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Title: Auswahl aus den Dichtungen Eduard Mörikes
Author: Mörike, Eduard
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


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    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.

[Illustration: Eduard Mörike

nach dem Bilde von Bonaventura Weiß 1851.]



    Hausbücherei

    16



    Hausbücherei

    der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung

    16. Band

    [Illustration]

    Hamburg-Großborstel

    Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung
    1910

    11.--20. Tausend



    Auswahl
    aus den Dichtungen
    Eduard Mörikes

    Herausgegeben und eingeleitet von
    ~Dr.~ J. Loewenberg
    Mit einem Bilde Mörikes von Weiß

    [Illustration]

    Hamburg-Großborstel

    Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung
    1910

    11.--20. Tausend



Den Einband schmückt die Silhouette Mörikes von _Paul Konewka_



Inhaltsverzeichnis


                                                Seite

    Inhaltsverzeichnis                           5--7

    Einleitung von ~Dr.~ J. Loewenberg          9--18

    Gedichte Eduard Mörikes                   21--103

      An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang      21

      Nächtliche Fahrt                             22

      Der Knabe und das Immlein                    24

      Begegnung                                    25

      Der Jäger                                    26

      Ein Stündlein wohl vor Tag                   28

      Storchenbotschaft                            28

      Suschens Vogel                               29

      In der Frühe                                 30

      Er ist's                                     31

      Im Frühling                                  31

      Fußreise                                     32

      An eine Äolsharfe                            33

      Mein Fluß                                    34

      Auf der Reise                                36

      Frage und Antwort                            37

      Lebewohl                                     37

      Heimweh                                      38

      Gesang zu zweien in der Nacht                38

      Die traurige Krönung                         39

      Jung Volker                                  41

      Nimmersatte Liebe                            42

      Der Gärtner                                  42

      Schön-Rohtraut                               43

      Lied vom Winde                               44

      Das verlassene Mägdelein                     46

      Agnes                                        46

      Elfenlied                                    47

      Die Soldatenbraut                            48

      Der Feuerreiter                              49

      Die Tochter der Heide                        51

      Die Geister am Mummelsee                     52

      Die schöne Buche                             53

      Auf das Grab von Schillers Mutter            55

      Lose Ware                                    56

      Erinna an Sappho                             57

      Scherz                                       59

      Septembermorgen                              60

      Verborgenheit                                61

      Früh im Wagen                                61

      Denk' es, o Seele                            62

      Peregrina 1                                  63

      Peregrina 2                                  64

      Peregrina 3                                  65

      Peregrina 4                                  66

      Peregrina 5                                  67

      Um Mitternacht                               67

      Auf einer Wanderung                          68

      Am Rheinfall                                 69

      An meine Mutter                              70

      Zum Neuen Jahr                               70

      Auf ein altes Bild                           71

      Sehnsucht                                    71

      Zu viel                                      73

      Nur zu!                                      73

      An die Geliebte                              74

      Wo find ich Trost?                           75

      Gebet                                        75

      Nixe Binsefuß                                76

      Zwei Liebchen                                77

      Der Zauberleuchtturm                         78

      Der alte Turmhahn                            80

      An Wilhelm Hartlaub                          90

      Ach nur einmal noch im Leben!                92

      Der Tambour                                  94

      Häusliche Szene                              95

      Selbstgeständnis                            102

      Restauration                                102

      Nachts                                      103

    Die Historie von der schönen Lau         104--139

    Mozart auf der Reise nach Prag           140--235

[Illustration]



Einleitung.


Eine Auswahl aus Mörike und insbesondere eine Auswahl aus Mörikes
Gedichten -- ist sie gerechtfertigt, da doch der Dichter selbst bei
der Sammlung seiner Gedichte so sorgfältig wählte und schied? Der
Zweck unserer Ausgaben, die in erster Linie für die weitesten Kreise
unseres Volkes bestimmt sind, möge es erklären, daß wir von dem Guten
nur das Beste bringen, daß wir alle Übersetzungen und die meisten
Gelegenheitsgedichte fortgelassen haben. Wenn sich auch in vielen
irgend etwas dichterisch Schönes findet, so sind sie im Vergleich zu
den anderen Gedichten doch minderwertig. Und scheint es nicht, als ob
unsere Zeit mit der Fülle ihrer Erscheinungen und Forderungen, mit
der ruhelosen Hast, in die uns der Kampf eines jeden Tages treibt,
geradezu zu einer Auswahl drängt? Ist es nicht mehr als Zufall, daß
unsere ersten lebenden Lyriker wie Liliencron, Dehmel, Falke selber
eine Auswahl ihrer Gedichte veranstaltet haben? Wir sind nicht mehr
die fröhlich dahinschreitenden Wanderer, die in behaglicher Muße den
Fluß entlang ziehen. Wir werfen von der Höhe des Weges einen sehnenden
Blick in sein liebliches Tal, steigen in der Hitze des Tages wohl zu
ihm herab und erquicken uns an einem vollen Trunk, aber dann weiter,
weiter! Hat er uns wohlgetan, dann denken wir des Spenders in dankbarem
Gemüte, und in gesegneter Stunde kehren wir gern zu ihm zurück, um eine
weit größere Strecke, wenn möglich den ganzen Weg mit ihm zu wandern. --

Eduard Friedrich _Mörike_ wurde am 8. September 1804 in Ludwigsburg
geboren, der kleinen württembergischen Residenzstadt, die uns auch
Justinus Kerner, Friedrich Theodor Vischer, den Dichter von »Auch
Einer«, und David Strauß, den Verfasser des »Lebens Jesu«, geschenkt
hat. Der Vater, der Arzt gewesen, starb, als Eduard erst dreizehn Jahre
alt war, und nun blieb der Mutter die Sorge für sieben unversorgte
Kinder. Sie war eine lebhafte, heitere, phantasiebegabte Frau, und
des Dichters geistiges Erbe stammte wohl zumeist von ihr. So ungern
sie sich auch von ihrem Eduard trennte, so mußte sie es doch dankbar
annehmen, daß sein Oheim, der Obertribunalpräsident Georgii, ihn zu
sich nach Stuttgart nahm, um seine Erziehung zu leiten.

Da Mörike Theologie studieren wollte und sollte, kam er im folgenden
Jahre (1818) in das Seminar zu Urach. Hier schloß er Freundschaft mit
Wilhelm Hartlaub, der ihm Zeit seines Lebens aufs treuste zugetan
war. Mit mancherlei Anlagen ausgerüstet, mit ausgesprochenem Talent
für Zeichnen, mit tiefer Neigung für Musik verriet er auch schon hier
seine poetische Begabung, und als er im Jahre 1822 in das Seminar zu
Tübingen, das sogenannte »Stift«, eintrat, fand er sich bald mit dem
poetisch veranlagten Ludwig Bauer zusammen, mit dem im Bunde er seinen
phantastischen und poetischen Neigungen nachgehen konnte.

Von früh auf suchte der scheue, stille Knabe die Einsamkeit, fand
seine tiefsten Freuden in der Natur und liebte es, sich in eine bunte,
romantische Märchenwelt einzuspinnen. Nun trieben die Freunde »in
einsamer Abgeschlossenheit im Walde, in einem Felsenloch, in einem
verlassenen Brunnenstübchen ihr Wesen, machten den Tag zur erkünstelten
Nacht, deren Dunkel eine matte Lampe erhellte, und lasen sich da Homer
und Shakespeare vor. Nixen, Elfen und Geister aller Art beschworen sie
mit ihrer Phantasie und träumten sich auf eine einsame Wunderinsel
Orplid versetzt.«

In seiner Tübinger Studienzeit wurde Mörike von einer
leidenschaftlichen Liebe zu Marie Meyer, einem abenteuernden Mädchen,
ergriffen, dessen Wesen und Schicksal noch heute nicht ganz aufgehellt
ist. Nach schweren inneren Kämpfen erkannte er, daß seine Liebe, die er
in dem Gedichtcyklus »Peregrina« verewigt hat, auf Irrwege gegangen,
und schwer krank kehrte er zur Mutter zurück. Wenn je ein Mann der
liebenden, sorgenden und stützenden Hand des Weibes bedurfte, so war
es Mörike, der so unerfahren in allen praktischen Dingen war, der
sich so scheu von aller Welt zurückzog, daß er einmal später Geibel
gestand: »Wenn Sie wüßten, welchen Entschluß schon es mich kostet,
einer Gesellschaft zuliebe in einen andern Rock zu schlüpfen!« Er, der
sich so sehr nach einem Heim sehnte, mußte jahrelang, nachdem er 1826
sein theologisches Examen abgelegt, von einem Orte Schwabens zum andern
wandern, um als Pfarrvikar tätig zu sein. Kaum fing er an, irgendwo
zu wurzeln, so mußte er sich wieder losreißen, bis er endlich 1834
die Pfarre von Cleversulzbach erhielt. Ein Jahr zuvor hatte er sein
langjähriges Verlöbnis mit Luise Rau lösen müssen. Ihre Sorge um die
Sicherheit ihrer Zukunft, Mißtrauen in seine Kraft und in seinen Willen
hatten ein Verhältnis gelockert, das Liebe und Vertrauen geknüpft
hatten. Nun bereiteten ihm die Mutter und die Schwester, die schon 1832
zu ihm gezogen waren, ein behagliches, stilles Heim, das wohl dem nicht
ganz unähnlich war, das er in seinem fein humoristischen Idyll »Der
Turmhahn« geschildert hat.

Es war ein schwerer Schlag für ihn, als die Mutter 1841 starb. Er ließ
sie neben Schillers Mutter betten, auf deren fast vergessenem Grab er
ein Kreuz hatte aufrichten lassen, und der er in seinem Gedicht »Auf
das Grab von Schillers Mutter« ein Denkmal seiner Verehrung setzte.

Fortwährende Kränkeleien -- so recht gesund fühlte sich Mörike nie --
bestimmten ihn 1843 dazu, sein kirchliches Amt ganz aufzugeben. Hatten
ihn im Anfang seiner Laufbahn oft religiöse Zweifel gequält, so hatte
er sich allmählich in praktischer, ratender und helfender Tätigkeit
zurechtgefunden, so daß er aus seinem Amte nicht leichten Herzens
schied. Sein literarischer Ruhm war inzwischen stetig gewachsen.
1832 war sein großer Roman »_Maler Nolten_«, in den der Dichter
manche Ereignisse seines Lebens hineingesponnen, erschienen. 1839
veröffentlichte er »Iris, eine Sammlung erzählender und dramatischer
Dichtungen«, und ein Jahr früher hatte er die erste Sammlung seiner
_Gedichte_ herausgegeben. Fanden sie auch bei dem großen Publikum
nur geringen Widerhall, die Kundigen wußten, was sie galten, wußten,
daß ein neuer starker Dichter erstanden war. Hermann Kurz durfte
scherzen, er werde ihn beschuldigen, daß er Goethes verlorene Lieder
unrechtmäßigerweise an sich gebracht habe, um sich nun damit zu brüsten.

Nachdem Mörike sein Amt niedergelegt hatte, siedelte er nach kurzem
Aufenthalt in Schwäbisch-Hall nach Mergentheim über. Hier entstand die
»_Idylle vom Bodensee_«, die er 1846 veröffentlichte. 1851 ging er
nach Stuttgart, wo er am Katharinenstift, einer höheren Töchterschule,
eine Anstellung erhielt. In Stuttgart verheiratete er sich auch, zwei
Töchter entsprossen dieser Ehe, und Mörike, der große Kinderfreund,
jubelte über sein spätes Vaterglück; aber der Bund war trotzdem kein
glücklicher. Die beiden Gatten standen sich innerlich zu fern, und
anstatt zusammenzuwachsen, wurden sie sich immer fremder, so daß
schließlich eine Trennung erfolgte.

In Stuttgart wurden auch zwei andre Kinder Mörikes geboren, seine
beiden feinsten Prosadichtungen: das farbenprächtige, volkstümliche
Märchen vom _Stuttgarter Hutzelmännlein_ (1852), aus dem wir die
köstliche »Historie von der schönen Lau« bringen,[1] und die
ergreifende Novelle »_Mozart auf der Reise nach Prag_« (1856). Sie
mutet uns wie eine biographische Erzählung an, so wahr scheint Wesen,
Charakter und Sprache des großen Komponisten getroffen; und doch ist's
eigentlich auch ein Märchen, ein Märchen, wie ein Dichter sich einen
Glückstag aus dem Leben eines Künstlers träumt, ein Tag, wo alle
Erdenfreude ihm noch einmal hell leuchtet, kurz bevor die Lebenssonne
zur Rüste geht. Von jeher hatte die Musik die tiefste Wirkung auf
Mörike geübt, und was er einmal von seiner Lieblingsoper Don Juan sagt,
das schlägt uns auch aus seiner Dichtung entgegen: »ein Überschwall von
allem Duft, Schmerz und Schönheit«.

    [1] Es sei hier auf die Hessesche Gesamtausgabe von Mörikes
      Werken mit der vortrefflichen Einleitung von Rudolf Krauß
      hingewiesen.

Aus Gesundheitsrücksichten gab Mörike 1866 seine Stuttgarter Stelle auf
und zog mit seiner Schwester nach Lorch. Mannigfache Auszeichnungen
waren ihm inzwischen zu teil geworden. Die Tübinger Universität
hatte ihn zum Ehrendoktor ernannt; der König Max von Bayern, der ihn
gern in den Münchener Dichterkreis gezogen hätte, erwählte ihn zum
Ritter des Maximilianordens, und die Schillerstiftung verlieh ihm
eine lebenslängliche Jahrespension. Berühmte Dichter und Künstler
suchten seine Freundschaft. Theodor Storm, der wesensverwandte
norddeutsche Dichter, wies schon früh auf Mörikes Bedeutung hin. In
seinen »Erinnerungen an Mörike« spricht er es aus, was der Dichter
ihm gewesen, und in seinem Hausbuch deutscher Lyriker betont er, daß
»Mörikes Gedichte in keiner Bibliothek fehlen dürften, in der unsere
poetische Literatur, wenn auch nur andeutungsweise, vertreten ist«.
Moriz von Schwind und Ludwig Richter schufen Bilder zu seinen Werken,
und hervorragende Komponisten vertonten seine Lieder. Er hätte in
Lorch, wo er die »langersehnte, absolute Ruhe und Stille« fand, einen
behaglichen Lebensabend verbringen können, wenn ihn sein häusliches
Unglück nicht tief gequält hätte. Ihm fehlte, was er an Schwinds Frau
rühmte, »die treue, so ganz für ihn geschaffene Gefährtin«. Noch kurz
vor seinem Tode rief er seine Frau zu sich und söhnte sich mit ihr
aus, und am Morgen des 4. Juni 1875 endete ein Leben, das scheinbar
ruhig und still verlief, das aber reich war an allem, was nur ein
Menschenherz erregen und bewegen kann, an Leiden und Enttäuschungen,
an schweren Kämpfen und stillen Siegen.

_Mörike der Lyriker_ ist, wie Hebbel der Dramatiker, erst in
unsern Tagen zu seinem vollen Recht gekommen. Es liegt in seinen
Dichtungen nichts Hinreißendes, Leidenschaftliches, nichts Großes,
Überwältigendes, das gleich auf den ersten Blick fesselt. Und doch
fehlt es ihnen nicht an Größe und Leidenschaft. Nur wurzeln sie ebenso
tief unter der Erde, wie sie oberhalb wachsen und grünen. Sie tragen
die stille Schönheit seiner Heimat in sich: Hügel und Täler, Wald
und Wiese und Fluß. Dem vorüberhastenden Blick erschließen sie nicht
ihren Reiz, man muß sich darin ergehen. Aber dann findet jeder ein
Stück Heimatland da, das Heimatland seiner Seele: »Ja, so haben wir's
gefühlt, so haben wir's genossen! Das lag wohl immer schon so in uns,
Mörike hat es nicht erfunden, hat es uns selber nur entdeckt.« Seine
Dichtungen wirken so, wie er einmal in einem Brief an seinen Freund
Waiblinger von dem frischen Sommerregen schreibt: »Unser Innerliches
fühlt sich sonderbar geborgen und guckt wie ein Kind, das sich mit
verhaltenem Jauchzen vor dem nassen Ungestüm draußen versteckt,
mit hellen Augen durchs Vorhängel, bald aus jenem, bald aus diesem
vergnügten Winkelchen.«

Und mit Kindesaugen sieht der Dichter in die Welt. Da ist nichts so
klein, daß es, mit seinen Blicken betrachtet, nicht Wert erhielte,
nichts so unscheinbar, daß es, von dem Strahl seines hellen Gemüts
getroffen, nicht leuchtete und glänzte, und nichts so groß, daß er
nicht damit spielen könnte. »Mörike,« sagt Fr. Strauß, »nimmt eine
Handvoll Erde, drückt sie ein wenig, und alsbald fliegt ein Vögelchen
davon.« Das ist die göttliche Urkraft der Phantasie, die in jedem
Kinde lebendig ist und sich in jedem Dichter betätigt. Da gibt es
nichts Großes und Kleines, nichts Lebendes und Totes. Da berühren sich
überall Himmel und Erde, und jeder Mensch trägt das Gottesgnadentum,
König zu werden, in sich. Aus dieser Märchenwelt kam Mörike nie heraus.
Alles um ihn her, Stein und Pflanze und Tier, war ihm Gefährte und
redete in seiner Sprache zu ihm. Weltfremd und menschenscheu, war er
doch auf jedem Fleckchen grüner Erde daheim und vertraut mit allem,
was Menschenherz bewegt. War es wunder, daß er Märchen dichtete? Er
lebte sie ja. Märchenbildungen wie die Insel Orplid, wie der sichre
Mann Suckelhorst wurden ihm so lebendig, daß sie in seiner Rede als
gegenständlich vorkamen oder umherliefen.

In seinen Märchennovellen ist das Wunderbare und Alltägliche so
gemischt, daß wir das eine wie das andre glauben. Daß die schöne Lau
in den Blautopf verbannt ist, erscheint uns ebenso natürlich, wie daß
sie lachen muß, als sie »das Enkelein mit rotgeschlafenen Backen hemdig
und einen Apfel in der Hand auf einem runden Stühlchen von guter Ulmer
Hafnerarbeit, grünverglaset« sitzen sah.

Manche seiner Dichtungen sind in dem wenig volkstümlichen Hexameter
verfaßt, und Mörike ist oft stark von der antiken Dichtung beeinflußt,
so daß er, wie Keller treffend bemerkt, uns anmutet, als ob er der Sohn
des Horaz und einer feinen Schwäbin sei.

Aber trotz dieses fremden Elements lebt in Mörike so viel Naives und
Volkstümliches, so viel Naturgefühl und Phantasie, so viel sonniger
Humor und tiefe Lebensweisheit, daß wir getrost den Worten, die
Friedrich Vischer dem Freunde am Grabe nachrief, vertrauen können: »Es
gibt eine Gemeinde -- und nur in der Vergleichung mit der breiten Menge
ist sie klein -- die sich labt und entzückt an deinen wunderbaren,
hellen, seligen Träumen und die hohe Wahrheit schaut in diesen Träumen.
Es gibt eine Gemeinde, die den Dichter nicht nach rednerischen Worten
schätzt, die den feineren Wohllaut trinkt, der aus ursprünglichem
Naturgefühl der Sprache quillt. Und sie wird wachsen, diese Gemeinde,
sich erweitern zu Kreis um Kreis, Bund um Bund wird sich bilden von
Einverstandenen in deinem Verständnis.«

    Hamburg im Dezember 1905.

            J. Loewenberg.



Dichtungen

von

Eduard Mörike



An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang.


    O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
    Welch neue Welt bewegest du in mir?
    Was ist's, daß ich auf einmal nun in dir
    Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?

    Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
    Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
    Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
    Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
    Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
    Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.

    Bei hellen Augen glaub' ich doch zu schwanken:
    Ich schließe sie, daß nicht der Traum entweiche.
    Seh' ich hinab in lichte Feenreiche?
    Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
    Zur Pforte meines Herzens hergeladen,
    Die glänzend sich in diesem Busen baden,
    Goldfarb'gen Fischlein gleich im Gartenteiche?
    Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,
    Wie um die Krippe jener Wundernacht,
    Bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;
    Wer hat das friedenselige Gedränge
    In meine traurigen Wände hergebracht?

    Und welch Gefühl entzückter Stärke,
    Indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
    Vom ersten Mark des heut'gen Tags getränkt,
    Fühl' ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
    Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
    Der Genius jauchzt in mir. Doch sage!
    Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?
    Ist's ein verloren Glück, was mich erweicht?
    Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?
    -- Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:
    Es ist ein Augenblick, und alles wird verwehn.

    Dort, sieh! am Horizont lüpft sich der Vorhang schon.
    Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;
    Die Purpurlippe, die geschlossen lag,
    Haucht, halb geöffnet, süße Atemzüge:
    Auf einmal blitzt das Aug', und, wie ein Gott, der Tag
    Beginnt im Sprung die königlichen Flüge.



Nächtliche Fahrt.


    Jüngst im Traum ward ich getragen
    Über fremdes Heideland;
    Vor den halbverschlossnen Wagen
    Schien ein Trauerzug gespannt.

    Dann durch mondbeglänzte Wälder
    Ging die sonderbare Fahrt,
    Bis der Anblick offner Felder
    Endlich mir bekannter ward.

    Wie im lustigen Gewimmel
    Tanzt nun Busch und Baum vorbei!
    Und ein Dorf nun -- guter Himmel!
    O mir ahnet, was es sei.

    Sah ich doch vorzeiten gerne
    Diese Häuser oft und viel,
    Die am Wagen die Laterne
    Streift im stummen Schattenspiel.

    Ja, dort unterm Giebeldache
    Schlummerst du, vergeßlich Herz!
    Und daß dein Getreuer wache,
    Sagt dir kein geheimer Schmerz. --

    Ferne waren schon die Hütten:
    Sieh! da flattert's durch den Wind.
    Eine Gabe zu erbitten
    Schien ein armes, holdes Kind.

    Wie vom bösen Geist getrieben,
    Werf' ich rasch der Bettlerin
    Ein Geschenk von meiner Lieben,
    Jene goldne Kette, hin.

    Plötzlich scheint ein Rad gebunden,
    Und der Wagen steht gebannt,
    Und das schöne Mädchen unten
    Hält mich schelmisch bei der Hand.

    »Denkt man so damit zu schalten?
    So entdeck' ich den Betrug?
    Doch den Wagen festzuhalten,
    War die Kette stark genug.

    Willst du, daß ich dir verzeihe,
    Sei erst selber wieder gut!
    Oder wo ist deine Treue,
    Böser Junge, falsches Blut?«

    Und sie streichelt mir die Wange,
    Küßt mir das erfrorne Kinn,
    Steht und lächelt, weinet lange
    Als die schönste Büßerin.

    Doch mir bleibt der Mund verschlossen,
    Und kaum weiß ich, was geschehn;
    Ganz in ihren Arm gegossen,
    Schien ich selig zu vergehn.

    Und nun fliegt mit uns, ihr Pferde,
    In die graue Welt hinein!
    Unter uns vergeh' die Erde,
    Und kein Morgen soll mehr sein!



Der Knabe und das Immlein.


    Im Weinberg auf der Höhe
    Ein Häuslein steht so windebang,
    Hat weder Tür noch Fenster;
    Die Weile wird ihm lang.

    Und ist der Tag so schwüle,
    Sind all' verstummt die Vögelein,
    Summt an der Sonnenblume
    Ein Immlein ganz allein.

    Mein Lieb hat einen Garten,
    Da steht ein hübsches Immenhaus:
    Kommst du daher geflogen?
    Schickt sie dich nach mir aus?

    »O nein, du feiner Knabe,
    Es hieß mich niemand Boten gehn;
    Dies Kind weiß nichts von Lieben,
    Hat dich noch kaum gesehn.

    Was wüßten auch die Mädchen,
    Wenn sie kaum aus der Schule sind!
    Dein herzallerliebstes Schätzchen
    Ist noch ein Mutterkind.

    Ich bring' ihm Wachs und Honig;
    Ade! -- ich hab' ein ganzes Pfund.
    Wie wird das Schätzchen lachen!
    Ihm wässert schon der Mund.«

    Ach, wolltest du ihr sagen,
    Ich wüßte, was viel süßer ist:
    Nichts Lieblichers auf Erden,
    Als wenn man herzt und küßt!



Begegnung.


    Was doch heut nacht ein Sturm gewesen,
    Bis erst der Morgen sich geregt!
    Wie hat der ungebetne Besen
    Kamin und Gassen ausgefegt!

    Da kommt ein Mädchen schon die Straßen,
    Das halb verschüchtert um sich sieht;
    Wie Rosen, die der Wind zerblasen,
    So unstet ihr Gesichtchen glüht.

    Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen,
    Er will ihr voll Entzücken nahn:
    Wie sehn sich freudig und verlegen
    Die ungewohnten Schelme an!

    Er scheint zu fragen, ob das Liebchen
    Die Zöpfe schon zurecht gemacht,
    Die heute nacht im offnen Stübchen
    Ein Sturm in Unordnung gebracht.

    Der Bursche träumt noch von den Küssen,
    Die ihm das süße Kind getauscht,
    Er steht, von Anmut hingerissen,
    Derweil sie um die Ecke rauscht.



Der Jäger.


    Drei Tage Regen fort und fort,
    Kein Sonnenschein zur Stunde;
    Drei Tage lang kein gutes Wort
    Aus meiner Liebsten Munde!

    Sie trutzt mit mir und ich mit ihr --
    So hat sie's haben wollen;
    Mir aber nagt's am Herzen hier,
    Das Schmollen und das Grollen.

    Willkommen denn, des Jägers Lust,
    Gewittersturm und Regen!
    Fest zugeknöpft die heiße Brust
    Und jauchzend euch entgegen!

    Nun sitzt sie wohl daheim und lacht
    Und scherzt mit den Geschwistern;
    Ich höre in des Waldes Nacht
    Die alten Blätter flüstern.

    Nun sitzt sie wohl und weinet laut
    Im Kämmerlein in Sorgen;
    Mir ist es wie dem Wilde traut,
    In Finsternis geborgen.

    Kein Hirsch und Rehlein überall:
    Ein Schuß zum Zeitvertreibe!
    Gesunder Knall und Widerhall
    Erfrischt das Mark im Leibe.

    Doch wie der Donner nun verhallt
    In Tälern durch die Runde,
    Ein plötzlich Weh mich überwallt,
    Mir sinkt das Herz zu Grunde.

    Sie trutzt mit mir und ich mit ihr --
    So hat sie's haben wollen;
    Mir aber frißt's am Herzen hier,
    Das Schmollen und das Grollen.

    Und auf! und nach der Liebsten Haus!
    Und sie gefaßt ums Mieder! --
    »Drück mir die nassen Locken aus
    Und küß und hab mich wieder!«



Ein Stündlein wohl vor Tag.


    Derweil ich schlafend lag,
    Ein Stündlein wohl vor Tag,
    Sang vor dem Fenster auf dem Baum
    Ein Schwälblein mir, ich hört' es kaum --
    Ein Stündlein wohl vor Tag.

    »Hör an, was ich dir sag'!
    Dein Schätzlein ich verklag':
    Derweil ich dieses singen tu':
    Herzt er ein Lieb in guter Ruh',
    Ein Stündlein wohl vor Tag.«

    O weh! nicht weiter sag!
    O still! nichts hören mag.
    Flieg ab, flieg ab von meinem Baum! --
    Ach, Lieb' und Treu' ist wie ein Traum
    Ein Stündlein wohl vor Tag.



Storchenbotschaft.


    Des Schäfers sein Haus und das steht auf zwei Rad,
    Steht hoch auf der Heiden, so frühe wie spat;
    Und wenn nur ein mancher so'n Nachtquartier hätt'!
    Ein Schäfer tauscht nicht mit dem König sein Bett.

    Und käm' ihm zur Nacht auch was Seltsames vor,
    Er betet sein Sprüchel und legt sich aufs Ohr;
    Ein Geistlein, ein Hexlein, so lustige Wicht',
    Sie klopfen ihm wohl, doch er antwortet nicht.

    Einmal doch, da ward es ihm wirklich zu bunt:
    Es knopert am Laden, es winselt der Hund;
    Nun ziehet mein Schäfer den Riegel -- ei schau!
    Da stehen zwei Störche, der Mann und die Frau.

    Das Pärchen, es machet ein schön Kompliment,
    Es möchte gern reden -- ach, wenn es nur könnt'!
    Was will mir das Ziefer? ist so was erhört?
    Doch ist mir wohl fröhliche Botschaft beschert.

    Ihr seid wohl dahinten zu Hause am Rhein?
    Ihr habt wohl mein Mädel gebissen ins Bein?
    Nun weinet das Kind und die Mutter noch mehr,
    Sie wünschet den Herzallerliebsten sich her?

    Und wünschet daneben die Taufe bestellt:
    Ein Lämmlein, ein Würstlein, ein Beutelein Geld?
    So sagt nur, ich käm' in zwei Tag' oder drei.
    Und grüßt mir mein Bübel und rührt ihm den Brei!

    Doch halt! warum stellt ihr zu zweien euch ein?
    Es werden doch, hoff' ich, nicht Zwillinge sein? --
    Da klappern die Störche im lustigsten Ton,
    Sie nicken und knixen und fliegen davon.



Suschens Vogel.


    Ich hatt' ein Vöglein, ach, wie fein!
    Kein schöners mag wohl nimmer sein:

    Hätt' auf der Brust ein Herzlein rot
    Und sung und sung sich schier zu Tod.

    Herzvogel mein, du Vogel schön,
    Nun sollt du mit zu Markte gehn! --

    Und als ich in das Städtlein kam,
    Er saß auf meiner Achsel zahm.

    Und als ich ging am Haus vorbei
    Des Knaben, dem ich brach die Treu',

    Der Knab' just aus dem Fenster sah,
    Mit seinem Finger schnalzt er da:

    Wie horchet gleich mein Vogel auf!
    Zum Knaben fliegt er husch! hinauf.

    Der koset ihn so lieb und hold;
    Ich wußt' nicht, was ich machen sollt',

    Und stund, im Herzen so erschreckt,
    Mit Händen mein Gesichte deckt',

    Und schlich davon und weinet' sehr
    Ich hört' ihn rufen hinterher:

    »Du falsche Maid, behüt dich Gott!
    Ich hab' doch wieder mein Herzlein rot.«



In der Frühe.


    Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,
    Dort gehet schon der Tag herfür
    An meinem Kammerfenster.
    Es wühlet mein verstörter Sinn
    Noch zwischen Zweifeln her und hin
    Und schaffet Nachtgespenster. --
    Ängste, quäle
    Dich nicht länger, meine Seele!
    Freu dich! schon sind da und dorten
    Morgenglocken wach geworden.



Er ist's.


    Frühling läßt sein blaues Band
    Wieder flattern durch die Lüfte;
    Süße, wohlbekannte Düfte
    Streifen ahnungsvoll das Land.
    Veilchen träumen schon,
    Wollen balde kommen. --
    Horch, von fern ein leiser Harfenton!
      Frühling, ja du bist's!
    Dich hab' ich vernommen!



Im Frühling.


    Hier lieg' ich auf dem Frühlingshügel:
    Die Wolke wird mein Flügel,
    Ein Vogel fliegt mir voraus.
    Ach, sag mir, alleinzige Liebe,
    Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe!
    Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.

    Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
    Sehnend,
    Sich dehnend
    In Lieben und Hoffen.
    Frühling, was bist du gewillt?
    Wann werd' ich gestillt?

    Die Wolke seh' ich wandeln und den Fluß,
    Es dringt der Sonne goldner Kuß
    Mir tief bis ins Geblüt hinein;
    Die Augen, wunderbar berauschet,
    Tun, als schliefen sie ein,
    Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.

    Ich denke dies und denke das,
    Ich sehne mich und weiß nicht recht, nach was:
    Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
    Mein Herz, o sage,
    Was webst du für Erinnerung
    In golden grüner Zweige Dämmerung? --
    Alte unnennbare Tage!



Fußreise.


    Am frischgeschnittnen Wanderstab
    Wenn ich in der Frühe
    So durch Wälder ziehe,
    Hügel auf und ab:
    Dann, wie 's Vögelein im Laube
    Singet und sich rührt,
    Oder wie die goldne Traube
    Wonnegeister spürt
    In der ersten Morgensonne,
    So fühlt auch mein alter, lieber
    Adam Herbst- und Frühlingsfieber,
    Gottbeherzte,
    Nie verscherzte
    Erstlings-Paradieseswonne.
    Also bist du nicht so schlimm, o alter
    Adam, wie die strengen Lehrer sagen:
    Liebst und lobst du immer doch,
    Singst und preisest immer noch,
    Wie an ewig neuen Schöpfungstagen,
    Deinen lieben Schöpfer und Erhalter!
    Möcht' es dieser geben,
    Und mein ganzes Leben
    Wär' im leichten Wanderschweiße
    Eine solche Morgenreise.



An eine Äolsharfe.


    Angelehnt an die Efeuwand
    Dieser alten Terrasse,
    Du, einer luftgebornen Muse
    Geheimnisvolles Saitenspiel,
    Fang an,
    Fange wieder an
    Deine melodische Klage!

    Ihr kommet, Winde, fern herüber
    Ach! von des Knaben,
    Der mir so lieb war,
    Frisch grünendem Hügel.
    Und Frühlingsblüten unterwegs streifend,
    Übersättigt mit Wohlgerüchen,
    Wie süß bedrängt ihr dies Herz
    Und säuselt her in die Saiten,
    Angezogen von wohllautender Wehmut,
    Wachsend im Zug meiner Sehnsucht
    Und hinsterbend wieder.

    Aber auf einmal,
    Wie der Wind heftiger herstößt,
    Ein holder Schrei der Harfe
    Wiederholt, mir zu süßem Erschrecken,
    Meiner Seele plötzliche Regung,
    Und hier -- die volle Rose streut, geschüttelt,
    All ihre Blätter vor meine Füße.



Mein Fluß.


    O Fluß, mein Fluß im Morgenstrahl!
    Empfange nun, empfange
    Den sehnsuchtsvollen Leib einmal
    Und küsse Brust und Wange! --
    Er fühlt mir schon herauf die Brust,
    Er kühlt mit Liebesschauerlust
    Und jauchzendem Gesange.

    Es schlüpft der goldne Sonnenschein
    In Tropfen an mir nieder,
    Die Woge wieget aus und ein
    Die hingegebnen Glieder,
    Die Arme hab' ich ausgespannt:
    Sie kommt auf mich herzugerannt,
    Sie faßt und läßt mich wieder.

    Du murmelst so, mein Fluß; warum?
    Du trägst seit alten Tagen
    Ein seltsam Märchen mit dir um
    Und mühst dich, es zu sagen;
    Du eilst so sehr und läufst so sehr,
    Als müßtest du im Land umher,
    Man weiß nicht wen, drum fragen.

    Der Himmel, blau und kinderrein,
    Worin die Wellen singen,
    Der Himmel ist die Seele dein:
    O laß mich ihn durchdringen!
    Ich tauche mich mit Geist und Sinn
    Durch die vertiefte Bläue hin
    Und kann sie nicht erschwingen.

    Was ist so tief, so tief wie sie?
    Die Liebe nur alleine.
    Sie wird nicht satt und sättigt nie
    Mit ihrem Wechselscheine. --
    Schwill an, mein Fluß, und hebe dich,
    Mit Grausen übergieße mich!
    Mein Leben um das deine!

    Du weisest schmeichelnd mich zurück
    Zu deiner Blumenschwelle.
    So trage denn allein dein Glück
    Und wieg auf deiner Welle
    Der Sonne Pracht, des Mondes Ruh'!
    Nach tausend Irren kehrest du
    Zur ew'gen Mutterquelle.



Auf der Reise.


    Zwischen süßem Schmerz,
    Zwischen dumpfem Wohlbehagen
    Sitz' ich nächtlich in dem Reisewagen,
    Lasse mich so weit von dir, mein Herz,
    Weit und immer weiter tragen.

    Schweigend sitz' ich und allein,
    Ich wiege mich in bunten Träumen,
    Das muntre Posthorn klingt darein
    Es tanzt der liebe Mondenschein
    Nach diesem Ton auf Quellen und auf Bäumen,
    Sogar zu mir durchs enge Fensterlein.

    Ich wünsche mir nun dies und das.
    O könnt' ich jetzo durch ein Zauberglas
    Ins Goldgewebe deines Traumes blicken!
    Vielleicht dann säh' ich wieder mit Entzücken
    Dich in der Laube wohlbekannt.
    Ich sähe Genovefens Hand
    Auf deiner Schulter traulich liegen,
    Am Ende säh' ich selber mich,
    Halb keck und halb bescheidentlich,
    An deine holde Wange schmiegen.

    Doch nein! wie dürft' ich auch nur hoffen,
    Daß jetzt mein Schatten bei dir sei!
    Ach, stünden deine Träume für mich offen,
    Du winktest wohl auch wachend mich herbei!



Frage und Antwort.


    Fragst du mich, woher die bange
    Liebe mir zum Herzen kam,
    Und warum ich ihr nicht lange
    Schon den bittern Stachel nahm?

    Sprich, warum mit Geisterschnelle
    Wohl der Wind die Flügel rührt,
    Und woher die süße Quelle
    Die verborgnen Wasser führt!

    Banne du auf seiner Fährte
    Mir den Wind in vollem Lauf!
    Halte mit der Zaubergerte
    Du die süßen Quellen auf!



Lebewohl.


    »Lebe wohl!« -- Du fühlest nicht,
    Was es heißt, dies Wort der Schmerzen:
    Mit getrostem Angesicht
    Sagtest du's und leichtem Herzen.

    Lebe wohl! -- Ach, tausendmal
    Hab' ich mir es vorgesprochen.
    Und in nimmersatter Qual
    Mir das Herz damit gebrochen.



Heimweh.


    Anders wird die Welt mit jedem Schritt,
    Den ich weiter von der Liebsten mache;
    Mein Herz, das will nicht weiter mit.
    Hier scheint die Sonne kalt ins Land,
    Hier deucht mir alles unbekannt,
    Sogar die Blumen am Bache!
    Hat jede Sache
    So fremd eine Miene, so falsch ein Gesicht.
    Das Bächlein murmelt wohl und spricht:
    Armer Knabe, komm bei mir vorüber!
    Siehst auch hier Vergißmeinnicht. --
    Ja, die sind schön an jedem Ort,
    Aber nicht wie dort.
    Fort, nur fort!
    Die Augen gehn mir über!



Gesang zu zweien in der Nacht.


_Sie_:

    Wie süß der Nachtwind nun die Wiese streift
    Und klingend jetzt den jungen Hain durchläuft!
    Da noch der freche Tag verstummt,
    Hört man der Erdenkräfte flüsterndes Gedränge,
    Das aufwärts in die zärtlichen Gesänge
    Der reingestimmten Lüfte summt.

_Er_:

    Vernehm' ich doch die wunderbarsten Stimmen,
    Vom lauen Wind wollüstig hingeschleift,
    Indes, mit ungewissem Licht gestreift,
    Der Himmel selber scheinet hinzuschwimmen.

_Sie_:

    Wie ein Gewebe zuckt die Luft manchmal,
    Durchsichtiger und heller aufzuwehen;
    Dazwischen hört man weiche Töne gehen
    Von sel'gen Feen, die im blauen Saal,
    Zum Sphärenklang
    Und fleißig mit Gesang,
    Silberne Spindeln hin und wieder drehen.

_Er_:

    O holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt
    Auf schwarzem Samt, der nur am Tage grünet,
    Und luftig schwirrender Musik bedienet
    Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt,
    Womit du Stund' um Stunde missest,
    Dich lieblich in dir selbst vergissest --
    Du schwärmst, es schwärmt der Schöpfung Seele mit.



Die traurige Krönung.


    Es war ein König Milesint,
    Von dem will ich euch sagen:
    Der meuchelte sein Bruderskind,
    Wollte selbst die Krone tragen.
    Die Krönung ward mit Prangen
    Auf Liffey-Schloß begangen.
    O Irland! Irland! warest du so blind?

    Der König sitzt um Mitternacht
    Im leeren Marmorsaale,
    Sieht irr in all die neue Pracht,
    Wie trunken von dem Mahle;
    Er spricht zu seinem Sohne:
    »Noch einmal bring die Krone!
    Doch schau, wer hat die Pforten aufgemacht?«

    Da kommt ein seltsam Totenspiel,
    Ein Zug mit leisen Tritten,
    Vermummte Gäste groß und viel,
    Eine Krone schwankt inmitten;
    Es drängt sich durch die Pforte
    Mit Flüstern ohne Worte;
    Dem Könige, dem wird so geisterschwül.

    Und aus der schwarzen Menge blickt
    Ein Kind mit frischer Wunde;
    Es lächelt sterbensweh und nickt,
    Es macht im Saal die Runde,
    Es trippelt zu dem Throne,
    Es reichet eine Krone
    Dem Könige, des Herze tief erschrickt.

    Darauf der Zug von dannen strich,
    Von Morgenluft berauschet,
    Die Kerzen flackern wunderlich,
    Der Mond am Fenster lauschet;
    Der Sohn mit Angst und Schweigen
    Zum Vater tät sich neigen --
    Er neiget über eine Leiche sich.



Jung Volker.

Gesang der Räuber.


    Jung Volker, das ist unser Räuberhauptmann,
    Mit Fiedel und mit Flinte,
    Damit er geigen und schießen kann,
    Nachdem just Wetter und Winde.
                Fiedel und die Flint',
                Fiedel und die Flint'!
              Volker spielt auf.

    Ich sah ihn hoch im Sonnenschein
    Auf einem Hügel sitzen:
    Da spielt er die Geig' und schluckt roten Wein,
    Seine blauen Augen ihm blitzen.
                Fiedel und die Flint',
                Fiedel und die Flint'!
              Volker spielt auf.

    Auf einmal er schleudert die Geig' in die Luft,
    Auf einmal er wirft sich zu Pferde.
    Der Feind kommt! Da stößt er ins Pfeifchen und ruft:
    »Brecht ein wie der Wolf in die Herde!«
                Fiedel und die Flint',
                Fiedel und die Flint'!
              Volker spielt auf.



Nimmersatte Liebe.


