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Title: Deutschland und Armenien 1914-1918 - Sammlung diplomatischer Aktenstücke
Author: Lepsius, Johannes
Language: German
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                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1919 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die in diesem Buch
    wiedergegebenen Dokumente wurden von einer Vielzahl verschiedener
    Autoren verfasst; dementsprechend weicht die Schreibweise einzelner
    Begriffe, vornehmlich Personen- und Ortsnamen, teilweise stark
    voneinander ab. Die Schreibweisen wurden innerhalb eines Dokuments
    nach Möglichkeit harmonisiert, ansonsten aber so belassen wie
    im Original. Fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert,
    sofern die Verständlichkeit des Texts nicht beeinträchtigt wird.
    Ungewöhnliche Wortformen, insbesondere bei ‚eingedeutschten‘
    Wörtern, wurden beibehalten.

    Ein Übertrag in der Tabelle auf S. 297 (‚Väter der Kinder‘)
    beruht auf einer Unterbrechung, die dem zweispaltigem Layout im
    Original zugrunde liegt. In der vorliegende Ausgabe fällt diese
    Unterbrechung aber weg, so dass die Zeile, die ursprünglich den
    Übertrag enthielt, nun als überflüssig entfernt wurde. In den
    Registern der Personen- und Ortsnamen wurde in der gedruckten
    Fassung nicht zwischen den Namen mit den Anfangsbuchstaben ‚I‘
    und ‚J‘ unterschieden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden
    diese Namen in der vorliegenden elektronischen Fassung getrennt
    aufgeführt.

    Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit
    den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

      fett:           =Gleichheitszeichen=
      gesperrt:       ~Tilden~
      unterstrichen:  _Unterstriche_

    Das Caret-Zeichen (^) steht für einen nachfolgenden hochgestellten
    Buchstaben.

  ####################################################################



                       Deutschland und Armenien



                              DEUTSCHLAND
                             UND ARMENIEN
                               1914-1918

                               SAMMLUNG
                            DIPLOMATISCHER
                              AKTENSTÜCKE

                     HERAUSGEGEBEN UND EINGELEITET

                                  VON

                        ~Dr. JOHANNES LEPSIUS~

                            [Illustration]

                      DER TEMPELVERLAG IN POTSDAM

                                 1919



      Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.

              Copyright by Tempelverlag zu Potsdam 1919.



Vorwort.


Als ich Ende November vorigen Jahres nach zweieinhalbjährigem
Aufenthalt in Holland aus dem Haag nach Berlin zurückkehrte, suchte ich
am 1. Dezember den Staatssekretär Herrn Dr. Solf im Auswärtigen Amt
auf. Ich bat ihn, mir Einblick zu geben in die Akten des Auswärtigen
Amtes, die über die Armenische Frage und ihre Behandlung seitens der
deutschen Regierung während der Kriegsjahre Aufschluß geben.

Der Anlaß meiner Bitte war der folgende. Auf Grund von Quellen, die mir
im Sommer 1915 auf einer Reise nach Konstantinopel durch persönliche
Beziehungen zugänglich geworden waren, hatte ich im Jahre 1916
einen „Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“
herausgegeben[1]. Eine Verbreitung durch den Buchhandel oder auch
nur eine Verwertung der Tatsachen, die er enthüllte, in der Presse
war damals nicht möglich. Die Zensur hätte das Buch beschlagnahmt;
der Presse war durch offizielle Instruktionen Schweigepflicht über
die Armeniergreuel auferlegt. Ich konnte daher meinen „Bericht“ nur
vertraulich versenden. Die Zensur ist erst auf ihn aufmerksam geworden,
nachdem 20000 Exemplare in Deutschland verbreitet worden waren. Die
weitere Drucklegung und Verbreitung wurde verboten. Seit der Revolution
stand dem Neudruck und dem Vertrieb durch den Buchhandel nichts mehr
im Wege. Für die Neuausgabe lag mir zweierlei am Herzen, erstens mein
damaliges Quellenmaterial an den mir bis dahin unzugänglichen deutschen
Botschafts- und Konsularberichten nachzuprüfen und zweitens mir ein
Urteil zu bilden über die Stellungnahme der deutschen Diplomatie
gegenüber den Vorgängen in der Türkei.

Herr Dr. Solf erklärte sich sogleich bereit, mir den gewünschten
Einblick in die Akten zu gewähren und erteilte mir die Erlaubnis,
davon für meine Publikation Gebrauch zu machen. Er erwähnte dabei, daß
das Amt selbst die Absicht habe, ein Weißbuch über die Armenische Frage
herauszugeben.

Am nächsten Tage unterzog ich die Akten einer flüchtigen Durchsicht
und überzeugte mich, daß eine Verwertung einzelner Aktenstücke nicht
ausreichen würde, um die Haltung Deutschlands gegenüber den Vorgängen
in der Türkei klarzustellen, sondern daß es dazu einer umfangreichen
Publikation bedürfe. Noch am gleichen Tage ließ mir Herr Dr. Solf
sagen, daß er von der Veröffentlichung eines Weißbuches absehen würde,
wenn ich selbst die Aufgabe übernehmen würde, die Haltung Deutschlands
in der Armenischen Frage auf Grund des Aktenmaterials klarzustellen.
Ich nahm das Anerbieten an unter der Bedingung, 1. daß mir das
Aktenmaterial des Auswärtigen Amtes und der Botschaft vollständig
zugänglich gemacht würde, 2. daß die Auswahl der Aktenstücke für die
Veröffentlichung ausschließlich meinem Ermessen überlassen bliebe und
3. daß die Publikation nicht im Auftrage des Amtes erfolge, sondern von
mir persönlich im Buchhandel herausgegeben würde.

Ich lege Wert darauf, festzustellen, daß diese Bedingungen eingehalten
wurden. ~Für die hier veröffentlichte Auswahl von Aktenstücken
und für die Zuverlässigkeit des Bildes, das sie von der Haltung
der deutschen Regierung in der Behandlung der armenischen Frage
geben, ruht die Verantwortung allein auf mir.~ Um jedem Verdacht
die Grundlage zu entziehen, als ob Aktenstücke, die die deutsche
Regierung, die Botschafter und die Konsuln, oder deutsche Offiziere,
Beamte und Privatpersonen in irgend einer Hinsicht belasten, von mir
unterdrückt sein könnten, habe ich eine so vollständige Auswahl aus
der diplomatischen Korrespondenz -- die natürlich noch zahllose, für
die Sache selbst gänzlich belanglose bureaukratische Materien umfaßt
-- getroffen, daß die innere Kontinuität des Schriftwechsels für
ihre sachliche Vollständigkeit bürgt. Eine Anzahl von detaillierten
Berichten über Vorgänge bei den Deportationen und Zustände in den
Konzentrationslagern, die der Botschaft von verschiedenen Seiten
zugingen und zum Teil schon in meinem „Bericht“ benützt waren, habe
ich, um die ohnehin schon umfangreiche Publikation nicht zu sehr zu
belasten, vorläufig ausgeschieden, um sie später zu publizieren. Ich
habe aber darauf gesehen, daß alle wesentlichen Vorfälle, die zur
amtlichen Kenntnis gelangt sind, zur Sprache kommen, so daß auch das
Bild der Tatsachen, soweit es im Sichtbereich der Konsuln lag, auf
Vollständigkeit Anspruch macht.

Die Berichte der deutschen Konsulate in Anatolien, Syrien und
Mesopotamien -- Trapezunt, Erzerum, Samsun, Adana, Alexandrette,
Aleppo, Damaskus, Mossul -- legen Zeugnis davon ab, daß die Konsuln
alle wichtigen kontrollierbaren Vorgänge ihres Amtsbezirks fortlaufend,
eingehend und gewissenhaft, mit Sachkenntnis und gesundem, politischem
und sittlichem Urteil an die deutsche Botschaft bzw. den Reichskanzler
berichtet haben. Die Berichterstattung versagt nur für diejenigen
Distrikte, die außerhalb ihrer Sehweite lagen oder durch die russische
Okkupation ihrem Blick entzogen waren. Es fehlen daher nähere Berichte
über die Vorgänge in Suedije, Bitlis-Musch und Wan, die ich aus anderen
Quellen im Anhang beigefügt habe, um ein zutreffendes Urteil über die
der Deportation vorhergehenden Ereignisse zu ermöglichen. Ohne Kenntnis
dieser Vorgänge kann die Grundfrage, ob die Deportation des gesamten
armenischen Volkes durch militärische Notwendigkeiten begründet war,
nicht beantwortet werden. Der vierte Bericht des Anhangs soll eine
Vorstellung von den Konzentrationslagern am Rand der Wüste geben. Der
letzte ist der erste zensurfreie Bericht über das deutsche Hilfswerk.

Ich habe es nicht für meine Aufgabe gehalten, nach irgend einer Seite
hin die Rolle des Anklägers, Verteidigers oder Richters zu übernehmen.
Ich glaubte der Wahrheit am besten zu dienen, wenn ich mich darauf
beschränkte, das Aktenmaterial selbst sprechen zu lassen, aus dem sich
jedermann ein Urteil über die Tatsachen und die Schuldfrage bilden
kann. Auch die Einleitung, die ich vorausschicke, soll nichts mehr sein
als ein Leitfaden durch die Aktenstücke, der in die wichtigsten Themata
des weitschichtigen Materials einführt.

    Potsdam, Ostern 1919.

    Dr. ~Johannes Lepsius~.



Inhalt.


Vorwort                                                       S. V

Einleitung                                                    S. IX

    I. Das Vorspiel
        1. Cilicien                                           S. IX
        2. Anatolien                                          S. XII
        3. Die Unruhen von Wan                                S. XIII
        4. Der Beschluß der allgemeinen Deportation           S. XVI

    II. Die allgemeine Deportation
        1. Die Massenverhaftung der Intellektuellen in
             Konstantinopel                                   S. XIX
        2. Die Ankündigung der Verschickungsmaßregel          S. XX
        3. Die Deportation                                    S. XXIII
        4. Die Schritte der Botschafter bei der Pforte        S. XXVI

    III. Das Schicksal der Deportierten                       S. XXXIII
        1. Zwangsbekehrungen zum Islam                        S. XXXV
        2. Schritte der Botschaft                             S. XXXVII
        3. Die Vernichtung der Deportierten                   S. XXXIX
        4. Das Großwesirat Talaat Paschas                     S. XLII

    IV. Kaukasus                                              S. XLV

    V. Der Charakter der Ereignisse
        1. Die Deportation, eine administrative Maßregel      S. LI
        2. Deutsche Beteiligung                               S. LV
        3. Militärischer Schade                               S. LXI
        4. Opfer                                              S. LXIII
        5. Die offizielle Motivierung                         S. LXVI

    Aktenstücke 1913                                          S. 3
        „       1914                                          S. 9
        „       1915                                          S. 27
        „       1916                                          S. 221
        „       1917                                          S. 311
        „       1918                                          S. 365
    Anhang                                                    S. 455
    Der auswärtige Dienst 1914-1918                           S. 503
    Aktenregister                                             S. 511
    Namenregister                                             S. 520
    Ortsregister                                              S. 530
    Sachregister                                              S. 536



Einleitung.


Die Geschichte der Deportation des armenischen Volkes in der Türkei
durchläuft die folgenden Perioden:

I. Vom Eintritt der Türkei in den Krieg 1. November 1914 bis zur
Erhebung von Wan 20. April 1915.

II. Vom Beschluß der allgemeinen Deportation 20/24. April 1915 bis zu
ihrem vorläufigen Abschluß Dezember 1915.

III. Vom Einsetzen der systematischen Islamisierung der Reste des
armenischen Volkes Dezember 1915 bis zu den Ausgängen ihrer Vernichtung
Oktober 1918.

IV. Kaukasischer Schauplatz: Vom Frieden von Brest-Litowsk 3. März 1918
bis zur Einnahme von Baku 15/17. September 1918.


I. Das Vorspiel.


1. ~Cilicien.~

Die cilicischen Ereignisse nahmen ihren Ausgang von ~Zeitun~,
einem Bergnest in den Hochtälern des Taurus, das in der Luftlinie 120
Kilometer von der Küste entfernt liegt. Die Armenier von Zeitun und den
umliegenden Dörfern erfreuten sich noch bis in die 70er Jahre einer
Unabhängigkeit gleich der der tributpflichtigen seßhaften Kurden. Zur
Zeit der Abdul Hamidschen Armeniermassakers 1895/96, denen 80-100000
Armenier zum Opfer fielen, hatte sich Zeitun in Verteidigungszustand
gesetzt und durch die Intervention der Mächte Amnestie erlangt.
Wer fremde Intervention anrief, galt als Reichsfeind. Die erste
Gelegenheit, die sich nach Ausbruch des Krieges bot, wurde benützt,
um gegen das mißliebige Zeitun vorzugehen. Schon vor dem Kriege,
im Jahre 1913, hatte sich in der Nachbarschaft von Zeitun auf dem
Bergkegel Ala Kaia eine Räuberbande eingenistet, die sich nach der
allgemeinen Aushebung durch christliche und muhammedanische einem
harten Dienst entflohene Deserteure verstärkte. Die Bürgerschaft von
Zeitun war unschuldig an ihrem Treiben und wünschte nichts mehr, als
daß sie eingefangen würden, weil ihre Widersetzlichkeit den Behörden
einen Vorwand zum Einschreiten gegen die Stadt geben konnte. Ein
Zusammenstoß von Gendarmen mit Deserteuren gab das Signal zu dem
gefürchteten Vorgehen. Eine ansehnliche Truppenmacht von 4000 Mann
rückte vor Zeitun, angeblich um dem Räuberwesen ein Ende zu machen.
Die 150 Deserteure verschanzten sich in einem Kloster abseits von der
Stadt. Das Kloster wird beschossen. Bei dem Angriff hatten die Türken
7 bis 8, die Deserteure 26 bis 30 Tote. Die übrigen ließ man in der
Nacht entkommen, um die Stadt haftbar machen zu können. Dies geschah
am 25. März 1915 im fünften Monat des Krieges. Am nächsten Tage begann
man nach Verhaftung von 30 Notabeln mit dem Abtransport sämtlicher
armenischer Bewohner von Zeitun und Umgegend, Männern, Frauen und
Kindern, 10 bis 20000 Seelen. Ein Teil wurde in die Sumpfdistrikte des
Wilajets Konia, ein Teil in die arabische Wüste nach Der es Zor am
Euphrat verschickt. Ohne Verhör und Urteilsspruch. Es war eine Maßnahme
der inneren Politik, die mit Kriegsnotwendigkeiten nichts zu tun hatte.

Ein zweiter, der Regierung mißliebiger Platz war das Dorf
~Dörtjol~ an der cilicischen Küste, unweit dem alten Issus.
Die Einwohner von Dörtjol hatten sich während des cilicischen
Massakers von 1909, dem 20000 Armenier zum Opfer fielen, mit Erfolg
verteidigt. Auch den Bewohnern des weiter südlich gelegenen Dorfes
~Suedije~ am Djebel Musa war es damals gelungen, dem Massaker
zu entrinnen. Unaufgeklärte, unbedeutende Spionageaffären gaben
den Anlaß, gegen Dörtjol vorzugehen. Die Männer von Dörtjol wurden
nach Aleppo abtransportiert und zum Straßenbau gepreßt. Suedije
und seine Nachbardörfer sollten am 30. Juli in die arabische Wüste
deportiert werden. Seine Bewohner flüchteten auf den Djebel Musa.
Nach mehrwöchentlicher Belagerung durch türkische Truppen gelang
es ihnen, von den steil ins Meer abfallenden Bergabhängen sich mit
einem französischen Kreuzer in Verbindung zu setzen, der mit dem
herbeigerufenen Flaggschiff „Jeanne d’Arc“ und anderen Kriegsschiffen
die Flüchtlinge, Männer, Frauen und Kinder in Zahl von 4058 Seelen,
nach Alexandrien verschiffte (Anhang Nr. 1).

Andere Vorfälle, die Grund zu einer allgemeinen Deportation der
armenischen Bevölkerung von Cilicien (ca. 80000 Seelen) hätten geben
können, haben sich im Küstengebiet nicht ereignet.

Die Vorgänge von Zeitun, Dörtjol und Suedije wurden der Botschaft
von den Konsulaten zu ihrer Zeit gemeldet. Die Pforte hatte sich
wegen ihres Vorgehens in Cilicien mit der Botschaft nicht in
Verbindung gesetzt. Als die Botschaft aus Anlaß der immer weiter
greifenden Verschickung ganzer Distrikte mehrfach intervenierte,
machte die Pforte geltend, daß es sich um militärische Interessen und
innere Angelegenheiten der Türkei handle, die die Botschaft nichts
angingen. Massaker waren auf cilicischem Boden nicht vorgekommen, nur
Aussiedelungen. Als die Armenier der Stadt Marasch (gegen 60000 Seelen,
wovon 24000 Christen), durch die Zeituner Vorgänge und die Erregung
der Muhammedaner beunruhigt, ein Massaker befürchteten, begab sich
Konsul Rößler aus Aleppo dorthin. Der Schutz deutscher Anstalten in
Marasch (Hospital und Waisenhaus) berechtigte ihn dazu. Sein Besuch
wirkte beruhigend. Auch die amerikanische Mission, die in Marasch ein
Kollege hatte, war dafür dankbar. Die gegen Konsul Rößler ausgestreuten
Verleumdungen der englischen Presse, Konsul Rößler habe bei seinem
Besuch (in Aintab?) persönlich Massaker dirigiert und zu Greueltaten
aufgemuntert -- Verleumdungen, die auch im englischen Oberhaus zur
Sprache kamen --, sind durch die Zeugnisse amerikanischer Missionare
widerlegt[2]. Die zahlreichen Konsularberichte von Herrn Rößler
erbringen den Beweis, mit welch unermüdlicher Hingabe und Zähigkeit er
während der ganzen Kriegszeit für die Armenier seines Konsularbezirks
und die durchflutenden Massen der Deportierten eingetreten ist. Solange
Djelal Bey in Aleppo war, erfreute sich Konsul Rößler der Zustimmung
dieses gerechten und menschenfreundlichen Walis, der in seinem Wilajet
weder Deportationen noch Massaker duldete. Doch schon am 21. Juni 1915
wurde Djelal Bey seines Amtes enthoben, weil er sich den Befehlen
von Konstantinopel nicht fügen wollte. Auch der Oberkommandierende
der 4. Armee, Djemal Pascha, zu dessen Befehlsbereich Cilicien und
Aleppo gehörten, mißbilligte die armenische Politik der Regierung.
Durch wiederholte Erlasse hat er wenigstens erreicht, daß in
seinem Befehlsbereich Massaker nicht vorgekommen sind. Den von der
Zentralregierung befohlenen Deportationen und der Islamisierung der
Reste des armenischen Volkes hat auch er sich nicht widersetzt.


2. ~Ostanatolien.~

Aus dem Wilajet Erzerum waren der Botschaft schon seit Kriegsbeginn
Klagen über Härte der Requisitionen und Gewalttaten von türkischer
Gendarmerie und Tschettäs (berittenen Banden) gegen die armenische
Landbevölkerung zugegangen. Urheber dieser Ausschreitungen waren die
jungtürkischen Klubs in den Provinzialstädten. Am 10. Februar war der
zweite Direktor der Ottomanbank in Erzerum, der Armenier Pasdirmadjian,
das Opfer eines Meuchelmords geworden. Obwohl sich General Posseldt
Pascha, Mitglied der deutschen Militärmission, der damals noch
Festungskommandant von Erzerum war, darum bemühte, wurden die bekannten
Mörder nicht verhaftet. In den Landdistrikten der Erzerum- und der
Passinebene, östlich von Erzerum, wurden nach und nach alle armenischen
Dörfer -- hauptsächlich Frauen und Kinder, da die Männer zum
Heeresdienst eingezogen waren --, angeblich aus militärischen Gründen,
ausgeräumt. Der Befehl kam von dem Oberstkommandierenden der 3. Armee,
Kamil Pascha. Der Wali von Erzerum, Tahsin Bey, der die Maßregel
mißbilligte, war machtlos dagegen. Am 18. Mai 1915 drahtete der
deutsche Vizekonsul v. Scheubner-Richter an den Botschafter Freiherrn
v. Wangenheim:

„Das Elend unter den vertriebenen Armeniern ist fürchterlich. Frauen
und Kinder lagern zu Tausenden ohne Nahrung um die Stadt herum. Die
zwecklose Vertreibung ruft die größte Erbitterung hervor. Darf ich
deswegen bei dem Oberstkommandierenden Schritte unternehmen?“

Der Botschafter Freiherr von Wangenheim ermächtigte am gleichen Tage
den Konsul, Vorstellungen zu erheben und auf humane Behandlung der
Ausgewiesenen hinzuwirken. Der Konsul begibt sich ins Hauptquartier
Tortum und berichtet unter dem 2. Juni, daß seine „Rücksprache mit dem
Oberstkommandierenden zu keinem positiven Resultat führte“.

Lag im Wilajet Erzerum die Gefahr einer armenischen Erhebung vor?

General Posseldt erklärt am 26. April, „die Aufführung der Armenier sei
tadellos gewesen.“

Der Konsul bestätigt es: „Da ein Aufstand der hiesigen Armenier nicht
zu erwarten ist, ist diese Maßnahme grausamer Ausschließung unbegründet
und ruft Erbitterung hervor.“ (16. Mai.) Talaat Bey, der Minister des
Innern, bei dem die Botschaft anregt, die Aussiedelungsmaßregel zu
mildern, „zeigt sich abgeneigt“, da man gerade in Erzerum belastende
Korrespondenzen, Waffen und Bomben gefunden habe (29. Mai). Auf Anfrage
drahtet der Konsul v. Scheubner-Richter aus Erzerum: „In Erzerum und
Umgebung wurden Bomben und dergleichen ~nicht~ gefunden, was auch
vom Wali bestätigt werden kann.“ (2. Juni.)

In Cilicien und im Wilajet Erzerum waren die Dinge ihren eigenen Weg
gegangen. Ein Zusammenhang bestand nicht, allgemeine Maßregeln gegen
die armenische Bevölkerung des Reiches schienen nicht beabsichtigt
zu sein. Auch im Wilajet Erzerum sind bis Ende Mai keine Massakers
vorgekommen, nur Aussiedelungen, die durch das Oberkommando angeordnet
und mit militärischen Notwendigkeiten begründet wurden.

Inzwischen waren aus den Wilajets Bitlis und Wan Meldungen eingegangen,
die ernsterer Natur waren. Sie schienen die Anschauung der Pforte zu
rechtfertigen, daß die militärischen Operationen durch revolutionäre
Bewegungen im armenischen Volkselement bedroht und die Sicherheit des
Reiches gefährdet sei. Über indirekt gemeldete Aufstände in Bitlis und
Musch, Gebiete, die für die Konsulate nicht erreichbar waren, lagen
nähere Berichte nicht vor. Es hat sich später herausgestellt, daß dort
bereits im Frühjahr ein Anschlag türkischer Gendarmen auf das Dorf Goms
zu Unruhen geführt hatte, die durch Vermittlung der Behörden und des
armenischen Abgeordneten Papasian auf Anordnung Talaat Beys gütlich
beigelegt wurden. Davon war aber der Botschaft nichts mitgeteilt
worden. (Anhang Nr. 2).


3. ~Die Unruhen von Wan.~

Am 22. April wurde der Botschaft aus Erzerum gemeldet: „In Wan und
Umgebung Armenierunruhen (vermutlich infolge russischer Umtriebe)
ausgebrochen. Straßenkampf, Telegraphenlinien zerstört, Verbindung mit
Persien unterbrochen.“

Die alarmierende Nachricht wurde von der Pforte bestätigt.

Eine Aufklärung über die Ursachen und den Verlauf der Vorgänge in Wan
hat die Botschaft von der Pforte niemals erhalten. Erst Monate später
sind darüber von amerikanischen und deutschen Missionaren, die die
Dinge miterlebt haben, authentische Mitteilungen nach Europa gelangt
(Anhang Nr. 3).

Was war in Wan geschehen? -- Mitte Februar war Djevdet Bey, der
Wali von Wan, ein Schwager Enver Paschas, aus dem Gebiet von Salmas
und Urmia zurückgekehrt, wo er sich an dem nordpersischen Feldzuge
türkischer und kurdischer Truppenteile beteiligt hatte. In einer
Versammlung von türkischen Notabeln äußerte er sich: „Wir haben mit
den Armeniern und Syrern von Aserbeidschan reinen Tisch gemacht, wir
müssen mit den Armeniern von Wan das gleiche tun.“ Die Kaimakams
(Landräte) seiner Provinz wies er an, beim geringsten Anlaß gegen
die Armenier vorzugehen. Mit den Armeniern von Wan (20000 Seelen)
stellte er sich zunächst freundlich. Es wurden Kommissionen gebildet
und auf die Dörfer geschickt, um den Plünderungen der Kurden und den
Gewalttaten der Gendarmen Einhalt zu tun. Inzwischen zog Djevdet Bey
Verstärkungen aus Erzerum heran. Als in Schatakh, einem überwiegend
armenischen Dorf, Streitigkeiten mit Gendarmen ausbrachen (14. April)
bat er die drei Führer der Armenier, Wramian, Ischchan und Aram, mit
dem Müdir der Polizei von Wan nach Schatakh zu gehen, um den Streit
zu schlichten. Ischchan ging und nahm drei andere Armenier mit sich.
Der Müdir der Polizei begleitete sie mit tscherkessischen Saptiehs.
Halbwegs übernachtete man in Hirtsch. Als die Armenier schliefen, ließ
sie der Müdir der Polizei durch die Tscherkessen ermorden. In der Frühe
des nächsten Tages, ehe man noch in Wan etwas von dem Meuchelmorde
wußte, ließ der Wali Djevdet Bey die beiden zurückgebliebenen
armenischen Führer Wramian und Aram zu sich bitten. Aram war zufällig
abwesend. Wramian geht arglos zum Wali und wird, sobald er den Konak
betreten hat, verhaftet. Der Wali schickt ihn gefesselt über Bitlis
nach Diarbekr. Unterwegs wird er ermordet. Noch am selben Morgen
bereitet Djevdet Bey den Angriff auf die Armenierviertel der Stadt
vor. Gleichzeitig setzen die Massaker in Ardjesch und den Dörfern
von Hayozdzor ein. Um Weib und Kind vor dem drohenden Massaker zu
schützen, verschanzen sich die Armenier der Stadt in ihren Vierteln.
Sie hatten keinerlei Verbindung mit Rußland. Vier Wochen verteidigten
sie sich gegen die türkischen Truppen, die sie belagerten und
beschossen. Ihre Vorräte waren erschöpft. Am 15. Mai fand ein letztes
Bombardement statt. In der Nacht darauf verließ Djevdet Bey mit den
Belagerungstruppen zum größten Erstaunen der Armenier die Stadt. Sie
wußten noch nichts davon, daß die russische Armee auf der ganzen
kaukasischen Front im Vormarsch war. Am 19. Mai, 30 Tage nach dem
Beginn der Belagerung, zogen die Russen in Wan ein. Für den Vormarsch
der Russen war die Entsetzung von Wan eine unbedeutende Episode. Ihre
Hauptmacht stieß (wie Konsul Anders schon vor dem Kriege vorausgesehen
hatte) nördlich vom Wansee in der Richtung auf Musch und Bitlis vor.
Auch für die Armenier von Wan bedeutete die Entsetzung der Stadt nur,
daß sie sich selbst und ihre Familien durch ihr tapferes Ausharren
errettet hatten; denn schon am 31. Juli räumten die Russen Wan und
nötigten die ganze armenische Bevölkerung in den Kaukasus überzusiedeln.

Die Pforte mußte über den Charakter des Aufstandes von Wan, der ein
Akt der Selbstverteidigung war, unterrichtet sein. Sie wußte, daß
dieser „Aufstand“ von dem Wali Djevdet Bey provoziert war und mit den
russisch-türkischen Operationen in keinem Zusammenhang stand. Der
Bericht über Wan (Anhang Nr. 3.) liest sich, ebenso wie der von Suedije
(Anhang Nr. 1.), wie ein Kapitel aus einem Cooperschen Indianerroman,
nicht wie eine Episode des Weltkrieges.

Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Art, wie der „Aufstand“ von
Wan -- mit der Bitte um Geheimhaltung -- der Botschaft von der Pforte
dargestellt wurde[3].

Die Berichte lauteten:

24. April: Gebäude der Dette Publique und der Post in die Luft
gesprengt, Straßenkämpfe, 20 Tote.

27. April: Aufruhr in Wan unterdrückt. Kurden am Aufstand beteiligt.
400 Armenier getötet, die übrigen nach Rußland geflohen.

6. Mai: Neue Kämpfe in Wan. Türkische Verluste 600 Mann.

9. Mai: Unruhen in Wan dauern an. Türken 1000, Armenier 3000 Tote.

Sprungweise gehen die Verluste, von 20 auf 400, auf 600, auf
4000 in die Höhe. In Wahrheit sind bei den Armeniern während der
vierwöchentlichen Belagerung vom 20. April bis zum 17. Mai 18 Tote und
bei den Türken schwerlich viel mehr gefallen[4]. Falstaff ist nichts
gegen Djevdet Bey.

Warum diese grotesken Übertreibungen? Enver Pascha war doch sicherlich
von seinem Schwager Djevdet gut unterrichtet. Man wollte der Botschaft
beweisen, daß alles auf dem Spiel stehe, daß der Bestand des Reiches
durch eine ganz gefährliche Erhebung der Armenier bedroht sei. Der
Zweck wurde erreicht. Die Botschaft glaubte es.


4. ~Der Beschluß der allgemeinen Deportation.~

Bei seiner Rückkehr von der kaukasischen Front im Februar des
Jahres hatte Enver Pascha als Kriegsminister und Generalissimus der
türkischen Armee auf eine Adresse des Bischofs von Konia erwidert:
„Ich sage Ihnen meinen Dank dafür und benütze die Gelegenheit, um
Ihnen auszusprechen, daß die armenischen Soldaten der ottomanischen
Armee ihre Pflichten auf dem Kriegstheater gewissenhaft erfüllen, was
ich aus eigener Anschauung bezeugen kann. Ich bitte der armenischen
Nation, die bekannt ist für ihre vollkommene Ergebenheit gegenüber der
Kaiserlich Ottomanischen Regierung, den Ausdruck meiner Genugtuung
und Dankbarkeit zu übermitteln“. (Osmanischer Lloyd vom 26. 2. 1915).
Auch dem armenischen Patriarchen gegenüber hatte Enver Pascha „seine
besondere Zufriedenheit ausgesprochen über die Haltung und Tapferkeit
der armenischen Soldaten, die sich in ausgezeichneter Weise geschlagen
hätten“, hatte aber schon damals bezeichnenderweise hinzugefügt, „daß
er beim geringsten Vorkommnis in den östlichen Armenierzentren ~mit
drakonischen Maßnahmen~ einschreiten würde“. Wie kam es, daß mit dem
20. April das Urteil über die Ergebenheit der armenischen Nation so
plötzlich umschlug? Der „Aufstand“ von Wan war das tragische Moment in
der armenischen Schicksalstragödie. Das Stichwort für die „drakonischen
Maßnahmen“ Enver Paschas war gegeben.

Mit der Fixierung dieses Momentes soll nicht gesagt werden, daß
nicht der Vernichtungswille der treibenden Kräfte, die hinter
dem Kriegsminister standen, schon vor den Ereignissen in Wan
bestanden hätte. Schon auf dem Kongreß des jungtürkischen „Komitees
für Einheit und Fortschritt“ in Saloniki Oktober 1911, war der
nationalistisch-panislamische Gedanke -- die Alleinherrschaft der
türkischen Rasse und der Aufbau des Reiches auf rein islamischer
Grundlage -- als Regierungsprogramm angenommen worden:

„Früher oder später müßte die vollkommene Ottomanisierung aller
türkischen Untertanen durchgeführt werden, aber es sei klar, daß
dies niemals durch Überredung erreicht werden könne, sondern man
müsse zur Waffengewalt Zuflucht nehmen. Der Charakter des Reiches
habe muhammedanisch zu sein und muhammedanischen Einrichtungen
und Überlieferungen müsse Respekt verschafft werden. Anderen
Nationalitäten müsse das Recht der Organisation vorenthalten werden,
denn Dezentralisation und Selbstverwaltung seien Verrat am türkischen
Reich. Die Nationalitäten seien eine quantité négligeable. Sie könnten
ihre Religion behalten, aber nicht ihre Sprache. Die Ausbreitung der
türkischen Sprache sei eines der Hauptmittel, um die muhammedanische
Vorherrschaft zu sichern und die übrigen Elemente zu assimilieren“[5].

Dies Programm stand seit Ausbruch des Krieges hinter allen Maßregeln,
die die „Raja“ der christlichen Nationen als eine „Herde“ von Hörigen
behandelten: die allgemeine Entwaffnung der christlichen Bevölkerung,
die Degradierung der armenischen Soldaten, die mit der Waffe eingezogen
worden waren, zu Lastträgern und Straßenarbeitern, die Entlassung
der armenischen Beamten und Ärzte aus dem Verwaltungsdienst und den
Kriegslazaretten usw. Dies pantürkische Programm stand schon vor den
Tagen von Wan hinter den Verschickungen und Massenverhaftungen in
Cilicien und im Wilajet Erzerum und diktierte den Vernichtungsfeldzug,
den türkische und kurdische Truppen im Winter 1914/15 in Nordpersien
gegen die friedliche syrische und armenische Bevölkerung von Urmia und
Salmas führten. Dies Programm rief die allgemeine Christenverfolgung in
den Wilajets Diarbekr und Mossul hervor, der unterschiedslos Jakobiten,
Chaldäer, Nestorianer und Armenier zum Opfer fielen.

Auch ohne den „Aufstand von Wan“ wäre dies Programm durchgeführt
worden. Denn schon dieser „Aufstand“ war ein Akt des Selbstschutzes
gegen das drohende Massaker, das an mehreren Orten gleichzeitig
einsetzte, als Djevdet Bey durch den Meuchelmord an den armenischen
Führern das Signal dazu gab, in denselben Tagen, in denen auch in
Cilicien die Verschickung auf große Distrikte ausgedehnt wurde, die
außerhalb des Kriegsgebietes lagen.

Der „Aufstand von Wan“ gab nur einen weithin sichtbaren Vorwand her, um
den längst gefaßten Plan der Türkisierung und Islamisierung des Reiches
der Außenwelt gegenüber unter den Schein militärischer Notwendigkeiten
zu verhüllen und im Schoß des Komitees selbst jeden Widerstand gegen
die radikalste Form seiner Durchführung, die Vernichtung zunächst des
armenischen Volkes, zu unterdrücken.

Von welcher Seite in Konstantinopel die entscheidende Wendung in der
armenischen Politik der Regierung herbeigeführt wurde, durch Enver
Pascha oder Talaat Bey oder durch einen Beschluß des jungtürkischen
Komitees, darüber wird man erst Aufschluß erlangen, wenn die Interna
der jungtürkischen Regierung an den Tag gekommen sein werden[6]. Es
scheint, daß im Komitee selbst Gegensätze zwischen einer radikalen und
einer gemäßigteren Gruppe bestanden, die in der Zeit vom 24. April bis
zum 27. Mai zum Austrag gebracht wurden und mit dem Sieg der radikalen
Gruppe endeten.

Das Ergebnis dieser Kämpfe war der Beschluß, der das Schicksal des
armenischen Volkes besiegelte: Die allgemeine Deportation.


II. Die allgemeine Deportation.


1. ~Die Massenverhaftung der Intellektuellen in Konstantinopel.~

Am 22. April bestätigte der Minister des Innern die Mitteilungen, die
die Botschaft über den Ausbruch der Unruhen in Wan erhalten hatte,
-- mit der Bitte um vorläufige Geheimhaltung. An dem darauffolgenden
Sonntag, dem 25. April, erfuhr das überraschte Konstantinopel, daß in
der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag die politischen und geistigen
Spitzen der armenischen Gesellschaft in der Hauptstadt verhaftet
worden seien. In der Nacht vom Sonntag auf den Montag wurde die Razzia
erneuert. Gegen 600 armenische Intellektuelle, die führenden Männer
der Nation, Deputierte, Parteiführer, Schriftsteller, Journalisten,
Geistliche, Ärzte wurden in den Tagen darauf ohne Verhör und Urteil aus
den Gefängnissen in das Innere von Kleinasien nach Ajasch und Tschangri
abtransportiert[7]. Gerüchte von geplanten Attentaten zirkulierten in
der Stadt, die aber von der Regierung selbst dementiert wurden. Von
den Vorgängen in Wan war noch nichts bekannt. Am 29. April wurde die
Bevölkerung von Konstantinopel aufgefordert, alle Waffen abzuliefern,
was ohne Zwischenfall geschah.

Offiziell teilte Talaat Bey, der Minister des Innern, der Botschaft
durch ihren ersten Dragoman mit, „die Regierung sei jetzt
entschlossen, dem bisherigen Zustand ein Ende zu bereiten, wonach
jede Religionsgemeinschaft ihre besondere ‚Politik‘ mache und hierzu
besondere politische Vereinigungen gründen und unterhalten könne. In
der Türkei solle künftig nur ‚osmanische‘ Politik gemacht werden. Unter
den hiesigen (Konstantinopeler) Armeniern befänden sich eine Reihe von
politisch nicht ganz sicheren Persönlichkeiten; sie seien natürlich
gerade unter den tätigen Mitgliedern der Klubs und Redaktionen zu
suchen. Die Besorgnis sei nicht von der Hand zu weisen, daß im Falle
einer ungünstigen Wendung des Krieges diese Elemente die Gelegenheit
zur Unruhestiftung ergreifen könnten. Der Augenblick schien günstig,
alle diese Verdächtigen aus der Hauptstadt zu entfernen. Unter den
Verschickten gäbe es sicher viele, die in keiner Weise schuldig seien.
Dies leugne die Regierung nicht, und er -- Talaat -- werde aus eigenem
Antrieb und ohne daß es hierzu einer Intervention bedürfe, diesen die
Erlaubnis zur Rückkehr erteilen.“[8]

So wurde im voraus einer Intervention von deutscher Seite vorgebeugt.
Beschuldigungen gegen die allgemein als loyal bekannten und geachteten
Intellektuellen, zum Teil persönliche Freunde der jungtürkischen
Führer -- Zohrab hatte Halil Bey in den Tagen der Gegenrevolution das
Leben gerettet --, wurden nicht erhoben. Die Verhaftung wurde als
Vorbeugungsmaßregel charakterisiert und eine richterliche Untersuchung
in Aussicht gestellt, um etwa Verdächtige zu ermitteln.

Ein Zusammenhang der Verhaftungen mit den Vorgängen in Wan wurde nicht
konstruiert. Der Plan der Vernichtung der armenischen Nation, der man
in ihren geistigen Führern das Haupt abschlug, ehe man den Leib der
Todesfolter unterwarf, mußte im Dunkel bleiben, bis die Vorbereitungen
für die Gesamtdeportation getroffen waren. Der Einmarsch der russischen
Truppen in Wan scheint den letzten Widerstand im Komitee gebrochen zu
haben. Die radikalen Elemente des Komitees triumphierten. Der Beschluß
der Deportation wurde auf die ganze armenische Bevölkerung der Türkei
ausgedehnt.

Am 27. Mai erschien das „Provisorische Gesetz über die Verschickung
verdächtiger Personen“. Artikel 2 lautet:

„Die Kommandanten der Armeen, Armeekorps und Divisionen können, wenn
militärische Bedürfnisse es fordern, die Bevölkerung von Städten
und Dörfern, die sie der Schuld des Verrats oder der Spionage für
verdächtig halten, dislozieren und in anderen Orten ansiedeln.“

Schuldbeweise sind für die Strafe der Verschickung nicht erforderlich.
Verdacht genügt. So wurde es in Konstantinopel, so im ganzen Reich
gehalten.


2. ~Die Ankündigung der Verschickungsmaßregel.~

Es ging nicht wohl an, einen Beschluß von so großer Tragweite wie den
der Deportation der Deutschen Botschaft ganz zu verschweigen. Durch
die grotesken Übertreibungen und Entstellungen der Vorgänge in Wan,
durch gleichzeitige unkontrollierbare Mitteilungen über Aufstände in
Bitlis und Musch, über geplante Verschwörungen in Erzerum, Bombenfunde
und Spionageakte an verschiedenen Plätzen des Reiches, war auf der
Botschaft eine Atmosphäre geschaffen, die einschneidende Maßregeln als
gerechtfertigt erscheinen ließ. Allerdings hätte ein Telegramm aus
Mossul vom 18. Mai, das gleichzeitig mit dem Fall von Wan durch Konsul
Holstein der Botschaft zuging, stutzig machen können. Denn es meldete,
daß nach gleichlautenden Mitteilungen des nestorianischen Patriarchen
in Kodschanes und des chaldäischen Patriarchen in Mossul, „die
Muselmanen im Bezirk Amadia ein allgemeines Christenmassaker planten
und schon damit begonnen hätten; Wali gebe Tatsache zu und scheine die
Bewegung, wenn nicht gerade zu schüren, so doch nicht energisch genug
zu hemmen“. Doch hier handelte es sich um nestorianische, jakobitische
und chaldäische Syrer, nicht um Armenier.

Am 31. Mai drahtete der deutsche Botschafter an das Auswärtige Amt:
„Zur Eindämmung der armenischen Spionage und um neuen armenischen
Massenerhebungen vorzubeugen, beabsichtigt Enver Pascha unter Benutzung
des Kriegs- (Ausnahme-) Zustandes eine große Zahl armenischer Schulen
zu schließen, armenische Postkorrespondenz zu untersagen, armenische
Zeitungen zu unterdrücken und aus den jetzt insurgierten armenischen
Zentren alle nicht ganz einwandfreien Familien in Mesopotamien
anzusiedeln. Er bittet dringend, daß wir ihm hierbei nicht in den Arm
fallen.“

Bezeichnend für die Mitteilung Enver Paschas an den Botschafter ist
die Voranstellung von Schulen, Postkorrespondenzen und armenischen
Zeitungen vor die Hauptsache, die Ankündigung der Verschickungen. Um
Einwänden im voraus zu begegnen, wird die Maßregel auf „nicht ganz
einwandfreie Familien“ und die „jetzt insurgierten armenischen Zentren“
beschränkt.

Welche Zentren waren damals insurgiert?

Die Deserteuraffäre in Zeitun und die Spionageakte in Dörtjol waren
durch Abtransport der Bewohner von Zeitun und Dörtjol erledigt. Die
Unruhen in Bitlis und Musch waren, was die Botschaft nicht wußte, durch
die Behörden mit Hilfe des Abgeordneten Papasian beglichen. Vereinzelte
verbürgte oder unverbürgte Bombenfunde[9] „gehörten zu dem schon
bekannten Inventar der türkischen Behörden an solchen Vorwänden“. In
Erzerum „glaubte“ der Wali Beweise für eine armenische Verschwörung
in Händen zu haben, obwohl nach dem Zeugnis General Posseldts „die
Aufführung der Armenier tadellos“ und nach dem Urteil des Konsuls
von Scheubner-Richter „ein Aufstand nicht zu erwarten war“. Als
„Massenerhebung“ und ernste Gefahr für die militärischen Operationen
mußte dagegen die „Insurrektion“ von Wan erscheinen.

Die Maßregel partieller Verschickungen von „nicht einwandfreien
Familien“ konnte sich nach den vorliegenden Berichten nur auf die
östlichen Wilajets an der kaukasischen Front beziehen, wo es nach
türkischen Meldungen in Wan, Schatakh, Bitlis und Musch „insurgierte
Zentren“ zu geben schien. Da schon im Sommer 1914 Rußlands Anteil an
Kurdenaufständen in Bitlis und Musch gemeldet war, hatte auch die
von der Pforte behauptete „von Rußland genährte Wühlarbeit“ einige
Wahrscheinlichkeit für sich[10]. Vom militärischen Gesichtspunkt
konnten bei der unvollkommenen Information über die tatsächlichen
Vorgänge Vorbeugungsmaßregeln „in den insurgierten Zentren“ als
berechtigt erscheinen. So sah der Botschafter keinen Grund, sich den
angekündigten Maßregeln Enver Paschas zu widersetzen und hielt sie
in den von Enver selbst gezogenen Grenzen („nicht ganz einwandfreie
Familien“, „insurgierte Zentren“, „Ansiedlung in Mesopotamien“) für
berechtigt. Er glaubte sich darauf beschränken zu müssen, auf Milderung
in der Form hinzuwirken, und informierte die Konsulate von Trapezunt,
Erzerum, Adana, Aleppo, Mossul, Bagdad -- von denen die nördlichen als
Ausgangspunkt, die südlichen als Verschickungsziele in Betracht kamen,
-- um eine geordnete Ausführung der Maßnahmen überwachen zu können.
Die Erfahrungen, die mit tscherkessischen und bulgarischen Muhadschirs
(Emigranten) gemacht worden waren, hätten den Botschafter belehren
können, was bei solchen „Ansiedelungen“ herauszukommen pflegte. Aber
er machte sich wohl keine deutliche Vorstellung davon. In Pera kennt
man nur das europäische, aber nicht das asiatische Gesicht der Türkei.
Bisher waren in Cilicien und Ostanatolien keine Massaker vorgekommen.
Noch am 15. Mai hatte der deutsche Konsul aus Erzerum berichtet: „Der
Ausbruch eines Massakers ist hier kaum anzunehmen, es sei denn, daß
Mißerfolge an der Front die türkischen Truppen zu einem Rückzuge nach
Erzerum nötigen werden.“ Vorstellungen, die die Botschaft wegen der
Deportationsmaßregeln von Frauen und Kindern im Wilajet Erzerum erhob,
wurden von Talaat Bey damit beruhigt, daß „die Armenier durch die
Deportation vor Schlimmerem, nämlich Massakers, bewahrt werden sollen;
die Regierung werde den Ausgewiesenen neue Wohnsitze anweisen und sie
auch unterstützen“. Dergleichen Zusagen nahm man damals noch ernst.


3. ~Die Deportation.~

Es stellte sich nur zu bald heraus, daß die Konsuln die Folgen der
Deportation zutreffender beurteilten, als die Botschaft.

Am 3. Juni prophezeite der Vicekonsul von Scheubner-Richter in Erzerum
die zu erwartenden Wirkungen der Deportationsmaßregel:

„Die armenischen Bewohner aller Ebenen, wahrscheinlich auch Erzerums,
sollen bis Der es Zor (in die arabische Wüste) geschickt werden. Diese
Aussiedelung großen Maßstabes ist gleichbedeutend mit Massakers, da
mangels jeglicher Transportmittel kaum die Hälfte ihren Bestimmungsort
lebend erreichen wird, und dürfte nicht nur den Ruin der Armenier,
sondern den des ganzen Landes nach sich ziehen.“

Eine Woche später trafen böse Nachrichten aus Diarbekr ein. Konsul
Holstein drahtet am 10. Juni:

„614 aus Diarbekr hierher verbannte armenische Männer, Frauen und
Kinder sind auf der Floßreise sämtlich abgeschlachtet worden; die
Kelleks sind gestern hier leer angekommen; seit einigen Tagen treiben
Leichen und menschliche Glieder im Fluß vorbei. Weitere Transporte
armenischer ‚Ansiedler‘ sind hierher unterwegs, ihnen dürfte dasselbe
Los bevorstehen. Ich habe der hiesigen Regierung meinen tiefsten
Abscheu über diese Verbrechen zum Ausdruck gebracht; der Wali sprach
sein Bedauern darüber aus mit dem Bemerken, daß allein der Wali von
Diarbekr dafür verantwortlich sei.“

Am 12. Juni berichtet Konsul Rößler aus Aleppo:

„Von dem hier weilenden Katholikos von Sis wird die Seelenzahl der
bisher verbannten Armenier auf über 30000 angegeben. Zeitun und
Umgegend, ferner Alabasch, Albistan, Dörtjol, Hassan-Beyli sind
vollständig geräumt. Es sind nicht nur die Familien, die „nicht ganz
einwandfrei“ schienen, verbannt worden, sondern die ganze Bevölkerung,
sogar die Familien der im Heeresdienst stehenden Soldaten... Damit geht
die Regierung weit über den Zweck notwendiger Vorbeugungsmaßregeln
hinaus.“

Am 18. Juni meldet von Scheubner-Richter aus Erzerum das erste Massaker:

„Vernichtung der ausgewiesenen Armenier auf dem Wege über Ersindjan
nach Kharput.“ Es handelte sich, wie erst später bekannt wurde, um
die von Kurden und Regierungstruppen der 86. Kavalleriebrigade unter
Führung ihrer Offiziere vom 10. bis 14. Juni verübte Abschlachtung
von 20 bis 25000 Deportierten, fast nur Frauen und Kinder, in der
Kemachschlucht, 12 Stunden von der Garnisonstadt Ersindjan, dem Sitz
des Kommandos des 3. Armeekorps.

Der Botschafter drahtet an den Konsul (21. Juni):

„Ich bitte dem Wali eindringlich vorzustellen, daß solche schmachvollen
Vorfälle das Ansehen der Regierung im neutralen Auslande und bei den
Freunden der Türkei schädigen und die Autorität der Behörden im Inland
untergraben... Pflicht der Ortsbehörden ist es, solche Vorkommnisse mit
allen Mitteln zu verhindern, wenn sie nicht eine schwere Verantwortung
auf sich laden wollen.“

In gleichem Sinne erhebt der Botschafter Vorstellungen bei der Pforte.
Auch die Massenausweisungen in Cilicien hatte der Botschafter bei dem
Minister des Innern zur Sprache gebracht. Die ungewollte Folge dieses
Schrittes war die Enthebung des Walis Djelal Bey von Aleppo, des
einzigen Walis, der in seinem Wilajet sich den Maßregeln der Regierung
mit Erfolg widersetzt hatte. Auch die Vorstellungen der Konsuln blieben
wirkungslos oder hatten das entgegengesetzte Resultat.

Bis gegen Ende Juni konnte es immer noch den Anschein haben, als ob die
Maßregel sich auf die strategisch bedrohten Grenzgebiete (Cilicien,
Erzerum) beschränken würde. Ende Juni läßt die Regierung den Schleier
fallen. A tempo setzen in allen ostanatolischen Wilajets, auch in den
mittleren Provinzen (die Hunderte von Kilometern vom Kriegsschauplatz
abliegen), Massendeportationen ein, die ausnahmslos mit Konfiskation
aller Habe, Abschlachtungen der männlichen Bevölkerung und Raub von
jungen Frauen und Töchtern verbunden sind. Jetzt bestand kein Zweifel
mehr, daß es sich nicht um militärische Maßnahmen zur Sicherung des
Reiches, sondern um eine planmäßige Vernichtung des armenischen Volkes
handelte. Es folgen Schlag auf Schlag:

    14. Juni bis 15. Juli Deportation der Armenier von Erzerum.

    24. Juni Deportation der Armenier von Schabin-Karahissar.

    25.  „        „       „     „      „  Siwas.

    26.  „        „       „     „      „  Mamuret ul Asis (Kharput).

    26.  „        „       „     „      „  Trapezunt.

    26.  „        „       „     „      „  Erzerum.

    27.  „        „       „     „      „  Samsun.

    1. Juli Massaker von Nisibin-Tell Ermen (Armenier u. Syrer).

    1.  „       „     „  Bitlis.

    10. „       „     „  Musch.

    15. „       „     „  Malatia.

    27. „   Deportation des Küstengebiets von Cilicien und Antiochia.

    28. „        „      von Aintab, Killis und Adiaman.

    30. „        „      von Suedije.

    12.-19. August Deportation von Westanatolien (Ismid, Baktschedschik,
                                     Brussa, Adabasar usw.).

    16.        „        „       „  Marasch.

    16.        „        „       „  Konia.

    19.        „   Massaker in Urfa.

Ich führe hier nur die Hauptplätze an mit den Daten, an denen sie von
den Konsuln gemeldet wurden. Die Verschickung betraf aber nicht nur
diese Plätze, sondern die gesamte armenische Stadt- und Landbevölkerung
in Ost- und Westanatolien, Cilicien und Mesopotamien (mit Ausnahme von
Konstantinopel, Smyrna und Aleppo), im ganzen 1400000 Armenier, Männer,
Frauen und Kinder.

Die Ausweisung wurde in der Regel nur wenige Tage oder Stunden vorher
angekündigt. Die Ausgewiesenen mußten alle ihre Habe, Häuser, Äcker,
Vieh, Hausgerät, Werkzeuge, zurücklassen. Die Deportation war zugleich
eine Gesamtkonfiskation des armenischen Volksvermögens. Wo erlaubt
wurde, Wagen oder Transporttiere mitzunehmen, wurden sie den Emigranten
von den begleitenden Gendarmen auf dem Wege wieder abgenommen.
Ebenso Geld, Schmucksachen und was sich sonst noch in ihren Händen
befand. Die Männer wurden von Frauen und Kindern getrennt, abseits
geführt und getötet. Die jüngeren Frauen und Mädchen, auch Kinder, in
türkische Harems und kurdische Dörfer verkauft oder verschleppt. Was
nach monatelangen Wanderungen am Verschickungsziel, den Rändern der
arabischen Wüste, ankam, waren Haufen von zerlumpten, ausgehungerten,
bettelarmen Menschen, meist nur Greise, ältere Frauen und Kinder.

Am 31. August erklärt Talaat Pascha dem stellvertretenden deutschen
Botschafter ~Fürst Hohenlohe-Langenburg~[11] -- wenn auch in
anderem Sinne -- „La question armenienne n’existe plus.“


4. ~Die Schritte der Botschafter bei der Pforte.~

Was haben die deutschen Botschafter zur Abwehr des Unheils und zur
Eindämmung seiner verhängnisvollen Folgen getan?

Durch die Ankündigung von Verschickungen „nicht ganz einwandfreier
Familien“ aus den „insurgierten Zentren“ war die Deutsche Botschaft
über den Charakter und die Tragweite des Komiteebeschlusses getäuscht
worden. Es handelte sich nicht um „Familien“, sondern um das ganze
armenische Volk; nicht um „insurgierte Zentren“, sondern um ganz
Anatolien und Mesopotamien. Bis in die innersten Provinzen hinein wurde
jede Stadt und jedes Dorf, in dem Armenier wohnten, für „insurgiert“
erklärt, obwohl es im ganzen Deportationsgebiet, seit Wan in russischen
Händen war, überhaupt keine „Insurrection“ gab. Aber, nach dem
provisorischen Gesetz vom 27. Mai genügte ja „Verdacht“ als Grund, um
der Verschickung zu verfallen.

Aus den Konsularberichten ergab sich, daß die Verbannung der Armenier
keineswegs nur durch militärische Notwendigkeiten motiviert war. Der
armenische Patriarch äußerte sich auf der Botschaft dahin, „daß die
Maßregeln der Pforte nicht nur die zeitweilige Unschädlichmachung
der armenischen Bevölkerung, sondern ihre Ausrottung bezwecke“. Ja,
dem Minister des Innern Talaat Bey entfiel einem Botschaftsmitgliede
gegenüber die Äußerung, „daß die Pforte den Weltkrieg dazu benutzen
wolle, um mit ihren inneren Feinden“ -- den einheimischen Christen --
„gründlich aufzuräumen, ohne dabei durch die diplomatische Intervention
des Auslandes gestört zu werden“.

Die weit verbreitete Meinung, daß die deutsche Regierung auf die
innere Politik der Türkei einen nennenswerten Einfluß hatte, wurde
von Talaat Bey nicht geteilt. Er wußte sehr wohl, daß Deutschland
bis zum Eintritt Bulgariens in den Krieg (5. Oktober 1915) keinerlei
Machtmittel in der Türkei besaß, um seinen Wünschen Nachdruck zu
verleihen. Bis es soweit kam, hoffte die Pforte die „Armenische Frage“
erledigt zu haben. Die Zahl der deutschen Offiziere und Mannschaften,
die sich im Monat April in der Türkei befanden, war eine äußerst
geringe, von Militärhandwerkern abgesehen, 75 Offiziere und 150 Mann.
Solange die Verbindung zwischen den Mittelmächten und der Türkei
durch die Neutralität von Bulgarien gesperrt war, konnte von einer
Verstärkung der deutschen Truppen in der Türkei und einem Schutz der
christlichen Glaubensgenossen überhaupt nicht die Rede sein. Erst seit
Oktober 1915 sind größere deutsche Mannschaftsbestände und auch dann
hauptsächlich zum Schutz der Dardanellen in die Türkei gekommen. Im
Innern von Anatolien gab es, von einzelnen Offizieren abgesehen, die
den türkischen Oberkommandos zugeteilt waren, überhaupt keine deutschen
Truppen. Bis zum Eintritt Bulgariens in den Krieg war der Einfluß
Deutschlands auf die türkische Regierung auch noch aus einem anderen
Grunde sehr prekärer Natur. Die Pforte sah sich in ihren Erwartungen
deutschen Beistandes getäuscht und mußte monatelang den Albdruck der
Dardanellenstürme allein aushalten, ohne daß auch nur in kritischen
Situationen in genügendem Maße Munition herbeigeschafft werden konnte.
So fühlte sich die Pforte Deutschland keineswegs verpflichtet und ließ
bei jeder Gelegenheit die Zentralmächte fühlen, daß sie die größten
Opfer für die Bundesgenossen bringe, ohne Gegenleistungen zu empfangen,
und daß sie es sich daher verbitten müsse, wenn man in ihre inneren
Angelegenheiten hineinreden wolle.

Im Juni hatte sich der deutsche Botschafter ~Freiherr von
Wangenheim~ darauf beschränkt, der Pforte die Meldungen aus
dem Innern zur Kenntnis zu bringen und die deutschen Konsulate zu
beauftragen, daß sie bei den Provinzialregierungen und Oberkommandos
eindringliche Vorstellungen erheben sollten, um schmachvolle Dinge
abzustellen. Als sich Ende Juni und Anfang Juli die Meldungen über
Massendeportationen aus den Wilajets häuften, und es ersichtlich
geworden war, daß es sich keineswegs um lokal begrenzte Aussiedelungen
aus militärischen Gründen, sondern um Vernichtungsmaßregeln handelte,
überreichte der Botschafter dem Großwesir Said Halim Pascha

~das Memorandum vom 4. Juli.~

Abschriften gingen den Ministern des Äußern und des Innern zu. Ein
Bericht vom 7. Juli an den Reichskanzler begründete den Schritt.

Im Memorandum erneuert der Botschafter seine Zustimmung zu Maßnahmen in
den ostanatolischen Provinzen, „die durch militärische Gründe diktiert
sind und ein Mittel legitimer Verteidigung bilden“, und fährt dann fort:

„Andererseits kann die deutsche Regierung die Gefahr nicht
verhehlen, die durch diese rigorosen Maßregeln und besonders durch
Massenverschickungen, die unterschiedslos Schuldige und Unschuldige
treffen, geschaffen werden, noch dazu, wenn diese Maßnahmen von
Gewaltakten, wie Massakres und Plünderungen, begleitet sind.
Unglücklicherweise sind die Lokalbehörden nach den der Botschaft
zugegangenen Informationen nicht imstande gewesen, Vorgänge dieser
Art zu verhindern, die in jeder Beziehung bedauernswert sind. Die
feindlichen Mächte werden davon Nutzen ziehen, um die Agitation unter
den Armeniern zu nähren, und die Nachrichten, die man im Ausland
verbreiten wird, werden nicht ermangeln, eine lebhafte Erregung in
den neutralen Ländern hervorzurufen, vor allem in den Vereinigten
Staaten, deren Vertreter seit einiger Zeit begonnen haben, sich für das
Schicksal der Armenier in der Türkei zu interessieren.“

Sodann wird die Pforte auf die Folgen aufmerksam gemacht, die sich aus
ihrem Verhalten zu ihrem eigenen Schaden ergeben müssen:

„Es ist vorauszusehen, daß mit dem Friedensschluß die Armenische Frage
von neuem den fremden Mächten zum Vorwand dienen wird, um sich in die
inneren Angelegenheiten der Türkei zu mischen. Die Botschaft hält es
für dringlich, den Provinzialbehörden peremptorische Befehle zugehen zu
lassen, daß sie wirksame Maßnahmen treffen, um Leben und Eigentum der
verschickten Armenier sicher zu stellen, sowohl auf dem Transport als
auch in den neuen Wohnsitzen.“

Eine Antwort auf dies Memorandum vom 4. Juli erhielt die Botschaft erst
-- am 22. Dezember.

In der Folgezeit fuhr die Botschaft fort, alle Vorgänge im Innern, die
zu ihrer Kenntnis kamen, bei der Pforte zur Sprache zu bringen, und
ließ in erneuten Vorstellungen keinen Zweifel über ihre Mißbilligung
der fortgesetzten Gewalttaten aufkommen. Die wachsende Beunruhigung
in den christlichen Kreisen Deutschlands, die Erregung der Neutralen,
die Anklagen der feindlichen Mächte, die vorauszusehenden Folgen für
den wirtschaftlichen Ruin der Türkei, die ungünstigen Bedingungen, die
sie sich für die Friedensverhandlungen schaffe, blieben das dauernde
Thema aller mündlichen und schriftlichen Einwirkungen auf Großwesir und
Minister. Doch alles war in den Wind geredet.

„Die Pforte“, schreibt Herr von Wangenheim am 16. Juli, kurz vor seiner
Abreise resigniert an den Reichskanzler, „fährt trotz der wiederholten
eindringlichen Vorstellungen, die wir dagegen erhoben haben, fort,
die Armenier zu deportieren und durch die Ansiedelung in unwirtlichen
Gegenden der Vernichtung preiszugeben. Wir können sie nicht daran
hindern und müssen ihr die Verantwortung für die wirtschaftlichen und
politischen Folgen dieser Maßregel überlassen.“

~Fürst Hohenlohe-Langenburg~, der zur Vertretung des Botschafters
nach Konstantinopel gesandt wurde, kommt in seinen sofort aufgenommenen
persönlichen Besprechungen mit den maßgebenden Männern zu demselben
negativen Ergebnis. Said Halim Pascha, Talaat Bey, Enver Pascha und
Halil Bey verschanzen sich bei allen ihren Äußerungen unentwegt hinter
den Rechten der Souveränität, die nach Aufhebung der Kapitulation
~keiner~ fremden Macht -- also auch Deutschland nicht --
gestatte, sich in die inneren Angelegenheiten des Osmanischen Reiches
einzumischen. Daneben nehmen sie zu Ableugnungen, Ausflüchten und vagen
Versprechungen ihre Zuflucht.

„Alle diesseitigen Vorstellungen“, so faßt Fürst Hohenlohe das Ergebnis
aller Bemühungen zusammen (2. August), „haben sich gegenüber dem
Entschluß der Regierung, die einheimischen Christen in den östlichen
Provinzen unschädlich zu machen, als unwirksam erwiesen.“

Um einen verstärkten Druck auf die Pforte auszuüben, überreicht er der
Pforte

~das Memorandum vom 9. August.~

Er schreibt darüber an den Reichskanzler (12. August):

„Die systematische Niedermetzelung der aus ihren Wohnsitzen
vertriebenen armenischen Bevölkerung hatte in den letzten Wochen
einen derartigen Umfang angenommen, daß eine erneute eindringliche
Vorstellung unsererseits gegen dieses wüste Treiben, das die Regierung
nicht nur duldete, sondern offensichtlich förderte, geboten schien,
zumal da an verschiedenen Orten auch die Christen anderer Rassen und
Konfessionen nicht mehr verschont wurden.“

Zugleich bittet der Botschafter, zur Unterstützung seiner Schritte
auch den neuen türkischen Botschafter in Berlin auf die Folgen der
Armenierpolitik seiner Regierung und auf den deutschen Standpunkt in
dieser Sache aufmerksam zu machen.

Das Memorandum von 9. August erinnert zunächst an die (von der Pforte
unerwiderte) Denkschrift vom 4. Juli und fährt dann fort:

„Die Deutsche Botschaft bedauert, feststellen zu müssen, daß nach den
Mitteilungen, die sie aus unparteiischen und glaubwürdigen Quellen
seitdem erhalten hat, derartige Vorfälle (Gewalttaten, Massakres,
Plünderungen) statt von den Lokalbehörden verhindert zu werden,
regelmäßig auf die Austreibung der Armenier gefolgt sind mit dem
Erfolge, daß die Mehrzahl derselben umgekommen ist, noch ehe sie
das Ziel ihrer Bestimmung erreicht hatte. Hauptsächlich sind es die
Provinzen Trapezunt, Diarbekr und Erzerum, von wo diese Tatsachen
gemeldet wurden; an gewissen Plätzen, wie in Mardin, haben alle
Christen ohne Unterschied der Rasse und Konfession dasselbe Schicksal
erlitten.

„Zugleich hat die Kaiserlich Ottomanische Regierung geglaubt, die
Maßregel der Verschickung auf die anderen Provinzen von Kleinasien
ausdehnen zu müssen, und ganz zuletzt sind die armenischen Dörfer
der Distrikte von Ismid in der Nähe der Hauptstadt unter ähnlichen
Bedingungen von ihren Bewohnern ausgeräumt worden.

„Angesichts dieser Vorgänge ist die Deutsche Botschaft im Auftrage
ihrer Regierung verpflichtet, noch einmal gegen diese Schreckensakte
Verwahrung einzulegen und die Verantwortlichkeit aller Folgen, die
daraus hervorgehen können, abzulehnen. Sie sieht sich um so mehr
genötigt, die Aufmerksamkeit der Ottomanischen Regierung auf diesen
Punkt hinzulenken, als die öffentliche Meinung schon zu dem Glauben
gelangt ist, daß Deutschland in seiner Eigenschaft als befreundete
und verbündete Macht der Türkei diese Gewalttaten gebilligt oder gar
inspiriert hätte.“

Auch auf dies zweite Memorandum blieb die Pforte die Antwort schuldig.

Die Botschaft fuhr trotzdem fort, weitere Vorstellungen zu
erheben. So verwandte sie sich wiederholt für die katholischen und
protestantischen Armenier, denen die Pforte mit Rücksicht auf den Papst
und die dringenden Vorstellungen des amerikanischen Botschafters die
Vergünstigung des Verbleibens in ihren Wohnsitzen zugesagt, aber später
wieder zurückgezogen hatte. Auch diese Schritte blieben erfolglos.
Ebenso wurden Ausnahmen für Beamte der Ottomanbank, der Tabakregie,
alleinstehende Frauen und Kinder, Schwangere, Kranke, Blinde, Familien
der Heeresangehörigen und einzelne Personen trotz der Verwendung der
Botschaft wieder rückgängig gemacht.

Erst am 2. September scheinen die unermüdlichen Schritte des
Botschafters auf Talaat Bey Eindruck zu machen. Er überreicht eine
Reihe telegraphischer Befehle an die Provinzialbehörden, um durch sie
den Beweis zu liefern, daß die Zentralregierung ernstlich bemüht sei,
den Ausschreitungen ein Ende zu machen und für die Verpflegung der
Ausgewiesenen Sorge zu tragen. Die Botschaft unterrichtet die Konsuln
von den Befehlen der Regierung.

Es dauert nur eine Woche, so laufen von den Konsulaten im
Verschickungsgebiet aus Mossul (9. 9.), Aleppo (9. und 12. 9.), Adana
(10. und 13. 9.) Berichte ein: die Befehle der Pforte an die Wilajets
blieben wirkungslos, die Verschickungen dauerten fort, die Zahl der
Hungerleidenden wüchse, die Maßregeln, selbst gegen Witwen, Waisen,
Kranke, Blinde und Soldatenfamilien würden verschärft. Der von der
Pforte zur Organisation der Deportiertenversorgung nach Cilicien
entsandte Inspektor Ali Munif Bey, statt die Maßregeln zu mildern,
hebe die noch bestehenden Vergünstigungen auf. „Die Behörden“,
schreibt Konsul Dr. Büge aus Adana, „handeln selbstredend nur nach
der zweiten Weisung und fahren mit der Ausweisung ohne Unterschied
des Bekenntnisses fort. Die von der Pforte der Kaiserlichen Botschaft
gemachte Mitteilung ist lediglich eine dreiste Täuschung.“

Das Spiel der Versprechungen hebt aufs neue an. Zusicherungen werden
gegeben, eingeschränkt, erneuert, wieder zurückgezogen, wieder
erneuert, wieder zurückgezogen, Versprechungen niemals eingehalten.
Eine Reihe fortgesetzter diplomatischer Schritte erfolgt wegen der
drohenden Verschickung der Armenier von Konstantinopel, die heimlich
bereits zu Tausenden abgeschoben waren, deren Gesamtverschickung durch
Registrierung von weiteren 70000 vorbereitet wird.

Der im Dezember eintreffende neue Botschafter ~Graf
Wolff-Metternich~ nimmt sogleich die Verhandlungen auf. Er bespricht
erst mit Enver Pascha, Halil Bey, Djemal Pascha, dann mit dem Großwesir
Said Halim Pascha „die Armeniergreuel“. Er weist darauf hin, „daß
Unruhe und Empörung, auch im befreundeten Ausland und in Deutschland,
weite Kreise ergriffen haben und der türkischen Regierung schließlich
alle Sympathien entziehen würden, wenn nicht Einhalt geschehe“.
Über den Erfolg seiner Schritte schreibt er am 9. Dezember an den
Reichskanzler:

„Ich möchte glauben, daß meine Vorstellungen doch nicht ganz vergeblich
gewesen sind... Djemal Pascha, der auch zu den Türken gehört, die sich
schämen, hatte bisher beim Komitee Widerstand bei der Durchführung
seiner Wünsche gefunden. Ganz neuerdings werden sie dagegen, wie mir
der Chef seines Stabes, Oberst von Kreß, mitteilt, gewährt. Er schreibt
dies meinem Einschreiten zu.“

Am 18. Dezember spricht der Botschafter mit Talaat Bey, der aus
Anatolien zurückgekehrt ist, und berichtet darüber.

Talaat Bey habe erklärt, „er habe umfassende Maßnahmen zur Ernährung
der abgeschobenen armenischen Familien getroffen. Vergehungen gegen
Eigentum und Leben der Armenier würden streng bestraft. Es seien
kürzlich noch über 20 Personen, die sich dieser Vergehungen schuldig
gemacht hätten, hingerichtet worden... Augenblicklich fänden nirgends
mehr Abtransporte statt und die Regierung suche die im Gefolge der
Verschiebungen entstandenen Übelstände zu mildern... Die katholischen
und protestantischen Armenier könnten, soweit dies möglich sei, in ihre
Heimat zurückkehren“.

„Im Laufe der Unterhaltung“, berichtet der Botschafter an den
Reichskanzler, „ergab sich die merkwürdige Auffassung bei Talaat
Bey, die ich auch schon bei seinen Kollegen gefunden habe, daß wir
in ähnlichem Falle ebenso gehandelt hätten und eine revolutionäre
Bewegung in Deutschland mit Gewalt ausrotten würden. Ich fand immer
wieder Verständnislosigkeit für den Gesichtspunkt, daß, um Schuldige
zu treffen, nicht Unschuldige leiden, und daß nur bewiesene Vergehen
bestraft werden dürften. Ich habe dem Minister auseinandergesetzt,
daß wir niemals ähnlich handeln und nur den einer Schuld Überführten
bestrafen würden.

„Von verschiedenen Seiten wird mir mitgeteilt, daß meine ernsten
Ermahnungen auf die türkischen Machthaber doch Eindruck gemacht zu
haben scheinen.“

Erst am 22. Dezember bequemte sich die Pforte dazu, auf die Noten der
Deutschen Botschaft vom 5. Juli, 9. August, 13. September und 16.
November eine Antwort zu erteilen.

~Note der Pforte vom 22. Dezember.~

In dieser „erstmaligen schriftlichen Äußerung der Pforte auf die
deutschen Noten bezüglich der armenischen Angelegenheiten“ versteift
sie sich auf denselben Grundsatz, den sie bei allen mündlichen
Besprechungen betont hatte: daß keine „fremde“ Macht, auch der deutsche
Bundesgenosse nicht, sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei zu
mischen habe.

„An erster Stelle ist zu bemerken“, führt die Note aus, „daß die
Maßregeln, die hinsichtlich der armenischen Bevölkerung des Reiches
getroffen wurden, in die Domäne von Akten der inneren Verwaltung
des Landes gehören; sie können daher nur in dem Falle Gegenstand
diplomatischer Schritte sein, wenn sie unvermeidlich fremde Interessen,
die dabei engagiert sind, berühren. In der Tat, es ist unbestreitbar,
daß jedes Staatswesen das Recht hat, Maßregeln zu ergreifen, die
geeignet sind, eine Umsturzbewegung, die auf ihrem Gebiete propagiert
wird, einzudämmen, besonders wenn diese Bewegung in die Kriegszeit
fällt.“

Mit dieser grundsätzlichen Erklärung und der weiteren Behauptung, daß
alle fraglichen Maßnahmen durch „militärische Gründe diktiert seien und
ein legitimes Mittel der Verteidigung bilden“, wird die Einmischung der
Botschaft in die Armenische Frage ohne irgendwelche Zugeständnisse als
unberechtigt abgewiesen.

Der brüske Ton, an dem Maßstab sonstiger türkischer Höflichkeit
gemessen, ist bemerkenswert.


III. Das Schicksal der Deportierten.

Die Versicherung Talaat Beys, daß „augenblicklich nirgends mehr
Abtransporte stattfänden“, war allzu wörtlich gemeint. Nicht
Deportation -- denn es war fast nichts mehr zu deportieren -- sondern
systematische Vernichtung der Deportierten durch Aushungerung unter
Nachhilfe von gelegentlichen Massakers sollte jetzt das angefangene
Werk vollenden[12].

Was war inzwischen geschehen?

Nach der ursprünglichen Ankündigung sollte Mesopotamien das
Verschickungsziel und Neuansiedelungsgebiet der Deportierten sein.
Seit dem Herbst hatte man aber angefangen, die armenische Bevölkerung
auch der mesopotamischen Städte auszuräumen. Am 2. September waren
die Christen von Djesire (4750 Armenier, 250 katholische Chaldäer und
100 syrische Jakobiten) massakriert worden. Am 16. Oktober wurde die
armenische Bevölkerung von Urfa (20000 Seelen) teils massakriert, teils
deportiert. Am 18. Oktober hatte das Konsulat aus Aleppo berichtet:
„Nach Angabe des Direktors der politischen Angelegenheiten des Wilajets
sind bei Radju und Katma 40000 konzentriert. Weitere Scharen aus West-,
Mittel- und Nord-Anatolien sind im Anzuge. Zur „Ansiedelung“ nach
Süden (westlicher Hauran, Rakka, Der es Zor) weitergesandt 300000.
Diese werden nach genanntem Beamten am Ziel notgedrungen sich selber
überlassen und werden alle sterben.... Jedenfalls fehlt zur Ansiedelung
alles und jedes, für Konzentrationslager werden weder Zelte noch
ausreichendes Mehl, noch Brennmaterialien geliefert. Verschickten
Bauern sind von der Behörde selbst Hacken und Spaten abgenommen.
Allgemeine Überzeugung ist, daß sämtliche Verschickte dem Tode
verfallen.“

Wie aus den mesopotamischen Städten, wurde zuletzt auch aus Nordsyrien
alles, was an Armeniern noch übrig war, abtransportiert oder
abgeschlachtet. Anfang Januar wurden 5-6000 Armenier aus Aintab in die
Wüste geschickt, Mitte Februar alle Kinder von Killis deportiert. Am
6. April wurden in dem Konzentrationslager von Ras ul Ain von 14000
Deportierten 12000 abgeschlachtet; der Rest von 2000 später ebenfalls
beseitigt. Am 16. April wurden die in Maarra und den umliegenden
Dörfern „angesiedelten Armenier“ in die arabische Wüste geschickt; am
19. April folgten ihnen aus Marasch 9000 Armenier (der Rest von 24000)
nach Der es Zor. Das Hungersterben in den Konzentrationslagern sorgte
dafür, daß immer wieder Platz wurde[13].

Gleichwohl hatten sich die Machthaber in Konstantinopel in ihren
Besprechungen mit dem Botschafter im Dezember 1915 den Anschein
gegeben, als ob sie den Willen hätten, der Vernichtungsmaßregel Einhalt
zu tun. Da in der Tat noch immer einige Hunderttausend am Leben waren,
war man gerade um diese Zeit auf ein anderes Mittel verfallen, um das
zäh verfolgte Ziel der Eintürkung der christlichen Nationen bei den
überlebenden Resten auch auf unblutigem Wege zu erreichen.


1. ~Zwangsbekehrung zum Islam.~

Schon in den Anfängen der allgemeinen Deportation hatte man hie und
da vereinzelt, im Wilajet Trapezunt sogar in größerem Umfange, das
Mittel der Zwangskonversion angewendet, das weniger grausam, aber
für den gewollten Zweck ebenso probat erschien: „Armenier, die zum
Islam übertreten, werden nicht ausgewiesen,“ wurde beim Beginn der
Deportationen von Gendarmen und hohen Regierungsbeamten an vielen
Orten verkündet. In Trapezunt, Samsun, Unieh traten unter dem Druck
der Behörden viele Hunderte von Familien zum Islam über und blieben
verschont. Aus Samsun berichtet der deutsche Vizekonsul Kuckhoff am
4. Juli 1915: „Die Regierung entsandte fanatische strenggläubige
muhammedanische Männer und Frauen in alle armenischen Häuser behufs
Propaganda für den Übertritt zum Islam, selbstverständlich unter
Androhung der schwersten Folgen für diejenigen, die ihrem Glauben
treu bleiben.“ Die Zehntausende von jungen Frauen und Mädchen, die
auf der Wanderung quer durch Anatolien in Städten und Dörfern in
türkische und kurdische Harems verkauft oder verschleppt wurden, die
Tausende von ihren Eltern abgenommenen armenischen Kinder, die in
sogenannten Regierungswaisenhäusern gesammelt wurden, um später mit
muhammedanischen Kindern zusammen auferzogen zu werden -- ein Konsul
erinnert an die Janitscharen --, waren eine sichere Beute des Islams.
Doch alle diese Maßregeln waren bisher nicht allgemein, sondern nur
nach Willkür einzelner Provinzial- und Lokalbehörden ausgeführt worden.
Jetzt kam Methode in die Sache.

Um dieselbe Zeit, als der Großwesir und das Triumvirat, Enver Talaat
und Djemal dem deutschen Botschafter beruhigende Versicherungen
gaben (9./18. 12. 1915), als Halil Bey bestritt, „daß zwangsweise
Bekehrungen zum Islam in nennenswertem Umfang versucht worden seien“
(20. 12. 1915), war bereits „eine vertrauliche Verfügung der Kaiserlich
Ottomanischen Regierung“ erlassen worden, „nach der die türkischen
Lokalbehörden im Innern des Landes angewiesen wurden, den Überrest des
armenischen Volkes dahin zu bringen, einen Revers zu unterzeichnen, in
dem um die besondere Gnade gebeten wird, zur heiligen Religion des
Islams übertreten zu dürfen“. Sich Weigernde sollten abtransportiert
werden. Zur gleichen Zeit wurde dieser Erlaß durch einen Befehl
des Kriegsministeriums ergänzt, „daß sämtliche Armenier, die im
Heeresdienst verwendet werden, Muhammedaner werden sollen; schon
jetzt sollen sie muhammedanische Namen erhalten, die eigentlichen
Formalitäten des Übertritts (Beschneidung) werden mit Rücksicht auf den
Kriegszustand für später vorbehalten.“ Auch in der Hauptstadt wurde auf
die Armenier eingewirkt, damit sie zum Islam übertreten.

Zwangsbekehrungen zum Islam sind von jetzt ab eine ständige Rubrik in
den Konsularberichten. In Urfa muß der verbleibende Rest von Armeniern,
darunter auch der armenische Arzt, der Apothekergehilfe und das
gesamte männliche Personal des deutschen Missionshospitals zum Islam
übertreten. Auch die in Urfa gesammelten armenischen Waisenkinder,
die dort von den Deportiertenkarawanen hängen geblieben waren, und
mit deutschem und Schweizer Geld unterhalten wurden (zeitweise 2500),
werden durch die Regierung dem Islam zugeführt (Januar 1916). In Adana
erklärt der Direktor des Regierungswaisenhauses den christlichen
Kindern, daß sie entweder zum Islam übertreten oder das Haus verlassen
müßten; in einem osmanischen Waisenhause sei für die christliche
Religion kein Platz. Die in Konia konzentrierten Armenier werden
auf türkische Dörfer verteilt und zur Annahme des Islams genötigt
(28. Januar 1916). In Cäsarea läßt der Mutessarrif bekannt machen,
„wer zum Islam übertrete, werde verschont; wer nicht, nach Siwas (d.
h. in den Tod) geschickt“ (31. Januar 1916). In Aleppo werden Ende
Februar die armenischen Arbeiterbataillone genötigt, ihren Glauben zu
wechseln. Die Polizisten erklären den Armeniern der Stadt, „einzige
Rettung vor Verschickung sei Übertritt zum Islam“ (23. März). Die
im Ostjordanland angesiedelten Armenier (15000 in Hauran, 3-4000
in Kerak) werden zum Islam bekehrt (Juni 1916). In Siwas werden
„alle noch dagebliebenen, zu Wegebauten und zum Pionierregiment
gehörenden Armenier, ferner die Gewerbeschule und auch alle Griechen
in der armenischen Kirche eingesperrt. Die Griechen und zum Islam
übergetretenen Armenier werden nach einer heftigen Bastonnade wieder
freigelassen.“ Den anderen Armeniern wird durch die Behörden angeraten,
zum Islam überzutreten. „Weigern sie sich, so werden sie verschickt“
(27. Juni). In Karahissar Scharki ist der Rest der Armenier zum Islam
übergetreten. In Siwas werden am Tage des Nationalfestes (24. Juli)
alle armenischen Militärärzte jeden Grades unter Drohung gezwungen,
zum Islam überzutreten. Ein Sanitätshauptmann, der sich weigerte,
wird eingesperrt. In Hama werden in den ersten Wochen des August
die Verschickten in Massen durch die Drohung weiterer Verschickung
zum Islam gepreßt. Die Sache geht ganz bureaukratisch vor sich:
Eingabe, Genehmigung, Namensveränderung, Beschneidung. Die in Urfa
angesammelten versprengten Deportierten werden vom Mutessarif unter
Drohungen gezwungen, Muhammedaner zu werden (April 1917). Die in
Angora verbliebenen katholischen Armenier werden gedrängt, den Islam
anzunehmen (Juni 1917). So geht es weiter.

„Vom Schwarzen Meer bis nach Syrien ist der Christenname ausgelöscht,
die Kirchen geschlossen, die Schulen entleert, die Priester und
Prediger getötet oder verschickt. Von wenigen Levantestädten abgesehen,
ist ganz Anatolien islamisiert. Die christlichen Namen sind in den
Registern ausgelöscht und durch muhammedanische ersetzt.“


2. ~Schritte der Botschaft.~

Am 12. November 1915 hatte der Reichskanzler von Bethmann Hollweg
in Beantwortung einer Eingabe von 50 namhaften Vertretern der
evangelischen Kirche vom 15. Oktober und einer entsprechenden des
Missionsausschusses des Zentralkomitees für die Generalversammlungen
der Katholiken Deutschlands vom 29. Oktober die gleichlautende Antwort
erteilt:

„Die Kaiserliche Regierung wird, wie bisher so auch in Zukunft, es
stets als eine ihrer vornehmsten Pflichten ansehen, ihren Einfluß dahin
geltend zu machen, daß christliche Völker nicht ihres Glaubens wegen
verfolgt werden. Die deutschen Christen können darauf vertrauen, daß
ich von diesem Grundsatz geleitet, alles, was in meiner Macht steht,
tun werde, um den mir von ihnen vorgetragenen Sorgen und Wünschen
Rechnung zu tragen.“

Als sich im Januar 1916 die Meldungen der Konsulate über
Zwangsbekehrungen häuften, erhob der Botschafter, Graf Metternich,
Vorstellungen bei Halil Bey, dem Minister des Äußern. Halil Bey
bestritt wiederum auf das entschiedenste, daß zwangsweise Bekehrungen
der Armenier zum Islam in nennenswertem Umfange versucht worden seien.
Bei den vorgekommenen Fällen von Übergriffen unterer Beamter seien die
betreffenden bestraft worden.

„Die Versicherungen des Ministers“, berichtet der Botschafter am
24. Januar an den Reichskanzler, „stehen im Widerspruch mit den
übereinstimmenden Berichten, die der Kaiserlichen Botschaft wiederholt
über diese Frage aus verschiedenen Lokalitäten und aus von einander
unabhängigen Quellen zugegangen sind.“

Der Botschafter erneuert seine Vorstellungen bei der Pforte und
berichtet am 11. Mai 1916:

„Sowohl Halil Bey als Talaat Bey versicherten mir wiederholt, daß
ihnen jedes Vorgehen gegen die christlichen Elemente der armenischen
Bevölkerung fern liege, etwaige Ausschreitungen der Unterbehörden
würden aufs strengste geahndet werden.“

Im Anfang des Monats März und Anfang April liefen wiederum Meldungen
ein, wonach besonders in Aintab, Cäsarea, Aleppo und Adrianopel mit
Hilfe der türkischen Behörden Bekehrungen der zurückgebliebenen
christlichen Armenier zum Islam stattfänden. „Ich habe diese Vorgänge“,
schreibt der Botschafter, „zur Kenntnis der Pforte gebracht und
energisch um Abstellung ersucht. Halil versicherte mir erneut, daß der
Zentralregierung in Konstantinopel von diesen Vorgängen nichts bekannt
sei. Nach Rücksprache mit seinem Kollegen, Talaat Bey, erklärte er,
es seien neuerdings strengste Weisungen an die Provinzialbehörden
ergangen, alle Versuche, die christliche armenische Bevölkerung zum
Islam zu bekehren, zu unterlassen“. (11. Mai 1916.)

Am 8. Juli muß der Botschafter konstatieren, daß trotz „der offiziellen
Dementis und trotz angeblicher Gegenbefehle die Islamisierung der
Armenier durchgeführt wird. Unsere Gegenvorstellungen sind nutzlos“.

Am 10. Juli 1916 berichtet Graf Metternich an den Reichskanzler, unter
Namhaftmachung vieler Fälle:

„Trotz aller offiziellen Ableugnungen spielt in dieser letzten Phase
der Armenierverfolgungen die Islamisierung eine große Rolle.“

So geht es weiter. Da alle mündlichen Vorstellungen wirkungslos
geblieben sind, überreicht die Botschaft der Pforte

    ~das Memorandum vom 4. Januar 1917~,

um gegen die Gesetzwidrigkeit der Zwangsbekehrungen Einspruch zu
erheben.


3. ~Die Vernichtung der Deportierten.~

Die ersten fast gleichzeitigen Schläge der Gesamtdeportation in ganz
Anatolien fielen in die letzten Tage des Juni, den Juli und August
1915. Damals setzten sich die ungeheuren Menschenkarawanen, die
wie Viehherden unter der Glut der orientalischen Sonne von rohen
Gendarmen durch die baumlosen Gebirgstäler von Anatolien getrieben
wurden, vom Osten, Norden und Westen des Reiches in Bewegung. Die
Wanderzüge waren Monate unterwegs, schlecht oder gar nicht ernährt,
von angeworbenen Tschettäs und Kurdenbanden überfallen, getötet,
geschändet, mißhandelt, durch Hunger und Krankheit aufgerieben. Meist
nur der dritte Teil erreichte das Verschickungsziel, die Ränder der
arabischen Wüste, bei Mossul, Nisibin, Ras ul Ain, Rakka, Der es Zor,
Deraa, Hauran, Kerak. Auch am Ende des Todesweges ließ man ihnen keine
Ruhe, trieb sie wochenlang im Kreis herum, füllte und entleerte die
Konzentrationslager, ließ sie kaltblütig an Hunger und Seuchen sterben
oder massakrierte sie zu Tausenden. Die Leichenstraßen verpesteten die
Luft. Der Flecktyphus verseucht alle Etappenstraßen.

Da die Pforte für die Vorstellungen der Botschaft taub blieb, war den
deutschen Konsulaten in den Jahren 1916 bis 1918 nichts anderes übrig
geblieben, als die Notstandswerke der im Lande verbliebenen deutschen
und amerikanischen Missionen, wo es irgend hinter dem Rücken der
türkischen Behörden möglich war, zu fördern und zu schützen. Nach dem
Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Amerika und der Türkei
(20. April 1917) blieb die Last allein auf den Schultern der Missionare
und Schwestern deutscher Hilfsgesellschaften, die durch amerikanische,
schweizer, holländische, nordische und deutsche Hilfsgelder unterstützt
wurden.

Das Auswärtige Amt, die Botschaft und die Konsulate taten ihr
Möglichstes, um die gesammelten Gelder an ihren Bestimmungsort
zu leiten. Doch alles, was auf diese Weise geschehen konnte, war
jammervoll wenig. Die Deportierten in den Konzentrationslagern
starben wie die Fliegen, zu Tausenden und Zehntausenden. Am meisten
aber wurden die Notstandswerke dadurch erschwert, daß die türkischen
Behörden durch generelle Verbote alle Werke der Barmherzigkeit an
den Deportierten zu verhindern suchten. In den Städten ging es noch
an, da manche türkische Beamte trotz der Regierungsbefehle ein
Auge zudrückten. In Aleppo blieb ein deutsches Waisenhaus, das
hinter dem Konsulat gelegen war, verschont. Die übrigen Häuser mit
Hunderten von Waisenkindern, die von deutschen Schwestern gekleidet
und gefüttert wurden, standen unter türkischer Kontrolle und wurden
später wieder ausgeräumt. Die Kinder wurden auf rein muhammedanische
„Regierungswaisenhäuser“ nach Damaskus, Konia, Ismid und andere
Plätze im Innern verteilt, wo sie muhammedanische Namen empfingen
und im muhammedanischen Glauben auferzogen werden sollten. Es war
Methode in der Sache. Gesuche amerikanischer, schweizer und deutscher
Gesellschaften, Hilfsexpeditionen in die Notstandsgebiete senden zu
dürfen, wurden, trotz der Befürwortung durch die deutsche Botschaft,
rundweg abgelehnt. Auf einen Antrag der Deutschen Orientmission erhielt
die deutsche Botschaft von der Pforte die Antwort, „daß die türkische
Regierung keinerlei fremde Hilfsaktion für die Armenier zulassen könne,
da hierdurch die Armenier in ihren Hoffnungen auf das Ausland bestärkt
würden“ (28. April 1916). Eine Anfrage, die die Botschaft durch den
Konsul Loytved in Damaskus an Djemal Pascha, den Oberkommandierenden
der IV. Armee, richten ließ, welche Aussichten eine vom American Bible
House geplante größere Hilfsunternehmung für die notleidenden Armenier
in Damaskus hätte, wurde dahin beantwortet, „daß er persönlich das
Los der Armenier nach Möglichkeit erleichtern möchte, aber strenge
Anweisungen von Konstantinopel habe, jede deutsche und amerikanische
Beteiligung an einer Hilfsunternehmung für Armenier zu verhindern, da
der innere Widerstand der Armenier gegen die türkische Regierung nur
gebrochen werden könne, wenn ihnen beigebracht würde, daß sie keinerlei
Unterstützung von irgend einer fremden Regierung zu erwarten hätten“
(29. März 1916).

Auch das armenische Patriarchat wurde von den türkischen Behörden
verhindert, den notleidenden Verbannten zu Hilfe zu kommen, so daß das
Patriarchat genötigt war, sich zu diesem Zweck fremder Vermittlung zu
bedienen. „Es gewinnt den Anschein“, schreibt Graf Wolff-Metternich,
„als ob die Pforte jede Notstandshilfe, von welcher Seite sie auch
kommen möge, ablehnt.“

Ein Funkspruch vom Eiffelturm meldet unter dem 12. August 1916:

„Aus Washington erfährt man, daß die Türkei die Bitte der Vereinigten
Staaten von Amerika abgeschlagen hat, einem neutralen Komitee zu
erlauben, in Syrien, wo Tausende von Einwohnern Hunger leiden, Hilfe zu
schaffen.“

Ein von Djemal Pascha selbst in Damaskus in die Wege geleitetes
Hilfswerk, für das der ehemalige Wali von Saloniki und Aleppo, Hussein
Kjasim Bey, den besten Willen mitbrachte, hatte nach seinem eigenen
Zeugnis das folgende Schicksal:

„Seine Maßregeln werden nicht nur nicht ausgeführt, sondern die
Behörden handeln ihnen entgegen. Die Armenier, die er programmmäßig
von Deraa nach Damaskus schicke, werden von den hiesigen Stadtbehörden
wieder zurückgeschickt. Die Regierung stelle ihm viel zu wenig
Geldmittel zur Verfügung, um wirksam der großen Not der Armenier
entgegentreten zu können. Er sei ganz verzagt und glaube überhaupt
nicht mehr an den ernsten Willen der türkischen Regierung, den
ausgewiesenen Armeniern helfen zu wollen. Er fürchte sogar, daß
man sie systematisch ausrotten wolle. Er höre, daß die nach Aleppo
geleiteten Armenier wieder nach dem Osten, nach Mossul und Der es Zor
gebracht würden, wahrscheinlich um den Beduinen zum Opfer zu fallen.
Diese grausame Vernichtungspolitik sei eine Schmach für die Türkei und
würde nach dem Frieden der Türkei sehr schaden und auch Deutschland in
Verlegenheit bringen, weil es von der Welt beschuldigt würde, nicht
wirkungsvoller für die Armenier eingetreten zu sein.“

Die Konzentrationslager aufzusuchen und an Ort und Stelle den
Verhungernden Kleider, Brot oder Geld zu bringen, war nahezu unmöglich,
da die Regierung es mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Nur wenigen
Deutschen ist es gelungen, die gewagte Expedition auszuführen. Den
deutschen Schwestern war verboten, die Städte zu verlassen, obwohl sie
sich gern allen Gefahren ausgesetzt hätten. Die Deutschen wurden um
nichts besser als Neutrale behandelt. Unter den Verschickten und dem
Hungertode Ausgelieferten fanden sich zahlreiche in deutschen Schulen
und Waisenhäusern erzogene deutschsprechende Kinder. Das armenische
Lehr- und Hilfspersonal deutscher Anstalten und Schulen, armenische
Ärzte, Apotheker, Krankenschwestern deutscher Hospitäler wurden wahllos
deportiert, eingekerkert, erschossen, gehängt und zum mindesten
zwangsweise islamisiert. Den deutschen Waisenanstalten in Mamuret
ul Asis wurden vier ihrer mit Waisenkindern angefüllten Häuser für
Militärzwecke requiriert und nachher nicht einmal gebraucht. „Er war
ein Schlag gegen die deutsche Arbeit.“

Die deutsche Botschaft tat, was sie konnte, um den Wünschen,
die vom Papst, von evangelischen und katholischen Missions- und
Hilfsgesellschaften an sie gelangten, bei der Pforte Nachdruck zu
verleihen. Alles umsonst. Durch Sabotage der Barmherzigkeit sollte der
Prozeß, der durch Totschlag, Hungersterben und Seuche das armenische
Volk der Vernichtung zuführte, beschleunigt werden.


4. ~Das Großwesirat Talaat Paschas.~

Talaat Pascha, an Stelle Said Halim Paschas Großwesir geworden, stellte
sich am 15. Februar 1917 der Kammer vor und kündigte einen neuen Kurs
in der inneren Politik der Pforte an. Herr ~von Kühlmann~, der
inzwischen Graf Wolff-Metternich auf dem Botschafterposten ersetzt
hatte, berichtet darüber am 16. Februar an den Reichskanzler Herrn von
Bethmann Hollweg.

„Innerhalb der einflußreichen Kreise gewann eine gemäßigte Richtung an
Boden, die im Gegensatz zu dem rücksichtslosen, selbst vor blutiger
Gewaltsamkeit nicht zurückschreckenden Nationalismus gewisser
Komiteemitglieder eine verständige und tolerante innere Politik
für die Türkei verlangte... Die in großem Umfange durchgeführte
Armeniervernichtung und die in einzelnen kleineren Unternehmungen
zutage tretenden Neigungen, auch dem griechischen Element gegenüber
schonungslos vorzugehen, sind das Resultat dieser (nationalistischen)
Richtung gewesen. Als Gesamtergebnis hat die Ausrottungspolitik dem
türkischen Reiche schwer geschadet. Die Greuel des Armenierfeldzuges
werden noch lange auf dem türkischen Namen lasten und noch lange
denjenigen Waffen liefern, die der Türkei die Eigenschaft als
Kulturstaat absprechen und die Austreibung der Türken aus Europa
verlangen. Auch innerlich ist das Land durch den Untergang und die
Verbannung einer körperlich kräftigen, arbeitsamen und sparsamen
Bevölkerung ansehnlich geschwächt worden, besonders da Armut an
Menschen eines der größten Hindernisse bei der rascheren Entwicklung
der türkischen Bodenschätze bildet.“

„Im vertraulichen Gespräch habe ich Talaat Pascha gegenüber seit Beginn
meiner hiesigen amtlichen Tätigkeit mit meiner Meinung über diese Frage
nicht zurückgehalten. Daß er jetzt, zur Macht gelangt, in seiner ersten
programmatischen Erklärung die Gleichberechtigung der ottomanischen
Nationalitäten zum wichtigen Punkte des Regierungsprogrammes macht,
ist mit Genugtuung zu begrüßen. Wie ich vertraulich höre, ist mit
Einstellung der Armeniervertreibungen und mit Aufhören der an einzelnen
Stellen hervorgetretenen Verfolgung gegen die Griechen bestimmt zu
rechnen. Den Armeniern soll die Rückkehr in ihre alten Wohnplätze,
soweit diese nicht als Kriegsgebiet zu betrachten sind, gestattet
werden.“

Auch dem gregorianischen und katholisch-armenischen Patriarchen
versicherte Talaat Pascha, daß „die verfassungsmäßigen Rechte der
armenischen Bevölkerung nicht angetastet werden“ sollen. „Was die
vorige Regierung unter dem Zwange militärischer Notwendigkeit habe
veranlassen müssen, solle nach Möglichkeit wieder gut gemacht werden;
entsprechende Befehle seien an alle Provinzialbehörden ergangen.“

Der Optimismus des Botschafters rechtfertigte sich nicht. Die
Hoffnungen der Patriarchen wurden betrogen. Am 1. August 1916 war von
der Pforte ein Gesetz über das armenische Katholikat und Patriarchat
erlassen worden, durch welches die politischen und kirchlichen Rechte
des armenischen Millets (Nation) aufgehoben wurden.

Das Gesetz beseitigte 1. den „grand conseil de la nation“, den großen
Volksrat der Armenier, 2. das armenische Patriarchat von Konstantinopel
und die Katholikate von Sis und Aghtamar. Der „große Rat“ war
hauptsächlich aus angesehenen konservativen Armeniern der Hauptstadt
zusammengesetzt, eine Art politischer Vertretung der Nation, die dem
gregorianischen Patriarchen, als dem geistlich-nationalen Vertreter
des armenischen Millets, übergeordnet war. Die seit Jahrhunderten
bestehende Kirchenverfassung der gregorianisch-armenischen Kirche war
das letzte Band der Einheit der Nation gewesen. Ihr nationalkirchliches
Haupt war der Katholikos aller Armenier in Etschmiadsin. Durch das
Gesetz vom 1. August wurde das Band zwischen den Kirchenhäuptern der
Türkei und dem Haupt der gregorianischen Nationalkirche zerschnitten.
(Eine Maßregel etwa von derselben Bedeutung, als wenn die katholische
Kirche Deutschlands durch Staatsgesetz von Rom abgelöst würde.)
Dafür wurde das Patriarchat von Konstantinopel mit den beiden
Katholikaten von Sis (Cilicien) und Aghtamar (Insel im Wansee) zu
einer einzigen Würde vereinigt und aus der Hauptstadt nach Jerusalem
in das Kloster Mar Jakub exiliert. Das Gesetz stand im Widerspruch
zu dem Artikel 62 des Berliner Vertrages. Es war nichts anderes
als eine „capitis deminutio“ der armenischen Nationalkirche, der
ältesten der Christenheit. „Der Patriarch der Armenier“, schrieb
Graf Wolff-Metternich, „ist nicht mehr Oberhaupt des armenischen
Millets (Nation), sondern einer Djemaet, Kultusgemeinde, denn
mit diesem Ausdruck, der im Kanzleistil der Hohen Pforte von den
bescheidenen Gemeinden der protestantischen Armenier und karaitischen
Juden gebraucht wird (während Griechen, Juden und bisher auch die
Armenier ein Millet bildeten), werden jetzt auch diese letzteren in
dem neuen Gesetz bezeichnet. Als einfache Gemeindevorsteher sind der
Katholikos, Patriarch und die Bischöfe aller Befugnisse entkleidet
und, abgesehen von ihren kirchlichen Funktionen, auf die Verwaltung
der Gemeindeangelegenheiten beschränkt. Der Sitz des Oberhauptes
ist aus der Hauptstadt nach Jerusalem verlegt, er ist nicht mehr
das Exekutivorgan des Volksrates, sondern lediglich der Befehle
der Regierung; überdies darf er fortan nur mit dem Kultusamte als
vorgesetzter Behörde verkehren, während er früher Zutritt zu sämtlichen
Behörden und zum Sultan hatte. Endlich ist die Zahl der Bischöfe
dadurch erheblich verringert worden, daß solche in Zukunft nur für
Distrikte mit über 15000 Seelen bestellt werden dürfen. Nach der
Aussiedelung der armenischen Bevölkerung aus Kleinasien und Rumelien
dürften nur wenige Distrikte übrig geblieben sein, in denen die
armenische Bevölkerung diese Ziffer erreicht[14].“

In seinem Bericht an den Reichskanzler vom 23. August 1916 faßt Graf
Wolff-Metternich sein Urteil über die Bedeutung des Gesetzes zusammen:

„Das neue Gesetz vom 1. August des Jahres zieht das Fazit aus
den Maßregeln der Regierung, durch die die osmanischen Armenier
als lebensfähige Nation vernichtet werden sollen; auf die
Massenaussiedlungen mit der Niedermetzelung der Männer, Islamisierung
der Zurückgebliebenen und der Kinder ist die Vermögenskonfiskation, auf
diese nunmehr die Zertrümmerung der politischen Gemeinde gefolgt.“

Als Talaat Pascha dem Patriarchen versicherte, daß „die
verfassungsmäßigen Rechte der armenischen Bevölkerung nicht angetastet
werden sollte“, dachte er nicht im entferntesten daran, dies Gesetz,
das sein Vernichtungswerk krönte, wieder aufzuheben.

Auch seine übrigen Versprechungen blieben Worte. Die an alle
Provinzialbehörden ergangenen Befehle waren wirkungslos. Im Wilajet
Kharput wurden noch im März 1917 Reste von Armeniern abtransportiert,
300 Frauen und Kinder; die halbwüchsigen Jungen wurden gefesselt
und eingekerkert. Unaufhaltsam vollzog sich der Verwesungsprozeß
des erschlagenen Volkskörpers. Dem Sterben der Hunderttausende von
Frauen und Kindern sah die Regierung ebenso gleichgültig zu wie die
Lokalbehörden. Die Konzentrationslager am Rande der Wüste verwandelten
sich in Massengräber[15]; von Rückkehr der Armenier in ihre Wohnsitze
war nicht die Rede; an „Ansiedlung“ oder auch nur menschenwürdige
Unterbringung war nie gedacht worden; die Notstandshilfe deutscher und
neutraler Gesellschaften wurde systematisch lahmgelegt. Die in Aussicht
gestellte Amnestie ließ 2 Jahre auf sich warten, bis der Zusammenbruch
der Türkei der endlosen Qual der überlebenden Reste ein Ziel setzte.
Auch die Zwangsbekehrung arbeitete weiter. Von 660 Kindern, die
eine schweizerische Schwester im Dienst des deutschen Hilfsbundes
für Armenien in Aleppo in Pflege hatte, wurden 70 im Februar in ein
türkisches Waisenhaus des Libanon verschickt, 400, die aus fremden
Notstandsgeldern gekleidet und ernährt wurden, im März abbefördert,
und auf Regierungswaisenhäuser in Konia, Ismid, Balikesri und Adabazar
verteilt, wo sie mit muhammedanischen Kindern auferzogen und dem Islam
zugeführt werden sollten. Die übrigen entzogen sich der Zwangsbekehrung
durch Flucht. Auf die Frage der Schwester, warum die Regierung die
Kinder gerade aus ihren Häusern nehme, antwortet ihr der Wali naiv,
„daß ihre Kinder am besten genährt und am saubersten gekleidet seien.
Wenn er andere verwahrloste Kinder schicke, so würde die Regierung
fragen, was er mit den ihm überwiesenen Notstandsgeldern angefangen
habe“.


IV. Kaukasus.

Neue Aufgaben stellte die letzte Phase des Krieges, der
Kaukasusfeldzug. Als der Friede von Brest-Litowsk den türkischen
Truppen den Weg ins Araxestal öffnete, wies man im Reichstag auf
die neuen Gefahren hin, die nun auch die Kaukasus-Armenier und die
Hunderttausende von armenischen Flüchtlingen im Gebiet von Kars und
Eriwan mit dem Schicksal der türkischen Armenier bedrohten.

Noch vordem die türkischen Truppen die Kaukasusgrenze überschritten
und in die Distrikte von Kars, Ardahan und Batum einrückten, wandte
sich die Botschaft im Auftrage des Auswärtigen Amtes (am 8./10. Februar
1918) an die Pforte und an die militärischen Befehlshaber mit dem
dringenden Verlangen, daß einer Wiederholung der armenischen Greuel
auf kaukasischem Boden unter allen Umständen vorgebeugt werden müsse.
Halil Bey beteuerte (11. Februar), daß strengste Befehle erlassen
seien. Auf Talaat Pascha, der zurzeit in Berlin war, wurde in gleichem
Sinne eingewirkt. Zu gleicher Zeit wurde der Erlaß der versprochenen
Amnestie, Beschaffung von finanziellen Beihilfen zum Wiederaufbau
der zerstörten Dörfer und Rückführung der Deportierten dringend
angeraten (11. Februar, 2./3. März 1918). Die neu einsetzende türkische
Preßkampagne gegen die Armenier, die auf Enver Pascha zurückgeht, wird
gerügt. „Berichte der Milli Agence“, drahtet der Unterstaatssekretär
von dem Busche, „finden nach früheren Erfahrungen keinen Glauben mehr“
(17. März 1918).

Über den Erfolg dieser Schritte berichtet der neue Botschafter, ~Graf
Bernstorff~, am 17. März 1918: „Türkische Regierung scheint diesmal
wirklich redlich bestrebt, Ausschreitungen zu verhindern.“ In dem
gleichen Telegramm aber schildert er die gefährliche Stimmung, die
der mühelose Vormarsch der türkischen Truppen in den Kaukasus in der
Hauptstadt hervorgerufen hat:

„Abwesenheit Großwesirs ist lebhaft zu beklagen, da er allein
imstande ist, Zügel in die Hand zu nehmen und Kundgebungen über
armenische Politik zu erlassen. Alle sonstigen hiesigen maßgebenden
Kreise befinden sich augenblicklich geradezu in einem Taumel von
Siegesbewußtsein, Nationalismus und Panislamismus. Sie glauben, daß
alle Muhammedaner Asiens nur darauf warten, den Türken die Bruderhand
auszustrecken und eine Islamkonförderation zu gründen.... Der
türkische Ehrgeiz geht augenblicklich noch mehr nach Baku als nach
Batum. Vielleicht könnte Talaat Pascha veranlaßt werden, von Bukarest
aus durch energische Instruktionen in die Behandlung der Armenier
einzugreifen.“

Schon am 22. März kommen böse Nachrichten über türkische Massaker in
den neu besetzten Gebieten, die, je weiter die Türken in den Kaukasus
vorrücken, um so größeren Maßstab annehmen.

Enver Pascha, der am 24. April aus dem Kaukasus zurückkehrt, ist voller
Optimismus. „Alles stehe im Kaukasus großartig für die Türken. Sie
brauchten nur etwas weiter vorzurücken, dann werde Georgien Frieden
schließen.“ Der Botschafter verlangt vom Großwesir eine Garantie in
der Armenierfrage. Talaat Pascha erwidert, er autorisiere ihn, amtlich
auch zur Veröffentlichung mitzuteilen, „daß die Amnestie für friedliche
Armenier nebst Geldbewilligung und Erlaubnis zur Rückkehr in die Heimat
in Vorbereitung sei.“ Auf eine Rückfrage des Auswärtigen Amtes, „ob
sich die Rückkehrerlaubnis auch auf die nach Rußland geflüchteten,
oder nur auf die Deportierten beziehe“, erwidert Talaat Pascha: „Die
Amnestie solle nur für die ‚hiesigen‘ Armenier gelten. Die nicht im
Lande befindlichen (es handelt sich um ca. 250000) zurückzuholen, ‚sei
gefährlich‘.“

Der Vormarsch der türkischen Truppen in den Kaukasus drängt die
armenische Bevölkerung, die fluchtartig ihre Wohnsitze verläßt, in die
von Tataren eingekeilten Distrikte des Gouvernements Eriwan zusammen.
Mehr als eine halbe Million von Armeniern verlassen in der ersten
Hälfte des April ihre Dörfer und überlassen ihre Kornfelder, die zur
Ernte reifen, den türkischen Eindringlingen. Etwa 14000 Armenier im
Alter zwischen 17 und 60 Jahren aus den okkupierten Distrikten werden,
obwohl Enver Pascha durch eine Proklamation allen Zurückgebliebenen
Sicherheit, Besitz und Freiheit garantiert hat, abgeführt und zum
Arbeitsdienst gepreßt. Die Lage der armenischen Flüchtlinge, die nackt
und hungrig in Bergen und Wäldern hausen -- die Kinder werden zum
Grasessen auf die Weide getrieben --, verschlimmert sich von Woche zu
Woche, von Monat zu Monat. Auf Bitten der armenischen Regierung im
Kaukasus und ihres Delegierten Aharonian in Konstantinopel fordert
das Auswärtige Amt und die Botschaft von der türkischen Heeresleitung
die Rückkehrerlaubnis für die geflüchteten Armenier. Der türkische
Oberkommandierende Essad Pascha verweigert sie, ebenso ablehnend
antwortet Enver Pascha auf ein Telegramm der Obersten Heeresleitung. Am
9. Juni läßt Feldmarschall Hindenburg an Enver Pascha drahten:

„Im Namen der Obersten Heeresleitung ersuche ich Euer Exzellenz,
anzuordnen, daß alle türkischen Truppen aus dem kaukasischen Gebiet,
mit Ausnahme der Bezirke Kars, Ardahan und Batum, zurückgezogen werden.“

Enver Pascha kommt dem Ersuchen nicht nach und weigert sich in einem
langen Telegramm vom 3. August an Feldmarschall von Hindenburg, die
halbe Million von geflüchteten Armeniern in ihre widerrechtlich
besetzten heimatlichen Dörfer zurückkehren zu lassen.

Der deutsche Delegierte im Kaukasus, Freiherr von Kreß, drahtet am 4.
August, daß nur baldige Hilfe der Mittelmächte Armenien vom Untergang
retten könne. „Kleines jetziges Armenien kann nicht einmal seßhafte
Bevölkerung ernähren, geschweige denn die zurzeit dort befindlichen
3-500000 Flüchtlinge... Armenien wird von Türken ringsum hermetisch
abgeschlossen, diese verhindern jeglichen Handel und Verkehr,
veranlassen Abwanderung tatarischer und persischer Bevölkerung, so daß
armenische Regierung Angriff auf Eriwan befürchtet. Türken haben auch
hier Bedingungen Batumer Friedens nicht eingehalten, sondern halten
jenseits Batumer Grenze wichtige Gebiete besetzt... Zurzeit sind
produktionsfähige Gebiete fast sämtlich von Türken besetzt, welche
sie planmäßig ausrauben. Trotz Vertrags führen sie besonders große
Baumwollvorräte aus. Die Ernte zum Teil von Türken eingebracht, zum
Teil geht sie zugrunde. Armenier stellen, ebenso wie ich, bestimmt in
Abrede, daß es zwischen beiden Staaten zu Kämpfen kommt, wenn Türken
sich auf Batumer Grenze zurückziehen. Envers gegenteilige Behauptung
nur Vorwand, um für die völlige Zerstörung und Ausbeutung des
vertragswidrig besetzten Landes Zeit zu gewinnen.“

Auch Essad Pascha entzieht sich für das Batum-Gebiet der Forderung der
Rückführung. Er verlangt für jeden einzelnen Armenier ein schriftliches
Gesuch. „Nach Angabe des türkischen Vertreters in Tiflis befinden sich
bei Essad Pascha seit Wochen mehr als 12000 unerledigte Gesuche.“
Zugleich wird die Verbindung der armenischen Republik mit dem in Tiflis
residierenden Nationalrat von den Türken abgeschnitten.

Seine persönliche Auffassung dieser Obstruktionspolitik faßt Freiherr
von Kreß dahin zusammen, „daß nach all den zahlreichen Nachrichten und
Berichten, die er erhalten habe, wohl kaum ein Zweifel darüber bestehen
dürfte, daß die Türken systematisch darauf ausgehen, die wenigen
Hunderttausende von Armeniern, die sie bis jetzt noch am Leben gelassen
haben, durch systematische Aushungerung auszurotten.“

Durch verstärkten Druck des Auswärtigen Amtes und des Hauptquartiers
führen die Verhandlungen mit Talaat Pascha in Berlin Ende September
endlich zu dem Ergebnis, daß die Pforte ihren Widerstand gegen die
Brester Grenze aufgibt und die Räumung des vertragswidrig besetzten
Gebietes in Aussicht stellt.

Doch auch dieser diplomatische Rückzug hinkte den Ereignissen nach.
Die türkischen Okkupationstruppen hatten inzwischen das Gouvernement
Elisabethpol überflutet und waren auf das von der russischen
Sowjet-Regierung (mit der der Friede von Brest-Litowsk abgeschlossen
war) besetzte Baku marschiert. Am 15. September wurde Baku von den
Türken erobert. Das einzige, was Deutschland erreicht hatte, waren
diplomatische Sicherungen zugunsten der jungen Kaukasusrepubliken
Georgien und Armenien.

Schon im Mai 1918 hatte der Botschafter in Pera laut Instruktion aus
Berlin der Pforte die folgende Erklärung abgegeben:

„1. Die Kaiserliche Regierung wahrt sich gegenüber allen Geschehnissen
im Kaukasus freie Hand und behält sich namentlich ihre Stellung vor
zu solchen innerhalb oder außerhalb der Bezirke Ardan, Kars und Batum
getroffenen Maßnahmen, die nicht im Einklang mit dem Friedensvertrag
von Brest-Litowsk stehen.

2. Die Kaiserliche Regierung kann einen weiteren Vormarsch türkischer
Truppen im Kaukasus und eine türkische Propaganda außerhalb der
genannten drei Bezirke weder billigen noch unterstützen.

3. Die Kaiserliche Regierung erkennt die georgische Regierung als
de-facto-Regierung an...

4. Die Kaiserliche Regierung ersucht die Kaiserlich Osmanische
Regierung, die angemessene Behandlung der Armenier in den von der
Türkei besetzten Gebieten sicherzustellen...

5.... Ebensowenig könnten wir die Türkei decken, wenn gegen
die christliche Bevölkerung des Kaukasus von türkischer Seite
Ausschreitungen verübt würden.“

Trotz dieser Erklärungen hatte sich die Türkei über alle Bestimmungen
des Vertrages von Brest-Litowsk hinweggesetzt. Bei der Volksabstimmung
in den drei Distrikten Kars, Ardahan, Batum beschränkte sie sich
darauf, „die Willensäußerung ~nur der muhammedanischen~
Bevölkerung herbeizuführen“ und behandelte die drei Distrikte, deren
Schicksal dem Selbstbestimmungsrecht der überwiegend christlichen
Bevölkerung überlassen bleiben sollte, als rechtmäßig einverleibte
Gebiete. In Wahrheit ging sie auf die Eroberung des ganzen Kaukasus aus.

Die Schicksalstragödie des armenischen Volkes fand endlich in
der Katastrophe von Baku ihren schauerlichen Abschluß. Trotz der
Warnungen des deutschen Oberstleutnant Paraquin, der dem Generalstab
der türkischen Belagerungsarmee angehörte und rechtzeitige
Vorbeugungsmaßnahmen verlangte, läßt der Oberkommandierende, Nury
Pascha, ein jüngerer Bruder Enver Paschas, nach dem Fall der Stadt alle
Vorkehrungsmaßregeln außer acht und läßt der tatarischen Bevölkerung
Zeit, drei Tage lang die Stadt zu plündern und die christliche,
hauptsächlich armenische Bevölkerung, zu massakrieren. Während die
Schießereien und das Geschrei der unschuldigen Opfer des fanatischen
Tatarenhasses die Straßen durchhallen, hält Nury Pascha vor der Stadt
eine Parade ab und setzt sich mit seinen Offizieren im Hotel Metropol
zur Tafel. Bei dem Festmahl wird das Kaukasuslied gespielt und mit
unverhohlenem Triumph dem deutschen Offizier der Inhalt übersetzt, daß
nunmehr die Türkei sich ihr altes Eigentum, den Kaukasus, wiederholen
werde.

Trotz des energischen Einspruchs der deutschen Offiziere, des dänischen
und schwedischen Konsuls läßt Nury Pascha die Tataren wie die Wilden
hausen. Nicht einmal die fremden Bewohner der Stadt werden geschützt,
der Mord zweier Deutschen später einfach abgeleugnet. Es kommt zu einem
Auftritt bei dem Festmahl zwischen Oberstleutnant Paraquin und Nury
Pascha, mit dem Erfolg, daß der deutsche Offizier von Halil Pascha, dem
Chef der Ostarmee, -- seiner Stellung enthoben wird.

Am 15., 16. und 17. September wurden zwischen 20 und 30000 Armenier
in Baku hingeschlachtet. Vorhergingen die Massakers von Karakilissa,
Ardahan, Olti und Katharinenfeld, denen mindestens die gleiche Zahl zum
Opfer fiel. Es folgten Nuchi und Aresch.

Doch alles dies war nur das Nachspiel zu der Vernichtung des
armenischen Volkes in der Türkei.


V. Der Charakter der Ereignisse.


1. ~Die Deportation, eine administrative Maßregel.~

Die Frage der Verantwortlichkeit für die Gesamtdeportation und ihre
Folgen bedarf nach der Veröffentlichung der deutschen Dokumente keiner
Erörterung mehr. Die türkische Regierung und ihre leitenden Minister
bekennen sich selbst zu der Urheberschaft der von ihnen angeordneten
Maßregel. Jede von außen kommende Anregung oder Mitverantwortung,
insbesondere von Seiten Deutschlands, wird von ihnen nicht nur
bestritten, sondern im Prinzip abgelehnt. In einer Druckschrift, die am
1. März 1916 von der Pforte an die Vertretungen der fremden Mächte in
Konstantinopel verteilt wurde, heißt es:

„Die Behauptungen, wonach diese Maßnahmen der Hohen Pforte durch
gewisse fremde Mächte suggeriert seien, sind von Grund aus haltlos. Die
Kaiserliche Regierung, fest entschlossen, ihre absolute Unabhängigkeit
aufrecht zu erhalten, würde selbstverständlich keinerlei Einmischung,
unter welcher Form auch immer, in ihre inneren Angelegenheiten dulden,
und wäre es selbst von seiten ihrer Freunde und Bundesgenossen.“[16]

Als im türkischen Inlande und in der Presse des Auslandes Verleumdungen
verbreitet wurden, daß Deutschland die Deportationsmaßregel inspiriert
und ihre Ausführung organisiert habe, hat die Botschaft die Pforte
aufgefordert, derartigen Behauptungen entgegenzutreten, woraufhin
die Pforte den Provinzialbehörden Befehl gegeben hat, solchen
Ausstreuungen, die von türkischen Offizieren, Beamten und Geistlichen
allgemein verbreitet wurden, und bei Christen und Muhammedanern weithin
Glauben fanden, offiziell zu dementieren. Die feiner fühlenden Elemente
unter den Muhammedanern, die sich der an den Armeniern verübten
Schändlichkeiten schämten, zogen es natürlich vor, das Odium der
Maßregel auf die verbündeten Deutschen abzuwälzen. Sie wollten es nicht
glauben, daß ihre eigene Regierung der Urheber solcher Greuel sei.
Doch so oft auch die deutsche Regierung und die Botschaft wegen dieser
Lügen, die im Ausland allzu willigen Glauben fanden, bei der Pforte
Vorstellungen erhoben, so oft auch der Großwesir und der Minister des
Innern sich in der rückhaltlosesten Weise als allein verantwortlich für
die Maßnahmen gegen die Armenier erklärten, die türkischen Mollahs und
Beamten im Inneren hörten nicht auf, dem Glauben an diese Verleumdungen
Vorschub zu leisten.

Auch die Folgen, die für jeden einsichtigen Menschen die armenische
Politik der Regierung für die wirtschaftliche Zukunft des Landes und
die Friedensverhandlungen nach sich ziehen mußte, sind der Pforte
von der deutschen Regierung und der Botschaft oft und nachdrücklich
vorgehalten worden, ohne daß diese Warnungen irgend welchen Eindruck
auf die leitenden Männer machten. Wer war schuld daran?

Die Seele der armenischen Politik war das jungtürkische „Komitee für
Einheit und Fortschritt“; der Minister des Innern Talaat Bey und der
Vizegeneralissimus Enver Pascha waren für ihre Ausführung formell
verantwortlich. „Niemand hat hier mehr die Macht“, schreibt Graf
Wolff-Metternich am 30. Juni 1916, „die vielköpfige Hydra des Komitees,
den Chauvinismus und Fanatismus zu bändigen. Das Komitee verlangt
die Vertilgung der letzten Reste der Armenier, und die Regierung muß
nachgeben. Das Komitee bedeutet aber nicht nur die Organisation der
Regierungspartei in der Hauptstadt. Das Komitee ist über alle Wilajets
verbreitet. Jedem Wali bis zum Kaimakam (Landrat) herab steht ein
Komiteemitglied zur Unterstützung oder zur Überwachung zur Seite.“

Die dem „Comité Union et progrès“ affiliierten jungtürkischen Klubs
in den Provinzialstädten des Innern waren die treibenden Kräfte bei
der Vorbereitung, Organisation und erbarmungslosen Durchführung der
Gewaltmaßregeln. Sie stellten förmliche Proskriptionslisten auf. Eine
Reihe politischer Morde an armenischen Führern wird auf ihre Tätigkeit
zurückgeführt. Gegen Walis, die die Maßregel mildern oder Ausnahmen
machen wollen, setzen sie die restlose Austreibung in den brutalsten
Formen durch. Auch gegen Frauen und Kinder, Kranke, Schwangere, Blinde,
einschließlich der Soldatenfamilien, ohne Unterschied der Konfession.
Sie werben Banden von Verbrechern und kurdischen Wegelagerern an, um
die Deportiertenzüge zu überfallen und niederzumetzeln. Sie bereichern
sich an der konfiszierten Habe. Ihre ausgesprochene Tendenz ist die
Vernichtung des armenischen Volkes.

Unter den Mitgliedern des Senats gab es viele, die das Vorgehen der
Regierung ungern sahen und ihrer Mißbilligung Ausdruck gaben. Eine
Interpellation Achmed Riza Beys wurde von der Regierung in einer Weise
beantwortet, die an Zynismus nicht übertroffen werden kann.

Die ausführenden Organe des Deportationsbefehls waren die
Armeeoberkommandos und die obersten Zivilbehörden der Wilajets. Djemal
Pascha, der Oberkommandierende der 4. Armee in Syrien, zu dessen
Befehlsbereich Cilicien und das Wilajet Aleppo gehörten, nahm eine
Sonderstellung gegenüber den Machthabern in Konstantinopel ein. Er hat
schwerere Ausschreitungen in seinem Bezirk verhindert und einiges für
die Ernährung der Deportierten und die Versorgung der Anstalten getan.
Der Deportation selbst und der Islamisierung der Deportierten hat auch
er sich nicht widersetzt, da er mit dem Komitee rechnen mußte. Zu
seiner Rechtfertigung erklärte er, daß „Talaat Bey bestimme, in welcher
Ausdehnung die Ausweisung stattfinde, während er, Djemal, lediglich für
die militärischen Ausführungen der vom Minister des Innern erlassenen
Verfügungen zu sorgen habe.“

In der Regel ergingen die Befehle an die Armeeoberkommandos und von den
Oberkommandos an die Walis, Mutessarrifs und Kaimakams, die mit wenigen
Ausnahmen willig die Hand zur rücksichtslosesten Ausführung boten.
Von der Zentralregierung wurde die Durchführung der Deportation in
der härtesten und schroffsten Weise den Behörden zur Pflicht gemacht,
auch gegen Frauen und Kinder. In Erzerum war es das Oberkommando, das
den Bemühungen des Walis für den Schutz der Deportiertenkarawanen
Widerstand leistete und auch die Austreibung aller unter deutschem
Schutz stehenden armenischen Frauen und Kinder durchsetzte. Bei den
Massenabschlachtungen der Deportierten wirkten reguläre Truppen,
angeworbene Haufen von Tscherkessen, Kurden und Verbrecherbanden
zusammen. Verschiedene Walis, Mutessarrifs und Kaimakams hielten die
Verschleierungsform der Verschickung für überflüssig und ließen, wie in
Diarbekr, Djesire und Midiat, alle Christen gleich an Ort und Stelle
niedermetzeln. „Auf den Transporten ist die Tötung der Männer in den
weitaus überwiegenden Fällen nicht durch Kurden, sondern durch die
begleitenden Gendarmen erfolgt.“

Die Vernichtung der Reste, die am Verschickungsziel ankamen und
in den Konzentrationslagern dem Hungertode ausgeliefert oder
niedergemetzelt wurden, ist ebenso ein Werk der Behörden. Die nach
Bagdad entsandten Truppen Halil Beys machten auf dem Wege nach Mossul
alle „Ansiedelungen“ von Deportierten, die sie antrafen, nieder. Sie
hatten das gleiche mit den Armeniern von Mossul vor, scheiterten aber
mit ihrem Vorhaben an dem Widerstande des Feldmarschalls von der Goltz.
Die 14000 Deportierten im Konzentrationslager von Ras ul Ain wurden
„auf Befehl“ von dem Kaimakam der Stadt mit Hilfe von Tscherkessen
abgeschlachtet. Die Füsilierung der armenischen Arbeiterbataillone
geschah auf Befehl der Militärbehörden unter Kommando von Offizieren.

Regierungsbeamte, die sich der Ausführung der Befehle widersetzten,
wurden von der Regierung ihres Amtes enthoben. Der Wali von Aleppo,
Djelal Bey, wurde nach Konia versetzt, weil er in seinem Wilajet keine
Deportationen und Massaker dulden wollte. Aus Konia wurde er aus
demselben Grunde abberufen. Der Mutessarif Suad Bey in Der es Zor, der
die Befehle der Regierung in der Ausführung zu mildern suchte, wurde
durch den Tscherkessen Sekki Bey ersetzt, der die Konzentrationslager
ausräumte und die schon halb verhungerten Deportierten zu Zehntausenden
weiter verschickte, um sie auf dem Wege verschwinden zu lassen.
Die seltenen Versuche menschlich empfindender türkischer Beamter,
Notstandswerke zu organisieren, wie es Hussein Kasim Bey (vormaliger
Wali von Aleppo und Saloniki) in Damaskus und Oberst Kemal Bey in
Aleppo versuchte, scheiterten an dem Widerstand der Behörden. Der
Kaimakam von Midiat wurde auf Befehl des Wali von Diarbekr, Reschid
Bey, ermordet, weil er sich weigerte, die Christen seines Bezirks
zu massakrieren. Reschid Bey selbst, der Veranstalter des Massakers
von Diarbekr, wurde nicht etwa, wie der Konsul Holstein verlangte,
abgesetzt, sondern nach Angora versetzt. Als er nach der Kapitulation
der Türkei von der Waffenstillstandskommission verhaftet und zur
Rechenschaft gezogen werden sollte, nahm er sich das Leben.

Es sei noch einmal darauf hingewiesen, daß edlere Muhammedaner das
Vorgehen gegen die Armenier als eine Schande für die Türkei und
als Sünde gegen die göttlichen Gebote empfanden. Auch die türkische
Bevölkerung, obwohl sie der Austreibung meist gleichgültig zusah und
die verlassenen armenischen Häuser plünderte, ist nicht überall mit dem
Vorgehen der Regierung einverstanden gewesen; sie spürte sehr bald die
infolge der Vertreibung aller Handwerker und Kaufleute hereinbrechende
wirtschaftliche Not.

Nirgends aber war die Deportation, die Abschlachtung, die Aushungerung
und die Islamisierung des armenischen Volkes ein Werk gehässiger oder
fanatischer Volksleidenschaft. Genau so wie zur Zeit Abdul Hamids
war die Vernichtung der Armenier eine administrative Maßregel der
türkischen Regierung.


2. ~Deutsche Beteiligung.~

Man hat Deutschland nicht nur bezichtigt, die Maßregel der Deportation
inspiriert und organisiert zu haben, man hat auch einzelne Deutsche
beschuldigt, sich aktiv an den Massakers beteiligt zu haben. Soweit mir
ausländische Druckschriften und Zeitungen zu Gesicht gekommen sind,
handelt es sich um drei Fälle.

1. Der Fall ~Rößler~. In der englischen und französischen Presse
(Times, Westminster Gazette, Matin, Havas-Telegramm von 30. September)
wurde Konsul Rößler beschuldigt, sich von Aleppo nach Aintab begeben
zu haben, „um dort in Person Massakers zu dirigieren“. Im englischen
Oberhaus wurde als indirekter Beweis der Mitschuld Deutschlands von
Lord Crewe auf Grund von „Berichten amerikanischer Augenzeugen“
mitgeteilt, „daß deutsche Konsularbeamte in Kleinasien nicht nur
zugesehen, sondern zu den Greueltaten kräftig aufgemuntert hätten“.
Es könnte genügen, auf den gesamten Inhalt der hier veröffentlichten
deutschen Konsularberichte hinzuweisen, um diese Verleumdungen
zu entkräften. Da es sich aber im Falle Rößler um spezialisierte
Angaben handelt, die auf die Dienstreise des Konsuls nach Marasch
vom 28. März bis zum 10. April 1915 Bezug nehmen, habe ich Zeugnisse
von amerikanischen Missionaren in Marasch und Aintab und von Mr.
E. C. Woodley, der englischer Staatsangehöriger ist, in die Akten
aufgenommen, die die Beschuldigung vollkommen entkräften. (Nr. 25, Anl.
2; Nr. 188, Anl. 1-5.)

2. Der Fall ~Eckart~. In dem englischen Blaubuch Nr. 31 (1916)
„The Treatment of Armenians in the Ottoman Empire, 1915/16 Documents
presented to Viscount Grey of Fallodon by Viscount Bryce. London,
Causton and Sons 1916“ (auch verwertet von A. Mandelstam, „Le sort
de l’Empire Ottoman, Payot et Cie“, 1917, S. 304) findet sich
unter Nr. 134, S. 530, der Auszug eines Briefes von Mr. Toumas K.
Muggerditschian, publiziert in der armenischen Zeitung „Gotchnag“
vom 1. April 1916. Mr. Muggerditschian bezieht sich auf den Bericht
zweier Damen, von denen eine, eine Engländerin, auf der Durchreise
durch Aleppo von zwei Armeniern, die von Urfa kamen und dort Gäste
des Deutsch-Schweizers Jakob Künzler waren, das Folgende über
die Mitwirkung von Herrn Eckart bei den Massakers in Urfa gehört
haben will. Ich schicke voraus, um die angebliche letzte Quelle zu
charakterisieren, daß Herr Eckart und Herr Künzler im Dienst der
gleichen deutschen Missionsgesellschaft stehen, der von mir begründeten
Deutschen Orientmission, daß sie meine Mitarbeiter und Freunde sind,
und zwei Jahrzehnte lang, auch während des Krieges, alle ihre Kräfte
dem armenischen Hilfswerk in Urfa gewidmet haben. Herr Künzler war
Diakon am Missionsspital, Herr Eckart Leiter des Waisenhauses und der
Teppichmanufaktur. Herrn Künzler also werden die folgenden Aussagen in
den Mund gelegt:

„Zugleich bedauerte Herr Künzler, daß Herr Eckart (im englischen
Text fälschlich geschrieben Eckhard) die Armenier verraten und die
Türken gegen sie aufgereizt habe. Herr Eckart -- der Expräsident des
deutschen Waisenhauses in Urfa und jetzt der Geschäftsleiter der
Teppichfaktorei -- ist ein deutscher Artilleriehauptmann, der nach den
Massakers von 1895/96 als Missionar und Spion nach Urfa kam. Im Herbst
1915 ermutigte er den türkischen, kurdischen und arabischen Mob, die
Armenier anzugreifen, und ist für die dreimal wiederholten Massaker
verantwortlich. Das erste Massaker, in dem 250 Armenier getötet wurden,
fand am 19. August 1915 statt; das zweite fand am 23. September statt,
es dauerte eine Woche, in der ungefähr 300 Personen getötet und die
Stadt geplündert wurde; das dritte fand um den 1. Oktober statt.
Zunächst wurden alle Armenier aufgefordert, sich bereit zu machen, nach
Der es Zor zu gehen. Als sie einwandten, daß sie alles verloren hätten
und nichts behalten hätten, das sie mitnehmen könnten, befahl Fakhri
Pascha, sie zu massakrieren. Das Massaker dauerte 10 Tage. Der deutsche
Artilleriehauptmann zerstörte die armenischen Quartiere, die Kirche und
alles andere, in dem er so der armenischen Bevölkerung von Urfa ein
Ende machte. Damals war es, daß Rev. Apelian, der Apotheker Apraham
Attarian, Solomon Effendi Knadjian, Abuhajadian und Hagobian auf
Verlangen des Herrn Eckart eingekerkert wurden. Rev. Apelian, Attarian
und Hagobian wurden erhängt, Knadjian und Abuhajadian erschossen.“

Über den wirklichen Hergang der Ereignisse in Urfa liegen die Berichte
von Herrn Künzler in den Aktenstücken vor. Die massiven Lügen über
Herrn Eckart, die angeblicherweise Herrn Künzler in den Mund gelegt
werden, sind mit wenigen Worten zu entkräften. Herr Eckart war
vor 20 Jahren Volksschullehrer. Er hat niemals bei der Artillerie
gedient und niemals in seinem Leben ein Geschütz abgefeuert. Er
war nicht Expräsident, sondern bis zu seiner Abreise von Urfa im
Jahre 1918 Leiter des armenischen Hilfs- und Waisenwerks und der
Teppichmanufaktur, die von mir mit Hilfe deutscher, dänischer,
holländischer und schweizer Armenierfreunde als armenisches Hilfswerk
vor 20 Jahren nach den Abdul Hamid’schen Massakers begründet worden
ist und bis zum Ausbruch des Krieges 400 armenischen Frauen und
Mädchen Arbeit und Brot gab. Im Waisenhaus hat er über 700 armenische
Waisenkinder auferzogen. Auch während des Krieges hat Herr Eckart
alles, was in seinen Kräften stand, getan, um das Leben der Armenier
von Urfa zu schützen und den Notleidenden zu helfen.

Es ist nichts Ungewöhnliches, daß sich die Verleumdung, wie es die
Fälle Rößler und Eckart beweisen, gerade diejenigen Männer aussucht,
die sich in Wahrheit die größten Verdienste erworben haben.

3. Der Fall eines deutschen Offiziers in Musch. In Nr. 25 (S. 94) des
genannten Blaubuches wird im Zusammenhang eines Berichtes über das
Massaker von Musch nach der kaukasischen Zeitschrift „Mschak“ folgendes
erzählt:

„Nach kaukasischen Berichten sammelten die Türken durch Verrat und
Täuschung gegen 5000 Armenier von 20 armenischen Dörfern rund um das
Kloster St. Garabed in Musch und massakrierten sie. Bevor das Massaker
begann, trat ein deutscher Offizier auf die Mauer des Klosters und
machte den Armeniern Vorwürfe, weil die türkische Regierung ihnen große
Freundlichkeit bewiesen und sie ausgezeichnet habe, daß sie aber nicht
zufrieden gewesen wären und Autonomie verlangt hätten. Dann gab er
durch einen Revolverschuß das Zeichen zum allgemeinen Massaker[17].“

Auch diese Geschichte ist erfunden. Durch eine Nachfrage bei der
deutschen Militärmission ist festgestellt worden, daß Deutsche im Juli
1915 bei den Ereignissen in und um Musch nicht zugegen waren. Auf
Anfrage von mir erklärte Schwester Alma Johansson, jetzt in Ronneby,
Schweden, die das Massaker miterlebt hat:

„Kein Deutscher war im Sommer 1915, ebensowenig zur Zeit des Massakers,
in der Muschgegend.“

Den drei Fällen von Verleumdungen stehen die zahlreichen Zeugnisse
der Dokumente gegenüber, die von dem unermüdlichen Eintreten der
deutschen Konsuln für die Deportierten, von der aufopferungsvollen
Notstandsarbeit deutscher Missionare und Missionarinnen und von dem
erfolgreichen Eintreten deutscher Offiziere zum Schutz bedrohter
Armenier Zeugnis ablegen.

Es genüge hier, die mir bekannt gewordenen Fälle militärischen Schutzes
aufzuführen.

1. Der deutsche Kriegsfreiwillige ~Karl Schlimme~, Konsulatsdiener
des deutschen Konsulats in Erzerum erzählt, wie er am 18. Juni
Mitglieder der österreichischen Ski-Mission begleitete, denen eine
armenische Familie, zu der auch die Schwester des armenischen Bischofs
von Erzerum gehörte, vom Wali anvertraut worden war. In Baiburt wurde,
nachdem man ihnen den Kutscher fortgenommen hatte, der Versuch gemacht,
ihnen die Armenier zu entreißen, wogegen sie sich zur Wehr setzten. Auf
dem weiteren Wege trafen sie regelrechte Posten von Komitatschis. Die
zur Bedeckung mitgegebenen Gendarmen weigerten sich, weiter mitzukommen
und machten mehrfach den Vorschlag, die Armenier niederzumetzeln. Unter
eigener Lebensgefahr brachten die Reisenden die Familie nach Ersindjian.

2. Herr ~von Scheubner-Richter~, der in Erzerum bis zur Ankunft
des Herrn Werth mit der Vertretung des Konsulats betraut war und im
August 1915 in militärischem Auftrage nach Mossul unterwegs war,
verhinderte dadurch, daß er mit den ihm unterstellten deutschen
Offizieren und Mannschaften seine Mitwirkung verweigerte, daß ein
Lager von Deportierten, das sich aus Furcht vor einem Massaker
zwischen Bitlis und Mossul verschanzt hatte, von den ihn begleitenden
türkischen Offizieren mit ihren Mannschaften laut Befehl aus Mossul
massakriert wurde.

3. Generalfeldmarschall ~Freiherr von der Goltz~ erfuhr
nach seiner Ankunft in Mossul (Dezember 1915), daß der bisherige
Oberkommandierende in Mesopotamien, Nureddin Bey, Befehl gegeben
hatte, die nach Mossul transportierten Armenier von Bagdad von dort
weiter zu verschicken und auch die in Mossul ansässigen Armenier
nach dem Euphrat zu schaffen. Der Feldmarschall hielt diese Maßregel
militärisch in keiner Weise für gerechtfertigt und intervenierte
bei den Wilajetbehörden; zunächst ohne jeden Erfolg. Er erreichte
wenigstens, daß die Armenier einstweilen in Mossul bleiben konnten. Als
bis Mitte Januar 1916 keine Antwort aus Konstantinopel kam, verbot der
Feldmarschall von sich aus auf Grund seiner Oberbefehlshaberbefugnisse
dem Wali von Mossul, die Armenier weiter zu transportieren. Bis Ende
Januar erhielt er keine Antwort, erfuhr aber, daß die Regierung auf dem
Abtransport bestehe. Hierauf bat der Feldmarschall telegraphisch um
seine sofortige Abberufung. Erst jetzt antwortete Enver Pascha in einem
verbindlich gehaltenen Telegramm, in welchem er Zusicherungen bezüglich
des Verbleibens der Armenier in Mossul machte, im übrigen aber den
Feldmarschall darauf hinwies, daß ihn seine Oberbefehlshaberbefugnisse
nicht berechtigten, sich in die inneren Angelegenheiten des türkischen
Reiches einzumischen.

4. General ~Liman von Sanders~[18] erfuhr am 9. November, als er
zur Besichtigung der 56. Division und der nach dem europäischen
Kriegsschauplatz beorderten 16. Division in Smyrna weilte, daß am
8. November mehrere hundert Armenier in Smyrna verhaftet und mit
der Eisenbahn ins Innere transportiert worden waren, darunter alte
Frauen und kranke Kinder, die von der Polizei in der rohesten Weise
aus den Betten geholt worden waren. Am 10. November schickte er den
Stabschef der 5. Armee zum Wali und ließ ihm sagen, daß er derartige
Massenverhaftungen und Transporte nicht dulden und eine Fortsetzung
der Maßnahmen mit Waffengewalt durch die ihm unterstellten Truppen
verhindern würde. Zugleich gab er Befehl, die nötigen Vorkehrungen zu
treffen. Er ließ dem Wali bis Mittag Bedenkzeit. Gegen ½2 Uhr meldete
ihm sein Stabschef, daß die Verhaftungen und Transporte eingestellt
seien. Ebenso intervenierte General Liman von Sanders wegen der
Verhaftung der zehn angesehensten und reichsten griechischen Notabeln
von Urla, die ohne Verhör in das Gefängnis von Smyrna gebracht worden
waren.

5. General von Lossow und General Freiherr ~Kreß von
Kressenstein~[19] (Chef der deutschen Delegation in Tiflis) haben
sich mit der größten Energie dafür eingesetzt, daß die türkische
Kaukasusarmee, die im Widerspruch mit den Abmachungen des Friedens
von Brest-Litowsk in die Gouvernements Tiflis, Eriwan, Elisabethpol
und Baku einrückte, hinter die Vertragsgrenze zurückgezogen wurden.
Die aus ihren Wohnsitzen geflüchteten kaukasischen Armenier kamen in
eine so verzweifelte Lage, daß eine halbe Million von Männern, Frauen
und Kindern mit dem Hungertode bedroht war. Trotz der Weigerung Enver
Paschas hat die Oberste Heeresleitung (siehe Telegramme von Hindenburg
und Ludendorff) ihren Willen durchgesetzt und ermöglicht, daß die
geflüchteten Armenier endlich in ihre Wohnsitze zurückkehren konnten.

6. Oberstleutnant ~Paraquin~, der damals dem Stabe des
Armeeführers Halil Pascha angehörte, war nach der Einnahme von Baku
Zeuge davon, daß Nury Pasha der Niedermetzelung der Armenier durch die
Tataren freien Lauf ließ, ohne einzugreifen und die Christen der Stadt
zu schützen. Als Oberstleutnant Paraquin, der schon zuvor vergeblich
Vorbeugungsmaßregeln gefordert hatte, von seinem Unwillen keinen
Hehl machte und energisch auf Schutzmaßregeln drang, zog er sich das
Mißfallen Nury Paschas in dem Maße zu, daß er am Tage darauf von Halil
Pascha seiner Stellung enthoben wurde.

7. In der deutschen Kolonie ~Katharinendorf~ sind durch
bewaffnetes Einschreiten der deutschen Kolonisten 152 Armenier aus
einem von den Tataren veranstalteten Massaker gerettet worden.

Ich zweifle nicht, daß noch viele deutsche Offiziere, wo sie in die
Lage kamen, gefährdeten Armeniern ihren Schutz angedeihen zu lassen,
ebenso gehandelt haben. Es würde mir wertvoll sein, von deutschen
Kriegsteilnehmern, die aus der Türkei zurückgekehrt sind, zur
Vervollständigung meines Materials Mitteilungen über die Erfahrungen zu
erhalten, die sie im Zusammenhang mit der Armenierverfolgung gemacht
haben.


3. ~Militärischer Schade.~

Die Rücksichtslosigkeit, mit der das Komitee trotz der gefährdeten
Existenz des Reiches sein innerpolitisches Programm durchführte,
wird dadurch charakterisiert, daß es bei der Durchsetzung weder die
Interessen der Bundesgenossen noch die Interessen der Kriegführung
respektierte. Die deutschen Unternehmungen in der Türkei, wie z.B.
die Baumwollgesellschaft in Cilicien und die Teppichmanufaktur in
Urfa, wurden durch die Austreibung der Armenier ihrer geschulten
Arbeitskräfte beraubt, die deutschen Hospitäler ihres ärztlichen
und Pflegepersonals, die Schulen und Waisenhäuser ihrer Lehrer und
Gehilfen; den deutschen Banken und Handelshäusern wurden durch
Konfiskation des armenischen Nationalvermögens die Sicherheiten für
ihre Kredite genommen. Nicht einmal vor der Schranke der eigenen
militärischen Interessen machte der rücksichtslose Verfolgungswille
des Komitees halt. Daß sich auf den Etappenstraßen, die mit den
unbeerdigten Leichen massakrierter und verhungerter Armenier besät
waren, der Flecktyphus über das ganze Reich ausbreitete, danach fragte
niemand. Daß durch die Abschiebung und Vernichtung der Armenier die
Armee ihrer tüchtigsten Militärhandwerker, Hufschmiede, Chauffeure, die
Regierung und die Banken ihrer eingearbeiteten Beamten, die Spitäler
und Verbandplätze ihrer geschulten Ärzte und ihres Lazarettpersonals
beraubt wurden, war die geringste Sorge. Selbst Einsprüche der Obersten
Heeresleitung wurden leichten Herzens in den Wind geschlagen. In
der kritischsten Periode August 1915 wurde der Generaldirektor der
anatolischen Bahn durch den Befehl der Ausweisung von 850 geschulten
armenischen Bahnbeamten vor eine Frage gestellt, die den Gang des
Krieges unmittelbar beeinflussen mußte. Einen Aufschub der Maßregel zu
erwirken gelang ihm zunächst nur dadurch, daß er erklärte, zur selbigen
Stunde den Betrieb auf der ganzen Linie einstellen zu müssen. Erst nach
langwierigen Verhandlungen und immer wiederholten starken Pressionen
durch die Oberste Heeresleitung gelang es, den Aufschub in eine
Aufhebung der Maßregel zu verwandeln und dadurch mit dem Bahnbetrieb
auch das Leben von 850 Armeniern und ihrer Familien zu retten.

Noch Schlimmeres drohte der Bahnbaugesellschaft. Im Juni 1916
wurde zur Zeit der drängendsten Arbeiten am Amanustunnel durch die
Austreibung von 2400 am Bau beschäftigten Armeniern die Zahl der
Arbeiter ohne Befragen der Gesellschaft mit einem Schlage nahezu auf
die Hälfte reduziert. Weitere Abtransporte drohten. Infolge Fehlens
aller gelernten Arbeiter wurde der Fortschritt der Bauarbeiten und
der Bahnhofsbetrieb mit den verbliebenen Arbeitern zu einem Ding der
Unmöglichkeit. Anwerbung neuer Arbeiter war ebenfalls unmöglich.
Einstellung ungelernter Arbeitersoldaten hätte die Bauzeit um
mindestens 3 Monate verlängert. Im Amanustunnel drohten bei Einstellung
der Arbeiten Einbrüche und damit andauernde Unterbrechung des
Bahnbetriebes. Zugleich wurden zwei armenische Ärzte und 43 Apotheker
und Pfleger aus dem Bahnspital vertrieben. Der auf Vorstellungen der
Baugesellschaft vom türkischen Kriegsministerium gegebenen Gegenbefehl
(18. Juni 1916) blieb wirkungslos. Die Vermittlung vom Großen
Hauptquartier, Kriegsministerium und Auswärtigem Amt in Berlin erwirkte
zwar den erneuten Befehl vom Kriegsminister an den Kommandanten der
4. Armee und den Wali von Adana, daß die ausgetriebenen Armenier nach
ihren Arbeitsstellen zurückgeführt werden sollten. Der Wali aber
erklärte (22. Juni), keinen Befehl zur Rückkehr der Vertriebenen
erhalten zu haben, sondern nur einen Befehl, „die Zahl der noch zu
Vertreibenden zu beschränken“. Der Wali versichert obendrein, daß er
einen derartigen Befehl, auch wenn er ihn erhielte, nicht befolgen
würde. Der Botschafter erklärte darauf (30. Juni) den Ministern
Talaat Bey und Halil Bey, „die Maßregel mache den Eindruck, als ob
die türkische Regierung selbst darauf bedacht sei, den Krieg zu
verlieren“. Trotzdem inzwischen noch General v. Falkenhayn an Enver
Pascha aus dem Großen Hauptquartier drahtlich von der „vollständigen
Betriebseinstellung, deren Ende sich nicht absehen ließe“, in Kenntnis
gesetzt und „ein unmittelbares deutsches Interesse wegen Behinderung
des Nachschubs“ geltend gemacht hatte, geschah nichts, um den
Widerstand zu brechen. Am 1. Juli berichtet der Botschafter, daß Talaat
nochmals die Ausweisungsfrage mit Enver erörtern wolle und erläutert:
„Ausweisung auf Komiteebeschluß zurückzuführen... auch Enver und Talaat
Bey sind solchen fanatischen Beschlüssen gegenüber machtlos“. Und dabei
blieb es. Ja, es folgten noch weitere Abtransporte. Im März 1917 werden
von der Amanusstrecke 505 Arbeiter mit 187 Familienmitgliedern in die
Wüste geschickt, von der Taurusstrecke etwa die gleiche Zahl.


4. ~Opfer.~

Bei der Frage nach der Zahl der ermordeten, verhungerten und
islamisierten Armenier kann es sich selbstverständlich nur um ganz
vage Schätzungen handeln. Nach allgemeiner Annahme, die auch von
deutschen Konsuln geteilt wird, ist mit einem Verlust von einer Million
türkischer Armenier zu rechnen, darunter eine halbe Million Frauen und
Kinder. An Kaukasus-Armeniern sollen noch 50 bis 100000 dazu kommen.

Die Berichte enthalten die folgenden Angaben:

Am 12. August 1915, 6-7 Wochen nach der Massenverschickung, die
Ende Juni einsetzte, also zu einer Zeit, wo noch der größte Teil
der Karawanen unterwegs war und die Ernte des Hungersterbens in den
Konzentrationslagern der Wüste noch nicht in Betracht kam, es sich
also in der Hauptsache um Totschlag der Deportierten auf der Wanderung
oder um Massakers an Ort und Stelle handelte, wird nach Mitteilung
von Fürst Hohenlohe die Zahl der im Osten umgekommenen Armenier auf
wenigstens zwei, wahrscheinlich mehrere Hunderttausend geschätzt.
Einige Wochen später bezifferte Enver Pascha die Zahl der getöteten
Armenier mit 300000[20]. Am 30. September 1915 schreibt Herr von
Tyszka aus Konstantinopel: „Ob die Opfer 500000 übersteigen oder
nicht erreichen, ist gleichgültig.“ Am 4. Oktober 1916 wird die Zahl
der Umgekommenen zwischen 800000 und 1 Million geschätzt. So enorme
Zahlen werden verständlich, wenn man aus Konsularberichten erfährt, daß
die einzelnen Abschlachtungen in den Städten und in den Wanderlagern
in der Regel nach Hunderten und Tausenden zählen, ja Zehntausend
übersteigen. Von den ostanatolischen Transporten ist kaum ein Drittel
am Verschickungsziel angekommen. Was unterwegs nicht umkam, wurde
in den größeren Konzentrationslagern systematisch dem Hungertode
ausgesetzt. An einem einzigen dieser Lagerplätze, Meskene, am Knie des
Euphrats zwischen Aleppo und Rakka, liegen nach Aussage des türkischen
Militärapothekers, die von einem türkischen Offizierstellvertreter
bestätigt wurde, 55000 Armenier begraben.[21] Bei den Massakers
auf den Wanderungen handelt es sich überwiegend um Männer, bei dem
Hungersterben in den Konzentrationslagern fast ausschließlich um
Frauen, Kinder und Greise. Die Transporte, die nach Der es Zor
kamen, wurden 1915 auf 60000 geschätzt. Die immer neuen Transporte
konnten nur dadurch Aufnahme finden, daß die ersten Transporte bereits
verhungert oder wieder abgeschoben waren. So wurden am 15. April 1916
vier Transporte, 19000 an der Zahl, nach Mossul geschickt, 300 km
quer durch die Wüste. Von diesen Transporten sind am 22. Mai, also
5 Wochen später, etwa 2500 in Mossul angelangt. Ein Teil der Frauen
und Mädchen wurde unterwegs an Beduinen verkauft, alle übrigen sind
durch Hunger und Durst umgekommen. Anfang Juli 1916 zählte man noch
20000 Deportierte in Der es Zor. Acht Wochen später betrug die Zahl,
nach dem Zeugnis eines deutschen Offiziers, nur noch einige hundert
Handwerker, die für die Truppen arbeiteten. Alle übrigen -- auch
diejenigen, die in den nördlicheren Stationen sich wirklich anzusiedeln
begonnen hatten -- waren verschwunden. Die Regierung behauptete, sie
seien nach Mossul geschickt worden. Das Volk, sie seien in den Tälern
südöstlich von Der es Zor umgebracht worden. Man habe sie nach und
nach in Trupps von einigen Hunderten abgeführt und von dazu bestellten
Tscherkessenbanden abschlachten lassen. Ein arabischer Augenzeuge,
der gerade vom Schauplatz einer solchen Szene kam, bestätigte die
Tatsache. Ähnliche Methoden sind für die Abschlachtung von 14000
Deportierten im Frühjahr 1916 nach zuverlässigen Erkundungen eines
Deutschen festgestellt worden. Einen Monat lang wurden täglich 300 bis
500 Verbannte aus dem Lager geführt und in einer Entfernung von etwa
10 Kilometer niedergemacht. Die Leichen wurden in den Fluß geworfen.
Die am 22. April in Ras ul Ain noch vorhandenen 2000 Deportierten, der
Rest der 14000, waren bei einem späteren Besuch des Platzes ebenfalls
verschwunden.

Bei solchem Verfahren, wenn es systematisch zwei Jahre lang fortgesetzt
wird, wird man es für möglich halten, daß nach der allgemeinen
Schätzung etwa eine Million von Armeniern vernichtet worden ist. Wie es
in den Konzentrationslagern herging, darüber lese man den Bericht im
Anhang Nr. 4. Wer ihn gelesen hat, wird sich nicht wundern, wenn ein
anderer Augenzeuge berichtet, daß Ende Januar, während er sich in Bab
aufhielt, in 2½ Tagen 1029 Armenier starben.

Ein eigenartiger Weg der Schätzung wird (Nr. 302, 4. 10. 16) auf Grund
einer Tabelle über das Schicksal der Eltern und Angehörigen von 720 in
Aleppo gesammelten Kindern eingeschlagen. Die 720 deportierten Kinder
im Durchschnittsalter von 9 Jahren hatten ihre Väter und Mütter durch
folgende Umstände verloren: Während der Mann im Heere diente, waren 246
Mütter mit ihren Kindern deportiert worden. Eines natürlichen Todes
starben 129 Väter und 53 Mütter, eines unnatürlichen Todes starben 321
Väter und 379 Mütter. Die Zahl der Angehörigen der Kinder, die während
des Transportes umkamen, betrug 2616. Die Transporte, von denen die 720
Kinder übriggeblieben waren, stammten aus zehn verschiedenen Wilajets
und zählten bei der Ausreise 3336 Personen. Es gingen also 78,5 Prozent
auf dem Transport verloren. Legt man dies Verhältnis zugrunde und nimmt
man die Gesamtzahl der Deportierten auf rund 1½ Millionen an, so
würde der überlebende Rest nur 322000 zählen. Natürlich hat dieses
Exempel nur den Wert einer Stichprobe.

Die Berechnungen, die sich in meinem „Bericht“[22] finden, ruhen
auf der Statistik der armenischen Bevölkerung der Türkei nach den
Gemeindelisten des Patriarchats. Nach ihnen zählte die Gesamtzahl der
Armenier der Türkei 1845450. Rechnet man die Armenier, die in den
Kaukasus und übers Meer nach Alexandrien geflüchtet sind, mit 244400
und die Armenier, die von der Deportation verschont geblieben sind,
mit 204700 (was vielleicht zu hoch gerechnet ist), so ist die Zahl
der Deportierten mit 1396350 anzusetzen. Die Zahl der Überlebenden
an den Rändern der arabischen Wüste soll nach neueren Angaben
zwischen 150- und 200000 betragen. Will man außerdem annehmen, daß,
was an islamisierten Armeniern, an verschleppten und verkauften
Frauen, Mädchen und Kindern noch 200000 betragen mag, wofür es
natürlich keine Gewähr gibt, so würde man zu dem ganz allgemeinen
Schätzungsergebnis kommen, daß von den 1845000 Armeniern rund 1 Million
umgekommen ist und 845000 noch am Leben sind, wovon ca. 200000 in
ihren Heimatsstädten zurückblieben, 200000 versprengt, 250000 in den
Kaukasus geflüchtet sind und 200000 noch als ausgehungerte Bettler
in den Konzentrationslagern übriggeblieben sind. Da die Mehrzahl der
Versprengten und der in den Konzentrationslagern Überlebenden als
islamisiert anzusehen ist, so wird man die Zahl der islamisierten
Armenier zwischen 250- und 300000 schätzen können. Die Verluste an
Menschenleben unter den kaukasischen und in den Kaukasus geflüchteten
Armeniern werden auf 50-100000 geschätzt.

Der Wert des konfiszierten Nationalvermögens der türkischen Armenier
wird auf eine Milliarde geschätzt.

Ich brauche nicht zu wiederholen, daß diesen Berechnungen jede exakte
statistische Grundlage fehlt und fehlen muß. Zu einem einigermaßen
zuverlässigen Ergebnis wird man erst gelangen können, wenn eine neue
Volkszählung der türkischen und kaukasischen Armenier einen Vergleich
mit dem früheren Volksbestande erlaubt. Wer wollte nicht hoffen, daß
die Zahl der überlebenden Armenier größer sein möchte, als man bis
jetzt annehmen darf.

Die Gesamtzahl der türkischen, kaukasischen, persischen und
ausländischen Armenier wurde vor dem Kriege auf 3600000 veranschlagt.
Schon der Verlust von 800000 Armeniern würde ein Viertel der gesamten
armenischen Nation ausmachen.

Welches von den kriegführenden Völkern darf seine Verluste mit denen
des armenischen Volkes in Vergleich stellen, das mit dem Kriege selbst
nichts zu tun hatte?


5. ~Die offizielle Motivierung.~

Da ich hier nicht eine Geschichte der Armenischen Frage schreiben
kann, sondern mich darauf beschränken muß, aus den wichtigsten Daten
der vorliegenden Dokumente die Summe zu ziehen, so habe ich nicht zu
erörtern, wie es dahin kam, daß nach dem Sturz Abdul Hamids und der
Einführung der Konstitution die Einmütigkeit der auseinanderstrebenden
Nationalitäten des osmanischen Reiches, die im ersten Rausch der
Revolution zur Tatsache geworden und durch eine demokratische
Verfassung verbürgt zu sein schien, nach kurzer Zeit dem alten
Zerrüttungsprozeß anheimfiel. Das jungtürkische Komitee, das allen
nichttürkischen Nationen eifersüchtig und mißtrauisch gegenüberstand,
kehrte mit den cilicischen Massakers und den albanesischen Dragonaden
zu den Methoden Abdul Hamids zurück. In drei aufeinanderfolgenden
Kriegen führte seine unweise Politik in der kurzen Zeit eines
Jahrzehnts zuerst den Verlust der afrikanischen Besitzungen, als
dann den Verlust der europäischen Türkei herbei und zuletzt den
Zusammenbruch des ganzen Reiches, das den Weltkrieg voraussichtlich nur
noch als inneranatolischer Kleinstaat überleben wird. Das politische
Programm des Komitees für Einheit und Fortschritt, die Aufrichtung
eines rein islamischen pantürkischen Großreiches, hat sich als Utopie
erwiesen. Die historische Mission der Jungtürken war die Liquidation
der Türkei.

Die Maßregel der Deportation fiel in die kritischste Phase des Krieges.
Die Türkei, auf drei Fronten, an den Dardanellen, im Kaukasus und
in Mesopotamien, von drei europäischen Großmächten angegriffen, war
während der ersten elf Kriegsmonate auf ihre eigene militärische Kraft
angewiesen. Die Zentralmächte waren infolge der Neutralität Bulgariens
und Rumäniens außerstande, ihr mit nennenswerten Truppenkontingenten zu
Hilfe zu kommen. So seltsam es erscheinen muß, daß den jungtürkischen
Machthabern gerade der äußerste Gefahrpunkt ihrer militärischen Lage
-- während der heißesten Dardanellenkämpfe -- als die „günstigste
Gelegenheit“ erschien, ihr innerpolitisches nationalistisches Programm
durchzuführen und mit ihrer wirtschaftlichen Existenz zugleich ihren
moralischen Kredit aufs Spiel zu setzen, so sehr entsprach doch diese
Va-banque-Politik dem abenteuerlichen Charakter der jungtürkischen
Machthaber.

Gleichwohl erforderte die Bundesgenossenschaft mit den Zentralmächten
eine Verhüllung der leitenden Motive und Zielgedanken der
jungtürkischen Politik. Ein offenes Bekenntnis zu den asiatischen
Methoden, die zum Erbgut des Islams gehören, konnte den verbündeten
Mächten gegenüber die Pforte erst wagen, als sie in der Hauptsache ihre
Absicht erreicht und durch die Zertrümmerung der armenischen Nation die
„Armenische Frage“ hinter dem Rücken der Botschafter „gelöst“ hatte.
Vor den europäischen Diplomaten erschien das türkische Mittelalter im
Gehrock. „Militärische Notwendigkeiten“ wurden vorgeschützt, um hinter
dem Wandschirm der Deportation die Abwürgung der armenischen Nation den
Blicken Europas zu entziehen.

Die „militärischen Notwendigkeiten“ wurden mit einer Reihe von amtlich
gemeldeten Vorfällen begründet, deren Gewicht nicht ohne weiteres
abschätzbar war:

1. Einzelne, nicht völlig aufgeklärte Spionageakte an der cilicischen
Küste.

2. Scharmützel mit Deserteuren, die sich einer (schon vor dem Kriege
in der Nachbarschaft von Zeitun bestehenden) Räuberbande angeschlossen
hatten.

3. Bombenfunde, wirkliche oder angebliche, an vereinzelten Plätzen
(Kaisarie, Erzerum).

4. Unterstützung hochverräterischer Pläne durch feindliche Mächte.

5. Aufstände, vermeintliche oder wirkliche, in verschiedenen Wilajets.

Die Tragweite dieser Vorgänge konnte sehr verschieden beurteilt
werden, je nachdem sie als mehr oder weniger beiläufige (selbst in
Friedenszeiten nicht ungewohnte) Folgen einer schlechten Verwaltung
oder als Symptome einer „weitverbreiteten Verschwörung“ und „allgemein
geplanten Volkserhebung“ gedeutet wurden.

Spionageakte und Deserteurgeschichten gehören zu den regelmäßigen
Erscheinungen, die der Krieg an allen Fronten, noch dazu bei gemischten
Bevölkerungselementen in den Grenzgebieten mit sich bringt. Das
tatsächliche oder angebliche Auffinden von Bomben, Waffen, verdächtigen
Korrespondenzen, Schriftstücken u. dergl., „gehört“, wie von Kühlmann
bei späterer Gelegenheit (17. November 1916) bemerkt, „zu dem bekannten
Inventar der türkischen Behörden an Vorwänden.“ Daß die Armenier durch
Agenten der Entente „zum Aufruhr gegen die ottomanische Regierung
angestiftet seien“, daß englisches Gold und russische Maschinengewehre
dabei mitgespielt hätten, ist erfunden und wurde von den deutschen
Konsuln bezweifelt[23].

Vermeintliche oder tatsächliche „Aufstände“ fanden in Anatolien
(einem Gebiet von der Größe Deutschlands, Deutsch-Österreichs und
der Schweiz) nach den eigenen Angaben der Pforte an nicht mehr als
sechs Plätzen statt in getrennten Zeitabschnitten: Musch (Anfang
März 1915), Zeitun (25. März 1915), Wan (20. April 1915), Schabin
Karahissar (3. Juli 1915), Suedije (30. Juli 1915), Urfa (1. Oktober
1915). Es ist zu unterscheiden, ob sie ~vor~, ~während~ oder ~nach~
der allgemeinen Deportation stattfanden. ~Vor~ die Anfänge der
Deportation fallen nur Musch, Zeitun und Wan. In den beiden ersten
Fällen handelte es sich nicht um „Aufstände“, sondern um belanglose
Zusammenstöße von Gendarmen und Deserteuren, wie sie auch in
Friedenszeiten nichts Ungewöhnliches waren. Konsul Anders berichtet
z. B. aus der Vorkriegszeit von einer Razzia im Wilajet Bitlis,
bei der „2500 Kurden, die sich der Dienstpflicht entzogen hatten“,
eingefangen wurden. In Zeitun handelte es sich um 150 armenische,
zum Teil auch muhammedanische Deserteure; in Dörfern der Muschebene
um Schießereien bei Requisitionen. Das Gewicht solcher Vorgänge kann
an der geringen Zahl von Toten abgeschätzt werden: in Zeitun auf
türkischer Seite 7-8 Gendarmen und 20-30 Armenier, in der Muschebene 7
Gendarmen und 27 Armenier. In die Anfänge der Deportationszeit, als es
im Wilajet Wan und Erzerum bereits zu erheblichen Massakers gekommen
war, fallen die „Aufstände“ von Wan, und Schabin-Karahissar, die in
Wahrheit Akte der Selbstverteidigung waren. In Wan fielen während der
vierwöchentlichen Belagerung 18 Armenier und auf türkischer Seite
vermutlich eine entsprechende Zahl. In Schabin-Karahissar zählt das
türkische Communiqué „150 Tote, Zivil- und Militärpersonen“, die man
nach Analogie der offiziellen türkischen Zahlen von Wan vermutlich
auf den zehnten Teil wird reduzieren müssen. Rechnen wir die Toten,
die bei diesen Zusammenstößen vor und während der Deportation zu
zählen sind, zusammen, so ergeben sich auf türkischer Seite etwa 50
und auf armenischer Seite eine entsprechende geringere oder größere
Zahl. In die Zeit ~nach~ dem Höhepunkt der Deportation fallen die
„Aufstände“ von Suedije und Urfa, Verzweiflungsakte von Menschen, die
den Tod mit der Waffe in der Hand der Abschlachtung und dem Hungertode
vorzogen. Für Urfa beträgt die Zahl der Toten nach türkischen Angaben
20, nach deutschen 50; für Suedije nach armenischen 200. Alles in
allem betragen die nachrechenbaren türkischen Verluste infolge dieser
sogenannten „Aufstände“ auf türkischer Seite etwa 300 Tote. Nur eine
barbarische Vergeltungslehre kann es gerechtfertigt finden, diese 300
im Kampf gefallener Männer mit dem Opfer von einer Million wehrloser
Armenier, einschließlich einer halben Million von Frauen und Kindern
aufzuwiegen. Immerhin deckt sich diese Auffassung mit dem Ausspruch des
Mutessarrifs von Musch, der bei seiner Leichenrede für sieben gefallene
Gendarme schwur: „Für jedes Haar eures Hauptes will ich 1000 Armenier
hinschlachten lassen.“

Schwerwiegender als diese Einzelfälle, die, sofern sie nicht zu den
regelmäßigen Erscheinungen einer ungeordneten Verwaltung und zum
Kriegszustande gehörten, durch die Deportation erst hervorgerufen
wurden, ist die Beschuldigung, daß von Seiten der armenischen
Parteiorganisationen, insbesondere der Daschnakzutiun, ein allgemeiner
Aufstand geplant worden sei.

Ich habe schon im Jahre 1916[24], ehe mir das deutsche Material
bekannt war, den Beweis geführt, daß ein armenischer Aufstand weder
vorbereitet, noch von den führenden Männern geplant war, noch überhaupt
im Bereich der Denkbarkeit lag. Eine Zeit, in der die christliche
Bevölkerung entwaffnet war und die muhammedanische unter Waffen
stand, eine Zeit, in der die männliche Bevölkerung der armenischen
Städte und Dörfer ausgehoben und zum Wegebau auf entlegene unwegsame
Straßen, fern von den Städten, verbannt war[25], wäre ungefähr der
unmöglichste Zeitpunkt für eine Volkserhebung und ein Unternehmen
gewesen, an das nur Narren hätten denken können. Nationale Autonomie
oder gar Unabhängigkeit konnte dem armenischen Volk nur durch
die Schicksalsentscheidung des Weltkrieges zufallen, die, wie im
Falle Polens, von seinem eigenen Verhalten völlig unabhängig war.
Die Deportation als „vorbeugende Maßregel“ gegen eine Erhebung
des armenischen Volkes war doppelt sinnlos, seit es sich bei der
Massenverschickung und angeblichen Neuansiedlung nach der Abschlachtung
der Männer fast nur noch um Frauen und Kinder handelte.

Alle Konsularberichte und alle Aussagen von Deutschen, die im Innern
lebten, bestätigen durchaus diese Schlußfolgerungen.

Sie erhärten zunächst, daß keinerlei Beweise für Aufstandspläne oder
Gefahr einer Volkserhebung vorlagen. Die Zeugnisse der Konsuln, die
völlig unabhängig voneinander urteilen, sind hierin einmütig:

Hoffmann, Alexandrette, 7. März: „Soweit ich den Charakter und die
Tätigkeit der hiesigen kleinen Bevölkerung bisher kennen gelernt habe,
glaube ich nicht, daß diese sich landesverräterisch betätigt.“

Büge, Adana, 26. März: „Von einem vorbereiteten Aufstand der Armenier
(von Zeitun) kann keine Rede sein.“

Rößler, Aleppo, 12. April: „Die Bevölkerung (von Marasch) ist friedlich
und denkt nicht an Auflehnung gegen die Regierung.“

General Posseldt, Erzerum, 26. April: „Die Aufführung der Armenier ist
tadellos gewesen.“

Missionar Ehmann, Mamuret ul Asis, 5. Mai: „Die Christen hier denken
nicht im entferntesten daran, sich gegen die Regierung aufzulehnen.“

v. Scheubner-Richter, Erzerum, 15. Mai: „Ein Aufstand der Armenier
Erzerums und seiner näheren Umgebung ist nicht anzunehmen, trotz der
geringen hier vorhandenen türkischen Streitkräfte.“

Rößler, Aleppo, 5. August: „Für einen allgemein beabsichtigten und
vorbereiteten Aufstand der Armenier fehlen jede Beweise.“

Derselbe, 8. November: „Kein Beweis liegt dafür vor, daß der Bezirk
(von Suedije) von vornherein an Aufstand gedacht hat. Er ist vielmehr
durch die drohende Verschickung zum Widerstand getrieben worden.“
Derselbe, Ende September 1915: „Es ist nicht erforderlich (für Urfa),
Einwirkung von außen anzunehmen... Es genügte, daß die Urfaleute die
Vorbeugungsmaßregeln der Regierung, die Verschickung und den damit
verbundenen Untergang ihres Volkes und jedes einzelnen vor Augen
hatten, um den Entschluß des Widerstandes hervorzurufen.“

Diesen Aussagen entspricht das Gesamturteil der Botschaft und
der Konsulate, das von Anfang bis zu Ende das gleiche geblieben
ist. Freiherr von Wangenheim schreibt am 15. April 1915: „Nur
in einem Punkte dürfte (zwischen der türkischen und armenischen
Seite) Übereinstimmung herrschen, daß die Armenier seit Einführung
der Konstitution den Gedanken einer Revolution aufgegeben haben,
und daß keine Organisation für eine solche besteht.“ Herr von
Scheubner-Richter schreibt am 4. Dezember 1916: „Für die mit der
Türkei im Bündnis stehenden Mächte wurde eine angeblich vorbereitete
Revolution der Partei der Daschnakzagan vorgeschützt. Lokale Unruhen
und Selbstschutzbestrebungen der Armenier wurden aufgebauscht und
zum Vorwand genommen, die Aussiedelung der Armenier aus bedrohten
Grenzgebieten zu motivieren.“

Für Konstantinopel liegt das eigene Zeugnis von Talaat Bey vor,
der die Behauptung, „es lägen Beweise vor, daß für den Tag des
Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, für
unzutreffend erklärt“ und die Verhaftung und Verschickung von 600
Notabeln aus der Hauptstadt lediglich als Vorbeugungsmaßregel
begründet, da sich unter denselben „eine Reihe nicht ganz sicherer
Persönlichkeiten befände“, die „im Falle einer ungünstigen
Wendung des Krieges die Gelegenheit zu Unruhestiftungen ergreifen
~könnten~[26]“. Er behauptet nicht einmal, Beweise für diesen
Verdacht zu haben, die allgemeine Möglichkeit des Verdachtes genügt
ihm als Grund für die Verschickung. Der von Enver Pascha gegenüber
Humann ausgesprochene Vorwand, „ihm sei eine Verschwörung bekannt,
nach welcher etwa 30000 Armenier in der Gegend von Adabazar-Ismid
eine russische Landung bei Sakaria unterstützen wollen“, ist
eine der bekannten statistischen Hypothesen des phantasiereichen
Kriegsministers, die in Konstantinopel niemand ernst nahm.

Zuletzt ist als Motiv für den Vernichtungswillen geltend gemacht
worden, daß man die Massakrierung der Armenier aufrechnen müsse gegen
die Massakers, die die Armenier unter der türkischen Bevölkerung
veranstaltet hätten. Es könnte sich hierbei nur um sehr begrenzte
Vergeltungsmaßregeln und Racheakte handeln, die der Deportation,
Abschlachtung und Aushungerung erst auf dem Fuße folgten. Selbst
wenn, von standrechtlichen Erschießungen von Mördern und Plünderern
abgesehen, Vergeltungsmaßregeln in irgend beträchtlicherem
Maßstabe vorgekommen wären, müßte man sie menschlich für mehr als
begreiflich halten. Handelte es sich aber, wie es in allen bis jetzt
kontrollierbaren Fällen nachweisbar ist, um Selbstschutz und Gegenwehr
gegen geplante Vernichtung, so bleibt es bei dem Urteil, das der Wali
Djelal Bey von Aleppo gegenüber dem deutschen Konsul Rößler fällte: „Es
ist das natürlichste Recht des Menschen, zu leben. Der Wurm, den man
tritt, krümmt sich. Die Armenier werden sich wehren.“

Über die Vergeltungsakte, die die Armenier in den östlichen Wilajets
(nach dem Rückzug der türkischen Truppen vor der russischen Armee)
in den von ihnen wiederbesetzten Gebieten an der muhammedanischen
Bevölkerung verübt haben sollen, liegen ~nur türkische~
Nachrichten vor. Sie bewegen sich, wie immer, in phantastischen Zahlen
und betreffen:

1. das Gebiet von ~Wan~ für die Zeit zwischen der Entsetzung
von Wan, 17. Mai bis Ende Juni 1915: Enver Pascha erzählt dem
Korvettenkapitän Humann: „Die Armenier, verleitet und aufgestachelt
durch russische Agenten, haben so gründlich gegen die ottomanische
Bevölkerung gewütet, daß von den 150000 Türken, die früher das Wilajet
Wan aufzuweisen hatte, nur noch 30000 Muhammedaner am Leben sind.“

2. ~Bitlis.~ Aus der Zeit der Einnahme von Bitlis durch die
Russen, Anfang März 1916, wird berichtet: „Armenische Banden haben
dort Blutbad unter der Bevölkerung angerichtet, das angeblich 2-3000
Opfer gekostet hat.“

3. ~Ersindjan~ und ~Erzerum~, Dezember 1917 und Januar 1918
(vor dem Rückzug der russischen Truppen und armenischen Freischaren aus
den besetzten Gebieten): einige hundert.

4. Im Gebiet von ~Kars~ (vor dem Einmarsch der türkischen
Truppen in die im Frieden von Brest-Litowsk preisgegebenen drei
Distrikte), Frühjahr 1918: Nach Aussage Enver Paschas hat sich „seit
der letzten russischen Zählung allein im Gebiet von Kars die Zahl
der muselmanischen Einwohner um 45000 vermindert, welche alle den
Verfolgungen der Armenier erlegen sind“.

In allen vier Fällen handelt es sich um türkische Angaben, die durch
unabhängige Quellen nicht bestätigt, in der Hauptsache aber als
groteske Übertreibungen erweisbar sind. Denn die Zahlen der türkischen
Berichte lassen sich meist auch ohne nähere Kenntnis der Einzelvorgänge
nachprüfen und um verschiedene Stellen kürzen.

Die von Enver Pascha gegenüber Kapitän Humann genannte Zahl von 150000
Türken des Wilajets Wan, von denen nur noch 30000 am Leben geblieben
sein sollen, hat eine Geschichte. Ich habe sie bereits im Jahre 1916,
als sie zuerst in einem türkischen Kommuniqué auftauchte, untersucht.

In dem türkischen Kommuniqué vom 29. Juni 1915 heißt es:

„Von 180000 Muselmanen, die das Wilajet Wan bewohnen, haben sich kaum
30000 retten können. Der Rest blieb den Mordtaten der Russen und
Armenier ausgesetzt, ohne daß man bis jetzt über deren Schicksal etwas
erfahren konnte.“

Das Schicksal dieser 150000 Muselmanen also war nicht bekannt und auch
nicht erfahrbar, da sie sich hinter der russischen Front befanden.
Die 30000 sind diejenigen Türken, die beim Vormarsch der Russen in
die Ebene von Musch geflüchtet sind. (Wie unzuverlässig auch diese
Zahlen sind, ergibt sich aus der Tatsache, daß eben diese geflüchteten
Muhammedaner am 17. Mai, auch nach einer türkischen Quelle, auf 80000
geschätzt wurden.)

In der Aussage von Enver Pascha ist die vorsichtige Ausdrucksweise des
Communiqués, nach der der Rest von 150000 den Mordtaten der Russen und
Armenier „~ausgesetzt blieb~, ohne daß man von ihrem Schicksal
etwas wußte“, dahin variiert, daß erstens „die Armenier“ alleinige
Missetäter und die Russen fortgelassen sind, und zweitens schlankweg
behauptet wird, diese 150000 Türken, von denen man nichts wußte und
nichts wissen konnte, seien der Wut der Armenier zum Opfer gefallen.

Die letzte Aufmachung der Ziffern des Communiqués findet sich in der
Aussage der türkischen Botschaft in Berlin vom 1. Oktober 1915; da
wird erzählt, daß „im April während des türkischen Vormarsches nach
Aserbeidschan es zu einer Armenierrevolte im Rücken des türkischen
Heeres gekommen sei, bei der nicht weniger als 180000 Muhammedaner
umgebracht worden seien“. Hier werden die 30000 geflüchteten
Muhammedaner mit den 150000 hinter der russischen Front verbliebenen,
von denen niemand etwas wußte, zusammengerechnet und alle 180000 für
Opfer der Armenierrevolte in Wan ausgegeben. So sind glücklich aus
den etwa 18 Türken, die (der Zahl der getöteten Armenier von Wan
entsprechend) gefallen sein mögen -- 180000 geworden.

Mit solchen phänomenalen Zahlen von 180000 massakrierten Muhammedanern
war es der türkischen Botschaft ein leichtes, die Vorstellungen des
Auswärtigen Amtes zurückzuweisen: „Es sei nicht verwunderlich, daß die
Muhammedaner hierfür Rache genommen hätten.“

Selbst diese in der Phantasie aufgebauten Zahlen sind nicht völlig
aus der Luft gegriffen; das Rechenexempel hat eine Grundlage. Er
stammt fraglos aus der Wilajetsstatistik. Das Wilajet Wan zählt
180000 Muselmanen, ca. 30000 Türken und 150000 Kurden. Die 30000
Türken waren beim Vormarsch der russischen Armee in das Wilajet
Bitlis geflüchtet, so weit stimmt die Aussage von Enver Pascha; denn
zur Zeit der Veröffentlichung des Communiqués standen die Russen
bereits am Westufer des Wansees. Die 150000 Kurden des Wilajets Wan,
die hauptsächlich in den südlichen und südöstlichen Gebieten bis zum
oberen Zabtal nach dem Tigris hinunter wohnen, waren teilweise hinter
der russischen Front zurückgeblieben, zum größten Teil aber überhaupt
nicht in das Kampfgebiet einbezogen. Niemand dachte daran, ihnen ein
Haar zu krümmen, denn erstens waren ihre Gebiete in den Bergen der
Hakkiari-Kurden so gut wie unzugänglich, zweitens standen die Russen
mit den Kurden, deren Chefs hohe Jahrgehälter von ihnen bezogen, auf
gutem Fuße und ebenso wenig bestand zwischen Kurden und Armeniern
Feindschaft. Diese 150000 Muselmanen waren überhaupt keinen „Mordtaten
ausgesetzt“, geschweige denn von den Armeniern massakriert worden; sie
erfreuen sich noch heute ihres Lebens.

So löst sich das Rätsel dieses angeblichen Türkenmassakers, das in
türkischer Darstellung die Vernichtung des armenischen Volkes als einen
Racheakt entschuldigen soll.

Bei den Angaben Enver Paschas über die Verminderung der muselmanischen
Einwohner im Gebiet von Kars handelt es sich um ein ähnliches
Phantasieexempel. In Wahrheit hatte Enver Pascha die Armenier von Kars,
die angeblich dort die Statistik um 45000 Muhammedaner vermindert
haben -- wann, wird nicht gesagt -- durch ein Manifest eingeladen, in
ihren Wohnsitzen zu bleiben und diesen Mördern von 45000 Muhammedanern
„Leben, Sicherheit und Freiheit“ garantiert. Nach den Erfahrungen aber,
die man bereits mit türkischen Truppen im Kaukasus gemacht hatte, zogen
es die Armenier von Kars vor, Haus und Hof in Stich zu lassen und mit
Weib und Kind ins Gouvernement Eriwan zu fliehen. Die statistischen
Phantasien Envers verfolgten aber im Falle von Kars wohl noch einen
besonderen Zweck. Man konnte die 45000 „den Verfolgungen der Armenier
erlegenen Muselmanen“ bei der Volksabstimmung, von der das Schicksal
von Kars abhängig gemacht werden sollte, zu der zurückgebliebenen
Minorität von Muhammedanern hinzurechnen, um so eine stattliche
muhammedanische Majorität zu bekommen. Tatsächlich hat man in den drei
Distrikten nur die Muhammedaner abstimmen lassen, will sagen, man
hat die statistische errechnete muhammedanische Seelenzahl für eine
Abstimmung ausgegeben.

