der nach
unten zu außer Verhältnis steht mit der übernommenen Gefahr. Wir Gründer
thun also ganz wohl daran, uns auf die öffentliche Meinung zu verlassen;
wir werden unter allen Umständen erhalten, was diese als billig
erachtet.«



                          Dreizehntes Kapitel.

         Die Verfassung von Freiland; die freiländische Steuer.


Im Monat September finden hier die Wahlen für die verschiedenen
Vertretungskörper statt. Die freiländische Verwaltung ist nämlich in der
Weise eingerichtet, daß jeder Zweig des öffentlichen Dienstes für das
ganze Land in je _einer_ obersten Centralstelle zusammengefaßt ist, die
verschiedenartigen Verwaltungszweige dagegen durchaus unabhängig
voneinander arbeiten und auch deren Überwachung nicht durch einen
einheitlichen, sondern durch gesonderte Vertretungskörper vor sich geht.
Es giebt zwölf solcher unabhängiger Verwaltungszweige, nämlich:

    1.  Präsidium.
    2.  Versorgungswesen.
    3.  Unterricht.
    4.  Kunst und Wissenschaft.
    5.  Statistik.
    6.  Straßenbau und Verkehrswesen.
    7.  Post und Telegraph.
    8.  Auswärtige Angelegenheiten.
    9.  Lagerhaus.
   10.  Centralbank.
   11.  Gemeinnützige Unternehmungen.
   12.  Gesundheitspflege und Justiz.

Dementsprechend bestehen zwölf oberste Verwaltungsbehörden, mit je einem
Vorstande an der Spitze, und zwölf Vertretungskörper, aus deren Mitte
die Verwaltungsvorstände gewählt werden, die dann ihrerseits ihre
Unterbeamten ernennen.

Jeder volljährige Freiländer -- Mann oder Weib -- hat das Wahlrecht für
sämtliche Vertretungskörper; nur üben die wenigsten dieses ihnen
zustehende Recht für alle zwölf Vertretungen aus, vielmehr giebt
jedermann seine Stimme nur in jenen Wahlkörpern ab, für deren
Angelegenheiten er sich interessiert und Verständnis zu besitzen glaubt.
Die Frauen z. B. kümmern sich zumeist um die Wahlen für die
Lagerhausverwaltung oder für die Centralbank nicht, stimmen auch für
Straßenbau und Verkehrswesen, Post und Telegraph nur in geringer Zahl,
während z. B. bei Wahlen für das Unterrichtswesen ihre Stimmen in der
Regel den Ausschlag geben. Man geht hier nämlich von dem Grundsatze aus,
daß es zwar jedermanns Pflicht sei, sich um die öffentlichen
Angelegenheiten zu kümmern, aber eben nur um diejenigen, für welche man
Interesse und Verständnis besitzt; es gilt für unehrenhaft, sich dem
öffentlichen Leben fernzuhalten, aber für ebenso unehrenhaft, sich in
Angelegenheiten zu mengen, von denen man nichts versteht. Die Folge
davon ist, daß alle öffentlichen Angelegenheiten in den Händen
Sachverständiger ruhen und daß beinahe überall diejenigen den Ausschlag
geben, die bei den Entscheidungen, um die es sich jeweilig handelt,
zunächst interessiert sind.

Das wäre in den Staaten der bürgerlichen Welt ein ungeheueres Unglück.
Denn da dort jedermann bestrebt ist und bestrebt sein muß, seinen
Vorteil auf Kosten anderer zu suchen, so hätte eine derartige
Machtverteilung zu bedeuten, daß das Publikum wehrlos den
Ausbeutungsgelüsten derjenigen überantwortet wäre, die irgendwie in der
Lage sind, sich auf seine Kosten zu bereichern. Man stelle sich einmal
ein europäisches Land vor, in welchem die Fabrikanten über Fabrikation,
die Landwirte über Landwirtschaft, die Bankleute über Bankwesen Gesetze
zu machen und deren Ausübung zu überwachen die Macht besäßen, ohne daß
sie den Widerstand der nicht direkt Beteiligten zu fürchten
brauchten! Hier in Freiland sind ähnliche Ausbeutungsgelüste ganz
undenkbar. Was würde es z. B. freiländischen Fabriks- oder
Landwirtschaftsgesellschaften nützen, ihre Erzeugnisse durch Schutzzölle
zu verteuern? Sie hätten damit den anderen das Produzieren erschwert,
die Arbeit von den von Natur aus ertragreichsten auf minder ertragreiche
Arbeitszweige gelenkt, ohne die Sondervorteile aus den geschützten
Produktionen für sich behalten zu können. Da hier jedermanns Nutzen mit
dem aller Welt notwendigerweise in Übereinstimmung bleiben muß, so kann
man in allen Stücken die Wahrung des allgemeinen Nutzens denjenigen
überlassen, die sich auf ihren Nutzen aus einer gerade in Frage
stehenden Angelegenheit am besten verstehen, und das sind natürlich
allemal diejenigen, welche bei der fraglichen Sache am unmittelbarsten
interessiert sind. Setzen wir z. B. den Fall, daß es sich in Europa um
den Bau einer neuen Eisenbahn handle; wäre es dort möglich, diesen Bau
von der Meinung derjenigen abhängig zu machen, deren Ländereien und
Gewerke von der neuen Linie berührt werden sollen? Sie würden für den
Bau stimmen, auch wenn die Vorteile desselben für die Gesamtheit in gar
keinem Verhältnisse zu den Lasten stünden, sofern nur die für sie selbst
aus diesem Bau erwachsende Last durch den für sie selbst daraus
erwachsenden Vorteil übertroffen wird. In Freiland dagegen können auch
die unmittelbar Beteiligten nicht wünschen, daß eine Bahn gebaut werde,
die der Gesamtheit weniger nützt als sie kostet, weil sich hier Nutzen
wie Kosten unter allen Umständen gleichmäßig auf alle Mitglieder des
Gemeinwesens, auf ein jedes nach Maßgabe seiner Arbeitsleistung,
verteilen, und der einzige Unterschied zwischen den zunächst Beteiligten
und allen anderen Bewohnern von Freiland besteht in diesem Punkte bloß
darin, daß die ersteren am besten in der Lage sind, den Nutzen der in
Frage stehenden Anlage richtig zu beurteilen und abzuwägen.

Daraus geht aber des ferneren hervor, daß es sich hierzulande bei allen
Wahlen niemals darum handeln kann, einer bestimmten politischen Richtung
zum Siege zu verhelfen, sondern immer nur darum, sachverständige Männer
zu wählen. Es kann daher wohl Meinungsverschiedenheiten über die Eignung
verschiedener Bewerber um eine zu vergebende Stelle, niemals aber
Interessengegensätze und Parteikämpfe geben. Auch in Freiland geschieht
es, daß der eine für nützlich hält, was der andere für schädlich
erachtet, aber es ist immer der nämliche Nutzen beider, über welchen
diese Meinungsverschiedenheiten entstehen mögen und beide Teile müssen
daher stets in dem Wunsche übereinstimmen, die Entscheidung den
Klügsten, Bestunterrichteten, Sachverständigsten in die Hände zu geben.

Die Ausübung des freiländischen Wahlrechtes ist nicht an den Nachweis
eines längeren Aufenthaltes im Lande geknüpft; ich war schon Wähler,
obgleich ich noch nicht ganz vier Monate in Freiland weilte. Aber da mir
als Neuling die Kandidaten für die anderen Vertretungskörper noch fremd
waren, so beschränkte ich mich darauf, meine Stimme für die mir
bekannten Bewerber um die Mandate für Straßenbau und Verkehrswesen und
für gemeinnützige Unternehmungen abzugeben. Nebenbei will ich noch
bemerken, daß der erstere Vertretungskörper 120, der letztere 146
Abgeordnete zählt, wie denn überhaupt die zwölf Vertretungskörper sehr
verschieden an Zahl sind. Sie halten alle gesondert ihre Beratungen und
zwar meist in verschiedenen Sitzungsperioden. Die zwölf Verwaltungschefs
beraten die wichtigeren Angelegenheiten gemeinsam, vertreten sie aber
gesondert vor ihren Parlamenten; doch haben auch diese das Recht,
gemeinsame Beratungen zu fordern, was allemal dann geschieht, wenn sich
der eine Vertretungskörper für Angelegenheiten interessiert, die vor
einem andern zur Beratung stehen. Da der bloße Wunsch welches
Vertretungskörpers immer nach solch gemeinsamer Behandlung, die
fragliche Angelegenheit der übereinstimmenden Entscheidung beider oder,
wenn es zufällig mehrere Vertretungskörper sein sollten, die mit bezug
auf die nämliche Angelegenheit einen solchen Wunsch äußern, aller
sich für denselben Interessierenden unterwirft, so sind
Kompetenzstreitigkeiten zwischen den _Vertretungs_körpern gänzlich
ausgeschlossen. Allenfalls auftauchende Kompetenzfragen der
_Verwaltungs_körper entscheidet das Präsidium.

Bei der Einteilung der freiländischen Verwaltungszweige wird dem
Ausländer zunächst auffallen, daß jene zwei Aufgaben der öffentlichen
Verwaltung, die in den europäischen Ländern die größte Kraft und die
größte Aufmerksamkeit des Staates für sich beanspruchen, nämlich Finanz-
und Militärwesen, gar nicht vertreten erscheinen.

Was nun zunächst das fehlende »Finanzministerium« anlangt, so vertritt
dessen Stelle in Freiland höchst wirksam die Centralbank. Sie ist es,
die alle Einnahmen aller Bewohner des ganzen Landes noch vor diesen
selbst in Händen hat; es bedarf daher keiner Steuereinnehmer, um die
Abgaben einzutreiben; es genügt zu diesem Behufe, daß die Centralbank
sie den Abgabepflichtigen zu Lasten und dem Gemeinwesen zu gunsten
schreibe.

Auch das Fehlen eines »Kriegsministeriums« darf nicht dahin ausgelegt
werden, als ob es Freiland an allen militärischen Vorkehrungen zur
Wahrung seiner Sicherheit nach außen fehle. Die Freiländer haben eine
Armee und zwar, wie ich glaube, heute schon, trotzdem die
Bevölkerungszahl zweiundeinhalb Millionen Seelen noch nicht
überschritten hat, eine geradezu formidable Armee, die jeden, auch den
mächtigsten Feind, der es wagen würde, Freiland anzugreifen, mit
Leichtigkeit zerschmettern könnte. Nur ist es nicht eine
Kriegsverwaltung, sondern -- dem Ausländer mag das seltsam erscheinen --
die Unterrichtsverwaltung, welche mit dieser Armee zu thun hat. Ähnlich
wie bei den alten Griechen nimmt nämlich in der Jugenderziehung die
Ausbildung jeglicher Art körperlicher Tüchtigkeit und darunter denn auch
der Tüchtigkeit in der Handhabung von Waffen eine hervorragende Stelle
ein. Von der Mittelschule angefangen werden in eigens dazu
eingerichteten großartigen Anstalten die Knaben und Jünglinge Freilands
täglich durch mindestens zwei Stunden im Turnen, Schwimmen, Reiten,
Fechten und Schießen geübt, die Zöglinge der technischen Hochschulen
auch in der Bedienung von Geschützen. Wenn man nun bedenkt, daß es hier
keine ausgemergelten, herabgekommenen Proletarier giebt, sondern daß
jeder freiländische Jüngling die Vollkraft all seiner geistigen wie
körperlichen Anlagen entwickeln kann, und sich vergegenwärtigt, welcher
Vollendung ein solches Menschenmaterial durch von Jugend auf geübte,
planmäßige Ausbildung fähig ist, so wird man mir glauben, wenn ich
versichere, daß die aus diesen Schulen hervorgehenden freiländischen
Schützen, Reiter und Kanoniere denen der besten europäischen Armee genau
im selben Maße überlegen sind, wie die Zöglinge der griechischen
Gymnasien den Barbarenhorden Persiens überlegen waren. Zwar hatte ich
natürlich keine Gelegenheit, Freiländer im Ernstkampfe zu sehen, denn
bisher war Freiland der Notwendigkeit eines ernsten Kampfes enthoben;
aber ich sah sie bei ihren Waffenspielen, wo in der Regel mit scharfer
Ladung nach sinnreich hergerichteten und meist auch beweglichen Zielen
geschossen wird; ich konnte also die Wirkung freiländischen Einzel- und
Rottenfeuers beobachten und ich wage kühnlich die Behauptung, daß
solchem Feuer keine europäische Truppe auch nur wenige Minuten lang zu
widerstehen vermöchte.