    So ist die Lieb'! So ist die Lieb'!
    Mit Küssen nicht zu stillen!
    Wer ist der Tor und will ein Sieb
    Mit eitel Wasser füllen?
    Und schöpfst du an die tausend Jahr'
    Und küssest ewig, ewig gar,
    Du tust ihr nie zu Willen.

    Die Lieb', die Lieb' hat alle Stund'
    Neu wunderlich Gelüsten:
    Wir bissen uns die Lippen wund,
    Da wir uns heute küßten.
    Das Mädchen hielt in guter Ruh',
    Wie 's Lämmlein unterm Messer,
    Ihr Auge bat: Nur immer zu!
    Je weher, desto besser!

    So ist die Lieb'! und war auch so
    Wie lang' es Liebe gibt,
    Und anders war Herr Salomo,
    Der Weise, nicht verliebt.



Der Gärtner.


    Auf ihrem Leibrößlein,
    So weiß wie der Schnee,
    Die schönste Prinzessin
    Reit't durch die Allee.

    Der Weg, den das Rößlein
    Hintanzet so hold,
    Der Sand, den ich streute,
    Er blinket wie Gold.

    Du rosenfarbs Hütlein,
    Wohl auf und wohl ab,
    O wirf eine Feder
    Verstohlen herab!

    Und willst du dagegen
    Eine Blüte von mir,
    Nimm tausend für eine,
    Nimm alle dafür!



Schön-Rohtraut.


    Wie heißt König Ringangs Töchterlein?
    Rohtraut, Schön-Rohtraut.
    Was tut sie denn den ganzen Tag,
    Da sie wohl nicht spinnen und nähen mag?
    Tut fischen und jagen.
    O daß ich doch ihr Jäger wär'!
    Fischen und jagen freute mich sehr.
    -- Schweig stille, mein Herze!

    Und über eine kleine Weil',
    Rohtraut, Schön-Rohtraut,
    So dient der Knab' auf Ringangs Schloß
    In Jägertracht und hat ein Roß
    Mit Rohtraut zu jagen.
    O daß ich doch ein Königssohn wär'!
    Rohtraut, Schön-Rohtraut lieb' ich so sehr.
    -- Schweig stille, mein Herze!

    Einsmals sie ruhten am Eichenbaum,
    Da lacht Schön-Rohtraut:
    Was siehst mich an so wunniglich?
    Wenn du das Herz hast, küsse mich!
    Ach! erschrak der Knabe!
    Doch denket er: mir ist's vergunnt,
    Und küsset Schön-Rohtraut auf den Mund.
    -- Schweig stille, mein Herze!

    Darauf sie ritten schweigend heim,
    Rohtraut, Schön-Rohtraut;
    Es jauchzt der Knab' in seinem Sinn:
    Und würd'st du heute Kaiserin,
    Mich sollt's nicht kränken:
    Ihr tausend Blätter im Walde wißt,
    Ich hab' Schön-Rohtrauts Mund geküßt!
    -- Schweig stille, mein Herze!



Lied vom Winde.


    Sausewind, Brausewind,
    Dort und hier!
    Deine Heimat sage mir!

    »Kindlein, wir fahren
    Seit viel vielen Jahren
    Durch die weit weite Welt
    Und möchten's erfragen,
    Die Antwort erjagen
    Bei den Bergen, den Meeren,
    Bei des Himmels klingenden Heeren:
    Die wissen es nie.
    Bist du klüger als sie,
    Magst du es sagen! --

    Fort, wohlauf!
    Halt uns nicht auf!
    Kommen andre nach, unsre Brüder,
    Da frag wieder!«

    Halt an! Gemach
    Eine kleine Frist!
    Sagt, wo der Liebe Heimat ist,
    Ihr Anfang, ihr Ende!

    »Wer's nennen könnte!
    Schelmisches Kind,
    Lieb' ist wie Wind,
    Rasch und lebendig,
    Ruhet nie,
    Ewig ist sie,
    Aber nicht immer beständig. --
    Fort, wohlauf! auf!
    Halt uns nicht auf!
    Fort über Stoppel und Wälder und Wiesen!
    Wenn ich dein Schätzchen seh',
    Will ich es grüßen.
    Kindlein, ade!«



Das verlassene Mägdlein.


    Früh, wann die Hähne krähn,
    Eh' die Sternlein verschwinden,
    Muß ich am Herde stehn,
    Muß Feuer zünden.

    Schön ist der Flammen Schein,
    Es springen die Funken;
    Ich schaue so drein,
    In Leid versunken.

    Plötzlich da kommt es mir,
    Treuloser Knabe,
    Daß ich die Nacht von dir
    Geträumet habe.

    Träne auf Träne dann
    Stürzet hernieder:
    So kommt der Tag heran --
    O ging' er wieder!



Agnes.


    Rosenzeit, wie schnell vorbei,
        Schnell vorbei
    Bist du doch gegangen!
    Wär' mein Lieb nur blieben treu,
        Blieben treu,
    Sollte mir nicht bangen.

    Um die Ernte wohlgemut,
        Wohlgemut
    Schnitterinnen singen.
    Aber ach! mir kranken Blut,
        Mir kranken Blut
    Will nichts mehr gelingen.

    Schleiche so durchs Wiesental,
        So durchs Tal,
    Als im Traum verloren,
    Nach dem Berg, da tausendmal,
        Tausendmal
    Er mir Treu' geschworen.

    Oben auf des Hügels Rand,
        Abgewandt,
    Wein' ich bei der Linde;
    An dem Hut mein Rosenband,
        Von seiner Hand,
    Spielet in dem Winde.



Elfenlied.


    Bei Nacht im Dorf der Wächter rief:
                        »Elfe!«
    Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief --
                        Wohl um die Elfe --
    Und meint, es rief' ihm aus dem Tal
    Bei seinem Namen die Nachtigall,
    Oder Silpelit hätt' ihm gerufen.
    Reibt sich der Elf die Augen aus,
    Begibt sich vor sein Schneckenhaus
    Und ist als wie ein trunken Mann,
    Sein Schläflein war nicht voll getan,
    Und humpelt also tippe tapp
    Durchs Haselholz ins Tal hinab,
    Schlupft an der Mauer hin so dicht,
    Da sitzt der Glühwurm, Licht an Licht.
    »Was sind das helle Fensterlein?
    Da drin wird eine Hochzeit sein:
    Die Kleinen sitzen beim Mahle
    Und treiben's in dem Saale;
    Da guck' ich wohl ein wenig 'nein.« --
    Pfui, stößt den Kopf an harten Stein!
    Elfe, gelt, du hast genug?
                        Guckuck! Guckuck!



Die Soldatenbraut.


    Ach, wenn's nur der König auch wüßt',
    Wie wacker mein Schätzelein ist!
    Für den König da ließ' er sein Blut,
    Für mich aber ebensogut.

    Mein Schatz hat kein Band und kein' Stern,
    Kein Kreuz, wie die vornehmen Herrn;
    Mein Schatz wird auch kein General, --
    Hätt' er nur seinen Abschied einmal!

    Es scheinen drei Sterne so hell
    Dort über Marien-Kapell:
    Da knüpft uns ein rosenrot Band,
    Und ein Hauskreuz ist auch bei der Hand.



Der Feuerreiter.


    Sehet ihr am Fensterlein
    Dort die rote Mütze wieder?
    Nicht geheuer muß es sein,
    Denn er geht schon auf und nieder.
    Und auf einmal welch Gewühle
    Bei der Brücke, nach dem Feld!
    Horch! das Feuerglöcklein gellt:
        Hinterm Berg,
        Hinterm Berg
    Brennt es in der Mühle!

    Schaut! da sprengt er wütend schier
    Durch das Tor, der Feuerreiter,
    Auf dem rippendürren Tier,
    Als auf einer Feuerleiter!
    Querfeldein! Durch Qualm und Schwüle
    Rennt er schon und ist am Ort!
    Drüben schallt es fort und fort:
        Hinterm Berg,
        Hinterm Berg
    Brennt es in der Mühle!

    Der so oft den roten Hahn
    Meilenweit von fern gerochen,
    Mit des heil'gen Kreuzes Span
    Freventlich die Glut besprochen --
    Weh! dir grinst am Dachgestühle
    Dort der Feind im Höllenschein.
    Gnade Gott der Seele dein!
        Hinterm Berg,
        Hinterm Berg
    Rast er in der Mühle!

    Keine Stunde hielt es an,
    Bis die Mühle barst in Trümmer;
    Doch den kecken Reitersmann
    Sah man von der Stunde nimmer.
    Volk und Wagen im Gewühle
    Kehren heim von all dem Graus;
    Auch das Glöcklein klinget aus:
        Hinterm Berg,
        Hinterm Berg
    Brennt's! --

    Nach der Zeit ein Müller fand
    Ein Gerippe samt der Mützen
    Aufrecht an der Kellerwand
    Auf der beinern Mähre sitzen:
    Feuerreiter, wie so kühle
    Reitest du in deinem Grab!
    Husch! da fällt's in Asche ab.
        Ruhe wohl,
        Ruhe wohl
    Drunten in der Mühle!



Die Tochter der Heide.


    Wasch dich, mein Schwesterchen, wasch dich!
    Zu Robins Hochzeit gehn wir heut:
    Er hat die stolze Ruth gefreit.
    Wir kommen ungebeten;
    Wir schmausen nicht, wir tanzen nicht,
    Und nicht mit lachendem Gesicht
    Komm' ich vor ihn zu treten.

    Strähl' dich, mein Schwesterchen, strähl' dich!
    Wir wollen ihm singen ein Rätsellied,
    Wir wollen ihm klingen ein böses Lied;
    Die Ohren sollen ihm gellen.
    Ich will ihr schenken einen Kranz
    Von Nesseln und von Dornen ganz:
    Damit fährt sie zur Höllen!

    Schmück dich, mein Schwesterchen, schmück dich!
    Derweil sie alle sind am Schmaus,
    Soll rot in Flammen stehn das Haus,
    Die Gäste schreien und rennen.
    Zwei sollen sitzen unverwandt,
    Zwei hat ein Sprüchlein fest gebannt;
    Zu Kohle müssen sie brennen.

    Lustig, mein Schwesterchen, lustig!
    Das war ein alter Ammensang.
    Den falschen Rob vergaß ich lang.
    Er soll mich sehen lachen!
    Hab' ich doch einen andern Schatz,
    Der mit mir tanzet auf dem Platz --
    Sie werden Augen machen!



Die Geister am Mummelsee.


    Vom Berge was kommt dort um Mitternacht spät
    Mit Fackeln so prächtig herunter?
    Ob das wohl zum Tanze, zum Feste noch geht?
    Mir klingen die Lieder so munter.
                                  O nein!
    So sage, was mag es wohl sein?

    Das, was du da siehest, ist Totengeleit,
    Und was du da hörest, sind Klagen.
    Dem König, dem Zauberer, gilt es zu Leid,
    Und Geister nur sind's, die ihn tragen.
                                  O weh!
    So sind es die Geister vom See!

    Sie schweben hernieder ins Mummelseetal --
    Sie haben den See schon betreten --
    Sie rühren und netzen den Fuß nicht einmal --
    Sie schwirren in leisen Gebeten --
                                  O schau,
    Am Sarge die glänzende Frau!

    Jetzt öffnet der See das grünspiegelnde Tor;
    Gib acht, nun tauchen sie nieder!
    Es schwankt eine lebende Treppe hervor,
    Und -- drunten schon summen die Lieder.
                                  Hörst du?
    Sie singen ihn unten zur Ruh.

    Die Wasser, wie lieblich sie brennen und glühn!
    Sie spielen in grünendem Feuer;
    Es geisten die Nebel am Ufer dahin,
    Zum Meere verzieht sich der Weiher --
                                  Nur still!
    Ob dort sich nichts rühren will?

    Es zuckt in der Mitten -- o Himmel! ach hilf!
    Ich glaube, sie nahen, sie kommen!
    Es orgelt im Rohr, und es klirret im Schilf;
    Nur hurtig, die Flucht nur genommen!
                                  Davon!
    Sie wittern, sie haschen mich schon!



Die schöne Buche.


    Ganz verborgen im Wald kenn' ich ein Plätzchen, da stehet
      Eine Buche: man sieht schöner im Bilde sie nicht.
    Rein und glatt, in gediegenem Wuchs erhebt sie sich einzeln,
      Keiner der Nachbarn rührt ihr an den seidenen Schmuck.
    Rings, so weit sein Gezweig der stattliche Baum ausbreitet,
      Grünet der Rasen, das Aug' still zu erquicken, umher.
    Gleich nach allen Seiten umzirkt er den Stamm in der Mitte;
      Kunstlos schuf die Natur selber dies liebliche Rund.
    Zartes Gebüsch umkränzet es erst, hochstämmige Bäume,
      Folgend in dichtem Gedräng', wehren dem himmlischen Blau.
    Neben der dunkleren Fülle des Eichbaums wieget die Birke
      Ihr jungfräuliches Haupt schüchtern im goldenen Licht.
    Nur wo, verdeckt vom Felsen, der Fußsteig jäh sich hinabschlingt,
      Lässet die Hellung mich ahnen das offene Feld. --
    Als ich unlängst einsam, von neuen Gestalten des Sommers
      Ab dem Pfade gelockt, dort im Gebüsch mich verlor,
    Führt' ein freundlicher Geist, des Hains auflauschende Gottheit,
      Hier mich zum erstenmal plötzlich, den Staunenden, ein.
    Welch Entzücken! Es war um die hohe Stunde des Mittags:
      Lautlos alles, es schwieg selber der Vogel im Laub.
    Und ich zauderte noch, auf den zierlichen Teppich zu treten;
      Festlich empfing er den Fuß, leise beschritt ich ihn nur.
    Jetzo, gelehnt an den Stamm (er trägt sein breites Gewölbe
      Nicht zu hoch), ließ ich rundum die Augen ergehn,
    Wo den beschatteten Kreis die feurig strahlende Sonne,
      Fast gleich messend umher, säumte mit blendendem Rand.
    Aber ich stand und rührte mich nicht, dämonischer Stille,
      Unergründlicher Ruh' lauschte mein innerer Sinn.
    Eingeschlossen mit dir in diesem sonnigen Zauber-
      Gürtel, o Einsamkeit, fühlt' ich und dachte nur dich.



Auf das Grab von Schillers Mutter.


    Nach der Seite des Dorfs, wo jener alternde Zaun dort
      Ländliche Gräber umschließt, wall' ich in Einsamkeit oft.
    Sieh den gesunkenen Hügel! Es kennen die ältesten Greise
      Kaum ihn noch, und es ahnt niemand ein Heiligtum hier.
    Jegliche Zierde gebricht und jedes deutende Zeichen;
      Dürftig breitet ein Baum schützende Arme umher.
    Wilde Rose, dich find' ich allein statt anderer Blumen;
      Ja, beschäme sie nur, brich als ein Wunder hervor!
    Tausendblättrig eröffne dein Herz! entzünde dich herrlich
      Am begeisternden Duft, den aus der Tiefe du ziehst!
    Eines Unsterblichen Mutter liegt hier bestattet: es richten
      Deutschlands Männer und Frau'n eben den Marmor ihm auf.



Lose Ware.


    »Tinte! Tinte, wer braucht! Schön schwarze Tinte verkauf' ich,«
      Rief ein Bübchen gar hell Straßen hinauf und hinab.
    Lachend traf sein feuriger Blick mich oben im Fenster:
      Eh' ich mich's irgend versah, huscht er ins Zimmer herein. --
    Knabe, dich rief niemand. -- »Herr, meine Ware versucht nur!«
      Und sein Fäßchen behend schwang er vom Rücken herum.
    Da verschob sich das halb zerrissene Jäckchen ein wenig
      An der Schulter, und hell schimmert' ein Flügel hervor. --
    Ei, laß sehen, mein Sohn! Du führst auch Federn im Handel?
      Amor, verkleideter Schelm! soll ich dich rupfen sogleich? --
    Und er lächelt, entlarvt, und legt auf die Lippen den Finger:
      »Stille! sie sind nicht verzollt. Stört die Geschäfte mir nicht!
    Gebt das Gefäß! ich füll' es umsonst, und bleiben wir Freunde!«
      Dies gesagt und getan, schlüpft er zur Türe hinaus. --
    Angeführt hat er mich doch; denn will ich was Nützliches schreiben,
      Gleich wird ein Liebesbrief, gleich ein Erotikon draus.



Erinna an Sappho.


    (Erinna, eine hochgepriesene junge Dichterin des griechischen
    Altertums um 600 v. Chr., Freundin und Schülerin Sapphos zu
    Mitylene auf Lesbos. Sie starb als Mädchen mit neunzehn Jahren.
    Ihr berühmtestes Werk war ein episches Gedicht, »Die Spindel«,
    von dem man jedoch nichts Näheres weiß. Überhaupt haben sich
    von ihren Poesien nur einige Bruchstücke von wenigen Zeilen und
    drei Epigramme erhalten. Es wurden ihr zwei Statuen errichtet,
    und die Anthologie hat mehrere Epigramme zu ihrem Ruhme von
    verschiedenen Verfassern.)

    »Vielfach sind zum Hades die Pfade,« heißt ein
    Altes Liedchen, »und einen gehst du selber,
    Zweifle nicht!« Wer, süßeste Sappho, zweifelt?
    Sagt es nicht jeglicher Tag?
    Doch den Lebenden haftet nur leicht im Busen
    Solch ein Wort, und dem Meer anwohnend ein Fischer von Kind auf
    Hört im stumpferen Ohr der Wogen Geräusch nicht mehr. --
    Wundersam aber erschrak mir heute das Herz. Vernimm!

    Sonniger Morgenglanz im Garten,
    Ergossen um der Bäume Wipfel,
    Lockte die Langschläferin (denn so schaltest du jüngst Erinna)
    Früh vom schwüligen Lager hinweg.
    Stille war mein Gemüt, in den Adern aber
    Unstet klopfte das Blut bei der Wangen Blässe.

    Als ich am Putztisch jetzo die Flechten löste,
    Dann mit nardeduftendem Kamm vor der Stirn den Haar-
    Schleier teilte: seltsam betraf mich im Spiegel Blick in Blick.
    Augen, sagt' ich, ihr Augen, was wollt ihr?
    Du, mein Geist, heute noch sicher behaust da drinne,
    Lebendigen Sinnen traulich vermählt,
    Wie mit fremdendem Ernst, lächelnd halb, ein Dämon,
    Nickst du mich an, Tod weissagend! --
    Ha, da mit eins durchzuckt' es mich
    Wie Wetterschein, wie wenn, schwarzgefiedert, ein tödlicher Pfeil
    Streifte die Schläfe hart vorbei,
    Daß ich, die Hände gedeckt aufs Antlitz, lange
    Staunend blieb, in die nachtschaurige Kluft schwindelnd hinab.
    Und das eigene Todesgeschick erwog ich,
    Trockenen Augs noch erst,
    Bis da ich dein, o Sappho, dachte
    Und der Freundinnen all
    Und anmutiger Musenkunst:
    Gleich da quollen die Tränen mir.

    Und dort blinkte vom Tisch das schöne Kopfnetz, dein Geschenk,
    Köstliches Byssosgeweb, von goldnen Bienlein schwärmend.
    Dieses, wenn wir demnächst das blumige Fest
    Feiern der herrlichen Tochter Demeters,
    Möcht' ich ihr weihn für meinen Teil und deinen,
    Daß sie hold uns bleibe (denn viel vermag sie),
    Daß du zu früh dir nicht die braune Locke mögest
    Für Erinna vom lieben Haupte trennen.



Scherz.


    Einen Morgengruß ihr früh zu bringen
    Und mein Morgenbrot bei ihr zu holen,
    Geh' ich sachte an des Mädchens Türe,
    Öffne rasch: da steht mein schlankes Bäumchen
    Vor dem Spiegel schon und wäscht sich emsig.
    O wie lieblich träuft die weiße Stirne,
    Träuft die Rosenwange Silbernässe,
    Hangen aufgelöst die süßen Haare!
    Locker spielen Tücher und Gewänder.
    Aber wie sie zagt und scheucht und abwehrt!
    Gleich, sogleich soll ich den Rückzug nehmen!
    »Närrchen,« rief ich, »sei mir so kein Närrchen!
    Das ist Brautrecht, ist Verlobtensitte.
    Laß mich nur! ich will ja blind und lahm sein,
    Will den Kopf und alle beiden Augen
    In die Fülle deiner Locken stecken,
    Will die Hände mit den Flechten binden.« --
    »Nein, du gehst!« -- »Im Winkel laß mich stehen,
    Dir bescheidentlich den Rücken kehren!« --
    »Ei, so mag's, damit ich Ruhe habe.«

    Und ich stand gehorsam in der Ecke,
    Lächerlich, wie ein gestrafter Junge,
    Der die Lektion nicht wohl bestanden,
    Muckste nicht und kühlte mir die Lippen
    An der weißen Wand mit leisem Kusse
    Eine volle, eine lange Stunde,
    Ja, so wahr ich lebe. Doch wer etwa
    Einen kleinen Zweifel möchte haben
    (Was ich ihm just nicht verargen dürfte),
    Nun der frage nur das Mädchen selber!
    Die wird ihn -- noch zierlicher belügen.



Septembermorgen.


    Im Nebel ruhet noch die Welt,
    Noch träumen Wald und Wiesen:
    Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
    Den blauen Himmel unverstellt,
    Herbstkräftig die gedämpfte Welt
    In warmem Golde fließen.



Verborgenheit.


    Laß, o Welt, o laß mich sein!
    Locket nicht mit Liebesgaben!
    Laßt dies Herz alleine haben
    Seine Wonne, seine Pein!

    Was ich traure, weiß ich nicht:
    Es ist unbekanntes Wehe;
    Immerdar durch Tränen sehe
    Ich der Sonne liebes Licht.

    Oft bin ich mir kaum bewußt,
    Und die helle Freude zücket
    Durch die Schwere, so mich drücket,
    Wonniglich in meiner Brust.

    Laß, o Welt, o laß mich sein!
    Locket nicht mit Liebesgaben!
    Laßt dies Herz alleine haben
    Seine Wonne, seine Pein!



Früh im Wagen.


    Es graut vom Morgenreif
    In Dämmerung das Feld,
    Da schon ein blasser Streif
    Den fernen Ost erhellt;

    Man sieht im Lichte bald
    Den Morgenstern vergehn
    Und doch am Fichtenwald
    Den vollen Mond noch stehn:

    So ist mein scheuer Blick,
    Den schon die Ferne drängt,
    Noch in das Schmerzensglück
    Der Abschiedsnacht versenkt.

    Dein blaues Auge steht,
    Ein dunkler See, vor mir,
    Dein Kuß, dein Hauch umweht,
    Dein Flüstern mich noch hier.

    An deinem Hals begräbt
    Sich weinend mein Gesicht,
    Und Purpurschwärze webt
    Mir vor dem Auge dicht.

    Die Sonne kommt. Sie scheucht
    Den Traum hinweg im Nu,
    Und von den Bergen streicht
    Ein Schauer auf mich zu.



Denk' es, o Seele.


    Ein Tännlein grünet wo,
    Wer weiß? im Walde,
    Ein Rosenstrauch, wer sagt,
    In welchem Garten?
    Sie sind erlesen schon --
    Denk' es, o Seele! --
    Auf deinem Grab zu wurzeln
    Und zu wachsen.

    Zwei schwarze Rößlein weiden
    Auf der Wiese,
    Sie kehren heim zur Stadt
    In muntern Sprüngen.
    Sie werden schrittweis gehn
    Mit deiner Leiche,
    Vielleicht, vielleicht noch eh'
    An ihren Hufen
    Das Eisen los wird,
    Das ich blitzen sehe.



Peregrina.


1.

    Der Spiegel dieser treuen braunen Augen
    Ist wie von innerm Gold ein Widerschein;
    Tief aus dem Busen scheint er's anzusaugen,
    Dort mag solch Gold in heil'gem Gram gedeihn.
    In diese Nacht des Blickes mich zu tauchen,
    Unwissend Kind, du selber lädst mich ein:
    Willst, ich soll kecklich mich und dich entzünden,
    Reichst lächelnd mir den Tod im Kelch der Sünden.


2.

    Aufgeschmückt ist der Freudensaal:
    Lichterhell, bunt in laulicher Sommernacht
    Stehet das offene Gartengezelte;
    Säulengleich steigen, gepaart,
    Grünumranket, eherne Schlangen,
    Zwölf, mit verschlungenen Hälsen,
    Tragend und stützend das
    Leicht gegitterte Dach.

    Aber die Braut noch wartet verborgen
    In dem Kämmerlein ihres Hauses.
    Endlich bewegt sich der Zug der Hochzeit,
    Fackeln tragend,
    Feierlich stumm.
    Und in der Mitte,
    Mich an der rechten Hand,
    Schwarz gekleidet, geht einfach die Braut;
    Schöngefaltet ein Scharlachtuch
    Liegt um den zierlichen Kopf geschlagen.
    Lächelnd geht sie dahin; das Mahl schon duftet.

    Später im Lärmen des Fests
    Stahlen wir seitwärts uns beide
    Weg, nach den Schatten des Gartens wandelnd,
    Wo im Gebüsche die Rosen brannten,
    Wo der Mondstrahl um Lilien zuckte,
    Wo die Weymouthsfichte mit schwarzem Haar
    Den Spiegel des Teiches halb verhängt.

    Auf seidnem Rasen dort, ach, Herz am Herzen,
    Wie verschlangen, erstickten meine Küsse den scheueren Kuß,
    Indes der Springquell, unteilnehmend
    An überschwenglicher Liebe Geflüster,
    Sich ewig des eigenen Plätscherns freute!
    Uns aber neckten von fern und lockten
    Freundliche Stimmen,
    Flöten und Saiten umsonst.

    Ermüdet lag, zu bald für mein Verlangen,
    Das leichte, liebe Haupt auf meinem Schoß.
    Spielender Weise mein Aug' auf ihres drückend,
    Fühlt' ich ein Weilchen die langen Wimpern,
    Bis der Schlaf sie stellte,
    Wie Schmetterlingsgefieder auf und niedergehn.

    Eh' das Frührot schien,
    Eh' das Lämpchen erlosch im Brautgemache,
    Weckt' ich die Schläferin,
    Führte das seltsame Kind in mein Haus ein.


3.

    Ein Irrsal kam in die Mondscheingärten
    Einer einst heiligen Liebe;
    Schaudernd entdeckt' ich verjährten Betrug.
    Und mit weinendem Blick, doch grausam
    Hieß ich das schlanke,
    Zauberhafte Mädchen
    Ferne gehen von mir.
    Ach, ihre hohe Stirn
    War gesenkt, denn sie liebte mich;
    Aber sie zog mit Schweigen
    Fort in die graue
    Welt hinaus.

    Krank seitdem,
    Wund ist und wehe mein Herz.
    Nimmer wird es genesen!
    Als ginge, luftgesponnen, ein Zauberfaden
    Von ihr zu mir, ein ängstig Band,
    So zieht es, zieht mich schmachtend ihr nach. --
    Wie? wenn ich eines Tags auf meiner Schwelle
    Sie sitzen fände, wie einst, im Morgenzwielicht,
    Das Wanderbündel neben ihr,
    Und ihr Auge, treuherzig zu mir aufschauend,
    Sagte: Da bin ich wieder
    Hergekommen aus weiter Welt!


4.

    Warum, Geliebte, denk' ich dein
    Auf einmal nun mit tausend Tränen
    Und kann gar nicht zufrieden sein
    Und will die Brust in alle Weite dehnen?

    Ach, gestern in den hellen Kindersaal
    Beim Flimmer zierlich aufgesteckter Kerzen,
    Wo ich mein selbst vergaß in Lärm und Scherzen,
    Tratst du, o Bildnis mitleid-schöner Qual:
    Es war dein Geist, er setzte sich ans Mahl.
    Fremd saßen wir mit stumm verhalt'nen Schmerzen;
    Zuletzt brach ich in lautes Schluchzen aus,
    Und Hand in Hand verließen wir das Haus.


5.

    Die Liebe, sagt man, steht am Pfahl gebunden,
    Geht endlich arm, zerrüttet, unbeschuht;
    Dies edle Haupt hat nicht mehr, wo es ruht,
    Mit Tränen netzet sie der Füße Wunden.

    Ach, Peregrinen hab' ich so gefunden!
    Schön war ihr Wahnsinn, ihrer Wange Glut,
    Noch scherzend in der Frühlingsstürme Wut
    Und wilde Kränze in das Haar gewunden.

    War's möglich, solche Schönheit zu verlassen? --
    So kehrt nur reizender das alte Glück.
    O komm, in diese Arme dich zu fassen!

    Doch weh! o weh! was soll mir dieser Blick?
    Sie küßt mich zwischen Lieben noch und Hassen,
    Sie kehrt sich ab und kehrt mir nie zurück.



Um Mitternacht.


    Gelassen stieg die Nacht ans Land,
    Lehnt träumend an der Berge Wand;
    Ihr Auge sieht die goldne Wage nun
    Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
      Und kecker rauschen die Quellen hervor,
      Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
        Vom Tage,
    Vom heute gewesenen Tage.

    Das uralt alte Schlummerlied --
    Sie achtet's nicht, sie ist es müd';
    Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
    Der flücht'gen Stunden gleichgeschwung'nes Joch.
      Doch immer behalten die Quellen das Wort,
      Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
        Vom Tage,
    Vom heute gewesenen Tage.



Auf einer Wanderung.


    In ein freundliches Städtchen tret' ich ein,
    In den Straßen liegt roter Abendschein.
    Aus einem offnen Fenster eben
    Über den reichsten Blumenflor
    Hinweg hört man Goldglockentöne schweben,
    Und eine Stimme scheint ein Nachtigallenchor,
    Daß die Blüten beben,
    Daß die Lüfte leben,
    Daß in höherem Rot die Rosen leuchten vor.

    Lang' hielt ich staunend, lustbeklommen.
    Wie ich hinaus vors Tor gekommen,
    Ich weiß es wahrlich selber nicht.
    Ach hier, wie liegt die Welt so licht!
    Der Himmel wogt in purpurnem Gewühle,
    Rückwärts die Stadt in goldnem Rauch;
    Wie rauscht der Erlenbach, wie rauscht im Grund die Mühle!
    Ich bin wie trunken, irrgeführt:
    O Muse, du hast mein Herz berührt
    Mit einem Liebeshauch.



Am Rheinfall.


    Halte dein Herz, o Wanderer, fest in gewaltigen Händen!
      Mir entstürzte, vor Lust zitternd, das meinige fast,
    Rastlos donnernde Massen auf donnernde Massen geworfen,
      Ohr und Auge, wohin retten sie sich im Tumult?
    Wahrlich, den eigenen Wutschrei hörete nicht der Gigant hier,
      Läg' er, vom Himmel gestürzt, unten am Felsen gekrümmt.
    Rosse der Götter, im Schwung, eins über dem Rücken des andern,
      Stürmen herunter und streu'n silberne Mähnen umher;
    Herrliche Leiber, unzählbare, folgen sich, nimmer dieselben,
      Ewig dieselbigen -- wer wartet das Ende wohl aus?
    Angst umzieht dir den Busen mit eins, und, wie du es denkest,
      Über das Haupt stürzt dir krachend das Himmelsgewölb.



An meine Mutter.


    Siehe! von allen den Liedern nicht eines gilt dir, o Mutter:
      Dich zu preisen, o glaub's! bin ich zu arm und zu reich.
    Ein noch ungesungenes Lied, ruhst du mir im Busen,
      Keinem vernehmbar sonst, mich nur zu trösten bestimmt,
    Wenn sich das Herz unmutig der Welt abwendet und einsam
      Seines himmlischen Teils bleibenden Frieden bedenkt.



Zum Neuen Jahr.

Kirchengesang.


    (Melodie aus Axur: Wie dort auf den Auen.)

    Wie heimlicherweise
    Ein Engelein leise
    Mit rosigen Füßen
    Die Erde betritt,
    So nahte der Morgen.
    Jauchzt ihm, ihr Frommen,
    Ein heilig Willkommen,
    Ein heilig Willkommen!
    Herz, jauchze du mit!

    In ihm sei's begonnen,
    Der Monde und Sonnen
    An blauen Gezelten
    Des Himmels bewegt!
    Du, Vater, du rate!
    Lenke du und wende!
    Herr, dir in die Hände
    Sei Anfang und Ende,
    Sei alles gelegt!



Auf ein altes Bild.


    In grüner Landschaft Sommerflor
    Bei kühlem Wasser, Schilf und Rohr,
    Schau, wie das Knäblein Sündelos
    Frei spielet auf der Jungfrau Schoß! --
    Und dort im Walde wonnesam,
    Ach! grünet schon des Kreuzes Stamm.



Sehnsucht.


    In dieser Winterfrühe
    Wie ist mir doch zu Mut!
    O Morgenrot, ich glühe
    Von deinem Jugendblut.

    Es glüht der alte Felsen,
    Und Wald und Burg zumal,
    Berauschte Nebel wälzen
    Sich jäh hinab das Tal.

    Mit tatenfroher Eile
    Erhebt sich Geist und Sinn,
    Und flügelt goldne Pfeile
    Durch alle Ferne hin.

    Auf Zinnen möcht' ich springen
    In alter Fürsten Schloß,
    Möcht' hohe Lieder singen,
    Mich schwingen auf das Roß!

    Und stolzen Siegeswagen
    Stürzt' ich mich brausend nach!
    Die Harfe wird zerschlagen,
    Die nur von Liebe sprach. --

    Wie? schwärmst du so vermessen,
    Herz, hast du nicht bedacht,
    Hast du mit eins vergessen,
    Was dich so trunken macht?

    Ach wohl! was aus mir singet,
    Ist nur der Liebe Glück,
    Die wirren Töne schlinget
    Sie sanft in sich zurück.

    Was hilft, was hilft mein Sehnen?
    Geliebte, wärst du hier!
    In tausend Freudetränen
    Verging' die Erde mir.



Zu viel.


    Der Himmel glänzt vom reinsten Frühlingslichte,
    Ihm schwillt der Hügel sehnsuchtsvoll entgegen,
    Die starre Welt zerfließt in Liebessegen
    Und schmiegt sich rund zum zärtlichsten Gedichte.

    Am Dorfeshang, dort bei der luft'gen Fichte
    Ist meiner Liebsten kleines Haus gelegen --
    O Herz, was hilft dein Wiegen und dein Wägen,
    Daß all der Wonnestreit in dir sich schlichte!

    Du, Liebe, hilf den süßen Zauber lösen,
    Womit Natur in meinem Innern wühlet!
    Und du, o Frühling, hilf die Liebe beugen!

    Lisch aus, o Tag! Laß mich in Nacht genesen!
    Indes ihr sanften Sterne göttlich kühlet,
    Will ich zum Abgrund der Betrachtung steigen.



Nur zu!


    Schön prangt im Silbertau die junge Rose,
    Den ihr der Morgen in den Busen rollte:
    Sie blüht, als ob sie nie verblühen wollte,
    Sie ahnet nichts vom letzten Blumenlose.

    Der Adler strebt hinan ins Grenzenlose,
    Sein Auge trinkt sich voll von sprüh'ndem Golde:
    Er ist der Tor nicht, daß er fragen sollte,
    Ob er das Haupt nicht an die Wölbung stoße.

    Mag denn der Jugend Blume uns verbleichen:
    Noch glänzet sie und reizt unwiderstehlich;
    Wer will zu früh so süßem Trug entsagen?

    Und Liebe, darf sie nicht dem Adler gleichen?
    Doch fürchtet sie; auch fürchten ist ihr selig,
    Denn all ihr Glück, was ist's? -- ein endlos Wagen!



An die Geliebte.


    Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
    Mich stumm an deinem heil'gen Wert vergnüge,
    Dann hör' ich recht die leisen Atemzüge
    Des Engels, welcher sich in dir verhüllt,

    Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
    Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,
    Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,
    Mein kühnster Wunsch, mein einz'ger, sich erfüllt.

    Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
    Ich höre aus der Gottheit nächt'ger Ferne
    Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.

    Betäubt kehr' ich den Blick nach oben hin,
    Zum Himmel auf -- da lächeln alle Sterne:
    Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.



Wo find' ich Trost?


    Eine Liebe kenn' ich, die ist treu,
    War getreu, solang' ich sie gefunden,
    Hat mit tiefem Seufzen immer neu,
    Stets versöhnlich sich mit mir verbunden.

    Welcher einst mit himmlischem Gedulden
    Bitter bittern Todestropfen trank,
    Hing am Kreuz und büßte mein Verschulden,
    Bis es in ein Meer von Gnade sank.

    Und was ist's nun, daß ich traurig bin,
    Daß ich angstvoll mich am Boden winde?
    Frage: Hüter, ist die Nacht bald hin?
    Und: Was rettet mich von Tod und Sünde?

    Arges Herze, ja, gesteh es nur,
    Du hast wieder böse Lust empfangen!
    Frommer Liebe, frommer Treue Spur,
    Ach, das ist auf lange nun vergangen.

    Ja, das ist's auch, daß ich traurig bin,
    Daß ich angstvoll mich am Boden winde.
    Hüter, Hüter, ist die Nacht bald hin?
    Und was rettet mich von Tod und Sünde?



Gebet.


    Herr, schicke, was du willt,
    Ein Liebes oder Leides!
    Ich bin vergnügt, daß beides
    Aus deinen Händen quillt.
    Wollest mit Freuden
    Und wollest mit Leiden
    Mich nicht überschütten!
    Doch in der Mitten
    Liegt holdes Bescheiden.



Nixe Binsefuß.


    Des Wassermanns sein Töchterlein
    Tanzt auf dem Eis im Vollmondschein,
    Sie singt und lachet sonder Scheu
    Wohl an des Fischers Haus vorbei.

    »Ich bin die Jungfer Binsefuß
    Und meine Fisch' wohl hüten muß;
    Meine Fisch', die sind im Kasten,
    Sie haben kalte Fasten;
    Von Böhmerglas mein Kasten ist --
    Da zähl' ich sie zu jeder Frist.

    Gelt, Fischermatz, gelt, alter Tropf,
    Dir will der Winter nicht in Kopf?
    Komm mir mit deinen Netzen!
    Die will ich schön zerfetzen.
    Dein Mägdlein zwar ist fromm und gut,
    Ihr Schatz ein braves Jägerblut.
    Drum häng' ich ihr zum Hochzeitsstrauß
    Ein schilfen Kränzlein vor das Haus
    Und einen Hecht, von Silber schwer,
    Er stammt von König Artus her,
    Ein Zwergen-Goldschmieds-Meisterstück;
    Wer's hat, dem bringt es eitel Glück:
    Er läßt sich schuppen Jahr für Jahr,
    Da sind's fünfhundert Gröschlein bar.

    Ade, mein Kind! Ade für heut'!
    Der Morgenhahn im Dorfe schreit.«



Zwei Liebchen.


    Ein Schifflein auf der Donau schwamm,
    Drin saßen Braut und Bräutigam,
                    Er hüben und sie drüben.

    Sie sprach: »Herzliebster, sage mir!
    Zum Angebind' was geb' ich dir?«

    Sie streift zurück ihr Ärmelein,
    Sie greift ins Wasser frisch hinein.

    Der Knabe, der tät gleich also
    Und scherzt mit ihr und lacht so froh.

    »Ach, schöne Frau Done, geb Sie mir
    Für meinen Schatz eine hübsche Zier!«

    Sie zog heraus ein schönes Schwert;
    Der Knab' hätt' lang' so eins begehrt.

    Der Knab', was hält er in der Hand?
    Milchweiß ein köstlich Perlenband.

    Er legt's ihr um ihr schwarzes Haar;
    Sie sah wie eine Fürstin gar.

    »Ach, schöne Frau Done, geb Sie mir
    Für meinen Schatz eine hübsche Zier!«

    Sie langt hinein zum andernmal,
    Faßt einen Helm von lichtem Stahl.

    Der Knab' vor Freud' entsetzt sich schier,
    Fischt ihr einen goldnen Kamm dafür.

    Zum dritten sie ins Wasser griff:
    Ach weh! da fällt sie aus dem Schiff.

    Er springt ihr nach, er faßt sie keck:
    Frau Done reißt sie beide weg.

    Frau Done hat ihr Schmuck gereut,
    Das büßt der Jüngling und die Maid.

    Das Schifflein leer hinunterwallt;
    Die Sonne sinkt hinter die Berge bald.

    Und als der Mond am Himmel stand,
    Die Liebchen schwimmen tot ans Land,
                    Er hüben und sie drüben.



Der Zauberleuchtturm.


    Des Zauberers sein Mägdlein saß
    In ihrem Saale rund von Glas,
    Sie spann beim hellen Kerzenschein
    Und sang so glockenhell darein.
    Der Saal, als eine Kugel klar,
    In Lüften aufgehangen war
    An einem Turm auf Felsenhöh',
    Bei Nacht hoch ob der wilden See
    Und hing in Sturm und Wettergraus
    An einem langen Arm hinaus.
    Wenn nun ein Schiff in Nächten schwer
    Sah weder Rat noch Rettung mehr,
    Der Lotse zog die Achsel schief,
    Der Hauptmann alle Teufel rief,
    Auch der Matrose wollt' verzagen:
    »O weh mir armen Schwartenmagen!« --
    Auf einmal scheint ein Licht von fern,
    Als wie ein heller Morgenstern.
    Die Mannschaft jauchzet überlaut:
    »Heida! jetzt gilt es trockne Haut!«
    Aus allen Kräften steuert man
    Jetzt nach dem teuren Licht hinan:
    Das wächst und wächst und leuchtet fast
    Wie einer Zaubersonne Glast,
    Darin ein Mägdlein sitzt und spinnt,
    Sich beuget ihr Gesang im Wind.
    Die Männer stehen wie verzückt,
    Ein jeder nach dem Wunder blickt
    Und horcht und staunet unverwandt,
    Dem Steuermann entsinkt die Hand,
    Hat keiner acht mehr auf das Schiff;
    Das kracht mit eins am Felsenriff,
    Die Luft zerreißt ein Jammerschrei:
    »Herr Gott im Himmel, steh uns bei!«
    Da löscht die Zauberin ihr Licht;
    Noch einmal aus der Tiefe bricht
    Verhallend Weh aus einem Mund:
    Da zuckt das Schiff und sinkt zu Grund.