Die Zahl der Opfer „armenischer Banden“ in Bitlis, die im März 1916
auf 2-3000 aus türkischen Quellen angegeben wurde, kann man jetzt
ebenfalls aus türkischen Quellen nachprüfen. In der türkischen
Aktensammlung: „Aspirations et Agissements Révolutionnaires des
Comités Arméniens avant et après la proclamation de la Constitution
Ottomane, Constantinople 1917“, die einer besonderen Beleuchtung
wert wäre, findet sich ein Verzeichnis von 131 Personen, die in
Bitlis nach der Eroberung der Stadt durch die Russen getötet worden
seien. Das Verzeichnis datiert vom 27. August 1917. Die Armenier des
Bezirks von Bitlis (51500) waren Anfang Juni 1915 deportiert worden.
In der Stadt Bitlis wurde die Mehrzahl der Armenier massakriert,
900 Frauen und Kinder wurden abtransportiert und, wie es heißt, im
Tigris ertränkt. Bei diesem Abtransport fand auch der armenische
Abgeordnete von Wan, Wramian, seinen Tod. Mag es sich nun mit den
131 getöteten Muselmanen von Bitlis verhalten wie es will, sei es,
daß es sich um standrechtliche Erschießungen der an dem Massaker von
Bitlis Hauptschuldigen, sei es, daß es sich um einzelne Racheakte
handelte, jedenfalls ist die Zahl von 2-3000 auf 131 zu reduzieren, und
keinenfalls handelt es sich um ein Massaker, denn in Bitlis mögen an
20000 Muhammedaner leben.

Nach diesen Proben wird man den türkischen Zahlen über Massakers, die
armenische Freischärler im Dezember 1917 und Januar 1918 in Ersindjian
und Erzerum verübt haben sollen, solange mit Mißtrauen gegenüberstehen
müssen, als sie nicht durch andere Quellen bestätigt sind.

Entscheidend ist in allen vier Fällen, daß sich die angeblich oder
wirklich vorgenommenen Straf- und Racheakte der Armenier, die sich
im Vergleich mit den Hunderttausenden ihrer Toten höchstens in den
Hunderten bewegen, nicht vor der Deportation, sondern ~nach~ der
Verschickung und den Massenmorden abgespielt haben.

Die „Rachgier der aufkochenden muhammedanischen Volksseele“ hat
als Motiv für die Massakers ebenso versagt, wie die „militärischen
Notwendigkeiten“ für die Deportation. Die Beschlüsse des Komitees
hatten einen anderen Grund, der die Maßregel der allgemeinen
Deportation, die grausame Methode ihrer Durchführung, die Vernichtung
von mehr als zwei Dritteln der Deportierten und die Islamisierung des
Restes allein zureichend erklärt.

Lassen wir die Dokumente selbst sprechen. Einer weiteren Erörterung
bedarf es dann nicht.

Schon im April 1915 bedauert der Wali von Aleppo, Djelal Bey, „daß bei
der türkischen Regierung eine Strömung die Oberhand gewonnen zu haben
scheine, welche die Armenier im ganzen als verdächtig oder gar als
feindlich anzusehen geneigt sei. Er betrachte diese Wendung als ein
Unglück für sein Vaterland und bittet dem Botschafter anheimzustellen,
dieser Richtung entgegenzuarbeiten.“

Die deutschen Konsuln urteilen:

„Die Regierung scheint auf dem mittelalterlichen Standpunkt zu
verharren, daß für die Tat eines einzelnen oder einiger weniger
Solidarhaft eines ganzen Volkes besteht. Denn ihre Maßregeln gehen auf
~Vernichtung der Armenier~[27] in ganzen Bezirken hinaus. Alle
Armenier von Besitz, Bildung oder Einfluß sollen beseitigt werden,
damit nur eine führerlose Herde zurückbleibe“ (Rößler, 10. Mai 1915).

„Wir werden bald überall den hellsten Aufruhr haben, wenn die
Zentralregierung ~ihr Programm der Christenverfolgung~ nicht
ändert“ (Holstein, 13. Juni 1915).

„Das Zentralkomitee scheint auf diese Weise ~der armenischen Frage
endgültig ein Ende machen zu wollen~“ (Bergfeld, 9. Juli 1915).

„Es handelt sich um nichts weniger als um ~die Vernichtung oder
gewaltsame Islamisierung eines ganzen Volkes~“ (Kuckhoff, 4. Juli
1915).

„Meine bisherige Berichterstattung dürfte dargetan haben..., daß
die Ausdehnung der Anordnungen der türkischen Regierung, deren
Durchführung sie in der härtesten und schroffsten Weise den Behörden
zur Pflicht gemacht hat, auch gegen Frauen und Kinder, ~bewußt~
den ~Untergang möglichst großer Teile des armenischen Volkes~ mit
Mitteln herbeizuführen bestrebt ist, welche dem Altertum entlehnt sind.
Sie hat, wie wohl kein Zweifel sein kann, die Gelegenheit, da sie sich
im Kriege mit dem Vierverband befindet, dazu benutzen wollen, ~um
sich der armenischen Frage für die Zukunft zu entledigen~, dadurch,
daß sie möglichst wenige geschlossene armenische Gemeinden übrig läßt“
(Rößler, 27. Juli 1915).

„Von den Anhängern letzterer (der schroffen Richtung des jungtürkischen
Komitees) wird übrigens unumwunden zugegeben, daß ~das Endziel ihres
Vorgehens gegen die Armenier die gänzliche Ausrottung derselben in
der Türkei ist~. „Nach dem Kriege werden wir keine Armenier mehr
in der Türkei haben“, ist der wörtliche Ausspruch einer maßgebenden
Persönlichkeit“ (von Scheubner-Richter, 28. Juli 1915.)

„Die Berichte (über den Zustand in den Deportiertenlagern) gewähren
einen Einblick in die ~bewußte und gewollte Vernichtung der
Verschickten~ durch türkische Regierungsorgane.“ (~Rößler~, 3.
Januar 1916.)

„Ein großer Teil des jungtürkischen Komitees steht auf dem Standpunkt,
daß das türkische Reich nur auf ~rein muhammedanischer pantürkischer
Grundlage~ aufgebaut werden muß. Die nichtmuhammedanischen und
nichttürkischen Bewohner desselben müssen gewaltsam ~muhammedanisiert
und türkisiert~, wo das nicht angängig, ~vernichtet werden~.“
(~von Scheubner-Richter~, 4. Dez. 1916.)

Nicht anders urteilen die Botschafter.

Am 17. Juni 1915 schreibt Freiherr von Wangenheim:

„Daß die Verbannung der Armenier nicht allein durch militärische
Rücksichten motiviert ist, liegt zutage. Der Minister des Innern,
Talaat Bey, hat sich hierüber kürzlich (gegenüber Dr. Mordtmann) ...
dahin ausgesprochen, ‚daß die Pforte den Weltkrieg dazu benützen
wollte, ~um mit ihren inneren Feinden~ (den einheimischen
Christen) ~gründlich aufzuräumen~, ohne dabei durch die
diplomatische Intervention des Auslandes gestört zu werden‘.“

Am 7. Juli derselbe:

„Dieser Umstand“ (die Ausdehnung der Maßregel) „und die Art, wie die
Umsiedelung durchgeführt wird, zeigen, daß die Regierung tatsächlich
den Zweck verfolgt, ~die armenische Rasse im türkischen Reich zu
vernichten~.“

Am 2. August schreibt Fürst Hohenlohe: „Alle diesseitigen Vorstellungen
haben sich gegenüber dem Entschluß der Regierung, ~die einheimischen
Christen in den östlichen Provinzen unschädlich zu machen~, als
unwirksam erwiesen.“

In seinem Bericht an den Reichskanzler vom 30. Juni 1916 beleuchtet
Graf Wolff-Metternich die materiellen Zusammenhänge der jungtürkischen
Politik:

„Das Komitee verlangt ~die Vertilgung der letzten Reste der
Armenier~, und die Regierung muß nachgeben. Von diesen Unglücklichen
haben die hungrigen Wölfe des Komitees außer der Befriedigung ihrer
fanatischen Verfolgungswut nicht mehr viel zu erwarten. Ihre Güter
sind längst eingezogen, und ihr Vermögen ist durch eine sogenannte
Kommission liquidiert worden, d. h. wenn beispielsweise ein Armenier
ein Haus im Werte von 100 türkischen Pfund besaß, so ist es einem
Türken, Freund oder Mitglied des Komitees, für etwa 2 Pfund
zugeschlagen worden. Von den Armeniern ist also nicht mehr viel zu
holen. Die Meute bereitet sich daher auch schon mit Ungeduld auf den
Augenblick vor, wo Griechenland, von der Entente gezwungen, sich gegen
die Türkei oder deren Verbündete richten wird. Das Griechentum bildet
das Kulturelement der Türkei. Es wird dann vernichtet werden, ebenso
wie das armenische, wenn äußere Einflüsse nicht Einhalt gebieten.
Türkisieren heißt, alles Nichttürkische vertreiben oder töten,
vernichten und sich gewaltsam anderer Leute Besitz aneignen. Hierin und
im Nachplärren freiheitlicher französischer Phrasen besteht vorläufig
die berühmte Wiedergeburt der Türkei.“

Unter dem 10. Juli charakterisiert Graf Metternich die seelischen
Zusammenhänge der jungtürkischen Mentalität:

„Die türkische Regierung hat sich in der Durchführung ihres Programmes:
~Erledigung der armenischen Frage durch die Vernichtung der
armenischen Rasse~ weder durch unsere Vorstellungen noch durch
die Vorstellungen der amerikanischen Botschaft und des päpstlichen
Delegaten, noch auch durch Drohungen der Ententemächte, am
allerwenigsten aber durch die Rücksicht auf die öffentliche Meinung des
Abendlandes beirren lassen.“...

„Man darf in der zwangsweisen Islamisierung der Armenier zunächst
keine von religiösem Fanatismus eingegebene Maßregel erblicken. Den
jungtürkischen Gewalthabern dürften solche Gefühle fremd sein. Dagegen
bleibt es wahr, daß, um auch im Herzen ein guter osmanischer Patriot
zu sein, man vor allem sich zum Islam bekennen muß. Die Geschichte
des türkischen Reiches von seinem Beginn bis in die letzten Zeiten
ist da, um die Richtigkeit des Satzes zu beweisen, daß im Orient
Glaubensbekenntnis und Nationalität identisch sind, und jeder Osmane
ist in seinem Innern hiervon überzeugt. Die gegenteiligen amtlichen und
nichtamtlichen Versicherungen gehören samt dem begleitenden Apparat
von Belegstellen aus Koran und Tradition zu den konventionellen
Phrasen, deren man sich seit der Ära der Reformfermane den Europäern
gegenüber bedient, um die Toleranz des Islams und der Osmanen zu
beweisen. So entsprechen auch die Dementis, welche die Minister den
Mitteilungen über die Glaubensverfolgungen entgegensetzen, zunächst
den Anforderungen des guten Tons: sie treffen aber insofern zu, als
das leitende Motiv nicht religiöser Fanatismus ist, sondern die
Absicht, die Armenier mit den muhammedanischen Bewohnern des Reiches zu
amalgamieren.“

Dies Urteil ist zutreffend. Man darf aber nicht vergessen, daß
es Religionsverfolgungen in Reinkultur niemals gegeben hat. Die
Christenverfolgungen im römischen Reich waren durch Gründe der
Staatsraison diktiert, die Judenverfolgungen im Mittelalter und im
Rußland der Neuzeit durch Habgier verursacht. Die Pogrome, die Muhammed
selbst veranstaltete, hatten es ausschließlich auf Beute abgesehen. Die
jungtürkische Christenverfolgung, vielleicht die größte aller Zeiten,
hatte die gleichen Motive: Staatsraison und Habgier.

    ~Lepsius.~



Aktenstücke

zur

Armenischen Frage

1913 bis 1918



1913



_September._


1.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                Therapia, den 26. September 1913.

Euerer Exzellenz beehre ich mich in den Anlagen zwei Berichte
vorzulegen, welche Vizekonsul Anders nach seinem Eintreffen in Erzerum
über seinen Besuch beim armenischen Katholikos in Etschmiadsin, sowie
über die Haltung Rußlands gegenüber den gregorianischen Armeniern im
Kaukasus erstattet hat.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
    Herrn von Bethmann Hollweg.


2.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                 Erzerum, den 16. September 1913.

Auf der Reise von Tiflis durch den Kaukasus nach Erzerum besuchte ich
am 7. d. M. den Katholikos aller Armenier, Seine Heiligkeit Kevork V.
Surenian, in seinem Patriarchensitz Etschmiadsin am Fuße des Berges
Ararat. Das Kloster, in dem ich sehr gastlich aufgenommen wurde, ist im
Jahre 303 n. Chr. vom Patriarchen Gregor dem Erleuchter erbaut. Bereits
im ersten Jahrhundert n. Chr. hatte sich in Armenien eine christliche
Gemeinde gebildet und unter dem König Trdat, welcher Armenien von
301 bis 332 beherrschte, wurde das Christentum als Staatsreligion
anerkannt. Obwohl im Jahre 303 n. Chr. sich die armenische Kirche
selbständig machte, beschickten die armenischen Patriarchen von
Vartashabad (nahe Etschmiadsin) das Konzil von Nicäa 324, von
Konstantinopel 328 und Ephesus 432. Die dort festgesetzten Dogmen
wurden angenommen, jedoch die Beschlüsse des Konzils zu Chalcedon 451
offiziell verworfen. -- Zurzeit vollzieht sich die Patriarchenwahl in
der Weise, daß 8 Mitglieder der Synode, die 7 ältesten Klosterbrüder,
sowie von jeder Eparchie (6 in Rußland, 2 in Persien, 1 in Rumänien,
50 in der Türkei) 1 Geistlicher und 1 Laie ihre Stimmen abgeben. Dem
Zaren werden die beiden Bischöfe mit den meisten Stimmen vorgeschlagen;
bei der letzten Wahl am 11. Dezember 1911 waren dies der jetzige
Katholikos, damalige Erzbischof von Tiflis, und der armenische
Patriarch in Konstantinopel, Turian.

Wie ich erfuhr, bezieht der Katholikos von der russischen Regierung
keinerlei Gehalt, dagegen stehen ihm aus den Mitteln der Gemeinde
jährlich 12000 Rubel zur persönlichen Verwendung zur Verfügung.

Der Katholikos Kevork V. ist eine ehrwürdige, sympathische Erscheinung
mit lebhaftem, klugen Gesichtsausdruck. Er empfing mich in seinem
Thronsaal, auf der Kapuze über der Stirn geschmückt mit dem Kreuz aus
Brillanten, einem Geschenk des Zaren. Es interessierte ihn ungemein,
daß die Kaiserliche Regierung in Erzerum eine konsularische Vertretung
eingerichtet hat. Er verspricht sich von dieser Maßnahme großen
Vorteil für seine -- wie er sich ausdrückte -- „armen unterdrückten
Glaubensgenossen unter türkischem Joch.“ Seine Heiligkeit bat mich,
soweit meine Amtsbefugnisse dies erlaubten, mich der Armenier im
Wilajet Erzerum anzunehmen und übergab mir ein Handschreiben an den
armenischen Bischof Sinbad in Erzerum.

Betreffs der Reformen äußerte sich der Patriarch dahin, daß bei der
Beratung des Programms durch die Großmächte leider noch keine Einigung
erzielt sei, da jede Macht neben der humanitären Seite der Vorschläge
auch noch ihre eigenen wirtschaftlichen oder politischen Ziele mit dem
Programm in Einklang bringen wolle. Er erkenne dankbar an, daß die
Kaiserliche Regierung in Berlin den führenden Mann der Bewegung, Boghos
Nubar Pascha, empfangen und ihre Sympathien für die Sache der Armenier
zum Ausdruck gebracht habe. Leider würde von den Mächten, mit Ausnahme
Rußlands, zu viel Rücksicht auf die türkische Regierung genommen,
welche sich noch seit Jahrhunderten als unfähig zu jeglichem Reformwerk
erwiesen habe. Der Patriarch hob sodann hervor, daß die Entsendung
deutscher Kriegsschiffe nach Mersina im Frühjahr d. J. wesentlich zur
Sicherung der Armenier in Cilicien beigetragen habe, und daß er einen
Bericht über den Besuch des Katholikos von Sis an Bord S. M. S. Goeben
am 5. Mai d. J. gelesen habe. Er hoffe, die Kaiserliche Regierung
werde auch weiter, speziell im Gebiete der Bagdadbahn, ihren Schutz
den Armeniern angedeihen lassen und er hoffe von dem Ausbau der Bahn
große zivilisatorische und kulturelle Vorteile für die dort ansässigen
Armenier.

Der Patriarch wünschte mir sodann gute Reise und vollen Erfolg für
meine Mission nach Erzerum und gab Befehl, daß mir der Klosterschatz,
u. a. auch Überreste der Arche Noah, welche dem heiligen Gregor von
einem Erzengel übergeben worden sind, gezeigt werde.

                                                               Anders.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
    Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.


3.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                 Erzerum, den 16. September 1913.

Bei meinem Besuch im Kloster Etschmiadsin erfuhr ich gesprächsweise
über die Haltung der russischen Regierung zu den gregorianischen
Armeniern im Kaukasus Folgendes:

Als die Russen im Jahre 1828 während der Patriarchenzeit des Katholikos
Ephrem Armenien eroberten, wobei ihnen der damalige Erzbischof von
Tiflis, spätere Katholikos Nerses V. mit einer armenischen Miliz
gute Dienste leistete, versprachen sie den Armeniern Erhaltung ihrer
Nationalität und besondere Privilegien. Trotzdem ging der erste
Statthalter Paskewitsch-Eriwanski sehr schroff vor. Eine im Jahre 1836
eingeführte Gerichtsordnung (Polojenie) für den Kaukasus, in welcher
die Rechte des Patriarchen durch Einführung einer Synode verkürzt
wurden, beschränkte auch die armenischen Sonderrechte erheblich.

Zwar wurden bis zum Jahre 1908 alle Patriarchen mit dem Titel „Oberster
Katholikos aller Armenier“ vom Zaren feierlich bestätigt, trotzdem
versuchte die Regierung dauernd, die Armenier zu russifizieren. Als
im Jahre 1903 sogar die Einziehung aller armenischen Kirchengüter
verfügt wurde, setzte sich der Katholikos „im Namen aller Armenier“,
da die Güter ja auch den außerhalb Rußlands wohnenden Armeniern
gehörten, in offenen Widerspruch zur Regierung. Obwohl zwar bereits
nach Jahresfrist, hauptsächlich auf Anraten des jetzigen Statthalters
Fürsten Woronzoff-Daschkoff die konfiszierten Güter zurückgegeben
wurden, hat die russische Regierung es für gut befunden, um dem
Katholikos jeden Rechtstitel zur Einmischung in Angelegenheiten der
nichtrussischen Armenier zu entziehen, bei der Bestätigung des im
April 1909 gewählten Katholikos Mattheos II. Ismirlian zum ersten
Male den Titel: „Oberster Katholikos aller Armenier“ fortzulassen.
Auch ist das kaiserliche Reskript, in welches mir der führende
Bischof Karabed Einsicht gewährte, in einem von den früheren Urkunden
erheblich abweichenden Tone gehalten. Der Zar spricht die Erwartung
aus, daß der Patriarch in seiner Gemeinde auf strenge Befolgung der
Regierungsgesetze achte. Um seiner Mißbilligung der armenischen
Sonderbestrebungen sichtbaren Ausdruck zu geben, hat der Zar dem
Katholikos Mattheos II. zum ersten Male nicht, wie sonst üblich, den
Alexander-Newski-Orden verliehen. Auch der jetzt regierende Patriarch
erhielt diesen Orden bei seiner Bestätigung im März 1912 nicht. Erst
als infolge der Gestaltung der politischen Lage in der asiatischen
Türkei es der russischen Regierung bei ihren Aspirationen auf
Türkisch-Armenien angezeigt erschien, sich mit den russischen Armeniern
auf guten Fuß zu stellen, wurde der Alexander-Newski-Orden im Frühjahr
d. J. dem Katholikos verliehen.

Ich gewann den Eindruck, als ob es den russischen Armeniern im
Interesse der Erhaltung ihrer nationalen Eigenart keineswegs lieb
sein würde, wenn Türkisch-Armenien unter russische Herrschaft käme.
Die russischen Armenier vergäßen vielfach ihre nationale Abstammung.
Überall, wo armenische Schulen gegründet werden, entstehen sofort
russische Regierungsschulen. Am liebsten schien es den Armeniern zu
sein, wenn Türkisch-Armenien nach dem Muster des Libanon eine autonome
Verfassung unter türkischer Oberhoheit erhielte. Da dies Ziel ihnen
jedoch zunächst noch unerreichbar scheint, würden sie sich auch mit der
Ernennung von christlichen Walis zufrieden geben, jedoch wünschen sie
dringend europäische Kontrolle. Jedenfalls verlangen sie als Minimum,
daß künftig die persönliche Sicherheit, das Eigentum und die Ehre jedes
Armeniers gewährleistet werde.

                                                               Anders.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
    Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.



1914



_Februar._


4.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                   Erzerum, den 16. Februar 1914.

Heute besuchte mich der hiesige armenische Bischof Msg. Beadetian, um
mir anläßlich der Annahme der Reformen[28] im Namen seiner Gemeinde zu
danken für die hartnäckige Verteidigung des Reformprojekts durch die
Kaiserliche Regierung, der zum großen Teil das Zustandekommen des so
lang ersehnten Reformwerkes zu verdanken sei. Weder in der Stadt noch
im Wilajet Erzerum liege zurzeit Grund zu Klagen vor, abgesehen von
Differenzen im Kaza Narwan, wo ein Tscherkessenstamm den Besitz der
Armenier beschlagnahmt habe. Doch habe der Wali bereits Untersuchung
und Abhilfe zugesagt. -- Die hiesige islamische Bevölkerung hat die
Nachricht der Annahme der Reformen ohne irgendwelche feindseligen
Kundgebungen aufgenommen und dürfte auch nichts unternehmen, um die
Durchführung derselben zu stören. Nach Ansicht des Bischofs seien die
Armenier jetzt völlig ausgesöhnt und fühlen sich als treue Ottomanen.
Die hiesigen Armenier seien sich voll bewußt, daß die Kaiserliche
Regierung mit Wohlwollen und Interesse ihr Schicksal verfolge und seien
mir dankbar, daß ich dies bei verschiedenen Anlässen zum Ausdruck
gebracht hätte.

                                                               Anders.

  Seiner Hochwohlgeboren dem Kaiserlichen Geschäftsträger
            Herrn Botschaftsrat von Mutius.



_Juni._


5.

                              Marschquartier Musch, den 21. Juni 1914.

Der Mutessarrif von Musch war bei meinem Eintreffen hier am 20. d. M.
auf Inspektionsreise abwesend. Sein Vertreter, der Oberstaatsanwalt,
bereitete mir einen sehr freundlichen Empfang.

Obwohl mir derselbe die allgemeine Lage im Sandjak Musch als derzeitig
ruhig darstellte, so gewann ich bald eine andere Meinung, als ich
den Besuch des armenischen Erzbischofs Nerses Garakian und den des
Führers der Daschnakisten Ruben Effendi erhalten hatte. Beide halten
die jetzige Ruhe nur für eine Stille vor dem Sturm und äußerten sich
sehr pessimistisch. Nach ihrer Ansicht seien die Kurdenchefs nur
momentan durch das rigorose Vorgehen des Kriegsgerichts in Bitlis
eingeschüchtert, aber das Reformprojekt widerspreche viel zu sehr ihren
Interessen, als daß sie nicht versuchen würden, den neuen Bestimmungen
äußersten Widerstand entgegen zu setzen.

Sehr eingehend schilderte mir der Erzbischof die Lage der armenischen
Bauern im Kasa Modikan. Das Hörigkeitsverhältnis wird von den
Derebeys dermaßen ausgedehnt, daß sie, so wie es Gogol zur Zeit der
Leibeigenschaft in Rußland schildert, sich gegenseitig ganze Dörfer
mitsamt den Hörigen verkaufen, wobei für eine Seele durchschnittlich
5-15 Ltq. gezahlt werden. So haben die Schegoli, ein Zweigstamm der
Ballikli, denen 30 Dörfer gehören, kürzlich von einem Derebey das
armenische Dorf Pischenk käuflich erworben.

Bei dem Aufstand der Armenier in Sassun 1894 hatten die armenischen
Bauern der Dörfer Taworik und Chiankichub im Bezirk Schatakh ihre
kurdischen Frohnvögte vertrieben. Ebenso haben sich unter Beihilfe
der konstitutionellen Regierung im Jahre 1908 im Bezirk Pzank 25
Dörfer freigemacht. Dagegen herrschen im Kasa Modikan noch die alten
patriarchalischen Zustände. Die Bauern müssen den Beys bestimmte
Lieferungen machen. Dabei soll die Armut der armenischen und kurdischen
Hörigen schrecklich sein. Im ganzen Kasa Modikan besteht nur in dem
Dorfe Chisek eine armenische Schule. In Chinist sollte mit Mitteln von
Boghos Nubar Pascha eine Schule eröffnet werden, die Lehrer ergriffen
jedoch schon nach wenigen Tagen vor kurdischen Drohungen die Flucht.

Sehr aktuell ist eine Beschwerde der Dorfbewohner von Chinist,
Paschawank und Lordenzor, von denen der Balliklistamm je 2300, 1500
und 800 Ltq. fordert für eine vor 60 Jahren von den Vorfahren der
jetzigen Bauern aufgenommene minimale Schuld. Der hiesige Bischof
hat an das Patriarchat berichtet, die Regierung leugnet jedoch
den Tatbestand ab und auch das Preßbüro hat die Meldungen des
Bischofs dementiert. Gleichwohl hat der Wali von Bitlis Geld von der
Zentralregierung erbeten, um die Angelegenheit gütlich zu ordnen.

Eigenartig ist der Modus der Eintreibung der Hammelsteuer. Kurz vor dem
Erscheinen des Tahsildars (Steuerbeamten) trieben die Balliklikurden
300 Hammel in das armenische Dorf Chuit, die dort trotz des Protestes
der Bewohner mitgezählt wurden. Da sich die Bauern weigern, den
Mehrbetrag von etwa 20 Ltq. Schafsteuer zu zahlen, werden jetzt ihre
Kühe und Ochsen zwangsweise verkauft.

Wenn so Hammeldiebstahl und Grundstücksstreite zu Erbitterung zwischen
Kurden und Armeniern führen, so gab der Bischof doch zu, daß in den
letzten Monaten Klagen wegen Unsicherheit von Leben und Familienehre
seltener seien. Kürzlich sind nur 4 bis 5 Armenier von den Bedrikurden
(Stamm Mussi) in Sassun ermordet worden. Bei einigen Fällen von
Mädchenraub war nicht festzustellen, ob nicht die Mädchen freiwillig
den Entführern gefolgt seien. -- Der Daschnakistenführer Ruben
befürchtet baldige Unruhen, da bisher jedesmal, wenn die Großmächte ein
Reformprogramm aufstellten, Massakres erfolgt seien. Die Kurden seien
höchst unzufrieden mit der Regierung, die sie nicht als rein islamische
anerkennen, da sie ihren religiösen Führer Scheich Seyid, den sie wie
einen Propheten verehrten, hingerichtet hat. Nach Rubens Ansicht werden
die Derebeys ihre gefährdete Prärogative energisch verteidigen.

Ruben klagte ferner über große Parteilichkeit der Gerichte und darüber,
daß die Gendarmen Befehle der Regierung, wenn sie sich gegen Kurden
zugunsten von Armeniern richten, nicht ausführen. Auch hätten die
Kurden keinen Respekt vor den Gendarmen, nur vor aktiven Soldaten.

Wie mir der Kommandant der 34. Division, Ihsan Pascha, der von hier
aus den Belagerungszustand leitet, mitteilt, ist es seinen Truppen
gelungen, im Bezirk der Aufständischen (4 Rayons: Simek, Chizan,
Guzeldere und Schatakh) nicht nur die Rädelsführer der letzten
Bewegung, sondern 50 Prozent aller früher gesuchter Verbrecher sowie
2500 Kurden, die sich der Dienstpflicht entzogen hatten, gefangen zu
nehmen.

Ihsan Pascha sieht die Lage als ernst, aber nicht kritisch an. Ich
reite morgen nach Bitlis weiter.

                                                               Anders.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
          Freiherrn von Wangenheim.


6.

                             Marschquartier Bitlis, den 25. Juni 1914.

Auf dem Ritt von Musch nach Bitlis (85 km) begleitete mich der
Generalstabshauptmann der 34. Division, Ruhi Bey, der mit einem
Sonderauftrage Ihsan Paschas nach Bitlis ging. Wir verließen Musch am
23. d. M. um 5 Uhr vormittags und trafen abends um 9 Uhr in Bitlis
ein. In der fruchtbaren Ebene des Kara Su reiht sich Dorf an Dorf. Die
Sicherheit in der Ebene ist vollkommen, nur im Dorfe Gebian sitzt ein
Kurdenhäuptling Musa Bey, der früher als Gendarmeriekommandant im Jemen
sich große Verdienste erworben hat und jetzt als Raubritter zeitweise
Karawanen plündert. An der Quelle des Kara Su ist ein sehr schönes, im
Verfall begriffenes Denkmal aus der Zeit des Sultans Yaus Selim, der
hier in einer Entscheidungsschlacht die Perser besiegte.

Am 24. d. M. vormittags stattete ich dem Wali von Bitlis, Mustapha
Abdul Khalik Bey, der bis zum März d. J. Mutessarrif von Soert
war, einen Besuch ab. Ich gratulierte ihm zu dem ihm kürzlich
verliehenen Medjidieorden I. Klasse und brachte ihn so von selbst
auf die Ereignisse am Anfang April d. J. zu sprechen. Wäre es den
Aufständischen am 4. April gelungen, die Burg in Bitlis mit dem
Regierungskonak einzunehmen, so wären die Folgen unübersehbar gewesen.
Ein Aufstand in ganz Kurdistan und ein russischer Einmarsch wären wohl
unausbleiblich gewesen. Die kurdischen Rebellen hatten bereits den
Stadtteil, in dem das russische Konsulat liegt, besetzt. Der russische
Konsul Schilkow sandte dem Wali, als die Sachlage, zu ungunsten der
Kurden umschlug, eine Aufforderung, das Feuer einzustellen und hat sich
nach Ansicht der hiesigen Türken dadurch erheblich kompromittiert.
Schilkow, dem ich ebenfalls einen Besuch abstattete und der mich für
morgen einlud, erklärte mir, ihm sei der nun beinahe drei Monate
währende Besuch des Mullah Selim und seiner Spießgesellen im Konsulat
äußerst peinlich. Das Konsulat ist von allen Seiten Tag und Nacht durch
starke Abteilungen von Militär und Gendarmerie bewacht, so daß ein
Entkommen Mullah Selims ausgeschlossen erscheint. Man nimmt jedoch an,
daß die russische Regierung mit Rücksicht auf ihr Prestige gegenüber
den Muselmanen in Buchara und Samarkand den Übeltäter nicht ausliefern,
sondern darauf bestehen wird, daß er mit sicherem Geleit über die
Grenze geschafft wird. Der Wali hat vor 2 Tagen die Nachricht erhalten,
daß der von ihm aus Soert mitgebrachte tapfere Gendarmeriehauptmann
Kjasim Bey am 22. d. M. im Gebiet der Karsankurden (Soert) überfallen,
verwundet und weggeschleppt worden ist. Heute, am 25. d. M., verläßt
eine Strafexpedition (2 Kompagnien) unter Führung des Platzkommandanten
Majors Hilmi Bey und des Generalstabshauptmanns Ruchi Bey die Stadt,
um die Karsankurden zu züchtigen und den gefangenen Offizier zu
befreien. Kjasim Bey hatte sich bei dem Gefecht am 4. April besonders
ausgezeichnet, trotzdem bezeichnete mir der Wali den Überfall nicht
als politischer Natur, sondern als einfachen Raubanfall, welcher ihm
erwünschte Gelegenheit gäbe, erneut ein Exempel zu statuieren.

Es verbleiben somit zurzeit in Bitlis von dem hier garnisonierenden
Bataillon nur 2 Kompagnien. Das Gros und der Stab der 34. Division sind
deshalb in Musch disloziert, weil die dortigen Geländeverhältnisse eine
bessere Ausbildung der Truppen gestatten. Bitlis ist zu sehr in einem
Talkessel eingeklemmt. Sowohl in Musch wie in Bitlis sah ich den Anfang
neuer Kasernenbauten. Die Regierung ist jetzt eifrig bemüht, nicht nur
die bei dem letzten Putsch beteiligten Kurden, sondern auch die seit
Jahren verfolgten Übeltäter und Deserteure zu verhaften. In den Dörfern
in der Muschebene las ich an Maueranschlägen Veröffentlichungen, daß
jeder, der einem Aufrührer Unterschlupf gewährt, vor das Kriegsgericht
gestellt werden wird.

Die Hinrichtung der 14 Rebellen, besonders die des allgemein verehrten
Seyid Ali, hat einen starken Eindruck gemacht. Ob derselbe jedoch
nachhaltig auf die den Reformen feindlich gesinnten Kurdenchefs
einwirken wird, werden erst die nächsten Monate zeigen.

                                                               Anders.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
          Freiherrn von Wangenheim.



_Juli._


7.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Therapia, den 24. Juli 1914.

Der Kaiserliche Vizekonsul Anders (Erzerum) berichtet auf seiner
Informationsreise aus Wan unter dem 4. d. M.:

„Nachdem ich vom 1. bis 30. Juni die Hauptstädte der Wilajets Mamuret
ul Asis, Bitlis und Wan besucht habe, konnte ich feststellen, daß die
Zustände in diesen drei Wilajets denen in Erzerum sehr ähnlich sind.
Wenngleich im Wilajet Erzerum die kurdische Frage nicht so akut ist
wie in den drei oben genannten, so ist doch in allen vier Wilajets die
Reformbedürftigkeit die gleiche. Auf der Informationsreise habe ich
in Kharput, Musch, Bitlis und Wan persönliche Beziehungen angeknüpft,
sodaß ich nun die Möglichkeit habe, von Erzerum aus die Vorgänge in den
drei Nachbarwilajets zu verfolgen.

Die Postverbindung läßt allerdings noch viel zu wünschen übrig.
Dagegen wird sich, wie mir der hiesige Wali Tahsin Bey versichert,
die Verbindung zwischen Wan und Bitlis in allernächster Zeit sehr
verbessern. Die Regierung hat außer dem vorhandenen (zurzeit wegen
Gasolinmangels außer Betrieb gestellten) Motorboot noch zwei größere
Dampfer bestellt. Statt der bisher nötigen drei Marschtage wird nun die
Entfernung von Wan nach Bitlis nur noch acht Stunden benötigen, und
zwar von Wan nach Tadwan fünf Stunden im Dampfboot und von Tadwan nach
Bitlis auf einer recht guten ebenen Straße drei Stunden.

Einzig und allein dem Motorboot, welches Prähme mit einigen hundert
Soldaten nach Tadwan schleppte, ist es nach Tahsin Beys Meinung zu
verdanken, daß am 4. April d. J. rechtzeitig genügend Truppen in Bitlis
den aufständischen Kurden gegenübergestellt werden konnten. Überhaupt
konnte ich beobachten, daß die beiden Walis von Bitlis und Wan sehr
Hand in Hand arbeiten, besonders was die Beobachtung und Bekämpfung
russischer Einflüsse unter den Kurden betrifft.“

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


8.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                    Trapezunt, den 30. Juli 1914.

Euerer Exzellenz beehre ich mich gehorsamst zu berichten, daß in
Kurdistan ein neuer Aufstand ausgebrochen ist. Bei der Entfernung und
den schlechten Verbindungen sind nicht alle Einzelheiten bekannt.
Indessen scheint die Bewegung diesmal in größerem Umfang eingesetzt zu
haben. Das Zentrum liegt in Bitlis und der Hochburg des Kurdentums,
Dersim. Es verlautet, daß ein türkischer Oberst und einige Gendarmen
von den Kurden gefangen genommen und gehängt worden sind. Auch
sollen die Aufständischen die Armenier dahin verständigt haben, daß
diejenigen, welche flüchtigen Kurden keine Unterkunft gewährten,
getötet werden würden.

Während der kurdischen Unruhen im Frühling dieses Jahres hatten die
Kurden den Armeniern ihr Leben und Eigentum garantiert. Wenn sie jetzt
ihnen gegenüber eine abweichende Haltung einnehmen, so deutet das wohl
darauf hin, daß der Zweck der Bewegung ein anderer ist. Früher schien
es nur darauf abgesehen, der Türkischen Regierung Schwierigkeiten
zu bereiten. Diesmal beabsichtigt man vielleicht eine Intervention
Rußlands zu veranlassen. Inwieweit der russische Rubel wieder die
Bewegung entfacht hat, läßt sich von hier aus nicht ermitteln.

Vor einigen Tagen hat der hiesige russische Konsul sich plötzlich ins
Innere begeben. Es verlautet, daß er die griechischen Klöster besucht.
Der hiesige Metropolit ist ihm nach zwei Tagen gefolgt. Er wurde
begleitet von einem Russen, der hier bereits eine Woche bei ihm wohnt
und sich als Gelehrter ausgibt. Daß der russische Kollege in einem
Zeitpunkt, wo die europäische Lage von hier aus sehr wenig geklärt
erscheint, seinen für Rußland wichtigen Posten verläßt, um sich Tage
weit in das Innere zu begeben, erscheint auffallend.

                                                         Dr. Bergfeld.

  An Seine Exzellenz den Reichskanzler
    Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.



_August._


9.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                   Therapia, den 11. August 1914.

Der Kaiserliche Vizekonsul Anders berichtet aus seinem Zeltlager am
Wansee unterm 26. v. M.:

„Das Eintreffen des neu ernannten General-Inspekteurs in Ostanatolien,
Oberst Hoff Bey[29], auf dessen Tätigkeit naturgemäß die hiesigen
Armenier sehr große Hoffnungen setzen, wird hier in den nächsten Tagen
erwartet. Seitens des hiesigen armenischen Episkopats ist gestern ein
Komitee aus 14 Mitgliedern ernannt worden, welches Hoff Bey nicht nur
bei seiner Ankunft im Namen der Gemeinde begrüßen, sondern auch ihn bei
seiner späteren Tätigkeit inoffiziell unterstützen soll. Dieses Komitee
ist aus Vertretern der hiesigen drei Parteien, der Daschnakzutiun,
Hintschakian, Ramgawar und aus Kaufleuten und Notabeln zusammengesetzt.
Über die Persönlichkeit der einzelnen Mitglieder machte mir mein
hiesiger Gewährsmann nähere Angaben. Offiziell sind zu Hoff Beys Stabe
ernannt:

  1. Heigasun Beygian als Beirat für Landwirtschaft, ca. 46 Jahre alt,
     bisher Direktor im Ackerbauministerium,

  2. Astik Effendi Gözubügian, bisher Zivilinspektor,

  3. Krikor Effendi Schahinjian, bisher Dragoman im Büro für öffentliche
     Sicherheit in Stambul,

  4. Mattheos Effendi Ebligajan, bisher Präsident des Bidajet Mehkeme
     (Gericht 1. Instanz) in Wan.

Ich habe, wo sich Gelegenheit dazu bot, die armenischen Kreise darauf
aufmerksam gemacht, daß natürlich das Reformwerk einer Reihe von Jahren
bedürfe und daß man nicht übertriebene Forderungen stellen dürfe.
Jedenfalls könnten sie versichert sein, daß die Kaiserlich Deutsche
Regierung im Verein mit den anderen Großmächten dafür sorgen würde,
daß es dieses Mal wirklich zur Durchführung der Reformen komme.“

Herr Hoff selbst hat mir mittels Telegramm vom 6. d. M. sein Eintreffen
in Erzerum mitgeteilt und hinzugefügt, daß er am Anfang der folgenden
Woche direkt nach Wan weiterzureisen gedachte.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


10.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                       Therapia, 11. August 1914.

    Urschriftlich

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg
gehorsamst vorgelegt.

                                                           Wangenheim.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.         Zeltlager am Wan-See, den 25. Juli 1914.

Kürzlich hatte ich Gelegenheit, mit dem hier zur Feier des
Nationalfestes anwesenden türkischen Konsulatsverweser in Urmia und
dem mir vom Jahre 1906 her befreundeten Mutessarrif von Hakkiari,
Djevdet Bey, einem Schwager Enver Paschas, über die Verhältnisse im
persischen Grenzgebiete zu sprechen. Beide stimmten darin überein, daß
in der Provinz Azerbeidjan und besonders im Distrikt von Urmia völlige
Anarchie herrsche. Die persischen Beamten seien vollkommen machtlos und
bäten oft selbst die starke russische Okkupationsarmee um Hilfe. In
Urmia befinden sich allein 1000 russische Soldaten. Der in russischem
Solde stehende berüchtigte Simko Bey[30], ein Gefolgsmann des Scheichs
von Maku, sei auf russischen Einfluß hin persischer Grenzkommandant
geworden. Was den Scheich von Maku betrifft, so soll derselbe nach
Djevdets Aussage seit einiger Zeit seinen bisherigen Freunden, den
Russen, Schwierigkeiten zu machen beginnen, da er einsieht, daß bald
das Ende seiner Unabhängigkeit und seiner Macht gekommen sei. Djevdet
Bey sagte mir, es sei unmöglich, das unbefugte Passieren der Grenze
durch Räuber zu verhindern oder zu kontrollieren, da auf beiden Seiten
keine ausreichend starke Gendarmerie vorhanden sei. Um jedoch den
häufigen Diebstählen seitens persischer Banden auf dem Gebiet seines
Sandjaks einen Riegel vorzuschieben, habe er aus eigener Initiative,
ohne dazu gesetzlich befugt zu sein, die Kurdenchefs, in deren Gebiet
Übergriffe vorkommen, für den entstandenen Schaden haftbar gemacht.
Seit dieser Maßnahme seien die nächtlichen Viehdiebstähle seltener
geworden, woraus evident hervorginge, daß bei den früheren Diebstählen
die türkischen Kurden mit den Räubern unter einer Decke steckten.
In den letzten Monaten herrsche verhältnismäßig Ruhe, nur Mitte d.
M. hätten Leute des Simko ein Dorf, dessen männliche Bewohner auf
der Feldarbeit waren, angegriffen, fünf Frauen getötet und das Vieh
weggetrieben. Im Interesse der bei solchen Anlässen Geschädigten
bedürfe das Gesetz einer Vereinfachung. Bei Anzeigen von Diebstählen
ist die Regierung zunächst nur gehalten, die Täter zu strafen. Will der
Geschädigte aber von der Regierung Zurückerstattung des geraubten Guts
oder Schadensersatz, so muß er eine neue zeitraubende Eingabe machen.
Inzwischen sind meist schon die Spuren des geraubten Viehs verwischt.

Was die Propaganda des jetzt in Täbris weilenden Abdul Rezak Bey[31]
unter den türkischen Kurden betrifft, so meint Djevdet, daß vorläufig
die Hinrichtung von 14 kurdischen Notabeln in Bitlis noch abschreckend
wirke. Er habe jedoch geheime Agenten an verschiedenen Plätzen seines
Amtsbezirks etabliert, die ihn jederzeit von dem Eintreffen und der
Tätigkeit russischer Emissäre in Kenntnis setzten. Das Verhältnis des
russischen Konsuls in Wan, Akimowitsch, zu dem Wali ist ein gutes, im
Gegensatz zu den ziemlich gespannten russisch-türkischen Beziehungen im
Wilajet Erzerum.

Sehr interessant waren Djevdet Beys Ausführungen über die Tendenzen
der russischen Politik im Gebiet westlich des Urmia-Sees. Als im
Jahre 1907 der Sultan Abdul Hamid die strategisch wichtigen Punkte im
Lahidjan-Gebiet bei Peswe und Wesne militärisch besetzen ließ, habe
Rußland energisch protestiert. Die gemischte Grenzkommission, der
seinerzeit Djevdets Vater Tahir Pascha angehörte, habe kürzlich das
bisher persische Gebiet von Kasr-i-Schirin mit seinen Ölquellen der
Türkei zugesprochen, dafür aber werde man gewiß das Gebiet westlich des
Urmia-Sees bei Saudj-Bulak und Lahidjan den Persern d. h. den Russen
überantworten. Sehr bald würden dann die Russen eine Bahn von Täbris an
das Nordostufer des Urmia-Sees bauen, einen regelmäßigen Dampferdienst
auf dem Urmia-See einrichten und damit sich eine neue Einfallpforte auf
Mesopotamien schaffen. Bisher stand ihnen nur der Weg von Igdir-Bayezid
nach Musch und damit auf Diarbekr und Mardin offen. Die Hauptstadt Wan
würden die Russen bei einer Invasion auf Musch links liegen lassen,
und am Nordrand des Wan-Sees entlang marschieren, so daß infolge der
Unpassierbarkeit der Gebirge am Südrand des Sees Wan sehr bald von
jeglicher Zufuhr abgeschnitten sein würde. Dies sei wohl auch der
Grund, weswegen im Frühjahr d. J. das Kommando der 11. Armeekorps von
Wan nach Kharput verlegt worden sei.

                                                               Anders.



_Oktober._


11.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                    Aleppo, den 16. Oktober 1914.

Wie mir deutsche Missionarinnen aus Marasch erzählen, ist der bisher
noch immer durchgesetzte aktive und passive Widerstand der Bewohner von
Zeitun gegen die Einstellung der Dienstpflichtigen dieser armenischen
Stadt in die Armee von türkischer Seite nunmehr gebrochen worden[32].
Ihr Anführer Nazar Tschausch, das Haupt der schon seit Monaten in den
Bergen umherstreifenden Deserteure, der sich mit der Zeit zu einem
Räuberhauptmann entwickelt hatte und wegen seiner Willkür von den
Armeniern selbst als Plage empfunden wurde, ist etwa Anfang Oktober von
den türkischen Truppen durch List und Wortbruch gefangen und in der
grausamsten Weise zu Tode gemartert worden.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
         Herrn Freiherrn v. Wangenheim.


29. Oktober: Eröffnung der türkisch-russischen Feindseligkeiten.



_November._


1. November: Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Rußland
und der Türkei.


12.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                Trapezunt, den 18. November 1914.

Gestern morgen erschien die russische Schwarze Meer-Flotte, bestehend
aus zwei Panzerschiffen, fünf Kreuzern und einem Transportschiff, denen
sich einige Torpedoboote zugesellten, auf der Reede von Trapezunt. Um
8 Uhr begann die Beschießung der Stadt, welche mit Unterbrechung etwa
eine Stunde dauerte. Es wurden einige Schüsse aus schweren Geschützen
(nach den gefundenen Geschoßteilen zu urteilen, etwa Kal. 20 cm)
abgegeben, welche dem Kaiserlichen Konsulat, dem alten und dem neuen
Telegraphenamt zugedacht waren. Der Rest der Schüsse wurde aus kleinem
Kaliber abgegeben und galt in erster Linie der alten Feste Güsel Hissar
und dem Hafen. Der von ihnen angerichtete Schaden ist unerheblich.

Der Zweck der Beschießung ist nicht recht klar. Ich möchte annehmen,
daß die Russen auf einen Aufstand der armenischen und griechischen
Bevölkerung gehofft und für diesen Fall eine Landung beabsichtigt
hatten. Die Türken hatten sofort die Muhammedaner bewaffnet und das
Ufer besetzt, auch zeigten sich sehr viel Patrouillen unter Führung von
Polizisten in der Stadt. Die Muhammedaner haben die beste Disziplin
gezeigt.

Gleich zu Beginn des Bombardements hatten einige Armenierinnen und
Türkinnen mit ihren Kindern das Asylrecht des Kaiserlichen Konsulats
in Anspruch genommen. Sie hatten völlig den Kopf verloren, weinten und
drohten eine Panik heraufzubeschwören. Ich habe sie daher nebst meiner
Familie und den in meinem Hause befindlichen deutschen Dienstboten
in die Berge geschickt und ihnen dort Nachtquartier besorgen lassen,
während ich selber auf dem Kaiserlichen Konsulat blieb.

Die von den Russen dem Kaiserlichen Konsulat gewidmete Aufmerksamkeit
war wohl unfreundlich und das Gefühl, der Zielpunkt ihrer Geschosse zu
sein, deren Sausen deutlich zu vernehmen war, nicht gerade angenehm,
immerhin muß man dem Feind die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er
nicht ziellos und aus reiner Zerstörungswut die Stadt beschossen hat.

                                                         Dr. Bergfeld.

     S. E. dem Reichskanzler
  Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.



_Dezember._


13.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, am 29. Dezember 1914.

Aus Anlaß eines Berichtes des Kaiserlichen Konsuls in Adana über
die der deutschen Sache ungünstige Stimmung unter der armenischen
Bevölkerung jener Landesteile habe ich den hiesigen Patriarchen der
gregorianischen Armenier über seine Auffassung der einschlägigen
Verhältnisse sondieren lassen.

Wie aus den Mitteilungen des Herrn Dr. Büge hervorgeht, herrscht unter
den Armeniern seines Amtsbezirkes allgemein die Befürchtung, daß im
Falle eines deutschen Sieges die Existenz des armenischen Volkes auf
türkischem Boden vernichtet sei; wenn aber die Türkei in die Hände
der Engländer und Franzosen fiele, dann würden endlich die so schwer
heimgesuchten Armenier Ruhe finden. Ich habe daher dem Patriarchen
versichern lassen, daß die vor Beginn des Krieges eingeleitete
Reformaktion für die ostanatolischen Landesteile zwar aufgeschoben,
aber nicht aufgehoben sei, und daß ich nach Wiederherstellung des
Friedens für die Wiederaufnahme des Reformwerkes eintreten würde, so
wie seinerzeit die dahin zielenden Schritte der russischen Regierung
von uns unterstützt worden seien.

Der Patriarch fand es selbstverständlich, daß infolge des herrschenden
Kriegszustandes diese Angelegenheit zurückgestellt sei und vor
Beendigung des Krieges nicht wieder in Fluß gebracht werden könne.
Für den Augenblick beklagte er das Mißtrauen der türkischen Behörden
gegenüber den Armeniern und speziell das Los der armenischen Distrikte
in der Nähe des Kriegsschauplatzes, namentlich in der Umgegend von
Erzerum. Die waffenfähigen Männer im Alter von 20-45 Jahren seien
eingezogen, die übrigen würden zu Transporten und dergleichen Diensten
verwendet, so daß die Dörfer den Übergriffen und Ausschreitungen
marodierender Soldaten schutzlos preisgegeben seien. In den übrigen
Provinzen mit armenischer Bevölkerung scheine Ruhe zu herrschen, doch
lägen infolge der Unterbrechung der Korrespondenzen keine sicheren
Nachrichten vor.

Im allgemeinen bemerkte der Patriarch, daß jeder einsichtige Armenier
das Verbleiben der Armenier unter türkischer Herrschaft wünsche und
den Gedanken eines Anschlusses der betreffenden Landesteile an einen
fremden Staat zurückweise; allerdings sei es unbedingt notwendig,
daß im Sinne der geplanten Reformen den Armeniern in Ostanatolien
die Gleichheit vor dem Gesetze und Schutz von Leben und Eigentum
gewährleistet werde.

Auf die Sympathien der Armenier für die eine oder die andere der mit
uns im Kriege befindlichen Mächte übergehend, meinte der Patriarch,
es sei begreiflich, daß im Grenzverkehr mit dem russischen Gebiete
vielfach russische Sympathien eingeschleppt würden. Alljährlich
im Frühling zögen Tausende von Armeniern nach Rußland, um dort zu
arbeiten, und kehrten im Herbste mit ihren Ersparnissen in ihre
türkische Heimat zurück; da würden dann wohl Vergleiche zwischen der
Behandlung, die sie in der Fremde erfahren haben, und ihrer Lage in der
Türkei gezogen; wie aber ihr Los sich gestalten würde, wenn sie unter
russische Herrschaft geraten sollten, davon hätten sie keine richtige
Vorstellung. Während der Armeniermassakres in Erzerum (im Jahre 1898)
habe der russische Konsul Maximow nicht nur diejenigen Armenier, die im
Konsulate Zuflucht suchten, abgewiesen, sondern auch den fanatischen
Pöbel durch laute Zurufe zur Fortsetzung der Ausschreitungen
angetrieben. Der Patriarch führte noch andere Einzelheiten an und fügte
hinzu, daß das Eintreten Rußlands für Reformen in Türkisch-Armenien
durch die Rücksichtnahme auf die armenische Bevölkerung im Kaukasus
begründet gewesen sei.

Wenn Sympathien für Frankreich vorhanden seien, so sei das die
Folge davon, daß in den armenischen Schulen von fremden Sprachen
hauptsächlich Französisch gelehrt werde; die Kenntnis dieser Sprache
bilde das Medium zur Einführung französischer Ideen und französischer
Sympathien. Das Deutsche sei aus Mangel an geeigneten Lehrkräften
bisher nur an wenigen Schulen in den Unterricht aufgenommen. Für
Amerika seien ausgesprochene Sympathien vorhanden, obwohl die
Proselytenmacherei der amerikanischen Missionare vielfach Anstoß
errege. -- Die ausgebreitete und segensreiche Tätigkeit der
Kaiserswerther Diakonissen und anderer deutscher Vereine für die
Armenier in der Türkei werden vom Patriarchen richtig gewürdigt.

Die vorstehenden Ausführungen des Patriarchen dürften im allgemeinen
als zutreffend und auch als aufrichtig gemeint zu erachten sein. Soweit
mir bekannt, gehört er selber, ebenso wie die Majorität des derzeitigen
„Großen Conseils“ der armenischen Gemeinde, der gemäßigten Partei
(„Ramgavar“) an.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


14.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Pera, den 30. Dezember 1914.

Der beifolgende Bericht über türkische Ausschreitungen gegen die
armenische Bevölkerung in der Umgegend von Erzerum bestätigt die
Mitteilungen, die mir hierüber vom Armenischen Patriarchen zugegangen
waren, und hat mich veranlaßt, die Zustände auf der Hohen Pforte zur
Sprache zu bringen und dringend zu raten, für die Abstellung solcher
Vorkommnisse Sorge zu tragen. Allerdings meinte der Großwesir, daß
diese Vorfälle nicht ganz ohne armenische Provokation entstanden seien;
als Beleg hierfür führte er an, daß die Armenier in dem Kriege offen
gegen die türkische Sache Partei nehmen, und erwähnte u. a., daß die
bulgarischen Armenier Rußland eine Freiwilligentruppe zur Verfügung
gestellt hätten[33].

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


Anlage.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                   Erzerum, den 5. Dezember 1914.

Die armenische Bevölkerung des Wilajets Erzerum, insbesondere die
Landbevölkerung, ist durch einige Vorgänge sehr beunruhigt, die von ihr
als Vorboten neuer Massakres aufgefaßt werden.

In dem Dorfe Osni der Erzerumer Hochebene haben am 1. d. Mts. drei
türkische Freischärler (Irreguläre) einen bei den Armeniern sehr
angesehenen Priester besucht, bei demselben gegessen und geschlafen und
ihn am nächsten Morgen gezwungen, sie bis an das Ende des Dorfes zu
begleiten, wo sie ihn durch Flintenschüsse töteten.

In dem Dorfe Tewnik, ebenfalls in der Erzerumer Hochebene, hat
eine Gruppe von 12 Freischärlern sämtliche Männer des Dorfes
herausgetrieben, gefesselt und ein Lösegeld von 100 türkischen Pfund
gefordert. Diese Summe konnte von dem Dorfe nicht aufgetrieben werden.
Die Männer blieben gefangen. Einige Frauen dieses Dorfes sind weinend
zum armenischen Bischof nach Erzerum gekommen und haben um Hilfe
gebeten.

Auch von anderen Dörfern kommen ähnliche Berichte.

Der armenische Bischof von Erzerum hat sich an den Wali gewendet, der
die Säuberung der Erzerumer Ebene von den Freischärlern versprach.

Diese Mitteilungen stammen von angesehener armenischer Seite.

Die armenische Bevölkerung behauptet, daß es sich um eine von der
türkischen Partei „Ittihad“[34] angezettelte Bewegung handle.

Tatsache ist, daß die türkischen Offiziere auf die Armenier nicht
gut zu sprechen sind und ihnen vorwerfen, sie wären russenfreundlich
und hätten das Eindringen russischer Truppen in türkisches Gebiet
erleichtert. Auch bei der türkischen Bevölkerung scheint, wie aus
mancherlei Symptomen zu ersehen, der alte Haß gegen die Armenier neu
aufzulodern.

                                                              Schwarz.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
  Dr. von Bethmann Hollweg, Berlin.



1915



_Februar._


15.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                       Pera, den 2. Februar 1915.

Laut Artikel 5 des mit dem Generalinspektor Hoff Bey geschlossenen
Vertrages hat die Türkische Regierung das Recht, den Vertrag vor seinem
Ablauf zu kündigen. Eine entsprechende Klausel enthält der Vertrag mit
dem Sekretär Blehr.

Die in Kristiania akkredierte türkische Gesandtschaft ist angewiesen
worden, die Verträge mit den genannten Herren in aller Form zu kündigen.

Entsprechend ist gegenüber dem holländischen Reformer Westenenk
verfahren worden[35].

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß diese Maßnahme der türkischen
Regierung in der armenischen Bevölkerung starke Erregung hervorrufen
wird; denn sie wird als ein Zeichen dafür ausgelegt werden müssen,
daß die Pforte nicht gewillt ist, den Weg der armenischen Reformen
fortzusetzen. Zwar wird dies auf der Pforte nicht offen zugegeben,
sondern in vagen Wendungen auf die Möglichkeit hingewiesen, die beiden
Reformer nach Beendigung des Krieges wieder anzustellen; doch ist dies
nicht mehr als eine façon de parler, die nicht ernst genommen werden
darf.

Als ich zu Talaat Bey Bedenken äußerte, ob ein derartiger Entschluß
günstig sei, erwiderte er: „C’est le seul moment propice!“ Ich bin
bei den Türken durchweg der Auffassung begegnet, daß im Falle des
Unterliegens der Türkei die armenische Bevölkerung sich unbedingt auf
die Seite des Siegers schlagen würde, und daß alle Zugeständnisse in
der Reformfrage daran nichts zu ändern vermögen. Die Pforte sei es
daher überdrüssig, dem armenischen Elemente eine Vorzugsbehandlung vor
den übrigen Volksteilen der Türkei zuteil werden zu lassen.

Die erwähnte Maßregel kennzeichnet sich somit als ein neues Glied in
jener Kette von Regierungsakten, durch welche die Türkei neuerdings
ihr unbeschränktes Selbstbestimmungsrecht auf allen Gebieten ihres
Staatslebens selbstbewußt zum Ausdruck bringt.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler,
     Herrn von Bethmann Hollweg.


16.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 22. Februar 1915.

Unter dem Eindruck, den mein Besuch beim griechischen Patriarchen am 2.
d. Mts. auch in weiteren Kreisen hier gemacht hat, hatte der armenische
Patriarch den Wunsch geäußert, seinerseits eine Zusammenkunft mit mir
zu haben.

Bei dem Besuche, den er mir infolgedessen am 20. d. Mts. abstattete,
sprach er zunächst seinen Dank für unsere wohlwollende Politik in
der armenischen Reformenfrage aus; auch bat er mich, speziell die
armenische Bevölkerung in den vom Kriege heimgesuchten Grenzprovinzen
dem Schutze der dort befindlichen deutschen Militärs und Konsuln zu
empfehlen. Im übrigen bezeichnete er die Lage der Armenier in jenen
Gegenden als „verhältnismäßig befriedigend“.

Ich konnte dem Patriarchen nur wiederholen, daß wir uns nach wie vor
um die Verbesserung der Lage der türkischen Armenier bemühten, und
daß die längere Friedensperiode, die nach Beendigung des Krieges zu
erwarten stünde, uns Gelegenheit bieten würde, unsren moralischen
und politischen Einfluß weiter in diesem Sinne geltend zu machen;
daß der Krieg allen Teilen der Bevölkerung große Opfer auferlege,
und gelegentliche Härten nicht zu vermeiden seien, namentlich im
eigentlichen Kriegsgebiete, daß aber die deutschen Beamten, soweit
angängig, sich der Armenier annehmen würden und ich mir selber
vorbehielte, den einen oder den anderen Punkt auf der Hohen Pforte zur
Sprache zu bringen.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.



_März._


17.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 3. März 1915.
  Ankunft in Pera, den 3. März 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Aus dem Wilajet Bitlis[36] wird von Aufstandsbewegungen der Armenier
und bewaffnetem Vorgehen derselben gegen Militär und Gendarmen
berichtet. In Kaisarié sollen bei Haussuchung Bomben und Chiffrebücher
gefunden worden sein. Man führt diese Bewegungen auf aufreizende
Agitation feindlicher Mächte zurück. Militärbehörden haben scharfe
Maßregeln angeordnet, auch dürfen Armenier nicht zum Dienst mit der
Waffe zugelassen werden.

                                                            Scheubner.


18.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                  Alexandrette, den 7. März 1915.

In den letzten Tagen haben bei sämtlichen hiesigen Rajahs -- Armeniern,
Syrern, Griechen -- auf höheren Befehl (dem Vernehmen nach aus
Konstantinopel) Haussuchungen stattgefunden. In einer Anzahl von
Häusern wurden Papiere beschlagnahmt, anscheinend nur deswegen, weil
sie fremdsprachlich waren. Dasselbe Schicksal hatten Bücher, besonders
englische. Eine Verhaftung ist auf Grund des Ergebnisses bisher nicht
erfolgt. Soweit ich den Charakter und die Tätigkeit der hiesigen
kleinen Bevölkerung bisher kennen gelernt habe, glaube ich auch
nicht, daß diese sich landesverräterisch betätigt. Aus diesem Grunde
erregte die Maßregel auch bei den nicht betroffenen hiesigen fremden
Staatsangehörigen Kopfschütteln. Durchgeführt wurde sie übrigens in
verbindlichen Formen.

Die Maßnahme hängt, wie ich von militärischer Seite höre, mit dem
Mißtrauen zusammen, das in Regierungskreisen neuerdings gegen die
christlichen, besonders die armenischen Bevölkerungsbestandteile
Syriens und Ciliciens -- wohl auch anderwärts -- wieder stärker
geworden ist und das hier und in der benachbarten Gegend durch kleine
Vorkommnisse genährt worden ist. So haben sich z. B. unter den
Gendarmen, die, wie gemeldet, bei zwei Landungen des Kreuzers „Doris“
in englische Gefangenschaft gerieten, Armenier befunden. Das eine Mal
soll der armenische Unteroffizier der sieben Mann starken (mit nicht
funktionierenden Martinis ausgerüsteten) Besatzung eines kleinen (ohne
rückwärtigen Ausgang angelegten) Schützengrabens das Zeichen der
Ergebung mit dem Taschentuch gegeben haben. So naheliegend es ist,
dieses Verhalten aus dem Mangel soldatischer Eigenschaften zu erklären,
sahen die hiesigen Militärbehörden darin Verrat. Der gemeine Mann
wird diesen Eindruck erst recht gehabt haben. Die Folge dieser beiden
Vorfälle war denn auch eine panikartige Stimmung unter den hiesigen
Armeniern.

Diese hat sich verschärft durch das Vorgehen der Militärbehörden in dem
30 km von hier gelegenen, zum Wilajet Adana gehörigen Flecken Dörtjol.
Was dort eigentlich geschehen ist, habe ich des näheren noch nicht
feststellen können[37]. Nach Angabe der hiesigen Militärbehörde handelt
es sich um eine Razzia, die vor einer Woche dort als einem bekannten
Zufluchtsort für Deserteure, Räuber und Unruhestifter vorgenommen
wurde. Nach anderen Angaben sollen sämtliche arbeitsfähigen Leute
zwangsweise zum Wegebau nach Osmanije abgeführt worden sein. Tatsache
ist, daß der Ort militärisch eingeschlossen und der Eintritt sowie das
Verlassen nur gegen militärischen Passierschein erlaubt ist.

                                                             Hoffmann.

   Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
  Herrn Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.


19.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat                         Adana, den 13. März 1915.

Euerer Exzellenz beehre ich mich, in der Anlage eine von meinem
Gewährsmann verfaßte Darstellung der Umtriebe in Dörtjol gehorsamst zu
überreichen.

Irgend welche Haftung für die Zuverlässigkeit des Berichtes vermag ich
nicht zu übernehmen, glaube aber, daß die Sache im ganzen zutreffend
geschildert ist.

                                                                 Büge.

   Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
  Herrn Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.


Anlage.

~Die Unruhen in Dörtjol.~

Die Gegend von Dörtjol ist mit wenigen Ausnahmen von Armeniern bewohnt
und ist von türkischen Wohnstätten umgeben. Die Bevölkerung lebt
ausschließlich von Orangenkultur und hat in diesem Jahre wegen des
allgemeinen Krieges das einzige Produkt ihrer Arbeit nicht an den
Markt bringen können. Während der Mobilmachung hatten die Bewohner
von Dörtjol entweder dienen oder „Bedel“[38] zahlen müssen. Wegen
des allgemeinen Geldmangels haben sich die Leute nicht helfen können
und haben viele von ihnen, anstatt der militärischen Einladung Folge
zu leisten, desertiert. Manche von den Deserteuren haben das Weite
gesucht, aber auch viele sind an ihrem Wohnort geblieben.

Dieser Umstand und das Mißtrauen der in der Umgebung wohnenden Türken
den Armeniern gegenüber haben die Aufmerksamkeit der Regierung auf
dieselben gelenkt, um so mehr, weil die Bewohner von Dörtjol sich
während der letzten Massaker[39] gegen die Türken verteidigt haben.

Nach der Beschießung der türkischen Häfen seitens der englischen
Kriegsschiffe sind öfters Engländer ungestört auf das Land gekommen,
haben sich nach Dörtjol zu den Armeniern begeben und haben dort
Einkäufe gemacht. Aus Gewinnsucht haben manche Armenier mit den
Engländern Geschäftsverkehr gehabt, zur Unzufriedenheit Anderer,
welche merkten, daß die Regierung alles beobachtete und einmal für das
Vorgehen einzelner Personen alle verantwortlich machen werde.

Vor einigen Wochen begibt sich ein früherer Deserteur namens
Saldschian, der seine Erziehung bei den hiesigen Jesuiten genossen
hat und an der armenischen Schule als Lehrer der französischen
Sprache angestellt war, nach Dörtjol. Seit zwei Jahren befindet er
sich in Cypern und ist jetzt wahrscheinlich in den englischen Dienst
eingetreten. Er geht in Begleitung eines Armeniers aus Alexandrette
nach Dörtjol und bleibt dort 6-7 Tage. Man kann fast bestimmt sagen,
daß er die Bewohner für den fremden Dienst zu gewinnen versucht hat. In
welchem Maße es gelungen ist, kann man nicht feststellen, und einige
Kaufleute behaupten, daß die Mission Saldschians privater Natur sei und
mit der Allgemeinheit nichts zu tun habe. Die Notabeln der Ortschaft
haben von dem ganzen Vorgang keine Kenntnis gehabt, und manche sind
nicht einmal dort gewesen.

Saldschian hat sich Ausweispapiere angeschafft und sich als Kaufmann
vorgestellt. Sogar die Polizei hat von seiner Anwesenheit Kenntnis
gehabt. Nach der Rückkehr Saldschians auf das englische Kriegsschiff
wird die Polizei durch reinen Zufall auf den falschen Kaufmann
aufmerksam und hat nur den Begleiter festnehmen können.

Wenige Tage nachher begibt sich wieder ein Armenier namens Köschkerian
aus der Ortschaft Odschakli vom Kriegsschiff auf das Land. Dieser
befand sich, nachdem seine Frau während der Massaker seitens der Türken
ermordet war, im Ausland. Dieser soll auch einen Betrag von 40 Ltq. mit
sich geführt haben.

Aus allen Vorgängen und Erscheinungen kann man nicht den Schluß ziehen,
daß die Armenier irgendeine Organisation zwecks Verschwörung oder
Revolution gehabt haben. Aber sicher ist es schon, daß das Erscheinen
der Kriegsschiffe und das aggressive Vorgehen derselben seitens der
Mehrzahl der gesamten christlichen Bevölkerung im allgemeinen und
speziell von den Armeniern mit Freude begrüßt wurden, und wenn es
einmal den Engländern oder Franzosen gelingt, auf das Land zu kommen,
dann werden sie von allen Christen mit Jubel empfangen werden.

Auf das dringende Verlangen der türkischen Bevölkerung der benachbarten
Wohnstätten um die Wegschaffung der Armenier aus Dörtjol zwecks
Vermeidung irgendeiner Eventualität, sowie wegen Festnahme der
Deserteure hat die Regierung alle Bewohner männlichen Geschlechts in
einer Nacht festgenommen und aus der Gegend entfernt. Man hat sie
unter strenger Aufsicht nach Aleppo geschickt und verwendet sie für
Straßenbau. Während der Festnahme haben die Armenier volle Ergebenheit
gezeigt und haben sich gegen die Regierung gar nicht gewehrt. Nur drei
Leute sind bei der Flucht erschossen worden. Auch diese sollen von
Waffen keinen Gebrauch gemacht haben.

    Adana, den 12. März 1915.


20.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 26. März 1915.

Unter dem 12. d. Mts. hatte der Kaiserliche Konsul in Aleppo
gemeldet, daß in Zeitun, dem aus früherer Zeit bekannten armenischen
Wetterwinkel, eine Revolte ausgebrochen wäre, deren Umfang noch
unbekannt sei. Trotz Warnung des Wali hätte der Militärkommandant
dort keine Truppen gelassen. Der darüber befragte Konsul in Adana
berichtete, daß von einem vorbereiteten Aufstand der Armenier keine
Rede sei und es sich wahrscheinlich nur um einzelne Ausschreitungen
aus Anlaß der Rekrutierung handele. Der hiesige armenische Patriarch
bestätigt diese Darstellung und fügt namentlich hinzu, daß die
Regierung vor einiger Zeit den Einwohnern von Zeitun sämtliche Waffen
abgenommen habe.

Nunmehr telegraphiert Konsul Rößler von gestern:

„In Zeitun hatten armenische Deserteure, die verhaftet werden
sollten, einige türkische Gendarmen erschossen; daraufhin hat die
muhammedanische Bevölkerung von Marasch offenbar geplant, Metzeleien
zu veranstalten, ist aber auf die Ankündigung der Einsetzung eines
Kriegsgerichtes ruhig geblieben. Ein deutscher Missionsbruder
aus Marasch ist als Unterhändler nach Zeitun gesandt. Wenn die
Einwohner die Rädelsführer nicht herausgeben, so soll militärisch
vorgegangen werden. In diesem Falle mag es schwer sein, die niedrige
muhammedanische Bevölkerung von Marasch im Zaume zu halten. Bitte
strengste Befehle zur Verhütung von Ausschreitungen erwirken. Die
armenische Bevölkerung von Marasch ist völlig friedlich. Die Mission,
in der acht Schwestern sind, hat eine Schwester an mich abgeschickt,
mich zu bitten, zum Schutz der Deutschen nach Marasch zu kommen. Ich
erbitte Erlaubnis zur Abreise.“

Ich habe hier die nötigen Schritte getan und den Kaiserlichen Konsul
zur Reise nach Marasch ermächtigt.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


21.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 29. März 1915.

Die letzten Nachrichten, die der Pforte in diesen Tagen aus Zeitun
zugegangen sind, bestätigen die Auffassung des Kaiserlichen Konsuls zu
Aleppo vom Ernst der dortigen Lage.

Über die einzelnen Vorfälle, die die Regierung nunmehr zum
militärischen Einschreiten veranlaßt haben, machte der Minister des
Innern folgende Angaben:

Armenische Deserteure, die sich durch die Flucht der Dienstpflicht
entzogen hatten, unternahmen kürzlich einen Angriff auf das Gefängnis
in Zeitun, um einige armenische Gefangene zu befreien; es kam zu
einem blutigen Zusammenstoß, bei dem mehrere Gendarmen von der
Wachmannschaft und auch einige Armenier, die sich den Angreifern
entgegenstellten, verwundet und getötet wurden. Gendarmen, die in den
Häusern nach Fahnenflüchtigen suchten, wurden mit scharfen Schüssen
und Steinwürfen empfangen; hierbei sollen ein oder mehrere Gendarmen
den Tod gefunden haben. Das Gros der Deserteure sammelte sich alsdann
in einem Kloster bei Zeitun, wo sie von den türkischen Gendarmen
angegriffen wurden: letztere verloren 7-8 Tote, unter denen sich auch
der Gendarmeriekommandant von Marasch, Suleiman Bey, befand, und 20
Verwundete. Den Armeniern gelang es unter Zurücklassung von einigen
20-30 Toten, denen sie zum Teil die Köpfe abschnitten, zu entfliehen.

Es ergibt sich daraus, daß die renitenten Armenier, trotz der vor
einiger Zeit angeordneten Entwaffnung der Bevölkerung von Zeitun, über
Waffen verfügen und die Ursache dieser Kämpfe im Widerstande gegen die
Konskription zu suchen ist. Der Minister glaubt, daß außerdem fremde
Agitatoren ihre Hand im Spiele haben[40]; im übrigen versichert er,
daß Besorgnisse wegen Ausschreitungen in den an Zeitun angrenzenden
Distrikten unbegründet seien.

Der armenische Patriarch versucht, die Tragweite der Vorgänge in Zeitun
und anderwärts abzuschwächen und stellt namentlich das Vorhandensein
einer organisierten Aufstandsbewegung in Abrede; er sowohl, wie die ihm
nahestehenden armenischen Kreise betonen, daß die türkischen Armenier
ernstlich bestrebt seien, sich korrekt und loyal zu verhalten.

Die letzteren Behauptungen scheinen zuzutreffen; es ist indes nicht
zu verkennen, daß das gegenseitige Mißtrauen zwischen Armeniern und
Türken in den letzten Zeiten zugenommen hat. Als charakteristisches
Symptom hierfür wird angeführt, daß seit einigen Wochen die armenischen
Dienstpflichtigen, sowohl gediente Mannschaften wie Rekruten, nicht
mehr zum Dienste mit der Waffe, sondern zu Wegebauten und dergleichen
Diensten verwendet werden.

                                                           Wangenheim.

  Seine Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


22.

  (Kaiserliches Konsulat
         Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Marasch, den 31. März 1915.
  Ankunft in Pera, den 31. März 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Kampf bei Zeitun ging um ein isoliert liegendes, von Deserteuren zum
Aufenthalt genommenes Kloster. Es wurde umstellt, Deserteure brachen
aber durch und flüchteten ins Gebirge. Gesamtzahl etwa 150 Mann.
Einige gefallen, einige verwundet und gefangen. Kloster mit Artillerie
zusammengeschossen. Kämpfe gegen Stadt Zeitun nicht mehr bevorstehend.

Regierung hat alle aufgefordert, sich zu stellen, die ihrer
Dienstpflicht nicht genügt haben. 125 aus Zeitun, 450 aus Marasch
haben sich gestellt. Belagerungszustand Marasch verhängt, auch Sitz
des Kriegsgerichts hier. Verlassen Häuser nach 6 Uhr abends verboten.
Haussuchung nach Waffen streng bei Christen, weniger bei Muselmanen.
Aufregung läßt seit Sonnabend etwas nach.

                                                               Rößler.



_April._


23.

  (Kaiserliches Konsulat
         Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Marasch, den 1. April 1915.
  Ankunft in Pera, den 1. April 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Djemal Pascha hat Mittwoch Befehl bekannt geben lassen, niemand solle
sich in Regierungsangelegenheiten mischen. Ein Muhammedaner, der einen
Armenier angreife, werde vor das Kriegsgericht gestellt.

                                                               Rößler.


24.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 3. April 1915.

Über die Kämpfe bei Zeitun meldet Konsul Rößler unter dem 31. v. Mts.,
daß es sich dabei um ein isoliertes Kloster handelte, in dem armenische
Fahnenflüchtige sich aufhielten. Das Kloster wurde umzingelt, die
Armenier aber brachen durch und flüchteten, etwa 150 Mann stark, in die
Berge. Einige von ihnen fielen, andere wurden verwundet oder gefangen
genommen. Das Kloster wurde mit Artillerie zusammengeschossen.

Kämpfe gegen die Stadt Zeitun selber scheinen nicht bevorzustehen.

Auf die von den Behörden erlassene Aufforderung haben sich in Zeitun
125 und in Marasch 450 Dienstpflichtige gestellt, die sich bisher der
Dienstpflicht entzogen hatten.

In Marasch selber ist ein Kriegsgericht eingesetzt und der
Belagerungszustand verhängt worden. Es haben Haussuchungen nach Waffen
stattgefunden, namentlich bei den Christen, und das Verlassen der
Häuser nach Sonnenuntergang ist verboten. Doch hat sich die Aufregung
gelegt.

In einem weiteren Telegramm vom 1. d. Mts. fügt Konsul Rößler hinzu,
daß Djemal Pascha habe bekannt machen lassen: jeder Muhammedaner, der
einen Armenier angreife, werde vor das Kriegsgericht gestellt werden;
niemand habe sich in die Regierungsangelegenheiten zu mischen.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


25.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                      Aleppo, den 12. April 1915.

Die Unruhen, welche in Zeitun ausgebrochen sind, haben die Frage
nahegelegt, ob sie von auswärts angezettelt seien. Keinerlei derartige
Spuren aber habe ich während meiner Dienstreise nach Marasch vom 28.
März bis 10. April entdecken können. Der Vorsitzende des Kriegsgerichts
hat allerdings behauptet, fremder Einfluß sei vorhanden, hat mir aber
keine Angaben darüber gemacht. Die an Ort und Stelle vorhandenen,
aus den inneren Leiden der Türkei stammenden Keime genügen vielmehr
vollkommen, die Unruhen zu erklären.

In der Nähe von Zeitun hatte sich ein Räuberunwesen unter den Armeniern
unter einem gewissen Nazareth Tschausch entwickelt[41]. Im Oktober v.
Js. ist der Mutessarrif Haidar Pascha von Marasch dagegen vorgegangen.
Er versprach den Bewohnern von Zeitun auf sein Wort, daß er denen,
die ihm die Räuber auslieferten, nichts tun würde und erreichte damit
tatsächlich die Auslieferung. Anstatt aber ein Gerichtsverfahren zu
eröffnen und die Schuldigen hinzurichten, ließ er Nazareth Tschausch
im Gefängnis zu Tode prügeln (vgl. Bericht vom 16. Oktober v. Js). 30
der mit ihm Gefangenen ließ er nach Osmaniyé ins Gefängnis bringen,
wo sie noch heute ohne Urteil sitzen, andere hat er laufen lassen, um
nicht gleichzeitig gefangene muhammedanische Räuber strafen zu müssen.
Dagegen hat er entgegen seiner feierlichen Zusage diejenigen Leute
verhaften lassen, die ihm zur Ergreifung der Räuber führende Angaben
gemacht hatten.

Mit Kriegsausbruch wurde von General Fakhri Pascha entgegen dem Rat des
Wali Djelal Bey von Aleppo die in Zeitun liegende Kompagnie Soldaten
fortgenommen und durch Gendarmen ersetzt und zwar durch muhammedanische
Gendarmen aus Marasch, die zum Teil die persönlichen Feinde der
Bewohner von Zeitun waren. Ihnen waren die letzteren ausgeliefert.

Zeitun ist eine ausschließlich christliche Stadt. Mehrfach wurden die
Männer mißhandelt und die Frauen belästigt unter stillschweigender
Duldung und Begünstigung durch den Gendarmeriehauptmann und den
Kaimakam. Die gedrückte Bevölkerung von Zeitun wandte sich an den
Mutessarrif von Marasch mit der Bitte, die beiden Beamten abzurufen.
Haidar Pascha war im November auf Vorschlag des Wali durch den
Mutessarrif Mumtaz Bey ersetzt worden, der als unparteiisch und
besonnen gilt und bestrebt war, sich ein richtiges Bild von der Lage zu
machen. Er verlangte Beweise für die Schuld der beiden Beamten. Beweise
aber können die Bewohner nicht wagen gegen einen Beamten vorzubringen.
Jeder Zeuge müßte früher oder später unnachsichtlich dafür büßen. So
haben denn die Gendarmen weiter gehaust und eine erbitterte Stimmung
geschaffen.

Noch aus einer anderen Quelle wurde die Unruhe gespeist. Von den
armenischen Soldaten in Marasch, die schlecht genährt und, soweit
sie Zeitunlis waren, gequält und schlecht behandelt wurden, war ein
Teil desertiert. Aus Gründen, die mit dem hiesigen Bezirk nichts
zu tun haben, nahm die Regierung etwa Anfang März den christlichen
Soldaten Uniform und Waffen. Da dies von den unwissenden Mannschaften
als Vorspiel zu weiteren, schwereren Maßnahmen gegen die Christen
betrachtet wurde, so desertierten weitere christliche Soldaten und
vereinigten sich mit den in der Nähe von Zeitun hausenden Räubern. Als
Gendarmen ausgesandt wurden, sie zu fangen, setzten sie sich zur Wehr
und erschossen 6 von ihnen etwa am 9. März. Auch einen muhammedanischen
Maultiertreiber, der nach Zeitun ging, haben sie ermordet. Die
Bevölkerung von Zeitun, fürchtend, daß die Räuber auch Überfälle auf
die Stadt ausführen könnten, baten um Schutz, der auch gewährt wurde.
Als in den verschiedenen Stadtvierteln Gendarmeriepatrouillen gingen,
wurde in dem Stadtviertel Yeni Dunya, in welchem Nazareth Tschausch
seinerzeit seine Wohnung gehabt hatte, aus einem Hause heraus auf
eine Patrouille geschossen. Anstatt aber dieses Haus zu umstellen und
die Schuldigen zu fassen, zog es der Gendarmeriehauptmann, der vorher
die Bevölkerung bedrückt hatte, vor, sich nicht mehr in die Stadt zu
begeben, sondern in der Kaserne oberhalb der Stadt zu bleiben. Hierauf
breitete sich die Bewegung aus. Die Räuber und Deserteure verschanzten
sich in einem außerhalb der Stadt gelegenen als Wallfahrtsort dienenden
ehemaligen Kloster (Tekke). Versuche, ihre Auslieferung durch die
Stadtbewohner zu verlangen, scheiterten, weil die Leute kein Vertrauen
mehr zu Regierungsversprechungen hatten. Hier rächte sich, daß Haidar
Pascha im Oktober sein Wort gebrochen und die Ausliefernden bestraft
hatte. Das Anerbieten des Missionars Blank vom Deutschen Hülfsbund in
Marasch, sich nach Zeitun zu begeben und einen Versuch zur gütlichen
Übergabe zu machen, wurde vom Mutessarrif Mumtaz Bey verständigerweise
angenommen. Blank ging am 23. März nach Zeitun, doch scheiterten
seine Bemühungen daran, daß die Verschanzten niemanden mehr an das
Kloster heranließen, sondern den von Blank abgeschickten Eingeborenen
mit der Waffe bedrohten, sobald von Auslieferung die Rede war. Sie
erklärten, sterben müßten sie doch. Sie wollten es lieber mit der Waffe
in der Hand, als sich der Regierung ausliefern. Daraufhin ließ der
Platzkommandant von Zeitun das Kloster umstellen, aber mit ungenügender
Truppenzahl. Wäre er militärisch richtig vorgegangen, so hätte er die
ganze Räubergesellschaft gehabt. Er hätte nur Ankunft von Artillerie
abzuwarten oder die Räuber auszuhungern brauchen. Statt dessen aber
ließ er einen Angriff machen, wobei der Gendarmeriemajor aus Marasch
auf das Haupttor des Klosters losritt und nebst einigen Soldaten
erschossen wurde. Die Räuber, deren Zahl vielleicht 150 gewesen sein
mag, brachen unter Verlust einer Anzahl Toter und Verwundeter, die
den Truppen in die Hände fielen, durch, gewannen die Stadt und von
dort aus die Berge. Erwähnenswert ist, daß sie zweien ihrer Toten die
Köpfe abgeschnitten haben, offenbar um ihre Identifizierung durch
die Türken unmöglich zu machen. Das Kloster wurde nachträglich mit
Artillerie zusammengeschossen. Die Ergreifung der Räuber in den Bergen
wird schwierig sein. Mumtaz Bey, der inzwischen nach Zeitun geeilt war,
setzte nunmehr den Gendarmeriehauptmann ab, weil er nach Beschießung
der Patrouille nicht die richtigen Maßregeln ergriffen hatte und den
Kaimakam, weil er sich noch nach Ankunft des Mutessarrif weigerte, von
der Kaserne herab zur Erfüllung seiner Pflichten in die Stadt zu gehen.

Die Ereignisse von Zeitun gewinnen stets dadurch eine größere
Bedeutung, daß sie eine Rückwirkung auf Marasch als die nächstgelegene
größere Stadt ausüben. Diese zählt schätzungsweise 50-60000
Einwohner, von denen 36000 Moslims und 24000 Christen sein mögen.
Sie leben zum Teil von Industrie und Handel, zum großen Teil aber
von landwirtschaftlicher Tätigkeit, Weinbau (Gewinnung von Rosinen
und Bereitung von Traubenhonig), Reisbau, Baumwolle, Seidenzucht u.
a. Obwohl der Boden fruchtbar ist und reichlich Wasser vorhanden,
so daß vielfach auch das Getreide bewässert werden kann, ist die
Bevölkerung doch arm und gegenwärtig großenteils dem äußersten Elend
nahe, teils infolge der dauernden politischen Unruhen, teils infolge
der überaus mangelhaften Verkehrsverhältnisse. Die Bevölkerung ist
friedlich und denkt nicht an Auflehnung gegen die Regierung. Die
Wirkung der Mobilmachung, weitgehende Requisitionen haben stark
auf sie gedrückt und u. a. die Beförderungsmittel äußerst knapp
gemacht. Der Wagen, mit dem ich aus Aleppo ankam, war der einzige
in der ganzen Stadt. Im ganzen sind bis Ende März 2000 Pferde und
Maultiere requiriert worden. Am 5. April wurden 500 Esel verlangt.
Christliche Maultiertreiber sind gezwungen worden, 4 Wochen lang
hintereinander für militärische Zwecke unentgeltlich zu arbeiten,
ohne Lohn und ohne Requisitionsschein (während man muhammedanische
nach ein paar Tagen laufen ließ). Waren sie dann mit einem Schein
entlassen, daß sie ihrer Pflicht genügt hätten, so wurden sie in
manchen Fällen trotzdem an anderer Stelle wieder aufgegriffen. -- Die
Lage war bereits sehr gedrückt, als die Zeitunereignisse kamen. Jetzt
wurden auch der armenischen Zivilbevölkerung die Waffen weggenommen,
und zwar mit Vorliebe durch nächtliche Haussuchungen. Soldaten
schlugen die Christen, Frauen wurden unter dem Vorwande, daß sie
nach Waffen durchsucht werden müßten, belästigt, Kinder wurden mit
Steinen geworfen. Das Gerücht wurde ausgestreut, die christlichen
Soldaten hätten ihren muhammedanischen Kameraden das Brot vergiftet;
muhammedanische Frauen drohten offen, es würden wieder Metzeleien
vorkommen: ein Muhammedaner bot einem christlichen Freunde sein Haus
zum Schutz an. Einflußreiche Muslims beschlossen, ein Telegramm an die
Zentralregierung zu schicken, daß die Armenier die Moscheen besetzt
hätten. So töricht diese aufreizende Beschuldigung ist, so entspricht
sie doch dem niedrigen Bildungsstande der dortigen Muhammedaner. Das
Telegramm wurde erst dem Mutessarrif nach Zeitun mitgeteilt, der die
Absendung verhinderte und dem Kriegsgericht Anzeige erstattete, das
aber gegen die Urheber nichts getan hat. -- Während den Armeniern
die Waffen abgenommen wurden, hatten die Muslims Gelegenheit, sich
Pulver und Schrot zu kaufen. Die Bewohner des Dorfes Tekerek in der
Nähe von Marasch schickten Nachricht dorthin, entweder sie müßten
zum Islam übertreten, oder sie würden ihr Leben verlieren. Kurzum
die ganze Sachlage erschien der deutschen Mission in Marasch derart,
daß bei einer weiteren Zuspitzung der Verhältnisse, insbesondere
wenn die Kämpfe in Zeitun angedauert hätten und noch weiteres Blut
muhammedanischer Soldaten geflossen wäre, zweifelhaft war, ob es der
Regierung gelingen würde, das Volk in Marasch im Zaum zu halten, auch
zweifelhaft, welche Strömung bei den Ortsbehörden die Oberhand behalten
würde, die besonnene des Mutessarrifs oder eine schärfere, der einige
Notable zugehören. Da brieflicher Verkehr starker Zensur unterworfen
war, nicht nur auf der Post, sondern auch der durch Boten vermittelte,
und ein vor 4-5 Wochen an mich abgeschickter Brief der Mission nicht
angekommen war, so entschloß sich der Hülfsbund, eine der Schwestern
von Marasch nach Aleppo abzusenden, um mich um einen Besuch zu bitten.
Diese überbrachte auch einen Brief der Schulleiterin Helene Stockmann,
aus dem hervorgehoben zu werden verdient, in welcher unmenschlichen
Weise die Prügelstrafe gehandhabt wird. Die amerikanische Mission
sprach ihrem Konsul in Aleppo gleichfalls die Bitte um einen Besuch
aus. Einen Brief des Dr. Shepard in Aintab darüber beehre ich mich in
Abschrift beizufügen. -- Allgemein wurde von dem Besuch eines Konsuls
sehr viel erwartet, von der Bevölkerung wie von der Mission. In den
abgelegenen Gegenden des Innern, zu denen auch Marasch gezählt werden
muß, macht ein solcher noch besonderen Eindruck, auch auf die Behörden.
Bereits seine Ankündigung, die ich in einem alsbald bekannt gewordenen
türkischen Telegramm vom 27. März an den Mutessarrif vorgenommen hatte,
hatte beruhigend und mäßigend gewirkt. Offenbar hat er auch weiter zur
Beruhigung der Bevölkerung beigetragen und wohl auch Eindruck auf das
Militär gemacht. Seit meiner Ankunft sind nicht mehr Leute auf der
Straße geschlagen worden. Ich beehre mich, über die Wirkung einen Brief
der amerikanischen Mission vom 31. v. Mts. beizulegen. Die gesamte
armenische Bevölkerung von Marasch ist für den Besuch sehr dankbar
gewesen und hat ihn allgemein als Erleichterung der Lage empfunden.
-- Erst am 31. März wurde der in der Anlage gehorsamst beigefügte
Befehl von Djemal Pascha, der die Bevölkerung zur Ruhe ermahnt, bekannt
gegeben. Er hat übrigens nicht zu verhindern vermocht, daß noch am 3.
April ein vereinzelt in einem muhammedanischen Stadtviertel lebender
Armenier zwangsweise zum Islam bekehrt worden ist, nachdem ihm eine
Patrouille mit dem Kolben die Tür eingeschlagen hatte.

Inzwischen nimmt die Entwicklung der Zeitunangelegenheit ihren
weiteren Verlauf, ohne bisher beendet zu sein. -- Die Regierung hat
verlangt, daß sich alle Deserteure stellen. -- 450 aus Marasch und
125 aus Zeitun hatten sich bis Ende März gestellt und werden zum
Teil in Strafkompagnien zu Arbeiten verwendet, zum Teil sehen sie
noch ihrer Aburteilung durch das Kriegsgericht entgegen. -- Übrigens
richtet sich die Untersuchung durch das Kriegsgericht gegen alle
angesehenen und wohlhabenden Armenier von Marasch, von denen viele
ganz offenbar mit der Zeitunangelegenheit nicht das geringste zu
tun gehabt haben, und obwohl diese nichts sehnlicher wünschen, als
daß mit den Räubern ein Ende gemacht werde, damit Marasch endlich
einmal Ruhe habe. Man hat den Sohn des armenischen Abgeordneten für
Marasch, Hosep Effendi Kirlakian in Haft genommen, erst unter der
Beschuldigung, er habe Waffen geschmuggelt, dann, als dafür keinerlei
Beweise vorhanden waren, unter der Beschuldigung, er habe einen Mann
bestochen, eine Waffe auf der Straße abzufeuern, um auf diese Weise
Unruhen hervorzurufen. Schließlich hat man ihn freilassen müssen. --
Man hat Haussuchungen vorgenommen bei den armenisch-protestantischen
Pfarrern, den katholisch-armenischen Geistlichen, dem armenischen
Direktor der deutschen Knabenschule, dem armenischen Arzt des
deutschen Krankenhauses. Alles dies angeblich auf die Tatsache hin,
daß die bezeichneten Mitglieder des armenischen Wohltätigkeitsvereins
(türkisch: ermeni djemiyet kheriye umumiyesi, armenisch: parekorzagan)
seien, deren Liste man in Zeitun gefunden habe. Der Verein, der in
Ägypten seinen Sitz hat, besteht und ist von der Regierung anerkannt,
erst von Abdulhamid, 1910 auch von der konstitutionellen Regierung.
Er beschäftigt sich mit der Unterstützung armenischer Schulen und
Einrichtung von landwirtschaftlichen Musteranstalten. Um seine
Mitglieder festzustellen, hätte man nicht erst eine Liste in Zeitun
zu finden brauchen, sondern hätte sich den Vorsitzenden aus Marasch
kommen lassen können. Wird die Tatsache als verdächtig angesehen,
daß der Verein seinen Sitz in Ägypten hat, und wird geargwöhnt, daß
seine Organisation jetzt im Kriege vom Auslande her zu politischem
Zweck mißbraucht wird, so wäre das ein Grund, der sich hören ließe.
Gegen eine unparteiische Untersuchung auf dieser Grundlage wäre
nichts einzuwenden. Die Aussicht aber, daß die Untersuchung durch
das Kriegsgericht unparteiisch geführt wird, halte ich für gering.
Sein ganzes Vorgehen erweckt den Eindruck, als ob es mangels einer
zweckmäßigen Tätigkeit nur eine Scheintätigkeit ausübt und als ob
es, weil es die wirklich Schuldigen nicht erreichen kann, die ganze
armenische Bevölkerung als verdächtig ansieht und sich aus ihr zu
Bereicherungszwecken die führenden aussucht.

Die Gefahr von Metzeleien ist vorläufig vorübergegangen, wenn auch
die muslimischen Anstifter ihre Hand noch nicht vom Werke lassen. Sie
haben am 31. März ein Telegramm an die Zentralregierung aufgesetzt,
die Bewohner Zeituns (etwa 10000 Seelen) sollten verpflanzt und
die Stadt dem Erdboden gleich gemacht werden. Es ist klar, daß die
Ausführung eines solchen Planes auf lange Zeit hinaus Unruhe schaffen
würde. Die Urheber haben auf die wohlhabenden Armenier in Marasch
einen Druck ausgeübt, um sie zur Unterzeichnung dieses Schriftstückes
zu veranlassen. Diese haben es damit abgewehrt, daß sie verlangten,
es solle zunächst dem Mutessarrif vorgelegt werden. Letzterer hat es
mißbilligt, wie übrigens auch der Mufti von Marasch. Bei den gleichen
Armeniern wurden dann am 3. April die Haussuchungen vorgenommen.

Seit dem 5. April scheint eine Spaltung unter den leitenden
muhammedanischen Kreisen in Marasch eingetreten zu sein. Die einen
raten zum Frieden, die anderen wollen weiter hetzen.

Da eine unmittelbare Gefahr für die Deutschen in Marasch nicht
bestand, und da ich die weitere Entwicklung nicht mehr an Ort und
Stelle abwarten konnte, habe ich nach einem Aufenthalt von neun Tagen
Marasch wieder verlassen. Es ist mir gelungen, mit den Behörden in
freundschaftlicher Weise auszukommen. Der Mutessarrif befindet sich
noch in Zeitun.

Ich habe von Anfang an nicht die Absicht gehabt, nach Zeitun zu
gehen, weil dort keine deutschen Interessen zu schützen sind, die
Militärbehörden haben aber offenbar vermutet, daß ich zu gehen wünschte
und haben alles mögliche in Bewegung gesetzt, um es zu verhindern. Nach
Ansicht des Missionars Blank würden sich die in die Berge geflüchteten
Räuber und Deserteure noch heute ergeben, wenn eine Amtsperson zu
ihnen käme, zu der sie das Zutrauen hätten, daß die Bedingungen der
Übergabe auch gehalten würden. Die Behörden wünschen aber nicht, daß
einem Fremden gelinge, was ihnen nicht gelingt, abgesehen von der
verständlichen allgemeinen Abneigung gegen fremde Einmischung in innere
türkische Verhältnisse.

Die Unschädlichmachung der Räuber ist bisher nicht geglückt. Anfang
April war der etwa halbwegs zwischen Marasch und Zeitun gelegene
Bergkegel Ala Kaia, der wie überhaupt die ganze Gegend wild zerrissen
und schwer zugänglich ist, die Zufluchtsstätte der Räuber geworden.
Hier sollte wieder gegen sie vorgegangen werden. In Marasch verlautete,
daß die Bewohner eines Dorfes beim Anrücken der Truppen aus Furcht
vor ihnen ihr Dorf verlassen und zu den Räubern übergegangen wären.
Sollte diese Nachricht wahr sein, so würde sie ein bedenkliches Zeichen
dafür sein, daß die Bewegung auf diese Weise sich doch noch ausbreiten
könnte.

Nach meiner Rückkehr hat mir Djelal Bey, Wali von Aleppo, mitgeteilt,
daß an der russischen Grenze auf türkischem Gebiet einige von den
Russen besetzte armenische Ortschaften russische Sympathien bekundet
hätten, daß die Einwohner einiger armenischer Dörfer auf türkischem
Gebiet von Muhammedanern niedergemacht worden seien und daß bei der
türkischen Regierung eine Strömung die Oberhand gewonnen zu haben
scheine, welche die Armenier im ganzen als verdächtig oder gar als
feindlich anzusehen geneigt sei. Er betrachtet diese Wendung als ein
Unglück für sein Vaterland und hat mich gebeten, Seiner Exzellenz
dem Kaiserlichen Botschafter anheimzustellen, dieser Richtung
entgegenzuarbeiten.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.

                               Gelesen.

                         Pera, 24. April 1915.

                              Wangenheim.


Anlage 1.

                                               Aintab, March 24. 1915.

    Dear Mr. Jackson,

I was in Marash for 48 hours from noon of Tuesday till noon of Thursday
18. March last week.

There had no doubt been a plan to stir up a massacre at Marash over the
Zeitoon disturbances. It had gone so far as to send out messengers to
call in the Koords from the mountains; but the Government had frowned
upon it and it seemed to me to be definitely defeated, especially as
I understood that the attitude of the leaders and a large majority
of the people in Zeitoon was correct. Now Miss Rohner comes with the
statement, that hostilities are imminent as between that place and the
Govt. In which case it will be somewhat difficult to control the Moslim
mob at Marash. I sincerely wish that a representative from the German
or American Consulate or better still from each might be sent to Marash
(not to meddle in the least with the Zeitoon matters, but to look after
the large German and American interests in Marash).

Miss Rohner will be able to tell about the state of feeling among the
Germans and Americans of that place.

Everything is very quiet here in Aintab.

                                                          Dr. Shepard.

  Jesse B. Jackson, American Consul, Aleppo.


Anlage 2.

                                                     March, 31st 1915.

Let me congratulate your Consul through you on the success thus far
since coming to Marash. There is a distinct improvement in the general
condition which we are very ready to attribute to his influence. We
hope he will be able to remain here long enough to secure that any
pledges given to him will be faithfully carried out. Kindly express our
gratitude to him.

      With kind regards

                           Yours cordially

                                                        E. C. Woodley.

  Blank, Marash.


Anlage 3.

  Contenu de l’avis
     Circulaire

1. Il est arrivé à Zeitoun une révolte à la suite de laquelle il a
fallu une action militaire qui se poursuit jusqu’à maintenant.

2. Il est le devoir du gouvernement ottoman de défendre la prospérité,
la vie et l’honneur de la population docile, soit arménienne, soit
muselmane. Par conséquent celle-ci doit être sûre qu’elle ne sera pas
l’objet d’une attaque et qu’elle pourra s’occuper tranquillement du
travail.

3. Celui qui des muselmans, pour n’importe quelle raison, attaque un
arménien sera regardé comme un émeutrier et sera remis sur-le-champ
à la cour martiale. Personne donc ne doit se mêler ni directement ni
indirectement des affaires du gouvernement même pour la moindre petite
chose.

4. Je récommande à la population docile et innocente de se conformer
très vite aux instructions de l’autorité militaire, pour qu’aucun
de ses membres ne soit pas victime d’un soupçon, ou d’une punition
imméritée parsuite de la poursuite acharnée des brigands.

                                   Le commandant du IV. corps d’armée.
                                              Djemal Pascha.
                                     16. mart 1330 = 29 mars 1915.
                            (publié) 18. mart 1330 = 31 mars 1915.


26.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                        Pera, den 15. April 1915.

Die Nachrichten aus dem östlichen Anatolien lassen erkennen,
daß die schon vorher gespannten Beziehungen zwischen der
türkisch-muhammedanischen Bevölkerung und den Armeniern sich im Laufe
der letzten Monate noch weiter verschlechtert haben. Das gegenseitige
Mißtrauen ist im Wachsen begriffen und beherrscht die Bevölkerung und
die amtlichen Kreise, im Innern sowohl wie in der Hauptstadt.

Die Klagen über angebliche und wirkliche Verfolgungen, denen die
Armenier infolge des Krieges ausgesetzt sind, werden immer zahlreicher
und lauter; umgekehrt werden diese beschuldigt, daß sie mit den
Reichsfeinden sympathisieren, mit ihnen hochverräterische Verbindungen
unterhalten und an einzelnen Orten sich offen gegen die Landesbehörden
aufgelehnt haben. Die Verstimmung gegen die Armenier wird vermehrt
durch die Nachrichten über die Haltung der Armenier im Auslande; nicht
nur aus dem Kaukasus, sondern auch aus Amerika, Bulgarien und anderen
Ländern sollen tausende von ihnen freiwillig in die russische Armee
eingetreten sein[42], und es wird behauptet, daß die russische Sektion
der Partei Daschnakzutiun für den Fall eines für die Türkei ungünstigen
Ausganges des Krieges die Vernichtung der muhammedanischen Bevölkerung
in den von der Türkei abzutretenden Gebietsteilen fordere[43].
Besonders gravierend lauten endlich die Berichte über die Aufführung
der armenischen Mannschaften in der türkischen Armee während des
Feldzuges im Kaukasus: sie sollen wiederholt ihre Waffen gegen die
Türken gekehrt haben[44].

Von jeder Seite werden die Anschuldigungen der anderen Seite als
grundlos zurückgewiesen, bzw. die Schuld an den Ereignissen dem
anderen Teile zugeschoben. Nur in einem Punkte dürfte Übereinstimmung
herrschen: daß die Armenier seit Einführung der Konstitution
den Gedanken an eine Revolution aufgegeben haben, und daß keine
Organisation für eine solche besteht.

Zweifellos haben nun in Ostanatolien Ausschreitungen und Gewaltakte
gegen die Armenier stattgefunden, und im allgemeinen dürften die
Vorgänge von armenischer Seite richtig geschildert, wenn auch
übertrieben sein. Vielfach handelt es sich um die Drangsale und
Leiden, die jeder Krieg, auch in Kulturländern, im Gefolge hat; in
anderen Fällen lag aber die Schuld auch auf seiten der Armenier, und
die Behörden trifft höchstens der Vorwurf, daß sie nicht rechtzeitig
Vorsichtsmaßregeln getroffen haben und hinterher mit unnötiger Strenge
eingeschritten sind.

Das mir aus armenischer Quelle (Patriarchat und Mitteilungen des
aus Deutschland gekommenen Vertrauensmannes der deutsch-armenischen
Gesellschaft Dr. Liparit Nasariantz) vorliegende Material bezieht sich
in der Hauptsache auf das eigentliche Kriegsgebiet (Wilajet Erzerum)
und die unmittelbar daran grenzenden Bezirke (Wilajete Wan und Bitlis).

Für die Vorkommnisse in diesen Gegenden werden von armenischer Seite
verantwortlich gemacht:

  1. die unter der Bezeichnung Miliz militärisch organisierten
     türkischen Irregulären und Banden von Marodeuren; ihnen werden
     zahlreiche Plünderungen, Raubmorde und sonstige Ausschreitungen
     gegen die armenische Landbevölkerung zur Last gelegt;

  2. die dem Komitee Union et Progrès affiliierten Klubs, in
     denen viel unlautere Elemente vertreten sein sollen. Es wird
     behauptet, daß diese Klubs, speziell der von Erzerum, förmliche
     Proskriptionslisten aufgestellt haben, und eine Reihe politischer
     Morde, die seit Dezember v. Js. an verschiedenen angesehenen
     Armeniern verübt worden sind, werden auf ihre Tätigkeit
     zurückgeführt. Es wird hinzugefügt, daß das Ministerium des Innern
     bereits vor einiger Zeit von den Armeniern vor dem Treiben dieser
     Klubs gewarnt worden sei, die schon einmal -- bei den Vorfällen in
     Adana im Jahre 1909 -- eine verhängnisvolle Rolle gespielt haben;

  3. verschiedene Zivilbeamte, speziell der Gouverneur von Musch
     (Wilajet Bitlis) und der Wali von Wan. Es wird u. a. angeführt,
     daß einige 2000 muhammedanische Familien aus dem von den Russen
     okkupierten Distrikt von Alaschgerd in den armenischen Dörfern von
     Musch untergebracht worden sind, die kaum imstande sind, ihren
     eigenen Unterhalt aufzubringen; die armenischen Bauern würden wie
     Zugvieh zum Transport von Munition und Proviant verwendet, viele
     von ihnen erlägen der unmenschlichen Behandlung, und die wenigsten,
     angeblich kaum ein Viertel, kehrten in ihre Dörfer zurück. In zwei
     Bezirken von Wan sollen unter Konnivenz der Kaimakame förmliche
     Metzeleien vorgekommen sein.

In den vom Kriegsschauplatz entfernteren Provinzen scheint die Lage der
armenischen Bevölkerung soweit erträglich zu sein, obwohl auch von dort
vereinzelte Klagen eingegangen sind: doch handelt es sich im ganzen um
Vorfälle von geringerer Bedeutung, wie Haussuchungen nach verbotenen
Waffen und Deserteuren, wobei es gelegentlich zu Ausschreitungen
gekommen sein soll, und dergleichen mehr.

Mehr Beachtung verdienen zwei Vorfälle im Wilajet Adana, über welche
die Kaiserliche Botschaft auch durch Konsularberichte eingehend
informiert ist.

Anfang März haben sich in der armenischen Ortschaft Dörtjol, nachdem
schon vorher wiederholt Engländer von der Flotte gelandet waren und
ungestört Einkäufe besorgt hatten, zwei aus jener Gegend stammende
Armenier aufgehalten, die dort im englischen Interesse agitierten.
Einer dieser Emissäre fiel den türkischen Behörden in die Hände und ist
in Adana hingerichtet worden. Die weitere Folge war, daß die gesamte
männliche Bevölkerung von Dörtjol ausgehoben und nach dem Wilajet
Aleppo geschafft wurde, wo sie zum Wegebau verwendet wird; drei
Individuen wurden, weil sie zu fliehen versuchten, niedergeschossen. Es
kam hinzu, daß zur Zeit dieser Vorfälle zahlreiche Fahnenflüchtige sich
in Dörtjol versteckt hielten, auch hatte man nicht vergessen, daß die
Bewohner während des Massakres im Jahre 1909 sich mit den Waffen in der
Hand gegen die Türken verteidigt hatten.

Über die Ereignisse in Zeitun, die durch den Widerstand der Armenier
gegen die Rekrutierung hervorgerufen worden sind, ist bereits berichtet
worden; auch in diesem Falle dürfte die Behörden der Vorwurf treffen,
daß sie nicht rechtzeitig eingegriffen haben.

Mit Bezug auf die vorstehend geschilderten Verhältnisse ist von
armenischer Seite die Bitte geäußert worden, daß die Kaiserliche
Botschaft und unsere Konsulate ihren Einfluß bei den türkischen
Regierungsorganen geltend machen möchten, um den weiteren Verfolgungen
der Armenier in den in Betracht kommenden Landesteilen Einhalt zu tun.
Als besonders wichtig wird die Bestellung von erfahrenen, mit den
armenischen Angelegenheiten vertrauten Walis und Mutessarrifs für die
betreffenden Provinzen bezeichnet; auch glaubt man, daß die Anwesenheit
deutscher Konsuln in Wan, Bitlis usw. hinreichen würde, um die ärgsten
Ausschreitungen zu verhindern.

Hier wie auch im Innern wird von den Armeniern eine solche Verwendung
unseres Einflusses zu ihren Gunsten als ein nobile officium für uns als
christliche europäische Großmacht angesehen und als eine natürliche
Folge unseres Bundesverhältnisses zur Türkei erwartet, weil es im
eigensten Interesse der Türkei, also auch in unserem, liege, das
armenische Element zu schützen und seine Sympathien sich zu bewahren;
es wird hervorgehoben -- was, wie bemerkt, von den Türken bestritten
wird --, daß die Armenier trotz aller Leiden, denen sie ausgesetzt
seien, sich loyal und korrekt, mindestens aber passiv verhalten;
bei einer fortgesetzten, systematischen Verfolgung wäre aber zu
befürchten, daß diese friedliche Gesinnung ins Gegenteil umschlüge; die
regierungsfreundlichen Parteien, wie die Daschnakzutiun, würden die
Massen nicht mehr zurückhalten können, und es entstünde die Gefahr,
daß bei einem Vordringen der Russen nicht nur die Armenier in dem
Invasionsgebiete zum Feinde übergehen, sondern auch eventuell im Rücken
der türkischen Armee Insurrektionsherde sich bilden.

Der Appell an das nobile officium der deutschen Vertretung in der
Türkei ist aus der Entwicklung der armenischen Frage verständlich,
besonders aber jetzt, wo infolge des Krieges die Dreiverbandmächte hier
ausgeschaltet sind und als Schutzmächte nicht in Frage kommen. Aber
ein Versuch, diesem Appell Folge zu geben und die Rolle zu übernehmen,
die England nach dem Berliner Kongreß und neuerdings Rußland als
Beschützer der Armenier gespielt haben, würde von der Pforte als
eine unberechtigte und lästige Einmischung in ihre innerpolitischen
Angelegenheiten empfunden werden. Der Moment ist um so weniger
dazu geeignet, als die Pforte gerade jetzt daran gegangen ist, die
Schutzrechte, die andere fremde Mächte über türkische Untertanen
ausgeübt haben, zu beseitigen. Auch hat sie auf das durch die
Ereignisse der letzten Jahre stark gehobene Nationalbewußtsein der
türkischen Elemente Rücksicht zu nehmen.

Was die sonst von armenischer Seite vorgebrachten Erwägungen
anbetrifft, so dürften sie ernste Beachtung verdienen, und ich
habe daher schon vorher wiederholt Anlaß genommen, sowohl auf der
Pforte wie beim Patriarchat auf eine versöhnliche Politik und auf
die Erhaltung guter Beziehungen zueinander zu dringen. Aber die den
Armeniern jetzt so ungünstige Stimmung in den Regierungskreisen zieht
unserer Verwendung für die Armenier noch engere Schranken. Ich glaube
daher auch, daß die in diesem Zusammenhange angeregte Verwendung
der deutschen Konsulate in den sogenannten armenischen Provinzen
ihren Zweck nicht erfüllen würde. Voraussichtlich würde die Pforte
darin den Versuch einer Überwachung ihrer eigenen Behörden durch
uns erblicken, ähnlich wie seinerzeit England und in jüngster Zeit
Rußland durch Entsendung konsularischer Vertreter die Durchführung der
armenischen Reformen in jenen Landesteilen zu kontrollieren versucht
haben; eine solche Maßregel wäre geeignet, die Behörden erst recht
gegen die Armenier aufzubringen und so den entgegengesetzten Erfolg
herbeizuführen.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.


27.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.[45]

                                           Aleppo, den 20. April 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wie aus neuen zuverlässigen Berichten des Vorstehers des amerikanischen
Kollegs in Aintab, Dr. Merril, hervorgeht, wird in Marasch und Zeitun
und allen Dörfern bis herunter nach Hassanbeili die armenische
Bevölkerung, soweit sie Geld oder Bildung oder Einfluß hat, von der
Regierung deportiert. Mit der Ausführung ist begonnen. 35 Familien aus
Zeitun sind fort, eine zweite und dritte Abteilung sind unterwegs. Die
Männer werden von den Frauen getrennt. Letztere werden in besonderen
Trupps von Soldaten geleitet.

Alle christlichen Soldaten vom 32. bis zum 45. Lebensjahre haben
ihre Einberufung erhalten, sicher zum Zweck der Deportierung. Die
muselmanischen sind nicht einberufen. Offenbar beruhen diese Maßregeln
der Zentralregierung auf falschen Berichten aus Marasch. Sie sind
ein Unglück für das Land und auf den systematischen Ruin eines
wichtigen Bevölkerungsteiles berechnet. Sie gehen von einer falschen
Grundauffassung aus, welche die ganze armenische Bevölkerung als
verdächtig oder gar feindlich ansieht. Ich stelle gehorsamst anheim,
diesem Verfahren entgegenzuwirken.

Mein amerikanischer Kollege bittet, die amerikanische Botschaft, und
Dr. Merril bittet im Auftrage der Armenier, das armenische Patriarchat
zu benachrichtigen. Der hiesige stellvertretende armenische Bischof ist
zum Katholikos nach Sis abgereist.

                                                               Rößler.

Inhalt ist am 24. April der amerikanischen Botschaft und dem
armenischen Patriarchat mitgeteilt.

    25. 4.                                                  Mordtmann.


28.

   (Kaiserliches
  Konsulat Adana.)

    Telegramm.

                                            Adana, den 24. April 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der armenische Katholikos von Sis wünscht einen Bericht über die
Vorgänge in Zeitun durch Vermittlung von Konsulat und Botschaft an das
Patriarchat in Konstantinopel zu befördern. Deutsche Übersetzung würde
mitgesandt werden.[46] Drahtweisung erbeten.

                                                                 Büge.

    Telegramm.  Pera, 25./4.

    An Konsulat Adana.

    Antwort auf Tel. v. 24./4. Einverstanden.

                                                           Wangenheim.


29.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Pera, den 24. April 1915.
  Ankunft, den 25. April 1915.

Der K. Botschafter an Auswärtiges Amt.

Wie Konsulat Erzerum vom 22. drahtet, sind in Wan und Umgebung
Armenierunruhen (vermutlich infolge russischer Umtriebe) ausgebrochen.
Straßenkampf, Telegraphenlinien sind zerstört. Verbindung mit Persien
unterbrochen. Ministerium des Innern hat Richtigkeit bestätigt, bittet
aber um vorläufige Geheimhaltung.

                                                           Wangenheim.


30.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                        Pera, den 24. April 1915.

Auf dem Ministerium des Innern wurde mir -- mit der Bitte um vorläufige
Geheimhaltung -- die Richtigkeit der Meldung aus Erzerum betreffend
Armenierunruhen in Wan bestätigt.

Die unliebsamen Vorfälle, wie Angriffe auf Gendarmen etc., hätten
sich in der letzten Zeit stark vermehrt und eine schlimme Wendung
voraussehen lassen. Zu bewaffneten Zusammenstößen sei es anfangs in den
Orten Schatakh und Wostan südlich von Wan gekommen, dann sei in Wan
selbst der Aufstand ausgebrochen. Die Armenier hätten auch mit Bomben
gearbeitet, und die Gebäude der Dette Publique und der Post seien
infolgedessen vernichtet.[47] Bei den Straßenkämpfen hätten die Truppen
20 Tote gehabt. Der Wali Djevdet Bey, der in Anbetracht der Gärung vor
kurzem nach Wan zurückgekehrt war (er war vorher in Persien), gehe
energisch vor und hoffe, bald Ruhe zu stiften.

Auf die Bemerkung, daß es vor allem darauf ankomme, die Disziplin unter
den Truppen aufrecht zu erhalten, um Vorgängen vorzubeugen, die wie
Christenmassakres aussehen könnten, meinte mein Gewährsmann ziemlich
kleinlaut, daß die in Wan stehenden Truppen aus neu eingezogenen, nicht
gut disziplinierten Leuten bestehen und daher Ausschreitungen vorkommen
könnten.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


31.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.

    Aufzeichnung.

Unterredung mit Herrn General ~Posseldt~ am 26.4.1915.

1. Glaubt, daß die Armenier sich ruhig verhalten würden, wenn sie
nicht von den Türken bedrückt und gereizt wären, vielfach sei auch
Konkurrenzneid im Spiele. Die Aufführung der Armenier sei tadellos
gewesen.

Richtig sei, daß türkische Armenier den Russen bei deren Vordringen
gegen Erzerum wiederholt Führerdienste geleistet, auch hätte man solche
unter den den Russen abgenommenen Gefangenen gefunden. Dagegen hält er
es für ausgeschlossen, daß armenische Mannschaften auf ihre türkischen
Kameraden geschossen; man hätte die Armenier stets hinter der Front
verwendet.

2. Bestätigt das Treiben des Klubs in Erzerum; die Proskriptionsliste
umfaßt 22 Namen von Armeniern. Tahsin Bey, der Wali, hat nach
Möglichkeit die Ausführung von Metzeleien verhindert.

Pasdirmadjan wurde umgebracht, weil sein Bruder, früherer Deputierter,
im Wilajet Wan, in russischem Interesse gewühlt hatte; er wurde von
zwei Soldaten erschossen; die Namen der Mörder wurden anonym den
Behörden mitgeteilt, aber trotzdem er, Posseldt, sich für die Sache
interessierte, wurden sie nicht ergriffen.

    26.4.                                                   Mordtmann.


32.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

                                          Erzerum, den 26. April 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der Armenische Bischof bittet, den dortigen Patriarchen über die
Vorgänge in Wan zu informieren.

                                                            Scheubner.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.

Dem Armenischen Patriarchen am 28.4. vertraulich mitgeteilt.

    28./4.                                                  Mordtmann.


33.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

                                          Erzerum, den 26. April 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an Telegramm vom 24. April.

Soeben aus Wan eingetroffene Privatnachrichten vom 19. April besagen,
daß die Regierung vor Ausbruch der Unruhen angesehene Armenier
verhaftet hat, von denen der armenische Notabele Ischkhan mit drei
anderen auf dem Transport unter polizeilicher Bewachung ermordet worden
ist. Armenischer Stadtteil wurde umzingelt; 250 armenische Häuser sind
vernichtet worden. Die Banque Ottomane ist angeblich von Armeniern in
die Luft gesprengt worden.[48]

Hier herrscht Ruhe; die armenische Bevölkerung ist jedoch sehr
beunruhigt und befürchtet Massakre. Der Bischof hat um den Schutz des
Konsulats gebeten.

                                                            Scheubner.


34.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                       Adana, den 26. April 1915.

Anliegender Bericht des armenischen Katholikos nebst deutscher
Übersetzung wird gemäß Telegramm der Botschaft vom 25. d. M. der
Kaiserlichen Botschaftskanzlei ergebenst übersandt.

                              (Stempel.)

    (In deutscher Übersetzung.)

                                     Adana, den 8./21. April 1915.[49]

  An
          den Hochwürdigen Erzbischof ~Zaven~, armenischen Patriarchen
                                                    in Konstantinopel.

Mit meinem Schreiben vom 7./20. d. M. habe ich Ihnen über die Vorgänge
in Zeitun schon kurze Mitteilung gemacht und will hiermit ausführlich
darüber berichten mit der Gewißheit, daß dies Schreiben in Ihre Hände
gelangen wird.

Zu seiner Zeit habe ich Ihnen schon über die Grausamkeiten und die
unmenschlichen Taten des Mutessarrifs von Marasch berichtet. Es dürfte
Ihnen schon bekannt sein, wie er, anstatt die Schuldigen zu strafen,
die Unschuldigen, ja sogar die Frauen und Kinder mißhandelt und manche
davon Repressalien und Schändungen unterworfen hat. Manche Frauen haben
infolge der Mißhandlungen Fehlgeburten und einige Gefangene ganze
Körperteile verloren gehabt. Regierungsbeamte verhöhnen unseren Glauben
und beschimpfen unsere Ehre. Es soll auch Ihnen schon bekannt sein, wie
der Mutessarrif nicht nur die ausgelieferten 25 Deserteure, sondern
auch mehrere Unschuldige aus dem friedliebenden Volke nach Marasch
bringen ließ und alle Mißhandlungen unterwarf. Dies alles ertrug damals
das von der Regierung als aufständisch verrufene Volk, um seine Treue
gegen das Reich nicht aufzugeben.

Die unerhörten Greueltaten und Mißhandlungen des Kaimakams von
Zeitun, Hüssein Hüssni, des Feldwebels Suleiman Bey, des Müfti und
der Regierungsbeamten, die nur das Ansehen der Regierung in Mißkredit
brachten, hatten nur den Zweck, das friedliche Volk zum Äußersten zu
treiben, um der Regierung Anlaß zur Vernichtung zu bieten. Trotz
alledem erträgt das Volk alles und versucht hie und da Klagerufe
vernehmen zu lassen. Es bittet umsonst um die Entsendung von loyalen
unparteiischen Inspektoren. Niemand schenkt dem armen Volk Gehör, und
dieser Zustand dauert fort.

Die Frauen versuchten ihre herzzerreißende Lage durch ein Telegramm der
Walidé Sultan (der Kaiserin-Mutter) zu schildern, um Gnade zu erhalten.
Weil dies ihnen seitens der Regierung verweigert wurde, glaubten sie,
daß der Gemeindevorsteher die Schuld daran trüge und demonstrierten.

Einige Deserteure, die sich ins Gebirge geflüchtet hatten, versuchten
die Bevölkerung zum gemeinsamen Widerstände zu bewegen. Es wurde ihnen
aber von dem friedlichen Volke keine Folge geleistet.

Im Februar beabsichtigte die Regierung die in der Stadt Zeitun
lagernden Waffen und Munition nach Marasch zu transportieren. Die
Deserteure vernahmen dies Vorhaben und wollten alles in Besitz nehmen.
Aber durch das mißbilligende Auftreten der armenischen Notabeln gelang
es ihnen nicht, und ihr Vorhaben scheiterte. Am 15./28. Februar
wurde diese Absicht der Deserteure festgestellt und am nächsten Tag
nach einer einstimmigen Beschlußfassung der Regierung durch den
Gemeindevorsteher und den Bürgermeister amtlich mitgeteilt. Die
Regierung hatte schon durch die Geheimpolizei von allen Vorgängen
Kenntnis gewonnen.

Inzwischen flüchteten sich einige ins Weite, die den barbarischen
Greueltaten Haidar Beys ausgesetzt und Augenzeuge des gräßlichen
Todes des gefangen genommenen Nazareth Nor Aschkharian gewesen waren.
Sechzehn Gendarmen, die für die Festnahme der Deserteure geschickt
waren, kehrten zurück, die dann in den umliegenden Ortschaften ~neue
Greueltaten~ verübten. Die Gendarmen begegneten während der
Rückfahrt den Deserteuren. Nach dem Zusammenstoße flüchteten sich die
Gendarmen nach Verlust von 6-8 Mann nach Zeitun zurück.

Die Regierung und die Gendarmerie, erzürnt über den Mißerfolg,
verlangten von den Vorgesetzten der Gemeinde die Auslieferung der
Deserteure. Die Vorstehenden gaben zu verstehen, daß die Forderung
nicht durchführbar sei, nachdem die Bevölkerung ihre Waffen der
Regierung abgeliefert habe und machtlos sei gegen die bewaffneten
Deserteure.

Am 5./18. März versammelten sich die Notabeln, um die verheerenden
Folgen dieser Spannung zu vermeiden. Die Deserteure drangen in die
Stadt ein, um der Gendarmerie und der Regierung Herr zu werden.
Während dieses Zusammenstoßes, wo die Armenier der Regierung Beistand
leisteten, haben die Deserteure einen Verwundeten, aber die Bürger und
die Gendarmen 9 Tote gehabt.

Der Mutessarrif von Marasch und der Gendarmeriekommandant eilten
mit zwei Kompagnien nach Zeitun und forderten von der Stadt die
Auslieferung der von den getöteten Gendarmen eroberten Gewehre. Nach
einer Beratung begaben sich der katholische Gemeindevorsteher und
der Stadtarzt nach dem Kloster, wohin die Deserteure sich geflüchtet
hatten, um sie zur Ablieferung der Gewehre zu überreden, mit dem
Versprechen des Kaimakams, ihre Begnadigung zu erwirken.

Anstatt dieses Versprechen zu halten und Friede herbeizuführen, machte
der Kaimakam die folgende Deklaration: „Dies ist das 35. Mal, daß die
Bewohner von Zeitun sich empören. Die bisherigen Unruhen waren nicht so
gefährlich wie jetzt. Die früheren waren wie Familienstreitigkeiten.
Jetzt ist das Land von allen Seiten bedroht und jeder muß der Regierung
beistehen.“ Diese Forderung ist an und für sich gerecht, aber sie
gilt nicht für die Bewohner von Zeitun, weil diese sich ~niemals
empört~ haben. Möglich ist, daß sie sich gegen die Irregulären
gewehrt und die Überfälle derselben abgewiesen haben. Auch damals hat
die Regierung, unter dem Vorwand, den Aufstand niederzuringen, Truppen
entsandt. Auch diesmal hat die ungerechte Handlung der böswilligen
Regierungsbeamten die jetzige traurige Situation herbeigeführt.

Der Mutessarrif von Marasch und der Kaimakam von Zeitun haben nicht
einmal ihr Ehrenwort gehalten, welches sie für die Schonung des Volkes
gegeben hatten. In 8-10 Tagen hat man mit einer militärischen Kraft
von 4000 Mann und einem rücksichtslosen Kommandanten die Bewohner
einschüchtern wollen. An demselben Tage begaben sich auch einige
Notabeln aus Marasch nach Zeitun, um die Deserteure zur Ergebenheit zu
überreden. Nach einer gemeinsamen Beratung wandten sich die Armenier an
den Kommandanten mit dem Ersuchen, die Deserteure, weil sie sich nicht
ergeben wollten, durch Gewalt niederzuringen. Der Kommandant verlangte
wieder von dem Volke die bedingungslose Auslieferung und Übergabe der
Deserteure.

Die Notabeln aus Marasch kehrten heim. Die Regierung ließ dann die
Vorräte aus der Stadt in die Kaserne schaffen. Sobald die Nachricht
von der Wegschaffung von Regierungspapieren und Büchern in der Stadt
zirkulierte, schloß man die Schulen, und die Panik wurde größer.
Inzwischen flüchteten die Deserteure in das naheliegende Kloster,
wo sie vom Militär belagert wurden. Am 12./25. März beginnt das
Bombardement mittels 2 Kanonen. Trotz zahlreicher Schüsse hat man auf
diese Weise dem Kloster keinen Schaden zufügen können. Nachdem die
Regierung sich überzeugt hatte, daß das Volk sich ruhig verhalte,
verengte sie den Umzingelungsgürtel. Die Deserteure erwiderten dann
das Feuer und die Zahl der gefallenen Soldaten war beträchtlich. Der
Oberst (Bimbaschi) näherte sich dem Klostertor, und in dem Moment, wo
die Soldaten das Kloster niederbrennen wollten, fiel der Oberst nebst
einigen Soldaten. Bis Abend dauerte der Kampf.

An demselben Tage ersuchten die Stadtbewohner die Regierung, daß
sie, um den Deserteuren keine Möglichkeit zur Flucht zu geben, die
Umzingelung nicht aufgeben solle, sonst würden sie wieder den Bürgern
und dem Militär lästig werden. Trotz des gegebenen Versprechens hob die
Regierung die Belagerung des Klosters auf und gab den Deserteuren die
Gelegenheit, zu entfliehen. Es ist uns nicht begreiflich, wie es 15-20
Deserteuren gelang, den Belagerungsgürtel von 4000 zu durchbrechen. Wir
haben den Verdacht, daß die Regierung absichtlich einige Deserteure
frei laufen läßt, damit sie die friedliche Bevölkerung als Mitschuldige
der Deserteure angeben und die Verbannungsaktion (expatriation)
durchführen könne.

Nach der Flucht der Deserteure setzte man die Regierung davon in
Kenntnis mit dem Ersuchen, das Kloster zu schonen, welches Eigentum
des ganzen armenischen Volkes sei und wo viele Kostbarkeiten und
Heiligtümer aufbewahrt seien. Der Kaimakam, der Müfti und andere Beamte
versprachen es, aber das Militär beachtete es nicht und setzte das
Kloster in Brand. Trotz der Bitte des Gemeindevorstehers wurden sogar
die naheliegenden Wohnstätten der Bauern nicht geschont und wurden
niedergebrannt. Angesichts dieser Vernichtung weinte und klagte das
Volk um sein Schicksal, und sogar die Steine gaben dem Widerhall.

Am nächsten Tag kam ein Hauptmann aus der Kaserne in die Stadt und
begann die Untersuchung, um die verwundeten Deserteure und Waffen zu
finden. Er fand einige wertlose Waffen und beim Tschakrian Betros,
dessen Sohn ebenfalls desertiert war, ein blutiges Hemd. Er nahm Betros
und andere Personen als verdächtig fest und führte sie ins Gefängnis.

Am 25./28. März wurden etwa 30 Notable nach der Kaserne gerufen und
dort vom Kaimakam Churschid Pascha zurückbehalten. Ohne ihnen Zeit
zu geben, um die allernotwendigsten Reisevorbereitungen zu treffen,
schickte man sie samt Frauen und Kindern zunächst nach Marasch. Dort
wurden sie in einen Chan interniert, wo die herzzerreißenden Klagerufe
der Weiber und der Kinder zum Himmel stiegen.

Auf dem Weitertransport kamen die Armen nach dreitägiger Fahrt in
Osmaniyé an, von wo aus sie mit vielen anderen Gefangenen nach Adana
transportiert wurden. Man hat sie von hier sofort nach Tarsus geschickt.

Alle diese Verbannten sind treue Untertanen und haben der Regierung
in jeder Hinsicht Beistand geleistet. Die Regierung sollte eigentlich
diese treuen Untertanen auszeichnen, anstatt dessen gab sie ihnen die
härteste Strafe, die Verbannung. Wohin werden diese verschickt? Wovon
sollen sie leben? Was wird aus dem Hab und Gut der Verbannten? Was wird
aus den Daheimgebliebenen? Wird man auch diese so herdenweise in alle
Richtungen der Erde verschicken?

Auch ich habe als Katholikos den Bewohnern von Zeitun immer
den Rat gegeben, dem osmanischen Reich treu zu bleiben und den
staatsbürgerlichen Pflichten nachzukommen. Sie haben mir Gehorsam
gezeigt, und jetzt müssen sie mittellos und nackt herumirren! Das
ist der Lohn meiner aufrichtigen Bemühungen, und meine Strafe ist
noch schwerer. Ich bekomme immer neue Gewissensbisse. Gern möchte ich
sterben, weil ich nur im Tode so viele Schmerzen vergessen kann.

Ich kann mich teilweise nur dadurch trösten, daß Dschemal Pascha, an
welchen ich telegraphiert hatte, sein Wort gehalten hat und keine
Metzelei stattfand.

Nach dem Brand des Klosters ergaben sich ohne Widerstand 190
Deserteure. Diese wurden greulichen Mißhandlungen ausgesetzt, gebunden
wie Tiere und unter Knutenhieben nach Damaskus geschickt. Einer von
ihnen fand unterwegs den Tod. Was aus den anderen werden wird, weiß ich
nicht.

Soviel habe ich bis jetzt erfahren und Ihnen berichten können. Gott
soll uns vor den kommenden Übeln schützen! Ich bin jetzt moralisch und
physisch ganz machtlos.

Meine 12 jährige Dienstzeit ist mir eine ewige Zeit des Kummers und
der Trauer geworden. Wäre ich kein Christ, würde ich dem Tag fluchen,
wo ich zur Welt kam, oder vielmehr dem, da ich zu diesem schweren,
verantwortungsvollen Amt berufen wurde!

                                                      Sahak,
                                              Katholikos von Cilicien.


35.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                             Pera, den 27. April 1915.

    An Auswärtiges Amt, Berlin.

Wie das Konsulat Erzerum unter dem 24. April telegraphiert, ist der
Aufruhr in Wan nach amtlicher Mitteilung unterdrückt[50]. Hierbei
seien ungefähr 400 Armenier getötet worden, die übrigen seien nach
Rußland entflohen.[51] Angeblich hätten sich auch Kurden am Aufstande
beteiligt, um sich für die Hinrichtung ihrer Scheiche in Bitlis 1914
und die Bedrückung durch die Regierung zu rächen.[52]

                                                           Wangenheim.


36.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                             Pera, den 28. April 1915.

    An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Eine Verwendung Ihrerseits für die Armenier wird darauf auszugehen
haben, Ausschreitungen des Pöbels wie Massakres und Plünderungen zu
verhindern und auf ein regelrechtes Verfahren gegen die politisch
verdächtigen Personen hinzuwirken. Hierbei wäre der Schein, ab ob wir
ein Schutzrecht über die Armenier ausüben und in die Tätigkeit der
Behörden eingreifen wollen, zu vermeiden und dies eventuell auch den
Behörden gegenüber zu betonen. Vertraulich: Die hiesigen Behörden
haben dieser Tage mehrere Hundert armenische Notabeln verhaftet und
nach Anatolien verschickt, angeblich weil sich Anzeichen für eine
revolutionäre Bewegung gezeigt haben.

                                                           Wangenheim.


37.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                        Pera, den 30. April 1915.

Über die Vorgänge in Wan meldet der Kaiserliche Konsul in Erzerum
nachträglich auf Grund von Nachrichten aus Wan vom 19. April, daß
die dortigen Behörden vor Ausbruch der Unruhen eine Anzahl Armenier
verhaften ließen, von denen drei während des Transportes unter
polizeilicher Bedeckung ermordet wurden; unter diesen befand sich auch
ein gewisser Ischkhan, der sich früher ab Freischärler hervorgetan hat.
Während des Kampfes wurde das Armenierviertel umzingelt; 250 Häuser
wurden zerstört, darunter das Gebäude der Zweigniederlassung der Banque
Ottomane, das von den Armeniern in die Luft gesprengt worden sein
soll.[53]

Der Minister des Innern teilte am 28. d. M. dem ersten Dragoman
mit: „In Wan sei das Schlimmste überstanden; es sei dort zu einem
regelrechten Kampfe gekommen, und die Verluste auf beiden Seiten seien
beträchtlich gewesen; über 400 Armenier seien umgekommen, aber auch die
Truppen hätten mehrere Hundert Mann verloren. Die Disziplin sei jedoch
aufrecht erhalten worden, so daß man nicht von Massakres reden könne.
Daß zwischen den Armeniern und Russen enge Beziehungen bestanden, könne
als einwandfrei festgestellt gelten.[54] Gleichzeitig mit der Bewegung
dort hätte auch eine verstärkte militärische Aktion im Kaukasus
eingesetzt.“

Wan, mit einer armenischen Bevölkerung von etwa 20000 Seelen, war schon
seit Jahren ein Hauptzentrum der Partei Daschnakzutiun. In dem Bericht,
den sie im Jahre 1910 dem internationalen Sozialistenkongreß in
Kopenhagen erstattet hat, wird ihre Tätigkeit in den Provinzen Bitlis
und Wan geschildert. „In diesen“, heißt es in dem Bericht, „hatten wir
bis 1908 die ganze waffenfähige Landbevölkerung, welche in politische
Gruppen organisiert war, unter unserer Fahne... Diese Tätigkeit
war wesentlich eine politische und revolutionäre. Sie dauert heute
fort, aber schon in offener Weise. In allen Zentren des türkischen
Armeniens hat unsere Partei ihre Scharen von Fidais, deren Zweck ist,
darüber zu wachen, daß die Reaktion nicht wieder den Kopf erhebe.“ An
einer anderen Stelle wird erwähnt, daß im Jahre 1908 in Wan mehr als
1000 Gewehre, eine Million Patronen und Massen von Explosivstoffen
angesammelt waren, die damals von der Regierung beschlagnahmt wurden.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


38.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                        Pera, den 30. April 1915.

In der Nacht von Sonnabend auf Sonntag den 25. d. M. und von Sonntag
auf Montag den 26. d. M. haben hier zahlreiche Verhaftungen von
Armeniern stattgefunden. Im ganzen sollen an 500 Personen aus allen
Gesellschaftsklassen festgenommen sein, namentlich Ärzte, Journalisten,
Schriftsteller, Geistliche, auch einige Deputierte. Das Lokal der
Zeitung Azadamart, Organ der Partei Daschnakzutiun, der viele von den
Verhafteten angehörten, wurde behördlich gesperrt. Die meisten wurden
in den folgenden Tagen nach dem Innern von Klein-Asien verschickt.

Über die Ursachen dieser Maßregeln waren im Publikum allerlei
unkontrollierbare Gerüchte verbreitet. Unter anderem hieß es, daß
man in armenischen Häusern und Kirchen Explosivstoffe, Bomben
und Waffen entdeckt habe, und daß die Armenier für den Tag des
Thronbesteigungsfestes (27. d. M.) Anschläge auf die Pforte und andere
öffentliche Gebäude geplant hätten.

Als der Armenische Patriarch beim Großwesir und beim Minister des
Innern nach den Gründen dieser Massenverhaftungen fragte, wurde
ihm erwidert, daß die Organisation der armenischen Bevölkerung zu
politischen Parteien im gegenwärtigen Augenblick von einzelnen
einflußreichen Persönlichkeiten ausgenützt werden könnte, um die
öffentliche Ruhe zu stören, und daß es im Interesse des Staatswohls
geboten erscheine, solchen Eventualitäten durch Entfernung der
leitenden Persönlichkeiten aus der Hauptstadt vorzubeugen.

Der Minister des Innern äußerte gegenüber dem ersten Dragoman folgendes:

Die Regierung sei jetzt entschlossen, dem bisherigen Zustand ein
Ende zu bereiten, wonach jede Religionsgemeinschaft ihre besondere
„Politik“ mache und hierzu besondere politische Vereinigungen gründen
und unterhalten könne.[55] In der Türkei solle künftig nur „osmanische
Politik“ gemacht werden.

Unter den hiesigen Armeniern befänden sich eine Reihe von politisch
nicht ganz sicheren Persönlichkeiten; sie seien natürlich gerade
unter den tätigen Mitgliedern der Klubs und Redaktionen zu suchen.
Die Besorgnis sei nicht von der Hand zu weisen, daß im Falle einer
ungünstigen Wendung des Krieges diese Elemente die Gelegenheit zu
Unruhestiftungen ergreifen könnten. Der Augenblick schien günstig,
alle diese Verdächtigen aus der Hauptstadt zu entfernen. Unter den
Verschickten gebe es sicher viele, die in keiner Weise schuldig seien.
Dies leugne die Regierung nicht, und er -- Talaat -- werde aus eigenem
Antrieb und ohne daß es hierzu einer Intervention bedürfe, diesen die
Erlaubnis zur Rückkehr erteilen.

Die Behauptung, es lägen Beweise vor, daß für den Tag des
Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte
Talaat Bey für unzutreffend.

Die Vorgänge in Wan und die in diesen Tagen erfolgten Angriffe der
Russen auf den Bosporus und der vereinigten Franzosen und Engländer auf
die Dardanellen dürften nicht ohne Einfluß auf die Entschließungen der
Regierung gewesen sein.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


39.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum den 30. April 1915.
  Ankunft in Pera den 1. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wie aus Erzingian berichtet wird, verübten der dortige Mutessarrif und
die Gendarmerie Ausschreitungen und schwere Bedrückungen gegen die
armenischen Bewohner.

Hier herrscht Ruhe. Die vorgenommenen Verhaftungen erschweren es,
Nachrichten aus Wan zu erhalten.

                                                            Scheubner.



_Mai._


40.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 3. Mai 1915.
  Ankunft in Pera, den 4. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die aus Zeitun und Umgegend verbannten Armenier werden auf wenigstens
tausend, vielleicht mehrere tausend geschätzt. Sie sollen durch
muhammedanische Flüchtlinge aus Mazedonien ersetzt werden.

Die Aktion geht weiter. In Aintab sind neuerdings Verhaftungen, in
Aleppo Haussuchungen vorgenommen worden.

                                                               Rößler.


41.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 4. Mai 1915.
  Ankunft in Pera, den 6. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Kämpfe in Wan zwischen den Truppen und Armeniern dauern an. Auf
türkischer Seite wurden in den letzten Tagen ungefähr 200 Tote und
doppelt so viel Verwundete gezählt. Hier wurden gegen 200 Verhaftungen
vorgenommen. Die Furcht vor einem Massaker dauert an. Der Wali glaubt
im Besitz von Beweisen für eine Konspiration eines Teiles der hiesigen
Armenier zu sein. Die Entscheidung dürfte in den nächsten Tagen fallen.
Ich glaube, daß es hier möglich sein wird, Massakres zu vermeiden.

                                                            Scheubner.


42.

  (Deutsches Waisenhaus.)

                                     Mamuret-ul-Aziz, den 5. Mai 1915.

      Ew. Exzellenz!

Da in diesem Wilajet kein deutscher Konsul ist, ersuche ich Ew.
Exzellenz um Entschuldigung, wenn ich mir erlaube, über die hiesigen
innerpolitischen Verhältnisse kurz zu berichten.

Seit einigen Tagen werden in den christlichen Häusern der Stadt und
Umgegend strenge Haussuchungen gehalten, der Regierung verdächtig
erscheinende Personen verhaftet und die Leute zur Ablieferung ihrer
Waffen aufgefordert.

Diese Maßnahmen der Regierung scheinen im Zusammenhang mit Vorgängen
in Wan und Diarbekr zu stehen und auf Anweisung der Zentralregierung
angeordnet worden zu sein.

Die gesamte christliche Bevölkerung ist dadurch in große Unruhe
versetzt worden und befürchtet das schlimmste.

Durch meinen 18 jährigen Aufenthalt an diesem Ort die Verhältnisse
genau kennend, möchte ich die Aufmerksamkeit Ew. Exzellenz auf die
Tatsache lenken, daß, wenn auch die hiesige Bevölkerung zum Teil sich
in Privatgesprächen manchmal unzufrieden über die türkische Regierung
geäußert hat, und wenn auch die Sympathien mancher Christen in diesem
Krieg auf Seiten des Dreiverbands waren, trotz alledem weitaus die
große Masse der Bevölkerung dieses Wilajets der Regierung gehorsam ist
und die Christen hier im entferntesten nicht daran denken, sich gegen
die Regierung aufzulehnen.

Die christliche Mannschaft von 20-45 Jahren hat sich ohne
Schwierigkeiten zum Heeresdienst gestellt, und bei Requirierungen von
Lebensmitteln wie auch bei der Unterstützung des „Roten Halbmonds“ kam
die christliche Bevölkerung soweit als möglich der Regierung entgegen,
so daß ich es für meine Pflicht halte, für die Christen hier um
Schonung zu bitten.

Der wohlgesinnte Generalgouverneur, mit dem ich eben in
freundschaftlicher Weise über die Angelegenheit sprach, hofft, daß es
hier zu keinen ernsten Ereignissen kommen wird und versichert mich, daß
er alles tun wird, um die Angelegenheit in friedlicher Weise zu ordnen.
Er ist ebenfalls von dem friedliebenden und regierungstreuen Charakter
der hiesigen christlichen Bevölkerung überzeugt. Doch besteht die
Gefahr, daß starke armenierfeindliche Elemente die Oberhand bekommen
und zum schlimmsten schreiten, so daß ich Ew. Exzellenz im Interesse
der Menschlichkeit ersuche, die nötigen Schritte zur Aufklärung der
Türkischen Zentralregierung über die hiesigen Verhältnisse tun zu
wollen.

                            Verehrungsvoll

                                                      Johannes Ehmann.

     An Seine Exzellenz, Freiherr von Wangenheim,
  Botschafter Seiner Majestät des Deutschen Kaisers.


43.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Pera, den 6. Mai 1915.
  Ankunft den 6. Mai 1915.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Laut Telegramm des Konsulats Erzerum vom 4. Mai haben in Wan dieser
Tage erneut Kämpfe mit Armeniern stattgefunden. Türkische Truppen
verloren dabei 600 Mann an Toten und Verwundeten. In Kaisarié und
Diarbekr wurden größere Bombenvorräte entdeckt.[56] Die Regierung hat
umfassende Vorsichtsmaßregeln gegen Umsichgreifen der armenischen
Bewegung im Innern angeordnet. In Erzerum ist Verhaftung von 200
Personen erfolgt, Deportation der Armenier aus den größeren Ortschaften
dauert fort. Sie werden durch muhammedanische Einwanderer ersetzt.

                                                           Wangenheim.


44.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                           Pera, den 8. Mai 1915.

Trotz der Bemühungen der armenischen Kreise, die Bedeutung der in
den letzten Wochen an verschiedenen Stellen ausgebrochenen Unruhen
abzuschwächen oder die Schuld den Maßnahmen der türkischen Behörden
zuzuschieben, mehren sich doch die Anzeichen dafür, daß diese Bewegung
weiter verbreitet ist, als bisher angenommen wurde, und daß sie vom
Ausland mit Hilfe der armenischen Revolutionskomitees gefördert wird.

Die bereits gemeldeten Kämpfe in Wan, bei denen die Aufständischen
zeitweilig sogar die Oberhand gehabt zu haben scheinen, deuten
darauf hin, daß die dortige armenische Bevölkerung ausreichend mit
Waffen und Sprengstoffen versehen war; unter den Toten wurden nach
Mitteilung der türkischen Behörden vielfach Individuen in russischer
Kleidung gefunden, und es wird auch von den Armeniern nicht geleugnet,
daß einer ihrer Landsleute, ein gewisser Pasdirmadjian, dort in
russischem Interesse stark gewühlt hat. Dieser gefährliche Agitator war
seinerzeit durch das von ihm geleitete Attentat auf die hiesige Banque
Ottomane auch in weiteren Kreisen bekannt geworden, kehrte dann nach
Wiedereinführung der Konstitution hierher zurück, ward Abgeordneter und
ging später, weil er nicht wieder gewählt wurde, nach Rußland. Nach den
letzten Nachrichten (vom 8. d. M.) ist es armenischen Freischärlern
mehrfach gelungen, sich von Wan aus mit den Russen zu vereinigen.[56]

Über die in Kaisarié gefundenen Bomben gibt das armenische Patriarchat
an, daß ein aus Amerika zurückgekehrter Armenier, der sich in
Everek bei Kaisarié niedergelassen hatte, sich mit ihrer Herstellung
beschäftigte, und nachdem er drei verfertigt hatte, bei der vierten
verunglückte; die drei fertigen Bomben wurden von seinen Landsleuten
versteckt, aber von der Polizei, die durch Zufall von der Sache erfuhr,
entdeckt; bei weiteren Nachforschungen kamen 24 leere, noch nicht
geladene Hülsen, unter dem Ziegeldache der dortigen armenischen Kirche,
zutage. Dies trug sich Anfang Februar zu. Seitdem scheinen noch weitere
Funde von Bomben gemacht worden zu sein; der Minister des Innern
gab kürzlich die Zahl der in Kaisarié gefundenen Bomben auf 400 an,
außerdem seien solche auch in Diarbekr zutage gefördert und nach Wan
geschickt worden, um dort im Kampf mit den Aufständischen verwendet zu
werden[57].

Daß die armenische Bevölkerung in den östlichen Provinzen über Waffen
verfügt, wird von den Armeniern zugegeben; angeblich sollen diese
Waffen zur Abwehr gegen die räuberischen Überfälle durch Kurden
und anderes Gesindel dienen; es läßt sich vermuten, daß sie in der
Hauptsache von den armenischen Revolutionskomitees schon vor längerer
Zeit dort angesammelt worden sind[58].

Die Behörden nehmen bestimmt an, daß auch die Armenier von Zeitun
durch fremde Umtriebe zum bewaffneten Widerstande gegen die Regierung
aufgestachelt worden seien[59].

Es läßt sich nicht leugnen, daß die armenische Bewegung in den letzten
Wochen einen besorgniserregenden Charakter angenommen hat, der die
Regierung zu scharfen Repressivmaßregeln veranlaßt hat.

Die Massenverhaftungen hier und anderwärts, wie z. B. in Erzerum, wo
der Wali Beweise für eine armenische Verschwörung in Händen zu haben
glaubt, in Aintab usw. richten sich gegen die Komitees, die auf diese
Weise ihrer Führer beraubt werden, in erster Linie gegen die Partei
Daschnakzutiun.

Hier in der Hauptstadt ist vor einigen Tagen die gesamte Bevölkerung
aufgefordert worden, die in ihrem Besitz befindlichen Waffen aller Art
abzuliefern.

Bei der Erregung, die sich auch der muhammedanischen Bevölkerung
bemächtigt hat, werden Bedrückungen der ruhigen Elemente und
Ausschreitungen seitens der Unterbehörden nicht zu vermeiden sein. Aber
trotz der vielfach herrschenden Besorgnisse ist es bisher zu keinen
Massakers gekommen, weder in Zeitun, noch in Marasch, noch in Aintab,
noch in Erzerum, und es wird der Regierung auch wohl in Zukunft möglich
sein, solche zu verhindern.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


45.

     (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 9. Mai 1915.
  Ankunft in Pera, den 10. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Unruhen in Wan andauern noch immer. Türken haben bis jetzt rund 1000,
Armenier 3000 Tote[60].

Hier kürzlich weitere verhaftet, einige 30 sollen verschickt werden. Es
ist nicht ausgeschlossen, daß sie unterwegs ermordet werden.

                                                            Scheubner.


46.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                               Pera, den 10. Mai 1915.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Auf Grund der Mitteilung des Walis von Mossul vom 8. Mai telegraphiert
dortiges Konsulat:

Christliche Bevölkerung der Provinz Wan befindet sich seit mehreren
Tagen im Aufruhr. Armenier überfielen muhammedanische Dörfer bei
Wan, angriffen vergeblich Zitadelle Wan. Schwache türkische Garnison
verlor 300 Mann bei Abwehr Angriffe. Stadt selber, in der täglich
Straßenkämpfe, größtenteils in Händen der Aufrührer. Aufstand besonders
heftig im Bezirk Schatakh bei Wan. Nestorianer-Stamm der Tiari im
Bezirk Baschkalé erhob sich gleichzeitig, 2000 gut bewaffnete Tiari
überfielen muhammedanische Dörfer und verschanzten sich nördlich von
Djulamerk. Nach Wan und Baschkalé sollen Truppenverstärkungen unterwegs
sein.

Wegen Schicksals deutschen Waisenhauses Wan telegraphiert Botschaft
direkt an Prediger Spoerri.

                                                           Wangenheim.


47.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                        Aleppo, den 10. Mai 1915.

Seitdem ich von Marasch zurückgekehrt bin, haben neueren Nachrichten
zufolge die Verbannungen aus Zeitun und den umliegenden Dörfern
größeren Umfang angenommen. Ferner haben nach einem Telegramm des
Missionars Blank vom 9. d. M. die Verschickungen jetzt auch aus
Marasch begonnen. Die Liegenschaften der Verbannten werden von einer
dazu eingesetzten Kommission abgeschätzt und sollen ihnen vergütet
werden. Doch wird abzuwarten sein, ob diese Absicht der Regierung auch
ausgeführt werden wird. Die Wiederansiedlung soll im Wilajet Konia und
anscheinend in Zor erfolgen. Wird die Behandlung aber so fortgesetzt,
wie Blank sie schildert, so werden die Überwandernden, soweit sie
nicht ihr Leben einbüßen, elend und krank ankommen, und nicht mehr die
Fähigkeit haben, sich wirtschaftlich wieder aufzurichten. An Stelle der
Verbannten werden muhammedanische Flüchtlinge aus dem Balkan in Zeitun
und Umgegend angesiedelt.

Inzwischen habe ich weiter in Erfahrung zu bringen gesucht, worauf
sich die Ansicht der Regierung von einer weit verbreiteten armenischen
Verschwörung stützt. Nur ~eine~ Tatsache aber ist mir bekannt
geworden. Nämlich eine mit Armeniern in enger Fühlung stehende und
gut über sie unterrichtete neutrale Persönlichkeit hat mir erzählt,
es seien im Beginn von Einwohnern von Dörtjol Briefe nach Zeitun
abgeschickt worden, daß der Moment zu einer Empörung günstig sei.
Verbindung mit den englischen Kriegsschiffen sei hergestellt. Ob die
Briefe ihre Bestimmung erreicht haben, ist meinem Gewährsmann nicht
bekannt. Bewiesen wäre also damit, wenn überhaupt mein Gewährsmann
gut unterrichtet war, eine Aufforderung zur Empörung. Wie sich
die Adressaten zu dieser Aufforderung verhalten haben, ist nicht
bekannt. Sind von englischer Seite die Adressen von Mitgliedern der
Wohltätigkeitsgesellschaft, die ja in Ägypten zu haben waren, zu
englischen Zwecken gebraucht worden, so müßte von türkischer Seite
gerechterweise vor Bestrafung der Adressaten der Beweis illoyaler
Gesinnung oder illoyaler Handlungen derselben erbracht werden. Dieser
ist aber offenbar nicht für nötig erachtet worden. Auch im übrigen
scheint die Regierung die Verschwörung mit dem Vergrößerungsglase
betrachtet zu haben. Ich bin der Überzeugung, daß die ganz überwiegende
Mehrheit der Verbannten unschuldig leidet. -- Die Mitglieder der
Wohltätigkeitsgesellschaft haben stets offen gegenüber der Regierung
gehandelt. Dafür müssen sie jetzt büßen. Die Regierung scheint auch
auf dem mittelalterlichen Standpunkt zu verharren, daß für die Tat
eines einzelnen oder einiger weniger Solidarhaft eines ganzen Volkes
besteht. Denn ihre Maßregeln gehen auf Vernichtung der Armenier in
ganzen Bezirken hinaus. Alle Armenier von Besitz, Bildung oder Einfluß
sollen beseitigt werden, damit nur eine führerlose Herde zurückbleibt.
Sie läuft Gefahr, das Vertrauen zu untergraben, daß es für die Armenier
in Zukunft möglich sein wird, mit ihr auszukommen, und schafft dadurch
selbst den Boden für Verwicklungen.

Gleichen Bericht lasse ich dem Herrn Reichskanzler zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
        Herrn Freiherrn von Wangenheim.


48.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 10. Mai 1915.
  Ankunft in Pera, den 11. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Bisher waren nur Armenier aus Zeitun und umliegenden Dörfern verbannt
worden, jetzt werden auch Familien aus Marasch weggeführt.

                                                               Rößler.


49.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 14. Mai 1915.
  Ankunft in Pera, den 14. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wie Halil Bey gestern dem hiesigen Wali aus Urmia gedrahtet hat,
marschiert er mit einem Teil seiner Truppen über Ghever-Baschkalé nach
Wan.

Lage scheint sich dort verschlimmert zu haben.

Verbindung mit Wan von hier seit neun Tagen unterbrochen. Bitte daher
gehorsamst telegraphische Nachricht über die Lage in Wan.

                                                             Holstein.


50.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                               Pera, den 15. Mai 1915.

    An Deutsches Konsulat, Mossul.

Wie Minister des Innern heute bestätigte, dauert Kampf in Wan fort. Er
fügte hinzu, daß sich russische Streitkräfte Wan nähern. Telegraphische
Verbindung zwischen hier und Wan soll noch bestehen.

                                                           Wangenheim.


51.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)                        Erzerum, den 15. Mai 1915.
                       Eingetroffen: Konstantinopel, den 27. Mai 1915.

      Euerer Exzellenz

erlaubte ich mir bereits in meinen Telegrammen vom 26. und 30. April,
4. und 9. Mai über die Armenierunruhen in Wan und die Erregung im
hiesigen Gebiet zu berichten.

Ich halte es für angezeigt, diesen telegraphischen Berichten folgendes
hinzuzufügen:

Der äußere Anlaß zu den Unruhen in Wan ist, wie ich bereits
berichtete, die Verhaftung und Ermordung einiger armenischer Notabeln,
insbesondere ~Ischkhans~ und des armenischen Deputierten von Wan,
~Wramian~ gewesen, die sich unter den Armeniern eines großen
Ansehens erfreuten.

Ob dieses Vorkommnis im Einverständnis mit den dortigen Behörden
geschehen ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls mußte sich aber
die Regierung darüber klar gewesen sein, daß dadurch der letzte
Anstoß gegeben wurde, die schon seit langem, besonders aber seit
Kriegsausbruch gärende Erregung, die nur noch von den Führern
niedergehalten werden konnte, zum Ausbruch zu bringen.

Nicht nur in Wan und dessen Umgebung, also den Grenzgebieten gegen
Rußland, und den hiesigen, durch Requisitionen und Truppenansammlungen
besonders in Mitleidenschaft gezogenen armenischen Gebieten, sondern
auch in den mehr im Innern gelegenen armenischen Orten machte sich
eine starke Unzufriedenheit bemerkbar. An vielen Stellen waren seit
langem Waffen angesammelt worden, anfänglich wohl nur zu Zwecken der
Selbstverteidigung bei einem eventuellen Massakre, später wohl auch für
einen bewaffneten Aufstand.

Daß von türkischer Seite in der Behandlung der Armenierfrage andauernd
Fehler gemacht worden sind, ist Euerer Exzellenz ja zur Genüge bekannt,
desgleichen, daß diese Fehler von russischer Seite schon lange vor dem
Krieg zu einer planmäßigen Verhetzung ausgenutzt wurden.

Besonders Wan und das dortige russische Konsulat war von jeher
ein Brennpunkt russischer Wühlarbeit, die um so ungestörter ins
Werk gesetzt werden konnte, als eine ein Gegengewicht bildende
deutsche Vertretung dort nicht vorhanden war. Das junge Konsulat
von Erzerum konnte, schon infolge der Entfernung, seinen Einfluß
nicht in genügendem Maße dorthin erstrecken; eine Einflußnahme in
der jetzigen Zeit, die hier die vollste Aufmerksamkeit erfordert,
erscheint ausgeschlossen. Zurzeit ist zudem auch die Verbindung mit Wan
unterbrochen.

Während die hiesigen armenischen Kreise infolge der besseren
Postverbindung und der Tätigkeit des hiesigen Konsulats
(Nachrichtenhalle, Lesesaal, Zeitungsartikel, Anschläge über die
Kriegslage) über die allgemeine Weltlage und die Mißerfolge der Russen
auf den europäischen Kriegsschauplätzen orientiert sind, dürfte diese
Orientierung in Wan gefehlt haben. Die dortigen Armenier, die sich
den türkischen Veröffentlichungen gegenüber naturgemäß mißtrauisch
verhalten, schöpfen ihre sonstigen Nachrichten nur aus russischen,
keineswegs ungetrübten Quellen, und erhalten somit, wie so manches
andere Volk der Welt, ein völlig falsches Bild der Lage in Europa. Ein
Grund mehr, die schon früher vorhandene Zuneigung zu Rußland in einem
Aufstand kund zu tun.

Wie Euerer Exzellenz bekannt, sahen die Armenier der Türkei seit jeher
in Rußland ihren natürlichen Beschützer, und hat Rußland ja auch stets
dieses Schutzrecht für sich in Anspruch genommen und ausgenutzt.
Die Tatsache, daß sich die russischen Armenier, abgesehen von der
größeren Sicherheit ihres Lebens, auch in besseren wirtschaftlichen
Verhältnissen befinden, übt auf die große Masse gleichfalls eine
bedeutende Anziehungskraft aus. Demgegenüber blieb die Erwägung, daß
eine stärkere Einflußnahme Rußlands die Gefahr der Entnationalisierung
mit sich bringen müßte, nur auf die geistigen Führer der Armenier
beschränkt. Auch unter den letzteren haben sich zwei Richtungen
gebildet: die eine stellt die Bewahrung nationaler Eigenart, die nur
in der Türkei möglich, in den Vordergrund, die andere wirtschaftliche
Interessen und religiöse Gemeinschaft.

Der deutsche Einfluß war bisher unter den Armeniern gering. Von
Deutschland und den Deutschen wußten nur wenige gebildete Armenier.
Soweit mir bekannt, machen hierin nur die ehemaligen Zöglinge der
Sanassarian-Schule -- die vor einigen Jahren nach Siwas verlegt wurde,
in Befürchtung einer Besitzergreifung von Erzerum durch Rußland! --
eine Ausnahme. Und das auch nur soweit, als sie ihre Hochschulstudien
in Deutschland betrieben. Der größere Teil der armenischen gebildeten
Jugend erhielt seine Ausbildung in französischen Schulen und später
in Frankreich und Rußland. Unter dem Volk bestanden bei Ausbruch des
Krieges sogar Zweifel darüber, ob die Deutschen Christen seien, da sie
sich mit den Türken verbündet hätten. Die Tatsache, daß Deutschland
schon Freund der absolutistischen Türkei war, unter deren Herrschaft
die Armenier so viel gelitten, erfüllt sie noch jetzt mit Mißtrauen.
Die Schuld am Kriege wird gleichfalls dem Einfluß Deutschlands
beigemessen, und die durch denselben hervorgerufenen wirtschaftlichen
Schäden werden von dem auf Wahrung und Mehrung seines Besitzes stark
bedachten Volk besonders unangenehm empfunden.

Die allgemeine Stimmung der Armenier den Deutschen gegenüber war somit
bei Ausbruch des Krieges wenig freundschaftlich, hat sich aber im
Laufe der letzten Monate sichtlich geändert. Dazu mag der deutsche
Waffenerfolg auf allen Schlachtfeldern und die Anwesenheit deutscher
Offiziere in Erzerum ein Teil beigetragen haben. Besonders jedoch
machte sich dieser Umschwung bemerkbar, als die hiesigen Armenier
gewiß zu sein glaubten, daß -- es war etwa Mitte März -- der Ausbruch
eines Massakres nur durch die Anwesenheit und Tätigkeit des hiesigen
Konsulats verhindert worden sei. Der armenische Bischof sprach denn
auch wiederholt General Posseldt und mir seinen Dank für den Schutz der
Armenier aus.

Zur hiesigen Lage, wie sie sich zurzeit darbietet, bemerke ich,
daß ein Aufstand der Armenier Erzerums und seiner näheren Umgebung
nicht anzunehmen ist, trotz der geringen hier vorhandenen türkischen
Streitkräfte. Die weiter zur russischen Grenze hin gelegenen
armenischen Ortschaften sind von ihren Bewohnern längst verlassen;
letztere sind teils nach Rußland geflohen, wo sie in den Reihen der
russischen Truppen -- wie auch bei Wan -- gegen die Türken kämpfen
sollen, teils kamen sie nach Erzerum. Einzelne Vorkommnisse, wie
bewaffneter Widerstand bei Requisitionen in entlegenen Dörfern,
Ermordung von Türken, die die Auslieferung armenischer Mädchen
und Frauen verlangten, Zerschneiden und Störung von Telegraphen-
und Telephonlinien, Spionage, sind Erscheinungen, die während des
Krieges in einem Grenzgebiet mit gemischter Bevölkerung nichts
Außergewöhnliches darstellen.

Die ruhige Haltung der hiesigen Armenier ist meiner Meinung nach
bedingt durch

1. die schon erwähnte bessere Orientierung über die allgemeine
Weltlage, die sie auf einen „raschen Sieg“ der Russen nicht mehr hoffen
läßt;

2. die vernünftige Stellungnahme der hiesigen Regierung, welche krasse
Fälle von Bedrückungen bis jetzt vermieden hat.

Außer der Ermordung des Pasdirmadjan, Direktors der Banque Ottomane,
im Februar, sind Fälle von politischen Morden hier nicht vorgekommen.
Der Wali Tahsin Bey hat aus seiner früheren Tätigkeit in Wan in der
Behandlung der Armenierfrage große Erfahrungen und vertritt, im
Gegensatz zu einigen militärischen Kreisen, die den Augenblick der
Abrechnung mit den Armeniern für gekommen halten, einen maßvollen
Standpunkt. Die Maßregeln der Regierung haben sich bis jetzt auch nur
auf Haussuchungen und Verhaftungen beschränkt. Von den Verhafteten ist
die Mehrzahl wieder freigelassen worden, einige sollen ins Innere des
Landes verschickt werden. Die Haussuchungen haben, soweit mir bekannt,
belastendes Material nicht ergeben. Diese Haltung der Regierung trägt
viel zur Beruhigung der Armenier bei. Auch der Ausbruch eines Massakres
ist hier kaum anzunehmen, es sei denn, daß Mißerfolge an der Front die
türkischen Truppen zu einem Rückzuge nach Erzerum nötigen würden. Ich
habe nicht versäumt, dem Gedanken einer „Abrechnung“ überall energisch
entgegenzutreten und auf die üblen Folgen innerer Unruhen in der Türkei
in der jetzigen Zeit hinzuweisen.

Die Anwesenheit und Tätigkeit des Konsulats, verbunden mit dem guten
Nachrichtendienst desselben, dürfte somit nicht wenig zu der bisherigen
ruhigen Haltung der hiesigen Türken und Armenier beigetragen haben.

                                                von Scheubner-Richter.

   Seiner Exzellenz dem Herrn Botschafter
  Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.


52.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

                                            Erzerum, den 15. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Aus den umliegenden Dörfern werden die Armenier ausgewiesen und
nach dem Etappengebiet verschickt. Die Bevölkerung ist dadurch sehr
beunruhigt.

                                                            Scheubner.


53.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

                                            Erzerum, den 16. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Maßnahmen der Verschickung der gesamten armenischen Bevölkerung
der hiesigen Umgebung nach Mamachatun etc. sind auf Befehl des
Armee-Oberkommandos getroffen und mit militärischen Rücksichten
begründet worden.

Da die männlichen Armenier zur Dienstleistung in Arbeitsbataillonen
eingezogen sind, werden hauptsächlich Frauen und Kinder fortgetrieben,
wobei sie ihre Habe zurücklassen müssen. Da ein Aufstand der
hiesigen Armenier nicht zu erwarten ist, ist diese Maßnahme
grausamer Ausschließung unbegründet and ruft Erbitterung hervor. Die
Zivilverwaltung ist unbeteiligt und weist auch jede Verantwortung für
die daraus entstehenden Folgen von sich.

                                                            Scheubner.


54.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 17. Mai 1915.
  Ankunft in Pera, den 18. Mai 1915.

    Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Mit Bezug auf Tel. v. 16. 5.

Der armenische Bischof bittet Eure Exzellenz, den Patriarchen über die
hiesige Lage informieren lassen zu wollen.

                                                            Scheubner.


55.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)                                   20. Mai 1915.

    Notiz.

Heute dem Patriarchen Mitteilung gemacht; er hatte keine Nachrichten
von Erzerum. Stellte ihm anheim, daß, falls er seinerseits Schritte
täte, er sich ans Kriegsministerium wenden sollte.

                                                            Mordtmann.


56.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Pera, den 18. Mai 1915.
  Ankunft den 19. Mai 1915.

    An Auswärtiges Amt.

Meldung des Konsulats Erzerum vom 17. d. M.

Wan ist von Russen besetzt, militärische Situation für Türken
ungünstig. Armenier sollen sich Russen angeschlossen und Muhammedaner
massakriert haben, 80000 Muhammedaner auf Flucht nach Bitlis sein.

                                                           Wangenheim.


57.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 18. Mai 1915.
  Ankunft in Pera, den 20. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Oberherr der Nestorianer Mar Schimun in Kotschanes teilte mir mit,
antichristliche Bewegung im Bezirk Amadia wachse täglich, Muselmanen
dort planten allgemeine Christenmassakres und hätten teilweise schon
damit begonnen. Der hiesige Chaldäische Patriarch machte mir heute
gleiche Mitteilung.

Wali gibt Tatsache zu, und scheint mir diese Bewegung wenn nicht gerade
zu schüren, so doch nicht energisch genug zu hemmen, was sehr unklug
ist. Wenn er kurdische Scheichs beeinflussen wollte, wäre Hemmung
unschwer möglich.

Stelle anheim, dahingehende Order an den Wali erwirken zu wollen.

                                                             Holstein.


58.

   (Kaiserliches
  Konsulat Adana.)

    Telegramm.

  Abgang aus Adana den 18. Mai 1915.
  Ankunft in Pera den 18. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die gesamte armenische Bevölkerung im Wilajet Adana ist durch das
Vorgehen der Regierung aufs äußerste geängstigt. Hunderte von Familien
sind verbannt worden, die Gefängnisse sind überfüllt. Heute früh haben
wieder mehrere Hinrichtungen stattgefunden.

Durch ihr barbarisches Vorgehen schädigt die Regierung offensichtlich
die Interessen des Landes. Die Deutsche Orientbank, die insbesondere
erheblich geschädigt ist, bat mich dafür einzutreten, daß die
Verschickung der Armenier eingestellt werde.

                                                                 Büge.


59.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum den 18. Mai 1915.
  Ankunft in Pera den 18. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Das Elend unter den vertriebenen Armeniern ist fürchterlich. Frauen
und Kinder lagern zu Tausenden ohne Nahrung um die Stadt herum. Die
zwecklose Vertreibung ruft die größte Erbitterung hervor.

Darf ich deswegen bei dem Oberkommandierenden Schritte unternehmen?

                                                            Scheubner.


60.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)                         Pera, den 19. Mai 1915.

    Telegramm.

    An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Auf das Telegramm vom 18. d. M.

Sie sind unter den dargestellten Umständen ermächtigt, beim dortigen
Oberkommando wegen der vertriebenen Armenier Vorstellungen zu erheben
und auf humane Behandlung der ausgewiesenen Bevölkerung hinzuwirken.

                                                           Wangenheim.


61.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                          Pera, den 19. Mai 1915.

Euer Hochehrwürden Schreiben vom 5. d. M. und Ihr Telegramm vom 17.
sind richtig in meine Hände gelangt.

Aus Ihrem Schreiben entnehme ich zu meiner Befriedigung, daß die
dortige Lage vorläufig zu keinen begründeten Besorgnissen Anlaß
gibt, und ich hoffe, daß es auch in Zukunft den besonnenen Elementen
gelingen wird, ernstere Zwischenfälle zu vermeiden. Daß die Regierung
mit Rücksicht auf die bedauerlichen Vorgänge in Wan besondere
Vorsichtsmaßregeln ergreift, ist verständlich, ebenso, daß hierunter
gelegentlich auch die friedliche Bevölkerung zu leiden hat. Immerhin
werde ich bei sich bietender Gelegenheit auf Ihre Ausführungen
aufmerksam machen, und bitte Sie, auch Ihrerseits Ihre Beziehungen
zu den Behörden und zur Bevölkerung zu benutzen, um auf beide in
beruhigendem Sinne einzuwirken. In dieser Beziehung möchte ich noch
besonders erwähnen, daß trotz der in der jetzigen Zeit erklärlichen
Aufregung und trotz mannigfacher Provokationen es bisher nirgends zu
Massenausschreitungen, wie Massakres, Plünderungen u. dgl., gegen die
Armenier gekommen ist.

Weitere Mitteilungen von Ihnen werde ich gerne und mit besonderem
Interesse entgegennehmen.

                                                       von Wangenheim.

  Herrn Pfarrer Johannes Ehmann, Hochehrwürden, Mamuret ul Aziz.


62.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                          Pera, den 19. Mai 1915.

Aus Anlaß der in Wan ausgebrochenen Unruhen hatte ich, wie
bereits telegraphisch gemeldet, dem Pfarrer Spoerri in Wan direkt
telegraphiert, um Auskunft über seine Lage zu erhalten. Da die Antwort
ausblieb, wandte ich mich zu gleichem Zwecke an das Ministerium des
Innern; letzteres teilt nunmehr folgende telegraphische Auskunft des
Walis von Wan mit:

Die armenischen Aufständischen hätten sich gerade in dem Stadtviertel
verschanzt, in dem die Anstalten des Predigers Spoerri und der
amerikanischen Mission (Raynolds) liegen. Er, der Wali, habe das für
Spoerri bestimmte Telegramm mittels eines Boten mit weißer Flagge an
den Adressaten befördern wollen. Die Armenier hätten aber auf den
Parlamentär gefeuert[61].

Der Wali fügt hinzu, daß er bei der Verfolgung und Unterdrückung des
Aufstandes auf die Anwesenheit der Deutschen und Amerikaner Rücksicht
nehme.

Vom Missionar Johannes Ehmann in Kharput (Mamuret ul Aziz) liegen
hier ein ausführlicher Bericht vom 5. d. M. und ein diesen Bericht
bestätigendes Telegramm vom 17. d. M. vor; danach dürften vorläufig
keine Befürchtungen für ihn und seine Anstalt bestehen.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


63.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 22. Mai 1915.
  Ankunft in Pera, den 25. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wegen der Vertreibung der Armenier habe ich mit Armee telephonisch
gesprochen und werde mich Montag Hauptquartier Tortum begeben.
Muhammedanische Emigranten besetzen die Dörfer vertriebener Armenier.

                                                            Scheubner.


64.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 24. Mai 1915.
  Ankunft in Pera, den 25. Mai 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Ich bitte Mr. Peet, Bibelgesellschaft, im Auftrage der hiesigen
amerikanischen Mission zu fragen, ob er die vertriebenen Armenier durch
Geldmittel unterstützen wolle. Erbitte direkte Drahtantwort an Konsulat
und Mission.

                                                            Scheubner.


65.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)                         Pera, den 26. Mai 1915.

Telegramm.

An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Auf das Tel. vom 24. Mai.

Mr. Peet hat Unterstützungsfonds für die Armenier bereitgestellt. Wegen
Unsicherheit der Übermittelung wird probeweise zunächst ein kleinerer
Betrag übersandt werden.

                                                       von Wangenheim.


66.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo den 26. Mai 1915.
  Ankunft in Pera den 26. Mai 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Aus vollständig zuverlässiger Quelle erfahre ich, daß die Zahl der
armenischen Familien, die bisher aus dem Sandschak Marasch und dem
östlichen Teil des Wilajets Adana verbannt worden sind, 2000, das sind
10000 Seelen, beträgt. Die Verbannungen werden fortgesetzt. Euerer
Exzellenz stelle ich anheim, die Pforte darauf aufmerksam zu machen,
daß daraus für die Zukunft Verwickelungen entstehen können. Man sollte
nicht Marasch für die Fehler der Armenier im Osten büßen lassen
und Unschuldige für die Schuldigen bestrafen. Es ist genug Unglück
geschehen, und es wäre an der Zeit, einzuhalten. Wenn man innere
Umsiedlung und Kolonisation beabsichtigt, so müßten dafür die nötigen
Vorbereitungen getroffen werden.

                                                               Rößler.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

Mit Talaat Bey besprochen 29. 5.; der Minister war über die Deportation
der Armenier aus Marasch nicht näher unterrichtet und wird sich
erkundigen.

                                                            Mordtmann.


67.

    Office of W. W. Peet, Treasurer of American Missions in Turkey.

                     Constantinopel.                    26th May 1915.

  Mr. Mordtmann, Consul General, German Embassy, Pera.

    Dear Sir:

Referring to your kind offer this morning to inform our people in
Erzroom of my despatch of funds for relief of the poor and needy, I
find on consulting late communications from our people in Erzroom, that
they are able to secure local money for payment here, I have therefore
telegraphed our Dr. Case to draw on me for Lt. 250 of which Lt. 150 is
for relief purposes. I enclose herewith a copy of the telegram which I
am despatching to-day.

If you will kindly confirm this telegram through your Consul it will be
deeply appreciated by us all.

Thanking you for your kindness in this matter, I am, Sir,

                                                   Yours faithfully,
                                                      W. W. Peet
                                                       Treasurer.

Our wire to Erzroom sent this day reads as follows:

Draw for relief of poor and needy hundredfifty Liras, for Station
expenses hundred Liras.


68.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)                   Konstantinopel, 29. Mai 1915.

    Telegramm.

    An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Die dortige amerikanische Mission wird durch Herrn Peet ermächtigt,
zweihundertfünfzig türkische Pfund auf ihn zu ziehen, wovon
hundertfünfzig für Unterstützung Notleidender und hundert für die
Station bestimmt sind.

                                                              Neurath.


69.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)                                   29. Mai 1915.

    Aufzeichnung.

Habe heute bei Talaat Bey angeregt, die Deportationsmaßregeln gegen
die Armenier von Erzerum, namentlich gegen Frauen und Kinder, zu
mildern. Er zeigte sich abgeneigt, man habe gerade in Erzerum nicht
nur belastende Korrespondenzen, sondern auch Waffen, Bomben u. dgl.
bei den Armeniern gefunden[62], es hätte der Plan bestanden, beim
Vordringen der Russen einen Aufstand zu erregen und den Türken in den
Rücken zu fallen[63]. Durch die Deportation sollten die Armenier vor
Schlimmerem, nämlich vor Massakres, bewahrt werden. Die Regierung werde
den Ausgewiesenen neue Wohnsitze anweisen und sie auch unterstützen.

                                                            Mordtmann.


70.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)                         Pera, den 30. Mai 1915.

    Telegramm.

    An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Auf Bericht vom 15. Mai.

Minister des Innern behauptet, Armenier in Erzerum seien durch Funde
von Bomben und Schriftstücken stark belastet und hätten bei Vordringen
der Russen Aufstand im Rücken der türkischen Truppen zu erregen
beabsichtigt[64]. Deportation sei auch im Interesse der Vertriebenen,
um Schlimmeres zu verhüten (Massakres).

                                                           Wangenheim.


71.

La loi du 14/27 Mai 1915 sur le déplacement des personnes suspectes[65]
contient les dispositions suivantes:

Article 1. -- En temps de guerre, les commandants d’armée, de corps
d’armée et de division ou leurs remplaçants, ainsi que les commandants
des postes militaires indépendants, qui se verraient en butte de
la part de la population à une attaque ou une résistance armée, ou
rencontreraient, sous quelque forme que cela soit, une opposition
aux ordres du Gouvernement ou aux actes et mesures concernant la
défense du pays et la sauvegarde de l’ordre public, ont l’autorisation
et l’obligation de les réprimer immédiatement et vigoureusement au
moyen de la force armée et de supprimer radicalement l’attaque et la
résistance.

Article 2. -- Les commandants d’armée, de corps d’armée et de division
peuvent, si les besoins militaires l’exigent, déplacer et installer
dans d’autres localités, séparément ou conjointement, la population
des villes et des villages qu’ils soupçonnent coupable de trahison ou
d’espionnage.

Article 3. -- Cette loi entre en vigeur à partir de sa publication.

14/27 Mai 1915.


72.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Pera, den 31. Mai 1915.
  Ankunft 1. Juni 1915.

    An Auswärtiges Amt.

Zur Eindämmung der armenischen Spionage und um neuen armenischen
Massenerhebungen vorzubeugen, beabsichtigt Enver Pascha unter Benutzung
des Kriegs-(Ausnahme-)zustandes eine große Anzahl armenischer Schulen
zu schließen, armenische Postkorrespondenz zu untersagen, armenische
Zeitungen zu unterdrücken und aus den jetzt insurgierten armenischen
Zentren alle nicht ganz einwandfreien Familien in Mesopotamien
anzusiedeln. Er bittet dringend, daß wir ihm hierbei nicht in den Arm
fallen.

Diese türkischen Maßnahmen werden natürlich in der gesamten uns
feindlichen Welt wieder große Aufregung verursachen und auch gegen
uns ausgebeutet werden. Die Maßnahmen bedeuten gewiß auch eine große
Härte für die armenische Bevölkerung. Doch bin ich der Meinung, daß
wir sie wohl in ihrer Form mildern, aber nicht grundsätzlich hindern
dürfen. Die von Rußland genährte armenische Wühlarbeit hat Dimensionen
angenommen, welche den Bestand der Türkei bedrohen.

Bitte Dr. Lepsius und deutsche armenische Komitees entsprechend
verständigen, daß erwähnte Maßnahmen bei der politischen und
militärischen Lage der Türkei leider nicht zu vermeiden[66].

Konsulate Erzerum, Adana, Aleppo, Mossul, Bagdad sind von mir
vertraulich informiert worden.

                                                           Wangenheim.



_Juni._


73.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 2. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 3. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Meine Rücksprache mit dem Oberkommandierenden über die Aussiedelung
der Armenier führte zu keinem positiven Resultat. Die armenischen
Bewohner aller Ebenen, wahrscheinlich auch Erzerums, sollen bis Der
es Zor geschickt werden. Diese Aussiedelung großen Maßstabes ist
gleichbedeutend mit Massakres, da mangels jeglicher Transportmittel
kaum die Hälfte ihren Bestimmungsort lebend erreichen wird, und
dürfte nicht nur den Ruin der Armenier, sondern ganzen Landes nach
sich ziehen. Militärische Gründe können für Maßnahmen nicht angeführt
werden, da Aufstand der hiesigen Armenier nicht anzunehmen ist und
die Ausgewiesenen alte Männer, Frauen und Kinder sind. Armenier, die
zum Islam übertreten, werden nicht ausgewiesen. Von mir besichtigte
verlassene armenische Dörfer fand ich ausgeplündert, desgleichen das
Kloster Kizilwang, dessen Kirche verwüstet war.

                                                            Scheubner.


74.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 2. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 3. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Unter Bezugnahme auf das Telegramm vom 30. Mai. In Erzerum und
Umgebung wurden Bomben und dergleichen nicht gefunden, was auch
vom Wali bestätigt werden kann[67]. -- Ich kann von hier aus nicht
kontrollieren, ob wo anders derartige Funde gemacht wurden.

                                                            Scheubner.


75.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 3. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 3. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Auf das Telegramm vom 31. Mai.

Es ist Befehl ergangen, die aus dem Wilajet Adana hier eingetroffenen
Armenier auf muhammedanische Dörfer des Wilajet Aleppo zu verteilen.
Dort müssen sie umkommen, was nicht die Absicht Enver Paschas sein
kann. Ich stelle gehorsamst anheim, dahin wirken zu wollen, daß diese
Armenier in der Stadt Aleppo, wo sie unschädlich sind, bleiben dürfen.
Zur Durchführung der Regierungspolitik gegen die Armenier ist ein
besonderer Beamter, Eyub Bey, nach Aleppo entsandt und direkt Fachri
Pascha unterstellt worden. Der Wali Djelal Bey, von dem die Regierung
weiß, daß er für eine mildere Politik eintritt, ist damit ausgeschaltet.

                                                               Rößler.


76.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 6. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 6. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

In aller Ehrerbietung bitte ich nochmals vorstellig werden zu dürfen.
Unter den armenischen Verbannten befinden sich ganz überwiegend Frauen.
Auf dem Transport und in den Dörfern wären sie wehrlos der Schande
preisgegeben. Wäre es nicht möglich, daß nur die Männer zerstreut
werden und daß Frauen und Kinder in Aleppo bleiben? Bisher sind schon
zahlreiche Kinder den Transporten zum Opfer gefallen.

                                                               Rößler.


77.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

    An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Antwort auf Telegramm vom 6. Juni.

Vom Minister des Innern wurde zugesagt, daß er wegen der Verhältnisse
der dort ausgewiesenen Armenier beim Wali in Aleppo anfragen werde.

                                                           Wangenheim.


78.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 10. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 11. Juni 1915.

    Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

614 aus Diarbekr hierher verbannte armenische Männer, Frauen und
Kinder sind auf der Floßreise sämtlich abgeschlachtet worden; die
Keleks sind gestern hier leer angekommen; seit einigen Tagen treiben
Leichen und menschliche Glieder im Fluß vorbei. Weitere Transporte
armenischer „Ansiedler“ sind hierher unterwegs, ihnen dürfte dasselbe
Los bevorstehen.

Ich habe der hiesigen Regierung meinen tiefsten Abscheu über diese
Verbrechen zum Ausdruck gebracht; der Wali sprach sein Bedauern
darüber aus mit dem Bemerken, daß allein der Wali von Diarbekr dafür
verantwortlich sei.

