By Author | [ A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z | Other Symbols ] |
By Title | [ A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z | Other Symbols ] |
By Language |
Download this book: [ ASCII ] Look for this book on Amazon Tweet |
Title: Aesthetische Farbenlehre Author: Hermann, Conrad Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Aesthetische Farbenlehre" *** generously made available by SLUB: Sächsische Landesbibliothek - Staats - und Universitätsbibliothek Dresden at http://www.slub-dresden.de ) #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1876 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert; ungewöhnliche und altertümliche Ausdrücke bleiben gegenüber dem Original unverändert. Rechtschreibvarianten wurden nicht vereinheitlicht, sofern die Verständlichkeit des Textes dadurch nicht berührt wird. Im laufenden Text werden Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ü) mit ihren Umschreibungen dargestellt (Ae, Ue). Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter an den Anfang des Textes verschoben. #################################################################### AESTHETISCHE FARBENLEHRE von Conrad Hermann Professor. Leipzig. Verlag von Moritz Schäfer. 1876. Inhalt. Seite 1. Die Farbe als Wirklichkeit. 1 2. Was heisst Aesthetik? 8 3. Die Stellung der Aesthetik in dem Systeme der Philosophie. 15 4. Form und Materie des ästhetischen Erkennens. 26 5. Das empfindende und das denkende Erkennen der Seele. 33 6. Die Farbe und der Ton. 42 7. Das wissenschaftliche Prinzip der ästhetischen Farbenlehre. 49 8. Das System der allgemeinen Unterschiede der Farbe. 54 9. Farbe, Musik und Sprache. 62 10. Das allgemeine Gesetz der ästhetischen Form. 72 Vorwort. Man wird in dieser Schrift manches finden, was nicht unmittelbar auf die ästhetische Lehre von den Farben Bezug hat. Andererseits wird man vielleicht manches in ihr vermissen, was eigentlich mit hierhin zu gehören scheinen könnte. Es ist aber überall etwas Anderes, bestimmte gegebene Erwartungen zu befriedigen und selbst neue Aussichten oder Ziele des Erkennens zu eröffnen. Worauf sich meine Schrift bezieht, ist an sich allein die Frage nach dem ästhetischen Werth oder der empfindungsmässigen Bedeutung, welche die einzelnen Farben als solche für uns oder den menschlichen Geist zu besitzen scheinen. Auch hier handelt es sich hauptsächlich nur um die Bestimmung des wissenschaftlichen Verfahrens oder der ganzen Methode, an welche jede derartige Untersuchung mit Nothwendigkeit gebunden ist. Ich habe schon früher in meinem Grundriss einer allgemeinen Aesthetik die Lehre von den Farben als einen einzelnen Abschnitt behandelt und gebe jetzt derselben im Zusammenhang mit den allgemeinen Prinzipien alles ästhetisch-wissenschaftlichen Erkennens eine erweiterte und selbstständige Gestalt. Ich beabsichtige namentlich den Satz zur Anerkennung zu bringen, dass auch jede einzelne einfache sinnliche Wahrnehmung als solche, wie die einer Farbe, einen bestimmten eigenthümlichen Werth oder eine Bedeutung für unser empfindendes Erkennen besitze, und dass es ein geordnetes wissenschaftliches Verfahren gebe, durch welches dieser Werthinhalt festgestellt oder ermittelt werden könne. Alle allgemeinen ästhetischen Prinzipfragen aber hängen mehr oder weniger mit dieser Aufgabe zusammen, und es ist insofern zugleich ein Beitrag zur weiteren Ausbildung und wissenschaftlichen Vervollkommnung der Aesthetik im Sinne eines bestimmten und integrirenden Theiles der Philosophie, den ich hiermit zu geben versucht habe. 1. Die Farbe als Wirklichkeit und als Schein. An jede einzelne Farbe knüpft sich für die menschliche Seele irgend eine weitere Empfindungsvorstellung an. Es ist dieses eine an sich unbestreitbare Thatsache und es kann versucht werden, allen hierhin gehörigen Erscheinungen in wissenschaftlicher Weise nahe zu treten. Die Farbenlehre ist namentlich von Goethe und Schopenhauer zugleich mit unter dem ästhetischen Gesichtspunkt behandelt werden. Wir fassen sie lediglich von dieser letzteren Seite auf und versuchen zunächst unsern allgemeinen methodischen Standpunkt in Bezug auf die Bearbeitung dieses ganzen Gebietes zu begründen. Der wissenschaftliche Begriff von der Farbe ist zunächst ein anderer als die natürliche oder populäre Vorstellung des Menschen über dieselbe. Nach dieser letzteren erscheint uns die Farbe als etwas objectiv Gegebenes oder Reales an den äusseren Dingen selbst. Wir stellen uns in ihr gleichsam einen stofflichen Ueberzug oder ein Kleid vor, welches die ganzen weiteren Beschaffenheiten der Dinge verdeckt. Wir nennen sogar einen bestimmten Farbstoff, wie etwa den Zinnober, ohne Weiteres eine Farbe selbst. Wir bezeichnen eine bestimmte Sache als grün, roth u. s. f. und sehen hierin ganz ähnliche Eigenschaften oder Inhärenzen der Dinge selbst wie etwa darin, dass eine bestimmte Sache rund, viereckig, schwer, leicht u. s. w. ist. Anders aber ist der wissenschaftliche Begriff der Farbe. Die Wissenschaft tritt auch hier wie in so vielen anderen Fällen der unbefangenen oder natürlichen Vorstellungsweise des Menschen von den äusseren Dingen feindlich gegenüber; sie zerstört den Schein der unmittelbaren sinnlichen Anschauung und verändert hierdurch unsere ganze Auffassung der Welt. Der Mensch dachte sich die Welt noch anders als er glaubte, die Sonne und die ganzen Gestirne bewegten sich um die Erde als gegenwärtig, wo er weiss, dass er selbst mit seiner Erde nur ein abhängiges und von Aussen her bewegtes Atom im unendlichen Weltenraume ist. Die Zerstörung eines solchen sinnlichen Scheines ist nicht gerade immer angenehm und erfreulich für uns selbst; es hat aber auch der blosse Schein und die Illusion immer eine bestimmte Wahrheit und Berechtigung für uns und es darf versucht werden, das Berechtigte dieses Scheines neben der nothwendigen Anerkennung der Wahrheit der Wissenschaft festzuhalten und zu begründen. Wir werden uns durch alle Kopernikanische Demonstration nicht abhalten lassen zu sagen, die Sonne geht auf und geht unter, und so hat auch die populäre oder gebräuchliche Vorstellung des Menschen von der Farbe immer einen gewissen Werth oder eine Bedeutung für uns neben derjenigen, wie sie von der Wissenschaft uns dargestellt oder gelehrt wird. Was wir die Farbe nennen, ist an sich nicht sowohl eine Eigenschaft oder Inhärenz an den äusseren Dingen selbst als vielmehr ein blosser Reflex oder eine Wirkung derselben auf uns. Der Ort, wo sich dasjenige befindet, was uns die Farbe heisst, ist an sich nicht die äussere Sache, sondern nur das Organ unseres Wahrnehmens derselben oder das Auge. Die populäre Vorstellung verwechselt hierbei gleichsam die Wirkung mit der Ursache oder sie schiebt dasjenige, was an sich selbst nur eine innere oder subjective Erscheinung in uns ist, zurück auf den äusseren Ort oder das Object, von welchem eine derartige Erscheinung in uns erfahrungsgemäss ihren Ausgang nimmt. Es wäre streng genommen nur richtig zu sagen: diese oder jene Sache bringt unter dem Einfluss des Lichtes eine grüne oder rothe Farbenerscheinung in uns hervor, nicht aber dass sie an sich selbst grün oder roth sei. Es hängt zum Theil auch sehr viel von den äusseren Bedingungen oder Modificationen des Lichtes ab, in welcher bestimmten Farbennüance uns eine Sache erscheint und es tragen insofern mehr oder weniger alle Dinge gewissermaassen einen chamäleonartigen Character an sich. Sehr häufig hat auch dasjenige, worauf wir irgend eine bestimmte Farbenerscheinung in uns zurückzuführen pflegen, gar keine eigentliche Realität, sondern ist wie das blaue Himmelsgewölbe oder der Regenbogen eine blosse diesem Farbenbilde von uns untergeschobene Fiction. Die Farbenerscheinungen in uns haben zunächst allerdings immer eine bestimmte äussere Ursache, aber sie sind weit davon entfernt, mit dieser Ursache selbst identisch zu sein und es wird also von der Wissenschaft überhaupt die Subjectivität der Farbe im Unterschied von der ihr durch die populäre Vorstellung zugeschriebenen Objectivität angenommen oder gelehrt. Der Act des Wahrnehmens der äusseren Dinge durch das Licht und die Farbe ist allerdings ein so augenblicklicher und wesentlich zeitloser, dass hier die Ursache und die Wirkung oder der Ausgangs- und der Endpunct dieses Prozesses vollständig in eine Einheit mit einander zusammenzufallen scheinen oder dass das subjective Bild der Farbe für uns unmittelbar die Gestalt einer Beschaffenheit oder Inhärenz an der Objectivität der äusseren Sachen selbst besitzt. Erst die Wissenschaft hat gelehrt, dass der Prozess des Sehens selbst ein zeitlicher sei, während die populäre Vorstellung hiermit die Meinung eines unmittelbaren oder räumlichen Aufnehmens der äusseren Sachen selbst verbindet. Wir wissen jetzt, dass das Licht überall eine bestimmte Zeit braucht, um von einem äusseren Objecte zu uns zu dringen. Bei entfernten Gegenständen wie bei den Weltkörpern ist diese Zeit selbst messbar und es giebt eine interessante Schrift: «Die Gestirne und die Weltgeschichte. Gedanken über Raum, Zeit und Ewigkeit. Von Dr. Felix Eberty», welche hieraus in Gestalt einer anmuthigen Spielerei etwa folgende Resultate zu ziehen versucht hat: Nehmen wir an, dass von irgend einem entfernten Sterne das Licht in einem Zeitraume von 1000 Jahren bis zur Erde gelangt, so wird dieser Stern gegenwärtig von uns gesehen nicht so wie er jetzt ist, sondern so wie er vor jenem Zeitraume war. Das Gleiche aber wird auch umgekehrt der Fall sein, d. h. man wird auch auf jenem Stern die Erde gegenwärtig nicht so sehen wie sie jetzt ist, sondern so wie sie vor jenem Zeitraume war. Nehmen wir ferner an, dass alle einzelnen Vorgänge auf der Erde dort gesehen werden könnten, so wäre es an sich möglich, dass ein auf der Erde selbst längst vergangenes Ereigniss, etwa die Kämpfe Karls des Grossen mit den Sachsen, die Bekehrung Wittekinds u. dergl. jetzt dort als wirklich erblickt werden könnte. So könnten vielleicht auf Sternen von verschiedenen Entfernungen zu einer und derselben Zeit eine ganze Reihe nach einander vor sich gegangener historischer Ereignisse auf der Erde noch als wirklich erblickt werden oder es könnte gleichsam unsere Weltgeschichte an einer Mehrheit anderer Orte als eine Reihe gleichzeitiger Tableaux oder Bilder sich abspiegeln und wahrgenommen werden. Alles dieses ist an sich möglich und denkbar, wenn auch bei allen uns zunächst liegenden oder uns unmittelbar umgebenden Objecten dieses zeitliche Moment überall nicht in Betracht kommt und wir es uns erst künstlich sagen müssen, dass die wahrgenommenen Objecte von unseren Wahrnehmungen selbst als deren Ursachen eigentlich durch eine bestimmte Zeitgrenze getrennt sind. Alles was wir sehen, ist aber überhaupt streng genommen nichts als Farbe oder es ist eigentlich unrichtig zu sagen, dass wir einen Körper oder irgend etwas Anderes rein an sich oder als solches zu erkennen vermöchten. Wir sehen unmittelbar genommen eine blosse Mannichfaltigkeit oder Verschiedenheit der Farben und es ist erst hieraus, dass wir uns die inneren Bilder und Vorstellungen von den uns durch die Farbe mitgetheilten äusseren Dingen zusammensetzen und construiren. Die Farbe ist das absolute Medium zwischen unserem Gesicht und der Welt der äusseren Dinge. Nur was Farbe hat, kann von uns überhaupt durch den Sinn des Gesichtes wahrgenommen werden. Die ersten Eindrücke, die wir als Kinder durch das Gesicht von der Aussenwelt empfangen, können nichts sein als ein wirres und unverständliches Chaos von Farbenerscheinungen. Wir werden erst allmählich durch die Erfahrung belehrt, wie sich diese Farbenerscheinungen zu den wirklichen Dingen, Gestalten oder Vorgängen im Raume verhalten oder welches das reale und substantielle Wesen sei, dem sie zum Ausdrucke für uns dienen. Die Farbe ist für unser Auge dasselbe was die Sprache für das Ohr; wir lernen auch hier erst allmählich und durch die Erfahrung den einzelnen Laut in seiner Bedeutung für die Sachen und die Vorstellungen Anderer verstehen. Die Körperwelt spricht zu uns durch die Farbe so wie der Geist des Menschen durch den Ton; beides aber ist zunächst ein reiner Affect unserer Sinne, der sich erst später mit dem weiteren tieferen und objectiven zu ihm gehörenden Vorstellungsinhalte für uns erfüllt. Jede einzelne Farbe ist an sich eine bestimmte Modification des allgemeinen Elementes des Lichtes. Wir werden zunächst durch eine jede von ihnen physisch in einer anderen Weise berührt. Einzelne Farbenaffecte können bis zu der Empfindung des wirklichen physischen Schmerzes oder der unerträglichen Unlust gesteigert werden. Im Allgemeinen aber ist es mehr der Eindruck des Heiteren, Hellen und Freudigen, welcher sich an die Mannichfaltigkeit oder das Bunte der Farbe für uns anknüpft. Es ist an sich etwas die Phantasie und das Leben Erweckendes in dem blossen Reiz und Eindruck der Farbe für uns enthalten. Auch abgesehen von dem, was wir durch die Farbe sehen oder erkennen, hat sie für uns überall einen bestimmten Reiz und ein eigenthümliches Interesse. Jedenfalls aber wird zunächst nur durch sie unsere ganze Erkenntniss von den räumlichen Dingen getragen und vermittelt. Es mag sein, dass uns der Tastsinn zunächst hilft, die Bedeutung und die Tragweite der Farbenerscheinungen in ihrem Zusammenhang mit den wirklichen Dingen zu verstehen. Er ist vielfach der nächste und natürlichste Interpret der Wahrnehmungen unseres Gesichts; das Kind will überall gleich greifen nach dem, was es sieht. Unter allen höheren Sinneseindrücken aber sind von Anfang an die reichsten und mächtigsten die durch die Farbe und es empfängt wesentlich hiermit unser ganzes Verstehen und Begreifen der uns umgebenden Welt seinen ersten Anstoss. Es ist an und für sich gewiss, dass wir nur durch unsere Sinneswahrnehmungen eine Kenntniss von der Welt der uns umgebenden Sachen erhalten. Was wir die Wirklichkeit nennen, ist an und für sich nichts als ein Complex von Wahrnehmungen und Eindrücken unserer Sinne. Die von uns sogenannten Dinge sind an sich nur die unbekannten Ursachen der sensuellen Wirkungen und Phänomene unseres eigenen inneren Selbst. Wir bevölkern gleichsam nur von uns aus die Welt mit fingirten Realitäten, Gegenständen, Ursachen oder Substanzen. Es liegt zwischen dem, was wir die Welt nennen und zwischen uns selbst an und für sich immer etwas Drittes in der Mitte, nämlich die Wirkungen, welche wir von Aussen her empfangen und durch welche wir uns unsern innern oder subjectiven Begriff von einer äusseren Welt construiren. Es ist nothwendig und gut, dass sich der menschliche Geist einmal dieses seines wahrhaften und wirklichen Verhältnisses zur äusseren Welt bewusst wird oder dass er sich sagt, dass alles dieses für ihn eigentlich und an sich nur in seiner inneren Vorstellung, nicht aber ausser derselben existire. Es giebt streng genommen für uns nur eine Welt der Vorstellungen, nicht aber eine solche der Sachen. Dieses aber darf uns nicht daran hindern, doch von einer Welt der Sachen als von etwas wirklich Vorhandenem zu reden. Die Annahme der Realität der Dinge ist eine an sich durchaus nothwendige für unseren Geist. Unsere subjectiven auf die sinnlichen Wahrnehmungen gegründeten Vorstellungen von ihnen mögen zum Theil unrichtige sein; diese werden berichtigt durch das Denken der Wissenschaft; aber der unmittelbare oder natürliche Mensch lebt nichts destoweniger fortwährend in einer Welt der sinnlichen Anschauungen, die für ihn einen Werth oder eine Bedeutung besitzen und denen er deswegen auch eine bestimmte Wahrheit oder Realität zuzuschreiben sich berechtigt und genöthigt fühlt. Es ist an sich eine unfruchtbare Weisheit für uns, dass ein sinnlicher Schein wie der der Farbe keine eigentliche objective Wahrheit oder Realität besitze. Das factische Verhältniss bleibt dasselbe, wenn wir uns sagen, dass die Farbe ein blosser subjectiver Schein ist und wenn wir sie uns als eine objective Eigenschaft an den Dingen selbst denken. Wir sind berechtigt zu sagen, eine bestimmte Sache sei grün oder roth, wenn wir gleich wissen, dass sie nur für unser Auge einen solchen Schein an sich trägt. Die Dinge sind so, wie sie uns erscheinen; dieses ist diejenige Voraussetzung, auf der unsere ganze natürliche oder unmittelbare menschliche Auffassung von der Welt beruht. Die Wissenschaft ist auch diesen Standpunct anzuerkennen genöthigt; wir fragen jetzt nicht danach, was die Farbe thatsächlich ist oder wie der Schein derselben in uns entsteht, sondern nur danach, was dieser Schein als solcher für einen Werth oder eine Bedeutung für uns hat. Der Begriff der Farbe bedeutet an sich nichts als diesen subjectiven Schein der Buntheit des Lichtes an den äusseren Dingen. Nur dieser Begriff ist es, mit welchem wir es hier zu thun haben und wir schliessen ausdrücklich jede eigentlich naturwissenschaftliche Erklärung und Untersuchung des Wesens der Farbe von unserer Betrachtung aus. Nicht alle Eigenschaften der Dinge haben in dem Sinne wie die Farben den Charakter von Wirkungen oder von subjectiven Erscheinungen und Abspiegelungen derselben für uns an sich. Der Ton, den eine bestimmte Sache von sich giebt, erscheint uns nicht als etwas in dem gleichen Grade nothwendig und wesentlich zu ihr Gehörendes oder als eine untrennbare und integrirende Eigenschaft ihrer selbst als die Farbe, welche sie zeigt. Theils giebt es nur wenige Dinge, welche gleichsam an sich und fortwährend tönend sind, theils ist auch das Phänomen des Tones fast immer von einer wirklichen sichtbaren oder sonst wahrzunehmenden Bewegung in den Dingen begleitet. Mit dem Phänomen des Tones aber hat dasjenige der Farbe immerhin die meiste Aehnlichkeit. Die Farbe ist blos eine fortwährende und von keiner wahrnehmbaren Bewegung begleitete Wirkung der äusseren Dinge auf uns. Wir sagen auch hier wohl von einer Sache: sie leuchtet, ebenso wie wir uns dort des Ausdruckes des Tönens bedienen. Auch alle diejenigen Beschaffenheiten der Sachen aber, welche in irgend einer unmittelbaren Weise unsere sinnliche Empfindung berühren, alles Riechbare, Schmeckbare, Tastbare sind an sich von derselben Art als die Farbe. Auch dieses sind wesentlich blos Wirkungen oder Relationen des Stoffes auf uns. Nur aus diesen Wirkungen aber werden die ferneren tieferen ansichseienden oder bleibenden Eigenschaften der Dinge von uns erkannt. Die Farbe gehört insofern überhaupt in diejenige Kategorie von Beschaffenheiten, welche in einer blossen Beziehung oder Einwirkung der äusseren Dinge auf uns bestehen. Sie hat nichtsdestoweniger ihre Wurzel immer in dem eigenen Wesen oder der reinen und fürsichseienden Natur der Dinge selbst. Denn durch die verschiedene Art und Weise der Aufnahme und Reflexion der Lichtstrahlen von der Oberfläche des Stoffes entsteht überall der besondere Schein irgend einer einzelnen Farbe. Die Farbe ist insofern in der That dasjenige, als was sie sich die populäre Vorstellung denkt, das natürliche Kleid oder die unmittelbare Aussenseite des stofflichen Wesens der Dinge selbst. In ihr spiegelt sich im Allgemeinen zugleich die Wesensbeschaffenheit des Stoffes ab und sie gehört insofern überhaupt mit zu den wichtigsten Elementen und Mitteln des Erkennens der Natur der äusseren Dinge. Es ist die Aufgabe der Physik, den besonderen naturwissenschaftlichen Charakter der einzelnen Farben zu erklären. Es entsteht hier die Frage, welches der natürliche Kanon oder das allgemeine wissenschaftliche System der einzelnen Farbenunterschiede sei. Man nimmt in der Physik hierfür den Regenbogen oder das Farbenspectrum an. Hierauf gründet sich auch die Theorie von den sogenannten Complementärfarben, grün und roth, gelb und blau u. a., deren Verbindungen man, weil sie sich unter einander ergänzen, immer für besonders wohlgefällig und ästhetisch befriedigend angesehen hat. Der naturwissenschaftliche Standpunct in dieser ganzen Frage ist aber überhaupt ein anderer als der ästhetische; wir glauben diese beiden Auffassungsweisen des Wesens der Farbe bestimmt von einander unterscheiden zu müssen. Der naturwissenschaftliche Kanon der Farben ist nicht ausreichend für das System derjenigen Farbenunterschiede, wie sie unserem Auge erscheinen und es ist eben nur der Schein der Farbe als solcher, der für uns ein inneres menschlich gemüthliches oder ästhetisches Interesse besitzt. Auch schwarz, grau u. s. w. sind für uns bestimmte Erscheinungen der Farbe, wenn sie gleich vom naturwissenschaftlichen Standpunct aus nicht als selbstständige Arten oder Modificationen der Farbe anerkannt werden mögen. Es ist ferner eine an sich unerwiesene Behauptung, dass gerade die Verbindung der Complementärfarben eine für uns besonders ästhetisch wohlgefällige sei. Wir sehen z. B., dass für die militärische Bekleidung jetzt fast allgemein die Verbindung von blau und roth welches keine Complementärfarben sind, als passend erfunden wird. Die Farbe als ein subjectiver Schein ist es, welcher den Gegenstand unserer Untersuchung bildet; der ästhetische Standpunct in dieser Frage aber ist vollständig zu trennen von dem naturwissenschaftlichen, indem jener es überall nur mit der uns zugekehrten Seite der objectiven Phänomene, nicht aber mit ihrem inneren Wesen oder reinen Ansichsein selbst zu thun hat. 2. Was heisst Aesthetik? Die Farbe ist für uns an sich oder zunächst nur ein Mittel zum Erkennen der wirklichen Gestalten und Formen der Dinge. Sie wird nichtsdestoweniger für uns auch ein selbstständiger Gegenstand des Interesses, indem wir sie gleichsam ablösen oder abstrahiren von den Dingen, an welchen sie sich befindet und ihr für sich selbst einen Werth oder eine Bedeutung zuschreiben. Die Natur selbst aber hat gleichsam gewollt, dass die Farbe für uns noch etwas mehr sein soll als ein blosses Mittel zum Erkennen des Wesens der äusseren Dinge, da sie dieselben in einer zum Theil überschüssigen und verschwenderischen Fülle über sie ausgegossen hat. Zum blossen Erblicken oder Erkennen der Dinge hätten allenfalls noch bei Weitem wenigere und mattere Farben genügt. Die Natur hätte für unser Auge möglicherweise die Gestalt einer blossen schwarzen Zeichnung an sich tragen können, während sie in der Wirklichkeit vielmehr dem Character eines bunten Gemäldes entspricht. Die Masse und der Glanz der Lichtfülle ist in den einzelnen Klimaten der Erde selbst eine verschiedene und eine Landschaft am Nordpol wird sich zu einer solchen in den Tropen in der That etwa verhalten wie eine schwarze Zeichnung zu einem bunten Gemälde. Es ist im Allgemeinen bei Weitem mehr Farbe in der Natur vorhanden als zum wirklichen Erkennen der Dinge erforderlich war. Eben hierdurch aber ist die Farbe für uns noch etwas Anderes als ein blosses an sich werthloses Mittel des Erkennens der äusseren Dinge. Wir sind gewohnt, den einzelnen Farben einen bestimmten geistigen Werth oder Bedeutungsinhalt als den symbolischen Vertretern bestimmter Begriffe oder allgemeiner Zustände und Verhältnisse des Lebens zuzuschreiben. Irgend eine bestimmte Farbe gilt uns als Ausdruck der Freude, der Trauer, der Liebe u. s. w.; der Neid heisst uns gelb, die Theorie grau u. s. f.; und wir übertragen hierbei also die Farben auf eine Menge von Vorstellungen, die an und für sich von geistiger Art sind oder mit dem Gebiete des Sichtbaren nichts zu thun haben. Der Ritter im Mittelalter schmückte sich mit der Farbe seiner Geliebten; auch wir haben noch unsere Landesfarben, an die sich ein bestimmtes Gefühl der patriotischen Pietät anzuknüpfen pflegt u. s. w. Wir bedienen uns ferner zur Bekleidung u. s. f. mit Vorliebe immer der einen oder der anderen Farbe und finden irgend eine bestimmte Farbe für einen bestimmten Zweck entweder passend oder nicht. Aus alledem aber geht hervor, dass uns das Besondere der einzelnen Farben nicht etwas Gleichgültiges ist, sondern dass eine jede von ihnen einen eigenthümlichen geistigen Werth oder Charakter für uns besitzt. Es könnte hierbei wohl der Einwand erhoben werden, dass alles dieses doch bei Weitem mehr etwas Zufälliges, Ungeordnetes und äusserlich Conventionelles als etwas innerlich Nothwendiges, Gleichartiges und Wesentliches im menschlichen Leben sein möchte und dass insofern allen derartigen Erscheinungen mehr nur der Charakter eines blossen Spieles als derjenige von etwas wirklich Ernsthaftem, Tiefem oder Wahrhaftem zugeschrieben werden dürfte. Es ist wahr, die Ansichten oder Urtheile des Menschen über den Werth und die Bedeutung der Farben gehen anscheinend oft weit aus einander, und es ist der Gebrauch, der von ihnen gemacht wird, oft ein sehr mannichfaltiger und verschiedener. Alles dieses aber gilt zuletzt auch mehr oder weniger von allen anderen ästhetischen Dingen oder Fragen. Das allgemeine Schönheitsideal der einzelnen Völker und Zeiten in der Geschichte ist ein verschiedenes; alle Urtheile über das Schöne sind zunächst blos von relativer oder subjectiver Art; es könnte hieraus anscheinend gefolgert werden, dass es ein bestimmtes absolutes oder objectives Wissen über das Schöne gar nicht geben könne oder dass jede besondere Meinung hierüber den gleichen Anspruch auf Wahrhaftigkeit habe als die andere. Mit dieser Ansicht aber würde aller Aesthetik das Fundament oder der wissenschaftliche Boden entzogen werden. Es ist nothwendig, in Bezug hierauf einen bestimmten reinen und einfachen Standpunct zu gewinnen oder sich die Frage vorzulegen, wie sich das wissenschaftliche Erkennen über das Schöne und alle anderen ästhetischen Dinge zu den gegebenen Verschiedenheiten und Widersprüchen in der Subjectivität des menschlichen Auffassens hierüber zu verhalten habe. Die Frage nach der Subjectivität oder nach der Stellung des Menschen zu dem gegebenen Object des Erkennens spielt bei allen ästhetischen Dingen eine entscheidende Rolle. Das Schöne ist selbst eine ganz ähnliche Beschaffenheit an den äusseren Dingen für uns als die Farbe, d. h. eine solche, welche wesentlich nur in einer Wirkung oder Beziehung derselben auf uns besteht. Es kann streng genommen auch hier nicht gesagt werden, dass eine bestimmte Sache selbst oder an sich betrachtet schön sei als vielmehr nur, dass sie uns als eine solche erscheine oder von uns schön gefunden werde. Allerdings ist es hier nicht wie bei der Farbe das Subject im physischen, sondern dasselbe im geistigen Sinne des Wortes, auf welches sich diese Wirkung erstreckt. Die Eigenschaft der Farbe an den Dingen berührt zunächst nur unser Auge, die des Schönen aber zugleich unser Empfinden oder unseren Geist. Das ganze Phänomen der Farbe beruht wesentlich auf der subjectiven Organisation unseres Auges oder Gesichtes; unsere Auffassung des Schönen aber ist zunächst ebenso bedingt durch die subjective Organisation des Empfindens unseres Geistes. Der Schönheitssinn der Menschen ist zum Theil ein verschiedener und ebenso bietet die Organisation unseres Auges wohl auch gewisse Verschiedenheiten in sich dar. Wir können an sich nicht wissen, ob wir, d. h. der Mensch überhaupt und näher jeder Einzelne unter uns das Wesen der Farbe und das des Schönen rein und richtig oder so auffassen, wie es seiner eigenen wirklichen Natur nach ist. Es kann sich hier wie es scheint an sich überall nur handeln um die Constatirung subjectiver Eindrücke und Phänomene, nicht aber um ein wirkliches Wissen von der Natur des Objectes an sich. Die Aesthetik wird in diesem Falle wesentlich zusammenfallen müssen mit der Kunstgeschichte, d. h. mit der empirischen Darstellung der verschiedenen wirklichen oder historischen Auffassungen des Ideales des Schönen, aber es wird an sich keinen höheren, reinen und absoluten Standpunct oder Maassstab für die Erkenntniss und Beurtheilung des allgemeinen und objectiven Werthes desselben an sich geben können. Es ist diese Ansicht jetzt in der That eine weit verbreitete und es scheint insofern