Die der Schule entwachsenen Jünglinge besitzen zum Zwecke der
Fortführung der Waffenübungen eine freiwillige Organisation unter
selbstgewählten Führern und alljährlich werden große Gau- und
Landesübungen von ihnen abgehalten, in denen sowohl Einzelkämpfer als
ganze, bis zu Tausendschaften vereinigte Abteilungen sich um
unterschiedliche Preise bewerben, die zwar in nichts anderem bestehen
als in einfachen Lorbeerzweigen, die aber deswegen nicht minder heiß
umstritten werden, wie einst die Ölzweige der isthmischen Spiele bei den
alten Griechen. Nun denn, ich war Zeuge eines solchen Kampfes und
konstatiere, daß die siegreiche Tausendschaft den Preis zuerkannt
erhielt auf Grund eines Schießergebnisses, welches 6780 Treffer bei zehn
auf tausend Meter Distanz binnen einer Minute abgegebenen Salven
aufwies. Nun weiß ich wohl, daß es ein Unterschied ist, ob man an
wehrlose hölzerne -- nebenbei bemerkt genau mannsgroße -- Zielscheiben
oder auf das Feuer erwidernde Feinde seine Schüsse abgiebt. Aber es ist
ja nicht gerade nötig, daß tausend Mann in einer Minute die sechs- bis
siebenfache Zahl niederschießen, um sie schlechterdings unnahbar für
jeden Feind mit menschlichen Nerven zu machen. Und wer dies Resultat
vielleicht für unglaublich hält, der möge bedenken, daß auch im
bisherigen Verlaufe der Geschichte noch stets der harmonisch entwickelte
Vollmensch über herabgekommene Knechte den Sieg davongetragen hat, mag
das Zahlenverhältnis da und dort noch so ungleich gewesen sein. Nicht
das Feldherrngenie des Miltiades war es, was bei Marathon, und eben so
wenig das des Pausanias, was bei Platäa den Ausschlag gab, sondern die
unwiderstehliche Waffengewandtheit der in den »Gymnasien« von Athen und
Sparta ausgebildeten griechischen Männer, gegenüber den hilflosen Horden
asiatischer Sklaven. Was sollte also Wunderbares daran sein, wenn die
Zöglinge der freiländischen Gymnasien eine ähnliche Überlegenheit jenen
Horden gegenüber an den Tag legen würden, welche die bürgerliche Welt
gegen sie aufzubieten vermöchte?

Zu erklären wäre auch noch, warum in Freiland Gesundheitspflege und
Justiz in _einem_ Verwaltungskörper zusammengefaßt sind. Es spricht dies
zunächst für eine Geringschätzung der Gerechtigkeitspflege, die überall
in der bürgerlichen Welt geradezu als die Grundlage der gesamten
gesellschaftlichen Ordnung hingestellt und als solche auch ganz
besonderer Fürsorge gewürdigt wird. Der Unterschied liegt eben darin,
daß hierzulande die Gerechtigkeit in den _allgemeinen_ Einrichtungen
liegt und daß man es demnach nicht notwendig hat, sie durch _besondere_
Einrichtungen erzwingen zu wollen. Die bürgerliche Welt, die auf dem
Unrechte beruht, indem sie neun Zehnteile aller Menschen zwingt, ihren
eigenen Vorteil dem Vorteil der Gesamtheit oder dem, was man dafür hält,
aufzuopfern, sie muß natürlich sehr umständliche Vorkehrungen treffen,
damit die solcherart zur Preisgebung ihres eigenen Vorteils Gezwungenen
sich dem Gebote der Allgemeinheit fügen. In Freiland wird von niemand
gefordert, zu thun, was ihm schadet, zu unterlassen, was ihm nützt, hier
steht der Nutzen der Allgemeinheit in vollständigstem Einklange mit
jedermanns Eigeninteressen; es ist also überflüssig, dieses vom
unübersteiglichen Walle der gesamten Einzelinteressen umgebene
Gesamtinteresse noch durch besondere Schutzvorkehrungen zu verteidigen.
Wir haben also hier schlechterdings keine Polizei und keine Gerichte im
europäischen Sinne. Es kommen zwar Streitigkeiten hie und da vor, aber
diese werden durch freiwillig und unentgeltlich ihres Amtes waltende
Schiedsrichter geschlichtet. Ebenso giebt es auch in Freiland
Verbrecher; doch betrachtet man diese als geistig oder moralisch Kranke
und behandelt sie dementsprechend, d. h. man bestraft sie nicht, sondern
sucht sie zu bessern. Und Ärzte, nicht Richter sind es, denen die
Leitung und Überwachung des Besserungsverfahrens obliegt. Letzteres ist
der Grund, warum das Justizwesen mit der Gesundheitspflege in einer Hand
zusammengefaßt ist, wobei bemerkt werden muß, daß diese Behandlung der
geistig und moralisch Kranken Freiland geringe Sorge bereitet, da es
verhältnismäßig nur sehr wenige sind, die ihr unterzogen werden müssen.

Auch darin liegt durchaus nichts Wunderbares; die Freiländer sind weit
entfernt, Engel zu sein. Es ist zwar zu hoffen, daß in nicht allzu
ferner Zeit und jedenfalls nach Verlauf einiger Generationen das Fehlen
fast aller Anreize zu gesetzwidrigen Handlungen eine wohlthätige
Umwandlung auch in der Anlage und in der Natur der Menschen hier
hervorrufen wird. Gleichwie körperliche Organe, die andauernd nicht
geübt werden, verkümmern müssen, so gilt dasselbe auch für die Organe
des Seelenlebens. Auch der schlechteste Mensch thut, sofern er nur
zurechnungsfähig ist, nichts Böses ohne Anlaß, und auch der Beste kann
zum Verbrecher werden, wenn der Anreiz dazu übermächtig wird; aber
deshalb ist es doch nicht minder wahr, daß gute sowohl als schlechte
Handlungen von Einfluß auch auf den Charakter des Menschen sind;
schlechte Handlungen machen schlecht, gute Handlungen gut. Es ist also
zu erwarten, daß die Menschen hier, wo ihnen jeder Anlaß, schlecht zu
handeln, fehlt, stets besser und besser werden dürften. Aber bis sich
diese Veredelung der Charakteranlagen vollzieht, wird wohl noch geraume
Zeit vergehen, und einstweilen -- ich wiederhole es -- kann ich die
Freiländer nicht, ihrem innersten Kerne nach, als bessere Menschen
anerkennen, wie unsere Mitbrüder da draußen. Nichtsdestoweniger behaupte
ich, daß die ganz außerordentliche Seltenheit von Verbrechen hier nichts
Wunderbares sei. Morden, stehlen, betrügen denn die Leute da draußen aus
purer Bosheit und zu ihrem Vergnügen? Sie thun es -- zu neunundneunzig
Hundertteilen mindestens -- bloß aus Not oder Verführung. Nun, diese Not
oder Verführung giebt es hier nicht. Es fehlt also jeder Anlaß zu
neunundneunzig unter hundert Verbrechen, die da draußen begangen werden,
und das ist der Grund, warum sie hier nicht begangen werden.

Natürlich ist das soeben betonte Fehlen von Not und Verführung nicht so
zu verstehen, als ob der Unterschied zwischen Freiland und dem Auslande
bloß darin bestünde, daß die Leute hier satt, dort hungrig sind. Auch
die Satten begehen -- wenn auch nicht so häufig wie die Hungrigen -- in
der bürgerlichen Welt Verbrechen genug; aber sie thun es, weil sie sich
gleichsam in stetem Kriegszustande mit allen ihren Mitmenschen befinden
und weil man es im Kriege naturgemäß mit Recht oder Unrecht nicht so
genau nimmt wie im Frieden und unter guten Kameraden. Man bedenke, daß
es selbst unter den Verworfensten, unter den Gaunern und Banditen in der
bürgerlichen Welt, eine Art Standesehre giebt, die nichts anderes ist,
als die Scheu, denjenigen zu verletzen, von welchem man voraussetzt, daß
er uns nicht verletzen würde und daß er darauf vertraut, daß wir sein
Recht achten. Wenn also die Freiländer ihre Rechte gegenseitig ohne
Ausnahme achten, so könnte man beinahe behaupten, daß sie in diesem
Punkte gar nichts anderes thun, als was, von verschwindenden Ausnahmen
abgesehen, in ähnlicher Lage der Verworfenste in Europa auch thäte: sie
verschonen die Kameraden. Und der Unterschied liegt bloß darin, daß die
Freiländer alle Kameraden sind, während die Angehörigen der bürgerlichen
Welt sich in der Regel als Feinde betrachten und behandeln.

Nachdem ich meine Stimme für die zwei mich interessierenden Wahlen
abgegeben hatte, beschloß ich, geführt von Freund Karl, die im selben
Gebäude -- dem freiländischen Volkspalaste nämlich -- gelegenen andern
Wahllokale in Augenschein zu nehmen, um mir das Treiben dort zu
betrachten.

Als wir den Sitzungssaal des Vertretungskörpers für die freiländische
Centralbank betraten, wo die Wählerversammlung des betreffenden
Wahlkörpers zu tagen pflegt, tönten uns unwillige Rufe entgegen und wir
bemerkten, daß sich die Menge um einen Redner gruppierte, dessen
Ausführungen sichtlich diese Unruhe hervorriefen. Näher tretend sahen
wir unsern Freund Tenax, der, wie ich nachholen muß, uns vor einigen
Tagen mitgeteilt hatte, er trage sich trotz der mannigfachen Gebrechen
des freiländischen Gemeinwesens mit der Absicht dauernder Ansiedelung in
unserer Mitte und der hier offenbar einen ersten Versuch machte, sein
Scherflein zur Verbesserung irgend eines der gerügten Gebrechen
beizusteuern. Als solches entwickelte er, wie wir uns alsbald
überzeugten, seinen augenblicklichen Hörern die exorbitante Höhe der
freiländischen Steuer.

»Freiland will doch« -- so rief er -- »von Grundrente und Kapitalzins
nichts wissen; wenn man euch aber fünfunddreißig Prozent Steuer vom
gesamten Einkommen zahlen läßt, so steckt darin schon reichlich Rente
wie Zins und ihr seid noch übler daran als die Leute da draußen, die
doch im Durchschnitt nicht mehr als vier bis fünf Prozent unter beiden
Titeln, zusammen also, wenn es hoch kommt, zehn Prozent bezahlen
müssen.«

Zu unseres Professors großer Überraschung verfehlte dieses schlagende
Argument gänzlich seine Wirkung, rief vielmehr bloße Heiterkeit hervor.
Zwar hatten einzelne Mitglieder der Versammlung nicht übel Lust, die
Sache tragischer zu nehmen und sich über die Behauptungen unseres
Freundes ernsthaft zu ärgern; es waren das einige erst kürzlich vom
Auslande eingetroffene Neulinge, die jedoch von der Majorität der
älteren Freiländer alsbald beruhigt wurden, indem man ihnen bedeutete,
hier müsse jedem gestattet sein, seine Meinung frei zu äußern.