                                                             Holstein.


79.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 12. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 13. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Von dem hier weilenden Katholikos von Sis wird die Seelenzahl der
bisher verbannten Armenier auf über 30000 angegeben. Zeitun und
Umgegend, ferner Alabasch, Albistan, Dörtjol, Hassan-Beyli sind
vollständig geräumt. Es sind nicht nur die Familien, die „nicht ganz
einwandfrei“ schienen, verbannt worden, sondern die ganze Bevölkerung,
sogar die Familien der im Heeresdienst stehenden Soldaten. Könnte nicht
wenigstens für diese eine Ausnahme gemacht werden? Der Transport von
Frauen und Kindern auf das Land wird fortgesetzt. Selbst in kleinen
Provinzorten wie Bab, Membidj, Idlib läßt man sie nicht bleiben,
sondern zerstreut sie zu 3-4 Familien auf die muhammedanischen Dörfer,
wo sie, von aller Hilfe abgeschnitten, zugrunde gehen müssen.

Damit geht die Regierung weit über den Zweck notwendiger
Vorbeugungsmaßregeln hinaus. Bedenkt sie nicht, daß beim
Friedensschluß, ehe ihr die hauptsächlich von Armeniern bewohnte,
augenblicklich verlorene Provinz Wan wieder zugesprochen wird,
möglicherweise in Betracht gezogen werden wird, wie sie in Cilicien,
statt sich auf notwendige Vorbeugungsmaßregeln zu beschränken, einen
wichtigen Teil der Bevölkerung vernichtet hat?

                                                               Rößler.


80.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 13. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 14. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an mein Telegramm vom 10. Juni.

Die Niedermetzelung der Armenier im Wilajet Diarbekr wird hier von
Tag zu Tag mehr bekannt und erzeugt zunehmende Unruhe unter der
Bevölkerung, die bei der unverständigen Gewissenlosigkeit und der
Schwäche der hiesigen Regierung leicht unabsehbare Folgen haben kann.
In den Bezirken von Mardin und Amadia haben sich die Zustände zu einer
wahren Christenverfolgung ausgewachsen.

Wir werden bald überall den hellsten Aufruhr haben, wenn die
Zentralregierung ihr Programm der Christenverfolgung nicht ändert. Die
Armeniermassakres müssen unbedingt aufhören.

                                                             Holstein.


81.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.

                                              Pera, den 17. Juni 1915.

Die Austreibung der armenischen Bevölkerung aus ihren Wohnsitzen in den
ostanatolischen Provinzen und ihre Ansiedelung in anderen Gegenden wird
schonungslos durchgeführt.

Nach den glaubwürdigen Angaben des Katholikos von Sis sind allein
aus seiner Diözese bisher 30000 Armenier deportiert worden. Zeitun
und Umgegend, Albistan, Dörtjol, Alabasch, Hassan-Beyli und selbst
kleinere Ortschaften sind vollständig geräumt. Hier wie anderwärts
werden die Bewohner über das Innere zerstreut und unter Muhammedanern
angesiedelt, zum Teil in weit voneinander entfernten Gegenden, wie z.
B. die Bewohner von Zeitun, die teils nach der Umgegend von Konia,
teils nach Der es Zor am Euphrat verpflanzt wurden. Die Armenier von
Erzerum sind nach Terdjan (Mamahatun) geschafft worden.

Die Ausgesiedelten werden gezwungen, sofort oder in wenigen Tagen ihre
Wohnsitze zu verlassen, so daß sie ihre Häuser und den größten Teil
ihrer beweglichen Habe im Stiche lassen müssen und sich nicht einmal
mit den notwendigsten Subsistenzmitteln für den Transport versehen
können. Bei der Ankunft an ihrem Bestimmungsort stehen sie hilf-
und wehrlos inmitten einer ihnen feindselig gesinnten Bevölkerung
da. An einzelnen Stellen ist es schon während ihrer Überführung zu
Ausschreitungen gekommen; die von Diarbekr nach Mossul abgeschobenen
Armenier sollen unterwegs sämtlich abgeschlachtet worden sein. Daß
die Regierung die Ausgetriebenen mit Geld, Nahrungsmitteln oder sonst
unterstützt, ist ausgeschlossen; in Erzerum haben der Kaiserliche
Konsul und die amerikanischen Missionare helfend eingegriffen,
anderwärts das hiesige armenische Patriarchat.

Daß die Verbannung der Armenier nicht allein durch militärische
Rücksichten motiviert ist, liegt zutage. Der Minister des Innern,
Talaat Bey, hat sich hierüber kürzlich gegenüber dem zurzeit bei der
Kaiserlichen Botschaft beschäftigten Dr. Mordtmann ohne Rückhalt dahin
ausgesprochen, „daß die Pforte den Weltkrieg dazu benutzen wollte,
um mit ihren inneren Feinden (den einheimischen Christen) gründlich
aufzuräumen, ohne dabei durch die diplomatische Intervention des
Auslandes gestört zu werden“.

Der armenische Patriarch äußerte einige Tage später zu demselben
Beamten, daß die Maßregeln der Pforte nicht nur die zeitweilige
Unschädlichmachung der armenischen Bevölkerung, sondern ihre
Austreibung aus der Türkei, oder vielmehr ihre Ausrottung bezweckten.
Die Deportierung sei ebenso schlimm wie ein Massakre, und es würde
nicht zu verwundern sein, wenn die Armenier sich schließlich zur Wehr
setzten, selbst ohne Aussicht auf Erfolg „wie ein gequältes Tier, das
gegen seine Peiniger ausschlägt“. Er scheint die Hoffnung aufgegeben
zu haben, durch Schritte bei der türkischen Regierung eine Wendung
zum Besseren herbeiführen zu können. Er ist nach wie vor -- und wie
wohl alle Armenier, soweit sie Kenntnis von den Vorgängen haben -- der
Überzeugung, daß die von der Regierung den Armeniern vorgeworfenen
Ausschreitungen durch das Vorgehen der Behörden hervorgerufen worden
sind.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


82.

  Deutsch-Armenische
    Gesellschaft.                          Potsdam, den 18. Juni 1915.

Aus Sofia erhielt ich die folgenden Telegramme:

  Sofia, aufgegeben den 14.6.
  Potsdam, aufgenommen den 16.6.

„Von verbannten Armeniern sind vorläufig Aknuni, Hajak, Zarterian,
Minassian nach Angora vor Kriegsgericht geschickt. Man räumt Armenien
von Armeniern. Aus Ersindjian, Marasch, Hadjin, Aintab ist armenische
Bevölkerung ins Innere Mesopotamiens verschickt. In ganz Cilicien
massenhafte Verbannung aller Armenier. Auch aus Konstantinopel.
Allgemeine Verzweiflung. Über unternommene Schritte bitten uns zu
informieren.“

  Sofia, aufgegeben den 17.6.
  Potsdam, aufgenommen den 18.6.

„Konstantinopel sind 20 Hentschakisten hingerichtet. Dasselbe Schicksal
droht nach Angora verbannten Daschnakisten. Wir bitten alles Mögliche
zu tun, um diesem Unglück vorzubeugen.“

                                                 Dr. Johannes Lepsius.

  An das Auswärtige Amt.


83.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                            Berlin, den 18. Juni 1915.

An Deutsche Botschaft, Pera.

Die Deutsch-armenische Gesellschaft hat Nachricht erhalten, daß 20
Hentschakisten hingerichtet sind und daß den nach Angora verbannten
dort vor Kriegsgericht gestellten Daschnakisten, darunter angesehensten
Führern der loyalen Armenier wie Aknuni, Zarterian u. a. gleiches
Schicksal droht. Falls die Nachricht zutreffend, ist zu befürchten, daß
bisher loyale Armenier ins Ententelager getrieben werden und Empörung
sich in Attentaten und Putschen gegen dortige Machthaber Luft macht.
Anheimstelle die Pforte dringend vor übereilten Schritten zu warnen
und zu befürworten, daß etwaige Todesurteile gegen Daschnakistenführer
aufgehoben werden.

                                                           Zimmermann.


84.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 18. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 19. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die aus der Ebene von Erzerum ausgewiesenen Armenier sind auf dem
Wege über Ersindjan nach Kharput von Kurden und ähnlichem Gesindel
überfallen worden. Die Männer und Kinder sind größtenteils ermordet,
die Frauen geraubt worden. Die Regierung kann oder will nichts
zum Schutz Ausgewiesener tun. Welche Schritte soll ich in dieser
Angelegenheit und zur Verhinderung weiterer Abschlachtungen unternehmen?

                                                            Scheubner.


85.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 18. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 19. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Sind Gerüchte über Armenieraufstand in Adana zutreffend? Erbitte
Drahtmitteilung.

                                                            Scheubner.


86.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

    Pera, den 19. Juni 1915.

  An Pfarrer Ehmann,

    Deutsche Missionsstation Mamuret ul Aziz.

Auf Telegramm vom 18. Juni.

Nach Auskunft Ministerium des Innern ist Ausweisung dortiger
armenischer Bevölkerung nicht beabsichtigt.

                                                           Wangenheim.


87.

         (Kaiserlich
  Deutsches Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 21. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 22. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der hiesige Wali Djelal Bey hat den Befehl erhalten, mit dem Wali von
Angora zu tauschen. Abberufung ist auf seine Haltung in der armenischen
Frage zurückzuführen. Djelal Bey hatte bisher aus dem Wilajet Aleppo
keine Armenier verbannt und sich dafür verbürgt, daß sie ruhig bleiben.
Offenbar will die Regierung auch hier freie Hand haben.

Die Abberufung ist im türkischen Interesse bedauerlich.

                                                               Rößler.


88.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                              Pera, den 21. Juni 1915.

    An Deutsches Konsulat, Erzerum.

Antwort auf das Telegramm vom 18. Juni.

Ich bitte dem Wali eindringlich vorzustellen, daß solche schmachvollen
Vorfälle das Ansehen der Regierung bei den Freunden der Türkei und im
neutralen Auslande schädigen und die Autorität der Behörden im Innern
untergraben. Repressalien und Racheakte von Seiten der Russen und
Armenier in den von ihnen besetzten Gebieten sind die unausbleibliche
Folge. Auch wird dadurch die Stellung der Türkei bei den künftigen
Friedensverhandlungen erschwert und erneut Grund zur Einmischung der
Mächte in die armenischen Angelegenheiten gegeben. Wenn wir auch gegen
Maßregeln, soweit sie durch die Kriegslage gerechtfertigt sind, keine
Einwendungen erheben können, so müssen wir doch um so energischer,
auch in unserem Interesse, darauf dringen, daß Niedermetzelungen der
wehrlosen Bevölkerung unterbleiben. Pflicht der Ortsbehörden ist es,
solche Vorkommnisse mit allen Mitteln zu verhindern, wenn sie nicht
eine schwere Verantwortung auf sich laden wollen.

Zu Ihrer persönlichen Information bemerke ich, daß ich in gleichem
Sinne Vorstellungen bei der Pforte erheben werde.

                                                           Wangenheim.


89.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                              Pera, den 22. Juni 1915.

    An Deutsches Konsulat, Adana.

Gerücht meldet Armenieraufstand Adana. Erbitte Drahtbericht.

                                                           Wangenheim.


90.

   (Kaiserliches
  Konsulat Adana.)

    Telegramm.

  Abgang aus Adana, den 23. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 23. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Wilajet Adana kein Armenieraufstand. Hier herrscht überall Ruhe und
Ordnung.

                                                                 Büge.


91.

         (Kaiserlich
  Deutsches Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 21. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 23. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Am 19. und 20. Juni ist die zweite Gruppe ausgewiesener Armenier --
ca. 300 Familien -- von hier abgegangen. Auf meine Vorstellung und
infolge der im Telegramm vom 18. berichteten Vorfälle hat der Wali 100
Gendarmen mitgegeben.

                                                            Scheubner.


92.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 22. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 23. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Ich habe dem Wali instruktionsgemäß Vorstellungen gemacht. Er gab
Schmachvolles der Vorgänge zu, bedauerte es und versprach sein
möglichstes zu tun, damit Wiederholung solcher Vorfälle vermieden
werde. Habe Wali ersucht, Armeeoberkommando von meinen Vorstellungen
Kenntnis zu geben.

                                                            Scheubner.


93.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Abgang aus Pera, den 23. Juni 1915.
  Ankunft Berlin, den 24. Juni 1915.

    An Auswärtiges Amt.

Armenischer Patriarch wird Reise des Dr. Lepsius hierher mit
Freude begrüßen. Auch dürfte sie wohl dazu beitragen, auf die uns
mißgestimmten armenischen Kreise günstig hinzuwirken. Der Minister des
Innern verspricht sich allerdings keinen Erfolg davon und bedauert, Dr.
Lepsius das Reisen im Innern nicht gestatten zu können, erklärt aber im
übrigen, daß es ihm freistände, hierher zu kommen.

                                                           Wangenheim.


94.

     (Kaiserliches
  Konsulat Trapezunt.)

    Telegramm.

  Abgang aus Trapezunt, den 24. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 25. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

In Karahissar ist es zu Ausschreitungen gegen die Armenier gekommen.
Hier hat heute die Verhaftung der Armenier zwecks Abtransports
begonnen. Vom Wali wurden mir die bestimmtesten Versicherungen gegeben,
daß die Durchführung der Ausweisung auch im Falle des Widerstands der
Armenier unter Ausschaltung des jungtürkischen Komitees oder sonstiger
Privatpersonen lediglich den Behörden überlassen sei. Damit dürfte der
Gefahr von Ausschreitungen gegen die Armenier hier nach Möglichkeit
vorgebeugt sein.

                                                             Bergfeld.


95.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                                   Pera, den 25. Juni.

    An Deutsches Konsulat, Trapezunt.

Antwort auf Telegramm vom 24. Juni.

Letzthin sind in Erzerum, Diarbekr und anderwärts deportierte
Armenier wiederholt von Wegelagerern, angeblich sogar von den
Begleitmannschaften überfallen und niedergemacht worden. Ich bitte
daher dem Wali eindringlich anzuempfehlen, für den Schutz der
Deportierten während des Transports Sorge zu tragen.

                                                           Wangenheim.


96.

  (Deutscher Hilfsbund
    Mamuret ul Aziz.)

    Telegramm.

  Mamuret ul Aziz, den 26. Juni 1915.
  Ankunft den 27. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Nach all den Nöten der letzten Zeit jetzt Ausweisung der gesamten
christlichen Bevölkerung von Stadt und Land unterschiedslos befohlen.
Bitte im Namen der Menschlichkeit um Fürsprache, daß den Unschuldigen,
den Schwachen und Greisen Gnade erwiesen werde. Ferner ersuche ich Euer
Exzellenz um Schutz für unsere Anstalten und alle unsere Angestellten.

                                                               Ehmann.


97.

     (Kaiserliches
  Konsulat Trapezunt.)

    Telegramm.

  Abgang aus Trapezunt, den 26. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 27. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Heute erschien Bekanntmachung: Armenier, auch Frauen und Kinder, haben
binnen fünf Tagen abzureisen.

                                                             Bergfeld.


98.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 26. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 27. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Neuerdings hat der Oberkommandierende angeordnet, alle Armenier aus
Erzerum auszuweisen. Dieser militärisch unbegründete und meines
Erachtens nur auf Rassenhaß zurückzuführende Befehl dürfte, falls er
wirklich zur Ausführung kommt, auch für die Armee bedenklich sein, da
alle Militärhandwerker, Chauffeure etc. Armenier sind.

                                                            Scheubner.


99.

    (Kaiserliches
  Konsulat Samsun.)

    Telegramm.

                                            Samsun, den 27. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Regierung verhängte Ausweisung des gesamten armenischen Volkes
nach Mesopotamien mit fünftägiger Frist zur Regelung ihrer
Ortsangelegenheiten.

                                                             Kuckhoff.


100.

     (Kaiserliches
  Konsulat Trapezunt.)

    Telegramm.

  Abgang aus Trapezunt, den 27. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 28. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an mein Telegramm vom 26. Juni.

Die Deportation trifft allein im Wilajet Trapezunt rund dreißigtausend
Personen. Ein Transport derartiger Massen über hunderte von Kilometern
auf Wegen, wo es an Unterkommen und Verpflegung mangelt und die 300
Kilometer weit durch Flecktyphus verseucht sind, würde besonders
unter den Frauen und Kindern ungeheure Opfer fordern; hierdurch würde
nicht nur das moralische Ansehen der Türkei, sondern auch das ihrer
Verbündeten leiden. Ich halte mich verpflichtet, Euere Exzellenz auf
die Gefahren der Massendeportation vom Standpunkt der Menschlichkeit
und des Prestige hinzuweisen. Der hiesige Wali beruft sich auf
Weisungen aus Konstantinopel.

Mein österreichischer Kollege berichtet seiner Botschaft im
gleichen Sinne. Vielleicht verzichtet die türkische Regierung auf
die Verschickung der Frauen und Kinder oder begnügt sich mit ihrer
Unterbringung in der Nähe, soweit sie ihren Männern nicht freiwillig
folgen.

                                                             Bergfeld.


101.

  (Auswärtiges Amt.)                        Berlin, den 28. Juni 1915.

    Telegramm.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wramian, Abgeordneter von Wan und Führer der Daschnakzagan, soll, wie
Dr. Lepsius erfährt, vermutlich zur Hinrichtung nach Konstantinopel
gebracht werden. Lepsius bittet zu intervenieren.

                                                           Zimmermann.

    Notiz.

In armenischen Kreisen ist über die Sache nichts Näheres bekannt. Der
Patriarch sagte mir heute: Wramian (alias Onik Tertzakian) sei schon
vor 1½ Monaten, als Wan noch in türkischen Händen war, verhaftet und
von Wan fortgeschafft, und dann auf dem Transport in Bitlis umgebracht
worden.

                                                      5./7. Mordtmann.


102.

     (Kaiserliches
  Konsulat Trapezunt.)

    Telegramm.

  Abgang aus Trapezunt, den 29. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 1. Juli 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die armenischen Familien haben Befehl erhalten, sich morgen Abend zur
Abreise bereit zu halten. Mit meinen sämtlichen Kollegen bin ich der
Ansicht, daß der Transport der Frauen und Kinder unter den im Telegramm
vom 27. Juni geschilderten Verhältnissen an Massenmord grenzt. Ich
setze meine Bemühungen fort, beim hiesigen Wali eine Erweiterung der
Ausnahmen zu erzielen. Ein genereller Ausschluß der Frauen und Kinder
von dieser Deportation kann aber nur durch eine Anordnung der Pforte
erreicht werden.

                                                             Bergfeld.


103.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 29. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 29. Juni 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Zohrab und Wartkes Effendi, die beiden bekannten armenischen
Abgeordneten, befinden sich gegenwärtig hier auf dem Transport nach
Diarbekr.

Nach allem, was von dort bekannt, ist anzunehmen, daß dies ihren
sicheren Tod bedeutet. Zohrab ist herzleidend, Frau von Wartkes hat
eben geboren.

Ich stelle gehorsamst anheim, ein Wort einzulegen, daß sie in Aleppo
bleiben dürfen.

Ich schreibe dieses Telegramm auf Verwendung eines hochstehenden
Muhammedaners.

                                                               Rößler.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)                                  12. Juli 1915.

    Notiz.

Nach dem Bericht des Katholikos von Sis aus Aleppo vom 18. v. M.
befanden sich dort außer Zohrab und Wartkes noch Dr. Dagavarian,
Aknuni, Zarterian (Chefredakteur des Azadamart) und Hajak (Mitarbeiter
des Azadamart). Wie mir der Patriarch neulich erzählte, geht es in
Diarbekr schlimm zu: ein Dutzend Armenier sind in der Voruntersuchung
zu Tode geprügelt worden, der dortige armenische Bischof hat aus
Verzweiflung Selbstmord begangen. Wartkes Ef. hatte seinerzeit während
der Gegenrevolution den bekannten Halil Bey mehrere Wochen bei sich
versteckt.

                                                            Mordtmann.


104.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

  Abgang aus Erzerum, den 30. Juni 1915.
  Ankunft in Pera, den 2. Juli 1915.

An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Unter Bezugnahme auf Telegramm vom 18. Juni.

Zahl der Armenier, die unterwegs ermordet wurden, dreitausend.

                                                            Scheubner.



_Juli._


105.

     (Kaiserliches
  Konsulat Trapezunt.)

    Telegramm.

  Abgang aus Trapezunt, den 2. Juli 1915.
    Ankunft in Pera, den 2. Juli 1915.

  An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wali hat die Ausnahme auf Kinder unter 10 Jahren ausgedehnt.

Der aus Erzerum über Ersindjan hier eingetroffene Unteroffizier
Schlimme berichtet: Zwischen Mamachatun und Ersindjan habe er eine
etwa 400 Mann starke Bande unter französisch sprechenden Führern[68]
getroffen, die anscheinend auf Armenier aus Erzerum wartete. Zwischen
Ersindjan und Sipikor sei er armenischen Frauen begegnet, welche aus
Hunger Gras aßen. Schließlich habe er aus sicherer Quelle erfahren, daß
die aus Ersindjan deportierten Armenier in den Bergen hinter Ersindjan
von Soldaten niedergemacht worden sind.

                                                             Bergfeld.


106.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                          Pera, den 7. Juli 1915.

Die Austreibung und Umsiedlung der armenischen Bevölkerung beschränkte
sich bis vor etwa 14 Tagen auf die dem östlichen Kriegsschauplatze
benachbarten Provinzen und auf einige Bezirke der Provinz Adana.
Seitdem hat die Pforte beschlossen, diese Maßregel auch auf die
Provinzen Trapezunt, Mamuret ul Aziz und Siwas auszudehnen, und mit
der Ausführung begonnen, obwohl diese Landesteile vorläufig von keiner
feindlichen Invasion bedroht sind.

Dieser Umstand und die Art, wie die Umsiedelung durchgeführt wird,
zeigen, daß die Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die
armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten.

In dieser Beziehung darf ich meinen früheren Berichten noch folgendes
hinzufügen:

Am 26. Juni wurden, wie der Kaiserliche Konsul in Trapezunt meldet, die
dortigen Armenier angewiesen, binnen fünf Tagen abzureisen; ihr Hab
und Gut sollte unter der Obhut der Behörden zurückbleiben. Nur Kranke
waren ausgenommen; hinterher wurde noch eine Ausnahme für Witwen,
Waisen, Greise und Kinder unter fünf Jahren, ferner für Kranke und für
die katholischen Armenier zugelassen. Nach neuerer Meldung sind aber
die meisten Ausnahmen wieder aufgehoben, und es bleiben nur Kinder und
Transportunfähige zurück, welch letztere in Hospitäler gebracht werden.

Im ganzen werden allein im Wilajet Trapezunt rund 30000 Personen
betroffen, die über Erzindjan nach Mesopotamien abgeschoben werden
sollen. Ein solcher Massentransport nach einem viele hunderte Kilometer
entfernten Bestimmungsorte ohne genügende Transportmittel durch
Gegenden, die weder Unterkunft noch Nahrung bieten und von epidemischen
Krankheiten, namentlich vom Flecktyphus verseucht sind, dürfte
besonders unter Frauen und Kindern zahlreiche Opfer fordern. Außerdem
führt der Weg der Umgesiedelten durch die kurdischen Distrikte von
Dersim, und der Wali von Trapezunt erklärte offen dem Konsul, der ihm
auf diesseitige Weisung hin darüber Vorstellungen machte, daß er nur
bis Erzindjan für die Sicherheit des Transportes garantieren könnte.
Von da ab läßt man die Auswanderer durch die Banden der Kurden und
anderer Wegelagerer förmlich Spießruten laufen. So sind z. B. die aus
der Ebene von Erzerum ausgetriebenen Armenier auf dem Wege nach Kharput
angefallen worden, wobei die Männer und Kinder niedergemacht und die
Frauen geraubt wurden. Der Kaiserliche Konsul in Erzerum gibt die Zahl
der bei dieser Gelegenheit umgekommenen Armenier auf 3000 an.

In Trapezunt sind die Armenier massenhaft zum Islam übergetreten, um
sich der drohenden Deportation zu entziehen und Leben wie Hab und Gut
zu retten.

Abgesehen von dem materiellen Schaden, der dem türkischen Staate durch
die Depossedierung und Vernichtung eines arbeitsamen und intelligenten
Bevölkerungselementes erwächst -- für das die an seine Stelle tretenden
Kurden und Türken vorläufig keinen nennenswerten Ersatz bieten --,
werden auch unsere Handelsinteressen und die Interessen der in jenen
Landesteilen bestehenden deutschen Wohltätigkeitsanstalten empfindlich
geschädigt.

Ferner verkennt die Pforte die Wirkung, welche diese und andere
Gewaltmaßregeln wie z. B. die Massenhinrichtungen hier und im Innern
auf die öffentliche Meinung des Auslandes ausüben, und die weiteren
Folgen für die Behandlung der armenischen Frage bei den zukünftigen
Friedensverhandlungen.

Ich habe es daher für geboten erachtet, die Pforte darauf aufmerksam zu
machen, daß wir Deportationen der Bevölkerung nur insofern billigen,
als sie durch militärische Rücksichten geboten ist und zur Sicherung
gegen Aufstände dient, daß aber bei Ausführung dieser Maßregel die
Deportierten vor Plünderung und Metzeleien zu schützen seien. Um diesen
Vorstellungen den nötigen Nachdruck zu geben, habe ich sie schriftlich
in Form eines Memorandums zusammengefaßt, das ich am 4. d. M. dem
Großwesir persönlich überreicht habe; Abschriften dieses Memorandums
habe ich nachträglich den Ministerien des Äußern und des Innern
übergeben lassen.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


Anlage.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Memorandum der Deutschen Botschaft in Pera,
    am 4./7. 1915 dem Großwesir überreicht.

Les mesures de répression décrétées par le Gouvernement Impérial
contre la population arménienne des provinces de l’Anatolie Orientale
ayant été dictées par des raisons militaires et constituant un moyen
de défense légitime, le Gouvernement Allemand est loin de s’opposer à
leur mise en exécution, tant que ces mesures ont le but de fortifier
la situation intérieure de la Turquie et de la mettre à l’abri de
tentatives d’insurrections.

A ce sujet, les vues du Gouvernement Allemand s’accordent tout à
fait avec les explications données par la Sublime Porte en réponse
aux menaces que les puissances de l’entente lui avaient adressées
dernièrement à la suite des prétendues atrocités commises sur les
Arméniens en Turquie.

De l’autre côté, le Gouvernement Allemand ne peut pas dissimuler
les dangers créés par ces mesures de rigueur et notamment par les
expatriations en masse qui comprennent indistinctement les coupables et
les innocents, surtout quand ces mesures sont accompagnées d’actes de
violence, tels que massacres et pillages.

Malheureusement, d’après les informations parvenues à l’Ambassade, les
autorités locales n’ont pas été en état d’empêcher des incidents de ce
genre, qui sont regrettables sous tous les rapports.

Les puissances ennemies en profiteront pour fomenter l’agitation
parmi les Arméniens et les nouvelles qu’on en répandra à l’étranger,
ne manqueront pas de causer une vive émotion dans les pays neutres,
surtout dans les Etats-Unis d’Amérique, dont les représentants ont
depuis quelque temps commencé a s’intéresser au sort des Arméniens en
Turquie.

Le Gouvernement Allemand croit de son devoir, comme puissance amie et
alliée de la Turquie, d’attirer l’attention de la Sublime Porte sur les
conséquences qui en pourraient résulter au détriment de leurs intérêts
communs tant pendant la guerre actuelle qu’à l’avenir; il est à prévoir
que lors de la conclusion de la paix la question arménienne servira de
nouveau de prétexte aux puissances étrangères pour s’ingérer dans les
affaires internes de la Turquie.

L’Ambassade pense qu’il serait d’urgence de donner des ordres
péremptoires aux autorités provinciales afin qu’elles prennent des
mesures efficaces pour sauvegarder la vie et la propriété des Arméniens
expatriés, aussi bien pendant leur transport que dans leurs nouveaux
domiciles.

Elle pense également qu’il serait prudent de surseoir, pour le moment,
à l’éxecution des arrêts de mort déjà rendus ou à rendre contre des
Arméniens par les cours martiales de la capitale ou dans les provinces,
surtout à Diarbékir et à Adana.

Enfin l’Ambassade d’Allemagne prie le Gouvernement Ottoman, de prendre
en considération les nombreux intérêts du commerce allemand et des
établissements de bienfaisance allemands dans les provinces où on
procède actuellement à l’expulsion des Arméniens. Le départ précipité
de ces derniers portant un grave préjudice à ces intérêts, l’Ambassade
verrait avec reconnaissance, si la Sublime Porte voulait bien, dans
certains cas, prolonger les délais de départ accordés aux expulsés et
permettre à ceux qui font partie du personnel des établissements de
bienfaisance en question, ainsi qu’aux élèves, orphelins et autres
personnes qui y sont entretenus, de continuer à habiter dans leurs
anciens domiciles sauf, bien entendu, le cas où ils auraient été
reconnus coupables d’actes qui nécessiteraient leur éloignement.


107.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 8. Juli 1915.
  Ankunft in Pera, den 9. Juli 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Neuerdings sind wieder strenge Befehle von Djemal Pascha gegeben,
welche die Verhütung von Armeniermetzeleien bezwecken. Er hat der
Regierung vorgeschlagen, auch für den Bereich der 3. Armee gleiche
Befehle zu geben. Sein Befehlsbereich schließt nach Osten mit Urfa ab,
während Diarbekr zur 3. Armee gehört. Anheimstelle in gleichem Sinne
wie Djemal auf Regierung einzuwirken.

                                                               Rößler.


108.

    Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.

                                               Pera, den 9. Juli 1915.

Der Kaiserliche Konsul in Aleppo meldet unter dem 8. d. M. folgendes:

„Der von Mossul zurückgekehrte Major von Mikusch berichtet folgendes:

Vor etwa einer Woche haben Kurden in Tell Ermen und einem benachbarten
armenischen Dorf Armeniermetzeleien veranstaltet. Die großen Kirchen
sind zerstört; Herr von Mikusch hat selbst 200 Leichen gesehen. Miliz
und Gendarmerie hat Metzelei mindestens geduldet, wahrscheinlich sich
daran beteiligt.

Zwischen Nisibin und Tell Ermen haben Ersatztruppen (entlassene
Sträflinge) ein niedergemetzeltes armenisches Dorf vollständig
ausgeraubt und einschließlich ihres Offiziers freudestrahlend von
Massakres erzählt.

In Djerabulus sind vielfach zusammengebundene Leichen Euphrat abwärts
getrieben.“

In einem weiteren Telegramm von demselben Tage berichtet Herr
Rößler, daß Djemal Pascha neuerdings strenge Befehle erteilt, um die
Niedermetzelung von Armeniern in seinem Befehlsbereiche zu verhüten,
und hier beantragt habe, gleiche Befehle für den Bereich der dritten
Armee zu erlassen.

Zu letzterer gehört u. a. auch Wilajet Diarbekr, in dem die Armenier
besonders grausam verfolgt werden sollen. Das Kriegsgericht von
Diarbekr führt augenblicklich eine Untersuchung gegen eine Anzahl
Führer des Daschnakistenbundes wegen hochverräterischer Umtriebe; man
nimmt an, daß sämtliche Angeschuldigte, darunter auch solche, die
früher in engen Beziehungen zum jungtürkischen Komitee „Einheit und
Fortschritt“ standen, zum Tode verurteilt werden. Über die sonstigen
Vorgänge dort ist hier nichts Näheres in Erfahrung zu bringen. Der
armenische Bischof (Murachas) von Diarbekr soll aus Verzweiflung
Selbstmord begangen haben.

Aus Erzerum telegraphiert Herr von Scheubner unter dem 8. d. M.,
daß nach neueren Nachrichten aus Baiburt, Erzindjan und Terdjan die
Armeniermassakres dort wieder begonnen haben. Er ist der Ansicht,
daß diese Greuel durch das Komitee, dessen Mitglieder dort als
Nebenregierung eine verhängnisvolle Rolle spielen, unter Konnivenz der
Behörden gefördert werden.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


109.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                     Trapezunt, den 9. Juli 1915.

Nach dem Eintritt der Türkei in den Krieg machten sich unter den
hiesigen Armeniern ernste Befürchtungen für ihre persönliche Sicherheit
bemerkbar. Obwohl keinerlei Anzeichen auf bevorstehende Ausschreitungen
hindeuteten, habe ich dennoch den Schutz der Christen in Trapezunt und
Umgegend bei dem hiesigen Wali in freundschaftlicher Form zur Sprache
gebracht. Er gab mir die bestimmtesten Versicherungen, daß gegen
sie nichts unternommen werden würde, solange sie selber sich ruhig
verhielten, und zeigte mir ein Telegramm des Ministeriums des Innern,
in welchem Talaat Bey die Armenier dem besonderen Schutz der Behörden
empfahl.[69] Tatsächlich haben sich die Christen hier auch zunächst
der größten Sicherheit erfreut, und einige bei Armeniern notwendige
Haussuchungen wurden, wie mir von den Armeniern selber versichert
worden ist, mit der größten Rücksicht durchgeführt. Dies bedarf
um so mehr der Anerkennung, als an der Küste russische armenische
Freischaaren in Banden nicht nur gegen die Türken kämpfen, sondern
auch gegen die russischen Muhammedaner die schwersten Ausschreitungen
begangen haben[70]. Tausende vor ihnen flüchtende Muhammedaner
sind hier eingetroffen und zum größten Teil in das Innere weiter
transportiert worden.

Die hiesigen Christen machten aus ihrer Abneigung gegen die Türkei und
ihren Sympathien für den Dreiverband, insonderheit für Rußland, kein
Hehl, und die hier umgehenden Gerüchte unsinnigster Art, wie Fall der
Dardanellen, Konstantinopels, Erzerums, russische Landung bei Midia,
oder gar Flucht des Sultans nach Brußa sind auf sie zurückzuführen.
Es kam dann die Aufdeckung der Verschwörung gegen das jungtürkische
System und seine Führer[69], der Aufstand der Armenier in der Provinz
Wan[71] und Unruhen von ihrer Seite an anderen Orten der Türkei. Dies
veranlaßte wohl die Hohe Pforte, gegen die Armenier Ausnahmemaßregeln
zu ergreifen.

Am 24. Juni wurden die hiesigen Führer der armenischen Komitees
verhaftet und über Samsun in das Innere abgeschoben. Am gleichen Tage
erfuhr ich, daß die Deportierung sämtlicher Armenier erwogen werde und
daß sich eine Strömung geltend mache, diesen Anlaß zu Ausschreitungen
gegen die hiesigen Armenier zu benützen. Ich habe den Wali hierauf
hingewiesen und von ihm die bündigsten Erklärungen erhalten, daß eine
etwaige Ausweisung der Armenier, selbst bei bewaffnetem Widerstand,
lediglich von den Zivil- und Militärbehörden, unter Ausschaltung
irgendwelcher unverantwortlicher Privatpersonen, durchgeführt werden
würde. Am 26. Juni wurden dann die Armenier aufgefordert, sich zur
Abschiebung ins Innere nach Ablauf von 5 Tagen bereit zu halten. Nur
den Kranken wurde erlaubt, zu bleiben, und ihre Unterbringung in
Krankenhäuser vorgesehen. Der Verkauf irgend welcher Sachen war ihnen
verboten. Die Läden und Magazine sollten versiegelt, alle Gegenstände
aus den Wohnungen an bestimmte Orte gebracht und dort der Obhut der
Regierung unterstellt, Geld zur etappenweisen Nachsendung auf dem
Postamt abgeliefert werden.

Von der Deportierung wurden in der Provinz Trapezunt etwa 30000
Personen betroffen. Ein solcher Massentransport auf Straßen, wo es an
genügend Nahrung und Unterkommen mangelt und welche in ihren ersten
300 km als völlig verseucht mit Flecktyphus angesprochen werden
müssen, mußte unter den Armeniern, besonders unter Frauen und Kindern,
ungeheure Opfer fordern, die im Ausland und auch in Deutschland eine
berechtigte Kritik einer derartig weitgehenden Maßregel herausgefordert
hätten. Ich habe daher der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel von
der Sachlage Kenntnis gegeben und mich gleichzeitig bemüht, bei dem
hiesigen Wali eine Milderung der Ausweisung zu erreichen. Er zeigte
meinen Vorstellungen ein williges Gehör und Entgegenkommen. So wurden
von der Deportierung zunächst ausgenommen: Alle Kinder unter 10 Jahren,
Witwen und Waisen, sowie alle weiblichen Personen, welche zurzeit
ohne männlichen Schutz sind, worunter auch die Familien der unter den
Waffen Stehenden fielen, Kranke und Schwangere, sowie die katholischen
Armenier. Den Kranken und Schwangeren wurde überdies erlaubt, in ihrer
Wohnung zu bleiben und eine weibliche Familienangehörige zu ihrer
Pflege bei sich zu behalten; Kinder konnten bei Bekannten untergebracht
werden. Schließlich wurde den Ausgewiesenen auch gestattet,
Wertgegenstände, sowie ihren Hausrat nach einer Einholung einer
Genehmigung des Polizeidirektors zu verkaufen. Nach diesen Grundsätzen
wurden an den ersten beiden Tagen des Abtransportes verfahren, wobei in
bezug auf das Alter der Kinder und auf Krankheiten der Frauen Nachsicht
geübt wurde. Bedauerlicherweise wurden am dritten Tage, anscheinend auf
Weisungen aus Konstantinopel, alle hier erreichten Ausnahmen, abgesehen
von der Erlaubnis des Bleibens für die Kinder, wieder aufgehoben.

Der Abtransport aus der Stadt Trapezunt und der nächsten Umgegend ist
beendet.

Für die Sicherheit der Deportierten während des Transports hat der
Wali mir beruhigende Versicherungen gegeben. Ich vertraue auch seiner
Energie und seinem guten Willen, daß innerhalb seines Machtbereiches
den Armeniern nichts zustoßen wird. Indessen deuten Anzeichen darauf
hin, daß an anderen Orten an eine Ausrottung der Armenier gedacht wird.
So sind zwischen Erzindjan und Diarbekr Armenier auf der Bergstraße,
angeblich von Kurden, niedergemetzelt worden, und größere Banden von
Wegelagerern unter französisch sprechenden Führern haben sich bei
Erzerum und Baiburt gezeigt. Es ist immerhin auffallend, daß in jener
Gegend, welche bisher unbedingt sicher war, sich größere Banden bilden
können. Ohne für meine Meinung Beweise bringen zu können, vermag ich
mich des Eindrucks nicht zu erwehren, daß das jungtürkische Komitee als
treibende Kraft für das Vorgehen gegen die Armenier anzusehen ist. Das
Zentralkomitee scheint auf diese Weise der armenischen Frage endgültig
ein Ende machen zu wollen. Denn diejenigen Armenier, welche ihren
Bestimmungsort wirklich erreichen, werden nur ausnahmsweise später
in ihre alten Wohnsitze zurückkehren. Den Meisten unter ihnen wird
es schon an den nötigen Mitteln fehlen. Damit wird es künftig keine
Provinzen mit einem starken Prozentsatz armenischer Bevölkerung mehr
geben. Die Lokalkomitees der Jungtürken hoffen bei der Deportierung
der Armenier aus der Aneignung von deren Gütern reichen Privatgewinn
zu finden, und bei der Abhängigkeit der meisten Verwaltungsbehörden
vom Komitee werden sie sicher in ihrer Berechnung sich nicht getäuscht
haben.

Meine hiesigen Kollegen haben ihren Botschaften in Konstantinopel von
dem Ausweisungsbefehl telegraphisch Kenntnis gegeben. Die Vertreter
von Italien und Amerika, denen ein chiffrierter Verkehr mit ihren
Botschaften nicht gestattet ist, haben sich auf eine kurze Mitteilung
der Tatsache beschränken müssen. Der Konsul von Österreich-Ungarn
hat seine vorgesetzte Behörde auf die großen Gefahren, welche die
Massendeportierung für Frauen und Kinder bietet, hingewiesen. Bei dem
hiesigen Wali hat der österreichische Kollege für einige Kinder, der
amerikanische Konsul für die seinem Schutze unterstellten persischen
Armenier interveniert, beide erfolglos.

In den kritischen Tagen wurde die in nächster Nähe des Kaiserlichen
Konsulats gelegene Polizeiwache militärisch verstärkt und meine
Privatwohnung unauffällig von Militär bewacht. Einen Schutz meiner
Person, auch für meine Ritte in die Stadt und zurück, habe ich
abgelehnt.

                                                         Dr. Bergfeld.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


110.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 10. Juli 1915.
  Ankunft in Pera, den 11. Juli 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Von dem zurzeit hier anwesenden früheren Mutessarrif von Mardin wird
mir folgendes mitgeteilt:

Der Wali von Diarbekr, Reschid Bey, wüte wie ein toller Bluthund unter
der Christenheit seines Wilajets; vor kurzem habe er auch in Mardin
700 Christen (meistens Armenier), darunter den armenischen Bischof, in
einer Nacht durch Gendarmerie, die dazu aus Diarbekr entsandt wurde,
sammeln und in der Nähe der Stadt wie Hammel abschlachten lassen.
Reschid Bey fahre fort in seiner Blutarbeit unter den Unschuldigen,
deren Zahl heute über zweitausend betrage.

Ergreift die Regierung nicht sofort ganz energische Maßnahmen gegen
Reschid Bey, so wird die muselmanische niedere Bevölkerung des hiesigen
Wilajets gleichfalls Christenmetzeleien beginnen. Die Lage wird hier
von Tag zu Tag drohender.

Die Regierung sollte Reschid Bey sofort abberufen und damit
dokumentieren, daß sie seine Schandtaten nicht billigt, das würde die
allgemeine Erregung hier beschwichtigen[72].

                                                             Holstein.


111.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                              Pera, den 11. Juli 1915.

    An Deutsches Konsulat Mossul.

Inhalt Ihres Telegramms vom 10. Juli werde ich der Pforte mitteilen.

                                                           Wangenheim.


112.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                              Le 12 Juillet 1915.

Dem Minister des Innern Talaat Bey übergeben:

L’Ambassade d’Allemagne vient d’apprendre d’une source digne de foi ce
qui suit:

Le Wali de Diarbekir, Réchid Bey a dans les derniers temps organisé des
massacres en règle parmi la population chrétienne de sa circonscription
sans distinguer les Arméniens des chrétiens appartenant à d’autres
confessions, et sans se soucier s’il s’agit de coupables ou d’innocents.

A ce propos on rapporte le fait suivant, qui s’est passé tout
dernièrement:

Sur les ordres de Réchid Bey des gendarmes de Diarbekir se rendirent
à Mardine et y arrêtèrent l’évêque Arménien avec un grand nombre
d’Arméniens et d’autres chrétiens, en tout sept cent personnes; tout
ce monde fut conduit pendant la nuit à un endroit hors de la ville et
égorgé comme des moutons.

Le nombre total des victimes de ces massacres est évalué à 2000 âmes.

Si le Gouvernement Impérial ne prend pas de mesures contre Réchid Bey
il est à craindre que les basses classes de la population musulmane
des Vilayets environnants ne se lèvent à leur tour pour se livrer à un
massacre général de tous les habitants chrétiens.


113.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 15. Juli 1915.
  Ankunft in Pera, den 16. Juli 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Das chaldäische Dorf Feihschahbur bei Djesireh (Wilajet Diarbekr)
ist vorigen Sonntag von muselmanischen Kurden überfallen und seine
ausschließlich aus chaldäischen Christen bestehende Bevölkerung
massakriert worden.

Solange die Regierung nichts gegen den Wali von Diarbekr unternimmt,
kann mit dem Aufhören der Massakres nicht gerechnet werden.

                                                             Holstein.


114.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 16. Juli 1915.

Die von Herrn Lepsius mitgeteilten Tatsachen[73] werden durch die der
Kaiserlichen Botschaft vorliegenden Nachrichten aus anderen Quellen,
namentlich durch die konsularischen Berichte, bestätigt; ebenso dürften
die daran geknüpften Betrachtungen zutreffen.

Die Pforte fährt trotz der wiederholten eindringlichen Vorstellungen,
die wir dagegen erhoben haben, fort, die Armenier zu deportieren
und durch die Ansiedlung in unwirtlichen Gegenden der Vernichtung
preiszugeben. Wir können sie nicht daran hindern und müssen ihr die
Verantwortung für die wirtschaftlichen und politischen Folgen dieser
Maßregel überlassen.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


115.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 16. Juli 1915.
  Ankunft in Pera, den 17. Juli 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der gestern hierher zurückgekehrte hiesige Wali teilte mir mit:

1. Der Kaimakam von Midiat (Muselman) wurde kürzlich auf Befehl des
Wali von Diarbekr ermordet, da er sich geweigert hatte, die Christen
seines Bezirks massakrieren zu lassen.

2. Von den aus dem Wilajet Diarbekr hierher verbannten Armeniern
sind nur Frauen und Kinder angekommen, und von den letzteren auch
nur etwa ein Drittel der ursprünglichen Anzahl; die Männer wurden
sämtlich unterwegs ermordet; von den Frauen wurden die jungen unter die
muselmanischen Kurden verteilt.

Der hiesige Wali hat Maßnahmen getroffen, um im Wilajet Mossul
Christenmassakres zu verhindern; ich fürchte jedoch, daß diese
Maßnahmen schon zu spät kommen.

                                                             Holstein.


116.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 16. Juli 1915.

Euere Exzellenz beehre ich mich anbei Abschrift eines Berichts
des Kaiserlichen Vizekonsuls in Samsun vom 4. d. M. über
Armenieraustreibungen zu überreichen. Ich habe Herrn Kuckhoff
mitgeteilt, daß ich mit seiner Haltung und seinen Ausführungen
einverstanden sei, ihn auch mit Weisungen wegen Sicherstellung der
deutschen Interessen zu versehen. Meine Einwirkungen bei der Pforte
versprechen leider nur geringen Erfolg.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


Anlage.

       Kaiserlich
  Deutsches Vizekonsulat.                    Samsun, den 4. Juli 1915.

Die Maßregel der Deportation -- anscheinend für alle anatolischen
Wilajets gültig, ist von einer Härte und dem Menschlichkeitsgefühl
so widerstrebend, daß sie nicht gleichgültig hingenommen werden
kann. Es handelt sich um nichts weniger als um die Vernichtung oder
gewaltsame Islamisierung eines ganzen Volkes, dessen Angehörige an der
revolutionären Bewegung keinen direkten Anteil hatten, also unschuldige
Opfer sind. Die Art der Ausführung des Verbannungsbefehls droht Formen
anzunehmen, die nur in der Judenverfolgung Spaniens und Portugals ein
Gleichnis finden. Die Regierung entsandte fanatische, strenggläubige
muhammedanische Männer und Frauen in alle armenischen Häuser behufs
Propaganda für den Übertritt zum Islam, selbstverständlich unter
Androhung der schwersten Folgen für diejenigen, die ihrem Glauben
treu bleiben. Soviel mir bekannt, sind bis heute hier schon viele
Familien übergetreten und täglich vermehrt sich deren Zahl. Die
Mehrheit der Unglücklichen widerstand bis jetzt den Lockungen und
wurde täglich gruppenweise ins Innere getrieben. Fast keinem verblieb
Zeit zur Regelung seiner Angelegenheiten. Nur mit dem Notdürftigsten
versehen, mußten sie ihr Heim und Hab und Gut im Stiche lassen. Wie ich
erfahre, werden sie an nicht entfernten Punkten jetzt zurückgehalten,
um dort noch gründlicher für den Islam bearbeitet zu werden; einige
von ihnen kehrten zu diesem Zwecke auch nach hier zurück. In der
Umgebung von Samsun sind alle armenischen Dörfer muhammedanisiert
worden, ebenso in Unieh. Vergünstigungen wurden, außer den Renegaten,
niemandem zuteil. Alle Armenier ohne Ausnahme: Männer, Frauen, Greise,
Kinder bis zum Säugling, Altgläubige, Protestanten und Katholiken
-- welch letztere sich nie einer nationalen revolutionären Bewegung
anschlossen und auch von Abdul Hamid verschont wurden -- mußten fort.
Kein christlicher Armenier darf hier bleiben; selbst nicht solche
ausländischer Staatsangehörigkeit; letztere sollen ausgewiesen werden.
Der Bestimmungsort der Samsuner Verbannten ist nach Aussage des
Mutessarrifs Urfa.

Es ist selbstverständlich, daß kein christlicher Armenier dieses Ziel
erreicht. Nachrichten aus dem Innern melden bereits das Verschwinden
der abgeführten Bevölkerung ganzer Städte.

Ich habe mit allen Mitteln auf den Gouverneur dahin einzuwirken
versucht, daß die Maßregel der Regierung sich auf die einstweilige
Verbannung der männlichen Bevölkerung im Alter von 17-60 Jahren
beschränken möge, und erst die wirklich Schuldigen zu ermitteln. Auch
machte ich ihn auf den sehr peinlichen Eindruck, den seine Maßnahme
bei der christlichen Bevölkerung in Deutschland und Österreich-Ungarn
hervorrufen müsse, aufmerksam. Alles umsonst: Fanatiker sind
Vernunftgründen unzugänglich! Was sind die Folgen? Durch Ausrottung des
armenischen Elements wird aller Handel und Wandel in Anatolien zerstört
und jegliche wirtschaftliche Entwicklung des Landes auf Jahre hinaus
unmöglich, denn alle Kaufleute, Industrielle und Handwerker sind fast
ausschließlich Armenier. Auch diesen Punkt erklärte ich dem Gouverneur;
leider ohne Erfolg.

Es ist vorauszusehen, welche Folgen bei Bekanntwerden der Greuel
die Armenierfrage zeitigen muß. Ein Entrüstungsschrei der ganzen
christlichen Welt ist unausbleiblich. Alle Arbeit der protestantischen
und katholischen Missionen in Anatolien ist vernichtet. Unsere Feinde
werden davon vorzüglich Kapital schlagen, und auch bei unseren
Landsleuten dürfte das Gefühl tiefster Empörung nicht ausbleiben.

Und das Schlimmste an der Sache ist, daß die ganze Welt die Schuld
dafür auf Deutschland abwälzen wird, da Freund und Feind glaubt, die
Macht bei der Hohen Pforte liege ganz in unseren Händen und daß eine
so tiefgehende Maßregel nur mit deutscher Zustimmung ausgeführt werden
konnte.

Der aufgepeitschte Fanatismus der Muhammedaner und unsere eigentümliche
Stellung in der Türkei bei der heutigen Weltlage, sowie die
Geistesverfassung der leitenden politischen Kreise am goldenen Horn
lassen die Schwierigkeiten vorausahnen, die einer zufriedenstellenden
Lösung der Armenierfrage von Menschlichkeits- und praktischen
Vernunftsstandpunkt aus entgegenstehen.

Trotzdem erlaube ich mir zu hoffen, daß es Euerer Exzellenz gelingen
wird, der gänzlichen Vernichtung des größten Teils eines der ältesten
und unglücklichsten Völker des Erdballs Einhalt zu gebieten.

                                                             Kuckhoff.


117.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 16. Juli 1915.

Ich bestätige ergebenst Ihren gefälligen Bericht vom 4. d. M., von
dessen Inhalt ich mit lebhaftem Interesse Kenntnis genommen habe. Mit
Ihrer Haltung und Ihren Ausführungen erkläre ich mich einverstanden.

Meine wiederholten Bestrebungen, das Schicksal derjenigen Ausgewiesenen
zu mildern, welchen keine strafbaren Handlungen zur Last gelegt werden,
versprechen zu meinem Bedauern nur geringe Aussicht auf Erfolg.

Ihrer weiteren Berichterstattung darf ich entgegensehen.

                                                          von Neurath.

  An den Kaiserlichen Vizekonsul Samsun.


118.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 21. Juli 1915.
  Ankunft in Pera, den 23. Juli 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Hier sind bisher rund sechshundert Frauen und Kinder (armenische,
chaldäische, syrische) eingetroffen, deren männliche Verwandte in
Soert, Mardin und Feihschahbur massakriert worden sind; ebenso viele
werden in den nächsten Tagen erwartet.

Das Elend dieser Menschen ist nicht zu beschreiben, ihre Kleider
verfaulen ihnen am Leibe; täglich sterben Frauen und Kinder Hungers.

Mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln kann die hiesige Regierung kaum
Brot für diese Elenden kaufen.

Um weitere Menschenleben zu retten, war sofortige Hilfe nötig,
namentlich Anschaffung von Kleidung.

Überzeugt, im Sinne der Kaiserlichen Regierung zu handeln, und da
sofortige Hilfe ein Gebot der Menschlichkeit war, habe ich namens der
Kaiserlichen Regierung gestern der hiesigen Regierung 300 Ltq. zur
Verfügung gestellt; hiervon wird Brot, Kleidung und Schuhe für den
dringendsten Bedarf angeschafft.

                                                             Holstein.


119.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 21. Juli 1915.

    Notiz[74].

Meines unmaßgeblichen Erachtens sind nach den Erfahrungen, die wir in
letzter Zeit mit der Pforte gemacht haben (vgl. unsere Verwendung für
die Angestellten des Herrn von Scheubner in Erzerum, für das armenische
Personal des Hilfsbundes in Marasch, für die Arbeiter von Zimmer in
Amasia[75], für Parsighian und Balakian in Tschangri), alle Schritte
unsererseits erfolglos bzw. haben den gegenteiligen Erfolg. In der
Zimmer’schen Sache hat Talaat Bey angeblich entschieden: „Man könne
des bösen Beispiels wegen keine Ausnahme zulassen.“ Im Falle Zohrab
und Wartkes handle es sich außerdem noch um eine Ingerenz in ein
schwebendes Gerichtsverfahren.

Höchstens könnte noch ein Versuch im Kriegsministerium gemacht werden.

                                                            Mordtmann.


120.

    Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.                          Aleppo, den 27. Juli 1915.

Über die Verschickung der Armenier und die Art ihrer Durchführung ist
mir seit Abgang meines letzten Berichtes noch das folgende bekannt
geworden:

1. Wie nach Absetzung des hiesigen Wali Djelal Bey zu erwarten, wird
die Verschickung jetzt auf den Küstenstrich des Wilajets Aleppo
ausgedehnt. Befehl zur Räumung von Alexandrette, Antiochien, Haram,
Beilan, Soukluk, Kessab und anderen Ortschaften ist Nachrichten aus
armenischer Quelle zufolge gegeben, doch wird eine kurze Frist in der
Ausführung gewährt. -- Das Kaiserliche Vizekonsulat Alexandrette hatte
bis zum 17. d. M. keine Kenntnis[76].

2. Nachrichten zufolge, welche der Katholikos von Sis erhalten hat,
sind 800-1000 Männer, die von Diarbekr nach Süden geschickt waren,
nirgends angelangt. Man nimmt an, daß sie sämtlich umgebracht worden
sind. Es muß sich hierbei um ein Geschehnis handeln, das schon
wochenlang zurückliegt.

3. Das berichtete Vorbeitreiben von Leichen auf dem Euphrat, das in
Rumkaleh, Biredjik und Djerabulus beobachtet worden ist, hatte, wie
mir am 17. d. M. mitgeteilt wurde, 25 Tage lang gedauert. Die Leichen
waren alle in der gleichen Weise, zwei und zwei Rücken auf Rücken,
gebunden. Diese Gleichmäßigkeit deutet darauf hin, daß es sich nicht
um Metzeleien, sondern um Tötung durch die Behörden handelt. Es heißt
und ist wahrscheinlich, daß die Leichen durch Soldaten in Adiaman in
den Fluß geworfen worden sind. Wie weiter unten zu berichten sein wird,
hat das Vorbeitreiben nach einer Pause von mehreren Tagen von neuem
begonnen und zwar in verstärktem Maße. Dieses Mal handelt es sich
hauptsächlich um Frauen und Kinder.

4. Armenier in Tell Abiad haben, wie ich von einem unbedingt
glaubwürdigen älteren, bisher in Tell Abiad ansässigen Schweizer
Ehepaar erfahre, ihre Mädchen im Alter von 8-12 Jahren verkauft,
zunächst für 2 Medjidi (eine Medjidi etwa 3,50 Mk.), später für 1
Medjidi und weniger oder haben sie umsonst weggegeben. Offenbar wollten
sie ihnen das in der Wüste vom Klima und von den Beduinen ihrer
harrende Geschick ersparen. Immer wieder haben die herbeigeeilten
Türken im Dorfe Tell Abiad mit den Verbannten um die Kinder gefeilscht.
Mein Gewährsmann hat mir Namen von Käufern genannt. Die in Tell Abiad
Durchziehenden, deren erste Trupps aus Zeitun kamen -- vorläufig nach
Rakka bestimmt --, waren durch ihr Geschick stumpfsinnig geworden
und ließen stillschweigend alles über sich ergehen. Nahrungsmittel
waren ihnen in genügender Menge gegeben worden, aber zu unregelmäßig.
Südlich von Tell Abiad müssen, wo das Wasser sehr knapp, die jüngeren
Kinder sterben. Auch sonst müssen viele den Strapazen erliegen. Ein
ganzer Trupp ist bereits vollständig an Wassermangel zugrunde gegangen.
Landwirtschaftliche Geräte haben sie nicht mitnehmen können. Was sollen
die Überlebenden am Bestimmungsort anfangen?

5. Bei der Härte der Befehle der Regierung hängt die Behandlung der
Wandernden mehr oder minder von dem guten Willen der einzelnen Beamten
und Gendarmen ab, deren Bezirk sie gerade durchziehen. Teilweise werden
sie daher ernährt, teilweise nicht.

In Aleppo, wo die Ernährung durch die Regierung zeitweise ungenügend
war, wird zurzeit auf Befehl Djemal Paschas nach Verwendung des
Katholikos für den Erwachsenen 5 Metalik (20 Pf.), für das Kind 4
Metalik (16 Pf.) gezahlt. Die Zahl der hier auf der Durchwanderung
Befindlichen wird gegenwärtig auf durchschnittlich mehrere Tausende
geschätzt. Sie dürfen sich hier etwas ausruhen.

6. Es mehren sich die Anzeichen, daß die Regierung sich die
Durchführung ihrer Maßregeln absichtlich oder unabsichtlich aus der
Hand gleiten und in Armeniermetzeleien durch Tscherkessen und Kurden
übergehen läßt.

7. Über Ras ul Ain (die gegenwärtige Endstation der Bagdadbahn) kommen
neuerdings Armenier aus Kharput, Erzerum und Bitlis. Von den Armeniern
aus Kharput wird berichtet, daß in einem Dorf, einige Stunden südlich
der Stadt, die Männer von den Frauen getrennt wurden. Die Männer sind
niedergemacht worden und haben rechts und links vom Wege gelegen, an
dem die Frauen dann vorbeikamen. Ein Trupp Frauen und Mädchen ist
zwischen Mardin und Ras ul Ain von Beduinen vollständig ausgeplündert
worden. Solche, die den Beduinen gefielen, wurden mitgeschleppt.
Was soll aus den Unglücklichen werden, wenn sie noch tiefer in das
Beduinengebiet hineinkommen?

8. Ein hiesiger Armenier hat mir von einer ihm verwandten Familie aus
Kharput erzählt, die aus 17 Köpfen bestand. 7 Männer sind abgeführt
worden, ihr Geschick ist unbekannt, 2 Frauen sind den Strapazen des
Weges erlegen, 8 Köpfe sind in Ras ul Ain angekommen. Dabei fängt der
schlimmere Teil des Weges in Ras ul Ain erst an.

9. Die bekannten armenischen Abgeordneten Zohrab und Wartkes hielten
sich, aus Konstantinopel verbannt, kürzlich einige Zeit in Aleppo
auf. Sie wußten, daß sie den Tod erleiden würden, wenn der Befehl der
Regierung, sie nach Diarbekr zu verbannen, ausgeführt würde. Auch hatte
ich Anlaß, die Kaiserliche Botschaft hiervon zu unterrichten. Nach
den Erzählungen der sie begleitenden jetzt hierher zurückgekehrten
Gendarmen, wonach sie Räubern begegnet wären, welche zufällig gerade
die beiden Abgeordneten erschossen hätten, kann kein Zweifel mehr
daran bestehen, daß die Regierung sie auf dem Wege zwischen Urfa und
Diarbekr hat ermorden lassen.

Die geschilderte Behandlung des armenischen Volkes verdient meines
gehorsamen Erachtens außer aus anderen Erwägungen auch aus dem Grunde
besondere Aufmerksamkeit von deutscher Seite, als sie von weiten
Kreisen der Bevölkerung, auch der muhammedanischen, auf deutsche
Einwirkung bei der türkischen Regierung zurückgeführt wird. Es
heißt, Deutschland sei der Anlaß zu dem Entschluß der türkischen
Regierung, das armenische Volk bis zur völligen Bedeutungslosigkeit
zu zerschmettern. Die türkische Regierung wird vermutlich alles tun,
dieser Ansicht Vorschub zu leisten. Sie wird froh sein, das Odium ihrer
Maßregeln auf uns abwälzen zu können.

Meine bisherige telegraphische und schriftliche Berichterstattung
dürfte dargetan haben, daß die türkische Regierung über den Rahmen
berechtigter Abwehrmaßregeln gegen tatsächliche und mögliche armenische
Umtriebe weit hinausgegangen ist, vielmehr durch die Ausdehnung ihrer
Anordnungen, deren Durchführung sie in der härtesten und schroffsten
Weise den Behörden zur Pflicht gemacht hat, auch gegen Frauen und
Kinder, bewußt den Untergang möglichst großer Teile des armenischen
Volkes mit Mitteln herbeiführen bestrebt ist, welche dem Altertum
entlehnt sind, einer Regierung aber, die mit Deutschland verbündet
sein will, unwürdig sind. -- Sie hat, wie wohl kein Zweifel sein kann,
die Gelegenheit, da sie sich im Kriege mit dem Vierverband befindet,
dazu benutzen wollen, um sich der armenischen Frage für die Zukunft zu
entledigen, dadurch, daß sie möglichst wenige geschlossene armenische
Gemeinden übrig läßt. Hekatomben Unschuldiger hat sie mit den wenigen
Schuldigen geopfert.

Wäre es nicht möglich, noch jetzt weiteren Greueln Einhalt zu tun
und wenigstens die Armenier aus dem Küstenstrich des Wilajets
Aleppo noch zu retten, deren Verschickung erst noch bevorsteht?
Sollte aus militärischen Gründen ihre Verschickung unumgänglich
notwendig sein, könnte nicht wenigstens ihr Transport um ein bis
zwei Monate hinausgeschoben und sorgfältig vorbereitet werden durch
Bereitstellung der nötigen Tragtiere und Lebensmittel? Könnten sie
nicht in den Städten Aleppo oder Urfa bleiben, mit dem schon jetzt
auszusprechenden Recht späterer Rückkehr? Die türkische Regierung
hat in einer in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 9. Juni
veröffentlichten Denkschrift, „Die Ottomanische Regierung gegen
feindliche Beschuldigungen“, behauptet, daß die Verschickungen
zeitweilig seien. Sie hat erklärt: „Wenn gewisse Armenier zeitweilig
auf andere Reichsgebiete übersiedeln mußten, so geschah das, weil sie
im Kriegsgebiet wohnten...“ Könnte sie hier beim Wort genommen werden?
Sind Beilan, Soukluk, Kessab u. a. wirklich Kriegsgebiet? Ist die
Anwesenheit von Frauen und Kindern dort gefährlich, da doch die Männer
so gut wie alle eingezogen sind?

Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung veröffentlicht am 13. Juli in
Nr. 192, erste Ausgabe, eine Erklärung der offiziösen osmanischen
Depeschenagentur „Agence Milli“, welche gegen die Behauptung der
„Gazette de Lausanne“ protestiert, die osmanische Regierung leihe den
gegen die in der Türkei lebenden Armenier begangenen Ausschreitungen
ihren Schutz und diese Ausschreitungen beständen häufig in Metzeleien.

Leider wird sich vieles für diese Behauptung der „Gazette de Lausanne“
sagen lassen.

Mein telegraphischer Bericht über die ungewöhnlich gut bezeugten
Metzeleien in Teil Ermen lag bei Veröffentlichung des Dementis bereits
vor. Diese von Kurden vorgenommenen Metzeleien sind nachgewiesenermaßen
im Beisein der bewaffneten Macht der türkischen Regierung,
wahrscheinlich aber unter deren aktiver Teilnahme vor sich gegangen.

Die türkische Regierung hat ihre armenischen Untertanen, wohlgemerkt
unschuldige, unter dem Vorwande, sie aus dem Kriegsgebiet entfernen
zu müssen, zu Tausenden und Abertausenden[77] in die Wüste getrieben,
weder Kranke noch Schwangere noch die Familien der zu den Waffen
einberufenen Soldaten ausgenommen, hat sie ungenügend und unregelmäßig
ernährt und mit Wasser versorgt, hat nichts gegen die unter ihnen
ausgebrochenen Epidemien getan, hat die Frauen in Not und Verzweiflung
getrieben, daß sie ihre Säuglinge und ihre Neugeborenen am Wege
ausgesetzt, ihre dem mannbaren Alter entgegengehenden Mädchen verkauft,
daß sie sich selbst mit ihren kleinen Kindern in den Fluß gestürzt
haben, sie hat sie der Willkür der Begleitmannschaft und damit der
Schande preisgegeben, einer Begleitmannschaft, die Mädchen an sich
genommen und verkauft hat, sie hat sie den Beduinen in die Hände
gejagt, die sie ausgeplündert und entführt haben, sie hat die Männer
in einsamen Gegenden ungesetzlich niederschießen lassen und läßt die
Leichen ihrer Opfer den Hunden und den Raubvögeln zum Fraß, sie hat
angeblich in die Verbannung geschickte Abgeordnete ermorden lassen;
sie hat Sträflinge aus den Gefängnissen entlassen, in Soldatenkleider
gesteckt und in die Gegenden geschickt, wo die Verbannten durchziehen
mußten, sie hat tscherkessische Freiwillige angeworben und sie auf die
Armenier hingelenkt. Was aber behauptet sie in ihrer halbamtlichen
Erklärung „Die Osmanische Regierung... erstreckt ihren wohlwollenden
Schutz auf alle ehrlichen und friedlichen in der Türkei lebenden
Christen...“

Fürwahr, ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich diese Erklärung
gesehen habe, und ich finde keinen Ausdruck, um den Abgrund ihrer
Unwahrheit zu kennzeichnen. Denn die türkische Regierung wird die
Verantwortung für alles, was geschehen ist, auch soweit es aus
mangelnder Fürsorge und Voraussicht, aus der Verderbtheit der
ausführenden Organe und aus den an Anarchie grenzenden Zuständen der
östlichen Teile ihres Gebietes hervorgeht, nicht ablehnen können, hat
sie doch die Verbannten mit Vorbedacht in dieses Chaos hineingetrieben.
Die Verantwortung wird auch dann auf ihr lasten, wenn sie die
Herrschaft über die von ihr gerufenen Elemente verlieren sollte,
wie es besonders im Wilajet Diarbekr leicht sich ereignen könnte.
Wie hierzulande die Vernichtung der Armenier auf deutsche Anregung
zurückgeführt wird, so versucht die türkische Regierung vor der
europäischen Öffentlichkeit ihre Handlungsweise durch unsere Autorität
zu decken.

Euerer Exzellenz aber darf ich gehorsamst anheimstellen, in Erwägung
ziehen zu wollen, ob türkische Erklärungen zur Armenierfrage noch
ferner zur Veröffentlichung in der deutschen Presse geeignet sind
und ob nicht Gefahr besteht, daß wir durch unseren Verbündeten
kompromittiert werden.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


121.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 27. Juli 1915.
  Ankunft in Pera, den 27. Juli 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Über die Ausrottung der Armenier im Osten hier eintreffende
zuverlässige Nachrichten sind grauenerregend. Den Euphrat treiben von
neuem und in verstärktem Maße Leichen herunter, diesmal hauptsächlich
Frauen und Kinder. Ist keine Möglichkeit, dem Greuel Einhalt zu tun?
Bitte gehorsamst Auswärtiges Amt benachrichtigen, damit nicht türkische
Dementis Aufnahme in deutsche Presse finden, wodurch Anschein deutscher
Billigung erweckt wird.

                                                               Rößler.


122.

  Kaiserliche Botschaft.

    Telegramm.

                                              Pera, den 28. Juli 1915.

    An Konsulat, Aleppo.

Antwort auf Telegramm vom 27. Juli.

Von hier aus ist bereits alles mögliche geschehen. Auswärtiges Amt
wurde dauernd auf dem laufenden gehalten.

                                                            Hohenlohe.


123.

     Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                      Erzerum, den 28. Juli 1915.

Wie ich Euerer Exzellenz bereits in meinem Bericht vom 9. ds. zu
unterbreiten die Ehre hatte, machte sich hier bedauerlicherweise in
letzter Zeit der Einfluß einer Nebenregierung bemerkbar.

Abgesehen davon, hat nun auch der Oberkommandierende der III. Armee,
Mahmud Kamil Pascha, der sein Hauptquartier hierher verlegt hat, in
scharfer Weise in die Regierung des Wilajets eingegriffen.

Bisher ist in Erzerum, im Gegensatz zu den anderen Städten,
einigermaßen mild gegen die Ausgewiesenen vorgegangen worden. So
stellte z. B. die Regierung vielen mittellosen Familien Ochsenkarren
bis Erzindjan und Siwas zur Verfügung. Der Wali erlaubte ferner, daß
Kranke, Familien ohne männliche Mitglieder, alleinstehende Frauen in
Erzerum bleiben dürfen.

Diesem humanen Vorgehen, für das auch ich eingetreten bin, wurde
plötzlich durch irgendwelche Komitee-Einflüsse ein Ende bereitet.
Nunmehr hat auch noch Mahmud Kamil Pascha die sofortige und
rücksichtslose Ausweisung aller Armenier angeordnet.

Den noch in der Stadt gebliebenen Frauen und Kranken wurden die
bereits erteilten Aufenthaltsscheine wieder abgenommen und sie auf die
Landstraße getrieben -- einem sicheren Tode entgegen.

Es geschah das, während der Wali und ich in Erzindjan waren.

Mir scheint hierbei, daß der hiesige Wali, Tahsin Bey, der in der
Behandlung der Armenierfrage eine etwas humanere Auffassung wie die
andern haben dürfte, gegen die schroffe Richtung machtlos ist.

Von den Anhängern letzterer wird übrigens unumwunden zugegeben, daß das
Endziel ihres Vorgehens gegen die Armenier die gänzliche Ausrottung
derselben in der Türkei ist. Nach dem Kriege werden wir „keine Armenier
mehr in der Türkei haben“ ist der wörtliche Ausspruch einer maßgebenden
Persönlichkeit.

Soweit sich dieses Ziel nicht durch die verschiedenen Massakres
erreichen läßt, hofft man, daß Entbehrungen auf der langen Wanderung
bis Mesopotamien und das ungewohnte Klima dort ein übriges tun werden.
Diese „Lösung“ der Armenierfrage scheint den Anhängern der schroffen
Richtung, zu der fast alle Militär- und Regierungsbeamte gehören,
eine ideale zu sein. Das türkische Volk selbst ist mit dieser Lösung
der Armenierfrage keineswegs einverstanden und empfindet schon jetzt
schwer die infolge der Vertreibung der Armenier über das Land hier
hereinbrechende wirtschaftliche Not.

                                                 v. Scheubner-Richter.

   Seiner Exzellenz dem Herrn Botschafter
  Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.


124.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 28. Juli 1915.
  Ankunft in Pera, den 28. Juli 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

1. Der Aufstand christlicher (sowohl chaldäischer als syrischer)
Bevölkerung zwischen Mardin und Midiat dauert an. Telegraphenlinie nach
Diarbekr ist zerstört.

Dieser Aufstand ist unmittelbar durch das extreme Vorgehen des Wali von
Diarbekr gegen Christen im allgemeinen hervorgerufen. Sie wehren sich
ihrer Haut.

2. Abd-ur-Rezak Bedr Han marschiert von Bajazid aus über Boghr nach
Soert; Kurden unterwegs schließen sich an. Familien von Soert sind auf
der Flucht.

3. Verkehr auf Post- und Reiseweg Mossul-Ras ul Ain unterbrochen, da
Gegend Nisibin durch aufständische Schammar besetzt.

4. Die Jesidi vom Djebel Sindschar (westlich Mossul) sind gleichfalls
seit einigen Tagen revolutioniert.

                                                             Holstein.


125.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 30. Juli 1915.
  Ankunft in Pera, den 30. Juli 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Regierung hat jetzt den Befehl gegeben, daß sowohl das Küstengebiet
des Wilajete Aleppo als auch Aintab und Killis und wahrscheinlich auch
Marasch von Armeniern geräumt werden, Orte, die weder im Kriegsgebiet
noch an der Etappenstraße gelegen sind. Aintab hat 32000, Killis 6000
armenische Einwohner. Euerer Exzellenz stelle ich gehorsamst anheim,
der Regierung dringend anzuraten, diesen Befehl zu widerrufen oder
wenigstens seine Ausführung hinauszuschieben. Ihre Organisation ist
für die auf einmal erfolgenden Massenverschiebungen in keiner Weise
ausreichend. Schon jetzt liegen 10000 Armenier hier. In Der-Zor liegen
15000, deren Ernährung durch die Regierung völlig ungenügend ist.

Die zahlreichen gebildeten Städter wären den Strapazen des Weges noch
weniger gewachsen als die Dorfbewohner. Die Armenier regen an und
bitten, sofern Maßregeln gegen sie unabwendbar sind, ihnen statt der
Verschickung die Erlaubnis zur Auswanderung zu verschaffen.

                                                               Rößler.


126.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 31. Juli 1915.

Seit Anfang dieses Monats hat der Wali von Diarbekr, Reschid Bey, mit
der systematischen Ausrottung der christlichen Bevölkerung seines
Amtsbezirks, ohne Unterschied der Rasse und der Konfession, begonnen.
Hiervon sind u. a. besonders die katholischen Armenier von Mardin und
Tell Ermen und die chaldäischen Christen und nicht-unierten Syrer der
Bezirke Midiat, Djeziret ibn Omar und Nisibin betroffen worden.

Infolgedessen hat sich nach Meldungen des Konsulats Mossul die
christliche Bevölkerung zwischen Mardin und Midiat gegen die Regierung
erhoben und die Telegraphenlinie zerstört.

                                                            Hohenlohe.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.



_August._


127.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                             Pera, den 2. August 1915.

    An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Antwort auf Telegramm vom 30. Juli.

Alle diesseitigen Vorstellungen haben sich gegenüber dem Entschluß
der Regierung, die einheimischen Christen in den östlichen Provinzen
unschädlich zu machen, als unwirksam erwiesen.

                                                            Hohenlohe.


128.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 3. August 1915.
  Ankunft in Pera, den 3. August 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Bisher sind gegen 40000 Armenier aus dem westlichen Kleinasien
verschickt worden. Werden sie jetzt auch aus den großen Städten und
Küstenstrichen des Wilajets Aleppo verbannt, so wird die Zahl 150000
erreichen.

Mit der Ausführung ist schon begonnen. Wenn nicht in irgend einer Form
eine Hilfsaktion von außerhalb der Türkei eingeleitet werden kann, so
ist damit zu rechnen, daß in den nächsten Monaten Tausende verhungern.

                                                               Rößler.


129.

    Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.                       Erzerum, den 5. August 1915.

Die Aussiedelung der Armenier ist nun zu einem gewissen Abschluß
gelangt, d. h. es befinden sich im Amtsbezirk des hiesigen Konsulats
keine Armenier mehr. Es scheint mir daher angebracht, über die mit der
Armenieraustreibung im Zusammenhang stehenden Vorfälle der letzten
Monate kurz zusammenfassend zu berichten.

Bis Anfang Mai lebten die Armenier hier frei und ungehindert und
konnten ungestört ihren Geschäften nachgehen. Einzelne Vorfälle,
wie die Ermordung des Bankdirektors Pasdirmadjan und ähnliches,
übten nur vorübergehend eine beunruhigende Wirkung aus. Die Furcht
vor einem Massaker durch die Türken war allerdings vorhanden und
nicht unbegründet, doch dürfte die Anwesenheit und Tätigkeit General
Posseldts[78] sowie des deutschen Konsuls den Ausbruch eines solchen
verhindert haben.

Zu Beginn des Mai führten die bekannten Vorgänge von Wan dazu, daß
die Regierung und die Militärbehörden zu scharfen Maßregeln gegen die
Armenier griffen. Alle noch mit der Waffe dienenden Armenier wurden aus
dem Heere entfernt und in Arbeiterbataillone gesteckt. Die Bewohner der
Erzerumer und der Passin-Ebene, die nur noch aus Frauen, Kindern und
alten Männern bestand, wurden aus ihren Dörfern vertrieben und sollten
zwangsweise nach Mesopotamien gebracht werden. Diese mit militärischen
Rücksichten begründete Maßnahme wurde in unnötig rücksichtsloser und
grausamer Weise durchgeführt. Auf dem Wege nach Erzindjan wurden die
Betreffenden bei Mamachatun, Sansar, Euphrat Brücke und Päräz von
Kurden und türkischen Freiwilligen überfallen, beraubt und getötet. Die
Zahl der Umgekommenen dürfte zwischen 10-20000 betragen, nach Angabe
der Regierung nur 3-4000.

In derselben Zeit wurden die Bewohner der Erzindjaner Ebene bei
ihrem Durchzug durch die Schlucht von Kemach gleichfalls bis auf
wenige beraubt und getötet, die Frauen entführt. Hierbei soll, wie
mir glaubwürdig mitgeteilt wurde, türkisches Militär bzw. Gendarmen
beteiligt gewesen sein.

Zu Beginn des Juni wurde aus Erzerum die erste Gruppe der armenischen
Notabeln ausgewiesen mit einer Frist von 14 Tagen. Zirka 500 Personen
verließen am 16. Juni Erzerum und zogen durch das Gebirge über
Kharput nach Urfa. Von diesen sind laut Mitteilung der Regierung
unterwegs 14 Personen ermordet worden, nach mir zugegangenen privaten
Informationen fast alle Männer. Die zweite Gruppe, ca. 3000 Personen,
verließ am 19. und 20. Erzerum. Bei Baiburt wurde ein Teil von ihnen,
besonders Männer, abgetrennt, über deren Verbleib ich nichts ermitteln
konnte. Sie dürften wahrscheinlich ermordet worden sein. Die übrigen
gelangten unbelästigt nach Erzindjan, wo sie bis zur Sicherung der
Wege verblieben. Die dritte Gruppe Ausgewiesener, zirka noch 300
Familien, verließen am 26. Juni Erzerum. Sie gelangten in guter Ordnung
und unbelästigt bis nach Erzindjan. Die vierte Gruppe, hauptsächlich
aus Handwerkerfamilien bestehend, die zuerst von der Regierung
Aufenthaltsscheine erhalten hatten, welche ihnen später auf Befehl des
Armee-Oberkommandos entzogen wurden, kamen gleichfalls gut über Baiburt
nach Erzindjan. Es waren somit bis zum 15. Juli fast alle Armenier aus
Erzerum ausgewiesen worden. Die wenigen dort noch verbliebenen hatten
auf Grund besonderer Verhältnisse, wie Unabkömmlichkeit, Krankheit u.
dgl. spezielle Aufenthaltsscheine von der Regierung erhalten. Während
meiner und des Walis Abwesenheit von Erzerum wurden ihnen diese
Aufenthaltsscheine auf Befehl des Armee-Oberkommandierenden plötzlich
entzogen. Sie mußten Erzerum in kürzester Zeit verlassen, und viele von
ihnen konnten sich nicht einmal mit dem Notwendigsten für die Reise
versehen. Diese letzte Gruppe ist bei Aschkalé und Baiburt teilweise
ausgeplündert worden. Zu derselben gehörten auch die armenischen Ärzte
und Apotheker, von denen ein Teil, angeblich auf kriegsgerichtliches
Urteil, bei Baiburt erschossen wurde. Die zweite, dritte und vierte
Gruppe sind, wie schon erwähnt, mit einigen Ausnahmen gut in Erzindjan
angekommen und bleiben dort bis Anfang August im Zeltlager. Bei meiner
Anwesenheit in Erzindjan habe ich mich persönlich davon überzeugt, daß
es ihnen nach Maßgabe der Umstände gut ging. Anfang August wurden sie
nach Urfa weiter geschickt und sollen die berüchtigte Schlucht von
Kemach gut passiert haben. Wie viele von ihnen lebend und gesund an
ihrem Bestimmungsort anlangen werden, lasse ich dahingestellt.

Was die aus den benachbarten Wilajets vertriebenen Armenier anbelangt,
so soll die Anzahl der Umgekommenen dort eine weit größere sein.
So haben z. B. in der Ebene von Khinis große Armeniermassaker
stattgefunden und sollen im Wilajet Trapezunt fast alle Männer
umgebracht worden sein. Tatsächlich habe ich bei meiner Anwesenheit
in Erzindjan bei den dort durchziehenden Armeniern aus dem Wilajet
Trapezunt gar keine Männer bemerkt. Auch die Form der Ausweisung war
eine weit schroffere; so wurde z. B. in Trapezunt den Armeniern nur
einige Stunden Zeit gegeben und ihnen verboten, etwas von ihren Sachen
zu verkaufen. Auch erhielten sie keinerlei Transportmittel von der
Regierung, so daß die meisten zu Fuß gehen mußten. In ähnlich schroffer
Form wurde gegen die Armenier in Siwas vorgegangen.

Was nun meine Haltung bei der ganzen Frage anbetrifft, so habe ich mich
von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:

Es war mir bekannt, daß wir ein Recht zum Eintreten für die von der
Ausweisung betroffenen, unschuldigen Armenier nicht besitzen, auch
sonst keinerlei Schutzrecht über sie ausüben.

Meine Verwendung für die Armenier, welche sich der Regierung gegenüber
nichts zuschulden hatten kommen lassen, mußte sich darauf beschränken,
daß ich für Schutz ihres Lebens und Eigentums gegen Vergewaltigungen
und dafür eintrat, daß die durch die militärische Notwendigkeit
begründete Aussiedelung in möglichst humaner Weise vor sich gehe.
In diesem Sinne bin ich auch bei Beginn der Aussiedelung sowohl bei
der Zivilverwaltung als auch beim Armee-Oberkommando vorstellig
geworden. Nach Bekanntwerden der ersten großen Massaker bei Kemach,
Khinis Terdjan habe ich gemäß der mir auf meinen diesbezüglichen
Bericht an Euere Exzellenz erteilten Instruktion dem Wali in sehr
eindringlicher Form Vorstellungen gemacht. Ich habe dabei betont,
daß solche schmachvollen Vorgänge geeignet sind, das Ansehen der
Türkei im neutralen Auslande und bei ihren Freunden zu schädigen.
Weiterhin betonte ich, daß solche Vorgänge leicht Grund zu erneuter
fremder Einmischung in die armenischen Angelegenheiten geben und
die Stellung der Türkei bei künftigen Friedensverhandlungen unnütz
erschweren könnten. Außerdem wies ich noch eindringlich darauf hin, in
welch unangenehme Lage unsere Regierung durch diese Vorfälle versetzt
wird, und daß wir darum energisch darauf dringen müssen, daß eine
Wiederholung derselben durch die verantwortlichen Regierungsorgane
auf jeden Fall vermieden wird. Der Wali gab ohne weiteres zu, daß
meine Ausführung berechtigt sei, wies aber seinerseits darauf hin,
daß die Verantwortung nicht ihn, sondern das Armee-Oberkommando[79]
treffe, unter dessen Befehl er stehe. Dasselbe habe trotz der ihm
bekannten Unsicherheit der Wege die Aussiedelung der Armenier
befohlen, ohne genügenden Schutz für dieselben zu gewähren. Im
übrigen versprach der Wali sein möglichstes zu tun zur Verhinderung
von Wiederholungen. Tatsächlich ist er auch bemüht gewesen, für den
Schutz der Vertriebenen, soweit ihm das bei den entgegengesetzten
Absichten des Komitees und anderer maßgebender Persönlichkeiten möglich
war, zu sorgen. Um dem Widerstand, den er bei seinen diesbezüglichen
Bestrebungen beim Armee-Oberkommando sowohl wie beim Komitee fand, zu
begegnen, reichten aber weder sein Einfluß noch seine Energie aus. Im
allgemeinen sind die Bewohner Erzerums jedoch bei ihrer Aussiedelung
weit besser behandelt worden als die anderer Städte. Dem Entgegenkommen
des Wali und meinen Bemühungen zufolge wurden ihnen folgende
Erleichterungen gewährt:

1. Die meisten erhielten eine Frist von 14 Tagen zu Reisevorbereitungen.

2. Es wurde ihnen gestattet, ihre Sachen mitzunehmen oder zu verkaufen.

3. Ein Teil der Kaufleute und Notabeln hatte die Möglichkeit, ihre
Waren, Sachen und Kostbarkeiten der Ottomanbank zur Aufbewahrung in der
armenischen Kirche zu geben.

4. Die Regierung stellte vielen mittellosen Familien Ochsenkarren
unentgeltlich zur Verfügung.

5. Diejenigen Männer, deren Familien ohne weiteren männlichen Schutz
waren, wurden aus den Arbeiterbataillonen entlassen und durften ihre
Familie begleiten.

Eine weitere humane Anordnung der Zivilverwaltung, daß Kranke,
alleinstehende Frauen und Kinder in Erzerum bleiben sollten, wurde
durch Befehl der Militärbehörde bzw. auf Betreiben des Komitees
aufgehoben.

Es ist tief bedauerlich, daß infolge der von der Militärbehörde
geduldeten Haltung des Komitees und seiner dunklen Hintermänner die
Maßnahme der Aussiedelung der Armenier aus den Grenzgebieten in einen
Rache-, Vernichtungs- und Raubfeldzug gegen sie umgewandelt wurde.
Von vernünftig denkenden weiten Kreisen der türkischen Bevölkerung,
besonders von den Grundbesitzern, wird diese Ausrottungspolitik auch
nicht gebilligt.

Meine Berichte und meine Tätigkeit in der Armenier-Frage
zusammenfassend bemerke ich folgendes:

Es würde hier zu weit führen, auf die Ursachen der Armenierunruhen
einzugehen und zu untersuchen, ob dieselben durch zweckmäßige Maßregeln
und Verhandlungen der Regierung hätten vermieden werden können. Soviel
mir bekannt, ist in dieser Hinsicht rechtzeitig nichts geschehen. Es
ist ferner selbstverständlich, daß dort, wo auf Betreiben armenischer
Revolutionäre und russischer Emissäre Aufstände stattgefunden haben,
mit aller Strenge gegen die Schuldigen vorgegangen wird. Ich hätte
sogar viel schärfere Vorbeugungsmaßregeln der Regierung und der
Militärbehörden an bedrohten Punkten erwartet und gewünscht, nicht
aber, wie das meist geschehen, nachträgliche Vergeltungsmaßregeln. Für
einen allgemein beabsichtigten und vorbereiteten Aufstand der Armenier
fehlen jedoch meines Erachtens jegliche Beweise.

Daß sich eine von ihrer eigenen Regierung unterdrückte und schlecht
behandelte, folglich also unzufriedene Grenzbevölkerung anderer
Nationalität und anderen Glaubens einem siegreich vordringenden Feinde
desselben Glaubens, der sich zudem als Befreier ausgibt und sie mit
Versprechungen lockt, anschließt, erscheint mir, wenn auch bedauerlich,
so doch natürlich und ist auch auf anderen Kriegsschauplätzen
vorgekommen. Ebenso natürlich sind dagegen politische und scharfe
militärische Abwehrmaßnahmen. Es erscheint mir aber unnatürlich und
einer auf Zivilisation Anspruch erhebenden Regierung unwürdig, wenn
dieselbe zuerst keinerlei Maßregeln trifft, um einer vorauszusehenden
Erhebung einiger Teile eines mit Recht unzufriedenen Volkes, sei es
durch geeignete militärische Vorkehrungen, sei es durch politische
Verhandlungen vorzubeugen, sondern eine solche durch ihre Untätigkeit
und durch das provokatorische Verhalten ihrer Polizeiorgane und
„Tschättäh“ (berittenen Freiwilligen) geradezu herausfordert.

Auf Grund dieser Erwägungen und in Anbetracht der ganzen Sachlage hielt
ich es als Vertreter der deutschen Regierung für meine Pflicht, dem
Vorgehen der Regierung gegen die Armenier und den gegen sie getroffenen
Maßnahmen nicht stillschweigend zuzusehen, sondern da wir diese
Maßnahmen nicht hindern können, wenigstens auf eine möglichst milde
Form der Ausführung hinzuarbeiten. Ich habe die Unbequemlichkeiten
ja Gefahren, die mit meiner Haltung bisweilen für mich verknüpft
waren, auch deshalb gern auf mich genommen, weil ich annahm, daß es
meiner Regierung nur angenehm sein dürfte, zu wissen, daß ihr hiesiger
Vertreter mit allen ihm zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln für
eine humane und rechtmäßige Behandlung unschuldig Leidender eingetreten
ist.

Bei diesen meinen Bestrebungen bin ich von vernünftig denkenden
Türken aus Regierungs- und Militärkreisen unterstützt worden, soweit
dieselben davon nicht durch die Furcht vor dem Komitee zurückgehalten
wurden. In dem Ortskomitee wiederum war es eine kleine Gruppe ziemlich
minderwertiger, aber die anderen terrorisierenden Individuen,
die, durch persönliches Interesse und Habgier veranlaßt, einen
Vernichtungsfeldzug gegen die Armenier predigte. Dies waren übrigens
dieselben Leute, die durch ihr beispiellos brutales Vorgehen in den von
den Türken vorübergehend eroberten Gebieten, wie Ardanuß, Ardahan, Olti
usw. die türkische Sache bei den muselmanischen Bewohnern Rußlands auf
lange hinaus, wenn nicht auf immer, schädigten.

Leider ist der Einfluß dieser dunklen Komitee-Hintermänner, die
außerdem durchaus deutschfeindlich sind, stärker als man im allgemeinen
anzunehmen geneigt ist. Diesen Einfluß erhalten sie sich schon durch
ihr Terrorisierungssystem und kann derselbe meines Erachtens nur
durch sehr energisches Auftreten gegen sie gebrochen werden. Ein
Überhandnehmen des Einflusses und der „Regierungsmethoden“ dieser Leute
bedeutet eine Gefahr nicht nur für die Türken, sondern auch für uns,
ihre Bundesgenossen. Denn die Art der Behandlung der Armenierfrage hat
deutlich gezeigt, welches gefährliche Instrument die Regierungsgewalt
in der Hand keine Verantwortung tragender und nur persönliches
Interesse kennender Leute ist.

Ich erlaube mir beizufügen:

Bericht über das vom Kriegsfreiwilligen Karl Schlimme auf seinem Ritt
nach Trapezunt Gesehene.

                                                von Scheubner-Richter.

  An Seine Durchlaucht den Kaiserlichen Botschafter
    Fürst zu Hohenlohe-Langenburg, Konstantinopel.


130.

                                          Erzerum, den 5. August 1915.

    Bericht über meine Reise nach Trapezunt.

Am 18. Juni ritt ich von hier im Auftrage von Herrn Vizekonsul von
Scheubner nach Trapezunt. Bis Baiburt ritt ich zusammen mit den
Mitgliedern der österreichischen Ski-Mission. Die Herren waren vom
hiesigen Wali gebeten worden, eine armenische Familie, u. a. die
Schwester des hiesigen armenischen Bischofs mitzunehmen, welche
einen Passierschein nach Angora erhalten hatten. In Baiburt wurde
von uns verlangt, daß wir die Familie herausgeben sollten. Als wir
uns weigerten, wurden die Kutscher fortgenommen, so daß wir die
Wagen selbst weiter fahren mußten. Dr. Pietschmann bat mich, ihn
weiter bis Ersindjan zu begleiten, auch wurden in Baiburt keine
Telegramme von uns für das deutsche Konsulat angenommen. Während wir
noch verhandelten, bemerkten wir, daß man uns die Armenier gewaltsam
entreißen wollte. Wir machten die Gewehre zum Schuß fertig und
konnten nur dadurch unbelästigt aus Baiburt hinauskommen. Unterwegs
bemerkten wir regelrechte Posten von Komitatschis. Die uns begleitenden
Gendarmen weigerten sich, weiter mitzukommen, und machten uns mehrfach
den Vorschlag, die Armenier niederzumetzeln. So gelangten wir unter
ständiger Erwartung eines Überfalles nach Ersindjan.

Hier wurde uns die armenische Familie durch die Polizei abgenommen und
interniert.

                                    Carl Schlimme, Kriegsfreiwilliger.


131.

    Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                                  6. August 1915.

    Aufzeichnung.

    Gespräch des Korvettenkapitäns Humann mit Enver Pascha.

Anknüpfend an die Anwesenheit des Dr. Lepsius vom deutsch-armenischen
Komitee erwähnt Enver einen ihm bekannt gewordenen Bericht eines
amerikanischen Konsuls an den hiesigen Botschafter der Vereinigten
Staaten. Der Konsul kommt darin zum Resultat, daß die amerikanische
Regierung gut tun würde, ihre Armenierpolitik ein für allemal
aufzugeben, da die Türken durch ihr Vorgehen gegen die Armenier jede
weitere politische Aktion mit diesen unmöglich gemacht hätten. Man
habe die Armenier nicht ausgerottet, was vom politischen Gesichtspunkt
aus noch nicht das Schlimmste gewesen wäre, denn bei solchen Massakres
bliebe immer noch ein kleiner Stamm übrig, auf den man alle späteren
Hoffnungen aufbauen könnte. Man habe sie statt dessen -- was vom
politischen Gesichtspunkte aus viel schlimmer ist! -- über das ganze
Land zerstreut, so daß sie wohl oder übel in das türkische Element des
Landes aufgehen müssen. Damit sei die Grundlage für eine aussichtsvolle
Armenierpolitik ohne weiteres aus der Welt geschafft worden.

Enver erzählt weiter von den vielfachen Warnungen, die er dem
armenischen Patriarchen zu Beginn des Krieges hat zukommen lassen und
weist gleichzeitig auf das Lob hin, das kürzlich Sassonow in der Duma
den „treuen“ Armeniern in der Türkei gespendet hat.

Die Armenier, verleitet und aufgestachelt durch russische Agenten,
haben so gründlich gegen die ottomanische Bevölkerung gewütet, daß von
den 150000 Türken, die früher das Wilajet Wan aufzuweisen hatte, nur
noch 30000 Muhammedaner am Leben sind[80].

Enver ist ferner eine Verschwörung bekannt, nach welcher die etwa 30000
Armenier in der Gegend von Adabazar Ismid eine russische Landung bei
Sakaria unterstützen wollten[81].

Er selbst hat im Ministerrat den Standpunkt vertreten, daß man gerade
mit Rücksicht auf den Krieg den Versuch machen müsse, mit den Armeniern
gut und friedlich auszukommen. Er hat auch dieses dem Patriarchen
gesagt, jedoch zugleich mit dem Hinweis, daß er beim geringsten
Vorkommnis in den östlichen Armenierzentren mit drakonischen Maßnahmen
einschreiten würde. Das Heer, das im Kaukasus gegen einen mächtigen
Feind kämpft, müsse unbedingt die Gewißheit haben, daß in seinem Rücken
kein Feind steht. Dafür werde er, der militärische Oberbefehlshaber,
mit allen Mitteln sorgen.

Enver Pascha ist übrigens bereit, Dr. Lepsius zu empfangen und mit ihm
die Armenierfrage zu erörtern[82].


132.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

                                         Erzerum, den 10. August 1915.

    An das Auswärtige Amt.

Die armenische Frage, welche seit Jahrzehnten die Diplomatie Europas
beschäftigt hat, soll nun im gegenwärtigen Krieg gelöst werden. Die
türkische Regierung hat den Kriegszustand und die sich ihr durch die
Armenieraufstände in Wan, Musch[83], Karahissar[84] und anderen Orten
bietende Gelegenheit benutzt, um die Armenier Anatoliens zwangsweise
nach Mesopotamien auszusiedeln. Durch Unterdrückung der armenischen
Schulen, Verbot der Korrespondenz in armenischer Sprache und ähnliche
Maßregeln hofft sie, die politischen und kulturellen Bestrebungen der
Armenier endgültig zu unterdrücken. Sie hofft vielleicht weiter dabei,
die Armenier wirtschaftlich so zu schädigen, daß es ihnen in Zukunft
nicht mehr möglich sein wird, ein selbständiges kulturelles Leben zu
führen. Ich will hier davon absehen, daß diese Regierungsmaßnahmen
in einer Form ausgeführt wurden, die einer absoluten Ausrottung der
Armenier gleichkam. Ich glaube auch nicht, daß es auf andere Weise
gelingen könnte, eine Kultur zu vernichten, die älter und viel höher
ist, als die der Türken. Auch sonst scheinen mir die Armenier gleich
den Juden als Rasse von großer Widerstandskraft. Durch ihre Bildung,
ihre kommerziellen Fähigkeiten, ihr Anpassungsvermögen dürfte es ihnen
gelingen, auch unter ungünstigsten Verhältnissen wirtschaftlich wieder
zu erstarken. Nur eine gewaltsame Ausrottungspolitik, ein gewaltsames
Vernichten des ganzen Volkes könnte die türkische Regierung auf diesem
Wege zum ersehnten Ziel, zur „Lösung“ der Armenierfrage führen. Ob
eine solche Lösung dieser Frage für die Türken zweckmäßig, möchte ich
bezweifeln. Zur Begründung führe ich folgendes an:

Die Bewohner Anatoliens setzen sich in der Hauptsache aus Türken,
Armeniern und Kurden zusammen. Die Kurden stehen kulturell am
tiefsten, die Armenier am höchsten. Die Liebe zu ihrer Heimat, zu
der von ihnen seit Jahrhunderten bewohnten armenischen Hochebene,
bildet einen Grundzug ihres Charakters, und mit den sympathischsten.
Hätten sie diese Liebe nicht, so wäre ihnen als Volk viel Leid
erspart geblieben. In den Städten dominieren sie in wirtschaftlicher
Hinsicht, fast der gesamte Handel liegt in ihren Händen. Durch ihren
rege ausgeprägten Erwerbssinn und ihre Gewinnsucht machen sie oft
keinen angenehmen Eindruck. Der türkische Händler gibt ihnen in
letzter Hinsicht allerdings wenig nach, ist ihnen aber in Bezug auf
kaufmännische Fähigkeiten weit unterlegen. Denn wer von den Türken nur
einigermaßen über Bildung verfügt, eventuell eine europäische Sprache
spricht, wählt die Beamtenlaufbahn und hat, in der Provinz wenigstens,
die Anwartschaft auf den Posten eines Wali. Der überraschend hohe
Bildungsgrad der Armenier sowohl in der Stadt wie auf dem Lande, den
sie dem Wirken ihrer Geistlichkeit und ihren vorzüglichen Schulen zu
verdanken haben, befähigt sie, sich mit europäischer Kultur und Technik
bekannt zu machen und die Einführung derselben in ihrem Wohnsitz zu
fördern. Hierbei sei bemerkt, daß der Einfluß französischer Kultur auf
die Armenier ein sehr starker ist und ihre Sympathien wohl auch auf
französischer Seite sind. Die vielen unter Leitung von französischen
Geistlichen stehenden Schulen haben in dieser Hinsicht einen starken
Einfluß ausgeübt.

Auch politisch ist in Ostanatolien unter den Armeniern von
französischer und englischer, besonders aber von russischer Seite
eine starke Propagandatätigkeit ausgeübt worden. England und Rußland
hatten ein politisches Interesse daran, daß die der Türkei aus der
Armenierfrage erwachsenden Schwierigkeiten nicht aus der Welt
geschafft würden. Sie spielten sich als Beschützer der Armenier auf
und veranlaßten sie, nicht nur durch die Sachlage gerechtfertigte
Forderungen zu stellen, um ihr Los zu erleichtern, sondern auch solche
utopistisch politischer Natur. Insbesondere möchte ich dabei auf die
unheilvolle Tätigkeit der russischen Konsuln hier und in Wan hinweisen.

                                                von Scheubner-Richter.

  An das Auswärtige Amt, Berlin.


133.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

    Konsulat Trapezunt.                     Pera, den 11. August 1915.
       „     Erzerum.
       „     Adana.
       „     Aleppo.
       „     Mossul.

In den letzten Wochen haben die Armeniergreuel trotz unserer
wiederholten Vorstellungen einen Umfang angenommen, der es uns zur
Pflicht macht, wo erforderlich, unsere entschiedene Mißbilligung
dieser Vorgänge zum Ausdruck zu bringen. Verschiedentlich haben
türkische Offiziere, Geistliche und andere Personen im Innern offen
ausgesprochen, wir seien die Urheber dieser Greuel; einer solchen uns
kompromittierenden Auffassung muß energisch entgegengetreten werden.

                                                            Hohenlohe.


134.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 12. August 1915.
  Ankunft in Pera, den 12. August 1915.

    Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

1. Hiesige Armenier schätzen jetzt die Zahl der im Osten umgekommenen
Armenier auf wenigstens zwei, wahrscheinlich mehrere hunderttausend
Seelen. In den weitaus überwiegenden Fällen sei die Tötung der Männer
nicht durch Kurden, sondern durch Gendarmen erfolgt.

Es sind ernste Anzeichen dafür vorhanden, daß die Methode, die
Verbannten auf der Wanderung umzubringen, auch in den Bezirken Aleppo
und Marasch befolgt werden soll. Djemal Paschas Befehle stehen dem
entgegen, das Komitee arbeitet jedoch dafür.

2. Die protestantischen Armenier haben den Kriegsminister und den
Minister des Innern erneut telegraphisch um die gleiche Vergünstigung
wie die katholischen Armenier gebeten.

                                                               Rößler.

Notiz: Werde Talaat Bey bei erster Gelegenheit wegen der
protestantischen Armenier interpellieren.

                                                            Mordtmann.


135.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                            Pera, den 14. August 1915.

    Deutsches Konsulat, Damaskus.

Wie das Konsulat in Aleppo meldet, steht die Umsiedelung der Armenier
aus dem Wilajet Aleppo und Marasch bevor und man befürchtet Massakre
der Auszutreibenden. Bekanntlich hat Djemal Pascha wiederholt Befehle
gegen solche Ausschreitungen gegeben, diese Befehle werden aber von
anderer unverantwortlicher Seite nicht immer beachtet. Bitte daher
Djemal Pascha veranlassen, seine diesbezüglichen Befehle für den
vorliegenden Fall zu erneuern.

                                                            Hohenlohe.


136.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                       Pera, den 12. August 1915.

Die systematische Niedermetzelung der aus ihren Wohnsitzen deportierten
armenischen Bevölkerung hatte in den letzten Wochen einen derartigen
Umfang angenommen, daß eine erneute eindringliche Vorstellung
unsererseits gegen dieses wüste Treiben, das die Regierung nicht
nur duldete, sondern offensichtlich förderte, geboten schien, zumal
da an verschiedenen Orten auch die Christen anderer Rassen und
Konfessionen nicht mehr verschont wurden. Dazu kam, daß in diesen Tagen
die Behörden damit begonnen hatten, die armenischen Einwohner von
verschiedenen Ortschaften in der Umgegend von Ismid (Nikomedien), also
in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt, umzusiedeln, weil sie angeblich
eine russische Landung an der Mündung des Sakaria unterstützen wollten.
Diese Maßregel rief unter der hiesigen armenischen Bevölkerung
eine schwere Beunruhigung hervor, und man wollte wissen, daß nach
Ablauf der heute beginnenden Bairamfesttage die hiesigen Armenier
ebenfalls ausgetrieben werden würden. Bei der großen Anzahl der hier
ansässigen Armenier (nach niedrigster Schätzung 80000 Seelen) hätte
die Ausführung eines solchen Vorhabens nicht nur tiefgehende Störungen
von Handel und Wandel zur Folge gehabt, sondern auch Leben and
Eigentum der nichtmohammedanischen Einwohnerschaft, die Fremden nicht
ausgeschlossen, ernstlich gefährdet.

Ich habe daher am 11. d. M. das in Abschrift beigefügte Memorandum
auf der Hohen Pforte übergeben. Talaat Bey, der es in Abwesenheit
des Großwesirs in Empfang nahm, versprach, soweit möglich Abhilfe
zu schaffen und versicherte auf meine Anfrage, daß die Armenier von
Konstantinopel nicht verschickt werden sollten.

Der auf der Pforte anwesende Kammerpräsident Halil Bey, der
anscheinend das Vorgehen der Regierung gegen die Armenier nicht
billigt, behauptete, daß die Massakres und anderen Greuel nicht von
der Regierung gebilligt würden, aber die Regierung sei nicht immer
in der Lage gewesen, die Ausschreitungen der Volksmassen zu hindern,
auch hätten die untergeordneten Behörden bei der Ausführung der
Deportationsmaßregel Mißgriffe getan.

Im Anschluß an vorstehendes muß erwähnt werden, daß unter der
türkischen Bevölkerung im Innern vielfach die Auffassung besteht, daß
die deutsche Regierung mit der Ausrottung der Armenier einverstanden
sei und sie sogar geradezu veranlaßt habe. Ich habe daher die
Kaiserlichen Konsulate in Anatolien angewiesen, solchen, für uns
kompromittierenden Anschauungen, die sogar von Offizieren, Geistlichen
und andern Persönlichkeiten der besseren Klassen offen geäußert werden,
entschieden entgegenzutreten. Euerer Exzellenz Ermessen darf ich
ergebenst anheimstellen, ob es sich nicht empfiehlt, zu geeignetem
Zeitpunkt auch in der deutschen Presse darauf hinzuweisen, daß wir den
Zwangsmaßregeln der türkischen Regierung gegen die Armenier durchaus
fernstehen und daher auch nicht verantwortlich sind für die dabei
vorgekommenen Ausschreitungen, die wir nur mißbilligen und bedauern
können.

Endlich scheint es zur Unterstützung der hier unternommenen Schritte
erwünscht, den neuen ottomanischen Botschafter dort auf die etwaigen
Folgen der Armenierpolitik seiner Regierung und unsern Standpunkt in
dieser Frage aufmerksam zu machen.

                                                            Hohenlohe.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


Anlage.

  Kaiserliche Deutsche Botschaft
       in Konstantinopel.

                                                 Pera, le 9 août 1915.

    Memorandum.

Par son memorandum du 4 Juillet l’Ambassade d’Allemagne a eu
l’honneur de faire connaître à la Sublime Porte la manière de voir du
Gouvernement Impérial Allemand au sujet de l’expatriation des habitants
arméniens des provinces Anatoliennes, et d’attirer son attention sur le
fait que cette mesure avait été accompagnée en plusieurs endroits par
des actes de violence, tels que massacres et pillages qui ne pouvaient
pas être justifiés par le but que le Gouvernement Impérial Ottoman
poursuivait.

L’Ambassade d’Allemagne regrette de devoir constater que, d’après les
renseignements qu’elle a reçus depuis lors de sources impartiales
et dignes de foi les incidents de ce genre, au lieu d’être empêchés
par les autorités locales, ont régulièrement suivi l’expulsion des
Arméniens de sorte que la plupart d’eux ont péri avant même d’arriver
au lieu de leur destination. Ce sont surtout les provinces de
Trébizonde, de Diarbékir et d’Erzéroum d’où ces faits sont signalés; en
certains endroits, comme à Mardine, tous les Chrétiens sans distinction
de race ou de confession ont subi le même sort.

En même temps le Gouvernement Impérial Ottoman a cru devoir étendre la
mesure d’expatriation aux autres provinces de l’Asie Mineure et tout
dernièrement les villages arméniens des districts d’Ismid à proximité
de la capitale ont été évacués de leurs habitants dans des conditions
pareilles.

En présence de ces événements l’Ambassade d’Allemagne par ordre de son
Gouvernement, est obligée de remontrer encore une fois contre ces actes
d’horreur et de décliner toute responsabilité des conséquences qui
en pourraient résulter. Elle se voit forcée à attirer l’attention du
Gouvernement Ottoman sur ce point d’autant plus que l’opinion publique
est déjà portée à croire que l’Allemagne en sa qualité de puissance
amie et alliée de la Turquie aurait approuvé ou même inspiré ces
actions de violence.


137.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                     Aleppo, den 13. August 1915.

Der Diakon Künzler aus Urfa hatte seinen mit Bericht vom 11 d. M.
eingereichten Brief mit den Worten geschlossen: „Über die Furchtbarkeit
der Frauen- und Kindertransporte wird Ihnen ein Augenzeuge mündlich
berichten.“ Dieser Zeuge, ein Österreicher, der mir seit zwei Jahren
genau bekannt ist und für dessen Wahrheit in der Darstellung ich
persönlich einstehe, hat zur Erholung einige Wochen in einem Weinberge
bei Urfa mit seiner Frau zugebracht, ist aber vorzeitig zurückgekehrt,
weil er die Greuel nicht länger mit ansehen mochte. Auf meinen Wunsch
hat er einige seiner Beobachtungen in der in anliegender Abschrift
gehorsamst eingereichten Aufzeichnung niedergelegt. Übrigens ist er
auf dem Wege von Urfa nach Arab Punar einem sehr ernsten Raubanfall
ausgesetzt gewesen, den er hat zurückschlagen können, weil die Räuber
nicht darauf vorbereitet waren, daß er Feuerwaffen bei sich hatte und
weil ihm einige von den Angreifern nicht bemerkte Kutscher zu Hilfe
eilten. Offenbar haben die Räuber einem Zuge Armenier aufgelauert. Die
Frau des Österreichers liegt an den Folgen des Schrecks noch jetzt
krank.

Der Vertreter der deutschen Orient-Handels- und Industriegesellschaft,
Teppichmanufaktur Urfa, Herr Franz Eckart, hat den in anliegender
Abschrift gehorsamst beigefügten Brief vom 5. August an mich gerichtet.
Dieser Brief, sowie die allgemeine Lage in Urfa hat mich veranlaßt, ein
Schreiben an den Mutessarrif in Urfa zu richten, in dem ich ihm den
Schutz der dortigen Deutschen für ihre Person, für ihr Personal und für
die Ausübung ihrer Tätigkeit besonders empfohlen habe.

Über einen weiteren aus Adiaman abgegangenen Trupp sind mir, wie in
früheren ähnlichen Fällen, genaue Mitteilungen gemacht worden. Von 696,
die Adiaman verließen, sind 321 in Aleppo angekommen; 206 Männer und 57
Frauen sind getötet worden, 70 Frauen und Mädchen und 19 Knaben sind
entführt worden. Über den Rest fehlen die Angaben.

Ein aus Siwas am 12. d. M. hier angekommener Trupp war 3 Monate lang
unterwegs und völlig erschöpft. Gleich nach der Ankunft sind einige
gestorben. Vielfach hatte man ihm unterwegs das Wasser verweigert. Am
Muradsu sind sie 14 Tage lang an einer Stelle im Kreise herumgeführt
worden, in der Weise, daß sie tagsüber kein Wasser hatten. Die Zahl der
Verluste bei diesem Trupp ist mir nicht bekannt geworden.

Wie mir der hiesige Wali, Beschir Sami Bey, heute mitteilt, ist die
den katholischen Armeniern gewährte Vergünstigung wieder aufgehoben
worden. Alle ohne Ausnahme werden verschickt. Auf der anderen Seite hat
er erklärt, daß er Ungesetzlichkeiten oder Einflüsse unverantwortlicher
Stellen in seinem Wilajet nicht dulden und gegen etwaige Missetäter
auf das schärfste vorgehen werde. Leider verhindert dieser gute Wille
nicht solches Unglück, das aus mangelnder Organisation und Vorbereitung
erwächst. Es ist kein Zweifel, daß auch im Wilajet Aleppo, z. B.
auf dem Weg von Bab nach Membidj, zahlreiche Frauen und Kinder an
Erschöpfung zugrunde gegangen sind.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.


Anlage I.

    Aufzeichnungen eines Österreichers.

    Dem Deutschen Konsulat Aleppo am 11. August 1915 übergeben.
  Beobachtungen bei den Armeniertransporten in der Gegend von Urfa.

Die Transporte bestanden nur aus Frauen, Greisen und Kindern. Rüstige,
kräftige Männer fehlten. Diejenigen Trupps, die bereits eine Woche
oder noch länger auf dem Marsche waren, machten einen erbärmlichen
Eindruck. Viele von den Strapazen Übermüdete und Erkrankte hinkten mit
und zogen Kinder mit sich (viele Säuglinge und schwangere Frauen).
Bei Kindern, alten oder sonst schwachen Personen sah man meist wunde,
dickgeschwollene in Fetzen gewickelte Füße. Die meisten Transporte
hatten ihre Habseligkeiten vor Urfa verkauft, um Transportesel in
den Dörfern zu mieten (3 Medjidie pro Tag, d. i. der dreifache
des gewöhnlichen Preises). Andere Haufen brachten noch einige
Reisegegenstände und Hausgeräte mit nach Urfa, deren sie hier auf
schreckliche Weise beraubt wurden, fast ohne Geld. In der Tscharschi
verkauften selbst Soldaten Sachen dieser Transportierten. Die meisten
Angekommenen wurden im Waisenhause untergebracht, wo sie für Nahrung
selbst zu sorgen hatten. Militärposten hielten ringsum Wache. Ich
bemerkte, wie ein gieriger Händler mit gekauften Kleidern über die
Gartenmauer sprang und dem Posten das Bestechungsgeld offen in die Hand
zählte.

Durch Trinkgeld, Kauf oder Freundschaft konnte man von den wandernden
Massen Frauen, Mädchen und Kinder an sich nehmen. Später verbot die
Behörde diesen Handel; dennoch kommen die Aneignungen vor. Ich sah
selbst zwei Frauen von 16 und 30 Jahren, die von der Straße weg von
Türken zu sich genommen wurden und die mir dann -- als ich zu den
Türken noch am selben Tage als Gast kam, erzählten, sie seien aus
Adiaman und bereits 10 Tage auf dem Wege. Die Gendarmen waren gut
mit ihnen gewesen, schlugen eine räuberische Kurdenbande, die auf
Weiberraub lauerten, zurück -- in den Dörfern bekamen sie immer wieder
Brot und Käse. Tagesmärsche dauerten 6-7 Stunden, Rast hatten sie oft.
Auf dem Wege von Adiaman trafen sie nackte ermordete Frauen, auch
verstümmelte mit abgeschnittenen Brüsten, zwei noch Lebende erzählten,
sie seien vom Zuge zurückgeblieben, teils aus Krankheit, teils aus
Fluchtabsicht, wobei sie dann von den Kurden geschändet und beraubt
wurden.

Auf dem Transporte gehen viele Personen zugrunde. In Urfa stürzte vor
mir eine Frau nieder. Da der Polizist nicht zurückbleiben durfte,
forderte er einige Umstehende auf, zur Polizei zu gehen, um dies zu
melden, damit man die Kranke wegtrage. Am andern Tag fand ich dieselbe
Frau (30 Jahre alt) in einer anderen Straße vor dem Waisenhause in dem
größten Sonnenlicht auf der Straße tot liegen. Ich trat hinzu, und sie
zeigte bereits blaues Gesicht. Soldaten standen nebenan auf Posten,
Polizei und Zivil belebten den Platz. Die Frau lag meiner Schätzung
nach schon mehrere Stunden tot da. Erst meine Intervention beim
Mutessarrif veranlaßte innerhalb einer halben Stunde die Abfuhr des
Leichnams, jedoch mit einem Mistwagen.

Außerhalb Urfas (gegen Tell Abiad zu), knapp vor den Urfagärten, lag
am Straßenrande der Leichnam eines 20-24 jährigen Mannes. Niemand
beerdigte ihn, sondern Raubvögel fraßen daran.

Auf der Straße Urfa-Arab Punar sah ich wohl im Dunkeln keine Leichen,
doch mein Kutscher, der diesen Weg beständig fährt, zeigte mir längs
der Straße hin und wieder Brandstellen -- die menschlichen Kadaver
werden nämlich an Ort und Stelle verbrannt.

Manche Züge humpeln schreiend vor Schmerz dahin. Sobald sie eines
Menschen ansichtig werden, fallen viele dieser Unglücklichen auf die
Knie und erbitten Hilfe und Rettung oder legen ihre Kinder zur Annahme
vor. Auf diesen Märschen bei 56 Grad Celsius und bei Wassermangel
erliegen viele vor Erschöpfung. Wer zurückblieb, ist dem Tode sicher.


Anlage II.

  Deutsche Orient-Handels- und
    Industriegesellschaft m. b. H.
    Teppichmanufaktur Urfa.                  Urfa, den 5. August 1915.

Vor einigen Tagen haben zwei junge Türken eine junge Frau aus den auf
der nahen Diarbekrstraße vorüberziehenden armenischen Emigranten nach
dem untern Teil meines Grundstückes in eine Versenkung geschleppt und
sie entkleidet, um sie zu vergewaltigen. Auf das Schreien der Frau
sind meine Kinder hinzugeeilt und haben drei in der Nähe befindliche
Arbeiter von mir zu Hilfe gerufen. Diese befreiten die Frau, welche in
mein Haus flüchtete. Nach kurzer Zeit kamen die zwei Türken mit vier
andern Begleitern vor mein Haus und forderten in meiner Abwesenheit von
meiner Frau die Herausgabe der Frau. Auf wiederholte Antwort meiner
Frau: „Hier wohnen Deutsche“ zogen sie drohend ab.

Trotz meiner Vorstellungen bei dem Gouverneur bin weder ich noch meine
Familie, noch meine Arbeiter vor weiteren Belästigungen jener Türken
sicher. Sie haben erst heute morgen wieder die drei Arbeiter von ihrer
Arbeit in meinem Garten vertrieben. Ich bin daher gezwungen, den Schutz
meiner eigenen Regierung anzurufen.

                                                           Fr. Eckart.

         An das
  Kaiserlich Deutsche Konsulat, Aleppo.


138.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                       Pera, den 13. August 1915.

Das Kriegsgericht in Konstantinopel erläßt in den hiesigen Blättern
die öffentliche Ladung des bekannten armenischen Politikers und
ägyptischen Staatsmannes Boghos Nubar Pascha, der verschiedener
landesverräterischer Handlungen beschuldigt wird.

Das vom Kriegsgericht eröffnete Verfahren ist nicht ernsthaft zu nehmen.

Richtig dürfte sein, daß Nubar Pascha sich an den Verhandlungen des
Katholikos von Etschmiadsin mit den Dreiverbandmächten über die
Schaffung eines autonomen oder unabhängigen armenischen Staates aus den
ostanatolischen Provinzen beteiligt hat, bzw. noch beteiligt. Dagegen
wird -- mit Recht -- bezweifelt, daß er in einer direkten Verbindung
mit den in der Ladung genannten Blättern steht, welche Organe der
Hintschakistenpartei sind, da er sich bisher von dem bekannten
armenischen Vereine ferngehalten hat.

In der weiteren Anschuldigung, die sich auf Boghos Nubar Pascha’s
Tätigkeit in der armenischen Reformfrage[85] während der Jahre 1913
und 1914 bezieht, wird hier von manchen Seiten ein versteckter Vorwurf
gegen unsere damalige Politik erblickt, die das Zustandekommen des
Reformprojektes unterstützt habe.

                                                            Hohenlohe.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.


139.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 14. August 1915.
  Ankunft in Pera, den 15. August 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Ich habe in verschiedenen deutschen Zeitungen türkische amtliche
Dementis der Christengreuel gelesen und bin über die Naivität der
Pforte erstaunt, welche die Tatsachen der Verbrechen türkischer Beamten
durch krasse Lügen aus der Welt schaffen zu können glaubt.

                                                             Holstein.


140.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 15. August 1915.
  Ankunft in Pera, den 16. August 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Immer weiter eintreffenden Informationen zufolge sind die Armenier im
Osten schon heute so gut wie völlig vernichtet.

Regierung will die Armenier des Westens entweder auch vernichten, oder
sie weiß nicht, was sie tut. Es herrscht völlige Desorganisation, so
daß die mit der Ausführung beauftragten Beamten nicht wissen, was die
Regierung will. Die Armenier aus Cilicien, die sich in Aleppo befinden,
erhalten, wenn auch unregelmäßig, etwas Lebensunterhalt von der
Regierung. Die aus dem Osten, von denen etwa 6000 hier sind, während
täglich etwa 300 ankommen, erhalten nichts. Die von der armenischen
Gemeinde Aleppo aufgebrachten Mittel sind bald erschöpft. Früher konnte
jeder Flüchtling 4 kleine Brote täglich, jetzt nur 2 erhalten und keine
andere Nahrung. Für Tausende und aber Tausende an anderen Orten als
Aleppo sorgt niemand.

                                                               Rößler.


141.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 16. August 1915.
  Ankunft in Pera, den 16. August 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der Abtransport der Armenier von Marasch hat begonnen. Es liegen
keine Nachrichten von der dortigen deutschen Mission vor. Ich stelle
gehorsamst anheim, eine Ausnahme für das Personal des Hospitals und
für den Lehrkörper, die Schüler und Schülerinnen der Schulen des
Hilfsbundes zu erwirken, da es sich um deutsche Anstalten handelt.

                                                               Rößler.


142.

    (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                            Pera, den 17. August 1915.

    An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Vom Minister des Innern wurde mir der Schutz der deutschen Anstalten,
des Hospitals nebst Apotheke und der Schulen in Marasch, auch
das Verbleiben des Hilfspersonals und der Schulkinder zugesagt.
Gleichzeitig wurde versprochen, daß die Ortsbehörden entsprechende
telegraphische Anweisung erhalten werden.

                                                            Hohenlohe.


143.

  (Bericht von Deutschen
        in Konia.)                         Konia, den 16. August 1915.

Die unterzeichneten, zurzeit in Konia ansässigen deutschen
Staatsangehörigen gestatten sich, der Kaiserlich Deutschen Botschaft
folgenden Bericht zu unterbreiten:

Seit einer Woche sind wir Zeugen der ergreifendsten Szenen, über die
sich ein Fernstehender kaum ein Bild machen kann. Täglich kommen lange
Züge mit Armeniern an, die nach ihren Aussagen aus Ismid, Adabazar und
Umgebung ausgewiesen worden sind.

Von Durchreisenden haben wir erfahren, daß diese Ausweisungsmaßregeln
schon seit Monaten in Cilicien und Nordmesopotamien zur Anwendung
kommen, und wie wir hören, soll auch in anderen Orten Anatoliens mit
den Armeniern aufgeräumt werden. Heute erhielten auch die hiesigen
Armenier den Befehl, die Stadt innerhalb acht Tagen zu verlassen.

Was wir mit unserem Bericht bezwecken, ist, gegen die jeder
Menschlichkeit zuwiderlaufende Art der Behandlung dieser Vertriebenen
Einspruch zu erheben.

Weiber und Kinder werden mit Faust- und Stockschlägen angetrieben. Auf
offenen Karren und Tatarwagen werden sie in die Nacht gejagt, und die
Unbemittelten müssen zu Fuß mit dem Rest ihrer Habe die beschwerliche
lange Reise fortsetzen.

Die des Nötigsten entbehren, müssen ihre geringen Habseligkeiten
verschleudern, ja, sie werden ihnen oftmals mit Gewalt entrissen und
gestohlen.

Wie groß die Verzweiflung ist, geht daraus hervor, daß Mütter ihre
Kinder verschenken, um sie vor dem elendesten Los zu bewahren.

Kinder, die von mitleidigen christlichen Familien angenommen wurden,
sind diesen später von den Behörden abgefordert und Türken gegeben
worden.

Hilfeleistungen von unserer Seite wurden nicht gern gesehen. Dies
erinnert uns an einen Vorfall im April d. J., wo die Unterstützung
der hiesigen amerikanischen Mission an die ca. 3000 von Zeitun
ausgewiesenen Armenier verboten wurde; dagegen wurde von keiner Seite
Einspruch erhoben, als bei den Balkanwirren von der gleichen Mission
für mehr als 500 Ltq. Betten und Wäsche von Eskischehir bis Eregli
unter den muhammedanischen Auswanderern verteilt wurden.

Der ganze Weg von hier bis hinter Aleppo gleicht einer Karawane
des Jammers und des Elends. In Ortschaften wie Karaman, Eregli und
Bozanti, wo die Bewohner selbst an Brotmangel leiden, ist das Los
der Vertriebenen unausdenkbar; sie sind einem langsamen qualvollen
Hungertode preisgegeben. Zur Kenntnisnahme erwähnen wir, daß in Bozanti
trotz einem Brotpreise von Piaster 8 per Oka solches nicht zu bekommen
ist.

In den Gebirgsgegenden diesseits und in der Ebene jenseits des
Taurus sind diese Ärmsten den schändlichen Gelüsten der halbwilden
muhammedanischen Bevölkerung ausgesetzt.

Die ganze Maßregel läuft also allem Anschein nach auf eine völlige
Ausrottung der Armenier hinaus.

Diese unmenschliche Behandlung bildet nicht nur für die Türken einen
unauslöschlichen Schandfleck in der Weltgeschichte, sondern auch für
uns Deutsche, falls wir der Sache untätig zusehen und die Vernichtung
dieses Volkes zulassen. Abgesehen davon ist dieses Vorgehen höchst
beklagenswert im Interesse der wirtschaftlichen Lage des Landes und
auch deutsche Unternehmungen werden dabei in Mitleidenschaft gezogen,
wenn dieses arbeitsame Volk zugrunde geht.

Wenn sich Unterzeichnete erlauben, der Kaiserlichen Botschaft einen
Bericht über diese Zustände zu übersenden, so tun sie dies in der
Annahme, daß diese der Kaiserlich Deutschen Botschaft nicht in vollem
Umfange bekannt sind.

Wir Deutsche, die wir hier jetzt täglich gezwungen sind, einem
unmenschlichen Treiben zusehen zu müssen, fühlen uns als Mitglieder
eines Kulturstaates inmitten eines halb zivilisierten Volkes
verpflichtet, dagegen zu protestieren.

In Erwartung, daß unsere Bitte dahin berücksichtigt wird, daß
wenigstens das Los der tausende und abertausende unschuldiger Frauen
und Kinder gemildert wird, zeichnen wir

    Hochachtungsvoll

    Willy Seeger, Leiter der Anatolischen Industrie- und
    Handelsgesellschaft, Filiale Konia. Georg Biegel,
    Mittelschullehrer. Heinrich Janson, Werkmeister. J. E. Maurer,
    Diplom-Ingenieur.

  An die Kaiserlich Deutsche Botschaft
          Konstantinopel.


144.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                          Berlin, den 18. August 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Bitte zu geeigneter Zeit und in entsprechender Form Bericht aus
Aleppo vom 27. Juli bei Pforte verwerten und Überzeugung aussprechen,
das Vorgehen gegen die Armenier widerspreche ihren Absichten und
Instruktionen.

Unsere Freunde im türkischen Kabinett werden begreifen, daß wir schon
wegen des gegen uns erhobenen Vorwurfs der Anstiftung an energischer
Unterdrückung der Ausschreitungen lebhaft interessiert sind.

                                                           Zimmermann.


145.

    Eingabe eines Armeniers.

  Deutsche Botschaft.
  (Von Msgnre Dolci übergeben.)                       Pera, 19.8.1915.

    Aus der Deportation der Armenier.

Die Katholiken von Nicomedia (Ismid) sind mit anderen Armeniern
deportiert worden. Zwei Priester und ein Teil der katholischen Armenier
sind durch einen glücklichen Zufall in Eskischehir geblieben. Nach fünf
Tagen werden sie davon fortgejagt. Wir bitten Sie, es zu erlangen,
daß diese zwei Priester und ihr Volk entweder nach ihren Städten oder
Dörfern zurückkehren, oder in Eskischehir bleiben, aber so frei wie die
dortigen katholischen Armenier.

Gegen alle Versprechungen hat man am 16. d. M. die katholischen und
protestantischen Armenier von Baktschedjik abtransportiert. Durch
einen Zufall sind fünf Nonnen und drei Priester in Nicomedia geblieben
und ihr Volk durch Eisenbahn deportiert. Wir bitten Sie, diese
Priester und Schwestern entweder nach Baktschedjik zurückzuschicken
oder nach Konstantinopel kommen zu lassen. Ebenfalls das katholische
und protestantische Volk nach seinem Dorfe zurückschicken oder in
Eskischehir aufhalten.

Den Eisenbahnbeamten Order geben, daß sie diese Unglücklichen
menschlicher behandeln.

Man gestatte uns, den Armen Almosen zu geben.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Verfügung.

Herrn Generalkonsul Mordtmann mit der Bitte, die Sache möglichst heute
noch bei Talaat befürwortend zur Sprache zu bringen.

  21. August 1915.

                                                              Neurath.


146.

    Aufzeichnung.

                                                      21. August 1915.

Ich habe heute auf dem Ministerium des Innern bei Aziz Bey (Minister
und Djambulad Bey waren nicht da) wegen Rücksendung der bereits
abtransportierten katholischen Armenier Schritte getan.

Aziz Bey wird die Sache dem Minister vortragen, und bemerkte dabei, daß
nach neuester Verfügung die katholischen Armenier von Angora und Adana
von der Vergünstigung wieder ausgenommen seien.

Ich hatte speziell gebeten, wegen der bereits nach Eskischehir und
Konia abgeführten und dort in den Konzentrationslagern internierten
katholischen und protestantischen Armenier dem Mutessarriflik
Eskischehir und Wilajet Konia telegraphische Weisungen wegen Sistierung
des Weitertransports bzw. Rücksendung der Internierten zugehen zu
lassen.

                                                            Mordtmann.

    Notiz:

                                                Pera, 23. August 1915.

Der katholische armenische Patriarch teilt mit, der Befehl, die
katholischen Armenier von der Ausweisung auszunehmen, sei rückgängig
gemacht und bittet um Verwendung.


147.

    Aufzeichnung.

                                                            23. 8. 15.

Heute Talaat Bey vorgetragen, der sich ausweichend ausdrückte.
Gleichzeitig regte ich an, die bereits nach Eskischehir und Konia
abgeschobenen Armenier protestantischen und katholischen Glaubens nicht
weiter zu transportieren und ihnen eventuell die Rückkehr in ihre
Heimat zu gestatten, und erhielt gleiche unbestimmte Auskunft.

Aziz Bey, den ich hierauf aufsuchte, um ihm die Sache wegen Eskischehir
dringend zu machen, bezweifelte sehr, daß der Minister die gewünschten
Ordres geben würde.

                                                            Mordtmann.


148.

    Telegramm.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

                                            Pera, den 24. August 1915.

    An Deutsches Konsulat, Adana.

Kürzlich hatte die Pforte das Verbleiben der katholischen und
protestantischen Armenier in ihren Wohnsitzen zugesagt, nachträglich
aber diese Vergünstigung für Angora und Adana zurückgezogen. Daraufhin
sind von hier aus Schritte getan worden, um den letzten Beschluß der
Pforte rückgängig zu machen. Ob diese Schritte Erfolg haben werden,
erscheint zweifelhaft. Bitte eventuell Drahtbericht über die dortige
Lage.

                                                            Hohenlohe.


149.

  (Oberstleutnant Stange.)               Erzerum, den 23. August 1915.

    Bericht über die Armeniervertreibungen.

Die Armenieraustreibungen begannen etwa Mitte Mai 1915. Bis dahin war
alles ziemlich ruhig geblieben; die Armenier konnten ihrem Handel
und Gewerbe nachgehen, übten ungestört ihre Religion aus und waren
im allgemeinen mit ihrer Lage zufrieden. Allerdings wurde am 10.
Februar d. J. der 2. Direktor der hiesigen Ottomanbank, ein Armenier,
gegen 6 Uhr abends auf offener Straße erschossen. Trotz angeblicher
Bemühungen der Regierung ist der Täter nie ermittelt worden; heute
ist kein Zweifel mehr darüber, daß der Anlaß zu diesem Morde ein rein
politischer war. Um die damalige Zeit wurde auch der armenische Bischof
von Ersindjan ermordet.

Gegen den 20. Mai war vom Oberkommandierenden Kamil Pascha die Räumung
der armenischen Dörfer nördlich Erzerum befohlen worden, was von den
türkischen Organen in rohester Weise ausgeführt wurde; hierüber liegt
die Abschrift eines Briefes der armenischen Dorfbewohner an ihren
Bischof vor: Die Leute wurden in kürzester Zeit von Haus, Hof und Feld
verjagt und zusammengetrieben, einem großen Teil ließen die Gendarmen
nicht die Zeit, das Nötigste zusammenzupacken und mitzunehmen.
Zurückgelassenes und mitgenommenes Gut wurde von den begleitenden
Gendarmen und Soldaten den Eigentümern abgenommen oder aus den Häusern
gestohlen. Bei dem damaligen schlechten Wetter mußten die Vertriebenen
unter freiem Himmel nächtigen; sie erhielten von den Gendarmen meist
nur gegen besondere Bezahlung die Erlaubnis, die Ortschaften zur
Besorgung von Lebensmitteln oder zur Entnahme von Wasser betreten
zu dürfen. Vergewaltigungen sind vorgekommen und tatsächlich haben
verzweifelte Mütter ihre Säuglinge in den Euphrat geworfen, weil sie
keine Möglichkeit mehr sahen, sie zu ernähren. Der deutsche Konsul ließ
mehrmals durch seine deutschen Konsulatsangestellten Brot verteilen,
und letztere sind in der Lage, über das Elend der Verjagten zu
berichten.

Es steht einwandfrei fest, daß diese Armenier fast ohne Ausnahme
in der Gegend von Mamachatun (Terdjan) von sogenannten Tschettäs
(Freiwilligen), Aschirets und ähnlichem Gesindel ermordet worden
sind, und zwar unter Duldung der militärischen Begleitung, sogar mit
deren Mithilfe. Der Wali gab diese Tatsachen -- natürlich nur in
beschränktem Umfange -- dem deutschen Konsul zu, und letzterer hat
über die Begebenheiten einen dem Gemetzel verwundet entkommenen alten
Armenier eingehend vernommen. Eine größere Anzahl von Leichen wurde vom
Konsulatsdiener Kriegsfreiwilligen Schlimme dort gesehen.

Anfangs Juni wurde mit der Ausweisung der Armenier aus der Stadt
Erzerum begonnen. Die Art und Weise, wie sie von den Regierungs-
und Polizeibehörden und deren Organen durchgeführt wurde, läßt
jegliche Organisation und Ordnung vermissen. Im Gegenteil ist
sie ein Musterbeispiel für rücksichtslose, unmenschliche und
gesetzwidrige Willkür, für tierische Roheit sämtlicher beteiligter
Türken gegenüber der ihnen tief verhaßten und als vogelfrei
angesehenen Bevölkerungsklasse. Hierüber liegt eine große Zahl von
sicheren Beispielen vor. Die Regierung tat nicht das geringste, den
Ausgewiesenen irgendwie behilflich zu sein, und da die Polizisten die
Gesinnung ihrer Vorgesetzten kannten, so taten sie auch ihrerseits
alles, was die Quälereien der Armenier vermehren konnte. Ausweisungen
wurden verfügt und wieder aufgehoben, dann die ausgestellten
Aufenthaltserlaubnisscheine von der Polizei nach wenigen Tagen wieder
abverlangt und vernichtet und neue Ausweisungsbefehle erteilt;
in vielen Fällen wurden letztere vom Abend zum Morgen gegeben.
Einsprüche und Beschwerden wurden nicht beachtet und nicht selten mit
Mißhandlungen beantwortet.

Die Regierung gab den Ausgewiesenen keinen Bestimmungsort an.
Sie ließ zu, daß die Preise der Beförderungsmittel eine fast
unerschwingliche Höhe erreichten, sie gab meist eine unzureichende
Zahl Begleitmannschaften mit, die schlecht ausgebildet waren und ihre
Pflicht, die Vertriebenen zu schützen, keinesfalls ernst nahmen, wie
sich später oft herausstellte. Und doch war es allgemein bekannt,
daß die Unsicherheit auf den Landstraßen einen hohen Grad erreicht
hatte, was die Behörde aber nicht abhielt, die Armenier hinauszujagen.
Sie sollten eben umkommen. In Trapezunt war es den Armeniern nach
erhaltenem Ausweisungsbefehl sogar verboten worden, irgend etwas von
ihrem Eigentum zu veräußern oder mitzunehmen. Der Diener des hiesigen
Konsulats, deutscher Kriegsfreiwilliger Schlimme (Schlimme hatte
eine Dienstreise im Auftrag des Konsulats über Baiburt Ersindjan
nach Trapezunt unternommen) hat selbst in Trapezunt gesehen, wie
Polizeimannschaften den an der Polizeiwache vorüberziehenden ihre
ärmlichen Bündel abnahmen.

Vorstehendes möge genügen, um einen, wenn auch nur schwachen Begriff
von der rohen Behandlung zu geben, der die Armenier ausgesetzt waren.
Zahlreiche weitere Einzelheiten stehen zur Verfügung.

Soweit es bei dem Bestreben der Regierung, die Ereignisse zu
verheimlichen oder abzuschwächen, übersehen werden kann, ist die Lage
folgendermaßen:

Von dem ersten Trupp, der am 16. Juni auf dem direkten Weg nach
Kharput abging, und der vorwiegend aus armenischen Notabeln bestand,
die ziemlich viel Gepäck mitführten, sind alle Männer mit wenigen
Ausnahmen umgebracht, was vom Wali für eine Anzahl von 13 Armeniern
zugegeben wurde. Die Frauen scheinen mit den kleinsten Kindern in
Kharput angekommen zu sein, von den erwachsenen Mädchen ist nichts
sicheres bekannt. Die übrigen Trupps wurden über Baiburt und Ersindjan
und weiter in Richtung Kemach (Euphrattal) geleitet. Sie „sollen“ im
allgemeinen glücklich durch das Euphrattal durchgekommen sein, haben
aber noch eine gefährliche Gegend auf dem Marsch nach Kharput und in
die Gegend von Urfa zu durchqueren.

Von den Armeniern von Trapezunt wurden die Männer abseits ins Gebirge
geführt und unter Mithilfe von Militär abgeschlachtet, während die
Frauen in bejammernswertem Zustande nach Ersindjan getrieben wurden.
Was weiter mit ihnen geschah ist zurzeit nicht bekannt. In Trapezunt
wurden Armenier aufs Meer hinausgefahren und dann über Bord geworfen.
Der Bischof von Trapezunt wurde vor das Kriegsgericht in Erzerum
geladen und auf der Reise dahin samt seinen Kawassen erdrosselt. Ein
armenischer Militärarzt wurde zwischen Trapezunt und Baiburt ermordet.

Die Armenier von Ersindjan wurden allesamt ins Kemach-(Euphrat-)Tal
getrieben, und dort abgeschlachtet. Es wird ziemlich glaubwürdig
berichtet, daß die Leichname auf schon vorher bereit gehaltenen Wagen
nach dem Euphrat geschafft und in den Fluß geworfen wurden. Der Bischof
von Ersindjan hat seine Glaubensgenossen begleitet und wird ihr Los
geteilt haben.

In Erzerum befinden sich nur noch ganz wenige Armenier, nachdem
die ursprünglich getroffene Anordnung, Frauen und Kinder ohne
männlichen Schutz dürften in der Stadt bleiben, wieder aufgehoben
und deren Vertreibung streng und rücksichtslos durchgeführt war.
Selbst diejenigen, deren man für Heeres- und Verwaltungsbetrieb
unbedingt bedurfte, Handwerker, Beschlagschmiede, Kraftwagenführer,
Lazarettpersonal, Bank- und Regierungsbeamte, Militärärzte wurden
planlos verschickt.

Die Entfernung der Armenier aus dem Kriegsgebiet von Erzerum war
gesetzlich zulässig und wird mit militärischer Notwendigkeit
begründet. In der Tat hatten sich die Armenier in verschiedenen
Gegenden als unzuverlässig erwiesen. Es kam zu Aufständen z. B. am
Wansee, in Bitlis und Musch.[86] Gelegentlich wurden Telegraphendrähte
durchgeschnitten und nicht wenig Fälle von Spionage kamen vor.
Andererseits hatte sich bisher die armenische Bevölkerung in Erzerum
vollkommen ruhig verhalten. Ob sie bei etwaiger Annäherung der Russen
an Erzerum weiter ruhig geblieben wären, ist zurzeit nicht mit
Sicherheit festzustellen. Alle wehrfähigen Armenier waren bis auf
einen verhältnismäßig geringen Bruchteil eingezogen. Ein besonderer
Anlaß, eine Erhebung zu befürchten, lag demnach nicht vor. Trotzdem
scheint die Regierung eine solche Furcht vor den Armeniern gehabt zu
haben, die in keinem Verhältnis zu dem machtlosen Zustande stand,
in dem sich zurzeit hier die Armenier befanden. Wenn nun auch immer
die Entscheidung über Entsendung dieses nicht ganz zuverlässigen
Elementes allein Sache des Oberkommandos ist, so dürfte doch erwartet
und verlangt werden, daß diese Maßnahme ohne Schaden für Leben und
Eigentum der Ausgewiesenen, denen persönlich nicht die geringste Schuld
nachzuweisen war, durchgeführt wurde. Hierdurch wird die Berechtigung
und Verpflichtung, einzelnen Schuldigen den Prozeß zu machen, nicht
berührt. Daß aber Hunderte und Tausende regelrecht ermordet wurden,
daß die Behörden über jedes zurückgelassene Eigentum (Häuser, Läden,
Waren, Hausrat) willkürlich verfügten -- in der armenischen Kirche
lagen Vorräte im Werte von etwa 150000 Ltq[87] -- daß überhaupt die
Entfernung in der unmenschlichsten Weise vor sich ging und Familien
und Frauen ohne männlichen Schutz vertrieben wurden, daß endlich die
zum muhammedanischen Glauben übergetretenen Armenier nicht mehr als
verdächtig betrachtet und also in Ruhe gelassen wurden, gibt zu der
Vermutung berechtigten Anlaß, daß militärische Gründe erst in zweiter
Linie für die Vertreibung der Armenier in Betracht kamen, und daß es
hauptsächlich darauf ankam, diese günstige Gelegenheit, wo von außen
her Einspruch nicht zu erwarten war, zu benutzen, einen lang gehegten
Plan, die gründliche Schwächung, wenn nicht Vernichtung der armenischen
Bevölkerung zur Ausführung zu bringen. Hierzu boten militärische Gründe
und die aufrührerischen Bestrebungen in verschiedenen Landesteilen
willkommenen Vorwand.

Dabei scheinen die Behörden den Grundsatz als berechtigt anzuerkennen,
an Unschuldigen Vergeltung zu üben für die Vergehen Schuldiger, deren
man aber nicht habhaft werden kann.

Bei der Durchführung der Ausweisungsmaßnahmen berief sich der Wali
einmal auf die Befehle des Oberkommandierenden, ein anderesmal auf
Befehle von Konstantinopel. Umgekehrt drängte der Oberkommandierende
dauernd auf rücksichtslose Beschleunigung der Austreibung und gab nicht
selten Befehle, für deren Ausführung er dem Wali die Verantwortung
zuschob, ohne ihm die Mittel zur Ausführung geben zu können oder zu
wollen. Der Oberkommandierende mußte von der Ermordung der ersten
Armenier Kenntnis haben, auch von dem Verhalten der begleitenden
Gendarmen; er kannte die Unsicherheit der Straßen, tat nichts zur
Beseitigung dieses Übelstandes und befahl trotzdem die Vertreibung der
Armenier auf eben diese Straßen. Dieses Verhalten entspricht allerdings
seiner Äußerung zum Konsul, „daß es nach dem Kriege eine Armenierfrage
nicht mehr geben werde“.

Nach allem vorgefallenem kann folgendes als sicher angenommen werden:

Die Austreibung und Vernichtung der Armenier war vom jungtürkischen
Komitee in Konstantinopel beschlossen, wohl organisiert und mit Hilfe
von Angehörigen des Heeres und von Freiwilligenbanden durchgeführt.
Hierzu befanden sich Mitglieder des Komitees hier an Ort und Stelle.

Hilmi Bey, Schakir Bey, der Abgeordnete für Erzerum, Seyfulla Bey;
außerdem hier im Amt: Der Polizeidirektor Chulussi Bey und der
Oberkommandierende Mahmud Kamil Pascha.

                                                           Stange,
                                                       Oberstleutnant.

  An die deutsche Militärmission
         Konstantinopel.


150.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 25. August 1915.
  Ankunft in Pera, den 25. August 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Djemal Pascha hat gegen den klaren Befehl des Minister des Innern, daß
protestantische Armenier bleiben dürfen, Gegenbefehl gegeben. Er ist
zunächst durch den Wali auf den Widerspruch aufmerksam gemacht worden.

                                                               Rößler.


151.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                            Pera, den 27. August 1915.

    An Deutsches General-Konsulat, Jerusalem.

Die protestantischen Armenier waren durch Verfügung der Pforte von der
Ausweisung ausgenommen. Djemal Pascha hat bezüglich Wilajet Aleppo laut
Telegramm dortigen Konsuls Gegenbefehl gegeben. Bitte, falls Djemal
Pascha dort erreichbar, auf Zurücknahme des Gegenbefehls hinwirken,
eventuell dessen Gründe feststellen[88].

                                                            Hohenlohe.


152.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                            Pera, den 27. August 1915.

    An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Ich habe Konsulat Jerusalem ersucht, bei Djemal Pascha wegen der
protestantischen Armenier vorstellig zu werden. Auf der Pforte wurde
erklärt: die Ausnahme für katholische und protestantische Armenier
bezöge sich nur auf die Stadt Aleppo, nicht auf das Wilajet.

                                                            Hohenlohe.


153.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 26. August 1915.
  Ankunft in Pera, den 27. August 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Ein seinerzeit mit Waffe vom Militär geflüchteter Armenier hat am 19.
August in Urfa bei Haussuchung drei Polizisten getötet.

Daraufhin erfolgte ein regelrechtes Massakre durch Pöbel, wobei etwa
200 Männer, Armenier und Syrer, erschlagen wurden. Die Regierung hatte
am folgenden Morgen das Heft wieder in der Hand.

                                                               Rößler.


154.

     (Kaiserliches
  Konsulat Damaskus.)

    Telegramm.

  Abgang aus Damaskus, den 26. August 1915.
  Ankunft in Pera, den 27. August 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Djemal Pascha ist auf dem Wege nach Jerusalem und nicht nach Damaskus
gekommen, ich konnte ihn daher nicht sprechen. Habe hiesigen Wali,
der heute zu ihm fährt, vom Inhalt des Telegramms vom 14. August in
Kenntnis gesetzt. Bisher sind 3000 Armenier mit Hedjasbahn nach der
Gegend von Kerak gebracht. Es sollen 60000 Armenier dorthin und nach
Hauran verschickt werden. Gegenwärtig könnten in Provinz Damaskus nach
Ansicht Sachverständiger nur für 12000 Einwanderer Unterkunft und
Unterhalt besorgt werden. Außerdem erklärt Hedjasbahn, nicht für 60000
Armenier ohne Gefährdung der Transporte für Eisenbahnbau Hedjas-Ägypten
für Getreidelieferung nach Hedjas und der Truppenbewegungen Züge
bereitstellen zu können. Bisherige Behandlung der Armenier soll seitens
der hiesigen Behörden ordentlich sein. Jedoch ist zu befürchten, daß
Armenier allmählich ein Opfer der Beduinen und Drusen in Kerak und
Hauran werden.

                                                              Loytved.


155.

     (Kaiserliches
  Konsulat Trapezunt.)

    Telegramm.

  Abgang aus Trapezunt, den 28. August 1915.
  Ankunft in Pera, den 28. August 1915.

    Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Armenier, die anfangs mit Erlaubnis des Wali zurückbleiben durften,
wie die Beamten der Ottomanbank und der Regie und alleinstehende
Frauen, werden nachts abgeschoben und anscheinend an der Stadtgrenze
ermordet. Der Wali, der machtlos ist, hat das Feld geräumt und begibt
sich für etwa drei Wochen ins Innere.

Ich darf gehorsamst anheimstellen, die Einrichtung eines Kriegsgerichts
in Trapezunt zur Untersuchung des Sachverhalts anzuregen. Von dieser
Maßnahme ist aber nur dann ein Erfolg zu erwarten, wenn die Einrichtung
für die Behörden, die Gendarmerie und das Jungtürkische Komitee
überraschend geschieht und die Mitglieder des Gerichts unabhängig genug
sind, um nicht der Versuchung einer Teilung der armenischen Beute und
der Furcht vor dem Jungtürkischen Komitee zu erliegen.

                                                             Bergfeld.


156.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                  Trapezunt, den 27. August 1915.

Bei der allgemeinen Deportation der Armenier aus Trapezunt blieben
einzelne mit der mündlichen oder schriftlichen Genehmigung des Wali
hier. Es handelt sich um die Beamten der Ottomanbank, der Tabakregie,
zwei Frauen von Beamten und einige alleinstehende Frauen. Diese werden
nun nachts abgeschoben und anscheinend unmittelbar vor der Stadt
ermordet. Der Wali von Trapezunt ist wohl Mitglied des jungtürkischen
Komitees, aber er war bestrebt, die Maßnahmen gegen die Armenier nach
Möglichkeit abzuschwächen, und bemühte sich, seine Unabhängigkeit zu
wahren. Auf seinen Einfluß dürfte die inzwischen erfolgte Abberufung
des hiesigen Inspektors und Führers des Komitees zurückzuführen sein.
Leider findet er bei seinen Beamten und den Polizeiorganen keinerlei
Unterstützung. Sie bereichern sich mit geringer Ausnahme bei der
Räumung der armenischen Häuser auf das schamloseste. So hat der Wali
gegen die Verbrecher an armenischem Leben und Eigentum nicht aufkommen
können. Andererseits müßte es seiner Natur widersprechen, machtloser
Zuschauer der von ihm gemißbilligten Übeltaten zu bleiben. Hierauf
dürfte es zurückzuführen sein, daß er das Feld geräumt und sich unter
einem unbedeutenden Vorwand auf etwa drei Wochen ins Innere begeben hat.

Die geschilderten Vorkommnisse sind nicht nur im Hinblick auf das
deutsche und das türkische Ansehen, sowie aus allgemein menschlichen
Gründen bedauerlich, sie bieten auch die Gefahr, daß die Komiteeleute
an einer derartigen mühelosen Bereicherung Gefallen finden und,
falls jetzt keine Bestrafung erfolgt, im gegebenen Moment gegen die
griechische Bevölkerung in derselben Weise vorgehen.

Bestrafung ist nur durch die Errichtung eines Kriegsgerichts in
Trapezunt zur Untersuchung und Aburteilung der Angelegenheit möglich.
Indessen wird die Stellung der Richter nicht leicht sein. Sie werden
nicht nur Versuchen von Bestechung aus der armenischen Beute ausgesetzt
sein, sondern laufen auch Gefahr, durch ein Vorgehen gegen die
Komiteeleute ihre Zukunft zu kompromittieren.

Ich habe der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel Abschrift dieses
Berichts eingereicht.

                                                    Dr. jur. Bergfeld.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


157.

    Aktennotiz.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

                                            Pera, den 31. August 1915.

Der Herr Botschafter hat am 30. August in Begleitung des Botschaftsrats
den Großwesir aufgesucht und Vorstellungen wegen des Vorgehens gegen
die Armenier erhoben.

Am 31. August morgens hat der armenisch-katholische Patriarch Seine
Durchlaucht aufgesucht, Abschrift eines allgemeinen Ausweisungsbefehls
des Gouverneurs von Adana übergeben und um Fürsprache wegen
Rückgängigmachung der die armenischen Katholiken von Adana und Angora
betreffenden Ausweisungsbefehle gebeten. Seine Durchlaucht hat sich
darauf bei Talaat Bey anmelden lassen. Dieser ist aber selbst auf die
Botschaft gekommen, um mitzuteilen, daß er diese Ausweisungsbefehle
schon rückgängig gemacht habe. Er will morgen Abschrift des
Gegenbefehls schicken. Zugleich erklärte Talaat Bey, die Maßnahmen
gegen die Armenier seien überhaupt eingestellt. „La question arménienne
n’existe plus.“

Auf Anordnung des Herrn Botschafters habe ich (telephonisch) dem
armenisch-katholischen Patriarchat (Sekretär Hoissich) mitgeteilt,
daß die Ausweisung der Katholiken aus Adana und Angora nicht mehr
stattfinden solle. Der Herr Botschafter bittet, sobald wir die
versprochene Abschrift des Gegenbefehls haben, dem Patriarchen auch
noch schriftliche Nachricht zu geben.

                                                              Göppert.


158.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 31. August 1915.
  Ankunft in Pera, den 31. August 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Auf meine Vorstellung hat gestern der Wali den Weitertransport der hier
befindlichen armenischen Protestanten aus Aintab und Marasch unter
der Hand um eine Woche verschoben, um das Ergebnis der von Euerer
Durchlaucht bei Djemal Pascha eingeleiteten Schritte abzuwarten.
Voraussichtlich trifft Djemal Pascha am 1. September in Jerusalem ein.

                                                               Rößler.



_September._


159.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                        Berlin, den 1. September 1915.

    An Deutsche Botschaft, Pera.

In Mamaret ul Aziz, Marasch und Harunije sind nach Mitteilung des
deutschen Hilfsbundes seine Anstalten infolge der Armenierverfolgung
gefährdet. Bitte dafür einzutreten, daß die Waisenkinder aus deutschen
Anstalten nicht entfernt werden.

                                                           Zimmermann.


160.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Pera, den 4. September 1915.

Talaat Bey übergab mir am 2. d. M. die in Abschrift beigefügte
deutsche Übersetzung von verschiedenen telegraphischen Befehlen, die
er in Sachen der Armenierverfolgungen an die in Betracht kommenden
Provinzialbehörden gerichtet hat. Er wollte hiermit den Beweis
liefern, daß die Zentralregierung ernstlich bemüht ist, den im Innern
vorgekommenen Ausschreitungen gegen die Armenier ein Ende zu machen
und für die Verpflegung der Ausgewiesenen auf dem Transporte Sorge
zu tragen. Mit Bezug hierauf hatte Talaat Bey einige Tage vorher mir
gegenüber die Äußerung getan: La question arménienne n’existe plus.

Die erste und die dritte Depesche tragen kein Datum; erstere dürfte am
31. August abgegangen sein.[89]

Indem ich mir weitere Berichterstattung vorbehalte, darf ich bemerken,
daß nach einem Telegramm des Kaiserlichen Konsulats in Trapezunt dort
noch in den letzten Tagen des August eine Anzahl bisher verschonter
Armenier (darunter Beamte der Ottomanbank, der Regie und Frauen) nachts
abgeschoben wurden und in der Nähe der Stadt umgebracht sein sollen.
Ebenso wird vom hiesigen armenisch-katholischen Patriarchat auf Grund
der Aussagen von Reisenden berichtet, daß die Armenier von Angora
(hauptsächlich Katholiken), darunter der katholische Erzbischof mit
seinem Klerus und mehreren Ordensschwestern am 30. August von Angora
abgeschoben und in einiger Entfernung sämtlich getötet worden seien.

                                                            Hohenlohe.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


Anlage 1.

  (Osmanisches Ministerium
        des Innern.)

    Depesche.

    An die Provinzialbehörden von:

  Hudawendigiar, Angora, Konia, Ismid, Adana, Marasch, Urfa, Aleppo,
  Zor, Siwas, Kutahia, Karassi, Nigde, Mamuret ul Aziz, Diarbekr,
  Karahissar, Kaissarijeh, Erzerum.

Da die Kaiserliche Regierung durch die Versetzung der Armenier aus
ihren Wohnstätten in die im voraus bestimmten Zonen das alleinige
Ziel verfolgt, die regierungsfeindliche Tätigkeit und Unternehmung
dieser Nationalität zu verhindern, sowie dieselbe außerstand zu
setzen, ihren nationalistischen Bestrebungen bezüglich der Schaffung
eines armenischen Staates nachzujagen, nicht aber deren Vernichtung,
so wurde endgültig beschlossen, alle Maßregeln zur Beschützung und
Beköstigung der Kolonnen während der Abführung zu treffen und alle
übrigen Armenier, mit Ausnahme derjenigen, welche bereits aus ihren
Wohnorten entfernt sind und ihre weitere Versetzung erwarten, sowie
gemäß der bereits erfolgten Mitteilung die Soldatenfamilien, eine den
Bedürfnissen entsprechende Zahl von Handwerkern und die Armenier von
der katholischen und protestantischen Gemeinde künftighin von ihren
Wohnorten nicht auszuweisen.

Es wird hierdurch erklärt, daß gegen alle Personen, welche die
Kolonnen angreifen, Räubereien begehen und durch ihre bestialischen
Triebe Schandtaten verüben würden, samt ihren Mithelfern, sowie gegen
alle schuldigen Beamten und Gendarmen zu ihrer strengen Bestrafung
unverzüglich das gerichtliche Verfahren eingeleitet werden wird.
Diejenigen Beamten, welche sich schuldig gemacht haben, müssen genannt
werden. Bei Wiederholung solcher Missetaten werden die Wilajet- und
Livabehörden dafür verantwortlich gemacht.


Anlage 2.

  (Osmanisches Ministerium
        des Innern.)

    Depesche vom 16. August 1331 (29. August 1915).

    An das Wilajet Konia.

Für die in Eregli befindlichen armenischen Auswanderer müssen Brot und
Oliven besorgt und verteilt, sowie Zwieback bereitgestellt werden. Die
erforderlichen Spesen bekanntgeben, damit die nötige Summe von hier aus
abgeschickt wird.


Anlage 3.

  (Osmanisches Ministerium
        des Innern.)

    Depesche.

    An die Provinzialbehörden zu:

  Ismid, Eskischehir, Kutahia, Karahissar, Hudawendigiar, Konia,
  Angora, Adana, Aleppo.

Hierdurch sind Sie beauftragt, für die Armenier, welche sich bereits
in den Haltestellen befinden und für solche, die von den weiteren
Haltestellen hingeführt werden sollen, auf drei oder vier Tage Brot zu
besorgen und alle Maßregeln zu treffen, damit sie auf dem Wege nicht
Not leiden.


161.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                          Pera, den 7. September 1915.

    An Deutsches Konsulat, Trapezunt.

  Antwort auf das Telegramm vom 28. August.

Kürzlich (angeblich am 29. August) hat die Pforte den meisten
Wilajeten, allerdings mit Ausnahme Trapezunts, eröffnet, daß
Gewalttaten gegen deportierte Armenier gerichtlich geahndet und im
Wiederholungsfalle die Provinzialbehörden dafür zur Verantwortung
gezogen werden sollen. Die Botschaft hat eine deutsche Übersetzung
dieses Rundtelegramms erhalten. Ich bitte, Näheres über die
gemeldeten Vorfälle festzustellen und, falls sie sich bestätigen,
die Aufmerksamkeit des Wali in geeigneter Form auf das erwähnte
Rundtelegramm zu lenken.

                                                            Hohenlohe.


162.

     (Kaiserliches
  Konsulat Trapezunt.)

    Telegramm.

  Abgang aus Trapezunt, den 8. September 1915.
  Ankunft in Pera, den 9. September 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Von Schritten bei dem Wali, welcher noch nicht zurückgekehrt und
dem jungtürkischen Komitee gegenüber machtlos ist, verspreche ich
mir keinen Erfolg. Werde den Auftrag gleichwohl ausführen, bitte
aber inzwischen das erwähnte Rundtelegramm der Pforte der hiesigen
Provinzregierung zukommen zu lassen.

                                                             Bergfeld.


163.

     (Kaiserliches
  Konsulat Jerusalem.)

    Telegramm.

  Abgang aus Jerusalem, den 9. September 1915.
  Ankunft in Pera, den 9. September 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

  Antwort auf Telegramm vom 27. August.

Djemal Pascha erklärte, daß Talaat Bey bestimme, in welcher Ausdehnung
die Ausweisung stattfände, während er -- Djemal Pascha -- lediglich für
die militärischen Ausführungen der vom Minister des Innern erlassenen
Verfügungen zu sorgen habe.

                                                              Schmidt.


164.

  (Kaiserlich Deutsches
    Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 9. September 1915.
  Ankunft in Pera, den 9. September 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Regierung hat seit einigen Tagen anscheinend allgemeine Weisung
erteilt, daß die Armenier, die noch in ihren Wohnsitzen sind, dort
belassen werden. Die als verdächtig Bezeichneten werden aber doch
verschickt. Unter den Emigranten in Aleppo ist die Zahl der täglichen
Todesfälle von 25 auf 40, dann auf 60 gestiegen. Hier herrscht
Dysenterie, auf anderen Stationen wütet der Typhus. Die Etappenstraßen
der Armee sind in Gefahr, verseucht zu werden. Es liegt daher im
militärischen Interesse, daß die Emigranten ärztliche Behandlung
erhalten.

Die Zahl der Hungerleidenden wird immer größer. Hilfe in irgend
einer Gestalt wird immer dringender, z. B. Geldüberweisung durch den
Patriarchen.

                                                               Rößler.


165.

   (Kaiserliches
  Konsulat Adana.)

    Telegramm.

  Abgang aus Adana, den 10. September 1915.
  Ankunft in Pera, den 10. September 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die von der Pforte der Kaiserlichen Botschaft gemachte Mitteilung vom
31. August bezüglich der Armenier ist lediglich eine dreiste Täuschung,
weil nachher die Pforte auf Betreiben des hierher entsandten Inspektors
An Munif Bey diese Verfügung vollkommen aufgehoben hat. Die Behörden
handeln selbstredend nur nach der zweiten Weisung und fahren mit der
Ausweisung ohne Unterschied des Bekenntnisses fort. Die Zahl der auf
Order ermordeten Armenier übersteigt hier wahrscheinlich schon die
Masse der Opfer der jungtürkischen Massakres von 1909[90]. Es ist
möglich, daß die nichtdeutsche Presse trotz der bisher von türkischen
Konsuln veranlaßten Dementis den Greueln näher treten wird.

Übrigens hatte der hiesige Komiteeführer, wenn die Armenier nicht
deportiert würden, mit allgemeinem Christenmassakre gedroht.

                                                                 Büge.


166.

 Schreiben des Militärkommissars an die Bauabteilung III der Bagdadbahn.

  Commissariat Militaire.

                                   Alep le 28 Août, 10 Septembre 1915.

      Monsieur l’Ingénieur en Chef,

La quatrième Armée ayant été informée que certains Ingénieurs et
Employés du Chemin de Fer de Bagdad prennent les photographies de vue
de transports des Arméniens, Son Excellence, Djémal Pacha, Commandant
en Chef de l’Armée, a donné ordre afin que ces Ingénieurs et Employés
remettent de suite et dans le délai de 48 heures, au Commissariat
Militaire tous les clichés des photographies avec toutes les copies
qu’ils ont pris. Tous ceux qui ne remettront pas ces photographies
seront soumis aux punitions et jugés comme ayant pris des photographies
sur le champ de guerre sans autorisation.

Veuillez, je vous prie, donner les instructions nécessaires en
conséquence à qui de droit et agréez, Monsieur l’Ingénieur en Chef,
l’assurance de ma parfaite considération.

                                         pr. le Commissaire Militaire.
                                                    Nizami.


167.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                    Pera, den 11. September 1915.

Der Kaiserliche Konsulatsverweser Holstein telegraphiert unter dem 9.
d. M. aus Mossul, daß nach den von anderer Seite bestätigten Angaben
türkischer Truppen, die auf dem Marsche von Djezireh nach Bagdad
durch Mossul kamen, etwa eine Woche vorher Banden von Kurden, die zu
diesem Zwecke von dem Deputierten von Diarbekir angeworben waren,
unter Duldung der Ortsbehörden und Teilnahme des Militärs die gesamte
christliche Einwohnerschaft der Stadt Djezire (Wilajet Diarbekr)
niedergemetzelt haben.

Die Bevölkerung von Djezireh wurde im Jahre 1891 auf etwa 10000
Seelen geschätzt, von denen die Hälfte Muhammedaner (darunter über
2000 Kurden); die andere Hälfte setzte sich zusammen aus 4750
Armeniern (2500 Gregorianern, 1250 Katholiken, 1000 Protestanten), 250
katholischen Chaldäern und 100 syrischen Jakobiten.

Dieser Vorfall sowie die bereits gemeldeten Vorfälle in Trapezunt
und Angora stehen in offenem Widerspruch mit den kürzlich vom
Ministerium des Innern erlassenen Weisungen, die hoffen ließen, daß
die Armenierverfolgungen und die damit im Zusammenhange stehenden
Ausschreitungen nunmehr aufhören würden.

                                                            Hohenlohe.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


168.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                         Pera, den 12. September 1915.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Bereits vor einiger Zeit hat die Kaiserliche Botschaft wegen der
Anstalten des Deutschen Hilfsbundes wiederholt Schritte bei der Pforte
getan mit folgendem Ergebnis:

Pfarrer Ehmann drahtete am 10. September aus Mamuret:

„Die Witwen- und Waisenarbeit mit über 450 Pfleglingen ist bis jetzt
ohne ernste Störungen fortgesetzt worden. Sämtliche Schulgebäude
und ein Waisenhaus sind seit sechs Monaten mit Militär belegt,
der Schulbetrieb ist daher eingestellt. Mehr als die Hälfte des
Lehrpersonals hier; Tagesschüler mit den Familien sind größtenteils
ausgewiesen. Die Wiedereröffnung unserer Schulen in früherem Umfang mit
türkischer und deutscher Unterrichtssprache wäre erwünscht.“

Das Kaiserliche Konsulat in Aleppo drahtete unterm 7. September:

„Die Anstalten in Marasch werden weiter betrieben; das deutsche und
armenische Personal sowie die Schüler bleiben.“

Was Harunijeh betrifft, so gab der Minister des Innern Anfang
August den Befehl, die deutschen Waisenanstalten in keiner Weise zu
belästigen. Auf meine diesbezügliche telegraphische Anfrage hat das
Kaiserliche Konsulat in Adana noch nicht geantwortet.

                                                            Hohenlohe.


169.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 12. September 1915.
  Ankunft in Pera, den 13. September 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Hiesiger Wali versteht die Instruktionen der Pforte dahin, daß nur
solche Protestanten und Katholiken nicht mehr verschickt werden sollen,
die noch nicht von ihrem Wohnsitz deportiert sind. Dagegen will er die
von auswärts in Aleppo angesammelten, nicht nur Altarmenier, sondern
auch Protestanten und Katholiken, weiterverschicken. Erbitte gehorsamst
Erwirkung erneuter klarer Befehle, daß sie allgemein da bleiben dürfen,
wo sie sind. Eile ist geboten.

                                                               Rößler.


170.

   (Kaiserliches
  Konsulat Adana.)

    Telegramm.

  Abgang aus Adana, den 13. September 1915.
  Ankunft in Pera, den 13. September 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die gegen die Armenier getroffenen Maßregeln sind verschärft worden:
Witwen, Waisen und Soldatenfamilien, selbst Kranke und Blinde sollen
sofort abreisen! Das Konsulat wird von Hilfe suchenden Frauen umlagert.

Ich bitte gehorsamst um Bescheid, ob Aussicht besteht, daß diese
Verfügung rückgängig gemacht wird.

                                                                 Büge.


171.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                               Konstantinopel, den 15. September 1915.

    An Deutsches Konsulat, Adana.

Antwort auf das Telegramm vom 13. September.

Der Minister des Innern sagte zu, heute nach Adana zu telegraphieren,
daß die erwähnten Kategorien von der Verschickung ausgenommen werden.

                                                            Hohenlohe.


172.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 14. September 1915.
  Ankunft in Pera, den 14. September 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Da die Türken nicht imstande sind, die organisatorische Aufgabe der
Massenernährung zu lösen, muß trotz des Befehls der Pforte, die
Deportierten zu ernähren, die Mehrzahl mit der Zeit verhungern. Wenn
noch irgend eine Hoffnung besteht, auf die Entscheidungen der Pforte
Einfluß auszuüben, so stelle ich gehorsamst anheim, dafür einzutreten,
daß wenigstens die Protestanten und Katholiken da bleiben dürfen, wo
sie sich aufhalten.

                                                               Rößler.


173.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                         Pera, den 16. September 1915.

    An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Antwort auf Telegramm vom 14. September.

Der Notstand der armenischen Auswanderer in Aleppo ist von mir erneut
auf der Pforte zur Sprache gebracht worden. Talaat Bey hat materielle
Hilfe zugesagt, sich jedoch gegen das Verbleiben von Katholiken und
Protestanten ausgesprochen.

                                                            Hohenlohe.


174.

  (Auswärtiges Amt.)                   Berlin, den 22. September 1915.

    An die Deutsche Botschaft, Pera.

Auf den Bericht vom 11. d. M.

Ich darf annehmen, daß Euere Exzellenz die gemeldeten Ausschreitungen
gegen die christliche Bevölkerung der Stadt Djezireh bei der
Pforte zur Sprache gebracht haben. Nötigenfalls bitte ich, erneut
und in entschiedener Weise dahin vorstellig zu werden, daß die
Zentralregierung ihren zum Schutz der christlichen, insbesondere
armenischen Bevölkerung an die Provinzialbehörden erlassenen Weisungen
Nachdruck verleiht und deren Ausführung streng überwacht.

                                                           Zimmermann.


175.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                    Pera, den 25. September 1915.

Weitere Meldungen der Kaiserlichen Konsuln in Adana und Aleppo
bestätigen, daß die bekannten telegraphischen Weisungen der Pforte,
um das Los der ausgesiedelten Armenier zu verbessern, infolge der
verschiedenen Ausnahmen, die die Pforte selber von vornherein und
nachträglich von den gewährten Vergünstigungen gemacht hat, und durch
die Willkür der Provinzialbehörden, ihren Zweck zum größten Teil
verfehlt haben.

Wie Herr Dr. Büge unter dem 13. d. M. berichtet, sollten in Adana
Witwen, Waisen, Soldatenfamilien, selbst Kranke und Blinde verschickt
werden.

Gleichzeitig meldet Herr Rößler aus Aleppo, daß trotz des Befehls der
Pforte, die Deportierten mit Nahrungsmitteln zu versehen, die Mehrzahl
derselben an Hunger zugrunde gehen müßten, da die Behörden nicht
imstande seien, eine solche Massenernährung zu organisieren.

Letzthin ging von Herrn Rößler noch das folgende Telegramm vom 18. d.
M. ein:

„Lange Züge fast verhungerter armenischer Frauen und Kinder sind dieser
Tage vom Osten zu Fuß hier eingetroffen und weiter transportiert,
soweit sie nicht alsbald hier starben.

Der Befehl der Pforte, die noch an ihrem Wohnsitz befindlichen
zu belassen, wird illusorisch, da jeder beliebige als verdächtig
bezeichnet werden kann. Davon wird vielfach Gebrauch gemacht.

Entgegen dem Befehl werden Soldatenfamilien nicht ausgenommen. Auch
schwer Kranke werden unbarmherzig abtransportiert.

Transporte erfolgen neuerdings auch wieder nach Mossul und Der es Zor.

Trotz gegenteiliger Versicherung der Pforte läuft alles auf Vernichtung
des armenischen Volkes hinaus.

Armenier haben mich gebeten, Ew. Durchlaucht dies noch einmal
vorzustellen.“

Talaat Bey, den ich auf diese Zustände habe aufmerksam machen lassen,
hat zwar bereitwilligst Abhilfe zugesagt; ich glaube indes kaum, daß
die Befehle der Zentrale eine wesentliche Besserung in der Lage der
ausgesiedelten Armenier herbeiführen werden.

                                                            Hohenlohe.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


176.

  (v. Tyszka.)                 Konstantinopel, den 30. September 1915.

    Die türkischen Maßregeln zur Vernichtung der Armenier.

In den Wilajets von Smyrna und Adrianopel beläßt man die Armenier,
ebenfalls zum Teil in Konstantinopel. In allen anderen Provinzen sind
die Armenier nach Aleppo, Mossul, Der es Zor und anderen Orten verbannt
worden, wo sie nicht eingetroffen sind. Der frühere Deputierte Zohrab,
einer der bedeutendsten Anwälte in Konstantinopel, ist auf dem Wege von
Alexandrette nach Urfa gestorben, der Deputierte Wartkes in Diarbekr,
wohin er verbannt war, nicht eingetroffen.

Die Walis von Smyrna, Rahmi Bey, und von Adrianopel, Hadji Adil Bey,
haben erklärt, die Armenier nicht ausweisen zu wollen. Zum Bericht beim
Minister des Innern eingetroffen, sind beide bei ihrem Entschlusse
geblieben. Auch ein Zeichen von Unstimmigkeit im Komitee. Talaat ist
extrem, was er wollte, geschah bisher. Rahmi hat mehr gelernt als
Talaat, ist mehr in der Welt herumgekommen, ein praktischer aber
auch humaner Charakter, dessen klares Urteil als Deputierten über
verschiedene politische Fragen von mir wiederholt eingeholt wurde. Er
hat großen Anhang im Komitee.

Im allgemeinen schenkt man alarmierenden Gerüchten in der Türkei
wenig Aufmerksamkeit, weil man weiß, daß viel übertrieben wird, aber
auch weil man der heutigen Regierung möglichst viel Armfreiheit
gewährt. Die heutige Regierung ist ganz zu Unrecht in den Geruch einer
liberalen gekommen. Sie ist alles eher als dieses, sie ist absoluter,
diktatorischer als die Abdul Hamids war. Die Presse ist geknebelt und
kennt nur das Lob der jetzigen Machthaber.

So sprach man von strengen Maßregeln, die die Regierung gegen die
Armenier wegen des Aufstandes in Wan in Anwendung brachte, als von
einer gerechten Selbsthilfe, zu der der Staat greifen muß, um Ordnung
zu schaffen. Die Schuld der Armenier erschien um so größer, als sie
sich im Pakt mit dem Nationalfeinde, dem Russen, befanden, die der
armenischen revolutionären Erhebung in Wan Vorschub leisteten.

Daß die Regierung mit eiserner Hand eingreift und niederzwingt, was
sich loslösen will, ist ihr gutes Recht, denn das Land besteht aus
vielen disparaten Elementen, die nur auf eine passende Gelegenheit
warten, es den Armeniern nachzutun, und nichts wirkt nachteiliger, als
Schwäche zu zeigen, wo nur Kraft das Ansehen der Regierung stärken
kann. Aber sie muß, wenn der Freiheitsmantel nicht zum Popanz werden
soll, eine Grenze, eine Beschränkung kennen und darf nicht statt
Schuldige zu strafen, Unschuldige und Wehrlose vernichten, weil sie zur
Rasse der Empörer gehören.

Es handelt sich heute um Opfer, wie sie die an Gewaltakten wahrlich
nicht arme türkische Geschichte noch nicht kennt. Das ist eine
erschütternde Wahrheit, die Hilfe erheischt von Jedem, der zu helfen
imstande ist.

Ob die Opfer, die die Armenier gebracht haben, 500000 übersteigen
oder nicht erreichen, ist im Prinzip gleichgültig. Was ins Gewicht
fällt, ist die Ruhe und Selbstverständlichkeit, die bei der Verfolgung
vor sich geht und von einem Selbstdünkel zeugt, der jeder fremden
Einmischung spottet.

Es waren nicht Armenier, die meine tiefere Beschäftigung mit Ursachen
und Folgen der Handlung der türkischen Regierung wachriefen, als
Vertreter des Rechts und der Humanität zu erscheinen, es waren
türkische Senatoren des hiesigen Senats, Männer von größtem Verdienst
und tadellosem Charakter, die Ekel empfanden über Taten, die ihre
Regierung mit unerschütterlicher Ruhe und Selbstverständlichkeit
ausübte.

Als dann ein armenischer intimer Freund von mir, ein Zivilinspektor
im Ministerium des Innern, der 26 Jahre lang als Conseiller légiste,
als Vertreter von Gouverneuren und Generalgouverneuren, Agop Hamamdjan
Effendi, mit großem Eifer und unerschütterlicher Loyalität beschäftigt
war und plötzlich ohne Pension aus dem Dienst entlassen wurde, da
verlangte ich Aufklärung, da dem ersten Schritte bald ein zweiter,
vernichtender für das Leben einer Familie folgen konnte.

Von dem mir befreundeten Direktor im Ministerium des Innern, Hassan
Fehmy Bey, bekam ich unter dem 14. September d. J. folgenden Bescheid:

„Die Ehrlichkeit Ihres Freundes steht außer Zweifel. Nur infolge einer
angenommenen, allgemein gültigen Maßregel wird er in den Ruhestand
versetzt.“

So lautet der Verlegenheitsausweis; denn der Mann ist der fähigste,
beste Arbeiter und, wie auch amtlich erklärt wird, von erprobter
Ehrlichkeit. Er hat aber eine zahlreiche Familie, ist ihr einziger
Ernährer und kann jeden Augenblick nach außerhalb versandt werden,
woher er nicht zurückkehrt.

Am 20. d. M. erklärte mir Hassan Fehmi Bey, daß der Minister
Talaat Bey alle Armenier aus dem Ministerium des Innern entfernen
wolle, da die türkischen Beamten nicht mehr mit ihnen arbeiten
wollen. Diese türkische Weigerung könne aber nur schädlich auf den
Dienstbetrieb wirken und fortgesetzt weitere Schwierigkeiten in der
inneren Verwaltung im Gefolge haben. So habe denn der Minister des
Innern entschieden, alle Armenier in seinem Ressort ohne Ansehen
der Person aus dem Dienste zu entlassen. In der inneren Verwaltung
hätten die Armenier mehr als in jedem anderen Ministerium die
Gelegenheit, gemeinsam Pläne zu schmieden und Empörungen anzuzetteln.
Mit den Armeniern müsse aufgeräumt werden, denn sie haben einen
unversöhnlichen, rachsüchtigen Charakter, und da sie mutig sind, seien
sie gleichzeitig ein staatsgefährliches Element.

Auf meinen Einwand, daß in anderen Ministerien, wie in denen der
Justiz, der Finanzen, der öffentlichen Arbeiten, der Forsten und
Landwirtschaft, wie auch im Conseil d’Etat, sich doch ebenfalls
Armenier befänden, erhielt ich zum Bescheide, daß mit den Armeniern
reiner Tisch gemacht werden müsse. Es müßte im Ministerium des Innern
der Anfang gemacht werden, mit der Zeit würden auch die anderen
Staatsbehörden folgen.

Es ist mithin in der Türkei beschlossene Tatsache, aus allen
staatlichem Zweigen die Armenier zu entfernen und das osmanische Reich
auf rein türkischer Grundlage weiter zu bauen.

Der türkische Plan, alle Armenier aus den Provinzen fortzujagen und
sie in Mesopotamien anzusiedeln, ist alten Datums. Die Türken trauten
den Armeniern nicht als russischen Grenznachbarn. Ein Anstoß, die
Vertreibung der Armenier durchzuführen, war durch die Erhebung in Wan
gegeben. Einem Mann von so eisernem Willen wie Talaat Bey, der zu dem
extremsten Schritte neigt, wenn er ihn für richtig hält, sich von
Niemandem beeinflussen läßt und jede Art der Ausführung für gut hält,
wenn sie ihn zum Ziele bringt, einem solchen Mann war mit der Erhebung
in Wan die Vertreibung der Armenier zur Notwendigkeit geworden.

Welche Ungerechtigkeiten und Härten dabei unterlaufen, gilt gleich.
Talaat Bey ist Optimist par excellence, insbesondere bezüglich seiner
eigenen Entschlüsse. Wie er heiteren Sinnes dekretiert, so nimmt er
gleichmütig alle Beschwerden entgegen. Bis vor kurzem, anfangs dieses
Jahres, galt das armenische Element als das zuverlässigste, ja das
allein zuverlässige von den christlichen Elementen in der Türkei.
Man las es in allen Zeitungen, und die türkischen Großwürdenträger
bestätigten es bei allen sich bietenden Gelegenheiten.

Seit dem März hat sich die Änderung vollzogen, so allgemein, so
bestimmt, als ob die Türken bisher nicht gewußt hätten, wie gefährliche
Nattern sie am Busen gewärmt hätten.

Wo keine Erfahrung die Handlungen reguliert und bestimmt, da gibts
nur Willkür und Unstätigkeit. Djemal Pascha, als Marineminister, war
der eifrigste Förderer des türkisch-französischen Komitees. Auch dem
Todfeinde, den Russen, sollten goldene Brücken gebaut werden. Take
Jonesku, der vielgenannte rumänische Minister des Innern, war der
vertrauteste Freund Talaat Beys.

Was können die Armenier im allgemeinen für ein Interesse haben, sich
von den Türken loszureißen? Sie haben keinen Anschluß, wie Bulgaren,
Griechen und Serben in der Türkei an ihr Königreich und sehen zu
klar, um den Russen zu trauen. Die Waffen aber, die die Türken bei
den Armeniern fanden, waren großenteils dieselben, die sie von den
Türken 1908 erhielten, damit sie dem Komitee bei der Verteidigung
gegen die Reaktion Helferdienste leisten konnten. Wenn die Türken
aber den Armeniern, die an der russischen Grenze echeloniert waren,
nicht trauten, warum schaffte man sie mit derselben Härte wie an der
russischen Grenze aus Jalova, Angora, Brussa, Kastamuni fort? Aus
diesen Orten sind allein 250000 Armenier vertrieben. In 48 Stunden
hatten sie ihre Wohnungen zu verlassen und in die Verbannung nach
Aleppo, Zor, Hama, Mossul, ja nach dem Hauran zu gehen.

Nichts war geschehen seitens der türkischen Regierung, um die
Vertriebenen an den Ort ihrer Verbannung zu befördern. Die Bahnzüge
waren durch den Truppentransport besetzt. Kein Armenier fand dort
Platz. Für die Sicherheit auf dem Wege war keine Fürsorge getroffen.

Die Tschettäs, die alten Baschiboschuks vom Kriege 1877/78, waren
wieder da, wo billig Beute zu machen und zu morden war, ohne dabei
etwas zu riskieren. So tapfer der türkische Soldat ist und so
menschlich er fühlt, wenn er nicht religiös aufgestachelt wird,
so feige und unmenschlich ist der Irreguläre. Daß die Tschettäs
von Jungtürken angestiftet und geführt wurden, wird mit Sicherheit
behauptet.

In den Plätzen, wo Massakres der armenischen Bevölkerung stattfanden,
wie in Baiburt, Marasch, Schabin-Karahissar, Angora, Malatia, wurden
die Männer von der Familie getrennt. Was die Weiber in der Eile
zusammenraffen konnten, führten sie mit sich. Die Tschettäs folgten
den Zügen der Wehrlosen, beraubten, vergewaltigten und töteten, wie es
ihnen beliebte. Ein türkischer Oberstleutnant, der an den Dardanellen
kämpft und mit kurzem Urlaub in der Hauptstadt eintraf, erzählte
weinend, was ihm seine Verwandten aus Trapezunt und Siwas über die
türkischen Massakres an den Armeniern geschrieben hatten.

Von der hohen armenischen Geistlichkeit weiß man heute nur, daß der
Bischof von Smyrna am Leben ist, mit der Ermordung der meisten anderen
fürchtet der Patriarch rechnen zu müssen. Was mit den armenischen
Kirchen, mit den durch Jahrhunderte gesammelten Schätzen in den Kirchen
geschehen ist, weiß niemand. Jede Anfrage des armenischen Patriarchen
beim Minister des Innern bleibt ohne Antwort.