fraglich, ob überhaupt noch von der Aesthetik als einer selbstständigen Wissenschaft neben der Kunstgeschichte gesprochen werden könne. Die Subjectivität unserer Auffassung von der Welt ist an und für sich überall der Boden, auf welchem wir selbst stehen und über dessen Verhältniss zu der Objectivität der Sachen wir uns zunächst Rechenschaft abzulegen genöthigt sind. Die Welt reflectirt sich in unserem Geiste in einer bestimmten Weise und wir sind an sich nicht berechtigt anzunehmen, dass diese Weise die allein mögliche oder berechtigte sei. Wir werden namentlich dadurch an ihrer Wahrhaftigkeit zu zweifeln veranlasst, dass sie selbst nicht eine vollkommen gleichmässige und constante, sondern eine nach Massgabe unserer besonderen Subjectivität vielfach getheilte, in sich zerrissene und widerspruchsvolle ist. Jede einzelne Subjectivität aber hat hierbei an sich das gleiche Recht und den gleichen Werth neben der anderen. Es bedarf nichts destoweniger eines bestimmten höheren kritischen Maasstabes für die Abschätzung des Werthes der Urtheile und Auffassungen der einzelnen menschlichen Subjectivitäten. Das Schönheitsideal der Chinesen hat nicht den gleichen Anspruch auf Wahrheit als dasjenige der Griechen. In jeder einzelnen Subjectivität reflectirt sich der allgemeine Inhalt oder das Wesen des gegebenen Objectes in einer anderen und zwar in Ganzen immer mehr oder weniger vollkommenen Weise. Das Erkennen und Begreifen des gegebenen Objectes ist in der einen Subjectivität immer ein höheres und besseres als in der anderen. Es ist hier eben die Aufgabe der Wissenschaft, den besonderen Werth und die eigenthümliche Bedeutung der Auffassung jeder einzelnen Subjectivität in Bezug auf das äussere Object zu ermitteln. Die Kunstgeschichte kann nicht eine blosse blinde Zusammenstellung der verschiedenen Auffassungen und Ausprägungen der Idee des Schönen in der menschlichen Subjectivität sein. Sie wird sich hierbei nothwendig an die Aesthetik anschliessen müssen, um einen Maasstab zu gewinnen für die Beurtheilung des wahrhaften oder objectiven Werthes ihrer einzelnen Erscheinungen. Die Idee des Schönen an sich ist der Führer und Leitstern in den besonderen oder wirklichen Ausprägungen desselben in der Geschichte. Es wird im Allgemeinen wohl angenommen werden dürfen, dass eine gewisse Uebereinstimmung in Bezug auf die wichtigsten Fragen und Puncte des Lebens innerhalb der menschlichen Subjectivität stattfinde; aber es kann nicht ohne Weiteres der consensus gentium oder hominum zum Richter und Maassstab für das Wahre, Gute und Schöne im Leben angenommen werden. Die Aesthetik insbesondere setzt an und für sich eine ideale oder normal angelegte Subjectivität für das Auffassen und Begreifen des Schönen voraus; es wird die weitere Frage entstehen, wie sich diese an sich vollkommene oder ideale Auffassung desselben in den besonderen wirklichen Erscheinungen der Kunstgeschichte modificire. Dasselbe was von der Auffassung des Schönen gilt, lässt sich gewiss auch anwenden und übertragen auf die Auffassung des Werthes oder der Bedeutung der Farben. Es wird wohl anzunehmen sein, dass der Eindruck oder die geistige Auffassung einer jeden Farbe für die menschliche Subjectivität überhaupt an und für sich der gleiche sein werde. Alle Verschiedenheiten hierbei aber gründen sich zuletzt überall auf den besonderen Charakter oder die eigenthümliche Stellung der einzelnen Abtheilungen oder Fractionen der menschlichen Subjectivität selbst. Kinder, Wilde, Ungebildete u. s. w. finden in der Regel ein besonderes Wohlgefallen an grellen und schreienden Farben; es ist dieses ein niedriger oder unvollkommener Standpunct der ästhetischen Bildung oder Erudition überhaupt. Junge Mädchen haben vielleicht eine besondere Vorliebe für das Rosa; hierin ist noch nicht ein absolutes Urtheil über den Werth dieser Farbe an sich enthalten, sondern es wird dieselbe nur für sie selbst und ihren besonderen Lebensstandpunct als vorzugsweise passend von ihnen erfunden. Südliche Völker lieben zur Bekleidung meistens bunte Farben; dieses hat zum Theil einen klimatischen Grund und der Südländer steht überhaupt zur Farbe an sich vielfach in einem anderen Verhältniss als der Bewohner des Nordens. Bei den Muhammedanern z. B. ist die grüne Farbe die heilige; grün ist die Fahne des Propheten, nur Muselmänner dürfen grüne Turbane tragen u. s. w. Auch diese Auffassungsweise hat zum Theil vielleicht einen klimatischen Grund; das Grün ist dort im Sommer immer eine seltene, kostbare und dem Auge wohlthuende Erscheinung, weswegen sich dort an dasselbe vielleicht ganz andere Empfindungen und Vorstellungen anknüpfen mögen als bei uns. Dass der Neger manches weiss nennen wird, was wir schwarz nennen, ist klar, da er sich durch seine blosse Hautfarbe von Anfang an in einem anderen Verhältniss zur Farbe befindet als wir. Es gilt auch hier überall den besonderen Werth einer jeden einzelnen menschlichen Auffassung über die Farbe aus ihren eigenthümlichen konkreten Verhältnissen heraus kritisch zu betrachten und zu prüfen. Mit dem allgemeinen Stimmrecht der Menschen hat es in ästhetischen Dingen eine gleiche Bewandtniss als in politischen; nicht jeder ist in gleichem Grade urtheilsfähig und es müssen auch hier die Stimmen überall nach ihrem besonderen Werthe geschätzt und abgewogen werden. Die Idee des Schönen ist es, welche nach der allgemein angenommenen Auffassung ihres Begriffes den Gegenstand für die Bearbeitung der Aesthetik bildet. Wir halten diese Begriffsbestimmung der Aesthetik nicht für die richtige und vollkommen genügende. Das Schöne bildet allerdings thatsächlich zuletzt den Mittelpunct und Hauptgegenstand alles ästhetisch-wissenschaftlichen Erkennens, aber es erscheint immerhin als falsch, den Bereich dieser Wissenschaft auf die blosse Erkenntniss oder Bearbeitung jenes Begriffes als solchen zu beschränken. Das Schöne ist nicht allein dasjenige, welches den Gegenstand des ästhetischen oder des der Sphäre der Empfindung angehörenden Erkennens des menschlichen Geistes bildet, sondern es ist der unmittelbare Begriff oder die natürliche Bedeutung des Wortes der Aesthetik jedenfalls eine andere als diejenige einer blossen Wissenschaft oder Erkenntniss vom Schönen als solchem. Es kommt aber zuletzt Alles darauf an, den allgemeinen Begriff einer Wissenschaft richtig festzustellen, weil nur hierdurch allen weiteren Irrthümern und Missverständnissen ihrer Behandlung vorgebeugt werden kann. Der Name der Aesthetik ist für das ganze Gebiet der Erkenntniss vom Schönen in der neueren Zeit zuerst aufgestellt worden durch Alexander Baumgarten, einen Schüler von Leibniz. Baumgarten gilt insofern mit Recht als der erste Urheber und Begründer der ganzen neueren deutschen Aesthetik überhaupt. Er hat mindestens versucht, das ganze Gebiet der Erkenntniss vom Schönen zuerst in einer rein wissenschaftlichen Weise aufzufassen und zu bearbeiten. Der von ihm aufgestellte Name der Aesthetik ist von da an der allgemein herrschende oder angenommene in der Wissenschaft geworden und es ist nicht gelungen, denselben durch irgend einen anderen zu ersetzen oder zu verdrängen. Wir haben jetzt fast vergessen, dass die Bedeutung dieses Namens ursprünglich doch eine etwas andere ist, als diejenige der blossen Lehre vom Schönen. Der ganze ästhetische Standpunct Baumgartens ist allerdings ein solcher, der von der neueren Aesthetik längst überschritten worden ist und der uns selbst im Allgemeinen als ein unvollkommener, hölzerner oder barocker erscheint. Ich stehe nicht an zu bekennen, dass ich nichtsdestoweniger diesen Standpunct an sich, abgesehen von seiner näheren Durchführung, als den richtigen oder als denjenigen anerkenne, der das wahrhafte Prinzip oder die rechte und eigentliche Basis für die ganze wissenschaftliche Auffassung des Gebietes der Aesthetik in sich enthält. Es ist aber gerade bei einem so schwankenden und vielbestrittenen Gebiet als dieses in besonderem Grade nothwendig, sich über die allgemeinen Bedingungen seiner wissenschaftlichen Erkennbarkeit und Bearbeitung oder über das Formale seines ganzen Begriffes im Voraus eine genaue und sichere Rechenschaft abzulegen. Die Aesthetik wurde von Baumgarten im Allgemeinen aufgefasst und begründet im Sinne einer Ergänzung oder einer Parallelisirung einer anderen philosophischen Wissenschaft, der Logik. Diese Auffassung erscheint uns gegenwärtig als unwahr und fremdartig, indem uns das Schöne vielmehr in dem Lichte des Gegentheiles oder der Aufhebung der strengen und pedantischen Regelmässigkeit des logischen Denkgesetzes entgegenzutreten pflegt. Wir weisen es im Allgemeinen von uns ab, im Schönen den Ausdruck von eigentlich logischen Gedanken und abstracten Verstandesreflexionen erblicken zu wollen. Wir erblicken den unterscheidenden Charakter des Schönen gerade in der ungezwungenen Natürlichkeit seiner Erscheinung und seines ganzen Eindruckes auf uns, wodurch es insbesondere gegenüber der geradlinigen Eckigkeit eines jeden mechanischen oder einer blossen Verstandesberechnung entsprungenen Dinges charakterisirt ist. Das Aesthetische und das Logische liegt für unsere ganze Geistesauffassung weit auseinander; der Gedanke Baumgartens aber, wenn er richtig verstanden wird, enthält wohl eine gewisse Wahrheit und Berechtigung für unsere ganze Auffassung des Schönen in sich. Die Aesthetik gehört ihrer Natur nach dem System der philosophischen Wissenschaften an und es hängt ihre richtige Begriffsbestimmung wesentlich mit von der Frage nach ihrer natürlichen Stellung in dem System dieser Wissenschaften ab. Wir erblicken aber allerdings in der Aesthetik nicht wie dieses häufig geschieht, ein Gebiet der blossen mehr oder weniger schwankenden geistreichen und eleganten Conversation, sondern wir versuchen dieselbe so weit möglich zu dem Range einer eigentlichen geordneten und strengen Wissenschaft zu erheben. Die wissenschaftliche Frage als solche ist für uns hierbei überall die wichtigste und entscheidendste, und wir versuchen unter Anschluss an die Lehre Baumgartens unsere ganze Auffassung dieses Gebietes in Folgendem zu begründen. 3. Die Stellung der Aesthetik in dem Systeme der Philosophie. Baumgarten glaubte in dem System der Philosophie eine gewisse Lücke entdeckt zu haben. Wir haben in der Logik eine Wissenschaft, die sich auf die allgemeinen Gesetze oder Kennzeichen des denkenden Erkennens des menschlichen Geistes bezieht. Eine ähnliche Wissenschaft muss es nach Baumgarten auch geben für das niedere oder das an die Sinnlichkeit gebundene empfindende Erkenntnissvermögen unseres Geistes. Das Verhältniss der Aesthetik zu diesem letzteren Vermögen ist nach Baumgarten dasselbe als das der Logik zu jenem ersteren. Der Begriff der Aesthetik als solcher hat also bei Baumgarten zunächst noch nichts mit dem ganzen Gebiet der Erkenntniss vom Schönen zu thun. Derselbe Gebrauch dieses Wortes findet sich auch noch bei Kant, indem derselbe in der «Kritik der reinen Vernunft» das anschauliche oder ästhetische und das denkende oder logische Erkenntnissvermögen von einander unterscheidet. Wir haben aber mit Unrecht in der neueren Zeit vergessen und ausser Acht gelassen, welches die eigentliche und ursprüngliche Bedeutung des Namens der Aesthetik ist und ich schliesse mich daher hier wiederum zur wahrhaften Begründung des Begriffes dieser Wissenschaft an den früheren Sprachgebrauch Baumgartens und Kants an. Es ist gewiss, dass alles menschliche Erkennen an und für sich in diese doppelte Region des empfindenden und des denkenden zerfällt. Die Frage nach dem Verhältniss derselben aber ist eines der tiefsten und wichtigsten Probleme der Philosophie. Es hängt wesentlich hiermit unsere wissenschaftliche Gesammtansicht von der ganzen geistigen Natur und Stellung des Menschen zusammen. Es ist dieses Verhältniss in den einzelnen Lehren der Philosophie in einer sehr verschiedenen Weise aufgefasst und dargestellt worden. Wir sind aber gegenwärtig in der Lage, auf Grund positiver Wissensresultate hierüber vollkommener und sicherer urtheilen zu können als früher. Diese positiven Resultate sind wesentlich diejenigen, welche sich durch die neuere vergleichende Sprachwissenschaft für uns ergeben haben. Auch unsere jetzige Psychologie begeht immer noch den Fehler, den Menschen und seine Seele nur ganz an sich oder abstract genommen zum Gegenstand ihrer Untersuchung zu machen. Was der Mensch wirklich ist, kann nur auf dem Boden der geschichtlichen Entwickelung seines ganzen Geisteslebens wahrhaft von uns aufgefunden und festgestellt werden. Die Wissenschaft der Psychologie entbehrt zur Zeit noch eines jeden wahrhaften Bodens und gesicherten Fundamentes. Wir verstehen unter ihr die Bearbeitung der geistigen oder der an und für sich selbst unsinnlichen Erscheinungen im Leben des Menschen. Alle diese Erscheinungen sind zunächst gebunden an die physischen Bedingungen des Körpers oder des materiellen Substrates des Lebens der Seele. Jeder sogenannte psychische Vorgang ist zugleich mit ein physischer in den Bedingungen und Organen des Lebens des Körpers. Alles eigentlich Actuelle am Menschen ist an und für sich nur dasjenige, was zum Körper und zu seinem Leben gehört. Alles Geistige hat blos die Gestalt einer ideellen Wirkung oder eines vorübergehenden Phänomenes am Leben des Körpers. Es liegt insofern nahe, im Körper die einzige reale Substanz oder die gesammte actuelle Wesenheit des Menschen zu erblicken und aus den körperlichen Bedingungen und Vorgängen allein die ganzen der Seele zugeschriebenen Erscheinungen am Menschen erklären und ableiten zu wollen. Wir müssen uns sagen, dass unser ganzer Begriff der Seele eigentlich nur eine angenommene oder fingirte Ursache ist, auf welche wir einen bestimmten Complex von gegebenen Erscheinungen am Menschen zurückzuführen gewohnt sind. Die Existenz der Seele als einer anderen selbstständigen Natur und Wesenheit neben dem Körper ist an und für sich noch nicht empirisch gewiss oder wissenschaftlich erwiesen. Die Wissenschaft der Psychologie also befindet sich in der eigenthümlichen Lage, dass dasjenige, wonach sie sich benennt, möglicherweise gar nicht existirt und es stehen sich über die ganze Frage nach der Natur des Menschen zuletzt blos zwei allgemeine Hauptansichten gegenüber, die eine, welche in dem Körper oder der Materie allein die reale Substanz oder Wesenheit des Menschen erblickt und die andere, von welcher neben dem Körper zugleich die Seele als ein anderes selbstständiges Prinzip des Lebens im Menschen unterschieden wird. Die erstere Ansicht aber wird auch mit dem allgemeinen Namen des anthropologischen Materialismus, die letztere mit dem des Spiritualismus bezeichnet und es ist jene ihrer allgemeinen Beschaffenheit nach näher ein Monismus, diese aber ein Dualismus. Der Körper oder das physisch Wirkliche ist in dem ersteren Falle die alleinige, in dem letzteren aber nur eine begleitende oder Nebenursache der geistigen Erscheinungen am Menschen. Für den Standpunkt des Materialismus sind alle Erscheinungen und Vorgänge am Menschen zuletzt von einer und derselben Art und es sind die einen von ihnen höchstens die dem Grade nach höheren und feineren gegenüber der niedrigeren und gröberen Natur der anderen, während dagegen für den Standpunct des Spiritualismus die geistigen Erscheinungen des Menschen an sich von specifisch anderer Natur sind als die physischen und sich an diese nur als an die sie begleitenden Unterlagen und Nebenbedingungen gebunden finden. Es hat etwas Verführerisches für den menschlichen Geist, den Zusammenhang zwischen dem Leben des Körpers und dem der Seele ergründen oder vom Standpuncte der gegebenen physiologischen Thatsachen die Brücke zur Erklärung der psychischen Erscheinungen schlagen zu wollen. Die Lehre von der Seele und ihren Erscheinungen würde hierdurch zu einer Consequenz und einem Ausflusse der Naturwissenschaft erhoben werden. Wir halten alles Zusammenwerfen und Vermischen der verschiedenen Gebiete des Erkennens für einen wissenschaftlichen Fehler; auch wird es nie gelingen, die Grenze zwischen den Erscheinungen des Lebens, der Materie und denen des Geistes wirklich zu überschreiten. Wir weisen daher jeden Anschluss der Wissenschaft der Psychologie an diejenige der Physiologie principgemäss von uns ab. Die gegebenen geistigen oder psychischen Erscheinungen des Menschen bilden ein besonderes Gebiet der Erkenntniss oder Bearbeitung für sich. Die Frage nach dem Wie des Entstehens dieser Erscheinungen aus den Bedingungen des Körpers ist zu sondern von der nach dem Was ihres eigenen Wesens oder Gehaltes; es können Blicke von der einen dieser beiden Seiten nach der anderen hin gethan werden, aber es ist unmöglich, beide in eine Einheit mit einander zusammenzufassen und den Schwerpunkt für die Wissenschaft vom geistigen Leben des Menschen in die Lehre von seinem Körper oder in die Physiologie zu verlegen. Auch die Wissenschaft der Psychologie bildet an sich einen Theil des systematischen Ganzen der Philosophie überhaupt. Ihre Entwickelung hängt zusammen mit der Entwickelung des allgemeinen wissenschaftlichen Prinzipes dieser letzteren selbst. Sie ist sogar in gewissem Sinne das innerste, wesentlichste und vitalste Hauptgebiet aller philosophischen Speculation. Das an und für sich Wichtigste, was überhaupt vom Menschen erkannt werden kann, ist unter allen Umständen nur er selbst und alle wichtigsten Hauptfragen der Philosophie haben zuletzt ihren Sitz und ihren Ausgangspunkt in der Psychologie. Das ganze Ziel alles Begreifens für die Philosophie aber ist zuletzt ein doppeltes, einmal die uns gegenüberstehende sinnliche Aussenwelt der Natur oder Objectivität, andererseits die Welt unseres eigenen geistigen Innern oder die menschliche Subjectivität oder der Makrokosmus des äusseren Seins und der Mikrokosmus des inneren Fühlens, Anschauens und Denkens. Der Mensch und sein geistiges Leben ist in der ganzen uns umgebenden Welt derjenige Boden, auf welchem wir selbst stehen und in welchem sich die ihn umgebende Aeusserlichkeit selbst abspiegelt und reflectirt. Die Aussenwelt ist für uns nur dasjenige, als was sie sich dem Menschen zeigt und von ihm aufgefasst und erkannt wird. Die Erkenntniss unserer selbst ist daher für uns auch das Wichtigere und der wahrhaft entscheidende Punkt für unsere Erkenntniss der ganzen uns umgebenden äusseren Welt. Wir postuliren den Begriff der Seele im Sinne eines realen Trägers oder einer Substanz aller geistigen Erscheinungen und Vorgänge im Menschen. Es ist für das wissenschaftliche Begreifen der geistigen Erscheinungen des Menschen an und für sich gleichgültig, ob und welche Realität diesem Begriffe von uns zugeschrieben werde. Die allgemeine Streitfrage des Materialismus und Spiritualismus hat an sich keinen Einfluss auf die Aufgabe der wissenschaftlichen Bearbeitung der gegebenen Erscheinungen der Seele als solcher. Wir sind berechtigt, von der Seele zu reden als von einem an sich einfachen Wesen, welches den Hintergrund oder die Basis eines bestimmten Complexes der wirklichen Erscheinungen am Menschen bilde, wenn wir uns auch sagen müssen, dass dieser Begriff nur eine von uns selbst gemachte und angenommene Fiction oder Hypothese sei. Die ganzen Erscheinungen der Seele werden von uns eingetheilt oder classificirt durch ein System von Begriffen, in welchen wir die Vertreter der einzelnen Abtheilungen, Kräfte oder Functionen derselben zu erblicken gewohnt sind. Auch von allen diesen Begriffen gilt an sich dasselbe als von demjenigen der Seele überhaupt; sie sind an sich keine Realitäten, sondern nur fingirte Substanzen oder Träger gewisser Complexe gleichartiger Erscheinungen am Menschen. Wir reden von ihnen allerdings so, als ob sie ganz bestimmte einzelne Organe und Theile des Lebens der Seele wären ähnlich als diejenigen des Körpers und wir stellen uns überhaupt die Seele gleichsam als ein System oder einen Organismus von Theilen und Functionen vor nach der Analogie des Körpers. Wir schaffen uns aus den vorübergehenden und wechselnden Erscheinungen des Seelenlebens gleichsam ein Bild oder eine Vorstellungseinheit von der Seele an sich. Alles dieses ist für uns freilich etwas Nothwendiges und Berechtigtes; es dient uns sogar in vielen Fällen geradezu ein bestimmter Theil des Körpers als Ausdruck oder Bezeichnung einer bestimmten Kraft oder eines Prinzipes des Lebens der Seele, so wie wir von Kopf, Herz u. s. w. reden als ob dieses nicht blos Theile des Körpers, sondern auch solche der Seele wären. Es kann im gewissen Sinne allerdings überhaupt die Gliederung des Körpers als Basis und Prinzip für diejenige der Seele angenommen werden, so wie sich insbesondere das System der Seelenabtheilungen bei Plato an dasjenige der körperlichen Gliederung anschloss. In ähnlicher Weise wurde auch früher die Lehre von den vier Temperamenten mit den vier Elementen der Natur in Verbindung gebracht und es kann allerdings mehr oder weniger alles Psychische auf bestimmte materielle oder physische Prinzipien zurückgeführt werden. Wir dürfen hierbei aber in keinem Falle vergessen, dass alles dasjenige, was wir uns als objectiv gegebene Kräfte oder Theile der Seele u. s. w. vorzustellen pflegen, unmittelbar genommen nichts sind als innere oder subjective Begriffe unseres eigenen Denkens, deren ganzer Inhalt und deren Gebrauchsanwendung häufigen Schwankungen und Missverständnissen unterliegt. Mit demselben Worte wird oft ein etwas abweichender Sinn in Verbindung gebracht. Das System der psychologischen Begriffe oder Kategorieen ist mehr oder weniger in jeder einzelnen Sprache selbst ein verschiedenes und es ist die ganze Gruppirung oder Vertheilung der Seelenerscheinungen hiernach immer zum Theil eine andere. Es ist deswegen wissenschaftlich durchaus unberechtigt, von allen diesen Begriffen ohne Weiteres so zu sprechen als ob sie Realitäten wären oder als ob es ein ganz bestimmter und unzweifelhafter wirklicher Inhalt wäre, der in ihnen für uns seine Vertretung fände. Was der Begriff eines körperlichen Theiles für uns bedeutet, ist etwas ganz Bestimmtes und unzweifelhaft Gewisses oder es entspricht hier dem subjectiven Begriff eine fest begrenzte sinnliche und objective Realität. Es werden nichtsdestoweniger im philosophischen Denken alle jene Begriffe auch gegenwärtig noch so gebraucht, als ob sie ohne Weiteres Realitäten wären. Unsere ganze philosophische Kunstsprache beruht einem wesentlichen Theile nach auf diesem Irrthum, den subjectiven Begriffen ohne Weiteres den Charakter als Vertreter von etwas Wirklichem oder Sachlichem zuzuschreiben. Eine subjective Begriffsentwickelung ist nicht als solche bereits eine Erkenntniss oder die Darstellung eines objectiven und sachlichen Inhaltes. Man ist sich vielfach der Rohheit gar nicht bewusst, welche darin liegt, die Begriffe des Denkens oder die Worte der Sprache in einem anderen Sinne als dem ihnen rechtmässig zukommenden zu gebrauchen. Die Begriffe oder Kunstausdrücke der Philosophie unterscheiden sich von denen anderer Wissenschaften überhaupt dadurch, dass sie von nur subjectiver Art sind oder dass keine bestimmte und feste objective Realität nachgewiesen werden kann, auf die sie sich beziehen. Dieses sogenannte Denken in reinen oder subjectiven Begriffen hat an und für sich gar keinen wissenschaftlichen Werth. Es entspringen hieraus eine Menge vollkommen leerer und unrichtig gestellter Streitfragen und Probleme des Tages. So ist jenes berühmte Unbewusste nichts als ein Name, dem in künstlicher und willkürlicher Weise der Charakter einer Realität beigelegt worden ist. So streitet man sich jetzt unter Anderm darüber, ob die Thiere denken können oder nicht: es handelt sich hierbei nicht um etwas Objectives in der Sache selbst, sondern nur um die Bedeutung eines subjectiven Begriffes unseres Denkens. Denn die Erscheinungen der Thiere bleiben dieselben, die sie sind, und es fragt sich blos danach, ob sie vermöge ihres gegebenen Charakters rechtmässig unter den Begriff des Denkens subsumirt werden können oder nicht. Alles dieses sind blos innere oder dialektische Fragen des menschlichen Geistes selbst, die nicht das Wesen der Sachen an sich, sondern nur das Verhältniss unserer Begriffe zu ihm zum Gegenstand haben. Der Begriff der Seele vertritt für uns das andere geistige oder immaterielle Prinzip im Menschen neben dem sinnlichen oder materiellen des Körpers. Dem Begriffe der Seele substituiren wir auch wohl hin und wieder denjenigen des Geistes. Seele und Geist aber sind deswegen nicht für uns schlechthin identische Begriffe. Es ist z. B. ein wesentlicher Unterschied, ob wir mit einem Menschen das Prädicat des Geistvollen oder das des Seelenvollen in Verbindung bringen. Ein Mensch von Geist ist insbesondere ein solcher, welcher reich ist an eigenen und selbstständigen Gedanken. Der specifische Charakter des Seelenvollen liegt dagegen mehr in der Tiefe und Eigenthümlichkeit des Empfindens. Der Begriff des Geistes im specifischen Sinne vertritt für uns wesentlich nur eine bestimmte Abtheilung oder Richtung des menschlichen Seelenlebens überhaupt. Wir rechnen zum Leben des Geistes insbesondere alles dasjenige hinzu, was auf einer selbstständigen Anstrengung unseres Denkens oder auf einer befreienden Erhebung unseres inneren Bewusstseins über die blosse Abhängigkeit von den Bewegungen und Eindrücken des Körpers beruht. In diesem Sinne aber ist es wesentlich der Begriff der Sinnlichkeit, welcher das allgemeine und natürliche Gegentheil der Region des Geistes im Leben der Seele bildet. Die Sinnlichkeit ist im Allgemeinen diejenige Region des Lebens der Seele, deren Charakter in einer unmittelbaren Einheit oder in einem abhängigen und empfangenden Anschluss desselben an die Bedingungen und Anregungen unserer körperlichen Natur besteht. Das Seelenleben der Thiere aber kommt über diese ganze Region der Sinnlichkeit überhaupt nicht hinaus, während dasjenige des Menschen sich wesentlich aus der doppelten Region der Sinnlichkeit und des Geistes, von denen jene gleichsam direct an das Leben des Körpers oder der Materie angrenzt, diese aber das Prinzip der Seele selbst in seinem höheren reineren oder specifischen Sinne in sich vertritt, zusammensetzt. Als eine dritte hauptsächliche Seelenabtheilung darf von uns angesehen werden diejenige des Charakters. Der Charakter ist wesentlich der Sitz oder das Organ für das psychische Vermögen des Wollens. Das Verhältniss der drei allgemeinen Seelenvermögen des Fühlens oder Empfindens, des Denkens und des Wollens entspricht dem der drei allgemeinen Abtheilungen oder Organe der Sinnlichkeit, des Geistes und des Charakters. Diese Gliederung bildet das erste und wichtigste Fundament aller weiteren Eintheilung des Lebens der Seele. Hierdurch überhaupt aber unterscheidet sich zunächst das ganze höhere und reichhaltiger zusammengesetzte Seelenleben des Menschen von dem niedrigeren und mehr einfach rudimentären des Thieres. Auf die Erscheinungen und Vorgänge des thierischen Seelenlebens kann weder der Begriff des Denkens noch der des Wollens rechtmässig in Anwendung gebracht werden. Wir bedienen uns auch zur Charakteristik der höheren Natur und vollkommeneren Einrichtung des menschlichen Seelenlebens des Ausdruckes der Vernunft, welchem wir in Bezug auf das Leben des Thieres denjenigen des Instinctes gegenüberstellen. Zwischen beiden aber zieht sich durchaus eine bestimmte und scharf bezeichnete Grenze. Alle Acte des thierischen Erkennens sind von einer rein unmittelbaren, wesentlich zeitlosen oder instinctiven Natur, d. h. es ist dem Thier die dem Menschen eigenthümliche in sich zurückgezogene Sammlung oder nachdenkende Reflexion des Erkennens vollständig fremd. Jede Erkenntniss tritt überall nur in der Gestalt einer augenblicklichen und blitzartigen Erleuchtung in der Seele des Thieres auf Grund einer