Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Achtzehn Töchter - Eine Frauen-Novelle
Author: Schefer, Leopold
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Achtzehn Töchter - Eine Frauen-Novelle" ***


images of public domain material from the Google Books
project.)



  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1847 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert; altertümliche und
    ungewöhnliche Wortformen wurden aber nicht an die heutige
    Schreibweise angepasst. Die Vewendung von Anführungszeichen
    der wörtlichen Rede erscheint teilweise willkürlich. Da
    dies möglicherweise vom Autor beabsichtigt war, wurden die
    Anführungszeichen so belassen wie im Original vorgegeben.

    Umlaute in Großbuchstaben wurden in ihrer Umschreibung (Ae, Oe
    und Ue) dargestellt. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter
    erstellt.

    Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit
    den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

      gesperrt:  ~Tilden~
      Antiqua:   _Unterstriche_

  ####################################################################



                           Achtzehn Töchter.

                          Eine Frauen-Novelle

                                  von

                           Leopold Schefer.

                            [Illustration]

                            Breslau, 1847.

               L. M. R. Kühn’sche Verlags-Buchhandlung.



       I.  Wer besitzt, wird besessen.                     1
      II.  Der siebenundzwanzigste Geburtstag.            19
     III.  Der Donner als Brautwerber.                    40
      IV.  Das einzige Kind.                              49
       V.  Die Vorstellung.                               65
      VI.  Die jetzt verführte Jugend.                    75
     VII.  Der Vater und das Kinderhaus.                  83
    VIII.  Verwickelungen.                               116
      IX.  Der betrogene Freier.                         154
       X.  Die feindlichen Schwestern. Der Brief.        174
      XI.  Ruhig zum Guten, getreu zum Glück.            201
     XII.  Der Vater Semi-morto.                         248



I.

Wer besitzt, wird besessen.


So hatte ich mich denn angekauft! Vorher frei wie Jeder, der großes
oder hinlängliches Vermögen hat, um allen Geschicken eines Landes aus
dem Wege zu gehn, war ich nun selber verkauft, an mein Schloß, meinen
See, meine Eichen, meine Unter-Herren (denn das heißt Unter-Thanen);
mir ging es nur wohl, wenn es meinen Ochsen und Kühen und Kälbern und
Fohlen wohlging! Ja, als ich das erstemal den Schäfer sah mit seinem
Stabe und Hunde die Schafe austreiben, ward mir so demüthig zu Sinne,
daß ich im Geiste als Milchschaf mich unter der Heerde hinwandeln sah,
eine stattliche Schweizerglocke am Halse. Mir war ganz demüthig, bis
ich mich besann, daß ich doch mehr der Hund, der Wächter, ja der Hirt
meiner kleinen Menschenheerde sei... denn, wie mein Doppelgänger, bot
mir der Hirt seinen: „Guten Morgen, gnädiger Herr Baron.“ Aber der
Hund knurrte mich neubackenen Herrn noch an. -- Ich hatte ihn noch
nicht geprügelt; wie mir der Schäfer zu thun rieth. Denn Prügeln macht
zum gnädigen Herrn! sagte er. Aber ich, mich keinen Augenblick zu
verläugnen, sondern sogleich fest und wahr zu erscheinen wie ich bin,
ich verbot ihm, bei Cassation ohne Phrase, was er als ohne Fraß... ohne
Brot verstehen mochte: mich jemals wieder „gnädigen“ Herrn zu nennen.
„Herr“ sei mehr, wenn nicht schon zu viel. Aber die Sprache hat für die
neuen Verhältnisse noch keine neuen Ausdrücke.... doch die deutsche
Sprache ist bildsam, ja verwandlungsfähig wie der deutschen Gesinnung,
und schafft sich noch alles. Wie oft hatte ich Gott heimlich gebeten,
mich vor „gnädigem Lächeln, herablassenden Mienen und huldreichen
Worten“ zu retten! Meinen Ingrimm wollte ich also, mir zum Heile und
Wohlwollen, meinen Unter-Herren ersparen. Es wäre nun noch bedenklicher
gewesen, sich in dieser gewitterdrohenden Zeit auf Erdbebenschwangerer
Erde anzukaufen; aber meine Mutter wollte nicht nach ~Massachusets~,
wo mich mein redlicher Vater bei seinem ausgewanderten Bruder hatte
erziehen lassen, um den Deutschen ein antirussisches Beispiel zu
geben, und die in ~freiem Lande~ erzogenen Söhne gerade nach dem
fünfundzwanzigsten Jahre -- wo Russen als durchjuftet genug, erst in
gelobte Länder reisen dürfen -- nach Hause zu nehmen. Bei Ankauf von
Gütern in Deutschland machte mir meine Mutter nur zwei Bedingungen aus
weiblicher Furcht. „Im ~dreijährigen Kriege~ von 1813-15 nämlich war
ihre Mutter von den bekannten singenden Bärten „übermannt“ worden und
war zum Glück wahnsinnig gestorben. Ihr Vater, gewaltsamer Wittwer,
hatte es dafür zum Geschäft seiner Trauer gemacht, den Rettungs- oder
Auferstehungs-Menschen überall hin nachzureisen, und in Jahren ein
nicht zu verachtendes Werk von sechs Quartbänden mit Illustrationen
zusammen getragen, das unter dem Titel „Nebenthaten“ wahrscheinlich
jetzt bald erscheinen wird. Ihre Sieben Brüder aber waren, am
zerblasenen Werke Napoleons Blutarbeit verrichtend, alle umgekommen,
bis auf Einen, der noch ohne Beine dasaß, jetzt 70 Jahr alt. Daher
hatte ich als erste Bedingung einen Ort in Deutschland auszusuchen,
an welchem ~weder ein Kosak, noch ein Franzose~ gewesen war, also
wahrscheinlich auch nie Einer mehr hinkäme. Und ein Anverwandter
berichtete ihr, daß einige Neugierige aus dieser Gegend am See sogar
endlich eine Reise hätten unternehmen müssen, um Franzosen zu sehen,
diese Weltwunder und Russen, diese Weltwunder. Die zweite Bedingung
war, wenn es einen gäbe, einen Ort auszusuchen, ~an welchem der Blitz
seit Menschengedenken nicht eingeschlagen hätte~. Denn sie war bei
einem Gewitter mit meinem Vater unter großen einzelnen Tropfen vom
Felde nach Hause gegangen, und auf einmal war ihr der Mann, wie auf
dem wahren feurigen Wagen Elias so zu sagen: gen Himmel genommen oder
gefahren worden, denn er sei mit Haut und Haar verschwunden gewesen.
Es war ihr trotz allen Suchens, Rufens und Scharrens auf der schwarzen
schwefeldampfigen Erdstelle nichts übrig geblieben, denn als Wittwe
nach Hause zu gehen. Den Prozeß wegen hochadeliger Begräbnißkosten
an Geistlichkeit, Schule und Todtengräber _loci_ hatte sie mühsam in
dritter Instanz zwar gewonnen, aber meine rechtschaffene Mutter meinte,
sie hätte für die Prozeßkosten gern 3 Männer sehr adlig begraben....
lassen.... können. Nur der Tischler _loci_ hatte nichts für den,
nachweislich nicht gemachten Sarg verlangt! Aber gerade diesem alten
armen Manne hatte sie den Preis für den schönsten prachtvollsten
Sarg bezahlt, und die arme achtzigjährige Todtenfrau _loci_ für die
Einbuße ihrer Einnahme, -- auf welche sie sich schon bei einer guten
jüdischen Nachbarin Einen Thaler geborgt -- so reich bis zu Thränen
entschädigt. -- Meine rechtschaffene Mutter rieth mir also das Gut
~Südfrei~ am See zu erstehen, weil bei Subhaftationen den Bietern noch
keine Stühle gesetzt werden. Und warum soll ich es läugnen, mich zog in
die Gegend ein einfacher Magnet, die als das schönste Mädchen weit und
breit gerühmte Tochter des bankrott gewordenen, alten armen Herrn ~von
Hase~; und der achtzehnfache Magnet, die als nereidisch schön bekannten
achtzehn Töchter des Herrn ~von Sangallo~, also meines künftigen
Nachbars in ~Ostfrei~.

So besah ich mir das _sub hasta_, wie es lag und stand, zu erwerbende
reizende Gut Südfrei. Der Gerichtshalter, der vom Wunsche meiner Mutter
nach Gewitterlosigkeit gehört, auch daß sie bei fernem Blitzleuchten
oder nur leisem Donnermurren, ja vor einer Wolke, die die geniale
kecke Gestalt einer Gewitterwolke trug, schon leise zittre und
unwillkührlich und unwiderstehlich, vor Angst zu jedem Geschäft, ja
nur zu Ruhe und Schlaf ganz unfähig war, sagte mir daher: Ihrer Frau
Mutter zur Beruhigung, gnäd.... verzeihen Sie, Herr Baron, will ich
den beiden ältesten Männern des Ortes den Eid deferieren, daß es, bei
allen Heiligen! seit sie gedenken können, allhier nicht eingeschlagen
hat. Es kostet zwei Lichter -- halb! Summa Ein Licht! Und wozu ist die
schwarze Schwurgrotte, als daß darinnen soll und muß geschworen werden?
Hat mir doch gar ein sogenannter Spaßvogel, oder wohl Ernstvogel, mit
Bleistift sowohl aus der alten, wie aus der neuen ~Diatheke~ Stellen
daran geschrieben, und gesetzwidrige Geister zitiert, die vergeblich
behauptet haben: Du sollst ~nicht~ schwören. Der Herr _Citateur_,
der wahrscheinlich das berühmte französische Buch „_le Citateur_“ zu
Herzen und zu Verstande genommen, sitzt mir eben criminalisch! Es
war mein eigner Gerichtsschreiber! So nahe sitzen uns unsere Feinde,
die uns alle untergraben mit unsichtbaren Handwerkszeugen; sie reden
mit uns; sie hören uns unterthänigst an; sie preisen sich glücklich:
unsere Befehle ausführen zu dürfen; sie essen mit uns, sie schlafen
mit uns, sie bewachen uns, so zu sagen! Sie tauchen den Bissen mit uns
in eine Schüssel! -- So geht es, so steht es. Ja, so steht es. „Der
Welt-~Lauf~“ ist ein bekümmernder Ausdruck geworden, den ein Wurm von
Manne sich nicht mehr untersteht im Munde zu führen. Wir alle sind
doppelt geworden. Nur daß wir nicht doppelten Gehalt oder Abgaben --
beziehen; leider nicht.... außer: Gott bezahlt uns die Gedanken und
Wünsche: durch Erfüllung! Denn wir dürfen vertrauen, nicht daß die Welt
das Rauhe herauskehrt, sondern das Innere! Daß alles zu Tage kommt, daß
es keine Schande, kein Verbrechen mehr ist, aufrichtig zu sein, und
daß endlich allen klar wird: aus welchen Fonds eigentlich alles Volk
lebt, nämlich ~aus dem bloßen Herzen~; da eine die Juristen und Richter
erstaunende Unkenntniß der Gesetze und beklagenswerthe Gleichgültigkeit
gegen alle Verordnungen hereingebrochen ist, so daß Einzelne nur noch
etwa mit den Strafgesetzen nothgedrungen Bekanntschaft machen, oder
bestimmter gesagt, mit den Strafen. Wir, wir leben in dem großen
_Interim_, das gewiß nicht den Schalk wird hinter sich haben dürfen,
der eben noch jetzt vielfach verkappt darinnen steckt. Es ist ein
gräßliches Wort: Die Erwartung besserer Zeiten hebt schon in Allen
alles Alte auf, und Alles ist Traum, oder schlimmer: alles scheint
Druck, Ungerechtigkeit, selbst das, was nothwendig und heilsam einst
(wünschenswerth: bald) seine ihm leerstehenden Plätze einnehmen wird.
Wir wollen also indessen, verehrter Herr Patron, human sein, uns des
unschädlichen Alten bedienen -- und wollen die beiden alten Bauern das
hiesige Gewitter abschwören lassen.

So sprach er und that er.

Auf das ihr eingesandte Schwurprotokoll kam nun meine rechtschaffene
Mutter zum Tage meiner Huldigung an. Sie sollte, als noch mit großem
eigenen Vermögen behaftet, ja beladen, meine Großalmosenierin werden;
ich kannte ihren Wohlthätigkeitssinn: sich alles Häßliche und Dürftige
aus den Augen und somit aus der Welt zu schaffen -- als Vorbereitung:
daß das Schöne und Gute aufkomme und vollständig erscheine. Ich mußte
es also ganz anders einleiten, als furchtsame lobbegierige Menschen,
die den reisenden Herrschaften alles Mangelhafte, Aermliche und
Elende ängstlich ~verbergen~, um ihnen das Mitleid mehr als gnädigst
zu ersparen, und jede Verbesserung erst wirklich gottlos unmöglich
zu machen. Mein Voigt kam und fragte, ob ich nicht die Wege zu uns
ausbessern lassen wollte? und dergleichen. Ich aber befahl ihm:
Nichts verkleistert! Nichts verheimlicht! Keinen ~falschen~ Schein
von Sicherheit, Bequemlichkeit, Wohlhabenheit oder Ordnung. Kein Loch
im Wege, im Zaune, im Dache, kein Loch im Rocke ausgebessert! Brechen
die Wagenachsen, bleibt der Wagen im Sande stecken, staubt es Wolken,
desto besser! Desto besser wird der Weg dann für immer werden! Keinen
Bettelmann, kein armes Lumpenvolk, kein Kind im Hemde von der Straße
vertreiben! Jeder Krüpel, jedes alte dürre Weib, alle armen Kinder
sollen ~freien~ Zutritt haben. Wenn alles wohlhabend, zufrieden und
fröhlich scheint, wie soll selbst ein barmherziger Bruder, eine
barmherzige Schwester oder Dorfmutter, wie nun meine Mutter, einen
Funken Mitleid, Lust zu Schonung, Drang zu Besserung fühlen? Keine
Ehrenpforte gebaut; kein Halloh geschrieen; außer es machte den
Kindern selber Spaß, wie sie Puppenspielern nachschreien. Vielleicht
bricht ein Rad an ihrem Wagen zu Nacht, und sie muß einmal zu Nacht
essen und des Nachts schlafen wie die gemeinen Leute ~immer~! Das wäre
eine Cur, um Respect vor gemeinen Leuten zu bekommen, und das nicht als
Träume anzuhören, was sie dann später bitten kommen!“

Und die Speculation: meine rechtschaffene Mutter rechtschaffen zu
rühren, statt trunken vor Stolz und Glück zu machen, gelang über
Erwartung! Sie mußte richtig im Hause einer armen Familie im Walde
übernachten.... wofür sie am Morgen den guten Leuten ein neues Haus
versprochen. Die Wege zu mir wollte sie machen lassen. Die gesprungene,
abscheulich klirrende wimmernde Glocke, die der Schulmeister zu
ihrer Einfahrt mit geläutet hatte, sollte mit einer neuen großen gut
metallenen Glocke ersetzt werden, zu welcher sie mir gleich Geld auf
den Tisch stellte, indem sie mich der Ueberraschung anklagte und
sprach: hätte ich nur nicht im Vertrauen auf deinen guten Kauf die alte
Gräfin mitgebracht! Welche Nacht! Welche Bewohner! Sie bekam Grimmen
von der Glocke, und der Klang war ihr in die Zähne gefahren.

Das war wohl zum Lachen; so wie die mir dargebrachte ~Huldigung~ am
folgenden Tage! Alter, Dummheit, Falschheit, Armuth -- in Galla! Der
hasenmüde Jäger sah mich manchmal an mit fragenden Augen, ob ich ihn
nun verabschieden und verhungern lassen würde? Leuten, die nun das
Himmelreich erwarten oder die Hölle, muß man doch ein Paar Worte sagen,
und ich sprach: „Lieben Menschen und Mitleider dieses Lebens! Ich will
Euch nichts vorreden; Ihr sollt mir nichts nachsprechen. Ich will Euch
nichts versprechen, da brauche ich nichts zu brechen; Ihr sollt Mir
nichts halten -- wie Jedem -- als die Redlichkeit. Ich will Euch nichts
rund absagen und abschlagen; denn es könnten Umstände mich bändigen,
daß ich Euch noch mehr als alles, Euch im Herzen durch Worte doch nicht
Todtgemachte, sogar ~anbieten~ müßte. Sondern wir wollen in unserm
Lebensschiffe zusammen verträglich, mittheilend und aufrichtig fahren
-- und um gut Wetter bitten! Uebrigens: wenn die Blätter abfallen,
oder schon die Blüthen -- wenn Euch die alten Leute sterben, oder
die Kinder; wenn es hagelt oder dürre wird; wenn Unvorsichtige und
Dumme Hals und Beine brechen, so wollen wir uns das Unglück einander
nicht zuschreiben, noch das Glück. Denn ein Herr ist leider wenig; am
wenigsten aber ist ein Herr für alle, die ihn auf dem Kopfe haben:
ein Wünschhütlein! ein Eselschlagaus, der Gold verstreut, oder ein
Knüppel aus dem Sack gegen alles Mögliche! Selber müßt ihr klug sein
und rüstig zur That. Das Uebrige muß die Geduld thun, nicht die Wuth!“
-- Meine Mutter, die als Sultanin-Valideh dabei saß, weinte über diese
unschuldigen Worte dennoch, wohl nur aus der Rührung, die alle solche
Ersten oder Letzten „Akta“ den Menschen erregen. Mein Pastor, ein
getaufter Jude, mit dem erwählten neuen Namen „Doctor ~Schleierlöser~“,
beglückwünschte mich gehörig und fein bei den Haaren der Seele zupfend.
Wie jetzt gewöhnlich, hatte er aus dem Magister-Diplom, das zum Doctor
und Magister ernennt, den Magister fallen lassen und den an Luther
erinnernden Doctor gewählt. Unglaublich, was Männer im Fache das Fach
kindisch macht -- er freute sich so fein und witzig über die neue
Glocke, wie ich mich als Kind einst, da mein Schaf eine neue Klingel
bekommen hatte, die ich, als das Schaf zuletzt denn doch auch gestorben
war, mir noch oft vor dem Ohre leise läutete, zu seiner Erinnerung
und meiner großen Kinderseligkeit! Ich habe das Glöckchen noch. --
Der alte Ziegelstreicher gab mir die Hand; auch der Schulmeister,
die Teichwärter und Fischer; der Bleicher; kurz alle meine Vasallen.
Zuletzt kam auch der Dorfchirurgus und Barbier, ein schlauer Patron
-- mein künftiger Hausdoctor, ein Jude, mit seinem nicht weggetauften
Namen ~Salomon~. Ich nannte ihn Herr Doctor, als ich mich ihm -- als
dem nächsten Arzt in der Noth -- auf Leben und Sterben ergab; aber er
sprach unbeschreiblich würdig und scheinbar spottlos: „Wer hält nicht
auf eine Ehre? wer verläugnet den Menschen in Noth seine allerhöchste
Wissenschaft! Aber verzeihen Herr Baron, ich bin nur Chirurgus
von der letzten Sorte, und darf nur in der allerhöchsten Noth und
dringendsten Lebensgefahr -- wo wohl grade die allergraduirtesten oder
allerkundigsten gewaltigsten Aerzte benöthigt wären -- als Nothengel
und Nothnagel eingreifen, auch innerlich! Desto getroster sind wir
Dorf-Sorte; Glück gehört zu allen Dingen, also auch zu allen Curen;
und ich genieße den allgemeinen Ruhm im ganzen ~Kirch~-Spiel um den
See, in Ostfrei-, Westfrei- und Südfrei-Dorf, daß ich Glück habe,
selber unverdientes Glück, als das angenehmste und wahrste. Fassen Sie
Vertrauen zum Glück, erkundigen Sie sich drüben bei Ihrem neuen Herrn
Wassernachbar in Ostfrei, dem Herrn von ~Heiligenhahn~; (wie sein Vater
seinen auswärtigen Namen _Sangallo_ verdeutscht hat) ich erhalte ihn
nebst seinen Achtzehn Töchtern stets gesund! Drüben in Westfrei: den
Herrn von Stifter, mit seinen vier Nebensöhnen -- immer gesund! Seine
Frau, immer sterbend! Selber den Herrn Kriegsrath von Hase, nebst
Fräulein Tochter ~Brigitta~ hoffe ich gesund zu erhalten, so lange der
ausgepfändete blutarme Mann, dessen Gut, unser liebes schönes Südfrei
hier, Sie, wie es steht und liegt, _sub hasta_ gekauft haben, bei Ihnen
hier im Schlosse bleiben darf. Der so edle, so arme Mann ist unter
der Decke der Gesetze schändlich betrogen. Wir Einwohner müssen ja
das allgemeine Elend gut machen. Verachten Sie meine Fürbitte nicht,
weil ich ein Jude bin! Ich wollte mich taufen lassen und ein Heuchler
scheinen, ja sein, wenn Ich -- der Kirch-Spiel-Barbier Salomon, dem
guten Mädchen helfen könnte!“ -- Ich gab ihm die Hand, da ich ihm
nöthigen Falls ja den ganzen Leib geben mußte, und wunderte mich nur
innerlich: wie gründlich das Volk urtheilen kann; ob es gleich nicht
gut ist, wo es klüger und verständiger ist als der Kalender und die
Verordnungen der unverantwortlichen Minister oder des Parlaments. Das
ist unfehlbar: Demjenigen Reiche ist das höchste Glück zu prophezeihen,
welches zuerst nur in seinem Kalender gleich oben zu Anfange das „Jahr
von Erschaffung der Welt“ wegläßt. Denn mit diesem Weglaß wirft es sich
Gott in die Arme, und eine große Welt-Constitution wird ihm und allen
„eine Wahrheit.“

Wie ich sehe, spukte auch in mir ein wenig der Kobold, der neue Herren
besitzt -- bis sie der Alp drückt. Ich war sehr fröhlich, gut gelaunt
und freigebig. Und: ich hatte baar bezahlt! Da fehlte mir der Kummer
vieler hundert Güterkäufer; ich hatte also keine Schulden, also fehlte
mir das Blei aller Lebensfreude und Unternehmungen vieler hoher und
niedriger Herrschaften zu Lande oder des Landes. Sonderbar! Ich
schrieb nur neun Zeilen Anweisung an meinen Banquier, so und so viel
für meine Rechnung, die und die Zeit, als Kaufgeld für das erstandene
Gut des Herrn von Hase zu bezahlen -- und nun seh’ ich als Eigenthümer
des Schlosses zu seinem Fenster hinaus auf seinen Hof, auf die mühsam
erzogenen Rinder, Kühe, Pferde und Schafe! Das alles brüllt, blöckt und
wiehert ~mir~! Der Brunnen rinnt ~mir~, die Tauben auf dem Taubenhause
girren und trommeln ~mir~ -- denn ich kann Krieg erklären -- ihre
Kinder alle -- sie selbst müssen für mich bluten und sterben, ja noch
schlimmer, sich täglich für mich plagen. Das Wild im Walde, Hasen und
Hühner in Busch und Feld sind meine wahren Unterthanen; ich bin ihr
wahrer Herr, wie kein Menschenherr über Menschen. Und Herr von Hase
wohnt im Kellergeschoß in der Jägerstube, bis auf mein erlaubendes
Wort, sich im Walde eine Hütte zu bauen. -- Alles für Geld. -- Da kommt
seine Tochter ~Brigitte~ über den Hof vorsichtig; sie hat für ihr
erarbeitetes Geld, dem Vater ein Töpfchen Milch gekauft für den Vater
und sich zum Abendessen. Sie hat wahrscheinlich auch ein paar Pataten
(das klingt englischer und amerikanisch-freier als Kartoffeln) in der
heraufgesteckten blauleinwandenen Hausschürze. Die Schürze geht ihr
auf. Himmel! die Früchte rollen ihr verrätherisch auf die Erde! Sie
wird aber nicht roth! auch nicht blaß, sondern sie bückt sich so, wie
alle Mädchen und Weiber allein sich gesund, vorsichtig und anständig
bücken -- ~sie knieet auf ein Knie~ und lieset ihr Abendbrot zusammen
ruhig. Aber, mein Gott, das hingesetzte umgestoßene Töpfchen Milch kann
sie nicht auflesen! Doch;... sie holt unsere Schloßkatze, die Junge
hat, die leckt der Erde den Trunk weg. Nun grüßt sie mich, als sei
nichts geschehen, ruhig und bescheiden und geht in das Haus. -- Alles
für mein Geld! Richtiger: für das Geld, das Er an den betrügerischen
Verkäufen verloren. Ich darf ihn und sie nicht so oft mehr zu Tische
bitten unter dem Vorwande etwas Gutes aus der Stadt, oder etwas Neues
vom Jahre zu haben, denn da ich das Gut und das Schloß, wie es steht
und liegt unter dem Matterholze aller Lüderlichen, Unvorsichtigen und
schuldlos Armgewordenen, unter dem grausamen Spieße der Juristen, der
Hasta, erstanden habe, so esse ich auf ihrem Silberzeuge, ~ihren~
silbernen Tellern, mit ~ihren~ Löffeln, Gabeln und Messern, auf denen
ihr Wappen, ja schon ihr Namen: _B. v. H._ eingegraben ist! Ich will
mein Silber in Gebrauch nehmen lassen. Neulich erklärte sie mir sogar
ihr Wappen und die Devise an der Terrine. Welch’ ein Mädchen, welch’
ein Erzieher ihr Vater, wenn das Betragen reine Fassung und himmlische
Zufriedenheit ist, wie ich glauben muß. Was kann ein Vater sein, ein
Vater thun; welchen Edelmuth, welche Ruhe auf ein Jahrhundert bei
seinen Kindern und durch diese bei seinen Enkeln gründen! Und thut das
etwa ~die Gewalt~? ~Oder der Gehorsam!~ -- o Thoren! -- Sie scherzt
sogar! Sie sah sich inwendig im spiegelblanken Löffel verkehrt; dann
auf der äußern erhabenen Seite... erst die Länge... dann die Breite,
lachte und sagte: „Wer in einem silbernen Löffel schön aussieht, der
ist gewißlich schön. Aber eine Probe ist es nicht.“ Dabei ward sie
feuerroth.



II.

Der siebenundzwanzigste Geburtstag.


Darauf war Pfingsten -- das uralte deutsche, nicht erst aus dem
gelobten Lande gebrachte Fest. „Denn die Deutschen mustern die ganze
Welt durch, und fangen an, gegen ~alles~ Ausländische, ohne Ausnahme
der Person und der Sache, das nicht aus ihrem Volke und ihrer Seele
stammt, einen fast bedenklichen Widerwillen furchtbar im Stillen groß
zu ziehen! Deswegen ist es ~ohnfehlbar~ interessant, die nächsten
dreißig Jahre in Deutschland mitzuleben.“

So sagte mein Großoheim; und deswegen mußte ich nach Deutschland
heim und mich in einem kleinem Ländchen mit einem der kleinen Herren
ankaufen, die wie kleine Schiffe sicher durch alle Stürme kommen; die
nichts Großes gethan haben, denen keine fremde Vergeltung zuhängt,
die nicht die Waage in Händen halten, nur Ausgleichungsgewichte sind,
am meisten sicher, wie die Zunge im Munde leben, und die Früchte des
Lebens am meisten genießen.

Diesen Pfingstsonntag also traf mein siebenundzwanzigster Geburtstag,
wozu mir meine Mutter am Morgen Glück zu wünschen kam. Dabei erschien
der Geist meines Vaters, in hellem Sonnenscheine, um es wahrhaft
auszudrücken: leibhaft. Denn es ist jetzt offenbar, daß auch und gerade
die Geister ~leibhaft~ sind.

Ich will aber nicht „jungstillingen“ oder „justinuskernern“, sondern
wissenschaftlich reden und sagen: meine Mutter übergab mir einen
Brief meines Vaters, in welchem sein Geist abgedrückt, eingeschlossen
gelebt, und jetzt auferstehen wollte unter der Sonne. Auch mein Pastor,
_Dr._ Schleyerlöser, kam dazu, sah mich ~mit dem Briefe~, wie ich ihm
sagte, ~aus der Unterwelt~, in der Hand und sprach: „die Wilden, die
Naturmenschen haben von allen Dingen die richtigsten Begriffe, kurz,
bündig, poetisch und wahr. Poesie und Wahrheit wird nur von Kindern und
kindlichen Menschen durch ungetrenntganze ungeheure unbewußte Kraft
verbunden. Ist den Wilden ein Brief -- ein Geist, so ist auch nichts
wahrer als die Auferstehung! Und Homer, König David, Moses, Sophokles
und Hunderte sind alle wahrhaft Auferstandene. ~Die Geistlosen bleiben
im Grabe.~ Und so nur sind die Auferstandenen noch etwas nütze den
Andern, und also auch nur vor ihrem Tode: sich selbst. Was Ihr guter
Herr Vater aber selbst indessen wohl machte und dachte? Und ob er
was machte und dachte? Wahrscheinlich Etwas! Da Ruhe der Tod ist,
Geist aber Leben; und die Welt wirklich ruhig machen wollen, hieße:
ihr den Geist abzapfen, beschwören, den Geist todtschlagen.“ -- Ich
war sehr gerührt, beinahe furchtsam, und _Dr._ Schleyerlöser setzte
hinzu: „Lassen Sie Ihren Herrn Vater auferstehen in sich! Nur ~durch~
die Lebendigen stehen die Todten auf, und nur ~in~ die Lebendigen.
Ohne neue Geister wären alle alten Geister todt. Denn was wollte etwa
nur -- Elias bei Murmelthieren? oder was geschah den Geistern in der
Heerde Säuen...., deren Besitzer bei uns gewiß eine Entschädigungsklage
eingereicht, gewonnen, und gehörigen Ersatz erhalten hätte. So ändern
sich die Zeiten und die Besessenen.“

Meine Mutter, die wahrscheinlich vom Vater eine Abschrift des Briefes
an mich besaß, lächelte mir sehr mütterlich zu, küßte mein Haupt und
zog sich mit dem Pastor in die Fensterbrüstung zurück, um die Leute aus
den Dörfern in ihren Kirchkähnen über den See kommen zu sehen; unter
denen auch, wie ich hörte, der Herr von ~Heiligenhahn~ mit seinen 18
Töchtern war, die 3 Kähne füllten. Ich erbrach den Brief. Ein Ring fiel
heraus. Ich fand ihn kostbar. Mein Namen stand darin. Der Vater schrieb:

    „Mein lieber Sohn!“

    „Zuerst sei gegrüßt! innig gegrüßt! Umarmen und küssen kann
    dich meine Gestalt nicht, die gewiß jetzt aus deiner Seele dir
    vor Augen schwebt. Vielleicht kennst Du noch das Wort: „Es
    werden nicht Alle auferstehen;“ aber Vater und Mutter haben ~das
    Schöpferrecht~ im Kleinen: auch todt bei ihren Kindern zu sein, als
    ihre guten Geister, als die Vollmacht und Vollkrafthaber, Ableger
    und Geschäftsführer des Alls, als -- wie die Alten sagten: die
    gegenwärtigen sichtbaren Götter. Als solcher Geist rede ich heute
    zu Dir und mahne Dich: Thue was alle Kräfte zu ihrer Zeit thun,
    ohne das sie alle vergebens da wären; thue was die Erde alljährig
    thut, was die Sonne und alle Sonnen thun, was die Wolken, der
    Blitz, das Gewitter thun: ~heirathe! heirathe!~ Heirathen, das
    ist das Wort, vor welchem die ganze Welt süß bebt, zu welchem
    die ganze Welt immer fort lebt, sinnt, liebt, drängt und bebt.
    Du aber suche dazu -- ein Bild das dir gleich sei, eine Gestalt,
    die ohne Dich nichts ist, ohne die Du nichts bist -- ein Schatten
    auf Erden: Nimm eine Jungfrau! zaudre nicht, säume nicht, keinen
    Tag! Denn über dir stürzen in sausender Eile die Augenblicke
    dahin, schrecklich in ihrem Schweigen! Zur Verzweiflung dem, wer
    am Strome des Lebens schlief wie ein wahnsinniger Müller. Jeder
    Wurm thut alles mit Blitzeseil, was ihm aufgegeben ist; was die
    Flügel nur regen kann, fliegt sogleich; die schöne Distel ist
    nur reif, und schon fliegen ihre Kinder an Fallschirmen mit dem
    eben heranwehenden Winde hinaus: ihr Hauswesen zu gründen! Jede
    Blüthe, jede Blume blüht kaum auf -- so heirathet sie! Der ganze
    betäubende Frühlingsblüthenduft ist nur Hochzeitduft aus ihren
    tausend kleinen Hochzeitküchen und Bechern. Nur der Mensch hat
    Unverstand zu Blindheit und Säumniß; aber Verstand: was er ist, zu
    sein; was er soll, zu werden. Selber der Bauer sät nicht erst in
    den Schnee, oder neben die Furche, oder auf des Nachbars Acker!
    Jede Stunde ist dem Manne, der einem Weibe erwachsen, verloren;
    und dem Weibe, die dem Manne zusteht, verloren, die sie zu spät
    heirathen. Ein zu zeitiger Wittwer ist entweder eine Schandthat an
    den Naturgesetzen oder ein Unglück, groß wie Eins in der Natur.
    Vaterlose Waisen sind, wenn nicht Mißgeburten, doch Missethaten,
    Versündigungen an der Schöpfung, mißrathene Selige, nackt aus dem
    Nest geworfene Junge, von Liebe nicht groß gezogen, nicht Freude
    der Eltern, Beraubte der Freude an Vater oder Mutter. Eine zu frühe
    Wittwe, weil ihr Mann seine und ihre Jahre versäumt, ist die größte
    Leidträgerin der ganzen Welt. Sie muß dulden und verwürgen, was
    einem Thiere zu hart wäre; sie muß dasein, ohne zu leben! Sie muß
    aufstehn mit Thränen, und zu Bett gehn mit Klagen oder Verstummen;
    und was alle Welt erfreut, das bedrückt, erdrückt und erstickt sie
    fast. Aber auch zu frühe mutterlose Waisen sind elend. Ein früher
    Wittwer wird ein halbes Weib oder ein ganzer Thor; er verfällt vor
    Erinnerung in Irrsinn; heirathet er wieder, was freilich selber
    ein Affe kann, so geschieht es, weil er die Liebe für ein Irrlicht
    hält, geradezu ~alle~ Weiber für Eins, da er die zweite Frau für
    ein, für sein Weib hält. Und so bahrt er das Hochzeitbett auf
    dem Todtenbett seiner Geliebten auf, worin ihm die Lebende dann
    zur Leiche wird, zu gerechter Rache. Darum -- ~halte deine Frau
    heilig! Die Frau halte den Mann heilig! heiliger wie alle Heiligen~
    und bloße Fürbitter. Mann und Frau sind sich einander ~einzige~,
    unersetzliche Schätze! Sie bitten nicht für einander, ~sie leben
    und sterben für einander, umeinander~. Also: ~nimm eine Frau~!
    und unmißverstehbar: nimm eine ~Jungfrau~ zur Frau, die fest und
    lebenswillig ist, also doch 21 Jahre. Eine Wittwe nehme ein Wittwer
    allein aus Noth, als dann noch leidlich passend; weil ~beide~
    schon ~abgestorbenes~ Gut sind, beide ~entzauberte~ Wesen, mit
    zerrissener Liebe, ausgespieltem oder verblasenem, zerstücktem,
    halb im Grabe liegendem Herzen, beide an unsichtbaren Ketten der
    Todten gehend, beide nothwendig einander nur Klepperbeinsche
    Magenpflaster, trotz aller aufgekochten Liebe und vergeßlicher
    Zärtlichkeit und ~Treue~. -- Denn die Treue ist, wie du siehst,
    nur ~eine gemeine Mitgift der Liebe, eine den Liebenden unbewußte
    Tugend~ -- trotz aller Güter und alles Goldes, ja trotz eines noch
    jugendlichen schönen Leibes, selbst wenn der Wittwer oder die
    Wittwe es vor ihrer Brautnacht geworden. So heilig ist die ~Liebe~
    -- aber verstehe endlich mich wohl und merke es endlich wohl --
    so heilig ist nur die menschliche bezaubernde wahrhafte ~Liebe~;
    die uralte, ewig geübt, von Keinem zu unterlassenmögliche! ~Nicht~
    das Wohlwollen, gleich gegen Alle, was in der Diatheke überall nur
    ~Agape~ heißt, und was Luther aus Mangel unterscheidender Wörter,
    in dieser großen Natursache so irrthümlich und zuvielverlangend mit
    dem allen Jünglingen, Jungfrauen und Gatten allein verständlichen
    und zugehörigen Worte „~Liebe~“ übersetzt hat! Auf diesen, diesen
    Zauber durch Schönheit, holdselige Gegenwart mit Leib und Seele,
    auf dieses Weltwunder allein, was unser deutsches Wort „~Liebe~“
    meint, ist jede Wonne, jede Treue, jede reine hohe feurige
    Seligkeit der Jugend.... jedes Paares.... jedes Hauses.... also des
    Volkes, aller Völker, und des menschlichen Geschlechtes begründet!
    ~Dies~ Wort Liebe bezeichnet diesen heimlichen heiligen seligen
    Zustand allein; wenn ~Agape~, laut allen Griechischen Wortbüchern
    der Welt, nur Wohlwollen, Wohlthun, sehr eifrig für ~jeden Andern~
    sein, bedeutet und verlangt. Deine Seele giebt mir so gern, und
    fromm, und freudig Recht, wenn Du mich weiter hörst. Nur höre
    unverstockt! Für Andere, für alle um uns, ist diese Agape auch
    genug, und genügt zu einem freundlichen Zustand im Lande, zwischen
    Nachbarn der Hütten und Völker; aber ~Wir~ fordern für Uns selbst
    und die Unsern, also für Mutter, Vater, Weib, Mann und Kinder in
    aller Welt allein ~die alleinwahre Liebe~ -- und für keinen andern
    als die Unsern ist sie zu verlangen und zu erlangen; und sie ist
    für diese nicht etwa nur genug, sondern allein Wonne, Freude und
    Seligkeit des Lebens. So ist diese endlich erkannte Liebe die
    Verknüpfung, der Halt, der Preis und Werth des Lebens Aller, Aller,
    weil sie es von allen wirklichen Paaren ist. Darum ~nimm die
    Geliebte zum Weibe! die Liebende nehme Dich zum Manne!~ Was ihr
    Euch sonst zubringt, ist ~alles geringer~ als die ~ausschließende~,
    nur durcheinander ~beseligte Liebe~. Nimm es mit ihr, wenn es da
    ist: Gut und Gold, mächtige Freunde, Wissen und Können -- aber
    aller Welt Kunst und Schätze ersetzen Dir nicht ein Weib, das ~Du
    liebst~ (denn das geht über alles, da ist aller Zauber vollendet)
    und ein Weib, das Dich liebt (denn da ~gedeiht~ Dir Deine Liebe,
    und bringt Dir Freude und Wonne.) ~Freude~ und ~Wonne~... diese
    zwei Kleinigkeiten der Pfaffen, ohne welche doch ihrer Keiner
    überhaupt nur da wäre; und nun schütten sie Teufels-asa auf das
    Aroma der Welt. ~Diese~, die ganze Natur durchglühende, alle Wesen
    hervorzaubernde, allen Wesen das Leben erst werthmachende ~Liebe~,
    konnten Leute nicht meinen, die da meinten: ~Nicht~ freien, ~nicht~
    heirathen, ist besser. Bewundern des Schönen, Erstaunen über
    Lebendiges, allerheißestes Verlangen, süßestes Erlangen, himmlische
    Gnüge, Begründung unsterblichen Lebens, und noch ~ein reiner
    göttlicher~ Hauch -- das alles in der flammenden Seele -- ist
    Liebe! Diese Liebe! allein ~werth~, allein ~genug~: der Inhalt und
    der Grund des Lebens des Mannes und des Weibes, also allen Volkes
    zu sein, der Grund aller Reiche, wie die Verehrung des Vaters es
    ist bei Chinesen. In dieser Liebe ist alles klar, anschaubar,
    möglich, jedem erfreulich; sie hat die heilige Vernunft, als
    Verwahrerin vor Selbstbetrug und Täuschung, zur Seite. Siebenmal
    drei Jahr soll das Weib sein, der Mann neunmal drei. Nur die Ehe
    ~zu rechter früher Tageszeit~ erstickt die Laster der Ehelosen,
    erspart Schande und bitteres Unglück, erspart unzählige verwilderte
    Kinder, Kerker, Zucht- und Irrenhäuser, die Pein der Strafen;
    nur sie giebt das rechte Glück. Dir ist möglich, es zu erlangen.
    Ergreif’ es. Bei ~Deinem~ Wahrsinn oder Wahnsinn --: Du sollst ein
    Weib haben, ehe das letzte Jahr der rechten Zeit voll wird.

    Ich glaube, ich habe Dich bewegt, wenn Du meinen einzigen, dir so
    gut wie bei Todesstrafe gegebenen Befehl getreu befolgst, wenn ein
    Weib ~dir noch neu ist~! Alles Erste hat Gewalt des Göttlichen und
    verbindet auf Lebenszeit; alles Einzige, oder ~Einziggehaltene~
    bewährt seine Wunderkraft und Herrschaft.

    Und so verschwind’ ich Dir wieder, und komme nur noch einmal -- in
    Deiner Todesstunde. Mir wird die kurze Zeit dahin nicht lang; sei
    sie Dir schön, sei sie Dir werth: daß die Sonne vom Himmel scheint!
    Du, mein lieber ~Arminius~, befolgtest als Knabe meine geringsten
    Worte auch hinter meinem Rücken -- befolge mein wichtiges Wort
    jetzt über meinem Grabe. Auch todt, dennoch stets

              Dein

                    treuer Vater
                ~B. v. Kopernik~.“

Weint denn der Mensch auch, wenn er soll glücklich werden? nicht blos
wenn er unglücklich werden soll! So fragte ich mich, als ich Tropfen
auf den Himmelsbrief fallen sah. Ich glühte. Solchen treuen, wahren,
mächtig überzeugenden Worten war nur sich hinzugeben, da sie mir
die Welt in neuem freundlichem freudigem Lichte zeigten, das gewiß
auf allen Gestirnen leuchtet, das schon die Alten, die alten Juden,
die alten Aegypter, die alten Griechen, gekannt und danach gelebt
hatten. Darauf war das Beste, der Kern und das Leben der Welt, bei den
himmlischen Seelen, ein mißliches Geheimniß, das unausrottbare Stück
Heidenthum, ein Punkt der Duldung geworden; bis ~jetzt~ die Menschen
nun endlich von göttlichen Geistern erlöst, mit dem einzigen Gewinn von
zwei zerstiebenden Jahrtausenden, einem reinen gönnendern Empfinden
und Behandeln auch der Nebenmenschen, wieder zu den ~alten ewigen~
Schätzen greifen, die ihnen kein Zepter noch Bischofsstab mehr aus den
Händen schlagen kann, und mit voller Ueberzeugung auch nicht mag; denn
die Schätze sind ihnen selbst zu herrlich und schön und nützlich und
wahr. Was Herrschsucht und Eigennutz nicht stört, hat freien Eingang;
besonders Ansichten, die nie selbst zu erscheinen brauchen, und wodurch
jeder nur die alten unklaren Dinge als Carricatur sieht. Das ~Gute~ vom
Altem besteht ja dabei, und das Ewige erhält ein Recht.

