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Title: Lips Tullian und seine Raubgenossen - Eine romantische Schilderung der Thaten dieses furchtbaren - Räuberhauptmanns und seiner Bande, welche im Anfange des - 18. Jahrhunderts ganz Sachsen, Böhmen und Schlesien mit - Furcht, Schrecken und Entsetzen erfüllte
Author: Frei, Ernst
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Lips Tullian und seine Raubgenossen - Eine romantische Schilderung der Thaten dieses furchtbaren - Räuberhauptmanns und seiner Bande, welche im Anfange des - 18. Jahrhunderts ganz Sachsen, Böhmen und Schlesien mit - Furcht, Schrecken und Entsetzen erfüllte" ***


generously made available by SLUB: Sächsische
Landesbibliothek - Staats - und Universitätsbibliothek
Dresden at http://www.slub-dresden.de )



  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1854 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Inkonsistente
    Schreibweisen, insbesondere bei ‚eingedeutschten‘ Ausdrücken,
    wurden beibehalten (z.B. Bajonet/Bajonett/Bajonette). Altertümliche
    Ausdrücke wurden nicht an die heute übliche Schreibweise angepasst;
    einige Vorsilben, beispielsweise ‚auf-‘ und ‚aus-‘ werden teilweise
    anders verwendet als im heutigen Sprachgebrauch.

    Umlaute in Großbuchstaben werden meist in ihrer Umschreibung
    (Ae, Oe und Ue) dargestellt. Das Inhaltsverzeichnis sowie das
    Abbildungsverzeichnis wurden vom Bearbeiter an den Beginn des
    Buches verschoben. Die Titel einiger Kapitel im Inhaltsverzeichnis
    wurden entsprechend der Kapitelüberschriften im Text geändert.

    In der diesem Buch zugrundeliegenden Originalausgabe wurden
    versehentlich die jeweils ersten Seiten der Kapitel XXXII (‚Neue
    Unthaten der schwarzen Garde‘) und Kapitel XXXIII (‚Jockels
    Tod‘) vertauscht, worauf auch die Fußnote im Inhaltsverzeichnis
    hinweist. In der vorliegenden Bearbeitung wurde die wohl
    ursprünglich beabsichtigte Reihenfolge aber wiederhergestellt.
    Die erwähnte Fußnote war in der gedruckten Fassung irrtümlich
    dem Kapitel XXI des Inhaltsverzeichnisses zugeordnet; in der
    elektronischen Version wurde diese nun, dem Sinn entsprechend, dem
    Kapitel XXXII zugewiesen.

    Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit
    den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

      fett:     =Gleichheitszeichen=
      gesperrt: ~Tilden~
      Antiqua:  _Unterstriche_

  ####################################################################



                             Lips Tullian

                        und seine Raubgenossen.


            Eine romantische Schilderung der Thaten dieses
            furchtbaren Räuberhauptmanns und seiner Bande,
              welche im Anfange des 18. Jahrhunderts ganz
               Sachsen, Böhmen und Schlesien mit Furcht,
                   Schrecken und Entsetzen erfüllte.

                                  Von

                          ~_Dr. Ernst Frei._~

                   Mit fein colorirten Abbildungen.


                             ~=Neusalza,=~
                  Druck und Verlag von =Louis Oeser=.
                                =1854.=



          Wer ist der Mensch? -- Auf beiden Wegen
          Zu ihm hinab, zu ihm hinan
          Weht uns ein Gotteshauch entgegen
          Und kündigt uns den hohen Menschen an.
          Es flammt in ihm ein reines Gottesfeuer;
          Hoch flammt es auf; doch stürzet er einmal
          Sich von sich selbst herab: ein solches Ungeheuer
          Birgt keine wilde Kluft, verhüllt kein grauses Thal.
          Mit Zittern staun’ ich seine Höhen
          In schrecklich wüsten Trümmern an!
          Wie hoch muß nicht ein Wesen stehen,
          Das so erschütternd fallen kann.

                                                     ~Tiedge.~



Verzeichniß der Abbildungen mit Angabe, wohin sie gehören:


    1) Titelkupfer: Der schwarze Wenzel und Lips Tullian,
       oder zu Seite 11 gehörig.

    2) Zu Seite 18 gehörig: Die Räuberhöhle.

    3)  „    „  132    „    Die Ermordung zweier Gerichtsdiener.

    4)  „    „  148    „    Lips Tullian in Lebensgefahr.

    5)  „    „  169    „    Die schöne Schlosserswittwe in Prag.

    6)  „    „  189    „    Die Theilung der Beute im Wald.

    7)  „    „  212    „    Die Räuber als Baugefangene.

    8)  „    „  272    „    Marianens Ueberfall.

    9)  „    „  299    „    Der Kampf der Räuber unter einander.

    10) „    „  309    „    Die Wiedererkennung.

    11) „    „  336    „    Die Befreiung.

    12) „    „  423    „    Der erste Mord.

    13) „    „  442    „    Ein neuer Mord.

    14) „    „  443    „    Lips Tullian in Freiberg.



Inhalts-Verzeichniß.


                                                                  Seite.

    I.     Der Entschluß, Räuber zu werden.                            3

    II.    Der erste Raubmord.                                         9

    III.   Die Aufnahme unter die Räuberbande.                        14

    IV.    Lips Tullians erstes Räuberleben.                          20

    V.     Der Ueberfall von Trebnitz.                                26

    VI.    Lips Tullians Flucht und Rettung.                          42

    VII.   Sarberg, genannt: der Studentenfritz.                      46

    VIII.  Samuel Schickel, der Brett-Bauer.                          56

    IX.    Christian Eckold, der schöne Böttiger.                     71

    X.     Hans Wolf Heinrich Schöneck.                               95

    XI.    Daniel Lehmann.                                           113

    XII.   Michael Hentzschel.                                       125

    XIII.  Die Schenke an der böhmischen Grenze.                     144

    XIV.   Eine neue Räuberbande.                                    149

    XV.    Der Einbruch in der Eimbecker Mühle.                      154

    XVI.   Lips Tullians und seiner Genossen Ankunft in Prag.        160

    XVII.  Die schöne Schlosserswittwe.                              164

    XVIII. Die Trennung von Prag.                                    170

    XIX.   Die Entdeckung.                                           174

    XX.    Der Raub des Brautschatzes der jungen Gräfin von
             Beuchling.                                              185

    XXI.   Der Schmuck des Juden Marx in Halle.                      191

    XXII.  Der Badeaufenthalt.                                       197

    XXIII. Eine neue Bekanntschaft und deren üble Folgen.            201

    XXIV.  Die Verurtheilung.                                        205

    XXV.   Die Baugefangenen.                                        208

    XXVI.  Der Oberprofos oder: die Lebensart der Baugefangenen.     214

    XXVII.    Eine unerwartete Nachricht.                            254

    XXVIII.   Der Ausbruch der Baugefangenen.                        258

    XXIX.     Der Brand von Libert.                                  260

    XXX.      Jockel’s Gewalthat gegen Mariane.                      265

    XXXI.     Marianes Eifersucht und Schlauheit.                    276

    XXXII.    Neue Unthaten der schwarzen Garde[1].                  280

    XXXIII.   Jockels Tod.                                           284

    XXXIV.    Der Kampf der Räuber unter einander.                   295

    XXXV.     Die Ermordung eines Handwerksburschen.                 302

    XXXVI.    Die Wiedererkennung.                                   307

    XXXVII.   Lips Tullian und Margarethe in Prag.                   318

    XXXVIII.  Margarethens Untreue.                                  323

    XXXIX.    Lips Tullian wieder an der Spitze einer Räuberbande.   329

    XXXX.     Lips Tullians abermalige Gefangenschaft.               333

    XXXXI.    Der Lieutenant Schönknecht.                            337

    XXXXII.   Schönknechts Verheirathung.                            343

    XXXXIII.  Eine schlechte Erziehung.                              357

    XXXXIV.   Ein schreckliches Opfer.                               364

    XXXXV.    Philipps erstes Debut.                                 372

    XXXXVI.   Die erste Gefangenschaft.                              376

    XXXXVII.  Josephine.                                             381

    XXXXVIII. Die gefährliche Einsiedlerklause.                      395

    XXXXIX.   Die Rettung.                                           401

    L.        Zusammenkunft mit Josephinen.                          410

    LI.       Der Aufenthalt in Polen und Philipps erster Mord.      419

    LII.      Lips Tullians Befreiung.                               426

    LIII.     Lips Tullians letzte Schicksale.                       438

    [1] Aus Versehen des Druckers sind in einigen Exemplaren im 9.
        Hefte mehrere Seiten verwechselt worden und folgt dort auf
        _pag._ 279: Die Seite mit XXXII. Neue Unthaten der schwarzen
        Garde, dann geht es wieder von 281 in der Reihenfolge fort
        bis _pag._ 283, wo dann die Seite mit XXXIII. Jockels Tod
        folgt.



I.

Der Entschluß, Räuber zu werden.

    -- Ich bin auch aus dem Himmel,
    Und bin ein verstoßnes Kind.

                        ~H. Laube.~


In einem Wirthshause an der schlesisch-polnischen Grenze saß zechend
und lärmend eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft. Sie erzählten
sich von den Thaten des gefürchteten, damals die ganze Grenze mit
Furcht und Schrecken erfüllenden unter dem Namen: „~der schwarze
Wenzel~“ bekannten Räuberhauptmanns und seiner Genossen.

„Das Merkwürdigste aber ist bei diesen verfluchten Räubern,“ meinte
einer von den Bauern, „daß sie sich unsichtbar machen können; denn
wenn sie verfolgt werden, wenn die Soldaten ihnen auf der Spur sind,
und sie bis in die Wälder treiben, da haben jene schon oft geglaubt:
jetzt können uns diese Schufte nicht mehr entgehen, sie sind in
unsrer Gewalt und wir liefern sie nun gebunden und in Ketten in die
Gefängnisse ein -- aber diese Hoffnung hat die Soldaten noch immer
getäuscht, denn plötzlich, gleichsam vor ihren Augen, waren die Kerle
verschwunden und die Soldaten hatten das leere Nachsehen und konnten
dann sogar jedesmal zu ihrem größten Aerger nicht einmal eine Spur mehr
von ihnen auffinden! --“

„Da habt Ihr ganz recht, Nachbar,“ meinte ein Anderer, „das macht die
schwarze Kunst, die Räuber haben jeder einen Diebsfinger, mit dessen
Hilfe sie sich unsichtbar machen können!“

„Wie meint Ihr das, Veit?“

„Nun, sobald ein Dieb gehängt oder mit dem Schwerte hingerichtet oder
gerädert wird und wie sonst noch solche sanfte Hinüberspeditionen
in jene Welt die Namen führen, so schneidet der, welcher sich jene
Kunst, sich unsichtbar zu machen, aneignen will, einen Finger von dem
Hingerichteten heimlich ab, trägt ihn jederzeit bei sich und dann wird
ihn nicht leicht ein Häscher oder Soldat in seine Gewalt bekommen!“

„Dummer Unsinn das!“ meinte ein junger Mann, dessen Kleidung sogleich
den Fremden verrieth. „Kein Diebsfinger, sondern Kühnheit, Muth und
Schlauheit -- das sind die Talismane, welche die Räuber besitzen und
die ihnen in den schwierigsten Fällen durchhelfen!“

Es entstand nun darüber ein Streit, bis der Fremde, den dieses Gezänke
auf die Länge der Zeit langweilte, sich verabschiedete und die Schenke
verließ, um ruhig seinen Weg weiter fortzusetzen.

Betrachten wir den Fremden etwas näher; er war ein hochgewachsener,
schöner, noch jugendlicher Mann, dem man Kraft, Gewandtheit und
Schlauheit sogleich auf den ersten Blick ansah; er trug die Kleidung
eines polnischen Cavaliers und sein Aeußeres ließ auf Wohlhabenheit
schließen.

Als er seines Weges ruhig dahinzog, war sein Inneres jedoch keinesweges
so ruhig, wie es wohl den Anschein haben mochte, vielmehr war dasselbe
in höchster Aufregung und er meinte vor sich hin: „So wäre ich also am
Ziele und bald beginnt meine neue Laufbahn! Die Menschen haben mich
gemißhandelt, haben mir mein Liebstes auf der Welt, meine theure,
angebetete ~Jumelle~, schändlicherweise mit Gewalt entrissen,
haben mich gleich einem Verbrecher in Ketten und Banden geworfen und
mich hilflos wieder in die Welt hinausgestoßen -- dafür sollen sie
mir büßen, an der ganzen Menschheit, die ich hasse mit aller Gluth
meiner starken Seele, will ich mich rächen, niemanden will ich mehr
schonen, Mord und Raub sollen nun meine Begleiter sein und Furcht und
Entsetzen vor mir hergehen. Ja, es ist fest beschlossen, ich werde ein
Räuber, und nicht umsonst habe ich in meiner Jugend alle Diebeskniffe
und Raubgeschicklichkeiten gelernt, ich werde sie nun brauchen
können; das Schicksal hat mich einmal dazu bestimmt, und Niemand kann
seinem Schicksale entrinnen! Wohlan, ich nehme den Fehdehandschuh des
Schicksals auf; wie es mich von meiner Geburt an schon hilflos in die
Welt gestoßen und mit Unglück verfolgt hat, will ich Tausende, und
wen nur mein Arm zu erreichen vermag, auch unglücklich machen, sie
ihrer Habe berauben und hilflos in die Welt verstoßen. Kein Erbarmen
und Mitleid soll meine Seele mehr kennen, das sind nur alberne
Herzenskitzelungen, und Schwachheiten, deren sich ein richtiger Mann
schämen muß, Tugend und Ehrbarkeit sind nur leere Truggebilde, eitle
Hirngespinste von Thoren, die es im Leben nie zu etwas Ordentlichem
bringen werden!“

So sprach er noch lange vor sich hin und bekräftigte sich immer mehr in
seinem einmal gefaßten Entschlusse, ein Räuber zu werden.

Er war ein unglücklicher, mit der Welt zerfallener junger Mann, den
sein guter Engel verlassen, den die Bosheit der Menschen von dem
schönsten Höhepunkte eines tugendhaften, friedevollen und beglückten
Lebens hinabgestoßen in die grauenvolle Tiefe des Hasses, der Rachsucht
und der Raserei, und von dem Satan beim Schopfe gefaßt, den gräßlichen
Schwur jetzt that, die Tugend, die Menschlichkeit von sich zu schütteln
und nur der Befriedigung roher Lüste, dem Raube und dem Morde mit
allen schönen Kräften seines reich ausgestatteten Geistes und Körpers
anzugehören. Aus seiner Tasche zog er einen Beutel hervor, worinnen
blankes Gold glänzte, und die Schwere und Größe der Börse verriethen
einen solchen reichen Inhalt, daß er gewiß lange davon hätte anständig
leben können, wenigstens so lange, bis er sich einen passenden
Nahrungszweig errungen.

Aber mit Verachtung blickte er auf das schöne und viele Gold.
„Verdammtes Sündengeld, das mir meine Schmach abkaufen und mein
zerrissenes Herz heilen sollte, dich mag ich nicht, du brennst mir
wie glühendes Feuer in den Händen! Hinweg mit dir, damit dich nie
mehr meine Augen sehen!“ Und mit diesen Worten schleuderte er die
goldgefüllte Börse in den an dem Wege vorbeifließenden Bach.

„Ja, Gold,“ sagte er dann wieder, „nach dir habe ich wohl einen
brennenden Durst, aber nur, weil ich mit dir machen kann, was ich will
und du mir das Mittel bist, alle meine Lüste und Leidenschaften zu
befriedigen; für dich ist alles feil: Tugend, Schönheit und Unschuld,
ja selbst die Seligkeit, wenigstens auf Erden hier! Aber dieses Gold
mag ich nicht geschenkt erhalten, ich will mir es verdienen, mit der
Faust mir es rauben, wo ich es finde, und ich bin der Mann dazu, daß
mir nicht leicht Jemand entgehen soll, auf den ich es einmal abgesehen
habe!“

Er lauerte nun darauf, alles Geldes baar, sich durch Beraubung des
ersten, der ihm begegnen würde, solches wieder zu verschaffen.



II.

Der erste Raubmord.

    Und wie mit Eisenschlingen
    Umfaßt den Gegner er,
    Umsonst ist alles Ringen,
    Umsonst die Gegenwehr.

                      ~Matzerath.~


Nach Beute umherspähend, sah er einen wohlgekleideten Mann gemächlich
daher reiten.

Im Augenblicke ward der Unglückliche vom Pferde gerissen. Er schrie
um Hilfe und ein gräßlicher Schlag mit einem schweren Steine, von des
Räubers kräftiger Hand nach dem Kopfe gethan, machte ihn für immer
verstummen. Dieser raubte ihm Uhr und Börse, warf sich auf das Pferd
und sprengte über eine Wiese dem nächsten Walde zu.

Mit Raub und Mord hatte er den schrecklichen Cyclus seiner Gräuelthaten
eröffnet.

Schon ein paar Stunden war er auf einem Fahrwege dahin geritten, und
noch immer wollte sich das Ende des Waldes nicht zeigen.

Dagegen fühlte er sich von Augenblick zu Augenblick unwohler; er wurde
so matt, daß er beinahe vom Pferde sank; es klebte ihm die Zunge am
Gaumen, und sein Durst wurde so brennend, daß er für einen frischen
Trunk gern die geraubte Börse hingegeben hätte.

Den Zügel des Pferdes am Arme, schleppte er sich tiefer in den Wald
hinein, eine Quelle zu suchen. Lange war er fruchtlos umher geirrt,
und vermochte nicht weiter zu gehen. Er wollte unter einem Baume sich
lagern, als er den rückwärts am Sattel angeschnallten Mantelsack
bemerkte. Ohne selbst zu wissen, warum, da er in diesem Augenblicke
gewiß nicht an eine Beute, sondern nur an Rettung vor dem Verschmachten
dachte, schnallte er den Mantelsack ab, warf sich damit aufs Moos und
öffnete ihn.

Er schrie laut auf vor Freude; der Mantelsack war ein tragbares
Speisegewölbe, ein portativer Keller. Nicht ein Stückchen von Kleidern
oder Wäsche befand sich darin, wohl aber ein Magazin von Würsten,
Schinken und verschiedenen Braten, denen drei Flaschen Wein und eine
Flasche Rum, feines Gebäcke und Brot beigesellt waren.

[Illustration: _L. Oeser in Neusalza._

Der schwarze Wenzel u. Lips Tullian.]

Der vorige Besitzer dieses Magazins mochte wohl aus Geiz, um in den
Wirthshäusern wenig zu verzehren, oder aus Furcht, auf der Reise zu
verhungern, sich so reichlich versehen haben.

Schnell hatte er eine Flasche Wein geleert, ein tüchtiges Stück Braten
gegessen, und beschloß nun, frisch fort zu traben, da er befürchten
mußte, daß die Leiche des von ihm erschlagenen Mannes bereits gefunden
und das Gerücht von dem Morde vielleicht schon in weiter Umgebung
verbreitet worden sei. Er befestigte den Mantelsack und wollte eben zu
Pferde steigen, als er rücklings ergriffen und im Augenblicke zu Boden
gerissen war.

Ein baumlanger, breitschulteriger Kerl stand vor ihm, mit
hochgeschwungenem Knittel, und forderte Uhr und Geld[2].

    [2] Siehe die Abbildung.

Sein erster heftiger Schrecken bei dem Gedanken, von der Faust eines
Häschers gefaßt und keiner Gegenwehr mächtig zu sein, war schnell bei
der barschen Forderung nach Uhr und Geld verschwunden; er sah, mit wem
er es zu thun habe; eine ganze Räuberbande wäre ihm minder furchtbar
gewesen, als ein einziger, tüchtiger Diener der Gerechtigkeit.

Mit einer Ruhe und einer Offenherzigkeit, die den Räuber erstaunen,
und den zum tödtlichen Schlage erhobenen Arm sinken machte, begrüßte
er ihn, erzählte, vor einigen Stunden, nicht fern von der polnischen
Gränze, einen Reiter erschlagen, ihm Uhr, Börse und Pferd genommen zu
haben, und erbot sich nicht nur allein zur Theilung, sondern auch zu
künftiger Gemeinschaft und Genossenschaft.

Schweigend hatte ihm der Räuber zugehört, er betrachtete jetzt das
Pferd.

„Was Teufel!“ -- rief er, und lachte laut auf -- „das ist ja der
Brandfuchs des Herrn von Liebenstein. Alle wackern Gesellen sollen Dich
auf den Händen tragen, daß Du dieser Bestie den Garaus gemacht hast.
Der Schuft war mit seinen Jägern und Gerichtsdienern immer hinter uns
her. Nun, dafür sollst Du auch belohnt werden, so wahr als ich der
~schwarze Wenzel~ heiße. Du bist der tüchtigste Kerl, vor dem
ich selbst Reverenz mache, und wenn Dir Dein voriger Antrag, mit mir
Gemeinschaft zu pflegen, Ernst war, so soll es Dir nicht an Gelegenheit
mangeln, auf Kosten anderer Leute in Saus und Braus zu leben. Schlag
ein, Bruderherz, und sey der Unsrige!“ --

Mit wilder Lust schlug dieser ein, riß den Mantelsack vom Pferde, und
unter den lasterhaftesten Gesprächen wurde getafelt und gezecht, bis
der Abend hereinbrach und das Wiehern und Stampfen des nach Futter und
Wasser verlangenden Pferdes zum Aufbruch nach einer Herberge mahnte.

„Wohin nun,“ -- fragte der neue Räuber -- „um nichts befürchten
zu dürfen, denn die Kunde von der Ermordung des Liebensteiner mag
schon weit herumgekommen und jeder Gastwirth gegen den Unbekannten
argwöhnisch sein, der mit keinem Passe versehen ist. Auch macht mir das
Pferd Sorge, da vielleicht Mancher es erkennen möchte.“

„Sei unbekümmert,“ tröstete der Spießgeselle, „Dich erwartet eine
Nachtherberge, wo Du gute Bewirthung und ein lustiges Treiben finden
wirst, wo Du sicherer bist, als in Abrahams Schoos. Wir haben eine
gute Meile zu machen, und ich werde Dich Wege führen, wo Du und der
Brandfuchs ungesehen bleiben. Nun folge mir!“



III.

Die Aufnahme unter die Räuberbande.

    So schwör’ ich denn, mit Gut und Blut
    Euer zu sein für’s Leben,
    Mögt Ihr, als treue Bundsgenossenschaft,
    Den Schwur zurück mir geben. . . .


Wenzel ging voran, und dieser folgte ihm, das Pferd am Zügel führend.
Es ging nur selten und immer nur eine kurze Strecke auf gebahntem Pfade
fort; im Hochholze und über Waldwiesen schritten sie schweigend dahin,
denn jeder war mit sich selbst zu sehr beschäftigt.

„Wir sind am Ziele!“ -- sprach Wenzel, als sie in einem
schluchtähnlichen Thale auf einer, von felsigen Hügeln dicht
umgürteten Stelle angekommen waren. Befremdet schaute jener umher, er
sah nichts, als Steinmassen, hohe dunkle Fichten und wildrankendes
Gestrippe. Und doch sollte er hier, nach Wenzels Versicherung, gute
Herberge und gute Gesellschaft finden? Es kam ihm der Gedanke, auf
diesen schauerlich-einsamen Platz gelockt worden zu sein, um ermordet
und beraubt zu werden; er fühlte sich dem baumlangen Kolosse nicht
gewachsen, doch war er fest entschlossen, sein Leben so theuer als
möglich zu verkaufen.

Was er nach einigen Augenblicken sah, minderte zwar seinen Argwohn,
mehrte aber seine Befremdung. Wenzel hatte den Arm bis an die Schulter
in eine Felsenspalte gesteckt und seine Bewegung zeigte, daß er an
einer Glocke ziehe. Bald darauf ertönte ein dreimaliger Hahnenruf, den
Wenzel eben so erwiederte. Jetzt kam um den Felsen herum ein Kerl,
eine Büchse unter dem Arme, einen furchtbar großen, immer knurrender
herandrängenden Fanghund an einer Kette haltend. „Masel toff Köng rodl’
ich den tuftesten Kaper in unsere Bingertei[3]!“ -- rief Wenzel. --
Mit wild freundlichem Lächeln reichte der Kerl dem Fremden die Hand,
schmeichelnd sprang der Bullenbeißer an Wenzel hinauf und beschnoberte
dann den Fremden, mit feindlichen Blicken ihn beobachtend.

    [3] „Hier führe ich unserer Gesellschaft den wackersten Kameraden
        zu!“

Es ging nun um den Felsen hin. Ein großer Haufen Laub und Reißig
lag auf einem Flecke. Schnell war ein Theil davon durch Wenzel und
seinen Kameraden hinweggeräumt, eine Fallthüre wurde sichtbar, und
als diese aufgehoben war, zeigte sich ein ziemlich breiter, nicht zu
abschüssiger Gang in die Tiefe, der für ein Pferd Raum genug hatte. Das
Pferd wurde von Wenzel hinabgeführt, während der Andere im Augenblicke
Licht geschlagen und eine Wachskerze angezündet hatte. Man gelangte in
ziemlicher Tiefe auf einen Platz, der ganz ausgebrettert war, drei bis
vier Pferde faßte und mit einem Vorrathe von Hafer und Heu versehen
war. Der Brandfuchs wurde abgesattelt, getränkt, gefüttert, und nun
ging es aufwärts, wo man die Fallthüre niederließ und sie wieder
sorgfältig bedeckte.

Wenzel kletterte nun den Felsen hinauf, hieß seinen Begleiter ihm
folgen und der Kerl mit dem Hunde schloß den Zug. Man kam an eine
Oeffnung, durch welche man kriechen mußte, dann in einen Gang, der hoch
und breit genug war, um aufrecht darin fortzukommen.

Wenzel pfiff auf einer Diebespfeife, sein Kamerad verrammelte die
Oeffnung mit Steinen, mit einem starken Querbalken, und aus der Ferne
flammte ihnen das sprühende Licht einer Fackel entgegen.

Es war ein junger Bursche von wildem, trotzigem Aussehen, der mit
der Fackel daher kam, Wenzel mit einem Freudengeschrei begrüßte, den
Fremden scharf beschaute, und dann mit seiner Leuchte voran schritt.

Der Gang führte abwärts. Gesang und Lachen erscholl aus der Tiefe, eine
Thüre wurde geöffnet, und der Fremde starrte mit sprachlosem Erstaunen
und festgewurzeltem Fuße die sich ihm darbietenden Erscheinungen an.

Eine Höhle, von Felsenwänden umschlossen und von sehr weitem Umfange,
war von unzähligen Fackeln, die in den Felsenritzen steckten,
erleuchtet. In der Mitte stand eine lange Tafel, an einer Wand hin lief
ein hoch aufgeschichtetes Strohlager, über welchem Flinten, Säbel,
Pistolen, Messer und Beile hingen. Ganz im Hintergrunde brannte ein
Feuer, von Kochtöpfen umgeben. An der Tafel saßen mehrere Männer mit
einigen sehr hübschen Dirnen, andere lagen auf dem Strohlager, andere
bereiteten Speise.

Auf den Ruf des Fackelträgers: „Der schwarze Wenzel ist da!“ -- sprang
alles auf und jauchzte dem sehr beliebten Kameraden entgegen, mit
Grüßen und Fragen ihn umdrängend.

Des Fremden Eintritt machte das Jauchzen und die Begrüßungen und die
Fragen plötzlich verstummen. Als aber Wenzel der Bande den Fremdling
als einen Gesellen ankündigte, und als er erzählte, wie der neue
Geselle den Liebensteiner, ihren Todfeind, auf freier Straße am hellen
Morgen erschlagen, und wie er sich im traulichen Gespräche und in der
Erzählung seines Jugendlebens als den tuftesten Chochem, Ganof und
Chasnemalochner[4] genügend beurkundet habe, da ward der Jubel zum
betäubenden Gebrülle, der Fremde an die Tafel gezogen, eine große Kanne
Wein ihm vorgesetzt, und er mußte mit Allen auf treueste Brüderschaft
anstoßen.

    [4] Gauner, Dieb und Räuber.

Eine Dirne, deren Buhle vor Kurzem auf dem Rabensteine vollendet hatte,
trug sich ihm gleich mit aller Frechheit zur Nafkine[5] an, und er war
schon so tief gesunken, daß er nicht mehr seiner Jumello dachte, daß er
mit schamloser Lust solch einer Verworfenen sich hingab.

    [5] Zuhälterin, so viel als Concubine.

[Illustration: _L. Oeser in Neusalza._

Die Räuberhöhle.]

Wenzel ließ nun die Männer einen Kreis um sich und den neuen Genossen
schließen. Es herrschte die tiefste Stille. Der Fremde wurde
aufgefordert, der Bande den Eid der Treue zu schwören. Er schwor
einen gräßlichen Eid. Am Schlusse des Eides streifte Wenzel den linken
Aermel seines Rockes zurück, ritzte sich mit der scharfen Spitze seines
Messers eine Ader, fing das Blut in die Hirnschale eines Todtenschädels
auf, und der neue Räuber leerte den grauenvollen Becher, seinen Eid und
seine Treue durch den Bluttrunk bekräftigend. --

In der Bande war eingeführt, daß jedes Mitglied einen Namen führe,
den ihm die Bande gebe. Der Fremde erbat die Begünstigung, von nun
an ~Lips Tullian~ genannt zu werden, da er schon in seiner
Kindheit von einem Tullian gehört habe, der vor zwei Jahrhunderten als
gefürchteter Räuber und Mörder in Ungarn und Slavonien gelebt hatte.
Einstimmig wurde ihm dieser Name gegeben.

Nun ging es zum Mahle, zum Zechen und Schwelgen, und als Lips Tullian
das Geld, um welches ihm der eben gegenwärtige Haupt-Baldoverer[6]
der Bande, ein Jude, des Liebensteiners Roß abgekauft hatte, der
Gesellschaft zum Ankaufe von Branntwein überließ, hatte er sich gleich
Alle zu den innigsten Freunden gemacht. --

    [6] Kundschafter, Spion.



IV.

Lips Tullian’s erstes Räuberleben.

    Ja, fürwahr die Hölle bindet
    Fest, was einmal sie gefaßt;
    Wie die Nadel, wenn sie hat
    Den Magnet berührt, nach Norden
    Ewig ihre Spitze drehet,
    Kehrt, wer einmal bös gethan
    Ewig seinen Sinn zum Bösen.

                        ~Müllner.~


Lips Tullian schwelgte mit seinen neuen Genossen bis spät in die Nacht
hinein. An der Seite der schönen ~Lene~, seiner neuen Zuhälterin,
erwachte er am andern Morgen. Der Kopf war ihm wüste, es brannte ihm
wie Feuer im Gehirn, und er befand sich in einer höchst unangenehmen,
widerlichen Stimmung. Noch einmal wachte sein besseres Selbst in ihm
auf und zeigte ihm den Abgrund, in den er rettungslos versinken mußte,
wenn er die eben betretene Bahn fortschreiten wollte. Aber mit Gewalt
unterdrückte er die Stimme in seinem Innern, die ihn unablässig zur
Umkehr mahnte, er konnte ja auch nicht mehr zurück, denn er hatte ja
seine Laufbahn mit einem Raubmorde begonnen.

In den Armen der schönen Lene vergaß er bald seine üble Stimmung und so
übertäubte er den letzten Funken seines besseren Gefühls.

Diese Räuberbande war die verwegenste in ganz Schlesien; von ihrem
sicheren, nicht leicht auffindbaren Verstecke im Trebnitzer Waldgebirge
aus verbreitete sie weithin Furcht und Entsetzen. Raub, Mord und
Brandstiftung gehörten zur Tagesordnung. Vergeblich bemühten sich die
Behörden, diesem Treiben zu steuern, ihr Arm war zu schwach dazu,
denn wenn es ihnen auch nicht selten gelang, einzelne Mitglieder
dieser Räuberbande einzufangen, so wurden diese entweder von ihren
Genossen wieder befreit oder fanden selber Mittel und Wege, aus
ihrem Gefängnisse wieder auszubrechen, oder wurden gehängt; ein
Geständniß hinsichtlich des Aufenthaltsortes der Räuber war nicht
auszumitteln, und so lange die Räuberhöhle nicht ausgemittelt wurde,
blieben alle Anstrengungen der Behörden, dem Unwesen der Räuber zu
steuern, fruchtlos. Vergeblich setzten jene einen hohen Preis auf
die Entdeckung dieser Raubhöhle und auf den Kopf jedes Räubers, diese
verlachten und verspotteten ihre Versuche und Drohungen nur und
antworteten auf solche gewöhnlich durch einen neuen, höchst verwegenen
Einbruch auf einem festen Schlosse oder in einem wohlverwahrten
Gefängnisse.

Lips Tullian befand sich bei solchem Treiben ganz in seinem Elemente,
er wurde schnell der Kühnste und Verwegenste, sowie auch der Schlaueste
der ganzen Bande und galt bald ebensoviel, wo nicht noch mehr als
der schwarze Wenzel selbst. Schon durch die Ermordung des Herrn von
Liebenstein hatte er sich in großes Ansehen bei der Bande gesetzt, denn
dieser war, wie schon erwähnt, ihr gefährlichster und gefürchtetster
Verfolger, der unablässig ihnen auf den Fersen war und Tag und Nacht
nicht ruhte, wenn es galt ihnen zu schaden oder einen von ihnen
einzufangen. Er hatte auch schon eine nicht unbedeutende Anzahl von
ihnen unter Galgen und Rad geliefert. -- Was er mit seinem Ritt ohne
alle Begleitung damals beabsichtigt haben mochte, war schwer zu
rathen, sicherlich irgend einen geheimen Anschlag auf die Bande; um
so erfreulicher und erwünschter mußte dieser dessen Tod sein und eben
darum auch der Mörder dieses ihres rastlosen Verfolger bei ihnen in
großem Ansehen und Ehren stehen.

Ueber zwei Jahre trieb die Bande seit dem Eintritte Lips Tullians in
dieselbe ihr Wesen in dieser Gegend fort und zwar mit noch größerer
Verwegenheit und Frechheit wie früher; bald war der Name Lips Tullian
eben so gefürchtet und berüchtigt, wie der des schwarzen Wenzels, ja
noch mehr; und Lips Tullian konnte als der eigentliche Anführer der
Räuber gelten, denn er genoß nach und nach ein noch größeres Ansehen
bei seinen Raubgenossen, als der wirkliche Hauptmann, der schwarze
Wenzel.

War dieser auch bisher seiner zahlreichen Genossenschaft an Schlauheit
zur Auffindung ergiebiger Raubgeschäfte und an Muth in der Ausführung
gefährlicher Entwürfe überlegen gewesen, so machte er doch bald die
widrige Bemerkung, daß Lips Tullian in jeder Räuberbeziehung sein
Meister, und die Bande diesem Meister immer mehr gehorchend, immer
anhänglicher sei.

Eifersüchtig auf die Macht, die er schon seit Jahren über seine
Kameraden ausgeübt hatte, zu stolz, zu herrschbegierig, einen
Nebenbuhler seines Ansehens, noch viel weniger einen Gebieter zu
dulden, erschöpfte er sich in Entwürfen, dessen Ansehen bei der Bande
zu vernichten, oder, wenn das nicht gelinge, ihn auf unentdeckbare
Weise aus dem Wege zu räumen.

Wochenlang streifte er nun in verschiedenen Verkleidungen umher, und
spähete nur solchen Raubgelegenheiten nach, wo dem Räuber die größte
Gefahr drohete; er wußte, daß Lips Tullian nur die gefährlichsten
Unternehmungen liebe, daß er sich keiner versage. In der Gefahr den
Verhaßten untergehen zu machen, war sein einziges Vorhaben; ja man
flüsterte sich in der Bande zu: der schwarze Wenzel habe in einem
heftigen Gefechte mit Jägern und Bauern zweimal nach Tullian geschossen.

Dieser durchschaute seinen Todfeind sehr wohl; er war rastlos, sich
bei jeder Gelegenheit so auszuzeichnen, daß er mit Zuversicht erwarten
durfte, die Bande werde seine Thaten würdigen und ihn zum Oberhaupte
ernennen; Wenzels Entfernung aus der Gesellschaft sollte dann die
feste Bedingung sein, unter welcher er die Anführung übernehme und als
Oberhaupt sein Blut und Leben für die Bande weihe.

Das Treiben der Räuberbande hatte den höchsten Gipfel erreicht und es
war voraus zu sehen, daß ihnen nun ihr Handwerk bald gelegt werden
mußte, denn sie erdreisteten sich sogar, die Postwagen zu überfallen
und auszuplündern und die von der Regierung denselben beigegebene
Bedeckung niederzumachen.

Die Räuber mußten jetzt öfters Gefechte mit den gegen sie
ausgeschickten Soldaten bestehen; einen andern Vortheil über sie
vermochten die Soldaten jedoch nicht zu erringen, als den, daß sie
ihnen einige Leute tödteten, deren Leichnam die Räuber gewöhnlich mit
sich fortnahmen und in ihren unzugänglichen Schlupfwinkel trugen.



V.

Der Ueberfall von Trebnitz.

    Sagt es selbst, wird Oerindur
    Täglich kühner nicht und wilder?

                        ~Müllner.~


Nach langer Entfernung kehrte Wenzel einst von der Kundschaft
zurück und brachte Nachricht, daß der Zigeuner und der kleine Karl
aufgegriffen und in das Gefängniß des Kriminalgerichtes von Trebnitz
gebracht worden seien.

Lips Tullian kannte die beiden als zähe Bursche, denen einige Grade der
Tortur keine Geständnisse zu erpressen vermögen. Aber er wußte auch,
daß der Kriminalrichter von Trebnitz ein eben so feiner als unermüdeter
Inquirent sei, und daß auch der hartnäckigste Leugner nie vor ihm in
seiner Hartnäckigkeit bestanden habe.

Diese beiden mußten daher dem gefürchteten Untersuchungsrichter
entrissen werden, das erklärte Tullian, und mit ihm die ganze Bande,
als die erste und nothwendigste That.

Die Ausführung war, der Festigkeit des Gefängnisses, der zahlreichen
Wächter und eines Militärcommandos wegen, das soeben zur Unterstützung
der Behörde in Beitreibung landesherrlicher Gefälle zu Trebnitz lag,
mit fast unüberwindlichen Schwierigkeiten und der höchsten Gefahr
verbunden, und doch mußte alles versucht, alles gewagt werden, denn die
Sicherheit, das Leben der ganzen Bande hing allein von der Freiheit
ihrer Gefährten ab.

An der Spitze des größten Theils der Bande zog Lips Tullian nach
Trebnitz. List und Gewalt blieben fruchtlos, sie brachen ihre
raschen, kräftigen Schwingen an der Wachsamkeit, und an dem Muthe der
Gerichtsdiener und Soldaten.

Die Bande mußte abziehen, wurde beim Abzuge von dem Militärcommando,
von berittenen Jägern und Gerichtsdienern, von wohlbewaffneten
Flurschützen und Bauernburschen plötzlich überfallen, trotz der
muthigsten Gegenwehr theils getödtet, theils gefangen und der
größte Theil zerstreut, Lips Tullian, der, mit der Tollkühnheit der
Verzweiflung kämpfend, erst auf Flucht dachte, als für die Seinigen
nichts mehr zu hoffen war, rettete sich auf dem Pferde eines Jägers,
den er, unter den Bajonetten der Soldaten, unter den Säbelhieben der
Berittenen vom Pferde stach.

Hierdurch bewogen, beschloß endlich die Regierung, diesen Räubereien
auf einmal ein Ende zu machen und die ganze Bande in der Höhle
aufzuheben.

Eine Compagnie Infanterie wurde zur Ausführung dieses Auftrags
beordert. Im Schutze der Nacht und eines dichten Nebels gelangten die
Soldaten bis an den Eingang der Höhle. Man konnte in das Innere der
Höhle nur durch einen engen, finstern Gang gelangen, durch welchen die
Soldaten auf dem Bauche kriechen und ihr Gewehr hinter sich her ziehen
mußten.

Der Anführer forderte die Entschlossensten und Muthigsten auf, in
die Höhle hineinzukriechen. Am Ende des Ganges, wo die Höhle sich
erweiterte, sollte Jeder auf die Seite treten, um seinem Nachfolger
Platz zu machen. 25 Mann von der Compagnie sollten vorderhand auf diese
Weise in die Höhle eindringen, die Uebrigen blieben außen stehen, um,
sobald sie schießen hörten, zu Hülfe eilen zu können.

Der Führer, welchen die Soldaten mit sich genommen hatten, ein junger
Mann von 20 Jahren, ein gefangener Räuber, welcher mit der Höhle
vertraut war, kroch zuerst auf dem Bauche, wie eine Schlange sich
windend, in den engen Gang hinein und verschwand alsbald im Dunkeln.

Ein Soldat folgte ihm, dann ein zweiter, dann ein dritter, bis endlich
die dazu bestimmte Mannschaft drinnen war, ohne daß sich irgend ein
Geräusch hören ließ, irgend ein Schein die dunkle Nacht erhellte,
welche sie umgab.

Die Stille schien von guter Vorbedeutung zu sein. Die Räuber, von einem
beschwerlichen Raubzuge zurückgekehrt, schliefen wahrscheinlich und
hatten auch wohl keine Wachen ausgestellt. Diese Hoffnung richtete die
bangklopfenden Herzen der außen harrenden Soldaten auf, und frohen
Muthes krochen noch weitere 15 Mann ihren Kameraden nach durch den
engen Gang.

Eine Stunde ging auf diese Weise vorüber, ungeduldig harrten die
Außenstehenden auf den Erfolg, aber eine zweite Stunde verging und
nicht der leiseste Laut unterbrach das schauerliche Schweigen, welches
in der Höhle herrschte. Plötzlich hörte man eine Salve krachen,
dann eine zweite und endlich eine dritte, ähnlich dem Krachen eines
Pelotonfeuers. Allem Anscheine nach kämpften die in die Höhle
gedrungenen Soldaten mit den Räubern.

Zwei Gensd’armen ritten in die benachbarte Stadt und meldeten, daß
die Soldaten des 65. Regiments mit den Räubern in der Leiterhöhle im
Handgemenge seien und daß die Letztern ohne Zweifel vernichtet werden
würden.

Diese Nachricht verbreitete sich schnell in der Umgegend, und die
Bauern eilten schaarenweise herbei, um die Gefangennahme der Räuber mit
anzusehen.

Inzwischen war es Tag geworden und die Schüsse in der Höhle waren
verstummt; von den 40 Mann, die in die Höhle eingedrungen, kam kein
einziger wieder zum Vorschein. Der Oberst des Regiments kam unterdessen
mit einer weiteren Compagnie aus der Stadt anmarschirt. Mit wenigen
Worten ließ er sich von dem seither Geschehenen unterrichten, und als
er erfuhr, wie viele Soldaten in die Höhle eingedrungen und wie kurze
Zeit nur das Schießen gedauert, überzog sein Antlitz tiefe Trauer, und
in fieberhafter Aufregung ging er auf und ab, um nachzudenken, was zu
thun sei.

Eine volle Stunde brachte der Oberst so in schweigendem Nachdenken
zu, und dieselbe peinliche Stille herrschte auch bei den Soldaten.
Endlich befahl er einem jungen Soldaten, in die Höhle hineinzukriechen.
Er selbst kroch sodann hinter ihm her und hielt ihn immer am rechten
Fuße, von dem er den Stiefel ausgezogen hatte. Nach einigen Minuten kam
der Oberst wieder zurück, bleich, mit verstörten Zügen. Das Regiment
hatte bei 40 Mann verloren, daran war nicht mehr zu zweifeln, denn als
der Oberst einige Minuten hinter dem jungen Soldaten hergekrochen war,
fühlte er plötzlich, wie dessen Fuß, den er immer in der Hand hielt,
krampfhaft zuckte und eiseskalt wurde; dann wurde der Körper gewaltsam
vorwärts gezogen. Aus diesen unheilvollen Anzeichen mußte er schließen,
daß der Unglückliche enthauptet worden und daß mit seinen Vorgängern
auf diesem gefährlichen Wege dasselbe geschehen sei.

Der Oberst ließ aus der Stadt zwei Maurer holen und den Eingang der
Höhle fest zumauern, ein Wachtposten wurde sodann vor die vermauerte
Oeffnung gestellt, und die wackern Soldaten des Regiments marschirten
schweigend in die Stadt zurück.

Waren auch die wackern Männer, die in die Höhle eingedrungen, eines
grausamen Todes gestorben, so büßten jetzt doch wenigstens die
Räuber für ihr Verbrechen; lebendig begraben mußten sie eines noch
schrecklichern Todes sterben, als ihre unglücklichen Opfer. -- Mit
diesem Gedanken tröstete sich der Oberst und die ganze Bevölkerung in
der Stadt und auf dem Lande. Man denke sich daher das Erstaunen dieser
Leute, als sie drei Tage nachher erfuhren, daß der Ober-Steuereinnehmer
in der Stadt beim Aufstehen seine Casse erbrochen und statt der
bedeutenden Geldsumme, die sich in derselben befunden hatte, nur noch
einen Zettel fand, auf welchem die Worte standen: ~Die Räuber in der
vermauerten Höhle~. --

Das Erstaunen und der Schreck, welcher sich bei diesem neuen verwegenen
Handstreich, dieser ruchlosen Prahlerei, in der ganzen Umgegend
verbreitete, läßt sich schwer beschreiben. Die abgeschmacktesten
Erzählungen fanden bei den abergläubischen Gebirgsbewohnern Glauben,
die Räuber waren bestimmt Hexenmeister und hatten einen Bund mit dem
Teufel geschlossen.

Die vernünftigen Leute dachten alsbald an einen zweiten Ausgang aus
der Höhle, denn anders ließ sich das räthselhafte Wiedererscheinen der
eingemauerten Räuber auf natürlichem Wege wenigstens nicht erklären.
Man forschte deshalb bei den Bewohnern des flachen Landes nach, ob
nicht der Eine oder der Andere von einem solchen zweiten Ausgang etwas
wisse, aber vergebens, weder jüngere noch ältere Leute hatten je von
einem andern Ausgang gehört, als von dem nun zugemauerten.

Man zündete alles Buschwerk in der Nähe der Höhle an, unter welchem
möglicherweise ein zweiter Eingang hätte versteckt sein können, aber
umsonst, es zeigte sich nichts. Endlich beschloß man das Gebirge
dermaßen mit Soldaten einzuschließen, daß keine lebende Seele an den
auf den Höhen und an den Abhängen des Berges, in welchem die Höhle lag,
aufgestellten Wachtposten unbemerkt vorbei konnte.

Diese Maßregel wurde ausgeführt, schien aber ohne Erfolg zu bleiben,
denn drei Wochen lang währte der beschwerliche Wachtdienst, ohne daß
sich der heiße Wunsch der Soldaten, ihre Kameraden rächen zu können,
erfüllen zu wollen schien.

Bereits begann die Mannschaft über den beschwerlichen Dienst zu murren,
da verließ in einer regnerischen Nacht ein Wachtmeister das Lager, um
ein Mädchen zu besuchen, welches eine Stunde vom Lager entfernt wohnte.
Diesen führte sein Weg an einem dichten Gestrüppe von Erdbeeren und
Zwergkirschenbäumen vorbei; er strauchelte in der Dunkelheit und fiel
auf einen bemoosten Stein. Plötzlich glaubte er unter diesem Steine
eine dumpfe Stimme zu hören. Ohne Geräusch zu machen, stand er auf und
legte sich in einer Entfernung von einigen Schritten in einem Gebüsche
platt auf den Bauch nieder, hielt den Athem an sich, und harrte mit
gespannter Erwartung der Dinge, die da kommen sollten.

Dazwischen war jedoch Alles wieder stille geworden, und schon glaubte
der Wachtmeister sich getäuscht zu haben und wollte sich entfernen, da
sah er plötzlich, wie er den Blick immer fest auf den Felsen gerichtet
hielt, unter welchem er die Stimme gehört zu haben meinte, die Zweige
um denselben sich bewegen, und einen Mann sich langsam aufrichten,
der wie die Bauern der Gegend gekleidet war. Der Mann schaute sich
vorsichtig um, ob Niemand ihn bemerkt habe, und schlug dann die
Richtung durch den Wald nach der Landstraße ein.

Sobald der Wachtmeister diese seltsame Erscheinung hatte verschwinden
sehen, untersuchte er aufmerksam die Stelle, wo sie aufgetaucht war,
und fand hinter einer Felsenecke, dem ungeweihten Auge künstlich
verborgen, die Mündung eines unterirdischen Ganges, der gerade groß
genug war, daß ein ausgewachsener Mann durch denselben gehen konnte.
Der Wachtmeister merkte sich die Stelle genau und eilte mit seiner
wichtigen Entdeckung zum Obersten, überzeugt, daß er den zweiten
Ausgang der Räuberhöhle gefunden habe.

Augenblicklich rückte der Oberst mit einem halben Bataillone vor den
bezeichneten Ort, und drang in tiefster Stille in den langen schmalen
Gang. Nach einem unheimlichen Marsch von einer halben Stunde im
Finstern bemerkten die Soldaten in ziemlicher Nähe einen schwachen
Lichtschimmer. Eine Schildwache, die dort stand, und wohl glaubte,
sie habe es mit Freunden zu thun, rief ihnen ein „Wer da?“ zu, aber
ein Grenadier sprang rasch auf sie los, und durchbohrte sie mit dem
Bajonnette, noch ehe sie Zeit fand, ihren Ruf zu wiederholen, oder ihr
Gewehr abzufeuern.

Der Gang war hier so eng, daß alle Soldaten über die Leiche des Räubers
hinwegschreiten mußten. Diese Schildwache hätte gefährlich werden
können, denn hätte sie Zeit gefunden, zu schießen, so wäre es ihr
gelungen, die Soldaten aufzuhalten, und den Räubern Zeit zu geben, sich
zu sammeln, und den Soldaten das weitere Vordringen zu wehren.

Nachdem aber dieses letzte Hinderniß vollends beseitigt war, kamen die
Soldaten in einen geräumigen Saal, in welchem eine Truppe, 20 Mann
hoch, aufgestellt werden konnte. Hier ließ der Oberst Halt machen;
die Stunde der Gefahr war da. Fackeln wurden angezündet, die Trommeln
wirbelten zum Angriff, und die Räuber, mitten in einem Zechgelage
überrumpelt, sprangen entsetzt auf, griffen eiligst zu den Waffen, und
eröffneten unter lautem Geschrei ein lebhaftes Gewehrfeuer.

Dieser unerwartete Angriff und die verzweifelte Gegenwehr boten ein
furchtbares Schauspiel. Die Räuber waren der Zahl nach die Schwächeren,
aber sie hatten den Vortheil, mit allen Windungen und geheimen Gängen
der Höhle bekannt zu sein. In diesem Vertilgungskampfe beim Scheine der
Fackeln und dem Aufblitzen der Gewehrsalven wurde Alles ein Werkzeug
des Todes. Gewaltige Steinmassen, durch die von den Gewehrsalven
verursachte Erschütterung abgelöst, stürzten vom Gewölbe hernieder und
zerschmetterten in ihrem Falle Räuber und Soldaten. Die von den Felsen
abprallenden Kugeln rissen von denselben ungeheure Stücke los, welche,
wo sie trafen, schreckliche Verwundungen verursachten. Der schauerliche
Lärm des Kampfes, das Wirbeln der Trommeln, das Stöhnen der Verwundeten
und Sterbenden wiederhallte, durch das Echo vervielfältigt, in der
ganzen Höhle.

Der Räuber waren es höchstens vierzig, aber bei den Vortheilen, welche
ihnen die Oertlichkeit darbot, und da sie tüchtige Schützen waren,
die ihr Leben muthig in die Schanze schlugen, war ihre Stärke um das
Hundertfache höher anzuschlagen. Ueberall durch Spalten oder Vorsprünge
der Felsen gedeckt, schossen sie die Soldaten nieder, ohne daß diese
sie erreichen konnten. Glücklicherweise war die Truppe durch immer
nachrückende Verstärkung im Stande, ihre Verluste rasch zu ersetzen,
und durch allmäliges Vordringen die Räuber auf einen Punkt zu treiben,
wo der Kampf, der so vielen Wackeren das Leben kostete, doch endlich
mit einem Schlage zu Ende gebracht werden mußte.

Der Kampf hatte bereits eine Stunde gewährt, die Räuber waren, von
einer Stellung zur andern vertrieben, bis an einen kleinen See gelangt,
der sich nahe am Ende der Höhle befand. Sie wateten durch denselben,
und als die Soldaten, welche die seichten Stellen des See’s nicht
kannten, ihnen nachsetzten, sanken sie bis an die Hüften ins Wasser,
und hatten dabei ein mörderisches Feuer auszuhalten; als sie aber erst
wieder im Trockenen waren, trieben sie die Räuber mit gefälltem Bajonet
bis an das äußerste Ende der niedern Höhle vor sich her.

Dort aber wartete ihrer eine neue Schwierigkeit, ein weit ernsteres
Hinderniß, als alle seither durch ihren Muth und ihre Entschlossenheit
überwundenen. Die Räuber waren bis zum Ende der Höhle zurückgetrieben
worden, wo man mit Hilfe zweier Leitern, die zusammengebunden über
einen bodenlosen Abgrund gelegt waren, in eine zweite etwas tiefer
gelegene Höhle gelangte. Hier löschten die Räuber die Fackeln aus, und
zündeten einen Haufen feuchtes Stroh an, welches die ganze Höhle mit
einem dichten, erstickenden Qualm füllte. Sodann ließen sie sich an den
Leitern hinab, und stürzten diese in den Abgrund, nachdem sie einen
kleinen Vorsprung erreicht hatten, auf welchem jedoch nur acht von
ihnen Platz fanden, während die Uebrigen sich nach dem untern Theile
der Grotte begaben, von wo sie über Felsen und Steine in nischenförmige
Höhlungen kletterten, aus welchen sie, unsichtbar und geschützt, ihre
Gegner niederschießen konnten, wenn diese den Versuch machten, den
Abgrund zu überschreiten.

Das Erstaunen der Soldaten, als sie einen Augenblick durch die
Finsterniß aufgehalten, nachdem der Strohbrand gelöscht war, beim
Scheine der wieder angezündeten Fackeln die letzten Räuber in den
Felsen verschwinden sahen, läßt sich leichter denken als beschreiben.

Das Krachen eines wohlunterhaltenen Gewehrfeuers, das von dem Vorsprung
und von dem Gewölbe kam, weckte sie bald aus dem Erstaunen, und zeigte
Ihnen, in welcher Gefahr sie sich befanden. Das ganze erste Glied wurde
niedergeschmettert als es am Rande des senkrechten Felsen angekommen
war, an welchem der Abgrund begann. In augenblicklicher Entmuthigung
zogen sich die braven Soldaten zurück. In diesem ungleichen Kampfe sah
man sich von unsichtbaren Feinden getroffen, ohne ihnen wieder etwas
anhaben zu können.

Der Oberst erkannte indeß mit seinem erfahrenen Blicke, daß der
Augenblick der Entscheidung gekommen sei. Er hatte sich mit
Strickleitern versehen, und nachdem er alle Lichter hatte auslöschen
lassen, ertheilte er laut den Befehl zum Rückzuge.

Gleichzeitig vertheilte er, während der übrige Truppenkörper die
Füße bewegte, als ob er sich in Marsch gesetzt hätte, seine besten
Schützen in die äußersten Vertiefungen des Felsens, und ließ Leitern
herbeibringen, um sie über den Abgrund zu legen. Nach diesen
Vorbereitungen ließ der Oberst plötzlich einige Feuertöpfe nach dem
Vorsprunge jenseits des Abgrunds werfen, deren rothes Licht wie die
Flamme des Vulkans den Theil der Höhle, wo die Räuber auf dem Vorsprung
und in den Nischen versteckt waren, grell erhellte und den Soldaten
ihre Feinde sichtbar machte.

Nun fielen hundert Schüsse auf einmal, und man sah fast sämmtliche
Räuber, durch das plötzliche Licht geblendet und nun ihrerseits
von unsichtbaren Feinden niedergeschmettert, wie Figuren bei einem
Festschießen zu Boden stürzen. Nach einigen wenigen Salven war der
Kampf zu Ende. Jedoch gelang es den noch am Leben gebliebenen Räubern
zu entfliehen. Die meisten davon waren jedoch auf dem Platze todt
geblieben.

Nachdem der letzte Schuß gefallen war, sammelten sich die Soldaten
wieder; da zeigte sich erst, wie schrecklich ihre Reihen gelichtet
waren. Sodann durchsuchten sie die Höhle auf’s genaueste. Am äußersten
Ende derselben angekommen, prallte der Oberst, welcher mit mehreren
Offizieren voranging, mit einem Schrei des Entsetzens zurück. Ein
grausenerregendes Schauspiel bot sich seinen Blicken dar, vor welchem
auch seine Mannschaft, stumm vor Schmerz und Wuth, zurückschauderte.

An der ganz von Blut gerötheten Felswand standen 40 Körper und eine
gleiche Anzahl abgeschlagener Köpfe nach der Ordnung aufgestellt. Es
waren dies die Leichname der wackern Soldaten des 65. Regiments, welche
vor drei Wochen in die Höhle einzudringen versucht hatten, und denen
von den Räubern die Köpfe abgeschnitten worden waren, sobald sie an
das Ende des engen Ganges kamen.

Die zwölf gefangenen Räuber büßten nach nicht ganz drei Monaten auf dem
Marktplatze der Stadt ihr Verbrechen auf dem Schaffot.



VI.

Lips Tullians Flucht und Rettung.

    Beim Himmel, Herr! Sie setzen scharf euch nach,
    Durchsuchen jeden Busch ringsum im Thale;
    Ihr seid geächtet, vogelfrei erklärt, Preise stehen
    Auf eurem Haupt, gar hohe Preise, Herr!

                             ~Friedrich Halm.~


Aus vielen Wunden blutend, erreichte Lips Tullian die Hütte eines
Köhlers, der unter die Vertrauten der Bande gehörte und in der Nähe
seines armseligen Häuschens einen sichern Versteck für umherstreifende
oder verfolgte Räuber hatte, auch von der Bande zu Zeiten Geld erhielt,
um für Zusprüche mit Lebensmitteln versehen zu sein. Der Köhler
kannte heilsame Pflanzen, die er für des Verwundeten Wunden schnell
herbeischaffte. Durch diese und sorgliche Pflege hatte er ihn schon
nach einigen Tagen hergestellt.

Die Räuber hatten einen versteckten Ort mehrere Meilen von der bisher
bewohnten Räuberhöhle zu ihrem Sammelplatze bestimmt. Er beschloß nun
nach seiner Genesung, in der Nacht und auf den abgelegensten Wegen zu
den Seinigen zurückzukehren. In einem zerrissenen Anzuge des Köhlers,
Gesicht und Hände geschwärzt, eine Axt auf der Schulter, wollte er so
eben seinen Versteck verlassen, als der Köhler mit lautem Wehklagen
zu ihm hereinstürzte, gefolgt von seinem jammernden Weibe, das unter
lautem Weinen erzählte, sie sei diesen Abend in Fichtenberg gewesen,
habe dort von ihrer Base gehört, daß der neue Aufenthalt der Räuber im
Forste Wildenfels von gefangenen Räubern sei verrathen, und beinahe
die noch übrige ganze Bande von dem Trebnitzer Amte dort aufgegriffen
worden.

„Ich wollte anfangs diese schreckliche Kunde nicht glauben,“ -- schloß
die Köhlerin ihre höchst fatale Nachricht -- „konnte aber nicht lange
an der Wahrheit dieser Kunde zweifeln, da, während wir noch sprachen,
vier Leiterwagen durchs Dorf fuhren, und ich auf selben den schwarzen
Wenzel, den langen Haneder, den Pferdbuben, Trolls Gustel und ihre
Schwester erkannte. Hände und Füße der Gefangenen waren mit schweren
Ketten belegt, und viele Soldaten, Gerichtsdiener mit großen Hunden,
einige Jäger zu Pferde und Bauern mit Flinten, Mistgabeln und Knitteln
umgaben die Wagen. Ich bitte Euch um alles, ungesäumt zu entfliehen,
denn es sagen die Leute mit Bestimmtheit, daß in der ganzen Gegend die
strengsten Nachforschungen vorgenommen werden.“ --

Lips Tullian war gleich entschlossen. Er wusch sich Gesicht und Hände,
zog seine Kleidung wieder an, steckte die Doppelpistolen zu sich, hing
seinen kurzen, scharfen Säbel um und hüllte sich in den weiten, feinen
Mantel, den er auf dem Pferde des Jägers gefunden hatte. Er war zur
Abreise gerüstet.

Der Köhler brachte ihm noch eine Zehrung in einer vollen Flasche
Branntwein, Brod und Speck, überdieß einen Beutel mit 60 fl., welche er
in jüngster Zeit zur Anschaffung von Lebensmitteln für einsprechende
Kameraden aus den Zusammenschüssen der Bande erhalten hatte.

Daß der Köhler bei seiner Armuth und bei der Gewißheit von dem Unfalle
der Bande diese Summe ausliefern wollte, ist ein Zug von Redlichkeit
und Herzensgüte, der nur von einem tugendhaften Manne, aber nicht von
einem Diebshehler hätte erwartet werden können. Lips Tullian trug noch
die inhaltreiche Börse des Herrn von Liebenstein unangegriffen bei
sich; er besaß eine nicht unbedeutende Summe von seinem Antheile an
der jüngst geschehenen Beraubung eines sehr reichen Pächters, und war
daher eher geneigt, dem armen Köhler zu geben, als von ihm zu nehmen.
Unter den besten Wünschen dieser Leute verließ er gegen Mitternacht die
Hütte.

Böhmen war das Land, wohin er eilte, anfangs aber nur in Nachtmärschen,
und kaum von mehr als Quellwasser und Waldfrüchten lebend.

An der sächsisch-böhmischen Grenze trieben damals, wie ihm wohl
bekannt war, mehrere verwegene Räuber ihr Wesen, es waren dies:
~Sarberg~, bekannt unter dem Namen der ~Studentenfritz~; ~Schickel~,
der Brettbauer; ~Christian Eckhold~, der schöne Böttcher; ~Hans Wolf
Schöneck~; ~Daniel Lehmann~ und der Kolmnitzer Schneider: ~Michael
Hentzschel~. Diese raubten theils einzeln auf eigene Faust, theils in
Verbindung mit einander; eine geschlossene Bande war es nicht. Diese
aufzusuchen, war Lips Tullians Absicht, um sich diesen anzuschließen,
sie zu vereinigen und sich aus diesen verwegenen Männern eine neue
Räuberbande zu bilden.

Es dürfte daher wohl jetzt an der rechten Stelle sein, diese Leute
etwas näher kennen zu lernen.



VII.

Sarberg,

genannt: =der Studentenfritz=.

    Ein feindlich Schicksal stürmte durch mein Leben.
    Nein, nicht geboren ward ich, als ein Dieb
    In Waldesnacht mein Leben zu verdienen;
    Zu schönern Tagen zog das Glück mich auf,
    Und aufgezogen seiner Gunst vertrauend,
    Betrog es mich und ließ mich sinken.

                                   ~Th. Körner.~


In dem Dorfe Hündorf des Fürstenthums Sagan war Sarberg geboren.
Sein Vater, herrschaftlicher Verwalter, und seine Mutter, aus einer
angesehenen Familie stammend, genossen den allgemeinen Ruf eines
unbescholtenen Wandels.

Unter der weisen Sorge und der zärtlichen Liebe seiner biedern Eltern
erwachsend, die für die Erziehung ihres einzigen Sohnes das Beste
thaten, verrieth Friedrich schon in der Blüthe des Jugendalters recht
viele Fähigkeiten, aber auch viele Neigung zu einem schwärmenden Leben,
dabei einen Muth und eine Beharrlichkeit von seltener Stärke.

Zur Nachfolge im Amte seines Vaters von den Eltern und dem gräflichen
Gutsherrn bestimmt, wurde Sarberg in Allem, was er für seine künftige
Bestimmung zu wissen nöthig hatte, sorglich unterrichtet. Aber schon
als Knabe von zwölf Jahren erklärte er mit eisernem Trotze, sein
Leben nicht hinter den Pflügen, auf dem Kornboden, bei der Viehmast
verleiern, sondern als Soldat oder Seemann einst große Dinge leisten zu
wollen. Dieser Erklärung setzte sein Vater, der mit leidenschaftlicher
Vorliebe an der Landwirthschaft hing, und sie für den wichtigsten und
edelsten Zweig an dem Riesenbaume des menschlichen Wirkens hielt,
das freundlichste Zureden, die herzlichste Ermahnung entgegen; diese
wurden zum strengen Ernst, zur harten Behandlung, zur Androhung der
Enterbung und des Fluches, als Friedrich mit aller Kälte und Festigkeit
versicherte, nicht von dem Willen seines Vaters, sondern nur von seinem
eigenen sich für seinen Stand bestimmen zu lassen.

In früherer Zeit der Gegenstand der zärtlichsten Liebe seiner Eltern,
jetzt mit Geringschätzung, oft mit der rauhesten Härte behandelt,
wurde der sonst offene Friedrich ein listiger Heuchler. Er begann mit
Thätigkeit sich der Landwirthschaft anzunehmen, bei jeder Gelegenheit
den Unterricht seines Vaters, den Rath erfahrner Landwirthe einzuholen
und alles aufzubieten, was seine, nun so plötzlich erwachte Neigung zum
landwirthschaftlichen Wirken im hellleuchtenden Lichte darzustellen
vermochte. Ueber diese Sinnesänderung ihres Sohnes waren Vater und
Mutter entzückt, aber bald sollten sie enttäuscht werden.

Friedrich war klug genug, recht wohl einzusehen, daß er ein hübsches
Sümmchen nöthig habe, um beim Militär oder auf einem Schiffe
unterzukommen, ohne als ein geldloser Wicht gleich bei seinem
Erscheinen hintenangesetzt zu werden. Durch Beharrlichkeit in seiner
laut ausgesprochenen Abneigung gegen die Landwirthschaft war er von
allen Mitteln entfernt, sich Geld zu verschaffen; dadurch, daß er den
Wünschen seiner Eltern schmeichelte und ihrem Willen ganz zu genügen
schien, öffneten sich ihm wieder deren Herzen und Börsen.

Aber er begnügte sich nicht, seine wackern Eltern durch Heuchelei zu
täuschen, um aus ihrer Casse zu schöpfen, sondern war bald schlecht
genug, durch heimlichen Verkauf von Holz aus den herrschaftlichen
Wäldern, durch Betrügereien im Kornhandel und durch manchen andern
ehrlosen Gelderwerb sich nach und nach eine bedeutende Summe zu
ergaunern.

Gerade als seine Kasse in einem Zustande sich befand, der ihm die
Mittel zur Erfüllung seiner geheimen Pläne gewährte, rückte ein
Commando des österreichischen Dragonerregiments Mansfeld in Hündorf
ein. Der commandirende Officier erhielt sein Quartier im Schlosse. Nun
war Friedrich in seinem Elemente. Man fand ihn nur in den Ställen bei
den schmucken Dragonerpferden, oder im Wirthshause unter den Reitern,
die er schon als seine Kriegsgefährten betrachtete, ja sich schon im
Schlachtgewühle in ihren Reihen, bald durch Belohnung seiner Tapferkeit
an ihrer Spitze sah.

Der Wachtmeister des Commando, ein alter Kriegsmann, der dem
Doppellümmel vorzüglich hold war, wurde von Friedrich zu seinem
Vertrauten erwählt. Des Jünglings schöne, kräftige Gestalt, seine
empfehlungsreiche Haltung, der Anstand und die Gewandtheit, womit
er, ein von Jugend auf geübter Reiter, das wildeste Dragonerpferd
tummelte, hatten das werblustige Gemüth des Wachtmeisters bald mit dem
Wunsche erfüllt, solch einen herrlichen Rekruten in die Schwadron zu
bekommen. Als ihm nun Friedrich vertraute, von dem heißesten Verlangen
beherrscht zu sein, in die Reihen der Mansfeldischen Reiter zu treten,
doch dieses nur heimlich geschehen könne, da sein Vater dazu nie seine
Einwilligung geben werde; und wie nun Friedrich den Wachtmeister um
guten Rath, um sein kräftiges Wirken zur Erfüllung so heißer Wünsche
bat, und diese Bitte durch einige Goldstücke unterstützte, da versprach
ihm dieser mit einem derben Fluche, alles anzuwenden, was solch ein
schätzbares Verlangen nach dem Glücke, kaiserlicher Majestät zu dienen,
zur Erfüllung bringen könne. Auf der Stelle ging der Wachtmeister zu
seinem Offizier und vertraute diesem Friedrichs Wünsche, zugleich
aber auch die Hindernisse von väterlicher Seite. Der Officier, ein
kaltherziger, geldsüchtiger Patron, der, um seinen Säckel zu füllen,
allen Eltern ihre Söhne entführt hätte, hörte kaum vom Wachtmeister,
daß der junge Mensch Geld habe, als er Friedrich zu einer geheimen
Unterredung in ein nahes Wäldchen beschied, das heiße Verlangen
des Kriegslustigen noch mehr entflammte, dann plötzlich Berge von
Hindernissen aufthürmte, aber diese gleich wieder in die lieblichste
Ebene umwandelte, als Friedrich, den Geldsüchtigen durchschauend,
ihm 50 Dukaten für die Einreihung in die Schwadron, jedoch auf sehr
geheimen Wegen, pränumerirte. Der Officier gab sein Wort, ertheilte
Friedrich den Rath, ein Geschäft aufzufinden, welches ihn einige Tage
vor dem 27., wo die Schwadron wieder aus Hündorf abmarschire, vom
väterlichen Hause entferne, und dann auf Seitenwegen voran zu eilen, so
daß er in Frauenfeld, wo das Commando Rasttag halte, gleich bei selbem
einrücken und mit abmarschiren könne.

Einige Tage vor dem Abmarsche der Dragoner gab Friedrich gegen seinen
Vater vor, so eben von einem zuverlässigen Manne erfahren zu haben,
daß in Liebrode -- er bezeichnete absichtlich einen, dem Marsche
des Commandos in entgegengesetzter Richtung liegenden Ort -- eine
bedeutende Anzahl spanischer Schafe verkauft werde, und ein sehr
vortheilhaftes Geschäft zu erwarten sei, da der Gutsbesitzer, von
seinen Gläubigern gedrängt, die Schafe um jeden Preis verkaufen müsse.
Vater Sarberg, schon lange nach jenen herrlichen Merinos lüstern,
und über seines Sohnes Betriebsamkeit hoch erfreuet, gab diesem eine
bedeutende Summe in Gold und seine besten Wünsche mit. Da die Hin- und
Herreise, wie auch der dortige Aufenthalt mehrere Tage erforderte, so
fiel es nicht auf, daß Friedrich einen vollen Mantelsack an den Sattel
schnallte. Auf seines Vaters bestem Reitpferde, durch Heuchelei und
Betrug im Besitze einer reichen Goldbörse, zog Friedrich von dannen,
einem Leben voll Verirrungen, Laster und Verbrechen, dem schmachvollen
Lohne seiner Thaten entgegen.

Zwei Jahre hatte Sarberg im österreichischen Dragonerregimente
Mansfeld gedient und zum Wachtmeister sich aufgeschwungen, als er in
der Trunkenheit den Offizier, der ihn arretiren wollte, niederhieb,
ins Stockhaus gebracht und zum Tode verurtheilt wurde. Die Tochter
des Stockmeisters, eine liederliche Dirne, schon seit längerer Zeit
mit Friedrich im vertrautesten Umgange und mit dessen Besitze einer
bedeutenden Geldsumme bekannt, versprach, ihn aus dem Gefängnisse zu
befreien, wenn er ihr auf das Feierlichste gelobe, sich mit ihr bei
erster Gelegenheit trauen zu lassen. Friedrich versprach ihr seine
Hand, seine unveränderliche Dankbarkeit, das herrlichste Leben mit
einem kräftigen Eide. Schon in der nächsten Nacht war Friedrich, von
der schlauen Dirne als Barfüßermönch verkleidet, unaufgehalten an der
ehrfurchtsvoll begrüßenden Schildwache vorüber durch das Stadtthor
gegangen und bald an dem verabredeten Orte angelangt, wo die Befreierin
in männlicher Kleidung seiner harrte, und, einen Korb auf dem Rücken,
an der Seite des vermummten Barfüßers wohlgemuth dahin zog, für einen
Knaben geltend, der den geistlichen Herrn begleite, um für selben die
Geschenke der Landleute zu tragen.

