Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Siebeneichen - Roman aus dem Alt-Meißner Land
Author: Hildebrand, Gustav
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Siebeneichen - Roman aus dem Alt-Meißner Land" ***


    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter bzw.
    unterstrichener Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua
    gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fette Schrift ist =so
    gekennzeichnet=.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



Siebeneichen

[Illustration]



    Siebeneichen

    Roman

    aus

    dem _Alt-Meißner Land_

    von

    Gustav Hildebrand

    Mit Federzeichnungen von Josef Windisch

    [Illustration]

    Karl Voegels Verlag G. m. b. H., Berlin



Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten

~Copyright by Karl Voegels Verlag G. m. b. H., Berlin 1912~



Inhalt


    Kapitel                                             Seite

    1. Vor fünf Jahren                                      7

    2. Das Wiedersehen                                     21

    3. Frau Magdalena erlebt eine Überraschung             33

    4. Eine stürmische Ratsversammlung                     39

    5. Der Amtmann im Urteil der Bürgerschaft              53

    6. Unerwarteter Besuch im Rathaus                      63

    7. Eine große Enttäuschung                             75

    8. Zwei bewegte Unterredungen                          82

    9. Im Schatten des alten Markgrafenschlosses           98

    10. Der neue Herr                                     112

    11. Der Kurier des Herzogs                            120

    12. Benedikt Biertimpel                               128

    13. Drei Fragen                                       136

    14. Nächtlicher Besuch im Dom                         155

    15. Die Sterne schweigen                              171

    16. Wider die Brüder des heiligen Franziskus          178

    17. Das Geheimnis                                     188

    18. Die beiden roten Rosen                            200

    19. Im »Gasthof zur Dürren Henne«                     206

    20. Das Schönste, was ihr der Spielmann gesungen      221

    21. Rebbe Liebmann, der alte Jude                     229

    22. Die drei Getreuen                                 234

    23. Der Ritt nach Dresden                             255

    24. Unter den sieben Eichen                           259



[Illustration]

Erstes Kapitel

Vor fünf Jahren


Zu alten Zeiten bedeckte das heutige Sachsen dichter Wald. Näheres
über seinen damaligen Zustand wissen wir nicht. Das Land ist viel
später als der Westen Germaniens in die Geschichte eingetreten. Tacitus
verwechselte die Elbe mit der Saale, indem er diese als Hauptstrom
bezeichnete, während er die Elbe für einen Nebenstrom hielt. Der erste
römische Feldherr, der vom Rhein her am tiefsten in das unwegsame Land
der Germanen eindrang, war Drusus; er erblickte den mittleren Lauf
der Elbe. Den Boden Sachsens aber werden die Legionen der Römer wohl
niemals betreten haben.

Nach ihm näherte sich erst Germanicus wieder dem Herzen des Landes.
Seine Abberufung vereitelte das weitere Vordringen. Die Hand der
Geschichte zog sich schon wieder zurück, nachdem sie den Saum des
Schleiers kaum berührt hatte, der über diese Gegend gebreitet war.

Jahrhunderte vergingen. Da kam die Völkerwanderung. Ihr Strom riß die
an der oberen Elbe sitzenden germanischen Stämme südwestlich mit fort.
Das freigewordene Land besetzte ein slawisches Volk, die Daleminzier.
Ihrem weiteren Vordringen nach dem Westen trat das Germanentum
hartnäckig entgegen und warf die Slawen über die Saale zurück. Zur
Befestigung dieser Grenzscheide wurden längs des Stromes deutsche
Burgen errichtet.

Unter Karl dem Großen begannen dann die erbitterten Kämpfe zur
Wiedergewinnung des verlorenen Landes zwischen Saale und Elbe. Seine
Nachfolger setzten den blutigen Streit mit immer geringeren Erfolgen
fort. Zuletzt stockten die Kämpfe ganz. Streitigkeiten unter den
deutschen Stämmen und Kriege gegen andere Feinde lenkten davon ab. Nur
die der slawischen überlegene deutsche Kultur stritt friedlich weiter.

Da kam König Heinrich der Erste zur Regierung. Nach Unterwerfung
seiner Feinde und Einigung aller deutschen Stämme trieb nunmehr dieser
tatkräftige Fürst seine Reiterscharen siegreich gegen die Slawen vor.
Der Entscheidungskampf brach an, als die Daleminzier alle Streitkräfte
dicht vor der Elbe zusammenzogen und in ihre feste Burg Gana bei
Lommatzsch im heutigen Sachsen warfen. Nach zwanzigtägiger Belagerung
wurde die Feste unter großen Opfern erstürmt. Was an wehrfähiger
Mannschaft vorhanden war, mußte über die Klinge springen. Der Rest des
Slawenheeres wich über den Strom zurück. Das Land bis zur Elbe war
wieder deutsch!

Nun befestigte König Heinrich die Stromlinie durch Anlage starker
Burgen. So entstand im Jahre 928 die Burg Meißen, benannt nach dem
vorbeifließenden Bache Misni. Ihr zu Füßen erblühte der Burgflecken
gleichen Namens. An die Spitze der jungen Mark setzte König Heinrich
einen Markgrafen. Zudem wurde Meißen Bischofsitz. Der Dom wurde etwa
dreihundert Jahre danach errichtet. Arnold von Westfalen baute später
das Schloß von Grund neu auf.

Die Albrechtsburg zu Meißen wurde als eine Hochwacht des Deutschtums
gegen die andrängenden Slawen gebaut. Sie erzählt die Geschichte des
Landes von den entfernten Zeiten an, in denen das Bandum am Wurfspieß
des deutschen Häuptlings flog, bis herein in unsere Tage, wo die
weißgrüne Flagge des sächsischen Volkes auf ihren Türmen weht.

       *       *       *       *       *

Die Maiensonne schien warm auf den Marktplatz von Meißen herab.

Am Vormittag hatte hier geschäftiges Treiben geherrscht, denn es war
Markttag gewesen. Wie von alters her waren die Landleute von Zehren,
Meisa und Cölln hereingekommen, um Fleisch, Geflügel, Kraut und Obst
feilzubieten. Neben ihnen hatten Händler ihre Stände errichtet, auf
denen allerlei ausgebreitet war: Tuchballen, Schuhe von derbem Leder,
wollene Hauben und bunte Tücher. Die Hausfrauen waren von einem
zum andern gegangen, um das Gewebe der wollenen Waren sorgfältig
zwischen Daumen und Zeigefinger zu prüfen oder nach dem Marktpreis der
Lebensmittel zu fragen. Auch die liebe Jugend hatte sich wie immer
beizeiten eingestellt, das Gewirr vermehrend und den Lärm, den die
Ausrufenden und Feilschenden verursachten, durch ihr Geschrei erheblich
steigernd. Denn der junge Nachwuchs hat es zu allen Zeiten verstanden,
sich bei mancherlei Gelegenheit unnütz zu machen.

Neue Käufer hatten die mit beladenen Körben nach Hause zurückkehrenden
ersetzt, bis die Fülle der Waren allmählich arg zusammengeschmolzen
war. So war der Vormittag hingegangen. Und als gegen die Mittagstunde
die am Rathaus ausgesteckt gewesene rote Fahne weggenommen wurde, das
Zeichen, daß für die Verkäufer das Marktrecht erloschen war, hatten
diese die zurückgebliebenen Vorräte eingepackt und die Stadt zu Fuß
oder zu Wagen wieder verlassen.

Jetzt war der Marktplatz menschenleer.

An einem Hause zwischen Kirche und Burggasse lehnte ein junger Mann
und sah mit versonnenen Blicken den schreienden Spatzen zu, die um die
verstreuten Abfälle kämpften. Der Jüngling war schlank gewachsen wie
eine Haselrute, und seine feinen Glieder steckten in einem zierlich
gearbeiteten Gewand von rotem, lundischem Tuch. Das edel geschnittene
Gesicht von blasser Farbe war nur wenig gebräunt. Das weiche,
braune Haar, das bis auf den gestickten weißen Schulterkragen sich
herabkräuselte, ließ erkennen, daß der Jüngling aus einem vornehmen
Geschlecht stammen mußte. Ein schwarzsamtnes Barett, auf der linken
Seite mit einem kurzen Reiherstutz verziert, vervollständigte seinen
Anzug.

Gegenüber dem ehrwürdigen Rathaus in gotischem Stil, mit seinem
mächtigen, spitzen Dach, stand auf der andern Seite des Marktes ein
breites Haus mit reichverziertem, hohem Giebel. Es war eines der
schönsten und stolzesten Gebäude der Stadt, und sein Besitzer mußte zu
den angesehensten Bürgern Meißens gehören.

Auf diesem Hause hafteten wie gebannt die Augen des Jünglings. Er
kannte die reiche Portalbekrönung unter der sich das Bogenprofil der
kunstvoll geschnitzten Haustür etwas nach vorn neigte, verziert mit
Blumen und Früchten, die eines Meisters Hand aus dem Elbsandstein
herausgemeißelt hatte. Er kannte auch den Spruch, der um den runden
Bogen lief:

    »~Wir haben nichts mit in die Welt gebracht,
    Wir nehmen auch nichts mit hinaus!~«

Die Erinnerung des Jünglings eilte um ein paar Jahre zurück.

Draußen vor dem Lommatzscher Tor war es gewesen! Und ein strahlender
Sommertag, der ihn verlockt hatte, oben auf der Höhe zu lustwandeln.
Ach, es war ja sein letzter Tag, bevor er auf Jahre hinauszog! Seine
Augen hatten noch einmal in Wehmut an dem schönen Bilde gehangen, das
dem Beschauenden von dieser Stelle wird: -- den scharfen Umrissen
der altersgrauen Markgrafenburg mit ihren kühnen Zinnen, und auf dem
ehrwürdigen Dom mit seinen schlanken, himmelragenden Türmen, deren
Hintergrund die rebenbedeckten Weinberge des Spaargebirges bilden. Just
wie heute war die Luft ein unermeßliches Strahlenmeer gewesen. In der
Ferne, wo die Bergesgipfel dichter Wald bedeckte, waren dessen Farben
sanft in das helle, sonnendurchflimmerte Himmelsblau geflossen. Und
tief unter seinen Füßen hatte der Elbstrom gerauscht. Diese Schönheit
hatten seine Blicke durstig eingesogen, damit er Jahre hindurch von der
Erinnerung zehren könne.

Da hatte das Ohr des Schauenden plötzlich leises Kichern vernommen. Und
als er sich umgesehen, war ihm ein wunderlicher Anblick geworden: unter
dicht belaubten alten Buchen und im hohen Grase halb verborgen, hatte
ein junges Menschenkind gelegen, das ihn mit den lachenden Blicken
eines Koboldes neugierig betrachtete.

Zögernd war er näher getreten. Doch hatte ihn die Erscheinung so
überrascht, daß ihm anfänglich die Sprache versagte. Es war ein
wahrhaftes Engelsantlitz mit großen, strahlenden Augen, in das er
geschaut. Ein schwerer Kranz blonder Flechten, von denen ein sonniges
Flimmern ausging, hatte die weiße Stirn umgeben.

Endlich hatte er gesagt:

»Wer bist du? -- Bist du ein Mensch oder eine Waldfee?«

Da war das zierliche Wesen auf die Füße gesprungen, hatte vor
Ausgelassenheit in die Hände geklatscht und hell aufgelacht, daß es
geklungen, als wenn silberne Glöcklein angeschlagen würden.

»Also für eine Fee hältst du mich?« hatte sie endlich ausgerufen. »Du
bist ein possierlicher Gesell! Wie heißt denn du?«

»Bernhard,« hatte er geantwortet und schüchtern hinzugefügt: »Und du?«

»Sonnhild!« hatte sie stolz erwidert.

»Sonnhild?« war es ihm leise entfahren. »Wie könntest du auch anders
heißen als Sonnhild!«

Da hatte sie wieder gekichert. Und es war ihm noch einmal gewesen, als
ob von ihrem goldfarbenen Haar flimmernde Funken aufsprühten.

»Aber ich will heimkehren,« hatte sie gesagt, »geh' mit mir.«

Nach Kinderart sich an den Händen fassend, waren sie unter den Bäumen
dahingeschlendert. Das schöne Mädchen an seiner Seite hatte unermüdlich
geplaudert. Ihren strahlenden Augen war nichts verborgen geblieben, was
am Wege lag. Bald zeigte sie ihm einen Durchblick zwischen den dichten
Baumkronen, wo man am andern Ufer die rebenbedeckten Hügel sah, bald
wies sie auf schöne Blumen und bunte Gräser, die inmitten des üppigen
Mooses standen. Oder sie machte ihn verstohlen auf einen scheuen Vogel
aufmerksam, der unhörbar von Zweig zu Zweig hüpfte.

So hatten sie endlich die Stadtmauer erreicht. Als sie durch das
Lommatzscher Tor schritten, war hinter dem Fenster das Gesicht des
steinalten Torwarts erschienen. Alsdann waren sie durch den tief
eingeschnittenen Hohlweg zwischen dem Sankt Afrafelsen und dem
mächtigen Burgberg zur Stadt hinabgegangen. Und als endlich die
Burggasse hinter ihnen lag und sie über den Markt gingen, hatte das
Mädchen gesagt:

»Nun bin ich zu Hause. Willst du mitkommen?«

Eine Weile war er vor dem hohen Haustor mit seinem reichen
Holzschnitzwerk und den kunstvollen, schmiedeeisernen Beschlägen in
Bewunderung stehengeblieben und hatte andächtig den Spruch gelesen,
dessen verschnörkelte Buchstaben tief in den Stein gegraben waren. Dann
hatte ihn das Mädchen an der Hand in den Hausflur gezogen.

Der Hausgang stellte eine geräumige, steinerne Halle dar mit hoher
Decke, die, wie der Jüngling heute wußte, ein mächtiges Kreuzgewölbe
bildete. Die starken Bogen, die dieses gliederten, ruhten seitlich auf
herrlich gemeißelten steinernen Konsolen.

Nun hatte sie ihn über die Treppen und durch alle Gemächer des großen
Hauses geführt.

Zuerst kamen sie in die Prunkstuben im ersten Stockwerk. Hier waren die
Wände bis zur Decke hinauf mit Holzwerk getäfelt oder mit kostbaren
Tapeten geschmückt. Mannsgroße venetianische Spiegel standen in den
Ecken, feingewebte Vorhänge waren an den Fenstern aufgehängt, und
prachtvolle Teppiche schmückten die Fußböden und Wände. Auf dem
schweren Hausgerät, mit kunstvollem Schnitzwerk versehen, standen
allerlei wunderliche Kuriositäten, wie Waffen und bemalte Geräte
fremder Völker, ein ausgeblasenes Straußenei, polierte Muscheln,
kunstvoll geschnitzte Kirschkerne, Töpfe mit Bildern versehen und
marmorne Gliedmaßen, die in Italien ausgegraben sein sollten.