Der alte Turmhahn.

Idylle.


    Zu Cleversulzbach im Unterland
    Hundertunddreizehn Jahr ich stand
    Auf dem Kirchturm, ein guter Hahn,
    Als ein Zierat und Wetterfahn'.
    In Sturm und Wind und Regennacht
    Hab' ich allzeit das Dorf bewacht.
    Manch falber Blitz hat mich gestreift,
    Der Frost mein' roten Kamm bereift,
    Auch manchen lieben Sommertag,
    Da man gern Schatten haben mag,
    Hat mir die Sonne unverwandt
    Auf meinen goldigen Leib gebrannt.
    So ward ich schwarz für Alter ganz,
    Und weg ist aller Glitz und Glanz.
    Da haben sie mich denn zuletzt
    Veracht't und schmählich abgesetzt.
    Meinthalb! so ist der Welt ihr Lauf:
    Jetzt tun sie einen andern 'nauf.
    Stolzier, prachtier und dreh dich nur!
    Dir macht der Wind noch andre Cour.

    Ade, o Tal, du Berg und Tal!
    Rebhügel, Wälder allzumal!
    Herzlieber Turn und Kirchendach,
    Kirchhof und Steglein übern Bach!
    Du Brunnen, dahin spat und früh
    Öchslein springen, Schaf' und Küh'!
    Hans hinterdrein kommt mit dem Stecken
    Und Bastes Evlein auf dem Schecken. --
    Ihr Störch' und Schwalben, grobe Spatzen,
    Euch soll ich nimmer hören schwatzen!
    Lieb deucht mir jedes Drecklein itzt,
    Damit ihr ehrlich mich beschmitzt.
    Ade, Hochwürden, ihr Herr Pfarr,
    Schulmeister auch, du armer Narr!
    Aus ist, was mich gefreut so lang',
    Geläut' und Orgel, Sang und Klang.

    Von meiner Höh' so sang ich dort
    Und hätt' noch lang' gesungen fort:
    Da kam so ein krummer Teufelshöcker --
    Ich schätz', es war der Schieferdecker --
    Packt mich, kriegt nach manch hartem Stoß
    Mich richtig von der Stange los.
    Mein alt preßhafter Leib schier brach,
    Da er mit mir fuhr ab dem Dach
    Und bei den Glocken schnurrt' hinein.
    Die glotzten sehr verwundert drein;
    Regt' ihnen doch weiter nicht den Mut,
    Dachten eben: Wir hangen gut.

    Jetzt tät man mich mit altem Eisen
    Dem Meister Hufschmied überweisen;
    Der zahlt zween Batzen und meint Wunder,
    Wie viel es wär' für solchen Plunder.
    Und also ich selben Mittag
    Betrübt vor seiner Hütte lag.
    Ein Bäumlein -- es war Maienzeit --
    Schneeweiße Blüten auf mich streut,
    Hühner gackeln um mich her,
    Unachtend, was das für ein Vetter wär.
    Da geht mein Pfarrherr nun vorbei,
    Grüßt den Meister und lächelt: »Ei,
    Wär's so weit mit uns, armer Hahn?
    Andres, was fangt Ihr mit ihm an?
    Ihr könnt ihn weder sieden noch braten,
    Mir aber müßt' es schlimm geraten,
    Einen alten Kirchendiener gut
    Nicht zu nehmen in Schutz und Hut.
    Kommt! tragt ihn mir gleich vor ins Haus,
    Trinket ein kühl' Glas Wein mit aus!«

    Der rußig' Lümmel, schnell bedacht,
    Nimmt mich vom Boden auf und lacht.
    Es fehlt' nicht viel, so tat ich frei
    Gen Himmel einen Freudenschrei.
    Im Pfarrhaus ob dem fremden Gast
    War groß und klein erschrocken fast;
    Bald aber in jedem Angesicht
    Ging auf ein rechtes Freudenlicht.
    Frau, Magd und Knecht, Mägdlein und Buben
    Den großen Göckel in der Stuben
    Mit siebenfacher Stimmen Schall
    Begrüßen, begucken, betasten all'.
    Der Gottesmann drauf mildiglich
    Mit eignen Händen trägt er mich
    Nach seinem Zimmer, Stiegen auf,
    Nachpolteret der ganze Hauf'.

    Hier wohnt der Frieden auf der Schwell'.
    In den geweißten Wänden hell
    Sogleich empfing mich sondre Luft,
    Bücher- und Gelahrtenduft,
    Gerani- und Resedaschmack,
    Auch ein Rüchlein Rauchtabak.
    (Dies war mir all' noch unbekannt.)
    Ein alter Ofen aber stand
    In der Ecke linker Hand.
    Recht als ein Turn tät er sich strecken
    Mit seinem Gipfel bis zur Decken,
    Mit Säulwerk, Blumwerk, kraus und spitz --
    O anmutsvoller Ruhesitz!
    Zuöberst auf dem kleinen Kranz
    Der Schmied mich auf ein Stänglein pflanzt'.

    Betrachtet' mir das Werk genau!
    Mir deucht's ein ganzer Münsterbau,
    Mit Schildereien wohl geziert,
    Mit Reimen christlich ausstaffiert.
    Davon vernahm ich manches Wort,
    Dieweil der Ofen ein guter Hort
    Für Kind und Kegel und alte Leut',
    Zu plaudern, wann es wind't und schneit.

    Hier seht ihr seitwärts auf der Platten
    Eines Bischofs Krieg mit Mäus und Ratten,
    Mitten im Rheinstrom sein Kastell.
    Das Ziefer kommt geschwommen schnell,
    Die Knecht' nichts richten mit Waffen und Wehr:
    Der Schwänze werden immer mehr.
    Viel Tausend gleich in dicken Haufen,
    Frech an der Mauer auf sie laufen,
    Fallen dem Pfaffen in sein Gemach.
    Sterben muß er mit Weh und Ach,
    Von den Tieren aufgefressen;
    Denn er mit Meineid sich vermessen. --
    Sodann König Belsazers seinen Schmaus,
    Weiber und Spielleut', Saus und Braus!
    Zu großem Schrecken an der Wand
    Rätsel schreibt eines Geistes Hand. --
    Zuletzt da vorne stellt sich für
    Sara, lauschend an der Tür,
    Als der Herr mit Abraham
    Vor seiner Hütte zu reden kam
    Und ihme einen Sohn versprach.
    Sara sich Lachens nicht entbrach,
    Weil beide schon sehr hoch betaget.
    Der Herr vernimmt es wohl und fraget:
    »Wie, lachet Sara? glaubt sie nicht,
    Was der Herr will, leicht geschicht?«
    Das Weib hinwieder Flausen machet,
    Spricht: »Ich habe nicht gelachet.«
    Das war nun wohl gelogen fast;
    Der Herr es doch passieren laßt,
    Weil sie nicht leugt aus arger List,
    Auch eine Patriarchin ist.

    Seit daß ich hier bin, dünket mir
    Die Winterszeit die schönste schier.
    Wie sanft ist aller Tage Fluß
    Bis zum geliebten Wochenschluß! --
    Freitag zu Nacht noch um die Neune
    Bei seiner Lampen Trost alleine
    Mein Herr fangt an sein Predigtlein
    Studieren; anderst mag's nicht sein.
    Eine Weil' am Ofen brütend steht,
    Unruhig hin und dannen geht:
    Sein Text ihm schon die Adern reget;
    Drauf er sein Werk zu Faden schläget.
    Inmittelst einmal auch etwan
    Hat er ein Fenster aufgetan --
    Ah, Sternenlüfteschwall wie rein
    Mit Haufen dringet zu mir ein!
    Den Verrenberg ich schimmern seh',
    Den Schäferbühel dick mit Schnee.

    Zu schreiben endlich er sich setzet,
    Ein Blättlein nimmt, die Feder netzet,
    Zeichnet sein Alpha und sein O
    Über dem ~Exordio~.
    Und ich von meinem Postament
    Kein Aug' ab meinem Herrlein wend',
    Seh', wie er mit Blicken steif ins Licht
    Sinnt, prüfet jedes Worts Gewicht,
    Einmal sacht eine Prise greifet,
    Vom Docht den roten Butzen streifet;
    Auch dann und wann zieht er vor sich
    Ein Sprüchlein an vernehmentlich,
    So ich mit vorgerecktem Kopf
    Begierlich bringe gleich zu Kropf.
    Gemachsam kämen wir also
    Bis Anfang ~Applicatio~.

    Indes der Wächter elfe schreit.
    Mein Herr denkt: Es ist Schlafenszeit,
    Ruckt seinen Stuhl und nimmt das Licht. --
    »Gut' Nacht, Herr Pfarr!« -- Er hört es nicht.

    Im Finstern wär' ich denn allein;
    Das ist mir eben keine Pein.
    Ich hör' in der Registratur
    Erst eine Weil' die Totenuhr,
    Lache den Marder heimlich aus,
    Der scharrt sich müd' am Hühnerhaus;
    Windweben um das Dächlein stieben;
    Ich höre, wie im Wald da drüben --
    Man heißet es im Vogeltrost --
    Der grimmig' Winter sich erbost,
    Ein Eichlein spalt't jähling mit Knallen,
    Eine Buche, daß die Täler schallen. --
    Du meine Güt', da lobt man sich
    So frommen Ofen dankbarlich!
    Er wärmelt halt die Nacht so hin,
    Es ist ein wahrer Segen drin. --
    Jetzt, denk' ich, sind wohl hie und dort
    Spitzbuben aus auf Raub und Mord,
    Denk', was eine schöne Sach' es ist,
    Brave Schloß und Riegel zu jeder Frist,
    Was ich wollt' machen herentgegen,
    Wenn ich eine Leiter hört' anlegen,
    Und sonst was so Gedanken sind:
    Ein warmes Schweißlein mir entrinnt.
    Um zwei, gottlob! und um die drei
    Glänzet empor ein Hahnenschrei,
    Um fünfe mit der Morgenglocken
    Mein Herz sich hebet unerschrocken,
    Ja voller Freuden auf es springt,
    Als der Wächter endlich singt:
    »Wohlauf, im Namen Jesu Christ!
    Der helle Tag erschienen ist.«

    Ein Stündlein drauf, wenn mir die Sporen
    Bereits ein wenig steifgefroren,
    Rasselt die Lis' im Ofen, brummt,
    Bis 's Feuer angeht, saust und summt.
    Dann von der Küch' 'rauf, gar nicht übel,
    Die Supp' ich wittre, Schmalz und Zwiebel.
    Endlich, gewaschen und geklärt,
    Mein Herr sich frisch zur Arbeit kehrt.

    Am Samstag muß ein Pfarrer fein
    Daheim in seiner Klause sein,
    Nicht visiteln, herumkutschieren,
    Seine Faß einbrennen, sonst hantieren.
    Meiner hat selten solch Gelust.
    Einmal -- ihr sagt's nicht weiter just --
    Zimmert' er den ganzen Nachmittag
    Dem Fritz an einem Meisenschlag
    Dort an dem Tisch und schwatzt' und schmaucht';
    Mich alten Tropf kurzweilt' es auch.

    Jetzt ist der liebe Sonntag da,
    Es läut't zur Kirchen fern und nah.
    Man orgelt schon: mir wird dabei,
    Als säß' ich in der Sakristei.
    Es ist kein Mensch im ganzen Haus;
    Ein Mücklein hör' ich, eine Maus.
    Die Sonne sich ins Fenster schleicht,
    Zwischen die Kaktusstöck' hinstreicht
    Zum kleinen Pult von Nußbaumholz,
    Eines alten Schreinermeisters Stolz,
    Beschaut sich, was da liegt umher,
    Konkordanz und Kinderlehr',
    Oblatenschachtel, Amtssigill,
    Im Tintenfaß sich spiegeln will,
    Zuteuerst Sand und Grus besicht,
    Sich an dem Federmesser sticht
    Und gleitet übern Armstuhl frank
    Hinüber an den Bücherschrank.
    Da stehn in Pergament und Leder
    Vornan die frommen Schwabenväter:
    _Andreä_, _Bengel_, _Rieger_ zween
    Samt _Ötinger_ sind da zu sehn.
    Wie sie die goldnen Namen liest,
    Noch goldener ihr Mund sie küßt,
    Wie sie rührt an _Hillers_ Harfenspiel --
    Horch! klingt es nicht? so fehlt nicht viel.
    Inmittelst läuft ein Spinnlein zart
    An mir hinauf nach seiner Art
    Und hängt sein Netz, ohn' erst zu fragen,
    Mir zwischen Schnabel auf und Kragen.
    Ich rühr' mich nicht aus meiner Ruh',
    Schau' ihm eine ganze Weile zu;
    Darüber ist es wohl geglückt,
    Daß ich ein wenig eingenickt. --
    Nun sagt, ob es in Dorf und Stadt
    Ein alter Kirchhahn besser hat?

    Ein Wunsch im stillen dann und wann
    Kommt einen freilich wohl noch an.
    Im Sommer stünd' ich gern da draus
    Bisweilen auf dem Taubenhaus,
    Wo dicht dabei der Garten blüht,
    Man auch ein Stück vom Flecken sieht.
    Dann in der schönen Winterzeit,
    Als zum Exempel eben heut' --
    Ich sag' es grad' -- da haben wir
    Gar einen wackern Schlitten hier,
    Grün, gelb und schwarz; er ward verwichen
    Erst wieder sauber angestrichen:
    Vorn auf dem Bogen brüstet sich
    Ein fremder Vogel hoffärtig;
    Wenn man mich etwas putzen wollt',
    Nicht, daß es drum viel kosten sollt',
    Ich stünd' so gut dort als wie der
    Und machet niemand nicht Unehr'! --
    Narr! denk' ich wieder, du hast dein Teil!
    Willt du noch jetzo werden geil?
    Mich wundert, ob dir nicht gefiel,
    Daß man, der Welt zum Spott und Ziel,
    Deinen warmen Ofen gar zuletzt
    Mitsamt dir auf die Läufe setzt',
    Daß auf dem G'sims da um dich säß'
    Mann, Weib und Kind, der ganze Käs'.
    Du alter Scherb, schämst du dich nicht,
    Auf Eitelkeit zu sein erpicht?
    Geh in dich, nimm dein Ende wahr!
    Wirst nicht noch einmal hundert Jahr.



An Wilhelm Hartlaub.


    Durchs Fenster schien der helle Mond herein:
    Du saßest am Klavier im Dämmerschein,
    Versankst im Traumgewühl der Melodien,
    Ich folgte dir an schwarzen Gründen hin,
    Wo der Gesang versteckter Quellen klang
    Gleich Kinderstimmen, die der Wind verschlang.
    Doch plötzlich war dein Spiel wie umgewandt,
    Nur blauer Himmel schien noch ausgespannt,
    Ein jeder Ton ein lang' gehaltnes Schweigen.
    Da fing das Firmament sich an zu neigen,
    Und jäh daran herab der Sterne selig Heer
    Glitt rieselnd in ein goldig Nebelmeer,
    Bis Tropf' um Tropfen hell darin zerging,
    Die alte Nacht den öden Raum umfing.

    Und als du neu ein fröhlich Leben wecktest,
    Die Finsternis mit jungem Lichte schrecktest,
    War ich schon weit hinweg mit Sinn und Ohr;
    Zuletzt warst du es selbst, in den ich mich verlor.
    Mein Herz durchzückt' mit eins ein Freudenstrahl:
    Dein ganzer Wert erschien mir auf einmal.
    So wunderbar empfand ich es, so neu,
    Daß noch bestehe Freundeslieb' und Treu',
    Daß uns so sichrer Gegenwart Genuß
    Zusammenhält in Lebensüberfluß!

    Ich sah dein hingesenktes Angesicht
    Im Schatten halb, und halb im klaren Licht;
    Du ahntest nicht, wie mir der Busen schwoll,
    Wie mir das Auge brennend überquoll.
    Du endigtest; ich schwieg. -- Ach, warum ist doch eben
    Dem höchsten Glück kein Laut des Danks gegeben?

    Da tritt dein Töchterchen mit Licht herein:
    Ein ländlich Mahl versammelt groß und klein,
    Vom nahen Kirchturm schallt das Nachtgeläut',
    Verklingend so des Tages Lieblichkeit.



Ach nur einmal noch im Leben.


[Illustration]

    Im Fenster jenes alt verblichnen Gartensaals
    Die Harfe, die, vom leisen Windhauch angeregt,
    Lang ausgezogne Töne traurig wechseln läßt
    In ungepflegter Spätherbst-Blumen-Einsamkeit,
    Ist schön zu hören einen langen Nachmittag.
    Nicht völlig unwert ihrer holden Nachbarschaft,
    Stöhnt auf dem grauen Zwingerturm die Fahne dort,
    Wenn stürmischer oft die Wolken ziehen überhin.

    In meinem Garten aber (hieß' er nur noch mein!)
    Ging so ein Hinterpförtchen frei ins Feld hinaus,
    Abseits vom Dorf. Wie manches liebe Mal stieß ich
    Den Riegel auf an der geschwärzten Gattertür
    Und bog das überhängende Gesträuch zurück,
    Indem sie sich auf rost'gen Angeln schwer gedreht! --
    Die Tür nun, musikalisch mannigfach begabt,
    Für ihre Jahre noch ein ganz annehmlicher
    Sopran (wenn sie nicht eben wetterlaunisch war),
    Verriet mir eines Tages -- plötzlich, wie es schien,
    Erweckt aus einer lieblichen Erinnerung --
    Ein schöneres Empfinden, höhere Fähigkeit.
    Ich öffne sie gewohnterweise: da beginnt
    Sie zärtlich eine Arie, die mein Ohr sogleich
    Bekannt ansprach. Wie? rief ich staunend: träum' ich denn?
    War das nicht »Ach nur einmal noch im Leben« ganz?
    Aus Titus, wenn mir recht ist! -- Alsbald ließ ich sie
    Die Stelle wiederholen, und ich irrte nicht;
    Denn langsamer, bestimmter, seelenvoller nun
    ~Da capo~ sang die Alte: »Ach nur einmal noch!«
    Die fünf, sechs ersten Noten nämlich, weiter kaum,
    Hingegen war auch dieser Anfang tadellos. --
    Und was, frug ich nach einer kurzen Stille sie,
    Was denn noch einmal? Sprich! woher, Elegische,
    Hast du das Lied? Ging etwa denn zu deiner Zeit
    (Die neunziger Jahre meint' ich)  ein schönes Kind,
    Des Pfarrers Enkeltochter, sittsam aus und ein,
    Und hörtest du sie durch das offne Fenster oft
    Am grünlackierten, goldbeblümten Pantalon
    Hellstimmig singen? Des gestrengen Mütterchens
    Gedenkst du auch, der Hausfrau, die so reinlich stets
    Den Garten hielt, gleichwie sie selber war, wann sie
    Nach schwülem Tag am Abend ihren Kohl begoß,
    Derweil der Pfarrherr ein paar Freunden aus der Stadt,
    Die eben weggegangen, das Geleite gab;
    Er hatte sie bewirtet in der Laube dort,
    Ein lieber Mann, redseliger Weitschweifigkeit.
    Vorbei ist nun das alles und kehrt nimmer so!
    Wir Jüngern heutzutage treiben's ungefähr
    Zwar gleichermaßen, wackre Leute ebenfalls;
    Doch besser dünkt ja allen, was vergangen ist.
    Es kommt die Zeit, da werden wir auch ferne weg
    Gezogen sein, den Garten lassend und das Haus:
    Dann wünschest du nächst jenen Alten uns zurück
    Und schmückt vielleicht ein treues Herz vom Dorf einmal,
    Mein denkend und der Meinen, im Vorübergehn
    Dein morsches Holz mit hellem Ackerblumenkranz.



Der Tambour.


    Wenn meine Mutter hexen könnt',
    Da müßt sie mit dem Regiment,
    Nach Frankreich, überall mit hin
    Und wär' die Marketenderin.
    Im Lager, wohl um Mitternacht,
    Wenn niemand auf ist als die Wacht
    Und alles schnarchet, Roß und Mann,
    Vor meiner Trommel säß' ich dann:
    Die Trommel müßt' eine Schüssel sein,
    Ein warmes Sauerkraut darein,
    Die Schlegel Messer und Gabel,
    Eine lange Wurst mein Sabel;
    Mein Tschako wär ein Humpen gut,
    Den füll' ich mit Burgunderblut.
    Und weil es mir an Lichte fehlt,
    Da scheint der Mond in mein Gezelt;
    Scheint er auch auf Franzö'sch herein,
    Mir fällt doch meine Liebste ein:
    Ach weh! jetzt hat der Spaß ein End'. --
    Wenn nur meine Mutter hexen könnt'!



Häusliche Szene.


    Schlafzimmer.
    Präceptor _Ziborius_ und _seine junge Frau_.
    Das Licht ist gelöscht.

    Schläfst du schon, Rike? -- »Noch nicht.« -- Sag! hast du denn heut'
          die Kukumern
      Eingemacht? -- »Ja.« -- Und wieviel nahmst du mir Essig dazu? --
    »Nicht zwei völlige Maß.« -- Wie? fast zwei Maß? Und von welchem
      Krug? von dem kleinern doch nicht, links vor dem Fenster am
          Hof? --
    »Freilich.« -- Verwünscht! So darf ich die Probe nun noch einmal
          machen,
      Eben indem ich gehofft, schon das Ergebnis zu sehn.
    Konntest du mich nicht fragen? -- »Du warst in der Schule.« --
          Nicht warten? --
      »Lieber, zu lange bereits lagen die Gurken mir da.« --
    Unlängst sagt' ich dir: Nimm von Numero 7 zum Hausbrauch! --
      »Ach, wer behielte denn stets alle die Zahlen im Kopf!« --
    Sieben behält sich doch wohl! nichts leichter behalten als sieben!
      Groß mit arabischer Schrift hält es der Zettel dir vor. --
    »Aber du wechselst den Ort nach der Sonne von Fenster zu Fenster
      Täglich: die Küche pressiert oft, und ich suche mich blind.
    Bester, dein Essiggebräu, fast will es mich endlich verdrießen.
      Ruhig, obgleich mit Not, trug ich so manches bis jetzt.
    Daß du im Waschhaus dich einrichtetest, wo es an Raum fehlt,
      Destillierest und brennst, schien mir das Äußerste schon.
    Nicht gern sah ich vom Stockbrett erst durch Kolben und Krüge
      Meine Reseden verdrängt, Rosen und Sommerlevkojn:
    Aber nun stehen ums Haus her rings vor jeglichem Fenster,
      Halb gekleidet in Stroh, gläserne Bäuche gereiht;
    Mir auf dem Herd stehn viere zum Hindernis, selber im Rauchfang
      Hängt so ein Untier jetzt, wieder ein neuer Versuch!
    Lächerlich machen wir uns -- nimm mir's nicht übel!« -- Was sagst
          du?
      Lächerlich! -- »Hättest du nur heut' die Dekanin gehört!
    Und in jeglichem Wort ihn selber vernahm ich, den Spötter;
      Boshaft ist er, dazu Schwager zum Pädagogarch.« --
    Nun? -- »Einer Festung verglich sie das Haus des Präceptors, ein
          Bollwerk
      Hieß mein Erker; es sei alles bespickt mit Geschütz.« --
    Schnödes Gerede, der lautere Neid! Ich hoffe mein Stecken-
      Pferd zu behaupten, so gut als ihr Gemahl, der Dekan.
    Freut's ihn, Kanarienvögel und Einwerfkäfige dutzend-
      Weise zu haben, mich freut's, tüchtigen Essig zu ziehn. --

    (Pause. Er scheint nachdenklich. Sie spricht für sich:)

    »Wahrlich, er dauert mich schon: ihn ängstet ein wenig die Drohung
      Mit dem Studienrat, dem er schon lange nicht traut.« --

    (Er fährt fort:)

    Als Präceptor tat ich von je meine Pflicht; ein geschätzter
      ~Gradus~ neuerlich gibt einiges Zeugnis davon.
    Was ich auf materiellem Gebiet in müßigen Stunden
      Manchem Gewerbe, dem Staat denke zu leisten dereinst,
    Ob ich meiner Familie nicht ansehnlichen Vorteil
      Sichere noch mit der Zeit, dessen geschweig' ich vorerst:
    Aber _den_ will ich sehn, der einem geschundenen Schulmann
      Ein Vergnügen wie das, Essig zu machen, verbeut!
    Der von Allotrien spricht, von Lächerlichkeiten -- er sei nun
      Oberinspektor, er sei Rektor und Pädagogarch!
    Greife nur einer mich an, ich will ihm dienen! Gewappnet
      Findet ihr mich! Dreifach liegt mir das Erz um die Brust! --
    Rike, du lachst! -- du verbirgst es umsonst; ich fühle die Stöße --
      Nun, was wandelt dich an? Närrst du mich, törichtes Weib? --
    »Lieber, närrischer, goldener Mann! wer bliebe hier ernsthaft?
     Nein, dies Feuer hätt' ich nimmer im Essig gesucht.« --
    G'nug mit den Possen! Ich sage dir, mir ist die Sache nicht
          spaßhaft. --
      »Ruhig! Unseren Streit, Alter, vergleichen wir schon.
    Gar nicht fällt es mir ein, dir die einzige Freude zu rauben;
      Zuviel hänget daran, und ich verstehe dich ganz.
    Siehst du von deinem Katheder im Schulhaus so durch das Fenster
      Über das Höfchen den Schatz deiner Gefäße dir an,
    Alle vom Mittagsstrahl der herrlichen Sonne beschienen
      Die, dir den gärenden Wein heimlich zu zeitigen, glüht:
    Nun, es erquicket dir Herz und Aug' in sparsamen Pausen,
      Wie das bunteste Brett meiner Levkojn es nicht tat,
    Und ein Pfeifchen Tabak in diesem gemütlichen Anblick
      Nimmt dir des Amtes Verdruß reiner als alles hinweg;
    Ja, seitdem du schon selbst mit eigenem Essig die rote
      Tinte dir kochst, die sonst manchen Dreibätzner verschlang,
    Ist dir, mein' ich, der Wust der Exerzitienhefte
      Minder verhaßt; dich labt still der bekannte Geruch.
    Dies, wie mißgönnt' ich es dir? Nur gehst du ein bißchen ins Weite.
      Alles -- so heißt dein Spruch -- habe sein Maß und sein Ziel!« --
    Laß mich! Wenn mein Produkt dich einst zur vermöglichen Frau
          macht --
      »Bester, das sagtest du just auch bei der Seidenkultur.« --
    Kann ich dafür, daß das Futter mißriet, daß die Tiere krepierten? --
      »Seine Gefahr hat auch sicher das neue Geschäft.« --
    Namen und Ehre des Mannes, die bringst du wohl gar nicht in
          Anschlag? --
      »Ehre genug blieb uns, ehe wir Essig gebraut« --
    Korrespondierendes Mitglied heiß' ich dreier Vereine. --
      »Nähme nur _einer_ im Jahr etliche Krüge dir ab!« --
    Dir fehlt jeder Begriff von rationellem Bestreben. --
      »Seit du ihn hast, fehlt dir abends ein guter Salat.« --
    Undank! Mein Fabrikat durch sämtliche Sorten ist trefflich. --
      »Numero 7 und 9 kenn' ich und -- lobe sie nicht.« --
    Heut', wie ich merke, gefällst du dir sehr, mir in Versen zu
          trumpfen. --
      »Waren es Verse denn nicht, was du gesprochen bisher?« --
    Eine Schwäche des Mannes vom Fach, darfst du sie mißbrauchen? --
      »Unwillkürlich, wie du, red' ich elegisches Maß.« --
    Mühsam übt' ich dir's ein, harmlose Gespräche zu würzen. --
      »Freilich, im bitteren Ernst nimmt es sich wunderlich aus.« --
    Also verbitt' ich es jetzt; sprich, wie dir der Schnabel
          gewachsen! --
      »Gut! laß sehen, wie sich Prose mit Distichen mischt!«
    Unsinn! Brechen wir ab! Mit Weibern sich streiten ist fruchtlos. --
      »Fruchtlos nenn' ich im Schlot Essig bereiten, mein Schatz.«
    Daß noch zum Schlusse mir dein Pentameter tritt auf die Ferse! --
      »Dein Hexameter zieht unwiderstehlich ihn nach.« --
    Ei, dir scheint er bequem, nur das Wort noch, das letzte, zu haben:
      Hab's! Ich schwöre, von mir hast du das letzte gehört. --
    »Meinetwegen, so mag ein Hexameter einmal allein stehn!«

    (Pause. Der Mann wird unruhig; es peinigt ihn offenbar, das
    Distichon nicht geschlossen zu hören oder es nicht selber
    schließen zu dürfen. Nach einiger Zeit kommt ihm die Frau mit
    Lachen zu Hilfe und sagt:)

      »Alter, ich tat dir zu viel; wirklich, dein Essig passiert.
    Wenn er dir künftig noch besser gerät, wohlan! so ist einzig
      Dein das Verdienst; denn du hast wahrlich kein zänkisches
          Weib.« --

    (Er gleichfalls herzlich lachend und sie küssend:)

    Rike, morgenden Tags räum' ich dir die vorderen Fenster
      Sämtlich, und im Kamin prangen die Schinken allein!



Selbstgeständnis.


    Ich bin meiner Mutter einzig Kind,
    Und weil die andern ausblieben sind, --
    Was weiß ich, wieviel, die sechs oder sieben --
    Ist eben alles an mir hängen blieben:
    Ich hab' müssen die Liebe, die Treue, die Güte
    Für ein ganz halb Dutzend allein aufessen;
    Ich will's mein Lebtag nicht vergessen.
    Es hätte mir aber noch wohl mögen frommen,
    Hätt' ich nur auch Schläg' für sechse bekommen!



Restauration

    nach Durchlesung eines Manuskripts mit Gedichten.


    Das süße Zeug ohne Saft und Kraft!
    Es hat mir all mein Gedärm erschlafft.
    Es roch, ich will des Henkers sein!
    Wie lauter welke Rosen und Kamilleblümlein.
    Mir ward ganz übel, mauserig, dumm,
    Ich sah mich schnell nach was Tüchtigem um,
    Lief in den Garten hinterm Haus,
    Zog einen herzhaften Rettich aus,
    Fraß ihn auch auf bis auf den Schwanz --
    Da war ich wieder frisch und genesen ganz.



Nachts.


    Horch! auf der Erde feuchtem Grund gelegen,
    Arbeitet schwer die Nacht der Dämmerung entgegen,
    Indessen dort, in blauer Luft gezogen,
    Die Fäden leicht, unhörbar fließen
    Und hin und wieder mit gestähltem Bogen
    Die lust'gen Sterne goldne Pfeile schießen.

    Im Erdenschoß, im Hain und auf der Flur,
    Wie wühlt es jetzo rings in der Natur
    Von nimmersatter Kräfte Gärung!
    Und welche Ruhe doch und welch ein Wohlbedacht!
    Mir aber in geheimer Brust erwacht
    Ein peinlich Widerspiel von Fülle und Entbehrung
    Vor diesem Bild, so schweigend und so groß.
    Mein Herz, wie gerne machtest du dich los!
    Du schwankendes, dem jeder Halt gebricht,
    Willst, kaum entflohn, zurück zu deinesgleichen.
    Trägst du der Schönheit Götterstille nicht,
    _So_ beuge dich! denn hier ist kein Entweichen.



Historie von der schönen Lau.


Der Blautopf[2] ist der große, runde Kessel eines wundersamen Quells
bei einer jähen Felsenwand gleich hinter dem Kloster. Gen Morgen sendet
er ein Flüßchen aus, die Blau, welche der Donau zufällt. Dieser Teich
ist einwärts wie ein tiefer Trichter, sein Wasser ist von Farbe ganz
blau, sehr herrlich, mit Worten nicht wohl zu beschreiben; wenn man es
aber schöpft, sieht es ganz hell in dem Gefäß.

Zu unterst auf dem Grund saß ehemals eine Wasserfrau mit langen,
fließenden Haaren. Ihr Leib war allenthalben wie eines schönen
natürlichen Weibs, dies eine ausgenommen, daß sie zwischen den Fingern
und Zehen eine Schwimmhaut hatte, blühweiß und zarter als ein Blatt
von Mohn. Im Städtlein ist noch heutzutag ein alter Bau, vormals ein
Frauenkloster, hernach zu einer großen Wirtschaft eingerichtet, und
hieß darum der Nonnenhof. Dort hing vor sechzig Jahren noch ein Bildnis
von dem Wasserweib, trotz Rauch und Alter noch wohl kenntlich in den
Farben. Da hatte sie die Hände kreuzweis auf die Brust gelegt, ihr
Angesicht sah weißlich, das Haupthaar schwarz, die Augen aber, welche
sehr groß waren, blau. Beim Volk hieß sie die arge _Lau_[3] im Topf,
auch wohl die schöne Lau. Gegen die Menschen erzeigte sie sich bald
böse, bald gut. Zuzeiten, wenn sie im Unmut den Gumpen[4] übergehen
ließ, kam Stadt und Kloster in Gefahr; dann brachten ihr die Bürger in
einem feierlichen Aufzug oft Geschenke, sie zu begütigen, als Gold-
und Silbergeschirr, Becher, Schalen, kleine Messer und andere Dinge,
dawider zwar, als einen heidnischen Gebrauch und Götzendienst, die
Mönche redlich eiferten, bis derselbe auch endlich ganz abgestellt
worden. So feind darum die Wasserfrau dem Kloster war, geschah es doch
nicht selten, wenn Pater Emeran die Orgel drüben schlug und kein Mensch
in der Nähe war, daß sie am lichten Tag mit halbem Leib heraufkam und
zuhorchte; dabei trug sie zuweilen einen Kranz von breiten Blättern auf
dem Kopf und auch dergleichen um den Hals.

Ein frecher Hirtenjung' belauschte sie einmal in dem Gebüsch und
rief: »Hei, Laubfrosch? git's guat Wetter?« Geschwinder als ein Blitz
und giftiger als eine Otter fuhr sie heraus, ergriff den Knaben beim
Schopf und riß ihn mit hinunter in eine ihrer nassen Kammern, wo sie
den ohnmächtig Gewordenen jämmerlich verschmachten und verfaulen
lassen wollte. Bald aber kam er wieder zu sich, fand eine Tür und kam
über Stufen und Gänge durch viele Gemächer in einen schönen Saal. Hier
war es lieblich, glusam[5] mitten im Winter. In einer Ecke brannte,
indem die Lau und ihre Dienerschaft schon schlief, auf einem hohen
Leuchter mit goldenen Vogelfüßen als Nachtlicht eine Ampel. Es stand
viel köstlicher Hausrat herum an den Wänden, und diese waren samt dem
Estrich ganz mit Teppichen staffiert: Bildweberei in allen Farben. Der
Knabe hurtig nahm das Licht herunter von dem Stock, sah sich in Eile
um, was er noch sonst erwischen möchte, und griff aus einem Schrank
etwas heraus, das stak in einem Beutel und war mächtig schwer, deswegen
er vermeinte, es sei Gold; lief dann und kam vor ein erzenes Pförtlein,
das mochte in der Dicke gut zwo Fäuste sein, schob die Riegel zurück
und stieg eine steinerne Treppe hinauf in unterschiedlichen Absätzen,
bald links, bald wieder rechts, gewiß vierhundert Stufen, bis sie
zuletzt ausgingen und er auf ungeräumte Klüfte stieß; da mußte er das
Licht dahinten lassen und kletterte so mit Gefahr seines Lebens noch
eine Stunde lang im Finstern hin und her, dann aber brachte er den
Kopf auf einmal aus der Erde. Es war tief Nacht und dicker Wald um
ihn. Als er nach vielem Irregehen endlich mit der ersten Morgenhelle
auf gänge[6] Pfade kam und von dem Felsen aus das Städtlein unten
erblickte, verlangte ihn am Tag zu sehen, was in dem Beutel wäre:
da war es weiter nichts als ein Stück Blei, ein schwerer Kegel,
spannenlang, mit einem Öhr an seinem obern Ende, weiß vor Alter. Im
Zorn warf er den Plunder weg ins Tal hinab und sagte nachher weiter
niemand von dem Raub, weil er sich dessen schämte. Doch kam von ihm die
erste Kunde von der Wohnung der Wasserfrau unter die Leute.

Nun ist zu wissen, daß die schöne Lau nicht hier am Orte zu Hause war:
vielmehr war sie, als eine Fürstentochter, und zwar von Mutter Seiten
her halbmenschlichen Geblüts, mit einem alten Donaunix am Schwarzen
Meer vermählt. Ihr Mann verbannte sie darum, daß sie nur tote Kinder
hatte. Das aber kam, weil sie stets traurig war ohn' einige besondere
Ursach. Die Schwiegermutter hatte ihr geweissagt, sie möge eher nicht
eines lebenden Kindes genesen, als bis sie fünfmal von Herzen gelacht
haben würde. Beim fünftenmal müßte etwas sein, das dürfe sie nicht
wissen noch auch der alte Nix. Es wollte aber damit niemals glücken,
so viel auch ihre Leute deshalb Fleiß anwendeten; endlich da mochte
sie der alte König ferner nicht an seinem Hofe leiden und sandte sie
an diesen Ort, unweit der obern Donau, wo seine Schwester wohnte.
Die Schwiegermutter hatte ihr zum Dienst und Zeitvertreib etliche
Kammerzofen und Mägde mitgegeben, so muntere und kluge Mädchen,
als je auf Entenfüßen gingen (denn was von dem gemeinen Stamm der
Wasserweiber ist, hat rechte Entenfüße); die zogen sie, pur für die
Langeweile, sechsmal des Tages anders an (denn außerhalb dem Wasser
ging sie in köstlichen Gewändern, doch barfuß), erzählten ihr alte
Geschichten und Mären, machten Musik, tanzten und scherzten vor ihr.
An jenem Saal, darin der Hirtenbub gewesen, war der Fürstin ihr Gaden
oder Schlafgemach, von welchem eine Treppe in den Blautopf ging. Da lag
sie manchen lieben Tag und manche Sommernacht der Kühlung wegen. Auch
hatte sie allerlei lustige Tiere, wie Vögel, Küllhasen[7] und Affen,
vornehmlich aber einen possigen Zwerg, durch welchen vormals einem
Ohm der Fürstin war von eben solcher Traurigkeit geholfen worden. Sie
spielte alle Abend Damenziehen, Schachzagel[8] oder Schaf und Wolf mit
ihm; so oft er einen ungeschickten Zug getan, schnitt er die raresten
Gesichter, keines dem andern gleich, nein, immer eines ärger als das
andere, daß auch der weise Salomo das Lachen nicht gehalten hätte,
geschweige denn die Kammerjungfern oder du selber, liebe Leserin, wärst
du dabei gewesen; nur bei der schönen Lau schlug eben gar nichts an,
kaum daß sie ein paarmal den Mund verzog.

Es kamen alle Jahr um Winters Anfang Boten von daheim, die klopften an
der Halle mit dem Hammer, da frugen dann die Jungfern:

    Wer pochet, daß einem das Herz erschrickt?

Und jene sprachen:

    Der König schickt.
    Gebt uns wahrhaftigen Bescheid,
    Was Guts ihr habt geschafft die Zeit!

Und sie sagten:

    Wir haben die ferndigen[9] Lieder gesungen
    Und haben die ferndigen Tänze gesprungen,
    Gewonnen war es um ein Haar. --
    Kommt, liebe Herren, übers Jahr!

So zogen sie wieder nach Haus. Die Frau war aber vor der Botschaft und
danach stets noch einmal so traurig.

Im Nonnenhof war eine dicke Wirtin, Frau Betha Seysolffin, ein frohes
Biederweib, christlich, leutselig, gütig; zumal an armen reisenden
Gesellen bewies sie sich als eine rechte Fremdenmutter. Die Wirtschaft
führte zumeist ihr ältester Sohn, Stephan, welcher verehlicht war; ein
anderer, Xaver, war Klosterkoch, zwo Töchter noch bei ihr. Sie hatte
einen kleinen Küchengarten vor der Stadt, dem Topf zunächst. Als sie im
Frühjahr einst am ersten warmen Tag dort war und ihre Beete richtete,
den Kappis[10], den Salat zu säen, Bohnen und Zwiebel zu stecken, besah
sie sich von ungefähr auch einmal recht mit Wohlgefallen wieder das
schöne blaue Wasser überm Zaun und mit Verdruß daneben einen alten
garstigen Schutthügel, der schändete den ganzen Platz; nahm also, wie
sie fertig war mit ihrer Arbeit und das Gartentürlein hinter sich
zugemacht hatte, die Hacke noch einmal, riß flink das gröbste Unkraut
aus, erlas etliche Kürbiskern' aus ihrem Samenkorb und steckte hin und
wieder einen in den Haufen. (Der Abt im Kloster, der die Wirtin, als
eine saubere Frau, gern sah -- man hätte sie nicht über vierzig Jahr
geschätzt, er selber aber war, gleich ihr, ein starkbeleibter Herr --
stand just am Fenster oben und grüßte herüber, indem er mit dem Finger
drohte, als halte sie zu seiner Widersacherin.) Die Wüstung grünte nun
den ganzen Sommer, daß es eine Freude war, und hingen dann im Herbst
die großen gelben Kürbis an dem Abhang nieder bis zu dem Teich.

Jetzt ging einsmals der Wirtin Tochter, Jutta, in den Keller, woselbst
sich noch von alten Zeiten her ein offener Brunnen mit einem steinernen
Kasten befand. Beim Schein des Lichts erblickte sie darinnen mit
Entsetzen die schöne Lau, schwebend bis an die Brust im Wasser, sprang
voller Angst davon und sagt's der Mutter an; die fürchtete sich nicht
und stieg allein hinunter, litt auch nicht, daß ihr der Sohn zum Schutz
nachfolge, weil das Weib nackt war.

Der wunderliche Gast sprach diesen Gruß:

    Die Wasserfrau ist kommen
    Gekrochen und geschwommen
    Durch Gänge steinig, wüst und kraus
    Zur Wirtin in das Nonnenhaus.
    Sie hat sich meinethalb gebückt,
    Mein' Topf geschmückt
    Mit Früchten und mit Ranken,
    Das muß ich billig danken.