Die Türken lassen sich gern loben. Zu früherer Zeit hörten sie das Lob
und freuten sich darüber, ohne daß das Lob eine nachhaltige Wirkung auf
ihr Verhalten ausübte. Heute nehmen die Jungtürken alles Lob für bare
Münze und sonnen sich an ihrer Unfehlbarkeit.

Es ist wirklich Zeit, daß die so gänzlich überflüssigen Lobhudeleien
den Türken gegenüber eingestellt werden. Will man doch in den höheren
Schulen in Hessen die türkische Sprache als Lehrgegenstand einsetzen.
Dies zu einer Zeit, da man durch die Straßen irrt, ohne sich durch
die rein türkischen Inschriften der Schilder zurecht zu finden und
die Türken alle Bescheinigungen über angekommene Wertsendungen dem
Europäer bis auf seinen Namen in türkischer Sprache schicken, so daß
man nicht wissen kann, ob man der Empfangsberechtigte ist, oder nicht.
Man darf in der Sentimentalität doch nicht zu weit gehen und den an
Größenwahn Leidenden nicht immer neuen Stoff für ihren unberechtigten
Dünkel zuführen. Ein inspirierter Artikel des „Hilal“ verlangt, daß
deutsche Professoren, die auf der hiesigen Universität dozieren
wollen, nicht ihre Dolmetscher aus der Heimat mitbringen, sondern sie
hier suchen und, um mit Erfolg zu lehren, sich bemühen müßten, das
Türkische so zu erlernen, daß sie die Lehrgegenstände in dieser Sprache
vortrügen. Ein anderer Leitartikel des „Hilal“ stellt Enver Pascha an
Dispositionsfähigkeit, Willenskraft und genialer Ausführung auf gleiche
Stufe mit Hindenburg.

Ohne Voreingenommenheit sehen die Dinge aber ganz anders aus. Die
Expedition nach dem Suezkanal mußte versagen, da sie zu unrichtiger
Zeit und mit ungenügenden Mitteln, als dem Mangel an schweren
Geschützen und an Lasttieren, Kamelen, deren Lieferung man sich
rechtzeitig beschaffen mußte, unternommen war.

Im arabischen Irak wurden die Türken durch den englischen Vormarsch
überrascht und hatten von den langen Vorbereitungen zur Expedition
seitens der Engländer in Basra keine Kenntnis. Die Expedition nach dem
Kaukasus erfolgte mit ungenügend bekleideten Truppen, deren Bedürfnisse
nicht gedeckt waren. Der Typhus, dem ein Armeekorps an Zahl zum Opfer
fiel, war auf die schweren Strapazen zu schieben, die den Truppen ohne
Grund und ohne Resultat zugemutet wurden. Wan ist noch in den Händen
der Russen, die auch in der Nähe von Erzerum sind. Zum Schutz der
Dardanellen ist viel geschehen. Die Truppen sind gut ausgerüstet und
werden gut verpflegt. Nach den außerordentlichen Resultaten daselbst,
die sich vor den Augen Europas vollziehen, wird die Kraft der Türkei
beurteilt. Und doch lägen die Dinge auch dort anders, wenn dort nur
Türken kommandierten. Die Bravour der Truppen tut es nicht allein. Die
Türken sind keine Systematiker. Die meisten Generale verstehen nicht zu
befehlen, sie können den Unterführern nicht in die Hand arbeiten. Sie
bedürfen des Lehrers, der ihnen zeigt, wie der einzelne nur im Rahmen
des Ganzen mit Erfolg tätig sein kann und ihnen daher den Blick für
eine Offensive eröffnet, die ihnen noch fremd ist. Deutsche Arbeit kann
hierbei Großes schaffen. Ihr unvergeßlicher alter Lehrmeister v. d.
Goltz Pascha müßte noch einmal die Zügel in seine feste Hand nehmen und
Einheitlichkeit in das ganze Getriebe bringen.

Enver Paschas Verdienst um die Ausstattung dieser türkischen
Musterarmee an den Dardanellen soll gewiß nicht verkleinert werden;
er hat geschaffen, was guter Wille und Fleiß und Aufgehen im Berufe
schaffen kann. Ohne die Deutschen wäre es aber nicht so gegangen, wie
es gegangen ist.

                                                      v. Tyszka,
                                                Zeitungskorrespondent.


177.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                         Pera, den 30. September 1915.

    An Auswärtiges Amt.

Bis Mitte September war die Anstalt in Harunijeh in ungestörtem
Betrieb, obschon die armenischen Lehrer wiederholt mit Ausweisung
bedroht wurden. Auf Intervention der Botschaft war die Pforte geneigt,
die armenischen Lehrer und das Dienstpersonal dort zu belassen, während
der Wali auf Ausweisung bestand; schließlich ist die Belassung der
Lehrer unterm 25. September von der Pforte telegraphisch angeordnet
worden.

                                                            Hohenlohe.



_Oktober._


178.

  (Auswärtiges Amt.)

    Notiz.

                                              Berlin, 1. Oktober 1915.

Dem türkischen Botschaftsrat wurden heute eindringlich alle Argumente
vor Augen geführt, die für schonende Behandlung der armenischen
Bevölkerung in der Türkei sprechen. Durch Verfolgung und Vernichtung
des armenischen Elementes, das einer der Hauptträger von Handel und
Gewerbe in der Türkei sei, würde die Türkei selbst wirtschaftlich aufs
schwerste geschädigt. Die Nachrichten über die Armenierverfolgungen
erregten nicht nur im feindlichen, sondern auch im neutralen Auslande
großes Aufsehen und seien für das Ansehen der türkischen Regierung
abträglich. In Deutschland selbst beginne in philantropischen Kreisen
lebhafte Beunruhigung sich bemerkbar zu machen.

Edhem Bey versprach, mit dem Botschafter zu sprechen und auch nach
Konstantinopel zu berichten. Er gab zu, daß es zu Ausschreitungen
gekommen sei, wenn auch die im Auslande verbreiteten Nachrichten stark
übertrieben seien. Bis zum Frühjahr dieses Jahres habe ein durchaus
gutes Verhältnis zwischen Armeniern und Türken bestanden, was um so
erklärlicher sei, als ja die Armenier während der Revolutionszeit mit
dem Komitee sympathisiert hätten und gemeinsam mit ihm gegen das alte
Regime vorgegangen seien. Der Umschwung sei erst im April eingetreten,
als es während des türkischen Vormarsches nach Aserbeidschan zu einer
Armenierrevolte im Rücken des türkischen Heeres gekommen sei, bei der
nicht weniger als 180000 Muhammedaner umgebracht worden seien[91]. Es
sei nicht verwunderlich, daß die Muhammedaner hierfür Rache genommen
hätten. Der Abtransport der Armenier ins Innere sei aus militärischen
Gründen und im Interesse der Selbsterhaltung der Türkei notwendig
gewesen. Wenn es dabei zu Übergriffen gekommen sei, so würden diese von
der Zentralregierung durchaus gemißbilligt. Bei den großen räumlichen
Entfernungen und den primitiven Verhältnissen des Reichs sei die
Zentralregierung leider nicht immer in der Lage, Ungeschicklichkeiten
und Nachlässigkeiten unterer Behörden zu verhindern.

                                                            Rosenberg.


179.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                       Pera, den 5. Oktober 1915.

Der Dr. med. Roupen Tschilinguirian, eine in den hiesigen armenischen
Kreisen bekannte Persönlichkeit, wurde mit vielen anderen Armeniern
am 24. April d. J. verhaftet, um nach Anatolien verbannt zu werden.
Ursprünglich sollte er nach Ajasch bei Angora verschickt werden, wo
die schwerer belasteten Persönlichkeiten untergebracht und zum Teil in
Polizeihaft gehalten wurden. Auf diesseitige Verwendung wurde er in
Tschangri (Kiangri) interniert, wo sich die Verbannten frei bewegen und
ihren Berufen nachgehen konnten.

Frau Dr. Tschilinguirian[92] und ihre Mutter, Frau Apell, haben dann
Schritte unternommen, um für den Genannten die Erlaubnis zur Rückkehr
hierher und zur Übersiedelung nach Deutschland zu erwirken. Die
türkischen Behörden lehnten indes beides ab, weil sie -- wie aus den
Äußerungen der betreffenden Beamten hervorging -- den Dr. T. für einen
jener „Intellektuellen“ hielten, deren Einfluß auf die Massen sie
fürchteten. Wie Frau Apell hier angab, hatte zwar der Polizeipräfekt
Bedri Bey geäußert, daß dem Dr. T. unter genügender Garantie für sein
Wohlverhalten die Reise nach Deutschland gestattet werden könnte, doch
hat Bedri Bey, als er von einem Beamten der Kaiserlichen Botschaft
darüber befragt wurde, jede dahingehende Äußerung in Abrede gestellt.

Schließlich versuchten noch die beiden Damen für den Dr. T. die
Erlaubnis zu erwirken, seinen Aufenthalt in Angora zu nehmen, als hier
am 26. August ein Telegramm von ihm einging, daß er denselben Tag nach
Ajasch überführt werden sollte. Das Ministerium des Innern gab auf
die diesseitigen Schreiben hin sofort telegraphische Anweisung, den
Genannten in Tschangri zu belassen bzw. ihn dorthin zurückzubefördern.
In Beantwortung dieses Telegramms meldete dann der Gouverneur von
Tschangri unter dem 30. August, daß der Dr. T., nachdem er am 26.
desselben Monats Tschangri verlassen hatte, in der Nähe von Kaledjik
von Wegelagerern angefallen und umgebracht worden war, sowie daß 4 von
der aus 12 Individuen bestehenden Bande durch die Behörden festgenommen
waren.

                                                     In Vertretung
                                                 Freiherr von Neurath.

  An den Herrn Reichskanzler.


180.

    Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 9. Oktober 1915.
  Ankunft in Pera, den 9. Oktober 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Der armenischen Bevölkerung Urfa droht Verschickung, hat aber
beschlossen, den Greueln des Verschickunsgtodes sofortiges Ende
vorzuziehen und sich verbarrikadiert. Fachri Pascha soll selbst in Urfa
sein, hat Armenierviertel blockiert und Zerstörung durch Artillerie
angeordnet. Fortschritte der türkischen Truppen sollen bisher gering
sein. Deutsche in Urfa wohlbehalten.

                                                             Hoffmann.


181.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Abgang aus Pera, den 13. Oktober 1915.
  Ankunft in Berlin, den 14. Oktober 1915.

Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Von Seiner Heiligkeit dem Papst ist an den Sultan ein Handschreiben
gerichtet worden, in welchem dessen Mitleid für die verfolgten
Armenier in Anspruch genommen wird. Monsignore Dolci war von der Kurie
beauftragt, dem Sultan das Handschreiben in besonderer Audienz zu
übergeben. Da die Pforte in der päpstlichen Kundgebung eine Kritik
ihrer eigenen Politik erblickte und den Standpunkt einnahm, daß,
solange die diplomatischen Beziehungen nicht hergestellt seien, der
päpstliche Delegierte nicht offiziell vom Sultan empfangen werden
könne, hatten seine Bemühungen bisher keinen Erfolg. Auf Bitte
Dolcis habe ich dem Großwesir vorgestellt, daß gerade das päpstliche
Handschreiben der Pforte Gelegenheit biete, in ihrer Antwort den
türkischen Standpunkt zu der Armenierfrage darzulegen. Der offizielle
Empfang des Delegierten durch den Sultan werde überall den Eindruck
hervorrufen, als ob die diplomatischen Beziehungen im Begriff ständen,
hergestellt zu werden oder hergestellt seien.

Der Großwesir ließ sich überzeugen und stellte in Aussicht, daß Audienz
gewährt werde.

                                                           Wangenheim.


182.

  Deutsche Realschule in Aleppo.         Aleppo, den 15. Oktober 1915.

Als Lehrer einer deutschen Schule, der sich ein weites Feld der
Tätigkeit eröffnet hat, halten wir Unterzeichneten es für unsere
Pflicht, das Auswärtige Amt auf die traurige Wirkung hinzuweisen, die
diese hoffnungsvolle Arbeit durch die Gräßlichkeiten erleidet, die sich
in der Austreibung der Armenier tagtäglich vor unseren Augen abspielen.

Wir wollen nicht bei den blutigen Greueln verweilen, mit denen die
Wegführung der Armenier aus ihrem Gebirgslande zu beginnen pflegt; den
Tausenden von Männern, die abgesondert oder manchmal vor den Augen
der ihrigen abgeschlachtet wurden; nicht bei den zahllosen Mädchen,
Frauen und Kindern, die der Schändung oder der Verstümmelung durch
ihre Wächter und deren Spießgesellen anheimfielen und deren nackte
Leichen an den Wegen liegen, die die immer neuen Scharen der Verbannten
wandern müssen; nicht bei den unsäglichen Roheiten, dem Verdursten, dem
Hunger, die die übriggebliebenen, meist bis aufs letzte ausgeplünderten
Witwen und Waisen dezimierten, ehe sie, oft zu Gerippen geworden, hier
anlangen, um dann vielleicht -- eine von sechs, die auszogen -- auf
einem ähnlichen Leidenswege ohne Existenzmöglichkeit wieder in die
Wüste geschickt zu werden, auf daß der armenische Name verschwinde.

Das alles, nehmen wir an, wird dem Auswärtigen Amt durch seine
Vertreter hier im Lande bekannt sein.

Dagegen sei uns erlaubt, einen kleinen Ausschnitt aus dem Massenelend
dieser Volksvertilgung zu beleuchten, einen Ausschnitt, der uns
dicht unmittelbar neben unserer Schule, nur durch eine schmale Gasse
getrennt, entgegentritt.

Es ist da ein alter großer Chan, den die türkischen Behörden den
Armeniern für ihre Vertriebenen, besonders die schwer Kranken, zur
Verfügung gestellt haben. Also eine Art Krankenhaus, sollte man meinen.
Treten wir durch den engen, schmalen Gang ein.

Einige Gewölbe, mit elenden, ausgemergelten Gestalten, in Lumpen
gehüllt, auf der nackten Erde, bestenfalls auf einigen ärmlichen Resten
ihrer fahrenden Habe gelagert. Frauen und Kinder. Hin und wieder ein
Greis. Das Mannesalter fehlt.

Wir treten auf den Hof. Er ist ein einziger Abort geworden. Am
Rande, vor jenen Gewölben, Haufen von Kranken, Sterbenden, Toten,
durcheinander in ihrem Unrat liegend. Millionen Fliegen auf den
erschöpften Kranken und auf den Leichen. Stöhnen, Wimmern, hier und
da ein Schrei nach dem Arzt, eine Klage wegen der von Hunderten von
Fliegen gepeinigten Augenhöhlen. Neben der nackten Leiche eines Greises
zwei Kinder, die ihre Notdurft verrichten.

Wir steigen über den mit Exkrementen bedeckten Hof in ein Gewölbe.
Ein Dutzend Kinder, halb verhungert, stumpf; einige sterbende -- oder
tote? -- darunter. Keiner nimmt sich ihrer an. Aus einer finsteren
Nische wurde eine halbverweste Knabenleiche hervorgezogen, auf die
man erst durch den Verwesungsgeruch aufmerksam geworden war. Da sind
Waisen, deren Mütter in diesen letzten Tagen in diesen Räumen starben.
Kein Arzt erscheint hier. Keine Arznei bringt Linderung. Auch sie
sind einem schrecklichen Tode geweiht. Sie werden verhungern. Die
Regierung liefert diesem „Krankenhause“ Linsen oder Burgul (eine
Art Weizenschrot), oder schwarzes Soldatenbrot. Der geschwächte
Magen dieser elenden, oft Wochen, ja Monate durch wasserlose Hitze
getriebenen Geschöpfe verträgt solche Nahrung nicht mehr, die ohnehin
nicht entfernt hinreichen würde. Dysenterie, Entkräftung, Typhus folgen.

Inzwischen sind Lastträger mit Särgen erschienen. Ein Teil der in
den letzten Tagen Gestorbenen wird, wie sie sind, hineingelegt, zum
nächsten Kirchhof getragen, in das Massengrab entleert. Der Transport
mit Särgen (die bloße Traggelegenheit sind) genügt nicht; sterben doch
täglich 100 bis 150 der hierher gelangten Überlebenden; auf Lastwagen
werden die Leichen ladungsweise abgefahren; eine Plane deckt das
Schlimmste. Beine, ein Kopf hier und da, baumeln herunter, wie der
Karren über die Straße rattert.

Unmittelbar neben dem Schauplatz dieser Szenen sind wir deutschen
Lehrer gezwungen, unsere Schüler einzuführen in deutsche Kultur.
Sie haben vielleicht auf dem Gange zur Schule einen solchen Wagen
voll Leichen gekreuzt oder das Stöhnen der elenden Opfer aus dem
offenen Fenster der Gewölbe gehört oder sind von den Jammergestalten
angebettelt worden, die, um Luft zu schöpfen, auf die enge Straße
hinausgekrochen sind, aber in ihrer Schwäche sich nicht wieder haben
zurückschleppen können, und die nun fliegenbedeckt und sterbend auf der
Straße liegen.

In welcher Stimmung sollen die Schüler, wenn sie Armenier sind, sich
von uns, ihren Lehrern, in Geschichte und Heimatkunde, in Religion u.
a. unterweisen lassen, wenn in den der Schule benachbarten Höfen ihre
Volksgenossen verhungern?!

Ja, glaubt man, daß die muhammedanischen Kinder nicht irre werden,
wenn sie angesichts solcher Bilder unsere Lehren hören? Gibt es
doch zahllose, anständige Muhammedaner, die dieses Massenmorden an
unschuldigen Frauen und Kindern voll Abscheu als Sünde wider die Gebote
Gottes des Barmherzigen verurteilen und, nicht fassend, daß ihre
eigene Regierung die Urheberin solcher sündhaften Greuel sein könne,
in den Deutschen die Urheber suchen. Gräßliche Flecken drohen hier dem
Ehrenschilde Deutschlands in der zukünftigen geschichtlichen Erinnerung
der morgenländischen Völker!

Es ist nicht unsere Sache, die politische Berechtigung der Vertreibung
der Armenier aus ihrem Gebirgslande zu erörtern. Darauf aber wollen und
müssen wir mit lauter Stimme hinweisen: daß die deutsche Schularbeit
bei der Fortdauer dieser gräßlichen Art der Vertreibung in Form eines
Massenmordens an Frauen und Kindern, eines Massenmordens, wie es die
Geschichte wohl noch nicht erlebt hat, in diesem Lande einen nicht
wieder gut zu machenden Schaden erleidet.

Wir haben die Zuversicht zu dem Auswärtigen Amt, daß es seinem Einfluß
gelingt, diesem schmählichen Morden noch in letzter Stunde Halt zu
gebieten und uns deutsche Lehrer von der Scham zu befreien, die uns
der Verdacht der Mittäterschaft schon jetzt hier -- bei Christen und
Muhammedanern -- wie aber später erst in der ganzen Welt! -- täglich
mehr auf der Seele lasten läßt.

                                               Oberlehrer Dr. Niepage.


Die Darstellung des Kollegen Dr. Niepage übertreibt in keiner Weise.
Wir atmen hier seit Monaten Leichengeruch und leben unter Sterbenden.
Nur die Hoffnung auf ein baldiges Ende des himmelschreienden Zustandes
erlaubt uns noch, an der Schule weiter zu arbeiten, und der Wille, der
hiesigen nichttürkischen Bevölkerung mit unseren schwachen Hilfskräften
zu beweisen, daß wir Deutsche persönlich nichts mit den entsetzlichen
Methoden dieses Landes zu tun haben.

                                             Schuldirektor Huber.
                                             Eduard Graeter, Dr. phil.
                                             Marie Spieker.

  An das Auswärtige Amt, Berlin.


183.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

    Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

  Abgang aus Pera, den 15. Oktober 1915.
  Ankunft in Berlin, den 15. Oktober 1915.

Der amerikanische Botschafter, Herr Morgenthau, mit welchem ich den im
englischen Oberhaus und in der feindlichen Presse gegen die deutsche
Regierung und die deutschen konsularischen Vertreter in der Türkei
erhobenen Vorwurf der Begünstigung der Armenierverfolgungen besprochen
habe, betonte wiederholt, er wisse genau, daß deutscherseits alles
geschehen sei, um Ausschreitungen zu verhindern und um die türkische
Regierung von ihrem Vorgehen gegen den unschuldigen Teil der Armenier
abzubringen. Auch sei ihm aus Berichten seiner Konsuln bekannt, daß
sich die deutschen Konsuln stets und überall der Armenier angenommen
haben.

                                                           Wangenheim.


184.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 15. Oktober 1915.

Der Inhalt der hierher gelangten Meldung über die Metzeleien von
Djezireh ist seinerzeit dem Ministerium des Innern mitgeteilt worden,
das angeblich keine Kenntnis von diesen Vorfällen hatte. Als der
Minister kürzlich von neuem darüber interpelliert wurde, erklärte er,
daß er die fraglichen Nachrichten in Abrede stellen müsse; in der
Türkei kämen keine Massakres vor. Aus dieser wenig befriedigenden
Antwort dürfte zu schließen sein, daß es tatsächlich in Djezireh zu
Ausschreitungen gekommen ist und die Pforte durch ein Dementi sich
unbequemen Erörterungen entziehen zu können glaubt.

                                                           Wangenheim.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


185.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 18. Oktober 1915.
  Ankunft in Pera, den 19. Oktober 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Gestern wurde Räumung der Stadt von verschickten Armeniern
(20000) binnen 14 Tagen angeordnet. Einstweilen Sammlung in
Konzentrationslagern außerhalb der Stadt. Südlich Taurus soll
Eisenbahn nicht mehr zur Verschickung benutzt werden. Familien ohne
eigene Fuhrmittel werden zu Fuß abtransportiert. Jede Familie soll
ein Kamel für Gepäck erhalten, welches aber notgedrungen oftmals
zurückbleibt. Nach Angabe des Direktors der politischen Angelegenheiten
des Wilajets sind bei Radju und Katma 40000 konzentriert. Weitere
Scharen aus West-Mittel-Nord-Anatolien im Anzug. Zur „Ansiedelung“
nach Süden (westlicher Hauran, Rakka, Der-es-Zor) weitergesandt
300000. Diese werden nach genanntem Beamten am Ziel notgedrungen sich
selbst überlassen und „werden alle sterben“; die Regierung hätte
„vielleicht“ im Frieden Ansiedlung fertiggebracht, obwohl Ansiedlung
von Muhammedanern vielfach ebenso gescheitert, habe aber jetzt weder
Geld noch Beamte. Jedenfalls fehlt zur Ansiedlung alles und jedes,
für Konzentrationslager werden weder Zelte noch ausreichendes Mehl,
noch Brennmaterialien geliefert; verschickten Bauern sind von Behörde
selbst Hacken, Spaten abgenommen. Allgemeine Überzeugung, daß
sämtliche Verschickte dem Tode verfallen. Einverständnis Deutschlands
mit diesem Massenmord wird übrigens nicht nur von gesamten Christen,
sondern, teils billigend, teils aber auch mißbilligend, von
muhammedanischer Bevölkerung des Landes angenommen.

                                                             Hoffmann.


186.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 18. Oktober 1915.
  Ankunft in Pera, den 19. Oktober 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Seit heute wird bemittelten Armeniern Benutzung Bahn oder eigenes
Fuhrwerk behufs Selbstansiedelung gestattet. Wenn unsererseits noch
Eindämmung dieses schon rein wirtschaftlich betrachtet unsinnigen
Massenmordes beabsichtigt und möglich sein sollte, so käme in Frage:
1. Belassung aller, die noch nicht verschickt sind, vor allem auch
der ansässigen Bevölkerung Aleppos (die ebenfalls Verschickungsorder
fürchtet), sowie derjenigen Verschickten, die feste Wohnung in Städten
gefunden. 2. Sofortige Organisation der Ansiedlung unter Opferung
bedeutender Mittel; dabei stärkere Heranziehung der Städte wie
Damaskus, Hama, Homs, sowie ihrer Umgebung, eventuell nur vorläufig der
leichteren Unterbringung halber. 3. Gestattung Auswanderung.

Nachdem die Pforte selbst kürzlich zahlreiche feindliche Ausländer aus
Syrien (Urfa) ausgewiesen, dürften militärische Bedenken unerheblich
sein.

                                                             Hoffmann.


187.

  (Auswärtiges Amt.)

                                         Berlin, den 20. Oktober 1915.

Der Verweser des Kaiserlichen Konsulats in Erzerum hat mir Abschrift
des der Kaiserlichen Botschaft unter dem 5. August d. J. erstatteten
Berichts über die Armenierfrage eingereicht.

Ich bin mit der Haltung des Kaiserlichen Vertreters in Erzerum zur
armenischen Frage einverstanden und kann es nur begrüßen, wenn er sich
der armenischen Bevölkerung nach Möglichkeit angenommen hat. Ebenso
stimme ich dem von ihm geplanten Versuche zu, durch Anbahnung einer
Verständigung zwischen den türkischen Vertretern und den Führern der
Daschnakzagan-Partei einen erträglichen Modus vivendi herzustellen.

Ew. Exzellenz bitte ich Herrn von Scheubner-Richter entsprechend zu
bescheiden.

                                                           Zimmermann.

   Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
  Herrn Freiherrn von Wangenheim, Konstantinopel.


188.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                    Aleppo, den 25. Oktober 1915.

Euerer Exzellenz beehre ich mich auf die in der „Westminster
Gazette“[93] gegen mich erhobenen Beschuldigungen, ich hätte die
türkische Bewegung gegen die Armenier geleitet und ermutigt, in der
Anlage mit dem Anheimstellen geeignet scheinender Verwendung zwei
Briefe zu überreichen, welche dartun, wie die amerikanische Mission
in Marasch über meine Wirksamkeit in dieser Stadt aus Anlaß meiner
Dienstreise vom 28. März bis 10. April d. J. gedacht hat. Der erste
dieser Briefe ist an den deutschen Missionar Herrn Blank gerichtet. Der
Verfasser E. C. Woodley ist englischer Staatsangehöriger (Kanadier)
und befindet sich noch jetzt an der Spitze der amerikanischen Mission
in Marasch. Der zweite Brief ist vom Vorstand der Mission, an erster
Stelle wieder von Herrn Woodley an mich selbst gerichtet und drückt
mir den Wunsch aus, dahin zu wirken, daß Herr Blank zum deutschen
Konsularagenten in Marasch ernannt werde; offenbar in der Überzeugung,
daß damit auch den amerikanischen Missionsinteressen gedient sein
würde. Es hätte nicht geschehen können, wenn die Amerikaner und in
erster Linie Mr. Woodley nicht volles Vertrauen zu meinen Bestrebungen,
mildernd zu wirken und unnötiges Unheil abzuwenden, gehabt hätten. Ein
Beweis auch für die Stärke der europäischen Kulturgemeinschaft, deren
Empfindung unter den besonderen Verhältnissen von Marasch trotz des
Weltkrieges sich geltend machte. Beide Äußerungen der Mission sind
spontan erfolgt und in keiner Weise von mir hervorgerufen worden.
Ich bedurfte solcher Äußerungen nicht und konnte nicht voraussehen,
daß sie von mir einst noch zur Abwehr feindlicher Verleumdungen
gebraucht werden könnten. Wenn die Missionare nicht die Ernennung
eines Konsularagenten ihrer eigenen Nationalität herbeizuführen
bestrebt waren, so geschah es, weil sie eine prinzipielle Entscheidung
der amerikanischen Regierung kannten, nicht einen Missionar zum
Konsularagenten zu ernennen.

Je eine der Abschriften ist vom hiesigen amerikanischen Konsul
beglaubigt.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
       Herrn Freiherrn von Wangenheim.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Abschriftlich nebst 2 Originalanlagen

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg
    gehorsamst vorgelegt.

                                           Pera, den 9. November 1915.
                                                    Neurath.


Anlage 1.

    Le Matin.
    Les Allemands Assassins.

  Londres, 30 Septembre. -- On mande du Caire au Times:

„Plusieurs consuls allemands ont dirigé ou encouragé les massacres des
Arméniens.

„On cite notamment M. Roessler, consul à Alep, qui s’est rendu à
Aintab pour diriger en personne des massacres, et le fameux baron
Oppenheim[94], qui a donné l’idée de transporter les femmes et les
enfants appartenant aux nations alliées à Ourfa, sachant bien que ces
malheureux ne pourraient éviter d’y voir les actes barbares commis par
les troupes dans les rues mêmes de la ville qui sont littéralement
inondées de sang.“ (Havas.)


Anlage 2.

    (Reuter-Telegramm.)

                           Amsterdam, den 7. Oktober, 8 Uhr 44 Min. N.

Wie Reuter meldet, beschäftigte sich gestern englisches Oberhaus
mit böser Lage der Armenier. Lord Cromer sagte, daß nicht weniger
als 800000 getötet seien. Obschon er keine direkten Beweise für
Deutschlands Mitschuld habe, sei es doch infolge großen Einflusses
auf Türkei zweifellos dafür verantwortlich. Lord Crewe erklärte,
daß es nützlich sei, wenn Tatsachen der ganzen Welt bekanntgegeben
werden, soweit diese amtlich bestätigt seien, und hinzufügte, daß
Regierung keine amtliche Bestätigung von Deutschlands Mitschuld
erhalten könnte. Daß aber deutsche Konsularbeamte in Kleinasien nicht
nur zugesehen, sondern zu diesen Greueltaten kräftig aufgemuntert
haben, sei aus Berichten amerikanischer Augenzeugen ersichtlich, und
aus dem, was Deutsche an anderen Stellen getan haben, sei es nicht
unwahrscheinlich, daß ihre Mitschuld auch hier in Frage kommt. Lord
Crewe, der Vorsitzende des Ausschusses ist und Untersuchung leitet,
gab dann noch einige Greueltaten zur Kenntnis, so wurden z. B. in
Trapezunt gesamte Bevölkerung armenischer Abstammung in Booten auf See
geführt und ertränkt. Daß Gesamtzahl Opfer 800000 betrage, sei ihm sehr
wahrscheinlich.


Anlage 3.

                                                      March 31st 1915.

  Dear Herr Blank,

Let me congratulate your Consul, through you on the success thus far
since coming to Marash. There is a distinct improvement in the general
condition, which we are very ready to attribute to his influence. We
hope he will be able to remain here long enough to secure that any
pledges given to him will be faithfully carried out. Kindly express our
gratitude to him.

                                         With kind regards

                                                       Yours cordially
                                                        E. C. Woodley.


Anlage 4.

                                              Marash, April. 2nd 1915.

  Mr. Rößler, Consul of the Imperial German Government at Aleppo,
    Marash.

  Sir,

We desire to express our sense of the value of your present visit to
Marash and that its results may be permanently secured, venture to
approach you with the hereafter mentioned request.

It is unnecessary for us to set forth here the critical state of
affairs in Marash, in recent weeks, inasmuch as you are fully
acquainted with it. We rejoice that your influence has already made
itself felt for good. Our fear, however, is that, when the restraint of
your official presence is removed, the former conditions will return.
We feel very strongly that there should be some official representative
or representatives of Foreign Powers in Marash, at least until a more
normal state obtains.

No one knows the situation here better than Mr. Karl Blank, and in view
of this fact, we desire to prefer the following request.

As members of the American Mission we would unitedly request you to use
your influence to secure the appointment of Mr. Blank as an official
representative in Marash[95], of the Imperial German Government,
promising to support him in every way possible in any action he
may take for the safeguarding of all the interests of the various
communities here.

Trusting that this request may meet with your approval, and expressing
again our gratitude for what you have already done to secure better
conditions here, we remain

                                              Yours respectfully
                                        The American Mission in Marash
                                        E. C. Woodley, Chairman
                                        James K. Lyman, Vice-Chairman
                                        Kate E. Ainslie, Secretary.


Anlage 5.

  Central Turkey College
    Aintab, Turkey-in-Asia.

                                             Aleppo, December 9, 1915.

    Hon. Walter Rößler, Imperial German Consul, Aleppo.

  Sir,

Replying to your note of the 4th inst, I have the honour to state that
no disturbances have occurred in Aintab[96].

                                                         Respectfully
                                                        J. E. Merrill.



_November._


189.

  (Hauptquartier.)

    Telegramm.

  Abgang aus Pleß, den 3. November 1915.
  Ankunft in Berlin, den 4. November 1915.

    Der Kaiserliche Gesandte an Auswärtiges Amt.

General von Falkenhayn hat folgendes Telegramm an Enver Pascha
gerichtet:

„Die Entwickelung der Kriegslage läßt es möglich erscheinen, daß
Leistung auf den nach Syrien und Mesopotamien führenden Bahnen bis aufs
äußerste gesteigert werden muß. Erbitte Ihre Unterstützung, daß den
Bahngesellschaften die Erhaltung ihres geschulten Personals erleichtert
wird, die durch Deportierung der armenischen Angestellten während des
Krieges schwer gefährdet werden würde.“

                                                             Treutler.


190.

    (Kaiserliches
  Konsulat Mossul.)

    Telegramm.

  Abgang aus Mossul, den 4. November 1915.
  Ankunft in Pera, den 5. November 1915.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Gestern ist Halil Bey mit seinem Stab hier angekommen. Er selbst muß
infolge Erkrankung einige Tage das Bett hüten. Ein Oberst seines
Stabes erklärte mir soeben, man müsse auch in Mossul die Armenier
niedermachen, was zu tun er die Absicht habe; er werde sich auch durch
mich davon nicht abhalten lassen; die Deutschen verleugneten ihre
Freundschaft für die Türken, da sie diese an der Exekution gegen die
Armenier verhindern wollten.

Es sind dringend sofortige ganz energische Befehle an Halil Bey
geboten, auf jeden Fall weitere Massakres zu verhindern.

Morgen oder übermorgen werden die Truppen Halils, die im Norden
massakriert haben, hier erwartet.

                                                             Holstein.


191.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                           Pera, den 5. November 1915.

    An Deutsches Konsulat, Mossul.

Antwort auf Telegramm vom 4. November.

Kriegsminister ist sofort vom Minister des Auswärtigen ersucht worden,
die dortige Militärbehörde telegraphisch anzuweisen, sie solle nichts
gegen die Armenier unternehmen.

                                                              Neurath.


192.

  Auswärtiges Amt.                       Berlin, den 6. November 1915.

Der abschriftlich anliegende Bericht des der Roten-Kreuz-Expedition
angehörenden deutschen Arztes Dr. Neukirch aus Erzindjan über die
Armenierfrage wird zur gefälligen Kenntnisnahme ergebenst übersandt.

                                                         (Stempel.)
                                                      Auswärtiges Amt.

      An den Kaiserlichen Geschäftsträger
  Herrn Freiherrn von Neurath, Konstantinopel.


Anlage.

  Rote Kreuz-Expedition.                Erzindjan, den 5. August 1915.

Die armenische Frage ist für Erzindjan zunächst erledigt. Außer wenigen
von der Regierung zurückbehaltenen Handwerkern ist kein einheimischer
Armenier mehr hier. Schaue ich auf meine bisherigen Mitteilungen
zurück, so glaube ich genau genug das Gehörte von dem selbst Gesehenen
unterschieden zu haben. Will man sich allerdings nur auf Gesehenes
beschränken, so bleibt wenig übrig, da bei den eventuellen Massakres
Fremde auf alle Fälle ferngehalten werden. Wie solche Dinge hier
vorgehen, wissen die Kenner der Armenierunruhen genügend. Andererseits
ist schwer festzustellen, was an den Erzählungen, die man täglich
hört, wahr ist. Immerhin schien es, mangels anderer Quellen nötig, die
Dinge so zu notieren, wie ich es getan habe. Nach dem, was in letzter
Zeit hier zu sehen war, sind Schritte, die die Ausweisung der Armenier
humaner gestalten sollten, und über die wir naturgemäß nichts Näheres
wissen, von Erfolg gewesen.

Während früher elende Horden von armen Weibern und Kindern ohne Habe
vorbeigetrieben wurden, nur von wenigen Bewaffneten geleitet, hatten
später die Leute, die vorbeikamen, auch Lasttiere und Vieh mit sich.
Zuletzt kamen die Einwohner von Erzerum in riesigen wohlausgerüsteten
Ochsenwagenkarawanen vorbei. Die Leute (offenbar auch die Männer
vollzählig) sahen sehr gut aus, reisten in kleinen Märschen und waren
durch äußerst zahlreiche Gendarmen unter Führung von Offizieren
geschützt.

Den größten der Züge begleitete ein hoher Beamter, der Mutessarrif
von Bajasid, persönlich. Die Leute bezogen in der Ebene von Erzindjan
ein Zeltlager und zogen nach etwa einer Woche weiter. Das Verdienst
für diese sachgemäße Beförderung der Erzerumer Armenier hat offenbar
der dortige Wali, Tahsin Bey. Es ist zu bedauern, daß die hiesige
Lokalbehörde anders verfahren ist. -- Auch die Vorgänge in Trapezunt
sollen nach guter Quelle bedauerlich gewesen sein. Die Leute aus der
dortigen Gegend kamen zu Fuß und mit wenig oder keiner Habe hier durch.

Die Beziehungen der Expedition zu Behörden und Bevölkerung sind
gut. Dagegen werden die Armenier uns mit der Verantwortung für das
Geschehene belasten wollen.

Zusammenfassung.

Es hat eine vollkommene Entfernung aller Armenier aus diesem Lande
stattgefunden, offenbar als Antwort auf die Verrätereien in Wan. In den
ersten Wochen sind fraglos schwerste Mißgriffe vorgekommen, späterhin
ist die Sache für orientalische Verhältnisse ziemlich geordnet
verlaufen. Massakres haben hier offenbar seit Mitte Juni nicht mehr
stattgefunden.

Die wirtschaftlichen Folgen sind unübersehbar.

                                                         Dr. Neukirch.


193.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                    Aleppo, den 8. November 1915.

Die Verschickung der Armenier ist um die Mitte Oktober zu einem
gewissen Höhepunkt gelangt, so daß ihre Ausdehnung zu überblicken und
der Moment geeignet war, einen zusammenfassenden Überblick zu geben.

Ich fahre hier in der Schilderung einiger Ereignisse fort und darf
eine allgemeine Bemerkung vorausschicken. Ranke sagt in seiner
Weltgeschichte bei Besprechung der Politik Karls des Großen gegen die
Sachsen:

„Man dürfte nicht leugnen, daß die Strenge der Gesetze einen Widerstand
gegen dieselben hervorrufen mußte. In Verwickelungen dieser Art tritt
das immer ein. Die Maßregeln, die man ergreift, um den Ausbruch der
Opposition zu verhüten, sind geeignet, denselben zu erwecken.“

Dieser Satz dürfte zutreffen auf die Politik der türkischen Regierung,
die seit den Massakres des Jahres 1895 von Schwankungen abgesehen,
im großen und ganzen gegenüber den Armeniern verfolgt worden ist.
Er dürfte insbesondere auch auf die letzten Ereignisse zutreffen.
Die Regierung hat Vorbeugungsmaßregeln von einer in der Geschichte
selten vorkommenden Härte gegen die Armenier ergriffen und hat dadurch
Widerstand an zwei verschiedenen Stellen hervorgerufen, in Suedije
und in Urfa[97]. Die Kämpfe in Suedije (von 6 Dörfern aus der Nähe
Antiochiens) haben damit geendet, daß die Aufständischen sich in
einer versteckten Bucht, gedeckt durch das Feuer eines feindlichen
Kriegsschiffes mit Frauen und Kindern in einer Seelenzahl, die von
armenischer Seite auf 5000 angegeben wird[98], an Bord eingeschifft
haben. Rechnet man bei dieser ländlichen Bevölkerung den sehr hohen
Prozentsatz von 10 Prozent als waffenfähig, so käme man auf 500 Mann.
Trotz dieser Tatsache und trotz der schließlich bewerkstelligten
Verbindung mit einem feindlichen Kreuzer, liegt kein Beweis dafür vor,
daß der Bezirk von vornherein an Aufstand gedacht hat. Er ist vielmehr
durch die drohende Verschickung zum Widerstand getrieben worden.

Auch für den Armenieraufstand in Urfa ist es nicht erforderlich,
Einwirkung von außen anzunehmen. Von Wan und Diarbekr zugewanderte
mögen geschürt und sich an die Spitze gestellt haben, es genügte
aber, daß die Urfaleute die Vorbeugungsmaßregeln der Regierung, die
Verschickung und den damit verbundenen Untergang ihres Volkes und
jedes Einzelnen vor Augen hatten, um den Entschluß des Widerstandes
hervorzurufen. Der Ausbruch des Kampfes ist dann durch die Schuld der
Armenier selbst herbeigeführt worden. Im einzelnen haben sich die
Ereignisse etwa folgendermaßen abgespielt.

Nach der am 19. August erfolgten Niederschießung einer Patrouille und
dem sich daran anschließenden Massaker ist nichts weiter erfolgt,
nicht einmal eine Untersuchung gegen die Mörder der Patrouille. Ende
September ereignete sich wieder eine Schießerei im Armenierviertel,
von welcher nichts weiter bekannt geworden ist, auch nicht, gegen
wen sie gerichtet war. Als am nächsten Tage die Regierung eine
Gendarmeriepatrouille aussandte, um den Vorfall zu untersuchen, wurde
diese zum Teil niedergeschossen. Die Armenier verbarrikadierten
darauf ihren Stadtteil. Er wurde zunächst von den in Urfa vorhandenen
etwa 60 oder 80 Gendarmen umstellt. In den ersten Oktobertagen
traf ein Bataillon ein, am 4. Oktober Fakhri Pascha, am 5. Oktober
ein zweites Bataillon mit 2 Feldgeschützen. Eine Aufforderung zur
Übergabe lehnten die Armenier, unter denen die Zahl der Verteidiger
auf etwa 2000 geschätzt wird, ab. Am 6. Oktober begann der Kampf,
der sich vornehmlich auf drei Verteidigungsstellungen richtete. Die
enge und winklige Bauart der Stadt Urfa, deren Häuser aus Stein sind
und vielfach über alten Höhlenwohnungen stehen, von den Armeniern
auch mit Geschick zur Verteidigung eingerichtet waren, erschwerte
die Eroberung. Die Armenier waren mit Gewehren bewaffnet und mit
Handgranaten versehen, zu deren Herstellung wohl beim Bau der
Bagdadbahn gestohlenes Dynamit gedient haben wird. Dagegen waren sie
nicht, wie fälschlich behauptet worden ist, im Besitz russischer oder
anderer Maschinengewehre. Am 12. Oktober wurde noch ein 3. Bataillon
mit zwei 12 cm Haubitzen hinzugezogen. Am 14. Oktober wurde die Kirche
gestürmt, am 15. die amerikanische Mission, welche gegen den Willen
des amerikanischen Missionars Leslie von den Armeniern besetzt und
als ein starkes Gebäude zu einem Hauptstützpunkt eingerichtet war.
Leslie war von den Armeniern als Geisel zurückbehalten worden, in der
Hoffnung, daß auf ein Gebäude, in dem er sich befände, nicht geschossen
werden würde. Die türkische Aufforderung, ihn gehen zu lassen, lehnten
sie ab. Er wurde erst von den erobernden Truppen befreit. Mit der
Erstürmung der Kirche und der Mission war der Widerstand gebrochen.
Die türkischen Verluste betrugen 50 Tote und 120 bis 130 Verwundete.
Die Absuchung der Höhlen und Brunnen kostete dann noch einer Anzahl
Soldaten durch vereinzelte Schüsse versteckter Verteidiger das Leben.
Kriegsgerichtliche Untersuchung ist eröffnet. Eine Kommission wird über
weitere Maßregeln gegen die Armenier Urfas beschließen.

Die Verschickungen gehen im übrigen in der durchgreifendsten Weise und
mit dem schrecklichsten Ergebnis weiter. Hunger und Seuche treiben dem
Tode reiche Beute zu. Die Sterblichkeit unter den Vertriebenen ist in
der Stadt Aleppo außerordentlich groß. Dabei fehlten bis zum Eintreffen
Djemal Paschas, von dem weiter unten zu berichten sein wird, die
notwendigsten sanitären Anordnungen. Etwa Mitte Oktober wurde ein neuer
Begräbnisplatz außerhalb der Stadt bestimmt. Ehe aber alles so weit
war, daß dort mit der Beerdigung begonnen werden konnte, wurden die
Leichen bereits haufenweis abgeladen und lagen einige Tage unter freiem
Himmel. Unter diesen Umständen kann man sich nicht wundern, daß der
Flecktyphus auf die Stadtbewohner übergegriffen hat und eine allgemeine
heftige Epidemie ausgebrochen ist. Die Zahl der täglichen Todesfälle
wird auf 150 bis 200 angegeben.

Zufällig habe ich kürzlich selbst von einer Straße, die die
Vertriebenen ziehen, einen Eindruck erhalten. Zwischen dem Afrin und
Aleppo, also auf einer Länge von etwa 60 km sah ich am 21. Oktober
unmittelbar an der Straße 4 Leichen liegen, zwei davon bereits von
Tieren halb gefressen. Als ich nach dem Anblick der ersten dieser
Leichen an den ersten Chan kam und den Besitzer aufforderte, Leute
gegen Bezahlung zur Beerdigung auszuschicken, lächelte er, tat aber,
was ich wünschte. Als ich ihn fragte, warum er gelächelt, sagte er:
„Wenn Du wünschest, lasse ich diese Leiche beerdigen. Warum legst Du
aber gerade auf diese eine so viel Wert? Wenn Du wüßtest, wieviel hier
in jeder Bodenfalte liegen, so würdest Du darauf verzichten, gerade
die eine begraben zu lassen, die vom Wege aus sichtbar ist.“ Wenn dies
an der vielbegangenen Alexandretter Chaussee sich ereignet, ohne daß
die vorübergehenden Soldaten und Gendarmen Meldung erstatten, so liegt
der Schluß nahe, daß es auf den weniger begangenen Straßen des Innern
nicht besser aussehen wird. Die zahlreichen, die Luft verpestenden
Tierkadaver habe ich noch nicht erwähnt. Das Konzentrationslager bei
Katma bot einen unbeschreiblichen Anblick mangelnder hygienischer
Fürsorge. Die Wandernden waren in allen Stadien der Ernährung und
Rüstigkeit, von Barfußlaufenden dem Hungertode nahen, sich mühsam
Hinschleppenden oder verzweifelt und stumpf am Wege Sitzenden, bis
zu solchen, die noch unversehrtes Schuhwerk besaßen oder mit einigem
Hausrat auf Karren fuhren. Dabei erklären sich die Unterschiede aus der
Länge der bis dahin zurückgelegten Strecken.

Die Zustände sind derart geworden, daß die Etappenstraße von Bozanti
nach Aleppo verseucht ist, und daß es erst dem Oberst Freiherrn von
Kreß gelungen ist, durch den Hinweis auf die militärische Wichtigkeit
hygienischer Maßregeln für die Etappen, den Oberkommandierenden der
4. Armee, Djemal Pascha, zu einem Besuch Aleppos zu veranlassen.
Ehe er kam, hatte Djemal Pascha auf telegraphische Anfrage über den
Gesundheitszustand vom Chef der Etappeninspektion, Weli Pascha, die
Antwort erhalten, es gäbe einige Fälle von Dysenterie, aber keine
ansteckende Krankheit. Erst als bei Djemal Pascha die Meldung aus Rajak
eintraf, daß in einem Zuge aus Aleppo drei Leichen gefunden seien, hat
er sich zur Reise entschlossen.

Hier hat er jetzt energische Maßregeln angeordnet. Die Anzeigepflicht
ist eingeführt. Hospitäler werden eingerichtet. Transportwagen für die
Überführung der Kranken sollen bereitgestellt werden. Die Stadt ist in
Bezirke geteilt, für welche je ein Arzt die Aufsicht übernimmt, mit dem
Recht, Häuser zu besuchen. Der Reinigungsdienst für die Stadt wird neu
organisiert.

Die Befehle sind gegeben und es handelt sich jetzt um die Ausführung.
Ein deutscher Hygieniker, Militärarzt, ist erbeten worden.

Bei der Wichtigkeit der hiesigen Gegenden, aus denen Armeen je nach
dem Irak oder nach Ägypten zu entsenden sind, muß der Bekämpfung der
Seuche auch weiterhin die ernsteste Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die
Persönlichkeit des Freiherrn von Kreß bürgt dafür, daß das Mögliche
geschehen wird.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel
zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


194.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)                               8. November 1915.

    Akten-Notiz.

Auf Grund von Nachrichten, daß die türkische Regierung neuerdings
beabsichtige, auch die Armenier in Konstantinopel zu vertreiben, bin
ich heute bei Halil Bey vorstellig geworden und habe ihn erneut auf
die Gefahr eines solchen Vorgehens und die schweren Schädigungen
wirtschaftlicher Art hingewiesen. Halil Bey erklärte, der Ministerrat
habe bereits beschlossen, von allen weiteren Armenierverschickungen,
insbesondere auch von Verschickung der Armenier Konstantinopels
abzusehen.

                                                          von Neurath.


195.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 9. November 1915.

Herr v. Scheubner-Richter berichtet aus Mossul unter dem 5. d. M.
folgendes:

„Auf dem Wege von Erzerum über Khinis, Musch, Bitlis, Soert nach
Mossul habe ich alle früher von Armeniern bewohnten Dörfer bzw.
Häuser vollständig leer und zerstört angetroffen. Lebende männliche
Armenier habe ich nicht gesehen. Es sollen etliche sich in die Berge
geflüchtet haben. Ca. 500 armenische Frauen und Kinder befinden sich
in beklagenswertem Zustande in der armenischen Kirche in Bitlis; auch
sollen armenische Frauen in türkischen Häusern gefangen gehalten
werden. Auf dem ganzen Wege habe ich und die mich begleitenden
deutschen Herrn noch Leichen von armenischen Männern, Frauen und
Kindern liegen sehen, vielfach mit Zeichen von Bajonettstichen,
trotzdem die Wege vor uns auf Veranlassung der Regierung durch
Gendarmerie von Leichen gesäubert worden waren. Nach Aussage von
Kurden sind alle Armenier der dortigen Gegend umgebracht worden. Eine
von den Armeniern vorbereitete Revolution bzw. Erhebung hat es nach
meinen Informationen nur in Wan gegeben[99], an anderen Orten war es
Selbstverteidigung. Die Türken u. a. auch türkische Offiziere, haben
überall verbreitet und vielfach auch selbst geglaubt, daß die deutsche
Regierung die Vernichtung der Armenier veranlaßt habe.“

Über die Ausrottung der Armenier von Musch und die Zerstörung des
Armenierviertels in Musch sowie der armenischen Dörfer in der Umgegend
hat die kürzlich hier eingetroffene Schwester Alma Johansson (Schwedin)
von dem dortigen Waisenhause des deutschen Hilfsbundes für christliches
Liebeswerk im Orient eingehende Angaben gemacht. Danach dürfte von
der armenischen Bevölkerung außer wenigen Flüchtlingen und einigen
geraubten Frauen fast nichts übrig geblieben sein; die armenischen
Häuser wurden in Brand gesteckt und dann dem Erdboden gleich gemacht.
Diese Ereignisse, die in der ersten Hälfte Juli sich zutrugen, waren,
wie aus den Schilderungen der Genannten zu schließen ist, anscheinend
mit durch das Herannahen der russischen Truppen, die nach der Besetzung
von Achlat, Bulanik, Gop und Liz bis ein, zwei Tagemärsche von Musch
streiften, veranlaßt.

Fräulein Johansson, die im August Musch verließ und, nachdem sie sich
in Kharput (Mesereh, Mamuret ul Aziz) einige Monate aufgehalten, über
Siwas hierher gekommen ist, bemerkte zum Schluß ihrer Schilderungen,
daß die offiziellen Kreise sowohl in Musch wie in Mesereh und auch in
Siwas übereinstimmend behaupteten, die Deutschen hätten die türkische
Regierung zu den Armenierverfolgungen gedrängt.

                                                              Neurath.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


196.

  Kaiserlich Deutsche Botschaft.                     6. November 1915.

    Aufzeichnung.

  Angaben der Schwester Alma Johansson (Schwedin) von den Anstalten
  des „Deutschen Hilfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient“
  in Musch über die Armenierverfolgungen in Musch.[100]

(NB. In Musch besteht ein deutsches Waisenhaus für Knaben und ein
zweites für Mädchen, und eine Poliklinik, die sogenannte ärztliche
Station.)

Die Stadt Musch zählt 50000 Einwohner, von denen die eine Hälfte
Armenier die andere Muhammedaner (Kurden, Türken); im Bezirk Musch etwa
300 Dörfer, meist armenisch.

Während des Winters wurde die männliche armenische Bevölkerung bei den
Proviant- und Munitionskolonnen für den östlichen Kriegsschauplatz
verwendet; von diesen Leuten kehrten nur die wenigsten zurück, von
2-300 im Durchschnitt kaum 50.

Im Frühling wurden die armenischen Dörfer zerstört, nachdem sie schon
vorher durch Einquartierung und Requisitionen schwer heimgesucht waren.

Im Mai-Juni wurde Bitlis von Armeniern ausgeräumt.

Um Mitte Juni wurde der Alma Johansson und der Bodil Björn vom
Mutesarrif eröffnet, daß die deutsche und türkische Regierung
beschlossen hätten, alle Europäer nach Kharput zu senden.

Die Russen hatten nämlich auf ihrem Vormarsch von Wan aus Ahlat,
Bulanik, Gop und Liz besetzt und ihre Patrouillen streiften in einer
Entfernung von 1-2 Tagesmärschen von Musch.

Die beiden Schwestern weigerten sich aber, Musch zu verlassen.

Die Stadt war von Truppen umzingelt und Artillerie ringsum aufgefahren.

Am 11. Juli, Sonntag Nacht, wurde das Massaker der armenischen
Bevölkerung mit Gewehrschüssen eingeleitet, die Türken behaupteten,
daß einige Armenier den Versuch gemacht hätten, sich nach Sassun
durchzuschlagen.

Einigen wohlhabenden Armeniern wurde auf dem Konak eröffnet, daß sie in
drei Tagen mit der gesamten Bevölkerung die Stadt zu verlassen hätten,
aber all ihre Habe, die nunmehr der Regierung gehöre, zurücklassen
müßten.

Ohne den Ablauf dieser Frist abzuwarten, begannen die Türken schon nach
zwei Stunden in die armenischen Häuser einzudringen und zu plündern.

Montag, den 12., hielt das Geschütz- und Gewehrfeuer den ganzen Tag an;
die türkische Bevölkerung nahm daran teil.

Am Abend drangen Soldaten in das Mädchenwaisenhaus ein, um nach
versteckten Armeniern zu suchen.

In der Nacht und am folgenden Tage wurde noch viel geschossen. Beim
Versuch, das Hoftor zu schließen, wurde eine Frau und ein Waisenmädchen
neben der Schwester Johansson durch Kugeln getötet.

Mittwoch früh begab sich die Genannte zum Mutessarrif Servet Bey, um
Schutz und Schonung für die Anstalt und ihre Insassen zu erlangen.

Der Mutessarrif, ein intimer Freund von Enver Pascha, gebärdete sich
wie ein Rasender und lehnte die Bitte schroff ab trotz des Zuredens aus
seiner Umgebung; es wurde den beiden Schwestern nur gestattet, drei
Mädchen und einen Diener zu behalten.

Die männliche armenische Bevölkerung ist gleich vor der Stadt
umgebracht worden; die Frauen, Mädchen und Kinder hat man noch eine
Tagereise weiter geschleppt und dann beseitigt. Nur drei armenische
Lehrerinnen vom Waisenhause sind später freigelassen worden.

Nach Räumung der Stadt wurde das armenische Viertel in Brand gesteckt
und dem Erdboden gleich gemacht; ebenso die armenischen Dörfer.

Bei diesen Vorfällen hat sich der Militärarzt, ein Albanese, durch
Roheit ausgezeichnet und auch die beiden Schwestern bedroht.

Am 10. August reisten diese nach Mesereh Kharput ab, wo sie am 20.
August eintrafen. Zusammen mit dem erkrankten Mutessarrif, der 2 Tage
später starb.

Über die Ausrottung der Armenier in Kharput hat die Schwester Alma
ebenfalls eingehende Angaben gemacht. Die Verfolgungen begannen dort
schon im Mai, die Massenausrottung der Männer fand in den ersten
Julitagen statt.

Von Einzelheiten erwähne ich:

Die offiziellen Kreise in Musch, Mesereh-Kharput und Siwas behaupten
einstimmig, daß die Deutschen die türkische Regierung zur Vertreibung
und Ausrottung der Armenier gedrängt hätten.

                                                            Mordtmann.


197.

  Der Reichskanzler.                    Berlin, den 10. November 1915.

In der abschriftlich anliegenden Eingabe haben namhafte Vertreter
protestantischer Kreise Deutschlands die Armenierfrage bei mir zur
Sprache gebracht. Mit dem gleichen Gegenstande beschäftigt sich die
in Abschrift beigefügte Entschließung der Missionskonferenz des
Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Beide Kundgebungen zeigen die
steigende Sorge und Erregung, mit der auch in Deutschland das Vorgehen
der Türken gegen die Armenier verfolgt wird.

Euer Hochwohlgeboren bitte ich, unter Berücksichtigung der in den
Anlagen dargelegten Gesichtspunkte und Wünsche weiter bei jeder sich
bietenden Gelegenheit und mit allem Nachdruck Ihren Einfluß bei der
Pforte zugunsten der Armenier geltend zu machen und insbesondere Ihr
Augenmerk darauf zu richten, daß die Maßregeln der Pforte nicht etwa
noch auf andere Teile der christlichen Bevölkerung in der Türkei
ausgedehnt werden.

Über die Entwickelung der Angelegenheit wollen Euer Hochwohlgeboren
mich fortlaufend unterrichten.

                                                 von Bethmann Hollweg.

        Seiner Hochwohlgeboren
  dem Kaiserlichen Geschäftsträger Herrn
  Freiherrn von Neurath, Konstantinopel.


Anlage 1.

                                         Berlin, den 15. Oktober 1915.

      Euer Exzellenz!

Die Unterzeichneten fühlen sich in ihrem Gewissen gedrängt, der Unruhe
Ausdruck zu geben, in die sie und wachsende Kreise deutscher Christen
durch das jammervolle Geschick des armenischen Volkes in der Türkei
versetzt sind, dem nach glaubhaften Nachrichten die Ausrottung droht,
wenn den unmenschlichen Maßregeln, denen es unterworfen ist, nicht
schleunigst Einhalt geboten wird.

Diese Nachrichten zeichnen uns folgendes Bild:

Nachdem bereits seit Ausbruch des russisch-türkischen Krieges Hunderte
von armenischen Dörfern durch Kurden und irreguläre Milizen in den
östlichen Wilajets geplündert und Tausende von wehrlosen Armeniern
ermordet worden, ist seit Ende Mai die Deportation der gesamten
armenischen Bevölkerung aus allen anatolischen Wilajets und Cilizien
in die arabischen Steppen südlich der Bagdadbahn angeordnet worden.
Diese Maßregel ist mit unmenschlicher Härte in den vergangenen Monaten
durchgeführt worden. Während die wehrhaften Männer des armenischen
Volkes zur Armee eingezogen und unbewaffnet auf den Etappenstraßen
des Innern als Lastträger und Chausseearbeiter verwendet wurden, hat
man die des männlichen Schutzes beraubten Frauen, Kinder, Kranke und
Greise aus ihren Wohnsitzen ausgetrieben, ihrer Habe beraubt und
ohne Ausrüstung und Proviant, barfüßig, hungernd, verschmachtend und
fortgesetzten Mißhandlungen und Schändungen ausgesetzt, in Haufen von
Hunderten und Tausenden gleich Viehherden durch rohe Saptiehs mehr als
hundert Meilen weit in die Verbannung treiben lassen. Die Maßregel
wurde dadurch eingeleitet, daß in der Hauptstadt und in den Zentren des
Innern die Führer des Volkes, Intellektuelle, Notable und kirchliche
Würdenträger, über Nacht ins Gefängnis geworfen und ohne Verhör und
Gerichtsverfahren erschossen oder deportiert wurden. Zum Arbeitsdienst
einberufene Militärpflichtige sind auf den Straßen überfallen und
erschossen worden. Von den deportierten Frauen, Kindern und Greisen
sollen weniger als die Hälfte an ihren Bestimmungsorten angekommen
sein. Mädchen und junge Frauen wurden in türkische Harems und kurdische
Dörfer verschleppt, wo ihnen keine andere Wahl bleibt, als den Islam
anzunehmen. Ebenso sind zahllose Kinder ihren christlichen Eltern
abgenommen worden und werden nun als Muslims auferzogen. Von der
Deportation verschont wurden nur viele Hunderte von christlichen
Familien, die sich entschlossen, den Islam anzunehmen. Die Maßregel
der Verschickung hatte in Wahrheit den Charakter eines Massakres von
allergrößtem Maßstabe. Durch Schlächtereien an bestimmten Stellen des
Weges, durch Verhungern und Verschmachten sind die Deportierten, wie es
scheint, auf die Hälfte ihrer Zahl vermindert worden.

Es ist naturgemäß vor der Hand nicht möglich, genaue Angaben über die
Zahl der Deportierten und Massakrierten zu machen. Nach der Statistik
des armenischen Patriarchates waren die von der Deportation betroffenen
Wilajets von 1200000 Armeniern bewohnt. Will man auch annehmen, daß ein
Teil der Bevölkerung in die Berge flüchten konnte und entlegene Bezirke
verschont blieben, so bleibt doch etwa 1 Million armenischer Christen,
die von den Deportationen und Schlächtereien betroffen wurden, und zwar
ohne Unterschied der Konfession, Gregorianer, römische Katholiken und
Protestanten. Ob die Hälfte oder wieviel immer davon umgebracht wurde,
ob die Zahl der zum Islam konvertierten Familien nach Tausenden oder
Zehntausenden rechnet, kann zurzeit niemand angeben. Darüber aber kann
kein Zweifel sein, daß der Schlag, der das arbeitsamste und strebsamste
christliche Volk des Orients betroffen hat, in wirtschaftlicher,
kultureller und politischer Beziehung die verhängnisvollsten Folgen für
die Zukunft der Türkei haben und schon bei den Friedensverhandlungen
die Interessen und die Ehre der mit der Türkei verbündeten Mächte aufs
empfindlichste berühren wird.

Der Handel und das Handwerk im Innern, die fast ausschließlich
in den Händen der Armenier lagen, sind vernichtet worden. Die in
Vorbereitung befindliche Deportation der armenischen Handels- und
Handwerkerbevölkerung von Konstantinopel (ca. 180000), Smyrna (28000),
Adana und einigen anderen, an der Peripherie der armenischen Gebiete
liegenden Städte, die bisher verschont waren, würde die wirtschaftliche
Entwicklung der Türkei verhängnisvoll treffen, an der Deutschland in
höchstem Maße interessiert ist. Nach dem Urteil von Kennern des Landes
ist nicht darauf zu rechnen, daß selbst in Jahrzehnten das türkische
und jüdische Element in der Lage wären, für den Ausfall des armenischen
einzutreten. Mögen zu diesen Fragen Autoritäten des wirtschaftlichen
Lebens sich äußern.

Was aber die Unterzeichneten in erster Linie beunruhigt und sie
veranlaßt, sich vertrauensvoll an Euer Exzellenz zu wenden, ist nicht
die Sorge um die Zukunft deutscher Wirtschafts- und Kulturarbeit, die
durch die Ausschreitungen des türkischen Nationalismus und islamischen
Fanatismus ernstlich in Frage gestellt wird, was unser Gewissen
beunruhigt, ist die Verantwortung, die dem deutschen Volke als einem
christlichen aus dem Bundesverhältnis mit der Türkei für die zur
Sprache gebrachten Vorgänge erwächst.

Nicht nur die Ententepresse, auch die öffentliche Meinung in den
neutralen Ländern sieht Deutschland als mitverantwortlich für die
inneren Vorgänge in der Türkei an. Gewiß wird hierbei der Einfluß der
deutschen Diplomaten auf die Pforte überschätzt. Aber bestehen bleibt
der Eindruck, daß Deutschland nach Ausschaltung der Ententemächte
die einzige Macht am Bosporus war, die für die Verhinderung von
Christenschlächtereien in Frage kam. Die Maßregeln, welche das
armenische Volk mit dem Untergang bedrohen, werden von der Hohen
Pforte mit revolutionären Umtrieben in der armenischen Bevölkerung und
strategischen Maßnahmen in den Grenzbezirken begründet. Mögen irgendwo
Armenier von diesem Vorwurf zu Recht getroffen werden -- nach den
uns vorliegenden Informationen liegen für ein vaterlandsfeindliches
Verhalten der maßgebenden armenischen politischen und kirchlichen
Organisationen keine Beweisgründe vor --, er rechtfertigt nicht die
getroffenen unerhörten Maßregeln. Wir enthalten uns des Urteils über
die Ziele, die die türkische Regierung mit ihnen letztlich verfolgt.
In der Ausführung aber haben sie jedenfalls dem islamischen Fanatismus
und dem Christenhaß den schlimmsten Anreiz gegeben, der auch für die
übrigen, nicht muslimischen Volkselemente der Türkei gefahrdrohend
bleibt. Es kursieren Worte wie dies: „Das Land soll rein muslimisch
sein und nichts anderes“. Dem entspricht, daß auch Missionsinstitute
ausgeräumt worden sind. Es gewinnt den Anschein, als solle jede Art von
christlichem Liebeswerk und jeder ausländische Kultureinfluß im Innern
ausgetilgt werden.

Diese Vorgänge sind für die übrige Christenheit schlechthin
unerträglich und müssen auch der Türkei in ihrem berechtigten Streben,
ihre inneren Verhältnisse gegen Eingriffe von außen sicherzustellen,
kaum überwindliche Schwierigkeiten bereiten. Die Erregung im
neutralen und feindlichen Auslande hierüber ist im Wachsen und muß zu
leidenschaftlichem Ausdruck kommen, sobald die Tatsachen in vollem
Umfange bekannt werden. Wird sich nicht diese Entrüstung mit ganzer
Schärfe gegen Deutschland wenden, dem allein die Welt zutraut, daß es
durch sein Verhältnis zur Türkei diese furchtbaren Dinge verhüten und
etwa notwendige Maßnahmen auf das strategisch Gebotene einschränken
konnte? Wie man Deutschland für den Eintritt der Türkei in den Krieg
und für die Erklärung des „heiligen Krieges“ verantwortlich gemacht
hat, so wird man ihm die ganze Schuld an der Vernichtung eines
christlichen Volkes beimessen. Die Wirkung wird, wie wir fürchten, noch
tiefer gehen, als bei der Agitation wegen der angeblichen belgischen
Greuel.

Während aber bisher alle Anschuldigungen des Auslandes an dem
einmütigen guten Gewissen unseres Volkes wirkungslos abprallten,
werden diese Nachrichten, deren Bekanntwerden niemand verhindern
kann, auf die deutschen Christen die unheilvollste Wirkung haben.
Schon bei der Erklärung des heiligen Krieges regten sich in manchen
Kreisen Gewissensbedenken; wir vermochten sie durch den Hinweis zu
beschwichtigen, daß dieser heilige Krieg nicht gegen die Christen als
solche, sondern in Gemeinschaft mit christlichen Völkern gegen die
Feinde der Türkei geführt werde. Niemand vermag aber die lähmende
Wirkung auf die Freudigkeit der deutschen Christen zu verhindern,
wenn sie es mit ansehen müssen, wie von ihren Bundesgenossen ein
ganzes Christenvolk vernichtet wird. In dem guten Gewissen, mit dem
wir alle Gott um den Sieg für unsere Waffen anrufen, wurzelt die
Widerstandskraft unseres Volkes. Diese Einmütigkeit und Freudigkeit
droht erschüttert zu werden, wenn bekannt wird, daß von unseren
andersgläubigen Bundesgenossen Hunderttausende unserer Glaubensgenossen
grundlos und sinnlos zu Tode gehetzt werden, ohne daß unsererseits das
Mögliche zu ihrer Rettung geschah.

Es ist uns bekannt, daß seitens der deutschen Regierung wiederholt
Schritte getan sind, um, auch im eigenen Interesse der Türkei, der
Vernichtung der Armenier zu steuern.

Die Tatsachen zeigen leider, daß diese Schritte das Verhängnis
nicht haben aufhalten können. Die türkische Regierung hat, soweit
wir unterrichtet sind, bisher nicht das Erforderliche getan, um die
Deportierten vor dem Hungertode zu bewahren, ja sogar Versuche, den
notleidenden Frauen und Kindern Hilfe zu bringen, abgelehnt. Es ist
zu befürchten, daß auch die noch überlebenden Deportierten, in der
Hauptsache Frauen und Kinder, dem Untergange geweiht werden.

Das können wir, das kann unser christliches Volk nicht schweigend mit
ansehen. Die türkische Regierung, die selbst planvoll das islamische
Gemeingefühl aller Länder für ihre nationalen Ziele wachruft und
verwertet, darf ihren christlichen Bundesgenossen nicht zumuten, daß
sie ihr christliches Gemeingefühl zum Stillschweigen verurteilen.
Sie muß es erkennen, in welchem Grade sie für die Zukunft ihren
eigenen Weg erschwert, wenn sie unter ihrer Verantwortung eine
ungeheure Tat geschehen läßt, die die gesamte Christenheit als einen
Schlag in ihr Angesicht empfinden muß. Es muß verhütet werden, daß
die Ehre des deutschen Namens auch nur mit dem Schein der Mitschuld
an den gekennzeichneten Schandtaten befleckt wird. Der Gedanke ist
unerträglich, daß, während wir Deutsche gefangenen Muhammedanern
Moscheen bauen, Hunderte von christlichen Kirchen zerstört oder
in Moscheen verwandelt werden. Es bedrückt unser Gewissen, daß,
während die deutsche Presse den Edelmut und die Toleranz unserer
muhammedanischen Bundesgenossen preist, von Muhammedanern unschuldiges
Christenblut in Strömen vergossen wird und Zehntausende von Christen
zwangsweise zum Islam konvertiert werden.

Wir verkennen nicht die Pflichten, die uns deutschen Christen aus dem
Bundesverhältnis unseres Reiches mit der Türkei erwachsen. Wir teilen
aufrichtig den Wunsch, daß ihr aus ihrem heldenmütigen Kampf an unserer
Seite die verdienten Früchte zufallen, und wir wünschen durchaus
nicht, ihr in irgend einer Weise unnötige Schwierigkeiten zu machen.
Aber wir können auch die Pflichten gegen unsere Glaubensgenossen nicht
verleugnen. Wir handelten sonst gegen Ehre und Gewissen, und es fiele
ein Schatten auf den Sieg unseres Volkes.

Wir bitten daher Euer Exzellenz, der Hohen Pforte die Unerträglichkeit
der geschaffenen Lage und die äußerste Dringlichkeit von
Abhilfemaßregeln mit allem Nachdruck vorzustellen, und dabei
vornehmlich drei Ziele ins Auge zu fassen, die auf keine Weise dem
Wohle der Türkei oder der Erreichung unserer Kriegsziele widerstreiten,
dagegen aufs engste mit den Forderungen der Menschlichkeit und mit dem
wirtschaftlichen Interesse verknüpft sind:

1. daß der Deportation der bisher verschonten armenischen Bevölkerung
von Konstantinopel, Smyrna, Aleppo und anderen, noch nicht betroffenen
Städten und Distrikten ein Riegel vorgeschoben wird,

2. daß nicht nur angebliche und scheinbare, sondern wirkliche und
wirksame Maßregeln getroffen werden, um die Hunderttausende von
deportierten Frauen und Kindern in den mesopotamischen Steppen am Leben
zu erhalten und weitere Grausamkeiten an den noch übrigen Armeniern zu
verhindern,

3. daß Christen anderer Länder es ermöglicht werde, vielleicht
unter der Mitwirkung deutscher und neutraler Vertrauensleute, den
notleidenden Deportierten Hilfsdienste zu erweisen und Unterstützungen
zukommen zu lassen.

Beim Friedensschluß bitten wir darauf Bedacht zu nehmen, daß
den jetzt zwangsweise islamisierten Christen die Rückkehr zum
Christentum ermöglicht und für eine künftige friedliche und loyale
Weiterentwicklung der christlichen Minderheiten in der Türkei und für
die ungehinderte Fortführung der christlichen Liebes- und Kulturarbeit
im Orient die nötige Bürgschaft gegeben werde.

Wir bitten Euer Exzellenz in Ehrerbietung, uns möglichst bald in
die Lage zu versetzen, daß wir der Beunruhigung unter den deutschen
Christen entgegentreten und die Anklagen des Auslandes wirksam
entkräften können.

      Euer Exzellenz ganz gehorsamste

  Dr. Karl Axenfeld, Direktor der Berliner Missionsgesellschaft,
  Berlin.

  Professor D. Baumgarten, Kiel.

  Professor Dr. Johannes Burchard, Professor der Rechtswissenschaften
  an der Königlichen Akademie zu Posen.

  Superintendent D. A. Cordes, Leipzig.

  D. Adolf Deißmann, ord. Professor der Theologie an der Universität
  Berlin, Vorstandsmitglied der deutschen Orientmission.

  Oberhofprediger D. Dibelius, Dresden, Vizepräsident des
  Evangelisch-lutherischen Landeskonsistoriums.

  Konsistorialrat Pfarrer D. Erich Foerster, Frankfurt a. M.

  Th. Haarbeck, Pfarrer, 1. Vorsitzender des deutschen Verbandes für
  Gemeinschaftspflege und Evangelisation, Barmen.

  Direktor D. G. Haccius, Hermannsberg i. Hannover.

  A. Haccius, Geh. Justizrat, Hannover.

  Haendler, Propst und Generalsuperintendent, Berlin.

  Professor D. v. Harnack, Wirkl. Geh. Rat., Berlin-Grunewald.

  Professor D. G. Haußleiter, Halle a. d. S.

  Held, Missionsinspektor der Sudan-Pioniermission, Wiesbaden.

  P. O. Hennig, Missionsdirektor der Brüdergemeinde, Herrnhut.

  Professor Dr. W. Herrmann, Marburg.

  D. Hesekiel, Generalsuperintendent, Wernigerode.

  Dr. Hornemann, Landgerichtsrat, Berlin.

  Generalsuperintendent D. Kaftan, Kiel.

  Pastor D. Dr. Kind, Präsident des Allg. Ev. Prot. Missionsvereins,
  Berlin.

  D. W. L. Kölbing in Herrnhut, Vorsitzender der Verwaltung des
  Aussätzigenasyls der Evangelischen Brüdergemeinde in Jerusalem.

  Dr. Johannes Lepsius, Potsdam.

  Geh. Konsistorialrat Professor Dr. Loofs, Halle.

  Professor D. Mahling, Berlin-Charlottenburg.

  D. Philipps, Berlin-Charlottenburg.

  Stadtpfarrer Pfisterer, Weinsberg, Württemberg.

  Professor D. Julius Richter, Berlin-Steglitz.

  Pastor Röbbelen, Hermannsberg i. H., Vorsitzender des Vereins für
  lutherische Mission in Persien.

  Roedenbeck, Superintendent der Diözese Potsdam I, Direktor der
  deutschen Orientmission, Klein-Glienicke bei Potsdam.

  Lic. Dr. Paul Rohrbach, Berlin.

  Pastor Johs. Spiecker, Direktor der Rheinischen
  Missionsgesellschaft, Barmen.

  Missionsinspektor Lic. Schlunk, Hamburg.

  Schlicht, Superintendent, früher Pfarrer der deutschen
  evangelischen Gemeinde in Jerusalem, Rudow b. Berlin.

  A. W. Schreiber, Missionsdirektor, Berlin-Steglitz.

  D. Dr. Hans von Schubert, Geh. Kirchenrat, ord. Professor der
  Theologie, zurzeit Dekan der theologischen Fakultät zu Heidelberg.

  Professor D. Dr. R. Seeberg, Berlin.

  Direktor D. F. A. Spiecker in Berlin-Grunewald.

  Pfarrer Ewald Stier, Alten bei Dessau, für die „Deutsche Armenische
  Gesellschaft“ und den Verein „Notwendiges Liebeswerk“.

  F. Schuchardt, Deutscher Hilfsbund für christliches Liebeswerk im
  Orient, E. V., Frankfurt a. M.

  Martin Urban, Missionsinspektor, Vorsitzender der Mission für
  Süd-Ost-Europa, E. V., Hausdorf, Kr. Neurode.

  Professor Dr. Weckesser, Karlsruhe.

  Geh. Kirchenrat H. H. Wendt, Professor der Theologie in Jena.

  A. Winkler, Pfarrer, Berlin, Mitglied des Kuratoriums der Deutschen
  Orientmission.

  Adolf Zeller, Pastor, Zehlendorf, früher Marasch, Wilajet Aleppo.

  Gerhard von Zezschwitz, Pfarrer und Senior in Burgbernheim, Bayern.

  Professor D. Dr. Dalman aus Jerusalem.

  Gustav Gerock, Stadtpfarrer in Stuttgart.

  Johannes Lohmann, Pastor am Diakonissenhaus Friedenshort in
  Miechowitz.

  Lic. R. Mumm, Mitglied des Reichstags, Berlin NW. 87.

        An den Kanzler des Deutschen Reiches
  Herrn Dr. von Bethmann Hollweg, Exzellenz, Berlin W.


Anlage 2.

                                         Berlin, den 29. Oktober 1915.

Der Missionsausschuß des Zentralkomitees für die Generalversammlungen
der Katholiken Deutschlands, versammelt zu Berlin am 29. Oktober 1915,
hält es für seine unabweisbare Pflicht, seine Stimme zu erheben, damit
den überaus harten Maßregeln, welche zurzeit von Seiten der türkischen
Regierung gegen die Armenier zur Anwendung gebracht werden, sofort ein
Ende gemacht werde. Was immer auch den Armeniern zur Last fällt, so
verlangt doch das Gebot der Menschlichkeit, welchem auch die türkische
Regierung ihr Ohr nicht versagen darf, daß der drohenden Ausrottung
des ganzen armenischen Volkes gesteuert werde.

Die Versammlung hat das Vertrauen zu der Leitung des Deutschen Reiches,
daß sie auch bisher schon zur Linderung des Loses der Armenier alles
getan hat, was in ihren Kräften stand. Sie bittet aber angesichts
der fortdauernden Schrecknisse in Armenien, daß sie unausgesetzt
auf diplomatischem Wege, durch Einwirkung auf die Regierung der
uns verbündeten Türkei, alles zur Linderung des Loses der Armenier
aufbiete, was ohne Gefährdung des militärischen Bündnisverhältnisses
geschehen kann.

Die türkische Regierung wird begreifen müssen, daß die christliche
Bevölkerung Deutschlands trotz ihrer politischen Bundesfreudigkeit zur
Türkei in Aufregung geraten muß, wenn ihre Glaubensgenossen in der
Türkei so schwer bedrückt werden. Dies um so mehr, als alle deutschen
Katholiken, wie es sich aus den Besprechungen des Missionsausschusses
als springender Punkt ergab, auf dem Standpunkt stehen, von allen
christlichen Völkern der Türkei volle Loyalität gegenüber dem
türkischen Staate zu verlangen, sie auch ihrerseits bereit sind, in
dieser Richtung auf die orientalischen Christen einzuwirken und bei
ihnen das Verständnis für staatsbürgerliche Gesinnung zu wecken.

Übrigens erfordert es das richtig verstandene Interesse der Türkei
selbst, daß diese sich nicht so wertvoller Mitarbeiter beraubt, wie
die Armenier bisher es auf dem Gebiete der Staatsverwaltung und des
wirtschaftlichen Fortschrittes für sie gewesen sind.

Vor allem aber bitten wir den Herrn Reichskanzler, darauf ein wachsames
Auge zu halten, daß unter keinen Umständen auch in anderen Teilen des
türkischen Reiches ähnliche Ereignisse gegenüber der christlichen
Bevölkerung Platz greifen.

Die im unterzeichneten Missionsausschuß vertretenen deutschen
Katholiken hegen volles Vertrauen zur Leitung des Deutschen Reiches
und zur befreundeten Regierung der Türkei, daß durch Beseitigung der
erwähnten Mißstände unser Bündnis mit der Türkei auch weiterhin beim
christlichen Volke Deutschlands freudige Stimmung und Teilnahme finden
kann.

Im Namen aller im Missionsausschuß vertretenen Organisationen der
deutschen Katholiken zeichnen:

                 Prälat Dr. Werthmann, Vorsitzender.
                   Justizrat Dr. jur. Carl Bachem.
                         Erzberger, M. d. R.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler
          von Bethmann Hollweg.


198.

  (Der Reichskanzler.)                  Berlin, den 12. November 1915.

Euer Hochwohlgeboren darf ich den Empfang der mir unterm 15. v. M.
übermittelten Eingabe mit ergebenstem Danke bestätigen.

Die Kaiserliche Regierung wird, wie bisher, so auch in Zukunft es stets
als eine ihrer vornehmsten Pflichten ansehen, ihren Einfluß dahin
geltend zu machen, daß christliche Völker nicht ihres Glaubens wegen
verfolgt werden. Die deutschen Christen können darauf vertrauen, daß
ich von diesem Grundsatz geleitet, alles, was in meiner Macht steht,
tun werde, um den mir von Ihnen vorgetragenen Sorgen und Wünschen
Rechnung zu tragen.

Die Kaiserliche Botschaft in Konstantinopel habe ich von dem Inhalt
Ihrer Eingabe unterrichtet.

                                                 von Bethmann Hollweg.

  An den Direktor der Deutschen Evangelischen Missionshilfe,
         Herrn A. W. Schreiber, Hochwohlgeboren.


199.

  Der Reichskanzler.                    Berlin, den 12. November 1915.

Euer Hochwohlgeboren darf ich den Empfang der mir unterm 30. v. M.
übermittelten Entschließung der Missionskonferenz des Zentralkomitees
der Katholiken Deutschlands mit ergebenstem Danke bestätigen.

Die Kaiserliche Regierung wird, wie bisher, so auch in Zukunft es stets
als eine ihrer vornehmsten Pflichten ansehen, ihren Einfluß dahin
geltend zu machen, daß christliche Völker nicht ihres Glaubens wegen
verfolgt werden. Die deutschen Christen können darauf vertrauen, daß
ich von diesem Grundsatz geleitet, alles, was in meiner Macht steht,
tun werde, um den mir von Ihnen vorgetragenen Sorgen und Wünschen
Rechnung zu tragen.

Die Kaiserliche Botschaft in Konstantinopel habe ich von der
Entschließung der Missionskonferenz unterrichtet.

                                                 von Bethmann Hollweg.

  Herrn M. Erzberger, M. d. R., Hochwohlgeboren, hier.


200.

  Auswärtiges Amt.

                                        Berlin, den 12. November 1915.

Euere Exzellenz bitte ich, den Bericht eines deutschen Lehrers[101]
zum Anlaß nehmen zu wollen, um bei der Pforte erneut gegen die
grausame Behandlung der Armenier Verwahrung einzulegen und sie auf die
verhängnisvollen Folgen aufmerksam zu machen, die dem türkischen Reiche
aus der Fortsetzung einer derartigen Ausrottungspolitik erwachsen
müssen.

                                                                Jagow.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
  Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.


201.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Pera, den 12. November 1915.

Aus zuverlässiger Quelle erfahre ich, daß die türkische Regierung
trotz aller gegenteiligen Versicherungen beschlossen hat, auch die in
Konstantinopel ansässigen Armenier in die Verbannung zu schicken. Die
Maßregel soll nicht sofort und nicht gegen alle armenischen Bewohner
der Hauptstadt auf einmal ergriffen werden, jedenfalls aber noch vor
Beendigung des Krieges zur Ausführung gelangen. Ich habe deshalb
Halil Bey am 8. d. M. wiederholt dringend auf die unabsehbaren Folgen
aufmerksam gemacht, die ein solches Vorgehen in politischer und
wirtschaftlicher Hinsicht nach sich ziehen werde. Euerer Exzellenz
Erwägung möchte ich anheimstellen, auch Hakki Pascha vor Ausführung des
unheilvollen Planes eindringlich zu warnen.

                                                              Neurath.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


202.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                   Aleppo, den 16. November 1915.

Die türkische Botschaft in Berlin hat über den Aufruhr in Urfa
die in der Anlage beigefügte Erklärung veröffentlicht, die in der
Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 28. Oktober, Nr. 299 (2.
Ausgabe), zum Abdruck gekommen ist und mir zu den folgenden Bemerkungen
Anlaß gibt. Sie besagt u. a.:

„Der Zweck, den die Banden mit dem Aufruhr verfolgten, war einerseits
der, Schaden anzurichten, fremde Niederlassungen zu zerstören und
Untertanen der mit der Türkei im Kriege befindlichen Staaten zu töten,
um die Folge dieser Morde auf die Türkei abzuwälzen. Andererseits
wollten sie einen Teil der Kaiserlichen Truppen an die befestigten
Schlupfwinkel fesseln und sie vom Kriegsschauplatz abziehen.“

Demgegenüber wird daran festzuhalten sein, daß der Zweck des Aufruhrs
nicht ohne seine Vorgeschichte verstanden werden kann. Urfa hat unter
den Armeniermetzeleien vor 20 Jahren schwer gelitten. Damals wurden u.
a. 1000 Menschen in der Kirche, in die sie unter dem Vorwande, ein Asyl
zu finden, hineingelockt waren, vorsätzlich verbrannt. Die Armenier
haben seitdem in steter Furcht vor einer Wiederholung der Metzeleien
gelebt und sich mit Waffen versehen, um nicht wehrlos zu sein.

Als im Frühsommer d. J. die Armenierverschickungen angeordnet wurden,
sagte mir der hiesige Wali Djelal Bey, der sich weigerte, sie
auszuführen und deswegen versetzt wurde, „es ist das natürlichste Recht
des Menschen, zu leben. Der Wurm, den man tritt, krümmt sich. Die
Armenier werden sich wehren.“

Welcher Art die Vorbeugungsmaßregeln sind, die von der türkischen
Regierung in der gegenwärtigen Weltkrisis gegen die Armenier ergriffen
wurden, hatten die Bewohner von Urfa bereits erfahren. Gegen Mitte
Juni sind 50 der angesehensten von ihnen verhaftet und einer von ihnen
mit 100 Stockschlägen fast zu Tode geprügelt worden. Kurz darauf
wurden sie nach Diarbekr in Marsch gesetzt, woselbst angeblich ihre
Aburteilung erfolgen sollte, sind aber unterwegs -- also ohne Urteil
-- umgebracht worden. Darunter befand sich der langjährige Apotheker
des deutschen Hospitals, der nach dem Zeugnis der deutschen Missionare,
wie übrigens viele unter den 50 Abgeführten, loyaler ottomanischer
Untertan gewesen ist. Auch das Schicksal der aus dem Norden und
Osten angekommenen Verschickten hatten die Urfaleute vor Augen. Sie
wußten, daß die Männer ermordet, Frauen und Mädchen geschändet,
günstigstenfalls in muslimische Harems aufgenommen, und daß der Rest,
nämlich Kinder und ältere Frauen dem Hungertode preisgegeben waren.
Daher ihr Entschluß, lieber mit der Waffe in der Hand zu sterben, und
ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, als sich und ihre Familie
wehrlos vernichten oder entehren zu lassen. Es ist richtig, daß die
allgemeine Verschickung der Armenier Urfas noch nicht beschlossen war,
als der Aufruhr losbrach. Die einzigen Städte der Türkei, welche bis
dahin dieses Geschick noch nicht erlitten hatten, waren, soweit hier
bekannt, Konstantinopel, Smyrna, Aleppo und Urfa. Welche Gewähr aber
bestand, daß Urfa nicht auch an die Reihe kommen würde? 18 Familien
waren im Mai bereits verbannt, von der Vernichtung der 50 im Juni habe
ich soeben gesprochen.[102] Es lag nahe, daß, wie überall, auch die
Masse verschickt werden würde, nachdem die Führer beseitigt waren.
Haussuchungen nach Waffen erfolgten. Dabei wurde eine Patrouille
niedergeschossen. Eine zweite, nicht aufgeklärte Schießerei hat dann
die Krisis ausgelöst.

Die Armenier haben sich nicht, wie die Erklärung verallgemeinernd
behauptet, „der fremden Niederlassungen“ bemächtigt, woraus ein mit
den Verhältnissen vertrauter Deutscher schließen müßte, daß auch die
deutschen Missionshäuser in den Kampf hineingezogen worden sind,
sondern sie haben nur die für ihre Verteidigung günstig gelegene
amerikanische Mission benutzt[103].

Auch haben die Armenier den amerikanischen Missionar Leslie und
sieben französische Untertanen in ihrem Stadtviertel als Geiseln
zurückbehalten, aber nicht, um sie zu töten. Hätten sie dies gewollt,
so hätten sie reichlich dazu Gelegenheit gehabt, da sie tagelang diese
Fremden in ihrer Gewalt hatten. Verständlicher wäre es gewesen, wenn
die Erklärung gesagt hätte, „um sie durch türkische Kugeln töten zu
lassen“. Denn die Zurückbehaltung war allerdings ein verzweifelter
Versuch, das Schicksal der Fremden an das der Armenier zu ketten, um
auf diese Weise irgendwie ihre Lage zu verbessern.

Was schließlich die Behauptung betrifft, daß die Armenier sich der
Stadtteile der Muslimen bemächtigt und begonnen hätten, die Einwohner
niederzumetzeln, so ist sie erfunden. Sie erinnert mich an folgenden
Vorfall: Als ich Anfang April in Marasch war, und die wenigen Armenier,
die sich überhaupt aus den Häusern wagten, unter dem Druck des
verhängten Belagerungszustandes und der Furcht vor dem Kommenden sich
nur ängstlich an den Häusern entlang drückten, versuchten muslimische
Intriganten ein Telegramm nach Konstantinopel zu schicken, des Inhalts,
die Armenier hätten die Moscheen in Marasch besetzt und in Kirchen
verwandelt!

Die in der türkischen Erklärung gegebenen Daten sind diejenigen des
orientalischen Kalenders. Die Schießerei war also nach westlichem
Kalender am 29. September und der Aufstand war am 16. Oktober
unterdrückt. Die türkischen Verluste an Toten betrugen nicht 20,
sondern 50, außerdem 120 bis 150 an Verwundeten.

Ich beabsichtige mit meiner Darstellung nicht, der einen oder der
anderen Partei zu Liebe oder zu Leide zu schreiben, halte es aber für
meine Pflicht über Dinge, die sich in meinem Amtsbezirk ereignet haben,
Euerer Exzellenz vorzulegen, was ich für die Wahrheit halte.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel
zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


Anlage.

     (Norddeutsche
  Allgemeine Zeitung.)                   Berlin, den 27. Oktober 1915.

Die Kaiserlich Türkische Botschaft teilt mit: In der Nacht vom 16.
September haben armenische Banden einen Aufruhr veranstaltet. Sie
hatten sich in starken Gebäuden auf den beherrschenden Punkten
der Stadt Urfa verschanzt und eröffneten das Feuer gegen unsere
Gendarmeriepatrouillen, von denen zwei Mann getötet und acht verwundet
wurden. Unsere Gendarmerie wurde überall mit Feuer empfangen.
Nachdem die Armenier sich der fremden Niederlassungen bemächtigt
und deren Besitzer mit Gewalt zurückgehalten hatten, stellten sie
dort Schießscharten her. Da diese Tatsachen bewiesen, daß die
aufrührerischen Banden entschlossen waren, bewaffneten Widerstand zu
leisten und die Unzulänglichkeit der in geringer Zahl vorhandenen
Gendarmerie auzunützen, und da sie sich schließlich der Stadtteile
der Muselmanen bemächtigt hatten und die Einwohner niederzumetzeln
begannen, wurden einige für die Front bestimmte Truppen nach Urfa
abgeschickt. Die Schlupfwinkel der Banden wurden zerstört, und der
Aufruhr war am 3. Oktober unterdrückt. Die Zahl der bei diesem Vorfall
getöteten Soldaten und Gendarmen beträgt 20, die der Verwundeten 50.

Der Zweck, den die Banden mit ihrem Aufruhr verfolgten, war einerseits
der, Schaden anzurichten, fremde Niederlassungen zu zerstören und
Untertanen der mit der Türkei im Kriege befindlichen Staaten zu töten,
um die Folgen dieser Morde dann auf die Türken abzuwälzen, andererseits
wollten sie einen Teil der Kaiserlichen Truppen an ihre befestigten
Schlupfwinkel fesseln und sie so vom Kriegsschauplatz abziehen.

Dank den kräftigen und schnellen Maßnahmen der Kaiserlichen Behörden
hatte der Aufruhr nicht den erwünschten Erfolg. Er wurde unterdrückt,
ohne daß einem Untertanen der mit der Türkei im Kriege befindlichen
Länder oder einem Neutralen Schaden zugefügt worden ist.


203.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                   Aleppo, den 16. November 1915.

Euerer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage den
Bericht eines Deutschen, den ich kürzlich aus dienstlichem, mit der
Armenierfrage in keinerlei Zusammenhang stehenden Anlaß nach Der-es-Zor
zu entsenden hatte, über das Geschick der auf dem Wege dorthin
wandernden oder am Ziel angelangten Armenier. Es sind Beobachtungen,
die sich unterwegs aufgedrängt haben.

Oberstabsarzt Dr. Schacht, der auf dem Wege von hier nach Bagdad den
Flußweg gewählt hat, schrieb mir am 3. November aus Der-es-Zor: „Ich
habe unterwegs viel Böses gesehen. Es ist schon wahr, was man erzählt
hat.“

Die zu Lande nach Bagdad führende Etappenstraße von Aleppo nach
Der-es-Zor ist durch Flecktyphus verseucht. Und das Gleiche muß wohl
auch vom Wasserweg gelten.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


Anlage.

    Wanderung der Armenier nach Der-es-Zor.

Auf der Reise nach Der-es-Zor gelangt man notwendigerweise in Fährten
der ausgewiesenen Armenier. Schon Der Hafir zeigt die erste Spur:
Früher einen Krämerladen, besitzt es jetzt deren drei, die einzig
darauf ausgehen, die Zwangslage der Armenier durch hohe Preise
auszubeuten (Ziegenfleisch 1 Okka 5-6 Piaster, Brot 4-5, Eier 10 Para
usw.). Diesem Unfug begegnet man bis Der-es-Zor. Da Tausende von
Armeniern durch die Chans längs der Bagdadstraße wandern, sind die
spärlich eingerichteten Läden, die an Ware eigentlich fast gar nichts
besitzen, sämtlich leer und der Verkäufer findet für hohe Preise
hungrige Käufer. An den Lagerplätzen ist nur schlammreiches, durch
Leichen, Mist und Fetzen verunreinigtes Euphratwasser zu haben. Für
Zufuhr von Lebensmitteln ist bei den Transporten -- obwohl Möglichkeit
vorhanden wäre -- nicht gesorgt. Wasserstellen mit abgestandenem,
abgesetztem Wasser könnten ja ohne weiteres für den permanenten
Durchzug errichtet werden. Die Verschickten müssen somit außer ihren
Lasten, Kindern, Kranken und Leiden auch Lebensmittel und selbst Wasser
für lange Märsche mit sich schleppen. An manchen Stellen fehlt jedes
Brennmaterial. Weit und breit in der Runde suchen die spät abends
eintreffenden Ankömmlinge mit ihren erschöpften Kräften, die nur
mühsam auszureißenden Süßholzwurzeln als Feuerungsmaterial zusammen.
All die Rastplätze sind Monate hindurch durch Massen von menschlichen
Exkrementen, Abfällen, Fetzen und Mist in den abscheulichsten Zustand
versetzt, der sich nicht ändern wird, als bis der letzte Trupp dahin
sein dürfte. Die begangenen Wege längs des Flusses und der Bagdadstraße
weisen nacheinander die Merkmale der Wanderung auf: Zurückgelassene
Wagen, von denen das Vieh einging; zerbrochene Wagen, Kleiderreste
and Fetzen, die eben am Leibe nicht mehr zu haften vermögen.
Tierleichen und Menschenleichen in allen Stadien der Zersetzung. Nur
gut, die Natur mit ihren Aasfressern besorgt in sehr kurzer Zeit
die Beseitigung dieser Kadaver. In Meskene fanden wir einen kleinen
Trupp Zurückgebliebener, dabei ein sitzender Toter in Verwesung, eine
sterbende Frau und 2 Kranke. Militär und Lasttiere füllten den Chan
und dessen schmutzige Umgebung, und jedermann hatte andere Sorgen als
diesen Unglücksflecken zu reinigen.

Abu Hrere am Euphrat, vor kurzem noch mit einem Chandschi und einem
Händler versehen, derzeit ein riesiger menschlicher Düngerhaufen, 5
Tierleichen, Mist, Fetzen, Millionen Fliegen, eine richtige Stätte
des Todes, dann stundenweit nur Wüste. An dieser Unglücksstätte saß
verlassen ein abgehungertes Mütterlein. Die hellen blauen Augen,
das blendend weiße Haar, die Gesichtszüge, verrieten ein besseres
Einst. Alles zog weiter dahin. Sie jammerte irre nach den Kindern,
vielleicht ein Sonnenuntergang, dann ist sie ihrer Befreiung sicher.
Wir ließen sie in den Chan schaffen -- eine menschenleere Miststätte
mit 2 Soldaten, sonst nichts. Hinter Abu Hrere, wo der Weg durch die
wasserleere Wüste zieht, fanden wir außer zahlreichen Tierleichen und
Fetzen von Kleidern 3 Knabenleichen, 1 Männer- und 1 Frauenleiche am
Straßenrande.

Hamam besitzt zwei große Chans, verwüstet, 3 große Lager von Armeniern:
a) Schiffer mit 7 Holzbooten, b) Fahrer mit ihrem Wagenpark, c)
Fußgänger in erbärmlichem Zustande mit den Resten ihres Habs und
Gutes. Vor Morgengrauen brachen sie wieder auf. 8 bis 900 Personen
aus Antiochien, Zeitun, der Gegend von Marasch, Killis, Susli. Der
Weg zweigte nach 3 Stunden hinter Hamam von unserer Straße ab und
näherte sich wahrscheinlich dem Flußufer, während die Straße über die
Wüstenklippen hinweg führte.

Sabcha, die erste Ansiedlerstation. Früher einige hundert Einwohner
zählt derzeit 7000 Köpfe (Aussage des Nahié Mudir’s). Zwischen den
felsigen Abstürzen der Wüste und dem Flußlaufe liegt der Ort, am
Flußufer der alte Teil mit einigen Hausgärten, dem Bergrücken zu
vergrößert sich nun die Niederlassung, in schnurgeraden, rechtwinklig
angelegten Gassen; Tausende von Händen schaffen in regstem Eifer;
lange Zeilen von Bruchsteinen lagern dort, über 100 neue Häuser
stehen. In kurzer Zeit sollen noch 250 Häuser fertig sein. Im Juli
und August kamen die ersten Ansiedler von Zeitun an. Viele wohnen
noch in gemieteten Häusern (3-4 Medjidijeh Miete) die meisten noch in
Zeltlagern und in Höfen. Die Behörde gibt den Baugrund und gestattet
Steine zu brechen. Brot und Mehl wird in kaum genügendem Maße
verabreicht, worüber Klagen wahrgenommen werden. Von den Ansiedlern
ist eine Schmiede, ein Fleischverkauf, 1 Klempner und 2-3 Krämerläden
eingerichtet. Durch Krankheit gehen viele Armenier zugrunde. Die
Zeltlagerer, zum Selbstschutz getrieben, stoßen die Kranken -- meist
Frauen -- aus dem Lager und übergeben sie der Natur. Ohne Nahrung, ohne
Arzt, ohne Pflege, liegen sie wimmernd, Brot bittend, bis ein gütiges
Geschick sie sterben läßt (ca. 40 schrecklich entstellte Personen).
Gegenüber der Überfahrtsstelle zählte ich 12 angeschwemmte Leichen,
deren entsetzlicher Gestank keine einzige Seele zu einem Begräbnis
aufzurütteln vermag. Nach Aussage des Gemeindevorstehers kommen noch
viele Tausende von „Ansiedlern“, d. h. wie der Herr wörtlich sagte:
„Wir lassen sie kommen!“ „Um das Land zu kultivieren.“ Fluß auf- und
abwärts ist allerdings für die Überlebenden ein fruchtbares Terrain.
Ärztliche Hilfe ist dort unbedingt nötig.

Hauptsiedelungsplatz ist Der-es-Zor. Schon die Einfahrt zeigte
sofort die Hauptbeschäftigung der Ansiedler: Totenbegraben, stumpfes
Hinbrüten, mühevolles krankes halbtotes Dahinschreiten. Der-es-Zor
selbst ist eine nicht unschöne Stadt, mit schönen breiten Straßen.
Früher 14000 Einwohner, derzeit 25-30000. Für die riesige angestaute
Menschenmenge ist keine organisatorische Regelung vorhanden. Keine
genügende Menge von Nahrungsmitteln (stundenlang sind die Bäcker ohne
Brot), eine Dampfmühle klappert unzureichend Tag und Nacht, Mangel an
Brot und Gemüse wurde festgestellt. 3 Spitäler sind voll gepfropft mit
über tausend Kranken. 1 Gemeindearzt, 1 Regierungsarzt, Apotheke fast
leer. Der Gemeindearzt verließ eben die Stadt auf einige Tage für eine
Dienstreise, die Sterblichkeit beträgt täglich 150-200 Köpfe (Worte des
Gemeindearztes). Nur so ist es möglich, daß immer noch Tausende von
Ansiedlern zugeschafft werden können. Oberhalb und unterhalb der Stadt
großes Zeltlager. Am linken Flußufer neben der Schiffsbrücke lagert
in ortsüblichen Laubhütten eine Unmasse von Sterbenden. Sie sind die
Vergessenen, deren einziger Befreier der Tod ist.

Kein sprachlicher Gedankenaustausch vermag auch nur annähernd
die Wirklichkeit dieses menschlichen Elends zu schildern, so
unbeschreiblich sind dort die Vorkommnisse. Und immer wieder ergänzt
sich der Unglückshaufen. Nach Aussage von anderen Fußgängern liegen
dann weiter weg Hunderte von weggeschleppten unbeerdigten Leichen! Der
diensttuende Gendarm antwortet mir: „Was soll man machen? Sie sterben
alle von selbst.“

Die Behörden reinigen täglich sorgfältig alle Winkel und Straßen,
bauen neue Wohnviertel wie in Sabcha, verteilen Geld unter die Leute,
sowie Brote und Mehl und doch ist mit Ausnahmen der Tod dem Leben
vorzuziehen. Wie in Sabcha, so ist auch in Der-es-Zor jede andere
menschliche Niederlassung viele Stunden weit entfernt... Wüstenrand.

Von den Arabern werden die Armenier mit Steinen beworfen, geschlagen,
verspottet und ausgelacht, wie wir selbst Beispiele sahen.

Beispiel: In Maden am Euphrat trieben am Ufer drei Leichen, die Araber
warfen Steine danach, spuckten darauf und lachten dazu. (Eine Leiche
mit abgeschlagenem Kopfe.)

Während unseres Aufenthaltes verbot die Polizei mehreren Armeniern,
sich an uns zu wenden und mit uns zu sprechen (dazu ist die Regierung
da, nicht die Deutschen!).

Was für die Überlebenden an Arbeit vorhanden ist: Ackerbau und
Gartenbau längs des Flusses, wo allerdings fruchtbarer Boden vorhanden
ist, Handwerk und wenig Handel.

                                        Aleppo, den 11. November 1915.
                                                 Unterschrift.


204.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Pera, den 20. November 1915.

Über die Vorgänge in Urfa liegt seitens des Kaiserlichen Konsuls in
Aleppo bisher nur ein kurzes Telegramm vom 9. Oktober vor. Danach
hat die armenische Bevölkerung, als sie Ende September von ihrer
bevorstehenden Verschickung erfuhr, beschlossen, sich zur Wehr zu
setzen und sich in ihren Häusern verschanzt. Fahri Pascha, der
Militärkommandant von Aleppo, begab sich an Ort und Stelle, aber erst
nach hartnäckigen Straßenkämpfen, bei denen die Türken auch Artillerie
verwendeten, konnte der Aufruhr niedergeschlagen werden.

Leider ist es trotz der dringenden Verwendung der Kaiserlichen
Botschaft und des Konsuls Rößler nicht gelungen, das Verbleiben der
armenischen Angestellten und Pfleglinge der deutschen Anstalten in Urfa
zu erlangen. Der Minister des Auswärtigen, Halil Bey, hatte zunächst
die Berücksichtigung unserer diesbezüglichen Wünsche zugesagt, aber
Fahri Pascha erklärte, nur militärischen Rücksichten gehorchen zu
können, und wollte höchstens solche Armenier in deutschen Diensten
ausnehmen, die nicht mit Familien von Aufständischen verwandt sind und
keine soziale Stellung einnehmen.

                                                              Neurath.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


205.

  Auswärtiges Amt.                      Berlin, den 29. November 1915.

Der Bericht des Herrn von Scheubner-Richter[104] vom 5. d. M. und
andere hier vorliegende Nachrichten erwecken leider den Eindruck, daß
die türkische Regierung allen unseren Vorstellungen und Warnungen
zum Trotz an ihrer verhängnisvollen Politik gegenüber den Armeniern
festhält. Abgesehen von Erwägungen allgemein humanitärer und
politischer Natur, können wir es als aufrichtige Freunde der Türkei in
deren eigenstem Interesse nur auf das tiefste beklagen, daß sie sich
durch ihr Vorgehen in unbegreiflicher Kurzsichtigkeit eines für die
wirtschaftliche Entwicklung des Landes wichtigen Bevölkerungselementes
beraubt. Im feindlichen und neutralen Ausland hört man nicht auf, uns
für das Treiben der türkischen Behörden verantwortlich zu machen. Wie
der Bericht des Herrn von Scheubner von neuem bestätigt, ist sogar in
weiten Kreisen der türkischen Bevölkerung die Vorstellung verbreitet,
daß Deutschland die Türkei zu den Armenierverfolgungen angestiftet
habe. Wir glauben von der Loyalität der Pforte gegen ihren deutschen
Bundesgenossen erwarten zu dürfen, daß sie derartigen Gerüchten mit
Nachdruck entgegentritt.

Euer Exzellenz beehre ich mich zu bitten, im vorstehenden Sinn mit der
dortigen Regierung zu sprechen und bei dieser Gelegenheit erneut der
Erwartung Ausdruck zu geben, daß die Pforte unseren Ratschlägen in der
Behandlung der armenischen Frage Folge geben wird.

                                                            von Jagow.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
      Herrn Graf Wolff-Metternich, Pera.


206.

  Deutsch-Armenische Gesellschaft.

                                       Potsdam, den 29. November 1915.
                                       Gr. Weinmeisterstraße 45.

      Euer Exzellenz.

Bezugnehmend auf den in der Eingabe zugunsten der Armenier in der
Türkei ausgesprochenen Wunsch, daß der Deportation der bisher
verschonten armenischen Bevölkerung von Konstantinopel ein Riegel
vorgeschoben werden möchte, beehre ich mich, die folgende mir von dem
armenischen Komitee in Sofia zugegangene Mitteilung zur Kenntnis zu
bringen:[105]

„Malgré les assurances faites aux représentants des Grandes Puissances
à Constantinople le Gouvernement Turc a commencé inexorablement
l’expulsion des Arméniens de Constantinople. Jusqu’à présent on a
expulsé déjà 10000 personnes, dont la majorité est assassinée dans les
montagnes d’Ismid. La liste de 70000 hommes est préparée.

Au nom du christianisme et de l’humanité sauvez les derniers débris
d’un peuple, qu’on extermine et par une intervention efficace arrêtez
le martyr des innocents.

                                                   Comité arménien.“

                                                 Dr. Johannes Lepsius.
                                                     Vorsitzender.

  An Seine Exzellenz den Herrn Reichskanzler
      Dr. von Bethmann Hollweg, Berlin.



_Dezember._


207.

  Auswärtiges Amt.                       Berlin, den 1. Dezember 1915.

Die bei Mardin und Midiat befindlichen Christen syrischer Konfession
dürften mit den Nestorianern identisch sein. Soweit hier bekannt ist,
haben sich die betreffenden Syrer hauptsächlich deshalb in die Berge
zurückgezogen, um den Gewalttätigkeiten der Kurden zu entgehen, nicht
aber, um sich gegen die türkischen Behörden aufzulehnen. Es erscheint
daher dringend erwünscht, daß die entstandenen Schwierigkeiten auf
gütlichem Wege beseitigt werden.

Euer Exzellenz bitte ich, in geeignet scheinender Weise hierauf
hinzuwirken und über das Veranlaßte berichten zu wollen.[106]

                                                           Zimmermann.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
  Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.


208.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                         Berlin, den 4. Dezember 1915.

      An die Deutsche Botschaft, Pera.

Die türkische Regierung soll nach Mitteilung des armenischen Komitees
in Sofia[107] entgegen früheren Versprechungen nun auch die Austreibung
der Armenier aus Konstantinopel begonnen haben. 10000 sind angeblich
bereits vertrieben und größtenteils im Ismidgebirge ermordet, über
weitere 70000 sei Proskriptionsliste vorbereitet. Bitte nachdrückliche
Vorstellungen zu erheben, falls Meldung zutreffend.

                                                           Zimmermann.


209.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 7. Dezember 1915.

Ich habe die Armeniergreuel im Laufe der letzten Woche mit Enver
Pascha, mit Halil Bey und heute mit Djemal Pascha ernstlich
besprochen und darauf hingewiesen, daß Unruhe und Empörung auch im
befreundeten Ausland und in Deutschland weite Kreise ergriffen habe
und der türkischen Regierung schließlich alle Sympathien entziehen
würde, wenn nicht Einhalt geschehe. Enver Pascha und Halil Bey
behaupten, daß keine ferneren Deportationen -- insbesondere nicht aus
Konstantinopel -- beabsichtigt seien. Sie verschanzen sich hinter
Kriegsnotwendigkeiten, daß Aufrührer bestraft werden müßten, und gehen
der Anklage aus dem Wege, daß Hunderttausende von Frauen, Kindern und
Greisen ins Elend gestoßen werden und umkommen. Djemal Pascha sagt,
daß die ursprünglichen Anordnungen notwendig gewesen seien, ihre
Ausführung aber schlecht organisiert worden sei. Er leugnet nicht, daß
infolgedessen traurige Zustände herrschten, die er durch Zuführung von
Lebensmitteln und Geld zu lindern bestrebt sei. Es ist dies richtig.
Seine Etappenstraße bei Aleppo ist infolge des Elends der Flüchtlinge
verseucht, und er sucht nach Abhilfe, hat auch mehrere Personen, die
die Flüchtlinge bestohlen haben, aufhängen lassen. Oberst von Kreß, der
Chef des Stabes Djemals, sagt mir, daß das Elend jeder Beschreibung
spotte und alle Schilderungen übertreffe. Dabei wird im Lande
verbreitet, die Deutschen wünschten die Massakres.

Ich habe eine äußerst scharfe Sprache geführt. Proteste nützen nichts,
und türkische Ableugnungen, daß keine Deportationen mehr vorgenommen
werden sollen, sind wertlos.

Von vertrauenswürdiger Seite erfahre ich, daß nach Auskunft des
hiesigen Polizeipräsidenten, auch aus Konstantinopel neuerdings etwa
4000 Armenier nach Anatolien abgeführt worden sind und daß mit den
80000 noch in Konstantinopel lebenden Armeniern allmählich aufgeräumt
werden soll, nachdem schon im Sommer etwa 30000 aus Konstantinopel
verschickt und andere 30000 geflohen sind. Soll Einhalt geschehen, sind
schärfere Mittel notwendig.

Auch soll man in unserer Presse den Unmut über die Armenierverfolgung
zum Ausdruck kommen lassen.

Um in der Armenierfrage Erfolg zu haben, müssen wir der türkischen
Regierung Furcht vor den Folgen einflößen. Wagen wir aus militärischen
Gründen kein festeres Auftreten, so bleibt nichts übrig, als mit
ferneren erfolglosen Verwahrungen, die mehr verärgern als nützen,
zuzusehen, wie unser Bundesgenosse weiter massakriert.

Talaat Bey kehrt erst Ende der Woche aus Anatolien zurück. Ich werde
erst dann erfahren, welche Wirkung meine Besprechungen mit seinen
Kollegen und Djemal auf ihn haben.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


210.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 9. Dezember 1915.

Ich habe heute mit dem Großwesir die Armenierfrage in ernster Weise
besprochen, ihn darauf aufmerksam gemacht, daß die türkische Regierung
sich durch die Armenierverfolgungen die Sympathien verscherze, die
sie in dem ihr wohlgesinnten Auslande besitze, daß in Deutschland die
Erregung zunehme und der Herr Reichskanzler mit Adressen bestürmt
werde, um bei der befreundeten und verbündeten türkischen Regierung
sich zugunsten der Armenier zu verwenden. Ich habe wiederum darauf
hingewiesen, daß Verschwörer gegen die Sicherheit des Staates zwar
strenger Bestrafung verfallen, daß aber die schmähliche Vertreibung von
Hunderttausenden von Greisen, Kindern und Frauen ein dunkles Blatt in
der jungtürkischen Geschichte bildete.

Ich habe diesmal absichtlich bei dem Großwesir und nicht bei einem
Mitgliede des Triumvirats Vorstellung erhoben, weil mir bekannt ist,
daß er die Armenierverfolgungen mißbilligt. Er hat zwar nicht die
Macht, sie einzustellen, es wird ihm aber ganz erwünscht sein, meine
Vorstellungen bei seinen Kollegen zu verwerten.

Ich habe ihm schließlich von dem Mißbrauch gesprochen, den türkische
niedere Beamte sich zuschulden kommen ließen durch die falsche
Behauptung, daß die Deutschen die Armenierverfolgungen begünstigten.
Diese Verleumdung sei in Anatolien, wie ich von Reisenden und aus
anderen Quellen unumstößlich wisse, weit verbreitet. Wir seien durchaus
nicht gesonnen, die Verantwortung für die Armenierpolitik mit der
türkischen Regierung zu teilen, und ich bäte ihn, diesen Gerüchten mit
Nachdruck entgegenzutreten.

Dem Großwesir war über derartige Gerüchte nichts bekannt. Er versprach
aber ausdrücklich, sie dementieren zu lassen. Im übrigen führte er aus,
daß die Armenier ein Opfer fremder, insbesondere russischer Anstiftung
geworden seien. Ganze Distrikte seien zum Aufstande organisiert gewesen
und mit Waffen versorgt worden. Es habe sich nicht um den Aufstand
einzelner, sondern ganzer Gegenden gehandelt, weshalb auch nicht
nur einzelne zur Bestrafung hätten herausgegriffen werden können.
Im übrigen sei er nicht einverstanden mit der Behandlung, die die
armenische Bevölkerung betroffen habe. Ich bemerkte ihm, daß, wie er
wisse, nach der Erfahrung der Geschichte, Revolutionen die Folge einer
schlechten Regierung seien, und daß die Verfolgung und Mißhandlung von
Hunderttausenden unschuldiger Personen keine legitime Abwehrmaßregel
eines Staates bilde.

Wenn ich den Türken etwas Unangenehmes zu sagen habe, so tue ich dies
mit großer Ruhe, und sie lassen es sich auch gefallen. Es gibt zwar
keine alttürkische Partei mehr, aber unter den älteren Türken gibt es
noch Leute, die sich über die Armenierverfolgungen schämen.

Ich möchte glauben, daß meine Vorstellungen doch nicht ganz vergeblich
gewesen sind. Djemal Pascha hatte gewisse Erleichterungen für die
Armenier verlangt: daß die noch in Aleppo befindlichen Armenier in
der Nähe verbleiben dürften, anstatt nach Der-es-Zor am Rande der
Wüste abgeschoben zu werden, wo sie umgekommen wären; daß die beim
Bau der Bagdadbahn beschäftigten armenischen Ingenieure, Baubeamten
und Arbeiter, die schon verschickt waren, zurückgerufen, und daß die
vertriebenen Handwerker ebenfalls für Armeezwecke wieder angeworben
werden dürften. Djemal Pascha, der auch zu den Türken gehört, die sich
schämen, hatte bisher beim Komitee Widerstand bei der Durchführung
seiner Wünsche gefunden. Ganz neuerdings werden sie dagegen, wie mir
der Chef seines Stabes, Oberst von Kreß, mitteilt, gewährt. Er schreibt
dies meinem Einschreiten zu. Der Oberst sagt mir, daß die Erinnerung an
die schauderhaften Bilder des Armenierelends ihn wohl sein Leben lang
nicht verlassen würde.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


211.

  Auswärtiges Amt.                      Berlin, den 10. Dezember 1915.

Euerer Exzellenz Ermessen darf ich ergebenst anheimstellen, auch den
vom Kaiserlichen Konsul in Aleppo unter dem 16. v. M. eingereichten
Bericht eines Deutschen über das Schicksal der nach Der es-Zor
verschickten Armenier[108] zur Kenntnis der türkischen Regierung zu
bringen und den Inhalt zu erneuten Vorstellungen im Interesse der
Armenier zu benutzen.

                                                           Zimmermann.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
  Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.


212.

  Auswärtiges Amt.                      Berlin, den 12. Dezember 1915.

Dr. Straubinger schreibt an den Reichstagsabgeordneten Erzberger unter
dem 25. November:

„Dieser Tage sagt mir Msgr. Dolci, daß der Minister des Auswärtigen
ihm versprochen habe, die katholischen Armenier dürften zurückkehren.
Sollte dieses Wort sich bewahrheiten, so ist die Möglichkeit der
Hilfeleistung wohl gegeben. Das Gerücht, daß alle Armenier ausgerottet
seien, ist nämlich nicht ganz wahr; es existieren deren außer in
der europäischen Türkei noch die in die Berge versprengten, sowie
einige Gemeinden an den Bahnlinien und diejenigen, die die Deportation
aushielten. Die drei Dinge, die zur Erhaltung des Restes der Armenier
notwendig erscheinen, sind: Möglichkeit der Rückkehr für alle,
Möglichkeit der Hilfeleistung (Kleidung und Nahrung für den Winter)
seitens Europäer und Amerikaner, Möglichkeit der Wiedererlangung des
alten Besitztums. Letzteres ist nämlich, soweit es nicht zerstört ist,
durch das Liquidationsgesetz[109] so gut wie verloren.“

Euere Exzellenz bitte ich, sich zu Dr. Straubingers Schreiben äußern zu
wollen.[110]

                                                           Zimmermann.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
  Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.


213.

  Auswärtiges Amt.                      Berlin, den 12. Dezember 1915.

Nach dem abschriftlich anliegenden Schreiben des Direktors Schuchardt
vom 4. d. M. soll die türkische Regierung versuchen, die Überreste des
armenischen Volkes gewaltsam zum Islam zu bekehren. Es liegt auf der
Hand, daß wir einem derartigen Vorgehen nicht ruhig zusehen könnten.
Indem ich auf das Schreiben Bezug nehme, in dem der Herr Reichskanzler
kürzlich zur Armenierfrage Stellung genommen hat, beehre ich mich Euer
Exzellenz zu bitten, den Sachverhalt aufzuklären und gegebenenfalls bei
der Pforte nachdrückliche Vorstellungen zu erheben. Über das Ergebnis
Ihrer Schritte bitte ich zu berichten.[111]

                                                           Zimmermann.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
  Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.


Anlage.

           Deutscher Hilfsbund
  für christliches Liebeswerk im Orient.

                                Frankfurt a. M., den 4. Dezember 1915.

  An Seine Exzellenz den Herrn Reichskanzler von Bethmann Hollweg,
    Berlin.

Euere Exzellenz gestattet sich der ergebenst Unterzeichnete auf
eine vertrauliche Verfügung der Kaiserlich Ottomanischen Regierung
aufmerksam zu machen, nach der die türkischen Lokalbehörden im Innern
des Landes angewiesen sind, den Überrest des armenischen Volkes dahin
zu bringen, einen Revers zu unterzeichnen, in dem sie um die besondere
Gnade bitten, zur heiligen Religion des Islam übertreten zu dürfen.
Sich Weigernde sollen abtransportiert werden. Eine Anzahl armenischer
Frauen sind bereits zum Islam übergetreten, um sich vor dem Hungertod
zu retten.

Wie vor 20 Jahren hervorragende Armenier gezwungen wurden, eine
Erklärung zu unterschreiben, daß sie in jeder Weise mit den Maßnahmen
der türkischen Regierung zufrieden gewesen seien und daß alle im
Auslande verbreiteten Nachrichten über Massakres usw. nicht den
Tatsachen entsprächen, ebenso wird es den Machthabern im Innern auch
ein leichtes sein, nach außen hin den Schein der „Freiwilligkeit“ für
die zum Islam Übergetretenen zu wahren.

Nach der Antwort, die der Herr Reichskanzler den Vertretern der
evangelischen Kreise Deutschlands unter dem 12. November 1915 gegeben
hat, hoffe ich mit Bestimmtheit, daß Euere Exzellenz die Kaiserlich
Deutsche Botschaft in Konstantinopel mit entsprechenden Weisungen
versehen und vor allen Dingen darauf hinwirken wird, daß eine Täuschung
unserer Behörde unmöglich gemacht werde.

Der Wali von Mamuret-ul-Azis hatte dem Leiter unserer Station,
Herrn Prediger Ehmann, für alle Armenier vollkommene Straflosigkeit
versprochen für den Fall, daß es ihm gelänge, die Armenier der
dortigen Gegend zu veranlassen, alle Waffen, die sich in ihrem Besitz
befänden, abzuliefern. Herr Ehmann unterzog sich diesem Auftrag, und
nichtsdestoweniger wurde auch die dortige Bevölkerung niedergemacht
oder verbannt. In den Augen der Armenier hat unsere Arbeit dadurch sehr
an Ansehen eingebüßt.

                                                        F. Schuchardt.


214.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                               16. Dezember 1915.

    Aufzeichnung.

Der hiesige armenische Patriarch teilt mir folgendes mit:

Die Verhaftungen und Austreibungen von hier ansässigen Armeniern,
die aus Anatolien zugewandert sind, dauern fort. Seit Beginn der
Verfolgungen sind etwa 5000 Individuen abgeschoben worden. Nach
offiziellen Angaben leben in Konstantinopel und Umgegend 75000
Armenier; die Ziffer ist anscheinend viel zu niedrig gegriffen; von
anderer Seite wird ihre Zahl auf 120-150000 Seelen geschätzt.

                                                            Mordtmann.


215.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Pera, den 18. Dezember 1915.

Ich habe heute mit Talaat Bey, der von Anatolien zurückgekehrt
ist[112], die Lage der Armenier eingehend besprochen. Er habe
umfassende Maßnahmen zur Ernährung der abgeschobenen armenischen
Familien getroffen. Vergehungen gegen Eigentum und Leben der Armenier
würden streng bestraft. Es seien kürzlich noch über 20 Personen,
die sich dieser Vergehungen schuldig gemacht hätten, hingerichtet
worden. In den Bezirken an der russischen Grenze und bei Aleppo wären
aus Rücksichten der militärischen Sicherheit Massenverschiebungen
seinerzeit notwendig gewesen. Von der russischen Regierung eingeleitete
Verschwörungen unter den gregorianischen Armeniern in den Grenzbezirken
und bei Aleppo seien in großem Maßstabe entdeckt worden. Anschläge auf
Brücken und Eisenbahnen seien vorbereitet gewesen. Es sei unmöglich
gewesen, aus der Masse einzelne Schuldige herauszugreifen. Nur der
Abtransport im großen habe Sicherheit gewährt. In Syrien seien
die Armenier unbehelligt geblieben, in Konstantinopel ebenfallls.
Augenblicklich fänden nirgends mehr Abtransporte statt, und die
Regierung suche die im Gefolge der Verschiebungen entstandenen
Übelstände zu mildern.

Ich bemerkte, der katholisch-armenische Expatriarch und sein
Stellvertreter hätten mir heute den üblichen Antrittsbesuch gemacht
und mir versichert, daß sie und ihre Gemeinden loyale ottomanische
Untertanen seien und sich an keinen revolutionären Bewegungen
beteiligten. Trotzdem seien die meisten vertrieben worden. Diese
Geistlichen hofften, daß die Vertriebenen in ihre Gemeinden und
verlassenen Heimstätten in und bei Aleppo zurückkehren dürften. Ich
fragte den Minister, ob ihnen dies ebenso wie den protestantischen
Armeniern, die sich als nicht revolutionär erwiesen hätten, gestattet
werden könne. Er entgegnete, daß die katholischen und protestantischen
Armenier sich im großen und ganzen nicht revolutionär betätigt hätten
und, soweit dies möglich sei, sie in ihre Heimat zurückkehren würden.

Ich sprach dem Minister sodann von dem in Anatolien weit verbreiteten
Gerücht, wonach die deutsche Regierung die Verfolgung der Armenier
begünstigt habe. Er erwiderte, infolge meines Gesprächs mit dem
Großwesir über diese Angelegenheit habe er sämtliche in Frage kommenden
Behörden angewiesen, dem Gerüchte entgegenzutreten und zu erklären, daß
die deutsche Regierung nichts mit der Angelegenheit zu tun habe und daß
die türkische Regierung allein für die Maßnahmen gegen die Armenier die
Verantwortung trage.

Im Laufe der Unterhaltung ergab sich die merkwürdige Auffassung
bei Talaat Bey, die ich auch schon bei seinen Kollegen gefunden
habe, daß wir im ähnlichen Falle ebenso gehandelt hätten und eine
revolutionäre Bewegung in Deutschland mit Gewalt ausrotten würden.
Ich fand immer wieder die Verständnislosigkeit für den Gesichtspunkt,
daß, um Schuldige zu treffen, nicht Unschuldige leiden und daß nur
bewiesene Vergehen bestraft werden dürften. Ich habe dem Minister
auseinandergesetzt, daß wir niemals ähnlich handeln würden und nur den
einer Schuld Überführten bestraften.

Von verschiedenen Seiten wird mir mitgeteilt, daß meine ernsten
Ermahnungen auf die türkischen Machthaber doch Eindruck gemacht zu
haben scheinen. Sobald es notwendig ist, werde ich wieder eingreifen.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler
       Herrn von Bethmann Hollweg.


216.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                          Pera, den 18. Dezember 1915.

      An das Auswärtige Amt, Berlin.

Talaat Bey hat mir erklärt, daß keine neuen Maßnahmen gegen Armenier
beabsichtigt sind und daß vertriebenen Familien Hilfe geleistet wird.
Regierung widerlegt durch Anweisung an ihre Beamten Gerüchte in
Anatolien, daß wir Verfolgungen begünstigen.

                                                           Metternich.


217.

                                                    20. Dezember 1915.

Halil Bey bestreitet aufs entschiedenste, daß zwangsweise Bekehrungen
zum Islam in nennenswertem Umfang versucht worden seien. Die
vorgekommenen Fälle von Übergriffen unterer Beamter seien bestraft
worden.

                                                          von Neurath.


    Aufzeichnung.

                                              Pera, 21. Dezember 1915.

      Gewaltsame Islamisierung der Armenier in Anatolien.

Sie begann in größerem Umfange und wurde systematisch betrieben in der
Provinz Trapezunt.

Der Vizekonsul Kuckhoff (Samsun) berichtete darüber ausführlich zu
Anfang Juli d. J.[113]

Er schreibt u. a.:

„Es handelt sich um nichts weniger als um die Vernichtung oder
gewaltsame Islamisierung eines ganzen Volkes. Die Regierung entsandte
strenggläubige fanatische muhammedanische Männer und Frauen in alle
armenischen Häuser behufs Propaganda für den Übertritt zum Islam, unter
Androhung der schlimmsten Folgen für diejenigen, die ihrem Glauben treu
bleiben. Bis heute sind hier schon viele Familien übergetreten, und
ihre Zahl vermehrt sich täglich. Die Mehrzahl widerstand bisher den
Lockungen und wurde täglich gruppenweise ins Innere getrieben. Wie ich
erfahre, werden sie an nicht entfernten Orten zurückgehalten, um noch
gründlicher für den Islam bearbeitet zu werden. In der Umgegend von
Samsun sind alle armenischen Dörfer muhammedanisch geworden, ebenso in
Unieh. Vergünstigungen werden, außer den Renegaten, niemand zuteil.“

Über Übertritte in Erzerum und Trapezunt vgl. Berichte von dort[114].

Anfang August berichtete ein muhammedanischer Reisender aus jenen
Gegenden, daß in Unieh, Samsun, Ineboli usw. die Armenier massenhaft
zum Islam übergetreten seien; trotzdem seien manche von ihnen hinterher
deportiert worden. In Termeh war der armenische Priester Muhammedaner
geworden und die Kirche in eine Moschee verwandelt worden.

In anderen Gegenden scheint die Islamisierung keinen weiteren Erfolg
gehabt zu haben; doch wurde z. B. berichtet, daß in Konia eine Anzahl
Armenier (25) bereit waren, überzutreten.

Es ist anzunehmen, daß in vielen Fällen die Behörden, um nicht
den Zweck der Armenieraustreibungen, Vernichtung der Männer
und Konfiszierung des armenischen Eigentums, zu vereiteln, den
Massenübertritt hinderten bzw. die Übergetretenen trotzdem verschickten.

Auf die Islamisierung der Armenier in Hadjin und Umgegend (Wilajet
Adana) bezieht sich ein Bericht der Schwester Didsun vom 15. November.
Aus Adana selbst berichtet der Konsul Büge unter dem 21. Oktober:

„Der Direktor des türkischen Waisenhauses hat den christlichen
Zöglingen erklärt, daß sie entweder zum Islam übertreten oder das Haus
verlassen müßten. Die Mädchen verließen das Haus, ebenso ein Teil der
Knaben, von denen 14 zurückblieben, die vermutlich islamisiert wurden.
Der Direktor hatte den Kindern erklärt, daß in einem osmanischen
Waisenhause die christliche Religion keinen Platz hätte; das Beten
wurde ihnen untersagt.“

Hier in Konstantinopel sollen bis jetzt unter dem Druck der
Verhältnisse 20 Armenier übergetreten sein; angeblich namentlich
solche, die in Anatolien begütert sind und durch den Übertritt ihr
Vermögen zu retten suchen.

                                                            Mordtmann.


218.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Pera, den 23. Dezember 1915.

Euerer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage Abschrift einer
mir soeben zugegangenen ~erstmaligen schriftlichen~ Äußerung
der Pforte auf die diesseitigen Noten bezüglich der armenischen
Angelegenheiten vorzulegen.

Die Notiz der Kaiserlichen Botschaft vom 4. Juli ist mittels Berichts
vom 7. Juli vorgelegt worden. Die von der Pforte in bezug genommene
Notiz vom 13. September bzw. die Verbalnote vom 16. November sind durch
Reklamationen deutscher Interessenten veranlaßt worden, über die ich
mir gegebenenfalls Berichterstattung vorbehalten darf.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


Anlage.

  Notice Nr. 75510.                               Le 22 Décembre 1915.

En réponse aux communications de l’Ambassade de Sa Majesté l’Empereur
d’Allemagne datées des 3 Juillet, 13 Septembre et 16 Novembre 1915
et relatives au déplacement des arméniens, il est porté à sa haute
connaissance ce qui suit:

En premier lieu il est à remarquer que les mesures prises à l’égard de
la population arménienne de l’Empire rentrent dans le domaine des actes
d’Administration intérieure du pays; elles ne sauraient donc faire
l’objet d’une démarche diplomatique fussent-elles de nature à toucher
inévitablement aux intérêts des étrangers y établis. En effet, il est
incontestable que tout Etat a le droit de prendre les mesures propres
à enrayer un mouvement subversif propagé sur son territoire; surtout
lorsque ce mouvement se produit en temps de guerre.

L’Ambassade de l’Empire Allié, dans son appréciation éclairée a bien
voulu du reste confirmer la justesse de ce point de vue. C’est ainsi
qu’elle a reconnu dans son memorandum du 3 Juillet, que les mesures
de répression décrétés contre la population arménienne des provinces
de l’Anatolie Orientale sont dictées par des raisons militaires et
constituent un moyen de légitime défense. En effet partout où les
mesures en question ont été appliquées, elles ont été provoquées par
les mêmes motifs impérieux.

Pour ce qui est de la responsabilité des dommages que le commerce
allemand aurait subis, le Gouvernement Impérial Ottoman ne peut que
la décliner; car l’Ambassade de sa Majesté l’Empereur voudra bien
reconnaître elle-même que l’exercise d’un droit légitime ne peut
donner lieu à une réclamation quelconque. On pourrait d’autant moins
prétendre la responsabilité du Gouvernement Impérial que malgré les
soucis de la défense nationale qui doit absorber toute son attention,
il fait preuve d’une extrême vigilance afin de réduire aux minima
les préjudices qui pourraient résulter du déplacement des personnes
susindiquées. C’est dans cet ordre d’idées que la Loi provisoire du
17 Zilkadé 1333[115], contenant les garanties désirables pour la
sauvegarde de tous les intérêts a été promulguée.

S’il importe de déterminer la responsabilité des dommages et
perturbations -- lesquels sont ressentis dans la vie économique
ottomane dans une mesure incomparablement supérieure -- elle ne doit
en réalité être attribuée qu’aux ennemis communs extérieurs qui ont
provoqué et encouragé le mouvement révolutionnaire arménien dans
l’Empire, ainsique cela résulte des documents authentiques.

En ce qui concerne les considérations de l’Ambassade Impériale relative
aux délais, la Loi du 17 Zilkadé étant exécutoire depuis sa publication
à l’égard de toute personne intéressée, les sujets étrangers devront
s’y conformer aussi bien que les ottomans pour faire valoir leurs
réclamations dans les délais impartis.

En conséquence de ce qui précède les réserves formulées par l’Ambassade
Impériale d’Allemagne dans les communications susvisées des 3 Juillet,
13 Septembre et 16 Novembre ne peuvent qu’être déclinées.


219.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Pera, den 27. Dezember 1915.

Auf den Erlaß vom 12. d. M.[116]

Monsignore Dolci bestätigt, daß Halil Bey, der Minister des
Auswärtigen, ihm seinerzeit in Aussicht gestellt habe, daß die
Verfolgung der katholischen Armenier eingestellt und den Deportierten
die Rückkehr in ihre Heimat gestattet werden sollte, aber diese Zusage,
die übrigens in keiner bindenden Form erfolgte, ist nicht erfüllt
worden, wenigstens soweit es sich um die Rückkehr der Verschickten
handelt. Wenn seitdem von weiteren Verfolgungen gar nichts mehr
verlautet ist, so hat das seinen Grund darin, daß die Austreibung
der Armenier in der Hauptsache beendet ist. Ein weiterer Schritt
des apostolischen Delegaten, um die Wiedereröffnung der gesperrten
katholischen Kirchen und die Rückkehr der verbannten Geistlichen in
ihre Diözesen zu erlangen, wurde auf der Pforte als „Einmischung in die
inneren Angelegenheiten der Türkei“ aufgefaßt und hatte keinen Erfolg,
außer etwa, daß der Bischof von Kaisarijeh (Caesarea) nachträglich nach
Aleppo verschleppt wurde.

Ferner ist zu bemerken, daß die Zahl der Armenier, die der Verschickung
entgangen sind, geringer ist, als Herr Dr. Straubinger annimmt. In der
europäischen Türkei dürften, nachdem die armenische Bevölkerung der
größeren Städte und Ortschaften im Innern in den letzten Monaten nach
Anatolien übergeführt worden ist, nur spärliche Reste verblieben seien.

Was die Fürsorge für die in den Konzentrationslagern in Anatolien (z.
B. in Eskischehir, Konia, Eregli, Aleppo) und sonst angesammelten
Armenier betrifft, so halte ich die Anregung des Dr. Straubinger für
unausführbar, da die Pforte jeder Hilfeleistung von auswärts und sogar
von seiten der beteiligten Patriarchate die größten Schwierigkeiten
in den Weg legt. Eine solche Aktion würde voraussichtlich das Zeichen
dazu geben, daß die Pforte diejenigen Armenier, die durch Zufall oder
infolge Duldung seitens der Lokalbehörden in Anatolien verblieben sind,
nach Mesopotamien oder Syrien abschiebt.

Ebenso halte ich es für ausgeschlossen, daß die Verschickten je wieder
in den Besitz ihres von der Regierung beschlagnahmten Eigentums
gelangen. In einem Spezialfalle wurde auf dem Ministerium des Innern
erklärt: Die Rückkehr der betreffenden Individuen in ihre Heimat sei
unzulässig, weil sie dort ihr Eigentum nicht mehr vorfänden, von dem
inzwischen die Liquidationskommission Besitz ergriffen habe.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


220.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Pera, den 31. Dezember 1915.

    Notiz.

Amerikanischer Botschafter sagte mir heute, daß 4000 protestantische
und katholische Armenier in Aintab bedroht seien und die
Abtransportierungen begonnen hätten. Wer nicht Muslim werde,
werde verschickt. Talaat Bey habe ihm seinerzeit versprochen, die
Protestanten und Katholiken in Ruhe zu lassen. Mir ebenfalls.

                                                           Metternich.


221.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                Konstantinopel, den 31. Dezember 1915.

    An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Vertreibung von Protestanten und Katholiken von Aintab steht angeblich
bevor oder hat begonnen. Erbitte Drahtbericht.

                                                           Metternich.



Anhänge

zum Jahr 1915.


222.

                            Loi provisoire
    concernant les biens, les dettes et les créances des personnes
                        transportées ailleurs.

Art. I. -- Les biens, les dettes et les créances des particuliers et
des personnes morales transportés ailleurs, conformément à la loi
provisoire du 14 mai 1331, sont liquidés par les tribunaux sur la
présentation des bilans dressés spécialement, pour chaque personne, par
une commission instituée à cet effet.

Art. II. -- Les propriétés bâties (vakf Idjarétéinli) et les terrains
vakfs appartenant aux personnes dont il est question à l’article I,
sont inscrits au nom de la caisse du ministère des fondations pieuses;
les autres immeubles sont inscrits au nom du ministère des finances.
Après épuration de la situation du propriétaire il lui sera remis le
reliquat du montant de la valeur de sa propriété payée par l’un de ces
deux ministères.

Dans les procès concernant les immeubles et relatifs, soit à des
contestations de propriété, soit à d’autres objets, la partie adverse
est représentée par les fonctionnaires du cadastre. On peut établir
la propriété par d’autres preuves que les actes de propriété délivrés
par le ministère des Cadastres, pourvu qu’il ne s’agisse pas d’un
acte aprocryphe. Si dans les actes de transfert et de vente faits par
les personnes susvisées, dans les 15 jours avant leur transport, on
constate à la suite d’un procès, l’existence d’une simulation ou d’une
tromperie excessive l’acte conclu est annulé.

Art. III. -- L’argent liquide, le bien mobilier délaissé, les créances
et les dépôts des personnes précitées sont réunis, repris et exigés
par les présidents des commissions ad hoc qui, en même temps, opèrent
la vente des biens mobiliers délaissés pour lesquels il n’y a pas de
contestation. Les sommes ainsi produites sont laissées en dépôt dans
les caisses du ministère des finances au nom de leur propriétaire.

Art. IV. -- Un délai de deux mois est imparti à ceux qui prétendent
avoir des droits sur les meubles délaissés ou qui disent avoir des
créances sur les personnes transportées pour s’adresser personnellement
ou par l’entremise d’un fondé de pouvoirs aux commissions et faire
inscrire leurs réclamations. Ce délai est de 4 mois pour les personnes
habitant l’étranger. Elles sont obligées, en outre, d’élire un domicile
dans la ville où siège de la commission pour qu’on puisse leur faire
toute sorte de communications. Les procès intentés après ce délai
suivent les règles de la procédure ordinaire et les personnes ayant
eu gain de cause dans ces procès ne peuvent pas s’adresser aux biens
liquidés conformément à la présente loi.

Art. V. -- Les commissions recherchent les preuves de chaque créance et
dette, elles acceptent et enregistrent celles qu’elles trouvent fondées
et envoient les créanciers aux tribunaux compétents après avoir inscrit
les procès en contestation concernant les bien délaissés. Ensuite, la
commission dresse le bilan du passif et de l’actif de chaque personne
et porte ce bilan à la connaissance des intéressés en affichant aux
endroits voulus les copies légalisées de ces bilans dont ils expédient
les originaux au procureur général avec les pièces y afférentes.

Le procureur envoie ces papiers au tribunal de première instance dans
la circonscription du quel se trouvait la demeure légale du débiteur
avant son transport et demande à ce tribunal d’enregistrer les dites
pièces. Les créanciers peuvent faire des objections à ces procès
verbaux, devant le tribunal compétent et dans les 15 jours suivant la
date de l’affichage.

A l’expiration de ce délai le tribunal examine les comptes en présence
du procureur général et, s’il y a eu des objections il convoque
d’urgence la personne qui les a formulées et le président de la
commission ou son remplaçant pour prendre connaissance de la demande
et de la défense. Après quoi, le tribunal apporte les modifications
voulues aux bilans en cause et les ayant enregistrés les rend aux
commissions sous forme de sentence pour qu’ils soient exécutées
conformément aux dispositions de l’article suivant: Ces sentences
ne sont susceptibles ni d’objection ni de renvoi, ni d’appel ni de
cassation.

Art. VI. -- Le soin de payer conformément à la sentence définitive du
tribunal les dettes privilégiées et ordinaires du débiteur incombe
aux commissions de liquidation et aux bureaux exécutifs, lorsque ces
commissions ne siègeront plus. Sil’ensemble des biens du débiteur ne
suffit pas à payer intégralement ses dettes ordinaires et privilégiées
on paie ces dernières au prorata de l’actif.

Art. VII. -- Les saisies conservatoires et les saisies exécutoires
mises sur les biens des personnes transportées, soit par les tribunaux,
soit par les administrations de l’Etat sont nulles et ceux qui ont
fait ces saisies doivent se conformer à la présente loi. Ceux qui ont
des procès en cours contre les personnes transportées sont libres de
s’adresser aux commissions ou de laisser l’affaire suivre son cours
normal conformément aux dispositions générales.

A ceux qui ne s’adressent pas aux commissions s’applique le dernier
paragraphe de l’article quatre. Les procès en cours en faveur de ces
personnes sont poursuivis par le président de la commission ou par son
préposé.

Art. VIII. -- Le façon dont les commissions vont être instituées et
l’application des différentes dispositions de la présente loi seront
fixés par un réglement.

Art. IX. -- Les immeubles bâtis de la catégorie des vakfs Idjaréteinli
ainsi que les terrains vakfs et les autres immeubles inscrits au compte
des ministères de l’Evkaf et des finances pourront être, conformément
aux règlements concernant les immigrés, distribués aux immigrés.

Art. X. -- Les ministres de l’evkaf, de l’intérieur, de la justice et
des finances sont chargés de l’exécution de la présente loi.

Art. XI. -- La présente loi entre en vigueur dès sa promulgation.

      Le 13. ejlul 1331
      (= 26. September 1915.)


223.

Bericht über Senatsverhandlungen im Oktober und November 1915.

1. Sitzung vom 21. ejlul 1331 (= 4. Oktober 1915); Verhandlungsberichte
S. 301.

Ahmed Riza Bey: Tausende und Hunderttausende von Frauen, Kindern
und Greisen irren heute elend und ratlos auf den Straßen und in den
Bergen Anatoliens umher. Von dem Gerechtigkeitssinn der Regierung
erwarte ich, daß diese Leute noch vor Eintritt des Winters entweder
in ihre Heimatsorte zurückgebracht oder dort angesiedelt werden,
wo sie es wünschen. Falls das hohe Haus sich diesem meinem Wunsche
anschließt, bitte ich den Herrn Präsidenten, der Regierung hiervon
Mitteilung zu machen. (Rufe: Einverstanden!) Ich überreiche auch
einen Gesetzesvorschlag und bitte, ihn in die nächste Tagesordnung
aufzunehmen zwecks Überweisung an den Ausschuß für Gesetzesvorschläge.

2. Sitzung vom 28. ejlul 1331 (= 11. Oktober 1915);
Verhandlungsberichte S. 305 ff.

Der Gesetzesvorschlag Ahmed Riza Beys gelangt zur Verlesung.


Gesetzesvorschlag.

Ich schlage vor, den Art. 11 des provisorischen Gesetzes vom 13.
ejlul 1331 (= 26. September 1915) über das Vermögen der an andere
Orte verbrachten Personen und über ihre hinterlassenen Schulden und
Forderungen folgendermaßen abzuändern:

Dies Gesetz gelangt nach Beendigung des Weltkrieges und einen Monat
nach Bekanntgabe des Friedensschlusses zur Ausführung.


Motive:

1. Kriegszeiten geben niemand das Recht, anderen bewegliches oder
unbewegliches Vermögen wegzunehmen.

2. Wo Grundstücke veräußert werden, sind jetzt gerade die Personen,
die für den Ankauf das meiste Interesse haben, nämlich die Bauern und
die Ortsansässigen, wegen des Krieges abwesend. Ferner können sich
jetzt wohlhabende Leute, die für diese Grundstücke angemessene Preise
bezahlen würden, kein Geld beschaffen. Im gegenwärtigen Augenblick
würde daher der Verkauf dieser Grundstücke ihre Eigentümer schwer
schädigen, außerdem würde die Mitbewohnerschaft des betreffenden Ortes
keinen Vorteil davon haben.

3. Dieses provisorische Gesetz, das zwei Tage vor Eröffnung des
Parlaments erlassen worden ist, widerspricht dem Art. 16 der
Verfassungsurkunde in verschiedener Hinsicht. Auch ist es unvereinbar
mit Recht und Gerechtigkeit. Dieses Gesetz muß daher zunächst durch das
Parlament gehen und erst nach dem Kriege zur Ausführung kommen. Deshalb
verlange ich gemäß Art. 53 der Verfassung die vorstehende Abänderung.

    Am 21. ejlul 1331.                                     Ahmed Riza.


Stellvertr. Präsident: Das in dem Antrag angezogene Gesetz betrifft den
Verkauf des Vermögens einer gewissen Klasse abwesender Personen. Das
Gesetz ist am 13. ejlul veröffentlicht worden und ist mit diesem Tage
in Kraft getreten. Ahmed Riza Bey schlägt vor, daß das Gesetz einen
Monat nach Friedensschluß in Kraft tritt und daß ein Artikel abgeändert
wird. Das provisorische Gesetz selbst ist aber noch nicht zu uns
gelangt, auch wissen wir nicht, wann es zu uns kommen wird. Wollen wir
den Antrag dem Ausschuß für Gesetzesvorschläge überweisen in Erwartung
des Eingangs des provisorischen Gesetzes?

Musa Kiazim Effendi: Natürlich muß der Antrag diesem Ausschuß zugehen.

Stellvertr. Präsident: Gut. Nach Eingang des provisorischen Gesetzes
soll dann der Antrag zusammen mit dem Gesetz beraten werden.

Ahmed Riza Bey: Ist das Gesetz heute in Kraft oder nicht?

Stellvertr. Präsident: Ich kenne das provisorische Gesetz nicht. Sie
sagen ja selbst, daß es vom Tage der Bekanntgabe ab in Kraft ist.

Ahmed Riza Bey: Ich habe es im Amtsblatt gelesen. Es ist am 12. ejlul
veröffentlicht worden und vom Tage der Veröffentlichung ab in Geltung.

Stellvertr. Präsident: Dann verlangen Sie also die Abänderung von Art.
11.

Ahmed Riza Bey: Wir wissen nicht, wann das Gesetz zu uns kommt. Was
soll geschehen, wenn es überhaupt nicht zu uns kommt, oder erst so
spät, daß keiner der Betroffenen überhaupt noch Vermögen hat?

Hüsni Pascha: Es scheint mir zwecklos, den Antrag an den Ausschuß
gehen zu lassen. Wir haben das Gesetz selbst noch nicht, können also
einen Abänderungsvorschlag nicht in Erwägung ziehen.

Mahmed Pascha: Der Antrag muß doch an den Ausschuß gehen.

Aristidi Pascha: Zunächst mag sich der Ausschuß dazu äußern.

Stellvertr. Präsident (läßt abstimmen): Die Mehrheit ist für
Überweisung des Antrags an den Ausschuß.

3. Sitzung vom 19. teschrin-i-ewwel 1331 (= 1. November 1915);
Verhandlungsberichte S. 331:

Ahmed Riza Bey: Ich hatte früher gebeten, die Aufmerksamkeit der
Regierung auf gewisse Punkte betreffend die in den Bergen Anatoliens
herumirrenden bedauernswerten Leute zu lenken. Das hohe Haus hatte sich
meiner Bitte angeschlossen. Ist die Regierung auf die Notwendigkeit,
Maßnahmen zur Erleichterung des Loses dieser Personen zu treffen,
hingewiesen worden, und zu welchem Ergebnis ist es gekommen?

Präsident: Auf den Beschluß des hohen Hauses habe ich mich mit der
Regierung über diese Frage besprochen. So wie die Regierung sich bemüht
hat, die Hindernisse zu beseitigen, die das Wohlergehen der Bevölkerung
irgendwie beeinträchtigen könnten, bemüht sie sich auch Mittel zu
finden, durch die das Wohlergehen dieser Personen sichergestellt
wird. Sie hat sogar zu diesem Zweck den Direktor für Angelegenheiten
von Auswanderern lediglich für diese Angelegenheit in jene Gegenden
entsandt[117]. Kredite sind bereitgestellt worden, und weitere Beamte
werden entsendet. Die Regierung läßt sich die Sorge für das Wohlergehen
dieser Personen angelegen sein. (Rufe: Sehr gut.)

Ahmed Riza Bey: Wie Sie wissen, stehen wir schon im Winter. Wenn etwas
geschehen soll, muß es so bald wie möglich geschehen. Die Regierung hat
Ihnen doch in diesem Sinne amtlich Auskunft erteilt, nicht wahr?

Präsident: Jawohl.


224.

                            Aufzeichnung
  über die geplante Deportation der Armenier von Mossul, Dezember 1915.

Im Spätsommer 1915 waren auf Anordnung der türkischen Regierung
die in Bagdad wohnhaften Armenier nach Mossul deportiert worden.
Kurz nach der Ankunft des Feldmarschalls Freiherrn v. d. Goltz in
Bagdad (Dezember 1915) erließ der bisherige Oberkommandierende in
Mesopotamien, Nureddin Bey, den Befehl, diese Armenier von Mossul
weiter zu transportieren und auch die in Mossul ansässigen Armenier
nach dem Euphrat zu schaffen. Der Feldmarschall erhielt zufällig
Kenntnis von dieser militärisch in keiner Weise gerechtfertigten
Maßnahme und intervenierte energisch bei den Wilajetbehörden. Zunächst
ohne jeden Erfolg. Die Sache zog sich fast einen Monat lang hin, und
der Feldmarschall konnte zunächst nur erreichen, daß die Armenier
einstweilen in Mossul auf weitere Weisung warten sollten. Als bis Mitte
Januar 1916 keine Weisung aus Konstantinopel eingetroffen war, verbot
der Feldmarschall auf Grund seiner Oberbefehlshaberbefugnisse dem Wali
von Mossul, die Armenier weiter zu transportieren. Der Wali berichtete
erneut nach Konstantinopel. Eine Antwort war bis zum 27. Januar nicht
eingetroffen, vielmehr kam die Nachricht, die Regierung bestehe auf
dem Abtransport. Hierauf bat der Feldmarschall telegraphisch um seine
sofortige Abberufung. Erst jetzt antwortete Enver Pascha in einem
verbindlich gehaltenen Telegramm, in welchem er Zusicherungen bezüglich
des Verbleibens der Armenier in Mossul machte, im übrigen aber den
Feldmarschall darauf hinwies, daß ihn seine Oberbefehlshaberbefugnisse
nicht berechtigen, sich in die inneren Angelegenheiten des türkischen
Reiches einzumischen.

Der Feldmarschall wollte auch jetzt noch auf seinem Abschiedsgesuch
bestehen, gab diese Absicht aber auf, da er ja in der Sache selbst
seinen Willen durchgesetzt hatte, und da er sich für verpflichtet
hielt, angesichts der schwierigen militärischen Lage von Kut-el-Amara
auf seinem Posten zu bleiben.

Berlin, den 19. November 1918.

                                               Legationsrat Dieckhoff.



1916



_Januar._


225.

    Telegramm.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)                        Aleppo, den 3. Januar 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Antwort auf Telegramm vom 31. Dezember.

In Aintab waren nach den Verschickungen vor einigen Monaten noch
7 bis 8000 Armenier geblieben. Von diesen sind jetzt 5 bis 6000
ohne Unterschied der Konfession teils schon verschickt, teils in
Verschickung begriffen; der Befehl hierzu ist anscheinend von
militärischer Seite ergangen wahrscheinlich unter dem falschen Vorwand
der Anteilnahme am Widerstand der Stadt Urfa. Jetzt ist auch die letzte
protestantische Kirche in Aintab geschlossen.

                                                               Rößler.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.

    Notiz.

Die Meldung wurde Halil Bey mitgeteilt. Er erklärt die Nachricht für
unrichtig. Es seien nur einige an der Bahn angesiedelte Armenier aus
militärischen Gründen weiter geschickt worden.

                                                              Neurath.


226.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                      Aleppo, den 3. Januar 1916.

Euerer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage die folgenden
Nachrichten zur Armenierverschickung:

1. Abschrift eines Berichtes des Diakons Künzler aus Urfa über
die dortigen Vorgänge seit Anfang August bis Anfang Dezember. Der
Bericht wiederholt zwar zum Teil schon Bekanntes, verdient aber
doch eine Wiedergabe. Insbesondere ist daraus zu entnehmen, daß
gegen 600 Armenier bereits abgeschlachtet waren, ehe die Kämpfe
Anfang Oktober begannen, nämlich 100 in der Stadt, ungefähr 100
eines Arbeiterbataillons im Norden der Stadt, und 400 eines
Arbeiterbataillons im Süden der Stadt, abgesehen von den bereits
vorher Verschickten und auf dem Wege nach Diarbekr Ermordeten. Neu
ist auch, was er über das Geschick der Stadt nach ihrer militärischen
Niederzwingung berichtet.

2. Ein deutscher Ingenieur, der während der entscheidenden Ereignisse
wochenlang in Ras-ul-Ain und Tell-Abiad für den Bau der Bagdadbahn
beschäftigt war und dessen Glaubwürdigkeit die allerbeste ist,
gab erschütternde Berichte, die einen Einblick in die bewußte und
gewollte Vernichtung der Verschickten durch türkische Regierungsorgane
gewährten. Die von den Armeniern immer wieder vorgebrachte Erzählung,
daß die Züge der Verbannten absichtlich kreuz und quer geführt
worden sind, um sie „zu Tode zu wandern“ fand an einem Beispiel
ihre Bestätigung. Ein Trupp Verschickter aus Urfa hat folgenden Weg
zurücklegen müssen:

    Von Urfa nach Tell-Abiad,
     „  Tell-Abiad nach Rakka,
     „  Rakka nach Tell-Abiad,
     „  Tell-Abiad nach Rakka.

Die Strecke von Tell-Abiad nach Rakka beträgt in der Luftlinie rund 90
km.

3. Die schon öfter gemeldete und soeben wieder bestätigte Tatsache,
daß Regierungsorgane die Bevölkerung zur Vertilgung der Armenier
aufgefordert und ermutigt haben, kann dahin eingeschränkt werden,
daß Djemal Pascha, der Höchstkommandierende der 4. Armee, persönlich
die Vernichtung der Armenier nicht gewollt hat. Sein Wille hat sie
nicht aufzuhalten vermocht, aber es ist eine Erleichterung, in dem
grauenhaften Bilde auch einmal einen versöhnlichen Zug entdecken zu
können. Das Sammellager der Armenier in Islahije ist 6 Wochen lang,
trotz der Verteidigung durch deutsche Ingenieure, der Gegenstand
zahlreicher Raubüberfälle durch Kurden gewesen, bei denen Frauen und
Kinder abgeschlachtet wurden. Als Djemal Pascha durchkam und ihm
darüber Vortrag gehalten wurde, stellte er seine 12 Leibgendarmen
zur Verfügung, die sehr energisch gegen die Kurden vorgingen und
einige gefangen einbrachten. Diese sind dann gehängt worden. Wenn die
Zustände im Bereich der 4. Armee, obwohl sie schlimm genug sind, doch
nicht an diejenigen im Bereiche der 3. Armee heranreichen, so wird
neben den durch die geographische und politische Lage sowie durch den
verschiedenen Stand der Verkehrswege bedingten Unterschieden auch der
Einfluß Djemal Paschas in Anschlag zu bringen sein[118].

4. Während ich früher wiederholt berichtet habe, daß Leichen der
Armenier unbeerdigt geblieben sind und den Raubtieren zum Opfer
fielen, kann nach neuerdings mir erstatteten mündlichen Berichten kein
Zweifel mehr sein, daß auch noch lebende Armenier, die im Krankheits-
und Erschöpfungszustande im Freien lagerten und um die sich niemand
kümmerte, von Hunden angefressen worden sind.

Es liegt dafür das Zeugnis eines älteren deutschen Ingenieurs von
unbedingter Zuverlässigkeit vor, der, in Arab-Punar stationiert, die
Strecke zwischen dort und Harab-Nass unter sich hatte. Die Beobachtung
ist sowohl von ihm selbst, wie von seinen eingeborenen Angestellten
gemacht worden. Sein Name steht auf Erfordern zur Verfügung.

Der Leichengeruch auf der Straße zwischen diesen beiden Stationen war
derartig stark, daß er sich mehrfach das Gesicht verbunden hat, wenn er
sie zu Pferde zurückzulegen hatte.

Gleichen Bericht lasse ich dem Herrn Reichskanzler zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
   Herrn Grafen Wolff-Metternich, Hochgeboren.


Anlage 1.

  Deutsche Missionsklinik Urfa.            Urfa, den 5. Dezember 1915.

Ich nehme an, daß Sie über die meisten hiesigen Vorgänge seit August
richtig unterrichtet sind. Dennoch möchte ich hier etwas wiederholen.
Vielleicht, daß darunter doch noch etwas ist, was Sie nicht wissen.

Anfang August Ankunft zweier Beys von Diarbekir. Gleich darauf begann
der Todestransport der schon lange gefangen gehaltenen Armenier,
darunter auch unser Apotheker Abraham. Am 15. August beginnt neue
Suche nach jungen Armeniern, behufs angeblichen Soldatendienstes. Am
19. August wurde bei einer Hausdurchsuchung aus dem Hinterhalt ein
Polizist niedergeschossen, nachmittags 3 Uhr. Die übrigen Polizisten
springen weg ins muslimische Quartier und melden es der Obrigkeit.
Die beiden Beys von Diarbekr gaben Orders zu einem Massakre. Bis
zum Abend fielen ca. 100 Armenier. Anderen Tags werden ungefähr 100
Armenier des Arbeiterbataillons eineinehalbe Stunde nördlich von
Urfa abgeschlachtet. Anderen Tags 400 eines im Süden arbeitenden
Arbeiterbataillons. Seit dem 19. August Stille, aber die Armenier
bleiben in ihren Häusern. Am 29. September suchte die Polizei nach
jungen Armeniern, welche nachts zuvor aus einem Hause Schüsse abgaben.
Hierbei wurde wieder auf sie geschossen. Wer fliehen konnte, floh. Auf
dem Markte befindliche Armenier wurden abgeschlachtet, doch hatten
sich seit dem 19. August nur einzelne auf den Markt herausgewagt.
Schon am Abend war das armenische Viertel für Muhammedaner nicht mehr
zugänglich. Dann begann die Belagerung des armenischen Stadtviertels,
welche ja für die Armenier schlecht enden mußte. Am 16. Oktober die
Internierung der meist unbeteiligten Armenier, besonders Frauen und
Kinder. Die Männer, die sich übergeben hatten, wurden abgeschlachtet,
auch einige gehängt. Die Frauen und Kinder nach und nach in den Süden
verschickt. Die Suche nach dem Rest der Armenier, welche sich nicht
ergaben, sondern sich in Brunnen und Verstecken verborgen hatten,
dauerte noch recht lange, bis Mitte November.

Anfänglich ließ man an der Revolution unbeteiligte Bäcker am Leben und
in ihren Läden arbeiten, aber am 20. November entfernte man auch diese,
indem man sie auf den Weg schickte und sie dann draußen abschlachtete.

Ein paar Armenier, die das zweifelhafte Metier hatten, den Türken die
Wege zu den Verstecken zu zeigen, durften mit ihren Familien in Urfa
bleiben. Auch Apotheker Karekin kann bleiben, aber jetzt werden diese
Leute halb und halb gezwungen, Muslim zu werden. Unserem Apotheker
wurde es heute nahegelegt, wenn er bleiben wolle, wenigstens einen
muslimischen Namen anzunehmen. Wahrscheinlich wird auch unserem Arzt
diese Sache nahegelegt.

Das an dem Aufstand völlig unbeteiligte einzige christliche Dorf
Garmudj ist letzte Woche auch verschickt worden! Sehr traurig!

Oft denke ich, wenn nur jemand von uns nach Rakka, Der-es-Zor
usw. gehen könnte, um dem Rest Überlebender der Verschickten
beizustehen.[119] Allein ich bin sicher, die Regierung würde eine
Hilfe unsererseits nicht zulassen. So müssen wir denn das Volk einfach
untergehen lassen.

                                                       Jakob Kuenzler.

  An den Kaiserlich Deutschen Konsul Herrn Rößler in Aleppo.


Anlage 2.

Publication aux Vilayets.

Malgré les ordres et communiqués que j’ai donnés pour que la population
arménienne expédiée en différents endroits ne soit soumise à aucune
oppression et mauvais traitement, j’apprends des faits regrettables qui
se sont produits.

Ci-dessous quelques détails que j’ai reçus jusqu’à présent à ce sujet:

1. Une oppression a été faite pendant la recherche d’armes et un
certain nombre d’arméniens ont dû acheter des armes à des prix très
élevés de leurs voisins turcs et circassiens pour les livrer au
gouvernement.

Un certain nombre de leurs chevaux et de leurs effets de valeur ont été
volés.

Sous prétexte qu’ils seront rationés en route ils ont été laissés sans
pain et sans eau.

Ils ont subi de la part des fonctionnaires chargés de les accompagner
un traitement sévère et inutile tel que d’insultes et des voies de
faits.

Pendant leurs étapes ils ont dû se suffir des 25-30 Drames de pain et
une solde de 25 paras par jour.

Les employés et professeurs des écoles et orphelinats arméniens ont
subi le même traitement que la population indigène au lieu d’être
renvoyés dans leurs provinces. On ne laissa même pas à certains d’entre
eux le temps de prendre leurs effets. A Gueben des femmes ont été
convoquées au moment où elles faisaient leurs lessives et dûrent se
mettre en route pieds-nus et sans avoir pu emporter les linges qu’elles
avaient lavés.

Certains pères de familles ont été expédiés à des endroits séparément
de leurs femmes et enfants. Et par manque de moyens de transport,
certaines femmes ont dû se débarasser de leurs enfants comme d’une
charge inutile et les ont laissés au bord d’une route ou au revers
d’une haie et même certaines entre elles essayèrent de les vendre.

La permission de faire venir leurs bêtes qui se trouvaient à quelque
distance de leurs lieux d’habitation leur a été refusée.

De pareils traitements portent atteinte à notre honneur national et
forment une tâche au nom de l’Ottomanisme. J’attire donc l’attention
des autorités compétentes à ce sujet.

2. Enquêtes sévères doivent être faites immédiatement au sujet de tous
ces évènements et les fauteurs de troubles seront punis pour cette fois
de réprimande. Tous ceux qui commettraient des actes pareils seront
considérés par moi comme des Ottomans indignes de ce nom et livrés à la
cour martiale sous inculpation de traîtrise de la Patrie.

3. Avant le déplacement de la population arménienne un délai fixe leur
sera donné et au moment de l’expulsion, ceux qui auront des voitures et
des chevaux en profiteront pour leur voyage. Le Gouvernement procurera
des moyens nécessaires de transport pour les autres.

4. Les malades resteront jusqu’à leur guérison, à l’endroit où ils se
trouvent.

5. La population sera expédiée avec une escorte de gendarmerie et
aisément. Une solde de 50 Paras aux adultes et aux hommes et de 30
Paras aux enfants sera donnée s’ils sont indigents.

6. Les gendarmes et les employés faisant partie de leur escorte sont
responsables de leur vie, de leurs biens et de leur honneur.

7. Aux endroits où ils seront établis tout leur nécessaire sera assuré
et tous seront sous la protection et affection du Gouvernement.

Je m’assurerai de l’exécution absolue de ces ordres par l’inspection
de mes officiers en qui j’ai toute confiance. Nul ne sera informé de
leurs enquêtes et suivant leurs rapports tous peuvent être assurés que
je punirai de la façon la plus rigoureuse ceux qui agiront contre ces
ordres.

                                                        Djemal Pascha.


227.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

                                          Aleppo, den 10. Januar 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Aus Aintab stammende Armenier, die schon 3 oder 4 Jahre hier wohnhaft
sind, erhielten die Aufforderung, Aleppo binnen einer Woche zu
verlassen.

Es gibt Anzeichen dafür, daß auch die in Aleppo ansässigen
Armenier verschickt werden sollen. Es scheint zu diesem Zwecke von
der Behörde eine Liste aufgestellt zu werden. Von Bab erfolgen
Weiterverschickungen, die in Widerspruch zu dem stehen, was Djemal
Pascha in Konstantinopel durchgesetzt hatte.

                                                               Rößler.


228.

  Kaiserliche Botschaft.                    Pera, den 20. Januar 1916.

    Telegramm.

    An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Auf Telegramm vom 10. Januar.

Die Pforte erklärt, daß Verschickung der Armenier aus Aleppo nicht
beabsichtigt sei.

                                                           Metternich.


229.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

                                          Aleppo, den 12. Januar 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Neuerdings werden 3000 armenische Witwen, die früher von Aleppo nach
Killis gesandt und dort verhältnismäßig gut aufgehoben waren, nach
Der-es-Zor verschickt, wobei die meisten zugrunde gehen. Könnte nicht
erreicht werden, daß wenigstens der jetzt noch verbliebene Rest dort
belassen wird?

                                                               Rößler.

Bei Halil zur Sprache gebracht. Er wollte Talaat Bey informieren.

                                                   20.1.1916. Neurath.


230.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                       Pera, den 24. Januar 1916.

Auf den Erlaß vom 12. Dezember v. J.[120]

Der hiesige Minister des Äußern, Halil Bey, hat auf meine Vorstellungen
hin auf das entschiedenste bestritten, daß zwangsweise Bekehrungen der
Armenier zum Islam in nennenswertem Umfange versucht worden seien. Bei
den vorgekommenen Fällen von Übergriffen unterer Beamter seien die
Betreffenden bestraft worden.

Die Versicherungen des Ministers stehen in Widerspruch mit den
übereinstimmenden Berichten, die der Kaiserlichen Botschaft wiederholt
über diese Frage aus verschiedenen Lokalitäten und aus von einander
unabhängigen Quellen zugegangen sind.

Aus den eingehenden Angaben des Vizekonsuls Kuckhoff in Samsun, die
von anderer Seite bestätigt wurden, ist zu schließen, daß namentlich
in den Distrikten am Schwarzen Meer die Islamisierung der Armenier --
teils durch Überredung, teils durch Drohungen -- in größerem Umfange
durchgeführt worden ist.

Allerdings haben anderwärts, wo zahlreiche Armenier aus eigenem
Antriebe, um der Verbannung und Vermögenskonfiskation zu entgehen, sich
zum Übertritt zum Islam entschlossen, die Behörden diese Bewegung nicht
begünstigt und die Übergetretenen trotzdem verschickt. Anscheinend
befürchtet man, daß durch weitere Massenübertritte der eigentliche
Zweck der Armenieraustreibungen, die völlige Unschädlichmachung der
armenischen Bevölkerung, vereitelt werden könnte.

Seitdem ist ein anderer weniger auffälliger Weg eingeschlagen worden.

So berichtet der Konsul Büge in Adana im Oktober v. J., daß der Leiter
des dortigen türkischen Waisenhauses den christlichen Zöglingen
eröffnet habe, daß in einem osmanischen Waisenhause die christliche
Religion keinen Platz hätte; wer nicht zum Islam übertrete, müsse
das Haus verlassen. Daraufhin verließen die christlichen Kinder das
Haus mit Ausnahme von 14 Knaben, die vermutlich inzwischen zum Islam
übergetreten sind.

Ferner teilte der armenische Patriarch Mitte Dezember hierher mit,
daß man in Anatolien begonnen habe, die weiblichen Mitglieder der
verschickten armenischen Familien, deren männliche Mitglieder
umgekommen oder verschollen sind, gruppenweise auf muhammedanische
Dörfer zu verteilen, um sie dem Islam zuzuführen; auch habe das
Kriegsministerium angeordnet, daß sämtliche im Heeresdienste
befindlichen Armenier Muhammedaner werden und schon jetzt
muhammedanische Namen erhalten sollten, während die eigentlichen
Formalitäten (Beschneidung) mit Rücksicht auf den Kriegszustand für
später vorbehalten werden.

Endlich wird behauptet, daß auch hier in der Hauptstadt von Türken
vielfach auf Armenier eingewirkt werde, damit sie zum Islam übertreten;
doch ist die Zahl der Übergetretenen im Verhältnis zur Gesamtzahl der
hiesigen armenischen Bevölkerung nur geringfügig. Angeblich haben bis
jetzt nur einige 20 Armenier den Islam angenommen, darunter namentlich
solche, die in Anatolien begütert sind und durch den Übertritt ihr
Vermögen zu retten suchen.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


231.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                     Aleppo, den 26. Januar 1916.

Zur Frage der Verschickung der Armenier aus Aleppo habe ich aus Anlaß
eines Einzelfalles von einem Polizeikommissar folgendes erfahren:

Es sind Befehle gegeben, jeden Armenier auszuweisen, der nicht ein in
Aleppo selbst ausgestelltes „Teskere Nufus“ (Heimatschein) besitzt,
und zwar ohne Rücksicht auf die Zeit, die er etwa schon in Aleppo
zugebracht hat. Nur ein solches gilt als Nachweis, daß der Inhaber
nicht zu den Verschickten gehört.

Ist also ein Armenier z. B. vor 10 Jahren aus einer anderen türkischen
Stadt nach Aleppo übergesiedelt und besitzt er ein Teskere Nufus aus
jener anderen Stadt, ohne indessen Veranlassung gehabt zu haben, dieses
Papier gegen ein hiesiges umzutauschen, so ist er der Verschickung
verfallen.

Mit diesem Befehl hat die Regierung eine Waffe in der Hand, die
Mehrzahl der hiesigen Armenier auszuweisen. Nur die hier Geborenen
sind sicher, und auch diese nur, soweit sie bei der Regierung
eingetragen sind, was bekanntlich bei den ottomanischen Untertanen
nicht durchweg geschieht. Von den Zugewanderten, d. h. also auch den
vor der Verschickung Zugewanderten, wird ein sehr erheblicher Teil
nicht im Besitze des hiesigen Papieres sein. Die Polizei ist mit den
Feststellungen beschäftigt. Auch sind manche hiesige Armenier auf diese
Art bereits verschickt worden.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
        Herrn Grafen Wolff-Metternich.


232.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                       Pera, den 28. Januar 1916.

Ein weiteres sicheres Beispiel für die Islamisierung der Armenier
wird vom Kaiserlichen Konsul in Aleppo gemeldet. Auf Antrag des Herrn
Rößler stand die Kaiserliche Botschaft im Begriff, sich für den Arzt
und den Apothekergehilfen des von der deutschen Orientmission in Urfa
unterhaltenen Spitals zu verwenden, welche von den Behörden verhaftet
worden waren und von denen der letztere bereits zum Islam übergetreten
war. Nunmehr zeigt Herr Rößler hier an, daß auch der Arzt, ein gewisser
Abuhaijatian, mit dem gesamten übrigen männlichen Personal des Spitals
Muhammedaner geworden sei und den Namen Arif angenommen habe. Trotzdem
ist er vom Kriegsgericht verurteilt worden. Die von den Behörden in
Urfa gesammelten Waisen sind ebenfalls dem Islam zugeführt worden. Nach
Ansicht des Herrn Rößler würde ein weiteres Eintreten für die auf diese
Weise Bekehrten nur zur Folge haben, daß sie verschickt und unterwegs
aus dem Wege geräumt werden.

Endlich wird in einem Briefe aus Konia bestätigt, daß die dort
konzentrierten Armenier allmählich weiter ins Innere abgeschoben
werden, wo sie auf türkische Dörfer verteilt und zur Annahme des Islam
genötigt werden.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


233.

     Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                     Aleppo, den 29. Januar 1916.

Mit dem von deutscher Seite für die armenische Hilfsaktion zur
Verfügung gestellten Gelde eine besondere Organisation zu schaffen,
ging nicht an, denn sie wäre von türkischer Seite nicht geduldet
worden. Auch war die Not so ungeheuer, daß den Hungernden nicht die
Hilfe zugunsten einer erst noch zu schaffenden Organisation verweigert
werden konnte. Ein großer Teil der im Herbst zur Verfügung gestellten
Summen ist durch das hiesige Missionsehepaar Spieker verteilt worden,
dem die Notleidenden vielfach persönlich bekannt waren und das seine
Vertrauensleute hatte, so daß für Verwendung für wirklich Bedürftige
gesorgt war.

Von armenisch-protestantischer Seite ist ein Waisenhaus geschaffen und
hierfür die wohlwollende Unterstützung des Deutschen Konsulats erbeten
worden. Formell konnte ich sie nicht gewähren, aber tatsächlich. Ich
gab die Genehmigung, daß ein hinter dem Deutschen Konsulat gelegenes,
von einem Deutschen zur Verfügung gestelltes Haus benutzt würde.
Die Polizei hat darauf dieses Haus unbelästigt gelassen, wohl in der
stillschweigenden Annahme, daß sie andernfalls auf den Widerstand
des Deutschen Konsulats stoßen würde. Es hieß dann bei den Armeniern
wie bei den Behörden das „Deutsche Waisenhaus“. Ich habe monatliche
Beiträge seit September beigesteuert und diese Beisteuer zunächst bis
Ende April zugesagt.

Aleppo ist gegenwärtig der Mittelpunkt eines Hilfswerks an den
Armeniern, das sich auf Bab, Membidj, Der-es-Zor, Damaskus u. a.
Plätze erstreckt. Auf Vorschlag der Schwester Beatrice Rohner habe ich
kürzlich für Waisenarbeit in der Umgegend von Damaskus einen Beitrag
zur Verfügung gestellt.

Ein zweites hiesiges Waisenhaus, welches auf Verwendung des Freiherrn
von Kreß durch Befehl Djemal Paschas der deutschen Schwester Beatrice
Rohner zur Verwaltung übergeben worden ist, nachdem es bis dahin von
türkischer Seite geleitet worden war, zählt zurzeit 376 Kinder.

Die Regierung hat die Absicht, die sämtlichen Waisenkinder aus Aleppo
nach Konstantinopel überzuführen. Sie hat nur die Ausführung dieser
Absicht mit Rücksicht auf die winterliche Ungunst des Wetters und
mit Rücksicht darauf, daß die Beförderungsmittel ausschließlich für
militärische Zwecke gebraucht werden, auf das Frühjahr verschoben.
Durch die Überführung würde in einschneidender Weise in die
gegenwärtige Gestaltung der Hilfsaktion eingegriffen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
        Herrn Grafen Wolff-Metternich.


234.

     Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                     Aleppo, den 31. Januar 1916.

Euer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage Abschrift eines
Briefes des Diakons Künzler in Urfa, aus welchem hervorgeht, daß die
letzten in Urfa verbliebenen Armenier unter dem Zwange der Verhältnisse
den Islam angenommen haben. Darunter auch die von türkischer Seite in
Urfa gesammelten Waisen.

Über die Verhaftung von Dr. Arménak Abuhajatian, Arzt am Deutschen
Hospital, habe ich der Kaiserlichen Botschaft anderweit berichtet.
Aus dem Briefe geht hervor, daß er an den Widersetzlichkeiten der
Bevölkerung völlig unbeteiligt war.

Zwangsbekehrungen zum Islam sind vor einigen Wochen hier auch von
anderer Stelle bekannt geworden. In Caesarea war der Befehl ergangen,
die Armenier nach Siwas zu verschicken. Diese Verschickung bedeutete
den Tod. Möglicherweise um sie zu retten, ließ der Mutessarrif bekannt
werden, wer zum Islam übertrete, werde verschont. Viele traten über.
Eine Anzahl protestantischer und katholischer Geistlicher weigerten
sich, überzutreten. Auf mir nicht bekannt gewordene Weise kam es dahin,
daß diese nicht nach Siwas, sondern nach Eregli verschickt wurden,
auf welchem Wege die Gefahren geringer waren. Als sie nach mancherlei
Fährlichkeiten in Tarsus ankamen, trafen sie dort zufällig Freiherrn
von Kreß auf seiner Reise mit Djemal Pascha nach Konstantinopel. Er
führte sie beim Pascha ein, der ihnen sicheres Geleit nach Aleppo
gab und ihnen später teils Damaskus, teils Jerusalem als Wohnsitz
anwies. Von diesen stammt die Nachricht. Unter ihnen befindet sich der
protestantische Prediger Wahram Tahmissian, jetzt in Damaskus.

Gleichen Bericht lasse ich dem Herrn Reichskanzler zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
   Herrn Grafen Wolff-Metternich, Hochgeboren.


Anlage.

  Deutsche Missionsklinik Urfa.             Urfa, den 17. Januar 1916.

      Hochgeehrter Herr Konsul!

Sie erwarten wohl mit Recht wieder einige Zeilen von mir über die
Vorgänge in unserem Hospital.

Gestern vor 8 Tagen wurde plötzlich unser sich noch immer in
Rekonvaleszenz befindender Arzt von der Polizei abgefaßt. Eine Stunde
später geschah das gleiche auch mit dem Apothekergehilfen Hosep,
jetzt muhammedanisch Jussuf genannt. Als ich sah, daß die beiden
statt von der Polizei zurückzukehren, ins Gefängnis geworfen wurden,
begab ich mich abends zum Gouverneur, wobei ich nur erfuhr, daß der
Verhaftungsbefehl nicht aus Urfa, mutmaßlich aus Aleppo stammte. Am
folgenden Morgen sandte ich dann das Telegramm an Sie. Im Laufe der
Woche erfuhr ich unter der Hand, von wo der schlechte Wind wehte.
Wir hatten eine Zeit lang einen militärischen Obern hier, Z. G., der
jetzt dort weilt, welcher den Befehl gegeben. Ganz Urfa war empört
über die Gefangennahme der beiden, von denen jedermann bezeugen kann,
daß sie bei dem Widerstande völlig unbeteiligt waren. G. ist eben ein
roh Durchgehender. Hätte er vielleicht gewußt, daß unser Arzt, jetzt
Arif Eff. genannt, inzwischen, wie das ganze männliche eingeborene
Personal, muhammedanisch geworden ist, hätte er vielleicht den Befehl
nicht erlassen. Die Waisen, welche auf Befehl des jetzt dort weilenden,
früheren Obersten (Generals) Fakhri ed din Paschas hier gesammelt
wurden, sind alle vor kurzem „umgetauft“ worden, mitsamt den diversen
Hausmüttern.

Ich höre, daß der Arzt bereits verurteilt ist; wie lange die Strafe,
weiß ich nicht.

                                                        Jakob Künzler.



_Februar._


235.

     Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                     Aleppo, den 9. Februar 1916.

Aus dem andauernden langsamen Untergang größerer Teile des armenischen
Volkes berichte ich gehorsamst die folgenden Einzelzüge, die mir in den
letzten Wochen bekannt geworden sind:

Im November und Anfang Dezember befanden sich größere Massen von
Verschickten längs der Bahnstrecke von Adana nach Aleppo, insbesondere
in Islahiye und in Katma. Hier mußten sie aus militärischen Gründen
entfernt werden, um die Etappe frei zu bekommen und Übertragung
ansteckender Krankheiten auf das Heer zu verhüten. Die Abbeförderung
erfolgte zunächst mit der Bahn nach Ras-ul-Ain. Da aber die
Verschickten in Ras-ul-Ain dem Tode geweiht waren, und da ferner die
Bahn den gleichzeitigen Transport der Armenier und der Soldaten nicht
bewältigen konnte, so wurden die Armenier von Islahije und Katma zu
Fuß nach Akhterin und von Akhterin nach Bab verschickt. Die Strecke
von Katma bis Akhterin beträgt etwa 30 km und von dort bis Bab noch
einmal so viel. Es war also eine verhältnismäßig günstige Lösung.
Djemal Pascha setzte in Konstantinopel durch, daß die Armenier zwischen
Akhterin und Bab bleiben sollten. Dort wäre von der Station Akhterin
aus eine Verpflegung möglich gewesen. Diese Befehle sind aber wieder
umgestoßen worden, und die Unglücklichen werden von Bab nach Der-es-Zor
weiter geschickt. Mit welchem Ergebnis, darüber unterrichtet ein Brief
des Konsuls Litten, den er über seine Fahrt von Bagdad nach Aleppo
geschrieben hat. Wie es zwischen Meskene und Der-es-Zor aussieht,
darüber hatte ich unter dem 16. November schon einmal den Bericht eines
Deutschen eingereicht. Auf dieser Straße ist immer wieder der Strom
der Unglücklichen gezogen. Dort hat u. a. Seine Durchlaucht Prinz Reuß
etwa am 12. Januar zwischen den Stationen Tibne und Sabkha, wie er mir
erzählt hat, 15 Leichen am Wege liegen sehen, während sein Kutscher
noch mehr gezählt habe.

Anfang Januar hat zwischen Katma und Killis ein Mitleidiger 50 Kinder
am Wege aufgesammelt und nach Killis gebracht. Er wollte sie dem
Kaimmakam übergeben, dieser aber nahm sie nicht an, so daß sie im
Freien bleiben mußten. Am nächsten Morgen waren 30 der kranken und
erschöpften Kinder erfroren. Die Nachricht kommt aus armenischer
Quelle, doch liegt kein Grund vor, an ihrer Wahrheit zu zweifeln.

Ein Armenier, der den Mut hat, von Zeit zu Zeit von hier in Verkleidung
nach Bab zu gehen, um den Notleidenden Unterstützungsgelder zu
überbringen (deutschen Schwestern ist eine Tätigkeit außerhalb
Aleppos nicht erlaubt worden), berichtet, daß Ende Januar in den 2½
Tagen seines Aufenthalts in Bab 1029 Armenier gestorben seien. Das
Furchtbarste sei, wenn die Elenden und Kranken gezwungen würden, zur
Wanderung aufzustehen. Sie würden mit Schlägen weitergetrieben, ja ihre
Zelte würden ihnen angezündet. Er sei Zeuge gewesen, wie eine Frau auf
diese Weise mit dem Knüttel totgeschlagen wurde. Nach den Vorgängen,
die sich früher in der Stadt Aleppo selbst abgespielt haben, muß auch
diese Erzählung für wahr gehalten werden.

Vor einigen Monaten waren 3000 Frauen und Witwen von Aleppo nach Killis
geschickt worden, wo sie es verhältnismäßig gut hatten und wenigstens
ihr Leben fristen konnten. In der zweiten Januarwoche sind sie von dort
weiter verschickt worden.

Gleichen Bericht lasse ich dem Herrn Reichskanzler zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
  Herrn Grafen Wolff-Metternich, Konstantinopel.