Jenseits der Gränze wurden die Verkleidungen in einen Teich versenkt.
Aus dem Korbe ging für Friedrich ein sehr stattlicher Anzug hervor, und
Elisabeth war schnell im niedlichen Frauenkleide. Friedrich, der schon
als Knabe von einem Formstecher in Hündorf von dieser Kunst so manches
sich angeeignet hatte, schrieb für sich und Elisabeth in der nächsten
Schenke einen wohlstylisirten Reisepaß, schnitt in festes Holz das
Gerichtssiegel seines Grafen, und versah sich so mit einem Dokumente,
welches allen Schein der Giltigkeit hatte und seine Reise ungehindert
machte. --

Daß Friedrich Sarberg nach seiner Entweichung aus dem Stockhause
bei einem Reiterregimente des Churfürsten von Brandenburg, dann
im dänischen Regimente Rottenstein, zwei Jahre hierauf unter den
Jordanischen Kürassieren als Fourier gestanden und sich da mit
Elisabeth verheirathet, hierauf im Görzischen Regimente gedient, die
Schlacht bei Binschof in Polen als Fahnenjunker mitgemacht habe und
als Adjutant des Dragoner-Obristen Billitz aus dem Militär-Verbande
getreten sei, gehet aus den Untersuchungsakten hervor, jedoch
ohne klare Beleuchtung seines Wandels in jener Zeit, über dessen
Unbescholtenheit er in seinen Verhören auf das Feierlichste sich
verbürgte, immerhin zum gerechtesten Zweifel des Criminalrichters, der
die Narben an Sarbergs Körper, von ihm als Folgen erhaltener Wunden im
Kriege angegeben, nur gar zu gut als die Merkmale ausgestandener Tortur
erkannte. Endlich gelang es doch, Sarberg zum Geständniß zu bringen,
daß einige dieser Narben aus einer Tortur herrührten, in welcher man
zu Hohenstein seinen Körper mit Wachslichtern gebrannt hatte, um von
ihm die Anerkennung eines Raubmordes zu erzwingen, welchen er während
seiner Kriegsdienste in Ungarn begangen haben sollte, daran aber ganz
unschuldig gewesen sei.

Nachdem Sarberg das Dragonerregiment des Obersten Billitz verlassen,
vorher aber seine Elisabeth, mit ihrer freudigsten Einwilligung um 30
Dukaten an einen alten, reichen Weinhändler abgetreten hatte, ging er
nach Danzig, handelte dort anfangs mit Pferden, dann mit Räucherwerk
und Flachs, gewann viel Geld, trieb dabei falsches Spiel mit Würfeln
und Karten, verlor aber all sein Vermögen an einen viel gewandtern
Betrüger, erstach diesen in der Wuth der Verzweiflung, und floh in die
Wälder, wo er sich an eine Räuberbande anschloß, einige Mal in Haft
gerieth, theils durch Ausbrechen aus den Gefängnissen, theils durch das
hartnäckigste Leugnen sich frei machte, dann ohne Genossenschaft stahl,
Straßenraub und Mord ausübte, endlich, wie wir alsbald sehen werden,
mit Lips Tullian sich vereinigte, und die Ehre genoß, an der Spitze der
Vertrauten dieses Verbrechers zu stehen.

Den Beinamen: „Studentenfritz“ hatte er erhalten, seiner Fertigkeit
im Schreiben und seiner Geschicklichkeit in Verfertigung von Stempeln
und Petschaften wegen, da in jenen Zeiten der ungebildete Mensch Alles
Student hieß, was sich durch Fähigkeiten und Künste dieser Art über das
Gemeine erhob.



VIII.

Samuel Schickel, der Brett-Bauer.

    Ha! gräßlich wird es Tag in meiner Brust!
    Ich Rasender, daß ich von Glücke träumte! --
    Fahr’ hin, du letzter Glaube an die Menschheit! --
    Welt, wir sind quitt! Du hast dein Spiel verloren!

                                 ~Th. Körner.~


Im sächsischen Dorfe Schönfeld, zur Gerichtsbarkeit des Amtes
Frauenstein gehörig, lebte ein Fuhrmann, Christoph Schickel, der
zwar nicht unter die reichen, wohl aber unter die vermögenden Leute
gehörte, den größten Theil des Jahres mit seinen vier Rappen über Land
war und sich nie lange zu Hause aufhielt, da sein Weib eben nicht den
sanftesten Charakter, dabei eine wahre Leidenschaft zum Widerspruche
hatte, vorzüglich aber, sobald ihr Mann in’s Haus trat, ein
unerschöpfliches Klagelied über ihre Kinderlosigkeit anstimmte, oft mit
beißenden Bemerkungen über des Mannes eheliche Kälte ausgestattet, wo
es dann auch nicht an sehr trivialen Anspielungen auf Ausschweifungen
während des Umherziehens im Lande und des Aufenthaltes bei hübschen
Wirthsfrauen und Mägden gebrach. Christoph Schickel, mit einer wahren
Fuhrmannsnatur begabt, dabei durch den steten Umgang mit der rohesten
Volksklasse eben nicht sehr verfeinert, begrüßte meistentheils bei
seiner Heimkunft die klagende, widersprechende, giftig anspielende
Ehefrau mit der Peitsche und wiederholte öfters im Laufe seines
Aufenthaltes zu Hause dieses Fest des zärtlichen Wiedersehens.

In der ganzen Umgegend von Schönfeld war die Sehnsucht der Frau
Schickel nach einem süßen Pfand ihrer ehelichen Liebe recht
wohl bekannt, und als sie sich nun auch gegen die Schönfelder
Klatschschwestern äußerte, selbst ein fremdes Kind annehmen und mit
der herzlichsten Mutterliebe erziehen zu wollen, so kam eine Dirne aus
Schönfeld ihren Wünschen zuvor, indem diese wegen ihrer Schwangerschaft
aus dem Hause der Eltern verstoßen und von dem armen aber herzensguten
Dorfhirten aufgenommen, ihr neugebornes Kind in Lumpen hüllte, der Frau
Schickel nächtlicher Weile vor die Thüre legte und sich auf und davon
machte, nachdem sie dem Hirten vertraut hatte, welches Geschenk sie der
kindersüchtigen Kärnerin hinterlassen habe.

Frau Schickel war anfangs sowohl gegen das Kind, als auch dessen
unberufene Geberin sehr erbost, jedoch bald, trotz ihres sonst
langwährenden Zürnens, durch den Anblick des wohlgestalteten, kräftigen
Kindes besänftigt, und als nun auch ihr Ehemann bei seiner Heimkehr von
einer Magdeburger Fahrt das gar hübsche Büblein mit freundlichem Auge
betrachtete, auf seine Arme nahm und herzte und kußte, und als nun Frau
Schickel über die Erfüllung ihres liebsten Wunsches allmählich die üble
Gewohnheit des Wiederbellens und der beißenden Bemerkungen ablegte,
so begann von Tag zu Tag der Friede und die Eintracht in diesem Hause
einheimischer zu werden, und beide Eheleute liebten den Findling um so
mehr, da er ihnen gleichsam zum Spender häuslicher Ruhe, Zufriedenheit
und Friedfertigkeit geworden war. Gleich nach der Taufe, wobei ihm der
Name Samuel gegeben wurde, gingen die Schickel’schen Eheleute zum Amte
und ließen über ihre Erklärung, den Findling an Kindes Statt anzunehmen
und einst alle ihre Habe auf ihn zu vererben, eine gerichtliche Urkunde
aufnehmen.

Alles, was in einer Dorfschule an Unterricht ertheilt werden kann,
lernte Schickels Pflegesohn mit großem Eifer und entwickelte
recht viele Fähigkeiten. Der Schule entwachsen, wurde er in der
Landwirthschaft unterrichtet, begleitete aber schon von seinem
vierzehnten Jahre an den Nährvater auf seinen Fahrten und leistete, an
körperlicher Kraft und Größe beinahe ein Jüngling, dabei wachsam, klug
und geschäftslustig, recht gute Dienste.

Das Umherziehen auf dem Lande, der fast ununterbrochene Aufenthalt
in Wirthshäusern, wie auch die so viel gesehenen Beispiele der
Sittenlosigkeit, des Betruges, der Rohheit, des Karten- und
Würfelspiels, der Völlerei und Unzucht, untergruben immer mehr Samuels
Moralität, die ohnehin nicht auf Felsen gebaut war. Noch nicht volle
siebzehn Jahre alt, hatte der schöne, kräftige Bursche schon die Schule
der Unkeuschheit und der damit verschwisterten Laster durchgemacht,
überbot die tüchtigsten Trinker, betrog im Spiele mit Karten und
Würfeln, im Handel und Wandel, bestahl seine Pflegeältern und begann
sich zu einem um so gefährlichern Bösewicht auszubilden, da er die
Verstellungskunst im höchsten Grade besaß und zu heucheln und gleißen
auf das Meisterhafteste verstand.

Eines Tages saß Samuel in einer Schenke bei Dresden, wohin der
Pflegevater ihn mit einer Ladung von Pferdehäuten gesandt hatte, und
ließ sich vorsetzen, was gut und theuer war. Während er es sich recht
wohl schmecken ließ und dabei einige Burschen seines Gelichters
mit Bier und Branntwein bewirthete, trat eine armselig gekleidete
Weibsperson an seinen Tisch und bat um ein Almosen. Samuel zog eine
Hand voll Geld aus der Tasche und warf der Bettlerin mit prahlerischer
Gebehrde einen Thaler hin. Sie dankte, betrachtete Samuel mit einem
langen, höchst freundlichen Blicke und setzte sich dann an einen
gegenüber stehenden Tisch, wo sie bei ihrem Kruge Bier Samuel nicht
aus dem Auge ließ. Bald darauf ging dieser in den Stall, um nach den
Pferden zu sehen, und unbegrenzt war sein Erstaunen, als die Bettlerin
in den Stall trat, die Thüre verschloß und mit den Worten: „Grüß Dich
Gott, lieber Sohn!“ -- auf ihn zueilte. Aber bald war er überzeugt,
seine Mutter vor sich zu sehen, da ihm diese alle Umstände genau angab,
von ihrer Kindheit und ihrem Leben in Schönfeld an bis zum Augenblicke,
wo sie ihn, einige Stunden nach seiner Geburt, an der Thürschwelle des
Fuhrmanns Schickel ausgesetzt hatte.

War Samuel auch ein roher, lasterhafter Mensch, so erwuchs in ihm
doch gegen seine Mutter ein wirklich zärtliches Gefühl. Er schämte
sich nicht ihrer Lumpen und ihrer durch Armuth und Kummer zerrütteten
Gestalt. Mit Herzlichkeit reichte er ihr die Hand und drang in sie,
sich an seinen Tisch zu setzen, damit er sie auf das Beste bewirthen,
dann für bessere Kleidung sorgen und über ihre Unterkunft und künftige
Ernährung mit ihr Rath halten könne. Das lehnte seine Mutter ab, die
sich schämte, neben ihrem wohlgekleideten Sohne und seinen Zechgenossen
in ihrem zerlumpten Anzuge Platz zu nehmen. Sie bat ihn um etwas Geld,
um im nächsten Dorfe bei Schönfeld sich einige Tage bei einer Base
aufhalten zu können, wo er sie heimlich besuchen und dann erfahren
solle, was sie zur Begründung ihres künftigen Unterhalts bereits
ausgedacht habe. Von dem Sohne reichlich beschenkt, eilte sie fort,
kehrte aber schnell wieder zurück und bat ihn auf das Dringendste,
gegen Jedermann ihr Dasein auf das Sorgfältigste zu verschweigen.

Als Samuel zu Hause angekommen, und Rechnung über Fracht und Ausgabe
abgelegt war, ging er, unter dem Vorwande großer Müdigkeit, gleich nach
Einbruch des Abends in seine Schlafkammer, stieg leise aus dem Fenster
und lief dem Aufenthalte seiner Mutter zu.

„Lieber Samuel,“ -- sprach diese zum Eintretenden, und reichte ihm
ein volles Glas Branntwein -- „ich habe ein Plänchen gemacht, durch
dessen glückliche Ausführung mein Lebensunterhalt geborgen sein wird.
Läuft auch etwas Schelmerei dabei mit, so bin ich nicht so einfältig,
Gewissensbisse darüber zu befürchten; der alte Schickel hat Geld, ich
aber keines, und noch dazu die trostreiche Aussicht, verhungern zu
müssen, da ich zu schwerer Arbeit weder Kräfte noch Lust habe. Höre
nun, was ich erdachte.“

„Schickel ist Dein Vater nicht, ungeachtet er in jener Zeit mit mir
im Geheimen eine vertraute Bekanntschaft hatte, und wir uns gerade
nicht Zwang anthaten. Aber jetzt soll er Dein leiblicher Vater werden,
wenigstens im Wahne. Du besorgst, daß Schickel morgen Nachmittags
hierher gehe. An einem klugen Vorwande, ihn zu diesem Gange zu
bewegen, ohne daß er meine Nähe ahnet, wird es Dir nicht mangeln. Im
Erlengebüsche am Mühlteiche lauere ich auf ihn, komme dann hervor
und erkläre ihm mit aller Festigkeit, daß er Dein Vater und dadurch
verbunden ist, sich mit mir abzufinden, außerdem ich geradezu die ganze
Geschichte seinem Weibe entdecke und gegen ihn bei Gericht Klage führe.
Ich kenne die Eifersucht seines Weibes und dessen Bosheit, Zanksucht
und Unversöhnlichkeit. Es leben zwar beide, wie ich von der Base hörte,
jetzt recht friedlich, aber der häusliche Friede wird schnell zu Krieg
und Feuer, wenn so eine Kindsgeschichte wie eine zündende Kugel ins
Haus fällt. Schickel ist älter geworden, an eheliche Friedfertigkeit
gewohnt, und giebt lieber das Letzte im Geheimen hin, um Ruhe im Hause
und keine höhnische Nachrede von der Nachbarschaft zu haben.“

„Nun habe ich Dir vertrauet, wie ich für mich sorgen will. Dein
Geschäft sei, mir den Alten in die Erlengebüsche zu schaffen. Jetzt
wollen wir trinken und gegenseitig unsere Schicksale erzählen!“ --

So verderbt und liederlich Samuel war, so erröthete er doch oft bei
den Erzählungen seiner Mutter, die, vom Branntwein erhitzt und von
aller Schamhaftigkeit verlassen, dem eigenen Sohne ihre unzüchtigen
Verirrungen, Betrügereien, Gaunerstreiche und Diebstähle mit der
frechsten Offenherzigkeit unter ausgelassenem Gelächter erzählte.

Der Betrügerin gelang es wirklich, den alten Schickel durch die ihm
angelogene Vaterschaft, durch die Drohung der Entdeckung und der Klage
bei Gericht so einzuschüchtern, daß er ihr zum Unterhalte jährlich 60
Thaler zusicherte, wofür sie das tiefste Stillschweigen geloben mußte.

Zwei Meilen von Schönfeld hatte Samuels Mutter in einem abgelegenen
Häuschen, das einer kinderlosen Wittwe gehörte, Wohnung genommen.
Die Wittwe, alt und gebrechlich, überließ ihr die Benutzung des
kleinen, aus einem Gemüse- und Obstgarten, aus einem Krautfelde und
zwei Aeckern bestehenden Grundstücks, wobei sich ein Paar Kühe und
einige Schafe befanden, gegen die Verbindlichkeit, sie zu ernähren
und bei eintretender Krankheit zu pflegen. Katharina hatte nun ihr
gutes Auskommen, und das sonst so stille Häuschen wurde bald der
Tummelplatz der Ausgelassenheit und der Schwelgereien, da Samuel in
jeder Woche dort ein Paar Nächte zubrachte, stets begleitet von einigen
liederlichen Dirnen und Cameraden, wo nun von dem Gelde, daß er durch
Betrug gewann oder seinen Pflegeeltern abstahl, auf zügellose Weise
geschwelgt wurde.

Jetzt starb Samuels Pflegemutter und der alte Schickel übergab Samuel
seine ganze Wirthschaft, mit Vorbehalt einiger Grundstücke, die
er verpachtete, und den Pachtschilling zu seinem Lebensunterhalte
verwendete. Katharina, Samuels Mutter, wußte Schickel so zu kirren, daß
sie ihn bewog, ihr die Geschäfte seiner Wirthschafterin zu übertragen.
Sie zog in sein Haus, und bald wetteiferten Mutter und Sohn, sich in
dem zügellosesten Treiben, in Völlerei und Arbeitsscheu zu überbieten.
Der alte Schickel, dem es gar zu bunt wurde, und der, sonst ein
ziemlich heilloser Patron, sich seit einigen Jahren an Ordnung und
Wirklichkeit gewöhnt hatte, verwies anfangs zur Arbeitsamkeit und
zu einem genügsamen, ehrbaren Leben. Seine Ermahnungen, seine Bitten
wurden verhöhnt, die Wiederholungen mit den rohesten Beschimpfungen,
sogar von Samuel, in Folge einer Aufreizung von seiner Mutter, mit
grausamen Schlägen erwiedert, und Schickel, zuerst aus Aerger, dann
immer eifriger aus überwiegender Neigung, nahm seine Zuflucht zur
Branntweinflasche und trank sich nach einem Jahre in das Grab.

Samuel brauchte eine Hausfrau, aber auch das ärmste Mädchen versagte
dem allgemein Verrufenen ihre Hand. Knechte und Mägde, in deren Innerem
nur noch ein Funke von Zucht, Arbeitsliebe, Ehrbarkeit und Gottesfurcht
glomm, gingen aus dem Dienste, und bald bestand Samuels Gesinde aus dem
Auswurfe der dienenden Classe.

Es konnte nicht anders geschehen, als daß bei solcher Bewirthschaftung
des Hauswesens und der Felder, bei solch einem schwelgerischen Leben
die Schulden sich so häuften, daß von den Gerichten eingeschritten und
das ganze Grundstück mit Einrichtung, Vieh und Fahrniß verkauft wurde.

Am Abende vor der Uebergabe des Grundstücks an den neuen Besitzer
saß Samuel mit seiner Mutter, nun die einzigen Bewohner des beinahe
leeren Hauses, bei der Branntweinflasche und zechten bis tief in die
Nacht hinein, während sie immer in die heftigsten Verwünschungen sich
ergossen, aber nicht über ihr höchst liederliches Leben, über ihre
gar zu liederliche Wirthschaft, ihre unsinnige Verschwendung, sondern
über das Gericht, von dem das Grundstück verkauft worden, und über die
Leute, die es erkauft hatten.

„Was Teufel,“ -- lallte die trunkene Furie und stieß das geleerte Glas
mit Heftigkeit auf den Tisch, -- „wir, die rechtmäßigen Besitzer,
sollen dieses bequeme Haus mit seinen schönen Stuben, Kammern und
Stallungen räumen und so einem fremden Gesindel Platz machen? -- Komm,
Samuel, wir packen das Bischen, das uns die verdammte Justiz noch übrig
gelassen hat, in ein paar Säcke und ziehen jetzt ab. Damit wir aber bei
unserer nächtlichen Wanderung in dieser Dunkelheit nicht über Stock und
Steine fallen, so werde ich ein Lichtchen anzünden, an dem man sich
noch einige Tage hindurch wärmen kann. Ist hier unseres Bleibens nicht
mehr, so soll es auch für Andere nicht wohnlich sein. Auf, Samuel!“ --

Um das gehörig aufzufassen, was das entsetzliche Weib thun wollte,
hatte sich Samuel schon zu sehr um seine Sinne getrunken. Mit
geschäftiger Hand packte Catharina die armseligen Reste des frühern
Ueberflusses in zwei Säcke, und Samuel, dem sie zu seiner Ermunterung
ein Glas Wasser ins Gesicht geschüttet hatte, hockte die Säcke auf und
taumelte zum Hause hinaus.

Schon war er eine Strecke gegangen, als er seine Mutter vermißte.
Er wandte sich zurück, da sah er am Scheuerdache ein Flämmchen
aufschlagen; das Flämmchen wurde zur Flamme, zum prasselnden Feuer. Mit
unwillkürlichem Schauder blickte der Ernüchterte auf das lichterloh
brennende Haus hin. -- „Hilfe! um Gotteswillen Hilfe!“ tönte ihm das
gellende Gekreisch seiner Mutter entgegen, die am Fenster des obern
Geschosses die Hände nach ihm ausstreckte. Samuel warf die Säcke ab
und stürzte dem Hause zu. In vollen Flammen stand die Treppe; nur
ein Sprung aus dem Fenster konnte die Mutter retten. Er rief ihr zu,
es zu thun; sie hatte nicht den Muth dazu, bis die Flamme die Stube
ergriff. Jetzt wagte sie den Sprung. Ihre Stunde hatte geschlagen. Mit
zerschmettertem Kopfe röchelte die Mordbrennerin zu ihres Sohnes Füßen
das verbrecherische Leben aus.

Wie von allen Geistern der Hölle verfolgt, floh Samuel über Felder,
Wiesen, durch Sümpfe dahin, bis er ohne Bewußtsein niederstürzte.

Von einer kräftigen Faust zum Leben aufgerüttelt, sah sich Samuel
in einer ganz unbekannten Gegend und einem Manne gegenüber, dessen
geschwärzte Gestalt und der schwere Hebebaum auf den breiten Schultern
ihm den Kohlenbrenner verkündigten. Als Samuel sich mit Mühe gesammelt
hatte, folgte er dem Köhler, der, ohne nach seinen Verhältnissen zu
fragen, ihn zu einem Morgenimbiß in seine nahe Hütte einlud.

Auf dem Wege dahin überzeugte sich Samuel, daß er in seinem überreizten
Gemüthszustande einen Weg von mehreren Meilen zurückgelegt haben müsse,
da der Köhler und sein Weib von einem Orte, der Schönfeld heiße, nicht
das Mindeste wußten.

Kaum hatte Samuel einige Bissen genossen, als er sich so ermattet
fühlte, daß er vom Stuhle sank. Der Köhler und sein Weib schleppten
ihn nach einer Kammer auf eine Strohschütte, wo er schon nach einigen
Augenblicken im tiefen Schlafe lag. Es war schon Nacht, als er
erwachte. Aus der Tiefe scholl ihm Gemurmel und Gläsergeklirre dumpf
entgegen. Neugierig, was da unter ihm vorgehe, kroch er in der Kammer
umher, hörte in einer Ecke das Geräusch aus der Tiefe viel deutlicher
und fand nach sorgfältigem Suchen in der Bodendiele einen beweglichen
Pflock. Leise zog er diesen in die Höhe, ein Lichtstrahl drang
ihm entgegen, und er sah durch die Oeffnung an einem Tische seinen
Hauswirth mit fünf Männern und drei Weibspersonen essen und zechen.
Das Aussehen der Männer, die schamlose Kleidung, die frechen Gebehrden
der Dirnen, da und dort aufgehangene Waffen und zwei große Fanghunde,
die an den zugeworfenen Knochen nagten, überzeugten ihn auf den ersten
Blick, daß dieses unterirdische Gemach die Zechbude einer Räuberbande
sei.

Jedes Wort vernahm er nun deutlich, und das Blut stockte ihm in den
Adern, als er den Köhler zu seiner Genossenschaft sagen hörte: „Es
bleibt also dabei, daß wir den fremden Kerl todtschlagen. Ohne Zweifel
ist er ein Fleischmann[7], deren jetzt viele zum Verderben der tuften
Tschoren[8] umherlauern. Entrinnen kann er nicht, also frisch hinauf
und den Hund todtgeschlagen, so haben wir nichts mehr zu befürchten!“

    [7] Spion der Gerichte.

    [8] Wackeren Diebe.

Der Schrecken, die Angst schufen in Samuel einen raschen Entschluß.
-- „Was nützt Euch mein Tod?“ -- rief er durch die Oeffnung der
Gesellschaft zu -- „während Ihr von meinem Leben gewiß Vortheil ziehen
könnt. Nehmt mich in Eure Kameradschaft auf, und Ihr sollt es nie
bereuen, mich zu Eurem Gefährten gemacht zu haben!“ --

Ueberrascht blickten alle nach Oben. Sie flüsterten zusammen. Der
Köhler holte Samuel in die Versammlung. Er schwur den Eid der Treue und
ward ein Mitglied der Räuberbande.

Als diese nach einem Jahre bis auf ihn und den Köhler ergriffen wurden,
machte er mit diesem jenseits der Grenze gemeinschaftliche Sache,
stahl, raubte, brannte und mordete und erschlug den Köhler in einem
Streite über die Theilung geraubter Waaren.

Den Beinamen: „Brettbauer“ erhielt er, weil er in Böhmen einen Bauer,
der ihm bei einem Einbruche mit einem Beile eine tiefe Kopfwunde
schlug, an Händen und Füßen an ein Brett genagelt und in der Moldau
ersäuft hatte.



IX.

Christian Eckold, der schöne Böttiger.

    Die Damen mit ihrem Doppelgesicht,
    Halb Höll’, halb Himmel, ein Ganzes nur nicht,
    Sie gruben künstlich vom Körper aus
    Den Geist aus seinen Wurzeln heraus.

                            ~J. G. Seidl.~


Schon in seinem zehnten Lebensjahre elternlos, wurde Eckold von
einem Verwandten, dem Böttiger Lohr, an Kindesstatt angenommen, sehr
christlich erzogen, in der Profession des Pflegevaters unterrichtet
und zum künftigen Erben bestimmt. Eckold gab die besten Hoffnungen,
lernte fleißig und führte ein unbescholtenes Leben. Als Lohr durch
einen furchtbaren Brand sein Haus verlor, und, von einem stürzenden
Balken tödlich verwundet, bald nach dem Brande starb, verkaufte Eckold,
der noch in den letzten Lebensstunden seines Pflegevaters von ihm zum
alleinigen Erben durch eine gerichtliche Handlung ernannt wurde, die
Brandstätte, behielt sich die auf ihn übergetragene Gewerbs-Ausübung
vor, versteuerte sie gleich auf mehrere Jahre und trat die Wanderschaft
an.

Von dieser zurückgekehrt, begann er gleich sein Gewerbe auszuüben und
gewann durch Fleiß und Redlichkeit schon in wenigen Jahren so viel, daß
er, ohne Geld aufborgen zu müssen, ein recht geräumiges Haus kaufen
konnte. --

Eine alte Base von ihm, die ein kleines Vermögen besaß, hatte bisher
seine Wirthschaft geführt. Nun aber fühlte Eckold von Tage zu Tage
immer mehr die Wahrheit des Spruches, daß es nicht gut sei, wenn der
Mensch allein ist.

Ohne seinen Entschluß, sich zu verehelichen, laut werden zu lassen,
spähete er mit forschenden Blicken unter den Schönen seines
Geburtsortes umher.

Ueberall fiel sein Auge auf freundlich ihm zulächelnde Gesichter; er
hätte nur wählen dürfen, und selbst der stolzeste und angesehenste
Familienvater im ganzen Flecken würde dem schönen Böttiger -- so nannte
man ihn seiner ausgezeichneten männlichen Schönheit wegen -- nicht die
Hand der Tochter verweigert haben, da Eckold bei seinem ausgebreiteten
Gewerbe, seiner rastlosen Thätigkeit und seinem untadelhaften Wandel,
im schönen Vereine mit einem sehr liebenswürdigen Benehmen, aller
Herzen gewonnen hatte.

Schon schwankte er zwischen zwei schönen und reichen Mädchen, als ein
Augenblick eintrat, der sein Herz mit aller Macht der Liebe erfüllte
und ihn jene Beiden vergessen ließ.

Es war an einem recht angenehmen Abend, als der junge Drechslermeister
Blank, Eckolds einziger Freund, ihn abholte, um im Wirthshause eines
nahe liegenden Dörfchens sich bei einem Glase Bier und unter traulichem
Geplauder von der harten Tagesarbeit zu erholen. In die Nähe des
Dörfchens gekommen, hörten sie jammernde Stimmen und sahen viele Leute
vom Felde hinweg der Landstraße zueilen. Auch sie eilten dahin und
fanden eine umgestürzte Kutsche, aus der man soeben eine jämmerlich
schreiende Frau hervorzog, mit welcher sich besonders ein schlankes,
hochgestaltetes Mädchen sehr eifrig beschäftigte. Die Frau hatte durch
den gewaltsamen Sturz des Wagens den Arm gebrochen, auch mochte sie
sich sonst sehr schwer verletzt haben, denn sie erbleichte plötzlich
und schien eine Leiche zu sein. Trostlos, die Hände ringend, lag das
Mädchen auf ihren Knieen und beträufelte die Ohnmächtige mit den
Thränen ihres heißen Schmerzes. Gaffend standen die Landleute umher und
murmelten unter einander.

„Bringt doch schnell eine Trage herbei mit einem Bette!“ sagte Eckold
zu einem der Umstehenden und drückte ihm Geld in die Hand. Auf der
Stelle lief dieser mit einigen in’s Dorf und kehrte bald mit einer
hochbepolsterten Trage zurück. Unterdessen hatte Eckold aus dem nahen
Bache seinen Hut mit Wasser gefüllt und das Gesicht der Bewußtlosen
damit sanft gewaschen, wobei ihm das Mädchen mit zärtlichem Eifer Hilfe
leistete. Behutsam wurde die nun wieder hochathmende und aufblickende
Frau von Eckold und seinem Freunde auf die Trage gehoben und in das
Wirthshaus geschafft, wohin auch die von den Landleuten emporgerichtete
Kutsche folgte. Auf Eckolds Zureden bespannte der Wirth seinen
Korbwagen und fuhr im raschen Trabe nach dem Flecken, um den dortigen
Wundarzt zu holen.

Jetzt, als die Kranke in dem reinlichen, freundlichen Oberstübchen des
Gasthauses auf ein weiches Bett gebracht war und gleich zu schlummern
anfing, jetzt erst betrachtete Eckold das Mädchen. Er konnte sich
nicht erklären, wie er bisher dieses reizende Wesen übersah. Solch
ein jugendlich blühendes Gesicht mit dem süßesten Liebreize, solche
herrliche Formen hatte er noch nie gesehen. Der Funke eines ihm bisher
unbekannten Gefühles tauchte in seinem bewegten Innern auf, und dieser
Funke wurde immer mehr zur süß belebenden Flamme. Er mußte sich Gewalt
anthun, das Stübchen zu verlassen, als jetzt das Mädchen ihm mit
wenigen aber innigen Worten für den geleisteten Liebesdienst dankte
und durch eine Verneigung und ein schweigendes Hinblicken auf die
Schlummernde die Bitte, allein gelassen zu werden, zart andeutete.

In der Bohnenlaube des lieblichen Blumengartens, seinem
Lieblingsplatze, saß Eckold seinem Freunde Blank gegenüber in tiefem
Sinnen, nur des Mädchens holde Gestalt vor seinen trunkenen Blicken,
noch immer lauschend nach den verklungenen Tönen der Silberstimme. Die
Wirthin kam mit Erfrischungen und Eckold erwachte aus seinen Träumen,
denn die redselige Frau war gleich nach den ersten Begrüßungen bei
der Fremden und ihrer Tochter. Mit geläufiger Zunge erzählte sie, daß
die Fremde, wie soeben der Kutscher ihr vertrauet habe, die Wittwe
eines vor Kurzem an der böhmischen Grenze verstorbenen Försters sei,
sich nun nach Preußen, ihrem Vaterlande, begebe, und während der
Reise recht schmerzlich über ihre Lage geklagt habe, da sie durch die
lange Krankheit ihres Gatten um all ihr Erspartes gekommen und bei so
geringer Pension dem bittersten Elende ausgesetzt sei, wenn es ihr
nicht gelänge, einen reichen Anverwandten, den ihr Gatte durch seine
Heftigkeit auf das Tiefste gekränkt hatte, wieder zu versöhnen und von
ihm unterstützt zu werden.

Bis tief in die Nacht hinein, was bei Eckolds geregelter Lebensweise
fast nie geschah, blieb er in der Laube, voll Verlangen, das reizende
Mädchen nochmals zu sehen und zu sprechen. Unerfüllten Verlangens und
in recht wehmüthiger Stimmung kehrte er mit Blank wieder zurück, denn
die Wirthin hatte ihm mit großer Betrübniß gesagt, daß die arme Frau
in sehr gefährlichem Zustande sich befinde, da nach des Wundarztes
Versicherung nicht nur der Arm gebrochen, sondern auch ein innerer,
sehr edler Theil verletzt sei. --

Noch vor Anbruch des Tages hatte die Försterin in einem Blutsturze ihr
Leben ausgeströmt.

Wilhelmine Bornfeld -- so hieß die Försterstochter -- war nach drei
Monaten die Ehefrau des Böttigermeisters Eckold, der in dem ersten
halben Jahre seiner Ehe einen Engel zu umfassen glaubte, aber dann
von Monat zu Monat, von Woche zu Woche, ja von Tag zu Tag immer
mehr zur qualvollen Ueberzeugung kam, in diesem geträumten Engel
einen sehr gefallenen an seiner Seite zu sehen. Nachlässigkeit im
Hauswesen, Abscheu vor Arbeit, Putzsucht, Eitelkeit, unbezähmbarer
Widerspruch, wochenlanges Maulen und unersättliche Sinnlichkeit waren
die beglückenden Eigenschaften, welche allmälig wie die üppigen
Blumenblätter einer giftigen Pflanze vor den Blicken des schrecklich
Getäuschten sich entfalteten.

Nach drei Jahren einer Ehe, die auf Eckolds Moralität den
allerverderblichsten Einfluß hatte, da er, überzeugt von der
Unmöglichkeit der Besserung seiner Frau, die Lust zur Arbeit, die Liebe
zur Ordnung, zu einem nüchternen, pflichtgetreuen Leben immer mehr
verlor, den nagenden Gram meistens in hitzigen Getränken ersäufte, in
der Trunkenheit mit liederlichen Dirnen ganze Nächte verschwelgte, oder
in Spielhäusern geplündert wurde, hatte Eckold durch seine zerrüttete
Hauswirthschaft solch eine Masse von Schulden aufgehäuft, daß er sein
schönes Haus verkaufen mußte, nach Bezahlung seiner Schulden nicht mehr
als 460 Gulden übrig hatte und voraussehen konnte, bald den Bettelstab
ergreifen zu müssen, da er alle seine Kunden verloren, auch aus schon
zu liebgewonnener Liederlichkeit gar nicht mehr Lust und Kraft
hatte, sich durch erneuerte Arbeitsliebe und Moralität die Achtung,
das Wohlwollen seiner Mitbürger wieder zu erwerben und den Aufschwung
seines Gewerbes dadurch herbeizuführen.

Mit tiefem Abscheu hatte Eckold, als seine Frau ihre mit seiner
Gewandtheit so vielfach umschleierten Neigungen und Laster zu enthüllen
begann, sich anfangs von ihr abgewandt. Verachtung und Haß waren
die Gefühle, von denen er gegen die liederliche Gattin beherrscht
wurde. Jetzt, selbst abgewichen von der Bahn des Guten, aus einem
arbeitsamen, redlichen, tugendhaften, religiösen Manne ein Faulenzer,
Säufer, Wollüstling, Schwelger und Betrüger geworden, kehrte er mit
erneuerter Leidenschaft, mit aller heißen Lust wilder Begierde zur
Gleichgesinnten zurück. Der Giftbaum, auf Wilhelminens fruchtbarem
Boden üppig emporgewachsen, hatte seine wurzelnden Zweige in des
Gatten empfängliche Seele gesenkt, aus welcher immer kräftiger die
verschwisterte Giftpflanze emporstieg, um gleiche Früchte zur Reife
zu bringen. Durch Wilhelminens Unterricht und Anreizungen war Eckold
so tief gesunken, daß er sogar anfing, zum Diebe zu werden. Ein
silberner Löffel, von ihm in einem Weinhause gestohlen, wo er nach
langer Zeit wieder einmal, des Scheines und des öffentlichen Geredes
über sein Müssiggehen wegen, eine Arbeit vornahm, war das Probestück
des angehenden Gauners, und auf einem Jahrmarkte in einem nicht fernen
Städtchen hatte er durch Entwendung mehrerer Sachen von Werth sich
schon als einen sehr gewandten Schockgänger[9] beurkundet. Sonst
im Spiele betrogen, wurde nun er der Betrüger. Ein höchst fertiger
Falschspieler, in frühern Zeiten von Eckold mit der tiefsten Verachtung
vermieden, jetzt sein trauter Herzensfreund, gab ihm sehr eifrigen
Unterricht, wie man Karten und Würfel mit Vortheil zu behandeln habe;
der gelehrige Schüler betrog bald den wohlerfahrenen Lehrer.

    [9] Budendieb.

Die kleinern und auch schon größern Diebstähle, mit der größten
Schlauheit und an fern gelegenen Orten ausgeführt, auch der Gewinn im
falschen Spiele mit Karten und Würfeln hätten zu Eckolds und seiner
Frau Ernährung, wie auch zur Bestreitung sonstiger Ausgaben zur Genüge
hingereicht, wären nicht Ausschweifungen und Völlerei die Götzen
gewesen, denen sie mit Leidenschaft huldigten. So kam es, daß auch die
460 Gulden, jener armselige Rest einer bedeutenden Habe, schon nach
einigen Monaten beinahe bis auf den letzten Thaler vergeudet waren.

Gerade in dieser Zeit des höchsten Mangels der Eckold’schen Eheleute
fiel die Ankunft eines Weinhändlers, der in dem Gasthause zur Sonne,
das Eckolds Wohnung gegenüber lag, ein Zimmer bezog. Wilhelmine war
wirklich noch so reizend, daß sie selbst in der kältesten Menschenbrust
eine Neigung zu entflammen vermochte, besonders da sie mit ihrer
seltenen Schönheit einen höchst gebildeten Anstand und bezaubernde
Liebenswürdigkeit -- wenn sie liebenswürdig sein wollte -- sehr
glücklich vereinte. Der Weinhändler, ein Graukopf, aber ein höchst
sinnlicher Mensch, hatte Wilhelmine kaum am Fenster gesehen, als er
gleich alles aufbot, die nähere Bekanntschaft dieser so schönen Frau
zu machen. Das ganze Versetzstück, wo dort die Sinnlichkeit, hier
die Geldgierde in den mannigfaltigsten Verwebungen nach ihrem Ziele
strebten, leitete Eckold, der auf die unbefangenste Weise, und als wäre
er ganz blind bei des Weinhändlers auffallenden Bewerbungen um die
Gunst seiner Frau, die Freundschaft des Sinnetrunkenen bald gewonnen
hatte. Der Weinhändler besaß viel baares Geld, und Eckold dachte nun an
nichts mehr, als wie er die Goldstücke seines Freundes sich anzueignen
vermöge.

Die Zeit der Abreise des Weinhändlers nahte heran, und noch hatte er
sich keiner besondern Begünstigung der von ihm so leidenschaftlich
geliebten Wilhelmine zu erfreuen. Jetzt sollten seine Wünsche gekrönt
werden. In einer Nacht -- der Weinhändler wollte so eben zur Ruhe gehen
-- pochte man an seine Thüre. Auf die Frage, wer noch so spät Einlaß
fordere, tönte ihm eine Stimme entgegen, die er gleich für Wilhelminens
erkannte. Der rasch Oeffnende traute seinen guten Augen beinahe nicht,
als Wilhelmine nun mit Heftigkeit in das Zimmer drang, sich auf das
Sopha warf, weinte, die Hände rang, dann seine Kniee umklammerte, und
ihn um Schutz, um Hilfe anflehte. Der Weinhändler war außer sich,
Wilhelminen zu seinen Füßen zu sehen, da er gar zu gern zu den ihrigen
gelegen hätte. Er trug sie auf das Ruhelager, er nahm sie an seine
Brust, er bat sie mit den süßesten Schmeichelworten, ihren Schmerz zu
beschwichtigen, und sich ihm mit aller Offenheit zu vertrauen, da er
sein ganzes Vermögen, selbst sein Blut willig hingebe, um ihr seine
heißeste Neigung durch die That zu erproben.

Nun vertraute ihm Wilhelmine unter strömenden Thränen und mit leiser,
fast zitternder Stimme, wie sehr sie von ihrem Manne mißhandelt werde,
weil sie sich nicht den Umarmungen eines jungen, reichen Gutsbesitzers
hingebe, der für den Genuß ihrer Reize eine sehr reiche Summe geboten
habe. -- „Der Bösewicht, der ehrlose Verräther hatte die Frechheit,
den wollüstigen Grafen in mein Schlafgemach zu führen und mir mit den
unmenschlichsten Qualen zu drohen, wenn ich dem Grafen mich länger
versage. Gott hat mir schwachem Weibe männliche Kräfte gegeben, durch
die ich mich den thierischen Umklammerungen des Grafen, der rauhen
Faust meines Gatten entriß, glücklich die Thüre erreichte, wo ich durch
rasches Vorschieben des äußern Riegels mich vor Verfolgung sicherte,
und so unaufgehalten aus dem Hause kam. Seit meiner Vermählung durch
die Liebe zu meinen häuslichen Geschäften, zu genügsamem Stillleben,
mit den Bewohnern dieses Fleckens beinahe nie in Annäherung gekommen,
als im Tempel des Herrn; in diesem Orte, mit keiner Familie verwandt,
würde ich ohne Obdach, ohne Hilfe umhergeirrt sein, hätte mir nicht
eine tröstende Stimme Ihren Namen zugeflüstert. Ich weiß, edler Mann,
daß Sie mich lieben, aber meine Grundsätze, mein Zartgefühl gestatten
mir nicht, so lange ich Gattin bin, Ihnen mehr zu sein, als die
treueste Freundin, eine kindlich liebende Tochter. Führen Sie mich fort
von hier, weit, sehr weit, damit mich die Luft nicht mehr erreichen
kann, von welcher dieser Bösewicht, dieses Ungeheuer von Gatten,
umwehet wird. Dort will ich als die niedrigste Magd dienen und bei
den härtesten Arbeiten werde ich mich als die Glücklichste fühlen und
unter allen Leiden immer innig Ihrer gedenken, denn meine Tugend wird
gerettet sein und nur Ihnen danke ich diese Rettung!“ --

Mit diesen erheuchelten Worten, im Wechsel des Pathos mit Schmerz,
mit Zärtlichkeit, mit der sanftesten Hingebung gesprochen, schloß
Wilhelmine ihr wohlerzähltes Mährchen.

Der Weinhändler wußte nicht, ob er sich freuen oder mit ihr trauern
sollte. Das Wesen seiner heißesten Wünsche zu dieser Stunde, im freien,
buhlerisch geordneten Nachtgewande, das mehr verrieth als verbarg,
dicht an seiner Seite, oft im Laufe der Mittheilung an seinem stürmisch
pochenden Herzen zu sehen; entzückt durch die Hoffnung, sich bald zur
letzten Stufe seines heiß ersehnten Ziels aufzuschwingen, sank er durch
den Redeschluß voll Keuschheit und Tugend, den der Leichtgläubige für
baare Münze nahm, aus seinem geträumten Himmel recht unsanft zur kalten
Wirklichkeit herab. Doch tauchte in ihm die Hoffnung schnell auf, von
der Zukunft, durch sein Geld, durch die Darbringung aller möglichen
Opfer, durch kupplerische Gelegenheiten einer lange währenden Reise das
zu erlangen, was ihm jetzt die Gegenwart mit den ersten Eindrücken
des Abscheues gegen ihren Mann, mit dieser, vielleicht noch nie
versuchten Anhänglichkeit an die Pflichten der ehelichen Treue und an
die Macht des Zartgefühles ihm verweigere. Schnell besonnen verhieß er
Wilhelminen die herzlichste Hilfe, bestimmte den Tag seiner Abreise mit
ihr, und gelobte auf das Feierlichste, sie bis dahin so verborgen zu
halten, daß ihr Aufenthalt in diesem Gasthause auch noch so spähenden
Augen entgehe.

In Eile weckte er den Wirth, der, des Schuldenbuches wegen, dem reichen
Weinhändler in allem auf das Eifrigste zu Gebote stand, und vertraute
diesem geradezu, wie höchst unglücklich die edle, tugendhafte Frau
Eckold sei, wie fest er beschlossen habe, sie zu retten, und wie er
nun verlange, daß sie bis zu seiner Abreise höchst verborgen in diesem
Hause leben könne.

Der Wirth, ein durchtriebener Schelm, der Frau Eckold genau kannte
und bei dem Lobe ihrer Tugenden beinahe in lautes Lachen ausgebrochen
wäre, war gleich entschlossen, den Irrwahn und die tolle Leidenschaft
seines großmüthigen Gläubigers zu irgend einem Vortheil zu benutzen,
zerfloß beinahe in Thränen über die Leiden der keuschen Dulderin, und
eilte mit dem Weinhändler und Wilhelminen in aller Stille nach seinem
Hinterhause, wo er im dritten Geschosse ein freundliches Zimmerchen
öffnete, und auf das Heiligste versicherte, Wilhelmine werde hier,
wenn sie sich nicht am Fenster zeige, Jahre lang unentdeckt wohnen
können, da Niemand, als seine Frau, die verschwiegenste Seele, für ihre
Bedürfnisse und ihre Bedienung sorgen werde.

Schon nach einer Stunde wußte Eckold den Augenblick der Abreise
des Weinhändlers mit Wilhelminen, daß dieser seinen Einspänner
selbst lenke, wohin die Reise gehe, und in welchem Orte das erste
Nachtquartier gehalten werde. Wilhelmine hatte, als sie sich allein
sah, diese Nachricht mit Bleistift in ihre Brieftasche geschrieben und
diese Eckold zugeworfen, der, wie verabredet war, das Haus umschlich.

Kaum war der Tag, welchen der Weinhändler zu seiner Abreise festgesetzt
hatte, mit seinem ersten Leuchten angebrochen, als der Einspänner den
Gasthof zur Sonne verließ. Man sah nur den wohlbeleibten Weinhändler
in der Chaise, da Wilhelmine, um den Glauben ihres Führers an die
Gefahr einer Verfolgung noch mehr zu bestärken, sich unter das
Spritzleder niedergekauert hatte. Rasch ging es außerhalb des Thores
nun auf der guten Landstraße fort, und früher war der Gasthof, in
welchem Mittagsruhe gehalten werden sollte, erreicht, als Wilhelmine
im Stillen es wünschte, da ein Zettel, welchen sie in der Nacht vor
der Abreise mittelst eines Bindfadens auf ein Zeichen ihres Mannes
heraufgezogen hatte, ihr den Wald angab, in welchem der Weinhändler
geplündert, und daher, nach Eckolds Verlangen, die Ankunft in diesem
Walde bis zur eingebrochenen Nacht von ihr verzögert werden sollte.
Dieses mußte geschehen. Schon war das Mittagsmahl eingenommen, das
Pferd abgefüttert und dem Hausknechte vom Weinhändler der Befehl zum
Einspannen gegeben, als Wilhelmine mit einem gebrochenen Schrei langsam
vom Stuhle glitt. Man trug sie auf ein Bette, man schleppte in Hast
alles herbei, was man zur Belebung der Ohnmächtigen aufbringen konnte.
Der Weinhändler hätte in diesem Augenblick eine Hand voll Gold für die
Hülfe eines Wundarztes gegeben. Wilhelmine war nach einer Stunde wieder
aus ihrer Ohnmacht erwacht und zur Fortsetzung der Reise vollkommen
hergestellt, als sie berechnet hatte, daß der Wald nach dieser
Verzögerung nicht vor Einbruch der Nacht erreicht werden könne.

Von der schwülen Tageshitze und dem langen Wege ermattet, schleppte
das Pferd langsam die Chaise dem Walde zu. Sanft schlummerte der
Weinhändler, der, als Nachmittags nochmals angehalten wurde, im
Entzücken über Wilhelminens zärtliche Freundlichkeit schon auf ein
wonnevolle Zukunft dem alten Burgunder gar zu tüchtig zugesprochen
hatte. Aber unsanft wurde er aus seinem süßen Schlummer geweckt
und erstarrte vor Schrecken, als er sich von einem Manne mit
schwarzgefärbtem Gesichte gewaltig ergriffen sah. Er wollte um Hülfe
rufen, sogar eine Gegenwehr versuchen, aber Wilhelmine, gleichsam
ihn schützend, oder aus der höchsten Furcht, hatte ihn mit beiden
Armen kräftig umklammert, und ihr Gesicht so dicht an seinen Mund
gelegt, daß er sich nicht zu bewegen und nicht zu schreien vermochte.
Im Augenblicke waren von dem schwarzgefärbten Manne die Hände des
machtlos sich Sträubenden fest zusammengeschnürt, und als Wilhelmine,
wie aus einer Ohnmacht rasch aufschreckend, sich hastig aufrichtete,
hatte ihm der Räuber mit gewandter Bewegung ein breites Tuch um den
Mund geschlungen. Er wurde aus dem Wagen geschleppt, und Wilhelmine,
ihre Rolle fortspielend, floh in die Gebüsche. Der Weinhändler lag
im Graben und Eckold -- welcher Leser wird nicht gleich in ihm den
Räuber vermuthet haben? -- nahm in Hast die wohlgefüllte Chatulle aus
dem Kutschensitze, durchsuchte die Seitentaschen, und wollte eben den
kleinen Koffer vom Packbrette losbrechen, als ein Schuß fiel und er im
Arme verwundet wurde.

Eckold hatte, mit dem Straßenraube noch nicht ganz vertraut, beim
Binden der Hände den Knoten nicht fest genug geschürzt. Es gelang dem
Weinhändler, die Hände frei zu machen, und seiner Sackpistole sich zu
bemächtigen. Unglücklicherweise war er kein geübter Schütze, und nur
ein leichter Streifschuß erfolgte.

Eckold, wie er im Laufe seiner Untersuchung oft und auf das
Feierlichste betheuerte, hatte bei diesem Straßenraube nicht die
Absicht gehabt, den Weinhändler zu ermorden, sondern nur auszuplündern,
dann festgebunden, mit verstopftem Munde tiefer in den Wald hinein zu
schleppen und dort seinem Schicksale zu überlassen, das Pferd aber mit
der Chaise auf entgegengesetzter Richtung in den Wald zu lenken, und
in einem Dickicht niederzustechen. Bei aller Wahrscheinlichkeit, daß
die Nacht, selbst der größte Theil des folgenden Tages hingegangen sein
dürfte, bis der Weinhändler durch Köhler oder Harzsammler gefunden
worden wäre, würde er der Gefahr, als Raubmörder entdeckt worden zu
sein, durch gewonnenen Vorsprung entwichen sein.

Durch den Schuß war der Weinhändler rettungslos verloren, da er
zugleich auch die Binde vom Munde gebracht hatte und nun aus
Leibeskräften um Hülfe schrie. Diese Landstraße wurde immer stark
begangen und befahren; Eckold war keinen Augenblick vor Ueberraschung
sicher. Nur ein rascher Mord konnte ihn jeder Gefahr entreißen. Schnell
und mit aller Kraft stieß er sein scharfes Messer dem Weinhändler
in die Kehle, in die Brust, warf die geraubten Sachen wieder in die
Kutsche, und trieb das Pferd gerade in den Wald hinein, wo er, vom
Mondlichte begünstigt, eine weite Strecke zwischen den Bäumen dahin
fuhr und an einem dichten Gebüsche still hielt.

Jetzt erst dachte er an die Leiche, die, im Straßengraben liegend,
leicht gesehen werden konnte. Er schlich sich zurück, hatte aber
nicht die Kraft, den schweren Körper fortzubringen. Zu seiner
Hülfe eilte Wilhelmine herbei, die im nächsten Gebüsche alles mit
angesehen hatte. Nur mit aller Anstrengung vereinter Kräfte gelang
es ihnen, die Leiche aus dem Graben zu bringen und in die Gesträuche
zu schleppen. Eine volle Börse, Uhr und Kette von großem Werthe, ein
kostbarer Brillantenring und ein reiches Taschenbuch war die Beute des
Raubmörders, der die Leiche mit Moos, Reisig und Laub bedeckte und
dann, von Wilhelminen gefolgt, der Chaise zueilte.

Von beiden wurde nun Rath gehalten, dessen Resultat war, das Pferd
ein Paar Stunden ruhen zu lassen, dann einen fahrbaren, nach
entgegengesetzter Richtung führenden Waldweg zu suchen und darauf
fortzueilen, bis ein Ort erreicht werde, wo man Pferd und Chaise unter
einem schicklichen Vorwande verkaufen, und von da mit Extrapost nach
Baiern, vor der Hand dem ersten Reiseziele, so schnell als möglich sich
begeben könne.

In den Taschen der Chaise fanden sich einige Flaschen Wein, auch
Schinken und Brod. Eckold, mehr auf Labung des Pferdes denkend, um es
wieder zur Eile antreiben zu können, als auf sich selbst, ließ von
Wilhelminen ein großes Brod in kleine Stücke schneiden, und selbe dem
hungrigen Pferde reichen, worauf er ihm eine ganze Flasche Wein eingoß;
dann tränkte er es aus einer tiefen Pfütze, die in der Nähe war, und
ließ sich nicht die Mühe gereuen, einen grasreichen Platz aufzusuchen,
wohin er das Pferd führte, und es mit kurzgebundenen Beinen weiden
ließ. Als er aus dieser Pfütze sich die schwarze Farbe vom Gesichte
und das Blut von den Händen gewaschen hatte, trank und aß er mit
Wilhelminen so fröhlich, als laste nicht das geringste Vergehen auf
seiner Seele.

Die Uhr des ermordeten Weinhändlers zeigte die zweite Morgenstunde an,
und die Reise wurde angetreten.

Nach vielen Schwierigkeiten, oft in Gefahr zwischen enge stehenden
Bäumen, oder in aufstoßenden Dickichten nicht mehr fortzukommen, wurde
mit anbrechendem Tage ein breiter, viel befahrner Waldweg gefunden und
nach einigen Stunden ein einsam stehendes Gebäude erreicht, welches
gegen Süden von prachtvollen Gärten umschlossen, gegen Norden von den
Riesenbäumen eines weit auslaufenden Parks geschützt, das stattliche
Aussehen eines sehr reichen Edelsitzes hatte. Es war das Jagdschloß des
Herrn von Brand, der gerade am Schloßthore stand, als Eckold heranfuhr.
Gleich hatte dieser die Frechheit, dem Edelmann Pferd und Wagen zum
Kaufe anzubieten, wobei er die Nothwendigkeit, sehr eilig zu reisen,
durch ein recht wohl ersonnenes Mährchen darthat. Mit wenigen Worten
schloß Herr von Brand den Kauf und erfüllte auch die Bedingung, die
Reisenden in seiner Kutsche und mit seinen Pferden auf die nächste
Poststation zu schaffen.

Glücklich hatte Eckold Regensburg erreicht, wo er in der Rolle eines
reichen Edelmanns aus Sachsen erschien, eine prachtvolle Wohnung
miethete, einen Jäger und Koch, und Wilhelmine eine Kammerjungfer und
zwei Stubenmädchen in Dienste nahm. --

Die Chatulle des ermordeten Weinhändlers enthielt in Gold die Summe von
11,000 fl., und noch eine größere die Brieftasche in Wechseln _au
porteur_.

Aber diese bedeutende Summe war schon in dem kurzen Zeitraume von
drei Jahren durch unsinnigen Aufwand bis auf einige hundert Gulden
durchgebracht. Spurlos verschwand der sächsische Pseudo-Edelmann
nächtlicher Weile aus Regensburg, aber noch fortlebend im süßen
Andenken geprellter Gläubiger und seiner Dienerschaft, die den Lohn
eines Jahres bei der reichen Herrschaft stehen hatte.

Von nun an, wie die Untersuchungsacten angeben, wurden Eckold und
Wilhelmine zu den verworfensten Bösewichten. Sie betrogen und stahlen,
wo sich Gelegenheit fand, einige Zeit ohne Gehilfen, traten dann in
eine Bande und trieben Straßen- und Kirchenraub, Brandstiftungen und
Mord.

Es wurde im Jahre 1708 zu Leipzig in der grünen Planke auf der
Petersstraße ein gewaltsamer Einbruch und sehr bedeutender Raub
begangen. Die Polizei durchsuchte alle Gasthöfe, und alle verdächtigen
Häuser. In einem derselben fand man Eckold mit Wilhelminen. Sie
hatten keinen Paß, konnten sich über einen stabilen Aufenthalt, über
den Besitz rechtlicher Erwerbsmittel nicht im Geringsten ausweisen,
wurden als verdächtig arretirt und in sehr strenge, abgesonderte
Haft gebracht, da man bei Beiden Dietriche und Feilen fand. Durch
einen Mitgefangenen wurde Eckold als Theilnehmer an diesem und andern
Diebstählen angezeigt.

Eckold läugnete mit unerschütterlicher Festigkeit und gab nie die
geringste Blöße. Der Schöppenstuhl zu Leipzig erkannte über ihn die
Folter. Ohne die geringsten Merkmale eines Schmerzes erduldete er die
härtesten Qualen. Er wurde für ein Jahr in das Zuchthaus verurtheilt
und dort zu leichten Arbeiten verwendet. Schon nach einigen Tagen
entsprang er beim Straßenkehren den Wächtern, fand in der Nähe von
Eilenburg Wilhelminen, die bei seiner Ablieferung in das Zuchthaus
auf freien Fuß gestellt worden, als Zuhälterin des Walachen Peters,
eines höchst berüchtigten Räubers, ermordete diesen aus Eifersucht und
mißhandelte Wilhelmine so unmenschlich, daß sie einige Tage darauf an
den Folgen der Mißhandlung starb.

An der böhmischen Grenze wurde Eckold ein Mitglied der Bande des Lips
Tullian und zeichnete sich durch alle jene furchtbaren Eigenschaften,
mit welchen ein vollkommener Gauner, Räuber und Mörder ausgestattet
sein soll, bald so sehr aus, daß ihn Tullian seiner innigsten
Cameradschaft würdigte.



X.

Hans Wolf Heinrich Schöneck.

    Der moralische Gang des Menschen gleicht seinem
    physischen, der nichts ist als ein fortgesetzter Fall.

                                      ~Jean Paul.~


Es war im Winter des Jahres 1675, als mit einbrechender Nacht ein
junges, kräftiges Weibsbild in die Zechstube des Gasthofes eines
nahe bei Eisleben gelegenen Dorfes trat, eine große, wohlversiegelte
Schachtel der Wirthin übergab und sie recht dringend bat, selbe gleich
dem Dorfrichter zustellen zu lassen. -- „Diese Schachtel,“ -- sagte
sie zur Wirthin -- „hat mir der Thorschreiber in Eisleben mitgegeben
und so schnell als möglich an euern Dorfrichter abzugeben geboten. Ich
selbst würde sie ihm recht gern übergeben und dürfte gewiß eines guten
Trinkgeldes sicher sein, da, wie mich der Thorschreiber versicherte,
in dieser Schachtel ein gar angenehmes Geschenk sich befinde; aber
soeben fährt ein Fuhrmann hier durch, der mich nach meinem Orte
mitnimmt, und diese gute Gelegenheit darf ich nicht versäumen!“ -- Kaum
hatte die Wirthin die Schachtel übernommen, als das Weibsbild auch
schon aus der Stube verschwunden war.

Mit freudiger Neugierde einem unerwarteten Geschenke entgegen sehend,
öffnete der Dorfrichter die Schachtel. Ein allem Anscheine nach erst
vor einigen Tagen geborenes Kind, in elende Lumpen gehüllt, vor Kälte
fast erstarrt, war des Ueberraschten angenehmes Geschenk. Die Frau
des Dorfrichters, bei vielen schlimmen Eigenschaften auch von einer
wüthenden Eifersucht beherrscht, argwöhnte eine höchst frevelhafte
Verletzung der ehelichen Treue, gab dem bis zur Knechtschaft an
Unterwürfigkeit gewöhnten Ehemann eine tüchtige Ohrfeige und zugleich
mit einem furchtbaren Blicke die strenge Weisung, den Bankert auf der
Stelle aus dem Hause zu schaffen, außer dem das schlimmste Strafgericht
erfolge. Schweigend und an unbedingten Gehorsam gewöhnt, schloß der
Dorfrichter die Schachtel, nahm sie unter den Arm, warf den Mantel um
und eilte aus dem Hause.

„Wohin mit dem Kind?“ -- fragte sich selbst der Richter vor der
Thüre. Dem kinderlosen Wasenmeister es zu übergeben und heimlich
alle halbe Jahre einige Thaler zur Beköstigung beizutragen, war der
schnelle und glückliche Einfall, worüber er sich um so mehr freute,
da dieses Kind gewiß ein unehliches, mithin, nach den Begriffen
und Gebräuchen jener finstern Zeiten, der Aufnahme in irgend eine
Innung nicht fähig, wohl aber zum künftigen Lehrling und Knecht eines
Wasenmeisters ganz geeignet sei, da Leute dieses Standes, im Geiste der
dort vorherrschenden Intoleranz und Befangenheit, auch als unehrlich
angesehen und bei keinem Handwerke zugelassen wurden.

Willig nahm der gutherzige Wasenmeister den hülfelosen Wurm auf,
und sein nicht so gutherziges Weib glättete schnell die gefurchte
Stirne, als die Geldsüchtige von dem Dorfrichter einige Thaler und
die feierliche Versicherung eines gleichen halbjährigen Zuschusses,
wenigstens für die ersten Jahre, erhielt.

Als die Wasenmeisterin das Knäblein aus den zerlumpten Windeln nahm,
fand sie einen am Halse des Kindes mit einem Bindfaden befestigten
Zettel, worauf mit großen, schlecht geschriebenen Buchstaben stand:
„Dieses Büblein ist getauft, und heißt Hans Wolf Heinrich Schöneck.“
-- Der Dorfrichter war außer sich vor Freude, als er diese Worte las.
Nun hatte er einen gültigen Beweis seiner Unschuld an dem Dasein dieses
Kindes. Ueber Hals und Kopf rannte er nach Hause, hörte, vielleicht
zum ersten Male seit seiner Verheirathung, den Befehl zur schnellen
Anzeige, wohin der Bankert gebracht sei, nicht mit gebührender
Aufmerksamkeit an, und las die inhaltreichen Worte mit seinem kräftigen
Basse so laut und so oft vor, daß er die gellende Stimme seiner
zürnenden Ehehälfte überschrie und endlich den Sieg errang.

Außer ihm, seiner Ehefrau und den Wasenmeisterleuten wußte im Dorfe
Niemand etwas von dieser erfreulichen Bescheerung. Die Dorfrichterin,
bis zur Aufgeblasenheit stolz auf den guten Ruf und die Würde ihres
Mannes, ging noch in dieser Nacht zu Wasenmeisters, trug ihnen das
sorgsamste Stillschweigen, zugleich die Ersinnung einer glaubhaften
Angabe über die Erscheinung des Kindes auf, und unterstützte ihr
Anliegen mit einem großmüthigen Geschenke. Die Wasenmeisterin erklärte
auf der Stelle, das Kind mit dem frühesten Morgen zu ihrer, vier Meilen
von da verheiratheten Schwester tragen und es einige Monate dort lassen
zu wollen, worauf dann die Schwester bei hellem Tage und mit großer
Oeffentlichkeit das Kind hierher bringen sollte, als wäre es eines der
ihrigen, um hier an Kindes Statt aufgenommen zu werden.

Schöneck wuchs auf, wie er aufwachsen konnte in jenen Zeiten, wo das
Kind eines Wasenmeisters von dem Besuche der Schule, von der Erlernung
einer Profession ausgeschlossen und von den meisten Menschen nicht des
Umganges gewürdigt wurde. Was der alte Wasenmeister noch vom Lesen
und Schreiben wußte, lernte Schöneck von ihm, und erhielt von der
Pflegemutter einen höchst nothdürftigen, oberflächlichen Unterricht
in der Religion. Zur Arbeit herangewachsen, hatte er den Wasenknecht
zum Lehrer, und von diesem wilden, liederlichen Burschen in den
Anfangsgründen der Unsittlichkeit und vieler verderblichen Laster
eingeweihet, bildete er sich schon in früher Jugend zu dem vor, was er
in der Folge ward.

Wie in andern Ländern, so herrschte auch in diesem ein alter, selbst
jetzt noch auf vielen landesherrlichen und edelmännischen Besitzungen
herrschender Gebrauch, daß der Wasenmeister die Jagdhunde der
Herrschaft füttern und bei Treibjagden führen mußte. Bei solchen Jagden
wurde Schöneck mit einem der Jäger des Gutsherrn bekannt und von
diesem nicht, wie es sonst Sitte war, verächtlich, sondern vielmehr
recht freundlich behandelt.

Der im Bewußtsein der Niedrigkeit und Ehrlosigkeit seines Gewerbes
fast menschenscheue Schöneck fühlte sich durch des Jägers freundliches
Benehmen geehrt und ermuthigt; er wußte sich kaum vor Freude zu fassen,
als der Jäger Franz ihn eines Tages mit Flinte, Waidtasche, Pulver und
Blei ausrüstete, in den Forst, auf die Felder mitnahm und dort in der
Behandlung des Gewehres, im Laden und Schießen unterrichtete. Schöneck,
ein flinker Bursche, war bald der beste Schütze in der ganzen Umgegend.

Der Jäger Franz machte Schöneck zum sichern Schützen und immer mehr zum
kundigen Waidmann, um aus dessen Kunstfertigkeit für sich so manchen
Vortheil zu ziehen. Ein Heuchler, ein frömmelnder, diensteifriger
Mensch vor seiner Herrschaft, war Franz da, wo es so ziemlich
unentdeckt sein konnte, ein Spieler, Trunkenbold und Wollüstling.

Der knappe Sold, das geringe Schußgeld reichten nicht hin für sein
liederliches Leben; die Wilddieberei sollte ihm die Mittel zur
Befriedigung seiner Lüste reichen. Darum bildete er Schöneck zum
sichern Schützen, zum gewandten Waidmann, um an ihm einen tüchtigen
Gehülfen bei der Wilddieberei und einen vertrauten Verkäufer des
erlegten Wildes zu haben.

Drei Jahre hatte diese verbrecherische Freundschaft gewährt, und
Schöneck von seinem Antheile an dem verkauften Wilde ein hübsches
Sümmchen erübrigt, als er eines Tages, da er auf einem Weiler eine
gefallene Kuh abholte, den eben vom herrschaftlichen Schlosse
zurückgekehrten Bauer seinem Weibe erzählen hörte, daß an diesem Morgen
der Jäger Franz auf einem Wilddiebstahle sei ertappt und gleich in
Ketten gelegt worden; auch kenne man schon den saubern Patron, der
Franzen Mithelfer bei seinen Wilddiebereien gewesen sei. Hier warf der
Bauer einen durchbohrenden Blick auf Schöneck, der diesem zur Genüge
sagte, wie es um ihn stehe. So schnell als möglich lud er die Kuh auf
den Karren, und fuhr im scharfen Trabe der Meisterei zu.

Die Pflegeeltern waren bei seiner Rückkunft gerade in der Kirche.
Daß er fort, auf der Stelle fort müsse, darüber war er schon bei den
gehörten Nachrichten von Franzens Arretirung mit sich einig; die
Abwesenheit seiner Pflegeeltern schuf in seinem verderbten Herzen einen
recht schändlichen Einfall, den Einfall, die gutherzigen Leute für die
ihm so reichlich gespendeten Wohlthaten noch zu berauben. Unbemerkt
von der Magd schlich er in die obere Stube, wo Geld und die beste Habe
verwahrt war, erbrach den Schrank, nahm alles vorräthige Geld und
was sich Werthvolles vorfand, zog sein bestes Kleid an und sattelte
das Pferd. Gegen die Magd, die ihn neugierig um die Veranlassung
seines heutigen Aufputzes und Rittes befragte, gab er vor, eilig
auf das herrschaftliche Schloß zu müssen, um nach einem plötzlich
erkrankten Pferde zu sehen, schwang sich auf und trabte auf dem Wege
fort, der nach dem Schlosse führte. Im nächsten Walde schlug er den
entgegengesetzten ein, verkaufte im Wirthshause, wo er übernachtete,
sein Pferd, stahl einem neben ihm schlafenden Handwerksburschen die
Brieftasche mit der Kundschaft, und eilte gleich nach Mitternacht nach
Dresden zu, wo er bei einem Trödler seinen ländlichen Anzug gegen
einen städtischen mit einer Geldaufgabe vertauschte, und die Frechheit
hatte, auf die Hauptwache zu gehen, sich, wie die Kundschaft lautete,
als einen Strumpfwirkergesellen aus dem Badischen anzugeben und um
Einreihung in das Militär zu bitten. Der junge, hochgewachsene Bursche
wurde gern aufgenommen und in dem Infanterie-Regimente des Generals
von Röbel eingereihet, wo er drei Jahre stand, dann auf seine Bitte zur
Artillerie kam.

War seine Aufführung auch nicht ganz unbescholten, so hatte er sich
doch in den fünf Jahren seines Militärlebens keines schlechten
Streiches schuldig gemacht. Er würde vielleicht ein recht wackerer
Mensch geworden sein und Beförderung erhalten haben, hätte er
nicht das Unglück gehabt, mit Susanna Strobel, der jungen Wittwe
eines Grenadiers, bekannt zu werden, die eine Erzgaunerin und um
so gefährlicher war, da sie ihre verbrecherischen Handlungen mit
der größten Schlauheit ausübte und sich mit dem Heiligenscheine
der Sittsamkeit und Rechtschaffenheit so zu umgeben wußte, daß sie
allgemein als eine höchst achtbare Person galt und selbst bei sonst
sehr mißtrauischen Menschen das größte Vertrauen genoß. Sie war in
allen ihren Handlungen so klug und vorsichtig, daß Schöneck viele
Monate mit ihr im allervertrautesten Umgange verlebte, ohne nur einen
ihrer geheimen Umtriebe zu bemerken, bis sie selbst, mit Leidenschaft
an ihm hangend, im Rausche der Sinnlichkeit sich in wahrer Gestalt
zu zeigen anfing. Männer und Weiber, Bursche und Mädchen, die er oft
bei seiner Geliebten antraf, fand er immer im Handel über seidene
Tücher, Silberzeug und andere Sachen, und hielt diese Leute für
Geschäftsverwandte, da die Wittwe eine Trödelbude hatte. Jetzt erst,
als sie selbst ihn ganz zum Vertrauten ihrer Geheimnisse machte,
erfuhr er, daß diese Tugendheldin eine Diebshehlerin, selbst das
Mitglied einer ansehnlichen, ausgebreiteten Diebesbande sei, der sie
das Geraubte verwahre, oft ganze Ladungen davon im Auslande verkaufe,
während des Umherziehens auf Kauf und Tausch die besten Gelegenheiten
zum Raub, zu Einbrüchen ausforsche und aus den Chochemer-Pennen[10] die
Nachrichten an die Bande ergehen lasse. --

    [10] Diebsherbergen.

Es kostete dieser Susanna Strobel nicht viele Mühe, Schöneck zur
Theilnahme an ihrem heillosen Gewerbe zu bereden, da er, durch seines
Zeitalters Geistesfinsterniß und Duldungslosigkeit von den Mitteln zur
Veredlung des Herzens, zur Erweckung eines wahren Sinnes für Religion,
Arbeitsliebe und Pflichterfüllung ausgeschlossen, durch die Schwäche
und Nachgiebigkeit seiner Pflegeeltern, durch den verführerischen
Unterricht seines ersten Lehrmeisters, des grundverdorbenen
Wasenknechts, und durch den verderblichen Umgang mit dem Jäger Franz
schon zum Taugenichts, Gauner und Wilddieb, zum künftigen Auswurf der
Menschheit auferzogen, und, so viel als möglich, in früher Jugend dazu
ausgebildet worden. --

Schon mehrere kleine Diebstähle und Einbrüche hatte Schöneck mit
Gewandtheit ausgeführt, als Susanna den Vorschlag zum Einbruche bei
einem reichen Krämer im Hause des Oberhüttenverwalters Heig machte.
An der Wachsamkeit des Krämers scheiterte die glückliche Ausführung
des Einbruches. Die Rotte wurde versprengt. Schöneck, von zwei
Scharwächtern verfolgt, konnte nicht mehr das hintere Pförtchen der
Kaserne erreichen, zu welchem er sich schon seit langer Zeit einen
Nachschlüssel verschafft und so einen geheimen Weg zu nächtlichen
verbrecherischen Ausgängen sich gebahnt hatte.

Es gelang ihm, aus der Stadt zu entfliehen, er wurde aber schon am
andern Tage, wegen Mangel an gehöriger Aufweisung und der Desertion
verdächtig, von den Bauern aufgegriffen und in das Stockhaus zu Dresden
abgeliefert.

Von der Theilnahme an dem versuchten Einbruche in den Krämerladen
wußte sich Schöneck, ungeachtet er auf die Folter gebracht und
mit den Daumenstöcken gefoltert wurde, durch das beharrlichste
Läugnen und durch unerschütterliche Standhaftigkeit in Erduldung
der Folterschmerzen vollkommen zu reinigen. Doch, der Desertion
überwiesen, mußte er Spießruthen laufen und die Unkosten seiner
Untersuchung durch Arbeit im Waisenhause, wohin er aus dem Stockhause
in Ketten unter Aufsicht eines Soldaten täglich geführt wurde, wieder
erstatten.

