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Title: Murillo
Author: Knackfuss, H. (Hermann)
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Murillo" ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1896 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und
    altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
    unverändert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert.

    Einige Abbildungen wurden zwischen die Absätze verschoben und zum
    Teil sinngemäß gruppiert, um den Textfluss nicht zu beeinträchtigen.

    Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit
    den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

      fett:       =Gleichheitszeichen=
      gesperrt:   +Pluszeichen+
      Antiqua:    ~Tilden~

  ####################################################################



                          Liebhaber-Ausgaben

                            [Illustration]



                         Künstler-Monographien

                In Verbindung mit Andern herausgegeben

                                  von

                              H. Knackfuß

                                   X

                                Murillo

                       =Bielefeld= und =Leipzig=

                     Verlag von Velhagen & Klasing

                                 1896



                                Murillo

                                  Von

                              H. Knackfuß

            Mit 59 Abbildungen von Gemälden und Zeichnungen

                            Zweite Auflage

                            [Illustration]

                       =Bielefeld= und =Leipzig=

                     Verlag von Velhagen & Klasing

                                 1896



                Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.



                            [Illustration]



Murillo.


Am Neujahrstage 1618 ließ zu Sevilla ein Mann Namens Gaspar Estéban
Murillo den Sohn, den ihm seine Ehefrau Maria Perez zum Jahresschluß
geschenkt hatte, in der Pfarrkirche St. Magdalena auf die Namen des
Apostels Bartholomäus und des Blutzeugen Stephanus taufen. Das ist
alles, was man über die Herkunft des gefeierten Malers weiß, dessen
Werke zuerst und am weitesten den Ruhm der spanischen Malerei über die
Pyrenäen hinaustrugen. Was über sein Leben in alten Nachrichten erzählt
wird, dem haben die eingehenden Forschungen unserer Zeit kaum etwas
Neues hinzugefügt, außer urkundlichen Nachweisen über die Bestellung
und die Entstehungszeit einzelner Werke. Man kann bei Bartolomé Estéban
Murillo kaum von einer Lebensgeschichte sprechen. Der Lauf seines
Daseins bewegte sich in engem Kreise. Sein Leben war seine Arbeit.
Auch das Stoffgebiet, das er bearbeitete, erscheint, wenn man an die
Vielseitigkeit von manchen seiner berühmten Zeitgenossen denkt, als
ein eng begrenztes; und dennoch war seine Kunst eine vielumfassende:
sie blickte hinab in den Alltagsstaub der Gassen von Sevilla und
hinauf in lichterfüllte Himmelshöhen, die sich nur dem frommen Glauben
erschließen, sie gestaltete das Gewöhnlichste wie das Unfaßbarste mit
der gleichen Meisterschaft.

Neigung und Beruf zur Malerei müssen sich bei dem Knaben Bartolomé
Estéban früh zu erkennen gegeben haben. In seinem zehnten Jahre
verwaist und gänzlich mittellos, wurde er von seinem Vormund zu dem
Maler Juan de Castillo in die Lehre gebracht. Das Bildermachen war
damals in Spanien ein Erwerbszweig, der so gut wie ein anderer seinen
Mann rechtschaffen ernähren konnte. Juan de Castillo war kein großer
Künstler; er gehörte zu den vielen, welche das Heil der Kunst darin
erblickten, daß die Formensprache der Italiener, die „gute Manier,“
mit mehr oder weniger Handwerksgeschick nachgeahmt wurde. Den jungen
Murillo beschäftigte er mit der Anfertigung von sogenannten Sargas,
bemalten Tüchern, welche als Wandbekleidungen statt der Teppiche,
als Vorhänge, als Schiffsflaggen und dergleichen gebraucht wurden.
Derartige Arbeiten galten als ein Mittel, den Anfängern „die Hand
zu lösen.“ Und gewiß mit Recht; denn die Art ihrer Ausführung, mit
Leimfarben auf ungrundierter Leinwand, gestattete nicht das Anbringen
nachträglicher Veränderungen und Verbesserungen, es war darin also ein
Übungsmittel von nicht hoch genug zu schätzendem Wert gegeben. Man hat
keinen Grund, die Verdienste, welche der Lehrer Murillos sich um dessen
erste Ausbildung erworben, gering anzuschlagen. Jedenfalls brachte er
demselben eine bedeutende Handfertigkeit bei.

Im Jahre 1639 siedelte Juan de Castillo nach Cadiz über. Der junge
Murillo blieb gänzlich sich selbst überlassen und mußte zusehen, wie er
es ermöglichen sollte, sich Brot vom Tag zum Tage zu verschaffen. So
stellte er denn seine Begabung in den Dienst der allerbescheidensten
Kunstansprüche und malte billige Ware für die Händler, welche auf den
Messen Andachtsbilder zu Markte brachten. Es ist nicht zu verwundern,
daß spätere Zeiten sich bemüht haben, Bilder Murillos aus diesem ersten
Abschnitt seines Lebenswerks zu entdecken. Jene Marktware konnte
natürlicherweise nur ein vergängliches Dasein haben. Aber es ist ja
auch nicht ausgeschlossen, daß er ab und zu einmal einen besseren
Auftrag gegen bescheidenen Lohn bekam. Überlieferung und Vermutung
haben mehrere Bilder dieser Art bezeichnet, die zum Teil sich noch in
Sevilla befinden, zum Teil nach anderen Orten verstreut worden sind.
So wird im Museum zu Cadiz ein Gemälde, welches die heilige Anna mit
Maria und dem Christuskind darstellt, als Jugendwerk Murillos gezeigt.
Es ist ein Bild von trübem und schwärzlichem Ton, aber nicht ohne
künstlerischen Reiz in Bezug auf die Anordnung der Gruppe und die
Verteilung von Hell und Dunkel. Wenn dieses Bild wirklich ein Überrest
aus jener Frühzeit Murillos sein sollte, so würde die geringe Meinung,
welche seine Mitschüler bei Juan de Castillo von seiner Begabung gehabt
haben sollen, nicht ganz gerechtfertigt erscheinen.

[Illustration: Abb. 1. ~Bartolomé Estéban Murillo.~

Gemalt von ~Don Alonso Miguel de Tobar~, angeblich nach einem
verschollenen Selbstbildnis des Meisters, im Pradomuseum zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Einer dieser ehemaligen Mitschüler war es, dem Murillo die
entscheidende Wendung in seinem Leben verdankte. Pedro Moya -- so
hieß der junge Mann -- war mit den Soldaten nach Flandern gezogen,
er hatte dort das frische und gesunde Kunstleben kennen gelernt,
das so unabhängig war von der italienischen „guten Manier“ des
verflossenen Jahrhunderts, er hatte sich von den Niederlanden aus
nach England begeben und rühmte sich, mit dem bewunderten van Dyck
persönlich bekannt geworden zu sein. Nach Sevilla zurückgekehrt,
erzählte er seinem Schulfreund von all den Wundern der Kunst, die
er gesehen, und er unterdrückte gewiß nicht die Bemerkung, wie
unendlich altmodisch ihm alles, was man in Sevilla malte, vorkäme.
Nach dem Anhören von Moyas Schilderungen ertrug Murillo den Gedanken
nicht länger, in ausgetretenem Geleise wandelnd, in der Nacht der
Vergessenheit versinken zu sollen. Er wollte die Malweise der Fürsten
der Kunst kennen lernen, am Anblick ihrer Werke sich schulen und dann
weiterstreben zum Höchsten. An eine Reise nach den Niederlanden konnte
er freilich bei seiner Mittellosigkeit nicht denken. Aber auch in
Madrid befanden sich ja in den Schlössern des Königs zahlreiche Gemälde
der besten Meister. Und in Madrid lebte ein Sevillaner, Don Diego
Velazquez, in der angesehenen Stellung eines Hofmalers Seiner Majestät:
der würde sich des Landsmannes und Kunstgenossen gewiß annehmen. Die
Mittel zu einer Reise nach Madrid mußten beschafft werden, dann sollte
alles andere sich schon finden.

[Illustration: Abb. 2. ~Der heilige Diego die Armen speisend.~

Gemälde aus dem Fraziskanerkloster zu Sevilla, jetzt in der Akademie S.
Fernando zu Madrid.

Übersetzung der Unterschrift:

    Dem armen Darbenden gibt Diego Speise,
    Er läßt sich geben, daß der Arme esse,
    Der Arme ißt, und Diego nimmt befriedigt
    Auf seine Rechnung alle Schuld des Dankes.

    Er sieht im Armen Gott, aus seinem Herzen
    Bringt Nächstenliebe Gott ihr duftend Opfer.
    Nach in Werkthätigkeit verbrachtem Leben
    Erfreut der Heilige sich der Himmelskrone.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Murillo bedeckte eine große Leinwand mit einer Menge kleiner
Erbauungsbildchen, für die er in den Unternehmern, welche Schiffe
nach den Niederlassungen jenseits des Weltmeers befrachteten,
Abnehmer suchte und fand. So wanderten Murillos Erzeugnisse mit den
Indienfahrern nach Südamerika, und er wanderte auf weiter Straße, durch
die Felsenwildnis des Scheidegebirgs zwischen Andalusien und Castilien
und über das eintönige Hochland der Mancha nach Madrid. Das war im
Jahre 1643.

Der große Velazquez nahm den lernbegierigen jungen Mann, der im Alter
von 25 Jahren das Studium sozusagen von neuem beginnen wollte, mit
Wohlwollen auf. Er verschaffte ihm die ersehnte Gelegenheit, die im
Besitz des Königs befindlichen Gemälde zu studieren und in den Werken
der Tizian, Rubens, van Dyck, Ribera eine neue Welt der Malerei, die
Kunst der Farbe, vor sich aufgehen zu sehen. Er gab ihm Ratschläge,
heißt es; als besten vermutlich den nämlichen, den zweitausend Jahre
früher der Altmeister von Sikyon dem Lysipp gegeben hatte: Du fragst,
welcher Künstler das beste Vorbild sei? -- Geh hinaus auf den Markt und
sieh dir die Natur an!

Murillo verweilte zwei Jahre in Madrid, lernend und sich übend. In
Sevilla hatte er keinem etwas von der Reise gesagt, und von keinem
wurde er vermißt.

Als er heimkehrte, hatte er das Glück, daß ihm gleich ein ansehnlicher
Auftrag zu teil wurde.

[Illustration: Abb. 3. ~Das Wunder des heiligen Diego~ („Die
Engelküche“).

Im Louvremuseum zu Paris.]

Im großen Franziskanerkloster zu Sevilla sollte ein Kreuzgang mit
Gemälden geschmückt werden. Murillo bewarb sich um diese Arbeit, und
sie wurde ihm übertragen; als Grund seiner Bevorzugung vor den anderen
Bewerbern wird angegeben, daß seine Preisforderung die bescheidenste
war.

Es handelte sich um eine Reihe von Darstellungen aus der Geschichte von
Heiligen des Franziskanerordens. Dieselben waren als einzelne Ölgemälde
auszuführen, denn die Kunst der Freskomalerei hatte in Andalusien
keinen Boden gefunden. Murillo malte diese Bilder, elf an der Zahl,
die einen von größerer, die anderen von geringerer Breitenausdehnung,
in den Jahren 1645 und 1646. Durch sie wurde er mit einem Schlage
zum berühmten Mann. Ganz Sevilla staunte ihn an. Denn niemand wußte,
so heißt es in der alten Lebensbeschreibung, woher er den neuen,
meisterhaften, unbekannten Stil hatte, für den es in Sevilla weder
Vorbild noch Lehrer gab. Man glaubte, da die Reise nach Madrid Murillos
Geheimnis blieb, er habe sich während der zwei Jahre in seiner Wohnung
eingeschlossen gehalten, um unausgesetzt Naturstudien zu malen. Daß
in dem eingehenden und erfolgreichen Studium der Natur das Geheimnis
der überraschenden Wirkung dieser Gemälde lag, das war allerdings
zutreffend. -- Das Kloster war stolz auf den außerordentlichen
Kunstbesitz. Die Bilder wurden zum Schutz mit Vorhängen versehen und
nur an Festtagen enthüllt. Aber das schlimme Jahr 1810 gab sie den
Räuberhänden preis. Als Joseph Bonaparte am 1. Februar jenes Jahres
seinen Einzug in Sevilla gehalten hatte, wurde das Kloster geplündert,
die Bilder wurden in die Welt hinaus verstreut. Nur zwei der kleineren
sind in Spanien verblieben; sie befinden sich in der Gemäldesammlung
der Akademie von S. Fernando zu Madrid.

[Illustration: Abb. 4. ~Sitzender Bettler.~ Studienzeichnung in den
Uffizien zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Das eine dieser beiden ist die dem Stifter des Ordens gewidmete
Darstellung: der heilige Franciscus wird durch himmlische Musik
getröstet. In heller und scharfer Beleuchtung erscheint ein
geigenspielender Engel, in blaßrötliche und matt-moosgrüne Gewänder
gekleidet, von einem bräunlich-goldigen Lichtschein umgeben, in der
schwarzbraunen Finsternis der engen Mönchszelle; vom Licht und Klang
geweckt, richtet sich der Heilige, der auf dem harten Boden eine
kärgliche Ruhe gesucht hat, wie traumbefangen empor. Die Schwärze
des Hintergrundes und die dunkelfarbige Kutte lassen den Kopf des
Mönchs lebhaft hervortreten, der in seiner ganz aus der Wirklichkeit
gegriffenen Bildung und in dem meisterhaft gegebenen Ausdruck des
verzückten Lauschens so viel künstlerischen Wert besitzt, daß er die
etwas nüchterne Fassung des Ganzen aufwiegt. Dieser naturwahre Kopf
ist bewunderungswürdig. Die Verbildlichung des Überirdischen aber
läßt noch nicht viel von dem Meister ahnen, der später in himmlischen
Lichterscheinungen so Unvergleichliches geschaffen hat.

Das andere Bild bewegt sich ganz auf irdischem Boden, es zeigt sich
uns als ein Meisterwerk der Naturbeobachtung. Es ist mit einer so
schlichten Treue aus der Wirklichkeit gegriffen, daß man sich sehr wohl
das Aufsehen vorstellen kann, welches ein solches Werk erregen mußte,
das statt der phrasenhaften Gestalten der landläufigen Heiligenmalerei
dem Volke sein eigenes Abbild zeigte; da konnte man wohl von einem
„neuen unbekannten Stil“ sprechen. Der Held der Darstellung ist kein
weltbekannter Heiliger, sondern ein schlichter Laienbruder des Ordens
mit Namen Diego, der im Kloster zu Alcalá im ersten Viertel des XV.
Jahrhunderts ein still bescheidenes Leben geführt hatte, von dem
aber Begnadigungen und Wunder erzählt wurden, auf Grund deren er von
Sixtus V im Jahre 1588 unter die Kirchenheiligen aufgenommen wurde.
Der heilige Diego war von Geburt ein Andalusier; wohl aus diesem
Grunde wurde ihm in dem Sevillaner Kloster eine größere Anzahl von
Bildern gewidmet, als irgend einem der anderen Heiligen. Hier ist
er dargestellt, wie er Suppe unter die Armen verteilt (Abb. 2). Das
Bild hat sozusagen keine Farbenwirkung, auch keine Wirkung von Hell
und Dunkel; es bewegt sich in grauen und braunen Tönen, in die, neben
den wenigen helleren Gesichtern und Händen, nur ein paar Flecken von
verschossenem Rot, Blau, Grün und schmutzigem Weiß hineingestreut
sind. Und dennoch, wie packt das Bild den Beschauer gleich beim ersten
Anblick! Der geringe Reiz der Farbe, die trockene Malweise und was
man etwa an der Aufstellung der Figuren im Raume mangelhaft finden
könnte, -- alles das verschwindet ganz und gar hinter der schlagenden
Lebenswahrheit, von der eine jede Gestalt bis ins kleinste erfüllt
ist. Das sind dieselben bejammernswerten Gestalten, die heute noch
die Kirchthüren umlagern -- und jenes Gesicht kommt einem vor, als
wäre man ihnen eben erst auf der Straße begegnet --, es ist dieselbe
Geschäftsmäßigkeit des Bittens und dieselbe Gelassenheit beim Hinnehmen
der Gabe, die auch heute noch dem spanischen Bettler eigen sind. Und
die Kinder, -- man glaubt noch die Stimmchen nachklingen zu hören,
mit denen sie, noch nicht von dem gemessenen Wesen der Alten erfüllt,
in eindringlicher Eintönigkeit den freundlichen Geber bestürmt haben;
und jetzt sind sie so vollständig befriedigt, sie besitzen für
den Augenblick gar keinen Wunsch mehr, und sie falten die kleinen
schmutzigen Hände, damit Diego doch nicht ganz allein das Dankgebet für
alle zu sprechen braucht. Die betenden Hände des Heiligen und sein Kopf
-- nebenbei auch Meisterwerke des malerischen Könnens in technischer
Beziehung -- sind der Glanzpunkt des Bildes. Das Ganze wird von diesem
Kopf als seinem künstlerischen Mittelpunkt beherrscht, dem Kopf eines
echten Spaniers, eines echten Mannes aus dem Volke und eines echten
Heiligen.

[Illustration: Abb. 5. ~Knabe, die Guitarre spielend.~ Studienzeichnung
in der Albertina zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 6. ~Studienkopf.~ In der königl. Gemäldegalerie im
Haag.]

Von den größeren Bildern aus dem Kreuzgang des Franziskanerklosters
ist eines nach Paris in die Galerie des Louvre gelangt. Das ist ein
merkwürdiges Bild; eine Dichtung von liebenswürdigster Unbefangenheit,
so kindlich, wie die Legende, die es behandelt. Man braucht die
Legende nicht zu kennen, das Bild erzählt sie (Abb. 3). Diego, der
Laienbruder, ist mit dem Küchendienst beauftragt worden. Aber fromme
Anmutungen haben ihn diese weltliche Aufgabe vergessen lassen; dem
irdischen Boden entrückt, kniet er in der Luft, anbetend in der
Anschauung unsichtbarer Geheimnisse, schon umleuchtet von dem Glanz
seiner zukünftigen Heiligkeit. Damit aber die Gnade, welche Diego zu
teil wird, den Brüdern keine irdische Benachteiligung bringe, haben
Himmelsboten inzwischen die Verrichtung seines Kirchenamts übernommen.
In der Mitte des Bildes stehen zwei große Engel, die sich über die
Besorgung von Speise und Trank beraten; der eine, in lichtviolettem
Gewand, mit dunkelgoldigem Schimmer auf den weißen Flügeln, schickt
sich an, zur Füllung eines großen Thonkrugs davonzueilen; der andere,
in gelbem Gewand mit grünlichblau überflogenen Fittichen, berührt
mit der Hand ein auf dem Küchentisch liegendes Stück Lammfleisch. Im
Vordergrund sind zwei nackte Engelkinder am Gemüsekorb beschäftigt,
ein etwas größeres Kind stampft im Mörser. Ein Engelmädchen stellt
die Eßnäpfe auseinander, ein anderes weiter hinten sieht am Herd
nach dem kochenden Wasser. Die ganze geflügelte Gesellschaft ist so
in Anspruch genommen von der ungewöhnlichen Beschäftigung, daß sie
weder den in der Hinterthür der Küche erscheinenden Frater, der stumm
vor Staunen die Hände spreizt, bemerken, noch auch den Prior, der in
Begleitung zweier schwarzgekleideten vornehmen Herren durch die vorn am
Bildrand befindliche Thür hereintritt und so Zeuge des Wunders wird.
-- Murillo hat die Sache in einer Weise dargestellt, als ob er selbst
auch Augenzeuge gewesen wäre, mit einer unbefangenen Gläubigkeit, die
dem phantastischen Hergang sozusagen den Anschein der Glaubhaftigkeit
gibt. Den leblosen Inhalt der Küche hat er mit dem Fleiß eines braven
Schülers nach dem Wirklichen gemalt und mit der Geschicklichkeit eines
niederländischen Stilllebenmalers ausgeführt.