236.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

                                          Aleppo, den 9. Februar 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Unter Bezugnahme auf Bericht vom 26. Januar.

1. Über 70 hiesige armenische Familien, die aus Aintab stammen, aber
größtenteils schon jahrelang hier wohnen, werden verschickt. Dies ist
nur ein Anfang.

2. Die mit Erlaubnis der Regierung seit einigen Monaten auf Gütern in
der Provinz Aleppo angesiedelten Armenier, vielleicht 10000 Menschen,
werden jetzt weiter verschickt.

3. Die von der Zentralregierung erlassenen Befehle scheinen milder;
aber Verschickungskommissar und Wali arbeiten unerbittlich an der
Vernichtung der Armenier.

                                                               Rößler.


237.

    (Kaiserliches
  Konsulat Erzerum.)

    Telegramm.

                                         Erzerum, den 9. Februar 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wali hat mir durch Polizeipräsidenten sagen lassen, daß auf Befehl
des Armeekommandanten Kiamil Pascha, respektive der Militärbehörde,
alle armenischen Frauen und Mädchen, die unter unserem Schutze stehen,
ausgewiesen werden. Männer stehen keine unter unserem Schutze.

Euere Exzellenz bitte ich gehorsamst, dringende Schritte zu
unternehmen, damit unsere Schützlinge hier verbleiben können.

Selbst von den ausgewanderten reichen und wohlhabenden Familien sind
unterwegs viele durch die Kälte zugrunde gegangen.

Ich bitte um Drahtweisung, wie ich mich zu den hiesigen Behörden
verhalten soll. Müssen die Armenier auswandern, so ist es sicher, daß
alle umkommen werden.

                                                                Werth.


238.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 11. Februar 1916.

Euerer Exzellenz beehre ich mich Abschrift einer mir vom Abgeordneten
Erzberger übergebenen Aufzeichnung vorzulegen über die Unterredungen,
welche er mit Enver Pascha und Talaat Bey bezüglich der Armenierfrage
und der christlichen Interessen in der Türkei gehabt hat. Ähnliche
Zusagen haben die türkischen Minister auch mir bekanntlich wiederholt
gegeben, ohne daß ich bisher eine Einlösung derselben wahrnehmen
konnte. Ob der Schritt des Herrn Erzberger nachhaltiger wirken wird,
erscheint mir vorerst recht zweifelhaft.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


Anlage.

  Unterredung des Abgeordneten Erzberger am 10. Februar 1916 betreffend
  Armenierfrage und Christenfrage im Orient.

1. Mit Enver Pascha, der zusagte, daß keine weiteren Maßnahmen gegen
die Armenier erfolgen werden. Die vertriebenen Armenier werden in
geschlossenen Ortschaften angesiedelt. Religionsfreiheit werde
garantiert.

2. Mit Talaat Bey, Minister des Innern, der als Kriegsziel die
volle Unabhängigkeit der Türkei bezeichnete, Deutschland möge sich
über alle Fragen mit der Türkei verständigen, auch über den Ersatz
der Kapitulationen. Dann lasse sich alles regeln. Die Öffnung der
armenischen Kirchen werde erfolgen. Die Ansiedelung der vertriebenen
Armenier in geschlossenen Dörfern geschehe in der Weise, daß ihnen
mindestens dieselbe Fläche an anbaufähigem Land zugewiesen werde, die
sie vorher besessen haben.

                                                            Erzberger.

   An die Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.


239.

                                          Basel, den 12. Februar 1916.

  An den Kaiserlich Deutschen Gesandten Exzellenz Freiherrn von Romberg,
  Bern.

      Exzellenz!

Nachdem Sie die Freundlichkeit gehabt haben, unsere Vertreter, die
Herren Leopold Favre und Dr. Wilhelm Vischer zu empfangen, beehren wir
uns, Ihrem Wunsche gemäß im Anschluß an die Unterredung vom 26. Januar
d. J. und in Bestätigung derselben, Ihnen folgendes mitzuteilen.

Das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Armenier, welches die
Vernichtung dieses christlichen Volkes zum Ziele hat, hat in weiten
Kreisen unseres Landes eine tiefe Bewegung erregt und den dringenden
Wunsch wachgerufen, etwas für die von den schweren Verfolgungen
Betroffenen zu tun.

Auf Veranlassung von Vereinigungen und Persönlichkeiten in der Schweiz,
welche schon seit Jahren für Hilfszwecke unter den Armeniern tätig sind
und welche über die Vorgänge des letzten Jahres genügend informiert
sind, ist ein schweizerisches Hilfswerk 1915 für Armenier organisiert
worden zum Zwecke, den Überlebenden dieses Volkes die Hilfe zu leisten,
die noch möglich ist.

Es kommt für uns, da uns Mittel nicht zu Gebote stehen, direkt auf
die türkische Regierung einzuwirken, um eine Milderung der gegen die
Armenier getroffenen Maßregeln zu erreichen, vornehmlich in Betracht,
einen Weg zu finden, wie den noch vorhandenen Resten des armenischen
Volkes, die sich in der größten Not befinden, materielle Hilfe gebracht
werden kann.

Die aus ihren Wohnsitzen nach verschiedenen Gegenden in Mesopotamien
verbrachten, aus Greisen, Frauen und Kindern bestehenden
Deportiertenzüge sind den größten Qualen von Hunger und Krankheit
ausgesetzt; wenn es nicht möglich ist, ihnen zu Hilfe zu kommen. Wir
möchten gerne zur Linderung des Loses dieser Unglücklichen nach unseren
Kräften beitragen und gestatten uns daher die Anfrage, ob wir dabei auf
die Unterstützung der Kaiserlich Deutschen Regierung rechnen dürften.
Es würde sich z. B. darum handeln können, daß durch Persönlichkeiten,
welche wir aussenden könnten oder durch zuverlässige Vertrauensleute,
die sich in der asiatischen Türkei befinden, Geld oder Lebensmittel
ausgeteilt oder sonst für die Linderung der Not Vorkehrungen getroffen
würden. Wir wären sehr dankbar, wenn eine solche Aktion ermöglicht und
durch die Organe der deutschen Regierung unterstützt werden könnte.
Wir gestatten uns, in dieser Angelegenheit uns an die Vertretung
des Deutschen Reiches zu wenden, da ohne die Unterstützung der
Deutschen Regierung uns Schritte in der von uns angedeuteten Richtung
aussichtslos scheinen und in der Überzeugung, daß ein Eintreten für die
Rettung der Reste des armenischen Volkes, das lediglich von allgemein
menschlichem Mitgefühl veranlaßt ist, nur im Interesse sowohl der
Türkei selbst als namentlich der mit ihr verbündeten Mächte liegen kann.

Wir werden für eine wohlwollende Prüfung unseres Anliegens sehr dankbar
sein und stehen gerne zu jeder etwa noch gewünschten weiteren Auskunft
in der Sache zur Verfügung.

Genehmigen Euer Exzellenz den Ausdruck unserer ausgezeichnetsten
Hochachtung.

    Der geschäftsführende Ausschuß des Schweizerischen Hilfswerkes 1915
    für Armenien.

                     Der Präsident: Dr. Vischer.
                     Der Sekretär: Dr. A. Oeri.


240.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 14. Februar 1916.

Die zwischen den syrischen Christen bei Mardin und Midiat, und
den türkischen Behörden entstandenen Schwierigkeiten[121] sind
inzwischen behoben. Hierbei hat der Einfluß mitgewirkt, welchen
Generalfeldmarschall Freiherr von der Goltz auf militärischem Gebiet
auszuüben in der Lage gewesen ist.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


241.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

                                         Aleppo, den 23. Februar 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Wie ich vertraulich erfahre, sollen die armenischen Waisen aus Aleppo
nach Konstantinopel gebracht werden, woselbst Platz für 500 sei. Hier
sind 1000, darunter 400 der Schwester Rohner unterstehende, die mit
fort sollen.

Schwester Rohner hält für wahrscheinlich, daß die Regierung unterwegs
Reiseziel ändern wolle.

                                                               Rößler.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 28. Februar 1916.

    Abschriftlich

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg
  gehorsamst vorgelegt.

                                                           Metternich.


242.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                         Berlin, den 23. Februar 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Nach einem Telegramm des Kaiserlichen Botschafters in Washington haben
die Vereinigten Staaten ihren Geschäftsträger in Konstantinopel mit
Demarche zugunsten der Armenier beauftragt. Euere Exzellenz wollen der
Pforte zu entgegenkommender Antwort raten.

                                                           Zimmermann.


243.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 27. Februar 1916.

Ich habe mit Talaat und Halil Bey im Sinne des Telegramms vom 23. d.
M. gesprochen und entgegenkommende Antwort angeraten, die mir auch
zugesagt worden ist.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


244.

  Auswärtiges Amt.                       Berlin, den 26. Februar 1916.

Euer Hochwohlgeboren bitte ich, dem geschäftsführenden Ausschuß
des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien auf seine Eingabe
mitzuteilen, daß sein Wunsch, zur Linderung der Not unter den
ausgesiedelten Armeniern beizutragen, sich mit den Bemühungen der
Kaiserlichen Regierung begegnet und von dieser gern unterstützt
werden wird, soweit dies unter Wahrung der gebotenen Rücksicht auf
die verbündete Türkei und auf inoffiziellem Wege möglich ist. Die
Kaiserliche Regierung nimmt davon Kenntnis, daß das Eintreten des
Schweizerischen Hilfswerks für die Armenier lediglich vom allgemeinen
menschlichen Mitgefühl veranlaßt ist und setzt infolgedessen voraus,
daß jeder Anschein einer politischen Propaganda für die Armenier
oder gegen die Türkei von den Veranstaltern der Aktion sorgsam
vermieden werden wird. Um beurteilen zu können, in welcher Form etwa
deutscherseits den Bestrebungen des Hilfswerks Unterstützung gewährt
werden kann, wären uns, wenn tunlich, eingehendere Angaben darüber
erwünscht, wie die technische Durchführung der Aktion gedacht ist.
Wir würden dann zunächst die Ansichten der Kaiserlichen Botschaft in
Konstantinopel und derjenigen Kaiserlichen Konsulatsbehörden einholen,
die sich bisher mit der Fürsorge für die Armenier befaßt haben.
Insbesondere dürfte das Kaiserliche Konsulat in Aleppo, das sich
für gewisse Gebiete zum Mittelpunkt derartiger Hilfsunternehmungen
entwickelt hat, in der Lage sein, zweckmäßige Ratschläge zu erteilen.
Nach unseren bisherigen Erfahrungen wird es kaum empfehlenswert sein,
von der Schweiz aus besondere Abordnungen zu entsenden, da diese bei
Reisen in der Türkei, sofern ihnen die Erlaubnis hierzu angesichts
der gegenwärtigen militärpolitischen Lage überhaupt erteilt wird,
voraussichtlich großen technischen Schwierigkeiten begegnen würden.
Den Vorzug dürfte der von dem Schweizerischen Hilfswerk ins Auge
gefaßte zweite Weg verdienen, nämlich zuverlässige Vertrauensleute, die
sich bereits an Ort und Stelle befinden, mit Geld, Kleidungsstücken
und Lebensmitteln zwecks Verteilung an die Notleidenden zu versehen.
Soweit geeignete Mittelsleute noch nicht bekannt sind, würden solche
auf Wunsch zum Teil möglicherweise auch mit Hilfe der Kaiserlichen
Konsulate ausfindig gemacht werden können.

                                                           Zimmermann.

  Seiner Hochwohlgeboren dem Kaiserlichen Gesandten
        Herrn Freiherrn von Romberg, Bern.

                                         Berlin, den 26. Februar 1916.

    Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter Herrn Grafen
Wolff-Metternich, Konstantinopel, zur gefälligen Kenntnisnahme
ergebenst übersandt.

                                                           Zimmermann.



_März._


245.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                          Pera, den 2. März 1916.

Die Pforte hat unter dem 1. d. M. an die hiesigen fremden Vertretungen
eine Druckschrift[122] verteilt, welche eine Darstellung der
armenischen revolutionären Bewegung und der seitens der türkischen
Regierung dagegen ergriffenen Maßregeln enthält.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.

    Notiz.

Auf Seite 11 der Druckschrift wird erklärt:

Les assertions d’après lesquelles ces mesures auraient été suggérées à
la Sublime Porte par certaines Puissances étrangères sont absolument
dénuées de fondement. Le Gouvernement Impérial, fermement résolu à
maintenir son absolue indépendance, ne pouvait naturellement admettre
aucune immixtion, sous quelque forme que ce soit, dans ses affaires
intérieures fut-ce même de la part des amis et alliés.


246.

                                             Berlin, den 3. März 1916.

    Seiner Hochwohlgeboren Herrn Baron von Rosenberg, Auswärtiges Amt

      Sehr geehrter Herr Baron!

In der Anlage überreiche ich Ihnen den Entwurf zu der Denkschrift
wie ich sie mir gedacht habe, um sie Enver Pascha und Talaat zu
überreichen, dem letzteren in französischer Übersetzung.

                                M. Erzberger, Mitglied des Reichstags.


Anlage.

Denkschrift über die Maßnahmen zugunsten der Christen in der Türkei.

 -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Die Lage der katholischen Armenier.

1. Die katholischen Armenier, deren Zahl von einigen auf annähernd
100000, von anderen höher geschätzt wird, sind scharf zu unterscheiden
von den sogenannten gregorianischen oder orthodoxen, wie von den
protestantischen Armeniern. Sie stehen unter einem eigenen Patriarchen,
sind von der türkischen Regierung als Millet anerkannt und haben in
nationaler Hinsicht nie Anlaß zur Beschwerde gegeben.

2. Trotz der loyalen Gesinnung der katholischen Armenier und trotz der
Zusicherungen, die man ihnen gab, widerfuhr ihnen dasselbe Schicksal
wie ihren Volksgenossen. Die Verluste an Menschenleben und Gütern sind
bei ihnen relativ ebenso groß wie bei den anderen, nur der Unterschied
wurde gewöhnlich gemacht, daß bei ihnen Exekution und Deportation um
einige Tage oder Wochen aufgeschoben wurden.

3. Man hatte nach den Versprechungen, die die türkische Regierung dem
apostolischen Delegaten gegenüber abgab, gehofft, daß der Rest der
katholischen Armenier zurückkehren dürfe. Tatsächlich ist keiner von
ihnen zurückgekehrt. Im Gegenteil. Nach zuverlässigen Nachrichten,
die in diesen Tagen eingingen, geht man jetzt auch gegen die
zurückgebliebenen Armenier in Marasch, Aintab und Aleppo vor.

Die Interessen der türkischen Regierung erfordern es, daß noch während
des Krieges eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt werden. Als solche
Maßregeln zur sofortigen Durchführung werden vorgeschlagen:

1. Möglichkeit der direkten Annäherung an die Deportierten, und
zwar nicht durch Privatpersonen, sondern durch eine Mission des
Malteser-Ritterordens, die in Deutschland ausgerüstet wird und
kostenlos arbeitet. Brot und andere nötige Subsistenzmittel werden
durch diese Mission verteilt, aber von der deutschen oder türkischen
Regierung geliefert.

2. Allmählicher Rücktransport der Deportierten und Neuansiedlung
derselben. Die Ansiedlung darf sich indes nur auf Kleinasien und
nicht auf Syrien und Arabien erstrecken. Die Ansiedlung erfolgt in
geschlossenen Ortschaften. Die Regierung stellt den heimkehrenden
Armeniern soviel und so gutes Land zur Verfügung, als sie vorher
besessen haben. Für den Verlust der Wohnungen und Inventars sollen sie
dadurch entschädigt werden, daß ihnen Brennmaterial, Ackergeräte und
Saatfrüchte gratis zur Verfügung gestellt werden. Der Rücktransport und
die Ansiedlung erfolgen durch die Delegation des Malteser-Ritterordens.

3. Befriedigung der religiösen Bedürfnisse der Armenier. Es sind z.
B. in Angora immer noch 2000 katholische Armenier ohne Bischof und
Priester, obwohl schon vielfach Schritte unternommen wurden, ihnen
einen Priester zu schicken. Die geschlossenen Kirchen müssen wieder
geöffnet werden, das Kirchengut zurückgegeben und den Armeniern, die
aus Angst zum Islam übergetreten sind, die Rückkehr zu ihrer Kirche
nicht zur Unmöglichkeit gemacht werden.

4. Die städtischen Armenier dürfen in ihre Städte, soweit sie nicht
Kriegsgebiet sind, zurückkehren.

5. Das Liquidationsgesetz wird suspendiert oder findet wenigstens auf
diejenigen Armenier keine Anwendung, die zurückkehren.

6. Da die katholischen Armenier sich anerkanntermaßen von
revolutionären Umtrieben fernhielten, sollen sie beim Rücktransport
zuerst berücksichtigt werden.

7. Die türkische Regierung wird gebeten, den Patriarchen der
katholischen Armenier, Msgr. Terzian, nach kirchlich-katholischen
Prinzipien anzuerkennen.

Durch die Ausführung dieser Maßnahmen würde erreicht werden, daß die
auch unter den Christen der Mittelmächte vorhandene Erregung nachlassen
würde. Gerade der Malteserorden eignet sich sehr für die Durchführung
dieser Maßnahmen. Die hierfür notwendigen Gelder müßten von der
deutschen Regierung zu Lasten der türkischen zur Verfügung gestellt
werden.

Diese Vorschläge sind von dem Bestreben diktiert, die Hindernisse,
die der Erreichung der türkischen Kriegsziele im Wege liegen, zu
beseitigen. Wir glauben auch allen berechtigten Ansprüchen der
türkischen Regierung weitgehendst Rechnung zu tragen. Diese Vorschläge
geben auf der anderen Seite den ausländischen und einheimischen
Katholiken in der Türkei die Garantie für völlige Glaubensfreiheit.


247.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                             Berlin, den 5. März 1916.

    Auswärtiges Amt an Botschaft Pera.

Auf Bericht vom 28. Februar.

Bitte eventuell nach Rückfrage in Aleppo für Waisenkinder
intervenieren.[123]

                                                           Zimmermann.


248.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                              Pera, den 10. März 1916.

    Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Wie Konsulat Aleppo meldet, ist Abreise der Waisen vorläufig verschoben
worden.[124]

                                                           Metternich.


249.

                                              Basel, den 6. März 1916.

  An Seine Exzellenz Freiherrn von Romberg, Kaiserlich Deutschen
  Gesandten in Bern.

Euere Exzellenz hatten die Güte, am 4. März eine Delegation des
Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien, bestehend aus Herrn
Dr. Andreas Vischer und dem Unterzeichneten zu empfangen und ihr
mitzuteilen, daß unsere Bitte um Unterstützung des Bestrebens, den
notleidenden Armeniern unter Ausschluß aller politischen Nebenzwecke
Hilfe zu leisten, an den zuständigen deutschen Amtsstellen wohlwollend
aufgenommen worden ist. Wir bitten Euere Exzellenz nochmals, den
Ausdruck unseres wärmsten Dankes dafür entgegen zu nehmen und auch
weiterleiten zu wollen. Die Wünsche, die wir auf Grund der Unterredung
glauben formulieren zu dürfen, sind folgende:

Da es sich auf Grund Euerer Exzellenz Mitteilungen nicht wird darum
handeln können, eine schweizerische Hilfsexpedition in die Türkei zu
schicken, so möchten wir die gütig angebotene Vermittelung gerne in
Anspruch nehmen, um notleidenden Armeniern Hilfe zukommen zu lassen,
vor allem aber auch, um mit den Persönlichkeiten, die Unterstützungen
an Ort und Stelle austeilen, in Verbindung zu treten. Wir denken, daß
außer dem Kaiserlich Deutschen Konsul Herrn Rößler in Aleppo, vor allem
der Reichsdeutsche Herr F. Eckart, Mitglied der deutschen Orientmission
in Urfa, und die Schweizer, Herr Jakob Künzler, ebenfalls Mitglied der
deutschen Orientmission in Urfa, und der Kaufmann Herr E. Zollinger
in Aleppo bereit wären, sich an dem schweizerischen Hilfswerk für die
Armenier zu beteiligen. Wie weit diese Herren persönlich für das Werk
werden arbeiten können, oder wen sie sonst vorzuschlagen haben, wird
sich aus der Korrespondenz ergeben. Ebenso wird es sich zeigen, ob die
Verhältnisse so sind, daß es sich hauptsächlich um Rettung Deportierter
vor dem Hungertode handelt, oder ob unsere Mittel für Bedürfnisse
anderer Art, Kleidung, ärztliche Hilfeleistung usw. Verwendung finden
können.

Indem wir uns noch gestatten, nach Euerer Exzellenz Vorschlag einen
Brief für Herrn Konsul Rößler und einen Fragebogen für andere Stellen,
die sich unter Umständen mit Unterstützung von Armeniern beschäftigen
könnten, beizulegen, danken wir zum voraus für alle weiteren
freundlichen Bemühungen und zeichnen

      mit vollkommener Hochachtung

                          Schweizerisches Hilfswerk 1915 für Armenier.
                                        Dr. A. Oeri, Sekr.


250.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                               Pera, den 7. März 1916.

    Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Am 5. d. M. drahtet Graf Schulenburg aus Erzindjan: Lage unverändert.
Wahib Pascha heute fast ohne Aufenthalt hier durchgereist. Bitlis von
Russen genommen. Armenische Banden haben dort Blutbad unter Bevölkerung
angerichtet, das angeblich 2-3000 Opfer gekostet hat.[125]

                                                           Metternich.


251.

  Kuratorium der Deutschen
      Orientmission.

                                           Potsdam, den 10. März 1916.

      Exzellenz!

Die unterzeichneten Gesellschaften, die mit ihrer Arbeit unter den
Christen des Orients ausschließlich humanitäre und kulturelle Zwecke
verfolgen, wünschen eine Hilfsexpedition auszurüsten nach den Gebieten
in Syrien und Mesopotamien, in welche die Frauen und Kinder des
armenischen Volkes der Türkei deportiert worden sind.

Die Expedition soll aus Ärzten und Krankenschwestern und solchen
Herren bestehen, die der Landesverhältnisse kundig sind. Der Zweck
der Expedition ist, unter der Masse der deportierten Frauen und
Kinder, die nach Hunderttausenden zählt und ohne Fürsorge, Hilfsmittel,
Pflege und Obdach der langsamen Vernichtung durch Hunger und Krankheit
preisgegeben ist, Lebensmittel und Unterstützungen zu verteilen, für
sanitäre Maßnahmen zu sorgen und ärztliche Hilfe zu bringen.

Wir bitten Euere Exzellenz, die Genehmigung der türkischen Regierung
für die Samariterarbeit dieser Expedition erwirken zu wollen.

Die türkische Regierung hat, soviel uns bekannt ist, derartige
Hilfeleistungen von neutraler Seite abgelehnt. Um so mehr ist es die
Pflicht der humanitären Kreise Deutschlands, die mit den einschlägigen
Verhältnissen vertraut sind, durch die Vermittelung der Reichsregierung
einen Notstand lindern zu helfen, für dessen Fortbestand Deutschland
als Bundesgenosse der Türkei von der übrigen Welt moralisch
verantwortlich gemacht wird.

Die türkische Regierung hat seit Kriegsbeginn ein solidarisches
Interesse für die muhammedanischen Völker auch in den nichttürkischen
Ländern geltend gemacht. Dieselbe Solidarität darf von der deutschen
Christenheit in Anspruch genommen werden für ein humanitäres Werk
unter den notleidenden Christen der Türkei. Der Untergang einer halben
Million von Frauen und Kindern kann in keinem Falle als politisches
Interesse der Türkei anerkannt werden. Dagegen erscheint es uns als ein
wesentliches politisches Interesse Deutschlands, sich vor der Welt von
dem Vorwurf der moralischen Mitverantwortlichkeit für den Untergang
eines christlichen Volkes zu entlasten.

Zur Rechtfertigung unserer Bitte dürfen wir uns auf die Antwort
berufen, die Euer Exzellenz am 12. November v. J. auf die Eingaben
von evangelischer und katholischer Seite erteilt haben, und auf die
Zusicherung von amtlicher Stelle bei Gelegenheit der Veröffentlichung
dieser Antwort, daß sich die deutschen Christen darauf verlassen
dürfen, daß ihre humanitären Bestrebungen zur Linderung bestehender Not
seitens der deutschen Regierung nachdrückliche Unterstützung finden
werden.

             Das Kuratorium der Deutschen Orientmission.

          Dr. Johannes Lepsius.    Dr. Paul Rohrbach.
          Prof. Adolf Deißmann.    Roedenbeck, Superintendent.

                      Das Notwendige Liebeswerk.

           Prof. D. Martin Rade,    Prof. D. Dr. H. Guthe,
                 Marburg.                  Leipzig.

                 Die Deutsch-Armenische Gesellschaft.

                       Pfarrer Stier, Marburg.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler
     Dr. von Bethmann Hollweg, Berlin.


252.

  Auswärtiges Amt.                          Berlin, den 14. März 1916.

    Abschriftlich nebst Anlage

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter, Herrn Grafen
  Wolff-Metternich, Pera.

Zur gefälligen vertraulichen Kenntnisnahme ergebenst übersandt.

Die Note bezieht sich auf die mit Telegramm vom 23. Februar
angekündigte Demarche.[126]

                                                           Zimmermann.


             Embassy of the United States of America. Berlin, Germany.

      Note Verbale.

Acting under instructions from its Government, the American Embassy
has the honor to transmit herewith to the Imperial Foreign Office, for
its information, a copy of a Note dated February 16, 1916, which the
Secretary of State has delivered to the Imperial German Ambassador at
Washington, relative to an instruction which the former had cabled
to the American Chargé d’Affaires at Constantinople, instructing him
to again urgently appeal to the sense of humanity and justice of the
Turkish Government and to urge it to take immediate steps towards the
amelioration of the conditions at present existing among the Armenians
and towards the redress of the injuries already inflicted upon them.

                                             Berlin, March 11th, 1916.

  To the Imperial Foreign Office,
  Enclosure: Copy of a Note dated Feb. 16, 1916 from Washington.


Anlage.

                   Department of State, Washington, February 16, 1916.

      Excellency:

Referring to your unofficial note of October 8, 1915, enclosing a copy
of a memorandum handed to the Imperial Ottoman Government by the acting
Imperial Ambassador at Constantinople on August 9, 1915, protesting
against the expulsion of the Armenians, I have the honor to inform you
that the United States Government has received and is still receiving
information giving detailed accounts of the continued sufferings
which have accompanied and resulted from the systematic expulsion of
the Armenians from their homes and from the other mistreatment which
they have suffered. The information has come largely from private but
reliable sources and from individuals of many different nationalities
and indicates that the promise, which you state in your note of
October 8th the Ottoman Government had made to the acting Imperial
German Ambassador at Constantinople, to the effect that it would take
the measures necessary to prevent the repetition of excesses against
the Armenians, has not been fulfilled. Being greatly in doubt as to
whether I am longer justified in keeping from the American people the
terrible facts in my possession, I have instructed the American Chargé
d’Affaires at Constantinople again earnestly to appeal to the sense
of justice and to the humanity of the Ottoman Government, and to urge
it to take prompt action to redress the injuries, which have been
inflicted upon the Armenians and to adopt measures to ameliorate the
condition of the surviving Armenians in the future. My decision as to
what if any statement, on the subject of the treatment of the Armenians
by the Turks, should be made to the American people, will depend very
largely upon the action which the Ottoman Government takes upon the
new appeal made in behalf of the Armenians by the American Chargé
d’Affaires.

As your note of October 8, 1915, to the Department and the note of the
acting Imperial German Ambassador at Constantinople, both indicate
that the German Government shares with the Government of the United
States its indignation at the conduct pursued by the Ottoman Government
against the Armenians and its desire to secure an amelioration of the
existing conditions, I have thought it proper to communicate to you at
this time the substance of the instruction which has been cabled to
the American Chargé d’Affaires at Constantinople, in the hope that the
German Government may see fit to exercise once more its influence with
the Ottoman Government in the effort now being made to put an end to
the Armenian tragedy.

Accept, Excellency, the renewed assurances of my highest consideration.

                                                       Robert Lansing.

  His Excellency Count J. H. von Bernstorff, Imperial German Ambassador.


253.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 21. März 1916.

Infolge der letzthin in Aleppo, Marasch, Brussa, Adrianopel, Angora,
Konia und anderen Orten wieder einsetzenden Armenierverfolgungen waren
von verschiedenen Seiten, u. a. vom Pater Dr. Straubinger und Pater
Liebl, Gesuche um Intervention bei der türkischen Regierung an mich
gerichtet worden. Ich hatte daraufhin umgehend Schritte bei Halil
Bey in dieser Angelegenheit unternommen und ihn insbesondere darauf
aufmerksam gemacht, daß eine etwaige Austreibung der fast allein noch
übrigen christlichen Frauen und Kinder bei der überdies erregten
Stimmung in Deutschland den allerschlechtesten Eindruck machen würde.
Halil Bey hatte mir versprochen, sofort beim Minister des Innern
darauf hinzuwirken, daß etwaige geplante Schritte gegen die genannte
armenische Bevölkerung eingestellt werden würden.

Bei meinem gestrigen Besuche auf der Hohen Pforte sagte mir nun der
Minister des Auswärtigen, nach Rücksprache mit Talaat, die Regierung
habe kürzlich auf Berichte der türkischen Lokalbehörden hin angeordnet,
einige unruhige Elemente zu entfernen. Die Lokalbehörden aber hätten
in übertriebenem Eifer den Befehl mißgedeutet und Anstalten getroffen,
größere Abteilungen Armenier abzuschieben. Es sei nunmehr angeordnet
worden, daß in Konia, Angora, Aleppo, Aintab und Marasch überhaupt
keine Armenier mehr abgeschoben werden dürften.

Ich erwiderte dem Minister, daß ich mich über diese Mitteilung freue,
da in Deutschland auf Grund von dorthin gelangten Nachrichten in
weiten Kreisen die Beunruhigung über das Los der Armenier wieder stark
zugenommen habe.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler.


254.

      (Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 23. März 1916.
  Ankunft in Pera, den 25. März 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Armeniern ist von einigen Polizisten erklärt worden, einzige Rettung
vor Verschickung sei Übertritt zum Islam. Auf ähnlichen Druck hin haben
schon Ende Februar Anzahl Armenier in Arbeiterbataillonen Glauben
gewechselt. Gestern sind 30 Familien um Übertritt eingekommen.

                                                               Rößler.


255.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 27. März 1916.

Der zu telegraphischem Bericht aufgeforderte Kaiserliche Konsul zu
Aleppo bezeichnet die von schweizerischer Seite angebotene Hilfe
für die notleidenden Armenier sowie die Informationsreise des Dr.
Vischer, den er für besonders geeignet zu diesem Zwecke hält, als
sehr erwünscht. Allerdings glaubt er nicht, daß die Beteiligung des
Schweizerischen Vereins in einer festen Form wird erfolgen können,
vielmehr würde es sich um einen Versuch handeln, unter der Hand zu
helfen.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


256.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 29. März 1916.

Im Anschluß an Bericht vom 27. März.

Auf Bitten des hiesigen American Bible House hatte ich den Kaiserlichen
Konsul in Damaskus aufgefordert, sich über die Aussichten einer
von dieser Anstalt geplanten größeren Hilfsunternehmung für die
notleidenden Armenier in Damaskus zu äußern. Der Gedanke war, in
Damaskus oder eventuell in Beirut eine Zentralstelle mit Depots
einzurichten; die erforderlichen Geldmittel und das Hilfspersonal
sollten von amerikanischer Seite zur Verfügung gestellt werden, dagegen
wurde dringend gewünscht, eine deutsche Persönlichkeit mit der Leitung
zu betrauen, und man hatte hierfür bereits den Pastor Kunze ins Auge
gefaßt.

Herr Loytved meldet daraufhin folgendes:

„Vor etwa 3 Wochen hatte ich die Absicht, unter Leitung des in Damaskus
wohnhaften deutschen Missionars Hanauer für die in Damaskus und
Umgebung befindlichen Armenier ein Waisenhaus, eine Garküche und ein
Bad einzurichten. Als ich Djemal Pascha hiervon in Kenntnis setze,
sagte er mir vertraulich, daß er persönlich das Los der Armenier
nach Möglichkeit erleichtern möchte, aber strenge Anweisung von
Konstantinopel habe, jede deutsche und amerikanische Beteiligung an
einer Hilfsunternehmung für Armenier zu verhindern, da der innere
Widerstand der Armenier gegen die türkische Regierung nur gebrochen
werden könne, wenn ihnen beigebracht würde, daß sie keinerlei
Unterstützung von irgend einer fremden Regierung zu erwarten hätten.
Auf meine Bitte, dann selbst etwas zu tun, gab er in meiner Gegenwart
dem Bürgermeister von Damaskus Befehl, ein Haus zu mieten und darin
Armenierwaisen aufzunehmen. Djemal Pascha erklärte sich bereit, Gelder
für die Armenier durch mich entgegenzunehmen und durch türkische Beamte
verteilen zu lassen, die auch mein Vertrauen genießen.“

Hierzu ist zu bemerken, daß die türkischen Behörden auch das armenische
Patriarchat daran zu hindern suchen, den notleidenden Verbannten zu
Hilfe zu kommen, so daß das Patriarchat genötigt ist, sich zu diesem
Zwecke fremder Vermittelung zu bedienen. Es gewinnt somit den Anschein,
als ob die Pforte jede Notstandshilfe, von welcher Seite sie auch
kommen möge, ablehnt.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.



_April._


257.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 6. April 1916.
  Ankunft in Pera, den 7. April 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

In Ras-ul-Ain ist dieser Tage das armenische Konzentrationslager von
den dicht dabei wohnenden Tscherkessen und anderen ähnlichen Leuten
überfallen worden, wobei von den unbewaffneten 14000 Insassen der
größte Teil niedergemacht wurde. Einzelheiten werden mir erst später
zugehen.

Nach anderer Quelle handelt es sich zunächst nur um 400 Familien, die
abgetrennt und niedergemacht worden sind.[127]

                                                               Rößler.


258.

  Deutsch-Armenische Gesellschaft.

                                          Potsdam, den 17. April 1916.
                                          Gr. Weinmeisterstraße 45

Von dem armenischen Zentralkomitee in der Schweiz erhielten wir gestern
die telegraphische Mitteilung, daß die Führer der Daschnakzagan
und die armenischen Intellektuellen, die am 25. April v. J. ins
Innere transportiert wurden (nach Ajasch bei Angora, Tschangri,
Tschorum, Aleppo usw.), nach Konstantinopel gebracht wurden, um vom
Kriegsgericht verurteilt und gehängt zu werden. Es sollen im ganzen
190 sein. Unter ihnen Aknuni, Hajak, Malumian, Sartarian, Siamanto
und alle im Vordergrund stehenden Männer der armenischen Intelligenz.
Das Zentralkomitee der Daschnakzagan richtet durch uns im Namen der
armenischen Nation die dringende Bitte an die Reichsregierung, daß
die Ermordung ihrer Führer und Intellektuellen -- nach der allgemeinen
Deportation der schwerste Schlag, der die Nation treffen kann -- durch
den Kaiserlichen Botschafter in Konstantinopel verhindert werden möchte.

Wir nehmen darauf Bezug, daß auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes
im Juni v. J. die Kaiserliche Botschaft mit Erfolg für eben diese
Verbannten eingetreten ist, so daß sie zum größten Teil bis jetzt mit
dem Leben davongekommen sind.

Der Vorstand der Deutsch-Armenischen Gesellschaft kann nicht dringend
genug anraten, daß alles geschehen möchte, um die Führer der
türkischen Armenier am Leben zu erhalten. Die gegen sie gerichteten
Beschuldigungen sind nachweislich unwahr und können nur durch gekaufte
Zeugen und unter Tortur erzwungene Aussagen bewiesen werden. Der Zweck
der vom Komitee für Einheit und Fortschritt geplanten Exekution ist,
abgesehen von der Befriedigung des Rachegefühls für die russischen
Erfolge in Hocharmenien, der, durch eine öffentliche Hinrichtung den
Schein zu erwecken, als sei eine allgemeine Verschwörung entdeckt
worden, und so die bisherige Ausrottungspolitik zu rechtfertigen und
die Notwendigkeit etwaiger weiterer Maßnahmen zu begründen.

Das deutsche Interesse wird, nächst den Forderungen der Humanität, nach
drei Seiten berührt.

1. Die Hinrichtung der Führer der türkischen Armenier wird die
russischen Armenier zur äußersten Wut reizen und sie antreiben, ihre
ganze nationale Kraft für die Ausdehnung der russischen Erfolge in
Armenien und den Vormarsch gegen Mesopotamien und Bagdad einzusetzen.
Die 1¾ Millionen Armenier im Kaukasus und in Südrußland, dazu ¼ Million
aus der Türkei geflüchteter Armenier im Araxestal, fallen für den
Erfolg der russischen Operationen ins Gewicht.

2. Von armenischer Seite ist bisher mit Rücksicht auf das Schicksal der
türkischen Armenier, deren Führer sich als Geiseln in den Händen der
türkischen Regierung befinden, von terroristischen Mitteln gegen die
verantwortlichen Leiter der türkischen Politik Abstand genommen worden.
Diese Rücksicht würde nach der Exekution fortfallen. Als Antwort auf
die systematische Vernichtung der armenischen Nation könnte eine Ära
der terroristischen Mittel einsetzen.

3. Die russischen Armenier waren vor dem Kriege der Einverleibung
der von Rußland okkupierten armenischen Gebiete in Rußland abgeneigt
und wünschten unter entsprechenden Sicherheiten für den Fortbestand
ihrer Nation die Erhaltung der Souveränität des Sultans. Durch die
Befreiung der armenischen Führer von der ihnen drohenden Exekution
kann Deutschland die verlorenen Sympathien der türkischen Armenier
zurückgewinnen und auch auf die russischen Armenier in der Richtung
einwirken, daß sie bei der Neugestaltung der von den Russen
okkupierten armenischen Gebiete das armenische Interesse vom russischen
trennen.

4. Es sollte verhindert werden, daß sich die Sympathien von 3 Millionen
Armeniern in Rußland, in der Türkei und im Auslande ausschließlich
der Entente und Amerika zuwenden, und daß im armenischen Bewußtsein
Deutschland für die verhängnisvolle innere Politik der Türkei
verantwortlich gemacht wird.

Vorausgesetzt, daß der deutsche Botschafter in Konstantinopel in
der Lage ist, die den armenischen Führern drohende Exekution zu
verhindern, möchten wir bitten, daß in vertraulicher Weise der Vorstand
der Deutsch-Armenischen Gesellschaft von dem Erfolg der Schritte
des Botschafters in Kenntnis gesetzt wird, damit unsererseits das
armenische Zentralkomitee in der Schweiz davon verständigt werden kann.

                    Der Vorstand der Deutsch-Armenischen Gesellschaft.
                                   Dr. Johannes Lepsius.

  An Seine Exzellenz Herrn Unterstaatssekretär
     Zimmermann, Berlin, Auswärtiges Amt.


259.

    Notiz.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                        Pera, den 17. April 1916.

Unterzeichneter hat am 13. d. M. dem stellvertretenden
Unterstaatssekretär des Auswärtigen Ministeriums Folgendes vorgetragen:

Bitte des Deutschen Vereins für christliches Liebeswerk im Orient in
Frankfurt a. M., den in Aleppo tätigen Schwestern des Vereins die
Fürsorge für 200 armenische Waisen zu übertragen.

Ich hob hervor, daß Dr. Schuchardt, der Leiter des Vereins, über die
Lage orientiert sei, die Behörden von Aleppo machten Anstalt, die
Waisen weiter zu verschicken (nach Konia und Eskischéhir in Kleinasien).

                                                            Mordtmann.


260.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                      Aleppo, den 27. April 1916.

Über die Verschickung der Armenier, ihre Folgen und
Begleiterscheinungen habe ich zuletzt unter dem 9. Februar d. J.
berichtet. Das Sterben des Volkes hält seitdem an. Manche der
nachfolgend berichteten Einzelzüge tun von neuem dar, daß es planvoll
auf seine Aufreibung abgesehen ist.

1. Um die Mitte Februar wurden alle Kinder aus Killis nach Bab
überführt, nachdem schon früher die Frauen weiterverschickt waren.

2. Am 16. April sind die in Maarra und den umliegenden Dörfern
„angesiedelten“ Armenier, die größtenteils durch Hunger und
Entbehrungen schon stark entkräftet waren, in Richtung Der-es-Zor
weiterverschickt worden.

3. Am 19. April wurde hier bekannt, daß Befehl ergangen war, die bis
dahin in Marasch verschont gebliebenen 9000 Armenier, den Rest von
ehemals 24000, gleichfalls zu verschicken. Diese Leute hatten bei den
ersten Verbannungen, in Ausführung des Befehls, sich zur Wanderung
bereit zu halten, ihr letztes Hab und Gut verkauft und sind seitdem
durch Entbehrungen sehr entkräftet. Mit der Ausführung des Befehls
ist begonnen worden. 120 Familien sind bis zum 25. April in Aintab
angekommen, von wo sie über Biredjik nach Der-es-Zor weiter sollen. Am
26. oder 27. wird ein zweiter größerer Schub in Aintab erwartet.

4. Wie ich am 20. April von einem aus Der-es-Zor kommenden türkischen
Offizier erfahren habe, hat der Mutessarrif von Der-es-Zor Befehl
erhalten, nur so viel Armenier dort zu lassen, als 10 Prozent
der ansässigen Bevölkerung entspricht, den Rest aber nach Mossul
weiter zu schicken. Die ansässige Bevölkerung von Der-es-Zor mag
vielleicht 20000 betragen. Die Zahl der dorthin verschickten
Armenier wird auf wenigstens 15000 zu schätzen sein, so daß also
mindestens 13000 fortzuschicken wären. Der Mutessarrif Suad Bey, ein
menschenfreundlicher Mann, der jahrelang in Ägypten gelebt hat, ist
einer der wenigen türkischen Beamten, welche die grausamen Befehle
der Regierung in ihrer Ausführung zu mildern suchen; trotzdem war der
Offizier der Ansicht, daß der größte Teil der Unglücklichen verschickt
werden müsse und die wenigsten davon in Mossul ankommen würden. Was
Beduinen, Yesiden und Kurden übrig lassen sollten, das wird Hunger,
Entbehrung und Krankheit dahinraffen.

Nachrichten vom 19. April besagen, daß in jeder der Stationen zwischen
Aleppo und Der-es-Zor, also in Meskene, Abu Hrere, Hamam, Sabkha,
täglich 50-100 Menschen sterben, davon der größte Teil an Hunger.

5. Am 6. April war hier bekannt geworden, daß bei Ras ul Ain wieder
Massakre vorgekommen seien[128]. Die eine Nachricht besagte, daß der
größte Teil des aus 14000 Personen bestehenden Konzentrationslagers
niedergemacht sei, während nach einer anderen Nachricht 400 Familien
aus dem Lager geführt und unterwegs umgebracht worden seien. --
Nach zuverlässigen Erkundigungen eines Deutschen, der mehrere Tage
in Ras ul Ain und Umgegend gewesen ist und mich bei seiner Rückkehr
von dort am 22. April besuchte, muß ich folgendes annehmen: Das
Lager besteht noch aus höchstens 2000 Verbannten[129]. -- Es sind
einen Monat lang täglich oder fast täglich 300-500 Verbannte aus dem
Lager geführt und in einer Entfernung von etwa 10 km von Ras ul Ain
niedergemacht worden. Die Leichen wurden in den Fluß geworfen, der auf
der großen Kiepertschen Karte von Klein-Asien, Blatt Nsebin (D VI),
als Djirdjib el Hamar eingezeichnet ist und der um diese Jahreszeit
viel Wasser führte. Ein türkischer Offizier, welcher wegen dieser
Vorgänge den Kaimakam von Ras ul Ain zur Rede stellte, habe die ruhige
Antwort erhalten, er handle auf Befehl. Durch jene Gegend führt die
Etappenstraße der VI. Armee von Ras ul Ain nach Mossul. Da sich dort
der Bau von zwei Brücken als notwendig herausgestellt hatte, die VI.
Armee aber nicht die nötigen Kräfte dafür bereit hatte, so wurde
von der IV. Armee etwa am 15. April ein syrisch-muhammedanisches
Pionierbataillon dafür abgegeben. Diese Leute, welche in zwei Tagen
von Damaskus nach Ras ul Ain befördert worden sind, von der Lage der
verschickten Armenier nichts wußten und unterwegs, wie anzunehmen,
nicht beeinflußt worden sind, waren bei Ankunft an Ort und Stelle
ganz entsetzt. Sie waren der Ansicht, daß die Armenier durch Soldaten
niedergemetzelt seien. Darin kehrt also die Auffassung wieder, daß das
Werk auf Befehl vollbracht worden sei. Jedenfalls war dies die in der
Gegend allgemein verbreitete Ansicht. Als Henker hat der bei Ras ul Ain
ansässige Tscherkessenstamm der Tschetschen gedient.

6. Ende Februar, Anfang März wurde den Armeniern im Arbeiterbataillon
Aleppo, teilweise mit Erfolg nahegelegt, zum Islam überzutreten. Im
Laufe des Monats März wurden polizeiliche Listen der Armenier Aleppos
als Vorbereitung für die Verschickung angefertigt und durch Polizisten
die Nachricht verbreitet, die einzige Rettung vor der Verschickung
sei der Übertritt zum Islam. Als darauf eine Reihe von Familien um
den Übertritt einkam, wurden sie so behandelt, als ob die Gewährung
der Bitte eine besondere Gnade sei. Man schreckte also eher wieder
ab, sei es, daß man unliebsames Aufsehen fürchtete, sei es, daß die
Aufforderung zum Übertritt auf andere als die verantwortlichen Stellen
zurückzuführen war, sei es endlich, daß man sich nur daran weiden
wollte, mit den Armeniern wie die Katze mit der Maus zu spielen.

7. In Aleppo ist im März und in der ersten Hälfte April nicht nur auf
die von außerhalb gekommenen hier versteckten Armenier die schärfste
Jagd gemacht, sondern auch mit der Verschickung der hierorts ansässigen
Armenier der Anfang gemacht worden. Auch einzelne Frauen und Mädchen
wurden auf der Straße aufgegriffen und dieser Zustand zu Willkürakten
von Regierungsorganen benutzt. Es wäre vielleicht nicht zu verwundern
gewesen, wenn die in ihrer Religion und der Ehre ihrer Frauen
angegriffenen Armenier zu Akten der Verzweiflung getrieben worden wären.

Seit dem 18. April ist in Aleppo etwas Ruhe eingetreten und zwar,
wie es scheint, auf Intervention der Kaiserlichen Botschaft, welche
den Minister des Innern zu dem Befehl an die Ortsbehörden veranlaßt
hat, die Ortsansässigen, sowie Katholiken und Protestanten nicht zu
verschicken. Die Form, unter welcher der Wali die Pause hat eintreten
lassen, war seine Zusage an die hiesige Geistlichkeit, während des
Osterfestes Schonung zu gewähren. Man wagt noch nicht zu hoffen, daß
die Schonzeit lange dauern oder gar die Gefahr vorüber sei. Auch sind
trotz der Zusage unter der Hand immer noch einzelne verschickt worden.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


261.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                        Pera, den 28. April 1916.

Die von der Deutschen Orientmission geplante Hilfsexpedition[130] für
die notleidenden Armenier in Syrien und Mesopotamien ist diesseits
auf der Hohen Pforte zur Sprache gebracht worden. Ich habe dabei
hervorheben lassen, daß der genannte Verein hierbei lediglich
humanitäre Ziele im Auge habe, wie dies schon daraus sich ergebe,
daß es sich in der Hauptsache um Fürsorge für Frauen und Kinder
handle, ferner, daß der Verein unter seinen Mitgliedern zahlreiche
Persönlichkeiten von Einfluß und Ansehen habe, sowie endlich, daß Herr
Lepsius im vorigen Jahre persönlich hierhergekommen sei und sich u.
a. durch Rücksprache mit Enver Pascha über die armenische Frage zu
unterrichten Gelegenheit gehabt habe.

Die Antwort der Pforte lautete durchaus ablehnend, und zwar mit der
Begründung, daß die türkische Regierung keinerlei fremde Hilfsaktion
für die Armenier zulassen könnte, da hierdurch die Armenier in ihren
Hoffnungen auf das Ausland bestärkt würden. Diese Begründung stimmt
wörtlich überein mit der Antwort, die dem Konsul Loytved in Damaskus
von Djemal Pascha erteilt wurde, als er den letzteren über die von
amerikanischer Seite mit deutscher Beteiligung geplante Hilfsaktion
sondierte.

Über eine eventuelle Verteilung der den Armeniern zugedachten
Hilfsmittel durch Djemal Pascha hat sich Konsul Loytved auf
telegraphische Anfrage dahin geäußert, daß er diesen Modus zunächst
nur dort für zweckmäßig erachte, wo Konsulate die Unterorgane Djemal
Paschas beaufsichtigen können. Aber auch hierfür müsse die Genehmigung
der Zentralregierung eingeholt und dann dem Djemal Pascha Art und Weise
der Verteilung von den Geldgebern genau mitgeteilt werden, im übrigen
empfehle es sich, die Hilfsaktion wie bisher durch Vertrauenspersonen
im geheimen fortzusetzen.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


262.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                        Pera, den 28. April 1916.

Im Anschluß an Bericht vom 27. März.

Euerer Exzellenz beehre ich mich die von den Konsulaten zu Aleppo
und Adana eingegangenen Beantwortungen[131] des Fragebogens des
Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien, ferner ein Schreiben des
Konsuls Rößler an Dr. Vischer nebst Unterlage mit dem Anheimstellen
zu überreichen, diese Schriftstücke dem genannten Verein übermitteln
lassen zu wollen.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


Anlage 1.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                      Aleppo, den 12. April 1916.

      Sehr geehrter Herr Dr. Vischer!

Ihren durch die Kaiserliche Gesandtschaft in Bern eingegangenen
Brief vom 7. März habe ich zusammen mit dem weiteren Brief vom 18.
März vorgestern erhalten und seine Anlagen an Schwester Beatrice
Rohner gegeben, die auch die Beantwortung des Fragebogens übernommen
hat. Haben Sie vielen Dank für alle Ihre Bemühungen sowie für die
Übersendung zuerst von 10000 Frs., dann von 5000 Frs., welch letzterer
Betrag mir dieser Tage ausgezahlt worden ist.

Das erschütternde Bild, das Schwester Beatrice Rohner von dem
Unglück entworfen hat, wird Ihre Schweizer Freunde hoffentlich
nicht entmutigen, ebensowenig wie der Umstand, daß eine feste Form
der Notstandsarbeit nicht in Aussicht steht. Es gilt, wie sie
gesagt hat, so viel als möglich vor dem Hungertode zu retten. Bei
einer Organisation der Arbeit, wie Einrichtung von Suppenküchen,
regelrechten Waisenhäusern, Krankenhäusern usw. würde mit demselben
Geld voraussichtlich mehr zu erreichen sein. Die Spender müssen
aber die Entsagung üben, die Verhältnisse zu nehmen, wie sie sind,
und müssen die der Hilfe entgegenstehenden Schwierigkeiten in den
Kauf nehmen. Auch die Amerikaner überlassen alles dem Ermessen der
Schwestern Rohner und Schäfer.

Einen Teil des Schweizer Geldes habe ich der Schwester Paula Schäfer
überlassen und füge zur Begründung eine Schilderung von ihr vom 1. März
in der Anlage bei.

                                                               Rößler.

  Herrn Dr. Andreas Vischer, Hochwohlgeboren,
                  Basel.


Anlage 2.

  Maraschhospital, z. Z. Aleppo.

                                             Aleppo, den 1. März 1916.

Das Krankenhaus Salem in Marasch hat schon seit Beginn der
Armenierausweisungen und damit in Hospital und Klinik eine
außerordentliche Tätigkeit gehabt -- und mehr als fast möglich --
geleistet an Verpflegung von Vertriebenen, wie Medikamentenausgabe an
eben solche in der Klinik.

Bei den außergewöhnlichen Umständen mußte das Krankenhaus, da es der
Not wegen das ganze Jahr hindurch offen bleiben mußte (da wir sonst
doch für 1-2 Monate schließen), mit all seinen Nahrungsmitteln, wie
Medikamenten und Verbandstoffen, ziemlich abwirtschaften, da das
monatliche Fixum nicht erhöht werden konnte.

Darum bitte ich, mir einen Zuschuß für diese Notstandsarbeit des
Marascher Hospitals freundlich zukommen zu lassen.

Die Not in Marasch wie Umgegend ist unbeschreiblich, besonders in der
Basardjikebene, wo Verschickte aus Erzerum angesiedelt wurden, die aber
Hungers sterben, wenn wir ihnen nicht auf irgend eine Weise helfen
würden.

Es handelt sich darum, für diese Vertriebenen Weizen in großen Mengen
anzukaufen.

                                              Schwester Paula Schäfer.


263.

    Fragen des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien.

1. Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in
Ihrem Wirkungskreise?

2. Können Sie uns Mitteilung über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse
machen?

3. Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In
welcher Weise? Mit wessen Hilfe?

4. In welchem Umfang wären Mittel erforderlich?

5. Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?


Anlage 1.

                                           Aleppo, den 12. April 1916.

    Beantwortung der Fragen des Schweizerischen Hilfswerks 1915
    für Armenien.

1. Frage: Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr
in Ihren Wirkungskreisen?

Antwort:

Unser Wirkungskreis ist ein doppelter: Schwester Paula Schäfer
übernahm die Bahnstrecke Osmanie-Islahije und die Ebene südlich von
Marasch, wo sich überall kleinere und größere Lager versprengter,
zurückgebliebener Armenier befinden. In Marasch selbst ist unter den
dort zurückgebliebenen ca. 7000 Armeniern furchtbare Not. Unter Türken
und Armeniern gleich bekannt, kann Schwester Paula an diesen Orten
ziemlich ungehindert ihre Arbeit tun.

Dem Einfluß des Herrn Oberst von Kreß ist es gelungen, Ende Dezember
Djemal Pascha zu veranlassen, der Unterzeichneten ein Waisenhaus mit
ca. 400 Waisen zu übergeben; dadurch war die Möglichkeit geschaffen,
in aller Stille Notstandsarbeit zu betreiben. Dieselbe hatte schon im
Sommer begonnen und war, von dem deutschen und amerikanischen Konsul
unterstützt, durch die evangelischen und gregorianischen Geistlichen
weitergeführt worden. Der sich dabei durch besondere Treue und Hingabe
auszeichnende Prediger Eskidjian ist vor wenigen Wochen am Flecktyphus
gestorben. Im ganzen sind hier 1250 Waisen gesammelt, davon sind 400
bei Prediger Haron Schiradjian, 250 in der gregorianischen Kirche
und 600 (früher 400) bei der Unterzeichneten. Anfangs beschaffte die
Regierung die nötigen Lebensmittel, doch ließ der Eifer bald nach, seit
etwa 5 Wochen bekommen wir noch Brot, und auch das geht zu Ende. Die
Lebensmittel sind mehr als vierfach im Preise gestiegen, wir müssen
bei der denkbar einfachsten Beköstigung 4 Piaster (80 Cts.) pro Kind
täglich rechnen, brauchen demnächst allein für die Waisen in Aleppo 50
Pfund türkisch pro Tag. Außer diesen Kindern halten sich in Aleppo noch
ca. 4000 deportierte Armenier als Flüchtlinge versteckt. Sie fliehen
vor der Polizei von einem Haus, einem Viertel ins andere und fristen
ein jammervolles Dasein. Sie werden unter der Hand von den Vorstehern
ihrer Kirchen unterstützt.

Südlich und südöstlich von hier sind noch jetzt ca. 250000 Armenier
zerstreut, von denen die meisten, nicht direkt, aber unter der Hand,
mit Liebesgaben zu erreichen sind. In der Gegend von Hama, Damaskus,
Ostjordanland, am Euphrat, warten viele auf Hilfe.

2. Frage: Können Sie uns Mitteilungen über ihren Zustand und ihre
Bedürfnisse machen?

Antwort:

Der Zustand der Deportierten spottet jeder Beschreibung. Von Hausrat,
Betten, Kleidern, ist natürlich längst nicht mehr die Rede, alles ist
verkauft und verzehrt. Auch früher Reichen fehlt es heute am täglichen
Brot.

3. Frage: Könnten Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen?
In welcher Weise? Mit wessen Hilfe?

Antwort:

Außer der Notstandsarbeit in Aleppo selbst, sind in Killis, Maarra,
Hama, Ras-ul-Ain, Damaskus, Der-es-Zor, Kinder gesammelt worden, und
es wurden an die erwähnten Ortschaften, wie auch nach Bab, Meskene,
Sabkha, bis nach Ana hinunter größere Summen zur Linderung der
Not geschickt. Dies konnte natürlich nur durch Vermittlung treuer
eingeborener Christen geschehen und ist Gott sei Dank bis heute
gelungen, ohne den Verdacht der Regierung auf uns zu lenken.

4. Frage: In welchem Umfange wären Mittel erforderlich?

Antwort:

Außer 4000 Pfund monatlich für Aleppo wären pro Person 2 Piaster
Unterstützung gerechnet, täglich 100000[132] Frs. nötig. Es gilt so
viele als möglich vom Hungertode zu retten und womöglich bis nach dem
Krieg zu erhalten.

5. Frage: Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?

Antwort:

Hilfskräfte müssen aus dem Volke selbst herangezogen werden. Eine
europäische Organisation würde nur dazu dienen, der Sache ein jähes
Ende zu bereiten.

                                                      Beatrice Rohner.


Anlage 2.

  Deutsches Konsulat.                       Adana, den 15. April 1916.

  Beantwortung der Fragen des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für
  Armenien.

1. Rund 1000 deportierte Armenier sind zurzeit auf der Baustrecke der
Bagdadbahn als Handwerker und Arbeiter, einige von ihnen als Bau- und
Transportunternehmer der Baugesellschaft beschäftigt.

2. Die Leute werden von der Bagdadbahn-Baugesellschaft reichlich
bezahlt und bedürfen daher keiner Unterstützung.

3.-5. Diese Fragen erledigen sich durch die Beantwortung der ersten
beiden Fragen.

Bemerkung: Das deutsche Waisenhaus in Harunije hat sich zur Zeit,
als große Scharen Deportierter namentlich in Osmanie lagen, dieser
angenommen und die hierfür nötigen Mittel von amerikanischer Seite
erhalten. Gegenwärtig ist diese Hilfstätigkeit in das Wilajet Aleppo
verlegt worden.


Anlage 3.

  Deutsches Konsulat.                    Damaskus, den 17. April 1916.

    Fragen des Schweizerischen Hilfswerks 1915 für Armenien.

1. Welche Zahl von deportierten Armeniern befindet sich ungefähr in
Ihrem Wirkungskreise...?: Im Wilajet Damaskus gegen 2000 Familien zu je
5 Köpfen.

2. Können Sie uns Mitteilungen über ihren Zustand und ihre Bedürfnisse
machen?: Höchstens 10 vom Hundert können sich durch eigene Geldmittel
erhalten. Den übrigen fehlt alles zum Lebensunterhalt. Sie werden auch
größtenteils bisher zu keiner Beschäftigung zugelassen.

3. Können Sie den Deportierten Unterstützungen zukommen lassen? In
welcher Weise? Mit wessen Hilfe?: Die eingegangenen Unterstützungen
habe ich bisher durch den armenischen Prediger V. B. Tahmissian
den hilfsbedürftigen Armeniern zukommen lassen. Diesem stehen vier
Vertrauensleute in der Stadt Damaskus und weitere Hilfskräfte im
Wilajet Damaskus zur Verfügung.

4. In welchem Umfang wären Mittel erforderlich?: Für den
Lebensunterhalt ist vorläufig wenigstens 1 Frs. täglich zu
rechnen. 10000 Armenier im ganzen, davon 1000 Armenier nicht
unterstützungsbedürftig, bleiben 9000 Armenier, die hilfsbedürftig
sind. Täglich würden 9000 Frs. erforderlich sein.

5. Haben Sie zu diesem Hilfswerk Hilfskräfte nötig?: Weitere
Hilfskräfte sollen nach Ansicht des Predigers Tahmissian nicht
unbedingt erforderlich sein. Die Hilfskräfte arbeiten alle im geheimen,
da die türkische Regierung eine offene Hilfsarbeit verbietet.


Anlage 4.

  Deutsches Konsulat.                         Mossul, den 4. Mai 1916.

    Beantwortung.

Zu 1. Die Zahl der nach dem Wilajet Mossul deportierten Armenier
wechselt dauernd infolge starker Mortalität, sowie infolge dauernden
Weiterschubs und neuen Zuzugs. Zurzeit befinden sich im Wilajet Mossul
ungefähr 4-5000 deportierte Armenier aus Erzerum, Bitlis, Ras ul Ain,
Der-es-Zor, hauptsächlich Frauen und Kinder. Auf diesem Bestand dürfte
auch künftig auf längere Zeit hinaus die Zahl der ins hiesige Wilajet
deportierten Armenier bleiben.

Zu 2. Ein geringer Teil der Deportierten (nur Frauen und Kinder
und etwa 200 Männer) hat, soweit die Stadt Mossul selbst in Frage
kommt, Unterkunft in hiesigen christlichen und muhammedanischen
Familien gefunden. Der Zustand dieser Wenigen, die von seiten der
Regierung keinerlei Unterstützung erhalten, ist erträglich. Der
Rest ist in Mossul, Kerkuk und Suleimanijeh in ihrem Bestande nach
dauernd wechselnden Lagern untergebracht. Ihr Zustand ist mehr als
elend. Offiziell soll die Regierung an die deportierten Armenier
pro Kopf und pro Tag einen Piaster (20 Pf.) zahlen, wovon sich
die Deportierten alsdann selber zu verpflegen haben. Die Zahlung
dieser Unterstützungsgelder erfolgt jedoch sehr unregelmäßig, häufig
überhaupt nicht, so daß eine große Anzahl der Deportierten aufs Betteln
angewiesen ist. Es fehlt den Leuten hauptsächlich an Kleidung aller
Art, an ärztlicher Behandlung und an Nahrungs- und Arzneimitteln.
Voraussetzung für eine wirksame Hilfe ist, daß die Deportierten
zunächst mal an zu bestimmenden Orten definitiv verbleiben dürfen
und nicht wie es bisher geschehen ist und noch dauernd geschieht, je
nach Gutdünken der sich mit jenen Angelegenheiten befassenden und
sehr skrupellos vorgehenden türkischen „Spezialkommissionen“ ruhelos
hin- und hergehetzt werden. Solange dies letzter Verfahren weiter
angewandt wird, ist jede wirksame Hilfe ausgeschlossen. Die Zahlung
von Unterstützungen in diesem Falle würde nur eine Verlängerung der
Leiden der Deportierten bedeuten und ihr elendes Ende nur etwas weiter
hinausschieben.

Zu 3. Unterstützungen an die im Wilajet Mossul befindlichen
deportierten Armenier könnten durch Vermittlung des Konsulats
geführt werden, und zwar direkt oder auch durch Inanspruchnahme der
betreffenden türkischen Deportiertenkommissionen, im Einvernehmen mit
der Regierung.

Zu 4. Bei Berechnung von 1 Ltq. pro Kopf, welcher Betrag zur
Beschaffung von Kleidern und Wäsche genügen und wovon noch pro Kopf
ein kleiner Barbetrag übrig bleiben würde, würde für die ins hiesige
Wilajet deportierten Armenier eine Summe von 4-5000 Ltq. erforderlich
sein.

Zu 5. Eine, die Landessprachen (arabisch und türkisch) beherrschende
Persönlichkeit als Hilfskraft für Rechnungsführung, Beschaffung der
nötigen Gegenstände etc. wäre erforderlich. Diese Hilfskraft kann hier
beschafft werden. Monatsremuneration von 4-6 Ltq.



_Mai._


264.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                          Pera, den 11. Mai 1916.

Nachdem die türkische Regierung im letzten Jahre den Entschluß gefaßt
hatte, die armenische Bevölkerung aus gewissen Teilen des Landes
abzuschieben, hatte sie auf Grund der von hier aus unternommenen
Schritte wiederholt zugesichert, die Armenier römisch-katholischen
und protestantischen Glaubens soweit als irgend möglich von der
Verschickung auszunehmen. Trotz dieses Versprechens ist es vorgekommen,
daß auch diese Armenier von Haus und Hof vertrieben wurden. In
einzelnen Fällen konnten allerdings die bereits eingeleiteten
Austreibungen wieder rückgängig gemacht werden.

Gleichzeitig mit der Vertreibung der armenischen Bevölkerung trafen
aus verschiedenen Gegenden des türkischen Reiches Meldungen hier ein,
wonach, zum Teil mit Hilfe der türkischen Behörden, eine zwangsweise
Bekehrung der Bevölkerung zum Islam eingeleitet worden war. Von der
Zentralregierung in Konstantinopel wurde die Richtigkeit dieser
Vorgänge stets in Abrede gezogen. Sowohl Halil Bey als Talaat Bey
versicherten mir wiederholt, daß ihnen jedes Vorgehen gegen die
christlichen Elemente der armenischen Bevölkerung durchaus fernliege,
etwaige Ausschreitungen der Unterbehörden würden aufs strengste
geahndet werden. Im Laufe des Monats März und Anfang April liefen hier
wiederum Meldungen ein, wonach besonders in Aintab, Cäsarea, Aleppo
und Adrianopel mit Hilfe der türkischen Behörden Bekehrungen der
zurückgebliebenen christlichen Armenier zum Islam stattfinden. Auch in
Urfa sollten die Insassen des dortigen armenischen Waisenhauses und
die zurückgebliebenen armenischen Frauen zwangsweise zum Islam bekehrt
worden sein.

Ich habe diese Vorgänge Ende v. M. zur Kenntnis der Pforte gebracht
und energisch um Abstellung ersucht. Halil Bey versicherte mir erneut,
daß der Zentralregierung in Konstantinopel von diesen Vorgängen nichts
bekannt sei. Nach Rücksprache mit seinem Kollegen Talaat Bey erklärte
er, es seien neuerdings strengste Weisungen an die Provinzbehörden
ergangen, alle Versuche, die christliche armenische Bevölkerung zum
Islam zu bekehren, zu unterlassen. Außerdem sei den Provinzbehörden
streng verboten worden, selbst etwaige freiwillige Anerbietungen zum
Übertritt zum Islam entgegenzunehmen. Seit dieser Zeit sind keine neuen
Meldungen über Bekehrungsversuche der armenischen Bevölkerung hier
eingetroffen.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


265.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 12. Mai 1916.
  Ankunft in Pera, den 12. Mai 1916.

    An Deutsche Botschaft in Konstantinopel.

Mutessarrif von Marasch, der bisher den Armeniern gegenüber milde
war, hat einer deutschen Schwester folgendes erzählt: „Armenier
seien aufgegriffen, die sich als Syrer ausgaben und im Besitze neuer
englischer Waffen waren. Verhör durch Mutessarrif persönlich habe
ergeben: Sie gehören einer geheimen Verbindung an, die Beziehungen zu
Russen und Engländern habe. Sie gaben viele Namen an, auch eine Straße
und Haus in Aleppo, wo Waffendepot sein sollte, das auch tatsächlich
gefunden worden sei.“

Offenbar handelt es sich um Leute, die sich aus der Verschickung
einzeln in die Zeitungegend zurückgeschlichen haben. Nach hiesiger
Version ist mit Waffen desertierter Soldaten zu geschäftlichen Zwecken
Handel getrieben worden, wobei auch Muhammedaner und Juden beteiligt
waren.

Wali von Aleppo hat erklärt: „Djemal Pascha habe auf diese Vorgänge
hin Befehl gegeben, Marasch ganz zu räumen, und von Aleppo alle
ausgewiesenen von außerhalb ohne jede Ausnahme weiter zu schicken,
während die in Aleppo ansässigen Armenier, weil tatsächlich schuldlos,
ausgenommen seien.“

Außerdem sollen die hiesigen 1400 Waisenkinder zum Teil vom
jungtürkischen Komitee übernommen, zum Teil nach Konia, Eskischehir,
Konstantinopel geschickt werden.

Wali will beantragen, daß der Schwester Rohner 100 oder wenigstens
50 Waisen belassen werden, mit denen sie wahrscheinlich nach Konia
übersiedeln soll.

                                                               Rößler.


266.

                                             Berlin, den 13. Mai 1916.

      Euere Exzellenz

haben durch Herrn Dr. Lepsius dieser Tage einen französischen Bericht
über die Rede des russischen Parlamentariers Miljukow in Sachen der
Armenier vorgelegt erhalten. Wie mir Herr Dr. Lepsius mitteilte, fehlte
in der französischen Wiedergabe der Miljukowschen Rede die Angabe des
Datums und der näheren Umstände. Ich habe das Stück in dem Dumabericht
der Zeitung „Rjetsch“, Nr. 70, vom 25. März d. J., aufsuchen und
übersetzen lassen.

Dabei möchte ich mir gestatten, die Aufmerksamkeit Euerer Exzellenz auf
den ungemein wichtigen ~Schlußpassus bei Miljukow hinzulenken~,
wo deutlich gesagt ist, ~daß die russische Regierung die Besiedelung
des eroberten Gebiets in Türkisch-Armenien mit Kosaken~, also
mit einer militärisch organisierten russischen Grenzbevölkerung,
~beabsichtigt~. Die gleichfalls von Miljukow erwähnten Bemühungen
russischerseits, die Kurden ansässig zu machen, dürften so zu erklären
sein, daß man daran denkt, das türkische System, nach dem die
Kurdenstämme zu einer irregulären berittenen Miliz organisiert waren,
zu übernehmen und in russischem Sinne auszubauen. Schon vor dem Kriege
befolgte die russische Regierung die Praxis, die Kurden mit Waffen und
Geld zu versehen und sie sowohl gegen die Türkei als auch gegen die
Armenier aufzuhetzen, während umgekehrt den Armeniern Schutz vor den
Kurden in Aussicht gestellt wurde, sobald sie für ihre Rettung auf
Rußland bauen würden.

Wie weit die Pläne der russischen Regierung bereits in der Ausführung
begriffen sind, geht aus der Mitteilung Miljukows hervor, der von
den Einwohnern (d. h. also auch von den geflüchteten Armeniern)
hinterlassene Besitz -- es ist damit natürlich der unbewegliche Besitz,
der Grund und Boden gemeint -- sei als russisches Staatseigentum
erklärt worden.

                                                    Dr. Paul Rohrbach.

  An Seine Exzellenz den Herrn Staatssekretär
        des Auswärtigen Dr. v. Jagow.


Anlage.

                                     Rjetsch Nr. 70 vom 25. März 1916.

    Miljukow in der Reichsduma über die armenische Frage.

Leider sind Anzeichen vorhanden, die dafür sprechen, daß sich auch
hier wiederum Dinge wiederholen können, die die traurige Erinnerung
an die galizische Epopöe wachrufen. Diese Anzeichen treten bereits
in die Erscheinung: es ist das viel zu leichtfertige Verhalten zu
dem von den Einwohnern hinterlassenen Besitz, welcher aus irgend
welchen Gründen als Staatseigentum erklärt wurde (Stimme von links:
„Januschkewitsch“)... Ja, das ist Januschkewitsch, das ist die Politik
Januschkewitschs -- das ungleichmäßige Verhalten zu den Völkerschaften.
Wir sind geneigt, die Kurden, diese unverbesserlichen Nomaden, zu
unterstützen, und bemühen uns sogar, Ackerbauer aus ihnen zu machen --
auf Kosten ihrer alten Opfer -- der Armenier. Vor noch nicht langer
Zeit nahm der Kurde dem Armenier Land fort, entführte ihm Weib und
Tochter, beraubte und erschlug ihn, aber jetzt wird diesem Feinde von
gestern aufgewartet, wie einem Freunde, und es wird ihm sichtlich der
Vorzug vor dem alten Freunde, dem Armenier, gegeben. Erinnern wir uns,
meine Herren, der Worte Doumergues an die Adresse der Armenier: Mögen
die Opfer der Toten den Lebenden angerechnet werden. Wir wollen nicht
die Früchte der Plünderung und des Landraubs sanktionieren -- was nur
auf dem Boden der alten Türkei möglich war. Aber noch weniger dürfen
wir an eine Umwandlung des angestammten armenischen Landes in irgend
ein Territorium eines Neu-Euphratischen Kosakentums denken. Setzen
wir nicht die Arbeit der Türken fort! Entsagen wir wenigstens hier im
feierlichen Moment der Wiederherstellung des verletzten Rechtes und der
Gerechtigkeit -- den engen Plänen des nationalistischen Egoismus.


267.

                                             Berlin, den 27. Mai 1916.

Euerer Exzellenz gestatte ich mir nachstehendes über erneut einsetzende
Verfolgungen der Christen im Orient zu unterbreiten.

Von zwei absolut sicheren Vertrauensmännern, von denen der eine gestern
mit dem Balkanzug aus Konstantinopel hier eingetroffen ist, erfahre ich
folgendes:

„Von Angora kommen böse Nachrichten. Die Polizei verbot dem dortigen
deutschen katholischen Geistlichen jeden Beistand an katholische
Armenier, auch an Sterbende. Die Frauen, durch die man Almosen
verteilen ließ, wurden eingesperrt. Sodann ist der Generalvikar des
griechisch-katholischen Bischofs von Beirut in Angora eingetroffen und
wird von dort weiter deportiert.“

Nachdem bisher die türkische Regierung auf das Bestimmteste zugesagt
hat, daß gegen die ruhigen Armenier und die Christen in Syrien nichts
unternommen werden soll, jetzt aber mit solchen Zwangsmaßregeln
vorgeht, würde ich Euere Exzellenz sehr dankbar sein, wenn Euere
Exzellenz die Güte hätten, die türkische Regierung erneut darauf
hinweisen zu lassen, wie sehr die Dauerhaftigkeit des Bündnisses mit
Deutschland erschwert wird, wenn solch ungesetzliches Verhalten ohne
jeden Anlaß fortgesetzt wird; denn weder in Aleppo noch in Syrien kann
es sich um Strafen gegen aufrührerische Elemente handeln.

                                  Erzberger, Mitglied des Reichstages.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


  Auswärtiges Amt.

                                             Berlin, den 30. Mai 1916.

    Abschriftlich

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter Herrn Grafen
  Wolff-Metternich, Konstantinopel

zur gefälligen Kenntnisnahme und mit dem Anheimstellen der geeignet
erscheinenden weiteren Veranlassung ergebenst übersandt.

                                                                Stumm.



_Juni._


268.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                          Pera, den 5. Juni 1916.

Auf Erlaß vom 30. Mai 1916.

Die in dem Schreiben des Abgeordneten Erzberger enthaltenen Nachrichten
aus Angora hatten mich schon vor einiger Zeit veranlaßt, bei Halil
Bey energische Vorstellungen gegen das Vorgehen der dortigen Behörden
zu erheben. Auf Grund meiner Schritte ist auch sofort ein Gegenbefehl
durch das Ministerium des Innern erlassen und Abhilfe geschaffen worden.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


269.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                     Konstantinopel, den 7. Juni 1916.

    An Konsulat Damaskus.

Konsulat Aleppo meldet unter dem 5. Juni:

„Offenbar steht die Weiterverschickung aller auswärtigen Armenier von
Aleppo unmittelbar bevor. Seit vorgestern werden auch denjenigen, die
Aufenthaltserlaubnis für Aleppo besaßen, ihre Scheine abgenommen.
Anscheinend ist eine Bekanntmachung im Druck, wonach alle Genannten
Aleppo binnen wenigen Tagen verlassen sollen, widrigenfalls sie
erschossen würden.“

Ich bitte, bei Djemal Pascha in geeigneter Form gegen eine solche
Maßregel Vorstellung zu erheben und über das Ergebnis telegraphisch zu
berichten.

                                                           Metternich.


270.

    (Kaiserliches
  Konsulat Damaskus.)

    Telegramm.

                                          Damaskus, den 11. Juni 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Antwort auf Telegramm vom 7. Juni.

Auf meine Vorstellungen teilte mir Djemal Pascha mit, daß diejenigen
Armenier, denen er Aufenthaltsscheine für Aleppo erteilt habe,
nicht weiter verschickt werden würden. Zur Verschickung der übrigen
eingewanderten Armenier sähe er sich gezwungen, weil von ihnen in
Aleppo ein geheimes Aktionskomitee gegen die türkische Regierung
gebildet worden sei.

                                                              Loytved.

Halil Bey sagte mir heute, es würden keine Armenier aus Aleppo oder
Angora mehr verschickt.

                                                     12.6. Metternich.


271.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

                                            Aleppo, den 17. Juni 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Es scheint, daß die Vorstellungen bei Djemal Pascha doch etwas gewirkt
haben. Die geplante Verschickung ist bisher jedenfalls unterblieben.

                                                               Rößler.


272.

  Deutsche Botschaft
    Konstantinopel.

                                                Pera, le 19 juin 1916.

    Aide-Mémoire.

L’Ambassade Impériale d’Allemagne vient d’être informé que les
Arméniens déportés à Alep et qui s’y étaient installés avec la
permission du Gouvernement Impérial, allaient être de nouveau expulsés
par ordre des autorités militaires.

A cette occasion l’Ambassade a l’honneur de renouveler sa prière de
vouloir bien exempter de cette mesure les déportés appartenant aux
communautés catholiques et protestantes ainsi que ceux qui se trouvent
en possession de permis de séjours en règle.

En même temps l’Ambassade se permet d’attirer l’attention du
Gouvernement Impérial sur la situation des Arméniens en cours de
déportation et se trouvant à Angora, Afioun-Karahissar, Eski-Chéhir et
Konia; elle prie de vouloir bien aviser aux moyens nécessaires afin
que ces exilés et notamment les membres des deux communautés précitées
puissent rester dans ces localités, sans être exposés à une nouvelle
déportation dont ils paraissent être menacés.

                                                      den 19. 6. 1916.

Halil Bey heute mündlich mitgeteilt. Erklärte, daß keine Austreibungen
mehr stattfinden.

                                                           Metternich.


273.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Therapia, den 19. Juni 1916.

Verschiedene Meldungen aus dem Innern Kleinasiens, wonach in der
letzten Zeit erneute Austreibungen von Armeniern stattfinden oder von
den türkischen Behörden in Aussicht gestellt sind, veranlaßten mich
heute, Halil Bey davon Mitteilung zu machen. Der Minister versicherte
mir, die türkische Regierung beabsichtige keine Austreibungen mehr
vorzunehmen, werde jedoch über die angegebenen Fälle Erkundigungen
einziehen.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


274.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                       Aleppo, den 17. Juni 1916.

Euerer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage Abschrift
eines Berichtes der Schwester Beatrice Rohner an Mr. Peet in
Konstantinopel, mit welchem sie ihre Abrechnung über 7435 Ltq.
vom 1. Januar bis 1. Juni d. J. durch sie zur Verteilung gelangte
amerikanische Notstandsgelder begleitet hat.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


Anlage.

    Bericht über Notstandsarbeit in Aleppo 1. Januar bis 1. Juni 1916.

Als ich Ende Dezember 1915 mit Schwester Paula Schäfer nach Aleppo
kam, um wenn möglich eine Erlaubnis zu erwirken, weiter nach Süden den
Vertriebenen nachziehen zu können, war die Notstandsarbeit bereits
im Gange. Die durch den amerikanischen Konsul eingehenden Gelder
wurden in der Hauptsache von dem protestantischen Prediger Ohannes
Eskidjian verwaltet. Es bestanden bereits mehrere Waisenhäuser und die
verschiedenen Gemeinden versorgten ihre Armen soweit die eingehenden
Mittel reichten. Natürlich dachten wir da zunächst nicht daran, hier
die Arbeit zu übernehmen, bis Djemal Paschas abschlägige Antwort
auf unsere Reisevorschläge und seine dringende Aufforderung uns des
einen sehr vernachlässigten Waisenhauses anzunehmen, mich nötigte,
einstweilen in Aleppo zu bleiben. Bis Ende März beschränkte ich meine
Tätigkeit auf die mir übergebenen 350 Kinder und half persönlich, wo
die Not an mich herantrat. Als aber Badwelli Eskidjian sowohl als der
Hausvater eines Waisenhauses Ende März starben, übernahm ich nach
seinem Wunsch die Notstandsarbeit ganz, sowie auch das Waisenhaus, das
er mit Erlaubnis der Regierung eröffnet hatte. Wie aus der Abrechnung
von April und Mai hervorgeht, habe ich Gelegenheit, Gelder nach den
verschiedensten Richtungen zu versenden. Mit der Post können natürlich
nur kleine Beträge unauffällig gesandt werden, aber Geschäftsleute
und Durchreisende, auch einzelne mutige junge Armenier, denen es
gelingt, zwischen Aleppo und Der-es-Zor zu reisen, vermitteln größere
Summen. Die Schwierigkeit in dieser Arbeit besteht hauptsächlich in
der mangelnden Organisation, aber es ist unmöglich, jetzt Komitees
zu bilden, ohne sofort den Verdacht der Regierung auf sich zu laden.
Auch Quittungen sind nicht zu bekommen, da sich die Leute aus Furcht
weigern, ihre Unterschrift zu geben. Daß diese Art der Arbeit viel
unzufriedene Gemüter aufregt, läßt sich denken; manches fühlt sich
übergangen und andere vorgezogen; man kritisiert diejenigen, welche
die Gelder verwalten. Hoffentlich hat dies nicht noch schließlich zur
Folge, daß die Regierung doch aufmerksam wird, und daß diese letzte
Hilfsquelle abgeschnitten wird.

                                                      Beatrice Rohner.


275.

    Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Therapia, den 19. Juni 1916.

    Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg
gehorsamst überreicht.

                                                           Metternich.

  Kaiserliches Konsulat.                   Damaskus, den 30. Mai 1916.

Wie ich im März d. J. telegraphisch zu melden die Ehre hatte, hat
Djemal Pascha ein Hilfswerk für die hierher ausgewiesenen Armenier
organisiert, das seit etwa sechs Wochen an der Arbeit ist. An der
Spitze dieser Organisation steht der ehemalige Wali von Salonik und
Aleppo, Hussein Kasim Bey, der allgemein als gediegener Charakter und
rührig geschätzt wird. Ihm zur Seite stehen zwei höhere außer Dienst
befindliche Beamte und der stellvertretende Wali von Damaskus. Auch
diese drei Kommissionsmitglieder genießen einen guten Ruf.

Hussein Kasim Bey bereiste seit vorigem Monat die im Hauran und südlich
davon gelegenen Gebiete, in denen sich Armenier befinden. In Deraa hat
er zunächst Brot an die Armenier verteilen lassen und eine Entlausungs-
und Badeanstalt mit Krankenhaus errichtet. Von dort aus wurden nach
erfolgter Reinigung viele Armenier nach verschiedenen Orten verschickt,
in denen sie Arbeit finden konnten. Gegen 700 Witwen und Waisen kamen
nach Hama, wo sie in einer Wirkfabrik arbeiten.

Vorgestern traf ich gelegentlich eines Essens, das Djemal Pascha gab,
den Hussein Kasim Bey. Als er mich sah, sagte er mir, daß er mich
dringend sprechen möchte. Er erklärte mir in sehr erregtem Tone, daß er
sein Amt als Vorsitzender der Armenierkommission niederlegen wolle, da
er nicht mehr arbeiten könne. Seine Maßregeln werden nicht nur nicht
ausgeführt, sondern die Behörden handeln ihnen entgegen. Die Armenier,
die er programmäßig von Deraa nach Damaskus schicke, werden von den
hiesigen Stadtbehörden wieder zurückgeschickt. Die Regierung stelle
ihm viel zu wenig Geldmittel zur Verfügung, um wirksam der großen Not
der Armenier entgegentreten zu können. Er sei ganz verzagt und glaube
überhaupt nicht mehr an den ernsten Willen der türkischen Regierung,
den ausgewiesenen Armeniern helfen zu wollen. Er fürchte sogar, daß
man sie systematisch ausrotten wolle. Er höre, daß die nach Aleppo
geleiteten Armenier wieder nach dem Osten in der Richtung nach Mossul
und Der-es-Zor gebracht würden, wahrscheinlich um den Beduinen zum
Opfer zu fallen. Diese grausame Vernichtungspolitik sei eine Schmach
für die Türkei und würde nach dem Frieden der Türkei sehr schaden
und auch Deutschland in Verlegenheit bringen, weil es von der Welt
beschuldigt würde, nicht wirkungsvoller für die Armenier eingetreten zu
sein. Er finde keinen anderen Ausweg, als daß Deutschland dahin wirke,
daß alle Armenier nach irgend einem Land -- er meinte Südamerika --
baldigst verschickt würden. Auf diese Weise würde man der Türkei und
den Armeniern am besten helfen.

Ich wies ihn auf die armenierfeindliche Stimmung bei den maßgebenden
Komiteemitgliedern in Konstantinopel hin, gegen die selbst Djemal
Pascha scheinbar nicht aufkommen könne. Ich machte ihn darauf
aufmerksam, daß Deutschland, soweit die gegenwärtige Lage es erlaube,
den Armeniern nach Möglichkeit helfe, und bat ihn, im Interesse
der Sache sein gedachtes Amt nicht niederzulegen und trotz aller
Gegenströmungen weiter zu arbeiten. Er wird, sobald Djemal Pascha in
einigen Tagen von Aleppo zurückkommt, mit ihm weiter verhandeln und,
wenn ihm nicht mehr Machtvollkommenheit und Geldmittel zur Verfügung
gestellt werden, auf sein Ehrenamt verzichten. Nach seiner Schätzung
befinden sich zwischen Aleppo und dem Hedjas 60000 Armenier. Falls
das Schweizerische Hilfswerk Geldmittel für die hiesigen Armenier zur
Verfügung stellen will, würde ich empfehlen, durch das Konsulat unter
der Hand dem Hussein Kasim Bey, zu dem ich volles Vertrauen habe, Geld
für den gedachten Zweck zu geben. Es scheint Eile dringend geboten,
weil die Not groß ist.

                                                      Loytved Hardegg.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Herrn Botschafter
     Grafen von Wolff-Metternich, Konstantinopel.


276.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                          Therapia, den 19. Juni 1916.

    An das Auswärtige Amt.

Für Herrn von Gwinner und Geh. Rat Riese, Berlin:

Aus Airan drahten Winkler und Morf vom 18. Juni, daß infolge
Austreibung armenischer und dadurch veranlaßter Flucht türkischer
Arbeiter im Amanus nur 2900 Arbeiter von zusammen 5300 verblieben.
Weitere Abnahme der Arbeiterzahl wird infolge andauernder Austreibung
mit Sicherheit eintreten. Infolge Fehlens aller gelernten Arbeiter ist
mit den Verbliebenen der Fortschritt der Bauarbeiten und der Betrieb
des Bahnhofs unmöglich. Vor einigen Tagen auf unsere Vorstellungen
vom türkischen Kriegsministerium gegebener Gegenbefehl erfolglos
geblieben. Anwerbung neuer Arbeiter ist heute unmöglich. Entsprechende
Zahl Arbeitersoldaten zu stellen, würde längere Zeit erfordern, und
wegen Ungeübtheit neuer Arbeiter weitere Verlängerung der Bauzeit um
mindestens drei Monate verursachen. Im großen Amanustunnel besteht
Gefahr Einbruchs ausgezimmerter unsicherer Abschnitte und damit lange
dauernde Unterbrechung des Betriebes. Polizei verweigert unseren
Ingenieuren und Arbeitern Eintritt in den großen Tunnel zur Ausführung
unbedingt notwendiger Sicherungen. Da auch zwei armenische Ärzte und
43 Apotheker und Pfleger vertrieben sind, liegen Kranke unversorgt
in Hospitälern Bagtsche, Yarbaschi und Entilli, was bei vorhandener
Seuche größte Gefahr bedeutet. Bitte dringende Vorstellung bei
deutschem Großen Hauptquartier, Kriegsministerium, Auswärtigem Amt und
außerdem bei Generalmajor von Lossow zu erheben, der im Hauptquartier
oder in Berlin. -- Anatolische Bahngesellschaft.

                                                               Grages.


277.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                          Therapia, den 21. Juni 1916.

    An Auswärtiges Amt.

Für Deutsche Bank und für Riese:

Der Kriegsminister hat heute dem Kommandanten der IV. Armee und dem
Wali von Adana telegraphisch befohlen, daß die ausgetriebenen Armenier
nach ihren Arbeitsstellen zurückgeführt werden.

                                                               Grages.


278.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                              Pera, den 22. Juni 1916.

    An Auswärtiges Amt.

Anatolische Bahngesellschaft an von Gwinner und Riese.

Winkler drahtet heute wie folgt:

Der Wali erklärt, keinen Befehl zur Rückkehr der Vertriebenen erhalten
zu haben, sondern nur einen Befehl, durch den die Zahl der noch zu
Vertreibenden beschränkt wird[133]. Der Wali erklärte obendrein, daß
er einen derartigen Befehl, auch wenn er ihn erhalten würde, nicht
befolgen würde; er fügte hinzu, das könne ein anderer Wali besorgen.

                                                              Neurath.


279.

        Kaiserliches
  Deutsches Generalkonsulat.             Jerusalem, den 26. Juni 1916.

Der armenische Patriarch hat mich heute besucht, um mir mitzuteilen,
daß die im Ost-Jordanland angesiedelten Armenier gewaltsam zum Islam
bekehrt würden. Der frühere Ansiedlungskommissar Kiazim sei ziemlich
milde gewesen; sein kürzlich aus Konstantinopel gekommener Nachfolger
Kanal wende indes brutale Mittel an. Unter seinem Druck hätten sich in
Deraa kürzlich 3500 Personen zum Übertritt zum Islam bereit erklärt.

Die Zahl der im Ostjordanland angesiedelten Armenier bezifferte der
Patriarch auf 15000 im Hauran, und 3-4000 in Kerak.

                                                            Dr. Brode.

   Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
  Herrn Grafen Wolff-Metternich in Konstantinopel.


280.

   (Kaiserliches
  Konsulat Siwas.)

    Telegramm.

  Abgang aus Siwas, den 27. Juni 1916.
  Ankunft in Therapia, den 28. Juni 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Gestern Abend sind alle noch hier verbliebenen, zu Wegbauten und zum
Pionierregiment gehörenden Armenier, ferner die der Gewerbeschule und
auch alle Griechen in der armenischen Kirche eingesperrt worden. Die
Griechen und zum Islam übergetretenen Armenier sind nach einer heftigen
Bastonnade heute wieder freigelassen worden, den anderen Armeniern ist
durch die Behörden angeraten worden, zum Islam überzutreten. Weigern
sie sich, so werden sie verschickt.

                                                                Werth.


281.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 27. Juni 1916.
  Ankunft in Therapia, den 28. Juni 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an Telegramm vom 17. Mai.

Unter dem Vorwand, es handele sich um sanitäre Maßregeln oder politisch
Verdächtige, hat seit dem 19. Juni wieder rücksichtslose Verschickung
aus Aleppo begonnen, auch von solchen, die seit langer Zeit hier
ansässig.

                                                               Rößler.


282.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Therapia, den 30. Juni 1916.

Ich habe die Vertreibung der armenischen Arbeiter von der
Amanusstrecke, wodurch die Kriegführung geschädigt wird, mit Talaat
Bey und Halil Bey besprochen. Diese Maßregel, so sagte ich u. a. den
Ministern, mache den Eindruck, als ob die türkische Regierung selbst
darauf bedacht sei, den Krieg zu verlieren.

Der Vorgang ist lehrreich nach verschiedenen Richtungen hin. Leute wie
Talaat und Enver wissen wohl, daß dem Kriegszweck durch die Gefährdung
des Eisenbahnbetriebes und -baues am Amanus geschadet wird. Es hat
aber niemand hier mehr die Macht, die vielköpfige Hydra des Komitees,
den Chauvinismus und Fanatismus, zu bändigen. Das Komitee verlangt
die Vertilgung der letzten Reste der Armenier, und die Regierung
muß nachgeben. Das Komitee bedeutet aber nicht nur die Organisation
der Regierungspartei in der Hauptstadt. Das Komitee ist über alle
Wilajets verbreitet. Jedem Wali bis zum Kaimakam (Landrat) herab
steht ein Komiteemitglied zur Unterstützung oder zur Überwachung zur
Seite. Die Armeniervertreibungen haben überall wieder begonnen. Von
diesen Unglücklichen haben die hungrigen Wölfe des Komitees außer
der Befriedigung ihrer fanatischen Verfolgungswut aber nicht mehr
viel zu erwarten. Ihre Güter sind längst eingezogen, und ihr Vermögen
ist durch eine sogenannte Kommission liquidiert worden, d. h. wenn
beispielsweise ein Armenier ein Haus im Werte von 100 Ltq. besaß, so
ist es einem Türken, Freund oder Mitglied des Komitees, für etwa 2 Ltq.
zugeschlagen worden. Von den Armeniern ist also nicht mehr viel zu
holen. Die Meute bereitet sich daher auch schon mit Ungeduld auf den
Augenblick vor, wo Griechenland, von der Entente gezwungen, sich gegen
die Türkei oder deren Verbündete richten wird. Es werden dann Massakres
in weit größerem Umfange eintreten, als bei den Armeniern. Die Opfer
sind zahlreicher und die Beute ist verlockender. Das Griechentum bildet
das Kulturelement der Türkei. Es wird dann vernichtet werden, ebenso
wie das armenische, wenn äußere Einflüsse nicht Einhalt gebieten.
Türkisieren heißt, alles nicht Türkische vertreiben oder töten,
vernichten und sich gewaltsam anderer Leute Besitz aneignen. Hierin und
im Nachplärren freiheitlicher französischer Phrasen besteht vorläufig
die berühmte Wiedergeburt der Türkei. Leute wie Talaat, die den
ehrlichen Willen haben, die Türkei vorwärts zu bringen, obgleich auch
er nur Machtpolitik kennt, müssen sich der vielköpfigen Hydra fügen.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


283.

    (Kaiserliches
  Konsulat Damaskus.)

    Telegramm.

  Abgang aus Damaskus, den 30. Juni 1916.
  Ankunft in Therapia, den 1. Juli 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Armenier werden sämtlich mehr oder weniger gezwungen, Muhammedaner
zu werden. In Deraa haben 149 Familien den Islam angenommen; nur
eine einzige blieb dem christlichen Glauben treu. Da Djemal Pascha
in Jerusalem ist, habe ich einen hiesigen muhammedanischen Notabeln,
der gegen diese zwangsweisen Religionsänderungen ist, veranlaßt, den
Gereanten des Wilajets aufmerksam zu machen, daß diese Maßnahme in
Deutschland eine starke Strömung gegen die jungtürkische Regierung
hervorrufen würde. Politische Vorteile, die durch solche Versuche, die
Armenier zu entnationalisieren und ihre Beziehungen zu den christlichen
Mächten abzuschneiden, vielleicht hier erreicht würden, ständen
nicht im Verhältnis zu den Nachteilen, die durch die Gegenstimmung
in Europa und Amerika gegen die Türkei entstehen würden. Der Gereant
des Wilajets, der diese Besprechung an Djemal Pascha gedrahtet haben
dürfte, bestritt die Islamisierungsversuche.

                                                              Loytved.



_Juli._


284.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                          Pera, den 8. Juli 1916.

    An Deutsches Konsulat, Damaskus.

Antwort auf Telegramm vom 30. Juni.

Auch anderwärts wird trotz der offiziellen Dementis und trotz
angeblicher Gegenbefehle die Islamisierung der Armenier durchgeführt.
Unsere Gegenvorstellungen sind nutzlos; doch bin ich mit Ihrer Demarche
einverstanden.

                                                           Metternich.


285.

    Telegramm.

  Großes Hauptquartier, den 1. Juli 1916.
  Ankunft, den 1. Juli 1916.

    Der Kaiserliche Gesandte an Auswärtiges Amt.

General von Falkenhayn hat am 29. 6. an Enver Pascha gedrahtet:

„Wie ich erfahre, ist durch die Ausweisung von Arbeitern, die im
Amanus- und Taurusgebiet beschäftigt waren, eine vollständige
Betriebseinstellung verursacht worden, deren Ende sich nicht absehen
läßt. Ich würde es in hohem Maße für die Gesamtlage bedauern, wenn
dadurch auch nur ein Aufschub der geplanten Operationen notwendig
würde, und würde Euerer Exzellenz für eine Orientierung über die
Folgen des bedauerlichen Vorfalls dankbar sein. Wegen der Behinderung
des Nachschubs für die deutschen Formationen in Kleinasien liegt ein
unmittelbares deutsches Interesse vor.“

                                                             Treutler.


286.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Abgang aus Therapia, den 1. Juli 1916.
  Ankunft in Berlin, den 1. Juli 1916.

    An Auswärtiges Amt.

Ich habe schon vorgestern ernste Vorstellung bei Halil und Talaat Bey
erhoben unter Betonung der Kriegszwecke. Talaat Bey wollte nochmals
mit Enver die Ausweisungsfrage erörtern. Über inzwischen erfolgte
Gegenbefehle und deren Ausführung noch keine Klarheit. Ausweisung
auf Komiteebeschluß zurückzuführen, da überall Armenierverfolgungen
wieder einzusetzen scheinen. Auch Enver und Talaat Bey sind solchen
fanatischen Beschlüssen gegenüber machtlos.

Mit stellvertretendem Militärbevollmächtigten habe ich von vornherein
vereinbart, daß ich seine Schritte bei Enver meinerseits bei der
türkischen Regierung unterstütze.

                                                           Metternich.


287.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Therapia, den 10. Juli 1916.

Die Armenierverfolgungen in den östlichen Provinzen sind in ihr letztes
Stadium getreten.

Die türkische Regierung hat sich in der Durchführung ihres Programms:
Erledigung der armenischen Frage durch die Vernichtung der armenischen
Rasse, weder durch unsere Vorstellungen noch durch die Vorstellungen
der amerikanischen Botschaft und des päpstlichen Delegaten, noch auch
durch Drohungen der Ententemächte, am allerwenigsten aber durch die
Rücksicht auf die öffentliche Meinung des Abendlandes beirren lassen;
sie steht jetzt im Begriff, die letzten Ansammlungen von Armeniern,
welche die erste Deportation überstanden haben, aufzulösen und zu
zerstreuen.

Es handelt sich hierbei um Armenier, die in Nordsyrien (Marasch,
Aleppo, Ras-ul-Ain) sowie in einigen größeren Ortschaften Kleinasiens
(Angora, Konia) zurückgeblieben sind, namentlich solche, die durch
Verschickung dorthin gelangt oder schon früher dort eingewandert
waren. Aber auch unter der alteingesessenen Bevölkerung und unter den
katholischen und protestantischen Armeniern wird jetzt aufgeräumt,
obwohl die Pforte wiederholt die Schonung dieser letzteren zugesagt
hatte.

Diese Überreste werden teils nach Mesopotamien weiter verschickt, teils
islamisiert.

Das Konzentrationslager in Ras ul Ain, das Ende April noch 2000
Insassen zählte, ist vollständig geräumt; ein erster Transport ist auf
dem Marsch nach Der-es-Zor überfallen und zusammengehauen worden; es
wird vermutet, daß es den übrigen nicht besser ergangen ist[134].

In Marasch und Aleppo ist die Verschickung in vollem Gange; in Marasch
wurden nicht einmal die Familien geschont, die früher vom Minister
des Innern spezielle Aufenthaltsermächtigungen hatten. In Angora
ist der durch seine Tätigkeit in Diarbekr bekannte Wali Reschid
Bey beschäftigt, die letzten Armenier (ausschließlich Katholiken)
ausfindig zu machen und auszutreiben. In gleicher Weise wird mit
den in Eskischehir und in der Umgegend von Ismid noch befindlichen
protestantischen und katholischen Armeniern verfahren.

Trotz aller offiziellen Ableugnungen spielt in dieser letzten Phase der
Armenierverfolgungen die Islamisierung eine große Rolle.

Bereits Ende April berichtete der Pfarrer Christoffel aus Siwas, daß er
in Eregli die letzten christlichen Armenier angetroffen habe; von dort
bis Siwas war gründlich aufgeräumt. Entweder verschickt, oder bekehrt
oder umgebracht. Man hörte nirgends mehr einen armenischen Laut. In
Karahissar-Scharki waren anscheinend noch einige Gruppen christlicher
Armenier übrig geblieben. Letzthin sollten sie in Gemeinschaft mit den
dortigen Griechen ein Komitee gebildet haben, um unter den Soldaten
einen Aufstand zu erregen. Daraufhin wurden alle Armenier festgenommen,
um verschickt zu werden; sie haben es dann vorgezogen, zum Islam
überzutreten. Aus Damaskus zeigt Konsul Loytved unter dem 30. Juni an:
„Armenier werden sämtlich mehr oder weniger gezwungen, Muhammedaner
zu werden; in Deraa haben 149 Familien den Islam angenommen, nur eine
einzige blieb dem christlichen Glauben treu.“

Endlich muß hier das Vorgehen der Pforte gegen die Anstalten erwähnt
werden, die von deutschen und amerikanischen Vereinen zum Wohl der
armenischen Bevölkerung in jenen Gegenden bisher unterhalten wurden,
wie Waisenhäuser, Spitäler, Schulen u. dgl. Die wenigen Anstalten,
die noch nicht geschlossen sind, werden durch die Behörden tagtäglich
bedroht mit Verschickung des armenischen Personals, der Schul- und
Waisenkinder und mit anderen Maßregeln. Einzelne Vergünstigungen,
die die Regierung noch im vorigen Jahre zugestanden hatte, sind
zurückgezogen worden, und es ist nur geringe Hoffnung vorhanden, daß
diese Anstalten nach dem Kriege ihre Tätigkeit in dem früheren Umfange
werden aufnehmen können. Die türkische Regierung hat richtig erkannt,
daß die von den Ausländern geleiteten Schulen und Waisenhäuser
einen großen Einfluß auf die Weckung und Entwicklung des armenischen
Nationalgefühls gehabt haben; es ist von ihrem Standpunkt aus nur
konsequent, wenn sie sie einer straffen Kontrolle unterstellt, oder
ganz eingehen läßt.

Ebenso darf man in der zwangsweisen Islamisierung der Armenier zunächst
keine von religiösem Fanatismus eingegebene Maßregel erblicken. Den
jungtürkischen Gewalthabern dürften solche Gefühle fremd sein. Dagegen
bleibt es wahr, daß, um auch im Herzen ein guter osmanischer Patriot
zu sein, man vor allem sich zum Islam bekennen muß. Die Geschichte
des türkischen Reiches von seinem Beginn bis in die letzten Zeiten
ist da, um die Richtigkeit des Satzes zu beweisen, daß im Orient
Glaubensbekenntnis und Nationalität identisch sind, und jeder Osmane
ist in seinem Innern hiervon überzeugt. Die gegenteiligen amtlichen und
nichtamtlichen Versicherungen gehören samt dem begleitenden Apparat
von Belegstellen aus Koran und Tradition zu den konventionellen
Phrasen, deren man sich seit der Ära der Reformfermane den Europäern
gegenüber bedient, um die Toleranz des Islams und der Osmanen zu
beweisen. So entsprechen auch die Dementis, welche die Minister den
Mitteilungen über die Glaubensverfolgungen entgegensetzen, zunächst
den Anforderungen des guten Tons; sie treffen aber insofern zu, als
das leitende Motiv nicht religiöser Fanatismus ist, sondern die
Absicht, die Armenier mit den muhammedanischen Bewohnern des Reiches zu
amalgamieren.

So sehr es auch zu beklagen ist, daß es uns nicht gelungen ist, die
Armenierpolitik der Pforte in andere Bahnen zu lenken, so haben
andererseits weder unsere Feinde noch die Neutralen ein Recht, uns
daraus einen Vorwurf zu machen. Wir haben nach besten Kräften das
Los des unglücklichen armenischen Volksstammes in der Türkei zu
mildern gesucht, sowohl durch Einwirkung auf die Regierung wie durch
Hilfsleistungen.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


288.

        Kaiserliches
  Deutsches Generalkonsulat.                  Genf, den 12. Juli 1916.

Die hiesigen Vertreter des Schweizerischen Hilfswerks für die
Armenier, der Schweizer Herr Leopold Favre und der ehemalige Pastor
der deutsch-evangelischen Gemeinde von Genf, Herr Adolf Hoffmann
(Reichsangehöriger), haben mir mitgeteilt, daß ihr Komitee die Absicht
habe, den auf türkischem Gebiet lebenden notleidenden Armeniern aufs
neue Geldunterstützungen zukommen zu lassen. Das Hilfskomitee würde es
mit Dank begrüßen, wenn es für dieses Unternehmen bei den Kaiserlichen
Konsularbehörden in Kleinasien Unterstützung finden würde und wenn es
sich ermöglichen ließe, die von dem Komitee für den angegebenen Zweck
gesammelte Geldsumme durch die Vermittlung unserer Konsuln unter die
hilfsbedürftigen Armenier zu verteilen.

                                                              Geißler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
  Herrn von Bethmann Hollweg in Berlin.


289.

   (Kaiserliches
  Konsulat Siwas.)

    Telegramm.

                                             Siwas, den 23. Juli 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Heute am Tage des Nationalfestes sind alle armenischen Militärärzte
jeden Grades unter Drohung gezwungen worden, zum Islam überzutreten.
Alle mußten sich bekehren. Ein armenischer Sanitätshauptmann weigerte
sich und ist deshalb vorläufig eingesperrt worden.

                                                                Werth.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Therapia, den 24. Juli 1916.

    Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg
gehorsamst überreicht.

                                                           Metternich.


290.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                       Aleppo, den 29. Juli 1916.

Die von allen Seiten einlaufenden Nachrichten tun dar, daß die
Armenierverfolgung unvermindert und unerbittlich anhält. Von den
Deutschen, die den Euphratweg von Bagdad her zurückkehren, ist keiner,
der nicht von dieser Katastrophe den tiefsten Eindruck empfinge.

1. Ein Beamter des höheren deutschen Reichsdienstes hat mir am 18. Juli
erzählt, die Strecke von Sabkha über Hammam nach Meskene sei mit Resten
von Kleidungsstücken übersät; sie sähe aus, als ob dort eine Armee
zurückgegangen wäre.

Der türkische Militärapotheker in Meskene, der dort seit 6 Monaten
stationiert ist, hat ihm erzählt, daß allein in Meskene 55000 Armenier
begraben seien. Dieselbe Zahl ist ihm unabhängig davon von einem
türkischen Offizierstellvertreter dortselbst gleichfalls genannt worden.

2. Aus Der-es-Zor kam unter dem 16. Juli Nachricht, daß die Armenier
den Befehl zum Weiterwandern erhalten hatten. Am 17. wurden alle
Geistlichen und führenden Männer verhaftet. Bis zum 22. Juli, so war
der Befehl, sollten alle Armenier wieder zum Wanderstab gegriffen
haben. Nachdem schon früher von der Zentralregierung angeordnet worden
war, daß nur soviel Armenier in Der-es-Zor bleiben sollten, als 10
Prozent der ansässigen Bevölkerung entsprach, soll nun auch der
letzte Rest vertilgt werden, eine Änderung, die möglicherweise damit
zusammenhängt, daß der menschliche Mutessarrif Suad Bey nach Bagdad
versetzt ist und einen unbarmherzigen Nachfolger erhalten hat.

Mit Peitsche und Knüppel werden wehrlose erschöpfte Frauen und Kinder
von Gendarmen geprügelt, eine Beobachtung, die schon oft gemacht und
mir auch jetzt wieder von einem des Wegs gekommenen deutschen Offizier
aus eigener Anschauung bestätigt worden ist.

3. Ein aus Diarbekr über Urfa hier angekommener deutscher Offizier
hat mir am 24. Juli erzählt, daß einige Zeit vorher wieder 2000
armenische Frauen aus den östlichen und nördlichen Gebieten nach Urfa
gebracht worden sind. Es handelt sich hier offenbar um eine Nachlese
von solchen, die sich früher hatten versteckt halten können oder die
in muhammedanische Familien aufgenommen waren und deren man jetzt
überdrüssig geworden ist.

Auf ähnliche Zustände deutet die in Abschrift gehorsam hier beigefügte
briefliche Nachricht des Diakons Künzler aus Urfa vom 22. Juli, wonach
es ihm gelungen ist, 150 Waisenkinder zu unterstützen.

4. In Aleppo ist seit dem 12. Juli die Verschickung eingestellt,
anscheinend weil ein Konflikt zwischen den oberen Behörden darüber
ausgebrochen ist, daß es den reicheren Armeniern gelungen ist, Schonung
zu erlangen, während die ärmeren der Polizei ausgeliefert waren. Aus
Meskene ist es etwa 250 Armeniern gelungen, mit stillschweigender
Duldung des dortigen Militärkaimakams, nach Aleppo zurückzuwandern,
wo sie in erbarmungswürdigem Zustande ankamen. Der Wali hat
infolgedessen Befehl an die Dörfer gegeben, keinen Armenier nach Aleppo
zurückzulassen. Überträgt man die Ausführung behördlicher Anordnungen
der Bevölkerung, so erklärt man die Armenier damit für vogelfrei.
Weitere Maßregeln gegen sie werden hier vermutlich zu erwarten sein.
Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


Anlage.

  (Notstandswerk Urfa.)                       Urfa, den 22. Juli 1916.

Unter der Hand ist es mir gelungen, Dank der Hilfe aus der Schweiz,
hier Überreste des armenischen Volkes, Waisenkinder, bereits 150 an der
Zahl, zu unterstützen und sie so vom drohenden Hungertode zu retten. Es
gibt noch mehr; allein für alle reichts nicht.

                                                        Jakob Künzler.

  An den Kaiserlichen Konsul Rößler, Aleppo.



_August._


291.

  (Kaiserliches Konsulat
        Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 7. August 1916.
  Ankunft in Therapia, den 7. August 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Es scheint, daß die Weiterverschickung aller auswärtigen Armenier von
Aleppo erneut und ernstlich in Angriff genommen werden soll. Ich werde
von den hiesigen Armeniern gebeten, dies Euer Exzellenz vorzutragen.
Offenbar will die hiesige Regierung die Angelegenheit nicht zur Ruhe
kommen lassen.

                                                               Rößler.


292.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 8. August 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an das Telegramm vom 7. August.

Die auswärtigen Armenier, deren Verschickung unmittelbar bevorsteht,
zählen über 8000. Der amerikanische Konsul schätzt außerdem die Zahl
der hier ansässigen Armenier, die in großer Gefahr stehen, verschickt
zu werden, auf etwa 15000. Er glaubt, daß diese Maßregel auf die eigene
Initiative des Wali zurückzuführen ist, und bittet Ew. Exzellenz,
die amerikanische Botschaft zwecks Intervention vom vorstehenden zu
verständigen.

                                                               Rößler.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.

Notiz.

Am 12. 8. auf der amerikanischen Botschaft in Abwesenheit des
Geschäftsträgers an Mr. Tarler mitgeteilt; Mr. Tarler bestätigt, daß
die amerikanische Botschaft mit der Sache befaßt ist und Schritte auf
der Pforte getan hat.

                                                     13. 8. Mordtmann.


293.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 13. August 1916.
  Ankunft in Therapia, den 14. August 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Im Anschluß an das Telegramm vom 8. August.

Die ersten 200 Personen sind am 12. August verschickt worden. Weitere
Transporte werden folgen. Ich bitte um Benachrichtigung auch der
amerikanischen Botschaft.

                                                               Rößler.

  Deutsche Botschaft

am 15. 8. der amerikanischen Botschaft mitgeteilt. Auf der Pforte hatte
man versichert, daß keine Verschickungen mehr stattfinden würden.

                                                     16. 8. Mordtmann.


294.

                                                 14. August 1916 p. m.

    Ein Funkspruch vom Eiffelturm meldet unter dem 12. 8. 1916:

„Aus Washington erfährt man, daß die Türkei die Bitte der Vereinigten
Staaten von Amerika abgeschlagen hat, einem neutralen Komitee zu
erlauben in Syrien[135], wo Tausende von Einwohnern Hunger leiden,
Hilfe zu schaffen.“


295.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                   Therapia, den 17. August 1916.

Der Erzbischof Stepan hatte vor einiger Zeit durch Vermittelung des
Patriarchats darum gebeten, von Meskene, wohin er inzwischen geschafft
worden war, in eine größere Ortschaft überführt zu werden. Nach
Mitteilung des Patriarchats ist nunmehr der Statthalter von Aleppo
angewiesen worden, dem Genannten die Übersiedelung nach Jerusalem zu
gestatten.

                                                           Metternich.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


296.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                   Therapia, den 23. August 1916.

Das von der Pforte erlassene Gesetz über das armenische Katholikat und
Patriarchat trägt das Datum des 2 Schawwal 1334/19 Temuz 1332 (d. i. 1.
August d. J.) und wurde im türkischen Reichsanzeiger (takvimi-vakaji)
vom 10. d. M., Nr. 2611, veröffentlicht.

Wie der erste Paragraph bestimmt, werden die beiden Katholikate von
Sis und Aghtamar mit den beiden Patriarchaten von Jerusalem und
Konstantinopel zu einer einzigen Würde vereinigt und der Titular als
„Katholikos-Patriarch“ zum geistlichen Oberhaupte der osmanischen
Armenier mit dem Sitze im Kloster Mar Jakub in Jerusalem eingesetzt;
die hierarchischen und sonstigen Beziehungen zum Katholikos von
Etschmiadsin werden gelöst.

Titel und Würde eines armenischen Katholikos entsprechen denen eines
Patriarchen in den griechisch-orthodoxen Kirchen. Ursprünglich gab
es nur den einen Katholikos von Etschmiadsin. Im Laufe der Zeit und
infolge der politischen Ereignisse wurden im späten Mittelalter und zu
Beginn der Neuzeit noch die Katholikate von Aghtamar (am Wansee) und
Sis (Cilicien) errichtet.

Durch die Verschmelzung der Katholikate von Aghtamar und Sis mit den
beiden Patriarchaten hat der neue Katholikospatriarch von Jerusalem
das Recht erworben, sämtlichen Bischöfen in der Türkei die Weihe zu
erteilen und ist hierarchisch unabhängig geworden. Die Auflösung
aller Beziehungen zu Etschmiadsin dürfte die weitere Folge haben, daß
den osmanischen Armeniern künftighin die Beteiligung an der Wahl des
Katholikos von Etschmiadsin nicht mehr gestattet ist.

Unstreitig hatte die Pforte ein großes politisches Interesse, das
Zwitterverhältnis, in dem der Patriarch von Konstantinopel zur
türkischen Regierung und zu dem von Rußland abhängigen Katholikos
von Etschmiadsin stand, zu beseitigen, und hat jetzt von demselben
Rechte Gebrauch gemacht, wie Rußland, als es im Jahre 1836 die
Palajenia erließ und dadurch die Stellung des Katholikos einseitig
im Reichsinteresse regelte. Formell aber steht diese Maßregel im
Widerspruch mit den Verpflichtungen, die sie durch Art. 62, Abs. 4, des
Berliner Vertrages übernommen hatten: „Aucune entrave ne pourra être
apportée soit à l’organisation hiérarchique des differentes communions,
soit, à leur rapports avec leurs chefs spirituels.“

Die zweite tief eingreifende Veränderung ist die Beseitigung des „Grand
Conseil de la Nation“, des großen Volksrats der Armenier.

Das neue Gesetz hat durch die Aufhebung des Volksrates und andere
Bestimmungen dem demokratischen Regiment ein Ende bereitet. Der
zukünftige Katholikospatriarch und seine Suffragane sind nunmehr
unabhängig von dem russisch-armenischen Kirchenfürsten von Etschmiadsin
und von dem politischen Parteien der Hauptstadt und haben den ihnen
zustehenden Einfluß als Vorsteher der Gemeinde. Andererseits ist damit
eine empfindliche Capitis deminutio verbunden. Der Patriarch der
Armenier ist nicht mehr Oberhaupt des armenischen Millet („Nation“),
sondern einer Djemaët, Kultusgemeinde; denn mit diesem Ausdruck, der
im Kanzleistil der Hohen Pforte von den bescheidenen Gemeinden der
protestantischen Armenier und Karaitischen Juden gebraucht wird,
während Griechen, Juden und bisher auch die Armenier ein „Millet“
bildeten, werden die letzteren jetzt im neuen Gesetz bezeichnet.
Als einfache Gemeindevorsteher sind der Katholikospatriarch
und die Bischöfe aller politischen Befugnisse entkleidet und,
abgesehen von ihren kirchlichen Funktionen, auf die Verwaltung der
Gemeindeangelegenheiten beschränkt. Der Sitz des Oberhauptes ist
aus der Hauptstadt nach Jerusalem verlegt, wo er jeder politischen
Betätigung entrückt ist; er ist nicht mehr das Exekutivorgan des
Volksrates, sondern lediglich der Befehle der Regierung; überdies darf
er fortan nur mit dem Kultusamte als vorgesetzter Behörde verkehren,
während er früher Zutritt zu sämtlichen Behörden und zum Sultan hatte.
Endlich ist die Zahl der Bischöfe dadurch erheblich verringert worden,
daß solche in Zukunft nur für Distrikte mit über 15000 Seelen bestellt
werden dürfen. Nach der Aussiedelung der armenischen Bevölkerung aus
Kleinasien und Rumelien dürften nur wenige Distrikte übrig geblieben
sein, in denen die armenische Bevölkerung diese Ziffer erreicht.

Das neue Gesetz vom 1. August d. J. zieht das Fazit aus den Maßregeln
der Regierung, durch die die osmanischen Armenier als lebensfähige
Nation vernichtet werden sollen; auf die Massenaussiedelungen mit
der Niedermetzelung der Männer, Islamisierung der Zurückgebliebenen
und der Kinder ist die Vermögenskonfiskation, auf diese nunmehr die
Zertrümmerung der politischen Gemeinde erfolgt.

                                                           Metternich.

  An Seine Exzellenz den Reichskanzler
        von Bethmann Hollweg.


297.

    Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.                        Aleppo, den 29. August 1916.

Über den Stand der Armenierverschickung in der Euphratgegend berichtet
ein deutscher Offizier, der soeben von dort zurückgekehrt ist und die
Zustände von früheren Reisen auf derselben Strecke gut kennt, folgendes:

Die Straße Aleppo-Der-es-Zor (die die Verschicktenzüge seit langen
Monaten benutzen) biete jetzt ein verändertes Bild: sie sei
verhältnismäßig leer geworden. Zwar seien bei den Aleppo zunächst
gelegenen Stationen noch größere Armenierlager vorhanden. Weiter
nach Süden zu, von Meskene ab, seien die Lager bedeutend verkleinert.
Von den großen Stationen sei Sabkha ganz, Der-es-Zor bis auf einige
hundert Handwerker, die für die Truppen arbeiteten, geleert, während
an letzterem Orte noch vor 8 Wochen viele Tausende (von anderer Seite
auf 20000 geschätzt) gelagert gewesen seien. Die geistigen Führer, wie
Lehrer, Anwälte, Geistliche habe man in der letzten Zeit aus den Lagern
gesammelt und in die Regierungsgebäude (also wohl in Gefängnisse)
gesperrt. Alle übrigen -- auch diejenigen, die in den nördlicheren
Stationen sich wirklich anzusiedeln begonnen hatten -- seien
verschwunden. Nach amtlicher Lesart seien sie nach Mossul weitergeführt
(d. h. einen Weg, auf dem die wenigsten Aussicht haben, lebend ans Ziel
zu gelangen), nach allgemeiner Volksmeinung aber in den kleinen Tälern
südöstlich von Der-es-Zor, im Winkel zwischen Euphrat und Chaburfluß,
umgebracht worden. Man habe die Armenier nach und nach in Trupps von
einigen Hunderten abgeführt und von dazu bestellten Tscherkessenbanden
abschlachten lassen. Diese Angaben wurden dem Offizier bestätigt von
einem arabischen Augenzeugen, der gerade vom Schauplatz einer solchen
Szene kam, wohin ihn die Neugier getrieben hatte. Der Mann machte auf
den Offizier einen glaubwürdigen Eindruck. Er erwähnte bei seiner
Schilderung, deren Einzelheiten ich übergehe, zurzeit harrten an der
von ihm besuchten Stelle noch dreihundert Armenier der Abschlachtung;
die Hälfte kämen noch am selben Nachmittag, der Rest in der Nacht an
die Reihe.

Manche Armenier haben Unterschlupf in Araberhäusern gefunden. Zu
deren Aufsuchung ist Gendarmerie aufgeboten, die förmliche Jagden
veranstalten soll. Die Beute wird in Euphratkähne geladen und nach
Der-es-Zor gebracht.

Die Nomaden haben nach meinem Gewährsmann jenen Winkel zwischen Euphrat
und Chabur verlassen, angeblich wegen der geschilderten Vorgänge.

In Aleppo hat die Verschickung der nicht „eingesessenen“ Armenier noch
keinen großen Umfang angenommen. Immerhin sind ihr bisher schon etwa
800 verfallen. Dabei wird rücksichtslos auf der Straße aufgegriffen.
Einen Aleppiner Bekannten traf jener deutsche Offizier beispielsweise
unterwegs in einem Trupp von 50 Leuten in Pantoffeln und Hausrock
ohne jedes Gepäck; er war beim Einkauf auf dem Markte aufgehoben, ins
Sammellager geführt und verschickt worden.

Auch für die hiesigen Waisenhäuser, in denen man die Waisen
Verschickter gesammelt, scheint die wiederholt angedrohte letzte Stunde
nunmehr geschlagen zu haben. Diese Waisenhäuser werden bekanntlich von
europäischen (Schweizer und deutschen) und amerikanischen Hilfsgeldern
unterhalten und von armenischen Geistlichen und (eins mit über
800 Waisen) Schwestern des Deutschen Hilfsbundes für christliches
Liebeswerk verwaltet. Jetzt hat die hiesige Regierung einen besonderen
Kommissar für diese Waisenhäuser ernannt, der die Übernahme in
türkische Verwaltung ausführen soll. Nach unter der Hand eingezogenen
Erkundigungen soll diese nach folgenden Grundsätzen vor sich gehen:

Die Knaben über 13 Jahre sollen verschickt, die Mädchen über 13
verheiratet werden (natürlich an Muhammedaner). Die Kinder zwischen 10
und 13 Jahren werden, weil sie schon unter dem Eindruck des Erlebten
stehen, von den jüngeren getrennt in rein türkischen Waisenhäusern
untergebracht, wo sie ein Handwerk lernen sollen. Die Kinder unter
10 Jahren werden in besonderen Waisenhäusern erzogen. Das heißt mit
anderen Worten: Die Knaben über 13 Jahre werden umgebracht, die Mädchen
dieses Alters in die Harems gesteckt -- ein auffallend hübsches 12
jähriges Mädchen wurde soeben unter Drohung von Repressalien gegen
hier lebende Verwandte aus dem neben dem Konsulat gelegenen Waisenhaus
weggenommen und zwangsweise an einen stadtbekannten 70 jährigen Pascha
verheiratet -- die kleineren Kinder dem Islam zugeführt, soweit sie die
türkische Waisenhausverwaltung überstehen.

In Hama, Homs, Damaskus usw. sind, übereinstimmenden Nachrichten
zufolge, in den letzten Wochen die Verschickten in Massen durch
die Drohung weiterer Verschickung zum Übertritt zum Islam gepreßt
worden. Dieser geht rein bürokratisch vor sich: Eingabe, und darauf
Namensveränderung.

Daß die Türkei durch diese Scheinbekehrung wirklich eine Vertürkung
der Armenier erreichen könnte, muß als Illusion angesehen werden.
Augenscheinlich schweben den Urhebern Beispiele aus der Erobererzeit
des Osmanentums vor. Sie dürften aber ihre Rechnung ohne das heute ganz
anders gestärkte Rassen- und Nationalgefühl gemacht haben und ohne
den abgrundtiefen Haß, der ganz natürlicherweise auch in den neuen
armenischen Muhammedanern gegen das eigentliche Türkentum -- den Henker
ihres Volkes -- weiter leben wird. Werden die muhammedanischen Armenier
somit nach allem Erlebten auch im Denken und Fühlen Armenier bleiben --
und sicherlich nicht nur in der gegenwärtigen Generation --, so macht
sie ihre Vermummung im Islam dem türkischen Volkstum künftig nur noch
gefährlicher, weil weniger kenntlich.

                                                               I. V.:
                                                             Hoffmann.

  An die Kaiserliche Botschaft in Konstantinopel.



_September._


298.

    Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.                      Aleppo, den 5. September 1916.

Die Angaben des Berichts vom 29. v. M. über die Verhältnisse der
Armenierverschickung in der Gegend von Der-es-Zor sind mir inzwischen
aus anderen vertrauenswürdigen Quellen im wesentlichen bestätigt
worden. So berichtete mir ein soeben von dort zurückgekehrter deutscher
Angestellter einer amerikanischen Firma, der gelegentlich einer
Geschäftsreise die meisten dortigen Lager besucht hat, folgendes:

„Längs der Euphratstraße ziehen sich bis Der-es-Zor nur noch kleine
Lager von je 1000-2000 Seelen hin. Die 20-30000 Armenier, die ich bei
meiner letzten Reise in Der-es-Zor sah und die unter dem menschlich
denkenden Mutessarrif aufzuatmen begannen, sind seit dessen vor einigen
Monaten erfolgten Ersetzung durch den brutalen jetzigen Mutessarrif
Sekki Bey, einen Tscherkessen, bis auf einige Handwerker und etwa
1200 Kinder, weiterverschickt, und zwar, wie ich hörte, in die Gegend
des Flusses Chabur[136]. Dort werden sie, allgemeiner Ansicht nach,
niedergemetzelt oder kommen sonstwie um. Die erwähnten 1200 Kinder sind
ganz verelendet; was man sieht, trägt den Hunger im Gesicht.

Für den Unterhalt der in den Lagern Untergebrachten tut die Regierung
gar nichts. Die Lager sind fast durchweg entfernt von Städten und
Dörfern. Deshalb ist die Versorgung mit Nahrung selbst für den, der
noch Geld hat, äußerst schwer. Sie beschränkt sich auf das, was die
arabischen Bauern täglich an Brot, Melonen usw. ins Lager bringen, d.
h. eine ganz unzureichende Menge. Viele leben nur von Melonen, die in
jenen Gegenden reichlich wachsen und die sie mit Schale und Kernen
essen. Als ich in einem kleinen Lager Brot verteilte, benahmen sich
die Leute wie die wilden Tiere, ich mußte flüchten und die Verteilung
durch Gendarmen vornehmen lassen. Wer kein Geld hat, verhungert. Das
Papierpfund gilt 45 Piaster. Aber man weist Unterstützung in Geld sogar
zurück und schreit nach Brot. Ich sah Leute, die Gerstenkörner aus dem
Pferdemist zum Essen heraussuchen.

Solange die Verschickten noch Geld haben, läßt man sie in ihrem Lager.
Ist es damit zu Ende, werden sie gegen Der-es-Zor abgeschoben. Dabei
reißt man rücksichtslos Familien auseinander. Bei El-Hammam arbeiten
6-700 armenische Männer ohne Familien an Regierungsbauten. Auch sie
sehen übrigens ganz verhungert aus.

Die Lagerinsassen setzen sich aus Angehörigen aller gesellschaftlichen
Schichten zusammen. Ich wurde bei meinen Besuchen vielfach auf
französisch, englisch und deutsch angesprochen; auf deutsch von
Zöglingen deutscher Schulen und Waisenhäuser. Viele Flüchtlinge
versuchen, in andere Lager zu flüchten, die näher bei Ansiedlungen
liegen und daher eher Nahrungsgelegenheit bieten. Auf solche
Flüchtlinge fahnden beständig Gendarmen. Wer gefaßt wird, gilt als
verloren.

Die Winterkälte wird unter den Verschickten wohl endgültig aufräumen.“

Soweit der oben erwähnte Gewährsmann.

Was das Schicksal der von Der-es-Zor weiter Verschickten angeht,
die nach amtlicher Angabe nach Mossul gehen, so habe ich mich beim
Konsulat Mossul erkundigt, wieviel Verschickte von Der-es-Zor in den
letzten Monaten schätzungsweise angekommen seien. Nach der daraufhin
erteilten Auskunft sind am 15. April vier Transporte auf zwei Wegen
von Der-es-Zor abgegangen und, 19000 an der Zahl, in einem Lager am
Flusse Chabur vereinigt worden. Am 22. Mai, also 5 Wochen später, sind
von diesen Transporten etwa 2500, darunter auch einige hundert Männer,
in Mossul angelangt. Ein Teil der Frauen und Mädchen ist unterwegs an
die Beduinen verkauft worden; alles übrige ist durch Hunger und Durst
unterwegs umgekommen.

Seit 3½ Monaten sind demnach keine neuen Transporte in Mossul
angekommen. Auch diese Tatsache dürfte die Volksmeinung in Der-es-Zor
und die ihr entsprechenden tatsächlichen Angaben bestätigen, daß unter
der Herrschaft des neuen tscherkessischen Mutessarrifs von Der-es-Zor
mit den weiter Verschickten neuerdings im Euphrat-Chabur-Winkel kurzer
Prozeß gemacht wird.

Die Auflösung der hiesigen Waisenhäuser für Kinder umgekommener
Verschickter hat noch nicht begonnen. Jedoch hat der Vertreter des
hiesigen Verschickungskommissars der einen leitenden Schwester
jetzt auch amtlich erklärt, diese Waisen würden in ein neues großes
nationales Waisenhaus in Konia verbracht werden; dort würden
sie selbstredend türkische Namen bekommen und als Türken (d. h.
Muhammedaner) erzogen werden.

                                                               I. V.:
                                                             Hoffmann.

  An die Kaiserliche Botschaft in Konstantinopel.


299.

  Auswärtiges Amt.                     Berlin, den 25. September 1916.

Ich habe heute mit Halil Bey eingehend gesprochen und ihn nachdrücklich
darauf hingewiesen, daß während die früheren Verschickungen von
Armeniern angesichts der damaligen militärischen Lage im Interesse
der Sicherheit des Landes noch mit einem Schein des Rechts verteidigt
werden konnten, die jetzt geplanten Maßregeln gegen die aus Frauen
und Kindern bestehenden traurigen Reste der Armenier in keiner Weise
gerechtfertigt oder entschuldigt werden könnten. Das Vorgehen der
türkischen Regierung werde in der ganzen zivilisierten Welt einen Sturm
der Entrüstung hervorrufen, der sich auch nach dem Kriege nicht so bald
legen werde. Insbesondere werde die geplante Auflösung der Waisenhäuser
und die Massenbekehrungen zum Islam nicht nur in Deutschland, sondern
bei allen christlichen Völkern mit Recht dem schärfsten Widerspruch
begegnen.

                                                           Zimmermann.


300.

    86. Sitzung des Reichshaushaltausschusses am 29. September 1916.

    Aufzeichnung des Staatssekretärs.

Wir haben in der armenischen Frage von Anfang an energische
Vorstellungen bei der Pforte erhoben. Wir werden vielleicht später
einmal nach dem Kriege, wenn unsere Position nicht mehr so delikat
ist wie heute, unsere ganzen Verhandlungen veröffentlichen. Ich kann
Ihnen vertraulich erzählen, daß unser Botschafter soweit gegangen ist,
sich direkt den Unwillen des Großwesirs und des Ministers des Innern
zuzuziehen. Nach den ersten drei Monaten seiner Tätigkeit haben die
betreffenden Minister gesagt, der Botschafter scheine wohl nichts
anderes zu tun zu haben, als sie immer in der Armeniersache anzuöden.

Die neuen Klagen, daß die armenischen Waisenhäuser aufgelöst, die
Armeniermädchen in die Harems und die Knaben in die türkischen
Waisenhäuser gebracht und gezwungen werden, Muhammedaner zu werden,
haben mir Anlaß gegeben, persönlich bei dem zurzeit hier anwesenden
türkischen Minister des Auswärtigen ernste Vorstellungen zu erheben.
Ich habe darauf hingewiesen, daß diese Vorgänge nicht nur für die
Türken, sondern auch für uns außerordentlich peinlich wären und wir
dringend bitten müßten, Mittel und Wege zu finden, daß hier Abhilfe
geschaffen werde.

Ich kann nur sagen, wir haben alles getan, was wir konnten. Das
äußerste, was uns übrig bliebe, wäre, das Bündnis mit der Türkei zu
brechen. Sie werden verstehen, daß wir uns dazu nicht entschließen
können. Höher als die Armenier, so sehr wir vom rein menschlichen
Standpunkt aus ihr Los beklagen, stehen uns unsere Söhne und Brüder,
die ihr teures Blut in den schwersten Kämpfen vergießen müssen und
die mit auf die Unterstützung der Türken angewiesen sind. Denn die
Türken leisten uns zur Deckung der Südostflanke wesentliche Dienste.
Sie werden mit mir übereinstimmen, daß wir so weit nicht gehen können,
den Türken, die wir tatsächlich durch unsere andauernden Vorstellungen
in der armenischen Frage stark verstimmt haben, noch das Bündnis zu
kündigen.



_Oktober._


301.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

                                          Aleppo, den 2. Oktober 1916.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Auf Befehl von Konstantinopel erfolgen in Marasch, wo von 25000
Armeniern noch etwa 4000 verblieben waren, wieder neue Ausweisungen.
120 Familien sind seit dem 18. September verschickt, weitere sollen
folgen.

                                                               Rößler.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                   Therapia, den 4. Oktober 1916.

    Abschriftlich

Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg
gehorsamst überreicht

                                                          W. Radowitz.


302.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                   Therapia, den 4. Oktober 1916.

Die in Abschrift beigefügte, vom Kaiserlichen Konsul in Aleppo hierher
mitgeteilte statistische Aufzeichnung der Schwester Beatrice Rohner
vom Deutschen Hilfsbunde für christliches Liebeswerk im Orient über
die ihr überwiesenen 720 armenischen Waisen, verdient in mehrfacher
Beziehung Beachtung. Sie gibt den ersten einigermaßen sicheren
Anhalt, um die Zahl der bei der Aussiedlung umgekommenen Armenier
wenigstens prozentual annähernd zu schätzen. Die 720 Pfleglinge der
Schwester Rohner sind die Überreste von 3336 Personen; wenn man nun die
Gesamtzahl der türkischen Armenier auf 2 Millionen und die Zahl der
Verschickten auf 1½ Million veranschlagt und dasselbe Verhältnis
zwischen Überlebenden und Umgekommenen wie bei den Waisen der Schwester
Rohner annimmt, so gelangt man zu einer Zahl von über 1175000 von
Umgekommenen und rund 325000 Überlebenden. Die bisherigen Schätzungen
der Umgekommenen bewegten sich zwischen 800000 und 1 Million und
scheinen nach vorstehendem nicht übertrieben.

Ein anderer Punkt, der hervorgehoben werden muß, betrifft die
erschreckend große Zahl der Mütter, die einen gewaltsamen Tod gefunden
haben (379), während nur 321 Väter als unnatürlichen Todes verstorben
aufgeführt werden; endlich bestätigt die vorliegende Statistik die auch
sonst berichtete Tatsache, daß gegen die ausdrücklichen Weisungen der
Zentralregierung die Familien von Männern deportiert worden sind, die
zum Militärdienst eingezogen waren; die Statistik führt nicht weniger
als 246 solcher Fälle auf.

                                                             Radowitz.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


Anlage 1.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                  Aleppo, den 15. September 1916.

Euerer Exzellenz beehre ich mich, eine von der Schwester Beatrice
Rohner für den Monat August aufgestellte Statistik über die ihr infolge
der Armenierverschickung unterstellten 720 Waisenkinder zur geneigten
Kenntnisnahme anliegend zu überreichen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
        Herrn Grafen Wolff-Metternich.


Anlage 2.


Statistischer Bericht über 720 in unserem Waisenhaus befindliche Kinder
im August 1916.

    Heimat                Zahl

    Wilajet Siwas          142
      „     Erzerum         50
      „     Aleppo         189
      „     Adana          162
      „     Angora          21
      „     Kharput         34
      „     Konia           11
      „     Brussa          22
      „     Diarbekr        30
      „     Konstantinopel   3
    Mesereh                  9
    Adiaman                  3
    Smyrna                   1
    Ismid                    2
    Ägypten                  1
    Heimat unbekannt        40
                           ---
                           720

Väter der Kinder.

                                    Zahl

    Getötet                          152
    Den Entbehrungen und Strapazen
      auf dem Wege erlegen            85
    Im Adanamassaker umgekommen       32
    Zum Militär eingezogen           107
    In der Verbannung                 52
    Im Gefängnis                      11
    Noch lebend                       80
    In Amerika                        10
    Vor der Ausweisung gestorben     129
    Verschollen                       62
                                     ---
                                     720

Mütter der Kinder.

    In der Verbannung gestorben      282
    Noch in der Verbannung            91
    Zum Islam übergetreten             4
    Lebend                            97
    Vor der Ausweisung gestorben      53
    Kinder, die keine Auskunft über
      ihre Mutter geben konnten      193
                                     ---
                                     720

Konfession der Kinder.

    Gregorianisch                    554
    Protestantisch                   106
    Katholiken                        20
    Sabbatisten                        1
    Konfession nicht zu ermitteln     39
                                     ---
                                     720

Durchschnittsalter der Kinder 9 17/36 Jahre.

    Kinder, die früher in Waisenhäusern waren: 40.
    Zahl der Väter, die eines unnatürlichen Todes starben       321
      „   „    „     „    „   natürlichen     „      „          129
      „   „    „    deren Leben gefährdet ist                   170
      „   „    „    die durch den Kriegsdienst von den Kindern
                      entfernt sind                             107
      „   „    „    infolge der Ausweisung den Kindern verloren
                      gingen                                    394
    Mütter, die eines unnatürlichen Todes starben               379
      „      „    „   natürlichen     „      „                   53
      „     deren Leben gefährdet ist                            91
      „      „  durch Deportation den Kindern verloren gingen   474
      „      „  deportiert wurden, während der Mann im Heere
                  diente                                        246
    Angehörige der Kinder, die während der Deportation
              umkamen                                          2616
      Es blieben von 3336 Deportierten übrig: 720; also
              betrug Verlust:                                 78,5%
    Kinder von 1-6 Jahren, die keine Auskunft geben konnten     126
    Vollwaisen                                                  258
    Von der ganzen Familie nur zu zweit übrig geblieben         144
     „   „     „      „    allein         „       „             239

                                                      Beatrice Rohner.


303.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                       Pera, den 9. Oktober 1916.

In einem Leitartikel bespricht die hiesige türkische Zeitung „Taswiri
Efkiar“ im Anschluß an das Euerer Exzellenz bekannte Exposé des
Komitees „Einheit und Fortschritt“ die armenische Frage und gelangt zu
dem Schluß, daß die anfänglich vom Komitee eingeschlagene Politik der
Vereinigung und Verschmelzung der verschiedenen Bevölkerungselemente
„Bankrott gemacht“ habe, und statt dessen die „Säuberung“ des Reiches
von allen nichtmuhammedanischen, d. h. von den christlichen Elementen
ins Auge gefaßt werden müsse. Der Artikel dürfte die Überzeugung der
ultranationalistischen Kreise ziemlich getreu wiedergeben, zum Teil
sind diese Gedanken bereits in die Tat umgesetzt worden durch die
Austreibung der in den östlichen Grenzprovinzen ansässigen syrischen
Christen und der Griechen in einzelnen Distrikten von Kleinasien und
Rumelien. Ferner verlangt wohl der Verfasser auch noch die Aussiedlung
der bisher von der Aussiedlung verschonten Armenier von Konstantinopel
und Smyrna.

                                                             Radowitz.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


304.

     Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 20. Oktober 1916.

Der türkische Reichsanzeiger (Takvimi-Vakaji) veröffentlicht in seiner
Ausgabe vom 1./14. d. M. ein provisorisches Gesetz, durch das den
ausgesiedelten Personen in den ihnen angewiesenen Ortschaften zum
Zweck ihrer Unterkunft und Niederlassung und um ihnen die Mittel zum
Unterhalt zu gewähren, Wohnplätze und Ländereien aus der Kategorie der
vakanten Evkaf-und Miriländereien unentgeltlich zur Verfügung gestellt
werden. Die Ministerien des Innern und der frommen Stiftungen sowie das
Justiz- und Finanzministerium sind mit der Ausführung dieses Gesetzes
betraut, das vom 22 Elul 1332 (5. Oktober d. J.) datiert und mit dem
Tage der Veröffentlichung in Kraft tritt.

Das Gesetz steht in auffälligem Widerspruch mit den hier vorliegenden
Berichten über die Behandlung, der die nach Mesopotamien geschafften
Armenier in letzter Zeit ausgesetzt sind.

                                                               I. V.:
                                                              Göppert.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.



_November._


305.

     Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                   Aleppo, den 11. November 1916.

Am 25. September d. J. hatte mir Djemal Pascha erzählt, daß er
beabsichtige, die Herren Dr. Niepage und Dr. Graeter, welche beide bis
zum Juni d. J. als Lehrer an der deutschen Realschule in Aleppo tätig
gewesen waren, wegen Veröffentlichungen in der Armenierangelegenheit
kriegsgerichtlich verurteilen zu lassen. Dieser Tage sind nun
Polizisten mehrfach in der Schule erschienen, um nach ihnen zu
forschen. Offenbar wird also das Verfahren ernstlich durchgeführt[137].

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


306.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Pera, den 13. November 1916.

Wie der Kaiserliche Konsul zu Smyrna meldet, haben die dortigen
Behörden mit der Verschickung der armenischen Bevölkerung begonnen. Den
Anlaß dazu bot der Umstand, daß angeblich vor einigen Wochen auf dem
katholischen Friedhofe alte Bomben u. dgl. Material aufgefunden wurden,
die von Armeniern dort versteckt sein sollen. Daraufhin forderte der
Wali den armenischen Bischof bzw. die Gemeinde auf, die verdächtigen
Personen zu benennen und noch vorhandene Waffen abzuliefern, der
Bischof erklärte jedoch, daß ihm keine solche Personen bekannt und
keine Waffen mehr versteckt seien.

Infolgedessen wurden am 8. d. M. eine Anzahl Verhaftungen vorgenommen
und den folgenden Tag 300 Armenier ohne Unterschied des Alters und
Geschlechts mit der Eisenbahn abgeschoben; weitere Transporte sollen
folgen. Die Verschickung wird vom Polizeichef von Smyrna geleitet, dem
der Wali freie Hand gelassen hat.

Der zurzeit in Smyrna anwesende Marschall Liman von Sanders hat den
Wali darauf aufmerksam gemacht, daß diese Massenverschickung die
militärischen Interessen schädige und er daher weitere Verhaftungen und
Abschiebungen nicht dulden würde.

Der Marschall schreibt folgendes: „Da derartige Massendeportationen
in das militärische Gebiet hinübergreifen -- Wehrpflichtige, Gebrauch
der Eisenbahnen, Gesundheitsmaßnahmen, Unruhe der Bevölkerung in
einer Stadt nahe vor dem Feinde etc. --, so hatte ich den Wali
benachrichtigt, daß ohne meine Genehmigung derartige Massenverhaftungen
und -deportationen nicht mehr stattfinden dürften. Ich verständigte den
Wali, daß ich sie im Wiederholungsfalle mit Waffengewalt verhindern
lassen würde.

Daraufhin hat der Wali nachgegeben und mir zugesagt, daß sie
unterbleiben würden.

Da er aber angibt, von Konstantinopel aus (Talaat Bey) dazu veranlaßt
zu sein, so bin ich nicht sicher, daß nur vielleicht andere Wege
gewählt werden.

Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, beläuft sich die Zahl der in
Smyrna lebenden Armenier auf 6-7000, darunter die reichsten Leute der
Stadt, aber auch einzelne üble Persönlichkeiten.“

Aus der Aufzeichnung des Grafen Spee füge ich folgendes hinzu:

„Die ganze Angelegenheit ist, abgesehen von der rechtlichen
Vergewaltigung und den unabsehbaren Folgen für die Opfer, für die
deutschen Interessen bzw. das deutsche Ansehen von größter Tragweite.

Die Maßnahmen der Regierung erfolgen in einer Zeit, zu welcher außer
dem deutschen Korpskommandeur auch der Oberbefehlshaber, Marschall
Liman von Sanders, in Smyrna anwesend war. Das Gerücht geht in der
Stadt, daß das planmäßige Vorgehen von den Deutschen vorbereitet sei,
damit sie sich der ihrem Handel unbequemen armenischen Konkurrenten auf
diese Weise entledigen könnten.

Materiell wird ein direkter Schaden entstehen, da tatsächlich die
armenischen Kaufleute deutsche Waren in großem Umfange abgenommen
haben, die zum großen Teil noch nicht bezahlt sind. Die von den
Armeniern noch zurückgehaltene Ware wird unter Anwendung des neuen
Gesetzes über zurückgelassene Habe den üblen türkischen Elementen
die Handhabe bieten, sich ohne weiteres in den Besitz dieser Waren
gleichzeitig mit den sehr beträchtlichen Vermögen der Armenier zu
setzen. Und dies alles unter dem billigen Vorwande, daß die Deutschen
es gemacht haben.

                                                             Radowitz.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


307.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                     Pera, den 17. November 1916.

Euerer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage Abschrift
einer Aufzeichnung des Marschalls Liman von Sanders über die
Armenierverschickungen in Smyrna vorzulegen. Wie daraus und auch aus
dem nebenbezeichneten Bericht hervorgeht, sind die gegen die Armenier
gerichteten Maßnahmen auf Anordnung aus Konstantinopel getroffen
worden. Der Vorwand für die Verschickungen -- das angebliche Auffinden
von Bomben und Waffen auf einem armenischen Friedhof -- gehört zu dem
schon bekannten Inventar der türkischen Behörden an solchen Vorwänden.
Das Eingreifen des Marschalls ist auch deshalb zu begrüßen, weil
sich in Smyrna, wie dies auch an anderen Orten vorgekommen ist, das
Gerücht verbreitet hatte, die deutschen militärischen Stellen hätten
die Austreibung der Armenier verlangt. Ich werde nicht verfehlen,
die türkische Regierung auf den Vorfall anzureden und ihr größte
Zurückhaltung in der Behandlung der Armenierfrage zu empfehlen.

                                                             Kühlmann.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


Anlage.

  Militärmission.

                                Konstantinopel, den 17. November 1916.

    Aufzeichnung für die Kaiserliche Botschaft.

Vom 4. bis 11. November war ich zur Besichtigung der neu formierten
56. Division und der nach dem europäischen Kriegsschauplatz
abzutransportierenden 16. Division in Smyrna.

Am Donnerstag, den 9. November, gegen Abend, als ich von der
Besichtigung der österreichischen Batterie bei Phokia zurückkehrte,
wurde mir von Konsul Graf v. Spee mitgeteilt, daß am 8. und in
der vergangenen Nacht zahlreiche Armenierverhaftungen in Smyrna
stattgefunden hätten und daß diese Armenier mit der Eisenbahn in das
Innere des Landes abtransportiert seien.

Ich zog an verschiedenen Stellen nähere Erkundigungen ein. Es wurde mir
bestätigt, daß durch die Polizei -- zum Teil in rohester Weise, indem
alte Frauen und kranke Kinder in der Nacht aus den Betten geholt wurden
-- mehrere hundert Armenier verhaftet und direkt auf die Bahn gebracht
worden seien. Zwei Eisenbahnzüge voll Armenier waren abtransportiert
worden. -- In der Stadt herrschte große Aufregung über diese Vorgänge.

Ich schickte am 10. November morgens den Chef des Stabes der V. Armee,
Oberst Kiasim Bey, zum Wali und ließ ihm sagen, daß ich derartige
Massenverhaftungen und Transporte, welche in einer vom Feinde bedrohten
Stadt nach verschiedenen Richtungen in das militärische Gebiet
eingriffen, nicht weiter dulden würde. Sollte die Polizei trotzdem mit
diesen Maßnahmen fortfahren, so würde ich sie mit Waffengewalt durch
die mir unterstehenden Truppen verhindern. Ich gab dem Wali bis zum
Mittag dieses Tages Zeit, sich zu entscheiden.

Den Kommandierenden General in Smyrna, Königlich Preußischen Oberst
Trommer, der die Vorgänge bereits kannte, verständigte ich durch Major
Prigge von obiger Mitteilung und den eventuell zu treffenden Maßnahmen.

Gegen 1,30 Uhr nachmittags kam Major Kiasim Bey vom Wali, der in
Burnabad war, zurück und meldete mir, daß die Verhaftungen und
Transporte eingestellt worden seien und unterbleiben würden.

Am Nachmittag des Tages kam der erste Departementschef des Wali -- Kara
Biber Bey -- zu mir, und hatte ich ausführliche Rücksprache über die
Angelegenheit mit ihm.

Am selben Abend kamen 3 Griechen aus Urla bei Smyrna (ca. 25000
griechische Einwohner) zu mir und zeigten mir mit Bitte um Hilfe an,
daß die 10 angesehensten und reichsten Notabeln in Urla durch 30
dorthin entsandte Gendarmen ohne Verhör verhaftet und in das Smyrnaer
Gefängnis verbracht worden seien.

Am 11. November vormittags war ich zu Besichtigungen in Urla, fand die
Tatsache bestätigt und erhielt vom Abschnittskommandeur nähere Meldung.

Am 11. November nachmittags suchte mich der Wali persönlich auf.
In einer langen Rücksprache setzte mir der Wali die Gründe für die
Massenverhaftungen der Armenier auseinander. Ich konnte diese Gründe,
die auf ganz unzureichenden Grundlagen beruhten, nicht billigen und
betonte, daß die militärische Lage die größte Ruhe in der zum größten
Teil von Griechen bewohnten Stadt Smyrna unbedingt erfordere.

Ich erklärte dem Wali, daß ich hier als Oberbefehlshaber in meinem
Bezirk Verschickungen nicht dulden dürfe, ohne die Ruhe zu gefährden.
Er könne sich auf mich berufen. Er sagte dies zu und versprach mir,
schriftlich Nachricht zu geben.

Ebenso veranlaßte ich sofortige Untersuchung über die scheinbar
unschuldig verhafteten Einwohner von Urla.

Am Abend reiste ich ab. Der Wali war an der Bahn.

Kurz nach meiner Rückkehr nach Panderma erhielt das Oberkommando
Schreiben des Wali, worin mitgeteilt wurde, nach welchem Ort die
Armenier verbracht worden seien, und in dem erklärt wurde, daß die
unschuldig Befundenen nach Smyrna zurücktransportiert werden würden.

                                          Liman von Sanders,
                                Königl. Preuß. General der Kavallerie.


308.

     (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                          Pera, den 25. November 1916.

    An das Auswärtige Amt.

In Smyrna sind die Armenierverschickungen inzwischen sistiert.
Angelegenheit ist damit erledigt.

                                                             Kühlmann.



_Dezember._


309.

  von Scheubner-Richter.         z. Zt. München, den 4. Dezember 1916.

Unter ergebenster Bezugnahme auf meinen Bericht vom 5. August 1915
aus Erzerum und den daraufhin erfolgten, meine Stellungnahme zur
Armenierfrage anerkennenden Erlaß Euerer Exzellenz, dessen Inhalt
mir unter dem 28. Oktober 1915 durch die Kaiserliche Botschaft in
Konstantinopel nach Mossul übermittelt wurde, erlaube ich mir ganz
gehorsamst folgendes zu unterbreiten:

Bei meinem Bestreben, noch in letzter Stunde zu versuchen, die
Anbahnung eines Modus vivendi zwischen den sich mit dieser Frage
befassenden Vertretern des türkischen Komitees und den Armeniern
herbeizuführen, ging ich von der Voraussetzung aus, daß ich in dem mit
mir nach Aserbeidschan und dem Ostkaukasus gehenden Generalinspektor
des türkischen Komitees für Einheit und Fortschritt, Omer Nadji, den
ich persönlich gut kannte, Unterstützung finden würde, da ich wußte,
daß er die rigorosen Maßnahmen der übrigen Komiteemitglieder nicht
billigte. Mit Recht befürchtete er, daß dieses Vorgehen eine ungünstige
Wirkung auch auf die Führer der kaukasischen Partei Fidai ausüben würde.

Ich hoffte ihn bei unserer gemeinschaftlichen Reise von der
Unsinnigkeit der Maßnahmen gegen die Armenier noch weiter zu
überzeugen. Außerdem rechnete ich darauf, daß meine Anwesenheit zum
mindesten verhüten werde, daß die Omer Nadji zur Verfügung gestellten
Truppen, unter dem Einfluß einiger anderer mit uns reisender
Komiteemitglieder, unter denen mir einer als einer der Anstifter der
Armeniermassakers im Wilajet Trapezunt bekannt war, dazu mißbraucht
werden würden, ähnlich wie die Truppen Halils, in Nordpersien
Christenmassakers zu inszenieren.

Diese meine Voraussetzungen haben mich, wie ich mit Befriedigung
feststellen kann, nicht getäuscht.

Omer Nadji selbst war froh, in mir, als deutschem Offizier, eine Stütze
für seine maßvolle Haltung gegenüber den anderen Komiteemitgliedern zu
finden.

Der grauenvolle Anblick der erschlagenen Armenier in den verwüsteten
Dörfern der von uns durchzogenen Gebiete bis Bitlis verfehlte auch
auf die anderen Herren seine Wirkung nicht. Es war ihnen sichtbar
unangenehm, daß ich und meine deutschen Begleiter Zeugen dieses Wirkens
ihrer Gesinnungsgenossen wurden, und versuchten sie wiederholt
durch Erklärungen, die alle Schuld den Kurden beimaßen, den von uns
empfangenen üblen Eindruck abzuschwächen.

Ich konnte in einzelnen Fällen, so z. B. in Bitlis, den noch dort
zurückgebliebenen armenischen Frauen und Kindern, deren sich
amerikanische Missionarinnen angenommen hatten, Erleichterungen
verschaffen und auch den letzteren Hilfe gewähren.

Nicht unerwähnt möchte ich folgenden charakteristischen Vorfall lassen:

Auf dem Wege nach Mossul, der uns in den neugeschaffenen Befehlsbereich
der 6. Armee führte, erhielten Omer Nadjis und meine Abteilungen den
Befehl, ein Armenierdorf bei Hesak, in dem sich angeblich aufständische
Armenier verschanzt hatten, zu stürmen und zu bestrafen. Ich erfuhr
rechtzeitig, daß die angeblich „Aufständischen“ Leute waren, die sich
aus Furcht vor einem Massaker verschanzt hatten und gern bereit wären,
ihre Waffen auszuliefern, wenn ihnen nur ihr Leben zugesichert würde.

Ich entzog mich dem mir drohenden Konflikt dadurch, daß ich die mir
unterstellten Deutschen, Offiziere und Mannschaften, nach Mossul
berief und den Befehl über die türkischen Mannschaften einem meiner
türkischen Offiziere übergab, mit der Motivierung, daß es sich
um eine „innertürkische“ Angelegenheit handele und ich es daher
nicht für angebracht halte, daß Deutsche hierbei den Befehl über
„Gendarmeriedienst“ tuende türkische Truppen führten. Mein Verhalten
fand die Billigung des Generalfeldmarschalls v. d. Goltz.

Auch von türkischer Seite wurde dasselbe anerkannt. Die dabei zutage
tretende Enttäuschung legt die Vermutung nahe, daß es sich bei diesem
mir erteilten Befehl um einen Versuch Halil Beys handelte, mich und die
mich begleitenden Deutschen, in uns kompromittierender Weise in die
Armenierangelegenheit hineinzuziehen[138].

Die später erfolgte Zuteilung meiner Abteilung zur neugeschaffenen
Gruppe Mossul und meine dadurch bedingte militärische Unterstellung
unter das Kommando des Wali von Mossul, Haidar Bey, legte mir
naturgemäß größere Zurückhaltung in bezug auf das Eingreifen in
armenische Fragen auf.

Trotz der Schwierigkeit meiner Stellung konnte ich aber auch hier
bewirken, daß während der ganzen Zeit meiner Anwesenheit bei den in
Nordpersien operierenden türkischen Truppen Fälle von Massakern oder
außergewöhnlichen Bedrückungen der dortigen orientalischen Christen
nicht vorgekommen sind.

Besonders möchte ich hervorheben, daß es mir im Verein mit Omer
Nadji gelungen ist, bei der Eroberung von Sautschbulag, die dortige
nicht muhammedanische Bevölkerung, einschließlich der Parteigänger
Rußlands, vor Niedermetzelung und Vergewaltigungen zu schützen, wie
sie bei früheren Besetzungen der Stadt durch türkische Truppen bzw.
Freischärler stattgefunden hatten.

Dieses ist auch von dem in Sautschbulag lebenden amerikanischen
Missionar Fossum und der deutschen Missionarin Meta v. d. Schulenburg
anerkannt worden.

Aus Gefangenenaussagen und anderen an mich gelangten Nachrichten
konnte ich aber feststellen, daß das diesmalige maßvolle Verhalten der
türkischen Truppen auf gegnerischer Seite Erstaunen hervorgerufen und
somit geeignet gewesen ist, den schlechten Eindruck früherer türkischer
Offensiven in Nordpersien und Ostkaukasus wenigstens zum Teil zu
verwischen.

Das Vordringen der russischen Truppen im Mai dieses Jahres, wodurch
die schwachen türkischen Kräfte zurückgehen mußten, sowie meine
anderweitige militärische Verwendung, setzten meinen diesbezüglichen
Bestrebungen ein vorläufiges Ende.

Ich bitte gehorsamst, im Anschluß hieran noch auf folgendes hinweisen
zu dürfen:

Die in meinem Bericht aus Erzerum ausgesprochene Befürchtung, daß die
Aussiedelung der Armenier ihrer Vernichtung gleichkommen werde bzw.
dieselbe bezwecken sollte, hat sich leider bewahrheitet. Was von den
Ausgesiedelten dieses Volksstammes noch in Mesopotamien lebt, befindet
sich in einem trostlosen Zustande. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn
man ausspricht, daß die türkischen Armenier mit Ausnahme einiger
Hunderttausender in Konstantinopel und anderen größeren Städten
Lebender so gut wie ausgerottet sind.

Es würde zu weit führen, wollte ich auf die Ursachen der Ausrottung
der Armenier und die politischen und wirtschaftlichen Folgen dieser
Maßnahme für die Türkei eingehen.

Dieses Kapitel ist fürs erste leider abgeschlossen, und kann sich
unsere Fürsorge und unser Interesse nur noch auf die Erleichterung der
Lage der sich in Mesopotamien befindenden Überlebenden erstrecken.

Ich halte mich aber andererseits für verpflichtet, die Aufmerksamkeit
Euerer Exzellenz noch auf nachstehendes zu lenken: Eine Reihe von
Gesprächen mit maßgebenden türkischen Persönlichkeiten hinterließ bei
mir folgende Eindrücke:

Ein großer Teil des jungtürkischen Komitees steht auf dem Standpunkt,
daß das türkische Reich nur auf rein muhammedanischer, pantürkistischer
Grundlage aufgebaut werden muß. Die nichtmuhammedanischen und
nichttürkischen Bewohner desselben müssen gewaltsam muhammedanisiert
und türkisiert, wo das nicht angängig, vernichtet werden.

Zur Verwirklichung dieses Planes scheint diesen Herren die jetzige Zeit
die geeignetste.

Als erster Punkt ihres Programms kam die Erledigung der Armenier.

Für die mit der Türkei im Bündnis stehenden Mächte wurde eine angeblich
vorbereitete Revolution der Partei der Daschnakzagan vorgeschützt.
Lokale Unruhen und Selbstschutzbestrebungen der Armenier wurden
außerdem aufgebauscht und zum Vorwand genommen, die Aussiedelung der
Armenier aus bedrohten Grenzgebieten zu motivieren. Unterwegs wurden
die Armenier auf Anstiftung des Komitees von kurdischen und türkischen
Banden, stellenweise auch von Gendarmen, ermordet.

2. Etwa zu gleicher Zeit wurden die Nestorianer im östlichen Kurdistan
durch türkische Truppen von Mossul nach tapferer Gegenwehr aus ihren
Wohnsitzen vertrieben und zum Teil vernichtet. Ihre Felder und
Wohnstätten wurden verwüstet. Die Überlebenden flüchteten zu den Russen
und kämpfen jetzt in deren Reihen gegen die Türkei.

3. Der Feldzug Halil Beys nach Nordpersien hatte Massakrierung seiner
armenischen und syrischen Bataillone und Vertreibung der armenischen,
syrischen und persischen Bevölkerung aus Nordpersien zur Folge und
hinterließ eine große Erbitterung gegen die Türken.

4. An eine Abrechnung mit den Arabern wird ebenfalls gedacht, doch
die im Augenblick ungünstige militärische Lage ließ den Zeitpunkt
dafür noch nicht für gekommen erscheinen. Inzwischen versuchte man
durch starke Rekrutierung der Araber und Entsendung arabischer Truppen
in mangelhaftester Ausrüstung in klimatisch ungünstige Gegenden
(Winterfeldzug 1914 Erzerum, 1915 Nordpersien) einen geeigneten Ersatz
zu finden.

5. In lächerlicher Überschätzung der Kraft und der Fernwirkung
pantürkischer Ideen, und in Unterschätzung des Einflusses der
kaukasischen Armenier, glaubt man die Muhammedaner des Kaukasus für
einen Anschluß an die Türkei und zu einem Aufstand gegen Rußland
gewinnen zu können, und nur langsam dämmert die Erkenntnis, daß durch
das Vorgehen gegen die Armenier und das Verhalten türkisch-kurdischer
Freischärler in den kaukasischen Grenzgebieten dieser Plan stark an
Wahrscheinlichkeit eingebüßt hat. Die deutsche Verständigung mit den
Kaukasiern wird ungern gesehen und vielfach gehindert.

Meine Eindrücke in bezug auf die Frage des Verhältnisses der Türken zu
den anderen dort lebenden Nationen zusammenfassend (die ich bis Ende
August 1916 gewonnen habe), möchte ich, im Hinblick auf die Zukunft,
folgendes ausführen:

Es erscheint mir nicht ausgeschlossen, daß im Bereich der 6. Armee
der Versuch gemacht werden wird, zur Hebung der Stimmung der auf
türkischer Seite kämpfenden Kurden, ihren Fanatismus erneut anzufachen
und ihnen freie Hand gegen die dortige christliche Bevölkerung zu geben.

Ein ähnliches Ausspielen der sunnitischen Kurden gegen die schiitischen
Perser könnte unter Umständen in Nord- und Mittelpersien stattfinden
und dadurch, abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen, einen dauernden
Gegensatz zwischen den Beteiligten hervorrufen.

Ich habe schließlich den Eindruck gewonnen, daß ein schärferes
Auftreten gegen die rigorosen Bestrebungen des jungtürkischen Komitees,
wo wir die Macht dazu haben, unserem Ansehen dienen dürfte und uns die
Sympathien, nicht nur der Nichtmuhammedaner und Araber, sondern auch
der Alttürken und der derzeitigen Minderheit der Jungtürken eintragen
würde.

Bei der Unsicherheit der türkischen politischen Verhältnisse erscheint
es mir nicht unangebracht, die Stimmung dieser in der Provinz Einfluß
habenden Kreise in Rechnung zu ziehen.

Wenn wir, die Türken, in diesem Kampf um die Existenz des osmanischen
Reiches verbluten, so soll es auch keine anderen Nationen in demselben
mehr geben: dieser Ausspruch eines jungtürkischen Politikers
kennzeichnet am besten den Standpunkt der jungtürkischen Komiteekreise.
Die, meist aus Mangel an Organisation und Voraussicht immer mehr
auftretende Schwächung des reinen Türkentums (der Anatolier) zieht in
logischer Konsequenz auch die gewaltsame Vernichtung der anderen in der
Türkei lebenden Nationen nach sich.

Diesem Vernichtungsprozeß unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden und
ihm auch entgegenzuwirken, scheint mir in unserem politischen und
wirtschaftlichen Interesse geboten.

                                                 v. Scheubner-Richter.

  An Seine Exzellenz den Reichskanzler
  Herrn von Bethmann Hollweg, Berlin.


310.

  Auswärtiges Amt.                      Berlin, den 25. Dezember 1916.

In einem Bericht des Verwesers des Kaiserlichen Generalkonsulats in
Jerusalem ist u. a. davon die Rede, daß nach zuverlässigen Nachrichten
und entgegen allen türkischen Ableugnungsversuchen die gewaltsamen
Islambekehrungen unter den verschickten Armeniern fortgesetzt werden.
Die gleiche Nachricht ist auch auf anderen Wegen hierher gedrungen
und hat in weiten Kreisen der deutschen Christen berechtigte Empörung
hervorgerufen.

Euer Hochwohlgeboren bitte ich, die Angelegenheit erneut mit
gebührendem Ernste bei der Pforte zur Sprache zu bringen und ihr zu
bedeuten, daß sie durch Duldung zwangsweiser Bekehrungen zum Islam
nicht nur ihre Stellung bei den Friedensverhandlungen erschwere,
sondern den Mächten auch für die Zukunft eine neue Handhabe zur
Einmischung in innere türkische Verhältnisse bieten würde. Als
christliche Macht und als Bundesgenosse, dem die innere Kraft und
Unabhängigkeit der Türkei am Herzen liegt, können wir unseren
türkischen Freunden nur dringend raten, für schnelle und gründliche
Abhilfe zu sorgen.

                                                           Zimmermann.

  Seiner Hochwohlgeboren dem Kaiserlichen Geschäftsträger
                 Herrn Göppert, Pera.



1917



_Januar._


311.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.

    Notiz.

                                                     Pera, den 4.1.17.

Inhalt der Anlage mit Halil Bey besprochen.

Er versprach, bei Enver Pascha und Talaat Bey dahin zu wirken, daß die
Zwangsbekehrungen sofort aufzuhören hätten. Den Übergetretenen die
Rückkehr zum christlichen Glauben schon jetzt zu ermöglichen, sei nicht
wohl angängig und nicht praktisch, da dies neue Verschickungen zur
Folge haben könnte. Nach dem Kriege werde das ebenso möglich sein, wie
nach den Armenierverfolgungen zu Abdul Hamids Zeiten.

                                                              Göppert.


Anlage.

                                              Péra, le 4 janvier 1917.

Le Gouvernement Allemand apprend de sources dignes de foi que,
contrairement aux démentis officiels, on continue de forcer les
Arméniens dans les provinces à renier la foi chrétienne et à embrasser
l’islamisme. Les nouvelles de ces faits s’étant répandues en Allemagne
les milieux chrétiens s’en sont émus à juste titre et ce n’est qu’à
grande peine que le Gouvernement Allemand a réussi à empêcher, jusqu’à
présent, la discussion publique de cette question; cependant, il ne
peut ne pas tenir compte des nombreuses démarches faites auprès de
Mr. le chancelier de l’Empire et auprès du Département des Affaires
Etrangères à l’effet de faire cesser ces persécutions et de donner
aux personnes converties de force la faculté de rentrer dans la foi
chrétienne après le rétablissement de la paix.

Le Gouvernement Allemand, en sa qualité de puissance chrétienne, ne
peut que regretter et désapprouver des actes de violence qui sont
contraires aux principes de la liberté de conscience, principes qui ont
été toujours observés en Turquie et qui, d’ailleurs, ont été consacrés
dans un article spécial de la constitution Ottomane. De même, il est
d’avis que les persécutions des Arméniens Chrétiens sont de nature
à créer au Gouvernement Ottoman de sérieuses difficultés lors de la
discussion des conditions de paix, et il prévoit que les puissances de
l’entente en profiteront à l’avenir pour s’ingérer dans les affaires
intérieures de l’Empire.

Le Gouvernement Allemand guidé par le sincère désir de contribuer à
l’affermissement de l’indépendance nationale de l’Empire Ottoman, a
cru de son devoir de communiquer au Gouvernement Ottoman sa manière de
voir au sujet d’une question qui, dans ce sens, intéresse également
les deux Gouvernements alliés. En même temps, il aime à espérer que le
Gouvernement voudra bien prendre les mesures nécessaires pour mettre
fin à des incidents qui ne peuvent être justifiés ni par les intérêts
militaires ni par des motifs d’ordre public.


312.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                   Konstantinopel, den 5. Januar 1917.

    An Auswärtiges Amt.

Antwort auf Erlaß vom 25. Februar.

Halil Bey versprach dahin zu wirken, daß Zwangsbekehrungen sofort
ein Ende gemacht werde. Sofortige Rückkehr der zwangsweise Bekehrten
zum Christentum sei nicht opportun, doch werde sich diese Frage nach
Friedensschluß voraussichtlich befriedigend lösen lassen.

                                                              Göppert.


313.

     Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                       Pera, den 26. Januar 1917.

In einem längeren Auszuge, den die in New York erscheinende griechische
Zeitung „Atlantis“ aus einer Veröffentlichung des Lord Bryce gebracht
hat (Ausgabe vom 7. November v. J.), wird u. a. behauptet, daß bei der
Niedermetzelung der armenischen Bevölkerung von Musch im Juli 1915 ein
nicht näher bezeichneter deutscher Offizier eine aktive Rolle gespielt
habe.

Hierüber wird folgendes gesagt:

„Die Türken hatten unter allerlei Vorwänden einige 5000 Armenier aus
den umliegenden Dörfern beim Kloster Surb Karabet in Musch gesammelt,
die sie dann vor den Mauern des Klosters niedermachten. Bevor das
Gemetzel begann, stieg ein deutscher Offizier auf die Mauer und warf
den Armeniern vor, daß die türkische Regierung den Armeniern stets
viel Gutes erwiesen und große Vorrechte verliehen habe, daß aber die
Armenier, hiermit nicht zufrieden, nach Autonomie gestrebt hätten.
Darauf feuerte er seinen Revolver ab und gab damit das Zeichen zum
allgemeinen Gemetzel usw.“

Über die Vorgänge in Musch lagen hier die Angaben der Schwester Alma
Johansson vom Deutschen Hilfsbunde für christliches Liebeswerk im
Orient vor, welche sich in den kritischen Tagen an Ort und Stelle
befunden hat[139]; sie hat in ihrer Erzählung dieser Ereignisse
mit keiner Silbe die Anwesenheit eines deutschen Offiziers bei den
türkischen Truppen erwähnt, und es ist nicht anzunehmen, daß sie
keine Kenntnis davon erhalten, oder, wenn sie davon gehört, es
hier verschwiegen hätte. Durch weitere Nachfrage bei der hiesigen
Militärmission ist dann noch festgestellt worden, daß Deutsche im Juli
1915 bei den Ereignissen in und bei Musch nicht zugegen waren.

Die Angaben des Lord Bryce über die Beteiligung eines deutschen
Offiziers an den fraglichen Ereignissen beruhen also auf Erfindung.

                                                         von Kühlmann.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.



_Februar._


314.

  Deutscher Hilfsbund für christliches
      Liebeswerk im Orient, E. V.

    Abschrift
    eines Briefes von Frau Prediger Joh. Ehmann.

                                Mamuret-ul-Asis, den 10. Februar 1917.

Da ich hoffe, eine Gelegenheit zu haben, einen Brief zu senden, der
nicht die türkische Zensur passieren muß, so will ich heute abend noch
sehen, was ich schreiben kann.

Wir sind in diesen Tagen sehr niedergedrückt und beschwert durch die
drohende Kriegsgefahr mit Amerika. Wie wird es auslaufen?... Über
wie viel Tausende wird neues Elend kommen! Wir denken zunächst an
die Amerikaner in Kharput -- die Türken sollen sich teilweise schon
auf die reiche Beute freuen, die ihnen dann zuteil würde. Und sanft
würde gewiß mit den Amerikanern nicht verfahren werden, obwohl im
vergangenen Jahre die Stimmung ihnen gegenüber recht günstig war im
Gegensatz zu 1915, wo man sehr kurz mit ihnen war. In letzter Zeit
waren wir die weniger Wohlgelittenen; in den letzten Monaten hat sich
eine ziemlich stark antideutsche Stimmung herausgebildet, unter der
wir auch schon leiden mußten. Vor 14 Tagen mußten wir, der Gewalt
gehorchend, ein weiteres Waisenhaus abtreten, nachdem schon 4 Häuser
in Händen des Militärs sind. Als man zuerst mit der Forderung an
meinen Mann herantrat, wies er die Forderung ab mit der Begründung,
dies ginge über seine Befugnisse hinaus, er sei unserer Gesellschaft
und den Freunden unserer Arbeit verantwortlich, er wolle sich bei der
Botschaft Rat holen; sobald von dieser der Befehl käme, die Häuser
auszuliefern, so sei er bereit. Man forderte nämlich, das vergaß ich zu
sagen, alle unsere Häuser unter der Behauptung, es sei ein Telegramm
von Enver Pascha gekommen, daß sowohl unsere Häuser als die der
Amerikaner für die Soldaten ausgeräumt werden sollten. Als besondere
Gnade wollten sie uns das Knabenwaisenhaus Ebenezer lassen! -- Da wir
am nächsten Tage erfuhren, daß man sich an die Amerikaner gar nicht
gewandt hatte, zweifelte mein Mann die Echtheit dieses Enverschen
Telegramms sehr an. Er sandte nun einige Telegramme an die Botschaft
ab, aber offenbar hat man keines davon durchgelassen, denn bis heute
ist keine Antwort eingelaufen. 8 Tage nach der ersten Forderung kam
man wieder mit neuem Drängen, mein Mann konnte nur antworten, er müsse
auf die Antwort der Botschaft warten. Am Dienstag darauf kamen zwei
Abgesandte mit der Nachricht, man habe jetzt lange genug gewartet, wenn
am nächsten Tage die Häuser nicht gegeben würden, so würden sie mit
Gewalt genommen. Mein Mann ging darauf zum Kommandanten, zu demselben,
der noch an unserer Weihnachtsfeier teilnahm, um in Freundschaft mit
ihm zu verhandeln, fand ihn aber so aufgeregt und so grob, daß nichts
bei der Sache herauskam und der Kommandant schließlich, ohne sich
zu verabschieden, aus dem Zimmer hinauslief und meinen Mann stehen
ließ. Die Botschaft habe sich gar nicht mehr hineinzumischen seit der
Aufhebung der Kapitulationen etc. Mein Mann tat dann noch Schritte bei
dem obersten Schulbeamten, der versprach, gleich am nächsten Morgen
mit dem Kommandanten zu verhandeln und ihn dahin zu bestimmen, daß man
sich mit der Abtretung eines Hauses begnüge. Aber siehe da, am nächsten
Morgen, ungefähr um 9 Uhr, rückte Militär und Polizei an und umstellte
unsere beiden Mädchenwaisenhäuser! Sie hatten Werkzeuge mitgebracht, um
eventuell die Türen mit Gewalt einzuschlagen. Schwester Kathrine, die
am Tor stand, wurde vor die Brust gestoßen, niemand durfte hinaus; und
als Schwester Marie schnell herausschlüpfte, um meinem Mann Nachricht
zu bringen, schlug man nach ihr, zum Glück, ohne sie zu treffen. Die
Soldaten drangen nun in die Häuser ein, d. h. nur einige, in jedem
Stockwerk stand einer mit geladenem Gewehr, und Schwester Kathrine
durfte in ihrem eigenen Hause nicht mehr die Treppe hinauf, sie mußte
bleiben, wo sie war. Schwester Jenny im anderen Hause war mutiger, sie
sagte zu dem Soldaten, der sie auch bedrohte: „Was fällt dir ein? Ich
bin eine Deutsche (sie ist Dänin), ich fürchte mich nicht!“ und konnte
daraufhin im Hause frei umhergehen. Inzwischen hatte nun mein Mann
Nachricht und war eilends gekommen. Er verhandelte mit dem Offizier,
der mit den Soldaten vorm Hause stand, dann mußte unser Dragoman hin
und herlaufen zwischen dem Kommandanten und meinem Mann, bis nach
vielem Hin und Her sich der Kommandant bereit erklärte, zufrieden zu
sein, wenn an diesem Tage Emmaus, das gemietete dänische Waisenhaus,
geräumt würde und am nächsten Tage Elim, unser eines Mädchenwaisenhaus.
Die Räumung von Emmaus zerschlug sich dann in der letzten Minute, da
ein Offizier, der das Haus besichtigte, behauptete, es sei zu klein,
sie hätten gedacht, es sei größer. So wurde denn Elim ausgeräumt. Mein
Mann hatte einige Häuser in der Nachbarschaft verlangt für die Waisen,
die uns nach einigen Schwierigkeiten schließlich gegeben wurden. Aber
trotz der Eile, die man damals hatte, und trotz des Drängens, bis ihnen
die Schlüssel abgeliefert waren -- es war am 24. Januar --, steht Elim
bis heute, am 11. Februar, leer. Wir wissen wohl, daß es nicht das
Haus war, das man brauchte, denn in Mamuret-ul-Asis sind noch Häuser
genug, sondern es war ein Schlag gegen die deutsche Arbeit. Nun, wir
sind auch über dies hinübergekommen, und Gott wird weiterhelfen. Aber
wir sehen nicht zu rosig in die Zukunft. Wenn es wirklich zum Krieg
mit Amerika kommt, wäre es auch für die Armenier sehr schwer. Man weiß
kaum, was werden sollte. Es kommen riesige Unterstützungsgelder von
dort. Die vielen Armen hier und in Kharput leben hauptsächlich von
diesen Unterstützungen.

Wir haben wieder ziemlich viel Armenier hier in der Stadt oben, d.
h. Frauen und Kinder; sie ziehen sich aus der ganzen Umgegend hier
zusammen, die meisten waren bei Türken gewesen für die Feldarbeit oder
auch als Frauen und wurden dann einfach hinausgetan, wenn man sie nicht
mehr wollte. Sie leben hier zum Teil in den erbärmlichsten Hütten,
in halb zerstörten Häusern, denn ein großer Teil der Armenierhäuser
wurde nach der Ausweisung einfach von der Bevölkerung niedergerissen,
zuerst Fenster, Türen, Treppen usw. weggeschleppt, später die
Wände eingerissen und alles Holz, was drin war, herausgerissen, zu
Brennzwecken. Bis heute wird solch Holz aus den Dörfern zum Verkauf
gebracht.


315.

     Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                   Aleppo, den 14. Februar 1917.

Der Beauftragte des amerikanischen Konsulats, welcher im Einverständnis
mit der türkischen Regierung vor kurzem zur Verteilung von
Notstandsgeldern an die verschickten Armenier ausgesandt wurde,
ist zurückgekehrt und berichtet folgendes: Er hat in Rakka 20000
Kilo Getreide angekauft, die durch den Vertreter der amerikanischen
Süßholzgesellschaft gemeinsam mit 2 türkischen Beamten zu verteilen
sein werden, und hat 4500 Ltq. verteilt, indem er persönlich jedem
einzelnen der 600 Verschickten wenigstens eine Viertelpfundnote, zum
Teil mehr, ausgehändigt hat. Trotzdem ist er der Ansicht, daß ein
sehr großer Teil davon dem Hunger und der Entbehrung erliegen muß.
Denn es herrscht jetzt nicht nur unter den Armeniern, sondern auch
unter der Bevölkerung von Rakka selbst Hunger, so daß die Verteilung
von Nahrungsmitteln durch die Regierung an die Vertriebenen fast ganz
aufgehört hat. 160-175 Kilo Weizen kosten 500 Piaster Hartgeld oder
nicht ganz das Dreifache in Papiergeld, so daß also ein Kilo Weizen auf
ungefähr 2 Mk. zu stehen kommt. Die Vertriebenen wohnen dicht gedrängt.
Ihre Kleidung ist zerlumpt, Typhus ist unter ihnen ausgebrochen, so daß
die Zahl der täglichen Todesfälle gegenwärtig 20 beträgt.

An manchen Stellen des Weges werden die Reste der Armenier zu Straßen-,
Brücken- und Häuserbauten verwendet, so:

    in Nahr Dahab (35 km vor Aleppo)                                 172
    in Der Hafir  (50 km  „    „   )                                 180
    Meskene                                                          600
    außer denen in der Nähe noch 300 Unbeschäftigte im elendesten
      Zustande vorhanden sind,
    Sabkha (zum Teil beschäftigt)                                   2000
    Dazu kommen, wie schon aufgeführt (unbeschäftigt),
    in Rakka                                                        6000
    in Siaret bei Rakka (unbeschäftigt)                              400
    und in Urfa infolge Zuzuges aus Rakka                           2500

In Urfa sind sie jetzt verhältnismäßig gut und sicher aufgehoben. Man
hat sie dorthin geholt, um die notwendigsten Handwerker zu haben.

Der Beauftragte des amerikanischen Konsulats war der in früherer
Berichterstattung bereits genannte Deutsche Bernau, der jetzt bei
Rückkehr von seiner Reise die Nachricht vom Abbruch der Beziehungen
zwischen Amerika und Deutschland vorfand und infolgedessen seine
Stellung am amerikanischen Konsulat niederlegt. -- Über Sabkha hinaus
nach Süden ist er diesmal nicht gekommen.

In Aleppo hat die Regierung am 13. d. M. auf Befehl Djemal Paschas
aus den von der Schwester Beatrice Rohner geleiteten Waisenhäusern
70 Knaben genommen, um sie in ein Regierungswaisenhaus auf dem
Libanon zu verbringen, wo sie mit Kindern muhammedanischer
Flüchtlinge aus Ostanatolien zusammen erzogen werden sollen. Weitere
derartige Verteilungen auf Regierungswaisenhäuser sind in Aussicht
genommen. Die Armenier sollen auf diese Weise zu vaterlandsliebenden
Osmanen und, wie die offene oder stillschweigende Voraussetzung
ist, zu Muhammedanern gemacht werden. Es ist schwer, hierbei die
Erinnerung an die Rekrutierung der Yanitscharen zu unterdrücken. Dem
gegenwärtigen Versuch muß man wohl skeptisch gegenüberstehen. Die
meisten armenischen Knaben werden weglaufen, diejenigen, welche in
die Regierungswaisenhäuser kommen, werden dort vor die Frage gestellt
werden, ob sie den Islam annehmen wollen. Lehnen sie ab, und versagen
Zwangsmittel, so werden sie auf die Straße gejagt werden und verkommen.
Nur die wenigsten werden dort heranwachsen. Der mit der Verteilung auf
die Regierungswaisenhäuser beabsichtigte positive Zweck wird also nicht
erreicht werden, nur wird die Zahl heranwachsender junger Armenier
erneut erheblich vermindert sein.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.


316.

  Auswärtiges Amt.                       Berlin, den 16. Februar 1917.

Der Vorsitzende der Orient- und Islamkommission des Deutschen
Evangelischen Missionsausschusses, Missionsdirektor D. Karl Axenfeld,
hat im Interesse wirksamerer Fürsorge für die deportierten Armenier
gebeten, den anliegenden Fragebogen[140] von den zuständigen deutschen
konsularischen Vertretern ausfüllen zu lassen.

Euere Exzellenz wollen die Fragebogen den in Betracht kommenden
Kaiserlichen Konsulaten mit entsprechender Weisung zugehen lassen und
für tunlichst beschleunigte Erledigung Sorge tragen.

                                                           Zimmermann.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
      i. a. M. Herrn von Kühlmann, Pera.


317.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 16. Februar 1917.

Das Kabinett Talaat Pascha hat sich gestern offiziell der Kammer
vorgestellt. Bei dieser Gelegenheit hat der neue Großwesir
programmatische Erklärungen abgegeben, die mir von prinzipieller
Wichtigkeit scheinen und in der inneren Geschichte der Türkei einen
neuen Wendepunkt bilden.