Meine Mutter winkte mir an das große bunte Glasfenster zu kommen,
hinter dem ich unbemerkt die 18 Töchter durch die rosenrothe,
goldgelbe, blaue, grüne oder schwarze Scheiben sehen konnte, -- und sie
zupfte den Pastor, als sie bemerkte, daß ich nach den, als schön und
besonders schön gewachsen berühmten Jungfrauen, durch die ~rosenrothe~
Scheibe sah! -- „Er folgt dem Vater!“ lispelte sie hinter meinem Rücken
ihm zu, doch mir nicht leise genug.

Und sonderbar, ich suchte die Mädchen -- ~am Himmel~! jetzt freilich
mit Unrecht, da sie ja schon daraus auf die Erde eingeblüht waren,
aber mit Recht, da jede Blüthe vom Himmel gewebt und gewirkt wird.
Das war meiner Begeisterung jetzt sonnenklar. Aber ich sah nur im
Fluge eine milde unsäglich schöne Rose am Himmel, statt Sonne! Wehende
Rosenblätter statt Wolken! Drunten den See, wo ich nun suchte, als
einen großen Spiegel aus flüßigen Rosendiamanten gegossen, und noch
glimmend und schimmernd -- und noch heller flammend den schmalen
glitzernden Sonnensteg darauf, und Kähne voll festlich gekleideter
stehender Menschen, alte Männer, kleine Mädchen an der Hand; alte
Weiber, Knäbchen an der Hand; junge Männer und Weiber und Jungfrauen
mit Büchern unter dem Arm -- alles von fernen, wie chinesischen
Zwergbuchen und Zwergeichen und Rebenhügeln umgeben -- und von dem
Klange der in reinen Dreiklang gestimmten Glocken überhallt. Das alles
ergriff ich mit Augen und Ohren wie im Fluge. Aber Sangallo’s achtzehn
Töchter, sie sah ich nun schon zwischen den glimmenden Leichensteinen,
mit wie aufgeglühten alten Rittergestalten, in die Mauer der Kirche
nach und nach verschwinden! Keine sah sich um. Aber da waren sie mir
in ihrer neuen vergrößerten Loge gefangen! und meine Loge war gegenüber!

Der Schulmeister kam den Pastor abzuholen und zu begleiten. Ich
begleitete meine Mutter -- und hinter uns kam in die, mit duftenden
grünen Maien geschmückte Loge, wer? der arme Herr ~von Hase~, mit
seinem einzigen armen Häschen, Brigitten. Sie betete erst still; dann
trat sie vor mich, verneigte sich und bat: „Sie erlauben uns doch noch,
daß wir hieher kommen?“ -- Und ohne Antwort abzuwarten, zog sie sich
zu ihrem Vater auf den Sitz im Hintergrunde zurück. Ja, mir nichts dir
nichts, sangen sie auch getrost, doch sanft.

Ueber der Loge des Herrn Sangallo stand das in Stein gehauene
in schönen Farben prangende Wappen, ein silberner Hahn mit dem
Heiligenschein in himmelblauem Felde. Erst neulich sagte mir ein
Franzose: wir alle haben den Hahn als Sinnbild der Verehrung der
Frauen im Wappen, und führen ihn alle im Kopf. -- Da drüben war er im
Himmel! Doch das träumte mir jetzt nur; wie denn der Mensch immer von
tausend Gedanken als Dämonen und Sylphen umschwebt und umflüstert ist.
Wenn der Mensch die Geister nahen läßt, wie der Dichter, dann reden
und vielleicht auch fühlen sie für ihn, und bilden ihm das Gedicht:
~das Leben~! Ich verneigte mich, ~verehrungsvoll~ hinübergrüßend, und
Sangallo verneigte sich wieder, und seine 18 Töchter -- wie an einem
Faden. Das hätte mir noch gestern etwas Lächerliches gehabt. Aber die
Mädchen blieben in der Würde, und flüsterten auch nachher sich kein
Wörtchen zu. Welche Erziehung oder welche anständige Natur. Und wie sie
sangen! das war die edelste Schule, das war geoffenbartes, tönendes
Herz. -- Da sagte mir meine rechtschaffene Mutter: Lieber Armin, siehe
nur, das prachtvolle Altartuch haben sie auch gestickt, in den Zipfeln
ihr Wappen und an den Goldborten ihre Namen umher, die alle Achtzehn
mit _A_ anfangen; du siehst da gerade „_ARMINIA_“. -- Die Kanzeldecke
aber hat, ~zum Andenken~ das arme Häschen gestickt und geschenkt. Das
arme Häschen! So bleibt doch ihr Wappen und ~redender~ Namen, der Hase,
an der Kanzel zu unserem Andenken und aller künftigen Geistlichen.

Als Doctor Schleyerlöser, mit Recht ~ohne~ sich gegen uns Herrschaften
zu verneigen -- woran ihr im Herzen mitgebrachter Inhalt die
Liebediener verhindern sollte, und ohne an unterschiedene Menschen
an ihrer Stelle auch nur zu denken, auf die Kanzel getreten war,
überraschte es mich angenehm bittersüß, in seiner Person die Urgestalt
der Juden zu sehen, die Rom und ganz Europa so tief besiegt haben,
daß auch wir Deutsche nur gepfropfte Juden sind, bis nun unser alter
ursprünglicher Germanen-Stamm aus ureigener göttlicher Wurzel den
heiligen Sproß treibt, so daß der ~gepfropfte~ allmälig nothwendig
eingeht, nach Naturgesetz. Noch mehr überraschte mich die Wendung
und Nutzanwendung, die er vom Pfingstevangelium zu machen verstand,
indem er zur Gemeinde -- „von dem Geist der zur Ehe treibt“ sprach,
ja sich des Ausdrucks meines Vaters bediente: „von der Verheirathung
zur rechten frühen Tageszeit!“ Dann stellte er den Niedrigen und Armen
ihr Glück vor, daß ihre Jünglinge über Prinzen und ihre Jungfrauen
über Prinzessinnen auch der mächtigsten Kaiser, frei und glücklich
darin wären, zur rechten frühen schönen einzig richtigen Tageszeit
heirathen zu können, weil kein Zwang sie hindere, kein Warten ihnen
nutze, und sie allein nur durch glückliche freie Liebe, und zur
rechten Zeit geschlossene Ehen so froh seien bei der geringsten
Ursache; so ungebeugt und unbeugbar bei Leid, so fast übermenschlich
geduldig; -- daß nur ihr kräftiges Geschlecht auf Erden bleiben werde;
-- daß aus allen „Spät“ also immer zu spät Verheiratheten allmälig
nur ein trauriges, schlechterzogenes, verwahrlosetes, allem Laster
und Unglück zum Opfer freigegebenes Volk erwachsen werde, und müsse,
wenn nicht die tausend äußeren und inneren Hindernisse der Ehe „zur
rechten frühen Tageszeit“ mit aller Gewalt ausgetilgt würden; gegen
welche Verbesserung alle Reichs- und Volksverbesserungen nur Eitelwerk,
vergebliche Mühe und Tappen der Blinden nach Schätzen wären. Und
mit erhobner feierlicher Stimme sprach er: Der gesunde, vollendete
Zustand eines Volkes und der Menschheit hat nur Ein Zeichen: die Ehe
zur rechten frühen Tageszeit. Wo sie allgemein ist und sein kann, da
ist der Naturzustand neben aller menschlichen nöthigen Bildung erst
wieder erreicht. -- Das führte er aus, das bewies er sonnenklar und
Gottesmächtig. Nach welchen Wünschen er Amen sprach, -- zu welchem
Amen der Himmel, wie bestellt, donnerte, daß die ganze Gemeinde und
meine Mutter betroffen aufsah -- will ich nicht wiederholen; aber ich
erstaunte: was wahre Geistliche alles sagen dürfen ja müssen, ohne daß
ihnen Jemand anders als ein Unsinniger, Schändlicher, ein Haar krümmen
darf: wenn sie nur Geist und Herz und Muth haben. Aber sehr viele sind
Feiglinge geworden. Von den Mädchen schaute während der Predigt keine
auf, oder gar von drüben Eine herüber! Auch Brigitte regte sich nicht,
oder nahm gar Stellung und Miene an, wie solche, die nur voraussetzen,
man wird sie jetzt ansehen. Auch Herr von Hase hustete nicht, oder
niesete gar!

Diese Mädchen, so über Blumen bescheiden, -- die doch noch im Hauche
der Luft den Bienen ihre Gegenwart verrathen -- rührten mich innig zur
männlichen Bewunderung von solcher Geduld in gewiß liebeschwervollen
Herzen! vor solcher Sicherheit: sie seien gewiß einem Liebenden
heraus auf die Erde gesandt; vor solchem Vertrauen auf sich: weil
sie alle Huld und Wonne tragen, werden ihre Blüthentage, ihre Zeit
der Früchte kommen! werde gewiß doch ~der Eine~ Augen und Herz und
ein Häuschen und ein Bettchen für sie haben, den sie in heiligen
Naturschweigen erwarten. Wen gäbe es wohl so Unverschämten: diese
Mädchen bei Jünglingen umher auf die Heirath zu schicken! Aber ihr
Nein ist der Jungfrau gegeben, um des Jünglings und ihr eigenes Glück
nicht vergeuden ja opfern zu müssen. Denn selbst an Liebende wirft sich
noch die Nichtliebende weg; wenn ihm die Wiederliebende erst ein Glück
bringt.

Neben mir in der Loge der Herrschaft des Gutes Westfrei („Dorf“, lassen
die Leute weg) befand sich Herr von Stifter, mit seiner kinderlosen
Frau und seinen vier Nebensöhnen, jungen wie Engel schönen Männern, die
mir, ich weiß, nicht, welche Eifersucht erregten! Sie zerbrachen sich
bald die Rücken bei den Abschiedsverbeugungen zu den Mädchen hinüber!
Ihnen hatte ich auf morgen meinen ersten Besuch in Westfrei ansagen
lassen; dem Herrn von Sangallo in Ostfrei aber auf heute Vormittag. Ich
sah ihn daher mit seinen Töchtern nach dem Segen -- nach dem stillen
Vaterunser -- und nach achtzehn Verbeugungen, mit einer gewissen
Sicherheit fortgehen, nicht heimeilen.

Im Schlosse legte meine rechtschaffene Mutter noch großen Staat
und ihren schönsten Schmuck an; ich gab ihr den Mantel um, wegen
wahrscheinlicher Zugluft auf dem See, nahm den meinen um, und
wir stiegen in unsere mit Maien geschmückte Prachtgondel, unsern
Bucentoro, als gerade der Doctor Schleyerlöser mit seiner Frau in
seinen Abendmahlkahn (für Berichten, Krankenbesuche und Hauskindtaufen
bestimmt) nebst meinem Schulmeister einsteigen wollte. Auf meine
Einladung kamen sie, zur Gesellschaft auf der halbstündigen Ueberfahrt,
in unsern Kahn. Der „Chirurgus von der letzten Sorte“ fuhr rasch an
uns vorüber und voraus, und antwortete auf meine Frage: wohin? immer
entfernter: „Geschwind nach Ostfrei hinüber!“ Ein Junge ist von der
Maistange gefallen. Unter der Kirche ist er heimlich nach einem
Tuche gestiegen. Er soll ~alle~ Arme gebrochen haben, wie der alte
Dorfwächter hier sagte. Gesunde Nachkunft! -- „Es steht ein Gewitter am
Himmel!“ schrie er noch, schon von weitem zurück.

Wir sahen hinauf, und allerdings! Aber meine Mutter hatte das
Schwurprotokoll! Ich hatte Seesturm und dreitägige und dreimächtige
Verfolgung und Getöse von hallenden Seegewittern überlebt; und es ist
gut: die ~größten~ Unannehmlichkeiten aller Art überstanden zu haben;
denn damit hat man alle folgenden ~kleinen~ im Geist überwunden und
sich leicht gemacht. Was konnte hier werden in 30 Minuten? -- Und doch!



III.

Der Donner als Brautwerber.


Der Pastor erklärte mir den Zweck seiner Reise -- eine Magenreise!
Mein und meiner Frau Magen fahren zum Diner! ~Weihnachten~ muß ich die
Ehre genießen, bei Ihnen in Südfrei unsere Magen einzustellen, laut
Vocation; Ostern in Ostfrei; Pfingsten in Westfrei; und also dermalen
bei Herrn von Sangallo, dessen Vater schon ein Muster aller kleinen und
~größeren~ Herren war; die großen haben oder leiden kein Muster, so wie
sie denn wenig ihres Gleichen haben. Der selige Herr von Heiligenhahn,
der den Heiligenschein, als bei ihm eine Wahrheit, verdient, was hat
er gethan? Denken Sie! Freuen Sie sich, daß Sie und keiner Ihrer so
gottwilligen Erben es nun zu thun braucht; oder bedauern Sie, daß er
Ihnen solche Thaten, nach denen kein Hahn kräht, weggenommen hat! Und
fühlen Sie die Beraubung, so ersinnt Ihr Herz gewiß ein Neues Gute;
oder räumt ein anderes, auf den Menschen lastendes Uebel weg, wovon zur
Freude aller Arbeitslustigen noch Bergevoll und Bergehoch zu beliebiger
Auswahl vorhanden und vor Augen liegt. Das hilft aber nichts, bis etwas
den Leuten vor -- Herzen kommt, oder die ~Buße~ wieder Mode wird, oder
von hohem Ort wieder Mode gemacht wird; und der Buße allein verdanken
wir die meisten Kirchen und Hospitäler! Alte christliche Ritter, die
aber unbeschadet ihres riesenfesten Glaubens, schlimmer wie die Heiden
lebten, verstanden das Wort „Kirchenbuße und Klosterbann“ so: daß
sie ~mit~ Kirchen und ~mit~ Klöstern büßten! Gott, welche Sünden und
Verbrechen stehen da gemauert in unserm heiligen Deutschland umher,
und die Glocken ~lallen~ sie unverständlich zum Schrecken; wie Kinder,
welche die schändliche Mutter noch nicht dem Vater verrathen können.

Und was stiftete Er? fragte ich.

Kirchen- und Schulfreiheit! Hochzeit- und Kindtaufenfreiheit in Ost-,
West- und Südfrei; ~Nord~frei gibt es nicht, versetzte der Pastor.

Wie in Amerika? fragte ich, erstaunt über Deutschland; wie dort, wo man
Alles unversehrt lehren kann und lehrt, wo erst ~Menschen~ eine Kirche
bilden -- können, wenn sie wollen, und nicht eine Kirche: Menschen!

Sie wissen nicht, woran wir absterben, wenn nicht sollen, doch werden;
sprach mein Pastor. Herr von Sangallo konnte es nur plump thun. Er hat
Gestifte gemacht: Hier giebt kein Mensch ~in Ewigkeit~ -- verzeihen Sie
den unprophetischen Ausdruck -- etwas zu Kirche oder Schule, für Pastor
oder Schullehrer; freier Unterricht, freier Gottestisch, freie Hochzeit
-- um die Trauung so zu nennen -- frei Taufen, freies Begräbniß! Also
alle göttliche Dinge -- Sonne, Mond und Erde ausgenommen -- frei! Er
hat, freilich jetzt sehr achselbezuckt, geglaubt: ein Herr ist nicht
blos, der Dienste und Gaben von seinen Leuten, die Wolle von den
Schaafen, die Garben vom Felde, die Bäume aus dem Walde nimmt, und
alles Andere Gott überläßt; sondern ein Herr ist, wer seinen Leuten
das, wozu ihr Verstand und ihre Mittel nicht reichen, verschafft,
selbst mit Opfern. Und wie klein ist dies Opfer gewesen? Was hat so
lange Wohlthat geleistet? --: ein Stück Wald! wie ihn andere Herren oft
in einer Nacht verspielen, oder in eines Jahres Lauf vertrinken und
verschmausen. Und wie gesegnet: Dort sehen Sie die himmelanstrebenden
Fichten wieder stehen, daß einem das Herz im Leibe lacht.

-- Ich habe vor Kurzem die Berechnung eines Engländers fast beweint,
sprach mein Schulmeister, Lieutenant Groll: Wie viel Vermögen der
Völker eitel vergeudet wird, unnachgefragt, so daß nichts nachbleibt,
unnachgefragt. Aber von jetzt an doch nachgesagt und vorgesagt. --
Er hatte die bejammernswürdige Summe gezogen, was alle europäischen
Heere seit 30 Jahren kosten. Er sagt: „Deutschland feiert jetzt bald
den dreißigjährigen Frieden; keine Flinte ist gegen einen Feind
loszuschießen gewesen.“ Aber da waren: ~Welche~ Nachbarn, gegen die das
ganze Volk in Waffen stehen muß! oder ~welche~ Furcht vor den eigenen
Völkern! Und wohlgemerkt, die so theuren Heere sind nicht mehr da. Die
Soldaten waren nicht unsterblich, sondern sind gestorben, gealtert;
also soll die genossene Ruhe die Frucht sein. Aber war es möglich und
waren etwa 5 Millionen Thaler nur ~eines~ angenommenen Landes auf den
Stamm eines Heeres verwendet, andere 20 Millionen jährlich gespart
worden, also in 30 Jahren 600 Millionen Thaler, und diese 600 Millionen
Thaler wären auf Schulen, Schulmeister, wahre Heil-Anstalten aller Art,
Verbesserungen des Landes, zu Abgaben-Erlässen ganzer armer Städte;
kurz, statt auf die ~Furcht~, auf die ~Liebe~ verwendet worden -- wo
wäre da im ganzen Lande ein Unsinniger gewesen, der seinen Herrn nicht
auf Händen getragen hätte? Wo wäre ein Mensch zu Hause geblieben: um
dieses sein solches Vaterland nicht gegen Legionen Teufel glorreich zu
beschützen? Da quollen Geister aus der Erde, da stiegen begeisterte
Engel vom Himmel.

Wie eine feurige Schlange fuhr jetzt ein Blitz über den ganzen Himmel,
und Donner schmetterte hinter ihr drein.

Nicht weiter! sprach ich. Sie spielen ganz vortrefflich Orgel, Herr
Lieutenant? Wie kommt das? --

Ich bin Theologiemüder Candidat, antwortete er, und war lange
Musiklehrer der Fräulein Sangallo. Der Herr Pastor sollte Sie doch
vorher ein wenig mit diesem, seinem Schicksal gemäßlebenden Vater so
vieler Töchter bekannt machen; obgleich der Oberförster in nächster
Stadt auch schon 11 Töchter hat. Auch unser Barbier Salomon ist das
achtzehnte Kind von Einer Mutter.

Und ich vervollständigte: Ich selbst habe auf meiner Heimreise
über England in _Leeds_ bei einem Wirth logirt, der gerade sein
neunundzwanzigstes Kind taufen ließ.

Herr von Stifter, Ihr Gutsnachbar hier am See, der lange in der Levante
gereist ist, bemerkte der Pastor, hat gesehen, daß viele Türken, gewiß
nur eigene, 30 bis 40 Söhne hatten; Töchter werden da nicht gezählt. In
Sicilien sind um sein ankommendes Schiff die Kinder von nur 13 Matrosen
herbeigelaufen, ein Schwarm von 105! Aber die Erziehung! die Erziehung!
das ist die Sache; und die Verheirathung, die gute Verheirathung! Denn
die Töchter sind schon alle so so, oder so wie ihre Mutter ~Agathe~,
verheirathbar, welche gewiß dem Fürsten zu Lynar zu seinem wunderhold
naiven Gedicht, „~die Frau von sechzehn Jahren~“, das schöne Vorbild
gegeben hat, oder doch gegeben haben könnte; um dem Autor sein
Eigenthum nicht anzutasten. Mit 19 Jahren ist sie schon Mutter von 7
Kindern gewesen, laut Kirchenbuche; denn darin stehen einmal Drillinge,
zweimal Zwillinge; darauf in fünfzehn Jahren eilf einzelne Töchter.
Nur 33 Jahr jung, ist sie über die jüngste Tochter eingegangen. Jetzt
ist sie gegen 13 Jahre todt; also ist diese Jüngste schon so alt; und
die älteste erst in dem berühmten und beliebten Standjahre 29, in
welchem alle noch ältere Mädchen sich rühmen zu sein. Diese Aelteste,
~Antonie~, ist Wittwe; ~Auguste~: Wittwe. Und auffällig, beide kurz
hintereinander zu Wittwen geworden. Zwanzig Jahre auseinander wäre es
Niemandem aufgefallen. ~Antoniens~ Mann ist nicht in die Brautkammer
gekommen, weil er am Hochzeittisch an einer Fischgräte, die ihm durch
Husten den Blutsturz erregt, krank geworden. ~Auguste~ ist beim
Austritt aus der Trauung krank geworden, und ihr Mann ist vor ihrer
Genesung mit dem Pferde gestürzt und gestorben. Darum bedenkt sich die
jetzige Braut, ~Afanasia~, durch die Verheirathung ihren schönen jungen
Bräutigam, dem Postsecretaire Herrn ~von Rheingraf~ geheimnißvoll
umzubringen! Zehn andere Töchter haben jetzt Brautbewerber. -- -- --

Ich wollte mir ihre Namen so eben nennen lassen, um zu hören -- daß er
nicht ~Arminia~ darunter nenne; als es wieder furchtbar blitzte und
einschlug, am Ufer von Westfrei. Wir wußten Herrn von Sangallo mit
seinen schönen Nereïden gelandet. Wir sahen sein Schloß. Kein Rauch
quoll aus; keine Flamme stieg auf; und wir waren ruhig, bis auf meine
rechtschaffene Mutter, die in Beschwerden ausbrach und mir vorwarf:
„Da hast Du den Schwur!“ Und ich mußte mir erlauben, ihr vorzustellen:
Liebe gute Mutter, der Schwur hat sich nur auf ein Menschengedenken
~zurück~ bezogen; ~aber Niemand kann beschwören~, das nicht ferner,
oder bald bei uns ein Gewitter aufzieht und donnert und blitzt und
einschlägt! ~Ja gerade, weil noch nicht~, desto wahrscheinlicher!

Der Gewittersturm jagte uns; die Wellen drängten den Nachen; die Ufer
flogen zurück. Der herabstürzende Wind wühlte hohle Kessel im See aus;
uralte große Fische, Karpfen von 20 bis 30 Pfunden, mit bemooseten
Häuptern und gelben fleischernen Schnauzbärten wie Seehusaren,
tauchten empor; große Hechte stoben vorüber. Aus der Gegend, wo wir
fuhren, sollten alle drei Schlösser und Dörfer in den Buchten des kühn
verzogenen dreieckigen Sees zu sehen sein. Aber dichter Regen ergoß
sich uns seitwärts herab und warf Blasen auf dem Wasser. Ich will
nicht behaupten, daß die Frau Pastorin, obzwar eine getaufte Jüdin,
nicht den Messias erwartet habe; denn Er hatte sie gewiß auch darum
mit geheirathet, um im Hause im Gespräch von alten Tagen und neuen
Hoffnungen, von denen das alte Herz nie abgewaschen wird, stets in
der Seele verstanden, mit ihr reden, mit ihr leben zu können. Auch
nur Sie konnte seinen Kindern nicht die morgenländische Nase.... und
~Er~ nur auch ihr nicht die großen schönen Augen der Töchter und ihr
immerfremdes, oft linkisches, oft engelhaftes Wesen vorwerfen. Kurz sie
war voll Andacht; er war sonderbar still. Wir andern, die wir keine,
keine Hoffnung mehr haben, als das unabsehliche Weltende -- waren sehr
froh, als wir auf das Ufer sprangen.



IV.

Das einzige Kind.


Aber noch weit vom Ufer hatten wir eine Geistererscheinung auf dem
Wasser; denn es ging nicht, sondern es fuhr ein aufrecht stehender
dürrer blasser Mann mit einem krank aussehenden Jungen, nur von einem
alten Landmann gerudert, an uns vorüber nach meinem Kirchhof zu.

Ein Gespenst! sprach der Pastor zürnend, als er sich von seinem
Erstaunen erholt hatte.

Wer war das? fragte meine rechtschaffene Mutter.

Sie können sich rühmen etwas Wunderbares, ein grassirendes Wunder
gesehen zu haben! Das war ein Patentirter! eine neue Art Reisender, der
„in Gebeten“ und verwandten Artikeln ~macht~, nach dem Kunstausdrucke;
kurz der früher abgesetzte, jetzt scheu-belobte Pastor mit seinem
Bet-Jungen.

Aber, mein Gott, sprach meine rechtschaffene Mutter, würden Sie denn
Luthern einstecken oder verbrennen wollen, wenn Er heute umherzöge und
auch zu Ihnen käme, und Sie Macht hätten?

Die Niemand mehr hat! versetzte der Pastor. Aber, erlauben Sie, es ist
ein großer Unterschied zwischen den Zeiten. Wie nützlich, zum Beispiel,
war nicht die Sündfluth zu ihrer Zeit! Aber was soll uns Noah jetzt mit
seinem Kasten voll Thiere, in welchem, laut Oken und ausgerechneter
Maaßen, nicht der zwanzigste Theil der Ehepaare aller ersaufbaren
bekannten lieben Thiere Platz gehabt hätten. Aber das ist ja eben das
Wunder! so gut wie die 11,000 Jungfrauen nicht in ihren Paar Schiffchen
Platz gehabt hätten. Aber das schadet nichts: das ist eben das Wunder!
sonst wäre es ja keins, und Wunder müssen ja sein! ~Die~ sind besser
als die ganze Welt; sie bereichern sie und machen die Welt und den
Menschen erst vollkommen. Verzeihen Sie den Abstecher in die aschgraue
Unmöglichkeit, in das Eldorado der Gläubigen. Himmel, was gäben wir
alle darum, wenn jetzt wieder ~ein~ Luther käme! der alle weitere
Offenbarung des Geistes dem Volke gestattet. Und er kommt gewiß und
sein Melanchton dazu. Aber die ernsthaftesten Ursachen sind oft nicht
ohne die spaßhaftesten Folgen, und die lächerlichsten Wirkungen nicht
ohne die traurigsten Ursachen -- der eilende schuhmacher-blasse und
doch kochende Mann will gewiß mit seinem Betjungen ein Wunder thun in
meiner Kirche; denn uns handwerkmäßigen Pastoren pfuschert, bei auch
geistlicher Gewerbefreiheit, jeder ins Handwerk; ~es ist also gewiß
in Ostfrei ein Unglück geschehen~! Feuer, da wir keins sehen, ist es
nicht! zu Hause will ich Ihnen eine kleine Schrift mittheilen: „Das
Popenland“, woraus ein Blinder sehen kann, wie gräßlich sich die Herren
die eigenen Hände binden, welche ihre Leute suchen unter das Joch der
Popen aller Art zu bringen. Denn sie selbst am meisten und die Leute
brauchen zum künftigen Leben ~auf dieser Welt~ die freie Wissenschaft.
Nicht zurück! sondern ~noch~ klüger und noch besser! das wahrhaft
aufgeklärte Volk ist das treuste! Vom Glück und dem Recht ein Mensch zu
sein, gar nicht zu reden.

Man hatte mich in Amerika theils bedauert, theils ausgelacht: daß ich
nach Europa wolle, nach Deutschland. Aber ich freute mich im Herzen
meines unverwüstlichen Vaterlandes voll herrlicher Männer, groß und
stark wie Saamenbäume, und über das frische kräftige junge Gehege voll
singender Vögel!

Am Ufer hörten wir nun wirklich sogleich ein verworrenes Geräusch.
Rechts, aber weit ab von dem Wege zum Schlosse des Herrn von Sangallo
standen die bunten Kirchleute, Männer und Weiber und Kinder, die
vor uns über den See nach Hause gefahren, noch ihre Bücher unter
dem Arm, und sahen durch den hohen lichtblauen Gitterzaun in den
herrschaftlichen Garten. Es fing an zu tröpfeln. Ich eilte mit meiner
rechtschaffenen Mutter und Pastors nach dem Schlosse, in welches ich
voraus meinen goldbetressten Jäger zur Meldung sandte. Wir eilten
nach. Kein Jäger kam zurück. Wir traten in die Halle. Niemand da. Alle
Thüren offen. Auch die Thür nach dem Garten. Dort sah ich zwischen
großen Linden um ein erhöhtes abgeblühtes Hyazinthen-Quartier viele
Menschen stehen. Ich hatte die erste Visite im Kopfe, was mir verbot
gegen den Anstand zu handeln, ob ich gleich wie die Andern vor Ungeduld
der Neugier brannte und vor Furcht eines Ungeheuern mich fröstelte. Da
stürmte der Chirurgus Salomon in das Haus um hindurch zu eilen.

Ich vertrat ihm den Weg und fragte: Was ist?

„Das fragt sich erst!“ antwortete er eben so hastig.

Was scheint?

„Jemand vom Blitz erschlagen.“

Herr von Sangallo?

„Möglich!“

Oder die Fräulein? Alle?

„Das geschieht auch den Schafen.“

Fort! rief ich und drängte ihn rasch in den Garten.

Der Pastor schlich nach. Ich endlich dem Pastor. Warum nicht? Aber
langsam. Ich blieb stehen, denn alle unnöthigen Zugaffer, auch mein
Jäger, wurden zurück getrieben. So standen wir Viele auf den Gängen in
der Ferne. Ich fragte, wer denn todt sei?

Eine Tochter vom Hause, antwortete der Jäger, die allerschönste, die
allerbeste!

Welche?

Die ~Arminia~!

Das durchzuckte mich. Nie sie gesehen; und auf Sie schien mir der
Wechselbrief vom Vater gestellt. Man verliebt sich schon voraus,
vorher, ehe man Jemand sieht, hört, anrührt! Und doch nicht: hatte
mich nicht schon viele Tage zuvor das Wort gerührt, das ich heute nur
wieder hörte: „die Allerschönste, die Allerbeste!“ Herr von Stifter,
ein nur zu bekannter Weiberkenner, hatte das Wort gesagt. Und wußte Ich
von Natur nicht: was ein Mädchen ~überhaupt~ ist, was jeder Jüngling
von Natur? und Jeder würde die Gestalt des Weibes zeitlebens vermissen,
wenn kein Weib auf der Welt wäre. Was sie ihm aber ~besonders~ sein und
werden soll, o das weiß er erst recht. Und von welchem naturadligen
schönem Geschlechte auch die ~Arminia~ sein mußte, das hatte ich heute
an Siebzehn ihrer Schwestern gesehen, vielleicht an ihr selbst!

Merke wohl: wie hier der Himmel dich im Voraus lehrte: sie zu
entbehren, sie nicht zu besitzen! Aber das Wort, besitzen von einer
Geliebten oder einem Weibe gesagt, ist doch zu abscheulich und sollte
nie von jemand gebraucht werden, der seine Ausdrücke gemalt, von der
Phantasie illustriert und ausgeführt vor Augen sieht. Ein anderer
Tropus statt besitzen, eines Engels, wäre aber noch unziemlicher,
obgleich das Wort besitzen auf ewig nur dem Alp zu vermachen ist.

Jetzt wurden auch die Hunde, Neufundländer, zu uns gejagt. Sogar zwei
zahme Kraniche und Störche. Das thaten die Schwestern, die jetzt einen
Kreis um die in ihrem weißen Kleide daliegende Todte schlossen, aber
den Rücken auf sie zugekehrt, die blassen Gesichter nach außen. Sie
trockneten sich manchmal die Thränen selbst, oder auch Eine der Andern.
Doch sah ich noch, daß der Pastor dem Chirurgus mit einem weißen Tuche
die Augen verband, dann Herr von Sangallo dem Chirurgus. Darauf kam der
Vater selbst aus dem Kreise hervor.

Was machten sie nur? Ich hatte keinen Teller mit Blut von einem Aderlaß
wegtragen sehen. Die Frau Pastorin meinte: vielleicht ist das eine
Bezauberung, die der vagabundirende Pastor angeordnet hat. Aber da gäbe
sich mein Mann ja nicht dazu her! Vielleicht eine magnetische Kur aus
der Ferne; meinte ein Herr.

Darauf fing es zu regnen an, warmen befruchtenden Regen in großen
Tropfen. Ich hörte freudige Stimmen. Der Kreis der Schwestern löste
sich auf; aber sie blieben zerstreut, oder hier Drei, wie Grazien;
dort Neun, wie Musen; dort wieder zwei in der Nähe stehen, so daß ich
nun durch die Lücken deutlich sah: die beiden Männer nahmen sich die
Binden von den Augen, und mit ihren Schaufeln schaufelten sie noch hie
und da. Dann standen sie, auf die Geräthe gelehnt, bis der Pastor sein
Grabscheid in die Erde stach, seine Frau holen kam, die mit ihm näher
hinging, dann mir winkte, zu folgen.

Ich nahte mich. Von dem großen eirunden schwarzen lockeren Blumenbeet
waren alle Blumen ausgerissen, und in der Mitte lag Arminia begraben;
leicht, doch sorgsam bedeckt. Nur ihr dem Himmel zugekehrtes bloßes
Antlitz blinkte aus der schwarzen Erde. Die Augenlieder bedeckten
die Augen, die Lippen die Zähne. Kein Hals, keine Schultern, kein
Arm erschien. Es sah aus, als wenn man einen Engel aus einem Bilde
begraben hätte, der ohne Leib war. Und wenn dieses schöne Antlitz mit
diesen schwarzen Haaren allein lebendig gewesen, allein liebte, redete,
blickte -- wäre das: ~das Weib~? das ganze Weib? Ich lachte bald der
Thoren, und lächelte wirklich; und empfand in meinem ganzen Wesen von
Jammer entzückt und von Wonne durchjagt: ein Weib ist ~mehr~ wie ein
Engel. -- Und da lag sie begraben -- wenn der Himmel noch seine Wunder
könne, um aufzuerstehen von den Todten! Wie der Erdschooß das erste
Weib hervorgequollen, so sollte er sie heute, groß und vollendet, noch
einmal zur Welt bringen.

Welche Wunder geschehen vielleicht jetzt! sprach Doctor Schleyerlöser.
Weil das Volk keinen wahren Begriff von den wahren alle Tage
geschehenden Wundern hat, weil ihm Sonne, Mond und Sterne bloß
nützliches oder schönes Gaukelspiel, der Wind mäßiges überflüßiges
Gesause dünkt, und Geburt eines Kindes nur ein Anlaß zu einem Schmause
ist; weil alle gerade zu erstickt und ersoffen in Wundern sind, weil
sie selbst -- sie die elenden Schlucker und elenden Schluckerinnen --
deren Eins eine bekannte Prinzessin, das Andre eine Frau Besenbinderin,
oder Frau Justizräthin, wieder ein anderer ein Schornsteinfeger oder
ein bekannter Fürst ist -- weil sie Selbst nicht allein ein Wunder mit
sein sollen, sondern sogar Eins der größten Wunder -- darum verlangen
die Zeichen und Wunder; darum halten sie Unsinniges und Unmögliches für
mehr, ja für heilig und allein für göttliche Religionspflicht es zu
glauben, weil es ~ihr~ Verstand und also jeder Verstand nicht faßte.
Soll man nun diese Menschen ~beneiden~, daß sie Etwas ~mehr~ haben als
alle Andere? oder sie verlachen und verspotten? Ich meine: Keins von
beiden; aber sie belehren und belehren ~lassen~ -- und auch dazu reicht
die einzige Freiheit, außer der wir nichts mehr bedürfen, (als die
große Mutter der Götter und Menschen) -- die Preßfreiheit.

Ich sah aber, wie dem armen Mädchen vom Regen die Augenwinkel, wie von
gesammelten Thränen voll Wasser standen, das von Stirn und Wangen da
zusammenfloß, und über die blassen Wangen ab.

Mein Chirurgus Salomon trat noch hoffnungsvoll zu mir, und sagte: Sie
verwandelt sich nicht! Sie hat sich nicht verwandelt. Sie hatte im
Augenblicke des Getroffenwerdens Ernstes gedacht -- und ihre Züge sind
noch ernst! Wäre sie todt, so müßte ihr immer heiteres Wesen wieder
aufschlagen; sie müßte freundlich sein, wie sie war! Aber wer ist in
der Noth zuverläßig? Konnten die Schwestern vor Zittern und Zagen die
eigene Schwester entkleiden? nicht möglich! Konnte der Vater, oder
wollte er seinem Kinde das Letzte vom Leibe ziehen? Wir mußten es
blind thun; wir, sie in die Erde zu Bett legen! Er brachte nichts
hervor als immer nur: „~Mein einziges Kind! Mein einziges Kind!~“ und
man durfte nicht einmal sagen, daß er noch Siebzehn Töchter hat. Der
Regen soll, wie den tausend Apfelbaumknospen, auch ihr die Augen wohl
wieder aufthun!

Wohl? sagen Sie, sprach ich. Das klingt übel!

Versehrt ist sie nirgend am ganzen Leibe. ~Blau~ aber kann man nicht
~fühlen~; der klügste Blinde kann das nicht; ich hätte sie sehen
müssen; doch eine der getrostesten Schwestern, Wittwe Antonie, sagte
nein; sie ist so weiß wie Schnee. Und gegen das Lebendigbegrabenwerden
ist kein anderes Mittel, ~als den Menschen zu begraben~! Auch zum
Auferstehen soll es allein helfen. Mir, als Juden, war immer am meisten
davor Angst, nämlich nicht gerade vor dem Auferstehen, aber vor dem
Lebendigbegrabenwerden, (das nun ausgerottet ist), indem gewiß mehr
Juden nur lebendig begraben worden sind, als Christen glauben.

Doctor Schleyerlöser drohte ihm mit dem Finger.

Mir aber sagte Salomon näher und leise: Ich muß nur auf jeden Fall
nach dem warmen Bade sehen! Auf den besten Fall aber darf ich mir ein
gutes schönes liebes Sostrum versprechen! Herr von Sangallo hat einen
Geniestreich vor: alle seine Töchter zu verheirathen und vielleicht,
ja wahrscheinlich schließt er mich mit darein; wie denn bei großen
Gelegenheiten allemal viel Kleines mit durchgeht. Arminia’s Liebe
schläft noch in ihr, es hat sie ihr noch Niemand angezündet. Weiber
halten oft Dank für Liebe; wo sie belohnen wollen, glauben sie es
nicht höher und lieber thun zu können, als geradezu mit ihrer ganzen
Person! Mein Bruder, der Doctor David in der Stadt, der keinen goldenen
oder silbernen, leiblichen oder geistigen Profit von der Hand weiset,
hat mir Wunderdinge erzählt, wie überaus dankbar kurirte Frauen sind!
Nach überstandener Todesgefahr sollte jeder hübsche oder gar schöne
Doctor sogleich abgedankt werden; das ersparte auch das Mahnen des
Liquidationsbetrages. In unserem vernünftigen Ländchen dürfte auch
Keiner von uns „changiren.“ Kein Leib eines Weibes oder Mannes ist
katholisch oder reformirt, keine Liebe ist türkisch oder jüdisch, und
~Leib~ und ~Liebe~ ist einzig zum Ehestande tauglich und genüglich.
Diese schwere Weisheit haben sie jetzt zu Tage gebracht, und es ist
wirklich Hoffnung, daß man so klug werden wird -- wie alberne Kinder.
Das Andere ist Angewohnheit, und Vieles, Vieles ist nicht mehr -- als
nur noch ~Gewohnheit~, und wird nur noch der ~Bequemlichkeit~ wegen
gebraucht. Möchten Sie daraus sehen, daß ich nicht ganz dumm bin! Ich
bin ein guter ehrlicher Kerl, für den Sie wohl ein Wort mit verlieren
sollten!

„Verlieren“, wollte ich, von Eifersucht selbst aus dem Grabe
angehaucht, entgegnen; als er schon fortsprang. Denn indessen war
uns eine Gestalt in braunem Mantel genaht, die Kapuze über den Kopf
gezogen. Kleine Händchen öffneten die Kapuze vorn ein wenig, wie einen
Heiligenschrein, darin ein Muttergottesbild schimmert. Das wehmüthig
freundliche Gesicht gehörte unserer ~Brigitte~; die Ruhe, Gelassenheit
und unmerkliche Wehmuth in ihren Zügen war aus Umständen ihre
Alltagsmaske. Pfui doch, Maske! Es war ihre sichtbarerscheinende Seele,
ihres Herzens treue leider wahre Empfindung!

Uns nimmt der Himmel alles Liebe und Gute; nun auch meine einzige
beste Freundin Arminia! sprach sie zu mir mit jener ~Ergebenheit~,
welche weit über alle Schicksale, Entbehrungen und den bittersten
Mangel erhaben ist, und statt ~Ergebenheit~ einzig richtig nur „freies
Bewußtsein, reiner Göttergeist, Herrschaft über die immer unsichere
unvergänglichen Erscheinungen“ heißen sollte. ~Aber~ es glühte, oder
~doch~ glühte in ihrem Wort eine Neigung, eine Gunst und Liebe zu
~dem~, ~was~ ihr der Himmel alles genommen, daß sie es mit Entzücken
und Jubel wieder empfangen hätte! ~Dieser Widerstreit~ im Geiste, oder
diese doppelte Eigenschaft macht alle Seligkeit und alle Schmerzen der
Liebe, kurz, den Inhalt des ganzen menschlichen Lebens aus. Daher war
mir ohngefähr so, als wenn Jemand des Andern warme Hand in seine Hand
nähme und auf meine bloße Brust legte; aber der Jemand zuletzt mir eine
eigene Hand daneben sogar ~auf das Herz~ legte, als Brigitte leise mir
anvertraute: Arminia wird nicht mehr aufstehen, und immer darf ich es
sagen: „~Ihnen hatte ich sie zugedacht; als das Beste was ich kenne~,
was ~mich~ am liebsten hatte, und was ich“ --

Die kleinen Hände verschlossen wieder den Heiligenschrein mit dem Mund
der Liebe; und die braune Gestalt knieete zu ihrer Freundin, beugte
sich über sie, schwebte mit Augen und mit den halb ausgebreiteten
Händen über ihr, dann mit der Stirn auf ihrer Stirn ruhend, nahm sie
Abschied und schlich hinweg.