Des Mädchens flinke Zunge war nicht müde geworden, die Herkunft jedes
Gegenstandes zu erklären.

Hier wieder standen Becher aus gemasertem Ahornholz, daneben feine
Gläser oder Tongefäße und vielerlei Gerät von Sinn, das schon damals
den Stolz der Hausfrau bildete. Dort waren schwere Weinkannen und
breite Obstschalen, Teller, worein Figuren gegraben, hohe und
vielarmige Tischleuchter, kunstvoll verzierte Trinkgefäße und
Salzfäßlein. Und von der Decke der Stuben herab hingen messingne
Lichthalter mit sechs oder acht Dillen.

Dies alles war geschickt und sinnig aufgestellt gewesen, nach dem alten
Bedürfnis der deutschen Frauen, auch das Leblose gemütlich herzurichten.

Das Mädchen hatte des Jünglings wachsendes Erstaunen beobachtet und
sich heimlich daran gefreut.

»Ist es bei dir zu Hause nicht ebenso?« hatte sie gefragt.

»So sieht es wohl nur bei reichen Bürgern aus,« war seine Antwort
gewesen.

»Ja, bist du denn kein Bürgerkind?« war es der Erstaunten entfahren.

Da hatte er gefühlt, wie zum erstenmal ein flüchtiges Lächeln auf sein
ernstes Gesicht getreten war, als er kurz erwiderte:

»Nein, das bin ich nicht.«

Dann war ihm im nächsten Stockwerk auf dem Treppenabsatz eine
Handspritze gezeigt worden, neben einem großen Wasserfaß, und eine
Anzahl Feuereimer, die an der niedrigen Decke hingen, ferner eine alte
Rüstung, gekrönt mit einem zerhauenen Streithelm. Auch eine mächtige
Lade stand dort, über der ein Pirschrohr hing samt der Pulverflasche.

In einer der Schlafstuben war ihm ein übergroß, gelb Himmelbette
aufgefallen, zu dem eine Trittleiter hinaufführte, und in der Küche
glänzten an der Wand kupferne Kessel und Schüsseln, Bratspieße, Pfannen
und Wärmflaschen.

Hier hatte eine alte Frau auf den Knien gelegen und den Fußboden
gescheuert. Sie war dürr wie ein Zaunstecken, und in dem strengen
Gesicht saß eine spitzige Nase.

»Was für ein fremdes Gesicht ist das?« hatte sie mürrisch gefragt.

Noch bevor er hatte antworten können, war das Mädchen der Frau auf den
Rücken gesprungen und hatte ihr die Arme um den Hals geschlungen. Da
war die Alte böse geworden und hatte versucht, das Kind abzuschütteln.
Aber in der keifenden Stimme war soviel Zärtlichkeit gewesen, daß
niemand die Entrüstung hätte ernst nehmen können. Bis endlich der
Schelm von der Alten gelassen und ihn wieder aus der Küche gezogen
hatte.

»Das ist unsere Hanne,« hatte sie erklärt.

Darauf waren sie durch Kammern gegangen, in denen Wolle hochgestapelt
war.

»Dort ist die Werkstatt.« Mit diesen Worten hatte das Mädchen auf eine
Tür gezeigt. Und als er sich umgeschaut, war in der offenen Tür die
hohe Gestalt eines Mannes erschienen, der das Mädchen geliebkost und
seinen Wildfang genannt hatte.

»Wie heißt du?« hatte ihn der Mann gefragt.

»Bernhard.«

»Und wer ist dein Vater?«

»Ernst von Miltitz!«

»Soso,« hatte da der Mann langsam erwidert, »also des Herzogs
Hofmarschall ist dein Vater.«

Damit war die Tür zugefallen, und die beiden Kinder waren wieder allein
gewesen.

»Wer war dieser Mann?« hatte er gefragt.

Da hatte sie gelächelt.

»Das weißt du nicht? Das war mein Vater, Georg Waltklinger, -- der
Burgemeister der Stadt!«

An uralten, geschnitzten Truhen vorbei, waren sie alsdann auf die
hölzerne Galerie getreten, die in jedem Stockwerk rund um den Hof lief
und Lustgänglein hieß. Hier saß eine Magd und schabte Möhren, und die
alte Hanne hängte Wäsche auf die Leine.

Nun gingen sie wieder in das Haus zurück, und das Mädchen ergriff wie
draußen im Wald seine Hand und lief mit ihm treppauf, treppab und durch
vielerlei Gelasse, deren Decken von starken Balken getragen wurden.

Der Jüngling empfand noch heute den unauslöschlichen Eindruck, den
das alte Haus mit seinen breiten Treppen, den Kreuzgewölben, den
eisenbeschlagenen Türen und den geheimnisvollen, dunklen Winkeln und
vergitterten Fenstern auf ihn gemacht.

In einer der Stuben war er plötzlich stehengeblieben und hatte das Kind
gefragt:

»Was ist das für ein gemalet Bildnis dort über der Stubentür? Wer ist
dieser Mann, der mit so klugen Augen herabschaut?«

Daraufhin hatte das Mädchen mit mitleidigen Blicken geantwortet:

»Die alte Hanne schilt mich oft unwissend. Ich glaube aber, Bernhard,
du bist es noch mehr als ich. Dieses Bildnis ist das des Doktors Martin
Luther!«

Da war er aufgefahren:

»Derselbe Mann, der von Wittenberg aus die abscheuliche Lehre
verbreitet, so gerichtet ist wider die hohen Sakramente der heiligen
Kirche?«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als das Mädchen mit funkelnden
Augen dicht vor ihn getreten war.

»Du bist hier in einem gut lutherischen Hauses,« hatte sie schroff
gesagt. »Und wenn wir Freunde bleiben wollen, darfst du niemals wieder
so garstig sprechen!«

Darauf war er still gewesen, da er nicht wußte, was er hätte entgegnen
sollen.

»Es ist Abend geworden, nun muß ich heimkehren,« sagte er endlich.

Da war sie bereit, ihn zu begleiten.

Die Sonne war mittlerweile tief hinabgesunken, und ihre Strahlen
vergoldeten nur noch die obersten Simse und Fenster der alten Häuser
am Markt. Auf den Gassen war es lebhafter geworden. In den Häusern
bereiteten die Hausfrauen das Nachtmahl, und die Männer saßen
nach vollbrachtem Tagewerk vor den Türen und plauderten mit den
Vorübergehenden oder mit dem Nachbar drüben über der Gasse.

Er war mit dem Burgemeisterskind langsam die Fleischgasse
hinabgeschritten, beim Hundewinkel vorbei und durch das Fleischtor ins
Freie. Kaum daß ein Erwachsener ihrer sonderlich geachtet.

»Es ist bald Sonnenuntergang,« hatte das Mädchen draußen gesagt. »Daß
ich nicht den Torschluß versäume!«

»Wie alt bist du?« hatte er sie gefragt.

»Zwölf Jahre. Und du?«

»Dreizehn.«

Mit einem Male war sie ihm entsprungen, nachdem sie noch den Letzten
auf seine Schulter geschlagen. Aber im Nu war er hinterdrein gewesen
und hatte sie gefangen und aus Übermut umschlungen. Und da sie
sich lebhaft dagegen gewehrt, waren sie zusammen auf die Wiese
gefallen, gerade am abschüssigen Uferrand der Triebisch. Zwar hatte
er die Umarmung rasch gelöst, doch zu spät. Sie waren den Abhang
hinabgekollert. Am Rande des Baches hatten sie sich aufgesetzt und über
das kleine Abenteuer lustig gelacht. Bis das Mädchen plötzlich gemeint:

»Nun muß ich aber heimkehren. Wollen wir morgen wieder zusammen
spielen?«

Aber er hatte wehmütig den Kopf geschüttelt und gesagt:

»Morgen in aller Frühe muß ich nach Dresden.«

»Kommst du bald wieder?« hatte sie gefragt.

»Nein,« war die Antwort gewesen, »ich bleibe dort auf Jahre.«

Und als sie ihn ungläubig angesehen, hatte er hinzugesetzt:

»Meine Eltern wohnen in Dresden. Ich bin nur für einige Wochen auf
unserem Schlosse Siebeneichen gewesen. Ich werde an des Herzogs Hof
erzogen.«

»O, du Armer!« hatte das Mädchen ausgerufen und ihn mitleidig
angesehen. Aber schon war in ihrem Auge der Schalk wieder aufgeblitzt,
und sie war eben im Begriff gewesen, ihn anzuschlagen und davon zu
eilen, als er die Hände der neben ihm Sitzenden ergriffen und gefragt
hatte:

»Ich habe heute deine Mutter ja nicht gesehen? Wo ist sie gewesen?«

Da hatte sie ihn ernst betrachtet.

»Hättest du sie gern gesehen?«

»Ja,« hatte er geantwortet, »du mußt eine recht gute Mutter haben.«

»Du bist ein lieber Junge, Bernhard,« hatte sie leise erwidert. »Habe
Dank für deine freundlichen Worte. Meine Mutter ist seit vielen Jahren
tot. Der Vater sagt, sie sei schon auf Erden ein Engel gewesen.«

Und wie sie das sprach, war ein schmerzlicher Zug in ihr liebliches
Gesicht getreten. Doch hatte sie die Rührung bald niedergekämpft und
ihn gefragt:

»Werden wir uns einmal wiedersehen?«

»Ganz bestimmt!« hatte er versichert.

Dabei war es ihm, als ob seine Augen feucht geworden. Beschämt hatte
er sich abgewandt, als das Mädchen plötzlich die Arme um seinen Hals
schlang und mit ihren Lippen flüchtig seinen Mund berührte. Alsdann war
sie in Verwirrung aufgesprungen. Und als er neben ihr gestanden, hatte
er gesehen, daß sie dunkelrot geworden war.

Da hatte er ihre Hand genommen und deutlich empfunden, wie auch ihm die
helle Röte in die Schläfen schoß.

Endlich war es von seinen Lippen gekommen:

»Sonnhild -- -- ich werde dich nie vergessen!«

»Lebe wohl, Bernhard!« hatte sie gesagt.

»Lebe wohl, -- Sonnhild!« hatte er erwidert und ihre Hand losgelassen.

Noch einen langen Blick, -- dann war das Mädchen gegangen. Vor dem
Stadttor war sie stehengeblieben und hatte sich noch einmal umgesehen.
Ihre großen Augen waren voll Traurigkeit gewesen. Und die reichen
Haarflechten, die das Kindergesicht einrahmten, hatten im Schein der
untergehenden Sonne geleuchtet. Eine Sekunde später verschwand ihre
lichte Gestalt in dem alten Tor.

Da hatte auch er sich umgewandt und war langsam nach Siebeneichen
zurückgekehrt.

[Illustration]



[Illustration]

Zweites Kapitel

Das Wiedersehen


Der Jüngling sah noch immer mit träumenden Blicken über den
sonnenbeschienenen Marktplatz. Wie oft hatte er nicht an dies alles
gedacht! Aber so frisch wie heute waren die Farben des herrlichen
Bildes nie gewesen, wenn es in seiner Erinnerung heraufgestiegen. Fünf
Jahre waren darüber hingegangen. Heute mußte sie siebzehn zählen, und
er war achtzehn. Wie tief dieses Erlebnis doch in seinem Herzen haftete!

Noch immer zankten sich die Sperlinge um die verstreuten Körner. Aus
dem Ratskeller trat der behäbige Schenkwirt. In jeder Hand hielt er
einen großen Biersterz, gefüllt mit Wasser. Er schwenkte die hölzernen
Gefäße sorgfältig aus und verschwand alsdann wieder hinter der Tür.

Zur Rechten des Jünglings, dicht vor der Frauenkirche, befand sich auf
dem Markt ein Brunnen. Den Rand des weiten Beckens zierten steinerne
Figuren. In der Mitte stand auf einer Säule ein Löwe, aus dessen Rachen
das Wasser in einem starken Strahl hervorschoß. Die Augen des Jünglings
glitten an dem Brunnen vorbei und blieben wieder auf dem Bürgerhause
haften.

Was mochte aus dem lieblichen Burgemeistertöchterlein geworden sein!
Wie breit und ruhig das Haus doch dastand. Die vielen blanken Fenster,
die vorgekragten Stockwerke, die schwindelnden Simse des hohen
Giebels! Trotzig und herausfordernd sah es aus. Und stolz! Freilich,
es gehörte doch auch einem der angesehensten Geschlechter der Stadt.
Kein Geringerer als Georg Waltklinger, der reiche Tuchmacher und
Burgemeister, war sein Besitzer.

Und das deutsche Handwerk -- das wußte der Jüngling -- mit seinen
Innungen und Gilden, der deutsche Bürgerstand, befanden sich ja gerade
gegenwärtig in ihrer glanzvollsten Zeit.

Der Jüngling wandte sich ab. Aber bald gingen seine Augen von neuem
zu dem Hause zurück. Er betrachtete das breite Tor mit seinen großen,
schmiedeeisernen Klopfern, und auf sein bleiches Gesicht stahl sich der
alte träumerische Ausdruck.

Da lief plötzlich ein Zittern über des Jünglings Gestalt und mit
einem Ruck richtete er sich straff auf. Dazu blickte er angestrengt
nach der Tür hinüber. War ihm nicht gewesen, als wenn er durch den
offenen Flügel in dem dunklen Hausgang etwas Helles hatte schimmern
sehen? Vielleicht ein weißes Gewand? Mit verhaltenem Atem sah er hin.
Da erschien eine Frauengestalt auf der Schwelle, die aber sogleich
wieder in das Haus zurücktrat, wohl deshalb, um eine noch rechtzeitig
entdeckte Unordnung an ihrem Kleide zu beseitigen.

Wie ein Wirbelwind war der Jüngling über den Platz hinweggeeilt und
stand nun klopfenden Herzens vor der offenen Tür. Er schaute mit den
geblendeten Augen unsicher in den dämmrigen Hausflur hinein. Da
gewahrte er in der Mitte des weiten Raumes ein junges Mädchen von
hoher Schönheit. Sie trug ein feines, schneeweißes Linnengewand, das
ein ärmelloser Überrock von blauem Tuch, mit goldenen und kristallenen
Knöpfen verziert, bedeckte. Der Hals war bloß, und unter dem Ausschnitt
war ein breiter Rand der köstlichen Leinwand zu sehen.

Wie gebannt sah der Jüngling auf die lichte Gestalt. Da unterschied
er die feinen Züge, ein Paar große, blaue Augen und eine überreiche
Fülle leuchtenden Haares, das sich unter dem Hute vordrängte. »Sie
ist es!« rief in ihm eine Stimme, und er fühlte, wie ihm das Blut zu
Kopfe drang. Sein Herz schlug stürmisch. Was er in diesen fünf Jahren
geträumt und was er heiß ersehnt, hatte sich in dieser Stunde erfüllt.
Er stand wieder vor ihr!