gegebenen sinnlichen Wahrnehmung hervor. Eine solche Erkenntniss mag vielleicht aufgelöst werden können in eine bestimmte Folge einzelner Momente und sich insofern an eine menschliche Schlussfolgerung oder Gedankenüberlegung anzuschliessen scheinen, aber sie ist als psychischer Act immer ein durchaus einfacher, zeitloser und sprungartiger Vorgang. Ein Thier kann eine Reihe von Erfahrungen machen und es tritt zu dem Prinzipe des Instinctes hierdurch noch das der Gewöhnung in seinem Seelenleben hinzu, aber es ist unfähig, die Summe der Erfahrungen innerlich zu sammeln und aus ihnen weitere Ableitungen oder Schlussfolgerungen zu ziehen. Für den ganzen Unterschied des thierischen Seelenlebens vom menschlichen ist am Bezeichnendsten die Unfähigkeit des ersteren zu dem Acte der Abstraction, d. h. zu der selbstständigen Erhebung oder Befreiung seines Innern über die Gewalt einer unmittelbar gegebenen sinnlichen Wahrnehmung und des aus dieser entspringenden Eindruckes auf das Leben der Seele. Nur hierauf gründet sich sowohl das Vermögen des Denkens als auch dasjenige des Wollens in der Seele des Menschen. Jeder Act des Verlangens oder des Strebens beim Thier ist ein unmittelbarer Gegenstoss des Reizes irgend einer sinnlichen Wahrnehmung oder eines äusseren Eindruckes. Alles dieses sind Erscheinungen des Begehrens, noch nicht aber solche des Wollens. Nur der Mensch vermag zu wollen, d. h. ein bestimmtes von Innen heraus erfasstes Ziel im Gegensatz zu blossen äusseren sinnlichen Anregungen oder Begehrungen zu verfolgen. Diese Function des Wollens aber hat wesentlich immer diejenige des Denkens zu ihrer Voraussetzung; denn nur durch die Erhebung über das Einzelne des sinnlichen Eindruckes zu allgemeinen geistigen Begriffen wird der Mensch auch fähig, sich bestimmte innere oder nur ihm selbst angehörende Ziele des Bestrebens zu stecken. In seinem Erkennen ist es die Vernunft, in seinem Handeln ist es die sittliche Freiheit, durch welche sich der Mensch von dem einfachen und instinctiven Gebundensein des Thieres an die Gewalt der sinnlichen Wahrnehmungen unterscheidet. Nur beim Menschen aber kann überhaupt wegen der ganzen reicheren Gestaltung seines Seelenlebens von einer bestimmten Gliederung desselben in einzelne Abtheilungen gesprochen werden. Der Ausgangspunct aller Entwickelung des menschlichen Seelenlebens ist an und für sich kein anderer als derjenige des Seelenlebens des Thieres. Nur durch die Fähigkeit seiner weiteren Vervollkommnung ist das menschliche Seelenleben zu Anfang von demjenigen des Thieres verschieden. Dieses gilt sowohl vom Kind als auch vom ursprünglichen Menschen am Anfang aller Geschichte. Im Leben der Thiere tritt durch sich selbst in allem Wechsel der Generationen keine Veränderung ein. Das Thier ist durchaus abhängig und gebunden an die Natur, während die Bestimmung des Menschen in dem Heraustreten aus der blossen Einheit mit der Natur und in der Erhebung zur Herrschaft über dieselbe besteht. Entscheidend für das ganze höhere Seelenleben des Menschen aber ist insbesondere der Besitz und das Entstehen der Sprache. Nur durch diese sondert sich das denkende Erkennen der Seele in bestimmter Weise von demjenigen durch das blosse Gefühl oder die Empfindung ab. Wir wissen aber jetzt, dass die Sprache nicht etwas dem Menschen Angeborenes, sondern etwas in ihm Entstandenes ist, welches sich im fortwährenden Zusammenhang mit seiner ganzen sonstigen geistigen Bildung in der Geschichte weiter entwickelt hat. Alles actuelle Denken ist überall nur dasjenige, welches in die Sprache einzutreten oder in ihr seine Form und seinen Ausdruck zu gewinnen vermag. Die Sprache bildet ihrer Natur nach die Grenze oder Schwelle zwischen dem sinnlichen oder empfindenden und dem geistigen oder denkenden Erkennen der Seele. Sie steht insofern im wahrhaften Mittelpunct der ganzen Gliederung des menschlichen Seelenlebens und es sind zuletzt Sprache, Vernunft und sittliche Freiheit wesentlich eng verbundene und in gleichem Maasse charakteristische Erscheinungen des Lebens des Menschen. Es giebt eine dreifache Wissenschaft der Philosophie, von denen eine jede sich auf das eine jener drei Grundvermögen der menschlichen Seele, das Empfinden, das Denken und das Wollen bezieht. Dieses sind die Aesthetik, Logik und Ethik. Die allgemeine Stellung dieser drei Wissenschaften ist eine verwandte und sie bilden mit einander die eine Hauptgruppe der philosophischen Disciplinen, neben welcher als eine andere Gruppe diejenige der beiden Gebiete oder Disciplinen der Metaphysik und der Psychologie unterschieden werden darf. Die Welt und die Seele oder der objective Makrokosmus und der subjective Mikrokosmus sind an sich die beiden gegebenen Hauptabtheilungen alles philosophischen Erkennens und Begreifens und es wird insofern der allgemeine Stoff der Philosophie zunächst durch die beiden Gebiete der Metaphysik und der Psychologie erschöpft. Treten aber innerhalb der menschlichen Seele zunächst die drei allgemeinen Grundvermögen des Empfindens, des Denkens und des Wollens hervor, so gewinnt ein jedes von diesen seinen näheren Inhalt an einer bestimmten Sphäre des objectiven oder an und für sich selbst ausserhalb des Menschen liegenden Stoffes. Das Wesen der äusseren Welt oder der Objectivität tritt der menschlichen Seele oder der Subjectivität im Ganzen von einer dreifachen Seite gegenüber, von der des Schönen, der des Wahren und der des Guten und es ist die allgemeine Vollkommenheit oder die wesentliche Bestimmung unseres inneren Vermögens des Empfindens an die Einstimmigkeit mit der Idee oder dem Inhalte des Schönen, die des Denkens an diejenige mit der des Wahren, die des Wollens endlich an diejenige mit der des Guten gebunden. Ein jedes dieser drei Vermögen der Seele erfüllt sich insofern mit einem bestimmten weiteren an sich ausser ihm liegenden Inhalte und es ist überhaupt nur eine Beziehung unserer innern Subjectivität auf die äussere Objectivität, aus welcher alle wirkliche Entwickelung des menschlichen Seelenlebens entspringt. Die drei Wissenschaften der Aesthetik, der Logik und der Ethik aber beziehen sich auf jene drei Grundvermögen des Empfindens, Denkens und Wollens nicht so wie dieselben ihrer unmittelbar gegebenen psychischen Naturbeschaffenheit nach sind, sondern so wie dieselben unter dem Gesichtspunct ihrer an und für sich geforderten Vollkommenheit oder des von ihnen zu erreichenden idealen Inhaltes und Zieles sein sollen. Eben hierdurch aber begrenzen sich diese Wissenschaften in einer ganz bestimmten und festen Weise mit dem Standpuncte der allgemeinen Wissenschaft von der menschlichen Subjectivität, der Psychologie. Alle Wissenschaften zerfallen überhaupt in solche, welche sich auf die Erklärung und Bearbeitung der gesetzlichen Erscheinungen eines bestimmten gegebenen Seins und in solche, welche sich auf die Bestimmung der Gesetze eines geforderten idealen Sollens beziehen und es können die ersteren unter ihnen auch mit dem Ausdrucke von beschreibenden oder Realwissenschaften, die letzteren aber mit dem von normirenden oder Idealwissenschaften bezeichnet werden. Unter den einzelnen Theilen der Philosophie aber gehören die Psychologie und Metaphysik der ersteren, die Aesthetik, Logik und Ethik dagegen der letzteren dieser beiden Kategorien an. Die Aesthetik überhaupt also ordnet sich ein in eine bestimmte weitere Reihe philosophischer Wissenschaften. Die dreifache Idee des Schönen, des Wahren und des Guten ist überhaupt entscheidend für die ganze Gliederung und Ordnung des Lebens des menschlichen Geistes. Diese dreifache Idee findet insbesondere ihre Verwirklichung und nähere Ausprägung in den drei Reichen oder Culturgebieten der Kunst, der Wissenschaft und der Religion und es schliesst sich insofern auch das Verhältniss jener drei philosophischen Wissenschaften an dasjenige dieser drei wichtigsten Hauptgebiete des menschlichen Geisteslebens an. 4. Form und Materie des ästhetischen Erkennens. Alle menschliche Erkenntniss ist zunächst eine solche durch das Gefühl oder die Empfindung. Die höhere logische oder denkende Erkenntnissweise wächst überall zuerst aus der niederen sinnlichen oder anschaulich empfindungsmässigen hervor. Es ist also eigentlich unrichtig, von einem an sich gegebenen dualistischem Nebeneinanderstehen beider Erkenntnissweisen zu sprechen. Das unmittelbare oder empfindende Erkennen ist zu Anfang durchaus vorwiegend über dasjenige der bewussten und vermittelten Reflexion des logischen Verstandes. Dieses gilt um nichts weniger von dem Leben des einzelnen Menschen als von demjenigen der ganzen Gattung oder der Menschheit überhaupt in der Geschichte. Ueber das ganze Gesetz und die Ordnung des denkenden Erkennens aber hat es schon längst eine Wissenschaft und Theorie gegeben, während diejenige des empfindenden Erkennens erst in neuerer Zeit und auch hier in sehr unvollkommener Weise bearbeitet zu werden angefangen hat. Es war daher ein an sich ganz richtiger Gedanke Baumgartens, der Aesthetik ihre Stelle im System der Philosophie an der Seite der Logik anzuweisen. Man hatte bisher nur das logische Erkennen einer wahrhaft wissenschaftlichen Bearbeitung würdig gefunden; dieses ist allerdings dasjenige, auf welchem alles wissenschaftliche Begreifen der Welt und ihrer Erscheinungen beruht und es hatte insofern die Philosophie und Wissenschaft selbst ein natürliches und nahe liegendes Interesse daran, sich mit seiner Bearbeitung zu beschäftigen. Es hing hiermit überhaupt eine ungerechtfertigte Ueberschätzung des denkenden Erkennens gegenüber dem empfindenden zusammen. Aesthetik und Logik überhaupt fallen unter den gemeinsamen Begriff der Lehre vom menschlichen Erkennen und es kann überhaupt eine jede dieser beiden Wissenschaften immer nur mit einem gewissen Hinblick auf die andere richtig aufgefasst und bearbeitet werden. Das Schöne zunächst ist es nicht allein, welches den Gegenstand unserer empfindenden oder ästhetischen Erkenntniss bildet. Wir nehmen bestimmte Empfindungseindrücke auch aus solchen Dingen und Erscheinungen in uns auf, die mit der Idee des Schönen an und für sich selbst nichts zu thun haben. Es ist ein Missverständniss oder eine falsche und einseitige Auffassung der Natur unseres ästhetischen Erkenntnissvermögens, wenn hierüber gesagt zu werden pflegt, dass die ganze Aufgabe und Thätigkeit desselben allein in dem Aussprechen von Urtheilen des Wohlgefallens oder des Missfallens über die gegebenen äusseren Erscheinungen oder Wahrnehmungen bestehe. Diese Aufgabe oder Function desselben bezieht sich im Allgemeinen immer auf die Frage nach dem Passenden oder Unpassenden der Verbindung der gegebenen einzelnen Wahrnehmungen unter einander. Wir finden die Verbindung eines doppelten Tones, einer doppelten Farbe u. s. w. entweder passend oder unpassend und sprechen insofern ein kritisches Urtheil des Wohlgefallens oder Missfallens, der Anerkennung oder Verwerfung über ein derartiges Verhältniss aus. Alles Passende hierbei erscheint uns zuletzt als schön, alles Unpassende aber als unschön oder hässlich. Es ist aber mit diesem ganz einfachen Urtheile noch keinesweges der ganze Empfindungseindruck ausgesprochen oder bestimmt, welchen wir aus einem solchen entweder wohlgefälligen oder missfälligen Verhältnisse in uns aufnehmen. Jedes einzelne Schöne und Hässliche trägt ausserdem noch einen ganz besonderen und eigenthümlichen Charakter an sich und ruft überall einen ganz bestimmten und specifischen Empfindungseindruck in uns hervor. Auch sind es keinesweges blos die Verbindungen und Verhältnisse der einzelnen einfachen Elemente des Wahrnehmens, sondern auch diese letzteren rein an sich oder als solche, welche einen bestimmten Werth oder eine Bedeutung für unser Empfinden besitzen. Jene kritische Function unseres ästhetischen Erkennens ist blos eine einzelne Form oder Thätigkeit desselben überhaupt, die sich auf unser Verhalten zu der Region des specifisch Wohlgefälligen oder Schönen bezieht. Es hat aber dieselbe noch eine breitere und reichere Unterlage, welche einer ausführlicheren wissenschaftlichen Bestimmung bedarf. Alles dasjenige, was wir auf empfindendem oder ästhetischem Wege erkennen, ist nothwendig etwas in irgend welcher Weise sinnlich Gegebenes. Eine jede ästhetische Erkenntniss ist die Folge und Nachwirkung eines Eindruckes unserer Sinne. Dieser Eindruck selbst ist überall wesentlich das Object, um dessen Erkenntniss es sich handelt. Wir erkennen durch die sinnlichen Eindrücke zunächst die äusseren Dinge in dem, was sie an sich selbst oder unmittelbar genommen sind. Dieses blos physische Erkennen oder Wahrnehmen aber ist noch nicht dasjenige, was als ein Act unseres geistigen oder psychischen Empfindens angesehen werden kann. Auch das Thier erkennt alle sinnlichen Dinge in der Welt ganz ebenso gut als wir, aber es wird in seinem inneren Empfinden nicht in derselben Weise von ihnen berührt als der Mensch. Auch Kant hatte bei seiner Lehre vom ästhetischen Erkennen zunächst nur die blossen aus der Aussenwelt aufgenommenen sinnlichen Anschauungen vor Augen. Dieses ist etwas Anderes als was wir hier und mit höherem Rechte das ästhetische Erkennen der Seele nennen. Es ist etwas Anderes, eine Farbe, einen Ton u. s. w. einfach sehen oder hören und ihn nach seinem ferneren Werthe oder nach seiner tieferen geistigen Bedeutung verstehen und in unsere innere Empfindung eintreten lassen. Die Sinne sind für uns noch mehr als die blossen Organe zum Wahrnehmen oder Erkennen des Thatsächlichen in der gegebenen Natur der äusseren Dinge. Die wahrgenommenen Erscheinungen und Dinge rufen in uns überall noch bestimmte weitere und tiefere Empfindungen hervor. Solche Empfindungen knüpfen sich nicht blos an das Schöne oder an das specifisch Wohlgefällige und Missfällige in den äusseren Erscheinungen für uns an. Die ganze sinnliche Welt hat an sich ein tiefes Interesse und eine mächtige Bedeutung für das Empfinden der menschlichen Seele. Wir sind uns gegenwärtig dieser ganzen Eigenschaft derselben nicht mehr in ihrem vollen Umfange bewusst, weil wir überhaupt jetzt die Welt mehr mit dem Auge des denkenden Verstandes als mit demjenigen der lebendigen Anschauung und der Phantasie anzusehen gewohnt sind. Wir haben auf wissenschaftlichem Wege das Wesen der Dinge erkannt, welches hinter ihren Erscheinungen steht. Wir können uns den Schein selbst jetzt zum Theil in der Art seines Entstehens wissenschaftlich erklären. Anders aber war es, als noch der Schein selbst die ganze für uns gegebene Realität war. Für den natürlichen Menschen, das Kind u. s. w. hat jeder sinnliche Schein noch eine ganz andere und tiefere empfindungsmässige Bedeutung gehabt als für uns. Eben die Unbekanntschaft mit dem hinter ihm verborgenen Wesen der Dinge liess ihn in einem tieferen und bedeutungsvolleren Lichte erscheinen. Für uns sind jetzt die sinnlichen Erscheinungen im Allgemeinen nur Boten und Repräsentanten des zu ihnen gehörigen wesenhaften Inhaltes und Charakters der Dinge. Sie sind für uns an sich ebenso wenig etwas Bestimmtes und Werthvolles als die Worte der Sprache, welche für uns die gewohnheitsmässigen Zeichen und Vertreter der Begriffe des Denkens geworden sind. Wir haben jetzt durch Gewohnheit und Studium gelernt, die Sprache zu verstehen, welche die sinnlichen Erscheinungen zu uns reden. In einer Farbe und einem Ton sehen wir jetzt im Allgemeinen nur den Ausdruck und Boten irgend einer sachlichen Mittheilung über das Wesen der Dinge oder wir wissen empirisch, was alle diese sinnlichen Phänomene zu bedeuten haben und wie sie sich zu der mit ihnen zusammenhängenden Welt der wirklichen Dinge, Vorgänge u. s. w. verhalten. Der rein verstandesmässige Mensch geht im Allgemeinen auch so wie das Thier gleichgültig und in seinem inneren Empfindungsleben unberührt in der Mitte der sinnlichen Erscheinungen einher. Er hat in sich eine Welt des abstracten Denkens ausgebildet und insofern das lebendige Interesse für den unmittelbaren empfindungsmässigen Werth der sinnlichen Phänomene verloren. Das Thier wird im Allgemeinen nur von denjenigen sinnlichen Eindrücken lebhaft und nachhaltig berührt, die eine unmittelbare und praktische Bedeutung für die Erhaltung seines Lebens, die Erweckung seiner Begierden u. s. w. besitzen. Für den natürlichen Menschen aber beim ersten Erwachen seines Seelenlebens hat alles dieses Sinnliche einen tieferen Reiz und ein intensiveres Interesse gehabt als für uns, eben weil hier die Seele noch anschliessend damit beschäftigt war, den empfindungsmässigen Werth aller Phänomene zu ergründen und sich noch ohne Kenntniss ihres actuellen Wesens oder Gehaltes befand. Es ist dieses an und für sich derjenige Standpunct, auf welchen die Aesthetik in unserem Sinne sich zurückzuversetzen hat. Wir fassen die Aesthetik auf als Wissenschaft des menschlichen Empfindens über den gegebenen sinnlichen Schein. Auch die Kunst selbst aber ist ja zuletzt nichts als ein blosser Schein. Allen diesen Schein in seinem Werthe oder seiner Bedeutung für unser Empfinden sich gegenständlich zu machen oder ihn in denkender Weise zu begreifen, eben dieses ist es, worin die wahrhafte Aufgabe und der Begriff aller Aesthetik von uns erblickt wird. Es giebt in Bezug auf unsere ganze Stellung zum Schönen eine bestimmte Ansicht, welche dahin geht, dass es lediglich das Element der Form, d. h. die äusseren Verhältnisse der einzelnen Theile oder Beschaffenheiten einer Sache seien, auf die sich dieser Charakter derselben oder das ganze Interesse unseres ästhetischen Wohlgefallens an ihr beschränke. Es ist wahr, es ist zunächst überall das Element der Form, wegen dessen wir eine Sache schön finden; nur Verhältnisse sind es, in denen zunächst der ganze Reiz und Charakter des Schönen beruht. Ein einzelner Ton in der Musik ist an sich weder schön noch unschön und allein die Verhältnisse der Töne sind es, auf denen der ganze Eindruck des musikalisch Schönen beruht. So begründet dieses an sich ist, so wenig kann doch gesagt werden, dass die Form oder das äussere Verhältniss allein und als solches genommen der wahrhafte Grund und Gegenstand unseres Interesses an der Sache sei. Das Verhältniss oder die Form ist überall auch nur eine bestimmte einzelne Beschaffenheit in der ganzen Natur und Einrichtung der Sache. Es gefällt uns die Form überall nur in Verbindung mit dem materiellen Inhalt der einzelnen Theile, den sie in sich umschliesst. Es ist insofern ein Missverständniss oder ein Irrthum, in die Form ganz allein und als solche den Schwerpunct oder Sitz des Schönen verlegen zu wollen. Man stellt sich unter der Form häufig etwas Allgemeines vor, was nur auf eine specielle Besonderheit des Inhaltes Anwendung finde und durch welches die ganze Richtigkeit und Vollkommenheit dieser letzteren erst anerkannt und festgestellt werde. Auch in der Aesthetik hat man versucht, bestimmte sogenannte allgemeine oder formale Kennzeichen und Merkmale des Schönen aufzustellen. Man ist insofern hierbei gewissermaassen von dem Grundsatze ausgegangen, dass es irgend ein höchstes und allgemeines Naturgesetz des Schönen geben müsse, welches in jedem einzelnen Falle als das innere Prinzip oder der Grund unseres Wohlgefallens an demselben constatirt werden könne. Alles Schöne ist sich allerdings rücksichtlich seiner Formbeschaffenheit mehr oder weniger ähnlich und wir nehmen zuletzt aus allen einzelnen schönen Dingen einen in gewisser Weise verwandten oder gleichartigen Eindruck in uns auf. Durch alle solche Gleichartigkeit aber wird doch zuletzt die Eigenthümlichkeit und Besonderheit des einzelnen Schönen nicht mit eingeschlossen und erschöpft und wir müssen uns sagen, dass es immerhin keinesweges gleichgültig sei, an welchen besonderen Stoff oder Inhalt uns irgend ein solches allgemeines ästhetisches Formgesetz erscheine. Auch ist zuletzt doch eben das ästhetische Formgesetz selbst ein unendlich dehnbares, mannichfaltiges und vielgestaltiges und es ist bis jetzt wenigstens nicht gelungen, den allgemeinen Charakter desselben an gewisse unzweifelhaft feststehende empirische Merkmale zu binden. Die kritische Beurtheilung des einzelnen Schönen kann hiernach nicht blos in einer einfachen Subsumtion desselben unter irgend ein allgemeines Gesetz oder Prinzip der Form bestehen, sondern es wird nothwendig das allgemeine Gesetz der Form durch die besondere Beschaffenheit des Inhaltes in einem jeden einzelnen Falle in einer anderen Weise abgewandelt und modificirt. Ein jeder wirkliche Schein setzt sich überall zusammen aus seiner formalen Einheit oder ordnenden Idee im Ganzen und aus dem besonderen materiellen Inhalt oder Wesen seiner einzelnen Theile. Keines dieser beiden Elemente für sich allein hat einen reinen ästhetischen Werth oder kann den Anspruch erheben, als schön und befriedigend zu gelten. Das Verhältniss dieser beiden Elemente aber ist wesentlich dasselbe als dasjenige des formellen und materiellen oder des grammatischen und des lexicalischen Bestandtheiles in der sprachlichen Rede oder im Satz. Die Grammatik ist das System der allgemeinen gesetzlichen Formen, das Lexicon ist das Verzeichniss der sämmtlichen einzelnen materiellen Bestandtheile der Sprache oder der Worte. Eine jede einzelne wirkliche Rede aber enthält theils immer irgend ein allgemeines grammatisches oder syntaktisches Formgesetz in sich, theils besteht sie aus gewissen Gliedern oder Elementen des materiellen oder lexicalischen Wortschatzes der Sprache. Jene Lehre aber, dass der Charakter und Eindruck des Schönen an einer Sache sich lediglich auf das Element der Form oder das Verbindungsgesetz ihrer einzelnen Theile gründe, ist zuletzt eine ebenso einseitige und unzureichende, als wenn gesagt werden wollte, dass unser Interesse und Verständniss eines sprachlichen Satzes sich allein auf die grammatische Form desselben unabhängig von dem materiellen Inhalt oder der Bedeutung der einzelnen in ihm enthaltenen Worte beziehe. Die ganze Wissenschaft von der Sprache setzt sich zusammen aus Grammatik und Lexicon oder aus einem formellen und einem materiellen Theile; ebenso aber kann auch in der Aesthetik einmal eine Lehre von dem formalen Gesetze der Ordnung und Verbindung oder gleichsam eine ästhetische Grammatik und Syntax, andererseits aber eine Bearbeitung des materiellen Werthes oder Bedeutungsinhaltes der einzelnen einfachen Bestandtheile des Schönen selbst unterschieden werden. Wir glauben den Satz aussprechen zu dürfen, dass an sich jede einzelne sinnliche Wahrnehmung einen bestimmten Werth oder eine Bedeutung für unser geistiges Empfinden besitze. Eine schöne Sache oder ein Kunstwerk ist nur ein bestimmtes System oder eine formale Verbindung solcher einzelner Elemente; auch diese einzelnen Elemente als solche bedürfen einer wissenschaftlichen Bearbeitung in Rücksicht ihres ästhetischen Werthes. Zu diesen einfachen Elementen gehören auch die Farben. Unsere ganze Aesthetik ist namentlich deswegen zum Theil noch unvollkommen, weil man die Aufgabe derselben bisher noch wesentlich auf die blosse Bearbeitung des eigentlichen oder specifischen Schönen, insbesondere in Rücksicht des einseitigen Elementes der Form beschränkt hat. Es giebt noch eine andere oder Elementarlehre der Aesthetik über die empfindungsmässige Bedeutung oder den Werth der unmittelbar gegebenen einzelnen Elemente und Erscheinungen des sinnlichen Wahrnehmens und es hat diese an und für sich die erste Einleitung und Voraussetzung für die Aesthetik im höheren Sinne als die Lehre vom Schönen oder von den wohlgefälligen Verbindungsverhältnissen jener einfacheren Elemente zu bilden. Ich habe deswegen auch in meinem Grundriss einer allgemeinen Aesthetik in diesem Sinne eine niedere und eine höhere Abtheilung des ästhetischen Erkennens unterschieden. Der wahre und vollkommene wissenschaftliche Begriff der Aesthetik ist zunächst noch keineswegs allein derjenige vom Schönen, sondern vielmehr derjenige von den objectiven, d. h. von den sich mit innerer Nothwendigkeit an die sämmtlichen Erscheinungen des äusseren Wahrnehmens anknüpfenden Empfindungen der menschlichen Seele überhaupt und es tritt dieselbe unter diesem Gesichtspunkt namentlich der Logik als der Lehre vom objectiven, d. h. dem an sich wahren oder mit dem geistigen Inhalte der Wirklichkeit einstimmigen Denken verwandtschaftlich zur Seite. Auch bei der Bearbeitung der Logik aber ist es ein Missverständniss oder ein Fehler, wenn hier das Hauptgewicht immer auf das sogenannte formelle Element, die allgemeinen Figuren des Schliessens u. s. w. gelegt wird. Es kommt beim richtigen Denken hauptsächlich immer darauf an, was in dem einzelnen bestimmten Begriffe als solchem enthalten sei oder gedacht werde. Das Element der Form ist überall nur dazu da, die Verhältnisse der materiellen Theile der Sache zu ihrem wahrhaften Ausdruck zu bringen und nicht in ihr, sondern in diesen letzteren selbst ist daher überall der wahrhafte Schwerpunct für unsere Auffassung des Ganzen der Sache gegeben. 