Warum kommt nun ~in einen Mantel~ verborgen, wie in ein Nachtgewölk
verhüllt, uns Sprache, Worte und Geist der Liebe so geisterhaft vor?
Was hat die schöne ~Gestalt~, die Menschengestalt, was haben Füße,
Brust und Hände, was hat sogar das Antlitz und seine Sterne, die
Augen, was haben sie so Gemeines, Alltägliches -- daß wir sogar über
~Kleider~, ja über eine ~Haube~, das Weib, die Seele vergessen! Oder
wissen das die Weiber? und treiben sie durch Putz und Lappen und Bänder
und Schnüre Spott mit dem Himmlischen -- um das Himmlische alltäglich,
umgänglich, angreifbar zu machen? oder den Kindertand himmlisch und
ewig! -- „Schändlich! Räthselhaft!“ sprach ich dem verschwebenden
~Mantel~ nach, welcher allein mir jetzt die ganze Brigitte schien!
Doch wenn ich zuvor durch des Pastors Kanzelwort „von der Heirath
zur rechten frühen Tageszeit“ ein Verständniß desselben mit meiner
rechtschaffenen Mutter, oder eine Mittheilung anzunehmen mir erlauben
durfte; wenn mir Brigitte, als Vermittlerin, noch mehr Gedanken
machte, so lag doch die vom Blitz Getroffene, die Begrabene, außer
aller Berechnung. ~Der Himmel conspirirt nicht~; er hält auch keine
Conferenzen, und verfolgt keinen, der seine Geheimnisse verräth.

Vor Trauer und Regen hatten sich die Schwestern verloren, um sich
ihr Leid zu klagen, zu hoffen und zu fürchten. Die Diener waren in
Geschäften; nur die treuen Hunde hatten sich wieder als Wächter der
Begrabenen eingefunden; Arminia’s Reh kam auch, umwitterte ihr so
stilles stummes Gesicht, schüttelte die silbernen Schellen am Halsband
von Silbertressen und legte sich ihr dann zu Häupten. Herr von Sangallo
war in den Gartensaal gegangen, wo ich ihn von weitem durch die hohen
offenen Glasthüren, unter dem großen Spiegel mit goldenen Rahmen, auf
einem rothen Sopha sitzen sah. Ich ging zu dem armen Vater. Eine bange
Stunde mußte entscheiden. Die wollt’ ich ihm überstehen helfen.



V.

Die Vorstellung.


Er blieb sitzen, als ich eintrat. Ich verneigte mich vor ihm, wie man
es vor dem Unglücklichen aus Ehrfurcht und einer heimlichen Scheu thut,
indem man in ihm den Träger, Leider und Darsteller einer gar nicht zu
verachtenden, wenn auch meist unerfreulichen Macht sieht; und wahrlich
eben sowohl ~diese Macht bedauert~, als ihren Schauspieler. Und die
Macht wird nur in unserer Seele vom Hasse los, sie wird gleichgültig,
ja sie wird etwas werth, wie Eisen, daraus ein Meister ein angenehm
schönes Kunstwerk, auch nur eine Spielerei gegossen; oder wie ein
tückischer Strom, woran ein Kind ein Glockenspiel aufgestellt -- und
die Glöckchen klingen! sie spielen gar:

    „Freut euch des Lebens!“

So geschah mir vor dem, noch schönen ernsten Manne; ein Mann von 50
Jahren, dem Leibe nach, dessen Geist aber heute so alt und gefaßt und
ruhig wie die Welt, die schweigsame Welt schien. Denn er lächelte.
Er reichte mir die Hand und „nannte mich bei Namen“ wie Homer sagt.
Ich nannte ihn aber nicht bei Namen, um ihn nicht aufzuwecken -- wie
einen vor Schmerz jetzt Mond- oder Sonnensüchtigen, dessen Gefühle
und Gedanken durch alle Himmel schweiften und nach allen Ursachen,
Geheimnissen und Seligkeiten forschen und verlangen mochten.

Er deutete mir, mich zu ihm zu setzen. Er holte tief Athem. Lange
darauf erst sprach er unter dem leisen Donner: „Welches große, durch
Endlosigkeit grause ~Muß~, das da Welt heißt, das vielleicht in einer
fürchterlichen Einsamkeit so hangen und weben muß! Das nie auf seinen
Tod hoffen darf, wie doch wir, die wir.... einzeln.... nacheinander....
ihn ~für~ dasselbe sterben. Und so quält es sich selbst, ohne alles
andere mögliche Ergebniß ab, als daß es sterbend, verwandelt, so fort
~lebt~! ~O wie heilig ist das Leben!~“ Mir ist heute und vielleicht
auf immer der Humor zerstört, dieser ~süße~ Duft aus bitterem
Aloeholz; das höchste Rauchopfer, das wahrsagende singende Kind aus
dem Zauberkessel! Ich gedachte jetzt an das, was mir einst mein Lehrer
-- der jetzt noch sogenannte, aber dem Blitz und Donner und allen
Sternen unbekannte, äußerstgeheime, verborgene Oberconsistorialrath
_X...._, dem ich die Paulus’sche Ausgabe des Spinoza brachte --
heimlich in der Laube seines Gartens sagte, als höchsten Lebensrath:
„Thue alles; nur nimm kein Weib!“ -- Damit meinte er sein ~treuloses~
Weib -- also ~kein~ wahres Weib. Ich wußte sein Leid. Treulosigkeit ist
Lieblosigkeit; ja, Untreue mag einem Weibe darum noch angenehm sein.
Die einmal ~so~ Leichtsinnige, wird sich vielleicht auch leichtsinnig
trösten; aber dem liebenden Manne ist mit ihr alle Schmach, Schande,
alle tiefste Verachtung angethan. Und warum ~ihm~? Er hatte dieselbe
Schmach einem Andern angethan. Schlimm, wer ~Vergeltung~ zu fürchten,
ja zu hoffen hat, daß seine Seele Ruhe gewinnt; denn die Vergeltung
kann nie ausbleiben. Wenn sein Weib auch nichts davon wußte, Er wußte
es; Er war kein Mann, der sein Leben ursprünglich vom wahren allein
gesegneten Anfang mit seiner Frau angefangen hatte. Das ~Leben
zusammen~ rein und freudig anfangen, das allein ist der hinlängliche
feste Grund zur Ehe. Allen andern ist die Möglichkeit zur Ruhe und
Glück voraus schon abgeschnitten. Ich bin strenger, als alle Stoiker
und möglichen und gewesenen Sittenlehrer, nur aus Seelenkunde, ja
aus ~Chemie~! Auf welche, welche erstaunende Reinlichkeit muß der
Scheidekünstler halten, der viel richtiger ein ~Verbindungs~künstler
heißt. -- Ich nun, ich hatte das Leben, die Ehe, mit meinem Weib rein
und ursprünglich angefangen -- mein treues Weib, die unabwehrbar
fleißige Hausfrau, die liebende Mutter ist rein wie ein Engel von mir
geschieden. Das heimtückischeste Unglück hat mich glücklichen ~Mann~
nicht getroffen -- auch pries ich mich als den glücklichsten ~Vater~:
~mir war kein Kind gestorben~! Mir verlief die Natur nach ihrem Gesetz:
„~die Eltern sterben vor den Kindern~.“ Aber wie wahr sagt der in allen
andern so ungewöhnlich glückliche, in den Hauptstücken des Lebens, an
Weib und Kind aber unglückliche Göthe aus tiefer Brust ein Wort, wie
aus der Brust Gottes als Stimme des Weltalls:

    „Ein jeder hat, er sei auch wer er mag,
    Ein letztes Glück und einen letzten Tag!“

Ich habe ~mein einziges~ Kind verloren: ~ein einziges~ Kind. Nur ~sie~
war sie. Keine gleicht ihr nur, Keine ersetzt sie. ~Sie~ ist hinweg!
Schneiden Sie Jemandem nur eine Zehe, einen Finger weg, er fühlt nur
die schmerzende Stelle, keinen der gebliebenen Finger. Ein Vater hat
für jedes Kind ein ganzes Herz, die volle Liebe! Das ist für alle
meine Töchter so wahr, daß ich einmal ganz überrascht wurde von einem
aus der Türkei zurückgekehrten Freunde, der behauptete: „So kann
ein Türke -- also auch ein Mann, ein Mensch auch seine mehre Weiber
lieben, und alle mit ganzer Liebe! und sie alle nur ihn.“ Aber wir
Deutschen haben nicht Wörter genug, um, wie Blumengeschlechter, alle
Gattungen der Neigungen des Herzens zu unterscheiden, und stecken alle
im Rummel in den Sacknamen „~Liebe~.“ Glauben Sie, ich ehrte meine
Töchter, weil sie wie wandelnde Gefäße der ~höchsten schönsten~ Glut,
der seligsten und beseligendsten fähig sind. Und Arminia ist dahin.
~Der Mensch soll auch, was er liebt, noch beweinen, noch beklagen, um
die ganze Wunderbarkeit und Ewigkeit desselben, seinen ganzen Himmel
sich aufzuschließen.~ Wir haben schon die Priester der künftigen Welt.
In welchem alten Buche, in welchem Gesangbuch stehen da Worte, wie
Schillers heiliges Machtwort in dem himmlischen Requiem über alle
Todten; wie der aus der Messe seliger Geister tröstliche Text für alle
Welt, (da Jedem sein Tag kommt) wie das göttliche Wort:

    Laß rinnen der Thränen ~vergeblichen~ Lauf!
    Es wecke die Klage den Todten ~nicht~ auf!
    Das süßeste Glück für die trauernde Brust
    Nach der schönen Liebe verschwundenen Lust
    Sind der Liebe ~Schmerzen~ und ~Klagen~. --

Und nun weinte er bitterlich hinter seinen Händen.

Was war da zu sagen? Was an dem Mann zu trösten, ~der auch die Leiden
der Liebe als Leben erkannt~, als zuletzt jedes Menschen stilleres
inniges Leben! Ich lernte an dem Manne künftige Fassung. Es gereute
mich nicht, ich gelobte mir, es nie zu bereuen: nach Deutschland
gekommen zu sein.

Darauf kamen einzeln seine Töchter um ihm Bericht von Arminia
abzustatten. Er fragte jede nur stumm mit den Augen. Aber jede bewegte
nur leise das Haupt zur Verneinung, und faltete die Hände. Ehe sie sich
dann setzten, nannte er mir nur jede bei Namen. Und so erschienen,
nach und nach in Zwischenräumen: eine schwarzhaarige ~Adda~ -- eine
blonde ~Adelheid~, eine braune ~Alma~, eine gedrungene ~Aurelie~
-- eine schlanke ~Amalie~, eine glutäugige ~Anna~ -- schwebende
~Angelika~ -- feurige ~Armida~ --; dann eine hagere ~Alexandra~ --
blauäugige ~Alwina~ -- kleine ~Armgard~ -- hohe ~Adele~ -- sanfte
~Agnes~ -- lockige ~Apollonia~ -- dann die ~jungfräulichen~ Wittwen,
die Sympathievögel ~Antonie~ und ~Auguste~, in der Mitte die bräutliche
~Afanasia~. Bei ihrer Verschiedenheit an Haar, Farbe, Gesicht, Augen,
Mund, Wuchs und Gang, Charakter und Stimme, drängte es sich auf, daß
in ihnen viele alte Großmütter und alte Muhmen wieder auf der Welt
erschienen waren, um sich aufs neue umzusehen! Die Heimlichkeit des
Ortes; die blassen Gesichter, daraus nur Augen sich zuwinkten; die
Stille; das bisweilige Flüstern, das eintönige Tröpfeln des Regens auf
die Blätter der hohen Bäume; dann wieder ein leises Murren der Wolken,
die wie berauschte oder gutmüthige Wahnsinnige im Schlafe murmelten;
ein rosiges Aufthun des ganzen Himmels; Schrecken in den Gliedern,
den Tod im Sinn, und selber die ~Verdoppelung~ aller Gestalten in dem
deckenhohen breiten Spiegel -- dem foppenden Echo der Augen, wie das
Echo der redende Affe der Natur -- das Alles machten uns alle zu Traum
und zu Bild, das in der traurigen düsteren Stunde bis zum märchen- und
fabelhaft Wahrem nachdunkelte! O wie unendlich Süßes und Schönes giebt
diese vergänglich gescholtene Welt zu fühlen, zu leben, zu sein! Und
nur weil sie vergänglich ist, kein starrer Himmel.

Jetzt rief ~der Kukkuk~ auf den Bäumen über uns. Und der Vater sprach:
Ich nehme alle Zeichen der Natur nicht als Orakel, aber als Mahnungen
stets ~mir~ an. Mir fliegt keine Biene, daß ich als Mensch nicht
aufgeweckt zu meiner Arbeit eile. Gehen Sie, lieber Nachbar, sehen Sie
noch einmal nach; dann wollen wir das liebe Kind bis zu seiner Ruhe bei
uns bewahren.

Ich ging in meinem Mantel. Aber ich fand, daß der Regen ganz aufgehört
hatte. Die Sonne brach durch die zerrissenen Wolken, die noch wie
wunderliche Thiere über den Himmel zogen. Bei Arminia lagen die treuen
Hunde noch wachsam, sahen mich an, setzten sich auf und schüttelten
sich den Regen ab. Das Reh lag noch auf ihren Kleidern und blickte
mich an, aber stand nicht auf. Nur von einer Fingerspitze hatte, wie
von einem weißen Keime, der Regen die Erde abgespült. Ihr Gesicht
überflog die hervorblitzende Sonne. Aber da zuckte kein Auge, keine
Lippe! So niederblickend, und mit dem allerhöchsten bitterwonnigen
Gefühle der ganzen Natur „das Schöne todt zu schauen“ ganz überladen,
wie die Blumen umher von Gewitter-Ichor, zuckten meine Augen kaum von
einem plötzlich niederfallenden Blitz; aber von dem herniederstürzenden
Donner, krachend als bräche der ganze Himmel ein, knickte ich wie ein
Rohr, und fiel auf meine Kniee. Der Schooß der Erde hüpfte von der
Erschütterung ordentlich auf, und ein Zittern lief durch die Glieder
der heiligen Mutter. Ich besann mich wieder durch das plötzliche
Aufflammen eines Strohdaches mit Fischernetzen am Ufer des See’s. Aber
-- vor mir fuhr die nackend Begrabene empor! Ihre Hände langten über
ihr Haupt, wie in die rollenden Wolken hinauf. Sie saß. Die nasse Erde
fiel ihr von Hals und Nacken und Schulter und Brust in den Schooß. Vor
Erstaunen, das noch nicht Entzücken zu werden vermochte, starrte ich
sie an. Ihre Augenlieder bedeckten noch die Augen und zuckten.... ihre
Lippen zuckten; ihre Wangen überströmte eine Rosengluth; auch ihre
Stirn ward wie sonnenabendroth, ihre Gestalt zitterte; die wie nach mir
ausgestreckten Arme bebten, daß die Steine der Ringe an ihren Fingern
im Sonnenstrahl blitzten wie Thau. Ich griff ihr unter die Arme, ich
hob sie an meiner Brust aus dem Grabe empor. Sie ruhte an mir wie ein
verschlafenes Kind, das aufstehen soll zu einer Reise, und legte den
Kopf auf meine Schulter. So, mit ihr stehend, löste ich das Schloß des
Mantels, umhüllte sie allein damit, und befestigte das Schloß ihr unter
dem Halse. So hielt ich die Wankende, die ohne mich gefallen wäre,
während das Reh an ihr heraufsprang, und die Hunde sie wie rasend vor
Freude umbellten. Jetzt schlug sie die Augen auf. Welcher Gestirne
Aufgang ist irgend wo schöner in der ganzen Welt!

Wie die Schaar Nereïden, umgaben uns die herbeigesprungenen Schwestern
und drängten mir die Schwester ab. Arminia! -- Arminia! -- Arminia!
rief es, sie weckend, sie ermunternd und ermunternder. Sie wandte die
Augensterne nach ihnen; aber ihre Lippen konnten nur zucken.



VI.

Die jetzt verführte Jugend.


Sie wollten sie fortführen, aber sie war noch fühllos wie ein Kind,
das zum erstenmal wagen will ein Schrittchen allein zu thun. Endlich
kam der Vater -- wie er meinen mochte ~herbeigestürzt~; aber er
konnte kaum die Füße heben, wie ein alter schwacher Greis, und mußte
noch auf dem kurzen Wege vielmal stehen bleiben, Athem schöpfen und
ausruhen von der himmlischen Müdigkeit. „O würde doch allen Armen und
Unglücklichen auf der Erde vor Freude der Weg so sauer! Müßten sie
doch solchen Athem schöpfen! Gingen sie alle doch einem solchen Glücke
entgegen;“ sagte mein Pastor Doctor Schleyerlöser, als ich ihm des
Vaters Gang erzählte. Meine rechtschaffene Mutter schenkte ihm für
diesen Regentenwunsch einen fetten Ochsen, den er -- redlich unter die
Armen vertheilte. Auch das Geld für das Leder. Nicht die Zunge hat er
behalten. _Stupor in -- gentibus!_ auf Deutsch: ein weißer Sperling
unter den schwarzen oder schäckigen.

So eilte der Vater herzu. Sie machten ihm Platz und reiheten sich zum
schönsten Spalier in der Welt! Sie riefen: der Vater! der Vater! Sie
starrte hin. Er nahte. Sie war nicht gelähmt, sie lief ihm entgegen!
Sie war nicht stumm geworden: sie rief: „Mein Vater! mein Vater.... o
mein Vater!“ Der Vater konnte nicht sagen: O mein einziges Kind! Aber
er schloß sie in seine Arme.

Da brachen alle in Thränen aus! Da waren alle -- was man sonst Engel
nannte --: selige Geister in Wundergestalt! mit Haupt und Haar! Denn
nicht das Unglück rührt am tiefsten, wie unser biedere, auch an
Geist colossale Rückert sagt; denn das Unglück ist der Abscheu, das
Unwürdige, das verhaßte Ungethüm der Natur. ~Das Glück~ erhebt uns
zu Göttern, in unsern wahren Stand! Nicht das unermeßliche Unglück
der Deutschen in dem Kriege für die Freiheit der Könige rührt uns
so. Aber wenn ich Varnhagen’s kostbares „Leben Blüchers“ lese, und
dahin gelange, wo Blücher nach England kommt, und er vor Freuden
über das Glück von den Menschen fast erdrückt und zerzauset wird. --
~Da schluchz’ ich~ vor unermeßlicher Wonne! Denn doch die Ehre, das
Bewußtsein der Kraft haben wir Deutschen wieder; und das ist, ~das
erwirbt alles~.

So vor Freude weinend führten sie mir den Vater mit der Tochter in das
Haus. Der Himmel glänzte wieder blau und klar -- der Schelm! -- die
Vögel sangen wieder, der Kukkuk rief. Eine Schaar Studenten, die im
Gasthaus den Regen verpaßt und vertrunken, jetzt wieder flott hinaus
auf ihre Pfingstreise ziehend, sangen auf dem Wege längs des Gartens
vorüber. Und süßer wie dem Freiheit liebenden Volke im Theater nach des
Landvoigts Falle der Gesang der fahrenden Bettelmönche ertönt, ertönten
mir aus ihrem Liede mit unvergleichlich schöner Melodie gerade jetzt
die Worte:

    -- -- -- „auf’s Wohlsein deiner Schönen,
    „Die deiner Jugend Traum erhellt!“

Mir -- schwebte dabei Arminia vor. Ich hatte, wenn auch wie im Traume,
im Eifer der Rettung genug gesehen, um mir entweder überhaupt ein Weib
zu wünschen; oder insonderheit dieses wider Willen bestaunte schöne
Wesen zum Weibe. Das konnte mein summendes Haupt nicht unterscheiden.
Den väterlichen Befehl zum Heirathen hatte ich in der Tasche, was ich
merkte.... da ich wirklich danach fühlte, um ein Zeichen vom Himmel,
_à la Sangallo_, zu haben: ob höchst derselbe vielleicht auch meinte
-- (ich hatte gestern erst vielleicht die aufrichtigste kleine Schrift
über Göthe gelesen) -- daß ich „~diese Person~“ heirathen solle, wie
er seine todte Frau im Wagen genannt, und sie auch „nach Hause fahren“
solle? So kann Ich jetzt nur schreiben. Damals konnte ich nicht so
denken. Denn Brigitte, die mich allein stehen und nicht folgen gesehen,
kam zu mir und führte mich ganz Betäubten.

Ach Gott, sprach sie, hätte ich Ihnen nur vorhin nicht die Worte
gesagt! Vergessen Sie alles! Ich bin außer mir! Das trübt mir die
Freude darüber, daß sie wieder lebendig ist. Wir haben uns so lieb; wir
gönnten Eine der Andern das Herz aus dem Leibe. Aber die Liebe verräth
sich nicht! Sie ist der Jungfraun Geheimniß -- und das Räthsel der
Andern!

Ich beruhigte sie damit, daß ~ihr Gönnen~, ja keine Gewalt über ihrer
Freundin und Niemandes Herz habe! Sie lächelte mich noch geschwind
dankbar an, und wir betraten das Haus. Der Pastor kam uns mit meiner
rechtschaffenen Mutter entgegen und sagte: „Ich habe uns beurlaubt!
Heilige Feste, ich meine alle, soll und kann nur der Mensch in seinem
Hause feiern; sie leiden durch die Prostitution, das heißt hier:
wenn sie ~Vorstellungen~ für Andere werden. Wir Anderen sind ja so
glücklich, daß unsere ächten Erben nicht vor Zeugen müssen geboren
werden; unsere Lieben nicht vor Zeugen sterben müssen; wir sind der
_chambre ardente_, der Beilager, der öffentlichen Bewillkommung unserer
Lieben in Gnaden überhoben; wir dürfen nicht erst beweisen, daß wir
umarmen und weinen können. Der Vater Sangallo bat uns kurz, morgen zum
Mittagsessen und Trinken wiederzukommen. Den Herrn von Hase sollen wir
ja mitbringen, Fräulein von Hase! Arminia ist im Bade und wird von den
Nereïden bedient.“

Brigitte sah mich leicht an, und sprang zu ihr in das Bad. Ein
vornehmes mir fremdes Fräulein brachte mir meinen Mantel, in den ich
mich mit süßem Schauder hüllte, als würde ich ~die Prinzessin mit der
Schwanenhaut~! Ich dankte ihr überaus beschämt vor ihrer Herablassung.
Sie ging. Der Pastor lachte und sprach im Fortgehen zu mir: Herr von
Heiligenhahn kennt zwischen den Frauen keinen Unterschied. ~Jung~
ist einmal jede. Schön, wohlgekleidet will jede sein. Und so gehen
die dienenden Mädchen in seinem Hause wie arme Prinzessinnen; alles
schön in ~Form~, rein, solid, nur ohne falschen Schmuck, und vom Stoff
ihrer Kleider kostet die Elle zehn Kreuzer. Er statuirt nur einen
Beutelunterschied zwischen den Mädchen, der denn wirklich existirt
und groß genug ist. Alle andern Naturrechte und Menschenrechte und
Ansprüche auf Freude an sich und der Welt gesteht er gerade erst recht
allen armen und allgemeinen Volke zu; gesteht er ihnen zu -- als
Wundern Gottes. Er sagt laut, ~man muß auf alle mögliche Art das Volk
heben~, daß es die falschen niederträchtigen Ehrfurchten verliert,
damit es die Hochträchtigkeit verliert, wenn Albernes, Hohles,
Verderbliches ihm nicht hoch, sondern ausrottungswerth erscheint. Er
sagt: es ist möglich, daß ein ganzes Volk blos an Rang- und Titelsucht
untergeht, zum Beispiel, das deutsche; wenn selbst die besten Männer,
das Salz des Volkes, für einen Titel oder Orden von Gesinnung und Gott
abfallen. Doch man kennt jetzt die Wege des Herrn. Mit Erkenntniß und
Urtheil ist allem Volke geholfen.

An der Stiege zum See holte uns der Noth-Doctor Salomon ein. Geschwind
nehmen Sie mich mit, forderte er mehr als er bat. Ein neues Unglück
oder Glück!

Nun? fragten wir, schon fahrend.

-- Der Betjunge ist auf der Hinfahrt ersoffen! Er hat aus dem Kahn
einen großen Karpfen richtig ergriffen, aber das Uebergewicht verloren.
Der geistliche Herr hat, nach seiner Art Todte zu retten, nur den
Ersoffenen erwischt. Dem soll ich nun ~eine neue Seele~ einblasen!
Wenn das jetzt möglich wäre, dann wäre ich über alle Potentaten.
Wie sich der Vater und die Schwestern bei mir bedankten -- bei mir
Naturpfuscher! Bei der Natur hätte man sich nur für ihre Eigenschaften
bedanken sollen, so wie der Inhaber einer Nase dafür, daß sie riecht,
und dergleichen. Doch dergleichen kommt aus der Mode. Hier die 100
blanken Dukaten habe ich dafür, daß ich die Satyre auf den Tod --: das
Begraben als Mittel wußte, und daß es anschlug, nämlich daß es wieder
einschlug! Das war ~mein~ Glück! Die Natur verklärte mich! ~Sie zeugte
für die Wissenschaft!~ Der Vagabundus hat nun ~historisch~ das Wunder
an Arminia nicht gethan, und prostituiert, wird er nun wohl nach Tyrus
und Sidon entweichen! Nur der arme verführte Junge thut mir leid. Darum
geschwind!

Gott, wozu wird jetzt die Jugend gemißbraucht! seufzte der Pastor.
Klage Jemand noch Zigeuner und ~Englische~ Bereiter an!

Er und ich halfen nun rudern bis zum Angstschweiß. Der arme Junge lag
in meinem Dorfe im geöffneten Spritzenhause. -- Er blieb tod. Seinem
Führer mußte eine Erleuchtung gekommen sein: er hatte sich in der Nacht
ersäuft, wie die Teichwächter sagten.

Am andern Tage zu Mittag standen wir wieder in der Halle von Westfrei.
Diesmal der arme Herr von Hase, in seinem letzten wohlausgebürsteten
Rock mit uns.



VII.

Der Vater und das Kinderhaus.


Herr von Sangallo in der Mitte der beiden jungfräulichen Wittwen
empfing uns sechs Gäste. Brigitte nahm sogleich ihr Väterchen in
Beschlag; die zwei Töchter, meine Mutter und die Frau Pastorin, um sie
zu Arminia zu führen. Der Schulmeister ward gebeten, das Pianoforte
zu stimmen; der Pastor hörte von angekommenen Candidaten und ging sie
aufzusuchen. Ich bat meinen Nachbar Sangallo, mir bis zur Tischzeit
sein Haus zu zeigen.

Da hängt zwar der Riß, sprach er. Aber der Weltbaumeister schickt uns
auch lieber selbst in seinem Hause umher, und läßt alle _par terre_
wohnen. Ich habe auch nur _par terre_ gebaut. Hohe Häuser mit vielen
Stockwerken sind Nothställe; Treppen sind Lungenverderber, Dienerund
Köchinnenplagen, Marterwerkzeuge der Alten, Zeitdiebe, Buckelmacher
und Beinbrecher der Kinder, und Leichenpein! Wer baut, muß für alle
Alter und alle Vorkommenheiten sorgen. Ich habe meiner Frau und den
Kindern alles auf ebener Erde hergerichtet. Glücklich, wer Raum hat!
Diese große Halle ist -- das Atrium der Alten, nur nordisch nöthig
mit Glas, mit bunten Scheiben gedeckt, ist der Hof in der Mitte des
Hauses. Vier Flügel mit Zimmern liegen umher, groß und klein; Küche,
Gewölbe und Kammern. Ich wohne bequemer, gesünder, wie jeder König.
Ich brauche keine Treppen der Ehre, worauf sich die Menschen erst --
klopfende Herzen ersteigen müssen oder sollen. Freilich mußte ich,
endlich überschwemmt von Kindern, den Schlafsaal oben anlegen; aber Sie
sollen sehen, wie sicher und bequem. Sie sind doch einmal neugierig,
und wohlgesinnten Nachbarn müssen wir uns zeigen, wie wir sind, damit
sie uns gegen böse Zungen mit vertreten.

Er öffnete eine Thür, sah in einen Saal, wollte sie mit dem Ausruf
„aha!“ wieder zudrücken, aber sagte: Desto besser! Und so fand ich
darin auf einer Seite den Schuhmachermeister, den Schneidermeister
auf der andern, die beide auf Stühlen und Tischen ihre mitgebrachten
Arbeiten auslegten. Ich ging stumm mit dem Vater daran hinunter, und
zählte 72 neue Schuhe und 72 neue Frauenkleider; an jedes Stück den
Namen der Tochter gesteckt.

„Auf das Sommerhalbjahr!“ Ostern ist zu früh in Deutschland,
sich anders zu kleiden; erklärte er mir. Jeder Tochter ein Paar
Sonntagsschuhe und ein Paar Wochentagsschuhe; ein Sonntagskleid und
ein Wochentagskleid. Zum Winter, um die Fischzeit, geht es mir wieder
so! Ich sehe, ich bin wirklich ein lächerlicher Vater für andere
in der ganzen Gegend; für mich oft ein weinerlicher! sagte er aber
seelenvergnügt und heute wieder ~in vollem Glanze~ einer zufriedenen
glücklichen Seele. Die Sommerkleider bezahle ich mit grünen Gurken oder
Kirschen; die Winterkleider mit sauren Gurken oder Pfeffergürkchen.
Er entließ die beiden Lieferanten bis nach dem Anprobiren der neuen
Sachen, und sprach: Wie viel hundert solcher, erst winzigen, dann
immer größern, besseren Schuhe hat die gute Mutter Erde schon für mich
bezahlt! Gut ist’s, wenn in einem Haushalt Jedes zu Etwas besonders
angewiesen ist, als seiner Quelle, seiner Möglichkeit! Wie hält man da
auf alles! Sie sollten nur sehen meine Kinder Melonen pflegen, (denn
das sind -- Brusttücher) die wälschen Nüsse klopfen, (denn das sind
Bücher und Musikalien) -- die Champignons suchen, (denn das sind Zwirn,
Nähnadeln und Stecknadeln) die Gänsefedern und Kielen sammeln (denn
das sind Bücher, Papier, Siegellack und Postgeld). Einer ~mißrathenen~
Kasse darf eine der reichlich gerathenen ihre Wohlthätigkeit beweisen.
Als ich anfing lächerlich zu werden, wollte ich dazu zu lachen
scheinen, und fuhr -- wie man meine Kutschen ins groteske Deutsch
übersetzte -- mit drei Heuwagen voll Mädchen auf den Ball. Wie Ich
geärgert ward, so ärgerte ich einige Töchterbegabte Väter wieder,
und bat die weitläuftigen Freier derselben auch zu uns zu Gaste! Und
dergleichen, und dergleichen. Denn es ist thöricht, von beschwerlichen,
ja gefährlichen Dingen nicht auch den Scherz und die Genugthuung zu
erndten! Meine Töchter bekamen den übelsten Stand; sie sollten nicht
zu sehr gefällig erscheinen, wie Mädchen aus dem Kinderliede „fünfzehn
um ein Strohseil“; und, wie alle Fehler leicht in ihr Gegentheil
umsetzen, gab ich acht, und es gelang mir: daß sie aus Haltung und
sehr gemessenem Wesen nicht stolz wurden; wie es einem Vater mit 10
großen Töchtern und einem Sohne in der nahen Stadt L...... ergangen
ist, denen eigentlich die vielen barocken Anecdoten zukommen, welche
die Sage -- nun auch von meinem Hause umherträgt. Sie werden sehen und
unterscheiden.

Jetzt sah ich durch das Fenster; Vier Lieutenants kamen ~geritten~.
„Jeder auf einem Pferde“ setze ich der Folge wegen hinzu. Der Vater
fuhr fort:

In welche seltene Lage hat mich der himmlische Vater hineingesegnet,
mich, der ich doch fortwährend meinte: doch endlich einen Sohn in
der Ehestandslotterie gewinnen zu müssen; das war mein tragischer
Fehler. Da ist mir mein Schicksalstrotz vergolten! Ich leide gerechte
Strafe, der ich doch kein Majorat habe, die Niemand mehr Mode machen
wird, weil vernünftige, alle ihre Kinder gleichliebende Eltern
nicht um Einen Gesegneten die andern so zu sagen verdammen wollen:
sich in der Welt herumstoßen zu lassen als allerhand Gethier. Denn
Sinecuren, Befehlshaberstellen in aller Welt, käufliche Hauptmanns- und
Majorpatente sind wir ~nicht zu haben~ so glücklich wie die Engländer.
Ich allein kann noch reich heißen; meine Töchter eher arm; soll ich
Siebenzehen von ihnen selbst mit dem Blitz erschlagen? ~Reichthum~
hilft so schlimm wie nichts: Töchter an Männer zu bringen. Denn von
~nur~ 10 schönen Töchtern, deren jede eine Zehntel-, vielleicht eine
Fünftelmillion Mitgift erhält, hat mein hochverehrter polnischer
Freund, Graf N...., jetzt in D.... erst Eine an Mann gebracht; während
Tausend arme Mädchen umher Tausend von Männern im Lande geheirathet
haben. Auch ~Schönheit~ hilft nicht zur Heirath, möchte ich sagen
dürfen. ~Gute Wirthinnen~ sein -- gar nichts. ~Angesehene Verwandte~
haben -- gar nichts. ~Gesundsein~ -- nichts. Selbst Bucklige,
Küchenignorantinnen, den Scharfrichter zum Vetter, versorgt Hymen.

Jetzt kamen Vier Herren in Einem Wagen ~gefahren~. „Referendarien“;
bemerkte der Vater, und sprach weiter:

In die Bäder -- diese vornehmen Gesindevermiethungs-Märkte -- zu
fahren mit so vielen Töchtern, wäre rasend! Auf Messen und Jahrmärkte
mit den angreifischesten Artikeln, unklug! Auf Bälle Eine oder
Zwei, ist fruchtlos. Kein Mädchen ertanzt sich einen Mann. Ja,
viele vertanzen sich die Nehmer. Denn schon die jetzigen rasenden
Tänze machen die schönsten Gestalten, Gesichter, Kleider -- im
Schwunge geradezu ~unsichtbar~; alle Grazie weicht vor der Wuth; und
nach dem Tanze steht ein keuchendes, pustendes, krebsrothes oder
todtenblasses bedauernswürdiges Wesen (das nur die Wiener mit dem
Wort Pamperlätschen bezeichnen können), da, von den Herren bedauert,
weil es Grazie, Gesundheit, Schaamhaftigkeit durch den privilegirten
schaamlosen Ballanzug wegwirft -- um einen Mann zu ertanzen. Das soll
ein Vater mit anhören und ansehen! Etwa Ich! Meine Töchter tanzen
nicht, bis die reizendste Pantomime von der Welt, die Minuett wieder
Mode wird, und das schöne Steyerisch, wozu wohl noch die steyrische
Mädchentracht gehörte. Und nur nach den vergeblichen Fischzügen und
Angelhakenauswerfen und Reißenlegen ängstlicher Eltern, was bleibt
noch: als ehrsame, wohlerzogene Mädchen im Hause aufsuchen zu lassen!
Aber da müßte man wieder eine große vergißmeinnicht-blaue Tafel
auswendig über die Hausthür setzen lassen mit den großen goldenen
Worten: „Suchet, so werdet Ihr finden“ (das „~Ihr~“ ja höflichst mit
dem großen I!) „Klopfet an, so wird Euch aufgethan;“ und die Tafel
inwendig Abends zum Fortgehn illuminiert: „Vergeßt das Wiederkommen
nicht, theuerste Freunde!“

Jetzt, sahen wir, kamen fünf schwarzgekleidete Predigtamtscandidaten
jeder auf seinen Füßen ~gelaufen~!

„Sie sehen, sprach er, an Heirathscandidaten fehlt es nicht. Gott, wer
Gefühl hat, will nicht heirathen? Jedes Mädchen ist gleich bezaubert
und gebannt von dem Wort: Wollen Sie ~heirathen~? Denn in dem Wort
steckt Alles, was Jugend und Phantasie nur wünschen und träumen. Erst
bei der Frage: Wollen Sie ~mich~ heirathen, sehen sie sich „den Mann
auf Tod und Leben“ etwas genauer an, und haben den Freier sogleich
ganz und gar auf einmal weg auf ewige Zeiten; richtiger, wie ein
Wechsler die Wichtigkeit eines Dukaten oder die Aechtheit eines Steines
nach drei Tagen Probe. Diese Sicherheit, diese Schärfe eines fast
augenblicklich summarischen Urtheils ist die wahre Gottesgabe der
Mädchen! So beurtheilt die junge Biene schwebend jede Blume vollkommen
wahr ~für sich~. Zuletzt, glaub’ ich, das Wahre getroffen zu haben:
mannbare Töchter müssen Eltern weder verbergen noch vorführen, also in
anständigem Verkehr bleiben mit der Nachbarschaft, mein Herr Nachbar!
Was Niemand sieht noch kennt, kann Niemand liebgewinnen und wählen.
~Guter Ruf der Eltern~ empfiehlt die Kinder weit genug umher. Denken
Sie aber, ~wie viel~ müßten mir Freier kommen, wenn meine _deux fois
neuf_-Mädchen, zweifachen Musen und sechsfachen Grazien schnippisch
und kostbar auswählen sollten; mein Herr Nachbar? Wie wohlerzogen und
schön müssen sie alle sein, daß sie alle jeden Gekommenen hinreißen --
wie Göthes „feuchtes Weib“ den Fischer, mein Herr Nachbar. Ich stelle
also aus väterlicher Weisheit den Herren, welche kommen, höchstens
Drei, besser Zwei, am richtigsten nur Eine meiner Nereïden vor. Zu
viel Liebes verwirrt; jedes Weib ist des Andern Vernichterin, Eine
hebt die Andere auf. ~Einzeln~ ist jede ein Kleinod. Wie würde etwa
Robinson Crusoe schon über die Fräulein Po...... in Berlin oder das
berühmte aufsätzige „~Kind~“ entzückt gewesen sein! Müßte aber vor
~jedem~ jungen Manne, der ein Weib nehmen will, der ganze unendliche
Zug von Mädchen auf der ganzen Erde in Putz, oder ohne allen Putz,
vorüber ziehen -- welcher Parademarsch[1] von den hundert Millionen
Hindostanerinnen, Perserinnen, Cirkassierinnen, und so aller anderen,
in geziemendem anständig langsamem Schritt, der ein Schauen, Lächeln
und Zulächeln gestattete, und freilich mehrere höchst angenehm
verständerte Monate ausdauern dürfte, -- so würde der unglückliche
Heirathskandidat, wenn sie alle vorüber marschiert wären, wenigstens
wahllos, rathlos und verwirrt geworden sein. So ist eine Bildergallerie
eine Bildermords-Anstalt, wo nicht nur ~einzelne~ leidliche, reizende
Bilder, sondern selbst die besten alle Tage ermordet werden.“

[1] Hiezu erscheint hoffentlich eine Illustration.

Jetzt kam in einer blasenden Extrapost (die ganze Erscheinung für ein
von Menschen geschaffenes Thier angesehen und angehört) ein an seiner
Uniform als Postsecretair erkenntlicher, sehr angenehmer junger Mann.

„Meine der Natur nachgemachte List, sprach Herr von Heiligenhahn,
hat Früchte getragen; denn wie die vorigen Gäste, so ist auch
dieser ein an der Natur, als an schön blühender _Venus muscipula_
Klebengebliebener; kein Freier, sondern ein ~Nehmer~; ein furchtbarer,
oft ehrenräuberischer, manchmal sogar tödtlicher Unterschied! Denn
die ~geradezu göttliche Kraft~ der Weiber: in ~Einem~ ihre Welt zu
schauen, diese wohlerdachte Eigenschaft: überschwenglich glücklich zu
werden, wird auch durch die Maske der Liebe, die ein blos lüsternes,
betrügerisches, von der Natur auf den Kauf gemachtes Männchen vornimmt,
der Weiber äußerstes Unglück, die dann verstandlos wähnen, gar keines
Mannes werth zu sein, wenn ein Betrüger ~ihrer~ unwerth war! So
unsinnig sind sie aus Herzentzündung!“

Mein Herr Nachbar, der mir, ich wußte nicht wie, eine Respectsperson
geworden, schwieg, setzte sich, und eine Falte, die sehr oft
seine Stirn gefurcht haben mußte, furchte sich wieder, und tief.
Doch lächelte er dabei und schielte unter den Wimpern tiefsinnig
hervor. Seine Reden waren so wahr! Aber ~daß~ er so offen solche
Hausgeheimnisse redete, die wohl vielen tausend Vätern das Herz
bedrücken, das machte mir den Mann unheimlich. Es fiel mir ein, daß
er um die Zeit, wo er sein erstes Gut verkaufen müssen, ~tiefsinnig~
gewesen sein soll, und dann wieder, als er sein ~zweites~ Gut um die
Erziehung der Kinder willen -- verstoßen. Doch soll sich der Tiefsinn
nicht schlimmer als nur dadurch geäußert haben, daß er an seinem
Pianoforte die Melodie von „~Freut Euch des Lebens~“ mit Einem Finger
gespielt; oder einige Male Hölty’s schönstes Lied also gesungen:

    und weiche ~keine Meile~ weit
    von Vaters Wegen ab!