[Illustration: Abb. 7. ~Das Mädchen mit dem Geldstück.~ Im Pradomuseum
zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Es versteht sich von selbst, daß ein Maler, bei dem das Neue seines
Stils zum besten Teil auf der Beobachtung der Wirklichkeit beruhte,
nicht nachließ, die Natur zu studieren. Unter den wenigen Blättern,
welche als Zeichnungen von Murillos Hand gelten (in den großen
Sammlungen zu Wien, Florenz, Paris), befinden sich einige, die sich
als schnelle Niederschriften nach dem Leben zu erkennen geben (Abb. 4
und 5). Im allgemeinen darf man annehmen, daß Murillo seine Studien
mehr mit Farbe und Pinsel, als mit dem Zeichenstift machte. Was er
malte, um sich im Erkennen und Wiedergeben von Form und Ausdruck
zu üben, beschränkte sich, soweit man nach dem Erhaltenen urteilen
kann, nur selten auf den beziehungslos hingestellten sogenannten
Studienkopf (Abb. 6); vielmehr rundete es sich ab zum sogenannten
Genre- oder Sittenbild. Das Pradomuseum zu Madrid, welches die reichste
Sammlung von Werken Murillos besitzt, enthält zwei solcher zu Bildern
ausgearbeiteten Studien. Beide sind Brustbilder. Das eine zeigt das
verschrumpfte Gesicht einer alten Frau, die müde aus den einst gewiß
sehr lebhaft gewesenen schwarzen Augen blickt, während ihre Hände sich
mit dem Spinnrocken beschäftigen. Das andere zeigt ein lachendes junges
Mädchen. Das sonnverbrannte Gesicht der frischen Bauerndirne glüht aus
dem weißen Kopftuch, das sich von einem dunkelgrauen Grund abhebt,
farbig hervor; lustig blitzen die braunen Augen uns an. Alles ist Saft
und Kraft an dieser kleinen Person; zwischen dem Kopftuch und dem
Hemdärmel lacht ein Streifchen von der braunen Sammethaut der runden
Schulter dem Beschauer entgegen, und man könnte bedauern, daß das
große weiße Tuch und die über das rotbraune Mieder geschlagene graue
Decke die Umrisse der Gestalt so vollständig verbergen. Dem in fester
und gediegener Malerei sorgfältig ausgeführten Kopf ist eine flüchtig
gemalte Hand hinzugefügt, welche ein blankes Silberstück hält: eine
äußerliche Begründung des lachenden Ausdrucks, durch welche der Maler
seine fleißige Studie zu einem verwertbaren Bild gemacht hat (Abb. 7).

[Illustration: Abb. 8. ~Die Anbetung der Hirten.~ Im Museum des Prado
zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Auf die Ausführung der Bilderreihe im Kreuzgang des
Franziskanerklosters folgte nicht so bald wieder ein Auftrag
von ähnlichem Umfang und gleich großer Bedeutung. Aber bei dem
außerordentlichen Erfolg seiner ersten Arbeit konnte es nicht
ausbleiben, daß Murillo mit zahlreichen Bestellungen einzelner Gemälde
für Kirchen und Kapellen, Klöster und Stiftungen bedacht wurde. Aller
Nahrungssorgen enthoben, in ganz Sevilla persönlich beliebt und um
seiner Kunst willen gefeiert, dachte er bald an die Gründung eines
eigenen Hausstandes. Im Jahre 1648 verheiratete er sich mit einem
Mädchen aus einer vornehmen Familie Sevillas, Doña Beatriz de Cabrera
y Sotomayor.

[Illustration: Abb. 9. ~Mariä Verkündigung.~ Im Museum des Prado zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Im Museum zu Madrid befindet sich eine ganze Anzahl von Bildern
Murillos, die mit größerer oder geringerer Sicherheit als Arbeiten
aus diesen und den nächstfolgenden Jahren erkannt werden. Es ist
bemerkenswert, daß in einigen derselben Anklänge an die Art und
Weise der Meister, deren Gemälde er in Madrid studiert hatte, sich
wahrnehmen lassen. Nicht etwa als ob Murillo als Nachahmer erschiene;
aber man sieht, daß er mit großem Fleiß in das Wesen seiner Vorbilder
einzudringen und deren Vorzüge zu erkennen bemüht gewesen ist, und
das hierbei Gelernte spiegelt sich nun in den eigenen Arbeiten
wieder. Überall ordnen sich die fremden Anklänge einer künstlerischen
Eigenart unter, die so bestimmt ausgeprägt ist, daß man -- bei aller
Verschiedenartigkeit der Gemälde unter sich -- einen Murillo aus dieser
Zeit ebenso gut wie einen späteren unter allen anderen Gemälden gleich
herauserkennt. Murillo selbst scheint sich dessen auch völlig bewußt
gewesen zu sein, daß er mit keinem anderen mehr verwechselt werden
konnte; nachdem er von den Bildern im Franziskanerkloster einige mit
seiner Namensunterschrift bezeichnet hatte, hat er dies später kaum
jemals wiederholt.

Vielleicht das älteste von Murillos Gemälden im Prado ist die Anbetung
der Hirten (Abb. 8). Die Farbe bewegt sich in vorherrschend bräunlichen
Tönen, die sich im Hintergrund zum Schwärzlichen vertiefen; darin
stehen das rote Kleid und der grüne Mantel Marias als kräftige
Farben, und der feine Kopf der Jungfrau, deren kastanienbraunes
Haar ein graugelblicher Schleier umschlingt, und das zartfarbige,
fast schattenlose Kindlein in der weißen Windel bilden die starken
Helligkeiten, die den Blick des Beschauers festhalten. Bei allem
Ansprechenden, das die Darstellung besitzt, empfindet man in derselben
doch einen gewissen Mangel an künstlerischer Unmittelbarkeit; das
etwas trocken gemalte Bild macht den Eindruck des „Komponierten.“ Bei
den Figuren der Hirten ist Murillo noch nicht darauf gekommen, frei in
das Leben hineinzugreifen und solche Hirten, wie sie die Wirklichkeit
ihm zeigte, zu malen, sondern er hat sich hier mehr nach der Art und
Weise gerichtet, wie Ribera -- an dessen Auffassung überhaupt das ganze
Bild ein wenig erinnert -- diese Gestalten zu bilden pflegte.

Ein für diese Zeit sehr bezeichnendes Bild ist die Verkündigung (Abb.
9). In der Bildung der beiden Gestalten -- die in der altherkömmlichen
Weise einander gegenübergestellt sind --, im Wurf der Gewänder zeigt
sich Murillos Eigenart, die in diesen Dingen lieber Zufälligkeiten
der Natur als überlieferten Regeln folgte. Ganz sein Eigentum ist die
Verbindung des Himmels mit der Erde durch das Herabsenken einer grauen
Wolke, die sich öffnet und zwischen einem Rahmen von allerliebsten
Englein in einen goldfarbigen Lichtschein blicken läßt, in welchem das
Göttliche -- hier der heilige Geist in Gestalt der Taube -- erscheint.
Der Künstler hat ein Gedicht der Farbe und des Lichtes schaffen
wollen, aber der nachmalige große Meister dieser malerischen Poesie
zeigt sich hier noch als unfertig. Die Stimmung hat etwas Kaltes.
Maria trägt ein lilagraues Kleid und blaugrünen Mantel, der Engel ein
rötlich-lilafarbenes Gewand, das im Licht ins Hellgelbe übergeht,
mit bräunlich-grüner Umgürtung; seine Flügel nehmen das Lila des
Gewandes und das dunkle Grau der Wolkenwand mit einer Vertiefung bis
ins Schwärzliche auf. Auch die Schatten gehen ins Schwarze. Nur an
zwei Stellen kommt ein warmes Rot vor: in der Decke über dem braunen
Holzmöbel, auf welchem das Gebetbuch liegt, und in dem Nähkissen, das
in dem zwischen den beiden Figuren auf dem Boden sichtbar werdenden
Arbeitskorb unter einem weißen Tuch zum Vorschein kommt. Besonderheiten
der Malerei erinnern in diesem Bilde entschieden an die Rubenssche
Schule, vielleicht mehr an van Dyck als an den großen Antwerpener
Meister selbst.

[Illustration: Abb. 10. ~Rebekka und Elieser.~ Im Museum des Prado zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Noch augenfälliger tritt die Erinnerung an die Art des Rubens in einem
Bilde kleineren Maßstabs in die Erscheinung, das im übrigen durch
seinen sonnig warmen Ton einen weiteren Fortschritt in der Entwickelung
Murillos zu bezeichnen scheint: Rebekka und Elieser am Brunnen (Abb.
10). Wie reizvoll leuchtendes Frauenfleisch auf einem blaugrauen
Luftton stehen kann, das hat Murillo dem Niederländer sehr glücklich
abgelauscht: er hat sogar dreien der Mädchen, die sonst die echtesten
Andalusierinnen sind, blondes Haar gegeben. Die vier nahe zusammen
stehenden Mädchenköpfe mit dem von Weißzeug umgebenen Fleisch der Hälse
und Arme bilden eine einheitliche Lichtmasse, welche den Haupteffekt
des Bildes ausmacht. Was aber dem Bilde seinen eigentümlichen Reiz
verleiht, ist das von Murillo aus sich selbst heraus Empfundene: die
Stimmung des drückend heißen Sommertages, die einem so fühlbar wird,
wenn man in die graue Felsenlandschaft blickt, die sich weithin unter
dem von bleifarbigem Gewölk durchzogenen Himmel ausdehnt; der ehrliche
Durst des Mannes, der solch baum- und wasserloses Bergland durchwandert
hat und jetzt begierig die Lippen an das große Schöpfgefäß setzt:
die Lebhaftigkeit der schwarzbraunen spanischen Augen, die auch in
den Gesichtern der Blondhaarigen funkeln. -- In den Gewändern sind
warme Farben vorherrschend. Elieser hat einen gelblichen Turban und
einen ähnlich, nur kräftiger gefärbten Rock, der von einem hellblauen
Gürtel scharf durchschnitten wird, ein rotbrauner Mantel hängt auf
seiner Schulter; Rebekka hat ein rotes Tuch über den schwarzen Rock
geschlagen; das vom Rücken gesehene Mädchen ist am Oberkörper mit einem
gelblich-grauen Stoff bekleidet, ihr Rock hat einen stumpfen, dunklen,
ins Blau-Grünliche gehenden Ton. Die Mauer, welche den Hintergrund
dieser Figur bildet, ist wieder gelblich, saftig grünes Laub hängt von
ihr herab; die Brunneneinfassung besteht aus roten Backsteinen.

[Illustration: Abb. 11. ~Heilige Familie~, zubenannt ~+del pajarito+~
(~mit dem Vögelchen~). Im Museum des Prado zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 12. ~Die Jungfrau und das Christuskind.~ Im Museum
des Prado zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Ganz unabhängig von allem Herkömmlichen -- in künstlerischer wie in
sachlicher Beziehung -- ganz unbefangen aus dem Leben schöpfend,
tritt uns Murillo in einem Gemälde entgegen, welches die heilige
Familie in rein menschlichem Beisammensein darstellt (Abb. 11). In
einem Gemach mit kahler grauer Wand sitzt der heilige Joseph, dessen
männlich kräftigen Kopf dichtlockiges schwarzes Haar umwallt, mit einem
schwarzen Rock und einem über die Kniee geschlagenen bräunlich-gelben
Übergewand bekleidet, und nimmt väterlich teil an dem kindlichen Spiel
des Jesusknaben. Das goldlockige Kind, dem über das weiße Hemdchen ein
gelblich-graues Wollentuch mit einer hellblaugemusterten Schärpe als
Röckchen umgebunden ist, lehnt sich an den Pflegevater an und belustigt
sich munter mit einem weißen Hündchen, vor dem es einen kleinen Vogel
in die Höhe hält. Maria sitzt etwas zurück im Halbschatten, der das
übliche Rot und Blau ihrer Kleidung, die außerdem zum großen Teil von
einem grauen Brusttuch bedeckt ist, so dunkel macht, daß diese Farben
wenig sprechen; sie unterbricht auf einen Augenblick ihre Arbeit an der
Garnwinde, um mit dem liebenswürdigen Ausdruck der zufriedenen Mutter
ihre Blicke auf dem Spiel des Kindes ruhen zu lassen. -- Es ist nicht
möglich, weiterzugehen in der Verzichtleistung auf jede Kennzeichnung
der Heiligkeit. Nur Rembrandt hat Ähnliches gewagt. Man kann sich aber
denken, daß gerade in dem strengreligiösen Spanien ein Bild, welches
das heilige Vorbild des Familienlebens so ohne jeden trennenden Vorhang
der Unnahbarkeit vor die Augen der Gläubigen rückte, den höchsten
Beifall finden mußte.

[Illustration: Abb. 13. ~Das auf dem Kreuze schlafende Christuskind.~
Im Pradomuseum zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Auch Murillos Madonnenbilder haben diese Eigenschaft des rein
Menschlichen, die in den Augen der Zeit und des Volkes gewiß ihren
größten Vorzug bildete. Diese junge Mutter, die mit dem meistens ganz
nackten Kind auf dem Schoße dasitzt, hat niemals etwas Übersinnliches,
nicht einmal etwas von den Zufälligkeiten irdischer Erscheinung
befreites Allgemeines, „Ideales“; sie kommt im Gegenteil dem Volke,
welches vor sie hintritt, so nah wie möglich: sie ist Spanierin.
Vielleicht nur in einigen seiner allerältesten Madonnenbilder hat
Murillo versucht, die Form des Gesichts zu verallgemeinern. Für
die meisten seiner späteren Madonnen geht selbst die Bezeichnung
„Spanierin“ zu weit; sie sind reine Andalusierinnen. Untereinander
sind sie außerordentlich verschieden. Auch das Kind ist ein wirkliches
Menschenkind, und zwar ein spanisches. Dennoch würde man sehr unrecht
haben, wenn man diese Madonnen profan finden wollte. Wenn man von dem
Weihevollen, das in der Farbenstimmung liegen kann, ganz absieht:
man braucht sich nur in die Augen von Mutter und Kind zu vertiefen,
deren Blick so ruhig und so zutrauenerweckend auf uns haftet, und man
wird es bald empfinden, mit welcher ernsten, innerlichen Religiosität
Murillo diese Gestalten geschaffen hat. -- Ein Madonnenbild im Prado,
ganz ungewöhnlich düster im Ton des Rot und Blau der Gewänder, die mit
dem Schwarzgrau des Grundes zusammen eine Dunkelheitsmasse bilden,
durch welche das lichterfüllte Fleisch grell hervorgehoben wird
(Abb. 12), steht in Bezug auf den Reiz der Gesamtwirkung vielleicht
manchen ähnlichen Gemälden des Meisters nach; aber es besitzt eine
künstlerische Kostbarkeit, ein Juwel der Malerei in dem braunhaarigen,
schwarzäugigen Jesuskind. -- Kinder hat überhaupt niemand so zu
malen verstanden, wie Murillo, -- auch Rubens und Tizian nicht. Im
Museum zu Sevilla wird ein sehr dunkel gehaltenes Madonnenbild als
Andenken an Murillos früheste, vor der Madrider Reise liegende Zeit
aufbewahrt. Da sieht man, wie der junge Maler sich abgemüht hat, um
ein hübsches Kind nach der Natur zu malen; man sieht, wie das kleine
Modell gequält worden ist, um von Zeit zu Zeit wenigstens still zu
halten, und wie er sich geplagt hat, den Reiz des Lebendigen zu
erfassen, wobei schließlich doch nun ein wenig ansprechendes Geschöpf
mit feisten Gliederchen und viel zu kleinem Kopf, mit unglückselig
steifer Haltung herausgekommen ist; vom vielen Herumarbeiten ist
die Farbe so trüb geworden, daß der Maler, um dieses Fleisch noch
hell erscheinen zu lassen, kein anderes Mittel wußte, als daß er den
Hintergrund schwarz machte und auch die Gewänder Marias bis auf ein
paar Lichtflecke zunächst dem Kinde mit schwarzer Dunkelheit überzog.
Aber schon in den lustigen Engelputten auf dem in Paris befindlichen
St. Diegobild bekundet Murillo eine außerordentliche Feinfühligkeit für
Form, Bewegung und Ausdruck der Kinder. Und ehe noch im übrigen seine
künstlerische Entwickelung völlig zur Reife gelangte, war er schon
ein thatsächlich unerreichter Meister in diesen Dingen. Gern malte er
Kinder allein. Der als Kind auf der Erde erschienene Gott gab ja für
einen phantasiebegabten Künstler Stoff genug zu derartigen Bildern. So
zeigt ein eigentümlich ergreifendes Gemälde im Prado das Christuskind
auf dem Kreuze schlummernd, das rechte Händchen auf einen Totenkopf
gelegt; etwas wie eine schmerzliche Ahnung von Leiden und Tod liegt
auf dem Gesichtchen des kleinen Schläfers. Die Farbe des Körperchens
ist wunderbar zart, silberig, mit leichter Röte angeflogen, die Lippen
frisch und rot, das Haar goldbraun. Der Fleischton wird reizvoll
hervorgehoben durch die schön zusammenklingenden Töne des braunen
Kreuzes, des rötlich violetten Tuches und der grünlichgrauen Steinbank;
die beiden letzteren Farben kehren auch im Dunkel des Hintergrundes
wieder (Abb. 13).

[Illustration: Abb. 14. ~Ein schlafendes Kind.~ In der Czernin-Galerie
zu Wien.]

Um Himmelskinder malen zu können, mußte Murillo natürlich ganz
gewöhnliche Menschenkinder studieren (Abb. 14). Da machte es denn
dem Maler, der in der Armenspeisung des heiligen Diego so köstliche
Bettelkinder dargestellt hatte, bisweilen auch Vergnügen, das kleine
Volk der Gassen in selbständigen Bildern wiederzugeben, wie es da
war, im schlichtesten Naturalismus, aber vollendet künstlerisch. So
entstand eine Anzahl von Bildern, in denen irgend etwas zufällig
Gesehenes, blitzschnell Aufgefaßtes, mit unfehlbarem Künstlergedächtnis
Festgehaltenes, in glücklichster Stunde auf die Leinwand gebracht, sich
zum vollendeten Kunstwerk gestaltet hat; Bilder, die bei sichtlich ganz
müheloser Ausführung die gediegenste Durchbildung aufweisen und in
lebensgroßem Maßstab die Treue von Augenblicksaufnahmen besitzen.

[Illustration: Abb. 15. ~Die schmausenden Gassenbuben.~ In der königl.
Pinakothek zu München.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 16. ~Die Melonenesser.~ In der königl. Pinakothek
zu München.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Derartige Darstellungen fanden allgemein verdienten Beifall, sie
wurden gern gekauft und gingen von einem Besitz in den anderen über.
Durch sie wurde man zuerst auch im Ausland auf Murillo aufmerksam,
ja gerade von ausländischen Kunstliebhabern wurden diese Erzeugnisse
eines spanischen Malers bald so hoch geschätzt, daß Spanien schließlich
kein einziges dieser Bilder behalten hat. Die größte Anzahl derselben
-- fünf -- besitzt die Münchener Pinakothek, darunter zwei, die
zu Murillos allerköstlichsten Werken dieser Gattung gehören: „Die
würfelspielenden Gassenbuben“ und „Die schmausenden Gassenbuben.“
Der Reiz dieser beiden wie mit einem schimmernden Lichtton gemalten
Bilder ist ein außerordentlicher. Eine größere Lebenswahrheit, eine
feinere Beobachtung der Bewegungen bis in das Einzelne hinein ist
nicht denkbar. Mit welchem Eifer sind jene Kinder der Straße bei dem
Glücksspiel, das in diesem Augenblick ihr ganzes Sein in Anspruch
nimmt! Mit welchem Behagen verzehren diese anderen die saftigen
Früchte! Man freut sich beim Zusehen, wie es ihnen schmeckt (Abb. 15).
Dabei ist die äußere Erscheinung der Dinge, die Oberfläche von Haut
und Haaren, Stoffen und Früchten ebenso meisterhaft beobachtet und
wiedergegeben wie das innere Leben des sorglosen kleinen Volks. Auch
die drei anderen Münchener Bilder, die Melonenesser mit dem Hündchen
(Abb. 16), die kleinen Obstverkäuferinnen, die ihren Erlös überzählen,
der Junge, der unter der mit ländlich-sittlicher Unbefangenheit durch
die Mutter vorgenommenen Säuberung seines Kopfes, im Spielen mit einem
jungen Hündchen und im Kauen an seinem Brot ein dreifaches Wohlbehagen
genießt (Abb. 17), sind Meisterwerke ihrer Gattung. Mehrere Werke
dieser Art befinden sich in englischen Sammlungen; darunter die von
so echtem Humor erfüllte Zusammenstellung eines mürrischen und eines
vergnügten Buben in der Dulwichgalerie (Abb. 18). -- Während wir bei
den genannten Gemälden, mit Ausnahme von einem, uns im Freien befinden,
vor der Stadt oder in den engen Gassen Sevillas, die ein durch oben von
Haus zu Haus gespannte Tücher gedämpftes Sonnenlicht erfüllt, werden
wir durch ein nicht minder kostbares Bild der Louvresammlung in einen
finsteren Raum versetzt, in welchen durch das viereckige Fensterloch
ein breiter, voller Strahl der aufsteigenden Sonne eindringt. Es ist
ein echter, goldener Sonnenstrahl, den Murillo da hingemalt hat;
scharfes, fast blendendes Licht und weiche, warme Reflexe in dem
graubraunen Raum und auf den graubraunen Lumpen und der bräunlichen
Haut eines Jungen, der die freundliche Helligkeit, welche die Sonne
in seinen Schlupfwinkel entsendet, dazu benutzt, auf die kleinen,
quälenden Blutsauger Jagd zu machen, die ihm die Ruhe verkümmern (Abb.
19).