Sie hatte einen Kreisel aus wasserhellem Stein in ihrer Hand, den gab
sie der Wirtin und sagte: »Nehmt dieses Spielzeug, liebe Frau, zu
meinem Angedenken! Ihr werdet guten Nutzen davon haben. Denn jüngsthin
habe ich gehört, wie Ihr in Eurem Garten der Nachbarin klagtet, Euch
sei schon auf die Kirchweih angst, wo immer die Bürger und Bauern zu
Unfrieden kämen und Mord und Totschlag zu befahren sei. Derhalben,
liebe Frau, wenn wieder die trunkenen Gäste bei Tanz und Zeche Streit
beginnen, nehmt den Topf zur Hand und dreht ihn vor der Tür des Saals
im Öhrn[11], da wird man hören durch das ganze Haus ein mächtiges und
herrliches Getöne, daß alle gleich die Fäuste werden sinken lassen und
guter Dinge sein, denn jählings ist ein jeder nüchtern und gescheit
geworden. Ist es an dem, so werfet Eure Schürze auf den Topf! da
wickelt er sich alsbald ein und lieget stille.«

So redete das Wasserweib. Frau Betha nahm vergnügt das Kleinod samt
der goldenen Schnur und dem Halter von Ebenholz, rief ihre Tochter
Jutta her (sie stand nur hinter dem Krautfaß an der Staffel), wies
ihr die Gabe, dankte und lud die Frau, so oft die Zeit ihr lang wär',
freundlich ein zu fernerem Besuch; darauf das Weib hinabfuhr und
verschwand.

Es dauerte nicht lang', so wurde offenbar, welch einen Schatz die
Wirtschaft an dem Topf gewann. Denn nicht allein, daß er durch seine
Kraft und hohe Tugend die übeln Händel allezeit in einer Kürze dämpfte,
er brachte auch dem Gasthaus bald erstaunliche Einkehr zuwege. Wer in
die Gegend kam, gemein oder vornehm, ging ihm zulieb; insonderheit
kam bald der Graf von Helfenstein, von Wirtemberg und etliche große
Prälaten; ja ein berühmter Herzog aus Lombardenland, so bei dem Herzoge
von Bayern gastweis war und dieses Wegs nach Frankreich reiste, bot
vieles Geld für dieses Stück, wenn es die Wirtin lassen wollte. Gewiß
auch war in keinem andern Land seinesgleichen zu sehen und zu hören.
Erst, wenn er anhub sich zu drehen, ging es doucement her, dann klang
es stärker und stärker, so hoch wie tief, und immer herrlicher, als
wie der Schall von vielen Pfeifen, der quoll und stieg durch alle
Stockwerke bis unter das Dach und bis in den Keller, dergestalt daß
alle Wände, Dielen, Säulen und Geländer schienen davon erfüllt zu sein,
zu tönen und zu schwellen. Wenn nun das Tuch auf ihn geworfen wurde
und er ohnmächtig lag, so hörte gleichwohl die Musik sobald nicht auf,
es zog vielmehr der ausgeladene Schwall mit starkem Klingen, Dröhnen,
Summen noch wohl bei einer Viertelstunde hin und her.

Bei uns im Schwabenland heißt so ein Topf aus Holz gemeinhin eine
Habergeis[12]; Frau Betha ihrer ward nach seinem vornehmsten Geschäfte
insgemein genannt der Bauren-Schwaiger[13]. Er war gemacht aus einem
großen Amethyst, des Name besagen will: Wider den Trunk, weil er den
schweren Dunst des Weins geschwinde aus dem Kopf vertreibt, ja schon
von Anbeginn dawider tut, daß einen guten Zecher das Selige berühre;
darum ihn auch weltlich und geistliche Herren sonst häufig pflegten am
Finger zu tragen.

Die Wasserfrau kam jeden Mond einmal, auch je und je unverhofft
zwischen der Zeit, weshalb die Wirtin eine Schelle richten ließ oben im
Haus mit einem Draht, der lief herunter an der Wand beim Brunnen, damit
sie sich gleichbald anzeigen konnte. Also ward sie je mehr und mehr
zutunlich zu den wackeren Frauen, der Mutter samt den Töchtern und der
Söhnerin[14].

Einsmals an einem Nachmittag im Sommer, da eben keine Gäste kamen, der
Sohn mit den Knechten und Mägden hinaus in das Heu gefahren war, Frau
Betha mit der Ältesten im Keller Wein abließ, die Lau im Brunnen aber
Kurzweil halben dem Geschäft zusah und nun die Frauen noch ein wenig
mit ihr plauderten, da fing die Wirtin an: »Mögt Ihr Euch denn einmal
in meinem Haus und Hof umsehn? Die Jutta könnte Euch etwas von Kleidern
geben; ihr seid von _einer_ Größe.«

»Ja,« sagte sie, »ich wollte lange gern die Wohnungen der Menschen
sehn, was alles sie darin gewerben, spinnen, weben, ingleichen auch
wie Eure Töchter Hochzeit machen und ihre kleinen Kinder in der Wiege
schwenken.«

Da lief die Tochter fröhlich mit Eile hinauf, ein rein Leintuch zu
holen, bracht' es und half ihr aus dem Kasten steigen; das tat sie
sonder Müh und lachenden Mundes. Flugs schlug ihr die Dirne das Tuch
um den Leib und führte sie bei ihrer Hand eine schmale Stiege hinauf
in der hintersten Ecke des Kellers, da man durch eine Falltüre oben
gleich in der Töchter Kammer gelangt. Allda ließ sie sich trocken
machen und saß auf einem Stuhl, indem ihr Jutta die Füße abrieb. Wie
diese ihr nun an die Sohle kam, fuhr sie zurück und kicherte. »War's
nicht gelacht?« frug sie selber sogleich. -- »Was anders?« rief das
Mädchen und jauchzte: »Gebenedeiet sei uns der Tag! ein erstes Mal
wär' es geglückt!« -- Die Wirtin hörte in der Küche das Gelächter und
die Freude, kam herein, begierig, wie es zugegangen, doch als sie
die Ursach vernommen -- du armer Tropf, so dachte sie, das wird ja
schwerlich gelten! -- ließ sich indes nichts merken, und Jutta nahm
etliche Stücke heraus aus dem Schrank, das Beste was sie hatte, die
Hausfreundin zu kleiden. »Seht!« sagte die Mutter, »sie will wohl aus
Euch eine Susann Preisnestel[15] machen.« -- »Nein,« rief Lau in ihrer
Fröhlichkeit, »laß mich die Aschengruttel[16] sein in deinem Märchen!«
nahm einen schlechten runden Faltenrock und eine Jacke; nicht Schuh
noch Strümpfe litt sie an den Füßen, auch hingen ihre Haare ungezöpft
bis auf die Knöchel nieder. So strich sie durch das Haus von unten
bis zu oberst, durch Küche, Stuben und Gemächer. Sie verwunderte sich
des gemeinsten Gerätes und seines Gebrauchs, besah den rein gefegten
Schenktisch und darüber in langen Reihen die zinnenen Kannen und
Gläser, alle gleich gestürzt, mit hängendem Deckel, dazu den kupfernen
Schwenkkessel samt der Bürste und mitten in der Stube an der Decke
der Weber Zunftgeschmuck, mit Seidenband und Silberdraht geziert, in
dem Kästlein von Glas. Von ungefähr erblickte sie ihr eigen Bild im
Spiegel, davor blieb sie betroffen und erstockt eine ganze Weile stehn,
und als darauf die Söhnerin sie mit in ihre Stube nahm und ihr ein
neues Spiegelein, drei Groschen wert, verehrte, da meinte sie Wunders
zu haben; denn unter allen ihren Schätzen fand sich dergleichen nicht.

Bevor sie aber Abschied nahm, geschah's, daß sie hinter den Vorhang des
Alkoven schaute, woselbst der jungen Frau und ihres Mannes Bett sowie
der Kinder Schlafstätte war. Saß da ein Enkelein mit rotgeschlafenen
Backen, hemdig und einen Apfel in der Hand, auf einem runden Stühlchen
von guter Ulmer Hafnerarbeit, grünverglaset. Das wollte dem Gast außer
Maßen gefallen; sie nannte es einen viel zierlichen Sitz, rümpft' aber
die Nase mit eins, und da die drei Frauen sich wandten zu lachen,
vermerkte sie etwas und fing auch hell zu lachen an, und hielt sich die
ehrliche Wirtin den Bauch, indem sie sprach: »Diesmal fürwahr hat es
gegolten, und Gott schenk Euch einen so frischen Buben, als mein Hans
da ist!«

Die Nacht darauf, daß sich dies zugetragen, legte sich die schöne
Lau getrost und wohlgemut, wie schon in Jahren nicht, im Grund des
Blautopfs nieder, schlief gleich ein, und bald erschien ihr ein
närrischer Traum.

Ihr deuchte da, es war die Stunde nach Mittag, wo in der heißen
Jahreszeit die Leute auf der Wiese sind und mähen, die Mönche aber sich
in ihren kühlen Zellen eine Ruhe machen, daher es noch einmal so still
im ganzen Kloster und rings um seine Mauern war. Es stund jedoch nicht
lange an, so kam der Abt herausspaziert und sah, ob nicht etwa die
Wirtin in ihrem Garten sei. Dieselbe aber saß als eine dicke Wasserfrau
mit langen Haaren in dem Topf, allwo der Abt sie bald entdeckte, sie
begrüßte und ihr einen Kuß gab, so mächtig, daß es vom Klostertürmlein
widerschallte, und schallte es der Turm ans Refektorium, das sagt'
es der Kirche, und die sagt's dem Pferdstall, und der sagt's dem
Waschhaus, und im Waschhaus da riefen's die Zuber und Kübel sich zu.
Der Abt erschrak bei solchem Lärm; ihm war, wie er sich nach der Wirtin
bückte, sein Käpplein in Blautopf gefallen; sie gab es ihm geschwind,
und er watschelte hurtig davon.

Da aber kam aus dem Kloster heraus unser Herrgott, zu sehn, was es
gebe. Er hatte einen langen weißen Bart und einen roten Rock. Und frug
den Abt, der ihm just in die Hände lief:

    Herr Abt, wie ward Euer Käpplein so naß?

Und er antwortete:

    Es ist mir ein Wildschwein am Wald verkommen[17],
    Vor dem hab' ich Reißaus genommen;
    Ich rannte sehr und schwitzet' baß[18],
    Davon ward wohl mein Käpplein naß.

Da hob unser Herrgott, unwirs[19] ob der Lüge, seinen Finger auf,
winkt' ihm und ging voran, dem Kloster zu. Der Abt sah hehlings noch
einmal nach der Frau Wirtin um, und diese rief: »Ach, liebe Zeit! ach,
liebe Zeit! jetzt kommt der gut' alt' Herr in die Prison!«

Dies war der schönen Lau ihr Traum. Sie wußte aber beim Erwachen und
spürte noch an ihrem Herzen, daß sie im Schlaf sehr lachte, und ihr
hüpfte noch wachend die Brust, daß der Blautopf oben Ringlein schlug.

Weil es den Tag zuvor sehr schwül gewesen, so blitzte es jetzt in der
Nacht. Der Schein erhellte den Blautopf ganz, auch spürte sie am Boden,
es donnere weitweg. So blieb sie mit zufriedenem Gemüte noch eine Weile
ruhen, den Kopf in ihre Hand gestützt, und sah dem Wetterblicken[20]
zu. Nun stieg sie auf, zu wissen, ob der Morgen etwa komme: allein es
war noch nicht viel über Mitternacht. Der Mond stand glatt und schön
über dem Rusenschoß, die Lüfte aber waren voll vom Würzgeruch der
Mahden[21].

Sie meinte fast der Geduld nicht zu haben bis an die Stunde, wo sie
im Nonnenhof ihr neues Glück verkünden durfte, ja wenig fehlte, daß
sie sich jetzt nicht mitten in der Nacht aufmachte und vor Juttas Türe
kam (wie sie nur einmal Trostes wegen in übergroßem Jammer nach der
jüngsten Botschaft aus der Heimat tat), doch sie besann sich anders und
ging zu besserer Zeit.

Frau Betha hörte ihren Traum gutmütig an, obwohl er ihr ein wenig
ehrenrührig schien. Bedenklich aber sagte sie darauf: »Baut nicht auf
solches Lachen, das im Schlaf geschah! der Teufel ist ein Schelm.
Wenn Ihr auf solches Trugwerk hin die Boten mit fröhlicher Zeitung
entließet, und die Zukunft strafte Euch Lügen, es könnte schlimm daheim
ergehen.«

Auf diese Rede hing die schöne Lau den Mund gar sehr und sagte: »Frau
Ahne hat der Traum verdrossen!« nahm kleinlauten Abschied und tauchte
hinunter.

Es war nah bei Mittag, da rief der Pater Schaffner im Kloster dem
Bruder Kellermeister eifrig zu: »Ich merk', es ist im Gumpen letz! Die
Arge will Euch Eure Faß wohl wieder einmal schwimmen lehren. Tut Eure
Läden eilig zu, vermachet alles wohl!«

Nun aber war des Klosters Koch, der Wirtin Sohn, ein lustiger Vogel,
welchen die Lau wohl leiden mochte. Der dachte ihren Jäst[22] mit
einem Schnak zu stillen, lief nach seiner Kammer, zog die Bettscher
aus der Lagerstätte und steckte sie am Blautopf in den Rasen, wo das
Wasser auszutreten pflegte, und stellte sich mit Worten und Gebärden
als einen viel getreuen Diener an, der mächtig Ängsten hätte, daß seine
Herrschaft aus dem Bette fallen und etwa Schaden nehmen möchte. Da sie
nun sah das Holz so recht mit Fleiß gesteckt und über das Bächlein
gespreizt, kam ihr in ihrem Zorn das Lachen an, und lachte überlaut,
daß man's im Klostergarten hörte.

Als sie hierauf am Abend zu den Frauen kam, da wußten sie es schon vom
Koch und wünschten ihr mit tausend Freuden Glück. Die Wirtin sagte:
»Der Xaver ist von Kindesbeinen an gewesen als wie der Zuberklaus[23],
jetzt kommt uns seine Torheit zu statten.«

Nun aber ging ein Monat nach dem andern herum: es wollte sich zum
dritten- oder viertenmal nicht wieder schicken. Martini war vorbei,
noch wenig Wochen, und die Boten standen wieder vor der Tür. Da ward es
den guten Wirtsleuten selbst bang, ob heuer noch etwas zu stande käme,
und alle hatten nur zu trösten an der Frau. Je größer deren Angst, je
weniger zu hoffen war.

Damit sie ihres Kummers eher vergessen, lud ihr Frau Betha einen
Lichtkarz[24] ein, da nach dem Abendessen ein halb Dutzend muntre
Dirnen und Weiber aus der Verwandtschaft in einer abgelegenen Stube
mit ihren Kunkeln sich zusammensetzten. Die Lau kam alle Abend in
Juttas altem Rock und Kittel und ließ sich weit vom warmen Ofen weg
in einem Winkel auf dem Boden nieder und hörte dem Geplauder zu, von
Anfang als ein stummer Gast, ward aber bald zutraulich und bekannt mit
allen. Um ihretwillen machte sich Frau Betha eines Abends ein Geschäft
daraus, ihr Weihnachtskripplein für die Enkel beizeiten herzurichten:
die Mutter Gottes mit dem Kind im Stall, bei ihr die drei Weisen aus
Morgenland, ein jeder mit seinem Kamel, darauf er hergereist kam und
seine Gaben brachte. Dies alles aufzuputzen und zu leimen, was etwa
lotter war, saß die Frau Wirtin an dem Tisch beim Licht mit ihrer
Brille, und die Wasserfrau mit höchlichem Ergötzen sah ihr zu, so wie
sie auch gerne vernahm, was ihr von heiligen Geschichten dabei gesagt
wurde, doch nicht, daß sie dieselben dem rechten Verstand nach begriff
oder zu Herzen nahm, wie gern auch die Wirtin es wollte.

Frau Betha wußte ferner viel lehrreicher Fabeln und Denkreime, auch
spitzweise[25] Fragen und Rätsel; die gab sie nacheinander im Vorsitz
auf zu raten, weil sonderlich die Wasserfrau von Hause aus dergleichen
liebte und immer gar zufrieden schien, wenn sie es ein und das andre
Mal traf (das doch nicht allzu leicht geriet). Eines derselben gefiel
ihr vor allen, und was damit gemeint ist, nannte sie ohne Besinnen:

    Ich bin eine dürre Königin,
    Trag' auf dem Haupt eine zierliche Kron',
    Und die mir dienen mit treuem Sinn,
    Die haben großen Lohn.

    Meine Frauen müssen mich schön frisiern,
    Erzählen mir Märlein ohne Zahl,
    Sie lassen kein einzig Haar an mir,
    Doch siehst du mich nimmer kahl.

    Spazieren fahr' ich frank und frei,
    Das geht so rasch, das geht so fein;
    Nur komm ich nicht vom Platz dabei --
    Sagt Leute! was mag das sein?

Darüber sagte sie, in etwas fröhlicher denn zuvor: »Wenn ich
dereinstens wiederum in meiner Heimat bin und kommt einmal ein
schwäbisch Landeskind, zumal aus Eurer Stadt, auf einer Kriegsfahrt
oder sonst durch der Walachen Land an unsere Gestade, so ruf er mich
bei Namen, dort wo der Strom am breitesten hineingeht in das Meer --
versteht! zehn Meilen einwärts in dieselbe See erstreckt sich meines
Mannes Reich, soweit das süße Wasser sie mit seiner Farbe färbt -- dann
will ich kommen und dem Fremdling zu Rat und Hilfe sein. Damit er aber
sicher sei, ob ich es bin und keine andere, die ihm schaden möchte, so
stelle er dies Rätsel. Niemand aus unserm Geschlechte außer mir wird
ihm darauf antworten, denn dortzuland sind solche Rocken und Rädlein,
als Ihr in Schwaben führet, nicht gesehn, noch kennen sie dort Eure
Sprache; darum mag dies die Losung sein.«

Auf einen andern Abend ward erzählt vom Doktor Veylland und Herrn
Konrad von Wirtemberg, dem alten Gaugrafen, in dessen Tagen es noch
keine Stadt mit Namen Stuttgart gab. Im Wiesental, da wo dieselbe sich
nachmals erhob, stund nur ein stattliches Schloß mit Wassergraben und
Zugbrücke, von Bruno, dem Domherrn von Speyer, Konradens Oheim, erbaut,
und nicht gar weit davon ein hohes steinernes Haus[26]. In diesem
wohnte dazumal mit einem alten Diener ganz allein ein sonderlicher
Mann, der war in natürlicher Kunst und in Arzneikunst sehr gelehrt
und war mit seinem Herrn, dem Grafen, weit in der Welt herumgereist
in heißen Ländern, von wo er manche Seltsamkeit an Tieren, vielerlei
Gewächsen und Meerwundern heraus nach Schwaben brachte. In seinem Öhrn
sah man der fremden Sachen eine Menge an den Wänden herum hangen: die
Haut vom Krokodil sowie Schlangen und fliegende Fische. Fast alle
Wochen kam der Graf einmal zu ihm; mit anderen Leuten pflegte er wenig
Gemeinschaft. Man wollte behaupten, er mache Gold; gewiß ist, daß er
sich unsichtbar machen konnte, denn er verwahrte unter seinem Kram
einen Krackenfischzahn. Einst nämlich, als er auf dem Roten Meer
das Bleilot niederließ, die Tiefe zu erforschen, da zockt' es unterm
Wasser, daß das Tau fast riß. Es hatte sich ein Krackenfisch im Lot
verbissen und zween seiner Zähne darinnen gelassen. Sie sind wie eine
Schustersahle, spitz und glänzend schwarz. Der eine stak sehr fest,
der andere ließ sich leicht ausziehen. Da nun ein solcher Zahn, etwa
in Silber oder Gold gefaßt und bei sich getragen, besagte hohe Kraft
besitzt und zu den größten Gütern, so man für Geld nicht haben kann,
gehört, der Doktor aber dafür hielt, es zieme eine solche Gabe niemand
besser, als einem weisen und wohldenkenden Gebieter, damit er überall,
in seinen eigenen und Feindes Landen, sein Ohr und Auge habe, so gab er
einen dieser Zähne seinem Grafen, wie er ja ohnedem wohl schuldig war,
mit Anzeigung von dessen Heimlichkeit, davon der Herr nichts wußte. Von
diesem Tage an erzeigte sich der Graf dem Doktor gnädiger als allen
seinen Edelleuten oder Räten, und hielt ihn recht als seinen lieben
Freund, ließ ihm auch gern und sonder Neid das Lot zu eigen, darin der
andere Zahn war, doch unter dem Gelöbnis, sich dessen ohne Not nicht zu
bedienen, auch ihn vor seinem Ableben entweder ihm, dem Grafen, erblich
zu verlassen oder auf alle Weise der Welt zu entrücken, wo nicht ihn
gänzlich zu vertilgen. Der edle Graf starb aber um zwei Jahre eher
als der Veylland und hinterließ das Kleinod seinen Söhnen nicht; man
glaubt, aus Gottesfurcht und weiser Vorsicht hab' er es mit in das
Grab genommen oder sonst verborgen.

Wie nun der Doktor auch am Sterben lag, so rief er seinen treuen
Diener Kurt zu ihm ans Bett und sagte: »Lieber Kurt! es gehet diese
Nacht mit mir zu Ende, so will ich dir noch deine guten Dienste
danken und etliche Dinge befehlen. Dort bei den Büchern in dem Fach
zu unterst in der Ecke ist ein Beutel mit hundert Imperialen[27], den
nimm sogleich zu dir! Du wirst auf Lebenszeit genug daran haben. Zum
zweiten, das alte geschriebene Buch in dem Kästlein daselbst verbrenne
jetzt vor meinen Augen hier in dem Kamin! Zum dritten findest du ein
Bleilot dort, das nimm, verbirg's bei deinen Sachen, und wenn du aus
dem Hause gehst in deine Heimat gen Blaubeuren, laß es dein erstes
sein, daß du es in den Blautopf wirfst!« -- Hiermit war er darauf
bedacht, daß es ohne Gottes besondere Fügung in ewigen Zeiten nicht
in irgend eines Menschen Hände komme. Denn damals hatte sich die Lau
noch nie im Blautopf blicken lassen, und hielt man selben überdies für
unergründlich.

Nachdem der gute Diener jenes alles teils auf der Stelle ausgerichtet,
teils versprochen, nahm er mit Tränen Abschied von dem Doktor, welcher
vor Tage noch das Zeitliche gesegnete.

Als nachher die Gerichtspersonen kamen und allen kleinen Quark
aussuchten und versiegelten, da hatte Kurt das Bleilot zwar beiseit
gebracht, den Beutel aber nicht versteckt (denn er war keiner von
den Schlauesten) und mußte ihn da lassen, bekam auch nach der Hand
nicht einen Deut davon zu sehen, kaum daß die schnöden Erben ihm den
Jahreslohn auszahlten.

Solch Unglück ahnete ihm schon, als er, auch ohnedem betrübt genug,
mit seinem Bündelein in seiner Vaterstadt einzog. Jetzt dachte er an
nichts, als seines Herrn Befehl vor allen Dingen zu vollziehen. Weil er
seit dreiundzwanzig Jahren nimmer hier gewesen, so kannte er die Leute
nicht, die ihm begegneten, und da er gleichwohl einem und dem andern
Gutenabend sagte, gab's ihm niemand zurück. Die Leute schauten sich,
wenn er vorüberkam, verwundert an den Häusern um, wer doch da gegrüßt
haben möchte; denn keines erblickte den Mann. Dies kam, weil ihm das
Lot in seinem Bündel auf der linken Seite hing; ein andermal, wenn er
es rechts trug, war er von allen gesehen. Er aber sprach für sich: »Zu
meiner Zeit sind dia Blaubeuramar so grob ett gwä!«

Beim Blautopf fand er seinen Vetter, den Seilermeister, mit dem Jungen
am Geschäft, indem er längs der Klostermauer, rückwärts gehend, Werg
aus seiner Schürze spann, und weiterhin der Knabe trillte die Schnur
mit dem Rad. -- »Gott grüaß di, Vetter Seiler!« rief der Kurt und
klopft' ihm auf die Achsel. Der Meister guckt sich um, verblaßt, läßt
seine Arbeit aus den Händen fallen und lauft, was seine Beine mögen.
Da lachte der andere, sprechend: »Der denkt, mei' Seel, i wandele
geistweis! D'Leut hant g'wiß mi für tot hia g'sait, anstatt mein' Herra
-- ei so schlag!«

Jetzt ging er zu dem Teich, knüpfte sein Bündel auf und zog das Lot
heraus. Da fiel ihm ein, er möchte doch auch wissen, ob es wahr sei,
daß der Gumpen keinen Grund noch Boden habe (er wär' gern auch ein
wenig so ein Spiriguckes[28] wie sein Herr gewesen), und weil er vorhin
in des Seilers Korb drei große, starke Schnürbund hatte liegen sehen,
so holte er dieselben her und band das Lot an einen. Es lagen just
auch frischgebohrte Teichel, eine schwere Menge, in dem Wasser bis
gegen die Mitte des Topfs, darauf er sicher Posto fassen konnte, und
also ließ er das Gewicht hinunter, indem er immer ein Stück Schnur an
seinem ausgestreckten Arm abmaß, drei solcher Längen auf ein Klafter
rechnete und laut abzählte: »1 Klafter, 2 Klafter, 3, 4, 5, 6, 7, 8,
9, 10« -- da ging der erste Schnurbund aus und mußte er den zweiten
an das Ende knüpfen, maß wiederum ab und zählte bis auf 20. Da war
der andere Schnurbund gar. -- »Heidaguguk, ist dees a Tiafe!« -- und
band den dritten an das Trumm, fuhr fort zu zählen: »21, 22, 23, 24 --
Höllelement, mei' Arm will nimme! -- 25, 26, 27, 28, 29, 30 -- Jetzet
guat Nacht, 's Meß hot a End! Do heißt's halt, mir nex[29], dir nex,
rappede kappede, so isch usganga!« -- Er schlang die Schnur, bevor er
aufzog, um das Holz, darauf er stand, ein wenig zu verschnaufen, und
urteilte bei sich: Der Topf ist währle bodalaus[30].

Indem der Spinnerinnen eine diesen Schwank erzählte, tat die Wirtin
einen schlauen Blick zur Lau hinüber, welche lächelte; denn freilich
wußte sie am besten, wie es gegangen war mit dieser Messerei; doch
sagten beide nichts. Dem Leser aber soll es unverhalten sein.

Die schöne Lau lag jenen Nachmittag auf dem Sand in der Tiefe, und,
ihr zu Füßen, eine Kammerjungfer, Aleila, welche ihr die liebste war,
beschnitt ihr in guter Ruh die Zehen mit einer goldenen Schere, wie von
Zeit zu Zeit geschah.

Da kam hernieder langsam aus der klaren Höh' ein schwarzes Ding,
als wie ein Kegel, des sich im Anfang beide sehr verwunderten, bis
sie erkannten, was es sei. Wie nun das Lot mit neunzig Schuh den
Boden berührte, da ergriff die scherzlustige Zofe die Schnur und zog
gemach mit beiden Händen, zog und zog so lang', bis sie nicht mehr
nachgab. Alsdann nahm sie geschwind die Schere und schnitt das Lot
hinweg, erlangte einen dicken Zwiebel (der war erst gestern in den
Topf gefallen und war fast eines Kinderkopfes groß) und band ihn bei
dem grünen Schossen an die Schnur, damit der Mann erstaune, ein ander
Lot zu finden, als das er ausgeworfen. Derweile aber hatte die schöne
Lau den Krackenzahn im Blei mit Freuden und Verwunderung entdeckt.
Sie wußte seine Kraft gar wohl, und ob zwar für sich selbst die
Wasserweiber oder -Männer nicht viel danach fragen, so gönnen sie den
Menschen doch so großen Vorteil nicht, zumalen sie das Meer und was
sich darin findet von Anbeginn als ihren Pacht und Lehn ansprechen.
Deswegen denn die schöne Lau mit dieser ungefähren Beute sich dereinst,
wenn sie zu Hause käme, beim alten Nix, ihrem Gemahl, Lobs zu erholen
hoffte. Doch wollte sie den Mann, der oben stund, nicht lassen ohn'
Entgelt, nahm also alles, was sie eben auf dem Leibe hatte, nämlich
die schöne Perlenschnur an ihrem Hals, schlang selbe um den großen
Zwiebel, gerade als er sich nunmehr erhob; und daran war es nicht
genug: sie hing zuteuerst[31] auch die goldene Schere noch daran und
sah mit hellem Aug', wie das Gewicht hinaufgezogen ward. Die Zofe aber,
neubegierig, wie sich das Menschenkind dabei gebärde, stieg hinten dem
Lot in die Höhe und weidete sich zwo Spannen unterhalb dem Spiegel an
des Alten Schreck und Verwirrung. Zuletzt fuhr sie mit ihren beiden
aufgehobenen Händen ein maler viere in der Luft herum, die weißen
Finger als zu einem Fächer oder Wadel ausgespreizt. Es waren aber
schon zuvor auf des Vetters Seilers Geschrei viel Leute aus der Stadt
herausgekommen, die standen um den Blautopf her und sahn dem Abenteuer
zu, bis wo die grausigen Hände erschienen; da stob mit eins die Menge
voneinander und entrann.

Der alte Diener aber war von Stund an irrsch[32] im Kopf ganzer sieben
Tage, und sah der Lau ihre Geschenke gar nicht an, sondern saß da bei
seinem Vetter hinterm Ofen und sprach des Tags wohl hundertmal ein
altes Sprüchlein vor sich hin, von welchem kein Gelehrter in ganz
Schwabenland Bescheid zu geben weiß, woher und wie oder wann erstmals
es unter die Leute gekommen. Denn von ihm selber hatte es der Alte
nicht; man gab es lang' vor seiner Zeit, gleichwie noch heutiges Tags,
den Kindern scherzweis auf, wer es ganz hurtig nacheinander ohne Tadel
am öftesten hersagen könne; und lauten die Worte:

    's leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeura,
    glei bei Blaubeura leit a Klötzle Blei.

Die Wirtin nannt' es einen rechten Leirenbendel[33] und sagte: »Wer
hätte auch den mindesten Verstand da drin gesucht, geschweige eine
Prophezeihung!«

Als endlich der Kurt mit dem siebenten Morgen seine gute Besinnung
wiederfand und ihm der Vetter die kostbaren Sachen darwies, so sein
rechtliches Eigentum wären, da schmunzelte er doch, tat sie in sichern
Verschluß und ging mit des Seilers zu Rat, was damit anzufangen.
Sie achteten alle fürs beste, er reiste mit Perlen und Schere gen
Stuttgart, wo eben Graf Ludwig sein Hoflager hatte, und biete sie
demselben an zum Kauf. So tat er denn. Der hohe Herr war auch nicht
karg und gleich bereit, so seltene Zier nach Schätzung eines Meisters
für seine Frau zu nehmen; nur als er von dem Alten hörte, wie er dazu
gekommen, fuhr er auf und drehte sich voll Ärger auf dem Absatz um, daß
ihm der Wunderzahn verloren sei. Ihm war vordem etwas von diesem kund
geworden, und hatte er dem Doktor, bald nach Herrn Konrads Hintritt,
seines Vaters, sehr darum angelegen, doch umsonst.

Dies war nun die Geschichte, davon die Spinnerinnen damals plauderten.
Doch ihnen war das Beste daran unbekannt. Eine Gevatterin, so auch mit
ihrer Kunkel unter ihnen saß, hätte noch gar gern gehört, ob wohl die
schöne Lau das Lot noch habe, und was sie damit tue, und red'te so von
weitem darauf hin; da gab Frau Betha ihr nach ihrer Weise einen kleinen
Stich und sprach zur Lau: »Ja, gelt, jetzt macht Ihr Euch bisweilen
unsichtbar, geht herum in den Häusern und guckt den Weibern in die
Töpfe, was sie zu Mittag kochen? Eine schöne Sach' um so ein Lot für
fürwitzige Leute!«

Inmittelst fing der Dirnen eine an, halblaut das närrische
Gesetzlein[34] herzusagen; die andern taten ein gleiches, und jede
wollt' es besser können, und keine brachte es zum dritten oder
viertenmal glatt aus dem Mund; dadurch gab es viel Lachen. Zum letzten
mußte es die schöne Lau probieren: die Jutta ließ ihr keine Ruh. Sie
wurde rot bis an die Schläfe, doch hub sie an und klüglicherweise gar
langsam:

    's leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeura.

Die Wirtin rief ihr zu, so sei es keine Kunst; es müsse gehen wie
geschmiert! Da nahm sie ihren Anlauf frisch hinweg, kam auch alsbald
vom Pfad ins Stoppelfeld, fuhr buntüberecks[35] und wußte nimmer gicks
noch gacks. Jetzt, wie man denken kann, gab es Gelächter einer Stuben
voll, das hättet ihr nur hören sollen, und mitten draus hervor der
schönen Lau ihr Lachen, so hell wie ihre Zähne, die man alle sah!

Doch unversehens, mitten in dieser Fröhlichkeit und Lust, begab sich
ein mächtiges Schrecken.

Der Sohn vom Haus, der Wirt, -- er kam gerade mit dem Wagen heim von
Sonderbuch und fand die Knechte verschlafen im Stall -- sprang hastig
die Stiege herauf, rief seine Mutter vor die Tür und sagte, daß es
alle hören konnten: »Um Gottes willen, schickt die Lau nach Haus! Hört
Ihr denn nicht im Städtlein den Lärm? Der Blautopf leert sich aus, die
untere Gasse ist schon unter Wasser, und in dem Berg am Gumpen ist
ein Getös und Rollen, als wenn die Sintflut käme!« -- Indem er noch
so sprach, tat innen die Lau einen Schrei: »Das ist der König, mein
Gemahl, und ich bin nicht daheim!« -- Hiermit fiel sie von ihrem Stuhl
sinnlos zu Boden, daß die Stube zitterte. Der Sohn war wieder fort, die
Spinnerinnen liefen jammernd heim mit ihren Rocken, die andern wußten
aber nicht, was anzufangen mit der armen Lau, welche wie tot da lag.
Eins machte ihr die Kleider auf, ein anderes strich sie an, das dritte
riß die Fenster auf, und schafften doch alle miteinander nichts.

Da streckte unverhofft der lustige Koch den Kopf zur Tür herein,
sprechend: »Ich hab' mir's eingebildet, sie wär' bei euch! Doch, wie
ich sehe, geht's nicht allzu lustig her. Macht, daß die Ente in das
Wasser kommt, so wird sie schwimmen!« -- »Du hast gut reden!« sprach
die Mutter mit Beben. »Hat man sie auch im Keller und im Brunnen, kann
sie sich unten nicht den Hals abstürzen im Geklüft?« -- »Was Keller!«
rief der Sohn, »was Brunnen! Das geht ja freilich nicht. Laßt mich nur
machen! Not kennt kein Gebot: ich trag' sie in den Blautopf.« -- Und
damit nahm er, als ein starker Kerl, die Wasserfrau auf seine Arme.
»Komm, Jutta -- nicht heulen! -- geh mir voran mit der Latern'!« -- »In
Gottes Namen!« sagte die Wirtin. »Doch nehmt den Weg hinten herum durch
die Gärten! Es wimmelt die Straße mit Leuten und Lichtern.« -- »Der
Fisch hat sein Gewicht,« sprach er im Gehn, schritt aber festen Tritts
die Stiege hinunter, dann über den Hof und links und rechts, zwischen
Hecken und Zäunen hindurch.

Am Gumpen fanden sie das Wasser schon merklich gefallen, gewahrten aber
nicht, wie die drei Zofen, mit den Köpfen dicht unter dem Spiegel,
ängstlich hin und wieder schwammen, nach ihrer Frau ausschauend. Das
Mädchen stellte die Laterne hin, der Koch entledigte sich seiner Last,
indem er sie behutsam mit dem Rücken an den Kürbishügel lehnte. Da
raunte ihm sein eigener Schalk ins Ohr: Wenn du sie küßtest, freute
dich's dein Leben lang, und könntest du doch sagen, du habest einmal
eine Wasserfrau geküßt. -- Und eh' er es recht dachte, war's geschehen.
Da löschte ein Schuck Wasser aus dem Topf das Licht urplötzlich aus,
daß es stichdunkel war umher, und tat es dann nicht anders, als wenn
ein ganz halb Dutzend nasser Hände auf ein paar kernige Backen fiel,
und wo es sonst hintraf. Die Schwester rief: »Was gibt es denn?« --
»Maulschellen heißt man's hier herum!« sprach er. »Ich hätte nicht
gedacht, daß sie am Schwarzen Meer sottige[36] Ding' auch kenneten!«
-- Dies sagend stahl er sich eilends davon, doch weil es vom Widerhall
drüben am Kloster auf Mauern und Dächern und Wänden mit Maulschellen
brazzelte, stund er bestürzt, wußte nicht recht wohin, denn er glaubte
den Feind vorn und hinten. (Solch einer Witzung[37] brauchte es, damit
er sich des Mundes nicht berühme, den er geküßt, unwissend zwar, daß er
es _müssen_ tun der schönen Lau zum Heil.)

Inwährend diesem argen Lärm nun hörte man die Fürstin in ihrem
Ohnmachtschlaf so innig lachen, wie sie damals im Traum getan, wo sie
den Abt sah springen. Der Koch vernahm es noch von weitem, und ob er's
schon auf sich zog und mit Grund, erkannte er doch gern daraus, daß es
nicht weiter Not mehr habe mit der Frau.

Bald kam mit guter Zeitung auch die Jutte heim, die Kleider, den Rock
und das Leibchen im Arm, welche die schöne Lau zum letztenmal heut am
Leibe gehabt. Von ihren Kammerjungfern, die sie am Topf in Beisein des
Mädchens empfingen, erfuhr sie gleich zu ihrem großen Trost, der König
sei noch nicht gekommen, doch mög' es nicht mehr lang' anstehn; die
große Wasserstraße sei schon angefüllt. Dies nämlich war ein breiter,
hoher Felsenweg, tief unterhalb den menschlichen Wohnstätten, schön
grad und eben mitten durch den Berg gezogen, zwo Meilen lang von da bis
an die Donau, wo des alten Nixen Schwester ihren Fürstensitz hatte.
Derselben waren viele Flüsse, Bäche, Quellen dieses Gaues dienstbar;
die schwellten, wenn das Aufgebot an sie erging, besagte Straße in gar
kurzer Zeit so hoch mit ihren Wassern, daß sie mit allem Seegetier,
Meerrossen und Wagen füglich befahren werden mochte, welches bei
festlicher Gelegenheit zuweilen als ein schönes Schaugepräng mit vielen
Fackeln und Musik von Hörnern und Pauken geschah.

Die Zofen eilten jetzo sehr mit ihrer Herrin in das Putzgemach, um sie
zu salben, zöpfen und köstlich anzuziehen, das sie auch gern zuließ und
selbst mithalf; denn sie in ihrem Innern fühlte, es sei nun jegliches
erfüllt zusamt dem Fünften, so der alte Nix und sie nicht wissen durfte.

Drei Stunden wohl, nachdem der Wächter Mitternacht gerufen (es schlief
im Nonnenhof schon alles), erscholl die Kellerglocke zweimal mächtig,
zum Zeichen, daß es Eile habe, und hurtig waren auch die Frauen und die
Töchter auf dem Platz.

Die Lau begrüßte sie wie sonst vom Brunnen aus, nur war ihr Gesicht von
der Freude verschönt, und ihre Augen glänzten, wie man es nie an ihr
gesehen. Sie sprach: »Wißt, daß mein Ehgemahl um Mitternacht gekommen
ist! Die Schwieger hat es ihm voraus verkündigt ohnelängst, daß sich
in dieser Nacht mein gutes Glück vollenden soll, darauf er ohne Säumen
auszog mit Geleit der Fürsten, seinem Ohm und meinem Bruder Synd und
vielen Herren. Am Morgen reisen wir. Der König ist mir hold und gnädig,
als hieß' ich von heute an erst sein Gespons. Sie werden gleich vom
Mahl aufstehn, sobald sie den Umtrunk gehalten. Ich schlich auf meine
Kammer und hierher, noch meine Gastfreunde zu grüßen und zu herzen.
Ich sage Dank, Frau Ahne, liebe Jutta, Euch Söhnerin und Jüngste dir.
Grüßet die Männer und die Mägde! In jedem dritten Jahr wird euch
Botschaft von mir; auch mag es wohl geschehn, daß ich noch bälder komme
selber: da bring' ich mit auf diesen meinen Armen ein lebend Merkmal,
daß die Lau bei euch gelacht. Das wollen euch die Meinen allezeit
gedenken, wie ich selbst. Für jetzo, wisset, liebe Wirtin! ist mein
Sinn, einen Segen zu stiften in dieses Haus für viele seiner Gäste.
Oft habe ich vernommen, wie Ihr den armen wandernden Gesellen Gut's
getan mit freier Zehrung und Herberg'. Damit Ihr solchen fortan mögt
noch eine weitere Handreichung tun, so werdet Ihr zu diesem Ende finden
beim Brunnen hier einen steinernen Krug voll guter Silbergroschen:
davon teilt ihnen nach Gutdünken mit! und will ich das Gefäß, bevor der
letzte Pfennig ausgegeben, wieder füllen. Zudem will ich noch stiften
auf alle hundert Jahr fünf Glückstage (denn dies ist meine holde Zahl)
mit unterschiedlichen Geschenken also, daß wer von reisenden Gesellen
der erste über Eure Schwelle tritt am Tag, der mir das erste Lachen
brachte, der soll empfangen aus Eurer oder Eurer Kinder Hand von
fünferlei Stücken das Haupt. Ein jeder, so den Preis gewinnt, gelobe,
nicht Ort noch Zeit dieser Bescherung zu verraten. Ihr findet aber
solche Gaben jedesmal hier nächst dem Brunnen. Die Stiftung, wisset!
mache ich für alle Zeit, solang' ein Glied von Eurem Stamme auf der
Wirtschaft ist.«

Nach diesen Worten nahm sie nochmals Abschied und küßte ein jedes. Die
beiden Frauen und die Mädchen weinten sehr. Sie steckte Jutten einen
Fingerreif mit grünem Schmelzwerk an und sprach dabei: »Ade, Jutta! Wir
haben zusammen besondere Holdschaft[38] gehabt, die müsse fernerhin
bestehen!« -- Nun tauchte sie hinunter, winkte und verschwand.