Ich besah mir indeß einige Bilder an der Wand dieses Ankleidezimmers
und fand unter colorirten Modejournalbildern, worauf Mädchen und
Mütter mit kleinen Mädchen und Knaben freilich bejammernswürdig
zum Muster gekleidet da standen, wie die neuentdeckte ~hundertste~
Art Familienaffen, oder Affenfamilien. Darunter stand die Schrift:
„Putzaffen“ und der Vers, angeblich von Logau:

    „Du edles deutsches Weib, wie bist du angethan!
    Um andern gleich zu sein, dem Höll’entstiegnen Wahn;
    Zerputzt, belappt, beschnürt, der Aeffin gleich gemacht,
    Doch als ein menschlich Weib, so schön, mit Recht verlacht;
    Der Gute aber weint ob solch verstellter Zier,
    Die Dich zur Geckin macht, zum bunten Sclaventhier.“

Unter einem Bilde mit sogenannten Wespentaillen „Weibern,“ stand:

    „Schämt Euch, Männer, hier über dies Weib, der Erbärmlichkeit
        Tochter!
    Weint, daß die Herzlose Glück, Güter und ~Liebe~ verputzt.
    Ist es denn wahr „„Gebt täglich dem Weib: Schmuck! Spitzen und
        Kleider!
    Und nie frägt sie nach Mann, Kinder und Himmel und Gott?““ --
    Nein! das ist Lug! Denn kost’ es dem Mann Gut, Ehr’ -- Ihr das
        Leben,
    Fragt sie noch dann nach -- Hut, Schleier und Hauben und Band!“

Er sah mich lesen und sprach: „Das war ein schwerer Punkt, der
Mode trotzen lehren: Achtzehn junge Weiber im Hause! Ich mußte zu
den bittersten Räucherungsmitteln greifen: die Wespen zu Tode zu
räuchern! Was ist schöner, und den edelsten Marmor-Götterbildern
gleicher als ein ~ohne Bänder~ aufgewachsenes Mädchen! Von allem das
Verführerischeste sind am Weibe ~die Hüften~, und ich beschuldigte alle
~Wespen~weiber offenbarer Verführung zu -- dem schwer von einem Vater
vor seinen Kindern auszusprechendem Worte -- Wollust. Sie erblaßten
vor Schaam. Ihre ~reine Seele~ war besiegt -- das Uebrige that ein
Seitenstück zum Bilde eines Trinker~magens~, das Bild einer, an der
Schnürbrust, elend und schmerzlich gestorbenen Apothekerstochter in
S****. Den herzgewinnenden Ausschlag aber geben die Pariser Abgüsse
der unvergleichlich schönen griechischen Marmorbilder der Frauen,
die dem Bildhauer zur Medizeïschen und der Capitolinischen Venus
Modell gestanden -- mit ~vollen~ Taillen. Jener Nachtwächter hatte
Unrecht, die Frauen lassen sich schon etwas sagen, aber nicht mit
Worten auf der Gasse, sondern mit reizenden Dingen. Die Sinne der
Frauen müssen besiegt sein, dann ist es ihr Verstand. Wir reden das
unter uns. Vatersein, Muttersein ist ~ein Amt~, das einzige, höchste,
göttliche, und das süßeste, belohnendste! ~Dieses treu~ zu erfüllen,
bin ich weiter nichts geworden als ~ein Vater~. Ich hoffe aber:
eine Schaar Töchter, künftige Gattinnen und künftige Mütter wohl
und schön ausarbeiten, wie ein Bildhauer in Fleisch und Geist, das
heißt viele Männer glücklich machen, eine Heerschaar weise ins Leben
geführter Kinder und Enkel in heiliger Stille säen! Ich habe nur Einen
Wunsch: Endlich auf meiner jüngsten Tochter Hochzeit tanz’ ich den
Großvatertanz, davon glücklich ermüdet schleich ich zu Bett, und -- bin
todt. --

In solchen Worten schaute ich keinen Unsinn, keinen eingeschlichenen
Gedanken; und wir gingen durch saubere freundliche Arbeitszimmer der
Mädchen, worin er mir kurz sagte: „~Leibliche Arbeit muß mit geistiger
Freude bedeckt werden~“, wie den Kameelen ihr saurer Weg durch frohe
Schalmei! Darum ist die Zeit gewonnen, nicht verloren, die Eine dazu
verwendet, Allen vorzulesen. Was? steht dort im kleinen Bücherschrank.“
--

Das war eine Aufforderung. Aber ich will nicht verrathen, welche Bücher
ich dort ~nicht~ fand. Es könnte es manche Celebrität übelnehmen. Eins
aber sage ich: ich erstaunte, wie viel Kernbücher schon die Deutschen
in aller Stille aus freier göttlicher Seele geschrieben haben! Die
Deutschen werden ~mit Völkerrecht~ auch ihre deutsche Bibel haben,
damit es wieder etwas Neues zum Verbieten und zum Verbrennen giebt.

„Wenn ich ein Kaiser oder nur ein König wäre, zu welcher Schule des
Lebens wollte ich die jahrelange Versammlung der Jugendblüthe des
Volkes machen, welche „Soldaten“ heißt! O Gott, welche Gelegenheiten
werden versäumt, auf ewig versäumt; „~denn auch die Jahre des Volkes
sind gezählt~!“ Das sagt’ er stöhnend und auf der Stirn furchte sich
seine düstere Falte. Ich fand auch deutsche Journale, wozu er sagte:
Fast in jedem Journal stehen schöne, wahre, oft für immer merkwürdige
Aufsätze oder Stellen, an welchen die mächtigsten Magen zu verdauen
haben. Diese, nämlich die schönsten Stellen aus den jährlichen
Journalen, müssen gesammelt und dem Volk als Bücher gegeben werden. Die
Weiber, da sie gerade das größte Interesse am öffentlichen Volksleben
haben, um nicht ~im Hause~ die öffentlichen Sünden zu büßen, oder
ihre Söhne und Brüder zuletzt einer Verwirrung zum Opfer zu geben,
die Weiber müssen in das Volksleben gezogen werden, um miturtheilen
und mit den Männern Stimmung geben zu können; darum muß die Jugend,
die heranwachsende Mutterschaft schon Kenntniß erhalten, und ein
deutsches edles Weib doch so viel, wie jede Höckerfrau in England!
Wo Volksverlangen und Volkswohl ein Geheimniß ist, da wird es auch
unsichtbar bleiben. Sela! nicht etwa Amen! Aber wie fällt ~meine~
deutsche Jugend über die Wahrsagungen und Prophetenstimmen her! Der
morgende Tag, das morgende Brot auf dem Tische ist ihr nicht so
wichtig, wie ihre ~Zukunft~ auf Erden, in welche sich die vormalige
ewige Seligkeit verwandelt hat. Aber kommen Sie in den Musiksaal!“

Darin nun überzählte ich 10 Pianoforte, außer dem Directionsflügel,
einer herrlichen „Repetition“ von Breitkopf und Härtel in Leipzig,
mit einer Claviatur, elastisch und Händebeflügelnd zur Wonne! von
einem Tone, erst in der Ferne recht laut und klar. Mein Schulmeister
stimmte nur ~eine~ Saite, wie er sagte. ~Vor~ Abend, sprach der Vater
-- denn bei Licht Noten lesen ist bei Cassation den Augen der Meinen
verboten -- werden wir Ihnen und den Gästen eine Sonate _à quarante
quatre mains_ vortragen. Warum setzt man unserem deutschen Schröder,
der durch das Pianoforte die Musik vom Himmel in alle Häuser getragen
hat, nicht auch ein Monument! Wem verdanken unsere, ~als Muster~ aus
jedem Hause zu werfende Pianofortekünstler ihren Ruhm und ihr Gold?
Schrödern! Also Ihm als Tantieme ein Conzert von Jedem! dazu legt
jeder Pianoforte-Spieler Einen Pfennig -- und so ist das Monument
erbaut. ~Ohne Musik kein deutsches Leben mehr.~ Musik ist unsere halbe
Religion, unser Herzenscultus des Himmlischen allen in der Natur.
Der Conzertsaal ist der Tempel der Gefühle, wie an jedem Musikherd,
dem Pianoforte -- diesem hölzernen Engel, und doch einem Engel! Wer
hat schon ermessen, welche Ströme Andacht durch die Musik neben der
Kirche vorbeifließen! Wer ermißt die Tiefen ~der Musik ohne Text~,
der Jeder frei weltprotestantisch ~sein Herz~ unterlegen kann und
unterlegt; selbst die Ultramontanen und unsere Citramontanen thun
das, die gar nicht wissen: ~wie frei~ sie die Musik macht, sonst
wäre sie längst verboten, und jede Liedertafel wie eine Herzen- und
Seelen-Freimaurerloge, auch noch verboten. Aber den Deutschen die
Musik zu nehmen, daran scheiterte endlich Alles. Und wie die Musik die
Gemüther erhebt! wie Beethoven die Männer ~stählt~ und ~stolz~ und
~feuerfest~ macht, wie Prometheus! Aber vergeblich war der Schwalbe
Warnung an die Vögel: den blühenden Lein auszureißen! die Vögel kannten
die Stricke und Netze daraus nicht; „die Vögel lachten;“ Gott regiert
die Welt durch Wetter und Wind, und auch die Musik ist so ein Wind!
jeder kraftreiche seelenvolle Tonsetzer ist sein Untergott. Aber still,
daß wir nicht Kaffeeriecher -- Tonlauscher bekommen, deren freilich
die unmögliche Zahl von ein Paar Millionen zu besolden wären. Auch ein
Quartett ~von Haydn~ werden wir Ihnen vortragen. Denn selbst Mozart hat
aus so ~kindlich großem~ Herzen kein Quartett geschrieben: Haydn ist
unser tiefer Orpheus und klarer Homer zugleich. Blos den Quartetten
Haydn’s verdanke ich den Besitz meines Herzens, und dadurch der ganzen
seligen Welt, von Thau und Blume bis Mensch. Mit seinen Adagio’s und
Andante’s darin, getraue ich mich einen vollkommnen ~sittlichen~
Menschen zu bilden, ~ohne~ jedes Buch, ohne ~alles~ „Wort“. Denn Worte
sind auch nur in Laute übersetzte ~Gefühle~. Bloße sittliche Worte
kenne ich aber nicht.

Mein Schulmeister und Lieutenant spielte jetzt den ersten Satz der
~einzigschönen~ Sonate Beethovens, _Op. 18_ aus _C moll_, während ich
die Musikalien musterte, die endlich so bequem aufgestellt waren, daß
sie nicht unter den andern aus dem Stoß durften hervorgezogen werden.
Welch ein Reichthum, und nur ~von den schönsten Werken~, unserer
Meister! Lohn’ Euch Gott, ihr Künstler! betete ich fast; da ich
bedachte: der ächte Künstler arbeitet für die ganze Menschheit, für
alle folgenden Geschlechter. Wie viele dieser Werke schon in Amerika,
in Ostindien, auf den Inseln oft an schönen Tagen und Nächten ihre
Blüthe entfalten und duften, so werden sie die Runde um die ganze Erde
machen! Ich brach aber die Hände, nun ich hinaus sah, und ahndete:
Alle ~diese Blätter~ wird einst die Natur wie Baumblätter verwehen,
begraben! Das alles wird nicht mehr sein! Ich klagte das laut. Aber
Herr von Sangallo sprach, das bedeutet uns Freude! Was auch andere
Sterne in dem großen chemischen Wetterglase das Welt heißt, des Schönen
besitzen: Helena und Homer haben Wir allein! nur Wir haben in aller
Welt: die schöne Venus und den Apollon, Göthe und Schiller, selber das
Wort „~und~“ haben wir allein! Das ist auch etwas werth: ~einzige~
Schätze besitzen! Und ~die größten Deutschen werden erst kommen~,
wir sind berechtigt sie erst zu erwarten; so wie das ganze deutsche
Volk, nach den Frühlingsstürmen, in herrlicher Blüthe mit reichlichen
Früchten in seinem heiteren ruhigen Herbst! Amen, das heißt: das
Werdewahr! --

Durch das Frühstückszimmer gingen wir dann in das Ankleidezimmer. Ich
durfte durch eine halb mir geöffnete Thür einen Augenblick in das leere
Bad der Nereïden sehen. Dann ladete der Vater mich in einem Cabinet
auf ein Sopha zum Sitzen ein; er setzte sich mir gegenüber, zog an
einer Schnur, und leis und rasch schwebten wir hinauf -- auf seiner
früher angedeuteten Treppe, die sich wieder senkte -- und landeten
gleichsam droben in dem freundlichen Schlafsaal mit den schneeweißen
Lagerstellen der Mädchen. Eine kleine, kleine gothische Kirche mit
Thürmen, aus Gyps geformt, mit bunten Glasfenstern, nannte der Vater
-- die Nachtlampe. „Den Schwestern liest Eine aus den ~neuesten~
Religionsbüchern vor; dann spielt sie ihre Seelen durch die schändlich
im Volke vergessene Glasharmonika in den Schlaf. Früh erweckt sie
sie so, und liest ihnen und sich dann Leben und Tag überschauend,
weihende Worte.“ Unter den „~neuen~“ Büchern fand ich Astronomische und
auserlesene Poesien. Nur Eins hat mir Mühe gemacht, sprach er lachend:
~das Frühaufstehn~! Ich mußte zu dem verzweifelten Mittel greifen,
am hellen Morgen den Nachtwächter vor dem Fenster der süß und fest
schlafenden Mädchen ein Horn blasen und singen zu lassen. Das war wohl
Schande! Doch nur in der Meinung der Verschlafenen. Der Nachtwächter
aber wußte von mir nicht anders, als er solle mir den Haushund
gewöhnen, daß er über sein Horn nicht heule; welche Abgewöhnung ich
nicht in der Nacht vornehmen wolle. Ein Hauptfehler wäre: Kindern durch
Ausplaudern ihrer kurzen vergänglichen Fehler, Schande oder Nachrede
~auf Lebenszeit~ zu machen! Der Fehler wird verbessert, selber die
Kinder und Eltern vergessen ihn. Aber Nachrede bleibt. Die Sache
mit dem Nachtwächter ist wahr; aber von einem Andern auf mich, als
eisernen Erzieher übertragen ist die Begebenheit: Ich hätte meine stets
unvorsichtige und ungeduldige große Tochter Armida in kurzer Zeit von
~Ungeduld~ und ~Unvorsichtigkeit~ dadurch kurirt, daß ich ihr für ein
Tag und Nacht im Busen ausgebrütetes Ei 100 Louisd’or gegeben. Was
hilft, ist ein Mittel; und es sieht mir ähnlich! Denn Vorsichtigkeit
und Geduld einer Frau sind wohl Goldes werth, und mit 100 Louisd’or
durchaus nicht zu theuer bezahlt!

Darauf führte er mich in die ~Kinderschatzkammer~ -- in das ~grüne
Gewölbe der Jugend~, wie er sagte. Aber eine weiße Gestalt war uns
leise nachgekommen, nur von mir bemerkt. Sie blieb in der Thür stehen,
erröthete vor mir und schlug die Augen nieder. Das war wohl lieblich!
Ich erkannte ~Arminia~! Mir klopfte das Herz auf. Ihr gewiß auch. Aber
wer anders war da sie zu retten bei ihr in der Noth, als Ich? Denn
die letzte Schwester war, verzweifelnd an ihrer Auferstehung, zum
Vater gekommen. Wer müßte der sein, der ihr ~nicht~ geholfen! Ich
fühlte: wie heimlich vertraut wir einander geworden waren und blieben.
Sie that keinen Schritt; sie blieb stumm. Und der Vater forderte
mich auf zu sehen: die vielen kleinen Jahresschuhe der Kinder! unter
durchsichtigen Florstaubschleier. Das war wohl liebliche Waare! Dann
eben so die schneeweißen kleinen Strümpfchen, wie für Lämmchen; dann
die kleinen Kinderhäubchen alle; rosig, himmelblau, grasgrün, golden
-- und die Schneeweißchen, Tauf- oder Westerhemdchen mit Spitzen.
Lieblich! -- Dann mußte ich die Reihe Puppen sehen, zerspielt, mit
ernsten Gesichtchen: jede ihren Namen aus dem Kinderparadiese,
großgeschrieben in der ausgestreckten steifen Hand! -- Hier, das erste
Gestricke der Kleinen! Dort das erste gesponnene Garn, vom Vater
Katzengarn genannt. Und von der Decke hingen die Christbäume alle,
jeder mit seiner Jahrzahl, vertrocknet, fast nadellos; die paar Nadeln
daran gelb und braun, wie Haare in einer Gruft! Auf den Zweigen noch
die Enden der Wachstocklichtchen, die goldenen und bunten Rosen, und
die Zuckermännchen und Weibchen. -- Dann wieder die ausgestopften
Vögel, die einstige Freude der Kinder: Rothkehlchen!... Zeisig!...
Staar!... Kanarienvogel! Dabei ein Lämmchen, ein kleines Hündchen,
ein Eichhörnchen. Das war wohl lieblich! Mir war so, als wäre ich
in den Himmel gekommen, in das Zimmer, worin der Kindervater seinen
unsterblichen Vorrath hat, und daraus immer den Menschenkindern
herabfliegen, herabbringen läßt, was ihnen Freude macht. Aber da
lagen noch im Sonnenschimmer auf blauer Seide gebettet, unter hellen
Glasglocken, die ~Kinderhärchen~! Das war wohl lieblich! Rings umher
aus den goldenen Rahmen aber sahen noch ~die Bilder~ der Kleinen
lächelnd in ihre Kindertage! Und so stand auch der Vater, der jetzt
Arminia erblickte und sie zu uns winkte. Sie kam. Der Kukuk rief wieder
-- dieser Schutzheilige, Allgegenwärtige in den Frühlingen der Jugend
und des Alters, der Vogel der Hoffnung und der Erinnerung -- und
erweckte uns die Gefühle von gestern.

Sie stand vor uns. Aber nicht etwa ein Lächeln war unter ihrem Gesicht
verborgen. Und der Vater sprach:... Und Tochter, Du dankst nicht
unserem Freunde?

Ihre Glieder regten sich zu einer Bewegung, die gleichsam im Keime, im
Hervorbrechen erstickte. Doch reichte sie mir die Hand und bemühte sich
mir in die Augen zu sehen.

Das ist schon mein Weib! sprach meine Seele heimlich jauchzend zu mir.

Der Vater aber entschuldigte sie mit den Worten: die Begrabene fühlte
sich, wie alle ihres Gleichen, durch den Todesschlaf ~der Angst
überhoben~, die wir alle um sie trugen -- nun fühlt ~sie~ unsere Angst
nach!

Sie lehnte sich an den Vater: sie küßte Ihn -- ein himmlisches Zeichen
zu Gunsten meiner -- dann bat sie ihn zu Tisch zu kommen, wo mich und
ihn die Anderen schon lange erwarteten.

Ist der alte General da? fragte er.

Auch; antwortete sie, sich die Lippe beißend; und ~Herr von Stifter~
mit seiner Frau und den vier Söhnen? Sie verneigte sich ~ganz erblaßt~
und ging. Er sah ihr nach und meinte dann: Wie gern seh’ ich meine
Tochter noch in ihrem Frieden, so noch ungedungen! unbezwungen von
Augen und Herz und eigener Himmelsgewalt. Aber ich muß des Nordlichtes
schon gedenken, das bald in ihre Blüthen, auf ihre Früchte, in ihre
Nächte fällt.

Aus allem diesem nahm ich ab, ich solle abnehmen: daß sicher noch
Niemand Anwartschaft auf Arminia habe. Ich blickte zur Sonne, um mich
zu stärken, mit Muth zu erfüllen, indem ich mir an ihrer Ewigkeit alles
zu Traum verschweben lassen wollte, nur Arminia eben nicht! Dann sprach
ich wahrscheinlich -- denn ich hörte nichts von meinen Worten --:

Geben Sie mir dies Mädchen zum Weibe!

Kurz darauf setzte ich hinzu: Gestern, als sie begraben war, hätten sie
mir sie gegönnt!

Er lächelte, als dächt’ er: heute lebt sie; dann antwortete er mir:
Herkömmlich ist es, sich für die Ehre zu bedanken.... die ich nicht
begreife. Sie scheinen zu lieben; das würde Ihr Glück sein, wenn ihre
Liebe -- -- ~Liebe~ ist; (mir fehlt ein Gleichniß, ein Beiwort, denn
der Liebe gleicht Nichts). Prüfen Sie sich. Daß Sie aber meine Tochter
von ~mir~, dem Vater, verlangen, bei mir um sie anhalten, das erlaubt
drei Antworten auf drei Voraussetzungen. Eine, die: Ich sitze, wie
ein Mann in der Bude, überhäuft von Waare. Ich muß losschlagen -- mit
Schaden --; und meine Töchter sind so wohlerzogen, so dankbar und
mir ~so~ gehorsam, daß Ich nur ja sagen darf. Aber meinetwegen in
allen Dingen, ~nur in der Liebe keinen Gehorsam~! Das heißt ~mit~ der
Liebe. Das ist ja eben die bittere Erfahrung, die jetzt viele Tausende
~machen~: die Liebe läßt sich nicht befehlen; nur das, mit Zwang
ja mit Abscheu „~Thun~“ -- zur Noth. So aber meint der reiche alte
General -- der gestern um meine ~Arminia~ angehalten hat, und heute
kommt, mein Jawort zu holen. Hier ist ein Brief. Er ist wahrscheinlich
kein Frommer, der sich auch den Glauben und das Beten hat zum Schein
befehlen lassen, und denkt: Ich und Er werden mit ~dem Schein~, also
mit der Heuchelei zufrieden sein, weil er hochgestellt und reich ist.
Ich werde nach Tisch ihm die Antwort schriftlich zusagen, und ~Sie~
sollen die Antwort concipiren! Auf gleiche Bedürfnisse schließt man
~weltliche~ Bündnisse, und Verträge mit Denen, die ~gegen~ unsere
Bedürfnisse fanatisch denken und handeln. Also muß der Brief ein
~Concordat~ mit ihm sein. Das wirksame Gefühl dazu geben Ihnen etwa
die Sätze: Alle goldenen Schätze und Kreuze, ja Kronen eines ~Alten~,
wiegen nicht ~die jungen Jahre~ eines Mädchens auf. Das ärmste
Bauermädchen, das den alten uns bekannten Dalailama heirathete, wäre
schändlich um das betrogen, was die ganze Welt Einem nur einmal zu
geben hat, um die Jahre, das Leben! Der Werth der jungen Jahre ist
unermeßlich! Dagegen ist aller Reichthum der Reichen nichts, gar
nichts; aller Rang und Stand der Berangten ist dagegen nichts, gar
nichts. Denn die Jahre sind die einzigen Gaben der Welt an Jeden, sein
eigener schönster und höchster Besitz, die Blüthe der Zeit, die Frucht
der Ewigkeit. O möchten doch alle vermeintlich armen Mädchen einsehen,
was sie besitzen mit ihrer Jugend! Aber ~die Unschuld~ nur giebt uns
Achtung vor uns selbst und Werthgefühl unserer selbst, jeden Haares an
unserem heiligen Leibe, heiliger, als Reste von Todtenknochen, und wenn
Gott selbst der Todte wäre! Ein Alter, der ein junges Mädchen liebt,
wie er ~seine~ Anfechtungen nennt, hat den Weltverstand verloren und
meint, was ihm tausend Fälle bestätigen: die Mädchen denken: „lieber
~äußerlich~ glücklich, als ~doch~ nicht innerlich! Lieber Pein und
Strafe, als Leere! Lieber schlecht und kurz geheirathet, als gar
nicht.“ Solchen Unverstand müssen Eltern mit Gewalt brechen. Stellen
Sie sich vor, junger Mann und hoffentlicher Herr Schwiegersohn: ~eine
alte Frau will Sie zum Manne haben~; und mit ~der~ Erbitterung gegen
diese ehrwürdige Dame, verfassen Sie dem alten reichen hohen Herrn den
Absagebrief, aber so artig, als wenn die Begehrte -- Arminia wäre.“

Ich versicherte meinen ganzen Kopf und mein ganzes Herz auf den Brief
zu verwenden.

Die Zweite Antwort ~für Sie~ wäre: Sie ahnden und ehren den Verlust,
den ein Vater leidet, wenn er ein Kind hingeben soll! Die gediehene
Fruchtpalme seiner Sorge und Mühe, seine als holde Lebendige
auferstandene Lehre, Liebe und Treue, einen Hauptgewinn seines Lebens
-- da Sie dem alten Stamme die grünen Zweige abhauen, daß er kahl
und leer stehen soll, bis er eingeht. Mögen Sie dafür einst mit
der freudigen Wehmuth belohnt werden: dem heiligen Gange der Welt
sich hoffnungsvoll zu fügen. Eine Tochter glaubt man wegzugeben, zu
verlieren -- ein Sohn scheint etwas zu nehmen, zu gewinnen -- eine
Frau. Aber beide sind verloren; doch ~wenn die Kinder gewinnen, dann
werden gute Eltern reich~. _Dr._ ~Troxler~ hat mich versichert,
meine Herren Schwiegersöhne würden fast lauter Söhne haben. Der
Familientypus, der Mensch bleibt: „Mädchen und Knaben sind nur Revers
und Avers derselben Goldmünze der „~Geister-Falschmünzerei~““ --
spricht unser Nachbar ~von Stifter~ darein; weil seine gute Frau,
die bei ihm zum bleichen Gespenst sich verzehrt hat, ihm gar keine
Kinder gebracht; und seine Verwandten ihn verhindern, daß auch nur
Einer seiner Nebensöhne legitimiert werde, um sein nicht fern von hier
liegendes großes Majorat zu erben. Deswegen ist er schon bei Lebenszeit
nach Ostfrei gezogen, das seiner Frau verschrieben ist. Sie werden
die Unglückliche sehen, die so gut ist, wie ein homerisches Weib, das
seines Mannes natürliche Kinder mit solcher Liebe und Eifersucht, und
solchem Neid und Gram erzogen, daß sie bald zu den Schatten steigen
wird. Und stellen Sie sich vor, diese Unglückliche wird in weitem
Kreise hiehin und dahin ~als wunderthätiges~ Bild geholt! -- eingeladen
von Frauen schon oder noch wankender _Greluchons_. Und ihr Anblick,
ihr Schweigen, ihre himmlische Geduld, ein leichtentschlüpftes Wort,
ihr widerwilliges leises tiefes Aufathmen, das ein Seufzen oder Gebet
schien, hat nach ihrem Abschied die verstocktesten, verblendetsten
Männer ihren Frauen zu Füßen geworfen.

Trotz meiner Rührung freute ich mich; denn welchem Schwiegersohne kann
man eine einschneidendere Warnung geben, als er that; und noch mehr
dadurch, daß er mich darauf bei Tisch der wie vom Tode erstandenen
blassen armen Frau gegenüber setzte, von der ich schon bei meinem
heutigen ersten Besuch vor Jammer fast übereilt geschieden war. Er
zahlte mir also schon Gold „auf den Schwiegersohn“ aus!

„Meine dritte Antwort an Sie wäre, fuhr er fort: Sie haben den weisen
Vorsatz: Du mußt dir die Liebe der Geliebten gewinnen. ~Ohne zu lieben
heirathen, ein dich nicht liebendes Weib nehmen, ist Todsünde~, weil
es nicht das wahre göttliche ~Leben~ bringt. Liebe ist ja die ganze
Sache dabei. Mit Begeisterung muß alles geschehen. Die Begeisterung
ist alles selbst. Ob einander Liebende dann verstehen ~die Liebe zu
erhalten~, das ist ein Anderes. Darum ist ein Herrnhutisches Losen
und Gelost werden die Austreibung -- des höchsten Wesens! Darum ist
Weibergemeinschaft: Erniedrigung unter den Elephanten! ~Nur Jüngling
und Mädchen lieben einander mit der Liebe, die einzig den Namen
Liebe verdient! Sie nur macht Weib und Mann glücklich, glücklich die
Kinder. Nur unter Weib, Mann und Kindern ist Liebe~ -- gegen ~Andere
alle~ ist nur: Agape, und von ihnen ist auch nur Agape zu verlangen,
Anderen wohlzuwollen, wie sie uns; aber Niemand kann sich selber
~lieben~, also auch nicht ~alle~ Anderen. Aber alle Anderen ~lieben
sich untereinander~, aber alle ~nur als Mann und Weib und Kinder~. Und
das thut der Eisbär! Das, die Vögel alle in allen Nestern! Das, die
Blumen und Blüthen alle! -- Das ist der Geist der Welt und ist das, was
man sonst die Seligkeit nannte, aber was sie allein überall wirklich
und ewig ~ist~. Andere sollte man nur agapiren ~wie~ sich -- aber alle
Liebende lieben den geliebten Anderen ~mehr wie sich~! Die Schlange
läßt das Leben für ihre Kleinen! Die Menschenmutter stirbt für ihre
Kinder -- und mit Freuden! mit Freuden! Glücklicher kann der Geist der
Welt in keiner Gestalt werden. Ich wünsche meine Tochter glücklich.
„Darum, heißt es, soll Dich die Tochter ~lieben~; wenn der Vater, als
Hausverstand sie Dir geben soll! Zwinge sie also dazu dadurch, daß Du
ein Mann bist, durch alles was und wie Du da bist und was Du hast. Denn
das alles eben bist Du. Nur hüte Dich, daß die Geliebte nicht blos
~Deine Liebe~ liebt, und sich Dir aus Rührung, Eitelkeit, Mitleid oder
Weiblichkeit nur ergiebt. ~Ihre Liebe~ muß nach Dir heimlich weinen!“
-- Aber zu dem allen spreche ich, und gebe Ihnen ein Zeichen: Wenn
Arminia zögert und ihr Jawort zu geben hinausschiebt, dann gerade liebt
sie Sie. Denn jedes Haus und jedes Herz hat seine eigene Religion! Ich
werde ihr von Ihrem gottseligen Vorhaben sagen, und wenn sie bei Tische
nicht ißt -- dann trinken Sie auf meine Gesundheit! --“



VIII.

Verwickelungen.


.... Und ich konnte trinken! darüber trank mir wieder der schon
innerliche Schwiegervater zu. Die Mittagstafel war aber zugleich
Verlobungsfest der ~Afanasia~ mit dem Postsecretair ~Rheingraf~, einem
allerliebsten jungen feingebildeten mit Sprachen und Wissenschaften
reich versehenem Adligen, der sich der Einpferchung und Einstellung zum
Schwiegersohn seines, an schönen und guten Töchtern, so wie an Gelde
reichen Postmeisters, heimlich und glücklich entzogen hatte.

Eine Verlobung erregt anderer Mädchen Herzen, erweicht sie, zieht
sie an, und macht sie handgiebig. Besonders wenn eine Schwester des
Hauses Braut ist, oder gar geheirathet hat, dann sind alle leichter
zu erwerben. Denn ein leiser Neid erweckt mit Recht ein Begehren
nach den göttlichen Dingen. So auch hatten die Herren Referendarien,
Candidaten und Offiziere heute das Leben sehr süß und hoffnungsreich!
Aber da ich ihnen, durch Vater und Tochter gewiß schon als künftiger
siebenzehnfacher Schwager im Herzen lebte, so war doch auf keinem der
schönen Gesichter ein Zug des Neides, ein Zürnen über Zurücksetzung
wahrzunehmen. ~Wie schön~, dacht’ ich, auch, wann -- ~Schwestern~, ein
Haus voll, ~so einträchtiglich und gönnend~ bei einander ~wohnen~!
Was für Arbeit und Mühe, Pflege und Lehren des Vaters und der Mutter
stecken doch in Kindern, wie in einem Nelkenflor der Gärtner steckt.
Nur unsere ~Brigitte~ aß auch nicht, sondern sah ihre Freundin Arminia
mit den allerzärtlichsten, ja wirklich liebebeladenen Blicken an. Sie
bewunderte sie; sie erblaßte und erröthete vor ihr, daß ich nicht
wagte, das arme Häschen anzusehen. Aber wie zärtlich streichelte sie
auch den sammtenen Kopf ~meines~ Hundes, der als ein stummer, aber
gewiß tiefaufmerksamer Beobachter und Kundiger der Seele seines Herrn
neben ~Brigitten~ saß! Versteht sich, auf der Erde. Der Psycholog!
Der Herzenkenner! Konnte mir nicht eine Stimme vom Himmel damals
zuflüstern, was später einmal der Weiberkenner Herr von Stifter mir
sagte: „Liebende Weiber lieben alles, was ihr Geliebter liebt, sogar
seine Geliebte. Sie allein finden den Weg: sich selber quasi zu lieben!
Ja, im Morgenlande finden Männer-schwärmerisch-liebende ~Frauen~
zuletzt jedes schöne Weib zum Anbeten schön!“ -- Mir geschah nur, daß
ich einen Augenblick denken mußte: „wenn Du ~Brigitten~ so aus dem
Grabe gezogen!“ -- Darüber mußte ich wenigstens mit dem Stuhle rücken,
um nicht gar aufzustehen. Da erblickte ich mir gegenüber die blasse
unglückliche Frau von Stifter, und ich war vollständig retabliert.
Fast ein jeder Bräutigam soll noch in der Entscheidungsstunde einen
solchen ~Abschiedsanfall~ haben, wo ihm alles geschauete Schöne und
Liebe noch einmal -- zur Prüfung -- vor Augen erscheint. Dann macht die
Phantasie ihr Bilderbuch zu, und die ernste Liebe tritt heran. Denn die
Liebe, sie, die allein wahre, die alles Leben hervorbringende, alles
berauschende Glut aller Welt, ist das ernsteste und lebensgefährlichste
Wesen zugleich. Verwandelt, zersetzt, zerstört und nur leise gekränkt,
ist sie Gift und Tod, wie kein anderes Schrecken. Arminien betrafen
meine Augen auf einem langen finstern wie recht zürnendem Blick
nach mir. -- Das lobte mir Herr von Stifter, der heimlich mich gern
rasch zur Verheirathung mit Arminien drängen wollte, mit den Worten:
„Finstere Mädchen, lohende Herzen. Heiter lachende Mädchen machen
finstere Männer. Ich möchte wohl wissen, worauf die Finstern so zürnen?
Denn es ist keine Verstellung. Ich glaube, wenn ihnen ~ein Mann~
verkündigt wird, das ist kein Scherz!“

„Gewiß nicht“ sprach seine Frau gegenüber in ihrer Rede mit dem
Nachbar, und Herr von Stifter ward über das unwillkührliche Orakelwort
finster und stumm. Weil man ihn ~Barnabas Habakuk Gallus~ getauft
hatte, deswegen war er ein Todfeind von Kalendernamen und hatte
seinen Söhnen, nach Art der Alten, bedeutende und mahnende, nicht zu
Tode abgetragene Namen gegeben, die ich über Tische im Gespräch von
ihm nennen hörte: Ehrenfest, Wohlgemuth, Fürchtenichts, Freimund.
Wie wohlthätig wären auch zeitlebens sie erinnernde Namen, sagte er,
statt hohler unverständlicher, nichtssagender, heiliger, weil sie alte
Schafe schon getragen haben; ~jeder besondere Mensch ist seinen eigenen
Namen werth~. Doch still! Wo bliebe sonst das Brigittenfest etc.! Doch
ernstlich, auch vom Kalender müssen wir uns emancipiren, besonders
von Krebs, Scorpion; Zusammenkunft, Drachenkopf und Drachenschwanz,
Erdfinsternissen; denn die Sonne wird nicht finster, und von den
Schaltjahren! Ich sehe, Sie freuen sich über meine Söhne, die einen
König freuen würden, die armen Menschen! Bei den abscheulichen
unchristlichen Türken wären sie nach ihrem Gesetz ~Menschen, wahre
Söhne, Erben -- ehrliche Leute~! bei uns über alle Türken bis zum
Himmel erhabenen künftigen Seligen, gilt ihre Sohnschaft und meine
Vaterschaft -- nichts. Welche Schande für alle Götter, selbst für die
als albern bekannte Erde! die Türken ehren und achten jeder Mutter
Kind dem andern gleich; jedes Frauenzimmer ist also bei ihnen in der
Hauptsache emancipiert, und die ärmste Schöne kann Kaiserin werden, und
Mutter sein mit Ehren und ~mit Gerechtigkeit~. Dort ist, Gott sei Dank,
kein unschuldiges Kind, kein Fehlender ~mit dem Fehler~ verachtet.

Jetzt wurden Gesundheiten getrunken und wir alle sammt und sonders auf
Sonntag über acht Tage zu Afanasia’s Hochzeit geladen.

Mit einem eintretenden Bedienten war Arminias Reh mit hereingekommen,
und wollte den Braut-Strauß von Afanasias Busen sich kapern, aber er
war zu fest, dagegen erwischt’ es Arminias Strauß. So ein Thier! ~Sie
ließ ihm die Blätter, da es die Blumen zerrupft hatte~. Das war ein
Characterzug, den ich mir merkte.

Meine rechtschaffene Mutter zog eine traurige Miene zu dem Orakel. Wir
hatten sehr lange getafelt, und als wir im Begriff waren aufzustehen,
meldete der Bediente dem Verlobungsvater, den Herrn von Rizzi. So
blieben wir noch an der splendiden Tafel sitzen. Denn mein gewünschter
Schwiegervater sprach: Ach, mein eigener, oder mein Stroh-, Hafer- und
Heufreund, der redliche liebe Postmeister vom alten Geschlecht der
Rizzi!

Der lange hagere feingebildete Mann trat ein und überschaute sein
Unglück.

Wahrscheinlich in seiner letzten Angst hieher nachgefahren, um noch
geheim ein Wort an ~seinen~ Rheingraf zu verlieren, hatte er sich
hinter das Heu versteckt, das er zu handeln kam; und wohl empfangen
als gütiger braver Mann und Duzbruder aller Welt, mußte er sich
jetzt der Fräulein Afanasia als eines Rheingrafens verlobter Braut
vorstellen.... sich mit seinen fünf Töchtern zur Hochzeit einladen
lassen, und des „überraschendrasch“ verlobten Brautpaares Gesundheit
in, ihm wahrscheinlich wie pures bloßes Wasser oder bittere Tisane
schmeckenden Champagner trinken. Denn mein Nachbar von Stifter machte
mich aufmerksam, daß dem Herrn von Rizzi dabei die Thränen im Auge
standen und hatte die Worte gehört, die er beim Niedersetzen dem
Brautvater zugemurmelt: ~Dir~ kann niemand etwas verdenken! Du hast
angeborene vielfache Vorrechte vor uns allen. Du bleibst dennoch uns
andern Vätern allen der liebe Leidenstrost, die lebendige Altar- und
Taufstein-Hoffnung! Meine Paar Rizzi’s werde ich vor meiner Ruhe schon
noch an ~Folgende~ anbringen. Denn hoffentlich wirst Du nun deinen
Rheingraf poussiren; ich gratulire Dir also von Herzen! denn eines
rechtschaffenen Vaters Noth ist groß, die fahren sechs Beiwagen nicht!

Darauf trank er ein „~Hurrah~“ dem Rheingrafen, Herrn von Postmeister!
-- wie er sich in seiner sich sedimentirenden Verlegenheit noch
versprach, statt dem Postmeister, Herrn von Rheingraf.

Aber -- kein ~Hurrah~ im gebildeten Europa! sagte höflich der tapfere
bildschöne Offizier von P....., nachdem Herr von Rheingraf sich für
die Gesundheit bedankt; ~Hurrah~ ist von Praga und Suwaroff her, ein
garstiges russisches Wort! Hurrah ist auch ganz unverständlich, ja
eine zu freimüthe Assonanz, ganz unaussprechbar vor manchem „hohen
Balkone,“ ~wie Schiller sagt~. Dieses schnarrende, trommelnde Wort ist
das offenbar allein unedle von unserem ganzen Soldatenleben. Ich bin
kein Sprach- sondern ~Herzens-Purist~! Wir Deutschen haben ja unser
schönes ~Glück auf~; oder klingt das zu unterirdisch, oder wie der
Wunsch: Glück ~aus~, so haben wir das: ~Glück zu~: oder das „Heil“;
gewiß aber immer das schöne „Lebe hoch“ -- hoch, hoch in allen Lüften!
was -- Viele so Vielen wünschen. Aus wohlmeinendem Scherz tranken nun
alle dem Herrn von Rizzi ein Glück ~zu~.... (zu ~was~, das ward nur
angedeutet) und noch Eins und zum dritten und letzten Mal Eins, dem
ganzen Geschlecht der Rizzi; wofür er sich, als aus Italien stammend,
aber der Italienischen Sprache vergessen, sich für uns zur innerlichen
Freude überaus feierlich bedankte.

Der gute Vater weinte aber, da er seinen einzigen unvergeßlichen Sohn
verloren, und wir küßten ihn ruhig.

Nach aufgehobener Tafel zerstreuten wir uns in den Garten, und
das junge Volk entwickelte und sonderte sich allmälig in Paare und
entfernte sich im Gespräch. Aber alle wandelten wir übersehbar im
Schatten der Bäume; und auf dem weiten Wege im Kreise begegneten Alle
in kleineren und größeren Zwischenräumen Allen. Das nannte Herr von
Stifter eine große Liebespolonaise. So war ich zuletzt mit Brigitten
und Arminien allein stehen geblieben. Die Freundinnen führten sich
jetzt, so daß ich bald dieser, bald jener zur Seite gehen mußte. Als
wir aber zu den beiden jungfräulichen Wittwen, zu Antonien und Augusten
gekommen, die, ihre verlobte Schwester Afanasia in der Mitte, im
heimlichen Gespräch auf einer Gartenbank saßen, und leise Brigitten
winkten, beurlaubte sie sich von mir; die drei Schwestern standen
auf und alle Vier gingen weit hinter nach dem Gartenpförtchen. Der
Bräutigam wollte ihnen folgen, aber Afanasia bat ihn zu bleiben.

Ihre Stimme klang wie eine Geisterstimme, sprach ich zu Arminia.
Eine so betretene Braut habe ich kaum gesehen! Wenn sie über Tisch
ihren Bräutigam anblickte, verwandelte sich ihre Farbe in Blässe. Daß
Antonie, daß Auguste heute aus Erinnerung ihres Glückes, oder --
verzeihen Sie -- ihrer todten Männer, zu keiner Freude kamen, oder
vielmehr erst recht in Trauer versanken, das finde ich so wahr und treu
und lieb, daß es mich selbst innig gerührt. Aber ~Afanasia~ -- -- doch
ich habe kein Recht zu fragen und wünschte es so -- so -- so über alles
in der Welt, denn nur ein....., ach, kann es mir geben!

Wer? fragte Arminia.

Und auch ich mußte es ihr sagen: ein Engel, eine Göttin, meine Göttin.

Und sie freute sich ächtweiblich. Und warum soll ein schönes Mädchen
nicht auch hören, was sie ist! Denn ~der tiefsten Wahrheit~ gemäß, ist
ihre Gestalt ja eben nicht erst so lange vom Himmel, ist auf Erden
das Schönste -- und bleibt nicht so lange, wie ja die Sonne weiß.
Auch flüsterte mir Herr von Stifter bei Tische ins Ohr: „Es ist doch
von Dalailama und allen Petern unläugbar: ~Kein Mann von allen möchte
einen Geist heirathen!~ Kein Geistlicher selbst! Säßen diese schönen
Jungfrauen hier alle ~als Geister~ -- hui, wie nähmen die Herren alle
Extrapost und Courierpferde bei Nacht und Nebel, kämen nie wieder,
verwünschten das Schloß und sprächen: darinnen spuckt es! Also was zu
beweisen war, also heirathen alle Männer: ~Leiber~, wo möglich mit
Geist, aber wenn nur ~mit Liebe~, vor allem gern ~schöne~ Leiber, und
solche, die Weiber heißen und sind.“ -- Darauf ließ er mich die schönen
Mädchen alle bewundern, besonders Brigitten und ~Arminien~, wozu ich
schon vom ~Himmel~ am Probegrabe Gelegenheit gehabt.

Gelegenheit, Miteinanderalleinsein und gepreßtes gedecktes Gespräch
also thaten auch an mir das Wunder, dem Herzen Sprache zu geben. Wie
ich weiter an den Engel und die Göttin anknüpfte, was ich weiter
stammelte oder ausströmte -- ich weiß es nicht mehr -- denn ich bin
kein Göthe, der sich selbst und sein lebendiges Präparat der Liebe
behorcht, wie ein Tonsetzer vor dem Instrument, um ~Studien~ zu machen.
Ich, war hingerissen! Das Ergebniß meiner Worte war die Antwort von
Arminia: In sechs Wochen nach meiner dritten Schwester Afanasia
Hochzeit bereiten Sie sich auf meine Entscheidung. ~Bis dahin~ gebe ich
Ihnen alle mögliche Hoffnung, selber schon das Jot vom a, so daß Sie
nur noch das kleine a zu der ganzen A...rmini...a zu erwarten haben.