Als der Professor den unerwarteten Heiterkeitserfolg seiner Rede
wahrnahm, war seine Verlegenheit groß, dermaßen, daß einer der
Anwesenden, sichtlich bloß, um dem sonderbaren Gaste die Beschämung zu
ersparen, daß man seine Auseinandersetzungen nicht einmal einer Antwort
würdige, zu einer kurzen Erwiderung das Wort nahm.

»Freunde« -- so rief er -- »dieser Mann meint es wahrscheinlich ganz
ehrlich mit uns und nicht seine Schuld ist es wohl, wenn er, den Kopf
noch voll Grillen, die da draußen künstlich gezüchtet werden, hier bei
uns den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen kann. Vielleicht gehen ihm
die Augen auf, wenn ich ihn an zweierlei erinnere. Erstens daran, daß da
draußen Grundzins wie Kapitalzins von der Summe des Kapitals gezahlt
werden, während hier die Steuer vom Einkommen erhoben wird. Ich habe
draußen in einer Fabrik gearbeitet, von welcher ich mich noch ganz wohl
erinnere, daß die fünfprozentigen Zinsen des darin steckenden Kapitals
im Jahresdurchschnitt ziemlich genau so viel betrugen, als die gesamten
Löhne der dabei beschäftigten Arbeiter, den Direktor und das
Aufsichtspersonal mit inbegriffen. Und mein Vater war Großknecht bei
einem Pächter, der jährlich zweimal soviel Pachtzins zahlen mußte, als
die Löhne seines gesamten Personals betrugen. Das Zweite aber, was ich
ihm sagen möchte -- und das ist in meinen Augen die Hauptsache --
besteht darin, daß der Zins da draußen anderen Leuten gehört und von
diesen zu ihrem Vorteil verwendet wird, während die Steuer in Freiland
uns gehört und bis auf den letzten Heller für uns verwendet wird. Mir
kommt es nicht bloß darauf an, wie viel ich zahle, sondern auch wovon
und wofür ich es zahle; da draußen war ich ein armer Teufel, der den
letzten, überhaupt entbehrlichen Heller hergeben mußte, damit sich
andere bereichern -- hier bin ich ein reicher Mann, der dafür zahlt, daß
er noch reicher werde. Und diesen Unterschied hat eben unser neuer
Freund vergessen.«

Den Grad der Beschämung unseres guten Professors kann nur derjenige
ermessen, der da weiß, wie sehr den meisten Lehrern das widerspruchlose
Docieren vom Katheder herab zur zweiten Natur geworden ist. Auch ließ
sich nicht verkennen, daß er die Berechtigung der ihm zu teil gewordenen
Lektion im innersten Gemüte empfand; und so störten wir ihn denn nicht
als er, ohne von uns Abschied zu nehmen, sich wortlos in der Menge
verlor.



                          Vierzehntes Kapitel.

           Über Geselligkeit, Liebe und Religion in Freiland.


Die beiden Regenzeiten, deren größere im Juli und deren kleinere im
Oktober zu Ende geht, sind in Freiland der Karneval. Man darf sich unter
diesen Regenzeiten keine Epochen ununterbrochener atmosphärischer
Niederschläge vorstellen, ebensowenig als unter der trockenen Zeit eine
Epoche ununterbrochener Dürre; es giebt in Afrika das ganze Jahr
hindurch Regen, sowohl als schönes Wetter, nur überwiegt in der
Regenzeit ersteres, in der Trockenzeit letzteres in ausgesprochenem
Maße. Indessen gilt selbst dieser Gegensatz nur für das äquatoriale
Tiefland in voller Schärfe, während die Berg- und Alpenlandschaften am
Kenia und in dessen unmittelbarer Nachbarschaft denen der gemäßigten
Erdstriche ähnlichere Witterungsverhältnisse aufweisen. Damit aber, daß
es in den beiden Regenepochen beinahe täglich ausgiebige Niederschläge
giebt, hat es auch hier seine Richtigkeit; die Vormittage sind meist
schön und klar, gegen die Nachmittagsstunden aber ziehen sich um die
Gipfel des Kenia dichter und dichter Wolken zusammen, die dann des
Abends und meist die halbe Nacht hindurch in Form von Gewittern
niedergehen, von deren Heftigkeit man in Europa schwerlich eine
Vorstellung hat. Die Nächte sind um diese Zeit für den Aufenthalt im
Freien schlechterdings ungeeignet, und danach hat sich denn das Volk von
Freiland auch in seinen Vergnügungen gerichtet.

Während es in der schönen Zeit üblich ist, die balsamischen Nächte,
soweit sie nicht dem Schlafe gewidmet sind, zu Ausflügen und zu allerlei
anderen Unterhaltungen im Freien zu benutzen, vergnügt man sich in der
Regenzeit vorwiegend in gedeckten Räumen und dabei spielt der Tanz eine
hervorragende Rolle. Jeder freiländische Ort hat ein oder mehrere
Vergnügungskomitees, welche die Veranstaltung öffentlicher Bälle in die
Hand nehmen, und daneben finden sich die Familien mit erwachsenen
Töchtern regelmäßig zu kleineren Tanzvergnügungen im Freundeskreise
zusammen. Nur darf man sich unter diesen öffentlichen und Hausbällen
beileibe nicht das vorstellen, was in Europa darunter verstanden wird.
Man kommt hier nicht zusammen, um sich durch den Putz gegenseitig
auszustechen, einander zu verlästern und sich gegenseitig über einander
zu ärgern, sondern ausschließlich des Vergnügens halber und ohne irgend
welchen andern Hintergedanken. Juwelen sind hier unbekannt; nicht etwa,
daß die Freiländer und Freiländerinnen der Eitelkeit gänzlich entbehren
würden; im Gegenteil, sie legen sehr großen Wert auf die Schönheit der
äußern Erscheinung und insbesondere die Frauen sind eifrig bemüht, ihre
körperlichen Vorzüge zur Geltung zu bringen. An den Mitteln zur
Anschaffung von allerlei Kostbarkeiten würde es den Freiländern nicht
fehlen, aber sie legen eben keinen Wert auf dieselben und zwar aus dem
Grunde, weil die Kostspieligkeit einer Sache an und für sich hier nicht
genügt, um sie irgend wem wünschenswert zu machen. So sonderbar es
klingen mag, die Freiländerinnen ziehen Blumen als Schmuck den Juwelen
vor. Dahinter vermutete ich anfangs irgend welche demokratische Tendenz,
wurde aber von den Frauen, mit denen ich mich darüber in ein Gespräch
einließ, alsbald eines besseren belehrt.

Daß Blumen schöner sind wie noch so künstliches und kostbares
Geschmeide, wird vom Standpunkte unbefangener Ästhetik jedermann wohl
zugeben; wenn man trotzdem in Europa letzteres höher schätzt, so hat
dies seinen Grund nur darin, weil es kostbar ist und weil der Besitz
kostbarer Sachen in der bürgerlichen Welt als Bescheinigung bevorzugter
Lebensstellung gilt. Das Juwel ist dort gleichsam eine Art Adelszeichen,
es beweist, daß sein Träger nicht zu den Knechten, sondern zu den Herren
gehört, daß er das Recht hat, fremde Arbeit für sich auszunutzen, und
darum, um diesen Adelstitel zu erlangen, verkaufen Tausende und
Abertausende ihr und der Ihren Glück und Ehre.

»Glauben Sie wirklich,« so fragte mich auf einem der hiesigen Bälle die
Frau eines der Direktoren unserer Anstalt, »daß man Diamanten schätzt,
weil sie _schön_ sind? Ich kann Sie versichern, daß ich, als ich noch in
Europa weilte, Diamanten von gewöhnlichen Glaskrystallen so wenig zu
unterscheiden vermochte, als ich es jetzt vermöchte; trotzdem war damals
meine Sehnsucht, ein Brillantenhalsband zu besitzen, während ich die
Zumutung, ein Halsband aus Glaskrystallen anzulegen, mit Entrüstung von
mir gewiesen hätte.«

»Wodurch erklären Sie sich das?«

»Ich wollte mich eben weniger schmücken, als vielmehr durch irgend etwas
ausgezeichnet sein vor der großen Menge: ich bin fest überzeugt, wenn es
in Europa das Vorrecht der sogenannten höheren Klassen wäre, einen
Nasenring zu tragen, so würde jede Frau, die Wert auf gesellschaftliche
Stellung legt, ihr Äußerstes daran setzen, um einen Nasenring tragen zu
dürfen. Nun denn, Diamanten zu tragen ist, weil sie teuer sind, in
Europa der Vorzug der mächtigen, einflußreichen Klassen, deshalb erwirbt
man sie um den Preis weit angenehmerer, nützlicherer und schönerer
Dinge. Und wenn es hier ebenso wäre, ich versichere Sie, trotz der
Umwandlung, die mit mir in manchen Stücken hier vorgegangen ist, ich
würde auch hier Diamanten tragen. Aber hier in Freiland würde der
Diamant nicht zeigen, daß ich zu den Einflußreicheren, Mächtigeren,
sondern daß ich zu den Thörichteren gehöre, nicht daß ich fremden
Schweiß an die Erfüllung meiner Launen zu setzen vermag, sondern daß ich
eigenen Schweiß oder den Schweiß der Meinen statt an nützliche und
angenehme, an nutzlose und gleichgültige Dinge wende. Ich würde Bedauern
statt Neid erregen, und das allein -- Sie sehen, ich mache mich nicht
besser als ich bin -- ist der Grund, warum ich den Strauß hier an meiner
Brust der kostbarsten Brosche, die Rosen hier im Haar allen Steinen der
Welt vorziehe.«

Genau die nämlichen Verhältnisse sind auch der Grund, warum die Mode in
Freiland ihre tyrannische Herrschaft verloren hat. Man kleidet sich hier
lediglich zu dem doppelten Zwecke der Verhüllung und Verschönerung; sich
entstellen, um dadurch die andern zu verdunkeln, gälte hier als der
Gipfelpunkt der Lächerlichkeit. In Befolgung dieses Grundsatzes ist hier
in der That die Tracht, insbesondere die der Frauen, entzückend schön.
Es wird sehr große Sorgfalt auf sie verwendet ja, wie ich in Erfahrung
gebracht, verschmähen es selbst große Maler und Bildhauer nicht, den
Kleiderkünstlern ein wenig ins Handwerk zu pfuschen. Aber da es sich bei
Auswahl der Stoffe niemals um die Kostbarkeit, bei Feststellung der
Kleiderschnitte niemals um Neuheit oder Seltsamkeit, sondern bei beiden
ausschließlich um die Kleidsamkeit handelt, so läßt sich der Eindruck,
den solch ein freiländischer Ballsaal mit der Fülle der sich in ihm
zwanglos bewegenden, selbstbewußten, edlen Gestalten hervorruft, in
Worten kaum schildern.

Was jedoch der freiländischen Geselligkeit ihren ganz besonderen Reiz
verleiht, ist die geradezu kindliche Fröhlichkeit, die einem aus allen
Gesichtern entgegenstrahlt. Man bewegt sich hier nicht bloß unter lauter
Leuten, denen es wohl ergeht, sondern, was mehr ist, unter Leuten, die
mit absoluter Sicherheit darauf rechnen können, daß es ihnen stets
wohlergehen wird. Dem Kampf ums Dasein sind die Freiländer nicht
entrückt und jedermann ist hier für das größere oder geringere Ausmaß
seines Wohlergehens selber verantwortlich; gänzlich unbekannt aber ist
den Freiländern die häßliche, quälende Sorge um das tägliche Brot, um
die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz. Es ist ja möglich, daß die
Genossenschaft, bei welcher man beteiligt ist, schlechte Geschäfte macht
und sich auflösen muß; aber das kann wohl Verluste, niemals aber eine
Gefährdung des weiteren Fortkommens im Gefolge haben, denn
unveräußerlich ist jedes Freiländers Eigen, sein Anrecht an der
Mitbenutzung des unermeßlichen Reichtums seines ganzen Landes. Diese
fröhliche Zuversicht in Verbindung mit dem Bewußtsein, sich, man mag mit
wem immer verkehren, stets unter guten Kameraden zu befinden, deren
Vorteil unser Vorteil, deren Schaden unser Schaden ist, verleiht der
Geselligkeit hier eine Aufrichtigkeit, Herzlichkeit und vornehme
Sicherheit, derengleichen in der bürgerlichen Welt nirgends zu finden
ist und auch gar nicht gefunden werden kann, denn dort kämpfen die
Menschen den Kampf ums Dasein nicht _mit_einander, sondern
_gegen_einander, dort ist der Nächste nicht der Genosse im gemeinsamen
Kampfe gegen die Natur, sondern der Feind, gegen den mit allen Waffen
der List und Gewalt sich zu schützen die Selbsterhaltung fordert.