5. Das empfindende und das denkende Erkennen der Seele. Aller Zusammenhang des menschlichen Seelenlebens mit der Aussenwelt findet zunächst seine Vermittelung durch die Wahrnehmungen der Sinne. Die Sinne sind an sich körperliche Organe, deren ganze Functionen aber in einer Beziehung auf das Leben der Seele bestehen. Wie es bei den sinnlichen Wahrnehmungen selbst zugehe, ist eine der tiefsten und schwierigsten Fragen der Physiologie. Es sind dieses jedenfalls Vorgänge von anderer Art als sie sich in der ganzen übrigen sinnlichen Natur vorfinden. Die Lichtstrahlen treffen auch andere Puncte in der übrigen körperlichen Natur als gerade das menschliche oder thierische Auge; aber eben dieses Organ ist specifisch für die Aufnahme und Sammlung der Lichtstrahlen disponirt. Das Licht ist da für das Auge, ebenso wie die ganze äussere oder sinnliche Welt da ist für den Geist oder in diesem das Organ und den einheitlichen Mittelpunct der Aufnahme ihres ganzen Inhaltes findet. Die Dinge sind allerdings da an sich, auch ohne dass sie durch das Auge gesehen oder durch den Geist erkannt und begriffen werden. Aber alles andere Einzelne ist blind und dumm der Welt gegenüber ausser dem Auge und dem Geist. Alles Makrokosmische verlangt ein Mikrokosmisches sich gegenüber. Es wäre ein Mangel in der Welt, wenn es kein Auge gäbe, um sie zu sehen, und keinen Geist, um sie zu begreifen. Das Auge ist insofern der letzte Endzweck des Lichtes und der Geist derjenige der Ordnung in der Natur. Die Natur selbst bringt das Auge und den Geist hervor, damit sie von ihnen gesehen und begriffen werden kann. Die Sinne des Menschen aber sind die ersten Träger und Diener seines ganzen geistigen Lebens. Sie sind diejenigen Theile oder Organe des Körpers, welche der Aufnahme der äusseren Dinge adäquat sind und aus deren Eindrücken sich die Seele ihr ganzes Bild von einer äusseren Welt zusammensetzt. Wir müssen den Sinnen eine allgemeine Wahrhaftigkeit zugestehen, weil sonst unsere ganze übrige Weltauffassung eine hinfällige wäre. Alles actuelle Leben des Geistes oder der Seele ist gebunden an die Thätigkeiten oder Functionen der Sinne und es ist an und für sich ein blosser Schein, als ob die Seele ein rein innerliches oder von der Mitwirkung der Sinne abgelöstes Leben zu führen im Stande sei. Unsere Seele empfängt den ganzen Inhalt ihres Vorstellens zunächst aus den Eindrücken und Wahrnehmungen der Sinne, wenn sie dann auch denselben für sich weiterhin ausbildet und verarbeitet. Dieses reine oder innere Vorstellen der Seele aber hängt auch dann immer noch in gewisser Weise zusammen mit der Thätigkeit oder dem Leben der Sinne. Auch dann, wenn unser Auge blind ist oder wir nichts wahrnehmen von den äusseren Dingen, glauben wir doch bei uns selbst immer irgend etwas zu sehen oder es sind wesentlich immer innere Bilder und Anschauungen, welche bei allen Zuständen und Vorgängen des Lebens der Seele sich in uns befinden. Der That nach ist das ganze geistige Leben des Menschen nichts als ein fortwährendes innerliches Anschauen oder Sehen. Das Leben des Auges und dasjenige des Geistes ist zuletzt thatsächlich eines und dasselbe oder es ist das letztere nichts als eine Reihe von Bildern, die aus der Abwandelung und Reflexion der wirklichen durch das erstere aufgenommenen Bilder in uns entstehen. Es ist streng genommen unrichtig zu sagen, dass die Anschauungen nur einen einzelnen Theil oder eine besondere Art des ganzen Vorstellungslebens der Seele ausmachten. Wir unterscheiden allerdings im Allgemeinen, namentlich nach dem Vorgange Kants, das doppelte Vermögen oder die doppelte Abtheilung alles Vorstellens der Seele, die Anschauungen und die Begriffe. Die Anschauungen entsprechen an und für sich den einzelnen sinnlich gegebenen Erscheinungen und Bildern der äusseren Welt, während dagegen die Begriffe an den allgemeinen oder geistig abstracten Momenten der äusseren Dinge ihren Inhalt oder ihre objective Wirklichkeit haben. Aber inwiefern ein Begriff oder eine ihrem Inhalte nach allgemeine Geistesvorstellung der Wirklichkeit nach in der Seele existirt, so nimmt sie nothwendig immer zugleich die Gestalt einer Anschauung oder eines innerlich von uns gesehenen einzelnen Bildes für uns an. Es ist schlechthin unmöglich, irgend einen abstracten Begriff rein an sich oder als solchen in der Seele vorzustellen und festzuhalten. Immer bekleidet sich derselbe mit irgend einem entweder natürlich zu ihm gehörenden oder doch zufällig und conventionell sich mit ihm verbindenden sinnlich anschaulichen Bilde. Sehr häufig besteht dieses anschauliche Element in nichts Anderem als in der Vorstellung der blossen Schriftzüge des den Begriff vertretenden Wortes. Ueberhaupt hat ein Begriff in der Seele eine wirkliche Gestalt oder Form nur in dem ihn vertretenden Worte der Sprache und alles Denken ist insofern thatsächlich nichts als ein fortwährendes Umgehen und Verknüpfen der inneren Anschauungen oder Vorstellungsbilder der Worte der Sprache. Anschauung und Vorstellung ist insofern eines und dasselbe als auch alle diejenigen Vorstellungselemente der Seele, die keine eigentlichen und unmittelbaren oder objectiv gegebenen Anschauungsbilder sind, doch innerhalb der Seele selbst nothwendig die Gestalt von solchen anzunehmen genöthigt sind. Auch alle diejenigen Wahrnehmungen oder Eindrücke aber, welche uns durch irgend einen andern Sinn als durch den des Gesichtes selbst zugeführt werden, wie Töne, Geruchsempfindungen u. s. w., müssen doch, inwiefern sie in die Seele selbst eintreten oder innerlich von uns vorgestellt werden, nothwendig zugleich die Form einer Anschauung oder eines inneren Gesichtsbildes für uns annehmen und es sind z. B. bei dem Anhören einer Musik doch immer zugleich innere Farben- oder Gesichtswahrnehmungen, welche in unsere Seele eintreten oder mit denen sich alle jene einzelnen Töne für unser Vorstellen umkleiden. Jede andere Sinneswahrnehmung muss, wenn sie in die Seele eintreten oder zu einer inneren Vorstellung werden soll, nothwendig zugleich den Umweg durch den Sinn des inneren Gesichtes oder der Anschauung nehmen oder es bildet dieser Sinn gewissermaassen das αἰσθητήριον κοινόν, in welchem alle anderen Sinneswahrnehmungen sich zuerst vereinigen und sammeln, ehe sie zu einem Eigenthum der Seele werden oder in den Besitz derselben übergehen können. Alles geistige Leben ist zuletzt nichts als ein fortwährendes inneres Anschauen oder Sehen und es ist insofern in erster Linie der Sinn des Auges oder des Gesichtes, an welchen das ganze Leben der Seele sich gebunden findet. Wir unterscheiden die einzelnen Sinne zunächst in die beiden allgemeinen Gruppen der niederen und der höheren, deren erste den Geruch, Geschmack, das Gefühl, deren letztere das Gesicht und das Gehör in sich einschliesst. Die beiden höheren Sinne sind von den drei anderen zunächst dadurch unterschieden, dass in ihnen kein unmittelbarer physischer Contact mit der körperlichen Materie stattfindet, sondern dass es hier das doppelte Medium des Lichtes und des Schalles ist, welches zwischen uns und die wirkliche Natur der äusseren Dinge in die Mitte tritt. Die höheren Sinne sind hierdurch in einer vornehmeren Weise der Berührung mit der niederen groben Materie entrückt. Ihr Zusammenhang mit dem Leben des Geistes ist ein näherer und directerer als derjenige der niederen Sinne. Es sind zunächst hauptsächlich die beiden höheren Sinne, auf denen unser allgemeines Bild oder unsere ganze Vorstellung von der äusseren Welt beruht. An die beiden höheren Sinne knüpft sich ferner nicht in dem Grade wie an die drei niederen die Unterscheidung des physisch Angenehmen und Unangenehmen und das Interesse an einer blos körperlichen oder materiellen Lebensbefriedigung an. Die drei niederen Sinne sind sämmtlich Egoisten, d. h. es sind überall nur angenehme Eindrücke, welche von ihnen aufgesucht werden, während alles Unangenehme peinlich von ihnen empfunden und zurückgewiesen wird. Auch die niederen Sinne aber haben allerdings immer einen bestimmten Werth für die allgemeine geistige Bildung und ästhetische Erziehung des Menschen. Ihre Verfeinerung hängt immer zusammen mit der allgemeinen Verfeinerung und Veredelung des persönlichen Wesens des Menschen überhaupt. Als eigentliche oder an bestimmten Puncten localisirte und an gewisse selbstständige Organe gebundene Sinne aber sind auch hier streng genommen nur die beiden des Geruches und des Geschmackes zu bezeichnen, während der sogenannte fünfte Sinn, das Gefühl, sich über die ganze Oberfläche des Körpers verbreitet und nur hier in dem Tastvermögen der Finger und Hände seine äusserste Verschärfung oder Zuspitzung erfährt. Die Hand aber ist wesentlich das ausführende oder praktische Organ des menschlichen Körpers für die nach Aussen gewendeten Gedanken oder Antriebe unserer Seele. Es verbindet sich mit ihr auch ein besonders feines Vermögen des Empfindens für die Eindrücke der Haut, woraus mit wesentlich dasjenige entspringt, was wir die praktische oder mechanische Geschicklichkeit nennen. Dieses Organ der Hand fehlt dem Körper des Thieres, während seine sonstigen Sinnesorgane im Allgemeinen denen des Menschen ähnlich sind. Der Mensch überwindet die ganze äussere Welt zunächst nur durch das Organ seiner Hand; er erschafft sich mit ihr zunächst die Werkzeuge, auf deren Anwendung seine ganze weitere äussere oder materielle Cultur beruht. Die Hand ist insofern das körperliche Zeichen oder die Signatur der thatkräftigen Herrschaft des Menschen über die äussere Welt. Umgekehrt besitzt das Thier ein bestimmtes körperliches Organ, welches ebenso das Zeichen oder die Signatur seiner Unfreiheit oder seiner Abhängigkeit von der Macht der physischen Natur ist. Dieses ist der Schwanz, auf dessen ästhetische Bedeutung ich in meinem Grundriss einer allgemeinen Aesthetik hingewiesen habe. Die aufnehmenden Sinnesorgane aber sind an sich dem Menschen mit dem Thier gemein; ein jeder einzelne localisirte Sinn aber ist an sich einer anderen Gattung äusserer Wahrnehmungen oder Eindrücke adäquat. Diese einzelnen Sinne sind gleichsam verschiedene Pforten, deren jede nach einer anderen Seite oder Region der äusseren Welt hinführt. Die beiden grösseren oder Hauptpforten aber sind das Gesicht und das Gehör, von denen jenes im Allgemeinen den räumlichen, dieses aber den zeitlichen Erscheinungen und Vorgängen in der äusseren Welt adäquat ist. Die Wahrnehmungen von diesen aber haben vorzugsweise einen höheren geistigen oder ästhetischen Werth und es wird auf die Untersuchung von ihnen zunächst die ganze Bestimmung des ästhetischen Werthes aller einzelnen Sinneseindrücke gegründet werden müssen. Es sind an sich überall nur einzelne oder vorübergehende Eindrücke, welche uns durch die Wahrnehmungen der Sinne zugeführt werden. Das Gemeinsame und Wiederkehrende dieser Eindrücke bildet für uns den Stoff oder die Basis der Begriffe. Die Seele des Thieres kommt über den blassen Wechsel der Sinneseindrücke nicht hinaus. Die Begriffe aber sind an sich die collectiven Einheiten und Repräsentanten aller einzelnen Gattungen von sinnlichen Wahrnehmungen. In ihnen also ist das an und für sich Feste und Bleibende unseres ganzen inneren Vorstellungslebens im Gegensatz zu dem vorübergehenden Wechsel der sinnlichen Eindrücke enthalten. Die ganze Region der Begriffe ist nichts als eine zusammengezogene Vereinigung und Verdichtung derjenigen der sinnlichen Wahrnehmungen. Es ist insofern absolut falsch, den Inhalt der Begriffe oder das Vermögen des Denkens als eine an sich gegebene unabhängige und selbstständige Region des menschlichen Seelenlebens neben derjenigen des sinnlichen Wahrnehmens und Empfindens ansehen zu wollen. Erst aus den sinnlichen Wahrnehmungen allein ist von Anfang an der ganze weitere Inhalt des Seelenlebens entstanden. Die ganze Frage nach einem rein innerlichen oder a priori gegebenen Besitze des Lebens der Seele beruht an sich auf einer unrichtigen Vorstellung von der geistigen Natur des Menschen und seinem Verhältniss zur äusseren Welt. Man hat hierdurch die eigene Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Vernunft im Gegensatz zu ihrer Abhängigkeit von der äusseren Erfahrung festzustellen versucht. Es geschah dieses insbesondere durch den anthropologischen Idealismus und Subjectivismus der Lehrweise Kants. Alles dieses aber ist an sich nichts als ein falscher und missverstandener Weg, um den Satz von der inneren Freiheit und Würde des menschlichen Geistes zu retten. Man glaubte etwas Bestimmtes feststellen und ausfindig machen zu müssen, was dem menschlichen Geiste an sich oder a priori und vor der Berührung mit der äusseren Erfahrung eigenthümlich sein und auf welchem eben seine ganze innere Herrschaft über die letztere beruhen sollte. Namentlich ist es das Denken und sind es die ganzen inneren Regionen des Lebens des menschlichen Geistes auf welchem zunächst seine Unabhängigkeit von der äusseren Erfahrung und seine Herrschaft über dieselbe zu beruhen scheint. Indirect aber geht auch alles dieses zuletzt nur aus der Berührung mit der äusseren Erfahrung oder durch Anschluss an diese hervor. Es kann nicht gesagt werden, dass irgend ein bestimmtes Moment seines Innern dem menschlichen Geiste bereits an sich oder vor seiner Berührung mit der äusseren Welt gegeben und eigenthümlich sei. Alles dieses Innere in uns weist durchaus und mit Nothwendigkeit auf etwas Aeusseres oder empirisch Gegebenes zurück. Was dem menschlichen Geiste an sich gegeben und eigenthümlich ist, ist blos die Fähigkeit oder Kraft, aus den Erscheinungen der äusseren Erfahrung alles dasjenige Weitere abzuleiten und zu entwickeln, was er in sich selbst trägt und worauf dann seine ganze spätere Freiheit und Herrschaft über jene beruht. Alles dieses innere also kann höchstens im latenten Zustande oder der blossen Möglichkeit nach als ursprünglich in ihm liegend angesehen werden. Das Denken als eine bestimmte Actualität tritt im Leben der Seele erst hervor mit dem Besitze der Sprache und es kann höchstens im potentiellen Sinne des Wortes als etwas ursprünglich in ihr Liegendes angesehen werden. Es geht aber hieraus noch keineswegs hervor, dass das ganze innere Leben der Seele gleichsam eine blosse unmittelbare und nothwendige Folge oder ein mechanischer Abdruck des ausser ihr gegebenen Stoffes der Erfahrung sei. Es war dieses wesentlich die Lehre der Stoiker von der menschlichen Seele als einer tabula rasa, in welcher sich so wie auf der Fläche eines Spiegels mit Nothwendigkeit das gegebene Bild der äusseren Welt reflectire. Nach dieser Lehre müsste eigentlich in jeder menschlichen Seele vollkommen dasselbe Bild der äusseren Welt oder ganz der gleiche Apparat der Anschauungen, Vorstellungen, Urtheile u. s. w. entstehen als in der anderen und es läugneten in der That auch die Stoiker die geistige Individualität, indem sie annahmen, dass alle Weisen oder Vernünftigen in allen Punkten des Lebens mit einander einstimmig sein müssten. Auch der neuere anthropologische Empirismus der Engländer schliesst sich an diesen Vorgang der Stoiker an, nur dass demselben wesentlich die Behauptung der Einstimmigkeit des inneren Vorstellungsbildes der Seele mit dem reinen Wesen oder dem Ansichsein der äusseren Welt fremd ist und es sich hier blos um eine Ableitung des ganzen weiteren inneren Vorstellens der Seele von den zuerst gegebenen einfachen sinnlichen Anschauungen handelt. Kant aber versuchte die Selbstheit der Vernunft oder des menschlichen Geistes zu retten durch die Annahme eines Systemes ursprünglicher oder a priori gegebener Momente des inneren Anschauens, Denkens, Wollens und Vorstellens. Er zog insofern eine Grenze zwischen einem rein subjectiven, innerlichen, a priori gegebenen und einem objectiven, äusserlichen oder a posteriori aufgenommenen Theil des ganzen gegebenen Vorstellungsinhaltes der menschlichen Vernunft. Diese oder irgend eine andere ähnliche Grenze ist vollkommen unhaltbar. Kant stellte sich die menschliche Vernunft in einer äusserlichen oder mechanischen Weise gleichsam vor als ein Gefäss mit einer bestimmten gegebenen Form, deren Gesetz sich der von Aussen in sie eintretende Inhalt anzubequemen habe. Es war diese Vorstellungsweise allerdings eine nothwendige für die Durchführung des Kantischen Grundgedankens von der Superiorität der menschlichen Vernunft über den Inhalt der äusseren Erfahrung. Aber es kann eben das Besondere und Eigenartige des menschlichen Geistes nicht in einen solchen bestimmten und äusserlichen Apparat des Vorstellens verlegt werden. Jeder einzelne menschliche Geist ist zunächst eine bestimmte und eigenthümliche Kraft oder Form des Aufnehmens des Inhaltes der äusseren Welt. Der menschliche Geist überhaupt ist wahrscheinlich auch nur eine bestimmte solche eigenthümliche Kraft oder Form und es darf derselbe keineswegs wie es in der Identitätslehre Schellings und Hegels geschehen ist mit dem Geiste oder der Vernunft an sich und im absoluten Sinne des Wortes verwechselt und zusammengeworfen werden. Von dieser Eigenthümlichkeit des menschlichen Geistes überhaupt aber werden wir annehmen dürfen, dass sie zunächst nur dem Begreifen der uns unmittelbar umschliessenden besonderen irdischen Natur oder Objectivität adäquat sein werde. Wir sind der Geist an sich auf dem Schauplatze und innerhalb der Grenze des Lebens der Erde oder alles desjenigen, was uns zunächst umgiebt, und wir können unsere eigene Subjectivität und Individualität nur begreifen im unmittelbaren Zusammenhang und als das adäquate Organ für das Aufnehmen und Verstehen dieser uns selbst in sich umschliessenden äusseren Objectivität. Alles dasjenige, was unsere Begriffe in sich enthalten, ist unmittelbar genommen nichts Anderes als dasjenige, was wir an und für sich auch schon in unseren Anschauungen besitzen. Alles Denken entsteht wesentlich nur aus einem Bewusstwerden über dasjenige, was wir zuerst aus der Anschauung oder Empfindung in uns aufgenommen haben. Die Begriffe sind an sich überall die Abstractionen und die innerlichen Vertreter der gleichartigen sinnlichen Anschauungen. Es geht in beiden Abtheilungen des Erkennens zuletzt nach einer wesentlich ähnlichen und gleichartigen Regel oder Gesetzmässigkeit zu. Alles denkende Erkennen ist vom empfindenden an sich dadurch verschieden, dass es in der Aufeinanderfolge der einzelnen Begriffe oder der diese vertretenden Worte der Sprache in einer ganz bestimmten und deutlichen Gliederung seiner Bewegungen vor uns erscheint. Den Fortschritt oder die Bewegung des Denkens können wir hierdurch gleichsam äusserlich messen, verfolgen und bestimmen, während die innere Bewegung unseres Empfindens sich jeder solcher äusserlichen Gliederung oder Bestimmung entzieht. Alles Empfinden erscheint deswegen unklar, unbestimmt und schwankend gegenüber der höheren Reinheit, Klarheit und Durchsichtigkeit des denkenden Erkennens der Seele. Es giebt keine Sprache für das Empfinden in dem Sinne wie es eine solche für den Gedankeninhalt der Seele giebt. Baumgarten aber sah in allem Empfinden eine dunkle und unklare Vorahnung der höheren und vollkommeneren Klarheit des logischen Denkens. Hierauf gründete sich auch seine Meinung, dass das Schöne oder das specifische Object des empfindenden Erkennens nichts sei als eine verhüllte und anschauliche Darstellung eines abstracten logischen Gedankens. Das Schöne wurde hierdurch in seiner specifischen Eigenthümlichkeit neben einem blossen Werk oder einer Erscheinung des verstandesmässigen Denkens verkannt. Eben hierin bestand der allgemeine Irrthum der ästhetischen Lehre Baumgartens. Die Sphäre der Kunst und des Schönen ist an sich eine ganz andere und selbstständige Region neben derjenigen der Wissenschaft und des gedankenmässig Wahren. Für unseren gegenwärtigen Geschmack ist gerade alles Beabsichtigte und gedankenmässig Reflectirte das specifische Gegentheil und die eigentliche Aufhebung der wahrhaften Vollkommenheit des Schönen. Wir verlangen vom Schönen in erster Linie, dass es natürlich sein soll, während man zur Zeit Baumgartens wesentlich noch das Schöne mit dem Erkünstelten verwechselte oder es nicht aus sich, sondern aus seiner Uebereinstimmung mit irgend einer abstracten Idee oder Regel aufzufassen und zu beurtheilen pflegte. Es war dieses im Allgemeinen die Zeit des sogenannten Zopfthumes in der Geschichte der neueren Kunst, welchem auch die ästhetische Lehre Baumgartens zum Ausdruck diente. Man schätzte z. B. insbesondere die Allegorie, welche sich in unserer Zeit einer nur geringen Anerkennung in der Kunst und Aesthetik zu erfreuen hat. Diese ist in directer Weise die Erscheinung oder sinnbildliche Darstellung irgend eines Begriffes oder einer allgemeinen geistigen Idee, und durch Baumgarten wurde wesentlich das Schöne überhaupt in einem ähnlichen Lichte aufzufassen versucht. Man hatte überhaupt damals für das eigentlich Freie, Natürliche und Ungezwungene im Schönen noch kein Verständniss. Die Lehre Baumgartens war der Ausdruck und die Folge des allgemeinen geistigen und künstlerischen Pedantismus seiner Zeit. Es ist aber immerhin wahr, dass die ganze Natur des ästhetischen oder empfindenden Erkennens aufgefasst und beurtheilt werden darf nach der Analogie des denkenden oder logischen. Alles denkende Erkennen besteht darin, mit einem bestimmten gegebenen Begriffe als dem logischen Subject diejenigen Eigenschaften oder Prädicate zu verbinden, welche an und für sich zu ihm gehören oder in denen sein eigener logischer Inhalt und Werth besteht. Eine solche Operation des Denkens ist ein logisches Urtheil und es setzt sich dasselbe naturgemäss immer zusammen aus den beiden allgemeinen Gliedern des Subjectes und Prädicates. Nach dieser Analogie aber darf auch von Urtheilen unseres empfindenden oder ästhetischen Erkennens gesprochen werden. Mit einer bestimmten gegebenen sinnlichen Wahrnehmung, wie z. B. der einer Farbe, verbindet sich irgend eine weitere Empfindungsvorstellung in unserer Seele; hierbei also ist jene Wahrnehmung selbst das zuerst gegebene Subject, diese Empfindungsvorstellung aber das mit ihm verknüpfte Prädicat unseres ästhetischen Erkennens. Alle sinnlichen Wahrnehmungen aber haben es an und für sich an sich, zu Gegenständen oder Subjecten unseres ästhetischen Erkennens erhoben werden zu können, indem wir uns hierdurch bestreben, dieselben in dem ihnen an sich zukommenden geistigen Werth oder in ihrer reinen ästhetischen Bedeutung zu erfassen. Diese bestimmte sich mit ihnen verbindende innere Empfindungsvorstellung ist allerdings ihrem näheren Charakter nach immer etwas Undefinirbares oder Unsagbares; aber es kann doch immerhin versucht werden, sie selbst in Begriffe zu fassen oder sich ihres Inhaltes in deutlicher oder denkender Weise bewusst zu werden. Die Region des Denkens in der Seele tritt zuerst überall aus derjenigen des Empfindens hervor; es kann aber weiter durch das Denken selbst das Empfinden begrifflich erkannt oder in die Form des Bewusstseins zu erheben versucht werden. Eben dieses aber ist es, worin die Aufgabe und das Prinzip aller wissenschaftlichen Aesthetik besteht. 6. Die Farbe und der Ton. Jede einzelne Gattung der sinnlichen Wahrnehmungen hat an und für sich einen durchaus eigenthümlichen und besonderen Charakter. Die Natur der Farbe aber begrenzt sich hierin zunächst mit derjenigen des Tones. Für unser Ohr ist der Ton dasselbe was für das Auge die Farbe. Aber die Natur und die Bedeutung beider Sinne für das Seelenleben des Menschen ist nichtsdestoweniger eine wesentlich verschiedene. Es ist eine ganz andere Welt von Eindrücken, welche uns durch einen jeden von ihnen zugeführt wird. Durch die Farbe leben wir mehr in Verbindung mit den Dingen in der äusseren Welt oder der Natur, während wir durch den Ton mehr von innerlich geistigen oder menschlich subjectiven Mittheilungen berührt werden. Die Farbe ist uns wichtiger für den Verkehr mit der Körperwelt oder der Objectivität, während der Ton seine Hauptbedeutung in dem geistigen Leben der Subjectivität hat. Der Mangel des einen oder des anderen Sinnes hat deswegen auch eine vollkommen verschiedene Ausbildung und Richtung des menschlichen Seelenlebens zur Folge. Die Function und Leistung des anderen unversehrten oder vorhandenen Sinnes wird hierdurch nothwendig eine ausgedehntere und grössere. Beim Taubstummen befindet sich das mechanische Formengeschick, beim Blinden das Gefühl für Musik in vergleichsweise günstigeren Bedingungen der Entwickelung. Es muss dort die Function des Auges zum Theil diejenige des Ohres, hier aber die letztere die erstere mit übertragen. Das ganze Seelenleben des Taubstummen ist auf die Basis der Wahrnehmungen durch das Gesicht, dasjenige des Blinden auf die von denen durch das Gehör gegründet. Jener lebt an sich nur in äusserlichen oder sichtbaren Bildern und Anschauungen, dieser aber in innerlichen subjectiven Gefühlsvorstellungen oder Empfindungen. Das ganze Seelenleben des Taubstummen muss sich wesentlich entwickeln in der Richtung von Aussen nach Innen, das des Blinden aber in der von Innen nach Aussen. Jenem ersteren müssen unter Anschluss an die sichtbaren Dinge zuerst die Vorstellungen von den Begriffen und Worten der Sprache beigebracht werden, dieser letztere muss sich auf Grund geistiger Mittheilungen ein inneres Bild von einer sichtbaren oder körperlichen Welt zu erschaffen versuchen. Bei dem vollsinnigen Menschen aber ergänzen sich überall beide Gattungen von Wahrnehmungen oder Eindrücken zu der Entstehung seines Gesammtbildes von einer sinnlichen und geistigen Welt. Der Sinn des Gehöres aber ist an sich der im specifischen Sinne des Wortes geistigen oder subjectiven, der des Gesichtes dagegen der sinnlichen oder objectiven Seite des den Menschen umgebenden Daseins zugewandt. Die Menge der auf den Menschen eindringenden Wahrnehmungen durch die Farbe ist an sich überall eine unendlich grössere als diejenige der Wahrnehmungen durch den Ton. Unsere ganze Communication mit der Natur beruht hauptsächlich auf den Wahrnehmungen durch das Gesicht oder die Farbe. Nur durch die Farbe empfangen wir im Allgemeinen ein vollständiges Bild von dem Ganzen der uns umgebenden wirklichen oder natürlichen Welt. Alle anderen Sinne ergänzen hier zuletzt nur dasjenige, was uns durch die Farbe oder das Gesicht zugeführt und mitgetheilt wird. Jedes einzelne Ding in der Natur wird durch die Vermittelung der Farbe in seiner äusseren Erscheinung von uns erkannt, während die Thätigkeiten der übrigen Sinne sich überall nur auf vereinzelte und untergeordnete Phänomene in der natürlichen Wirklichkeit beziehen. Die Menge der Farbenerscheinungen in der Natur ist insbesondere für uns eine unendlich grössere als diejenige der Phänomene des Tones oder des Schalles. Die Natur ist wesentlich für uns ein Gemälde gegenüber dem Auge, aus welchem nur in sehr beschränktem Umfange auch einzelne Wahrnehmungen des Tones an unser Ohr heranzutreten pflegen. Der Ton überhaupt entfaltet sich erst in der Sphäre des Menschen theils als Sprache, theils als Musik zu seiner höheren künstlerisch gegliederten Vollkommenheit, während der blosse Naturlaut im Allgemeinen noch jedes höheren Reizes oder jeder geordneten Vollkommenheit entbehrt. Auf dem Gebiete der Farbe aber ist umgekehrt die Natur uns oder dem Menschen in unbedingter Weise überlegen, indem alle künstlichen Farben des Malers weit hinter der Reichhaltigkeit und Pracht der Farben in der Natur zurückbleiben. Es liegt im Wesen des Tones, dass er nicht in der gleichen Reichhaltigkeit und Fülle seiner Erscheinungen von uns aufgenommen werden kann als die Farbe. Es wäre unerträglich für uns, wenn zu derselben Zeit ebenso viele verschiedene Tonwahrnehmungen an unser Ohr herantreten wollten als Farbenwahrnehmungen an unser Auge. Die einzelne Farbe ist für uns ein Mittel der Wahrnehmung nur insofern, als sie sich zugleich mit gewissen anderen Farben berührt und begrenzt. Jeder einzelne Ton dagegen will rein und unvermischt mit anderen Tönen von uns wahrgenommen werden. Eine Mehrheit gleichzeitiger verschiedener Töne ist an sich schlechthin unerträglich für unser Ohr. Die einzelne Farbe verlangt andere Farben neben sich, während der einzelne Ton an sich jeden anderen Ton neben sich ausschliesst oder ganz allein an unser Ohr heranzutreten verlangt. Wir würden nichts sehen, wenn Alles um uns her ganz die gleiche Farbe trüge. Es liegt im Wesen der Farbe, neben einander zu erscheinen, im Wesen des Tones aber, einzeln und nach einander von uns vernommen zu werden. Auch ist jeder Ton im Ganzen nur eine schnell vorübergehende, die Farbe dagegen eine dauernde und bleibende Erscheinung in den Dingen. Es ist überhaupt eine weise Einrichtung der Natur, dass sie uns mit Wahrnehmungen des Tones nicht in dem gleichen Maasse überschüttet hat als mit solchen der Farbe. Es bedarf im Allgemeinen der Mensch der Stille um ihn her und es nimmt der einzelne auf uns eindringende Ton das Leben und die Aufmerksamkeit unserer Seele an und für sich in einer ganz anderen und schwerer fern zu haltenden Weise für sich in Anspruch als das dem Auge erscheinende Lichtbild oder die Farbe. Wir können schwerer von dem Eindrucke des Tones abstrahiren als von demjenigen der Farbe. Wir sind z. B. bei dem Anhören einer Musik weit mehr die Sklaven unserer sinnlichen Eindrücke als bei der Betrachtung eines Gemäldes oder eines landschaftlichen Bildes. Die Musik und überhaupt der Ton reisst uns an sich gewaltiger und unwiderstehlicher mit sich fort als alles dasjenige, was in sichtbarer Weise unserem Auge erscheint. Hier ist es nur die besondere Bedeutung des Wahrgenommenen selbst, welche unter Umständen einen solchen unwiderstehlichen Eindruck und Reiz auf uns auszuüben vermag, während dort die blosse physische Gewalt des Tones an sich sich an unsere Seelen heftet. Ein jeder überflüssige, lästige und unangenehme Ton ist uns daher an sich bei Weitem peinlicher, widerwärtiger und unerträglicher als Alles, was uns durch die Farbe erscheint. Den Eindruck der Farbe auf uns können wir in jedem Augenblick leicht durch uns selbst von uns abstreifen und es stört uns dasjenige, was wir sehen, im Allgemeinen nicht oder nur wenig in der Verfolgung des eigenthümlichen inneren Weges des Lebens unserer Seele. Die Gegenstände oder Bilder, die mich in meinem Zimmer umgeben, sind nicht störend für die Arbeit meines geistigen Denkens, während gegenüber dem Geräusch der Strasse, dem Geschrei meines Kanarienvogels u. s. w. es immer einer gewissen Anspannung oder Abhärtung bedarf, um sich hierbei nicht beirren zu lassen. Der Ton ist an sich überall das Bild einer Unruhe oder Bewegung und ruft daher auch in der Seele immer den Eindruck einer