Wir standen zufällig vor dem Beet, wo sie in der Erde gelegen. Sie
erröthete, verneigte sich mit gesenktem Gesicht, wandte sich rasch
und ging zum Vater. Und ich sah ihr nach, sah sie hingehen, mit
welcher Bezauberung von ihrer Gestalt, ja Erstaunen vor ihrem „in der
Welt sein!“ Mit welchem Entzücken der Ahndung, solch ein Wesen, das
so gewöhnlich „ein Weib“ heißt, zu -- besitzen. O welche Göttinnen
schlafen und schliefen schon alle im Himmelblau! Nun sind sie hier,
sie sind da -- und in Einer sind alle dein. -- Das mußt’ ich der Sonne
sagen, und sagt’ es ihr leise hinauf. Aber sie schwieg.

Da trat Brigitte wieder vor mich hin, und lächelte mich an. Ich fragte
sie nicht, sie gestand mir nichts. Sie fragte nicht, ich gestand ihr
nichts, aber sie sah mich so wehmüthig an. Jetzt ging ich mit ihr zu
dem offenstehenden Gartenpförtchen. Eine schwarzeiserne Thür in weißem
Marmor. Drüber auf himmelblauer Marmortafel mit goldenen Buchstaben:

    ~Hier bist du hinausgegangen --
    Wann kommst du hier wieder herein?~

Ich erfuhr aber nichts, als das sei das Ende eines Liedes. Und
sie sang mir die Melodie. Sie stammt aus Rom vom Capitol, und ist
uralt, sagte sie dazu. Ich mußte nur rathen, daß die Männer der
beiden jungen Weiber zu demselben Gartenpförtchen hinausgegangen und
nicht wieder hereingekommen waren, aus Ursachen, die am Ende allen
bevorstehen, vielen zu Anfang und in der Mitte; nicht nach irgend einem
Unglücks-Gesetz, sondern nach dem alle Augenblicke neuem ~Ergebniß~
aller Himmelskräfte -- ~nach dem Wetter der Welt~.

Den Sonnenuntergang feierten die Töchter durch Musik, die große Sonate
zu 44 Händen. Der Vater entschuldigte zuvor die nur ~hinreichende~
Fertigkeit, da sie keine Virtuosen wären, die alle nur aus Eitelkeit
oder Gewinnsucht reisten, als musikalische Riesen. Alle Hauswesen,
alle Gefühle würden zerrüttet, wenn alle sich so aufblasen wollten wie
Frösche um den -- morgenländischen ~Dreschern~ zu gleichen. (Auch den
Sängern soll man nicht den Mund verbinden.) Zuletzt sangen sie die
Nänie von Schiller „~Auch das Schöne muß sterben~“, dies allerhöchste
und schönste Gedicht der Welt, dieser unendlichen und unermeßlichen
Elegie, und Göthes eben so schöne als traurige Antwort darauf:

    Warum bin ich vergänglich, o Zeus? so fragte die Schönheit,
    Macht’ ich doch (sagte der Gott) nur das Vergängliche schön.
    Und die Liebe, die Blumen, der Thau und die Jugend vernahmen’s,
    Alle gingen sie weg, weinend von Jupiters Thron.
    Leben muß man und lieben; es endet Leben und Liebe,
    Schnittest du, Parze, doch nur beiden die Fäden zugleich.

Hören Sie, der Vater läßt Ihnen allen vorsingen: „~Geschwind~
zugegriffen! Sie können es! sprach Herr von Stifter und sagte dazu:
Sonst hielt ich ein schönes Weib auf einem schönen Pferde für alles
Schönste vereinigt, was es geben kann überall. Heute erfahre ich:
Schöner Gesang aus schöner Frauen Munde, die die Seele der Welt
auszuhauchen scheinen -- das ist das Befriedigendste! ~Dabei, danach~
rührt sich kein Wunsch. Auf solche Klage giebt es keine Klage! Ich bin
kein Mensch mehr; ich glaube, wenn mich Jemand schnitte, ich blutete
nicht, oder ich sänke aus dem Kahn in den See, und rührte keine Hand zu
meiner Rettung. -- Kommt essen, rief er auf einmal laut, daß man wieder
zum Menschen wird, der Steuern und Gaben bezahlen muß!

Nach dem Essen fuhren wir Westfreien spät im Mondenglanz nach Hause.
Wir schwiegen zu Anfang; keiner wollte den Schein haben, das Haus zu
bereden, oder die Fremden. Aber endlich brach denn doch die Frau Pastor
aus und sprach: Stecken uns die Fische an? So stumm sein, nach so viel
Geschautem und Gehörtem ist doch unmenschlich. Es ist zu natürlich, daß
alle aus einer Gesellschaft nach Hause Gehenden, das Haus, die Speise
und Getränke, die Bedienung, den Koch, das Geschirr bei Veranlassung
des kleinsten Fehlers bereden, aus Besserwissen oder Besserhaben
oder Besserwünschen tadeln; die Heuchler aber alles in ~Bedauern~
einkleiden. Dann kommen die Herren und Frauen Gäste daran, welche unter
der Maske redlicher Theilnahme wieder bedauert werden. Dann scheidet
eine Gesellschaft, eine Familie unterwegs von der anderen, und nun
beredet jede besonders wieder die Anderen nach gehöriger Entfernung.
So mögen auch wir jetzt beredet werden, denn mir klangen die Ohren,
und wie!

Wohl nur von der Zugluft auf dem See; sprach ich, wie allen nach Hause
Gehenden leicht nach der Erhitzung durch Zimmer, Getränk und Gespräch.
Oder.. so wären es gar die Götter selbst, die das Klatschen erfunden,
indem sie durch Ohrenklingen zur Rache erinnern! Da muß ich etwas
erzählen: Als ich jüngst in der Hauptstadt war, hörte ich, daß ein
vornehmer Wirth, der loyalste prächtigste Mann, nach einem in Wahrheit
übersplendidem Fest schändlich war beredet worden, von den Heuchlern,
daß er, wie Pyrrhus, nach mehreren solchen ~gewonnenen~ Terrinen- und
Bouteillen-Schlachten das Feld werde räumen müssen. Er hatte daher zum
folgenden Fest im reizenden Boudoir einen kostbaren kleinen Schrein
in einer Ecke angebracht, auf die Thür desselben das Wort „verbotene
Frucht vom Baum der Erkenntniß“ setzen -- und den kleinen goldenen
Schlüssel daran stecken lassen. Das hieß eine schöne Eva reizen -- und
lesen. Bald winkte sie einem Legationsrath, der gelesen; und Andere
zum Schränkchen schickte. So schickte auch Einer mich hin, und ich
las: „Ein freundlicher Wirth giebt alles von Herzen gern allen Magen
ohne Dank zu erwarten. Aber Undank thut weh! Möchte doch Jede und
Jeder mir gnädig ihn aufsparen bis nach dem Fest bei einem Anderen,
und Diesem wieder so lange! Denn ich habe 100 solche Schränkchen
unsern vorzüglichsten Festgebern zum Geschenk gemacht. Wo Sie also ein
solches Schränkchen oder großes Buch mit der Aufschrift „Verboten“
erblicken, da bitte ich, sich meiner großgünstigt zu erinnern, auch
wenn der Hausherr schonend ~die Inschrift~, als jetzt notorisch nicht
ausgestellt hätte. Noch melde ich, daß auch zwei kleine kostbare
Schwur-Boudoirs für Herren und Damen besonders eingerichtet sind,
welche vor Eintritt in die Gesellschaft schwören wollen: ~einander~
nicht zu bereden, oder moralisch todt zu schlagen. Der Zugang dazu ist
geheim, so daß jeder von dem anderen annehmen kann: er habe geschworen,
und nun sicher von ihm nicht beredet zu werden, ihn auch durchläßt.
Gezeichnet: Graf _N._

Wir lachten und schwiegen. Nach langer Zeit erst setzte ich mich zu dem
alten guten Herrn von Hase und fragte ihn theilnehmend, warum er denn
gar so still, so unaufgeweckt von anderer Freude sei?

Die Türken haben einmal einen braven Mann gehabt, sprach er seufzend,
der hat Mezzo morto, der Halbtodte geheißen. Der bin ich wieder.
Meine Freunde in der Stadt haben für mich gesorgt, und ich kann
Bogenschreiber werden, zu 3 Kreuzer den Bogen. Aber meine Hand will
nicht mehr fort, weil meine Seele vom Unglück gelähmt ist. Ich habe
keinen Trost, ~als daß meine Frau gestorben ist, ohne meine Lage
zu erfahren~! Denken Sie, ~so etwas~ muß mein Trost sein! Aber es
ist ein großer Fehler, daß ein Mann alle seine Geschäfte geheim
hält und allein betreibt, um seiner Frau die vorübergehenden Sorgen
und Gedanken zu ersparen! Denn die Weiber wissen den besten Rath,
haben viel unbrauchbare Einfälle, aber ihr Herz entdeckt auch den
rechten, wie durch Eingebung; sie trösten gewiß, und so sind sie
getrost und getröstet. Für meine Liebe ist meine Frau nun ganz- und
ich bin halbtodt, und mein armes Häschen, das lebt und möchte leben.
Unglück ohne Aussicht, auch wenn man Blitze zu Blicken hätte, lähmt
völlig. Denn es ist alles vergebens zu sinnen, zu reden, zu thun.
Warum ich esse und trinke, ist mir unbekannt. Ich sehe völlig klar:
alles Menschenthun ist nur ein Streben nach einem inneren Ziel; ich
beneide Niemanden, ich beklage Niemanden, selbst mich nicht. Am
liebsten schlafe ich, oder sitze mit gefalteten Händen. Ich würde doch
entlassen als Bogenschreiber! Nur drei Bemerkungen möchte ich zum
allgemeinen Besten niederschreiben. Wenn ein Gut sieben bis achtmal
verkauft wird, so hat die Landeskasse den ganzen Werth dafür baar durch
Verschreibungskosten, Lehnwaare, Stempel und Taxen. Das hieße also:
Behaltet was ihr habt, kauft und verkauft nicht so oft! Güterhändler
sollten unerschwingliche Gewerbsteuer zahlen, statt frei davon zu sein.
Dann: Wann ein Käufer offenbar über die Hälfte betrogen ist, dann
sollte ihm ein Jahr lang der freie Rücktritt zustehen. Die Clausel der
Verzicht über oder unter die Hälfte, sollte nicht gelten. Und zuletzt:
Wenn zwei Jahr dürre Zeit und allgegenwärtiger Mißwachs im Lande sein
wird, dann hilft Gott dem Volke ohne Mühe zu allem Erwünschten; wie er
mit 29 Grad Kälte, Deutschlands unüberwindlichen stolzen Feind mit der
großen Armee in Rußland nur weghauchte. Das prophezeihe ich, nämlich
Gottes Hilfe allein und gewiß. Nur partielles Unglück ist Unglück, das
hab’ ich erfahren.

Er schwieg eine Weile, dann ergriff er meine Hand und sprach leiser:
Haben Sie nur noch einige Zeit Geduld mit uns! Nehmen Sie nur nicht
übel, daß so oft allerlei Weiber und Mädchen aus unsern Dörfern in Ihr
Schloß kommen, und mit Bündeln! Ich bitte sie alle, nur ja recht leise
aufzutreten! Und sein Sie nur nicht böse, daß meine Tochter so oft und
vielmal hintereinander, leider so laut, ~in die Hände klatscht~! Sie
stärkt Wäsche für die Leute, Hauben, Bänder, Tücher. Es geht wirklich
nicht anders! Ich habe es selbst auf alle Arten versucht! Und dann,
daß sie den armen Staat, zwar hinter den Fliedersträuchern, doch immer
in Ihrem Garten aufhängt! Die Nacht aber trocknet die Wäsche nicht;
sie wird thaunaß! Wir haben versucht, die Wäsche in unserm Gewölbe zu
trocknen, und haben eingeheizt; aber lieber Herr von Kopernick, da
haben wir uns bald zu Tode geschwitzt, und der Schlag hätte mich bald
gerührt; doch kam ich mit Zahnschmerzen weg! Lieber Himmel, da hatte
ich doch wieder einen Wunsch, daß mir die Zähne wehe zu thun aufhörten,
wie man sagt, oder daß mir die Bratwurst wieder von der Nase fiel!
Verkennen Sie mich nicht, daß ich einmal scherze. Aber wie gesagt, das
arme Mädchen ernährt mich mit der lieben Wäsche, und wenn sie so in die
Hände klatscht, da denken Sie gütigst nur, sie klatscht mir Brot und
sich -- Dank. Mein neues Halstuch, daß Sie freilich in der Nacht nicht
als neu zu erkennen vermögen, aber es ist wirklich neu, das hat mir das
arme Häschen auch -- -- -- --

Brigitte hatte aber des Vaters Worte gehört, kam, hielt ihm den Mund
zu, und sprach nur leise: „Vater!“ Der Vater zog sie an sich, und
sprach: Schilt den Vater nicht, der sein Kind ehrt! Du bist doch mein
gutes Häschen!

Es war kühl. Ich gab dem alten Manne meinen Mantel um, und in ihren
Gefühlen verloren, nahmen beide das so an, und sie hüllte ihn dicht
darin ein.

Um uns aus der weichen Scene zu bringen, fragte mich der Pastor: Aber
was sagen Sie zu dem guten Postmeister von Rizzi, der seine schon
auf Jahre voraus verlobten Töchter vor Freude schon immer gnädige
Frau nennt! -- Mich rührt das tief! Der sorgliche treue Vater ist
ein Repräsentant so vieler Väter jetzt im Vaterlande, die zu solchen
Mitteln greifen müssen, die Tänzer auf Bällen auffordern zu gehen,
um mit ihren Töchtern zu tanzen; die jungen Männer, die in Jahren
erst ein Weib nehmen und ernähren können, in Beschlag zu nehmen, sie
buchstäblich am Aermel zu führen; nach der Verlobung: „Gott sei Dank“
zu sagen; dem Herrn Bräutigam Anstellungen zu verschaffen durch goldene
Sorge; den amtlos oder kleinbeamtet Vermählten jährliche, so zu sagen,
Pensionen zu ertheilen, daß jeder Vater zuletzt selbst „Oel geben“
möchte! Das ist die wahre reine heilige Vaterliebe im gerechtesten
Widerstreit mit der, ~den jungen Männern allen jetzt zu spät möglichen
Ehe~! Weiter nichts, nicht lächerlich, sondern zum Weinen tragisch.
~An späten Ehen geht ein ganzes großes Volk unter~; jedes Land
verdirbt dadurch, weil ~es entsittlicht~ wird, indem es ~lieblos~
gemacht wird. Denn wie ist das Leben der meisten Spätverheiratheten
Männer! und wie muß es fast sein! Alle spät, das heißt immer zu spät
verheiratheten Candidaten, Beamten u. s. w. ~müssen~ verdorben sein,
ihre Weiber unglücklich, oder doch ~nicht~ glücklich, wozu sie das
himmelschreiendste Recht haben! Die Ehe ist in so späten Jahren eine
Spekulation; die Braut muß nur reich sein; ~dann~ muß sie passen, wohl
oder übel; sie muß die ~Kosten~ ersetzen, die ~Schulden~ decken, als
~Wittwe~ leben können und die paar ~Waisen erziehen~! ~Alte~ Männer
wollen reiche Weiber. Ein liebender ~junger~ Mann ist mit einer jungen
Frau allein zufrieden, ja wenn sie kein Bett mit brächte! kein Kleid
auf dem Leibe hätte! ~Das~ ist die einzigrechte Zeit zum Heirathen!
Das ist Glück! Das ist Ehe! Und nun wie voreilig, wie unvorbereitet:
~die~ Ehen unauflöslich machen zu ~wollen~ -- denn geschehen wird es
nicht, weil es nicht kann -- welche Grausamkeit! Da habe ich gehört von
einer Gesellschaft von _Sanct Francis de Regis_ (nicht _de Regibus_),
die in Belgien armen Leuten mit unehelichen Kindern die Verheirathung
bezahle, damit ihre Kinder eheliche Kinder werden, ehrliche Kinder wie
Schneekönigskinder im Märchen! Wieder die Pferde hinter den Wagen
gespannt! Die Ehen müssen erst ~möglich~ gemacht werden; es müssen
nur Leute einander heirathen, ~die ohne einander nicht leben können~;
sich lieber das Leben nehmen möchten, als einander entbehren; die so
wohlerzogen sind, so duldend, beschieden und bescheiden, so durch
Kinderliebe gefesselt, so einander ehrend, daß man sie zerhauen müßte,
um sie auseinander zu reißen. Jammer, Schande, Elend, Verzweiflung
unauflöslich machen, das heißt die Hölle unsterblich machen wollen,
was wir nur dem sogenannten Teufel zutrauen. ~Welche~ Einzelne geben
gute Paare? Das ist die Frage! Und wie können sie sich vereinigen?
~Das~ aber will Niemand fragen, aus Furcht der Arbeit mit Umwandlung
so vieler Formen! Da habe ich mir die jungen Herren Offiziere so
recht herzinnig beschaut, ihnen zugehört. Welche Vaterlandsliebende
-- also gewiß bis auf das Herzblut tapfere Männer! Wie gebildet,
wie gelehrt in ihrem Fach, wie schönes junges deutsches armes Blut!
Und wie sind sie mitten im Leben aus dem Leben verbannt! -- Und die
Herren Candidaten! solche junge Männer machen dem Lande, das sie
hervorgebracht, Ehre. Und ~wann~ werden sie das gelobte -- Pfarrhaus
erblicken! -- Und die Herren Referendäre, die mehr Gerechtigkeit im
Herzen tragen, als in allen Büchern steht, ~wann~ werden sie ihre
Bräute heimführen? frühverliebt alle, manche frühverlobt, tritt ein
vergelbtes sehnsuchtverdorrtes Paar vor den Altar, woran junge Leute
wie Adam und Eva gehören, die übrigens gar nicht getraut wurden, und
doch ihre Kinder liebten. Denn ich wüßte kein ehrenrührigeres Gebot,
als:

    „Jüngling! du sollst eine Jungfrau lieben und zu dir nehmen zum
    Weibe!“

und:

    Mutter! du sollst deine Kinder lieben!

Der alte Herr von Hase bejahte das alles immerfort! Unter diesen und
andern Gesprächen waren wir nach Hause gekommen, und schieden mit
dem: gute Nacht! Am andern Tage ließ meine rechtschaffene Mutter den
armen Betjungen begraben; und ich beschloß, ihm, der Nachwelt zur
Nachricht, was es heut zu Tage für untergegangengewähnte Träume in
sogenannter Menschengestalt gegeben, ein Monument setzen zu lassen;
verfaßte die Inschrift und bestellte es sogleich. Ich besuchte
darauf auch den in einer Dachkammer meines Schlosses sitzenden armen
Schelm, den Betmeister Nox (nicht etwa Knox) der seiner Ersäufung
vergessen, wieder ganz wohlgemuth dasaß! Auf dem Gange zu ihm hatte
ich Brigitten begegnet, die feuerroth vor mir geworden war. Ihn fand
ich wie einen Zauberer, über dem Buche Tobias brüten. Er war ein
weitläuftiger Verwandter von Heiligenhahns, darum schonte ich ihn; ja
ich gab ihm Taschengeld und Speise und Trank. In den folgenden Tagen
sah ich ihn Würmer suchen und angeln am See, wo er alle Arten Fische,
auch in weidenen Reußen fing. Die ~Fische~ schenkte er weg, und ich
bekam erst eine Ahndung davon, wozu er sie fing, als ich eines Abends
zu meinem offenen Fenster herein große Lamentation aus dem Garten
vernahm, daß die Sperlinge ihm seine, auf Horden zum Trocknen und
Dorren ausgestellte ~Lebern~ verzehrt! „Er will den Engel des Herrn
von Heiligenhahn spielen und den Eheteufel Asmodi verräuchern“, sprach
nach unauslöschlichem Gelächter mein Pastor. Er ist aber doch nicht
rechtgläubig -- er schreibt einem gewissen Fisch, also atheistisch und
glaubenlos der Natur ~höhere Kraft~ zu, als dem Engel selbst und der
Begehung des Opfers, weil er von allen erlangbaren Fischen die Leber
nimmt, um die rechte ja dabei zu erwischen! Da können ja aber die
andern das Rezept verderben! Es ist zum Lachen und Weinen: aber auch
zum Trost: ~Denn die Verwirrung zeigt aller Dinge Ende an~, vom Thurm
zu Babel bis zur Schlacht bei _Belle alliance_; ja die Verwirrung ist
schon ~die Verwesung~; wenn dagegen eines ~lebendigen~ Baumes nackte
Wurzeln sogar nicht in der feuchten Erde verfaulen!

Eins aber will ich denn doch gestehen, mußte ich meinem Pastor sagen;
wenn ich eine Jungfrau wäre, und mir Sieben liebe schöne junge Männer
vor dem Brautbette weggestorben wären, was ja möglich ist, so würde ich
doch kopfscheu und brautbettscheu werden, und einen Achten, der mich
verlangte, aus Liebe zu ihm und zu ~mir~ doch erst wohlmeinend zu den
sieben Gräbern führen!

Das möchten Sie als zaghaftes Mädchen thun, sprach der Pastor. Aber
wäre ich auf gut Pythagoräisch mit meinem Pastoral-Verstande der achte
Bräutigam, so würde ich eine solche betrübte Siebenmännerwittwe gar
nicht nehmen, als nunmehr mit Herzen und Gedanken unerwerbbar, darauf
ihre siebenfach erschütterte Liebe und siebenfacher Tod liegt; aber
getrost jede Andre; ~obgleich~ vielen jungen Bräuten und jungen Frauen
die Männer wegsterben. Daß aber ~Einem oft~ geschieht, was allen
tausendmal geschieht, das ist kein Wunder, kein Fluch, kein Bann --
nur eine Art Conglomerat oder Cumulat -- eine Anhäufung. Die ganze,
und ganz triftige Ursache, daß es jetzt so viel Gläubige giebt, ist
die: daß die Menschen jetzt von allerhand Verzweiflung und Schmach
getrieben, so viele und schwere ~fromme Wünsche~ haben! Da sie ihnen
Niemand realisirt, so realisiren sie sich sie selbst; wie der Dichter
sein Gedicht abfaßt, drucken, mit Bildern versehen läßt, und mit
Selbstgenüge und Frohlocken als fromme Scarteken in Städten und Dörfern
vom durchfahrenden Wagen verliert. ~Aus Kinderaugen schaut auch die
Mutterliebe heraus~; was schaut aus unseren, aus den Augen des Volkes?

Meine rechtschaffene Mutter mußte mich aber darauf zu meiner Beschämung
erst erinnern, doch dem alten Herrn von Hase sein voriges Wohnzimmer
wiederzugeben! Das arme Häschen hatte kein Hochzeitkleid zu Afanasias
Trauung, und hatte endlich eins zusammengenäht und aufgefärbt, das
meine Mutter mit Erbarmen gesehen. Nun hatte sie auch nichts, gar
nichts zu einem Hochzeitgeschenk für sich oder den Vater, da sie alles
daran verwandt, dem Vater Güte zu thun. Meine rechtschaffene Mutter
ließ ihr alles für sie und den Vater neu und prächtig aus der Stadt
kommen; hatte ihr 100 helle Dukaten in den Strickbeutel gesteckt und
sie damit zu ihrem in der Stille verweinten Geburtstage beschenkt, an
welchem der Vater sich seinen Trauring vom Finger gezogen -- und sie
gebeten, die Augen zuzumachen, die Finger auszuspreizen und ihr den
weiten Ring -- auf Zuwachs -- indessen auf den Daumen gesteckt. Der
Mutter Geschenk aber schien sie gebeugt zu haben; sie schämte sich vor
mir, und wenn ich vorüber ging, blieb sie mit niedergeschlagenen Augen
und angehaltenem Athem stehen. ~Wie ungern erscheint die Schönheit
doch arm... oder die Liebe.~ Nur eine Bitte wagte sie nach mehren
Tagen an mich: sie brachte eine neue verschriebene Jagdflinte und bat
mich, dem Vater für dieselbe seine alte liebe Jagdflinte aus nun
meinem Gewehrschranke zu geben! -- Wie thut doch angethanes Unrecht
die Seele auf, und die Augen! Aber um mich nicht zu verrathen, gab ich
ihr zwar die alte Flinte, aber nahm die neue dafür. Wer enträthselt
die Lust selbst in bessern Menschen, andern schönen und gar so guten
Menschen ~hart, schneidend hart zu sein~? Mir war ganz wohl auf die
That! Was ging in mir vor, als ihr die Thränen in den Augen standen?
Wie verdrossen war ich, als sie mit Freuden davon eilte! Ich sah sie
darauf im Kahn mit dem Vater, der wilde Enten schoß, die sie ehrlich
ablieferte. Und auch die Enten ließ ich ~alle~ liegen, ohne ihr Eine
wiederzugeben. Aber sie dankte sehr für die Freude, die der Vater
wieder gehabt! Dann sah ich sie wieder mit ihrem heraufgesteckten
Schürzchen und ihrem Töpfchen Milch über den Hof kommen.

Natürlich war ich diese Tage oft drüben in Schloß Westfrei; aber ich
bat um das bewußte kleine a umsonst, auch nur um ein großes K, ein
kleines u und ein ss von Arminia! Ich beschwerte mich bei Brigitten;
ich befragte sie auch über den Engel Tobiä. -- „Sie sind recht
grausam, Armin!“ antwortete sie finster-bös. Armin nannte sie mich?
Spricht sie im Traum? redet sie aus dem vertrauten Gespräch mit der
Freundin?

Am Hochzeittage kam Brigitte in völligem Staat mit dem Vater in neuen
Kleidern, um sich bei meiner rechtschaffenen Mutter zu bedanken. Sie
war so schön, daß sie meine Mutter -- vorsichtig, um sie nicht zu
verderben, als ihre Schöpfung, an’s Herz drückte. Sie besah sie dann
mit Freuden und Lob. Nur irgend ein Ring fehlte am Finger. Die Mutter
langte ihr Ringfutteral herbei und bot es mir dar, um daraus der
guten Tochter einen Ring an den Finger zu stecken. Brigitte mußte es
geschehen lassen und bebte innerlich dabei, daß ihr die Finger sich
leise regten.

Wir fuhren dann alle in’s Brauthaus, wo wir den Engel Tobiä obendrauf
und mit innerer Ueberhobenheit über uns alle, als faiseur des Tages
und der Nacht, der Hochzeitnacht, umhergehend fanden. Er stand
Niemandem Rede. Der Zug zu Wasser in den rosenbekränzten Kirchkähnen
war schön, über dem Wasser, und drunten. Freude und Sicherheit schaute
aus aller Augen. Nur, vor der Thür meiner Kirche hatte die Braut den
Trauring verloren. Ein oft sich erneuernder Fall, der aber allemal nur
eine unaufmerksame, also zerstreute oder versonnene Braut beweiset,
welche Eigenschaften die Leute der Braut dann für ihre immerwährende
Eigenschaften annehmen, und ihr Unglück prophezeihen, ohne Recht oder
Unrecht zu haben, wie in allen Glaubenssachen mit und ohne Aber; sagte
Doctor Schleyerlöser den Tag nachher zu meiner rechtschaffenen Mutter.

Zur Hochzeit waren billig alle Bekannten, oft oder selten gesehenen
Freunde und Nachbarn, auch die in der That sehr wohlerzogenen,
herzensguten und außerordentlich wirthschaftlich vom Vater gerühmten
Töchter, Schwestern von Rizzi. Nur eine Amazone -- das vormalige _Non
plus ultra_ der Schöpfung für Herrn Barnabas Habakuk Gallus von Stifter
-- war dem Hochzeitvater auf ihrem Rosse unwillkommen, die junge
Gräfin _N..._ und er äußerte seinen Abscheu heimlich gegen uns; worauf
ihm Herr von Stifter, heute höflich Recht gebend, sagte: „Die Männer
verderben die Weiber und machen sie zu ihren Puppen und englischen
Bereiterinnen sogar, nur zu ihrem nie laut aussprechbaren Vergnügen.
Und in der That, das Roß ist für Frauen oder gar Mädchen nicht geboren,
eher noch eine Jumarte, oder geradezu der wahre leibhafte einfache
geduldige Esel. ~Quer~reiten -- wie widersinnig! nach vorn zu geritten,
aber zur Seite gesessen und gesehen! Und, nach dem technischen
Ausdrucke, „_à la fourchette_“ reiten, ist eigentlich gotteslästerlich;
und nicht _à la fourchette_ reiten, zeigt doch klar: warum sie nicht _à
la fourchette_ reiten! Kurz jedenfalls ist ein reitendes Frauenzimmer
blamiert, ausgenommen die Schamlose, bei Schamlosen.“ -- So sprach er
laut, ja vor Zuhörern.

Ich kenne Sie an ihren Worten nicht wieder! entgegnete Herr von
Heiligenhahn.

Das macht, versetzte der schlauverstellte Herr von Stifter: Ich habe
vier mannbare, richtiger: ~weibbare~ Söhne, und da sehe ich schon ihre
Bräute vor Augen, und sehe sie reiten! Sehe aber zum Glück auch meine
Hetzpeitsche, Herr Nachbar! Man lernt verständige Leute erst verstehen
-- wenn man die Jugend mit ihrer Lust ablegt und Andere an seine Stelle
rücken sieht. Ich denke aber auch, daß meine Söhne wohl, sehr wohl,
hochwohlerzogen sind -- weil ich sie mit allen meinen bittersüßen
tiefen und weiten Erfahrungen, zum ehemaligen vergessenen Gegentheil
von mir, erzogen habe. Ich darf wahrscheinlich -- deswegen -- um ~nur
Vier~ von Ihren Töchtern anhalten, und gestatten Sie meinen Söhnen
ihren bekannten Weg zu machen: ob ihre Töchter sie leiden und lieben?

Schlag ein, Alter! Greif zu, Vater! sprach Herr von Rizzi! Vier Töchter
auf einmal los zu werden, los ~vom Herzen~! Das sollte ~mir~ Einer
bieten!

Freilich vom Herzen! da liegen sie alle darauf! bestätigte ihm der
Hochzeitvater. Ich hörte und sah das, und mußte alle die drei guten
Väter ehren und lieb gewinnen. Der Postmeister nahm mich unter den
Arm und führte mich zu Tische „zu Ihrer Arminia“ sagte er mir, und
zu ihr: „ich bringe Ihnen Ihren Armin!“ Und so saß ich zwischen
Arminia und ihrer Freundin Brigitte. Die Betretenheit der Braut
Afanasia löste sich in einen Freudenschrei, als ihr der Engel Tobiä
in einem verdeckten Becher ihren gefundenen Trauring überreichte. Zu
Nacht sollte sogar getanzt werden, wozu aber keine Veranstaltung
getroffen war. Die Herren Offiziere und Andere mit ihnen bestürmten
den Hochzeitvater. Aber er sagte zum Herrn von Rheingraf und zu mir:
Wenn Sie nach meinem gehörten Worte dennoch tanzen wollen, so überlaß’
ich Ihnen den Sonntagssaal; denn der Musiksaal ist den Fremden zur
Nacht eingerichtet. Aber -- wenn Sie bedenken, und wenn die Mädchen
wüßten, ~wie~ schädlich ihnen das Tanzen ist, ~blos schon~ als das
Leiblich-sich-hingeben an junge Männer in solcher nahen Berührung; wenn
sie wüßten, wie mancher sich blos satt mit- und an ihnen ~tanzt~ --
wie ~unberührbar~ sie Jedem sein und bleiben müßten, der sie heirathen
soll, sie würden nicht so zum Tanz und im Tanz rasen. Aber leider
wollen und müssen sich viele Mädchen selbst auch mit und an andern
jungen Männern in so naher Berührung einmal doch -- satt ~tanzen~! Aber
auch dieses Geheimniß ist nun offenbar worden; und dies üble Verhältniß
hieße, wenn es ein Buch gewesen, jetzt gewiß auch desgleichen mit Recht
„das entdeckte Tanzthum“ oder „der Tanz der Zukunft.“ Von ~Liebenden~
aber sagt die Schrift Göthe’s:

    Laß du uns wandeln, und laß du sie tanzen,
    Wandeln der Liebe ist himmlischer Tanz!

Die Herren ~Candidaten~ stimmten ihm bei. Die Herren Referendäre
blieben stumm; die Herren Postsecretaire aber vermittelten die Sache
mit den Herren Offizieren dahin, daß doch Brautpolonaise und Menuett
getanzt werde. Und das geschahe denn überraschend neu, nach der Orgel
im Saal, wozu „der Engel“ die Bälge trat. Braut und Bräutigam erharrten
so Mitternacht.

Vor ihnen aber entwich schon der Engel, gewiß ~in die Brautkammer~...
dem Bräutigam den Tod zu verbannen.

Denn nach einiger Zeit verbreitete sich im ganzen Schloß ein
auffälliger ~unerhörter~ Geruch, (da ein ~ungerochner~ Geruch zu
sagen nicht üblich ist, auch wir ihn alle riechen mußten!) Uns
Eingeweihten war kein Zweifel, daß der Engel unfehlbar mit dem
Räucherpulver betrogen worden sei! Es entstand nach und nach ein kaum
mehr zu unterdrückendes Gelächter, blos über den uneinathmenbaren
pestilenzialischen Geruch. Viele Damen bissen sich bald die Zunge weg,
oder in die gestickten Taschentücher; selbst meine rechtschaffene
Mutter beklagte sich vor Lachen über Stiche im Magen; allen stand das
Wasser in den Augen, und glücklich der, der in einem Winkel, hinter
einer Thür, einem Vorhang oder dem Rücken eines andern das Gelächter
einmal ausschütten konnte. Dann hielten sie sich die Seiten und weinten
noch. Und wenn der Tod darauf gestanden hätte, da war kein Verhehlen
mehr! Die Hunde, die sich hereingeschlichen, wurden _pro forma_
hinausgepfiffen, selbst das Reh ward hinaustransportirt: zum Schein
wurden in Wahrheit alle Lampen revidirt; Fenster aufgemacht, Thüren
zugeschlossen; von den Bedienten auf glühenden eleganten Schäufelchen
mit _Eau d’une million de fleures_ geräuchert -- alles umsonst!
nur erst recht zum Todtlachen -- wir mußten scheiden. Es geschah
_grandement_ und mit Anstand. Doch geschah’ es. Einige Töchter waren
roth, Brigitte außer sich. Der entschieden Heiterste und Gehaltenste
von allen war Sangallo. Ich verdenke Ihnen nichts! sprach er; und wenn
~Dergleichen~ einmal durch einen Mephistopheles von ~Kometen~ auf
Erden geschieht, so läuft die ganze Menschheit davon -- und der große
Hochzeitvater bleibt allein. Bedauern sie ihn -- und vor der Hand
mich. Auf Wiedersehen!

Der Postmeister bot uns eine Dose, und wünschte uns eine gute -- Nase,
am liebsten gar keine. Ich lachte noch im Bett, daß ich keinen Athem
hatte. Der arme Bräutigam! die arme Braut!



IX.

Der betrogene Freier.


Ich weiß nicht, was mein Schwiegervater in spe zu dieser Wiederholung
alter verschollener Wunderlichkeiten gesagt, da ein wegen seiner
Armuth an Geist und Geld schonenswerther Anverwandter sie wieder in
das neueste klare Leben eingeführt, „weil er der Meinung gewesen und
noch war und blieb: daß alle alten Wunder auch für uns Neue geschehen
seien, bei uns eben so gut wie jemals geschehen könnten, ja müßten.“ So
referirte mir mein Pastor und setzte hinzu: Auf der Nachhochzeit fand
ich den Herrn Engel Tobiä mitten unter den Candidaten triumphirend im
Garten. Ich hatte da zweimal zu erstaunen. Einmal über ihn, der sein
Unternehmen für wahr und bewiesen hielt, da es Gläubige gefunden; und
er habe es nur „auf vielfaches hohes Begehren ausgeübt.“ Er klagte
sich dabei selbst seiner Freigeisterei an, da er es mit der Leber
des rechten Fisches nicht so genau genommen; aber die Leber könne
doch nicht der wahre Wunderthäter sein, als eine bloße verächtliche
Natursache! Uebrigens müsse die Religion dem Menschen in allen
Fährlichkeiten, wo kein anderes Mittel ausreiche noch ausreichen könne,
ja eben Hilfe bringen! Besser Etwas als Nichts! Ja der Glaube erfülle
das Nichts, der Glaube sei etwas allein für sich selbst, und wenn
ihm die ganze Welt geradezu widerspräche. Und hier sei sichtbar, daß
die lieben besorgten Mädchen nun getrost freien, und zuversichtlich
ihre Liebhaber zu Männern nehmen würden, wovon sie außerdem eine
unerklärliche zwar, aber durch die Vorgänge der Todesfälle der Männer
der schon verheiratheten Schwestern unläugbar über sie gekommene
Furcht gerade um so mehr abgehalten haben würde, je mehr sie ihren
Bräutigam geliebt. Denn das sei doch keinem, nur einigermaßen es mit
ihrem Geliebten und sich selbst wohlmeinenden Mädchen anzumuthen,
daß sie gerade durch ihre Heirath, als dem alles hingebenden, alles
ihr erwerbendem Act des Lebens, ihren Mann umbringen wolle! Und aus
allen diesen Gründen bitte er sich von sämmtlichen Herren Freiern der
schönen Mädchen einen guten Kuppelpelz aus, deren einer ein wirklicher
Schafpelz sein könne, da ein alter mit sibirischer Katze gefütterter,
und einst anständig vorgestoßener, zu nichts mehr tauge als auf das
Backfaß zu decken.

Das Zweitemal war mein Pastor über die unirrbare Sicherheit und die
vollkommene Duldung der Herren Candidaten erstaunt. Die überaus nobeln
jungen Männer, erzählte er mir, lächelten aus ihrer wohlerrungenen
Sicherheit des Geistes, sie zuckten nicht einmal die Achseln, eine
Geberde, die jetzt oft sogar in Gesellschaft hoher Personen heimlich
geübt, mit Schadenfreude bemerkt wird. „Der liebenswürdige Herr
Markwort, Lehrer bei dem Präsidenten, sprach nur: Es ist weit gekommen;
aber ~es giebt kein Rückwärts~. Es wird ~noch weiter~ kommen; aber
es giebt noch keinen Weg in die Vorzeit, ~nur in die Zukunft~. Kein
Greis ist mehr zu einem Kinde zu machen, als im Lande der Poesie --
in Nirgendheim, wo bekanntlich alle Alten, Männer und Weiber, jung
gemahlen werden. Unser armer Freund ist ~ein Poet~; er gehört zu jenen
lieben Menschenkindern, welche die Poesie ins Leben einführen, als
Leben ausführen wollen.“

„Nichts wäre trauriger, sprach sein Freund, Herr Mährhold, Lehrer bei
dem Superintendenten, als die Poesie aus der Seele vertilgen ~wollen~;
denn das ~Können~ widerlegt jedes neugeborene Kind ~bis ins Zehnte
Jahr~. Auch wir Erwachsene glauben dem Homer, wenn er uns in seine
Tage versetzt hat, und das sind wir in Constantinopel so fähig wie in
Rom. Wir glauben dem Sophokles ~im Theater~ von Berlin so gut wie in
Paris; wir glauben dem Schiller, einer Jungfrau, einem Posa, einer
Braut von Messina in Dresden so gut wie in Wien. Alle ohne Ausnahme
in Prag und München glauben ihm, ja selber der Papst in Rom glaubte
ihm, wenn er deutsch verstünde. Aber Poesie ist Poesie in allen Dingen
ohne Ausnahme. Und der ~große Prozeß, den die Deutschen führen~ und
unfehlbar glorreich ~gewinnen~, ist der Prozeß: ~Poesie und Wahrheit
zu scheiden~, und jede einzeln hoch und herrlich und heilig den
Menschen aufzustellen, oder doch die Piedestale dazu zu gründen und zu
bauen. Woran aber auch nur ein Mensch ~mit Grund~ zweifelt, das ist
nicht Wahrheit. Was der ganzen Welt unmöglich, ihren Gesetzen zuwider
ist, das ist Winkelwahrheit, nicht einmal Poesie. Ist denn nun die
nicht mehr aufhaltbare Scheidung ein Unglück, da die Menschheit beide
geschiedenen Dinge wie zuvor ~behält~, ja noch herrlicher, reiner,
himmlischer in Besitz nimmt! Wer kann da von Unheil sprechen? Wem lähmt
sein verlachtes Bemühen nicht Geist und Hand? -- Es ist kein Ernst,
kein heiliger Ernst in dem Wort: „Rückwärts! -- Werdet alt!“ „Werdet
Kinder.“ -- Die Verlachung lauscht schon im Schweigen.“

„Der Dritte, Herr Wöllner, unvergeßlichen Namens, jetzt Lehrer bei dem
General, sprach: Was wollen, was sollen, was können die Menschen? Was
bedürfen sie alle und Jeder? ~Das Leben!~ nichts weiter. Zum Leben aber
die Lehre, um es schön und rein und richtig zu leben. Aber auch ohne
Todesfurcht. Gegen diese aber nur Vertrauen, Ueberzeugung: daß sie
sind und daß die ganze Welt ist und bleibt. ~Die Poesie~ hat zu dem
rein „richtig“ und sicher zu leben alle Kraft verloren, oder vielmehr
sie nie dazu besessen; nur zum schönen frohen Leben. Das Volk, denn
in das Volk ist schon die Kunde vom größeren ewigen Himmel und seinen
Folgen auf Erden gedrungen, und bei ihm nie mehr auszurotten: Das Volk
könnte leicht Alles mit Allem verwerfen. Darum bedarf es jetzt nur der
Wiederanknüpfung ~der Sittlichkeit, als des Höchstnothwendigen~ zu
einem würdigen Leben, an den ewigen Geist; und dazu nur der Erkenntniß:
daß aller Geist, Geist Gottes ist. So ist die Verpflichtung, die neue
Vereidung vollbracht.“

„Und sie wird vollbracht werden, hat der Vierte, Herr Wolkamp,
Lehrer bei dem Herrn Geheimrath gesagt. Endlich, nach vielen
Widerwärtigkeiten, vielleicht Gefahren, und tausend bitteren
Erfahrungen unserer Feinde, vielleicht eher als sie und wir es
vermeinen, dürfen wir auf die Anerkennung der Legitimität auch ~der
Vernunft~ hoffen. Wenn dann die Einsicht klar und in allen siegreich
geworden: Auf den unzählbaren großen Gestirnen giebt es Billionen
Religionen mit Trillionen Bekennern, deren Jeder dennoch auf seine
eigene Weise den Geist der Welt und die Welt, in seinem Geiste
versteht, mit göttlicher Berechtigung; und: Gott hat keine Armee
Gläubiger mit gleichfarbiger Uniform und derselben Parole; sondern
jeder Geist ist freier ewiger Geist der Welt selbst; dann werden
wir armen oder reichen, viel reicheren Geister erscheinen dürfen;
~wer Recht thut~, wird frei sein mit Hand und Zunge zum Bekenntniß.
Jeder wird den Anderen helfen zu leben wie Geschwistern, aber ihren
Wahn wird er ihnen vorstellen dürfen, sanft und treu, und unverfolgt
und ungefangen. Denn keine Unwahrheit ist heilig; jeder Irrthum und
Aberglaube ist Seelentodtschädlich, unwürdig und ~überflüssig~.
Nichts Ungewisses, Bezweifelbares, Verdächtiges kann die Grundlage
des Lebens sein. Das Aufgeben aller Vernunft, die Verzweiflung führt
nimmer zur Ruhe und Seligkeit. Eine Verzichtung auf den lebendigen,
heutlebenden und ewig sich offenbarenden Gott und seine Verläugnung
trägt ihren Fluch. Eine Absperrung in ein von Fanatikern mit Brettern
wohlvernageltes Haus mit künstlicher Lampe, worein kein einziger
anderer Sonnenstrahl hineindringen soll, ist durch seine Idee schon
das Haus der Angst und des Todes und des sicheren Verfalls. Ja, es ist
der Menschheit besser, daß Jeder dem Andern zu Leben und Glück und
Freude von Herzen hilfe, und weniger stolzüberhoben zu sein, ja sich
weniger sicher zu dünken -- als Andere zu hassen, verachten, verfolgen,
ihr Vaterland zu unterwühlen, ihr Lebensglück zu bedrohen, und blos
darum, damit sie dereinst nicht auf göttlichem unfehlbarem heiligem
Wege, sondern nur auf ihre besondere Methode in den Himmel gekommen
erscheinen. Aber nur Gott giebt Erde und Himmel, Gott giebt das jetzige
Leben so gut wie das ewige. Doch Geduld! Meine Deutschen alle sind ein
unüberwindliches Volk; sie kennen, wie die Aegyptier, keine heiligen
Ochsen, und ziehen still wie Rinder sacht aber stet und unablässig
ihren Strang.“ --

„Da hat ihm der Fünfte, Herr Haltaus, der Lehrer des Consistorialraths
gesagt: Ein Volk ist langlebig, und hat mit Recht Geduld. Wir Menschen
brauchen alles schon in unserem Leben und haben die Ungeduld nicht
ganz mit Unrecht. Unter zehn Jahren nach unserer Würdigerklärung für
das Amt finden Wenige ihre Werkstatt. Uns insonderheit aber bleibt
nichts übrig als unsere Anwartschaft aufzugeben, und anders wie im
Volke zu nutzen. Auch erkläre ich ehrlich und fest: ~Ich will mein
Weib nicht einer Albernheit verdanken~; so gut wie mein Amt nicht,
meiner, um Brot an den Nagel gehangenen, in der Tiefe der Seele
verwundeten Ueberzeugung; einem bösen Gewissen, einem falschen Schwur.
Es ist schändlich seine „Obern“ zu betrügen, schändlicher, das Volk;
am schändlichsten ein Betrüger zu sein. Die Erde hat noch Brot für
aufrichtige redliche Männer. Das Land zwingt keinen zum geistlichen
Stande, was aber mit dieser Zeit nöthig werden könnte. Wer sonst zu
allem zu dumm war, ward Theolog, oder Oekonom. Jetzt möchten und müssen
das die ausgezeichnetsten Köpfe sein. Aber nur die Reichen können
fortan studiren. Vielleicht schade um die Köpfe der Armen, deren Genie
ihr stupender Reichthum ist. Aber welche Aussicht für die Reichen!
Welche feine Anstalt: sie zur Bildung und Arbeit zu zwingen! Darum
spreche ich gern wie Du „doch Geduld.“

Und so haben sie das Gespräch mit einem stillen feinen Lächeln
beschlossen, wozu der ambulante Geistliche ein frommes Lied bald leise,
bald laut gesungen. „Das rührte mich, aber berührte mich nicht; und
klug ist, der Welt ihren Lauf zu lassen.“ So referirte mir mein Pastor.