[Illustration: Abb. 17. ~Die Kopfreinigung.~ In der königl. Pinakothek
zu München.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 18. ~Zwei Bauernjungen.~ In der Dulwichgalerie zu
London.

(Nach einer Photographie von Gray & Davies in Bayswater.)]

Wenden wir uns von diesen Wirklichkeitsbildern wieder zu religiösen
Kinderdarstellungen, zu solchen, welche Kinder in den Jahren erlangter
Freiheit und Selbständigkeit der Bewegung zum Gegenstand des Bildes
machen, so finden wir im Museum zu Madrid zwei Gegenstücke, die
bei einer Wahrheit in der Wiedergabe des Kindlichen, welche ebenso
vollkommen ist wie bei jenen, eine so reiche Poesie enthalten, die in
der Auffassung und in der verklärenden Farbe ein über das Alltägliche
sich so hoch erhebendes Wesen -- Idealität, wenn man will -- besitzen,
daß sie durch diese Eigenschaften ebenso unwiderstehlich fesseln
und vielleicht nachhaltiger erfreuen, wie jene anderen durch ihre
irdische Naturtreue. Die Kinder Jesus und Johannes sind in diesen
liebenswürdigen Gemälden dargestellt. Jesus ist als der gute Hirt
aufgefaßt. Während die Herde im Thale auf üppigem Felde zwischen
goldfarbenen Saaten weidet, ist er einen steinigen, mit dürftigem
braun-grünen Kraut bewachsenen Berg hinaufgestiegen, um das eine
verirrte Schaf zu suchen. Ermüdet von der beschwerlichen Wanderung
sitzt er da auf einem Stein, und indem er die Hand auf das verlorene
und wiedergefundene Schäflein legt, richtet er die großen dunklen
Kinderaugen mit einem wunderbar inhaltvollen Blick auf den Beschauer.
Ein helles Licht, wie ein Strahl von am Wolkenrand dem Hervortreten
naher Sonne, bescheint den kleinen Hirten und wirft auf das blühende
Fleisch, das blaßviolette Röckchen und die bräunlich-weiße Wolle des
Lammes einen lichtgoldigen Schein, daß die Lichter sich hell abheben
von dem blauen, weißbewölkten Himmel (Abb. 21). Hier ist göttliche
Ruhe, die noch mehr hervorgehoben wird durch den Gegensatz der Erregung
in dem Bilde des Vorläufers. Der kleine Johannes, bekleidet mit einem
bräunlichen Fließ und roten Überwurf, kniet in einer wilden Landschaft,
in einer Felseneinöde, deren braunes Gestein sich in der Ferne in
kahler, grauer Kette fortsetzt. Er berührt mit der einen Hand, die
einen Kreuzesstab hält, ein Lamm, dessen sinnbildliche Bedeutung das
an dem Stab befestigte Schriftband mit den Worten: „Siehe das Lamm
Gottes“ erläutert, und drückt die andere Hand mit inniger Empfindung
auf die Brust, während seine Blicke sich erwartungsvoll nach oben
wenden, von wo ein Lichtstrahl sich aus der bewegten Luft auf ihn
herabsenkt (Abb. 20). Die beiden Bilder haben eine prächtige, trotz
der kräftigen Schatten sehr lichte Farbenwirkung. Zart und duftig im
Gesamtton, weich in der Behandlung ohne jede Beeinträchtigung der
Bestimmtheit der Formen, erscheinen sie hinsichtlich der Malerei fast
als das Entgegengesetzte des Bildes der heiligen Familie (mit dem
Vögelchen), in welchem bei der Festigkeit der körperhaften Durchbildung
die Bestimmtheit fast zur Härte geworden ist. Dennoch braucht man nicht
anzunehmen, daß eine lange Reihe von Jahren zwischen der Entstehung
dieses Bildes und jener beiden liege. Murillo vervollkommnete sich
mit großer Schnelligkeit. Wenn den ersten Werken, die er nach seiner
Rückkehr nach Sevilla malte, noch hin und wieder einige Trockenheit
eigen ist, wenn man eine gewisse Neigung zu schweren Tönen, besonders
in den kräftig sprechenden Farben, bemerkt und ein mühsames, nicht
immer siegreiches Ringen um das Erreichen einer völlig harmonischen
Farbenwirkung wahrnimmt, so zeigen bald darauf folgende Werke, daß
Murillo diese Unvollkommenheiten in verhältnismäßig kurzer Zeit
gründlich überwunden hat; dieselben verschwinden ebenso vollständig,
wie die vereinzelten Anklänge an fremde Art und Weise, die sich hier
und da erkennen ließen.

[Illustration: Abb. 19. ~Der Betteljunge mit dem Floh.~ Im Louvre zu
Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Das Bestreben, eine Übersicht über den Entwickelungsgang eines Malers
aus seinen Werken herzuleiten, hat bei der Spärlichkeit vorhandener
Jahresangaben zu einer Gruppierung der Werke Murillos nach gewissen
Besonderheiten der Farbengebung und der Malweise geführt, und man
spricht hiernach von seinem ersten, zweiten, dritten und letzten Stil
oder auch -- ebenfalls im Sinne zeitlichen Aufeinanderfolgens -- von
seinem kalten, warmen und duftigen Stil.

Die Einordnung der Gemälde in ein solches Schema ist aber nur in
beschränktem Umfang möglich. Wenn man vor denselben steht, so gewahrt
man bald, daß Murillo, nachdem er einmal völlig zur Reife gelangt war,
eine so uneingeschränkte Herrschaft über alle Mittel der Malerei besaß,
daß er mit einer staunenswürdigen Freiheit und Vielseitigkeit seine
Malweise immer dem Gegenstand der Darstellung anzupassen vermochte, daß
Farbenstimmung und Behandlung sich ihm jedesmal aus dem, was er malte,
ergab. Daher entzieht sich eine ganze Menge seiner Bilder jedem Versuch
einer auch nur annähernden Bestimmung der Zeit ihres Entstehens.

[Illustration: Abb. 20. ~Das Kind Johannes.~ Im Museum des Prado zu
Madrid.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Jedenfalls war Murillo beim Ablauf des ersten Jahrzehnts nach seiner
Heimkehr ein völlig ausgereifter Meister, der über sein Wollen und
Können durchaus im klaren war. Das bewies er, als ihm im Jahre 1655 der
Auftrag zu teil wurde, ein großes Gemälde für die Kathedrale seiner
Vaterstadt auszuführen. Dieses prächtige Bild, welches die Geburt
Marias darstellt, in einer Auffassung, die ganz Murillos besonderster
Eigenart entspricht, ist in der Franzosenzeit entführt worden und
befindet sich jetzt im Louvre (Abb. 22). Es ist ein wunderbares Werk;
ein duftiger, farbiger Lichtzauber. In der Mitte des langgestreckten
Bildes ist ganz im Vordergrund das neugeborene Kind der Mittelpunkt
der Hauptgruppe. Zwei Frauen, von denen die ältere, etwas beleibt und
mit einem stehenden Lächeln in den Zügen, eine köstliche Abschrift aus
dem Leben ist, haben das kleine Wesen in weiße Tücher eingeschlagen;
neben ihnen fühlt ein junges Mädchen, mit Schleifchen geputzt und in
lebhafte Farben gekleidet, nach der Wärme des Wassers in der kupfernen
Badewanne; ein anderes Mädchen, das man vom Rücken sieht, bringt
leinene und wollene Tücher herbei. Das ist alles ganz naturgetreue
Schilderung eines menschlichen Vorgangs, ebenso wie dasjenige, was wir
im Hintergrund sehen: hier die Mutter Anna, matt im Bette liegend,
auf dessen Fußende Vater Joachim sitzt, der sorglich und liebevoll
den Blick auf sie geheftet hält, dort, vor der geöffneten Thür zum
Nebenzimmer, zwei am Kaminfeuer beschäftigte Frauen. Aber zu dem
Menschlichen gesellt sich das Überirdische. Der Himmel nimmt Anteil
an diesem Familienereignis und entsendet seine Engel, um in dem Kinde
die zukünftige Mutter des Erlösers zu begrüßen. Engel in der Bildung
halbwüchsiger Mädchen, in lichte, hellfarbige Gewänder gekleidet,
beugen sich verehrend über die Neugeborene. Ein paar kleine Engelkinder
suchen sich in kindlicher Weise nützlich zu machen, indem sie im
Wäschekorb kramen wollen, wobei das eine sich nach dem Spitzhündchen,
das auch mit zusieht, umblickt mit einer Bewegung und einem Ausdruck,
daß man es sagen hört: „Schön artig sein!“ Dieses menschliche Gebaren
der kleinen Engel und die ganze Durcheinandermischung von Irdischem
und Himmlischem ist mit einer solchen Liebenswürdigkeit gegeben, daß
der Eindruck des Anmutenden denjenigen des Befremdenden überwiegt: es
liegt in dem Ganzen eine unbefangene fromme Kindlichkeit, als ob der
Schöpfer des Werks nicht im XVII., sondern im XV. Jahrhundert gelebt
hätte. Der größte Wert des Bildes aber liegt in seiner Farbenpoesie.
Es ist ein gemalter freudiger Festgesang. Auf dem warmen grauen Ton,
welcher im Hintergrund vorherrscht, wirkt die geschlossene Hauptgruppe
mit den Köpfen der Engel und der Frauen, dem Fleisch und den
zartgefärbten Gewändern der Engel, mit den paar kräftigen Farbentönen
in den irdischen Stoffen, welche die ganze Lichtmasse nur beleben, mit
dem in weiße Windeln eingeschlagenen Kind als Mittelpunkt, gleichsam
wie ein Hügel von zartfarbigen Blumen, die rings um eine weiße Blüte
herum aufgeschüttet sind; und immer mehr Rosen regnen aus der Luft
herab -- die Engelkinder, die noch oben schweben. Durch das dunkelgrüne
Kleid des vom Rücken gesehenen Mädchens, welches die Gruppe auf der
einen Seite mit kräftiger Dunkelheit abschließt, wird der blumenhafte
Eindruck der rosigen Lichtmasse noch entschiedener hervorgehoben. Der
volle Zusammenklang von Licht und Farbe in der Hauptgruppe tönt an
zwei Stellen nach, welche das Dunkel des Hintergrundes unterbrechen:
auf der linken Seite des Bildes in einem Sonnenstrahl, der auf dem mit
roter Decke überzogenen und mit einem bläulichroten Himmel überdeckten
Bette der Wöchnerin spielt und warme Reflexe umherstreut; rechts --
mit verminderter Kraft -- in dem Herdfeuer und dem Durchblick in das
weißgetünchte Nebenzimmer.

[Illustration: Abb. 21. ~Der gute Hirt.~ Im Museum des Prado zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Wenn man die Pracht der Wirkung dieses Gemäldes in Hell und Dunkel und
im Reichtum der Farben mit dem in der nämlichen Sammlung befindlichen,
in der Größe ähnlichen und im künstlerischen Gedanken einigermaßen
verwandten Engelwunder des heiligen Diego vergleicht, das hierneben
dürftig in der Farbe und zersplittert in der Wirkung erscheint, so
staunt man über den Abstand, den Murillo in den zehn Jahren, welche
zwischen der Entstehung der beiden Bilder liegen, auf dem Wege der
Vervollkommnung durchmessen hat.

Aus dem nämlichen Jahr 1655 besitzt die Kathedrale zwei Bilder
heiliger Bischöfe, die vor einem Jahrtausend den Stuhl von Sevilla
innegehabt hatten, von der Hand Murillos. Dieselben wurden ihr als
Geschenk zugewendet und schmücken heute noch ihren ursprünglichen
Platz an den Wänden der großen Sakristei. Die beiden Kirchenfürsten,
der durch seine Schriften allgemein bekannte Isidorus, und Leander,
ein eifriger Bekehrer der arianischen Gothen zur katholischen Lehre,
sind in ganzer Figur und in bischöflicher Amtstracht dargestellt; die
großen Massen der weißen, goldverzierten Kleidung werden belebt durch
das Sichtbarwerden des farbigen -- bei dem einen roten, bei dem anderen
rötlich-violetten -- Futterstoffs der Chormäntel. Das Fesselndste
an den Bildern sind die ausdrucksvollen Köpfe, die so bestimmt und
individuell gestaltet sind, daß sie wie Bildnisse wirken.

Nachdem Murillo die erste Aufgabe, welche ihm das Domkapitel gestellt,
so glänzend gelöst hatte, bekam er alsbald den größeren Auftrag, den
Altar in der Taufkapelle der Kathedrale mit Gemälden zu schmücken. Eine
ganze hohe, spitzbogig abgeschlossene Wand stand hier zur Aufnahme der
Bilder zur Verfügung. Für die Hauptdarstellung wurde -- ich weiß nicht
aus welchen Gründen -- die Erscheinung des Christuskindes in der Zelle
des heiligen Antonius von Padua gewählt; darüber fand die Darstellung
desjenigen Vorgangs, den man von alters her in Taufkapellen als den
hierhin am besten passenden Gegenstand zu verbildlichen pflegte, ihren
Platz: die Taufe Christi im Jordan.

[Illustration: Abb. 22. ~Die Geburt Marias.~ Im Louvremuseum zu Paris.]

Im Spätherbst 1656 war Murillo mit dieser Arbeit fertig. Unter seinen
vorzüglichsten Meisterwerken hat das Antoniusbild stets den größten
Ruhm genossen. Der gegebene Gegenstand war ein himmlisches Wunder, aus
dem die Phantasie Murillos ein Wunder malerischer Dichtung schuf. Von
dem heiligen Antonius, der, zu Lissabon im Jahre 1195 aus vornehmer
Familie geboren, zuerst in den Augustinerorden trat, dann Franziskaner
wurde und, nachdem ein Versuch, in Afrika als Missionar zu wirken, an
seiner schwächlichen Gesundheit gescheitert war, in einem italienischen
Kloster zurückgezogen und unbeachtet lebte, bis er einmal durch
einen Zufall dazu gebracht wurde, von der Macht seiner Redebegabung
öffentlich Zeugnis zu geben, und dann, Italien und Südfrankreich
durchwandernd, als ein Prediger, der durch das Feuer seiner Worte
selbst das steinerne Herz eines Ezzelino da Romano zu erschüttern
wußte, in den Herzen vieler Tausende von Zuhörern wahre Wunder
wirkte, bis er im Jahre 1231 im Kloster zu Padua starb, von diesem
ungewöhnlichen Manne wurden gleich nach seinem Tode Wundergeschichten
erzählt, die sich bald zu einem anmutigen Legendenkranz gestalteten.
Namentlich wollte man wiederholt bemerkt haben, daß Christus in
Kindesgestalt sichtbar in seiner Zelle erschienen sei und sich mit ihm
unterhalten habe. -- Murillo versetzt uns in einen grauen Klosterraum,
durch dessen offene Thür man in den Klosterhof mit seinem Säulengang
sieht. Das weißliche Tageslicht, welches den Hof erhellt, wird
verdunkelt durch eine Fülle von goldenem Himmelslicht, das in den
Innenraum eindringt. Eine große Wolke senkt sich herab, deren dunkles
Grau mit dem der Wände zusammengeht; die Wolke öffnet sich, ihr Inneres
ist hellgoldiges Licht, und in dem hellsten, strahlenden Lichtkern
zeigt sich, selbst eine Lichtgestalt, das Jesuskind. Engelscharen
umgeben das Kind in weitem Kreise, allerliebste Kinderengel, die
im Lichtmeer schwimmen, sich auf den silbergrauen beleuchteten
Innenrändern der Wolke umherschwingen und darüber hinaus in das
Schattendunkel tauchen. In den Farbenzauber von Gold und Grau und
zarten Fleischtönen werden ein paar feingestimmte lebhafte Farbentöne
gebracht durch die Gewänder einiger größeren Engel, welche die muntere
Schar der Himmelskinder begleiten; diese ernsteren Gestalten verneigen
sich in Ehrfurcht, indem sie abwärts blicken auf den begnadigten
Menschen, dem dieser himmlische Besuch zu teil wird. Ein Engel in
gelbem Gewande, mit weißen Fittichen, ist gleichsam der Führer;
seine Hand hat den Wolkenballen, der bis dahin noch zwischen dem
Jesuskind und den Blicken des jungen Mönches lag, beiseite geschoben,
und indem er sich umwendet, macht er dem Kind den Weg zu diesem frei.
Das Kind löst sich aus dem Licht, mit vorgestreckten Händchen, das
rechte wie zur Segenspendung erhebend, schwebt es schreitend herab. Der
am Boden knieende Mönch, dessen Antlitz und braune Kutte der Schein des
Himmelsglanzes goldig überstrahlt, breitet die Arme aus, die Gebärde
begleitet den Ausdruck des Verlangens, der sein Gesicht beseelt.
Ein Augenblick noch, und der Mensch wird den Gott umfangen. -- Dem
wunderbaren Gemälde war das berühmten Altarbildern so selten vergönnte
Glück beschieden, an der Stelle verbleiben zu dürfen, für die es gemalt
wurde. Hier in den feierlichen Hallen des gewaltigen gotischen Doms
kann es seine Wirkung noch mit voller Macht auf den Beschauer ausüben,
ganz anders als die vielen Kirchengemälde, die in Museen zwischen
zerstreuender Umgebung untergebracht sind, und in deren religiöses
Wesen man sich, da die Weihe des Ortes und die Abgeschlossenheit fehlt,
erst mühsam hineinversetzen muß, ehe man sie ihrem innersten Werte
nach würdigen und genießen kann. -- Die Umrahmung des Bildes, bei
der gewiß Murillo auch ein Wort mitgesprochen hat, ist demselben mit
großem Geschmack angepaßt. So reich auch die wuchtigen Barockformen
des vergoldeten Schnitzwerkes sind, das die ganze Kapellenwand bis
in die Spitze des Bogens füllt, sie ordnen sich in der Wirkung dem
Gemälde unter; das Spiel von Lichtern und Schatten in dem natürlichen
Gold, dessen Masse durch naturfarbig bemalte Figuren von Kinderengeln
unterbrochen und hier und da durch Anwendung von schwarzer und roter
Farbe belebt wird, hebt die Lichtfülle des Bildes und dessen goldigen
Ton aufs schönste hervor.