Wie ich bereits vor einiger Zeit Euerer Exzellenz zu berichten
die Ehre hatte, gewann innerhalb der einflußreichen Kreise eine
gemäßigte Richtung an Boden, die im Gegensatz zu dem rücksichtslosen,
vor blutiger Gewaltsamkeit nicht zurückschreckenden Nationalismus
gewisser Komiteemitglieder eine verständige und tolerante innere
Politik für die Türkei verlangte. Die Türkei ist durch die vielen
fremden Elemente in ihrer Mitte ein von jedem anderen europäischen
Staate wesentlich unterschiedenes Gebilde. Die Versuche, durch
versöhnliches Entgegenkommen die fremden Bestandteile im ottomanischen
Staatskörper zu einem wirklichen ottomanischen Patriotismus und damit
zur freiwilligen überzeugten Mitarbeit am türkischen Staatsleben zu
erziehen, haben immer wieder abgewechselt mit Perioden, in denen durch
Druck und Ausrottungsbestrebungen die dem Staate so nötige Einheit der
Zusammensetzung erzwungen werden sollte.

Sultan Abdul Hamid war in der letzten Zeit seiner Regierung durch die
berüchtigten Armeniermassakers in der Richtung einer schonungslosen
Ausrottungspolitik soweit gegangen, daß selbst in dem an Blutvergießen
gewöhnten Orient ein Schauder durch alle Gemüter ging. Das Komitee,
in allen Stücken trachtend, eine der Sultanpolitik entgegengesetzte
Haltung einzunehmen, schrieb im Anfang seiner Wirksamkeit
Zusammenfassung aller in der Türkei lebenden Körperschaften zu freier
und freiwilliger Mitarbeit im Staate auf seine Fahnen und konnte
im Anfange seiner Tätigkeit fast alle dissentierenden Elemente --
Araber, Armenier und Griechen --, wenn auch nur für kurze Zeit, unter
einen Hut bringen. Das Fortbestehen der separistischen Treibereien
unter den Armeniern und die während des Balkankrieges, als die Türkei
dem Zusammenbruche nahe schien, aufs neue klar hervortretende,
vaterlandsverräterische Gesinnung weiter nichttürkischer Kreise aber
führte zu einem Umschwunge und zu einem vollständigen Siege der
türkisch-nationalistischen Richtung im Komitee.

Die in großem Umfange durchgeführte Armeniervernichtung und die in
einzelnen kleineren Unternehmungen zutage tretenden Neigungen, auch
dem griechischen Elemente gegenüber schonungslos vorzugehen, sind das
Resultat dieser politischen Richtung gewesen.

Als Gesamtergebnis hat die Ausrottungspolitik dem türkischen Reiche
schwer geschadet. Die Greuel des Armenierfeldzuges werden noch lange
auf dem türkischen Namen lasten und noch lange denjenigen Waffen
liefern, die der Türkei die Eigenschaft als Kulturstaat absprechen und
die Austreibung der Türken aus Europa verlangen. Auch innerlich ist das
Land durch den Untergang und die Verbannung einer körperlich kräftigen,
arbeitsamen und sparsamen Bevölkerung ansehnlich geschwächt worden,
besonders da Armut an Menschen eines der größten Hindernisse bei der
rascheren Entwicklung der türkischen Bodenschätze bildet.

Im vertrauten Gespräche habe ich Talaat Pascha gegenüber seit Beginn
meiner hiesigen amtlichen Tätigkeit mit meiner Meinung über diese Frage
nicht zurückgehalten. Daß er jetzt, zur Macht gelangt, in seiner ersten
programmatischen Erklärung die Gleichberechtigung der ottomanischen
Nationalitäten zum wichtigen Punkte des Regierungsprogrammes macht,
ist mit Genugtuung zu begrüßen. Wie ich vertraulich höre, ist mit
Einstellung der Armeniervertreibungen und mit Aufhören der an einzelnen
Stellen hervorgetretenen Verfolgung gegen die Griechen zu rechnen. Den
Armeniern soll (damit will man aber erst in einiger Zeit hervortreten)
die Rückkehr in ihre alten Wohnplätze, soweit diese nicht als
Kriegsgebiet zu betrachten sind, gestattet werden.

Die wilde nationalistische Richtung ist natürlich noch nicht tot.
Die fähigen und rücksichtslosen Köpfe, die sie vertreten haben,
werden sich bei ihrer zeitweiligen Niederlage nicht beruhigen.
Auch darauf, daß nun, wie mit einem Zauberschlage, die Klagen aus
verschiedenen Provinzen über Bedrückungen und Verfolgungen einzelner
Verwaltungsbeamten völlig verstummen, ist nicht zu rechnen. Aber die
Erfahrung lehrt doch, daß die in Konstantinopel ausgegebene Parole im
großen ganzen in der Provinz befolgt wird; um so mehr, wenn die Parole
nicht das Ergebnis fremden Drucks auf die Zentralregierung ist, sondern
der freien Entschließung der türkischen Machthaber entspricht. Dies ist
zum Glück dieses Mal der Fall.

Zweifellos wird die Stellungnahme Talaat Paschas in seiner gestrigen
Rede für geraume Zeit hinaus richtunggebend bleiben. Dies ist, meiner
Ansicht nach, für uns und die Sache des deutsch-türkischen Bündnisses
ein großer Gewinn. Denn auf Seiten all unserer Feinde bestand das
Bestreben, uns für die blutigen Ausschreitungen des türkischen
Nationalismus verantwortlich zu machen. Andererseits bildeten die
häufigen Einmischungsversuche, zu denen uns humanitäre Erwägungen
gegenüber diesen Maßnahmen veranlaßten, eine Quelle ständiger Reibung
mit der türkischen Regierung. Auch unserer Öffentlichkeit gegenüber
ist das Bündnis mit einer gemäßigten, auch im Innern nach modernen
Grundsätzen arbeitenden Türkei leichter zu verteidigen und aufrecht zu
erhalten, als mit einem ausgesprochen ottomanisch-nationalistischen
Gebilde.

                                                         von Kühlmann.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler.


318.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                      Pera, den 24. Februar 1917.

Talaat Pascha bestätigte mir persönlich, daß er in allen Fragen der
Nationalitätenpolitik einen neuen Kurs zu steuern beabsichtige.
Er habe sowohl den katholischen, als den ökumenisch armenischen
Patriarchen zu sich kommen lassen und ihnen gesagt, die armenische
Bevölkerung könne sicher sein, daß ihre verfassungsmäßigen Rechte
nicht angetastet werden. Was die vorige Regierung unter dem Zwange
militärischer Notwendigkeit habe veranlassen müssen, solle nach
Möglichkeit wieder gut gemacht werden. Entsprechende Befehle seien an
alle Provinzialbehörden ergangen.

                                                         von Kühlmann.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


319.

  Deutscher Hilfsbund für christliches
      Liebeswerk im Orient, E. V.

                                Frankfurt a. M., den 28. Februar 1917.
                                Fürstenbergerstraße 151.

    Herrn Geh. Legationsrat von Rosenberg, Berlin

                                                      Auswärtiges Amt.

Unsere Schwester Beatrice Rohner meldet mir heute telegraphisch aus
Aleppo, daß die unter ihrer Obhut stehenden armenischen Waisenkinder
verteilt würden. Ich möchte Sie nun herzlich bitten, durch die
Botschaft bei dem Deutschen Konsulat in Aleppo anfragen zu lassen,
was das Schicksal dieser Kinder für die Zukunft sein wird, und wäre
Ihnen dankbar, wenn Sie mir dann ebenfalls auf telegraphischem Wege
Mitteilung zukommen ließen[141].

                                                        F. Schuchardt.



_März._


320.

  (Auswärtiges Amt.)                         Berlin, den 1. März 1917.

    Telegramm.

    An Deutsche Botschaft, Pera.

Auf Grund eines Telegramms der Schwester Beatrice Rohner aus Aleppo,
daß die ihr anvertrauten armenischen Waisenkinder verteilt würden,
bittet Deutscher Hilfsbund durch Konsulat Aleppo festzustellen, was mit
den Kindern geplant ist.

Anheimstelle, wenn möglich, die günstigen Dispositionen des neuen
Großwesirs zugunsten der Kinder zu verwerten.

                                                             v. Stumm.


321.

  Auswärtiges Amt.                                       3. März 1917.

    Aufzeichnung.

Die zwischen Missionsdirektor Schreiber als Wortführer der deutschen
Armenierfreunde und dem Kriegsarbeitsamt geführten mündlichen
Verhandlungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß die von der
Einberufung nach der Türkei bedrohten in Deutschland befindlichen
Armenier -- es handelt sich um 50-60 Mann -- im Zivilhilfsdienst
untergebracht werden und dadurch zunächst von der Abschiebung nach der
Türkei gesichert sind. Wie Direktor Schreiber mitteilt, hat Oberst von
Braun, der die Verhandlungen seitens der Militärbehörden führte, für
die politische Seite der Frage volles Verständnis gezeigt.

                                                            Rosenberg.


322.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                     Konstantinopel, den 7. März 1917.

    An Auswärtiges Amt.

Antwort auf Telegramm vom 1. März.

Türkische Regierung hatte bereits im Dezember 1915 Schwester Rohner
eröffnet, daß ihr die Waisenkinder nur zeitweilig übergeben seien; sie
werden nunmehr auf Befehl Ministers des Innern verteilt; 70 sind Mitte
Februar nach dem Libanon übergesiedelt, 400 sollten am 5. März mit
Eisenbahn Reise nach verschiedenen Ortschaften Kleinasiens antreten.
Einige 350 fanden bei entfernten Verwandten Unterkunft. Bericht Konsul
Rößlers eintrifft demnächst.

                                                             Kühlmann.


323.

  Auswärtiges Amt.                           Berlin, den 8. März 1917.

    Abschriftlich

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter i. a. M. Herrn v.
  Kühlmann, Konstantinopel,

  zur gefälligen Kenntnis übersandt.

    Eingeständnis des armenischen Verrats am türkischen Staat.

Artikel des Retsch Nr. 24 vom 26. 1./8. 2. 17:

Am 25. Januar a. St. stattete eine aus angesehenen Vertretern
der einheimischen armenischen Bevölkerung bestehende Deputation
der Stadtduma von Petersburg einen Besuch ab und übergab dem
Stadtoberhaupt im Namen des Katholikos aller Armenier, Kework,
eine Dankesadresse für die von der Duma erwiesene Unterstützung
der armenischen Bevölkerung. Das Schriftstück ist an das ehemalige
Stadtoberhaupt Graf J. J. Tolstoi gerichtet, der an der Spitze
eines Komitees zur Unterstützung der Armenier stand und darin eine
wirksame Tätigkeit entfaltete. Der Patriarch schreibt in seiner
Adresse u. a. folgendes: Euerer Erlaucht ist die Vergangenheit und
Zukunft des armenischen Volkes bekannt. Von jeher hat die türkische
Regierung meinem Volke jegliche Menschenrechte verweigert. Leben,
Ehre und Vermögen der Armenier blieben nicht vor den grausamsten
Vergewaltigungen verschont, und so konnte mein Volk nie frei denken
und nie ruhig für den nationalen Fortschritt und Wiederaufbau
arbeiten. Jetzt aber werden die unglücklichen Söhne meines Volkes noch
schonungsloser unterdrückt und verfolgt, unbewaffnet und wehrlos sind
sie den räuberischen Kurden und türkischen Beamten ausgeliefert, von
denen nicht einmal Frauen und unschuldige Kinder verschont werden;
die Kinder werden gewaltsam zum muhammedanischen Glauben bekehrt.
Und diese an der wehrlosen christlichen Bevölkerung vollzogenen
Greueltaten werden damit entschuldigt, ~daß die Armenier auf der
Seite des großen Rußlands und seiner Verbündeten stehen und mit ihnen
sympathisieren~. In der Stunde der großen Prüfung des armenischen
Volkes haben Euere Erlaucht zusammen mit den würdigen Vertretern
der Petersburger Stadtverwaltung geruht, 50000 Rubel zu gunsten der
armenischen Flüchtlinge, die nicht nur ihre ganze Habe, sondern oft
auch ihre nächsten Verwandten verloren haben, zu opfern...“

Die Adresse schließt mit dem Ausdrucke heißer Dankbarkeit für die
brüderliche Unterstützung der Armenier in der Zeit der schweren Prüfung.


324.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.

    Notiz.

                                              Pera, den 15. März 1917.

Nach meinem Dafürhalten rechtfertigt die gesperrte Stelle in der
Dankesadresse des Katholikos von Etschmiadsin nicht die sensationelle
Überschrift „Eingeständnis des armenischen Verrats am türkischen Staat“.

Nach der Fassung des betreffenden Passus ist es vielmehr
wahrscheinlich, daß die Worte:

    „daß die Armenier auf der Seite des großen Rußlands und seiner
    Verbündeten stehen und mit ihnen sympathisieren“

vom Katholikos den Türken in den Mund gelegt werden.

Selbst wenn aber diese Auffassung nicht zutrifft, liegt keinesfalls
Bestätigung der Gesinnung durch Handlungen vor.

                                                            Mordtmann.


325.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                              Pera, den 12. März 1917.

    An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Die im Auslande lebenden Armenier haben die Deutsch-Armenische
Gesellschaft gebeten, die Verteilung und Überweisung der von ihnen für
ihre deportierten Stammesgenossen gesammelten Hilfsgelder, die bisher
hauptsächlich über Amerika gingen, zu übernehmen. Die Gesellschaft
beabsichtigt zu diesem Zwecke einen Vertreter nach der Türkei zu
entsenden.

Das Kaiserliche Konsulat ersuche ich um gutachtliche Drahtäußerung und
um eventuelle Vorschläge über die Wege, auf welchen die Hilfsgelder
zweckentsprechend geleitet werden könnten.

                                                             Kühlmann.


326.

  (Kaiserliches Konsulat.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 15. März 1917.
  Ankunft in Pera, den 15. März 1917.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Antwort auf Telegramm vom 12. März.

Nach Auflösung ihrer Waisenhäuser ist Schwester Rohner sowohl vom
amerikanischen Konsul als von türkischen Behörden gebeten worden,
die Notstandsarbeiten in der Stadt Aleppo neu zu organisieren, wobei
letzteren allerdings nicht bekannt sein wird, daß es sich um 20000
Bedürftige handelt.

Die in der Organisation begriffene Arbeit soll sich auch auf 1200
verwahrloste Kinder erstrecken. Bleiben amerikanische Gelder aus, so
wäre deren Ersetzung aus deutschen Quellen hierbei am unauffälligsten.
Die Schwester geht zunächst nach Marasch. Nach Rückkehr in einem Monat
ist sie bereit, deutsche Gelder zu dem gedachten Zweck zu verwenden,
woran sich wahrscheinlich die Arbeit nach außerhalb anknüpfen ließe.
Die deutsch-armenische Gesellschaft muß als Geldgeber unbekannt
bleiben. Geld könnte durch die deutsche Orientbank an dieses Konsulat
überwiesen werden. Die Tätigkeit eines besonderen Vertreters der
Gesellschaft könnte unmöglich unbekannt bleiben und riefe die Gefahr
hervor, die ganze Hilfsarbeit unmöglich zu machen.

                                                               Rößler.


327.

     Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                       Aleppo, den 16. März 1917.

Im Anschluß an den Bericht vom 14. Februar.

Die türkische Regierung hat ihre Absicht, die von der Schwester B.
Rohner geleiteten Waisenhäuser aufzulösen, zur Ausführung gebracht, wie
sie es sich von vornherein vorbehalten hatte.[142] Bei ihrer Berufung
im Dezember 1915 zur Leitung eines damals auf das furchtbarste
verwahrlosten und von Krankheiten heimgesuchten Hauses hatte Djemal
Pascha erklärt, daß es ein Waisenhaus der Regierung bliebe, dessen
Unterhaltung derselben obliege. Tatsächlich haben die Behörden durch
gelegentliche Lieferung von Lebensmitteln wenigstens Beiträge zum
Unterhalt geleistet.

Die höchste Zahl der von der Schwester Rohner zu einer Zeit vereinigten
Kinder hat etwa 850 betragen. Als ihr aus dieser Schar die größeren
Knaben genommen wurden, um zu Straßen- und Häuserbauten verwendet
zu werden, gab sie eine Anzahl von solchen an Frauen zurück, die in
einer Menge von zuerst 4000, jetzt 10000 von der türkischen Etappe
in Arbeitshäusern mit Spinnen und Weben beschäftigt werden und sich
tagsüber um die Kinder natürlich nicht kümmern können, so daß sie
zuerst von der Schwester aufgenommen waren. -- Die Zahl der Mädchen
hatte sie schon vorher nach Möglichkeit beschränkt, um zu verhüten, daß
die Waisenhäuser von den Muhammedanern als Sammelstellen betrachtet
wurden, aus denen sie sich nach Belieben Mädchen für Zwecke ihres
Haushalts entnehmen könnten. So betrug gegen Mitte Februar die Zahl
der Kinder etwa 600, wozu die Angestellten mit ihren Familien in
Stärke von 100 Köpfen kamen, als am 13. Februar die ersten 70 nach
dem Libanon verschickt wurden. Etwa 370 Kinder sind darauf der
Schwester entflohen und haben wohl größtenteils bei den tagsüber in
Arbeitshäusern beschäftigten Frauen Unterschlupf gefunden. -- 60 kranke
und kleine, zur Reise unfähige sind von der Schwester in einem von
Armeniern geleiteten Waisenhaus untergebracht. -- Als die Regierung
noch 400 Kinder verlangte, waren nur noch 280 vorhanden, darunter 30
Mädchen. Die Behörde nahm daher 70 aus jenem armenischen Waisenhaus,
woraufhin die meisten der dort unterhaltenen Kinder auch zerstieben,
und 70 sammelte sie von der Straße auf. -- Alle 400 ließ sie von der
Schwester aus Notstandsgeldern einkleiden und hat sie dann am 5. d. M.
mit der Bahn abbefördert. Sie hat erklärt, daß sie zur Verteilung auf
Regierungswaisenhäuser in Konia, Ismid, Balikesri und Adabazar bestimmt
seien. Auf die Frage der Schwester, warum die Regierung die Kinder
gerade aus ihren Häusern zur Verschickung zuerst genommen habe, hat ihr
der Wali bezeichnend und naiv geantwortet, „daß ihre Kinder am besten
genährt und am saubersten gekleidet seien. Wenn er andere verwahrloste
Kinder schicke, so würde die Regierung fragen, was er mit den ihm
überwiesenen Notstandsgeldern angefangen habe.“

Hat auch das Werk der Schwester, bei dem sie von Schwester Anna Jensen
unterstützt war, sein Ende genommen, so ist es doch nicht vergeblich
gewesen. -- Hunderte von Kindern sind fünf Vierteljahr hindurch dem
Elend entrissen gewesen. Wäre es nicht getan worden, so wären die
Kinder schon 1915 an Krankheiten zugrunde gegangen oder in die Wüste
geschickt worden.

Der bisherige Verschickungskommissar von Aleppo hat die Kinder auf
ihrer Reise nach Norden begleitet. Ein Nachfolger wird nicht ernannt
-- das Verschickungsbüro ist aufgehoben. Doch würde es meines
Erachtens falsch sein, daraus auf eine versöhnlichere Stimmung der
Regierung gegenüber den Armeniern zu schließen. Die hartherzige Arbeit
ist vielmehr im wesentlichen getan. Für das Nachspiel genügen die
gewöhnlichen Verwaltungsbehörden. Jeder, der für „verdächtig“ gilt,
wird voraussichtlich auch in Zukunft ohne weiteres verschickt werden.
Im übrigen ist Befehl ergangen, daß jeder Armenier zu bleiben habe,
wo er sich gegenwärtig befindet. Dieser Befehl wird auf das härteste
ausgelegt. Familien bleiben auseinandergerissen. Kinder dürfen nicht zu
ihren nächsten Anverwandten zurück.

Schwester Rohner ist inzwischen vom amerikanischen Konsul und von der
türkischen Etappe gebeten worden, die Notstandsarbeit in Aleppo neu
zu organisieren. Für den amerikanischen Konsul war der Grund, daß
sich Mißstände in der Arbeit herausgestellt hatten. Dem türkischen
Etappenoffizier Oberst Kemal Bey unterstehen die Spinnereien und
Webereien, in denen die Arbeitsleistung und der Lohn so gering sind,
daß sie nicht ausreichen, das Leben der Arbeiterinnen und ihrer Kinder
zu fristen. -- Er würde seinen Vorgesetzten gegenüber berechtigt sein,
zugrunde gehen zu lassen, was dabei nicht bestehen kann, hat aber
ein Herz und wünscht zu helfen. -- Mit der Gewinnung der Schwester
Rohner hofft er auch die Notstandsgelder für die Frauen und Kinder zur
Verwendung zu bringen. Er beabsichtigt, zwei Waisenhäuser einzurichten,
sei es als Internat, sei es als Tagesschulen mit Suppenküche. Die
Schwester hat zugesagt. -- Sie hat zunächst dieser Tage die Verteilung
der Notstandsgelder für die 20000 bedürftigen Armenier der Stadt
Aleppo auf eine neue Grundlage gestellt. Am 19. d. M. wird sie sich
auf einen Monat zur Erholung nach Marasch begeben und wird sich dann
der Etappe zur Arbeit an den 1200 verwahrlosten Kindern zur Verfügung
stellen. Wieder unter dem eigenen Namen eine Arbeit zu eröffnen, hat
sie abgelehnt, dagegen hat sie Oberst Kemal Bey erklärt, daß sie
gern bereit sei, zu helfen.[143] -- Außer den genannten 1200 Kindern
befinden sich noch 450 in der gregorianischen Kirche unter armenischer
Obhut und 400 in dem oben erwähnten, wieder neu gefüllten armenischen
Waisenhaus.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


328.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Abgang aus Konstantinopel, den 25. März 1917.
  Ankunft in Berlin, den 26. März 1917.

    Der Kaiserliche Botschafter an Auswärtiges Amt.

Für Deutsche Bank von Anatolischer Bahn:

Neuerdings haben wieder Armenierausweisungen eingesetzt. Die zweite
Baudivision meldet Ausweisung aus Amanusstrecke von 505 Arbeitern mit
187 Familienmitgliedern seit dem achtzehnten. Vom Taurus etwa gleiche
Zahl.

                                                             Kühlmann.



_April._


329.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.

                                              Pera, den 5. April 1917.

Der Fragebogen des D. Karl Axenfeld ist den Kaiserlichen
Konsularbehörden in Aleppo, Bagdad, Beirut, Damaskus und Mossul
übermittelt worden. Bisher liegt nur die Beantwortung aus Aleppo vor;
die Berichte der übrigen Konsulate folgen bei Eingang nach.

                                                             Waldburg.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


Antworten auf die Fragebogen.

330.

    (1. Deutsches Konsulat Aleppo.)

    Aleppo, den 20. März 1917.

            Fragen.                             Antworten.

  1. Welche Zahl von deportierten    1. Etwa 45000.
  Armeniern befindet sich ungefähr
  in Ihrem Wirkungskreise?

  2. Können Sie uns Mitteilung       2. 10000 Frauen sind in Aleppo
  machen über ihren Zustand und      mit Spinnen und Weben beschäftigt,
  ihre Bedürfnisse?                  doch reicht ihr Arbeitsverdienst
                                     zur Ernährung nicht aus. Die
                                     übrigen 35000 sind in äußerster
                                     Not, viele am Verhungern.

  3. Können Sie den Deportierten     3. Ja, doch sind überwiegend nur
  Unterstützungen zukommen lassen?   Geldunterstützungen möglich. --
  In welcher Weise? Mit wessen       Durch Schwester B. Rohner vom
  Hilfe?                             Deutschen Hilfsbund, die in Aleppo
                                     als der Zentrale des Hilfswerkes
                                     bleibt. In Marasch mit Hilfe des
                                     Hilfsbundes, in Aintab mit Hilfe
                                     der amerikanischen Mission (an
                                     deren Stelle nur in dem äußersten
                                     Notfall, daß die Missionare
                                     abzureisen hätten, Eingeborene
                                     treten müßten), in Urfa mit Hilfe
                                     der Deutschen Orientmission. Nach
                                     anderen Gegenden, wie Sabkha und
                                     Rakka, muß auf Gelegenheiten zur
                                     Entsendung von Hilfsgeldern
                                     gewartet werden.

    4. In welchem Umfange wären      4. Ein Kilo Weizen kostet mehr als
    Mittel erforderlich?             2 Mark. Wollte man nicht allen
                                     45000, sondern nur 35000 täglich
                                     250 Gramm Weizen ohne andere
                                     Nahrung geben, so wären täglich
                                     17500 Mark erforderlich. Ein Kilo
                                     Brot kostet gar 3,40 Mk.

    5. Haben Sie zu diesem           5. In Aleppo ist das Werk, so gut
    Hilfswerk Hilfskräfte nötig?     es geht, mit armenischen
                                     Hilfskräften Mitte März von
                                     Schwester Rohner neu organisiert.
                                     -- Anderen deutschen Kräften als
                                     ihr würde die Arbeit von den
                                     türkischen Behörden bald unmöglich
                                     gemacht werden. -- Unter Umständen
                                     kommt, wenn Schwester Rohner es
                                     wünschen sollte, die Zuteilung
                                     einer zweiten Hilfsbundschwester
                                     in Frage.

                                     Schwester Rohner ist am 19. März
                                     auf einen Monat zur Erholung nach
                                     Marasch gereist. Vorher hat sie
                                     noch hier in Aleppo mit
                                     amerikanischem Geld für einen Monat
                                     für die Bedürftigen in der Stadt
                                     vorgesorgt.

                                                Schätzung.
                                     Marasch                      4500
                                     Aintab und Umgegend          8000
                                     Urfa jetzt                   2500
                                     Biredjik und Djerablus       2000
                                     Aleppo jetzt                20000
                                     Rakka                        6400
                                     Zwischen Aleppo und Sabkha   3200
                                                                -------
                                                                 46600


331.

    (2. Deutsches Konsulat Beirut.)

                                            Beirut, den 24. März 1917.

            Fragen.                             Antworten.

    1. Welche Zahl von deportierten  1. a) Zum Islam übergetretene
    Armeniern befindet sich ungefähr Armenier: in Beirut ca. 40
    in Ihrem Wirkungskreise?         Familien; in Saida und Sur ca. 200
                                     Familien. Für diese Familien sorgen
                                     die türkischen Regierungsstellen
                                     durch Brotverteilung,
                                     Arbeitsnachweis etc.

                                     b) Nicht zum Islam übergetretene
                                     gregorianische Armenier, die sich
                                     meistenteils heimlich, d. h. ohne
                                     bei der Polizei gemeldet zu sein,
                                     hier aufhalten:

                                     In Beirut 17 Familien, davon ein
                                     Drittel wohlhabend, ein Drittel hat
                                     Arbeit, ein Drittel in Not. Im
                                     Libanon, in Zahle und Dur-e-Schuer
                                     ca. 50 Familien, davon reichlich
                                     ein Drittel in Not.

    2. Können Sie uns Mitteilungen   2. In wirklicher Not sollen sich
    über ihren Zustand und ihre      von obigen unter 1b verzeichneten
    Bedürfnisse machen?              Armeniern ca. 25 Familien mit etwa
                                     100 Angehörigen befinden. Die
                                     Männer können sich aus Besorgnis,
                                     zum Militärdienst gezwungen zu
                                     werden, und weil sie polizeilich
                                     nicht angemeldet sind, nicht frei
                                     bewegen, demzufolge auch nicht frei
                                     arbeiten.

    3. Können Sie den Deportierten   3. Ja, mit Hilfe hiesiger
    Unterstützungen zukommen         wohlhabender Armenier, wie z. B.
    lassen? In welcher Weise? Mit    des Sackis Cassabian, Inhabers der
    wessen Hilfe?                    angesehenen Firma Jusuffian u.
                                     Cassabian in Mersina, der für die
                                     Kriegsdauer hierher übersiedelte.

    4. In welchem Umfang wären       4. Bei den heutigen Preisen wären
    Mittel erforderlich?             pro Person 5 Ltq. monatlich, also
                                     100 Personen 500 Ltq., zum
                                     Unterhalt erforderlich.

    5. Haben Sie zu diesem           5. Nein.
    Hilfswerk Hilfskräfte nötig?


332.

    (3. Deutsches Konsulat Damaskus.)

                                          Damaskus, den 23. März 1917.

            Fragen.                             Antworten.

    1. Welche Zahl von               1. Im Mai v. J. wurde die Zahl der
    deportierten Armeniern befindet  zwischen Aleppo und dem Hedschas
    sich ungefähr in Ihrem           befindlichen Armenier von dem
    Wirkungskreise?                  Vorsitzenden der
                                     Auswandererkommission, Wali a. D.
                                     Hussein Kasim Bey, der als
                                     aufrichtig und Armenierfreund gilt,
                                     auf 60000 Seelen geschätzt. Von
                                     diesen dürfte etwa die Hälfte
                                     inzwischen gestorben sein.

                                     Im April v. J. gab der auf
                                     Empfehlung  des Kaiserlichen
                                     Konsulats Aleppo mit dem hiesigen
                                     armenischen Liebeswerk betraute
                                     armenische Hilfsprediger V. B.
                                     Tachmisian die Zahl der im Wilajet
                                     Damaskus befindlichen Armenier mit
                                     2000 Familien zu je 5 Köpfen (10000
                                     Seelen) an. Der Genannte schätzt
                                     jetzt die Zahl der in der Provinz
                                     Damaskus (Hama, Homs, Damaskus,
                                     Hauran und Kerak) befindlichen
                                     Armenier auf 30000 Seelen. Es ist
                                     bei der Zerstreutheit der Armenier
                                     und bei ihrer Zurückgezogenheit
                                     nicht leicht, ihre Zahl genau
                                     anzugeben.

    2. Können Sie uns Mitteilungen   2. Sie befinden sich größtenteils
    über ihren Zustand und ihre      in einem beklagenswerten Zustand.
    Bedürfnisse machen?              Immerhin hat sich dieser in den
                                     letzten Monaten etwas gebessert,
                                     indem ihnen in den Städten die
                                     Möglichkeit zum Erwerb gegeben
                                     wurde. Als fleißige und geschickte
                                     Handwerker verstehen sie sich
                                     durchzusetzen. Viele von den
                                     Armeniern sind, wenn auch
                                     zwangsweise, Muselmanen geworden
                                     und können infolgedessen
                                     ungestörter ihren Lebensunterhalt
                                     erwerben. Bei der zunehmenden
                                     Teuerung, über die ich in der
                                     Anlage eine Zusammenstellung der
                                     wichtigsten Lebensmittelpreise
                                     beifüge und bei der Entwertung des
                                     Papiergeldes, das heute nur 25% des
                                     Nennwertes beträgt und
                                     voraussichtlich weiter sinken wird,
                                     befinden sich die meisten Armenier
                                     in einer schweren Notlage. Es würde
                                     sich darum handeln, ihnen Brot und
                                     sonstige Nahrungsmittel, ferner
                                     Kleider und gesunde Unterkunft
                                     zukommen zu lassen.

    3. Können Sie den Deportierten   3. Bisher hat dieses Kaiserliche
    Unterstützungen zukommen         Konsulat hauptsächlich durch den
    lassen? In welcher Weise? Mit    armenischen Hilfsprediger V. B.
    wessen Hilfe?                    Tachmisian, ferner durch den
                                     hiesigen deutschen Missionar
                                     Hanauer und in gewissen Fällen das
                                     Kaiserliche Konsulat direkt Geld an
                                     die Armenier verteilt. Im
                                     allgemeinen empfiehlt es sich, das
                                     Geld durch einen vertrauenswürdigen
                                     Europäer verteilen zu lassen, der
                                     ein Herz für das armenische
                                     Liebeswerk hat und außerdem in
                                     geschickter unauffälliger Weise
                                     zu arbeiten versteht. Die
                                     türkischen Behörden sehen es im
                                     allgemeinen nicht gern, wenn sich
                                     Europäer der Armenier annehmen.
                                     Sie fürchten, daß diese hierdurch
                                     in ihrer Opposition gegen die
                                     türkische Regierung gestärkt
                                     werden. Ein gewandter Europäer oder
                                     Europäerin, die die orientalischen
                                     Verhältnisse kennen, würden
                                     trotzdem eine Organisation schaffen
                                     können, die in unauffälliger Weise
                                     den Armeniern helfen könnte. Der
                                     hiesige Prediger Hanauer kennt Land
                                     und Leute. Für die Konsularbehörde
                                     ist es nicht möglich, eine solche
                                     Organisation zu schaffen und offen
                                     zu überwachen, da sie in den
                                     Verdacht kommen würde, gegen die
                                     türkische Regierung zu arbeiten.
                                     Sie kann höchstens mit Rat zur
                                     Seite stehen und von Zeit zu Zeit
                                     unter der Hand der einen oder
                                     anderen Person und den Armen auf
                                     der Straße Unterstützungen zukommen
                                     lassen.

    4. In welchem Umfange wären      4. Von den hiesigen Armeniern
    Mittel erforderlich?             sollen etwa 10% sich selbst
                                     erhalten können. Die anderen sollen
                                     unterstützungsbedürftig sein. Für
                                     die Person kann man täglich etwa 1
                                     Mk. gleich ca. 5 Piaster wenigstens
                                     für den Unterhalt rechnen,
                                     vorausgesetzt, daß dieser Betrag in
                                     Hartgeld gezahlt wird. Bei
                                     Papiergeld müßte der 4 fache Betrag
                                     gerechnet werden.

                                     Nimmt man die Zahl der im Wilajet
                                     Damaskus unterstützungsbedürftigen
                                     Armenier mit durchschnittlich 15000
                                     Seelen an, so würden täglich 15000
                                     Mk. und im Monat 450000 Mk. zu
                                     zahlen sein, wenn man allen helfen
                                     wollte.

    5. Haben Sie zu diesem           5. Wie bereits unter Nr. 3
    Hilfswerk Hilfskräfte nötig?     hervorgehoben, würden besonders
                                     europäische Hilfskräfte für das
                                     gedachte Unterstützungswerk am
                                     geeignetsten sein, die sich
                                     ihrerseits armenischer
                                     Vertrauenspersonen als Unterorgane
                                     bedienen könnten.

                                          Damaskus, den 23. März 1917.

Lebensmittelpreise in Goldgeld. (Hartgeld, nicht Papier.)

      a) Nahrungsmittel.               Vor dem     Jetziger   Erhöhung
                                        Kriege      Preis     um Prozent
                                       Piaster G.  Piaster G.

    Weizen                 per 100 kg     90          300         333
    Bulgur (zerstoßener
      Weizen)               „  100  „    100          500         500
    Reis                    „  100  „    220         1000         455
    Kartoffeln              „  100  „     50          250         500
    Gemüse                  „  100  „    200         1000         500
    Butter                  „  100  „   1000         3200         320
    Käse                    „  100  „    700         1700         245
    Öl                      „  100  „    800         1600         200
    Hammelfleisch           „  100  „    550         1300         235
    Zucker                  „  100  „    200         2700        1350
    Kaffee                  „  100  „    750         4500         600
    Früchte, frische und
      getrocknete                                                 500
    Wein II. Qualität       „  100  „    125          500         400
    Alkohol                 „  100  „    450         7500        1665
    Eier per 100 Stück                    25           60         240

      b) Kleidung.

    Stoffe                                                        500
    Ledersohlen                                                   300
    Baumwolle, Garn                                               400

Vorstehende Preise sind in Hartgeld berechnet. Bei Bezahlung in
Papiergeld erhöhen sie sich auf das Vierfache.


333.

    (4. Deutsches Konsulat Mossul.)

                                            Mossul, den 19. Juli 1917.

            Fragen.                             Antworten.

    1. Welche Zahl von deportierten  1. In den Städten Mossul und
    Armeniern befindet sich          Kerkuk, sowie in den Dörfern des
    ungefähr in Ihrem                Wilajets Mossul befinden sich etwa
    Wirkungskreise?                  7000-8000 anderwärts ausgesiedelte
                                     Armenier, größtenteils Frauen und
                                     Kinder. Eine größere Anzahl von
                                     Frauen und Mädchen soll außerdem
                                     bei den Beduinen der Dschesireh und
                                     den Yesiden des Sindschargebirges
                                     in halber Sklaverei leben.

    2. Können Sie uns Mitteilung     2. Ein Teil der Deportierten hat
    über ihren Zustand und ihre      Arbeit und Verdienst gefunden. Im
    Bedürfnisse machen?              vorigen Jahre wurde eine größere
                                     Anzahl auf die umliegenden Dörfer
                                     verteilt, wo sie in der
                                     Landwirtschaft beschäftigt wurden.
                                     Aus mehreren muhammedanischen
                                     Dörfern mußten die Verschickten
                                     jedoch infolge des Fanatismus der
                                     Bevölkerung flüchten und wieder in
                                     die Städte zurückkehren. Hier hat
                                     die Regierung teilweise
                                     Anstrengungen gemacht, den Leuten
                                     Arbeit zu verschaffen, eine
                                     hinreichende Linderung der Not
                                     konnte dadurch nicht erreicht
                                     werden, es fehlt vielfach an
                                     Unterkunft, Verpflegung, Kleidung
                                     und ärztlicher Behandlung.

    3. Können Sie den                3. Wenn die zur Unterstützung der
    Deportierten Unterstützungen     Verschickten bestimmten Beträge
    zukommen lassen? In welcher      den türkischen, zuständigen Stellen
    Weise? Mit wessen Hilfe?         überwiesen werden, bleibt der
                                     größte Teil an den Fingern
                                     unredlicher Beamten kleben, zumal
                                     der Wali Heidar Bey, der in solchen
                                     Angelegenheiten zuverlässig war und
                                     den Armeniern nicht übelwollend
                                     gegenüberstand, mittlerweile
                                     abberufen worden ist.

    4. In welchem Umfange wären      4. Eine Unterstützung mit kleineren
    Mittel erforderlich?             Beträgen würde nur Verlängerung
                                     der Qualen der Deportierten
                                     bedeuten; größere Beträge ihrem
                                     Zwecke wirksam zuzuführen,
                                     erscheint fast unmöglich. Es muß
                                     offen und klar ausgesprochen
                                     werden, daß alle derartigen
                                     Hilfsaktionen solange Schöpfen in
                                     ein Faß ohne Boden bedeuten, als
                                     die türkische Regierung sich nicht
                                     selbst entschließt, mit dem
                                     bisherigen System zu brechen und
                                     die Reste der Armenier zu erhalten.

                                     Wenn aber trotzdem laufende
                                     Unterstützungen gezahlt und diese
                                     pro Kopf auf nur 1 Pfund türkisch
                                     monatlich bemessen werden sollen,
                                     würde ein monatlicher Aufwand von
                                     etwa 5000 Pfund türkisch
                                     erforderlich sein.

    5. Haben Sie zu diesem           5. Da das Kaiserliche Konsulat
    Hilfswerk Hilfskräfte nötig?     nicht in der Lage ist, das
                                     Unterstützungswerk unmittelbar
                                     auszuüben, würden dafür besondere
                                     Hilfskräfte einzustellen sein.


334.

  (Notstandswerk Urfa.)                       Urfa, den 8. April 1917.

Wie Ihnen kund sein dürfte, hat sich in Urfa eine ziemliche Menge
von armenischen Emigranten angesammelt, welche die Regierung hierher
gebracht hat. Leider fordert die Regierung, unter deren Mitgliedern
der Gouverneur am meisten, diese Unglücklichen öfter auf, die
muhammedanische Religion anzunehmen. Selbst an Drohungen mit neuen
Ausweisungen fehlt es nicht. Obwohl ich glaube, daß dagegen nichts zu
machen ist, fühlte ich mich doch gedrungen, Ihnen hiervon Nachricht zu
geben.

                                                        Jakob Künzler.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn Dr. von Bethmann Hollweg
  zur geneigten Kenntnis gehorsamst überreicht.

    Aleppo, den 20. April 1917.

                                                               Rößler.


335.

  (Notstandswerk Urfa.)                      Urfa, den 25. April 1917.

    Bericht über muhammedanische Emigrantenhilfe[144] in Urfa.

Die mir vom amerikanischen Konsulat in Aleppo zur Verteilung an die
muslimischen Emigranten in dieser Gegend überlassenen ca. 100000 Kilo
Weizen und Gerste habe ich im Gebiet von Haran und von Besowa unter
17600 Hungrige verteilt, so daß pro Kopf ein halbes Dimin gegeben
werden konnte. Ein halbes Dimin entspricht etwa 21 kg.

Mit den 300 Ltq., mir vom Kaiserlich Deutschen Konsulat in Aleppo
für diesen Hilfszweck überlassen, habe ich die Notleidenden im Dorfe
Garmusch, nahe Urfa, 1200 Hungrige unterstützen können.

Ich habe bei der Verteilung immer die Quellen der Gaben angegeben und
ich verhehle nicht, daß das ganze Hilfswerk allgemein großen Eindruck
gemacht hat. Ganz besonders soll ich im Namen der Beschenkten den
tiefstgefühlten Dank aussprechen, welcher Aufgabe ich mich hiermit gern
entledige.

                                                        Jakob Künzler.

  An das Kaiserlich Deutsche Konsulat in Aleppo.


336.

  Orient-und Islamkommission des Deutschen
     Evangelischen Missionsausschusses.

                                           Berlin, den 27. April 1917.
                                           Georgenkirchstraße 70.

      Euere Exzellenz

wollen es mir nicht verübeln, wenn ich noch einmal eine dringliche
Bitte zugunsten des armen armenischen Volkes ehrerbietigst vorzutragen
mir erlaube.

An den Wechsel des Großwesirats hatte sich, wie Nachrichten vom Orient
erkennen ließen, die Hoffnung auf Milderung der gegen die Armenier
getroffenen Maßnahmen geknüpft. Neuere Eingänge, die durch die dem
Auswärtigen Amt vorliegenden Berichte nur bestätigt werden, lassen
leider erkennen, daß das Elend noch immer wächst, ja neuerdings wieder
Verschärfungen eingetreten sind.

Sollte es nicht Euerer Exzellenz möglich sein, die Anwesenheit des
Herrn Großwesirs zu benutzen, um ihm persönlich darzulegen, wie
schlechthin unerträglich es für uns deutsche Christen ist, mit
verschränkten Armen mit ansehen zu sollen, daß ein altes christliches
Volk unter den Händen unserer Bundesgenossen dahinstirbt, und ihn zu
bitten, daß er endlich eine Lösung der Armenierfrage suche, die den
politischen Bedürfnissen und den wahren Interessen des osmanischen
Reiches entspricht, ohne seine neue Entwicklung mit so furchtbarer
Blutschuld und dem Fluch der gesamten gesitteten Welt zu beladen?

Die Frage ist besonders dringlich geworden durch den Abbruch der
politischen Beziehungen zwischen der Türkei und Amerika, weil dadurch
die Fortführung der amerikanischen Liebestätigkeit in Frage gestellt
ist. So sollte wenigstens uns Deutschen, deren loyale Gesinnung gegen
die Türkei ja jenseits jeden Zweifels steht, der Weg zur Hilfeleistung
vertrauensvoll freigegeben werden.

                                      D. Karl Axenfeld,
                        Vorsitzender der Orient- und Islamkommission
                      des Deutschen Evangelischen Missionsausschusses.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler, Berlin.


337.

  (Auswärtiges Amt.)                          Berlin, den 6. Mai 1917.

Euer Hochwohlgeboren beehre ich mich auf das an den Herrn Reichskanzler
gerichtete gefällige Schreiben vom 27. v. M. zu erwidern, daß die
Armenierfrage selbstverständlich bei Talaat Pascha während seiner
Anwesenheit in Deutschland zur Sprache gebracht und unser Standpunkt
dabei nachdrücklich dargelegt worden ist.

Wegen Euer Hochwohlgeboren Anregung, im Hinblick auf die Einstellung
der amerikanischen Liebestätigkeit der deutschen Hilfeleistung, wenn
möglich, einen weiteren Spielraum zu verschaffen, habe ich mich mit dem
Kaiserlichen Botschafter in Konstantinopel in Verbindung gesetzt.

                                                           Zimmermann.

  An den Vorsitzenden der Orient- und Islamkommission des Deutschen
  Evangelischen Missionsausschusses, Herrn Missionsdirektor D. Karl
  Axenfeld, Hochwohlgeboren, Berlin.


338.

  (Notstandswerk Urfa.)                      Urfa, den 28. April 1917.

Gestern bin ich wohlbehalten von Rakka zurückgekehrt. Dort angekommen,
erfuhr ich, daß die dortigen Emigranten kurz vor Ostern (armenische)
250 Ltq. Gold von Aleppo erhalten haben. Aber was bedeutet dies für
die Übriggebliebenen! Jedes Glied erhielt 5 Piaster. Ich konnte auch
nicht mehr geben. Also eine Verlängerung der Leiden bis zum Eintritt
des sicheren Hungertodes um einige Tage! Wenn deren Gebundenheit an
den Ort noch länger als zwei Monate anhält, so wird wenig mehr von
ihnen übrig bleiben. Der Hunger wird sie alle hinraffen. Ich überlege
mir, ob es nicht richtig wäre, in Zukunft, wenn wieder Mittel für die
Unglücklichen anlangen, man nicht am besten täte, damit eine kleinere
Anzahl zu beschenken, damit diese wenigen womöglich durchgebracht
werden.

Ohne eine Summe von 3-5000 Ltq. wieder dorthin zu gehen, ist bei diesen
niedrigen Notenkursen eigentlich fruchtlos, denn was sind 5 Goldpiaster
(92,5 Pf.)! Allerdings ist vorauszusehen, daß bis in zwei Monaten viele
am Hunger gestorben sein werden und daß dann vielleicht auch mit einer
kleineren als der oben genannten Summe noch etwas zu erreichen wäre.

Auf der Rückreise besuchte ich auch noch die 400 Emigranten im Dorfe
Ain Isse. Hier der gleiche, womöglich noch trostlosere Zustand wie
in Rakka. Bis jetzt konnten sich die Armen noch von Gras ernähren,
aber jetzt ist auch diese Möglichkeit durch das Vertrocknen desselben
ausgeschlossen. Wenn nur die Regierung anfangen wollte, die wenigen
noch Übriggebliebenen, vor denen sie wahrlich keine Angst mehr zu haben
brauchte, frei zu lassen. In größeren Städten würde sich manche Witwe
mitsamt ihren Kindern durchzuschlagen wissen mit ihrer Hände Werk.

                                                        Jakob Künzler.

  An den Kaiserlichen Konsul, Herrn Rößler,
        Hochwohlgeboren, Aleppo.



_Mai._


339.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                         Aleppo, den 1. Mai 1917.

Euerer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage eine
Zusammenstellung der vom Diakon Künzler in Urfa verwalteten
Notstandsgelder für Armenier. -- Die Zahl der dort unterstützten
Waisenkinder ist auf 2200 gestiegen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


Anlage.

Zusammenstellung der vom Diakon Künzler in Urfa verwalteten
Notstandsgelder für Armenier.

    Einnahmen seit dem 1. Juni 1916 bis 31. März 1917.    Piaster
      von Basel                                        255344,35
      von Potsdam, Dr. Johs. Lepsius                   207491,--
      vom Deutschen Hilfsbund                            9975,--
      vom amerikanischen Konsulat                      140000,--
                                                 ----------------
                                                 Total 612810,35

    Ausgaben 1916.

    Waisenversorgung, Witwenversorgung, Bekleidung.
      Juni                                               3783,05
      Juli                                               7954,--
      August                                            11203,--
      September                                         18513,--
      Oktober                                           29542,05
      November                                          26868,--
      Dezember                                          41662,30
      Januar                                            66684,20
      Februar                                           57813,10
      März                                             106551,15
    Für Arbeitsbeschaffung, Taschentücherarbeit und
      Seidenzucht                                       43774,25
    Für Gehälter                                        17500,--
                                                 ----------------
                                                 Total 431849,30

    Aktivsaldo pro April 180961,10 Piaster.


340.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 2. Mai 1917.
  Ankunft in Pera, den 3. Mai 1917.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Werden Gelder, die bisher dem amerikanischen Konsul überwiesen wurden,
in Zukunft seinem noch zu bestimmenden Vertreter überwiesen? Ist
bekannt, ob die amerikanische Zentrale für Zahlung der Hilfsgelder
(Peet, Bibelhaus) bestehen bleibt? Der amerikanische Konsul hat
Schwester Rohner den Rest der Hilfsgelder übergeben. In Rakka fallen
täglich eine Anzahl Menschen dem Hungertode zum Opfer.

                                                               Rößler.


341.

  American Bible House.                           Pera, May 3rd. 1917.

      My dear Dr. Mordtmann.

In view of the present situation which brings my work to an end, I
have decided, to take advantage of the opportunity given to leave the
country and to take a vacation. My wife needs this change even more
than I do. She has been most devotedly attached to her work in the
hospitals and in divising work for the poor. I am distressed in view of
the misery which may come to the poor people in the interior and I am
doing what I can to keep the stream of help which we have supplied thus
far from dying out altogether.

I cannot leave without sending a word of thankfulness for your
never-failing kindness to me in these matters.

I have also most grateful recollections of the Embassy’s courtesy in
their share of the work.

It will always afford me pleasure to testify of this.

                                                      Yours faithfully
                                                         M. M. Peet.


342.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                                Pera, den 7. Mai 1917.

    An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Antwort auf Telegramm vom 2.5.

Bibelhaus wird versuchen, die Notstandsaktion durch den Vertreter des
Herrn Peet fortzuführen und amerikanische Gelder über Holland oder
Schweden hierher zu leiten.

                                                             Waldburg.


343.

  Bible House.                                           May 12, 1917.

      My dear Mr. Mordtmann,

Before leaving for Europe, Mr. Peet told me of his conversation with
you, and of your willingness to help us in the matter of carrying on
Relief to the poor in the Aleppo District, through our German friends
there, Miss Rohner and Miss Schaeffer.

I should be very glad of an opportunity to talk over this matter
with you, now that I am attempting to carry on Mr. Peet’s work. If
convenient for you, could I call at your home some time soon to see
you? I live near Tokatlian’s Hotel, and so could come in some evening,
if that would be more convenient for you than during the day time.

Trusting that you will be able to see me on this matter,

      Believe me,
          Very truly yours,

                                                          L. R. Fowle.


344.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 14. Mai 1917.
  Ankunft in Pera, den 14. Mai 1917.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Antwort auf Telegramm vom 7. Mai.

Deutsch-armenische Gesellschaft und Direktor Axenfeld mögen etwa zur
Verfügung stehende Notstandsgelder durch die Deutsche Orientbank an
Zollinger, Aleppo, überweisen lassen.

Schwester Rohner hat infolge Erkrankung ihre Arbeit einer Kommission
von Armeniern unter Aufsicht von Zollinger übergeben und zieht sich
nach Marasch zurück.

                                                               Rößler.


345.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                        Aleppo, den 14. Mai 1917.

Euer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage eine
Aufzeichnung des Diplomingenieurs Bünte über Beobachtungen
gelegentlich, einer vom 1. bis 6. April am Chabur ausgeführten
Reise. Es ist kein Zweifel, daß die dort in großen Mengen liegenden
menschlichen Schädel und Gebeine von den Armeniermetzeleien des vorigen
Juli und August herrühren, über die ich zuletzt am 5. September v. J.
berichtet habe[145]. Die aus armenischer Quelle stammenden Erzählungen
der Anlagen jenes Berichtes, welche als eine Stelle, bei der
hauptsächlich die Metzeleien erfolgt seien, Schedadie (Kalat Scheddad)
genannt hatten, finden dadurch ihre Bestätigung.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
   Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


Anlage.

                                             Aleppo, den 11. Mai 1917.

Ich bin in der Zeit vom 1. bis 6. April zusammen mit Herrn Hauptmann
Loeschebrand und Herrn Unteroffizier Langenegger von Buseir am Euphrat
den Chabur hinaufgegangen und fand am linken Ufer große Mengen von
ausgebleichten Menschenschädeln und Gerippen, zum Teil waren die
Schädel mit Schußlöchern. An einigen Stellen fanden wir Scheiterhaufen,
ebenfalls mit menschlichen Knochen und Schädeln. -- Gegenüber der
Kischla Scheddade waren die größten Anhäufungen. Die Bevölkerung sprach
von 12000 Armeniern, die hier allein niedergemetzelt, erschossen oder
ertränkt seien[146].

An dieser Stelle verließen wir den Fluß und fanden auf dem Wege zum
Sindjar keine Spuren mehr.

                                                Bünte,
                                  Diplomingenieur, K. O. Oberleutnant.


346.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 17. Mai 1917.
  Ankunft in Pera, den 18. Mai 1917.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Bitte zu veranlassen, daß das Bibelhaus von jetzt an das Geld an
Zollinger, Aleppo, schickt. Schwester Rohner ist abgereist und zieht
sich endgültig von der Arbeit zurück.

                                                               Rößler.

Notiz. Ich habe den Verwalter der amerikanischen Hilfsgelder (Mr.
Fowle, American Bible-House) unter der Hand verständigt.

                                                            Mordtmann.


347.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                          Pera, den 19. Mai 1917.

Wie der Kaiserliche Konsul in Aleppo meldet, ist die Schwester
Beatrice Rohner, welche bisher die Hilfsaktion für die deportierten
Armenier leitete, infolge Erkrankung nach Marasch zurückgereist und
hat die Arbeit einer Kommission von Armeniern übergeben, die von Herrn
Zollinger kontrolliert wird. Da die Genannte endgültig zurückgetreten
ist, so werden die deutsch-armenische Gesellschaft und die Orient-
und Islamkommission des deutschen Evangelischen Missionsausschusses
gebeten, die von ihnen eventuell zu bewilligenden Hilfsgelder durch die
Deutsche Orientbank an Herrn Zollinger in Aleppo zu überweisen.

Ich bitte gehorsamst, vorstehendes zur Kenntnis der beiden genannten
Vereine bringen zu wollen.

                                                             Waldburg.

  An das Auswärtige Amt, Berlin.


348.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                          Pera, den 19. Mai 1917.

Das hiesige American Bible House, das bisher die amerikanischen
Hilfsgelder für die Türkei verwaltete und verteilte, hofft
bestimmt, daß weder von amerikanischer noch auch von türkischer
Seite der Fortführung des Liebeswerkes, das sich nicht nur auf die
deportierten Armenier erstreckte, sondern auch anderen christlichen
Bevölkerungselementen (Griechen, Syrer etc.) und den Muhammedanern
zugute kam, keine Hindernisse in den Weg gelegt werden. In dieser
Beziehung wird darauf hingewiesen, daß die amerikanische Hilfsaktion
für die notleidende Bevölkerung in Belgien auch nach dem Bruche mit
Deutschland unter neutraler Leitung ihren Fortgang nimmt, und daß
die hiesigen türkischen Behörden und speziell Talaat Pascha sich der
Tätigkeit des Bible House gegenüber bisher wohlwollend verhalten haben.
Übrigens sind seitens des Bible House bereits Verhandlungen angeknüpft
worden, um eventuell, d. h. sobald die amerikanische Regierung die
Verwendung der Hilfsgelder nach der Türkei gestattet und sofern kein
anderer Weg sich bietet, diese über Holland oder Schweden hierher zu
leiten. Im Augenblick verfügt das Bible House noch über genügend Fonds
für etwa zwei Monate und hat hiervon noch in den letzten Tagen u. a.
einen größeren Betrag nach Aleppo überwiesen; bereits vorher hatte
der dortige amerikanische Konsul Jackson bei seiner Abreise den Rest
seiner Hilfsgelder an die Schwester Rohner abgegeben. Die Verwalter
dieser Fonds (Mr. W. W. Peet, der inzwischen am 9. d. M. nach der
Schweiz abgereist ist, und sein Nachfolger, Mr. Fowle) haben unter der
Hand die Bitte ausgesprochen, daß die Kaiserliche Botschaft und die
Kaiserlichen Konsulate in der Provinz ihnen in der bisherigen Weise
die rein geschäftlichen Berichte der im Innern mit dem Hilfswerke
betrauten Personen übermitteln möchten, und ich trage um so weniger
Bedenken, dieser Bitte zu entsprechen, als es sich hauptsächlich um die
Vermittelung der Korrespondenz mit Schweizer Staatsangehörigen, wie z.
B. Schwester Rohner und Hr. Zollinger in Aleppo, handelt.

                                                          v. Kühlmann.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


349.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.

    Telegramm.

                                               Pera, den 23. Mai 1917.

    An Deutsches Konsulat, Aleppo.

Das amerikanische Bibelhaus überwies durch die ottomanische Bank am
15. Mai 3000 t. Pfund. Glauben Sie, daß es zu erreichen wäre, Merrill
oder Martin von Aintab zur Organisation und Kontrolle des Hilfswerkes
nach Aleppo kommen zu lassen? Geschäftliche Nachrichten über Hilfswerk
würden dem Bibelhause erwünscht sein und ihm von der Botschaft unter
der Hand mitgeteilt werden.

                                                             Kühlmann.


350.

      (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 31. Mai 1917.
  Ankunft in Pera, den 1. Juni 1917.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die Organisation, welche Zollinger leitet, ist von Schwester Rohner
geschaffen und so brauchbar als bei der schwierigen Lage möglich.
Meines Erachtens könnten Amerikaner aus Aintab hier nicht von der
Polizei ungestört arbeiten. Durch amtliche Verwendung für diesen Zweck
könnte das ganze Hilfswerk gefährdet werden.

Bitte dem Bibelhaus anheimzustellen, 3000 Pfund türkisch, die am 15.
Mai auf den Namen der Schwester Rohner überwiesen waren, auf Zollinger
überschreiben zu lassen.

                                                               Rößler.



_Juni._


351.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                         Pera, den 15. Juni 1917.

Im Anschluß an den Bericht vom 19. v. M.

Das American Bible House, das bisher die amerikanischen Hilfsgelder
für die Türkei ihrer Bestimmung übermittelte, ist seit Abbruch der
diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Amerika von jeder
Verbindung mit den Geldgebern abgeschnitten. Der bisherige Leiter des
Bible House, Mr. Peet, ist vor einiger Zeit nach der Schweiz abgereist
und hat bisher keine Nachrichten hierher gelangen lassen. Inzwischen
sind die vorhandenen Fonds fast völlig aufgebraucht, und der Betrieb
müßte demnächst eingestellt werden, wenn nicht dem Vertreter des Mr.
Peet neue Kredite eröffnet werden.

Meines Erachtens haben auch wir ein wesentliches Interesse daran, daß
die amerikanischen Geldsendungen nicht unterbrochen werden oder ganz
aufhören.

Ich glaube daher der Bitte des Mr. L. R. Fowle, der den abwesenden
Mr. Peet vertritt, um Beförderung des anliegenden Briefes entsprechen
zu sollen. Gegebenenfalls bitte ich die Antwort des Mr. Peet auf
gleichem Wege hierher gelangen zu lassen wollen; eine tunlichst baldige
Erledigung würde im allseitigen Interesse sein und von den Beteiligten
mit besonderem Dank begrüßt werden.

                                                          v. Kühlmann.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


352.

                                            Berlin, den 20. Juni 1917.

  Seiner Hochwohlgeboren Herrn Geheimrat von Rosenberg,
                                                      Auswärtiges Amt.

In der Anlage überreiche ich Ihnen die Abschrift eines Briefes, der
mir aus Angora zugegangen ist. Ich würde es für gut halten, wenn man
die Türkei doch wissen lassen würde, daß diese Art des Auftretens den
türkischen Interessen in Deutschland schädlich ist.

                                   Erzberger, Mitglied des Reichstags.


353.

  Auswärtiges Amt.                          Berlin, den 25. Juni 1917.

Nach dem auszugsweise hier beigefügten, dem Abgeordneten Erzberger
zugegangenen Schreiben des Dr. David in Angora gibt das Verhalten
der dortigen Behörden gegenüber den katholischen Armeniern
neuerdings zu Besorgnissen Anlaß. Nach Dr. Davids Ansicht ist es
auf Zwangsbekehrungen abgesehen; möglicherweise werden auch neue
Austreibungen beabsichtigt, die sich durch militärische Gründe nicht
würden rechtfertigen lassen.

Euere Exzellenz bitte ich, die türkische Regierung auf die Vorgänge in
Angora aufmerksam zu machen und die Erwartung auszusprechen, daß sie
die dortigen katholischen Armenier vor Zwangsbekehrungsversuchen und
anderen Verfolgungen der Ortsbehörden schützen wird.

                                                           Zimmermann.

  Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter
      Herrn von Kühlmann, Konstantinopel.


Anlage.

                                Angora (Kleinasien), den 3. Juni 1917.

Seit Dezember vorigen Jahres fand sich hier wieder ein armenisch
katholischer Priester, der in vollkommener Freiheit Seelsorge ausüben
konnte. Die Folge war, daß die so hart geprüfte Bevölkerung wieder
aufatmete und neue Lebenshoffnung bekam. Damit ist es nun wieder völlig
vorbei.

Schon im Februar dieses Jahres verleidete man den Armeniern die
Teilnahme an meinem Gottesdienste, indem man während der hl.
Messe in brutalster Weise lärmend mit Polizei und Gendarmerie
eindrang und alle Armenier hinauswies. Seit Pfingsten ist nun auch
dem armenisch-katholischen Priester die Abhaltung öffentlicher
Gottesdienste untersagt. Außerdem finden Vorkehrungen statt, die
nach früheren Erfahrungen und nach ausdrücklicher Versicherung
unterer Polizeiorgane eine neue Exilierung einleiten sollen. Ich
habe allerdings einstweilen noch den Eindruck, es handele sich mehr
darum, die wieder mutiger gewordenen Katholiken einzuschüchtern, ihren
Widerstand gegenüber der Einladung zum Übertritt zum Islam zu lähmen
und die früher in nicht rechtsverbindlicher Form Übergetretenen beim
Islam festzuhalten.

Wie dem auch sei, jedenfalls liegt eine eigentliche religiöse
Verfolgung vor. Jedenfalls kommen Gründe militärischer Art gar nicht in
Betracht, da es sich fast nur um Frauen und Kinder handelt und Angora
zudem soweit als möglich von jedem Kriegsgebiet entfernt liegt.

                                 Dr. David, Feldgeistlicher in Angora.



_Juli._


354.

  (Auswärtiges Amt.)                         Berlin, den 1. Juli 1917.

    Telegramm.

    An Deutsche Gesandtschaft, Bern.

Bitte Herrn Peet, Genf, mitzuteilen: Wie die Botschaft Konstantinopel
drahtet, hat das amerikanische Bibelhaus, da seine Mittel erschöpft
sind, die Geldüberweisungen nach dem Innern eingestellt. Dringende
Gesuche um Unterstützung aus den amerikanischen Hilfsgeldern sind
gerade in den letzten Tagen durch das Konsulat Aleppo eingegangen.

                                                           Zimmermann.


355.

      Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.                          Pera, den 9. Juli 1917.

Auf Erlaß vom 25. Juni[147].

Auf Wunsch des Dr. David in Angora bin ich bereits im Monat Mai bei
der Pforte in der Angelegenheit der katholischen Armenier vorstellig
geworden.

Der Vertreter des Vereins vom heiligen Lande, Herr Dr. Schade, hat mir
einen Auszug verschiedener Briefe Dr. Davids zur Verfügung gestellt;
aus einem vom 13. Juni (also 10 Tage nach Abgang des Briefes an Herrn
Erzberger) datierten Schreiben ist folgende Stelle zu entnehmen:
„Vorige Woche kam mir eine telegraphische Weisung des Ministeriums
zur Sicht, in der kategorisch dem hiesigen Wali untersagt wird, die
Katholiken zu deportieren, selbst falls dafür Gründe vorlägen, und
aufgegeben wird, weitere Weisungen abzuwarten. Ich denke, daß dies
eine Wirkung der von der Botschaft unternommenen Schritte ist. Man
beschränkt sich seither auf Maßnahmen gegen solche, die früher einmal
zum Islam übergetreten waren, und scheint sich damit zufrieden zu
geben, wenn sie sich im Gefängnis bereit erklären, in Zukunft türkische
Tracht zu tragen.“

Aus weiteren Stellen der erwähnten Briefe geht hervor, daß in Angora
unter den armenischen Katholiken große Beunruhigung besteht. Bei der
nun einmal hier herrschenden Willkür ist es nicht ausgeschlossen,
daß gewisse Übergriffe von Zeit zu Zeit erfolgen werden. Immerhin ist
die Regierung zweifellos gewillt, ein schärferes Vorgehen gegen die
armenischen Katholiken zu vermeiden. Dr. Schade erhält mich fortgesetzt
auf dem Laufenden über die Verhältnisse in Angora. Ich werde nicht
verfehlen, die Angelegenheit im Auge zu behalten und nötigenfalls die
hiesige Regierung auf die Vorgänge in Angora aufmerksam zu machen.

                                                          v. Kühlmann.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn von Bethmann Hollweg.


356.

  Deutsche Evangelische
      Missionshilfe.               Berlin-Steglitz, den 14. Juli 1917.

    An das Auswärtige Amt, Berlin.

Als Vorstandsmitglied der Deutschen Blindenmission im Orient ging mir
von dem Leiter unseres Blindenheims in Malatia, Ernst J. Christoffel,
ein Brief vom 26. März d. J. zu, der die Anschauung des Herrn
Christoffel über die Lage und Zukunft der Armenier in Kleinasien
enthält. Ich erlaube mir, denselben in Abschrift zur Kenntnisnahme
vorzulegen, ohne zu den Mitteilungen Stellung zu nehmen.

                                  A. W. Schreiber,
                   Direktor der Deutschen Evangelischen Missionshilfe.


Anlage.

  Bericht des Herrn J. Christoffel, Vorsteher des Blindenheims Malatia,
  über die Lage der Armenier, an Pastor G. Stoevesandt, Berlin.

                                           Malatia, den 26. März 1917.

Ich benutze eine günstige Gelegenheit, um Nachricht zu geben. In der
Hauptsache die Lage der orientalischen Christen Betreffendes.

Die Verluste des armenischen Volkes seit der Verschickung Sommer 1915
bis heute übersteigen 1 Million. Ein Teil wurde in den Gefängnissen,
nach fürchterlichen Folterqualen, getötet. Von Frauen und Kindern
starben die meisten auf dem Wege in die Verbannung, an Hunger, Seuche
und Mord. Auf Einzelheiten kann ich nicht eingehen. Sollte A. K.
Gelegenheit haben, Sie zu sehen, so kann er mehr oder weniger meine
nackten Sätze illustrieren.

Ein kümmerlicher Rest der Verschickten fristet in den Ebenen Syriens
und Nordmesopotamiens ein elendes Dasein und wird durch Seuchen und
Zwangsbekehrungen täglich kleiner. Männer sind nur vereinzelt übrig
geblieben. In den Städten Anatoliens befindet sich noch eine Anzahl
Versprengter, Geflüchteter, die aber meistens zum Islam übergetreten
sind. Neben den Zwangsbekehrungen, die in Massen stattfanden, stand als
ein anderes charakteristisches Zeichen die Massenadoption armenischer
Kinder. Es handelt sich da um viele Tausende. Sie werden künstlich zu
fanatischen Muhammedanern gemacht. Das Morden hat nachgelassen, aber
der Vernichtungsprozeß hat nicht aufgehört, hat nur andere Formen
angenommen.

Den Leuten ist alles geraubt worden. Eigentum, Familie, Ehre,
Religion, Leben. Im Herbst 1915 kam für die protestantischen und
katholischen Armenier, wahrscheinlich auf Veranlassung der deutschen
und österreichischen Botschaft, ein Gnadenerlaß heraus, der diese vor
der Verschickung bewahren und sie in Besitz ihres Eigentums lassen
sollte. Er war nur wie ein Schlag ins Wasser. Meistenteils wurde er
unterdrückt, bis die protestantischen Männer getötet waren, und auch
für die Frauen und Kinder hatte er kaum praktische Bedeutung.

Vom Schwarzen Meer bis nach Syrien ist die Predigt des Evangeliums
verstummt, ausgenommen in den deutschen Anstalten. Die protestantischen
Gemeinden sind vernichtet. Ihre Prediger, bis auf einzelne Ausnahmen
(vielleicht 4 bis 5), getötet. Ihre Kapellen und Schulen weggenommen,
geschändet oder zerstört. Dasselbe gilt von den katholischen und
altarmenischen Gemeinden.

Den armenischen revolutionären Kreisen die Verantwortung zuzuschieben,
ist ein Unsinn. Die haben vom türkischen Standpunkt aus gefehlt, nicht
so vom armenischen aus. Die Nation als solche war nicht schuldig. Das
weiß die türkische Regierung so gut wie jeder in diesem Lande. Für
uns deutsche Missionare ist es unsagbar schwer, daß Deutschland von
Christen und Muhammedanern als der Urheber der Greuel angesehen wird.
Die Ansicht wird von türkischer Seite genährt und gestärkt. Bleibt
dieser Vorwurf auf Deutschland haften, dann wird er auf Jahrzehnte
hinaus das größte Hindernis deutscher Mission sein, sowohl den Christen
wie den Muhammedanern gegenüber. Nachrichten aus türkischen oder
turkophilen Kreisen sind entweder glatt abzulehnen oder mit größtem
Mißtrauen zu behandeln. Wenn jemals diese Verfolgung untersucht werden
sollte, so müßte von deutscher Seite darauf gedrungen werden, daß damit:

1. Unparteiische, unabhängige Männer beauftragt würden, die auch
Verständnis für die religiöse Seite der Frage haben.

2. Den Armeniern, die zwangsweise zum Islam bekehrt wurden, muß
Gelegenheit gegeben werden, den Übertritt rückgängig zu machen, und
zwar dieses, ohne daß sie für Leib und Leben zu fürchten haben.

3. Die Verwandten derjenigen Kinder, die in muhammedanischen Häusern
weilen, müssen das Recht haben, dieselben zurückzufordern.

4. Die gottesdienstlichen und Schulgebäude müssen zurückgegeben werden.

5. Das immobile Eigentum muß zurückgegeben oder der Wert ersetzt werden.

6. Den Armeniern muß die Auswanderung erlaubt sein.

7. Der christliche Gottesdienst darf nicht verhindert werden.

Wir deutschen Missionare hier im Innern können nicht viel mehr tun,
als das unsagbare Leid der orientalischen Christenheit, mehr oder
weniger passiv, mitzutragen. Aktivität aber ist Sache der deutschen
evangelischen Christenheit und bei den deutschen evangelischen
Missionskreisen.

Ich bin überzeugt, wenn man die Wahrheit wüßte, würde ein einziger
Schrei der Entrüstung durch unser Volk gehen. Es ist kein Zweifel, das,
was dem armenischen Volke angetan wurde und noch angetan wird, ist das
größte Verbrechen der Weltgeschichte. Wird das Volk der Reformation die
gänzliche Vernichtung einer christlichen Nation als gegebene Tatsache
hinnehmen? Wird die deutsch-evangelische Kirche, die in diesem Jahr
ihre Reformationsjahrhundertfeier begehen will, kein Wort des Protestes
dafür haben, daß hier eine Schwesterkirche von sadistischen Fanatikern
zerstört wurde? Das wäre nicht deutsch, nicht christlich.

Bitte machen Sie von meinem Brief Gebrauch, wo Sie können. Womöglich
lassen Sie auch Exzellenz Dryander Einsicht nehmen.

Gott aber, der Herr der Kirche, wolle Sie in allem leiten!

Und dann noch eins: Wir brauchen materielle Hilfe, und wieder Hilfe und
nochmals Hilfe. Es stehen missionarische Güter von höchstem Wert auf
dem Spiel.

                                                 Ernst J. Christoffel.


357.

      (Kaiserlich
  Deutsche Gesandtschaft.)

    Telegramm.

                                              Bern, den 24. Juli 1917.

    An Auswärtiges Amt.

M. Léopold Favre (Genf) hat mir einhunderttausend Franks ausgehändigt
für Hilfswerk im Innern.

Er bittet, diese Summe Mr. Fowle in Konstantinopel zur Verfügung zu
stellen.

                                                              Romberg.


358.

    (Kaiserliches
  Konsulat Aleppo.)

    Telegramm.

  Abgang aus Aleppo, den 31. Juli 1917.
  Ankunft in Berlin, den 2. August 1917.

    Der Kaiserliche Konsul an Auswärtiges Amt.

Für Dr. Andreas Vischer, Basel:

Ich habe zweitausend Franks erhalten. Geber sollten diesen Betrag
lieber für Waisenkinder in Aleppo bestimmen, anstatt für Tokatleute.
800 Kinder sollen morgen mangels Brot aus armenischer Kirche auf die
Straße gesetzt werden.

Große Summen wären zu wirksamer Hilfe erforderlich. Letzte Zuwendungen
für Kinderheim waren ganz unzureichend. Drahtantwort.

                                                               Rößler.



_August._


359.

  Auswärtiges Amt.                         Berlin, den 7. August 1917.

    An Deutsche Gesandtschaft, Bern.

Unter dem 4. d. M. ist der Kaiserliche Geschäftsträger in
Konstantinopel angewiesen worden, Herrn Fowle den Gegenwert von 100000
Franks gleich 6987,5 türkische Pfand auszuzahlen. Bitte, Herrn Favre
hiervon zu verständigen.

                                                  Frhr. v. d. Bussche.


360.

  Niederschrift über den Gang der Besprechung zwischen dem
  Generalissimus der türkischen Armee in Syrien, Djemal Pascha, und
  Missionsdirektor D. Axenfeld, Direktor A. W. Schreiber und Oberlehrer
  Sommer, zu Berlin.

                                     Hotel Adlon, den 28. August 1917.

Nach freundlicher Begrüßung durch Exzellenz Djemal Pascha eröffnete die
in französischer Sprache geführte Besprechung

D. Axenfeld. Er dankte für die Gewährung der Unterredung und gab der
Sympathie aller Deutschen für die tapferen türkischen Bundesgenossen
Ausdruck. Namens der Sr. Exzellenz bekannten deutschen evangelischen,
Liebesarbeiten im Orient dankte er auch für den Schutz und die
mannigfache Förderung dieser dem Wohle der notleidenden türkischen
Bevölkerung dienenden Unternehmungen, so der Arbeit der Kaiserswerther
Schwestern in Jerusalem, Beirut und Aleppo und des deutschen
Hilfsbundes in Aleppo und Marasch (Schwester Beatrice Rohner, Schwester
Paula Schäfer, Herr Blank). Die Not, namentlich bei den Armeniern,
übersteige aber unsere Hilfskräfte und wecke unser tiefstes Mitleid.
Wir seien Deutsche, und darum sei es selbstverständlich, daß wir
loyale Freunde der Türkei seien. Aber wir seien auch Christen. Wie es
ein muslimisches Gemeingefühl gäbe, so hätten auch wir Christen ein
herzliches Mitgefühl mit allen unseren Mitchristen, zumal wenn sie sich
in Not und Anfechtung befänden. Es gehe ein tiefer Schmerz durch die
Kreise der deutschen Christen wegen des Geschickes der Armenier. Er
erlaube sich daher die sehr herzliche Bitte um Hilfe für die Notstände,
an deren Linderung die deutschen Liebeswerke arbeiten, namentlich um
Gewährung von Nahrungsmitteln für die Frauen und Kinder.

Djemal Pascha dankt für den Besuch, sowie den Ausdruck der Sympathie
für die Türkei und spricht seine „Anerkennung der geäußerten edlen
religiösen Gefühle und seine volle Übereinstimmung mit den bekundeten
menschenfreundlichen Gesinnungen“ aus. Diese Übereinstimmung werde
aber nicht widerlegt durch die Stellung, die die Türkei gegen die
Armenier eingenommen habe. Ihnen gegenüber habe es sich nicht um eine
religiöse, sondern um eine politische Frage gehandelt. Die Türkei
habe einem Manne geglichen, der von allen Seiten überfallen wird
und in der höchsten Lebensnot zu den äußersten Mitteln greifen muß.
In jedem Lande ginge ferner die Bevölkerung, zumal in Zeiten der
Erregung, leicht über strenge Maßnahmen der Regierung noch hinaus
und ließe sich zu Ausschreitungen hinreißen, die nicht zu billigen
seien, so in der Türkei besonders die Kurden. Gegen die Armenier sei
die türkische Regierung nicht vorgegangen, weil sie Christen, sondern
weil sie Armenier waren, und der Bestand des Staates gefährdet war.
Gegen Araber würde im gleichen Fall ebenso verfahren. Im übrigen
wären in seinem Bezirke, dank seines starken persönlichen Einflusses,
keine Ausschreitungen gegen Armenier erfolgt. Aber nicht jeder
Oberbefehlshaber könne einen so starken Einfluß ausüben.

Auf die Frage, ob seine Ausführungen deutlich gewesen und verstanden
worden seien, erwiderte

D. Axenfeld: Ich habe die Ausführungen Euerer Exzellenz wohl
verstanden. Mir liegt aber Ihnen gegenüber sehr daran, festzustellen,
daß wir nicht gekommen sind, um zu tadeln oder anzuklagen, sondern
nur, um in loyaler Gesinnung Hilfe zu erbitten für Notleidende. Diese
hungernden Frauen und Kinder können der Türkei nicht gefährlich sein.
Es handelt sich um ein Werk der rein menschlichen Barmherzigkeit.

Djemal Pascha: Dem kann ich nur beistimmen. Ich bin gern bereit,
in jeder Beziehung Ihre Arbeiten zu unterstützen und unentgeltlich
Lebensmittel zu gewähren. Schreiben Sie Ihren Freunden in Aleppo und
Marasch, in Jerusalem und Beirut und anderen Orten, daß sie ihre Bitten
mir vorlegen. Ich werde reichlich helfen und auch in anderen Bezirken
meinen Einfluß geltend zu machen suchen.

Oberlehrer Sommer dankt in türkischer Sprache für die bisherige Hilfe
und die freundliche Zusage der freien Gewährung von Lebensmitteln.
Da die Hungersnot sehr empfindlich und Getreide auf dem offenen
Markt nicht zu haben sei, bittet er besonders um Gewährung von
Getreide aus den staatlichen Vorräten. Es sei dieses eine reine
Menschlichkeitsfrage; auch in unseren Anstalten, besonders den
Krankenhäusern, werde Christen und Muhammedanern die gleiche Hilfe
zuteil.

Djemal Pascha, ebenfalls in türkischer Sprache: Das ist auch meine
persönliche Stellung. Ich mache keinen Unterschied zwischen Christen
und Muhammedanern. Das Wohl aller Osmanen liegt mir am Herzen. Der
Grundsatz der Toleranz ist mir sehr sympathisch. Ihre Bitten will ich
gerne gewähren.

                                        D. Axenfeld.        Schreiber.



_Oktober._


361.

  Deutsche Evangelische
      Missionshilfe.            Berlin-Steglitz, den 24. Oktober 1917.

    An das Auswärtige Amt, Berlin.

Herr Dr. Greenfield, der stellvertretende Vorsitzende der
Deutsch-Armenischen Gesellschaft, schickt mir einen Brief von Agathon
Bey, dem Sekretär von Nubar Pascha. Der Brief ist die Antwort auf
eine von Dr. Greenfield gerichtete Anfrage betreffend die zeitweilige
Stockung in der Überweisung von Unterstützungen für die Armenier, die
glücklicherweise seit Mitte August wieder aufgehoben ist. Agathon Bey
fragt an, wie von ihm gesammelte Kleidungsstücke am besten an Konsul
Rößler in Aleppo geschickt werden. Dr. Greenfield gibt mir diese
Anfrage weiter, die ich hierdurch dem Auswärtigen Amt mit der Bitte um
Beratung vorlege.

                                   A. W. Schreiber,
                   Direktor der Deutschen Evangelischen Missionshilfe.



_November._


362.

    Telegramm.

                                         Berlin, den 6. November 1917.

    An Deutsche Botschaft, Pera.

Funkspruch Lyon 3. 11. 1917 meldet: Rußland. Das armenische Heer,
Tiflis: Das armenische Heer, dessen Aufstellung von der provisorischen
Regierung Rußlands verfügt worden ist, beginnt sich zu organisieren.
Dieses Heer wird in kurzer Zeit 150000 Mann stark sein und setzt sich
nur aus Armeniern russischer Untertanenschaft zusammen, welche sonst
an anderen Fronten standen und nun für die Befreiung Armeniens von der
Türkei kämpfen werden. Die armenischen Freiwilligen-Legionen werden
wie früher ein Korps für sich bilden, welches Seite an Seite mit dem
oben erwähnten russisch-armenischen Heere kämpfen wird. Der Kommissar
der provisorischen Regierung Rußlands, Kharlawoff, wohnte einer Parade
über die Truppen bei und erklärte ihnen im Auftrag der Regierung: „Es
ist die heilige Pflicht der russischen Demokratie, den Armeniern zur
Erlangung ihrer alten politischen Wünsche beizustehen. Eine Folge
unseres Sieges wird die Befreiung Armeniens sein.“



_Dezember._


363.

  Sozialdemokratische Partei
        Deutschlands.                    Berlin, den 7. Dezember 1917.
     Der Parteivorstand.

Das holländisch-skandinavische Komitee, die derzeitige Vertretung
der Sozialisten der neutralen Länder in Stockholm, übersendet uns
eine ihm von armenischer Seite zugegangene Mitteilung über eine
angeblich geplante neue Deportation von Armeniern nach wüsten Gegenden
Mesopotamiens. Wir fügen die betreffende armenische Mitteilung in der
uns übermittelten Fassung bei.

Das holländisch-skandinavische Komitee ersucht uns, bei der Deutschen
Regierung zu intervenieren, in der Hoffnung, daß es durch Einwirkung
auf die türkische Regierung gelingen würde, Tausende Frauen und Kinder
zu retten.

Wir unterbreiten Ihnen die Angelegenheit und bitten, Ermittelungen
darüber anzustellen, ob die Behauptungen den Tatsachen entsprechen.

                                   Ergebenst

            Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
                        Hermann Müller, Reichenbach, M. d. R.

  An das Auswärtige Amt, Hier.


364.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                        Berlin, den 10. Dezember 1917.

    An Deutsche Botschaft, Pera.

Durch die deutsche sozialdemokratische Partei hat das
holländisch-skandinavische Komitee, welches die Sozialisten neutraler
Länder vertritt, unsere Intervention bei der türkischen Regierung
erbeten, damit angeblich geplante neue Armenierverschickungen aus
Konia und Aleppo und Umgegend unterbleiben.

Bitte bei dortiger Regierung festzustellen, ob der in letzter Zeit
mehrfach von feindlicher Presse erwähnte Verschickungsplan tatsächlich
besteht und gegebenenfalls dringend von Ausführung abzuraten.

                                                             Kühlmann.


365.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                Konstantinopel, den 11. Dezember 1917.

    An Auswärtiges Amt.

Antwort auf Telegramm vom 10. Dezember.

Großwesir bittet kategorisch zu dementieren, daß neue Deportierung von
Armeniern erfolge.

Vertraulich fügte er hinzu, er habe die Absicht, wenn es zum
Separatfrieden mit Rußland komme, einen allgemeinen Gnaden- und
AmnestieerlaB für Armenier nebst Geldbewilligung zu veröffentlichen.
Jeder deportierte oder gefangene Armenier solle frei hingehen können,
wohin er wolle, und mit Geld unterstützt werden. Die Finanzfrage habe
er -- Talaat Pascha -- bereits mit Djavid Bey erörtert.

                                                           Bernstorff.


366.

    Kaiserlich
    Deutsche Botschaft.          Pera, den 16. Dezember 1917.

Der armenisch-katholische Patriarch, Monseigneur Terzian, hat mir
kürzlich die in der Anlage beigefügte Übersicht über den Bestand der
armenisch-katholischen Gemeinden in den von den Armenierverfolgungen
betroffenen Bezirken in Kleinasien und Ostanatolien übergeben.

Danach zählten diese Gemeinden vor dem Kriege rund 70000 Seelen mit 157
Geistlichen und 128 Ordensschwestern; hiervon sind:

  1. an Ort und Stelle
     verblieben       16360 (23,37 %) 21 Geistliche, 24 Ordensschwestern
  2. ausgesiedelt:
     a) an anderen Orten
        angesiedelt   13050 (18,64 %) 37     „       56        „
     b) verschollen   40590 (57,99 %) 99     „       48        „
                     ---------------------------------------------------
                      70000          157     „      128        „

Unter den Verschollenen dürfte sich ein, wenn schon geringer
Prozentsatz von solchen finden, die sich zurzeit noch versteckt halten
oder zum Islam übergetreten sind; anderen dürfte es gelungen sein, nach
Rußland oder Persien zu flüchten. Von der Mehrzahl kann jedenfalls
angenommen werden, daß sie durch Krankheiten und Entbehrungen und auf
gewaltsame Weise ums Leben gekommen ist. Am schlimmsten betroffen sind
die Gemeinden Diarbekr, Trapezunt, Siwas, Tokat, Harput, Kaisarieh,
Musch und Malatia. Sämtliche Verschickte sind aber durch die mit der
Aussiedelung verbundenen Vermögenskonfiskationen um ihr gesamtes Hab
und Gut gekommen.

                                                           Bernstorff.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn Grafen von Hertling.



1918



_Februar._


367.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                          Berlin, den 8. Februar 1918.

    An Deutsche Botschaft, Pera.

Deutsche Armenierfreunde sind durch Meldung der Milli-Agence
vom 4. Februar über armenische Greuel lebhaft beunruhigt. Sie
bezweifeln Richtigkeit dieser Meldungen und befürchten türkische
Vergeltungsmaßnahmen.

Euere Exzellenz bitte ich, bei der dortigen Regierung bei jeder sich
bietenden Gelegenheit mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen: Es
ist im eigensten Interesse der Türkei durchaus notwendig, bei dem
Vormarsch der Kaukasusarmee die strengste Disziplin zu halten, von
allen Vergeltungsmaßregeln abzusehen und lediglich diejenigen Armenier
den Gerichten zur Bestrafung zu übergeben, die an Verbrechen gegen die
muselmanische Bevölkerung teilgenommen haben.

Für die Türkei, und zwar auch für ihr Verhältnis zu den Bundesgenossen
müßte eine Wiederholung der türkischen Armeniergreuel die schwersten
Folgen haben. Erbitte Drahtbericht über die Aufnahme Ihrer
Vorstellungen.

                                                Freihr. v. d. Bussche.


368.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                 Konstantinopel, den 10. Februar 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Antwort auf Telegramm vom 8. Februar.

Bereits mehrfach habe ich mich im Sinne der Weisungen Euerer Exzellenz
ausgesprochen, insbesondere General v. Seeckt gebeten, dafür zu sorgen,
daß nicht etwa militärischerseits Repressalien angeordnet werden. Auch
Halil werde ich energisch auf mögliche Folgen aufmerksam machen. Da
hierzulande nur ein Mann Autorität besitzt, nämlich Talaat Pascha,
dürfte es sich daher empfehlen, schon jetzt vor seiner Abreise aus
Brest oder Berlin auf ihn einzuwirken.

                                                           Bernstorff.


369.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                           Pera, den 11. Februar 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Im Anschluß an Telegramm vom 10. Februar.

Auf meine Vorstellungen antwortete mir Halil Bey, daß sehr strenge
Befehle erlassen wären, um Repressalien wegen der armenischen Banden
zu verhindern. Ich erinnerte den Minister an das Versprechen des
Großwesirs, nach Abschluß des Friedens mit Rußland eine armenische
Amnestie zu erlassen, und sagte ihm, jetzt sei dazu der Moment
gekommen, worin mir Halil Bey zustimmte. Ich darf annehmen, daß der
Herr Staatssekretär Gelegenheit gehabt haben wird, Talaat Pascha
in unserem Sinne zu beeinflussen, da mir Halil Bey sagte, daß der
Großwesir die Frage mit Trotzki besprochen hätte.

                                                           Bernstorff.


370.

           Orient- und Islam-Kommission
  des Deutschen Evangelischen Missions-Ausschusses.

                                         Berlin, den 11. Februar 1918.

      Euer Exzellenz

bitte ich als Vorsitzender der Orient- und Islam-Kommission des
Deutschen Evangelischen Missionsausschusses unsere ernste, neuerdings
aufs höchste gesteigerte Sorge um das Geschick des armenischen Volkes
gehorsamst vortragen zu dürfen, wie ich mich in gleicher Angelegenheit
wiederholt an Euer Exzellenz Herrn Amtsvorgänger habe wenden dürfen.

Wenn schon im Januar d. J. die durch die Verhandlungen in Brest-Litowsk
eröffnete Aussicht auf Wiederbesetzung des von den Russen eroberten
Teils von Türkisch-Armenien durch die Türken die Gefahr neuer,
schlimmer Ausschreitungen nahelegte, so läßt die vom Wolffschen Büro
am 4. Februar mitgeteilte Meldung der Agence Milli für die nächste
Zeit Vorgänge befürchten, die alles, was schon während dieses Krieges
an Greueln bekannt wurde, unter Umständen weit hinter sich lassen
können. Wenn es wahr ist, daß nachdem die russischen Truppen von ihrer
dortigen Front abgezogen sind, die armenischen Kadres des russischen
Heeres aber, verstärkt durch armenische Freischärler von türkischer
Seite, um ihre Landsleute nicht wehrlos in die Hände der nach den
früheren Erlebnissen nicht ohne Grund gefürchteten Türken fallen zu
lassen, sich selbständig zur Wehr gesetzt, die armenische Republik
erklärt, und bereits an türkischer Bevölkerung, die ihnen erreichbar
war, Racheakte verübt haben, so ist nicht nur zu erwarten, daß die
Türken bei der Niederwerfung dieses verzweifelten, in letzter Stunde
gewagten armenischen Freiheitskampfes mit schonungsloser Grausamkeit
vorgehen werden, sondern es ist auch die Lage der noch in Anatolien
und Syrien lebenden Armenier aufs neue und sehr ernstlich gefährdet.
Aber selbst wenn die armenische Bevölkerung im türkischen Machtbereich,
eingeschüchtert durch ihre furchtbaren Erlebnisse in den letzten
Jahren, sich gänzlich loyal verhält, so ist nicht anzunehmen, daß ihre
muslimische Umwelt ihnen das glauben wird. Auf beiden Seiten sind von
der Vergangenheit her Verbitterung, Rachsucht und Mißtrauen jetzt
so hoch gehäuft, daß schon ein grundloses Gerede genügen könnte, um
Ausbrüche der Volkswut auszulösen. Sind aber solche Exzesse erst an
einigen Stellen vorgekommen, so ist das Unheil unter Umständen nicht
mehr aufzuhalten, und das Ende kann die fast völlige Ausrottung des
armenischen Volkes werden.

Diese unsere Sorgen wären selbst in dem Falle begründet, daß die
türkische Regierung jetzt den ernstlichen Willen hätte, Ausschreitungen
zu verhüten, wie auch wir hofften neuerdings voraussetzen zu dürfen.
Aber die erwähnte Meldung der Agence Milli spricht leider stark
für das Gegenteil. Kam es der türkischen Regierung nur darauf an,
militärische Maßnahmen über die Waffenstillstandsgrenze hinaus zur
Pazifizierung ihres früheren Gebietes im voraus vor der Öffentlichkeit
Europas zu rechtfertigen, so genügte dazu der Hinweis auf den dem
Waffenstillstandsvertrag zuwiderlaufenden Abzug der russischen Truppen
und auf das Auftreten irregulärer armenischer Banden. Wenn sie statt
dessen in jener Meldung sich über die an Türken verübten armenischen
Gewalttaten, die, so verabscheuenswert sie sind, nicht ein Tausendstel
dessen ausmachen, was während dieses Krieges Türken an Armeniern
begangen haben, ausführlich ergeht, so kann ihr die Wirkung solcher
Schilderung auf die muselmanische Bevölkerung des eigenen Landes nicht
unbewußt gewesen sein. Dazu kommt, daß in der durch die Agence Milli
unter dem 5. Februar mitgeteilten Rede von Halil Pascha die Worte,

    „Wir weisen noch einmal alle Vorschläge oder Ratschläge, die uns
    von welcher Seite auch immer in Form einer Einmischung in unsere
    inneren Angelegenheiten zugehen, entschieden zurück.“

nach dem Zusammenhang und nach ihrer Betonung auffallen. Ist denn die
Selbständigkeit der Türken in ihren inneren Angelegenheiten durch
irgendwen außer durch die Ententemächte bedroht? Oder soll hier im
voraus einem Einspruch auch der Bundesgenossen, den zu befürchten man
allen Grund hat, ein Riegel vorgeschoben werden?

Ich bitte, das Mißverständnis, als sei diese meine ehrerbietige
Vorstellung aus unfreundlicher, illoyaler Gesinnung gegen unsere
osmanischen Bundesgenossen geflossen, völlig ausschließen zu
dürfen. Die zu der von mir geleiteten Orient- und Islam-Kommission
gehörigen evangelischen Missionen und Liebeswerke verfolgen
rein religiös-charitative Ziele. Unsere Instruktion bildet der
supranationale Missionsbefehl Jesu. Wir dienen den Völkern, zu denen
wir uns gesandt wissen, mit dem Evangelium und sind überall der
bestehenden Obrigkeit untertan. Als einen verhängnisvollen Mißgriff
müßten wir es verurteilen, wenn eine Mission ein unterworfenes Volk
zum Freiheitskampf verleiten, oder in ihm bestärken oder unterstützen
wollte. Als Einzelne verfolgen wir die politischen Ziele unseres
deutschen Vaterlandes, als Missionsarbeiter im fremden Lande kennen
wir politische Ziele nicht. Uns treibt allein christliches Erbarmen,
dieses aber ist ebenso der muselmanischen Bevölkerung zugewandt,
wie der armenischen. Wir können den Untergang eines altchristlichen
Volkes durch fremde und eigene Schuld nicht teilnahmslos mit ansehen,
wissen auch wohl, daß die Türkei durch seine Ausrottung sich selbst
den größten Schaden zufügt, und dürfen auch nicht gleichgültig bleiben
gegenüber dem ungeheuren Ärgernis, mit dem dadurch der deutsche Name in
aller Welt belastet wird.

Von allen Verleumdungen, die gegen Deutschland erhoben sind, hat nach
unserer Kenntnis keine eine so unheilvolle Dauerwirkung erlangt,
wie die, daß Deutschland der verborgene Anstifter der armenischen
Greuel sei. Man geht im Auslande von der irrigen Voraussetzung
aus, daß Deutschland, was es wollte, bei der Türkei habe erreichen
können, ist auch beeinflußt durch türkische Äußerungen, die ohne
Scheu ihre Maßnahmen auf deutschen Befehl zurückführen, und durch die
unseligen Ableugnungen des tatsächlich Geschehenen seitens deutscher
Türkenfreunde, die, wie man im Auslande richtig sieht, dadurch die
türkische Regierung gegen die Vorwürfe der übrigen Welt unempfindlich
machen und in ihrer Armenierpolitik bestärken. Die Überzeugung von der
Verantwortlichkeit Deutschlands für die Behandlung der Armenier durch
die Türken ist tatsächlich in der neutralen und feindlichen Welt so
weit verbreitet und hat so tief gewurzelt, daß auch die Empörung, die
über neuerliche Massakres ausbrechen müßte, in erster Linie wieder
Deutschland zur Last fallen würde. Es kann somit die Frage ihrer
Verhütung nicht lediglich als eine innere Angelegenheit der Türkei
angesehen werden, die Deutschland außer Betracht zu lassen hätte.

Wie aber die politische Leitung Deutschlands deswegen angegriffen wird,
so erregt es in der außerdeutschen Christenheit auch Ärgernis, daß, wie
man meint, wir deutsche Christen und besonders die Missionskreise zu
dem allen gewissenlos stillschweigen. Neue Greuel müssen daher auch den
Riß in der Christenheit noch weiter vertiefen.

Aus all diesen Gründen bitte ich inständigst und gehorsamst, mit allen
überhaupt in Frage kommenden Mitteln auf die türkische Regierung
einzuwirken, daß sie die Maßnahmen gegenüber den armenischen
Insurgenten in den Grenzen des Unerläßlichen halte und an ihrem Teil
Ausschreitungen allerwärts ernstlich zu verhüten suche.

                                   D. Karl Axenfeld, Missionsdirektor.

       Dem Kanzler des Deutschen Reiches
  Herrn Grafen von Hertling, Exzellenz, Berlin.


371.

  Auswärtiges Amt.                       Berlin, den 14. Februar 1918.

Dem Kaiserlichen Botschafter Herrn Grafen von Bernstorff, Exzellenz,
Pera, zur gefälligen Kenntnis ergebenst übersandt.

                                                Freihr. v. d. Bussche.



_März._


372.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                             Berlin, den 2. März 1918.

    An die Deutsche Botschaft, Pera.

Bei künftigen Friedensverhandlungen mit den Westmächten werden diese
unzweifelhaft die Armenierfrage zur Sprache bringen und versuchen,
möglichst weitgehende Autonomie ostanatolischer Wilajets durchzusetzen.
Gegenüber solchen Versuchen wird Lage der Türkei günstiger sein,
wenn sie schon vor Eintritt in Verhandlungen greifbare Beweise dafür
gegeben hat, daß sie entschlossen ist, den christlichen ebenso wie
den muhammedanischen Bewohnern dieser Provinzen eine gleichmäßige,
milde und gerechte Behandlung angedeihen zu lassen und ihnen beim
Wiederaufbau des durch die Kriegsereignisse Zerstörten behilflich zu
sein.

Die Wiederbesetzung des Gebiets vollzieht sich unerwartet schnell. Nach
den letzten Nachrichten ist mit baldiger Einnahme Erzerums zu rechnen.
Sobald dies geschehen, dürfte die Zeit gekommen sein, um die Armenier,
die noch die Waffen tragen, zu freiwilliger Unterwerfung aufzufordern
und ihnen für diesen Fall Straflosigkeit und freie Rückkehr in ihre
Wohnsitze zu gewähren. Abgesehen davon, daß auf diese Weise weitere
vielleicht schwierige Kämpfe vermieden würden, kann nur so der
Anfang dazu gemacht werden, dortige Armenier, die unentbehrliches
wertvolles Bevölkerungselement dieser Provinzen darstellen, wieder
zu loyalen Untertanen der Türkei zu erziehen. Weiter müßten die
geplanten finanziellen Beihilfen zum Wiederaufbau der Dörfer und zur
wirtschaftlichen Wiederaufrichtung der Wilajets gleichzeitig Christen
und Muhammedanern zugute kommen. Auch würde sich empfehlen, die
Rückführung der ins Innere des Reichs verbannten armenischen Bewohner
in Aussicht zu nehmen.

Außerdem würde es die Stimmung weiter und einflußreicher Kreise
günstig beeinflussen, wenn die türkische Regierung den deutschen
Missionsanstalten, die früher unter Armeniern gewirkt haben, gestatten
wollte, Vertreter an Ort und Stelle zu entsenden, um unter der
Bevölkerung, ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses, Wohltätigkeit
zu üben.

Fast ebenso wichtig wie die Behandlung der Armenier ist die der
Griechen. Bei jetziger Lage besteht kein Grund mehr, die weggeführte
griechische Bevölkerung der Küstendistrikte des Schwarzen Meeres von
dort fern zu halten. Ihre baldige Zurückführung würde einzuleiten sein.

Euere Exzellenz bitte ich, in Ihren Besprechungen mit dem Großwesir,
mit dem Minister des Äußern und auch Enver Pascha diesen Gedankengang
zu entwickeln und über die Aufnahme Ihrer Vorstellungen zu berichten.

                                                        v. d. Bussche.


373.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                     Konstantinopel, den 3. März 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Seit Monaten habe ich bei jeder Gelegenheit die Gedankengänge des
Telegramms Euerer Exzellenz vom 2. d. M. an maßgebender Stelle
wiederholt. Einer direkten Ablehnung bin ich niemals begegnet. Öfters
gelang es, beabsichtigte unkluge Maßnahmen zu verhindern, meist erhielt
ich aber Versprechungen, die bisher noch unerfüllt blieben.

Der Großwesir ist seit seiner Rückkehr aus Europa für Ermahnungen im
Sinne der Berücksichtigung der öffentlichen Meinung zugänglicher.

Erst gestern sprach ich mit Talaat Pascha im Sinne Euerer Exzellenz
Weisung, und er versprach dabei, mit den Armeniern entsprechend zu
verhandeln und eine Amnestie bald zu erlassen.

                                                           Bernstorff.


374.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                    Konstantinopel, den 13. März 1918.

Der K. Botschafter an Auswärtiges Amt.

Wie mir Monsignore Dolci mitteilt, ist er vom Papst angewiesen worden,
bei der hiesigen Regierung für die Armenier einzutreten.

Unter allen Armeniern herrscht große Aufregung, da sie befürchten,
daß allgemeine Repressalien seitens der Türken zu erwarten sind. Ich
drahtete deshalb direkt an den Herrn Staatssekretär nach Bukarest die
Bitte, die Angelegenheit mit dem Großwesir zu besprechen. Ohne Talaat
Pascha werde hier nichts getan, und vielleicht sei der Großwesir zu
bewegen, jetzt nach dem Frieden mit Rußland und der Einnahme Erzerums
die versprochene Amnestie zu erlassen.

                                                           Bernstorff.


375.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                            Berlin, den 17. März 1918.

    An die Deutsche Botschaft, Pera.

Tanin und Terdjüman-Artikel vom 15. März sind geeignet, nicht nur
Armenier, sondern auch unsere öffentliche Meinung über Absichten
türkischer Regierung in Armenierfrage zu beunruhigen. Abgesehen
davon sind aber so heftige Presseäußerungen auch deshalb bedenklich,
weil dadurch unter türkischer Bevölkerung Stimmung hervorgerufen
wird, die zu gefährlichen Ausbrüchen gegen Armenier führen kann
und jedenfalls der türkischen Regierung die von ihr beabsichtigte
versöhnliche Armenierpolitik erschweren muß. Ich empfehle dringend, daß
türkische Regierung der Presse Zurückhaltung auferlegt. Es wäre auch
zweckmäßig, weitere amtliche Meldungen über Greueltaten der Armenier
zurückzuhalten, bis die Berichte der zu Wehib Pascha zu entsendenden
Pressevertreter vorliegen. Berichte der Milli-Agence finden nach
früheren Erfahrungen im neutralen und feindlichen Auslande keinerlei
Glauben mehr.

Bitte dringend in diesem Sinne auf dortige Regierung einzuwirken.

                                                        v. d. Bussche.


376.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                            Berlin, den 17. März 1918.

    An den Herrn Staatssekretär, Bukarest.

Botschafter Pera telegraphiert: „In armenischer Frage hat trotz aller
Ermahnungen Zensur erst jetzt eingegriffen und Presse gezwungen,
beruhigende Artikel zu schreiben oder zu schweigen.

Alle Armenier waren schon von Todesangst befallen. Beinahe täglich
sandten sie den päpstlichen Delegaten, den Patriarchen oder sonstige
Abgesandte zu mir, um Hilfe zu erbitten. Türkische Regierung scheint
diesmal wirklich ehrlich bestrebt, Ausschreitungen zu verhindern.

Abwesenheit Großwesirs ist lebhaft zu beklagen, da er allein
imstande wäre, Zügel in die Hand zu nehmen und Kundgebungen über
armenische Politik zu erlassen. Alle sonstigen hiesigen maßgebenden
Kreise befinden sich augenblicklich geradezu in einem Taumel von
Siegesbewußtsein, Nationalismus und Pan-Islamismus. Sie glauben, daß
alle Muhammedaner Asiens nur darauf warten, den Türken die Bruderhand
auszustrecken und eine Islam-Konföderation zu gründen. Großwesir steht
nach Euerer Exzellenz Telegramm noch auf dem gleichen Standpunkt wie
früher, daß er nicht unbedingt Batum behalten will. Der türkische
Ehrgeiz geht augenblicklich wenigstens noch mehr nach Baku als nach
Batum.“

Vielleicht könnte Talaat Pascha veranlaßt werden, von Bukarest aus
durch energische Instruktionen in die Behandlung der Armenierfrage
einzugreifen.

                                                           Bernstorff.


377.

    Aufzeichnung.

                                            Berlin, den 19. März 1918.

Vom Herrn Stellvertreter des Staatssekretärs seinen Erklärungen im
Reichstag am 21. und 22. März zugrunde gelegt.

... Das Auswärtige Amt und die Kaiserlichen Vertretungen in der Türkei
haben von Beginn der armenischen Krise an alles mit diplomatischen
Mitteln mögliche getan, um das Los der Armenier zu mildern. Die
Kaiserliche Regierung ist bei ihrem Druck auf die türkische Regierung
bis zur äußersten Grenze gegangen. Die Verantwortung dafür, durch einen
Bruch mit der Türkei wegen der Armenierfrage die Südostflanke unserer
Weltkampfstellung zu entblößen und dadurch unsere damals im Osten und
Westen schwer ringenden Heere in eine bedrohliche Lage zu bringen,
hätte keine deutsche Regierung tragen können.

Als nach Abschluß des Waffenstillstands von Brest-Litowsk die
Möglichkeit einer Räumung der damals von den Russen besetzten
ostanatolischen Provinzen näher rückte, haben wir uns sofort mit
den türkischen Staatsmännern wegen der Behandlung der Frage der
Armenier in Verbindung gesetzt und ihnen gesagt, wie wichtig es im
eigensten Interesse der Türkei, auch wegen ihrer Beziehungen zu den
Bundesgenossen ist, daß beim Wiedereinmarsch der türkischen Truppen
Ausschreitungen gegen die armenische Bevölkerung vermieden und daß
von vornherein die Grundlagen für friedliche Verhältnisse zwischen
den christlichen und muhammedanischen Elementen geschaffen werden.
Der Finanzminister und der Minister des Äußern, mit denen im Januar
bei ihrem Aufenthalt in Berlin in diesem Sinne gesprochen wurde,
zeigten volles Verständnis und erklärten sich auch grundsätzlich damit
einverstanden, daß sich nach Wiedereinnahme Ostanatoliens deutsche
Wohltätigkeitsunternehmungen der Armenier dort annähmen.

Anfang Februar gelangte die Nachricht hierher, daß die russischen
Truppen aus Ostanatolien abzogen, daß sich aber in dem von ihnen
verlassenen Gebiet armenische Freischaren unter Führung fremder
Offiziere gebildet haben und dort schlimm hausten. Einzelheiten
sind durch die amtliche türkische Telegraphenagentur bekannt gegeben
worden. Diese Nachrichten haben vielfach keinen Glauben gefunden
und sind so aufgefaßt worden, als ob die türkische Regierung damit
ein beabsichtigtes grausames Vorgehen gegen die Armenier im voraus
entschuldigen wollte. Diese Auffassung scheint nicht begründet.
Obwohl andere telegraphische Meldungen aus dem Kaukasus ins Ausland
gelangen, ist bisher in keinem feindlichen oder neutralen Blatte
eine Nachricht über türkische Ausschreitungen veröffentlicht worden.
Auch das schweizerische Hilfskomitee für Armenien hat keine solche
Nachricht erhalten. Einem Telegramm der Genfer Gruppe der armenischen
Sozialisten an das Internationale Sozialistische Büro in Genf, worin
von neuen türkischen Metzeleien nach Räumung des Landes durch die
Russen die Rede ist, liegen offenbar nur Befürchtungen zugrunde. Diese
Befürchtungen sind im Hinblick auf die Ereignisse des Jahres 1915
und die gegenseitige Erbitterung wohl begreiflich. Die Kaiserliche
Regierung hat deshalb keine Gelegenheit vorübergehen lassen, der
türkischen Regierung die Bedeutung der armenischen Frage vor Augen zu
führen und hat bestimmte Vorschläge gemacht, wie weiteres Blutvergießen
vermieden und auf die Dauer friedliche Zustände hergestellt werden
können. Sie hat namentlich dringend geraten, die strengste Manneszucht
unter den einrückenden Truppen aufrecht zu erhalten, die armenischen
Freischaren zur freiwilligen Unterwerfung aufzufordern, ihnen, wenn
sie dieser Aufforderung Folge leisten, Amnestie zu gewähren, bei
der beabsichtigten Hilfsaktion für die ostanatolischen Provinzen
gleichmäßig die Armenier und Muhammedaner zu berücksichtigen, ferner
auch die Zurückführung der nach dem Innern des Reiches Ausgesiedelten,
die sich bei den jetzigen Transportschwierigkeiten allerdings nicht
durchführen läßt, wenigstens zu beschließen und einzuleiten. Die
türkische Regierung hat sich diesen Vorschlägen durchaus zugänglich
gezeigt. Nach den bündigen Versicherungen, die der Großwesir, der
Minister des Äußern und sein Vertreter Halil Bey gegenüber dem Herrn
Reichskanzler, dem Staatssekretär von Kühlmann und dem Kaiserlichen
Botschafter abgegeben haben, sind wir zu dem Vertrauen berechtigt,
daß die Regierung zur Milde gegen die Armenier entschlossen ist, die
unbeteiligte Bevölkerung nicht für die Untaten Einzelner verantwortlich
machen und ähnliche Vorgänge, wie sie sich im Jahre 1915 abgespielt
haben, zu verhüten wissen wird. Denn es besteht die Gefahr, daß sich
in den benachbarten Bezirken von Kars und Ardahan, die nach dem
Friedensvertrag von Brest von den Russen zu räumen sind und deren
Bevölkerung selbst ihr künftiges Schicksal beschließen soll, zwischen
Armeniern und Muhammedanern Kämpfe entspinnen, die, da die Armenier
auch hier in der Minderheit sind, zu ihrem Nachteil ausschlagen müssen.
Der baldige Erlaß einer Amnestie ist zugesagt worden.


378.

    Telegramm.

                                          Bukarest, den 20. März 1918.

Der Staatssekretär an Auswärtiges Amt.

Habe die armenische Frage im Sinne dortiger Anregungen mit Großwesir
besprochen. Talaat Pascha meinte, daß er von hier aus wenig machen
könne. Sobald er nach Konstantinopel zurückgekehrt sei, werde er die in
Aussicht genommene Amnestiekundgebung erlassen. Bitte Graf Bernstorff
entsprechend zu verständigen.

                                                             Kühlmann.


379.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                            Berlin, den 22. März 1918.

    An den Staatssekretär, Bukarest.

Funkspruch Lyon vom 17. März meldet:

„Armenisches Nachrichten-Übermittelungsbüro gibt bekannt, daß Rückkehr
Türken nach Trapezunt sich in neuerlichen Akten von Roheiten bemerkbar
machte. Tausende von russischen Nachzüglern wurden erschossen oder
lebend verbrannt. Die Armenier werden unbeschreiblichen Qualen
unterzogen; Kinder in Säcke gesteckt und ins Meer geworfen. Die alten
Männer und Frauen wurden gekreuzigt und verstümmelt, alle jungen
Mädchen und jungen Frauen wurden den Türken ausgeliefert.“

Botschafter Konstantinopel ist benachrichtigt und um Äußerung ersucht.
Anheimstelle Ew. Exzellenz, Angelegenheit mit Talaat zu besprechen.

                                                        v. d. Bussche.


380.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                            Berlin, den 24. März 1918.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Die letzte heftige Preßkampagne gegen die Armenier ist dem Vernehmen
nach auf unmittelbare Veranlassung Enver Paschas zurückzuführen.
Ich bitte Euere Exzellenz durch General von Seeckt auf Enver
einzuwirken. Alle Preßangriffe gegen die Armenier und auch Meldungen
über Greueltaten der Armenier sollten, da sie der Sache nur schaden,
unbedingt verhindert werden.

                                                        v. d. Bussche.



_April._


381.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                            Berlin, den 3. April 1918.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Mit dem Überschreiten der früheren russischen Grenze gelangen die
türkischen Truppen jetzt in Gegenden dichter armenischer Ansiedlungen.
Damit wächst die Gefahr, daß es zu Ausschreitungen kommt. Euere
Exzellenz wollen dahin wirken, daß Aufrechterhaltung strengster
Manneszucht und mildes Vorgehen gegen die friedliche Bevölkerung den
Truppenführern von neuem eingeschärft wird.

                                                        v. d. Bussche.


382.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                           Berlin, den 14. April 1918.

    An Deutsche Botschaft, Pera.

Folgender Funkspruch ist aus Moskau hier eingegangen:

„Der armenische Nationalrat, als das oberste Organ der
Willenskundgebung des armenischen Volkes, wendet sich an Sie aus Anlaß
der entstandenen unerträglichen Lage. Armenien, das blutüberströmt kaum
aus dem Zustande einer jahrhundertlangen Unterdrückung entrissen wurde,
ist neuen Leiden unterworfen worden. Den Abzug der russischen Truppen
ausnützend, ergossen sich die türkischen Truppen sofort über das
wehrlose Land, indem sie nicht nur alle türkischen, sondern auch schon
alle russischen Armenier der Ausrottung unterwarfen. Im Widerspruch
mit den Friedensbedingungen, die das Selbstbestimmungsrecht aller
kaukasischen Bezirke anerkennen, rückt das türkische Heer, das Land
verwüstend und die christliche Bevölkerung vernichtend, gegen Kars und
Ardahan vor. Die Verantwortung für das weitere Schicksal der Armenier
trifft Deutschland, da auf sein Betreiben die russischen Truppen aus
den armenischen Bezirken herausgezogen wurden. Jetzt hängt es von ihm
ab, die türkischen Truppen von den gewohnten Exzessen, die auf dem
Boden der Rache und Wut stehen, abzuhalten. Nur schwer kann man sich
mit dem Gedanken aussöhnen, daß ein Kulturstaat wie Deutschland, der
die Möglichkeit einer Einwirkung auf seinen Bundesgenossen, die Türkei,
hat, es gestatten würde, daß der Friedensvertrag von Brest für das
armenische Volk, das gegen seinen Willen in diesen Krieg hineingezogen
wurde, zur Quelle zahlloser Leiden würde. Deshalb ist der Nationalrat
des Glaubens, daß Sie die nötigen und nur Ihnen möglichen Maßnahmen
gegen die türkischen Behörden zwecks Beschützung des armenischen Volkes
vor neuen Schrecken treffen werden.

       Als Bevollmächtigter des Nationalrates
  Nikolai Adonz, Professor der Universität Petrograd,
     Johannes Sawriew, vereidigter Rechtsanwalt.“

Bitte dortiger Regierung Mitteilung zu machen und auf das Bedenkliche
des türkischen Vorgehens hinweisen.

                                                        v. d. Bussche.


383.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                           Berlin, den 15. April 1918.

    An die Deutsche Botschaft, Pera.

Die Nachrichten über Greueltaten der vorrückenden türkischen Truppen
mehren sich neuerdings. Euere Exzellenz darf ich um baldige Äußerung
bitten, wie Sie diese Nachrichten beurteilen und was für Meldungen dort
etwa aus dem ehemals russischen Gebiet eingegangen sind.

Da wir die Bestimmung des Brester Vertrages über Kars, Ardahan und
Batum für die Türken durchgesetzt haben, wären wir in einer äußerst
peinlichen Lage, wenn die jetzt erhobenen Beschuldigungen auf Wahrheit
beruhten. Wir müssen verlangen, daß die Türkei schonend mit der
christlichen Bevölkerung umgeht und ihre Rechte in jeder Hinsicht
achtet. Auch haben wir ein Recht darauf, von den Türken über alle
Vorgänge in den genannten Gebieten auf dem Laufenden erhalten zu
werden. Euere Exzellenz wollen in diesem Sinne mit Großwesir und
Minister des Äußern sprechen und Talaat Pascha an seine Zusage
erinnern, alsbald nach der Rückkehr aus Bukarest eine Amnestie für die
Armenier zu erlassen. Von einer solchen Maßnahme versprechen wir uns
im gegenwärtigen Augenblick eine beruhigende Wirkung auf die überall
bereits stark erregte öffentliche Meinung. Auch auf die Armenier in dem
ehemals russischen Gebiete dürfte sie ihren Eindruck nicht verfehlen.
Es wäre erwünscht, wenn General von Seeckt die Entsendung deutscher
Offiziere durchsetzen würde.

                                    Unterstaatssekretär v. d. Bussche.


384.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

     Telegramm.

                                             Pera, den 24. April 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Enver Pascha, der heute morgen aus Batum zurückgekehrt ist, war bei
meiner heutigen Unterredung mit dem Großwesir längere Zeit zugegen.
Enver war voll Optimismus. Alles stehe im Kaukasus großartig für
die Türken. Sie brauchten nur etwas weiter vorzurücken, dann werde
Tschenkeli sofort nach Batum kommen und Frieden schließen. Enver hat im
gleichen Sinn unserer obersten Heeresleitung gedrahtet.

Ich sagte Großwesir, daß wir zum mindesten eine Garantie in der
Armenierfrage haben müßten, wenn wir die türkische Politik im Kaukasus
unterstützen sollten. Hierauf erwiderte Talaat Pascha, daß ich seine
diesbezügliche Zusage nicht mehr als vertraulich zu behandeln brauche.
Ich sei autorisiert, Euerer Exzellenz amtlich auch zur Veröffentlichung
mitzuteilen, daß die Amnestie für friedliche Armenier nebst
Geldbewilligung und Erlaubnis zur Rückkehr in Heimat in Vorbereitung
sei.

                                                           Bernstorff.


385.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                           Berlin, den 26. April 1918.

    An die Deutsche Botschaft, Pera.

Auf Telegramm vom 24. April.

Es wäre uns vor Veröffentlichung türkischer Erklärung erwünscht,
Aufklärung zu erhalten, ob sich die Rückkehrerlaubnis auch auf die nach
Rußland Geflüchteten oder nur auf die Deportierten bezieht. Für welche
Zwecke ist Geldbewilligung beabsichtigt?

                                                        v. d. Bussche.


386.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Abgang aus Konstantinopel, den 28. April 1918.
  Ankunft, den 29. April 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Antwort auf Telegramm vom 26. April.

Die Amnestie soll, wie mir Großwesir sagte, für die hiesigen Armenier
gelten. Die nicht im Lande befindlichen zurückzuholen, wäre -- so
meinte Talaat Pascha -- gefährlich. Die Geldbewilligung soll erfolgen,
um die Armenier zu entschädigen, die ihren Besitz verloren haben. Die
Armenier sollen, so weit dies möglich ist, die Wahl zwischen ihrem
früheren Besitz und einem Geldbetrag haben.

Bei seiner Anwesenheit in Batum hat Enver Pascha eine Proklamation an
die in den drei neuen türkischen Bezirken wohnhaften Armenier erlassen,
daß sie dort bleiben möchten. Er hafte für ihre Sicherheit, Besitz und
Freiheit. Die meisten hätten sich zu bleiben bereit erklärt.

                                                           Bernstorff.


387.

  Auswärtiges Amt.                         Berlin, den 30. April 1918.

    Richtlinien für den deutschen Bevollmächtigten zu Verhandlungen
    mit der Transkaukasischen Republik in Batum.

I. Bei den Verhandlungen mit den Transkaukasiern ist zu beachten:

       *       *       *       *       *

    3. Es ist dahin zu wirken, daß den Armeniern in den Gebieten,
       wo sie in geschlossenen Siedelungen wohnen, von den Georgiern
       und Tataren lokale Autonomie gewährt und auch in den übrigen
       Teilen Transkaukasiens ihnen volle Freiheit in der Ordnung ihrer
       kirchlichen und kulturellen Angelegenheiten zugestanden wird.

II. Bezüglich der Türkei ist zu berücksichtigen:

       *       *       *       *       *

    2. Die türkische Regierung ist zu bewegen, in den an sie nach
       dem Brester Frieden und dem Vertrag mit Transkaukasien
       zurückfallenden Gebieten den Armeniern, wo sie in geschlossenen
       Siedelungen wohnen, lokale Autonomie zu gewähren und in den
       übrigen Teilen des Landes ihnen volle Freiheit in der Ordnung
       ihrer kirchlichen und kulturellen Angelegenheiten zuzugestehen.



_Mai._


388.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                      Konstantinopel, den 3. Mai 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Aus Erzindjan ging folgendes Telegramm ein:

Im Kreise Erzindjan waren während der russischen Okkupation
1916/17 1500 mohammedanische Einwohner zurückgeblieben. Verhalten
Okkupationsarmee wird allgemein gelobt. Als Russen nach
Waffenstillstand Dezember v. J. desertierten, wurde armenisches
Schreckensregime unter Mrat Pascha gebildet. 600 Muslims im Alter von
3-70 Jahren wurden ermordet, Hunderte werden vermißt. Stadt ist ein
Trümmerhaufen, nur das Zentrum mit Regierungskonak und Generalkommando
sind erhalten, da Mine versagte.

                                                           Bernstorff.


389.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                              Berlin, den 6. Mai 1918.

    An Deutsche Botschaft, Pera.

Von den Armeniern ist der Wunsch geäußert worden, daß ihren aus
der Türkei geflüchteten Stammesgenossen die Rückkehr gestattet
werde, da ihr Verbleiben im Kaukasus wegen des Mangels an Land und
Unterhaltsmitteln zu Reibungen mit der nichtarmenischen Bevölkerung
führen würde. Euere Exzellenz bitte ich, General von Lossow als
Nachtrag zu seiner Instruktion zu ersuchen, den Versuch zu machen, die
bekannten türkischen Bedenken gegen Wiederzulassung der Ausgewanderten
zu überwinden.

                       Stellvertretender Staatssekretär v. d. Bussche.


390.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                     Konstantinopel, den 12. Mai 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Nach militärischen Meldungen beträgt die Zahl der wegen armenischer
Grausamkeiten aus Erivan, Igdir und Nakhitschevan nach Bajasid
ausgewanderten Mohammedaner etwa 10000. Ein großer Teil mußte wegen
Verpflegungsschwierigkeiten nach Persien weitergeschickt werden. Die
Leute können sich nicht gegen die Armenier wehren, da es ihnen an
Waffen und Munition fehlt.

                                                           Bernstorff.


391.

      Kaiserlich
  Deutsches Konsulat.                        Aleppo, den 15. Mai 1918.

Wie mir erst jetzt bekannt wird, sind Mitte März auf Befehl des
Kommandeurs des 4. Korps Ali Ihsan Pascha in seinem Bereich,
insbesondere im Wilajet Mamuret-ul-Aziz wieder Maßregeln gegen den
Rest der noch vorhandenen Armenier ergriffen worden. So sind aus
den Ortschaften Pertak und Peri etwa 300 Frauen und Kinder nach
Mamuret-ul-Aziz gebracht worden. Die halbwüchsigen Jungens waren
gefesselt und wurden gesondert hinterher gebracht. Der Wali von
Mamuret-ul-Aziz hat die Frauen und Kinder unbehindert gelassen, die
Knaben aber sind in das Gefängnis gebracht worden.

Hungersnot herrscht in weiten Gebieten der östlichen Wilajets, so in
Diarbekr, Meya-Farkin, Mardin und anderen Orten.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel
zugehen.

                                                               Rößler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn Grafen von Hertling.


392.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                     Konstantinopel, den 15. Mai 1918.

    Der K. Botschafter an Auswärtiges Amt.

    Telegramm des Generals von Lossow:

„Die maßlose türkische Forderung, auch auf die rein armenischen Gebiete
von Achalkalaki, Alexandropol und Eriwan abzielt auf Gebietserwerb
weit über Brester Vertrag hinaus, auf alleinige wirtschaftliche
Ausbeutung Kaukasiens und auf völlige Ausrottung der Armenier auch in
Transkaukasien.

Am 13. abends haben die Türken die Überlassung der Bahn
Kars-Alexandropol-Dschulfa in Form eines Ultimatums gefordert,
ohne mein Einverständnis erlangt oder mich vorher benachrichtigt
zu haben. Ich habe gegen dieses Vorgehen protestiert. Mein
Vermittelungsvorschlag, auf Grund dessen eine prinzipielle Regelung der
wichtigsten und brennendsten Fragen zu erlangen wäre, ist folgender:

1. Die Türken müssen den Brester Vertrag als Basis anerkennen.

2. Um den Türken den Rückzug zu erleichtern, wird der muhammedanische
Bezirk von Achalzich in Form von Grenzregulierungen gegen georgisches
Gebiet nördlich Batum und den rein armenischen Ostteil vom Bezirk Kars
ausgetauscht, wobei Festung Kars den Türken verbleibt.

Halils Stellung noch unbekannt. Sobald der Vorschlag angenommen ist,
kann der Transport türkischer Truppen auf der Strecke Kars-Dschulfa
beginnen, jedoch nur unter deutscher Leitung und Garantie. Ich bitte
daher, sofort kleine Kommission zu schicken, die gemeinsam mit mir
in Tiflis die Bahnsachen bearbeitet, sowie ein deutsches Bataillon,
das Wach- und Ordnungsdienst auf den Stationen von Alexandropol bis
Dschulfa übernimmt. Dies wird von Kaukasiern unbedingt verlangt,
da sie den Türken mit größtem Mißtrauen gegenüberstehen. Türkische
Leitung oder Beeinflussung der kaukasischen Bahn lehnen sie mit größter
Entschiedenheit ab.

Nachsatz: Aus einer Besprechung, die ich nachmittags mit Halil hatte,
geht klar hervor, daß er, Wehib und ich im Prinzip einig sind.
Dagegen bleibt Enver auf seinen Forderungen bestehen und verlangt
ein sofortiges Ultimatum. Soll ein neuer blutiger Krieg im Kaukasus
vermieden werden, so muß der Botschafter unverzüglich dem Großwesir
erklären, daß die deutsche Oberste Heeresleitung niemals Envers
Forderung unterstützen kann und schärfsten Protest gegen das die
verbündeten Interessen schwer schädigende türkische Vorgehen einlegt.“

                                                           Bernstorff.


393.

                                               Kars, den 16. Mai 1918.

Am 14. April d. J. trat ich von Konstantinopel die Reise nach meinem
früheren Amtssitz Erzerum an. An Bord der „Gul Nihal“, die eigentlich
nach dem von den Türken am 26. Februar d. J. zurückeroberten Trapezunt
gehen sollte, befand sich Enver Pascha und das türkische große
Hauptquartier. Da auf hoher See durch Funkspruch die Einnahme von Batum
gemeldet wurde, so ließ Enver Pascha trotz erheblicher Minengefahr
die „Gul Nihal“ nach Batum gehen und lief Trapezunt nur an, um den
türkischen Oberbefehlshaber Wehib Pascha an Bord zu nehmen.

Bei dem Aufenthalt in Batum vom 18. bis 20. April konnte ich
authentisch feststellen, daß die Türken, ebenso wie ich es in Trapezunt
am 26. Februar beobachtet hatte, strenge Manneszucht hielten und
den Einwohnern von Batum gegenüber Milde walten ließen. Die meisten
Armenier waren aus Furcht vor Massakres aus Batum geflohen, jedoch
erwies sich ihre Furcht als unbegründet und einige kehrten bereits
dorthin zurück. Gewiß trug die persönliche Anwesenheit Enver Paschas,
Wehib Paschas und des Generals von Seeckt zur Aufrechterhaltung der
Disziplin bei. Es handelte sich hier um Truppen der 37. kaukasischen
Division des Kjasim Bey, die sich bereits bei Trapezunt, Rize und Chope
ausgezeichnet hatten.

Vom 22. bis 25. April hatte ich in Trapezunt Gelegenheit, griechische
und persische Kaufleute zu sprechen, die ebenfalls keine Klagen
über das Verhalten der Türken hatten. In Trapezunt war seit einigen
Tagen der neue Wali eingetroffen und die Zivilverwaltung hatte
wieder eingesetzt. Ich erfuhr Einzelheiten über die Verschickung der
Armenier aus Trapezunt im Sommer 1915, wobei dieselben auf Mahonen
verladen wurden, die jedoch nicht am Bestimmungsort Samsun ankamen,
sondern mit Mann und Maus auf hoher See untergegangen sind[148]. Ich
stellte authentisch fest, daß auf dieser tragischen Fahrt auch der mir
persönlich aus Bagdad und Erzerum befreundete Armenier Regiedirektor
Belekdjian mit seiner hochgebildeten Frau und seinen Söhnen umgekommen
ist. Während der russischen Okkupation hat im Trapezunter Bezirk
Ordnung geherrscht. Als jedoch nach der russischen Revolution vom
Kaukasus aus armenische Regimenter nach Trapezunt in Garnison kamen,
begannen trübe Zeiten für die Muselmanen. Nach dem Abzug der russischen
Truppen im Februar 1918 hatten sich im Gebiet von Trapezunt und
Erzindjan armenische Freischaren gebildet, die das Land gegen die
vorrückenden Türken verteidigen wollten. Auf der Strecke von Trapezunt
bis Erzindjan vom 25. bis 30. April passierte ich viele verwüstete
Dörfer. Ob diese Verwüstungen von den armenischen Freischaren verübt
worden sind, oder ob die abziehenden griechischen Einwohner vor
den anmarschierenden Türken oder die abziehenden Türken vor den
armenischen Freischaren selbst ihre Dörfer angezündet haben, war nicht
festzustellen.

In Erzindjan verblieb ich vom 1. bis 4. Mai. Die Stadt, die ich
in ihrer besten Blütezeit noch im Juni 1914 besucht hatte, war
nicht wieder zu erkennen. Es sollen nach dem türkisch-kaukasischen
Waffenstillstand im Dezember 1917 dort die Armenier unter Führung von
Mrat Pascha ein Schreckensregime geführt haben. 600 Muselmanen im
Alter von 3-70 Jahren sollen ermordet worden sein, Hunderte werden
vermißt. Beim Abzug im März d. J. hatten die Armenier eine Mine
gelegt, um die hervorragenden Regierungskonaks und das von Zeki Pascha
erbaute Generalkommando zu sprengen; die Mine versagte jedoch. Am
furchtbarsten sah das früher blühende armenische Viertel aus, das
nach der Verpflanzung der Armenier aus Erzindjan nach Mesopotamien
von den Türken okkupiert worden war. Der Bischofssitz, in dem ich dem
armenischen Bischof gemeinsam mit dem englischen Konsul in Erzerum,
Mr. Monahan, im Juni 1914 einen längeren Besuch abgestattet hatte, war
völlig abgebrannt.

In Erzindjan erfuhr ich auch noch Einzelheiten von dem tragischen Ende
des mir aus Erzerum befreundeten armenischen Bischofs Sinbad, der ein
gern gesehener Gast im deutschen Konsulat in Erzerum gewesen war.
Nach den mir gemachten Angaben ist Bischof Sinbad, den ich als einen
überaus sympathischen und loyalen türkischen Armenier hochschätzte, im
Juli 1915 auf dem Wege von Erzindjan nach Kemach, einige Kilometer von
Erzindjan entfernt, von türkischen Gendarmen ermordet worden.

Zwischen Erzindjan und Erzerum hatte ich schon auf der
Informationsreise im Juni 1914 festgestellt, daß außer dem Flecken
Mamachatun, dem Sitz des Kaimakams des Kasa Terdjan, nur einige
ganz kleine Weiler am Wege lagen. Mamachatun, um dessen Besitz von
1915 bis 1918 Russen und Türken heftig gekämpft hatten, war ein
Trümmerfeld. Jetzt ist es türkische Etappenstation und von etwa 100
Muselmanen bewohnt. Seit Ende April war bereits wieder eine türkische
Zivilverwaltung eingerichtet. Der Kaimakam sagte mir, daß alsbald
von der türkischen Heeresleitung die Genehmigung zur Rückkehr der
nach Kemach und Kharput geflüchteten muselmanischen Einwohner in ihre
Ländereien zu erwarten sei. Von ihm erfuhr ich auch, daß der bisherige
Wali von Sivas zum Wali von Erzerum ernannt sei und in einigen Tagen in
Erzerum eintreffen solle.

In Erzerum verblieb ich vom 5. bis 8. Mai. Die Stadt, die bereits im
Frieden einen trostlosen Eindruck gemacht hatte, war nun fast gänzlich
verwüstet. Das deutsche Konsulat, das von den Kosaken am 7. Februar
1916 geplündert worden war, hatte bis zur Wiedereinnahme der Stadt
durch die Türken als russisches Hospital gedient. Nun war es türkisches
Hospital; in jedem der fünf Zimmer lagen 10 sieche türkische Soldaten.

Besonders stark hatte das armenische Viertel gelitten, in dem sich
die armenischen Freischaren bis zum Einzug der Türken im April 1918
verteidigt hatten. Dieses Viertel war bereits von den Türken beim
Abzug aus Erzerum zerstört worden, dann jedoch von den Russen wieder
aufgebaut worden. Von den 10000 Armeniern, die ich im Jahre 1914
dort gekannt hatte, fand ich keinen mehr vor. Doch stellte ich mit
Genugtuung fest, daß die beim deutschen Konsulat angestellten Armenier
Solighian und Scherefian sowie alle österreichischen Schutzgenossen
(die armenisch-römisch-katholischen Mechitaristen, sowie der
armenisch unierte katholische Bischof) von den Türken im Sommer
1915 verschont worden waren und sich in Siwas und Konstantinopel in
Sicherheit befinden. Dagegen war der mir befreundete zweite Direktor
der Ottomanbank, Setrak Pasdirmadjian, ein Opfer der Leidenschaften
geworden. Seine Töchter haben zwangsweise türkische Gendarmen
geheiratet und sollen zurzeit in Urfa leben. In Erzerum selbst sollen
bei dem Auszug der Armenier im Juni 1915 Ausschreitungen gegen das
Leben der Deportierten nicht vorgekommen sein, da der Wali Tahsin Bey
nur strikt den Ausweisungsbefehl aus Konstantinopel durchführte. Dem
Führer der Daschnakisten in Erzerum, Rostom Effendi, war es gelungen,
nach Rußland zu entkommen. Die nach der am 6. Februar 1916 erfolgten
Einnahme von Erzerum durch Russen dort verbliebenen Muselmanen hatten
ein trauriges Los. Viele wurden ins Gefängnis geworfen oder nach
Sibirien verschickt. Ein neben mir im Todeskorridor der Zitadelle
Tiflis inhaftierter Kurdenscheich wurde ohne kriegsgerichtliches Urteil
auf Befehl des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch im Februar 1917
gehängt. Einwandfreie Augenzeugen, deutschstämmige russische Soldaten
aus den deutschen Kaukasus-Wolga-Kolonien, hatten mir bereits in
Tiflis übereinstimmend erzählt, daß russische und armenische Soldaten
türkische Frauen und Kinder in Erzerum unter dem Vorwande, nach
Waffen zu suchen, vergewaltigt und geschändet hätten. Einzelheiten
über die gegen die Muselmanen von armenischer Seite verübten
Racheakte teilte der belgische Journalist Simais in Tiflis mit, der
im Stabe des Generals Tschernosuboff den Einmarsch der Russen von
Persisch-Azerbeidjan nach Wan und Rewanduz mitgemacht hatte. Dabei
sollen armenische Drujinen (Freiwilligenkorps) nach dem russischen
Vormarsch auf Bitlis und Musch Einwohner der hinter der neuen
russischen Front gelegenen türkischen Dörfer niedergemetzelt haben.
Von türkischer Seite wurde dann noch erzählt, daß, als die russischen
Soldaten im Januar 1918 freiwillig Erzerum verließen und die Armenier
beschlossen, unter Leitung französischer Offiziere die besetzten
Gebiete der Türkei zu verteidigen, die Muselmanen Erzerums furchtbaren
Martern ausgesetzt worden seien. Hunderte von Muselmanen, Männer,
Frauen und Kinder, seien in zwei gegenüberliegende Häuser eingesperrt
worden, die alsdann angezündet wurden.

Von andrer Seite erfuhr ich jedoch auch, daß vorher die Türken bei der
Wiedereroberung von Erzerum sämtliche in der Stadt zurückgebliebenen
Armenier hatten über die Klinge springen lassen.


Ich reiste von Erzerum über das Schlachtfeld von Sarikamisch nach
Kars, wo ich vom 10. bis 14. Mai verblieb. Nach der Erzählung von
Deutschrussen, die den Einmarsch der Türken in Kars Ende April d.
J. miterlebt haben, war diesmal die Manneszucht gelockert und die
einziehenden Truppen raubten und plünderten. Auch gingen die Türken
sehr rigoros bei Requirierung von Proviant und Vieh vor. Trotz Weisung
Enver Paschas konnte nicht verhindert werden, daß das Symbol von Kars,
eine zur Verherrlichung des russischen Sieges 1878 gesetzte Statue
eines russischen Soldaten in Bronze, der mit dem Fuße eine ottomanische
Fahne zertritt, von den erbitterten türkischen Soldaten sofort
zertrümmert wurde.

Zurzeit leisten die armenischen Truppen, die sich nach Preisgabe der
früheren russisch-türkischen Grenze bei Alexandropol konzentriert
haben, den Türken verzweifelten Widerstand.

                                                               Anders.


394.

  (Auswärtiges Amt.)                          Berlin, den 21. 5. 1918.

    Aufzeichnung.

Ich habe Herrn Nasariantz beim Abschied folgende Mitteilung gemacht:

Seit die Delegierten des armenischen Nationalrates von dem
stellvertretenden Herrn Staatssekretär empfangen worden sind, haben
sich die Ereignisse im Kaukasus weiter entwickelt. Die Türken haben
sich aus militärischen Gründen veranlaßt gesehen, die Grenzen von
Ardahan, Kars und Batum zu überschreiten. Leider erscheint es
infolgedessen zu Zusammenstößen mit Armeniern gekommen zu sein. Wir
stehen wegen dieser Fragen in Telegrammwechsel mit der türkischen
Regierung. Auch wird bereits in nächster Zeit der Oberst Freiherr von
Kreß, ein guter Kenner der Türkei und der Türken, nach dem Kaukasus
entsandt werden. Die armenischen Delegierten könnten sich nach ihrer
Rückkehr in die Heimat mit ihren Wünschen an Oberst von Kreß wie
auch an General von Lossow wenden. Herrn von Kreß ist die armenische
Angelegenheit besonders ans Herz gelegt worden.

                                                              Göppert.


395.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Abgang aus Konstantinopel, den 23. Mai 1918.
  Ankunft, den 24. Mai 1918.

    An Auswärtiges Amt.

General von Lossow drahtet:

Eine Deputation armenischer Vertrauensmänner sowie die armenischen
Vertreter in transkaukasischer Delegation, die gleichzeitig als
Minister der Regierung angehören, hatten mehrfach Besprechungen mit
mir. Armenier erwarten von Deutschland Rettung und Hilfe in ihrer
verzweifelten Lage.

Das Ziel der türkischen Politik ist, wie ich immer wiederhole, dauernde
Besitznahme der armenischen Distrikte und Ausrottung der Armenier.
Alle gegenteiligen Versicherungen Talaats und Envers sind wertlos.
In Konstantinopel herrscht die extreme armenierfeindliche Richtung.
Türkischer Plan liegt klar vor mir: den muhammedanischen Bezirk von
Achalzich glauben sie sicher zu bekommen, den völlig armenischen Bezirk
von Achalkalaki suchen sie unter Verschleierung der Tatsachen als zum
Bezirk Achalzich gehörig hinzustellen. Die Stadt Alexandropol ist von
ihnen besetzt. Die Bahnstrecke nach Djulfa wollen sie einschließlich
eines Geländestreifens 25 Kilometer östlich der Bahn okkupieren; um ihn
nie wieder mehr zurückzugeben.

Die Annexion des Gouvernements Elisabethpol und Baku haben die
Türken mit Einverständnis tatarischer Bevölkerung bewirkt, zugleich
vorgehen sie auf Baku, um dortige Bolschewiki zu vertreiben und sich
dort festzusetzen. Ferner sind türkische Truppen auf Front südlich
Achalkalaki im Vorrücken gegen Tiflis und Eriwan. Die Armee begleitende
kurdische und tatarische Freiwillige rauben und morden in armenischen
Ortschaften. Männer werden alle abgeführt. Die armenischen Truppen
weichen, um Konflikte zu vermeiden, nach Osten aus. Armenische
Bevölkerung flieht nach Osten, wo sie alsbald auf Tataren stoßen muß,
was zu Massakers führen muß. Türkische Politik hat offenbar das Ziel,
unter Vermeidung von Ultimatum bezüglich des Territorialbesitzes ein
fait accompli zu schaffen. Für armenische Bevölkerung bleibt kein
Platz zum Leben. Dies muß zu Guerillakrieg führen, der Transport und
Nachschub auf Linie Alexandropol-Djulfa unmöglich machen wird. Wie
ich vermute, liegt dies in türkischer Absicht. Der Bevollmächtigte
der Delegation armenischen Volkes, armenischen Nationalrats nachsucht
Schutz Deutschlands gegen völlige Vernichtung und bittet, den Rest
armenischen Territoriums unter deutsches Protektorat zu nehmen.
Offizielles Schriftstück hierfür befindet sich in meiner Hand. Wenn
die Ausrottung der Armenier verhindert werden soll, ist sofortiger
ständigster Druck auf Türkei notwendig. Erbitte baldigst deutsches
Kriegsschiff, damit ein Bataillon nach Poti, ferner Instruktionen über
Stellungnahme zu offizieller armenischer Erörterung. Sofortige Aktion
erforderlich.


396.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                             Berlin, den 26. Mai 1918.

    An den Botschafter, Wien.

Infolge des Verhaltens der türkischen Regierung sind die
Verhandlungen in Batum gescheitert. Die transkaukasische Republik ist
auseinandergefallen, während sich Georgien vermutlich inzwischen als
selbständiger Staat proklamiert hat.

Die türkische Regierung hat sich auf Grund der Bestimmungen des
Brester Vertrags, wonach die Bezirke Ardahan, Kars und Batum von
Rußland geräumt und es der Bevölkerung überlassen wurde, ihre
staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Verhältnisse im Einvernehmen
mit den Nachbarstaaten, besonders mit der Türkei, neu zu ordnen,
für berechtigt gehalten, diese Bezirke zu okkupieren. Sie hat aber
an ihren Grenzen nicht haltgemacht, sondern den Vormarsch weiter
fortgesetzt. Die türkischen Delegierten haben bei den Verhandlungen
in Batum mit dem Vorrücken ihrer Truppen immer weitergehende
Gebietsforderungen gestellt. Außer Ardahan, Kars und Batum verlangten
sie die Bezirke Achalzych und Achalkalaki, im Gouvernement Eriwan
die Bahn Alexandropol-Djulfa, einschließlich des Gebiets westlich
davon und einen 25 km breiten Streifen östlich der Bahn, das Gebiet
nördlich Batums bis in die Höhe von Kubelity, wogegen sie sich
zur Rückgabe des weiter nördlich von ihnen besetzten georgischen
Gebietes bereit erklärten. Demgegenüber haben wir der türkischen
Regierung nachdrücklichst geraten, die Grundlage des Brester Vertrages
nicht zu verlassen und ihr empfohlen, die Stadt Batum nicht zu
behalten, sondern den Georgiern zu überlassen, da es sonst wegen der
Bevölkerungsverhältnisse und aus wirtschaftlichen Gründen schwerlich
zu dauernd friedlichen Verhältnissen zwischen Türken und Georgiern
kommen würde. Wir haben einen Austausch des Bezirks Batum nördlich
des Tschorochflusses gegen andere und zwar von Tataren bewohnte
transkaukasische Gebietsteile ins Auge gefaßt und der Türkei dringend
nahegelegt, eine freundschaftliche Einigung mit der transkaukasischen
Regierung herbeizuführen.

Statt diesem Rate zu folgen, haben die Türken jedes Maß verloren. Sie
haben in Elisabethpol und anderen tatarischen Bezirken die türkische
Flagge gehißt, beabsichtigen die Annexion des ganzen Gouvernements
Elisabethpol und Baku und gehen auf Baku vor, um die Bolschewisten
zu vertreiben und sich dort festzusetzen. Auf der Front südlich
Achalkalaki sind türkische Truppen im Vorrücken gegen Tiflis und
Eriwan. Die sie begleitenden kurdischen und tatarischen Freiwilligen
rauben und morden in armenischen Ortschaften, aus denen alle Männer
abgeführt werden. Die armenische Bevölkerung flieht nach Osten, wo sie
alsbald auf Tataren stoßen wird.

Die Lage muß als außerordentlich kritisch bezeichnet werden. Ein
weiterer Vormarsch der Türken würde im Kaukasus den allgemeinen Kampf
entfesseln. Ferner ist zu besorgen, daß die kaukasischen Christen,
besonders die Armenier, dem Wüten der tatarischen Bevölkerung und der
irregulären Truppen preisgegeben, ausgeplündert, aus ihren Wohnsitzen
vertrieben werden und, wenn es ihnen gelingt, ihr Leben zu retten,
in jeder Weise vergewaltigt werden. Wir können es aber weder vor
unserem eigenen Volke, noch vor der Welt verantworten, wenn wir es
zuließen, daß die Bestimmungen des Brester Vertrages, die mit unserer
Hilfe durchgesetzt worden sind, als Freibrief zur Verfolgung der
Christen im Kaukasus mißbraucht werden. Abgesehen hiervon, werden
durch das türkische Vorgehen im Kaukasus starke Kräfte den wichtigsten
militärischen Aufgaben der Türkei, den Operationen zur Verteidigung
Mesopotamiens und Palästinas und zur Wiedergewinnung des verlorenen
Gebietes, entzogen.

Unter diesen Umständen ist dem Kaiserlichen Botschafter in Pera
folgende Instruktion erteilt worden:

„Das Vorgehen der Türken, die sich über unsere, von wahrer
Bundesfreundlichkeit eingegebenen Mahnungen und Warnungen hinweggesetzt
haben, hat die Hoffnung auf eine gütliche Einigung mit dem Kaukasus
zerstört und die kaukasische Konföderation gesprengt. Angesichts dieser
neuen schwierigen und bedauerlichen Lage bitte ich Euere Exzellenz, der
Pforte in freundschaftlicher aber bestimmter Form mündlich folgende
Erklärung abzugeben:

1. Die Kaiserliche Regierung wahrt sich gegenüber allen Geschehnissen
im Kaukasus freie Hand und behält sich namentlich ihre Stellung vor zu
solchen innerhalb oder außerhalb der Bezirke Ardahan, Kars und Batum
getroffenen Maßnahmen, die nicht in Einklang mit dem Friedensvertrag
von Brest-Litowsk stehen.

2. Die Kaiserliche Regierung kann einen weiteren Vormarsch türkischer
Truppen im Kaukasus und eine türkische Propaganda außerhalb der
genannten drei Bezirke weder billigen noch unterstützen.

3. Die Kaiserliche Regierung erkennt die georgische Regierung als
de-facto-Regierung an und erklärt sich vorbehaltlich der Zustimmung
der russischen Sowjet-Republik grundsätzlich zur Anerkennung der
Unabhängigkeit Georgiens bereit. Sie ladet die Kaiserlich Osmanische
Regierung ein, ebenso zu verfahren und die Grenzen Georgiens zu achten.
Die genaue Abgrenzung Georgiens wird unter Beteiligung Deutschlands zu
vereinbaren sein.

4. Die Kaiserliche Regierung ersucht die Kaiserlich Osmanische
Regierung, die angemessene Behandlung der Armenier in den von der
Türkei besetzten Gebieten sicher zu stellen. Sie behält sich nähere
Vorschläge hierüber vor.

5. Die Kaiserliche Regierung macht die Kaiserlich Osmanische Regierung
darauf aufmerksam, daß die Türkei aus den bestehenden politischen
Verträgen gegen Deutschland keine Ansprüche auf Schutz oder Beistand
für solche militärischen oder diplomatischen Aktionen herleiten kann,
die sie ohne unsere Zustimmung oder gar gegen unseren Rat unternimmt.
Die Kaiserliche Regierung lehnt jede Verantwortung für derartige
auf eigene Faust begonnene Unternehmungen ab und muß der Türkei die
Folgen überlassen. Sollte sich durch willkürliche Zersplitterung der
Kräfte die Gesamtlage der Türkei verschlechtern und die Erreichung
der vertragsmäßig verbürgten Ziele in Frage gestellt werden, so wird
sich die Türkei damit abzufinden haben, da wir uns ihr gegenüber auf
eine Mehrbelastung unseres politischen Kontos nicht einlassen können.
Ebenso wenig könnten wir die Türkei decken, wenn gegen die christliche
Bevölkerung des Kaukasus von türkischer Seite Ausschreitungen verübt
würden.“

Unsere Oberste Heeresleitung hat entsprechende Schritte bei der
türkischen Heeresleitung unternommen.

Da Gefahr im Verzuge ist, war es nicht möglich, uns vorher mit der
österreichisch-ungarischen Regierung ins Einvernehmen zu setzen. Ich
wäre aber dem Grafen Burian besonders dankbar, wenn er den Markgrafen
Pallavicini mit größtmöglicher Beschleunigung anweisen wollte, die
gleiche Erklärung wie Graf Bernstorff abzugeben, damit sich die
türkische Regierung einem einheitlichen Vorgehen der beiden verbündeten
Großmächte gegenübersieht und nicht den Versuch macht, die eine gegen
die andere auszuspielen.

Einem schleunigen Drahtbericht über die Antwort des Grafen Burian sehe
ich entgegen.

                                                             Kühlmann.



_Juni._


397.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                             Berlin, den 1. Juni 1918.

    An die Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Talaat Pascha hat uns in der Armenierfrage vor mehr als einem Monat
einen Amnestieerlaß als unmittelbar bevorstehend angekündigt und eine
entsprechende Veröffentlichung anheimgestellt. Daraufhin ist hier eine
solche Veröffentlichung veranlaßt worden. Deshalb und als Beweis des
guten Willens der Türken müssen wir erwarten, daß die Amnestie nunmehr
erlassen wird.

                                                             Kühlmann.


398.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                             Berlin, den 3. Juni 1918.

    An Deutsche Botschaft, Konstantinopel.

Euere Exzellenz wollen den dort vorliegenden Bericht des Konsuls in
Aleppo vom 15. 5. 1918 inhaltlich beim Großwesir verwerten[149].

                  Stellvertretender Unterstaatssekretär von Langwerth.


399.

  Großes Hauptquartier.

    Telegramm.

                                                     Den 8. Juni 1918.

    Der K. Legationssekretär an Auswärtiges Amt.

General Ludendorff hat an Enver Pascha gedrahtet:

„Die Türkei hat sich ohne irgendwelche Rücksichten auf die
Bundesgenossen über die in Brest geschlossenen Verträge, soweit sie
Transkaukasien betreffen, hinweggesetzt. Die deutsche Regierung hat
hiergegen bereits Verwahrung eingelegt und auf die Folgen eines solchen
Verfahrens hingewiesen. Ich möchte nicht unterlassen, Euerer Exzellenz
zu versichern, daß ich mich mit dem Vorgehen der deutschen Regierung
in vollster Übereinstimmung befinde.

General von Lossow hat den Bahnschutz auf der Bahnlinie
Poti-Tiflis-Alexandropol aus deutschen Kommandos gebildet, nicht
lediglich aus deutschem Interesse, sondern auch im Interesse der
türkischen Operationen in Richtung Djulfa. Diese Bahnwachen sind
deutsche Truppen, und ich erhebe Einspruch dagegen, daß sie von dem
Führer der 3. Armee nicht entsprechend respektiert werden.

Euere Exzellenz ersuche ich nochmals, die durch den Brester Vertrag
gezogenen Grenzen zu respektieren, widrigenfalls ich mir die Freiheit
weiterer Entschließungen vorbehalten muß.

Verträge, die zwischen der Türkei und den transkaukasischen Staaten
unter Umgehung Deutschlands, Österreichs und Bulgariens abgeschlossen
wurden, vermag ich von vornherein nicht anzuerkennen.

Wie Euerer Exzellenz bekannt, habe ich stets Ihre Interessen und
Wünsche warm vertreten. Ich muß es Euerer Exzellenz gegenüber klar
aussprechen, daß ich dies für die Folge nicht nur nicht tun kann,
sondern daß das vertragswidrige Vorgehen der Türkei für mich jedes
Zusammengehen mit Euerer Exzellenz ausschließen würde.“

                                                            Berckheim.


400.

  Großes Hauptquartier,                              den 9. Juni 1918.

Der Kaiserliche Legationssekretär an Auswärtiges Amt.

Feldmarschall Hindenburg läßt drahten:

Ich habe an Enver Pascha gedrahtet:

Im Namen der Obersten Heeresleitung ersuche ich Euere Exzellenz,
anzuordnen:

daß alle türkischen Truppen aus dem kaukasischen Gebiet mit Ausnahme
der Bezirke Kars, Ardahan und Batum zurückgezogen werden.

                                                            Berckheim.


401.

                                            Tiflis, den 14. Juni 1918.

    Bericht über das Blutbad bei Katharinenfeld am 1. Juni 1918.

Ich glaube von dem Ereignis, das sich am 1. Juni in der Nähe von der
Kolonie Katharinenfeld zugetragen hat, ein ziemlich richtiges Bild zu
besitzen. Insofern ich nicht selbst Augenzeuge war von den Tatsachen,
konnte ich dieselben durch Ausfragen von Tataren, die an den Metzeleien
beteiligt waren, und von geretteten Armeniern ergänzen.

Nach blutigen Kämpfen zwischen Türken und Armeniern bei Karakilissa,
in denen die letzteren unterlagen und schließlich von den Türken
umringt wurden, gelang es einer Schar von ungefähr 800 Armeniern --
Soldaten und Flüchtlingen --, in der Richtung der Bahnlinie den Türken
zu entkommen. Unter Verfolgung der Türken flohen diese der Bahnlinie
entlang, und der größere Teil erreichte glücklich die Station Sanain,
wo sie, wie anzunehmen war, die Türken nicht mehr zu fürchten hatten,
da die Station von einer deutschen Truppenabteilung bewacht wurde
und der dortige deutsche Kommandant die Armenier unter seinen Schutz
nahm. Doch ihr Ziel war Tiflis; da allein, glaubten sie, würde ihr
Leben gesichert sein. Sie schlugen den Weg über Ach-Kjoerpi nach
Bolnis-Chatschin ein, wo von der gesamten Zahl nur noch 480 Mann
ankamen. Unterwegs hatten sie große Not: keine Lebensmittel; kein Dorf
wollte sie durchlassen, weder ein tatarisches, noch ein armenisches,
aus der Befürchtung, dafür als Feinde der Türken betrachtet werden
zu können. So mußten sie, meist auf Umwegen, durch tiefen Wald und
auf menschenleeren Bergrücken entlang, flüchten und gelangten den
29. Mai, ganz ausgehungert, in die Nähe des armenischen Dorfes
Bolnis-Chatschin. Da Bolnis-Chatschin bekanntlich ein reiches Dorf
ist, so hofften auch die Unglücklichen hier bestimmt auf Aufnahme
und Unterstützung von seiten ihrer Volksgenossen. Doch, wie ich von
verschiedener Seite vernommen habe, sollen sie bei dem Versuche, sich
dem Dorfe zu nähern, auch hier bewaffnetem Widerstande nicht nur
der Tataren der benachbarten Dörfer, sondern auch der Bewohner von
Bolnis-Chatschin begegnet sein. Sie wurden nachts, währenddem sie sich
in dem benachbarten Walde (von den Deutschen der „Judenwald“ genannt)
aufhielten, von der Seite des Dorfes her beschossen. Da trat ein
tapferer Fähnrich der armenischen Bergbatterie, der sich schon vorher
auf dem Wege als tüchtiger Führer bewährt hatte, kühn mit der weißen
Fahne vorangehend auf und erklärte, daß seine Leute fast waffenlos
seien. Daraufhin wurde ihnen erlaubt, das Dorf zu betreten. Doch hier
mußten sie bald entdecken, daß sie von einer übermächtigen tatarischen
Horde umringt waren, an deren Spitze ein gewisser Israfil-Begh aus
Bolnis-Kapanaktschi stand. Man verlangte von den Belagerten vor allem
die Abgabe ihrer Waffen, die im ganzen ungefähr noch 80 Flinten
ausmachten. Was die übrigen Flinten anbetrifft, so -- gaben die
Flüchtlinge an -- hatten sie die längst teilweise bei Karakilissa an
die Türken verloren, teilweise unterwegs bei der Bevölkerung gegen Brot
ausgetauscht. Nach langem Zögern traten sie schließlich ihre Waffen
ab, unter Versicherung ihrer Volksgenossen, sowie der Tataren, sie
glücklich nach Katharinenfeld zu bringen. Dann erklärte Israfil-Begh,
im Namen des sich in Katharinenfeld befindlichen türkischen Paschas,
des angeblichen Divisionsstabschef aus Dschelal-Ogly, die Entwaffneten
als türkische Gefangene, die er die Aufgabe habe nach Katharinenfeld
zum Pascha zu bringen. Hierbei muß bemerkt werden, daß in der Kolonie
die Gemüter schon längst in Aufregung waren infolge verschiedener
Gerüchte von dem Anrücken der Türken und der verzweifelten Flucht der
armenischen Partisanenschar unter der Führung des berüchtigten und weit
und breit gefürchteten Andraniks.

Die Türken zeigten sich denn eines Tages wirklich in Person zweier
Offiziere, die von Dschelal-Ogly angekommen waren. Doch hatte sich
die Nachricht von der Ankunft des Andraniks nie bewährt. So war es
denn nichts Neues, als am 29. Mai tatarische Reiter mit der Nachricht
angesprungen kamen, daß Andranik mit einem einige tausend Mann
starken Haufen in Bolnis-Chatschin eingetroffen sei, doch wurde die
Angabe so kategorisch wiederholt und dabei betont, Andranik wolle
sich über Katharinenfeld nach Tiflis durchschlagen, daß es wiederum
die ganze Kolonie auf die Füße brachte und eine gewaltige Panik
hervorrief und den deutschen Bataillonschef veranlaßte, sämtliche
Mannschaften unter Gewehr zu bringen. Dies geschah am Abend des 29.
Mai. Um den Durchzug etwaiger Banden durch die Kolonie zu verhindern,
wurden sofort 3 Posten, je 60 Mann stark, in den Richtungen südlich,
westlich und nördlich, in 2 Kilometer Entfernung von der Kolonie
ausgestellt, die, in ununterbrochener Verbindung mit einander
stehend, die ganze Nacht durch Wache hielten. Um Mitternacht wurden
Reiter nach Bolnis-Kapanaktschi ausgeschickt, die von dort ganz
beruhigende Nachrichten brachten. Namentlich ist ihnen unterwegs
niemand begegnet, und in dem Tatarendorfe gab man ihnen eine Auskunft,
aus der man schließen konnte, es sei nichts los. Gegen Morgen wurden
die ausgestellten Posten wieder zurückgezogen. Hierauf trat eine
verhältnismäßige Ruhe ein; die Kolonisten, gewöhnt an verschiedenartige
Provokation der Tataren, kamen zu dem Entschluß, daß auch diesmal
Ähnliches vorliege und begaben sich auf die Arbeit. Nur erschien
an demselben Tage -- das ist der 30. Mai -- wieder ein türkischer
Offizier, nachdem die oben genannten ersten zwei die Kolonie verlassen
hatten. Derselbe gab sich für den Stabschef der Division, die in
Dschelal-Ogly stand, aus. Am selben Tage kamen die Tataren und Armenier
aus den benachbarten Dörfern, u. a. auch aus Bolnis-Chatschin, und
brachten dem „Pascha“ ihre Huldigung dar. Im übrigen verlief der Tag
ruhig.

Am 31. morgens kamen wiederum aus Kapanaktschi Boten (Tataren) mit
der Meldung an den „Pascha“, daß in Bolnis-Chatschin 700 bis 1000
Mann armenischer Soldaten angekommen seien. Doch bald wuchs die
Zahl derselben, da immer neue Boten aus dem Bolnistale ankamen, bis
auf etliche tausend Mann. Die Panik war wieder groß in der Kolonie.
Obwohl ich diesen Nachrichten wenig Glauben schenkte, ging ich doch
auf den Kirchenplatz, um womöglich Näheres zu erfahren. Dort traf ich
den türkischen Stabsoffizier, welcher mir sagte, daß er soeben oben
erwähnte Nachricht erhalten habe, und bat mich, Alarm zu blasen. Es
ist zu bemerken, daß die Angaben der Tataren sich unterdessen schon an
10000 Mann beliefen. Ich, an derartige Übertreibungen tatarischerseits
gewöhnt, riet dem Offizier, den Tataren nichts zu glauben, da ohnehin
5 von meinen Soldaten, die ich vor einer Stunde in den „Faldasch“ (das
Wasserscheidegebirge zwischen dem Muschawer- und Bolnistale) geschickt,
um das Nähere auszukundschaften, in einer Stunde hier sein müßten mit
zuverlässigen Nachrichten. Er war einverstanden, auf das Eintreffen
meiner Soldaten zu warten und gab offen sein Mißtrauen zu den
tatarischen Meldungen kund. Nach einer Stunde kamen meine Soldaten vom
Faldasch zurück und meldeten, die Tataren hätten die ganze Bergkette
Faldasch besetzt, und somit den Weg nach Katharinenfeld abgesperrt.
Obwohl dieser Bericht uns nicht beunruhigte, alarmierten wir doch
sofort die ganze Mannschaft. Es wurden wieder Posten ausgestellt; einer
im Süden bei der Muschawerbrücke und einer im Westen der Kolonie.

Hier muß ich jedoch bemerken, daß diesmal auf den Alarm nur wenige
eintrafen, denn die Kolonisten, die letzten Tage schon so oft
unnötigerweise alarmiert, verhielten sich ziemlich gleichgültig und
schenkten der Bekanntmachung keinen Glauben mehr. Darum konnten nur
verhältnismäßig schwache Posten ausgestellt werden.

Es verlief der Abend und die Nacht zum 1. Juni ganz ruhig. Am Morgen
des 1. Juni ging ich zu dem türkischen Stabsoffizier, welcher mich
mit den Worten empfing: „Es ist doch unglaublich, wie die Tataren
lügen können. Es hat sich nun herausgestellt, daß in Bolnis-Chatschin
nur 80 Mann bewaffneter Armenier sind.“ Auf dieses hin hoben wir die
Posten auf und entließen unsere Mannschaften bis auf die wachthabende
Halbkompagnie, und alles machte sich wieder an die Arbeit, da diese in
den Gärten sehr dringend war.

Bis 5 Uhr nachmittags am 1. war alles ganz ruhig. Da, plötzlich fing
am St. Georgsberg eine heftige Schießerei an. Ich begab mich sofort
in den höher gelegenen Teil der Kolonie, von wo aus man das Tal und
die daran grenzende Anhöhe, die „Tatarensteppe“, übersehen konnte.
Die letztere wimmelte von Tatarenhaufen, deren Zahl ich ungefähr auf
3000 Mann schätzte. Im Verlaufe von etlichen Minuten hatten sich die
Massen ins Tal heruntergewälzt, wo das Schießen immer heftiger wurde.
In unglaublich kurzer Zeit waren große tatarische berittene Haufen im
Galopp den Mühlenweg und den Karbacher Viehtrieb herangeritten und
hatten so ihren Opfern den Zutritt zur Kolonie unmöglich gemacht.
Etliche von den Reitern erklärten den Deutschen, daß diese sich ruhig
verhalten möchten, da sie es nur mit den Armeniern zu tun hätten. An
ein Einmischen unsererseits war übrigens im Moment auch gar nicht zu
denken, da, wie schon gesagt, die ganze Mannschaft entlassen worden war
und sich in den Gärten und Feldern auf der Arbeit befand. Es standen
uns alles in allem nur 90-100 Mann zur Verfügung. Dazu kam noch der
Zufall, daß von den auf der Tatarensteppe Arbeitenden niemand das
Herannahen der Haufen zeitig bemerkt hatte. Und so wußte man den
genauen Sachverhalt lange nicht. Die Tataren sagten nur, das wären die
Armenier, die schon etliche Tage erwartet würden; sie würden jedoch
allein mit denselben fertig werden.

Schnell verpflanzte sich unterdessen der „Kampf“ in die dicht an die
Kolonie angrenzenden Weingärten, bis in die westlichen Straßenenden des
Dorfes hinein, wo wir uns inzwischen, mit Maschinengewehren versehen,
aufgestellt hatten, und zwar anfangs mit der Absicht, keinenfalls
irgend jemand von den Banden in das Dorf herein zu lassen. Erst
durch die von Deutschen geretteten und in die Kolonie eingeführten
Armenier erfuhren wir den wahren Sachverhalt, woraufhin wir uns fest
entschlossen, so viel als möglich, von den Armeniern, koste es was
es wolle, zu retten. Die Armenier erzählten nämlich, daß -- was oben
schon teilweise vorausgegriffen ist -- sie in Bolnis-Chatschin auf
die Versicherung des Tatarenführers Israfil-Begh, sie ungefährdet
nach Katharinenfeld zu bringen, als Kriegsgefangene des türkischen
„Paschas“, ihre Waffen -- etwa 80 Flinten -- ausgeliefert und sich
den Tataren übergeben hätten. Auf dem Wege in die Kolonie seien sie
aber am Fuße des St. Georgsberges plötzlich von ihren Begleitern
überfallen und der größere Teil zwischen der Kolonie und der erwähnten
Stelle niedergemacht worden. Diese Angaben bestätigten sich u. a. auch
tatarischerseits. Nur wenigen, berichteten weiter die Armenier, sei
es gelungen, in die Weingärten zu entkommen, seien jedoch auch hier,
verfolgt von den Tataren, größtenteils niedergemacht worden.

Nun gingen wir energisch vor und stellten den Tataren die kategorische
Forderung, das Gemetzel einzustellen. Wir machten uns bereit zum
Eingreifen, richteten das Maschinengewehr gegen die Tatarenmassen
auf und drohten jeden niederzuknallen, der sich noch erlauben würde,
einem Armenier nachzustellen. Gleichzeitig schickte ich eine Abteilung
deutscher Schützen in das Innere der Kolonie, um sämtliche Muselmanen,
deren in der Kolonie eine große Anzahl wohnt, und die, Blut gerochen,
auch bereit waren, auf die Armenier loszugehen, in ihre Häuser zu
treiben und sie zu bewachen.

Die Tataren, die anfangs, trotz der Drohung der Deutschen, immer
noch vordrangen und fortfuhren, einzelne sich flüchtende Armenier zu
verfolgen, fügten sich zwar grollend den Deutschen, als sie merkten,
daß unserer mehr geworden waren. Die Leute hatten sich unterdessen,
beunruhigt durch das gewaltige Schießen, schleunig allerseits von den
Gärten in die Kolonie begeben und die Mannschaft sich gesammelt. Dies
alles geschah innerhalb von stark zwei Stunden.

Um die Verwundeten aufzulesen und die sich dort noch aufhaltenden
Tataren zu verjagen, durchstreiften wir nun die Gärten und das Tal. Es
bot sich uns daselbst ein schauderhaftes Bild dar. Die ganze Gegend
war bestreut mit nackten blutbefleckten, unmenschlich zugerichteten
Leichen und Schwerverwundeten. Aus verschiedenem Versteck, aus dem
Gebüsch, aus hochgewachsener Saat, aus Wassergräben und Kanälen
krochen auf unseren Ruf die am Leben Gebliebenen hervor und freuten
sich unbeschreiblich, als sie sich in den Händen der Deutschen wußten.
So gelang es uns, hundert unversehrte und 52 verwundete Armenier zu
retten. Die Toten ließen wir vorläufig noch liegen, da es inzwischen
Nacht geworden war, die Verwundeten aber schneller Hilfe bedurften.
Die 152 Mann wurden nun im Schulhause untergebracht, wo ihnen
sogleich ärztliche Hilfe durch die Ärzte Ljesnik und Tetter zuteil
wurde. Auch stellte sich sofort eine Anzahl deutscher Frauen und
Mädchen bereitwillig zur Verfügung, die Unglücklichen zu pflegen. Die
Kolonisten brachten gleich Wäsche, Kleider, Brot, Milch, Butter und
Käse und alles Mögliche herbei, um die Untergebrachten zu stärken.
Diese konnten sich für ihre Rettung nicht genug bedanken.

Erst am nächsten Morgen, am Sonntag den 2. Juni, machten wir uns
daran, die Toten zusammenzufahren. Dank zahlreicher Teilnahme konnte
das schnell geschehen. Wir fuhren sie an einen Hügel westlich von
der Kolonie zusammen. Nachmittags um 1 Uhr wurden sie da in einem
Massengrabe mit der Teilnahme unseres Herrn Pastor Steinwand christlich
beerdigt, im ganzen 270 Mann.

Die hundert Mann, die unversehrt geblieben und von den Kolonisten
mit Kleidern und Speise versehen waren, wurden von dem türkischen
Stabsoffizier als seine Gefangene erklärt und uns zur Bewachung
überlassen. Am selben Tag traf in Katharinenfeld eine Eskadron
türkischer Reiter ein, mit denen die Gefangenen sogleich nach
Dshelal-Ogly befördert werden sollten. Dieser Umstand versetzte die
Armenier in solche Angst, daß noch in derselben Nacht 35 Mann von
ihnen flüchteten, darunter auch der oben erwähnte Fähnrich von der
armenischen Bergartillerie. Die übrigen 65 Mann wurden am 3. Juni mit
den türkischen Soldaten nach Dshelal-Ogly befördert. Die Verwundeten
wurden in Katharinenfeld in unserer Pflege zurückgelassen, wo sie sich
noch jetzt befinden. Jedoch sind davon die am schwersten Verwundeten,
20 an der Zahl, schon gestorben.

                                                      Leutnant Walker.


402.

    (Kaiserliches
  Konsulat Tiflis.)

    Telegramm.

                                            Tiflis, den 19. Juni 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Deutsche Bahnwachen haben unverändert strengen Befehl, nichts
Feindseliges gegen die Türken zu unternehmen. Einfahrt der Türken ohne
deutsche Genehmigung ist gemäß Artikel 2 unseres Abkommens dadurch
verhindert worden, daß die Züge an der Grenze von der deutschen
Kommission angehalten werden mit der Drohung, die Eisenbahnstrecke
werde zerstört, falls die Türken gewaltsam weiterfahren sollten.
Türken haben tatsächlich nachgegeben und haben bis heute noch keinen
Transportantrag bei der deutschen Kommission gestellt.

Türkische Truppen haben gestern morgen nördlich Kalageran deutsche
Truppen beschossen, die Feuer erwiderten. Türken haben auf der Strecke
nach Karakliß 3 Brücken verbrannt, Schanze Tiegenhof, nördlich
von Kalageran, und denken vorläufig nicht daran, auf Karakliß
zurückzugehen. Truppentransporte wegen vernichteter Brücken nunmehr
dort unmöglich.

Türken haben in Batum alle muhammedanischen Nationalisten
(türkenfeindliche und zu Georgien neigende) verhaftet. Hiesige
Regierung bittet dringend, etwas für diese Leute zu tun, da sonst
Abstimmung in Batum voraussichtlich für Türken ausfallen wird.

                                                          Schulenburg.



_Juli._


403.

  Armenische Delegation.                     Berlin, den 2. Juli 1918.

    An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.

Durch unsere Denkschrift vom 15. Juni und bei Gelegenheit der
Unterredungen, die Sie uns zu gewähren die Güte hatten, durften
wir die Aufmerksamkeit der Deutschen Regierung auf die äußerst
besorgniserregende Lage der armenischen Flüchtlinge im Kaukasus lenken.

Fast aus allen Ortschaften Transkaukasiens, die von den Türken besetzt
wurden, sind die Armenier mit Weib und Kind geflüchtet, Hab und Gut
im Stiche lassend und nur darauf bedacht, das nackte Leben zu retten.
Die Zahl der so geflüchteten Armenier wird, niedrig geschätzt, mit
600000 berechnet (die Flüchtlinge türkisch-armenischer Herkunft nicht
einbegriffen). Viele dieser Unglücklichen haben in den Bergen Zuflucht
gesucht, und fast alle leben unter freiem Himmel, da für Unterbringung
und Verpflegung solcher Massen bei der Einschränkung des armenischen
Territoriums und der allgemein herrschenden Not keinerlei Möglichkeit
besteht.

Ist der Zustand der armenischen Flüchtlinge jetzt schon unerträglich,
so verschlimmert er sich in steigendem Maße von Woche zu Woche.
Das Wenige an Lebensmitteln, die sie vielleicht mitnehmen konnten,
wird bald erschöpft sein, und sie dürfen angesichts des allgemeinen
Mangels auf eine nennenswerte Hilfe von anderer Seite nicht rechnen.
Andererseits naht der Herbst heran, und das Hausen im Freien wird
in dem herben Klima der gebirgigen Gegend ohne ernste Gefahr für
Leben und Gesundheit nicht möglich sein. Dazu kommt noch, daß ihre
Felder und Äcker herrenlos zurückgelassen unbestellt bleiben und
ihre Wirtschaften und Baulichkeiten gänzlich verfallen müssen, wenn
sie nicht bald in ihre Heimatsorte zurückkehren. Das wäre ein Ruin
für viele Hunderttausend Menschen, aber auch ein großer Nachteil
für die Lebensmittelversorgung und das wirtschaftliche Gedeihen von
ganz Transkaukasien. Auch der Umstand, daß unter den armenischen
Flüchtlingen bereits epidemische Krankheiten aufgetreten sind und sich
ausbreiten, birgt Gefahren in sich, die für diese selbst verderblich,
aber auch für die übrige Bevölkerung der Gegend verhängnisvoll werden
können.

Nur durch eine sehr baldige Zurückführung der Flüchtlinge in ihre
Heimstätten könnte allen diesen Gefahren vorgebeugt werden. Dank der
schützenden Hand Deutschlands ist glücklicherweise der Schaden an Leben
und Eigentum infolge des türkischen Einmarsches in Transkaukasien
nicht in dem Maße eingetreten, wie wir es befürchtet hatten. Wird den
Flüchtlingen die Möglichkeit der baldigen Rückkehr in ihre Wohnorte
gegeben, so kann auch der durch ihre Flucht herbeigeführte Schaden
in engeren Grenzen gehalten werden. Aber solange die Türken ihre
Ortschaften besetzt halten, wird es nicht möglich sein, die Flüchtlinge
zur Rückkehr zu bewegen. Sie befürchten, von den Türken festgenommen
und verschleppt zu werden, wie das mit ihren zurückgebliebenen
Volksgenossen an manchen Orten geschehen ist, wo die Männer über 16
Jahre eingezogen wurden und verschwanden.

Die Flüchtlinge werden erst dann zurückkehren, wenn die Türken die
Gegend geräumt haben. Wir durften erfahren, daß die Deutsche Regierung
entschlossen ist und Schritte getan hat, die türkischen Truppen zur
Räumung des armenischen Gebietes bis zu der durch den Brester Vertrag
gezogenen Grenze zu veranlassen. Dieser wirksame Schutz unserer
nationalen Existenz im Kaukasus erfüllt uns mit tiefster Dankbarkeit
und läßt uns vertrauensvoll in die Zukunft blicken. Es bleibt uns
zu bitten, daß die Räumung, da sie nunmehr beschlossen ist, mit
Rücksicht auf die unhaltbare Lage der armenischen Flüchtlinge und die
Dringlichkeit ihrer sehr baldigen Rückkehr rechtzeitig genug erfolgt,
um die geflüchteten Armenier vor größten Gefahren und Nachteilen zu
bewahren.

                       Die Bevollmächtigten der armenischen Regierung.
                                    Dr. H. Ohandjanian.


404.

  (Kaiserlich Deutsche Delegation
          im Kaukasus.)

    Telegramm.

                                            Tiflis, den 10. Juli 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Brieflich eingegangen am 30. Juli.

Bischof Mesrop ist mit Lebensgefahr von Eriwan hierher gekommen, um
deutsche Hilfe zu erflehen. Nach seiner Angabe müssen mindestens
eine halbe Million Armenier Hungers sterben, wenn nicht sofort den
Armeniern die Rückkehr in die Gegend von Sadarabad-Igdir und Darvala
erlaubt wird, um die reife Ernte einzubringen. Die Schilderungen des
glaubwürdigen und verdienten Bischofs sind erschütternd. Die türkische
Absicht, die ganze armenische Nation durch völlige Abschließung
verhungern zu lassen, liegt klar zutage. Essad hat meine Bitte, den
armenischen Flüchtlingen und dem armenischen Nationalrat die Rückkehr
zu erlauben, unter nichtigen Vorwänden abgeschlagen. Stärkster Druck
der Mittelmächte auf die Türken ist dringendes Gebot der Menschlichkeit
und Politik.

                                                                 Kreß.


405.

  Kaiserlich Deutsche Delegation
          im Kaukasus.                      Tiflis, den 11. Juli 1918.

Heute hat mich der armenische Bischof Mesrop, ehemaliger Verweser
des Erzbistums Tiflis, besucht, wie ich Euerer Exzellenz bereits
anderweitig berichtete.

Der Bischof, ein ehrwürdiger Mann, Ende der fünfziger Jahre, ist
in Dorpat geboren und spricht gut deutsch. Er ist allein zu Pferde
über das Gebirge durch die tatarischen Banden hindurch in steter
Lebensgefahr von Eriwan nach Tiflis geritten, um die deutsche Hilfe zur
Rettung der Reste der armenischen Nation zu erbitten.

In ergreifenden Worten schildert der Bischof das Schicksal seiner
Nation. Er hat sich redlich bemüht, das Elend zu lindern und zu helfen.
Mehr als eine halbe Million von Armeniern aus den von den Türken
besetzten und bedrohten Gebieten haben in der ersten Hälfte des April
in panikartiger Flucht ihre Dörfer verlassen und sind vor den Türken
geflohen. Sie sind zurzeit in der Gegend von Eriwan versammelt. Man
hat zwar etwas Geld aufgebracht, um sie zu unterstützen, aber sie
bekommen auch für schweres Geld nichts zu essen. Viele, viele Tausende
leben seit Wochen nur von Gras. Selbstverständlich wüten ansteckende
Krankheiten und fordern zahllose Opfer unter den halb verhungerten und
verelendeten Menschen.

Die Türken haben ungeachtet des Friedensvertrages von Batum und
der Anerkennung der Selbständigkeit von Armenien das armenische
Gebiet nicht geräumt und erlauben vor allem dem in Tiflis sitzenden
Nationalrat und den in Georgien befindlichen Flüchtlingen nicht, in die
Heimat zurückzukehren. Da der Nationalrat keine Verbindung mit Armenien
hat, kann er seinen Regierungspflichten nicht nachkommen.

Die Ernte wird in den nächsten Tagen reif. Sie soll besonders in dem
Gebiet zwischen Sardarabad-Igdir und Darvala gut sein. Wenn aber
den armenischen Bauern nicht in kürzester Zeit gestattet wird, in
ihre Heimat zurückzukehren, so ist die Ernte verloren. Die Armenier
müssen dann entweder Hungers sterben oder ihre Ernährung fällt den
Mittelmächten zur Last.

Etwa 14000 Armenier im Alter zwischen 17 and 60 Jahren sollen von
den Türken zum Arbeitsdienst gepreßt sein. Nach Angabe des Bischofs
herrscht größtes Elend unter ihnen. Jeder Armenier erhält trotz
schwerer Arbeit täglich nur ein Stück türkisches Hartbrot (etwa 200
g). Der Bischof appelliert im Namen der armenischen Nation und in
seiner Eigenschaft als Priester einer christlichen Kirche an die
Großmut Seiner Majestät des Kaisers und der Deutschen Regierung.
Nur Deutschland sei in der Lage, die Türkei zu zwingen, daß sie von
ihrem verbrecherischen Beginnen einer systematischen Aushungerung der
geringen Reste der armenischen Nation ablasse.

Deutschland müsse sich bewußt sein, daß es vor der Geschichte die
Verantwortung zu tragen habe, wenn es seine Macht nicht dazu ausnutze,
um eine christliche Nation vor der Ausrottung durch die Muhammedaner zu
schützen.

Euere Exzellenz bitte ich, meine persönliche Auffassung dahin äußern zu
dürfen, daß nach all den zahlreichen Nachrichten und Berichten, die ich
hier erhalten habe, wohl kaum ein Zweifel darüber bestehen dürfte, daß
die Türken systematisch darauf ausgehen, die wenigen Hunderttausende
von Armeniern, die sie bis jetzt noch am Leben gelassen haben, durch
systematische Aushungerung auszurotten.

Es steht mir nicht zu, Euere Exzellenz auf die Pflichten aufmerksam
zu machen, die Deutschland als christliche Nation den christlichen
Armeniern gegenüber zu erfüllen hat, und auf den Eindruck, den es auf
unsere öffentliche Meinung und die ganze christliche Welt machen wird,
wenn wir die Armenier nicht vom Untergange retten. Ich darf aber die
Aufmerksamkeit Euerer Exzellenz darauf lenken, daß unser Ansehen im
Kaukasus und den umliegenden Gebieten schweren Schaden leiden wird,
wenn es uns nicht gelingt, die Armenier gegen die Türken zu schützen.

Entschieden wird man uns vorwerfen, daß uns der gute Wille gefehlt
habe, oder man wird annehmen, daß wir nicht die Kraft und die Macht
besitzen, den Türken gegenüber unseren Willen durchzusetzen. Wir
würden uns die zahlreichen und infolge ihres großen Reichtums sehr
einflußreichen Georgier armenischer Abstammung zu unversöhnlichen
Feinden machen und würden unseren Gegnern ein ganz besonders wirksames
Propagandamittel gegen uns in die Hand geben.

Ich bitte deshalb Euere Exzellenz ebenso dringend wie gehorsamst, mit
allen verfügbaren Mitteln und möglichst rasch einen energischen Druck
auf die türkische Regierung auszuüben, daß sie sofort ihre Truppen
aus Armenien zurückzieht, den geflüchteten Armeniern die Rückkehr in
ihre Heimat gestattet, dafür sorgt, daß die Armenier unbehindert und
ungefährdet an Leben und Gut ihre Ernte einbringen können, und daß die
zum Arbeitsdienst gepreßten Armenier sofort in ihre Heimat entlassen
werden.

                                                    Freiherr von Kreß.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
      Herrn Grafen von Hertling.


406.

        Königlich
  Preußische Gesandtschaft.                München, den 12. Juli 1918.

Der Nuntius bittet mich soeben, festzustellen, ob es möglich wäre,
durch die Deutsche Regierung dringende Unterstützung für die armenische
und syrochaldäische Bevölkerung im Kaukasus und in Persien zu senden,
da es nicht möglich sei, solche vermittels der englischen Regierung
über Konstantinopel zu schicken.

Der Nuntius ist zu dieser Anfrage durch den Kardinalstaatssekretär
beauftragt und legt auf Beschleunigung der Antwort großen Wert.

                                                             Treutler.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
     Herrn Grafen von Hertling.


407.

  Armenische Republik.
  Delegation in Berlin.

                                            Berlin, den 15. Juli 1918.

    An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.

Wir haben die Ehre, in der Anlage Auszüge aus Briefen und Nachrichten
aus der Heimat einzusenden, die als Belege für unsere Mitteilungen über
die kritische Lage in Kaukasisch-Armenien dienen mögen.

                       Die Bevollmächtigten der armenischen Regierung.
                           Dr. H. Ohandjanian.        A. Suraboff.


408.

                                            Berlin, den 15. Juli 1918.

    Neueste Nachrichten aus Kaukasisch-Armenien.

    Auszüge aus dem Brief des Präsidenten des Nationalrates Herrn
    Aharonian vom 11. Juni (n. S.) aus Tiflis.