Mir war eigen zu Muthe -- ich liebte! Dessen war ich gewiß. Denn wer
ein Mädchen wirklich liebt, der fühlt die äußerste Ehrfurcht vor ihr,
so, als schwebe sie als Göttin um ihn, und schaue ihm immer zu. Er
lebt im höchsten Anstand. Wer seiner Geliebten gegenüber ungeheuer
essen kann, von dem glaube sie ja nicht daß er sie liebe. Er ist
aller Dinge satt, von allen Dingen selig. Kaum ein Wort kann er ihr
stammeln, als sei jedes unwerth der Schönheit und des Himmels, in dem
er mit ihr zu wandeln hofft, selige Jahre lang. Wer einem Mädchen
vermag, Schmeicheleien vor Andern freilich ihr am bestechendsten, in
das Angesicht zu sagen, der liebt sie nicht, der will sie nicht ~ganz~,
nur ~Etwas~ von ihr, der erscheint nur ein bezauberter holder Betrüger
des holden Menschenkindes. Doch mir erging es eigen. Ich konnte auch
der schönen ~Brigitte~ Wörtchen sagen! Auch ihr gegenüber war mir die
Brust so voll! Geschah mir das, weil sie Arminias Freundin war? Oder:
wem Eine Jungfrau als ein göttliches Wunderwerk in aller Herrlichkeit
erschienen ist, dem ist dadurch jede Jungfrau, jedes Weib, als heilig
einem Andern, heilig geworden, und jedes Kind, als ein Menschenkind,
wunderbar und theuer? Wenn die wahre enge gefangene und befangene Liebe
~zu Einem~ auf Erden solche Freude ausgießt über die ganze Welt, uns
alle Anderen so glücklich und himmlisch erscheinen läßt -- o, welcher
andern Liebe bedarf da es noch, als ~dieser~ Liebe zwischen Jüngling
und Jungfrau, daraus Mann und Weib wird, die Kinder werden, und das
ganze gesegnete Menschengeschlecht!

Ich mußte diese Stelle aus meinem Tagebuche, oder wahrer gesagt: aus
meinem geheimen ~Nächtebuche~ hieher setzen, um darzulegen, welche
meine Empfindungen bei den nun folgenden Ereignissen waren, und wie
sie mir halfen klar zu sehen und zu meinem guten Weibe zu gelangen. Um
aber von mir zu erzählen, muß ich von einem Stück Welt oder einem Stück
Leben Anderer erzählen. Denn der Wind der uns hier umsauset, ist ~in
der Ferne~ bereitet; die Wolken, die heute über uns ziehen und regnen,
sind weit im ~Weitem~ gemacht; und die Rose die heute aufblüht, war
gestern eine Knospe!

Der gute Herr unseres kleinen Vaterländchens hatte nun eine
treuauszurichtende Versendung nach England. Niemand war ihm empfohlener
als ~Rheingraf~, leider der neue Ehemann, der eine Nachtpoststelle
bekleidend, alle Morgen zu seiner Frau Afanasia gekommen, alle Abende
von ihr geritten war.

Uns Brautwerbern ward an dem geplagten Freunde die jetzt noch so
geplagte Männerwelt recht deutlich und innig leid. Die größte Sclaverei
ist wohl, um Brot seine Zeit, seine einzigen Tage mit Seufzen
hinzugeben. Wer nicht Herr seiner Zeit ist, der ist der Unglücklichste.
Und wie viele treibt nur die Noth, ~nicht der innere Beruf~: Weib
und Kinder am Morgen früh zu verlassen, am Abend spät erst müd’ und
verdrossen wiederzusehen; verheirathet zu sein -- wie ohne Weib;
Vater zu sein -- wie ohne Kinder; sie nicht lehren und erziehen zu
können. Offenbar ein noch nicht wohleingerichtetes Verhältniß, das
seiner Ausgleichung harrt. Wie viel glücklicher als alle dergleichen
scheinbarreichen aber wahrhaftarmen Leute, ist das allgemeine Volk
auch darin! Der ganze Stand der Handwerker, welcher Stiefeln, Kleider,
Töpfe, umgeben von Weib und Kindern, macht; das Landvolk, das mit
Frau und Kindern zufrieden sich müht; denen vereint die Tage des
Lebens vergehen, das jede Stunde des Lebens mit ihnen genossen. Indeß
tröstet die Andern der Stolz, das Geld, die Ehre, die Macht, und
die Einbildung: Herren und Köche des Lebens zu sein; oder die Opfer
für alle Unmündigen, Unverständigen und Argen. Was überhaupt noch
unentbehrlich erscheint, ist ihnen eine freiwillig übernommene Pflicht.
Schweigen wir vor ihnen ja von dem Glücke: „seines Lebens fleißige
weise Herren zu sein.“

Zu diesem Bedauern kam bald darauf ein kleines Billet vom Postsecretair
Rheingraf an Afanasia aus der Stadt. Sie hatte es dem Generalvater,
wie wir den Hausherrn nannten, mitgetheilt, dieser den Schwestern,
diese dem Engel Tobiä, dieser ließ uns, mit Stolz auf seine Kunst, die
wenigen Worte lesen:

              Liebes Weib!

    Ich komme 14 Tage längstens nicht. Der Herr versendet mich nach
    London. Er selbst war so huldreich bei der Abfertigung! und
    was ist denn heut zu Tag Reisen? Er versprach mir die nächste
    Postmeisterstelle und lächelnd bis dahin eine Tagpost. Dann komme
    ich alle Abend! Ich bin mit allem wohlversorgt. Bleibe indessen
    gesund und treu

              Deinem

                    glücklichen Manne
                     L. v. Rheingraf.

Afanasia weinte. Die Schwestern schwiegen betreten. Selbst der
Generalvater bedauerte, daß er nicht gleich den Schwiegersohn zu sich
genommen, wie ein alter Patriarch. Wir beritten nach einigen Tagen die
näheren, angenehm gelegenen Gehöfte am See, am Wald und an den Bergen,
die er auch aus ältern Gebäuden hatte zu freundlichen bequemen, ja
geräumigen Familienwohnungen einrichten lassen, welche aber alle noch
nicht völlig ausgebaut, nur unter Dach standen. Jeder dieser Villen,
hatte er den Namen von einer seiner Töchter beigelegt; und so sahen
wir von früh bis Abend die reizenden Höfe: Amalienhof, Alwinenhof,
Antonienhof, ja sogar einen ~Armidenhof~, der mir überflüssig schien,
und die anderen; bis wir bei Sonnenuntergang in Afanasienhof am
längsten verweilten, in dessen, im venezianischen Styl erbauten
Wohnhause nur noch die Möbel fehlten. Aber schon die Spiegel standen
unausgepackt da, und die Teppiche zusammengerollt. Er zuckte die
Achseln und wir ritten heim. Da war schon wieder ein Brief aus Hamburg
von Rheingraf an Afanasia gekommen, im Comptoir des Banquier Hamster
und Comp. geschrieben, aber abrupt, phantastisch, mit einer unendlichen
Abschweifung über den Namen ~Kalypso~, über schöne englische Mädchen
und eine Zwergin. Mein Chirurgus Salomon, um Armida willen freilich
nicht mehr mein Freund, der gegenwärtig war, flüsterte mir dennoch
ins Ohr: Der Brief ist nicht geheuer! oder ~der~ wohl, doch nicht der
Briefsteller! -- Die Freude über die mitgesendeten Geschenke aber ließ
alles vergessen.

Darauf kein Brief von London! In 14 Tagen kein Rheingraf. In 4 Wochen
keiner! Da weinten die beiden Wittwen wieder. Afanasia kam blaß, mit
verweinten Augen. Sie saß mit den Wittwen spät bis in die Nacht an
der marmornen Pforte; oder sie gingen alle Drei den Weg weit hinaus in
die Kornfelder bei Wachtelschlag ihren Erwarteten entgegen. Aber die
Schwestern hüteten sich wohl, Afanasia schon durch das Lied zu betrüben:

    Hier bist Du hinaus gegangen --
    Wann kommst Du hier wieder herein?

Denn der ambulante Pastor stärkte sie durch den Trost: Ohne Probe, ohne
Bewährung keine geistliche noch weltliche Medizin! Jetzt ist eben die
Zeit des Glaubens! Auch Armida und Brigitte hielten sich jetzt fast
geheimnißvoll zusammen. Sie sah mich zuweilen verstohlen an; sie ward
immer stiller, ja dienstbarer, aber dagegen nur strenger, ich möchte
sagen enthaltsamer gegen mich. Alles war ja so natürlich; alles war so
natürlich zugegangen, treu und tüchtig, wahr und offen -- und nur ~der
Ambulante~, der Nox, war der Narr; und Narren stecken an wie Kranke.
~Das~ will man ~nicht glauben~, oder gerade hoffen so Manche von dieser
Ansteckung die Weltrettung! Wenn nun auch Rheingrafs Ueberfahrtschiff
in den letzten Stürmen mit Mann und Maus im sogenannten deutschen
Meere untergegangen wäre, sprach mein Pastor zu mir, dann ist alles
und jedes wohl und weise hergebracht, und Ursach- und folgerecht
durch- und ausgeführt; so daß, wer den Vorgang durchschaute, jeden
Wassertropfen, jeden Windeshauch dabei heilig sprechen müßte. Aber,
aber -- Sie, mein theurer Herr Patron, sind wahrscheinlich als
Brautwerber und Junggesell schon ein Wittwer! Denn obgleich diese
Anhäufung einerlei Geschickes mehrer Schwestern in einem Hause nichts
ist, als für Jede Einzelngeschehenes und gewiß nicht geschehen, um
uns auf’s Neue zu Narren zu machen; so ist die Sache den Schwestern
doch aufgefallen. Sie wissen, der Vater ist nach Auskunft, aber ohne
Auskunft zu erhalten, mit ~Afanasia~ zum Herrn in unser Hauptstädtchen,
_vulgo_ Residenz, gereiset. Warum hat sich ihr ~Arminia~ vor allen zur
Begleiterin aufgedrängt? Aus Herzensdrang mein’ ich. Auch sind sie
auf ihren Betrieb auf dem Heimweg über G.... gereiset, die angebliche
Geburtsstadt des Pabstes Gaganelli. Dort hat sie sich etwas in der
Apotheke gekauft, um sich zu überzeugen, daß der Apotheker als ein
redlicher Bruder alle seine Schwestern bei sich im Hause hat, deren
Dreien die Männer alle in den Honigwochen gestorben sind; und nun
heirathen die andern drei Schwestern durchaus nicht, weil sie sich als
eine Art schöner Tod oder süße Mörderinnen vorkommen. ~Das~ ist wahr,
_sub fide pastorali_, und Sie können sich von der Sache durch eine
kleine Reise dahin, alle Tage überzeugen und die reichen armen Wittwen
und schönen armen Nonnen sehen und sprechen. Auch wissen es alle Leute.
Und nun sind für Sie die albernen Folgen: Liebt Arminia Sie ~nicht~,
so sagt sie Ihnen nicht das kleine _a_! ~Liebt~ sie Sie, so sagt sie
das kleine _a_ ~noch weniger~. Dazwischen werden Sie zu zweifeln
haben, und vom wahren Grunde nie Gewißheit erlangen. Auch gefällt
meiner scharfsehenden Frau gar nicht der Haß, den Arminia und Herr von
Stifter so verwunderlich gegen einander hegen. Meine Frau schüttelt
den Kopf. Ich muß es Ihnen sagen.... und mögen es die kommenden Monde
nicht erklären: Sie hat Arminia, die Hände vor der gesenkten Stirn
verwendet, stehen gesehen, und der Stifter hat mit rollendem Auge in
die Ferne sehend, sich mit zwei Fingern die Unterlippe gestrichen; das
bedeutet große Verlegenheit. Das Bewundertwerden, das Angebetetwerden
erweicht Steine; und gerade ~Sünder reißen Göttinnen aus dem Himmel~
--, und berufene selbst ältere Sünder sind Engeln aus Phantasie
croquanter als junge unschuldige Engel. Zwar, Tropfen höhlen Steine
aus, aber Ueberraschung sprengt Felsen. Das Unglück ~kommt~ rasch,
aber es ~bleibt~ unermüdlich lange. -- ~Zwei~ Weiber irren schwer! Ihm
soll wohl eine Scheidung alles tilgen. ~Folglich~ würden Sie dann wohl
ihre Freundin Brigitte ~heirathen~, alles thun und alles empfangen,
was dieses reichste aller Wörter der Menschen in sich faßt. Meine Frau
meint: das edle arme schöne Kind liebt sie von Herzen. Uebrigens, _ad
hoc_, etwas Neues im Dorfe: Die alte Mutter Heidemann ist mit Händen
und Füßen, wahrscheinlich auch mit der Zunge dagegen gewesen, daß ihre
Tochter ~Siegemunde~ einen armen lieben jungen Menschen im Dorf, den
Ehrenfried, hat heirathen dürfen -- heute morgen haben die Fischer die
Tochter todt aus dem See gezogen! Sie liegt noch am Ufer, und der arme
Ehrenfried und Siegemundens Bruder Bernhard sitzen da neben ihr weinen.
Hier haben Sie das Fernrohr.

Durch das Fernrohr sah ich nun die blasse Todte mit grünem langen
Grase in den langen Haaren -- und die Weinenden. Auch die Mutter kam,
blieb unter einem Baume stehen, sah mit finsterm Gesicht hin, ob es
möglich, ob es wahr sei? und trug das erstarrte Gesicht auf den alten
wankenden Beinen in den vielgrünen sonnigen Wald. Und mein Pastor sagte
mir: In dem mehr als man geglaubt verständigen China würde Ich, sammt
Ihnen und vielen Obern jetzt abgesetzt, weil wir auf solche Dinge des
Hauses nicht Acht gegeben; weil wir unsere Leute nicht gekannt. Die
Mutter geht nun frei aus; denn bei uns, bei mir und Ihnen hat sie
Nichts begangen! Aber sein Sie versichert, es ist der erste Fall,
der, oder ähnlicher Art in meiner Gemeinde. Ich fühle, was alles ein
evangelischer Geistlicher sein kann und soll. Jetzt essen wir unser
Brot fast mit Sünden. Uns fehlt die Kenntniß, der nahe Verkehr mit den
Menschen, die Einwirkung ~zur rechten Zeit~; denn was Alle ~überhaupt~
sollen, das wissen alle Menschen jetzt auswendig! Wir sind in Trägheit
versunken, weil wir die Dinge erwarten, die da kommen sollen! Wir
sitzen da wie arme Leute, denen das Haus abgebrannt ist. Das kann und
wird kein Verständiger läugnen.

Er war kaum fort, als der arme Herr von Hase zu mir kam, mir zu sagen,
daß er mit Brigitten mein Haus verlassen werde. Ihn werde sein Bruder
zu sich nehmen. Brigitte hoffe einen Dienst zu finden. -- Konnt’ ich
das hindern? Hätte ich sogar ihm sein Gut wiedergeschenkt, so fühlte
er sich erst recht bedrückt. O wer bedenkt das Wort: Erst der Arme und
Unglückliche bedarf erst recht der Freiheit, der Ruhe der Seele.



X.

Die feindlichen Schwestern. Der Brief.


Jetzt mischten sich natürliche wirkliche Dinge in meine Verhältnisse;
wie denn zu jedem Traume -- wozu ich viel Mehreres rechne als man
glaubt -- ein ~natürlicher~, wirklicher schlafender Mensch gehört;
wie zu einem Spiegelbild ~der Spiegel~, und zum Opiumtraume das
~Mohnhaupt~, was Niemand genug bedenkt. Nämlich, als ich eines
Vormittags drüben in Westfrei Herrn von Heiligenhahn besuchte, fuhren
drei Englische Reisewagen mit landesherrlichen Pferdebeinen vor. Ein
Diener meldete den Baronet _N_. Angenommen. Er trat ein. Jeder der zu
Fremden die fremde Sprache spricht, wird nur sein eigener Uebersetzer,
während der Fremde durch Freiheit und Geist sich ergehend und ergießend
dem höflichen Radebrechern der fremden Sprache überlegen wird. Obgleich
Herr von Sangallo vortrefflich Englisch verstand und sprach, zwang er
nicht sowohl aus Stolz, sondern aus Klugheit den Baronet ~deutsch~ zu
sprechen. Der englische Irländer war ~der leibhafte Mann von fünfzig
Jahren~, dieser wirkliche arme ~ewige Jude der Männer~, der in jedem
Geschlecht aber in tausend Exemplaren erscheint, und reeller als
jener, wirklich bis zum jüngsten Tage umherwandern muß. Schön gewesen
und noch bedauerbar, trug er die Spuren der Gefallsucht und des
Gefallens schöner Weiber an ihm, sichtbar als hagere blasse Wangen,
düsteren Blick, gezwungene Gradhaltung. Man sah ihm an, daß er nicht
wußte, warum oder wonach er nur noch die Hände ausstrecken sollte;
was als vornehme Ruhe erschien. Und doch sprachen seine Züge jetzt
von wirklichem ehrlichen Kummer und schwerer Sorge, die aber wie eine
Strafe auf ihm lag; wie ein Pilger aussieht, der um seiner Sünden
willen nach Mekka wallfahrtet. So sagte der eben gegenwärtige Herr von
Stifter, der wohl der Mann war ihn zu erkennen.

Es entspann sich nun folgendes Gespräch zwischen dem Baronet und Herrn
von Heiligenhahn:

_Haven Ihr effectiv tweiandwenzig Dachters?_

Achtzehn, Ja, Sir.

_Nein: Mylord! Eich forgas darauf, thats mein Bruther begraven is. Ihr
seyn famos für habing soltsch ein Nummer, van Dachters. Eich bin kurios
sie tu sihn._

Sie sind keine Curiositäten.

_Wheirum willen Ihr sie natcht schonen?_

Zeigen? Wollen Sie Eine heirathen?

_No! Thank, Sir,.... Willen Ihr Wanne af mein sieven Dachters? Ihr sind
Widofer!_

Nein, Dank! sprach der Generalvater; aber er rief seine Schaar Nereïden.

Der Lord, unwillig die Töchter nicht sehen zu sollen, sprach auf
Englisch vor sich hin: Ich habe Eile; meine Frau stirbt mir sonst,
ehe ich in das Seebad nach Peisa komme! Hilft doch ein Herrscher, ein
Priester dem Andern mit Rath und That. Soll ~ein Vater~ dem Andern
nicht rathen? Ist das deutsch? So thun wir Irländer nicht! -- Aber,
sprach er, _Sie Holycock, expecten Sie! expecten Sie!_ und eilte
hinaus an die Wagen. Darauf führte er uns seine Töchter herein, etwas
scheue Wesen von über der See, an denen man wohl bewundern konnte, was
der liebe Gott, oder der Gott, der wahren Liebe auch da, wo man gar
nicht hindenkt, für allerliebste Dinge macht! Die gegenwärtigen sieben
Exemplare standen im Alter von drei bis zu achtzehn Jahren und trugen
selbst auf der Reise schneeweiße Kleider mit kornblumenblauen Bändern
um den Leib und die Hüte; so daß ich die bildschöne stillgefolgte
Kammerjungfer bedauerte, wenn ich nur dachte, wie schon meine einzige
rechtschaffene Mutter auf Reisen ihr Mädchen schor, welches, wenn
sie selber schlief, waschen und plätten mußte, und dann am Tage auf
dem Bocke schlafen sollte und einmal hinuntergestürzt war, worauf
meine rechtschaffene Mutter ihr meinen Platz im Wagen eingab. „Das
Mädchen für Sieben“ glühte jedoch über und über wie eine Rose in der
Abendsonnengluth, und hielt sich heimlich die Stirn vor Unwohlsein.
Der Baronet hatte zuerst Augen dafür, sprach mit ihr, bat uns dann
einen Arzt holen zu lassen; und ich sandte nach meinem Salomon. Seine
älteste Tochter _Dolly_ (Dorothea) hatte der _Nolly_ (Helena) aber
beim Aussteigen auf das Kleid getreten, wodurch sie es sich aus den
Falten gerissen; und obgleich hier im Zimmer von Fremden, ermordeten
sie sich bald mit den Augen und führten einen kaum moderirten Zank
untereinander, wie Fischweiber etwa während es fürchterlich blitzt und
donnert.

Da sehen und hören sie, sprach der Baronet außer sich, weswegen ich
Sie um Rath fragen wollte, da ich im Hause meines Banquiers in Hamburg
zufällig von Ihrem Schwiegersohn erfahren, mit wie viel Töchtern Sie
Gott begabt; zur Strafe oder zum Lohn -- wage ich armer Siebenvater
nur eines Siebengestirns von Mädchen nicht mehr zu sagen. Mein Bruder,
lange General in Indien, lachte mich aus und sagte nur kurz: Alles
geschieht „_right and noble_;“ Strafe und Lohn sind nur die Empfindung
der Weltfiguren in rechten oder ignobeln Menschen; so daß dieselbe
Figur Zweien, ja Tausenden verschiedene Gesichter schneidet! „Ein
gutes Gewissen ist die wahre Freiheit, und erlöst von allen indischen
Propheten und Götzen und Bonzen und ihren den Menschen gemachten
Aengsten jetzt und in Ewigkeit.“ -- Aber was da! Sind Ihnen unter
so vielen Töchtern nicht „~die feindlichen Schwestern~“ aufgelebt?
wie mir! Nach allen vergeblichen Zucht-Worten habe ich mich zu ihrem
ferneren Bessern nicht entblödet, den Bischof sie admoniren zu lassen.
Aber Sie redeten ~ihn~ stumm ja sprachlos! -- Ich habe sie Jahre lang
getrennt. -- Doch in der ersten Stunde des Wiedersehens war der Streit
ärger wie je! Ich habe sie beide hungern lassen, und in den polnischen
Bock gespannt. Seit der Zeit war es gar aus; denn Eine schreibt ~der
Andern~ ihr Unglück und ihre Schande zu, nicht ~sich~! nicht mir! Am
liebsten hätte ich sie verheirathet, beide, oder nur Eine. Aber in
meiner Umgebung nahm sie Keiner; denn in der That darf sich kein Mann
allein getrauen, was Vater und Mutter nicht im Stande gewesen. Ich
besuchte zwei _Seasons_ die Bälle in London. Aber ihr Ruf war ihnen in
Gestalt einer verrätherischen Nachbarin vorausgeeilt. Und wer seine
Töchter auf jenen großen Mädchenmarkt in zwei Jahren nicht verthan,
der ist lächerlich wenn er mit Töchtern wiederkommt, als käm’ er mit
großschnablichen Ritterdamen-Schuhen aus der ~neuern Fabelwelt~. Mein
Bruder fand die feindlichen Schwestern beide sehr schön und meinte,
ihre Feindschaft komme nur daher, daß Eine ~Sommer~sprossen habe, die
andere ~Winter~sprossen, die auch im Winter blieben. Aber er irrte,
sie waren schon Feindinnen als Kinder. Vielleicht haben Sie selbst nun
auch so ein Paar Hauszerrütterinnen gehabt, und Sie schlagen mir gewiß
nicht ab, das Mittel mitzutheilen, durch welches Sie den Unglücklichen
selbst, den fünf Schwestern, der Mutter, mir und dem ganzen Hause den
Frieden und die Ruhe, früh, bei Tische und zu Nacht als gründlicher
Vater wiedergeben!

So sprach der Lord auf englisch; und bat sich die Antwort deutsch
aus; da der Hauptgewinn, fremde Sprachen zu wissen, nur darin liege:
die Fremden zu verstehen ~und~ in seiner Muttersprache verstanden
zu werden, so daß ~Jeder~ aus vollem Herzen mit allen Vortheilen
des Ausdrucks, allem Reichthum seines Wissens sprechen könne. Etwas
verstehen, sei in allen Dingen aber leichter als es selber machen, und
die Menschen hätten jetzt zwanzigmal mehr zu lernen, als ein alter
Aegyptier, Grieche oder Jude, da die alten Goldbarren des Wissens
täglich zu unzähligen Goldschlägerblättchen geschlagen würden.

Unser Herr von Holycock erwiederte ihm, daß er ihm gern die wenigen
Lehren mittheilen wolle, wodurch er seine Töchter hoffentlich gut
erzogen, und die, aber ~unermüdlich angewandt~, wahrscheinlich
ausreichten in den Hauptsachen, um aller Welt Töchter mehr als nur
untadlich zu machen. Lieber Herr College, sprach er, wie ich gern sage
und gesagt, ich habe mein Amt begriffen und ~übernommen~; denn Ehemann
sein, ist ein Amt der wahren Liebe; Vater sein, ist ein Amt der Treue,
dem keins vorgeht, als Mutter sein. Neben diesen Aemtern darf jeder
Mensch, der Aermste wie der Reichste durchaus kein anderes übernehmen,
als so weit es sich mit diesen einzigen wahren Menschenämtern verträgt,
sonst wird er unglücklich und macht unglücklich, über alle Maaßen, auf
mehre Geschlechter. Ich bin fest überzeugt, daß auf vernünftigeren
Gestirnen schlechte Väter und Mütter enthauptet werden; denn Waisen
gerathen besser als verzogene Kinder. Ich bin aber auch überzeugt,
daß in jener Welt, die wir alle Abend und die ganze Nacht vor Augen
sehen, auch Anstalten sind, wo junge liebe Leute zu guten Eheleuten,
guten Väter und Müttern besonders erzogen werden; Anstalten die bei
uns ~auf der Erde~ noch gänzlich fehlen, als auf einem ~noch ziemlich
albernen Planeten~; und die doch nöthiger sind als alle Zuchthäuser und
Irrenhäuser, welche _post festum_ die Uebel zudecken. Wir armen Thoren
fangen alles am Ende an, wie mit der ewigen Seligkeit. Eine der Früchte
meiner paar Lehren sehen Sie schon eben dadurch -- daß Sie meine
Töchter nicht schon hier sehen.

Wie so? fragte der Lord.

Ich habe ihre Neugierde nur auf die wahren Dinge gerichtet, weil ich
behaupte: Eher sind die Menschen nicht glücklich, ruhig, noch belehrt
und erzogen, bis z. B. kein Mensch mehr nur von der Arbeit wegsieht,
und, wenn Sieben Päbste und Acht Kaiser in Parade durch die Straßen
ziehen. Diese Ruhe bei allen elenden Vorgängen habe ich meinen Kindern
am ~gestirnten~ Himmel gelehrt.

Wir wollen doch sehen! versetzte der Lord, und ging hinaus. Und bald
trug er auf den Armen eine kleine Araberin herein, eine Zwergin von 17
Jahren, die, wie er nachher sagte, ihm sein Bruder aus Aden mitgebracht
hatte. Das unvergleichlich schöne Quasi-Kind mit seinen großen Augen,
seiner wie nur angehauchten Farbe vom schwächsten Ton aus Schwarz und
Braun gemischt, seine kleinen Händchen mit Fingerchen und Nägelchen,
die der schönste Affe nicht zierlicher haben konnte, ein weißer Turban
mit Perlen umwunden, die Füßchen, die unter den weiten weißen Höschen
kaum Füßchen zu nennen waren, der himmelblaue Kafftan, der silberne
Gürtel, sogar die kostbare, im Verhältniß sehr lang zu nennende
Tabakspfeife; und die zwei so kleinen Chinesischen Zwerghündchen, daß
sie gegen den Newfoundländer füglich Infusionshunde zu nennen waren
-- das alles hatte die Töchter des Hauses gereizt, hinter dem Fenster
hervor und hinaus zu treten; und nun begleiteten sie das liebe Kind
Gottes in Jubel herein, wo es sein Herr mitten auf den runden Tisch
stellte, aber auch gern die Neugier entschuldigte, welcher sogar „ihre
Königin“ nicht widerstanden habe.

In diesen Wirrwarr kam der Herr Postmeister von Rizzi mit seinen
Töchtern, um die Eine als Braut, bis zur möglichen Heirath, mit dem
ihn begleitenden Postschreiber vorzustellen. -- Nun Gott sei gedankt,
sprach er in aufrichtiger aber etwas plumper Weise, hier geht es zu
Frauenzimmern! -- Aber das feine Benehmen des Irländers legte ihm
Anstand auf, und er verstand zu schweigen, was sein -- wie aller jetzt
klugen Leute -- größter Verstand war. Die reizende Gouvernante, Miss
_Denny_ (Isabella) brachte aus dem Wagen auch Lady _Pat_ (Martha), ihre
kranke blasse Herrin hereingeführt, die nach den Begrüßungen sehnlich
wünschte, die Frau vom Hause, die glückliche Mutter so vieler Töchter
zu sehen und zu sprechen!

Das Verlangen rührte uns alle tief. Denn sie lag in der Gruft in einem
weißmarmornen Sarkophage. Und obschon die sonderbaren und wahren Worte
mit goldenen Buchstaben über dem Eingange standen:

    „~Es giebt keine Todten!~“

so empfanden wir Bekannte doch bang ~die Abgeschiedenheit der
Gestorbenen~; und es ward ernste Stille. Der Wittwer versprach ihr das
Bild auch immer noch seiner „Wittwe im Himmel“ in der Gruft zu zeigen,
was er nur bei feierlichen Anlässen oder an Geburtstagen, und nur dem
Kinde sich satt schauen ließ, dessen Geburtstag war, um es heilig zu
halten.

Indessen hatte Afanasia schon sich den Schlüssel zur Gruft geholt;
denn der Hofmeister des Baronet, ein, um wirklich schön zu sein, nur
zu langer junger Mann, mit zu schmaler Stirn, hatte ihr für den Vater
einen Brief aus Hamburg übergeben. Da sie zumeist die Nachrichten von
dort betrafen, hatte sie heimlich und schnell den Inhalt gelesen:

      _P. P._     Hamburg, d. 18. Juni 184--

    Wir avisiren Sie hierdurch, daß Schiff Kalypso, Capitain Ellis,
    welches Ihren Herrn Sohn oder Schwiegersohn nach London überfahren
    sollen, wie man sagt „mit Mann und Maus“ untergegangen ist. Die
    Stürme waren zu groß, und auch wir haben empfindlichen Schaden
    gelitten.

                  Hamster und Comp.

Nachdem die arme Afanasia sich zur Wittwe gelesen, und eine Zeit
ohnmächtig gelegen, hatte sie der ambulante Geistliche so gefunden und
zu sich gebracht. Sie hatte ihn mit einer schrecklichen Lache von sich
gestoßen, ihm den Brief hingeworfen, und sich zur Mutter geflüchtet.

Auf unserem Zuge zur Gruft -- denn ein Zug war es -- führten die
feindlichen Schwestern die Mutter, die ihre Gesundheit über sie
beide verloren. Denn beide liebten ~die Mutter~, wenigstens jetzt,
wirklich rührend. Die Aelteste litt an Kopfweh, sie überwand sich
aber, um mit der Mutter zu gehen. Der Baronet führte sich mit Herrn
von Sangallo; die wunderschöne Zwergin ~Aïscha~ mit der kleinsten
Tochter; Herr von Rizzi konnte sich nicht enthalten zu fragen: Ob
die kleine „Apfelsinerin,“ oder „glückliche Araberin“ denn gar nicht
zu verkaufen wäre? Er wüßte jemand, der den höchsten Preis für
dieselbe bezahlen würde. Er habe die Ehre den Verstorbenen manchmal zu
kennen, der Personen und Verhältnissen, selber der Natur gern einen
unschuldigen Zopf anhänge. Diesem würde nichts willkommener sein, als
eine Zwergenhochzeit, nebst fürstlich gefeiertem Brautlagerchen, und
als dann ein winziges Kindtaufen und eine neukindische Menschenrace,
da er schon den Stammhalter, den kleinen Adam zu dieser Eva in
seinem Schlosse besäße, oder zu Mann und Vater geliehen bekomme; den
reizendsten kleinen Hampelmann, der je drei Käse hoch gewesen. Ihm
thue der kleine -- doch auch Mensch -- leid, welcher sogar in dieser
mädchensteinreichen Zeit, kein Mädchen, nicht einmal eine arme Wittwe
zur Frau finden könne.

Die beiden Väter aber wandelten langsam in ihr Gespräch vertieft.
Herr von Sangallo sagte ihm, in Bezug auf die feindlichen Schwestern,
deren fast in allen Häusern wären: „Von der Geburt des Kindes muß ~die
Erziehung~ anfangen; dann sind Vater und Mutter mit dem dritten Jahre
in allen Hauptsachen damit fertig. Kenntnisse und Erfahrungen sind ein
Anderes; diese gehen ihm dann von Menschen und Welt zu. In den ersten
Jahren müssen Neigungen und Abneigungen, Scham und Ehre, Recht und
Unrecht, schon entschieden gestimmt und gerichtet werden. Wer das
Gute zu erregen, hervorzutreiben und entfalten versteht, was jedem
Menschenkinde eingeboren ist, der hat sogar nicht Irriges oder Arges
nieder zu halten -- es erscheint da gar nicht! Eltern, Geschwister,
Beispiele sind die entscheidendsten unaustilgbaren freien Lehrer des
Menschen nach seiner Epiphanie, oder Erscheinung auf Erden. Aber da
denkt man: Was ist schon so einem stummen dummen Wurme zu lehren? Das
kleine Männchen oder Weibchen zermalmen wir sogar immer noch! Es hört
nicht, es sieht nicht, es ist kein Geist aus dem Himmel. Zu spät,
ist Erziehung -- unmöglich. Jedoch will ich Ihnen sagen, was mir in
ähnlichem, eingeschlichenem Falle geholfen. Ich bin mit meinen Kindern
krank gewesen, mit tausend Vaterleiden; Ich bin mit ihnen gesund
geworden, mit tausend Freuden. Meine Kinder sind mir, wie Blumen, alle
wie fühlbar in der Brust gewachsen, und stehen noch darin. Ich bin auch
mit ihnen krank an Gemüthe gewesen; und ich habe immer Denen zumeist
und einige Zeit ausschließlich gehört, die den Vater bedurften, während
mein Auge die andern nur leicht überwachte. Verlassen Sie sich in allen
Dingen in der Welt am liebsten auf die ~bessern~ Menschen. Das ist
kürzer und sicher. Denn ist von Zweien schon nur ~Eins~ vernünftig und
fest, dann müßte das Andere ein Wolf sein, wenn es den Treuen, Sanften
noch anfiele! Ich habe mit der ~sanftmüthigeren~ Tochter der beiden
„feindlichen“ hinlängliche Zeit allein gewohnt, von früh bis zu Nacht
und wieder zum Morgen, und kaum etwas anderes gethan, als ihr ihre
Fehler in allem Unrecht, in allen Folgen recht klar gemacht; aber ohne
Hinterhalt klar und wahr. Und als die Ueberzeugung davon sich in ihr
~befestigt~, entließ ich sie mit der Lehre: „~Sage und thue deiner
Schwester nur das, was ihr gut und lieb ist.~“ Auch ~das~ überwachte
ich einige Zeit, ~half es ihr ausführen~ -- und ich hatte nicht nur
zwei Herzen gewonnen, sondern alle bemühten sich noch eifriger sie zu
übertreffen! Die ~schlimmere~ Schwester besiegte die Scham, und nach
mancher noch heimlichen Thräne, war sie mein liebstes Kind!“

Also haben Sie auch ein liebstes Kind? Das freut mich! sprach der
Baronet.

„Ach, das, ~dem die Mutter gefehlt hatte~! Diesem mußte ich mich ja,
billig und recht, mehr hingeben! Ich denke immer, wer Männern treue
verständige Weiber, und Kindern liebevolle glückliche Mütter erzogen,
der hat mehr gethan, als der Bildhauer Bernini, Thorwaldson oder --
Cornelius, deren Werke nicht weiter zeugen, nicht Gefühl und Seele
haben, wie die Türken sagen, ~noch glücklich sind~. ~Die Lebendigen~
sind die wahren Kunstwerke, denn sie leben, statt in der Vorhölle,
gewiß in dem Vorhimmel, wenn nicht geradezu einzig und allein in dem
~wahren~ Himmel. Meine Tage, meine Nächte, meine Arbeit und Sorge ruhen
in meinen Kindern, sie sind in die übergegangen, sie sterben nicht mehr
mit mir, nicht mit ihnen; sie stehen in vielen noch auf. Das ist die
Auferstehung des Geistes.“

In einer Gesellschaft werden viele Interessen zu gleicher Zeit
verfolgt; Reisende müssen Augen und Ohren immer offen haben, um jede
Gelegenheit zu ergreifen; und so hatte die Gouvernante und der lange
Pädagog sich zuerst an die demüthige kleinlaute ~Brigitte~ gewandt, und
bald von ihr herausgebracht, daß sie gern die Stelle einer Kammerfrau
bei der Lady ersetzen und mit nach Italien gehen wolle, schon weil
sie da in der Fremde diente und vor ihren Bekannten nicht zu Schanden
geworden erschien. Sie hatte sich aber hohen Gehalt bedungen, welcher
dem Vater in voraus hier ausgezahlt werden und erlöschen sollte,
auch wenn sie, ohne ihn abverdient zu haben, in der Fremde ~stürbe~.
Das gute arme Kind! ~Das~ mußte es wohl vermuthen! So mußte rasch
verhandelt worden sein; denn jetzt traten, Lehrer und Lehrerin, beides
Deutsche und Protestanten, mit dem schönen glühenden Opferthiere vor
den Baronet, es ihm vorzustellen. Er genehmigte alles, wenn Brigitte
seiner Frau gefiele -- (ob die Frau ~ihr~ gefiele, davon war keine
Rede) -- und wenn wir, namentlich ich, ihr ein gutes Zeugniß gäbe! --
Das verwirrte mich, und mein mündliches Zeugniß mochte wohl so feurig
und wundersam ausgefallen sein, daß mich Herr von Stifter zupfte, und
mir darauf bei Seite sagte: Mit Erstaunen habe ich Sie den schönen
Pädagogen mit grimmiger Eifersucht betrachten ja beneiden gesehen! Sie
hätten ihn lieber ermordet! Lieber junger Freund, wie viel Schönes
müssen wir Andern in der Welt überlassen! Ja wenn wir Einzelnen alle in
tausendfacher Gestalt lebten, so würden wir noch nicht glauben: Arme
und Lippen genug zu haben! Wir scheitern alle an der Unmöglichkeit.
Aber Eifersucht und Neid vollenden oft das, was die Liebe nicht thut;
denn was wir glauben auch entbehren zu können, ~das wollen wir doch
keinem Andern lassen~, zu solchem Besitz, woran nur zu denken uns Angst
macht!

Heute verstand ich ihn noch nicht; und wozu mich der Tag für Tag
ängstlicher werdende Mann gern erwecken wollte, und manchmal wiederum
nicht; aber da sah ihm der Schelm aus den Augen. Ich sah jetzt nur
wirklich mit Neid und Leid das arme Mädchen der Lady vorstellen.