[Illustration: Abb. 23. ~+Ecce homo.+~ Im Museum des Prado zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Die obere Bekrönung des Rahmens schließt das kleinere Gemälde
ein, welches die Taufe Christi darstellt. Ungeachtet der
Verschiedenartigkeit des Gegenstandes ist die Farbe desselben vollendet
schön zu derjenigen des unteren Bildes gestimmt. Vor dem Täufer, der
über der grauen Fellbekleidung einen roten Überwurf trägt, dessen
kräftige Farbe die Stimmung reizvoll belebt, kniet Jesus in demütiger
Haltung; über ihm schwebt die Taube in einem dunkelgoldigen, von grauem
Wolkenrand umgebenen Lichtton, und Engelkinder halten in der Luft
sein Gewand, dessen Farbe mattviolett ist, bereit. -- Wenn Murillo
den Erlöser als erwachsenen Mann darzustellen hatte, so war er --
wenigstens hat es so den Anschein -- einigermaßen befangen. Er war
am glücklichsten in der Gestaltung seiner Köpfe, wenn er dieselben
bildnisartig machen konnte, mit Benutzung wirklicher Personen, die
mit der Vorstellung, welche er sich geschaffen, Ähnlichkeit besaßen.
Dies gilt auch von einem großen Teil seiner Marienbilder. In dem
Antlitz des Heilandes aber wagte er eine solche Anlehnung an einen
in der Wirklichkeit lebenden Menschen nicht. Dennoch ist das Bild
des Christuskopfes, welches er sich im Anschluß an die überlieferte
Form schuf, ein schönes und würdiges. Es unterscheidet sich durch den
ehrlichen künstlerischen Ernst, durch die Schlichtheit des Ausdrucks
sehr vorteilhaft von den süßlichen und gekünstelt ausdrucksvollen
Christusköpfen, mit denen italienische Maler des XVII. Jahrhunderts die
Gunst eines großen Publikums gewannen (vergl. Abb. 23).

Das Antoniusbild zu Sevilla ist infolge der hohen Wertschätzung,
welche Murillos Gemälde in unserem Jahrhundert gefunden haben, der
Gegenstand eines unglaublichen Frevels geworden. Im November 1874
wurde aus demselben die Figur des Heiligen, zum Zweck des Verkaufs
im Ausland, herausgeschnitten. Durch den Umstand, daß das Gemälde
nach der weitverbreiteten Unsitte, aus schönen Kirchenbildern eine
Einnahmequelle für den Küster zu machen, unter einem Vorhang verborgen
gehalten wurde, war es möglich, daß die Schandthat so lange unentdeckt
blieb, bis der Dieb mit seinem Raub Europa verlassen hatte. Doch
waren zum Glück die angestellten eifrigen Nachforschungen von Erfolg
gekrönt; im Februar 1875 wurde das herausgeschnittene Stück in New
York aufgefunden. Es war ganz unbeschädigt, bis auf eine geringe
Beschneidung des oberen Randes, und ist mit großer Geschicklichkeit
wieder in das Bild eingesetzt worden.

[Illustration: Abb. 24. ~Das Jesuskind erscheint dem heiligen
Antonius.~ Im Ermitagemuseum zu Petersburg.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Murillos Antoniusbild war in seiner ganzen Auffassung und Darstellung
etwas Neues, noch nie Dagewesenes. Es ist nicht zu verwundern, wenn
dem Meister wiederholt Bestellungen von ähnlichen, wenn auch im
Format kleineren, Gemälden des nämlichen Inhalts gemacht wurden.
Es gibt zwei solcher Bilder, die sich als Nachklänge des großen
Werkes in der Kathedrale zu Sevilla, auf den dritten oder vierten
Teil des dort aufgewendeten Raumes zusammengedrängt, zu erkennen
geben, und die zugleich bekunden, wie Murillo, der sich nicht leicht
selbst wiederholte, einem einmal angeschlagenen Thema immer neue
Seiten abzugewinnen wußte. Das eine dieser Bilder, in der Ermitage
zu Petersburg, erscheint förmlich wie eine Fortsetzung der in jenem
begonnenen Erzählung, nur daß der Schauplatz aus dem Kloster hinaus auf
die einsame Höhe eines Berges verlegt ist. Antonius kniet in derselben
Stellung wie dort, nur beruhigter; seine Arme verharren unverändert in
ihrer ausgestreckten Lage. Das Jesuskind -- dasselbe Kind wie dort --
hat den Schritt aus dem Engelreigen, der hier nur in einer Andeutung
durch einige wenige niedliche Puttchen sichtbar ist, und aus dem
Lichtgewölk heraus vollendet und ist auf das Buch getreten, welches
aufgeschlagen vor dem Mönch liegt; es hat das rechte Händchen mit einer
jetzt deutlich ausgesprochenen Bewegung des Segnens emporgehoben, und
das linke in die geöffnete Rechte des Heiligen gelegt, dem es mit
einer lieblichen Wendung des lockigen Köpfchens in die Augen schaut
(Abb. 24). Während hier eine heilige Scheu den Sterblichen noch
zurückhält, auch nur seine Hand um diejenige des in Kindergestalt
zu ihm gekommenen Gottes zu schließen, sehen wir in dem anderen der
beiden Bilder, das sich im Berliner Museum befindet und zweifellos das
schönste Gemälde Murillos ist, welches Deutschland besitzt, die Scheu
von der Liebesglut überwunden. Das göttliche Kind ruht in den Armen des
Mönchs. Nie hat ein Maler aus tieferer Empfindung heraus geschaffen.
Murillo hat es beim Gestalten dieses Bildes in der innersten Seele
mitgefühlt, wie einem Menschen zu Mut sein muß, der seinen Gott
umarmt. Thatsächlich das denkbar Vollkommenste des Ausdrucks hat er
erreicht in dieser Verbindung einer unbegrenzten Ehrfurcht mit einer
ebenso unbegrenzten Liebe, die sich in der Art und Weise ausspricht,
wie Antonius das Kind auf seinen Armen hält: er möchte es an sich
pressen und doch wagt er kaum, es mit den Fingerspitzen zu berühren.
Das Kind aber schmiegt mit hingebender Zärtlichkeit seinen Kopf an
den des Mannes und streichelt ihm nach echter Kindesart die Wange,
zum großen Vergnügen seines Engelgefolges, aus dem nun einige auch
auf den Erdboden herabgekommen sind. Einer der kleinen Engel hält
die sinnbildliche Lilie hoch empor und wendet sich dabei nach seinen
Genossen um, als ob er ihnen zuriefe, wie rein und unschuldig doch
dieser Mensch sein müsse, dem die Gottheit eine körperliche Berührung
gestatte (Abb. 25). -- Wenn etwas groß ist an Murillo, größer als bei
vielen der Besten, so ist es die ungekünstelte Wahrheit, mit der er
der Innigkeit seiner Empfindungen künstlerischen Ausdruck gibt. Das
Berliner Bild ist auch in Bezug auf den feinen Ton und den Reiz der
Lichtwirkung ein vorzügliches Beispiel von Murillos Farbenkunst.

Nach der Vollendung des Altargemäldes für die Taufkapelle im Dom
konnte, mit Ausnahme einiger eifersüchtigen Berufsgenossen, niemand
mehr daran zweifeln, daß Murillo die Bezeichnung als „bester Maler
von Sevilla“ uneingeschränkt verdiente. Die jungen Maler suchten
seinen Unterricht und schätzten und liebten ihn als Lehrer. Durch
seine Bemühungen wurde im Jahre 1660 eine Kunstakademie in Sevilla
gegründet, nicht ohne große Schwierigkeiten, welche dem Zustandekommen
dieser Einrichtung in den Weg gelegt wurden durch den Neid jener Maler,
die es nicht über sich bringen konnten, Murillo als den größeren zu
erkennen. Die von dieser Seite ausgehenden Anfechtungen waren wohl
auch der Grund, weshalb Murillo die Stellung als Vorsitzender der
Akademie nur während des ersten Jahres ihres Bestehens aushielt. Er
war seinem ganzen Wesen nach nicht dazu geschaffen, aus der Werkstatt
herauszutreten und in Reibungen mit der Außenwelt seine Kraft zu
verbrauchen.

[Illustration: Abb. 25. ~Der heilige Antonius.~ Im königl. Museum zu
Berlin.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 26. ~Der heilige Ferdinand.~ Im Kapitelsaal der
Kathedrale von Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Vom Domkapitel erhielt Murillo nach einigen Jahren einen weiteren,
allerdings weniger gewichtigen Auftrag: die Ausführung von einigen
zum Schmuck des Kapitelsaales bestimmten Bildern von geringer Größe.
Dabei wurde ihm zugleich die Ausbesserung von vorhandenen Gemälden,
allegorischen Darstellungen des im Jahre 1618 verstorbenen Pablo de
Céspedes, eines richtigen „Manieristen,“ übertragen. Murillos Bilder
befinden sich oberhalb der Wände des Kapitelsaales, zwischen den
Stuckverzierungen der Überwölbung, einer länglich runden Kuppel. Es
sind acht rings herum verteilte Brustbilder von Heiligen und ein
Marienbild von größerem Format an der dem Eingange gegenüberliegenden
Seite. Sie stehen zwischen den kleinen Rundfenstern, welche die Kuppel
durchbrechen, in gleicher Reihe mit diesen, befinden sich also in
überaus ungünstigen Beleuchtungsverhältnissen. Da zudem der Saal sehr
hoch ist, mußte Murillo mit starken Mitteln arbeiten, um seine Bilder
zur Wirkung zu bringen. Die Brustbilder zeigen zunächst dem Marienbild
die zwei königlichen Heiligen Hermenegild und Ferdinand (Abb. 26), dann
die zwei heiligen Bischöfe von Sevilla, Isidor und Leander, darauf
die Heiligen Pius und Laureanus und zum Schluß die Stadtpatroninnen,
die heilige Justa und die heilige Rufina; es sind sämtlich schöne,
wirkungsvolle Köpfe. Das Marienbild zeigt eine Darstellung, welche den
Sinn einer Verbildlichung der theologischen Lehre von der unbefleckten
Empfängnis Marias hat. Die Jungfrau steht in den Wolken, mit gefalteten
Händen und gesenkten Blicken: unter ihren Füßen ist der Mond, und
ein goldfarbiger Lichtglanz umgibt ihre ganze, mit einem weißen
Gewand bekleidete und von einem blauen Mantel umwallte Gestalt; der
Wolkenrand ist belebt von einer Schar köstlicher Kinderengel. -- Diese
liebliche Schöpfung Murillos ist eine von vielen des gleichen Inhalts,
die er in den verschiedenen Zeiten seines Lebens mit nie versiegendem
Reichtum der Einbildungskraft gestaltet hat. Er soll im ganzen mehr als
dreißigmal die Verbildlichung der unbefleckten Empfängnis gemalt haben,
das erste Mal vielleicht schon in seiner Anfangszeit; die letzten
Behandlungen dieses Gegenstandes sind die bekanntesten und gefeiertsten
Werke aus der Endzeit seines Lebens. Es hat seinen besonderen Grund,
daß gerade dieser Gegenstand im Lebenswerk des Sevillaner Malers
eine so große Rolle spielt. Derselbe hat für Sevilla eine besondere
Bedeutung. Die Lehre, daß die Mutter des Heilandes ausgenommen gewesen
sei von der Behaftung mit dem Makel der Erbsünde, hatte damals noch
nicht die Bedeutung eines Glaubenssatzes der katholischen Kirche
-- als solcher wurde sie erst im Jahre 1854 verkündigt --; sie war
jahrhundertelang mit ebensoviel Eifer bestritten wie verteidigt worden.
Aber seit dem Jahre 1617 war es durch ein päpstliches Breve untersagt,
in öffentlicher Predigt jene Lehrmeinung als eine irrige anzugreifen.
Daß es hierzu gekommen, sahen die Sevillaner als ihr Verdienst an.
Einige Jahre vorher hatte nämlich in Sevilla ein Dominikaner, der
die von seinem Orden immer behauptete Ansicht, Maria sei ebensogut
wie die übrigen Nachkommen Evas mit der Erbsünde behaftet zur Welt
gekommen, in seinen Predigten ausgesprochen und zu begründen versucht
und dadurch die ganze Stadt in Aufregung versetzt; die Stadt stellte
sich mit leidenschaftlich aufflammender Begeisterung auf die Seite der
Franziskaner, welche die Ansicht von der vollkommenen Makellosigkeit
Marias zu der ihrigen gemacht hatten. Die Sevillaner hatten dann eine
Abordnung an König Philipp III entsendet, mit der Bitte, daß er, dem
das Volk den Beinamen „der dritte Heilige“ -- der dritte neben dem
westgotischen Königssohn Hermenegild und dem kastilischen Ferdinand III
-- gegeben hatte, seinen Einfluß beim päpstlichen Stuhl geltend machen
möge, um zu bewirken, daß die Lehre von der unbefleckten Empfängnis
Marias zum Glaubenssatz der Kirche erhoben würde. Der Erfolg war jenes
von Paul V erlassene Breve gewesen. Seitdem entstanden in Sevilla
Gemälde, welche dieser Lehre bildlichen Ausdruck geben sollten, in
großer Zahl. Es bestand damals schon eine Form für die Verbildlichung
des Lehrsatzes, die sich im Laufe der Zeit allmählich festgestellt
hatte. Um die vollkommene Makellosigkeit Marias, die ihr vom ersten
Augenblick ihres Daseins an verliehene Ausnahmestellung unter allen
Menschenkindern, bildlich zu kennzeichnen, hatte man zuerst zu einer
Häufung von Darstellungen gegriffen, die auf alle Stellen der heiligen
Schrift, welche auf Maria und ihre übernatürliche Reinheit gedeutet
wurden, hinwiesen. In der Mitte all dieser teils aus Figuren, teils
aus Sinnbildern bestehenden Darstellungen erschien Maria selbst als
das Weib der geheimen Offenbarung, „mit der Sonne bekleidet, den Mond
zu ihren Füßen, auf ihrem Haupt eine Krone mit zwölf Sternen.“ Ein
solches Bild war ohne eine gelehrte theologische Erklärung unmöglich zu
verstehen; der Zweck eines Gemäldes, durch sich selbst zum Beschauer
zu sprechen, war auf diese Weise nicht zu erreichen. Das fühlten die
Maler und ließen daher immer mehr von dem umgebenden Beiwerk, das
begreiflicherweise auch der Erzielung einer künstlerischen Wirkung
Schwierigkeiten bereitete, weg. Die Kathedrale zu Sevilla besitzt ein
Bild aus der Schlußzeit des XVI. Jahrhunderts, von der Hand des Juan de
las Roelas, eines Sevillaners von flandrischer Abkunft. Da ist das Weib
der geheimen Offenbarung dargestellt als eine anmutige Mädchengestalt,
die betend und mit niedergeschlagenen Augen auf der Mondsichel steht;
die Bekleidung mit der Sonne ist angedeutet durch einen sie umgebenden
Lichtglanz, der in Vergoldung ausgeführt ist; über ihrem Kopf halten
zwei Engel die Sternenkrone. Ihre Kleidung zeigt die bei Marienbildern
von altersher üblichen Farben blau und rot; aber das Rot ist zu
einer leichten Rosenfarbe geworden. Ganz oben im Bilde erscheint die
heilige Dreifaltigkeit. Unten drängt sich in der Finsternis eine Schar
schwarzer Teufel, welche in ohnmächtigem Grimme emporgrinsen; Cherubim,
zu beiden Seiten von Marias Füßen in Reihen geordnet, halten denselben
krystallene Schilde entgegen. In dieser Darstellung der Abwehr der
unreinen Geister durch das reine Krystall hat der Maler ein für seine
an Allegorien gewöhnte Zeit leicht und vollkommen verständliches
Mittel zur Bezeichnung der Reinheit gefunden. Darum hat er aber doch
die Sinnbilder der mittelalterlichen Darstellungsweise noch nicht ganz
weggelassen: links und rechts vom Kopfe Marias schweben Engel, welche
herabhängende Ketten von aneinander gereihten Bildchen tragen, und
in diesen Bildchen sind Dinge dargestellt, welche die sinnbildlichen
Bezeichnungen Marias vergegenwärtigen, die in der Lauretanischen
Litanei genannt werden. -- Zu Murillos Zeit war man dazu übergegangen,
unter Weglassung des gesamten schwerfälligen Beiwerks sich auf
das Bild der über alles Irdische erhaben dastehenden Jungfrau zu
beschränken. Selbst von den aus der geheimen Offenbarung entnommenen
Zeichen wird nur der unter ihren Füßen befindliche Mond beibehalten,
wohl mehr als ein gegebenes Mittel, um den Begriff der Höhe anzudeuten,
als in dem hineingelegten Sinne, daß durch das Stehen auf dem Monde
das Erhabensein über die Wandelbarkeit ausgedrückt werden solle. An
das Sonnenkleid erinnert noch der goldfarbige Lichtton, von dem die
Gestalt sich abhebt. Die Gestalt selbst ist heller als dieser helle
Grund; die weiße Farbe ihres Kleides scheint zuerst aus malerischen
Gründen gewählt und dann sinnbildlich gedeutet worden zu sein.
Das Himmelsgewölk, welches die Jungfrau umgibt, ist von Engeln in
Kindergestalt belebt; wenn von diesen der eine oder andere bisweilen
noch irgend ein allgemein verständliches Sinnbild, welches die Reinheit
bezeichnet -- wie eine Lilie oder einen Spiegel --, in den Händen hält,
so ist das nur eine ganz nebensächliche Beigabe, der keine wesentliche
Bedeutung mehr beigelegt wird. -- Murillo hat diese Darstellungsform
nicht geschaffen; aber er hat sie mit der größten Vollkommenheit
ausgestaltet. Keiner hat so wie er in der Gestalt der betenden Jungfrau
selber die Reinheit zu verkörpern gewußt. Jedes von seinen Bildern der
unbefleckten Empfängnis trägt mit vollem Recht den Namen, mit dem der
Spanier die Darstellung dieses Geheimnisses zu bezeichnen pflegt: +la
Purísima+, die Allerreinste. Und seine Farbentöne sind die wunderbarste
Musik zu dem geistlichen Lobgesang von der Allerreinsten.

[Illustration: Abb. 27. ~Der Traum des Patriziers Johannes.~ Gemalt für
die Kirche Santa Maria la Blanca in Sevilla; jetzt in der Akademie San
Fernando zu Madrid.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

[Illustration: Abb. 28. ~Der Patrizier Johannes vor dem Papst und die
Gründung der Kirche Santa Maria +ad nives+ in Rom.~ Gemalt für die
Kirche Santa Maria la Blanca in Sevilla; jetzt in der Akademie San
Fernando zu Madrid.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Das Bild der Immaculata im Kapitelsaal zu Sevilla ist durch ein
hohes Maß von Lieblichkeit ausgezeichnet. Durch die Eigenschaft der
Großartigkeit ragt ein im Museum zu Sevilla befindliches Bild über alle
hervor. Dasselbe stammt aus dem Franziskanerkloster und nimmt schon
durch seine räumliche Ausdehnung -- es ist in überlebensgroßem Maßstab
ausgeführt -- eine besondere Stellung unter Murillos inhaltsgleichen
Gemälden ein. Maria erscheint als eine majestätische Gestalt von
mächtigen Formen. Sie ruht mit dem linken Knie auf einer weißen
Wolke, ihr rechter Fuß tritt auf den Mond, der hier nicht als Sichel,
sondern als volle Kugel erscheint, mit einer Bewegung, die weniger
ein Aufstützen, als vielmehr ein Hinabdrücken ausspricht. Sie hat mit
vorgestreckten Armen die Hände gefaltet und blickt mit einer Wendung
des Kopfes hinab in die Tiefe. Die Tiefe scheint vor unseren Augen zu
wachsen. Denn eine machtvolle Aufwärtsbewegung geht durch das Ganze.
Die dichte Wolke scheint, schräg aufsteigend, sich zu heben; die
unsichtbare Macht, welche sie empordrückt, wird unterstützt durch vier
Engelknaben, Gestalten von schon weiter entwickelter Körperbildung, als
wie wir sie sonst bei Murillos Kinderengeln zu sehen gewöhnt sind. Der
Zug nach oben treibt Marias Mantel in mächtig schlagenden Falten empor,
und ihr Haar weht ausgebreitet zur Seite. Man empfängt den Eindruck,
daß die überirdische Höhe, in der die Erhabene erscheint, sich zur
Unermeßlichkeit steigert.