... Es hat den Anschein, daß Deutschland bezüglich Georgien ernste
und entschiedene Engagements hat, die es in edler Weise und mutvoll
verwirklicht, während unsere Sache noch in der Schwebe ist. Durch das
türkische Eindringen flieht unser Volk zu Hunderttausenden, alles im
Stiche lassend. Der Bezirk Achalkalaki ist schon ganz entvölkert;
die Stadt ist niedergebrannt und liegt in Trümmern. 80000 Einwohner
sind geflüchtet und haben sich in den Schluchten von Bakuriani
eingeschlossen. Aus ganz Surmalu, aus allen besetzten Gebieten von
Alexandropol und Kars, aus Etschmiadsin und den sonstigen Gegenden, bis
wo die Türken vorgedrungen sind, flieht die Bevölkerung in großer Eile
und geht zu Zehntausenden zugrunde. Diese Tatsache, daß die Türken aus
Stadt und Bezirk Alexandropol die ganze armenische Jugend gesammelt und
ins Innere der Türkei verschleppt haben, verbreitet Schrecken, und kein
Flüchtling will in die von den Türken besetzten Gebiete zurückgehen.
Das armenische Volk geht in den „Krallen“ der Flucht zugrunde, wie
es in Türkisch-Armenien zugrunde gegangen ist. Deutschland, das in
Türkisch-Armenien dieses furchtbare Verbrechen gegen die Armenier
dulden mußte, weil sein Arm nicht hinreichte, wird es dulden wollen,
daß nun auch hier im Kaukasus das armenische Volk durch Hunger und
Flucht ausgetilgt wird, da Deutschlands Arm hinreicht und Wunder
tun kann, wenn es will? Das müssen Sie unseren deutschen Freunden
verständlich machen.

Der deutsche Vertreter, Graf von Schulenburg, verhält sich uns
gegenüber wohlwollend; doch hat er die erforderlichen Anweisungen aus
Berlin noch nicht erhalten, zu unseren Gunsten ebenso zu wirken, wie er
zugunsten Georgiens tätig ist.

In der Tat beherrschen die Türken heute ganz Aserbeidschan bis
Ciskaukasien. Sie beherrschen selbst die armenischen Gebiete, die
nach dem letzten (Friedens-) Vertrag nicht unter die türkische
Herrschaft fallen. Die türkischen Truppen halten besetzt: Lori,
Kasach, Bortschalu. Aus Eriwan haben wir keine Nachrichten. Wir sind
abgeschnitten. Die Eisenbahn und der Telegraph sind außer Betrieb.
Es ist eine unerträgliche Lage. Wir konnten selbst die Nachricht von
dem Friedensschluß dem General Nazarbekoff nicht mitteilen. Wir sind
auch von Baku abgeschnitten. Wir versuchen, eine Regierung unserer
armenischen Republik zu bilden; aber es besteht keine Möglichkeit einer
Reise nach Eriwan. Unser Volk ist herrenlos, unsere Flucht unendlich,
die Sterblichkeit riesengroß. Wir müssen entschieden und sofort wissen:
Will Deutschland uns in der Tat beschützen oder nicht?


    Auszüge aus der in Tiflis erscheinenden armenischen Zeitung
    „Horizon“ vom 11. Juni (Nr. 112).

    25 Offiziere getötet.

Der Festungsoffizier von Kars, Karapetian, welcher am 4. Juni
aus türkischer Gefangenschaft geflohen ist, berichtet folgende
erschütternde Geschichte:

„Wir waren 28 Offiziere: 12 russische, 6 georgische und 10 armenische.
Wir gerieten in der Station Allahwerdi in türkische Gefangenschaft. Man
brachte uns nach Aschagha-Maral, wobei man uns unterwegs die Schuhe
auszog. Dann kam ein türkischer Offizier und sagte: Folgt mir zu
unserem Pascha, welcher sich in der Nähe in dem Büro von Mantascheff
befindet und Euch verhören will.

Als man uns aus dem Eisenbahnwagen herausholte, fragte einer der
Askjaris (türkischer Soldat): Habt Ihr die Maschinengewehre gebracht?
Der andere hieß ihn drohend schweigen. Wir folgten dem Unteroffizier,
umzingelt von Askjaris. Nachdem man uns etwa 3 Werst weiter geführt
hatte, wurde der Regimentskommandeur Wladimiroff vorgerufen und seiner
Kleider und Barschaft (1500 Rubel) beraubt, ebenso verfuhren sie mit
den übrigen Offizieren. Auch mir nahmen sie die Kleider und 3833 Rubel
weg. Dann hieß man uns zusammen hinsetzen, während der Unteroffizier
die Gewehre zu laden befahl. In einem Halbkreis, 6 Schritt von uns
entfernt, legten sich die Askjaris mit geladen Flinten hin. Gerade als
der Befehl -- Feuer -- erteilt werden sollte, flohen wir alle, aber nur
drei von uns konnten sich retten: ich und zwei andere, Leutnant des
Ephremoffschen Regiments Smirnoff und Militärbeamter Kusma Fomin.

Die Nacht verbrachten wir im Schilf. Im Morgengrauen des 5. Juli
krochen wir nach dem Platz, wo das Verbrechen begangen worden war und
sahen dort die Leichen unserer Kameraden umherliegen, darunter die
des Regimentskommandeurs Wladimiroff, des Offizierstellvertreters
Sohraboff, des Bataillonchefs Bosnakian und des Offizierstellvertreters
Bosnakian.

Mit großen Schwierigkeiten konnten wir die Station Kumis erreichen,
von wo aus deutsche Offiziere uns nach Tiflis brachten. Barfuß und
in Unterkleidern meldeten wir uns bei dem Stab der Roten Garde und
erhielten Kleider und Schuhe.“

    Ferman Wehib Paschas.

Zum Zwecke der Wiederherstellung der Eisenbahnverbindung zwischen
Eriwan und Elisabethpol wurden besondere Züge abgelassen, in denen sich
türkische Offiziere befanden. Diese Offiziere nahmen einen Ferman Wehib
Paschas mit, in dem der tatarischen Bevölkerung mitgeteilt wurde, daß
nunmehr der Friede geschlossen sei und ihre feindselige Haltung den
Armeniern gegenüber aufzuhören habe. Ebenso sei es verboten, fernerhin
die Armenier zu töten[150].


    Auf der kaukasischen Heeresstraße.
    (Zur Lage der armenischen Flüchtlinge.)

Aus Wladikawkas wird uns vom 2. Juli berichtet:

Es gibt keinen Armenier, dem nicht in Lars bei Kasbek ein Unglück
begegnet wäre. Die armenischen Flüchtlinge werden nicht nur
ihres Geldes und ihrer Habe beraubt, sondern sie haben dazu noch
Erniedrigungen und Vergewaltigungen aller Art zu erdulden. Die
Flüchtlinge, welche Wladikawkas erreichen, glauben, dort in Sicherheit
zu sein. Nach kurzer Rast daselbst begeben sich die Flüchtlinge
nach Armavir. Auf den Stationen Darkoch und Elchotowo wird der
Flüchtlingszug das Opfer eines organisierten Räuberüberfalles. Hier
werden die Flüchtlinge von den Räubern gründlich ausgeplündert, die
geraubte Habe wird auf kleine Wagen verladen und nach den Wohnsitzen
der Räuber geschleppt. Dies alles geschieht am hellen Tage und
straflos. Die dortige Regierung, welche alle diese Ereignisse mit
ansehen mußte, hat nun endlich strenge Maßnahmen ergriffen. Diesen
zufolge sollten die Züge durch Soldatenabteilungen beschützt werden
und hauptsächlich aus Panzerwagen bestehen. Wir hoffen, daß die
räuberischen Überfälle nunmehr bald aufhören werden.

Aus Duschet wird uns vom 8. Juni gemeldet:

Einige Kilometer von Kazbek entfernt, brachen Feindseligkeiten zwischen
den Gardisten der georgischen Republik und den Gardisten der russischen
kommunistischen Republik aus. Die beiderseitigen Gegner schlossen,
als sie das Elend der Flüchtlingsscharen auf dem betreffenden Gebiet
sahen, einen Waffenstillstand von 8 Uhr früh bis 2 Uhr nachmittags,
um den Flüchtlingen Gelegenheit zu geben, gruppenweise die Linien zu
passieren. Nach 2 Uhr sollte das „Kriegsspiel“ wieder aufgenommen
werden. Nicht wenige Flüchtlinge werden trotzdem Opfer dieser
Scharmützel und müssen, oft unter Zurücklassung ihrer gesamten Habe,
schleunigst flüchten, um nur das nackte Leben zu retten. Auf den
Sammelstellen der Flüchtlinge herrschen schreckliche Zustände. Kälte,
Schmutz, Nächte unter dem freien Himmel fördern gefährliche Epidemien,
denen viele zum Opfer fallen.


Auszug aus der Depesche der armenischen Delegation in Konstantinopel.

  Aus dem Felde, den 12. Juli 1918.
  Ankunft, den 12. Juli 1918.

    Kaiserliche Botschaft an Auswärtiges Amt.

    Für Dr. Ohandjanian, Berlin.

Avons reçu de Tiflis conseil national télégramme suivant date 7
juillet. Nationalrat erhält täglich alarmierende Nachrichten aus dem
von türkischen Truppen besetzten Gebiet Lori. Fälle von Plünderungen
und Morden seitens türkischtatarischer Banden im Süden von Sanahin
mehren sich. Nach Unterzeichnung des Vertrages von Batum sind in
Karakilissa fast 2000 armenische Männer, Frauen und Kinder Massakers
zum Opfer gefallen. Zahlreiche Banden operieren noch jetzt in dieser
Gegend. Nationalrat ersucht Euch um energischen Protest und um
unverzügliche Räumung des armenischen Gebietes, das noch von türkischen
Truppen besetzt ist. Essad Pascha Batum sandte mir ein Schreiben, worin
er mitteilt, daß Rückkehr armenischer Flüchtlinge nach Akhalkalaki
unangängig, da Bevölkerung noch stark erregt sei, über Verbrechen, die
Armenier in demselben Gebiet verübten.


409.

                                            Berlin, den 15. Juli 1918.

    An das Auswärtige Amt, Berlin.

Bei Besprechungen im Großen Hauptquartier sind in bezug auf die
Kaukasusstaaten sowie in bezug auf Persien die in der folgenden
Niederschrift enthaltenen Richtlinien festgelegt worden. General
Ludendorff, der sich mit diesen Richtlinien einverstanden erklärt
hat, hat mich beauftragt, im Auswärtigen Amt dem Herrn Staatssekretär
Vortrag zu erstatten und bittet, daß möglichst völlige Übereinstimmung
der politischen und militärischen Stellen herbeigeführt wird.

                                                           von Lossow.


410.

                                            Berlin, den 15. Juli 1918.

    ~Richtlinien.~

    Armenien, Kaukasisch-Aserbeidschan, Nordkaukasische Republik.

Nachdem die Verhandlungen mit Georgien beendet sind, folgen der Reihe
nach Verhandlungen mit Armenien, Aserbeidschan und Nordkaukasus.
Bezüglich Armeniens und Aserbeidschans könnte die Verhandlung
gleichfalls in einer Revision der von der Türkei mit diesen Ländern
in Batum geschlossenen Verträge bestehen. Auf der Konferenz wäre an
die Delegierten dieser Länder als erste Frage zu stellen: „Wer ist
Euer Staat, wer ist Eure Regierung, ist Eure Unabhängigkeit anerkannt
oder nicht?“ Da eine befriedigende Antwort auf diese Fragen noch nicht
gegeben werden kann, so ist es klar, daß die weiteren Verhandlungen
mit diesen Staaten nur provisorischen Charakter haben können. Immerhin
ist es möglich, daß für Armenien und Aserbeidschan der bisher rein
türkische Vertrag durch einen provisorischen allgemeinen Vertrag
ersetzt wird, der die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen
zwischen diesen neuen Staatengebilden und den Vierbundmächten
einigermaßen festlegt. Für die Nordkaukasusstaaten, deren staatliche
Grundlage auf noch unsicheren Füßen steht, wird der Abschluß eines
Vertrages vielleicht großen Schwierigkeiten begegnen.

General Ludendorff spricht sich dahin aus, daß sich die deutsche
Oberste Heeresleitung und die Oberste Kriegsleitung auf die rein
militärische Seite der Kaukasusfragen zurückzuziehen wünscht und die
politische Leitung ausschließlich dem Auswärtigen Amt überlassen will.

General Ludendorff bittet den Staatssekretär, ihn darin zu unterstützen.

Bezüglich Armeniens ist noch nachzutragen, daß die deutsche Oberste
Heeresleitung anstrebt, daß auch seitens der österreichisch-ungarischen
Obersten Heeresleitung einige Bataillone und Batterien zur Verfügung
gestellt werden, um in Armenien eine ähnliche Aufgabe zu übernehmen,
wie die Deutschen in Georgien, vor allem den Schutz der physischen
Existenz der Armenier gegenüber drohenden türkisch-tatarischen
Massakers.

Weiter ist erwünscht, daß die armenischen Streitkräfte organisiert und
wieder verwendungsfähig gemacht werden, in ähnlicher Weise, wie wir es
in Georgien beabsichtigen.


411.

   Kaiserlich Deutsche
  Delegation im Kaukasus.

    Telegramm.

                                            Tiflis, den 16. Juli 1918.

    An das Auswärtige Amt.

Frhr. v. Frankenstein hat seiner Regierung folgende Beobachtungen
gedrahtet, die sich mit meinen decken:

„In Begleitung des Bischofs Mesrop und eines k. u. k. Militärarztes
habe ich gestern einen Teil der in den Wäldern von Bakuriani
kampierenden ca. 40000 Armenier besichtigt, die aus dem 2 Tagereisen
entfernten Achalkalaki angesichts des türkischen Vormarsches im Mai
geflüchtet sind. Ein Teil ist noch im Besitz geringer Vorräte, die
übrigen sind in großer Not, liegen teils krank herum, dem Regen
ausgesetzt; Flecktyphus und andere Krankheitsfälle sind in Zunahme.
Sollten diese Flüchtlinge noch längere Zeit in ihrer gegenwärtigen
Lage bleiben, so wird nach Ansicht der unter ihnen tätigen Ärzte eine
hohe Sterblichkeit durch Hunger eintreten. Die georgische Regierung
gestattet wegen der Seuchengefahr nicht ihre Verteilung in Georgien.

Die besonders gut stehende Ernte in ihren Heimatdörfern muß in 10 bis
20 Tagen spätestens eingebracht werden. Falls die Flüchtlinge nicht bis
dahin geschützt gegen türkische Gewalttätigkeiten zurückkehren können,
so wird voraussichtlich ein großer Teil der Ernte zugrunde gehen, da
die Türken zur Bergung der Ernte nicht in der Lage sein werden, und es
wird nötig sein, daß die Mittelmächte in den kommenden Monaten diese
Leute mit Getreide versorgen oder der Hungersnot überlassen. Gegen
30000 geflüchtete Armenier sind notdürftigst in Tiflis untergebracht
und befinden sich, wie ich heute persönlich festgestellt habe,
wegen hiesigen Brotmangels an der Verhungerungsgrenze; sie erwarten
sehnsüchtig eine Möglichkeit zur Heimkehr.

Wie Bischof Mesrop versichert, ist die Lage der rund 500000 in die
Umgebung von Eriwan gedrängten Armenier geradezu verzweifelt.“

                                                                 Kreß.


412.

  Auswärtiges Amt.                          Berlin, den 18. Juli 1918.

Auf Bericht vom 12. 7. 1918.

Euer Exzellenz bitte ich dem Nuntius zu sagen, daß wir prinzipiell
gern bereit sind, die Übermittlung von Unterstützungsgeldern an die
armenische und syrochaldäische Bevölkerung im Kaukasus und in Persien
zu übernehmen. Ob und wie weit die Ausführung -- insbesondere in
Persien -- praktisch möglich ist, steht allerdings dahin.

                                                  Frhr. v. d. Bussche.

  An die Königlich Preußische Gesandtschaft München.


413.

  Armenische Republik.
  Delegation in Berlin.                     Berlin, den 15. Juli 1918.

    An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.

Die Depesche unserer Delegation in Konstantinopel vom 12. d. M., die
Sie uns zuzusenden die Güte hatten, übermittelt uns ein Telegramm
des armenischen Nationalrats aus Tiflis vom 7. d. M., wonach täglich
alarmierende Nachrichten über Greuel gegen Armenier aus den von den
türkischen Truppen besetzten armenischen Gebieten einlaufen. Zahlreiche
türkische und tatarische Banden treiben ungestraft ihr Unwesen. Im
Süden von Sanahin in Lori mehren sich die Plünderungen und Morde
an Armeniern, und in Karaklis sind noch nach Unterzeichnung des
Friedensvertrages von Batum fast 2000 armenische Männer, Frauen und
Kinder den Massakres zum Opfer gefallen. Nach den bitteren Erfahrungen
in Türkisch-Armenien bedeuten diese Vorgänge, die ähnlich auch in
anderen Gegenden sich häufen -- so z. B. bei der deutschen Kolonie in
Katharinenfeld --, das Vorspiel zu katastrophalen Ereignissen, und
aus diesen Befürchtungen heraus ersucht der armenische Nationalrat
seine Delegierten, gegen diese Untaten energischen Protest zu erheben,
und auf die unverzügliche Räumung des armenischen Gebiets durch die
türkischen Truppen zu dringen.

Wir durften bereits durch unser ergebenes Schreiben vom 2. Juli der
schweren Sorge Ausdruck geben, die uns und unserer Nation die Fortdauer
der türkischen Besetzung unseres Gebiets bereitet, wodurch die Lage
der Hunderttausende zählenden armenischen Flüchtlinge, die nackt und
hungrig in den Bergen und Wäldern umherirren und massenweise den
Entbehrungen erliegen, sich in steigendem Maße verschlimmert und die
Rückkehr von Ruhe, von Beruhigung in unser Volk unmöglich gemacht wird.
Jede Woche, um die sich die Räumung verzögert, erschwert die Lage,
verwickelt die Situation mehr und treibt einem Zustand entgegen, dessen
Gefahren für das Schicksal der Flüchtlinge und die Existenz unserer
Nation überhaupt offensichtlich sind. Wir bitten auch, darauf hinweisen
zu dürfen, daß die mit der türkischen Besetzung zusammenhängenden
dauernden Ausschreitungen gegen die Armenier bei unseren Volksgenossen
in allen Ländern begreiflicherweise starke Erregung und Befürchtungen
hervorrufen.

Von dem dringenden Wunsche der Deutschen Regierung,
Armenierverfolgungen im Kaukasus zu verhindern, sind wir vollkommen
überzeugt und dankbar dafür. Aber solange die Türken noch Teile unseres
Gebiets besetzt halten, werden sie immer Mittel und Wege finden, offen
oder versteckt, direkt oder indirekt, durch organisierte türkische und
tatarische Banden ihrer Politik der Armenier-Ausrottung nachzugehen.
Schon die Vertreibung der Armenier aus ihren Heimstätten ist ein
solches Mittel, das die Flüchtlinge wirtschaftlich ruiniert und sie
zugleich allen Gefahren der Aufreibung aussetzt. Daher werden die
Türken in jeder Weise ihre Rückkehr in ihre Wohnstätten verhindern.
In dem Telegramm des armenischen Nationalrats ist auch von einem
Schreiben Essad Paschas die Rede, der die Rückkehr der armenischen
Flüchtlinge aus Achalkalaki für unmöglich erklärt, weil die Bevölkerung
angeblich über Verbrechen der Armenier dort noch stark erregt ist. Von
Verbrechen, die Armenier in Achalkalaki verübt haben sollen, ist uns
nichts bekannt; aber die Hinfälligkeit der Begründung Essad Paschas
ergibt sich schon aus der Tatsache, daß in Achalkalaki die Muhammedaner
-- auf die sich doch nur die Erregung beziehen könnte -- nur einen
verschwindend kleinen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung ausmachen. In
dem Bezirk Achalkalaki leben:

    82775 Armenier,
     9939 christliche Georgier und nur
     5400 Muhammedaner und
      800 Kurden.

Das einzige Mittel, den verderblichen Absichten der Türken bezüglich
der Armenier rechtzeitig und wirksam zu begegnen, bietet nur die
baldige Räumung unseres Gebiets und die Verwirklichung der Bedingungen
des Brester Vertrags hinsichtlich unserer Grenzen. Nur ein energisches
Eingreifen Deutschlands vermag die Türken zur Zurücknahme ihrer
Truppen zu nötigen, und im Hinblick auf die wachsende Erregung und
Panik, die das Verbleiben und die Ausschreitungen türkischer Truppen
auf unserem Gebiet verursachen, wiederholen wir, indem wir gegen die
türkischen Ausschreitungen in aller Form protestieren, inständigst
unsere dringende Bitte, durch alsbaldige Entfernung der türkischen
Besatzungen unser Volk aus einer Lage folgenschwerer Entwurzelung und
voll lauernder Gefahren zu retten, bevor es zu spät ist. Wir bitten
ferner, bis zur Durchführung der Räumung und zu ihrer Überwachung die
Armenier durch eine militärische Expedition vor weiteren Verfolgungen
schützen zu wollen.

                       Die Bevollmächtigten der armenischen Regierung.
                           Dr. H. Ohandjanian.       A. Suraboff.


414.

  (Auswärtiges Amt.)                        Berlin, den 17. Juli 1918.

    Aufzeichnung für mündlichen Vortrag.

Armenien hat sich zu einer selbständigen Republik erklärt.

Sein Gebiet ist aber zum größten Teil von den Türken besetzt, die
Bevölkerung teils in die Berge zusammengedrängt, teils nach Georgien
geflohen, und die armenische Regierung außerhalb des Landes in Tiflis.

Die Lage der Armenier ist derart, daß etwas für sie geschehen muß.

Das den Armeniern zur Verfügung stehende Gebiet ist so beschränkt,
daß die Armenier unmöglich darin leben können und bei Fortdauer
des gegenwärtigen Zustandes dem Untergange geweiht sind. Es wird
daher erforderlich sein, die Türken zu bewegen, hinter die Grenze
zurückzugehen, die ihnen im Vertrage von Brest-Litowsk zugestanden
worden ist und auf armenischem Gebiete höchstens Bahnwachen zu belassen
zur Sicherung der ungestörten Abwicklung der Militärtransporte in
der Richtung auf Djulfa und Täbris. Die Armenier werden aber nur
dann in ihr altes Gebiet zurückkehren können, wenn ihnen ein Schutz
sowohl gegen erneute türkische Einfälle wie gegen Ausschreitungen
tatarischer Banden gegeben wird. Dies läßt sich nur erreichen, wenn das
Land von zuverlässigen Truppen besetzt wird. Die russische Regierung
würde die Anwesenheit deutscher Truppen in Armenien vielleicht ohne
Widerspruch hinnehmen, wenn ihr klar gemacht wird, daß diese Maßnahme
nur aus humanitären Gründen erfolgt, um die Reste des armenischen
Volkes zu retten. Können wir die für diesen Zweck erforderlichen
Kräfte zur Verfügung stellen? Es darf darauf hingewiesen werden, daß
die Rückführung der Armenier dringlich ist, damit die Ernte in den
in Betracht kommenden Gebieten wenigstens noch zum Teil gerettet und
Armenien vor einer Hungersnot bewahrt wird.


415.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                              Pera, den 18. Juli 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Der Armenierführer Aharonian hat bei mir wieder verschiedene Klagen
vorgebracht. Es handelt sich in erster Linie um die armenischen
Flüchtlinge, wegen deren ich schon mehrmals beim Großwesir vorstellig
wurde. Ferner bat Aharonian, Armenien durch österreichische oder
deutsche Polizeitruppen zu besetzen. Er ist mit mir der Ansicht,
daß die Beschlüsse der Konferenz einen Schlag ins Wasser bedeuten
werden, wenn nicht die betreffenden Gebiete durch deutsche oder
österreichische Truppen besetzt sind. Schließlich war Aharonian sehr
besorgt wegen einer Unterredung des Berliner armenischen Delegierten
mit Joffe. Dieser habe gesagt, daß Rußland zur Not Georgien anerkennen
werde, aber nicht Armenien und Aserbeidjan. Lieber würde Rußland
die Türkei mit Waffengewalt hinter die Grenzen von Brest-Litowsk
zurücktreiben. Es scheint, daß die Russenherrschaft von den Armeniern
ebenso sehr gefürchtet wird wie die der Türken.

                                                           Bernstorff.


416.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                              Pera, den 25. Juli 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Täglich werde ich von der hiesigen armenischen Delegation mit der
Bitte um Entsendung deutscher oder österreichischer Truppen nach
Armenien bestürmt. Ohne eine solche Hilfeleistung unsererseits
würde es unmöglich sein, die Anarchie in Armenien zu unterdrücken.
Die armenischen Flüchtlinge würden jede Hoffnung verlieren, sich
zusammenrotten und Banden bilden, um die Türken und die Tataren zu
bekämpfen. Gefahr sei im Verzuge. Selbst wenn die Konferenz bald
zusammentreten und Beschlüsse fassen sollte, würden diese in Armenien
nicht befolgt werden, wenn nicht deutsche oder österreichische Truppen
ihre Durchführung überwachten. Aharonian übergab dem Großwesir eine
Denkschrift über die Lage in Armenien, welche ich mit dem nächsten
Feldjäger einreiche. Talaat Pascha machte die üblichen Versprechungen;
diese werden aber natürlich nicht erfüllt werden, da die lokalen
türkischen Militär- und Zivilbehörden Weisungen aus Konstantinopel
bekanntlich nicht befolgen, am allerwenigsten dann, wenn sie wissen,
daß diese Weisungen die Folge eines deutschen Drucks sind.

                                                           Bernstorff.


417.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                            Berlin, den 27. Juli 1918.

    An die Deutsche Botschaft, Pera.

General von Kreß drahtet vom 19. Juli:

„Ist bei der türkischen Regierung die dauernde Rückkehr der armenischen
Flüchtlinge nicht sofort zu erreichen, so bitte ich dringend,
durchzusetzen, daß eine größere Anzahl Männer vorübergehend zur
Ausführung der Erntearbeiten in ihre Heimat zurückkehrt. Andernfalls
werden Hunderttausende Hungers sterben müssen. Es ist größte Eile
geboten. Die Türkei muß auf Konferenz unbedingt dazu gezwungen werden,
daß sie die Rückkehr der Armenier gestattet. Armenien ist viel zu
klein, um alle diese Leute zu ernähren.“

Ferner vom 20. Juli:

„Ich halte es für meine Pflicht, nochmals darauf hinzuweisen, daß
wir unter allen Umständen durchsetzen müssen, daß die Türken den
geflüchteten Armeniern sofort die Heimkehr und Bergung ihrer Ernte
gestatten.

Abgesehen vom Gebot der Menschlichkeit würde unser Ansehen und unser
Einfluß im Orient die schwerste Einbuße erleiden, wenn wir uns so
schwach zeigten, daß wir die Rettung einer halben Million Christen vom
sicheren Hungertod bei den Türken nicht durchzusetzen vermögen.“

Euere Exzellenz bitte ich bei der dortigen Regierung in diesem Sinn
nachdrückliche Vorstellungen zu erheben. Der österreichisch-ungarische
Geschäftsträger erhält entsprechende Weisung.

Ich bitte die Oberste Heeresleitung, auf Enver Pascha im gleichen Sinne
einzuwirken[151].

                                                               Hintze.


418.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                    Konstantinopel, den 30. Juli 1918.

An Auswärtiges Amt, Berlin.

Endlich haben sich nun der Großwesir und Nessimi Bey entschlossen,
in der Kaukasusfrage bestimmte Stellung zu nehmen, nachdem die
Angelegenheit mehrfach im Ministerrat besprochen worden ist.

Was die armenischen Flüchtlinge betrifft, so will die türkische
Regierung sofort mit der Zurückführung in die Heimat beginnen.
Talaat und Nessimi behaupteten, daß sie den Widerstand Envers, der
militärische Gründe vorschütze, mit großer Mühe überwunden hätten.
Letzterer habe auch bestimmt verlangt, daß für den Bezirk Achalkalaki
bis nach Abschluß der Konferenz eine Ausnahme gemacht werde. Dort
ständen nur neu gebildete schwache türkische Truppen, auf deren
Disziplin man sich nicht verlassen könne. Die Armenier hätten dort vor
ihrem Rückzug mit den Greueltaten begonnen; es liege daher die Gefahr
nahe, daß die Türken sich rächen würden.

In der Frage der Grenzregulierungen blieb die türkische Regierung
vollkommen intransigent.

Wir haben meines Erachtens gar kein Mittel, die Türken zum Nachgeben zu
zwingen. Mit jeder Art von Repressalien ist bereits vergeblich gedroht
worden.

Sollten Euere Exzellenz es für ausgeschlossen erachten, daß wir auf
obiger Basis zu einer Einigung mit der Türkei kommen, so bliebe meines
Erachtens nur übrig, mehr Truppen nach Armenien und Georgien zu
schicken.

                                                           Bernstorff.


419.

  Deutscher Militärbevollmächtigter.

                                    Konstantinopel, den 30. Juli 1918.

Generalfeldmarschall von Hindenburg drahtet am 29. 7. für Euere
Exzellenz:

„Verschiedene Meldungen weisen übereinstimmend auf die dringende
Notwendigkeit hin, den armenischen Flüchtlingen die Rückkehr nach
Armenien zu gestatten, damit sie die Ernte einbringen können.
Andernfalls müßten Hunderttausende Hunger sterben, da ihre anderweitige
Versorgung nicht möglich ist. Allergrößte Eile sei geboten. Mit Euerer
Exzellenz weiß ich mich darin eins, daß wir nicht gegen die Bevölkerung
Krieg führen wollen. Euere Exzellenz werden es auch verstehen, wenn
ich mich hier als Christ für die Errettung von 500000 Glaubensgenossen
vom sicheren Hungertod einsetze. Im Interesse der Menschlichkeit bitte
ich Euere Exzellenz, Befehl zu geben, daß die Unglücklichen in ihre
Heimat zurückkehren dürfen. Ich zweifle nicht, daß Euere Exzellenz,
nun Sie durch mich von der Lage der Armenier unterrichtet sind, keinen
Augenblick zögern werden, allerstrengste Weisung zu geben und ihre
Durchführung zu überwachen.“

                                                              Lyncker.

  Seiner Exzellenz dem Herrn Kriegsminister
    und Vizegeneralissimus Enver Pascha.


420.

                              Großes Hauptquartier, den 31. Juli 1918.

    Telegramm.

    An General von Seeckt für Enver Pascha.

Die Mitteilungen über die Bewegungen der türkischen Divisionen
in Richtung Djulfa bestätigen, daß in diesen Gegenden Kämpfe
mit Armeniern stattfinden. Ich würde es für einen ebenso großen
politischen wie militärischen Fehler halten, wenn diese Kämpfe über
das militärisch unbedingt nötige Maß ausgedehnt würden. Wir können
auch aus militärischen Gründen nicht über die bedenkliche Stimmung
hinwegsehen, die durch Exzesse gegen die Einwohner bei diesen Kämpfen
in Transkaukasien hervorgerufen würde.

                                                        v. Hindenburg.



_August._


421.

  Armenische Republik.
  Delegation in Berlin.                    Berlin, den 2. August 1918.

    An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.

Wir erlauben uns, in der Anlage Auszüge aus den Briefen unserer
Delegation in Konstantinopel zur gütigen Kenntnisnahme zu überreichen.
Sie konstatieren eine weitere Verschlimmerung der Lage der armenischen
Flüchtlinge, die äußerste Gefährdung ihrer Existenz und eine
bedenkliche Zunahme der blutigen Gewalttätigkeiten der türkischen
Truppen und tatarischen Banden. Angesichts dieser verhängnisvollen
Entwicklung, die uns mit der tiefsten Sorge um unsere Nation erfüllt,
bitten wir, unsere dringende Bitte um baldige Hilfe wiederholen zu
dürfen.

                       Die Bevollmächtigten der armenischen Regierung.
                                    Dr. H. Ohandjanian.


Anlage.

    Die letzten Nachrichten über die Lage in Kaukasisch-Armenien.

    Aus dem Brief des Vorsitzenden des armenischen Nationalrates, Herrn
    Aharonian, vom 20. Juli.

„... Sie können sich dort keine Vorstellung davon machen, welchen
ungeheuren Maßstab die Flucht unserer Nation angenommen hat und wie
furchtbar das daraus entspringende Elend ist. Von Eriwan bis Dilidjan
und Neubayazid sind die Straßen ein einziges Meer von armenischen
Flüchtlingen. Die Heeresstraße zwischen Tiflis und Wladikawkas
ist bedeckt von flüchtenden Armeniern... Die 80000 Armenier von
Achalkalaki sind in den Schluchten von Bakuriani zusammengedrängt,
ausgesetzt den amtlichen und nichtamtlichen Feindseligkeiten der
fremden Ortsobrigkeiten. Die Täler von Karakilissa sind gefüllt
mit Flüchtlingen. Dort befinden sich alle armenischen Einwohner
von den Bezirken Kars und Alexandropol. Tataren aus Kaasch und
Bortschalu haben, ermutigt durch die Gegenwart der türkischen
Truppen, unmenschliche Metzeleien gegen sie verübt. So haben sie
allein im Bezirk Karakilissa 2000 Armenier ermordet. Auf der Station
Aschaghaserail wurden armenische Waisen, die mehrere Waggons
füllten, mit ihren Lehrerinnen niedergemetzelt. Überhaupt ist die
Eisenbahnlinie von Karakilissa bis Tiflis das „Schlachthaus“ unserer
Nation geworden... Die Schar der Flüchtlinge, die an Zahl eine halbe
Million übersteigt, schwindet in Not und Elend dahin, täglich und
stündlich... Wenn nicht sehr bald unser Gebiet bis zur Brester Grenze
geräumt wird, ist unser Volk verloren...“

    Aus dem Brief des Ministers des Auswärtigen, Herrn Chatissian,
    vom 20./23. Juli.

„... Auf unsere Note, betreffend die Frage der Flüchtlinge, hat die
türkische Regierung noch nicht geantwortet, obgleich sie versprochen
hatte, die Angelegenheit binnen drei Tagen zu prüfen... Die türkischen
Truppen verhalten sich sehr unkorrekt und begingen selbst Metzeleien
in Karakilissa, Lori, Nucha, im Bezirk Achalkalaki usw..... Unsere
Flüchtlinge gehen aus Lori über die Berge nach Dilidjan und von dort
nach Neu-Bayazid und Eriwan. Die Türken führen die Tataren aus Kasach
in den Bezirk von Kars über, um sie in den Ortschaften der geflüchteten
Armenier anzusiedeln...“


    Aus dem Briefe des Sekretärs der armenischen Delegation in
    Konstantinopel

    Herrn Kotscharian, vom 20. Juli.

„... Der Verkehr ist noch nicht wiederhergestellt, weder nach Baku noch
nach Eriwan.... Es bestätigt sich, daß viele Armenier aus der Ebene
Schirak festgenommen und nach der Türkei verschleppt worden sind. In
Elisabethpol sind die Armenier von den Türken ihrer Waffen beraubt
worden.... Die armenischen Flüchtlinge aus den Tälern von Lori haben
sich nach Kasach und andere Gegenden zerstreut. Die Heeresstraße nach
Wladikawkas ist endgültig versperrt.... Die Flüchtlinge aus Achalkalaki
sind noch nicht zurückgekehrt, Räuberbanden treiben in diesem Bezirk
ihr Unwesen.... Die Zahl der armenischen Flüchtlinge allein aus unserem
beschränkten Gebiet beläuft sich auf über 600000. Hunger und Epidemien
herrschen unter ihnen und nehmen tagtäglich an Umfang zu.... Die
Armenier entfernen ihre Familien aus der Stadt Baku...“


422.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                   Konstantinopel, den 3. August 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Enver Pascha hat folgendes Telegramm an Feldmarschall von Hindenburg
gerichtet:

„Ich habe dem (türkischen) Auswärtigen Ministerium, welches sich mit
der Frage der armenischen Flüchtlinge beschäftigt, mitgeteilt, ich
könne vom militärischen Standpunkt zustimmen, daß die Flüchtlinge in
das Gebiet bis zu 20 km östlich der Bahn Alexandropol-Dschulfa sowie in
die Distrikte zurückkehren, in welchen keine Kämpfe zwischen Muselmanen
und Armeniern stattgefunden haben[152]. Als solcher ist z. B. die
Gegend von Batum anzusehen. Im einzelnen muß Oberbefehlshaber der 3.
Armee bestimmen. Ich vermag noch nicht anzugeben, inwieweit hiernach
vom Auswärtigen Ministerium die Zulassung der Flüchtlinge erfolgen
wird, werde jedoch nicht verfehlen, die Angelegenheit beschleunigen zu
lassen und Euerer Exzellenz Mitteilung von dem Ergebnis zu machen.

Zu meinem Bedauern bin ich aus zwingenden militärischen Gründen bei
vollster Würdigung der Euerer Exzellenz leitenden Beweggründe und dem
lebhaften Bestreben, den Wünschen Euerer Exzellenz zu entsprechen,
nicht in der Lage, die Rückkehr der Armenier in vollem Umfang und ohne
Einschränkung zuzulassen.

Ich bitte, bei Beurteilung dieser Frage unsere Lage den Armeniern
gegenüber in Betracht ziehen zu wollen. Vor Baku, bei Dschulfa und
bei Urmia stehen sie uns im Kampf gegenüber, ihre Verbindung mit
den Engländern ist nachweisbar. Eine Trennung zwischen Volk und
militärischem Gegner ist in diesem Falle kaum möglich bei aller
Bereitwilligkeit, grundsätzlich nicht gegen eine Bevölkerung Krieg
zu führen. Euere Exzellenz verlangen von mir, eine halbe Million zum
Teil bewaffneter und feindlich gesinnter Einwohner im Rücken unserer
kämpfenden Armeen zu lassen, ohne daß irgend eine Gewähr für ihr
friedliches Verhalten gegeben werden kann. Sie werden jedoch wie
früher im russischen, so jetzt im englischen Sold unserer Kriegführung
Schwierigkeiten machen. Zurückgekehrt in Gebiete, die durch
Jahrhunderte alten nationalen Haß durchwühlt sind, werden sie Anlaß zu
neuen blutigen Kämpfen geben. Euere Exzellenz wollen berücksichtigen,
daß seit der letzten russischen Zählung allein im Gebiet Kars sich
die Zahl der muselmanischen Einwohner um 45000 vermindert hat, welche
alle den Verfolgungen der Armenier erlegen sind[153], da in dieser
Gegend eine russische Aushebung nicht stattgefunden hat. Es ist
unausbleiblich, daß das muselmanische Volk in diesen Gegenden zur Rache
aufstehen wird, so daß die türkischen Truppen gezwungen wären, um die
Armenier zu schützen, gegen ihre eigenen Stammes- und Glaubensgenossen
einzuschreiten. Gerade im Interesse der Menschlichkeit muß ein solcher
erneuter Bürgerkrieg mit seinen unausbleiblichen grausamen Folgen
vermieden werden. Die Rückkehr der Armenier würde ein Truppenaufgebot
im Innern bedingen, welches die beabsichtigten Operationen unmöglich
machen und unsere Kriegführung lahmlegen würde. Euere Exzellenz bitte
ich, bei Beurteilung unseres Verhaltens diese Verhältnisse würdigen zu
wollen.

Wenn ein Abzug der Armenier aus Baku und ihre Rückkehr in das
armenische Staatsgebiet unmittelbar oder durch Vermittlung des
Generals von Kreß verlangt wird, so werden von dem in Aserbeidschan
kommandierenden türkischen Befehlshaber keine Schwierigkeiten gemacht
werden. Ihre Entfernung aus Baku kann uns nur erwünscht sein, da es
leichter sein wird, sich mit den dortigen Russen zu verständigen, falls
nicht der dort anscheinend herrschende Einfluß eine Verständigung
verhindert.“


423.

  (Auswärtiges Amt.)                       Berlin, den 4. August 1918.

    An General v. Kreß, Tiflis.

Die türkische Regierung hat sich auf unsere von der Obersten
Heeresleitung unterstützten sehr zahlreichen Schritte bereit erklärt,
mit der Zurückführung der armenischen Flüchtlinge in die Heimat sofort
zu beginnen. Nur der Bezirk Achalkalaki bleibt aus militärischen
Gründen bis nach Abschluß der Kaukasuskonferenz ausgenommen. Wir
hoffen, weiter Erfolg zu haben.

                                                    Der Staatssekretär
                                                          Hintze.


424.

  (Delegation im Kaukasus.)

    Telegramm.

  Abgang aus Tiflis, den 4. August 1918.
  Ankunft, den 15. August 1918.

Augenschein und eingehende Besprechung mit Regierung und Katholikos in
Eriwan, von wo wir eben zurückgekehrt sind, haben unsere Auffassung
bestätigt und bestärkt, daß nur baldige Hilfe der Mittelmächte Armenien
vom Untergang retten kann. Kleines jetziges Armenien kann nicht einmal
seßhafte Bevölkerung ernähren, geschweige denn die zurzeit dort
befindlichen drei bis fünfhunderttausend Flüchtlinge, die Herstellung
der Ruhe unmöglich machen. Entgegen dem Willen der Regierung führt
schwierige Lage der Flüchtlinge dauernd zu neuen Bandenbildungen
und hervorruft somit neue Verwickelungen mit Türken. Armenien wird
von Türken ringsum hermetisch abgeschlossen, diese verhindern
jeglichen Handel und Verkehr, veranlassen Abwanderung tatarischer
und persischer Bevölkerung, so daß armenische Regierung Angriff
auf Eriwan befürchtet. Türken haben auch hier Bedingungen Batumer
Friedens nicht eingehalten, sondern halten jenseits Batumer Grenze
wichtige Gebiete besetzt. Armenien nur lebensfähig mit Brest-Litowsker
Grenzen ohne von Türken angestrebte Grenzberichtigungen, welche gerade
wirtschaftlich wichtigste Distrikte an Türkei bringen würden. Zurzeit
sind produktionsfähige Gebiete fast sämtlich von Türken besetzt,
welche sie planmäßig ausraubten. Trotz Vertrags führen sie besonders
große Baumwollvorräte aus. Die Ernte zum Teil von Türken eingebracht,
zum Teil geht sie zugrunde. Bis Nachitschewan muß Eisenbahn unbedingt
armenisch werden. Türken wäre Anspruch auf Truppentransport einzuräumen
wie in Georgien. Bahn in leidlich gutem Zustande. Armenier stellen
ebenso wie ich bestimmt in Abrede, daß es zwischen beiden Staaten zu
Kämpfen kommt, wenn Türken sich auf Batumer Grenze zurückzogen. Envers
gegenteilige Behauptung nur Vorwand, um für die völlige Zerstörung und
Ausbeutung vertragswidrig besetzten Landes Zeit zu gewinnen, Türken
wollen neuerdings von Aserbeidschan aus in rein armenische Provinz
Karabagh einrücken und diese entwaffnen. Neue Kämpfe der wehrhaften
Bergbewohner gegen Mohammedaner sind unvermeidlich, wenn wir sie nicht
daran hindern.

In Eriwan Empfang warm und herzlich.

                                                                 Kreß.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
      Herrn Grafen von Hertling.


425.

  Der k. u. k. Vertreter in Tiflis.        Tiflis, den 4. August 1918.

    An Seine Exzellenz den Herrn Minister des k. u. k. Hauses und des
    Äußern, Stefan Grafen Burian.

    Eröffnung des armenischen Parlamentes.

Während Baron Kreß wegen dringender Angelegenheiten nach eintägigem
Aufenthalte in Eriwan nach Tiflis zurückkehren mußte, blieb ich noch
einen Tag in der Hauptstadt Armeniens, um der Eröffnung des Rates von
Armenien beizuwohnen, hierbei Eindrücke zu sammeln und um noch mit dem
Minister des Innern ein Gespräch zu führen.

Der bisherige Präsident des armenischen Nationalrates verlas von einer
Tribüne vor den 46 Mitgliedern des Parlaments, hinter denen sich ein
zahlreiches Publikum versammelt hatte, eine längere Eröffnungsrede,
in welcher er zuerst einen historischen Überblick über die Vorgänge
gab, die zur Selbständigkeitserklärung geführt haben, durch welche das
Ziel jahrhundertelanger Bestrebungen erreicht worden sei. (Im Jahre
1046 verlor Armenien endgültig seine Selbständigkeit.) Er erklärte
sodann, daß die Grenzen des Batumer Vertrages, innerhalb welcher
Armenien nicht leben könne, nicht feststehend seien und revidiert
werden würden. Alle in Armenien wohnenden Nationalitäten sollen ihr
ruhiges Heim in der Republik haben, daher sei Wert darauf gelegt
worden, daß die Nationalitätenvertreter bereits bei der ersten Sitzung
anwesend seien. (Im Gegensatze hierzu sind im georgischen Nationalrate
bisher nur georgische Volksvertreter, doch soll eine Vertretung der
hiesigen anderen Nationalitäten in dieser Körperschaft geplant sein.)
Er übergebe die Fürsorge für das Wohl des Vaterlandes dem Parlamente
und trete als Präsident des Nationalrates zurück. Er wurde sodann
einstimmig zum Parlamentspräsidenten gewählt. Seine Rede wurde
hierauf zuerst auf türkisch und dann auf russisch verlesen, weil die
Nationalitätenvertreter zum Teil armenisch nicht verstehen.

Die Volksvertretung ist folgendermaßen zusammengesetzt:

    18 Daschnakzagan,
     6 Freisinnige,
     6 Sozialdemokraten,
     6 Sozialrevolutionäre,
     2 Parteilose,
     6 Tataren,
     1 Russe,
     1 Yeside.

Die Yesiden sind ein den Kurden verwandter Stamm, der Religion nach
sogenannte Teufelsanbeter.

Unter der Präsidententribüne hatten links die Präsidenten des
tatarischen und des russischen Nationalrates Platz genommen, rechts
die Pressevertreter. Über diesen in einer Loge die Minister und
die Generäle, ihnen gegenüber war der leer gebliebene Armstuhl des
Katholikos. Neben diesem war die Loge für die fremden Vertreter, in
welcher sich außer mir zwei deutsche, nach Eriwan zur politischen
und wirtschaftlichen Orientierung detachierte Offiziere, ferner der
türkische und der persische Konsul und der Vertreter der Ukraine
befanden. Außer der erwähnten Rede des Präsidenten wurden keine
Ansprachen gehalten. Ein Teil der Abgeordneten verlangte dringend,
daß am nächsten Tage sofort eine Sitzung abgehalten werde, da die
furchtbare Notlage Armeniens sofortige Arbeit erheische.

Anschließend an die Eröffnungssitzung fand eine Parade aller
Waffengattungen statt, zu der der größte Teil der Truppen morgens von
der nahen türkischen Front gekommen war. Sie waren schlecht adjustiert,
aber bemerkenswert große und kräftige Leute, die stramm marschierten.
Das zahlreiche bunte Publikum -- größtenteils Bauern -- von Polizisten
in Ordnung gehalten, verhielt sich ruhig.

                                               Der k. u. k. Vertreter.


426.

   Kaiserlich Deutsche
  Delegation im Kaukasus.                  Tiflis, den 5. August 1918.

Am 30. v. M. abends fuhr ich mit Baron Frankenstein und einigen Herren
meines Stabes von Tiflis über Alexandropol nach Eriwan, um mich der
armenischen Regierung vorzustellen. Essad Pascha hatte sein Versprechen
gehalten und dafür gesorgt, daß unser Zug ohne ernstliche Belästigung
das von den Türken besetzte Gebiet passieren konnte. Die Fahrzeit
betrug etwa 22 Stunden. Wir trafen um 9 Uhr abends in Eriwan ein und
wurden noch zu einem vom Bürgermeister gegebenen Essen eingeladen.
Am 31. vormittags machten wir den Ministern und dem Vorsitzenden des
Nationalrats unseren Besuch und fuhren dann nach Etschmiadzin, um dem
Katholikos unsere Aufwartung zu machen. Seine Heiligkeit lud uns zu
Tisch. Nachmittags kamen der Ministerpräsident und der Präsident des
Nationalrats zu einer langen vertraulichen Besprechung zu uns. Abends
wurde uns zu Ehren ein Bankett gegeben, an dem alle Würdenträger der
Republik Armenien teilnahmen.

Ich trat noch am gleichen Abend die Rückreise an, während Baron
Frankenstein die Einladung zur Teilnahme an der am nächsten Tage
stattfindenden Parlamentseröffnung annahm. Ich konnte mich nicht dazu
entschließen, meinen Aufenthalt in Eriwan zu verlängern, weil die
zurzeit bestehende Spannung zwischen Aserbeidschan und Georgien meine
sofortige Rückkehr nach Tiflis wünschenswert machte.

Die Aufnahme, die uns von der Regierung und der Bevölkerung zuteil
wurde, war warm und sympathisch. Mir fiel besonders vorteilhaft die
gute Haltung und Straßendisziplin der armenischen Offiziere und
Soldaten auf. Der Oberkommandierende General Nazarbekow macht einen
sehr guten Eindruck; er soll auch in der russischen Armee den Ruf eines
besonders tüchtigen Generals besessen haben.

Der Bolschewismus scheint beim armenischen Volke und beim armenischen
Soldaten nur wenig Anhänger gefunden zu haben.

An der Spitze der Regierung steht als Ministerpräsident Herr Ruben
Katschasnuni, ein etwa 60 jähriger, verständiger, sympathischer Mann,
Minister des Innern ist Herr Aram Marukian, Minister des Auswärtigen
Herr Alexander Chatissian, Kriegsminister General Aschwerdian und
Finanzminister Herr Chatschatur Kartschikian.

Die Herren scheinen ruhige besonnene und zielbewußte Arbeiter zu sein.

Eine imponierende Persönlichkeit ist der Katholikos. Ein schöner
stattlicher Greis von etwa 70 Jahren, von der Würde seiner hohen
Stellung und dem ganzen Gewicht der auf ihm lastenden Verantwortung
durchdrungen, klug und zielbewußt, während der Verhandlungen von
einer geradezu abweisenden Zurückhaltung und Kälte, bei Tisch der
aufmerksamste und liebenswürdigste Hausherr.

Die Unterredung des Katholikos mit Baron Frankenstein und mir nahm
einen geradezu dramatischen Verlauf. Während von draußen das Summen und
Brausen der tausendköpfigen Menge von Flüchtlingen, die in den weiten
Höfen des Klosters biwakieren, in das klösterliche Gemach hereindrang,
sprach sich der greise Katholikos bei der ergreifenden Schilderung des
Elends seines Volkes, das der Vernichtung preisgegeben sei, und dem
er als oberster geistlicher Hirte nicht helfen könne, in eine solche
Erregung hinein, daß er am ganzen Körper zitterte. Er beruhigte sich
wieder, als ich die Rolle schilderte, die die Mittelmächte bei den
Armeniergreueln 1915 gespielt haben und ihm auseinandersetzte, wie
Deutschland, das mit einer Welt von Feinden um seine Existenz kämpfte,
der Armenier halber nicht das Bündnis mit den Türken auf das Spiel
setzen konnte, und deshalb gezwungen war, sich auf Proteste gegen das
Vorgehen der Türken in der Armenierfrage zu beschränken.

Im folgenden erlaube ich mir, die augenblickliche Lage Armeniens zu
skizzieren, wie sie sich mir auf Grund persönlicher Beobachtung und auf
Grund der Besprechungen mit den maßgebenden Persönlichkeiten darstellt.

Die Armenier sind zurzeit von den Türken auf einem ganz kleinen Gebiete
eingekreist, das mit Ausnahme des Beckens von Eriwan vollkommen
Hochgebirgscharakter trägt und nahezu völlig unproduktiv ist. Ebenso
wenig wie gegenüber Georgien haben die Türken Armenien gegenüber
die Bestimmungen des von ihnen selbst diktierten Friedens von Batum
eingehalten. Sie haben jenseits der von ihnen festgesetzten Grenze
eine Reihe von Gebieten besetzt, deren Verlust für Armenien ganz
besonders schmerzlich ist, weil ihnen dadurch auch noch die letzten
Produktionsgebiete abgenommen wurden.

Zurzeit scheinen die Türken von Aserbeidschan aus gegen die zu 90
Prozent von Armeniern besiedelte Provinz Karabach vorgehen und die
dortige Bevölkerung entwaffnen zu wollen, unter dem Vorwand, daß dort
neuerdings die Armenier gegen die Muselmanen aggressiv geworden seien.

Die türkische Politik gegen die Armenier zeichnet sich klar ab. Die
Türken haben ihre Absicht, die Armenier auszurotten, noch keineswegs
aufgegeben, sie haben nur ihre Taktik gewechselt. Man reizt die
Armenier, wo nur irgend möglich, man provoziert sie in der Hoffnung,
dadurch einen Vorwand zu neuen Angriffen auf Armenien zu erhalten.
Gelingt dies nicht, so will man sie aushungern und wirtschaftlich
völlig ruinieren. Zu diesem Zwecke wird das unter nichtigen Vorwänden
entgegen dem Vertrag von Batum besetzte Gebiet systematisch und
planmäßig ausgeplündert und alles, was nicht niet- und nagelfest ist,
abgeführt. Die Beute an Kriegsmaterial, die die Türken in und bei
Alexandropol gefunden haben, ist außerordentlich groß. Daß sie entgegen
den Bestimmungen des Aprilvertrages auch alle Baumwolle ausführen,
deren sie habhaft werden können, habe ich bereits gemeldet. Baron
Frankenstein, der im Kraftwagen über Akstafa hierher zurückreiste,
begegnete einer Kolonne von 3-400 schwer mit Baumwolle beladenen
Bauernwagen, die aus Aserbeidschan nach Karakilissa fuhren.

Der Widerstand, den die Türken allen Aufforderungen zum Räumen des
widerrechtlich besetzten Gebietes entgegensetzen, ist meines Erachtens
lediglich darauf zurückzuführen, daß es ihnen noch nicht gelungen
ist, alle Beute aus diesen Gebieten wegzuführen. Armenien befindet
sich demgegenüber in einer sehr schwierigen Lage. Die Regierung ist
fest entschlossen, alles zu vermeiden, was den Türken einen Vorwand
zu neuen Angriffen geben könnte; aber sie besitzt nicht die Macht,
zu verhindern, daß sich immer wieder neue Banden bilden. Es sind
weniger politische Motive, aus denen heraus diese Banden entstehen,
als der Hunger, der die Leute zwingt, auf Raub auszuziehen. Die
Armenier in Karabach sind wilde Bergstämme, die niemals freiwillig
ihre Waffen ausliefern werden. Wenn die Türken trotz meiner Warnungen
die Entwaffnung durchführen wollen, so sind heftige Kämpfe mit allen
den hier üblichen Begleiterscheinungen unvermeidlich. Der bekannte
Bandenführer Andranik sollte in Armenien verhaftet werden. Man konnte
aber nur eines Teiles seiner Bande habhaft werden, der Rest, unter
Andraniks Führung, ist aus der Republik Armenien geflohen und führt nun
auf eigene Faust Krieg gegen die Türken. Die armenische Regierung ist
sich der Gefahr, in der sich ihr Land dauernd befindet, wohl bewußt.
Sie ist entschlossen, dem Kampf auszuweichen und ihn solange wie irgend
möglich zu vermeiden. Sie ist aber ebenso fest entschlossen und weiß
sich darin mit dem ganzen armenischen Volke eins, sich bis zum letzten
Mann zu verteidigen, falls die Türken ihr Land nochmals angreifen
sollten. Die Türken würden dann in einen Gebirgskampf verwickelt, der
unter Umständen recht beträchtliche Kräfte auf längere Zeit bindet --
falls die Armenier nicht durch den Hunger besiegt werden.

Die Behauptung Envers, die Türken müßten die Bezirke von Alexandropol,
Karakilissa usw. besitzen, um Zusammenstöße zwischen Armeniern and
Georgiern zu verhindern, ist darauf berechnet, soviel Zeit zu gewinnen,
daß die Ernte aus diesen Gebieten weggeführt und die Gebiete noch
völlig ausgeraubt werden können.

Was die innere Lage Armeniens angeht, so wird sie außerordentlich
erschwert durch die große Anzahl von Flüchtlingen, die sich gegenwärtig
auf dem kleinen Gebiet Armeniens und insbesondere in der Gegend von
Eriwan angesammelt haben.

Die eingesessene Bevölkerung des derzeitigen Gebietes der Republik
Armenien wird auf 750000 Köpfe geschätzt. Auf dem Gebiet, das schon
diese Leute nicht annähernd ernähren kann, befinden sich zurzeit aber
außerdem noch 300-500000 Flüchtlinge. Diese Leute sind Hals über Kopf
vor den Türken geflüchtet und mußten vielfach ihr ganzes Hab und Gut
zurücklassen. Die geringen Vorräte, die sie mitgebracht haben, sind
schon längst verzehrt. Sie schlachten nach und nach ihr Vieh und
berauben sich damit der letzten Möglichkeit zu Gründung einer neuen
Existenz. Die Regierung schreitet energisch gegen Marodeure ein,
aber der Hunger ist stärker als die Furcht vor der Strafe. Auf diese
Weise geht auch der eingesessenen Bevölkerung der größere Teil ihrer
Ernte verloren. Mit gebundenen Händen müssen inzwischen die Armenier
zusehen, wie in den von Türken besetzten Gebieten die Ernte weggeführt
wird oder zugrunde geht. Die armenische Regierung und den Katholikos
bedrückt die doppelte Sorge, wie die Bevölkerung im laufenden Jahre
ernährt werden soll und wie sich die Ernährungsfrage in der Zukunft
gestalten wird. Wenn es den Zentralmächten Ernst ist mit ihrer Absicht,
die Armenier vor der Vernichtung zu schützen, so müssen sie ihnen auch
so viel Grund und Boden verschaffen, daß wenigstens die Hauptmenge
des Verpflegungsbedarfes aus dem Lande gedeckt werden kann. Über das
laufende Jahr aber müssen wohl oder übel die Zentralmächte durch
Getreidelieferungen hinweghelfen. Ich kann mir nicht vorstellen,
daß das Deutsche Reich ruhig zusehen kann, wie die Muhammedaner ein
christliches Volk der Vernichtung durch Hunger preisgeben.

Nachdem die Türken trotz unserer Vorstellungen die armenische Ernte
zugrunde gehen ließen, ist es wohl nicht mehr wie recht und billig,
daß das zum Unterhalt des armenischen Volkes benötigte Getreide jenen
Beständen entnommen wird, die die Türken sonst aus der Ukraine oder aus
Rumänien erhalten würden.

Die armenischen Flüchtlinge leben im Freien. In kürzester Zeit werden
die Nächte kalt. Dann wird sich zum Hunger der Frost gesellen, um
die Flüchtlinge zu dezimieren, wenn sie nicht vorher in ihre Heimat
zurückkehren durften. Unsere Hilfe muß bald wirksam werden, sonst kommt
sie zu spät. Wenn die Konferenz von Konstantinopel noch lange auf sich
warten läßt, sind viele Tausende von Menschen zum Tode verurteilt.

Die Frage, was zu geschehen hat, um Armenien lebensfähig zu machen
und ihm zu ermöglichen, unter Anlehnung an eine der Mittelmächte ein
selbständiges Dasein zu führen, möchte ich dahin beantworten, daß
Armenien die Grenzen des Brest-Litowsker Vertrages erhalten muß, aber
ohne daß den Türken die von ihnen angestrebten Grenzberichtigungen
bewilligt werden. Gerade diese Grenzberichtigungen würden Armenien
seiner besten Grenzgebiete berauben. Wenn diese Gebiete den Türken
überlassen werden, so geht ihre Produktion infolge der geschäftlichen
Untüchtigkeit der Türken sofort zurück und ist für den Markt verloren.

Bei entsprechendem Ausbau der Bewässerungsanlagen, bei Einfuhr der
nötigen Maschinen usw. werden die Armenier, aber niemals die Türken,
aus diesen fruchtbaren Gebieten eine reiche Ernte von Seide, Baumwolle,
Reis, Wein, Kognak, Spiritus und Obst, wahrscheinlich auch an
Montanprodukten, herausholen.

Ich werde mir in Bälde erlauben, Euerer Exzellenz einen ausführlichen
Bericht über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Armenien vorzulegen.

                                                                 Kreß.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
  Herrn Grafen von Hertling, Berlin.


427.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

                                   Konstantinopel, den 6. August 1918.

    An Auswärtiges Amt.

Der Ministerrat hat endlich die Amnestie für die türkischen Armenier
beschlossen, Djambolat wird mit der Ausführung beauftragt[154].

                                                           Bernstorff.


428.

  (Großes Hauptquartier.)

    Telegramm.

                             Großes Hauptquartier, den 6. August 1918.

Der Kaiserliche Legationssekretär an Auswärtiges Amt.

Bei zweckmäßiger Auswahl der Truppen hat General Ludendorff keine
Bedenken[155]. General v. Cramon erhielt bereits vor mehreren Tagen
Weisung, unter dieser Einschränkung die Frage der Entsendung einer
österreichisch-ungarischen Polizeitruppe mit Generaloberst von Arz zu
besprechen.

                                                            Berckheim.


429.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                          Berlin, den 14. August 1918.

    An General v. Kreß, Tiflis.

Die bisherige Haltung der türkischen Regierung in der Angelegenheit der
Rückkehr der armenischen Flüchtlinge nötigt uns zur Prüfung der Frage,
ob eine Abwanderung der Flüchtlinge nach dem Norden möglich ist und
unverzüglich ins Werk gesetzt werden kann.

Euer Hochwohlgeboren wollen sich hierzu umgehend telegraphisch äußern;
gegebenenfalls bitte ich geeignete Maßnahmen in die Wege zu leiten.

                                                             v. Stumm.


430.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                          Berlin, den 20. August 1918.

An General v. Kreß, Tiflis.

Ohne die politische Wichtigkeit, die eine Besserung der Lage der
Armenier für uns und für die Türkei besitzt, im geringsten zu
verkennen, und bei aller menschlichen Teilnahme für ihre Leiden müssen
wir uns doch eine gewisse Zurückhaltung mit Rücksicht auf die Türkei
auferlegen.

Wir würden selbstverständlich für rein humanitäre Maßnahmen freie
Hand haben. In dieser Hinsicht regen hiesige Armenierfreunde an,
der Regierung in Eriwan dasselbe Quantum Getreide zu liefern,
wie der Georgischen Regierung. Ob es möglich sein würde, das
Kriegsernährungsamt zur Hergabe zu bestimmen, ist noch zweifelhaft.
Ehe ich einen Versuch in dieser Richtung unternehme, bitte ich Euer
Hochwohlgeboren um Äußerung, ob es angängig erscheint, Getreide durch
Georgien nach Armenien gelangen zu lassen, obwohl wir den Georgiern
selbst nur ein geringeres Quantum geben können als zuerst versprochen.

                                                               Hintze.


431.

  Kaiserlich Deutsche Delegation
          im Kaukasus.                    Tiflis, den 21. August 1918.

    Urschriftlich dem Auswärtigen Amt, Berlin
    gehorsamst vorgelegt.

                                                       Frhr. von Kreß.

  Der armenische Nationalrat
          von Kars.                       Tiflis, den 19. August 1918.

Der armenische Kirchenrat von Kars, der einzig und allein befugt ist,
den Willen und die Interessen der vielgeprüften armenischen Bevölkerung
des erwähnten Gebietes auszudrücken, protestiert auf das entschiedenste
im Namen der armenischen Bevölkerung des Gouvernements gegen das von
der türkischen Regierung unternommene Referendum der Bevölkerung des
Gouvernements, wonach dieses Gebiet ohne weiteres dem ottomanischen
Reiche einverleibt werden soll und erklärt hierdurch, daß § 4 des
Brester Vertrages durch die türkische Regierung auf die gröbste
Weise verletzt worden ist, da erstens die türkische Regierung teils
mit Gewalt, teils mit Zwang, den sie auf die kaukasischen Regierungen
geübt, wider den direkten und ausgesprochenen Sinn des Vertrages das
Land okkupiert hat und zweitens allein und eigenmächtig ohne Rücksicht
auf die Signatarmächte, die in demselben Paragraphen neben der Türkei
erwähnt werden, die Willensäußerung ~nur der muhammedanischen
Bevölkerung~ herbeigeführt habe, da ja die armenische Bevölkerung,
die eine Majorität im Sandjak Kars bildet mit den anderen christlichen
Völkern gänzlich von ihren Stammsitzen fortgetrieben, jeglicher
juridischer Willensäußerung entzogen worden ist, obwohl sie faktisch
durch ihre Flucht aus dem durch die türkischen Truppen okkupierten
Lande ihre Willensrichtung deutlich zur Genüge an den Tag gelegt hat.

Im Namen der Rechte, die auf Grund des Brester Vertrages der ganzen
Bevölkerung und nicht allein ihrem muhammedanischen Teile zugesprochen
sind, appelliert der armenische Nationalrat von Kars an das Gewissen
der im Brester Vertrage erwähnten Signatarmächte und bittet erstens,
die türkischen Okkupationstruppen, sowie auch die muhammedanischen
Massen, die von verschiedenen Nachbargebieten dorthin gezogen
worden sind, um eine Stimmenmehrheit mit türkischer Orientierung
herbeizuführen, zu entfernen und zweitens, Bedingungen zu schaffen,
die der christlichen Bevölkerung die Rückkehr und die Festsetzung in
ihrer Heimat ermöglichen, damit sie in den Stand gesetzt werden, laut
demselben Vertrage ihre Regierungsform selbst zu bestimmen.

Eine diesbezügliche, ausführliche, durch geschichtliche, geographische
und ethnographische Angaben unterstützte Denkschrift wird in Bälde der
Kaiserlich Deutschen Regierung unterbreitet.

            Der Vorsitzende des armenischen nationalen Rates von Kars.
                        Die Mitglieder: Unterschriften.
                        Der Schriftführer: Unterschrift.

  An die Kaiserlich Deutsche Regierung in Berlin.


432.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                          Berlin, den 22. August 1918.

    An Deutsche Botschaft, Pera.

    Von General v. Kreß ging nachstehendes Telegramm vom 12. August ein:

„Envers Antwort[156] geht von falschen Voraussetzungen aus. Nicht
darum handelt es sich, daß Armenier in das Gebiet östlich von
Alexandropol-Djulfa einwandern dürfen, sondern darum, daß die dort
eingepferchten und durch Hunger zur Verzweiflung getriebenen Armenier
über die Bahn nach Westen zurückwandern dürfen, und daß das Gebiet bis
zur Brester Grenze der Republik Armenien zur Ansiedlung der Flüchtlinge
zurückgegeben wird. Die Durchführung der im Prinzip erteilten Erlaubnis
zur Rückwanderung der Armenier in bestimmte Bezirke, wie Batum, wird
dadurch erschwert, daß Essad Pascha für jeden einzelnen Armenier ein
schriftliches Gesuch verlangt und diese Gesuche nicht erledigt. Nach
Angabe des hiesigen türkischen Vertreters sollen sich bei Essad Pascha
seit Wochen mehr als 1200 unerledigte Gesuche befinden.

Die armenische Regierung will und braucht Frieden mit der Türkei. Bei
Djulfa, Baku und Urmia handelt es sich um Banden, die sich meist aus
ehemaligen türkischen Armeniern zusammensetzen, Leuten, die alles
verloren haben und deshalb weiter kämpfen.

Die rückwärtigen Verbindungen der türkischen Armee könnten durch
Österreicher und Deutsche geschützt werden.

Die auf dem kleinen Gebiet der Republik Armenien bestehende Ansammlung
vom Hungertode bedrohter Hunderttausender von Flüchtlingen bedeutet
zweifellos eine größere Gefahr als die Verteilung der Leute im Lande.“

Euere Exzellenz wollen die Pforte darauf aufmerksam machen, daß ihre
Absicht, den armenischen Flüchtlingen die Rückkehr in gewisse Gebiete
freizugeben, durch das Verfahren Essad Paschas vereitelt wird. Sie
wollen die türkische Regierung um Abhilfe ersuchen und sie bitten,
nochmals zu erwägen, ob nicht überwiegende Gründe dafür sprechen, das
ganze Gebiet bis zur Brester Grenze den Rückwanderern zu öffnen.

                                                            v. Hintze.


433.

  (Auswärtiges Amt.)

    Telegramm.

                                          Berlin, den 24. August 1918.

An den Kaiserlichen Delegierten in Tiflis.

Mit Euerer Exzellenz Reise nach Eriwan und Ihrem dortigen Auftreten
bin ich völlig einverstanden. Da die sehr ernsten Vorstellungen des
Kaiserlichen Botschafters und die energischen Schritte der Obersten
Kriegsleitung die Türkei nicht zur Räumung des armenischen Gebiets und
zur Bewilligung der Rückkehr der Flüchtlinge bestimmt haben, erscheint
es leider zweifelhaft, ob wir überhaupt imstande sein werden, den
Armeniern wirksam zu helfen. Unser weiteres Vorgehen hängt von der
allgemeinen politischen und militärischen Lage ab.

                                                               Hintze.


434.

      (Kaiserlich
  Deutsche Botschaft.)

    Telegramm.

  Abgang aus Konstantinopel, den 25. August 1918.
  Ankunft, den 26. August 1918.

    An Auswärtiges Amt.

    General von Kreß telegraphiert unterm 20. August:

„Das scheinbare türkische Zugeständnis in der Frage der Rückkehr
armenischer Flüchtlinge ist vollkommen wertlos. Während in den von
türkischen Truppen besetzten Gebieten die Ernte, soweit sie nicht
von den Türken selbst fortgeschafft wird, aus Mangel an Arbeitskraft
verfault, gehen die zusammengeballten Menschenmassen in den
unproduktiven Gebieten östlich der von Enver Pascha bezeichneten Linie
ihrem sicheren Untergang entgegen. Die Lage verschlimmert sich täglich.
Sollten alle verzweifelten Hilferufe der Regierung und der obersten
Geistlichkeit Armeniens ungehört verhallen, so wird die Verantwortung
für Vernichtung dieses alten christlichen Volkes für immer auf
Deutschland und Österreich lasten. Geschichte wird und kann nicht
gelten lassen, daß die beiden großen Christenreiche Mitteleuropas nicht
imstande waren, wenigstens hier, wo es sich um Sein oder Nichtsein
eines ganzen Volkes handelt, ihrem asiatischen Verbündeten ihren Willen
aufzuzwingen.“

                                                           Bernstorff.



_September._


435.

   Kaiserlich Deutsche
  Delegation im Kaukasus.               Tiflis, den 3. September 1918.

Euer Exzellenz berichte ich gehorsamst, daß ich am 30.8., einer
Einladung Halil Paschas und den dringenden Bitten der armenischen
Regierung folgend, zusammen mit Baron Frankenstein Halil Pascha bei
seinem Antrittsbesuch in Eriwan begleitet habe.

Ich habe die an mich gerichtete Einladung angenommen, weil ich hoffte,
bei dieser Gelegenheit Halil Pascha davon überzeugen zu können, daß
die Vorstellungen, die man sich in Konstantinopel von der sogenannten
Armeniergefahr macht, unrichtig und unberechtigt sind. Ich hoffe,
daß es den Berichten Halil Paschas gelingen wird, die türkische
Oberste Heeresleitung davon zu überzeugen, daß all den Schlagworten,
wie „militärische Notwendigkeiten“, „Bedrohung der rückwärtigen
Verbindungen“ und dergleichen mehr, mit denen man den Mord an vielen
Tausenden von Menschen zu rechtfertigen und die Bemühungen des
deutschen Botschafters und der deutschen Obersten Heeresleitung zur
Rettung der Armenier lahmzulegen versucht, jeder berechtigten Grundlage
entbehren.

Die türkischen Truppen im Kaukasus, mit den Armeeführern angefangen
bis herunter zum letzten Leutnant, der auf Grenzwache steht, sind
von Wehib Pascha derart gegen die Armenier und Deutschen verhetzt,
daß es voraussichtlich lange dauern wird, bis es Halil Pascha, der
auf einem weit vernünftigeren Standpunkt steht, gelingen wird, sich
durchzusetzen. Essad und Ali Ichsan Pascha, sowohl wie insbesondere
Schewki Pascha machen ihm nach jeder Richtung hin Schwierigkeiten. Der
letztere hat jüngst Halil Pascha geschrieben, er könne sich mit seiner
Politik in keiner Weise einverstanden erklären. Seitdem er, Halil
Pascha, den Oberbefehl übernommen habe, mache sich schon wieder der
Einfluß dieser Deutschen fühlbar. Hinsichtlich der Einzelheiten unseres
Besuches bitte ich auf die beiliegende Abschrift eines von Baron
Frankenstein verfertigten Berichtes, dem ich in allen Punkten beitrete,
Bezug nehmen zu dürfen.

Ich möchte mir erlauben, die folgenden Punkte als besonders
charakteristisch für die türkische Politik unterstreichen zu dürfen.

1. Auf das Drängen der deutschen Regierung und Obersten Heeresleitung
hin, sagt die türkische Regierung unserem Botschafter und den
armenischen Bevollmächtigten in Kospoli zu, daß die Bezirke Lori and
Pambak unter gewissen Bedingungen den Armeniern eingeräumt werden
sollen. Ein diesbezügliches, von General v. Seeckt unterzeichnetes
Telegramm trifft in Batum ein, mit dem Auftrag, auch mir hiervon
Kenntnis zu geben. 2 Stunden später setzt ein Telegramm Envers den von
General v. Seeckt gezeichneten Befehl außer Kraft. Ich erhalte keine
Mitteilung.

2. Enver ordnet an, daß die armenischen Flüchtlinge, unter gewissen
Bedingungen, nach gewissen Gegenden zurückkehren können. Essad
Pascha sollte die nötigen Vollzugsbestimmungen erlassen. Da dieser
grundsätzlich auf Briefe und Telegramme, die ihm nicht genehm sind,
keine Antwort gibt, schicken Baron Frankenstein und ich den K. u.
K. Oberstleutnant Pawlas nach Batum, um mit Essad Pascha über die
Formalitäten der Rückkehr der Flüchtlinge zu verhandeln. Dieser schickt
ihn wieder weg mit der Behauptung, die Kommandoverhältnisse hätten sich
geändert, Halil Pascha sei nunmehr zuständig. Wir kommen zu Halil, um
von ihm zu erfahren und durch Dokumente belegt zu erhalten, daß die
Behauptung Essads glatt erfunden ist.

3. Halil las uns einen Bericht vor, den er von Nuri Pascha zur
Weitergabe nach Konstantinopel erhalten hatte. In diesem Bericht wird
wider besseres Wissen behauptet, daß „die Armenier“ im Bezirk von
Karabag innerhalb 2 Tagen 30 tatarische Dörfer niedergebrannt hätten.
Nuri weiß sehr wohl, daß es sich hier nicht um die Armenier, d. h.
die armenische Republik, sondern nur um Andranik handelt, mit dem die
armenische Regierung nichts zu tun hat. Nuri weiß ferner sehr wohl,
daß höchstens 10 Dörfer zerstört sind, wenn ein Tatare ihm meldet, daß
30 vernichtet worden seien, er weiß auch sehr wohl, daß man sich in
Kospoli nicht 4 oder 5 armselige Lehmhütten darunter vorstellt, wenn
er von Tatarendörfern meldet. Dies ist nur ein Beispiel für viele,
in welch gewissenlos tendenziöser Weise nach Kospoli berichtet wird,
um dort völlig übertriebene und unrichtige Vorstellungen von der
sogenannten Armeniergefahr zu erwecken. Nur aus dieser wissentlich
falschen Berichterstattung läßt es sich erklären, daß man sich,
ungeachtet unserer Berichte, noch immer auf den Standpunkt stellt, daß
die Rückkehr der armenischen Flüchtlinge in die Heimat eine Gefahr für
die türkische Armee bedeute. „Man kann nicht zugeben, daß eine halbe
Million bewaffneter Feinde im Rücken unserer Armee angesiedelt wird.“
Diese halbe Million bewaffneter Feinde sind Greise, Weiber und Kinder.
Dafür, daß nahezu keine waffenfähigen Männer mehr zurückkehren können,
haben die Türken und Tataren gründlich gesorgt. Es ist ein leichtes,
die Flüchtlinge beim Überschreiten der Grenze völlig zu entwaffnen.

Auf ein weites Gebiet verstreut, bilden die verelendeten Flüchtlinge
eine geringere Gefahr, als wenn sie auf einem engen Raum versammelt
durch Hunger zu Verzweiflungstaten getrieben werden.

Wenn die Armenier wollten, so könnten sie heute tagtäglich in
dem unübersichtlichen Gebirgsgelände ohne alle Schwierigkeit die
rückwärtigen Verbindungen der Türken an einer der zahlreichen
Kunstbauten der Gebirgsbahn Sanain-Karakilissa auf Wochen unterbrechen.
Wenn die Türken sich gegen eine Bedrohung ihrer rückwärtigen
Verbindungen sichern wollen, dann können sie dies nur dadurch tun, daß
sie sich die Armenier zu Freunden machen. Treiben sie aber die Armenier
zur Verzweiflung, so erreichen sie gerade das Gegenteil von dem, was
sie beabsichtigen.

Die diesjährige Ernte in den von den Türken besetzten armenischen
Gebieten ist zum Teil von den Türken eingebracht worden. Zum weitaus
dem größeren Teil aber haben die Türken die Ernte dadurch vernichtet,
daß sie ihre Pferde und ihr Vieh auf die Felder trieben.

Wenn die Flüchtlinge nicht zurückkehren dürfen, so werden diese reichen
Gebiete -- in erster Linie zum Schaden der Türken -- auch im nächsten
Jahre keine Ernte tragen.

                                                       Frhr. von Kreß.

  Seiner Exzellenz dem Reichskanzler
  Herrn Grafen von Hertling, Berlin.


Anlage.

Ergebnis der Eriwaner Verhandlungen Halil Paschas und der armenischen
Regierung unter unserer Mitwirkung:

Im Gegensatz zu den tendenziös entstellten Meldungen Essad, Schefki
und Nuri Paschas über die der Türkei seitens Armeniens drohende
Gefahr, gewann Halil Pascha den Eindruck, daß Armenien keineswegs
beabsichtigt, gegen die Türkei vorzugehen. Halil versprach, Enver
darüber aufzuklären, es handle sich bei der Rückkehr der Flüchtlinge
hauptsächlich um Frauen, Kinder, Greise, die wenigen übrig gebliebenen
Männer könnten vorher leicht entwaffnet werden. Er bezeichnete selbst
Envers Zugeständnis der Rückkehr der Armenier in Gebiet 20 km östlich
Bahnlinie Alexandropol-Djulfa als wertlos.

Die Rückgabe der Gebiete von Lori und Pambak, die General v. Seeckt vor
einiger Zeit durch Telegramm nach Batum anordnete, Enver Pascha aber
durch ein zweites Telegramm widerrief, versprach Halil wärmstens zu
befürworten.

Essad Paschas Hinterhältigkeit ist durch die Oberstleutnant Pawlas
gegenüber abgegebene offensichtlich unwahre Erklärung erwiesen, die
Feststellung der Gebiete in seinem Kommandobereiche, in welche die
Flüchtlinge ohne Gefahr der Niedermetzelung zurückkehren könnten, falle
infolge Kommandoveränderung in Halil Paschas Kompetenz, was dieser
selbst als unrichtig bezeichnet.

Erbitten eheste Mitteilung, ob Halil in obigem Sinne Enver berichtete,
und mit welchem Ergebnisse.

Sterblichkeit unter den Flüchtlingen zunehmend.

                                                  Kreß.  Frankenstein.


436.

   Kaiserlich Deutsche
  Delegation im Kaukasus.              Eriwan, den 10. September 1918.

An die Kaiserlich Deutsche Delegation im Kaukasus, Tiflis.

1. Am 9. September traf der politische Vertreter der Türkei, Mehmed Ali
Pascha, mit 2 Offizieren in Eriwan ein.

2. Die erste Zusage Halils, Zurücksendung der armenischen Gefangenen,
ist in Ausführung begriffen. Es sind bis heute ca. 400 Mannschaften
und Offiziere eingetroffen. Der Zustand der Leute ist allerdings
fürchterlich.

Der gestern eingetroffene zweite Transport soll ein gleiches Bild
geboten haben.

Die türkische Regierung hat den armenischen Flüchtlingen erlaubt,
wieder in ihre Dörfer, die jetzt zerstört sind, zurückzukehren.

                                                            Eisenmann.


437.

  Auswärtiges Amt.                     Berlin, den 20. September 1918.

An den Herrn Geschäftsträger, Pera.

Talaat Pascha hat geäußert, daß er sich bei seinen hiesigen
Besprechungen mit Georgiern und Armeniern davon überzeugt habe, wie
wichtig ein gutes nachbarliches Verhältnis mit beiden Völkern für die
Türkei sei, und daß, abgesehen von Kars, Ardahan und Batum, das von
den Türken besetzte Gebiet zurückgegeben werden müsse. Es ist daher zu
hoffen, daß die türkische Regierung in der Rückwanderungsfrage jetzt
Entgegenkommen zeigen wird.

                                                            von Stumm.


438.

      Kaiserlich
  Deutsche Delegation.                 Tiflis, den 23. September 1918.

Wie mir Halil Pascha mitteilt, hat Nuri den Einmarsch regulärer
armenischer Truppen in das Karabachgebiet zur Entwaffnung der Bande
des Generals Andranik mit der Begründung abgelehnt, daß Karabach
aserbeidschanisches Gebiet sei; demnach dürften die türkischen Klagen
über die angeblich illoyale Haltung der armenischen Regierung und
ihr geheimes Einvernehmen mit den Feinden der Türkei fortab jeder
Berechtigung entbehren.

                                                     Freiherr v. Kreß.

  An das Auswärtige Amt, Berlin.



_Oktober._


439.

  Armenische Republik.
  Delegation in Berlin.                   Berlin, den 1. Oktober 1918.

Das Ergebnis der kürzlich in Berlin mit Talaat Pascha gepflogenen
Verhandlungen gestattet uns, zu hoffen, daß die türkische Regierung,
nachdem sie ihren Widerstand gegen die Anerkennung der Brester Grenze
aufgegeben hat, nunmehr durch die baldige Räumung unseres Gebiets ihrem
Zugeständnis die Tat folgen lassen wird. Wir sind uns der Bemühungen
wohl bewußt, die von der Deutschen Regierung aufgewendet wurden, um
dieses für uns erfreuliche Resultat herbeizuführen, und bitten, dafür
den Ausdruck unserer aufrichtigen Dankbarkeit gütigst entgegennehmen zu
wollen.

Unsere hiesige Delegation wurde in einem Augenblick äußerster Gefahr
für unsere Existenz nach Berlin geschickt, um bei der Deutschen
Regierung Schutz und Hilfe zu suchen. Wir wurden hier freundlich
aufgenommen und genossen in weitestem Maße Gastfreundschaft, ein
Zeichen gütigen Wohlwollens, welches wir zu schätzen wissen und das uns
zur Dankbarkeit verpflichtet hat.

Durch die hoffentlich baldige Lösung der Räumungsfrage ist wohl der
dringendste Teil der Aufgabe unserer hiesigen Delegation erfüllt.

                                Dr. H. Ohandjanian,
                 Bevollmächtigter Vertreter der armenischen Regierung.

  An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.


440.

  Kaiserlich Deutsche Delegation
         im Kaukasus.                    Tiflis, den 17. Oktober 1918.

      Urschriftlich nebst Anlage
  Seiner Großherzoglichen Hoheit dem Reichskanzler,
                Prinz Max von Baden,
  gehorsamst vorgelegt.

                                                       Frhr. von Kreß.

  La République de l’Arménie
          M. A. E.

  Mission diplomatique
  en Géorgie, Tiflis.                      Tiflis, Le 17 Octobre 1918.

      Excellence!

J’ai l’honneur de communiquer à Votre Excellence la traduction
textuelle de la note de protestation, que je viens d’adresser à
Monsieur le Représentant Diplomatique de l’Azerbaidjan concernant le
massacre de la population arménienne dans la ville de Bacou.

Je prie Votre Excellence d’avoir l’obligeance de porter à la
connaissance du Gouvernement Impérial le contenu de cette note et
les protestations de mon Gouvernement au sujet des cruautés inouies,
commises lors de la prise de la ville de Bacou.

Profitant de cette occasion, je me fais plaisir de renouveler à Votre
Excellence l’assurance de ma très haute considération.

                                 Djamalian.
           Chargé d’Affaires de la République de l’Arménie en Géorgie.

  Son Excellence Monsieur le Général Kress von Kressenstein,
  Chef de la Délégation Impériale Allemande au Caucase.


  La République de l’Arménie.
  Mission diplomatique en Géorgie.

    Traduction.

                                           Tiflis, le 16 Octobre 1918.

Le soussigné, Chargé d’Affaires de la République d’Arménie en Géorgie,
a l’honneur de communiquer à Monsieur le Représentant Diplomatique
de l’Azerbeidjan auprès du Gouvernement Géorgien, que d’après des
renseignements d’une source certaine, reçus par le Gouvernement de la
République d’Arménie, la prise de la ville de Bacou a été suivie d’un
cruel massacre de la population paisible arménienne sans distinction de
sexe et d’âge et complétée par un pillage des maisons, commis par des
foules musulmanes.

Le nombre des victimes s’élève de vingt cinq jusqu’à trente mille
personnes. Les scènes d’une barbarie inouie ont eu lieu pendant trois
jours, et ce n’est qu’après l’expiration de ce délai, que des mesures
ont été prises par les autorités, et quelques bandits alors surpris sur
place ont été punis.

Lors de l’établissement du pouvoir du Gouvernement de l’Azerbeidjan,
de nombreuses arrestations ont été opérées parmi les restes de la
population arménienne et surtout parmi la classe intellectuelle, quant
aux arméniens riches, des extorqueurs les somment, sous menace de les
délivrer, à verser des sommes d’argent considérables.

Les blessés restés sans soins, les enfants jetés sur le pavé complètent
le spectacle affreux de la domination de la foule dans cette ville.

En informant de ce qui précède, le soussigné a l’honneur de prier
Monsieur le Représentant Diplomatique de porter à la connaissance
du Gouvernement de l’Azerbeidjan la protestation la plus énergique
du Gouvernement de la République d’Arménie, contre la non-prise des
mesures opportunes pour faire cesser le massacre de la population
paisible arménienne. Le Gouvernement de la République d’Arménie insiste
également et sur la punition la plus sévère des personnes coupables
d’agressions contre les habitants arméniens et sur l’adoptation des
mesures efficaces, afin de mettre fin aux violences, qui ont lieu sur
les malheureux survivants.

                               A. Djamalian.
       Pour traduction conforme: M. Toumanoff, Conseiller de Légation.


441.

  Kaiserlich Deutsche Delegation
          im Kaukasus.                   Tiflis, den 21. Oktober 1918.

Euerer Großherzoglichen Hoheit beehre ich mich, anliegend Abschrift
einer Eingabe des armenischen diplomatischen Vertreters in Tiflis
gehorsamst vorzulegen.

Ich habe den Vertreter der Delegation in Baku, Oberstleutnant Freiherr
von der Goltz, beauftragt zu helfen, soweit dies möglich ist.

                                                       Frhr. von Kreß.

  Seiner Großherzoglichen Hoheit dem Reichskanzler
              Prinzen Max von Baden.


Anlage.

       Stempel der Vertretung
  der armenischen Regierung in Tiflis.    Tiflis, le 19. Octobre 1918.

      Excellence!

Vos bonnes intentions pour tout ce qui concerne Bacou me sont connues.
Je sais également tous les efforts que Votre Excellence a apporté à
introduire à Bacou un détachement avec les troupes turco-tatares, ce
qui aurait occasionné une garantie des biens et des vies des habitants
arméniens de Bacou. Il ne m’est également pas inconnu le refus tenace
qui était opposé à toutes vos intentions.

Tout le monde connaît maintenant les horreurs dont fut victime la
population inoffensive arménienne de Bacou et je n’ai aucun doute
que les renseignements que vous avez, seront à temps communiqués au
Gouvernement et à la nation Allemande. Toutefois la conduite inhumaine
qui continue à avoir lieu envers cette population martyrisée, et le
cauchemar sous lequel continuent à vivre encore les Arméniens de Bacou
-- ne sont pas connus à tout le monde.

Une terreur règne à Bacou. D’après les récits et les rapports des
témoins de nationalités différentes et dans ce nombre il faut inclure
et des musulmans, toute la classe intellectuelle arménienne est arrêtée
et endure des tortures inimaginables. De ce nombre jusqu’à présent nous
avons appris l’arrestation des personnes suivantes.

     1. Tigrane Sakharian (docteur en médecine),
     2. Djoumchout Aroutiuniantz (l’ex-maire de la ville),
     3. Artem Egiasarian,
     4. Konstantin Kalantarian (ingénieur),
     5. Samson Amiroff,
     6. Serge Melikoff,
     7. Georges Melikoff,
     8. Petre Souraboff,
     9. Stepan Tigranian (avocat),
    10. Mickail Atabékian (directeur de la banque du Caucase),
    11. Konstantin Khisanian (ingénieur),
    12. Manandian (avocat),
    13. Khoublarian (directeur de la banque de commerce),
    14. Grigor Ogandjanian.

La plupart des emprisonnés n’ont aucun rapport avec la politique, car
tous ceux qui ont organisé la défense de la ville de Bacou, d’après les
mêmes sources, ont quittée la ville à temps. L’arrestation de la classe
intellectuelle peut être envisagé comme un acte de vengeance d’une
cruauté inutile.

Les poursuites et les oppressions de la population arménienne ont fait
surgir des groupes d’extorqueurs qui achèvent de ruiner cet élément.
Sous la menace de dénoncer aux autorités, ces groupes d’extorqueurs
somment beaucoup d’arméniens riches à verser des sommes d’argent plus
que considérables et en cas de refus menacent de les faire emprisonner,
les accusant d’avoir pris part au massacre des tatares.

Après le massacre apparurent une foule d’orphelins et de blessés,
équi sans aucun aide de quel coté que ce fut, survivent à des jours
effroyables et des bruits en plus circulent, que les autorités de Bacou
ont l’intention d’amasser les réfugiés dans des camps de concentration,
où ces derniers seront voués sans aucun doute à une mort certaine.

En vous communiquant tous ces faits, je prie Votre Excellence au nom de
l’humanité et de la charité dont vous vous êtes toujours guidés à bien
vouloir protéger les malheureux habitants arméniens afin qu’ils soient
à l’abri des attentats qui pourraient se commettre et sur leurs vies et
sur leurs biens.

Veuillez agréer, Excellence, l’expression de ma plus haute
considération.

                             A. Djamalian

 Chargé d’Affaires de la République de l’Arménie auprès du Gouvernement
                              Géorgien.

  Son Excellence, Monsieur le Général Kress von Kressenstein,
  Chef de la Délégation Impériale Allemande au Caucase.


442.

  Kaiserlich Deutsche Delegation
         im Kaukasus.                    Tiflis, den 30. Oktober 1918.

Euerer Großherzoglichen Hoheit beehre ich mich, in der Anlage
das Hauptsächlichste über die Baku-Massakres mir zugegangene
informatorische Material für die Akten des Auswärtigen Amts gehorsamst
zu übersenden.

Desgleichen füge ich den Schrift- und Notenwechsel bei, welcher
zwischen der Kaiserlichen Delegation und den türkischen Befehlshabern
bzw. Diplomaten und der Aserbeidschanischen Regierung in der gleichen
Angelegenheit entstanden ist. Ich halte es für angezeigt, daß sich
dieses Material bei den Akten des Auswärtigen Amts befindet, damit die
Kaiserliche Regierung über die Maßnahmen unterrichtet ist, die die
hiesige Kaiserliche Vertretung im Interesse der Menschlichkeit und zum
besonderen Schutze der in Baku lebenden Deutschen unternommen hat.

Wenn die von mir vorgeschlagenen Maßnahmen nicht alle zur Ausführung
gelangt sind, so trägt daran einzig und allein die ablehnende Haltung
der Türken die Schuld, gegen die ich keine Machtmittel besaß.

Die Entsendung des Barons von der Goltz erfolgte zum Teil ebenfalls
aus dem Grunde, um wenigstens einen moralischen Druck auf die höheren
türkischen Heerführer ausüben zu können.

                                                       Frhr. von Kreß.

  Seiner Großherzoglichen Hoheit dem Reichskanzler,
             Prinzen Max von Baden.


Anlage 1.

      Türkische Heeresgruppe Ost.
        Chef des Generalstabes
  Osmanischer Oberstleutnant Paraquin.

                                       Tiflis, den 26. September 1918.

    An Generalleutnant von Seeckt, Exzellenz.

    ~Vorgänge in Baku
    nach der Einnahme am~ 16. ~und~ 17. ~September~ 1918.

Am 16. 9. vormittags begaben sich Halil und Nuri Pascha mit ihrer
Begleitung von Puta mit der Bahn nach Baku.

Bei Baladschari lagen 10 bis 12 tote weiße Engländer am Bahndamm.
Der Bahnhof war nach der Wegnahme durch die Türken abgebrannt. Der
Bahnkörper war auf der ganzen Strecke unbeschädigt.

Über der schwarzen Stadt hingen mächtige Rauchwolken. Türkische
Artillerie hatte am 15. 9. vormittags einen Massut-Tank in Brand
geschossen. Nuris Behauptung, er habe selbst gesehen, daß ein kleines
russisches Kriegsschiff die schwarze Stadt beschossen habe, ist falsch.
Ich habe in Baku deutsche und russische Zeugen, vor allem auch die
Vertreter der russischen Flotte gesprochen. Da Südwestwind herrschte,
schien der Brand eine große Gefahr für die Fabrikstadt zu bedeuten.
Doch sprang der Wind am Nachmittag um. Es wurden nur 3 bis 4 große
Tanks vom Feuer erfaßt, deren Inhalt am Abend des 17. noch nicht
ausgebrannt war.

Noch am Vormittag des 17. war die schwarze Stadt von keinem türkischen
Soldaten betreten worden! An diesem Tage kamen aus der schwarzen Stadt
von verschiedenen Seiten Hilferufe. Die Tataren waren eingedrungen
und plünderten. Die Gefahr, daß durch die Schießereien oder andere
Zwischenfälle ein Brand mit verhängnisvollen Folgen eintreten
könne, war groß. Es bedurfte trotzdem nochmaliger energischer
Vorstellungen des Majors Mayr bei dem zum Stadtkommandanten bestimmten
Generalstabschef Nuris, Nasim Bey, um endlich zu erreichen, daß am 17.
mittags ein Infanterieregiment mit dem Schutze der wertvollen Anlagen
betraut wurde, durch deren Zerstörung Baku seine wirtschaftliche
Bedeutung einbüßen würde.

Die Fahrt durch die Außenstadt auf das Kampffeld bot einen seltsamen
Anblick. Die Straßen waren fast menschenleer. Die Läden und Häuser
waren nahezu ausnahmslos geplündert. An verschiedenen Stellen waren
Haufen von geraubten Gegenständen zusammengetragen, die anscheinend
den tatarischen Plünderern abgenommen und teilweise von einzelnen
türkischen Soldaten bewacht wurden. Die an sich zweckmäßige Maßnahme
kam jedoch nicht zur beabsichtigten Wirkung, da Soldaten und Tataren
ungehindert in dem Haufen herumwühlten und wegtrugen, was ihnen
beliebte. Schon auf dieser Fahrt zeigten sich die unverkennbaren Spuren
schwerer Ausschreitungen. Zwei ermordete Kinder lagen am Wege, dicht
neben uns krachte in einer Seitengasse ein Schuß, aus einem Fenster
schrien Frauen in höchster Verzweiflung um Hilfe. Unsere Autos hielten,
wir eilten in das Haus, allein die Übeltäter waren nach rückwärts
entflohen. Trotzdem damals schon allgemein die Überzeugung herrschte,
daß in der Stadt jede Zucht und Ordnung aufgehört und die christliche
Bevölkerung geplündert, vergewaltigt und gemordet werde, wurde die
Fahrt auf das Kampffeld fortgesetzt, wo eine stundenlange Parade vom 6.
Infanterieregiment und den übrigen Waffen stattfand.

Nuri Pascha, der in Baku der Höchstkommandierende war, hat es
unterlassen, rechtzeitig und ausreichend Maßnahmen zum Schutze des
bedrohten christlichen und europäischen Lebens und Eigentums zu
treffen. Ich bitte als Beweis für meine Behauptung folgende Punkte
aufführen zu dürfen:

1. Am 23. 8. sagte mir Mürzel Pascha in Güsdek, daß die Tataren offen
aussprächen, sie würden die Armenier massakrieren, sobald die Türken
Baku nähmen. Ich habe diese Äußerung Nuri Pascha mitgeteilt, und ihn
rechtzeitig mehrfach um vorbeugende Maßnahmen gebeten.

2. Ich habe sowohl Mürzel als Nuri Pascha gegenüber an Hand des
Stadtplanes von Baku dargelegt, wie die Maßnahmen zur Besetzung einer
großen Stadt zu treffen seien, einmal zur eigenen Sicherheit, dann
zum Schutze fremden Lebens und Besitzes. Ich schlug die Anfertigung
vervielfältigter Stadtskizzen und die genaue Einweisung der Regimenter
in ihre Aufgaben vor. Von alledem ist nichts geschehen.

3. Der größte Teil der Tataren wohnt in Baku in einem durch eine 2 km
lange hohe Mauer abgeschlossenen Stadtteile. Nichts wäre einfacher
gewesen, als die Zugänge zu besetzen. Damit wäre einem großen Teil des
Mordgesindels die Möglichkeit zu Ausschreitungen genommen gewesen. Bis
zuletzt wurde diese Maßnahme nicht durchgeführt.

4. Von vornherein mußten in Gensche oder Tiflis Plakate vorbereitet
werden, die das Standrecht verkündeten und jede Plünderung mit dem
Tod bedrohten. Als das Gemetzel unvermindert den dritten Tag anhielt,
entschloß man sich endlich zu dieser Maßnahme.

5. Nach der Flucht des Feindes wurde am 15. 9. ein
Infanterieregiment zu kaum 1000 Mann, das 56. Infanterieregiment,
in die Viertel-Millionenstadt mit ihrer gewaltigen Ausdehnung
entsendet. Es bedarf keiner Ausführung, daß diese Besetzung völlig
unzureichend war.

6. Der Rest der Truppe wurde nicht etwa zur taktischen Sicherung der
Stadt verwendet. Die Truppe lagerte friedensmäßig auf den Höhen, hörte
unten in der Stadt die ununterbrochenen Schießereien in den Häusern
und hielt am 16. 9. vormittags eine Parade vor dem Pascha zu Ehren
des hohen muhammedanischen Festtages, des Kurban-Beiram. Auf meine
dringenden Vorstellungen, die ich an Halil Pascha als Mensch und Freund
richtete, befahl Nuri, daß noch ein zweites Regiment in die Stadt
rücken solle. Ich hielt mich für verpflichtet, sofort aufmerksam zu
machen, daß diese Maßnahme nicht ausreichend sei. Nuri erwiderte, er
hielte sie für genügend.

7. Als wir im Saale des Hotel Metropol versammelt waren, stürmten von
allen Seiten telephonische und persönliche Hilferufe auf uns ein.
Die neutralen Konsuln, an ihrer Spitze der dänische, erschienen und
beschwerten sich in bitteren Worten über die Untätigkeit der Türken,
der es allein zu verdanken sei, daß Gemetzel und Plünderung andauerten.

Naturgemäß wendeten sich alle Deutschen und deutschen Schutzbefohlenen
an mich, aber auch die Konsuln und andere Persönlichkeiten baten mich
als Deutschen um Vermittlung und Unterstützung. Ich brachte sie zu Nuri
Paschas Kenntnis. Vor allem ersuchte ich, da ein amtlicher deutscher
Vertreter fehlte, um den Schutz deutschen Lebens und Eigentums. Ich
erbat die sofortige Gestellung von Schutzposten vor die deutschen
Quartiere.

8. Statt mit allen Mitteln an die Herstellung der Ordnung in der Stadt
zu gehen, trieben sich die Paschas, der Stadtkommandant, die gesamten
Generalstabsoffiziere müßig in den Sälen des Hotels umher. Wenn Klagen
und Bitten an Nuri oder den Stadtkommandanten kamen, so wurden sie mit
jener inneren Teilnahmslosigkeit abgefertigt, die sofort erkennen läßt,
daß jeder ernste Eifer und Wille fehlt. Ein großes Festmahl schloß sich
an, dem sämtliche Generäle und die Stäbe mit dem Stadtkommandanten
beiwohnten. Das Kaukasuslied wurde gespielt. Mit unverhohlenem Triumph
wurde mir der Inhalt verdeutscht, daß nunmehr die Türkei sich ihr altes
Eigentum, den Kaukasus, wieder holen werde. Während und nach der Tafel
ging in der Stadt Mord und Plünderung weiter. Die Türken ließen sich
dadurch in ihrer Untätigkeit nicht stören.

Ich kann die vielfach offen ausgesprochene Ansicht nicht unerwähnt
lassen, daß die türkische Führung den Tataren die Gelegenheit zur Rache
an den Armeniern geben wollte.

Zwischen 5 und 6 Uhr nachmittags erschien der dänische Konsul in
großer Erregung im Saale des Hotel Metropol, wo sich unentwegt das
ganze freie Treiben abspielte, und teilte mir mit, daß erneut deutsche
Häuser geplündert und die Bewohner mit Waffen bedroht würden. Ich ging
auf Nuri Pascha zu und sagte mit lauter erhobener Stimme ungefähr
folgendes: „Exzellenz, ich bitte Sie nun endlich wirksame Maßnahmen
zum Schutze der Deutschen zu treffen. Ich bin sonst gezwungen, der
Deutschen Botschaft in Konstantinopel zu berichten, wie wenig Sie
deutsches Leben und deutsches Eigentum schützen.“ Nuri erwiderte etwas
verdutzt, er habe doch alles getan. Ich antwortete, daß dies nicht
stimme. Man hätte eine Parade gehalten, während Mord und Plünderung
herrschten. Es stünden immer noch 5 Regimenter untätig vor der Stadt,
außerdem sitze der Stadtkommandant noch immer untätig im Saale. Von
den Führern und Generalstabsoffizieren habe noch keiner das Hotel
verlassen, um selbst einzugreifen. Ich bäte ihn nochmals dringend, nun
endlich die Sicherheit der Deutschen zu gewährleisten. Ich persönlich
würde mich nun mit den 3 deutschen Offizieren in die Stadt begeben, um
nach Möglichkeit selbst den Deutschen zu helfen, daraufhin wandte ich
mich ab und verließ den Saal.

Die ganze Auseinandersetzung konnte natürlich den im Saale Anwesenden
nicht verborgen bleiben. Ich habe mit scharfer Betonung gesprochen,
aber kein Wort und keine Geste gebraucht, die im geringsten beleidigend
sein könnte. Der Tragweite meines Schrittes war ich mir wohl bewußt.
Ich bin der festen Überzeugung, daß ich in der gegebenen Lage nach all
dem Vorausgegangenen so handeln mußte, wenn nicht die deutschen und
neutralen Vertreter die Anschauung gewinnen sollten, daß der Schutz
deutschen Lebens und Eigentums in ungenügender Weise von mir vertreten
würde, da höfliches Ersuchen nicht zum Ziele geführt hatte.

Sachlich trug mein Auftreten jedenfalls Früchte. Der Stadtkommandant
wurde sofort seiner Stelle enthoben. Nasim Bey wurde zum
Stadtkommandanten ernannt und richtete sich nun eine Arbeitsstätte
in einem anderen Hotel ein. Offiziere wurden mit Autos in die Stadt
entsandt. Neue Truppen wurden in die Stadt gezogen. In diesen Maßnahmen
dürfte das beste Eingeständnis der bisherigen Unterlassungen liegen.

Ich hatte an einige deutsche Häuser türkische Posten aufgestellt und
war auf Ersuchen einer deutschen Familie mit Major Mayr zu einem jungen
armenischen Rechtsgelehrten gefahren, der von den Tataren mit dem Tode
bedroht wurde. Ich stellte vor das Haus ebenfalls einen Posten und nahm
den Mann mit in das Hotel. Es war Nacht geworden. Als wir heimfuhren,
krachten von allen Seiten die Schüsse. Das Feuer wurde immer lebhafter.
Es klang, als ob in der Stadt ein erbitterter Kampf ausgefochten würde.
Nuri Pascha meinte, es sei Festschießen zu Ehren des Kurban-Beiram.
Auf jeden Fall war das Schießen ein willkommener Deckmantel für die
Fortsetzung des Gemetzels.

Am nächsten Morgen, 17. 9., ging die Plünderung ruhig weiter. Nun wurde
vor unserem Hotel ein Plünderer aufgehängt. Die Türken erzählten uns,
auch andere Hinrichtungen würden jetzt vollzogen, um die Plünderer
abzuschrecken. Als ich am 17. 9. abends Baku verließ, war in der Nähe
des Bahnhofs noch eine lebhafte Schießerei. Die Ordnung war in der
Stadt noch nicht hergestellt.

Die Ausschreitungen spielten sich meist im Innern der Häuser ab.
Daher lagen auf den Straßen verhältnismäßig wenig Leichen. Sie waren
meistens in Winkeln zusammengetragen, so daß man oft erst durch den
Geruch aufmerksam wurde. An einer Stelle sah ich sieben Leichen, meist
nackt, übereinander liegen, darunter mehrere Kinder und eine Wöchnerin.
Die Leichen waren nahezu alle mit blutunterlaufenen Stellen, die von
Kolbenschlägen herrührten und mit Stichen bedeckt. Aus Kellern schlug
Leichengeruch entgegen. Ich muß betonen, daß ich nur wenig Zeit hatte,
den Spuren des Gemetzels nachzugehen, da ich von allen Seiten um Hilfe
bestürmt wurde. Doch schon auf meinen kurzen Gängen traf ich auf diese
handgreiflichen Beweise der Metzeleien. Der Eindruck der Plünderung
ganzer Straßenzeilen vom Keller bis unter das Dach drängte sich ohne
weiteres beim Passieren der Straßen auf. Als ein türkischer Major am
17. abends von einem Rundgang zurückkam, sagte er unaufgefordert zu
mir: „Sie haben recht. In der Stadt ist es schrecklich zugegangen. Man
kann es nicht leugnen.“ Vor anderen Zeugen erzählte mir ein Deutscher,
er sei mit dem Adjutanten Nuri Paschas in ein Haus gekommen, in dem
13 Grusinier ohne Unterschied des Geschlechts und Alters ermordet
lagen. Als er darauf hinwies, daß es sich um Grusinier, also deutsche
Schutzbefohlene handle, erhielt er die Antwort: „Man hat sie eben für
Armenier gehalten.“

Der dänische Konsul bemühte sich, die Erschießung der beiden Deutschen
aufzuklären. In ihrem Hause hatten sich armenische Soldaten verteidigt,
die bei der Annäherung der Türken flohen. Obwohl beide ohne Waffen
waren, und sich als Deutsche bezeichneten, wurde sie ohne weitere
Prüfung des Sachverhaltes an die Wand gestellt und erschossen.

Aus der Fülle der tragischen Erlebnisse und erschütternden Eindrücke
möchte ich ein Vorkommnis herausgreifen. Eine deutsche Dame mit
drei Töchtern teilte mir mit, daß ihr Schwiegersohn -- ein Armenier
-- getötet worden und ihre Tochter -- eine Deutsche -- mit zwei
Kindern weggeschleppt worden sei. Da ich hoffte, sie befänden sich
vielleicht in einem der Schutzlager, in die die Armenier seit dem 17.
vormittags mit Kolbenstößen und Peitschenhieben zusammengetrieben
und wie Viehherden zusammengepfercht wurden, so ging ich mit ihr von
Lager zu Lager. Die Verlorene war nirgends zu finden. Alles hofft auf
Deutschlands Hilfe. Vom Auftreten der Türken hat man genug.

Ich halte es für dringend nötig, schon zum Schutze der riesigen
wirtschaftlichen Interessen, daß deutsches Militär und deutsche
Sachverständige nach Baku kommen.

Den türkischen Versuchen gegenüber, die schweren Verfehlungen und
widerlichen Vorgänge in Baku als harmlos und als im Zusammenhang
mit der Erstürmung der Stadt hinzustellen, möchte ich nochmals
betonen, daß das Gemetzel schon vor Wochen angekündigt und ohne jeden
Zusammenhang mit taktischen Vorgängen durchgeführt wurde. Auch der
Einwurf, man habe die Truppen nicht in die Stadt gelassen, da man
ihrer nicht sicher gewesen sei, ist nicht stichhaltig. Allerdings
durfte man nicht, wie es vielfach geschah, die Soldaten in kleineren
Patrouillen durch die Stadt schicken. Wo dies geschah, beteiligte sich
die türkische Soldateska lebhaft am Plündern und Schänden. Hätte man
sie bataillonsweise auf den großen Plätzen aufgestellt und von dort
Züge unter Offizieren entsendet, so hätte sich Ordnung schaffen lassen
und die Truppe wäre in der Hand behalten worden.

Aus der Fülle von Zeugen, die weit besser wie ich über die schweren
Ausschreitungen berichten können, möchte ich den dänischen,
schwedischen und persischen Konsul, einen Herrn Dassel neben
zahlreichen Deutschen, deren Namen mir entfallen, dann Major Hartmann,
Major Mayr, Oberstabsarzt Brokelmann, Leutnant Uttermarck des
bayerischen Jägerregiments Nr. 15 nennen. Der russische General Ali
Pascha erzählte mir, daß sogar seinen beiden alten Schwestern 600
Rubel in der Wohnung abgepreßt wurden, da man ihnen vorhielt, sie
seien Christinnen, obwohl sie den Koran vorzeigten. Ich würde es für
richtig halten, daß in Baku eine deutsche Kommission gebildet wird, bei
der alle Ausschreitungen gegen Deutsche und deutsche Schutzbefohlene
angemeldet werden.

Ab ich am 17.9. abends mich von Nuri Pascha verabschiedete, reichte
er mir die Hand. Obwohl es bekannt war, daß bei Baladschari ein
Zusammenstoß zweier Züge erfolgt war und die Strecke gesperrt sei,
fuhren wir los. Vielleicht käme man doch durch. Die Folge war, daß wir
fast 24 Stunden vor Baladschari liegen blieben. Die Station Kyschli war
ebenfalls geplündert. In der Gegend im Nordosten Bakus zeigten sich
Reitergruppen, zahlreiche Schüsse fielen, Staubwolken tauchten auf. Was
wirklich vorging, war nicht zu erkennen.

Am 18. vormittags erschien der Adjutant Halil Paschas und überreichte
mir, ohne daß vorher ein Wort zwischen Halil und mir gewechselt oder
irgend eine Reibung erfolgt wäre, folgendes Enthebungsschreiben,
datiert vom 17. 9.:

Votre tenue et vos paroles d’hier contre S. E. Noury Pascha, le
commandant en Chef de l’armée Islam, devant une foule amie et étrangère
et par conséquence la plainte officielle de S. E. à moi m’obligent
définitivement de mettre un terme à votre Mission de Chef d’Etat-Major
chez moi.

Je vous ai mis à la disposition du grand quartier Général auquel je
l’ai télégraphié.

                                                 Halil

                                     en Chef de groupe d’armées d’Est.
                                     Lieutenant-Général et commandant.

Der schroffe Inhalt des Schreibens machte es mir unmöglich, die
Geschäfte bis zur Antwort des Großen Hauptquartiers weiterzuführen. Sie
wurden vom Sous Chef, Oberstleutnant Bassri Bey, übernommen.

                                             Paraquin, Oberstleutnant.


Anlage 2.

  Délégation Imperiale Allemande
          au Caucase.                    Tiflis, le 20 Septembre 1918.

      Excellence,

En vous faisant parvenir ci-jointe la copie d’un télégramme que je
viens d’adresser à Son Excellence Noury Pascha, je ne manque pas de
prier aussi Votre Excellence instamment de faire valoir toute votre
influence auprès de votre Gouvernement et auprès du commandant-en-chef
de l’armée Islam afin qu’il consente à la demande que j’ai dû lui
exprimer. Comme représentant de l’Allemagne le plus rapproché des
événements de Bacou je porte toutes les responsabilités pour la
protection des sujets Allemands de cette ville vis-à-vis de mon
Gouvernement ainsi que de la nation Allemande toute entière.

En même temps je crois pouvoir recourir à vos sentiments de haute
justice et de l’humanité pour obtenir l’intervention de Votre
Excellence en faveur des pauvres gens qui en ce moment souffrent si
terriblement de la fureur des Tatares et qui ne sauraient être sauvés
que par une puissante protection des troupes régulières Ottomanes.

D’après les renseignements absolument sûrs que je viens de recevoir,
les Tatares ont commencé immédiatement après l’entrée dans la ville des
troupes Ottomanes à se livrer à toutes sortes de cruautés, de pillages
et de massacres. En première ligne ces atrocités furent dirigées contre
les Arméniens, mais il y en a aussi des sujets des autres nations, qui
sont tombés victimes eux-mêmes et leurs biens propres.

Quoique Noury Pascha disposât d’un nombre suffisant de troupes
régulières pour mettre immédiatement fin à ces cruautés, il n’a pas
pris pour des raisons qui ne me sont pas connues à temps des mesures
énergiques de sorte que même le soir du 17 l’ordre à Bacou ne fut pas
encore rétabli.

C’est en ma qualité de collègue et d’Allié que je me permets d’adresser
cet appel au représentant d’une grande nation civilisée. En particulier
je me base sur les promesses que Votre Excellence a bien voulu me
donner au sujet des efforts que vous avez fait pour arriver à un
resserrement des relations cordiales entre nos deux puissances.

Je saisis l’occasion pour renouveler à Votre Excellence l’assurance de
ma très haute considération.

                                                              v. Kreß.

  Son Excellence Abdoul Kerim Pascha, Représentant Impérial Ottoman
  près du Gouvernement de la République Géorgienne à Tiflis.


Anlage 3.

  Délégation Imperiale Allemande
          au Caucase.                    Tiflis, le 20 Septembre 1918.

Très urgent!

Télégramme.

Je tiens d’une source absolument sûre que lors des massacres, qui
malheureusement ont eu lieu à Bacou après la prise de la ville,
plusieurs sujets ou anciens sujets Allemands sont aussi tombés victimes
des atrocités et leurs biens dévastés. Par conséquent vu le fait que
Votre Excellence n’était pas à même de protéger suffisamment les
vies et les intérêts des citoyens Allemands, je vous adresse au nom
de l’Empire Allemand la demande officielle et formelle de donner dès
à présent votre consentement à l’envoi d’un bataillon Allemand qui
sera exclusivement chargé de la sauvegarde des dits intérêts de mes
connationaux. En ce qui concerne les crimes, qui ont été déjà commis
contre des sujets Allemands je me réserve d’y revenir plus tard après
avoir reçu les instructions y relatives de mon Gouvernement. Veuillez
répondre, Excellence, par retour du courrier, et agréez l’assurance de
ma haute consideration.

                                                      Général v. Kreß.

         A Son Excellence Noury Pascha
  Général de division Impérial Ottoman à Bacou.


Anlage 4.

  Kaiserlich Deutsche Delegation
          im Kaukasus.                 Tiflis, den 20. September 1918.

      Herr Diplomatischer Vertreter!

Ich erfahre soeben aus absolut zuverlässiger Quelle, daß nach der
Eroberung Bakus durch die türkischen Truppen tatarische Banden und
Teile der tatarischen städtischen Bevölkerung Gemetzel größten Umfangs
angezettelt haben, dem auch einige Deutsche zum Opfer gefallen sind.

Indem ich mir vorbehalte, auf einzelne Geschehnisse zurückzukommen,
sobald ich im Besitz entsprechender Instruktionen meiner Regierung
bin, bitte ich Euere Exzellenz schon heute, Ihrer Regierung mitteilen
zu wollen, daß ich genötigt sein werde, volle Genugtuung für die
Gewalttaten zu fordern, denen wehrlose Deutsche oder unter deutschem
Schutz stehende Personen von Seiten der Tataren ausgesetzt gewesen sind.

Genehmigen Euere Exzellenz die erneute Versicherung meiner vorzüglichen
Hochachtung.

                                                              v. Kreß.

  Seiner Exzellenz Herrn Djafaroff, diplomatischem Vertreter der
  Aserbeidschanischen Republik bei der Georgischen Regierung in
  Tiflis.


Anlage 5.

  (Ottomanische Vertretung
        in Tiflis.)                     Tiflis, le 21. Septembre 1918.

  A Son Excellence le Représentant du Gouvernement de l’empire
  allemand, Général von Kreß.

      Excellence,

J’ai l’honneur de vous informer sur les soi-disantes atrocités et
attaques sur les vies et bénéfices des sujets allemands pendant
l’occupation de Bacou. Cela a été avisé à Votre Excellence par une
idée tout à fait exagérée et pour les Arméniens aussi il n’a pas été
commis aucun excès et aucune cruauté. Quant aux petits événements qui
soi-disant eurent lieu pendant l’occupation de la ville, ils peuvent
être considérés comme des accidents attachés aux anciens événements et
cela peut arriver partout, mais c’est bien sûr que sur la chute d’une
position de défense, qui a passée des scènes sanglantes, dans le passé
et dans le présent, quelques petits accidents peuvent surgir, mais
ils n’ont absolument aucun sens de massacre. Et surtout de pratiquer
volontairement une attaque contre les sujets allemands, peut rester
tout à fait en dehors de la vérité. C’est absolument impossible
admettre de la part de l’armée et du peuple ottoman d’une telle action
vis-à-vis de son allié et ami, Etat et peuple d’Allemagne. On peut
réparer toujours les petits dégats qui soi-disant ont eu lieu pendant
le courant des événements de Bacou et en même temps s’il y a eu de tels
incidents appartenants à ce temps là, ce sera bien possible d’empêcher
définitivement leurs répétitions et de maintenir la discipline et
l’ordre, d’établir aussi la tranquillité et la paix et je crois que
jusqu’à maintenant toutes ces choses là sont faites. C’est pour cela
que je ne vois d’après moi aucun besoin d’envoyer un autre bataillon
pour une ville qui a été prise avec tel prix de sang et des pareils
sacrifices.

Parce que c’est bien sûr que les officiers supérieurs, les officiers et
les troupes ottomanes qui se trouvent à Bacou savent que toutes sortes
de droits de leurs confrères allemands sont aussi honorés et sacrés au
même degré de leurs propres droits. C’est ce que j’appuis sur les idées
et les jugements de n’envoyer sans nécessité un bataillon allemand à
Bacou, c’est fondé sur la raison qui ne consiste aucun danger pour
l’Empire ottoman et pour les armées devant nos ennemis communs ainsi
que pour les sujets allemands et la façon d’agir en envoyant le
susdit bataillon aura peut-être quelques inconvénients et des rumeurs
nuisibles dans les sphères qui nous entourent.

Cependant en parlant du texte de votre lettre, Excellence, je l’ai
communiqué au Gouvernement et au Commandant de l’armée de l’Islam
et j’ai ajouté de ma part qu’il soit apporté de la part des troupes
ottomanes le concours essentiel avec une attention spéciale, et s’il
existe des nécessiteux, il faudrait pour ces pauvres aussi, par grâce,
prêter le concours immédiat.

En joignant mes respects, Excellence, j’ai l’honneur d’appuyer sur
notre alliance remplie d’honneur et de gloire communs et nos liens
et amitiés et aussi les créances que Votre Excellence porte pour le
gouvernement et le peuple ottoman et ainsi que pour l’armée remplie
d’héroisme.

Veuillez agréer, Excellence, l’assurance de ma haute considération.
Représentant Diplomatique et Militaire du Gouvernement Impérial Ottoman,

                             Abdul-Kerim


Anlage 6.

  (Türkische Kaukasusarmee.)                        Bakou, le 25-9-34.

      Excellence,

J’ai reçu votre télégramme et votre honoré du 20.9.18 informant les
évènements arrivés à Bakou.

Ces nouvelles ne peuvent être de si authentique comme d’annonce.

Le premier jour de l’offensive générale de nos troupes contre Bakou, la
résistance de l’ennemi n’avait pas été rompu tout à fait.

Le lendemain, par suite de la défense et durable et définitive de
l’ennemi, l’armée a été obligée d’entrer en combat à la ville.

Plusieurs musulmans déjà chagrinés du massacre des musulmans fait par
les arméniens en date 18 Mars 1918, et surtout les gaspilleurs ouvriers
Persans, profitèrent instantanément de l’occasion présentée et se
mirent à commettre quelques offenses.

Ces évènements a pu se rétablir en sûreté par les preuves et les
mesures énergiques prit par l’armée et par la condamnation à mort de
centaines de musulmans coupables de ces atrocités.

Dès lors, la ville possède une sûreté extraordinaire de sorte qu’aucun
du peuple ne porte plainte.

Les renseignements que vous venez de recevoir sur les sujets allemands
tombés victimes des atrocités ne sont pas ni vrais et ni réels, si
il y a de même des offenses commis envers les sujets allemands, le
Gouvernement Azerbaydjanien est obligé de dédommager les pertes
désignées.

Les troupes turcs ont déjà rétabli l’ordre et la sûreté public. Voilà
pourquoi il ne serait pas nécessaire d’envoyer les troupes allemandes
pour la sauvegarde des sujets allemands.

C’est un de mes spéciaux devoirs la charge de protéger les vies et les
intérêts des sujets allemands.

                                           Noury, Général de Division.

  Son Excellence le Général von Kreß,
  Délégué Impérial Allemand Tiflis


443.

  Auswärtiges Amt.                       Berlin, den 29. Oktober 1918.

Die Meldung der Tribune de Genève[157] ist unzutreffend. Der wahre
Sachverhalt ist folgender:

Bereits am 4. Juni hat die Türkei in Batum mit der damals neu
gegründeten armenischen Republik einen Friedensvertrag geschlossen,
dessen Bestimmungen in territorialer Hinsicht für die Armenier sehr
ungünstig waren. Die türkische Grenze war weit über die im Frieden
von Brest-Litowsk gezogene Linie vorgeschoben. Das den Armeniern
verbleibende unfruchtbare Gebirgsland reichte nicht aus, um außer den
ursprünglichen Bewohnern, den vielen Flüchtlingen aus Türkisch-Armenien
und den von den Türken besetzten kaukasischen Gebieten Unterkommen und
Nahrung zu bieten. Wir haben den Vertrag von Batum nicht anerkannt und
alsbald energische Schritte unternommen, um die Türken zur Innehaltung
der Bestimmungen des Brester Friedens zu veranlassen. Lange zeigte
sich die türkische Regierung taub gegen alle Vorstellungen. Auch unser
Versuch, den armenischen Flüchtlingen wenigstens zur Bergung der Ernte
die Rückkehr in ihre verlassenen Dörfer zu ermöglichen, blieb zunächst
erfolglos.

Erst bei den Verhandlungen, die im September hier mit dem Großwesir
geführt wurden, gelang es uns, ihn zum Entgegenkommen gegenüber den
Wünschen der Armenier zu bewegen und das Versprechen einer Revision der
territorialen Bestimmungen des Vertrages von Batum zu erlangen. Die
seit Anfang Juni in Berlin anwesenden armenischen Delegierten haben an
den deutsch-türkischen Verhandlungen nicht teilgenommen. Talaat Pascha
hat sich aber ihnen gegenüber im gleichen Sinne ausgesprochen.

Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Konstantinopel hat er dann sein
uns gegebenes Versprechen erfüllt und mit der armenischen Republik eine
Vereinbarung über Wiederabtretung und Räumung des armenischen Gebiets
bis zur Grenze von Brest-Litowsk abgeschlossen.

                                                            I. A.:
                                                        von Langwerth.

  An die Deutsche Gesandtschaft, Bern.



_November._


444.

  Société Impériale ottomane
  du Chemin de Fer de Bagdad.    Konstantinopel, den 5. November 1918.

An den Verwaltungsrat der Bagdad-Eisenbahn-Gesellschaft, Berlin,
betreffend Armenierfrage.

In dieser Frage haben wir Ihnen in den Jahren 1915 und 1916 --
hauptsächlich im Sommer und Herbst 1915 -- vielfach und eingehend zu
berichten gehabt.

Wie Sie sich erinnern werden, hatten wir Kämpfe zu bestehen, um unsere
armenischen Angestellten ihrem Dienst an unseren Bahnen zu erhalten.
Die kritischste Periode war im August 1915, als die türkische Regierung
unvermittelt eines Tages an die Ausführung ihrer Absicht ging, unsere
armenischen Angestellten in der Zahl von etwa 850 zwangsweise mit
ihren Familien in die entfernteren Gegenden des Reiches abzuführen.
Sie erinnern sich, daß der Zeichner dieses damals zunächst einen
Aufschub der Maßregeln erwirkte dadurch, daß er erklärte, zur selbigen
Stunde den Betrieb auf der ganzen Linie einzustellen, weil ein solcher
in geregelter Weise nach der Herausnahme von 850 geschulten und
eingearbeiteten Beamten eine Unmöglichkeit sei. An unserer ohnehin
geschwächten Organisation zu rühren, bilde überhaupt eine Gefahr von
ungeheurer Tragweite, die sogar den Gang des Krieges beeinflussen könne.

Es war dann eine sehr schwierige Aufgabe, den Aufschub in eine
Aufhebung der Maßregeln gegen unsere armenischen Angestellten
umzuwandeln, und, wie Sie wissen, haben wir diese Aufgabe trotz
vielfacher und immer wieder aufs neue einsetzender starker Pression
siegreich durchgeführt.

In diesen Tagen war nun eine Deputation unserer armenischen
Angestellten bei uns, um zu erklären, daß sie erst jetzt die
Freiheit besäßen, uns auszusprechen, was sie seit 1915 in steigender
Lebhaftigkeit empfunden hätten, nämlich daß sie und ihre Familien Leben
und Existenz nur unserem damaligen festen Eingreifen zu danken hätten.
Daß sie seien, und was sie seien, dankten sie einzig der Leitung der
anatolischen Eisenbahn-Gesellschaft, und es gäbe in den armenischen
Familien an unseren Linien kein Familienmitglied, daß dieser Tatsache
nicht jeden Tag, den Gott gibt, dankbar gedächte. In diesem Sinne
sprach sich die Deputation aus, und unsere Erwiderung bewegte sich
in der Richtung, daß wir an unseren armenischen Angestellten stets
gewissenhafte Mitarbeiter besessen hätten, und daß es sich um ein
einfaches Gebot der Pflicht für uns gehandelt hätte, Treue mit Treue
zu entgelten. Den Dank nähmen wir gerne entgegen und hofften, daß wir
ihn in der Gestalt von treuer Pflichterfüllung und Hingabe an unsere
gemeinsame Aufgabe betätigt sähen. Wenn wir uns wie bisher auf unsere
armenischen Angestellten verlassen könnten, so könnten sie sich mit
Zuversicht auch auf uns -- die Leitung -- verlassen, und auf diese
Weise könnten wir in gemeinsamer ernster Arbeit jeder von seinem Platze
aus die Aufgabe erfüllen, die unseren Bahnen in der Türkei zum Besten
des Landes und seiner Bewohner gestellt ist.

Einige Tage nach dem Erscheinen dieser Deputation sandte der armenische
Patriarch in seiner Vertretung einen Herrn zu uns, dessen offizielle
Tätigkeit die Führung der Geschäfte des armenischen Patriarchats ist.
Im Namen des Patriarchs und des ganzen armenischen Volkes dankte er
mir für meine Intervention zugunsten unserer armenischen Angestellten
und deren Familien. Die armenische Nation habe eine Dankesschuld
abzutragen, die Ehrensache eines jeden Armeniers sein müsse.

Ich möchte hier noch beifügen, daß unmittelbar nach meinem ersten
Vorgehen im August 1915 und meiner stürmischen Auseinandersetzung mit
den Behörden der damalige armenische Patriarch einen Vertrauten zu mir
sandte mit folgender Botschaft: Er (der Patriarch) sei ein alter Mann
und hoffe bald vor Gottes Thron zu stehen. Er sehne diesen Augenblick
herbei, und er werde sich dem Throne Gottes mit einem Gebet auf den
Lippen für mich nähern. Das sei alles, was er mir für jetzt im Namen
der Armenier sagen lassen könne.

Die Armenier werden jetzt wieder in ihre ursprünglichen Wohnorte
zurückgeführt. Das Elend der Armen ist nach ihren mehrjährigen Leiden
ungeheuer. Um im Gebiet unserer Bahn den Leuten etwas Hilfe zu
leisten, haben Herr Huguenin und Zeichner dieses im Hinblick auf die
Unmöglichkeit einer vorhergehenden Verständigung mit Ihnen jeder von
sich aus Ltq. 500 dem bestehenden Komitee gespendet.

                                                    Hochachtungsvoll
                                                  Der Generaldirektor.
                                                        Günther.



Anhang



Inhalt.

    1. Zeitun und Suedije               S. 457

    2. Bitlis-Musch                     S. 468

    3. Wan                              S. 471

    4. In den Konzentrationslagern      S. 486

    5. Das Hilfswerk in Urfa            S. 494



1.

Zeitun und Suedije.[158]


Ich war ein Jahr lang Pfarrer im Dienste der armenisch-protestantischen
Kirche in Zeitun. Der folgende Bericht gibt meine persönlichen
Erfahrungen wieder:

Früh im Frühjahr dieses Jahres begann die Regierung eine drohende
Haltung gegenüber der Bewohnerschaft von Zeitun anzunehmen. Älteste
und Notable der Stadt wurden vorgeladen und einem inquisitorischen
Verfahren unter Anwendung der Bastonnade unterzogen. Absurde und
unmögliche Anklagen wurden erhoben, um Geld zu erpressen. Inzwischen
wurden 4000 Soldaten regulärer Truppen in den Kasernen oberhalb der
Stadt einquartiert. Ein Versuch, das armenische Kloster, in das sich
Deserteure geflüchtet hatten, zu überrumpeln, kostete den Türken
einige Verluste und verfehlte seinen Zweck. Die Besatzung des Klosters
verteidigte sich, und selbst als sie von Feldartillerie angegriffen
wurde, gelang es nicht, das Kloster zu nehmen.

Infolgedessen wurden fünfzig der angesehensten Männer von Zeitun in die
Kaserne geladen „zu einer Konferenz mit dem Kommandeur“. Sie wurden
sofort gefangen gesetzt, und ihre Familien wurden geholt. Jedermann
wartete ängstlich auf die Rückkehr dieser Leute. Aber nach einiger Zeit
erfuhr man, daß sie an einen unbekannten Bestimmungsort fortgeschickt
worden waren. Ein paar Tage später wurde eine andere und größere Gruppe
von Familien in die Kaserne befohlen und mit Drohungen und Flüchen an
einen anderen Verbannungsort fortgetrieben. Auf diese Weise wurden 300
oder 400 Familien fortgeschickt, auf abseitigen Wegen durch die Berge,
die einen nordwestlich nach Konia zu, andere südöstlich in heiße und
ungesunde Distrikte von Mesopotamien (Der es Zor). Tag für Tag sahen
wir, wie die verschiedenen Viertel der Stadt von Einwohnern entblößt
wurden, bis von den 10000 Einwohnern der Stadt nur ein kleiner Rest
übrigblieb.

Neben meinen Pflichten als Pfarrer hatte ich gerade damals die Aufsicht
über das Missions-Waisenhaus. Der Kommandeur ließ mich morgens holen
und sagte mir, ich solle mich sofort zur Abreise bereit halten. „Ihre
Frau muß auch gehen“, sagte er, „und die Kinder vom Waisenhaus.“ Wir
trafen eilends unsere Vorbereitungen, denn wir durften nur wenig mit
uns nehmen. Als wir fortzogen, sah ich mit trauerndem Herzen zurück
auf unsere Kirche, die leer und verlassen stand. Die letzte Schar
von unsern Landsleuten strömte das Tal hinunter in die Verbannung.
Ich hatte in früheren Zeiten Massakers gesehen, aber etwas Ähnliches
hatte ich niemals vorher gesehen. Ein Massaker ist wenigstens schnell
vorüber, aber die verlängerte Seelenqual einer solchen Deportation ist
fast nicht zu tragen.

Der erste Tagesmarsch erschöpfte uns alle. Als wir uns im Freien
niederlegten, kamen im Dunkeln türkische Maultiertreiber und beraubten
uns der wenigen Esel und Maultiere, die wir hatten. Am nächsten
Tag erreichten wir in kläglichem Zustand Marasch: die Kinder mit
geschwollenen und wunden Füßen. Durch dringende Fürsprache der
amerikanischen Missionare erhielten wir für mich und meine Frau vom
Gouverneur Erlaubnis, in mein Heimatdorf, Yughonoluk, das in der Nähe
der See, 12 Meilen westlich von Antiochia, gelegen ist, zurückzukehren.
Der Gouverneur gab die Erlaubnis nur aus dem Grunde, weil meine Frau
und ich nicht Eingeborene von Zeitun waren. Mein Herz war geteilt
zwischen dem Wunsch, dem Rest meiner Gemeinde in die Verbannung zu
folgen, und dem Wunsch, meine Frau an einen Ort zu bringen, wo sie in
meinem Elternhaus verhältnismäßig sicher war. Da der Reiseschein schon
ausgestellt war, hatte ich keine Alternative, sondern mußte gehen.

In Aintab fanden wir die große armenische Gemeinde in großer Sorge,
aber damals war noch nicht der Befehl gegeben, die Stadt zu verlassen.
Gerüchte erreichten uns, daß auch die Dörfer am Meer bedroht waren,
aber wir hielten es für das beste, unsern Weg nach Süden fortzusetzen,
obgleich die Reise zu solcher Zeit schwierig war.

Der letzte Teil unseres Weges führte uns durch eine fruchtbare
Ebene nach Antiochia. Reste der Römerstraße, die einst von Antiochia
nach Seleucia ans Meer führte, sind noch in dem Tal unterhalb
meines Heimatdorfes zu bemerken. Die steinernen Dämme der römischen
Hafenbauten von Seleucia sind durch die Stürme und Erdbeben der
Jahrhunderte noch nicht völlig zerstört worden.

Die Leute meines Heimatdorfes Yoghonoluk sind einfache fleißige Leute.
Jahrelang war ihre Hauptbeschäftigung das Sägen und Handpolieren
von Kämmen aus hartem Holz und Bein. Viele unserer Männer sind
auch geschickte Holzschnitzer. In den Nachbardörfern sind die
Hauptbeschäftigungen Seidenraupenzucht und Webereien für seidene
Taschentücher und Shawls auf Handwebstühlen. Jedes Haus ist von
Maulbeerbäumen umgeben, und viele schöne Obstgärten bedecken die
terrassenartigen Abhänge nach Süden und Westen. Reisende, welche in
Süditalien gewesen sind, erzählen uns, daß die Dörfer bei Neapel
den unsern gleichen. Der breite rauhe Rücken des Musa-Dagh, der an
den Djebel el Ahmar stößt, erhebt sich im Osten. Jede Schlucht und
jede Klippe unseres Berges ist unsern Knaben und Männern bekannt.
Unsere Leute lieben ihre Kirchen sehr, und seitdem die amerikanischen
Missionare hier Schulen eröffnet haben, haben die meisten unserer
Kinder Lesen gelernt.

Ich erwähne diese Dinge über mein Heimatsdorf, damit Sie etwas fühlen
können von dem ruhigen glücklichen Leben, das durch diesen letzten
Versuch der Türken, unsere Rasse auszurotten, so roh und so vollständig
zerstört worden ist.

Achtzehn Tage, nachdem ich meine Heimat erreicht hatte, kam ein
offizieller Befehl von der türkischen Regierung in Antiochia, daß
die sechs Dörfer am Musa Dagh sich innerhalb sieben Tagen auf die
Verschickung vorzubereiten hätten. Sie können sich die Bestürzung und
Entrüstung kaum vorstellen, welche dieser Befehl verursachte. Wir saßen
die ganze Nacht auf und überlegten, was wir am besten tun könnten. Es
schien hoffnungslos, der türkischen Regierung zu widerstehen, und doch
schien es eine so furchtbare Aussicht, unsere Familien in die ferne
Wüste zu schicken, die von fanatischen Araberstämmen bewohnt wird,
daß die Frauen sowohl als die Männer dahin neigten, sich dem Befehl
zu widersetzen und lieber den Zorn der Regierung auf sich zu laden.
Indessen waren nicht alle dieser Ansicht. Pastor Harutiun Nokhudian,
der Pfarrer der protestantischen Kirche in Beytias, zum Beispiel kam zu
der Überzeugung, daß es eine Torheit sein würde, Widerstand zu leisten,
und daß die Härte der Verbannung vielleicht irgendwie gemildert
werden könnte. Er war dafür, nachzugeben. Fünfzig Familien seines
eigenen Dorfes und eine beträchtliche Zahl aus dem Nachbardorf die ihm
zustimmten, trennten sich von uns und machten sich unter türkischer
Bewachung nach Antiochia auf den Weg. Sie wurden in der Richtung auf
den unteren Euphrat weitertransportiert. Wir haben alle Spur von ihnen
verloren und hören vielleicht niemals wieder von ihnen.

Unsere Freunde, die amerikanischen Missionare, waren von uns
abgeschnitten, 120 (engl.) Meilen weit nach Norden in Aintab. Da
alle Verbindungen mit der Außenwelt abgebrochen waren, sahen wir
uns auf unsere eigene Hilfe angewiesen, und es wurde uns klar, daß
die Gnade Gottes unsere einzige Hoffnung war. Da wir wußten, daß es
unmöglich sein würde, unsere Dörfer am Fuß der Berge zu verteidigen,
entschlossen wir uns, uns auf die Höhen des Musa-Daghs zurückzuziehen.
Wir nahmen soviel als möglich Nahrungsmittel mit und soviel Gerät, als
möglich war zu tragen. Alle Schafe und Ziegenherden wurden den Berg
hinaufgetrieben, und jede Verteidigungswaffe wurde instand gesetzt. Wir
fanden, daß wir 120 Büchsen und Gewehre hatten und vielleicht dreimal
soviel alte Feuersteinschloßgewehre und Sattelpistolen. Die Hälfte
unserer Männer blieb noch ohne Waffen. Es wurde uns schwer, unsere
Häuser zu verlassen und von unseren Kirchen und Schulen Abschied zu
nehmen. Am dritten Tage erreichten wir bei Eintritt der Nacht die Höhen
des Berges. Beim Morgengrauen des nächsten Tages waren alle Hände an
der Arbeit, um an den wichtigsten Stellen Gräben zu graben. Wo keine
Erde war, um Gräben zu graben, wurden Felsen aufeinandergerollt und
daraus Barrikaden gemacht, hinter welchen unsere Schützen verteilt
wurden. Die Sonne ging herrlich auf, und wir waren den ganzen Tag hart
an der Arbeit, um unsere Stellungen gegen einen Angriff zu befestigen,
den wir bald erwarten mußten.

Gegen Abend hatten wir eine allgemeine Zusammenkunft und wählten ein
Verteidigungskomitee, dem die oberste Autorität für unsere sechs
Gemeinden zuerkannt wurde. Einige begünstigten eine Wahl durch
Händehochheben, aber andere meinten, daß dies eine Sache von so
ungeheurer Wichtigkeit sei, daß die übliche Wahlmethode der Gemeinde
durch geheime Abstimmung befolgt werden sollte. Schnell wurden
Papierschnitzel gesammelt und die Wahl vorgenommen. Nachdem auf diese
Weise ein Rat gebildet worden war, wurden sofort Pläne gemacht, um
jeden Paß des Berges und jeden Zugang zum Lager zu verteidigen.
Wächter, Boten und eine Reservetruppe von Schützen wurden gewählt und
ihnen ihre Pflichten zugeteilt.

Der Regierungsbefehl war am 30. Juli ausgegeben worden. Die Frist von
sieben Tagen war jetzt fast verstrichen, und wir konnten feststellen,
daß die Türken unsere Flucht entdeckt hatten. Die Ebene von Antiochia
ist von Türken und Arabern bevölkert, und immer liegt eine starke
militärische Besatzung in den Kasernen von Antiochia.

Am 5. August begann denn auch der Angriff. Die Vorhut bestand aus 200
Regulären. Ihr Hauptmann rühmte sich, daß er den Berg an einem Tage
säubern würde. Aber die Türken hatten mehrere Verluste und wurden an
den Fuß des Berges zurückgeworfen. Als wir Vorbereitungen trafen,
uns zu lagern und das Abendessen zu kochen, setzte ein strömender
Regen ein, der die ganze Nacht andauerte. Darauf waren wir schlecht
vorbereitet. Es war nicht Zeit gewesen, Hütten aus Zweigen zu machen,
noch hatten wir irgendwelche Zelte aus wasserdichtem Stoff. Männer,
Frauen und Kinder, im ganzen etwas über 5000, wurden bis auf die Haut
naß. Viel von dem Brot, das wir mitgebracht hatten, wurde in eine
Teigmasse verwandelt. Wir waren mehr besorgt, unser Pulver und unsere
Büchsen trocken zu halten.

Als die Türken zu einem allgemeinen Angriff vorgingen, schleppten sie
zwei Feldkanonen auf den Berg, welche nach einigen Experimenten sich
einen Abschnitt sicherten und Verheerungen in unserm Lager anrichteten.
Einer unserer Schützen, ein beherzter junger Bursche, kroch durch das
Buschwerk hinunter und zwischen den Felsen entlang, bis er dem Bereich
der Feldkanonen nahe war, die auf einer Felsenfläche aufgestellt
waren. Nachdem er sich eine Barrikade von Zweigen gemacht hatte,
wartete er auf eine gute Gelegenheit. Er war so nahe, daß er die Türken
miteinander reden hören konnte, wenn sie die Kanonen luden. Als ein
Kanonier in Sicht kam, streckte ihn der junge Mann mit dem ersten Schuß
nieder. Mit 5 Kugeln tötete er 4 weitere Kanoniere. Der Hauptmann warf
voll Entsetzen seine Hände in die Höhe, und da er nicht fähig war,
unseren Schützen zu entdecken, befahl er, daß die Kanonen nach einem
gedeckten Platz geschleppt wurden. So wurden wir an jenem Tage und an
mehreren späteren vor schwerem Feuer bewahrt.

Aber die Türken zogen ihre Streitkräfte zu einem Hauptangriff
zusammen. Sie hatten in viele muhammedanische Dörfer Botschaft
geschickt, um die Leute zu den Waffen zu rufen. Armeebüchsen und viel
Munition wurden aus dem Arsenal in Antiochia ausgegeben, bis der Haufe
von 4000 Muhammedanern, die nach einem Massaker dürsteten, ein für uns
furchtbarer Feind geworden waren. Aber die Hauptmacht der Türken waren
die 3000 regulären Truppen, die an Disziplin und an Beschwerlichkeiten
gewöhnt waren.

Plötzlich eines Morgens meldeten unsere Späher unserm Hauptquartier,
daß der Feind an jedem der Bergpässe erschienen sei. Hier und da
hatten die Türken schon die Hänge und die Bergrücken besetzt. Unsere
Reservetruppe war unklugerweise, wie wir später merkten, in kleinen
Gruppen nach diesen verschiedenen Punkten geschickt worden. Kaum waren
unsere Kräfte so verteilt, als ein Massenangriff mit großer Gewalt
eine Schlucht hinauf einsetzte. Das gesamte übrige Vorgehen waren
Scheinangriffe gewesen, die nicht weiter verfolgt wurden. Mit der Zeit
erkannten unsere Leute die Lage und berichteten von verschiedenen
Punkten, daß die Türken unsere Späher erschossen und einen wichtigen
Paß genommen hätten. Zu unserm Entsetzen sahen wir sie schon in vollem
Besitz der Höhen, so daß sie unser Lager bedrohten. Verstärkungen
rückten beständig den Berg herauf, und als der Nachmittag herankam,
sahen wir, daß wir weit in der Minderzahl waren. Wir merkten auch, daß
die Schußweite der türkischen Büchsen unsern altmodischen Feuerwaffen
weit überlegen war. Bei Sonnenuntergang hatte der Feind 3 Kompagnien
durch das dichte Unterholz und den Wald vorgeschickt, bis auf 400 Ellen
vor unsern Hütten. Eine tiefe dumpfige Schlucht lag dazwischen, und die
Türken entschlossen sich, lieber da, wo sie standen, zu biwakieren als
in der Dunkelheit weiter vorzugehen.

Unsere Führer hielten in aller Eile Rat ab, flüsterten nur leise und
erlaubten kein Licht im Lager. Jedermann wußte, daß die Lage kritisch
war. Endlich wurde ein gewagter Plan angenommen. Im Dunkel der Nacht an
die türkischen Stellungen heran zu kriechen, eine Einkreisungsbewegung
auszuführen, dann einen plötzlichen Feuerüberfall zu eröffnen und
zum Nahkampf überzugehen. Wir wußten, daß alles verloren war, wenn
dieser Plan scheiterte. Mit außerordentlicher Geschicklichkeit krochen
unsere Männer durch die dunkeln und feuchten Wälder. Hier machte
unsere Vertrautheit mit jenen Schluchten und Dickichten es möglich,
etwas auszuführen, was Fremde nicht hätten versuchen können. Der Kreis
war tatsächlich geschlossen, als mit Blitzen und Krachen von allen
Seiten unsere Männer zum Angriff übergingen und mit verzweifeltem Mute
vorwärts stürmten.

Nach wenigen Augenblicken war es klar, daß Bestürzung und Schrecken das
türkische Lager in die größte Verwirrung gebracht hatte. Die Truppen
stürzten in der schwarzen Nacht hierhin und dorthin und stolperten über
Felsplatten und Baumstämme. Offiziere schrieen sich widersprechende
Befehle zu und mühten sich vergeblich, ihre Leute zusammenzuhalten.
Augenscheinlich glaubten sie es mit einem sehr gefährlichen Angriff
zu tun zu haben, denn nach weniger als einer halben Stunde gab der
türkische Oberst den Befehl zum Rückzug, und vor Morgengrauen waren
die Wälder tatsächlich von Truppen frei. Mehr als 200 Türken waren
gefallen, und wir hatten einige Beute gemacht: 7 Mausergewehre, 2500
Pack Munition und einen Maulesel. Kein Anzeichen deutete auf einen
Wiederbeginn des Kampfes, aber wir wußten, daß unser Feind nicht
geschlagen war. Er war nur vertrieben.

Während der nächsten Tage wurde die ganze muhammedanische Bevölkerung,
viele Meilen im Umkreis, mobil gemacht, eine Horde von vielleicht 8000
Menschen. Mit dieser Masse konnten sie den Musa Dagh umzingeln und
auf der Landseite belagern. Ihr Plan war, uns auszuhungern. Auf der
Seeseite war kein Hafen, noch irgendeine Verbindung mit einem Seehafen
möglich. Der Berg fiel steil zum Meere ab. Wir waren voll beschäftigt
mit der Sorge für unsere Verwundeten und der Ausbesserung des Schadens,
der in unserm Lager angerichtet war. Besondere Versammlungen wurden
abgehalten, um Gott zu danken, daß er uns so weit bewahrt hatte, und
für unsere Familien und für unsere Kleinen zu beten.

Als wir entdeckten, daß unser Berg im Belagerungszustand war, begannen
wir, unsere Nahrungsquellen abzuschätzen. Während der ersten Woche auf
der Höhe war das Brot, die Kartoffeln und der Käse, welche wir von
Hause mitgebracht hatten, zu Ende gegangen. Sehr wenige nur hatten Mehl
und andere Feldfrüchte mitbringen können. Einen Monat etwa lebten wir
von unsern Herden und schlachteten täglich eine Zahl Schafe und Ziegen.
Die Ziegenmilch brauchten wir für die Kinder und die Kranken. Diese
beständige Fleischnahrung bekam uns nicht, aber wir waren tief dankbar,
daß wir so dem Hungertode entgingen. Ende Juli zählten wir sorgfältig
die Herden und fanden, daß unser Vorrat, selbst bei reduzierter
Fleischration, nicht länger als zwei weitere Wochen reichen würde.
Von Anfang an hatten wir daran gedacht, ob wir nicht auf dem Seewege
entkommen könnten.

Ehe wir durch die Belagerung eingeschlossen waren, hatten wir einen
Läufer abgesandt, der die gefährliche Reise von 85 (engl.) Meilen durch
türkische Dörfer bis Aleppo, der Provinzialhauptstadt, machen mußte,
mit einer Bitte an den amerikanischen Konsul Mr. Jackson, uns, wenn
möglich, Hilfe von der See aus zu schicken. Aber es war durchaus nicht
wahrscheinlich, daß unser Läufer Aleppo je erreichen würde. Da kam
uns der Gedanke, daß möglicherweise ein Kriegsschiff der Verbündeten
35 Meilen nördlich im Hafen von Alexandrette liegen könnte. Einer
unserer jungen Leute, der ein guter Schwimmer war, erklärte sich
freiwillig bereit, durch die türkischen Linien zu kriechen und eine
Botschaft mitzunehmen, die an der Innenseite seines Gürtels befestigt
war. Es gelang ihm auch, die Hügel zu erreichen, von denen aus man
den Hafen von Alexandrette überblicken konnte, aber als er sah, daß
kein Kriegsschiff da war, kehrte er zurück. Sein Plan war gewesen, in
das Meer hinauszuschwimmen, das Kriegsschiff zu umkreisen und so den
türkischen Wachtposten auf den Straßen, die in die Stadt führen, zu
entgehen.

Wir stellten dann dreifache Abschriften des folgenden Hilferufs her und
bestimmten drei Schwimmer, welche ständig auf jedes vorüberfahrende
Schiff aufpassen, sich durch die Brandung durchschlagen und am Kap
hinausschwimmen sollten, um das Schiff zu erreichen:

„An irgendeinen englischen, amerikanischen, französischen,
italienischen oder russischen Admiral, Kapitän oder Befehlshaber, den
diese Petition erreichen mag.

Wir flehen im Namen Gottes und menschlicher Brüderlichkeit. Wir, die
Bevölkerung von sechs armenischen Dörfern, im ganzen etwa 5000 Seelen,
haben uns in den Teil des Musa Daghs, der Damlajik genannt wird, drei
Stunden Wegs nordwestlich von Suedije an der Meeresküste, geflüchtet.

Wir haben hier Zuflucht gesucht vor türkischer Barbarei und Grausamkeit
und vor allem vor der Schändung der Ehre unserer Frauen. Sir, Sie
müssen gehört haben von der Vernichtungspolitik der Türken gegen unsere
Nation. Unter dem Schein der Verschickung und dem Vorwand, einer
Rebellion vorzubeugen, vertreiben sie unsere Leute aus ihren Häusern
und berauben sie ihrer Gärten, Weinberge und aller ihrer Habe. Dieses
grausame Programm ist schon mit der Stadt Zeitun und ihrer 32 Dörfer,
auch mit Albistan, Göksun, Yarpus, Gürün, Diarbekr, Adana, Tarsus,
Mersina, Dörtjol, Hadjin usw. durchgeführt worden. Dieselbe Politik
wird auf die anderthalb Millionen Armenier in verschiedenen Teilen der
Türkei ausgedehnt.

Der Schreiber dieses war protestantischer Pfarrer in Zeitun vor wenigen
Monaten und war Augenzeuge von vielen unsagbaren Grausamkeiten. Ich sah
Familien von 8 oder 10 Köpfen die Straßen entlang getrieben, barfüßige
Kinder von 6 und 7 Jahren neben alten Großeltern, hungern und dürsten.
Ihre Füße geschwollen von der schwierigen Reise. Längs der Straße
hörte man Schluchzen, Fluchen und Gebete. Unter dem Druck der Angst
kamen Frauen in den Gebüschen an der Straßenseite nieder. Unmittelbar
nachher wurden sie von den türkischen Wachen gezwungen, ihre Reise
fortzusetzen, bis der gütige Tod ihrer Qual ein Ende bereitete.

Der Rest der Leute, welche stark genug waren, die Beschwerlichkeiten
des Marsches zu ertragen, wurden unter den Peitschen der Gendarmen in
die Steppen des Südens weitergetrieben. Einige starben vor Hunger.
Andere wurden beraubt auf dem Wege. Andere wurden von der Malaria
dahingerafft und mußten an den Straßen liegen bleiben. Als letzter Akt
dieser entsetzlichen Tragödie massakrierten die Araber und Türken alle
Männer und verteilten die Witwen und Frauen unter ihre Stämme.

Etwa vor 35 Tagen benachrichtigte uns die Regierung, daß unsere 6
Dörfer in die Verbannung gehen müßten. Wir zogen es vor, uns auf diesen
Berg zu flüchten, statt uns diesem Befehl zu unterwerfen. Wir haben
jetzt wenig Nahrung übrig, und die Truppen belagern uns. Wir haben
fünf heftige Kämpfe bestanden. Gott hat uns bisher geholfen, aber das
nächste Mal werden wir eine viel größere Macht gegen uns haben.

Sir, wir flehen Euch an im Namen Christi!

Bringt uns, wir bitten Euch, nach Cypern oder nach irgend einem andern
freien Lande. Unsere Leute sind nicht träge. Wir wollen unser Brot
selbst verdienen, wenn wir beschäftigt werden.

Wenn dies zu viel ist, um es uns zu gewähren, so nehmt wenigstens
unsere Frauen, alte Leute und Kinder auf. Stattet uns mit genügenden
Waffen aus, mit Munition und Nahrung, und wir wollen uns mit aller
Macht gegen die türkischen Streitkräfte verteidigen. Wir bitten, Sir,
wartet nicht, bis es zu spät ist!

Im Namen aller Christen hier.

    2. September.                     Ihr untertäniger Diener
                                                   Digran Andreasian.“

Aber Tage vergingen, und nicht ein Segel war zu sehen. Der Krieg hatte
die Küstenschiffahrt auf ein Minimum reduziert. Inzwischen hatten auf
meinen Vorschlag unsere Frauen zwei große Flaggen zusammengenäht,
auf deren eine ich in großen, deutlichen, englischen Druckbuchstaben
schrieb: Christen in Not, Hilfe! Es war eine weiße Flagge mit bunten
Buchstaben, hastig von unsern Frauen gestickt. Die andere, welche meine
Schwester Iskuhi gemacht hatte, war auch weiß mit einem großen roten
Kreuz in der Mitte. Wir befestigten diese Flaggen an großen Bäumen und
stellten eine Wache am Fuß auf, um den Horizont vom Morgen bis zum
Abend abzusuchen. Einige Tage hatten wir Regen und an andern schweren
Nebel, die an unserer Küste ziemlich häufig sind.

Die Türken griffen uns wiederholt an, und wir hatten einige schwere
Kämpfe, aber niemals solche Nahkämpfe, wie während des ersten
Zusammenstoßes. Von einem günstigen Punkt aus konnten wir Felsstücke
die steile Bergseite hinunterrollen mit furchtbarer Wirkung auf unsern
Feind. Unser Pulver und unsere Kugeln verringerten sich, und die Türken
hatten augenscheinlich eine Ahnung von unserer Bedrängnis, denn sie
begannen uns mit lautem Geschrei in unverschämter Weise zur Übergabe
aufzufordern. Das waren ängstliche Tage und lange Nächte! Hier gebar
meine Frau ihr erstes Kind, einen Sohn. Als wir zwei Tage später an
die See hinunterflohen, litt sie sehr, aber ich trug sie und half ihr,
soviel ich konnte. Gott sei Dank geht es ihr und unserm kleinen Sohn
jetzt gut.

Eines Sonntagsmorgens, am 36. Tage unserer Verteidigung, während ich
mich eben auf eine kurze Predigt vorbereitete, um unsere Leute zu
ermutigen und zu stärken, wurde ich aufgeschreckt durch einen Mann, der
mit höchster Stimme schrie. Er raste durch unser Lager geradenwegs auf
meine Hütte zu. „Pastor! Pastor!“ schrie er, „ein Kriegsschiff kommt
und hat auf unsere Fahnen geantwortet! Gott sei Dank, unsere Gebete
sind erhört!... Wenn wir die Rote Kreuz-Flagge schwingen, antwortet das
Kriegsschiff mit Signalflaggen ... Sie sehen uns und kommen näher an
die Küste!“

Das Schiff erwies sich als der französische Kreuzer „Guichin“, ein
Schiff mit 4 Schornsteinen. Während eines der Boote herabgelassen
wurde, stürzten einige unserer jungen Leute zur Küste hinab und
schwammen zu dem stattlichen Schiff, welches uns wie von Gott gesandt
erschien. Mit klopfendem Herzen eilten wir hinunter zum Strand, und
bald kam eine Einladung vom Kapitän, eine Gesandtschaft solle an
Bord kommen und über die Lage berichten. Er schickte ein drahtloses
Telegramm an den Admiral der Flotte, und nach kurzer Zeit erschien
das Flaggschiff „Sainte Jeanne d’Arc“ am Horizont, von anderen
französischen Kriegsschiffen gefolgt. Der Admiral sprach Worte des
Trostes und der Aufmunterung zu uns und gab Befehl, daß jede Seele
unserer Gemeinde an Bord der Schiffe genommen werden sollte.

Die Einschiffung dauerte einige Zeit und war außerordentlich schwierig,
da die Küste so rauh war. Wir mußten über improvisierte Flöße klettern,
um durch die brüllende Brandung zu den Booten der Schiffe zu kommen.
Vier französische und ein englischer Kreuzer nahmen uns an Bord, und
man sorgte sehr freundlich für uns.

Nach zwei Tagen kamen wir in Port Said (Ägypten) an und haben uns
jetzt in einem dauernden Lager niedergelassen, welches die britischen
Behörden für uns eingerichtet hatten.

Wir sind Mr. William C. Hornblower besonders dankbar für die
ausgezeichnete Organisation dieses Lagers und Oberst P. G. Elgoot und
seiner Frau, wie Miß Russell für ihre große Güte und unermüdlichen
Bemühungen unseretwegen. Die armenische Rote-Kreuz-Gesellschaft,
welche kürzlich organisiert worden ist, hat uns drei Ärzte und
drei Pflegerinnen geschickt. Der gregorianische Bischof ist
Ehrenvorsitzender dieser Gesellschaft, Mr. Fermanian Direktor und
Professor Kayajan Sekretär. Eine genaue Statistik ist aufgestellt
worden, welche zeigt, daß die Zahl der Überlebenden folgende ist:

     427  Säuglinge und Kinder unter 4 Jahren,
     508  Mädchen von 4-14 Jahren,
     628  Knaben von 4-14 Jahren,
    1441  Frauen über 14 Jahre,
    1054  Männer über 14 Jahre,
    ----
    4058  Seelen im ganzen gerettet.

Nach der ersten Aufforderung der Türken am 30. Juli verteidigten wir
uns auf dem Musa Dagh 44 Tage und eine zweitägige Reise brachte uns
nach Port Said am 14. September.

                                                    Dikran Andreasian.



2.

Bitlis-Musch.[159]


„Seit dem Ausbruch des Krieges waren die Städte und die armenischen
Dörfer von türkischen und kurdischen Banden angefüllt, die als Milizen
in die Armee eingestellt waren. Die Gendarmen beschäftigten sich
unter dem Vorwande von Requisitionen mit Räubereien und Plünderungen.
Den Armeniern wurden alle für den Winter aufgesparten Vorräte an
Lebensmitteln weggenommen, und man befürchtete für das Frühjahr eine
Hungersnot....

Gouverneur von Bitlis war Mustafa Chalil Pascha, Schwager des Ministers
des Innern Talaat Bey. In der Stadt und Umgegend hatte er bereits alle
männlichen Armenier zwischen dem 20. und 45. Jahre zum Heeresdienste
(d. h. zum Straßenbau und Lasttragen) ausheben lassen. Kirchen und
Häuser der Armenier mußten für Einquartierung geräumt werden. Nach
der Erklärung des Dschihad begannen die Mollahs, die Scheichs und die
Banden, die von bekannten Räubern geführt wurden, ihre aufreizende
Tätigkeit.

Die Muhammedaner wurden bewaffnet, und in den Moscheen wurde der
Christenhaß gepredigt. Schon in den Monaten Dezember und Januar kam es
zu mancherlei Untaten. Türken aus Bitlis hatten eine kurdische Bande
gebildet und belagerten das Dorf Urdap. Sie nahmen den Bauer Pallabech
Karapet und einige andere gefangen, führten sie gefesselt in die Stadt
und folterten sie, indem sie ihnen die Bärte ausrissen. Eine andere
Bande von 300 Mann unter Führung des Chumadji Farso (eines Nachkommen
des berüchtigten Kurdenscheichs Djelaleddin) und des Emirs Mehmed griff
10 armenische Dörfer im Gebiet von Gargar an, plünderte und verbrannte
sie....

Außer den Armeniern, die zur Armee ausgehoben waren, wurden
Armenier jeden Alters in beliebiger Zahl zum Wegebau und zum
Lasttragen requiriert. Die Lastträger hatten den Winter über durch
die verschneiten Gebirge schwere Lasten bis zu 70 Pfund an die
Kaukasusfront zu tragen. Schlecht genährt und ohne Schutz gegen
Kurdenüberfälle, kam die Hälfte auf dem Wege um, oft kehrte auch nur
ein Viertel zurück. Als nach den Kämpfen von Sarikamisch und Ardahan
die Kaukasusarmee in Schnee und Eis einquartiert war, desertierten
viele Soldaten. Aber auf fünf türkische Deserteure kam höchstens ein
armenischer.

Einzelne Deserteure kehrten in ihre Dörfer zurück. Die Gendarmen gingen
mit Listen von Deserteuren von Dorf zu Dorf, um die Auslieferung
derselben zu verlangen. Zugleich nahmen sie Haussuchungen nach Waffen
vor. Falls sich die Deserteure nicht fanden, wurden ihre Häuser
niedergebrannt und ihre Äcker eingezogen. Diese Razzias, die die
Gendarmen veranstalteten, führten gelegentlich zu Zusammenstößen.
Anfang März kam so der Kommissar Razim Bey und der Mülasim Djevded Bey
mit 40 Zaptiehs in das armenische Dorf Zronk. Bei einem Kugelwechsel
mit einem Flüchtling wird einem Gendarm das Pferd unter dem Leibe
weggeschossen. Er kehrt in das Dorf zurück, nimmt ein gutes Pferd
von den Bauern, läßt sich 40 türkische Pfund als Ersatz für das tote
Pferd zahlen, 25 Häuser anzünden, die Männer des Dorfes über die
Klinge springen und konfisziert die Äcker. In Armedan werden türkische
Freiwillige in armenischen Häusern einquartiert. Zum Dank für die
Verpflegung vergewaltigt der Anführer die Schwiegertochter seines
Quartierwirtes....

Ähnliche Dinge wiederholten sich in anderen Dörfern. Zu gleicher
Zeit wurden alle noch irgendwie tauglichen armenischen Männer zu den
Wegebau- und Lastträgerkolonnen (Hamalar-Taburi) und ohne Rücksicht
darauf, ob die Familien ohne Ernährer blieben, ausgehoben. So erhielt
z. B. der Vorsteher des Dorfes Goms in der Musch-Ebene Befehl, 50
Ochsen und 50 Mann für Transportzwecke zu stellen. Trotzdem das
Dorf nur 70 Männer, die Greise eingerechnet, hatte, brachte er 50
Ochsen und 45 Mann zusammen und bot für die fünf fehlenden Mann die
Militärbefreiungssteuer an. Der Müdir von Agdschemak, der nach Goms
gekommen war, wollte damit zufrieden sein, aber sein Begleiter, der
Kurde Mehmed Amin, ein Feind des Dorfvorstehers, nahm das Fehlen der
5 Mann zum Anlaß, den Dorfvorsteher auszupeitschen und 7 Armenier
zu erschießen. Es kam zu einem Zusammenstoß, bei dem 7 Gendarmen und
weitere 20 Armenier getötet wurden. Drei Tage nach diesem Vorfall
kam es zu einem Zwischenfall in dem Kloster Arakeloz. Dorthin hatten
sich 80 Armenier geflüchtet. Truppen aus Musch, die das Kloster
durchsuchten, brachen einen Streit vom Zaun, der blutig endete. Der
Mutessarrif von Musch schickte Truppen, forderte die Auslieferung
der Flüchtlinge, ließ sie aber nach weiteren Verhandlungen abziehen.
Trotzdem ließ der Mutessarrif die Leichen der Türken, die bei dem
ersten Zusammenstoß umgekommen waren, nach Musch bringen und sagte in
der Leichenrede öffentlich: „Für jedes Haar Eures Hauptes will ich
tausend Armenier hinschlachten lassen“...

Trotz aller Drangsalierungen verhielten sich die Armenier ruhig,
ertrugen die Übergriffe und ließen sich zu keinem Widerstand verleiten.
Sie beschwerten sich bei der Regierung, und zeitweise schien die
Regierung sie auch schützen zu wollen. In Musch hielt sich zu der Zeit
Wahan Papasian, der Abgeordnete des Parlaments für Musch, auf. Er
vertrat die Interessen der Armenier beim Mutessarrif von Musch und beim
Wali von Bitlis. Er versuchte, durch Verständigung mit der Regierung
(unter Zustimmung des Ministers des Innern Talaat Bey) dahin zu wirken,
daß Streitigkeiten geschlichtet wurden und die Ordnung, so gut es unter
den anarchistischen Zuständen möglich war, aufrecht zu erhalten.“

Ende Juni kam Djevded Bey, nachdem er Wan den Russen preisgegeben
hatte, mit seinen Truppen nach Bitlis, ließ dort die armenische
Bevölkerung massakrieren und den Rest, 900 Frauen und Kinder,
abtransportieren. Wie es heißt, wurde der Transport im Tigris ertränkt.
In Musch begann das Massaker am 11. Juli. Von den 15000 Armeniern der
Stadt blieben nur 200, von den 59000 Bewohnern der mit armenischen
Dörfern besäten Muschebene konnten sich nur 9000 in die Berge von
Sassun durchschlagen.



3.

Wan.[160]


~Halil Bey in Nordpersien.~

In den ersten Kriegsmonaten Ende 1914 und Anfang 1915 waren türkische
Truppen in Nordpersien in das Gebiet von Urmia und Dilman eingefallen.
Den 20000 Regulären hatten sich noch 10000 Kurden aus dem oberen
Zabgebiet angeschlossen. Auch Djevdet Bey, der Wali von Wan, beteiligte
sich an diesen Operationen. Djevdet Bey ist ein Schwager des türkischen
Kriegsministers Enver Pascha; Halil Bey, der Kommandeur des Korps,
das in Persien einfiel, ein Onkel von Enver Pascha. Die türkischen
und kurdischen Truppen verwüsteten auf persischem Gebiete alle
christlichen Dörfer. Die syrische Bevölkerung des Urmiagebietes und
die armenische Bevölkerung der Salmas-Ebene (um Dilman) wurde, soweit
sie nicht auf russisches Gebiet flüchten konnte oder in dem Anwesen
der amerikanischen Mission Schutz fand, von den Kurden erbarmungslos
niedergemacht.


~Djevdet Bey in Wan.~

Als Djevdet Bey, der Wali von Wan, Mitte Februar aus Salmas
zurückkehrte, begrüßte er freundlich die armenischen Führer, versprach
den Plünderungen der Dörfer Einhalt zu tun und die Geplünderten zu
entschädigen. Nur bat er, noch einige Wochen zu warten, bis die
persische Expedition vorüber sei. Zugleich aber hörte man, daß er in
einer Versammlung von türkischen Notabeln gesagt habe: „Wir haben mit
den Armeniern und Syrern von Aserbeidschan (Nordpersien) reinen Tisch
gemacht; wir müssen mit den Armeniern von Wan das gleiche tun.“

An der Spitze des Daschnakzagan-Komitees standen damals drei bekannte
Armenier, Wramjan, Deputierter von Wan, Ischchan und Aram.

Der Wali stellte sich in den nächsten Wochen freundlich mit ihnen
und bat sie, wie bisher, mit ihm zusammenzuarbeiten, um die Ordnung
im Wilajet aufrechtzuerhalten. Es wurden Kommissionen gebildet, die
in die Dörfer geschickt wurden, um den Plünderungen der Kurden und
den Gewalttaten der Gendarmen Einhalt zu tun und Streitigkeiten zu
schlichten. Inzwischen hatte der Wali um Verstärkungen von Erzerum
gebeten und rechnete wohl auch auf die Unterstützung durch die Truppen,
die in Persien eingefallen waren, falls sein geplantes Vorgehen gegen
die Armenier, die sich noch nichts Schlimmes von ihm versahen, auf
Widerstand stoßen würde. Plötzlich demaskierte er sich und zeigte sein
wahres Gesicht.

In Schatakh, einem überwiegend von gregorianischen und katholischen
Armeniern, zum geringeren Teile auch von Kurden bewohnten Landstädtchen
von über 2000 Einwohnern, an den Quellen des östlichen Tigris (50
Kilometer von Wan), wurde am 14. April der Armenier Howsep, ein
Daschnakzagan, von Gendarmen verhaftet. Seine Freunde wollten ihn
befreien, es gab einen blutigen Zusammenstoß. Als der Wali davon
hörte, ließ er die drei Führer der Daschnakzagan, Wramjan, Ischchan
und Aram, zu sich kommen und bat sie, zusammen mit dem Müdir der
Polizei von Wan nach Schatakh zu gehen, um den Streit zu schlichten.
Das Komitee bestimmte, daß Ischchan mit drei anderen Armeniern namens
Wahan, Kotot und Miran nach Schatakh gehen sollte. Der Müdir der
Polizei nahm einige tscherkessische Saptiehs mit sich. Halbwegs nach
Schatakh, in der Flußniederung von Hayoz-Dzor, übernachteten sie in
dem Dorfe Hirtsch. Als die vier Armenier eingeschlafen waren, ließ der
Müdir der Polizei sie im Schlaf durch die Tscherkessen ermorden. In
der Frühe des nächsten Tages, ehe noch die Armenier von Wan etwas von
dem Meuchelmorde wußten, ließ der Wali Djevdet Bey die beiden andern
armenischen Führer Wramjan und Aram zu sich bitten. Aram war zufällig
abwesend. Wramjan geht arglos zum Wali und wird, sobald er den Konak
betreten hat, verhaftet. Der Wali schickt ihn sofort gefesselt nach
Bitlis. Von Bitlis wurde Wramjan, der als Deputierter von Wan in
besonderem Ansehen stand, nach Diarbekr transportiert und unterwegs
ermordet.

Noch am gleichen Morgen bereitete der Wali Djevdet Bey den Angriff
auf die beiden armenischen Viertel vor und ließ Kanonen gegen sie
in Stellung bringen. Es gab damals in Wan 10-15 Kanonen älterer
Konstruktion und zwei neue Maschinengewehre, die kürzlich mit einer
Abteilung Soldaten von Erzerum gekommen waren. Zur selben Zeit, als
der Wali sich der Führer zu bemächtigen suchte, hatten die Massaker in
Ardjesch und den Dörfern der Hayoz-Dzor schon ihren Anfang genommen.
Die Armenier der Stadt konnten nichts anderes erwarten, als daß ein
Massaker über sie verhängt werden sollte, auch hatten sie gehört, daß
der Wali 6-7000 Mann Kavallerie aus Erzerum angefordert und beiläufig
gesagt hatte, jetzt würde es gefährlich für die Armenier.

Wir lassen nun den Bericht des amerikanischen Missionars folgen, der
die weiteren Ereignisse miterlebt hat[161]:


~Die Belagerung von Wan.~

„Wan ist eine Stadt von Gärten und Weinbergen, die inmitten einer
von hohen, prächtigen Bergen umgebenen Ebene am Wansee liegt. Die
von Mauern umgebene Stadt enthält den Bazar und den größten Teil der
öffentlichen Gebäude. Sie wird beherrscht von dem Kastell-Felsen, einem
gewaltigen Felsblock, der sich steil aus der Ebene erhebt, von alten
Mauern und Festungswerken gekrönt ist und nach der Seeseite zu berühmte
Keilinschriften trägt. Die Vorstadt Aigestan, die „Gärten“ genannt
(weil jedes Haus seinen Garten oder Weinberg hat), erstreckt sich 4
(engl.) Meilen ostwärts der umwallten Stadt und ist 2 (engl.) Meilen
breit.

Das Grundstück der amerikanischen Mission liegt am südöstlichen Rand
des mittelsten Drittels der Gärten auf einer kleinen Anhöhe, wodurch
die Gebäude ihre Umgebung beträchtlich überragen. Diese Gebäude
bestehen aus einer Kirche, zwei großen, neuen Schulgebäuden, zwei
kleineren, einer Spitzenschule, einem Hospital, Klinik und vier
Missionsgebäuden. Nach Südosten dehnt sich, ganz in der Nähe, die
große Ebene aus. Hier lag die größte Kaserne der großen türkischen
Garnison, unmittelbar an dem Bereich der amerikanischen Mission.
Nordwärts, durch einige Straßen getrennt, lag eine andere Kaserne, und
noch weiter nördlich in Schußweite der Burgfelsen (Topkala) mit einer
kleinen Kaserne darauf, die die Armenier „Pfefferdose“ getauft hatten.
5 Minuten östlich von den amerikanischen Instituten liegt das deutsche
Waisenhaus, dem Herr Spörri nebst Frau und Tochter, Schweizer von
Herkunft, und drei unverheiratete Damen vorstanden. Die amerikanische
Mission bestand zurzeit aus der alten Mrs. Raynolds (Dr. Raynolds war
in Amerika), Dr. Usher, dem Chefarzt des Hospitals, Mrs. Usher, der
Leiterin der Spitzenindustrie, Mr. und Mrs. Yarrow, den Leitern der
Knabenschule, Miß Rogers, Vorsteherin der Mädchenschule, Miß Silliman,
Leiterin der Vorschule, Miß Usher, Lehrerin für Musik, Miß Bond, der
Oberin des Hospitals und der Missionarin Mc. Claren. Auch Miß Knapp aus
Bitlis war zu Besuch da.

Die Stadt Wan hatte 50000 Einwohner, von denen drei Fünftel Armenier
und zwei Fünftel Türken waren. Ich sage „waren“, denn inzwischen haben
sich die Verhältnisse vollständig geändert. Die Führer der Armenier
waren Wramjan, Ischchan und Aram, Leiter der Partei der Daschnakzagan.

In der Zeit seit der Mobilisation, im letzten Herbst und Winter, waren
die Armenier unter dem Vorwand von Requisitionen in der härtesten
Weise ausgeplündert worden. Reiche Leute wurden ruiniert und arme
Leute völlig entblößt. Die armenischen Soldaten in der türkischen
Armee wurden vernachlässigt, äußerst mangelhaft ernährt, gezwungen,
nur niedrige Arbeiten zu tun, und, was das Schlimmste war, jeder Waffe
beraubt, so daß sie der Gnade ihrer fanatischen muhammedanischen
Kameraden ausgeliefert waren. Kein Wunder, daß, so viele es vermochten,
sich von ihrer Militärpflicht loskauften, andere auch desertierten.
Wir ahnten im voraus, daß es zu einem Zusammenstoß kommen würde. Aber
die Daschnakzagan benahmen sich mit erstaunlicher Zurückhaltung und
Klugheit, beherrschten die heißblütige Jugend, patrouillierten in den
Straßen, um Unruhen zuvorzukommen, und befahlen den Dorfbewohnern,
lieber schweigend zu dulden, daß das eine oder andere Dorf
niedergebrannt werde, als durch Gegenwehr den Anlaß für ein Massaker zu
geben.

Trotzdem Dr. Usher seit Beginn des russischen Krieges manche verwundete
türkische Soldaten aufgenommen und behandelt hatte, versuchte die
Regierung gleichwohl, die Arzneien der amerikanischen Apotheke zu
requirieren und das Hospital zu schließen. Außerdem hatten Miß Mc
Claren und Schwester Martha vom deutschen Waisenhaus im Dezember
angefangen, die Verwundeten in dem anderthalb (engl.) Meilen von
unserem Grundstück entfernten türkischen Militärlazarett zu pflegen, wo
keine Pflegeschwestern und die Zustände unbeschreiblich waren.

Als Djevdet Bey, der Generalgouverneur des Wilajets, in den ersten
Frühlingswochen von den Grenzkämpfen zurückkehrte, ahnte jedermann,
daß bald etwas geschehen würde. Und so war es. Er verlangte von den
Armeniern 3000 Soldaten. Sie waren aufs äußerste besorgt, Frieden zu
halten, so daß sie seinem Verlangen nachzukommen versprachen. Aber
gerade da brach in der Gegend von Schatakh der Streit zwischen Türken
und Armeniern aus, und Djevdet Bey verlangte von Ischchan, daß er
mit drei anderen angesehenen Daschnakzagan dorthin gehen sollte, um
Frieden zu stiften. Auf dem Wege wurden alle vier heimtückischerweise
ermordet. Das war Freitag, den 16. April. Dann befahl Djevdet Wramjan
zu sich unter dem Vorwand, daß er sich mit ihm beraten wolle, ließ
ihn verhaften und verschickte ihn. Die Daschnakzagan wußten nun, daß
sie Djevdet Bey nicht trauen konnten und daß es daher unmöglich wäre,
ihm die geforderten 3000 Mann zu geben. Sie sagten, sie würden 400
geben und nach und nach die Militärbefreiungssteuer für die übrigen
zahlen. Der Wali erklärte aber, er brauche Leute und nicht Geld, sonst
würde er die Stadt angreifen. Einige Armenier baten Dr. Usher und Mr.
Yarrow, zu Djevdet Bey zu gehen und zu versuchen, ihn zu begütigen.
Unterwegs begegnete ihnen ein Offizier, der ausgeschickt war, um sie
zu rufen. Der Wali war hartnäckig. Man habe zu gehorchen. Er werde
diesen Widerstand unter allen Umständen brechen, es koste, was es
wolle. Erst werde er Schatakh bestrafen und dann die Sache mit Wan
vornehmen. Wenn aber die Armenier nur einen Schuß abfeuerten, würde das
für ihn das Zeichen zum Angriff sein. Für das amerikanische Grundstück
wollte er eine Wache von 50 Soldaten stellen[162]. Diese Wache müsse
entweder angenommen werden, oder man müsse ihm schriftlich das Zeugnis
ausstellen, daß die Wache verweigert worden wäre und er dadurch von
aller Verantwortung für unsere Sicherheit frei sei. Er verlangte
sofortige Antwort, war aber schließlich bereit, bis Sonntag zu warten.
Ferner verlangte er, daß Miß Mc Claren und Schwester Martha ihre Arbeit
im türkischen Lazarett fortsetzen sollten. Sie gingen und waren darauf
gefaßt, vielleicht für längere Zeit nicht mit uns korrespondieren zu
können.

Als Dr. Usher am Montag den Wali wiedersah, fragte der Wali, ob er die
Wache senden solle. Dr. Usher überließ ihm die Entscheidung. Wir haben
keine Wache erhalten.

Dienstag, den 20. April, um 6 Uhr morgens, versuchten einige türkische
Soldaten, aus einem Trupp Frauen, die nach der Stadt kamen, sich eine
herauszugreifen[163]. Sie floh. Armenische Soldaten kamen hinzu.
Der türkische Soldat schoß auf sie und tötete sie. Herr Spörri war
Augenzeuge von diesem Ereignis, mit dem die Feindseligkeiten begannen.

Den Tag über gab es mehr oder weniger anhaltendes Gewehrfeuer; vom
Burgfelsen her wurde beständiger Kanonendonner auf die befestigte Stadt
vernommen, die nun von aller Verbindung mit den Gärten abgeschnitten
war. Nachts sah man nach jeder Richtung hin Häuser in Flammen stehen.
Die Zahl der in den Gärten wohnenden Armenier betrug gegen 30000,
während die armenische Bevölkerung in der inneren befestigten Stadt
nur gering war. Die Bewohner der Gartenstadt wurden nun in einem
Bezirk von etwa einer (engl.) Quadratmeile zusammengebracht, und
dieser Raum wurde durch „Dirks“ (Barrikaden), sowie durch Mauern und
Verhaue geschützt. Von den Verteidigern konnten 1500 mit Gewehren
bewaffnet werden, ebensoviele etwa noch mit Pistolen. Ihr Vorrat an
Munition war gering, darum waren sie sehr sparsam damit und wandten
allerlei Listen an, um die Angreifer zum Feuern und zum Verbrauch
ihrer Munition zu verführen. Sie machten sich daran, Kugeln zu gießen
und Patronen anzufertigen, 3000 wurden täglich fertig. Ebenso machten
sie sich Schießpulver, und nach einiger Zeit machten sie sich auch
drei Mörser. Der Materialverbrauch für alle diese Dinge war gering,
Methoden und Einrichtung roh und primitiv. Aber sie waren sehr froh und
hoffnungsvoll und freuten sich ihrer Geschicklichkeit, den Angreifern
standzuhalten. Einige der Regeln, die sie für ihre Leute aufgestellt
hatten, waren: Haltet euch sauber, trinkt nicht, sagt immer die
Wahrheit, sagt nichts gegen die Religion des Feindes.

An die Türken der Stadt schickten sie ein Manifest, um ihnen kundzutun,
daß sie nur mit einem einzigen Manne (dem Wali) Streit hätten und
nicht mit ihren türkischen Nachbarn. Walis würden gehen und kommen,
aber die beiden Rassen müßten fortfahren, miteinander zu leben, und sie
hofften, daß, wenn Djevdet gegangen wäre, ihre Beziehungen zueinander
wieder friedlich und freundlich sein würden. Die Türken antworteten
in demselben Sinne und sagten, sie wären gezwungen, zu kämpfen.
Tatsächlich wurde auch von mehreren vornehmen Türken ein Protest
gegen diesen Kampf unterzeichnet, aber Djevdet ließ ihn vollständig
unbeachtet.

Die Kaserne nördlich von unserem Grundstück wurde von den Armeniern
erobert und niedergebrannt. Die Insassen ließen sie entkommen. Eine
weitere Offensive versuchten sie in keiner Weise, da ihre Zahl zu
gering war. Sie kämpften nur für ihre Heimstätten und für ihr Leben.

Kein bewaffneter Mann durfte unser Grundstück betreten. Aram, der
Führer der Armenier, verbot sogar, daß die verwundeten Armenier in
unser Hospital gebracht würden, damit unsere Neutralität nicht verletzt
würde. Dafür behandelte sie Dr. Usher in ihrem eigenen provisorischen
Lazarett.

Am 23. April schrieb Djevdet Bey an Dr. Usher, daß man bewaffnete
Leute unser Grundstück habe betreten sehen und daß die Rebellen
Verschanzungen in unserer Nähe aufgeworfen hätten. Wenn bei einem
Angriff ein Schuß von diesen Schanzen abgefeuert würde, würde er zu
seinem Bedauern gezwungen sein, seine Kanonen auf unser Grundstück zu
richten und es vollständig zu zerstören; wir möchten das als sicher
annehmen.[164] Dr. Usher antwortete, daß wir unsere Neutralität mit
allen uns zu Gebote stehenden Mitteln aufrecht erhielten. Kein Gesetz
könnte uns verantwortlich machen für Handlungen von Personen oder
Organisationen, die sich außerhalb unseres Anwesens befänden.

Unsere Verhandlungen mit dem Wali wurden durch unseren amtlichen
Vertreter, Signore Sbordone, den italienischen Konsularagenten,
geführt, und unser Briefträger war eine alte Frau, die sich durch eine
weiße Fahne schützte. Bei ihrem zweiten Ausgang fiel sie in einen
Graben, und als sie darauf ohne ihre Fahne wieder aufstand, wurde
sie sofort von den türkischen Soldaten erschossen. Es fand sich eine
andere, aber sie wurde verwundet, als sie vor der Tür ihrer Hütte, in
der Nähe unseres Grundstücks, saß.