Ihr voriges Gespräch fortsetzend ersuchte der Irländer jetzt einen
„Collegen“ Herrn Holycock, ihm diejenigen Hausregeln zu sagen, die er
bei seinen Töchtern bewährt gefunden.

Ohne Auslegung ist das mißlich; antwortete ihm der Hausvater. Doch will
ich Ihnen bewährte Worte sagen. Es sind etwa nur ihrer Zehn:

1) Mutter und Vater müssen sich lieben, innig und gesund sein und
Verstand haben!

2) Bei Tische darf nichts Unangenehmes des Hauses ausgethan werden.
Essen ist ein wichtiges Werk.

3) Mutter und Vater dürfen in Gegenwart der Kinder sich nie
widersprechen, daß beide heilige Götterbilder bleiben.

4) Eltern müssen in Zeiten der Leichtgläubigkeit der Töchter vorbeugen.

5) Wenn Vater oder Mutter gegenwärtig sind, darf keins der Geschwister
das andere tadeln oder loben.

6) Lehrstunde muß immer sein; besonders bei Gelegenheiten und
Vorfällen, welche die Erfahrung der Jugend sind, um sie Urtheil zu
lehren, und ihr das Rechte und Wahre dabei zu sagen.

7) Den Kindern muß man von Kleinauf die ganze reine Wahrheit sagen.
Das vertragen sie neben den Mythen und Mährchen aller Zeiten, sogar
neben dem besten und herrlichsten Buche der Kinder --: Grimms Haus- und
Kindermährchen. ~Nach~ den Jahren der Phantasie und des Allesglaubens
wächst dann das Wahre wie die Eiche über Blumen empor.

8) Die Kinder sollen ganz zeitig wissen: Jeder soll sich selbst
glücklich machen, nicht blos den Andern. Liebe und Schönheit sollen
keine Opfer sein. Schon Moses hat gesagt: Liebe deinen Nächten wie dich
selbst; demnach soll jeder auch sich selbst lieben, und sich zu lieben
~verstehen~.

9) Den Kindern muß man die Phantasie aufschließen, alles als wirklich
lebendig darstellen, um ihr Mitleid zu gründen, und die Liebe zu Mutter
und Vater und Geschwistern, Andern bei erfordernden Gelegenheiten
angedeihen zu lassen so weit und so gering das auch nur möglich ja
auch nur nöthig ist -- da alle überall die Ihrigen haben und wirklich
lieben, was da Liebe zu heißen und zu sein verdient.

10) Jeder soll die Seinigen doch nur so gut und höflich wie Fremde
behandeln.

Freilich, setzte er hinzu, bedürfen diese Zehn Worte: Parabeln
oder auch unbildliche Auslegungen, um ganz überraschend und allein
„hinlänglich zur Erweckung des Geistes zu wirken -- (~das Herz liegt
im Geiste~, nicht im Thorax, dem Brustgerippe!). Ich ließ diese
Worte auch ~aufführen~, z. B. zu dem Zehnten Worte sandte ich bei
Regenwetter den Kindern in das Zimmer eine alte nasse Frau, die sich
auf den Stuhl setzen mußte, um auf mich zu warten. Und sie duldeten
das, ja bewirtheten und bedauerten sie. -- Ich sandte ihnen einen alten
dummen tauben Bauer, der durchaus behaupten mußte, bei uns recht im
Schlosse des Herrn von Stifter in Nordfrei zu sein. Und sie hatten ihn
sanft belehrt; ja das mitgebrachte gebundene Kalb im Zimmer geduldet
und gestreichelt. Und noch Widerwärtigeres, ja Grobes hatten sie von
Fremden geduldet, ~die sie im Leben nicht wiedersahen, mit denen sie
nicht alle künftigen Tage zu leben hatten, denen sie keinen Dank
schuldig waren~! -- Ich bat mir dann, was sie so Fremden gethan und an
diesen geübt, auch von allen den Meinigen an den Ihrigen aus! Sie waren
überrascht und sie freuten sich. Ja wenn diese Lehre vielleicht einmal
gegen ~Eine~ im Hause vergessen werden wollte, dann durfte diese nur
sagen: „~Bedenke, ich bin ja eine Fremde!~“

Mit diesen Worten langt man weit, überall hin. Denn welch unsinniges
Gebot wäre das: Du sollst deine schöne für dich glühende Geliebte
lieben!... Du sollst dein Weib lieben! Du sollst deine Kinder lieben!
Nur zu lieben ~verstehen~ ist die Sache!“

Der gute Irländische „Katholik auf dem Sprunge“ schrieb sich jedes
Wort getreu in seine Schreibtafel. Als wir so zaudernd zur Gruft
gekommen, stand sie offen. Vom Sarkophage der Mutter erhob sich da
langsam die schöne Afanasia, blaß und schweigend, edel wie je Elektra
oder Iphigenia. Sie kam dämonisch heraus geschritten, staunte, von den
Marmorstufen emporblickend, die Inschrift an: „Es giebt keine Todten!“
Doch sie lächelte und sprach in den Himmel hinauf: Aber Sterbende!
Gestorbene! Uns Verlierende! Uns Verlorene!

Der ambulante Geistliche gab dem Vater den Hamburger Brief; sie fiel
dem Vater um den Hals, und er hielt sie an einer Brust sich fest. Dann
reichte sie den Schwestern die Hände hin. Sie führten sie fort. Niemand
besuchte das Bild der Mutter, als die kranke Mutter, Lady Pat; sie
dachte sich selbst wohl in die Erde; denn sie lächelte und sah nicht
unerquickt, welch Leben über dem Grabe glüht und wächst und sich freut
und leidet wie einst die Todten.

Herr von Rizzi stand ganz betroffen über die Nachricht des Todes von
seinem Rheingraf. Muß ich Gott nun nicht danken für das, was ich für
eine Beraubung hielt? Meine gute Tochter, sprach er zu seiner schönen
~Clementine~, nun wärst Du eine Wittwe! Und eine Wittwe so jung und
reich sie ist, verheirathet sich schwer! Dabei küßte er sie auf die
Stirn. Das edle Mädchen schwieg.

Eine der sonderbaren geheimnißvollen Stunden der Erde verging. Mein
gerufener Arzt kam. War nun vorher schon eine Veränderung in den
Schwestern vorgegangen, welche zumeist der vagabunde fromme Mann nur
erst gerade durch seine Zaubercur zu Wege gebracht, indem er Natur
und Schicksal und göttliche Dinge für ~curabel~ und verbesserlich
ausgegeben, und sich für den Generalgewaltigen: sie zu curiren; so
befiel nun alle ein ~soliderer~ Schreck: die Reisenden hatten die
Blattern mit ins Haus gebracht. Die schöne Kammerjungfer hatte ihre
Freundin vor dem Tode noch einmal heimlich besucht und sich selbst
sie deutlich erkennbar geholt. Auch Dolly, die Eine der feindlichen
Schwestern, war davon ergriffen, und zu den beiden unzertrennlichen
Kleinen, zu der Zwergin ~Aïscha~ und der jüngsten Tochter des Irländers
zuckte der hierin weise Salomon die Achseln und schwieg. Der Baronet
bat nothgedrungen den Herrn von Holycock um das Gastrecht mit den
Worten: „Ich bin ~ein Fremder~! Die Kinder sind ~fremd~!“ Der Vater
drückte ihm die Hand, und den Gästen wurde eingerichtet. Der brave
Vater-~Postdirector~, was er indessen geworden zur Anerkennung überaus
löblicher redlicher Postmeisterschaft, empfahl sich mit seinen fünf
Töchtern und dem dritten Verlobten, auf gesundes Wiedersehen, alsbald
sehr vorsichtig. Der steinreiche herrliche Mann, der nur als schon
bejahrt in Todesangst schwebte vor seinem gewiß noch fernem Ende alle
seine Töchter wohl zu verheirathen, bedachte gewiß: daß sie zur Heirath
doch ~leben~ müßten und ~schön~ bleiben! Und daran hatte er Recht.
Niemand belächelte seine Liebe. Ich selbst sandte ~Brigitten~ in aller
Stille nach Hause fort, um mein Haus einzurichten für die Schwestern
Sangallo, gab ihr einen Brief an meine rechtschaffene Mutter mit, in
welchem ich sie bat, Brigitten durchaus nicht mehr von sich zu lassen!
Aber Herr von Sangallo befahl weder seinen Töchtern, noch wehrte er
ihnen, indeß in mein Schloß hinüberzuziehen, das ich ihm angeboten.
„Sie sind vor zwei Jahren alle zum drittenmal vaccinirt“, sprach er
nur, durchaus nicht kopfscheu vor der Natur und ihrer Gerechtigkeit,
die von menschlichen Gesetzen oder Befehlen nicht eingefangen noch
gebannt wird, und von Kaiser und Pabst sich kein X für ein U machen
läßt, sondern frei aus allen heiligen Pentagrammen und Dreiecken
schreitet -- und Niemanden auslacht, der da weint.

Arminien suchte ich; aber vergebens. Erst spät, als ich schon Abschied
genommen, sah ich sie vom Schlosse aus, im Garten an dem Orte stehen,
wo ich ihr aus dem Grabe geholfen. Sie starrte da hinab, als wünschte
sie: nicht daraus auferstanden zu sein. Als ich aber selbst in den
Garten kam, war sie entschlichen, und in der Dämmrung auf der Erde,
über die schon die Sterne am Himmel heraustraten und blinkten, konnt’
ich sie nirgends entdecken. Ich schlich zu meinem Kahn. Der See glomm
in Abendschein. Da hörte ich die Melodie des Liedes mit rührender
Stimme singen. Es war ~Afanasia~ in wahrem Schmerz des Verlustes ihres
Geliebten, und die Abendluft hauchte mir -- da mich nur wenige Gebüsche
von ihr schieden, jedes Wort verständlich zu. Sie war „die Erwartende“
selbst, und sang aus tiefster Seele:

    Hier sitz’ ich am Gartenpförtchen
    Im goldenen Abendschein;
    Hier bist Du hinausgegangen --
    Wann kommst Du hier wieder herein?

    Du bist von mir fortgezogen
    In die weite Welt hinein;
    Ich weinte Dir bittere Thränen,
    Ich weine sie noch allein!

    Du bist nicht wiedergekommen,
    Da der Tod die Herzen zerbricht;
    Du hast nicht die Treue gebrochen,
    Ich breche die Liebe Dir nicht!

    Sie kommen alle wieder
    Die Sterne! der fehlende Mond!
    Ihr süßes Wiederkehren
    Das bin ich so süß gewohnt.

    Wann alle Sterne zergehen,
    Wann droben der Himmel zerbricht,
    Wann Tod und Liebe gestorben,
    Dann kommst Du ..... auch dann noch nicht!

    Bei goldenem Abendscheine
    Ach, sitz’ ich und harre Dein;
    Hier bist Du hinausgegangen .....
    Wann kommst Du hier wieder herein?



XI.

Ruhig zum Guten, getreu zum Glück.


So war ich mit theilnehmendem Herzen geschieden, betrübt, daß
ich Arminien nicht bereden gekonnt, wenn nicht zu mir und meiner
rechtschaffenen Mutter, doch zu dem ehrenwerthen Pastor für die Zeit
der Gefahr im Vaterhause zu kommen. Aber ich sollte sie sogar auch
längere Tage nicht sehen. Denn heut zu Tag nicht mehr für möglich
gehaltene, wie aus einem modrigen Grabe schauderhaft auferstandene
Gespenster bannten mich in ihr Pentagramm und entfernten mich von
Hause. Ich hatte nämlich, nicht als Curiosität, sondern als Werthstück,
aus Amerika, aus Massachusets den Katechismus mitgebracht, der zum
Lehrbuch in den Schulen von den Vorstehern ~aller Confessionen~ war
ausgearbeitet worden, und der keine Lehre enthielt, welche irgend
Einer derselben ein sogenannter Glaubensdorn im sogenannten Auge ist.
Diesen, der vielen dasigen Deutschen wegen auch deutsch gedruckt, hatte
ich einst meinem Schullehrer, dem resignirten Predigtamtscandidaten
gezeigt; er hatte ihn mitgenommen und danach seine Schule: Kinder
von evangelischen, katholischen, reformirten und jüdischen Eltern
des Kirch-Spiels zu ~aller~ Zufriedenheit, zu großer Einigkeit und
wachsender Verträglichkeit, also mit Segen gelehrt. Damit war er vom
Ambulanten Geistlichen verrathen, und deswegen vorsichtig des Nachts
abgeführt worden, nicht etwa damit ~ihm~ kein Schaden geschehen solle,
sondern keinem ~der Schergen~. Geschehenes aber sind alle Leute, auch
deutsche Leute zufrieden, und wenn der Himmel einfiele, ja sogar
die Kirche, und sie hielten Gottesdienst auf dem Gottesacker wie
nach einem totalen Abbrande. Zugleich war mein Pastor mit Absetzung
bedroht, weil er der Vernunft Gehör gegeben; und ich, als Einschmugler
dieses satanischen Katechismus, war zu einem sogenannten Colloquium,
einem Gespräch das leicht an Collum, den Hals gehen kann in dieser
letztbetrübten Zeit, mehr als nur eingeladen. Wer in Amerika erzogen
worden, nur vom Hörensagen es kennt, ja nur daran denkt und sich je
dahin, oder es zu sich her gewünscht hat, der kann meine Stimmung
sich figuriren! Ich sah gleichsam Amerika in Person wirklich bei
uns gelandet wiedergekommen, gebilligt, und festen Fuß fassen, wie
einen klaren Mann, dessen Herz keine Beine hat, und darum nicht auf
die Kniee fällt. Ich sprach also in dem Colloqium fest, offen, frei,
stark, ein wenig -- nicht vom hohen Pferde herunter, sondern vom hohen
Sternengewölbe, und so etwa nur aus dem nächsten Jahrhundert, das diese
letztbetrübte Zeit überwunden und an den Nagel gehangen haben wird; wie
Chriemhilde den sie zu bändigen zu schwachen König, der zu ihrem Betrug
die Nebelkappe bedurfte, aber mit dem Leben dafür büßte. Jetzt noch,
half es uns nichts, daß die Kinder nachweislich ~mehr~, ja alles zu
glauben Verlangte auch richtig wußten; sie sollten dieses blos allein
wissen. Das Buch sei Verbrennens- oder Zerstampfenswerth. Denn der
Unsinn, die Unmöglichkeit desselben sei klar, da dasselbe, wenn es noch
mehr Confessionen in Indien und China aufnehmen und versöhnen wolle,
dadurch das Nichts darinnen stehe, als was Seine Gläubigen auf Erden
läugnen, oder gar das, was alle Milliarden Bewohner der Millionen
großen ewigen Gestirnen gut hießen, ja am Ende ~nur der Name Gottes und
die Pflicht eines rechtschaffenen Lebenswandels~ darin stehen könnte!
_Quod non datur._

Da die Sache also schlimm werden konnte, so rieth ich meinem
Schullehrer in’s Preußische zu flüchten, da noch kein ~Religionscartel~
in den Deutschländern bestehe, und sich dort um eine Stelle bei
einem Bekannten von mir zu bewerben. Der Mann ging aber nicht; auch
mein Pastor nahm keinen Rath an; und ich mußte erstaunen, ~so feste
Ueberzeugungen, so unbewegsamen Muth~ aus gutem Gewissen zu finden.
Mein Pastor hatte auch seinen Brust- und Herzenskranken Bruder bei
sich aufgenommen, der katholischer Hof-Prediger in einer Stadt gewesen
war, wo die Kirchenmusik von unzähligen Fremden bewundert wird. Ihn
hatte die Reue ergriffen; er wollte wieder als Jude sterben, da ihn
selber vernünftige Katholiken über manche Worte constituirt hatten.
Und ich mußte wieder erstaunen, ~wie sehr aufgeklärt und vorbereitet
eine unermeßliche Zahl deutscher Katholiken ist~. Denn sie sind
zuerst Menschen und ~Deutsche~; das erklärt alles. Ich reiste, lange
gehudelt, mit Extrapost wieder nach Haus. Aber auf der Station unseres
lieben Postdirectors fühlte ich mich so unwohl, daß er mich nicht
weiter ließ, in seinem schönen Hause, unterhalb der Landstraße in einem
großen Blumengarten gelegen, gastfreundlichst aufnahm und selber den
Doctor holte. Er fand mich krank an den Folgen der Politik, die jetzt
noch zum Unglück unter die Herrschaft des Gallen-Gestirns falle; so daß
den Menschen nichts recht sei, geschweige das Ungerechte, Anwidernde
und Aufgedrungene. Und doch sei das Beste, daß sich die Menschen noch
ärgerten und ergrimmten, (so daß jetzt viele, vom so civilen Militär
und so militärischen Civil mit zusammengebissenen Zähnen stürben und
im Sarge lägen;) da Lachen und Spotten eigentlich alles gut heiße, und
dadurch nichts besser werden könnte. Daher er auch die einreißende
und endemisch gewordene Predigerkrankheit, als eine Krankheit der
alten mürrischgewordenen Erde, nicht mit _repellentibus_ zu behandeln
rieth, um nicht Ausbruch des Wahnsinns zu erzwingen. „Gott, sprach
er, von welchem Unsinn und Starrsinn oder welcher Furcht bekommen
wir Aerzte die Folgen als Herzschwindsucht, Verstandeschwäche, ja
Geistesabwesenheit, Gliederlähmung und Verlust allen Appetites zu
leben, in unsere Cur! Die Erde muß vor ihren Kindern erschrecken,
welche sauere sardonische Gesichter sie ihr im Sarge heimbringen; und
wenn Gott Jedem erlaubt zu petiren, weil die Pfaffen doch dasselbe ~als
beten~ zur Pflicht machen, so mag ich jetzt nicht droben extrahirender
oder vortragender himmlischer Rath sein. Wenn aber die Pfaffen,
überführt, daß „zum Himmel beten“ ~auf Erden~ petiren sei, antworteten:
Gott thue dennoch was er wolle; so wäre die Antwort unwiderleglich: Ja!
Aber kein Mensch kann weder für alle wollen noch handeln, und das zu
wollen, sei die Blasphemie: sich für Gott zu halten.“

Da hatte ich wieder zu erstaunen: über ~die Doctoren~, sie, die in den
ernstesten feierlichsten Tagen zu allen tausend Kranken gehen, mit
ihnen und den Gesunden Vernunft reden, und sie über die Zeit und den
Tod trösten. Ich wüßte auch gar kein Mittel, -- nicht etwa blos Juden
Doctoren werden zu lassen, wie es jetzt Tausende werden -- sondern das:
alle Aerzte vorher acht Jahre Orthodoxie studiren zu lassen. Ich aber
war lange Tage krank und lag im Phantasiren oder in Schwäche. Der gute
von Rizzi hatte meine rechtschaffene Mutter kommen lassen, und ich
hörte wohl sie beide manchmal leise miteinander sprechen und verstand
davon die Bitte meiner Mutter: „Nur jetzt sagen wir ihm noch nichts
davon!“

Als ich darauf wieder nach den Dingen im Leben neugierig ward, fragte
ich den ~redlichen~ Postdirector, der nichts auf dem Herzen behalten
konnte. Und in großen Zwischenräumen von Nächten und halben Tagen
brachte er mir verschiedene Gedanken zum Angehör. Einmal stöhnte
er verwundert: „Ein Vater ist doch ein guter Mann; erst ist er aus
Liebe der Diener seiner Frau, zuletzt der Sclave seiner Kinder!“
-- Ein andermal: „Sollte man es für möglich halten, daß ein Vater
fünfzehn Töchtern gestattet: fünfzehn Körbe auszutheilen! Man dankt
Gott für Einen Freier, geschweige für ein Vierteldutzend Nehmer!“ --
Wiedereinmal: „Sollte mir ein Pfaffe mein Haus zerrütten, alle Pläne
ins Wasser werfen?“ Noch ein andermal: „Der gute Irländer! Nun hat
er sieben durch die Blattern abscheulich entstellte Töchter, und die
Kleine ist ganz blind!“ Aber wir wollen ihn glücklich schätzen; denn
nur die kleine glückliche Araberin, oder Apfelsinerin, die ~Zwergin~,
~ist gestorben~. Das verständige Mädchen hat aber ein schönes Wort
hinterlassen, nämlich den Trost: „Wenn Ich auch sterbe -- wenn Gott
nur leben bleibt!“ -- Und der bleibt gewiß leben. Der Doctor nennt das
Wort vollkommen, wenn, oder da Gott zuvor auch nur allein gelebt hat.
Sie ist in Ihrer Kirche beigesetzt. „Unter 9 Tagen kein Begräbniß“ hat
der Irländer verordnet, aber er bezahlt Geistliche und Schullehrer alle
drei Tage einmal dafür, als wenn sie gesungen, geläutet und auf dem
Kirchhofe die Parentation gehalten: „Sie war so fromm! -- Sie war so
gut!“

So hatte von Rizzi sich die Zunge gelöst und fuhr fort: Aber ihren
Chirurgus letzter Klasse, den Salomon sollten Sie einmal sehen! Wer ihn
zuvor nicht gekannt hat, der kennt ihn nicht wieder. Aber beruhigen
Sie sich: Fräulein ~Brigitte~ hat ein offenes Billet für Sie, worinnen
~Arminia~ Ihnen schreibt:

„Weiß Gott, was Sie überrascht hat und mich, was Ihnen an mir so
gefallen. Aber, ich kann Sie nicht lieben! Ich darf Sie nicht lieben.
Wünschen Sie es aber, so will ich zeitlebens unvermählt bleiben; Ihnen
zur Ehre und mir zur Strafe.“

Beruhigen Sie sich, damit Sie nichts Falsches denken: Arminia hat
dieses Billet schon acht Tage zuvor geschrieben, ehe sie sich des
Nachts unbewacht die Pockenmaske vom Gesicht gerissen, und nun
schrecklich, statt so lieblich aussieht. Sie bedecken sich die Augen?
Ich bedaure Sie. Die Schönheit verlieren, ist kein gemeiner Verlust.
Die schöne Braut verlieren, wer kann das ertragen? Aber für Sie wird es
einen Trost geben, eine Trösterin: das arme Häschen, die schweigende
Brigitte! Ihre Frau Mutter meinen, vielleicht habe es nie treuere,
einander selbst Glück und Liebe sich so aufopfernd gönnende Freundinnen
gegeben, als diese beiden Mädchen. Aber aufrichtig gestanden: ich habe
noch nie zwei Mädchen oder gar Weiber gekannt, die solche Freundinnen
gewesen wären, wie viele Jünglings- und Männer-Paare. Doch da müssen
noch andere geheime Dinge vorgefallen sein, die....

Meine rechtschaffene Mutter war leise genaht, hielt ihm den Mund:
„das Posthorn“ zu, wie sie sagte, und nannte ihn ziemlich verblümt
einen Klatscher. Als wir darauf allein waren, sprach sie: „Doch ist
er gut und hat Gutes gestiftet, wie immer die Wahrheit thut. Du, mein
lieber Sohn, thust am besten: entschlossen und rasch das arme Kind zu
nehmen, das dich von Herzen liebt.... aber nicht geathmet hat, sich zu
verrathen! Um unseren Verdruß in frohes Geschäft zu verwandeln, werde
ich sogleich in der Stadt umherfahren, den Brautstaat und alles Nöthige
zu euerer Hochzeit einzukaufen. Mein lieber Sohn, Gott segne Dich! und
Dein Weib mit Dir! Du thust den alten Willen der Welt in Deinem; Du
thust des Vaters Willen, und nun auch meinen -- und dem armen Häschen!
Sie weinte; und ich will nicht läugnen: ich verstummte und weinte.“

Ich -- ich zog noch einmal Arminien aus dem Grabe, umhüllte sie mit
dem Mantel, und sie ruhte an mir. Aber ich versuchte auch ~Brigitten~
mir so aus dem Grabe zu ziehen.... ~und die Sache gelang~! Ja, ich
trug sie fort, und fuhr mit ihr über den See in mein Schloß zur
plötzlichen Hochzeit. Da saßen wir in Gold und Silber am Tische; die
Kerzen brannten; vor uns hielten zwei Engel unsere verschlungenen
Namen und Brigitte weinte Perlen; ihr alter Vater war vor Freude zum
Jüngling geworden, und Herr von Sangallo sang wieder ein „Freut Euch
des Lebens,“ daß ich vor Angst aus dem wachen Traume emporfuhr.

Da fragte mich der Postdirektor: Nun? geht die Sache? Das heißt
„umsatteln!“ Glauben Sie mir, ich bin fast notorisch ein redlicher
Mann durch und durch, liebte und liebe meine einfache Frau einfach;
aber wenn sie krank ward und kränker, desto deutlicher flogen auch mir
die Gedanken durch den Kopf und wie Federn um die Haare: „Wen wirst Du
nur müssen zur Frau nehmen?“ und dann traten auch gleich verschiedene
artige Persönchen vor mich hin, die ich sonst nur so gewiß freundlich
angesehen hatte, weil ich wußte, daß sie gern Posthorn blasen hörten.
So ist das Ding, und so sind wir. Aber wenn wir nun sogar ~müssen~....

Und zu diesem Muß zwingt die ~Ehre~, schloß meine rechtschaffene
Mutter; diese langt hoffentlich bei meines Mannes Sohn! Laß Arminien
dem Doctor Salomon; denn Doctor will er und kann er nun werden.
Uebrigens es gleichsam keine Arminia mehr; ihr schönes Antlitz ist aus
der Welt entschwunden; Du wirst sie nicht wiedererkennen, sie wird Dich
nicht wiedersehen, Du wirst sie nicht wiederfinden. Wie sich ein Glaube
ablösen kann, so kann und muß es die Liebe von verlorenen Dingen und
Personen.

Ich war Mann genug mich zu fassen. Doch wie bedauerte ich Arminien,
daß sie nicht mehr schön war, daß sie außer diesem höchsten Verlust
für ein Weib und einen Freier, noch mehr als ~blos unglücklich~
geworden schien, oder war, da es meine rechtschaffene Mutter sagte! Und
die Liebe, die sich in Mitleid verwandelt, hat den Keim zum Sterben
gekeimt. Aber, wie sie versprochen, half mir meine Mutter durch
Vorzeigen der eingekauften Dinge zu einem neuen Leben mit einer neuen
Geliebten, oder wohl mit der ersten mir unbewußt-wirklichen, über meine
Liebesrevolution hinweg. Ich fing an schon Brigitten zu sehen, wie sie
in Thränen ausbrach vor Freuden über das Wort: „Mein Häschen, willst Du
mein sein?“ Ich fühlte ihre Arme um meinen Nacken, als sie darauf mich
mit uralter Gewalt der Mädchengewordenen Natur umschlang. Ich mußte
mich freuen. Da schrieb ich zu Tagesschluß in mein „Nächtebuch“ die
aus meinen Gefühlen mir zu hellen Krystallen angeschossenen Worte: „Wie
süß und schön ist die Jugend! Und kein Kind vermag besser jung zu sein,
als unbewußt. Unbewußt ist nicht ungenossen. Darum gehören Jugend und
Unschuld so innig zu einander. Der alte Göthe spricht zwar: Was man in
der Jugend wünscht, das hat man im Alter in Fülle. Aber das ist eine
barbarische Unwahrheit! Denn was man auch im Alter habe, das hat man
nur eben ~als selber alt~, wenn alle Güter nur wenig bedeuten und sind.
Denn ihnen fehlt die Glorie der Welt und die Fülle des Herzens. Und so
erfreuten zwei Hände voll Kirschen ein Kind mehr, wie die Alten ein
Hut voll Juwelen. -- Und nun gar erst zwei Hände voll Himmelsgestalt
die ein Weib heißt! Ich weiß zwar nicht, was der Geist ohne die Welt
wäre, aber ich weiß, daß ich Brigitten nicht heirathete noch heirathen
könnte, wenn sie ein bloßer nackter Geist wäre, und das wäre doch
Jammerschade! Darum glaube ich mit allen Sinnen und Verstand, mit aller
Liebe und Genüge an die Welt, die schöne Welt -- das schöne Weib.“

Der Postillon, der mich zuletzt gefahren, hatte mir geklagt, daß er
einen gar lieben „Schatz“ habe, mit der er so gern zusammen wolle,
wie sie mit ihm. Aber sie hätten nichts und müßten wohl noch 12 Jahre
dienen. Diesen hatte ich nun vor eigener Freude, Liebe und Hoffnung
das Nöthige, die Heirath anzufangen und fortzusetzen, geschenkt. Sein
„Schatz“ war gekommen sich mit Thränen bei mir zu bedanken, da ich sie
doch gar nicht kenne und nichts Gutes oder Böses zu vermuthen sei.
Darauf schrieb ich wieder in mein Nächtebuch ein schweres Wort:

„Wie arm und elend wäre die Welt, wenn sie nur ~die~ Liebe hätte, die
sie Andern im Lande beweisen kann! Wie selten, nur bei Gelegenheiten
und Noth, die alle Tage mehr verschwindet, könnten die Menschen da
lieben? ~und endlich gar nicht mehr!~ Auch hilfe Andern die Liebe
nichts, ~nur die Hilfe~; höchstens wiederum nur den Helfenden selbst
wäre sie angenehm, und Gerechtigkeit und Verstand ersetzen die ~Liebe
nach außen~ völlig. Aber es ist sonnenklar: Alle sogenannte Liebe
ist nur der schwache Abglanz und Widerschein von der Liebe derer,
die allein wahrhaft, und, was alle Thoren auch einwenden möchten,
~heilig lieben~; und wahrhaft selig und beseligend lieben nur Mädchen
und Jünglinge sich, und als Gatten die Kinder; und die Kinder die
Eltern, so lange, bis sie um den Gatten Vater und Mutter verlassen.
Ueberflüssig und kein großes Wesen daraus zu machen, wenn nicht fast
zum Lachen anstoßend wär’ es zu sagen: Liebender, Du sollst Deine
Geliebte lieben! Mutter, du sollst Deine Kinder lieben. -- Was ich da
heute that, war auch nur ein Ableger, ein Nebenwunsch meiner alten
Naturliebe, welche die Vögel und vierfüßigen Thiere, ja alle Elemente
auf ihre Weise haben, selber Sonne und Mond, wie Löwe und Tiger. Ich
wollte Anderen nur zu dem Glück verhelfen, das mir vorschwebt, wie ich
zwei Fliegen nicht störe. Jeder liebt nur die Seinen und das ist für
ihr Glück genug. Andere, liebe ich nicht, ich ~kann~ sie nicht lieben,
und ~sie bedürfen das nicht~, und sind es nicht ~fähig anzunehmen~. Ich
kann mir nur aus mir einbilden, daß sie sich lieben, und sorgen, daß
ihr Glück gelingt oder nicht verkümmert wird. Amen, für immer.“

Mich erschreckte aber zuletzt meine Sicherheit: Brigitte werde das
„Ja“ sagen. Denn „was ich liebe, ist mein“, ist nur eine einseitige
leblose Einbildung. Geständlichermaßen lebt die Hoffnung auch nur so
lange, bis das Erhoffte wirklich wird, und soll doch das Beste von
allen Dingen sein! _Credat Judäus_, oder das glaubt einmal kein Jude.
Der Glaube ist auch nur ein Fürwahr- oder nur ein Fürmöglichhalten des
Gewünschten, der geträumte Wunsch, der immer anders geträumt wird, je
dümmer, klüger, schlechter oder ~besser~ Jemand ist. Weswegen man sagen
könnte: Gott glaubt erstaunend wenig, ja gar nichts. Aber die Liebe
will erfüllt sein. Sie muß wahr, voll und ganz werden, sie muß es in
den Armen halten, es muß sie wieder lieben, was sie liebt. Deswegen ist
die Liebe von den berufenen heiligen Dreiköniginnen die vernünftigste
und einzig zuverläßigste, allein unentbehrliche. Sie wird erst gültig
und lebendig durch den Beweis, und den schönen, den süßen! --

Meine Nachkur hatte aus Tokayer bestanden; ich war wieder ganz der
Alte, das heißt ganz der junge; nur wie mir die lieben, in solchen
Dingen gar verständigen Töchter Rizzi fünfstimmig sagten, viel
interessanter als blos glatte lackirte Jugendgesichter, durch mir sehr
wohl stehenden Ernst und Blässe. „Wem die Weiber schmeicheln, der
kann glauben, daß er unverschweiglich hübsch ist“ sprach ihr Vater
dazu -- und bot mir Courierpferde an, mir das Häschen zu fangen. Und
ich brannte nach dem lebendigen Beweis. Der Brief meines Vaters befiel
mich wie ein Fieber, ich hörte die Ehepredigt im Gewölbe der Kirche
hallen, ich wollte keinen Tag, keine Nacht des Lebens versäumen, davon
die alles berechnenden ~Amerikaner~ für den Ehestand 10,000 zählen, von
denen 7000 auf Tara abgehen.

„Wer, der heirathet, denket an Kinder? Die Liebenden wollen nur
sich; nur umeinander willen nehmen sie sich. Kinder fallen Keinem
dabei ein! Der himmlische Vater sendet dann Kinder nur als kleine
Engelseinquartierung; weswegen auch Leute ohne Kinder noch recht
glücklich und ohne himmlisch sehnsüchtiges Seufzen leben, so lange sie
jung sind -- und nichts zu vererben haben;“ sagte mein Pastor einmal.
Als ich aber mein Gut, mein Schloß, meinen Garten erblickte und Kinder
darin -- sah ich schon ~meine~ Kinder in ihnen und freute mich! Ich
stieg aus. Ich nahte; es waren Kinder aus dem Dorf, die meine Aepfel
plünderten. Die Jungen unter dem Baume liefen fort; aber ich half
dem Knaben droben ~vorsichtig~ vom Stamme herunter, damit er mir ja
nicht Schaden nähme! Dann gab ich ihm alle geschüttelten Aepfel für
die Andern mit, in seinem schwarzen Schulmantel. Denn, als ich fragte,
sagte er mir, sie begrüben den schönen, Zwerg heute, der in der Kirche
stehe in seinem Sarge; die Herren und Fräulein wären schon alle darin.
-- Ich ging in die Kirche, um unter den verwandelten Umständen an dem
feierlichem Vorgange mit Ehren ~schweigen~ zu können. Das ganze Haus
von Heiligenhahn war gegenwärtig; auch Arminien glaubte ich unter dem
Schleier an ihrer Gestalt zu erkennen. Ich biß auf die Lippen und
stöhnte. Dagegen trugen die feindlichen Schwestern, Miß Dolly und
Nolly, ihr häßlich entstelltes Gesicht, mit einem gewissen Stolz ohne
Schleier. Der Baronet trat mich an, zeigte mit dem Daumen leise zurück
auf sie und sprach: Sie tragen die Patent-Maske von Jenners Erfindung!
Dinge, die so furchtbar gemißbraucht und verquacksalbert werden können
wie diese verdammten Hölzchen und ***....., sollten gar nicht erlaubt
sein. Alle Ehrfurcht vor der wahren Kuh, mit deren Schwanze in der
Hand der fromme Inder selig stirbt! Aber ~allen Volkes~ abscheulichen
Krankheitsstoff seinen Kindern aufladen lassen, das gleicht.... Sie
werden mich verstehen, wenn ich Ihnen sage, ich bin indessen mit Weib
und Kindern Protestant geworden. Kein Anstoß an etwa vorgeworfener
fehlender Mission! Vernunft ist von Gott, und Handauflegen bringt
sie nicht hervor. Darum ersuche ich Sie, unserer lieben Aïscha ein
Ruheplätzchen in Ihrem Erbbegräbniß zu gestatten! Ich hörte auch von
ihr das Märchen: sie sei irgend eines Königs Kind. Sehen Sie das
Himmelskind nur an, und Sie werden nicht hart ~sein~! Sie ist eine
Fremde!

Ich drückte ihm die Hand. Sein Weib trat hinzu, und ich verhieß ihnen
„~keine Stelle im Winkel~“ beim Kehrig, als sei die Todte die Schande
der Gruft. Denn Göthe sagt, sprach ich, oder Schiller:

„Thörig, auf Bessrung der Thoren zu harren!“ Und die alten Grenadiere
sagten zu sich bei Lodi: „Laßt uns das Männchen berühmt machen.“

Und wie alberner Stolz verspottet wird, wissen wir. Ich sah mir darauf
die kleine ~Aïscha~ an, die wie ein himmlischer Schmetterling in ihren
reichsten bunten Gewanden, die kleinen Händchen auf der Brust wie zum
Gruß vor Gott gefaltet, schön wie ein Engel dalag. -- Das Traurigste
war mir, sprach die Baronin, das liebe Kind hat nicht nach Vater und
Mutter verlangt! So abgewöhnt war sie von ihnen; so bescheiden und
gut wollte sie ~uns~ nicht einmal im Tode kränken! -- Dabei brach sie
selbst in Thränen aus. Und doch mußte ich lächeln; denn der Baron
hatte ihr, nur am kostbaren Mündchenstück sichtbar, ihre Tabackspfeife
zur Seite mit in den Sarg versteckt. Mir gegenüber am Sarge, stand
Brigitte mit ~niedergeschlagenen Augen~, und doch übergoß sie Purpur,
als ich sie ansah; dann wich sie mit gehobener Brust zurück, hinter
die Andern. Denn mein Pastor erschien, und hielt die Standrede über:
~Das Unglück in der Fremde zu sterben.~ Er ließ uns nicht nur das liebe
Kind beweinen, sondern er wünschte auch uns in der Heimath begraben
zu werden; nicht länger, nicht lange mehr selbst in der vermeinten
Heimath. Dennoch nur in der Fremde. Er erklärte uns aber, was Fremde
sei, und Heimath: das Land des freien Geistes, so daß wir alle ihn
wohl verstanden, als er uns mit Imbrunst wünschte: So lebt denn in
unverfälschtem Herzen, in unverfälschtem Hause der Welt!

An den Schwestern Sangallo, die doch Trauer um Landgraf hatten, war
nichts durch Kleidung Bezeichnendes zu sehen. Wer traurig ist, gedenkt
nicht der Farben; wer keine Trauer fühlt, ist ein schwarzer Heuchler
mit oder ohne Stockdegen, sagte mein Schullehrer, der mit ihnen vom
Chor eine rührende Motette aufgeführt hatte. ~Als alles aus war~, saß
Herr von Sangallo noch an der Orgel und phantasirte höchst traurig über
die Melodie: „Freut euch des Lebens“ mit Posaunenbaß und Tremulanten!
Der Schullehrer stieß mich an; mir fiel bei, daß mit dem Liede ein
stiller Irrsinn anfange. Ich unterbrach ihn; er sah mich freundlich an
und drückte mir die Hand, als einem armen verlornen Freunde.

Ich ging von ihm auf den Thurm bis zur Durchsicht unter den Glocken.
Ich sah nach Westfrei, ganz geblendet von der Pracht am Himmel; denn
die Sonne ging unter und alles war golden. Ich wende mich um -- da
steht Brigitte! nicht etwa wie ein Engel, sondern geradezu als Engel;
wenn Menschen, wenn Jungfrauen Erscheinungen auf Erden sind, und wenn
hoffentlich nicht aus der Hölle, also gewiß vom Himmel. ~Federn~
machen die Engel nicht aus, sondern Schönheit, Liebe, dienstbares
Wesen; denn sonst wären die Störche auch Engel, die jetzt mit Geklapper
aus ihrem Nest über uns aufflogen, mir zum günstigen Zeichen, als die
Schulkinder jetzt mit der schönen hellen Glocke meiner rechtschaffenen
Mutter der Sonne zu Grabe läuteten. Ich ergriff Brigittens beide
Hände; sie wollte sie zum Gebet falten; ich ließ sie nicht los; und so
beteten und so schwebten unsere vier Hände vor ihrer Brust, während
unsere Lippen schwiegen. Als die Glocke verstummte, hielt ich es für
keinen Raub, sie zu küssen, da sie mit geschlossenen Augen vor mir
stand, und gewiß an ihre gestorbene Mutter dachte, zu der sie einen
Augenblick hinunter in die Myrrhenduftige Gruft geschlichen war, aber
blaß wie ein Schnee daraus heraufgekommen. Denn sie klagte mir jetzt:
Man sieht die Todten nicht mehr! Darum hat mir es am tiefsten das
Herz durchschnitten, als drunten die kleine Irländerin, jetzt durch
die Blattern blind, vom Vater verlangte, daß er ihr ihre Gespielin
doch noch einmal im Sarge sehen lassen sollte, wenn auch dann nichts
Anderes mehr auf der Welt. Denn die gute kleine Tochter schreibt alles
aus grenzenlosem Gehorsam, ~dem Wunsch und Willen ihres Vaters zu~,
der ihr jetzt auch verboten habe zu sehen! O wie sie ihn bat, Lichter
anzünden zu lassen! und auf die Antwort: „da langen hundert Lichter
nicht“, rief: Vater, so zünde tausend an! Darauf trug er sie sich fort.
Und Herr von Sangallo flüsterte mir dabei ins Ohr: „Freut euch des
Lebens! Freut euch der Töchter! Besonders derer, die dem Vater das Herz
zerreißen“ -- da meint er Arminien, o Gott!

                   *       *       *       *       *

Sie brach ab. Ist sie denn gar so entstellt? fragt’ ich. Sie schwieg.
Und ich fuhr fort: Ich habe schon eine andere Braut; heute Abend kommt
sie zu uns zu Tische; da ist Verlobung, und längstens in acht Tagen
Hochzeit; denn der Dichter sagt, was alle Menschen fühlen und wünschen:

      Unaussprechliches Entzücken
    Faßt Dich ganz und augenblicklich --
    Ach, ihr Lächeln, ach, ihr Blicken,
    Ja, Du bist, Du bist schon glücklich!
    Das ist mehr als nur Verheißen!

      Doch wo ist sie hingeschwunden?
    O das kindische Entreißen!
    Bin ich denn ein Kind, o Glück?
    O wie kühl es wird, wie helle,
    Bis sich alles dann gefunden!
    Glücklich werden auf der Stelle,
    Das, nur das ist Götterglück!

Und Sie schweigen! Brigitte! Sie wollen nicht einmal wissen, wie meine
fromme, edle, himmlische Braut heißt? O weh! Ich hätte Ihnen mehr -- --
ich weiß nicht was -- für mich zugetraut! Doch wenn Sie eine zu gute
Freundin sind, so will ich Ihnen den Namen meiner Braut ins Ohr sagen.
--

Ihre Seele wollte ihn nicht hören, darum neigte sie das Köpfchen nicht;
aber aus -- o aus Liebe! wandte sie das Gesicht -- weg, und also das
Ohr mir zu -- und ich flüsterte ihr den Namen „~Brigitte!~“ in die
Seele, durch Mark und Bein. Aber sie fiel mir nicht ans Herz. Sie, sie
sprach nicht einmal Ja! sondern sie legte Arme und Kopf auf das Gesims.
Ich rührte sie nicht an. Ich blieb lange so stumm und glücklich.
~Eigentlich sollte man ewig so stehen bleiben können! Wer glücklich
geworden, sollte versteinern, oder ganz aus der Welt verschwinden!~
Dann wäre die Welt etwas werth und selbst etwas. Ja: ~Etwas!~ etwas
Heiliges und Seliges. Aber nur Etwas. Sie ist mehr, und wir sind mehr,
nämlich Alles. -- Und nach langer Zeit erst sprach ich: Brigitte! Meine
Brigitte, ich gehe. -- Folge mir nach, hinab auf die Erde, ins Leben.