Heimliches Bangen und heller Jubel tönten in seiner Stimme, als er
fragte:

»Sonnhild! -- -- -- kennst du mich wieder?«

Darauf blieb es beklemmend still in dem steinernen Gewölbe der
Hausflur. Die beiden jungen Menschen standen sich stumm gegenüber. Das
Gesicht des Mädchens zeigte große Überraschung, die aber bald durch
den Ausdruck lebhaften Unwillens verdrängt wurde. Wie konnte es dieser
fremde Mann wagen, sich ihr so gegenüber zu stellen? Tiefe Entrüstung
flammte in ihren Augen auf und in dem stolzen Zurückwerfen des feinen
Kopfes lag eine strenge Zurechtweisung.

Die Augen des Jünglings hatten während dieser Zeit voll Spannung auf
dem schönen Mädchen geruht. Jetzt empfand er, wie seine vertrauliche
Begrüßung sie erzürnt hatte. War sie darüber entrüstet, daß er
es wagte, sich ihr zu nähern, weil sie als Kinder einmal zusammen
gescherzt hatten? Oder hatte sie ihn vergessen? Die Freude über das
Wiedersehen hatte ihn fortgerissen, -- unter dem zürnenden Blick des
in seinem Stolze verletzten Mädchens erhielt er jedoch die verlorene
Beherrschung rasch wieder.

Und so nahm er denn nach ritterlichem Brauch das Sammetbarett vom
Kopfe, verneigte sich tief und mit feinem Anstand und sprach in
ehrfurchtsvollem Tone:

»Mit Gunst, edle Jungfrau! Erinnert Ihr Euch meiner nicht mehr?«

Kaum hatte der Jüngling diese Worte gesprochen, als mit dem Mädchen
eine rasche Veränderung vorging. Sie betrachtete sinnend seinen jetzt
unbedeckten Kopf, als wenn sie in der Erinnerung ein Erlebnis aus
früherer Zeit suche. Auch der Klang der Stimme schien ihr bekannt wie
ein alter, lieber Freund. Der Jüngling sah, wie sich die Augen des
Mädchens halb schlossen und wie sich ihr Kopf beim Nachdenken ein wenig
neigte.

Da sah sie auf, und den Bangenden traf aus ihren großen Augen ein
warmer Blick. Und er vermeinte, den süßen Klang der Stimme des
jubelnden Kindes von einst wieder zu hören, als sie rief:

»Bernha...!«

Aber schon verstummte sie wieder, und auf ihr Gesicht trat der Ausdruck
hoher Verlegenheit. Sie suchte sich zu fassen und sagte endlich, die
Silben scharf trennend:

»Junker von Miltitz ...«

Der aber trat an sie heran und fragte:

»So erinnert Ihr Euch meiner wirklich noch, Jungfrau?«

Das Mädchen neigte die feine Stirn.

»Daß Ihr so groß geworden, machte Euch mir fremd. Aber wie sollte ich
Eurer vergessen, Junker?«

Da traf sein Auge das ihrige warm und innig, daß sich der Blick des
Mädchens herabsenkte. Gleichzeitig schlug eine dunkle Röte in das
liebliche Gesicht und färbte dieses bis unter die weichen Wellen des
blonden Haares purpurn.

»Hier im Hausgang kann unseres Bleibens nicht länger sein,« sagte sie
hastig. »Auch auf den Gassen darf man uns nicht beisammen sehen. Ihr
wißt, Junker, -- unsere Väter! Geht deshalb; ich folge Euch! Droben auf
dem Plossenberg mögt Ihr meiner warten!«

Damit wandte sie sich um und ging tiefer in den Hausflur zurück. Der
Jüngling aber trat ins Freie und schlug den Weg nach dem Fleischtor
ein. Die grell scheinende Sonne blendete ihn anfänglich, daß er die
Hand schützend über die Augen legen mußte.

Unwillkürlich sann er darüber nach, welcher Sinn in den letzten Worten
des Mädchens gelegen hatte. Man dürfe sie nicht zusammen sehen! Nun
ja, Bürger und Adel vertragen sich seit langem nicht. Und er wußte,
daß gerade gegenwärtig die Spaltung zwischen ihnen größer war denn je.
Besonders die Reichen unter den Bürgern waren voll Erbitterung. Ja,
einzelne Geschlechter der Städte waren mit adligen Familien tödlich
verfeindet.

Doch bald wurden diese Gedanken von freundlicheren verdrängt. Er hatte
sie wiedergesehen! Die Sehnsucht fünf langer Jahre war erfüllt! Das
Mädchen war sein schönster Traum gewesen!

Bernhard von Miltitz rief sich noch einmal zurück, wie er ihr vorhin
gegenüber gestanden. Dieses leuchtende Auge! Das glänzende Haar! Das
liebliche Gesicht! Und dazu der Jubel in der Stimme! -- Alles wie
einst! Und wie schön sie geworden war! Und mit wieviel Freundlichkeit
sie sich seiner erinnerte ... »Sonnhild!« flüsterte er.

Bald hatte er das Stadttor und den schmalen Steg über die Triebisch
hinter sich. Dann ging er auf der Straße weiter, die durch Wiesen und
Felder hinauf auf den Plossenberg führte. Oben angekommen, setzte er
sich ins weiche Gras und lehnte den Rücken gegen den breiten Stamm
einer mächtigen Birke, deren herabhängende, saftiggrüne Zweige ihn fast
berührten. So richtete er den Blick die Straße hinab. Aber bald sah
er nichts mehr von seiner Umgebung, sondern überließ sich willig den
Träumereien, die ihn erfüllten.

Da wurde er von seinem Nachdenken aufgescheucht, eilende Tritte auf der
Straße drangen an sein Ohr. Und wie er aufsah, erkannte er Sonnhild.
Sie hatte ihn schon von weitem bemerkt und winkte ihm aus der Ferne zu.

Nach wenigen Minuten war sie bei ihm, und nun gingen sie langsam die
Straße weiter. Anfänglich waren sie so beklommen, daß keines von ihnen
ein Wort sprechen konnte.

Allmählich aber kamen sie ins Plaudern und sagten sich gegenseitig, wie
sich jeder von ihnen doch so verändert habe. Fünf Jahre seien freilich
hingegangen; eine lange Zeit, fünf Jahre! Und nun verlor Sonnhild die
Befangenheit und erzählte von ihren Erlebnissen während dieser Zeit.

Bernhard von Miltitz ging in Entzücken versunken neben dem schönen
Mädchen her. Ihre liebe Stimme hatte er, ach, wie viele Male, in der
Erinnerung erklingen lassen. Jetzt hörte er sie wieder! Sie tönte ihm
wie die Melodie eines alten Liedes aus den Tagen der Kindheit. Und wenn
das Mädchen lachte, drang ihm der Wohllaut ihrer Stimme tief ins Herz.

»Nun, Junker,« rief Sonnhild, »berichtet Ihr einmal, wie es Euch in all
den Jahren ergangen ist!«

Und er erzählte dem aufhorchenden Kinde von dem Leben in der
herzoglichen Residenzstadt, von den glänzenden Festen bei Hofe und von
seinen weiten Reisen, die er gemacht. Denn in Begleitung seines Vaters
hatte er bereits Prag, Leipzig und Erfurt gesehen.

Dabei blickte er von Zeit zu Zeit verstohlen zu ihr auf. Das reine
Profil ihres Gesichts, der entzückende Ansatz des in einer edlen Linie
verlaufenden Halses, die feinen Nasenflügel und die niedlichen rosigen
Ohren! Er konnte sich an all diesem Schönen nicht sattsehen. Und wenn
er etwas Lustiges sprach, daß sie lachte, dann öffneten sich ihre
roten, vollen Lippen, und die beiden Reihen herrlicher Zähne wurden
sichtbar.

Plötzlich blieb Bernhard stehen.

»Hier führt ein lauschiger Weg durch den Wald nach Siebeneichen. Laßt
uns ihn einschlagen, Jungfrau.«

Langsam und dicht nebeneinander verfolgten sie den schmalen Weg.
Die Sonnenstrahlen drangen durch die Baumkronen und fingen sich in
Sonnhilds Haar, von dem sie den Hut genommen hatte. Und es schien dem
Jüngling, als wenn blitzende Funken daraus hervorsprängen.

Bernhard von Miltitz setzte seinen Bericht fort. Ab und zu warf das
Mädchen eine klug gestellte Frage ein, den Jüngling dergestalt zum
Weitersprechen ermunternd. Bernhard fand Gefallen an dem Interesse
seiner lieblichen Zuhörerin. Er ging aus seiner natürlichen
Zurückhaltung unwillkürlich heraus, und sein blasses Gesicht bekam den
Anflug einer feinen Röte. Bis mit einem Male Sonnhild fragte:

»Junker, wie alt ist Eure Familie eigentlich?«

»Das Geschlecht der Miltitz,« antwortete der Jüngling, »wird im Jahre
1186 zum ersten Male genannt. Es ist also fast ebenso alt,« fuhr er mit
bescheidenem Stolze fort, »wie die Wettiner als erbliche meißnische
Fürsten. Die Geschichte meiner Vorfahren ist mit der ihres Landes eng
verknüpft. Durch die Jahrhunderte haben sie den Markgrafen treu gedient
und allzeit die höchsten Ämter verwaltet. Vor wenigen Jahren kaufte
mein Vater unsern heutigen Stammsitz und ließ das Schloß Siebeneichen
errichten. Nun steht es hoch auf dem Berge, nahe dem Elbstrom, und
seine Mauern und Türme sind weithin sichtbar. Mögen die beiden Namen
Miltitz und Siebeneichen fest miteinander verbunden bleiben, -- so Gott
will, für alle Zeiten!«

Sonnhild hatte diesen Worten mit Aufmerksamkeit gelauscht. Nun fragte
sie:

»Sagt mir doch, Junker, woher kommt der Name Siebeneichen?«

»Die Eiche,« antwortete Bernhard, »durfte nach dem Baumkultus der
Germanen nicht von jedem Markgenossen geschlagen werden. Sie stand
unter den geheiligten Bäumen obenan. Unter ihr wurden Opfer gebracht
und Gottesurteile gesprochen. Die sieben Urteiler saßen rund im Kreise
unter den Bäumen; in ihrer Mitte thronte der Richter auf einem Stein
oder Hügel. Eine solche Gerichtsstätte mag sich zu alten Zeiten auf
unserm Berge befunden haben. Die noch heute vor dem Schlosse stehenden
sieben Eichen verkünden dies.«

Hier schwieg der Jüngling und blieb stehen. Und als Sonnhild aufsah,
bemerkte sie eine hohe Mauer, an der sich Efeu hinaufrankte.

»Wir haben Siebeneichen erreicht,« sagte Bernhard. »Möchtet Ihr in
seinem weiten Schloßpark nicht einmal lustwandeln, edles Fräulein?«

Sonnhild sah ihn erfreut an.

»So Ihr es erlaubtet, Junker, tät ich es recht gern!«

Bernhard lächelte befriedigt.

»Dort ist das Tor,« sprach er, »treten wir ein.«

Der ausgedehnte Park prangte in der herrlichsten Frühlingspracht. Unter
den hohen Bäumen führte ein Netz von Wegen an herrlichen Blumenbeeten
vorüber bis in die entferntesten Teile. Weite Flächen saftiggrünen
Rasens wechselten mit dichtbewachsenen Laubengängen, und hinten an der
Mauer befanden sich, von fast undurchdringlichem Blattwerk umgeben,
lauschige Winkel.

Sonnhild brach wiederholt in Ausrufe des Entzückens aus. Diese
Schönheit hatte sie noch nicht gesehen! Und sie bedauerte, daß in der
engen Stadt die Anlage selbst eines kleinen Gartens nicht möglich sei.

Jetzt dauerte es auch nicht mehr lange, bis das Mädchen die bisher
bewahrte Zurückhaltung vergaß. Flüchtigen Fußes entlief sie ihm, daß
der Jüngling Mühe hatte, sie zu fangen. Dann wieder war sie plötzlich
verschwunden, und Bernhard von Miltitz sah ihr helles Kleid zwischen
den grünen Laubengängen schimmern, bis sie ein gutes Versteck gefunden
hatte. Nun ging er ans Suchen.

Obwohl er alle verschwiegenen Winkel des Parkes genau kannte, tat er
doch so, als bereite es ihm Mühe, sie zu entdecken. Absichtlich lief er
einige Male dicht an ihrem Versteck vorüber, selbst ihr leises Kichern
überhörend. Und wenn er das verborgene Plätzchen endlich erreichte und
die dicht verschlungenen Ranken auseinanderbog, dann sah er das Mädchen
niedergeduckt auf dem Erdboden, und ihre lachenden Augen waren auf ihn
gerichtet. Bis sie mit einem Freudenruf aufsprang und jubelte:

»Nein, Junker, wie schön es hier doch ist!«

So wiederholte sich das anmutige Spiel oft, ohne daß eines von ihnen
merkte, wie rasch der Nachmittag verging.

Als aber die Schatten der Bäume immer länger wurden, erklärte Sonnhild,
heimkehren zu müssen. Und Bernhard von Miltitz erkannte, wie sich die
Freude des Mädchens dämpfte und leises Bedauern sie erfüllte.

»Ich bringe Euch bis zum Plossenberg zurück, Jungfrau,« sagte er
tröstend. Damit führte er sie zum Park hinaus wieder auf den schmalen
Waldweg den sie gekommen. Und da dieser Pfad eben recht eng war und sie
doch zu zweien bleiben wollten, mußten sie dicht nebeneinander gehen.
So kam es, daß sich ihre Hände wiederholt berührten. Bis mit einem Male
Bernhard ihre weiche Hand ergriff und festhielt.

Bei dieser Berührung schreckte das Mädchen zusammen, und ihr
sprudelndes Plaudern stockte für einen Augenblick. Doch sie entzog
ihm die Hand nicht. Als sie aber nach einer kleinen Weile fühlte, wie
sich der Arm des jungen Mannes leise in den ihrigen legte, schwieg
sie plötzlich. Eine dunkle Röte flammte in dem lieblichen Gesicht der
Jungfrau auf, und ein langer, flehender Blick aus ihren großen Augen
traf ihn.

Da bemächtigte sich auch des Jünglings tiefe Verwirrung. Er preßte
ihren Arm sanft an sich, und es klang wie eine Bitte, als er den Mund
zu ihrem Ohre neigte und so leise flüsterte, als ob selbst die Vögel
des Waldes es nicht hören sollten:

»Sonnhild!«

Das Mädchen schwieg. Und da auch Bernhard die Unterhaltung nicht wieder
aufnahm, legten sie das letzte Stück Wegs stumm zurück. Die Verwirrung,
die sie nicht verlassen wollte, spiegelte sich in den Gesichtszügen der
beiden jungen Menschen ab.

Bevor sie aus dem Wald auf die Straße traten, zog Sonnhild ihren Arm
sanft aus dem des Jünglings, strich mit den Händen ein paarmal über die
schweren, glänzenden Zöpfe und setzte den Hut wieder auf.