Bezeichnend ist die freiländische Auffassung über diesen Unterschied in
den geselligen Verhältnissen hier und in der bürgerlichen Welt. »Was
wollen Sie,« so sagte mir letzthin ein Freiländer, mit welchem ich
diesen Gegenstand erörterte, »wir sind nicht besser als die Tiere, ja
sogar als die Raubtiere; wir haben nur aufgehört, uns gegenseitig
aufzufressen, wie das die Angehörigen der humanen bürgerlichen
Gesellschaft thun, und sind zurückgekehrt zur Ethik der Bestien. Sie
werden sagen, daß der Tiger den Ochsen und der Wolf das Lamm frißt; das
thun wir auch -- nur gegenseitig verschonen wir uns. Wir sind also keine
Übermenschen geworden. Die Wahrheit ist, daß wir früher _unter_ den
Bestien standen oder, wenn Ihnen das minder verletzend klingt, die
schlimmsten aller Bestien waren.«

Ist nun schon ganz im allgemeinen das Verhältnis des Menschen zum
Menschen hier ein herzerhebendes, so muß ich das Verhältnis der
Geschlechter geradezu bezaubernd nennen. Die Natur hat jedem gesund
veranlagten Manne ein tief eingewurzeltes mächtiges Wohlgefallen am
Weibe und jedem gesund veranlagten Weibe ein eben solches Wohlgefallen
am Manne als obersten aller Instinkte eingepflanzt; in der bürgerlichen
Gesellschaft aber wird dieser mächtige Instinkt vergiftet. Das Weib ist
dazu verurteilt, im Manne den herrischen Unterdrücker zu sehen, und der
Mann wieder muß im Weibe die rebellische Sklavin fürchten. Die
bürgerliche Jungfrau ist durch die Verhältnisse dazu gedrängt, mit ihren
Reizen den »Versorger« anzulocken, der sie dafür schadlos halten soll,
was die Gesellschaft ihr versagt, und in ihren Mitschwestern sieht sie
Konkurrentinnen bei diesem unschönen Ringen um die zukünftige Existenz.
Offenheit und Würde sind von vornherein ausgeschlossen bei den
Beziehungen zwischen Mann und Weib gerade in jenem ersten Stadium, wo
sie doppelt vonnöten wären, weil es doch gilt, eine Wahl für das ganze
zukünftige Leben zu treffen, bei welcher, sollen nicht beide Teile zu
Schaden kommen, beide sich geben müssen, wie sie sind. Und was das
Ärgste ist: da in der bürgerlichen Welt in den Augen jeder Jungfrau
jeder Mann in erster Reihe als einer der zukünftigen Ernährer und
folglich als ein Objekt der Eroberung, umgekehrt in den Augen jedes
Mannes jede Jungfrau als mögliches Objekt zukünftiger Ernährung und
dementsprechend als auf Eroberung und Überlistung ausgehende
Männerjägerin sich darstellt, so besteht eigentlich zwischen beiden
Geschlechtern ein immerwährender Zustand des Mißtrauens, der Heuchelei
und Vorsicht.

Ganz anders all das in Freiland; hier ist der Mann dem Weibe und das
Weib dem Manne nichts anderes, als wozu sie die Natur füreinander
bestimmt hat; sicher steht das Weib auf seinem eigenen Rechte, es bedarf
des Mannes nicht zum Leben, sondern nur zum Lieben, es wird daher bloß
zu erobern trachten, wo sein Herz selber schon erobert ist oder sich
doch zum mindesten danach sehnt, erobert zu werden. Das weiß der Mann
und kann sich, wo sein Gefallen erregt wird, ohne Mißtrauen dem schönen
Gefühle hingeben. Da er nicht gebraucht wird, so darf er sicher sein,
nicht mißbraucht zu werden. Und da ebenso auch die freiländische
Jungfrau sicher ist, daß derjenige, der sie umwirbt, dabei nicht ihr
Vermögen, ihre Verbindungen, nicht ihre gesellschaftliche Stellung,
sondern ausschließlich ihre Person im Auge hat, so wird sie ebensowenig
dem Manne Mißtrauen entgegenbringen, als sie sein Mißtrauen erregt. Und
vor allem: sie muß nicht um jeden Preis heiraten, sie muß nicht jeden
Mann darauf ansehen, ob nicht etwa er der zukünftige »Versorger« sei.
Sie weiß recht gut, daß unter den Tausenden junger Männer, die ihr
begegnen, nur einer der Erwählte sein kann, und sie wartet daher ruhig,
bis die Stimme ihres Herzens ihr diesen Erwählten bezeichnet. Die
Beziehungen der Geschlechter sind daher zwanglos und rein zugleich,
Jünglinge und Jungfrauen verkehren als gute Kameraden. Insbesondere aber
befleißigen sie sich einer Wahrhaftigkeit und Offenheit, die in gewisser
Beziehung sogar das in Freiland allgemein übliche Maß übersteigt. Nicht
minder naturgemäß und glücklich sind die freiländischen Eheverhältnisse.
Thatsächlich ist die Ehe hier überaus fest und Scheidungen kommen fast
gar nicht vor; rechtlich dagegen beruht das Eheband lediglich auf der
freien Übereinkunft der beiden Gatten. Da man in Freiland überhaupt zu
nichts gezwungen werden kann, was nicht in die Rechtssphäre eines andern
eingreift, und da ein Recht auf die Person des Menschen hierzulande
unter keinen Umständen anerkannt wird, so gilt die Ehe als freier
Vertrag, der zwar nur unter Zustimmung beider Teile geschlossen, aber
durch den Willen auch nur eines Teiles sofort gelöst werden kann. Dies
leidet selbst dann keine Ausnahme, wenn Kinder vorhanden sind, welche in
diesem Falle der Mutter gehören, es sei denn, daß diese selbst einer
andern Anordnung zustimmt. Da es Vermögensrechte der Kinder, zu deren
Schutze doch allein das starre bürgerliche Eherecht geschaffen wurde, in
Freiland entweder gar nicht oder doch nur von untergeordneter Bedeutung
giebt, so versteht sich diese Anerkennung des natürlichen Mutterrechts
eigentlich von selbst. Und ebenso selbstverständlich ist es, daß gerade
diese vollständige Vernichtung allen Ehezwanges eine ganz besondere
Festigkeit der freiländischen Ehe zur thatsächlichen Folge hat. Es
entspricht dies durchaus den Erfahrungen auch der bürgerlichen Welt, wo
die Innigkeit des Ehebundes in umgekehrtem und die Häufigkeit der
Ehescheidungen überall in geradem Verhältnisse steht zu den
Schwierigkeiten, welche der Ehescheidung gesetzlich bereitet werden.

Standesunterschiede kennt die freiländische Gesellschaft nicht.
Insbesondere gilt dies für die jungen Leute, die ihre Erziehung schon im
Lande selbst genossen haben. Knaben und Mädchen erhalten hier allesamt,
die ersteren bis zum zurückgelegten achtzehnten, die zweiten bis zum
zurückgelegten sechzehnten Jahre die nämliche Erziehung, die ungefähr
derjenigen in den besten deutschen Mittelschulen entspricht. Der
Unterricht in den klassischen Sprachen wird nur denjenigen erteilt, die
dies wünschen, im übrigen aber erhält die gesamte freiländische Jugend
eine gründliche Gymnasialbildung. Erst nachdem diese Bildungsstufe
erledigt ist, scheiden sich die Berufe; diejenigen, die sich irgend
einem höheren gelehrten oder künstlerischen Fache widmen, besuchen die
Hochschule oder die Kunstakademie, die andern eine der zahlreichen
Gewerbeschulen, in welchen sie theoretische sowohl als praktische
Anweisung für ihr zukünftiges Geschäft erhalten. Das selbstverständliche
Ergebnis dieser Schulung ist, daß der einfachste Arbeiter nicht bloß den
ganzen Zusammenhang seines Gewerbes, von den mechanischen Handgriffen
angefangen bis zur Kenntnis der Bezugsquellen und Absatzmärkte
vollständig inne hat, sondern auch über ein recht ansehnliches Maß
allgemeiner Bildung verfügt. Diese freiländischen Arbeiter sind keine
gedankenlosen, einseitigen Automaten, deren Interesse über ihre
jeweiligen Handreichungen nicht hinausragen würde; sie sind jederzeit
vollkommen in der Lage, den gesamten gewerblichen Organismus, dem sie
gerade angehören, zu beurteilen, was natürlich dazu beiträgt, die Wahlen
in den Generalversammlungen sachverständig und vernünftig zu gestalten;
sie können außerdem jederzeit eine sich in verwandten Gewerben
darbietende günstige Konjunktur durch Übertritt zu diesen praktisch
ausnutzen, was wieder dazu beiträgt, die Gleichmäßigkeit der Erträge in
allen Produktionszweigen in der denkbar vollkommensten Weise zu
gewährleisten; und sie sind schließlich allesamt Kulturmenschen im
höhern Sinne des Wortes, die teilnehmen können an allen menschlichen
Angelegenheiten, die für öffentliches Leben, Wissenschaft und Kunst
lebhaftes Verständnis und reges Interesse an den Tag legen. Damit soll
natürlich nicht gesagt sein, daß jeder freiländische Arbeiter sich
wirklich um alle höheren menschlichen Angelegenheiten kümmert; es giebt
viele unter ihnen, die für alles, was nicht ihr persönlichestes
Interesse berührt, ebenso gleichgültig sind -- wie zahlreiche Angehörige
der gelehrten Stände; denn die Teilnahme an der allgemeinen Kulturarbeit
der Menschheit hängt eben nicht bloß vom Ausmaße des Wissens, sondern
auch von persönlichen Neigungen und Anlagen ab; wo letztere fehlen,
nützt ersteres nichts. Es soll hier nur gesagt sein, daß in diesem
Punkte der Unterschied des Berufes in Freiland nicht ausschlaggebend
ist.