Die tägliche, schwere Arbeit, mit schlechter Kost verbunden, war
dem an Nichtsthun und Wohlleben gewohnten Schöneck viel zu lästig.
Ueberzeugt, nicht durch Gewalt, sondern nur durch List sich frei machen
zu können, bewies er solch einen rastlosen Arbeitseifer und solch
einen gehorsamen, demüthigen, reuevollen Sinn, daß ihm auf Befehl des
Obercommissärs die Ketten abgenommen, bessere Lebensmittel gereicht,
und manche Erleichterungen gewährt wurden. --

Alles dieses half ihm noch nicht zur Freiheit; für diese mußte
etwas Großes gethan werden. Er legte in der vollen Scheune des
Waisenhauses Feuer an, war unter den mit der Löschung beschäftigten der
Allerthätigste, verschwand im Gewühle der herbeigeströmten Menge, und
erreichte ungesehen und unverfolgt die Wohnung seiner Susanna. Schnell
war der Züchtlingskittel gegen eine recht stattliche Bürgerkleidung
vertauscht, von einem bei der Polizei Angestellten, dem vertrauten
Freunde und Beschützer der schönen Wittwe Strobel, schon nach wenigen
Stunden für Schöneck ein Paß mit dem Namen Gottlieb Kraus ausgefertigt,
mit Susanna genaue Abrede genommen, und als der Tag angebrochen und
die Stadtthore geöffnet waren, ging Schöneck, durch seine stattliche
Kleidung und ein großes, schwarzes Pflaster auf dem einen Auge
unkenntlich gemacht, wie ein lustwandelnder Bürger, langsam und
unbefangen an der Wache vorüber zur Stadt hinaus.

Durch seinen Paß beglaubigt, und von Susanna mit 300 Thalern in Golde
versehen, ließ sich Schöneck zu Mainsdorf im Brandenburgischen nieder,
trieb einen Handel mit gewirkten Strümpfen, mit Hauben, Bändern und
Tabak, ließ Susanna, die aus leidenschaftlicher Neigung zu ihm ihr
gutes Diebsgewerbe in Dresden verlassen und eine nicht unbedeutende
Summe ihm zugebracht hatte, mit seinen Waaren auf den Dörfern Handel
treiben, vereinigte sich mit liederlichem Gesindel und stahl und
raubte, aber mit solcher Klugheit und Vorsicht, daß der Strumpfhändler
Gottlieb Kraus sowohl in Mainsdorf, als auch in ferner Umgebung für
einen gar wackern Mann galt.

Unter Schönecks vertrauteste Raubgenossen gehörte Peter Blinder, der
auch als Bandkrämer im Lande umherzog und einer der schlauesten und
verwegensten Gauner war. Beide, sehr reizbar und jähzornig, geriethen
sehr oft in Streit, der meistentheils sehr blutige Folgen hatte.
So traf es sich, daß sie auf der Straße bei Hoyerswerda über eine
Kleinigkeit in Wortwechsel kamen, sich schlugen und Schöneck, dem
Blinder an Kräften weit überlegen, auf das Grausamste mißhandelte. Die
Leute liefen von den Feldern herbei, von Blinder zur Hülfe angerufen,
dem ein Auge eingeschlagen und der Kopf voll Löcher war.

Von Wuth gegen seinen barbarischen Peiniger außer sich, bat Blinder die
herbeigeeilten Landleute, diesen Menschen, der als der Strumpfhändler
Gottlieb Kraus umherziehe, aber jener, aus dem Stockhause zu Dresden
entsprungene, durch Steckbriefe verfolgte Schöneck sei, gleich in
Verhaft zu nehmen, und wohl zu verwahren. Blinder würde gewiß auch noch
genauer über seines Kameraden verübte Thaten gesprochen haben, wäre
er nicht aus Schwäche wegen des bedeutenden Blutverlustes ohnmächtig
geworden. Schöneck und Blinder wurden von den Landleuten in das
nächste Dorf gebracht, wo Blinder noch in der Nacht an den Folgen der
erlittenen Mißhandlung starb, und Schöneck am andern Morgen, auf einen
Wagen gebunden und von bewaffneten Bauern umgeben, in das Stockhaus zu
Dresden abgeführt wurde.

Weder seine Flucht aus Dresden während des Brandes im Waisenhause, noch
die Betreibung seines Strumpfhandels in Mainsdorf und sein Hausiren auf
dem Lande läugnend, dabei aber im unerschütterlichen Stillschweigen
über den Aussteller des falschen Passes und über seine vertrauten
Verhältnisse zu Susanna Strobel auf das Hartnäckigste verharrend, hatte
Schöneck allen ihm gefährlichen Verdacht früherer schwerer Verbrechen
nach und nach beseitigt.

„Weil aber der Verdacht noch nicht zulänglich gewesen, daß die Herren
Schöppen zu einer Peinlichkeit wider ihn gelangen können: so haben
dieselben in dem eingeholten Urtheil, gar vorsichtig von ihm zugleich
mit angemerket:

~Daß Schöneck, der allem Ansehen nach, viel Böses gestiftet, und
annoch anzurichten geschickt ist, in sicherer Verwahrung eine Zeitlang,
bis zu seiner Besserung enthalten, und dahin, woraus er eigenen
Anziehen, _fol._ II. nach entkommen, wieder gebracht, auch zur
Abarbeitung derer daselbst annoch rückständigen Unkosten angestrenget
werden solle.~“

Auf besondern Befehl der Landesregierung wurde Schöneck nicht im
Stockhause gelassen, sondern auf den Festungsbau gebracht.

Unter den Baugefangenen wurde bald darauf bekannt, daß der Räuber und
Mörder Peter Pfützner in einigen Tagen auf dem Sande vor Alt-Dresden
durch den Strang hingerichtet werde.

„Gott Lob, sie hängen meinen Hauptfeind auf!“ -- sagte Schöneck
halblaut in der Gaunersprache vor sich hin. Ein Frohnknecht, der
Gaunersprache kundig, hatte kaum diese Worte gehört, als er dem
Ober-Profosen davon Anzeige machte. Dieser berichtete Schönecks
Aeußerung dem Criminalgerichte. Auf der Stelle wurde Pfützner zum
Verhöre vorgeführt, und zur aufrichtigen, ausführlichen Angabe alles
dessen, was er von dem Leben und Uebelthaten des Baugefangenen
Schöneck wisse, auf das Dringendste ermahnt. Pfützner erklärte, er
habe mit Schöneck, als dieser unter dem Namen Gottlieb Kraus sich
umhergetrieben habe, in tödtlicher Feindschaft gestanden, hätte
sich aber wohl gehütet, gegen ihn auszusagen, um nicht für einen
rachsüchtigen Menschen zu gelten. Da er aber von einem hochpreißlichen
Criminalgerichte zur Angabe der Wahrheit aufgefordert werde, und sein
Gewissen ihm ohnehin dieses Stillschweigens über Schöneck wegen die
heftigsten Vorwürfe schon seit längerer Zeit mache, so wolle er nun
mit der strengsten Wahrheitstreue und genauester Ausführlichkeit
alles angeben, was er über Schönecks Thaten während der Dauer ihrer
Kameradschaft auszusagen wisse.

Und nun gab Pfützner seine sehr inhaltreiche Aussage gegen Schöneck zu
Protokoll.

Nach dem Verhöre wurde Schöneck zur neuen Untersuchung in das Stockhaus
abgeliefert. Wie es ihm möglich geworden, sich von seinen schweren
Ketten loszumachen und aus einem der tiefsten und festesten Kerker
des Tag und Nacht wohl verschlossenen, von zahlreichen Wächtern
und Hunden gegen Ein- und Ausbrüche sehr geschützten Stockhauses
zu entrinnen, konnte nicht ergründet werden, da er nicht nur gegen
seine Kameraden, sondern auch in der Folge bis an sein Ende gegen die
Untersuchungsrichter ein Stillschweigen beobachtete, welches kein
freundliches Zureden, kein Ernst, selbst nicht die grausamste Folter zu
brechen vermochte.

Aus dem Stockhause hinweg wurde er mit Sarberg und Schickel bekannt,
von Tullian zu seinem Raubgenossen gemacht und allmälig von ihm zur
höchsten Höhe der Gewissenlosigkeit, der Raubgierde und der Grausamkeit
geführt. In einem furchtbaren Kampfe gegen die Uebermacht von
Soldaten, Jägern und Landleuten, gerade als Lips Tullian, nur noch mit
Wenigen auf dem Platze, von zwei Grenadieren entwaffnet und fortgeführt
wurde, schlug sich Schöneck mit Löwenmuth und Löwenstärke durch die
dichte Reihe der Soldaten und Jäger, entriß Tullian den Grenadieren,
und hielt den Haufen der Angreifer so lange zurück, bis Tullian einem
Jäger den Hirschfänger entrissen und den das Kommando befehligenden
Officier niedergestochen hatte. Der Tod des Anführers machte den
blutigen Kampf stocken. Diesen Augenblick der Ruhe benutzend, gewannen
Beide die nahen Gebüsche, und waren gerettet.

Diese muthige That, im Augenblick der höchsten Gefahr ausgeführt,
machte Tullian zu Schönecks treuestem Freunde.



XI.

Daniel Lehmann.

      Noch immer ist mir’s unbegreiflich! Rudolph
    Wagt’s, an der Grenze frei herum zu wandeln;
    Tausend Zechinen stehn auf seinen Kopf,
    In Fiume hängt sein Bildniß an dem Galgen,
    Und er lebt hier, als wäre nie sein Dolch
    In einem Menschenherzen warm geworden.

                                 ~Th. Körner.~


Unter allen Einwohnern des Dorfes Schönfeld galt der Häusler Lehmann
für den frömmsten und thätigsten. Er war erst vor einigen Jahren,
nachdem er, ein geborner Tyroler, den größten Theil seines Lebens
mit Teppichhandel auf fast immerwährender Reise zugebracht hatte, in
Schönfeld durch den Ankauf einer Häuslerwohnung ansässig, und durch
Fleiß, Friedfertigkeit und Gottesfurcht bald so beliebt geworden, daß
die reichsten Bauern des Ortes und der Umgegend ihn recht gern zum
Schwiegersohne gehabt hätten. Aber Lehmann war schon verheirathet und
Vater eines zehnjährigen Knaben, der mit seiner Mutter einige Zeit nach
des Vaters Ansässigmachung in Schönfeld aus dem fernen Tyrol anlangte.

Daß diese Tyrolerfamilie in mancher Woche mehrere Tage nicht arbeitete,
fiel der Gemeinde anfangs auf, wurde aber bald nicht mehr beachtet, als
es allgemein bekannt wurde, daß Lehmann durch die Nachwehen seiner als
Soldat erhaltenen Wunden oft längere Zeit an das Krankenlager gefesselt
und dann immer der sorglichen Pflege seines Weibes und Sohnes höchst
bedürftig werde. Auch erregte es im Dorfe anfangs Aufsehen, daß von
Zeit zu Zeit, meistens nächtlicher Weile, fremde Leute, Männer, Weiber,
junge Bursche und Dirnen in Lehmanns Behausung kamen, sich im Dorfe
nicht sehen ließen, und bald wieder verschwanden.

Lehmann, der darüber manches ihm nachtheilige Gerede hörte, vertraute
einem Nachbar, wie viele Kenntnisse er im Pflanzenreiche habe, wie
er die Heilkräfte der Kräuter und Wurzeln zu benutzen wisse, schon
unzähligen Todtkranken zum Lebensretter geworden, weit und breit als
ein gar geschickter Arzt bekannt sei, und nun von Alt und Jung aus den
fernsten Gegenden um Hilfe angesprochen werde, aber stets im Geheimen,
damit die Aufmerksamkeit der Aerzte und Bader nicht erregt, und durch
Brotneid ihm kein Hinderniß gemacht werde, den leidenden Menschen zu
dienen. Der Nachbar gelobte mit Wort und Hand, Lehmanns vertraute
Mittheilung als ein Geheimniß zu bewahren, aber schon in einer Stunde
wußten alle Schönfelder, welch ein Wunderdoktor in ihrer Mitte hause.
Man wünschte sich Glück zu diesem Mitbewohner, und Lehmanns Wissen und
Thätigkeit wurden für Menschen und Thiere in Anspruch genommen.

Hätten die guten Einwohner von Schönfeld nur eine Ahnung gehabt, welch
ein liederliches, verderbliches Gesindel die Familie Lehmann sei, so
würden sie gewiß deren Ansässigmachung unter sich nicht geduldet haben.
Lehmann, in der Nähe von Insbruck auf einem Weiler von liederlichen
Eltern erzeugt und zur Gaunerei erzogen, wanderte schon als
zwölfjähriger Knabe im Auslande umher, wo er Teppiche verkaufte, durch
sein fertiges Zitterspiel und seine Nationalgesänge auf den Schlössern
der Edelleute, in Gasthöfen, und besonders unter dem Landvolke sich
bis zu seinem achtzehnten Jahre ein mäßiges Kapital erklimpert und
ersungen hatte, bei fortschreitender Ausbildung seiner anziehenden
Schönheit und rüstigen Gestalt, gerade in der herrlichsten Blüthe
des Lebens, von lüsternen Weibern an sinnliche Genüsse gewöhnt, bei
seinem arbeitslosen Umherschlendern mit allen, dem Müßiggange folgenden
Lastern vertraut und, besonders aus innerer Hinneigung zum Bösen, so
nach und nach zum vollkommenen Gauner, Dieb und Räuber sich aufschwang.

Eines Mordes wegen, den er in der Gegend von München begangen hatte,
verfolgt und in Baiern nicht mehr sicher, floh er nach Oesterreich,
ließ sich bei einem ungarischen Infanterieregimente anwerben und machte
einen Feldzug mit, worin er verwundet und in der Folge wegen wirklich
guter Aufführung und bewiesener Tapferkeit zum Unteroffizier befördert
wurde.

Lehmann war einer der schönsten Männer im Regimente, dabei
ausgezeichnet reinlich, sehr gewandt, schlau, und ein vorzüglicher
Redner. Diese Eigenschaften veranlaßten den Regiments-Commandanten, ihn
dem Offizier, der auf Werbung nach Nürnberg beordert wurde, beizugeben.
Lehmann war gegenwärtig, wie der Bediente des Werbeleutenants den
Koffer packte; er sah die vielen Goldrollen und Thalersäcke; er wurde
von solch einer Begierde nach diesem vielen Gelde hingerissen, daß
seine, beim Regimente bethätigte, aber nur auf Sand gebaute Moralität
durch den Windstoß der Habsucht plötzlich eingestürzt und auf ihren
Trümmern der Plan eines schweren Verbrechens gebildet wurde.

Lehmann jauchzte im Stillen, als er hörte, daß der Offizier ohne
Bedienten reise. -- Im nächsten Städtchen, wo sie Nachtquartier
hielten, versah sich Lehmann mit Opium. Einige Tagereisen von Nürnberg
stellte er sich so krank, als wäre er nicht im Stande nur noch
einige Stunden zu fahren. Der Offizier, um seinen schönen, klugen,
wohlberedten Werbegehülfen höchst besorgt, ließ im nächsten Wirthshause
an der Landstraße anhalten und sich ein Zimmer mit zwei Betten
geben, wohin Lehmann, die äußerste Schwäche erkünstelnd, getragen
werden mußte. Das Wirthshaus lag ganz einsam, und der Offizier fand
keine Unterhaltung, als die ihm die Flasche, seine liebste Freundin,
gewährte, mit der er sich auch so innig befreundete, daß er schon bei
Einbruch des Abends, seiner Sinne kaum mehr mächtig, das letzte Glas,
in welches Lehmann unbemerkt eine tüchtige Dosis Opium gethan hatte,
langsam leerte, und gleich darauf in todtähnlichem Zustande auf sein
Lager gebracht werden mußte.

Einige Stunden nach der Ankunft im Wirthshause hatte Lehmann
versichert, sich wieder besser zu fühlen, und schlich im Hause umher,
gute Gelegenheit zur Ausführung seines Unternehmens zu erspähen.

Kaum war der bewußtlose Officier zu Bette gebracht, als Lehmann in
die Zechstube hinabstieg, sich ein reichliches Nachtessen auftischen
ließ, ein Paar Flaschen Wein ausstach und vor der Rückkehr in
das Schlafzimmer dem Fuhrmann gebot, nicht eher sich zur Abreise
anzuschicken, als bis der Officier selbst Befehl dazu gebe, der, nach
seiner Aeußerung, hier gehörig ausschlafen wolle.

Als Lehmann nach leisem Umherschleichen im Hause sich ganz überzeugt
hielt nun seien alle Bewohner dieses Gasthofes im tiefen Schlafe
begraben, öffnete er den Koffer des Lieutenants, bekleidete sich
mit dessen bestem Civilanzug, packte in seine geräumige Geldgurte
alles, was er an Gold- und Silbergeld, an Uhren, Ringen und sonstigen
Kostbarkeiten bergen konnte, füllte seine Taschen mit der feinsten
Wäsche, steckte die Reisepistolen des Officiers zu sich, und hing
dessen Säbel um. Mit dem Raube beladen, schlich er aus dem Zimmer,
verschloß es leise und sorgfältig, kroch unter den Fenstern von zwei
bewohnten Gemächern dem Brettergange zur Hintertreppe zu und diese
hinab, erstieg auf einem Balken, den er auf seiner ausspähenden
Wanderung zu diesem Behufe unbemerkt dahin gebracht hatte, die hohe
Hofmauer, schwang sich in die Aeste eines Apfelbaumes, glitt an dessen
Stamme zur Erde nieder und eilte so schnell als möglich nun gerade auf
der Straße nach Nürnberg fort.

Auch die Zukunft mit klugem Sinne beachtend, und sich auf unerwartete
Ereignisse vorsehend, hatte er die wichtigsten Papiere über die
Werbeangelegenheit des Officiers zu sich gesteckt. Er war so frech,
auf der nächsten Station, die er im eilenden Gange bald erreicht
hatte, den Posthalter wecken zu lassen, diesem, unter Vorlegung seiner
Papiere, das Geheimniß zu vertrauen, daß er auf der Verfolgung eines
mit kaiserlichen Geldern entwichenen Kriegscommissärs begriffen, sein
Reitpferd aber eine Meile von da aus Ermattung niedergestürzt, und er
dadurch gezwungen worden sei, den Weg hierher in größter Eile zu Fuße
zu machen, um mit Extrapost Nürnberg schleunigst erreichen und dort die
wirksamsten Anstalten zur Arretirung des Kriegscommissärs treffen zu
können. Der Posthalter konnte in seinem Diensteifer nicht eilig genug
sein, die wichtige Reise durch sein flüchtiges Gespann zu befördern.

Im Fluge ging es von Station zu Station, ohne nur einigen Aufenthalt
in Nürnberg, dem Sachsenlande zu. Als der Postillon der letzten
Station an der sächsischen Grenze durch das Schmettern seines Hornes
den Beamten und die Diener der Grenzmauth an den Schlagbaum gerufen
hatte, sah man sich vergebens nach dem Reisenden um. Lehmann war im
letzten Hölzchen leise aus der Postchaise gestiegen und durch Gebüsche,
über Felder und Wiesen hin, schon lange auf sächsischem Grunde, als
noch immer der Postillon und das Mauthpersonal über dieses sonderbare
Verschwinden des Reisenden sich die Köpfe zerbrachen.

Bald trat Lehmann in seiner Nationaltracht als Teppichhändler, als
Gauner und Dieb auf, heirathete in Schwaben eine schöne Dirne aus
einer Gaunerfamilie, lebte zehn Jahre theils von dem seinem Officiere
geraubten Gelde, theils von den Erträgnissen verbrecherischer Thaten,
und kaufte sich dann in Schönfeld an, da ihm viele Gauner diesen Ort
als vorzüglich geeignet zur Diebshehlerei und zur geheimen Verbindung
mit den zahlreichen, größtentheils in jener Gegend umherziehenden
Räuberbanden auf das beste empfohlen hatten.

Daß Lehmann schon in seiner Jugend oft viele Monate mit reisenden
Zahnärzten und Marktschreiern, die nebst ihren Quacksalbereien
das Diebeshandwerk trieben, herumgezogen war, besonders, daß er
mit dem Erzgauner Samuel Fritsch, _vulgo_ dem alten Zahnarzt,
einem geschickten, aber wegen Liederlichkeit und Veruntreuung aus
österreichischen Diensten entlassenen Spitalarzte länger als ein Jahr
in vertrautester Gemeinschaft gelebt und von dessen ärztlichem Wissen
sich vieles angeeignet hatte, leistete ihm jetzt wesentliche Dienste.
Bald hatte er als Arzt das Vertrauen der Schönfelder und der Landleute
in weiter Umgebung im höchsten Grade erworben, und es möchte demjenigen
recht übel bekommen sein, der ihrem Wunderdoktor nur durch das leiseste
Mißtrauen gegen seine gar hochgerühmte Rechtlichkeit verletzt hätte.

Treuherzig glaubten die Schönfelder, der gute Nachbar Lehmann liege,
so oft sie ihn bei der Arbeit vermißten, an den Nachwehen seiner
Wunden schmerzlich leidend darnieder. Diese vermeintlichen Leidenstage
waren für Lehmann und sein eben so arbeitsscheues Weib die Tage der
Erholung von den ungewohnten Anstrengungen, denen sie sich zum Scheine
unterzogen, um bei den an Fleiß und Nüchternheit gewöhnten Schönfeldern
nicht allerlei Argwohn zu erregen. Es mochten wohl bei sehr reichen
verschwenderischen Leuten Küche und Keller nicht so wohl bestellt sein,
als sie es in Lehmanns Hause waren. Die befreundeten Gauner brachten
immer nächtlicher Weile einen Vorrath der besten Eßwaaren und der
besten Getränke mit. Wollte dann die Lehmannische Familie gute Tage
haben, oder ein eingekehrtes Gesindel festlich bewirthen, so schloß man
Fensterläden und Thüren, gleichsam um die möglichste Ruhe dem kranken
Hausvater zu verschaffen, und dieser war Spitzbube genug, von Zeit zu
Zeit so laut, so jämmerlich zu schreien, daß alle Dorfbewohner den
Gequälten auf das Schmerzlichste bedauerten.

Es liegt in der Natur der Sache, daß Daniel, Lehmanns einziges Kind,
aber auch der einzige Erbe aller Laster seines Vaters und seiner
Mutter, schon früh zum Bösewichte reifte. Von seinen Eltern durch
Elementarunterricht in der Gaunerei, durch Theorie und beispielvolle
Ausübung zum ausgezeichneten Verbrecher aufgezogen, begann Daniel
seine verbrecherische Laufbahn mit einer That, womit mancher ergrauete
Räuber den Cyclus seiner Verbrechen geschlossen hätte. Daniel war noch
nicht volle sechzehn Jahre alt, als er drei preußische Deserteurs
verleitete, mit ihm eine abgelegene Mühle auszurauben. An der Spitze
seiner Gehülfen erkletterte er auf einer schwankenden Stange ein offnes
Fenster des obern Geschosses, überfiel den Müller und sein Weib,
und erbrach, während seine Genossen die Müllersleute mit Stricken
banden, Truhen und Schränke. Da stürzten die zwei Mühlburschen, mit
Beilen bewaffnet, in die Stube. Es begann ein wüthender Kampf, der
für Daniel um so gefährlicher wurde, da zwei seiner Raubgesellen aus
Feigheit entsprangen. Mit überraschender Schnelle unterlief Daniel
einen der Mühlburschen, stieß ihm das Messer in die Eingeweide, und
riß den andern bei den Haaren zurück. Schnell war der Unglückliche von
Daniels Gefährten getödtet. Mit hochgeschwungenem Beile trat Daniel
vor den gebundenen Müller, und drohete, ihm den Kopf zu spalten, wenn
er nicht gleich gestehe, ob sonst noch Jemand im Hause sei, und wo er
die 500 Thaler verborgen habe, die ihm, den zuverlässigsten Nachrichten
gemäß, erst vor einigen Tagen seien ausbezahlt worden. Der Müller
versicherte aufs Feierlichste, außer seiner kranken Mutter niemand im
Hause zu haben, erklärte auch die Sage von dem ihm bezahlten Gelde für
eine boshafte, von feindlich gesinnten Menschen zu seinem Verderben
ausgesprengte Lüge. Daniel, der sechszehnjährige Bursche, marterte nun
den Müller so unmenschlich und mit solch besonnener Grausamkeit, daß
dieser, der ärgste Geizhals, und für die Erhaltung seines Geldes den
gräßlichsten Mißhandlungen trotzend, doch endlich, fast mit dem Tode
ringend, den Ort angab, wo er das Geld verborgen hatte. Schnell war
es hervor gerollt, und im Angesichte des verzweifelnden Müllers von
den beiden Raubgenossen getheilt, die nun das ganze Haus durchsuchten,
alles, was des Raubes werth war, in Säcke packten, diese auf einen
Karren warfen, zwei stattliche Pferde des Müllers anspannten, und laut
jubelnd vom Hofe fuhren. Auf die unbemerkteste Weise wurde der Raub,
den der Müller bei Gericht auf 1200 Thaler eidlich angab, in Lehmanns
Haus geschafft, der Karren im Walde verbrannt und der Erlös aus den
Pferden dem Preußen überlassen, der sie jenseits der Grenze verkaufte,
und sich bald wieder mit den andern vereinigte.

Daniels Leben war nun eine ununterbrochene Kette der scheußlichsten
Laster und Verbrechen, wodurch er sich solch einen verruchten Ruhm
erwarb, daß Lips Tullian den Eintritt des Daniel Lehmann in seine Bande
mit einer Reihe schwelgerischer Feste feierte, und den würdigen Freund
gleich zu seinem Vertrauten erhob.



XII.

Michael Hentzschel.

    Nun, wenn es keinen andern Ausweg giebt,
    Mir kommt’s auf einen kleinen Mord nicht an.

                             ~Th. Körner.~


Michael Hentzschel war der Sohn eines Schneiders, und wurde von seinem
Vater dieser Profession einverleibt. Aber wer allenfalls glauben
möchte, Hentzschel, aus einer Schneiderfamilie abstammend, sei als
Knabe ein furchtsamer, demüthiger, sich schmiegender Böhnhase, als
Mitglied einer Räuberbande höchstens ein Patron und nur als feiger
Kundschafter zu gebrauchen gewesen, der möchte wohl etwas Bange haben,
wenn dieser Hentzschel noch sein Wesen triebe, und ihm zu ungewohnter
Zeit die Ehre eines Besuches erweisen würde.

Schon im Kinderröckchen war Hentzschel zu Steina, seinem Geburtsorte,
der Popanz, den alle Kinder nicht nur seines Alters, sondern selbst
erwachsenere, fürchteten und flohen, und zwar wegen seines Raufsinnes
und der Verwegenheit, womit er, der Einzelne, eine zahlreiche Schaar
angriff und um sich schlug.

Als Hentzschel von seinem Vater zu einem Anverwandten nach Gubitz,
einem Dorfe bei Döbeln in die Lehre gethan wurde, mußte ihn sein
Lehrmeister schon nach einigen Wochen wieder in das väterliche Haus
zurück schicken, da in ganz Gubitz kein Knabe war, den er nicht, ohne
alle Veranlassung, angefallen und abgeprügelt hätte, wobei immer seine
muthigsten Gegner am schlimmsten wegkamen, während er den Feigen sein
Uebergewicht nur mäßig zu fühlen gab.

Kaum war sein Vater gestorben und Hentzschel im Besitze des kleinen
Grundstücks, als die Begierde nach einem viel und lustig und frei
sich bewegenden Leben ihn aus seinem beschränkten, mechanischen Seyn
in die Welt hinaus trieb. Schnell war das Grundstück verkauft und
Hentzschel wanderte fort, fest entschlossen, ein ziemlich großes Stück
dieser Erde zu besehen. So lange der geringe Erlös aus dem kleinen
Grundstück seinen Hang zum Wohlleben und zum Genusse sinnlicher
Freuden befriedigen konnte, trieb er sich müßig umher; sobald aber
Geldmangel und Noth, die beten und arbeiten lehren, seinem Müßiggange
entgegen traten, bequemte er sich zu einem Erwerbe, der darin bestand,
daß er bald als Schneidergeselle arbeitete, bald als Hausknecht, als
Lastträger, als Markthelfer sich gebrauchen ließ, aber nur immer so
lange in Thätigkeit sich setzte, bis er so viel erworben hatte, um
einige Zeit wieder müßig umher wandern zu können.

Auf einer solchen Wanderung, bei welcher Hentzschel mit losem Gesindel
immer vertrauter und zum Gauner immer reifer wurde, machte er die
Bekanntschaft eines Invaliden, genannt der Husaren-Bernhard, der mit
seiner Tochter Johanna den größten Theil des Jahres umherzog, zum
Scheine einen kleinen Handel mit Bildern und Spielzeug trieb, doch
einen viel größern Erwerb aus seiner Gewandtheit im Stehlen und aus
den Buhlerkünsten seiner Tochter, ihrem Gesange und Zitterspiele sich
verschaffte.

Johanna, erst siebzehn Jahre alt, und eine jener Gestalten, die
durch das Feuer des Auges, durch hohen, schlanken, üppig geformten
Bau und leichte, rasche Bewegungen des leicht und verrätherisch
bekleideten Körpers so sehr die Sinne aufregen, war eine so feine
Buhlerin, als hätte sie die Schule der erfahrensten und geistreichsten
Hetären durchgemacht. Damit vereinigte sie alle jene verderblichen
Eigenschaften, die im Bereiche der Gaunerei sich glänzend und
früchtevoll hervorthun.

Hentzschel, eingeweihet in die Kunst, Karten und Würfel zu seinem
Vortheile zu benutzen, hatte einige Tage vor seiner Bekanntschaft
mit dem Husaren-Bernhard in einer Waldschenke, mit deren Besitzer er
höchst vertraut war, einen Pächter, einen Müller und drei Bauern,
reiche Kumpane, betrunken gemacht, zum Würfelspiele verleitet, und
ihnen eine baare Summe von 375 Thalern abgewonnen. Kaum hatte er
Johanna gesehen und gesprochen, als er von dem heftigsten Verlangen
nach dem Besitze dieses so lockenden Mädchens hingerissen wurde. Auf
der Stelle bewirthete er Vater und Tochter mit Braten und Wein, machte
ohne alle Einleitung dem Gegenstande seiner entzügelten Begierde
einen Heirathsantrag, beurkundete die vollkommene Fähigkeit der
anständigen Ernährung einer Frau durch seine gerühmte Geschicklichkeit
in der Schneiderarbeit, sprach ohne Scheu von seiner Fertigkeit in
betrügerischem, vortheilhaftem Gebrauche der Karten und Würfel, und
schüttete, zur kräftigen Unterstützung seines Antrages, die reichlich
gefüllte Geldgurte in Johannas Schoos aus. Noch am nämlichen Abend
wurde Verlobung und Hochzeit gehalten, der aber die priesterliche
Einsegnung erst nach einigen Monaten folgte.

So lange Hentzschels Thaler vorhanden waren, lebte die wackere Familie
in Saus und Braus, ohne an einen Erwerb zu denken. Es herrschte unter
ihnen kein Geheimniß mehr, und so war Hentzschel über die moralische
Verdorbenheit seiner Angehörigen, die anfangs recht tugendhaft thaten,
bald im Klaren; doch hütete sich Johanna, ihm zu vertrauen, daß sie
seit ihrem vierzehnten Jahre das Gewerbe einer Buhldirne im Geheimen
treibe. Hentzschel, mit vorherrschender Neigung zu einem müssigen,
schwelgerischen Leben, und mit allen Anlagen, für die bürgerliche
Gesellschaft ein höchst gefährlicher Mensch zu werden, reichlich
ausgestattet, freute sich um so mehr über seine Verbindung mit so
routinirten Leuten, als ihm dadurch Hoffnung ward, bei leichtem und
beträchtlichem Erwerbe sich seinen Neigungen ganz hingeben zu können.

Husaren-Bernhard machte den Vorschlag, irgendwo ein Häuschen zu kaufen,
dort im Winter das Schneidergewerbe zum Scheine zu treiben, in den
günstigen Jahreszeiten aber mit einem Krame von Kinderspielzeug,
Bändern, wohlriechender Seife und andern, besonders auf dem Lande
gangbaren Artikeln weit und breit umherzuziehen, dabei aber
vorzüglich durch Freischupperei und Massematten[11] für ein herrliches
Winterquartier recht thätig vorzuarbeiten.

    [11] Betrug und Diebstahl.

Solch ein Häuschen zu finden, wäre eben nicht schwierig gewesen, aber
die Flittertage dieser Titularehe hatten Hentzschels blanke Thaler bis
auf wenige verschlungen. Doch diese Leute waren viel zu erleuchtet und
ideenreich, um wegen Mangels an Baarschaft einem gefaßten Entschlusse
zu entsagen. Nach kurzer Berathung trennte sich das tugendhafte
Kleeblatt, um mit gefülltem Säckel sich wieder zu vereinen. Hentzschel
zog mit dem Reste seines Geldes von einem Wirthshause zum andern und
trieb Karten- und Würfelspiel. Husaren-Bernhard und Johanna wanderten
mit ihren Waaren im Lande umher, stahlen und betrogen auf die feinste
Weise, und Johanna’s Gesang und Zitterspiel lockten so manchen Lüstling
in die gefährliche Nähe dieser Sirene, die aber nicht den Tod der
Bezauberten, sondern nur ihre blanken Thaler wollte.

Nach viermonatlicher Trennung vereinigten sich unsere Wanderer wieder
und hatten durch ihre lasterhaften und verbrecherischen Handlungen
so viel Geld an sich gebracht, das Hentzschel zu Colmnitz ein recht
geräumiges, gut gebautes Haus, dazu das Recht zur Ausübung seiner
Profession erkaufen konnte und noch ein hübsches Sümmchen zur bequemen
Einrichtung übrig hatte. Nun wurde er auch mit Johanna copulirt.

Fünf Jahre hatte Hentzschel die Winter hindurch zum Scheine
geschneidert, die übrige Zeit als wandernder Handelsmann mit
betrügerischem Spiele, Schottenfellen[12], auch manchmal als
Theilnehmer bei leichten Einbrüchen hingebracht, dabei aber in
Colmnitz, wie auch in dessen weiter Umgebung für einen recht wackern
Mann gegolten. Die Wiederkehr der Lerche war immer für Hentzschel der
Aufruf, mit Schwiegervater und Weib zum verbrecherischen Erwerb aus dem
scheinheiligen Stillleben hinzuziehen in das vielbewegte Treiben der
Laster und der Verbrechen.

    [12] In Kaufläden und auf Jahrmärkten stehlen.

Das Lied der Lerche ertönte in milder Frühlingsluft und Hentzschel
hatte sich zum Auszuge mit Weib und Schwiegervater bereitet,
als am Morgen der Fortwanderung, da es noch fast dunkel und das
Hentzschel’sche Kleeblatt schon zum Abzuge gerüstet war, zwei
bewaffnete Gerichtsdiener rasch in Hentzschels Wohnstube eintraten, ihm
und dem Husaren-Bernhard Ergebung geboten, Stricke hervorzogen und
Beide zu binden sich anschickten. Hentzschel und sein Schwiegervater,
beim raschen Eintritte der Häscher sich gleich eines im verflossenen
Herbste begangenen Raubmordes erinnernd, sahen gleich ein, daß die
Gefahr für sie groß sei und rasch und kräftig abgewendet werden müsse.
Nur ein Blick, der leiseste Augenwink und sie verstanden sich. In
unglaublicher Schnelle, mit Riesenstärke hatte[13] Hentzschel die
beiden Gerichtsdiener bei der Kehle gepackt und gewaltig an die Wand
gedrückt, daß sie nicht zu schreien, auch keine Gegenwehr vermochten,
sondern nur röchelten unter seiner würgenden Faust. Mit einem Sprunge
war der Fanghund an Hentzschels Genicke, aber ein rascher Hieb mit
der schweren, scharf geschliffenen Axt, von des Invaliden noch immer
kräftiger Faust geführet, spaltete den Kopf des furchtbaren Hundes.

    [13] Hierzu die Abbildung in diesem Hefte.

„Kaporet die Tschuckeln!“[14] -- rief Hentzschel, ermattet von der
Anstrengung, womit er die Gerichtsdiener fast bis zum Erdrosseln an die
Wand drückte. Im Augenblicke sank einer unter dem tödtenden Streiche
des Husaren-Bernhards, und schnell reichte Johanna dem Hentzschel
ein scharfes Messer, das er bis an den Heft in die Brust des lautlos
sterbenden Gerichtsdieners stieß.

   [14] „Bringt die Hunde um!“

[Illustration: Die Ermordung zweier Gerichtsdiener.]

Schnell besonnen sprang Johanna an die Hausthüre und lauschte nach
allen Seiten, ob Niemand in der Nähe sei. Die ganze Nachbarschaft
war noch in tiefer Ruhe. Johanna verschloß die Thüre, und eilte, den
Männern bei der Wegschaffung der Leichen eifrig zu helfen.

Gerade an der Stelle, wo der Mord geschah, war ein Strohlager bereitet,
worauf bis zur Mitternacht ein befreundeter Gauner geschlafen und sich
dann fortgeschlichen hatte. Das Stroh hatte alles Blut der Ermordeten
aufgefangen. Um bei Hinwegschaffung der bluttriefenden Leichen keine
Spuren zu hinterlassen, wurde nun jeder Körper in eine Strohschütte
gebunden und in den Keller geschleppt. Noch war keine Stunde
hierüber vergangen, als schon Hentzschel und sein Schwiegervater die
Gerichtsdiener, nachdem sie selben Geld, Uhren und Waffen genommen, wie
auch den Hund tief verscharrt und das aufgerissene Kellerpflaster mit
aller Sorgfalt eingefugt hatten, während Stube und Hausflur von Johanna
so sorgfältig gereinigt wurden, daß auch nicht das geringste Merkmal
des begangenen Mordes aufgefunden werden konnte. Eben so vorsichtig
und unentdeckbar verbarg Hentzschel die den Gerichtsdienern geraubten
Sachen.

Auf des Schwiegervaters Rath wurde die Fortwanderung verschoben, um
jedem Verdachte, den das spurlose Verschwinden der Gerichtsdiener und
ihres Hundes gegen die Hentzschel’sche Familie erzeugen könnte, so viel
als möglich zu entgehen.

Hentzschel machte seinen Schwiegervater darauf aufmerksam, daß
ihre vorgehabte Arretirung durch die Entdeckung irgend eines ihrer
Verbrechen, zweifelsohne des jüngsten Raubmordes, veranlaßt worden,
eine neue zu gewärtigen, und es daher klüger sei, ungesäumt auf
immer von dannen zu ziehen und im Auslande einen sichern Aufenthalt
sich zu verschaffen, als hier jeden Augenblick Verhaftung,
Criminaluntersuchung, Tortur, und am Ende, wenn auch nicht den Galgen,
doch langwährendes Zuchthaus erwarten zu müssen. Auch Johanna theilte
ihres Mannes Ansichten. Doch Husaren-Bernhard, durch seine so vielen
Verhaftungen und theils mittelst hartnäckigen Läugnens, theils durch
Ausbrüche jederzeit erreichten Befreiungen, gegen Arretirung und
Criminalproceß höchst gleichgültig, wußte Hentzschel und Johanna dahin
zu bereden, daß sie sich entschlossen, wenigstens noch einige Tage im
Hause zu bleiben.

So waren zwei Tage hingegangen, ohne daß in Hentzschels Hause
das Mindeste vorfiel. Man erzählte sich im Dorfe, daß die zwei
Gerichtsdiener des Freiherrlich von Hartitzschen Amtes, worunter
Colmnitz gehörte, vermißt werden.

Hentzschel besuchte das Wirthshaus, welches er nicht nur aus
Scheinheiligkeit, sondern selbst immer mit einem Vorrathe des besten
Getränkes versehen, selten that, und lauerte vorzüglich darauf, ob
Niemand sich äußere, die beiden Gerichtsdiener an jenem Morgen in
Colmnitz gesehen zu haben.

Niemand hatte die Gerichtsdiener bemerkt, und unter den Leuten,
die im Wirthshause zechten, sprach sich die allgemeine Vermuthung
aus, sie seien in die Hände der Bande des rothen Peters gefallen,
der gegenwärtig in der Nähe hause und, wie allgemein bekannt, den
Gerichtsbeamten und Gerichtsdienern des Freiherrn von Hartitzsch den
Untergang geschworen habe. Solch ein Wahn war für Hentzschel sehr
angenehm. Mit ganz beruhigtem Gemüthe wollte er soeben das Wirthshaus
verlassen, als die Thüre der Zechstube rasch aufgerissen wurde und er
sich im Augenblicke von Jägern und Soldaten umgeben sah.

Ihr Anführer, der von Hartitzsche Gerichtsschreiber, winkte dem
Amtsfrohne, und Hentzschel wurden die Hände so schnell und so fest
auf den Rücken gebunden, daß er nicht im Stande war, den geringsten
Versuch zur Gegenwehr, zur Anwendung seiner Riesenkraft zu machen. In
der Mitte der zahlreichen Wache mußte er dem Gerichtsschreiber nach
Hause folgen, wo er mit Entsetzen seinen Schwiegervater und sein Weib
in Ketten, und das ganze Haus von Soldaten und Jägern besetzt sah. Als
Hentzschel die Frage des Gerichtsschreibers, ob nicht vor zwei Tagen,
noch in dunkler Morgendämmerung, zwei Gerichtsdiener des Freiherrlich
Hartitzschen Justizamtes in diesem Hause gewesen seien, ohne die
geringste Veränderung seiner Miene und in aller Unbefangenheit mit
einem festen Nein beantwortet hatte, wurden Lichter angezündet, und nun
ließ der Gerichtsschreiber das ganze Haus vom Giebel bis zum Keller in
Hentzschels Beisein auf das Sorgfältigste untersuchen. Es wurde auch
nicht das Geringste gefunden, woraus irgend ein Argwohn hätte geschöpft
werden können.

Schon war der Wagen vorgefahren, worauf die Arretirten nach dem
Amthause gebracht werden sollten, schon wurde Hentzschel von den
Stricken losgemacht und mit einer Kette gefesselt, als der Amtsfrohn
seinen Fanghund vermißte. Er rief, er pfiff; der Hund kam nicht.
Einer der Jäger glaubte aus dem Keller herauf ein dumpfes Bellen zu
hören. Der Amtsfrohn, in der Meinung, seinen Hund dort vergessen
und eingesperrt zu haben, eilte in den Keller, kam aber erst nach
einer Weile im raschen Gange herauf, nahm ein Licht, winkte dem
Gerichtsschreiber, und eilte mit ihm die Treppe hinab. Erstaunt, aber
gleich eine wichtige Entdeckung ahnend, sah der Gerichtsschreiber, wie
der Hund in einer Ecke mit aller Heftigkeit scharrte, dann auf dem
Boden umherschnoberte, knurrte, und wieder mit aller Mühe strebte,
das Pflaster mit seinen Klauen aufzureißen. Unverzüglich mußte der
Amtsfrohn aus den nächsten Häusern einige Leute mit Pickeln und
Schaufeln herbeiholen. Als einige Steine losgemacht waren, bemerkte man
schon, daß hier vor Kurzem jemand begraben worden sei. Die Neugierde
spornte die Arbeiter zu solcher Thätigkeit an, daß sie vor Ablauf einer
Viertelstunde die tief verscharrten Leichen ausgegraben hatten.

Im tiefsten und festesten Kerker des Hartitzschen Amtsgebäudes saß
Hentzschel am fünften Tage nach seiner Verhaftung, und erschöpfte
sich im Nachsinnen über die Möglichkeit, sich frei zu machen, als
durch das hohe und dichte Gitterfenster seines Kerkers etwas Weißes
zu seinen Füßen niederfiel. Er hob es auf und fand eine kleine, sehr
scharfe Zeile, um welche ein Papier gewunden war, worauf kaum leserlich
geschrieben stand: „Sobald Du Deine Ketten durchgefeilt hast, so
bete das Vaterunser mit lauter Stimme. Doch darf dieses nicht eher
geschehen, als eine Stunde nach der letzten nächtlichen Visitation.“ --
Da es gerade um die Zeit war, wo täglich die Mittagskost gebracht und
visitirt wurde, so verschluckte Hentzschel den Zettel, und verbarg die
Feile in einer Ritze des Fußbodens.

„Woher kommt diese Feile? -- wer will mich befreien?“ - Mit der Lösung
dieser höchst schwierigen Frage quälte sich Hentzschel gar sehr ab; als
aber die bezeichnete Stunde schlug, dachte er nur an die Erfüllung des
ertheilten Auftrags, und, der gegebenen Anweisung gemäß, scholl sein
lautes Gebet in die tiefe, stille Nacht hinein. Leise klirrten jetzt
Riegel und Schloß der Kerkerthüre, ein Pst rufte den Kettenbefreiten
an den Eingang, eine weiche Hand ergriff die seine, an welcher er im
leisesten Schleichen durch die Dunkelheit des langen, gewölbten Ganges
sich forttappte, dann durch ein halbgeöffnetes Pförtchen schlüpfte,
und sich im Freien sah. Noch konnte er, der tiefnächtlichen Dunkelheit
wegen, die Gestalt nicht unterscheiden, deren rettende Hand ihn hierher
geleitet hatte. Es blieb ihm auch keine Zeit zur genauen Beschauung,
denn die Gestalt drückte ihm hastig einen schweren Bündel unter den
Arm, eine Pistole, einen Säbel in die Hand, und schritt nun so eilig
voran, daß Hentzschel, hier des Weges unkundig und bald durch einen
Baum, bald durch ein Geländer in seiner eiligen Folge gehemmt, alles
aufbieten mußte, in ihrer Nähe zu bleiben.

Die Bäume und die Geländer hörten auf, Sterne schimmerten durch die
zerrissenen Wolken, bei deren sanftem Lichte Hentzschel die leitende
Gestalt einem Walde zueilen sah, an dessen Saume es noch eine gute
Strecke fortging.

Aus der Weichheit der Hand, die die seinige gefaßt hatte, und aus Gang
und Haltung, welche er beim Sternenlichte zu beobachten vermochte,
schloß er, daß diese Gestalt, trotz ihrer männlichen Kleidung, einem
weiblichen Wesen angehöre. Von der Richtigkeit seines Schlusses
überzeugte er sich, als die Gestalt sich jetzt unter einer Eiche
niederließ, ihn an ihre Seite zog, und mit halblauter Stimme sprach:

„Hentzschel, ich habe Dich Deinen Ketten, Deinem Kerker und Deinem
Tode auf dem Rabensteine entrissen, aber, recht aufrichtig gestanden,
nicht, um an Dir ein Liebeswerk auszuüben, sondern um meine Rachsucht
zu befriedigen. Unser Amtsfrohn, der Nachfolger meines im vorigen Jahre
verstorbenen Vaters, hat vier Jahre mit mir in vertrauter Bekanntschaft
gelebt und mich zu ehelichen versprochen, wenn er, sollte mein Vater
zum Dienste unfähig werden oder sterben, an dessen Stelle komme. Der
Vater starb, mein Geliebter erhielt die Stelle und -- heirathete meine
Stiefmutter, weil sie, einige Wochen vor dem Tode meines Vaters, 600
Thaler geerbt hatte. Zur Beischläferin wäre ich gut genug, da ich aber
seine wilden Begierden nicht stille, auch bei jeder Gelegenheit ihn
meine tiefste Verachtung fühlen lasse, so mißhandelt er mich täglich
unter den Augen meiner mich hassenden Stiefmutter auf das Grausamste,
hat auch in der ganzen Umgegend mich als so ein arbeitsscheues,
liederliches Mädchen ausgeschrieen, daß mir selbst der armseligste
Dienst verschlossen ist. Vor einigen Tagen hörte ich von unserm
Justizamtmann zu meinem Stiefvater sagen: „Rollinger, wenn Hentzschel,
oder sein Weib, oder Husaren-Bernhard sich losmachen, so bist Du Deiner
Stelle für immer ledig und kommst auch zwei Jahre ins Zuchthaus!“ --
Von diesem Augenblicke an war Deine oder der Andern Befreiung von
mir beschlossen, da ich aus vielen Fällen weiß, wie streng unser
Justizamtmann ein gegebenes Wort erfüllt. Mein Unternehmen ist mir
geglückt. Daß ich Deine Befreierin war, wird Niemand ahnen. Alle
Schuld fällt auf meinen Stiefvater. Er hat sich erst vor Kurzem meiner
schweren Nachlässigkeit in Verwahrung von Gefangenen schuldig gemacht,
ist nun durch meine schlaue, muthige That rettungslos verloren, und
meine heiße Rache befriedigt sein Untergang.“

„Nun sorge für Dich! Ich habe Dir die Freiheit, Waffen, und in diesem
Bündel einen vollständigen Anzug gegeben. Was nun für Dich geschehen
muß, überlasse ich Deinem Muthe und Deinem Kopfe. Lebe wohl!“ --

Verschwunden war das Mädchen, ehe Hentzschel im Stande war, seiner
Retterin nur ein Wort des Dankes zu sagen. Eilig öffnete er den Bündel
und fand darin einen vollständigen Anzug, eine Mütze und etwas Wäsche;
schnell war sein Kerkerkittel abgeworfen und gegen die neue Kleidung
vertauscht. Den Säbel unter dem Oberrocke verbergend, die Sackpistole
in der Brusttasche, eilte Hentzschel fort, fest entschlossen, dem
Wanderer, den er zuerst treffe, das Geld abzunehmen. Als der Tag zu
grauen anfing, erkannte Hentzschel die Gegend und schlug gleich den Weg
nach jener Richtung ein, die ihn an ein vertrautes Haus führte. Ein
Bauer, der eine Kuh zum Verkauf trieb, mußte seine geringe Baarschaft
an Hentzschel abgeben.

Nach drei nächtlichen Wanderungen -- den Tag hindurch weilte er
wohlverborgen in den Wohnungen gleichgesinnter Freunde -- erreichte
er die Gegend, wo, sicheren Nachrichten zufolge, Lips Tullian sich
gerade jetzt umhertrieb. Willig nahm das gefürchtete Räuberhaupt
den kräftigen, durch Worte und Aussehen sein Gewerbe ankündigenden
Hentzschel auf, dessen Schlauheit und Muth ihm bald das Vertrauen
seines Meisters und seiner Gefährten erwarb.

Nach einigen Monaten brachte ein Kundschafter die Nachricht, daß
der Husaren-Bernhard durch das Rad hingerichtet, Johanna zum
lebenslänglichen Zuchthause verurtheilt und Hentzschels Haus bis auf
den Grund zerstört worden sei. --

Von diesem Augenblicke an ward Hentzschel der grausamste Wütherich.
Justizbeamte, Gerichtsdiener und Frohnknechte waren die Gegenstände
seines entmenschten Strebens. Mit einer Tollkühnheit, die nur die
Geburt der Raserei, der höchsten Verzweiflung sein konnte, drang
er in Amtsgebäude, in Frohnfesten und übte die schauderhaftesten
Grausamkeiten aus.

Hentzschel war unter der schwarzen Garde der Verwegenste, der
Unbezähmbarste, der Einzige, den selbst der schreckliche Lips Tullian
in manchem Momente leidenschaftlicher Aufwallung fürchtete und der
den Aufbrausenden nur mit Worten der Freundlichkeit und Sanftmuth
zu beschwichtigen suchte, nie aber durch Strenge und Gewalt in die
Schranken der Ruhe und Unterwürfigkeit zurück zu führen wagte.



XIII.

Die Schenke an der böhmischen Grenze.

    Ist es möglich? Was -- der wagt’ es,
    Sich tollkühn in der Welt herum zu treiben,
    Der ausgelernte Mörder? --

                                         ~Th. Körner.~


In der einsam gelegenen Schenke am Sand, nicht ferne von der
sächsisch-böhmischen Grenze, zechten drei Männer, aber nicht unter
traulichem Geplauder, sondern bei lärmendem Gezänke. Der Wirth schaute
aus dem niedrigen Fenster nach allen Richtungen, als wolle er neue
Gäste erspähen, oder diese da gegen neugieriges Gehorche schützen.

„Heim Dich,“ -- rief der Wirth dem lautesten Schreier zu und schloß das
Fenster -- „ein Aurech reibt an!“[15] --

    [15] „Schweige! Ein Fremder kommt!“ (dieses und das folgende ist
         aus der rothwälschen, auch Gauner-, _vulgo_ jenischen Sprache.)

Ein hochgewachsener, schöner Mann, den weiten Mantel um sich geschlagen
und die Mütze tief in die Stirne gedrückt, trat ein, maß Wirth
und Gäste mit einem langen, scharfen Blicke, setzte sich an einen
Nebentisch und forderte ein Glas Branntwein. Von der Seite schielten
die drei Gäste auf den Fremden hin, und der abgehende Wirth gab ihnen
einen bedeutenden Wink.

„Nun, Kamernschen, warum plötzlich so beducht?“[16] -- redete sie der
Fremde, gleichsam höhnisch lächelnd, an. „Schon von weitem logte ich
n’ Hamoren, als schefte ’s Uschbescheder voll Krächlingsfehlinger, und
jetzt scheft euch ’s Merkelspiel verstiftelt. Charpenet ihr euch vor
meinem Bekan sein?“

    [16] „Nun, Kameraden, warum plötzlich so stille? Schon von weitem
         hörte ich einen Lärm, als wäre die Stube voll Zahnbrecher, und
         jetzt ist euch der Mund verstopft. Scheuet ihr euch vor meiner
         Gegenwart?“ --

Die Männer sahen sich an und schwiegen.

„Nun, bestieb’ ich Tschuve oder lau?“[17] donnerte ihnen der Fremde zu.

    [17] „Nun, bekomme ich Antwort oder nicht?“ --

„Meint der Herr uns?“ fragte der eine, ihn flüchtig und unfreundlich
anschauend.

„Könnt ihr noch fragen? Gegen Leute anderer Art würde ich wohl nicht ’s
koschemer Loschem[18] gebrauchen,“ -- erwiderte der Fremde in recht
verächtlichem Tone.

    [18] Die Gaunersprache.

„Was ihr da gesprochen habt,“ -- fuhr ein Anderer auf und maß ihn mit
drohenden Blicken -- „verstehen wir nicht. Es mag wohl eine recht
saubere Sprache sein; wir aber sind ehrliche Leute, die sich damit
nicht befassen, und jetzt Euch zur Erklärung Eurer zweideutigen Rede
auffordern.“ --

„Armselige Wichte, ihr wollt mir eine Erklärung abfordern?“ sprach der
Fremde mit höhnischem Gelächter. -- „Leute eueres Gelichters müssen
sich geehrt fühlen, wenn ich sie meiner Ansprache würdige.“

Rasch sprangen die Männer auf, und die funkelnden Augen, die wild
verzerrten Gesichter und die geballten Fäuste verkündigten den nahen
Ausbruch von Thätlichkeiten. Ruhig und fest blickte der Fremde den
Ergrimmten entgegen, die der Wirth durch einige, ihnen zugeflüsterte
Worte schnell beschwichtigt hatte.

„Wirklich, für Gauner und Buschklepper seht ihr, dem Anzuge nach,
zu reputirlich aus,“ -- fuhr der Fremde mit kalter Ruhe fort; „aber
ihr sollt zur Ueberzeugung kommen, daß ich euch und euer Treiben und
Walten besser kenne, als ihr glaubt. Einen wehrlosen Handwerksburschen
niederzuschlagen und ihm das Felleisen zu rauben; ein Paar Schafe zu
stehlen, in die Fenster eines abgelegenen Hauses zu steigen, worin
Niemand als ein krankes Weib und ein Paar Kinder wohnen; im recht
dichten Volksgedränge eine Uhr, eine Tabakspfeife, ein Sacktuch zu
mausen: das sind die Heldenthaten, deren ihr euch zu rühmen habt.
Auf eine höhere Stufe schwang sich bisher Euer Witz und Euer Muth
nicht. Wäret Ihr nicht ein gar so erbärmliches Gesindel, ein so feiges
Kleeblatt, so wären schon die 3000 Thaler, welche der Müller von
Eimbeck vor Kurzem geerbt und in seinem Keller verwahrt hat, bereits in
eurer Tasche. Tag und Nacht sinnt Ihr und der armselige Wirth da auf
diesen Fang, aber umsonst, denn ein leeres Gehirn und ein jämmerliches
Hasenherz müssen nur immer im Staube kriechen.“

Das war für den Wirth und seine Gäste zu viel. Sie sahen sich erkannt;
sie befürchteten alles von einem Manne, der von ihrem Treiben und ihren
Plänen so genau unterrichtet war. Hastig flüsterten sie unter einander,
der Wirth riß ein Fenster auf, schaute nach allen Seiten und winkte
ihnen. Sie sprangen auf, mit gezogenen Messern, zum raschen Todesstoße
bereit.

Dem Fremden war das gefährliche Flüstern und Winken nicht entgangen. Im
Augenblicke ward der Mantel zurückgeschlagen und die Mündungen einer
gespannten Doppelpistole droheten ihnen entgegen.

„Zurück, die Messer zur Erde, die Köpfe entblößt[19]!“ schrie ihnen der
Fremde mit wild rollenden Augen und in der stolzesten Haltung zu. „Ich
~Lips Tullian~ gebiete Euch rasche Unterwerfung!“

    [19] Hierzu die Abbildung im dritten Hefte.

Die Messer klirrten zur Erde nieder, Hüte und Mützen flogen von den
Köpfen; Schrecken und Freude drückten sich auf den Schelmengesichtern
in starken Zügen aus. Einer schlich näher, und betrachtete den
Fremden mit scharf prüfendem Auge. „Ja, so hat Dich der rothe Jonas
beschrieben, der in Schlesien unter Deiner Bande war, ja Du bist Lips
Tullian!“ rief er und warf jauchzend die Mütze an die Decke.

„Es lebe Tullian, er sei unser Bonherr[20]!“ brüllten die Unholde.

    [20] Hauptmann, Anführer.

[Illustration: _L. Oeser in Neusalza._

Lips Tullian in Lebensgefahr.]



XIV.

Eine neue Räuberbande.

    Banditen sind’s und Rudolph ist ihr Hauptmann.

                                     ~Th. Körner.~


Nach seiner Flucht aus der Köhlerhütte im Trebnitzer Walde hatte Lips
Tullian, wie wir wissen, den Weg nach der sächsisch-böhmischen Grenze
eingeschlagen. Im Anfang wanderte er nur des Nachts und kaum von mehr
als frischem Quellwasser und Waldfrüchten lebend, bis er später, sich
nunmehr sicherer wähnend und nichts mehr für sich fürchtend, auch den
Tag zu seiner Wanderung zu Hilfe nahm. Im Ganzen aber blieben der Nacht
seine Hauptmärsche aufbewahrt und den größten Theil des Tages brachte
er mit Schlafen und Ausruhen in den Wäldern zu.

Da traf es sich, daß er nahe an der Grenze in den dichtbelaubten Aesten
einer stattlichen Eiche übernachtete. Bald nach Tages Anbruch hörte
er am Fuße seiner grünen Lagerstätte sprechen. Leise bog er die Zweige
aus einander und sah unter sich drei Männer stehen, deren Aussehen,
noch mehr aber ihr Gespräch in rothwelscher Sprache ihm gleich ihr
Handwerk verrieth. Sie erzählten sich mit rühmender Redseligkeit ihre
armseligen Gaunerstückchen, sprachen von dem vielen schönen Gelde auf
der Eimbecker Mühle, mit der offenherzigen Erklärung, den Einbruch
nicht zu wagen, und entfernten sich, noch immer in Klagen ausbrechend,
solch’ einem herrlichen Fange entsagen zu müssen.

Bei seinem Eintritte in die Waldschenke am Sande erkannte Philipp das
Kleeblatt auf den ersten Blick. Die feigen Wichte würden an ihm zum
Mörder geworden sein, hätte sie nicht der, auch in den böhmischen
Wäldern schon hochgefeierte Name: „Lips Tullian“ niedergedonnert.

„Ihr habt mich zu Euerm Bonherrn erhoben,“ begann Philipp, die
zahlreiche Bande, aus einem Diebshehler und drei armseligen
Schnapphähnen gebildet, mit dem Lächeln des Spottes beschauend --
„wohlan, ich will es sein, wenn Ihr Euch verpflichtet, mir Bursche zu
werben, auf deren Köpfe und Muth hin man etwas Großartiges unternehmen
kann. Kennt Ihr solche Kumpane?“

„Daran möchte es wohl nicht mangeln,“ erwiederte der Eine. „Gerade
jetzt hausen in dieser Gegend der Sarberg, auch Studenten-Fritz
genannt, der Schickel, _vulgo_ Brettbauer, Christian Eckhold, auch der
schöne Böttiger heißend, ferner Hans Wolf Schöneck, Daniel Lehmann und
der Kolmitzer Schneider Michael Hentzschel.“

„Ich erinnere mich,“ fiel Lips Tullian ein, „schon vom schwarzen Wenzel
diese Namen mit großem Lobe nennen gehört zu haben. Warum macht Ihr
nicht Gemeinschaft mit so wackern Leuten?“

„Offenherzig zu Dir gesagt, edler Tullian, darüber liegt die Schuld
nicht an uns“, entgegnete der Gefragte ganz kleinlaut, „denn ich
und meine Kameraden hier sind zu ihnen gegangen, haben ihnen unsere
Gesellschaft angeboten, auch unter Sarbergs Commando einige Zeit
mithanthieret; aber die Herren sind gar hochmüthig, halten zusammen,
wie englische Kitte, schoben uns vor, wo die Baldoverei[21] oder das
Kettenschieben[22] am gefährlichsten war, gaben nun vom besten Fange
nur so etwas auf dem Spänchen, und zuletzt handgreiflich zu verstehen,
daß wir ihnen überflüssig seien, weil wir nicht immer Lust hatten, an
halsbrechenden Geschäften Antheil zu nehmen.“

    [21] Ausspähung, Spioniren.

    [22] Einbrechen bei Nacht.

„Der Löwe ekelt sich in der Gemeinschaft mit den Hasen,“ lachte
Lips Tullian den Offenherzigen zu. „Ich will Euch unter mir dulden,
auch leichte Arbeit und Verdienst geben, wenn Ihr mir einen dieser
wackern Bursche verschafft. Nennt meinen Namen, und Keiner wird Euch
zurückweisen.“

„Laß mich dafür sorgen,“ sprach der Wirth. -- „Ich kenne die Chochemer
Penne[23], wo Sarberg und Hentzschel in jeder Woche zusprechen. Sie
liegt nur vier Meilen von hier, und Nachmittags reite ich hin. Ich
stehe Dir dafür, Lips, daß, wenn sie nicht gerade jetzt tiefer ins Land
gegangen sind, Du noch in dieser Nacht, oder längstens in der folgenden
mit den Beiden zur Unterredung kommst. Bis dahin soll es Dir in meinem
Hause an guter Speise und gutem Getränke nicht mangeln, auch wirst Du
Dich nach Ruhe sehnen. Ich kann Dir ein herrliches Bett in einer Kammer
anbieten, wo Du vor Entdeckung sicher bist, wenn auch das ganze Haus
von Schodern[24] durchstöbert würde.“

    [23] Diebesherberge.

    [24] Gerichtsdienern.

Willig nahm Lips Tullian das Anerbieten an. Er warf dem saubern
Kleeblatte ein Paar Thaler zum Vertrinken hin und ging mit dem Wirthe,
der ihn nach einer kleinen Stube führte, die so versteckt lag, daß ihr
Auffinden auch wohl bei der genauesten Hausuntersuchung schwerlich
gelungen wäre.



XV.

Der Einbruch in der Eimbecker Mühle.

    In dunkler Nacht
    Da kommet sacht
    Die Schaar der Verweg’nen geschritten,
    Sie dringen in’s Haus mit wilder Gewalt,
    Zurück von den ehernen Herzen prallt
    Der Armen Flehen und Bitten.

                               ~Gabert.~


Lips Tullian blieb hier in dieser Schenke mehrere Monate. Durch die
Bemühungen des Wirthes wurde er zuerst mit dem Studentenfritz und dem
berüchtigten, wilden Hentzschel bekannt. Es war dies ein würdiges
Kleeblatt, das sich ihrer gegenseitigen Bekanntschaft nicht genug
erfreuen konnte, und welches wohl geeignet war, bald der Schrecken und
das Entsetzen einer jeden Gegend zu werden. Diese Beiden führten ihrem
neuen Anführer nun auch noch die andern berühmtesten Gauner und Räuber
zu, welche es in Sachsen gab; darunter waren die vorzüglichsten und
bekanntesten: ~Schöneck~, ~Eckholdt~ (der schöne Böttcher),
~Schickel~ (der Brettbauer), und ~Daniel Lehmann~.

Es wurden von diesen würdigen neuen Genossen Lips Tullians viele
Berathungen gepflogen und Pläne geschmiedet, auch kleine Einbrüche
gethan, aber nach Lips Tullians Plan wollte diese neue Bande diese
Gegend und Sachsen, -- wie sie sich ausdrückten -- vorerst noch
~schonen~, und sich für spätere Zeiten aufsparen. Deshalb hatten
sie beschlossen, alle nöthigen Zurüstungen zu einer größeren Reise
zu machen, ihre Kassen reichlich mit Gelde zu versehen, sich falsche
Legitimationen zu fabriciren und dann, wenn alles gehörig vorbereitet
wäre, nach ~Prag~ aufzubrechen, wohin sie dann den Schauplatz
ihrer Thaten zu verlegen gedachten. Lips Tullian hatte seinen neuen
Genossen die Reichthümer dieser Stadt mit so lockenden Farben
geschildert, daß alle mit Begeisterung und Sehnsucht dem Augenblicke
entgegensahen, wo sie dort ihre Thätigkeit würden beginnen können.

Vorerst aber sollte noch zur Füllung ihrer Kassen ein Einbruch in die
Eimbecker Mühle statthaben, wo, wie sie wußten, ein Schatz von 3000
Thalern zu heben war.

Der Wirth und jene drei armseligen Schlucker, welche Lips Tullian
zuerst in der Schenke auf dem Sande hatte kennen lernen, machten die
Kundschafter.

Es war eine stürmische, regnerische Nacht, welche zur Ausführung ihres
Vorhabens bestimmt war. Die Mühle lag einsam in einem umwaldeten Thale,
einige hundert Schritte von den übrigen Häusern des Dorfes entfernt.
Der Wirth mit seinen drei Kumpanen machten die Wachen, von allen Seiten
waren sie um das Haus herum in der Ferne aufgestellt, um alle Störung
zu beseitigen und jeden unwillkommenen etwaigen Ueberfall bei Zeiten
den übrigen Räubern zu signalisiren.

Lips Tullian machte hier für seine neuen Genossen sein Probestück.

Mit seltener Umsicht hatte er alle Anstalten getroffen und an ein
Mißlingen des Unternehmens war daher so leicht nicht zu denken!

Die Müllersfamilie bestand aus ihm, einem alten Manne, einem
erwachsenen Sohne, der aber verreist war, der Ehefrau des Ersteren
und vier Mühlknappen. Es war bei solcher Anzahl zu erwarten, daß ein
heftiger Widerstand geleistet werden würde; diesen so wenig schädlich
als möglich zu machen, war daher die schwierige Aufgabe, welche sie zu
lösen hatten.

Mit Leitern stiegen die mit der Gelegenheit des Hauses wohl
vertrauten Räuber, Lips Tullian voran, in das erste Stockwerk ein;
die Fensterscheiben waren schnell und ohne alles Geräusch zerbrochen,
die Fenster erbrochen und die Räuber befanden sich im Hause, ehe noch
Jemand ihre Anwesenheit nur ahnte.

Zuerst begaben sich nun hierauf die Räuber in das Schlafgemach des
Müllers, den sie mit seiner Frau nach kurzem Widerstande, und ehe
dieselben nach Hilfe rufen konnte, banden und knebelten und hierauf
beide als unschädlich im Bette liegen ließen.

Dann ging es zu der Schlafstätte der vier Mühlknappen. Hier hatten
aber die Räuber einen schweren Stand, denn diese waren von dem Lärmen
wach geworden und kamen, bewaffnet mit Stöcken und alten Degen, ihnen
entgegen. Es entspann sich ein ernster Kampf, der leicht für die Räuber
hätte gefährlich werden können; aber Lips Tullian ersah sich einen
günstigen Augenblick, unterlief den Kühnsten von den Feinden, packte
ihn, warf ihn zu Boden und stieß ihm sein Messer in die Kehle. Die
andern wurden ebenfalls bald niedergeschlagen. So gab es also nun zwei
Leichen und zwei zum Tode Verwundete, während einige von den Räubern
nur leicht verletzt waren.

Diese begaben sich nun in den Keller, wo der Müller sein Geld
aufbewahrt haben sollte; doch so aufmerksam sie auch suchten und das
Oberste zu Unterst drehten und wendeten und umgekehrt, sie fanden
nirgends das Gesuchte und auch nirgends nur eine Spur davon.

Wüthend hierüber gingen sie zu dem Müller zurück, schleppten ihn,
da er nicht gestehen wollte, wo er seinen Schatz verborgen habe,
in den Keller und nöthigten ihn durch Schläge und Messerstiche,
ihnen denselben endlich anzugeben. Er war verscharrt und mußte erst
ausgegraben werden. In einer schweren hölzernen Kiste wurde er endlich,
als schon fast der Morgen tagte, gehoben und mit ihm flüchteten nun die
Räuber in Sicherheit. Der Müller blieb halb todt im Keller zurück.

Bei der Theilung fand man, daß die Beute größer war, als man gehofft
hatte; es fanden sich über 4000 Thaler in der Kiste. Nun hatten sie die
Mittel, ihre Reise nach Prag anzutreten, was denn auch in einigen Tagen
geschah. Es war dies aber auch die höchste Zeit, denn der Einbruch
in der Mühle und die Ermordung der Mühlknappen hatte die Justiz auf
die Beine gebracht, welche ein Commando Landdragoner in diese Gegend
absandten, um alles verdächtige Gesindel aufzugreifen und auf die
Räuber zu fahnden.

Die Soldaten kamen eben daselbst an, als in der Nacht vorher Lips
Tullian mit seinen Genossen sich über die böhmische Grenze begeben
hatte.



XVI.

Lips Tullians und seiner Genossen Ankunft in Prag.

    Es zieht die Räuber-Rotte
    Hinaus in alle Welt,
    Und dreimal weh den Fluren,
    Wo grimmig ein sie fällt.

                     ~Döring.~


Im langen, blauen Oberrocke, das Haar schlicht zurückgekämmt, ein
Felleisen auf dem Rücken, stand Lips Tullian mit gezogenem Hute und
in demüthiger Stellung unter dem Thore von Prag vor dem gestrengen
Visitator, der die Kundschaft des einwandernden Schlossergesellen,
Philipp Mengstein aus Oldenburg, bedächtig durchlas, die
Personal-Beschreibung und das Original mit viel geübtem Auge verglich
und dann durch Handschrift und Siegel die Einwanderung in die Stadt und
das Suchen nach Arbeit amtlich bewilligte.

Es war ein Kunststück Sarbergs, des gewandten Copisten und
Siegelstechers, wodurch Lips Tullian mit einer Aufweisung ausgestattet
wurde, welche selbst in Oldenburg als ächt würde gegolten haben. Lips
Tullian ging nicht allein durch die Thore von Prag; auch Sarberg,
Schöneck, Eckhold, Schickel, Lehmann und Hentzschel zogen einzeln
in Prag ein, jeder als ein Mitglied irgend eines Gewerbes und durch
Sarbergs künstliche Hand mit einem passenden Documente versehen.
Alle fanden und erhielten Arbeit; Lips Tullian trat bei einer
Schlosserwittwe als Geselle ein.

Hatte Philipp, so hieß hier Lips Tullian, auch früher zu Straßburg von
seinen Freunden unter der Schlosserinnung so manches abgesehen und
erlernt, was ihn, wäre er darin fortgefahren, zu einem geschickten
Arbeiter gemacht hätte, so war doch durch Mangel an Uebung und
Vervollkommnung jetzt sein Wissen nicht auf einer höhern Stufe, als
der eines Lehrjungen. Bald überzeugte sich Frau Bieberich, seine
Meisterin, daß sie an dem Oldenburger eine spottschlechte Acquisition
gemacht habe, denn der Pseudo-Oldenburger war in seiner Profession
beinahe weniger als ein Stümper, dabei arbeitsscheu und lieber in der
Gesellschaft seiner liebenswürdigen Meisterin, als vor dem Ambos.

Die Kunden wurden täglich weniger, die Einnahmen geringer und Frau
Bieberich, bei ihrem sehr belebten Geschäfte eines sehr fleißigen,
kunsterfahrnen Gesellen höchst bedürftig, erklärte dem beinahe
unbrauchbaren Philipp schon nach einigen Wochen, daß er sein Bündel zu
schnüren und sich sonst wo Arbeit zu suchen habe.

Wittwe Bieberich, eine junge, schöne Frau, war lebenslustig, aß und
trank gern gut, liebte den Putz und zürnte nicht, wenn ein hübscher
Mann sich ihr traulich näherte und ihren Reizen huldigte.

Philipp hatte sie ganz durchschauet und durfte aus ihrem Benehmen die
volle Ueberzeugung schöpfen, von ihr sehr ungern und nur deswegen aus
der Arbeit gewiesen zu werden, weil er als Handwerker nicht das leisten
konnte, was das Geschäft forderte.

Für Philipp war das Austreten aus diesem Hause die allerfatalste Sache.
Frau Bieberich genoß einen guten Ruf, er hatte sich unbescholten
betragen, dadurch das Vertrauen seiner Meisterin und der Nachbarschaft
gewonnen, durfte also versichert sein, so manchen seiner Raubpläne in
dieser Stadt auszuführen, ohne daß man in ihm nur einen Mitwisser der
Verbrechen ahnen möchte.