»So,« sprach sie und blieb stehen, »nun müssen wir Abschied nehmen!
Habt vielen Dank, Junker, für Eure freundliche Begleitung und für die
kurzweilige Unterhaltung, die Ihr mir geboten.«

Bernhard von Miltitz wehrte ab.

»Sprecht nicht also, Jungfrau! Ihr gabt mir ebensoviel, wie Ihr meint,
empfangen zu haben. Nehmt auch Ihr vielen Dank!«

Hierauf legte Sonnhild ihre weiße Hand für einen Augenblick in die
seine und wandte sich zum Gehen.

»Wollen wir uns nicht wiedersehen, Jungfrau?« kam es bestürzt von
Bernhards Lippen.

»Doch, Junker, wenn Ihr mögt ...«

»Ob ich wollte? Könnt Ihr so fragen? Schon morgen am liebsten ...«

»Nein,« entgegnete sie bestimmt, »nicht morgen. Aber nach drei Tagen,
von heute an gerechnet, just um dieselbe Stunde.«

»Und wo?«

Sonnhild sann nach.

»Jungfrau, laßt uns wieder dahin gehen, wo ich einst wähnte, eine
Waldfee zu erblicken.«

Sonnhild ließ leise ihr wohlklingendes Lachen hören.

»Sei es, Junker. Also, lebt wohl -- bis dahin!«

»Auf fröhliches Wiedersehen, Jungfrau!«

Bernhard von Miltitz zog das Barett und verneigte sich. Dann schritt
Sonnhild den Berg hinab, während der Jüngling den Waldweg wieder
zurückging.

[Illustration]



[Illustration]

Drittes Kapitel

Frau Magdalena erlebt eine Überraschung


In dem Erker des Turmzimmers im Schlosse Siebeneichen saß Frau
Magdalena von Miltitz. In ihrem Schoß lag ein Kleid von grauem Leinen,
an dem sie eifrig nähte.

Die Schloßherrin von Siebeneichen war eine große, schöne Frau von noch
nicht fünfzig Jahren. Ihre Gesichtsfarbe war ein blühendes Rot, und in
das braune Haar hatte sich noch kein einziger Silberfaden gestohlen.
Deshalb hielt man sie allgemein für jünger. Sie war eine kluge und
entschlossene Frau, die ihre Pflichten im Hause vortrefflich ausübte
und die von ihrem Gatten als eine verständige und liebevolle Ehegattin
hoch geschätzt wurde.

Frau Magdalena war eine geborene Pflug. Ihr Vater war der angesehene
Herr auf Zabeltitz, Heinrich Pflug. Derselbe, der einmal auf die
Frage, warum er das Wörtchen »von« doch nie vor seinen Namen setze,
geantwortet:

»Warum das? Die Pflugs gehören zu den vier Prinzipalgeschlechtern des
meißnischen Heldenadels und wurden immer an erster Stelle genannt. Das
weiß jedes Kind!«

Der Stolz des Vaters hatte sich auf die Tochter vererbt. Zwar war sie
weit davon entfernt, hochmütig zu sein. Aber tief im Herzen fühlte sie
die heimliche Freude, einem uralten, hochgeachteten Adelsgeschlecht zu
entstammen.

Frau Magdalena ließ das Kleid sinken. Und während die fleißigen Hände
einmal ruhten, schweifte ihr Blick zum Fenster hinaus. Tief unten
rauschte die Elbe. Am jenseitigen Ufer stiegen hohe Weinberge empor,
hinter denen sich das Land in einer weiten Ebene verlor. Ihre Augen
glitten achtlos über das schöne Bild hinweg; sie dachte an ihren Sohn
Bernhard. Seine älteren Brüder weilten draußen in der Welt, er, der
Jüngste, war ihr verblieben. Dazu hatte er ihrem Mutterherzen heimlich
immer am nächsten gestanden. Denn dieselben Eigenschaften, die sein
Vater besaß, zeigten sich auch bei ihm recht deutlich.

Schon während seiner Kindheit war der hervorstechendste Zug ihres
Jüngsten die Ritterlichkeit gewesen. Mit heimlicher Freude hatte sie
immer beobachtet, wie der Knabe sich bemühte, gegen seine Mutter artig
und zuvorkommend zu sein. Und als er noch nicht den Kinderschuhen
entwachsen war, zeichnete er sich durch selbstbewußte Höflichkeit gegen
Frauen vor allen Altersgenossen aus. Auch die vornehme Gesinnung des
Vaters hatte er geerbt, und dessen ruhiges Wägen, bevor er handelte.

Freilich wußte Frau Magdalena, daß Bernhard auch die Schwächen seines
Vaters besaß: den zuweilen aufflammenden Zorn und die trotzige
Beharrlichkeit, die keine Strenge beugen konnte.

Da schreckte sie aus ihrem Nachdenken auf. Draußen hatten hastige
Schritte geklungen. Und wie sie den Blick nach der Tür richtete, trat
Bernhard ins Zimmer. Frau Magdalena erkannte alsbald, daß ihn etwas
bewegte. Seine sonst blassen Wangen waren von einer leichten Röte
verfärbt.

Bernhard von Miltitz besaß für seine jungen Jahre ein großes Maß von
Beherrschung. Mit dem vollendeten Anstand eines Jünglings aus edlem
Geschlecht begrüßte er seine Mutter. Als er sich jedoch zum gewohnten
Handkuß vor ihr verneigen wollte, umschlang sie ihn, und er fühlte ihre
Lippen auf seiner Stirn. Das machte ihn betroffen, denn er wußte, daß
solche Beweise von Zärtlichkeit bei seiner Mutter selten waren.

Frau Magdalena hatte die Hände an des Sohnes Schläfen gelegt und sah
ihm liebevoll ins Gesicht. Und bevor sie ihn freiließ, küßte sie ihn
noch einmal.

Dieser Ausdruck von mütterlicher Liebe stimmte Bernhard weich, daß er
plötzlich den Drang empfand, mit seiner Mutter von dem zu sprechen, was
sein Herz erfüllte. Und so begann er denn mit stockenden Worten:

»Mutter, heute nachmittag bin ich mit einem fremden Fräulein in unserm
Park gelustwandelt ...«

Frau Magdalena horchte auf.

Da fuhr er schon im Sprechen fort. Aber jetzt kam der Redefluß leicht
von seinen Lippen:

»Ein vornehmes Fräulein, lieblich, zierlich und anmutig zugleich.
Keine, die ich je sah, glich ihr! Ihr Antlitz ist süß, wie das der
heiligen Maria, und ihre Gestalt zart, wie die eines jungen Rehs. Und
ihr Fuß, ihr kleiner, schmaler Fuß, liebe Mutter, ist so gewölbt,
daß sich ein Vöglein darunter verstecken könnte ...« Hier brach die
Schilderung jäh ab, und eine dunkle Röte bedeckte das Gesicht des
Sprechers.

Frau Magdalena war vor Überraschung sprachlos. War das ihr Sohn
Bernhard, der jungfräuliche Reize so beredt schildern konnte? Ihr
Jüngster von dem sie wußte, daß er es wohl verstand, Frauen ritterlich
zu dienen, dessen junges Herz aber, wie sie wähnte, von kühler
Gelassenheit beherrscht wurde?

»Du verstehst dich ja meisterlich darauf,« versetzte sie endlich, »die
Schönheit junger Fräulein zu rühmen! Aber sag' mir doch vorerst, wer
ist denn dieses Mädchen?«

Bernhard war an eines der hohen Erkerfenster getreten und sah,
scheinbar gefesselt von dem Fernblick, hinaus. Er kämpfte sichtlich mit
einer leichten Verlegenheit. Deshalb wandte er sich auch nicht um, als
er antwortete:

»Sie ist ein Meißner Bürgerkind, Mutter.«

»Ich dachte es schon,« versetzte diese. »O ja,« fuhr sie nach kurzem
Schweigen fort, »die Bürgersleute von Meißen sind sehr achtbar, und sie
werden ihr Kind sicherlich ebenso vortrefflich erzogen haben, wie du
es anmutig findest. Der Stolz der Bürger, solange er nicht zur Hoffart
wird, ist wohlbegründet in ihrer Tüchtigkeit. Aber sieh, Bernhard, wir
gehören nun einmal nicht zu ihnen, und sie mögen uns auch gar nicht zu
den ihrigen zählen. Wie heute die Verhältnisse liegen, sollen Adel und
Bürgertum hübsch voneinander bleiben. Und, lieber Sohn, der Frieden
im Herzen einer Jungfrau ist sehr bald gestört. Hüte dich davor! Was
du als ritterliche Aufmerksamkeit betrachtest, wird leicht anders
gedeutet. Ein gesittetes Bürgermädchen aber mit schönen Worten zu
betören, danach, mein lieber Bernhard, wird es dich nicht verlangen.«

Der Jüngling wandte sich hastig um.

»Nimmermehr!« rief er. »Ich bin ein Miltitz und werde immer nur das
tun, was mein Gewissen gutheißt. Dürfte aber die Kluft zwischen
Bürger und Adel ein Hindernis für die Vereinigung zweier Herzen sein?
Verstieße solches, so man es verlangte, nicht gegen die göttlichen
Gebote?«

Diesen mit edler Wärme gesprochenen Worten folgte tiefes Schweigen. Bis
Bernhard in ruhigem Tone fortfuhr:

»Die Jungfrau, von der ich sprach, besitzt eine reine, herrliche
Seele. Ihr Vater trägt einen hochangesehenen Namen, er ist der
Burgemeister ...«

»Waltklinger?« Frau Magdalena richtete sich steil auf.

Bernhard sah verwundert auf.

»Ja, liebe Mutter,« antwortete er, »Sonnhild ist die Tochter des
Burgemeisters Georg Waltklinger.«

Frau von Miltitz schöpfte tief Atem. Dann sagte sie:

»Nein, Bernhard, der jahrhundertealte Zwist zwischen Adel und Bürgertum
darf Herzen, wo sie sich nähern, nicht im Wege stehen. Aber wir
können es ruhig denen überlassen, sich hierüber zu verständigen, die
es angeht. Für dich mit deinen achtzehn Jahren ist dieses Gespräch
zu ernst. Und ich will dir auch sagen, warum ich erschrak, als du
vom Burgemeister sprachst. Du bist erst zu kurze Zeit wieder hier,
daß du wissen könntest, wie zwischen deinem Vater und dem Rat der
Stadt Meißen gegenwärtig eine starke Spannung besteht. Wie dir
bekannt, ist vor einigen Jahren drüben im Kurfürstentum Sachsen die
Reformation eingeführt worden, während sie bei uns herzoglichen Sachsen
vergeblich um Einlaß angeklopft hat. Darüber ist die Bürgerschaft
Meißens erbittert, weil sie die lutherische Lehre zur Staatsreligion
erhoben sehen möchte. Aber unser Herzog Georg ist ein Feind des
Wittenbergers. Deinem Vater fällt es nun als Amtmann von Meißen zu,
die widerspenstige Einwohnerschaft in Schach zu halten, wofür er
vom Herzog ausreichende Vollmacht erhalten hat. Das Haupt dieser
Religionsbewegung ist in Meißen aber der Burgemeister Waltklinger.
Dieser stolze und adelsfeindliche Mann betrachtet deinen Vater als
einen böswilligen Widersacher und ist ihm bitter gram. Was müßte
dein Vater nun empfinden, so er erführe, sein Sohn hofiere dem
Burgemeistertöchterlein, und wie müßte das Mädchen leiden, wenn solches
dem Waltklinger zugetragen würde. Denn der Jähzorn dieses Mannes soll
schlimm sein.«

Frau Magdalena hatte sich bei den letzten Worten erhoben.

»Ich weiß, daß ich mich auf deine Klugheit und auf dein Zartgefühl
verlassen kann. Du wirst nie vergessen, welches Maß von Rücksicht du
dem Namen, den du trägst, und deinem Vater schuldig bist.«

Hier verließ Frau von Miltitz in mühsam verhehlter Erregung das Zimmer.
Bernhard hatte ihre Rede stumm angehört. Jetzt sah er in starrer
Haltung noch eine Weile auf die Tür, durch die seine Mutter ihn
verlassen. Dann trat er in den Turmerker und schaute lange hinaus über
das weite Land.

[Illustration]



[Illustration]

Viertes Kapitel

Eine stürmische Ratsversammlung


Der Burgemeister Georg Waltklinger trat aus seinem Haus auf den
Marktplatz. Er warf einen kurzen Blick über die Zelte und Stände
der Marktfieranten und schlug alsdann den Weg nach der Kirche ein;
zwei Stadtknechte mit Spießen auf den Schultern folgten ihm mit
respektvollem Abstand.

Georg Waltklinger war ein großer und stattlicher Mann. In seiner
Jugend, das war bekannt, hatte er manches Liebesabenteuer gehabt,
denn die Herzen der Jungfrauen waren dem schönen Georg, wo immer
er erschien, zugeflogen. Dazu war er von bedeutendem Rang. Die
Waltklingers zählten zu den ältesten Bürgerfamilien, die ratsfähig
waren.

Die Angehörigen dieser Patrizierhäuser besaßen ein starkes
Standesbewußtsein. Sie machten darauf Anspruch, als ebenso vornehm
zu gelten, wie die angesehensten Familien des meißnischen Uradels.
Die geachtesten Geschlechter der Stadt hätten den jungen Mann als
Brautwerber mit offenen Armen empfangen. Deshalb war man ihm anfänglich
ein wenig ungnädig gesinnt, als das Gerücht umlief, der schöne Georg
habe in Dresden gefreit.

Kurz darauf führte er sein junges Weib heim. Sie hieß Maria und war die
Tochter eines der reichsten Kaufherren der herzoglichen Residenzstadt.
Ihre Schönheit und holdselige Anmut gewann aller Herzen. Dazu besaß
sie ein wahrhaft edles Gemüt. Und keiner ging von der Schwelle ihres
Hauses, ohne einen tiefen Eindruck von der Frau, die darin waltete,
mitzunehmen. Selbst die übelste Zunge wagte sich an Maria Waltklinger
nicht heran; so hoch stand der Ruf ihrer Weiblichkeit.

Deshalb verstanden es die Leute, daß Georg Waltklinger, als die Pest
sein blühendes Weib nach wenigen Jahren dahinraffte, beinahe den
Verstand verlor. Er tobte und schrie und verwünschte Himmel und Erde.
Selbst sein liebliches Töchterchen von vier Jahren, das Ebenbild der
Mutter, war ihm kein Trost. Ja, man durfte dem Vater das Kind anfangs
nicht einmal unter die Augen bringen, da er ihm die Schuld beimaß, es
habe der Mutter durch seine Geburt die Kraft genommen, siegreich wider
die Krankheit zu streiten.

Maria Waltklinger war verblichen wie ein milder Stern, der in einsamer
Nacht dem müden Wanderer freundlich geschimmert, wie eine zarte Blume,
deren Schönheit und Duft ihrem Besitzer eine kurze Freude bereitet hat.