Ebenso selbstverständlich ist, daß in Freiland jedwede ehrliche Arbeit
von der öffentlichen Meinung gleichgeachtet wird. Ähnliches pflegt zwar
auch die bürgerliche Welt von sich zu behaupten, es ist dies jedoch
nichts anderes, als eine der vielen Lügen, mit denen man sich da draußen
selbst täuscht. Arbeit ist außerhalb Freilands ganz im allgemeinen eine
Schande, und zwar mit Recht; denn der Arbeitende in der bürgerlichen
Welt ist ein höriger Mensch, Werkzeug für die Zwecke anderer, abhängig
von deren gutem Willen, ein Knecht mit einem Worte, und kein Moralgesetz
der Welt wird die Ehre des Knechtes gleichstellen mit der des freien,
unabhängigen Menschen. Naturgemäß giebt es da draußen auch verschiedene
Abstufungen in der Schande der Arbeit; je vollständiger die Ausnutzung,
deren Gegenstand der Arbeitende ist, d. h. je größer die Plage und je
geringer der Lohn, desto vollständiger auch die Verachtung; volle Ehre
aber genießt da draußen bloß derjenige, der gar nichts arbeitet, sondern
andere für sich arbeiten läßt. Hier, wo jeder für sich selber arbeitet,
hier, wo niemand als Mittel zu Zwecken anderer mißbraucht werden kann,
hier kann es auch keinen Unterschied machen, ob der Arbeitende diese
seine selbstherrlichen Zwecke in der einen oder der andern Weise
verfolgt. Es ist dies aber schon aus dem Grunde schlechterdings
unmöglich, weil sich in Freiland eine strenge Scheidelinie der Berufe
gar nicht ziehen läßt. Der einfachste Handarbeiter kann morgen, durch
das Vertrauen seiner Genossen zu leitender Stellung berufen, in die
Reihe der Kopfarbeiter vorrücken. Doch ganz abgesehen davon, findet in
Freiland eine stete Durchdringung von Kopfarbeit und Handarbeit dadurch
statt, daß zahlreiche Kopfarbeiter es vorziehen, in gewissen
Zwischenpausen für längere oder kürzere Zeit irgend eine Handarbeit zu
betreiben. Sie vergeben sich dadurch nicht das Geringste und erzielen
damit eine gesunde und unter Umständen sogar angenehme Unterbrechung
ihrer sitzenden Lebensweise. Ich habe hier kürzlich einen höheren
Beamten der Centralbank kennen gelernt, der sich jährlich zwei Monate
der Landwirtschaft und Gärtnerei widmet; ein Lehrer meiner Bekanntschaft
arbeitet alljährlich durch einige Wochen in irgend einer Fabrik. Ja, so
allgemein ist diese Gepflogenheit in ganz Freiland, daß alle Bureaus und
Ämter sich auf dieselbe einrichten, d. h. gefaßt sein müssen, regelmäßig
einer nicht gerade geringen Zahl der Angestellten Urlaub zum Zwecke
solcher Abwechselung in den Berufsgeschäften zu geben. (Es versteht sich
von selbst, daß während des Urlaubs die Gehalte aufhören.)

All das hat zur Folge, daß man sich hier im geselligen Verkehr um
Berufsunterschiede gar nicht kümmert. Man wählt sich seinen Umgang
ausschließlich nach den persönlichen Eigenschaften der Menschen, und
wenn es auch natürlich ist, daß die mit gleichen geistigen Anlagen,
Neigungen und Interessen Ausgestatteten sich enger aneinander schließen,
so hat das doch mit dem, was man in Europa gesellschaftliche Stellung
nennt, nicht das Geringste zu thun.

Einstweilen stört allerdings der Zuzug neuer, zum Teil noch auf ziemlich
niedriger Stufe der geistigen Entwickelung stehender Einwanderer diese
durchgängige gesellige Gleichheit; aber mit jedem Jahre vermindert sich
stufenweise dieser Unterschied. Die Einwanderer hegen mit verschwindend
geringen Ausnahmen den brennenden Wunsch, sich geistig zu heben, und der
Wohlstand wie die Muße, die ihnen hier ausnahmslos zu teil werden,
ermöglichen es ihnen in überraschend kurzer Zeit, das in den Jahren der
Knechtschaft Versäumte nachzuholen. Zudem erlangt der in Freiland
erzogene Nachwuchs mehr und mehr das Übergewicht über die zugewanderten,
noch nicht vollkommen vom freiländischen Wesen durchtränkten Elemente,
und mit Sicherheit läßt sich darauf zählen, daß, ehe ein Menschenalter
vergeht, die heute schon geltende rechtliche Gleichheit durch eine
ebenso vollständige gesellschaftliche ergänzt werden wird.

Zum Schlusse hier noch einige Worte über die religiösen Verhältnisse
Freilands. Auch diese stehen unter dem Einflusse des Grundsatzes der
absoluten persönlichen Freiheit und Gleichberechtigung. So wenig sich
die Gesamtheit anmaßt, die Arbeit des Einzelnen zu leiten und zu
überwachen, ebensowenig kümmert sie sich um dessen Glauben. Thatsächlich
besitzen alle großen Religionsgenossenschaften Anhänger in Freiland und
zahlreiche derselben haben sich zu religiösen Gemeinden zusammengethan,
die es mit ihrem Gottesdienste halten, wie ihr Gewissen ihnen
vorschreibt. Dagegen, daß die Diener dieser unterschiedlichen Religionen
sich in die politischen oder gesellschaftlichen Verhältnisse der
Gesamtheit mengen, bietet die allgemein verbreitete Bildung und
Aufklärung mehr als ausreichenden Schutz. Im übrigen muß rühmend
anerkannt werden, daß die Priester hier ohne Ausnahme frei sind von
jener Herrschsucht, die in der bürgerlichen Welt das hervorstechende
Merkmal ihrer Kaste ist. Auch sie sind ja Menschen, welche sich der
Geistesströmung nicht zu entziehen vermögen, inmitten derer sie sich
befinden. In der bürgerlichen Welt, welche wahre Freiheit nicht kennt,
wo jedermann nur die Wahl hat, ob er herrschen oder beherrscht sein
will, entscheiden sie sich natürlich, wie die anderen alle, die in der
gleichen Lage sind, für das erstere; hier, wo niemand herrscht und
Herrschaft duldet, fällt es auch ihnen nicht ein, eine Ausnahme zu
machen. Es ist daher kein Beispiel bekannt geworden, daß das
freiländische Gemeinwesen durch priesterliche Herrschsucht oder
Unduldsamkeit behelligt worden wäre; ließe sich irgend ein
Religionsdiener derartige Gelüste beikommen, so könnte man es getrost
seiner engeren Gemeinde überlassen, ihn zur Vernunft zu bringen.



                          Fünfzehntes Kapitel.

         Über die Tüchtigkeit der gewählten Betriebsleitungen,
         künstlerische Produktion, Kommunismus und Anarchismus,
       Staatsbetrieb, allgemeine Anwendbarkeit der freiländischen
              Grundsätze und die Furcht vor Übervölkerung.


Professor Tenax will sich um eine Lehrkanzel für Nationalökonomie an der
hiesigen Universität bewerben. Die letzten Monate hat er dazu verwendet,
die Übereinstimmung der richtig verstandenen Lehrsätze der klassischen
Ökonomie mit den freiländischen Grundsätzen nach allen Richtungen zu
erforschen, und das Ergebnis seiner Untersuchungen und seines
Nachdenkens war im allgemeinen ein günstiges. Doch hält es der
gewissenhafte Mann für notwendig, eine Reihe von Bedenken, mit denen er
aus eigener Kraft noch immer nicht fertig geworden ist, im Wege der
Disputation mit hiesigen Fachgenossen zur Klärung zu bringen. Er hat
deshalb zwei der hiesigen Volkswirtschaftslehrer gebeten, sich in ein
abschließendes Wortgefecht mit ihm einzulassen, und mir erwies er die
Ehre, Zeuge dieses Geistesturniers sein zu dürfen. Schauplatz desselben
war die Wohnung des einen der hiesigen Professoren und heute der Tag, an
welchem es zur Austragung kam.

»Ich muß vor allem« -- so leitete Professor Tenax die Schlacht ein --
»bemerken, daß ich bezüglich eines Teiles meiner Bedenken selber ganz
gut weiß, daß dieselben durch den bisherigen Verlauf der freiländischen
Entwickelung thatsächlich Widerlegung fanden; aber ich bin Theoretiker
und nicht Praktiker, ich will wissen, ob das, was ich hier sehe, aus
inneren Gründen so sein muß, oder ob es vielleicht bloß zufällig so ist.
Um also mit dem nächstliegenden zu beginnen, frage ich, welche Garantie
dafür vorhanden ist, daß selbstherrliche Arbeiter sich allezeit die
geschicktesten, tauglichsten Personen zur Leitung ihrer Geschäfte
aussuchen werden und nicht diejenigen, die durch tönende Worte und
verlockende Phrasen sich in ihre Gunst schmeicheln. In Europa zum
mindesten hat man die Erfahrung gemacht, daß an der Spitze der
Arbeiterparteien in der Regel Personen stehen, die gewaltig in
Verlegenheit gerieten, wenn sie die von ihnen geführten Massen zu
nützlicher Produktion anleiten sollten.«

»Die Arbeiter der bürgerlichen Welt« -- so antwortete ruhig der eine der
freiländischen Professoren -- »haben ganz recht, wenn sie nicht
geschickte Geschäftsleute, sondern geschickte Agitatoren an ihre Spitze
stellen, denn für sie handelt es sich ja nicht ums Produzieren, sondern
ums Agitieren. Ebensowenig als daraus, daß ich mir für den Fall eines
Krieges den tüchtigsten Haudegen zum Führer wähle, folgt, daß ich
demselben Manne auch als Rektor unserer Universität meine Stimme geben
würde, ebensowenig kann man daraus, daß agitierende Arbeiter die
tüchtigsten Agitatoren, oder sagen Sie immerhin: die energischesten
Schreier an ihre Spitze stellen, folgern, daß sie es ähnlich halten
werden, wenn es sich um die Leitung ihrer Arbeit handelt. Die Arbeiter
verstehen sich im Durchschnitt auf ihren Vorteil ganz gut und sind nicht
so dumm, um zu übersehen, daß zur Leitung einer Fabrik andere
Eigenschaften erforderlich sind, wie zur Leitung einer politischen
Bewegung oder eines Ausstandes. Im übrigen sorgt gerade die Freiheit
dafür, daß etwa begangene Mißgriffe sehr rasch gut gemacht werden. Denn
eine übelgeleitete Gesellschaft wird am Beispiele der besser geleiteten
Nachbargesellschaften klug, und geschieht dies nicht mit der gehörigen
Beschleunigung, so sieht sich eine solche Gesellschaft im Handumdrehen
von Mitgliedern entblößt und muß liquidieren. Das ist der Kampf ums
Dasein, wie _wir_ ihn verstehen und bei welchem das Unfähige, Untüchtige
naturnotwendigerweise vom Besseren, Tüchtigeren abgelöst wird.«

Professor Tenax neigte zustimmend das Haupt und ging zu einer andern
Frage über.

»Wie kommt es, daß die freiländische Arbeit durch Mißvergnügte und
Unruhestifter nicht zu leiden hat? Verkannte Genies giebt es doch
offenbar überall in der Welt und ebenso mangelt es nirgends gänzlich an
Dummköpfen, welche an diese verkannten Genies glauben. Was geschieht,
wenn hier solch ein Stänkerer mit seinem Anhang auftaucht? Ist nicht zu
besorgen, daß er Verwirrung in die bestgeordnete Gesellschaft bringt?«

»Durchaus nicht,« war die Antwort. »Gegen solche verkannte Genies haben
wir eine unwiderstehliche Waffe, und diese besteht in nichts anderem,
als in dem hier jedermann offenstehenden Rechte, seine Ideen zur
Ausführung zu bringen. Es ist in der That wiederholt vorgekommen, daß
Hohlköpfe Parteiungen versuchten; sie haben klein beigeben müssen, so
wie man ihnen nahelegte, ihre großen Worte zur That zu machen. Die
Mittel der Gesamtheit wären ihnen dafür zur Verfügung gestellt worden,
so gut wie den bestehenden Gesellschaften, natürlich sofern sie Helfer
bei praktischer Verwirklichung ihrer Ideen gefunden hätten; diese Helfer
aber fanden sich eben beinahe niemals, so wie es galt, zur Ausführung zu
schreiten. Hätte man die Leute zwingen wollen, vernünftig zu bleiben, so
hätten sie über Gewalt geschrieen und des Räsonnierens wäre kein Ende
gewesen; da es nur von ihnen abhing, welche Dummheit immer zu begehen,
so ließen sie es weislich bleiben und das Räsonnieren hatte ein Ende.
Die Freiheit hat sich auch in diesem Punkte als die beste Gewähr der
Ordnung erwiesen.«