Er mußte in diesem Hause bleiben, um seine Stückchen, die er aus kluger
Vorsicht bisher unterlassen hatte, mit Sicherheit beginnen und treiben
zu können; er durfte auch nicht länger säumen, da seine Genossen, der
langen Unthätigkeit überdrüssig, größtentheils vom Gelde entblößt waren
und ihm bei ihrer letzten geheimen Zusammenkunft in einer liederlichen
Winkelkneipe mit derbem Fluche erklärt hatten, sich von ihm loszusagen
und auf ihre Rechnung Geschäfte zu machen. Er schritt nun an’s Werk. --



XVII.

Die schöne Schlosserswittwe.

    Es braust die Leidenschaft in aufgeregten Wellen:
    Das ihnen anvertraute Schiff
    Wird an dem scharfen Felsenriff
    Die aufgestürmte Wuth erbarmungslos zerschellen.

                                     ~Tiedge.~


„Wertheste Frau Bieberich,“ -- begann Lips Tullian an dem ihm gegebenen
Feierabende[25], als er mit der Meisterin ganz allein und vor Störung
sicher war, -- „ich muß Ihnen nun reinen Wein einschenken, und daß
ich es in meinen Verhältnissen thue, werden Sie bald als einen Beweis
meines Vertrauens anerkennen.“

    [25] In der Handwerkssprache bezeichnet der Ausdruck: „Feierabend
         geben“ -- die Entlassung aus der Arbeit.

„Ich bin ein Schlosserssohn aus Oldenburg, habe auch die Schlosserei
zu erlernen angefangen, aber darin es nicht weit gebracht. Mein Vater
starb, als ich ein Bursche von 14 Jahren war. Meine Mutter, im Besitze
eines prachtvollen Hauses und eines bedeutenden Capitals, wollte sich
nicht wieder vermählen und ihre Tage in Ruhe hinbringen. Aus manchem
Aerger über die Miethsleute verkaufte sie das Haus und bezog mit mir
eine kleine, angenehme Wohnung. Meine Mutter ist eine herzensgute,
gegen mich, ihr einziges Kind, allzu schwache Frau. Als ein 14jähriger
Bube beherrschte ich sie, ihren Willen, ihre Kasse, that nichts, als
die Reitbahn, den Fechtsaal und die Gesellschaft junger Wüstlinge
besuchen, fand bei meiner gefüllten Börse und meiner oberflächlichen
Bildung auch in vornehmen Häusern Zutritt und wußte mir den Ruf eines
gebildeten, liebenswürdigen Menschen zu erwerben. Das Mutterauge war
von dem Glanze der vornehmen Gesellschaften, in welchen ich mich
froh und gewandt bewegte, zu sehr geblendet, um in ihrem Sohne den
arbeitsscheuen Taugenichts, den Verschwender zu sehen. Sie lebte
äußerst einfach, um von ihren reichen Zinsen mir geben zu können, ohne
daß sie die Kapitale angriff.

Ich hatte das Glück, den reichen Banquier Förten aus einem reißenden
Flusse im Augenblicke der höchsten Gefahr zu retten. Von da an stand
mir sein Haus, sein Herz und seine Börse offen. Sein Sohn sollte
einige Jahre auf Reisen gehen. Ich hatte so sehr das Vertrauen der
Eltern gewonnen, daß sie mich zum Begleiter, gleichsam zum Aufseher
ihres Lieblings erwählten. Beinahe vier Jahre währte unsere Reise, und
ich darf kühn sagen, alle Pflichten, die ich als Aufseher des jungen
Menschen hatte, streng erfüllt zu haben. Erst vor drei Monaten kamen
wir wieder in Oldenburg an.

Während der Dauer unserer Reise wurde eine Nichte des Herrn Förten von
ihm in das Haus genommen. Ich sah die wunderholde Emilie und liebte
sie. Auch sie theilte bald meine Empfindungen und gestand mir unter
heißen Thränen eines gramerfüllten Herzens, daß ein reicher Kaufmann
aus Antwerpen bereits bei ihrem Oheim, der Vaterstelle an ihr vertrete,
um ihre Hand gebeten, und zwar noch keine entscheidende Erklärung
erhalten habe, aber seines Reichthums und guten Rufes wegen der Zusage
sicher sein dürfe.

Emiliens Geständniß erregte meine Eifersucht zur furchtbaren
Leidenschaft. Ich fand in mir keine andere Idee, als daß ich oder mein
Nebenbuhler aus dem Buche der Lebenden gestrichen werden müsse. Meine
Freunde waren zahlreich, größtentheils aus den besten Häusern von
Oldenburg. Ich vertraute ihnen meine Liebe zu Förtens Nichte und die
Bewerbungen des Antwerpners. Die Hitzköpfe, dem hochmüthigen Fremdlinge
das schöne, reiche Mädchen nicht gönnend, fachten die Flamme meiner
Leidenschaft immer verderblicher an. Ich und mein Nebenbuhler geriethen
in einem Caffeehause an einander. Der Streit entzündete sich auf’s
Heftigste. Wir gingen mit zahlreicher Begleitung in den Garten, zwei
Offiziere reichten uns ihre Degen und schon im ersten Gange röchelte
mein Gegner sein Leben im strömenden Herzblute aus.

Die Gesetze gegen das Duell sind im Oldenburgischen äußerst streng.
Der Tod auf dem Blutgerüste oder lebenslängliches Gefängniß wäre mein
Loos gewesen. Vom Kampfplatze floh ich über die Grenze und bezog ein
Stübchen in einem Dorfwirthshause. Meine Freunde hatten mir über die
Leiche hin die Hand zum Schwure gereicht, das Möglichste für mich zu
thun. Schon kamen einige zu mir mit einer bedeutenden Summe in Gold
und mit jenen Papieren, welche mich als wandernden Schlossergesellen
bezeichnen und meine Wanderung sichern. Sie übergaben mir ein Billet
von Förten, worin er mir feierlich versprach, durch seinen Einfluß
meine Verfolgung mittelst Steckbriefe zu hintertreiben; auch enthielt
sein Billet den wohlmeinenden Rath, nach Prag zu gehen und dort in
der Rolle eines Schlossergesellen zurückgezogen zu leben, bis er für
mich Amnestie und freie Rückkehr in die Vaterstadt ausgewirkt habe. Ich
vertauschte die Stutzerkleidung mit dem schlichten Handwerksrocke, hing
das Felleisen auf den Rücken und wanderte unaufgehalten hierher.

Der liebe Gott hat mich in dieses Haus geführt und zu einer wackern
Frau, der ich mich mit aller Gemüthsruhe vertrauen durfte. Behalten
Sie mich bei Ihnen, aber nicht als Ihren Gesellen, sondern nur zum
Scheine als Ihren Werkführer. Meine Wohnung in Ihrem Hause und was ich
verzehre, und was der Geselle kostet, den Sie, statt meiner in Arbeit
nehmen müssen, bezahle ich reichlich.

Sie kennen nun meine Verhältnisse und die Veranlassung zu meinem
Aufenthalte in Prag. Erfüllen Sie meine Bitte, in Ihrem Hause unter
scheinbarer Beschäftigung unbemerkt fortleben zu dürfen, bis meine
Rückkehr in’s Vaterland eintritt. Erlauben Sie auch,“ -- hier zog er
seine goldgefüllte Börse und zählte 20 Dukaten auf den Tisch -- „daß
ich einen kleinen Theil meiner künftigen Schuld vorausbezahle.“

[Illustration: Die schöne Schlosserswittwe in Prag.]

Die blanken Holländer, die Aussicht auf die Freigebigkeit des reichen
Oldenburgers, der Gewinn am neuen Gesellen, Kost und Wochenlohn zu
ersparen, alle diese Vortheile wären schon überwiegend genug gewesen,
Frau Bieberich zur Erfüllung der Bitte zu vermögen, hätte nicht
Philipps männliche Schönheit und die Hoffnung auf manche süße Stunde,
die ihr aus seinen zärtlichen Blicken, aus dem Feuer, mit welchem er im
Laufe und am Schlusse seiner Erzählung sie oft umschlang,[26] entgegen
leuchtete, ohnehin für seine Wünsche auf das bewegendste gesprochen.
Doch hatte sie weiblichen Takt genug, mit ihrer Erklärung zu zögern, in
einer anmuthigen Haltung gleichsam darüber sinnend.

    [26] Hierzu die Abbildung in diesem Hefte.

Philipp wurde immer feuriger; die Erglühende versuchte mit immer
schwächerem Widerstande seinen heißen Umarmungen sich zu entwinden. --
Sie werden wohl eins geworden sein, denn von diesem Abend an konnte die
glückliche Frau sich nicht in Aufmerksamkeiten für den neuen Werkführer
genug erschöpfen.



XVIII.

Die Trennung von Prag.

                Rasch bestell’ ich schon
    Den Reisewagen, der uns schleunigst soll
    Von dannen tragen in ein and’res Land.

                          ~Th. Murdt.~


Nicht für gemeine Beutelschneidereien oder gewöhnliche Gaunerstückchen
bestimmte sich nun Lips Tullian, Prag sollte ihm eine reiche Ausbeute
geben.

Kirchenraub wurde von ihm und seinen Gesellen beschlossen. In der
kurzen Frist von drei Monaten hatten sie in acht Kirchen eingebrochen
und Monstranzen, Kelche, silberne Leuchter und andere Geräthe von
vielem Werthe, wie auch eine Menge kostbarer Meßkleider geraubt.
Der Gewinn dieser Beraubungen war so bedeutend, daß allein von dem
Einbruche in einer am Liebenauschen Thore gelegenen Kirche, der ärmsten
der beraubten, jeder der Räuber 350 Gulden als Antheil erhielt.

Die Aufmerksamkeit der Polizei wurde immer reger und die Vorsicht
gegen Einbrüche mit strenger Wachsamkeit ausgeübt. Die Räuber wandten
sich von den Kirchen zu den Privaten. Ein gräflicher Pallast auf dem
Neustädter Ringe, ein andrer in der Fleischergasse und ein Kaufgewölbe
auf dem Porschütz wurden mit eben so vieler Schlauheit als frecher
Verwegenheit ausgeraubt.

Die bedeutenden Einbrüche und Beraubungen machten großes Aufsehen.
Das Militair durchstreifte die Straßen der Stadt und die Vorstädte
Tag und Nacht, die Wachtposten wurden vermehrt und alle Häuser von
der Polizei durchsucht. Man griff so manchen Gauner und Dieb auf,
aber die Hauptverbrecher hatten sich in ihren verschiedenartigen
Schein-Erwerbungszweigen immer so fleißig im häuslichen Leben,
so tadellos benommen, daß sie der Polizei bei Gelegenheit der
Häuservisitationen vorzüglich gepriesen wurden.

In Prag war bei der gesteigerten Wachsamkeit für Lips Tullian und seine
Genossen nichts mehr zu thun. Sachsen sollte nun der Schauplatz ihrer
Verbrechen werden.

Lips Tullian äußerte gegen Frau Bieberich, daß ihm die Sehnsucht nach
seinem Vaterorte alle Ruhe raube, daß er fest entschlossen sei, an der
Grenze von Oldenburg seinen Aufenthalt so lange zu nehmen, bis ihm die
Rückkehr dahin gestattet sei, daß er keinen frohen Augenblick habe, bis
er wieder vaterländische Luft einathme.

Frau Bieberich war untröstlich. Die Neigung zu ihrem Philipp war zur
unbezähmbaren Leidenschaft geworden. Sie warf sich vor ihm auf die
Kniee und gelobte, ihr Haus, ihr Gewerbe, alle ihre Einrichtung zu
verkaufen und das Capital in seine Hand zu legen, wenn er ihr gestatte,
nur als Magd ihm zu folgen.

Für einen Patron wie Lips Tullian war das Anerbieten der Ueberlieferung
solch eines Capitals nicht zu verwerfen. Dieses in Empfang zu nehmen
und die Geberin bei schicklicher Gelegenheit sich vom Halse zu
schaffen, war der Bösewicht gleich entschlossen.

Er heuchelte anfangs den tiefsten Schmerz über die Trennung von ihr,
brach bei dem Anerbieten, ihm nach seinem Vaterlande zu folgen, in
Entzücken aus, machte Einwürfe, die leicht widerlegt werden konnten und
gestand dann unter erkünstelten Thränen, daß, fern von ihr, der Gram
ihn tödten würde.

Die Sache war bald im Reinen. Lips Tullian wanderte mit seinem
Reisebündel aus Prag. Frau Bieberich sorgte dafür, daß die Leute in
dieser und der nächsten Straße sogleich wußten, der Werkführer der
Wittwe Bieberich habe Prag verlassen, um in seiner Vaterstadt das
eigene Gewerbe zu treiben und seine Verlobte zu ehelichen; daß er sich
immer mehr übernommen, der Meisterin nicht mehr die gehörige Achtung
erwiesen und ihr viele Veranlassung zur Unzufriedenheit gegeben habe.

Ein paar Wochen darauf zeigte Frau Bieberich den redseligsten ihrer
Nachbarinnen einen von ihr selbst geschriebenen Brief, worin sie
von ihrer kränkelnden, verwittweten, in Ungarn ansässigen Schwester
aufgefordert wurde, Haus und Gewerbe zu verkaufen, zu ihr nach Pesth zu
ziehen und dort ein sorgenloses Leben zu führen.

Als jetzt Frau Bieberich Alles verkaufte und Prag verlassen hatte,
waren alle ihre Bekannten im festen Wahne, sie reise geradezu nach
Pesth, zur kränklichen, kinderlosen Schwester, einer reichen Erbschaft
entgegen. Niemand ahnte, daß die Schlaue mit raschen Postpferden über
Saaz der sächsischen Grenze zueile, wo der geliebte Philipp an einem
verabredeten Orte ihrer und ihres Geldes harrte.



XIX.

Die Entdeckung.

    Ach! welches Unheil schafft das Himmelsfeuer,
    Das die Natur in unser Wesen goß!
    Es macht aus Engelherzen Ungeheuer
    Und bricht der Tugend letzte Schranke los.

                                  ~Seume.~

    Banditen sind’s und ich -- ich bin ihr Hauptmann
    Und Du -- Du wirst nun eine Räuberfürstin.

                             ~Th. Körner.~


Es war eine hübsche runde Summe, die Philipp aus den Händen seiner
Freundin schon in der ersten Stunde ihres Wiedervereines empfing. Er
dachte aber nun nicht mehr an seinen früheren Entschluß, sie um ihr
Vermögen zu betrügen und dann die schändlich Getäuschte ihrem Schicksal
zu überlassen. Der vertraute Umgang mit der wirklich sehr schönen, sehr
feurigen Frau war ihm eine liebe Gewohnheit geworden.

Mariane -- so hieß sie - war immer heiter, voll guter Einfälle, sehr
klug, eine vortreffliche Köchin und so aufmerksam auf ihres Philipps
leiseste Wünsche, daß er selbst nun sehr davor bangte, sich von ihr
verlassen zu sehen, wenn sie, was wohl nicht leicht verhütet werden
konnte, den Schleier seines innern Lebens lüfte und in dem Geliebten
einen Verbrecher erblicke.

Mariane fragte den Geliebten nicht, warum er, statt seine Reise nach
der oldenburgischen Grenze fortzusetzen, statt dort in einem Städtchen
einen angenehmen Aufenthalt sich zu wählen, hier in einem abgelegenen,
armseligen Wirthshause verweile, warum Philipp so oft mit Leuten von
verdächtigem Aussehen im geheimen Verkehre sei. Sie schien nichts zu
beachten, für nichts Sinn zu haben, als für ihr Streben, dem Geliebten,
so viel ihr möglich war, das Leben immer in die Rosenfarbe des
Frohsinns, der Zufriedenheit, einer ungetrübten Ruhe mit weicher Hand
zu kleiden.

Täglich ließ sie das Beste, was man in weiter Umgebung an Wein und
Lebensmitteln finden konnte, durch eigene Boten herbeischaffen,
bereitete leckere Gerichte und bot alle ihre gute Laune, alles Feuer
ihres liebenden Gemüthes auf, das größtentheils einsame Stillleben in
dieser wenig besuchten Schenke zu heitern Stunden zu gestalten.

Eines Morgens wurde Lips Tullian von seiner Schlafkammer in die
Zechstube gerufen. Bald nach ihm kam auch Mariane herab und hörte
von Philipp, daß er auf ein drei Meilen entferntes Dorf gehen werde,
um dort einen Landsmann zu sprechen, der eben erst aus Oldenburg
angekommen sei und ihm vielleicht einige Neuigkeiten von Bedeutung
mittheilen könne.

Mit einem fast schmerzlichen Lächeln hörte ihn Mariane an, faßte seine
Hand und bat ihn mit wehmüthiger Innigkeit, für sich recht aufmerksame
Sorge zu tragen.

Das Auge voll Thränen, eilte sie fort. Befremdet blickte ihr Lips
Tullian nach und in tiefem Nachdenken ging er an der Seite seines
Gefährten hin.

Es war schon Nacht und er kehrte noch immer nicht zurück. Aengstlich
harrend, die Trostworte der Wirthsleute nicht achtend, saß Mariane in
der gästelosen Zechstube und blickte unter fallenden Thränen in die
dunkle Nacht hinaus.

Der Hofhund schlug an, Tritte wurden hörbar und rasch ergriff sie
das Licht, dem sehnsüchtig Erwarteten entgegen eilend. Sie öffnete
die Hausthüre, sie starrte mit einem Schrei des Schreckens zurück;
der Geliebte leichenblaß, ein blutiges Tuch um den Kopf, wankte am
Arme seines Begleiters in das Haus. Mariane ergoß sich nicht in leere
Klagen; mit Entschlossenheit und regem Eifer machte sie Anstalt, daß
der Verwundete schnell auf seine Kammer und in das Bett gebracht wurde.
Sie bat den Wirth, einen Boten nach dem nächsten Wundarzt zu schicken
und verhieß die reichlichste Belohnung.

„Das wollen wir unterlassen, und zwar aus recht guten Gründen;“
-- sagte der Wirth mit kaltem Gleichmuthe: -- „Es wird nur so ein
Fleischpuffer sein und den weiß meine Frau vielleicht besser zu
behandeln, als ein Wundarzt. Sie hat sich in derlei Heilung recht
tüchtig eingeschossen, und ich höre sie schon die Treppe herauf
klappern. Gleich werden wir hören, was an der Sache ist.“

In diesem Augenblick trat die Wirthin in die Kammer, nahm Lips Tullian
das blutige Tuch ab, wusch die Wunden aus, untersuchte sie genau und
erklärte, daß keine gefährlich und dessen Blässe und Schwäche nur die
Folge des Blutverlustes und des langen Ganges sei. Mit weicher, geübter
Hand legte sie einen Verband auf und versprach sich von dem Schlafe, in
welchen Lips Tullian während ihrer wundärztlichen Behandlung versank,
die günstigste Wirkung. Sie ermahnte nun Alle, sich zu entfernen;
Mariane erklärte, am Lager des Verwundeten zu wachen.

Schon nach einigen Tagen war Lips Tullian wieder hergestellt, doch sehr
entkräftet. Auf die innig besorgte, jeden seiner Athemzüge belauschende
Freundin sich stützend, ging er in’s Freie. Seine Stimmung war die
eines Mannes, dessen Inneres von einem Geheimnisse unruhig bewegt wird,
der nur durch Mittheilung dieses Geheimnisses wieder Ruhe finden kann
und doch vor der Mittheilung bangt. In tiefem Schweigen und Sinnen vor
sich hinstarrend, ging er an Marianens Arme langsam dem Gebüsche zu,
wo er auf weichem Rasen, von lieblicher Kühle umflossen, sich mit ihr
niederließ.

Da begann Mariane mit sanfter Stimme: „Ich weiß, was Dein Inneres so
heftig beunruhigt; ich weiß, daß Du nicht der bist, als welcher Du
früher mir entgegentratest. Klar wie eine ungetrübte Spiegelfläche ist
mir Dein inneres und äußeres Sein. Offen gestehe ich Dir, daß Schrecken
und Grauen mit kalter, tief verletzender Hand mich rüttelten, als die
Nebelwolke, welche die Wahrheit Deines Lebens so dicht umhüllte, vor
meinem scharfen, tief dringenden Auge zu zerfließen begann und die
nackte, furchtbare Wahrheit mich anstarrte; aber eben so offen sei
Dir gestanden, daß meine Liebe zu Dir zu innig, zu unerschütterlich
ist, um vor dieser gräßlichen Wahrheit zu fliehen. Ist es Dir möglich,
den Pfad, den Du wandelst, zu verlassen, so werde ich täglich auf
meinen Knieen und mit Thränen der süßesten Wonne dem Allmächtigen dafür
danken; stehet es aber im Buche Deines Schicksals mit unzerstörbarer
Schrift geschrieben, dieser Pfad müsse von Dir fortgewandelt werden, so
kann mich nichts von Dir losreißen, und bis an den letzten Hauch ihres
Lebens wird Deine treue, liebende Mariane Dir zur Seite sein!“

Lips Tullian glaubte zu träumen, als er solche Worte hörte. Es war ihm
kein Zweifel mehr, daß Mariane mit seinen wahren Verhältnissen vertraut
sei; sie selbst hatte ihn über die gefürchtete Stelle der Enthüllung
seines Geheimnisses mit freundlicher Hand schnell und wohlthuend hinweg
geleitet, und diese Sprache gab ihm die beglückende Ueberzeugung, daß
die Liebe Mariane mit dem Muthe begeistert, ruhig und fest an der Hand
eines Mannes zu wandeln, dessen Liebe nicht die Gefahren, nicht die
Anstrengungen, nicht die grauenvolle Zukunft überwiegen könne, von
denen sie sich nun an seiner Seite bei jedem Athemzuge umkreiset sah.
Er fühlte sich so sonderbar ergriffen, daß er keine Worte hatte, sie
aber mit Blicken betrachtete, aus welchen ihr seine Ueberraschung,
seine Freude, sein Dank im freundlichsten Lichte entgegen schimmerten.

Frau Bieberich hatte mit ihrem Pseudogesellen Philipp seit dem
Augenblicke, wo er ihr das oldenburgische Mährchen zum Besten gab, in
dem allervertrautesten Verhältnisse gelebt. In einer schlaflosen Nacht
sah sie aus dem Fenster, hörte die Hausthüre leise öffnen und sah eine
dunkle Gestalt mit stillen, flüchtigen Schritten dahin eilen. Das
konnte Niemand anders als Philipp sein, denn außer ihm, ihr und einer
Magd hatte sie gerade jetzt keine Einwohner im ganzen Hause, und der
Geselle lag schon einige Tage krank.

Die Furie der Eifersucht ergriff sie mit ihrer Schlangenfaust, aber
selbst unter den schrecklichsten Qualen dieser Empfindung blieb die
starke Frau an den folgenden Tagen in ihrem bisherigen Benehmen gegen
Philipp sich ganz gleich; sie wollte den Treulosen in den Armen ihrer
Nebenbuhlerin überraschen und sich dann furchtbar rächen. Jede Nacht
lag sie am Fenster in männlicher, dunkler Kleidung, ein scharfes Messer
in der Brusttasche.

So hatte sie einige Nächte geharret, als um Mitternacht die Gestalt
sich wieder aus dem Hause schlich. Auch sie war im Augenblicke auf der
Straße und folgte dem Dahinschreitendem so leise und vorsichtig, daß
er keinen Späher vermuthete.

Philipp, den sie bei der Biegung um eine Ecke, wo das Licht einer
Laterne sein Gesicht beleuchtete, deutlich erkannt hatte, wurde in der
Nähe einer Kirche von zwei Männern empfangen, mit denen er sich, so
rasch und aufmerksam Mariane ihm gefolgt war, plötzlich verlor.

So ging es noch öfters, und jederzeit an einer Kirche war er ihren
scharfen Blicken wie verschwunden.

Sie selbst, um dem Geliebten jede Bequemlichkeit zu bereiten,
besorgte sein Wohnzimmer. Eines Morgens, als Philipp eben in dem
Scheingeschäfte seiner Werkführerstelle ausgegangen und Mariane mit
der Reinigung seines Wohnzimmers beschäftigt war, bemerkte sie, daß
am Schlosse des Faches, worin er sein Geld und sein Bestes bewahrte,
der Schlüssel stecke. Im Augenblicke kam ihr der Gedanke, dieses Fach
genau zu durchsuchen, ob es nicht Briefe von irgend einer Nebenbuhlerin
enthalte. Sie fand keine Briefe, wohl aber Stücke Gold, Silber, mehrere
gute Steine und noch Manches, was deutliche Spuren trug, einer Kirche
angehört zu haben.

Das schon länger umlaufende Gerücht von bedeutendem Kirchenraube,
Philipps Ausgehen in tiefer Nacht, seine Zusammenkünfte, sein
Verschwinden in der Nähe von Kirchen und diese Trümmer von kostbaren
Kirchengeräthen -- alles, alles war inhaltreich, war bezeichnend
genug, um durch dieses die bis zur Ueberzeugung rasch sich gestaltende
Vermuthung zu erregen: Philipp sei mit einer Räuberbande verbrüdert.

In der Folge fand sie in diesem Fache mittelst eines Nachschlüssels,
den sie aus Neugierde sich verschaffte, Gold und Silberzeug mit
gräflichem Wappen, das Portrait einer Dame in Brillanten gefaßt,
werthvolle Hals- und Armbänder, mehrere Ringe mit Edelsteinen und
erkannte unter diesen Gegenständen so manche als jene, die in dem
öffentlichen Verzeichnisse der aus den gräflichen Palästen und den
Kaufgewölben geraubten Gegenstände sehr kennbar bezeichnet waren.

War auch das innere und äußere Leben dieser Frau seit früher
Jugend nicht ein Gebilde der reinsten Tugend, der unentweihtesten
Sittlichkeit, des edelsten Zartsinnes, so hatte sie doch immer so
gelebt, daß sie auf die Achtung, auf das Vertrauen guter Menschen
Ansprüche machen durfte. Nie hatte sie sich den leisesten Wunsch nach
ungerechtem Besitze fremden Eigenthums erlaubt; sie haßte nichts so
sehr, als die Bevortheilung, die Beeinträchtigung eines Menschen, und
durch sie war manche gewissenlose Rechnung ihres geldsüchtigen Gatten
ausgeglichen.

Und diese Frau beherrschte so schnell ihr Erschrecken, ihren
Abscheu, alle die schwer verletzten Empfindungen, welche sie bei der
Ueberzeugung, Lips Tullian sei ein Räuber, schauderhaft ergriffen
hatten. Nur Eine qualvolle Stunde bereitete ihr diese Ueberzeugung. Die
Gegenwart mit dem schrecklichen Gefühle der tiefsten Selbsterniedrigung
der verlornen Ehre, des sündhaften Vereines mit einem Diebe, mit
einem Kirchenräuber, die Zukunft mit dem gräßlichen Bilde dieses
Verbrechers im unterirdischen Gefängnisse, in klirrenden Ketten, auf
dem Blutgerüste versanken immer tiefer in den Wogen ihrer unbezähmbaren
Leidenschaft für diesen Mann, für den ihr ganzes Wesen zu einer
unzerstörbaren Flamme der allerheftigsten Neigung geworden war.

Lips Tullians längerer Aufenthalt in dieser einsamen Grenzherberge,
sein geheimnisvolles Treiben mit Leuten von verdächtigem Aussehen,
ihre auffallend fremdartige Sprache, die Verwunderung und der Bündel
mit Geld, silbernen Löffeln, Hutschnallen und einer goldnen Uhr, den
Mariane in Philipps Rocktasche fand, sagten ihr zur Genüge, wie sehr
Philipp das in Prag geübte Handwerk auch hier übe.

Und doch schauderte sie nicht zurück. Die Unglückliche war taub für
jeden Zuruf des Gewissens, der Tugend, der Menschenwürde; sie hörte nur
die Sirenentöne der Leidenschaft, der Sinnlichkeit, und, alles Bessere
in sich zerbrechend, nicht vor den dunkeln Windungen der Zukunft
bangend, gab sie sich mit entzügeltem Gemüthe dem wilden Strome ihrer
Leidenschaft hin.

Lips Tullian, der mit einer wirklich sehr heftigen Neigung an dieser
Frau hing, war nun unbeschreiblich glücklich, sie in sein Geheimniß
eingeweihet und ihre Liebe zu ihm so tief gewurzelt zu sehen. Nun
hielt ihn nichts mehr in dieser Gegend fest, um so mehr als Hentzschel
und Lehmann von ihrem Kundschaftszuge nach Sachsen mit sehr günstigen
Nachrichten zurückgekehrt waren. Sarbergs künstliche Feder und
Siegelfabrikation wurden wieder in Anspruch genommen. Ein Paß, ein
Trauschein gingen aus seiner betrügerischen Hand hervor, und als ein
ehrbarer Bandkrämer mit seiner eben so ehrbaren Ehefrau zog Lips
Tullian in das Sachsenland. --



XX.

Der Raub des Brautschatzes der jungen Gräfin von Beuchling.

    So oft er einen Schatz erspähte, wie flammte
    Lüstern sein Auge! wie tobte sein Herz! wie schwellt ihm den Busen
    Blut- und Beutebegier!

                                       ~Kosegarten.~


Es war nicht mehr die kleine Gesellschaft, aus Sarberg, Schöneck,
Eckold, Schickel, Lehmann und Hentzschel gebildet, welche Philipp
als Häuptling befehligte; mehr als hundert Gauner, Diebe, Räuber,
Mordbrenner und Mörder hatten schon in den ersten Monaten seiner
Ankunft auf sächsischem Boden zur Fahne des mächtigen Lips Tullian
geschworen.

Er gab der Bande militärische Eintheilung, formirte sechs Corps,
stellte jedes unter die Befehle eines der benannten Vertrauten, und
nannte die Bande, über die er selbst den Oberbefehl führte, die
schwarze Garde.

Bald ward dieser Name in Sachsen nur mit Bangigkeit und großen
Besorgnissen genannt, der Name Lips Tullian war der Schrecken des
Landes. Einbrüche in Kirchen und Häuser, Ausplünderung der Reisenden,
Angriffe auf Postwagen, Gelderpressungen durch Drohbriefe und
Brandstiftungen reiheten sich in himmelschreiender Folge.

Die Bande war im ganzen Lande vertheilt, Lips Tullian mit Mariane
größentheils auf Kundschaft, wo sein Handel mit Bändern und den
damals so beliebten italienischen Waaren, seine geschmackvolle,
feine Kleidung, sein gebildetes Betragen ihm Zutritt in den besten
Häusern verschafften, deren Verhältnisse in klingender Beziehung, so
wie Gelegenheit zum Einbruche genau zu erforschen, ihm bei seiner
Schlauheit keine schwierige Aufgabe war.

In einem Umkreise von einigen Meilen hatte er seine Niederlage in
vertrauten Häusern, wo er von Woche zu Woche von seinen Unteranführern
Nachricht über die Geschäfte der Bande, über ihre künftigen
Unternehmungen erhielt. Gab es einen Angriff oder Einbruch, wo
Tollkühnheit an der Spitze stehen mußte, so eilte er dahin, überzeugt,
daß seine Gegenwart und sein Beispiel auch den Feigsten seiner Gesellen
ermuthigte.

Mehr als ein Jahr hatte er unter den größten Anstrengungen hingebracht,
jetzt wollte er sich einige Ruhe gönnen. Er übergab Sarberg das
Obercommando, und ging mit Mariane nach Dresden, wo er eine abgelegene
Wohnung bezog, zwar zurückgezogen lebte, dabei aber sich in seiner
häuslichen Zurückgezogenheit einem schwelgerischen Wohlleben hingab.

Die Ruhe behagte ihm nicht lange; er hatte sich zu sehr an eine
verbrecherische Regsamkeit gewöhnt. Es war das Erste, daß er Häuser
auskundschaftete, worin verbotene Spiele um hohes Geld getrieben
wurden. Er wußte in solche Häuser sich Eingang zu verschaffen, und man
empfing den anständigen Fremden mit seiner gefüllten Goldbörse recht
freudig.

Lips Tullian verlor und gewann in der ersten Zeit, doch immer so, daß
der Verlust den Gewinn weit überstieg. Als er die Spieler recht sicher
gemacht hatte, ließ er seine Spielkünste ins Leben treten, und ging
nie, außer wenn er es aus Klugheit mäßig machte, vom grünen Tische,
ohne die Goldstücke der Spielgesellschaft mit den seinigen vereint zu
haben.

Vor dem Anfange des Spieles unterhielt eines Abends Herr von Cotitz
die Anwesenden von dem bedeutenden Brautschatze der jungen Gräfin
von Beuchling und nannte ihn einen fürstlichen. Lips Tullian brannte
die Erde unter den Sohlen; er spielte kopflos, da ihn die Begierde
nach diesem fürstlichen Mahlschatze zu sehr bemeisterte. Noch war die
Spielzeit zur Hälfte nicht verflossen, als er schon über 100 Dukaten
verloren hatte.

Der Verlust machte ihm keine bittere Laune, er freute sich vielmehr
darüber, da ihm dadurch Gelegenheit wurde, das Spiel zu verlassen,
mit Cotitz, der im Nebenzimmer bei einer Flasche Wein allein saß, zu
sprechen, ihn auszuforschen, und dann seinen Plan zu bilden. Cotitz
plauderte in seiner Redseligkeit alles, was Philipp wissen wollte,
recht ausführlich aus, und sein listiger Zuhörer schied in der größten
Zufriedenheit von ihm.

Ohne Gehülfen konnte Lips Tullian nicht zum Ziele kommen, er brauchte
nur wenige, aber Leute von feinster Schlauheit und erprobtem Muthe. In
Dresden war nicht einer von der Bande gegenwärtig, durch den er die
nöthigen Gesellen hätte berufen können.

[Illustration: Die Theilung der Beute im Walde.]

Mariane erbot sich gleich zu diesem Geschäfte. Mit ihrem Bandkasten auf
dem Rücken eilte sie gleich nach Oeffnung der Thore aus Dresden, und
bald kehrte sie mit Sarberg, Schickel, Lehmann und Eckold zurück, die
ihr einzeln und in verschiedenen Verkleidungen gefolgt waren.

Der Brautschatz der jungen Gräfin war im Beuchlingschen Palaste
in einem Gemache aufbewahrt, das im obersten Geschosse und in der
Mitte von zwei Zimmern lag, wovon eines von dem Hofmeister mit
seinen gräflichen Zöglingen, das andere von dem Jäger und dem Koche
bewohnt war. Und aus dieser Umgebung heraus holten sich die Räuber
die Chatoulle mit der reichen Aussteuer in Gold und ein aus Silber
geflochtenes Körbchen, worin der Schmuck lag, der einen Werth von
60,000 Thalern hatte.

In einem Walde außerhalb Dresden wurde der Raub getheilt[27], nachdem
davon eine große Summe in Gold zur Vertheilung unter die übrigen
Mitglieder der Bande abgesondert worden war. Nicht das Mindeste nahm
Lips Tullian von seinem, nach den Gesetzen der Gesellschaft ihm doppelt
zugefallenen Antheile mit sich in seine Wohnung, aus Furcht irgend
einer Entdeckung; er übergab Sarberg alles, und bezeichnete ihm eine
Felsenschlucht in der Oberlausitz, wo er es zu vergraben habe.

    [27] Hierzu die Abbildung im nächsten Hefte.

Im zurückgezogenen Wohlleben brachte nun Lips Tullian mit Marianen
seine Tage hin, war Heuchler genug, täglich die Kirche zu besuchen, auf
dem Gange dahin die Armen zu beschenken, gewann bei der Nachbarschaft
den Ruf eines gar frommen, mildthätigen Herrn, und ergaunerte sich am
grünen Tische von Zeit zu Zeit eine schöne Anzahl von Goldstücken.



XXI.

Der Schmuck des Juden Marx in Halle.

    Einen schlimmen Weg ging gestern ich,
    Einen Weg, dem ich nicht wieder traue!

                                    ~Burns.~


Eines Morgens kam Hentzschel zu ihm mit der Nachricht, daß bei dem
Juden Assor Marx zu Halle ein Schmuck von hohem Werthe liege, welchen
Marx für eine Banquiersfrau in Leipzig aus Frankfurt besorgt habe; daß
aber dieser Schmuck sehr gut verwahret, und es das Allerschwierigste
sei, ihn dem wachsamen Juden zu entwenden.

Lips Tullian ließ sich von Hentzschel über Assors häusliche
Verhältnisse, seinen Charakter, die Lage des Hauses etc. die genaueste
Auskunft bis auf die geringfügigsten Umstände geben, und versicherte
mit großer Bestimmtheit, der Schmuck sei so viel als in seinen Händen,
wenn Marx ihn nicht schon abgeliefert habe. Er traf unverzüglich seine
Anstalten.

Als Lips Tullian noch mit dem schwarzen Wenzel in Gemeinschaft stand,
befanden sich bei ihrer Bande zwei Juden. Er machte sich alles eigen,
woraus er für sein Handwerk Vortheil ziehen konnte. In jeder müßigen
Zeit unterhielt er sich mit diesen Juden, bewirthete sie mit Wein,
und hatte bald von ihren Gebräuchen, ihrer Religion, ihrer Sprache
und ihren sonstigen Eigenheiten so viel erlernt, daß er kühn in jedes
Judenhaus treten und für einen Glaubensgenossen gelten konnte.

Schnell war er in einen Israeliten umgewandelt, und mit seinem falschen
Barte, auch mit Arbe Kaufes und Tfille[28] ausgestattet, wanderte er
nach Halle zu, und wurde auf dem Wege dahin von reisenden Juden mit
einem treuherzigen: „Gotelkom!“[29] begrüßt.

    [28] Ein die 10 Gebote vorstellendes Gewebe, welches die Juden am
         Leibe tragen, und der lange Riemen, womit sie beim Gebete Kopf
         und Hand umwinden.

    [29] Sei Willkommen!

Durch Hentzschel, der die Verhältnisse des Assor Marx genau kannte,
hatte Lips Tullian erfahren, Assors Reichthum habe sich nicht so sehr
aus guten Handelsgeschäften, als vielmehr aus dem Ankaufe gestohlner
Waaren von Werth gemacht. Dieser Umstand erleichterte sein Unternehmen.

Er trat in Assors Haus, sagte diesem, daß er aus Prag und auf einer
Reise nach Berlin begriffen sei, hier seine Frau, die in Frankfurt
Geschäfte mache, erwarte, und bat Assor, ihm bis zu deren Ankunft gegen
reichliche Vergütung Pflege und Herberge zu geben.

Während der Anrede zählte er, gleichsam tändelnd, eine bedeutende
Anzahl von Goldstücken aus einer Hand in die andere. Der habsüchtige
Marx blinzelte mit verlangenden Blicken auf die schönen Goldstücke hin,
schrieb schon in Gedanken die Rechnung mit doppelter Kreide und bot dem
reichen Glaubensgenossen sich, sein Haus, Küche und Keller zu allen
Diensten an. Bald saßen die beiden bei einer Flasche Wein traulich
zusammen, und schon nach einer Stunde wußte Marx mit geheimer Freude,
daß sein Gast einen bedeutenden Schatz an Juwelen besitze, welchen er
aus sehr bewegenden Gründen um einen mäßigen Preis losschlage.

Außer Marx, seiner Frau, zwei Enkeln und einem alten Knechte wohnte
Niemand im Hause. Lips Tullian war schlau genug, seine Kenntniß von
dem hier befindlichen Schmucke nicht im Geringsten ahnen zu lassen;
er schien sogar einige Winke, die ihm Marx darüber gab, nicht im
Geringsten zu beachten.

Dagegen hatte er sich bald das innigste Vertrauen des alten Knechtes
erworben, und dieser, als ein geborner Pole ein Freund des Branntweins
und von Lips Tullian in einer Winkelschenke überreichlich damit
bewirthet, vertraute in der Trunkenheit dem aufmerksam Lauschenden,
daß in seines Herrn Keller ein sehr theurer Schmuck liege, aber schon
in einigen Tagen nach Leipzig abgeführt werde. Ehe noch der Sinnlose
unter dem Tische lag, hatte Lips Tullian schon erfahren, wo der Eingang
zum Keller sei, wo die Schlüssel verwahrt werden, in welcher Ecke des
Kellers das Schmuckkästchen, zur Sicherheit gegen Diebe, tief im Sande
verscharrt liege.

Es war Sabbath, und Lips Tullian bat um Erlaubniß, seinen geehrtesten
Hauswirth, wie auch dessen Ehefrau und Kinder mit einem köstlichen
Weine bewirthen zu dürfen, von welchem er gestern im Gasthofe zur
goldnen Traube getrunken und gleich einige Flaschen gekauft habe.

Der Knecht mußte den Wein aus des Gastes Wohnzimmer herab tragen.
Die Flaschen waren versiegelt, und Marx versicherte seinen lieben
Angehörigen mit wichtiger Kennermiene, daß er schon jetzt für die
Vortrefflichkeit dieses Weines bürge, weil man nur Flaschen von den
besten Sorten versiegle.

Die Gläser wurden gefüllt, die Gesellschaft leerte sie auf
gegenseitiges Wohl, auch der Knecht erhielt seinen tüchtigen Antheil.
Niemand hatte bemerkt, daß Lips Tullian sein Glas auf den Boden ausgoß,
und bald würde Niemand vermocht haben, es zu bemerken, da schon bei der
ersten Flasche Marx, seine Frau, die Kinder und der Knecht in einem
todähnlichen Schlafe lagen; so schnell war die Wirkung des betäubenden
Mittels, womit jener den Wein reichlich gemischt hatte.

Die Kellerschlüssel aus dem Verschlusse zu holen, das Kästchen mit dem
Schmucke unter dem Sande hervor zu ziehen, es zu zertrümmern, und den
Schmuck in dem Leibgurte zu verwahren, war für den Räuber das Werk der
kürzesten Zeit.

Damit begnügte sich aber der Bösewicht noch nicht. Er öffnete einen
Kleiderschrank, worin Marx sehr feine Anzüge, die er von jungen
Verschwendern wohlfeil gekauft hatte, verwahrte, vertauschte den
seinigen gegen einen solchen, that den langen, falschen Bart von sich,
nahm aus dem Schranke, der des Juden kostbarste Sachen enthielt, das
baare Gold, an Thaler-Rollen, Gold- und Silbergeräthen so viel, als
seine Taschen faßten, löschte alle Lichter aus, verriegelte sehr
sorgfältig die Hausthüre, und entfernte sich durch das Hinterpförtchen.

So schnell als die Last seiner gefüllten Taschen erlaubte, eilte er auf
das nächste Dorf, wo sich Hentzschel, als Pferdehändler figurirend,
seit des Hauptmanns Ankunft in Halle mit zwei Pferden aufhielt und
diese, wie verabredet war, jeden Abend gesattelt in Bereitschaft hatte.

Lips Tullian gab das bekannte Zeichen, Hentzschel zog seine Pferde aus
dem Stalle, und es ging die ganze Nacht durch im scharfen Trabe.

Mit Tagesanbruch bog Hentzschel, dem Lips Tullian für seinen Antheil
das Gold und die Thaler-Rollen gegeben hatte, in der Nähe einer
Poststation mit seinen Pferden von der Landstraße abseits, und Lips
Tullian nahm einen Wagen bis an die Thore von Dresden.

Mit einem Raube von mehr als 20,000 Thalern an Geldwerth schlich er bei
eingebrochener Nacht durch die Straßen von Dresden seiner abgelegenen
Wohnung zu.



XXII.

Der Badeaufenthalt.

      Fremdling, sei behutsam!
    Du bist nicht sicher, traue mir!

                     ~Th. Körner.~


Wie ein commandirender Feldmarschall sein Hauptquartier in irgend
einem Orte aufschlägt, um von da aus an die unterhabenden Corps seine
Befehle zu versenden und ihre Bewegungen zu leiten, so hatte auch Lips
Tullian das seinige in Dresden aufgeschlagen, von wo aus er seine Bande
befehligte. In dieser kannte Niemand seinen Aufenthalt, als Sarberg,
Hentzschel, Schöneck, Lehmann, Schickel und Eckold, und außer diesen
Anführern kam kein Mitglied der zahlreichen Rotte zu ihm; nur diese
Vertrauten fanden sich von Zeit zu Zeit bei ihm ein, als vornehme
Personen, Bettelleute, Hausirer, reisende Handlungsdiener verkleidet,
um Meldung zu machen, Befehle zu holen, ihm, dem Oberanführer, seinen
Antheil von der gemachten Beute zu überbringen, und ihn bei sehr
wichtigen Unternehmungen zur Anführung abzuholen.

Ganz Sachsen zitterte vor der schwarzen Garde, deren Oberhaupt als
ein frommer, wohlthätiger, unbescholtener Mann in der Hauptstadt
des zitternden Landes lebte und von den Einwohnern Dresdens sehr
hoch geachtet wurde. Wer hätte auch in diesem ruhigen, schlichten
Privatmanne, dessen eingezogene verbindungslose Lebensweise allgemein
bekannt war, den furchtbaren Lips Tullian geahnet?

Ein Jahr hatte Lips Tullian in Dresden gelebt. Es kam die Badezeit, und
mit ihr in ihm die Lust, in der Rolle eines reichen, vornehmen Mannes
der Welt sich zu zeigen. Spaa wurde von ihm für die Badesaison gewählt.

Nach einem recht bürgerlichen, wort- und complimentereichen
Abschiedsbesuche in der ganzen Nachbarschaft umher, ging er mit
Marianen von Dresden ab, zu Fuße, den Bandkasten auf dem Rücken.

Die Felsenschlucht in der Oberlausitz wurde besucht, eine Parthie
der vergrabenen Juwelen hervorgeholt, dann der Weg nach Leipzig
eingeschlagen, wo Lips Tullian für sich und Marianen die
prachtvollsten Kleider verfertigen ließ, Kammerfrau, Stubenmädchen,
Jäger und Koch in Dienste nahm, einen kostbaren Reisewagen kaufte und
mit vier Postpferden nach Spaa abfuhr.

Als Baron von Strombeck mit Gemahlin erschien er auf der Badeliste. Er
machte einen fürstlichen Aufwand.

Am Vorabende seiner Rückkehr nach Dresden hatte er eine kleine
Gesellschaft von jenen Badegästen, in deren Umgange er am angenehmsten
gelebt hatte, zu sich gebeten, um noch mit diesen frohsinnigen
Gesellschaftern einen recht heitern Abend zu genießen. Frau Bieberich,
in die Freifrau von Strombeck umgewandelt, machte die Wirthin mit
dem Anstande einer Dame von feinem Tone und der liebenswürdigsten
Freundlichkeit; sie hatte nicht umsonst als Buchhändlerin mit den
Frauen vornehmer Häuser verkehrt.

In dieser Gesellschaft befand sich ein junger Mann, der sardinische
Uniform trug, in Spaa für einen Hauptmann galt und großen Aufwand
machte. Er schlug nach dem Abendessen ein Spiel vor, und Philipp, in
der Hoffnung, ein bedeutendes Reisegeld sich zu machen, wußte bald
seine Gäste für den Vorschlag des Sardiniers zu gewinnen.

Man looste, wer die Bank halten sollte! das Loos traf den Sardinier.
Um hohe Summen wurde gespielt, und Lips Tullian war vom Glücke so
verlassen, daß er, als der Sardinier am lichten Morgen die letzte
Taille abgezogen hatte, nicht mehr ein Goldstück besaß, ja sogar
den größten Theil seiner Pretiosen zur Bezahlung seiner Spielschuld
hingeben mußte.

An dem Sardinier hatte Lips Tullian seinen Meister gefunden.



XXIII.

Eine neue Bekanntschaft und deren üble Folgen.

    Welch tollkühn Wagstück! -- Mitten durch den Feind.

                                   ~Th. Körner.~


Ohne Reisewagen, ohne Dienerschaft, nur noch im Besitze weniger
Kostbarkeiten, da sein zu verschwenderischer Aufwand in Spaa und jene
Spielnacht zu viel gekostet hatten, kam er mit Marianen in einer
Lohnkutsche zu Leipzig an und warf sich hier gleich wieder in die Rolle
des Bandkrämers.

Es mußte Geld und auch Nachricht von dem gegenwärtigen Aufenthalte der
Unteranführer seiner Bande herbeigeschafft werden. Mariane wanderte
wieder mit ihrem Bandkasten fort, und Philipp versuchte, Geschäfte zu
machen.

Der Zufall ließ ihn mit einem Manne bekannt werden, der als Thierarzt
von Land zu Land zog. Lips Tullian und der Thierarzt hatten noch nicht
eine Flasche Wein zusammen geleert, als sie schon genau wußten, was sie
sich gegenseitig zu bieten hatten. Bald schlossen die wackern Männer
Freundschaft.

Der Thierarzt wußte in einem Landhause bei Leipzig eine Summe Geldes,
auch einen bedeutenden Vorrath von Silberzeug. Der Raub wurde von ihm
und Lips Tullian beschlossen. Es gelang ihnen, einzubrechen, und sich
des Geldes nebst einem Kästchen mit silbernen Bestecken zu bemächtigen.

Unbemerkt kamen sie in ihre Wohnung zurück. Ueber die Vertheilung des
Raubes konnten sie nicht einig werden. Der Thierarzt forderte zwei
Theile, weil er die Sache ausgekundschaftet, und daher Lips Tullian nur
einen Theil zu verlangen habe.

Lips Tullian machte die nämliche Forderung, denn er habe mit der
größten Gefahr der Entdeckung den Schrank geöffnet, und die Beute
gemacht, während jener nur auf der Lauer gestanden habe.

Es kam zum heftigen Wortwechsel, zum Faustkampfe, und der kräftige
Lips Tullian warf den spindeldürren Thierarzt aus dem Zimmer. Vor
Wuth zitternd schlich der Gemißhandelte wieder zurück, nahm, ohne ein
Wort zu sprechen, den für ihn von Lips Tullian bestimmten Theil und
entfernte sich mit einem Blicke auf seinen lachenden Feind, aus welchem
die allerheißeste Rachsucht hervorsprühte.

Noch war Lips Tullian beschäftigt, die Silberbestecke zu zertrümmern,
um sie desto gefahrloser in der Folge als altes Silber zum Einschmelzen
verkaufen zu können, da wurde seine Zimmerthüre aufgerissen, und ein
Polizeibeamter trat mit bewaffnetem Gefolge ein. Lips Tullian hatte
schnell ein Tuch über das Silber geworfen, aber dem scharfen Blicke des
Beamten war es nicht entgangen. Er kündigte Lips Tullian Arrest an, und
befahl zugleich seinen Leuten, dem Gefangenen die Hände zu binden.

Lips Tullian wußte, was ihn erwartete; nur Verstellung und eine rasche
That konnten ihn retten. Mit Demuth bat er den Beamten, ihm nicht
Stricke anlegen zu lassen, er wolle ja gern alles thun und gestehen,
was man von ihm fordere.

Der Beamte war nicht vorsichtig genug. Lips Tullian gewann Zeit, sich
dem Bette zu nähern. Mit einem Griffe waren seine Doppelpistolen unter
der Decke hervorgerissen, und Jedem den Tod drohend, der sich ihm zu
nahen wage, entsprang er durch eine Seitenthüre.

Wie Gypsbüsten hatten die verblüfften Polizeidiener vor des Räubers
gespannten Pistolen gestanden; jetzt bekamen die Büsten wieder Leben.
Sie schrieen wie die Lämmergeier aus dem Fenster, im Hause herum,
den Dieb aufzuhalten; sie stürzten die halbe Treppe hinab, um ihm
nachzusetzen.

Es war ein gewaltiger Lärm, die Menschen liefen von allen Seiten aus
den Häusern, schauend, fragend, aber keiner unter den vielen hatte den
Muth, den Räuber, der durch sie hin flog, aufzuhalten.

Aber er sollte diesmal nicht entkommen. Ein Fleischerhund lief über die
Gasse, und ihm zwischen die Beine. Er fiel der Länge nach hin. Durch
den Fall ging eine Pistole los. Die Menschen schrieen, als wären sie
alle verwundet.

Ehe Lips Tullian, von dem heftigen Falle betäubt, sich aufraffen
konnte, hatten ihn zwanzig Fäuste gepackt. Er vermochte nicht die
mindeste Bewegung zu machen, so fest war er im Augenblicke von den
wuthschnaubenden Polizeidienern zusammen geschnürt, und ehe er sich
recht besinnen konnte, lag er in einem unterirdischen Gefängnisse des
Leipziger Rathhauses auf einer Strohschütte und an einer schweren
Kette.



XXIV.

Die Verurtheilung.

    Die Thüre, die sich jetzt für ihn geöffnet,
    Greift hinter ihm für immer in das Schloß;
    Kein Weg zurück zur Freiheit und zum Leben,
    Nur schaudernd vorwärts zu der Schlachtbank.

                                   ~Th. Körner.~


Der Gefangene wurde in das Verhör geführt und des Einbruches und Raubes
im Landhause des Kaufmanns Keller beschuldigt.

Mit unbeschreiblicher Angst war er vor den Richter getreten, fest
überzeugt, daß man ihn als Lips Tullian und seine Thaten kenne. Er
jubelte im Stillen, nur einer solchen Kleinigkeit wegen bezüchtigt
zu sein. Schnell erwachte in ihm die Vermuthung, der Thierarzt habe
ihn aus Rachsucht angegeben, und er war jetzt umso ruhiger, da kein
gültiger Beweis gegen ihn geführt werden konnte.

Gleich entschlossen, seinen Feind in die Grube zu stürzen, die jener
für ihn bereitet hatte, gab er mit aller Frechheit an, all dieses
Silberzeug, das man in seiner Wohnung gefunden und dessen Entwendung
man ihn bezüchtigte, von einem Manne gekauft zu haben, der sich so und
so nenne, und so und so aussehe. Und nun beschrieb er den Thierarzt so
genau, daß der Polizeibeamte sich gleich erinnerte, diesen Menschen
schon öfters gesehen zu haben. Noch in diesem Augenblicke wurden
Steckbriefe gegen den Thierarzt ausgefertigt.

Auf die Frage, warum er, seiner Unschuld sich bewußt, nicht willig sich
ergeben, sondern mit bewaffneter Hand versucht habe, zu entfliehen,
entschuldigte er sich mit einer langen Erzählung, wie in Marseille, wo
er vor einigen Jahren gewesen zu sein vorgab, auch plötzlich einige
Männer in sein Zimmer getreten seien, ihm Arrest angekündigt und aus
dem Hause geführt hätten, aber nicht in ein Gefängniß, sondern in
den Keller eines abgelegenen Hauses, aus welchem er sich nur durch
Gottes Hilfe gerettet, seine Wohnung aber von diesen angeblichen
Sicherheits-Männern ganz ausgeplündert gefunden habe. Die Erinnerung
an jene schreckenvolle Begebenheit sei heute beim raschen Eintritte
der Polizeimänner so lebhaft in ihm geworden, daß er sich wieder von
vermummten Räubern umgeben glaubte, und vor Schrecken ganz außer sich,
in der Flucht Rettung suchen wollte. Man fand für gut, den verdächtigen
Patron in das Gefängniß zurück zu schicken.

Unter des Gefangenen Effecten fanden sich so viele verschiedenartige
Sachen, daß der Untersuchungsrichter fest überzeugt war, in diesem
angeblichen Bandkrämer einen ausgezeichneten Gauner vor sich zu haben.
Die Verhöre wurden immer strenger, die Aussagen des sonst so schlauen
und besonnenen Bösewichts immer sich widersprechender, die Indicien
gegen ihn immer gravirender, und über Lips Tullian die ersten zwei
Torturgrade ausgesprochen.

Mit fast übermenschlicher Kälte und Standhaftigkeit erduldete er die
Qualen der Folter. Unter den heftigsten Martern betheuerte er seine
Unschuld mit solcher Ruhe, mit solcher Selbstbeherrschung, daß man
Anstand nahm, noch härter gegen ihn zu verfahren.

Das Gericht erkannte dem Bandkrämer Philipp Mengstein ewige
Landesverweisung und Bezahlung der angelaufenen Untersuchungs- und
Atzungs-Unkosten zu. Die Acten wurden eingeschickt, aber von der
Landesregierung das Urtheil nicht bestätigt. Philipp mußte nach Dresden
auf den Festungsbau abgeliefert werden.



XXV.

Die Baugefangenen.

    Gott ist barmherzig! Trage deine Ketten
    Und trau’ auf Gott, die Liebe wird dich retten.

                                 ~Th. Körner.~


Im grauen Zuchtkittel, das Haar geschoren, mit einer langen Kette an
einen Karren geschlossen, zog Philipp am ersten Morgen nach seiner
Ankunft in den Festungsgefängnissen von Dresden mit zahlreicher
Umgebung zur Schanzarbeit aus.

Von dem höchsten Grimme über seine Gefangenschaft beherrscht, nur auf
Befreiung sinnend, keinen seiner Mitgefangenen beachtend, im wilden
Brüten auf seine Arbeit hinstarrend, hatte er einige Stunden Steine
geschleppt, als der Tambour der Militärbedeckung die Trommel rührte.
Es war das Zeichen, daß alle Baugefangenen einige Zeit, so lange es
dem Oberprofosen gefällig war, ausruhen, auch von dem Gelde, welches
sie von mitleidigen Menschen zum Geschenk erhielten, sich Brod kaufen
durften, womit zu dieser Stunde sich immer einige Weiber aus den
Vorstädten einfanden.

Lips Tullian kannte diesen Gebrauch noch nicht, arbeitete fort und
wurde durch einige derbe Hiebe eines Steckenknechts, der dieses
Fortarbeiten für Trotz hielt, recht angenehm zum Ausruhen eingeladen.
Vor Wuth knirschend warf er sich an seinen Karren nieder und drückte
das glühende Gesicht in die gekreuzten Arme.

Kettengeklirre nahete sich ihm, er wurde leise an der Schulter
gerüttelt: unverändert blieb er in seiner Lage. Es flüsterte ihm jemand
in die Ohren: „Makerst Du Deine Keffer-Freier lau mehr?“[30]

    [30] Kennst Du Deine Vertrauten nicht mehr? --

Die Stimme schien ihm zu bekannt, die Anrede zu wichtig, um länger
seinem Starrsinne sich hinzugeben. Er blickte auf, und hätte beinahe
vor Ueberraschung laut aufgeschrien: -- Sarberg, Eckold, Hentzschel,
Schöneck, Lehmann und Schickel saßen um ihn her, an ihrem Brode kauend,
und nach einem langen, bedeutenden Blicke wieder ruhig fort essend,
ohne durch Wort oder Miene sich als seine Bekannten verrathend. Sarberg
saß ihm am nächsten. Als die Trommel das Zeichen zur Fortsetzung der
Arbeit gab, flüsterte ihm dieser zu, so nahe als möglich an seiner
Seite zu karren. -- Lips Tullian that es.

In den Augenblicken, wo die Wache oder die Steckerknechte fern genug
waren, um unbelauscht sprechen zu können, erzählte Sarberg, daß er mit
den übrigen Anführern in einem vertrauten Wirthshause zur Berathung
wegen einiger bedeutenden Einbrüche sich eingefunden habe, daß mitten
in der Nacht das Wirthshaus von einem zahlreichen Streifzuge sei
umringt, und der Wirth mit allen seinen Leuten, wie auch mit seinen
Gästen nach Leipzig gebracht worden. Ihn, Sarberg, habe man nebst
seinen Kameraden hierher geliefert, um ein Jahr zu schanzen, da sie so
glücklich gewesen, sich von irgend einer Verbindung mit der schwarzen
Garde wegzuleugnen, und nur als verdächtige Leute zu einjähriger
Schanzarbeit verurtheilt worden zu sein.

Am Schlusse der Erzählung gab ihm Sarberg die angenehme Nachricht, daß
er mit ihm und den übrigen Freunden das nämliche Gefängniß bewohne, daß
Lips Tullian schon gestern Abend, bei seinem Eintritte in den Kerker
von ihnen erkannt, aber dieses Erkennen auch nicht durch ein Wort oder
ein Zeichen angedeutet worden sei, indem noch einige Baugefangene in
eben diesem Gefängnisse schlafen, welchen man nicht trauen dürfe.

Lips Tullian hatte genug gehört. Die Nähe solch’ muthiger und
unternehmender Freunde gab ihm Hoffnung, bald seine Fessel los zu
werden. Schon nach einigen Tagen wurden die ihm und seinen Kameraden
verdächtigen Mitgefangenen vom Festungsbau entlassen, und die
Vertrauten waren nun allein in ihrem Gefängnisse zusammen.

Fruchtlos hatten sie Nächte hindurch sich über ihre Befreiung berathen,
aber noch immer leuchtete ihnen nicht der geringste Schimmer der
Möglichkeit einer Befreiung. Zum Ausbrechen fehlten ihnen Werkzeuge,
und am Entrinnen während der Schanzarbeit hinderte sie die zahlreiche
Militärwache, die strenge Aufmerksamkeit der Steckenknechte, und die
Schwere und Stärke ihrer Ketten.

Zur gewöhnlichen Ruhezeit saß Lips Tullian eines Tages, von den
Uebrigen abgesondert, auf seinem umgestürzten Karren und blickte
sehnsüchtig nach einer Brodverkäuferin umher, da er äußerst hungrig und
durch so eben empfangene milde Gabe in der glücklichen Lage war, sich
nach langer Zeit wieder einmal satt essen zu können.

Ein altes Weib in zerlumptem Anzuge, das Gesicht beinahe bis an die
Augen mit einem Tuche verhüllt, humpelte an einem Krückenstocke auf
ihn zu, und bot ihm Brod an. Lips Tullian kaufte. Er reichte der
Alten das Geld. Sie stieß an seine Hand, das Geld fiel zur Erde, und
während beide sich darnach bückten, flüsterte das ihm zu: „In dem Brode
mit einem eingeschnittenen Kreuze findest Du einen Zettel. Ich bin
Mariane!“ --

Das Weib humpelte fort. Sprachlos starrte Lips Tullian ihr nach. Er
hätte beinahe laut aufgejauchzt, und seinen Freunden das Wort Freiheit
mit weit schallender Stimme zugerufen. Wo Mariane war, da war auch die
Freiheit nicht mehr fern; er kannte die Stärke ihrer Liebe, ihren Muth,
ihre Schlauheit, ihren Eifer. Wie vor Freude trunken jubelte er laut,
als die Trommel zur Arbeit rief, lachte dem schlagfertig gehobenen Arme
des Steckenknechts in wilder Freude entgegen, und hatte seinen Hunger
und sein Elend vergessen.

Es war gerade Samstag, wo immer die Baugefangenen um zwei Stunden
früher von der Arbeit entlassen wurden. Lips Tullian konnte den
Augenblick seines Eintrittes in den Kerker nicht erwarten, da es ihm
erst hier möglich war, das bezeichnete Brod zu erbrechen und den Zettel
zu lesen.

[Illustration: Die Räuber als Baugefangene.]

Er that es mit Hast, und bei dem wenigen Lichte, was nur durch eine
kleine, dicht vergitterte Oeffnung in den Kerker fiel, las er mit
Mühe: „Auf dem Platze, wo Ihr gegenwärtig arbeitet, steht in einem
Winkel der Strunk eines alten Baumes. In seiner Höhlung dicht an der
Erde findest Du eine feine Säge und ein Stück Bindfaden. Mit der Säge
durcharbeitest Du in der nächsten Nacht ein Paar Eisenstangen Deines
Fenstergitters. Sobald die Festungsuhr die zehnte Stunde schlägt,
lässest Du den Bindfaden herab, woran ich zwei Brechstangen und
eine Strickleiter befestige. In längstens zwei Stunden habt Ihr die
Fensteröffnung hinlänglich erweitert, um Euch durchdrängen zu können.
Am Fuße der Leiter harre ich Euer, um Euch in Sicherheit zu bringen.“
--



XXVI.

Der Oberprofos

oder:

Die Lebensart der Baugefangenen.

    Wer lärmt in dieser schreckenvollen Stunde
    Vor meiner Thür? --
                Es ist gefährlich,
    Zu dieser Zeit des Aufruhrs und des Mords
    Dem Flüchtling wirthlich seine Thür zu öffnen;
    Doch gar zu gräßlich ist der Sturm der Nacht,
    Ich will’s auf Deine Jammertöne wagen.

                           ~Theodor Körner.~


Es hatte sich am 20. September 1710 über Pirna und dessen Umgebungen
von Westen und Süden im langsam schauerlichen Zuge ein Gewitter
ausgebreitet, das in der dritten Nachmittagsstunde die Himmelsdecke
zur nächtlich dunkeln, grauenvollen Wölbung gestaltete. Die Hitze
war so schwül wie im heißesten Sommertage, die Blätter der Bäume
und Sträucher, von keinem Lüftchen bewegt, hingen schlaff darnieder,
Thiere und Pflanzen lechzten nach Erquickung, und mit scheuen Blicken
sahen die Menschen, aus Furcht vor der drohenden Gefahr von ihren
Beschäftigungen und Feldarbeiten in ihre Behausungen zurückgekehrt,
dem unheilgebärenden Wolkenzuge entgegen. Das Gewitter brach aus mit
aller seiner Furchtbarkeit. Der Himmel ward zum Feuermeer, und die Erde
erbebte unter dem entsetzlichen Geprassel der betäubenden Donnerschläge.

Des Allmächtigen Vaterhand hatte in diesen grauenvollen Stunden
schützend über seinen zitternden Kindern geschwebt. Verbleicht
waren die Blitze, verhallt die Donner, aber die furchtbarschöne
Naturerscheinung hatte sich nicht in jene liebliche Kühle und in das
freundlich-beleuchtende Licht aufgelöst, die fast immer dem heftigsten
Gewitter folgen, und in die freier sich hebende Brust des Menschen ein
so angenehmes Gefühl ausgießen; der Regen fiel strömend nieder, der
Sturm heulte durch die Lüfte und mit dem schon frühe eingebrochenen
Abend hatte sich tiefe Finsterniß über die Erde gelagert.

Prasselnd schlugen Regenschauer an die hohen Fenster des in der Nähe
von Pirna einsam gelegenen Forsthauses, genannt zur rothen Buche, und
krachend beugte sich die riesige Hoflinde unter des Sturmes gewaltiger
Wucht. Aber im Forsthause waltete eine recht gemüthliche Ruhe. Im
bequemen Schlafrocke, die Federmütze auf dem ehrwürdigen, silbergrau
und spärlich behaarten Haupte, und aus der großen Meerschaumpfeife
mit dem langen Weichselrohre recht behaglich schmauchend, saß der
Förster Krause vor einem alten Historienbuche, dessen anmuthige und
verschiedenartige Darstellungen ihn nach vollbrachten Berufsgeschäften
an unfreundlichen Abenden gar herrlich vergnügten. Fast unwillig
schaute er von Zeit zu Zeit nach der Thüre des Nebenzimmers, ob
sie sich denn noch nicht öffne, und Elisabeth, seine liebe, traute
Ehefrau, zu ihm hereintrete, auf daß sie sich mit ihrem Strickstrumpfe
ihm gegenüber setze, und die anmuthigen Historien mit anhöre, wo er
dann, so viel in seinem Wissen lag, sich über die, der aufmerksamen
Zuhörerin fremdartigen Worte, wie auch sonst ihr unbekannte Stellen
erklärend aussprach, und zwar mit einem etwas stolzen Gefühle seiner
Gelehrsamkeit und seiner Erfahrungen. Jetzt kam Frau Elisabeth in die
Wohnstube zurück, nahm den gewohnten Platz ein, und während sie mit
gewandten Fingern ihr Strickzeug handhabte, fuhr Förster Krause in
seiner unterbrochenen Vorlesung also fort:

„_Idem_ in dem Jahre 1400. 1431. 1432. 33. und 37. hat die Elbe einen
Theil an der Steinern Brucken verderbt. _Anno_ 1429 haben die Hussiten
alt Dresden abgebrand, nach dem sie den Ort zuvor geplündert: seyn
auch _Anno_ 1430 wieder hieher kommen. _Anno_ 1477 ward das erste
Stuck Geschütz alda gegossen in der Vorstatt, und nach Quedlinburg
geführt, _Anno_ 1491 ist die halbe Statt, wie auch die Vorstatt vor
dem Pirnischen Thore, verbronnen. _Anno_ 1547 hat Churfürst Johan
Friederich zu Sachsen, weilen seyn Vetter, Herzog Moritz, es mit dem
Keyser gehalten, alt Dresden ausgeplündert, vn nev Dresden beschossen;
folgends ward die Bruck von jhme _Mauritio_ fester gemacht. _Anno_
1580 ist das Geistliche _Consistorium_ von Meissen auff Dresden gelegt
worden. _Anno_ 1588 hat man allhie Musterung gehalten, vnd 1466 Männer,
vn zwar in alt Dresden 421, in new Dresden 1045 gefunden. _Anno_ 1617
seyn der Keyser Matthias, König Ferdinand in Böheimb, Ertzherzog
Maximilian zu Oestereich, vnd der Cardinal Clesel, allhie gewesen,
deren Potentaten, ausser deß Herren Churfürsten zu Sachsen, als deß
Herren Wirths dieser Ansehenlichen Herren Gäste, keiner mehr im Leben
ist. _Anno_ 1643 wurden dieser Statt die nothwendige Lebens-Mittel,
wegen der Schwedischen vbel hausens, fast gar entzogen, also daß sie
in 8 Wochen kein Pfund Fleisch in den Fleischbänken haben können.
Daher dan die Churfürstliche Hofstatt nothwendig enger eingezogen
werden müssen. _Tom. 5. Th. Eur. fol. 62. a. Anno 44_ ließ sich ein
Scharpffrichter allhie für einen Einspanninger gebrauchen, welcher mit
seines Wachtmeisters Weib vngebühr getrieben, darüber sie vom Manne
erdapt vnd das Weib gleich nidergemacht worden, der Henker aber ist
von einem Fenster 3 Stockwerk hoch herunder gesprungen, gleichwohl
gefänglich eingezogen worden. Auff 3 Stund von Dreßden hat ein
Geistlicher, vielmehr Gottloser Mann, mit einer Magt im Stall Vnzucht
getrieben, vnd dieweil eine andere Magt darzu kommen, hat er sie mit
einer Mistgabel erschlagen; ist aber nach Dreßden geführt worden.
-- _Idem_ hat sich _eodem anno_ der _Lieutnant_ im hoch preißlichen
Granatierbatailion von Menkwitz auf gräuliche Weise mittelst einer
Pistole selbst entleibtet, eben auf sodanne Art“ --

„Ach, lieber Max“ -- unterbrach hier Frau Elisabeth den eifrigen
Vorleser, und zog ihm sanft das Historienbuch hinweg -- „ich bitte
dich um Alles, dergleichen grauenvolle Geschichten mir nicht mehr
mitzutheilen. Seit dem Augenblicke, als ich die Leiche unseres
Hegereiters mit der zerschmetterten Hirnschale sah, faßt mich immer
ein gewaltiger Schrecken, so oft ich von einem Selbstmörder höre.
Eine solche Erzählung macht mir die Nacht schlaflos, und ungeachtet
du mich im Laufe unserer dreißigjährigen Ehe immer als ein muthiges
Weib wirst gefunden haben, so bin ich doch durch jenen Anblick, und
durch den Gedanken an so manchen Mord, der seit einiger Zeit in unserer
Gegend von dem fremden Raub- und Blutgesindel begangen wurde, so
eingeschüchtert worden, daß, so oft ich jetzt in der Nähe einen Schuß
höre, mich“ --

In diesem Augenblicke fielen ganz nahe zwei Schüsse. Erbleichend sank
Frau Elisabeth in den Stuhl zurück, während Förster Krause raschen
Trittes auf die Hausflur eilte und auf waidmännische Art einen
gellenden Pfiff that.

Fast eine Todtenstille hatte bisher im Forsthause geherrscht, jetzt
wurde es tumultuarisch lebendig. Aus den Stuben des Erdgeschosses
stürzten Jägerbursche, Knechte und Mägde hervor, wohl kennend die
Bedeutung dieses gellenden Rufes, der nur bei wichtigen Vorfällen
Statt fand, und der Befehle des geliebten Dienstherrn mit der Treue
regem Eifer gewärtig. -- „Es sind zwei Schüsse gefallen, dicht am
Hofthore,“ -- sprach der Förster zur neugierig horchenden Umgebung,
„Du, Franz, nimmst Doppelbüchse und Hirschfänger, öffnest leise das
Gartenpförtchen, und lauschest dort. Was Du gesehen, wirst Du mir
schleunigst melden. Ihr übrigen Jäger nehmt eure Gewehre und tretet
vor das Haus, die Knechte machen den Hofhund und die Saufänger los,
und erwarten meine weiteren Befehle. Alles geschehe mit Ruhe und
Besonnenheit. Soll sich das umherstreifende Raubgesindel auf meine
Habe Rechnung gemacht haben, so wollen wir es mit Fassung und Kraft
empfangen, waren aber diese zwei Schüsse vielleicht nur Nothsignale,
so soll man uns zur Hilfe bereit finden!“ -- Es geschah, wie Förster
Krause gebot, der selbst sich schnell bewaffnete, um im Falle der Noth
der Anführer seiner muthigen Hausgenossen zu werden.