Georg Waltklinger aber war von da ab ein anderer Mensch. Er entsagte
allen Zerstreuungen und richtete seine ganze Kraft nur auf sein
Handwerk, worin er so Außerordentliches vollbrachte, daß nach wenigen
Jahren die Erzeugnisse seines Hauses über des Herzogtums Grenzen hinaus
gepriesen und begehrt wurden.

Da boten die Ratmannen dem noch in verhältnismäßig jungen Jahren
Stehenden den freigewordenen Posten als Burgemeister der Stadt an.
Der junge Meister sagte nach anfänglichem Schwanken zu und wurde
Stadtoberhaupt. Und damit begann für Meißen eine Reihe segensreicher
Jahre, denn Georg Waltklinger verstand es, sein Amt vortrefflich
wahrzunehmen. Die gesamte Bürgerschaft gewann ihn lieb und brachte ihre
Dankbarkeit dergestalt zum Ausdruck, daß sie sein Amt in jedem Jahre
neu bestätigte.

Georg Waltklinger gewahrte mit heimlicher Befriedigung, daß auf
seinem Wirken Segen ruhte. Aber diese Erkenntnis machte ihn nicht
hoffärtig. Er blieb bei allen Ehrungen der einfache Mann, der jede
Anerkennung zurückwies. Mit väterlicher Leutseligkeit sprach er in den
schlichtesten Häusern vor, und die Rechtschaffenen unter den fahrenden
Gesellen auf der Landstraße durften seiner Achtung ebenso gewiß sein,
wie die Häupter der angesehensten Geschlechter der Stadt. Stolz kannte
er nicht.

Und doch war Georg Waltklinger gewaltig stolz! Dann nämlich, wenn er
mit Mitgliedern des Adels in Berührung trat. Bei solchen Anlässen
hatte sein Stolz keine Grenzen! Er kannte genugsam die landläufige
Geringschätzung, mit der der Adel auf das arbeitende Bürgertum
herabsah. Und da er wußte, wie viel die Städte, besonders während
der beiden letzten Jahrhunderte, zum Wohle des Landes beigetragen
hatten, weil er von dem hohen Beruf des deutschen Handwerks, ohne
sein Verdienst parteiisch zu überschätzen, tief durchdrungen war,
setzte er der verächtlichen Haltung der Adligen den ganzen mannhaften
Stolz eines freien Bürgers und Handwerkers entgegen. Deshalb war sein
Gleichmut bald erschüttert, wenn er von einem Übergriff des Adels
hörte. --

Der Burgemeister Georg Waltklinger, begleitet von den beiden
Stadtknechten, ging an dem Marktbrunnen und der Kirche vorüber und
betrat alsdann durch das neue, prächtige Tor den Kirchhof. Dieser hohe
Sandsteinbogen war auf seine Anregung von der Innung der Tuchmacher
kürzlich der Stadt gestiftet worden. Der Burgemeister machte heute
seinen allwöchentlichen Rundgang durch die Stadt.

Am Frauensteg vorüber ging er den Markt entlang und die Burggasse
hinauf. Jeder, der ihn sah, bot ihm den Gruß; und mancher mochte wohl
beim Anblick des stattlich dahinschreitenden Stadtoberhauptes heimliche
Freude empfinden.

Vor seinem Hause in der Burggasse stand der ehrsame Hans Krebs, der
Ratsweinmeister, der sich der Freundschaft Waltklingers rühmen durfte.
Beim Herankommen des Burgemeisters zog Krebs die runde, gestrickte
Mütze von dem weißen Haar.

»Der Kranz hängt vor deinem Hause,« rief Georg Waltklinger schon in
einiger Entfernung. »Du besitzest für diesen Monat die Braugerechtsame.
Wie ist dein Bier?«

Hans Krebs verneigte sich ehrerbietig.

»Wein und Bier gleich gut! Heute stoße ich vom frischen Bräu den ersten
Zapfen aus. Willst du probieren, Burgemeister?«

Dieser lachte.

»Nicht alsogleich,« versetzte er, »zum Dämmern erwarte mich,
Weinmeister.«

Damit ging er weiter und sah auf das Stadtvieh, das heute verspätet
durch den Hohlweg vor das Lommatzscher Tor getrieben wurde. Als
Geißlbrecht, der Hirt, des Stadtgewaltigen ansichtig wurde, knickte er
zusammen und zog demütig die Kappe. Aber der Burgemeister kannte die
sonstige Verläßlichkeit des Weißkopfs. Deshalb ging das Ungewitter noch
einmal an ihm vorbei.

Den Baderberg hinab, an der Laurentiuskapelle und dem danebenstehenden
Hospital vorüberschreitend, betrat Georg Waltklinger nun den Jahrmarkt,
auf dessen Mitte das Gewandhaus stand. Hier befanden sich die großen
Herbergen der Stadt: die Sonne, der Stern und der Goldene Ring. Und da
es just Sonnabend war, herrschte überall geschäftiges Leben.

Auch sah man da und dort einen Neugierigen, welcher vom Lande zum
erstenmal in die Stadt gekommen war. Der staunte natürlich gewaltig!
Gewiß hatte er schon den großen Eindruck schildern hören, den man beim
Betreten Meißens bekomme. Dennoch sah er alles an wie Wunderdinge
und fühlte tief den Zauber des Geldes. Dabei entging ihm doch noch
das Sehenswerteste, das ja in den dunkeln Stuben und Gewölben der
reichen Bürger in eisernen Truhen fest verschlossen gehalten wurde.
Schaufenster, in denen die Gewürzzehntner und Handwerker ihre Waren
hätten auslegen können, gab es damals freilich noch nicht. Nur der
Goldschmied stellte bisweilen kleine Becherlein oder Ketten hinter
die grünen Fensterrauten der Werkstatt. Aber mit Vorsicht und unter
Bewachung, damit nicht ein fremder Strolch schleunig mit der Beute
entlaufe.

Auf der Elbgasse war der Verkehr am stärksten. Vor dem herannahenden
Burgemeister und den Stadtknechten wich alles respektvoll zurück, und
selbst die Häupter der angesehensten Bürgerfamilien entblößten sich
tief. Der freie Bürger wußte, daß er in seiner hohen Achtung vor dem
Stadtoberhaupte sich selbst ehrte.

Auf dem ersten Pfeiler der hölzernen Elbbrücke blieb Georg Waltklinger
stehen und warf einen kurzen Blick auf die zahlreichen Fischerboote,
die großen böhmischen Kähne, die hier ausgeladen wurden, und die
arbeitenden Schiffsmühlen. Dann ging er durch das Elbtor den Weg bis
zum Naschmarkt zurück. Vor dem Goldenen Löwen stand eine Anzahl Pferde
zum Verkauf, um die laut gefeilscht wurde.

Der Burgemeister ließ das alte Franziskanerkloster zur Linken und
schaute über den anstoßenden Kirchhof hinweg, auf dem das Beinhaus
stand, worin im Mittelalter die vielen menschlichen Gebeine
aufgespeichert wurden, die man ausgraben mußte, um den später
Heimgegangenen die letzte Ruhestatt in der Erde auf ein paar Jahre zu
bereiten. Denn die Friedhöfe waren klein! So behalfen sich die Menschen
eine lange Zeit, bis die Not siegte und man sich entschloß, den
Gottesacker draußen vor der schirmenden Stadtmauer anzulegen.

Vor der Baderei auf dem Frauenmarkt blieb Georg Waltklinger wiederum
stehen. Aus der großen Badestube drang Stimmengewirr. Hier badeten
in geräumigen hölzernen Wannen die Menschen friedlich nebeneinander,
gleichviel, welchen Geschlechts. Manche Bürger kamen täglich hierher
-- denn nur die Reichen besaßen ihr Badestüblein zu Hause --, und
selbst dem Ärmsten verschaffte die Stadt allwöchentlich und ohne
Entgelt die begehrte Gelegenheit zur Reinigung.

Da schlug die Uhr der Stadtkirche zehn. Der Burgemeister durchschritt
rasch die Jüdengasse, und als er das Eckhaus erreicht hatte, worin der
Apotheker Karl Leuschner seine Tränklein und Mixturen verhandelte,
stand er wieder auf dem Markte. Hier war es vonnöten, daß die beiden
Stadtknechte ihrem Gebieter voraufgingen, um ihm Raum zu bahnen, -- so
dicht war das Gewühl in den Gängen.

Jetzt betrat Georg Waltklinger die Tür des Rathauses, zu deren beiden
Seiten die Stadtknechte sich aufstellten, die gewaltigen Spieße neben
sich auf den Fußboden niederstoßend. Das war das Zeichen, daß der
Burgemeister und die Ratmannen sich versammelt hatten.

In dem geräumigen Saal im ersten Stockwerk, dessen Decke von mächtigen
Balken getragen wurde, saß die würdige Ratsversammlung an einem langen
Tisch. Da erschien der Burgemeister. Er verneigte sich kurz vor den ihn
Begrüßenden und nahm den Platz am oberen Ende des Tisches ein.

Die Namen der Männer, die hier vereinigt waren, hatten einen guten
Klang. Da war der alte Niclas Anesorge, seines Zeichens gleichfalls
Tuchmacher, Heinrich Faust und Hans Mortitz, Gewürzzehntner, der reiche
Peter Sorgenfrei, des Burgemeisters Stellvertreter und vorsitzender
Meister der Innung der Fleischhauer, Sigmund Badehorn, der Becherer,
Christoph Pfluger, Bäcker, und die Meister Claus Haßbecher und
Valentin Heide der Leinweberinnung.

Zur Linken des Burgemeisters saß Wolf Behr, der Stadtrichter, neben
diesem der Stadtschreiber Valentin Schein.

Georg Waltklinger tat einen lauten Hammerschlag -- die Sitzung war
eröffnet. Er wandte sich an den Stadtschreiber.

»Sind die Torzölle und Abgaben in der verwichenen Woche befriedigend
hoch gewesen?«

»Sie waren es.«

»Stadtrichter, hattet Ihr Frevler wider den Marktfrieden abzustrafen?«

Der Gefragte verneinte.

»Wie stand es um den gemeinen Frieden der Stadt?«

Der Stadtrichter zählte auf: einige Vergehen gegen das Gebot, mit dem
Glockenschlage zehn am Abend das Licht zu verlöschen. Der Leinweber
und Bortenwirker Heinrich Himmelreich hatte gegen die Zunftregel auf
Vorrat gearbeitet, ferner lautes Rufen auf der Straße nächtlicherweile,
Bierausschenken ohne die Braugerechtsame zu besitzen, Lärm und
lästerliches Fluchen in den Schankstätten, Versuch der Übervorteilung
beim Handel um eine Ferkelsau, ein Handwerksgeselle, der im Trunk die
Achtung gegen seinen Meister vergaß ... und weitere Fälle ähnlicher
Art, die Wolf Behr, der Stadtrichter, berichtete.

Aber an der Ungeduld, die auf den ernsten Mienen der Umsitzenden
lag, war leicht zu erkennen, daß noch ein weit wichtigerer Punkt zur
Verhandlung stand.

»Ein fahrender Gesell hat die löbliche Sitte soweit verletzet, daß
er in der Badestube mit einem Frauenzimmer schön tat, wobei beide
an Kleidern nicht mehr auf Leib und Gliedmaßen trugen, als ein
abgeschälter Stock an Rinde.«

Bei dieser Anklage kam einiges Leben in die bisher schweigsame
Versammlung, und zürnende Worte klangen reichlich.

»Die Unsittlichkeit in den Badestuben nimmt überhand,« begann der
Burgemeister. »Sorgen wir beizeiten für Abhilfe, auf daß unsere gute
Stadt nicht in Verruf komme. Stadtrichter, es liegt Euch ob, eine
Kundmachung zu überdenken, nach der Manns- und Weibspersonen die
Badereien nur stubenweise getrennt besuchen dürfen!«

Ein beifälliges Murmeln, -- die Worte des Burgemeisters waren
gutgeheißen.

Wolf Behr fuhr fort:

»Die von der wohlweisen Ratsversammlung bereits ausgesprochene und vom
Amtmann gutgeheißene Säckung der Anastasia Quetschlich -- wegen der
an ihren beiden Kindern verübten Mordtat durch Umdrehung derer Hälse
-- soll kommenden Dienstag und dergestalt vollzogen werden, daß die
Schuldige mit glühendem Zangengriff in den Sack gestecket wird. Alsdann
soll dieser Sack vom mittelsten Brückenjoch aus in die Elbe geworfen
werden. Als Begleiter auf die letzte Reise möge ihr, wie üblich,
bewilligt werden: ein Hund, eine Katze, ein Hahn und eine Schlange, die
vor dem Zunähen des Sackes Aufnahme darin zu finden haben.«

»Es geschehe, was rechtens,« befahl der Burgemeister. »Verseht den
Stockmeister mit Weisung. Berichtet weiter!«

Der Stadtrichter lehnte sich zurück:

»Mein Bericht ist für heute erschöpft.«

Waltklinger wandte sich wieder an den Stadtschreiber:

»Valentin Schein, was habt Ihr ansonsten!«

Der Stadtschreiber faltete ein Papier auseinander und las seinen Inhalt
laut vor:

»Hoch- und Hoch- Wohl- Edle, Veste, Großachtbare, Hoch- und
Wohlgelahrte, auch Hoch- und Wohl- Weise, Hochgeehrteste Herren!

Der in tiefster Demut und Niedrigkeit ersterbende Stuhlschreiber der
guten Stadt Meißen hat seit mehr denn funfzehn Jahren bis anhero mit
hoher Gunst die Stühle in der Kirche Unser lieben Frauen mit Fleiß
bemalet und auch manch zierlich Gevatterbrieflein fein säuberlich
ausgeführet, wasmaßen ihm Ihro Hoch- und Hoch- Wohl- Edle, Veste,
Großachtbare, Hoch- ...«

Der Burgemeister wurde ungeduldig.

»Was will der!« schnitt er dem Vorlesenden das Wort ab.

»Der Stuhlschreiber Schabenkese tut dar, daß sein Jahreslohn sich immer
mehr verringert habe. So er mit seinem Eheweib und seinen acht Würmlein
aber nicht bittere Not leiden soll, bittet er den hohen Rat ...«

»In Meißen soll keiner hungern,« warf hier Peter Sorgenfrei, der reiche
Fleischhauer, ein.

»So ist es, Sorgenfrei hat recht,« rief es mit mehreren Stimmen.

Der Burgemeister schickte sich zum Sprechen an, -- da schwiegen alle.

»Stadtschreiber, weist die Kasse an, daß dem Schabenkese sein
Jahreslohn um ein Viertel des Betrages erhöhet werde. Auch sollen ihm
aus Mitteln der Stadt allmonatlich zwei Quart Mehl bewilliget werden.
-- Habt Ihr's?«

»Sehr wohl, Herr Burgemeister!«

Die Ratsversammlung stimmte bereitwillig zu.

Valentin Schein, der Stadtschreiber, klappte die große Mappe zu. Auch
er war zu Ende.