In einer Nische hinter dem Brunnen fand sich richtig der Krug samt
den verheißenen Angebinden. Es war in der Mauer ein Loch mit eisernem
Türlein versehen, von dem man nie gewußt, wohin es führe; das stand
jetzt aufgeschlagen, und war daraus ersichtlich, daß die Sachen durch
dienstbare Hand auf diesem Weg seien hergebracht worden, deshalb
auch alles wohl trocken verblieb. Es lag dabei ein Würfelbecher aus
Drachenhaut, mit goldenen Buckeln beschlagen, ein Dolch mit kostbar
eingelegtem Griff, ein elfenbeinen Weberschifflein, ein schönes
Tuch von fremder Weberei und mehr dergleichen. Aparte aber lag ein
Kochlöffel aus Rosenholz mit langem Stiel, von oben herab fein gemalt
und vergoldet, den war die Wirtin angewiesen, dem lustigen Koch zum
Andenken zu geben. Auch keins der andern war vergessen.

Frau Betha hielt bis an ihr Lebensende die Ordnung der guten Lau
heilig, und ihre Nachkommen nicht minder. Daß jene sich nachmals mit
ihrem Kind im Nonnenhof zum Besuch eingefunden, davon zwar steht nichts
in dem alten Buch, das diese Geschichten berichtet, doch mag ich es
wohl glauben.



Worterklärungen Mörikes zur Historie von der schönen Lau.

    [2] _Der Blautopf_. Die dunkle, vollkommen blaue Farbe der
      Quelle, ihre verborgene Tiefe und die wilde Natur der ganzen
      Umgebung verleihen ihr ein feierliches, geheimnisvolles
      Ansehn. Kein Wunder, wenn sie in alten Zeiten als heilig
      betrachtet wurde und wenn das Volk noch jetzt mit
      abenteuerlichen Vorstellungen davon sich trägt.

    [3] _Lau_, von La, Wasser, welches in lo, lau, b'lau überging.

    [4] _Gumpen_ (der), gewöhnlich nur eine vertiefte Stelle
      auf dem Grunde des Wassers, hier das Ganze einer größern
      Wassersammlung mit bedeutender kesselartiger Vertiefung.

    [5] mäßig erwärmt (auch in moralischer Bedeutung: stillen
      Charakters).

    [6] begangene Pfade.

    [7] Kaninchen.

    [8] Schachspiel.

    [9] voriges Jahr.

    [10] Kohl.

    [11] Hausflur.

    [12] _Habergeis_, von heben, wegen der hüpfenden, hoppelnden
      Bewegung des Kreises.

    [13] _Bauren-Schwaiger_, von geschweigen, stillen. -- _Das
      Selige_. Selig, berauscht, ist nicht gleichbedeutend mit
      glückselig, obwohl darauf hinspielend, sondern gleichen
      Stamms mit Sal, Rausch, niedersächsisch; ~soûl~, betrunken,
      französisch.

    [14] Schwiegertochter.

    [15] _Susanne Preisnestel_. Scherzhafte Bezeichnung
      aufgeputzter Mädchen. Preis heißt der Saum am Hemd;
      prisen, einfassen; mit einer Kette, gewöhnlich von Silber,
      einschnüren, um den bei der vormaligen oberschwäbischen
      Frauentracht üblichen Brustvorstecker zu befestigen;
      der hierzu gebrauchte seidene oder wollene Bündel hieß
      Preisnestel.

    [16] Aschenbrödel, sonst im Schwäbischen auch Aschengrittel und
      Aeschengrusel genannt.

    [17] begegnen.

    [18] sehr, gut, besser.

    [19] unwirsch, ungehalten.

    [20] der Blick, Durnblick, Wetterblick, Blitz. -- _Rusenschloß_
      oder Hohen-Gerhausen, vormals eine gewaltige Bergfeste, jetzt
      äußerst malerische Ruine über dem Dorfe Gerhausen gelegen, in
      der Nähe vom Ruck, einer minder bedeutenden Burg.

    [21] 1. die zu mähende Wiese, 2. das Gemähte.

    [22] Gärung, aufbrausender Zorn.

    [23] ein Mensch, der seltsame Einfälle hat.

    [24] _Lichtkarz_, Karz, entweder von garten, müßig sein,
      umherschwärmen, z'Garten gehen, Besuch machen oder,
      wahrscheinlicher, von Kerze, Versammlung von Spinnerinnen,
      auch Vorsitz genannt.

    [25] spitzfindig; »mit spitzwysen Worten« (Ulmer Urk.)

    [26] Es ist das der Stiftskirche westlich gegenüberstehende
      Mäntlersche Haus (jetzt städtisches Gebäude) gemeint, das
      gegenwärtig noch »zum Schlößlein« heißt. -- _In natürlicher
      Kunst_. Natürlich, naturkundig.

    [27] _Imperial_, war ehemals eine Goldmünze; der Name ist nur
      noch in Rußland üblich.

    [28] _Spiriguckes_, ein wunderwitziger, neugieriger, auf
      Kuriositäten erpichter Mensch von sonderbarem Wesen.

    [29] _Mir nex_ -- _usganga_, sagt man am Schlusse der Erzählung
      einer Sache, die auf nichts hinausläuft.

    [30] bodenlos.

    [31] sogar.

    [32] nicht recht bei sich.

    [33] langweiliges Einerlei; zunächst der schwäbische Volksname
      für einen Vogel, Wendehals.

    [34] Sprüchlein, Strophe eines Lieds.

    [35] verkehrt, durcheinander.

    [36] solche.

    [37] Warnung.

    [38] Liebschaft, zärtliche Freundschaft.



Mozart auf der Reise nach Prag.


Im Herbst des Jahres 1787 unternahm Mozart in Begleitung seiner Frau
eine Reise nach Prag, um Don Juan daselbst zur Aufführung zu bringen.

Am dritten Reisetag, den vierzehnten September, gegen elf Uhr morgens
fuhr das wohlgelaunte Ehepaar, noch nicht viel über dreißig Stunden
Wegs von Wien entfernt, in nordwestlicher Richtung jenseits vom
Mannhardsberg und der deutschen Thaya bei Schrems, wo man das schöne
Mährische Gebirg bald vollends überstiegen hat.

»Das mit drei Postpferden bespannte Fuhrwerk,« schreibt die Baronesse
von T. an ihre Freundin, »eine stattliche gelbrote Kutsche, war
Eigentum einer gewissen alten Frau Generalin Volkstett, die sich
auf ihren Umgang mit dem Mozartischen Hause und ihre ihm erwiesenen
Gefälligkeiten von jeher scheint etwas zugut getan zu haben.« -- Die
ungenaue Beschreibung des fraglichen Gefährts wird sich ein Kenner des
Geschmacks der achtziger Jahre noch etwa durch einige Züge ergänzen.
Der gelbrote Wagen ist hüben und drüben am Schlage mit Blumenbuketts,
in ihren natürlichen Farben gemalt, die Ränder mit schmalen Goldleisten
verziert, der Anstrich aber noch keineswegs von jenem spiegelglatten
Lack der heutigen Wiener Werkstätten glänzend, der Kasten auch nicht
völlig ausgebaucht, obwohl nach unten zu kokett mit einer kühnen
Schweifung eingezogen; dazu kommt ein hohes Gedeck mit starrenden
Ledervorhängen, die gegenwärtig zurückgestreift sind.

Von dem Kostüm der beiden Passagiere sei überdies soviel bemerkt! Mit
Schonung für die neuen im Koffer eingepackten Staatsgewänder war der
Anzug des Gemahls bescheidentlich von Frau Konstanzen ausgewählt:
zu der gestickten Weste von etwas verschossenem Blau sein gewohnter
brauner Überrock mit einer Reihe großer und dergestalt fassonierter
Knöpfe, daß eine Lage rötliches Rauschgold durch ihr sternartiges
Gewebe schimmerte, schwarzseidene Beinkleider, Strümpfe und auf den
Schuhen vergoldete Schnallen. Seit einer halben Stunde hat er wegen
der für diesen Monat außerordentlichen Hitze sich des Rocks entledigt
und sitzt, vergnüglich plaudernd, barhaupt, in Hemdärmeln da. Madame
Mozart trägt ein bequemes Reisehabit, hellgrün und weiß gestreift;
halb aufgebunden fällt der Überfluß ihrer schönen, lichtbraunen Locken
auf Schulter und Nacken herunter; sie waren Zeit ihres Lebens noch
niemals von Puder entstellt, während der starke in einen Zopf gefaßte
Haarwuchs ihres Gemahls für heute nur nachlässiger als gewöhnlich damit
versehen ist.

Man war eine sanft ansteigende Höhe zwischen fruchtbaren Feldern,
welche hie und da die ausgedehnte Waldung unterbrachen, gemachsam
hinauf und jetzt am Waldsaum angekommen.

»Durch wie viel Wälder,« sagte Mozart, »sind wir nicht heute, gestern
und ehegestern schon passiert! Ich dachte nichts dabei, geschweige
daß mir eingefallen wäre, den Fuß hineinzusetzen. Wir steigen einmal
aus da, Herzenskind, und holen von den blauen Glocken, die dort so
hübsch im Schatten stehen! Deine Tiere, Schwager, mögen ein bißchen
verschnaufen!«

Indem sie sich beide erhoben, kam ein kleines Unheil an den Tag,
welches dem Meister einen Zank zuzog. Durch seine Achtlosigkeit war ein
Flakon mit kostbarem Riechwasser aufgegangen und hatte seinen Inhalt
unvermerkt in die Kleider und Polster ergossen. »Ich hätt' es denken
können!« klagte sie; »es duftete schon lang' so stark. O weh, ein
volles Fläschchen echte Rosée d'Aurore rein ausgeleert! Ich sparte sie
wie Gold.« -- »Ei, Närrchen,« gab er ihr zum Trost zurück, »begreife
doch! auf solche Weise ganz allein war uns dein Götter-Riechschnaps
etwas nütze. Erst saß man in einem Backofen, und all dein Gefächel
half nichts, bald aber schien der ganze Wagen gleichsam ausgekühlt;
du schriebst es den paar Tropfen zu, die ich mir auf den Jabot goß;
wir waren neu belebt, und das Gespräch floß munter fort, statt daß wir
sonst die Köpfe hätten hängen lassen, wie die Hämmel auf des Fleischers
Karren, und diese Wohltat wird uns auf dem ganzen Weg begleiten. Jetzt
aber laß uns doch einmal zwei Wienerische Ros'n recht expreß hier in
die grüne Wildnis stecken!«

Sie stiegen Arm in Arm über den Graben an der Straße und sofort tiefer
in die Tannendunkelheit hinein, die, sehr bald bis zur Finsternis
verdichtet, nur hin und wieder von einem Streifen Sonne auf sammetnem
Moosboden grell durchbrochen ward. Die erquickliche Frische, im
plötzlichen Wechsel gegen die außerhalb herrschende Glut, hätte
dem sorglosen Mann ohne die Vorsicht der Begleiterin gefährlich
werden können. Mit Mühe drang sie ihm das in Bereitschaft gehaltene
Kleidungsstück auf. »Gott, welche Herrlichkeit!« rief er, an den hohen
Stämmen hinaufblickend, aus. »Man ist als wie in einer Kirche. Mir
deucht, ich war niemals in einem Wald, und besinne mich jetzt erst,
was es doch heißt: ein ganzes Volk von Bäumen beieinander! Keine
Menschenhand hat sie gepflanzt, sind alle selbst gekommen und stehen
so, nur eben weil es lustig ist beisammen wohnen und wirtschaften.
Siehst du, mit jungen Jahren fuhr ich doch in halb Europa hin und
her, habe die Alpen gesehn und das Meer, das Größeste und Schönste,
was erschaffen ist: jetzt steht von ungefähr der Gimpel in einem
ordinären Tannenwald an der böhmischen Grenze verwundert und verzückt,
daß solches Wesen irgend existiert, nicht etwa nur so ~una finzione
di poeti~ ist, wie ihre Nymphen, Faune und dergleichen mehr, auch
kein Komödienwald, nein, aus dem Erdboden herausgewachsen, von
Feuchtigkeit und Wärmelicht der Sonne großgezogen. Hier ist zu Haus
der Hirsch mit seinem wundersamen zackigen Gestäude auf der Stirn, das
possierliche Eichhorn, der Auerhahn, der Häher.« -- Er bückte sich,
brach einen Pilz und pries die prächtige hochrote Farbe des Schirms,
die zarten weißlichen Lamellen an dessen unterer Seite, auch steckte er
verschiedene Tannenzapfen ein.

»Man könnte denken,« sagte die Frau, »du habest noch nicht zwanzig
Schritte hinein in den Prater gesehen, der solche Raritäten doch auch
wohl aufzuweisen hat.«

»Was Prater! Sapperlot, wie du nur das Wort hier nennen magst! Vor
lauter Karossen, Staatsdegen, Roben und Fächern, Musik und allem
Spektakel der Welt, wer sieht denn da noch sonst etwas? Und selbst
die Bäume dort, so breit sie sich auch machen, ich weiß nicht --
Bucheckern und Eicheln, am Boden verstreut, sehn halter aus als wie
Geschwisterkind mit der Unzahl verbrauchter Korkstöpsel darunter. Zwei
Stunden weit riecht das Gehölz nach Kellnern und nach Saucen.«

»O unerhört!« rief sie, »so redet nun der Mann, dem gar nichts über das
Vergnügen geht, Backhähnl im Prater zu speisen!«

Als beide wieder in dem Wagen saßen und sich die Straße jetzt nach
einer kurzen Strecke ebenen Wegs allmählich abwärts senkte, wo eine
lachende Gegend sich bis an die entfernteren Berge verlor, fing unser
Meister, nachdem er eine Zeitlang still gewesen, wieder an: »Die Erde
ist wahrhaftig schön und keinem zu verdenken, wenn er so lang' wie
möglich darauf bleiben will. Gott sei's gedankt! ich fühle mich so
frisch und wohl wie je und wäre bald zu tausend Dingen aufgelegt, die
denn auch alle nacheinander an die Reihe kommen sollen, wie nur mein
neues Werk vollendet und aufgeführt sein wird. Wie viel ist draußen in
der Welt und wie viel daheim, Merkwürdiges und Schönes, das ich noch
gar nicht kenne, an Wunderwerken der Natur, an Wissenschaften, Künsten
und nützlichen Gewerben! Der schwarze Köhlerbube dort bei seinem Meiler
weiß dir von manchen Sachen auf ein Haar so viel Bescheid wie ich, da
doch ein Sinn und ein Verlangen in mir wäre, auch einen Blick in dies
und jenes zu tun, das eben nicht zu meinem nächsten Kram gehört.«

»Mir kam,« versetzte sie, »in diesen Tagen dein alter Sackkalender in
die Hände von anno fünfundachtzig; da hast du hinten angemerkt drei bis
vier Notabene. Zum ersten steht: Mitte Oktober gießet man die großen
Löwen in kaiserlicher Erzgießerei; fürs zweite, doppelt angestrichen:
Professor Gattner zu besuchen! Wer ist der?«

»O recht, ich weiß: auf dem Observatorio der gute alte Herr, der mich
von Zeit zu Zeit dahin einlädt. Ich wollte längst einmal den Mond und
's Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein mächtig großes
Fernrohr oben: da soll man auf der ungeheuren Scheibe hell und deutlich
bis zum Greifen Gebirge, Täler, Klüfte sehen und von der Seite, wo die
Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die Berge werfen. Schon seit
zwei Jahren schlag' ich's an, den Gang zu tun, und komme nicht dazu,
elender- und schändlicherweise!«

»Nun,« sagte sie, »der Mond entläuft uns nicht. Wir holen manches nach.«

Nach einer Pause fuhr er fort: »Und geht es nicht mit allem so? O pfui!
ich darf nicht daran denken, was man verpaßt, verschiebt und hängen
läßt -- von Pflichten gegen Gott und Menschen nicht zu reden -- ich
sage, von purem Genuß, von den kleinen, unschuldigen Freuden, die einem
jeden täglich vor den Füßen liegen.«

Madame Mozart konnte oder wollte von der Richtung, die sein leicht
bewegliches Gefühl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weise ablenken,
und leider konnte sie ihm nur von ganzem Herzen recht geben, indem
er mit steigendem Eifer fortfuhr: »Ward ich denn je nur meiner
Kinder ein volles Stündchen froh? Wie halb ist das bei mir und
immer ~en passant~! Die Buben einmal rittlings auf das Knie gesetzt,
mich zwei Minuten mit ihnen durchs Zimmer gejagt: und damit basta,
wieder abgeschüttelt! Es denkt mir nicht, daß wir uns auf dem Lande
zusammen einen schönen Tag gemacht hätten, an Ostern oder Pfingsten,
in einem Garten oder Wäldel, auf der Wiese, wir unter uns allein, bei
Kinderscherz und Blumenspiel, um selber einmal wieder Kind zu werden.
Allmittelst geht und rennt und saust das Leben hin -- Herr Gott!
bedenkt man's recht, es möcht' einem der Angstschweiß ausbrechen!«

Mit der soeben ausgesprochenen Selbstanklage war unerwartet ein sehr
ernsthaftes Gespräch in aller Traulichkeit und Güte zwischen beiden
eröffnet. Wir teilen dasselbe nicht ausführlich mit und werfen lieber
einen allgemeinen Blick auf die Verhältnisse, die teils ausdrücklich
und unmittelbar den Stoff, teils auch nur den bewußten Hintergrund der
Unterredung ausmachten.

Hier drängt sich uns voraus die schmerzliche Betrachtung auf, daß
dieser feurige, für jeden Reiz der Welt und für das Höchste, was dem
ahnenden Gemüt erreichbar ist, unglaublich empfängliche Mensch, soviel
er auch in seiner kurzen Spanne Zeit erlebt, genossen und aus sich
hervorgebracht, ein stetiges und rein befriedigtes Gefühl seiner selbst
doch lebenslang entbehrte.

Wer die Ursachen dieser Erscheinung nicht etwa tiefer suchen will,
als sie vermutlich liegen, wird sie zunächst einfach in jenen, wie es
scheint, unüberwindlich eingewohnten Schwächen finden, die wir so gern,
und nicht ganz ohne Grund, mit alledem, was an Mozart der Gegenstand
unserer Bewunderung ist, in eine Art notwendiger Verbindung bringen.

Des Mannes Bedürfnisse waren sehr vielfach, seine Neigung zumal für
gesellige Freuden außerordentlich groß. Von den vornehmsten Häusern der
Stadt als unvergleichliches Talent gewürdigt und gesucht, verschmähte
er Einladungen zu Festen, Zirkeln und Partieen selten oder nie. Dabei
tat er der eigenen Gastfreundschaft innerhalb seiner näheren Kreise
gleichfalls genug. Einen längst hergebrachten musikalischen Abend am
Sonntag bei ihm, ein ungezwungenes Mittagsmahl an seinem wohlbestellten
Tisch mit ein paar Freunden und Bekannten, zwei-, dreimal in der
Woche, das wollte er nicht missen. Bisweilen brachte er die Gäste,
zum Schrecken der Frau, unangekündigt von der Straße weg ins Haus,
Leute von sehr ungleichem Wert, Liebhaber, Kunstgenossen, Sänger und
Poeten. Der müßige Schmarotzer, dessen ganzes Verdienst in einer immer
aufgeweckten Laune, in Witz und Spaß, und zwar vom gröbern Korn,
bestand, kam so gut wie der geistvolle Kenner und der treffliche
Spieler erwünscht. Den größten Teil seiner Erholung indes pflegte
Mozart außer dem eigenen Hause zu suchen. Man konnte ihn nach Tisch
einen Tag wie den andern am Billard im Kaffeehaus und so auch manchen
Abend im Gasthof finden. Er fuhr und ritt sehr gern in Gesellschaft
über Land, besuchte als ein ausgemachter Tänzer Bälle und Redouten
und machte sich des Jahrs einige Male einen Hauptspaß an Volksfesten,
vor allen am Brigitten-Kirchtag im Freien, wo er als Pierrot maskiert
erschien.

Diese Vergnügungen, bald bunt und ausgelassen, bald einer ruhigeren
Stimmung zusagend, waren bestimmt, dem lang gespannten Geist nach
ungeheurem Kraftaufwand die nötige Rast zu gewähren; auch verfehlten
sie nicht, demselben nebenher auf den geheimnisvollen Wegen, auf
welchen das Genie sein Spiel bewußtlos treibt, die feinen flüchtigen
Eindrücke mitzuteilen, wodurch es sich gelegentlich befruchtet. Doch
leider kam in solchen Stunden, weil es dann immer galt, den glücklichen
Moment bis auf die Neige auszuschöpfen, eine andere Rücksicht, es
sei nun der Klugheit oder der Pflicht, der Selbsterhaltung wie der
Häuslichkeit, nicht in Betracht. Genießend oder schaffend, kannte
Mozart gleich wenig Maß und Ziel. Ein Teil der Nacht war stets der
Komposition gewidmet. Morgens früh, oft lange noch im Bett, ward
ausgearbeitet. Dann machte er, von zehn Uhr an, zu Fuß oder im
Wagen abgeholt, die Runde seiner Lektionen, die in der Regel noch
einige Nachmittagsstunden wegnahmen. »Wir plagen uns wohl auch
rechtschaffen,« so schreibt er selber einmal einem Gönner, »und es
hält öfter schwer, nicht die Geduld zu verlieren. Da halst man sich
als wohl akkreditierter Cembalist und Musiklehrmeister ein Dutzend
Schüler auf und immer wieder einen neuen, unangesehn, was weiter an ihm
ist, wenn er nur seinen Taler ~per marca~ bezahlt. Ein jeder ungrische
Schnurrbart vom Geniekorps ist willkommen, den der Satan plagt, für
nichts und wieder nichts Generalbaß und Kontrapunkt zu studieren,
das übermütigste Komteßchen, das mich, wie Meister Coquerel, den
Haarkräusler, mit einem roten Kopf empfängt, wenn ich einmal nicht auf
den Glockenschlag bei ihr anklopfe« u. s. w. Und wenn er nun, durch
diese und andere Berufsarbeiten, Akademieen, Proben und dergleichen
abgemüdet, nach frischem Atem schmachtete, war den erschlafften Nerven
häufig nur in neuer Aufregung eine scheinbare Stärkung vergönnt. Seine
Gesundheit wurde heimlich angegriffen, ein je und je wiederkehrender
Zustand von Schwermut wurde, wo nicht erzeugt, doch sicherlich genährt
an eben diesem Punkt und so die Ahnung eines frühzeitigen Todes, die
ihn zuletzt auf Schritt und Tritt begleitete, unvermeidlich erfüllt.
Gram aller Art und Farbe, das Gefühl der Reue nicht ausgenommen, war er
als eine herbe Würze jeder Lust auf seinen Teil gewöhnt. Doch wissen
wir, auch diese Schmerzen rannen, abgeklärt und rein, in jenem tiefen
Quell zusammen, der, aus hundert goldenen Röhren springend, im Wechsel
seiner Melodieen unerschöpflich, alle Qual und alle Seligkeit der
Menschenbrust ausströmte.

Am offenbarsten zeigten sich die bösen Wirkungen der Lebensweise
Mozarts in seiner häuslichen Verfassung. Der Vorwurf törichter,
leichtsinniger Verschwendung lag sehr nahe; er mußte sich sogar an
einen seiner schönsten Herzenszüge hängen. Kam einer, in dringender
Not ihm eine Summe abzuborgen, sich seine Bürgschaft zu erbitten, so
war meist schon darauf gerechnet, daß er sich nicht erst lang' nach
Pfand und Sicherheit erkundigte; dergleichen hätte ihm auch in der Tat
so wenig als einem Kinde angestanden. Am liebsten schenkte er gleich
hin und immer mit lachender Großmut, besonders wenn er meinte, gerade
Überfluß zu haben.

Die Mittel, die ein solcher Aufwand neben dem ordentlichen Hausbedarf
erheischte, standen allerdings in keinem Verhältnis mit den Einkünften.
Was von Theatern und Konzerten, von Verlegern und Schülern einging,
zusamt der kaiserlichen Pension, genügte um so weniger, da der
Geschmack des Publikums noch weit davon entfernt war, sich entschieden
für Mozarts Musik zu erklären. Die lauterste Schönheit, Fülle und Tiefe
befremdete gemeinhin gegenüber der bisher beliebten leicht faßlichen
Kost. Zwar hatten sich die Wiener an Belmonte und Konstanze -- dank den
populären Elementen dieses Stücks -- seinerzeit kaum ersättigen können,
hingegen tat einige Jahre später Figaro, und sicher nicht allein durch
die Intrigen des Direktors, im Wettstreit mit der lieblichen, doch weit
geringeren ~Cosa rara~ einen unerwarteten kläglichen Fall: derselbe
Figaro, den gleich darauf die gebildeten oder unbefangenen Prager mit
solchem Enthusiasmus aufnahmen, daß der Meister in dankbarer Rührung
darüber seine nächste große Oper eigens für sie zu schreiben beschloß.
Trotz der Ungunst der Zeit und dem Einfluß der Feinde hätte Mozart mit
etwas mehr Umsicht und Klugheit noch immer einen sehr ansehnlichen
Gewinn von seiner Kunst gezogen: so aber kam er selbst bei jenen
Unternehmungen zu kurz, wo auch der große Haufen ihm Beifall zujauchzen
mußte. Genug, es wirkte eben alles, Schicksal und Naturell und eigene
Schuld, zusammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu lassen.

Welch einen schlimmen Stand nun aber eine Hausfrau, sofern sie ihre
Aufgabe kannte, unter solchen Umständen gehabt haben müsse, begreifen
wir leicht. Obgleich selbst jung und lebensfroh, als Tochter eines
Musikers ein ganzes Künstlerblut, von Hause aus übrigens schon an
Entbehrung gewöhnt, bewies Konstanze allen guten Willen, dem Unheil
an der Quelle zu steuern, manches Verkehrte abzuschneiden und den
Verlust im Großen durch Sparsamkeit im Kleinen zu ersetzen. Nur eben in
letzterer Hinsicht vielleicht ermangelte sie des rechten Geschicks und
der frühern Erfahrung. Sie hatte die Kasse und führte das Hausbuch:
jede Forderung, jede Schuldmahnung, und was es Verdrießliches gab,
ging ausschließlich an sie. Da stieg ihr wohl mitunter das Wasser an
die Kehle, zumal wenn oft zu dieser Bedrängnis, zu Mangel, peinlicher
Verlegenheit und Furcht vor offenbarer Unehre noch gar der Trübsinn
ihres Mannes kam, worin er tagelang verharrte, untätig, keinem Trost
zugänglich, indem er mit Seufzen und Klagen neben der Frau oder stumm
in einem Winkel vor sich hin den _einen_ traurigen Gedanken, zu
sterben, wie eine endlose Schraube verfolgte. Ihr guter Mut verließ sie
dennoch selten, ihr heller Blick fand meist, wenn auch nur auf einige
Zeit, Rat und Hilfe. Im wesentlichen wurde wenig oder nichts gebessert.
Gewann sie ihm mit Ernst und Scherz, mit Bitten und Schmeicheln für
heute soviel ab, daß er den Tee an ihrer Seite trank, sich seinen
Abendbraten daheim bei der Familie schmecken ließ, um nachher nicht
mehr auszugehen, was war damit erreicht? Er konnte wohl einmal, durch
ein verweintes Auge seiner Frau plötzlich betroffen und bewegt, eine
schlimme Gewohnheit aufrichtig verwünschen, das Beste versprechen,
mehr als sie verlangte -- umsonst, er fand sich unversehens im alten
Fahrgeleise wieder. Man war versucht zu glauben, es habe anders nicht
in seiner Macht gestanden, und eine völlig veränderte Ordnung nach
unseren Begriffen von dem, was allen Menschen ziemt und frommt, _ihm_
irgendwie gewaltsam aufgedrungen, müßte das wunderbare Wesen geradezu
selbst aufgehoben haben.

Einen günstigen Umschwung der Dinge hoffte Konstanze doch stets
insoweit, als derselbe von außen her möglich war: durch eine gründliche
Verbesserung ihrer ökonomischen Lage, wie solche bei dem wachsenden
Ruf ihres Mannes nicht ausbleiben könne. Wenn erst, so meinte sie, der
stete Druck wegfiel, der sich auch ihm, bald näher, bald entfernter,
von dieser Seite fühlbar machte, wenn er, anstatt die Hälfte seiner
Kraft und Zeit dem bloßen Gelderwerb zu opfern, ungeteilt seiner wahren
Bestimmung nachleben dürfe, wenn endlich der Genuß, nach dem er nicht
mehr jagen, den er mit ungleich besserem Gewissen haben würde, ihm noch
einmal so wohl an Leib und Seele gedeihe: dann sollte bald sein ganzer
Zustand leichter, natürlicher, ruhiger werden. Sie dachte gar an einen
gelegentlichen Wechsel ihres Wohnorts, da seine unbedingte Vorliebe für
Wien, wo nun einmal nach ihrer Überzeugung kein rechter Segen für ihn
sei, am Ende doch zu überwinden wäre.

Den nächsten entscheidenden Vorschub aber zur Verwirklichung ihrer
Gedanken und Wünsche versprach sich Madame Mozart vom Erfolg der neuen
Oper, um die es sich bei dieser Reise handelte.

Die Komposition war weit über die Hälfte vorgeschritten. Vertraute,
urteilsfähige Freunde, die, als Zeugen der Entstehung des
außerordentlichen Werks, einen hinreichenden Begriff von seiner
Art und Wirkungsweise haben mußten, sprachen überall davon in
einem Tone, daß viele selber von den Gegnern darauf gefaßt sein
konnten, es werde dieser Don Juan, bevor ein halbes Jahr verginge,
die gesamte musikalische Welt von einem Ende Deutschlands bis zum
andern erschüttert, auf den Kopf gestellt, im Sturm erobert haben.
Vorsichtiger und bedingter waren die wohlwollenden Stimmen anderer,
die, von dem heutigen Standpunkt der Musik ausgehend, einen allgemeinen
und raschen Succeß kaum hofften. Der Meister selber teilte im stillen
ihre nur zu wohl begründeten Zweifel.

Konstanze ihrerseits, wie die Frauen immer, wo ihr Gefühl einmal
lebhaft bestimmt und noch dazu vom Eifer eines höchst gerechten
Wunsches eingenommen ist, durch spätere Bedenklichkeiten von da und
dorther sich viel seltener als die Männer irre machen lassen, hielt
fest an ihrem guten Glauben und hatte eben jetzt im Wagen wiederum
Veranlassung, denselben zu verfechten. Sie tat's in ihrer fröhlichen
und blühenden Manier mit doppelter Geflissenheit, da Mozarts Stimmung
im Verlauf des vorigen Gesprächs, das weiter zu nichts führen konnte
und deshalb äußerst unbefriedigt abbrach, bereits merklich gesunken
war. Sie setzte ihrem Gatten sofort mit gleicher Heiterkeit umständlich
auseinander, wie sie nach ihrer Heimkehr die mit dem Prager Unternehmer
als Kaufpreis für die Partitur akkordierten hundert Dukaten zur
Deckung der dringendsten Posten und sonst zu verwenden gedenke, auch
wie sie zufolge ihres Etats den kommenden Winter hindurch bis zum
Frühjahr gut auszureichen hoffe.

»Dein Herr Bondini wird sein Schäfchen an der Oper scheren, glaub es
nur! und ist er halb der Ehrenmann, den du ihn immer rühmst, so läßt er
dir nachträglich noch ein artiges Prozentchen von den Summen ab, die
ihm die Bühnen nacheinander für die Abschrift zahlen; wo nicht, nun ja,
gottlob! so stehen uns noch andere Chancen in Aussicht, und zwar noch
tausendmal solidere. Mir ahnet allerlei.«

»Heraus damit!«

»Ich hörte unlängst ein Vögelchen pfeifen, der König von Preußen hab'
einen Kapellmeister nötig.«

»Oho!«

»Generalmusikdirektor, wollt' ich sagen. Laß mich ein wenig
phantasieren! Die Schwachheit habe ich von meiner Mutter.«

»Nur zu! je toller, je besser!«

»Nein, alles ganz natürlich. -- Vornweg also nimm an! übers Jahr um
diese Zeit --«

»Wenn der Papst die Grete freit --«

»Still doch, Hanswurst! Ich sage, aufs Jahr um Sankt Ägidi muß schon
längst kein kaiserlicher Kammerkomponist mit Namen Wolf Mozart in Wien
mehr weit und breit zu finden sein.«

»Beiß dich der Fuchs dafür!«

»Ich höre schon im Geist, wie unsere alten Freunde von uns plaudern,
was sie sich alles zu erzählen wissen.«

»Zum Exempel?«

»Da kommt z. B. eines Morgens früh nach neune schon unsere alte
Schwärmerin, die Volkstett, in ihrem feurigsten Besuchssturmschritt
quer übern Kohlmarkt hergesegelt. Sie war drei Monat' fort; die große
Reise zum Schwager in Sachsen, ihr tägliches Gespräch, solang' wir sie
kennen, kam endlich zu stand'; seit gestern nacht ist sie zurück, und
jetzt mit ihrem übervollen Herzen -- es schwattelt ganz von Reiseglück
und Freundschaftsungeduld und allerliebsten Neuigkeiten -- stracks hin
zur Oberstin damit! die Trepp' hinauf und angeklopft und das Herein
nicht abgewartet! stell dir den Jubel selber vor und das Embrassement
beiderseits! -- ›Nun, liebste, beste Oberstin,‹ hebt sie nach einigem
Vorgängigen mit frischem Odem an, ›ich bringe Ihnen ein Schock Grüße
mit; ob Sie erraten von wem? Ich komme nicht so geradenwegs von Stendal
her, es wurde ein kleiner Abstecher gemacht, linkshin, nach Brandenburg
zu.‹ -- ›Wie? wär' es möglich! Sie kamen nach Berlin? sind bei Mozarts
gewesen?‹ -- ›Zehn himmlische Tage!‹ -- ›O liebe, süße, einzige
Generalin, erzählen Sie, beschreiben Sie! Wie geht es unsern guten
Leutchen? Gefallen sie sich immer noch so gut wie anfangs dort? Es ist
mir fabelhaft, undenkbar, heute noch, und jetzt nur desto mehr, da
Sie von ihm herkommen: Mozart als Berliner! Wie benimmt er sich doch?
wie sieht er denn aus?‹ -- ›O der! Sie sollten ihn nur sehen! Diesen
Sommer hat ihn der König ins Karlsbad geschickt. Wann wäre seinem
herzgeliebten Kaiser Joseph so etwas eingefallen, he? Sie waren beide
kaum erst wieder da, als ich ankam. Er glänzt von Gesundheit und Leben,
ist rund und beleibt und vif wie Quecksilber; das Glück sieht ihm und
die Behaglichkeit recht aus den Augen.‹«

Und nun begann die Sprecherin in ihrer angenommenen Rolle die neue
Lage mit den hellsten Farben auszumalen. Von seiner Wohnung unter
den Linden, von seinem Garten und Landhaus an bis zu den glänzenden
Schauplätzen seiner öffentlichen Wirksamkeit und den engeren Zirkeln
des Hofs, wo er die Königin auf dem Piano zu begleiten hatte, wurde
alles durch ihre Schilderung gleichsam zur Wirklichkeit und Gegenwart.
Ganze Gespräche, die schönsten Anekdoten schüttelte sie aus dem Ärmel.
Sie schien fürwahr mit jener Residenz, mit Potsdam und mit Sanssouci
bekannter als im Schlosse zu Schönbrunn und auf der kaiserlichen
Burg. Nebenbei war sie schalkhaft genug, die Person unsers Helden mit
einer Anzahl völlig neuer hausväterlicher Eigenschaften auszustatten,
die sich auf dem soliden Boden der preußischen Existenz entwickelt
hatten, und unter welchen die besagte Volkstett, als höchstes Phänomen
und zum Beweis, wie die Extreme sich manchmal berühren, den Ansatz
eines ordentlichen Geizchens wahrgenommen hatte, das ihn unendlich
liebenswürdig kleide. »Ja, nehmen's nur! er hat seine dreitausend
Taler fix, und das wofür? Daß er die Woche einmal ein Kammerkonzert,
zweimal die große Oper dirigiert. Ach, Oberstin, ich habe ihn gesehn,
unsern lieben, kleinen, goldenen Mann inmitten seiner trefflichen
Kapelle, die er sich zugeschult, die ihn anbetet! saß mit der Mozartin
in ihrer Loge, schräg gegen den höchsten Herrschaften über! Und was
stand auf dem Zettel, bitte Sie? -- ich nahm ihn mit für Sie -- ein
kleines Reispräsent von mir und Mozarts drein gewickelt -- hier schauen
Sie, hier lesen Sie! da steht's mit ellenlangen Buchstaben gedruckt.
-- ›Hilf Himmel! was? Tarar!‹ -- ›Ja, gelten's Freundin, was man
erleben kann! Vor zwei Jahren, wie Mozart den Don Juan schrieb und
der verwünschte giftige, schwarzgelbe Salieri auch schon im stillen
Anstalt machte, den Triumph, den er mit seinem Stück davontrug in
Paris, demnächst auf seinem eigenen Territorio zu begehen und unserem
guten, Schnepfen liebenden, allzeit in ~Cosa rara~ vergnügten Publikum
nun doch auch mal so eine Gattung Falken sehn zu lassen, und er und
seine Helfershelfer bereits zusammen munkelten und raffinierten, daß
sie den Don Juan so schön gerupft wie jenesmal den Figaro, nicht tot
und nicht lebendig, auf das Theater stellen wollten: wissen's, da tat
ich ein Gelübd', wenn das infame Stück gegeben wird, ich geh' nicht
hin, um keine Welt! Und hielt auch Wort. Als alles lief und rannte --
und, Oberstin, Sie mit -- blieb ich an meinem Ofen sitzen, nahm meine
Katze auf den Schoß und aß meine Kaldausche, und so die folgenden paar
Male auch. Jetzt aber, stellen Sie sich vor, Tarar auf der Berliner
Opernbühne, das Werk seines Todfeinds, von Mozart dirigiert!‹ -- ›Da
müssen Sie schon drein!‹ rief er gleich in der ersten Viertelstunde,
›und wär's auch nur, daß Sie den Wienern sagen können, ob ich dem
Knaben Absalon ein Härchen krümmen ließ. Ich wünschte, er wär' selbst
dabei; der Erzneidhammel sollte sehen, daß ich nicht nötig hab', einem
andern sein Zeug zu verhunzen, damit ich immerfort der bleiben möge,
der ich bin!‹«

»~Brava! bravissima!~« rief Mozart überlaut und nahm sein Weibchen bei
den Ohren, verküßte, herzte, kitzelte sie, so daß sich dieses Spiel mit
bunten Seifenblasen einer erträumten Zukunft, die leider niemals, auch
nicht im bescheidensten Maße, erfüllt werden sollte, zuletzt in hellen
Mutwillen, Lärm und Gelächter auflöste.

Sie waren unterdessen längst ins Tal herabgekommen und näherten
sich einem Dorf, das ihnen bereits auf der Höhe bemerklich gewesen,
und hinter welchem sich unmittelbar ein kleines Schloß von modernem
Ansehen, der Wohnsitz eines Grafen von Schinzberg, in der freundlichen
Ebene zeigte. Es sollte in dem Ort gefüttert, gerastet und Mittag
gehalten werden. Der Gasthof, wo sie hielten, lag vereinzelt am Ende
des Dorfs bei der Straße, von welcher seitwärts eine Pappelallee von
nicht sechshundert Schritten zum herrschaftlichen Garten führte.

Mozart, nachdem man ausgestiegen, überließ, wie gewöhnlich, der Frau
die Bestellung des Essens. Inzwischen befahl er für sich ein Glas
Wein in die untere Stube, während sie nächst einem Trunke frischen
Wassers nur irgend einen stillen Winkel, um ein Stündchen zu schlafen,
verlangte. Man führte sie eine Treppe hinauf, der Gatte folgte, ganz
munter vor sich hin singend und pfeifend. In einem rein geweißten und
schnell gelüfteten Zimmer befand sich unter andern veralteten Möbeln
von edlerer Herkunft -- sie waren ohne Zweifel aus den gräflichen
Gemächern seinerzeit hierher gewandert -- ein sauberes, leichtes
Bett mit gemaltem Himmel auf dünnen, grün lackierten Säulen, dessen
seidene Vorhänge längst durch einen gewöhnlicheren Stoff ersetzt
waren. Konstanze machte sich's bequem, er versprach, sie rechtzeitig
zu wecken, sie riegelte die Türe hinter ihm zu, und er suchte nunmehr
Unterhaltung für sich in der allgemeinen Schenkstube. Hier war jedoch
außer dem Wirt keine Seele, und weil dessen Gespräch dem Gast so wenig
wie sein Wein behagte, so bezeugte er Lust, bis der Tisch bereit wäre,
noch einen Spaziergang nach dem Schloßgarten zu machen. Der Zutritt,
hörte er, sei anständigen Fremden wohl gestattet und die Familie
überdies heut ausgefahren.

Er ging und hatte bald den kurzen Weg bis zu dem offenen Gattertor
zurückgelegt, dann langsam einen hohen alten Lindengang durchmessen, an
dessen Ende linker Hand er in geringer Entfernung das Schloß von seiner
Fronte auf einmal vor sich hatte. Es war von italienischer Bauart,
hell getüncht, mit weit vorliegender Doppeltreppe; das Schieferdach
verzierten einige Statuen in üblicher Manier, Götter und Göttinnen,
samt einer Balustrade.

Von der Mitte zweier großen, noch reichlich blühenden Blumenparterre
ging unser Meister nach den buschigen Teilen der Anlagen zu, berührte
ein paar schöne dunkle Piniengruppen und lenkte seine Schritte auf
vielfach gewundenen Pfaden, indem er sich allmählich den lichteren
Partien wieder näherte, dem lebhaften Rauschen eines Springbrunnens
nach, den er sofort erreichte.