Franz kehrte mit der Meldung zurück, daß drei Reiter vor dem Hofthore
halten, daß der eine davon entsetzlich fluche und daß die weißen,
durch das Dunkel schimmernden Mantel und das Klirren der Waffen die
Fremden als Kriegsmänner ankündige. Krause gebot, ein Paar Kienfackeln
anzuzünden und sogleich das Thor zu öffnen. Die Männer ritten ein.
Unter den heftigsten Verwünschungen der Dunkelheit, des strömenden
Regens, des brausenden Windes, schwang sich der vordere Reiter vom
triefenden Rosse, schritt mit schnellen, trotzigen Schritten in
die Hausflur und schnaubte dem Förster mit wilden Blicken die Frage
entgegen, warum man ihm und seinen Begleitern, ungeachtet eines so
lange währenden Pochens und Rufens, nicht Einlaß gegeben und diesem
Hundewetter so lange ausgesetzt habe, bis er gezwungen gewesen sei,
seine Nähe durch Pistolenschüsse anzukündigen. Des Försters einfache
Hinweisung auf die Unmöglichkeit, bei dem heftigen Getöse des Sturmes
und der Regengüsse ein Pochen oder Rufen am fernen Hofthore hören zu
können, würde den Ungestümen wohl schwerlich beschwichtigt haben,
hätte nicht die nun wieder ermuthigte Frau Elisabeth ihn durch die
freundlichste Gutmüthigkeit, mit welcher sie ein gutes Abendbrot,
alten Wein, ein recht weiches Bett und jede mögliche Bequemlichkeit
versprach, kirre zu machen gewußt. Schnell war der Zürnende mit
allen Unannehmlichkeiten dieses Tages versöhnt, und als er, durch
die geschäftigen Hände eines Jägerburschen vom regenschweren Mantel
befreit, in die reinliche, angenehm warme Wohnstube trat und Förster
Krause selbst, ein inniger Freund der Soldadeska, seinem Gaste mit
einem bequemen Nachtanzuge und der Bitte, sich hier wie im eignen Hause
anzusehen, entgegen kam, da betheuerte der Kriegsmann, der Dunkelheit
dieses Abends recht große Verpflichtungen zu haben, daß sie ihn von
der rechten Straße hinweg und über Flur und Wiese in ein Haus geführt
habe, wo solch’ ein treues, freundliches Soldatenherz schlage.

Nach wohlthuendem Vertausche der durchnäßten Bekleidung mit einem
recht gemächlichen Hausanzuge des Försters, setzte sich nun Herr
Justus Hilmer zum Genusse des Abendbrotes nieder, das, ungeachtet das
Försterpaar wie auch die Dienerschaft schon vor einer Stunde zu Nacht
gegessen hatte, so schnell und so reichlich dem Gaste vorgesetzt wurde,
als hätte man seiner Ankunft entgegen gesehen. Auch die beiden Dragoner
erhielten in der Jägerstube ein Abendessen und solch eine freundliche,
aufmerksame Bewirthung, wie es ihnen in ihrem genußarmen Reiterleben
wohl nicht zu oft zu Theil geworden sein mochte.

Herr Justus Hilmer war der gewaltige und gefürchtete Oberprofos der
Vestung zu Dresden. Mit einer Riesengestalt, einem scharfen, feurigen
Blicke und einer stolzen, tiefernsten Haltung vereinte er Muth und
Klugheit.

Die Verwegensten der Baugefangenen, durch Drang nach Freiheit,
durch Verzweiflung über ihre Lage oft zu den kühnsten Empörungen,
zu den gewaltsamsten Angriffen gegen die Militairwache und gegen
die Steckenknechte[31] hingerissen, sanken bis zur sclavischen
Unterwürfigkeit bei dem Erscheinen des gefürchteten Oberprofosen, und
den Listigsten und Hartnäckigsten, die Herr Johann Ephraim Zopf, der
vielerfahrene und verfängliche Festungs-Auditeur, mit allen seinen
Subtilitäten, oft selbst durch die Folter, nicht zum Geständniß so
mancher Uebelthat zu bringen vermochte, wußte der schlaue Hilmer, den
tiefen, zurückschreckenden Ernst in einen herzlichen, vertraulichen,
das Gemüth erschließenden Ton umwandeln, im ganz schlichten Geplauder
oft so Manches zu entlocken, was der Verbrecher in das Tiefste seines
Innern für dieses Leben zu vergraben sich selbst so heilig gelobt
hatte. Der Name des Oberprofos Hilmer war im ganzen Sachsenlande
bekannt, ein Schrecken für Räuberbanden und ein Gegenstand der
Ermuthigung und des Vertrauens für Adelige, Gutsbesitzer, Bürger und
Landleute; denn früherhin, ehe Hilmer zu dieser Stelle befördert
worden, war er als Criminaldiener verschiedener sächsischer Justizämter
bei jedem Streifzuge, bei jedem Angriffe gegen einzelne Räuber wie
gegen ganze Banden immer an der Spitze, und wo der muthige, kraftvolle
Hilmer sich zeigte, da war auf der Seite seiner Parthei der Sieg,
auf der der Gegner die Niederlage, dabei meistens Gefangenschaft
oder Tod, da er dem geschlagenen Feinde fast nie Zeit ließ, sich
durch die Flucht zu retten. Auch jetzt noch, da er zur Stelle eines
Festungs-Oberprofosen aus Anerkennung seiner viel und erfolgreich
geleisteten Dienste für die öffentliche Sicherheit befördert worden,
wurde er zu Unternehmungen gebraucht, wo nur von dem persönlichen Muthe
und der Klugheit des Anführers günstige Resultate erwartet werden
konnten.

    [31] Des Oberprofosen Diener und der Baugefangenen Aufseher.

Als der Oberprofos seinem gastfreundlichen Wirthe sich genannt hatte,
betheuerte Förster Krause, daß heute seinem Hause Heil wiederfahren
sei, denn auch Krause mit seinem nicht unbedeutenden Vermögen stand
als gute sichere Beute auf der Liste einer zahlreichen, verwegenen
Räuberbande, die einige Jahre vorher die Umgebungen von Pirna höchst
unsicher gemacht, aber durch Hilmers Muth und Rastlosigkeit ihr Grab im
Zuchthause und auf dem Rabensteine gefunden hatte.

Herr Justus Hilmer hatte sich an dem leckern und reichlichen Abendbrote
herrlich gelabt. Jetzt kam die Reihe an die Flasche und Wirth und
Gast ließen sich den alten feurigen Wein recht wohl munden; auch Frau
Elisabeth durfte nicht versagen und es wurde manches Gläschen auf
dieses und jenes Wohl geleert.

Nachdem Hilmer erzählt hatte, daß er von Königstein komme, wohin
er mit seinem Reitergeleite drei wichtige Staatsverbrecher zur
lebenslänglichen, strengen Haft abgeliefert habe, und auf der
Rückkehr nach Dresden begriffen sei, kam die Sprache auf die
unterirdischen Gefängnisse dieses als unbezwingbar berühmten
Felsenschlosses, wovon unter dem Landvolke gar sonderbare Gerüchte im
Umlaufe seien. -- „Ich habe nicht Zeit und Gelegenheit gehabt, die
Königsteiner Gefängnisse zu besehen“ -- begann jetzt der Oberprofos
mit wichtiger Miene, und stopfte sich ganz langsam eine Pfeife --
„aber ich wette meinen stattlichen Meklenburger gegen eine polnische
Krabbe, daß jene Gefängnisse noch Lusthäuser sind gegen die, in
welchen ich theils die verwegensten, theils die gravirtesten meiner
Baugefangenen verwahre. Alle die gottlosen Bursche wurden, wie Euch,
mein sehr werther Freund, bekannt sein mag, in frühern Zeiten im
Raths-Stockhause auf der Frohngasse verwahrt, wo sie des Morgens, wie
eine Schafheerde, aus ihren Löchern hervorgetrieben, und _ad opera
publica_, das heißt zum Straßenkehren, Steinführen, Kalktragen u. s. w.
verwendet wurden. Das Rathsstockhaus ist ein uraltes Gebäude, woran
die Zeit mit scharfem Zahne genagt hat. Es hielt nicht schwer,
die morschen Mauern zu durchbrechen, und so gelang es in einigen
Jahren vielen der Inhaftirten, zu entspringen. Die allergnädigste
Landesregierung konnte nicht länger zusehen, daß so viele räudige
Schafe sich zum Verderben der Guten eigenmächtig die Freiheit
verschafften. Es wurde daher allerhöchsten Ortes beschlossen, die
Gefangenen aus dem Raths-Stockhause in die auf der Festung hinter
dem Zeughause befindliche Salomons-Bastei zu versetzen, nachdem
unter selbiger gewölbte Kerker angelegt worden, die da heißen: --
das Salomons-Gefängniß, das Kupfergewölbe, der Baumann und die
Mohrenkammer; ferner wurden drei besondere Gefängnisse erbauet, die,
in der Mitte von Gewölben, für sich wie ein eigenes Gewölbe stehen
und umgangen werden können. Auch unter dem Wilsdrufer Thore haben
wir drei Gefängnisse. Alle diese Kerker sind tief unter der Erde.
Im Kupfergewölbe, in der Mohrenkammer, wo die zur lebenslänglichen
Haft Condemnirten verwahrt wurden, herrscht ewige Finsterniß; nur von
dem Lampenlichte meiner Knechte werden sie, wenn man den Gefangenen
das Essen reicht, oder diese ihre grauenvolle Hölle reinigen müssen,
spärlich erleuchtet. Glücklich diejenigen dagegen, die andere
Gefängnisse bewohnen und zur Arbeit verwendet werden. Sie werden doch
an das helle Tageslicht, in die frische Luft geführt, während jene
nicht Tag, nicht Nacht unterscheiden können, und von der langen Weile,
von den vielfüßigen Plageteufeln, von der verpesteten Kerkerluft und
von den unaufhörlichen Schmerzen, die ihnen der Druck und die Schwere
des Halseisens, des Leibringes und der Hand- und Fußketten verursachen,
zur Verzweiflung gebracht, sich selbst entleiben würden, könnten sie
ihre eingeschmiedeten Hände nur einige Augenblicke frei gebrauchen.“ --

Der Oberprofos leerte nun ein volles Glas Wein in langsamen Zügen
mit vielem Behagen. Krause schob das seine zurück; dem weichherzigen
Manne wäre beim schmerzlichen Hinblicke auf das Jammerleben so vieler
unglücklicher Mitmenschen der köstlichste Rebensaft zum Wermuth
geworden, und Frau Elisabeth fragte mit nassen Augen und leiser Stimme:
ob die Baugefangenen doch satt zu essen und die sonst nöthige Pflege
haben?

„Ja, da hat es sich bei uns mit Kost und Pflege!“ -- lachte der
gewaltige Bagnos-Häuptling[32] mit widerlich verzerrtem Gesichte und
entpfropfte eine neue Flasche. „Meine wertheste Frau Försterin,
erlauben Sie mir, Ihnen eine kurze, aber wahre Schilderung zu machen,
wie es den Inhaftirten ergehet, über welche ich ein christliches,
aber, nach Gestaltung der Dinge und absoluter Nothwendigkeit, oft gar
strenges Commando zu führen bestallt und ermächtigt bin.“

    [32] Sklavenbehältnisse werden überhaupt Bagnos genannt.

„Die Schlafstelle eines jeden Baugefangenen in diesen unterirdischen
Kerkern ist aus Brettern gezimmert, gerade mit nothdürftigem Raume,
um sich ausstrecken und umwenden zu können. Ein mit sehr rauhem Stroh
gefüllter Sack und eine Wolldecke sind das Bett. Frühstück giebt es
nicht; nur jene haben das zum Morgenimbiß, was sie von ihrer Brodration
sich ersparen, die täglich aus 1½ Pfund Brod bestehet und ihnen für
zwei Tage gereicht wird. Wassersuppe und ein Gericht von Hülsenfrüchten
ist das Mittagsmahl, Wassersuppe das Nachtessen. Nur an den größten
Festtagen wird zu Mittag ein Stückchen Fleisch gereicht. Wasser ist das
immerwährende Getränk. Jeder Baugefangene trägt am rechten Fuße eine
schwere Eisenschelle mit schwerer Kette, womit sie nächtlicher Weile
an ihre Lagerstätte, bei Tage aber entweder an den Karren, den sie bei
Bauarbeiten zu ziehen haben, angeschlossen werden, oder die sie bei
andern Beschäftigungen wie einen Gürtel um den Leib tragen. Zu früher
Morgenstunde wird die große Fallthüre, durch die man zur Kerkertreppe
gelangt, und welche den einzigen Eingang zu diesen unterirdischen
Wohnungen bildet, geöffnet, und gleich von Wache mit scharf geladenen
Gewehren umstellt, während meine Steckenknechte, von wohl abgerichteten
Fanghunden begleitet, die Kerkerthüre öffnen, die Gefangenen
losschließen, und sie die Treppe hinaufsteigen lassen. Jeder Kerker
zählt mehr als zwanzig Gefangene, über welche Einer davon, der sich das
meiste Vertrauen durch Fleiß und Stille bei mir erworben hat, gleichsam
die Aufsicht führt. Jeder dieser Aufseher muß nun, ehe die Gefangenen
die Bastei verlassen, Meldung machen, ob sie während verflossener
Nacht gebührliche Aufführung gepflogen haben. Die geringste Klage,
und der Beschuldigte wird ohne gestattete Gegenrede mit Geiselhieben
gezüchtigt. Da setzt es Hiebe, _mul um_, nach allen Dimensionen,
und da darf nicht gemuckst, nicht raisonnirt werden, sonst wird, wie
wir Justizmänner sagen, _portio duplex_ gereicht. Dann schreitet
man zur Tagesarbeit, die im Steinsägen, Reinigung der Geschütze,
Schanzen, Ankarrung der Baumaterialien und Gassenkehren besteht.

Es ist beinahe unbegreiflich, wie solche Elende, die ihren Tag unter
den schwersten Arbeiten hinbringen, nur höchst nothdürftig genährt
werden, und, auf ihrem steinharten Lager von zahlreichem Ungeziefer
gepeinigt, größtentheils die Hälfte der Nacht schlaflos hinbringen,
noch den Muth und so viele körperliche Kraft haben, die anstrengendsten
Versuche zum Ausbrechen aus so festem Gewahrsam zu machen; wie sie,
während der Arbeiten, theils gegen meine Steckenknechte, theils gegen
die Wache die trotzigsten Angriffe wagen; wie sie nächtlicher Weile
sich anfallen, einander blutrünstig schlagen, ja oft schwer verwunden.
Aber wehe dann diesen Bösewichtern am nächsten Morgen beim Rapporte. Da
wird der Angreifende wie der Angegriffene bis an die Hüften entblößt,
mit den Händen an eine steinerne Säule geschlossen, und dann vom
Steckenknechte mit einer schweren, dichtgeflochtenen Geisel meistens
so lange gepeitscht, bis er bewußtlos an der von Blut triefenden Säule
lehnt. Und doch genießen diese Erbärmlichen ein noch viel besseres
Schicksal, als jene, die in der Mohrenkammer und im Kupfergewölbe,
Füße und Hände in Eisen geschmiedet, bei Wasser und Brod, in ewiger
Dunkelheit zur lebenslänglichen, arbeitslosen Haft verwahret werden.
Darunter habe ich einen gewissen Ilmer, der bereits seit 11 Jahren
seinen schauderhaften Kerker noch keinen Augenblick verlassen durfte,
der den Tag mit den gräßlichsten Gotteslästerungen beginnt, immer
darüber blutig gepeitscht wird, und nach dem letzten Streiche wieder zu
lästern anfängt. Eben so“ --

Länger vermochte die mitleidige, gottesfürchtige Frau Elisabeth
solche schaudervolle, schmerzlich ergreifende Mittheilungen nicht
anzuhören. Rasch unterbrach sie den Redseligen mit der Frage: ob diese
Unglücklichen in solch irdischer Hölle nie das Glück und die heilvollen
Wohlthaten des Trostes, der Lehre, der Erbauung aus dem Munde eines
Priesters genießen dürfen. --

„Daran würde es eben nicht mangeln,“ -- erwiederte Herr Hilmer --
„denn unser _Pastor pestilenzialis_, der ehrwürdige Herr Magister
Jonas Krumholz, ist ein gar eifriger Tröster und Bekehrer, der alle
Stunden, die ihm seine Kirchengeschäfte übrig lassen, am Krankenbette
oder mit der Belehrung und Besserung recht arger Sünder hinbringt. Aber
trotz seines frommen Eifers und trotz aller Selbstbekämpfung vermag
er nur selten und nur immer auf sehr kurze Zeit die Gefangenen in der
Mohrenkammer und im Kupfergewölbe zu besuchen, da in diesen Kerkern die
Luft für jeden, der nicht daran gewöhnt ist, so verpestet und vergiftet
ist, daß der ehrwürdige Herr Pestilenzprediger nach jedem solchen
Besuche einige Tage auf dem Krankenlager hinbringen und ärztliche Hülfe
gebrauchen muß.“ --

Unter dem Vorgeben, noch so manches für die nächtliche Bequemlichkeit
des werthen Gastes anordnen zu müssen, entfernte sich jetzt Frau
Elisabeth. Sie hatte zu viel gehört, was ihr sanftes, gefühlvolles Herz
zu schmerzlich verletzte, und die Furcht noch mehr hören zu müssen,
verscheuchte sie aus der Nähe dieses Mannes, der durch seine eisige
Kälte und den menschenfeindlichen Hohn und die rauhe Härte, die sich in
seinen Mittheilungen so scharf aussprachen, ihr immer anwidernder und
furchtbarer wurde.

Auch Förster Krause hatte schon lange satt an dieser unheimlichen
Abendunterhaltung und versuchte nun, das Gespräch auf freundliche
Gegenstände zu leiten. Aber der Oberprofos war im Zuge und
unerschöpflich; er griff nach einer frischen Flasche, und nun mußte
sich der Förster die Lebens- und Leidensgeschichte der verruchtesten
Bösewichter, die in den höllischen Kerkern der Salomons-Bastei
seit Jahren schmachten, weitläufig erzählen lassen; er mußte des
Oberprofosen endlose Klagen über die vielen Gefahren und unerträglichen
Beschwerden seines Amtes unter harter Geduldsprobe anhören. Und trotz
der Jeremiade über Gefahren und Beschwerden versicherte Herr Hilmer
mit schadenfrohem Lachen, daß es nun in seinem Bereiche recht lebhaft
werde, da die hochpreißliche Regierung ein allergnädigstes Mandat
erlassen habe, durch dessen eifrige und kluge Handhabung in kurzer Zeit
eine recht zahlreiche Rotte von Spitzbuben seinem Kommando überliefert
werden würde.

„Ich will nun nach meinem treuen Rosse und nach meiner Begleitung
sehen, während Sie dieses vortreffliche Mandat lesen sollen!“ --
Mit einiger Mühe erhob er sich nach diesen Worten aus dem weichen
Lehnstuhle, reichte dem Förster das Mandat und wankte, in Folge des zu
reichlich genossenen Weines, mit unsicheren Schritten aus der Stube.

Der Förster las:

„Wir Friedrich Augustus, von GOttes Gnaden, König in Pohlen, Herzog zu
Sachsen, Jülich, Cleve, Berg, Engern und Westphalen etc. etc.

Chur-Fürst etc. etc. [33] Entbiethen allen und jeden unsern Praelaten,
Grafen, Herren, denen von der Ritterschafft, Ober-Creyß-, Haupt-
und Amtleuten, Schössern, Verwaltern, Bürgermeistern und Räthen in
Städten, Richtern und Schultheissen, auch insgemein allen unsern
Unterthanen, unsern Gruß, Gnade und geneigten Willen und fügen
Denenselben hiermit zu wissen, wird ihnen auch schon sonst bekannt
sein, was massen einige Zeit her, und nur noch kürzlich hin in unserm
Churfürstenthum und denselben incorporirten Landen, sowohl in denen
Städten, als insonderheit auf dem Lande an vielen Orthen, allerhand
gewaltsame Einbrüche geschehen und vielfältige Raub- und Diebereien,
theils mit großer Gewaltthätigkeit, auf denen öffentlichen Strassen
und Ritter-Sitzen und sonst hin und wieder ausgeübet, auch sogar
einige Gerichts-Herren, un andere in Fehdebriefen bedrohet, und
dergleichen ihnen verwegener und boshafter-Weise zugeschickt werden.
Worauß denn, daß sich eine große Menge räubrisches Diebs-Gesindel
zusammengeschlagen haben müsse, abzunehmen; Und wenn solchem Uebel
nicht in Zeiten, und mit Nachdruck gesteuert werden solte, zu besorgen
stehet, das solcherlei und andere Frevel-Thaten noch mehr begangen
und endlich niemand bei dem Seinigen, zumal uffm Lande, un in denen
Dörffern ferner sicher, sondern wegen seines Vermögens, auch Leibes
und Lebens, in steter Gefahr sein würde, nun ist zwar erinnerlich, wie
wir schon vormahlen, um sothanen heillossen, Land-Fried-brüchigen und
räuberischen Wesen ernstlich zu steuern un abzuhelfen, unterschiedene
Verordnungen und _Mandata_, insonderheit unterm 27. Febr. 1706, wie
und auf was Masse solchem leichtfertigen und bösen Volke beizukommen
un dasselbe zu vertreiben, oder zu erlangen, als auch wegen der
Wirths Häuser, Schenken und Herbergen, daß darinnen keine fremde
oder verdächtige Persohnen, ohne vorher beschehe Anzeige, bei denen
Gerichts-Herren oder Gerichten des Ortes aufgenommen und beherberget,
wie ingleichen nachgehends vom 28. Julij des 1708ten Jahres, daß
Niemand, dessen Person, Wesen, und Geschäffte nicht bekannt, über eine
Nacht nicht gehauset werden sollte, ins Land ergehen, und publiciren
lassen, deme aber entweder gar nicht, oder doch nicht genugsam an
befohlener Maasen, nachgelebt worden sein mag; Weil, wie oberwehnet,
solch böses und räuberisches Wesen, noch immer zu fortgetrieben, ja
jetzo mehr als vorhin jemahls geschehen, ausgeübet wird, und die meiste
Schuld hierunter wohl deme mit beizumessen ist, daß alle Fremde un
Unbekannte ohne Unterschied, in denen Gasthöfen, Wirths-Häusern und
Schenken aufgenommen werden und ihr Unterkommen finden können, ja wohl
gar das geraubte und gestohlene Guth von denen Wirthen und andern, mit
verparthieret und verheelet wird, dahero wir aus Landes-Väterlichen
Vorsorge, so wie für unsere Lande und Leute Wohlfahrt, und Aufnehmen,
auch die allgemeine Sicherheit allezeit, beständig tragen, der
Nothdurft befunden, sowohl obangezogene unsere _Mandata_ und heilsame
Verordnungen nochmals zu _renoviren_, deren Inhalt nach, hiedurch
anderweit zu wiederhohlen, und nachfolgender maasen zu verbessern und
zu schärffen, als auch allen unsern Beamten, Gerichts-Herren, und
Obrigleiten hiermit abermahlen ernst un nachdrücklich zu befehlen,
daß sie, und zwar die Räthe in denen Städten, die Häuser zum öfftern
_visitiren_ und, wenn Leute, so keine gewisse Handthierung haben,
oder worvon sie sich sonst ehrlich und redlich erhalten, nicht
anzugeben wissen und beizubringen vermögen, angetroffen werden,
selbige alsofort in Verhaft nehmen, wegen dererselbigen vorherigen
Verhaltens genaue Erkundigung einziehen, und nach Befinden wieder
sie gebührend verfahren, die Gerichts- und andern Obrigkeiten uffm
Lande aber, die unter ihrer _jurisdiction_ befindlichen Schenken
und andere Wirthe, so Fremde beherbergen oder bei denen dergleichen
einzukehren pflegen, darauf, daß sie alle Abende, wenn welche bei
ihnen, denen Gerichts-Herren selbst oder auch in deren Abwesenheit und
Entlegenheit, wenigstens bei denen Pachtern, Verwaltern, Richtern,
Schöppen, und übrigen Gerichts-Persohnen, allemal richtig anzeigen und
angeben solten, verpflichten lassen, immassen wir denn wenn ein Gast-
und Hauswirth, oder ein anderer dergleichen böse Leute wissentlich
aufnehmen, und verheelen solte, denselben, nach Befinden, mit Leibes-
auch wohl Lebensstrafe, gleich denen Räubern selbst, belegen lassen
wollen, diese hingegen, wenn einiger Verdacht, oder wiedrige Vermuthung
wider die angekommenen Fremden und Unbekannten vorhanden, oder sich
sonst herfür thun möchte, sich dererselben Personen, und bei sich
habender Sachen alsofort versichern, sie in genaue Verwahrung bringen
lassen, ihrenthalben weiter _inquiriren_, und ferner behörig verfahren
sollen, und da ein Gerichts-Herr oder Beamter befunden werden solte,
welcher sich diesfalls seiner Pflicht gemäß nicht bezeiget, oder
durch dessen Verschulden, dergleichen Räuberischen Gesindel sich zu
salviren die Zeit und Gelegenheit gegeben worden wäre, ein solcher
Gerichts-Herr wie auch Beamter soll das erste mal mit einer Geldstrafe
von 100 Thalern, das andere mal aber der Gerichts-Herr mit Verliehrung
seiner Gerichte auf eine Zeitlang oder auch wohl gänzlich, und der
Beamte seines Dienstes, nebst noch anderer willkührlicher Strafe nach
Befindung der Sache, angesehen werden: Nicht weniger sind auch die
sämmtlichen Inwohner, bevorab auf dem Lande, und in denen Dörfern dahin
zu ermahnen und anzuweisen, auf alle und jede Fremde und Verdächtige,
so sich bei ihnen und in ihren Gegenden sehen lassen, ebenmäßig genaue
Acht zu haben und auch hievon bei denen Gerichts-Herren oder Gerichten
ungesäumte Anzeige zu machen, widrigens und da sich äußern sollte, daß
jemand diese Anzeige nicht gethan, wider selbigen soll mit ernster,
auch befundenen Dingen nach mit Leibes-Strafe verfahren: Dargegen aber
auch einen solchen der dergleichen Anzeigung thut, gestalten Sachen
nach, deren bei denen angezeigten Räubern befundenen Mobilien, wenn
ein anderer das _Dominium_ darzu nicht genüglich beweisen könnte, auf
welchen Fall, gleichwohl von jedweden, der eingebracht wird, 10 Rthler
aus Unserer Obersteuer-Einnahme gereichet werden sollen, das andere
Drittheil denen jenigen so zu Einholung desselben die Folge geleistet,
zu gute kommen, das Uebrige aber zu Bestreitung derer, bei solchem
_Casu_, etwan gemachten Unkosten angewendet werden.

    [33] Wört- und buchstäblich nach der Urschrift.

Wir befehlen und verordnen über dieses noch ferner hiermit, daß
zuvörderst in denen Dörffern auch denen kleinen offenen Städtgen
gewisse Wächter, und zwar deren wenigstens zweene, oder nach
Gelegenheit der Größe oder Situation der Oerter, mehrere derselben so
allerseits mit tüchtiger Wehre zu versehen bestellt werden, welche
ordentlich, so wohl des Tages als des Nachts, und zwar des Nachts, wie
auch unter währenden GOttes Dienstes stärker, als um welche Zeit die
Leute meistens von ihren Häusern entfernt, mithin die Gefahr, wie auch
Gelegenheit zum Stehlen um so viel größer ist, herumgehen, und wo sie
was merken bei der Gemeinde Lärmen machen, selbige, wenn es in der
Nacht geschiehet, aufwecken, und zur Hilfe rufen, auch bei dergleichen
sich hervor thuender großen Unsicherheit im Lande, jedoch nur so lange
wie sie währet, und wenn die Unterthanen dazu sonst nicht auf eine
oder andere Art verbunden, und gehalten sein, ohne Folgerung, die
Ritter-Sitze und Höfe, wie solches ohne dem in der Landes-Constitution
_parte 2 da Constitut. 51._ enthalten sein, zugleich mit bewachen,
sonst aber jegliche halbe Stunde, gleichwie, in denen Städten
geschiehet, mit einem Horn an denen dazu beniemten Orten, zum Beweiß
ihrer Wachsamkeit, und daß noch nichts Verdächtiges wahrgenommen
worden, ein Zeichen und Laut von sich geben sollen.

Uebrigens ist durchgehends im Lande die ungesäumte Verfügung und
Anstalt zu machen, daß, wenn einiges Räuber- und Diebsgesindel,
deren Kleidungen, dem Vernehmen nach, auf solcher Art gemachet sein
sollten, daß sie selbige sogleich umwenden, und auff beeden Seiten
tragen, folglich sich darmit, wenn es nöthige alsobald verstellen
können, sich sollte blicken lassen, selbigem also gleich, um sie zur
Haft zu bringen, und fest zu machen, benöthigten Falles mit Zuziehung
bewehrter Mannschaft, deren einige wohl gar beritten zu machen, und
darmit auch die benachbarten Dörfer also fort zusammen kommen und
hülfliche Hand bieten können, mit dem Glocken-Schlage zu verfolgen,
fleißig nachgestellet, auch, da nöthig zu schleuniger Aufbietung
der Amts-Folge und anderer bedürffender Anstalten, in Unsere nächst
angelegene Aemter, oder andere Gerichte, benöthigte unverzügliche
Nachricht, entweder durch abzufertigen habenden Boten, zu Fuß, oder
zu Pferde, wie solches die Zeit und Gelegenheit leidet, ertheilet,
zugleich die dergestalt verdächtig-verspührten Personen, damit
sie, wenn sie anderwärts hin sich _salviren_ sollten, also gleich
erkennet werden, an ihren Kleidungen, auch sonsten beschrieben, der
Orth, wo solche benachbarte Gemeinden, mit der Folge ohngefehr sich
zu stellen haben, benennet, hiernächst von denjenigen Gemeinden, an
welche die erste Nachricht dergestalt ertheilet worden, davon, aus
eben dergleichen Art, die ihnen nächst gelegenen Dörfer, und so
ferner, in so weit es nöthig erachtet wird, benachrichtiget, und, da
die Gerichts-Herren, Beamte, oder Gemeinden, hierinnen sich säumig,
oder sonsten ihrer unterthänigsten Schuldigkeit gemäß, nicht bezeigen
sollten, wider selbige mit schon obberührter Strafe verfahren. Wie
nicht weniger wenn sich einige merken ließen, von denen, daß sie zu
einer Räuberbande oder Diebsrotte gehören, starker Verdacht vorhanden,
auff selbige, wenn sie sich zu gefährlicher Wehre oder mit Gewalt,
aller Warnung ungeachtet, widersetzen, und sie ohne Gegen-Gewalt, und
andere Gestalt nicht, zur Haft zu bringen sein möchten, allenfalls
Feuer gegeben, und ihnen dadurch Verwundungen beigebracht, oder sie
wohl gar darnieder geschossen, oder todt geschlagen, insonderheit,
damit sie sich, wie bishero geschehen, in denen Wäldern, nicht
aufhalten können, diese fleißig, und zwar, so viel die Unsrigen
betrifft, damit an denenselben und an der Wild-Bahn Uns kein Schaden
zugezogen werde, mit Zuziehung, und unter der Anführung Unserer
Jagd und Forst-Bedienten, die Wir hierzu absonderlich befehliget
haben, wobei auch zugleich entweder Unsere Beamten selbst, oder
doch einige Personen, so beim Amte verpflichtet, mit zugegen sein,
und die Amts-Land- und Stadt-Knechte mit ihren Fesseln und Banden
dahin mitgenommen werden sollen, durchsuchet und durchzogen, wenn
darinnen Unbekannte, so Schießgewehre bei sich haben, angehalten.
Nicht minder auch von denen Fehr- und Schiff- auch anderen Leuten, so
an denen Strömen und Flüssen, sonderlich an der Mulda als woselbst
sich dergleichen böses Volk am meisten blicken lassen soll, wohnen,
bei Strafe des Vestungs-Baues, niemand ohne richtigen Obrigkeitlichen
Paß, weder bei Tag noch Nacht über geführet: Sondern dergleichen
Personen bei denen Beamten oder Gerichts-Herren also gleich anzeiget,
und von diesen angehalten, das Schiß-Geveße und Kähne auch nicht so
bloß auf denen Strömen und Flüssen, damit sich deren nicht selbst
zur Ueberfahrt bedienen können, gelassen, sondern angeschlossen und
feste gemacht werden, und wenn, wie allbereit verlauten wollen, die
hin und wieder gehenden Posten unterwegs angegriffen werden sollten,
ist solches alsofort von denen _Passagieres_ und Postillons in denen
nächsten Gerichten und Orten wo sie am ersten darauf zu kommen
unverzüglich anzugeben und von selbiger Orts-Obrigkeit, alsofort ohne
dem geringsten Zeitverlust, denen Räubern jetzt vorgeschriebener
maassen, fleißig nachzusehen, weilen auch hiernächst zu vermuthen, daß
sothane allerseits Anstalten bei einem oder andern Gerichts-Herren
und Obrigkeit, da zumal die Räuber und Diebe sich stark zusammen
halten, und in Anzahl mit einander kommen, oder angetroffen werden
sollten, nicht genugsam zulänglich sein dürften, oder auch wohl
gar darbei, und sie anzugreiffen, oder sich ihrer zu bemächtigen,
einige Gefahr und Furcht vorhanden sein möchte, als haben so denn
erwähnte Gerichts-Obrigkeiten zu dem Ende, und auf benöthigten Fall,
die nächsten Beamten, oder ander Gerichte -- um Assistenz hierunter
schrifft- oder mündlich, nachdem es die Zeit und Beschaffenheit der
Umstände zulassen, oder erfordern will, zu requiriren und zu ersuchen,
als welches niemanden, an der, ihm sonst zustehenden Gerichtsbarkeit,
und habende Befugniß, präjudiciren soll; diese aber ihnen hierauf mit
aller Neben-Anstalt, Mannschaft und Gewehr, auch andern Bedürfnisse
und Verfügung, nach äußersten Möglichkeit willigst beizustehen, und
hilfreiche Hand zu leisten, kraft dieses befehlichet sein sollen,
woferne auch von solchem Landräubereischen Diebs-Gesindel ihrer so
viel ertappet, und eingefangen würden, daß die Gerichts-Obrigkeit ufm
Lande, so solche bekäme; selbige bei sich, und in ihren Gerichten,
ermangelnder Behältnisse und anderer mit einlaufenden Umstände
halber, nicht sicher genug, oder allezusammen verwahren könnte, so
können wir geschehen lassen, daß sie dieselben an Unsere ihnen
nächstbenachbarte Aemter überliefern, und abgeben mögen, Unsern Beamten
aber, selbige unweigerlich anzunehmen, und sie bei ihnen inmittelst
feste zu verwahren, also fort aber an unsere Landes-Regierung, allhier
zu fernerer Resolution bei Tag und Nacht ungesäumt ihren Bericht
zu erstatten hiermit schuldig und gehalten sein sollen. Da denn
sofort ohne Weitläufigkeit wider sie zu verfahren. Und weilen durch
dergleichen Einbrüche gewaltsame Thaten und Räubereien nicht nur der
öffentliche Land- und Hausfriede gebrochen wird, sondern auch solche
gemeiniglich des Nachts geschehen, und die Erfahrung zugleich bezeuget,
daß Unterschiedene, so dieses Unglück betroffen, sowohl ihres Vermögens
beraubet, als auch um selbiges anzugeben, insgleichen kein Geschrei
und Aufrufen zu machen, bis auf den Tod gepeiniget, geschlagen und
verwundet worden, solchem nach aber, daß dieses böse zusammen rottirte
Volk darbei zugleich _animum occidendi_ habe offenbahr, so sollen
sodann diejenigen, welche bei dergleichen That und Rotte angetroffen
und verfolget werden, ohne Unterschied, ob sie solche selbst verübet,
oder nur auf der Wacht gestanden, ingleichen, ob sie was von dem Raube
genossen oder nicht, an dem Leben, nach Beschaffenheit der vorfallenden
Umstände durch den Strang oder Rad gestrafet, diese Strafe auch
an der Landstraße, der Stadt oder Dorfes, wo die That geschehen,
exquiret werden. Worbei es denn auf ihr eigen Bekenntniß, und daß
solches _praecise extorquirt_ werden müsse, eben nicht ankommen,
sondern genug sein soll, daß sie bei dergleichen Gelegenheit ertappet
werden; Gestallt den auch nicht minder bei solchen Personen, wider
welche ein zugänglicher Verdacht, daß sie von dergleichen Banden
sein möchten, füglich zu fassen, der starke Staupen-Schlag, und noch
darauf der Vestungs-Bau -- statt haben soll, wann bei ihnen die zu
gewaltsamen Einbrüchen brauchende Instrumente, von Brech-Stangen und
dergleichen, oder auch einige von denen geraubten Sachen, welche der
Eigenthums-Herr, deme sie geraubet worden, eidlich beschweret, oder
dessen er sonst durch zwei tüchtige Zeugen zu überführen, befunden
werden, und der Beschuldigte nicht sofort _incontinenti_ beibringen
kann, wie auf was Art er zu denenselber rechtmässiger Weise gekommen,
da denn das selbst eigene Geständniß ebenermaßen nicht nöthig, und
haben wir, daß unsere Schöppen-Stühle und andere Rechts _Colegia in
sententionando_, sich hiernach achten sollen, an dieselben Verordnung
gethan.

Ferner soll das, in großer Anzahl, aus andern, in unserem Lande
sich hereingezogene, und faßt durchgehends sich befindliche viele
Bettel-Volk und _Vaganten_ durch jedes Ortsgerichts-Hülfe, aus einander
getrieben, die so hiesige Unterthanen, und im Lande geboren sein, im
Fall sie solches durch richtige Zeugnisse worunter aber diejenigen,
so von denen Richtern und Gemeinden in denen Dörfern ertheilet und
ausgestellt werden, nicht paßiren sollen, oder vor gültig zu halten
sind, darthun und erweisen können, in die Städte, Flecken, und Dörfer,
woher sie gebürtig oder, wo sie sich sonsten aufgehalten haben, zurück
verwiesen, durch zulängliche Personen von einem Orte zum andern biß
dahin geschaffet, und da sich findet, daß sie desfalls etwas falsches
angegeben, sogleich zur Haft gebracht, und zu weiterer Verordnung
zu unserer Landes-Regierung, Bericht erstattet, sonst aber daselbst
zur Arbeit angehalten, oder nothdürftig verpfleget, die fremden und
müssigen Bettler aber, auf jetzt erwähnter maasse, von einem Ort zum
andern, unter ernster Bedrohung, daferne sie in hiesigen Landen, beim
Bettlen wieder betreten werden, sie mit scharfer, auch befindenden
Dingen nach, mit Leibes-Straffe, als Staupen-Schlag und dergleichen,
beleget werden sollten, über die Gränze und wieder außm Lande
geschaffet, auch diejenigen, welche mit Ungestüm das Almosen fordern,
und wenn ihnen solches nicht also gleich, oder ihrem unverschämten
Verlangen nach, nicht genug gegeben und gereichet wird, darmit
nicht zufrieden sein wollen, und sich trotziger oder bedrohlicher
Worte vernehmen lassen, oder gar in der That sich dergestalt wieder
diejenigen, so ihnen nach ihrem Armuth oder Vermögen doch etwas geben,
oder sie gar, nach Beschaffenheit abweisen, ungebührlich bezeigen,
durchgehends aber, und ohne Unterschied alle Bettlere, so mit Degen
oder Schieß-Gewehre versehen, also gleich in Verhaft genommen, jedoch
diejenigen, so durch Krieg vertrieben, oder sonsten aus Verfolgung und
anderer Mitleidens-würdiger Noth und Drangsal in unsere Lande sich zu
begeben und darinnen Aufenthalt und Unterkommen zu suchen, wahrhaftig
und in der That genöthigt worden, zwar noch zur Zeit, wenn sie ihres
Armuths- und Beschaffenheit halber, glaubwürdige Zeugniß vorzuzeigen
haben, längstens noch eine Zeit von 4 Wochen _a dato publicationis_
dieses unsers Mandats an, wenn sie sich freiwillig eher wegbegeben
wollen, geduldet und gelitten, nach Verfließung derselben aber, es mit
ihnen, gleichwie von andern nur obgemeldet, gehalten. Das unverschämte
langweilige Betteln aber ihnen untersaget, und verwehret, und sie
hingegen zur Hand- und anderer Arbeit worzu sie tüchtig und geschickt,
anhalten und angewiesen, auch sollen die Unkosten, so unsere Beamten
bei einer oder anderer dergleichen Veranstaltung nothwendig und
unumgänglich aufwenden und verlegen möchten, ihnen auf ihre, hierüber
zu unserer Landes-Regierung erstattete Berichte, aus unserer Cammer
wieder erstattet und bezahlt werden.

Schlüßlich leben wir auch noch zu allen und jeden Gerichts-Obrigkeiten
und unseren sämmtlichen getreuen Unterthanen, des gnädigsten
Vertrauens, sie werden sowohl das, von uns hierinnen, und vormals
anbefohlene, genau und allenthalben bestens beobachten, und
demselben durchgehends gehorsamst nachkommen, als auch was sie
sonst zu Erreichung des hierunterführenden heilsamen Absehens, der
sich ereignenden Beschaffenheit nach, vor nützlich, nöthig und
zuträglich befunden werden, von selbsten anzuwenden, vorzukehren,
und zu veranstalten auch an Hand zu geben, vornehmlich aber, wie das
Räuberische Diebs-Gesindel auszukundschafften und zu ertappen, oder
fortzujagen, und zu vertreiben, möglichst bemühet sein, auch hierzu
sich um so viel mehr willigst anstellten, und bereit erfinden lassen,
als wohl hierunter die löbliche Absicht zu ihrer selbst eigenen und
des Ihrigen _Conservation_ geführet; Mithin zugleich die allgemeine
Landes-Sicherheit befördert, und festgestellt wird, wornach sich
jedermänniglich zu achten, auch vor Schaden, und bey Unterlassung
seiner Schuldigkeit und Pflicht hierunter, für schwerer Bestrafung zu
hüten, und wohl für zusehen hat; Des zur Urkund ist dieses mit unserm
Königl. Chur-_Secret_ besiegelt, und geben zu Dreßden, am _16. Sept.
Anno 1710_.

    _Egon_ Fürst zu Fürstenberg.

                Otto Heinrich Freyherr von Friesen.

          Johan Christoph Günther.“ _S._

„Haben Sie gelesen, Werthester?“ -- fragte der rückkehrende Oberprofos.

„Ja wohl,“ -- entgegnete der Förster, -- „und mich höchlich erfreuet
über die gemeinnützigen Verfügungen, welche unser allergnädigster
Landesherr für das gemeine Beste so umsichtig getroffen hat, wobei ich
nur wünsche, daß diesen Verfügungen mit Kraft und Eifer genüget werde.“

„Es ist auch die höchste Zeit dazu,“ -- fiel Herr Hilmer ein -- „denn
kein Edelsitz und kein Bauernhof, selbst nicht die landesherrlichen
Gebäude und die Privathäuser in unsern Städten, sind mehr vor diesem
Raubgesindel sicher, das seine Streiche eben so schlau als verwegen
ausführt.“

„Die Bande, welche nun in unserm Sachsenlande so verderblich hauset,
und sehr zahlreich ist, nennt sich die schwarze Garde, und ihr
Oberhaupt, Lips Tullian, eine tollkühne, pfiffige Bestie, schon lange
als vogelfrei ausgerufen, hat bisher alle Bemühungen unserer muthigsten
und klügsten Häscher zu Schanden gemacht. Aber auf dieses Mandat hin
werde ich mir vom hochpreißlichen Festungs-Commando die Vergünstigung
erbitten, ganz allein auf den Fang dieses Erzbösewichts ausgehen zu
dürfen. Freund, er muß mein werden, er und die Gefürchtetsten seiner
Bande, dafür hafte ich mit meinem Kopfe.“

„Dazu wünsche ich Glück. Dieser Fang wäre für das ganze Land, ja auch
für andere Staaten, eine große Wohlthat, und für Sie, Herr Oberprofos,
ein werthvolles Ereigniß, da, ohne Zweifel, auf den Kopf solch eines
furchtbaren Menschen von der Regierung gewiß eine hohe Prämie gesetzt
ist.“

„Was Prämie!“ -- lachte der Oberprofos mit wild rollendem Auge und
grimmig verzerrtem Gesichte -- „Um Geld ist mir nicht zu thun, sondern
um den Spitzbuben und seine Hauptgesellen. Herr, das Herz im Leibe
zittert mir vor Freude, bei dem Gedanken, diese Bestien unter meine
Obhut zu bekommen. Es soll ihnen ein Leben werden, daß sie täglich Gott
bitten, auf dem Rabensteine zu enden. Getreulich will ich dafür sorgen,
in meinen unterirdischen Kerkern diese Hunde schon diesseits alles
abbüßen zu lassen, was sie gegen Gott und den Nächsten verschuldet
haben. Nun gute Nacht, mein gastlicher Freund. Den herzlichen Dank für
so treffliche Bewirthung und Gesellschaft, behalte ich mir auf morgen
vor.“

Mit einer recht unangenehmen Empfindung sah Förster Krause dem
Abgehenden nach. -- „Lieber, himmlischer Vater,“ -- sprach er wehmüthig
mit einem frommen Blicke nach oben -- „zürne mir nicht, wenn ich in
meinem beschränkten Geiste nicht zu fassen vermag, wie es dir genehm
sein kann, unter deinen guten Kindern Menschen walten zu lassen, die
solch einem Menschen verfallen!“ --



XXVII.

Eine unerwartete Nachricht.

    Ha, wir sind frei, und Spott und Hohn,
    Ist euer Theil nun, tück’sche Schergen!

                             . . .


Dem Gewittertage und der stürmischen Nacht war ein herrlicher Morgen
gefolgt, der selbst in dieser schon unfreundlichern Jahreszeit alle
Annehmlichkeiten eines lieblichen Maimorgens bot.

Aber alle Reize der Natur blieben von dem Oberprofosen unbeachtet und
ungefühlt.

Aus einem übergroßen Pfeifenkopfe qualmend, ritt er gemächlich dahin,
aufmerksam dem Gespräche der dicht hinter ihm folgenden Dragoner
horchend, die anfangs sich im Anpreisen der köstlichen Bewirthung,
der weichen Betten und der anmuthigen Freundlichkeit der Ancillen
überboten, dann auf die Erzählungen der Jägerburschen übergingen,
wie diese mit Muth und Klugheit so manchen Wilddieb und auch erst im
verflossenen Jahre eine höchst berüchtigte Zigeunerbande eingefangen
hatten.

Das war für Herrn Hilmer eine gar angenehme Unterhaltung. Die Dragoner
mußten ihm zur Seite reiten und bis auf den geringfügigsten Umstand
alles wiederholen, was ihnen die tapfern Waidmänner zum Besten gegeben
hatten.

Förster Krause hatte seine Gäste zum Frühstücke mit Schinken und Rum
bewirthet.

Herr Hilmer fühlte jetzt Durst und trabte frisch darauf los, um bald
eine Schenke zu erreichen.

Kaum hatte er sich vom Rosse geschwungen und für sich und seine Reiter
eine Kanne Bier erhalten, als ein ländlich- aber wohlgekleideter Mann
an die Schenke trat und sich ein Glas Doppelkümmel reichen ließ.
Schweigend und mit einer Miene, die Kummer und Bangigkeit verrieth,
nahm er am Tische des Oberprofosen Platz.

„Mit Gunst, mein lieber Mann! Woher des Weges und warum so
niedergeschlagen?“ -- fragte Hilmer, der, nur immer mit Plänen zur
Einfangung des Raubgesindels beschäftigt, mit jedem, der ihm aufstieß,
ein Gespräch pflog, um vielleicht dort und da etwas ihm Nützliches zu
erspähen.

„Ich bin der Krämer von dem nächstgelegenen Dorfe,“ -- erwiederte der
Mann -- „und kehre von Dresden nach Hause, wo ich Waaren bestellt habe.
Der Herr fragt mich, warum ich so niedergeschlagen bin? Ach, lieber
Himmel, wer kann denn noch ein frohes Herz im Leibe haben bei diesen
schweren Zeiten, wo man keinen Augenblick vor Beraubung, Mord und
Brandstiftung sicher ist. Unser Dorf zählt an Männern und mannhaften
Burschen 64 Köpfe, lauter gesunde, stämmige Leute, alle mit Waffen
versehen, und doch muß bereits seit einem Jahre immer die Hälfte davon
die ganze Nacht hindurch im Dorfe und um selbes patrouilliren, wenn wir
gegen Zigeuner, Diebe und Räuber unsere Habe kräftig schützen wollen.“

„Ihr werdet bald ruhiger leben,“ -- tröstete der Oberprofos den
Bekümmerten -- „Unser allergnädigster Landesherr hat ein gar mächtiges
Mandat gegen das Diebs- und Raubgesindel erlassen und wir dürfen
von dem bekannten Eifer der Behörden mit Zuversicht erwarten, unser
beängstigtes Sachsen in kurzer Zeit der Gefahr und Furcht erledigt zu
wissen.“ --

„Ach, Herr Kriegsmann,“ -- sprach der Krämer -- „ich fürchte, die
Gefahr sei jetzt beinahe noch größer und das Verderben sicherer, als
selbst in der bisherigen, so unsichern Zeit. In verflossener Nacht
sind auf dem Festungsbaue zu Dresden acht Gefangene ausgebrochen,
worunter sich der so gefürchtete Lips Tullian befindet.“

„Hölle und Teufel!“ -- schrie der Oberprofos und sprang mit grimmiger
Geberde auf.

Doch bald wich der Hitze rasches Aufbrausen einer ernsten Besonnenheit
und das von einer wilden Aufregung dunkel entflammte Gesicht ward zur
höhnisch-verächtlichen Miene, mit welcher er dem Krämer sagte: „Bewahre
Er vorlauter Patron seine Zunge besser und erkühne Er sich in Zukunft
nicht, dergleichen einfältige Schwänke sich gegen mich zu erlauben;
denn er soll hiemit bedeutet werden, daß ich der allergnädigst
bestallte Oberprofos der Festung Dresden bin, daher wohl und genau
wissen müßte, wenn ein so berüchtigter Räuber, wie genannter Tullian
ist, sich unter den Baugefangenen allda befinden würde.“ --

„Zürnet nicht, gestrenger Herr Oberprofos,“ -- entschuldigte sich der
demüthige Krämer mit einem tiefen Bücklinge, -- „daß ich in meiner
gemachten Aussage zu verharren mir erlaube. Benannter Lips Tullian
hat einige Stunden nach seinem Ausbruche einen Brief an den Herrn
Oberzeugmeister Schmit mittelst eigenen Boten gesandt und darin
schwere Beleidigungen und Spottworte gegen den wohledeln Herrn Schmit,
wie auch gegen alle gestrengen Herren Befehlshaber ausgestoßen. Am
Schlusse dieses Briefes machte er sich besonders darüber lustig, daß
man so eifrig dem Lips Tullian nachstrebe, während man ihn schon lange
in Haft gehabt und den von ihm angegebenen Namen „Mengstein“ immer mit
der einfältigsten Treuherzigkeit als seinen wahren angenommen habe.
Auch berief sich Tullian auf zwei Baugefangene, die, als seine frühern
Gefährten, nicht leugnen werden, daß er wirklich der so allgemein
gefürchtete und verfolgte Lips Tullian sei. Es verhielt sich auch
wirklich so. Die zwei Baugefangenen, welche gleich nach dem Einlaufe
dieses Briefes in das Verhör und, weil sie hartnäckig leugneten, auf
die Folter gebracht wurden, gestanden schon unter den Daumenschrauben,
daß der Baugefangene Simon Mengstein wirklich der unter dem Namen Lips
Tullian berüchtigte Anführer der schwarzen Garde sei.“

„Gestrenger Herr Oberprofos, gefälligen Sie, hier im Wirthshause,
wie in der ganzen Gegend umher über mich Kunde einzuholen, und Sie
werden hören, daß ich ein rechtschaffener, wahrheitsliebender Mann
bin. Was ich hier erzählt habe, erfuhr ich schon heute gleich nach
Tageseinbruch, denn der Fourierschütz des Herrn Oberzeugmeisters
Schmit, mein Stiefbruder, rüttelte mich aus dem Schlafe auf, um mir
diese, für das ganze Land so schreckhafte Neuigkeit mitzutheilen, die
mich auch bewog, gleich nach meinem Dorfe aufzubrechen, und meine
Nachbarn auf die neuerdings und recht verderblich uns drohende Gefahr
schleunigst aufmerksam zu machen.“

Der Oberprofos rief mit donnernder Stimme nach seinem Rosse, warf ein
Stück Geld für die Zeche hin, schwang sich unter gräßlichen Flüchen
über die dumme, faule, unvorsichtige Bestie von Stockmeister auf, und
sprengte mit verhängten Zügeln Dresden zu.



XXVIII.

Der Ausbruch der Baugefangenen.

    Was sollen länger wir hier weilen?
    Nur muthig drauf, ein rastlos Feilen
    Eröffnet uns der Freiheit Thür --
    Drum frisch an’s Werk! -- was zaudert Ihr?

                                   . . .


Blicken wir auf die Baugefangenen zurück, so wissen wir, daß dort
Lips Tullian mit Sarberg und den übrigen eingefangenen Genossen große
Hoffnung, sich zu befreien hatten und sehnsüchtig der Stunde harrten,
wo sie aus ihrem Kerker ausbrechen konnten.

Der Tag war, wie wir früher gefunden haben, so gewittervoll, daß
die Baugefangenen schon zur Mittagsstunde in ihre Gefängnisse
zurückgebracht werden mußten. Das Brausen des Windes, das Rauschen der
Regengüsse machten das Geräusch des Sägens für die Schildwache auf dem
Walle unhörbar. Die Strickleiter und die Brechstangen wurden aufgezogen.

In weniger als zwei Stunden hatten die rüstigen Arbeiter, durch die
Säge von ihren Fesseln frei, die Gitter-Oeffnung so erweitert, daß man
bequem durchkriechen konnte. Sie befestigten die Haken der Strickleiter
auf das Sorgfältigste, indem sie ihre Ketten um selbe schlangen, und
diese an den Ringen der Mauer festmachten.

Leise und vorsichtig kletterten sie die Leiter hinab, an deren Ende
Mariane sie empfing.

Von dem klugen, eifrigen, unternehmenden Weibe dem schauerlichen
Gefängnisse, den drückenden Ketten, der mühevollen Arbeit, dem Elende
entrissen, eilten sie, von der Retterin geleitet, der heiß ersehnten
Freiheit, einem neu sich auffrischenden Leben voll Unthaten mit
entfesselter Gierde entgegen.



XXIX.

Der Brand von Libert.

    Macht schnell, das Dorf muß rein geplündert sein
    Und ganz in Flammen lodern.

                                 ~Th. Körner~.


Auf raschen Schwingen durchflog ganz Sachsen die Trauerkunde, daß
Lips Tullian, das Oberhaupt der schwarzen Garde, es gewesen sei,
der unerkannt, unter falschem Namen, auf dem Festungsbau zu Dresden
gekarret und mit den Gefährlichsten seiner Bande durch den kühnsten
Ausbruch sich frei gemacht habe.

Vom Dresdner Oberamte aus ergingen an alle Gerichte, an die
Dorfgemeinden strenge Befehle, alle verdächtigen Leute aufzugreifen,
und, im Falle Tullian oder einer der in den Steckbriefen bezeichneten
Räuber darunter erkannt würde, selbe gleich nach Dresden in schweren
Banden und unter zahlreicher Bedeckung abzuliefern.

Auf Tullians Verhaftung war ein Preis von 200 Dukaten in Gold, und von
300 sächsischen Thalern auf die Einfangung eines jeden der mit ihm
Entwichenen von der Landesregierung ausgesprochen.

In einem kleinen Walde, nahe bei dem Dorfe Libert, bemerkte ein Bauer,
der bei Nacht von einem Geschäftsgange zurückkehrte, ein Feuer. „Das
könnte wohl der Tullian mit seinem Gesindel sein,“ dachte er, und
schlich, durch die Begierde nach dem ausgesprochenen Preise ermuthigt,
dem Wäldchen zu. Unbemerkt kam er dem Feuer so nahe, daß er 8 Menschen
zählte, wovon einige schliefen, die andern plauderten und einer großen
Flasche tüchtig zusprachen.

Der Bauer schlich mit aller Vorsicht durchs Hölzchen zurück, lief aus
Leibeskräften nach dem Dorfe, weckte in aller Stille die Muthigsten
von seinen Nachbarn, kündigte ihnen die Nähe sehr verdächtiger Leute,
wahrscheinlich des Tullians mit seinen Fluchtgefährten, an, und
forderte sie mit großer Beredtsamkeit zur Aufhebung des Gesindels und
zum Gewinn der zugesicherten Preise auf.

Mehr als 30 rüstige Männer hatten sich schnell mit Flinten, Gabeln und
Knitteln bewaffnet. Es wurde Rath über den Angriff gehalten und die
meisten Stimmen sprachen: die eine Hälfte solle das Hölzchen umstellen,
die andere geradezu auf das Gesindel losgehen, und, ohne viel zu
fragen, gleich auf selbes feuern, stechen und schlagen. Die Männer
zogen so still als möglich zum Angriff aus.

Das Hölzchen war umstellt, schweigend, aber rasch schlichen nun die
Uebrigen dem Feuer zu. Ihr Anführer, ein ehemaliger Dragoner, hatte
die gespannte Flinte im Arm. Er blieb mit dem Fuße an einer Baumwurzel
hängen, schlug nieder und die Flinte ging los.

Der Schuß hatte die verdächtige Gesellschaft schnell auf die Beine
gebracht.

Mit einem wilden Geschrei stürmten die Bauern heran. Sie wurden mit
Schüssen empfangen, und zwei davon sanken schwer verwundet nieder.

Der Muth der Bauern war dahin. Sie flohen, sie riefen um Hilfe. Die
Feigheit ließ sie ihre sterbenden Freunde vergessen; alles floh dem
Dorfe zu.

Der Letzte der Fliehenden hatte das Unglück, in einen Graben zu
stürzen. Er schrie erbärmlich, aber Niemand hörte ihn, Niemand kam ihm
zu Hilfe, als er von den verfolgenden Räubern ergriffen und in das
Hölzchen zurück geschleppt wurde.

Erst am recht lichten Morgen zog das ganze Dorf, die zitternden Weiber
im Nachzuge, dem Hölzchen zu, um die Verwundeten und den Vermißten
aufzusuchen. Unter den noch glimmenden Kohlen der Feuerstätte fanden
sie die verbrannten Ueberreste der Verwundeten, am nächsten Baume die
Leiche des Vermißten, und an ihm einen Zettel befestigt, der die mit
Bleistift geschriebene Drohung schwerer Rache enthielt.

In der zweiten Nacht darauf, gerade als es heftig stürmte, brach in
mehreren Scheunen von Libert Feuer aus. Nicht ein Haus wurde gerettet,
das ganze Dorf war eine schauderhafte Brandstätte.

Der Bauer, von welchem die Bande zuerst gesehen, und die Nachbarschaft
aus ihrem Schlafe geweckt und zum Angriffe aufgefordert wurde, verlor
über den Verlust seiner Habe und aus tiefem Schmerze, dem ganzen Dorfe
solch ein Verderben verursacht zu haben, den Verstand; man fand einige
Tage darauf seine Leiche im nächsten Teiche.

Es war Lips Tullian mit seinen Vertrauten, der dem Angriffe eines ihm
mehr als dreifach überlegenen Haufens so kräftig entgegengekämpft,
die Fliehenden verfolgt, und durch Grausamkeit, durch Mord und
Feueranlegung sich schauderhaft gerächt hatte. Im leinenen, armseligen
Anzuge der Baugefangenen, ohne Waffen, ohne Geld war Lips Tullian
mit den Seinigen aus dem Kerker der Kasematte vor kaum zwei Wochen
entwichen, und schon waren sie gut gekleidet, mit Geld und mit Waffen
versehen. Dem regen Eifer der muthigen, schlauen Mariane hatten sie
Alles zu danken.



XXX.

Jockel’s Gewalthat gegen Mariane.

                        Arme Thörin!
    Du weinst vor einem ausgelernten Mörder;
    Es ist das Aergste nicht, was ich gethan.

                                 ~Th. Körner.~


Als Mariane Leipzig verlassen hatte, um Sarberg oder einen der übrigen
Unteranführer aufzufinden, Nachricht über die Bande einzuholen und
für Lips Tullian Geld zu schaffen, wurde sie in einem Walde von einem
Kerl angefallen, und ihr unter Androhung schneller Ermordung Geld
abgefordert. Mariane erkannte in dem Straßenräuber den großen Jockel,
einen der Verwegensten und Schlauesten von Lips Tullians Bande. Sie
nannte ihren und Lips Tullians Namen. Der Kerl tanzte wie unsinnig
um sie her, doch löste sich seine große Freude über eine Nachricht
von dem lange ersehnten Häuptling bald in Schmerz und Zorn auf; mit
wildfunkelnden Augen und vor Ingrimm stotternd, erzählte er ihr
Sarbergs und der Uebrigen Gefangennehmung; auch daß keine Bande mehr
sei, indem alle, durch den Verlust ihrer Anführer, durch die rastlosen
Streifzüge des Militärs und der im ganzen Sachsenlande aufgebotenen
Jäger und Bauern entmuthigt, sich theils einzeln, theils in kleinen
Gesellschaften aus diesem Lande gezogen haben, und nur zuweilen über
die Gränze kommen.

Mariane hieß ihn schnell sich dahin verfügen, wo er doch einige der
Bande zu finden glaubte, diesen Lips Tullians Rückkunft von Spaa
anzukündigen, und entweder so viele von den Zerstreuten zu vereinen,
oder so viele Neue zu werben, als ihm binnen acht Tagen möglich sei.
Sie bestimmte eine vertraute Herberge zu ihrer Zusammenkunft, und
Jockel eilte der Gränze zu, Mariane nach der Oberlausitz, und suchte
die Felsenschlucht auf, in welcher Sarberg ihres Gatten Antheil an dem
Raube im gräflich Beuchling’schen Palaste zu Dresden vergraben hatte.

Glücklich fand sie die Schlucht und die vergrabenen Schätze, nahm
an Diamanten und Goldeffecten so viel, als ihr nöthig schien, nähte
alles sorgfältig in die Unterkleider ein, und nahm im nächsten Dorfe,
Kränklichkeit und Entkraftung vorschützend, ein eigenes Fuhrwerk auf,
um Leipzig schnell zu erreichen, und ihrem Lips Tullian die traurige
Kunde von der Gefangenschaft seiner vertrautesten Freunde und von der
Auflösung der Bande zu bringen.

Eine Meile außerhalb Leipzig lohnte sie den Fuhrmann ab und trat in
das nächste Wirthshaus, wo sie bis zum Herandunkeln des Abends bleiben
wollte.

Stille nahm sie gleich bei der Thüre ihren Bandkasten ab, setzte sich
in eine Ecke, und forderte ein Glas Wein. Nicht fern von ihr saßen
einige Männer, aus deren Gespräche Mariane sie als Handwerker aus
Leipzig erkannte, die sich hier bei Braten und Wein einen frohen Abend
machten.

Die Leute waren recht gesprächig. Von dem großen Bereiche der Politik
kamen sie in den engen Raum ihres Werkeltags-Lebens, ihrer Frauen
und der Kinderstuben, glossirten über die Neuerer in ihren Innungen,
hechelten die schlechten Zahler, die Theuerung der Victualien, die
unchristlichen Gastwirthe, den Hochmuth der Großen, die Liederlichkeit
der Kleinen durch und bearbeiteten nun die Tagesneuigkeiten.

Mariane horchte hoch auf, sie glaubte niedersinken zu müssen, als
sie unter den jüngsten Ereignissen die Verhaftung eines Bandkrämers,
seine Ablieferung auf den Festungsbau zu Dresden, und eine so genaue
Beschreibung des Abgelieferten hörte, daß sie, Zug für Zug, ihren Lips
Tullian in selbem erkannte. Sie wandte sich zur Seite, sie legte den
Kopf in die Hand, als ob sie schliefe, um die Blässe ihres Gesichtes
der Aufmerksamkeit der Anwesenden zu entziehen und zu entsinnen, was
nun zu thun sei.

Das Gespräch der Leipziger ließ ihr keinen Zweifel übrig, daß ihr Lips
Tullian in den Händen der Justiz sei. Sie durfte nicht wagen, nach
Leipzig zurück zu kehren, da dort eine Frage nach Lips Tullian die
Aufmerksamkeit würde rege gemacht und auch ihre Verhaftung zur Folge
gehabt haben; doch wollte sie, um einen festen Entschluß zu fassen,
ihrer Sache auch ganz gewiß sein.

Die Wirthin hatte sich in das Gespräch über den verhafteten Bandkrämer
gedrängt, um auch mit geläufiger Zunge ihr Scherflein zu liefern, da
sie eben in Leipzig bei Lips Tullians Verhaftung gegenwärtig war. Zur
Wirthin ging nun Mariane in die Küche, bestellte ein Nachtessen, ein
eigenes Zimmer mit gutem Bette, überbot die Wirthin in der Redelust,
lenkte das Gespräch recht fein auf den ihr wichtigen Gegenstand, und
hatte bald die vollkommenste Ueberzeugung, daß für sie in Leipzig
nichts mehr zu thun sei.

Mariane verlor weder Kopf noch Muth; sie ließ sich Nachtessen und Wein
trefflich schmecken, und verschwand mit ihrem Bandkasten mit solcher
Gewandtheit aus dem Wirthshause, daß die zahlreichen Gäste, die immer
ab und zu gehenden Wirthsleute sie zu Bette glaubten, als die Eilende
schon eine große Strecke auf der erst vor einigen Stunden verlassenen
Straße zurückgelegt hatte.

In der zur Zusammenkunft bestimmten Herberge fand Mariane den so eben
eingetroffenen Jockel, aber nicht Einen der Bande mit ihm.

Jockel war rastlos an der Gränze hin und her gezogen, ohne zerstreute
Kameraden zu treffen, auch die Werbung war ihm mißlungen, da die
Furcht vor der so aufmerksamen Obrigkeit selbst die liederlichsten
und leichtsinnigsten Bursche, wenigstens für diesen Augenblick, von
Gaunerei, Raub und Einbrüchen zurückschreckte.

Jockel wüthete, als er Lips Tullians Verhaftung hörte. Er selbst war
vor mehreren Jahren auf dem Festungsbau zu Dresden gewesen, kannte die
Festigkeit der Gefängnisse, die strenge Aufsicht der Steckenknechte,
die Aufmerksamkeit der zahlreichen Militärwache, und würde, wie er
mit einem derben Fluche betheuerte, dort sein Hundeleben an der Karre
verschleppt haben, wäre es ihm nicht gelungen, bei seiner Ablieferung
zu einer Confrontation nach dem Amte Frauenstein seinen Geleitsmann mit
der Handschelle zu erschlagen, und zu entspringen.

Mariane ließ sich alles, was Jockel über die Gefängnisse und
Lebensweise der Baugefangenen anzugeben wußte, auf das Allergenaueste
mittheilen. Im Schlusse der Mittheilung versicherte sie, nach langem
Sinnen, mit dem Ausdrucke der Ueberzeugung und Freude, der baldigen
Befreiung ihres Lips Tullians mit Zuversicht entgegen sehen zu dürfen;
auf den Umstand, daß die Baugefangenen im Freien täglich eine kurze
Weile ruhen und von fremden Leuten Brod kaufen dürfen, gründete sie
ihre listigen Pläne.

Das Allernothwendigste schien ihr nun, Voranstalten zu treffen, daß
Lips Tullian und auch die andern, deren Entweichung aus der Kasematte
sie zu bewirken beschloß, gleich nach ihrer Befreiung Waffen, Kleidung
und Geld fänden.

Dem Herbergewirth gab sie einige Ringe, und dieser, mit allen
Diebshehlern in weiter Umgebung vertraut, machte sich gleich auf den
Weg, die Edelsteine zu verwerthen. Er kam schon am zweiten Abend mit
einer Summe von 2000 fl. in Gold zurück, ging auch am andern Tage mit
Jockel fort, um Kleider und Waffen zu kaufen, wovon sie auch einen
Vorrath für eine kleine Bande brachten.

Es wurde nun beschlossen, daß Jockel zu einem gewissen Andreas
Schmidt, der eine Meile von Dresden wohnte, ein Wasenmeister und der
verlässigste Diebshehler war, voran gehe, um ihn für Lips Tullians
Befreiung zu Rath und That aufzufordern; daß Mariane in der nächsten
Nacht folge und der Herbergewirth die erkauften Kleider und Waffen auf
seinem einspännigen Fuhrwerke so geheim als möglich in die Meisterei
schaffe.

Reisefertig stand Jockel um die Mitternachtsstunde vor Marianen in
der Zechstube, Abschied zu nehmen. Während der Wirth nach dem Keller
eilte, um zur Reisezehrung noch eine Flasche Branntwein zu holen,
öffnete Jockel ein Fenster, führte Mariane an dasselbe, that, um nicht
die Aufmerksamkeit der anwesenden Wirthin rege zu machen, als ob er
eine Gegend bezeichne, und flüsterte ihr zu, er müsse sie noch allein
sprechen, um sie vor einer großen Gefahr, die ihr in diesem Hause
drohe, zu warnen; er erwarte sie unter der großen Eiche hinter dem
Stalle, wohin sie aber erst in einer Stunde sich schleichen solle,
damit die Wirthsleute schon zu Bette seien und nicht Argwohn schöpfen.
Mariane nickte ihm ihr Ja zu und Jockel, vom Wirthe noch mit Branntwein
und kalter Küche begabt, wanderte fort.

Eine Stunde war verflossen, und Mariane, von Neugierde und Unruhe
heftig bewegt, eilte auf Socken zur Eiche hin, an deren Stamme ihr das
schimmernde Sternenlicht Jockels dunkle Gestalt zeigte. Hastig forschte
sie, was er ihr zu vertrauen habe.

Jockel legte den Finger an den Mund, zeigte auf die Fenster der nahen
Herberge hin, bat Marianen um alles, ja kein Geräusch zu machen, und
zog die unruhig Folgende hinter der Eiche fort in die nahen Gebüsche.
Da umfaßte er sie rasch, drückte ihr die Spitze seines Messers auf die
Brust[34] und drohete, sie niederzustechen, wenn sie sich ihm nicht
ergebe.

    [34] Siehe die Abbildung.

Mariane war keines Wortes mächtig; der Schreck, der Abscheu hatten ihr
die Kehle zugeschnürt.

[Illustration: Marian̄ens Überfall.]

Jockel war von so furchtbar häßlichem Aussehen, daß auch die feilste
Dirne vor seiner Umarmung zurückbebte; mit dieser Häßlichkeit
vereinte er, wie Mariane ihn schildern gehört hatte, eine
Halsstarrigkeit, einen Jähzorn, eine Blutgierde, die ihn selbst von den
Verwegensten der Bande gefürchtet machte; wer seinen Lüsten, seiner
Hitze, seiner Rachsucht verfiel, war ein rettungsloses Opfer.

Das wußte Mariane und das verbrecherische Weib, welches, um mit einem
Räuber buhlen zu können, Ehre und Gewissen von sich geworfen hatte,
sank ohne Bewußtsein hin, als jetzt der scheußliche Jockel seiner
thierischen Lust mit roher Gewalt und zügelloser Frechheit sich
überließ.

Es begann schon zu tagen, als Mariane sich wieder erholte. Sie war
allein, sie raffte alle ihre Kräfte zusammen, und floh dem Hause zu,
bei jedem Schritte vor der Verfolgung des Schändlichen zitternd. Hastig
verriegelte sie ihre Kammerthüre, und warf sich aufs Bett.

Ein Schlaf von mehreren Stunden stärkte sie wieder, aber der Schreck
machte sie beinahe zusammenbrechen, als sie sich überzeugte, daß der
Bösewicht ihren ohnmächtigen Zustand auch dazu benutzt habe, ihr die
eingenähten Edelsteine und alles Gold, was ihr vom Kaufe der Kleider
und Waffen noch übrig geblieben war, zu rauben.

Sie sah, um für Lips Tullians Rettung das Möglichste thun zu können --
und dazu war Geld eine höchst nöthige Sache -- kein anderes Mittel,
als den weiten Weg zur Felsenschlucht wieder zu machen, und dort
Kleinodien auszugraben.

Bei dem Gedanken, wie sehr Lips Tullians Freiheit dadurch verzögert
werde, brach sie in lautes Weinen aus. Die Wirthin hörte ihr
Schluchzen, sie eilte zum Troste, zur Hilfe herbei und forschte mit
der liebevollsten Gutherzigkeit nach der Quelle so tiefer Betrübniß.
Mariane vertraute ihr alles.