Eine Bewegung ging durch die Ratsversammlung. Jeder wußte, daß jetzt
der wichtigste Punkt der heutigen Tagesordnung an die Reihe kam. Die
Männer setzten sich in den schweren Stühlen zurecht, und jeder blickte
erwartungsvoll auf das Stadtoberhaupt.

Georg Waltklinger hatte unterdessen die große Papierrolle ausgebreitet,
die er in der Hand gehalten, und von deren unterem Rande an einem
goldenen Faden ein schweres Siegel herabhing. Dann ließ er die
durchdringenden Augen über die Versammlung schweifen und begann:

»Lieben Freunde! Das Pergament das Ihr hier seht, ist unsere jüngste
Bitte an des Herzogs Hoheit, er möge in Gnaden bewilligen, daß
denjenigen Einwohnern unserer Stadt das Abendmahl in beiderlei Gestalt
gereicht werde, die sich als Anhänger der evangelischen Lehre bekennen.
Der unselige Religionshader in unserem Lande will nicht aufhören,
während sich drüben im Bruderstaate alles in Lieb' und Eintracht
geschlichtet hat. Das sächsische Volk aber ist es nicht, das diesen
Unfrieden schürt, es ist, Gott sei's geklagt -- ein anderer! Aber die
Stimme des Volkes wird nicht schweigen, und Herzog Georg mag es recht
bedenken, ob es gut sei, wenn sich der Fürst solchergestalt in scharfen
Widerspruch zu seinen Untertanen setzt. Wir werden es keinem zulassen,
Zweifel an der Treue des sächsischen Herzogtums zu seinem Herrscher zu
hegen. Kann man aber die betrübliche Wahrheit leugnen, daß in allen
Teilen des Landes tiefe Erbitterung herrscht?«

Hier wurde Georg Waltklinger von Einwürfen der Zustimmung unterbrochen.

»Nun lieben Freunde,« fuhr der Burgemeister mit steigendem Unwillen
fort, »auch in unserer fürstentreuen, alten Markgrafenstadt ist
die Erbitterung in der Bürgerschaft hoch angewachsen. Es fehlt nur
wenig, daß sie nunmehr _verlangt_, um was sie bis zum heutigen Tage
erfolglos gebeten. Des Volkes Stimme aber ist Gottes Stimme! Und
wenn dem Menschen verwehrt wird, so zu seinem Gott zu sprechen, wie
sein Gewissen heischt, dann streut man die verhängnisvolle Saat des
Unfriedens und der Empörung in sein Herz!«

Der Burgemeister schwieg eine kurze Weile, um alsbald mit erhobener
Stimme weiterzusprechen:

»Ihr wißt, lieben Freunde, daß unsere ehrerbietig vorgebrachte Bitte
abermals zurückgewiesen wurde. Das ist hart. Sehr hart! Aber unserer
geradezu unwürdig ist es, wenn dieser Bescheid nicht von des Herzogs
Hoheit, sondern von einem der schlimmsten Papisten gefället ward, die
in unserem Lande ihr dunkles Handwerk betreiben. Denn der hochmütige
Verfasser der kurzen Zurückweisung unseres Ansuchens auf dem Rande des
Pergaments ist kein anderer als unser Amtmann -- Ernst von Miltitz!«

Diese Rede erregte einen Sturm der Entrüstung unter den Versammelten.
Harte Worte des Unwillens klangen durcheinander, und manch schwielige
Faust fiel dröhnend auf den Tisch nieder. Der alte Niclas Anesorge
war von seinem Sitze aufgesprungen und schrie seine Empörung über die
Männer hin. Einer freien Bürgerschaft tat man dieses an? Soweit war
es gekommen, daß nicht einmal der Landesfürst, sondern einer seiner
Schranzen engherzig versagte, um was das tief bewegte Volk bat! Bat?
Nein! Das war kein Bitten mehr, man flehte ja schon längst! Und die
Zurückweisung gerade von dieser Stelle mußte wie ein Fußtritt empfunden
werden.

Noch waren keine zwölf Monate verflossen, daß der langjährige
Hofmarschall des Herzogs, Ernst von Miltitz, nach Meißen als
Amtmann geschickt worden war. Hatte in diesem kurzen Jahr der Hader
zwischen ihm und der Bürgerschaft schon einmal aufgehört? Was galt
diesem adelsstolzen Mann die freie Bürgerschaft? Sie waren ja keine
Schildbürtigen! Am liebsten hätte er der Stadt abgesagt. Aber
Bürgerstolz gegen Adelstolz! Hatte nicht das Handwerk das Volk groß
gemacht? Waren es nicht die Städte, die verhaßten Bürger, die von
den Gutsherren geknechteten Bauern, die Land und Thron stützten?
Oder taten dies etwa die verkommenen Edelleute -- die Vollsäufer und
Gotteslästerer?

Also sprachen die Erzürnten, und manch anderes Schlimme.

»Die herzogliche Verordnung, wonach der Amtmann Bescheide auf Gesuche
in Religionssachen erlassen darf, ist schon im verwichenen Jahr an den
Rat gelangt,« warf der Stadtschreiber bescheiden ein.

»Was da!« schrie Sigmund Badehorn, der Becherer, »wenn das Volk fragt,
muß der Fürst antworten. Der Städter ist alleweil nur zum Geben gut.
Aber beim Himmel, sie sollen spüren, was Bürgertrotz ist!«

Der Burgemeister hatte in den Tumult stumm hineingesehen. Auch er war
tief erregt. Auf seiner breiten Stirn stand die bläulich geschwollene
Zornesader. Aber er beherrschte sich. Er mußte Ruhe bewahren! Zudem
wußten alle, daß Georg Waltklinger trotz seines heißen Blutes eiserne
Selbstzucht besaß. Und diesen Ruf wollte er nicht zuschanden machen.

Heute konnte freilich nicht mehr verhandelt werden. Deshalb hörte der
Burgemeister dem erregten Wortwechsel noch eine Weile zu und schloß
endlich die Sitzung.

[Illustration]



[Illustration]

Fünftes Kapitel

Der Amtmann im Urteil der Bürgerschaft


Die Unterredung mit seiner Mutter hatte auf Bernhard von Miltitz einen
tiefen Eindruck gemacht. Freilich war die Mutter im Recht! Bürger
und Adel mieden sich am besten. Und sein grübelnder Verstand sagte
ihm, daß die Abneigung dieser beiden großen Stände voreinander, der
mancherorts bestehende Haß, nicht von heute zu morgen durch gütliche
Vermittelung beseitigt werden konnten. Diese Zustände waren tief in den
Zeitverhältnissen begründet; sie waren mit ihnen groß geworden. Der
Adel konnte auf ein ruhmreiches Zeitalter zurückblicken. Aber seine
Glanzzeit gehörte doch der Vergangenheit an. Damals zählte der Bürger
freilich wenig. Allmählich hatten jedoch Adel und Bürgerschaft ihre
Stellung im Staat vertauscht. Die großen Aufgaben des Rittertums waren
längst erfüllt. Jetzt besaßen die Adligen zwar noch die vorherrschende
Macht, aber ihre Bedeutung war beträchtlich gesunken.

Mit der Entwickelung der Städte und dem Aufblühen des Handwerks war
die wirtschaftliche Überlegenheit bald auf die Seite des Bürgertums
getreten. Aber auch der innere Wert des Bürgers war erheblich
gestiegen. Die gediegenen Erzeugnisse des deutschen Handwerks hatten
in kurzer Zeit die Aufmerksamkeit der andern Völker erregt. Allerorts
fanden die Waren guten Absatz und taten sich durch ihre Güte vor allen
Erzeugnissen hervor.

So war es gekommen, daß in der ganzen Welt das deutsche Handwerk
gepriesen wurde und daß der deutsche Handel herrlich aufblühte. Eine
große Anzahl von Städten tat sich zusammen und gründete den Hansabund,
unter dessen kraftvollem Schutze die erzenen Kiele der mächtigen
Segelschiffe die weiten Meere durchschnitten, um die Erzeugnisse
deutschen Fleißes nach aller Herren Länder zu bringen.

Dieser glänzende Aufschwung erfüllte Handwerker und Kaufmann mit
Befriedigung und Stolz und spornte sie an, emsig weiterzuarbeiten. Aber
nicht nur deshalb, um große Vermögen anzusammeln -- geschweige daß es
dem Reichtum gelungen wäre, seine Erzeuger zu verweichlichen --, der
deutsche Bürger setzte vielmehr sein alles daran, den guten Ruf seiner
Arbeit stetig zu fördern. Und das gelang ihm.

Wohl kleidete man sich reicher als früher, und in den deutschen Landen
fanden allerhand Genußmittel fremder Völker Eingang, die bis dahin
unbekannt gewesen waren und Gaumen und Zunge schmeichelten. Der bisher
einfache Tisch war reicher besetzt, und Gastmähler wurden gefeiert, bei
denen die auserlesensten Speisen aufgetragen wurden und der köstlichste
Wein in Strömen floß. Niemand verschmähte es mitzutun, die deutsche
Gründlichkeit bewährte sich auch im Genießen.

Aber die Versuchungen, denen im Laufe der Weltgeschichte schon manches
Volk erlegen, fanden ein aufrechtes, kraftvolles Geschlecht. Der
Fleiß und die Beharrlichkeit des deutschen Handwerks erlitten dadurch
keine Einbuße! Die sittlichen Werte des Volkes wuchsen immer mehr,
es war sich der hohen Sendung bewußt, die es zu erfüllen hatte. Das
Gemeinwesen wurde musterhaft, und die Städte entwickelten sich zu
einer Macht, die der Herrlichkeit der Fürsten Glanz und Stütze war.
Der Familiensinn vertiefte sich. Man war stolz darauf, von Vorfahren
abzustammen, deren Namen seit Jahrhunderten mit Ehrfurcht genannt
wurden.

Die Kinder wurden in wahrer Frömmigkeit und strenger Zucht erzogen. Die
Achtung vor Gesetz und den Eltern vererbte sich vom Vater auf den Sohn.

So gab es im Handwerker- und Kaufmannsstande zahlreiche Familien,
die, gestützt auf große Vermögen, nach außen viel Selbstbewußtsein
bewahrten. Das Oberhaupt eines solchen Patriziergeschlechts fühlte sich
in seinem Hause als ein Fürst. Hatten seine Vorfahren den Wohlstand und
das Ansehen des Volkes nicht begründen und mehren helfen? Und was hatte
dagegen seit aber hundert Jahren der Adel getan?

Das waren die Gedanken, die Bernhard von Miltitz jetzt unaufhörlich
bestürmten. Er konnte zwar noch nicht in die Tiefen des verworrenen
Zeitbildes blicken. Aber er war ein Grübler. Und wo sein Wissen nicht
ausreichte, begann er, die Gedankenanfänge zu entwickeln. Bisher hatte
er nur mit den Augen eines Abkömmlings aus adligem Geschlecht gesehen,
denn die Kenntnis der wirklichen Verhältnisse war ihm nicht gelehrt
worden. Seine Mutter war es gewesen, die ihn auf diese Anschauungen
gebracht hatte. Und je öfter er nachsann, desto deutlicher enthüllte
sich ihm die Wahrheit.

Sein junges Herz schlug laut für das entzückende Kind aus dem
Bürgerstand. Ein seliges Gefühl überkam ihn, wenn er daran dachte,
Sonnhilds Zuneigung zu besitzen. Zuneigung? Durfte er es so nennen?
Nun, darüber mußte er sich Gewißheit verschaffen.

Am verabredeten Tage hatte sich Bernhard von Miltitz pünktlich auf der
Höhe vor dem Lommatzscher Tor eingefunden. Es war derselbe Ort, an dem
er Sonnhild zum erstenmal gesehen. Er konnte sich genau entsinnen:
unter diesem hohen Baum hatte er gestanden, und dicht hinter ihm, wo
jetzt ein Bündel Farren mit breiten Wedeln wuchs, hatte sie im Grase
gelegen.

Dann trat er so weit vor, daß sein Blick ungehindert in die Weite
schweifen konnte. Drüben auf dem andern Elbufer erhoben sich die
Hügel, bedeckt von dem leuchtenden Grün der frischen Reben, und zu
seiner Rechten, dicht vor der Stadt, ragten der Dom und die alte
Markgrafenburg in das lichte Himmelsblau noch hinein. Auch heute lag
leuchtender Sonnenschein über dem entzückenden Bild, und die Luft wehte
weich und warm und spielte leise mit den Zweigen.

Bernhard war so in Gedanken versunken, daß er Sonnhild erst bemerkte,
als das Mädchen neben ihm stand. Jetzt sah er auf, und ihre Blicke
trafen sich. Sie trug ein enganliegendes weißes Kleid, das die schlanke
Gestalt der aufblühenden Jungfrau deutlich erkennen ließ.

Der Jüngling war von Sonnhilds Schönheit aufs neue betroffen. Er sah
eine kurze Weile stumm in das liebliche Gesicht, bis das Mädchen unter
seinem Blick errötete und die Augen niederschlug. Da trat er rasch
heran, und sie begrüßten sich.

Wie bei ihrem letzten Zusammensein brauchten sie erst eine Zeit lang,
um ihre Verlegenheit zu überwinden. Dann aber drängten sich die Worte
auf ihre Lippen und sie erinnerten sich beide daran, wie es vor fünf
Jahren an dieser Stelle ausgesehen und was sie damals miteinander
gesprochen.

So kamen sie ins Plaudern und gingen dabei tiefer in den Wald hinein,
der sich neben der Landstraße auf der Anhöhe hinzog. Bernhard legte
auch heute wieder seinen Arm behutsam in den der Jungfrau, ohne daß sie
durch ein Zeichen peinliche Überraschung verraten hätte. War sie sich
dessen im Eifer des Sprechens nicht bewußt geworden, oder erlaubte sie
ihm diese Vertraulichkeit? Der Jüngling hoffte das letztere.

Dann pflückten sie die am Wege stehenden Waldblumen und banden sie zum
Strauß. Bernhard ließ sich auf das Knie nieder und steckte den seinen
in Sonnhilds Gürtel. Darauf trat das Mädchen heran und nestelte ihre
Blumen an seinem Kragen fest. Dabei standen sie so eng beisammen, daß
ihr Atem sein Gesicht streifte und er die feinen Härchen unterscheiden
konnte, die Ohren und Wangen des Mädchens bedeckten. Als Sonnhild
aber bei einer unwillkürlichen Bewegung mit der Stirn des Jünglings
Wange leicht berührte, trat dieselbe dunkle Röte auf ihr Gesicht, die
Bernhard schon wiederholt darin hatte aufsteigen sehen. Und ihre feinen
Finger zitterten, bis es ihr gelang, die widerspenstigen Blumen zu
befestigen.