solchen hervor. Die Farbe ist im Allgemeinen etwas Bleibendes und der Ausdruck eines vorhandenen Dinges oder einer feststehenden Beschaffenheit in der äusseren Welt. Es ist an sich vielleicht möglich, dass die Menge des Tones in der Natur ganz die gleiche sei als diejenige der Farbe, d. h. dass so wie jeder Körper uns in einer bestimmten Farbe erscheint oder von dem Auge durch das Lieht erkannt wird, so auch jede Bewegung in der Natur an und für sich von einem bestimmten Tone oder Geräusche begleitet sei und daher eigentlich auch von unserem Ohre wahrgenommen werden könne. Es finden aber gewiss auch kleine und unbedeutende Molecularbewegungen fortwährend um uns herum statt und es giebt daher wahrscheinlich auch noch bedeutend mehr Geräusche in der Natur als solche wirklich durch unser Ohr vernommen werden. Zunächst ist nur uns gegenüber die Natur verhältnissmässig arm an Tönen im Vergleich zu ihrem sonstigen Reichthum an Farben. Eine solche Fülle von Tönen aber wie gelegentlich in einem amerikanischen Urwald oder ein unendlich lauter Ton wie das Getöse einer Schlacht sind an sich für den Geist des Menschen etwas durchaus Unerträgliches und es ist nur die längere Gewöhnung, welche unsere Aufmerksamkeit gegen ein sich fortwährend wiederholendes Geräusch, wie etwa gegen das Klappern einer Mühle abzustumpfen vermag. Die einzelnen menschlichen oder animalischen Sinne können ferner in die beiden Klassen derjenigen eingetheilt werden, welche den auf sie eindringenden Wahrnehmungen schutz- oder widerstandslos preisgegeben sind und derjenigen, bei denen eben dieselben willkürlich von uns selbst abgewehrt oder fern gehalten werden können. Wir nennen die ersteren unter ihnen die unbewaffneten oder offenen, die letzteren die bewaffneten oder geschlossenen Sinne. Zu der ersteren Klasse aber gehören insbesondere das Gehör und der Geruch, zu der letzteren das Gesicht und der Geschmack. Wir sind nicht gezwungen, irgend etwas Bestimmtes zu sehen und zu schmecken oder mit der Zunge zu geniessen. Wir brauchen dort nur das Auge zu schliessen oder den Rücken zu wenden, um irgend einem unangenehmen Bilde zu entgehen. Den Ton aber müssen wir hören und den Geruch müssen wir riechen oder wir können uns doch nur höchst unvollkommen und gewaltsam durch Verhalten der Hände hiergegen schützen. Dieser äussere Unterschied aber hängt nothwendig auch mit dem inneren Charakter der einzelnen Sinne zusammen. Das Gesicht und der Geschmack werden im Allgemeinen weit öfter und regelmässiger von uns in Thätigkeit gesetzt als das Gehör und der Geruch. Die Wahrnehmungen durch die beiden letzteren Sinne sind im Allgemeinen weit dürftigere und sparsamere als die durch die beiden ersteren. Nur diesen wenigeren Wahrnehmungen gegenüber aber sind wir schutzlos, während wir unsere Beziehungen zu jenen häufigeren selbstständig zu regeln vermögen. Der Sinn des Geruches ist überhaupt an und für sich der allerbescheidenste am Menschen, indem er regelmässig eigentlich gar keine Anregung oder Befriedigung verlangt. Der Sinn des Geruches hat im Allgemeinen nur eine geringe Bedeutung für das ganze Verständniss oder die Communication des Menschen mit der ihn umgebenden äusseren Welt. Für das niedere Seelenleben der Thiere ist er von einer entschieden grösseren Bedeutung, indem hier insbesondere die geschlechtliche Annäherung nicht wie beim Menschen durch den geistigen Sinn des Gesichtes oder das Verständniss und das Wohlgefallen an den äusseren körperlichen Formen, sondern durch den physischen und brutalen Geruchsinstinct ihre Vermittelung findet. Wir sind im Allgemeinen dankbar für jeden Wohlgeruch und empfinden diesen als einen Luxus und eine Verfeinerung unseres Lebens. Ebenso aber werden wir peinlich berührt von jedem Uebelgeruch; der Uebelgeruch als solcher ist für uns nicht gerade ein körperlicher Schmerz, aber er hat gleichsam etwas moralisch Verletzendes und Entwürdigendes an sich, indem sich hierbei unsere Seele nicht des Druckes der feindlichen und unangenehmen Materie zu erwehren vermag. Alle Wahrnehmungen des Geruches treffen ebenso wie diejenigen des Gehöres ganz unmittelbar und direct das Leben der Seele selbst. Auch der Geruch ist so wie das Gehör ein wesentlich innerlicher oder zeitlicher Sinn; es sind die feineren und intensiveren Wirkungen oder Ausstrahlungen der physischen Materie, welche durch ihn von uns aufgenommen werden. Das Gesicht und der Geschmack sind gleichsam die beiden räumlichen oder plastischen, das Gehör und der Geruch die beiden zeitlichen oder dramatischen Sinne im Organismus des menschlichen Lebens. Wir erkennen durch das Gesicht die räumlichen Umrisse oder Grenzen der Körper, während wir durch den Geschmack die den Raum selbst erfüllende Materie in uns eintreten lassen. Die Wahrnehmungen des Gehöres und des Geruches aber sind Folgen von zeitlichen Vorgängen und Bewegungen in den Dingen, dort einer Erschütterung der Luft durch den Zusammenstoss der einzelnen physischen Bestandtheile, hier einer Auflösung oder Verdunstung der Materie in ihre eigenen feineren Elemente oder Atome. In der Gruppe der beiden niederen Sinne ist insofern das Verhältniss des Geschmackes zum Geruch demjenigen des Gesichtes zum Gehör in derjenigen der höheren analog. Für den Sinn des Geruches ist namentlich charakteristisch der enge Zusammenhang desselben mit dem Gedächtniss oder dem Erinnerungsvermögen. Auch bildet dieser Sinn zugleich eine Art von Werthmesser für die allgemeine ästhetische Ausbildung oder Erziehung des Menschen selbst. Jeder wahrhaft gebildete Mensch ist sehr empfindlich gegen alle starken und übertriebenen Gerüche. Selbst Wohlgerüche sind immer nur in sehr bescheidenem Maasse für den gebildeten Menschen erträglich. Am Wenigsten aber darf der Mensch selbst nach irgend etwas Bestimmtem in auffallender Weise riechen. Es hat hierin zum Theil mit die Gewohnheit des Rauchens ihren Grund und ihre Berechtigung, weil hierdurch ein jeder andere dem Menschen etwa anhaftende Geruch gebunden oder neutralisirt wird. Die Empfindlichkeit dieser unserer beiden zeitlichen und nach Aussen hin geöffneten Sinne, des Gehöres und des Geruches, aber ist im Ganzen eine grössere als diejenige der beiden räumlichen und nach Aussen hin geschlossenen oder verschliessbaren, des Gesichtes und des Geschmackes, weil dieselben mehr direct und unmittelbar mit dem Leben der Seele, deren ganze Natur selbst eine zeitliche oder innerliche ist, zusammenhängen als diese. Der Ton ist als solcher für das Leben der Seele werthvoller und bedeutsamer als die Farbe. Wir besitzen in der Musik eine Kunst, die nur aus reinen und leeren oder nichts weiteres Bestimmtes und Materielles in sich einschliessenden Tonverhältnissen besteht. Eine dem ähnliche Kunstgattung der Farbe aber giebt es nicht oder es hat dieselbe doch einen durchaus niedrigen und untergeordneten Werth. Die Farbe ist im Allgemeinen für die Kunst ein blosses Mittel der Verschönerung und Illustrirung der sonst von ihr dargestellten Gestalten oder Dinge. Die Malerei ist nicht in demselben Sinne eine reine und specifische Kunst der Farbe als die Musik eine solche des Tones. Für den Maler ist die Farbe wesentlich nur ein einzelnes Element oder ein Mittel, während die Kunst des Musikers ganz allein und ausschliessend in der Behandlung des Tones als solchen besteht. An einer blossen reinen und leeren Harmonie von Farben nehmen wir durchaus nicht dasjenige intensive und geistig lebendige Interesse, wie an einer Harmonie von Tönen. Die Farbe ist für uns wesentlich immer nur die Hindeutung oder der Ausdruck von noch irgend etwas Anderem, während der Ton an sich und ganz allein der Träger und die Ursache einer Empfindungsbewegung der Seele ist. Insofern also steht uns der Ton an sich weit näher als die Farbe, welche für uns wesentlich nur das Mittel für die Erkenntniss aller anderen Dinge und Erscheinungen des Raumes ist. Nichtsdestoweniger doch hat andererseits die Farbe und die ganze Wahrnehmung durch das Gesicht vollkommen die gleiche und in gewissem Sinne eine noch höhere Bedeutung für uns als der Ton oder die Wahrnehmung durch das Gehör. Was uns unmittelbar vor der Seele steht, sind überall blos Farben oder anschauliche räumliche Gestalten und Bilder. Wir übersetzen Alles innerlich in eine Wahrnehmung des Gesichtes, was sonst in uns entsteht oder uns irgendwie von Aussen her zugeführt wird. Das Leben unserer Seele ist an sich genommen wohl ein zeitliches und insofern dem Wesen des Tones oder der Gehörwahrnehmung zunächst verwandt. Da aber die Seele zunächst gebunden ist an den Körper und sie insbesondere durch das Organ oder den Sinn des Gesichtes mit der räumlichen oder körperlichen Welt in Verbindung steht, so muss Alles was zu ihr gehört, zugleich in die Gestalt dieser Gattung von Wahrnehmungen eintreten. Alles was in uns ist, ist unmittelbar genommen eine Erscheinung oder Vorstellung von Farbe und es wird selbst das ganze Seelenleben und Vorstellen des Blinden nichts sein können als ein innerliches oder eingebildetes Sehen. Das Leben der Seele ist an sich ein ewiger Wechsel oder ein zeitliches Fliessen von Vorstellungen, aber diese einzelnen Vorstellungen sind sämmtlich an sich genommen von räumlicher oder sichtbarer Art. Unsere Seele lebt actuell überall im Raume oder in der Anschauung von räumlich ausgedehnten und sichtbaren Bildern. Es ist wesentlich immer ein bestimmtes Zugleich, welches wir innerlich vor uns haben oder zu sehen glauben; die einzelnen Puncte dieses Zugleich aber werden von uns immer nur durch innerliche oder eingebildete Farbenwahrnehmungen unterschieden. Es ist also überhaupt wesentlich und in erster Linie die Vorstellung der Farbe, welche in uns lebt. Hierdurch steht uns die Farbe wiederum näher oder sind wir unmittelbarer und wesentlicher an sie gebunden als an den Ton. Ist aber die Farbe zunächst für uns ein blosses Mittel für das Erkennen und innerliche Vorstellen aller anderen räumlichen Dinge, so gewinnt sie doch auch rein als solche für uns eine bestimmte geistige Bedeutung, und eben nach dieser Richtung hin ist es, dass sie hier von uns untersucht werden soll. 7. Das wissenschaftliche Prinzip der ästhetischen Farbenlehre. Alles Räumliche tritt uns zunächst entgegen durch das Medium des Lichtes oder der Farbe. Unser Interesse hierbei ist überall mehr gerichtet auf die Dinge, die uns durch die Farbe gezeigt werden, als auf diese letztere rein an sich oder als solche. Aber wir erfreuen uns doch zunächst überall an der bunten und eigentlich überschüssigen Farbenpracht der Natur und aller einzelnen Dinge. Die Farbe übt als solche einen physischen Reiz auf uns, der zugleich auch ein gewisses inneres oder geistiges Interesse in uns erweckt. Es wird gleichsam hell in unserer Seele mit dem Eintreten der Vorstellungen oder Anschauungen der Farbe. Das Leben in den Anschauungen oder Wahrnehmungen der Farbe hat insofern einen ganz anderen Werth oder eine andere Bedeutung für uns als dasjenige in denen des Tones. Der Ton berührt die Innerlichkeit unseres Gemüthes, während durch die Farbe die anschauliche Einbildungskraft geweckt und in Anspruch genommen wird. Das Leben im Ton und das in der Farbe erzeugt wesentlich andere Erscheinungen und Eigenthümlichkeiten in der menschlichen Seele. Alles Streben nach Klarheit des Anschauens und Denkens wird wesentlich begünstigt und getragen von dem Elemente der Farbe. Die Farbe ist wesentlich immer das äusserliche oder objective, der Ton das innerliche oder subjective Element im Sinnesleben der Seele. Die Farbe zieht uns hinaus aus uns selbst oder veranlasst uns zur Erschaffung klarer und sichtbarer Werke in der äusseren Welt, während der Ton die tiefe und dunkle Region des inneren Traumlebens der Seele beherrscht. Die Farbe zieht uns wesentlich zu sich heran, während der Ton umgekehrt von Aussen her in unser Inneres eindringt. Die Farbe ist dasjenige, was zwischen uns und der äusseren Körperwelt in der Mitte liegt. Sie übt als solche einen rein sinnlichen Reiz auf uns aus, der aber bald auch einen inneren oder geistigen Werth für uns gewinnt. Die Bestimmung dieses geistigen Werthes der Farben ist es, welche uns hier beschäftigt, und es fragt sich vor Allem nach der hierbei zu befolgenden wissenschaftlichen Methode. Der Werth, welchen der menschliche Geist einer bestimmten Farbe beilegt oder die besondere Empfindungsanschauung, welche sich mit derselben für ihn verknüpft, wird im Ganzen und Grossen überall als eine Erkenntniss des eigenen Wesens oder der Bedeutung dieser Farbe an sich angesehen werden müssen. Alle unsere Empfindungen, inwiefern sie sich direct an bestimmte äussere Erscheinungen oder Momente des Wahrnehmens anschliessen und unmittelbar durch sie in uns hervorgerufen werden, haben die Gestalt von Erkenntnissen über dieselben. Der Eindruck eines jeden solchen äusseren Momentes aber wird auf jeden normal angelegten Menschen an sich auch der nämliche sein; das Erkennen im geistigen Sinne des Wortes oder als ein innerer Act der Seele aber ist hierbei immer zu unterscheiden von dem blos körperlichen oder physischen Erkennen durch die einfache Thätigkeit oder Anwendung der Sinne als solcher. Dass wir durch die Farbe die Dinge erkennen, in dem was sie unmittelbar sind, in ihrer äusseren Gestalt, Begrenzung u. s. w. ist an sich ein rein physischer Act; nur insofern aber als hiervon abgesehen die Farbe an sich Ursache und Träger irgend einer inneren Empfindung wird, kann von einem Erkennen im innern oder geistigen Sinne des Wortes die Rede sein. Das blosse Anhören einer Musik ist ein physischer Act; nur das Verstehen der in ihr niedergelegten Empfindungen kann als ein innerliches oder geistiges Erkennen angesehen werden. Die Farbe ist für uns zunächst Eins mit den Dingen, an welchen sie uns erscheint; sie wird als solche für uns zu einem Gegenstand des empfindenden Erkennens, wenn wir sie innerlich von diesen absondern und sie rein als solche zu verstehen und auf uns wirken zu lassen versuchen. Diese Absonderung selbst aber muss dem Acte des Erkennens vorausgehen. Es entsteht in unserem Innern eine allgemeine Vorstellung von der bestimmten Farbe und es bildet diese als solche den Gegenstand oder das Object unseres ästhetischen Erkennens. Ein jedes solches allgemeine Farbenbild aber ist es, dem wir einen bestimmten ästhetischen Werth zugestehen oder welches in unserem Seelenleben als der Ausdruck und Repräsentant bestimmter weiterer geistiger Ideen erscheint. Die Vertheilung der Farben zwischen die einzelnen Dinge und Erscheinungen in der Natur beruht jedenfalls auf irgend einem tieferen allgemeinen und organischen Gesetz. Es wird nicht zufällig sein, dass uns der Himmel blau, die Vegetation grün erscheint, wenn gleich an sich auch das Umgekehrte der Fall sein könnte. Die Natur bedient sich der Farben nicht bloss, um ihre einzelnen Dinge und Abtheilungen durch sie von einander zu unterscheiden, sondern auch um sie in dem was sie an sich oder ihrem Wesen nach sind, durch dieselben zu charakterisiren. Jedes Ding oder jeder Theil der Natur tritt uns im Allgemeinen in irgend einer bestimmten Farbe entgegen. Diese Farbe bildet zugleich etwas innerlich und wesentlich Charakteristisches für sie selbst. Die Farbe ist im Allgemeinen das natürliche Kleid oder die Uniform des stofflichen Wesens der einzelnen Dinge. Jede Farbe umschliesst im Allgemeinen einen bestimmten Kreis oder eine Provinz natürlicher Dinge und Erscheinungen und darf insofern als ein bestimmtes gemeinsames charakteristisches Merkmal derselben angesehen werden. Aus einem solchen Kreise von Erscheinungen aber ragt dann in der Regel die eine oder andere von einer besonders wichtigen oder bedeutungsvollen Natur hervor, deren Charakter sich auf die allgemeine Bedeutung jener Farbe für uns mit überträgt. So wird z. B. diejenige Bedeutung, welche die blaue Farbe für uns besitzt, in Uebereinstimmung stehen oder sich anschliessen an alle diejenigen Empfindungsvorstellungen, welche sich zunächst an das Bild des Himmels als der wichtigsten und bedeutungsvollsten Naturerscheinung auf dem Umfangsgebiete des Blauen anknüpfen. Ein derartiges besonders wichtiges und bedeutsames einzelnes Naturphänomen bezeichnen wir mit dem Ausdrucke eines ästhetischen Typus der Farbe; im Allgemeinen aber wird anzunehmen sein, dass der ästhetische Werth oder die Bedeutung jeder einzelnen Farbe mit der Natur aller derjenigen Gegenstände oder Erscheinungen, an denen sie sich regelmässig vorzufinden pflegt, in einer naturgemässen und nothwendigen Uebereinstimmung stehen werde. Eine jede Farbe hat so wie jeder Begriff einen Umfang, d. h. einen Complex wirklicher Erscheinungen, den sie in sich umschliesst. Wir bestimmen aber den Inhalt eines Begriffes oder suchen ihn zu ermitteln durch die vergleichende Zusammenstellung oder Beobachtung der einzelnen Erscheinungen seines Umfanges. Dasselbe Verfahren aber wird an und für sich auch Anwendung finden müssen auf die Bestimmung des ästhetischen Werthes oder Gehaltes jeder einzelnen Farbe. Auch hier wird die Bedeutung oder der Inhalt, welchen dieselbe für unser Empfinden besitzt und in sich vertritt, im Zusammenhange stehen müssen mit dem geistigen Wesen oder dem Charakter aller derjenigen einzelnen Dinge und Erscheinungen, an welchen sie sich in der Wirklichkeit vorfindet. Dieser ganze Umfang des wirklichen Vorkommens einer Farbe aber kann näher überall zerlegt werden in eine doppelte Abtheilung, in die objective und die subjective, d. h. diejenige der Stellung derselben im Reiche der natürlichen Dinge und diejenige ihrer Anwendung oder ihres Gebrauches im Reiche der Vorstellungen und Dinge der menschlichen Cultur. Die Natur vertheilt die Farben nach einem bestimmten organischen Gesetz oder mit einer gewissen inneren Vernunft zwischen die einzelnen Erscheinungen ihres ganzen Gebietes. Hieraus nimmt der Mensch eine bestimmte innere Vorstellung von dem Wesen oder der Bedeutung der Farben in sich auf und er giebt derselben einen Ausdruck, indem er sie als Repräsentanten gewisser allgemeiner Begriffe oder Ideen ansieht oder von ihnen einen eigenthümlichen Gebrauch in Bezug auf die ihn selbst umgebenden Gegenstände oder Verhältnisse macht. Jene objectiven Thatsachen und Phänomene aber bilden gleichsam die directen oder unmittelbaren, diese subjectiven die indirecten oder abgeleiteten Quellen für die Erkenntniss und Ermittelung des ästhetischen Werthes der einzelnen Farben und es kommt bei diesen letzteren zugleich überall die Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse und der ganzen Lebensstellung jeder einzelnen menschlichen Subjectivität in Betracht. Es hat aber die Natur selbst gleichsam schon gewollt, dass die Farbe noch etwas mehr für uns sein solle als ein blosses Mittel für das physische Erkennen ihrer einzelnen Dinge, indem sie dieselbe im Allgemeinen in einer über dieses Bedürfniss weit hinausreichenden Fülle und Mannichfaltigkeit vor uns ausgegossen hat. Es würden auch wenigere und mattere Farben ausgereicht haben, um die Dinge als solche von uns erkennen zu lassen. Diese Mannichfaltigkeit und Pracht der Farben ist nach den einzelnen Klimaten selbst eine verschiedenartig abgestufte und der Eindruck einer Landschaft am Nordpol verhält sich zu dem einer solchen in den Tropen etwa ähnlich wie derjenige einer einfachen schwarzen Zeichnung zu dem eines farbenreichen und bunten Gemäldes. Die ganze grössere sinnliche Lebhaftigkeit und das ausgeprägtere Formengefühl aller Südländer aber erklärt sich jedenfalls zuerst mit aus der Einwirkung des bunteren und reicheren Farbenspieles der Natur auf das menschliche Gemüth. Die Farbe öffnet im Allgemeinen die Phantasie des Menschen dem Verständniss und der Hingebung an die ihn umgebende äussere Objectivität und die inneren Vorstellungen oder Bilder der Farben gewinnen daher auch für sein geistiges Innere leicht einen tieferen und reichhaltigeren Werth. Die Begriffe und Bezeichnungen für die einzelnen Unterschiede der Farbe sind nicht überall vollkommen dieselben und es weichen in dieser Rücksicht sogar die verschiedenen Sprachen oft nicht unwesentlich von einander ab. Im Griechischen insbesondere war das System der Begriffe über die Farbe noch zum Theil unvollkommener als bei uns. Es giebt auch jetzt noch nicht für alle Nüancen der Farbe bestimmte Bezeichnungen; häufig ist der Name einer Farbe abgeleitet oder entlehnt worden von irgend einer bestimmten Sache, an welcher sie uns erscheint. Die Mittel der Sprache reichen im Allgemeinen durchaus nicht aus, alle einzelnen Arten oder Nüancen der sinnlichen Wahrnehmungen zu bezeichnen. Es giebt nichtsdestoweniger ein bestimmtes System der allgemeinen und wesentlichen Unterschiede der Farbe. Dieses System wird gebildet aus fünf Paaren von Farbenverschiedenheiten, welche zugleich überall in einem bestimmten mehr oder weniger scharf gespannten Verhältniss des Gegensatzes zu einander stehen. Es sind dieses die zehn Farben: weiss und schwarz, gelb und roth, grün und blau, orange und violett, braun und grau. Es bilden diese zehn Begriffe den allgemeinen Kanon für die Eintheilung der Farbe in ihrer Eigenschaft eines sinnlichen Scheines. Jede derselben aber beherrscht im Allgemeinen eine bestimmte Abtheilung oder Sphäre wirklicher Dinge und Erscheinungen. Die Bedeutung aber, welche sie für uns besitzt, wird sich zunächst gründen auf den Charakter dieser von ihr beherrschten wirklichen Dinge. Wir versuchen daher zunächst auf Grund dieses Prinzipes den allgemeinen Bedeutungswerth der einzelnen Farben zu bestimmen. 8. Das System der allgemeinen Unterschiede der Farbe. Die beiden ersten allgemeinen und wichtigen Haupt- oder Grundfarben sind Weiss und Schwarz. Beide stehen in einem schroffen und ausschliessenden oder diametralen Gegensatz zu einander. Weiss ist die Farbe des Lichtes, Schwarz diejenige der Finsterniss rein oder an und für sich. Jenes ist der positive, dieses der negative Pol im ganzen Umfange der Farbe überhaupt und alle anderen einzelnen Farben liegen an und für sich zwischen diesem doppelten Extrem in der Mitte. Das Weiss ist heller, das Schwarz ist dunkler als jede andere irgendwie denkbare Farbe überhaupt. Wir unterscheiden beide Farben zunächst als neben einander stehende nur dadurch, dass eine jede von ihnen das Gegentheil der anderen ist. Nur im Verhältniss zu dritten Farben aber tritt ihr specifischer Unterschiedscharakter hervor. Jede andere Farbe wird in ihrem Effect gehoben oder verstärkt durch Weiss, aber verdunkelt durch Schwarz. Weiss ist die natürliche Basis oder Folie, Schwarz aber die natürliche Decke oder Negation einer jeden anderen mittleren Farbe. Wenn beide Farben in Verbindung mit einander auftreten, so ist das natürliche Verhältniss dieses, dass Weiss die Basis, Schwarz aber das Aufgetragene oder die Decke bildet. Wir schreiben auch regelmässig mit schwarzer Dinte auf weissem Papier, während das Umgekehrte, weisse Schrift auf schwarzem Grunde, nur seltener oder wie etwa bei Handlungsfirmen blos da vorzukommen pflegt, wo die schwarze Grundlage sich selbst an einer anderen grösseren hellen Fläche befindet. Weiss auf Schwarz macht überall einen anderen Effect als umgekehrt; wenn auf der Strasse ein Bäcker und ein Schornsteinfeger an einander streifen, so dass an jenem etwas Schwarzes, an diesem etwas Weisses haften bleibt, so ist der Erfolg hiervon ein vollständig verschiedener; der Bäcker wird sich ärgern und der Schornsteinfeger wird triumphiren; jener fühlt sich als einen Gezeichneten oder es hat das Schwarze an ihm die Gestalt eines Schandfleckes und einer Beschmutzung; für diesen dagegen hat das Weiss die Gestalt eines Siegeszeichens oder einer Trophäe und er fühlt sich als einen solchen, der einen Anderen gezeichnet hat. Für den Neger ist das Bedürfniss der Kleidung schon aus ästhetischen Gründen durchaus nicht in dem Grade gefordert als für den Weissen; jede weisse Fläche verlangt als solche danach und ist gleichsam natürlich dazu bestimmt, dass auf ihr irgend eine andere Farbe erscheine. Hierauf gründet sich auch die menschliche Neigung, alles Weisse irgendwie zu bemalen und zu beschreiben und es darf alle Malerei und Schrift gewissermaassen schon als eine Folge dieser natürlichen Provocation der weissen Farbe aufgefasst werden. Die allgemeine Grundbedeutung des Weiss für die menschliche Vorstellung ist jedenfalls die des Reinen, Einfachen, Unbefleckten, Harmlosen und Unschuldigen. Es hat mit diesem Bedeutungscharakter der Farben eine ähnliche Bewandtniss als mit demjenigen der Worte der Sprache. Die ganze Aufgabe in Bezug hierauf ist eine ähnliche als diejenige des Philologen, der ein bestimmtes Wort in dem ganzen Umfange seines Gebrauches oder seiner Bedeutungen in der Sprache zu verfolgen sich bestrebt. Alle diese verschiedenen Bedeutungen eines Wortes haben in der Regel einen bestimmten gemeinsamen Kern und sie sind zuletzt auch ebenso wie diejenigen einer Farbe aus einer bestimmten einfachen sinnlichen Grundanschauung entsprossen. Es würde also unrichtig sein zu sagen, dass die Bedeutung einer Farbe sich ohne Weiteres mit dem Inhalte irgend eines allgemeinen logischen Begriffes decke oder dass Weiss etwa schlechthin Unschuld u. desgl. bedeute; diese Bedeutung einer einzelnen Farbe hängt vielfach auch davon ab, in welchen bestimmten Umgebungen sie uns entgegentritt, ebenso wie auch auf die Bedeutung eines Wortes überall ein eigenthümliches Licht geworfen wird durch den Zusammenhang oder die Umgebungen, in welchen es uns im Satze erscheint. Jede Farbe und zum Theil auch jedes Wort enthält immer einen gewissen zunächst verschlossenen Keim möglicher Anwendungen oder Gebrauchsweisen in sich, welcher erst aus seiner Verbindung mit anderen Dingen oder Worten hervorzutreten pflegt. Auch das Wort ist eigentlich überall in seiner Bedeutung etwas Anschauliches oder sinnlich Konkretes, welches nur in seiner Anwendung oder logisch-syntaktischen Verbindung die Stelle und Function eines eigentlich abstracten Begriffes des Denkens ausfüllt. Es ist auch bei den Worten zum Theil schwierig, sie in dem eigentlichen Kern ihrer innerlich anschaulichen Bedeutung zu erfassen und es kann diese Aufgabe auch nur durch eine aufmerksame Verfolgung derselben in ihrem ganzen wirklichen Bedeutungsumfange gelöst werden. Das Weiss erscheint uns in der Natur an einer Menge von Gegenständen, die einen bestimmten ästhetischen Werth oder eine geistige Bedeutung für uns besitzen. Weiss ist zunächst die Farbe des Schnees oder im Allgemeinen das Kleid des Winters. Im Norden ist insofern in einem bestimmten Theile des Jahres das Weiss die allgemeine Grundfarbe der Natur. Die Natur wird bunter im Sommer und in den südlicheren Theilen der Erde. Die allgemeine Farbe des Sommers aber ist grün und die Zusammenstellung von Weiss und Grün erinnert insofern an das Verhältniss von Winter und Sommer. Der Schnee aber ist sprüchwörtlich für die Reinheit des Weiss, und Alles was wir schneeweiss nennen gilt uns deswegen im besonderen Grade für fleckenlos und rein. Wir verlangen insbesondere von der Wäsche, deren specifischer Charakter die Reinheit ist, eine ähnliche vollkommene und äusserste Weisse als diejenige des Schnees. Ausserdem gehört zu den weissen Dingen in der Natur insbesondere die Milch, das erste und einfachste Nahrungsmittel. Weiss ist ferner die Oberfläche des menschlichen Körpers, mindestens bei den höheren Racen. Hier ist das Schwarz oder im Allgemeinen die dunklere Färbung das natürliche Merkmal einer niedrigeren geistigen oder intellectuellen Begabung. Die menschliche Hautfarbe variirt im Allgemeinen zwischen allen denjenigen Nüancen, welche unmittelbar auf das Prinzip des Lichtes Bezug haben, Weiss, Schwarz, Gelb, Braun, Roth, während die eigentlich bunten Naturfarben, Blau, Grün u. s. w. von ihr ausgeschlossen sind. Schwarz sind in der Natur