Schweigend eilte die Wirthin fort, kehrte mit 300 Thalern in
verschiedenen Goldmünzen zurück, und drang ihr diese Summe auf. Mit
der Rückgabe, meinte sie, habe es wohl Zeit, auch sei ihr nicht bange
dafür, doch wünsche sie sehr, die Sache solle ihrem Manne verschwiegen
bleiben, da er kein Freund des Ausleihens sei.

Noch an diesem Tage eilte Mariane auf die Meisterei, wo auch in der
folgenden Nacht der Wirth mit seinem Einspänner sich einfand.

Lips Tullian wurde durch Marianens Muth und Schlauheit befreit.
Glücklich erreichte er mit seinen Gefährten die Meisterei. Man gönnte
sich kaum so viele Zeit, um das schon bereitete Mahl zu verzehren
und einige Flaschen zu leeren. Wohlgekleidet und wohlbewaffnet eilte
die kleine Bande fort, und beurkundete durch Mord und Brand, an den
unglücklichen Einwohnern von Libert ausgeübt, die traurige Wahrheit,
daß fast immer der Verbrecher, durch Gnade oder Gewalt über die
Schwelle seines Kerkers tretend, mit erneuerter Gierde die abgerissenen
Fäden eines lasterhaften Lebens zu einem neuen, dichten Gewebe
verschlingt.



XXXI.

Marianes Eifersucht und Schlauheit.

    Die braunen Dirnen, die sollten mir
    Im Wege stehen? -- Das merke Dir:
    Eh’ noch im Ost erglühn die Tages Stunden,
    Sind Eure Lieblinge schon längst verschwunden.

                                         . . .


Mit Mariane und seinen sechs Vertrauten hatte Lips Tullian nach dem
Liberter Brande in einem Walde bei Freiberg eine Schlucht, die beinahe
unzugänglich war, zu seinem Aufenthalte gewählt. Hier beschloß er,
einige Wochen in aller Zurückgezogenheit zu leben, um von hier aus die
Nachricht von seinem Zuge nach Baiern zu verbreiten, um die Gerichte
minder wachsam zu machen, und dann wieder freieres Feld für seine
verbrecherischen Saaten zu haben.

In dieser Felsenschlucht wurde die Einrichtung einer Nomaden-Familie
getroffen. Aus Zweigen flocht man Hütten, Sarberg, Eckold und Lehmann
gingen als Fleischerknechte in die nächsten Dörfer, kauften ein paar
Kühe, einige Schafe und Ziegen; Hentzschel lieferte Mehl, gedörrtes
Fleisch und Hülsenfrüchte; Schöneck und Schickel verschafften einen
tüchtigen Vorrath an Branntwein, auch ein Fäßchen mit Wein, und Lips
Tullian versah die Küche mit Rehen, Hasen und Geflügel, woran es in
diesem wildreichen Forste Ueberfluß gab.

Die Nomaden-Horde lebte in ihrer Art das köstlichste Wohlleben,
und auch an der Befriedigung roher Sinnenlust gebrach es nicht in
dieser Wildniß da Sarberg und Eckold, auf ihrem Viehkaufe unter eine
Zigeunerbande gerathen, durch ihre männliche Schönheit und frohe Laune
drei junge, schlanke Zigeunerdirnen so zu gewinnen wußten, daß die
verliebten Dirnen nächtlicher Weile ihrer Gesellschaft entliefen und
auf einem verabredeten Platze bei Sarberg und Eckold sich einfanden.

Die Dirnen waren schlau genug, schon in den ersten Stunden ihres
Aufenthalts in der Felsenschlucht die fremde Gesellschaft ganz zu
durchschauen, und schlossen sich desto inniger an selbe an, da sie
in ihrer Schlechtigkeit sich gleichsam wohlgefielen, von einem
gewöhnlichen Diebsgesindel zu einem tüchtigen Räubervölkchen, in
moralischer Beziehung vom Regen in die Traufe gekommen zu sein.

Aber Mariane hatte für die schlanken, fröhlichen hüpfenden Dirnen
nur scheele Blicke und ein Herz voll Haß und Eifersucht. Es war ihr
nicht entgangen, wie sehr diese verbuhlten Sprößlinge Asiens durch
ihren lieblichen Gesang und ihr künstliches Zitterspiel ihres Lips
Tullians Sinne aufregten. Sie sah die täglich gegen sie sich mehrende
Kälte ihres sonst so feurigen Geliebten, sie sah, daß die Jugend, die
frischen, üppigen Formen dieser selbst in ihrer dunkeln Farbe reizenden
Dirnen ihrem Lips Tullian von Stunde zu Stunde gefährlicher wurden. Die
Dirnen mußten um jeden Preis entfernt werden.

In einer Stunde, wo die Männer theils schliefen, theils auf Jagd
und Vogelfang im Forste umherstrichen, bot sie jeder Zigeunerin 10
Goldstücke für das feierliche Versprechen, in diesem Augenblicke so
unbemerkt als möglich diesen Ort zu verlassen, und nie wieder mit
dieser Gesellschaft sich zu verbinden.

Der Glanz des blanken Geldes, die so lieb gewordene Gewohnheit des
Umherschweifens von Land zu Land, von Ort zu Ort, das eintönige dieses
Waldlebens machten die Dirnen rasch in Marianens Antrag eingehen. Sie
nahmen die Goldstücke, stahlen zum Gratiale für genossene Bewirthung
und erhaltene Geschenke, was sie in aller Geschwindigkeit unbemerkt an
sich nehmen konnten, und verschwanden auf flüchtigen Sohlen.

Die Männer wütheten, als sie die feurigen Gegenstände ihrer rohen
Begierden vermißten; Mariane eiferte am meisten über die schlechten,
undankbaren Geschöpfe, deren Tänze, Gesänge und Zitterspiel ihr so
manche Stunde erheitert, denen sie so viel Gutes erwiesen, und sich
so an ihren erheiternden Umgang gewöhnt habe, daß sie nur mit recht
bitterer Empfindung jetzt der Entflohenen gedenken könne.



XXXII.

Neue Unthaten der schwarzen Garde.

    ~Hedwig~.  Gerechter Gott! Nein! nein! es ist unmöglich!
               Solch teuflisch Wüthen rast in keiner Seele,
               Die eines Menschen glücklich Antlitz trägt!

    ~Rudolph~. Bebst Du vor des Gedankens Riesenhülle,
               Und zweifelst Du, daß er zur Wahrheit würde? --
               Du kennst mich schlecht, wenn Du Dir träumst, ich könnte
               Ein ~halber~ Teufel sein!


Es näherte sich die Zeit, in welcher Lips Tullian wieder in die
Welt und auf die ersehnte Bühne neuer Verbrechen treten wollte.
Schon lange waren die Landstraßen von Streifzügen und lauernden
Dienern der Gerechtigkeit leer, dagegen wurden sie täglich belebter
von Oelhändlern, vacirenden Jägern, Thierärzten, Kesselflickern,
Scheerenschleifern, hausirenden Krämern, abgedankten Soldaten,
Korbflechtern und verschiedenen wackern Leuten, die einer
hochlöblichen Polizei so weit als möglich aus dem Wege gingen.

Sarberg, Hentzschel und Eckold waren es, die seit zwei Wochen sich
an die Gränzen des Landes vertheilt, dort und da noch einen alten
Kameraden aufgefunden und diesen mit der Nachricht von Lips Tullians
Anwesenheit und seinen künftigen Unternehmungen wieder versendet
hatten, um frühere Cameraden aufzusuchen, neue zu werben, und so
schnell als möglich einzeln und verkleidet in der Waldschlucht um
Tullians hochgefeierte Fahne sich zu sammeln.

Mit Mariane und sechs Genossen hatte Lips Tullian die Waldschlucht
betreten; an der Spitze von mehr als 200 Gefährten trat er aus des
Waldes Dunkel zu neuen Schandthaten hervor.

Die Bande hieß wieder die schwarze Garde und wurde wieder in gleichen
Abtheilungen den Befehlen Eckolds, Sarbergs, Hentzschels, Lehmanns,
Schönecks und Schickels untergeordnet. Lips Tullian umgab sich nur mit
einigen; aber diese waren Leute, die ihre Verwegenheit, im Vereine mit
der feinsten Schlauheit bei jeder Gelegenheit, und ihre Treue, ihr
Stillschweigen, ihre Standhaftigkeit unter den gräßlichsten Martern der
Folter schon oft und auf das zuverlässigste beurkundet hatten.

Nicht in Sachsen, sondern auch über die angrenzenden Länder ergoß sich
nun dieser Räuberstrom mit seinen verheerenden Fluthen.

Das Jammergeschrei der Unglücklichen aus höhern Ständen, wie unter dem
Landvolke, die nicht nur beraubt, sondern oft auf den Tod mißhandelt
wurden, die Klagen der Priester über die Plünderungen ihrer Kirchen
ertönten von allen Seiten. Es wurde Militär ausgesandt, die Edelleute
und Beamten setzten sich an die Spitze der Jäger und Bauern; das Land
wimmelte von Streifen, aber auch die allerthätigsten Bemühungen führten
nur höchst unbedeutende Resultate herbei, da an der Schlauheit, der
Vorsicht, dem Muthe und den raschen Bewegungen der Räuber die regsten
Anstrengungen der Obrigkeiten und ihrer Beistände scheiterten.

Noch waren nicht zwei Jahre seit Lips Tullians Entweichung aus der
Kasematte von Dresden verflossen, als die Bande schon 43 Kirchen,
28 Edelhöfe, 62 Mühlen und Bauerhäuser, selbst 5 landesherrliche
Schlösser ausgeplündert, 87 Pferde gestohlen, eine unzählige Menge von
Reisenden beraubt, 4 Weiler in Asche gelegt, und mehrere Menschen mit
unmenschlicher Grausamkeit gemordet hatten.

Das Entsetzen, welches diese Rotte von Bösewichtern weit und breit
durch das ganze schöne Sachsenland verbreitete, hatte den höchsten
Grad erreicht, Niemand konnte sich mehr in seinem Hause für sicher
halten, selbst nicht hinter den wohlverwahrtesten Schlössern, denn
der schwarzen Bande widerstand kein Schloß, kein Riegel, kein festes
Gebäude.



XXXIII.

Jockel’s Tod.

    Feigherzige Vorsicht, fahre hin! Auf nichts
    Als blutige Vergeltung will ich denken.

                               ~Schiller.~


Lips Tullians Greuelthaten wurden durch eine Handlung gekrönt, vor
deren Gräßlichkeit auch der Gefühlloseste zurückschaudert.

Eines Tages hatte sich Lips Tullian mit Eckold, Sarberg, Schöneck,
Lehmann und deren untergeordneten Räubern in einer Diebsherberge an der
böhmischen Grenze eine Zusammenkunft gegeben, um über die Beraubung
eines Klosters in der Nähe von Prag sich zu berathen, und gleich zur
Ausführung ihrer Uebereinkunft zu schreiten. Sie saßen mit Mariane in
der obern Stube und zechten, während die gemeinen Räuber in der untern,
auf der Hausflur, im Garten und in der Scheune sich gütlich thaten. Es
entstand ein Lärmen, ein Geschrei; das Getöse kam die Treppe herauf; es
war das Gelärm einer wilden Freude.

Die Thür ward aufgerissen und Hentzschel und Schickel schleppten den
gebundenen Jockel herbei. Diesen beiden war es gelungen, Jockel aus der
Mitte einiger Gauner, mit denen er auf seine Hand Geschäfte machte,
sich heraus zu holen, und ihn vor Lips Tullian zu bringen, der wegen
Marianens Beraubung einen hohen Preis auf Jockels Einfangung gesetzt
hatte.

Kalt und frech starrte Jockel auf Lips Tullian hin, der ihn mit
zornigflammenden Blicken ansah und das Todesurtheil über den Gefangenen
aussprach. Jetzt fiel Jockels Blick auf Marianen, die, bei der
verhaßten Erscheinung von einer tief verletzenden Erinnerung erfaßt,
bleich und zitternd vor sich hin schaute.

„Also sterben muß ich,“ -- sprach Jockel eintönig und wild blickend
-- „sterben durch die Hände meiner Kameraden, weil ich dieser Metze
dort ein paar Ringe nahm; weil ich mich selbst für meinen Antheil an
der Beuchling’schen Beute entschädigte, wo ich so schändlich verkürzt
worden! -- Ich bettle nicht um mein Leben, es wäre mir ja zur Schande,
unter einem Bonherrn zu stehen, der solch einer Lumperei wegen,
aus Gefälligkeit gegen seine Metze, einen wackern Kameraden mit
barbarischem Gleichmuthe dem Tode hingiebt. Aber mein letztes Röcheln
soll noch ein Fluch über mich selbst werden, daß ich nach jener Stunde,
in welcher Deine treue Buhlerin in meinen Armen sich im Genusse der
Wollust bis zur Ohnmacht erschöpfte, ihr nicht das Messer in die Brust
stieß, nicht das schwarze Herz durchbohrte, welches in der wildester
Lust für mich schlug, und mich dann an den betrogenen Buhlen verrieth!“
-- Lautlos glitt Mariane von ihrem Sitze nieder; das Entsetzen ob der
höllischen Verleumdung, die Vorstellung von ihrem sichern Tode unter
der mordenden Hand des furchtbar eifersüchtigen Lips Tullians raubten
ihr das Bewußtsein.

Mit des Grimmes schrecklichstem Ausbruche riß Lips Tullian die
Bewußtlose empor, goß ihr ein volles Glas in das bleiche Gesicht, und
als sie jetzt die Augen aufschlug, fragte er die Bebende mit gezücktem
Messer: „ob Jockel wahr gesprochen habe?“ Sarberg und Schöneck fielen
ihm in den Arm, Mariane stürzte zu seinen Füßen, und wimmerte unter
strömenden Thränen das Geständniß: „Jockel habe sie um Mitternacht
durch die Lüge einer höchst nöthigen, nur ganz unbelauscht ihr zu
vertrauender Warnung vor drohender Gefahr in die Gebüsche gelockt,
dort plötzlich nieder geworfen, ihr das Messer auf die Brust gesetzt
und schreckliche Martern und den Tod gedrohet, wenn sie sich ihn
verweigere. Was mit ihr geschehen sei, könne sie nur ahnen; das
Entsetzen vor dem Anblicke dieses Scheusals, das Gefühl ihrer Ohnmacht
gegen den mit der Wuth seiner wildesten Lust Anstürmenden habe sie
ihrer Sinne beraubt; erst mit den Strahlen der Morgensonne sei sie
wieder ihres Bewußtsein mächtig geworden.“ Mit dem feierlichsten Eide
bekräftigte Mariane ihre Aussage.

Nun stürmten Lips Tullians Freunde auf ihn ein mit herzlichen Bitten,
Marianens Worten zu glauben, sie verbürgte sich für die Wahrheit ihrer
Aussage, da die ganze Bande sie als treuste Zuhälterin, Jockel dagegen
als den heftigsten Wollüstling, als einen tückischen, verläumderischen
Ränkeschmieder kenne.

Lange schwieg Lips Tullian, gräßlich vor sich hin schauend. Jetzt
wandte er sich zu Jockel.

„Wer hat Wahrheit gesprochen, Du oder Mariane?“ -- donnerte er dem
tückisch Lächelnden zu. Jockel schwieg. „Ich schenke Dir Leben und
Freiheit, wenn Du mir mit dem Eide unseres Bundes schwörst, daß Mariane
nicht willig, sondern im bewußtlosen Zustande sich Dir ergeben habe!“
-- fuhr er mit gemäßigtem Tone fort --

„Ich bin ein gutherziger Narr, der ein gar dankbares Gemüth hat,“ --
lachte Jockel frech auf. „Es war eine zu schöne Stunde, die ich genoß,
und dafür soll die Unschuldige nicht länger leiden. Es ist wahr,
Mariane sank hinten über, wie ein geknicktes Schilfrohr, als ich ihr
ganz kurz und barsch erklärte, sie müsse auf der Stelle sterben, wenn
sie nicht nach meinem Willen thue. Es wäre mir freilich lieber gewesen,
wenn sie mich auch ein Bischen lieb gehabt hätte, und in meinen Armen
nicht zur Salzsäule geworden wäre, aber es machte sich doch!“

„Du bist frei,“ -- sprach Lips Tullian, und schnitt mit seinem Messer
Jockels Stricke durch -- „aber fort, in diesem Augenblicke fort, und
treffe ich Dich noch einmal, so hängst Du am nächsten Baume!“ --

Jockel sprang die Treppe hinab, und lachend, lärmend, fluchend folgten
die Räuber mit raschen Schritten dem Enteilenden.

Aber Lips Tullians Vertraute umschlossen ihn mit zürnenden Blicken und
machten ihm die heftigsten Vorwürfe, daß er den Schänder seiner treuen
Mariane nicht mit eigener Hand niedergestochen habe. Sie überboten sich
an Bemühungen, dessen Zorn und Rachsucht aufs Aeußerste zu entflammen.
Sie forderten mit dem heftigsten Ungestüme Jockels Tod, da er durch
Marianens Beraubung, durch diese Beraubung eines Mitgliedes der Bande,
nach ihren Gesetzen das Leben verwirkt habe.

Sarberg, ein tüchtiger Redner, schilderte die Größe dieses Verbrechens
und Marianens Leiden, und die Schande für die Unglückliche, welche
durch den Mund der vielen Zuhörer bald unter der ganzen Bande zum
Tagsgespräche und ein Gegenstand allgemeiner Verhöhnung werden müsse,
mit so hinreißenden Worten, daß Lips Tullian, vom Weine erhitzt, durch
seiner Freunde heftige Zusprache aufs höchste gereizt, von Rachsucht
entflammt, die rasche Wallung seiner Großmuth verfluchte und mit
gräßlich rollenden Augen brüllte: „100 Dukaten demjenigen, der mir
Jockel schafft!“ -- Im Augenblicke sah er sich mit Marianen allein.

Der Tag dämmerte heran, als Sarberg in Lips Tullians Stube schlich, ihm
Stillschweigen zuwinkte, und mit flüsternden Worten zur Folge einlud.

Leise stiegen sie die Treppe hinab, Lips Tullian lauschte einen
Augenblick an der Thüre der Zechstube, und hörte, mit aufwallendem
Zorne, wie die trunkenen Gesellen auf Jockels Wohl anstießen, wie
sie den wackern Kameraden hoch leben ließen, und ein Pereat über den
brüllten, der an Jockels Austritt aus der Bande die Schuld trage.

Schon hatte Lips Tullian mit seiner Linken die Thürklinke gefaßt, schon
die Rechte nach dem Säbelgriffe ausgestreckt, um mit blanker Klinge
unter die Meuterer zu stürzen, und sie seinen Muth und seine Macht
fühlen zu lassen, als Sarberg ihn heftig zurückstieß, und mit Gewalt
ins Freie führte.

„Die Stimme Deines Schutzgeistes hat Dir die Aufforderung zu Jockels
Verfolgung in den Mund gelegt,“ -- begann Sarberg mit halblauter
Stimme, sich scheu umsehend, ob Niemand lausche -- „denn sonst wärest
Du bis morgen Jockels Gefangener und über Dich der Stab gebrochen.
Höre!“

„Als wir zu Jockels Verfolgung Dich verließen, vertheilten wir uns. Ich
und Eckold eilten auf die Lichtenfelder Meisterei zu, weil wir wußten,
daß Jockel dort seine sicherste Zufluchtsstätte habe. Wir kamen an,
sahen durch eine Spalte des Fensterladens Licht in der Stube, und am
Tische bei einer Branntweinflasche Jockel mit dem Ungar und dem langen
Bastian sitzen. Ich und Eckold sahen uns bedenklich an, denn auf freiem
Felde hätten wir gern mit ihnen angebunden, aber hier zu befürchten
gehabt, gleich beim Eintritte in die Stube niedergeschossen zu werden,
da gerade diese drei uns schon lange Verderben gedrohet haben. Eckold
wollte Dich herbeiholen, als wir beim Mondlichte zwei Gestalten über
die Wiese daher eilen sahen, und bald in diesen Schöneck und Lehmann
erkannten. Auf ein Zeichen von uns hielten sie schweigend an und
folgten uns unter die Weiden, wo wir ihnen Jockels Anwesenheit in der
Stube mit dem Bastian und dem Ungar bekannt machten, zugleich aber auch
unsere Befremdung äußerten, Niemand von den Hausleuten, und auch die
Hunde nicht gesehen zu haben. Als ich die Kameraden nun aufforderte,
ihre Meinung zu sagen, wie wir am schnellsten und unbemerktesten in die
Stube dringen könnten, versicherte Lehmann, hier am besten Bescheid zu
wissen, führte uns an den Weiden hin an die kleine Scheune, und quäkte
wie ein Frosch. Das Thürchen der Scheune that sich auf, und eine Dirne,
die gerade dem Bette entstiegen zu sein schien, trat heraus. Lehmann
flüsterte mit ihr, und winkte uns in die Scheune. Die Dirne -- sie ist
schon lange Lehmanns geheime Zuhälterin -- erzählte, daß der Meister
mit den beiden Söhnen und den Hunden in das Bließlinger Thal gegangen
sei, um dort zwei Krämern aufzulauern; daß die Meisterin in der obern
Stube krank liege, und Jockel für sich und seine zwei Kameraden Anstalt
getroffen habe, hier zu übernachten. Lehmann vertraute der Dirne, wie
sehr ihm und seinen Gefährten alles daran liege, Jockel zu fangen. Ich
gab ihr gleich zwei Thaler, um sie für unsere Absicht desto mehr zu
gewinnen.

„Das ist ja eine gar zu leichte Sache,“ -- flüsterte die Dirne, „Jockel
strebt mir schon lange nach, und soll gleich im Garne sein. Ich gehe in
die Stube, trinke ein Glas Branntwein mit ihm, stelle mich betrunken
und winke ihm, mir zu folgen. Sobald wir in der Scheune sind, heiße
ich ihm, sich in mein Bett legen, während ich die Thüre verriegle. Ihr
lauert hinter den Balken, bis Jockel in das Bett steigt, und habt dann
geringe Mühe mit ihm!“ --

„Es geschah, wie die Dirne den Anschlag machte. Jockel wurde so
rasch und so kräftig überfallen, daß er keinen Laut von sich geben
konnte, und schon nach einigen Augenblicken mit verstopftem Munde und
gebundenen Händen in einer Ecke der Scheune lag. Auch der Ungar wurde
durch den Köder einer süßen Stunde in der Dirne Armen uns überliefert,
und Bastian im Schlafe seines Rausches schnell zusammengeschnürt, wie
seine Vorgänger. Lehmann spannte ein Pferd an den Karren, auf welchen
wir die Gebundenen warfen, und sie dort in das Rödinger Hölzchen
gebracht haben. In der Ueberzeugung, es werde von Dir die Sache ganz
kurz abgemacht werden, haben wir gleich aus der Meisterei Spaten und
Hacken mitgenommen!“

Lips Tullian kam zur Stelle, wo seine Todfeinde, mit Stricken umwunden,
keiner Bewegung mächtig, zu seinen Füßen lagen, ihn mit ihren Blicken
gleichsam durchbohrend. Er ließ ihnen die Tücher vom Munde nehmen, und
der erste Gebrauch, den sie von der freigegebenen Sprache machten,
war eine Fluth von gräßlichen Verwünschungen, mit schäumendem Munde
hervor gebrüllt, von Drohungen furchtbarer Rache, die wegen ihrer
Ermordung die braven Kameraden an ihm üben würden. Den Drohungen
folgten die beißendsten Hohnworte, die schimpflichsten Aeußerungen,
und Jockel erschöpfte sich in Witz über Marianens Todesangst, über ihr
schafartiges Blöcken und ihre lächerliche Nervenschwäche unter seinen
Umarmungen.

Mit eisiger Kälte und einem teuflischen Lächeln sah der mordlustige
Lips Tullian auf seine willkommenen Opfer nieder. Ueber die Todesangst
dieser Elenden sinnend, schritt er auf und nieder. Er blieb vor einer
geräumigen Grube stehen; ein höllischer Gedanke, eine höllische Freude
durchzuckte sein ganzes Wesen. „In dieser kühlen Grube bettet man sich
bequem. Sie sei das Ruhelager meiner trauten Freunde, und eine weiche
Decke von Erde und Moos schütze die Lieben gegen rauhe Lüfte und gegen
die brennende Sonne!“ -- rief er mit einem gräßlichen Hohngelächter.

Auf seinen Wink wurden die Verzweifelnden in die Grube geschleppt;
schnell war sie bis an den Rand mit Erde und Steinen gefüllt.

Schweigend, von dem lange vermißten Gefühle des Mitleidens
durchschauert, wandten sich die Räuber von der grauenvollen
Grabesstätte ab; mit einem gräßlichen Lächeln des Hohns und
der gesättigten Rache blickte Lips Tullian auf die Hülle der
Lebendigbegrabenen hin.



XXXIV.

Der Kampf der Räuber unter einander.


    Feigherz’ge Vorsicht, fahre hin! Auf nichts
    Als blutige Vergeltung will ich denken.

                                   ~Schiller.~

In der schwarzen Garde glimmte schon lange unter dichter Asche der
Funke des Mißmuthes, der Abneigung gegen den Häuptling. Lips Tullian
hatte, nebst den Unteranführern, seine Auserwählten, denen er sein
Vertrauen, seine Freundschaft, seine Achtung auffallend bethätigte,
die er auch bei Unternehmungen, wo reicher Lohn zu ernten war, und bei
mancher Vertheilung der Beute auf Kosten der allgemeinen Rechte mit
leidenschaftlicher Vorliebe berücksichtigte, während er die übrigen
Mitglieder der Bande als niedrigen Janhagel, als Sclaven seiner
Willkühr betrachtete, und in seiner rasch aufwallenden Hitze mit
despotischer Härte mißhandelte. Jokel war ein Liebling der meisten
von der Bande; bei Lips Tullian viel geltend wegen seiner Schlauheit
und seines Muthes, wo die größte Gefahr war, aber stets von ihm mit
herrischer Macht in engere Schranken zurückgedrängt, als der Geringste
der Uebrigen, da Jokel schon manchen kühnen Versuch gemacht hatte,
seine Fesseln zu brechen, seinen Oberherrn von dem Höhenpunkt seiner
Stellung herabzustürzen und sich dahin aufzuschwingen. Daß Lips Tullian
ihn einst eine volle Woche, mit Stricken gebunden, in dem Keller einer
Diebesherberge bei Wasser und Brod schmachten ließ, und zwar eines
geringen Versehens wegen, daß Lips Tullian ihn oft blutig geschlagen
hatte, darüber konnte Jokel sich nie beruhigen. Er lechzte nach Rache,
aber je heißer die Flamme der Rachsucht in seinem verwilderten Herzen
aufschlug, desto geschmeidiger wurde der tückische Heuchler. An Lips
Tullians Wachsamkeit zertrümmerte so mancher seiner Pläne, den Jokel
zu seines Feindes Vernichtung ersonnen hatte. Da führte ihn der Zufall
Marianen zu. Wollust und Raubsucht, aber noch viel mächtiger seine
unbezähmbare Begierde, sich an dem verhaßten Häuptling zu rächen,
erzeugten die thierische Gewalthat und den Raub von ihm an Marianen
geübt.

Außer denen von Lips Tullians erwählter Umgebung würde keiner an den
vom Hauptmann für vogelfrei erklärten Jokel Hand angelegt haben.

Als Hentzschel und Schickel den gefangenen Jokel am Stricke herbei
schleppten, erhob sich unter den gemeinen Räubern ein Freudengeschrei;
es war aber nicht der Ausbruch der Freude, nun den Feind in seines
Feindes Händen zu wissen, sondern der frohen Hoffnung, der Hauptmann
werde Gnade für Recht ergehen lassen, und den Brauchbaren wieder in
ihrer Mitte aufnehmen. Sie erstarrten vor Entsetzen, als Lips Tullian
das Todesurtheil aussprach, sie jubelten laut bei dem Rufe der Gnade.
Von Einem Geiste beseelt, von gleichem Verlangen beherrscht, Jokel an
ihrer Spitze zu sehen, hatten sie in größter Schnelle geheime Abrede
genommen, und den Ungar und Bastian abgesandt, um ihrem Lieblinge
zu erklären, daß sie von nun an nur unter ihm dienen wollen, daher
noch mehrere Gleichgesinnte unter den andern abwesenden Abtheilungen
sammeln, und bei erster Gelegenheit Lips Tullian verlassen werden. Sie
glaubten noch immer Bastian und den Ungar auf Werbung für Jokel, als
dieser und ihre Abgesandten schon in ihrem schauderhaften Grabe den
Tod der furchtbarsten Qualen, der gräßlichsten Verzweiflung gestorben
waren.

Nur Einer unter Jokels eifrigsten Anhängern, der Welsche genannt,
theilte nicht lange den Wahn der Uebrigen. Er hatte ein Gespräch
zwischen Sarberg und Lehmann belauscht; worin Jokels erwähnt wurde,
nur mit wenigen Worten, die ihm aber zur Genüge sagten, Jokel, Bastian
und der Ungar seien nicht mehr unter den Lebenden. Er vertraute sich
Niemandem; er allein wollte den Schleier dieses Geheimnisses lüften;
die Sinnlichkeit sollte ihm ihre hülfreiche Hand bieten.

Der Welsche hatte eine Zuhälterin, die Sarberg im Stillen
leidenschaftlich liebte. Dem scharfen Auge des Welschen entging
Sarbergs heftige Neigung nicht. Er kannte seiner Dirne Schlauheit und
Buhlerkünste; ihr allein vertraute er die erlauschten Worte, und auf
sein Verlangen übernahm sie Sarbergs Ausforschung unter der Maske
der Erhörung und der Gegenliebe. Sarberg hing an Lips Tullian mit
beispielloser Treue; seinen Schwur, Jokels und seiner beiden Gefährten
Ermordung als das tiefste Geheimniß zu bewahren, würde er nicht unter
den allergrausamsten Händen der Folterknechte gebrochen haben; aber
Liebe und Sinnlichkeit zerrissen die ehernen Bande seiner Treue,
seines Schweigens. In einem unglücklichen Momente, wo die geübte
Buhlerin seine Sinnlichkeit zur verzehrenden Flamme angefacht, wo er im
Sinnenrausche alle innere Kraft, alle Besonnenheit verloren hatte, da
entlockte ihm die schlaue Dirne sein Geheimniß.

[Illustration: _L. Oeser in Neusalza._

Der Kampf der Räuber unter einander.]

Auf einem abgelegenen Platze sammelte der Welsche seine Vertrauten,
und theilte ihnen das grausame Ende ihres Lieblings und ihrer wackern
Kameraden mit.

Sie erstarrten. Die Erstarrung wurde zum heftigsten Ergrimmen, zur
unbezähmbaren Wuth gegen Lips Tullian und seine Lieblinge.

Der Welsche wollte ihnen rathen, die Gelegenheit, wann Lips Tullian
allein sei, abzulauern und ihn dann niederzustechen. Die Wüthenden
hörten ihn nicht. Sie stürmten in das Haus, wo Lips Tullian mit
Marianen und seinen Erwählten unter lärmender Fröhlichkeit zechten. Ein
fürchterlicher Kampf begann.[35]

    [35] Siehe die Abbildung.

Mehr als viermal überlegen waren Lips Tullians Feinde, aber sein und
der Seinigen Muth hielt der Uebermacht die Wage. Säbel, Knittel und
Messer vermochten nicht, die Angreifenden zum Siege zu führen; das
Feuergewehr that es.

Der Welsche schoß mit seiner Doppelpistole Sarberg und Eckold nieder,
ein anderer Schuß machte Lehmann sinken.

Mit erneuerter Wuth drang nun der Haufe auf die kleine Schaar los; Lips
Tullian sollte nicht getödtet, sondern unverletzt gefangen werden,
um Jockels furchtbares Loos zu theilen. Jetzt sanken Schöneck und
Schickel, jetzt stürzte Mariane, von einem furchtbaren Hiebe getroffen,
mit gespaltenem Kopfe zur Erde. --

„Ergib Dich!“ -- brüllte ein Räuber und stürzte mit vorgehaltenem
Stuhle auf Lips Tullian los. Er faßte den Stuhl mit riesiger Kraft,
stieß den Räuber zu Boden, schlug furchtbar um sich, erreichte ein
offenes Fenster und sprang durch dasselbe auf den Hof. Er floh querfeld
dem Walde zu.

Die Räuber folgten ihm im schnellsten Laufe. Er hatte einen Vorsprung
von kaum hundert Schritten; er erreichte den Wald und war gerettet.

Ohne Hut, mit nichts an Kleidern und Wäsche versehen, als was er am
Leibe trug, und einige Thaler in der Tasche und blos mit seinem Säbel
bewaffnet, dabei aus mehreren Wunden blutend, die ihm in der Hitze
des Kampfes geschlagen worden, ungeachtet die Räuber seinen ganz
unverletzten Körper ihrer allergrausamsten Rache opfern wollten, eilte
Lips Tullian im Walde fort, vermied Fahrwege und Fußpfade und hielt nur
auf Augenblicke in Dickichten an, um Athem zu schöpfen und zu lauschen,
ob ihm noch Verfolgung drohe.

So war er einige Stunden mit großer Anstrengung dahin geeilt, als ihn
seine Kräfte verließen und er an einer zufällig gefundenen Quelle
niedersank, die ihm zur Reinigung seiner Wunden, zur Stillung des
brennenden Durstes sehr wohlthätig wurde. Die Ermattung machte ihn bald
einschlafen.



XXXV.

Die Ermordung eines Handwerksburschen.


    Laßt uns nicht stille stehen, denn geschäftig sind
    Die Feinde rings, den Weg uns zu verschließen.

                                   ~Schiller.~


Sein Erwachen war nicht das angenehmste. Mariane, Sarberg, Eckold,
Schöneck und Schickel hatte er unter den Schüssen und Hieben seiner
Feinde niedersinken gesehen. Mit Recht mußte er befürchten, daß auch
Lehmann, Hentzschel und seine übrigen Vertrauten die blutigen Opfer
ihrer wüthenden Feinde geworden.

Auf eine Verbindung mit der Bande durfte er nicht mehr hoffen, nur
zu gut kennend den Haß des Welschen und den Einfluß, welchen dieser
tückische, gewandte Wohlredner auf die Bande hatte; ja Lips Tullian
war überzeugt, selbst von seinen frühern Kameraden, denen er einst
das Höchste ihrer Liebe, ihrer Treue, ihres Vertrauens gewesen, dem
nächsten Gerichte verrathen oder überliefert zu werden, sobald er
wieder zu ihnen zurückkehre.

Nach langer, ernster Selbstberathung bestimmte er sich dahin, seine
noch übrigen, in der Felsenschlucht vergrabenen Kostbarkeiten zu
sich zu nehmen, nach Wien zu gehen, und dort theils von den Mitteln,
die ihm der Verkauf dieser Kleinodien gewähre, theils vom falschen
Spiele so lange zu leben, bis sich ihm eine Gelegenheit biete, eine
kleine, tüchtige Rotte zu sammeln und an ihrer Spitze den Pfad seiner
bisherigen Industrie wieder zu betreten.

Für den Augenblick war ihm eine Kopfbedeckung und ein anderer Anzug das
Nöthigste.

Das Glück begünstigte den Bösewicht. Lips Tullian hatte sich kaum von
der Quelle entfernt, als er auf einen Fußpfad kam und von ferne einen
Handwerksburschen mit hoch aufgepacktem Reisebündel daher kommen sah.

Der Handwerksbursche verrieth durch seine große, kräftige Gestalt eine
Körperstärke, mit welcher Lips Tullian, vom Blutverluste und dem
langen, eiligen Marsche geschwächt, die seinige nicht messen zu können
befürchtete.

Durch List mußte das Ziel erreicht werden. Er sah sich bisher von dem
Reisenden noch nicht bemerkt. Schnell kauerte er sich unter einem Baume
nieder, und begann zu stöhnen und zu wimmern.

Der Handwerksbursche wurde aufmerksam und schritt rascher heran.
Als er einen Verwundeten sah, der wie ohnmächtig vor Schwäche und
Schmerzen ächzte, fragte der Gutherzige mit recht menschenfreundlicher
Theilnahme, ob er einige Hülfe leisten könne.

Lips Tullian bat mit leiser Stimme und den Geberden des Schmerzens und
der Entkräftung, ihn nur einige Schritte tiefer in den Wald zu führen,
wo er eine Quelle wisse.

Der Handwerksbursche warf seinen dicken, schweren Stachelstock nieder,
und reichte Lips Tullian beide Hände, um ihm empor zu helfen. Lips
Tullian that, als könne er ohne Hülfe nicht einen Schritt fortwanken.
Er ließ sich den Stock geben, stützte sich auf den Handwerksburschen
und wankte so mit schleppenden Füßen einige Schritte fort. Jetzt stand
er, zog seine Uhr und ließ sie, als hätten seine zitternden Hände
nicht mehr die Kraft, sie einzustecken, zur Erde gleiten.

Dienstfertig bückte sich der Handwerksbursche. Im Augenblicke hatte
Lips Tullian den wuchtvollen Stachelstock geschwungen, und dem Arglosen
solch’ einen mörderischen Schlag auf das Hinterhaupt gegeben, daß er
entseelt aufs Angesicht hinstürzte.

Schnell riß Lips Tullian den Mantelsack an sich, fand darin einen
fast neuen, vollständigen Anzug, feine Wäsche und manches gute
Kleidungsstück. In wenigen Augenblicken war er umgekleidet, und der
ganze Anzug paßte ihm vollkommen.

Nun durchsuchte er die Tasche des Todten, fand eine silberne Uhr,
einen Beutel mit Geld und eine Kundschaft. Er zog den Ermordeten nackt
aus, packte dessen Kleider in den Mantelsack, seine eigenen aber
warf er ins nächste Dickicht, hing ihn auf den Rücken und zerschnitt
und verstümmelte das Gesicht des Todten auf das Gräßlichste, daß man
den Unglücklichen nicht wieder erkenne, vielleicht gar für ihn, Lips
Tullian, zu halten veranlaßt werde, da er sich gleich vorgenommen
hatte, das Gerücht von seiner Ermordung überall zu verbreiten, um auf
seinen Wegen vor der Aufmerksamkeit der Behörden und ihrer Diener mehr
gesichert zu sein.

Ungeachtet der Einbruch der Nacht nicht fern war, so eilte er doch
nicht auf dem Fußwege fort, der ihn bald würde zu einem Dorfe geführt
haben, sondern schlug eine andere Richtung ein, um Orte zu vermeiden,
durch welche der Handwerksbursche gegangen sein mochte. --



XXXVI.

Die Wiedererkennung.

    Wie viele Kämpfe mußten wir bestehn,
    Von wie viel Noth und Herzensangst ermatten,
    Wie viele Leichname hinopfern und bestatten,
    Eh’ wir uns hier in dieser Hütte sehn!

                                   ~Schiller.~


Schon oft hatte Lips Tullian in diesem Walde theils einzeln, theils mit
einigen der Bande Nächte zugebracht, aber immer nur im Durchzuge, und
wußte von der Lage und dem Umfange dieses Waldes nur so viel, daß er in
gerader Richtung nach Osten beinahe zwei Tagereisen weit sich ausdehne.
In dieser Richtung ging er nun fort, mit ziemlicher Eile, da das volle
Mondlicht für seinen Marsch sehr günstig war.

Mit Anbruch des Tages stieß er auf eine Umzäunung, und eine armselige,
dunkle Strohhütte, daneben ein Meiler, sagten ihm, daß hier ein Köhler
hause.

Die Nähe eines Köhlers war ihm nicht unangenehm, da Leute dieses
Standes entweder größtentheils die Vertrauten der Gaunerbanden sind,
oder den Erzählungen und Angaben fremder Leute solch’ einen vollen
Glauben schenken, daß man von Menschen, welche alles für blanke
Wahrheit nehmen, allgemein sagt: sie haben einen Köhlerglauben.

Ueberdieß glaubte er in der armseligen Hütte eine Engelswohnung zu
erblicken, da er vor Hunger, Durst und Ermattung sich kaum mehr
fortschleppen konnte.

Unentschlossen, ob er den Schlaf der Hüttenbewohner stören, oder deren
Erwachen hier abwarten solle, lehnte er sich an die Umzäunung und
musterte aus Neugierde und zum Zeitvertreib die Kundschaft des armen
Handwerksburschen.

Hatte er in seiner Raub- und Mordbegierde übersehen, daß der
Handwerksbursche wirklich viele Aehnlichkeit mit ihm habe, so fand er
diese in der hier aufgeführten Personalbeschreibung. Die Größe der
Gestalt, die Farbe der Haare, der Augen, die Gesichtsbildung waren so
bezeichnet, als hätte er selbst dem Kundschaftsschreiber zum Muster
gesessen; auch das Lebensalter traf auf ein Paar Jahre zusammen,
und Christoph Feller mußte gerade ein Schlossergeselle sein, auf daß
Lips Tullian mit dem Wenigen, was er von diesem Handwerke wußte, doch
in großer Sicherheit seine Wanderung antreten konnte. Er hätte die
Kundschaft nicht um eine hohe Summe hingegeben.

In der Köhlerhütte wurde es rührig. Die Thüre that sich auf, und eine
hohe, schlanke Mädchengestalt im allerfreiesten Anzuge, eilte mit
leichtem, zierlichem Gange, ein Wassergefäß tragend, dem Brunnen zu.
Lips Tullian machte sich durch ein kleines Geräusch bemerkbar.

Das Mädchen hielt an, betrachtete ihn aufmerksam, ließ den Eimer
fallen, sprang, wie ein flüchtiges Reh, über die Verzäunung, und lief
mit offenen Armen auf Lips Tullian zu. Sie drückte ihn mit dem Lächeln
einer sehr großen Freude an ihren üppigen Busen, sie gab ihm heiße
Küsse und nannte den Ueberraschten unter den zärtlichsten Liebkosungen
ihren lieben, lieben Tullian.

Der Dirne entging dieses Erschrecken nicht; sie beruhigte ihn aber
schnell, als sie sich ihm nannte. Nun erinnerte sich Lips Tullian an
Fräulein Margarethe, so wurde sie bei der Bande genannt, weil sie die
außereheliche Tochter eines Adeligen war.

Kaum vierzehn Jahre alt, von der liederlichen Mutter zu allen Lastern
gebildet, war Margarethe schon die Zuhälterin eines Mitgliedes der
schwarzen Garde.

Lips Tullian, der schöne, kräftige Mann mit der stolzen,
ehrfurchtgebietenden Haltung, das Haupt einer mächtigen Bande, war
für Margarethe das Ideal der Erhabenheit, ein Wesen ihrer tiefsten
Verehrung, ihrer innigsten Bewunderung, immer mehr ihrer heißesten
Liebe. Wo sie sich ihm nahen konnte, trat sie ihm entgegen, um den
Mann ihres Herzens zu sehen, um von ihm einen freundlichen Blick, ein
Lächeln, ein gütiges Wort zu erhaschen.

Lips Tullian, nur reife, rüstige Gestalten für seine Sinnenlust
liebend, übersah das Kind. Aber Mariane, den Geliebten immer mit
Argusaugen bewachend, durchschaute die Wünsche und die Bemühungen der
jungen Dirne.

Von Eifersucht gefoltert, machte sie durch ein vertrautes Weib aus der
Bande Margarethens Buhlen auf die Neigung seiner Dirne zum Hauptmann
aufmerksam; sie wußte Eckold in ihr Vertrauen zu ziehen und ihn dahin
zu verleiten, daß Margarethe als eine geheime Kundschafterin des
Gerichts angeklagt und ihre heimliche Ermordung beschlossen wurde.

Im Branntweinrausche bestätigte Lips Tullian das Todesurtheil, und
Margarethe wäre das Opfer der grausamsten Eifersucht geworden, hätte
sie nicht das Glück gehabt, das morsche Gitterfenster des Kellers,
worin sie verwahret wurde, zu durchbrechen und unbemerkt zu entfliehen.

Der Köhler, bei welchem sie jetzt lebte, fand sie, vor Hunger, Durst
und Ermattung beinahe am Rande des Grabes, kaum mehr zu flüstern
fähig, in der Nähe seiner Hütte unter einem Baume. Er trug sie unter
sein Dach, gab ihr Nahrung und Pflege, und nahm die Verlassene als
Tochter und Wirthschafterin an, da sein Weib und seine Kinder schon
lange hinübergegangen waren. Aus einer liederlichen, arbeitsscheuen,
buhlsüchtigen Dirne wurde Margarethe unter der väterlichen Leitung des
gutherzigen, frommen Köhlers ein arbeitsames, sittiges Mädchen, das
einfache Stillleben, die Ruhe, die Einsamkeit des Waldes immer mehr
liebend und den kleinen häuslichen Geschäften, der Pflege ihrer wenigen
Blumen und dem schuldlosen, süßen Umgange mit der Natur sich aus voller
Seele widmend.

So waren beinahe vier Jahre verflossen, aber die Erinnerung und die
sehnsüchtigen Wünsche, Lips Tullian, den Gegenstand ihrer heißesten
Liebe, wiederzusehen, noch immer nicht ganz ihrem Herzen entschwunden.
--

Da stand der Mann vor ihr, dessen Bild sie in der Tiefe ihrer fühlenden
Seele so lebendig und so treu bewahrt hatte.

Das Mädchen war so reizend, daß der sinnliche Lips Tullian kein
Verlangen nach Labung, keine Schwäche fühlte. Er tauchte die
begehrenden Augen in die reiche Fülle des fast unverhüllten Busens, der
üppigen Formen, des blühenden Gesichtes voll Liebreiz; seine Küsse,
seine Umarmungen wurden immer feuriger, und Margarethe, trunken von der
Wonne des Wiedersehens, wäre schon in diesem Augenblick das willige
Opfer des Aufgeregten geworden, hätte nicht die rufende Stimme ihres
Nährvaters sie ihrem Sinnentaumel entrissen.

Hastig flüsterte ihr Lips Tullian die Weisung zu, ihn als einen
Blutsverwandten, der von ihrem Aufenthalte in dieser Köhlerhütte
gehört habe, und vor seiner Wanderung ins Ausland zum Abschiedsbesuche
gekommen sei, dem Alten bekannt zu machen.

Der schlichte, treuherzige Waldmann glaubte alles, was Margarethe über
ihren Vetter mit geläufiger Zunge ihm erzählte, reichte Lips Tullian
wie einem alten Bekannten, mit einem herzlichen Gruße die kohlenfarbige
Hand und forderte gleich mit dem gutmüthigsten Ungestüme, daß der
willkommene Vetter seiner guten Pflegetochter einige Tage bei ihm weile
und mit dem sich begnüge, was Armuth und guter Wille bieten könne.

[Illustration: _L. Oeser in Neusalza._

Die Wiedererkennung.]

Lips Tullian wäre gern Jahre lang in dieser ärmlichen Hütte geblieben,
die ihm Margarethens Nähe und die Hoffnung auf so manche süße Stunde
schon jetzt zu einem Eden machten.

Es war am Morgen des dritten Tages, als der Köhler, der schon mit
der Morgenröthe in den Wald gegangen war, verdrüßlich zurückkam,
und Margarethen gebot, ihm seinen Sack, in welchem er jederzeit bei
längerer Entfernung vom Hause Lebensmittel mit sich trug, mit Brod,
geräucherter Wurst und Branntwein zu versehen. Zugleich erzählte er,
auf dem Arbeitsplatze von den herrschaftlichen Jägern aufgesucht, und
zum Streifzuge gegen die Tullian’sche Bande befehligt worden zu sein,
mit dem Beisatze, daß längstens in einer Stunde die noch aufgebotenen
Köhler, wie auch die Jäger und Gerichtsdiener sich hier zur Versammlung
einfinden werden.

Erbleichend und zitternd blickte Margarethe auf Lips Tullian hin,
der aber Besonnenheit genug hatte, die thätige Wachsamkeit der
hochpreislichen Obrigkeit höchst lobenswürdig zu finden, zugleich aber
erklärte, seines Bleibens dürfe hier nicht länger sein, weil er sonst
befürchten müsse, bei dem Meister, der ihn zur Arbeit verschrieben
habe, zu spät einzutreffen.

Während des Packens seiner Habseligkeiten, wobei sich Margarethe sehr
geschäftig zur Hülfe anließ, flüsterte sie ihm zu, um die Hütte zu
gehen, und am Holzstalle ihrer zu harren.

Lips Tullian nahm Abschied und hatte alle Mühe, dem Alten, der sich
ihm zur Begleitung bis zur Martersäule, von wo aus der Weg nach der
Landstraße nicht mehr verloren werden könne, aufdringen wollte, von
diesem Vorhaben abzubringen.

Er ging an den bezeichneten Platz. Nach einigen Augenblicken kam
Margarethe, legte eine Leiter an und bedeutete Lips Tullian durch
Winke, das Bodenloch des Holzstalles zu erklettern, und sich dort bis
zu ihrer Wiederkunft sehr ruhig zu verhalten. Als er oben war, verbarg
sie schnell die Leiter und schlüpfte in die Hütte.

Lips Tullian hörte aus seinem Verstecke das Herankommen vieler
Menschen, hörte oft seinen Namen mit den heftigsten Verwünschungen
nennen und wurde sehr unruhig, als die Leute sich unter einander
erzählten: es sei im Umkreise einiger Stunden solch ein Zusammenfluß
von Militär, Jägern, Gerichtsdienern und Bauern, daß die ganze Gegend
von Streifzügen wimmle.

Es wurde ihm wieder besser zu Muhte, als eine kräftige Stimme den
Aufbruch gebot und bald hatte sich das Geräusch der Dahinziehenden in
der Ferne verloren.

Margarethe gab ihm ein Zeichen, herabzukommen. Er wartete nicht das
Anlegen der Leiter ab, sondern schwang sich behend von dem Balken
herab. „Du mußt fliehen, auf der Stelle fliehen,“ -- sagte Margarethe,
zog ihn in die Hütte, riß einen Schrank auf und packte Kleider und
Wäsche in einen Bündel -- „aber ich fliehe mit Dir. Willst Du,
daß ich bleibe, so tödte mich, denn ohne Dich wäre mein Leben ein
ununterbrochener Tag der Trauer, des Schmerzes, der höchsten Sehnsucht
nach Dir. Ich bettle, ich stehle, ich morde für Dich, meine Seligkeit
opfere ich Dir auf, aber ich muß in Deiner Nähe sein. Ich führe Dich
einen Weg, wo kein Späher Dich ersehen, kein Häscher Dich fangen
wird. Ich kenne den Weg in jene Gegend, wo Du, wie Du mir gestern
vertrautest, verborgene Schätze besitzest, sehr genau, da ich gerade
in jener Gegend schon zweimal mit meinem Nährvater war, der dort eine
kleine Erbschaft erhob. Fast immer durch Wälder leite ich Dich. Da,
wo man Dörfer und Weiler nicht umgehen kann, darfst Du mit deiner
Kundschaft ohne Besorgnisse wandern; ich nehme, um kein Aufsehen zu
erregen, andere Wege, und wir einigen uns wieder an bestimmten Orten.
So, das Wenige, was ich besitze, ist nun in diesem Bündel, jetzt laß
uns die Reise antreten!“ --

Schweigend hatte Lips Tullian Margarethens ihm wohlgefällige Rede
gehört, es wäre ihm gar zu schwer geworden, sich von der reizenden
Dirne zu trennen, und ihre Schlauheit, ihren Muth und Gewandheit
recht gut erkennend, glaubte er überzeugt sein zu dürfen, daß ihre
Gesellschaft für ihn einst sehr vortheilhaft werden könne.

Er wanderte fort, und fröhlich und tändelnd hüpfte die leichtfertige
Dirne, aus dieser stillen, frommen Hütte, und gedachte nicht mehr der
Wohlthaten ihres Nährvaters, der guten Vorsätze, denen unter seinen
Lehren sich ihr Herz geweihet hatte, und schied ohne Thränen von dem
Orte, wo ein großmüthiger, gottesfürchtiger Greis drei Jahre hindurch
ein Vaterherz für die Verlaßne gehabt hatte.

Die Felsenschlucht in der Oberlausitz wurde erreicht, der vergrabene
Schatz gehoben, und Lips Tullian beschloß, nach Böhmen zu gehen, Prag
zu meiden und dann durch einen Theil von Mähren die Richtung nach Wien
zu nehmen.



XXXVII.


Lips Tullian und Margarethe in Prag.

    Er seine alten Plane aufgegeben?
    Ich sag’ euch, daß er wachend, schlafend mit
    Nichts anderm umgeht.

                                   ~Schiller.~


Was noch von den Kleinodien aus dem Raube in dem gräflich
Beuchling’schen Palaste zu Dresden Lips Tullian in der Felsenschlucht
gefunden hatte, war von großem Werthe, aber Lips Tullian würde es gern
tief unter dem Preis dahingegeben haben, hätte er gleich baares Geld
dafür bekommen.

Mit einem Reichthume in seinen Taschen, der die Wohlhabenheit einer
ganzen Familie hätte begründen können, war Lips Tullian jetzt in der
Lage, kaum für sich und Margarethe den nöthigsten Lebensunterhalt
beschaffen zu können.

Das wenige Gelt, welches er bei seiner Flucht gehabt hatte, die
unbedeutende Baarschaft des erschlagenen Handwerksburschen, und der
Erlös aus dem Verkauf der beiden Uhren war in der kürzesten Zeit dahin,
denn Lips Tullian aß und trank gern das Beste, und nichts war ihm zu
theuer, wonach ihm gelüstete.

Auch mußte er drei Tage in einem Dorfwirthshause bleiben, da Margarethe
im muthwilligen Springen über einen breiten Graben den Fuß verstaucht
hatte.

Als ein Reisender ohne Kutsche, ohne Gefolge irgend Jemand eine Schnur
orientalischer Perlen, einen Ring mit großen Brillanten vom ersten
Wasser, ein juwelenreiches Armband zum Kaufe anzubieten, wäre höchst
unklug gewesen, da wohl eine strenge Frage würde gedrohet haben, wie
ein wandernder Schlossergeselle zum Besitze dieser höchst werthvollen
Kleinodien gekommen sei.

So gern Lips Tullian Prag vermieden hätte, so mußte er doch dahin
gehen, wohl wissend, daß es dort Leute genug, besonders unter den
Juden, gebe, denen er ohne Furcht vor lästigen Fragen seine Sachen
anbieten könne.

Zur Bestreitung der Reisekosten wurden nun Kleidungsstücke von
Wirthshaus zu Wirthshaus verkauft; Margarethens Reisebündel und sein
Felleisen lieferte die Mittel zu manchem leckern Gerichte und mancher
guten Flasche Wein. Selbst das Felleisen mußte noch für die Schwelgerei
in der letzten Nachtherberge vor Prag hingegeben werden.

Nicht von dem mindesten Gepäcke belästigt, gleichsam wie von einem
Spaziergange heimkehrend, schlichen Lips Tullian und Margarethe durch
die dunkle Thorwölbung der uralten slavischen Stadt.

Das kleine, verwitterte, dunkle Wirthshaus zum blauen Fuchs, in einer
wenig belebten Gasse der Altstadt gelegen, nahm die Reisenden auf.

Unter den vielen Winkelschenken in Prag, wo das Gesindel Zuflucht
findet, kannte Lips Tullian aus seinem frühern Aufenthalte den blauen
Fuchs als eine vollkommene Raubhöhle, wo in der Zechstube jeden
Abend einige recht wackere Bürger sich bei der Flasche, beim mäßigen
Kartenspiele und mit traulichem Geplauder vergnügen, während im
Hintergebäude ein Paar kellerartige Gewölbe von liederlichen Hausvätern
und feilen Dirnen, von verdächtigen Reisenden und lichtscheuem Gesindel
belebt sind.

Mit Freude erblickte Lips Tullian in dem freundlich begrüßenden Wirthe
den nämlichen, der bei seiner Anwesenheit zu Prag hier die Wirthschaft
getrieben hatte, und auch ihn erkannte der Wirth nach einem scharfen
Beschauen, sich wohl erinnernd der hübschen Summe, die bei ihm der
schmucke Schlossergeselle vergeudet hatte, daher sich der Ankunft des
fröhlichen Gastes hoch erfreuend.

Ein traulicher Handschlag verbürgte stillschweigend die Erneuerung
sonstiger Vertraulichkeit, und als der Wirth Lips Tullian fragte, wo
er sein Gepäcke habe, hätte ihm dieser mit Bias antworten können:
„_Omnia mecum porto._“ Er verständigte den Frager nur flüchtig,
daß sein Koffer nachkomme, und erbat sich mit einem bedeutenden
Winke ein apartes Zimmer, in welches ihn nebst Margarethen der Wirth
schleunigst führte.

Das Zimmer war recht bequem eingerichtet, der Tisch gleich mit Wein
und kalter Küche besetzt, und Lips Tullian nahm sich vor, hier einige
Tage nur der Tafel und Ruhe sich zu ergeben, und dann erst den Verkauf
seiner Kostbarkeiten zu besorgen, wie auch ein kleines Nebengeschäft zu
versuchen, um Prag nicht ohne Gewinn zu verlassen. --

Am andern Morgen erzählte ihm der Wirth, daß er außerhalb der Stadt
noch einen kleinen Gasthof besitze, wo sich Abends junge, reiche
Leute versammelten, um in dem abgelegenen Gartenhause Hazardspiele zu
treiben, da diese in der Stadt seit einiger Zeit sehr verpönt seien;
übrigens werde dort Niemand zugelassen, für den nicht der Wirth selbst,
in Beziehung auf Verschwiegenheit und Spielmittel, Bürgschaft leiste.

Lips Tullian, durch Verkauf seiner Kleinodien im Besitze einer sehr
bedeutenden Summe, und von der Lust gereizt, wie in Spaa glänzend zu
erscheinen, stattete sich und Margarethe mit Kleidern und Pretiosen
aus, in welchen nur Reiche und Vornehme sich zeigen können.

Als Baron Horn mit Gemahlin, im Mecklenburgischen begütert, wurde
er der Gesellschaft von dem Wirthe vorgestellt. In den vier Wochen
seines Aufenthalts zu Prag besuchte er jeden Abend das Gartenhaus, im
Wechsel des Gewinnes und des Verlustes, je nachdem er einen noch ärgern
Betrüger als seinen Meister fand, oder ein kluges Benehmen gegen die
argwöhnischen Mitspieler ihm Gewinn oder Verlust vorschrieb. Mit einer
gewonnenen Summe von 430 Dukaten verließ er Prag.



XXXVIII.

Margarethens Untreue.

          Des Mädchens Flamme währet,
    Bis Lunens Hochlicht zweimal wiederkehret;
    Dann sucht sie neuen Zeitvertreib.

                                    ~Seume.~


Unter Lips Tullians Spielgefährten zeichnete sich ein junger
Mensch durch Schönheit, durch die heiterste Laune und ein fast
ununterbrochenes Spielglück vorzüglich aus.

Schon in der ersten Nacht wurde Lips Tullian auf ihn sehr aufmerksam,
da er recht gut bemerkt hatte, daß dieser gewandte Betrüger durch seine
feinen Künste das Glück zu fesseln wisse. Gleich hatte Lips Tullian
die Idee, sich näher an ihn anzuschließen, ihn zur Reise nach Wien zu
bewegen, und zur gemeinschaftlichen Sache in den dortigen geheimen
Spielhäusern.

Daß der junge Mensch sich Baron von Strahl aus Litthauen nenne, hörte
er im Laufe der gesellschaftlichen Unterhaltung, von dem Wirthe aber in
vertrauter Mittheilung, daß dieser Baron Strahl ein entlaufener Friseur
aus Berlin, ein Matador unter den falschen Spielern und vielseitig zu
gebrauchen sei.

Lips Tullian wünschte sich Glück, seinen Mann gefunden zu haben, und
bald war unter beiden die innigste Freundschaft geschlossen.

Nie besuchte Lips Tullian das Spielhaus, ohne von Margarethen begleitet
zu sein. In einer höchst freien Kleidung, mit süßem Lächeln, mit
feurigen Blicken und anmuthigen Bewegungen wandelte sie an der Seite
junger Gecken und alter Thoren, die nicht des Spieles wegen hierher
kamen, sondern mit den jungen gefälligen Aufwärterinnen ihr Geld und
ihre Gesundheit verschleuderten, manche Stunde in den Gängen des
Gartens auf und nieder, fachte in den Gemüthern der Sinnlichen die
heißesten Begierden an, gab nie mehr als einen Kuß, eine Hoffnung für
die Zukunft, und wußte auch bei aller Härte der Versagung ihre Verehrer
so an sich zu fesseln, daß die Schlaue in kurzer Zeit sich im reichen
Besitze von werthvollen Ringen, Perlen und Stoffen sah.

Es war Lips Tullians Anweisung, die verschwenderische Großmuth dieser
Lüstlinge zu benutzen, und die gelehrige Schülerin übertraf seine
Erwartungen.

Aber dieses trügerische Spiel währte nicht lange. Margarethe hatte
für ihre freigebigen Verehrer bald kein süßes Lächeln, bald keine
bezaubernden Küsse, bald keine beglückenden Hinwinke auf lohnreiche
Zukunft mehr.

Ueber ihrer, bis zur Leidenschaft erwachsenen Liebe für den schönen,
immer fröhlichen Strahl vergaß sie die huldigende Umgebung, ja, sie
war von dieser Leidenschaft so beherrscht, daß sie Lips Tullian offen
gestand, ihm nichts mehr sein zu können, als seine unerschütterliche
Freundin, da ihr Herz, all ihr Sinnen, all ihre Träume sich nur dem
Geliebten weihen.

Lips Tullian, nur ein roher Wollüstling, der nach gestillten Begierden
auch die Reizendste mit Gleichmuth verließ, freute sich dieser
Mittheilung, da er mit Zuversicht hoffen durfte, durch die Liebe und
die Hingebung der reizenden Margarethe den jungen, sinnlichen Menschen
mit immer festern Banden an sich zu fesseln.

Strahl wurde auch von Margarethens blühender Schönheit, von dem Zauber
ihrer Anmuth, ihres lieblichen Frohsinnes und von dem Feuer ihrer
Umarmungen so begeistert, daß er jeder Gesellschaft, jedem Genusse sich
versagte, und nur für das Ideal seines Herzens lebte.

Daß Lips Tullian ihn so viele Stunden mit Margarethen allein ließ,
daß er die Huldigungen nicht zu beachten schien, die der Liebende der
Geliebten immer sichtbarer weihte, hielt er für Kälte des Ehemannes;
er ahnte nicht in seinem Sinnenrausche, daß Lips Tullians Benehmen auf
seine Pläne sich gründete.

Mit ihm und Margarethen reiste Strahl von Prag ab, in einem eleganten
Wagen, den er um eine hohe Summe gekauft hatte, da Margarethe einst
den Wunsch äußerte, recht bequem und glänzend die Reise nach Wien zu
machen. Auch hatte der Gefällige, zu Margarethens Bedienung, in Prag
ein Mädchen gedungen, welches die Reise nach Wien mitmachte und mit
Strahl schon länger bekannt zu sein schien.

Lips Tullian war der nachsichtigste Ehemann von der Welt. Leckere
Gerichte, gute Weine, ein trauliches Kosen mit Margarethens Mädchen,
das sehr schön und gegen ihn nichts weniger als spröde war, nahmen den
Schwelger zu sehr in Anspruch, um Margarethe und Strahl zu stören.

Margarethe äußerte den Wunsch, über Olmütz und Brünn zu reisen, um
diese Städte zu sehen. Die Reise ging dahin. In Olmütz kaufte Strahl
ein Paar schöne flüchtige Wagenpferde, mit denen er nun selbst fuhr,
da, seiner Versicherung gegen Lips Tullian gemäß, kein Kutscher sich
gefunden hatte, der ihm tauglich geschienen hätte. Es wurden nur kleine
Tagereisen gemacht.

Lips Tullian sehnte sich nach Wien, und sah recht sauer, als Strahl bei
der Ankunft in Brünn erklärte, hier eine volle Woche bleiben zu wollen,
da er in der Nähe dieser Stadt einige Gutsbesitzer kenne, denen er
schon lange seinen Besuch zugesagt habe.

Strahl war auch wirklich während des achttägigen Aufenthaltes in Brünn
nur auf wenige Stunden sichtbar.

Endlich kam der Vorabend des Tages, mit dessen Anbruche die Reise
fortgesetzt werden sollte.

An diesem Abende wurde Lips Tullian von Strahl heimlich gebeten, ihn,
sobald Margarethe zu Bette sei, nach einem Kaffeehause zu begleiten, wo
man vortrefflichen Punsch trinke und zwei allerliebste Mädchen nicht
nur den Dienst der Hebe versehen, sondern auch als Gnidias reizende
Priesterinnen dem Opfer sich weihen.

Solch eine Einladung von sich zu weisen, war Lips Tullian nicht
gewohnt. Er ging mit Strahl, und nachdem sie Arm in Arm mehrere
Hauptstraßen und eine Menge Seitengassen und Nebengäßchen durchwandelt
hatten, blieb endlich Strahl vor einer Spelunke stehen, in welche Lips
Tullian einzutreten zauderte, da er beim Laternenschimmer umsonst
nach dem bezeichnenden Mohren mit der langen Gypspfeife und der
Kaffeekanne oder nach einem Aushängeschild sich umgesehen. Strahl hob
seine Bedenklichkeiten mit der Versicherung, dieser Eingang führe
in das Hinterhaus, wo man recht artige Zimmerchen, und darin Punsch
und Mädchen, wie auch recht angenehme, ungestörte Stunden finde, da
der Billardsaal und die Gemächer des Vorderhauses, des öffentlichen
Anstandes wegen, dergleichen Privatunterhaltungen nicht gestatten. Lips
Tullian folgte seinem Freunde, fand ein recht trauliches Stübchen, ein
paar schlanke, hochgeschürzte Nymphen in schamloser Kleidung und mit
frechem Entgegenkommen, fand vortrefflichen Punsch und eine dieser
Phrynen so anziehend, daß er unter ihren Liebkosungen unmäßig trank und
sich bald um seine Sinne getrunken hatte.



XXXIX.

Lips Tullian wieder an der Spitze einer Räuberbande.

    Laßt uns nicht stille stehen, denn geschäftig sind
    Die Feinde rings, den Weg uns zu verschließen.

                                 ~Schiller.~


Lips Tullian erwachte aus todtähnlichem Schlafe. Er sah, er hörte, er
fühlte brennende Schmerzen am Kopfe, aber glaubte, noch immer von den
Irrlichtern eines neckenden Traumes in betäubender Bewegung umtanzt
zu werden. Nicht auf dem weichen Ruhebette des kleinen traulichen
Gemaches, nicht in den Armen einer leichtfertigen Dirne fand er sich,
sondern in einem spärlich erleuchteten Gewölbe, auf einem Strohlager,
einigen wilden Gesichtern gegenüber, die sich auf dem Fußboden um eine
Flasche gelagert hatten und eifrig zusammen sprachen.

Alles trat ihm zu lebendig, zu wirklich entgegen; er raffte sich
zusammen, um den Armen dieses Traumgesichts sich mit Gewalt zu
entreißen, er riß sich auf von seinem Strohlager, und die furchtbare
Wirklichkeit empfing den Erstarrenden.

„Nun, Lips Tullian, hast Du endlich ausgeschlafen, damit wir ein
vernünftiges Wort mit Dir sprechen können?“ lachte eine dieser
Gestalten, und reichte ihm das volle Glas hin.

Lips Tullian war keiner Worte mächtig. Hier hörte er von einem
Unbekannten sich Tullian nennen. Wie war dieser Name, wie war er selbst
hierher gekommen?

Der Mann, von dem er so überraschend genannt wurde, mochte wohl das
Dunkel, in welchem Lips Tullian mit unsicherm Schritte sich fortgriff,
recht wohl durchschauet haben; er lagerte sich an des sprachlos
Staunenden Seite und sagte also:

„Eine lange, lange Erzählung könnte ich Dir zum Besten geben, wie es
so kommen mußte, daß Du hier bist; ich will Dich aber mit wenig Worten
klug machen. Dein Freund, Baron Strahl -- sonst hatte er einen andern
Namen -- und Deine treue Margarethe waren schon in Prag darüber Eines
Sinnes, Dich von der Last Deines Goldes zu entheben, und mit ihrer
Gegenwart Dich nicht länger zu incommodiren.

Strahl schlug vor, Dich auf der Reise betrunken zu machen, in der
Kutsche zu erwürgen und Deine Leiche im nächsten Walde zu vergraben.
Darum kaufte er zu Olmütz eigene Pferde und nahm keinen Kutscher an,
damit Deine Ermordung um so unentdeckter geschehen könne. Margarethe
ging in diesen Vorschlag nicht ein, und als Strahl darauf bestand,
drohete sie, Dich zu warnen.

Jetzt besann sich Strahl, in dieser Gegend vor zwei Jahren angegriffen,
und dann selbst für einige Zeit einer unserer Cameraden geworden zu
sein. Er streifte in Brünns Umgebungen umher, fand und erkannte mich,
vertraute mir sein Verlangen, Dich aus dem Wege geräumt zu wissen, und
sagte mir zugleich, von Deiner Zuhälterin erfahren zu haben, daß Du
der berühmte Lips Tullian seist. Ich erschrack vor Freude über diesen
Namen, über Deine Nähe, über Deine Bekanntschaft. Ich würde Strahl
ermordet haben, hätte er Dir Leides thun wollen.

Du sollst unser Bonherr werden, darüber war ich mit mir und meinen
Cameraden gleich im Reinen, und als Strahl versicherte, Dein Reichthum
sei zu bedeutend, um Dich den Aufenthalt in den Wäldern und in
schlechten Kneipen, die Gefahren, die Anstrengungen unseres Handwerks
für ein Leben voll Bequemlichkeit, Ueberfluß und Genüssen eintauschen
zu lassen, so mußtest Du arm gemacht werden, um an unserer Spitze durch
Deinen Muth und Deine Talente, durch unsere Treue, Anhänglichkeit und
unsern Eifer wieder reich zu werden.

Die Sache war schnell gemacht. Strahl, durch mich unterrichtet, führte
Dich in dieses Häuschen, dessen Besitzer mein Bruder ist. Trinken und
Lieben, Deine schwache Seite, gaben Dich in unsere Hände.

Strahl, Margarethe und ihr Mädchen, schon seit Jahren Strahls
geheime Zuhälterin, sind fort, Gott weiß, wohin, und mit ihnen Deine
Habseligkeiten und Dein Gold.

Du hast die Wahl, unser Anführer zu werden, oder in diesem
unterirdischen Gewölbe zu verschmachten!“ --

Die Wahl war nicht schwierig. Schon in der nächsten Nacht zog Lips
Tullian mit den neuen Gesellen hinaus in die Wälder, in das wilde,
blutige Räuberleben.



XXXX.

Lips Tullians abermalige Gefangenschaft.

            Nur zu! Sie rücken
    Mit Schwert und Feuer auf uns an.

                         ~Schiller.~


In einer Waldschlucht, zwei Meilen von Iglau, lag Lips Tullian mit
seinen Gesellen um ein hochaufschlagendes Feuer herum, an welchem
gesotten und gebraten wurde. Da gab es Geflügel aller Art, einige
Schafe, ein paar Kälber, auch an Wildpret gebrach es nicht, und ein
Fäßchen Branntwein versprach, das leckere Mahl zu würzen. Aber die
Räuber hatten nicht allein für den Magen, sondern auch sonst für das
Leben gesorgt. Einige ausgeraubte Kirchen, Edelsitze und Bauerhäuser
hatten viele gute und werthvolle Sachen in diese Waldschlucht
geliefert, und ein Säckchen mit Gold- und Silbermünzen erfreute die
glückliche Bande.

Die Kochtöpfe wurden in den Kreis der Hungernden gebracht, die Braten
vom Spieße genommen, und die Becher gefüllt. Gesang und Geplauder
verstummte, und nur das Löffelgeklapper und Messergeklirre der Essenden
unterbrach die Stille.

Da erscholl hinter Lips Tullians Rücken ein lautes Lachen, und als er
jetzt zurück blickte, meinend, einer der Kameraden wolle ein tolles
Stückchen erzählen, und durch eigenes Gelächter die Versammlung auf
seinen Witz aufmerksam machen, da entsank ihm im Schrecken der ersten
Ueberraschung das Messer.

Es waren die drohenden Mündungen einer Doppelbüchse, in die er sah.
Und die Mündungen von Büchsen und gezogene Hirschfänger waren der
verderbliche Kreis, den Soldaten und Jäger, rasch hinter den Bäumen
hervor tretend, um die erstarrte Gesellschaft geschlossen.

Einer der Räuber sprang auf; im Augenblicke stürzte er, von einer Kugel
in die Brust getroffen, entseelt nieder.

„Wer sich vom Flecke bewegt, ist des Todes!“ -- herrschte der Mann mit
der Doppelbüchse den Räubern zu. Ketten klirrten, Hunde knurrten, und
Gerichtsdiener traten in den Kreis, entrissen den Räubern Pistolen,
Messer, Säbel und Knittel, legten ihnen Fuß- und Handschellen an, und
trieben die Gefesselten mit Stockhieben zum Aufbruche an.

Einige Bauern, mit blassen Gesichtern und scheuen Tritten kamen auf
den Ruf des Anführers aus den Gesträuchen hervor, und folgten, mit dem
Raube beladen, den Dahinziehenden.