Von da an blieb das Mädchen einsilbig, und wenn sie lachte, klang
es nicht so natürlich wie sonst. Als Bernhard dies merkte, bemühte
er sich, dem Mädchen die Beklemmung überwinden zu helfen, indem er
harmlos weiterplauderte. Aber ihr Schweigen raubte ihm endlich die
Unbefangenheit, und sein Redefluß versiegte.

Da sagte Sonnhild:

»Junker, ich weiß nicht, ob Euch hinlänglich bekannt ist, welch
unseliger Zwist zwischen der Bürgerschaft und Eurem Vater besteht.«

Bernhard erschrak. Doch faßte er sich rasch und entgegnete, wie er wohl
wisse, daß eine starke Bewegung zugunsten der Reformation in der Stadt
sei. Seinem Vater liege es als Amtmann von Meißen ob, den Befehlen des
Herzogs, der von der Einführung der Reformation im meißnischen Sachsen
nichts wissen wolle, Geltung zu verschaffen. Und Bernhard fügte hinzu,
das Volk würde die Wünsche seines Fürsten gewißlich achten und seine
eigenen Wünsche fallen lassen.

Aber Sonnhild schüttelte den Kopf und versetzte mit wehmütigem Lächeln:

»Junker, Eure Harmlosigkeit von früher ist Euch verblieben. Wenn Ihr
glaubt, daß die Bürgerschaft Meißens ihre Wünsche aufgäbe, weil der
Herzog die Reformation nicht einführen will, dann täuscht Ihr Euch
über die Gesinnung der Meißner. Die Gegensätze verschärfen sich mit
jedem Tage. Und Euer Vater? Ich glaube bestimmt, daß er nichts anderes
tut als seine Pflicht! Aber der ganze Groll der vielen unbefriedigten
Menschen richtet sich zuerst doch nur gegen ihn.«

Hier sah Bernhard von Miltitz erstaunt auf.

»Gewiß, Junker, gegen Euern Vater! Der Herzog ist weiter entfernt, und
er steht viel zu hoch, daß man es wagte, die gereizten Reden gegen ihn
auszustoßen, mit denen die ergrimmte Bürgerschaft ihrem Herzen Luft
macht.«

»Aber mein Vater ist doch nur ein Diener des Herzogs, und was er tut,
tut er in seinem Namen,« warf Bernhard voll Eifer ein.

»Ich möchte Euch nicht wehtun, Junker,« entgegnete Sonnhild, »deshalb
dürft Ihr auch nicht denken, die Worte, die ich jetzt spreche, seien
meine eigene Überzeugung: die Bürgerschaft ist Eurem Vater bitter
gram, weil sie meint, er schüre den Zwist zwischen ihr und dem Herzog,
wo er nur könne, und bestärke diesen in seiner Abneigung gegen die
Lutherische Lehre. Denn Euer Vater, Junker, gilt als ein fanatischer
Papist.«

Diese Worte, so einfach sie gesprochen waren und obgleich ihnen jeder
Ton des Vorwurfs fehlte, machten auf Bernhard einen tiefen Eindruck. Er
erwiderte nichts und sah seitwärts in das Gebüsch. Da fühlte er eine
weiche Hand, die sich leicht auf seinen Arm legte. Und wie er aufsah,
blickte er in Sonnhilds große Augen, die traurig auf ihn gerichtet
waren.

»Habe ich Euch doch eine Kränkung bereitet?« sagte sie leise.
»Verzeiht, Junker, es war nicht bös gemeint!«

Bernhard war gerührt von dem weichen Ton in Sonnhilds Stimme und dem
unaussprechlich lieblichen Ausdruck ihres Gesichts, das dem eines
flehenden Kindes glich.

»Liebe Sonnhild,« sagte er herzlich, »was für ein edles Gemüt Ihr doch
besitzt.«

Da nahm sie ihre Hand von seinem Arm. Und als sie sich abwandte, schlug
ihr die Röte wieder ins Gesicht.

»Was Ihr da sagtet, Jungfrau,« begann Bernhard, »war eine Anklage gegen
meinen Vater. Ich bin noch zu unerfahren, um urteilen zu können, ob
mein Vater wirklich das tut, wessen man ihn bezichtigt. Wohl weiß ich,
daß sein Einfluß auf den Herzog groß ist, und daß ihn dieser vor vielen
anderen schätzt. Aber ich weiß auch, Jungfrau, daß mein Vater nicht
nur nach Rang und Geburt ein Edelmann ist! Er ist streng, ja, das ist
er! Er ist auch zuweilen -- heftig. Das habe ich als Kind wiederholt
fühlen müssen. Aber er ist auch gerecht! Und hinter seinem strengen
Äußeren verbirgt sich ein mildes Herz! Schon als Knabe habe ich meinen
Vater innig geliebt und tiefe Ehrfurcht vor ihm besessen. Jetzt aber,
nachdem ich sein Inneres geblickt, ist es mein sehnlichster Wunsch, die
Eigenschaften des väterlichen Charakters möchten sich auch in mir reich
entwickeln.«

Sonnhild warf einen warmen Blick auf Bernhard, ohne daß dieser es
bemerkte. Von dem Ernst seiner Rede ganz erfüllt, fuhr er fort:

»Mein Vater ist ein strenggläubiger Christ. Ob er der neuen Lehre
feindlich gegenübersteht, weiß ich nicht.«

»Ich glaube Euern Worten, Junker,« versicherte Sonnhild. »Dieser
unselige Zwist! Wieviel Tränen und Ärgernisse hat er nicht schon
gekostet. Wenn doch nur der Herzog die evangelische Lehre freigeben
wollte! Meint Ihr nicht auch, daß es Gott gleich gefällig ist, ob man
ihm nun so oder so dient? Nicht die Form ist doch hier das Wertvolle,
sondern der Inhalt.«

Bernhard wurde leicht verlegen. Es hätte ihn geschmerzt, dem Mädchen zu
widersprechen. Deshalb sagte er nur:

»Ich kenne nichts anderes, als den alten Glauben. Aber wir wissen
ja, daß es allein darauf ankommt, dem Höchsten mit ganzer Seele
anzugehören.«

Damit war Sonnhild zufrieden.

»Für heute,« sprach sie, »ist es aber genug, Junker! So Ihr jedoch
kommenden Samstag für ein Stündchen Zeit hättet ...«

»Aber Jungfrau, wie mögt Ihr nur so fragen,« erwiderte Bernhard, indem
er bemüht war, seiner Stimme einen Anflug von Vorwurf zu geben.

Sonnhild lächelte.

»Und wieder hier?« fragte sie neckend.

»Wieder hier,« antwortete er und drückte voll Wärme die Hand, die sie
ihm reichte.

Dann sah er ihr lange nach, bis die jungfräuliche Gestalt seinen
Blicken entschwand.

Langsam ging er darauf quer durch den Wald, bis zur Landstraße, die
er stadtwärts verfolgte. Da holte ihn ein junges Mädchen ein, das ihn
aufmerksam betrachtete und alsdann dicht in seiner Nähe blieb.

Bernhard fühlte, wie ihn die Unbekannte dreist ansah. Auch als
er seinen Blick verweisend auf sie richtete, fuhr sie fort, ihn
anzustarren.

Sie mochte zwanzig Jahre zählen. Ihr Körper war gut gewachsen und von
leichter Fülle. Beim Gehen wiegten die Schultern ein wenig, und der
wohlgerundete Busen schwebte auf und nieder. Ihr Gesicht war sehr
bleich, fast durchsichtig. Unter den starken, schwarzen Brauen glänzten
zwei herrliche Augen. Die schmale Nase besaß eine scharfe Krümmung. Das
Mädchen war eine Jüdin.

Bernhard sah von ihr weg. Aber er empfand, daß sie kein Auge von ihm
ließ. Ihrem abgenutzten Kleide nach stammte sie aus dem niederen Volke.

Nachdem beide ein Stück fast nebeneinander gegangen waren, sah er
wieder zu ihr hin und blickte eine kurze Weile in ihre großen, blauen
Augen.

Ein seltsames Gefühl überkam den Jüngling. Erinnerten ihn diese
Augen nicht an Sonnhild? Er verwarf den Gedanken. Doch mußte er bald
eingestehen, daß die Augen des Judenmädchens denen Sonnhilds glichen.
Aber sie sahen ihn ganz anders an. Die Augen Sonnhilds leuchteten wie
zwei Sterne am nächtlichen Himmel, die der Jüdin blickten starr und
frech. Und verhaltene Glut blitzte in ihnen.

Da sah er zum drittenmal hinüber, und ihre Blicke trafen sich wieder.
Eine magnetische Kraft schien von diesen Augen auszugehen.

Bernhard wurde ärgerlich, schwieg aber. So gingen sie bis zum Stadttor.
Hier angekommen, blieb das Mädchen stehen, während er durch das Tor
weiterging. Als er sich aber in geraumer Entfernung noch einmal umsah,
bemerkte er die Jüdin unbeweglich neben dem Torhaus an die Stadtmauer
gelehnt, ihm nachschauend.

Unwillig wandte er sich um. Aber lange hatte er das Gefühl, als ob die
starren Augen noch immer auf ihn gerichtet seien.

[Illustration]



[Illustration]

Sechstes Kapitel

Unerwarteter Besuch im Rathaus


Der Unfrieden der Bürgerschaft bereitete Georg Waltklinger nicht wenig
Sorge. Zudem hatte er in seinem Gewerbe fleißig zu schaffen. Vom frühen
Morgen bis zum Abend war er mit den Gesellen bei der Arbeit. Das Tuch,
das er anfertigte, stand bei den Kaufleuten in besonderem Ruf, und sie
bestürmten ihn mit Wünschen und großen Aufträgen.

Nur wenn ihn die Pflicht als Stadtoberhaupt rief, war er nicht in der
Werkstatt anzutreffen. Dann legte er die große Schürze ab, vertauschte
das Arbeitsgewand mit dem Kleide des Burgemeisters und begab sich auf
das Rathaus.

Zuweilen traf es sich, daß ein Bittender, um seinen Rat zu heischen,
ihn bei der Arbeit aufsuchte. Dieser mußte sich neben ihn setzen und so
sein Anliegen vortragen. Währenddem arbeitete Waltklinger schweigend
weiter und warf nur ab und zu eine Frage ein.

Besonders der Tuchmacher und Ratmann Niclas Anesorge saß wiederholt
bei ihm. Der alte Mann war ein Feuerkopf und ein eifriger Protestant.
In der Werkstatt daheim schaffte sein Sohn, er selbst überwachte die
Erfolge der evangelischen Lehre im ganzen Lande. Da er des jüngeren
Waltklingers Verstand und Mäßigung hoch schätzte, ordnete er sich ihm
willig unter.

Anesorge redete viel und heftig. Wenn er auf sein Lieblingsgespräch
kam, konnte er ganz wild werden. Dann schrie er nicht selten seine
Zuhörer an, daß es manchem bänglich zumute ward. In der Innungsstube
und in den Schenken wurde es rasch lebhaft, wenn Anesorge eintrat.
Natürlich bildete der Religionszwist seit langem den Mittelpunkt aller
Unterhaltung. Deshalb war der Stoff schon abgebraucht. Fuhr aber
Meister Anesorge irgendwo dazwischen, dann kam die Masse schnell in
Fluß.

Seine drei größten Feinde waren der Bischof, der ihm, wie er sagte,
den ganzen schönen Dom oben auf der Schloßfreiheit verleidete, ferner
Ernst von Miltitz und Herzog Georg. Von diesen dreien sprach er am
liebsten. Für jeden hatte er sich eine erkleckliche Anzahl liebevoller
Kraftausdrücke zurechtgelegt, die er scharf voneinander unterschied.
Wenn er lebhaft wurde, und dieses pflegte bald einzutreten, ließ er die
Kernworte als Würze in seine Rede einfließen.

Dazu schlug er mit der Faust öfters auf den Tisch und begleitete seine
Worte mit unvorsichtigen Handbewegungen. Dies rächte sich bisweilen,
denn er warf damit seinen eigenen Wein und den anderer unterschiedslos
um. Das machte ihn hitziger, als wenn er ihn getrunken hätte. Er
verstieg sich zu gewagten Ausfällen und entkräftete Behauptungen, die
niemand aufgestellt hatte. Ab und zu blickte er sich im Kreise um,
als wenn er Widerspruch erwarte. Aber die Umsitzenden hüteten sich.
Denn es war hinlänglich bekannt, daß der alte Anesorge mit demselben
Nachdruck, mit dem er die evangelische Bewegung verteidigte, den
leisesten Widerspruch gegen seine Ansichten ablehnte.

Wenn er endlich lange genug gewettert hatte, war die Last von seiner
Brust für diesen Tag herunter. Die hellen Augen leuchteten jugendlich
in dem vom Wein geröteten Gesicht, und mit sich selbst zufrieden,
strich er über das kurze, weiße Haar. Traf er alsdann auf dem
Nachhauseweg einen Handwerksburschen oder einen vagierenden Bettler, so
gab er diesem reichlich.

Daheim erwartete ihn sein Weib, das jedesmal sagte:

»Ich seh' dir's schon wieder an. Geh ins Bett, Mann! Dich muß der Tod
noch einmal besonders aufs Maul schlagen.«

Er aber kniff seine greise Ehehälfte zärtlich in die volle Backe und
entgegnete:

»Laß es nur gut sein, Alte! Wir erleben es noch beide, daß die
ganze schwarze Klerisei mit Sack und Pack -- heidi -- zum Stadttor
hinauszieht!«

Eines Tages wurde dem Burgemeister und den Ratmannen eine große
Überraschung. Sie waren wieder im Rathaus versammelt, als plötzlich
einer der beiden Stadtknechte mit dem Spieß in der, Hand die Treppe
heraufgestampft kam, die Tür zum großen Saal aufriß und hineinschrie:

»Seine Gnaden, der Herr Amtmann!«

Gleich darauf war zu aller höchlichstem Erstaunen Herr Ernst von
Miltitz eingetreten. Der Burgemeister selbst war es gewesen, der sich
als Erster erhoben, um den Vertreter des Herzogs zu begrüßen. Er tat
dies mit eisiger Miene. Und wie er sich verbeugte, sah es aus, als
wenn er des Stadtknechts Spieß verschluckt hätte.

Die Ratmannen, die ohne Ausnahme auf ihren Burgemeister guckten, taten
ebenso steif wie er.

Dann lud Waltklinger Herrn Ernst von Miltitz ein, zu seiner Rechten am
Tische Platz zu nehmen. Denn Gesetz und Recht forderten es, daß der
Amtmann den Beratungen der Ratsversammlung anwohnen durfte.