Da erklärte Aram, er würde keine weitere Korrespondenz mehr erlauben,
bis nicht der Wali auf einen Brief des Konsularagenten Sbordone
geantwortet hätte, in welchem gesagt war, Djevdet könne von den
Armeniern nicht erwarten, daß sie sich jetzt übergeben, da sein
Vorgehen gegen die Armenier den Charakter eines Massakers habe.

Während der Zeit der Belagerung hausten die türkischen Soldaten
und ihre Gesellen, die wilden Kurden, fürchterlich in der ganzen
Umgegend. Sie massakrierten Männer, Frauen und Kinder und brannten
ihre Heimstätten nieder. Kleine Kinder wurden in den Armen ihrer
Mütter erschossen, andere schrecklich verstümmelt, Frauen ihrer
Kleider beraubt und geschlagen. Die Dörfer waren auf einen Angriff
nicht vorbereitet, andere widersetzten sich, bis ihre Munition
verschossen war. Sonntag, den 25. kam der erste Trupp Flüchtlinge
mit ihren Verwundeten in die Stadt. Unser Hospital, das in normaler
Zeit 50 Betten hat, mußte für 142 Patienten Raum schaffen. Bettzeug
wurde geliehen und überall auf den Fußböden Lagerstätten geschaffen.
Leichtverwundete wurden täglich verbunden.

4000 Menschen waren mit aller ihrer Habe aus „den Gärten“ ausgezogen
und füllten unsere Kirche, Schulgebäude sowie alle nur irgendwie
entbehrlichen Räume unserer Missionshäuser. Eine Frau sagte zu Mrs.
Silliman: „Was sollten wir tun, wenn die Missionare nicht wären?
Das ist nun das dritte Massaker, während dessen ich hier Zuflucht
gefunden habe.“ Ein großer Teil dieser Leute mußte ernährt werden,
denn sie waren so arm, daß sie ihr Brot täglich vom Bäcker gekauft
hatten, und nun gab es das nicht mehr. (Die Armenier backen ihr Brot
meistens selbst und sorgen dafür, daß sie fürs ganze Jahr die nötigen
Weizenvorräte haben.) Diese vielen Menschen unterzubringen, für ihre
Gesundheit, Nahrung und Disziplin zu sorgen, waren Probleme, die
uns zu schaffen machten. Mr. Yarrow organisierte Komitees für diese
Arbeit. Jedem irgendwie fähigen Mann wurde darin eine Rolle zugewiesen,
und es zeigte sich ein wundervoller Geist der Selbstlosigkeit und
Aufopferungsfähigkeit. Ein Mann gab allen Weizen, den er besaß, mit
Ausnahme von einem Monatsvorrat, den er für seine Familie behielt.
Ein öffentlicher Backofen wurde erworben, Weizen und Mehl gekauft und
verteilt, Brotkarten ausgegeben und später eine Suppenküche eröffnet.
Miß Rogers und Miß Silliman sicherten sich einen täglichen Milchvorrat
und ließen die Milch von ihren Schulmädchen kochen und an die kleinen
Kinder verteilen. Hundertneunzig wurden auf diese Weise ernährt. Die
Schuljungen betätigten sich als Schutzleute, schützten die Gebäude
gegen Feuersgefahr, hielten unser Grundstück sauber, sahen nach den
Kranken und verteilten Milch und Eier an Kinder und Kranke außerhalb
unseres Grundstücks. Ein regelrechtes Stadtregiment wurde von den
Armeniern mit Bürgermeister, Richtern und Polizisten organisiert.
Nach Ablauf von zwei Wochen ließen uns die in der befestigten Stadt
in ihrem Viertel belagerten Armenier sagen, daß sie einige von den
Regierungsgebäuden erobert hätten, obgleich sie nur eine Handvoll waren
und Tag und Nacht bombardiert wurden. Ungefähr 16000 Kanonenkugeln oder
Schrapnells wurden auf sie gefeuert. Die altmodischen Kugeln trafen
die drei Fuß dicken Lehmmauern, ohne viel Schaden anzurichten. Mit der
Zeit fielen die Mauern natürlich ein, aber es waren die oberen Mauern,
und die Leute flüchteten hinter die unteren, so daß nur drei Personen
ihr Leben ließen. Einige von den „Dirks“ in „den Gärten“ wurden auch
bombardiert, aber ohne viel Schaden. Es schien, als wolle der Feind
sein schweres Geschütz und seine Schrapnells bis zuletzt aufbewahren.
Drei Kanonenkugeln fielen in der ersten Woche auf unser Grundstück,
eine davon gegen ein Tor von Dr. Ushers Haus; 13 Personen wurden von
Kugeln auf unserem Grundstück verwundet, eine tödlich. Unser Grundstück
liegt so im Mittelpunkt, daß die Kugeln der Türken hindurch pfiffen,
in mehrere Zimmer eindrangen, die Ziegel der Dächer zerbrachen und die
Mauern draußen mit Löcherspuren verzierten.

Dr. Usher tat und tut noch die Arbeit von drei Menschen. Als einziger
Arzt in der belagerten Stadt mußte er natürlich für die Patienten
im Hospital, die verwundeten Flüchtlinge und die verwundeten
armenischen Soldaten tätig sein, aber auch seine Poliklinik und
seine Außenpatienten vermehrten sich in erschreckender Weise. Bei den
Flüchtlingen hatten Not und Mangel unzählige Fälle von Lungenentzündung
und Dysenterie im Gefolge; dazu wütete unter den Kindern eine
Masernepidemie. Miß Silliman übernahm die Masernkranken, Miß Rogers
und Miß Usher halfen im Hospital, wo Miß Bond und ihre armenischen
Krankenschwestern bis an die Grenzen ihrer Kraft angestrengt wurden.
Nach einer Weile eröffnete Miß Usher mit Hilfe von Miß Rogers ein
weiteres Hospital in einem armenischen Schulhaus, in dem vorher
Flüchtlinge Unterkunft gefunden hatten. Dabei war die Schwierigkeit,
Bettzeug, Utensilien, Helfer, ja selbst Nahrung für die Patienten zu
bekommen. Die ärztliche und wundärztliche Tätigkeit wurde durch Mangel
an Medikamenten gehemmt, denn die jährlichen Lieferungen für Dr. Ushers
Apotheke lagerten im Hafen von Alexandrette.

Zwei Wochen nach dem Beginn der Belagerung kam ein aus Ardjesch
geflüchteter Mann, um von dem Schicksal dieser Stadt, der zweitgrößten
im Wilajet nach Wan, zu berichten. (Ardjesch liegt in der fruchtbaren
Ebene, die das Nordufer des nordöstlichen Ausläufers des Wansees, der
See von Ardjesch genannt wird, bildet. Die alte Stadt, eine Residenz
der armenischen Könige und des Seldschukken Toghrul Beg, ist vor 70
Jahren vom See überschwemmt worden, und der Name ist auf die neue
Stadt [Agantz] übergegangen. Die Ebene von Ardjesch ist durch ihre
Fruchtbarkeit von Melonenkultur berühmt.) Der Kaimakam von Ardjesch
hatte die Männer von allen Handwerksgilden zusammengerufen. Da er immer
freundlich gegen sie gewesen war, vertrauten sie ihm. Als sie alle
beisammen waren, ließ er sie von den Soldaten niedermähen. Soweit wir
in Erfahrung bringen konnten, entkam nur ein Mann und zwar dadurch, daß
er sich die ganze Nacht unter einem Haufen von Leichen versteckt hielt.

Viele von den Flüchtlingen hatten nahe bei der Stadt in dem kleinen
Dorf Schuschanty auf einem Berge, wo man einen Blick auf die Stadt
hat, haltgemacht. Hier befahl ihnen Aram zu bleiben. Am 8. Mai stand
das Dorf in Flammen, und ebenso verbrannte das danebenliegende Kloster
Warak nebst seinen unersetzlichen alten Manuskripten. Jetzt kamen die
Flüchtlinge in die Stadt. Der Wali Djevdet schien seine Taktik geändert
zu haben. Er ließ Frauen und Kinder zu Hunderten hereintreiben,
damit sie die Hungersnot in der Stadt vermehren hülfen. Dank der
Mobilisation im vorigen Herbst waren die Weizenvorräte in „den Gärten“
schon im Anfang sehr zusammengeschmolzen und nun, da zehntausend
Flüchtlingen eine tägliche Ration gegeben wurde -- wenngleich eine
Ration, die kaum zur Erhaltung des Lebens genügte --, neigten sich
die Vorräte schleunigst ihrem Ende zu. Auch die Munition wurde knapp.
Die Aussichten schienen sehr trübe. Djevdet konnte viele Leute und
Munition von anderen Städten heranschaffen. Wenn nicht von anderer
Seite Hilfe kam, war es nicht möglich, die Stadt noch länger zu halten,
und die Hoffnung auf solche Hilfe schien sehr schwach zu sein. Wir
hatten keine Verbindung mit der Außenwelt. Ein Telegramm, das wir an
unsere Botschaft schicken wollten, kam nie aus unserer Stadt heraus.
Die Daschnakzagan schickten Hilferufe an die russisch-armenischen
Freiwilligen an der Grenze, aber keiner von den Boten kehrte zurück,
und wir haben seitdem erfahren, daß keiner seinen Bestimmungsort
erreichte. Wir wußten, daß in der letzten Bedrängnis unser Grundstück
die letzte Hoffnung für die Leute in den belagerten „Gärten“ sein
würde. Von Djevdet, der über die lange Belagerung wütend war, konnte
man kaum hoffen, daß er das Leben von irgendeinem dieser Männer,
Frauen und Kinder schonen würde. Er würde vielleicht den Amerikanern
persönliche Sicherheit versprechen, wenn sie das Grundstück verließen,
aber das wollten wir natürlich nicht tun. Wir wollten das Schicksal
unserer Leute teilen. Und es war auch durchaus nicht unwahrscheinlich,
daß der Wali uns nicht einmal Sicherheit bieten würde, da er zu glauben
schien, daß wir die „Rebellen“ unterstützten.

Sonnabend und Sonntag, den 15. und 16. Mai, sah man mehrere Schiffe
Avantz, den Hafen von Wan, verlassen. Sie enthielten die Familien von
Türken und Kurden; den Männern war verboten worden, sich zu entfernen.
Wir begaben uns nun alle auf die Dächer, sahen durch Ferngläser und
wunderten uns. Bei den Türken herrschte augenscheinlich eine Panik.
Schon einmal, am Anfang des Jahres, war unter ihnen eine Panik
ausgebrochen, als die Russen bis Sarai vorgerückt waren; aber es war
weiter nichts erfolgt. Hatte diese Flucht eine ähnliche Bedeutung?

Wie dem auch sein mochte, jedenfalls hatten die Türken die Absicht,
noch so viel Unheil als möglich anzurichten. Am Sonnabend begannen die
Kanonen der großen Kasernen auf uns zu schießen. Zuerst konnten wir
nicht glauben, daß die Schüsse auf unser Sternenbanner zielten, aber
schließlich blieb kein Zweifel darüber[165]. Sieben Bomben fielen auf
unser Grundstück, eine auf das Dach von Miß Rogers und Miß Sillimans
Haus, wobei sie ein großes Loch machte. Zwei andere bewirkten dasselbe
auf den Dächern der Knaben- und Mädchenschule. Am Sonntagmorgen begann
das Bombardement von neuem. 26 Bomben fielen schon am Vormittag auf
unser Grundstück, am Nachmittag weitere 10, die entweder niederfielen,
oder in der Luft explodierten. Das Pfeifen der Schrapnells war ein
Laut, den man nie wieder vergißt. Eine Granate explodierte in einem
Zimmer von Mrs. Raynolds Haus und tötete ein kleines Kind. Eine andere
Granate schlug durch die äußere Mauer von Miß Knapps Zimmer in Dr.
Ushers Haus, explodierte, und dabei drangen die Hülsen und die Kugeln,
die sie enthielt, durch die Mauer in das angrenzende Zimmer und
zerbrachen die Tür der entgegengesetzten Mauer.

Nach Sonnenuntergang war alles still. Es kam ein Brief von den
Bewohnern des einzigen armenischen Hauses innerhalb der türkischen
Linien, das verschont geblieben war, weil Djevdet als Knabe darin
gelebt hatte[166]. Darin wurde mitgeteilt, daß die Türken die Stadt
verlassen hätten. Die Kasernen auf dem Burgfelsen und am Fuß desselben
enthielten eine so kleine Wache, daß sie leicht überwältigt wurden.
Dann wurden die Kasernen niedergebrannt. Dasselbe geschah mit
sämtlichen türkischen „Dirks“ (Verschanzungen), die danach aufgesucht
wurden. Die große Kaserne spie ihre Garnison aus, einen Trupp von
zahlreichen Reitern, die über die Hügel davon ritten. Nach Mitternacht
wurde dann die Kaserne niedergebrannt. Man fand große Vorräte von
Weizen und Munition. Das alles erinnerte an 2. Könige 7 (Belagerung von
Samaria).

Die ganze Stadt war wach, man sang und freute sich die ganze Nacht. Der
Weg zur befestigten Stadt war nun offen, ebenso auch zum türkischen
Hospital. Nun aber kam der erste Dämpfer auf unsere Freude. Miß Mc
Claren und Schwester Martha waren nicht da. Sie waren vor vier Tagen
mit den verwundeten Soldaten nach Bitlis geschickt worden. (Ein
Brief von Djevdet Bey an Herrn Spörri besagte, „das Kriegsglück habe
sich gewendet und die Schwestern seien mit ihrem Willen nach Bitlis
gegangen“[167].) Aus anderer Quelle erfuhr ich, daß Djevdet ihnen nicht
gestattet hätte, uns zu besuchen, weil (so sagte er) die Armenier
vernichtet worden seien und es nicht sicher für sie wäre, zu uns zu
gehen. Wir waren ihretwegen sehr besorgt[168]. 25 türkische Soldaten,
die zum Reisen zu krank waren, hatte man ohne Nahrung und Wasser im
Hospital zurückgelassen. Sie wurden zu uns gebracht. Man fand viele
Leichen, einige von russischen Kriegsgefangenen, die die Türken bei
ihrer Flucht getötet hatten.

Am Dienstag, den 18. Mai, kam die Vorhut der russisch-armenischen
Freiwilligen. Sie hatten keine Botschaft von Wan erhalten und wußten
nicht, daß die Stadt schon in den Händen der Armenier war. Am Mittwoch,
den 19. Mai, kamen die Freiwilligen mit Soldaten der russischen
Armee herein. Sie hatten das ganze Land östlich des Wansees von
türkischen Truppen gesäubert und fuhren damit fort. Auch heute wurde
heftig gekämpft. Russische Truppen hatten schon den Weg nach Bitlis
eingeschlagen, wo bis dahin noch kein Massaker stattgefunden hatte,
wie uns der russische General erzählte. Das Feldlazarett war bei dem
schnellen Vormarsch mehrere Tage hinter der Armee zurückgeblieben;
ebenso war es mit den Proviantkolonnen. Es war für die Stadt eine
schwere Aufgabe, jetzt auch noch die Armee zu ernähren und ihr alles zu
überlassen. Es gab Weizen, aber kein Mehl, denn die Mühlen hatten nicht
mehr gearbeitet. Fleisch war kaum zu bekommen, obwohl die Kosaken große
Schafherden in den kurdischen Bergen requiriert hatten.

Auf unserm Grundstück sind tausend türkische Frauen und Kinder, die
die armenischen Soldaten uns gebracht haben, weil das der sicherste
Zufluchtsort für sie wäre[169]. Ein verwundeter Soldat, der vom
türkischen Hospital zu uns gebracht wurde, rühmte sich, daß er 20
Armenier getötet habe. Sie setzten ihn bei uns ab und taten ihm weiter
nichts. Die Ernährung der Flüchtlinge in dieser Notzeit und die Frage,
was mit ihnen werden solle, sind schwierige Probleme für unsere
Mission und werden schwieriger von Tag zu Tag. Es würde ihr Tod sein,
sie jetzt wegzuschicken, sie müssen unbedingt durchgebracht werden, und
niemand außer uns kann es tun. Der General hat uns eine Wache für sie
versprochen.

Inzwischen ordnen sich allmählich die Verhältnisse. Aram ist zum
Gouverneur ernannt worden. Die Dorfleute kehren zu ihren Heimstätten
zurück. Unsere 4000 Gäste haben uns verlassen. Wir haben die
Schutzvorrichtungen von unseren Fenstern entfernt. Die Freiwilligen
haben unser zweites Hospital übernommen; so wird die Arbeit in unserem
eigentlichen Hospital wieder leichter.“

Soweit der amerikanische Bericht.


~Armenischer Bericht.~

„12000 Granaten wurden gegen die Stadt gefeuert. Die Kanonenschüsse
haben fast keine Verluste gebracht. Sie zerschossen am Tage die
Häuser, aber in der Nacht wurden sie wieder instand gesetzt, so daß
die Armenier kein Terrain verloren, dagegen wurden 20 türkische Häuser
von ihnen besetzt. Den Hauptvorteil gewannen sie, als es ihnen am
vierten Tage gelang, die Hamid-Agha-Kaserne in die Luft zu sprengen und
niederzubrennen. Sie legten eine Bombe an die Grundmauer der Kaserne,
die explodierte. Obwohl die Kaserne nicht zusammenstürzte, geriet
sie in der Nacht plötzlich in Brand. Einige Soldaten verbrannten,
die übrigen flohen im Schutz der Nacht. Durch Besetzung des Terrains
dieser Kaserne waren die Armenier Herren von Aigestan. Die Stärke der
Regierungstruppen überstieg nicht 6000 Mann, nur die Hälfte waren
reguläre Truppen. Die Regierung versuchte alle Mittel, die Armenier zur
Übergabe zu bewegen. Bis zur letzten Stunde wußten sie nichts von einem
Entsatz.

Die Belagerung hatte genau 30 Tage gedauert. Auf armenischer Seite
sind im ganzen nicht mehr als 18 gefallen, aber viele verwundet;
die Verluste der Türken sollen beträchtlicher gewesen sein. Von den
armenischen Stadtteilen verbrannten Glortach und Surb Hagop, ebenso
mehrere türkische Quartiere. Die türkischen Bewohner flohen nach
Bitlis. Zehn Tage nach dem Einmarsch der russischen Vortruppen in Wan
kam der General Nikolajeff mit dem Gros in die Stadt. Aram begrüßte
ihn und sagte in seiner Ansprache: „Als wir vor einem Monat zu den
Waffen griffen, rechneten wir nicht damit, daß die Russen kommen
würden. Unsere Lage war damals verzweifelt. Wir hatten nur die Wahl,
uns zu ergeben und uns wie die Schafe abschlachten zu lassen oder mit
klingendem Spiel im Kampfe zu sterben. Wir zogen das letztere vor.
Unerwartet wurden wir von Ihnen entsetzt, und jetzt sind wir Ihnen,
nächst der tapferen Verteidigung der Unsrigen, unsere Errettung
schuldig.“

Es ist wichtig, festzustellen, daß, wie die amerikanischen Missionare
und der Bericht über den Empfang der Russen übereinstimmend bezeugen,
die Armenier von Wan in keiner Verbindung mit den Russen und den
russisch-armenischen Freikorps standen, auch während der Belagerung
nicht in der Lage waren, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Der
sogenannte „Aufstand von Wan“ war ein Akt der Selbstverteidigung und
eine Episode in der Geschichte der Massakers, nicht Landesverrat[170].
Der Entsatz von Wan war eine Etappe in den Operationen der
russischen Truppen gegen Nordpersien und das Wangebiet, nicht eine
Aktion zugunsten der Armenier von Wan. Die beiden Ereignisse, die
Selbstverteidigung der Wan-Armenier gegen das ihnen drohende Massaker
und der Vormarsch der Russen stehen in keinem kausalen Zusammenhange
mit einander. Hätten die Türken genügende Truppen und fähige Führer
gehabt, um den russischen Vormarsch aufzuhalten, der ihnen ihre
nordpersischen Eroberungen und die nordöstliche Hälfte des Wilajets Wan
kostete, so hätte die Episode keinerlei Bedeutung für die Kriegslage an
der kaukasisch-persischen Grenze gehabt. Durch ihre Selbstverteidigung
bezweckten die Wan-Armenier nichts anderes, als das Leben der Ihrigen
zu retten. Sie hätten sonst dasselbe Schicksal wie die Armenier der
übrigen Wilajets erlitten.



4.

In den Konzentrationslagern.[171]


„Ich hatte die Erlaubnis erlangt, die Lager der Armenier längs des
Euphrat von Meskene bis Deir-es-Sor zu besuchen und Rechenschaft zu
geben von dem Zustande, in dem sich die dorthin deportierten Armenier
befinden, von den Bedingungen, unter denen sie leben, und, wo möglich
von der annähernden Anzahl der Verschickten.

Die Aufgabe des gegenwärtigen Berichtes ist, die Ergebnisse dieser
Mission darzustellen. Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen meinen Bericht
zu übersenden, indem ich Sie zugleich bitte, die sich daraus ergebenden
Schlußfolgerungen in Erwägung zu ziehen. Auch wenn Sie dieselben
annehmen, werden sie nur in sehr geringem Maße dazu dienen, die täglich
andauernden Leiden eines unglücklichen Volkes zu lindern, das im
Begriff ist zu verschwinden.

Es ist unmöglich, eine Vorstellung von den entsetzlichen Eindrücken
zu geben, die ich auf der Reise durch die verstreuten Lager längs des
Euphrat empfing. Ich reiste auf dem rechten Ufer des Stromes. Von
„Lagern“ zu sprechen ist eigentlich nicht möglich. Der allergrößte Teil
dieser Unglücklichen, die in brutaler Weise aus ihrer Heimat von Haus
und Hof fortgetrieben worden, getrennt von ihren Familien, noch im
Augenblick ihrer Austreibung alles dessen beraubt, was sie besessen,
unterwegs entblößt auch von allem, was sie noch mitgenommen hatten, ist
unter freiem Himmel wie Vieh zusammengepfercht, ohne den geringsten
Schutz gegen Hitze und Kälte, beinahe ohne Kleidung, sehr unregelmäßig
und durchgängig in völlig unzureichender Weise ernährt. Jedem Wechsel
der Witterung ausgesetzt, im Sommer dem glühenden Sonnenbrand der
Wüste, im Frühjahr und Herbst dem Wind und Regen, im Winter der
bitteren Kälte, durch die äußersten Entbehrungen geschwächt, durch
endlose Märsche entkräftet, übelster Behandlung, grausamen Torturen und
der beständig drohenden Todesangst ausgesetzt, haben sich diejenigen,
die noch einen Rest ihrer Kräfte behielten, an den Ufern des Stromes
Löcher in die Erde gegraben, in die sie sich verkriechen.

Die äußerst Wenigen, denen es gelungen ist, einige Kleider und etwas
Geld bei sich zu behalten und die in der Lage sind, etwas Mehl zu
kaufen, werden als glückliche und reiche Leute angesehen. Glücklich
auch die, welche sich von den Landleuten einige Wassermelonen oder
eine kranke und magere Ziege, die sich die Nomaden mit Gold aufwiegen
lassen, erstehen können. Überall sieht man nur blasse Gesichter und
ausgemergelte Gestalten, herumirrende Skelette, die von Krankheiten
geschlagen sind und sicherlich dem Hungertode zum Opfer fallen werden.

Bei den Maßnahmen, die man getroffen hat, um diese ganze Bevölkerung in
die Wüste zu transportieren, hat man in keiner Weise für irgend welche
Ernährung Sorge getragen. Im Gegenteil, es ist ersichtlich, daß die
Regierung den Plan verfolgt hat, sie Hungers sterben zu lassen. Selbst
ein organisiertes Massentöten wie in der Zeit, da man in Konstantinopel
noch nicht Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit proklamiert hatte,
würde eine sehr viel menschlichere Maßregel gewesen sein, denn es würde
diesem erbarmungswerten Volk die Schrecken des Hungers, den langsamen
Tod und die entsetzlichsten Schmerzen unter raffinierten Torturen, wie
sie grausame Mongolen nicht erdacht haben würden, erspart worden sein.
Aber ein Massaker ist weniger konstitutionell als der Hungertod. Die
Zivilisation ist gerettet!

Was noch übrig ist von der armenischen Nation, die an die Ufer des
Euphrat versprengt ist, setzt sich zusammen aus Greisen, Frauen und
Kindern. Männer mittleren Alters und junge Leute, soweit sie noch nicht
abgeschlachtet sind, wurden auf den Landstraßen des Reiches zerstreut,
wo sie Steine klopfen oder für den Bedarf der Armee für andere Arbeiten
auf Rechnung des Staates requiriert sind.

Die jungen Mädchen, oft noch Kinder, sind die Beute der Muhammedaner
geworden. Auf den langen Märschen zum Ziel ihrer Verschickung hat
man sie verschleppt, bei Gelegenheit vergewaltigt, verkauft, soweit
sie nicht bereits von den Gendarmen, welche die düsteren Karawanen
begleiteten, umgebracht wurden. Viele sind von ihren Räubern in die
Sklaverei des Harems geschleppt worden.

Wie an die Pforte von Dantes Hölle kann man an die Eingänge des
Konzentrationslagers schreiben: „Die ihr hier eintretet, lasset alle
Hoffnung fahren.“

Berittene Gendarmen machen die Runde, um alle, die zu entweichen
suchen, festzunehmen und mit der Knute zu bestrafen. Die Straßen
sind gut bewacht. Und was für Straßen! Sie führen in die Wüste, wo
sie ein ebenso gewisser Tod erwartet, wie unter der Bastonnade ihrer
ottomanischen Gefängniswärter.

Ich begegnete in der Wüste, an verschiedenen Orten, sechs solcher
Flüchtlinge, die im Sterben lagen. Sie waren ihren Wächtern
entschlüpft. Nun waren sie von ausgehungerten Hunden umgeben, die auf
die letzten Zuckungen ihres Todeskampfes warteten, um sich auf sie zu
stürzen und sie zu verzehren.

Am Wege findet man überall die Überbleibsel solcher unglücklichen
Armenier, die hier liegengeblieben sind. Zu Hunderten zählen die
Erdhaufen, unter denen sie ruhen und namenlos entschlafen sind, diese
Opfer einer unqualifizierbaren Barbarei.

Auf der einen Seite hindert man sie, die Konzentrationslager zu
verlassen, um sich irgendwelche Nahrung zu suchen, auf der anderen
Seite macht man es ihnen unmöglich, die natürlichen Fähigkeiten, die
dieser Rasse eigen sind, zu gebrauchen, um sich an ihr schreckliches
Schicksal anzupassen und ihre traurige Lage in erfinderischer Weise zu
verbessern.

Man könnte irgend welche Unterschlupfe, Stein- oder Erdhütten bauen.
Wenn sie wenigstens irgendwo unterkommen könnten, wäre es ihnen
möglich, sich mit Landarbeit zu beschäftigen. Aber auch diese Hoffnung
hat man ihnen genommen, denn sie werden beständig unter Bedrohung des
Todes von einem Ort zum andern geschleppt, um Abwechslung in ihre
Qualen zu bringen. Man scheucht sie auf zu neuen Gewaltmärschen, ohne
Brot, ohne Wasser, unter der Peitsche ihrer Treiber neuen Leiden, neuen
Mißhandlungen ausgesetzt, wie sie nicht einmal die Sklavenhändler des
Sudan ihren Opfern zufügen würden, und die ganze Strecke des Weges,
eine fürchterliche Reihe von Leidensstationen, ist durch die Opfer
dieser Transporte bezeichnet.

Diejenigen, die noch etwas Geld bei sich haben, werden unablässig
von ihren Wärtern ausgeplündert, die sie mit einer noch weiteren
Verschickung bedrohen, und wenn ihre kleinen Mittel erschöpft sind,
diese Drohungen auch in Ausführung bringen. Hier von „Tausend und
eine Nacht“ des Schreckens zu reden, heißt nichts sagen. Ich glaubte
buchstäblich die Hölle zu durchqueren. Die wenigen Züge, die ich
wiedergeben will, sind zufällig und in der Eile zusammengelesen.
Sie können nur eine schwache Vorstellung von dem entsetzlichen und
grauenhaften Bild geben, das ich vor Augen gehabt habe. Überall,
wo ich gereist bin, habe ich dieselben Szenen gesehen; überall, wo
das Schreckensregiment der Barbarei herrscht, das die systematische
Ausrottung der armenischen Rasse zum Ziel hat. Überall findet man
dieselbe unmenschliche Bestialität der Henker, dieselben Torturen, mit
denen man die unglücklichen Opfer quält. Von Meskene bis Der es Zor,
überall sind die Ufer des Euphrat Zeugen derselben Scheußlichkeiten.


1.

Meskene, durch seine geographische Lage an der Grenze von Syrien und
Mesopotamien, ist der gegebene Konzentrationspunkt für die Transporte
der deportierten Armenier aus den anatolischen Wilajets, von wo aus
sie längs des Euphrat verteilt wurden. Sie kamen dort zu Zehntausenden
an, aber der größte Teil von ihnen ließ dort sein Leben. Der Eindruck,
den die große Ebene von Meskene hinterläßt, ist tieftraurig und
deprimierend. Die Auskünfte, die ich an Ort und Stelle empfangen habe,
gaben mir das Recht zu sagen, daß gegen 60000 Armenier hier begraben
sind, die dem Hunger, den Entbehrungen, der Dysenterie und dem Typhus
erlagen. Soweit das Auge reicht, sieht man Erdhügel, von denen jeder
etwa zweihundert bis dreihundert Leichen enthält. Frauen, Greise,
Kinder, alles durcheinander, von jedem Stand und jeder Familie.

Gegenwärtig sind noch 4400 Armenier zwischen der Stadt Meskene und dem
Euphrat eingepfercht. Sie sind nicht mehr als lebende Gespenster. Ihre
Oberwächter verteilen ihnen sehr unregelmäßig und sparsam ein kleines
Stück Brot. Es kommt oft vor, daß sie im Lauf von drei oder vier Tagen
absolut nichts erhalten.

Eine entsetzliche Dysenterie wütet und fordert besonders unter den
Kindern schreckliche Opfer. Diese unglücklichen Kleinen fallen in ihrem
Hunger über alles her, was sie finden, sie essen Gras, Erde und selbst
Exkremente.

Ich sah unter einem Zelt, das nur einen Raum von fünf zu sechs Metern
im Quadrat bedeckte, ungefähr vierhundert Waisenkinder, die am
Verhungern waren. Diese unglücklichen Kinder sollen täglich 150 Gramm
Brot erhalten. Es kommt nicht nur vor, sondern geschieht oft, daß man
sie zwei oder drei Tage ohne jede Nahrung läßt. Natürlich ist die
Sterblichkeit fürchterlich. In acht Tagen hatte die Dysenterie, wie ich
selbst feststellen konnte, siebzig dahingerafft.


2.

Abu Herere ist eine kleine Ortschaft nördlich von Meskene am Ufer
des Euphrat. Es ist der ungesundeste Ort der Wüste. Auf einem Hügel
zweihundert Meter vom Fluß fand ich 240 Armenier, von zwei Gendarmen
bewacht, die sie mitleidslos unter gräßlichen Qualen des Hungers
sterben ließen. Die Szenen, welche ich gesehen habe, lassen jede
Vorstellung denkbaren Grausens hinter sich. Nahe dem Ort, wo mein Wagen
hielt, sah ich Frauen, die kaum, daß sie mich hatten kommen sehen,
sich daran machten, aus dem Kot der Pferde die wenigen unverdauten
Gerstenkörner, die sich noch darin fanden, auszulesen, um sie zu essen.
Ich gab ihnen Brot. Sie warfen sich darüber, wie verhungerte Hunde,
und zerrissen es in grauenhafter Gefräßigkeit mit ihren Zähnen, unter
Zuckungen und epileptischen Konvulsionen, und sobald jemand diesen 240
Unglücklichen, oder besser gesagt, diesen 240 hungrigen Wölfen, die
seit 7 Tagen nichts gegessen hatten, meine Ankunft mitgeteilt hatte,
stürzte sich die ganze Horde, von der Höhe des Hügels herabrasend, auf
mich, streckten mir ihre Skelette von Armen entgegen und flehten mich
mit heiserem Geschrei und Schluchzen um ein Stück Brot an. Es waren nur
Frauen und Kinder, etwa ein Dutzend Greise darunter.

Bei meiner Rückkehr brachte ich ihnen Brot, und mehr als eine Stunde
lang war ich der mitleidige aber ohnmächtige Zuschauer einer wahren
Schlacht um ein Stück Brot, wie sie selbst verhungerte wilde Tiere
nicht aufführen können.


3.

Hamam ist ein kleines Dorf, wo 1600 Armenier eingeschlossen sind. Auch
da jeden Tag dasselbe Schauspiel des Hungers und Entsetzens. Die Männer
sind in Strafabteilungen zu Erdarbeiten auf den Straßen requiriert
worden. Als Lohn ihrer Arbeit empfangen sie täglich ein ungenießbares
und unverdauliches Stück Brot, das absolut unzureichend ist, um ihnen
für ihre schwere Arbeit die nötige Kraft zu geben.

An diesem Ort traf ich einige Familien, die noch etwas Geld hatten und
auf eine nicht ganz so jämmerliche Weise ihr Leben zu fristen suchten.
Aber die große Masse hatte kein anderes Quartier als die nackte Erde,
ohne den geringsten Schutz und nährte sich von Wassermelonen. Die
Elendesten unter ihnen suchen ihren Hunger zu betrügen, indem sie die
Schalen, die die andern wegwerfen, essen. Die Sterblichkeit ist enorm,
besonders unter den Kindern.


4.

Rakka ist ein bedeutender Platz am linken Ufer des Euphrat. Dort
sind 5-6000 Armenier, hauptsächlich Frauen und Kinder, die auf die
verschiedenen Stadtviertel verteilt sind, in Gruppen von fünfzig
bis sechzig, in verfallenen Häusern untergebracht, die die Güte des
Gouverneurs diesen Unglücklichen angewiesen hat. Man soll das Verdienst
ehren, wo man es findet. Was als nichts anderes als die Erfüllung
elementarster Pflichten gegenüber ottomanischen Untertanen von Seiten
eines türkischen Beamten gelten sollte, muß unter den gegenwärtigen
Umständen für einen Akt eines besonderen, ja fast heroischen Edelmutes
angesehen werden. Obwohl die Armenier in Rakka besser behandelt werden,
als sonst irgendwo, ist ihr Elend gleichwohl schrecklich genug.
Brot wird ihnen nur sehr unregelmäßig und in völlig unzureichenden
Quantitäten von den Behörden ausgeteilt. Alle Tage sieht man Frauen
und Kinder vor den Bäckereien angesammelt, die um ein wenig Mehl
betteln. Hunderten von Bettlern begegnet man in den Straßen. Immer
diese entsetzliche Qual des Hungers! Dabei muß man bedenken, daß sich
unter der verhungerten Bevölkerung nicht wenige befinden, die eine hohe
Stellung im sozialen Leben eingenommen haben, die begreiflicherweise
unter diesem Elend doppelt leiden müssen. Gestern waren sie reich und
beneidet. Heut betteln sie gleich den Ärmsten um ein Stück Brot.

Auf dem rechten Ufer des Euphrat, gegenüber von Rakka, fand ich
ebenfalls Tausende Armenier unter Zelten zusammengepfercht und von
Soldaten bewacht. Sie waren gleichermaßen ausgehungert. Sie warteten
darauf, an andere Plätze weitertransportiert zu werden, wo sie die
ausgestorbenen Reihen ihrer Vorgänger ausfüllen sollen. Aber wie viele
werden auch nur an ihren Bestimmungsort gelangen?


5.

Sierrat liegt nördlich von Rakka. Dort kampieren 1800 Armenier. Sie
leiden dort mehr als anderwärts unter dem Hunger. Denn in Sierrat
ist nichts als Wüste. Gruppen von Frauen und Kindern irren am Flusse
entlang und suchen einige Halme von Kräutern, um ihren Hunger zu
stillen. Andere brechen unter den Augen ihrer gleichgültigen,
mitleidlosen Wächter ohnmächtig zusammen. Eine barbarische Order,
barbarisch in jedem Sinn, verbietet jedermann die Grenze des Lagers zu
verlassen ohne spezielle Erlaubnis, bei Strafe der Bastonnade.

Semga ist ein kleines Dorf, wo 250 bis 300 Armenier eingesperrt sind,
unter denselben Bedingungen, in derselben traurigen Lage wie überall.


6.

Der es-Zor ist der Sitz des Gouverneurs der Provinz gleichen Namens.
Vor einigen Monaten waren hier 30000 Armenier in verschiedenen Lagern
außerhalb der Stadt unter dem Schutze des Gouverneurs Mutessarif Aly
Suad Bey untergebracht. Obwohl ich mich der persönlichen Bemerkungen
enthalten will, möchte ich mir doch den Namen diese Mannes einprägen,
denn er besitzt ein Herz, und die Deportierten sind ihm dankbar, weil
er versucht hat, ihr Elend zu erleichtern. Ihm ist es zu danken, daß
einige unter ihnen sich etwas durch Straßenhandel verdienen konnten
und sich erträglich dabei standen. -- Dies beweist, daß, selbst wenn
man einen Augenblick zugestehen will, daß irgend eine Staatsraison
die Massen-Deportation der Armenier forderte, um den Schwierigkeiten,
denen die Lösung der armenischen Frage begegnen konnte, zuvorzukommen,
gleichwohl die türkische Behörde, im eigenen Interesse des Reiches,
die Menschlichkeit nicht hätte zu verleugnen brauchen, wenn sie die
Armenier in Gegenden transportiert hätte, wo sie Arbeit finden und
sich dem Handwerk oder Handel hätten widmen können. Man hätte sie in
kultivierbare Gegenden schicken können, wo sie in dieser Zeit, wo
der Ackerbau so darniederliegt, reichliche Arbeit gefunden hätten.
Aber nein, es war ein vorbedachter Plan, die armenische Rasse zu
vernichten und so mit einem Schlage die armenische Frage aus der Welt
zu schaffen. Diesen Zweck würde man bei einem anderen Vorgehen nicht
erreicht haben. -- Die günstigeren Umstände, deren sich die Armenier
von Der es-Zor erfreuten, wurden der Anlaß zu einer Denunziation bei
der Zentralbehörde in Konstantinopel. Der „schuldige“ Aly Suad Bey
wurde nach Bagdad geschickt und durch Zekki Bey ersetzt, der durch
seine Grausamkeit und Barbarei genügend bekannt ist. Man hat mir
entsetzliche Dinge erzählt, die unter diesem neuen Gouverneur passiert
sind. Einkerkerung, scheußliche Torturen, Bastonnaden, Hängen waren
an der Tagesordnung. Sie waren das tägliche Brot der Deportierten
in dieser Stadt. Die jungen Mädchen wurden vergewaltigt und den
arabischen Nomaden der Umgegend überlassen. Die Kinder wurden in den
Fluß geworfen. Aly Suad Bey, dieser seltene türkische Beamte, hatte
etwa Tausend Waisenkinder in einem großen Hause untergebracht und gab
ihnen auf Kosten der Munizipalität ihren Unterhalt. Sein Nachfolger
Zekki Bey warf sie auf die Straße, und die meisten von ihnen starben
wie Hunde vor Hunger und entsetzlichen Entbehrungen. Noch mehr. Die
30000 Armenier, die in Der es-Zor waren, wurden in das Gebiet längs
des Flusses Chabur, eines Nebenflusses des Euphrat, verschickt. Es ist
die schlimmste Gegend der Wüste, wo es unmöglich ist, irgend etwas zum
Lebensunterhalt zu finden. Nach den Nachrichten, die ich eingezogen
habe, ist ein großer Teil dieser Deportierten bereits dem Tode erlegen.
Was davon noch übrig ist, wird dasselbe Schicksal erleiden.“



5.

Das armenische Hilfswerk in Urfa und Umgebung.


Unser Hilfswerk in Urfa und Umgegend begann als die allgemeine
Deportation und Vernichtung des armenischen Volkes in der Türkei
begonnen hatte. Dies war im Mai 1915. Damals kamen die ersten
Deportierten aus Nordanatolien hier durch, bereits schon in der
unsagbar traurigsten Verfassung und keine Männer unter ihnen, nur
Frauen und Kinder. Die Männer und Väter waren schon auf die Seite
gebracht worden. Wer immer von Urfas christlicher Bevölkerung damals
jemand von diesen Bedauernswerten verstecken konnte, der tat es. Urfa
besaß damals drei Missionen, zwei evangelische, eine amerikanische und
eine deutsche, und eine katholische. Letztere allerdings war schon
seit Kriegsausbruch, weil französisch, unterbunden. Alle taten ihr
Möglichstes zur Linderung der Not. Schon im April 1915 hatten sie
Boten an ihre Konsuln in Aleppo gesandt, um sie von dem drohenden
Unheil zu unterrichten. Im Juni suchte Schreiber dieses, er war eben
von einem schweren Typhus aufgestanden, das deutsche, österreichische
und amerikanische Konsulat in Aleppo auf, um sie inständig zu
bitten, doch ihr Möglichstes zur Unterbindung des grausamen, auf die
völlige Vernichtung des armenischen Volkes hinzielenden Treibens zu
tun. Allein alle diese Schritte nützten nichts. Der Armenier war
vogelfrei geworden. Er mußte umgebracht werden. Ich war nicht in
der Lage, über die schrecklichen Frauen- und Kindertransporte in
europäischen Zeitschriften Berichte zu lesen, aber ich nehme an,
daß diese gewiß schon oft geschildert worden sind. Mir ist es, als
ob sie unbeschreiblich waren. Schon im August wurde die persönliche
christliche Hilfe für die Unglücklichen hier illusorisch wegen der
Maßregeln der Regierung. Wohl hatten alle Missionare hier ihre
Häuser voll der Schutz Suchenden, aber an ein und demselben Tage
wurden alle aus diesen Häusern, es waren deren etliche Hundert,
polizeilich abgeholt. Wer unter ihnen Mann war, wurde, wenn er aus
dem amerikanischen Institute war, erhängt; wenn er aus dem deutschen
Spitale, aus dem deutschen Privathause war, oder aus dem dänischen und
schweizerischen Hause, wurde er alsbald als Soldat weggeschickt. Die
Frauen aber und Kinder mußten in die Wüste wandern, von wo es keine
Rückkehr mehr gab. Auch den Muhammedanern wurde verboten, Armeniern
Unterschlupf zu geben. Glücklicherweise aber finden alle amtlichen
Verbote in der Türkei ihre Übertreter. Und diesen Übertretern ist
es zu verdanken, wenn heute noch Tausende und Abertausende von
armenischen Kindern wieder zum Vorschein kommen, nachdem sie 4
Jahre in muslimischen Häusern in Stadt und Land gewesen waren. Auch
das deutsche Missionshospital durfte, selbst in der Zeit, da es am
schlimmsten zuging, viele Frauen und Kinder hindurchretten. Freilich,
Männer hindurchretten konnte es nicht, da selbst die in demselben
sich befindenden Verwundeten abgeholt und umgebracht worden waren.
Nur der dänischen Missionarin, Fräulein Karen Jeppe, gelang es, allen
Hausdurchsuchungen zum Trotze, sieben Männer durchzubringen. Die
amerikanische Mission hatte im Oktober ihre Arbeit einstellen müssen,
weil der noch vorhandene Missionar seiner Sache zum Opfer gefallen war.
Mir drohte ein Pascha, mich wie einen Armenier zu behandeln, wenn ich
ferner den Armeniern beistehen würde. Durch meine Tätigkeit in unserem
Hospital konnte ich aber für die Sterbenden und Schwerkranken, welche
wir aus den nie endenwollenden Zügen der hier Durchdeportierten nahmen,
sehr viel tun und tun lassen. Wir beherbergten von Juli 1915 bis Juni
1916 nicht weniger als 500 dieser Unglücklichsten. Das Hospital galt
allgemein als ein Hort der Armenier. Dies war wohl der Hauptgrund,
weshalb ein jungtürkischer Sanitätsrat das Hospital im Juni 1916
schloß. Nun mir die Tätigkeit im Hospital verboten war, konnte ich an
die Gründung eines eigentlichen Hilfswerkes denken. Denn jetzt hatte
ich auch Zeit dazu. Die Deportation nahte ihrem Ende. Daher wagten sich
denn immer mehr von den Arabern in den Dörfern versteckt gehaltene
Frauen mit ihren Kindern nach der benachbarten Stadt zurück. Diesen
mußte geholfen werden. An eine Wiedereröffnung der zwei Waisenhäuser,
welche bis Oktober 1915 hier existierten, durfte nicht gedacht werden.
Das hätte die Regierung niemals erlaubt. Aber ich konnte mehr oder
weniger heimlich die Armen unterstützen. Wohl mußte ich mir deshalb
des öfteren polizeiliche Untersuchungen gefallen lassen. Ich galt auch
als Spion, deshalb kam auch niemals ein noch so unverdächtiges, von mir
abgesandtes Telegramm an sein Ziel.

Dem Eingang der eingegangenen Hilfsgelder entsprechend, die anfangs
ziemlich spärlich flossen, konnte ich Waisen unterstützen. Erwachsene
mußten sehen, wie sie sich durchbrachten, an Arbeit fehlte es damals
nicht, weil die Muhammedaner Dienerinnen benötigten. Ich trug die
Namen der Waisen, welche ich unterstützen konnte, in fortlaufender
Nummer in ein Buch ein. Auf der Karte, welche das unterstützte Kind
erhielt, waren die Unterstützungen eingetragen, damit ich doch eine
gewisse Kontrolle hatte. Ein Arbeitsmangel für die vielen Witwen trat
erst zu Anfang 1917 ein, als große Transporte von Armeniern aus dem
Deportiertenlager, aus Rakka hierher gebracht worden waren, und als
eine Teuerung begann, weshalb viele Araber ihre armenischen Schützlinge
nach der Stadt schickten.

Ich ließ nun feine Handarbeiten verfertigen, in denen so viele
Armenierinnen große Künstler sind. So ließ ich über 13000 Taschentücher
mit feinen Spitzen anfertigen. Allein deren Herstellung erforderte gar
bald so große Summen, daß alsdann für die vielen Waisen keine Hilfe
mehr möglich gewesen wäre. Eine Umsatzmöglichkeit war ausgeschlossen,
weil solche Tücher für Europa und Amerika bestimmt sind, und wegen
des Krieges an einen Transport nicht zu denken war. Aus gleichem
Grunde ging auch eine im Frühjahr angefangene Seidenzucht wieder ein.
Es war da ein junger verbannter Armenier aus Brussa, der ein Diplom
hatte als Seidenzüchter, der arbeits- und brotlos war. Dem verhalf
ich zur Arbeit, indem ich ihn Seide züchten ließ, und da wir bestimmt
auf ein baldiges Kriegsende rechneten, so ließ ich ihn auch für das
andere Frühjahr Brut bereiten. Allein der Krieg ging nicht zu Ende.
Jemand, der die Kokons hätte verarbeiten können, fand sich nicht, auch
kein Seidenweber. Nicht einmal ein Käufer für die Kokons ließ sich
auftreiben. Und als die junge Brut im Frühjahr 1918 ausschlüpfte, war
niemand da, der hier und anderswo danach verlangte. Auch der Mann aus
Brussa hatte Urfa wieder verlassen. So blieb mir nichts anderes übrig,
als die wimmelnde Brut wegzuwerfen.

War die Zahl der unterstützten Waisenkinder im Juni 1916 bloß 87, so
stieg sie bis zum Juni 1917 auf über 2000. Im Sommer 1917 aber kam
wieder ein Abtransport. Man benötigte zum Straßenbau Frauen und Kinder,
weshalb viele nach Biredjik und Surudj gebracht worden waren. Andere
wieder flohen und suchten ihre alte Heimat wieder aufzufinden. Manche
von diesen erhielten etwas Zehrgeld von uns.

Eine schwierige Arbeit war die Versorgung der Armenier in
anderen Städten, welche zum Sandjak Urfa gehörten. Rakka war ein
Emigrantenzentrum. Diese Stadt war bis Frühjahr 1917 von Aleppo aus vom
amerikanischen Konsul versorgt worden. Nach Wegzug dieses Konsuls wurde
mir vom deutschen Konsul in Aleppo diese Arbeit übergeben. Zweimal
konnte ich Mittel hinsenden und zweimal ging ich selbst mit bedeutenden
Mitteln hin. Das zweite Mal aber wurde ich einige Tage festgehalten.
Der Gendarmeriekommandant hatte von mir Bestechung erwartet. Nach
Biredjik und Adiaman gelang es mir, kleine Summen zu senden und sie
dort durch deutsche Offiziere zu verteilen. Den an der Straße von
Surudj Frohndienst leistenden halbnackten Kindern und Frauen konnten
wir einmal zwei Lasten Kleider bringen. Aus Dörfern der Umgebung
kamen zuweilen Armenier, welche im Namen der daselbst befindenden
Notleidenden Hilfe erbaten. Geringe Mittel konnten wir geben.

Im Dezember 1916 begab ich mich nach Aleppo, um dem amerikanischen
und deutschen Konsul auch die Not der kurdischen Emigranten ans Herz
zu legen, die zu Tausenden an den Wegen und in den Dörfern Hungers
starben. Ich hoffte durch eine Unterstützung auch dieser Emigranten
eine Erleichterung für das armenische Hilfswerk von seiten der
türkischen Regierung, die dies bislang so sehr beargwöhnte. Schon im
Februar 1917 reifte die Frucht dieses Schrittes. Durch Konsul Jackson
erhielt ich 700 Pfund, und vom deutschen Konsul 300 Pfund für diesen
Zweck. Im März habe ich denn auch in Hunderten von Dörfern an Tausende
von Muselmanen, die dem Hunger verfallen waren, Weizen und Gerste
austeilen dürfen. Von diesem Zeitpunkte an konnte ich wenigstens in
Urfa freier für die Armenier arbeiten.

Im Laufe dieser Notzeit haben wir auch armenische Familienreste
leihweise, aber kräftig unterstützt. Diese hatten vor der Deportation
bedeutende Summen bei Banken oder bei Missionen hinterlegt, welche sie
aber jetzt unmöglich beziehen konnten.

Anfang 1917 richtete meine Frau heimlich, sorgfältig vor den Augen
der Regierung versteckt, ein kleines Waisenhaus ein, nachdem sie
schon früher in christlichen syrischen Familien eine Anzahl Ganzwaisen
untergebracht hatte. Ende 1917 hatte sie schon zwei kleine Häuser mit
Waisen gefüllt, denen sie sogar den Segen der Schule zuteil werden
lassen konnte. Über hundert Kinder besuchten auch eine vom Hilfsgelde
eingerichtete Schule im syrischen Stadtquartier. Doch dauerte diese
Freude nicht lange. Durch jungtürkischen Ukas wurden alle nicht
vom Staate geöffneten Schulen im ganzen Reiche geschlossen. Etwas
Gescheiteres gab es offenbar für die Landesväter nicht zu tun während
dieses fürchterlichen Krieges.

Neue Aufgaben brachte unserem Werke der Waffenstillstand. Da begannen
Urfa-Armenier, sei es aus der Wüste, sei es vom Soldatenstande
hierher zurückzukehren. Diese fanden hier ihre Häuser zerstört vor.
Man mußte ihnen zu einem Bette verhelfen oder ihnen zu einem neuen
Geschäftsanfange die Hand reichen.

Gott Bei Dank war nun der Bann gebrochen, den das jungtürkische Regime
über das armenische Volk verhängt hatte, und das zur Vernichtung von
wohl mehr als Dreiviertel des Volkes geführt hatte. Nun wehte ein
anderer Wind. Durch Ausrufen ließ die Regierung in den Straßen der
Stadt verkünden, daß jetzt kein Armenier mehr bedrückt werden dürfe,
und daß alle armenischen Kinder, Jungfrauen und Frauen, selbst wenn
diese verheiratet worden seien, jetzt entlassen werden müssen. Dieser
Befehl aber war eine bittere Nuß für viele Muhammedaner. Besonders,
die Frauen entlassen! Hatten doch viele sich Armenierinnen genommen
und dann gefunden, daß so eine Armenierin doch eine ungleich bessere
Hausfrau ist, als eine geborene Türkin. Immerhin, mit der Entlassung
der besten unter ihnen hatten sie keine Eile. Erst entließ man einmal
die Alten, Gebrechlichen und Kranken. Daneben diejenigen Kinder, welche
man noch nicht recht zur Arbeit gebrauchen konnte. Aber eine große
Menge wurde doch schon entlassen. Wohin sollten sich diese wenden? Eine
armenische Gemeinde existierte seit 1916 in Urfa nicht mehr[172]. Zu
Jakob Effendi, war die Losung der Befreiten! Damit war ich und meine
Frau gemeint. Es war sehr gut, daß ich in jenen Tagen die Gebäude des
amerikanischen Instituts von der Regierung zurückerhalten hatte. Wenn
sie auch ihres Mobiliars beraubt waren, so waren doch wenigstens die
Gebäude noch bewohnbar. Somit war Platz für mehrere Hunderte von Waisen
geschaffen. Diese kamen denn auch in großer Zahl, sei es, daß sie
von den Muhammedanern entlassen worden waren, oder selbst von diesen
fortliefen. Allein sie kamen ohne Betten, oft ohne Kleider, viele
von ihnen krank. Auch viele Frauen kamen an. Im Vertrauen auf Gott
nahmen wir fast alles auf, was da kam. Die Gebäude füllten sich rasch.
Leider aber stellten die Banken, durch welche wir unsere Hilfsgelder
erhielten, ihre Auszahlungen ein. Der Geldmangel zwang mich, Ende
November nach Aleppo auf die Suche nach Mitteln zu gehen. Allein auch
dort war vorerst nicht viel zu holen. Um nicht mit leeren Händen nach
Urfa zurückkehren zu müssen, griff ich zu etwas sonst nicht erlaubtem,
ich schrieb einen Scheck auf die Bank in der Schweiz, durch die ich
bisher Gelder von dort geschickt bekam. Mit dem Gelde des Schecks,
es waren 10000 Franks, konnte ich viele Kleider, Bettwerk, Essen für
die wachsende Kinderschar anschaffen. Aber schon im Januar dieses
Jahres war wieder völlige Ebbe in der Kasse, trotzdem stieg die Zahl
der aufgenommenen Waisen bis zu Ende des Monats auf 200. Diesmal half
ich mir dadurch, daß ich Herrn Dr. Lepsius in Potsdam mit 26000 Mk.
belastete, welche ich hier auch in der Hoffnung aufnahm, daß bei ihm
gewiß wieder Hilfsgelder eingegangen sein werden, welche aber jetzt
nicht hergesendet werden konnten. Anfang Februar erhielt ich auch von
Mr. Fowle, American Board, wieder Hilfsgelder. Auch zeitigte meine im
November nach Aleppo gemachte Reise eine neue Frucht, indem mein damals
an das britische Hauptquartier gerichtetes Gesuch Erhörung fand und uns
nun für das Hilfswerk eine bedeutende Summe zugestellt wurde.

Nun ist aber das amerikanische Institut voll besetzt. Eine Schule ist
im Gange, Weberei, Schusterei und Spinnerei sind in Betrieb, aber
der Waisen werden es täglich mehr. Zusammen mit einigen wenigen noch
vorhandenen armenischen Männern wollen wir noch eins, zwei weitere
Waisenhäuser einrichten. Diejenigen, welche von auswärts sind, und
irgendwo westwärts Verwandte zu haben glauben, senden wir an die
nächste Bahnstation, von wo sie durch englische Hilfe in die alte
Heimat geschickt werden.

Mit Beginn des Waffenstillstandes erhielt ich auch das von der
Deutschen Orient-Mission (auch mit Schweizer Geld) unterhaltene
Hospital zurück von der militärischen Behörde, welche es zwei
Jahre lang für ihre Soldaten besetzt hatte. Somit war auch gleich
ein hochnötiges Krankenheim für die vielen kranken Waisenkinder
bereit. Augenblicklich ist die Skabies in sehr hartnäckiger Form die
Hauptkrankheit.

Mit den Hilfsgeldern konnten wir wieder einmal nach drei Monaten die
täglich in vermehrter Zahl unser Haus umlagernden Witwen und Waisen
unterstützen, welche in der Stadt zerstreut wohnen oder neu aus Dörfern
eingekehrt waren, aber in unserem Waisenhause nicht Aufnahme fanden. So
wurden an einigen Tagen über 1000 Personen, meist Kinder, unterstützt.
Ferner konnten wir all den Vielen, welche in ihre alte Heimat reisen
wollten, wieder wie den früher Verreisten, einen Zehrpfennig auf den
Weg mitgeben.

In der ersten Zeit unseres Hilfswerks machten diese Arbeit meine Frau
und ich allein. Seit Frühjahr 1917 mußte ich ab und zu Pater Ephraim
Djurassian, den Prediger in der syrisch-protestantischen Kirche, einer
der wenig übrig gebliebenen Armenier, zu Hilfe rufen. Er übernahm auch
das Lehramt. Seit November 1918 aber habe ich ihn und seine Frau als
Waiseneltern im amerikanischen Institut eingesetzt. Seit Februar 1919
ziehen wir uns zur wachsenden Arbeit die nötigen Helfer heran. Wir,
das heißt meine Frau, welche fast übermenschlich ihr organisatorisches
Talent in den Dienst des Hilfswerks stellte, und ich harren auf neue
amerikanische oder europäische Hilfe, denn es ist uns zuweilen, als ob
die Kraft uns versagen wollte. Doch, wie der Tag so die Kraft, so war
es bis heute gewesen und wird es weiter so bleiben, bis die Ablösung da
sein wird.

    Urfa, den 20. Februar 1919.

                                                        Jakob Künzler.



Der auswärtige Dienst 1914-1918



Der auswärtige Dienst 1914-1918.


Reichskanzler.

Dr. von Bethmann Hollweg vom 14. Juli 1909 bis 14. Juli 1917.

Dr. Michaelis vom 14. Juli bis 1. November 1917.

Dr. Graf von Hertling vom 1. November 1917 bis 3. Oktober 1918.

Prinz Max von Baden vom 3. Oktober bis 9. November 1918.


Staatssekretäre.

von Jagow vom 11. Januar 1913 bis 22. November 1916.

Zimmermann vom 22. November 1916 bis 6. August 1917.

von Kühlmann vom 6. August 1917 bis 16. Juli 1918.

von Hintze vom 16. Juli 1918 bis 7. Oktober 1918.

Dr. Solf vom 7. Oktober 1918 bis 30. Dezember 1918.


Unterstaatssekretäre.

Zimmermann vom 5. Mai 1911 bis 22. November 1916.

von Stumm vom 22. November 1916 bis 7. Dezember 1918.

Freiherr von dem Bussche-Haddenhausen, zweiter Unterstaatssekretär vom
27. November 1916 bis 1. Januar 1919.


Botschaft Konstantinopel.

Freiherr von Wangenheim, Botschafter seit 1912, † 25. Oktober 1915,
beurlaubt vom 20. Juli 1915 bis 2. Oktober 1915, vertreten durch Fürst
Hohenlohe-Langenburg, Botschafter in außerordentlicher Mission vom 20.
Juli 1915 bis 2. Oktober 1915.

Botschaftsrat Freiherr von Neurath, Geschäftsträger vom 25. Oktober
1915 bis 15. November 1915.

Graf Wolff-Metternich, Botschafter in außerordentlicher Mission vom 15.
November 1915 bis 3. Oktober 1916.

Geh. Legationsrat von Radowitz, Geschäftsträger vom 3. Oktober 1916 bis
16. November 1916.

Dr. von Kühlmann, Botschafter in außerordentlicher Mission vom 16.
November 1916 bis 24. Juli 1917. Beurlaubt vom 26. Dezember 1916 bis 5.
Januar 1917, vertreten durch Geh. Legationsrat Dr. Göppert. Beurlaubt
vom 26. Juni 1917 bis 7. Juli 1917, vertreten durch Botschaftsrat
Grafen von Waldburg.

Botschaftsrat Graf von Waldburg, Geschäftsträger vom 24. Juli 1917 bis
7. September 1917.

Graf von Bernstorff, Botschafter vom 7. September 1917 bis 27. Oktober
1918.

Botschaftsrat Graf von Waldburg, Geschäftsträger vom 27. Oktober 1918
bis 20. Dezember 1918.


Konsulate.

~Adana.~

Dr. Büge, Konsul, von Mai 1910 bis Oktober 1918.


~Aleppo.~

Rößler, Konsul, von 1910 bis 30. Mai 1918.

Vom 27. März 1915 auf Dienstreise in Marasch, vertreten durch Herrn
Rühe, Direktor der deutschen Orientbank,

  beurlaubt vom  3. Oktober bis 22. Oktober 1915 } vertreten durch
      „      „  15. August bis 9. September 1916 }   Vizekonsul
      „      „  12. August bis 30. September 1917}   Hoffmann.
      „      „  30. Mai 1918 ab, vertreten durch Konsul Dr. Schönberg,
                    bis 12. Oktober 1918.


~Alexandrette.~

Hoffmann, Vizekonsul, seit April 1914.


~Bagdad.~

Hesse, Konsul, seit 1910 bis 28. Februar 1917.


~Beirut.~

v. Mutius, Konsul (seit 15. April 1916 Generalkonsul) von 1912 bis Ende
September 1918, beurlaubt vom 15. Juni bis 25. Oktober 1917, vertreten:
1. bis 29. Juli 1917 durch Konsul Graf v. d. Schulenburg, 2. vom 30.
Juli bis 25. Oktober 1917 durch Herrn Drubba.


~Damaskus.~

Karl Schiffer, Prokurist der Deutschen Palästina-Bank, Verweser, von
Juni 1914 bis 15. Januar 1915.

Dr. Padel, Konsul, Verweser, vom 15. Januar bis 26. Mai 1915.

Dr. Loytved-Hardegg, Konsul, Verweser, vom 13. Juni 1915, † 7. Mai
1917, vom 13. September bis 2. Oktober 1915 in Haifa.

Vizekonsul Hoffmann, Verweser, vom 10. Mai bis 10. August 1917.

Graf v. d. Schulenburg, Konsul, Verweser, vom 10. August 1917 bis 2.
April 1918.

Dr. Ziemke, Verweser, vom 2. April bis 20. Juni 1918.

Dr. Brode, Konsul, Verweser, vom 30. Juni bis Ende September 1918.


~Erzerum.~

Vizekonsul Anders, Verweser, seit 4. September 1913 bis Ende Juli 1914.

Dr. Schwarz, Konsul, Verweser, seit 29. September 1914 bis 17. Februar
1915.

Scheubner-Richter, Verweser, vom 17. Februar bis 6. August 1915.

Graf v. d. Schulenburg, Konsul, Verweser, vom 6. August bis Ende
Februar 1915; bis 12. Februar 1916 Geschäfte von Sekretär Werth
geführt, der dann nach Siwas übersiedelte.


~Haifa.~

Dr. Loytved-Hardegg, Vizekonsul (seit 23. Juni 1914 Konsul) seit
1912; beurlaubt vom 18. Juli bis 9. September 1914, vertreten durch
Bankdirektor Faber.

Seit 1915 wurde Haifa von Damaskus aus verwaltet, als Vertreter des
Konsulats Damaskus befand sich bis Ende September 1918 Dragoman
Hoffmann in Haifa.


~Jaffa.~

    Dr. Brode, seit Juni 1914 bis Ende März 1916,
    beurlaubt vom 13. Juli bis 9. September 1914 } vertreten durch
    in Jerusalem vom 1. bis 15. August 1915      }   Dragoman
    „      „      „  5. Sept. bis 26. Okt. 1915  }   Baumert.

Seit Ende März 1916 bis November 1917 wurde Jaffa von Jerusalem aus
verwaltet; in Jaffa bis 28. August 1917 Dragoman Schabinger, dann
bis 21. September Dragoman Baumert, dann bis November 1917 Dragoman
Schabinger.

November 1917 nach Haifa verlegt.


~Jerusalem~, Generalkonsulat.

    Schmidt, Generalkonsul seit 1914, † 27. März 1916,
    abwesend vom 1. bis 14. August 1915            }  vertreten durch
        „     „  5. September bis 26. Oktober 1915 } Konsul Dr. Brode.

Dr. Brode, Verweser, vom 25. März 1916 bis 15. November 1917. Am 15.
November 1917 nach Damaskus übergesiedelt.


~Mossul.~

Vizekonsul Holstein, Verweser seit 1911 bis Ende April 1918; vom 1.
November bis 19. Dezember 1914 Dienstreise nach Wan, Oktober 1915 auf
Dienstreise; beurlaubt 22. Juli bis 23. September 1916, vertreten
durch Vizekonsul Schünemann; beurlaubt 1. Mai bis 19. September 1917,
vertreten durch Vizekonsul Wustrow.

Vizekonsul Wustrow, Verweser, von Ende April bis 23. Juli 1918.

Vizekonsul Seiler, Verweser, vom 23. Juli bis Oktober 1918.


~Samsun.~

Kuckhoff, Wahlvizekonsul, seit 1905 bis August 1917.

Mosel, Kaufmann, Verweser, von August 1917 bis 7. Januar 1918.

Dr. Bergfeld, Konsul, Verweser, vom 7. Januar bis 3. Juli 1918
(zugleich für Konsulat Trapezunt).

Hesse, Konsul, Verweser, vom 3. Juli 1918 bis November 1918.


~Siwas.~

Vom 27. Februar 1916 bis 4. Februar 1917 von Sekretär Werth verwaltet.

Dr. Bergfeld, Konsul, Verweser, vom 4. Februar bis 8. Oktober 1917.

Hesse, Konsul, vom 8. Oktober 1917 bis August 1918. Seit August 1918
wurden die Geschäfte von Erzerum und Siwas von Konsul Bergfeld von
Trapezunt aus geführt.


~Smyrna.~

Humbert, Konsul seit 1910 bis 8. Januar 1916.

Graf v. Spee, Konsul, Verweser vom 8. Januar 1916 bis 19. Januar 1917.

Dr. Weber, Konsul, Verweser, vom 19. Januar 1917 bis November 1918.


~Trapezunt.~

Dr. Bergfeld, Konsul, seit 1910 bis 8. März 1916; am 8. März 1916 nach
Samsun übergesiedelt, das Konsulat Trapezunt wurde seitdem von Samsun
aus verwaltet. In Samsun bis 27. Januar 1917 Konsul Dr. Bergfeld, dann
Vizekonsul Kuckhoff, Verweser bis August 1917, dann bis Anfang Januar
1918 Kaufmann Mosel, Verweser, dann wieder Konsul Dr. Bergfeld bis Juli
1918.

Dr. Bergfeld, Konsul, wieder in Trapezunt vom Juli bis November 1918.



Register



Aktenregister.


    Amerikanische Botschaft, Berlin,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 252.

    Amerikanische Botschaft, Konstantinopel,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 220.

    Amerikanische Mission, Marasch,
      an Kais. Deutsches Konsulat, Aleppo. Nr. 25, Anlage 2. Nr. 188,
         Anlage 4.

    Amerikanisches Bible House
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 341. 343.

    Amerikanisches Staatsdepartement, Washington,
      an Kais. Deutsche Gesandtschaft, Washington. Nr. 252, Anlage.

    Armenische Republik, Delegation der --, Berlin,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 403. 407. 413. 421. 439.

    Armenischer Nationalrat von Kars
      an Kais. Deutsche Delegation im Kaukasus, Tiflis. Nr. 431.

    Armenische Republik, Geschäftsträger der --, Tiflis,
      an Diplomatische Vertretung der Aserbeidschanschen Republik,
           Tiflis. Nr. 440.

      „  Kais. Deutsche Delegation im Kaukasus, Tiflis.  Nr. 440. 441,
           Anlage.

    Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes. Nr. 224. 300. 321. 377. 394.
           414.

    Aufzeichnungen der Deutschen Botschaft, Konstantinopel. Nr. 69.
           131. 146. 147. 217. 324.

    Aufzeichnungen eines Österreichers. Nr. 137, Anlage I.

    Auswärtiges Amt, Berlin, Unterstaatssekretär Zimmermann,
         an Kais. Deutsche Botschaft Konstantinopel (Wangenheim). Nr.
           83. 101. 187. 192. (Hohenlohe) Nr. 144. 159. 174.

      „  Kais. türk. Botschaft, Berlin. Nr. 178.

    Auswärtiges Amt, Berlin, Staatssekretär v. Jagow,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Wolff-Metternich).
           Nr. 200. 205.

    Auswärtiges Amt, Berlin, Staatssekretär Zimmermann,
      an Armenische Delegation, Berlin. Nr. 394. Aufzeichnungen. Nr.
           224. 300. 321. 377.
      „  Halil Bey, Minister des Äußern. Nr. 299.
      „  Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Wolff-Metternich) Nr.
           207. 208. 211. 212. 213. 242. 244. 247. 252. 267. (Kühlmann)
           Nr. 310. 316. 320. 323. 353. 362. 372.
      „  Kais. Deutsche Gesandtschaft, Bern. Nr. 244. 354. 359. 443.
      „  Orient- und Islamkommission des Deutsch-Evangelischen
           Missionsausschusses. Nr. 337.

    Auswärtiges Amt, Berlin, Staatssekretär v. Kühlmann,
      an Armenische Delegation, Berlin. Nr. 394.
         Aufzeichnung. Nr. 414.
      „  Deutsche Gesandtschaft, Bern. Nr. 443.
      „  Deutsches Konsulat, Erzerum. Nr. 393.
      „  Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Bernstorff). Nr. 364.
           367. 371. 372. 375. 380. 381. 382. 383. 385. 389. 397. 398.
           417. 432. 437.
      „  Kais. Deutsche Botschaft, Wien. Nr. 396.
      „  Kais. Deutsche Delegation im Kaukasus, Tiflis. Nr. 423. 430.
           433.
      „  Königl. Preuß. Gesandtschaft, München. Nr. 412.
         Richtlinien zu Verhandlungen mit der Transkaukasischen
         Republik. Batum. Nr. 387. 410.
      „  Staatssekretär v. Kühlmann, Bukarest. Nr. 376. 379.


    Bagdadbahn, Generaldirektion Konstantinopel,
      an Verwaltungsrat der Bagdadbahn, Berlin. Nr. 444.

    Bericht über das Blutbad bei Katharinenfeld. Nr. 401.

    Bünte, Diplomingenieur K. O. Oberleutnant, Aleppo,
      an Deutsches Konsulat, Aleppo. Nr. 345, Anlage.


    Central Turkey College, Aintab,
      an Deutsches Konsulat, Aleppo. Nr. 188, Anlage 5.

    Chef des Generalstabes der türkischen Heeresgruppe Ost
      an Kais. Deutsche Delegation im Kaukasus, Tiflis. Nr. 442,
         Anlage 1.

    Christoffel, J., Malatia
      an Deutsche evangelische Missionshilfe, Berlin. Nr. 356, Anlage.


    David, Dr., Feldgeistlicher, Angora,
      an Erzberger, Matthias, M. d. R., Berlin. Nr. 353, Anlage.

    Deutsch-Armenische Gesellschaft, Potsdam,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 82. 258.
      „  den Reichskanzler von Bethmann Hollweg. Nr. 206.

    Deutsche in Konia,
      an Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Hohenlohe). Nr. 143.

    Deutsche evangelische Missionshilfe, Berlin-Steglitz,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 356. 361.

    Deutsche Militärmission, Konstantinopel,
      an Kais. Deutsche Botschaft Konstantinopel. Nr. 307, Anlage.

    Deutsche Missionsklinik, Urfa,
      an Kais. Konsulat, Aleppo. Nr. 226, Anlage 1. 234, Anlage.

    Deutsche Orient-Handels- und Industriegesellschaft, Urfa,
      an Deutsch. Konsulat, Aleppo. Nr. 137, Anlage II.

    Deutsche Orientmission, Potsdam,
      an den Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 251.

    Deutsche Realschule, Aleppo,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 182.

    Deutscher Hilfsbund für christliches Liebeswerk im Orient,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 319.
      „  den Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 213, Anlage.

    Deutscher Militärbevollmächtigter, Konstantinopel,
      an Kriegsminister Enver Pascha. Nr. 419.

    Djemal Pascha, Besprechung mit --, Nr. 360.
      Befehl vom 31. 3. 1915. Nr. 25, Anlage 3.

    Dolci Monsignore, päpstl. Delegat, Konstantinopel,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 145.


    Ehmann, Joh. und Frau, Mamuret ul Aziz,
      an Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Wangenheim). Nr. 42. 96.
      „  Deutscher Hilfsbund für christl. Liebeswerk im Orient,
           Frankfurt a. M. Nr. 314.

    Enver Pascha, Kriegsminister, Gespräch mit Korvettenkapitän Humann.
           Nr. 131.
      an Großes Hauptquartier. Nr. 422.

    Erzberger, Matthias, M. d. R., Berlin,
      an Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 238, Anlage.
      „  Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 246. 352.
      „  den Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 267.


    Funkspruch vom Eiffelturm. Nr. 294. 362.


    Gesetz, vom 14. / 27. Mai 1915. Nr. 71.

      „    provisorisches, vom 26. September 1915. Nr. 223.


    Halil Bey, Minister des Äußern, Konstantinopel,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 194. 217. 225.
         272. 311.

    Hauptquartier, Großes,
      an Auswärtiges Amt Berlin. Nr. 285. 399. 400. 409. 410. 428.

    Hauptquartier Pleß,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 189.

    Humann, Korvettenkapitän,
      Gespräch mit Kriegsminister Enver Pascha. Nr. 131.


    Johansson, Alma, Schwester, Musch, Angaben an die Kais. Deutsche
      Botschaft, Konstantinopel. Nr. 196.


    Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel, Wangenheim, Aufzeichnungen
         Nr. 69.
      an armenischen Patriarchen. Nr. 32. 55.
      „  Auswärtiges Amt, Berlin (Zimmermann).  Nr. 29. 35. 43. 46. 56.
         72. 93. 181. 183.
      „  Ehmann Joh. Mamuret ul Aziz. Nr. 61. 86.
      „  Großwesir, Memorandum. Nr. 106, Anlage.
      „  Hali Bey, Minister des Äußern, Konstantinopel. Nr. 194.
      „  Kais. Deutsches Konsulat Adana. Nr. 28. 89.
      „   „        „        „     Aleppo. Nr. 77.
      „   „        „        „     Erzerum. Nr. 36. 60. 65. 68. 70. 88.
      „   „        „        „     Mossul. Nr. 11. 50. 191.
      „   „        „        „     Samsun. Nr. 117.
      „   „        „        „     Trapezunt. Nr. 95.
      „  den Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 1. 7. 9. 10. 13. 14.
         15. 16. 20. 21. 24. 26. 30. 37. 38. 44. 62. 81. 106. 108. 114.
         116. 184. 188. 195.
      „  Talaat Pascha, Minister des Innern. Nr. 69. 112.

    Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Hohenlohe),
        Aktennotizen. Nr. 119. 157.
        Aufzeichnungen. Nr. 131. 146. 147.
      an Auswärtiges Amt, Berlin (Zimmermann). Nr. 168. 177.
      „  Großwesir, Konstantinopel. Nr. 136, Anlage.
      „  Kais. Konsulat, Adana. Nr. 133. 148. 171.
      „    „       „     Aleppo. Nr. 122. 127. 133. 142. 152. 173.
      „    „       „     Damaskus. Nr. 135.
      „    „       „     Erzerum. Nr. 133.
      „    „       „     Jerusalem. Nr. 151.
      „    „       „     Mossul. Nr. 133.
      „    „       „     Trapezunt. Nr. 133. 161.
      „  Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 126. 136. 138. 160. 167.
           175. 179.

    Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Wolff-Metternich),
        Aufzeichnung. Nr. 217.
        Aktennotizen. Nr. 225. 245. 259.
      an Auswärtiges Amt, Berlin (Zimmermann). Nr. 216. 248. 250. 276.
           277. 278. 286.
      „  Kais. Konsulat, Aleppo. Nr. 221. 228.
      „    „       „     Damaskus. Nr. 269. 284.
      „  Halil, Minister des Äußern. Nr. 225. 253. 272.
      „  Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 201. 204. 209. 210. 215.
           218. 219. 230. 232. 238. 240. 241. 243. 245. 253. 255. 256.
           261. 262. 264. 268. 273. 275. 282. 287. 289. 296.

    Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Radowitz),
      an den Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 301. 302. 303. 304.
           306. 307.

    Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Kühlmann), Aktennotiz. Nr.
           324.
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 308. 312. 322. 328. 347.
      „  Halil Bey, Minister des Äußern. Nr. 311.
      „  Kais. Konsulat, Aleppo. Nr. 325. 342. 349.
      „  Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 313. 317. 318. 329. 348.
           351. 355.

    Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Bernstorff),
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 365. 368. 369. 373. 374. 384. 386.
           388. 390. 392. 395. 415. 416. 418. 427. 432. 434.
      „  Reichskanzler Graf Hertling. Nr. 366.

    Kais. Deutsche Delegation im Kaukasus, Eriwan,
      an Kais. Deutsche Delegation im Kaukasus, Tiflis. Nr. 436.

    Kais. Deutsche Delegation im Kaukasus, Tiflis,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 404. 411. 431. 438.
      „  Chef des Generalstabes der türkischen Heeresgruppe Ost. Nr.
           442, Anlage 2.
      „  General Nury Pascha. Nr. 442, Anlage 3.
      „  Reichskanzler Graf Hertling. Nr. 405. 424. 426. 435.
      „  Reichskanzler Prinz Max v. Baden. Nr. 440. 441. 442.
      „  diplomatischen Vertreter der Aserbeidschanschen Republik,
           Tiflis. Nr. 442, Anlage 4.

    Kais. Deutsche Gesandtschaft, Bern,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 357.

    Kais. Konsulat, Adana,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 19. 28. 34. 58.
           90. 165. 170.
      „  Schweizerisches Hilfswerk für Armenien. Nr. 263, Anlage 2.

    Kais. Konsulat, Aleppo,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 358.
      „  Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Wangenheim). Nr. 11.
           22. 23. 25. 27. 40. 47. 48. 66. 75. 76. 79. 87. 103. 107.
           185. 186. 188.
      „  Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Hohenlohe). Nr. 121.
           125. 128. 134. 140. 141. 150. 153. 158. 164. 169. 172. 180.
      „  Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Wolff-Metternich).
           Nr. 225. 226. 227. 229. 231. 233. 234. 235. 236. 241. 254.
           257. 265. 271. 281. 291. 292. 293. 297. 298.
      „  Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Radowitz). Nr. 301.
           302,
           Anlage 1 (Kühlmann). 326. 330. 340. 344. 346. 350.
      „  Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 120. 137. 188. 193. 202.
           203. 260. 274. 290. 305. 315. 327. 330. 334. 339. 345.
      „  Reichskanzler Grafen Hertling. Nr. 391.
      „  Schweizerisches Hilfswerk f. Armenien. Nr. 262, Anlage 1.
      „  Vischer, Dr., Basel. Nr. 262, Anlage 1.

    Kais. Konsulat, Alexandrette
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Wangenheim). Nr. 18.

    Kais. Konsulat, Beirut,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 331.
      „  Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 331.

    Kais. Konsulat, Damaskus,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel
          (Hohenlohe). Nr. 154.
          (Wolff-Metternich). Nr. 270. 275. 283.
          (Radowitz). Nr. 332.
      „  Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 332.
      „  Schweizerisches Hilfswerk für Armenien. Nr. 263, Anlage 3.

    Kais. Konsulat, Erzerum,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 132. 393.
      „ Deutsche Botschaft, Konstantinopel,
          (Wangenheim). Nr. 2. 3. 4. 5. 6. 10. 14, Anlage. 17. 32. 33.
            39. 41. 45. 51. 52. 53. 54. 59. 63. 64. 73. 74. 84. 85. 91.
            92. 98. 104. 123.
          (Hohenlohe). Nr. 129. 130.
          (Wolff-Metternich). Nr. 237.
      „ Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 10. 14, Anlage. 309.

    Kais. Konsulat, Jerusalem,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel,
          (Hohenlohe). Nr. 163.
          (Wolff-Metternich). Nr. 279.

    Kais. Konsulat, Mossul,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel,
          (Wangenheim). Nr. 49. 57. 78. 80. 110. 113. 115. 118. 190.
          (Hohenlohe). Nr. 124. 139.
          (Radowitz). Nr. 333.
      „  Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 333.
      „  Schweizerisches Hilfswerk für Armenien. Nr. 263, Anlage 4.

    Kais. Konsulat, Samsun,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Wangenheim). Nr. 99.
           116, Anlage.
      „  Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 116, Anlage.

    Kais. Konsulat, Siwas,
      an Deutsche Botschaft, Konstantinopel (Wolff-Metternich). Nr. 280.
           289.

    Kais. Konsulat, Tiflis,
      an Auswärtiges Amt (Kühlmann). Nr. 402.

    Kais. Konsulat, Trapezunt,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel,
          (Wangenheim). Nr. 94. 97. 100. 102. 105.
          (Hohenlohe). Nr. 155. 162.
      „  Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 8. 12. 109. 156.

    Kais. türkische Botschaft, Berlin,
      an Norddeutsche Allgemeine Zeitung. Nr. 202, Anlage.

    Kais. und Königl. Vertreter in Tiflis,
      an den österreichischen Minister des Äußern. Nr. 425.

    Königl. Preußische Gesandtschaft, München,
      an Reichskanzler Grafen v. Hertling. Nr. 406.

    von Kühlmann, Staatssekretär, Bukarest,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 378.

    Künzler, Jacob, Urfa,
      Das Hilfswerk in Urfa und Umgebung. Anhang Nr. 5.

      an Deutsches Konsulat, Aleppo. Nr. 226, Anlage 1. 234, Anlage.
          290, Anlage. 334. 335. 338. 339, Anlage.


    Militär-Kommissariat, Aleppo,
      an Bagdadbahn. Bauabteilung III. Nr. 166.

    Militärmission, Deutsche, Konstantinopel,
      an Kais. Deutsche Botschaft (Radowitz). Nr. 307, Anlage.

    Missionsausschuß der Generalversammlung der Katholiken
         Deutschlands,
      an Reichskanzler Bethmann v. Hollweg. Nr. 197, Anlage 2.


    Nachrichten aus Kaukasisch-Armenien. Nr. 408. 421, Anlage.

    Neukirch, Dr. (Rote-Kreuz-Expedition), Erzindjan,
      an Auswärtiges Amt. Nr. 192, Anlage.

    Notstandswerk, Urfa, Bericht über das --. Anhang Nr. 5.
      an Kais. Konsulat, Aleppo. Nr. 290, Anlage. 334. 335. 338. 339,
        Anlage.

    Nury Pascha, General,
      an Kais. Deutsche Delegation im Kaukasus. Nr. 442, Anlage 6.


    Österreichers, Aufzeichnung eines --. Nr. 137, Anlage I.

    Orient- und Islamkommission des Deutschen evangelischen
        Missionsausschusses, Berlin,
      an Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 336.
      „  Reichskanzler Graf Hertling. Nr. 370.

    Ottomanische Vertretung, Tiflis,
      an Kais. Deutsche Delegation im Kaukasus, Tiflis. Nr. 442,
         Anlage 5.


    Patriarch, armenischer, Erzbischof Zaven,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 101. 103. 214.

    Parteivorstand der sozialdemokratischen Partei Deutschlands,
         Berlin,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 363.

    Peet Mr. W. W. Treasurer of American Missions in Turkey,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 67.

    Pforte, die (Ministerium des Äußern)
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 218, Anlage. 272.

    Publication aux Wilajets. Nr. 226, Anlage 2.


    Reichskanzler v. Bethmann Hollweg,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 197.
      „  Direktor der Evangelischen Missionshilfe. Nr. 198.
      „  Erzberger, Matthias, M. d. R., Berlin. Nr. 199.

    Richtlinien zu Verhandlungen mit der Transkaukasischen Republik
      Batum. Nr. 387. 410.

    Rohner, Schwester Beatrice, Aleppo,
      an Kais. Konsulat, Aleppo. Nr. 274, Anlage. 302, Anlage 2.
      „  Schweizerisches Hilfswerk für Armenien. Nr. 263, Anlage 1.

    Rohrbach, Dr. Paul, Berlin,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 266.


    Sahak, Katholikos von Cilicien,
      an armenischen Patriarchen, Konstantinopel. Nr. 34.

    Schäfer, Schwester Paula, Marasch,
      an Kais. Konsulat, Aleppo. Nr. 262, Anlage 2.

    Schweizerisches Hilfswerk für Armenien,
      an Kais. Deutsche Gesandtschaft, Bern. Nr. 239. 249.
      „   „      „            „        Aleppo. Nr. 263.
      „   „      „            „        Damaskus. Nr. 263, Anlage 3.

    Senatsverhandlungen im Oktober und November 1915. Bericht über --.
      Nr. 223.

    Shepard, Dr., Aintab, an Amerikanisches Konsulat, Aleppo. Nr. 25,
      Anlage 1.

    Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Parteivorstand der --,
      an Auswärtiges Amt, Berlin. Nr. 363.

    Staatsdepartement Washington
      an Kais. Deutsche Gesandtschaft, Washington. Nr. 252, Anlage.

    Stange, Oberstleutnant, Erzerum,
      an Deutsche Militärmission, Konstantinopel. Nr. 149.


    Talaat Pascha, Großwesir,
      an Kais. Deutsche Botschaft, Konstantinopel. Nr. 157. 160, Anlage
         1. 2. 3.

    v. Tyszka, Konstantinopel, Die türkischen Maßregeln zur Vernichtung
      der Armenier. Nr. 176.


    Vertreter der evangelischen Kirche Deutschlands, Berlin,
      an Reichskanzler v. Bethmann Hollweg. Nr. 197, Anlage 1.


    Woodley, Mr. E. C., Missionar, Marasch,
      an Kais. Konsulat, Aleppo. Nr. 25, Anlage 2. 188, Anlage 3.



Namenregister.


    Abdul Hamid, 20, 42, 105, 157, 313, 320.

    Abdul Kerim Pascha, Vertr. d. Osman. Kaiserr., 448, 450.

    Abdul Khalik Bey, Mustapha, Wali v. Bitlis, 14.

    Abdur-Rezak Bey, Bedr Han, 20, 114.

    Abraham, Apotheker in Urfa, 225.

    Abuhajatian, Dr., Arzt in Aleppo, 231, 232.

    Adonz, Nicolai, 379.

    Agathon Bey, 360.

    Aharonian, 405, 413, 414, 417.

    Ahmed Riza Bey, Senator, 216, 217, 218.

    Ainslie, Sekr. d. amerik. Mission i. Marasch, 173.

    Akimowitsch, russischer Konsul i. Wan, 20.

    Aknuni, 85, 93, 252.

    Ali Munif Bey, 151.

    Ali Ihsan Pascha, Kommandeur d. IV. Korps, 383, 432.

    Ali Pascha, russischer General, 446.

    Ali Suad Bey, Mutessarif von Der-es-Zor, 255, 284, 492, 493.

    Anders, Vizekonsul, Kaiserl. Konsulat Erzerum, 6, 8, 11, 13, 15,
      16, 18, 20, 388.

    Andranik, 396, 425, 433, 435.

    Andreasian, Digran, 466, 467.

    Apell, Frau, 163.

    Aram, 472, 474, 477, 478, 480, 484.

    Aristidi Pascha, 218.

    Aschwerdian, General, 423.

    Axenfeld, D. Karl, Missionsdirektor, 188, 320, 331, 341, 345, 357,
      358, 359, 371.

    Aziz Bey, Minister des Innern, 137.


    Bachem, Justizrat Dr. jur., 190.

    Baden, Prinz Max von, 436, 438, 440.

    Balakian, 107.

    Ballikli, 12.

    Baßri Bey, Oberstleutnant, 447.

    Beadetian, arm. Bischof in Erzerum, 11, 52, 70.

    Bedri Bey, Polizeipräfekt, 163.

    Belekdjian, Regiedirektor, 385.

    Benedict XV., Papst, 164, 280, 373.

    Berckheim, 394, 427.

    Bergfeld, Dr., Kaiserl. Konsul i. Trapezunt, 17, 22, 89, 90, 92,
    94, 101, 144, 145, 150.

    Bernau, amerik. Konsul Aleppo, 319.

    Bernstorff, J. H., Graf, 248, 363, 364, 368, 371, 373, 375, 377,
      380, 381, 382, 383, 384, 389, 392, 414, 416, 420, 427, 431.

    Beschir-Sami Bey, Wali von Aleppo, 129.

    Bethmann Hollweg, Reichskanzler, 5, 16, 17, 19, 22, 24, 25, 26, 29,
      30, 35, 36, 37, 44, 51, 59, 60, 64, 65, 75, 84, 96, 98, 101, 103,
      104, 112, 115, 127, 129, 132, 145, 148, 152, 156, 163, 168, 171,
      179, 181, 183, 189, 191, 192, 194, 196, 199, 200, 202, 203, 204,
      205, 206, 208, 210, 212, 230, 231, 233, 235, 236, 238, 239, 241,
      246, 249, 250, 251, 257, 258, 265, 268, 269, 271, 272, 277, 282,
      283, 284, 287, 289, 295, 296, 298, 299, 300, 301, 302, 309, 315,
      319, 322, 329, 331, 339, 341, 343, 346, 348, 350, 353.

    Beygian, Heigasun, Beirat für Landwirtschaft, 18.

    Biegel, Georg, Mittelschullehrer in Konia, 135.

    Bischof von Aleppo, 50.

      „      „  Beirut, 267.

      „      „  Ersindjan, 138, 140.

      „      „  Kaissarie, 212.

      „      „  Smyrna, 160, 300.

      „      „  Wan, 53.

    Blank, Missionar in Marasch, 39, 43, 45, 65, 66, 170, 172, 173, 357.

    Blehr, Sekretär, 29.

    Bodil, Björn, 181.

    Boghos Nubar Pascha, 6, 132, 360.

    Bond, Miß, 474, 480.

    Bosnakian, Bataillon-Chef, 407.

    Bosnakian, Offizierstellvertreter, 407.

    Braun, von, 324.

    Brode, Dr., 276.

    Brokelmann, Oberstabsarzt, 446.

    Bryce, Lord, 314, 315.

    Büge, Dr., Kaiserl. Kons., Adana, 23, 32, 50, 73, 88, 151, 154,
      155, 209, 229.

    Bünte, Dipl.-Ingenieur, 346.

    Bürgermeister von Damaskus, 250.

    Burian, 392, 421.

    Bussche, v. d., Unterstaatssekretär, 357, 367, 371, 373, 374, 377,
      378, 379, 380, 382, 411.


    Case, Dr., 77.

    Cassabian, Sackis, 333.

    Chatissian, Alexander, armen. Minister d. Auswärt., 418, 423.

    Christoffel, Pfarrer, 281, 353, 355.

    Chulussi, Bey, Polizeidir., Erzerum, 142.

    Chumadji, Farso, Bandenführer, 468.

    Churschid Pascha, 56.

    Claren, Mc., Missionarin, 474, 475, 482.

    Cramon, von, General, 427.

    Crewe, Lord, 172.

    Cromer, Lord, 171.


    Dagavarian, Dr., 93.

    Danielian, Nerses, armen. gregor. Bischof von Aleppo, 21.

    Dassel, 446.

    David, Dr., 351, 352.

    Deißmann, D. Prof. A., 246.

    Derebey, 12.

    Didsun, 209.

    Dieckhoff, Legationsrat, 219.

    Djafaroff, Vertreter d. Aserbeidsch. Republik, 449.

    Djambulad Bey, 137, 427.

    Djamalian, 437, 438, 440.

    Djavid Bey, 363.

    Djelal Bey, Wali von Aleppo, 38, 44, 81, 87, 108, 193.

    Djelaleddin, Kurdenscheich, 468.

    Djemal Pascha, Kommandant der IV. Armee, 37, 42, 45, 57, 73, 74,
      80, 89, 91, 97, 98, 109, 126, 141, 142, 143, 144, 146, 150, 151,
      159, 178, 179, 201, 202, 204, 224, 228, 232, 234, 250, 251, 257,
      258, 260, 265, 269, 270, 272, 273, 274, 275, 278, 300, 319, 328,
      357, 358, 359.

    Djevdet Bey, Mutessarif von Hakkiari, Wali von Wan, 19, 20, 51,
      470, 471, 475, 477, 478, 480, 481, 483.

    Djurassian, Ephraim, Pater, 500.

    Dolci, Msgr., 164, 204, 211, 373, 374, 405, 411.

    Doumergues, 267.

    Dryander, Exzellenz, Berlin, 355.


    Elbigajoon, Mattheos Effendi, bish. Präsident d. Bidajat Mehkeme in
      Wan, 18.

    Eckart, Franz, Urfa, 129, 131, 244.

    Edhem Bey, 162.

    Ehmann, Johannes, Pfarrer, Leiter des deutschen Waisenhauses in
      Mamuret ul Aziz, 62, 74, 75, 86, 90, 153, 206.

    Ehmann, Frau, 316.

    Eisenmann, 435.

    Elgoot, P. G., Oberst, 467.

    Enver Pascha, 72, 79, 80, 81, 122, 123, 126, 160, 161, 174, 175,
      182, 201, 202, 219, 229, 236, 241, 257, 277, 279, 280, 313, 316,
      373, 377, 380, 381, 384, 385, 389, 393, 394, 415, 416, 418, 419,
      421, 425, 429, 431, 433, 434, 443.

    Ephrem, Katholikos, 7.

    Ephremoff, ’sches Regiment, 407.

    Erzberger, M. d. R., 190, 191, 204, 236, 237, 241, 268, 269, 350,
      351, 352.

    Erzbischof von Angora, 148.

    Eskidjian, Prediger in Aleppo, 260, 272.

    Essad Pascha, Batum, 403, 408, 412, 423, 430, 432, 433, 434.

    Eyub Bey, 81.


    Fakhri, Pascha, General, 38, 82, 164, 177, 199, 233.

    Falkenhayn, von, General, 174, 175, 279.

    Favre, Leopold, Vertreter d. Schweizerischen Hilfswerkes f.
      Armenien, Basel, 237, 282, 355, 357.

    Fehmy, Hassan Bey, 158.

    Fermanian, Mr., Direktor, der armen. Rote-Kreuz-Gesellschaft, 467.

    Fomin, Kusma, Militärbeamter, 407.

    Fossum, amerik. Missionar, 307.

    Fowle, L. R., American Bible House, Konstantinopel, 345, 347, 348,
      350, 355, 357, 499.

    Frankenstein, von, Frhr., 410, 423, 424, 425, 432, 433, 434.


    Geißler, Generalkonsul, Genf, 283.

    Goeppert, Geheimer Legationsrat Dr., 146, 299, 310, 313, 314, 388.

    Gözubügian, Astik, Effendi, i. Stabe von Hoff Bey, 18.

    Goltz, von der, Generalfeldmarschall, 161, 218, 238, 306, 438, 440.

    Grages, Therapia, 275.

    Graeter, Dr. phil., Realschule Aleppo, 167, 300.

    Greenfield, Dr., stellv. Vorsitzender d. deutsch-armenischen Ges.,
      359.

    Gregor, d. Erleuchter, 5.

    Günther, Generaldirektor, 453, 454.

    Guthe, H., Prof. D. Dr., 246.

    Gwinner, H. von, 274, 275.


    Hadji Adil Bey, Wali von Adrianopel, 156.

    Haidar Bey, Wali von Mossul, 306, 308, 338.

    Haidar Pascha, Mutessarif von Marasch, 38, 39, 54.

    Hajak, 85, 93, 252.

    Hakki Pascha, 192.

    Halil Bey, Mutessarif von Ersindjan, 60.

    Halil Pascha, Oberkommandierender der III. Armee, 67, 305, 384,
      432, 433, 434, 435, 441, 443, 446, 447, 471.

    Halil Bey, Minister des Äußern u. Kammerpräsident, 93, 96, 127,
      174, 175, 180, 192, 199, 201, 202, 204, 208, 211, 223, 228, 229,
      239, 249, 264, 269, 270, 271, 277, 280, 293, 294, 306, 308, 313,
      314, 368, 373, 376.

    Hamamdjan, Agop, Zivilinspektor im Ministerium des Innern, 157.

    Hanauer, deutscher Missionar in Damaskus, 250, 335, 336.

    Hartmann, Major, 446.

    Hassan Fehmy Bey, Direktor im Ministerium des Innern, 158.

    Hertling, Graf, Reichskanzler, 364, 371, 376, 383, 404, 405, 421.

    Hilmi Bey, Platzkommandant in Bitlis, 14.

    Hilmi Bey, Mitglied d. Komitees f. Einheit u. Fortschritt, 142.

    Hindenburg, deutscher Oberstkommandierender, 160, 394, 416, 418.

    Hintze, Staatssekretär, Berlin, 415, 420, 428, 430.

    Hoff Bey, Generalinspektor in Ostanatolien, 18, 19, 29.

    Hoffmann, Adolf, Pastor in Genf, 282.

    Hoffmann, Kaiserl. Konsul, Alexandrette, 32, 164, 169, 291, 293.

    Hohenlohe-Langenburg, Fürst, Botschafter in außerordentl. Mission,
      112, 115, 116, 121, 125, 126, 127, 132, 134, 138, 143, 148, 149,
      152, 153, 154, 155, 156, 161.

    Hoissich, Sekretär i. armen.-kath. Patriarchat, 146.

    Holstein, Kaiserl. deutsch. Konsul, Mossul, 67, 73, 82, 83, 102,
      103, 104, 107, 114, 132, 152, 174.

    Hornblower, William, C. Mr., Organisator des Lagers in Port Said,
      467.

    Hosep, Apothekergehilfe, 233.

    Howsep, Daschnakzagan, 472.

    Huber, Realschuldirektor, Aleppo, 167.

    Hüsni Pascha, 217.

    Hüssein-Hussin, Kaimakam von Zeitun, 53, 55.

    Huguenin, Direktor d. Bagdadbahn-Ges., 454.

    Humann, Korvettenkapitän, 122.

    Hussein Kasim Bey, vormaliger Wali von Salonik u. Aleppo, 273, 274,
      334.


    Ihsan Pascha, Kommandant d. 34. Div., 13, 14.

    Ischchan, Daschnakzagan, 52, 58, 68, 472, 475.

    Iskuhi, Andreasian, 466.

    Israfil-Begh, Anführer einer tatarischen Horde, 395, 398.


    Jackson, Jesse B., amerik. Konsul, Aleppo, 44, 174, 464, 497.

    Jagow, Dr., von, Staatssekretär, Ausw. Amt Berlin, 192, 200, 266.

    Janson, Heinr., Werkmeister in Konia, 135.

    Januschkewitsch, 267.

    Jenny, Schwester, 317.

    Jensen, Anna, Schwester, 328.

    Jeppe, Karen, Missionarin, 494.

    Johansson, Alma, Schwester i. Waisenhaus Musch, 180, 181, 182, 315.

    Joffe, franz. Oberstkommand., 414.

    Jonesku, Take, rumänischer Minister des Innern, 159.

    Jussuffian & Cassabian, Firma i. Mersina, 333.


    Kaimakam, von Ardjesch, 480.

       „       „  Midiat, 104.

    Kara Biber Bey, erster Departementschef d. Wali v. Smyrna, 303.

    Karabed, Bischof in Etschmiadsin, 7.

    Karapetian, Festungsoffizier von Kars, 406.

    Karekin, Apotheker in Urfa, 226.

    Kartschikian, Chatschatur, Finanzminister, 423.

    Kathrine, Schwester, 317.

    Katschasnuni, Ruben, Ministerpräsident, 423.

    Katholikos von Aghtamar, 288.

        „       „  Eriwan, 420.

        „       „  Sis, 6, 50, 82, 83, 93, 108, 288.

    Kayajan, Prof., Sekretär d. armen. Rote-Kreuz-Ges., 467.

    Kemal, Ansiedlungskommissar in Jerusalem, 276.

    Kemal Bey, türk. Etappenoffizier, Oberst, 329.

    Kevork V., Surenian, Katholikos in Etschmiadsin, 5, 6, 132, 288,
      325, 326, 422, 423, 424, 426.

    Kharlawoff, Kommissar der provis. Regierung Rußlands, 361.

    Kiamel Pascha, Oberkommand. d. III. Armee, 113, 138, 142, 236, 385.

    Kiasim Bey, Oberst, Chef d. Stabes der V. Armee, 303.

    Kiazim, Ansiedlungskommissar, 275.

    Kjasim Bey, Gendarmeriehauptmann, 14, 15.

    Kirlakian, Hosep, Effendi, 42.

    Kirchenrat von Kars, 428.

    Kleiß, Martha, Schwester, 474, 475, 482, 483.

    Knapp, Miß, Bitlis, 474, 482.

    Köschkerian, Odschakli, 34.

    Konsulatsverweser in Urmia, 19.

    Konsul von Österreich-Ungarn, 101.

    Kotscharian, Sekretär d. armen. Delegation in Konstantinopel, 418.

    Kotot, Armenier von Wan, 472.

    Kreß, Freiherr von, General, 179, 202, 204, 232, 233, 260, 388,
      403, 404, 410, 414, 420, 421, 427, 428, 429, 431, 434, 435, 436,
      437, 438, 440, 447, 448, 449, 451.

    Kuckhoff, Kaiserl. Konsul Adana, Vizekonsul v. Samsun, 91, 104,
      106, 208, 229.

    Kühlmann, von, Kaiserl. deutscher Botschafter, 302, 304, 315, 320,
      322, 325, 326, 330, 348, 350, 351, 353, 363, 376, 377, 392, 393.

    Künzler, Jacob, Diakon in Urfa, 128, 223, 226, 232, 233, 244, 284,
      285, 339, 340, 342, 343.

    Kunze, Pastor, 250.


    Langenegger, Unteroffizier, 346.

    Langwerth von Simmern, stellv. Unterstaatssekretär, 393, 452.

    Lansing, Robert, amerik. Staatssekretär, 248.

    Lepsius, Dr. Johannes, 79, 85, 89, 92, 103, 122, 123, 188, 200,
      246, 254, 257, 266, 385, 499.

    Leslie, amerik. Missionar, 178, 179, 194.

    Liebl, Pater, 248.

    Liman von Sanders, Marschall, Kgl. Preuß. General der Kavallerie,
      301, 302, 303.

    Litten, Konsul, 234.

    Ljesnik, Arzt in Tiflis, 399.

    Loeschebrand, Hauptmann, 346.

    Lossow, von, Generalmajor, 275, 382, 383, 388, 394, 409.

    Loytved, Konsul in Damaskus, 144, 250, 257, 270, 274, 278, 281.

    Ludendorff, Generalquartiermeister, 393, 409, 427.

    Lyman, James K., Vize-Chairman, The American Mission in Marasch,
      173.

    Lyncker, deutscher Militärbevollmächtigter, 416.


    Mahmed Pascha, türkischer Parlamentarier, 218.

    Malumian, armen. Intellektueller, 252.

    Mantascheff, 406.

    Mar Schimun, Patriarch der Nestorianer in Kotschanes, 72.

    Marie, Schwester d. Deutschen Hilfsbundes f. christl. Liebeswerk im
      Orient, in Mamuret-ul-Asis, 316.

    Martha, Schwester im deutschen Waisenhaus in Wan, 474, 475, 482,
      483.

    Martin, amerik. college in Aintab, 348.

    Marukian, Aram, Minister des Innern der armenischen Republik, 423.

    Mattheos II, Ismirlian Katholikos, 7.

    Maurer, J. E., Dipl.-Ingenieur in Konia, 135.

    Maximow, russischer Konsul, 24.

    Mayr, Major in Baku, 441, 444, 446.

    Mehmed, Amin, Kurde, 469.

    Mehmed Ali Pascha, politischer Vertreter der Türkei, 435.

    Mehmed, Emir, Bandenführer, 468.

    Merril, Dr., Vorsteher d. amerik. collegs in Aintab, 49, 50, 173,
      348.

    Mesrop, armen. Bischof von Eriwan, ehemaliger Verweser d.
      Erzbistums Tiflis, 402, 403, 410.

    Mikusch, von, Major, 98.

    Miljukow, russischer Parlamentarier, 266.

    Minassian, Armenier, 85.

    Miran, Armenier, 472.

    Mordtmann, Kaiserl. deutscher Botschafter, Erzerum, 50, 52, 72, 76,
      77, 84, 92, 93, 107, 126, 136, 137, 182, 206, 209, 254, 286, 287,
      326, 344, 345, 347.

    Morf, Anatol. Bahngesellschaft, 274.

    Monahan, Mr., englischer Konsul in Erzerum, 386.

    Morgenthau, amerik. Botschafter, 167.

    Mrat Pascha, armen. Anführer, 382, 385.

    Mürzel Pascha in Güsdek, 442.

    Müller, Herm., M. d. R., 362.

    Mumtaz Bey, Mutessarif von Marasch, 38, 39, 40, 265.

    Murachas, Bischof von Diarbekr, 93, 98, 102.

    Musa Bey, Kurdenhäuptling, 14.

    Musa Kiazim Effendi, türk. Senator, 217.

    Mustapha Chalil Pascha, Gouverneur von Bitlis, 468.

    Mutessarif von Bajazid, 176.

        „       „  Cäsarea, 232.

        „       „  Eskischehir, 137.

        „       „  Marasch, 53, 55, 265.

        „       „  Mardin, 101.

        „       „  Musch, 12, 181, 470.

        „       „  Samsun, 105.

        „       „  Urfa, 129.

    Mutius, Botschaftsrat, Kaiserl. Geschäftsträger, 11.


    Nahié Mudir, 197.

    Nasariantz, Dr., Liparit, 46, 388.

    Nasim Bey, Generalstabschef Nuri Paschas, 441, 444.

    Nazareth Nor Aschkharian, Zeitun, 54.

    Nazareth Tschauch, Anführer der Deserteure von Zeitun, 21, 38, 39.

    Nazarbekoff, armen. Oberkommand., General in Tiflis, 406, 423.

    Nerses Danielian, armenisch-gregorianischer Bischof von Aleppo, 21.

    Nerses V, Katholikos, vormal. Erzbischof von Tiflis, 7.

    Nerses Garakian, armen. Erzbischof in Musch, 12.

    Nessimi Bey, 415.

    Neukirch, Dr., Arzt, d. Rote-Kreuz-Expedition in Ersindjan
      angehörend, 175, 176.

    Neurath, Kaiserl. deutscher Botschafter, 77, 106, 136, 163, 171,
      175, 180, 181, 183, 192, 208, 223, 228, 275.

    Niephage, Dr., Realschul-Oberlehrer in Aleppo, 167, 300.

    Nikolajeff, russischer General, 484.

    Nicolajewitsch, Nicolai, russischer Großfürst, 387.

    Nizami, Militärkommissar in Aleppo, 152.

    Nokhudian, Harutiun, Pastor, 459.

    Nureddin Bey, Oberkommandierender in Mesopotamien, 218.

    Nuri Pascha, Höchstkommandierender in Baku, 433, 434, 435, 441,
      442, 443, 444, 446, 447, 448, 451.


    Oeri, Dr. A., Sekretär d. Schweizer Hilfskomitees für Armenien,
      Basel, 238, 245.

    Ohandjanian, Dr. H., Bevollmächtigter d. armen. Regierung, 402,
      405, 408, 412, 417, 436.

    Omer Nadji, Generalinspektor d. türk. Komitee f. Einheit u.
      Fortschritt, 305, 306, 307.

    Oppenheim, von, Baron, 171.

    Ottomanischer Botschafter, Berlin, 127.

    Pallabech, Karapet, Bauer aus Urdap, 468.

    Pallavicini, Markgraf, österreichischer Botschafter, 392.

    Papasian, Wahan, Abgeordneter des Parlaments f. Musch, 470.

    Paraquin, Oberstleutnant, 441, 447.

    Parsighian, 107.

    Pasdirmadjan, Direktor der Ottomanbank, 52, 63, 70, 117, 387.

    Paskewitsch-Eriwanski, Statthalter, 7.

    Patriarch, katholisch-armenischer, 137, 146, 147, 207, 322.

    Patriarch, gregorianisch-armenischer, 23, 24, 25, 30, 34, 36, 46,
      49, 50, 52, 59, 63, 72, 84, 89, 92, 93, 122, 123, 151, 160, 184,
      229, 251, 275, 276, 287, 288, 322, 374, 454.

    Pawlas, Oberstleutnant, 433, 434.

    Peet, Mr., amerikanische Bibelgesellschaft in Konstantinopel, 75,
      76, 77, 271, 344, 345, 348, 350, 352.

    Pietschmann, Dr., 122.

    Posseldt, General, Kommandant d. Festung Erzerum, 51, 52, 70, 117.

    Prigge, Major, 303.


    Rade, D., Prof., Marburg, 246.

    Radowitz, Kaiserl. deutscher Botschafter, Therapia, 295, 296, 298,
      301.

    Rahmi Bey, Wali von Smyrna, 156.

    Raynolds, Mrs., 474, 482.

    Razim Bey, Kommissar, 469.

    Reschid Bey, Wali von Diarbekr, 102, 115, 281.

    Reuß, Prinz, 234.

    Riese, Geheimrat, 274, 275.

    Riza Bey, Senator, 216, 217.

    Rogers, Miß, 474, 479, 480, 482.

    Rohner, Beatrice, Schwester in Aleppo, 44, 232, 239, 258, 259, 261,
      265, 271, 272, 295, 296, 298, 319, 323, 324, 325, 326, 328, 329,
      331, 332, 344, 345, 346, 347, 348, 349.

    Rohrbach, Dr. Paul, 245, 246, 266.

    Romberg, Frhr. von, Kaiserl. deutscher Gesandter in Bern, 237, 240,
      244, 355.

    Rößler, Kaiserl. deutscher Konsul, Aleppo, 21, 34, 36, 37, 44, 50,
      61, 66, 67, 76, 81, 83, 87, 93, 97, 98, 112, 115, 116, 126, 129,
      133, 142, 143, 146, 151, 153, 154, 155, 156, 171, 172, 173, 179,
      194, 196, 199, 223, 225, 226, 228, 230, 231, 232, 233, 235, 239,
      244, 245, 249, 252, 257, 258, 259, 265, 270, 271, 276, 284, 285,
      286, 287, 295, 296, 300, 319, 325, 327, 329, 339, 343, 344, 346,
      347, 349, 356, 360, 383.

    Rosenberg, von, Geheimer Legationsrat, Auswärt. Amt, Berlin, 162,
      241, 323, 324, 350.

    Rostom, Effendi, Führer der Daschnakzagan in Erzerum, 387.

    Ruben, Effendi, Führer der Daschnakzagan in Musch, 12, 13.

    Ruhi Bey, Generalstabshauptmann, 14.

    Russel, Miß, 467.


    Sahak, Katholikos von Cilicien, 57.

    Said Halim Pascha, Großwesir, 59, 96, 127, 146, 164, 203, 207, 294,
      320, 324, 340, 363, 373, 374, 376, 377, 379, 380, 384, 393, 413,
      414, 415, 451.

    Saldschian, 33.

    Sartarian, Daschnakzagan, 252.

    Sassonow, Präsident der russischen Duma, 123.

    Sawriew, Dr., Johannes, Bevollm. d. armen. Nationalrates,
      vereidigter Rechtsanwalt, 379.

    Sbordone, Signore, italienischer Konsularagent, 478.

    Schacht, Oberstabsarzt, Dr., 195.

    Schade, Dr., Vertr. d. Vereins vom heiligen Lande, 352, 353.

    Schäfer, Paula, Schwester in Marasch, später Aleppo, 259, 260, 272,
      345, 357.

    Schahinjian, Krikor, Effendi, dem Stabe Hoff Beys zugeteilt, 18.

    Schakir Bey, Mitglied des Komitees f. Einheit u. Fortschritt, 142.

    Scheich von Maku, 19.

    Scherefian, beim deutschen Konsulat in Erzerum angestellter
      Armenier, 386.

    Scheubner-Richter, von, Kaiserl. deutscher Vizekonsul in Erzerum,
      31, 52, 53, 60, 61, 65, 71, 72, 73, 75, 80, 86, 88, 89, 91, 93,
      98, 107, 113, 118, 121, 125, 170, 180, 199, 305, 306, 309.

    Schewki Pascha, 432, 434.

    Schilkow, russischer Konsul in Bitlis, 14.

    Schiradjian, Haron, Prediger, 260.

    Schlimme, Unteroffizier, Erzerum, 94, 122, 139.

    Schmidt, Kaiserl. Konsul, Jerusalem, 150.

    Schreiber, A. W., Direktor der deutsch-evangelischen Missionshilfe,
      191, 324, 353, 357, 359, 360.

    Schuchard, Direktor des Hilfsbundes f. christl. Liebeswerk im
      Orient, 189, 206, 254, 323.

    Schulenburg, Graf, 245, 400, 406.

    Schulenburg, von der, Meta, deutsche Missionarin in Sautschbulag,
      307.

    Schwarz, Kaiserl. deutscher Konsul, Erzerum, 26.

    Seeckt, von, General, 367, 377, 379, 385, 416, 433, 434, 441.

    Seeger, Willy, Leiter der Anatol. Ind.- u. Hand.-Ges. m. b. H.,
      Fil. Konia, 135.

    Sekki Bey, Mutessarif von Der-es-Zor, 292, 293, 493.

    Selim Mullah, kurdischer Rebelle, 14.

    Servet Bey, Mutessarif von Musch, 182.

    Seyid Ali, Kurdenscheich, religiöser Führer, 13, 15.

    Seyfulla Bey, Abgeordneter f. Erzerum, Mitgl. d. Komitees f.
      Einheit u. Fortschritt, 142.

    Shepard, Dr., Aintab, 41, 44.

    Siamanto, Armenier, Konstantinopel, 252.

    Silliman, Miß, Vorsteherin der Mädchenschule bei der amerik.
      Mission, 474, 478, 479, 480, 482.

    Simais, belgischer Journalist in Tiflis, 387.

    Simko Bey, Kurdenscheich, 19, 20.

    Sinbad, Bischof in Erzerum, 6, 25, 52, 70, 72, 386.

    Smirnoff, Leutnant d. Ephremoffschen Regiments, 407.

    Sohraboff, Offizierstellvertreter, 407.

    Solighian, deutsches Konsulat in Erzerum, 386.

    Sommer, Oberlehrer, Berlin, 357, 358.

    Spee, Graf von, 301, 302.

    Spiecker, Marie, Missionarin in Aleppo, 167, 231.

    Spoerri, Prediger, Leiter des deutschen Waisenhauses in Wan, 65,
      74, 75, 473, 474, 475, 476, 477, 483.

    Stange, Oberstleutnant, 142.

    Steinwand, Pastor, Tiflis, 399.

    Stepan, Erzbischof, 287.

    Stier, Pfarrer, Marburg, 189, 246.

    Stockmann, Helene, Schulleiterin in Marasch, 41.

    Straubinger, Dr., Pater, 204, 205, 212, 248.

    Stumm, von, Auswärt. Amt, Berlin, 268, 324, 325, 428, 435.

    Suleiman Bey, Gendarmeriekommandant von Marasch, 35, 53.

    Sultan, Der, 164, 253, 289.

    Suraboff, A., Bevollmächtigter der armen. Regierung, 405, 412.


    Tachmisian, Wahram, Prediger, 233, 262, 334, 335.

    Tahir Pascha, Gouverneur des Wilajet Wan, 20, 482.

    Tahsin Bey, Wali von Erzerum, 16, 52, 70, 113, 176, 387.

    Talaat Bey, Minister des Innern, seit 1917 Pascha und Großwesir,
      29, 35, 36, 47, 51, 58, 59, 60, 67, 74, 76, 77, 78, 84, 86, 89,
      96, 99, 102, 107, 126, 127, 134, 136, 137, 142, 146, 147, 148,
      149, 150, 152, 154, 155, 156, 158, 159, 160, 163, 168, 202, 207,
      208, 212, 228, 236, 237, 239, 241, 249, 257, 264, 269, 277, 280,
      281, 295, 301, 313, 320, 321, 322, 325, 341, 348, 363, 368, 373,
      375, 377, 379, 380, 381, 389, 393, 414, 435, 436, 452, 470.

    Tarler, Mr., Amerik. Botschaft, 286.

    Tetter, Arzt in Tiflis, 399.

    Terzian, Msgr., Patriarch der katholischen Armenier, 243, 363.

    Tolstoi, J. J., Graf, 325.

    Toumanoff, Legationsrat, Tiflis, 438.

    Trdat, armenischer König, 5.

    Treutler, Kaiserl. Gesandter in Pleß, 174, 279, 405.

    Trommer, Oberst, kommandierender General in Smyrna, 303.

    Tschakrian Betros, Zeitun, 56.

    Tschernosuboff, russischer General, 387.

    Tschilinguirian, Roupen, Dr. med., 163.

    Tschilinguirian, Frau Dr., 163.

    Turian, armen. Patriarch in Konstantinopel, 6.

    Tyszka, von, 161.


    Uttermarck, Leutnant d. bayer. Jäger-Rgts., 15, 446.

    Usher, Dr., Chefarzt des Hospitals der amerik. Mission in Wan, 474,
      475, 476, 477, 479, 480, 482.


    Vischer, Dr., Andreas, Delegierter d. Schweizerischen Hilfswerkes,
      244, 250, 258, 259, 356.

    Vischer, Dr. Wilhelm, Vertreter d. Schweizerischen Hilfswerkes,
      237, 238.


    Wahan, Armenier, 472.

    Waldburg, Kaiserl. deutsche Botschaft, 331, 345, 347.

    Wali von Adana, 275.

     „    „  Aleppo, 142, 146, 153, 235, 257, 265, 284, 286, 328.

     „    „  Angora, 87, 352.

     „    „  Bitlis, 470.

     „    „  Damaskus, 144, 273.

     „    „  Diarbekr, 82, 104, 114.

     „    „  Erzerum, 87, 88, 89, 118, 119, 121, 139, 140, 142, 236,
               386.

     „    „  Harunijeh, 161.

     „    „  Mamuret-ul-Aziz, 206, 383.

     „    „  Mossul, 65, 67, 73, 104, 219.

     „    „  Siwas, 386.

     „    „  Smyrna, 300, 303.

     „    „  Trapezunt, 89, 90, 92, 94, 95, 99, 100, 101, 144, 145, 149,
               150, 385.

     „    „  Wan, 74, 75, 472, 473, 476, 478.

    Walidé Sultan, türkische Kaiserin, 54.

    Walker, Leutnant, Tiflis, 399.

    Wangenheim, Freiherr von, Kaiserl. deutscher Botschafter,
      Konstantinopel, 5, 6, 8, 13, 15, 16, 19, 21, 24, 25, 29, 30, 32,
      35, 36, 37, 49, 50, 51, 57, 58, 59, 60, 62, 63, 64, 65, 66, 67,
      71, 72, 74, 75, 76, 78, 79, 81, 84, 86, 87, 88, 89, 90, 96, 98,
      102, 103, 104, 113, 164, 167, 168, 170, 171.

    Wartkes Effendi, armen. Abgeordneter, 93, 107, 109, 156.

    Wehib Pascha, 245, 384, 385, 407, 432.

    Weli Pascha, Chef der Etappeninspektion, 179.

    Werth, Kaiserl. Konsulat Erzerum u. Siwas, 236, 276, 283.

    Werthmann, Prälat, Dr., Vorsitzender d. Zentralkomitees f. d.
      Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands, 190.

    Westenenk, Generalinspektor, 29.

    Winkler, Anatol. Bahngesellschaft, 274, 275.

    Wladimiroff, armenischer Regimentskommandeur, 407.

    Wolff-Metternich, Graf, Kaiserl. deutscher Botschafter, 192, 200,
      201, 202, 204, 205, 208, 210, 212, 213, 225, 228, 230, 231, 232,
      233, 235, 236, 238, 239, 240, 241, 244, 245, 247, 249, 250, 251,
      258, 265, 268, 269, 270, 271, 272, 274, 275, 276, 277, 279, 280,
      282, 283, 287, 289, 296.

    Woodley, E. C., Chairman b. d. amerik. Mission in Marasch, 45, 170,
      172, 173.

    Woronzoff-Daschkoff, russischer Statthalter, 7.

    Wramian, armen. Deputierter von Wan, 68, 92, 472, 474.


    Yarrow, Mrs., Wan, 474, 475, 479.


    Zaven, Msgr., armen.-gregor. Patriarch in Konstantinopel, 53.

    Zarterian, Chefredakteur des Azadamart, 85, 93.

    Zimmer, Dr., Max, 107.

    Zimmermann, Unterstaatssekretär, 85, 92, 136, 147, 155, 170, 201,
      204, 205, 239, 240, 243, 247, 254, 294, 310, 320, 341, 351, 352.

    Zeki Pascha, 386.

    Zekki Bey, Mutessarif von Der-es-Zor, 493.

    Zohrab, Rechtsanwalt, Konstantinopel, armen. Abgeordneter, 93, 107,
      109, 156.

    Zollinger, Kaufmann, Aleppo, 244, 345, 346, 347, 348, 349.



Ortsregister.


    Abu Hrere, 197, 255, 261, 490.

    Achalkalaki, 383, 389, 390, 405, 408, 410, 412, 415, 417, 418, 420.

    Achlat, 181.

    Achalzich, 384, 389, 390.

    Adabazar, 123, 134, 328.

    Adana, 23, 32, 34, 47, 50, 53, 56, 73, 76, 79, 81, 86, 88, 94, 97,
      111, 125, 137, 138, 146, 147, 148, 149, 151, 153, 154, 155, 185,
      209, 229, 234, 258, 261, 297, 465.

    Adiaman, 108, 129, 130, 297, 497.

    Adrianopel, 156, 248, 264.

    Afiun-Karahissar, 271.

    Agdschemak, 469.

    Agantz, 480.

    Ain-Isse, 342.

    Aigestan, 484.

    Aintab, 41, 44, 49, 61, 64, 85, 108, 114, 146, 171, 173, 212, 213,
      223, 228, 235, 242, 249, 255, 264, 331, 332, 348, 349, 458, 460.

    Airan, 274.

    Ajasch, 163, 252.

    Akheterin, 234.

    Akstafa, 425.

    Ala Kaia, 43.

    Alabasch, 82, 83.

    Alaschgerd, 47.

    Albistan, 82, 83, 84, 465.

    Aleppo, 21, 34, 35, 38, 40, 41, 47, 61, 79, 81, 87, 93, 98, 109,
      110, 116, 125, 126, 129, 133, 135, 136, 143, 147, 148, 149, 150,
      153, 155, 156, 159, 178, 179, 187, 191, 193, 196, 199, 202, 204,
      207, 212, 213, 228, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 239, 240, 242,
      243, 244, 248, 249, 250, 252, 254, 255, 256, 257, 258, 261, 262,
      264, 265, 268, 269, 270, 272, 273, 274, 276, 280, 281, 284, 286,
      287, 289, 290, 295, 297, 319, 323, 324, 327, 329, 331, 332, 334,
      340, 341, 345, 347, 348, 352, 356, 357, 358, 360, 363, 464, 494,
      497, 499.

    Alexandrette, 33, 108, 156, 179, 464, 480.

    Alexandrien, 177.

    Alexandropol, 383, 384, 388, 389, 390, 394, 405, 406, 417, 419,
      423, 424, 425, 429, 434.

    Allahwerdi, 406.

    Amanus, 274, 277, 279, 330.

    Amadia, 72, 83.

    Amasia, 107.

    Angora, 85, 87, 122, 137, 138, 146, 147, 148, 149, 152, 159, 163,
      242, 248, 249, 252, 267, 269, 270, 271, 280, 281, 297, 350, 351,
      352, 353.

    Anta, 261.

    Antiochia, 108, 177, 197, 458, 459, 460, 461, 462.

    Arab Punar, 129, 131, 225.

    Arakeloz, Kloster, 470.

    Araxestal, 253.

    Ardahan, 121, 376, 378, 379, 388, 390, 391, 394, 435, 469.

    Ardanus, 121.

    Ardjesch, 473, 480.

    Armedan, 469.

    Armavir, 407.

    Aschagha-Maral, 406.

    Aschagha-serail, 417.

    Aschkalé, 118.

    Aserbeidschan, 162, 305, 387, 406, 409, 414, 420, 421, 423, 424,
      425, 435, 437, 438, 440, 449, 451, 471.

    Atabey, 107.


    Bab, 82, 83, 129, 228, 232, 234, 235, 255, 261.

    Bagdad, 79, 152, 196, 218, 234, 253, 283, 284, 331, 385, 453, 493.

    Bagtsche, 274.

    Bajazid, 114, 383.

    Baktschedjik, 136.

    Baiburt, 98, 101, 117, 118, 121, 122, 139, 140, 159.

    Baku, 375, 389, 390, 406, 418, 419, 420, 430, 437, 438, 439, 440,
      441, 442, 445, 446, 447, 448, 449, 450.

    Bakuriani, 405, 410.

    Baladschari, 441, 446.

    Balikesri, 328.

    Basardjik, 259.

    Basel, 237, 259, 343, 356.

    Basra, 160.

    Batum, 375, 379, 380, 381, 384, 385, 388, 389, 390, 391, 394, 400,
      403, 408, 409, 411, 419, 421, 422, 424, 430, 433, 434, 435, 451,
      452.

    Baschkalé, 65.

    Beilan, 108, 110.

    Beirut, 250, 331, 333, 357, 358.

    Bern, 237, 240, 244, 258, 352, 355, 452.

    Beytias, 459.

    Besowa, 340.

    Biredjik, 108, 255, 332, 497.

    Bitlis, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 20, 31, 46, 47, 48, 57, 59, 72, 92,
      109, 141, 180, 181, 245, 262, 305, 306, 387, 468, 470, 472, 474,
      482, 483, 484.

    Boghr, 114.

    Bolnis-Chatschin, 395, 396, 397, 398.

    Bolnis-Kapanaktschi, 395, 396.

    Bortschalu, 406, 417.

    Bosporus, 60, 185.

    Bozanti, 135, 179.

    Brest, 368, 375, 376, 379, 381, 384, 390, 391, 393, 402, 412, 413,
      414, 418, 421, 426, 428, 429, 430, 436, 451, 452.

    Brussa, 99, 159, 248, 297, 496.

    Buchara, 14.

    Bukarest, 373, 374, 375, 377, 379.

    Bulanik, 181.

    Burnabad, 303.

    Buseir, 346.


    Cäsarea (Kaisarié), 212, 232, 264.

    Cairo, 457.

    Calcedon, 5.

    Chiankichub, 12.

    Chinist, 12.

    Chisek, 12.

    Chizan, 13.

    Chope, 385.

    Chuit, 13.


    Damaskus, 57, 126, 144, 169, 232, 233, 250, 256, 257, 258, 261,
      262, 269, 270, 273, 278, 279, 281, 291, 331, 334, 336.

    Dardanellen, 60, 99, 159, 161.

    Darkoch, 407.

    Darvala, 402, 403.

    Deraa, 273, 276, 278, 281.

    Der Hafir, 319.

    Der-es-Zor (Zor), 80, 84, 114, 148, 156, 159, 168, 195, 196, 198,
      204, 226, 228, 232, 234, 255, 262, 272, 273, 281, 284, 289, 290,
      292, 293, 458, 486, 489, 492, 493.

    Dersim, 17, 95.

    Diarbekr, 20, 62, 63, 64, 82, 83, 84, 90, 93, 97, 98, 100, 103,
      104, 108, 109, 110, 112, 114, 128, 131, 148, 152, 156, 177, 193,
      224, 225, 281, 284, 297, 364, 383, 465, 472.

    Dilidjan, 417, 418.

    Dilman, 471.

    Djebel el Ahmar, 459.

    Djebel Sindschar, 114, 346.

    Djerabulus, 98, 108, 332.

    Djezireh, 103, 152, 155, 168.

    Djeziret-ibn-Omar, 115.

    Djulamerk, 65.

    Dörtjol, 32, 33, 34, 47, 48, 66, 67, 82, 83, 465.

    Dorpat, 403.

    Dschelal Ogly, 395, 396, 399.

    Dschulfa, 384, 389, 390, 394, 413, 416, 419, 430, 434.

    Dur-e-Schuer, 333.

    Duschet, 408.


    Elchotowo, 408.

    El Hammam, 292.

    Elisabethpol, 389, 390, 407, 418.

    Entilli, 274.

    Ephesus, 5.

    Eregli, 135, 149, 212, 233, 281.

    Eriwan, 383, 389, 390, 402, 403, 406, 407, 410, 417, 418, 419, 421,
      422, 423, 424, 425, 430, 432, 434, 435.

    Erzerum, 5, 6, 11, 16, 20, 23, 24, 25, 46, 47, 50, 51, 52, 57, 58,
      63, 64, 68, 69, 70, 72, 76, 77, 78, 79, 80, 84, 86, 90, 91, 94,
      95, 98, 99, 101, 107, 109, 113, 117, 118, 119, 125, 128, 138, 139,
      140, 141, 142, 147, 148, 161, 169, 176, 180, 209, 259, 262, 297,
      307, 308, 372, 384, 385, 386, 387, 473.

    Erzindjan, 60, 85, 86, 94, 95, 98, 100, 113, 117, 118, 122, 138,
      140, 175, 176, 245, 382, 385, 386.

    Eskischehir, 135, 136, 137, 149, 212, 254, 265, 271, 281.

    Etschmiadsin, 5, 7, 405, 423.

    Euphrat-Brücke, 117.

    Everek, 64.


    Feihschahbur, 103, 107.

    Frankfurt a. M., 205, 254, 323.


    Gargar, 468.

    Garmudj, 226, 340.

    Gebian, 14.

    Genf, 282, 352, 355.

    Gensche, 442.

    Ghever, -Baschkalé, 67.

    Göksun, 465.

    Goms, 469.

    Gop, 181.

    Gürün, 465.

    Güsdek, 442.

    Güsel-Hissar, 22.

    Guzeldere, 13.


    Hadjin, 85, 209, 213, 465.

    Hakkiari, 19.

    Hamma, 159, 169, 261, 273, 291, 334.

    Hammam, 197, 255, 261, 283, 490.

    Harab-Naß, 225.

    Haram, 108.

    Haran, 340.

    Harunije, 147, 153, 161, 262.

    Hassanbeili, 49, 82, 83.

    Hauptquartier Tortum, 75.

    Hauran, 144, 159, 168, 273, 276, 334.

    Hayoz-Dzor, 472, 473.

    Hedjas, 144, 274, 334.

    Hesak, 306.

    Hirtsch, 472.

    Homs, 169, 291, 334.

    Hudawendigiar, 148, 149.


    Idlib, 82, 83.

    Igdir-Bayezid, 20, 383, 402, 403.

    Ineboli, 209.

    Islahije, 224, 234, 260.

    Ismid, 126, 134, 148, 149, 201, 281, 297, 328.


    Jerusalem, 143, 144, 146, 150, 233, 275, 278, 287, 289, 309, 357,
      358.

    Jalova, 159.


    Kaisarié (Cäsarea), 31, 63, 64, 148, 364.

    Kalat Scheddad, 346.

    Kaledjik, 163.

    Kalageran, 400.

    Karabagh, 421, 424, 425, 433, 435.

    Karahissar, 89, 123, 148, 149.

    Karahissar-Scharki, 281.

    Karaman, 135.

    Karakilissa (Karakliß), 394, 395, 400, 408, 411, 417, 418, 425, 434.

    Karassi, 148.

    Kars, 376, 378, 379, 384, 387, 388, 390, 391, 394, 405, 417, 418,
      419, 428, 429, 435.

    Kasach, 406, 417, 418.

    Kasbek, 407, 408.

    Kastamuni, 159.

    Katharinenfeld, 394, 395, 397, 398, 399, 411.

    Katma, 168, 179, 234.

    Kaza Narwan, 11.

    Kemach, 117, 118, 140, 386.

    Kerak, 144, 276, 334.

    Kerkuk, 263, 337.

    Kessab, 108, 110.

    Kharput, 16, 20, 75, 86, 95, 109, 117, 140, 181, 182, 297, 316,
      318, 364, 386.

    Khinis, 118, 180.

    Killis, 108, 114, 197, 228, 234, 235, 255, 261.

    Kischla Scheddade, 346, 446.

    Kizilwang, Kloster, 80.

    Konia, 66, 84, 134, 137, 148, 149, 209, 212, 231, 248, 249, 254,
      265, 271, 280, 293, 297, 328, 363, 457.

    Konstantinopel, 5, 21, 31, 79, 85, 92, 99, 100, 101, 127, 132, 136,
      142, 145, 156, 162, 179, 180, 185, 187, 191, 193, 194, 200, 201,
      202, 206, 207, 209, 213, 219, 228, 232, 233, 234, 239, 240, 241,
      247, 248, 249, 250, 253, 254, 264, 267, 271, 273, 276, 297, 298,
      301, 302, 305, 307, 322, 341, 352, 355, 357, 377, 384, 387, 389,
      391, 405, 408, 411, 414, 417, 418, 426, 432, 433, 444, 452, 487,
      493.

    Kotschanes, 72.

    Kriwan, 428.

    Kubelity, 390.

    Kumis, 407.

    Kutahia, 148, 149.

    Kut-el-Amara, 219.


    Lahidjan, 20.

    Lars, 407.

    Libanon, 8, 287, 319, 325, 328, 333.

    Liz, 181.

    Lordenzor, 12.

    Lori, 406, 408, 411, 418, 433, 434.

    Lyon, 361, 377.


    Maarra, 255, 261.

    Maden, 198.

    Malatia, 159, 353, 364.

    Mamachatun, 71, 94, 117, 139, 386.

    Mamuret-ul-Aziz, 16, 61, 74, 75, 86, 90, 94, 147, 148, 153, 181,
      316, 317, 383.

    Marasch, 21, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 49, 50,
      53, 54, 55, 56, 64, 65, 67, 76, 85, 107, 111, 114, 126, 133, 134,
      146, 147, 148, 153, 159, 170, 172, 173, 194, 197, 242, 248, 249,
      259, 260, 265, 280, 281, 295, 327, 329, 331, 332, 346, 347, 357,
      358, 458.

    Mardin, 20, 83, 102, 107, 109, 114, 115, 128, 201, 238, 383.

    Mar Jakub, Kloster in Jerusalem, 288.

    Membidj, 82, 83, 129, 232.

    Mersina, 6, 333, 465.

    Mesereh, 181, 182, 297.

    Meskene, 196, 234, 255, 261, 283, 284, 287, 290, 319, 486, 489, 490.

    Meya Farkin, 383.

    Midia, 99.

    Midiat, 104, 114, 115, 201, 238.

    Modikan, 12.

    Moskau, 378.

    Mossul, 67, 72, 79, 82, 83, 84, 98, 101, 102, 103, 104, 107, 114,
      115, 125, 132, 152, 156, 159, 174, 180, 218, 219, 255, 256, 258,
      262, 263, 273, 290, 293, 305, 306, 331, 337.

    München, 305, 405, 411.

    Musa Dagh, 459, 460, 463, 464, 467.

    Musch, 12, 14, 15, 16, 20, 47, 123, 141, 180, 181, 182, 314, 315,
      364, 387, 468, 469, 470.


    Nahr Dahab, 319.

    Nakhitschevan, 383, 421.

    Narwan, 11.

    Neubayazid, 417, 418.

    Nicäa, 5.

    Nigde, 148.

    Nicomedia, 136.

    Nisibin, 98, 114, 115.

    Nucha, 418.


    Odschakli, 33.

    Olti, 121.

    Osmanije, 32, 38, 56, 260, 262.

    Osni, 25.


    Päräz, 117.

    Pambak, 433, 434.

    Panderma, 303.

    Paschawank, 12.

    Passin-Ebene, 117.

    Phokia, 302.

    Peri, 383.

    Pertak, 383.

    Peswe, 20.

    Pischenk, 12.

    Pleß, 174.

    Port Said, 467.

    Poti 389, 394.

    Potsdam, 85, 200, 245, 252, 343, 499.

    Puta, 441.

    Pzank, 12.


    Radju, 168.

    Rajak, 179.

    Rakka, 108, 168, 224, 226, 318, 319, 332, 341, 342, 344, 490, 492,
      496, 497.

    Ras-ul-Ain, 109, 114, 224, 234, 252, 255, 256, 261, 262, 280, 281.

    Rize, 385.

    Rewanduz, 387.

    Rumkaleh, 108.


    Sabkha, 197, 198, 234, 255, 261, 283, 290, 319, 332.

    Sadarapat, 402, 403.

    Saida, 333.

    Sakaria, 123.

    Salmas-Ebene, 471.

    Samaria, 482.

    Samarkand, 14.

    Samsun, 99, 104, 105, 106, 208, 209, 229, 385.

    Sanain, 395, 408, 411, 434.

    Sansar, 117.

    Sarai, 481.

    Sarikamisch, 387, 469.

    Sassun, 12, 13, 182, 470.

    Sautschbulag, 20, 307.

    Schabin-Karahissar, 159.

    Schatakh, 12, 13, 51, 65, 472, 475.

    Schedadie, 346.

    Schuschanty, 480.

    Selencia, 459.

    Semga, 492.

    Siaret, 319.

    Sierrat, 492.

    Simek, 13.

    Sipikor, 94.

    Sis, 50.

    Siwas, 69, 94, 113, 118, 129, 148, 160, 181, 182, 232, 233, 276,
      281, 283, 297, 364, 387.

    Smyrna, 156, 160, 187, 193, 297, 298, 300, 301, 302, 303, 304.

    Soert, 14, 107, 114, 180.

    Sofia, 200.

    Stockholm, 362.

    Surb Karapet, Kloster in Musch, 314.

    Suedije, 177, 464.

    Suezkanal, 160.

    Suklouk, 108, 110.

    Suleimanijeh, 263.

    Surmalu, 405.

    Sur, 333.

    Surudj, 497.

    Susli, 497.


    Täbris, 20, 413.

    Tarsus, 56, 233, 465.

    Taurus, 135, 168, 279, 330.

    Tawdan, 16.

    Taworik, 12.

    Tekerek, 41.

    Tell Abiad, 108, 109, 131, 224.

    Tell-Ermen, 98, 111, 115.

    Terdjan, 84, 98, 119, 386.

    Termek, 209.

    Tewnik, 25.

    Therapia, 5, 16, 18, 19, 271, 272, 274, 275, 277, 280, 283, 287,
      288, 295.

    Tibne, 234.

    Tiflis, 5, 6, 7, 361, 384, 387, 389, 390, 394, 395, 396, 399, 402,
      403, 405, 406, 407, 408, 410, 411, 413, 417, 418, 420, 421, 423,
      427, 428, 430, 432, 435, 436, 437, 438, 440, 441, 442, 447, 448,
      449, 451.

    Tokat, 364.

    Tortum, Hauptquartier, 75.

    Trapezunt, 17, 22, 89, 90, 91, 92, 94, 95, 99, 100, 118, 121, 125,
      128, 139, 140, 144, 145, 147, 149, 150, 152, 160, 172, 176, 208,
      209, 305, 364, 377, 384, 385.

    Tschangri, 107, 163, 252.

    Tschorum, 252.

    Tyrus, 66.


    Unieh (Unijeh), 105, 209.

    Urdap, 468.

    Urfa, 97, 105, 110, 117, 118, 128, 129, 130, 131, 140, 143, 148,
      156, 164, 169, 171, 177, 192, 193, 195, 199, 223, 224, 225, 226,
      232, 233, 264, 284, 285, 319, 332, 339, 340, 341, 343, 387, 494,
      496, 497, 498, 499, 500.

    Urla, 303.

    Urmia, 19, 20, 419, 430, 471.


    Vartashabad, 5.


    Wladikawkas, 407, 417, 418.

    Wan, 16, 19, 20, 46, 47, 48, 50, 51, 52, 57, 58, 59, 60, 61, 62,
      63, 64, 65, 67, 68, 69, 70, 72, 74, 83, 92, 99, 117, 123, 125,
      141, 157, 158, 160, 176, 180, 245, 387, 470, 471, 473, 474, 475,
      477, 480, 481, 482, 483, 484, 485.

    Washington, 239, 247, 287.

    Wesne, 20.

    Wien, 389.

    Wostan, 51.


    Yarbaschi, 274.

    Yarpus, 465.

    Yughonoluk, 458, 459.


    Zab, 471.

    Zahle, 333.

    Zeitun, 21, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 48, 49,
      50, 53, 54, 55, 56, 61, 64, 65, 66, 67, 82, 84, 108, 135, 197,
      265, 457, 458, 465.



Sachregister.


    Ägypten 47. 138. 154. 193. 260. 302, Anlage 2.

    Amerika 13. 26. 44. 106, Anlage. 109. 131. 188 u. Anlage 2. 212.
      252, Anlage. 256. 258. 261. 262, Anlage 1. 263, Anlage 2. 274.
      283. 287. 293. 294. 298. 314. 315. 325. 330. 336. 342. 348. 350.
      351, Anhang S. 464. 481. Vgl. Aktenregister.

    Amerikanisches Bible House, Konstantinopel 256. 341. 348. 349. 350.
      351. 354. Vgl. Aktenregister.

    Amerikanische Botschaft, Berlin, Konstantinopel 27. 183. 220. 252.
      287. 293. Vgl. Aktenregister.

    Amerikanisches Konsulat, Aleppo 27. 263, Anlage 1. 292. 315. 327.
      335. 339, Anlage. 340, Anhang S. 464. 497. Vgl. Aktenregister.

    Amerikanische Mission 62. 64. 68. 143. 188. 188, Anlage 4. 193.
      202. 309. 330. 348. 351, Anhang S. 458. 460. 471. 473. 474. 475.
      485. 486. 494. 495. 498. 499. 500. Vgl. Aktenregister.

    Amerikanisches Staatsdepartement, Washington 252, Anlage. Vgl.
      Aktenregister.

    Amnestie 365. 369. 373. 374. 377. 378. 383. 384. 386. 427.

    Anatolien 26. 36. 106, Anlage. 116, Anlage. 132. 136. 136, Anlage.
      143. 179. 185. 197, Anlage 1. 209. 214. 215. 216. 217. 219. 223.
      230. 276. 278. 309. 328. 356, Anlage. 370. 444. Anhang S. 489.
      494. Ostanatolien 13. 26. 81. 132. 138. 315. 366. 372. 377.

    Araber, Beduinen, Schammar 120. 124. 154. 176. 203, Anlage. 246,
      Anlage. 260. 263, Anlage 4. 275. 297. 298. 309. 317. 333. 360,
      Anhang S. 459. 461. 465. 493. 495. 496.

    Armee-Oberkommando 129.

    Armenien 2. 5.

    Armenier, Gregorianische 167. 197, Anlage 1. 215. 246, Anlage. 263,
      Anlage 1. 302, Anlage 2. 327. 331, Anhang S. 467. 472.

    Armenier, Katholische 116, Anlage. 126. 134. 145. 146. 148. 152.
      160. 160, Anlage 1. 167. 169. 173. 197. 197, Anlage 1. 212. 219.
      220. 234. 246, Anlage. 260. 267. 272. 287. 302, Anlage 2. 306.
      353. 353, Anlage. 355. 356, Anlage. Anhang S. 472. 494.

    Armenier, Protestantische 116, Anlage. 134. 145. 146. 148. 150.
      151. 152. 158. 160, Anlage 1. 167. 169. 173. 197, Anlage 1. 215.
      220. 225. 233. 234. 246, Anlage. 260. 263, Anlage 1. 272. 274,
      Anlage. 287. 296. 302, Anlage 2. 356, Anlage. Anhang S. 494.

    Armenier in Deutschland 321.

    Armenische Delegation 416. 417. 418. s. Aktenregister.

    Armenische (gregorianische) Kirche 3. 296. s. Gregorianer.

    Armenische Loyalität 21. 26. 31. 149. 176. 178.
      -- Politik 3. 11. 13. 52. 401.
      -- Reformen 2. 3. 4. 9. 11. 13. 15. 16. 17.

    Armenische Notable und politische Führer:
      600 von Konstantinopel nach Ajasch und Tschangri verschickt
        36. 38.
      Einleitung S. XIX.
      -- Ermordet: Ischahan 33. und Anhang Nr. 3.
      Pasdirmadjian 31. 132. 149.
      Dschilingirian 179.
      Wramian 51. 101.
      Wartkes und Zorab 103. 119. 120.

    Armenisches Patriarchat s. Namenregister unter Patriarch.

    Armenische Wohltätigkeitsgesellschaft (Parekorsk, Zagan) 25. 47;
      vgl. Boghos Nubar Pascha, Namenregister.

    Aserbeidschansche Republik s. Aktenregister.

    Aufstände, armenische, s. Ortsregister unter Bitlis, Musch, Urfa,
      Schabin-Karahissar, Wan, Zeitun. Bestreitung aufrührerischer Pläne
      18. 25. 26. 27. 31. 38. 42. 47. 51. 53. 129. 193. 202. 309; vgl.
      Einleitung S. IX bis XV. LXVIII-LXXI und Anhang Nr. 1-3.


    Balkan 47.

    Belgien 348.

    Bulgarien 26. 176. 399.


    Chaldäer s. Syrer.

    Christenverfolgung, ohne Unterschied der Rassen und Konfessionen
    80. 96. 110. 112. 113. 115. 116. 124. 126. 165. 167. 174. 184. 282.
    318. 353.

    Cilicien 2. 34. 79. 82. 140. 143. 197, Anlage 1. 296.

    Cypern 19, Anlage. Anhang S. 465.


    Dänen 442, Anlage 1. Anhang S. 495.

    Daschnakzutiun, Daschnakzagan 9. 26. 38. 44. 82. 83. 101. 108. 187.
      258. 309. 393. 425. Anhang S. 472. 474. 475. 481.

    Deportation der armenischen Bevölkerung der Türkei s. Ortsregister
    unter:
      Aintab,
      Alabasch,
      Albistan,
      Alexandrette,
      Angora,
      Antakie (Antiochien),
      Arapuna,
      Abu-Hrere,
      Adabasar,
      Adana,
      Adiaman,
      Amasia,
      Adrianopel,
      Bab,
      Bagdad,
      Baiburt,
      Bagtscheschik,
      Beilan,
      Brussa,
      Cäsarea,
      Charput,
      Cilicien,
      Damaskus,
      Dera,
      Der es Zor,
      Diarbekr,
      Djerabulus,
      Djesiret,
      Dörtjol,
      Eregli,
      Erzerum,
      Ersindjan,
      Eskischehir,
      Feihschahbur,
      Garmutsch,
      Gueban,
      Hadschin,
      Hama,
      Hamam,
      Harunije,
      Hassanbeili,
      Hauran,
      Homs,
      Ineboli,
      Ismid,
      Khinis,
      Killis,
      Konia,
      Kaisarie,
      Karahissar,
      Katma,
      Kemach,
      Kesab,
      Meskene,
      Midia,
      Musch,
      Maara,
      Malatia,
      Mamachatun,
      Mamuret ul Asis,
      Marasch,
      Mardin,
      Membid,
      Mersina,
      Mesereh,
      Nisibin,
      Osmanije,
      Panderma,
      Passin,
      Rakka,
      Ras ul Ain,
      Samsun,
      Sassun,
      Schabin-Karahissar,
      Siwas,
      Smyrna,
      Soert,
      Suedije,
      Tarsus,
      Tel Abiad,
      Tel Ermen,
      Trapezunt,
      Unieh,
      Urfa,
      Zeitun.
      Vgl. Einleitung S. XXIII-XXV. XXXIX-XLII.

    Beschreibungen von Augenzeugen 137, Anlage I. 143. 149. 182. 193.
       195. 196. 203, Anlage. 226, Anlage 1. 235. 290. 297. 298. 338.
       345, Anlage. 379. 421, Anlage.

    Vorbereitende Maßnahmen, Aushebung, Entwaffnung und Degradation der
    Dienstpflichtigen 17. 21. 25. 27. 42.
      -- Verhaftung der Notabeln 36. 38.
      -- Ausführung durch türkische Zivil- und Militärbehörden 53. 59.
           60. 63. 100. 109. 120. 129. 130. 134. 149. 163. 167. 190.
           237. 260. 292. Vgl. Einleitung S. LIII. I. IV.
      -- Offizielle Begründung: Militärische Notwendigkeiten 71. 72.
           131. 178. 209. 215. 218.
      -- Kritik der Begründung 66. 73. 85. 90. 98. 120. 125. 149. Vgl.
           Einleitung LXVII-LXXI.
      -- Anstiftung von außen? 19, Anlage. 21. 25. 37. 215. 265. 323.
           324.
      -- Ansiedlung in Mesopotamien 69. 72. 154. 185. 203, Anlage. 238,
           Anlage. 298. 304. 317.
      -- Gleichbedeutend mit Massenmord 73. 75. 100. 102. 109. 114. 116,
           Anlage. 149. 237. 309.
      -- Massakers 78. 84. 108. 110. 118. 129. 130. 137. 257. 260. 287.
           297. 298.
      -- Folgen für die Türkei, moralische und politische 79. 88. 100.
           106. 116. 129.
      -- Wirtschaftliche Folgen 106. 116, Anlage. 123. 178.
      -- Militärischer Schade 98. 149. 164. 189. 193. 203. 276. 277.
           278. 282. 285. 286. 290. 306. 328. 422.
      -- Zustände in den Konzentrationslagern. Anhang S. 486. Anhang
           Nr. 4.
      -- Vernichtung als Zweck der Deportation 48. 52. 72. 80. 109. 116,
           Anlage. 120. 123. 129. 132. 140. 143. 149. 175. 176. 182.
           226. 230. 263. 275. 282. 287. 303. 306. 309. 378. 386. 393.
           Vgl. Einleitung  LXIII-LXVI.

    Motive, innerpolitische, der Deportation 25. 47. 80. 81. 106. 109.
      116, Anlage. 120. 123. 129. 132. 140. 149. 157. 160. 175. 176.
      182. 226. 230. 260. 275. 282. 287. 303. 306. 309. 376. 384. 419.
      Vgl. Einleitung S. LXXVI bis LXXX.

    Deutschlands angebliche Urheberschaft der türkischen Maßregeln gegen
    die Armenier 116, Anlage. 120. 188, Anlage 1,  2. 192, Anlage. 195.
    306. 318. 356, Anlage. Vgl. Einleitung S. LI.
      -- In der Türkei verbreitete Verleumdungen 133. 136. 182. 185.
           196. 209. 210. 365. 370.
      -- Im englischen Oberhaus erörtert 188.
      -- Einspruch Deutschlands bei der Pforte 144. 205. 210. 215.
      -- Dementierung der Pforte 210. 215. 245.
      -- Vorwurf eines türkischen Obersten 190.
      -- Mitwirkung einzelner Deutscher. Vgl. Einleitung S. LV-LVIII.
      -- Schutzmaßregeln deutscher Offiziere: v. d. Goltz 224.
      -- Liman v. Sanders 306. 307. 308.
      -- v. Lossow 276. 389. 392. 394. 399. 409.
      -- Kreß v. Kressenstein 193. 209. 210. 233. 234. 263, Anlage 1.
           394. 404. 405. 411. 417. 422. 424. 432. 434. 435, Anlage.
           438. 440. 441. 442. 442, Anlage 2. 3. 4. 5.
      -- Paraquin 442. 442, Anlage 1.
      -- v. Scheubner-Richter 226. 309.
      -- Schlimme 195. 130. 149.
      -- Posseldt 31. 52.
      -- Katharinenfeld 401. 413.
      -- Schädigung militärischer Interessen Einleitung S. LXI. 98. 149.
           164. 189. 203. 276. 277. 278. 282. 285. 286. 290. 306. 328.
           422.

    Deutsche Augenzeugen der Deportation s. die Berichte deutscher
    Konsuln im Aktenregister und Namenregister unter Blank, Bernau,
      Christoffel, Eckart, Ehmann, Huber, Niephage, Schäfer, Seeger,
      Spieker.
      -- Ebenda: Neutrale Zeugen im Dienst deutscher Gesellschaften:
           Johannsson.
           Künzler.
           Rohner.

    Deutsche Botschaft. Schritte bei der Pforte. Einleitung S. XXVI bis
      XXXIII. XXXVII. XXXVIII.

    Deutsche evangelische Gesellschaften s. Aktenregister unter:
      Deutsch-armenische Gesellschaft;
      Deutsche evangelische Missionshilfe;
      Deutsche Orientmission;
      Deutsche Orient-H.- und I.-Ges.;
      Deutscher Hilfsbund für christliches Liebeswerk im Orient;
      Notstandswerk, Urfa;
      Orient- und Islamkommission;
      Vertreter der evangelischen Kirche Deutschlands;
      Christoffel, J., Malatia;
      Ehmann, J. und Frau, Mamuret-ul-Aziz;
      Johannsson, Schwester, Musch;
      Künzler, J., Urfa;
      Rohner, B., Schwester, Aleppo;
      Schäfer, P., Schwester, Marasch.

    Deutsches Großes Hauptquartier, Kriegsministerium, Auswärtiges Amt
      276.


    England 19, Anlage. 26. 38. 47. 132. 176. 183. 188. 188, Anlage 2.
      265. 298. 393. 401. 422. 442, Anlage 1. Anhang S. 464. 466. 467.
      499.


    Frankreich 24. 34. 60. 69. 124. 159. 171. 277. 293. S. 464. 466.
      467. 494.


    Georgier, Grusinier 387. 392. 396. 402. 405. 408. 410. 413. 414.
      415. 418. 424. 425. 426. 430. 437. 440. 441, Anlage. 442, Anlage
      1, 2. 4.

    Griechen, Griechisch-katholische Kirche 16. 18. 156. 176. 280. 282.
      287. 296. 303. 307, Anlage. 317. 348. 372. 393.


    Hentschakisten 9. 83.

    Holland 342. 348.

    Holländisch-Skandinavisches Komitee 363.


    Italiener 109. 188, Anlage 1. Anhang S. 464.

    Jakobiten s. Syrer.

    Juden, karaitische 296.

    Jungtürken, Komitee für Einheit und Fortschritt, Ittihad.
      Einleitung S. LII. 14, Anlage. 26. 38. 94. 105. 108. 109. 123.
      129. 134. 149. 155. 156. 162. 165. 176. 178. 210. 258. 265. 275.
      282. 286. 303. 309. 317. Anhang S. 498.


    Kanadier 188.

    Katholiken, deutsche s. Aktenregister unter David, Dr.,
    Feldgeistlicher Angora;
      Missionsausschuß der Generalversammlungen der Katholiken
        Deutschlands;
      Erzberger, M., M. d. R.;
      Papst Benedikt XV. 197. 197, Anlage 2. 199. 267.

    Katholiken, armenische s. Armenier.

    Kaukasus, Ost-Trans-Ciskaukasien, kaukasisch-persisch 2. 3. 13. 14.
      26. 37. 131. 176. 258. 309. 367. 377. 387. 389. 392. 393. 394.
      396. 399. 400. 403. 405. 406. 408. 409. 410. 411. 412. 413. 418.
      420. 421, Anlage. 423. 426. 431. 435. 436. 440. 441, Anlage. 442,
      Anlage 1, 2. 443. Anhang S. 469. 485.

    Kurden 5. 6. 7. 8. 10. 35. 44. 57. 84. 106. 108. 109. 113. 115.
      120. 129. 132. 134. 137, Anlage I. 167. 195. 196. 197, Anlage 1.
      207. 226. 260. 266. 266, Anlage. 309. 323. 335. 360. 393. 395.
      413. 425. Anhang S. 468. 469. 471. 472. 478. 481. 483. 497.


    Macedonien 40.

    Mechitaristen 393.

    Mesopotamien 10. 72. 82. 99. 106. 123. 129. 132, 143. 176. 189.
      197, Anlage 1. 219. 224. 239. 251. 258. 261. 287. 304. 309. 356,
      Anlage. 363. 393. 396. Anhang S. 458. 489.


    Nestorianer s. Syrer.

    Neutrale Zeugen s. Namenregister unter Johannsson, Künzler, Rohner.


    Ostjordanland 263, Anlage 1. 279.


    Palästina 396.

    Persien 2. 10. 30. 309. 366. 390. 393. 406. 409. 412. 424. 425.
      442, Anlage 1, 6. Anhang S. 471. 472.

    Pforte, Hohe, Ablehnung fremder Einmischung 25. 26. 176. 219.
      -- Ablehnung fremder Hilfeleistung 222. 256. 261. 314.

    Protestanten, Deutsche 197, Anlage 1.

    Protestanten, armenische s. Armenier.

    Ramgawar, konservative Partei 9. 13. 426.

    Rumänien 2. 176.

    Rumelien 296. 303.

    Rußland 2. 3. 8. 10. 11. 12. 13. 25. 26. 29. 31. 35. 37. 38. 44.
      51. 70. 72. 88. 109. 129. 131. 132. 136. 149. 176. 193. 196. 197,
      Anlage 1. 210. 215. 250. 258. 265. 266. 296. 309. 323. 362. 365.
      366. 369. 370. 374. 377. 379. 381. 382. 383. 385. 388. 393. 396.
      408. 414. 415. 422. 425. 426. 442, Anlage 1. Anhang S. 464. 473.
      474. 481. 483. 484. 485.


    Sanassarian-Schule 51.

    Schweden 342. 348. 442, Anlage 1.

    Schweiz 244. 258. 263, Anlage 2. 275. 288. 348. 351. 377. Anhang S.
      494. 499.

    Serben 176.

    Sibirien 393.

    Syrien 18. 186. 189. 215. 219. 246, Anlage. 251. 261. 267. 287.
      294. 356, Anlage. 360. 370, Anhang S. 486. 489.

    Syrer, 18. 118. 124. 126. 153. 167. 207. 260. 265. 303. 309. 348.
      401. 412, Anhang S. 471. 498.

      „  Chaldäische 57. 113. 118. 124. 126. 167. 400. 412.

      „  Nestorianische 46. 57. 207. 240. 309.

      „  Jakobitische 167.

      „  Protestantische, Anhang S. 500.


    Tataren 387. 395. 396. 401. 405. 408. 410. 413. 414. 416. 421. 421,
      Anlage. 424. 425. 435. 441, Anlage. 442, Anlage 1, 4.

    Tscherkessen 120. 257. 260. 297. 298. Anhang S. 472.

    Türkische Bevölkerung 129. Beamte und Notable, die die armenische
      Politik der Regierung mißbilligen 31. 71. 87. 102. 103. 115. 123.
      136. 154. 176. 192. 195. 210. 263. 275. 283. 290. 298. 328.

    Türkischer Senat 176. 195.

    Türkenmassakers angeblich durch Armenier veranstaltet 56. 131. 178.
      250. 367. 368. 369. 370. 372-77. 381. 383. 384. Vgl. Einleitung S.
      LXXII bis LXXVI.


    Yesiden 260. 333. 425.

    Yanitscharen 315.


    Zwangsbekehrungen zum Islam 25. 73. 78. 106. 116, Anlage. 131. 143.
      176. 149. 213, Anlage. 219. 226. 230. 232. 234. 254. 260. 264.
      279. 280. 283. 284. 287. 289. 298. 300. 306. 310. 311. 315. 327.
      334. 355. 356. 376. 384. Vgl. Einleitung S. XXXV.



Der Tempelverlag in Potsdam

Postscheckkonto Berlin Nr. 35928.


    =Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei.=
    Von Dr. ~Johannes Lepsius~. 302 Seiten. 1916. Zweite Auflage
    1919.

    =Eindrücke eines deutschen Oberlehrers aus der Türkei.= Von
    Oberlehrer Dr. ~Martin Niepage~. 16 Seiten. 1919.

    =Suedije.= Eine Episode aus der Zeit der Armenierverfolgungen.
    1919.

    =Mitteilungen aus der Arbeit von Dr. Johannes Lepsius.
    1912/1918.=

    =Der Orient.= Monatsschrift für die Wiedergeburt der Länder
    des Ostens. Herausgegeben von Dr. ~Johannes Lepsius~. 1919.

    =Das Leben Jesu.= Von Dr. ~Johannes Lepsius~. Erster Band
    1917. 8^o. 384 Seiten. Zweiter Band 1918. 8^o. 384 Seiten.

    =John Bull.= Eine politische Komödie von Dr. ~Johannes
    Lepsius~. 1915. Zweite Auflage 1919.

    =Ein Totentanz.= (Ahasver.) Mysterium in drei Akten und einem
    Vorspiel von Dr. ~Joh. Lepsius~. Zweite Auflage 1906.

    =Das Kreuz Christi.= Vortrag von Dr. ~Joh. Lepsius~,
    gehalten auf der Eisenacher Konferenz Mai 1902. Zweite Auflage.

    =Adolf Harnacks Wesen des Christentums.= Von Dr. ~Joh.
    Lepsius~. Zweite Auflage 1903.

    =Das Reich Christi.= Monatsschrift für Verständnis und
    Verkündigung des Evangeliums. Herausgegeben von Dr. ~Joh.
    Lepsius~. Jahrgang I-XIII. 1899-1911.


Gedruckt bei Imberg & Lefson G. m. b. H. in Berlin SW. 48.



Fußnoten:

[1] Im Tempelverlag in Potsdam.

[2] Vgl. Nr. 25, Anl. 1; Nr. 188, Anl. 1-5.

[3] Auch die Telegramme der deutschen Konsuln über Wan geben nur
türkische Berichte wieder.

[4] Zuguterletzt sind in der türkischen Phantasie die 18 Toten von
Wan zu 180000 angewachsen. In der türkischen Botschaft erzählte
man am 1. Oktober 1915 in Berlin: „Bis zum Frühjahr dieses Jahres
habe ein durchaus gutes Verhältnis zwischen Armeniern und Türken
bestanden, was um so erklärlicher sei, als ja die Armenier während der
Revolutionszeit mit dem Komitee sympathisiert hätten und gemeinsam mit
ihm gegen das alte Regime vorgegangen seien. Der Umschwung sei erst
im April eingetreten, als es während des türkischen Vormarsches nach
Aserbeidschan zu einer Armenierrevolte im Rücken des türkischen Heeres
gekommen sei, bei der nicht weniger als 180000 Muhammedaner umgebracht
worden seien. Es sei nicht verwunderlich, daß die Muhammedaner hierfür
Rache genommen hätten.“ Vgl. S. LXXIII.

[5] Lepsius, Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der
Türkei. Tempelverlag in Potsdam. 1916. S. 220 ff.

[6] Mir gegenüber hat Enver Pascha in dem Gespräch, das ich am 10.
August mit ihm in Stambul hatte, erklärt, daß er die Verantwortung für
das, was im Innern vor sich gehe, übernehme.

[7] Zohrab, der erste Rechtsanwalt von Konstantinopel, und die
namhaftesten Führer der Daschnakzagan, Aknuni und Wartkes, wurden
erst einige Zeit später verhaftet und ebenfalls nach Ajasch gebracht,
Zohrab und Wartkes nach Diarbekr weitertransportiert, wo sie vor ein
Kriegsgericht gestellt werden sollten.

[8] Von den etwa 600 Verhafteten sind 8 wieder freigelassen worden. Die
andern sind spurlos verschwunden. Zohrab und Wartkes sind auf dem Wege
nach Diarbekr in der Gegend von Urfa ermordet worden.

[9] Vgl Nr. 307. Die Pforte bedient sich noch der alten Bezeichnung
Bombe statt des modernen Ehrennamens Handgranate, um die Stimmung
nihilistischer Attentate zu erzeugen. Es waren in der Tat alte von der
Polizei ausgegrabene Bomben aus der Zeit Abdul Hamids.

[10] In Wahrheit hatten die Armenier von Wan keinerlei Verbindung mit
Rußland. Ebensowenig waren in Cilicien Aufstände „mit englischem Gelde“
angezettelt worden. „Keinerlei derartige Spuren habe ich... entdecken
können.“ (Konsul Rößler, Aleppo, 12. April 1915.)

[11] Frhr. von Wangenheim war erkrankt und am 20. Juli auf Urlaub nach
Deutschland gereist.

[12] Siehe Anhang Nr. 4.

[13] Siehe Anhang Nr. 4.

[14] Außer Konstantinopel nur noch Smyrna (Aidin). H.

[15] Vgl. Anhang Nr. 4. H.

[16] „Vérité sur le mouvement révolutionnaire arménien et les mesures
gouvernementales.“ Pag. 11.

„Les assertions, d’après lesquelles ces mesures auraient été suggérées
à la Sublime Porte par certaines Puissances étrangères sont absolument
dénuées de fondement. Le Gouvernement Impérial, fermement résolu à
maintenir son indépendance absolue, ne pouvait naturellement admettre
aucune immixtion, sous quelque forme que ce soit, dans ses affaires
intérieures, fût-ce même de la part des amis et des alliés.“

[17] Vgl. auch A. Mandelstam, „Le sort de l’Empire Ottoman“, S. 304.

[18] Liman von Sanders war, abgesehen von v. d. Goltz, der die 6. Armee
einige Monate führte, der einzige deutsche Offizier, der zu der in
Betracht kommenden Zeit einen Oberbefehlshaberposten in der türkischen
Armee einnahm.

[19] Vgl. auch Nr. 233 und 234 und S. 260. H.

[20] Gegenüber Dr. Jäckh. H.

[21] Siehe Anlage Nr. 4. H.

[22] Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei.
Tempelverlag in Potsdam 1916. Statistik S. 298-303.

[23] Vgl. Nr. 25, 193 (S. 178), 265 u. Anhang Nr. 4.

[24] Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei.
Tempelverlag. Potsdam 1916. Zweiter Teil: Die Schuldfrage.

[25] Seit Anfang März waren „die armenischen Dienstpflichtigen, sowohl
gediente Mannschaften wie Rekruten, nicht mehr zum Dienst mit der
Waffe, sondern zu Wegebauten und dergleichen Diensten verwendet worden“.

[26] Von mir gesperrt. H.

[27] Die Sperrungen im Folgenden rühren von mir her. H.

[28] Das von den Großmächten auf russische Initiative geforderte
Reformprogramm für die ostanatolischen (armenischen) Provinzen wurde
in der Fassung, wie es von der russischen und deutschen Botschaft nach
langwierigen Verhandlungen (seit dem Juli 1913) vereinbart worden war,
von der Pforte durch Note vom 26. Januar/8. Februar 1914 angenommen.
Das Reformprogramm sah zwei europäische General-Inspektoren vor für die
in 2 Sektoren geteilten sechs ostanatolischen Provinzen. H.

[29] Die beiden zur Durchführung der armenischen Reformen auf Grund der
mit den Mächten vereinbarten Entschließung der Pforte vom 26. Januar/8.
Februar 1914 berufenen General-Inspekteure, der Norweger Hoff und der
Holländer Westenenk, wurden bald nach Kriegsausbruch durch ein Iradé
des Sultans vom 3./16. Dezember ihrer Funktionen enthoben; die Reformen
kamen nicht mehr zur Ausführung. Vgl. No. 4 u. 15. H.

[30] Der Scheich von Maku und Simko sind Kurden. H.

[31] Abdul Rezak Bey ist ebenfalls Kurde. H.

[32] Über die Lage in Zeitun hatte Konsul Rößler unter dem 25. April
1913 an die Botschaft in Konstantinopel berichtet:

„Der armenisch-gregorianische Bischof von Aleppo Nerses Danielian ist
vor einigen Wochen von einer Reise zurückgekehrt, die er auf Wunsch
der türkischen Regierung nach Zeitun unternommen hat. Die Bewohner
jener Stadt, welche von jeher für unbotmäßig galten, haben sich so
weit als möglich der Militärpflicht entzogen. Die jungen Leute sind
von Zeitun auf die Berge gegangen, von wo aus sie, um ihr Leben zu
fristen, ein Räuberleben zu führen begonnen haben. Neuerdings haben
sich ihnen auch Muhammedaner angeschlossen. Des Bischofs Aufgabe sollte
sein, seine Glaubensgenossen zu geordnetem Leben zurückzuführen. Sie
verlangten aber ein Iradé des Sultans, welches sie vom Militärdienst
befreie, so daß es ihm wohl nicht gelungen ist, seine Aufgabe zu
lösen. Der Bischof, ein kluger und ernst zu nehmender Mann, gehört
jener gemäßigten und einsichtsvollen Richtung der Armenier an, welche
Bestrebungen auf Anschluß an Rußland mißbilligen, vielmehr wünschen,
innerhalb des türkischen Staats auf friedlichem Wege Reformen zu
erlangen.“

[33] Man darf nicht vergessen, daß die Hälfte des armenischen Volkes,
die Armenier des Kaukasus, russische Untertanen waren. H.

[34] „Ittihad“ ist Abkürzung von „Ittihad we Teraki Djemijeti“, Comité
Union et Progrès, Name des jungtürkischen „Komitees für Einheit und
Fortschritt“. H.

[35] Vgl. No. 4 u. 9. H.

[36] Vgl. Anhang Nr. 2. H.

[37] Vgl. Nr. 19. H.

[38] Die gesetzliche Loskaufssumme. H.

[39] Im Jahre 1909. H.

[40] Vgl. Nr. 25. H.

[41] Vgl. Nr. 11. H.

[42] Es waren 2-3000 H.

[43] Für diese Behauptung gibt es keine Beweise. H.

[44] Vgl. dagegen Zeugnis von General Posseldt. Nr. 31. H.

[45] Wurde von der Botschaft an das Auswärtige Amt weitergegeben.

[46] Siehe Nr. 34. H.

[47] Vgl. Nr. 33 Anm.

[48] Beide Meldungen sind unrichtig. Vgl. Anhang Nr. 3. H.

[49] Das gregorianische Datum ist überall zugesetzt. H.

[50] Vgl. dagegen Nr. 41, 43, 45, 50 u. 56. Die Belagerung dauerte 27
Tage. H.

[51] Vgl. Einl. S. XV. H.

[52] Vgl. Nr. 6. H.

[53] Vgl. Nr. 33. Anm. H.

[54] Vgl. Einl. S. LXVIII. H.

[55] Zur Zeit der Revolution von 1908 bedienten sich die Jungtürken
dieser Vereinigungen, um ihre Herrschaft zu begründen. H.

[56] Vgl. Einl. S. LXVIII. H.

[57] Vgl. Nr. 307. H.

[58] Vgl. Nr. 176. S. 159. H.

[59] Vgl. Nr. 25. H.

[60] Vgl. Anhang Nr. 3 und Einl. S. XV. H.

[61] Vgl. dagegen Anhang Nr. 3. S. 478. H.

[62] Vgl. Nr. 74. H.

[63] Vgl. Nr. 53. H.

[64] Vgl. Nr. 53 und 74.

[65] Veröffentlicht in: Aspirations et agissements révolutionaires des
Comités Arméniens avant et après la proclamation de la Constitution
Ottomane. Constantinople 1917. H.

[66] Die Mitteilung veranlaßte Dr. Lepsius zu seiner Reise nach
Konstantinopel. Vgl. Reisebericht in Der Orient, 1919. Heft 1/3.
Tempelverlag, Potsdam. H.

[67] Vgl. Nr. 69 und 70. H.

[68] Mitglieder des jungtürkischen Komitees. Vgl. Nr. 109, S. 101 u.
Nr. 176, S. 159. H.

[69] Gemeint ist die Verhaftung der armenischen Intellektuellen in
Konstantinopel. Nr. 39. H.

[70] Vgl. die entgegengesetzte Anklage. Nr. 129. S. 121. H.

[71] Vgl. Anhang Nr. 3. H.

[72] Reschid Bey hat im Februar 1919, als er verhaftet werden sollte,
um wegen seines Vorgehens gegen die Armenier zur Verantwortung gezogen
zu werden, Selbstmord begangen. H.

[73] Vgl. Nr. 82. H.

[74] Auf eine erneute Verwendung für Zohrab und Wartkes.

[75] Dr. Zimmer, Reichsdeutscher, besitzt das Gut Atabey in der Nähe
von Amasia. H.

[76] 28. Juli. Die Nachricht ist inzwischen amtlich bestätigt. Auch
Aintab und Killis, obwohl nicht in der Küstenzone gelegen, sollen
geräumt werden.

[77] Bis Mitte Juli mehr als 30000 aus dem Wilajet Adana und dem
Mutestarriflik Marasch. Dabei dehnt sie die Verschickungen immer weiter
aus.

[78] General Posseldt wurde schon im April 1915 von seinem Posten als
Festungskommandant von Erzerum abberufen. H.

[79] Vgl. Nr. 123. H.

[80] Vgl. Einl. S. LXXIII. H.

[81] Vgl. Nr. 136. H.

[82] Über sein Gespräch mit Enver Pascha berichtet Dr. Lepsius in
seiner Monatsschrift „Der Orient“, 1919, Heft 1/3. Tempelverlag in
Potsdam. H.

[83] S. Anhang Nr. 2 und 3. H.

[84] Vgl. Nr. 94. H.

[85] Vgl Nr. 4. 9. 15. H.

[86] S. Anhang Nr. 1 und 3. H.

[87] ca. 2775000 Mk.

[88] Vgl. Nr. 163. S. 150. H.

[89] Inhalt ist den Konsulaten Erzerum, Adana, Aleppo mitgeteilt.

[90] Bei dem Massaker von Adana 1909 kamen 22-26000 Armenier um.

[91] Vgl. Einl. S. LXXIII. H.

[92] Eine Deutsche. H.

[93] Und in anderen Zeitungen. Die Nachricht hat zuerst in der „Times“
gestanden als Telegramm aus Kairo. H.

[94] Einige Zeit vor den Kämpfen in Urfa waren türkischerseits eine
Anzahl bis dahin in Aleppo und anderen Städten untergebrachter
Zivilinternierten der feindlichen Mächte (Franzosen, Engländer,
Italiener) nach Urfa gebracht worden. Man wirft Baron Oppenheim vor,
er habe den Rat hierzu gegeben, damit sie dort das Blutbad mitansehen
müßten!

Es genügt, auf das Absurde dieser Beschuldigung hinzuweisen. Geschehen
ist den Internierten nichts.

[95] Die Ernennung von Herrn Blank zum deutschen Konsularagenten in
Marasch ist aus den im Bericht des Botschafters vom 15. April No. 26,
S. 49 dargelegten Gründen unterblieben.

[96] Dieser dritte Brief ist nachträglich vorgelegt worden, da die
feindliche Beschuldigung lautete, Konsul Rößler habe ein Massacre
in ~Aintab~ geleitet. -- Mr. J. E. Merrill ist Vorsteher des
amerikanischen Kollegs in dieser Stadt. H.

[97] Suedije vgl. Anhang Nr. 1, zu Urfa Nr. 153. 180. 202. H.

[98] Es waren nach in Alexandrien erfolgter Zählung 4058.

[99] Auch in Wan war es Selbstverteidigung. Vgl. Anhang Nr. 3.

[100] Vgl. S. LVIII. H.

[101] Vgl. Nr. 182. Aleppo, den 15. Oktober 1915. H.

[102] Vgl. auch Nr. 226. S. 223. H.

[103] Von den deutschen Häusern (Hospital, Waisenhaus, Privathäusern
der deutschen Angestellten, Teppichfabrik) ist nur die letztere, die
inmitten der alten Stadt liegt, in Mitleidenschaft gezogen worden
und zwar ganz leicht. Sie lag am Rande des Gefechtsbezirks und hatte
einige Gewehrschüsse, wohl auch eine Handgranate erhalten, die aber
keinen irgend nennenswerten Schaden angerichtet hat. Von den Deutschen
ist niemand verletzt. Dagegen ist die Mission insofern stark in
Mitleidenschaft gezogen, als ihr ganzes einheimisches Personal, obwohl
am Aufruhr nicht beteiligt, rücksichtslos und schonungslos weggeführt
worden ist. Welcher Einfluß dadurch auf die Fortführung der Arbeit
geübt wird, kann ich vorläufig noch nicht übersehen. R.

[104] Vgl. Nr. 195. H.

[105] Vgl. Nr. 208. H.

[106] Vgl. Nr. 240. S. 238 und Nr. 309. S. 306. H.

[107] Vgl. Nr. 206. H.

[108] Vgl. Nr. 203, Anlage. H.

[109] Siehe Nr. 222. H.

[110] Vgl. Nr. 219. H.

[111] Vgl. Nr. 230. H.

[112] Vgl. Nr. 209, Schluß. H.

[113] Vgl. Nr. 116 Anlage. H.

[114] Nr. 73. 106. A. 131. H.

[115] 14./27. Mai. 1915. Siehe Nr. 71. H.

[116] Vgl. No. 212.

[117] Über die Tätigkeit dieses Beamten vgl. Nr. 165 und 236. H.

[118] Vgl. den im Juni oder Juli 1915 erschienenen Erlaß Djemal
Paschas. Anlage 3.

[119] Vgl. Nr. 338. H.

[120] Nr. 213. H.

[121] Vgl. No. 207, S. 201. H.

[122] Vérité sur le mouvement révolutionnaire arménien et les mesures
gouvernementales. 1916 Constantinopel.

[123] Vgl. Nr. 241. H.

[124] Vgl. Nr. 241. H.

[125] Nach späteren türkischen Angaben nicht 2-3000, sondern 131. Vgl.
Einleitung S. LXXV. Dagegen ist gut bezeugt, daß Djevdet Pascha auf
seinem Rückzug von Wan Ende Juni 1915 die armenische Bevölkerung von
Bitlis vernichtete. Vgl. auch Nr. 309. H.

[126] Vgl. Nr. 242. H.

[127] Vgl. Nr. 260, 287, 345 Anlage. Sämtliche 14000 wurden
abgeschlachtet. H.

[128] Vgl. Nr. 257 und 287. H.

[129] Vgl. Nr. 257, 287 und 348 Anlage. Auch der Rest von 2000 wurde
später umgebracht. H.

[130] Vgl. Nr. 251. H.

[131] Vgl. Nr. 249 und 263. Die später eingetroffenen Antworten aus
Damaskus und Mossul sind beigefügt.

[132] Die Regierung gewährte an einigen Stellen in gänzlich
ungenügendem Umfange Lebensmittel, ließ aber längst damit nach. B.
Rohner.

[133] Siehe Nr. 285. H.

[134] Vgl. Nr. 257, 260 und 348 Anlage. H.

[135] Libanondistrikt. H.

[136] Vgl. Nr. 345.

[137] Dr. Niepage und Dr. Graeter waren bereits in die Heimat
zurückgekehrt. Vgl. Nr. 182. H.

[138] Infolge der Ablehnung des Herrn von Scheubner-Richter
unterblieb das Vorgehen gegen das Dorf. Unter dem Einfluß des
Generalfeldmarschalls von der Goltz wurde die Sache der angeblich
Aufständischen gütlich beigelegt. Vgl. Nr. 240. H.

[139] Vgl. Nr. 196. H.

[140] Siehe Nr. 332. H.

[141] Vgl. Nr. 233, 241, 274 Anlage, 298, 302, 315, 321, 323, 328.

[142] Vgl. Nr. 233, 320.

[143] Oberst Kemal Bey hat seinen Plan leider nicht ausführen können.

[144] Es sind auch Kurden aus dem Operationsgebiet von der türkischen
Regierung verschickt worden, die sich in der Nähe von Urfa in schwerer
Not befanden.

[145] Nr. 298. H.

[146] Vgl. 257, 260, 287. H.

[147] Vgl. Nr. 353. H.

[148] Sie wurden in den Booten von der Besatzung getötet und über Bord
geworfen. Vgl. den amerikanischen Konsularbericht vom 28. Juli 1915.
Lepsius, Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei.
Tempelverlag in Potsdam. 1916. S. 31. H.

[149] Vgl. Nr. 391. H.

[150] Daraus geht hervor, daß die Tötung der Armenier vor dem
Friedensschluß erlaubt war.

[151] S. Nr. 419.

[152] Vgl. Nr. 432. H.

[153] Dem widerspricht, daß Enver Pascha (vgl. Nr. 386) die in den drei
Bezirken wohnhaften Armenier durch eine Proklamation aufforderte, dort
zu bleiben, und ihnen Sicherheit des Lebens und Eigentums garantierte.
Vgl. auch Einl. S. LXXV. Vgl. Nr. 395 und 412. H.

[154] Ist nicht erlassen worden. H.

[155] Vgl. Nr. 410. und 413. H.

[156] Vgl. Nr. 422. 426. H.

[157] Die Meldung betrifft den angeblichen Abschluß von in Berlin
zwischen türkischen und armenischen Vertretern gepflogenen
Verhandlungen durch Unterzeichnung eines Geheimfriedens. H.

[158] Nach dem unter dem Titel „A red cross flag that saved four
thousand“ von der Nile Mission Press für das American Relief Committee
in Cairo veröffentlichten Bericht.

[159] Lepsius, Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der
Türkei. Tempelverlag in Potsdam. 1916. S. 112 ff.

[160] Lepsius, Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der
Türkei. Tempelverlag in Potsdam. 1916. S. 220 ff.

[161] Der amerikanische Bericht wurde durch die Mitteilungen von Herrn
Spörri, Leiter des deutschen Waisenhauses, der nach der Zerstörung von
Wan als letzter die Stadt verlassen hat und über Rußland zurückgekehrt
ist, bestätigt. H.

[162] Das gleiche Angebot wurde dem deutschen Waisenhaus gemacht und
von Herrn Spörri angenommen; eine Wache wurde aber nicht gestellt.

[163] Sie war als Mädchen im deutschen Waisenhaus erzogen und war vom
Lande, wo die Dörfer verwüstet wurden, in die Stadt geflüchtet.

[164] Dazu schrieb mir Prediger J. Spörri, Leiter der Station Wan des
Deutschen Hilfsbundes für christl. Liebeswerk im Orient, am 7. 10. 16
aus Zürich:

„Als am 20. 4. 15 die Feindseligkeiten vor meinen Augen ausgebrochen
waren und in schauerlicher Weise auf uns geschossen wurde, war ich
gedrungen, an den Wali zu schreiben. Ich erzählte den Anfang der
Feindseligkeiten, teilte mit, daß wir dem Kugelregen ausgesetzt seien,
ersuchte, da ich annehmen mußte, das solches unmöglich nach dem Wollen
des Walis sein könne, um weitere Vermeidung solcher Handlungen und
bat, die Streitigkeiten friedlich zu ordnen. Mit meinem Schreiben ging
ich zu Dr. Usher (es war das ein gefährlicher Weg, da unaufhörlich
geschossen wurde), las ihm den Inhalt vor und veranlaßte ihn, von
seiner Seite ein Gleiches zu tun. Der Brief vom 23. 4. von Djeodet Bey
war die Antwort auf unser Schreiben. Übrigens hatte ich die Verteidiger
gebeten, sie möchten sich von der Front unserer Station zurückziehen,
da sie das Feuer auf uns zögen. Ich hatte die Genugtuung, daß mein
Wunsch erfüllt wurde. Freilich war auch so von einem Aufhören des
Feuers gegen uns nicht die Rede.“ H.

[165] Auch das Grundstück der Deutschen Mission wurde beschossen,
obwohl eine deutsche Fahne darüber wehte.

[166] Djevdet Bey ist der Sohn und Nachfolger des ausgezeichneten
Wali Tahir Pascha, der 16 Jahre lang im besten Einvernehmen mit den
Armeniern als Gouverneur des Wilajets Wan in der Stadt gelebt hatte und
Muhammedanern und Christen gleichermaßen gerecht geworden war.

[167] Nach einer Mitteilung von Herrn Spörri. H.

[168] Inzwischen traf die Nachricht ein, daß Schwester Martha Kleiß am
30. Juli in Bitlis an Typhus gestorben ist.

[169] Auch auf dem Grundstück der deutschen Mission wurden 600
türkische Frauen und Kinder untergebracht.

[170] Dies wird auch von den Deutschen, die die Belagerung mit
durchmachten, bestätigt.

[171] Bericht eines neutralen Augenzeugen, veröffentlicht vom
amerikanischen Hilfskomitee für Armenien und Syrien.

[172] Sie zählte früher über 20000 Seelen. H.





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