Die Nacht dunkelte heran, als Lips Tullian mit seinen Cameraden durch
das gewaltige Thor eines festen Bergschlosses in den innern Hofraum
trat, wo ein stattlicher Mann, die Begleitung mit großem Lobe, die
Bande mit furchtbaren Drohungen begrüßend, den Befehl gab, die Räuber
einzeln in die sichersten Gefängnisse zu bringen.

Einer der Gerichtsdiener bezeichnete ihm Lips Tullian als den Hauptmann
der Räuber, und der Schloßherr bestimmte für diesen das tiefste
Gefängniß und die schwersten Ketten. Lips Tullian wurde viele Stufen
hinab in einen finstern, dumpfen Kerker gebracht, und mit einem
Leibringe belegt, dessen Kette mit der der Fußschelle an einem Ringe in
der Mauer befestigt wurde.

Schlaflos, im Ersinnen der Mittel zur Rettung sich erschöpfend, zählte
Lips Tullian die dumpfen Schläge der Thurmuhr, und so eben war der
letzte Schlag der Mitternachtstunde verklungen, da deuchte es ihm, an
seiner Kerkerthüre Geräusch zu hören.

Die Riegel rasselten, das Schloß klirrte, die Thüre that sich auf,
ein helles Licht drang in das Rabendunkel des Gefängnisses, und eine
hohe, schlanke Frauengestalt, das Gesicht von einem dichten Schleier
umhüllet, eine hochlodernde Fackel in der Linken, schritt im feierlich
langsamen Gange auf ihn zu.

Die Gestalt stand; sie hob die Fackel, sie warf den Schleier zurück,
und starrte schweigend mit scharfem Blicke auf Lips Tullian hin.

„Geist meiner Josephine!“ -- stöhnte der Bebende, und sank bewußtlos
zurück.



XXXXI.

Der Lieutenant Schönknecht.

    Traute Heimath meiner Lieben,
    Sinn’ ich still an Dich zurück.
    Wird mir wohl -- und dennoch trüben
    Sehnsuchtsthrähnen meinen Blick.

                               . . .


Nachdem uns hier Josephine, eine Erscheinung aus Lips Tullians früheren
Jahren aufgestoßen ist, dürfte es nun wohl an der Zeit sein, einen
Rückblick auf dessen Jugendverhältnisse zu werfen.

Wir beginnen mit seinem Vater bei der Belagerung von Wien im Jahre 1698.

Im Dragonerregimente Lothringen zog der Wachtmeister Michael
Schönknecht unter Johann Sobieski vor das von den Türken belagerte und
hart bedrängte Wien.

In der Nähe der Kaiserstadt angekommen, bemächtigte sich Sobieski der
vortheilhaften Posten, sprengte eine Anhöhe hinan, beschaute mit
seinem guten Fernrohre die Verschanzung des Großvezirs, und sagte zu
seiner Umgebung: „Er hat eine üble Stellung gewählt. Ich kenne ihn, er
ist unwissend, und doch eingenommen von seinen Talenten. Der Sieg ist
unser, aber wir werden keine Ehre von diesem Siege haben.“ --

Was der Sieger von Choczim zu seinem Gefolge gesagt hatte, durchflog
auf raschen Schwingen sein Heer, und die Krieger, stolz, unter einem
Sobieski fechten und gegen die gehaßten Feinde ihres Glaubens die
tödtende Waffe schwingen zu dürfen, jubelten freudetrunken der nahen
Schlacht entgegen.

Sobieski hatte wahr gesprochen. Es war kein mit Ehre gekrönter
Sieg; es war das Metzeln einer vom panischen Schrecken bis zur
schändlichsten Feigheit gelähmten Horde; es war die wilde Flucht eines
sich auflösenden Heeres, das in seiner Furcht und Verwirrung sogar die
geheiligte Fahne Mohammeds vergaß, welche Sobieski mit einem Briefe an
den Papst sandte, worin die Worte vorkamen: „Ich bin gekommen, ich habe
gesehen, und Gott hat gesiegt!“ --

Nur ein türkischer Haufen theilte nicht die wilde Flucht und die
Schande der Uebrigen. Es war die Reiterei, welche sich zwar in
rascher, aber schön geordneter Bewegung zurückzog, oft gegen den
verfolgenden Feind Front und Angriff machte und dann wieder in ächt
ritterlicher Haltung den Rückzug fortsetzte.

Graf Hardegg, Obrist des Dragonerregiments Lothringen, freute sich des
Muthes und der kriegerischen Festigkeit der Reiterei, da durch sie
seinen Reitern die ehrenvolle Gelegenheit ward, als brave Soldaten mit
den wackeren Gegnern zu messen. Schon zweimal hatten die Lothringer
einen höchst tapfern, furchtlosen Angriff gemacht; jetzt war der
Obrist fest entschlossen, die türkische Reiterschaar zu fangen oder zu
vernichten. Furchtbar war der Angriff, eben so der Widerstand. Es kam
zum blutigsten Handgemenge. Schon schwebe der Obrist, von den Seinigen
abgeschnitten, in der Gefahr, gefangen oder getödtet zu werden, als
sich Wachtmeister Schönknecht zu ihm durchhieb, einem Spahi den
Pallasch durch den Leib rannte, einem andern den Kopf spaltete, und mit
Kraft und Gewandtheit unter den Osmanen metzelte, daß sich der Obrist
bald außer Gefahr, zugleich aber auch den braven Schönknecht, aus
unzähligen Wunden blutend, vom Rosse sinken sah.

Wachtmeister Schönknecht wurde nach Wien zurückgebracht, aber nicht in
das Lazareth, sondern in den gräflich Hardegg’schen Palast, welchen die
Mutter des Obristen mit ihrer Familie bewohnte. Die ehrwürdige Dame
pflegte des Verwundeten mit einer Liebe, einer Sorgfalt, mit einem
Eifer, wie man nur des eigenen geliebten Kindes pflegen kann; sie
glaubte, für den Lebensretter ihres Sohnes nicht genug thun zu können.
Auch der Obrist besuchte den Verwundeten täglich, und sicherte ihm die
reelsten Beweise seiner Dankbarkeit zu.

Noch auf dem Krankenlager wurde der Wachtmeister Schönknecht zum
Lieutenant im Dragonerregiment Lothringen befördert. Aber bald
überzeugte er sich mit tiefem Schmerze, daß ihn eine unheilbare Lähmung
am Fuße, Folge eines Lanzenstiches, für den Feld- und Garnisondienst
untauglich mache. Er erhielt Pension und von dem Obristen Grafen von
Hardegg ein Geschenk von 4000 Dukaten.

Schönknecht war in Straßburg geboren. Bald nach dem Beginnen seines
ruhevollen Lebens fühlte er solch eine Sehnsucht nach seiner
Vaterstadt, daß er sich entschloß, ungesäumt dahin zu reisen, und dort
seine Tage hinzubringen. Aber seine Sehnsucht sollte nicht so schnell
gestillt werden. Das Militär-Gouvernement schlug Schönknechts Gesuch,
in Straßburg sich häuslich niederlassen zu dürfen, mit der Bedeutung
ab, daß er seine Pension im Inlande zu verzehren habe. Obrist Hardegg
ward zum Vermittler; durch seinen Einfluß und seine Verwendung erhielt
Schönknecht für seine Pension ein nicht unbedeutendes Capital. Mit
Extrapost flog er in ununterbrochener Reise der heiß ersehnten Heimath
zu.

Als Betteljunge hatte Schönknecht in seinem zehnten Lebensjahre
Straßburg verlassen; mit Gold und Rang kehrte er nun zurück. Er fand
seine Eltern im Grabe, und nicht die mindeste Nachricht über seinen
Bruder, der, schon vor ihm aus Straßburg gegangen, in der Folge zu
Hamburg als Matrose sich eingeschifft hatte.

Lieutenant Schönknecht hatte auf seiner beflügelten Postreise den Plan
zur Einrichtung seiner künftigen Lebensweise entworfen, und kaum in
Straßburg angekommen, beschäftigte er sich schon mit dessen Ausführung,
die um so einfacher und leichter war, da das _dolce far niente_,
von ihm ein wohl verdientes Ausruhen von frühern Mühseligkeiten
betitelt, nun den Cyclus seiner Tage gestalten sollte. Er schlief, aß,
trank und rauchte Tabak.

Von frühester Jugend an im steten Kampfe mit einem Leben voll Mangel,
Anstrengungen, Gefahren, Ruhelosigkeit und einer freiheitslosen,
despotisch gegängelten Stellung war er, nun Herr seiner Zeit und seines
Willens, über ein reiches Capital gebietend, im Besitze kräftiger
Gesundheit, und sich stolz fühlend auf den ehrenvoll gelähmten Fuß,
unbeschreiblich glücklich. Er lebte einen Tag wie den andern, und
konnte, seinem Gefühle und seinen Begriffen nach nicht glücklicher
leben.



XXXXII.

Schönknechts Verheirathung.

    Im Gewebe unsers Lebens spielen
    Plan und Zufall eine große Rolle.

                         ~Schiller.~


Zwei Jahre hatte Lieutenant Schönknecht in Straßburg sein Pflanzenleben
abgeleiert, als ihm Schalk Amor ins Ohr raunte, daß es nicht gut sei,
wenn der Mensch allein ist. Und als unser Hagestolz dem unberufenen
Mentor recht unwillig die Thüre weisen wollte, da führte ihn dieser
mit schelmischem Lächeln an das Fenster, zeigte auf eins des gegenüber
stehenden Hauses, und entfloh unter schadenfrohem Gelächter.

„Der kleine, geflügelte Spitzbube will mich zum Besten haben,“ --
brummte Schönknecht vor sich hin. -- „In alle Fenster dieser alten
Knallhütte habe ich schon bei meiner Morgenpfeife geschauet und nichts
gesehen, als den buckligen Hausbesitzer mit seiner alten Megäre, einen
Windbeutel von Friseur und drei Weibstücke, die mehr Ansprüche haben,
in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberge den Kehraus zu tanzen, als
eine Liebesflamme anzufachen. Warte nur, loser Junge, ich werde dich“ --

Der Nachsatz erstarrte ihm auf den Lippen, die Pfeife entglitt seiner
Hand; er wußte nicht, ob er wache oder träume. Aus dem nämlichen,
von Amor bezeichneten Fenster, aus welchem sonst nur die widerliche
Fratze des liederlichen Pudergottes, oder dessen grundhäßlicher Frau
Gemahlin ihm entgegengrinzte, lächelte ihm plötzlich ein Mädchengesicht
entgegen, so allerliebst, so freundlich, wie er noch nie eins gesehen
zu haben glaubte.

Das Mädchen grüßte so traulich herüber, als kenne man sich schon seit
Jahren; sie sprach ein paar Worte über das Wetter -- der Lieutenant
glaubte Sphärenmusik zu hören -- sie hüpfte vom Fenster das Zimmer
hinunter, und Schönknecht, der dieses ganz übersehen konnte, sah die
schlanke, üppige Gestalt, die leichten, reizenden Bewegungen einer
Oreade.

An den schönsten Mädchen von Straßburg war er mit unbewegtem Herzen
vorüber gegangen; die über Nacht ihm gewordene Nachbarin, diese
überraschende Erscheinung, faßte ihn mit magischer Gewalt. Eine volle
Stunde stand er noch am Fenster, mit sehnsüchtigen Blicken in das,
ihm nun zu einer Halle der Grazien gewordene Zimmer hineinsehend, nur
von dem Wunsche beseelt, die entflohene Grazie wieder zurück schweben
zu sehen. Dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt, aber dagegen seinem
Herzen eine neue, recht süße Wunde geschlagen.

Die unbekannte Huldin trat jetzt aus der Hausthüre, sah zu ihm empor,
grüßte freundlich lächelnd, eilte die Gasse hinab, blickte einigemal
zurück, und winkte ihm an der Ecke der Seitenstraße mit dem blendend
weißen Tuche einen süßen Gruß zu.

So rasch es mit dem lahmen Fuße ging, eilte der Lieutenant zu seinem
Hausbesitzer hinab, und forschte mit jugendlichem Ungestüm, wer das
engelschöne Mädchen sei, das, gleichsam wie aus den Wolken daher
gekommen, die himmlischen Räume mit den armseligen Gemächern des
luftigen Friseurs Blondell vertauscht habe.

Der Hausbesitzer, ein höchst langweiliger, umständlicher Mensch,
nahm auf diese Frage eine sehr wichtige Miene an, schaukelte mit dem
Kopfe, und sprach dann langsam und eintönig: „Hochschätzbarster Herr
Lieutenant, wenn ich Ihre -- pardonniren Sie gefälligst -- etwas
hochtrabenden Worte mir in die gewöhnliche, allgemein verständliche
Sprache übersetze, so erkläre ich mir nach möglichst richtigen
Begriffen, daß Sie gern wissen möchten, wer die hübsche, vielleicht
auch gar wunderschöne Person ist, die bei dem Friseur Blondell wohnt,
oder vielleicht da bei dessen Ehefrau zur Morgenvisite ist, oder mit
dem Haarkräusler irgend ein Geschäft abzumachen hat, oder die -- damit
ich mich kurz und bündig fasse, durch irgend einen Zufall, oder aus
bewegenden Gründen, oder durch sonst eine erdenkliche Veranlassung sich
zu dieser frühen Morgenstunde im erwähnten Zimmer des oft berührten
Friseurs Blondell von Ihnen hat erblicken lassen. Wenn ich Ihre Frage,
mein Schätzbarster, von allen Seiten und mit meinem wenigen Scharfsinne
nochmals und wiederholt in gehörige und reifliche Consideration nehme,
so glaube ich, bewußte Frage vollständig aufgepaßt und verdollmetscht
zu haben. Nicht wahr, Verehrtester?“

„Allerdings, aber es ist hier nicht die Sprache von einem
Morgenbesuche, von einem Geschäfte, oder sonst einer Veranlassung zu
einem flüchtigen Aufenthalte in Blondells Wohnung; daß dieses Mädchen
entweder zu des Friseurs Familie gehöre, oder sich bei ihm für einen
längern Aufenthalt eingerichtet habe, glaube ich durch verschiedene
Veranlassung überzeugt sein zu dürfen. Entschuldigen Sie meine
Neugierde, aber es liegt mir sehr viel daran, über dieses Mädchen
Aufschluß zu bekommen. Können Sie mir darüber etwas Befriedigendes
sagen?“

„Bedaure auf das Außerordentlichste, Euer Wohl-Edlen, damit nicht
dienen zu können. Blondell, der schlechte Patron, hat bei mir einige
Monate gewohnt, ist, ohne die Miethe zu bezahlen, bei Nacht und Nebel
mit seiner ganzen portativen Einrichtung davon geschlichen, und seit
dieser Zeit von mir gemieden und gehaßt. Da ich aber aus christlicher
Nächstenliebe jedem Mitmenschen, nur nicht dem Blondell und gar
vielen Andern, die in meinem Schuldbuche stehen, nach besten Kräften
zu dienen, einen absonderlichen Eifer habe, besonders aber mich für
Hochdero Wünsche und Befehle gar vorzüglich interessire, so will ich
auf der Stelle durch meine Haushälterin Euer Wohledlen erlauben mir,
von der Schlauheit dieser welterfahrnen Person“ --

„Danke sehr und bitte, weder sich, noch die gerühmte Person im
geringsten zu incommodiren.“

„Ach lieber Himmel, nun geht mir über die Fremde bei Blondell ein Licht
auf, so hell leuchtend, wie eine Wachsfackel. Erweisen Sie mir nur die
Gefälligkeit, mich zu informiren, ob dieses Mädchen nicht hinter dem
linken Ohr einen Leberfleck hat, beiläufig in der Größe von einer nicht
zu breiten und zu schmalen Linse, ferner, ob diese Fremde beim Sprechen
nicht etwas schnarret?“ --

„Wie kann ich Ihnen darüber etwas sagen, da ich das Mädchen nicht in
der Nähe sah und nicht sprechen hörte?“

„Ja, ja, sie schnarrt, sie hat den Leberflecken hinterm Ohr, diese
Luise, des Friseurs gar sanftmüthiges Töchterlein. Kein reputirliches
Frauenzimmer nimmt bei Blondell Wohnung. Es ist Luise, die vor
vier Jahren nach Paris ging, um, wie die bösen Leute sagen, so
kleine verzinsliche Geschäfte auf ihre Hand zu machen. Sie wird aus
kindlicher Liebe zurückgekehrt sein, um dem theuern Papa und der
allerschätzbarsten Mamma statt des Hungertuches, an welchem beide gar
lamentabel nagen, ein besseres Gericht aufzutischen.

Luischen war schon vor vier Jahren, als sie die Kinderschuhe
ausgetreten und bei unserer berüchtigten Modehändlerin Gromant in der
Nächstenliebe und in den Werken der Barmherzigkeit Unterricht genommen
hatte, ein recht appetitlicher Backfisch!“ --

„Was ist das? diese sonderbare Benennung eines jungen, schönen Mädchens
habe ich noch nie gehört.“

„Das glaube ich allerdings, Schätzbarster, denn diese spaßhafte
Benennung ist nicht überall gang und gäbe. Im Norden -- erlauben
Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Norden um Berlin herum liegt, und
daß auch dort die vortrefflichen Nordlichter fabricirt werden, die
unsere Pfuscher von Kerzenziehern nicht nachmachen können -- also um
wieder auf Norden zurückzukommen, so habe ich die Ehre, Euer Wohledeln
ergebenst zu informiren, daß man dort jedes junge, schöne Mädchen,
dessen Gunst durch ein Stück Geld oder ein Geschenk erkauft und mit dem
sündlicher Umgang gepflogen werden kann, einen Backfisch nennt.“

Das war für den Lieutenant zu arg. Er hatte das fünf und vierzigste
Lebensjahr erreicht, ohne die Macht der Liebe, ihre Qualen und
Süßigkeiten kennen gelernt zu haben. Die Erscheinung der reizenden
Unbekannten ward ihm zum Blitze, der in das Tiefste seines Innern
zündend schlug und alle so lange in stiller Ruhe entschlafenen Gefühle
plötzlich entflammte. Das stürmisch aufgeregte Herz unterjochte den
Kopf. Der zum erstenmal, aber um desto glühender Verliebte sah in
der Fremden kein von irdischen Schwächen und Fehlern befangenes,
sondern nur ein hehres, von allen Reizen des Körpers, des Geistes
und des Herzens umflossenes Wesen. Er war von seiner neuen rasenden
Leidenschaft zu sehr hingerissen, um durch des Hausbesitzers
unumwundene Mittheilungen über Luisens Phrynenleben, von der Höhe
seiner Ueberspannung zur Tiefe ernster Prüfung herabgezogen zu werden.
In dem treuherzigen Referenten sah er nur einen humischen Verläumder;
er war so außer sich, daß er auf der Stelle die Miethe aufkündigte, und
noch am nämlichen Tage eine Wohnung bezog, die mit der des Blondell
gleichsam im Zusammenhange stand.

Es waren nach dieser Zeit nicht drei Wochen verflossen, als der
Lieutenant Schönknecht die reizende Luise Blondell zum Traualtar führte.

Die Flitterwochen wurden zu Monaten, zum vollen Jahre, an dessen Ende
Luise den überglücklichen Gatten mit einem holden Knäblein beschenkte.

Aber es hat sich als mathematische Wahrheit seit der Urgestaltung
des Menschen beurkundet, daß hienieden nichts vollkommen und kein
Glück ewig ist. Dieser Erfahrungssatz bewährte sich auch an dem guten
Lieutenant Schönknecht. Sein Sinnenrausch wich allmälig, das von
Luisens Reizen geblendete Auge begann klarer und schärfer zu blicken,
die falsche Begeisterung machte nunmehr Raum der ernsten Besonnenheit,
den prüfenden Beobachtungen, und die zweite Hälfte des Flitterjahres
war noch nicht zur Hälfte verronnen, als Lieutenant Schönknecht der
gräßlichen Ueberzeugung erlag, seine Hoffnungen, sein Glück, seine
Lebensruhe in den Armen eines launenvollen, zanksüchtigen, verbuhlten,
schwelgerischen Weibes zu Grabe getragen zu haben.

Luise Blondell, schon in der Blüthe des Alters von ihrem schändlichen
Vater an einen reichen Lüstling verkauft, bildete sich in Paris zur
vollkommenen Hetäre, und blieb diese als Gattin des wackern, treuen
Ehemannes. Anfangs spielte sie ihr heilloses Spiel mit Behutsamkeit;
doch immer mehr ward sie bald die Herrin des lenkbaren, gutmüthigen
Gatten, und immer freier in ihrem sittenlosen Walten, und selbst,
als der Lieutenant seine Luise mehr zu durchschauen und zu würdigen
vermochte, wandelte sie auf ihrem ehrlosen Pfade mit ungehemmtem,
frechem Gange zwanglos dahin.

Vor dem Blicke des Wachtmeisters Schönknecht hatten die wildesten
Bursche der Schwadron gezittert; der Lieutenant war zum Invaliden
geworden, der sich unter den Willen eines verbuhlten Weibes beugte.
Er fühlte sein Unglück, seine Schande, aber er war nicht mehr Mann
genug, mit Kraft zu handeln und durch gewichtige Schritte, oder durch
Entfernung eines liederlichen Weibes die verlorne Lebensruhe und die
eigene Achtung und das Selbstvertrauen allmälig wieder zu gewinnen.

Er liebte noch immer die Treulose mit unmännlicher Schwäche; er rang
mit der Verzweiflung über seine eheliche Lage, und die Verzweiflung
führte ihn zur Flasche. Anfangs im Weine, dann im gebrannten Wasser
fast täglich bis zur Sinnlosigkeit sich betrinkend, wurde er bei seinem
Erwachen durch die pöbelhaftesten Schmähungen seiner Gattin, oder durch
ihr ungescheutes Kosen mit einem ihrer Anbeter außer sich gebracht, und
griff neuerdings zur wohlthätig-betäubenden Flasche.

Als Lieutenant Schönknecht in Straßburg angekommen war, hatte er sein
nicht unbedeutendes Kapital bei Herrn Capinet, einem höchst rechtlichen
Kaufmanne, verzinslich niedergelegt, in voller Ueberzeugung, bei
seiner geregelten Weise recht bequem von den Zinsen leben zu können,
und mit dem festen Vorsatze, das Kapital unberührt zu lassen, um es
einst auf seinen nach Amerika gegangenen Bruder, oder wenn er von
dessen Tode sichere Nachricht habe, an die Armen von Straßburg zu
vererben. Schon vor der Vermählung griff der Lieutenant das Kapital
an, um der geliebten Braut werthvolle Geschenke zu machen, und sich
für sein eheliches Leben mit einigem Glanze einzurichten. Die Frau
Lieutenantin liebte Putz, Theater, Landparthieen, ein hohes Spiel,
Abendgesellschaften, Bälle, neue Meubles; sie liebte alles, was
Geld kostete. Aus dem für Gold feilen Freudenmädchen war sie zur
hochmüthigen Dame geworden, die von ihren Verehrern keine Geschenke
nahm, sondern gab.

Der schwache Gatte war anfangs durch Louisens buhlerische Künste, durch
geheuchelte Liebe, für die Erfüllung ihrer Wünsche leicht zu gewinnen;
späterhin, in der Betäubung des Weinrausches, nie an die Pflichten für
sein Kind denkend, wurde es nicht schwer, ihn zu jeder Unterzeichnung
einer Geldanweisung leicht zu bewegen. Es wurden Gelder auf Gelder vom
Handlungshause erhoben.

Eines Morgens, als Schönknecht früher als gewöhnlich aus dem Schlafe
erwachte, da er in der verflossenen Nacht viel mäßiger als sonst
gezecht hatte, gestaltete sich in ihm eine dunkle Erinnerung, von Zeit
zu Zeit von seinem Kapitale Gelder gezogen zu haben. Er wollte volles
Licht haben über seine Geldverhältnisse, und so eben zu Herrn Cabinet
gehen, um seinen Vermögensstand genau einzusehen, als der Kaufmann
selbst bei ihm eintrat, die ausgestellten Anweisungen vorlegte, und die
bisher bestandene Verbindung von nun an als aufgelöst erklärte, da
Madame Schönknecht gestern den Rest des Kapitals laut vorliegender, von
ihrem Gatten ausgestellter Anweisung, erhoben habe.

Cabinet bat, alle Anweisungen genau zu durchsehen, die Summen zu
ziehen, und dann die richtig geschehene Erhebung des ganzen Kapitals
durch gehörigen Empfangsschein zu bestätigen.

Sprachlos, eine Marmorbüste, mit verglasten Augen, starrte der
Lieutenant auf die Papiere hin. Eine Todtenstille herrschte im
Gemache, die der Kaufmann, zur Genüge kennend die verschwenderische
Lebensweise der Madame Schönknecht, und des Gatten Unbekanntschaft mit
der geschehenen Erhebung des ganzen Kapitals ahnend, mit der Bitte um
Bescheinigung unterbrach, da dringende Geschäfte seine Zeit in Anspruch
nähmen.

Wie aus einem grauenvollen Traume erwachte der Lieutenant aus seiner
Erstarrung, aber nicht zur wohlthuenden Enttäuschung, sondern nur zum
gräßlichen Gefühle gräßlicher Wirklichkeit.

Eine jede Anweisung war, die erste wie die letzte, von Louisens Hand
geschrieben; so wollte es der Lieutenant selbst, da er besser den
Pallasch, als die Feder zu führen vermochte. Jede Anweisung war mit
seiner eigenen Unterschrift und seinem Siegel versehen. Die Richtigkeit
der Anweisungen und das Facit der Summa überzeugte den Unglücklichen,
daß er von seiner verschwenderischen Gattin um den größten Theil
seines Vermögens betrogen worden, daß er ein Bettler sei. Er schellte
und gebot dem eintretenden Diener, nachzufragen, ob Madame schon zu
sprechen sei.

Der Diener kam mit der Meldung zurück, Madame sei noch nicht von der
Landparthie zurückgekehrt, die sie gestern Nachmittags mit dem _Marquis
Bellom_ gemacht habe. Bei dem Namen _Bellom_ sammelte Cabinet seine
Empfangscheine schnell in die Brieftasche; er kannte diesen angeblichen
_Marquis_ als dieser Dame vorzüglich begünstigten Verehrer, wußte, daß
_Bellom_ wegen Schulden Straßburg verlassen habe, und war überzeugt,
daß Madame Schönknecht mit ihm entflohen sei. In aller Stille schlich
er sich fort. --

Der Lieutenant wankte nach dem Zimmer seiner Gemahlin; die Vorthüre war
verschlossen; er mußte sie mit Gewalt öffnen lassen.

Was seine Frau an Kostbarkeiten, Kleidern und Wäsche besaß, war
fort, der Anblick der leeren Schränke, die Nachricht von der gestern
geschehenen Erhebung des Kapitalrestes waren die gültigsten Urkunden
über Louisens Entweichung. Der Lieutenant verließ ihre Zimmer in
dumpfem Schweigen; aber schon nach einigen Schritten mußte er sich
auf seinen Diener stützen; so sehr hatten ihn die überraschenden
Erscheinungen dieser gräßlichen Stunde angegriffen. Mit Mühe schleppte
der Diener den Kraftlosen in sein Gemach, brachte ihn auf das Ruhebett,
und eilte nach dem Arzte.

Als der Arzt die Treppe hinanstieg, fiel in des Lieutenants Zimmer ein
Schuß. Mit zerschmetterter Hirnschale, die Pistole in der krampfhaft
geschlossenen Faust, lag der Unglückliche an der Schwelle seines
Gemaches.

Das war das Ende einer mit Leichtsinn und Uebereilung geschlossenen
Ehe.



XXXXIII.

Eine schlechte Erziehung.

    Er verstand des eignen Innern
    Tief geheime Warnung nicht
    Rang mit seinem weichen Herzen,
    Rang in fruchtlos blut’gem Ringen,
    Um ihm Liebe abzudringen
    Für des Mannes greises Haar,
    Der der Unschuld Henker war.

              ~Franz Grillparzer.~


Die Gerichte kamen, um in Beziehung auf die Leiche des Selbstmörders
und auf dessen Hinterlassenschaft zu thun, was ihres Amtes war. Der
erste Gegenstand der gerichtlichen Aufmerksamkeit und Sorge wurde der
hülflose Lips Tullian, Schönknechts achtjähriger Sohn, der aber die
Nachricht von dem Tode seines Vaters und von der Flucht seiner Mutter
mit starrer Gleichgültigkeit anhörte.

Es fand sich nur wenig baares Geld, aber auch keine Schuld vor; auch
hatte die Einrichtung, welche für des Lieutenants Verhältnisse zu
glänzend war, immer einen Werth von mehr als 2000 Fl.

Der speculative Friseur Blondell wollte, als Großvater von mütterlicher
Seite, seine Ansprüche auf Lips Tullian geltend machen; er erklärte,
seinen Enkel zu sich zu nehmen, und für dessen Pflege und Erziehung mit
väterlicher Liebe zu sorgen, jedoch müsse ihm die Summe, welche aus dem
Verkaufe der Hinterlassenschaft seines Schwiegersohnes erlöst werde,
übergeben werden, damit er im Stande sei, ein sehr zinsreiches, von ihm
bereits versuchtes, aber wegen Mangels an baarem Gelde aufgegebenes
Handelsgeschäft wieder aufzunehmen wo er dann, als Disponent über solch
ein Betriebs-Capital, reichliche Zinsen gewinne, und dadurch in den
Stand gesetzt werde, seines Enkels Vermögen zu mehren.

Die Gerichte kannten den Friseur Blondell zu gut, um ihm das Vermögen
seines Enkels zu übertragen; aber doch viel zu wenig, um sein
Anerbieten der Aufnahme und Erziehung Lips Tullians zurückzuweisen. Man
erbot sich, ihm für Lips Tullians Unterhalt und Bezahlung der Lehrer
die Zinsen der erlösten Summe zu überlassen. Blondell willigte ein und
Lips Tullian wurde ihm übergeben.

In schlechtere Hände hätte Lips Tullian nicht gegeben werden können.
Blondell war nicht nur ein Taugenichts, der jede Arbeit wie die
Pest floh, sondern der auch mit dieser Arbeitsscheu jedes Laster
vereinte. Ein Heuchler gegen jeden, von dem er irgend einen Vortheil
erwartete, ein Tyrann gegen Weib und Kind, dabei Kuppler, falscher
Spieler, Trunkenbold und Diebshehler, jedoch alle Laster so geheim als
möglich treibend, und bei den Meisten seiner Mitbürger den Schein der
Rechtlichkeit behauptend, lebte er größtentheils in drückendem Mangel,
da jeder Thaler, den er durch seine ehrlose Industrie gewann, auf dem
Flecke verschwelgt wurde.

Das größte Fest wurde immer an dem Tage gefeiert, an welchem er die
Zinsen von Lips Tullians kleinem Capitale erhob. Die Hälfte davon wurde
im ununterbrochenen Schmause und im Zechgelage vergeudet, die andere
auf die Seite gelegt, um in Winkelkneipen und geheimen Spielhäusern
seine Parthie machen, und oft manchen Unerfahrnen durch falsches Spiel
ausplündern zu können.

Dieser wackere Mann war Lips Tullians Erzieher, und die Erziehung auch
ganz, wie sie unter solch einem Lehrer sein konnte.

Lips Tullian mußte, der öffentlichen Beobachtung und der gerichtlichen
Aufsicht wegen, Schule und Kirche fleißig besuchen; aber er wurde zu
Hause nie gefragt, ob er in seinem Wissen etwas vor sich bringe, und
wie er bete. Doch erhielt Lips Tullian, und zwar von dem Großvater
selbst, täglich Privatunterricht in den freien Künsten, nämlich
in denjenigen, wo man ohne Lehrbrief durchs Leben wandert, und
meistentheils den Lohn ausgezeichneter Meisterschaft im Zuchthause oder
auf dem Rabensteine erntet.

Es war ein _Privatissimum_ im falschen Spiele, im heimlichen
Wegkapern von Geldstücken auf dem Kegelplatze, im unbemerkbaren Oeffnen
versiegelter Briefe, im schön stylisirten Betteln auf den Gastzimmern
der Reisenden, im freundlichen Anerbieten zur Besorgung gefälliger
Nymphen.

In diesen und noch vielen Gegenständen eines verbrecherischen Erwerbes
unterrichtete der Großvater den Enkel, und schaute sehnsüchtig der
Zukunft entgegen, wo er, auf seinen Lorbeern ausruhend, sorgenlos die
reichen Früchte seiner gespendeten Lehren genießen werde, da sein
würdiger Zögling durch gewinnende Heuchelei, durch einen hohen Grad
von Kunstfertigkeit und durch seine sich täglich mehr entwickelnde
Schönheit des täuschend ehrlichen Gesichtes und einer kräftig sich
ausbildenden Gestalt den Lehrer zu den herrlichsten Erwartungen
berechtigte.

Mit jedem Tage, den Lips Tullian an Lebensalter gewann, fühlte er
sich auch glücklicher. Quälte ihn auch oft der Hunger, wenn im Hause
leere Küche war, und wurde er auch oft von dem betrunkenen, dann immer
tyrannischen Großvater aufs grausamste mißhandelt, so würde er doch die
Art seines Lebens mit keiner, noch so glänzenden Lebensweise vertauscht
haben.

Der Schule entwachsen, und außer den oft lange unterbrochenen
Privatstunden war er unbeschränkter Gebieter seiner Zeit und seines
Willens.

Der Entschluß, bei einer Herrschaft von hohem Range einst
Büchsenspanner, Laufer, Bereiter oder Kammerdiener zu werden, hatte
sich fest in ihm gebildet. Daher trieb er sich auch ganze Tage in der
Bedientenstube, auf der Gewehrkammer oder im Reitstalle des Grafen
von Lodein umher, wo er mit der zahlreichen Dienerschaft schnell
Bekanntschaft gemacht hatte.

Man sah den klugen, dienstfertigen, immer freundlich lächelnden Knaben
sehr gern. Mit unermüdbarem Eifer und gefälligster Zuvorkommenheit
besorgte er alle Aufträge, Gänge und sonstigen Geschäfte, die einer
der Dienerschaft, vom Leibkammerdiener bis zum Stalljungen herab,
nicht gern übernahm. Dafür wurde ihm manche gute Speise, manches Glas
Wein, selbst manches Stück Geld zu Theil; er durfte die Pferde mit in
die Schwemme reiten, sehr oft sogar an dem Unterrichte des gräflichen
Bereiters, wie auch an dem des Läufers, der einige Knaben einübte,
Theil nehmen, und den Büchsenspanner auf die Jagd begleiten.

Die beiden Söhne des Grafen hatten einen eigenen Fechtmeister. Es war
ein wortkarger, unfreundlicher Mann, und doch wußte der schmeichelnde
Lips Tullian ihn so zu gewinnen, daß er täglich von ihm eine
Fechtstunde erhielt. Der flinke, gelehrige, fleißige Knabe ritt, lief,
schoß und focht zum Erstaunen.

Auch von den Kammerfrauen der Gräfin blieb Lips Tullian nicht
unbeachtet, und er wurde ihr Liebling. Die Aelteste darunter gefiel
sich in der Rolle der Gouvernante des lieblichen Knaben. Wann die
gräfliche Familie bei Tische oder irgend wo gebeten war, durfte Lips
Tullian auf ihr Zimmer kommen. Demoiselle la Croix glaubte, jeder
Mensch, der nicht französisch spreche, stehe auf der allerniedrigsten
Stufe der Bildung. Da sollte ihr Protegé nicht stehen bleiben, sondern
so hoch als möglich emporklimmen.

Sie gab ihm Unterricht im Französischen, und so lückenhaft dieser
Unterricht war, so machte doch der talentvolle Knabe so rasche
Fortschritte, daß er binnen einem Jahre mit großer Fertigkeit
französisch sprach.

Sie lehrte ihn ferner Guitarre spielen, Singen, Frisiren, und das
alles, wie sie zu ihrer Umgebung mit einem frommen Blicke zum Himmel
sagte, aus purer Nächstenliebe und aus reinem Mitleiden, damit dieses
arme Geschöpf sich bilde und dadurch einst für die Welt eigne.

Aber die gerühmte Nächstenliebe floß aus einer sehr schlammigen Quelle.
Denn die alte, fromme Demoiselle la Croix wurde von ihrer Gräfin in
einer höchst verrätherischen Lage mit dem dreizehnjährigen Lips Tullian
überrascht, und auf der Stelle des Dienstes entlassen. Auch Lips
Tullian durfte den gräflichen Palast nicht mehr betreten.



XXXXIV.

Ein schreckliches Opfer.

    Schwer zu unterscheiden
    Noch schwerer zu ergründen sind die Menschen.

                                     ~Schiller.~


Es nahete die Mitternachtsstunde, als Frau Blondell beim matten Scheine
eines kärglichen Oellämpchens noch immer emsig nähte. Aus Mangel an
einem anständigen Anzuge hatte sie sich schon einige Wochen nicht
mehr auf die Gasse gewagt, aber im Laufe dieser Zurückgezogenheit ein
Plänchen geschmiedet, dessen glückliche Ausführung sie den Gewinn
einer artigen Summe, und dadurch wieder gehörige Kleidung und gute
Lebensmittel für längere Zeit erwarten ließ.

Seit drei Tagen hatte sie weder ihren liederlichen Eheherrn, noch den
eben so liederlichen Enkel gesehen, kaum genug trockenes Brod gehabt,
und durfte überzeugt sein, eine Beute des Mangels zu werden, wenn sie
nicht ihre sonst so einträglichen Talente des Kuppelns wieder ins Leben
treten lasse; daher nähte sie an ihrem zerlumpten Klüftchen mit reger
Hand und vergaß über der bessern Zukunft den drückenden Mangel der
Gegenwart.

Sie hörte Geräusch auf der Treppe, und bald traten Blondell und Lips
Tullian in die Stube. Lips Tullian ging nach einem flüchtigen Gruße
in seine Schlafkammer. Blondell, sonst bei seiner Nachhausekunft
fast immer betrunken, und dann höchst übelgelaunt, zanksüchtig, ein
roher Wüthrich, war heute voll Freundlichkeit und Güte. Er bewunderte
den Fleiß seiner Frau, bat sie, eine Kerze zu besorgen, zog aus der
Tasche ein Paar Flaschen Wein, ein großes Stück Braten, und lud
die Ueberraschte zum fröhlichen Mahle ein. Frau Blondell ließ sich
nicht lange nöthigen, denn solch einer Bewirthung und der gütigen,
liebevollen Ansprache ihres Gatten war sie seit vielen Jahren entwöhnt.

„Die drei Tage,“ -- begann Blondell und stieß mit seiner Frau auf
eine nahe, bessere Zukunft an -- „die ich mit Lips Tullian außer dem
Hause zubrachte, waren eine ergiebige Ernte. Lips Tullian hat das
Glück gehabt, in allen Schenken, wo er zusprach, spiellustige Leute
zu finden, immer dumme Teufel, denen mein gewandter Zögling auf die
feinste Art die Börsen leerte. Mir war das Glück darin hold, daß ich
dem Chevalier Ritton zwei falsche Wechsel von bedeutender Summe bei
dem Juden Samuel Levi in blankes Gold umsetzte, zu seiner schnellen,
geheimen Flucht eine Post-Chaise vor das Thor besorgte, und ihn
wohl vermummt aus der Stadt und den scharfen Augen seiner lauernden
Gläubiger brachte, wofür mich der Dankbare mit dieser Rolle von 100
Dukaten begabte.

Das war ein Coup zu rechter Zeit, denn sonst hätte uns der Flegel von
Hauswirth für die rückständige Miethe vielleicht schon morgen auf die
Gasse geworfen, und unsere Garderobe möchte wohl der gutherzige Trödler
nicht um einen halben Thaler kaufen.

Morgen, liebe Canton, miethen wir eine bessere Wohnung, mit einer
Hinterthüre in ein abgelegenes Gäßchen, auf einem mehr besuchten Platz,
um unsere Geschäfte mit einiger Ostentation und mit größerm Umfange
betreiben zu können, kaufen Meubles, Kleider, Wäsche, einige Nippes,
und treffen unsere Einrichtungen so, daß wir in unserer Wohnung wieder
Zusammenkünfte veranstalten können, die in diesem Hundeloche von
Quartier für anständige Leute sich nicht machen ließen.“

Frau Blondell ward entzückt von dieser Rede. Nun hatte sie die
glänzende, glückliche Aussicht, durch elegante Wohnung und elegante
Kleidung wieder in ihre so liebe Sphäre zu treten, mit verbuhlten
Frauen und begehrlichen Männern verkehren zu können, und zwar in
der von ihr so wohl einstudirten Rolle einer gewandten und listigen
Kupplerin.

Mit Verachtung sah sie auf das armselige Klüftchen hin, an dem sie
viele Stunden so emsig geflickt und gestickt hatte, um am nächsten
Abend das lange geruhte Geschäft wieder aufnehmen und einige
lumpige Thaler erwerben zu können. Sie sah sich schon im Geiste als
die hochgefeierte Freundin vornehmer Damen und Herren, und eine
unversiegbare Goldquelle in ihren Säckel fließen.

„Auch mit Lips Tullian hätte ich Großes vor,“ -- fuhr Blondell fort und
füllte die Gläser -- „aber das Gewissen -- das Gewissen.“

„Du und Gewissen!“ -- lachte die Trunkene und leerte ein volles Glas in
einem Zuge -- „Was Lips Tullian von dir bereits gelernt hat, ging doch
nur aus einem Lehrer hervor, der bei solchem Unterrichte das Gewissen
bei Seite gestellt hatte.“

„Daß ich Lips Tullian mit Karten und Würfeln gewandt umgehen lehrte
-- was man in der großen Welt _corriger la fortune_[36] nennt
-- daß ich ihn im Oeffnen versiegelter Briefe und noch einigen
Kleinigkeiten unterrichtete, dessen darf ich mich als der Ausübung
einer Tugend, einer negativen, rühmen. Verliert der Spieler öfter, und
nicht unbedeutend, so kommt er zur Besinnung, und von der verderblichen
Spielleidenschaft zu einem geregelten Leben zurück, während der
Gewinnende für nichts als für die Fortsetzung des Spieles Sinn hat,
seine häuslichen Angelegenheiten, wie auch seine Gesundheit zerrüttet
und trotz des gewonnenen Geldes zum Elend herabsinkt. Ich kenne
einige, die mein kunstfertiger Lips Tullian so ausgesäckelt hat, daß
sie, sonst leidenschaftliche Spieler, jetzt Karte und Würfel auf das
unversöhnlichste hassen, und fleißige, ordnungsliebende Menschen sind.
Auch das gewandte Oeffnen fremder Briefe führt oft große Verdienste um
den Staat, um Familienwohl herbei. Dadurch wird so mancher Schleier
gelüftet, worunter staatsgefährliche Menschen gegen die Regierung,
ungetreue Beamte gegen ihre Herrschaft, liederliche Söhne und Töchter
gegen das Vermögen, gegen die Ehre und die Lebensruhe ihrer guten
Eltern machiniren. Was ferner“ --

    [36] Das heißt wörtlich: Das Glück verbessern.

„Laß mich zu gelegenerer Zeit Deine sophistische Rednergabe bewundern,
und mich an Deinem frechen Witze ergötzen; nun aber sage, was Großes Du
mit Philipp vorhast.“

„Du kennst die Wittwe Lehmann und das felsenfeste Vertrauen, welches
sie, trotz der gehässigsten Einflüsterungen meiner vielen Feinde,
zu mir gefaßt hat. Vor Kurzem ererbte sie ein Gartenhäuschen in der
Rupprechtsau und will es nun für immer beziehen, aus purem Geiz, damit
sie die Miethe in der Stadt erspare. Dagegen kämpft in ihr die Sorge
für den bedeutenden Schatz, welchen sie an Diamanten, goldnen Uhren,
Ketten, seltenen Goldmünzen und Silbergeräthen besitzt, und dessen
Sicherheit sie in dem abgelegenen Gartenhäuschen zu gefährlich bedrohet
glaubt. Ihr Geiz hat ihr bisher nicht gestattet, mehr als eine alte,
begnügliche Magd zur Bedienung zu haben. Nun sucht sie, aus Furcht vor
Dieben, einen jungen, kräftigen, muthigen Burschen, der reichlichen
Lohn, die beste Pflege, aber die Verbindlichkeit haben soll, bei Tage
das Gartenhäuschen nur äußerst selten zu verlassen, und des Nachts
immer gekleidet und wachsam zu sein. Mich hat sie recht dringend
gebeten, solch einen tüchtigen Schützer in ihre Dienste zu bringen.
Gleich bestimmte ich in Gedanken diese Stelle für Lips Tullian. Der
Bursche ist nun 17 Jahre alt, groß und kräftig, wie ein Mann, und
im Dienste dieser furchtsamen, geistarmen Frau für uns ein reiches
Kleinod, denn seiner Gewandtheit wird es ein Leichtes sein, von Zeit zu
Zeit die Kleinodien, Goldmünzen und Silbergeräthe seiner überreichen
Herrin aus ihren altväterischen Schränken in unsere modernen wandern zu
lassen.“ --

„Diese Aufgabe möchte wohl nicht so leicht zu lösen sein, da sich von
dem Geize, von der Furcht und dem Mißtrauen der Wittwe Lehmann mit
Grund erwarten läßt, daß sie ihre festen Schränke wohl verschließt und
die Schlüssel mit großer Sorgfalt bewahret.“

„_Ma chère Caton_, es scheint, daß Du mit einer neuen
Kunstfertigkeit unseres wackern Lips Tullians noch nicht bekannt
bist. Der kluge Bursche mochte wohl recht ernst in die Zukunft seines
Lebens hinein geschauet und da erblickt haben, daß es für ihn sehr
günstig sei, sich mit fremdem Eigenthume vertraut machen zu können,
ohne die rohe Gewalt eintreten und Verdacht und Verrath sich gestalten
zu lassen. Aus diesem klugen Hinblicke erschuf sich in ihm der
Entschluß, ein Bischen im Schlosserhandwerke zu stümpern. Daher kam
seit zwei Jahren sein uns befremdender, vertrauter Umgang mit allen
Schlossergesellen von ganz Straßburg, und gleichsam tändelnd hat er
sich bei seinem häufigen, mit Unbefangenheit und wie zum Zeitvertreibe
gepflogenen Besuche der Schlosserwerkstätten so viele Kenntnisse und
Fertigkeit gesammelt, daß er vor jedem Altgesellen dieser Innung in der
Probe bestehen würde. Wie durch Zauberschläge werden die Lehmannischen
Schätze aus ihren wohlverwahrten Behältern entschweben, und sich
freundlich bei uns niederlassen!“ --

Die würdige Gattin belobte und billigte des heillosen Eheherrn
speculatives Vorhaben, aber sie hatte dem lange vermißten Rebensafte so
eifrig gehuldigt, daß Sprache und Haltung ihr zu versagen begannen und
die Trunkene ihrem armseligen Lager zuwankte.



XXXXV.

Philipps erstes Debut.

    Ja, fürwahr die Hölle bindet
    Fest, was einmal sie gefaßt.
    Wie die Nadel, wenn sie hat
    Den Magnet berührt, nach Norden
    Ewig ihre Spitze drehet,
    Kehrt, wer einmal bös gethan,
    Ewig seinen Sinn zum Bösen.

                      ~Müllner.~


Wittwe Lehmann konnte sich nicht satt genug schauen an dem
hochgewachsenem kraftvollen Philipp, der, von seinem Mentor vorher
bearbeitet, gar schreckliche Dinge erzählte, wie er ganz allein schon
die furchtbarsten Räuber gefangen und wie viele Einbrüche er durch
seine Gegenwehr vereitelt habe. Bei diesen Gasconaden ließ der junge
Spitzbube sein großes, feuriges Auge so gräßlich rollen, und schlug
mit den nervigen Armen so heftig um sich, daß die gute Wittwe in ihm
einen vom Himmel gesandten Schützer ihrer Habe sah, ihn auf der Stelle
unter den vortheilhaftesten Bedingnissen in ihren Dienst nahm, und dem
wortreich bedankten Freund Blondell ein Geschenk machte, welches mit
ihrem ausgezeichneten Geize in auffallendem Widerspruche stand.

In träger Unthätigkeit, gut und überreichlich mit Speise und Trank
bewirthet, und in den Nächten von Zeit zu Zeit seine Wachsamkeit
recht schlau bemerkbar machend, hatte sich Philipp in kurzer Zeit das
Vertrauen der Wittwe Lehmann begründet, und würde es auch verdient
haben, wäre sein späteres Handeln mit dem bisherigen im Einklange
gewesen.

Aber nun war der bereits an Ausübung schlechter Streiche zu sehr
gewöhnte Bursche dieser Unthätigkeit überdrüssig. Er benutzte die
Morgenstunde eines Sonntags, in welcher seine Gebieterin, wie
gewöhnlich, die Kirche besuchte, und die Magd sehr beschäftigt war,
durch das offene Fenster in das Schlafgemach der Wittwe zu steigen,
den großen, wohlverwahrten Nußbaumschrank, der die reichen Schätze
enthielt, mittelst seiner Instrumente zu öffnen, und so manches
Werthvolle zu entwenden. Noch war er aus Klugheit in seinem Raube
mäßig, um die Sache nicht gleich zu auffallend zu machen.

Sei es nun, daß die Wittwe ihre Diamanten, Uhren und Ketten vom
feinsten Golde, ihre seltnen Goldmünzen und Silbergeräthe nie gezählt
hatte, oder das Entwendete nicht vermißte; es ist Thatsache, daß Lips
Tullian dreimal und immer reichhaltiger stahl und nie erscholl ein
Zetergeschrei der Beraubten, ungeachtet es eine Lieblingsunterhaltung
dieser Frau war, manche Stunde ihre Schätze zu betrachten und darin zu
kramen.

Eines Morgens wurde Lips Tullian durch ein heulendes Geschrei der Magd
aus dem Schlafe geweckt. Er eilte herbei und fand die Wittwe vor dem
geöffneten Nußbaumschranke todt niedergestreckt. Seinen raubgierigen
Augen schimmerten Edelsteine, Gold und Silber mit lockendem Glanze
entgegen; schon keimte in der schwarzen Seele des 17jährigen
Verbrechers der gräßliche Gedanke auf, die Magd zu erwürgen, und mit
diesen reichen Schätzen zu entfliehen.

Aber das gellende Geheul der treuen, untröstlichen Dienerin hatte
bereits einige Vorübergehende an das Fenster gelockt.

Unter diesen war ein Polizeibeamter, der auf der Stelle in das Gemach
trat, Philipp nach einem Arzt sandte und das Gehörige verfügte.

Der Arzt kam und erklärte einen Schlagfluß als die Ursache des
plötzlichen Todes der Wittwe Lehmann.

Es mag wohl kein Zweifel sein, daß die Unglückliche jetzt so manches
ihrer Kleinodien vermißte, strenge Heerschau hielt und vom Schrecken
über die große Anzahl der Außreißer getödtet wurde.



XXXXVI.

Die erste Gefangenschaft.

    Dem Bösewicht muß ein Kerker Hölle sein,
    Der Unschuld ist er nichts, als Eisen, Holz und Stein.

                                           ~Haug.~


Es mochten schon vier Jahre nach dem Tode der Wittwe Lehmann verflossen
sein, als Lips Tullian eines Tages in einem Weinhause überreichlich dem
Weine zusprach. --

Unter den von ihm geraubten Gegenständen befanden sich Ringe mit
Diamanten, goldene Uhren, goldene Ketten und ein Paar Brustnadeln mit
guten Steinen.

So eitel Philipp seit einiger Zeit war, da er von vielen lüsternen
Frauen und Mädchen ob seiner Schönheit sich immer mehr gefeiert
sah, und so gern er sich putzte, so war er doch klug genug, nie das
Mindeste der geraubten Nippes als Schmuck an sich zu tragen, um keine
Aufmerksamkeit und keinen Argwohn zu erregen. Heute hatte er reichlich
gezecht; die Trunkenheit machte ihn jede Vorsicht vergessen und in
übermüthiger Laune zog er eine werthvolle Repetiruhr hervor, gegen
die Umhersitzenden prahlerisch sich äußernd, daß er diese Uhr um 20
Louisd’or gekauft habe, sie aber gern mit einem bedeutenden Verluste
hingeben würde, da er an ihr kein Vergnügen mehr habe.

Flüchtig blickten die Weingäste darauf hin, nur einer erbat sie sich
zum genauern Beschauen, um vielleicht einen Handel abzuschließen. Der
Gast betrachtete die Uhr mit großer Aufmerksamkeit, bot 16 Louisd’or
dafür, erklärte, nicht so viel Geld bei sich zu haben, solches aber in
kurzer Zeit zu bringen, und ersuchte den Wirth, für ihn Bürgschaft zu
leisten. Willig bürgte dieser und mit einem vornehmen Lächeln nickte
Philipp seine Einwilligung dem Gaste zu, worauf dieser schnell mit der
Uhr sich entfernte.

Bald erschien er, von einem Manne begleitet, dem er durch einen Wink
Philipp bezeichnete. Der Mann näherte sich diesem und erbat sich mit
gebieterischem Tone dessen Begleitung.

Erbleichend und mit bangen Ahnungen erkannte Philipp in dem unberufenen
Bittsteller einen gefürchteten Satelliten der Justiz. Schweigend
folgte er ihm, und sah mit Entsetzen, daß er den Weg nach dem Rathhause
geführt werde.

Er wurde auf die Wachstube gebracht und nach einer Stunde, die er unter
aufmerksamer Bewachung und dem strengen Gebote des Schweigens zubringen
mußte, ertönte eine Glocke, und auf dieses Zeichen führte ihn sein
Begleiter über eine Wendeltreppe in ein Gemach, worin er sich vor der
Stadt Oberrichter sah. Von diesem wurde er gefragt, wie er zu dieser
Uhr, die der Ober-Stadtrichter ihm vorzeigte, gekommen sei, und wie er
sie als sein rechtmäßiges Eigenthum darthun könne.

Philipp stotterte eine Erzählung hervor, die aber so lückenhaft und
an Widersprüchen so reich war, daß der den Verbrecher durchschauende
Richter ihm zu schweigen und den Eintritt des Angebers gebot.

Dieser erschien, und wiederholte seine dem Stadt-Oberrichter schon
früher vorgetragene Aussage: „Er sei, wie allgemein bekannt, ein
Uhrmacher, habe schon seit vielen Jahren die Uhren der verstorbenen
Wittwe Lehmann zu besorgen gehabt, und diese erst ein Paar Wochen vor
dem Absterben der Wittwe ausgebessert; auch wisse er, daß, nebst noch
einigen Uhren, gerade diese von den Erben vermißt werde, indem die
Wittwe Lehmann ein genaues Verzeichniß über ihre werthvollen Effekten
geführt, am Schluß jedes Monats darin jeden erkauften Gegenstand
aufgeführt, übrigens aber, wie zu allgemein bekannt sei, nie eine
einmal erkaufte Sache wieder verkauft oder vertauscht habe.“

Philipp war wieder so viel zur Besonnenheit gekommen, seine vorige
Erzählung als unwahr zu erklären und mit hartnäckiger Frechheit
zu behaupten, die Wittwe Lehmann habe ihm einige Tage vor ihrem
plötzlichen Tode diese Uhr als eine Belohnung für seine treuen Dienste
zum Geschenke gemacht. Der Stadt-Oberrichter erklärte, die Sache streng
zu untersuchen, und gebot dem Polizeidiener, Philipp in das Gefängniß
zu führen.

Der Weg dahin ging über einen langen, düstern, abgelegenen Gang.
Philipp hatte wieder seine volle Besonnenheit und seinen frühern
Muth gesammelt; es ward ihm klar, daß, einmal über die Schwelle des
Gefängnisses getreten, er nur von dieser über die des Zuchthauses
trete, daß ihn nur eine rasche That, eine schnelle Flucht retten könne.
Mit scharfem Auge maß er von der Seite seinen Begleiter, er fühlte
sich, ihm an körperlicher Kraft überlegen zu sein. Mit der schnellsten
Bewegung und mit riesiger Stärke faßte er den Arglosen an der Kehle
und warf ihn mit solcher Gewalt zu Boden, daß vom Kopfe und aus dem
Munde des Hingeworfenen das Blut strömend floß.

Ohne das Innere des Rathhauses zu kennen, eilte Philipp mit beflügelten
Schritten gerade zu, fand eine schmale, abwärts führende Treppe, und
am Ende derselben einen hoch umbauten Vorhof mit einem verschlossenen
Pförtchen.

Fest entschlossen, das Schloß des Pförtchens zu erbrechen, bückte
er sich eben nach einem Steine um es damit zu zertrümmern, als das
Pförtchen von außen aufgeschlossen wurde, und durch selbes eine
Weibsperson mit gefüllten Wassergefäßen eintrat. So unbefangen und
langsam, als habe er ein Recht zum Gange durch dieses Pförtchen, ging
Philipp an der Wasserträgerin vorüber, grüßte sie freundlich und schlug
das Thürchen in das Schloß. Nun eilte er im raschen Laufe dem nächsten
Thore zu, erreichte glücklich die Barriere und sagte seiner Vaterstadt
und seinen vortrefflichen Großeltern für immer Valet.



XXXXVII.

Josephine.

    Liebe kann trösten, helfen, retten,
    Liebe zersprengt die stärksten Ketten,
    Stürzt die höchsten Mauern um.

                         ~Kotzebue.~


Der Abend war hereingebrochen, und eine Postchaise mit einem Reisenden
rasselte an Philipp vorüber. Im Augenblicke hatte er sich auf das leere
Packbrett geschwungen. Von seinem Sitze aus hörte er mit geheimer
Freude, wie der Reisende den Postillon durch das Versprechen eines sehr
guten Trinkgeldes zur schnellen Fahrt ermunterte, mit der Aeußerung,
daß höchst dringende Geschäfte ihn bis zur Ankunft in Nancy nicht den
kürzesten Aufenthalt gestatteten.

Vor der nächsten Poststation sprang Philipp vom Packbrette, eilte
während des Umspannens voran, schwang sich dann wieder auf seinen
Sitz, und trieb es so bis vor die Thore von Nancy.

Unbemerkt schlich er, während der Reisende am Thore in Frage genommen
wurde, an der Wache vorüber, und spähete nun begierig nach dem
Aushängeschilde eines nahen Gasthofes, denn er hatte die wohlfeile
Fahrt auf Kosten seines Magens gemacht und war von seinem steinharten
Sitze so durchgerüttelt, daß er nur mit Mühe sich fortschleppte.

Auch im Auffinden eines für seine Lage geeigneten Gasthofes hatte ihn
das Glück begünstigt. Der Gasthof war eine Kneipe der niedrigsten
Art, wo der Wirth den Fremden nicht mit fatalen Fragen nach Paß oder
Ausweisung molestirte, sondern jedes, auch noch so verdächtigen
Zuspruchs froh war und seinen, oft von der Justiz etwas befeindeten
Gästen durch Rath und That aus allen Verlegenheiten möglichst half,
wenn er nur bei seinen Schützlingen klingende Münzen witterte.

Philipp sah in der Zechstube Gesichter, bei deren Anblick brave Leute
die Hände nicht aus der Tasche gebracht hätten. Aber Philipp fühlte
sich wohl und ruhig im Umkreise dieser Galgen-Physiognomien, deren
ähnliche er größtentheils zu seiner vertrautesten Gesellschaft in den
Straßburger Kneipen gezählt hatte. Zufrieden setzte er sich an ein
leeres Seitentischchen, forderte eine Flasche Wein, vom besten, der in
diesem Hause sich finde, bestellte ein gutes Mahl, ein eigenes Zimmer
mit Bett, und reichte dem Wirthe einen Doppel-Louis, mit dem Ansuchen,
ihm Münze zu geben, da er damit nicht versehen sei. Beim Anblicke des
blanken Goldstückes wurde der freundliche Wirth noch freundlicher und
Philipp mit der größten Aufmerksamkeit bedient.

Auf seinem Zimmer vertraute er dem Wirthe, in Paris als Offizier
bei der Garde gestanden, im Duell einen Kameraden niedergeschossen
und deswegen die Flucht ergriffen zu haben; er sei, außer diesem
Anzuge, ohne Kleider und ohne Wäsche, jedoch hinlänglich mit Gelde
versehen, um reichlich zu bezahlen, wenn ihm nur das Nöthige schnell
beigeschafft werde. Schon in einer Stunde sah sich Philipp im Besitze
eines ganz neuen, vollständigen Anzuges und feiner Leibwäsche, auch,
unter dem Namen Mengstein, mit einem Passe nach Brüssel versehen, den
ihm der Wirth durch seine geheime Verbindung mit einem geldfeilen
Sicherheitsbeamten verschafft hatte.

Alles dieses nahm eine bedeutende Summe in Anspruch, die aber für
Philipp nur eine Kleinigkeit war.

Von seinem Raube bei der Wittwe Lehmann hatte er blos das Silbergeräthe
an Blondell abgeliefert, gegen welchen er die Entwendung der Diamanten,
Uhren und Goldmünzen verheimlichte und dessen Begierde darnach immer
durch Verheißungen zu beschwichtigen wußte.

Er kannte sein Leben und die Gesetze zur Genüge, um zu wissen, daß
er keine Stunde sicher sei, von der Hand der Gerechtigkeit erfaßt zu
werden; er mußte jeden Augenblick einer schleunigen Flucht gewärtig und
daher im Besitze der Mittel sein, unverzüglich und in ein fernes Land
fliehen zu können. Daher trug er die geraubten Sachen immer bei sich,
theils in seinen Unterkleidern eingenäht, in einem Ledergurte, den er
um den bloßen Leib trug; nur einige der seltenen Goldmünzen hatte er,
mehrere Stunden von Straßburg und auf verschiedenen Plätzen gegen Gold
verwechselt, um sowohl für die gewohnte schwelgerische Lebensweise, als
auch für den Fall einer schnellen Flucht mit baarem Gelde versehen zu
sein.

Nur eine Nacht in Nancy zu bleiben, und dann nach den Niederlanden
zu eilen, war Philipps Entschluß, der aber an einem heftigen Fieber
scheiterte, welches ihn eine Stunde vor seiner Abreise so plötzlich und
mit solcher Gewalt ergriff, daß er ihm erliegen zu müssen befürchtete.
Beinahe einen vollen Monat mußte er ärztliche Hülfe gebrauchen, und
dann noch aus Mangel an Kräften zwei Wochen zur Erholung in dieser
Schenke weilen.

Josephine, des Wirthes Stieftochter, ein schönes, sanftes, stilles
Mädchen, pflegte des Kranken mit der liebevollsten Sorgfalt. Sie
wachte, während des gefährlichsten Zustandes, ganze Nächte an seinem
Lager, und als Philipp wieder fähig war, seine sorgliche Pflegerin
genauer zu beobachten, überzeugte er sich mit einem recht angenehmen
Gefühle immer mehr, daß diese Sorge um ihn, der thränenreiche Schmerz
bei seinen Leiden, die herzliche Freude über seine herannahende
Genesung, die innigen Blicke, mit denen ihr blaues, sanftes Auge stets
auf ihm ruhete, das Zittern ihrer Hand, wenn er sie in die seinige
schloß, und die Thränen, die, so oft er von seiner Abreise sprach, über
die erbleichenden Wangen flossen, aus einem warmen, liebenden Herzen
kamen.

Auch er fühlte von Stunde zu Stunde eine heißere Neigung für die
schöne, sanfte, liebende Josephine. Philipp hatte die Blüthen seiner
Unschuld in den Armen lüderlicher Dirnen abgestreift; aber er hatte
noch nie geliebt. Josephinens keusche, schweigende Liebe goß auch in
seine Brust dieses himmlische Gefühl, und eine bessere, immer lauter
werdende Stimme sagte ihm, daß nicht Sinnlichkeit, sondern eine
tugendhafte, innige Neigung zu einem unentweihten Wesen des Lebens
höchstes Glück sei.

Er gestand Josephinen die Gefühle seines Herzens. Mit einem süßen
Erröthen sank sie an seine Brust und das Geständniß ihrer heißen,
treuen Liebe floß über die keusche Lippe der holden Jungfrau.

Die Liebe that Wunder. Philipp, von zarter Jugend an durch schlechte
Erziehung, durch die Verführung und die verderblichen Beispiele
eines lasterhaften Blondell, durch eigene, immer mehr erwachsende
Neigung zum Bösen, schon in der Blüthe des Lebens ein Bösewicht, ein
Verbrecher, ein höchst gefährlicher Mensch, begann nun, so oft er von
Josephinens frommen, seelenvollen Augen hinweg einen Blick auf seine
Vergangenheit warf, immer mehr vor sich selbst zurück zu schaudern.
Er fluchte der Vergangenheit, er gab sich mit heiß bereuendem Gemüthe
den tugendhaftesten Vorsätzen hin; er wankte am ersten Tage, da er
das Krankenlager verlassen konnte, an Josephinens Arm in die Kirche,
und der Verbrecher, der seit seinen Schülerjahren nie das Haus
des Herrn besucht, nie an Gott gedacht hatte, betete nun mit der
tiefsten Inbrunst, und strömende Thränen verbürgten die Innigkeit
seines Gebetes, seiner Reue, seiner frommen Entschlüsse. Mit noch nie
gefühlter Ruhe seines Innern verließ er das Gotteshaus.

Je näher der Tag seiner Abreise heranrückte, desto schwermüthiger wurde
Josephine. Laut weinend und heftig zitternd warf sie sich oft in seine
Arme. Auch Philipp war bei dem Gedanken der Trennung von Josephinen
außer sich; er fühlte ohne ihren Besitz nie glücklich werden zu können.
Doch ward ihm immer klarer, daß nicht nur der Schmerz über das nahe
Scheiden, sondern auch ein schwerdrückendes Geheimniß Josephinen so
untröstlich, und das sanfte, stille Mädchen oft wie zur wüthenden
Wahnsinnigen machte.

Dies war immer der Fall, so oft in ihrer Gegenwart der Wirth in
Philipps Stube trat. Da erbleichte sie, hörbar schlugen ihre Zähne
zusammen, gräßlich starrte sie nach dem Stiefvater hin, und schon
einigemal hatte sie ein scharfes Messer gefaßt, mit einer Heftigkeit,
mit so wilden, drohenden Geberden, die Philipp befürchten ließen, jeden
Augenblick in ihr eine Mörderin zu sehen.

Aus diesem furchtbaren Hasse gegen den Stiefvater ahnte Philipp ein
schreckliches Geheimniß; auch bemerkte er seit dem Tage seines ersten
Ausganges, daß, sobald Josephine nur einige Augenblicke bei ihm war,
der Stiefvater oder die Mutter, oder eine alte Base unter irgend einem
Vorwande eintraten; er rechnete diese Störung des Vaters oder der Base
blos einer tugendhaften Sorge für die Unschuld Josephinens zu.

In der letzten Nacht vor Philipps Abreise öffnete sich leise die Thüre.

Josephine schlich auf Socken an sein Bett, drückte ihm ein Billet in
die Hand, einen langen, heißen Kuß auf den Mund, und schlüpfte aus dem
Gemache. Philipp konnte den anbrechenden Tag nicht erwarten, er mußte
gleich mit dem Inhalte dieses Billets bekannt werden. Eilig schlug er
sich Licht an und las:

„Bei meiner heißen Liebe zu Dir, bei der Erhaltung Deines Lebens
beschwöre ich Dich, nicht auf der von Dir hier so oft besprochenen
Straße nach Brüssel zu gehen. Auf dieser Straße, im Walde von Sarlin,
lauert man Dir auf, um Dich zu tödten und auszurauben. Diese Schenke
ist die Herberge eines Raubgesindels, und mein verbrecherischer
Stiefvater das Oberhaupt. Er hat in den Stunden Deiner Krankheit, wo
Du ohne Besinnung lagst, Deine geheim bewahrten Schätze aufgespürt.
Dich im Hause zu morden, wagt man nicht; Dein Tod ist im nächsten
Walde an der Landstraße beschlossen. Um Gottes Willen, gehe nicht auf
diesem Wege nach Brüssel, sondern auf dem entgegengesetzten. Würde ich
entdeckt, die Geheimnisse dieses Hauses verrathen zu haben, so wäre
grausamer Tod mein Loos. Auch ich fliehe, um nicht länger im Kreise
dieser Unmenschen leben zu müssen. Schreibe vor Deiner Abreise nur
den Namen des Ortes, wo Du Dich einige Zeit aufhalten wirst, auf ein
Stückchen Papier und verbirg dieses im Strohe Deines Bettes. Nach
einigen Tagen folge ich Dir, um mich nie wieder von Dir zu trennen.
Ein Vermögen von 5000 Livres, welches ich von meiner Tante durch ein
geheimes Vermächtniß erhalten habe, wird für den Anfang genügen, und
Gottes Segen, Fleiß und Redlichkeit unsere Tage beglücken. Lebe wohl
und vergiß nie, daß ich nur für Dich lebe. Der Himmel schütze Dich.“ --

Mit Entsetzen hatte Philipp den Mordanschlag gelesen. Er ging nun
gleich mit sich zu Rathe, wie er den Mördern entrinnen könne. Da er mit
dem Wirthe übereingekommen war, dessen Pferde bis nach Metz zu nehmen,
und da er nun überzeugt sein durfte, daß der Fuhrmann ein Verbündeter
der lauernden Raubmörder sei, so war es eine sehr schwierige
Aufgabe, eine andere Straße einzuschlagen, ohne die Aufmerksamkeit
der Verbündeten zu erregen, und zum Entwurfe eines neuen Mordplanes
Veranlassung zu geben. Das Schlimmste war, daß er den Weg nach Metz gar
nicht kannte, daher auch nicht wußte, ob der von Josephinen bezeichnete
Wald nahe an Nancy liege.

Der Tag war bereits angebrochen, und Philipp zu keinem festen Entschluß
gekommen. Er verließ das Bett, und sein erster Blick fiel auf eine
Karte von Frankreich, die er schon so oft überschaut hatte, ohne daran
zu denken, sich über seine Reiseroute zu orientiren. Rasch nahm er die
Karte vor und fand zu seiner großen Beruhigung, daß der gefährliche
Wald beinahe drei Meilen von Nancy entfernt, und dazwischen manches
Dorf sei. Nun war er bald mit dem Plane zu seiner Rettung im Reinen.

Schnell barg er seine Kleinodien und Goldmünzen theils in dem
Leibgurte, theils in seinem neuen Anzuge, steckte in die Seitentaschen
ein Paar recht niedliche Taschenpistolen, die ihm Josephine geschenkt,
aber im Hause zu verheimlichen gebeten hatte -- nun errieth er die
Bedeutung und den Zweck dieses Geschenkes -- packte seine früher
getragene Kleidung und die erkaufte Wäsche in einen kleinen, vom
Wirthe erhandelten Koffer, und rief nach dem Frühstücke.

Der Wirth selbst brachte es, auch die Rechnung, die gegen Philipps
Erwartung höchst mäßig war, aber doch eine bedeutende Summe betrug,
da mit der Gasthof-Rechnung auch die für Arzt und Apotheke verbunden
war. Bedeutende Auslagen voraussehend, hatte Philipp einige Tage
vor seiner Abreise mehrere der seltenen Goldmünzen bei einem Juden
um Silber-Münze umgesetzt. Er bezahlte die Rechnung, beschenkte das
servile Hauspersonal großmüthig, und hätte den Wirth gern erwürgt, denn
der Spitzbube geberdete sich beim Abschiede so demüthig und kriechend
und heuchelte solch einen Schmerz über die Abreise des verehrtesten,
unvergeßlichen Gastes, daß Philipp den Ausbruch seiner Wuth gegen den
heuchlerischen Bösewicht nur mit Mühe bezähmte.

Josephine war nicht zu sehen. Schmerzlich vermißte Philipp den
Scheideblick der holden, heißgeliebten Jungfrau, und mit einer recht
wehmüthigen Empfindung bestieg er die alte Kutsche, die jetzt mit ihm
schwerfällig dahin rumpelte.

„Halt, Kutscher, wir müssen umkehren!“ -- rief Philipp, als ein paar
Meilen zurückgelegt waren.