[Illustration: Abb. 29. ~Die heilige Elisabeth die Kranken pflegend.~

Gemälde aus der Kirche des Hospitals de la Caridad zu Sevilla, in der
Akademie San Fernando zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Eine Darstellung der unbefleckten Empfängnis bildete auch einen
Bestandteil eines bedeutenden Auftrages, den Murillo von einem ihm
nahe befreundeten Mann, dem Dompräbendaten Don Justino de Neve, bekam.
Die alte Kirche S. Maria de las Nieves (vom Schnee), im Volksmunde la
Blanca (die Weiße) genannt, war neu hergestellt worden, und Don Justino
stiftete zum Schmuck derselben vier Ölgemälde, welche vier Bogenfelder,
zwei langgestreckte und zwei halbkreisförmige, ausfüllen sollten. Den
Stoff der Darstellung gab für die beiden großen Felder die Legende über
die Gründung von S. Maria Maggiore zu Rom, der ersten „Schneekirche,“
nach deren Beispiel später viele andere Marienkirchen den Beinamen „+ad
nives+“ bekamen. Für die kleineren Felder wurde eine Gegenüberstellung
der unbefleckten Jungfrau und der katholischen Kirche -- auch diese
unter dem Bilde einer Jungfrau dargestellt -- gewählt. Das Jahr 1665
wird als dasjenige angegeben, in welchem Murillo diesen Auftrag zu Ende
führte. Die Gemälde schmückten die Kirche bis zur Besetzung Sevillas
durch die Franzosen. Der Marschall Soult ließ sie bei der Plünderung
der Kirchen und Klöster alle vier als seinen eigenen Beuteanteil
einpacken. Doch gelang es wenigstens die beiden größeren für Spanien
zurückzugewinnen; sie befinden sich in der Akademie S. Fernando zu
Madrid. Von den beiden kleineren ist das eine nach England in eine
Privatsammlung gekommen, während die Immaculata in das Louvremuseum
gelangt ist.

[Illustration: Abb. 30. ~Moses schlägt Wasser aus dem Felsen.~ In der
Kirche des Hospitals de la Caridad zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Dieses Gemälde unterscheidet sich von den übrigen Darstellungen des
gleichen Gegenstandes dadurch, daß auf demselben nach mittelalterlicher
Weise Bildnisse verehrender Menschen angebracht sind. Die Erscheinung
der himmlischen Jungfrau ist ganz von einem goldigen Licht umgeben,
in welchem Scharen kleiner Englein schwimmen. Nur links unten wird
ein Stückchen irdischer Finsternis sichtbar, auch diese noch von
einem goldfarbenen Dunst überzogen. An dieser Stelle befindet sich
die Bildnisgruppe. Am weitesten zurück zwei Figuren, welche nebelhaft
verschwimmen; das sind wohl verstorbene Angehörige des Stifters,
deren Gesichtszüge der Maler nur andeutungsweise geben konnte. Weiter
vorn zwei junge Leute und ein Knabe, in lebendigster Porträtmäßigkeit
und in stofflicher Körperhaftigkeit ausgeführt; sie wenden die
Blicke andachts- und vertrauensvoll der Himmlischen zu, von deren
lieblichem Antlitz das Licht auszugehen scheint, das ihre Gesichter
scharf beleuchtet. Sie werden auf Maria hingewiesen durch einen ganz
im Vordergrunde in halber Figur sichtbaren Mann, unter dem wir uns
zweifellos den Stifter vorzustellen haben, von dessen Gesicht man
aber, da er sich vom Beschauer abwendet, nicht viel sieht. Dessen
dunkle Kleidung setzt sich scharf ab von dem lichtüberstrahlten Saum
der Wolke, auf welcher die Jungfrau steht, und scheidet in kräftiger
Wirkung die irdische Gruppe von der himmlischen Erscheinung.

[Illustration: Abb. 31. ~Die Speisung der Fünftausend.~ In der Kirche
des Hospitals de la Caridad zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

[Illustration: Abb. 32. ~Der heilige Johannes von Gott einen Kranken
tragend.~

In der Kirche des Hospitals de la Caridad zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Die beiden großen Gemälde aus S. Maria la Blanca gehören zu Murillos
trefflichsten Schöpfungen in malerischer Hinsicht. Wenn man zum
erstenmal vor sie hintritt, so fällt es einem schwer zu begreifen, daß
diese so ganz malerisch und farbig gedachten, weich und duftig mit
der höchsten Sicherheit und Leichtigkeit der Hand hingemalten Bilder
denselben Urheber haben, wie die Bilder aus dem Franziskanerkloster,
die man unmittelbar vorher in einem anderen Raum der nämlichen Sammlung
gesehen hat. Unwillkürlich wird man durch die Hell- und Dunkelwirkung
dieser Gemälde, durch das Hineinwirken höchster Lichter in Massen
von tiefster Dunkelheit an des Meisters holländischen Zeitgenossen
Rembrandt erinnert; aber der Unterschied ist der, daß die mächtige
Lichtwirkung sich mit der reichsten, blühendsten Farbenpracht
vereinigt, mit einer Farbenpracht, die derjenigen der großen Venezianer
des XVI. Jahrhunderts nicht nachsteht. -- Die in den beiden Gemälden
behandelte römische Legende erzählt folgendes: Einem frommen Patrizier
mit Namen Johannes erschien im Traum die Mutter Gottes und befahl ihm,
an derjenigen Stelle der Stadt eine Kirche zu bauen, wo am nächsten
Morgen Schnee liegen würde. Auf Zureden seiner Gemahlin begab sich
Johannes gleich nach Tagesanbruch zum Papst Liberius, um diesem den
wunderbaren Traum zu berichten. Der aber hatte in der Nacht die
nämliche Erscheinung gehabt. Man fand an diesem Morgen -- es war der 5.
August -- die Höhe des esquilinischen Hügels mit Schnee bedeckt, und
hier wurde sofort der Grundstein zu der neuen Kirche gelegt. -- Das
eine Bild schildert den Traum des Patriziers (Abb. 27). Johannes und
seine Gattin -- selbstverständlich in die Tracht des XVII. Jahrhunderts
gekleidet -- sind in der bedeutungsvollen Nacht vom Schlaf übermannt
worden, ehe sie dazu kamen, das Bett aufzusuchen; er schläft auf einem
Stuhl am Tische, den Ellenbogen auf den Tisch gestützt und den Kopf
in die Hand gelehnt; sie ist am Boden neben ihrem Arbeitskorb sitzend
umgesunken und ruht mit dem Kopf auf einem Schemel. Wie ein aus Licht
und Duft gewobenes Gebilde erscheint über ihnen in einem goldigen,
von Wolken umsäumten Schein, in Weiß und Blau die Jungfrau mit dem
Jesuskind im Arm. Das ist wirklich traumhaft, wie diese körperlose und
doch greifbar deutliche Lichterscheinung als etwas plötzlich sichtbar
Werdendes das nachtschwarze Dunkel des Raums durchbricht und helle
Beleuchtung auf das körperhafte Irdische, auf das farbig gekleidete
Ehepaar, den mit rotem Tuch bedeckten Tisch, den Arbeitskorb der
Frau und ein zu ihren Füßen schlafendes weißes Hündchen entsendet.
Oben ist Licht in der Finsternis; unten wirken entschiedene Farben
gegen den dunklen Hintergrund, bald kräftig abgesetzt, bald weich
verschwimmend in Übergängen vom höchsten malerischen Reiz, indem hier
ein Beschattetes von den letzten verlorenen Lichtstrahlen gestreift
wird, so daß man eben noch seine Formen und Farben erkennt, und dort
ein Beleuchtetes an der Schattengrenze von feinem Halbton überzogen
wird. Außerhalb des Gemaches, dessen Seitenwand sich geöffnet hat,
sieht man, mit den Blicken der Handbewegung der Madonna folgend, den
beschneiten Berg und graue Schneeluft. -- Das Gegenstück stellt die
Audienz des Patriziers und seiner Gattin beim Papst dar (Abb. 28).
Hier wird man auch durch die naive Formlosigkeit, mit welcher ein
seiner Natur nach ceremoniöser Hergang sich abspielt, lebhaft an
Rembrandt erinnert. Der Papst, der da unter einer Säulenhalle auf
seinem Thron sitzt und seiner Verwunderung über dasjenige, was das vor
ihm knieende Ehepaar berichtet, unverhaltenen Ausdruck gibt, scheint
ein sehr gemütlicher Herr zu sein. Ein neben ihm stehender Monsignore,
der die Ankömmlinge durch sein Augenglas betrachtet, bringt geradezu
ein humoristisches Element in die Sache. Das Ehepaar hat sich in den
höchsten Feiertagsstaat geworfen. Johannes hat über den goldbrokatenen
Rock einen schwarzseidenen Mantel angezogen; seine Gattin hat sich ganz
in helle Seide, die aus dem Weißen ins Gelbliche und ins Rosa-Violette
schillert, gekleidet und mit kostbarem Schmuck geputzt. Auf der Gestalt
der Frau sammelt sich die größte Helligkeit des Bildes. Der Papst
sitzt im Schatten der Architektur. Das prächtige Purpurrot seines
Schultermäntelchens und seiner Mütze wiederholt sich in der Polsterung
des Thronsessels und im Fußkissen und klingt in abgeschwächter, mehr
bräunlicher Tönung in dem großen Teppich nach, der den Boden bedeckt.
Außerhalb der Säulenhalle sieht man in der Ferne den auf die Audienz
folgenden Vorgang abgebildet: der Papst begibt sich in feierlicher
Prozession zu dem schneebedeckten Hügel, über dem im Gewölk wiederum
die Madonna erscheint, wie um zu bestätigen, daß ihr Geheiß richtig
verstanden worden sei. Dieser Ausblick ins Freie ist köstlich. Die in
weißliche Wolken sich zerteilende Schneeluft, der ganze winterliche
Duft, der die Prozession einhüllt, sind wunderbar fein gegeben. Murillo
muß wohl einmal in Madrid Gelegenheit gehabt haben, einen solchen
nordisch winterlichen Tag zu erleben, dessen unvergessenen Eindruck er
hier verwertete.

[Illustration: Abb. 33. ~Die Befreiung des heiligen Petrus.~

Gemälde aus der Kirche de la Caridad zu Sevilla, im Ermitagemuseum zu
Petersburg.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 34. ~Der Erzengel Raphael als Schutzengel.~

Vom Hauptaltar der Kapuzinerkirche, jetzt in einer Sakristei der
Kathedrale zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Die Sammlung der Madrider Akademie enthält noch zwei andere Gemälde
von Murillo. Das eine stellt die Auferstehung des Heilandes dar.
Vor dem dunkelgrauen Steinsarg schlafen die bewaffneten Wächter, in
Stellungen, die der Maler bis ins kleinste dem Leben abgelauscht
hat. Christus schwebt mit einer roten Siegesfahne in der Hand über
dem Grabe. Von seiner schön gebildeten Gestalt, die nur wenig von
einem wehenden weißen Gewandstück verdeckt wird, geht ein goldiger
Lichtschein aus, der seinen Helligkeitsmittelpunkt in einem die
dunkelbraunen Locken des Hauptes umgebenden Strahlenkranz hat, und
der in bräunlicher Abtönung gegen die ringsum lagernde Finsternis
eindringend, diese von der Gestalt des Auferstandenen fern hält.
Die Gruppe der Wächter wird durch die von oben auf ihre braunen
Gesichter, die eisernen Waffenstücke und die bunte Kleidung fallende
Beleuchtung farbig belebt. -- Dieses Bild stellt sich hier in der
kleinen Sammlung, wo die wenigen, aber der Entstehungszeit nach weit
auseinander liegenden Werke Murillos zu interessanten Vergleichen
anregen, in überzeugender Weise als ein Mittelglied zwischen den
Franziskanerbildern und den Gemälden aus S. Maria la Blanca dar. Jenen
an Reiz des Lichtes und der Farbe weit überlegen, ist es diesen doch
noch unähnlicher, weil dem Licht der weiche, duftige Zauber fehlt,
der doch gerade bei der Gestalt eines Verklärten am rechten Platze
wäre; auch fällt an dieser Gestalt selbst eine gewisse Befangenheit
in der Wiedergabe der Bewegung des Emporschwebens auf, worin man wohl
ebenfalls ein Zeichen von ziemlich weit zurückliegender Entstehung
erkennen darf. Aber auch das andere, umfangreichere Gemälde, welches
die heilige Elisabeth von Thüringen als Krankenpflegerin zeigt, würde
man, oberflächlich nach der Malweise urteilend, für älter halten als
die Bilder aus der Schneekirche. Hier ist nichts von jener wunderbaren
Duftigkeit der Malerei; alles ist in feste und bestimmte Formen
gebracht, die malerische Behandlung gibt allen Dingen ihre volle,
deutliche Körperhaftigkeit; bei ruhiger Alltagsbeleuchtung ist auf jede
Zauberwirkung des Lichtes verzichtet, und selbst die Farbenwirkung ist
schlicht und anspruchslos. Und doch gehört das Bild einer späteren
Zeit an; es ist gemalt worden als Bestandteil des Wandschmuckes
einer Kirche, welche erst im Jahre 1664 im Bau fertig wurde, deren
Ausschmückung Murillo also sicher erst nach Vollendung seiner Arbeit
für die Schneekirche in Angriff nehmen konnte. Man erkennt hier
deutlich, wie weit Murillo davon entfernt war, sich eine bestimmte
Art und Weise auszubilden, die für alle Fälle passen mußte. Er hatte
alle Mittel in der Hand und richtete seinen „Stil“ nach dem gegebenen
Gegenstande. Das hat er vielleicht mehr als irgendwo anders in eben
dieser, für die Kirche des Hospitals de la Caridad (der christlichen
Nächstenliebe) zu Sevilla geschaffenen Bilderreihe bewiesen, an der er
etwa bis zum Jahre 1670 arbeitete.

[Illustration: Abb. 35. ~Die heilige Justa und die heilige Rufina,
Schutzpatroninnen von Sevilla.~

Vom Hauptaltar der Kapuzinerkirche, jetzt im Museum zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Dem Meister war hier von dem ihm befreundeten Stifter des Hospitals
eine sehr dankbare Aufgabe gestellt worden. Die Oberwände des
Kirchenschiffs waren mit Gemälden zu schmücken, welche die leiblichen
Werke der Barmherzigkeit in biblischen Vorbildern zur Anschauung
brachten. Außerdem waren an zwei Seitenaltären Bilder anzubringen,
welche Heilige der Nächstenliebe in der Ausübung von Liebeswerken
zeigten. Dazu kamen noch ein paar kleinere Bilder. Das in Rede stehende
Bild der Landgräfin Elisabeth ist eines jener beiden Altargemälde (Abb.
29). Die Darstellung bewegt sich ganz in der Welt der irdischen Dinge.
Sein geliebtes Bettelvolk hat Murillo mit der nämlichen Treue aus der
Wirklichkeit heraus auf die Leinwand gebracht, wie er es vor zwanzig
Jahren gethan. Er hat nichts gespart, um durch die Widerlichkeit der
Gebrechen, die da zu sehen sind, die Selbstverleugnung der fürstlichen
Krankenpflegerin in das hellste Licht zu setzen. Das Auge des
Beschauers verweilt wider Willen auf dem Gesicht eines Jungen, der,
mit einer ekelhaften Hautkrankheit behaftet, sich den Kopf kratzt und
dabei eine aus Lust- und Schmerzgefühl gemischte Grimasse schneidet,
wie sie der beste niederländische Genremaler nicht naturwahrer hätte
wiedergeben können. Wenn das große Publikum, dem zu allen Zeiten an
einem Kunstwerk dasjenige am meisten zusagt, was ohne ein Aufgebot
von Sammlung und Vertiefung gewürdigt werden kann, in dem ganzen Bild
nichts so sehr bewundert, wie diesen Jungen, so ist das freilich nicht
Murillos Schuld. Der Maler hat das Seinige gethan, um die heilige
Krankenpflegerin zum bewunderungswürdigsten Mittelpunkt des Bildes zu
machen. Kann man sich etwas Vornehmeres denken, als die Art, wie die
Fürstin mit ihren feinen Händen den Kopf des wahrscheinlich an jenem
nämlichen Übel leidenden Burschen behandelt, ohne an etwas anderes
zu denken, als an die Erfüllung dessen, was ihr die Nächstenliebe
gebietet, mit dem ruhigen Ausdruck einer barmherzigen Schwester in den
Zügen? Sie verrichtet das Liebeswerk, das sie sich zur Aufgabe gemacht
hat. Das sagt uns der Künstler ohne jede Phrase. Da ist ebensowenig von
der Übertriebenheit des Ausdrucks vorhanden, durch welche andere Maler
des XVII. Jahrhunderts zu wirken suchten, wie von der Heiligthuerei,
die den Kirchenbildern unserer Zeit eigen zu sein pflegt. Die Ruhe der
Heiligen wirkt auch auf die sie bedienenden Hofdamen hinüber, obgleich
die eine derselben es doch nicht vermeiden kann, den Kopf ein wenig zur
Seite zu wenden. Eine alte Hofmeisterin, die weiter zurück im Schatten
steht, scheint das Thun ihrer jungen Herrin zwar sehr entschieden
zu mißbilligen, aber sie wagt doch nichts zu sagen. Das ist alles
ganz einfach, ganz natürlich. Wie in der Auffassung, so ist auch in
der malerischen Erscheinung das vollständig gelungene Vermeiden von
allem, was wie Absichtlichkeit aussehen könnte, die hervorstechendste
Eigenschaft dieses Bildes. Was vom malerischen Gesichtspunkte aus
zuerst und am meisten an demselben überrascht, ist die so hoch
künstlerische scheinbare Kunstlosigkeit der Anordnung. Die Helligkeiten
und Dunkelheiten sind scheinbar auch nur so verteilt, wie es eben der
Zufall mit sich brachte. In der Farbe herrschen Schwarz und Grau
vor; die einzigen sehr lebhaften Töne sind in dem blauen Rock und dem
roten Unterrock der Bettelfrau und in der roten Schärpe der im Profil
stehenden Hofdame enthalten. Ein feiner Luftton überzieht die in der
Ferne als Nebenbild sichtbare Darstellung, wie die genesenen Kranken
unter einer hohen Bogenhalle des Schlosses bewirtet werden.

[Illustration: Abb. 36. ~Madonna.~ In der Gemäldesammlung des Palastes
Corsini zu Rom.]

Das Hospital de la Caridad zu Sevilla besteht heute noch. Aber es
besitzt nur mehr einen Bruchteil des einstigen reichen Gemäldeschmucks
seiner Kirche: zwei von den Verbildlichungen der Barmherzigkeitswerke,
das Altarbild, dessen Gegenstück das Elisabethbild war, und drei
kleine, außerhalb des leitenden Gedankens von der Nächstenliebe
stehende Bilder. Das übrige wurde bei der Ausraubung der Klöster im
Jahre 1810 weggenommen.

Die ursprüngliche Anordnung der Barmherzigkeitsbilder war folgende.
An der südlichen Langwand reihten sich drei Gemälde aneinander,
welche in Darstellungen aus dem Alten Testament und der Parabel das
Tränken der Durstigen, das Beherbergen der Fremden, das Bekleiden der
Nackten schilderten: Moses schlägt das Wasser aus dem Felsen, Abraham
bewirtet die Engel, der Vater des verlorenen Sohns gibt diesem das
beste Kleid. An der nördlichen Wand die aus den Evangelien und der
Apostelgeschichte entnommenen Darstellungen des Speisens der Hungrigen,
des Pflegens der Kranken, des Befreiens der Gefangenen: Christus speist
die Fünftausend, er heilt den Lahmen am Teich Bethesda, der Engel des
Herrn führt den Apostel Petrus aus dem Kerker. Die Verbildlichung des
siebenten Barmherzigkeitswerkes, des Begrabens der Toten, kam nicht zur
Ausführung, wohl nur aus Rücksichten auf die Symmetrie der Anordnung;
ein gezeichneter Entwurf Murillos zu der Darstellung, wie Tobias die
Leichen der Hingerichteten bestattet, soll sich noch im Besitz des
Hospitals befinden.