Das ansehnlich weite, ovale Bassin war rings von einer sorgfältig
gehaltenen Orangerie in Kübeln, abwechselnd mit Lorbeeren und
Oleandern, umstellt; ein weicher Sandweg, gegen den sich eine schmale
Gitterlaube öffnete, lief rund umher. Die Laube bot das angenehmste
Ruheplätzchen dar: ein kleiner Tisch stand vor der Bank, und Mozart
ließ sich vorn am Eingang nieder.

Das Ohr behaglich dem Geplätscher des Wassers hingegeben, das Aug' auf
einen Pomeranzenbaum von mittlerer Größe geheftet, der außerhalb der
Reihe, einzeln, ganz dicht an seiner Seite auf dem Boden stand und voll
der schönsten Früchte hing, ward unser Freund durch diese Anschauung
des Südens alsbald auf eine liebliche Erinnerung aus seiner Knabenzeit
geführt. Nachdenklich lächelnd reicht er hinüber nach der nächsten
Frucht, als wie um ihre herrliche Ründe, ihre saftige Kühle in hohler
Hand zu fühlen. Ganz im Zusammenhang mit jener Jugendszene aber, die
wieder vor ihm aufgetaucht, stand eine längst verwischte musikalische
Reminiszenz, auf deren unbestimmter Spur er sich ein Weilchen
träumerisch erging. Jetzt glänzen seine Blicke, sie irren da und dort
umher, er ist von einem Gedanken ergriffen, den er sogleich eifrig
verfolgt. Zerstreut hat er zum zweiten Male die Pomeranze angefaßt:
sie geht vom Zweige los und bleibt ihm in der Hand. Er sieht und sieht
es nicht; ja, so weit geht die künstlerische Geistesabwesenheit, daß
er, die duftige Frucht beständig unter der Nase hin und her wirbelnd
und bald den Anfang, bald die Mitte einer Weise unhörbar zwischen den
Lippen bewegend, zuletzt instinktmäßig ein emailliertes Etui aus der
Seitentasche des Rocks hervorbringt, ein kleines Messer mit silbernem
Heft daraus nimmt und die gelbe kugelige Masse von oben nach unten
langsam durchschneidet Es mochte ihn dabei entfernt ein dunkles
Durstgefühl geleitet haben, jedoch begnügten sich die angeregten Sinne
mit Einatmung des köstlichen Geruchs. Er starrt minutenlang die beiden
inneren Flächen an, fügt sie sachte wieder zusammen, ganz sachte,
trennt und vereinigt sie wieder.

Da hört er Tritte in der Nähe, er erschrickt, und das Bewußtsein,
wo er ist, was er getan, stellt sich urplötzlich bei ihm ein. Schon
im Begriff, die Pomeranze zu verbergen, hält er doch gleich damit
inne, sei es aus Stolz, sei's, weil es zu spät dazu war. Ein großer,
breitschulteriger Mann in Livree, der Gärtner des Hauses, stand vor
ihm. Derselbe hatte wohl die letzte verdächtige Bewegung noch gesehen
und schwieg betroffen einige Sekunden. Mozart, gleichfalls sprachlos,
auf seinem Sitz wie angenagelt, schaute ihm halb lachend, unter
sichtbarem Erröten, doch gewissermaßen keck und groß mit seinen blauen
Augen ins Gesicht; dann setzte er -- für einen dritten wäre es höchst
komisch anzusehen gewesen -- die scheinbar unverletzte Pomeranze mit
einer Art von trotzig couragiertem Nachdruck in die Mitte des Tisches.

»Um Vergebung!« fing jetzt der Gärtner, nachdem er den wenig
versprechenden Anzug des Fremden gemustert, mit unterdrücktem Unwillen
an, »ich weiß nicht, wen ich hier --«

»Kapellmeister Mozart aus Wien.«

»Sind ohne Zweifel bekannt im Schloß?«

»Ich bin hier fremd und auf der Durchreise. Ist der Herr Graf
anwesend?«

»Nein.«

»Seine Gemahlin?«

»Sind beschäftigt und schwerlich zu sprechen.«

Mozart stand auf und machte Miene zu gehen.

»Mit Erlaubnis, mein Herr! wie kommen Sie dazu, an diesem Ort auf
solche Weise zuzugreifen?«

»Was?« rief Mozart, »zugreifen? Zum Teufel! glaubt Er denn, ich wollte
stehlen und das Ding da fressen?«

»Mein Herr, ich glaube, was ich sehe. Diese Früchte sind gezählt, ich
bin dafür verantwortlich. Der Baum ist vom Herrn Grafen zu einem Fest
bestimmt, soeben soll er weggebracht werden. Ich lasse Sie nicht fort,
ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie mir selbst bezeugten, wie das da
zugegangen ist.«

»Sei's drum! Ich werde hier so lange warten. Verlaß Er sich darauf!«

Der Gärtner sah sich zögernd um, und Mozart, in der Meinung, es sei
vielleicht nur auf ein Trinkgeld abgesehen, griff in die Tasche; allein
er hatte das geringste nicht bei sich.

Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei, luden den Baum auf eine
Bahre und trugen ihn hinweg. Inzwischen hatte unser Meister seine
Brieftasche gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen und, während daß
der Gärtner nicht von der Stelle wich, mit Bleistift angefangen zu
schreiben:

    »Gnädigste Frau! Hier sitze ich Unseliger in Ihrem Paradiese,
    wie weiland Adam, nachdem er den Apfel gekostet. Das Unglück
    ist geschehen, und ich kann nicht einmal die Schuld auf eine
    gute Eva schieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten
    eines Himmelbetts umgaukelt, im Gasthof sich des unschuldigsten
    Schlafes erfreut. Befehlen Sie, und ich stehe persönlich Ihro
    Gnaden Rede über meinen mir selbst unfaßlichen Frevel. Mit
    aufrichtiger Beschämung

        Hochdero

            untertänigster Diener
            _W. A. Mozart_,
            auf dem Wege nach Prag.«

Er übergab das Billet, ziemlich ungeschickt zusammengefaltet, dem
peinlich wartenden Diener mit der gehörigen Weisung.

Der Unhold hatte sich nicht sobald entfernt, als man an der hinteren
Seite des Schlosses ein Gefährt in den Hof rollen hörte. Es war der
Graf, der eine Nichte und ihren Bräutigam, einen jungen, reichen Baron,
vom benachbarten Gut herüberbrachte. Da die Mutter des letzteren seit
Jahren das Haus nicht mehr verließ, war die Verlobung heute bei ihr
gehalten worden; nun sollte dieses Fest in einer fröhlichen Nachfeier
mit einigen Verwandten auch hier begangen werden, wo Eugenie, gleich
ihrer eigenen Tochter, seit ihrer Kindheit eine zweite Heimat fand. Die
Gräfin war mit ihrem Sohne Max, dem Leutnant, etwas früher nach Hause
gefahren, um noch verschiedene Anordnungen zu treffen. Nun sah man
in dem Schlosse alles auf Gängen und Treppen in voller Bewegung, und
nur mit Mühe gelang es dem Gärtner, im Vorzimmer endlich den Zettel
der Frau Gräfin einzuhändigen, die ihn jedoch nicht auf der Stelle
öffnete, sondern, ohne genau auf die Worte des Überbringers zu achten,
geschäftig weiter eilte. Er wartete und wartete, sie kam nicht wieder.
Eins um das andere von der Dienerschaft, Aufwärter, Zofe, Kammerdiener,
rannte an ihm vorbei; er fragte nach dem Herrn: der kleidete sich
um; er suchte nun und fand den Grafen Max auf seinem Zimmer, der
aber unterhielt sich angelegentlich mit dem Baron und schnitt ihm,
wie in Sorge, er wolle etwas melden oder fragen, wovon noch nichts
verlauten sollte, das Wort vom Munde ab: »Ich komme schon; geht nur!«
Es stand noch eine gute Weile an, bis endlich Vater und Sohn zugleich
herauskamen und die fatale Nachricht empfingen.

»Das wär' ja höllenmäßig!« rief der dicke, gutmütige, doch etwas
jähe Mann, »das geht ja über alle Begriffe! Ein Wiener Musikus, sagt
Ihr? Vermutlich irgend solch ein Lump, der um ein Viatikum läuft und
mitnimmt, was er findet?«

»Verzeihen Ew. Gnaden! danach sieht er gerad nicht aus. Er deucht mir
nicht richtig im Kopf, auch ist er sehr hochmütig. Moser nennt er sich.
Er wartet unten auf Bescheid; ich hieß den Franz um den Weg bleiben
und ein Aug' auf ihn haben.«

»Was hilft es hinterdrein, zum Henker! Wenn ich den Narren auch
einstecken lasse, der Schaden ist nicht mehr zu reparieren. Ich sagt'
Euch tausendmal, das vordere Tor soll allezeit geschlossen bleiben. Der
Streich wär' aber jedenfalls verhütet worden, hättet Ihr zur rechten
Zeit Eure Zurüstungen gemacht.«

Hier trat die Gräfin hastig und mit freudiger Aufregung, das offene
Billet in der Hand, aus dem anstoßenden Kabinett. »Wißt ihr,« rief sie,
»wer unten ist? Um Gottes willen, lest den Brief! -- Mozart aus Wien,
der Komponist! Man muß gleich gehen, ihn heraufzubitten -- ich fürchte
nur, er ist schon fort. Was wird er von mir denken! Ihr, Velten, seid
ihm doch höflich begegnet? Was ist denn eigentlich geschehen?«

»Geschehen?« versetzte der Gemahl, dem die Aussicht auf den Besuch
eines berühmten Mannes unmöglich allen Ärger auf der Stelle
niederschlagen konnte. »Der tolle Mensch hat von dem Baum, den ich
Eugenien bestimmte, eine der neun Orangen abgerissen -- hm! das
Ungeheuer! Somit ist unserem Spaß geradezu die Spitze abgebrochen, und
Max mag sein Gedicht nur gleich kassieren.«

»O nicht doch!« sagte die dringende Dame. »Die Lücke läßt sich leicht
ausfüllen, überlaßt es nur mir. Geht beide jetzt, erlöst, empfangt den
guten Mann, so freundlich und so schmeichelhaft ihr immer könnt! Er
soll, wenn wir ihn irgend halten können, heut' nicht weiter. Trefft ihr
ihn nicht im Garten mehr, sucht ihn im Wirtshaus auf und bringet ihn
mit seiner Frau! Ein größeres Geschenk, eine schönere Überraschung für
Eugenien hätte der Zufall uns an diesem Tag nicht machen können.«

»Gewiß!« erwiderte Max, »dies war auch mein erster Gedanke. Geschwinde,
kommen Sie, Papa! Und« -- sagte er, indem sie eilends nach der Treppe
liefen -- »der Verse wegen seien Sie ganz ruhig! Die neunte Muse soll
nicht zu kurz kommen; im Gegenteil, ich werde aus dem Unglück noch
besonderen Vorteil ziehen.« -- »Das ist unmöglich.« -- »Ganz gewiß!« --
»Nun, wenn das ist -- allein ich nehme dich beim Wort -- so wollen wir
dem Querkopf alle erdenkliche Ehre erzeigen.«

Solange dies im Schloß vorging, hatte sich unser Quasi-Gefangener,
ziemlich unbesorgt über den Ausgang der Sache, geraume Zeit schreibend
beschäftigt. Weil sich jedoch gar niemand sehen ließ, fing er an
unruhig hin und her zu gehen; darüber kam dringliche Botschaft vom
Wirtshaus, der Tisch sei schon lange bereit, er möchte ja gleich
kommen, der Postillon pressiere. So suchte er denn seine Sachen
zusammen und wollte ohne weiteres aufbrechen, als beide Herren vor der
Laube erschienen.

Der Graf begrüßte ihn, beinah wie einen früheren Bekannten, lebhaft
mit seinem kräftig schallenden Organ, ließ ihn zu gar keiner
Entschuldigung kommen, sondern erklärte sogleich seinen Wunsch, das
Ehepaar zum wenigsten für diesen Mittag und Abend im Kreis seiner
Familie zu haben. »Sie sind uns, mein liebster Maestro, so wenig fremd,
daß ich wohl sagen kann, der Name Mozart wird schwerlich anderswo mit
mehr Begeisterung und häufiger genannt als hier. Meine Nichte singt
und spielt, sie bringt fast ihren ganzen Tag am Flügel zu, kennt Ihre
Werke auswendig und hat das größte Verlangen, Sie einmal in mehrerer
Nähe zu sehen, als es vorigen Winter in einem Ihrer Konzerte anging. Da
wir nun demnächst auf einige Wochen nach Wien gehen werden, so war ihr
eine Einladung beim Fürsten Gallizin, wo man Sie öfter findet, von den
Verwandten versprochen. Jetzt aber reisen Sie nach Prag, werden sobald
nicht wiederkehren, und Gott weiß, ob Sie der Rückweg zu uns führt.
Machen Sie heute und morgen Rasttag! Das Fuhrwerk schicken wir sogleich
nach Hause, und mir erlauben Sie die Sorge für Ihr Weiterkommen.«

Der Komponist, welcher in solchen Fällen der Freundschaft oder dem
Vergnügen leicht zehnmal mehr, als hier gefordert war, zum Opfer
brachte, besann sich nicht lange: er sagte diesen einen halben Tag
mit Freuden zu, dagegen sollte morgen mit dem frühesten die Reise
fortgesetzt werden. Graf Max erbat sich das Vergnügen, Madame Mozart
abzuholen und alles Nötige im Wirtshaus abzumachen. Er ging; ein Wagen
sollte ihm gleich auf dem Fuße nachfolgen.

Von diesem jungen Mann bemerken wir beiläufig, daß er mit einem von
Vater und Mutter angeerbten heitern Sinn Talent und Liebe für schöne
Wissenschaften verband und ohne wahre Neigung zum Soldatenstand
sich doch als Offizier durch Kenntnisse und gute Sitten hervortat.
Er kannte die französische Literatur und erwarb sich zu einer Zeit,
wo deutsche Verse in der höheren Gesellschaft wenig galten, Lob und
Gunst durch eine nicht gemeine Leichtigkeit der poetischen Form in der
Muttersprache nach guten Mustern, wie er sie in Hagedorn, in Götz und
andern fand. Für heute war ihm nun, wie wir bereits vernahmen, ein
besonders erfreulicher Anlaß geworden, seine Gabe zu nutzen.

Er traf Madame Mozart, mit der Wirtstochter plaudernd, vor dem
gedeckten Tisch, wo sie sich einen Teller Suppe vorausgenommen hatte.
Sie war an außerordentliche Zwischenfälle, an kecke Stegreifsprünge
ihres Manns zu sehr gewöhnt, als daß sie über die Erscheinung und
den Auftrag des jungen Offiziers mehr als billig hätte betreten sein
können. Mit unverstellter Heiterkeit, besonnen und gewandt besprach und
ordnete sie ungesäumt alles Erforderliche selbst. Es wurde umgepackt,
bezahlt, der Postillon entlassen; sie machte sich, ohne zu große
Ängstlichkeit in Herstellung ihrer Toilette, fertig und fuhr mit
dem Begleiter wohlgemut dem Schlosse zu, nicht ahnend, auf welche
sonderbare Weise ihr Gemahl sich dort eingeführt hatte.

Der befand sich inzwischen bereits sehr behaglich daselbst und auf
das beste unterhalten. Nach kurzer Zeit sah er Eugenien mit ihrem
Verlobten: ein blühendes, höchst anmutiges, inniges Wesen. Sie war
blond, ihre schlanke Gestalt in karmoisinrote, leuchtende Seide mit
kostbaren Spitzen festlich gekleidet, um ihre Stirn ein weißes Band mit
edlen Perlen. Der Baron, nur wenig älter als sie, von sanftem, offenem
Charakter, schien ihrer wert in jeder Rücksicht.

Den ersten Aufwand des Gesprächs bestritt, fast nur zu freigebig,
der gute, launige Hausherr vermöge seiner etwas lauten, mit Späßen
und Histörchen sattsam gespickten Unterhaltungsweise. Es wurden
Erfrischungen gereicht, die unser Reisender im mindesten nicht schonte.

Eines hatte den Flügel geöffnet, Figaros Hochzeit lag aufgeschlagen,
und das Fräulein schickte sich an, von dem Baron akkompagniert, die
Arie Susannas in jener Gartenszene zu singen, wo wir den Geist der
süßen Leidenschaft stromweise, wie die gewürzte sommerliche Abendluft,
einatmen. Die feine Röte auf Eugeniens Wangen wich zwei Atemzüge lang
der äußersten Blässe; doch mit dem ersten Ton, der klangvoll über ihre
Lippen kam, fiel ihr jede beklemmende Fessel vom Busen. Sie hielt sich
lächelnd, sicher auf der hohen Woge, und das Gefühl dieses Moments,
des einzigen in seiner Art vielleicht für alle Tage ihres Lebens,
begeisterte sie billig.

Mozart war offenbar überrascht. Als sie geendigt hatte, trat er zu
ihr und fing mit seinem ungezierten Herzensausdruck an: »Was soll man
sagen, liebes Kind, hier, wo es ist wie mit der lieben Sonne, die sich
am besten selber lobt, indem es gleich jedermann wohl in ihr wird! Bei
solchem Gesang ist der Seele zu Mut wie dem Kindchen im Bad: es lacht
und wundert sich und weiß sich in der Welt nichts Besseres. Übrigens
glauben Sie mir! unsereinem in Wien begegnet es nicht jeden Tag, daß er
so lauter, ungeschminkt und warm, ja so komplett sich selber zu hören
bekommt.« -- Damit erfaßte er ihre Hand und küßte sie herzlich. Des
Mannes hohe Liebenswürdigkeit und Güte nicht minder als das ehrenvolle
Zeugnis, wodurch er ihr Talent auszeichnete, ergriff Eugenien mit jener
unwiderstehlichen Rührung, die einem leichten Schwindel gleicht, und
ihre Augen wollten sich plötzlich mit Tränen anfüllen.

Hier trat Madame Mozart zur Türe herein, und gleich darauf erschienen
neue Gäste, die man erwartet hatte: eine dem Haus sehr eng verwandte
freiherrliche Familie aus der Nähe mit einer Tochter, Franziska, die
seit den Kinderjahren mit der Braut durch die zärtlichste Freundschaft
verbunden und hier wie daheim war.

Man hatte sich allerseits begrüßt, umarmt, beglückwünscht, die beiden
Wiener Gäste vorgestellt, und Mozart setzte sich an den Flügel. Er
spielte einen Teil eines Konzerts von seiner Komposition, welches
Eugenie soeben einstudierte.

Die Wirkung eines solchen Vortrags in einem kleinen Kreis, wie der
gegenwärtige, unterscheidet sich natürlicherweise von jedem ähnlichen
an einem öffentlichen Orte durch die unendliche Befriedigung, die in
der unmittelbaren Berührung mit der Person des Künstlers und seinem
Genius innerhalb der häuslichen bekannten Wände liegt.

Es war eines jener glänzenden Stücke, worin die reine Schönheit sich
einmal, wie aus Laune, freiwillig in den Dienst der Eleganz begibt,
so aber, daß sie, gleichsam nur verhüllt in diese mehr willkürlich
spielenden Formen und hinter eine Menge blendender Lichter versteckt,
doch in jeder Bewegung ihren eigensten Adel verrät und ein herrliches
Pathos verschwenderisch ausgießt.

Die Gräfin machte für sich die Bemerkung, daß die meisten Zuhörer,
vielleicht Eugenie selbst nicht ausgenommen, trotz der gespanntesten
Aufmerksamkeit und aller feierlichen Stille während eines bezaubernden
Spiels doch zwischen Auge und Ohr gar sehr geteilt waren. In
unwillkürlicher Beobachtung des Komponisten, seiner schlichten, beinahe
steifen Körperhaltung, seines gutmütigen Gesichts, der rundlichen
Bewegung dieser kleinen Hände war es gewiß auch nicht leicht möglich,
dem Zudrang tausendfacher Kreuz- und Quergedanken über den Wundermann
zu widerstehen.

Zu Madame Mozart gewendet, sagte der Graf, nachdem der Meister
aufgestanden war: »Einem berühmten Künstler gegenüber, wenn es ein
Kennerlob zu spitzen gilt, das halt nicht eines jeden Sache ist, wie
haben es die Könige und die Kaiser gut! Es nimmt sich eben alles
einzig und außerordentlich in einem solchen Munde aus. Was dürfen sie
sich nicht erlauben! und wie bequem ist es z. B., dicht hinterm Stuhl
Ihres Herrn Gemahls, beim Schlußakkord einer brillanten Phantasie
dem bescheidenen klassischen Mann auf die Schulter zu klopfen und zu
sagen: ›Sie sind ein Tausendsasa, lieber Mozart!‹ Kaum ist das Wort
heraus, so geht's wie ein Lauffeuer durch den Saal: ›Was hat er ihm
gesagt?‹ -- ›Er sei ein Tausendsasa, hat er zu ihm gesagt.‹ Und alles,
was da geigt und fistuliert und komponiert, ist außer sich von diesem
_einen_ Wort; kurzum, es ist der große Stil, der familiäre Kaiserstil,
der unnachahmliche, um welchen ich die Josephs und die Friedrichs von
je beneidet habe, und das nie mehr als eben jetzt, wo ich ganz in
Verzweiflung bin, von anderweitiger geistreicher Münze zufällig keinen
Deut in allen meinen Taschen anzutreffen.«

Die Art, wie der Schäker dergleichen vorbrachte, bestach immerhin und
rief unausbleiblich ein Lachen hervor.

Nun aber, auf die Einladung der Hausfrau, verfügte die Gesellschaft
sich nach dem geschmückten Speisesalon, aus welchem den Eintretenden
ein festlicher Blumengeruch und eine kühlere, dem Appetit willkommene
Luft entgegenwehte.

Man nahm die schicklich ausgeteilten Plätze ein, und zwar der
distinguierte Gast den seinigen dem Brautpaar gegenüber. Von einer
Seite hatte er eine kleine ältliche Dame, eine unverheiratete Tante
Franziskas, von der andern die junge reizende Nichte selbst zur
Nebensitzerin, die sich durch Geist und Munterkeit ihm bald besonders
zu empfehlen wußte. Frau Konstanze kam zwischen den Hauswirt und ihren
freundlichen Geleitsmann, den Leutnant; die übrigen reihten sich ein,
und so saß man zu elfen nach Möglichkeit bunt an der Tafel, deren
unteres Ende leer blieb. Auf ihr erhoben sich mitten zwei mächtige
große Porzellanaufsätze mit gemalten Figuren, breite Schalen, gehäuft
voll natürlicher Früchte und Blumen, über sich haltend. An den Wänden
des Saals hingen reiche Festons. Was sonst da war oder nach und nach
folgte, schien einen ausgedehnten Schmaus zu verkünden. Teils auf der
Tafel zwischen Schüsseln und Platten, teils vom Serviertisch herüber im
Hintergrund blinkte verschiedenes edle Getränk vom schwärzesten Rot bis
hinauf zu dem gelblichen Weiß, dessen lustiger Schaum herkömmlich erst
die zweite Hälfte eines Festes krönt.

Bis gegen diesen Zeitpunkt hin bewegte sich die Unterhaltung, von
mehreren Seiten gleich lebhaft genährt, in allen Richtungen. Weil aber
der Graf gleich anfangs einigemal von weitem und jetzt nur immer näher
und mutwilliger auf Mozarts Gartenabenteuer anspielte, so daß die einen
heimlich lächelten, die andern sich umsonst den Kopf zerbrachen, was er
denn meine, so ging unser Freund mit der Sprache heraus.

»Ich will in Gottes Namen beichten,« fing er an, »auf was für Art mir
eigentlich die Ehre der Bekanntschaft mit diesem edlen Haus geworden
ist. Ich spiele dabei nicht die würdigste Rolle, und um ein Haar, so
säß' ich jetzt, statt hier vergnügt zu tafeln, in einem abgelegenen
Arrestantenwinkel des gräflichen Schlosses und könnte mir mit leerem
Magen die Spinneweben an der Wand herum betrachten.«

»Nun ja,« rief Madame Mozart, »da werd' ich schöne Dinge hören!«

Ausführlich nun beschrieb er erst, wie er im Weißen Roß seine Frau
zurückgelassen, die Promenade in den Park, den Unstern in der Laube,
den Handel mit der Gartenpolizei: kurz, ungefähr was wir schon wissen,
gab er alles mit größter Treuherzigkeit und zum höchsten Ergötzen der
Zuhörer preis. Das Lachen wollte fast kein Ende nehmen; selbst die
gemäßigte Eugenie enthielt sich nicht, es schüttelte sie ordentlich.

»Nun,« fuhr er fort, »das Sprichwort sagt: Hat einer den Nutzen, dem
Spott mag er trutzen! Ich hab' meinen kleinen Profit von der Sache; Sie
werden schon sehen. Vor allem aber hören Sie, wie's eigentlich geschah,
daß sich ein alter Kindskopf so vergessen konnte. Eine Jugenderinnerung
war mit im Spiele.

Im Frühling 1770 reiste ich als dreizehnjähriges Bürschchen mit meinem
Vater nach Italien. Wir gingen von Rom nach Neapel. Ich hatte zweimal
im Konservatorium und sonst zu verschiedenen Malen gespielt. Adel und
Geistlichkeit erzeugten uns manches Angenehme, vornehmlich attachierte
sich ein Abbate an uns, der sich als Kenner schmeichelte und übrigens
am Hofe etwas galt. Den Tag vor unserer Abreise führte er uns in
Begleitung einiger anderer Herren in einen königlichen Garten, die
Villa reale, bei einer prachtvollen Straße geradhin am Meer gelegen, wo
eine Bande sizilianischer ~commedianti~ sich produzierte -- ~figlj di
Nettuno~, wie sie sich neben anderen schönen Titeln auch nannten. Mit
vielen vornehmen Zuschauern, worunter selbst die junge liebenswürdige
Königin Karolina samt zwei Prinzessen, saßen wir auf einer langen Reihe
von Bänken im Schatten einer zeltartig bedeckten niedern Galerie,
an deren Mauer unten die Wellen plätscherten. Das Meer mit seiner
vielfarbigen Streifung strahlte den blauen Sonnenhimmel herrlich wider.
Gerade vor sich hat man den Vesuv, links schimmert, sanft geschwungen,
eine reizende Küste herein.

Die erste Abteilung der Spiele war vorüber; sie wurde auf dem trockenen
Bretterboden einer Art von Flöße ausgeführt, die auf dem Wasser stand,
und hatte nichts Besonderes; der zweite aber und der schönste Teil
bestand aus lauter Schiffer-, Schwimm- und Taucherstücken und blieb mir
stets mit allen Einzelheiten frisch im Gedächtnis eingeprägt.

Von entgegengesetzten Seiten her näherten sich einander zwei zierliche,
sehr leicht gebaute Barken, beide, wie es schien, auf einer Lustfahrt
begriffen. Die eine, etwas größere, war mit einem Halbverdeck versehen
und nebst den Ruderbänken mit einem dünnen Mast und einem Segel
ausgerüstet, auch prächtig bemalt, der Schnabel vergoldet. Fünf
Jünglinge von idealischem Aussehen, kaum bekleidet, Arme, Brust und
Beine dem Anschein nach nackt, waren teils an dem Ruder beschäftigt,
teils ergötzten sie sich mit einer gleichen Anzahl artiger Mädchen,
ihren Geliebten. Eine darunter, welche mitten auf dem Verdecke saß und
Blumenkränze wand, zeichnete sich durch Wuchs und Schönheit sowie durch
ihren Putz vor allen übrigen aus. Diese dienten ihr willig, spannten
gegen die Sonne ein Tuch über sie und reichten ihr die Blumen aus dem
Korb. Eine Flötenspielerin saß zu ihren Füßen, die den Gesang der
andern mit ihren hellen Tönen unterstützte. Auch jener vorzüglichen
Schönen fehlte es nicht an einem eigenen Beschützer; doch verhielten
sich beide ziemlich gleichgültig gegeneinander, und der Liebhaber
deuchte mir fast etwas roh.

Inzwischen war das andere, einfachere Fahrzeug näher gekommen. Hier
sah man bloß männliche Jugend. Wie jene Jünglinge Hochrot trugen, so
war die Farbe der letztern Seegrün. Sie stutzten beim Anblick der
lieblichen Kinder, winkten Grüße herüber und gaben ihr Verlangen nach
näherer Bekanntschaft zu erkennen. Die munterste hierauf nahm eine Rose
vom Busen und hielt sie schelmisch in die Höhe, gleichsam fragend,
ob solche Gaben bei ihnen wohl angebracht wären, worauf von drüben
allerseits mit unzweideutigen Gebärden geantwortet wurde. Die Roten
sahen verächtlich und finster darein, konnten aber nichts machen, als
mehrere der Mädchen einig wurden, den armen Teufeln wenigstens doch
etwas für den Hunger und Durst zuzuwerfen. Es stand ein Korb voll
Orangen am Boden; wahrscheinlich waren es nur gelbe Bälle, den Früchten
ähnlich nachgemacht. Und jetzt begann ein entzückendes Schauspiel unter
Mitwirkung der Musik, die auf dem Uferdamm aufgestellt war.

Eine der Jungfrauen machte den Anfang und schickte fürs erste ein
paar Pomeranzen aus leichter Hand hinüber, die, dort mit gleicher
Leichtigkeit aufgefangen, alsbald zurückkehrten; so ging es hin und
her, und weil nach und nach immer mehr Mädchen zuhalfen, so flog's
mit Pomeranzen bald dem Dutzend nach in immer schnellerem Tempo hin
und wider. Die Schöne in der Mitte nahm an dem Kampfe keinen Anteil,
als daß sie höchst begierig von ihrem Schemel aus zusah. Wir konnten
die Geschicklichkeit auf beiden Seiten nicht genug bewundern. Die
Schiffe drehten sich auf etwa dreißig Schritte in langsamer Bewegung
umeinander, kehrten sich bald die ganze Flanke zu, bald schief das
halbe Vorderteil; es waren gegen vierundzwanzig Bälle unaufhörlich in
der Luft, doch glaubte man in der Verwirrung ihrer viel mehr zu sehen.
Manchmal entstand ein förmliches Kreuzfeuer, oft stiegen sie und fielen
in einem hohen Bogen, kaum ging einmal einer und der andere fehl; es
war, als stürzten sie von selbst durch eine Kraft der Anziehung in die
geöffneten Finger.

So angenehm jedoch das Auge beschäftigt wurde, so lieblich gingen
fürs Gehör die Melodieen nebenher: sizilianische Weisen, Tänze,
~Saltarelli~, ~Canzoni a ballo~, ein ganzes Quodlibet, auf Girlandenart
leicht aneinandergehängt. Die jüngere Prinzeß, ein holdes, unbefangenes
Geschöpf, etwa von meinem Alter, begleitete den Takt gar artig mit
Kopfnicken; ihr Lächeln und die langen Wimpern ihrer Augen kann ich
noch heute vor mir sehen.

Nun lassen Sie mich kürzlich den Verlauf der Posse noch erzählen,
obschon er weiter nichts zu meiner Sache tut! Man kann sich nicht
leicht etwas Hübscheres denken. Währenddem das Scharmützel allmählich
ausging und nur noch einzelne Würfe gewechselt wurden, die Mädchen
ihre goldenen Äpfel sammelten und in den Korb zurückbrachten, hatte
drüben ein Knabe, wie spielenderweis, ein breites, grüngestricktes
Netz ergriffen und kurze Zeit unter dem Wasser gehalten; er hob es
auf, und zum Erstaunen aller fand sich ein großer, blau, grün und
gold schimmernder Fisch in demselben. Die Nächsten sprangen eifrig
zu, um ihn herauszuholen: da glitt er ihnen aus den Händen, als wär'
es wirklich ein lebendiger, und fiel in die See. Das war nun eine
abgeredete Kriegslist, die Roten zu betören und aus dem Schiff zu
locken. Diese, gleichsam bezaubert von dem Wunder, sobald sie merkten,
daß das Tier nicht untertauchen wollte, nur immer auf der Oberfläche
spielte, besannen sich nicht einen Augenblick, stürzten sich alle
ins Meer, die Grünen ebenfalls, und also sah man zwölf gewandte,
wohlgestalte Schwimmer den fliehenden Fisch zu erhaschen bemüht, indem
er auf den Wellen gaukelte, minutenlang unter denselben verschwand,
bald da, bald dort, dem einen zwischen den Beinen, dem andern zwischen
Brust und Kinn herauf, wieder zum Vorschein kam. Auf einmal, wie die
Roten eben am hitzigsten auf ihren Fang aus waren, ersah die andere
Partei ihren Vorteil und erstieg schnell wie der Blitz das fremde,
ganz den Mädchen überlassene Schiff unter großem Gekreische der
letztern. Der nobelste der Burschen, wie ein Merkur gewachsen, flog
mit freudestrahlendem Gesicht auf die schönste zu, umfaßte, küßte
sie, die, weit entfernt in das Geschrei der andern einzustimmen, ihre
Arme gleichfalls feurig um den ihr wohlbekannten Jüngling schlang. Die
betrogene Schar schwamm zwar eilends herbei, wurde aber mit Rudern und
Waffen vom Bord abgetrieben. Ihre unnütze Wut, das Angstgeschrei der
Mädchen, der gewaltsame Widerstand einiger von ihnen, ihr Bitten und
Flehen, fast erstickt vom übrigen Alarm, des Wassers, der Musik, die
plötzlich einen andern Charakter angenommen hatte -- es war schön über
alle Beschreibung, und die Zuschauer brachen darüber in einen Sturm von
Begeisterung aus.

In diesem Moment nun entwickelte sich das bisher locker eingebundene
Segel: daraus ging ein rosiger Knabe hervor mit silbernen Schwingen,
mit Bogen, Pfeil und Köcher, und in anmutvoller Stellung schwebte er
frei auf der Stange. Schon sind die Ruder alle in voller Tätigkeit,
das Segel blähte sich auf: allein gewaltiger als beides schien die
Gegenwart des Gottes und seine heftig vorwärtseilende Gebärde das
Fahrzeug fortzutreiben, dergestalt, daß die fast atemlos nachsetzenden
Schwimmer, deren einer den goldenen Fisch hoch mit der Linken über
seinem Haupte hielt, die Hoffnung bald aufgaben und bei erschöpften
Kräften notgedrungen ihre Zuflucht zu dem verlassenen Schiffe nahmen.
Derweil haben die Grünen eine kleine bebuschte Halbinsel erreicht,
wo sich unerwartet ein stattliches Boot mit bewaffneten Kameraden
im Hinterhalt zeigte. Im Angesicht so drohender Umstände pflanzte
das Häufchen eine weiße Flagge auf, zum Zeichen, daß man gütlich
unterhandeln wolle. Durch ein gleiches Signal von jenseits ermuntert,
fuhren sie auf jenen Haltort zu, und bald sah man daselbst die guten
Mädchen alle bis auf die eine, die mit Willen blieb, vergnügt mit ihren
Liebhabern das eigene Schiff besteigen. -- Hiermit war die Komödie
beendigt.«

»Mir deucht,« so flüsterte Eugenie mit leuchtenden Augen dem Baron in
einer Pause zu, worin sich jedermann beifällig über das eben Gehörte
aussprach, »wir haben hier eine gemalte Symphonie von Anfang bis zu
Ende gehabt und ein vollkommenes Gleichnis überdies des Mozartischen
Geistes selbst in seiner ganzen Heiterkeit. Hab' ich nicht recht? Ist
nicht die ganze Anmut Figaros darin?«

Der Bräutigam war im Begriff, ihre Bemerkung dem Komponisten
mitzuteilen, als dieser zu reden fortfuhr.

»Es sind nun siebzehn Jahre her, daß ich Italien sah. Wer, der es
einmal sah, insonderheit Neapel, denkt nicht sein Leben lang daran? Und
wär' er auch, wie ich, noch halb in Kinderschuhen gesteckt! So lebhaft
aber wie heut' in Ihrem Garten war mir der letzte schöne Abend am Golf
kaum jemals wieder aufgegangen. Wenn ich die Augen schloß -- ganz
deutlich, klar und hell, den letzten Schleier von sich hauchend, lag
die himmlische Gegend vor mir verbreitet. Meer und Gestade, Berg und
Stadt, die bunte Menschenmenge an dem Ufer hin und dann das wundersame
Spiel der Bälle durcheinander! Ich glaubte wieder dieselbe Musik in
den Ohren zu haben, ein ganzer Rosenkranz von fröhlichen Melodien zog
innerlich an mir vorbei, Fremdes und Eigenes, Krethi und Plethi, eins
immer das andre ablösend. Von ungefähr springt ein Tanzliedchen hervor,
Sechsachtelstakt, mir völlig neu. Halt, dacht' ich, was gibt's hier?
Das scheint ein ganz verteufelt niedliches Ding. Ich sehe näher zu --
alle Wetter! das ist ja Masetto, das ist ja Zerlina.« -- Er lachte
gegen Madame Mozart hin, die ihn sogleich erriet.

»Die Sache,« fuhr er fort, »ist einfach diese. In meinem ersten Akt
blieb eine kleine, leichte Nummer unerledigt, Duett und Chor einer
ländlichen Hochzeit. Vor zwei Monaten nämlich, als ich dieses Stück
der Ordnung nach vornehmen wollte, da fand sich auf den ersten Wurf
das Rechte nicht alsbald. Eine Weise, einfältig und kindlich und
sprützend vor Fröhlichkeit über und über, ein frischer Busenstrauß mit
Flatterband dem Mädel angesteckt -- so mußte es sein. Weil man nun im
geringsten nichts erzwingen soll, und weil dergleichen Kleinigkeiten
sich oft gelegentlich von selber machen, ging ich darüber weg und
sah mich im Verfolg der größeren Arbeit kaum wieder danach um. Ganz
flüchtig kam mir heut' im Wagen, kurz eh' wir ins Dorf hereinfuhren,
der Text in den Sinn; da spann sich denn weiter nichts an, zum
wenigsten nicht, daß ich's wüßte. Genug, ein Stündchen später in der
Laube beim Brunnen erwisch' ich ein Motiv, wie ich es glücklicher und
besser zu keiner andern Zeit, auf keinem andern Weg erfunden haben
würde. Man macht bisweilen in der Kunst besondere Erfahrungen: ein
ähnlicher Streich ist mir nie vorgekommen. Denn eine Melodie, dem Vers
wie auf den Leib gegossen -- doch, um nicht vorzugreifen, so weit sind
wir noch nicht: der Vogel hatte nur den Kopf erst aus dem Ei, und
auf der Stelle fing ich an, ihn vollends rein herauszuschälen. Dabei
schwebte mir lebhaft der Tanz der Zerline vor Augen, und wunderlich
spielte zugleich die lachende Landschaft am Golf von Neapel herein. Ich
hörte die wechselnden Stimmen des Brautpaares, die Dirnen und Bursche
im Chor.«

Hier trällerte Mozart ganz lustig den Anfang des Liedchens:

    ~Giovinette, che fatte all' amore, che fatte all' amore,
    Non lasciate, che passi l'età, che passi l'età, che passi l'età!
    Se nel seno vi bulica il core, vi bulica il core,
    Il remedio vedete lo quà! La la la! La la la!
    Che piacer, che piacer che sarà!
          Ah la la! Ah la la~ u. s. w.[39]

    [39] Liebe Schwestern, zur Liebe geboren,
         Nützt der Jugend schön blühende Zeit!
         Hängt ihr 's Köpfchen in Sehnsucht verloren,
         Amor ist euch zu helfen bereit.
               Tra la la!
         Welch Vergnügen erwartet euch da! u. s. w.

»Mittlerweile hatten meine Hände das große Unheil angerichtet. Die
Nemesis lauerte schon an der Hecke und trat jetzt hervor in Gestalt
des entsetzlichen Mannes im galonierten blauen Rock. Ein Ausbruch des
Vesuvio, wenn er in Wirklichkeit damals an dem göttlichen Abend am Meer
Zuschauer und Akteurs, die ganze Herrlichkeit Parthenopes mit einem
schwarzen Aschenregen urplötzlich verschüttet und zugedeckt hätte, bei
Gott! die Katastrophe wäre mir nicht unerwarteter und schrecklicher
gewesen. Der Satan der! so heiß hat mir nicht leicht jemand gemacht.
Ein Gesicht wie aus Erz, einigermaßen dem grausamen römischen Kaiser
Tiberius ähnlich! Sieht so der Diener aus, dacht' ich, nachdem er
weggegangen, wie mag erst Seine Gnaden selbst dreinsehen! Jedoch, die
Wahrheit zu gestehn, ich rechnete schon ziemlich auf den Schutz der
Damen, und das nicht ohne Grund. Denn diese Stanzel da, mein Weibchen,
etwas neugierig von Natur, ließ sich im Wirtshaus von der dicken
Frau das Wissenswürdigste von denen sämtlichen Persönlichkeiten der
gnädigen Herrschaft in meinem Beisein erzählen, ich stand dabei und
hörte so --«

Hier konnte Madame Mozart nicht umhin, ihm in das Wort zu fallen und
auf das angelegentlichste zu versichern, daß im Gegenteil er der
Ausfrager gewesen; es kam zu heitern Kontestationen zwischen Mann
und Frau, die viel zu lachen gaben. -- »Dem sei nun, wie ihm wolle,«
sagte er, »kurzum, ich hörte so entfernt etwas von einer lieben
Pflegetochter, welche Braut, sehr schön, dazu die Güte selber sei und
singe wie ein Engel. ~Per Dio!~ fiel mir jetzt ein, das hilft dir aus
der Lauge. Du setz'st dich auf der Stelle hin, schreibst 's Liedchen
auf, so weit es geht, erklärst die Sottise der Wahrheit gemäß, und es
gibt einen trefflichen Spaß. Gedacht, getan! Ich hatte Zeit genug, auch
fand sich noch ein sauberes Bögchen grün liniiert Papier. -- Und hier
ist das Produkt. Ich lege es in diese schönen Hände, ein Brautlied aus
dem Stegreif, wenn Sie es dafür gelten lassen.«

So reichte er sein reinlichst geschriebenes Notenblatt Eugenien über
den Tisch; des Onkels Hand kam aber der ihrigen zuvor, er haschte es
hinweg und rief: »Geduld noch einen Augenblick, mein Kind!«

Auf seinen Wink tat sich die Flügeltüre des Salons weit auf, und es
erschienen einige Diener, die den verhängnisvollen Pomeranzenbaum
anständig, ohne Geräusch in den Saal hereintrugen und an der Tafel
unten auf eine Bank niedersetzten; gleichzeitig wurden rechts und
links zwei schlanke Myrtenbäumchen aufgestellt. Eine am Stamm des
Orangenbaums befestigte Inschrift bezeichnete ihn als Eigentum
der Braut; vorn aber auf dem Moosgrund stand, mit einer Serviette
bedeckt, ein Porzellanteller, der, als man das Tuch hinwegnahm, eine
zerschnittene Orange zeigte, neben welche der Oheim mit listigem Blick
des Meisters Autographon steckte. Allgemeiner, unendlicher Jubel erhob
sich darüber.