„Halten -- umkehren -- warum?“

„Ich habe meine Brieftasche vergessen, worin sich mein Paß und andere
höchst wichtige Papiere befinden, ohne welche ich die Reise nicht
fortsetzen kann.“

„Ei, das ist fatal. Dadurch geht nicht allein sehr viele Zeit verloren,
sondern auch die Pferde werden bei dem schlechten Wege und mit dieser
schweren Karrete so abgetrieben, daß wir heute nicht die Hälfte der
Station erreichen.“

„Weißt du bessern Rath?“

„Ja wohl, mein Herr. Wir haben noch eine kleine Strecke nach Montfort.
Da bin ich bekannt, wie zu Hause. Im Augenblicke verschaffe ich
Ihnen einen sichern schnellfüßigen Boten. Bis er zurückkehrt, haben
die Pferde recht geruht, tüchtig gefressen, und wir können durch
schnelleres Fahren die versäumte Zeit leicht ersetzen. Auch werden Sie
mit einem Aufenthalte von einigen Stunden im Gasthause zu Montfort sehr
zufrieden sein; man wird trefflich bewirthet, und ein Paar Mädchen sind
da, so hübsch, so gutherzig -- Sie sollen es mir nachher wieder sagen.“

„Ich habe nichts dagegen, wenn du mir für einen zuverlässigen Boten
bürgst. Fahre zu!“

Wenige Augenblicke nach der Ankunft in Montfort erschien ein als
treu und flüchtig gerühmter Bote. Philipp schrieb ein Billet an den
Schänkwirth. Der Bote trabte fort, um aus Nancy die Brieftasche zu
holen, die Philipp wohlverwahrt bei sich führte. Nun ließ sich Philipp
eine Flasche Wein geben, bestellte ein gutes Essen und befahl dem
Kutscher, den Koffer in die Schlafstube des Wirthes zu bringen, um, wie
er sagte, des werthvollen Inhaltes wegen unbesorgt sein zu dürfen. Als
die Flasche zur Hälfte geleert war, äußerte er den Wunsch, die Umgebung
von Montfort zu besehen, ließ sich vom Wirthe einen Punkt bezeichnen,
welcher die schönste Aussicht gewähre, und bat, ihn von dort abholen zu
lassen, sobald das Essen bereitet sei.

Langsam schlenderte Philipp der bezeichneten Gegend zu. Kaum sah
er sich außerhalb des Gesichtskreises des Wirthshauses, als er die
entgegengesetzte Richtung einschlug, und querfeld der Straße von
Nancy nach Toul zu eilte. In unglaublicher Schnelle hatte er die
erste Poststation erreicht, nahm auf der Stelle Courierpferde und
fuhr Tag und Nacht bis nahe an die niederländische Gränze, die er,
ohne das Grenz-Wachthaus vorübergehen zu müssen, irgend wo heimlich
überschreiten wollte, da er zu der Gültigkeit des in Nancy ihm
verschafften Passes kein rechtes Vertrauen hatte, und man in jener
Zeit auf der niederländischen Grenze die strenge Einrichtung getroffen
hatte, Jeden, dessen Paß nicht alle erforderlichen Bedingnisse
erfüllte, entweder zurückzuweisen, oder gleich zum Soldaten zu pressen.



XXXXVIII.

Die gefährliche Einsiedlerklause.

          Hegt er wohl Verdacht?
    Mißtraut er meinem Mitleid? -- Ja, beim Himmel,
    Er thäte recht; sein Werk ist abgelaufen,
    Sobald er über diese Schwelle tritt.
    Die Thüre, die er freudig sich geöffnet,
    Greift hinter ihm für immer in das Schloß;
    Kein Weg zur Freiheit und zum Leben,
    Nur schaudernd vorwärts zu der Schlachtbank.

                                   ~Th. Körner.~


„Der Allmächtige segne und beschütze Euch!“ -- sprach eine zitternde,
schwache Stimme zu Philipp, der, in sehnsuchtsvolle Erinnerung an
Josephinen versunken, mit gesenktem Kopfe dahin schritt. Er blickte
auf und sah neben sich einen Eremiten mit einem wahren Apostelkopfe,
dessen langer, eisgrauer Bart gegen die frische, gesunde Gesichtsfarbe
des Greises sonderbar abstach. Schnell griff Philipp in die Tasche,
und gab dem frommen Manne ein reichliches Geschenk. Jetzt erst bemerkte
er, daß seine Versunkenheit ihn von dem Fußpfade hinweg und in ein
schmales, von dicht bebuschten Höhen umgürtetes Thal geführt habe.
Der Abend dunkelte schon tief herein, und Philipp, müde und nach
Erfrischungen sich sehnend, fragte den Siedler, ob eine Herberge noch
fern sei, und in welcher Richtung sie liege.

„Ihr möchtet wohl, edler Herr,“ -- sprach der Eremit -- „ein paar
tüchtige Meilen zu wandern haben, bis Ihr die nächste Herberge
erreichen werdet, und dort zu übernachten darf ich Euch wohl nicht
rathen, denn die Bewirthung in dieser einsamen Waldschenke ist gar
zu armselig, und der Aufenthalt für fremde Reisende größtentheils
gefährlich, wegen des Gesindels, das mit dem Wirthe, ihrem
Spießgesellen, häufig verkehrt. Ihr habt mich so reichlich begabt und
mir, wozu ich ohnehin schon als Christ verbunden bin, dadurch die
Pflicht auferlegt, Euch nach allen meinen wenigen Kräften dienlich
zu sein. Gewähret mir, geehrtester Herr, die große Freude, Euch in
meiner nahen Klause ein weiches Lager und ein gutes Gericht bereiten
zu dürfen. Lebe auch ich nur von Wurzeln, Kräutern, Brod und Wasser,
wie mir mein Gelübde befiehlt, so kann ich doch einem werthen Gaste
guten alten Wein und eine leckere Speise auftischen. Die Edelleute in
einem weiten Umkreise beschenken mich mit den besten Lebensmitteln, da
sie wissen, daß ich, meine Gebetstunden ausgenommen, den ganzen Tag die
Gegend durchstreife, um verirrte Reisende, wandernde Handwerksbursche,
oder sonst arme Menschen, die des Weges sind, in meine Klause zu
führen, um ihnen Obdach und Labung zu geben. Laßt meine Warnung von der
Waldschenke auf dem Berge von Trillon nicht unbeachtet, meine Bitte um
Annahme eines Nachtlagers in meiner stillen Klause nicht unerfüllt. Ihr
sollt zufrieden von mir scheiden.“

Willig nahm Philipp des Siedlers Anerbieten an, und bald war die Klause
erreicht, die am Ende des kleinen, einsamen Thales tief zwischen
vorspringenden Felsen und in einem Kreise hoher, dunkler Tannen lag.

Philipp aß ein Gericht Fische und trank ein Glas Wein, wie er
vielleicht nicht besser in einem der ersten Gasthöfe gefunden hätte.
Wie Augenblicke flossen die Stunden hin, denn der Siedler, früher
ein Kriegsmann und in der Folge viele Jahre auf der See, erzählte so
angenehm, daß Philipp wünschte, die Zeit fesseln zu können, um die
anziehenden Erzählungen des lieben Greises recht lange anhören zu
können.

„Hätte ich doch bald über Eure werthe Gesellschaft die Erfüllung meiner
täglichen Pflicht vergessen,“ -- sprach der Greis, als die Nacht
einbrach, und eilte aus der Klause.

Gleich ertönte ein gellender Glockenklang. Der rückkehrende Einsiedler
bedeutete dem fragenden Philipp, daß diese Glockentöne einigen, tiefer
in den Bergen wohnenden Köhlern die Zeit zum Nachtgebete anzeige,
wie auch durch diese Glocke die Stunde der Morgen-, Mittag- und
Abendandacht bezeichnet werde.

Philipp war ein Freund von guten Weinen; er zechte tapfer und sah mit
Vergnügen, daß sein gastlicher Wirth den herrlichen Rebensaft gern und
reichlich spendete, während er selbst nur Quellwasser trank. So war die
Mitternachtstunde herangekommen, und Philipp, dem der Kopf schwer zu
werden anfing, äußerte seinen Wunsch nach einem Ruhelager.

„Dafür ist bereits gesorgt, edler Herr,“ sprach der Klausner, ergriff
die Oellampe, öffnete die Thüre einer Nebenkammer und wies auf ein
Lager von Moos hin, das nicht üppiger hatte sein können.

Von dem frommen Einsiedler mit Weihwasser besprengt und an der Stirne
gekreuzt, wankte der Trunkene dem einladenden Mooslager zu.

Plötzlich wich der Boden unter seinen Tritten, und Philipp stürzte mit
einem gräßlichen Schrei in eine Tiefe hinab. Des Siedlers gellendes
Hohngelächter begleitete den Sturz.

Aller Kleider beraubt, das Haar am Hinterhaupte von Blute triefend,
im nächtlichen Dunkel fand sich Philipp, als seine Besinnung wieder
zurückgekehrt war. Er tappte umher und überzeugte sich bald, auf dem
Grunde eines gemauerten, ausgetrockneten Brunnens zu liegen. Die Tiefe
konnte nicht beträchtlich sein, da er jedes Wort, welches über ihm
gesprochen wurde, deutlich hörte.

„Ich glaubte schon, daß Du ohne Fang heimgekehrt seist“ -- sprach ein
tiefer Baß -- „da schon die Nacht hereingebrochen war, ehe Deine Glocke
erscholl und uns das freudige Zeichen gab, einen Vogel in Deinem Garne
zu wissen.“ --

„In diesem Quartale geht das Geschäft wacker,“ -- krächzte eine
widerliche Stimme -- „das ist nun schon der dreizehnte, der bei
lebendigem Leibe uns zu lachenden Erben macht.“ --

„Aber von Allen der Ergiebigste, ein wahrer Goldvogel,“ -- fiel jetzt
die von Philipp wohlerkannte Stimme des Eremiten ein -- „denn sein
Ledergurt strotzt von goldnen Uhren, Ketten, Diamanten und Münzen,
vielleicht findet sich noch etwas in den Kleidern; ich habe mir nicht
Zeit zum Nachsuchen genommen, da ich keinen Augenblick zögern durfte,
den Fremden aus Verdün, den ich gestern hierher lockte, zu verscharren.“

„Das könnte ja jetzt auch mit diesem geschehen,“ -- bemerkte der Baß;
-- „hat er sich nicht am Brunnengesteine die Hirnschale zerschmettert,
so schlagen wir sie ihm ein, und dann Marsch unter die Erde.“

„Der Morgen ist bereits angebrochen,“ bemerkte der Eremit, „und schon
gewöhnlich um diese Zeit schnüffelt der neue Jäger von Contry, ein mir
recht fataler Kerl, in dieser Gegend umher. Führt mir auch heute das
Glück einen neuen Kunden zu, so mag er sich zum alten freundlich betten
und dann geht es mit dem Verscharren in einer Arbeit hin.“

„Jetzt bettle ich auf den Schlössern umher, um für den schwarzen
Henri und seine wackern Gesellen irgend etwas auszukundschaften, Ihr
dagegen seid regsam, Küche und Keller zu füllen; den Wein hat der
gerupfte Goldvogel bis auf die letzte Flasche verschlungen und in der
Vorrathskammer drohet den Mäusen der Hungertod.“

Die Mörder brachen auf, und bald herrschte in der Klause die tiefste
Grabesstille.



XXXXIX.

Die Rettung.

    Wer frisch umherspäht mit gesunden Sinnen,
    Auf Gott vertraut und die gelenke Kraft,
    Der ringt sich leicht aus mancher Fahr und Noth.

                                           ~Schiller.~


Jedes Wort dieser raub- und blutgierigen Unholde war für Philipp ein
Stück aus der Folterkammer, ein Todes-Urtheil. Aus dem nächtlichen
Dunkel dieser Wolfsgrube tauchte immer schimmernder ein scheußliches
Todtengerippe auf, und immer näher streckte sich nach ihm aus die
vernichtende Hand des gräßlichen Skelets. Er sah nicht länger die
Möglichkeit der Rettung, er sah sich nur als die sichere Beute eines
grausamen Schicksals. In dumpfer Verzweiflung, nicht mehr die Schmerzen
des wunden Hauptes fühlend, lag er in seinem engen, naßkalten Raume.
Jetzt dachte er an jene Stunde, wo er an Josephinens Arme das
Gotteshaus betreten, wo er aus der Tiefe eines reuevollen Gemüthes mit
inniger Andacht gebetet, wo er sich durch sein Gebet Trost und Kraft
und Ermuthigung von oben geholt hatte. Er warf sich rasch auf seine
Kniee, und empfahl seine Seele in die Hände des Schöpfers, und flehete
um Stärke für die nahe Stunde eines höchst leidenvollen Todes. --

Er hatte gebetet, und neue Wunderkraft floß durch sein ganzes Wesen.
Es war, als ob eine Engelstimme ihm zuflüsterte: „Vertrau’ nebst Gott
auf dich; die Rettung ist nahe.“ -- Diese himmlische Stimme gab ihm
Muth und Kraft zu handeln. Er griff um sich her und fand so manchen
Stein der Brunnenmauer morsch. Mit rascher Hand machte er Oeffnungen,
in welche er die Füße setzen konnte. Von Stufe zu Stufe schwang er sich
höher, bis er mit dem Kopfe an die Brunnendecke stieß. Er versuchte
alle seine Kräfte, diese empor zu heben, aber ihre Schwere und
Festigkeit widerstand seinen angestrengtesten Bemühungen. Unermüdet,
das Möglichste versuchend, gelang es ihm, ganz oben am Rande einen
Stein auszubrechen. In diesem Augenblicke erfaßte seine Hand in einer
Fuge einen langen, starken, locker eingeklemmten Eisenstift. Nun ging
die Arbeit rasch vorwärts. Die ausgebrochenen Steine rollten in die
Tiefe, und bald schimmerte ihm durch die Spalten der Breterdecke Licht
entgegen. Die Decke war morsch. Durch einen kräftigen Druck sprengte
er ein Bret aus den Nägeln, und die Oeffnung hatte Raum genug, daß er
sich durchzwingen konnte. Jetzt stand er in der Mörderkammer, die sich
oft aufgethan hatte, um die Opfer der grausamsten Geldgierde in die
Grabestiefe versinken zu lassen, und die auch für ihn ihren gräßlichen
Rachen aufgesperrt hatte.

Mit verhaltenem Athem lauschend, blieb er einige Augenblicke ruhig.
Nun schlich er in das Gemach der Klause. Sein erster Blick fiel auf
eine Axt, die auf dem Tische lag. Der Besitz dieser Waffe ließ ihn
auch die allenfallsige Rückkehr des Siedlers und seiner Blutgesellen
ohne Furcht erwarten, doch eilte er, sich in Stand zu versetzen,
die Klause schnell verlassen zu können. Er war im bloßen Hemde, und
irgend eine Bekleidung war ihm vor allem das Nöthigste. Schon hatte
er die ganze Klause durchstöbert, ohne etwas zu finden, als es in der
kleinen Vorrathskammer unter seinem Tritte wie hohl erklang. Der Boden
der Kammer war mit Backsteinen gepflastert, doch schien Philipp, als
wären die Steine nicht gehörig zusammengefügt. Er sah recht genau nach
und fand eine auffallend weite Fuge. Mit Leichtigkeit hob er einen
Stein aus, dann wieder einen, dann mehrere, und sah nun im Grunde
eine verschlossene Kiste. Er sprengte sie mit der Axt, und fand nebst
verschiedenen Kleidungsstücken eine vollständige Capuzinerkutte mit
dem Gürtelstricke, ein Paar Sandalen und einen langen, falschen Bart.
Schnell entschlossen, in dieser Vermummung fortzuwandern, suchte er
nach seinen Kleidern, fand diese nicht, wohl aber einen Beutel mit Geld.

In wenigen Augenblicken war er zum Capuziner umgewandelt. Ein Brod und
ein Fläschchen mit Branntwein, das er in der Tischlade fand, waren
ihm sehr willkommen. Er steckte den Fund zu sich, schlang ein Tuch um
seine Kopfwunde, zog die Caputze darüber tief in die Augen, barg die
Axt unter den langen Mantel, trat nun, vorsichtig umherspähend, aus der
Klause und schlug seinen Weg nach dem nahen Walde ein.

Ohne zu wissen, in welcher Gegend er sei, wo zu Brüssel liege und ob
er in diesem Walde einen gebahnten Weg finden werde, eilte er immer
geradezu, fand glücklich nach ein paar Stunden einen Fahrweg, fühlte
sich aber nun von den Folgen der nächst vergangenen Ereignisse, von dem
angestrengten Gange unter der drückenden Schwere der Capuzinerkutte,
und von der Schwüle des Tages so angegriffen und ermattet, daß er in
das nächste Gebüsch am Fahrwege kroch, und bald in den tiefsten Schlaf
verfallen war.

Es begann schon zu dunkeln, als Philipp erwachte, und zwar einen
brennenden Schmerz in der Kopfwunde, sich aber sehr gestärkt fühlte.
Mit der schönen Empfindung wahrer, kindlicher Dankbarkeit gegen den
allbarmherzigen Gott warf er sich auf seine Kniee, und pries seinen
himmlischen Retter aus tiefbewegtem Herzen, gelobte alles Gute und
flehete um eine leitende, bewahrende Vaterhand auf dem Pfade der
Tugend. Unter Thränen freudiger Rührung hatte er innig gebetet. -- O,
wäre er doch immer der fromme, vertrauende, nach dem Guten strebende
Mensch geblieben! --

Nachdem sich Philipp mit Brod und Branntwein gelabt hatte, wanderte er
fort, unbekümmert, wohin dieser Fahrweg führe, da er sich kräftig genug
fühlte, bis zum ersten Orte, und wenn er auch viele Meilen entfernt
liege, ununterbrochen fortzuwandern, zumal da die liebliche Kühle
der einbrechenden Nacht und das strahlende Licht des Vollmondes die
Wanderung recht angenehm machten.

Er war lange gegangen; jetzt sah er sich am Ende des Waldes und
vor sich eine weite Fläche, von des Vollmondes magischem Lichte
überflossen, und aus den Silberwellen der Matten und Fluren schimmerte
ihm der hohe, weiße Thurm einer Kirche entgegen. Die Thurmuhr schlug,
er zählte 10 Schläge und eilte dem Orte zu. Es war das große und
volkreiche Dorf Contry, welches er betrat.

Nahe am Eingange des Dorfes kündigte sich ihm ein stattliches Gebäude
durch mehrere davor aufgefahrne Frachtwagen, und durch die Beleuchtung
und das Gelärme im Erdgeschosse als einen Gasthof an. Er trat in die
Zechstube. Wie mit einem Zauberschlage machte Philipps Eintritt alle
Schreier, Sänger und Sprecher verstummen. Alles fuhr auf, riß die Hüte
ab, und verneigte sich tief vor dem Eintretenden. Philipp konnte sich
diese allgemeine Devotion nicht erklären; er dachte im Augenblicke
nicht an seine hier hochgefeierte Capuciner-Kutte, und besann sich
erst darauf, als ihn die Wirthsleute mit einem ehrfurchtsvollen:
„Hochwürdiger Herr Pater“ begrüßten. Philipp erbat sich einen Führer
nach der Pfarre, wohin der Wirth selbst alsogleich ihn geleitete.

Mit der Predigt des nahen Sonntags beschäftigt, ging der Pfarrer
in seiner Studirstube auf und nieder, als ihm die Ankunft eines
Capuciners gemeldet wurde. Schnell eilte er dem geistlichen Mitbruder
entgegen, wurde aber sehr überrascht, da Philipp sich ihm als ein
gewöhnliches Weltkind ankündigte und sein gräßliches Abenteuer aus
der Nacht in der Mordklause erzählte. Auf der Stelle ließ der Pfarrer
den Dorfrichter rufen, und theilte ihm Philipps Aussage mit. Man kam
anfangs dahin überein, ungesäumt einen Boten mit schriftlichem Berichte
an das nächste Crimminalgericht zu senden, als sich Philipp antrug,
die Anzeige persönlich zu machen, wenn vorher seine Wunde gehörig
verbunden, er mit Speise und Trank erquickt und nach dem Sitze des
Crimminalgerichts gefahren werde.

Das Anerbieten fand Beifall. Es wurde nach dem Wundarzte geschickt,
der Dorfrichter ging, seinen eigenen Wagen mit seinen besten Pferden
bespannen zu lassen, und in der Küche wurde schnell ein gutes
Nachtessen bereitet.

Der Pfarrer wollte das Mönchskleid nicht länger am Leibe eines
Weltmenschen profanirt sehen. Philipp erhielt dafür von dem Priester
einen vollständigen, recht guten Anzug, durch den Wundarzt einen
schmerzstillenden Verband seiner Wunde, aus den schnellen Händen der
geschickten Köchin ein leckeres Mal mit trefflichem Weine, und fuhr
nach einer Stunde an der Seite des Dorfrichters dem Criminalgerichte
zu. --

Schon auf der Flucht aus der Klause war Philipp fest entschlossen,
zur Zerstörung dieser Mordhöhle das Möglichste aufzubieten. Ungeachtet
er vermuthen konnte, daß man in der Gegend umher, gewiß auch am Sitze
des Gerichtes, diese Klause, in örtlicher Beziehung wenigstens, kenne,
so wollte er doch ihres Wiederfindens recht sicher sein. Von seinem
Eintritte in den Wald an bis zur großen Buche am Fahrwege, wo er im
Gebüsche der Ruhe pflog, hatte er in kleinen Zwischenräumen die Bäume
mit seiner Axt bezeichnet. Er hatte dadurch eine sehr kluge Vorsorge
getroffen, denn der Criminalrichter wußte von keiner Siedlerhütte in
seinem ganzen Gerichtsbezirke. Ein Wagen wurde, als Philipp seine
Anzeige geschlossen hatte, schleunigst mit wohlbewaffneten Häschern
besetzt, in einer leichten Chaise fuhr der Criminalrichter mit Philipp
voran; es mußte der Weg über Contry genommen werden, da sich Philipp
von da aus am besten orientirte. Mit Tagesanbruch war die Buche am
Fahrwege erreicht. Man setzte ab; still und eilig ging es nun durch den
Wald, Philipp an der Spitze.

Der Wald war zu Ende, und die Felsengürtung sichtbar, in deren Winkel
die Klause lag. Der Criminalrichter ließ dieselbe umringen; man
sprengte die Thüre; es fand sich alles, wie Philipp angegeben hatte,
aber kein Siedler, und immer mehr die Ueberzeugung, daß der Mörder
für immer entflohen sei, denn alles, was leicht hinweg gebracht werden
konnte, war verschwunden.

Der Criminalrichter ließ den Brunnen verschütten und in die Klause
Feuer werfen. Bald war die Mordhöhle bis auf den Grund niedergebrannt.



L.

Zusammenkunft mit Josephinen.

    Wo bleibst Du? -- Meine Arme strecken
    Sich liebevoll nach Dir in leerer Luft,
    Das Auge, das nur Deine Züge sucht,
    Kehrt traurig aus der düstern Dämmrung wieder.
    Was bist du für ein räthselhaft Gefühl,
    Du zitternde Erwartung naher Freude.

                                   ~Th. Körner~.


Wieder unter dem Namen Mengstein erhielt Philipp von dem
Criminalrichter einen Paß nach Brüssel, auch ein bedeutendes Geschenk,
als Entschädigung für die ihm in der Klause geraubte Kleidung und
Börse, deren Inhalt er auch nicht unbedeutend angegeben hatte; er war
so klug, dem Criminalrichter den in der erbrochenen Kiste des Siedlers
gefundenen Beutel zu verheimlichen, der über 200 Dukaten enthielt.

In Brüssel angekommen, wollte er sich noch so lange nicht für irgend
etwas bestimmen, bis Josephine eingetroffen, oder ihre Ankunft nicht
mehr zu hoffen sei. Ruhig lebte er in dem kleinen Gasthofe, versah sich
mit anständiger Kleidung und feiner Wäsche, und ging nur aus, um die
Merkwürdigkeiten dieser prächtigen Stadt zu beschauen.

Auf der Reitbahn lernte der Gouverneur der Stadt, Graf ~Hiller~,
seine Kühnheit und seinen Muth bei Gelegenheit der Bändigung eines
wilden Hengstes kennen, den niemand besteigen durfte, den aber Philipp
zu seinem Willen zwang.

Der Gouverneur war entzückt hierüber und nachdem er nach Philipps
Verhältnissen geforscht hatte, bot er ihm eine Stelle als Bereiter
in seinen Diensten unter sehr günstigen Bedingungen an. Mit Freuden
ergriff Philipp die dargebotene Gelegenheit und war mit seinem Loose
ganz zufrieden, indem er durch treue Pflichterfüllung sich die
Zufriedenheit seines Gebieters und die Liebe seiner Untergebenen zu
erwerben wußte.

Lange Zeit war schon die Zeit dahin, in deren Laufe Philipp auf
Josephinens Ankunft hoffen durfte. Mit der heißesten Sehnsucht
verlangte er nach ihr. Nur das holde Bild dieser reizenden, sittigen
Jungfrau umschwebte ihn. Er liebte sie mit der heißesten Liebe, er
ehrte in ihr seinen guten Engel, der ihn vom Rande des zeitlichen und
ewigen Verderbens mit milder Hand hinweggeführt, der ihm die heilige,
beglückende Pforte des Guten geöffnet und alle Segnungen der Tugend und
des Friedens in seine Brust gelegt hatte.

In sich versunken, das Herz voll Trauer und Wehmuth und Sehnsucht,
lehnte er eines Abends am Eingange des Gouvernement-Palastes, und
blickte mit süß-schmerzlicher Erinnerung einem vorübergehenden Mädchen
nach, das einige Aehnlichkeit mit Josephinen hatte, als er seine Hand
sanft ergriffen fühlte.

Er blickte auf, und neben ihm stand ein schlanker, hochgewachsener
Knabe, mit sonnengebräuntem Gesichte, der ihn aus den schönen, blauen
Augen recht freundlich anlächelte. Philipp beschaute den Knaben, der
ihn gestört hatte in seinen Gedanken an Josephinen, mit zürnendem
Blicke und fragte unwillig nach dessen Begehren.

„Kennst Du denn Deine Josephine nicht mehr?“ lächelte der Knabe ihm zu,
und drückte sanft seine Hand.

Das war Josephinens Stimme, es war der freundliche Blick ihres
seelenvollen Auges; das war ihre schwarze Lockenfülle, die den
schöngeformten Kopf umfloß. Aber diese dunkle Farbe des sonst in den
reinsten Alpenschnee und in Rosenblüthen getauchten Gesichtes? -- Diese
männliche Kleidung? Wäre es möglich? -- Sein Herz sagte ihm, das
Josephine ihm nahe sei, und er schrie laut auf vor Entzücken, als der
Knabe ihn tiefer in die Vorhalle des Palastes führte, an seine Brust
sank und ihn nochmals fragte: „Kennst Du Deine Josephine nicht?“

Der glückliche Philipp führte die Geliebte auf ihren Wunsch in einen
Gasthof. Da sie aber durch die fast ununterbrochene Reise, auf der sie
sich kaum einige Stunden Ruhe vergönnt hatte, noch so angegriffen war,
so bat sie Philipp, ihr einige Stunden Ruhe zu gönnen und am andern
Tage sie wieder zu besuchen, wo sie ihm dann ihre Schicksale seit ihrer
Trennung erzählen wollte.

Schon am andern Morgen flog voll Sehnsucht Philipp zu der Geliebten.
In der niedlichsten Mädchenkleidung und mit dem frischen, blühenden
Gesichte, das von der dunkeln Uebertünchung, mit welcher Josephine, zur
größern Sicherheit ihrer Reize gegen lüsterne Zudringlichkeit, Gesicht,
Hals und Hände gefärbt hatte, nicht mehr entstellt wurde, eilte sie
dem eintretenden Philipp mit offenen Armen entgegen. Sie feierten ihr
Wiedersehen mit aller Innigkeit einer tugendhaften Liebe, und als die
ersten Wallungen ihrer liebenden Herzen in sanfter Ruhe sich aufzulösen
begannen, wurde in beiden das Verlangen nach gegenseitiger Mittheilung
rege.

Josephine erzählte:

„Ob mein Stiefvater unsere Gespräche belauscht, oder ob ihm meine
Schwermuth nach Deiner Abreise das Geheimniß meiner Liebe verrathen
hatte, kann ich nicht bestimmen. Daß er aber die feste Ueberzeugung
nährte, Dein heimliches Entweichen aus dem Gasthofe zu Montfort und
das Mißlingen seines Mordanschlages einem Winke von mir zurechnen zu
dürfen, davon belehrte mich seine harte, oft grausame Behandlung von
der Stunde an, wo der Knecht, sein Vermittler, mit der leeren Chaise
und der Nachricht von Deinem Verschwinden zurückkehrte. Durch eine
Thürspalte war ich Zeuge, wie der Stiefvater Deinen kleinen Koffer
erbrach, mit Hast nach Deinem Gelde suchte, und bei seinen getäuschten
Erwartungen gräßlich fluchte.“

„So geheim viele Schandthaten an Reisenden von meinem Stiefvater und
seinen Raubgenossen ausgeübt wurden, so entgingen sie mir doch seit
Jahren nicht. Ich rettete Manchen, den sie schon als sichere Beute
betrachteten, durch glückliche Winke; es ist mir unbegreiflich, wie
so viele Verbrechen begangen werden konnten, ohne die Aufmerksamkeit
der Behörden, ohne selbst die der gewöhnlichen rechtlichen Gäste und
der Nachbarn zu erregen. An jedem Morgen erwachte ich mit dem festen
Entschlusse, zu entfliehen, aber ich wurde zu sehr beobachtet. Die
Befürchtung von meiner Flucht war so groß, daß ich nie ausgehen durfte,
außer in die Kirche, wo die alte Base, meines Stiefvaters innigste
Vertraute, sich immer dicht anschloß; selbst in jener Stunde, wo Du an
meinem Arme in das Gotteshaus gingst, war diese schreckliche Wächterin
nur einige Schritte hinter uns, und ihre Nähe allein verhinderte mich,
Dich schon damals in der Kirche auf die drohende Gefahr aufmerksam zu
machen.“

„Hatte ich vor der Bekanntschaft mit Dir schon mit dem größten Eifer
dahin gestrebt, aus diesem Lasterhause zu entfliehen, so war nach
Deiner Abreise mein Streben noch viel eifriger. Tage und Nächte
hindurch erschöpfte ich mich im Ersinnen eines Mittels zur Flucht,
stundenlang betete ich mit der heißesten Andacht zu Gott, und Gott
erhörte mein Gebet. Die Stunde der Rettung schlug.“ --

„Nach Deiner Abreise, fast immer in meinem Zimmer eingeschlossen, von
der grundbösen Base mit Handarbeiten überhäuft, und bei dem mindesten
Versehen auf’s Grausamste mißhandelt, mußte ich vor sechs Tagen so
viele Wäsche verfertigen, daß ich voraus wußte, die ganze Nacht
hindurch nähen zu müssen. Im Eifer der Arbeit entfiel mir der Fingerhut
und rollte unter einen hohen Wandschrank, der dicht an der Mauer stand.
Ich mußte mich ganz zu Boden strecken, um den weit hingerollten
Fingerhut hervorholen zu können. Die Hand glitt mir aus und ich stieß
an hölzernes Getäfel. Im Augenblicke kam mir der Gedanke, daß dieser
Wandschrank eine Thür verberge. Aber wie sollte ich schwaches Mädchen
diesen Riesenkasten zur Seite bringen? Ich versuchte es, und durch
Gottes Hilfe gelang es mir, eine Oeffnung zu gewinnen, durch die ich
mich an die Thüre drängen konnte. Die Thüre war verschlossen, und ich
trat in eine ganz dunkle Kammer. Schnell holte ich mein Licht, fand
die Kammer leer, aber eine aufwärts führende, schmale Treppe. Ich ließ
das Licht zurück, schlich die Treppe hinauf, kam über einen langen,
verbretterten Gang, und von diesem auf einen großen Getreideboden,
welchen ich gleich als das unbewohnte Hintergebäude unseres Hauses
erkannte.

„Die Hoffnung auf die Möglichkeit, hier einen Ausgang zu finden,
ermuthigte mich, meinen Weg fortzusetzen. Der Mond, dessen Strahlen
durch die Fensteröffnungen und das zerrissene Dach drangen, ließ mich
eine Treppe finden. Leise stieg ich hinab, immer tiefer, bis ich
in ein zu ebener Erde gelegenes Gewölbe kam, das durch Eisengitter
und eine Eisenthüre nach außen verwahrt war. -- Ich stand am Grabe
meiner Hoffnungen, denn Gitter und Thüre spotteten meiner Flucht. In
der Verzweiflung faßte ich unwillkürlich ein Gitter und rüttelte
mit aller Kraft daran, und siehe: die morschen Stangen brachen. Ich
schwang mich durch die Oeffnung, und stand bald auf der Gasse, es war
grade um Mitternacht. Glücklich gelangte ich aus Nancy bis zu meiner
Amme in das Dörfchen Ribont, die mir seit dem Tode meiner Tante mein
geheimes Erbtheil aufbewahrt. Sie kleidete sich rasch an, und eilte mit
mir fort. Als der Tag anbrach, sammelte sie auf einer Wiese Kräuter,
drückte den Saft aus, und überstrich mir Gesicht, Hals und Hände.
Der Spiegel des nächsten Baches zeigte mir meine Umwandlung in einen
schwarzbraunen Buben.

„Glücklich erreichten wir Resiers, wo meine Amme einen wackern
Bruder hat, dem sie mich übergab. Ich mußte einige Stunden ruhen und
Erfrischungen nehmen, dann fuhr er selbst mich mit seinen Pferden
nach Verdun. Hier erhielt ich von der treuen Seele mein Vermögen und
die Kleider ihres vor einem Jahre verstorbenen Sohnes und wurde jene
Umwandlung mit mir vorgefunden, in der Du mich fandest, als ich hierher
kam.

Von Verdun aus fuhr ich mit Postpferden bis hierher, und die Furcht,
von meinem unmenschlichen Stiefvater verfolgt zu werden, ließ mir
unterwegs keine Ruhe und Rast.“

Philipp war überaus glücklich über die Rettung der Geliebten, mit
einem unbeschreiblich süßen Gefühle hatte er Josephinens Erzählung
gehört. Der Gedanke, das Wesen seiner heißesten Liebe in seinen Armen
zu haben, und dem seligen Augenblicke entgegen sehen zu dürfen, mit
diesem süßen Wesen bald auf immer vereint zu sein, erfüllte sein Herz
mit dem höchsten Entzücken. Unter zärtlichen Küssen und mit Freude
strahlenden Augen erzählte er nun seine Schicksale. Es drängte ihn,
Josephinen recht bald ganz die Seine nennen zu können, und stellte sie
deshalb seinem Herrn, dem Gouverneur, vor, den er inständigst um seine
Unterstützung zur Erwirkung der gerichtlichen Erlaubniß, mit Josephinen
verbunden zu werden, bat. Zugleich überzeugte er diesen, daß Josephine
ein baares Vermögen von 5000 Livres und er 200 Ducaten besitze. Der
Gouverneur sicherte seine Verwendung zu und in Kurzem waren Beide
getraut.



LI.

Der Aufenthalt in Polen und Philipps erster Mord.

          O ich fühl’ es, dieses Weib,
    Wenn ihr sie schnell nicht meinem Blick entzieht,
    Ruft Sünd’ in’s Dasein, außerordentlich,
    Wie ihre Schönheit; einzig, wie sie selbst.

                           ~Friedr. Hebbel.~


Drei Jahre hatte Philipp in Brüssel gelebt. Es waren die schönsten,
die seligsten Tage seines Lebens. Durch strenge Pflichterfüllung,
durch einen unbescholtenen Wandel hatte er sich Vertrauen und Achtung
erworben, und seine und Josephinens Liebe war so innig, und ihre Herzen
fühlten sich in einem so reinen, ununterbrochenen Genusse des innern
Friedens und der häuslichen Glückseligkeit, daß sie gar keine andern
Wünsche kannten, als daß es immer so bleiben möchte.

Jetzt starb der Gouverneur Graf von Hillmer. Sein Neffe und Erbe, ein
junger Wüstling, der in Paris, in London, in Wien sein Geld und sein
Leben verschwelgte, flog, auf die Nachricht von seines Oheims Tode,
aus Wien herbei, nahm die reiche Erbschaft in Empfang, verkaufte alle
Einrichtung, Pferde und Wagen, lohnte die Dienerschaft ab, und eilte
mit seinem, beinahe unermeßlichen Vermögen dahin, wo sich ihm die
reichsten und mannigfaltigsten Genüsse boten.

Philipp hatte sein und seiner Josephine Vermögen im Laufe dieser Zeit,
wo sich durch den Pferdehandel viel gewinnen ließ sehr vermehrt.
Philipp verstand dieses Geschäft. In zwei Jahren hatte er sein
Capital verdoppelt, und in den drei folgenden durch Unglücksfälle,
betrügerische Lieferanten, durch die Entweichung seines Hauptgläubigers
und durch ein schnell ausgebrochenes, furchtbar um sich greifendes
Feuer, welches die schönsten und theuersten seiner Pferde vernichtete,
kaum mehr so viel im Vermögen, um mit Josephinen einige Monate hindurch
ohne Nahrungssorgen leben zu können.

Grade in dieser Zeit hielt sich zu Brüssel der Graf Wiczenik,
ein reicher Pole, auf, der seine vielen Güter in der Gegend von
Pyzdey hatte. Er lernte Philipp kennen, überzeugte sich von seinen
Kenntnissen, und trug ihm eine Stallmeisterstelle mit einem sehr
beträchtlichem Gehalte an. Freudig ging Philipp in den Antrag ein
und sah dem Wiedergewinn seines verlornen Vermögens mit Zuversicht
entgegen, da ihm der Graf seine bedeutende jährliche Lieferung von
Remonten für die preußische leichte Reiterei gegen eine sehr mäßige
Pacht überließ.

Auch in Polens Steppen, auf dem prachtvollen, aber sehr einsam
gelegenen Schlosse des Grafen lebten Philipp und Josephine wieder so
glücklich, wie sie in Brüssel gelebt hatten.

Drei Monate lebte Philipp an der Seite seiner Gattin und in seinem
neuen Berufe auf dem gräflichen Schlosse recht froh und glücklich.
Nach und nach aber wurde Josephine betrübt und Philipp fand sie oft
mit verweinten Augen. Vergeblich bat er, ihm ihren geheimen Kummer zu
entdecken, sie erklärte dies für Heimweh nach ihrem Vaterlande und für
Launen, über die sie sich keine Rechenschaft geben könnte. In dieser
Zeit übergab ihm der Graf die Oberleitung seiner beiden Gestüte,
welcher neue Beruf seine Zeit so in Anspruch nahm, durch vieles Hin-
und Herreisen, daß er oft viele Tage und Wochen lang seine Josephine
nicht zu sehen bekam. Ihr immer zunehmend seltsames verschlossenes
und trauriges Wesen fiel ihm aber immer mehr auf und er gewann die
Ueberzeugung, daß ein tiefer, geheimer Schmerz mit scharfem Zahne an
den Fäden ihres Lebens nage. Da warf er sich vor ihr nieder und flehte
sie an mit der ganzen Gewalt seiner heißen Liebe, ihm ihr Geheimniß
zu erschließen. Nun vermochte Josephine nicht länger zu schweigen.
Mit erlöschenden Blicken vertraute sie ihm, daß Graf Wiczenik ihr
schon seit längerer Zeit entehrende Anträge mache, ja, daß er sich
erfrecht habe, sie einst in sehr früher Morgenstunde in ihrem Bette
zu überfallen, und es ihr nur geglückt sei, durch den kräftigsten
Widerstand und durch die Erscheinung der Mägde, die ihr heftiges
Geschrei um Hilfe herbei geführt habe, sich seinem wüthendem Anfalle zu
entreißen.

Starr vor Entsetzen hatte Philipp Josephinens Klage gehört; es ward
ihm jetzt klar, warum ihn der Graf so sehr mit Geschäften überhäufe --
daß es geschehe, um den lästigen Gatten zu entfernen. Sein Entsetzen
ward zum furchtbaren Zorn; er riß eine Pistole von der Wand, um den
Lüstling, der seine Ehre schänden, seine und des edelsten Weibes
Lebensruhe auf immer zerstören wollte, niederzuschießen.

In diesem verhängnißvollen Augenblicke trat der Graf in das Zimmer.
Josephine bebte vor Entsetzen zurück.

[Illustration: _L. Oeser in Neusalza._

Der erste Mord.]

„Elender Wollüstling!“ brüllte der rasende Philipp, und, von seinem
Schusse getroffen, stürzte der Graf wimmernd zur Erde.[37] --

    [37] Hierzu die Abbildung im 4. Heft. „Der erste Mord.“

Der Schuß rief die gesammte Dienerschaft zusammen. Beim Anblicke
des bluttriefenden, hingestreckten Gebieters bebten sie zurück in
unthätiger Erstarrung; sie erriethen schnell, was da geschehen;
Philipps todtbleiches Gesicht, das wild-glasige Auge, die losgebrannte
Pistole in der schlaff herabhängenden, zitternden Hand, sprachen die
That klar aus.

„Bringt mich aus dieser Mordhöhle und jenen in des Thurmes tiefsten
Kerker!“ -- stöhnte der Graf seinen Dienern zu.

Auf sanften, sorglichen Händen wurde er in das Schloß getragen, Philipp
in das grauenvollste Gefängniß des Thurmes geschleppt und mit schwerer
Kette an einem Mauerringe angeschlossen.

Philipp erwartete in seinem Kerker nichts zu wissen als den Tod. Da
öffnete sich nach mehreren Wochen zur ungewöhnlichen Stunde eines
Abends seine Kerkerthüre. Nicht der Wärter, sondern ein Mann von
riesiger Gestalt und furchtbarem Aussehen trat mit einer brennenden
Fackel in das Gefängniß, löste Philipps Fessel, vertauschte dessen
beinahe vermodertes Gewand mit einem reinlichen Anzuge, verband ihm die
Augen, drohte mit dem Tode beim ersten Laute, und führte ihn ins Freie.
Ein gellender Pfiff, und ein Wagen rollte flüchtig daher.

Philipp wurde hineingehoben, und im scharfen Trabe ging es dahin.

Am zweiten Morgen erreichte Philipp auf diese seltsame Weise die
schlesische Grenze. Philipp mußte hier aussteigen. Man gab ihm einen
Beutel mit Geld und die Warnung, wenn ihm sein Leben lieb sei, nie
mehr die Grenze von Polen zu betreten. Schnell wandte der Wagen um
und rollte zurück. Bald war er den Augen des nachstarrenden Philipps
entschwunden.

In dem Geldbeutel schimmerte ihm ein Zettel entgegen, worauf er
Josephinens Schriftzüge entdeckte. Diese schrieb:

„Der Graf war nur leicht verwundet, aber schon im Augenblicke seines
Falles Dein Tod beschlossen.

Ich habe Dich gerettet, ich habe meine Tugend, meine Seligkeit, mein
Leben für Deine Freiheit hingegeben. In dem Augenblicke, als man
Deine Fesseln löste, ward ich das verzweifelnde Opfer der wildesten
Sinnlichkeit. Wenn diese Zeilen in Deiner Hand sind, habe ich bereits
vollendet. Der Dolch ist geschliffen, die Hand zuckt nach ihm. Lebe
wohl, vergieb meinem Mörder, und bete für Deine Josephine.“ --

Mit einem schrecklichen Gefühle hatte Philipp Josephinens Worte
gelesen; es war das Gefühl des heftigsten Schmerzes. Aber der Schmerz
wurde immer gewaltsamer hinweggestoßen von der Wuth der Verzweiflung.
Rasend sprang Philipp auf, warf sich auf die Kniee und schwur mit
brüllender Stimme den gräßlichen Eid: „von diesem Augenblicke an nur
dem furchtbarsten Hasse gegen die Menschheit anzugehören, und die
versengende Glut dieses Hasses und der Rachsucht in den Thränen der
Beraubten, in dem Blute der Ermordeten zu kühlen.“

Was Philipp Schönknecht geschworen, hat Lips Tullian schauderhaft
erfüllt.



LII.

Lips Tullians Befreiung.

    So folge mir zur Freiheit und zum Leben --
    Beginn es neu an meiner Hand.
    Sei nur dem Glück, der Freude hingegeben,
    Du, dem der Tod allhier am nächsten stand!

                                 . . .


Wir kehren zurück in das Gefängniß, wo ganz unvermuthet Josephine ihrem
Philipp erschien[38].

    [38] _pag._ 338.

Josephine öffnete ein Fläschchen, rieb Philipps Schläfe, flößte ihm
einige Tropfen ein, und bald kehrte das Bewußtsein zurück.

„Fasse Dich. Ich bin Josephine, Dein treues Weib, das gekommen ist,
Dich zu retten. Laß uns von dannen eilen!“ -- flüsterte sie dem
Zitternden zu, der seine Sinne noch nicht ganz gesammelt und noch nicht
klar aufgefaßt hatte, was da geschehe. Josephine wiederholte ihre
Worte, sie beschwor ihn, keinen Augenblick zu versäumen; mit kräftiger
Hand zog sie ihn von der Erde empor, und als der Morgen anbrach, waren
beide schon viele Meilen vom gräflichen Schlosse entfernt und eine
Gebirgsschlucht, von himmelhohen Tannen dicht umgürtet, gab für den
ersten Augenblick den Flüchtigen eine sichere Freistätte.

Von Josephinen erfuhr er über ihre Schicksale seit seiner gewaltsamen
Entführung aus dem gräflichen Schlosse in Polen Folgendes:

Nachdem die Dienerschaft den Grafen Philipp in den Kerker abgeführt
hatte, ließ der Gerichtsbeamte Josephine in ihrem Hause streng bewachen.

Schon nach einigen Stunden herrschte wieder laute Freude in dem
Schlosse; der Arzt hatte den Ausspruch gethan, des Grafen Wunde sei
nicht tödtlich, selbst nicht gefährlich, und nach einigen Tagen die
vollkommene Genesung mit Zuversicht zu erwarten.

Die Verwundung war nicht mächtig genug, in dem strömenden Blute die
Flamme der Begierde nach Josephinens Besitz zu vernichten. Kaum hatte
der Graf das Krankenlager verlassen, als sein Erstes war, Josephinens
Wache zu entfernen, und zu ihr zu gehen. Er fand sie sehr leidend, kaum
kräftig genug, ihm entgegen zu wanken, zu seinen Füßen niederzusinken
und um Gnade für ihren Gatten zu flehen.

Rasch hob der Graf die Knieende empor, trug sie unter den süßesten
Schmeichelworten auf das Sopha, setzte sich an ihre Seite, und bot
nun alle Macht der Beredtsamkeit, alle Künste der Verführung auf, sie
für seine Wünsche geneigt zu machen. Er überreichte ihr eine Urkunde,
worin Josephine als die Herrin einer beträchtlichen Besitzung erklärt
wurde, und betheuerte mit einem feierlichen Schwure, Philipp aus dem
Gefängnisse zu entlassen und mit einer sehr reichen Summe nach dessen
Vaterlande zu senden, wenn sie nur einige Jahre mit ihm als seine
vertrauteste Freundin leben wolle. Die edle tugendhafte Frau wies jedes
Geschenk, jede noch so lockende Zusicherung mit strengem Ernste zurück;
sie flehte nur um die einzige Gnade, sie mit Philipp ohne alle Habe im
allerdürftigsten Zustande dahin ziehen zu lassen, da sie an der Seite
des geliebten Gatten das erbettelte Brod freudiger genieße, als die
leckersten Gerichte im verbrecherischen Wohlleben.

Vom Widerstande noch mehr entflammt, entschloß sich der Graf, seinen
Gerichtsbeamten, den er als einen höchst schlauen Menschen kannte,
in das Vertrauen zu ziehen, und diesen für sich handeln zu lassen.
Sogleich nachdem dies geschehen war, wurde Josephine aus ihrer
freundlichen Wohnung in ein dunkles, schauerlich einsames Gefängniß
geführt, wo sie nur eine Strohschütte, und Wasser und Brod fand.

Sie wurde vor den Gerichtsbeamten zum Verhöre geführt, und schon nach
dem dritten erklärte ihr der rauhe Richter mit zermalmender Kälte, daß
der Tod durch Henkershand das Loos ihres Gatten, jahrelanges, hartes
Gefängniß das ihrige sei, und nur Leben und Freiheit in der Hand des
gebietenden Grafen ruhe.

Vom tiefsten Schmerze ergriffen, von Leiden gefoltert, die ihre
zerfleischte Seele zu gewaltig niederdrückten, lag Josephine auf ihrer
Strohschütte, die Hände wund ringend, durch keine lindernde Thräne aus
dem erlöschenden Auge erquickt, da öffnete sich zur ungewöhnlichen
Stunde ihre Kerkerthüre, der Wächter trat ein, brachte einen Korb mit
reiner Wäsche und bat Josephinen mit freundlichen Worten, sich dieser
Wäsche zu bedienen und seiner baldigen Rückkehr zu harren. Es war
das erste Wort, das Josephine aus dem Munde ihres gefühllos-stummen
Wächters hörte; zum ersten Male seit ihrer Verhaftung empfing sie
reine Wäsche. Unter sanftem Weinen kleidete sie sich um, und ein ganz
besonderes Gefühl bewegte ihr Inneres, als der rückkehrende Wächter sie
mit freundlichem Lächeln einlud, ihm zu folgen.

Ueber den langen, gewölbten Gang hin wankte sie an seiner Seite
in ein helles, reinliches, mit Geräthen für die Bequemlichkeit
wohleingerichtetes Gemach. Von einem kleinen Tischchen am hohen
Bogenfenster winkten ihr feine Gerichte und ein Krystallbecher mit Wein
entgegen. Auf die Bitte des Wächters erquickte sie sich mit Speise und
Trank, und in diesem Augenblicke über die zu heftigen Anforderungen
der Natur ihre Lage vergessend, seit so vielen Tagen, bei fast
ungenießbarem Brod und übelriechendem Wasser, fast dem Verschmachten
nahe, würde sie Mahl und Wein mit Heißhunger verschlungen haben, wäre
nicht gerade, als sie am Tischchen sich niederließ, der Gerichtsbeamte
eingetreten, und seine Aufmerksamkeit dahin gerichtet gewesen, die
Entkräftete nur mäßig und in kleinen Zwischenräumen die lang entbehrte
Erquickung genießen zu lassen.

Der Gerichtsbeamte tröstete sie und machte ihr für ihre und ihres
Gatten baldige Begnadigung die süßesten Hoffnungen; aber schon
am andern Tage rückte derselbe mit seinen schimpflichen Anträgen
deutlicher heraus.

Mit Abscheu bebte die Tugendhafte vor dem Kuppler des lüsternen
Gebietes zurück, doch schauderte sie zusammen, als der Gerichtsbeamte
aus dem Tone der feinsten Schmeichelei in den einer kalten Härte
überging, ihr schonungslos eine Bedenkzeit nur bis zum folgenden Tag
zugestand und im Falle ihrer hartnäckigen Weigerung, die Rückkehr in
eine vieljährige Gefangenschaft bei Wasser und Brod, ein gräßliches
Leben bei Grabesstille, auf faulendem Stroh, in Gesellschaft von Unken
und Gewürme, ankündigte.

Der Morgen erschien, und mit ihm der Gerichtsbeamte. Josephine hatte
die ganze Nacht hindurch gebetet, und im Gebete sich neue Kraft zum
Kampfe für Tugend und Reinheit erholt. Als der Gerichtsbeamte in das
Gemach trat, erklärte sie ihm mit aller Würde ihrer tugendhaften Seele,
bereit zu sein in ihr Gefängniß zurück zu kehren. Schweigend hatte sie
der Beamte angehört. Auf einen Wink folgte sie ihm in einen fernen,
fast nächtlich dunkeln, grauenvollen Kerker. -- „Dieses sei von nun an
deine Wohnung, und ein Blick durch jenes Fenster überzeuge Dich, mit
der Ruhestätte Deines Mannes in recht nachbarlichem Verein zu leben!“
-- sprach der Gerichtsbeamte mit eisiger Kälte und führte sie an das
kleine, dicht vergitterte Fenster des Gefängnisses. Ein Blick durch das
Gitter, und Josephine sank mit einem gräßlichen Schrei in die Arme des
Gerichtsbeamten, und kreischte mit dem gellenden Laute des Wahnsinns:
„Für sein Leben gebe ich mich dem Grafen hin!“ Bewußtlos wurde sie
hinweggetragen.

In dem engen Hofraume vor dem Gitterfenster stand ein Mann von
gräßlicher Gestalt, die Arme nackt bis an die Schultern, ein blinkendes
Beil schwingend über Philipps Haupt, welches von einem Henkerknechte
auf einen Block niedergedrückt wurde; nahe an dem Blocke war ein
offenes Grab.

Das hatte Josephine gesehen, und den Knieenden, der einer von des
Grafen Leuten und zu diesem grausamen Trugspiele in Philipps Kleidung
vermummt war, für ihren zum nahen Tode bestimmten Gatten gehalten.

Josephine bestätigte nach Rückkehr ihrer Sinne, was sie in dem
schauderhaftesten Momente ihres Lebens gelobt hatte. Ihr wurde dagegen
Philipps Freiheit, seine Entfernung aus Polen und eine reiche Schenkung
für ihn zugesichert. Der Gerichtsbeamte zeigte ihr die Summe, die für
Philipp bestimmt war, und sie hatte Gewandtheit genug, jenen Zettel an
Philipp dem Golde unbemerkt beizufügen. --

Der unerschütterliche Entschluß, sich zu tödten, ehe sie die Beute
des Wolllüstlings werde, erzeugte in ihr den Gedanken, noch vorher
die Flucht zu versuchen. Es gelang ihr, durch mühsam erkünstelte
Zärtlichkeit die Begierde des Grafen dahin zu beschwichtigen, daß er
ihr eine Frist von 14 Tagen gewährte, um, wie die Listige sich äußerte,
die grausen Bilder der jüngsten Vergangenheit aus ihrer zu beklommenen
Seele allmählig verbannen zu können.

Selbst der leiseste Versuch einer Flucht mußte an der Wachsamkeit
scheitern, mit welcher der nicht leicht zu täuschende Graf jeden ihrer
Schritte umgab. Zwei Frauen, bewährte Dienerinnen des Grafen und von
ihm wohl unterrichtet, wichen Tag und Nacht keinen Augenblick von
Josephinens Seite.

Schon dunkelte heran der Abend des Tages, an welchem die Unglückliche
geopfert werden sollte; schon hatte Josephine ein unbemerkt beseitigtes
Messer in die Falten ihres Gewandes verborgen, um, wenn der
schreckliche Augenblick ihrer Entehrung nahe, das scharfe Eisen sich in
die keusch bewahrte Brust zu stoßen, als ein heulendes Jammergeschrei
die Hallen des Schlosses durchscholl. Mit dem Tode ringend, wurde der
Graf von der Reitbahn in das Schloß getragen. Trotz den Warnungen
seines Stallmeisters hatte er, vom unmäßig genossenen Weine erhitzt,
ein junges, ganz wildes Pferd bestiegen. Das ungezähmte Thier, noch
keines Reiters und keines Zwanges gewohnt, in der riesigen Kraft
ausgebildeter, tobender Jugend, schleuderte den Grafen mit solcher
Gewalt an die Steinwand der Reitbahn, daß die Brust zerschmettert wurde.

Kaum mehr der Sprache so viel mächtig, nach Josephinen zu verlangen,
hatte er dieser nur wenige Augenblicke vor seinem Hinscheiden noch
eine Rolle von 1000 Dukaten und einen werthvollen Schmuck dargereicht,
sie mit den letzten Athemzügen seiner zermalmten Brust anflehend,
ihm das Geschehene zu vergeben, und seiner im Guten zu gedenken. Von
Josephinens Thränen benetzt, hauchte er in einem Blutstrome sein Leben
aus.

Sie verließ mit Freuden alsbald ein Land, welches sie so grenzenlos
unglücklich gemacht hatte.

Beinahe ein volles Jahr hatte Josephine auf Reisen zugebracht, und jede
Gegend durchstreift, wo sie hoffen durfte, ihren Philipp oder doch
wenigstens Nachricht über ihn zu finden. Alle Mühe blieb ohne Erfolg;
spurlos war der verschwunden, an dem die Verlassene mit ganzer Liebe
hing, und ohne welchen ihr kein froher Tag blühete.

Ungeachtet Josephine auf ihren Reisen sehr haushälterisch zu Werke
gegangen war, so hatte sie doch eine bedeutende Summe gebraucht; sie
würde, so lange ihr Geld gereicht hätte, das Aufsuchen fortgesetzt
haben, hätte es ihr nicht höchst nothwendig geschienen, den größten
Theil der Summe, welche des Grafen Reue und Dankbarkeit ihr in Geld
und Juwelen zugesprochen hatte, sorglich bis zu Philipps Wiederfinden
zu bewahren, um, wenn er dürftig sei, ihn gleich zur Antretung irgend
eines Geschäftes unterstützen zu können. Jede Ruhe, jeden langen
Aufenthalt an einem Orte scheuend, da sie einmal unerschütterlich an
dem Gedanken hing, ihren Philipp ununterbrochen aufsuchen zu müssen,
nahm sie Dienste bei hohen Herrschaften, aber nur bei solchen, von
denen sie hörte, daß sie viel auf Reisen seien.

Jetzt war sie in die Dienste der Gräfin von Freienberg getreten, da
ihr kund gethan wurde, daß der Graf mit seiner Gemahlin eine Reise von
längerer Dauer in sehr entfernte Gegenden machen werde. Schon sehr nahe
war der Tag der Abreise, als Philipp mit seiner kleinen Bande von den
gräflichen Gerichtsdienern und Jägern aufgegriffen wurde.

In der Vorhalle des Schlosses stand Josephine hinter einer Säule
des hohen Gewölbes, furchtsam auf den Hof hinausblickend, und mit
Grauen die fremden Gestalten betrachtend, deren wilde Gesichter aus
der dunkeln Flammengluth der Fackeln noch wilder hervortraten. Sie
hörte den Befehl des Grafen, den Anführer der Bande in das sicherste
Gefängniß zu bringen; sie warf einen scheuen Blick auf ihn. Josephine
schauderte zusammen und ein entsetzlicher Schrecken durchzuckte sie,
denn das war das Gesicht ihres Philipps, das war sein Gang, seine
Haltung.

Wie Philipp zum Räuber geworden, ob er schuldig oder schuldlos sei,
daran dachte sie mit keinem Athemzuge, das heißliebende Weib hatte
in ihrer großen, muthigen Seele nur Raum für den Entschluß, ihn zu
retten und mit ihm zu entfliehen. Noch nicht mit sich selbst einig,
wie dieses zu bewirken sei, eilte sie auf ihr Zimmer, packte ihr Gold,
ihre Juwelen, das Nöthigste an Kleidern und Wäsche ein, schlich mit
dem Bündel in die Vorhalle hinab, verbarg ihn an einem sichern Orte,
und kehrte dann zu ihren Geschäften zurück, um ihre Abwesenheit nicht
auffallend zu machen, und während der Arbeit die Mittel zu Philipps
Befreiung und Flucht zu ersinnen, womit sie auch bald zu Stande kam.
Als die Herrschaft zur Tafel ging, besuchte Josephine, wie sehr oft
geschah, die Frau des Kerkermeisters, welche durch Herzensgüte und
tugendhafte Gesinnungen sich Josephinens innige Freundschaft erworben
hatte. Mit dieser Frau war Josephine schon oft, selbst am späten
Abende, zu den Gefangenen gegangen, um ihnen ein Stück Wäsche zu
schenken, oder sie mit einer Speise zu erquicken. Josephine kannte
die Lage aller Gefängnisse, daher auch dessen, worin ihr Gatte verwahrt
wurde. Es war jetzt darum zu thun, den Schlüssel zu diesem Gefängniß
und den zur kleinen Hinterthüre des Stockhauses an sich zu bringen. Es
gelang ihr, ohne daß der Kerkermeister und seine Frau es bemerkten.
Mit ihrem Raube, den sie nicht für eine Tonne Goldes gegeben hätte,
eilte sie, als die Zeit des Aufhebens der Tafel herankam, in das Schloß
zurück, besorgte ihre Arbeit mit großem Eifer, brachte die Gräfin zu
Bette, und schlich, als im Schlosse allgemeine Ruhe herrschte, ihren
Bündel unterm Arme, eine brennende Leuchte sorgfältig bedeckend, der
Hinterthüre des Stockhauses zu. Geräuschlos öffnete sie die selten
gebrauchte Pforte, leise das Schloß und die Riegel der Kerkerthüre. Das
Uebrige haben wir bereits gesehen.

[Illustration: _L. Oeser in Neusalza._

Die Befreiung.]



LIII.

Lips Tullians letzte Schicksale.

    Ich kann nicht rückwärts; vorwärts ist die Schuld,
    Ist das Verbrechen, vorwärts ist die Schande: --
    Doch kann ich nicht zurück. Mich jagt das Schicksal,
    Mein Stern ging unter, der mich aufrecht hielt,
    Und tückisch stürzt die Nacht mich in den Abgrund,
    Und meine grade Straße führt zur Hölle!

                                 ~Th. Körner.~


Durch Josephinens Gold wieder mit stattlichem Anzuge und den Mitteln
versehen, eine schnelle Reise im bequemen Wagen machen zu können, hatte
Philipp an ihrer Seite Baiern erreicht.

Fest entschlossen, dem gefahrvollen Räuberhandwerke zu entsagen und
in sicherer Einsamkeit nur der häuslichen Ruhe und seiner Josephine,
die er immer mehr und wieder mit aller Kraft der frühern Leidenschaft
liebte, zu leben, machte er ihr den Vorschlag, im Baierischen ein
kleines, freundlich und angenehm gelegenes Grundstück zu kaufen, und
dort dem Feldbaue sich zu widmen. Dies geschah so.

Hier lebte nun Josephine im süßesten Glücke, ohne zu ahnen, in ihrem
geliebten Philipp einen Räuber und Mörder, in ihm den furchtbaren
Lips Tullian zu umfassen. Schon in jener Gebirgsschlucht, wo er,
von Josephinen aus dem Kerker befreit, an ihrer Seite die erste
Freistätte gefunden hatte, begann er seine Erzählung von seinen seit
ihrer Trennung erlebten Schicksalen. Diese Erzählung war das feinste
Gewebe der schlauesten Erdichtungen, die rührendste Darstellung von
Leiden und Kämpfen, aus welchen er immer als Tugendheld mit Strahlen
der Glorie hervorging. Im Laufe der Reise gab er seine Erzählung nur
stückweise, um sich nicht im Feuer längerer Mittheilung zu verwirren,
um immer neue Mährchen zu ersinnen, und sie mit dem Kleide der höchsten
Wahrscheinlichkeit zu umhüllen.

Es hatte Josephine beinahe zwei Jahre im wonnevollsten Genusse der
Gegenwart gelebt, als Philipp, der bei seinem Leben im Gebirge, wo
alles Jäger ist, auch ein Waidmann geworden, auf einige Tage sich vom
Hause entfernte, um bei einem Förster einige Treib-Jagden mitzumachen.

Es befremdete ihn sehr, bei seiner Rückkunft nicht außerhalb des
Hauses von Josephinen empfangen zu werden, wie sonst jedesmal geschah.
Seine Befremdung ward zum höchsten Erstaunen, als ihm auf der Hausflur
die Magd den Schlüssel zu den obern Wohnzimmern überreichte, mit der
Nachricht: die Frau sei vorgestern Abends, nachdem sie lange mit einem
fremden Manne gesprochen und ihr, ohne sonst etwas zu sagen, diesen
Schlüssel übergeben habe, mit einem Bündel unter dem Arme von Hause
fortgegangen und noch nicht heimgekehrt.

Philipp stürmte ins Zimmer; er fand alles unverrückt, vermißte kein
Kleid seiner Frau, wohl aber den besten Theil ihrer Wäsche. Jetzt
erblickte er auf dem Schreibtische einen versiegelten Brief. Mir Hast
erbrach er ihn, und las:

    „Kaum vermag meine zitternde Hand, Dir in diesen Zeilen zu sagen,
    daß ich ganz eingeweihet bin in die furchtbarsten Geheimnisse
    Deines schauderhaften Lebens. Wir beide können nicht mehr auf einem
    und demselben Lebenspfade wandeln. Den größten Theil des baaren
    Geldes habe ich dem Manne gegeben, der durch seine grauenvolle
    Erzählung den Frieden, das Glück meines Lebens auf immer
    vernichtete, auf daß er die gräßlichen Geheimnisse tief bewahre und
    Deine Freiheit und Dein Leben nicht gefährde. Ich gehe dahin, wo
    nur die tiefste Stille, die friedlichste Einsamkeit mir winken,
    und dort werde ich mit glühender Andacht für Deine Seele beten.

                                                 Josephine.“

Der erste Gedanke, den Philipp nach entwichener Erstarrung wieder
zu fassen vermochte, war nicht eine Erinnerung an Josephinen, eine
Sehnsucht nach ihr, ein heißer Schmerz über ihre Entfernung; es war der
Gedanke, den Verräther aufzusuchen, um die heiße Flamme der Rachsucht
in seinem Blute zu kühlen. Er stürzte eine Flasche Wein aus, warf die
Doppelbüchse über und eilte aus dem Hause, nachdem er sich bei der Magd
in Ausforschung über Aussehen und Kleidung des fremden Mannes erschöpft
hatte.

Nach den sorgfältigsten und mühsamsten Aufsuchungen fand er am Abende
des dritten Tages, nicht fern von einer abgelegenen Waldschenke,
einen Kerl im Gebüsche schlafen, in dem er den rechten Mann zu finden
hoffte. Sanft wendete er den Schlafenden nach der Seite, und erkannte
auf den ersten Blick in ihm den böhmischen Wenzel, seinen Bekannten
von Schlesien her, der nur fast durch ein Wunder damals in Trebnitz
dem schon für ihn gezücktem Henkerschwerte entgangen und später in
Sachsen einer von Lips Tullians listigsten und hartherzigsten Raub-
und Mordgesellen gewesen war. Daß dieser bei Josephinen an ihm zum
Verräther geworden sei, daran hing Philipp mit festem Glauben, der zur
Ueberzeugung ward, da Aussehen und Kleidung ganz mit der Angabe der
Magd übereinstimmten, ohne Wenzel zu fragen, wie er in diese Gegend,
wie er zu Josephinen gekommen sei, und warum er ihn verrathen habe,
dazu gab ihm seine wild brennende Sucht nach Rache nicht Besonnenheit
und nicht Geduld. Mit einem schnellen Blicke umherspähend, ob Niemand
in der Nähe sei, stieß er dem Schlafenden sein Messer ins Herz.[39] Mit
dem Lachen gräßlich befriedigter Rache eilte der Mörder von der Leiche
hinweg.

    [39] Siehe die Abbildung.

Schon nach einigen Tagen hatte Philipp sein Grundstück verkauft, den
Erlös in Geld umgesetzt, und mit Postpferden eilte er Sachsen zu, fest
entschlossen, das Raub- und Mord-Handwerk noch gräßlicher zu treiben,
als er es getrieben hatte.

An der Gränze verließ er die Postchaise, um zu Fuße desto leichter
umherstreifen und die abgelegenen Diebeherbergen besuchen, auch in
Wirts- und Köhlerhütten nach frühern Kameraden umherspähen zu können.

[Illustration: _L. Oeser in Neusalza._

Ein neuer Mord.]

Als Jäger gekleidet, mit Doppelbüchse, Waidtasche und Hirschfänger
ausgerüstet, ging er nach der Stadt Freiberg. Am Thore wurde er von dem
Examinator angehalten und nach seinem Passe befragt. Philipp äußerte in
stolzen, trotzigen Worten seinen Unwillen, daß man ihn hier anhalte und
nach seinem Passe befrage, ungeachtet er fast in jeder Woche zweimal
mit Wildpret in die Stadt komme, wo ihn fast jedermann als den Förster
des nahe wohnenden Herrn von Hartenstein kenne. Er ging fort, ohne die
Gegenrede des Examinators abzuwarten, der aber, mit dieser Erklärung
nicht zufrieden, ihm nacheilte und mit Arretirung drohte. Philipp
ließ sich in seinem Gange nicht aufhalten, sprang von der Straße hinweg
in ein Haus, und suchte durch eine Hinterthüre zu entfliehen. Der
Examinator war ihm auf der Ferse. Das Haus hatte keine Hinterthüre,
der Hofraum lief in einen finstern Winkel aus. Dort warf Philipp den
Examinator zu Boden, und stieß ihm den Hirschfänger in den Leib.[40]

    [40] Hierzu die Abbildung im 12. Hefte.

[Illustration: Lips Tullian in Freiberg.]

Aus dem Fenster des Erdgeschosses hatte ein Weber die Mordthat
gesehen. Er und seine Gesellen, mit Aexten, Hämmern und Gabeln schnell
bewaffnet, eilten an die Hausthüre, um dem Mörder den Ausgang zu
verwehren. Man schrie um Hülfe, nach der Wache. Schnell hatte sich
eine Volksmenge gesammelt. Mit dem bluttriefenden Hirschfänger, mit
gespannter Doppelbüchse stürzte Philipp hervor, fest entschlossen,
Freiheit und Leben mit Blutströmen zu erkaufen, oder nur über Leichen
hinweg ins Gefängniß geschleppt zu werden.

Beinahe blutlos und sehr kurz war der Kampf; ein gigantischer
Schmiedegeselle, aus dem Hinterhause hervorstürzend, umfaßte
Philipp von rückwärts mit einer Kraft, die jede Bewegung, jede
verzweiflungsvolle Anstrengung des Wüthenden hemmte. Im Augenblicke war
er entwaffnet und gebunden.

„Freibergs armselige Spießbürger haben Lips Tullian überwältigt!“ --
brüllte er mit des ohnmächtigen Grimmes wildester Heftigkeit. Denn
er hatte früher oft geäußert: „Freibergs Spießbürger sollen mich
lebendig nicht gefangen kriegen!“ In sprachloser Ueberraschung, mit
scheuen Blicken bebte das Volk bei diesem Namen vor dem gefesselten
Tiger zurück. Keiner der Vielen hatte den Muth, dem Gefürchteten sich
zu nähern. Jetzt stürzte die Wache herbei, den Gefangenen nach dem
Stockhause abzuführen, und der Kolben unsanfte Berührungen machten den
zögernden Gang des sich Sträubenden zum immer raschern Doppelschritte.

Es war am 14. November 1711, als Lips Tullian auf einem Wagen
geschlossen, von einem Husaren-Commando umgeben, auf dem Festungsbaue
zu Dresden ankam, und in dem Gefängnisse, die Mohrenkammer genannt, mit
Fuß- und Handketten, mit Hals- und Leibring angeschmiedet wurde.

Im Laufe eines Jahres hatte er fünfmal die Tortur erduldet, ohne irgend
ein Verbrechen bekannt zu haben. Als er eines Tages in das Verhörzimmer
geführt wurde, starrte er auf der Schwelle mit heftigem Erschrecken
zurück.

„Haben sich die Gräber aufgethan und ihre Beute ausgeworfen?“ stöhnte
er mit bleichen Lippen, und streckte die zitternden Arme gerade aus,
gleichsam von sich abwehrend die grauenvollen Gestalten, aus deren
todtbleichen Gesichtern ihm gräßliche Erinnerungen wie quälende
Gespenster entgegentraten. Sarberg, Eckold, Lehmann, Schöneck, Schickel
und Hentzschel hatte er in jenem wilden Kampfe mit der rebellischen
Bande leblos an seiner Seite niederstürzen gesehen, und jetzt standen
sie ihm gegenüber, jetzt riefen sie ihm Gruß und Namen entgegen.

Es währte lange, bis er sich wieder gesammelt, bis er sich überzeugt
hatte, daß sich das Reich der Todten geöffnet habe, daß es Lebende
seien, deren Nähe ihn wie Leichengeruch anwidere. Aber als der Richter
ihm nun sagte, eben diese Männer haben reuemüthig gestanden, was sie
und Lips Tullian, ihr Hauptmann, gethan; als er hörte, daß seine
vertrautesten Freunde zu seinen Anklägern, zu seinen Verderbern
geworden seien, da durchbohrte er die Verräther mit tödtenden Blicken,
da schüttelte er grimmig seine Ketten.

„Ich will bekennen, was ich gethan, aber diese Schurken sollen nicht
die Früchte ihres Verrathes, ihrer Heuchelei, ihrer erbärmlichen
Schwäche genießen. Und wenn das Erbarmen des Fürsten auch schon eine
Gnadenschranke von Erz um ihr Leben gezogen hat, so reißen meine
Geständnisse diese Schranke nieder, und jauchzend schleppe ich diese
Räuber und Mörder auf das Blutgerüst!“ -- So brüllte Philipp dem
Richter zu, und mit des Hohnes und der Verachtung eisiger Kälte blickte
er auf die todtbleichen Gestalten hin. --

Tullians Geständnisse begannen. Zwei Tage und eine Nacht, nur von Zeit
zu Zeit durch eine Ruhestunde unterbrochen, dauerte das erste Verhör.

Ueber Tullian, über Sarberg, Eckold, Schöneck, Schickel, Lehmann und
Hentzschel sprach im Monat Oktober 1714 der Schöppenstuhl zu Leipzig
die Strafe mit dem Rade vom Leben zum Tode aus, die in der Folge von
dem Landesfürsten gemildert wurde.

Lips Tullian und die mit ihm Verurtheilten wurden am 8. März 1715 auf
dem großen steinernen Gerichte bei Alt-Dresden enthauptet und ihre
Körper auf das Rad geflochten.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Lips Tullian und seine Raubgenossen - Eine romantische Schilderung der Thaten dieses furchtbaren - Räuberhauptmanns und seiner Bande, welche im Anfange des - 18. Jahrhunderts ganz Sachsen, Böhmen und Schlesien mit - Furcht, Schrecken und Entsetzen erfüllte" ***

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