Abermals gab Professor Tenax seine Zustimmung zu erkennen und fuhr dann
fort: »Ich kann mir jetzt der Hauptsache nach das nun folgende Bedenken
selbst beantworten, nämlich die Frage, ob denn nicht von politischen und
insbesondere socialpolitischen Parteiungen Zerwürfnisse zu erwarten
seien. Wer z. B. ein Fanatiker der absoluten Gleichheit ist und sich
dadurch gekränkt fühlt, daß seinem Direktor die Arbeit höher angerechnet
wird als ihm selbst, dem steht es frei, sich -- immer unter der
Voraussetzung, daß er Genossen findet -- einen Direktor zu suchen, der
mit fünf oder sechs Stundenwerten täglich zufrieden ist. Aber derlei
Versuche könnten, wenn sie häufiger vorkommen, doch störend werden; wie
erklären sie, meine geschätzten Kollegen, daß solche radikale
Gleichheitsduselei hier meines Wissens überhaupt gar nicht vorgekommen
ist und daß ebensowenig anarchistische Experimente in Freiland
unternommen wurden?«

»Das erklärt sich unseres Erachtens sehr einfach dadurch, daß die
absolute Gleichheitsidee nichts anderes ist, als eine Hallucination des
Hungerfiebers. Die Menschen sind so offenbar und sinnfällig weder an
Fähigkeiten noch an Bedürfnissen gleich, daß nur ein Wahnsinniger auf
den Gedanken geraten könnte, diese der menschlichen Natur
zuwiderlaufende absolute Gleichheit zu erzwingen -- wenn der Hunger
nicht da wäre. Satt werden wollen alle Menschen, in diesem Punkte sind
wir thatsächlich alle gleich, und in einer Gesellschaft, wo schmutziges,
brutales Elend an der Tagesordnung ist, dort erklärt es sich, daß
gleichmäßige Teilung verlangt wird. Zeigt sich aber, daß jedermann, wenn
ihm nur die Mittel zur Bethätigung seiner Kräfte zugänglich sind, bei
mäßiger Arbeit nicht bloß das Notwendige, sondern auch das Überflüssige,
das Angenehme und das Schöne erlangen kann, handelt es sich nicht mehr
darum, das Brot, sondern den Braten und das Konfekt zu verteilen, dann
wäre es schlechthin albern, zu verlangen, daß jedermann die gleiche
Portion erhalten müsse, gleichviel, ob er danach Verlangen trägt oder
nicht.

»Und was den Anarchismus anlangt, das Bestreben, zugleich mit der
Herrschaft auf wirtschaftlichem Gebiete, auch alle staatliche Ordnung
über den Haufen zu werfen, so erklärt sich auch dieser bloß aus dem
Hasse gegen eine bestimmte Form der staatlichen Ordnung, welche die
Mehrheit dazu verurteilt, die Fortschritte der Kultur anderer mit den
eigenen Entbehrungen zu bezahlen. Wo _alles_ teilnimmt an den Früchten
fortschreitender Kultur, dort fällt es niemand bei, jene Ordnung
anzutasten, die Voraussetzung des Kulturfortschrittes ist.«

»Bevor ich,« nahm nun wieder Professor Tenax das Wort, »zu den zwei
großen Prinzipienfragen übergehe, die den Schluß meiner Zweifel
enthalten, möchte ich noch die Nebenfrage geklärt sehen, ob sich mit dem
Grundsatze der Freizügigkeit alle erdenklichen Arbeitszweige vereinbaren
lassen. Wie hält man es zunächst mit künstlerischen Leistungen? Soll es
sich ein Maler gefallen lassen, daß beliebige Personen sich ihm als
Helfer aufdrängen, und was kann er hierzulande thun, um sich solch
unwillkommene Genossen vom Leibe zu halten?«

»Den Maler,« so war die Antwort, »schützt vor solchen Genossen schon die
Thatsache, daß er zu seiner Arbeit der Mittel der Gesamtheit nicht
bedarf und daß also bei ihm jene Voraussetzung fehlt, an welche die
Pflicht geknüpft ist, sich Genossen der Arbeit gefallen zu lassen. Doch
nehmen wir selbst an, daß es sich anders verhielte; setzen wir den Fall,
daß ein Maler oder ein Bildhauer für seine Arbeit im eigenen Hause nicht
Platz hat und daß auch die Materialien zur Vollendung derselben so große
Mittel erfordern, daß er den öffentlichen Kredit in Anspruch nimmt;
jetzt ist er der Freizügigkeit unterworfen. Aber glauben Sie, daß die
öffentliche Meinung eine Störung seiner Arbeit durch unberufene
Eindringlinge dulden würde? Sowie sich der leiseste Versuch zu
derartigem Beginnen zeigt, hat unser Mann nichts anderes nötig, als eine
Generalversammlung einzuberufen, sich von dieser zum bevollmächtigten
Direktor ernennen zu lassen und dann sich meldende Genossen entweder zu
Handlangungen oder, wenn er auch dieser nicht bedarf, überhaupt nicht zu
verwenden. Wollen Böswillige ihn vergewaltigen, so stehen ihm jederzeit
ausreichende Stimmen seiner Mitbürger zur Verfügung, um derartige
Versuche zu vereiteln. Unsere oberste Herrin, die öffentliche Meinung,
mengt sich zwar ungefragt in nichts und läßt jeden treiben, was er mag;
sofern aber irgend jemandes Treiben die Rechte anderer kränkt, ist sie,
gerade weil sie zu unnötigem und überflüssigem Eingreifen niemals
herangezogen wird, sofort hilfsbereit. Hier kann nur Unrecht unter der
Voraussetzung geschehen, daß es sich der davon Betroffene schweigend
gefallen läßt.«

»Ich bin auch hierüber beruhigt,« erklärte Professor Tenax. »Möchten Sie
mir nun erklären, welches Mittel Freiland anwendet, um die Gerechtigkeit
in solchen Fällen zu handhaben, wo die Freizügigkeit außer stande ist,
das Gleichgewicht der Arbeitserträge herzustellen, oder wo sie dies zum
mindesten nicht thun könnte, ohne die Wirtschaftlichkeit der Produktion
in hohem Maße zu beeinträchtigen? Es ist nicht richtig, daß der Wert
_jeder_ Ware vom verhältnismäßigen Arbeitsaufwande abhängt oder davon
abhängig gemacht werden kann, und zwar ist dies aus dem Grunde
unrichtig, weil es Waren giebt, die nicht durch menschliche Arbeit,
sondern durch die freiwillige Thätigkeit der Natur hervorgebracht sind,
Waren, die der Mensch nicht erzeugt, sondern bloß einheimst. Der Baum im
Walde ist nicht das Produkt desjenigen, der ihn fällt, und im Werte des
Holzes wird daher nicht die Arbeit des Holzfällers, sondern der
Hauptsache nach die unentgeltliche Leistung der Natur bezahlt. Dasselbe
gilt vom Erze eines reichen Bergwerks, in welchem regelmäßig nicht die
Arbeit des Bergmannes allein, sondern daneben auch noch die davon
unabhängige Seltenheit des Vorkommens bezahlt werden muß. Ja, ein
solcher durch die natürlichen Verhältnisse bedingter Seltenheitswert
kann in der Mehrzahl aller Produktionszweige vorkommen. Nun gebe ich zu,
daß die Freizügigkeit, wenn man sie ins Extrem treiben will, die
Ausgleichung aller Erträge zu bewerkstelligen vermöchte. Bleiben wir bei
dem Beispiele mit dem Bergwerke, so werden sich der ergiebigeren Mine
insolange vermehrte Arbeitskräfte zuwenden, bis der auf die einzelne
Arbeitskraft entfallende Ertragsanteil sich überall ins Gleichgewicht
setzt; aber das wird unter Umständen nur derart möglich sein, daß die
Leistung der einzelnen Arbeiter der ergiebigeren Mine beschränkt wird.
Auch dagegen kann man sich helfen, indem die ergiebigere Mine die
Überschüsse ihres Ertrages über den landesüblichen Durchschnitt an das
Gemeinwesen oder an verwandte Minen zur Verteilung und solcherart eine
billige Ausgleichung der Erträge zuwege bringt. Aber wie mir scheint,
hält man in Freiland selbst diese letztere Methode nicht überall für
ausreichend oder doch nicht für die zweckmäßigste, denn ich sehe, daß
einzelne Arbeitszweige, und zwar insbesondere Bergwerke und Forste, in
Staatsbetrieb genommen werden. Liegt hierin nicht das Geständnis einer
Mangelhaftigkeit des Prinzipes der Freizügigkeit?«

»Durchaus nicht. So wenig es eine Verletzung des in der bürgerlichen
Welt geltenden Grundsatzes der Privatwirtschaft ist, wenn der
bürgerliche Staat selbst Privatwirtschaft betreibt, ebensowenig ist es
eine Verletzung des Prinzips freivergesellschafteter Wirtschaft, wenn
der Staat sich selbst wirtschaftend den freien Vergesellschaftungen
anreiht; in beiden Fällen ist das Prinzip gewahrt, sofern nur der Staat
selbst nicht von demselben abweicht. Eine Verletzung der bürgerlichen
Wirtschaftsordnung wäre es nur, wenn sich etwa der bürgerliche Staat
beifallen ließe, in den von ihm betriebenen Wirtschaftszweigen andere
als die bürgerlichen Grundsätze gelten zu lassen, und ebenso könnte
unser Prinzip nur dann als verletzt gelten, wenn unser Staat bürgerliche
oder kommunistische Grundsätze bei den von ihm betriebenen Wirtschaften
einschmuggeln wollte -- oder auch nur könnte. Er kann es ebensowenig,
als der bürgerliche Staat nach unseren Grundsätzen zu arbeiten
vermöchte. Worauf es ankommt, das ist einzig der Gesichtspunkt, nach
welchem die in solchen Staatswirtschaften Beschäftigten für ihre
Thätigkeit entlohnt werden; in der bürgerlichen Welt geschieht dies
unter Gewährung des landesüblichen _Arbeitslohnes_, d. h. des je nach
Ort und Zeit zur Fristung des Lebens für notwendig Erachteten, bei uns
unter Gewährung des landesüblichen _Vollertrages_ von menschlicher
Arbeit. Gleichwie der bürgerliche Staat seinen Angestellten so viel
bezahlen muß, als dem üblichen Existenzminimum entspricht, weil er
andernfalls die nötigen Arbeitskräfte nicht fände, und gleichwie er
ihnen nicht mehr gewähren kann als dieses Existenzminimum, weil er
andernfalls mit Arbeitsanerbietungen überflutet würde -- ebenso muß
unser Staat seinen Angestellten in welchem Zweige der von ihm
betriebenen Wirtschaft immer den nämlichen Vollertrag von Arbeit
gewähren, wie ihn die anderen Arbeitenden des Landes genießen, und er
kann ihnen nicht mehr gewähren, weil ihm erst recht das Mittel fehlen
würde, dem Zudrange von Arbeitskraft eine Schranke zu ziehen. Um es kurz
zu sagen: der Staat ist bei uns so wenig als in der bürgerlichen Welt
von aller wirtschaftlichen Thätigkeit ausgeschlossen, aber bei uns wie
in der bürgerlichen Welt steht seine Wirtschaft unter der zwingenden
Gewalt des gesellschaftlichen Grundprinzips, welches dort die
Ausbeutung, hier die Gerechtigkeit ist.«

»Ich komme nun,« so nahm Professor Tenax abermals das Wort, »zu der
ersten, der bereits angedeuteten großen Prinzipienfragen. Glauben Sie,
daß es möglich ist, die für Freiland zur Anwendung gebrachten Grundsätze
auf die ganze Menschheit anzuwenden; wenn Sie das glauben, halten Sie es
für möglich, daß dies überall unter Schonung aller erworbenen Rechte
geschehen kann, und gleichviel ob Sie letzteres glauben oder nicht,
warum haben Sie zur Verwirklichung Ihrer menschheitserlösenden Ideen
diesen entlegenen Winkel im Innern Afrikas ausgesucht und es nicht
vorgezogen, dieselben unter den civilisierten Nationen Europas oder
Amerikas durchzusetzen?«