Die an ihren Plätzen verbliebenen sind die figurenreichen, durch
bedeutend größere Breitenausdehnung vor den übrigen ausgezeichneten
Hauptbilder einer jeden Wand: die Speisung der Fünftausend und das
Wasser aus dem Felsen. Beide sind großartige Meisterwerke (Abb. 30
und 31). Das alttestamentliche Bild trägt die Stimmung eines schwülen
Sommertags. Silberhell springt die Quelle aus der dunklen Schattenseite
des Felsens. Man fühlt die Erfrischung, welche die Trinkenden genießen.
Moses spricht das Dankgebet, und alles freut sich über die Befreiung
von der Qual des Durstes. Das Wasser ist in Überfluß vorhanden, und
auch den Tieren wird uneingeschränkte Labung vergönnt. Einzelne
Gruppen heben sich aus dem Menschengewoge sprechend hervor. So eine
junge Frau, die ihre Kinder trinken läßt; wie durstig ist das wartende
kleine Mädchen, und wie schmeckt es dem Jungen, der den Napf am Munde
hat! Auf dem Rücken eines gierig saufenden Schimmels wendet sich ein
prächtiger Knabe, dessen Durst gelöscht ist, nach dem Beschauer um und
weist freudig auf das Wunder hin. Die reiche malerische Wirkung des
von zahllosen Figuren angefüllten Bildes wird zusammengehalten durch
einen feinen goldigen Ton, dem die einzelnen Farben sich unterordnen.
-- Das Gegenstück ist vielleicht noch wirkungsvoller. Auf einer von
Felsen überragten Anhöhe sitzt der Heiland -- wohl das schönste
Christusbild, welches Murillo geschaffen hat, -- und segnet aufwärts
blickend die fünf Brote, die einer der ihn umgebenden Jünger ihm in
den Schoß legt. Am Boden sieht man den geleerten Brotkorb. Ein Junge
aus dem Volk bringt zwei Fische herbei, die Petrus ihm abnimmt. Zwei
der Jünger haben sich umgewendet und blicken in die weite lichte
Landschaft hinaus, wo die fünftausend Zuhörer sich scharen, von der
Ebene aus den Abhang des Hügels hinan, bis in die Nähe des Heilands,
wo sich im Vordergrund, wenige Schritte von seinen Füßen entfernt,
eine Frauengruppe niedergelassen hat. Auf diese Gruppe fällt ein
helles Licht, hinter ihnen legt sich ein Wolkenschatten über Volk und
Landschaft, die Ferne ist wieder beleuchtet. Über dem Horizont liegt
graues Gewölk, das nach links, wo die Linie des ansteigenden Hügels
sich in seinen Tönen abhebt, in geballte weiße Massen übergeht. Der
nach vorn sich hinausziehende Gipfel des Hügels und ein Teil der
Apostel sind wieder in Schatten gehüllt, so daß hier gerade unter
der weißen Wolke eine große Dunkelheitsmasse entsteht, welche den
Hintergrund für die farbigen, kräftig beleuchteten Hauptfiguren gibt.

[Illustration: Abb. 37. ~Der heilige Joseph mit dem Jesuskind.~

Im Ermitagemuseum zu Petersburg.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 38. ~Der heilige Antonius von Padua mit dem
Jesuskind.~

Vom Hauptaltar der Kapuzinerkirche, jetzt im Museum zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Das der Hospitalkirche erhalten gebliebene Gegenstück zu dem Altarbild
der heiligen Elisabeth ist einem Helden der Nächstenliebe gewidmet,
der in Spanien thätig war und der so viel Gutes wirkte, daß schon die
Mitwelt zu seinem Namen Johannes den Beisatz „von Gott“ hinzufügte. Der
heilige Johannes von Gott -- mit diesem Namen war er kurze Zeit vor
der Errichtung des Hospitals de la Caridad unter die Kirchenheiligen
aufgenommen worden -- war wohl das besondere Vorbild des Stifters
dieser großen Wohlthätigkeitsanstalt. Wie dieser hatte er in seiner
Jugend wild gelebt, dann aber seine Habe und sein ganzes Leben den
Werten der Barmherzigkeit geopfert. Granada verdankte ihm zwei große
Krankenhäuser, und der Orden der Krankenpfleger, welche sich den
barmherzigen Schwestern in gleicher Thätigkeit zur Seite stellten, ging
aus seiner Anregung hervor. Er fand seinen Tod in einem Liebeswerke.
Bei der Rettung eines Ertrinkenden aus dem angeschwollenen Jenil zog
der 55jährige Mann sich eine Krankheit zu, der er nach wenigen Tagen
erlag (im Jahre 1550). Murillo hat diesem Menschenfreund ein Gemälde
von eigentümlicher, packender Großartigkeit gewidmet (Abb. 32). Einst
war derselbe, als er bei der Ausübung eines Liebeswerkes sich verspätet
und den Weg verfehlt hatte, wie durch ein Wunder der Gefahr eines
Sturzes in den Jenil entgangen; das ist hier als ein sichtbares Wunder
verbildlicht. Dicht am Rande des Stroms ist der Heilige unter der Last
eines halbentseelten Mannes, der als eine unbehilfliche Bürde auf
seinen Schultern liegt, erschöpft zusammengesunken; ein Schritt des
Aufrichtens würde ihn ins Wasser führen. Da tritt ein Engel ihm zur
Seite, um ihn zu halten. Der Retter ist im Augenblick der äußersten
Gefahr gekommen wie der Blitz; und wie von einem Blitzstrahl sind
die drei Figuren beleuchtet. Die Vorstellung von einer plötzlichen,
blendenden Lichterscheinung wird auf das lebhafteste hervorgerufen
durch das Verschwinden der ganzen Umgebung in völliger Lichtlosigkeit;
die schwache Mondsichel am Himmel, ein erleuchtetes Fenster in
der Nähe, vor dem zwei Kinderköpfchen -- zuschauende Englein --
erscheinen, die Laterne in einem fernen Thorweg ist dem übernatürlichen
Lichtblitz gegenüber wie von Schwärze überzogen. Die hellgelbe Farbe
des Engelgewandes erhöht den Eindruck des grellen Aufleuchtens im
Finsteren. Der Heilige, der den Himmelsboten in höchster Ergriffenheit
anstarrt, fesselt den Beschauer durch die sprechende Lebenswahrheit und
Eigenart seines prächtigen Kopfs aus dem spanischen Volke.

[Illustration: Abb. 39. ~Der heilige Felix von Cantalicio mit dem
Jesuskind.~

Vom Hauptaltar der Kapuzinerkirche, jetzt im Museum zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie in Madrid.)]

In ähnlicher Wirkung als ein plötzlich im Dunkel aufflammendes Licht
erscheint der Engel, welcher die Kerkerbande des heiligen Petrus löst
und den Apostel von der Seite des schlafenden Wächters hinweg ins
Freie führt, in dem jetzt in der Sammlung der Ermitage zu Petersburg
befindlichen Gemälde (Abb. 33).

Die drei übrigen Bilder aus der Folge der Barmherzigkeitswerke sind in
englische Privatsammlungen gelangt.

Die drei kleineren Bilder von Murillo, die sich noch in der
Kirche der Caridad befinden, sind eine nur in halber Lebensgröße
ausgeführte Verkündigung Marias und zwei in die oberen Bekrönungen
von Seitenaltären eingelassene entzückende Kinderbilder, hier das
Jesuskind, dort der kleine Johannes.

Unmittelbar nach der Bewältigung dieser großen Aufgabe ging Murillo
an eine noch umfangreichere Arbeit, an die Anfertigung der sämtlichen
Altargemälde für die im Jahre 1670 vollendete Kapuzinerkirche. Dabei
handelte es sich um einen großen, aus einem Hauptbild und mehreren an
dasselbe angeschlossenen Nebenbildern zusammengesetzten Aufbau über dem
Hochaltar und um eine Anzahl von sonstigen, teils zusammengehörigen,
teils einzelnen Gemälden -- im ganzen neunzehn Bilder.

Gleich darauf, im Jahre 1673, wurde ihm die Ausschmückung der Altäre
der Augustinerkirche übertragen.

In diesen Werken hat Murillo sein Bestes gegeben. Man muß das
Provinzialmuseum zu Sevilla, wo die Mehrzahl der Kapuzinerbilder und
ein paar Hauptbilder von den Augustinern vereinigt sind, gesehen haben,
um seine Bedeutung als Künstler voll zu würdigen. Im Madrider Museum
empfängt man trotz der kostbaren Perlen, welche sich unter den 46
Gemälden, die dort seinen Namen tragen, befinden, nicht annähernd den
Eindruck von der Größe seiner Meisterschaft wie hier.[A]

    [A] Es ist sehr zu bedauern, daß die photographischen Aufnahmen
        von Braun & Co. in Dornach sich nicht auf das Museum von
        Sevilla erstreckt haben.

Von den Bildern aus der Kapuzinerkirche fehlen nur drei in der
Sammlung: das große Hauptaltarblatt, welches den heiligen Franz von
Assisi im Anblick der Erscheinung von Christus und Maria darstellt,
und ein Paar von Gegenstücken, die Erzengel Raphael und Michael.
Des ersteren hatte sich das Kloster schon vor der Bilderräuberei
der Franzosenzeit freiwillig entäußert -- es steht nicht fest, aus
welchem Grunde. Man weiß nicht, wo es schließlich hingelangt ist. Das
Raphaelbild befindet sich in einem Nebenraum (in der +Sagrestía de los
cálices+) der Kathedrale zu Sevilla. Die Kapuziner schenkten es nach
dem Abzug der Franzosen der Kathedrale als Dankesgabe für die gelungene
Rettung ihrer Gemälde. Der Erzengel ist dargestellt als der Geleiter
eines Kindes; er hat den Knaben, der an seiner Seite schreitet, an
der Hand gefaßt und zeigt mit der Rechten nach der Höhe, nach einem
Lichtstrahl, der die dichte Finsternis der Umgebung durchbricht.
Dieses ansprechende Gemälde ist das Urbild zahlloser späterer
Schutzengeldarstellungen (Abb. 34). Das Bild des Engels Michael ist
verschwunden.

[Illustration: Abb. 40. ~Mariä Verkündigung.~

Altargemälde aus der Kapuzinerkirche, jetzt im Museum zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von I. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Die Bilder, welche ehemals in ihrer Vereinigung die Seitenteile des
Hochaltars ausmachten, zeigen Darstellungen verschiedener Heiligen.
Da sind zunächst die Schutzheiligen von Sevilla, Justa und Rufina,
in einem Bilde vereinigt (Abb. 35). Die beiden Glaubenszeuginnen
halten gemeinschaftlich das Abbild eines Turmes; das ist das stolze
Wahrzeichen der Stadt, deren Boden sie in der Römerzeit mit ihrem
Blut getränkt haben, der aus einem maurischen Minaret hervorgegangene
Glockenturm der Kathedrale, die Giralda, das höchste Bauwerk Spaniens.
Die beiden Gestalten heben sich farbenreich von dem grauen Hintergrund
einer bewölkten Luft ab. Wer den schönsten Murillo, den Italien
besitzt, die Madonna in der Sammlung des Palastes Corsini zu Rom
(Abb. 36), gesehen hat, der erkennt mit Überraschung in dem Kopf der
heiligen Justa dasselbe blasse, von dichtem, schwarzem Haar umrahmte
Antlitz, dieselben unvergeßlichen Augen wieder, durch welche jene
Maria, die zwischen wucherndem Gestrüpp am Fuß einer zerfallenen Mauer
sitzt und ihr Kind in Sorge an sich drückt, sich einem so nachhaltig
ins Gedächtnis prägt; nur daß hier das ganze Gesicht frischer
erscheint und daß der ergreifende Ausdruck schwerer Besorgtheit
fehlt, der jenem merkwürdigsten von Murillos Madonnenbildern eigen
ist. Man sieht, der Meister hat ein und dasselbe lebende Vorbild in
verschiedener Auffassung zu verschiedenen Darstellungen zu benutzen
gewußt. -- In dem Gegenstück zu den beiden Sevillaner Märtyrinnen
sind der glaubenseifrige Bischof der alten Hispalis, Leander, und der
größte Gelehrte des Ordens, dem die Kapuziner angehören, der heilige
Bonaventura, zusammengestellt. Bonaventura trägt über der braunen
Franziskanerkutte den rotseidenen Kardinalskragen; in den Händen hält
er ein Buch und das Modell eines gotischen Kirchenbaus. Der heilige
Leander, eine Gestalt von schlagender Glaubhaftigkeit, erscheint in
weißem Kirchenornat, mit dem goldenen Bischofsstab in der Hand -- die
abgelegte Mitra hält ein Engelknabe, der am Rand des Bildes steht
--; mit der anderen Hand zeigt der Bekehrer des heiligen Hermenegild
einen Zettel mit den Worten: +Credite, o Gothi, consubstantialem
Patri+ (Glaubt, o Goten, an die Wesensgleichheit des Sohnes mit dem
Vater). Das Gemälde besitzt eine eigene Größe in der Wirkung seiner
wenigen, in großen Massen angeordneten Farben. -- Weiter stehen sich
Johannes der Täufer und der heilige Joseph als Gegenbilder gegenüber.
Johannes, eine durch scharfe Beleuchtung hervorgehobene sehnige
Männergestalt mit bräunlicher Haut und schwarzem, wirrem Haar, mit
einem sehr bedeutenden Kopf von echt spanischem Schnitt, faltet, an
einen Felsen der Wüste gelehnt, die knochigen Hände und wendet den
Blick empor, der unsichtbaren Quelle des Lichts entgegen, das die
blauschwarze Wolkennacht durchbricht. Joseph ist als zur Zeit der
Flucht in dem Ruinenland Ägypten verweilend gedacht. In den Resten
eines zerfallenen Gemäuers, das einige antike Bauformen aufweist,
auf einer Art von Terrasse stehend, hat er das Jesuskind, das etwa
vierjährig erscheint, vor sich auf einen Baustein gestellt und hält
es mit beiden Händen fest. Der Knabe, in ein helles Röckchen von
weicher Lilafarbe gekleidet, lehnt sich an die in violettgraue und
dunkelgraugelbe Gewänder gehüllte Gestalt des Pflegevaters und schmiegt
seinen Lockenkopf an dessen Brust, während er den Blick voll auf den
Beschauer heftet. Joseph aber wendet seinen kräftig geschnittenen Kopf,
dem die wallende Fülle des dichten Haares eine besonders mächtige
Erscheinung gibt, seitwärts und späht mit scharfen Augen hinaus in
die Landschaft, deren lichte Ferne sich weithin unter dem blauen,
von Gewölk durchflogenen Himmel ausdehnt; hochaufgerichtet hält er
Umschau, ob nirgends zwischen den weißen Bauwerken oder auf den
Höhen der Hügelkette Verfolger nahen. Murillo hat das unbestreitbare
Verdienst, den Beschützer der Kindheit Jesu, aus dem die meisten
älteren Maler eine recht nichtssagende Persönlichkeit gemacht haben,
während die neueren ihn mit einem Übermaß von schwächlicher Weichheit
und dem Ausdruck von Frömmelei auszustatten pflegen, in all seinen
verschiedenen St. Josephsbildern -- die im einzelnen voneinander
abweichen in der Bildung des Kopfes -- in würdiger Weise als eine
ausdrucksvolle, kräftige Männererscheinung aufgefaßt zu haben (vergl.
Abb. 37). -- In nach oben spitz zulaufenden Feldern, die sich unter
den Anfängen des Bogens, welcher den ganzen Aufbau des Hochaltars
abschloß, befunden haben, sind zwei Heilige der Entsagung, denen beiden
das Jesuskind erscheint, in Halbfiguren dargestellt (Abb. 38 und 39).
In dem einen Bild steht das Kind vor dem heiligen Antonius von Padua,
der es mit glühender Innigkeit betrachtet, auf dessen Gebetbuch. In dem
anderen ruht es in den braunen Händen eines Greises mit dem Bettelsack,
des heiligen Felix, und streichelt dessen struppigen Graubart.
Auf beiden Bildern leuchtet der Kindeskörper wie das Licht in der
Finsternis in der Umgebung von Braun und Grau; besonders schön auf dem
letzgenannten, in dem die wenigen Töne wundervoll zusammengestimmt sind.

Die einzelnen Altarbilder aus der Kapuzinerkirche übertreffen eins
das andere an Schönheit. Das größte derselben stellt die Verkündigung
Marias dar, ein kleineres die unbefleckte Empfängnis, ein anderes die
Klage um den Leichnam Christi; sechs von übereinstimmender Größe zeigen
eine nochmalige Darstellung der unbefleckten Empfängnis, die Anbetung
der Hirten, die Weltentsagung des heiligen Franciscus, nochmals den
heiligen Antonius und den heiligen Felix und die Almosenspende des
heiligen Thomas von Villanueva.

Zu diesen neun großen Gemälden kommt noch ein kleines Juwel, ein
Madonnenbildchen von kaum 60 Centimetern im Quadrat, von dem die Sage
zu erzählen weiß, Murillo habe eine Serviette vom Eßtisch genommen, um
dasselbe darauf wie mit Zauberhand entstehen zu lassen; daher führt es
den Beinamen „+de la servilleta+.“ Es ist nicht zu verwundern, daß sich
an dieses mit glücklichster Leichtigkeit geschaffene Meisterwerk die
Vorstellung von etwas Außergewöhnlichem geheftet hat. Aus dem schwarzen
Hintergrund löst sich farbig das Brustbild Marias, und von den Armen
der Mutter aus streckt das leuchtend helle Kind sich vor, auf den
Beschauer zu. Das Kind ist so körperhaft gemalt, daß es vor den Rahmen
herauszukommen scheint, und seine großen Augen sprechen so lebhaft,
als ob es einen gleich anreden wollte. Der Blick des Jesuskindes wird
von dem ruhigen und milden Blick Marias begleitet. Es liegt etwas
Unbeschreibliches in dem Bann dieser vier dunklen Augen.

[Illustration: Abb. 41. ~Die unbefleckte Empfängnis.~

Aus der Kapuzinerkirche, jetzt im Museum zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

In dem Bild der Verkündigung (Abb. 40) weicht die Anordnung von
der herkömmlichen Weise, an der auch Murillo in seinen früheren
Behandlungen dieses Gegenstandes festhielt, dadurch ab, daß der
Himmelsbote der betenden Jungfrau gerade von vorn entgegentritt, so
daß diese ihn sieht, ohne sich umzuwenden, und sich dem Beschauer
in gerader Seitenansicht zeigt. Hierin fand der Künstler das Mittel,
eine ungemein ansprechende Schlichtheit in die Gestalt Marias zu legen.
Gabriel senkt sich auf einer Wolke aus der Höhe herab, wo, von einem
Chor kleiner Engel umgeben, der heilige Geist im Lichtglanz schwebt.
Auf den Gruß des Himmelsboten richtet Maria den Kopf auf, so daß sie
ihm gerade entgegensieht; unwillkürlich erheben sich ihre Hände über
das Gebetbuch, auf dem sie ruhten. Der Eindruck des Bildes wird sehr
wirkungsvoll gesteigert dadurch, daß durch die Art der malerischen
Behandlung Maria als ein irdisches Wesen von fester Körperhaftigkeit
deutlich von den himmlischen Lichtgestalten unterschieden wird; ganz
besonders kommt ihr feiner Kopf durch seine Wirklichkeitserscheinung
gegenüber der Körperlosigkeit des zerfließenden Lichtgewölks, von dem
er sich abhebt, bedeutsam zur Geltung.

Ein Meisterwerk ersten Ranges ist die Anbetung der Hirten, ein
Prachtstück von farbenreicher Helldunkelwirkung. Der nächtliche
Himmel, den man außerhalb des verfallenen Stallgebäudes sieht,
hellt sich unten im ersten Morgengrauen auf. Von diesem schwachen,
farblosen Lichtschimmer am Rande des Bildes nimmt eine zusammenhängende
Helligkeitsmasse ihren Ursprung, die sich mit stetig wachsender
Kraft in das Bild hineinzieht: das graue Gemäuer des eingestürzten
Eingangsbogens wird von einem geheimnisvollen Lichtstrahl gestreift,
dann wird der bräunliche Kopf eines alten Hirten von diesem
Himmelslicht voll beleuchtet, und die Helligkeit endigt mit der
höchsten Steigerung von Licht und Farbe in der Krippe, wo Maria
ihr feines, zartes Gesicht über das in weißen Windeln auf gelbes
Stroh gebettete Kind beugt; an ihrer Brust und ihren Armen wird das
vollfarbige Rot und Blau ihrer Kleidung mit in das übernatürliche Licht
hineingezogen, das auf dem Kind seinen Sammelpunkt hat. Im Vordergrund
bildet die aus einem Mann, einem Knaben und einem halbwüchsigen Mädchen
bestehende Hirtengruppe eine dunkle Masse von lebendig bewegten
Umrissen, in welcher das von draußen kommende schwache Dämmerlicht im
Widerstreit mit den von der Krippe ausstrahlenden warmen Reflexen die
einzelnen Formen auseinander hält. Das sind prachtvolle andalusische
Bauersleute, besonders schön das junge Mädchen, dessen ungekämmtes
Haar und brauner Nacken sich von der blaugrauen Dämmerung abheben.
Joseph steht im Halblicht an der Mauer. Die oben im Stall lagernde
nachtschwarze Finsternis wird durch die Lichtgestalten zweier
Kinderengel unterbrochen, die sich jubelnd in einer goldenen Wolke
tummeln.