im Allgemeinen weniger wichtige und hervorragende Dinge. Die Bedeutung des Schwarz ist wesentlich überall die des Ernsten, Tiefen, Feindlichen, Negativen und Finstern. Weiss hat oft die Bedeutung oder den Werth des Heiligen, Weihevollen, Erhabenen und Vornehmen. Beide Grundfarben begegnen sich oft wie alle Extreme in dem Gebrauche, der von ihnen gemacht wird oder in der Bedeutung, welche sie für uns besitzen. In beiden liegt insbesondere eine Hindeutung auf das schlechthin Negative oder Leere, den Tod und das Jenseits enthalten. Beide sind deswegen zugleich Farben der Trauer, des gehobenen feierlichen Ernstes, der priesterlichen Gewandung u. dgl. mehr. Die Zusammenstellung beider Grundfarben aber macht an sich überall einen durchaus ernsten, würdevollen und an das Tragische anstreifenden Effect, indem es der jede Vermittelung ausschliessende Contrast oder Gegensatz des Positiven und Negativen überhaupt ist, der uns in ihnen entgegengeführt wird. Alle sonstigen feindlichen und ausschliessenden Gegensätze im Leben sind wir zuletzt auf das Verhältniss dieser beiden Grundfarben als der prägnantesten sinnlichen Vertreter jeder contradictorischen Entgegensetzung zurückzuführen gewohnt. Nichts schliesst sich so unbedingt und schroff von einander aus als Weiss und Schwarz. Die positive und freundliche Seite eines jeden Gegensatzes aber wird überall durch die erstere, die negative oder feindliche durch die letztere dieser beiden Grundfarben vertreten. Diejenigen beiden Dinge oder Erscheinungen in der Natur, welche vorzugsweise durch den Unterschied der beiden Grundfarben charakterisirt sind und deren Wichtigkeit und Bedeutung für uns auch die grösste und entscheidende ist, sind der Tag und die Nacht. Der Tag ist weiss, die Nacht ist schwarz oder es werden doch beide als solche von uns angesehen und bezeichnet. Der Tag ist die Zeit der Helligkeit oder des Erscheinens aller einzelnen Farben, die Nacht diejenige der Finsterniss oder des Erlöschens und Verschwindens derselben. Die Zeit selbst tritt uns insofern gleichsam als ein regelmässiger Wechsel der weissen und schwarzen Farbe entgegen. Alle anderen einzelnen Bedeutungen beider Farben knüpfen sich zuletzt an den Unterschied dieser ihrer beiden wichtigsten und hervorragendsten Haupttypen im Reiche der wirklichen Erscheinungen der Natur an. Der Tag ist die Position, die Nacht ist die Negation des wirklichen oder physischen Erscheinens der Farbe überhaupt. Wir leben in der einen Hälfte aller Zeit gleichsam in der sinnlichen Grundanschauung des Weiss, in der anderen aber in derjenigen des Schwarz. Die einzelnen Bedeutungen beider Farben mögen sich zum Theil noch an verschiedene andere Typen oder Vorbilder in der natürlichen Wirklichkeit anschliessen; zunächst aber ist es dieser bestimmte Hauptgegensatz in der ganzen Einrichtung der Natur, welcher für die Bedeutung oder den ästhetischen Werth derselben als charakteristisch erscheint. Das zweite Farbenpaar sind Gelb und Roth. Dieses sind die beiden Farben, welche unmittelbar auf die Quelle des Lichtes oder der ganzen Bedingung des Erscheinens der Farbe Bezug haben. Gelb ist die Farbe alles Glänzenden oder Desjenigen, von welchem irgend ein weiterer Lichteffect ausgeht. Das Weiss ist die specifische Lichtfarbe im passiven, das Gelb im activen Sinne des Wortes. Auf dem Weiss erscheint oder leuchtet jede andere Farbe, während das Gelb vielmehr von sich aus strahlend andere Farben erleuchtet. Das Gelb ist die zunächst dunklere Farbennüance nach dem Weiss; das Erscheinen des Weiss in der Natur aber ist immer die Folge und Wirkung eines Gelb oder es hat das Gelb seinen allgemeinen Typus an dem Licht als der realen Ursache oder dem actuellen Träger der Bedingung alles anderen Sichtbaren. Das Verhältniss des Gelb zum Roth aber ist conform demjenigen des Lichtes zur Wärme als der extensiven und der intensiven Seite der brennenden Substanz in der Natur oder des Feuers. Roth hat seinen Haupttypus an der glühenden Kohle, so wie überhaupt an allem innerlich Heissen und Warmen, zugleich auch an dem Blute des menschlichen Körpers. Es bedeutet deswegen auch vorzugsweise Muth, innerliche Erregung, Tapferkeit, Zorn oder Begeisterung und ist überhaupt die im eminenten Sinne kriegerische Nüance der Farbe. Auf alle rohen und naturfrischen Gemüther, Kinder, Wilde, selbst Thiere, übt das Roth einen ganz besonders erregenden und Leben erweckenden Einfluss aus. Die dunklere Nüance des Roth, das Purpur, welches an Schwarz anstreift, ist die Farbe der königlichen Gewalt und Pracht, während die hellere, das Rosa, in der Blume dieses Namens das Bild der zarteren Empfindung der Liebe ist. Auch Gelb bedeutet ebenso Glanz, Macht, fürstliche Gewalt und Herrlichkeit und hat seinen näheren Typus insbesondere an der Sonne als der allgemeinen Quelle des Lichtes auf der Erde. In China ist die gelbe Farbe die kaiserliche und sie kommt auch sonst in ähnlicher Bedeutung vor. Ausser der Sonne sind namentlich auch das Gold und der Löwe wichtige und bedeutungsvolle Dinge im Umfang des Gelben. Diese drei Dinge, Sonne, Gold und Löwe sind in einem gewissen Sinne die mächtigsten, ein jedes in einer besondern Sphäre des Lebens, und sie verbinden sich daher auch in unserer Vorstellung leicht zu einer Einheit mit einander, so wie es auf Wirthshausschildern in der Regel heisst: zur goldenen Sonne, zum goldenen Löwen. Auch hat das Gelb zuweilen die negative oder feindliche Bedeutung des Neides, des Hasses, der Eifersucht u. s. w. Als allgemeine und entscheidende Naturtypen des Gelb und Roth aber sind die beiden Prinzipien oder Elemente des Lichts und der Wärme zu betrachten. Das dritte Farbenpaar sind Grün und Blau, von denen jenes an der blühenden Natur oder Vegetation, dieses aber am Himmel seinen entscheidenden Typus hat. Die Natur aber und der Himmel sind die beiden allgemeinen und wichtigsten Abtheilungen alles Seienden im Raume. In beiden Farben werden unserem Auge die ausgedehntesten Flächenerscheinungen dargeboten. Die vorhergehenden, dem reinen Lichtprinzip näher stehenden Farben Gelb und Roth würden in dem gleichen Umfange nicht von uns ertragen werden. Grün aber bedeutet im Ganzen das reale oder sinnliche, Blau das ideale oder geistige Leben und es ist jenes mehr der Ausdruck der frischen und blühenden Hoffnung, dieses aber der der schwärmerischen und sehnsuchtsvollen Liebe. Dieser doppelte Typus aber der Vegetation und des Himmels ist so ausgedehnt und entscheidend, dass durch ihn der ganze Charakter beider Farben unmittelbar und vollständig bestimmt wird. Beim Blau kommt ausserdem noch zum Theil das Auge in Betracht und es gilt uns die blaue Farbe der Augen insbesondere auch als Ausdruck der idealistischen Innerlichkeit des Empfindens. Das vierte Farbenpaar sind Orange und Violett, von denen jenes an der gleichnamigen Frucht, dieses aber am Veilchen seinen charakteristischen Typus findet. Der Umfang dieser beiden Farben ist im Gegensatz zu den vorhergehenden ein ungemein beschränkter und es kommen hierbei auch wesentlich nur jene beiden hauptsächlichen Typen allein in Betracht. Das Orange aber hat weiterhin noch die Bedeutung der gereiften üppigen stolzen und schwellenden Frucht, das Violett diejenige der stillen selbstzufriedenen und bescheidenen Blüthe und es schliesst sich dieser Gegensatz der realistischen und idealistischen Seite im Leben der Vegetation als eine Fortsetzung an das gleiche Verhältniss des vorhergehenden Farbenpaares an. Das fünfte Farbenpaar endlich sind Braun und Grau, deren gemeinsamer Charakter ein trüber, gedämpfter, nüchterner und prosaischer ist. Diese Farben sind zu höheren decorativen Zwecken nicht geeignet und es knüpfen sich an sie keine solche reine, bestimmte ideale und optische Empfindungen an als an die vorhergehenden. Beide Farben aber haben wiederum einen ziemlich weiten Umfang im Reiche der natürlichen Dinge oder Erscheinungen. Braun ist im Allgemeinen die Farbe der Erde so wie auch des Holzes und anderer nützlicher praktischer oder brauchbarer Dinge. Grau dagegen ist insbesondere der Nebel, das Wasser und überhaupt alles Dunstige, Trübe und Feuchte. Braun ist unter den Thieren insbesondere der Bär, der gemüthliche König der Wälder des Nordens, grau aber der geduldige, langweilige und in Rücksicht seiner Einsicht übel berufene Esel. Grau heisst dem Dichter auch die Theorie als das Trockene, Nebelhafte und Abstrakte. Diese beiden Farben sind wegen ihrer Anspruchslosigkeit vorzugsweise zur menschlichen, namentlich zur bürgerlichen Bekleidung geeignet, während dagegen für die militärische Bekleidung mehr die reineren und bunteren Farben als geeignet erfunden werden. Als Gesammttypen derselben aber dürfen die Erde und das Wasser oder überhaupt die trockene und die feuchte anorganische Substanz angesehen werden. Es sind im Ganzen zehn einzelne Farben, durch welche die Menge aller wirklichen Farbennüancen erschöpft und eingetheilt wird. In der Reihenfolge der fünf Paare derselben aber findet ein bestimmter innerer gesetzlicher Fortschritt statt. In jedem weiteren Farbengegensatz ist immer eine fortgesetzte Abschwächung des ausschliessenden Gegensatzes der beiden ersten oder Grundfarben Weiss und Schwarz enthalten. Unter den ferneren Paaren stehen Gelb, Grün, Orange und Braun auf der Seite des Weiss oder des hellen und positiven, Roth, Blau, Violett und Grau dagegen auf der des Schwarz oder des dunkeln und negativen Poles aller Farbe. Wir glauben in dieser Ordnung der Farben nur den Ausdruck eines tieferen und allgemeineren Einrichtungsgesetzes aller natürlichen Dinge erblicken zu müssen. Das Prinzip der Zehn oder die Regel der dekadischen Gliederung bildet zuletzt die höchste und umfassendste arithmetische Einheit und Ordnung aller wirklichen Dinge. Es ist nicht zufällig, dass gerade diese Zahl die allgemeine Einheit unseres menschlichen oder subjectiven Zahlensystemes bildet. Es hat diese Einrichtung einen bestimmten objectiven oder metaphysischen Hintergrund in dem ganzen Wesen der uns umgebenden äusseren Welt selbst. Wir behaupten hiermit nicht, dass ohne Weiteres jedes Ding oder jedes geordnete Ganze in der Natur nach der Regel der Zehn eingetheilt und gegliedert sein müsse. Jede der einzelnen einfacheren Zahlen hat vielmehr einen bestimmten Spielraum oder Umfang in der ganzen Ordnung oder Gliederung der wirklichen Dinge. Es ist deswegen ungerechtfertigt, in einer bestimmten einzelnen Zahl allein das allgemeine Einheits- oder Grundgesetz des Wirklichen erblicken zu wollen, wie dieses z. B. durch Hegel in Bezug auf die Drei geschehen ist. Unsere Behauptung geht vielmehr blos dahin, dass unter allen diesen einzelnen Zahlen zuletzt die Zehn die tiefste und umfassendste arithmetische Einheit in der Ordnung des Wirklichen bilde. Auch das allgemeine und natürliche System der Farben ist ein dekadisches und es schliesst sich dasselbe insofern an dieses höchste arithmetische Einheits- oder Ordnungsgesetz alles Wirklichen überhaupt an. So wie die Farben selbst aber bilden auch die allgemeinen natürlichen Typen derselben oder diejenigen Gegenstände und Erscheinungen in der Einrichtung aller Dinge, an welche sich ihre allgemeine Bedeutung für uns zunächst anknüpft, ein bestimmtes System oder eine geordnete Reihe. Die Bedeutung von Weiss und Schwarz wies zurück auf die Erscheinungen von Tag und Nacht als die beiden wichtigsten und Hauptunterschiede der Zeit als der ersten Elementarbedingung alles weiteren Seienden überhaupt. Licht und Wärme oder die Typen des zweiten Farbenpaares, Gelb und Roth, sind die beiden Erscheinungen der Extensität und Intensität im Wesen des Feuers als der allgemeinen bewegenden und belebenden Urkraft im Gesammtumfange des Seins. Die Natur und der Himmel als die Typen des dritten Farbenpaares, Grün und Blau, sind die beiden wichtigsten Hauptabtheilungen alles Ausgedehnten im Raume. Das vierte Farbenpaar, Orange und Violett, weist hin auf den Unterschied von Frucht und Blüthe als der beiden wichtigsten Erscheinungen im Leben des Organischen, während endlich das fünfte Farbenpaar, Braun und Grau, die beiden Hauptabtheilungen der unorganischen Materie, Erde und Wasser, zu ihrem Hintergrund haben. Die Zeit, die Kraft, der Raum, das organische Leben und der anorganische Stoff sind insofern die fünf allgemeinen Seiten oder Prinzipien der Natur, an deren inneren Gegensätzen uns zugleich jene zehn Farben als ihre charakteristischen Erscheinungen entgegenzutreten pflegen. 9. Farbe, Musik und Sprache. Die Verfolgung der einzelnen Farben in ihrem weiteren Vorkommen in der Natur und in ihrer sich hieran anschliessenden menschlich-subjectiven Bedeutung oder in dem mannichfachen Gebrauche, der durch uns von ihnen gemacht wird, ist eine fernere ausgedehntere Aufgabe der Wissenschaft, für welche hier nur die allgemeinen Prinzipien und Grundlagen festgestellt werden sollten. Man glaube nicht, dass alles dieses zu gering und überhaupt unwürdig oder ungeeignet für eine wissenschaftliche Behandlung sei. Wir schliessen alle solche Untersuchungen mit in den Begriff des wissenschaftlichen Gebietes der Aesthetik ein. Alles einzelne Sinnliche hat einen bestimmten Werth und eine Bedeutung für das geistige Empfinden des Menschen. Von der Bestimmung dieses Werthes haben an und für sich alle weiteren ästhetischen Untersuchungen ihren Ausgang zu nehmen. Die Aesthetik ist ihrem allgemeinsten Sinne und weitesten Umfange nach die Wissenschaft von dem empfindungsmässigen Werth oder der geistigen Bedeutung aller uns umgebenden sinnlichen Erscheinungen überhaupt. Wir glauben in allem diesem Sinnlichen etwas Geistiges zu erkennen und es ist in der That auch der ganze uns umgebende sinnliche Schein noch etwas Anderes, Tieferes und Mehreres als nur er selbst, indem er vielmehr als der Ausdruck und die Erscheinung eines anderen geistigen Wesens oder idealen Hintergrundes angesehen werden muss. Er interessirt uns nur deswegen, weil er in der That noch etwas Anderes ist als nur er selbst. Der sinnliche Schein ist nicht nur dazu da, damit wir durch ihn das unmittelbare Wesen, d. h. die actuelle Gestalt, Grenze u. s. w. der wirklichen Dinge erkennen, sondern er hat auch an sich und hiervon abgesehen einen tieferen Werth und eine reine oder ideale geistige Bedeutung für uns. Die Farbe ist uns an sich blos das Medium für die Erkenntniss der Grenzen der Dinge, aber sie bildet auch als solche und hiervon abgesehen eine Art von Sprache der äusseren Welt für unseren Geist. Die Natur hat uns die Dinge durch die Farbe nicht blos gezeigt, sondern sie hat sie auch in einer passenden, tiefen und sinnvollen Weise für unser Verständniss illustrirt. Die Farbe ist nicht in dem Sinne künstlerisch werthvoll und bedeutsam für uns wie der Ton, der in der Musik den Stoff für eine eigene und selbstständige Kunstgattung bildet. Es sind bei der Musik nicht sowohl die einzelnen Töne als vielmehr die ganzen Verhältnisse und die Reihen derselben, an welche sich unser Interesse und Wohlgefallen anknüpft. Dagegen hat dort mehr die einzelne Farbe als solche ein tieferes und lebhafteres Interesse für uns. Der Ton ist im Ganzen etwas Vorüberrauschendes, die Farbe dagegen etwas Dauerndes und Bleibendes für uns. Die Farbe wird daher auch leichter zum Ausdruck oder Symbol von etwas Bleibendem für uns als der Ton. Es giebt allerdings auch eine Lehre von der Harmonie der Farben ebenso wie eine solche von denen der Töne, aber wir sind hier doch gegen das Unpassende nicht in dem gleichen Grade empfindlich als dort. Auch die Zusammenstellungen der Farben haben oft einen gewissen mittelbar bedeutsamen oder symbolischen Werth, indem sie uns an irgend ein Verhältniss mit ihnen verwandter Gegenstände zu erinnern scheinen. So bedeutet gleichsam Grün und Weiss Sommer und Winter, Weiss und Gelb Silber und Gold, Schwarz und Weiss Pfeffer und Salz, Weiss und Roth Milch und Blut u. s. w. Das was wir für gewöhnlich einfach geschmacklos finden, hat oft zugleich irgend einen tieferen objectiv sachlichen Grund, der mit dem Wesen oder der Bedeutung der Farbe zusammenhängt. Der Thür eines Zimmers oder Hauses geben wir in der Regel einen braunen, weissen oder schwarzen Anstrich; eine blaue Farbe wurde hier absurd sein schon deswegen, weil Blau die Farbe des Himmels ist, also des schlechthin Schrankenlosen, während die Thür gerade die Bestimmung einer Grenze oder einer Schranke für uns hat. Auch das Absurde kommt allerdings wohl in Sphären der niedrigen Geschmacksbildung vor, so wie wir uns selbst erinnern, eine derartige Thür in einem Bauernhause gesehen zu haben. Das menschliche Leben bietet hierin einen reichen Stoff der Beobachtung dar. Das doppelte Tuch der militärischen Bekleidung hat einen gewissen höheren poetischen Reiz und verhält sich zu dem einfachen Rocke des Privatmannes etwa ähnlich wie die gereimte Rede zu der gewöhnlichen Prosa. Unter den einfachen Farbenzusammenstellungen sind die passendsten und wohlgefälligsten diejenigen zwischen Weiss und irgend einer anderen mittleren Farbe, Roth, Blau, Grün u. s. w. Der Gegensatz des Hellen und Dunklen ist hier ein solcher, der überhaupt noch aufgehoben oder vermittelt werden kann, während bei der Verbindung von Weiss und Schwarz jede Möglichkeit einer solchen Ausgleichung ausgeschlossen ist. Eine Verbindung von zwei mittleren Farben aber entbehrt der bestimmten Hindeutung auf den einfachen und allgemeinen Gegensatz des Hellen und Dunkeln und es knüpft sich insofern an sie nur ein geringerer Grad der das Interesse weckenden Spannung für uns an. Als Landesfarben u. dergl. sind daher auch jene Farbenverbindungen zwischen Weiss und irgend einer mittleren Farbe im Durchschnitt die häufigsten und beliebtesten. In früherer Zeit aber bildete zunächst immer nur eine Farbe den Ausdruck oder das Symbol irgend einer politischen Partei. So war die kaiserliche Farbe in Deutschland noch im dreissigjährigen Kriege roth, die französische weiss. Von den drei jetzigen französischen Farben Roth, Blau, Weiss ist jede gewissermaassen Ausdruck oder Symbol irgend einer politischen Partei, der Republikaner, Constitutionellen, Legitimisten. Das Volk liebt es überhaupt, die politischen Parteien ohne Weiteres mit einer bestimmten Farbe als die Rothen, Schwarzen u. s. w. zu bezeichnen und es bildet die Farbe überhaupt immer das prägnanteste und deutlichste Merkmal irgend einer Partei. Dreifache Farbenzusammenstellungen aber sind erst in der neueren Zeit aufgekommen; es giebt eine deutsche, französische, italienische, ungarische u. a. Tricolore. Es mag ein historischer Irrthum gewesen sein, der in der Zeit der Burschenschaft das Schwarz-Roth-Gold zu den deutschen Nationalfarben erhoben hat; aber wir haben es doch lange Zeit auf Treue und Glauben in diesem Sinne angenommen. Schwarz ist Ernst, Roth ist Muth und golden heisst uns die Treue, in diesen drei charakteristischen Nationaleigenschaften mag wohl eine gewisse Rechtfertigung jener Farbenzusammenstellung erblickt werden. Auch jeder Ton ist allerdings in gewisser Weise charakteristisch und sinnbildlich bedeutsam. In Bezug auf die Aesthetik des Tones aber gelten zum Theil andere Gesetze und Regeln als in Bezug auf diejenige der Farbe. Es ist an sich auch hier eine unrichtige Auffassung oder Meinung als ob unser Interesse an der Musik in dem blossen Wohlgefallen an den sogenannten reinen oder formalen Verhältnissen der Töne als solchen seinen Grund habe. Das Beispiel der Musik ist in der Regel dasjenige, welches in erster Linie für die sogenannte formalistische Weise der Auffassung und Erklärung des Schönen angeführt zu werden pflegt. Es ist wahr, die Musik stellt an sich nichts anderes Wirkliches und ausser ihr Liegendes dar als nur sich selbst; sie ist nicht eine eigentlich nachahmende Kunst so wie die Plastik und Malerei, sondern sie besteht an und für sich nur in leeren und formalen vom menschlichen Geiste selbst geschaffenen Verhältnissen oder Zusammenstellungen von Tönen. Die Musik prätendirt nicht so wie jene anderen Kunstformen ein getreues Bild irgend einer anderen objectiven Wirklichkeit zu sein und es leidet insofern der ganze Begriff der künstlerischen Naturnachahmung zunächst auf sie keine Anwendung. Sie will vielmehr beurtheilt sein allein aus sich selbst und ihren eigenen inneren Verhältnissen. Eine Dissonanz oder ein ästhetisches Missverhältniss in ihren Theilen genügt sie zu verurtheilen oder ihre künstlerische Wirkung auf uns aufzuheben. Dasselbe ist nicht ganz in dem gleichen Grade der Fall bei jenen eigentlich nachahmenden oder sich direct an irgend ein wirkliches Urbild anschliessenden Arten der Kunst. Diese werden zunächst immer mehr beurtheilt nach ihrer Uebereinstimmung mit dem gegebenen äusseren Object als aus ihren eigenen inneren rein formalen Verhältnissen allein. Wir sehen hier leichter über irgend ein blos formales Missverhältniss hinweg als dort, weil unsere Aufmerksamkeit sich in erster Linie auf den sachlichen Inhalt oder das dargestellte materielle Object selbst richtet. Die Musik dagegen besteht wesentlich nur in Formen und es ist deswegen in ihr das Formgesetz an sich auch ein reineres und strengeres als in irgend einer anderen Kunst. Bei einer jeden anderen Art des Schönen unterscheidet sich das Kunstwerk von der natürlichen Wirklichkeit wesentlich nur durch die reinere, einfachere, vollkommenere und durchsichtigere Grenze der Form, in welche es den gegebenen Inhalt oder das sachliche Vorbild von dieser einschliesst, während bei der Musik das Kunstwerk selbst überall nur aus reinen, leeren, unwirklichen oder subjectiv idealen Formverhältnissen zu bestehen scheint. Es ist aber auch hier eigentlich trügerisch, als ob die Musik nichts weiter sei oder darstelle als nur sich selbst. Auch die Musik ist an sich eine darstellende oder nachahmende Kunst in Bezug auf das innere oder subjective Empfindungsleben der Seele. Sie verhält sich zu dieser Region an sich ähnlich wie die Plastik und Malerei zu den sichtbaren oder räumlichen Dingen der äusseren Welt. Auch eine jede musikalische Composition ist an sich der Ausdruck und die Erscheinung einer bestimmten Empfindungsbewegung der menschlichen Seele. Allerdings sind diese von der Musik dargestellten Empfindungen nicht etwas so bestimmt Gegebenes und fest Begrenztes als die äusseren oder sichtbaren Dinge im Raume und sie werden auch wesentlich immer erst durch diese bestimmte Musik in uns hervorgerufen oder erzeugt. Man kann nicht so bestimmt sagen, was irgend ein musikalisches Werk darstelle oder bedeute, als dieses bei einem plastischen oder malerischen Kunstwerke der Fall ist. Aber immer schliessen doch hier die Formverhältnisse der Töne irgend einen weiteren geistigen Gehalt oder eine tiefere über sie hinausreichende Bedeutung in sich ein. Auch die Musik ist gewissermaassen immer eine Sprache von Tönen, die uns irgend etwas Weiteres mittheilt oder eine ferner, weite zu ihr gehörende Empfindung in uns erweckt. Es ist also überhaupt unrichtig zu sagen, dass unser Wohlgefallen am Schönen sich auf das blosse Element der Form oder der äusseren Verhältnisse seiner einzelnen Theile gründe; auch diese Verhältnisse selbst haben überall einen tieferen Werth oder drücken irgend etwas Weiteres und Ferneres aus als was sie unmittelbar und an sich selbst genommen sind. Sowohl die einzelnen und einfachen Elemente des sinnlichen Wahrnehmens als auch die ganzen Verhältnisse und Compositionen derselben bedeuten überall noch etwas Anderes und Weiteres für uns als was sie an sich selbst sind. Jeder sinnliche Schein ist Ausdruck und Hindeutung auf etwas Geistiges. Es gilt dieses selbst auch von den Eindrücken und Wahrnehmungen der niederen Sinne des Menschen. Diese rufen zunächst allerdings blos bestimmte physische Wirkungen und Erregungen in uns hervor, die aber doch zugleich auch gewissen geistigen Anschauungen und Stimmungen homogen sind. Die niederen Sinneswahrnehmungen und überhaupt die Zustände des Körpers bilden die Basis für das höhere oder geistige Empfindungsleben der Seele und es hat alles hierhin Gehörige wenigstens immer einen mittelbaren und indirecten ästhetischen Werth. Auch der Ton aber hat an sich bestimmte einfache und letzte wurzelhafte Elemente ebenso wie die Farbe. Es sind allerdings im Ganzen hier mehr die Verhältnisse der einzelnen Elemente, auf die sich unser Interesse gründet, als bei der Farbe. Jede einzelne Farbe ist mehr an sich etwas Werthvolles und Bedeutsames für uns, während der Ton mehr als ein Ganzes oder eine fliessende Reihe einzelner Elemente und Abstufungen einen Werth für uns hat. Die Farbe ist an sich überall mehr die Hindeutung auf einen bestimmten und eigenthümlichen hinter ihr stehenden geistigen oder ideellen Werth, während der einzelne Ton sich mehr dienend als ein blosses Glied in eine ganze Kette oder Reihe von Tonbewegungen einordnet. Es hängt dieses zusammen damit, dass die Wahrnehmung der Farbe wesentlich dem Elemente des Nebeneinander, die des Tones demjenigen des Nacheinander angehört. Aller geordnete und in regelmässiger Weise gegliederte Ton aber ist entweder Sprache oder Musik und es hat ein jedes dieser beiden Gebiete für uns einen bestimmten und eigenthümlichen ästhetischen Werth. Die sinnliche Erscheinung der Sprache aber ist allerdings nichts im künstlerischen Sinne des Wortes Aesthetisches für uns so wie diejenige der Musik. Sie ist unmittelbar genommen nur Ausdruck oder Zeichen des begrifflichen Denkens und es knüpft sich an den Klang derselben für uns nur ein äusserliches und gelegentliches ästhetisches Interesse an. Das was die Sprache für uns anzeigt oder bedeutet, ist zunächst nur etwas in zufälliger oder conventioneller Weise mit ihr Verbundenes. Die Bedeutung des musikalischen Tones wird in unmittelbarer oder natürlicher Weise von uns empfunden, während diejenige des sprachlichen erst künstlich und mechanisch von uns erlernt werden muss. Die Musik ist an sich der natürliche Ausdruck des Empfindens, die Sprache derjenige des Denkens der menschlichen Seele. In diese doppelte Abtheilung aber zerfällt an sich alles reine oder innere Leben der menschlichen Seele. Der Ton ist an sich das in specifischer Weise dem inneren Seelenleben adäquate Element. Aller geordnete Ton in der Welt aber ist überhaupt nur derjenige, welcher dem Menschen theils in der Sprache und dem Gesang seiner Stimme, theils in den künstlichen von ihm erfundenen musikalischen Instrumenten angehört. Die Ordnung des sprachlichen Tones aber beruht wesentlich auf dem Prinzipe der Articulation, die des musikalischen auf dem der Modulation des Lautes in seine einzelnen Glieder oder Elemente. Articulation aber ist Gliederung des Tones in einzelne dem Artcharakter nach verschiedene Theile oder Elemente, während die Modulation in der Gliederung desselben in einzelne dem Grade der Erhöhung und Vertiefung nach verschiedene Abstufungen oder Elemente besteht. Der sprachliche Ton zerfällt in ein System einzelner generell verschiedener Classen und Individuen des Lautes, während jeder musikalische Ton an sich einartig ist und nur einer Gliederung oder Abstufung nach Unterschieden des Grades unterliegt. Diese gradweise steigende und fallende Erhöhung und Erniedrigung des musikalischen Tones aber ist das natürliche Bild oder gleichsam die Sprache des Empfindens der Seele, welches ebenso in einem gradweise anschwellenden und nachlassenden Auf- und Niederwogen unseres ganzen inneren Vorstellens besteht. Die Sprache hingegen oder das articulirende Lautelement ist ebenso der natürliche Ausdruck des sich auf die begrifflichen Allgemeinheiten und generellen Qualitäten der äusseren Wirklichkeit beziehenden und gründenden Denkens der menschlichen Seele. Das Empfinden der Seele gehört wesentlich immer uns selbst oder unserer eigenen inneren Subjectivität an, während das Denken sich wesentlich auf den gegebenen