»Ich glaube gar,« sagte die Gräfin, »Eugenie weiß noch nicht einmal,
was eigentlich da vor ihr steht. Sie kennt wahrhaftig ihren alten
Liebling in seinem neuen Flor und Früchteschmuck nicht mehr!«

Bestürzt, ungläubig sah das Fräulein bald den Baum, bald ihren Oheim
an. »Es ist nicht möglich,« sagte sie. »Ich weiß ja wohl, er war nicht
mehr zu retten.«

»Du meinst also,« versetzte jener, »man habe dir nur irgend ungefähr
so ein Ersatzstück ausgesucht? Das wär' was Recht's! Nein, sieh nur
her! -- ich muß es machen, wie's in der Komödie der Brauch ist, wo
sich die totgeglaubten Söhne oder Brüder durch ihre Muttermäler und
Narben legitimieren. Schau diesen Auswuchs da! und hier die Schrunde
übers Kreuz! Du mußt sie hundertmal bemerkt haben. Nun, ist er's, oder
ist er's nicht?« -- Sie konnte nicht mehr zweifeln; ihr Staunen, ihre
Rührung und Freude war unbeschreiblich.

Es knüpfte sich an diesen Baum für die Familie das mehr als
hundertjährige Gedächtnis einer ausgezeichneten Frau, welche wohl
verdient, daß wir ihrer mit wenigem hier gedenken.

Des Oheims Großvater, durch seine diplomatischen Verdienste im
Wiener Kabinett rühmlichst bekannt, von zwei Regenten nacheinander
mit gleichem Vertrauen beehrt, war innerhalb seines eigenen Hauses
nicht minder glücklich im Besitz einer vortrefflichen Gemahlin,
Renate Leonore. Ihr wiederholter Aufenthalt in Frankreich brachte sie
vielfach mit dem glänzenden Hofe Ludwigs XIV. und mit den bedeutendsten
Männern und Frauen dieser merkwürdigen Epoche in Berührung. Bei ihrer
unbefangenen Teilnahme an jenem steten Wechsel des geistreichen
Lebensgenusses verleugnete sie auf keinerlei Art in Worten und Werken
die angestammte deutsche Ehrenfestigkeit und sittliche Strenge, die
sich in den kräftigen Zügen des noch vorhandenen Bildnisses der Gräfin
unverkennbar ausprägt. Vermöge eben dieser Denkungsweise übte sie in
der gedachten Sozietät eine eigentümliche naive Opposition, und ihre
hinterlassene Korrespondenz weist eine Menge Spuren davon auf, mit
wie viel Freimut und herzhafter Schlagfertigkeit, es mochte nun von
Glaubenssachen, von Literatur und Politik, oder von was immer die Rede
sein, die originelle Frau ihre gesunden Grundsätze und Ansichten zu
verteidigen, die Blößen der Gesellschaft anzugreifen wußte, ohne doch
dieser im mindesten sich lästig zu machen. Ihr reges Interesse für
sämtliche Personen, die man im Hause einer Ninon, dem eigentlichen Herd
der feinsten Geistesbildung, treffen konnte, war demnach so beschaffen
und geregelt, daß es sich mit dem höheren Freundschaftsverhältnis zu
einer der edelsten Damen jener Zeit, der Frau von Sévigné, vollkommen
wohl vertrug. Neben manchen mutwilligen Scherzen Chapelles an sie, vom
Dichter eigenhändig auf Blätter mit silberblumigem Rande gekritzelt,
fanden sich die liebevollsten Briefe der Marquisin und ihrer Tochter
an die ehrliche Freundin aus Österreich nach ihrem Tod in einem
Ebenholzschränkchen der Großmutter vor.

Frau von Sévigné war es denn auch, aus deren Hand sie eines Tages bei
einem Feste zu Trianon auf der Terrasse des Gartens den blühenden
Orangenzweig empfing, den sie sofort auf das Geratewohl in einen Topf
setzte und glücklich angewurzelt mit nach Deutschland nahm.

Wohl fünfundzwanzig Jahre wuchs das Bäumchen unter ihren Augen
allgemach heran und wurde später von Kindern und Enkeln mit äußerster
Sorgfalt gepflegt. Es konnte nächst seinem persönlichen Werte zugleich
als lebendes Symbol der feingeistigen Reize eines beinahe vergötterten
Zeitalters gelten, worin wir heutzutage freilich des wahrhaft
Preisenswerten wenig finden können, und das schon eine unheilvolle
Zukunft in sich trug, deren welterschütternder Eintritt dem Zeitpunkt
unserer harmlosen Erzählung bereits nicht ferne mehr lag.

Die meiste Liebe widmete Eugenie dem Vermächtnis der würdigen Ahnfrau,
weshalb der Oheim öfters merken ließ, es dürfte wohl einst eigens in
ihre Hände übergehen. Desto schmerzlicher war es dem Fräulein denn
auch, als der Baum im Frühling des vorigen Jahres, den sie nicht
hier zubrachte, zu trauern begann, die Blätter gelb wurden und viele
Zweige abstarben. In Betracht, daß irgend eine besondere Ursache
seines Verkommens durchaus nicht zu entdecken war und keinerlei
Mittel anschlug, gab ihn der Gärtner bald verloren, obwohl er seiner
natürlichen Ordnung nach leicht zwei- und dreimal älter werden konnte.
Der Graf hingegen, von einem benachbarten Kenner beraten, ließ ihn nach
einer sonderbaren, selbst rätselhaften Vorschrift, wie sie das Landvolk
häufig hat, in einem abgesonderten Raume ganz insgeheim behandeln,
und seine Hoffnung, die geliebte Nichte eines Tags mit dem zu neuer
Kraft und voller Fruchtbarkeit gelangten alten Freund zu überraschen,
ward über alles Erwarten erfüllt. Mit Überwindung seiner Ungeduld und
nicht ohne Sorge, ob denn wohl auch die Früchte, von denen etliche
zuletzt den höchsten Grad der Reife hatten, so lang' am Zweige halten
würden, verschob er die Freude um mehrere Wochen auf das heutige Fest,
und es bedarf nun weiter keines Worts darüber, mit welcher Empfindung
der gute Herr ein solches Glück noch im letzten Moment durch einen
Unbekannten sich verkümmert sehen mußte.

Der Leutnant hatte schon vor Tische Gelegenheit und Zeit gefunden,
seinen dichterischen Beitrag zu der feierlichen Übergabe ins reine zu
bringen und seine vielleicht ohnehin etwas zu ernst gehaltenen Verse
durch einen veränderten Schluß den Umständen möglichst anzupassen. Er
zog nunmehr sein Blatt hervor, das er, vom Stuhle sich erhebend und an
die Cousine gewendet, vorlas. Der Inhalt der Strophen war kurz gefaßt
dieser:

Ein Nachkömmling des vielgepriesenen Baums der Hesperiden, der vor
alters auf einer westlichen Insel im Garten der Juno, als eine
Hochzeitsgabe für sie von Mutter Erde, hervorgesproßt war und welchen
die drei melodischen Nymphen bewachten, hat eine ähnliche Bestimmung
von jeher gewünscht und gehofft, da der Gebrauch, eine herrliche Braut
mit seinesgleichen zu beschenken, von den Göttern vorlängst auch unter
die Sterblichen kam.

Nach langem vergeblichen Warten scheint endlich die Jungfrau gefunden,
auf die er seine Blicke richten darf. Sie erzeigt sich ihm günstig und
verweilt oft bei ihm. Doch der musische Lorbeer, sein stolzer Nachbar
am Bord der Quelle, hat seine Eifersucht erregt, indem er droht,
der kunstbegabten Schönen Herz und Sinn für die Liebe der Männer zu
rauben. Die Myrte tröstet ihn umsonst und lehrt ihn Geduld durch ihr
eigenes Beispiel; zuletzt jedoch ist es die andauernde Abwesenheit der
Liebsten, was seinen Gram vermehrt und ihm nach kurzem Siechtum tödlich
wird.

Der Sommer bringt die Entfernte und bringt sie mit glücklich
umgewandtem Herzen zurück. Das Dorf, das Schloß, der Garten, alles
empfängt sie mit tausend Freuden. Rosen und Lilien in erhöhtem Schimmer
sehen entzückt und beschämt zu ihr auf, Glück winken ihr Sträucher und
Bäume: für einen, ach, den edelsten, kommt sie zu spät. Sie findet
seine Krone verdorrt, ihre Finger betasten den leblosen Stamm und die
klirrenden Spitzen seines Gezweigs. Er kennt und sieht seine Pflegerin
nimmer. Wie weint sie, wie strömt ihre zärtliche Klage!

Apollo von weitem vernimmt die Stimme der Tochter. Er kommt, er
tritt herzu und schaut mitfühlend ihren Jammer. Alsbald mit seinen
allheilenden Händen berührt er den Baum, daß er in sich erbebt, der
vertrocknete Saft in der Rinde gewaltsam anschwillt, schon junges
Laub ausbricht, schon weiße Blumen da und dort in ambrosischer
Fülle aufgehen. Ja -- denn was vermöchten die Himmlischen nicht? --
schön runde Früchte setzen an, dreimal drei nach der Zahl der neun
Schwestern; sie wachsen und wachsen, ihr kindliches Grün zusehends
mit der Farbe des Goldes vertauschend. Phöbus -- so schloß sich das
Gedicht --

    Phöbus überzählt die Stücke,
    Weidet selbsten sich daran,
    Ja, es fängt im Augenblicke
    Ihm der Mund zu wässern an.
      Lächelnd nimmt der Gott der Töne
    Von der saftigsten Besitz:
    »Laß uns teilen, holde Schöne,
    Und für Amorn -- diesen Schnitz!«

Der Dichter erntete rauschenden Beifall, und gern verzieh man die
barocke Wendung, durch welche der Eindruck des wirklich gefühlvollen
Ganzen so völlig aufgehoben wurde.

Franziska, deren froher Mutterwitz schon zu verschiedenen Malen bald
durch den Hauswirt, bald durch Mozart in Bewegung gesetzt worden war,
lief jetzt geschwinde, wie von ungefähr an etwas erinnert, hinweg und
kam zurück mit einem braunen englischen Kupferstich größten Formats,
welcher, wenig beachtet, in einem ganz entfernten Kabinett unter Glas
und Rahmen hing.

»Es muß doch wahr sein, was ich immer hörte,« rief sie aus, indem sie
das Bild am Ende der Tafel aufstellte, »daß sich unter der Sonne nichts
Neues begibt! Hier eine Szene aus dem goldenen Weltalter -- und haben
wir sie nicht erst heute erlebt? Ich hoffe doch, Apollo werde sich in
dieser Situation erkennen.«

»Vortrefflich!« triumphierte Max, »da hätten wir ihn ja, den schönen
Gott, wie er sich just gedankenvoll über den heiligen Quell hinbeugt.
Und damit nicht genug -- dort, seht nur, einen alten Satyr hinten im
Gebüsch, der ihn belauscht! Man möchte darauf schwören, Apoll besinnt
sich eben auf ein lange vergessenes arkadisches Tänzchen, das ihn in
seiner Kindheit der alte Chiron zu der Zither lehrte.«

»So ist's! nicht anders!« applaudierte Franziska, die hinter Mozart
stand. »Und,« fuhr sie gegen diesen fort, »bemerken Sie auch wohl den
fruchtbeschwerten Ast, der sich zum Gott heruntersenkt?«

»Ganz recht! es ist der ihm geweihte Ölbaum.«

»Keineswegs! die schönsten Apfelsinen sind's! Gleich wird er sich in
der Zerstreuung eine herunterholen.«

»Vielmehr,« rief Mozart, »er wird gleich diesen Schelmenmund mit
tausend Küssen schließen.« Damit erwischte er sie am Arm und schwur,
sie nicht mehr loszulassen, bis sie ihm ihre Lippen reiche, was sie
denn auch ohne vieles Sträuben tat.

»Erkläre uns doch, Max,« sagte die Gräfin, »was unter dem Bilde hier
steht!«

»Es sind Verse aus einer berühmten Horazischen Ode. Der Dichter Ramler
in Berlin hat uns das Stück vor kurzem unübertrefflich deutsch gegeben.
Es ist vom höchsten Schwung. Wie prächtig eben diese eine Stelle:

    -- -- hier, der auf der Schulter
    Keinen untätigen Bogen führet.
    Der seines Delos grünenden Mutterhain
    Und Pataras beschatteten Strand bewohnt,
      Der seines Hauptes goldne Locken
        In die kastalischen Fluten tauchet.«

»Schön! wirklich schön!« sagte der Graf. »Nur hie und da bedarf es
der Erläuterung. So z. B. ›der keinen untätigen Bogen führet‹ hieße
natürlich schlechtweg: der allezeit einer der fleißigsten Geiger
gewesen. Doch was ich sagen wollte: Bester Mozart, Sie säen Unkraut
zwischen zwei zärtliche Herzen.«

»Ich will nicht hoffen -- wie so?«

»Eugenie beneidet ihre Freundin und hat auch allen Grund.«

»Aha! Sie haben mir schon meine schwache Seite abgemerkt. Aber was sagt
der Bräutigam dazu?«

»Ein- oder zweimal will ich durch die Finger sehen.«

»Sehr gut! wir werden der Gelegenheit wahrnehmen. Indes fürchten Sie
nichts, Herr Baron! es hat keine Gefahr, solang' mir nicht der Gott
hier sein Gesicht und seine langen gelben Haare borgt. Ich wünsche
wohl, er tät's! Er sollte auf der Stelle Mozarts Zopf mitsamt seinem
schönsten Bandl dafür haben.«

»Apollo möge aber dann zusehen,« lachte Franziska, »wie er es anfängt
künftig, seinen neuen französischen Haarschmuck mit Anstand in die
kastalische Flut zu tauchen!«

Unter diesen und ähnlichen Scherzen stieg Lustigkeit und Mutwillen
immer mehr. Die Männer spürten nach und nach den Wein, es wurden
eine Menge Gesundheiten getrunken, und Mozart kam in den Zug, nach
seiner Gewohnheit in Versen zu sprechen, wobei ihm der Leutnant das
Gleichgewicht hielt und auch der Papa nicht zurückbleiben wollte;
es glückte ihm ein paarmal zum Verwundern. Doch solche Dinge lassen
sich für die Erzählung kaum festhalten: sie wollen eigentlich nicht
wiederholt sein, weil eben das, was sie an ihrem Ort unwiderstehlich
macht, die allgemein erhöhte Stimmung, der Glanz, die Jovialität des
persönlichen Ausdrucks, in Wort und Blick fehlt.

Unter andern wurde von dem alten Fräulein zu Ehren des Meisters ein
Toast ausgebracht, der ihm noch eine ganze lange Reihe unsterblicher
Werke verhieß. -- »~A la bonne heure!~ ich bin dabei,« rief Mozart und
stieß sein Kelchglas kräftig an. Der Graf begann hierauf mit großer
Macht und Sicherheit der Intonation kraft eigener Eingebung zu singen:

    Mögen ihn die Götter stärken
    Zu den angenehmen Werken --

_Max_ (fortfahrend):

    Wovon der ~da Ponte~ weder
    Noch der große Schikaneder --

_Mozart_:

    Noch bi Gott der Komponist
    's Mindest weiß zu dieser Frist!

_Graf_:

    Alle, alle soll sie jener
    Hauptspitzbub von Italiener
    Noch erleben, wünsch' ich sehr,
    Unser Signor Bonbonnière![40]

_Max_:

    Gut, ich geb' ihm hundert Jahre --

_Mozart_:

    Wenn ihn nicht samt seiner Ware --

_Alle drei_ ~con forza~:

    Noch der Teufel holt vorher,
    Unsern Monsieur Bonbonnière.

    [40] So nannte Mozart unter Freunden seinen Kollegen Salierie,
      der, wo er ging und stand, Zuckerwerk naschte, zugleich mit
      Anspielung auf das Zierliche seiner Person.

Durch des Grafen ausnehmende Singlust schweifte das zufällig
entstandene Terzett mit Wiederaufnahme der letzten vier Zeilen in
einen sogenannten endlichen Kanon aus, und die Fräulein Tante besaß
Humor oder Selbstvertrauen genug, ihren verfallenen Soprano mit
allerhand Verzierungen zweckdienlich einzumischen. Mozart gab nachher
das Versprechen, bei guter Muße diesen Spaß nach den Regeln der Kunst
expreß für die Gesellschaft auszuführen, das er auch später von Wien
aus erfüllte.

Eugenie hatte sich im stillen längst mit ihrem Kleinod aus der Laube
des Tiberius vertraut gemacht; allgemein verlangte man jetzt, das
Duett vom Komponisten und ihr gesungen zu hören, und der Oheim war
glücklich, im Chor seine Stimme abermals geltend zu machen. Also erhob
man sich und eilte zum Klavier ins große Zimmer nebenan.

Ein so reines Entzücken nun auch das köstliche Stück bei allen erregte,
so führte doch sein Inhalt selbst mit einem raschen Übergang auf den
Gipfel geselliger Lust, wo die Musik an und für sich nicht weiter in
Betracht mehr kommt, und zwar gab zuerst unser Freund das Signal, indem
er vom Klavier aufsprang, auf Franziska zuging und sie, während Max
bereitwilligst die Violine ergriff, zu einem Schleifer persuadierte.
Der Hauswirt säumte nicht, Madonna Mozart aufzufordern. Im Nu waren
alle beweglichen Möbel, den Raum zu erweitern, durch geschäftige Diener
entfernt. Es mußte nach und nach ein jedes an die Tour, und Fräulein
Tante nahm es keineswegs übel, daß der galante Leutnant sie zu einer
Menuett abholte, worin sie sich völlig verjüngte. Schließlich, als
Mozart mit der Braut den Kehraus tanzte, nahm er sein versichertes
Recht auf ihren schönen Mund in bester Form dahin.

Der Abend war herbeigekommen, die Sonne nah am Untergehen: es wurde nun
erst angenehm im Freien, daher die Gräfin den Damen vorschlug, sich im
Garten noch ein wenig zu erholen. Der Graf dagegen lud die Herren auf
das Billardzimmer, da Mozart bekanntlich dies Spiel sehr liebte. So
teilte man sich denn in zwei Partieen, und wir unsererseits folgen den
Frauen.

Nachdem sie den Hauptweg einigemal gemächlich auf und ab gegangen,
erstiegen sie einen runden, von einem hohen Rebengeländer zur Hälfte
umgebenen Hügel, von wo man in das offene Feld, auf das Dorf und die
Landstraße sah. Die letzten Strahlen der herbstlichen Sonne funkelten
rötlich durch das Weinlaub herein.

»Wäre hier nicht vertraulich zu sitzen,« sagte die Gräfin, »wenn Madame
Mozart uns etwas von sich und dem Gemahl erzählen wollte?«

Sie war ganz gerne bereit, und alle nahmen höchst behaglich auf den im
Kreis herbeigerückten Stühlen Platz.

»Ich will etwas zum besten geben, daß Sie auf alle Fälle hätten
hören müssen, da sich ein kleiner Scherz darauf bezieht, den ich im
Schilde führe. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, der Gräfin Braut zur
fröhlichen Erinnerung an diesen Tag ein Angebind von sonderlicher
Qualität zu verehren. Dasselbe ist so wenig Gegenstand des Luxus und
der Mode, daß es lediglich nur durch seine Geschichte einigermaßen
interessieren kann.«

»Was mag das sein, Eugenie?« sagte Franziska. »Zum wenigsten das
Tintenfaß eines berühmten Mannes.«

»Nicht allzuweit gefehlt! Sie sollen es noch diese Stunde sehen;
im Reisekoffer liegt der Schatz. Ich fange an und werde mit Ihrer
Erlaubnis ein wenig weiter ausholen.

Vorletzten Winter wollte mir Mozarts Gesundheitszustand durch vermehrte
Reizbarkeit und häufige Verstimmung, ein fieberhaftes Wesen, nachgerade
bange machen. In Gesellschaft noch zuweilen lustig, oft mehr als recht
natürlich, war er zu Haus meist trüb in sich hinein, seufzte und
klagte. Der Arzt empfahl ihm Diät, Pyrmonter und Bewegung außerhalb
der Stadt. Der Patient gab nicht viel auf den guten Rat: die Kur
war unbequem, zeitraubend, seinem Taglauf schnurstracks entgegen.
Nun machte ihm der Doktor die Hölle etwas heiß: er mußte eine lange
Vorlesung anhören von der Beschaffenheit des menschlichen Geblüts,
von denen Kügelgens darin, vom Atemholen und vom Phlogiston -- halt
unerhörte Dinge, auch wie es eigentlich gemeint sei von der Natur mit
Essen, Trinken und Verdauen, das eine Sache ist, worüber Mozart bis
dahin ganz ebenso unschuldig dachte wie sein Junge von fünf Jahren.
Die Lektion, in der Tat, machte merklichen Eindruck. Der Doktor war
noch keine halbe Stunde weg, so find' ich meinen Mann nachdenklich,
aber mit aufgeheitertem Gesicht auf seinem Zimmer über der Betrachtung
eines Stocks, den er in einem Schrank mit alten Sachen suchte und
auch glücklich fand; ich hätte nicht gemeint, daß er sich dessen nur
erinnerte. Er stammte noch von meinem Vater: ein schönes Rohr mit hohem
Knopf von Lapis Lazuli. Nie sah man einen Stock in Mozarts Hand; ich
mußte lachen.

»Du siehst,« rief er, »ich bin daran, mit meiner Kur mich völlig ins
Geschirr zu werfen. Ich will das Wasser trinken, mir alle Tage Motion
im Freien machen und mich dabei dieses Stabes bedienen. Da sind mir nun
verschiedene Gedanken beigegangen. Es ist doch nicht umsonst, dacht'
ich, daß andere Leute, was da gesetzte Männer sind, den Stock nicht
missen können. Der Kommerzienrat, unser Nachbar, geht niemals über die
Straße, seinen Gevatter zu besuchen, der Stock muß mit. Professionisten
und Beamte, Kanzleiherrn, Krämer und Chalanten, wenn sie am Sonntag mit
Familie vor die Stadt spazieren, ein jeder führt sein wohlgedientes,
rechtschaffenes Rohr mit sich. Vornehmlich hab' ich oft bemerkt,
wie auf dem Stephansplatz ein Viertelstündchen vor der Predigt und
dem Amt ehrsame Bürger da und dort truppweis beisammen stehen im
Gespräch: hier kann man so recht sehen, wie eine jede ihrer stillen
Tugenden, ihr Fleiß und Ordnungsgeist, gelassner Mut, Zufriedenheit,
sich auf die wackern Stöcke gleichsam als eine gute Stütze lehnt und
stemmt. Mit _einem_ Wort, es muß ein Segen und besonderer Trost in der
altväterischen und immerhin etwas geschmacklosen Gewohnheit liegen. Du
magst es glauben oder nicht, ich kann es kaum erwarten, bis ich mit
diesem guten Freund das erstemal im Gesundheitspaß über die Brücke
nach dem Rennweg promeniere. Wir kennen uns bereits ein wenig, und ich
hoffe, daß unsere Verbindung für alle Zeit geschlossen ist.«

Die Verbindung war von kurzer Dauer: das drittemal, daß beide
miteinander aus waren, kam der Begleiter nicht mehr mit zurück.
Ein anderer wurde angeschafft, der etwas länger Treue hielt, und
jedenfalls schrieb ich der Stockliebhaberei ein gut Teil von der
Ausdauer zu, womit Mozart drei Wochen lang der Vorschrift seines Arztes
ganz erträglich nachkam. Auch blieben die guten Folgen nicht aus:
wir sahen ihn fast nie so frisch, so hell und von so gleichmäßiger
Laune. Doch machte er sich leider in kurzem wieder allzu grün, und
täglich hatt' ich deshalb meine Not mit ihm. Damals geschah es nun,
daß er, ermüdet von der Arbeit eines anstrengenden Tages, noch spät
ein paar neugieriger Reisender wegen zu einer musikalischen Soiree
ging -- auf eine Stunde bloß, versprach er mir heilig und teuer; doch
das sind immer die Gelegenheiten, wo die Leute, wenn er nur erst am
Flügel festsitzt und im Feuer ist, seine Gutherzigkeit am mehrsten
mißbrauchen; denn da sitzt er alsdann wie das Männchen in einer
Montgolfiere, sechs Meilen hoch über dem Erdboden schwebend, wo man die
Glocken nicht mehr schlagen hört. Ich schickte den Bedienten zweimal
mitten in der Nacht dahin: umsonst; er konnte nicht zu seinem Herrn
gelangen. Um drei Uhr früh kam dieser denn endlich nach Haus. Ich nahm
mir vor, den ganzen Tag ernstlich mit ihm zu schmollen.«

Hier überging Madame Mozart einige Umstände mit Stillschweigen.
Es war, muß man wissen, nicht unwahrscheinlich, daß zu gedachter
Abendunterhaltung auch eine junge Sängerin, Signora Malerbi, kommen
würde, an welcher Frau Konstanze mit allem Recht Ärgernis nahm. Diese
Römerin war durch Mozarts Verwendung bei der Oper angestellt worden,
und ohne Zweifel hatten ihre koketten Künste nicht geringen Anteil
an der Gunst des Meisters. Sogar wollten einige wissen, sie habe ihn
mehrere Monate lang eingezogen und heiß genug auf ihrem Rost gehalten.
Ob dies nun völlig wahr sei oder sehr übertrieben, gewiß ist, sie
benahm sich nachher frech und undankbar und erlaubte sich selbst
Spöttereien über ihren Wohltäter. So war es ganz in ihrer Art, daß
sie ihn einst gegenüber einem ihrer glücklichern Verehrer kurzweg ~un
piccolo grifo raso~ (ein kleines rasiertes Schweinsrüsselchen) nannte.
Der Einfall, einer Circe würdig, war um so empfindlicher, weil er, wie
man gestehen muß, immerhin ein Körnchen Wahrheit enthielt.[41]

    [41] Man hat hier ein älteres kleines Profilbild im Auge, das,
      gut gezeichnet und gestochen, sich auf dem Titelblatt eines
      Mozartschen Klavierwerks befindet, unstreitig das ähnlichste
      von allen auch neuerdings im Kunsthandel erschienenen
      Porträts.

Beim Nachhausegehen von jener Gesellschaft, bei welcher übrigens die
Sängerin zufällig nicht erschienen war, beging ein Freund im Übermut
des Weins die Indiskretion, dem Meister dies boshafte Wort zu
verraten. Er wurde schlecht davon erbaut, denn eigentlich war es für
ihn der erste unzweideutige Beweis von der gänzlichen Herzlosigkeit
seines Schützlings. Vor lauter Entrüstung darüber empfand er nicht
einmal sogleich den frostigen Empfang am Bette seiner Frau. In _einem_
Atem teilte er ihr die Beleidigung mit, und diese Ehrlichkeit läßt wohl
auf einen mindern Grad von Schuldbewußtsein schließen. Fast machte er
ihr Mitleid rege. Doch hielt sie geflissentlich an sich; es sollte ihm
nicht so leicht hingehen. Als er von einem schweren Schlaf kurz nach
Mittag erwachte, fand er das Weibchen samt den beiden Knaben nicht zu
Hause, vielmehr säuberlich den Tisch für ihn allein gedeckt.

Von jeher gab es wenige Dinge, welche Mozart so unglücklich machten,
als wenn nicht alles hübsch eben und heiter zwischen ihm und seiner
guten Hälfte stand. Und hätte er nun erst gewußt, welche weitere Sorge
sie schon seit mehreren Tagen mit sich herumtrug! Eine der schlimmsten
in der Tat, mit deren Eröffnung sie ihn nach alter Gewohnheit so lange
wie möglich verschonte. Ihre Barschaft war ehestens alle und keine
Aussicht auf baldige Einnahme da. Ohne Ahnung von dieser häuslichen
Extremität war gleichwohl sein Herz auf eine Art beklommen, die mit
jenem verlegenen, hilflosen Zustand eine gewisse Ähnlichkeit hatte. Er
mochte nicht essen, er konnte nicht bleiben. Geschwind zog er sich
vollends an, um nur aus der Stickluft des Hauses zu kommen. Auf einem
offenen Zettel hinterließ er ein paar Zeilen italienisch: »Du hast
mir's redlich eingetränkt, und geschieht mir schon recht. Sei aber
wieder gut, ich bitte dich, und lache wieder, bis ich heimkomme! Mir
ist zu Mut, als möcht' ich ein Kartäuser und Trappiste werden, ein
rechter Heulochs, sag' ich dir.« -- Sofort nahm er den Hut, nicht aber
auch den Stock zugleich; der hatte seine Epoche passiert.

Haben wir Frau Konstanze bis hierher in der Erzählung abgelöst, so
können wir auch wohl noch eine kleine Strecke weiter fortfahren.

Von seiner Wohnung bei der Schranne, rechts gegen das Zeughaus
einbiegend, schlenderte der teure Mann -- es war ein warmer, etwas
umwölkter Sommernachmittag -- nachdenklich lässig über den sogenannten
Hof und weiter an der Pfarre zu unsrer lieben Frau vorbei, dem
Schottentor entgegen, wo er seitwärts zur Linken auf die Mölkerbastei
stieg und dadurch der Ansprache mehrerer Bekannten, die eben zur
Stadt hereinkamen, entging. Nur kurze Zeit genoß er hier, obwohl von
einer stumm bei den Kanonen auf und nieder gehenden Schildwache nicht
belästigt, der vortrefflichsten Aussicht über die grüne Ebene des
Glacis und die Vorstädte hin nach dem Kahlenberg und südlich nach den
steierischen Alpen. Die schöne Ruhe der äußern Natur widersprach seinem
innern Zustand. Mit einem Seufzer setzte er seinen Gang über die
Esplanade und sodann durch die Alser-Vorstadt ohne bestimmten Zielpunkt
fort.

Am Ende der Währinger Gasse lag eine Schenke mit Kegelbahn, deren
Eigentümer, ein Seilermeister, durch seine gute Ware wie durch
die Reinheit seines Getränks den Nachbarn und Landleuten, die ihr
Weg vorüberführte, gar wohl bekannt war. Man hörte Kegelschieben,
und übrigens ging es bei einer Anzahl von höchstens einem Dutzend
Gästen mäßig zu. Ein kaum bewußter Trieb, sich unter anspruchslosen,
natürlichen Menschen in etwas zu vergessen, bewog den Musiker zur
Einkehr. Er setzte sich an einen der sparsam von Bäumen beschatteten
Tische zu einem Wiener Brunnen-Obermeister und zwei andern
Spießbürgern, ließ sich ein Schöppchen kommen und nahm an ihrem sehr
alltäglichen Diskurs eingehend teil, ging dazwischen umher oder schaute
dem Spiel auf der Kegelbahn zu.

Unweit von der letztern an der Seite des Hauses befand sich der offene
Laden des Seilers, ein schmaler, mit Fabrikaten vollgepfropfter Raum,
weil außer dem, was das Handwerk zunächst lieferte, auch allerlei
hölzernes Küchen-, Keller- und landwirtschaftliches Gerät, ingleichem
Tran und Wagensalbe, auch weniges von Sämereien, Dill und Kümmel zum
Verkauf umherstand oder hing. Ein Mädchen, das als Kellnerin die
Gäste zu bedienen und nebenbei den Laden zu besorgen hatte, war eben
mit einem Bauern beschäftigt, welcher, sein Söhnlein an der Hand,
herzugetreten war, um einiges zu kaufen: ein Fruchtmaß, eine Bürste,
eine Geißel. Er suchte unter vielen Stücken eines heraus, prüfte es,
legte es weg, ergriff ein zweites und drittes und kehrte unschlüssig
zum ersten zurück; es war kein Fertigwerden. Das Mädchen entfernte sich
mehrmals der Aufwartung wegen, kam wieder und war unermüdlich, ihm
seine Wahl zu erleichtern und annehmlich zu machen, ohne daß sie zu
viel darum schwatzte.

Mozart sah und hörte auf einem Bänkchen bei der Kegelbahn diesem allem
mit Vergnügen zu. So sehr ihm auch das gute, verständige Betragen des
Mädchens, die Ruhe und der Ernst in ihren ansprechenden Zügen gefiel,
noch mehr interessierte ihn für jetzt der Bauer, welcher ihm, nachdem
er ganz befriedigt abgezogen, noch viel zu denken gab. Er hatte sich
vollkommen in den Mann hineinversetzt gefühlt, wie wichtig die geringe
Angelegenheit von ihm behandelt, wie ängstlich und gewissenhaft die
Preise, bei einem Unterschied von wenig Kreuzern, hin und her erwogen
wurden. Und, dachte er, wenn nun der Mann zu seinem Weibe heimkommt,
ihr seinen Handel rühmt, die Kinder alle passen, bis der Zwerchsack
aufgeht, darin auch was für sie sein mag: sie aber eilt, ihm einen
Imbiß und einen frischen Trunk selbstgekelterten Obstmost zu holen,
darauf er seinen ganzen Appetit verspart hat!

Wer auch so glücklich wäre, so unabhängig von den Menschen! ganz nur
auf die Natur gestellt und ihren Segen, wie sauer auch dieser erworben
sein will!

Ist aber mir mit meiner Kunst ein anderes Tagwerk anbefohlen, das ich
am Ende doch mit keinem in der Welt vertauschen würde: warum muß ich
dabei in Verhältnissen leben, die das gerade Widerspiel von solch
unschuldiger, einfacher Existenz ausmachen? Ein Gütchen, wenn du
hättest, ein kleines Haus bei einem Dorf in schöner Gegend, du solltest
wahrlich neu aufleben! Den Morgen über fleißig bei deinen Partituren,
die ganze übrige Zeit bei der Familie; Bäume pflanzen, deinen Acker
besuchen, im Herbst mit den Buben die Äpfel und die Birn heruntertun;
bisweilen eine Reise in die Stadt zu einer Aufführung und sonst von
Zeit zu Zeit ein Freund und mehrere bei dir -- welch eine Seligkeit!
Nun ja, wer weiß, was noch geschieht!

Er trat vor den Laden, sprach freundlich mit dem Mädchen und fing an,
ihren Kram genauer zu betrachten. Bei der unmittelbaren Verwandtschaft,
welche die meisten dieser Dinge zu jenem idyllischen Anfluge hatten,
zog ihn die Sauberkeit, das Helle, Glatte, selbst der Geruch der
mancherlei Holzarbeiten an. Es fiel ihm plötzlich ein, verschiedenes
für seine Frau, was ihr nach seiner Meinung angenehm und nutzbar
wäre, auszuwählen. Sein Augenmerk ging zuvörderst auf Gartenwerkzeug.
Konstanze hatte nämlich vor Jahr und Tag auf seinen Antrieb ein
Stückchen Land vor dem Kärnthner Tor gepachtet und etwas Gemüse
darauf gebaut, daher ihm jetzt fürs erste ein neuer großer Rechen,
ein kleinerer dito samt Spaten ganz zweckmäßig schien. Dann weiteres
anlangend, so macht es seinen ökonomischen Begriffen alle Ehre, daß
er einem ihn sehr appetitlich anlachenden Butterfaß nach kurzer
Überlegung, wiewohl ungern, entsagte, dagegen ihm ein hohes, mit Deckel
und schön geschnitztem Henkel versehenes Geschirr zu unmaßgeblichem
Gebrauch einleuchtete. Es war aus schmalen Stäben von zweierlei Holz,
abwechselnd hell und dunkel, zusammengesetzt, unten weiter als oben
und innen trefflich ausgepicht. Entschieden für die Küche empfahl sich
eine schöne Auswahl Rührlöffel, Wellhölzer, Schneidbretter und Teller
von allen Größen sowie ein Salzbehälter einfachster Konstruktion zum
Aufhängen.

Zuletzt besah er sich noch einen derben Stock, dessen Handhabe
mit Leder und runden Messingnägeln gehörig beschlagen war. Da der
sonderbare Kunde auch hier in einiger Versuchung schien, bemerkte die
Verkäuferin mit Lächeln, das sei just kein Tragen für Herrn. »Du hast
recht, mein Kind,« versetzte er. »Mir deucht, die Metzger auf der
Reise haben solche; weg damit! ich will ihn nicht. Das übrige hingegen
alles, was wir da ausgelesen haben, bringst du mir heute oder morgen
ins Haus.« Dabei nannte er ihr seinen Namen und die Straße. Er ging
hierauf, um auszutrinken, an seinen Tisch, wo von den dreien nur noch
einer, ein Klempnermeister, saß.

»Die Kellnerin hat heut' mal einen guten Tag!« bemerkte der Mann. »Ihr
Vetter läßt ihr vom Erlös im Laden am Gulden einen Batzen.«

Mozart freute sich nun seines Einkaufs doppelt; gleich aber sollte
seine Teilnahme an der Person noch größer werden. Denn als sie wieder
in die Nähe kam, rief ihr derselbe Bürger zu: »Wie steht's, Kreszenz?
Was macht der Schlosser? Feilt er nicht bald sein eigen Eisen?«

»O was!« erwiderte sie im Weitereilen, »selbiges Eisen, schätz' ich,
wächst noch im Berg zuhinterst.«

»Es ist ein guter Tropf,« sagte der Klempner. »Sie hat lang' ihrem
Stiefvater hausgehalten und ihn in der Krankheit verpflegt, und da er
tot war, kam's heraus, daß er ihr Eigenes aufgezehrt hatte; zeither
dient sie da ihrem Verwandten, ist alles und alles im Geschäft, in
der Wirtschaft und bei den Kindern. Sie hat mit einem braven Gesellen
Bekanntschaft und würde ihn je eher, je lieber heiraten; das aber hat
so seine Haken.«

»Was für? Er ist wohl auch ohne Vermögen?«

»Sie ersparten sich beide etwas, doch langt es nicht gar. Jetzt kommt
mit nächstem drinnen ein halber Hausteil samt Werkstatt in Gant;
dem Seiler wär's ein Leichtes, ihnen vorzuschießen, was noch zum
Kaufschilling fehlt; allein er läßt die Dirne natürlich nicht gern
fahren. Er hat gute Freunde im Rat und bei der Zunft: da findet der
Geselle nun allenthalben Schwierigkeiten.«

»Verflucht!« fuhr Mozart auf, so daß der andere erschrak und sich
umsah, ob man nicht horche. »Und da ist niemand, der ein Wort nach dem
Recht dareinspräche? den Herrn eine Faust vorhielte? Die Schufte, die!
Wart nur, man kriegt euch noch beim Wickel!«

Der Klempner saß wie auf Kohlen. Er suchte das Gesagte auf eine
ungeschickte Art zu mildern, beinahe nahm er es völlig zurück. Doch
Mozart hörte ihn nicht an. »Schämt Euch, wie Ihr nun schwatzt! So
macht's ihr Lumpen allemal, sobald es gilt mit etwas einzustehen.«
-- Und hiermit kehrte er dem Hasenfuß ohne Abschied den Rücken. Der
Kellnerin, die alle Hände voll zu tun hatte mit neuen Gästen, raunte
er nur im Vorbeigehen zu: »Komme morgen beizeiten, grüße mir deinen
Liebsten! Ich hoffe, daß eure Sache gut geht.« Sie stutzte nur und
hatte weder Zeit noch Fassung, ihm zu danken.

Geschwinder als gewöhnlich, weil der Auftritt ihm das Blut etwas in
Wallung brachte, ging er vorerst denselben Weg, den er gekommen, bis
an das Glacis, auf welchem er dann langsamer mit einem Umweg im weiten
Halbkreis um die Wälle wandelte. Ganz mit der Angelegenheit des armen
Liebespaars beschäftigt, durchlief er in Gedanken eine Reihe seiner
Bekannten und Gönner, die auf die eine oder andere Weise in diesem Fall
etwas vermochten. Da indessen, bevor er sich irgend zu einem Schritt
bestimmte, noch nähere Erklärungen von seiten des Mädchens erforderlich
waren, beschloß er, diese ruhig abzuwarten, und war nunmehr, mit Herz
und Sinn den Füßen vorauseilend, bei seiner Frau zu Hause.

Mit innerer Gewißheit zählte er auf einen freundlichen, ja fröhlichen
Willkommen, Kuß und Umarmung schon auf der Schwelle, und Sehnsucht
verdoppelte seine Schritte beim Eintritt in das Kärntner Tor. Nicht
weit davon ruft ihn der Postträger an, der ihm ein kleines, doch
gewichtiges Paket übergibt, worauf er eine ehrliche und akkurate Hand
augenblicklich erkennt. Er tritt mit dem Boten, um ihn zu quittieren,
in den nächsten Kaufladen; dann, wieder auf der Straße, kann er sich
nicht bis in sein Haus gedulden; er reißt die Siegel auf: halb gehend,
halb stehend, verschlingt er den Brief.