Ganz verschieden von dieser heiligen Nacht ist das andere Nachtstück,
welches die Klage um den Leichnam Christi darstellt. Hier ist durch
den Verzicht auf jeden Farbenzauber eine ergreifende Stimmung erzielt.
Wie schrille Klagelaute wirken die grell und schroff in zerrissenen
Massen in das tiefschwarze Dunkel gestreuten Lichter, welche uns vier
Gestalten zeigen: die mit ausgebreiteten Händen zum Himmel aufjammernde
Mutter, den mit dem Kopf auf ihrem Schoße ruhenden, auf ein weißes Tuch
gebetteten heiligen Leichnam und zwei weinende Engelkinder. Fast keine
andere Farbe zwischen dem Schwarz, als Weiß und Fleischtöne; denn die
Gewänder Marias sind ganz dunkel. Die schwarze Masse des Hintergrundes
ist eine Felsenwand; das erkennt man an einem Stückchen Umrißlinie,
welches an einer Seite vor einer schwach flimmernden Andeutung der
Helligkeit, durch welche sich am Horizont der Himmel von der Erde
abgrenzt, sichtbar wird.

Von den beiden Bildern der Immaculata zeigt das eine die Jungfrau in
halb kindlicher Bildung, von einer großen Anzahl reizender kleiner
Engel umgeben, von denen einige Sinnbilder tragen, eine Lilie, eine
weiße Rose, einen Palmenzweig, einen Spiegel (Abb. 41). Auch in dem
anderen, das zunächst durch die außerordentliche Einfachheit der
Linien, mit der es komponiert ist, auffällt, ist Maria mehr Kind als
Jungfrau. Sie hat die beiden Hände nebeneinander auf die Brust gelegt
und blickt nach oben, wo Gott Vater mit zum Segen ausgebreiteten Händen
erscheint, als eine Lichtgestalt in schimmerndem Lichtduft, dessen
Helligkeit die Farben seiner Gewänder überflutet. Englein, wie aus
Lichtstoff gebildet, umgeben den Gott und füllen den Raum bis zu dem
lichten Rand der Wolke, von welcher Maria getragen wird; je weiter
sie sich herabsenken, desto körperhafter wird ihre Erscheinung.
Unterhalb der Wolke sieht man den Erdball im Dunklen liegen; der
höllische Drache hat seine Tatze darauf gelegt. Die Ruhe in der
Haltung und in den Umrissen Marias, deren Gewänder sich kaum bewegen,
geben dem Bild etwas eigentümlich Feierliches; auch das Leben der
Engelchen ist von einer feierlichen Ergriffenheit erfüllt, die nur bei
einem der kleinen Himmelskinder einem Drange nach stärkerer Bewegung
weicht (Abb. 42). In der Reihe von verschiedenen Auffassungen, die
Murillo seinen Darstellungen der Allerreinsten zu geben wußte, steht
dieses Werk an einem Endpunkt, der jenem viel älteren Gemälde aus der
Franziskanerkirche, wo alles von mächtiger Bewegung durchdrungen ist
und Maria als eine reife Gestalt von göttlicher Erhabenheit erscheint,
gerade entgegengesetzt ist. Die kindliche Gestalt Marias in diesem
Bilde hat noch ein persönliches Interesse. Die Überlieferung behauptet,
Murillo habe hier seine Tochter abgemalt, die sich dem Klosterleben
weihte. Wenn das wahr ist, so würde hier auch die Andeutung der in den
Krallen des Bösen liegenden Welt eine besondere Bedeutung haben.

[Illustration: Abb. 42. ~Die unbefleckte Empfängnis.~

Altargemälde aus der Kapuzinerkirche, jetzt im Museum zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Die Flucht des Frommen aus der Welt ist der Gegenstand des Gemäldes,
welches den heiligen Franz von Assisi darstellt. Es ist eine Allegorie.
Das Kreuz Christi steht in einer wilden Landschaft. Dunkle Wolken
verhüllen den Himmel; man fühlt den rauhen Wind, welcher sie jagt.
Franciscus, in geflickter brauner Kutte, stößt eine blaue Kugel, welche
die Welt bedeutet, mit dem Fuße fort und umarmt den Gekreuzigten,
der die rechte Hand vom Kreuze löst, um damit den Heiligen an seine
blutende Seite zu drücken. Es ist unmöglich, den Gedanken mit tieferer
Empfindung auszusprechen. Auf die Anbringung seiner niedlichen
Engelkinder hat Murillo auch hier nicht ganz verzichtet. Neben
dem Kranz schweben zwei der kleinen Wesen, von denen das eine mit
ernsthaftem und ergriffenem, dabei aber doch ganz kindlichem Gesicht
das Evangelienbuch hinhält, in dem die Worte aufgeschlagen sind: „Wer
nicht allem entsagt, was er besitzt, kann nicht mein Jünger sein.“

Das Antoniusbild ist wieder eine neue Abwandlung des schon so
oft behandelten Themas von dem Jesuskind, das die Schar seiner
Engelgespielen verläßt, um dem Mönch seine Liebe zu bezeugen. Es ist
ebenso innig empfunden und noch vollendeter in der malerischen Wirkung
wie jene älteren Darstellungen. In dem wunderbar ausdrucksvollen Kopf
dieses Antonius hat Murillo wieder mit der höchsten Meisterschaft
das lebenswahre Charakterbild eines von der Begeisterung der Jugend
erfüllten Ordensmannes gegeben. Den Kapuzinern zuliebe, die im
Gegensatz zu den übrigen Franziskanern den Bart wachsen lassen, hat er
das Gesicht des Heiligen hier und in dem kleineren Bild des Hauptaltars
mit einem Anflug von Bart versehen.

Auch der heilige Felix ist mit der Erscheinung des Jesuskindes
dargestellt, die ihm zu teil wird, während er, der Arme, Nahrungsmittel
zu noch Ärmeren trägt. Es ist Nacht. Am Horizont zeigt ein kleiner
farbiger Streifen den ersten Beginn der Morgenröte, die im
verschwimmenden Dämmerlicht einen von Bäumen eingefaßten endlos langen
Weg mehr ahnen als sehen läßt. Auf dieser weiten Straße ist der alte
Mann mit seinem Bettelsack dahergekommen, und nun sinkt er in die
Kniee vor dem Wunder, das ihn überrascht. Die Finsternis des Himmels
öffnet sich, Englein schlagen einen Wolkensaum auseinander, und wie
ein farbenprächtiges Traumbild zeigt sich in einer Flut von Helligkeit
die Muttergottes, mit dem Antlitz das Licht überleuchtend, welches
sie goldig umstrahlt. Sie neigt sich freundlich herab und legt das
Jesuskind auf die Arme des Alten, der mit einem Blicke namenloser
Dankbarkeit -- dieser Ausdruck des Greises ist unendlich verschieden
von der Glut des Jünglings in dem Antoniusbild -- zu ihr aufsieht,
und der nicht wagt, seine derben Finger auch nur an das weiße Tuch zu
legen, das dem zarten Kindeskörper untergebreitet ist (Abb. 43).

Alle diese Gemälde, die so überaus mannigfaltig in der Wirkung sind und
von denen jedes einzelne ein Wunder der Malerei genannt werden kann,
übertrifft an Größe und Schönheit der malerischen Wirkung das Bild,
welches dem heiligen Thomas von Villanueva gewidmet ist.

[Illustration: Abb. 43. ~Der heilige Felix von Cantalicio.~

Altargemälde aus der Kapuzinerkirche, jetzt im Museum zu Sevilla.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

[Illustration: Abb. 44. ~Der Apostel Jakobus der Ältere.~ Im Museum des
Prado zu Madrid.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Thomas von Villanueva († 1555) gehörte dem Augustinerorden an; auf
den erzbischöflichen Stuhl von Valencia berufen, fuhr er fort wie
ein armer Mönch zu leben und wendete sein ganzes Einkommen den
Armen zu. Als Almosenspender ist er hier dargestellt. Er steht in
einer schwarzen Mönchskutte, aber mit der weißen Bischofsmütze auf
dem feinen, vornehmen Kopf und mit dem Krummstab in der Hand, in
einer Renaissancekirche, deren sonnig beleuchtete Architektur in der
Tiefe des Bildes einen lichtgrauen Hintergrund bildet, während vorn
Teile eines niedrigeren Einbaus mit einer von einem roten Vorhang
umschlungenen Säule in tiefem Schatten liegen. Bettler aller Art
umdrängen den Heiligen, der von einem Tischchen die zu verteilenden
Silberstücke nimmt. Eben reicht er eine Münze einem halbnackten
Lahmen, der auf den Knieen rutschend, dem Beschauer seinen prächtigen
braunen Rücken zeigt. Neben diesem hebt ein kränklicher Junge in
zerlumpten Kleidern sein häßliches Gesicht mit dem stumpfen Ausdruck
des gewohnheitsmäßigen Bettelns zu dem Geber auf. Unter den weiter
zurückstehenden Armen fällt ein Alter mit rotem Kahlkopf auf, der das
empfangene Geldstück dicht vor die blöden Augen hält, um dessen Wert
zu prüfen. Ganz vorn sitzen im Schatten, durch scharfe Randlichter
von hinten beleuchtet, ein paar Kinder am Boden, ein Mädchen und ein
vergnügter kleiner Junge, die mit der Ruhe der Gewißheit die ihnen
zustehenden Gaben erwarten. -- In aufs feinste abgewogenen Massen von
Hell und Dunkel klingen die Töne von Schwarz, Grau, sparsam verteiltem
Weiß, Braun, warmfarbigem Fleisch und verschiedenen Abstufungen von
Rot zu unübertrefflicher Wirkung zusammen. -- Es wird berichtet,
Murillo habe die für die Kapuzinerkirche gemalte Almosenspende „seine
Leinwand“ genannt, um damit auszudrücken, daß er diese Arbeit für
seine bestgelungene halte. Vom malerischen Gesichtspunkt aus kann man
hierin dem Maler nur beipflichten. Im vorigen Jahrhundert freilich
bewunderte Raphael Mengs vor allen Werken Murillos einen Apostel
Jakobus (im Madrider Museum, Abb. 44), vielleicht das einzige seiner
Bilder, welches, trotz des Wertes des Ausdruckes in dem Kopf des nimmer
rastenden und nimmer müden Wanderers, an einer gewissen akademischen
Langweiligkeit leidet. Heute aber dürfte sich wohl kaum ein Maler der
Ansicht verschließen, daß die Almosenspende des heiligen Thomas von
Villanueva auch die berühmtesten Schöpfungen des Meisters in Bezug auf
malerische Vollendung überbietet.

[Illustration: Abb. 45. ~Die Heilung eines Lahmen durch einen Heiligen
des Augustinerordens (Thomas von Villanueva?).~

In der königl. Pinakothek zu München.

(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 46. ~Der heilige Bernhard von Clairvaux.~

Im Museum des Prado zu Madrid.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Die beiden aus der Augustinerkirche geretteten Gemälde des Museums
zu Sevilla sind diesem Bild sehr ähnlich im Ton und wetteifern mit
demselben in der Pracht der Wirkung. Beide stellen den heiligen
Augustinus dar, in Anschauung von Erscheinungen, welche sich auf
Stellen aus den Schriften des großen Kirchenlehrers beziehen.
Hier reicht derselbe sein flammendes Herz dem Jesuskind dar, und
dieses durchbohrt dasselbe mit dem Pfeil der Liebe. Dort offenbart
sich ihm die heiligste Dreifaltigkeit. Augustinus erscheint als
ein schwarzbärtiger und schwarzlockiger Mann in schwarzer Tracht.
Durch die Dunkelheit seiner Gesamterscheinung wird der auch in der
Malweise mit höchster Vollendung durchgeführte Gegensatz verschärft
zwischen dem irdischen Wirklichen und den himmlischen Gesichten. Das
Dreifaltigkeitsbild, wo der Heilige sich von den Büchern und Schriften,
über denen er als grübelnder Forscher saß, plötzlich umwendet, da ein
aus den Himmelschören herabgestiegenes Engelkind seine Schulter berührt
hat, und nun in der fernsten, hellsten Tiefe eines überirdischen
Glanzes die Dreieinigkeit schauend erkennt, das ist vielleicht die
großartigste unter den vielen Farbendichtungen Murillos, welche ein
Hineintreten des Göttlichen in den Gesichtskreis eines Sterblichen
behandeln.

In die Reihe der für die Augustinerkirche gemalten Altarblätter gehört
vermutlich auch das Prachtbild in der Münchener Pinakothek, welches die
Heilung eines Lahmen durch einen mit der schwarzen Kutte bekleideten
Heiligen darstellt (Abb. 45).

[Illustration: Abb. 47. ~Der heilige Ildefons.~

Im Museum des Prado zu Madrid.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

[Illustration: Abb. 48. ~Bildnis des Paters Cavanillas.~

Im Pradomuseum zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Auch das Pradomuseum zu Madrid besitzt ein prächtiges Augustinusbild,
das sich jenen Verbildlichungen von Aussprüchen des Heiligen
anschließt. Augustinus, hier mit einem goldgestickten bischöflichen
Chormantel über der schwarzen Kutte bekleidet, sieht zu gleicher Zeit
die Erscheinung des gekreuzigten Heilandes und der Mutter Maria,
welche von beiden Seiten Gnadenstrahlen nach seinem Haupt hinströmen
lassen, so daß er „in die Mitte gestellt, nicht weiß, wohin sich
wenden.“ Tiefes Schwarz und Goldtöne, dunkles und lichtes Grau und die
duftig zarten Fleischtöne der Engel, dazu ein paar lebhafte Farben
in der Gewandung Marias und im Futter des Chormantels -- bilden auch
hier einen wunderbaren Farbenklang, wenn auch die Wirkung nicht bis
zu dem Maße von Vollkommenheit abgerundet erscheint, wie in den
Augustinusbildern des Museums zu Sevilla.

Eine im Pradomuseum befindliche Vision des heiligen Franz von Assisi
kann vielleicht einigermaßen eine Vorstellung davon gewähren, wie
Murillo diesen Gegenstand in dem abhanden gekommenen großen Hauptbild
der Kapuzinerkirche behandelt hat. Franciscus kniet vor dem Altar
seiner Kapelle „Portiuncula“ und sieht mit begeisterter Andacht und
staunendem Entzücken auf die Erscheinung von Christus und Maria, die
nebeneinander auf einer Wolke thronen. Zum Zeichen der ihm verliehenen
besonderen Gnade werfen die Englein, welche die Erscheinung begleiten,
Rosen auf ihn herab, was den kleinen munteren Wesen augenscheinlich
großes Vergnügen bereitet. Wenn in diesem Gemälde so starke Mittel
aufgeboten sind, um die Figuren herauszuheben, daß die Haltung der
malerischen Gesamtwirkung darunter leidet, so muß man sich dieses
daraus erklären, daß das Bild für eine schlecht beleuchtete Kirche
bestimmt gewesen sein wird.

[Illustration: Abb. 49. ~Die büßende Magdalena.~ Im Pradomuseum zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Diesen Schilderungen himmlischer Erscheinungen, in denen Murillo einzig
war, schließen sich im Madrider Museum noch zwei sehr große an. Dem
heiligen Bernhard, dessen weiße Cisterzienserkleidung eine wieder
ganz andersartige Wirkung in das Bild bringt, erscheint Maria mit
dem Jesuskind in seiner Studierstube; der Kopf des Kreuzzugpredigers
-- eines Eiferers -- gehört in die Reihe der meisterhaftesten
Charakterköpfe Murillos (Abb. 46). Dem heiligen Ildefons (Erzbischof
von Toledo) erscheint die Muttergottes in der Kathedrale und überreicht
ihm ein himmlisches Meßgewand (Abb. 47).

Unter den kleineren Gemälden der Pradosammlung aus der Zeit von
Murillos größter Meisterschaft mögen nur einige hervorgehoben
sein, die zugleich geeignet sind, von der Mannigfaltigkeit seiner
Darstellungsweise eine Anschauung zu gewähren.

Bildnisse hat Murillo nur sehr selten gemalt. Hier ist dasjenige
des Barfüßerpaters Cavanillas (Abb. 48), das uns einen der
charaktervollen spanischen Mönchsköpfe zeigt, unter denen Murillo,
mit allen befreundet, seine Modelle auswählen durfte. Eine gesunde
Gesichtsfarbe, braunes Haar, graubraune Kutte, eine graublaue Luft,
deren Ausdehnung eingeschränkt wird durch ein Stückchen graugrünes
Hochland und das saftige Grün einer kletternden Rebe am Bildrand: das
sind die Bestandteile, aus denen sich eine feine und zugleich kräftige
Farbenharmonie zusammensetzt.

Diese im wesentlichen auf dem Gegensatz von Braun und Blau beruhende
Farbenstimmung erscheint in der denkbar höchsten Schönheit in einem
unter Lebensgröße ausgeführten Bild des heiligen Franz von Paula. Der
alte Einsiedler, ein schlichter Mann mit treuherzigem Greisenkopf, in
eine dunkelbraune Kutte gekleidet, kniet betend im freien Feld, den
Kopf mit einer für alte Leute bezeichnenden Seitenbewegung nach oben
gewendet, die Hände auf die Krücke des Wanderstabs gelegt. Er ist wohl
auf der weiten Reise zu dem französischen König Ludwig XI begriffen,
der ihn zu sich berief. Weithin dehnt sich die bergige Landschaft aus,
in der Ferne duftig verschwimmend. Darüber spannt sich ein dunkelblauer
südlicher Himmel aus, den weiße Sommerwolken durchziehen. Dieses mit
der größten Leichtigkeit und Schnelligkeit gemalte Bild entfaltet in
seiner außerordentlichen Einfachheit einen Farbenreiz, der es neben die
besten Schöpfungen des Meisters stellt.

Ganz anders gestimmte, weichere Farbentöne im Verein mit einer
sehr kräftigen, Licht und Schatten scharf voneinander scheidenden
Beleuchtung verleihen dem Bild der Büßerin Magdalena (Abb. 49)
einen eigentümlich fesselnden Reiz. Die Gestalt hebt sich von einem
lichtlosen grauen Felsen ab. Das Fleisch leuchtet in einem feinen
Silberton so hell, daß die weißen Blätter des aufgeschlagenen Buches
kaum mehr Licht haben, in den Schatten spielen warmgoldige Reflexe; das
über Schultern und Brust herabwallende Haar ist dunkelblond; an den
Knieen wird ein Stück von der grauen Fellbekleidung sichtbar; darüber
ist ein Gewand von rötlich-violetter Farbe geschlagen, einer Farbe,
welche den gelben Totenschädel durch die Kraft des geraden Gegensatzes
hervorhebt.

Eine ergreifende Stimmung liegt in dem Bild des Gekreuzigten (Abb.
50). Der Gedanke -- den Dürer vielleicht als einer der ersten hatte
--, die Gestalt des Heilands am Kreuz ganz allein, ohne Bezugnahme auf
den geschichtlichen Hergang, ganz hell auf ganz dunklem Grunde, als
das Licht in der Finsternis zu malen, wurde im XVII. Jahrhundert sehr
häufig verwertet. Aus dem Bilde Murillos spricht ein viel tieferes,
aufrichtigeres Gefühl, als aus den berühmten Gemälden von Rubens und
van Dyck. Das malerisch Eigenartige liegt darin, daß innerhalb des
starken Gegensatzes von Hell und Dunkel die Farbentöne in einer weichen
Stimmung gehalten sind. Auch die malerische Behandlung ist, unbeschadet
der Bestimmtheit der Formen, ganz weich. Das Dunkel des schwarzgrauen
Himmels ist an zwei Stellen farbig belebt: unten lagert ein fahler,
gelblicher Schein über dem Horizont, und oben flimmert eine unbestimmte
bläuliche Helligkeit um den rechten Arm und die Schulter des Erlösers.