»Die Bejahung des ersten Punktes dieser Frage versteht sich eigentlich
von selbst,« lautete die Antwort. »Da die freiländischen Grundsätze
durchaus in der menschlichen Natur fußen, so läßt sich kein erdenklicher
Grund absehen, warum man sie nicht überall anwenden und damit nicht die
nämlichen Erfolge erzielen könnte, wie wir hier in Freiland. Denn wir
setzen ja von den Angehörigen unseres Gemeinwesens nichts anderes
voraus, als jenen fürwahr sehr mäßigen Grad von Bildung, die dazu
erforderlich ist, um den handgreiflichen eigenen Vorteil zu verstehen.
Unsere Arbeiter bedürfen keines tieferen Verständnisses für
volkswirtschaftliche Fragen; sie brauchen bloß zu begreifen, daß es
besser ist, bei gleicher Anstrengung fünf Mark als vier Mark zu
verdienen. Auch besondere Tugenden fordern wir von den Menschen nicht;
Freiheit und Gerechtigkeit haben die Kraft, die Menschen zu verbessern,
aber damit Freiheit und Gerechtigkeit eingeführt werden, ist es durchaus
nicht notwendig, daß die Menschen besser seien, denn nicht Gemeinsinn,
sondern freiwaltender Eigennutz ist das leitende Prinzip der Wirtschaft
in Freiland.«

»Aber die wirtschaftliche Freiheit und Gerechtigkeit ist nicht bloß
überall möglich, ihr Sieg ist unvermeidlich, soll anders nicht aller
Kulturfortschritt ein Ende finden. Denn seitdem es dem menschlichen
Geiste gelungen, die grenzenlose Kraft der Elemente in den Dienst der
Arbeit zu zwingen, ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen
aus einer grausamen zwar, aber unvermeidlichen Kulturnotwendigkeit --
was sie Jahrtausende hindurch gewesen -- zu einem Kulturhindernis
geworden. Es giebt jetzt, sofern die arbeitenden Massen ausgeschlossen
bleiben vom Genusse des Vollwertes ihrer Arbeit, keine Verwendung mehr
für die Erträge wachsender Produktion, und da unverwendbare Dinge, weil
sie wertlos sind, nicht erzeugt werden können, so erstickt die
Ausbeutung jenen Reichtum im Entstehen, der sich sofort einstellen
würde, sowie nur Verwendung für denselben vorhanden wäre. Die
Knechtschaft ist zur alleinigen Ursache des Elends geworden, und da
Elend Barbarei und Ohnmacht ist, so muß und wird es dem Reichtum
weichen, der Kultur und Macht bedeutet.«

»Also unsere Grundsätze können nicht bloß, sie müssen überall zur
Verwirklichung gelangen. Und zwar könnte dies überall geschehen ohne
Verletzung erworbener Rechte. Gleichwie die bäuerlichen Lasten und das
Eigentum an den Sklaven seinerzeit in vielen Staaten friedlich abgelöst
wurden, so könnte das auch mit dem ganzen Grundbesitze und mit den
Arbeitskapitalien geschehen. Das unermeßliche Wachstum des Reichtums,
welches die mit naturgesetzlicher Notwendigkeit eintretende Folge des
zwischen Produktionskraft und Konsumtionskraft hergestellten
Gleichklanges wäre, böte mit spielender Leichtigkeit die Mittel zu allen
diesen Leistungen, und da die bisherigen Besitzer mit den ihnen
zugesprochenen Ablösungssummen ohnehin keine Zinsen mehr machen, sondern
dieselben lediglich zu allmählichem Verbrauche benutzen könnten, so
würde es nicht schwer fallen, die Abzahlungen auf eine längere Reihe von
Jahren zu verteilen und solcherart selbst für den Anfang jede
Überbürdung der neuen Wirtschaft aus diesem Titel zu vermeiden. Ja, es
läge sogar im Interesse der neuen Ordnung der Dinge, daß dieselbe
überall unter Schonung aller erworbenen Rechte durchgeführt werde, da
nur solcherart Erschütterungen und Störungen vermieden würden, die
unmöglich ohne Nachteil auch für die Zukunft bleiben können. Aber wir
bezweifeln trotzdem, daß sich der unvermeidliche Übergang von der
ausbeuterischen zur freien Wirtschaft allerorten oder auch nur in den
meisten civilisierten Staaten in so schonender, ruhiger Weise vollziehen
wird. Damit dies geschähe, müßten die Besitzenden die friedliche
Revolution selbst in die Hand nehmen, ihr wenigstens zustimmen, so lange
sie noch ein Restchen Macht in Händen haben. Und das werden sie
voraussichtlich nirgends thun. Daß aber eine gegen den Widerstand der
Machthaber durch Gewalt zum Siege gelangte Revolution schonend verfahre,
ist nicht zu erwarten. Von der Zähigkeit der Besitzenden dürfte es
voraussichtlich überall abhängen, ob über ihre Ansprüche mit größerer
oder geringerer Rücksichtslosigkeit zur Tagesordnung übergangen wird; je
hartnäckiger sie sich dem Rade der Zeit entgegenstemmen, desto sicherer
und grausamer werden sie unter demselben zermalmt werden. Ich fasse also
die Antwort auf den zweiten Punkt der Frage dahin zusammen: der Übergang
zur socialen Freiheit und Gerechtigkeit könnte sich überall unter
vollkommenster Schonung der erworbenen Rechte vollziehen; er wird aber
wahrscheinlich in den meisten Ländern unter teilweiser oder gänzlicher
Nichtbeachtung dieser Rechte, ja unter blutigen Verfolgungen vor sich
gehen.«

»Damit ist aber der Hauptsache nach schon der dritte Punkt beantwortet.
Der Herr Fragesteller scheint zwar zu meinen, daß die Gründer von
Freiland, auf die Gefahr hin, dadurch blutige Verwickelungen
heraufzubeschwören, den Hebel inmitten der bürgerlichen Gesellschaft
hätten ansetzen sollen, weil sie dadurch die Befreiung der enterbten
Massen der Welt, auf die doch größerer Nachdruck gelegt werden müsse als
auf die Schaffung eines Asyls, in welchem jedenfalls nur einige
Millionen Platz finden, rascher und sicherer erreichen würden. In der
That ist der oberste Zweck, der auch uns hier vorschwebt, die Befreiung
all unserer unter Ausbeutung seufzenden Mitmenschen; wir waren und sind
jedoch überzeugt, durch die Gründung Freilands mehr für die Befreiung
der Welt geleistet zu haben, als durch noch so wirksame Agitation in den
Staaten Europas und Amerikas. Denn da es keiner Frage unterliegt, daß
die Besitzenden, welche ja allenthalben die Macht in Händen halten, sich
unseren Bestrebungen widersetzt hätten, so ist es ebenso unfraglich, daß
wir uns auf das Agitieren hätten beschränken müssen, während wir hier zu
handeln vermochten. Und die Beredsamkeit der Thatsachen ist eine
unendlich gewaltigere als die noch so wohl durchdachter und
wohlgesetzter Worte. Gleichwie jene englischen Independenten, die im
siebzehnten Jahrhundert den Grundstein zu den Vereinigten Staaten von
Nordamerika legten, damit mehr und besseres für die politische Freiheit
der Welt thaten, als wenn sie in ihrer englischen Heimat verblieben
wären und dort für die nämliche Sache vergeblich geduldet hätten, so
glauben auch wir, mehr für die wirtschaftliche Freiheit geleistet zu
haben, indem wir hier handelten, statt anderwärts thatenlos zu dulden.«

»Sie sind also gleich mir der Überzeugung,« so nahm nun Professor Tenax
abermals das Wort, »daß Freiland bestimmt ist, seine Einrichtungen über
die ganze Welt zu tragen und daß es diesen seinen obersten Zweck früher
oder später erreichen wird. Damit aber werden Not und Elend ihren
Abschied von der Menschheit nehmen. Glauben Sie, daß das geschehen kann,
ohne daß Übervölkerung die notwendige Folge wäre, und besorgen Sie
nicht, daß Übervölkerung wieder zu Not und Elend führen muß? Malthus hat
bewiesen, daß die Bevölkerungszunahme das stetige Bestreben habe, über
den Nahrungsspielraum hinauszuwachsen, und daß endloser Vermehrung eben
nur durch den Nahrungsmangel eine Grenze gezogen werden könne. Nun
bewahrt die bürgerliche Wirtschaftsordnung zum mindesten eine Minderheit
der Menschen vor den unvermeidlichen Endergebnissen der Not; gelangt
aber die wirtschaftliche Gleichberechtigung zu allgemeiner Anwendung,
dann muß, wenn abermals Not hereinbricht, diese allgemein werden und das
wäre gleichbedeutend mit allgemeinem Kulturrückschritte, mit Barbarei.«

»Malthus hat das, was Sie soeben darlegten,« antwortete der eine der
freiländischen Professoren, »und was thatsächlich von der ganzen
bürgerlichen Welt einem unumstößlichen Dogma gleich geachtet wird, nicht
bewiesen, sondern nur behauptet. Und daß man diese, den
augenscheinlichsten Thatsachen hohnsprechende, in der Luft schwebende
Behauptung ein volles Jahrhundert hindurch für einen vollgültigen Beweis
nahm, ist nur ein Zeugnis mehr für die voreingenommene Verblendung
dieser merkwürdigen Zeit, die über dem erfolgreichen Bestreben, der
Natur ihre Geheimnisse abzulauschen, den großen Zusammenhang aller
natürlichen und menschlichen Dinge gänzlich aus dem Auge verlor. Es ist
allerdings wahr, daß die Vermehrung der Menschen, wie überhaupt aller
lebenden Wesen, irgend eine Grenze haben müsse, und es ist ebenso wahr,
daß Hunger und Entbehrungen unter Umständen zu einer Grenze der
Volksvermehrung werden; unwahr aber ist, daß die Menschen sich unter
allen Umständen vermehren, bis sie der Hunger decimiert, vielmehr zeigt
selbst der oberflächlichste Blick auf die Thatsachen jedem durch
Vorurteile nicht vollends verblendeten Beobachter, daß als große Regel
das Gegenteil stattfindet, daß die Menschen sich nirgends oder doch
beinahe nirgends bis an die Grenzen ihres Nahrungsspielraums vermehren
noch jemals vermehrt haben. Wäre es anders, so müßte ja Übervölkerung
die allgemeine Regel sein, während thatsächlich die Erde mit
Leichtigkeit die hundertfache Menschenzahl ernähren könnte.

»Malthus beruft sich zur Erhärtung seines Lehrsatzes auf die Natur; auch
dort findet als Regel das Gegenteil von dem statt, was er aus ihr
herauslesen will; in der Natur herrscht nicht Mangel, sondern
grenzenloser Überfluß; selbst jene Arten, deren Fruchtbarkeit die
stärkste ist, vermehren sich doch nirgends oder doch nur in höchst
vereinzelten Ausnahmefällen auch nur annähernd bis an die Grenzen ihres
Nahrungsspielraumes. Daß Malthus auf die aberwitzige Idee geraten
konnte, die Menschen hungerten und hätten alle Zeit gehungert, weil
ihrer zuviel seien, ja, daß er auf die noch aberwitzigere
Wahnvorstellung geriet, allenthalben in der Natur herrsche der nämliche
Zustand des regelmäßigen Hungers, erklärt sich bloß daraus, daß er den
Hunger in der Menschheit als Thatsache vor sich sah, die richtige
Erklärung desselben -- daß die Massen hungern, weil ihnen vorenthalten
wird, womit sie sich sättigen könnten -- nicht zu entdecken vermochte
und deshalb zu dem Auskunftsmittel griff, welches sich überall
einstellt, wo richtige Erklärungen fehlen, nämlich ein Naturgesetz
aufzustellen, wo nichts anderes vorliegt, als eine verkehrte menschliche
Einrichtung. Die Wahrheit ist, daß die Natur außer dem Hunger noch eine
ganze Reihe von Mitteln besitzt, um das Gleichgewicht in der
Fortpflanzung jeglichen Lebewesens aufrecht zu erhalten; die Vermehrung
_fände_ eine Grenze im Hunger, wenn sie im übrigen grenzenlos wäre; da
sie aber letzteres nicht ist, da andere Naturgewalten das Gleichgewicht
zwischen Fortpflanzungsvermögen und Sterblichkeit lange vor Erreichung
der Hungergrenze herstellen, so kann der Hunger höchstens ausnahmsweise
die ihm von Malthus als Regel zugeschriebene Wirkung äußern.