Inhalt der äusseren Objectivität bezieht und aus diesem seine allgemeinen Begriffe und Abstractionen schöpft. Alles Denken ist selbst eine Art von geistiger Articulation, indem es in einer Gliederung oder Unterscheidung des wirklichen in seine eigenen allgemeinen geistigen Elemente oder Artcharaktere besteht. Denken und Articulation des Lautes sind zwei natürlich verwandte und innerlich correlate Erscheinungen im geistigen Leben des Menschen. Die Natur aber macht in allen ihren Tönen allerdings gewisse Versuche, sich sowohl zu einer Modulation als einer Articulation des Lautes zu erheben, d. h. es treten uns wohl Anklänge an beides in den natürlichen Lauterscheinungen entgegen, aber ohne sich jemals zu der reinen und specifischen Vollkommenheit beider Prinzipe im Leben des Menschen zu läutern. Aller natürliche Ton ist ein unklarer, chaotischer und verschwommener. Hier hat der Ton selbst noch keinen seiner specifischen Vollkommenheit adäquaten Werth oder Gehalt; er empfängt diesen erst in der Sphäre des Seelenlebens des Menschen und es ist insofern in allem geordneten Ton etwas specifisch Geistiges oder der unmittelbare Ausdruck eines in sich geordneten und gegliederten Vorstellungslebens enthalten. Auch den einzelnen articulirten Lauten der Sprache aber wohnt an und für sich selbst überall eine bestimmte anschaulich empfindungsmässige Bedeutung oder ein gewisser ästhetischer Werth für uns bei. Denn auch die Sprache ist ebenso wie die Musik wenigstens an und für sich und in einem gewissen Sinne des Wortes zugleich etwas Malerisches in Bezug auf den menschlichen Geist und sein inneres Leben. Auch in der Sprache ist ursprünglich wenigstens immer ein bestimmtes nachahmendes und abbildendes Prinzip oder Bestreben enthalten gewesen. Es sind nicht wie bei der Musik allein die reinen und unmittelbaren inneren Empfindungen der Seele selbst gewesen, welche den Gegenstand oder Stoff dieser Nachahmung der Sprache gebildet haben. Der sprachliche Laut hat sich zunächst überall angeschlossen an irgend ein äusseres oder objectiv gegebenes Moment der Bewegung, der Erscheinung oder des Tones. Die Sprache ist an sich und von Anfang an mehr ein Bild der Welt und ihrer äusseren Erscheinungen und Dinge als wie die Musik ein solches der inneren Bewegungen und Vorgänge des Lebens der Seele. Sie schliesst sich insofern mehr an die eigentlich objectiven Gebiete und Arten des menschlichen Nachahmens und Darstellens, die Plastik und die Malerei, an, nur dass sie nicht so wie diese von räumlicher oder sichtbarer, sondern von zeitlicher und hörbarer Natur ist. Die Vorgänge der Bewegung und des Tones in der äusseren Welt forderten den menschlichen Geist zuerst zu gewissen Versuchen der Nachahmung heraus und es sind hieraus zuerst alle Anfänge der Sprache entstanden. Allerdings war hier die Menge des Nachzuahmenden verhältnissmässig nur eine geringe und es haben von diesen wenigen Momenten aus die lautlichen Mittel oder Zeichen für die Vertretung aller anderen uns umgebenden Dinge und Beschaffenheiten festgestellt werden müssen. Die Sprache ist jetzt ein System von Worten oder lautlichen Zeichen für den ganzen Umfang der allgemeinen Kategorieen der Dinge und Erscheinungen der äusseren Welt; aber sie ist zur Erschaffung desselben ursprünglich durch eine Nachahmung des zeitlichen, tönenden oder sich sonst irgendwie an den inneren Stimmlaut anschmiegenden Elementes in der äusseren Welt hingeführt worden. Ausgeschlossen ist hierbei nicht, dass auch innere Empfindungsbewegungen der Seele, inwiefern sie sich direct oder indirect an äussere Momente des Wahrnehmens anschliessen, den Gegenstand dieses Nachahmens gebildet haben. In der Sprache verbindet sich insofern das doppelte Prinzip der Nachahmung im objectiven und im subjectiven Sinne des Wortes, wie es ausserdem einmal in der plastisch-malerischen, andererseits in der musikalischen Kunst seinen specifischen Ausdruck findet, obgleich auch hier überall der ersteren die Nachahmung des inneren Empfindens und der letzteren diejenige der äusseren Bewegungen und Vorgänge keinesweges vollkommen fremd ist. Die Sprache überhaupt hat jedenfalls, trotzdem dass sie gegenwärtig ein festgestelltes conventionelles Zeichen unseres Denkens ist, in ihren Erscheinungen einen bestimmten ästhetischen Werth und bildet insofern einen Gegenstand des wissenschaftlich-ästhetischen Interesses, indem sie so wie jedes andere Kunstwerk zunächst aus einem Versuch und Bestreben des Nachahmens der wirklichen Welt nach ihrer Abspiegelung im Empfinden der menschlichen Seele entspringt. Das Verhältniss der beiden Lautclassen der Vocale und der Consonanten in der Sprache hat eine gewisse Aehnlichkeit mit demjenigen des allgemeinen Gegensatzes auf dem Gebiete der Farbe, des Weiss und des Schwarz oder überhaupt des Hellen und des Dunkeln. Der Vocal bildet gleichsam das Element des Lichtes, der Consonant dasjenige des Schattens in der ästhetischen Einrichtung oder Erscheinung der Sprache. So wie bei einem Gemälde der Schatten oder die dunkleren Theile und Parthieen von uns nur erkannt werden durch ihre Begrenzung mit dem Hellen oder dem Licht, ebenso wird auch das consonantische Element in der Sprache von uns nur erkannt oder hörbar wahrgenommen durch seine Begrenzung mit demjenigen des Vocales. Auch die Sprache ist gleichsam ein fliessendes Lautgemälde, welches aus einem fortwährenden Wechsel der beiden allgemeinen Grundverschiedenheiten des helleren und des dunkleren oder des aus sich selbst tönenden und des von diesem anderen gezeigten oder getragenen Lautelementes besteht. Die nähere Gruppirung oder Vertheilung dieser beiden Elemente ist in jeder Sprache mehr oder weniger eine verschiedene und es besitzt in Folge davon eine jede derselben einen eigenthümlichen ästhetischen Charakter, in welchem sie zugleich immer zu einem bedeutsamen Ausdruck der Geistesart oder Anschauungsweise eines bestimmten Volkes wird. Auch jeder einzelne Laut als solcher hat nicht weniger als jede einzelne Farbe für unsere Auffassung einen bestimmten ästhetischen Werth. Es ist auch gewissermaassen immer etwas Typisches für unser Empfinden in ihnen enthalten. Sie lassen sich selbst zum Theil auf bestimmte Typen und Vorbilder des natürlichen Lautes zurückführen. Es dürfte bedenklich sein, ohne Weiteres eine bestimmte Analogie zwischen dem System der einzelnen Farben und demjenigen der articulirten Laute nachweisen zu wollen. Jede einzelne Art des Aesthetischen ist gewissermaassen etwas Besonderes und Eigenartiges für sich. Jedenfalls aber schliesst sich der sprachliche Ton oder das articulirende Lautelement näher an das Wesen und den Charakter der Farbe an als der modulirende Ton des Gesanges und der Musik. Dieser letztere ist weit mehr im eigentlichen Sinne des Wortes fliessend oder in specifisch zeitlicher Weise ausgedehnt und gegliedert als jener. Zwischen Musik und Farbe steht der sprachliche Laut gewissermaassen als etwas Verbindendes in der Mitte. Die Sprache selbst ist gleichsam ein Lautgemälde der äusseren Welt und ihrer Auffassung durch die Begriffe und das Denken des menschlichen Geistes. Sie ist nicht in dem Sinne etwas eigentlich Künstlerisches wie auf der einen Seite die reine Kunst des Tones oder die Musik und auf der anderen die Malerei oder diejenige der Farbe. Aber ihre Elemente haben doch auch an sich immer einen bestimmten ästhetischen Werth und es ist keinesweges allein das Gebiet des eigentlich Schönen und der Kunst, auf welches sich die Anwendung und das ganze Interesse des ästhetischen Erkennens unserer Seele bezieht. Es ist überhaupt theils eine Erweiterung, theils eine Umgestaltung des ganzen Begriffes der Aesthetik, welche hiermit von uns anzubahnen gestrebt wird. Das Schöne ist an sich blos dasjenige Sinnliche, welches eine ganz besonders edle und erhabene Empfindung oder ein Gefühl des specifischen Wohlgefallens und der höchsten inneren Befriedigung in uns hervorzurufen geeignet ist. Auch alles andere niedere und gemeine Sinnliche aber hat an sich einen Werth oder eine Bedeutung für unser Empfinden. Es ist daher falsch, das Schöne allein und ohne Weiteres als Gegenstand oder Object der Wissenschaft vom Empfinden zu bezeichnen. Es giebt noch einen weiteren Vorhof anderer an sich unbedeutenderer Gegenstände und Wahrnehmungen unseres empfindenden Erkennens. In gewissem Sinne aber ist allerdings alle Empfindung eine Art von dunkler Vorahnung der höheren, vollkommeneren und klareren Erkenntnissweise des Denkens. Alles menschliche Erkennen nimmt seinen Anfang mit den Eindrücken, welche wir durch das Empfinden von Aussen her empfangen. Nur aus diesen Eindrücken entspringt zuerst alles weitere und höhere menschliche Bewusstsein und Denken. Das Begreifen dieser Eindrücke selbst nach dem ihnen an sich beiwohnenden Werth oder ihrer reinen geistigen Bedeutung ist es, worin die wahrhafte Aufgabe der ganzen Wissenschaft der Aesthetik besteht. 10. Das allgemeine Gesetz der ästhetischen Form. In der Aesthetik überhaupt wird immer eines der wichtigsten Gebiete des ganzen menschlichen Geisteslebens erblickt werden müssen. In ihr berührt sich im Allgemeinen das doppelte Interesse und Bildungsprinzip der Wissenschaft und der Kunst mit einander. Wissenschaft und Kunst bilden einen doppelten verschiedenartigen Typus und Quell aller höheren Bildung des menschlichen Geistes. An den Gegenständen, Fragen und Interessen der Kunst aber nimmt das grössere gebildete Publikum im Ganzen ein mehr unmittelbares und lebendiges Interesse als an denjenigen der Wissenschaft. Die Kunst ist an sich für Alle im Volk ohne Weiteres bestimmt, während die Wissenschaft mehr das besondere Eigenthum einzelner ausschliessend hierzu berufener Kreise zu bilden pflegt. Hier bildet insbesondere nur die Philosophie mit allen zu ihr gehörenden weiteren Fragen und Interessen ein solches Gebiet, welchem auch die grössere Menge der Gebildeten im Volke wenigstens in gewissem Sinne eine Theilnahme zu schenken gewohnt ist. Die historischen Grössen der Philosophie unter uns, Kant, Fichte, Schelling, Hegel u. A., gehören wesentlich mit in die Kategorie der allgemeinen geistigen Heroen der Nation und es haben ihre Lehren theils mittelbar durch die Einwirkung auf die übrige Wissenschaft, theils unmittelbar oder durch sich selbst einen entscheidenden Einfluss auf den ganzen Fortschritt des geistigen Lebens derselben ausgeübt. Dieser Einfluss der Philosophie aber hat sich wie nach anderen Richtungen des Lebens, so namentlich mit auf diejenige der Erfassung des Schönen und des künstlerischen Gestaltens und Schaffens erstreckt. Die Aesthetik ist an sich das populärste oder das dem Standpuncte der allgemeinen menschlichen Geistesbildung am Leichtesten zugängliche Gebiet des philosophischen Denkens. Der Gebildete hat nicht blos das Bedürfniss, das Schöne zu geniessen, sondern auch über dasselbe nachzudenken und sich gesellig zu unterhalten. Alle höhere und elegante Geistesbildung liegt wesentlich zwischen den beiden einzelnen Gebieten der Kunst und der Wissenschaft oder der Philosophie in der Mitte. Wir versuchen gleichsam überall, dasjenige was wir durch die Empfindung aufgenommen haben, in die Sprache des Gedankens einzuführen und durch sie Anderen mitzutheilen. Das Empfindungsmässige ist also überhaupt zugleich durch den Gedanken erkennbar oder es setzt alle Aesthetik überhaupt eine gewisse Homogenität des Empfindens mit dem Denken voraus. Wir erkennen insofern immerhin den Standpunct Baumgartens, der in der Aesthetik eine allgemeine Wissenschaft vom menschlichen Empfinden sah, als einen berechtigten an. Es ist zuletzt eine leere und nichtssagende Phrase, dass unser Interesse und Wohlgefallen am Schönen sich blos auf die reine und leere Vollkommenheit seiner Form oder seiner äusseren harmonischen Erscheinung gründe. Auch das eine schöne Formverhältniss gefällt und berührt uns überall in einer anderen Weise als das andere. Alles Sinnliche ist überhaupt gleichsam eine wirkliche und lebendige Sprache für unser Empfinden und es muss dasselbe in seiner inneren Natur und Einrichtung in einer ganz ähnlichen Weise von uns aufgefasst und erkannt werden als die wirkliche äussere Erscheinung unseres Denkens in den Worten und Formen der Sprache. Jedes Gebiet des menschlichen Geisteslebens hat an sich irgend ein bestimmtes höchstes und oberstes Gesetz, welches den ganzen weiteren Umfang seiner Erscheinungen beherrscht und in welchem die allgemeine Einheit und Richtschnur seiner ganzen Auffassung und Beurtheilung durch uns enthalten liegt. Es giebt ein oberstes Gesetz für unser logisches Denken und ein solches für unser sittliches Handeln; ebenso muss es an sich auch ein solches Gesetz geben für unser Empfinden oder für unsere ganze Auffassung des Schönen. Alle an sich schönen Dinge sind in einer specifischen Weise unterschieden und begrenzt gegenüber denjenigen, die derselben Eigenschaft entbehren. Das specifische Kennzeichen des Schönen aber beruht zunächst überall nur in dem Elemente der Form oder der äusseren Verhältnisse der Theile eines Ganzen. Es findet hier oft eine sehr feine aber bestimmte Grenze statt, durch die sich die schöne Sache von der nicht schönen unterscheidet. Hauptsächlich aber sind es zunächst bestimmte Verhältnisse der einzelnen Theile, an welche der ganze Charakter des Schönen in einer Sache gebunden erscheint. Auf diesen Umstand hat sich die Meinung begründet, dass das Schöne in den Verhältnissen seiner einzelnen Theile messbar oder berechenbar sein müsse. Diese Meinung hat zunächst in der ältesten ästhetischen Lehre, welche die Geschichte kennt, in der der Pythagoreer, ihren Ausdruck gefunden. Die Pythagoreer bemerkten die Bedeutung des Zahlenelementes zuerst namentlich auf dem Kunstgebiete der Musik. Das Wohlgefällige oder Schöne ist hier in untrennbarer Weise gebunden an ein bestimmtes mathematisches Verhältniss der Töne. Auch sonst aber fühlen wir überall die Bedeutung und das entscheidende Gewicht des Elementes des Maasses in den Verhältnissen des Schönen. Es widerspricht an und für sich unserer Vorstellung von einem ästhetischen Ganzen oder einem Kunstwerk, dass sich dasselbe ähnlich wie eine Maschine müsse mathematisch bestimmen oder berechnen lassen. Nichtsdestoweniger weisen in der Einrichtung des Kunstwerkes eine Menge von Erscheinungen auf eine solche Analogie hin und es wäre auch offenbar die Spitze oder der Triumph alles wissenschaftlichen Erkennens des Schönen, wenn es jemals gelange, irgend ein bestimmtes Kunstwerk in den sämmtlichen Maassverhältnissen seiner Theile in einer vollkommen genauen und exacten mathematischen Weise zu bestimmen. Es sind in der neueren Zeit bestimmte dahin gehende Versuche angestellt worden. Insbesondere gehören hierzu die Forschungen Zeisings über das Verhältniss des sogenannten goldenen Schnittes. Dieses Verhältniss, nach welchem von zwei ungleichen Hälften einer Sache die kleinere oder der minor sich zu der grösseren oder dem major verhält wie dieser letztere zur Summe von beiden oder zum Ganzen, besitzt offenbar eine hervorragende Bedeutung in der Einrichtung und den Proportionen aller ästhetischen und überhaupt auch der organischen oder lebendigen Dinge. Zeising erblickt in demselben gleichsam den unbedingten Schlüssel zu der Auflösung aller wohlgefälligen und künstlerischen Proportionen. Ich lege selbst diesem Prinzip einen entscheidenden Werth bei, aber ich bin nicht mit Zeising der Meinung, dass mit demselben das Schöne ohne Weiteres in seinen ganzen Verhältnissen bestimmt oder ausgemessen werden könnte. Die Aesthetik ist zuerst eine Wissenschaft aus Gedanken oder Begriffen; sie hat sich vor Allem der ganzen Prinzipien für die Behandlung ihres Stoffes bewusst zu werden. Es lässt sich nicht Alles am Schönen ohne Weiteres mathematisch ausmessen, bestimmen oder berechnen. Aus den Forschungen Zeisings geht vielleicht mit Sicherheit nur so viel hervor, dass die Proportion des goldenen Schnittes ein gewisses mittleres Durchschnittsmaass der schönen oder wohlgefälligen Verhältnisse bilde, aber es schliesst sich dieselbe keinesweges überall in einer genauen und stricten Weise an die Wirklichkeit dieser letzteren an. Jedes einzelne Schöne ist überhaupt in seinen ganzen Verhältnissen immer etwas Besonderes und Eigenartiges für sich; auch die Verhältnisse des Maasses seiner Theile bilden überall nur eine bestimmte einzelne Seite oder Beschaffenheit seines Wesens im Ganzen. Wir sind durchaus der Ansicht, dass die Aesthetik eine wesentlich beobachtende oder sich an die gegebene Wirklichkeit der einzelnen Erscheinungen ihres Gebietes anschliessende Wissenschaft sein müsse, d. h. wir erblicken in allen allgemeinen Gedanken und generalisirenden Reflexionen über das Schöne eine blosse vorbereitende Einleitung für das wirkliche und vollständige Erfassen der gegebenen individuellen Erscheinungen dieses letzteren selbst. Jedes einzelne Schöne bildet in seiner ganzen besonderen Einrichtung immer ein neues und eigenthümliches ästhetisches Problem für sich; für die Bearbeitung desselben aber gehen aus der Natur oder dem Begriffe des Schönen gewisse allgemeine Prinzipien oder Methoden hervor. Eine schöne Sache oder ein Kunstwerk hat zunächst immer in einem gewissen Sinne die Eigenschaft eines Abbildes oder einer Nachahmung irgend einer an und für sich gegebenen Beschaffenheit oder Seite der natürlichen Wirklichkeit an sich. Die Nachahmung der Natur ist eines der ersten und wichtigsten Motive, aus welchem von Anfang an alles künstlerische Schaffen des Menschen entspringt. Insofern ist es kein durchaus richtiger oder wenigstens kein ausreichender Gedanke, der in die freie und ungebundene Schöpfungskraft der menschlichen Phantasie allein das ganze Prinzip der Entstehung des künstlerisch Schönen verlegen will. Alles durch den Menschen Erschaffene schliesst sich mehr oder weniger irgendwie an das in der natürlichen Wirklichkeit oder Objectivität Gegebene an. Der Begriff des Schaffens im vollen und eigentlichen Sinne des Wortes kann auf die ganze Lebensthätigkeit des Menschen überhaupt keine Anwendung finden. Jedes menschliche Werk hat die Elemente und Vorbilder seines Entstehens in der äusseren Natur. Es sind wesentlich überall nur Bilder und ideale Reproductionen der äusseren Dinge, welche der menschliche Geist aus sich zu erschaffen vermag. Wir legen einem Kunstwerke Wahrheit bei eben inwiefern es die richtige Nachahmung oder der getroffene Ausdruck von etwas anderem an sich schon vorhandenem Wirklichen ist. Allerdings ist es niemals irgend eine einzelne empirische Sache oder Realität als solche, welche den Gegenstand und das Object der künstlerischen Nachahmung bildet. Der Begriff der Nachahmung im Sinne der Kunst ist immerhin ein in gewisser Weise schwierig zu fassender und es bedeutet derselbe überhaupt nichts weniger als eine einfache Identität des geschaffenen oder nachgeahmten Werkes mit den wirklichen oder empirischen Dingen im Leben und der Natur. In diesem Sinne wäre die Kunst überhaupt überflüssig und hätte den Werth einer blossen leeren Wiederholung oder Copie der Natur. Jedes Kunstwerk geht zugleich hinaus über die Natur oder stellt uns etwas Höheres, Reineres und Vollkommeneres dar als was diese selbst ist. Das Kunstwerk muss überall zugleich der Natur unähnlich sein oder sich von ihr unterscheiden, wenn es uns gefallen oder befriedigen soll. Das Motiv des Erschaffens der Kunst liegt zugleich überall mit darin, dass uns die Natur oder Wirklichkeit nicht vollkommen gefällt oder zu befriedigen vermag. Alle Kunst ist insofern zugleich eine Art von Kritik und Verwerfung der empirisch gegebenen Wirklichkeit oder Natur. Sie entspringt insofern zugleich aus einem rein inneren subjectiv idealen Wünschen, Anschauen und Bedürfen heraus und es stellt sich insofern der menschliche Geist in der Kunst im Allgemeinen die Natur vor nicht so wie diese unmittelbar und an sich selbst ist, sondern so wie er sie sich von seinem eingebildeten subjectiven Standpuncte aus wünscht oder träumt. Es ist in aller Kunst einmal etwas Objectives, andererseits etwas Subjectives enthalten oder es kann dieselbe überall zugleich als eine Nachahmung oder ein Bild der äusseren Wirklichkeit und als ein solches des eigenen inneren menschlichen Seelenlebens angesehen werden. Der Mensch idealisirt sich in der Kunst zunächst die Natur, indem er sie auf einen eingebildeten oder idealen Gipfel der Vollkommenheit ihrer Erscheinungen erhebt. Er fügt insofern immer etwas zu ihr hinzu oder macht etwas Anderes aus ihr als was sie unmittelbar und an sich selbst genommen ist. Alle diese Ideale der Kunst aber sind zugleich überall noch etwas Anderes und Mehreres als eine blosse subjective und willkührliche Zuthat zur Natur oder eine Veränderung derselben vom Standpunct und im Sinne der blossen Subjectivität des menschlichen Geistes. Der Mensch erkennt vielmehr in den Idealen der Kunst wesentlich überall nur die eigenen allgemeinen Vollkommenheitsanlagen und immanenten Ziele des Lebens der Natur selbst oder es darf von der Kunst gesagt werden, dass sie ihrem eigentlichen Wesen nach die Darstellung derjenigen reinen Grundgedanken und einfachen Formcharaktere sei, welche an und für sich die Basis der ganzen wirklichen Natur und lebendigen Schöpfung der Dinge bilden. Der Mensch geht insofern in der Erschaffung der Kunst nicht sowohl über die Natur hinaus als vielmehr blos tiefer in sie hinein und es wohnt den von der Kunst dargestellten Idealen eine Wahrheit eben insofern bei als sie die gereinigten Erscheinungen der eigenen inneren Wesensmomente und entscheidenden Grundgedanken der Natur selbst sind. Der Begriff der Nachahmung in der Kunst bezieht sich insofern nicht sowohl auf die unmittelbar gegebene gemeine oder empirische Wirklichkeit in der Natur als vielmehr auf dasjenige ideale und rein geistige Wesen, welches den wahrhaften Hintergrund und die eigentliche Substanz der vor uns erscheinenden wirklichen oder einzelnen Dinge bildet. Auch alle Kunst ist insofern wesentlich ein Erkennen und sie befindet sich überall in einem nothwendigen und organischen Anschluss an das Ganze der ihr gegenüberstehenden wirklichen Welt. Die Ideale der Kunst sind an sich gegeben oder präformirt im Wesen der wirklichen Welt und sie werden von uns oder vom menschlichen Geist nur durch Ausscheidung des Indifferenten und Zufälligen der einzelnen Erscheinungen von ihrem reinen inneren geistigen Wesensgehalt oder der in ihnen liegenden besonderen und specifischen Vollkommenheitsanlage festgestellt und erkannt. Für die Auffassung alles Menschlichen ist überhaupt in erster Linie der Gesichtspunct des Anschlusses desselben an das vor ihm in der äusseren Objectivität oder Wirklichkeit Gegebene entscheidend. Es ist zunächst eine blosse Phrase, dass der Mensch allein der selbstständige Urheber und Schöpfer aller von ihm ausgehenden oder zu seinem Leben gehörenden Dinge, Werke oder Erfindungen sei. Die ganzen Bedingungen, Elemente und Anregungen dieses seines Schaffens sind vielmehr schon vor ihm und an sich in der Natur oder Aussenwelt gegeben gewesen und es ist überall nur durch eine Benutzung oder Anwendung derselben, dass er zur Ausbildung desjenigen, was ihm selbst angehört, hingeführt und veranlasst wird. Alles Eigene des Menschen geht überall nur aus einer Beziehung oder einem eindringenden Erkennen in den ihm gegenüberstehenden Stoff der natürlichen Dinge oder Erscheinungen hervor. Es ist nicht ein selbstständig erschaffener, sondern nur ein der Natur abgerungener und erworbener Besitz, auf den sich das ganze menschliche Leben mit seinem Inhalt und seinen Einrichtungen gründet. Das Leben des Menschen oder die Geschichte ist ein fortwährender Kampf seines Geistes mit der Natur, in welchem er dieselbe allmählich in einer immer vollkommeneren Weise nach allen ihren Seiten und Beschaffenheiten in sich aufnimmt und überwindet. Alles Menschliche weist daher zuletzt ebensosehr auf die Sphäre der Natur oder der äusseren Objectivität als auf diejenige der Subjectivität oder seines eigenen Geistes hin. Die Natur tritt in der Sphäre des Menschen gleichsam blos aus einander oder hervor in allen denjenigen Vollkommenheiten ihres Wesens, welche sie in unmittelbarer oder latenter Weise bereits in sich selbst einschliesst oder besitzt. Die Lehrsätze der Wissenschaft sind geistige Wahrheiten, welche an sich im Wesen der äusseren Dinge liegen und welche hier vom menschlichen Geiste nur aufgefunden, gleichsam frei gemacht oder erkannt werden. Etwas Aehnliches aber gilt zuletzt auch von den Werken der Kunst und von allen anderen Sphären und Erscheinungen des menschlichen Lebens. Die Wahrheit alles Menschlichen besteht überhaupt in dem möglichst vollkommenen, tiefen und innigen Anschluss an die inneren Gesetze oder das geistige Wesen der Natur. Es ist insofern überall etwas mehr als ein blosser zufälliger und willkührlicher subjectiver Einfall, der uns in irgend einem bedeutenden Werke oder einer Erfindung des menschlichen Geistes entgegentritt. So verschiedenartig auch das Schöne in allen seinen einzelnen Erscheinungen sein mag, so ist es doch überall ein bestimmter gleichmässiger Eindruck, der aus demselben in jedem Falle von uns aufgenommen wird. Wir bezeichnen diesen Eindruck im Allgemeinen mit dem Worte des Harmonischen oder Zusammenstimmenden, und es ist derselbe zunächst überall gebunden an ein bestimmtes Verhältniss oder eine Grenze des Maasses der einzelnen Theile der Sache. Die ganzen Beschaffenheiten eines jeden ästhetischen Dinges zerfallen aber überhaupt in zwei verschiedene Kategorieen, einmal in solche der Qualität oder der Art, andererseits in solche der Quantität oder des Maasses. Zunächst aber sind es hauptsächlich die Beschaffenheiten oder Eigenthümlichkeiten dieser letzteren Kategorie, durch welche sich das Kunstwerk oder die ästhetische Sache am Deutlichsten und Bestimmtesten von derjenigen der gemeinen Wirklichkeit unterscheidet. Wir erkennen im Kunstwerk im Allgemeinen dieselben Qualitäten oder Artbeschaffenheiten wieder, die uns auch sonst schon aus der übrigen gemeinen Wirklichkeit her bekannt sind, und es ist eben wesentlich in Bezug auf diese, dass uns das Kunstwerk im Lichte einer Nachahmung oder eines Bildes der letzteren entgegenzutreten pflegt. Am Bestimmtesten aber ist es zunächst die Seite der Quantität oder das Element des Maasses, durch welches sich das Kunstwerk von der Natur und den Verhältnissen des gewöhnlichen Dinges zu unterscheiden pflegt. Eben dieses Element der Quantität unterliegt dort einer bestimmteren und festeren Regelung als hier und es ist wesentlich eben dieser Umstand, auf welchem die ganze höhere Vollkommenheit des Eindruckes des Kunstwerkes gegenüber dem des gewöhnlichen Dinges beruht. Es werden im Kunstwerke zunächst überall nur die gegebenen Qualitäten oder Artbeschaffenheiten der Dinge in eine sicherere und bestimmtere Grenze ihres relativen Maasses eingeschlossen als sonst. Nur insofern erscheint uns das Kunstwerk zunächst als der Ausdruck der höheren und idealen Vollkommenheit der wirklichen Welt, als ein jeder Theil oder ein jedes Ding dieser letzteren in die richtige ihm gebührende Grenze des Maasses im Verhältniss zu den übrigen eingeschlossen und eingeführt wird. Bei der wirklichen Sache sind diese Maassverhältnisse in der Regel in einer mehr oder weniger angeordneten Weise abgewandelt, getrübt und verschoben oder es sind keine reinen und klaren Eindrücke der Proportionen des Maasses, die aus ihr von uns aufgenommen zu werden pflegen. Der Künstler, indem er die Natur nachahmt, thut zunächst wesentlich nichts Anderes als dieses, dass er jeden Theil derselben in die ihm gebührende Grenze des Maasses einzuschliessen und uns insofern einen idealen Eindruck oder ein gereinigtes Bild der ganzen inneren Ordnungsverhältnisse der Sache