»Ich saß,« fuhr Madame Mozart hier in der Erzählung bei den Damen
fort, »am Nähtisch, hörte meinen Mann die Stiege heraufkommen und
den Bedienten nach mir fragen. Sein Tritt und seine Stimme kam mir
beherzter, aufgeräumter vor, als ich erwartete, und als mir wahrhaftig
angenehm war. Erst ging er auf sein Zimmer, kam aber gleich herüber.
»Guten Abend!« sagt' er; ich, ohne aufzusehen, erwiderte ihm
kleinlaut. Nachdem er die Stube ein paarmal stillschweigend gemessen,
nahm er unter erzwungenem Gähnen die Fliegenklatsche hinter der Tür,
was ihm noch niemals eingefallen war, und murmelte vor sich: »Wo
nur die Fliegen gleich wieder herkommen!« -- fing an zu patschen
da und dort, und zwar so stark wie möglich. Dies war ihm stets der
unleidlichste Ton, den ich in seiner Gegenwart nie hören lassen durfte.
Hm, dacht' ich, daß doch, was man selber tut, zumal die Männer, ganz
etwas anders ist! Übrigens hatte ich so viele Fliegen gar nicht
wahrgenommen. Sein seltsames Betragen verdroß mich wirklich sehr.
-- »Sechse auf einen Schlag!« rief er. »Willst du sehen?« -- Keine
Antwort. -- Da legte er mir etwas aufs Nähkissen hin, daß ich es sehen
mußte, ohne ein Auge von meiner Arbeit zu verwenden. Es war nichts
Schlechteres als ein Häufchen Gold, so viel man Dukaten zwischen zwei
Finger nimmt. Er setzte seine Possen hinter meinem Rücken fort, tat
hin und wieder einen Streich und sprach dabei für sich: »Das fatale,
unnütze, schamlose Gezücht! Zu was Zweck es nur eigentlich auf der Welt
ist! -- Patsch! -- Offenbar bloß, daß man's totschlage. -- Pitsch!
-- Darauf verstehe ich mich einigermaßen, darf ich behaupten. -- Die
Naturgeschichte belehrt uns über die erstaunliche Vermehrung dieser
Geschöpfe. -- Pitsch! Patsch! -- In meinem Hause wird immer sogleich
damit aufgeräumt. -- ~Ah maledette! disperate!~ -- Hier wieder ein
Stück zwanzig! Magst du sie?« -- Er kam und tat wie vorhin. Hatte
ich bisher mit Mühe das Lachen unterdrückt, länger war es unmöglich:
ich platzte heraus, er fiel mir um den Hals, und beide kicherten und
lachten wir um die Wette.

»Woher kommt dir denn aber das Geld?« frag' ich, während daß er den
Rest aus dem Röllelchen schüttelt. -- »Vom Fürsten Esterhazy! durch den
Haydn! Lies nur den Brief.« -- Ich las:

»Eisenstadt u. s. w. Teuerster Freund! Seine Durchlaucht, mein
gnädigster Herr, hat mich zu meinem größesten Vergnügen damit betraut,
Ihnen beifolgende sechzig Dukaten zu übermachen. Wir haben jetzt Ihre
Quartetten wieder ausgeführt, und Seine Durchlaucht waren solchermaßen
davon eingenommen und befriediget, als bei dem erstenmal, vor einem
Vierteljahre, kaum der Fall gewesen. Der Fürst bemerkte mir (ich muß es
wörtlich schreiben): ›Als Mozart Ihnen diese Arbeit dedizierte, hat er
geglaubt, nur Sie zu ehren, doch kann's ihm nichts verschlagen, wenn
ich zugleich ein Kompliment für mich darin erblicke. Sagen Sie ihm,
ich denke von seinem Genie bald so groß wie Sie selbst, und mehr könn'
er in Ewigkeit nicht verlangen!‹ -- Amen! setz' ich hinzu. Sind Sie
zufrieden?

Postskript, der lieben Frau ins Ohr: Sorgen Sie gütigst, daß die
Danksagung nicht aufgeschoben werde! Am besten geschäh' es persönlich.
Wir müssen so guten Wind fein erhalten.«

»Du Engelsmann! o himmlische Seele!« rief Mozart ein übers anderemal,
und es ist schwer zu sagen, was ihn am meisten freute, der Brief oder
des Fürsten Beifall oder das Geld. Was mich betrifft, aufrichtig
gestanden, mir kam das letztere gerade damals höchst gelegen. Wir
feierten noch einen sehr vergnügten Abend.

Von der Affäre in der Vorstadt erfuhr ich jenen Tag noch nichts,
die folgenden ebensowenig; die ganze nächste Woche verstrich, keine
Kreszenz erschien, und mein Mann, in einem Strudel von Geschäften,
vergaß die Sache bald. Wir hatten an einem Sonnabend Gesellschaft:
Hauptmann Wesselt, Graf Hardegg und andere musizierten. In einer
Pause werde ich hinausgerufen -- da war nun die Bescherung! Ich
geh' hinein und frage: »Hast du Bestellung in der Alservorstadt auf
allerlei Holzware gemacht?« -- »Potz Hagel, ja! Ein Mädchen wird
da sein? Laß sie nur hereinkommen!« -- So trat sie denn in größter
Freundlichkeit, einen vollen Korb am Arm, mit Rechen und Spaten ins
Zimmer, entschuldigte ihr langes Ausbleiben: sie habe den Namen der
Gasse nicht mehr gewußt und sich erst heut zurecht gefragt. Mozart nahm
ihr die Sachen nacheinander ab, die er sofort mit Selbstzufriedenheit
mir überreichte. Ich ließ mir herzlich dankbar alles und jedes
wohlgefallen, belobte und pries; nur nahm es mich Wunder, wozu er das
Gartengeräte gekauft. -- »Natürlich,« sagte er, »für dein Stückchen
an der Wien.« -- »Mein Gott! das haben wir ja aber lange abgegeben,
weil uns das Wasser immer so viel Schaden tat und überhaupt gar nichts
dabei herauskam. Ich sagte dir's, du hattest nichts dawider.« -- »Was?
Und also die Spargeln, die wir dies Frühjahr speisten« -- »Waren immer
vom Markt.« -- »Seht,« sagt' er, »hätt' ich das gewußt! Ich lobte sie
dir so aus bloßer Artigkeit, weil du mich wirklich dauerst mit deiner
Gärtnerei; es waren Dingerl wie die Federspulen.«

Die Herrn belustigte der Spaß überaus; ich mußte einigen sogleich das
Überflüssige zum Andenken lassen. Als aber Mozart nun das Mädchen über
ihr Heiratsanliegen ausforschte, sie ermunterte, hier nur ganz frei
zu sprechen, da das, was man für sie und ihren Liebsten tun würde, in
der Stille, glimpflich und ohne jemandes Anklagen solle ausgerichtet
werden, so äußerte sie sich gleichwohl mit so viel Bescheidenheit,
Vorsicht und Schonung, daß sie alle Anwesenden völlig gewann und man
sie endlich mit den besten Versprechungen entließ.

»Den Leuten muß geholfen werden!« sagte der Hauptmann. »Die
Innungskniffe sind das wenigste dabei; hier weiß ich einen, der das
bald in Ordnung bringen wird. Es handelt sich um einen Beitrag für
das Haus, Einrichtungskosten und dergleichen. Wie, wenn wir ein
Konzert für Fremde im Trattnerischen Saal mit Entree ~ad libitum~
ankündigten?« -- Der Gedanke fand lebhaften Anklang. Einer der Herrn
ergriff das Salzfaß und sagte: »Es müßte jemand zur Einleitung einen
hübschen historischen Vortrag tun, Herrn Mozarts Einkauf schildern,
seine menschenfreundliche Absicht erklären, und hier das Prachtgefäß
stellt man auf einen Tisch als Opferbüchse auf, die beiden Rechen als
Dekoration rechts und links dahinter gekreuzt.«

Dies nun geschah zwar nicht, hingegen das Konzert kam zu stande; es
warf ein Erkleckliches ab, verschiedene Beiträge folgten nach, daß das
beglückte Paar noch Überschuß hatte, und auch die andern Hindernisse
waren schnell beseitigt. Duscheks in Prag, unsre genausten Freunde
dort, bei denen wir logieren, vernahmen die Geschichte, und sie, eine
gar gemütliche, herzige Frau, verlangte von dem Kram aus Kuriosität
auch etwas zu haben; so legt' ich denn das Passendste für sie zurück
und nahm es bei dieser Gelegenheit mit. Da wir inzwischen unverhofft
eine neue liebe Kunstverwandte finden sollten, die nah' daran ist,
sich den eigenen Herd einzurichten, und ein Stück gemeinen Hausrat,
welches Mozart ausgewählt, gewißlich nicht verschmähen wird, will ich
mein Mitbringen halbieren, und Sie haben die Wahl zwischen einem schön
durchbrochenen Schokoladequirl und mehrgedachter Salzbüchse, an welcher
sich der Künstler mit einer geschmackvollen Tulpe verunköstigt hat.
Ich würde unbedingt zu diesem Stück raten: das edle Salz, soviel ich
weiß, ist ein Symbol der Häuslichkeit und Gastlichkeit, wozu wir alle
guten Wünsche für Sie legen wollen.«

So weit Madame Mozart. Wie dankbar und wie heiter alles von den Damen
auf- und angenommen wurde, kann man denken. Der Jubel erneuerte sich,
als gleich darauf bei den Männern oben die Gegenstände vorgelegt und
das Muster patriarchalischer Simplizität nun förmlich übergeben ward,
welchem der Oheim in dem Silberschranke seiner nunmehrigen Besitzerin
und ihrer spätesten Nachkommen keinen geringeren Platz versprach, als
jenes berühmte Kunstwerk des florentinischen Meisters in der Ambraser
Sammlung entnehme.

Es war schon fast acht Uhr; man nahm den Tee. Bald aber sah sich unser
Musiker an sein schon am Mittag gegebenes Wort, die Gesellschaft näher
mit dem »Höllenbrand« bekannt zu machen, der unter Schloß und Riegel,
doch zum Glück nicht allzutief im Reisekoffer lag, dringend erinnert.
Er war ohne Zögern bereit. Die Auseinandersetzung der Fabel des Stücks
hielt nicht lange auf, das Textbuch wurde aufgeschlagen und schon
brannten die Lichter am Fortepiano.

Wir wünschten wohl, unsere Leser streifte hier zum wenigsten etwas
von jener eigentümlichen Empfindung an, womit oft schon ein einzeln
abgerissener, aus einem Fenster beim Vorübergehen an unser Ohr
getragener Akkord, der nur von _dorther_ kommen kann, uns wie
elektrisch trifft und wie gebannt festhält, etwas von jener süßen
Bangigkeit, wenn wir in dem Theater, solange das Orchester stimmt, dem
Vorhang gegenüber sitzen. Oder ist es nicht so? Wenn auf der Schwelle
jedes erhabenen tragischen Kunstwerks, es heiße Macbeth, Ödipus oder
wie sonst, ein Schauer der ewigen Schönheit schwebt, wo träfe dies
in höherem, auch nur in gleichem Maße zu, als eben hier? Der Mensch
verlangt und scheut zugleich, aus seinem gewöhnlichen Selbst vertrieben
zu werden, er fühlt, das Unendliche wird ihn berühren, das seine Brust
zusammenzieht, indem es sie ausdehnen und den Geist gewaltsam an sich
reißen will. Die Ehrfurcht vor der vollendeten Kunst tritt hinzu; der
Gedanke, ein göttliches Wunder genießen, es als ein Verwandtes in sich
aufnehmen zu dürfen, zu können, führt eine Art von Rührung, ja von
Stolz mit sich, vielleicht den glücklichsten und reinsten, dessen wir
fähig sind.

Unsere Gesellschaft aber hatte damit, daß sie ein uns von Jugend auf
völlig zu eigen gewordenes Werk jetzt erstmals kennen lernen sollte,
einen von unserem Verhältnis unendlich verschiedenen Stand, und, wenn
man das beneidenswerte Glück der persönlichen Vermittlung durch den
Urheber abrechnet, bei weitem nicht den günstigen wie wir, da eine
reine und vollkommene Auffassung eigentlich niemand möglich war, auch
in mehr als einem Betracht selbst dann nicht möglich gewesen sein
würde, wenn das Ganze unverkürzt hätte mitgeteilt werden können.

Von achtzehn fertig ausgearbeiteten Nummern[42] gab der Komponist
vermutlich nicht die Hälfte (wir finden in dem unserer Darstellung
zu Grunde liegenden Bericht nur das letzte Stück dieser Reihe, das
Sextett, ausdrücklich angeführt), er gab sie meistens, wie es scheint,
in einem freien Auszug, bloß auf dem Klavier und sang stellenweise
darein, wie es kam und sich schickte. Von der Frau ist gleichfalls nur
bemerkt, daß sie zwei Arien vorgetragen habe. Wir möchten uns, da ihre
Stimme so stark als lieblich gewesen sein soll, die erste der Donna
Anna (»Du kennst den Verräter«) und eine von den beiden der Zerline
dabei denken.

    [42] Bei dieser Zählung ist zu wissen, daß Elviras Arie mit
      dem Rezitativ und Leporellos »Hab's verstanden« nicht
      ursprünglich in der Oper enthalten gewesen.

Genau genommen waren, dem Geist, der Einsicht, dem Geschmacke nach,
Eugenie und ihr Verlobter die einzigen Zuhörer, wie der Meister sie
sich wünschen mußte, und jene war es sicher ungleich mehr als dieser.
Sie saßen beide tief im Grunde des Zimmers, das Fräulein regungslos,
wie eine Bildsäule, und in die Sache aufgelöst auf einen solchen Grad,
daß sie auch in den kurzen Zwischenräumen, wo sich die Teilnahme der
übrigen bescheiden äußerte oder die innere Bewegung sich unwillkürlich
mit einem Ausruf der Bewunderung Luft machte, die von dem Bräutigam an
sie gerichteten Worte immer nur ungenügend zu erwidern vermochte.

Als Mozart mit dem überschwenglich schönen Sextett geschlossen hatte
und nach und nach ein Gespräch aufkam, schien er vornehmlich einzelne
Bemerkungen des Barons mit Interesse und Wohlgefallen aufzunehmen. Es
wurde vom Schlusse der Oper die Rede sowie von der vorläufig auf den
Anfang Novembers anberaumten Aufführung, und da jemand meinte, gewisse
Teile des Finale möchten noch eine Riesenaufgabe sein, so lächelte der
Meister mit einiger Zurückhaltung; Konstanze aber sagte zu der Gräfin
hin, daß er es hören mußte: »Er hat noch was ~in petto~, womit er
geheim tut, auch vor mir.«

»Du fällst,« versetzte er, »aus deiner Rolle, Schatz, daß du das jetzt
zur Sprache bringst; wenn ich nun Lust bekäme, von neuem anzufangen?
Und in der Tat, es juckt mich schon.«

»Leporello!« rief der Graf, lustig aufspringend, und winkte einem
Diener. »Wein! Sillery, drei Flaschen!«

»Nicht doch! damit ist es vorbei: mein Junker hat sein letztes im
Glase.«

»Wohl bekomm's ihm -- und jedem das Seine!«

»Mein Gott, was hab' ich da gemacht!« lamentierte Konstanze mit einem
Blick auf die Uhr. »Gleich ist es elfe, und morgen früh soll's fort.
Wie wird das gehen?«

»Es geht halt gar nicht, Beste, nun schlechterdings gar nicht.«

»Manchmal,« fing Mozart an, »kann sich doch ein Ding sonderbar fügen.
Was wird denn meine Stanzl sagen, wenn sie erfährt, daß eben das Stück
Arbeit, das sie nun hören soll, um eben diese Stunde in der Nacht, und
zwar gleichfalls vor einer angesetzten Reise, zur Welt geboren ist?«

»Wär's möglich? Wann? Gewiß vor drei Wochen, wie du nach Eisenstadt
wolltest!«

»Getroffen! Und das begab sich so. Ich kam nach zehne -- du schliefst
schon fest -- von Richters Essen heim und wollte versprochenermaßen
auch bälder zu Bett, um morgens beizeiten heraus und in den Wagen zu
steigen. Inzwischen hatte Veit, wie gewöhnlich, die Lichter auf dem
Schreibtisch angezündet, ich zog mechanisch den Schlafrock an, und fiel
mir ein, geschwind mein letztes Pensum noch einmal anzusehen. Allein, o
Mißgeschick! Verwünschte, ganz unzeitige Geschäftigkeit der Weiber! Du
hattest aufgeräumt, die Noten eingepackt -- die mußten nämlich mit: der
Fürst verlangte eine Probe von dem Opus; ich suchte, brummte, schalt
-- umsonst! Darüber fällt mein Blick auf ein versiegeltes Kuvert: vom
Abbate, den greulichen Haken nach auf der Adresse -- ja wahrscheinlich!
und schickt mir den umgearbeiteten Rest seines Textes, den ich vor
Monatsfrist noch nicht zu sehen hoffte. Sogleich sitz' ich begierig hin
und lese und bin entzückt, wie gut der Kauz verstand, was ich wollte.
Es war alles weit simpler, gedrängter und reicher zugleich. Sowohl
die Kirchhofsszene wie das Finale bis zum Untergang des Helden hat in
jedem Betracht sehr gewonnen. (Du sollst mir aber auch, dacht' ich,
vortrefflicher Poet, Himmel und Hölle nicht unbedankt zum zweitenmal
beschworen haben!) Nun ist es sonst meine Gewohnheit nicht, in der
Komposition etwas vorauszunehmen, und wenn es noch so lockend wäre!
das bleibt eine Unart, die sich sehr übel bestrafen kann. Doch gibt es
Ausnahmen, und kurz, der Auftritt bei der Reiterstatue des Gouverneurs,
die Drohung, die vom Grabe des Erschlagenen her urplötzlich das
Gelächter des Nachtschwärmers haarsträubend unterbricht, war mir
bereits in die Krone gefahren. Ich griff einen Akkord und fühlte, ich
hatte an der rechten Pforte angeklopft, dahinter schon die ganze Legion
von Schrecken beieinander liege, die im Finale loszulassen sind. So kam
für's erste ein Adagio heraus: ~D~-Moll, vier Takte nur, darauf ein
zweiter Satz mit fünfen; es wird, bild' ich mir ein, auf dem Theater
etwas Ungewöhnliches geben, wo die stärksten Blasinstrumente die Stimme
begleiten. Einstweilen hören Sie's, so gut es sich hier machen läßt.«

Er löschte ohne weiteres die Kerzen der beiden neben ihm stehenden
Armleuchter aus, und jener furchtbare Choral »Dein Lachen endet vor
der Morgenröte« erklang durch die Totenstille des Zimmers. Wie von
entlegenen Sternenkreisen fallen die Töne aus silbernen Posaunen,
eiskalt, Mark und Seele durchschneidend, herunter durch die blaue Nacht.

»Wer ist hier? Antwort!« hörte man Don Juan fragen. Da hebt es wieder
an, eintönig wie zuvor, und gebietet dem ruchlosen Jüngling, die Toten
in Ruhe zu lassen.

Nachdem diese dröhnenden Klänge bis auf die letzte Schwingung in
der Luft verhallt waren, fuhr Mozart fort: »Jetzt gab es für mich
begreiflicherweise kein Aufhören mehr. Wenn erst das Eis einmal an
einer Uferstelle bricht, gleich kracht der ganze See und klingt bis an
den entferntesten Winkel hinunter. Ich ergriff unwillkürlich denselben
Faden weiter unten bei Don Juans Nachtmahl wieder, wo Donna Elvira sich
eben entfernt hat und das Gespenst der Einladung gemäß erscheint. --
Hören Sie an!«

Es folgte nun der ganze lange, entsetzenvolle Dialog, durch welchen
auch der Nüchternste bis an die Grenze menschlichen Vorstellens, ja
über sie hinaus gerissen wird, wo wir das Übersinnliche schauen und
hören und innerhalb der eigenen Brust von einem Äußersten zum andern
willenlos uns hin und her geschleudert fühlen.

Menschlichen Sprachen schon entfremdet, bequemt sich das unsterbliche
Organ des Abgeschiedenen, noch einmal zu reden. Bald nach der ersten
fürchterlichen Begrüßung, als der Halbverklärte die ihm gebotene
irdische Nahrung verschmäht, wie seltsam schauerlich wandelt seine
Stimme auf den Sprossen einer luftgewebten Leiter unregelmäßig auf
und nieder! Er fordert schleunigen Entschluß zur Buße: kurz ist dem
Geist die Zeit gemessen, weit, weit, weit ist der Weg! Und wenn nun
Don Juan, im ungeheuren Eigenwillen den ewigen Ordnungen trotzend,
unter dem wachsenden Andrang der höllischen Mächte ratlos ringt, sich
sträubt und windet und endlich untergeht, noch mit dem vollen Ausdruck
der Erhabenheit in jeder Gebärde: wem zitterten nicht Herz und Nieren
vor Lust und Angst zugleich? Es ist ein Gefühl, ähnlich dem, womit man
das prächtige Schauspiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines
herrlichen Schiffes anstaunt. Wir nehmen wider Willen gleichsam Partei
für diese blinde Größe und teilen knirschend ihren Schmerz im reißenden
Verlauf ihrer Selbstvernichtung.

Der Komponist war am Ziele. Eine Zeitlang wagte niemand, das allgemeine
Schweigen zuerst zu brechen.

»Geben Sie uns,« fing endlich mit noch beklemmtem Atem die Gräfin an,
»geben Sie uns, ich bitte Sie, einen Begriff, wie Ihnen war, da Sie in
jener Nacht die Feder weglegten!«

Er blickte, wie aus einer stillen Träumerei ermuntert, helle zu ihr
auf, besann sich schnell und sagte, halb zu der Dame, halb zu seiner
Frau: »Nun ja, mir schwankte wohl zuletzt der Kopf. Ich hatte dies
verzweifelte Dibattimento bis zu dem Chor der Geister in _einer_ Hitze
fort beim offenen Fenster zu Ende geschrieben und stand nach einer
kurzen Rast vom Stuhl auf, im Begriff, nach deinem Kabinett zu gehen,
damit wir noch ein bißchen Plaudern und sich mein Blut ausgleiche. Da
machte ein überquerer Gedanke mich mitten im Zimmer still stehen.«
(Hier sah er zwei Sekunden lang zu Boden, und sein Ton verriet beim
folgenden eine kaum merkbare Bewegung.) »Ich sagte zu mir selbst:
Wenn du noch diese Nacht wegstürbest und müßtest deine Partitur an
diesem Punkte verlassen: ob dir's auch Ruh' im Grabe ließ? -- Mein
Auge hing am Docht des Lichts in meiner Hand und auf den Bergen von
abgetropftem Wachs. Ein Schmerz bei dieser Vorstellung durchzückte
mich einen Moment; dann dacht' ich weiter: Wenn denn hernach über kurz
oder lang ein anderer, vielleicht gar so ein Welscher, die Oper zu
vollenden bekäme und fände von der Introduktion bis Numero siebzehn
mit Ausnahme einer Piece alles sauber beisammen, lauter gesunde,
reife Früchte ins hohe Gras geschüttelt, daß er sie nur auflesen
dürfte, ihm graute aber doch ein wenig vor der Mitte des Finale, und
er fände alsdann unverhofft den tüchtigen Felsbrocken da insoweit
schon beiseite gebracht: er möchte drum nicht übel in das Fäustchen
lachen! Vielleicht wär' er versucht, mich um die Ehre zu betrügen. Er
sollte aber wohl die Finger dran verbrennen: da wär' noch immerhin
ein Häuflein guter Freunde, die meinen Stempel kennen und mir, was
mein ist, redlich sichern würden. -- Nun ging ich, dankte Gott mit
einem vollen Blick hinauf und dankte, liebes Weibchen, deinem Genius,
der dir so lange seine beiden Hände sanft über die Stirne gehalten,
daß du fortschliefst, wie eine Ratze, und mich kein einzig Mal
anrufen konntest. Wie ich dann aber endlich kam und du mich um die
Uhr befrugst, log ich dich frischweg ein paar Stunden jünger, als du
warst; denn es ging stark auf viere. Und nun wirst du begreifen, warum
du mich um sechse nicht aus den Federn brachtest, der Kutscher wieder
heimgeschickt und auf den andern Tag bestellt werden mußte.«

»Natürlich!« versetzte Konstanze. »Nur bilde sich der schlaue Mann
nicht ein, man sei so dumm gewesen, nichts zu merken! Deswegen
brauchtest du mir deinen schönen Vorsprung fürwahr nicht zu
verheimlichen.«

»Auch war es nicht deshalb.«

»Weiß schon -- du wolltest deinen Schatz vorerst noch unbeschrieen
haben.«

»Mich freut nur,« rief der gutmütige Wirt, »daß wir morgen nicht nötig
haben, ein edles Wiener Kutscherherz zu kränken, wenn Herr Mozart
partout nicht aufstehen kann. Die Ordre ›Hans, spann wieder aus!‹ tut
jederzeit sehr weh.«

Diese indirekte Bitte um längeres Bleiben, mit der sich die übrigen
Stimmen im herzlichsten Zuspruch verbanden, gab den Reisenden Anlaß zu
Auseinandersetzung sehr triftiger Gründe dagegen; doch verglich man
sich gerne dahin, daß nicht zu zeitig aufgebrochen und noch vergnügt
zusammen gefrühstückt werden solle.

Man stand und drehte sich noch eine Zeitlang in Gruppen schwatzend
umeinander. Mozart sah sich nach jemanden um, augenscheinlich nach
der Braut; da sie jedoch gerade nicht zugegen war, so richtete er
naiverweise die ihr bestimmte Frage unmittelbar an die ihm nahestehende
Franziska: »Was denken Sie denn nun im ganzen von unserm Don Giovanni?
Was können Sie ihm Gutes prophezeihen?«

»Ich will,« versetzte sie mit Lachen, »im Namen meiner Base so gut
antworten, als ich kann. Meine einfältige Meinung ist, daß, wenn Don
Giovanni nicht aller Welt den Kopf verrückt, so schlägt der liebe Gott
seinen Musikkasten gar zu -- auf unbestimmte Zeit, heißt das -- und
gibt der Menschheit zu verstehen --« »Und gibt der Menschheit,« fiel
der Onkel verbessernd ein, »den Dudelsack in die Hand und verstocket
die Herzen der Leute, daß sie anbeten Baalim.«

»Behüt uns Gott!« lachte Mozart. »Je nun, im Lauf der nächsten sechzig,
siebzig Jahre, nachdem ich lang' fort bin, wird mancher falsche
Prophet aufstehen.«

Eugenie trat mit dem Baron und Max herbei, die Unterhaltung hob sich
unversehens auf ein Neues, ward nochmals ernsthaft und bedeutend, so
daß der Komponist, eh' die Gesellschaft auseinander ging, sich noch gar
mancher schönen, bezeichnenden Äußerung erfreute, die seiner Hoffnung
schmeichelte.

Erst lange nach Mitternacht trennte man sich; keines empfand bis jetzt,
wie sehr es der Ruhe bedurfte.

Den andern Tag (das Wetter gab dem gestrigen nichts nach) um zehn Uhr
sah man einen hübschen Reisewagen, mit den Effekten beider Wiener Gäste
bepackt, im Schloßhof stehen. Der Graf stand mit Mozart davor, kurz ehe
die Pferde herausgeführt wurden, und fragte, wie er ihm gefalle.

»Seht gut; er scheint äußerst bequem.«

»Wohlan, so machen Sie mir das Vergnügen und behalten Sie ihn zu meinem
Andenken!«

»Wie? Ist das Ernst?«

»Was wär' es sonst!«

»Heiliger Sixtus und Calixtus! -- Konstanze! du!« rief er zum Fenster
hinauf, wo sie mit den andern heraus sah. »Der Wagen soll mein sein! Du
fährst künftig in deinem eigenen Wagen!«

Er umarmte den schmunzelnden Geber, betrachtete und umging sein neues
Besitztum von allen Seiten, öffnete den Schlag, warf sich hinein und
rief heraus: »Ich dünke mich so vornehm und so reich wie Ritter Gluck.
Was werden sie in Wien für Augen machen!« -- »Ich hoffe,« sagte die
Gräfin, »Ihr Fuhrwerk wiederzusehn bei der Rückkehr von Prag, mit
Kränzen um und um behangen!«

Nicht lang' nach diesem letzten fröhlichen Auftritt setzte sich der
vielbelobte Wagen mit dem scheidenden Paare wirklich in Bewegung und
fuhr im raschen Trab nach der Landstraße zu. Der Graf ließ sie bis
Wittingau fahren, wo Postpferde genommen werden sollten.

       *       *       *       *       *

Wenn gute, vortreffliche Menschen durch ihre Gegenwart vorübergehend
unser Haus belebten, durch ihren frischen Geistesodem auch unser
Wesen in neuen raschen Schwung versetzten und uns den Segen der
Gastfreundschaft in vollem Maße zu empfinden gaben, so läßt ihr
Abschied immer eine unbehagliche Stockung, zum mindesten für den Rest
des Tags, bei uns zurück, wofern wir wieder ganz nur auf uns selber
angewiesen sind.

Bei unsern Schloßbewohnern traf wenigstens das letztere nicht zu.
Franziskas Eltern nebst der alten Tante fuhren zwar alsbald auch weg;
die Freundin selbst indes, der Bräutigam, Max ohnehin verblieben noch,
Eugenien, von welcher vorzugsweise hier die Rede ist, weil sie das
unschätzbare Erlebnis tiefer als alle ergriff, ihr, sollte man denken,
konnte nichts fehlen, nichts genommen oder getrübt sein: ihr reines
Glück in dem wahrhaft geliebten Mann, das erst soeben seine förmliche
Bestätigung erhielt, mußte alles andre verschlingen, vielmehr das
Edelste und Schönste, wovon ihr Herz bewegt sein konnte, mußte sich
notwendig mit jener seligen Fülle in _eines_ verschmelzen. So wäre es
auch wohl gekommen, hätte sie gestern und heute der bloßen Gegenwart,
jetzt nur dem reinen Nachgenuß derselben leben können. Allein am Abend
schon bei den Erzählungen der Frau war sie von leiser Furcht für ihn,
an dessen liebenswertem Bild sie sich ergötzte, geheim beschlichen
worden; diese Ahnung wirkte nachher, die ganze Zeit als Mozart spielte,
hinter allem unsäglichen Reiz, durch alle das geheimnisvolle Grauen
der Musik hindurch im Grund ihres Bewußtseins fort, und endlich
überraschte, erschütterte sie das, was er selbst in der nämlichen
Richtung gelegentlich von sich erzählte. Es ward ihr so gewiß, so ganz
gewiß, daß dieser Mann sich schnell und unaufhaltsam in seiner eigenen
Glut verzehre, daß er nur eine flüchtige Erscheinung auf der Erde sein
könne, weil sie den Überfluß, den er verströmen würde, in Wahrheit
nicht ertrüge.

Dies, neben vielem andern, ging, nachdem sie sich gestern niedergelegt,
in ihrem Busen auf und ab, während der Nachhall Don Juans verworren
noch lange fort ihr inneres Gehör einnahm. Erst gegen Tag schlief sie
ermüdet ein.

Die drei Damen hatten sich nunmehr mit ihren Arbeiten in den
Garten gesetzt, die Männer leisteten ihnen Gesellschaft, und da das
Gespräch natürlich zunächst nur Mozart betraf, so verschwieg auch
Eugenie ihre Befürchtungen nicht. Keins wollte dieselben im mindesten
teilen, wiewohl der Baron sie vollkommen begriff. Zur guten Stunde,
in recht menschlich reiner, dankbarer Stimmung pflegt man sich jeder
Unglücksidee, die einen gerade nicht unmittelbar angeht, aus allen
Kräften zu erwehren. Die sprechendsten, lachendsten Gegenbeweise
wurden, besonders vom Oheim, vorgebracht, und wie gerne hörte nicht
Eugenie alles an! Es fehlte nicht viel, so glaubte sie wirklich zu
schwarz gesehen zu haben.

Einige Augenblicke später, als sie durchs große Zimmer oben ging, das
eben gereinigt und wieder in Ordnung gebracht worden war, und dessen
vorgezogene gründamastene Fenstergardinen nur ein sanftes Dämmerlicht
zuließen, stand sie wehmütig vor dem Klaviere still. Durchaus war
es ihr wie ein Traum zu denken, wer noch vor wenigen Stunden davor
gesessen habe. Lang' blickte sie gedankenvoll die Tasten an, die _er_
zuletzt berührt, dann drückte sie leise den Deckel zu und zog den
Schlüssel ab in eifersüchtiger Sorge, daß so bald keine andere Hand
wieder öffne. Im Weggehn stellte sie beiläufig einige Liederhefte an
ihren Ort zurück: es fiel ein älteres Blatt heraus, die Abschrift eines
böhmischen Volksliedchens, das Franziska früher, auch wohl sie selbst,
manchmal gesungen. Sie nahm es auf, nicht ohne darüber betreten zu
sein. In einer Stimmung, wie die ihrige, wird der natürlichste Zufall
leicht zum Orakel. Wie sie es aber auch verstehen wollte, der Inhalt
war derart, daß ihr, indem sie die einfachen Verse wieder durchlas,
heiße Tränen entfielen.

      Ein Tännlein grünet wo,
    Wer weiß, im Walde,
    Ein Rosenstrauch, wer sagt,
    In welchem Garten?
    Sie sind erlesen schon,
    Denk es, o Seele!
    Auf deinem Grab zu wurzeln
    Und zu wachsen.

      Zwei schwarze Rößlein weiden
    Auf der Wiese,
    Sie kehren heim zur Stadt
    In muntern Sprüngen.
    Sie werden schrittweis gehn
    Mit deiner Leiche,
    Vielleicht, vielleicht noch eh'
    An ihren Hufen
    Das Eisen los wird,
    Das ich blitzen sehe.



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Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung.


[Illustration: ~F~ 1501 ~IX~ 00: 100.000]

Die Stiftung ist ein rein gemeinnütziges Unternehmen unter Ausschluß
aller privaten Erwerbsinteressen. Ihr Zweck ist, »hervorragenden
Dichtern durch Verbreitung ihrer Werke ein Denkmal im Herzen des
deutschen Volkes zu setzen« und durch Verbreitung guter Bücher der
schlechten Literatur den Boden abzugraben. Sie begann ihre _Tätigkeit_
i. J. 1903 damit, daß sie an 500 Volksbibliotheken je 20 Bände
verteilte, unter denen sich z. B. Fontanes »Grete Minde« -- M. v.
Ebner-Eschenbachs »Gemeindekind« -- eine Auswahl der »Deutschen Sagen«
der Brüder Grimm -- Roseggers »Als ich noch der Waldbauernbub' war«
befanden. Die zweite Bücherverteilung umfaßte 40 Werke (in 23 Bände
gebunden) in je 750 Exemplaren -- die dritte 42 Bücher (31 Bände) in je
750 Exemplaren -- die vierte 43 Bücher (36 Bände) in je 800 Exemplaren,
die fünfte 28 Bücher (25 Bände) in je 900 Exemplaren -- die sechste 45
Bücher (35 Bände) in je 1000 Exemplaren.

Abzüge des _Werbeblatts_, des letzten Jahresberichts, auch des
Aufrufs und der Satzungen usw. werden von der Kanzlei der Deutschen
Dichter-Gedächtnis-Stiftung in Hamburg-Großborstel gern unentgeltlich
übersandt. -- Die Stiftung hatte 1905 erst 934 Mitglieder, im Jahre
1906 schon 3.688, 1907 6.500, Ende 1908 9.161. Sie führt diesen
Aufschwung auf das allgemeine Wachsen des Kulturinteresses zurück und
bittet alle Freunde, ihr durch Zusendung von Adressenmaterial an ihr
Werbeamt bei der Ausnutzung dieser Wendung zum Besseren zu helfen.

Die Stiftung erbittet besonders jährliche, aber auch einmalige
Beiträge. _Für Jahres-Beiträge von 2 Mk._ aufwärts gewährt die
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oder ihrer »Volksbücher« oder des Schillerbuches Gegenleistung. Wer
25 Mark Jahresbeitrag zahlt, erhält auf Wunsch alle im gleichen Jahre
erscheinenden Bände der »Hausbücherei«.

Die _Beiträge_ werden in jeder Höhe entgegengenommen von: der
Deutschen Bank, Hamburg, und ihren sämtlichen Zweiganstalten und
Depositenkassen -- Postscheckkonto Hamburg Nr. 737 -- der k. k.
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in Hamburg-Großborstel.

Alle _Briefe_, _Anfragen_ usw. werden unpersönlich mit der Aufschrift
»Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung, Hamburg-Großborstel« (möglichst
unter Hinzufügung der betr. Abteilung) erbeten.


Man verlange die erwähnten Drucksachen.



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Unter den mancherlei billigen Sammlungen, die in den letzten Jahren
zur Verbreitung guter Literatur geschaffen wurden, zeichnen sich die
Bücher der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung durch sorgfältige
literarische Auswahl und ausgezeichnete Ausstattung aus: holzfreies
Papier, schönen und großen Druck, abwaschbaren, geschmackvollen
Einband. Diese Eigenschaften haben in Verbindung mit dem äußerst
billigen Preise den beiden Sammlungen der Stiftung schnell große
Verbreitung verschafft. Bisher sind erschienen:


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      Einleitung v. ~Dr.~ W. Bode. _6.-10. Taus._ 178 S.

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      Roderich. _36.-45. Taus._ 221 S.

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      Hoffmann, H. Zschokke. _16.-20. Taus._ 222 S.

    Bd. 5. _Deutsche Humoristen._ _3. Bd._: Hans Hoffmann, Otto
      Ernst, Max Eyth, Helene Böhlau. _36.-45. T._ 196 S.

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      Mit Bild Kurz'. Einleitung v. Prof. Sulger-Gebing. _6.-10.
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      Taus._ 194 S.

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    Bd. 11. _Schiller_: Philosophische Gedichte. Ausgew. u. eingel.
      v. Prof. E. Kühnemann. Mit Bild Schillers. _6.-10. T._ 230 S.

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      E. Kühnemann. Mit 2 Bildern Schillers. 2 Bände in 1 Bande.
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    Bd. 14. _Novellenbuch._ _3. Bd._ (Geschichten aus deutscher
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      Taus._ 246 S.

    Bd. 15. _Novellenbuch._ _4. Bd._ (Seegeschichten): Joachim
      Nettelbeck, W. Hauff, Hans Hoffmann, W. Jensen, Wilh. Poeck,
      Johs. Wilda. _11.-15. Taus._ 179 S.

    Bd. 16. Auswahl aus den Dichtungen _Eduard Mörikes_. Herausgeg.
      u. eingel. v. ~Dr.~ J. Loewenberg-Hamburg. Mit Bild u.
      Silhouette Mörikes. _6.-10. Taus._ 235 S.

    Bd. 17. _Heine-Buch._ Eine Auswahl aus Heinrich Heines
      Dichtungen. Herausgeg. und eingel. von Otto Ernst-Hamburg.
      Mit Bild Heines. _6.-10. Taus._ 203 S.

    Bd. 18 u. 19. _Goethes_ ausgewählte Briefe. Herausgeg. u.
      eingel. v. ~Dr.~ Wilh. Bode-Weimar. Mit Bildern Goethes. 2
      Bände. _11.-15. Taus._ 169 u. 197 S.

    Bd. 20/21. _Deutsches Weihnachtsbuch._ Eine Sammlung der
      schönsten u. beliebtesten Weihnachtsdichtungen in Poesie u.
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      Land, A. Bayersdorfer, Ch. Niese, Th. Mann. _6.-10. Taus._
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    Bd. 24. _Novellenbuch._ _7. Bd._ (Kriegsgeschichten): Carl
      Beyer, H. v. Kleist, W. v. Conrady, M. v. La Roche, D. v.
      Liliencron, Th. Fontane. _11.-20. Taus._ 177 S.

    Bd. 25/26. _Balladenbuch._ _2. Bd._ Ältere Dichter. _6.-10. T._
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Heft 6. _Brentano_: Die Geschichte vom braven Kasperl u. dem schönen
Annerl. 59 S. Geh. 15, geb. 40 Pf.

Heft 7. _E. Th. A. Hoffmann_: Das Fräulein von Scuderi. 113 S. Geh. 20,
geb. 50 Pf.

Heft 8. _Fr. Halm_: Die Marzipanliese. -- Die Freundinnen. 124 S. Geh.
20, geb. 50 Pf.

Heft 9. _Reuter_: Woans ick tau 'ne Fru kamm. 61 S. Geh.15, geb. 40 Pf.

Heft 10. _Max Eyth_: Der blinde Passagier. _11.-20. T._ 68 S. Geh. 20,
geb. 50 Pf.

Heft 11. _Marie von Ebner-Eschenbach_: Die Freiherren von Gemperlein.
_11.-20. T._ 82 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 12. _Wilhelm Jensen_: Über der Heide. 127 S. Geh. 25, geb. 55 Pf.

Heft 13. _Ernst Wichert_: Der Wilddieb. 144 S. Geh. 30, geb. 60 Pf.
_11.-20. T._

Heft 14. _Levin Schücking_: Die drei Großmächte. 96 S. Geh. 25, geb. 55
Pf.

Heft 15. _Ludwig Anzengruber_: Der Erbonkel u. andere Geschichten. Geh.
25, geb. 55 Pf.

Heft 16. _Helene Böhlau_: Kußwirkungen. _11.-20. T._ 68 S. Geh. 20,
geb. 50 Pf.

Heft 17. _Ilse Frapan-Akunian_: Die Last. 87 S. Geh. 25, geb. 55 Pf.

Heft 18. _H. v. Kleist_: Die Verlobung in St. Domingo. Das Erdbeben in
Chili. Der Zweikampf. 142 S. Geh. 30, geb. 60 Pf.

Heft 19. _Peter Rosegger_: Der Adlerwirt von Kirchbrunn. 139 S. Geh.
30, geb. 60 Pf. _11.-20. T._

Heft 20. _Ernst Zahn_: Die Mutter. _11.-20. T._ 66 S. Geh. 20, geb. 50
Pf.

Heft 21. _E. J. Groth_: Die Kuhhaut (Humoreske). Mit Illustr. v. Gg. O.
Erler. 40 S. Geh. 15, geb. 40 Pf.

Heft 22. _A. Schmitthenner_: Die Frühglocke. Mit Illustr. v. Wilh.
Schulz. 64 S. Geh. 20, geb. 50 Pf.

Heft 23. _G. Freytag_: Karl d. Große. -- Friedrich Barbarossa.
Minnesang und Minnedienst zur Hohenstaufenzeit. 80 S. Geh. 25, geb. 55
Pf.

Heft 24. _Fr. Spielhagen_: Hans u. Grete. Mit Illustr. v. Th. Herrmann.
174 S. Geh. 40, geb. 75 Pf.


_Jedes Heft enthält ein Bildnis des Verfassers. Weitere Hefte sind in
Vorbereitung._


Druck von Grimme & Trömel in Leipzig.



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Sonst
    wurde die Originalschreibweise beibehalten.





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