»Aber die hohe Bedeutung, welche der Malthusschen Übervölkerungslehre
von der bürgerlichen Welt beigemessen wird, wäre selbst dann
ungerechtfertigt, wenn dieser Lehrsatz an und für sich auf Wahrheit
beruhen würde. Daß die Kohlenfelder der Erde in absehbarer Zeit
erschöpft werden müssen, wenn mit ihrem Verbrauche in der bisherigen
Weise fortgefahren wird, ist doch für alle Fälle viel sicherer,
unzweifelhafter, als daß die Erde für die Menschheit zu eng werden
müßte, wenn man den Arbeitenden gestatten würde, sich zu sättigen; warum
ängstigt sich die bürgerliche Welt nicht vor dem Versiegen der
Kohlenminen, sondern überläßt die Sorge um die Beschaffung zukünftigen
Brennstoffes getrost den kommenden Generationen, während sie sich
unablässig den Kopf dieser nämlichen Generationen wegen der
Übervölkerungsgefahr zerbricht? Es steckt hier ein gutes Stück bewußter
oder unbewußter Heuchelei verborgen; man sucht nach Gründen für eine
Handlungsweise, von welcher man instinktiv empfindet, daß sie nicht zu
rechtfertigen sei. Der Übervölkerungstheorie liegt in Wahrheit gar
nichts anderes zu Grunde, als die nur zu berechtigte Scham darüber, daß
wir ungezählte Millionen gleichberechtigter Mitgeschöpfe dem
jämmerlichsten Elende preisgeben, während wir doch die Mittel besäßen,
ihnen allen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.«

Hiermit hatte diese interessante Auseinandersetzung ihr Ende erreicht.
Nicht leicht zuvor sah ich jemals einen Besiegten und vollends einen im
Wortkampfe besiegten Professor, der ob seiner Niederlage so froh gewesen
wäre, wie diesmal mein einst so zäher Lehrer und Freund Tenax. Er
schüttelte beim Abschiede seinen zwei erfolgreichen Widersachern so
freudig bewegt die Hände, als ob es nur von deren gutem Willen
abgehangen hätte, ihm dem Übertritt nach Freiland zu ermöglichen oder zu
verwehren.

»Jetzt bin ich mit der Vergangenheit fertig; meine ganze Zukunft gehört
der Verbreitung jener Ideen, die ich hier in mich aufgenommen« -- das
waren des Professors Worte, als wir uns trennten.



                            Schluß-Kapitel.


Ich schließe hiermit das Tagebuch über meine Erlebnisse in Freiland und
zwar aus dem sehr triftigen Grunde, weil meine Zeit, die bisher zwischen
Arbeit, Belehrung und Vergnügen geteilt war, derzeit durch Gefühle,
Gedanken und Handlungen ausgefüllt wird, die sich allesamt in _einem_
Kreise bewegen, in dessen Mittelpunkt ein weibliches Wesen steht, das
für mich der Inbegriff alles Edlen, Schönen und Guten ist. Das heißt mit
andern Worten: ich bin verliebt.

Der Leser besorge nicht, daß ich ihn mit Ergüssen meiner Liebe
behellige; dieses Schlußkapitel soll nichts anderes sein als eine
möglichst trockene Verlobungsanzeige. Nur eines muß ich noch erzählen,
weil es bezeichnend ist für die Denkungsart der freiländischen Mädchen.

Als ich mich mit meiner Braut verlobt hatte und die Einrichtung unseres
zukünftigen Heims zur Sprache kam, erwähnte ich, daß ich in Europa ein
sehr bedeutendes Vermögen zurückgelassen, über welches ich allerdings
teilweise bereits zu gunsten des freiländischen Gemeinwesens verfügte,
von welchem jedoch immerhin noch genug vorhanden sei, um uns hier den
Luxus eines besonders schön und behaglich eingerichteten Hausstandes zu
gestatten. Da verfärbte sich meine Braut und bat mich dringend, auf
diesen Gedanken zu verzichten. Als ich nach dem Grunde forschte und zu
wissen begehrte, warum ihr meine Absicht so hochgradigen Widerwillen
einflöße, erklärte sie mir zögernd, es wäre ihr geradezu unheimlich,
einen Luxus zu genießen, der aus Not und Jammer unterdrückter
Mitgeschöpfe erwachsen. »Mir würde zu Mute« -- so meinte sie -- »als ob
ich Menschenfleisch genießen müßte; so wenig eine in Europa
aufgewachsene Frau es ertragen könnte, wenn in ihren Hausstand eine
Anzahl fetter Menschen eingeschlachtet würde, ebensowenig kann ich, die
ich seit meiner Kindheit Freilands Luft geatmet, es vertragen, etwas zu
genießen, was entstanden ist, indem menschliche Geschöpfe durch
Überanstrengung und Entbehrung zu Tode gehetzt wurden.«

Und dabei blieb es; auch der Rest meines in Europa von meinen Vorfahren
nach den dortigen Begriffen »redlich erworbenen« Vermögens ist in die
Kasse der freiländischen Behörde für auswärtige Angelegenheiten
gewandert, welche derartige Einzahlungen reicher Genossen -- in
Verbindung natürlich mit den zu gleichen Zwecken aufgewendeten Mitteln
unseres Gemeinwesens -- dazu benützt, um stets größeren und größeren
Massen ausländischer Proletarier die Übersiedelung nach Freiland zu
ermöglichen.

                                 Ende.



                          Inhaltsverzeichnis.


                                                                   Seite
   Vorwort                                                             3
    1.  Kap.  Warum ich auswanderte                                    7
    2.  Kap.  Die Reise                                               18
    3.  Kap.  Wo Freiland liegt und was Freiland ist                  25
    4.  Kap.  Wer mir in Freiland die Stiefel putzte und wie es       32
                 dort in den Straßen aussieht. Das Eigentum an
                 Wohnhäusern
    5.  Kap.  Wie ich in Freiland einen Beruf wählte und im           42
                 Speisehause mein Mittagessen bezahlte
    6.  Kap.  Das Statut einer freiländischen Erwerbsgesellschaft     52
                 und die Arbeitserträge
    7.  Kap.  Warum Freiland so viel Maschinen verwendet und          64
                 woher es sie nimmt
    8.  Kap.  Ein freiländisches Hauswesen und das freiländische      81
                 Versorgungsrecht
    9.  Kap.  Die Centralbank, das Geldwesen und das Lagerhaus.       92
                 Über die Freiheit in Freiland
   10.  Kap.  Unmöglichkeit von Krisen in Freiland. Die              108
                 freiländische Rentenversicherung
   11.  Kap.  Eine Ferienreise in Freiland. Der                      117
                 landwirtschaftliche Betrieb. Verteilung von
                 Boden und Kapital
   12.  Kap.  Eine Gründung in Freiland                              134
   13.  Kap.  Die Verfassung von Freiland. Die freiländische         145
                 Steuer
   14.  Kap.  Über Geselligkeit, Liebe und Religion in Freiland      156
   15.  Kap.  Über die Tüchtigkeit der gewählten                     168
                 Betriebsleitungen, künstlerische Produktion,
                 Kommunismus und Anarchismus, Staatsbetrieb,
                 allgemeine Anwendbarkeit der freiländischen
                 Grundsätze und die Furcht vor Übervölkerung
              Schlußkapitel                                          182



Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Korrekturen (vorher/nachher):

   [S. 7]:
   ... gebildetsten und liebenswürdigsten Mädchens aus einer der ...
   ... gebildetsten und liebenswürdigsten Mädchen aus einer der ...

   [S. 16]:
   ... verzichte entgültig auf dieselbe. Meinem Mitbewerber erzählte ...
   ... verzichte endgültig auf dieselbe. Meinem Mitbewerber erzählte ...

   [S. 23]:
   ... Unser Zug brauchte für die 280 Kiliometer der Tana-Keniabahn ...
   ... Unser Zug brauchte für die 280 Kilometer der Tana-Keniabahn ...

   [S. 33]:
   ... denn, mir unerfahrene Fremdling zu erklären, erstens, wozu ...
   ... denn, mir unerfahrenem Fremdling zu erklären, erstens, wozu ...

   [S. 35]:
   ... es nur gerecht finden, daß uns auch die Wartezeit vergüte ...
   ... es nur gerecht finden, daß uns auch die Wartezeit vergütet ...

   [S. 51]:
   ... Orten zu erzielenden Gewinste zur Beschaffheit und Nähe ...
   ... Orten zu erzielenden Gewinste zur Beschaffenheit und Nähe ...

   [S. 55]:
   ... durch die Generversammlung im Wege einer mit jedem ...
   ... durch die Generalversammlung im Wege einer mit jedem ...

   [S. 66]:
   ... Nun besteht in Europa zwischen dem Werte des
       Arbeitergebnisses ...
   ... Nun besteht in Europa zwischen dem Werte des
       Arbeitsergebnisses ...

   [S. 67]:
   ... zehn Jahreslöhne nicht einmal 60-70 Pfund Sterling. ...
   ... zehn Jahreslöhne nicht einmal 60-70 Pfund Sterling.« ...

   [S. 86]:
   ... auf jede Frau 108 Pfund Sterling, der Kinderzuschlage ...
   ... auf jede Frau 108 Pfund Sterling, der Kinderzuschlag ...

   [S. 87]:
   ... Rechtes, welches auch die Arbeitsunfähigen an den allgemeinen ...
   ... Rechtes, welches auch die Arbeitsunfähigen an dem allgemeinen ...

   [S. 100]:
   ... bemessen« fragte ich. ...
   ... bemessen?« fragte ich. ...

   [S. 114]:
   ... seine Versorgungerente beliebig erhöhen. ...
   ... seine Versorgungsrente beliebig erhöhen. ...

   [S. 114]:
   ... des Bezugberechtigten auf zwölf Mark steigen; unser Mann ...
   ... des Bezugsberechtigten auf zwölf Mark steigen; unser Mann ...

   [S. 124]:
   ... hunterttausend Arbeitsstunden beanspruchen, so würde ...
   ... hunderttausend Arbeitsstunden beanspruchen, so würde ...

   [S. 129]:
   ... verbietet ihr hier den Leuten, Kapital, daß sie allenfalls
       auf ...
   ... verbietet ihr hier den Leuten, Kapital, das sie allenfalls
       auf ...

   [S. 131]:
   ... die Begriffstützigkeit einer Frau, die in frühester Jugend
       Ihr ...
   ... die Begriffsstutzigkeit einer Frau, die in frühester Jugend
       Ihr ...

   [S. 136]:
   ... derzeit auf zwölhundertundfünfzig Mark im Jahre. ...
   ... derzeit auf zwölfhundertundfünfzig Mark im Jahre. ...

   [S. 137]:
   ... wäre, sie an die Verwirklichung eines derartigen
       Hingespinstes ...
   ... wäre, sie an die Verwirklichung eines derartigen
       Hirngespinstes ...

   [S. 143]:
   ... sollen, über das Außmaß dieser Bewilligung verhandeln, ist ...
   ... sollen, über das Ausmaß dieser Bewilligung verhandeln, ist ...





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Eine Reise nach Freiland" ***

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