[Illustration: Abb. 50. ~Christus am Kreuz.~ Im Museum des Prado zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Ein großer Farbenreichtum, in ganz heller, freundlicher Stimmung
zusammengehalten, zeichnet das Bild aus, welches den beliebten
Gegenstand der Unterweisung der heranwachsenden Jungfrau Maria durch
ihre Mutter behandelt (Abb. 51). Die heilige Mutter Anna trägt ein
bräunliches Kleid, das, unten und an den Ärmeln aufgeschlagen, sein
grünes Futter und ein graues Unterkleid sehen läßt; über ihrem Schoß
liegt ein dunkelgelber Überwurf, und ein dünnes Schleiertuch von
heller, gelblich-grauer Farbe umrahmt das wohlwollende ältliche
Gesicht. Der Schemel, auf dem sie sitzt, ist mit einem roten,
goldverzierten Kissen belegt. Ein neben ihr stehender großer
Arbeitskorb, aus dem zwischen weißem Leinen ein gelblich-rotes
Nähkissen hervorsieht, bekundet, daß über dem Religionsunterricht die
häusliche Arbeit nicht vernachlässigt wird. Die kleine Maria, die
mit so klugen Kinderaugen fragt und so verständig und aufmerksam auf
die freundlich gegebene Belehrung horcht, trägt ein helles Kleid von
jener rötlich-violetten, ins Gelblichweiße schillernden Farbe, die
Murillo schon in früheren Bildern gern anwendete; das über ihren Arm
geschlagene und auf den Boden herabhängende Tuch ist kräftig blau;
das Kleid und das lichtbraune Haar ist nach der Sitte von Murillos
Zeit mit roten Schleifchen geschmückt. Die Englein, welche in einem
goldumsäumten Nebel über das Geländer der Hausterrasse hereinflattern,
sind rosig-goldige Duftgebilde; in dem Gewandstreifchen und den Flügeln
kehren auch hier ein paar kleine lebhafte Farben wieder, rosa und
blau. Der Kranz aus weißen und roten Rosen, den die Englein dem Kind
aufsetzen, bedeutet die Freuden und Schmerzen, welche der zukünftigen
Mutter des Erlösers bevorstehen.

[Illustration: Abb. 51. ~Die heilige Anna mit der Jungfrau Maria.~ Im
Pradomuseum zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 52. ~Die Kinder Jesus und Johannes.~ Im Pradomuseum
zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Die Krone von allen Gemälden Murillos im Pradomuseum ist das
entzückende Kinderbild, welches unter dem Namen: „Die Kinder mit der
Muschel“ bekannt ist (Abb. 52). Der kleine Johannes kniet am Ufer
eines Baches vor dem kleinen Jesus, der ihm aus einer Muschelschale
Wasser zu trinken gibt -- eine sinnbildliche Darstellung in dem
Gewande kindlichen Spiels. Das ganze Bild ist Licht und Duft. Alles
schimmert in einem leuchtenden Goldton, der auch die ihm scheinbar
widerstreitenden Töne -- das rötliche Violett des Mäntelchens, das
um die Hüften des Christuskindes geschlungen ist, und das unter der
Engelwolke sichtbar werdende Lichtblau der Luft -- zart überhaucht
und wie ein durchsichtiges Geflimmer vor den Dunkelheiten liegt. Es
ist ein malerischer Reiz von unendlicher Feinheit, der die liebliche
Darstellung verklärt.

[Illustration: Abb. 53. ~Die unbefleckte Empfängnis.~ Im Pradomuseum zu
Madrid.]

[Illustration: Abb. 54. ~Die unbefleckte Empfängnis.~ Im Pradomuseum zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

[Illustration: Abb. 55. ~Die unbefleckte Empfängnis.~ Im Museum des
Louvre zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E. und Paris.)]

Am weitesten berühmt ist ein Bild der unbefleckten Empfängnis, das
am spätesten entstandene unter vier an Reizen sich gegenseitig
überbietenden Gemälden des gleichen Inhalts, die im Pradomuseum
vereinigt sind. Von diesen vier Bildern weicht eines (Abb. 53)
durch die ungewöhnliche Fassung in eine Halbfigur von den sonstigen
Darstellungen ab; der Kopf, mit sehr heller, rosiger Haut und
dunkelbraunem Haar, gleicht hier demjenigen in Sevilla, das als
Bildnis der Tochter des Meisters bezeichnet wird. Ein anderes, das in
verhältnismäßig kräftigen Farben gehalten ist, zeigt die Jungfrau in
noch kindlicherer Bildung als ein etwa zwölfjähriges, blondhaariges
und braunäugiges Mädchen, das mit gefaltet vorgestreckten Händen
in einem Kranz von entzückenden Englein schwebt. Das dritte, in
kleinerem Maßstab ausgeführt, ist diesem in der ganzen Anordnung und
in der Hauptfigur ähnlich, besitzt aber in seiner weicheren Stimmung
mit den in den goldigen Schein nur hingehauchten Lichtgebilden der
Cherubimköpfchen und den wie hingestreute Rosen wirkenden Engelkindern
auf der von Goldlicht durchschimmerten Wolke einen noch feineren
Farbenreiz. Jenes am meisten gefeierte (Abb. 54) ist das duftigste
von allen. Das sonnig lichte Gewölk ist mehr bläulich als grau, nur
im Schatten der Untersicht wird es dunkelgrau. Der die Gestalt der
Jungfrau umgebende Goldton reicht nicht weiter hinauf, als das Blau des
Mantels, zu dem er in einer ebenso feinen Gegensatzwirkung steht, wie
unten das warme Fleisch der Engel zu dem kühlen Ton der Wolke; der Kopf
Marias hebt sich mit seinem blonden Haar gegen einen bläulich-weißen
leuchtenden Strahlenschein ab. Ähnlich wie in jenem Bild aus der
Franziskanerkirche zu Sevilla geht ein Zug der Aufwärtsbewegung
durch das Bild. Aber nicht auf göttliche Hoheit, sondern auf die
Entfaltung der höchsten Anmut und Holdseligkeit hat der Künstler hier
den Hauptwert gelegt. Dieser Kopf ist das Vollkommenste, was Murillo
sich von jungfräulicher Frauenschönheit denken konnte. Marias Blicke
sind nach der Höhe der Unendlichkeit gerichtet, sie schaut das Ewige,
Unbegreifliche. Ein geheimnisvoller Schauer durchbebt ihre Gestalt,
ihre Hände pressen sich auf der Brust übereinander. Dieses Kreuzen
der Hände über der Brust paßt zu dem Aufwärtsschauen, wie zu dem
demütigen Senken der Augen die gefalteten Hände.

[Illustration: Abb. 56. ~Jesus und Maria mit Elisabeth und Johannes.~
Im Museum des Louvre zu Paris.]

[Illustration: Abb. 57. ~Madonna.~ In der Sammlung des Palastes Pitti
zu Florenz.

(Nach einer Photographie von G. Brogi in Florenz.)]

[Illustration: Abb. 58. ~Die Jungfrau mit dem Rosenkranz.~ In der
Dulwichgalerie in London.

(Nach einer Photographie von Gray & Davies in Bayswater.)]

Die Entstehungszeit dieses Gemäldes läßt sich mit ziemlicher Sicherheit
danach bestimmen, daß der Kopf Marias eine große Ähnlichkeit
besitzt mit dem ebenso berühmten Bild im Louvre, welches Murillo
im Jahre 1687 malte (Abb. 55). Nur ist das Blond des Haares hier
dunkler, entsprechend der kräftigeren Stimmung des ganzen, bedeutend
umfangreicheren Gemäldes. Der Goldschein ist hier weit ausgedehnt,
er tritt wolkig aus dem umgebenden Himmelsblau hervor, verdichtet
sich unter den Füßen Marias zu einer körperhaften Wolke, die rechts
ihren tiefen Schatten hat, und verflüchtet sich nach unten links
zu einem blau-silberigen Dunstschleier. In der Gestalt Marias ist
hier weniger Bewegung. Die Jungfrau ist in feierlicher Ergriffenheit
in die Anschauung der Gottheit verloren. Um so lebendiger ist die
Bewegung in der endlosen Schar der Engelchen, die sie mit festlichem
Jubel umschwärmen. -- Murillo malte dieses Bild, eines seiner letzten
Werke, für ein Hospital zu Sevilla. Bei der Ausraubung der Klöster
im Jahre 1810 nahm Marschall Soult, der ein gutes Kunstverständnis
gehabt haben muß, dasselbe für sich in Beschlag. Bei der Versteigerung
von dessen Nachlaß im Jahre 1852 erwarb Napoleon das Bild um den
Preis von 615300 Francs für die Louvresammlung. Seit den Zeiten, wo
römische Cäsaren abenteuerliche Summen aufwendeten, um die alten
Meisterwerke hellenischer Kunst aus dem Besitz griechischer Städte
und Tempelgemeinden in die kaiserlichen Sammlungen der Welthauptstadt
zu bringen, war es nicht mehr vorgekommen, daß für ein Gemälde eine
so hohe Summe verausgabt wurde. In unseren Tagen sind freilich schon
zweimal noch höhere Preise bezahlt worden (für Meissoniers Kürassiere
und Millets Abendläuten).

[Illustration: Abb. 59. ~Madonna, zubenannt mit dem Wickelband (+de la
faja+).~

Im Besitz des Prinzen Don Antonio zu Madrid.

(Nach einer Photographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

Das Louvremuseum besitzt noch ein anderes großes Meisterwerk Murillos,
welches der Immaculata mindestens ebenbürtig ist. Dasselbe führt in
sehr unzutreffender Weise die Bezeichnung einer heiligen Familie; es
ist vielmehr eine Verbildlichung der heiligen Dreifaltigkeit (Abb.
56). Jesus Christus steht als Kind auf dem Schoße Marias und nimmt das
Zeichen seines Opfertodes aus der Hand des kleinen Vorläufers, den
seine Mutter Elisabeth begleitet, entgegen. Über dem Jesuskind schwebt
der heilige Geist in Gestalt einer Taube, und ganz oben breitet Gott
Vater segnend die Arme aus. Durch die Schönheit des kühlen, leuchtenden
Gesamttons, innerhalb dessen sich die reichste Farbenwirkung entfaltet,
gehört dieses Bild zu den malerisch vollkommensten Schöpfungen Murillos.

In der Reihe der vorzüglichsten Werke des Meisters steht noch eine
Anzahl von Madonnenbildern, die nach verschiedenen Orten zerstreut
worden sind. Italien besitzt neben der bereits erwähnten Corsinimadonna
in Rom (Abb. 36) das schöne, schwermütige, mit kräftigen Farben
aus tiefdunklem Grunde hervortretende Marienbild des Pittipalastes
zu Florenz (Abb. 57); England das herrliche Rosenkranzbild der
Dulwichgalerie, das die Jungfrau mit dem Kinde, erhaben und holdselig
zugleich, in lichter Wolkenhöhe thronend zeigt (Abb. 58); Holland eine
nicht minder liebenswürdige Madonna in der königlichen Gemäldesammlung
im Haag. Vielleicht das allerschönste aber von Murillos Madonnenbildern
ist das früher im Palast San Telmo (Montpensier) zu Sevilla, jetzt
im Besitz des Prinzen Anton von Orléans-Bourbon befindliche Gemälde,
welches unter dem Namen „Die Jungfrau mit dem Wickelband (+de la
faja+)“ bekannt ist (Abb. 59). Maria ist hier als die irdische
Mutter aufgefaßt. Sie ist damit beschäftigt, das auf ihrem Schoße
liegende Kind mit Windeln zu umhüllen; neben ihr liegt das Wickelband.
Aber zu den Seiten der so anmutig menschlichen Mutter spielen
himmlische Engel dem Kind auf Laute und Geige das Schlummerlied, und
kleine Cherubim schauen vergnügt aus den Wolken herab.

Murillo hatte das sechzigste Lebensjahr überschritten, als er
sich entschloß, einem von auswärts an ihn gerichteten Ersuchen
zu entsprechen und die Ausführung der Hochaltargemälde in der
Kapuzinerkirche zu Cadiz zu übernehmen. Es war, soviel man weiß, das
erste und einzige Mal seit der Jugendreise nach Madrid, daß er seine
Heimat verließ. Dieses Altarwerk ist unzerstört geblieben; es befindet
sich in der an einem Platz an der See gelegenen Kirche des jetzt in ein
Irrenhaus umgewandelten Klosters an seiner ursprünglichen Stelle. Man
kann sich nach ihm eine Vorstellung davon machen, wie das allerdings
aus einer größeren Anzahl von Gemälden zusammengesetzte Altarwerk
zu Sevilla sich aufgebaut hat. Es sind sechs Bilder, welche, durch
Rahmen voneinander getrennt, die ganze Wand oberhalb des Altartisches
ausfüllen. Ein großes viereckiges Mittelbild ragt bis weit in den
Rundbogen hinein, mit welchem die Wand unter das Gewölbe tritt; da
die Kirche auf den Namen der heiligen Katharina geweiht ist, wurde
hierfür der Stoff aus deren Legende gewählt. Der über diesem Bild
verbleibende, oben von einem Bogenabschnitt begrenzte Raum enthält eine
Darstellung von Gott Vater, der segnend zwischen Engeln erscheint. Die
seitlichen Felder, jedes ungefähr halb so breit wie das Mittelstück,
sind an der Stelle quer geteilt, wo die äußere Gesamteinfassung aus der
Senkrechten in die Rundung des Bogens übergeht. In den unteren, hohen
viereckigen Abschnitten sind einerseits der heilige Joseph mit dem
Kinde Jesus, andererseits der heilige Franciscus mit dem gekreuzigten
Heiland dargestellt. In den oberen, von der Linie des ansteigenden
Bogens in die Gestalt eines unregelmäßigen Dreiecks gebrachten
Abschnitten erscheinen die Erzengel Michael und Raphael, dieser ein
Kind geleitend, jener den bösen Feind niedertretend. -- Murillo
begann das Werk mit dem Hauptbild. Den Inhalt desselben gab die für
bildliche Darstellungen sehr beliebte Erzählung der mittelalterlichen
Legende, wie der alexandrinischen Jungfrau, nachdem sie das Christentum
angenommen, das Jesuskind erscheint, um ihr durch Anstecken eines
Ringes zu erklären, daß sie nunmehr seine Braut geworden sei. Der
Meister hat hier wieder eines seiner zauberhaftesten Lichtgedichte
geschaffen, groß und lieblich. In einen hohen Säulenbau flutet ein
aus dem dunkelgoldigen in einen hellsilberigen Ton übergehender
Lichtnebel, angefüllt mit körperlosen Englein, und entwickelt sich
unten, dicht über dem Marmorboden der Halle, zu einer Wolke, auf
welcher die Jungfrau Maria mit dem göttlichen Kinde sitzt. Das helle
und doch kräftige Rot und Blau ihrer Kleidung heben sich prächtig ab
von dem Silberton und verbinden sich mit dem ebenso kräftigen Gelb
der Gewandung eines hinter ihr stehenden Engels zum vollen Dreiklang
der Hauptfarben. Den Helligkeitsmittelpunkt des Gemäldes bildet das
Jesuskind, vor dem Katharina, liebenswürdig mädchenhaft in Haltung
und Ausdruck, kniet und ihm die Hand entgegenhält. Die junge Heilige
trägt ein weißes, lilafarbig schillerndes Kleid und einen Mantel von
Goldbrokat. Große Engel mit farbigen Gewändern und Fittichen -- in den
Köpfen Abbilder andalusischer Mädchen -- stehen auf beiden Seiten. Aus
dem Lichtgewölk lösen sich, etwas körperhafter hervortretend als ihre
Gefährten, zwei allerliebste Kinderengel, welche über Katharina die
Blumenkrone der Jungfräulichkeit und den Palmenzweig des Märtyrertums
halten. Fremdartig und hart stehen in dem zarten Duft des Gemäldes zwei
andere Kinderengel, welche den auf den Fußboden herabhängenden Mantel
Marias aufheben: hier hat eine fremde Hand ergänzt, was der Meister
selbst nicht mehr malen konnte.

Murillo zog sich, als das Hauptbild bis auf weniges fertig war,
durch einen Sturz vom Gerüst derartige Verletzungen zu, daß er die
Arbeit aufgeben und sich nach Sevilla zurückbringen lassen mußte. Die
Vollendung des Altarwerkes in Cadiz blieb Schülerhänden überlassen.
Sicher lagen zu den Nebenbildern Entwürfe und Farbenskizzen von der
Hand des Meisters vor. Der Schüler, der sie ausführte, hat sich auch
redlich bemüht, seine Malerei nach der Harmonie des Mittelbildes zu
stimmen; in den beiden unteren Bildern hatte auch vielleicht der
Meister schon den Ton angegeben. Aber trotzdem läßt der unendlich weite
Abstand zwischen der eigenhändigen und der Schülerarbeit sehr deutlich
sehen, wie unmöglich es für einen anderen -- mochte derselbe noch so
vertraut sein mit dem Handwerksverfahren des Meisters -- war, sich in
dessen feine Farbenempfindung hineinzufühlen.

Murillo erwartete den Tod. In seiner Pfarrkirche zum heiligen Kreuz
-- in der Nähe der Kathedrale -- saß er manchmal stundenlang vor
dem Altar einer Kapelle, in welcher ihm das Grab bereitet werden
sollte, und betrachtete das alte Bild über dem Altar. Dieses Bild
ist noch vorhanden, es befindet sich jetzt in der großen Sakristei
der Kathedrale. Es ist ein im Jahre 1548 gemaltes Werk des Brüsseler
Meisters Peter von Kempen, den die Spanier Piedro Campaña nannten,
eine lebensgroße Darstellung der Kreuzabnahme; ein, trotz der Aufnahme
italienischer Formengebung, in der Farbe noch ganz altflandrisch
empfundenes Bild, malerisch, stimmungsvoll und ergreifend, ganz
dazu angethan, daß ein Maler sich in seinen Anblick vertieft. Die
altertümliche Malweise und die ganze Auffassung des Niederländers,
der auch in der Zeichnung des Christuskörpers noch an der harten
Formensprache seiner Vorfahren festgehalten hat, sind ja von der Art
und Weise Murillos so verschieden wie nur möglich. Aber in einem mußte
Murillo eine Geistesverwandschaft fühlen: in der Wahrhaftigkeit, mit
welcher der alte Maler, noch nicht angekränkelt von der Künstelei und
Berechnung des Manierismus, Selbstempfundenes und in tiefster Seele
Empfundenes in seiner eigenen Ausdrucksweise ehrlich ausspricht. Auch
Murillo hat in seinen Bildern frisch vom Herzen weg gesprochen; was er
an himmlischen Wundern und Erscheinungen in seinem Innern gestaltete,
bis es wie ein Lebendiges vor seinem geistigen Auge stand, hat er
mit derselben Ehrlichkeit abgemalt, mit der er die Erscheinungen
der Wirklichkeit, die sein Malerauge reizten, wiedergab. Diese
künstlerische Wahrhaftigkeit ist das Geheimnis, welches die Würdigung
der Werke Murillos unabhängig macht von den Zufälligkeiten der Zeit,
des Landes und der religiösen Richtung, welcher sie angehören, und zwar
voll und ganz angehören.

Auf die Frage, warum er sich von jenem Bild nicht trennen könne,
antwortete Murillo, er wolle warten, bis die heiligen Männer dort den
Heiland heruntergelassen hätten. Er wartete darauf, daß die Arme des
Erlösers, die in dem Bilde sich ausgebreitet vom Kreuz herabsenken, ihn
umfangen sollten. Er starb am 3. April 1682.

Die Stadt Sevilla hat ihm vor der Kunstakademie, die von ihm
begründet wurde und die das Museum einschließt, welches seine besten
Werke bewahrt, ein stattliches Standbild errichtet. Sein Grab ist
verschwunden; es ist mit der alten Pfarrkirche zum heiligen Kreuz ein
Opfer der Verwüstungen des Jahres 1810 geworden.





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