Und sie reichte mir ihre linke Hand unter dem Haupt hervor; sie
erhob es und sah mich an! Wer? Was, konnte so ansehen, wie die
Liebend-Geliebte!...

      Was sind alle Gestirne,
    Gegen der Liebenden Augen!
    Was ist Strahlen und Leuchten der Sonne,
    Gegen das Weihen und Segnen der Liebe!

Drunten kam mir meine rechtschaffene Mutter mit einem Manne entgegen,
der nun mein Schwiegervater hieß, der mir mein Weib erliebt und
erzogen. Sie hatte mit ihm väterliche Richtigkeit gemacht, wie sie mir
winkte. Ich nahm seine Hand; er schloß mich in seine Arme und drückte
mich an den neuen grünen Rock über dem alten Menschenherzen und nannte
mich einen Sohn. Mit solcher Freude büßen einst ~nur so platt genannte
„Verliebte“~ ihre Liebe, mit den schönen lebendigen Folgen!

    Ist Jemand besser wie Eltern, das ist mir unbekannt;
    Der einzige Stand auf Erden, das ist der Ehestand!

hätte jetzt mir der Aufsinger der nobelheidnischen Niebelungen gesagt.
„Das arme Häschen“ war aus, und ich hatte ihr nun das Märchen der Liebe
zu erzählen; und sie hörte mir zu wie ein Kind. Die Welt hat nicht
viel, selber ihre Seele hat nicht viel; und doch ist sie kein armer
Teufel; denn das Wenige ist ~unermeßlich~, sie hat es ~immer wieder~;
und mit den paar Gerichten hält sie über alle Sommer und Winter der
Sterne aus! Die Mutter hatte heimlich in Brigittens Zimmer allen
prächtigen Brautstaat ihr ausgelegt, und Seide, Geld, Perlen, Juwelen,
und Spitzen schimmerten und funkelten sie an, als sie mit den Leuchtern
schon froh wie eine Himmelsflamme hineingetreten, um in ihrem ärmlichen
Bettchen zu schlafen. Sie kam noch einmal herüber zu uns, und wir
mußten kommen ihr bewundern helfen -- und ich sie zu bewundern.

Es half nichts. Wir fuhren am andern Vormittag nach Westfrei, und ich
stellte dem Hause Heiligenhahn meine Braut vor. Sie erschien allen
eine andere Person und ging von Brust an Brust der Freundinnen. Dann
ging sie hinauf zu Arminien und kam mit verweinten Augen zurück. Der
um allen Schändlichkeiten gegen das Vaterland gründlich zu entgehen,
Protestant gewordene Irländer war die Nacht abgereist, aber nur mit
Weib und ~fünf~ Töchtern. Denn ich sehe noch Dolly und Nolly im Hause,
die beide eins, nicht mehr zu bewegen gewesen waren, einen Schritt
in die Welt thun und sich vor aller Welt immer neu zu schämen! Der
Vater hatte wenigstens die Genugthuung erlebt, daß die feindlichen
Schwestern durch gleiches Unglück bewogen, sich versöhnt und sich
ewige Freundschaft zugeschworen. Er hatte ihnen gerathen, sich zu
verheirathen; und sein von mir beeifersüchtigter langer Pädagog
hatte glücklich sein Ziel erreicht: sich eine reiche Tochter des
Hauses anzuabälardisiren; ein Fall der Vorgang und Nachgang gefunden,
und Vater auf Sohn erblich zu werden verspricht. Ein sehr schöner
Lieutenant, dem ein nur von Gesicht häßliches, aber sehr reiches und
gutes Weib, von einflußreicher Familie auch lieber geschienen, als
der Methusalemorden, war gleichfalls gegenwärtig, und mir wurden, als
doppeltes Paroli, zwei irländische Bräute präsentiert! Zum Abschied
gab uns der Hausvater unter Thränen die Lehre mit: „Und weichet ~keine
Meile~ weit von Gottes Wegen ab!“ Brigitte erröthete und schien den
Grund dieser Lehre zu verstehen. Ich erkannte nur die Folge der
geheimen Ursache: den stillen frommen Wahnsinn! Dagegen sagte sie ihm
leiser, doch hörte ich’s wohl: „Mögen Ihre frommen Segenswünsche mich
begleiten! Ich werde sie brauchen, um meinen, o Gott, Mann, so zu
beglücken, wie er es verdient und mein heißestes Bestreben ist. Wenn Er
nur glücklich wird, immer zufrieden ist, dann will ich es auch sein!
Aber ist Er es nicht, verhindere ich sein Glück, und bin ich es nicht,
so ist mein inniger Wunsch zu sterben.“ --

Zu unserer Hochzeit kam niemand von Westfrei. Dagegen hatte ich die
im Leben und nun auch im Heirathen zu längerer Geduld verwiesenen
Herren Offiziere, Referendäre und Candidaten als vormals verhoffte
Herren Schwäger gebeten, und sie hatten es angenommen: „um sich einmal
recht herzlich zu ärgern.“ Ein leider gewöhnlicher Grund zu den neuen
befohlenen und freiwilligen Festen. Auch die vier schönen Söhne des
Herrn von Stifter saßen kostbar zu Tisch; Herr und Frau hatten sich
entschuldigt. Meine Braut hatte zu weiblicher Unterstützung die fünf
verlobten Töchter meines redlichen Freundes, des Postdirectors, der
mich in eifrigen Stellen der Rede heute Du nannte und mir heimlich
erzählte: Die vier Söhne sollten ihren Vater gefordert haben, was
ihn sehr alterirt hätte. -- Aber auch der arme Vagabund Nox, überall
verlacht, hatte sich eingestellt; und ein Gespenst, ein Revenant, der
vor 10 Jahren eine Unmöglichkeit gewesen und an gewissem Orte ein
Unterkommen gefunden, saß, leibhaftig, doch aus Commiseration mit am
Tische. Daß seine Kunst betteln gegangen, hatte den Irrsinn in ihm
in den Wahnsinn veredelt: er seit der Engel Tobiä selbst; wodurch
seine Seele sich retablirt und sicher constituirt. Darum legte er nie
eine Art Mantelkragen ab, daß niemand seine Flügel sehen sollte! Er
erzählte uns unter andern, daß er neulich in Mannheim, der Stadt der am
schönsten, gewachsenen Mädchen in allen Deutschländern, vom Chor der
Kirche auf sie herabgeschaut, und ganz wunderliche Heirathsgedanken,
und mehr wie Gedanken, empfunden habe und setzte naiv hinzu; „Das
war wohl sehr Unrecht von einem lieben Engel!“ -- Verzagter wie er,
konnte niemand sein. Er dachte nicht mehr an’s Weihen und Räuchern und
schauderte allemal, wenn ihn meine rechtschaffene Mutter, der Pastor
oder der Schulmeister nur ansahen. Daß aber ein Verwirrter auch ein
redlicher Mann sein könne, und ein redlicher Mann ein Verwirrter, der
Verwirrungen und Unheil stiftet als ein Redlichverwirrter, das wird
uns klar, wie der Grund auch jenes Schauders vor meinen amerikanischen
Augen, mit welchen ich ihn und die hiesige neue Welt ansah. Wie sich
kaum Jemand anders als ein Cretin jetzt schon ohne irgend einen Stachel
im Herzen zu Tische setzt, so ward uns noch dazu die Hochzeitstafel
verbittert -- durch Lachen. Mein Pastor erhielt mündlich über Tische
die schriftliche Aufforderung zur Vertheidigung: Aus ehrwürdigem Munde
eines Augenzeugen, sei die „auf Reinheit“ bedachte Anzeige eingegangen:
daß eine Ungläubige an gläubigem Orte beigesetzt worden, ja sogar mit
einem profanen Werkzeuge an der Seite. Es erfordere das Attest, daß
jener Fremde mit seinen Kindern und dem todten Kinde, von ihm bekehrt
sei.

Ein Verstummen erfolgte, das tausend Reden werth war. Einige riethen
dann, es müsse ein Säbel gemeint sein, oder der Dolch. Der Pastor
meinte: Der Baronet hat ~meine~ Zeugnisse. Sollen wir uns auch
noch Atteste von Bekehrten geben lassen? -- Das kleine Mädchen war
unbekehrbar fest, und wer kann Sterbende peinigen! Leben wir wirklich
in König Kreons Tagen?

Darauf wurden Gesundheiten in Strömen getrunken; die edelsten
Trinksprüche ausgebracht, selbst dem Revenant, der sich als Angeber
angab; und die Amphibie, die ein Engel und ein redlicher Schuft war,
trank seelenfroh mit. Zuletzt tranken alle uns, dem Brautpaare, zu:
~Auf glücklichere Kinder, in einer vernünftigen, krieglosen Zeit!~

Nach aufgehobener Hochzeittafel blieb ich mit meiner lieben Jungefrau
allein auf dem Altan des Saales. Unter uns im Garten strausirten und
sangen die Gäste. Und nur einzelne Worte von Diesem und Jenem drangen
zu uns verständlich herauf. Jetzt vernahmen wir: „~Sorgen wir Alle, die
wahre Liebe wieder aufzuwecken, damit wieder selige Paare werden!~
Dazu verlangt es ein ganz neues Vaterland im alten, das vielleicht die
Industrie mit der Vernunft möglich machen wird.“

Wie glücklich waren ~wir~ schon vor Tausenden! Wir hatten uns!

„Elend sehen, ist auch ein Elend, und vielleicht das größte, des
Großerherrenelend, oder der guten Seelen.“ Hörten wir dann wieder.
Verloren ist der, wer Ketten braucht: da giebt es die Adelskette. Aber
der unermeßlich reiche, weil unzählige, gelernte und gelehrte und
reiche Bürgerstand braucht ~keine~ Kette. Die reichen Bürger-Väter
denken so patriotisch, ihre reichen gebildeten Töchter nicht mehr, nach
dem classisch gewordenen Ausdruck: als Dung fortfahren und dann doch
verachtet, tausend Thränen über allerhand Zurücksetzungen vergießen
zu lassen. Der Bürgerstand braucht sein Geld; der Bürgerstand kann
das Meiste, selbst große Dinge ins Werk setzen durch Vereinigung.
Der Bürgerstand nur erhält die Literatur und die Literaten, die
Wissenschaften Kunst und Künstler. Das sehen nun alle ein; wenn
die Anderen, ihrem Stande gemäß zu leben, erschöpft, erstarken sie
durch Fleiß, Arbeit, Kenntniß und Mäßigung. Und der Bürgerstand
ist der durch alle ausgezeichneten Köpfe, in allem Volk immer sich
verjüngende, bei Ehren haltende Stand. Frei und geachtet wie einer,
dürfen alle aus dem zahllosen Bauernstande ihm sich anschließen. Darum
muß die allergrößte Zahl des Volkes, der Bauerstand wohlerzogen,
wohlunterrichtet werden. Bibel und Fibel langen nicht aus zum ~Leben~.
Die Diatheke ist erhaben über Wissenschaft, Kunst und Gewerbe, ~ohne
welche doch das Land verkümmerte~! Kein Weisheitsspruch lehrt nur
einen Topf drehen; durch Beten fliegen die Steine nicht zu einem Hause
zusammen. Zum Leben gehört alle Wissenschaft und Kunst. Deswegen
wird ohnfehlbar Jeder verworfen, der gerade das Volk nichts lernen
zu lassen, so wahrhaft-gottlos, so redlich verwirrt wäre. Aber einen
solchen Menschen kann es nicht länger geben, als bis er die Hörner
herausstreckt, und Ein Schrei der Entrüstung im ganze Lande ihn
verschwinden heißt.

Die getäuschten Bräutigamme bedauerten dann ~sich selbst darum~, daß
Ein Unsinniger jetzt einem edlen Adligen unmöglich mache: seine Schaar
Töchter sogar an brave Bürgerliche zu verheirathen; wodurch sie durch
schöne gute reiche Weiber von der Galeere der Geduld, ja der Noth
erlöst worden wären. Und nicht lange, so sangen sie im Chor ein Lied,
dessen ersten Vers wir deutlich vernahmen:


~Vier Stimmen~:

    Heut stift ich Euch den allerheil’gen Orden:
          Zum trocknen Brot!
    Wir sind nur stark, wir sind nur frei geworden
          Durch unsere Noth.
    Wer trocknes Brot mit Freuden essen kann,
          Der ist allein der edle freie Mann.

Chor:

    Erhebt das Brot! das Seelenbundeszeichen:
    Von Wahrheit, Freiheit nimmermehr zu weichen!

Dann verstanden wir, der rauschenden Blätter oder der veränderten
Stellung wegen, nur wieder den Chor: „Verkauft Euch nicht! die Zunge
um die Zunge; Das Herz für Kreuz, für Trümmer alles Junge!“ Dann erst
wieder die Worte: „Ihr braucht nicht Sie,.... Sie brauchen Euch.“
Darauf erst wieder den vorletzten Vers:

    Schmach jedem Weib, das Euch um Tand geböte
          Ein Sclave sein!
    Die Sclavin flieht, die Schändliche erröthe
          Bei Gold und Wein.
    ~Das edle Weib ist edler als der Mann~,
    Es kann mit Lust, was Er mit Schmerzen kann.

Chor:

    Huzza dem Weib! das selbst voll höchster Ehre
    Den Mann noch stählt! den Weibern baut Altäre!

Der letzte Vers verscholl im Winde. Im Chor stockte allen auf einmal
die Stimme. Sie beugten sich vor; sie starrten einer Entscheidung
entgegen; sie wichen zurück; sie erhoben die Hände, dann stürzten sie
plötzlich alle auf Einen hinzu, der vor ihnen, mit dem Hut in der Hand,
stehen geblieben war; sie umarmten ihn, sie erdrückten ihn fast und
riefen mit Jubel: „~Rheingraf!~ Gott! Rheingraf! Rheingraf, Du bist es
leibhaftig!“

Wir eilten vom Altan in den Garten hinunter. Er war es: Wir erfuhren
mit kurzen, alles aufklärenden Worten: Er war auf dem Schiff krank
geworden. Der Arzt hatte gerathen, ihn auf Helgoland auszusetzen. Das
Schiff war darauf mit Mann und Maus selbst untergegangen. Er hatte
lange Monde ohne eine Besinnung gelegen. Dann hatte er unrichtige
Adressen gemacht. Bis er hergestellt, sich besonnen heimzureisen.
Als er unterwegs gehört: er sei gestorben, war er zuvor hier bei mir
eingekehrt, um seine Afanasia, Schwestern und Vater vorzubereiten. Mein
Pastor schiffte sogleich ab; bald ein Kahn ~voll neubeselter Freier~
hinter ihm drein. Auch ich und Brigitte. Und im Niebelungenliede würde
von uns gestanden haben:

    Hei da war irdische Freude, wie im Himmel nicht sein kann,
    Bei so viel edlen Schwestern, bei Weibe und bei Mann!

Indessen fuhr ich denn doch auch von dieser Freude, wie nicht im Himmel
sein kann, zu meiner Hochzeitnacht nach Hause. Eben weil solche Freude
nicht im Himmel ist, kein solches Weib, ja einmal keine Nacht!

Wir lebten ruhig und glücklich. Der Bruder meines Pastors war gestorben
hatte ihm ein ansehenswerthes Vermögen hinterlassen. So erwartete er
ruhig seine Absetzung, auf welchen Fall ihm die freien Dörfer schon
den halben Dezimen fortzuschütten sich verbindlich gemacht. ~Die
Gemeinen haben Vernunft und bekommen Halt durch Einigkeit.~ Auch
der Schullehrer war von ihnen versichert. Dies und hundert Anderes
wirkten auf den edlen Generalvater, dessen Vater schon ein Muster der
Gutsbesitzer und Patrone im Lande geworden, mit ungemerkter Gewalt.
Denn es vermag Niemand zu sagen, wie sehr „das Wetter der Zeit“ ihn
durch unbeweisbare Einwirkung stimmt, und sein Leben bestimmt. Das
Wetter macht die Erndten: Der Einfluß der Umgebungen macht die Dorf-
und Weltgeschichte. Denn in der Nähe war folgendes geschehen: Die Frau
Heidemann, die ihre Tochter dem armen jungen Menschen nicht gegeben und
sie darüber verloren, hatte ihrem Sohne nun Hochzeit gemacht, war aber
von Reue ergriffen, vom Hochzeittisch weg auf den Boden geschlichen
und hatte sich, als Opfer ihrer ersäuften Tochter, gehangen. -- Ein
alter General, der eine Geschichte der Sachsen im siebenjährigen Kriege
geschrieben, worin er sonderbar klagt: „~Das~ war der erste Nagel
zu unserem Sarge! ~Das~ war der zweite Nagel! ~Das~ war der dritte
Nagel!“ hatte endlich die Letzte von seinen vielen Töchtern glücklich
verheirathet -- und sich den Morgen darauf erschossen auf seinem Gute
Tsch....dorf. -- Ein Herr aus Braunschweig war zu uns nach Südfrei
gekommen, mit der erschütterten Neuigkeit, daß ein kolossaler oder
pyramidaler Freund, ein edler deutscher Mann, der Herr von Münchhausen,
mit seinen zwölf kolossalen oder pyramidalen Söhnen an der Grenze
von Texas, wo er einen neuen deutschen Stamm gründen wollen, von
den Wilden sei gehangen worden. -- Die arme Frau von Stifter, eine
Oberforstmeisterstochter, hatte mit ihrem Mann -- Pistolen geschossen,
und ihm -- „zufällig“ dabei eine Kugel durch die Brust, die ihn nicht
gleich getödtet, an deren Folgen, nach Salomons Urtheil, er aber
nach und nach versiechen mußte. -- Mit dem am Irländer verdienten
großen Ehrensold war Salomon selber fort, ~Doctor und unabsetzbarer
Hausprediger~ zu werden. -- Arminien wollte eine Bekannte in Nürnberg
gesehen haben.

Unter allem diesem „Wetter“ ließ nun der Generalvater sein Gut Westfrei
in 20 „Höfe,“ jeden mit 500 Morgen schöner fruchtbarer Feldmark
theilen; nur ~das Schloß~ besaß 1000 Morgen. Die Höfe alle bekamen
Namen von allen seinen Töchtern und wurden ausgebaut und eingerichtet.
Dabei war auch der mir jetzt verständliche Arminienhof, sichtbar
der schönste und beste. ~Das Schloß~ bekam den Namen ~Prytaneum~.
Ueber alle diese, mit seinem ernsten ja finsterem Geist ausgeführten
Anstalten verging auch der Herbst, der wie zum Dank und zum Segen des
schweigendliebenden Vaters wundervoll schön und heiter war.

Endlich, um Lichtmesse, ward ~eine Generalhochzeit~ gleichsam
ausgeschrieben. Die Töchter strahlten von seliger Arbeit. Jede
verstand allein einem Hauswesen in allen seinen Zweigen vollkommen
vorzustehn; denn alle hatten ~nach und nach jedes einzelne Geschäft~
lernen müssen; im Garten, in der Küche, im Bewahrhause und jede wußte
alles Erforderliche hervorzubringen, aufzubewahren, und zuzurichten,
von Brot bis Berlinertorte, von Radischen bis Ananas, von Flachs bis
zum altasglänzendweißen Tischtuch. Jetzt arbeiteten sich alle mit
Lust in die Hände, dabei herzten und küßten sie sich untereinander
einen Augenblick, wenn sie sich begegneten. Endlich waren die
Bräute, kurzzeitige Bräute, und ihre Bräutigamme, alles auserlesene
junge Männer: Fünf Candidaten, drei Offiziere, drei Referendäre,
die vier Söhne von Stifter und Student Salomon. Zugleich lagen die
lieblichbunten Verlobungsbriefe von Nolly und Dolly, zusammen Achtzehn
vor uns. Nur die jüngste Tochter war unversorgt, die liebste, Armgard.

Zum Hochzeittage, auch kein Wunder, nur eine natürlich erfolgte
Cumulation, Anhäufung oder Vereinigung, fanden wir uns aus Ostfrei
in Schloß Westfrei „dem Männerstift“ ein, mit einem Beikahn voll
Hochzeitgeschenke, die meine rechtschaffene Mutter für mich, mein Weib
und sich selbst höchstreichlich geschafft und passend erdacht. Die
Gäste, außer dem heut stöhnenden Herrn von Rizzi, der im Kahne mit
blasenden Postillonen gekommen war, schienen wirklich alle sich ~zum
Troste~, wie dem Generalhochzeitvater als mildernde Folie gebeten!
Denn da war der Maurermeister G... aus der nahen Stadt P... mit neun
lebenden Söhnen und einer Tochter. -- Der alte Hof- Haus- oder Stall-
-- eigentlich: ~Pferde~-Sattler G.... aus M..... mit siebzehn Kindern
von seiner ersten Frau, und zweien von seiner zweiten, und vieren von
seiner dritten. -- Dann der Herr von D.....z ~auf~ D.l..g mit neunzehn,
also lebendigen Kindern von seiner einzigen noch liebenswürdigen
Frau, die wirklich jungfräulich immer wieder über so viele -- Kinder
erröthete! Ihr Mann, der Landes....., aber stellte seinen jüngsten
Sohn ~Rudolph~, einen Coloß, mit besonderem Vergnügen vor, mit der
Geschichte, daß derselbe ein elendes Kind gewesen; aber zur Stärkung
stets in dem frischausgeteigtem Backfaß so freudenreich erzogen worden
sei! Kurz der Generalvater erschien als ein ganz gewöhnlicher Mann,
deren Wenige nur „~so viel Glück~“ hatten. Die vorläufige köstliche
Bewirthung erheiterte Alle.

Ehe wir in die Trauung über den See fuhren, trat Herr von Sangallo
mitten in den Saal. Er war von draußen, wahrscheinlich vom Ruheort
seiner ~Agathe~ sehr ernst hereingekommen, und erbat sich die
Erlaubniß, gleichsam vom Hausaltare, nur ein Wort zu sagen, was er auf
solche Sorgen der Liebe vielleicht sich verdient habe. Dabei blieb
seine jüngste Tochter in weißem Kleide, einen Schneeglöckchenkranz in
den Haaren, ihm wie zur Stütze stehen. Er hielt sich lange die Hand vor
die Augen und murmelte einige unverständliche Worte, dann erschien er
heiter und sprach:

„~Wir alle, keinen Menschen ausgenommen~, leben: um uns überflüssig
zu machen. Auch ich bin ein ~abgethaner~ Vater, das sind ~abgethane~
Kinder; ich fühle es am besten, nun wirklich ~verlorene~ Kinder für
mich; ~gefundene~ ihren Männern, und von der Natur, dieser einzigen,
wahren und worthaltenden Prophetin überall, ihren Kindern prophezeihte
Mütter. Ich spreche also meine Kinder als Kinder los; Ihr seid frei!“

Dabei ging er umher, legte jeder die Hand auf das willig gesenkte
Haupt, dann küßte er sie; Arminien umarmte er. Dann trat er ruhig
an seinen Platz und sprach weiter: „Meine Liebe geht jetzt in ihren
Himmel, unthätig und ohne Furcht zurück, wie da draußen die Sonne die
mich bescheint, und Euch alle -- wenn ihr glücklich seid -- dereinst so
bescheint, wenn Ihr Euere Töchter und Söhne freisprecht -- das heißt:
verheirathet.“

Denn wie schlecht haben die gesehen, welche noch eine Erlösung der
Frauen aus Sclaverei, ihre Freilassung verlangen; denn das bedeutet
doch Emancipation. Die Weiber sind auch bei den ehrlichen Türken
freier, als die Männer überall. Die Männer stecken in der Sclaverei
des Lebens, wenn das eine ist. Alle Gefahren, alle Blutarbeit des
Krieges, alle schwere Arbeit, von Hammerschmied und Glasmacher an, bis
zu Nachtwächter ~aller Art~, alle Aemter, welche sie im Grunde um das
bürgerliche, häusliche, menschliche Leben bringen -- für Geld, Ehre
und Brot bringen, müssen die Männer allein übernehmen. Oder ist das
keine Sklaverei, wie frei ist da erst die Frau, da sie im vollständigen
unbeschränkten Besitz des ihr von der Natur angewiesenen Lebens, ihres
Wirkungskreises, schon immer war, noch ist, und immer sein wird. Das
Wenige, was daran fehlt, möchte ihr kaum gut thun, und das halten ihr
nur ~persönliche~ Umstände vor:

„Böser Mann, Armuth, Krankheit, Unglück, Kinderlosigkeit; zumeist
~die~ Weiber selbst, ~welche~ die eingefleischte Rangordnung, Ehrsucht
und Eitelkeit sind. Die Weiber sollen sich nicht entwürdigen, so
kann und wird sie Niemand erniedrigen. Ohne neue papierene Freiheit
kann die Frau in jedem Hause Frau sein, ihre Seele entwickeln, ihr
Herz ausschütten, ihren Gefühlen leben, ihre Liebe bethätigen,
aussprechen, auslehren, auswiegen, aussingen, ja auswaschen -- denn
selber in einem zum Sonntag neuwaschenem Kinderhäubchen steckt die
ganze Mutterliebe! Ihre Lebensaufgabe, ihr Beruf, ihr süßes, schönes,
herzliches, geschichtloses Leben, das zum Beweis ihres höchsten Ranges
wie alles Göttliche und Ewige selbst „geschicht~los~“ ist, sind ihr
unverkümmerbar, unraubbar. Höchstens tritt wieder das Weib nur dem
Weibe entgegen -- als Kebsweib, Abspenstigmacherin, junge schöne
Sclavin! Und da theilen die Männer die Schuld durch Sitten, Gebräuche,
ja Religion. Man soll mir nicht mit der Frauenerlösung kommen! Denn
da befällt mich Trauer, Zorn und Wuth über die Sclaverei, in welcher
die Männer noch stecken. Und gerade die Weiber sollen mit Hand und
Mund -- dem gewaltigen -- mit Liebe und Haß, mit Freimuth und Hochsinn
daheim und auswärts aus aller Herzenkraft und Weibermacht nach ihrem
vollständigen Wohlsein und Glück ~dazu, dazu~ beitragen: daß der
~Mann~ frei wird! daß er ~Mensch~ wird. Mit der Hochzeit ist jede
Jungfrau emancipiert. Darum ~heirathet~ ihr Mädchen! Dazu macht Ihr
den Jünglingen ~die Ehe möglich~, den Männern ~leicht~, durch einfache
Ansprüche, gediegenes Leben; und ~dazu~ kennt die ~besten~ Güter; und
dann seid ~damit~ zufrieden! Die künftigen Männer macht ihr frei, durch
das Kleine und Liebe: ~Eure Kleinen voll Ehre und Kraft zu erziehen!~
Voll Verlangen nach jeder guten Göttergabe! Was ihr Mütter die Kinder
lehrt, das wehren Euch Legionen Teufel nicht; das tilgen Legionen
Tyrannen nicht aus. ~Die Kinderstube ist das Heiligthum Gottes.~ Dahin
reicht keine freche Hand. Und was ~Einem~ das Leben kostete, das lachen
nur ~Viele~ hinweg. Darum seid froh! Empfangt meinen Dank für alles,
was ich Euch zu thun vermocht! für alles Glück, das Ihr mir gewesen
seid -- und vergeßt Euren Vater nicht! Nun zieht gesegnet in Frieden!“

Darauf entließ er uns, blieb einsam im Saale stehen; dann sah er uns
nach, wie wir uns einschifften in die mit blühenden Fichtenzweigen
bekränzten Nachen, und rasch hinglitten über den See.

So bleiben die Eltern stehen und haben das Nachsehen; wie ihre Eltern
stehen geblieben und ihnen nachgesehen. Aber der Blick in die Fernen
der Welt ist schön und süß, und groß und weit, und wonnebedrängend vor
Zuversicht: Was die Entwandelten, immer verjüngt, in den heiteren
heiligen Räumen alles genießen sollen! Denn ~sie~ wissen es: was! Dann
gehen die Eltern fort; betäubt, als wenn sie bei einer unlöschbaren
weltgroßen Feuersbrunst, bis zum Umsinken ermüdet, Wassereimer mit
zugelangt hätten, in einer langen, dunkeln, tosenden Menschenreihe.

Daher konnte ich mir denken, wie zauberisch süß der treue Vater
in die liebliche Welt der Wunder versetzt war, als zu Ende des
Hochzeitschmauses die Spielsachen und Verlassenschaften aus der
Kindheit der Kinder, gleichsam als göttliches Dessert, am Tische in
Fülle auf silbernen Schüsseln herumgereicht und von jedem bewundert
wurden! Selber ~der~ menschliche Gottvater, der im Märchenbuche den
Armen und den Reichen besucht, hätte sich herzlich gefreut, ja selber
den heiligen Storch heilig gefunden, der im Schnabel die sieben
Kindlein trug! Hier aber erschienen achtzehn Störche! und vor jeder
Braut blieb Einer stehen und sah ~Ihn~ an; und ~sie~ an! aber Keine
sah ihn wieder an; denn er war ihr der Geist der Natur und der wahren
Liebe, der die Frucht der Welt trug. O heiliges Erröthen!

Wir verbitterten dem Vater die Freude nicht. Denn ob er gleich fragte,
wo denn unser lieber redlicher Pastor bleibe? warum er nicht komme? so
verschwiegen wir ihm doch, daß er kurz vor der Trauung und schon in
seinen Ornate, abgeholt worden war, und daß der ambulante Engel die
allgemeine Trauung nach seinem Ausdruck: „so gut wie Einer oder Keiner“
vollzogen hatte. Dafür saß er seligstumm am Tische.

Zu Nacht hatte sich der Vater still zur Ruhe begeben; und ich
muß es sagen, es hatte etwas geistermäßiges, ja es war geradezu
wahrhaft-geistermäßig und gerecht, als die Töchter alle leise auf
den gewölbten Corridor vor seine Thür schlichen, sich reiheten, und
seelenbewegend ihm zum Dank mit ihren reinen, schönen, jungfräulichen
Stimmen den tiefsinnigen Gesang anstimmten, der da ergreifender klang,
wie ein bloßes Benedictus, „_qui venit in nomine_,“ der blos im Namen
kam. Denn sie sangen:

    Gesegnet sei der kam,
    Und Uns der Vater war!
    Der auf den Schooß uns nahm,
    Und schmückte zum Altar;
    Gesegnet sei, der kam,
    Und Uns der Vater war.

Dann sangen ihm die Schwiegersöhne, die göttlichen Erben, ihr Lied für
solche Geschenke. Zuletzt Söhne und Töchter im Chor. Darauf standen
sie eine Weile reglos. Der Vater klopfte mit dem Knöchel des Fingers
in dieses Schweigen nur leise dreimal von innen an seine Thür. Und sie
schlichen leise fort.

Am Morgen hörte ich bei mir aus dem Hochzeithause die etwas ängstlich
verkündigte Nachricht: ~der Vater sei fort~! die Nacht mit seiner
jüngsten Tochter fortgereist! Nirgend sei eine Auskunft zu finden
gewesen, nur endlich am weißen Marmorsarkophage der Mutter, die mit
Kohlen geschriebenen Worte: „Seid ~Ihr~ glücklich! Forscht nicht nach
mir!“



XII.

Der Vater Semi-morto.


Und so war er fort und blieb fort, innig von allen bedauert, ja von
Kundigen vor Ahndung wirklich ~betrauert~ -- wie der General, der auch
alle seine ~überstandene Noth~ sogar abgeworfen!

Wir erfüllten indessen, das: „Seid Ihr glücklich,“ während des reinen,
weißen, traulichen Winters und des Vorfrühlings, und reisten, als ~der
Kukkuk~ erschien, dahin wo er zu Hause sein soll -- nach Italien. Meine
Brigitte erkannte zufällig in Rom den Lord, der seine blinde kleine
Tochter führte, und dem sie von Dolly und Nolly erzählen mußte. Er
meinte: es ~fehle~ ihm ordentlich etwas, seit der ewige Streit ihm
nicht mehr Angst mache! und Ruhe und Frieden um ihn sei! Ich forschte
bei ihm nach Sangallo, da uns eine Sage gekommen war, er sei mit seiner
Tochter auf einer bloßen Abendlustfahrt im Golf von Neapel ertrunken,
oder doch todt aus dem Wasser gezogen worden. -- „Ihm sieht das
Schlimmste ähnlich!“ erwiederte er; „das bekenn’ ich, da ich selbst
unglücklich bin; aber er lebt auf der geisterhaften Insel Elba!“

Wir eilten nach Piombino, von Piombino hinüber, und entdeckten ihn
dort, verwildert, in seiner Heraklesgestalt fast einem alten Deutschen
gleich. Ich rief ihn an. -- Er ging. -- Ich folgte. -- Er ging rascher.
Ich bat. -- Er stand; ja nach langem Besinnen gab er mir die Hand. Ich
wollte ihm von seinen Töchtern Nachricht geben -- er verbot es. Ich
freute mich -- er blieb ernst.

Ich allein durfte ihn in den folgenden Tagen zum Gange auf den
eisenstein-rothen öden Bergrücken abholen. Doch er schwieg und schwieg.
Er war tiefsinnig geworden, erschöpft an allen Gefühlen, gleichgültig,
~wach~, und doch unaufweckbar: er ließ, vorauswandelnd, vor seinen
Füßen ruhig ein Kind in den See stürzen, das er mit einem Griff
erretten könne.

So blieb er äußerlich; doch innerlich rührte ihm sich das Blut, wie
der Wein bei der neuen Traubenblüthe. Nun endlich erst ~bei meinem
Scheiden~ ging ihm das Herz auf. Und so erfuhr ich Einiges, das er
so hin murmelte. Dann bat er mich sogar ~um Erlaubniß, zu sein wie
er sei~!... oder um Verzeihung: ~daß er so sei~. Aber, sprach er
tiefaufseufzend: „Auch zu viel, zu viel Sorge der Liebe erdrückt.
Ich bin ihr erlegen. Der Postdirector vollends hatte mir Todesangst
gemacht. Er hatte mich mit seiner ~Schwiegersohnkrankheit~ angesteckt,
und in mir fand sie heiliges Feuer genug und Stoff viermal so viel!
Und dann die ~Schande~! die ~verheimlichte~ Schande erwürgt heimlich.
Denn worüber ich mich bergehoch erhoben und sicher bedünkte, darein
verfiel Ich; darein stürzte mich ~mein bestes Kind~. Soll ich den Namen
~Arminia~ vor Ihnen aussprechen? Sie sind glücklich; Sie lieben und
sind geliebt; daher kann Sie nichts verwandeln. Aber wahrer ansehen
kann man das Vergangene doch! Und Sie hatten sich wahrscheinlich nur
in ihre Schönheit ~verliebt~, als sie gereizt und geblendet, sie
retteten; was jedoch jeder Beichtvater, jeder Superintendent und
frömmste Minister gethan haben würde zu seiner Ehre. ~Darum~ konnten
Sie sie ohne Verzweiflung, Zorn, Rache und Thränen aufgeben, da sie
Ihnen mit Recht war „bedenklich“ geschildert worden; besonders als
das frevelhafte Spiel mit _Dr._ Jenner, und der Glaube an den bloßen
~Namen~ „Kuh,“ das arme Mädchen entstellt hatte! Daß Arminia ihr halbes
„Ja“ ~vorher~ zurückgenommen, das irrte Sie nicht! Aber, mein junger
Freund, Arminia, ~liebte~ Sie; und ~durfte~ Sie dann nicht lieben; denn
das verbot ihr das große Wort: Um zu ~lieben~, muß sich die Jungfrau
oder der Jüngling des ~Geliebtwerdens~ werth und würdig fühlen. ~Das~
Gefühl giebt Feuer und Muth zu Liebe, vielleicht die Liebe selbst! Denn
wer liebt, will dem Geliebten schön, rein, himmlisch erscheinen, ihm
das seligste Glück bringen, es ihm sein und bleiben. ~Mit dem Unwerth
versiegt die Liebe.~ -- Sehen Sie da, als Zusatz und Erklärung zu Ihres
Vaters Heirathsgebot und des Pastors Ehepredigt, und als Verklärung,
die höchste Glorie in den Worten: Die Liebe, diese ~unsere~ menschliche
Liebe der Geschlechter, ist auch zugleich und allein nur die ~reinste
göttlichste Kraft~, über die keine zu wünschen ist; und sie ist ~die
vollkommenste Sittlichkeit~, an der alle möglichen Engel, Halbgötter
und Götter vollauf in Ewigkeit haben. Da ist kein Zweifel. Wir bedürfen
nichts weiter, nichts Anderes. Denn so ist die alltägliche Liebe der
alltäglichsten Menschen zwischen den beiden Geschlechtern. Denn ~drei~
Geschlechter giebt es nicht!“

Ich stutzte und fragte kleinlaut: Aber was war denn Arminien geschehen?

„Eine Ueberraschung, die ~erregten Liebenden~ sehr leicht geschieht
-- die sie zum Staube warf!“ sprach er. O traue doch kein Vater,
keine Mutter und keine getroste Jungfrau einem Manne, (selber einem
halben übertünchtem Greise nicht) der aus Verführung von Weibern ein
jahrelanges wohl lebenslanges Geschäft gemacht hat. Das Gift bricht
wieder aus, und die alte Schlange weiß alle Künste! Daß er dann
verwünscht und verabscheut wird, das nimmt er hin als gewohnt. Wer
nun das war? Haben Sie nicht gehört, daß ~vier Söhne~ ihren Vater
gefordert? Aber die Mutter hat sie bedeutet, und als Weib sich mit
ihrem Manne geschossen; doch nur dann erst, als ich zum einzigen
stummen Vorwurf des Unrechts an seinem fünfzehn Jahr lang kranken Weibe
-- womit er sich gerade entschuldigen wollen -- dem Manne sein Kind
-- Teufel! -- ~meinen Enkel~, das kleine todtgeborene herzensliebe
Männchen, in einem Särgchen zugesandt, das ich noch aus der Zeit besaß,
wo ich „Meister vom Stuhle“ gewesen, und das mit den geheimnißvollen
Zeichen bunt und zierlich bemalt war.

Ich verstummte über Arminia. Zuletzt sprach ich nur -- der Stifter ist
todt.

Erlauben Sie mir also: als Vater todt zu sein; fuhr er fort. Manch
guter Vater stirbt wohl schon, als zu weich und verzagt, an drei oder
vier ~guten~ Kindern; wie nun ich nicht an achtzehn Töchtern? und
darunter zwei Unglückliche, und eine Verunglückte. Ein Tropfen Essig
verdirbt eine Tonne Honig.

Er sah mir die Thränen in den Augen.

Kein Mitleid! versetzte er. Zu meinen Zehn Haus- und Kindergeboten
rathe ich Ihnen noch die zwei wichtigsten aufzunehmen; und mit allen
Zwölfen dürfte ~ein Vater~ langen, wenn auch noch nicht ~ein Gatte~.
Mein Herz hat mich noch diese letzten gelehrt:

11) Auch die schwersten und größten Fehler halte bei deinem Kinde für
möglich. Denn ~selbst~ gut sein, läßt noch nicht sicher glücklich
bleiben ~unter den Menschen~!

12) Stehe deinem Kinde in jedem Unglück bei, verlaß es in keiner Noth,
hilf ihm in jeder Schande.

Und daß meine jüngste Tochter, meine treue Armgard, bis zu meinem Tode
bei mir bleiben will? Sie hat sich auch ein Gebot gemacht: ~dem Vater
die Liebe zu vergelten~. Da kommt das ~gutste~ Kind, wie sie klein sich
immer selbst nannte! Jedoch auch ~sie~ schenke ich weg, wenn ihr Herr
und Freund kommt! ~Ich bin der Mann der einsam leben kann~ -- vor
Erinnerung! vor aller Welt! Auch sage ich nicht ab: wieder heimzukehren
und für all’ mein Leid mit Freude belohnt zu werden, wenn ich wieder
Sinn dafür und Kraft dazu erlangt. ~Freude will Feuer und Muth in der
Seele~; die Lahmen tanzen schlecht. Ich denke wiederzukehren, ~so in
zehn Jahren~! Auch schon meines ~Männerstiftes~ wegen; denn es giebt
viel brave Professoren und ehrenfeste Geistliche, die es bedürfen
möchten. In zehn Jahren sind hoffentlich die bösen Geister hinab in die
Erde versunken, wenn auch mit Gestank. Indessen möchte mein Prytaneum
noch nöthig werden, jetzt so nöthig in so schauriger Zeit, wie einst
die Klöster. Die Schulmeister aber, das sind die Eisenköpfe!

Keine Sorge! beruhigte ich ihn. Gott ruft manchmal vom Himmel, ja er
langt auch hinunter, oder haucht nur. Und sein Hauch macht lebendig,
und ein Wind macht den Himmel schön! So schieden wir, während er mich
groß ansah, weil ich noch gesagt: mich verlangt recht heim -- nach
Deutschland.

In meinem Zimmer drückte ich im Gefühl meines Glückes mein Häschen an’s
Herz. Auch sie fing sich an zu beklagen -- und wir reisten langsam
nach Hause und kehrten gesund zu meiner rechtschaffenen Mutter zurück.

Doch was geschah? -- Nach mehren Tagen besucht mich Freund von Rizzi;
jetzt auch noch durch einen Orden geehrt. Wir fahren hinüber zu den
Schwestern, und Wer steht da? mitten unter den Töchtern und Söhnen? --:
~der Vater~! Heiligenhahn! wie er leibt und lebt!

... Ein Vater ist ein Sclave seiner Kinder; rief er mir zu -- aber ein
glücklicher; denn er ist wie das Kind vom Hause! wie in der Türkei.

Und Herr von Rizzi sprach: „Ich sagte gleich, ~der~ kommt wieder! In
der Türkei, zur Pestzeit, wenn das Weib den Mann, und der Mann das Weib
geflohen, ja, wenn Mutter die Tochter und Vater den Sohn verlassen
haben, da bleibt die ~Mutter~ bei ihrem ~Sohn~, und der ~Vater~
erst recht bei der ~Tochter~! Das ist Geschlechtsliebe, die reine
Geschlechtsliebe. Und Du hier, Heiligenhahn, Du wolltest von achtzehn
Töchtern entlaufen? -- Nicht von Einer!“ --


                            [Illustration]


                               Breslau.

             Druck von ~Robert Lucas~, Schuhbrücke Nr. 32.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Achtzehn Töchter - Eine Frauen-Novelle" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home