zu geben versucht. Das Kunstwerk ist insofern wesentlich die Aussage darüber, welches die wahren und eigentlichen Maassverhältnisse der einzelnen ihrem qualitativen Charakter nach verschiedenen Theile und Beschaffenheiten der wirklichen Welt seien und es ist insofern hauptsächlich zunächst dieses ganze Moment der Quantität, auf welchem der allgemeine Unterschied der Kunst von der Natur beruht. Der Künstler findet mit richtigem Tact die entsprechenden Verhältnisse des Maasses für die einzelnen Theile seines Werkes und es wird dieses letztere von unserem eigenen Gefühl hauptsächlich unter demselben Gesichtspuncte aufgefasst und zu beurtheilen versucht. Die Grenze dieses richtigen Maasses aber ist an und für sich überall eine ganz bestimmte, einfache und feste oder es wird in der Regel auch die geringste Abweichung von derselben lebhaft und deutlich von uns empfunden. Diese Aussprüche und Urtheile unseres subjectiven Gefühles aber über das richtige Maass in den Dingen müssen jedenfalls auch eine bestimmte objective Begründung oder Berechtigung besitzen und es wird in der Auffindung oder Feststellung dieser letzteren immer das eigentliche Ziel und entscheidende Hauptproblem aller wissenschaftlichen Erkenntniss des Schönen erblickt werden müssen. Was zunächst als ein blosser Machtspruch unseres Gefühles erscheint, wird näher wohl immer als die ahnende Erkenntniss eines objectiven Naturgesetzes oder eines an sich bestehenden normalen Grundverhältnisses der Einrichtung alles Wirklichen angesehen werden müssen. Ein solches normales Grundverhältniss glaubt namentlich Zeising in der Regel des goldenen Schnittes aufgefunden zu haben und es scheint diese Regel in der That einen bestimmten inneren oder natürlichen Anspruch auf eine solche ihr zugeschriebene Stellung in sich zu enthalten. Alle eigentliche und strenge mathematische Regelmässigkeit ist an und für sich nicht fähig, ein Gefühl des Wohlgefallens und der ästhetischen Befriedigung in uns zu erwecken. Auch ist die innere Ordnung des ästhetischen Dinges überall eine specifisch andere als diejenige irgend einer mathematischen Figur. Es ist im Gegensatz hierzu überall der Eindruck des Freien, Natürlichen und Ungezwungenen, den wir aus ihm empfangen. Der blosse Gedanke, dass das Schöne mathematisch bestimmbar sei, hat an und für sich etwas Paradoxes, Feindliches und Verletzendes für uns an sich. Wir fühlen auf der einen Seite das strenge Walten des Maasses in der Einrichtung des Schönen, aber wir müssen uns zugleich auf der anderen Seite sagen, dass die Natur und das Gesetz dieses Maasses ein ganz anderes sein müsse als dasjenige der gewöhnlichen strengen Ordnung und Regelmässigkeit der Mathematik. Im Prinzip scheint es eine Nothwendigkeit für den menschlichen Geist zu sein, anzunehmen, dass das Schöne calculabel oder mathematisch bestimmbar sei; aber es bedarf wahrscheinlich einer anderen Art von Mathematik als der gewöhnlichen, um diese Eigenschaft wirklich an ihm festzustellen und zu ermitteln. Nur das mechanische Ding stimmt in seinen Verhältnissen und Formen unmittelbar und genau mit der gewöhnlichen Regelmässigkeit der Mathematik überein. Daher entbehrt dasselbe im Allgemeinen auch der specifischen Eigenschaft oder des Charakters der Schönheit, ausser insofern derselbe in Gestalt einer ausdrücklichen künstlerischen Zuthat mit ihm in Verbindung gebracht wird. Die Gestalten der mechanischen Dinge sind als solche trocken, eckig und langweilig; sie werden bedingt durch einen praktischen Zweck und gehen im Allgemeinen unmittelbar hervor aus einer Bestimmung oder Berechnung der Mathematik. Das Schöne dagegen ist an sich genommen zwecklos und erinnert uns in seiner Erscheinung überall an die Freiheit und Ungezwungenheit des Lebendigen oder Organischen in der Natur. Alles Wirkliche aber, was der Mensch erschafft, ist im Allgemeinen entweder ein Kunstwerk oder ein mechanisches Ding. Auch diese letzteren Gegenstände aber haben immerhin ein gewisses ästhetisches Interesse. Sie sind weder in dem Sinne Bilder und Nachahmungen der äusseren Wirklichkeit als die Werke der Kunst, noch sind sie auch in der eigentlichen und unmittelbaren Bedeutung des Wortes schön. Es giebt aber überhaupt nichts Wirkliches, welches alles ästhetischen Interesses für uns entbehrte. Auch diesen mechanischen Dingen liegen zum Theil ähnlich wie den Werken der Kunst gewisse Motive der Nachahmung oder des Anschlusses an einzelne Vorbilder der Natur und des wirklichen Lebens zu Grunde. Viele dieser mechanischen Dinge sind theils gleichsam Objectivirungen einzelner Organe oder Bewegungen des menschlichen Körpers, theils weisen sie auf bestimmte Urbilder oder Typen in der äusseren Natur hin. Das Werkzeug des Hammers z. B. ist gleichsam vorgebildet in der geballten Faust und dem diese erhebenden Vorderarm des menschlichen Körpers, ebenso der Bohrer in dem sich in irgend einen weichen Stoff eingrabenden Finger der Hand. Die Scheere hat ihren Urtypus in den Organen des Krebses; das von Rudern und Segeln getriebene Schiff ist gleichsam eine Combination des doppelten natürlichen Vorbildes des schwimmenden Fisches und des die Luft durchschneidenden Vogels; die Gestalt des Wagens erinnert an diejenige der auf der Erde wandelnden vierfüssigen Thieres; in der Detonation des Geschützes ist es gleichsam die Naturerscheinung des Gewitters, welche von dem Menschen nachgeahmt und in die Sphäre seiner eigenen Erfindungen übergetragen wird. Alles dieses hat insofern noch einen tieferen Sinn und ein weiteres an Beziehungen reiches Interesse; der Mensch schafft sich in allen diesen Dingen gleichsam die Knechte und den umgebenden Hofstaat seiner eigenen Person, und es ist ausser dem blossen praktischen Zweck immer noch irgend ein anderweites künstlerisch nachahmendes und geistig ästhetisches Interesse hierbei im Spiel. Wir stellen auch dieses ganze Gebiet als eine besondere Provinz des elementarischen ästhetischen Erkennens hin, indem es, wenn gleich von dem des Schönen verschieden, doch mit in die allgemeine Kategorie der ästhetisch interessanten und sinnvoll bedeutsamen Erscheinungen fällt. Die Natur des Kunstwerkes ist im Allgemeinen die eines idealen und von allem Zufälligen gereinigten Abbildes der allgemeinen Gesetze und Einrichtungsverhältnisse des wirklichen Lebens. Das innerste Einheitsgesetz der Kunst und des Schönen wird insofern kein anderes sein können als dasjenige der Natur oder des wirklichen Lebens selbst. Die Frage nach einem höchsten Einheits- oder Organisationsgesetz alles Wirklichen aber ist allerdings immer eine der tiefsten und wichtigsten in dem ganzen Umfange der Philosophie. Zeising legt seinem Prinzipe des goldenen Schnittes in einem gewissen Sinne die Eigenschaft eines solchen Gesetzes bei, indem er dasselbe im weitesten Umfange nicht blos der künstlerischen sondern auch der natürlichen Erscheinungen als höchste Norm aller Eintheilung nachzuweisen versucht. Ebenso sah Hegel in seinem Prozesse der logischen Dreigliederung das oberste und umfassendste Eintheilungsgesetz alles Wirklichen. So verschiedenartig aber auch die ganzen Ordnungen und Erscheinungsformen des Wirklichen sind, so ist es doch immerhin möglich, dass ihnen allen ein bestimmtes höchstes Einheitsgesetz zur Grundlage diene. Die Lehren Zeisings, Hegels u. A. hierüber haben zunächst überall nur einen einseitigen oder provisorischen Werth. Inwiefern es überhaupt ein derartiges Gesetz giebt, so wird dasselbe nur ein so einfaches sein können, dass es sich mit einer unmittelbaren Nothwendigkeit aus dem ganzen Prinzip oder der Idee einer jeden natürlichen Eintheilung oder Gliederung ergiebt. Wir weisen hierbei entschieden jede Einseitigkeit und Willkürlichkeit des philosophischen Constructionsverfahrens von uns ab, indem wir blos aus der einfachen Natur der Sache selbst den richtigen Weg zur Lösung jenes Problemes aufzufinden versuchen. In der Geschichte der Philosophie haben zuerst die Pythagoreer sich mit der Frage nach der allgemeinen Einheit und Ordnung des Wirklichen beschäftigt. Ihnen galt zunächst die Zahl als der oberste Ausdruck oder als das Symbol aller weiteren geistigen Ordnung der wirklichen Dinge. Wir erblicken in diesem Gedanken die erste noch unvollkommene Ahnung einer tiefen und umfassenden wissenschaftlichen Wahrheit, die theils bis jetzt schon durch viele Entdeckungen ihre Bestätigung gefunden hat, theils später vielleicht noch in weiterem Umfange bestätigt werden wird. Es wird wohl so sein, dass alles Geordnete und Organische in der Welt zuletzt mit auf Zahlenverhältnissen beruht oder von der Art ist, dass es an und für sich auch mathematisch bestimmt und berechnet werden kann. Der Umfang dieses mathematischen Elementes in der Wirklichkeit ist vielleicht noch ein grösserer als jetzt von uns angenommen oder vermuthet wird. Die Zahl ist unter allen Umständen immer das festeste und bestimmteste Element alles wissenschaftlichen Erkennens. Alle andere Ordnung im Wirklichen ist wahrscheinlich zuletzt auch eine mathematisch bestimmte und es hat insofern der Gedanke nichts Auffallendes, dass auch das Kunstwerk oder das Schöne als der ideale Ausdruck aller anderen Ordnung in der Natur etwas in seinen Verhältnissen an und für sich mathematisch zu Bestimmendes oder zu Berechnendes sei. Auch die Pythagoreer selbst haben durch die mathematische Bestimmung der Intervalle der Töne zuerst diesen Weg der wissenschaftlichen Erkenntniss des Schönen betreten. Es ist aber vor Allem nothwendig, sich über die mögliche Stellung und Bedeutung dieses mathematischen Elementes in der Einrichtung aller wirklichen Dinge eine sichere Rechenschaft abzulegen. Alle Beschaffenheiten der wirklichen Welt zerfallen ebenso wie diejenigen des Kunstwerkes in die beiden allgemeinen Kategorieen der Qualität und der Quantität oder der Art und des Maasses. Jeder Theil eines natürlichen Ganzen aber besitzt ein bestimmtes Maass und es ist dieses überall seinem besonderen innerlich qualitativen oder Artcharakter gemäss. Zwischen den Beschaffenheiten der Qualität und denen der Quantität in den Dingen findet überall ein bestimmter nothwendiger und organisch gesetzlicher Zusammenhang statt. Bei einer jeden natürlichen Sache oder einem organischen Ganzen tritt uns zugleich ein bestimmtes System von Artcharakteren und ein anderes mit diesem verbundenes von Verhältnissen des Maasses entgegen. Eine jede Sache in der Natur darf auf Grund ihres Artcharakters überall nur ein bestimmtes Maass in der Mitte aller anderen zu ihr gehörenden oder ihr ähnlichen Dinge erreichen. Wir prüfen und betrachten daher die Verhältnisse des Maasses wesentlich niemals für sich allein, sondern überall nur insofern als sie sich mit den Verhältnissen der Verschiedenheiten der Art verbinden und diesen gleichsam zu einem charakteristischen Ausdruck oder einer Erscheinung ihres inneren Wesens oder Werthes zu dienen scheinen. Bei der Betrachtung der Verhältnisse des menschlichen Körpers z. B. sind es keinesweges allein die äusseren Proportionen des Maasses als solche, sondern dieselben nur in Verbindung oder als eine Inhärenz der qualitativen Unterschiede der Art oder des Wesens der einzelnen Theile, auf welche sich unser Interesse richtet, oder die den Gegenstand unseres ästhetischen Wohlgefallens an der natürlichen oder der künstlerischen Erscheinung dieser ganzen Gestalt bilden. Der Kopf z. B. hat hier einen im Verhältniss geringen Umfang des Maasses, aber er ist in qualitativer Beziehung der bedeutungsvollste und wichtigste Theil des menschlichen Körpers und es ist darum sein Werth für die Gesammterscheinung des letzteren wesentlich der gleiche als derjenige des Ganzen aller übrigen Theile. Es sind ferner die obere und die untere Hälfte des menschlichen Körpers auch qualitativ oder ihrem inneren Wesen nach von einander verschieden und es sind insofern keinesweges allein die quantitativen Proportionen des Maasses, welche bei der Beurtheilung dieses Verhältnisses in Betracht kommen können. Das Maass ist bei allem Wirklichen überall nichts als eine Inhärenz oder eine begleitende Erscheinung der Art, und es ist insofern ein einseitiges und ungerechtfertigtes Verfahren, die Dinge in Rücksicht des ästhetischen Charakters ihrer äusseren Erscheinung allein unter dem Gesichtspunct der äusserlichen Maassverhältnisse ihrer einzelnen Theile auffassen und wissenschaftlich begreifen zu wollen. Hieran scheinen auch die im Uebrigen verdienstvollen Untersuchungen Zeisings über den goldenen Schnitt die Grenze ihrer Wahrheit und Berechtigung zu finden. Das wirkliche Ganze oder das lebendige Ding ist überall eine complexe Einheit von Beschaffenheiten der Art und von solchen des Maasses und es ordnen sich wie es scheint die wirklichen Maassverhältnisse der einzelnen Theile desselben niemals oder doch blos selten und in einer unvollkommenen Weise so ganz einfach dem Gesetz oder der Regel irgend einer mathematischen Proportion unter als etwa diejenigen einer Maschine oder eines sonstigen mechanischen Dinges, welche in der Regel unmittelbar und direct nach einer solchen ausgemessen und festgestellt worden sind. Wir versuchen die Bedeutung dieses von uns aufgestellten Satzes an einem bestimmten Beispiele deutlich zu erläutern. Nach der Theorie der antiken Metriker gab es im Versmaass drei an und für sich wohlgefällige Verhältnisse, welche in dem dreifachen Zahlenverhältniss: 2 : 1, 2 : 2, 2 : 3 ihren Ausdruck fanden. Dieses waren die drei allgemeinen Versmaasse oder metrischen Stilgattungen, das trochäische, daktylische und päonische, welche auf dem dreifachen Sylbenschema: ̵′ ‿, ̵′ ‿‿, ̵′ ‿‿‿ beruhten. In dem einen derselben also wurde der langen betonten Sylbe oder der Arsis (nach dem antiken Sprachgebrauch im Gegensatz zu dem unsrigen, der Thesis) eine einfache, in dem anderen eine zweifache, in dem dritten endlich eine dreifache kurze Sylbe in der Thesis (dort der Arsis) an die Seite gestellt und es knüpft sich überall offenbar an dieses dreifache Verhältniss der beiden Hälften eines Fusses die besondere Harmonie, der ästhetische Stimmungscharakter oder das Ethos jedes einzelnen Versmaasses an. Da nun die lange Sylbe überall die Ausdehnung oder das zeitliche Maass einer doppelten kurzen besitzt, so besteht im trochäischen Versmaass die Einheit oder Reihe des Fusses aus 3, im daktylischen aus 4, im päonischen aus 5 letzten einfachen Zeittheilen, (morae, χρόνοι) und es beträgt im ersten Falle die Lange der Arsis das Doppelte derjenigen der Thesis, während im zweiten beide Theile einander gleich sind, im dritten aber die Arsis zur Thesis sich wie das Einfache zum Anderthalbfachen verhält, weswegen auch für das erste dieser drei Versmaasse der Ausdruck des γένος διπλάσιον, für das zweite der des γένος ἴσον, für das dritte der des γένος ἡμιόλιον festgestellt wurde. Die ästhetische Lehre oder Meinung war also hier die, dass in jenem dreifachen Zahlenverhältniss allein der Grund oder das bedingende Prinzip des eigenthümlichen Charakters einer jeden diesen drei Arten des Versmaasses enthalten sei. Das Irrthümliche hiervon aber besteht darin, dass auf das innerlich dynamische oder qualitative Moment des auf der langen Sylbe oder der Arsis ruhenden Accentes keine Rücksicht genommen worden war. Die Intensität oder Stärke dieses Accentes ist nämlich überall eine geringere oder grössere je nach der Anzahl der der Arsis des Fusses in der Thesis gegenüberstehenden kurzen Sylben. Das vollständige Schema jener drei Formen des Versmaasses ist insofern dieses: ̵′ ‿, ̵″ ‿‿, ̵‴ ‿‿‿ und es findet in ihnen überall ein bestimmtes Gleichgewicht zwischen der Stärke oder der intensiven Gewalt des arsischen Accentes und der Länge oder Extensität der thetischen Hälfte des Fusses statt. Der ästhetische Eindruck jedes einzelnen Fusses also entspringt nicht sowohl aus einem Abwägen der blossen äusseren oder zeitlichen Länge der Arsis und Thesis als vielmehr aus einem solchen des innerlichen oder qualitativen Elementes des Accentes mit dem äusserlichen oder quantitativen der kurzen thetischen Sylbenzahl. Dass diese Verschiedenheit der Stärke des arsischen Accentes nicht eine blosse Fiction ist, geht für uns deutlich hervor da, wo mehrere verschiedene Versfüsse zu einer einzigen Reihe verbunden sind wie z. B. pinifer Olympus et Ossa, wo sich von selbst das Bedürfniss einer allmählichen Abschwächung des Accentes der langen Sylben im Verhältniss zu der verminderten Anzahl der thetischen Kürzen geltend macht. Ueberhaupt also bilden die äusserlich quantitativen Verhältnisse immer nur die eine Hälfte des Wesens der Sache überhaupt und wir erklären es insofern für einen Irrthum, jene Verhältnisse nur an sich oder als solche zu einem Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung oder einem Maassstab für die Bestimmung des ästhetischen Charakters einer Sache machen zu wollen. Eine der tiefsinnigsten und richtigsten Bemerkungen der Pythagoreer war die, dass die allgemeinste und wichtigste Eintheilungsform alles Wirklichen die der Entgegensetzung ist und dass überall von zwei einander entgegengesetzten Theilen oder Hälften die eine die ihrem Werth und ihrer Bedeutung nach höhere oder vollkommenere ist oder zu sein scheint, als die andere. Die Entgegensetzung ist an sich die einfachste und elementarischste Art aller natürlichen Eintheilung oder Gliederung des Wirklichen; das denkbar einfachste arithmetische Eintheilungsprinzip ist dasjenige durch die Zahl zwei und es hat eben dieses an dem Verhältnisse der Entgegensetzung seinen näheren lebendigen oder organischen Inhalt. Ueberall aber findet zwischen zwei qualitativ entgegengesetzten Begriffen oder Theilen eines Ganzen zugleich ein gewisser absoluter Unterschied des Werthes oder des höheren und niederen Grades der allgemeinen Vollkommenheit statt. Es ist insofern bei aller Verschiedenheit des Inhaltes der Qualität doch immer ein bestimmtes gleichmässiges oder constantes Verhältniss des Unterschiedes der Quantität oder des Werthes, welches sich durch alle wirklichen Gegensätze hindurchzieht. Wir geben diesem Verhältnisse auch dadurch einen Ausdruck, dass wir denjenigen Begriff, der uns als der höhere oder vollkommenere gilt, regelmässig überall an die erste, den anderen dagegen an die zweite Stelle zu setzen pflegen, so wie wir z. B. sagen: Gott und Welt, Thier und Pflanze, Mann und Weib, Gutes und Böses, Oben und Unten, Rechts und Links u. s. w., nicht aber umgekehrt. Dieses allgemeine Gesetz der qualitativen Entgegensetzung aber erinnert gewissermaassen an die Zeising'sche Regel des goldenen Schnittes als das angenommene oberste Prinzip aller organischen oder lebendigen Eintheilung der Quantität oder des Maasses. Auch dort giebt es überall einen Major und einen Minor oder eine stärkere und eine schwächere Hälfte eines höheren gemeinsamen Ganzen und es darf angenommen werden, dass das Verhältniss dieses doppelten Unterschiedes der Qualität auch innerlich ein ähnliches sein werde als das jenes doppelten Unterschiedes des Maasses oder der Quantität. Das Verhältniss des goldenen Schnittes hat, wie es scheint, auch an sich selbst einen gewissen Anspruch darauf, als höchster Ausdruck einer unmittelbar wohlgefälligen und organisch-lebendigen Proportion oder Eintheilung des Maasses zu gelten. Das Zusammenstimmende oder Passende in den Verhältnissen des Maasses bei allem Organischen und Schönen ist nicht von der Art, dass es durch irgend eine einfache arithmetische Formel ausgedrückt werden könnte oder mit einer solchen übereinzustimmen schiene. Hierdurch unterscheidet sich offenbar die Ordnung alles Lebendigen von derjenigen des durch uns selbst kunstmässig berechneten mechanischen Dinges. Dieses letztere hat seine mathematische Proportion oder die Formel seiner arithmetischen Ordnung ausser sich selbst und es macht eben darum in seinen Verhältnissen im Allgemeinen einen eckigen, unschönen und unlebendigen Eindruck. Dem Organischen und dem Schönen aber ist das Prinzip der mathematischen Ordnung an sich selbst inwohnend oder immanent und es bringt eben darum auf uns den Eindruck des Freien, Natürlichen, Ungezwungenen und eigenartig Selbstständigen hervor. Das Organische und das Schöne ist einheitlich geordnet, aber der Gedanke dieser Ordnung ist ein ihm selbst inwohnender und nicht wie der des mechanischen Dinges ein von Aussen her auf dasselbe übertragener. Wir finden es daher nicht regelmässig oder begrifflich gestaltet im Sinne der gewöhnlichen mechanischen Mathematik, aber es ist gleichsam eine tiefere innerliche oder organische Mathematik, welche uns in ihm zu walten scheint. Es ist möglich, dass auch unsere ganze Mathematik selbst noch einer Erweiterung fähig ist, inwiefern es ihr gelingen sollte, die Gesetze und Verhältnisse der organischen oder lebendigen Gestalten der Dinge zu begreifen. Die gewöhnliche Geometrie ist nur die Wissenschaft von den reinen oder abstracten Elementen und Verhältnissen des Raumes. Die Gestalten der wirklichen oder lebendigen Dinge aber scheinen sich gleichsam als Fortsetzungen oder speciellere Durchdringungen an jene reinen Elemente des Raumes anzuschliessen, etwa ähnlich wie die wirklichen Materien und Stoffe der Natur durch die Chemie als Producte der Verbindung und innigen Durchdringung der reinen und einfachen stofflichen Grundelemente nachgewiesen werden. Die Regel des goldenen Schnittes bildet insofern ein durchaus eigenthümliches und singuläres Verhältniss oder Prinzip der Eintheilung des Maasses als hier in einem und demselben wirklichen Verhältniss zweier Theile der nämliche Unterschied des Maasses sich zweimal zugleich vorfindet, indem die grössere Hälfte eines Ganzen durch dieses letztere oder durch die Summe seiner beiden einzelnen Hälften gerade um ebenso viel wiederum aufgehoben oder übertroffen wird als sie selbst über die kleinere hinausragt oder als diese von ihr aufgehoben und übertroffen wird. Das Ganze ist hier gleichsam der natürliche Rächer des Unterliegens der kleineren Hälfte gegenüber dem Uebergewichte der grösseren, da diese ihm selbst gegenüber gerade um so viel kleiner ist als sie grösser war im Verhältniss zu jener. Die grössere Hälfte ist ganz in demselben Maasse der Major im Verhältnisse zu der kleineren oder dem Minor als sie selbst der Minor ist im Verhältniss zu dem Ganzen oder der Summe. Wir glauben hierin gewissermaassen einen Ausdruck der ethischen Idee der Gerechtigkeit in der natürlichen Vertheilung des Maasses erblicken zu dürfen. Auch das Gesetz oder der Gedanke einer Tragödie beruht zuletzt ganz auf demselben Princip oder Verhältniss, welches uns hier auf dem Gebiete des Maasses in der Regel des goldenen Schnittes erscheint. Der tragische Held, ein verhältnissmässig grosser Mensch, ist hier gleichsam der Major, welcher ein bestimmtes Unrecht begeht, indem er über den Minor oder über den Maassstab der gewöhnlichen und kleinen Dinge oder rechtlichen Verhältnisse des menschlichen Lebens hinausgreift und diesen verletzt; er wird hiefür aufgehoben oder vernichtet durch die höhere Idee der Gerechtigkeit, welche im Ganzen oder in der Gesammteinrichtung oder im allgemeinen Verlaufe des menschlichen Lebens waltet und es muss die ihn treffende Strafe überall dem Maasse jenes von ihm begangenen Unrechtes adäquat sein. Das Ganze also ist auch hier immer ganz in demselben Maasse das Grössere oder Stärkere gegenüber dem Major als dieser selbst gegenüber dem Minor und es sind wesentlich überall diese drei Factoren, aus denen sich die Idee oder Einrichtung einer Tragödie zusammensetzt. Das Gesetz der ethischen Gerechtigkeit im Leben und das der ästhetischen oder organischen Harmonie in allem Lebendigen ist also wesentlich überall eines und dasselbe und es schliesst sich auch das Verhältniss des Major und des Minor oder der stärkeren und schwächeren Hälfte eines jeden sonstigen qualitativen Gegensatzes im Leben, wie z. B. des Männlichen und des Weiblichen, an die nämliche Grundform aller wirklichen Eintheilung oder Gliederung an. Die innere Harmonie einer jeden specifisch schönen Sache oder eines Kunstwerkes ist allerdings überall noch eine höhere, reinere und vollkommenere als die des gewöhnlichen, wirklich lebendigen oder organischen Dinges. Es ist vielleicht möglich, diesen Unterschied an irgend ein bestimmmtes näheres oder specifisches Merkmal zu binden. Das wirklich Lebendige oder Organische strebt durch sich selbst in einzelnen seiner Erscheinungen der reineren und höheren Vollkommenheit des Künstlerischen zu und es ist das Kunstwerk selbst überall nur der Ausdruck des höchsten und eigentlichen Vollkommenheitszieles der empirischen Dinge in der übrigen wirklichen Welt. Wir glauben den Satz aussprechen zu dürfen, dass diese höhere und reinere ideale Vollkommenheit in der Erscheinung des Kunstwerkes gegenüber der sonstigen gemeinen Wirklichkeit ihren nächsten und wesentlichen Grund überall darin habe, dass dort die an sich schwächeren oder überhaupt die der Seite des Minor in einer jeden organischen Entgegensetzung angehörenden Elemente sich auf eine verhältnissmässig höhere Stufe der Bedeutung oder der äusseren Anerkennung ihres inneren Werthes gestellt und erhoben finden werden als hier. In der wirklichen Welt regiert im Allgemeinen das rohe und brutale Uebergewicht des Stärkeren über das Schwächere und es beruht hierauf zuletzt der allgemeine Eindruck des Unbefriedigenden oder des das Gefühl der ästhetischen Gerechtigkeit Verletzenden, welches dieselbe für uns an sich trägt. Im Kunstwerk oder in der Sphäre des Schönen dagegen wird das an sich Schwächere im Allgemeinen immer nach dem ihm inwohnenden geistigen Werthe zu seiner wahrhaften und berechtigten Geltung gegenüber der rohen Gewalt des Stärkeren gebracht und es gründet sich eben hierauf jener Eindruck des höheren ästhetischen Gerechtigkeitsgefühles, welcher aus der wahrhaft und vollkommen schönen Sache für uns entspringt. Das Niedrige und Gemeine tritt im Kunstwerk zurück und der verborgene Werth des Edlen gelangt hier zu seinem wahrhaften Rechte. Die Waagschale des Major und des Minor wird im Kunstwerk zu Gunsten dieses letzteren Elementes um ein Bestimmtes gegenüber der Wirklichkeit verändert und es ist anzunehmen, dass dieses dann überall der richtige Ausdruck des wahren und eigentlichen oder rein idealen Standpunctes und seinsollenden Verhältnisses beider Elemente sein werde. Hierauf gründet sich überall der Eindruck des Leichten, Edlen und unmittelbar Gefälligen, welcher dem Kunstwerke gegenüber der wirklichen Sache beiwohnt. So wird in allen idealen oder an das Künstlerische anstreifenden Verhältnissen des Lebens dem weiblichen Geschlecht eine relativ hervorragendere Stellung neben dem männlichen angewiesen als dieses sonst in allen gewöhnlichen oder nüchternen Einrichtungen der Fall zu sein pflegt. Die Pflanze als der Minor des organischen Lebens in der Natur hat ebenso für die Kunst einen verhältnissmässig höheren Werth als das Thier. Im Versmaasse wird von dem kurzen Sylbenelement immer ein verhältnissmässig grösserer Gebrauch gemacht oder es tritt dasselbe dem Elemente der langen Sylbe hier in einer verhältnissmässig grösseren Wichtigkeit und Stärke zur Seite als dieses in der gewöhnlichen Rede der Fall ist oder es wird auch hier in der Kunstgestalt der Sprache die Bedeutung des Minor gegenüber der des Major überall um ein Bestimmtes erhöht. Es ist aber zuletzt überall nur die Auflösung des gegebenen Schönen in den Complex seiner sämmtlichen sowohl qualitativen als quantitativen Beschaffenheiten und die Vergleichung oder Abwägung des relativen Werthes aller seiner einzelnen Elemente unter einander, in welcher das wahrhafte Prinzip der wissenschaftlichen Erkenntniss desselben erkannt werden kann. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Aesthetische Farbenlehre" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.