Die lange Tagesordnung wurde weiter besprochen. Als sie zu Ende war,
richtete sich Herr Ernst von Miltitz aus seiner zurückgelehnten Haltung
auf und sprach:

»Es fügt sich heute zum erstenmal, daß ich bei einer
Gemeindeversammlung gegenwärtig bin. Den Wunsch, dies einmal zu
tun, habe ich schon seit langer Zeit gehegt. Doch haben mich meine
zahlreichen Berufspflichten bisher daran gehindert. Ich habe mich
nunmehr davon überzeugt, mit welcher Ordnung und strengen Sachlichkeit
die Verhandlungen geführt werden. Darüber bin ich erfreut, aber nicht
verwundert. Denn nur so konnte ich es vorfinden. Welch ersprießliche
Tätigkeit der Burgemeister und die Ratmannen von Meißen entfalten, das
lehrt auf den ersten Blick der Zustand der blühenden Gemeinde. Es ist
weithin bekannt, wie die Stadt Meißen hierin unter den sächsischen
Städten obenan steht. Dieser Rang gebührt ihr mit Recht! Auch Herzog
Georg, unser allergnädigster Herr, weiß solches, und er freut sich
seiner guten und treuen Stadt. Ich wünsche, daß die Bürgerschaft
Meißens jederzeit genug solcher Männer findet, mit denen sie ihren Rat
beschickt!«

Ernst von Miltitz hatte diese Worte ruhig und hier und da mit Nachdruck
gesprochen. Der warme Ton ehrlicher Überzeugung hatte durchgeklungen.
Selbst der leiseste Verdacht, daß er schmeicheln wolle, hätte in keinem
der Zuhörer aufsteigen können.

Jetzt sah er sich im Kreise um, gleichsam als wollten die Augen
bestätigen, was sein Mund gesprochen. Aber die Männer saßen stumm am
Tische und hielten ihre Blicke gesenkt.

Über die ernsten Züge des Amtmanns lief ein Schatten. Er wartete noch
eine kurze Weile, dann fuhr er fort:

»Wo man soviel ehrliches Wollen und gutes Vollbringen antrifft, soll
freundliche Nachsicht Richter sein, wenn die Erreichung von Zielen
angestrebt wird, die man sich besser nicht gesteckt hätte. Die Bürger
kennen sattsam des Herzogs Entschlüsse in Sachen der Religion. Sie
haben als treue Untertanen die Pflicht, sie zu achten und sich ihnen
unterzuordnen. Wer seinen Fürsten liebt, beugt sich vor ihm! Ein
braver Untertan tut nicht gut daran, über die Grenzen des Landes
hinauszuschauen, damit er erblicke, was seine Unzufriedenheit erregt.

Die kurfürstlichen Sachsen beten im neuen Glauben, wie sie es nennen;
wir herzoglichen feiern unsere Andachten im alten. Die Evangelischen
beteuern, daß der Weg, den sie gingen, ebenso zur ewigen Seligkeit
führe. Es ist nicht mein Beruf, diesem zu widersprechen. Aber damit
erkennen sie an, daß auch die bisherige Straße dieses Ziel erreicht.
Glauben ist Herzenssache! Wer aber zwei Möglichkeiten des Vollbringens
sieht, kann _die_ Ausführung wählen, die sich mit den Pflichten eines
treuen Untertanen verträgt. Doch soll, was ich jetzt gesagt, nicht die
lobende Anerkennung abschwächen, die ich vorhin ausgesprochen.«

Ernst und eindringlich, fast väterlich hatte diese Rede geklungen. Doch
hatte sie keinen Eindruck hinterlassen, sie war wirkungslos verhallt.
Die Männer hatten mit eisigem Schweigen zugehört, das auch jetzt noch
anhielt.

Endlich räusperte sich der Burgemeister und erwiderte in achtungsvollem
Ton:

»Es erfüllt uns mit Genugtuung, Herr Amtmann, aus Euerm Munde zu
vernehmen, daß das Land und selbst des Herzogs Hoheit anerkennt, wie
der Rat der Stadt Meißen seine Pflicht tut. Diese Anerkennung soll uns
darin bestärken, wie bisher weiter zu wirken. Die Zustimmung zu unserem
Tun aber als Lob zu betrachten, weist der Rat zu Meißen ab! Denn er tut
eben nichts anderes als seine Pflicht!«

Zu diesen Worten erklang zum ersten Male ein beifälliges Murmeln.

»Was das andere betrifft, Herr Amtmann,« setzte Georg Waltklinger
mit weiser Mäßigung hinzu, »so haben uns Eure Worte die erhoffte
Befriedigung nicht gebracht. Glauben ist Herzenssache, sagtet Ihr.
Nun, Herr Amtmann, unsere Herzen verlangt es eben nach jener hohen
Befriedigung, die ihnen die Lehre des Doktors Luther gibt. Der alte
Glaube aber kann dem keine Erbauung mehr spenden, der die köstliche
Weihe empfunden, die das große Werk des Wittenbergers ausgießt. So Ihr
der Bürgerschaft von Meißen einen Dienst tun möchtet, den sie Euch nie
vergessen würde, dann geht hin zu unserm erlauchten Herrn und öffnet
ihm die Augen darüber, wie hoch die Not gestiegen ist, die sein Volk im
Innern leidet!«

Der Burgemeister hatte mit fließender Beredsamkeit und allen aus der
Seele gesprochen. Die Männer fühlten die tiefe Wirkung der Worte ihres
Oberhaupts. Kein Beifallszeichen ertönte, aber auf ihren Mienen stand
das Einverständnis zu dem Gehörten. Doch Ernst von Miltitz machte eine
abweisende Gebärde.

»Männer, die fest und wahr zu dem Herzog stehen, sprechen anders!«

Waltklinger richtete sich groß auf.

»Die zum Herzog stehen?« entgegnete er mit niedergehaltener Erregung.
»Nicht weniger treu und fest, als Ihr, Herr Amtmann, bekennt sich der
Rat und die Einwohnerschaft zu unserm gnädigen Herrn! Aber warum setzt
sich der Herzog so scharf in Widerspruch mit seinen Untertanen? Warum
gibt er die Kirchen für den lutherischen Glauben nicht frei? Warum
erlaubt er nicht, daß uns das Abendmahl in beiderlei Gestalt gereicht
werde? Denkt er vielleicht, durch sein Sträuben für alle Zeiten das
zu verhindern, was mit zwingender Notwendigkeit doch einmal eintreten
muß? Treue und Anhänglichkeit zu der Person des Herzogs sind hohe
Tugenden, Herr Amtmann. Und wir üben sie. Aber über Fürstendienst steht
Gottesdienst!«

Da war es heraus! Nun wußte der Vertraute des Herzogs alles. Und er
konnte es seinem Herrn berichten. Das waren unerschrockene Worte
gewesen, die der Burgemeister gesagt hatte. Alle empfanden es! Die
freimütige Haltung Waltklingers hatte sie begeistert.

Ernst von Miltitz war vom Stuhl aufgestanden, und mit ihm erhob sich
die Versammlung.

»Herr Burgemeister,« sagte der Amtmann tief verstimmt, »ich habe das
Äußerste versucht, Euch von Euern unausführbaren Plänen abzubringen.
Es ist mir mißlungen. Ich bedaure es! Seid Ihr Euch aber auch bewußt,
was Eure abweisende Haltung bedeutet?«

Wie zwei Gegner standen die beiden Männer einander gegenüber. Georg
Waltklinger, der den Amtmann um eines Hauptes Länge überragte, stand
hoch aufgerichtet mit zurückgeworfenem Kopf. Noch nie hatte er die
Würde als Burgemeister so gefühlt, wie in dieser Minute, und noch nie
war er so stolz gewesen, ein freier Handwerksmeister zu sein, wie
gerade jetzt.

»Ja, Herr Amtmann,« kam es mit männlicher Festigkeit von seinen Lippen.
»Ich weiß es, was diese Stunde bedeutet. Sie eröffnet den Kampf. Die
Bürgerschaft von Meißen steht hinter mir, -- ich werde ihn ausfechten!«

Ernst von Miltitz fühlte, wie er in den Augen der Männer als der
Unterlegene erschien. Schon war er im Begriff, die Kühnheit des
Burgemeisters scharf zurückzuweisen, um dergestalt die starke Wirkung
seiner Rede abzuschwächen. Aber er verschmähte es. In vornehmer Haltung
und mit einem stummen Gruß verließ er den Saal.

Jetzt brach das Schweigen. Die Mitglieder der Ratsversammlung priesen
mit lauten Worten die Klugheit und den Freimut ihres Oberhaupts. Einer
nach dem andern drängte sich an Waltklinger heran, damit er ihm die
Hand drücke, als Zeichen des Einverständnisses zu seiner mannhaften
Rede. Niclas Anesorges Gesicht strahlte. Er hatte immer eine hohe
Meinung von der Tüchtigkeit Waltklingers gehabt. Heute war dieser aber
über sich hinausgewachsen. Wie kraftvoll die Worte geklungen hatten --
und wie stolz!

So gingen die Ratmannen auseinander und trugen die Kunde von dem
bedeutsamen Vorfall hinaus. Sie flog von Gasse zu Gasse und huschte in
jedes Haus. Die Einwohnerschaft der Stadt Meißen aber empfand große
Befriedigung und war wieder einmal stolz auf ihren Burgemeister.

Nur einer legte seiner Freude kurze Zügel an -- Georg Waltklinger.
Nicht daß er die Gefahr scheute, die der heraufbeschworene Kampf ihm
bringen mußte. Er kannte keine Furcht! Wer so wie er im innersten
Herzen von der Rechtlichkeit seines Wollens überzeugt war, wer so
gerade Wege ging, der konnte allem, was auch kam, ruhig entgegensehen.

Als er aber zu später Abendstunde beim Kerzenschein in seinem Zimmer
saß, kamen ihm allerhand Gedanken und Zweifel, ob er recht gehandelt.
Ernst von Miltitz, das fühlte er jetzt, war sicherlich als heimlicher
Abgesandter seines Herrn erschienen. Herzog Georg liebte seine alte
Markgrafenstadt und es war ihm daran gelegen, mit ihrer Bürgerschaft in
Frieden zu leben. Wohl war es die Mehrzahl der sächsischen Städte, die
unaufhörlich um die Reformation baten, aber von Meißen schallte dieser
Ruf doch am stärksten. Deshalb hatte der Herzog seinem Vertrauten
wohl auch die Weisung gegeben, den Rat unverfänglich und in Güte zu
überreden, damit er seinen Einfluß auf die Bürger geltend mache. Und
der Amtmann, das war nicht zu leugnen, hatte sich seines Auftrags mit
Geschick entledigt.

Die hohen Herren waren jedoch, als sie den Plan schmiedeten, von der
wirklichen Stimmung im Volke nicht unterrichtet gewesen. Der Bürger
_wollte_ nicht nachgeben, ja, er _konnte_ es nicht mehr. Der Geist
des Wittenbergers war schon zu tief in aller Seelen eingedrungen. Und
wenn der Herzog selbst käme und es versuchte, und wenn er bäte! -- man
könnte ihm doch nur _eine_ Antwort geben! Soweit also war Waltklinger
beruhigt.

War es aber notwendig gewesen, dem Amtmann so scharf zu erwidern,
wie er es getan? O, -- persönlich empfand Georg Waltklinger lebhafte
Befriedigung darüber. Denn den Amtseifer des neuen Herrn hatte die
Stadt schon wiederholt wie Nadelstiche empfunden. Und dann! War
nicht gerade Ernst von Miltitz einer von jenen Adligen, die auf die
verhaßten Städter von oben herabsahen? Dem konnte es nicht schaden, daß
ihm einmal ein freier Bürger und der erste Vertreter einer Stadt so
unbeugsam entgegen getreten war!

Aber die Bürgerschaft! Konnten für sie nicht schwere Nachteile
erwachsen? Der Amtmann würde sicherlich Gelegenheiten suchen, wo der
Stadt etwas am Zeuge zu flicken war. Und finden würde er dabei etwas!
Er konnte ihr überall Schwierigkeiten bereiten, wenigstens solche,
die wirtschaftliche Einbußen bedeuteten. Doch man hatte ein ruhiges
Gewissen; der Haushalt der Stadt war geordnet. Aber doch freute sich
der Burgemeister im stillen, daß seine starke innere Erregung ihn nicht
fortgerissen hatte, als er dem Amtmann gegenübergestanden.

Sorgen und Aufregung hatten ihm also die letzten Wochen zur Genüge
gebracht.

Georg Waltklinger hielt den Kopf auf den Tisch gestützt, als eine Hand
leise über sein Haar strich. Er wandte sich um.

»Ach, Sonnhild,« sagte er zerstreut, »bist du noch wach?«

»Ich habe darauf warten wollen, bis du mit deinem Grübeln zu Ende
gekommen wärest. Aber du findest kein Ende.«

»Laß deinen Vater, Kind, du kannst seine Sorgen ja doch nicht teilen,«
versetzte Waltklinger.

»Lieber Vater, du vergißt über deinen Geschäften alles, das ganze Haus
und -- auch mich!«

Der wehmütige Klang dieser Worte drang Waltklinger zum Herzen. Und er
wurde sich bewußt, daß er seine Tochter wenig an den Zerstreuungen
ihrer Altersgenossinnen teilnehmen ließ, sondern geflissentlich an
das Haus bannte, damit die Zeit noch lange hinausgeschoben würde, zu
der er ihre Liebe mit jemand anderem teilen mußte. Hatte er dann aber
nicht auch die Pflicht, Sonnhild durch vieles Beisammensein mit ihr zu
entschädigen? Tat er dies?

Georg Waltklinger fühlte, daß er darin gefehlt. Zärtlich schlang er den
Arm um Sonnhild und zog sie auf seinen Schoß nieder.

»Mein Töchterchen,« sagte er tröstend, »die Zeiten werden auch wieder
besser. Ich will mich fortan immer rechtzeitig daran erinnern, daß
daheim mein Sonnenschein auf mich wartet.«

Dazu hob er ihren Kopf auf und sah in ihre bekümmerten Augen.

»Lieber Vater,« sprach Sonnhild, sich erhebend, »weißt du es nicht,
welchen Tag wir heute schreiben?«

Georg Waltklinger horchte auf und sann nach. Da lief plötzlich eine
dunkle Röte über sein Gesicht, daß er wie ein Schuldbewußter vor seinem
Kinde saß.

»Verzeihe deinem Vater, Sonnhild!« sagte er in tiefer Rührung. »Es ist
heute das erstemal, daß ich ihren Todestag ohne Feier habe vorübergehen
lassen. Komm, laß uns das Versäumte nachholen.«

Und er nahm den doppelarmigen Leuchter von schwerem Silber und ging
mit ihm voran in das erste Stockwerk. Als sie durch die Reihe der
Prunkstuben hindurchschritten, schallten ihre Schritte dumpf von den
Wänden zurück.

In dem hintersten Gemach angekommen, stellte Waltklinger den Leuchter
nieder. Dann neigte er sich über einen kleinen Betstuhl, der noch von
Urgroßvaters Zeiten stammte, und zog an einer niederhängenden Schnur,
worauf sich ein grünseidener Vorhang teilte und eine in Öl gemalte
Leinwand sichtbar wurde. Der dunkle Rahmen umschloß ein herrliches
Frauenbildnis. Der Kopf war bedeckt mit einer schweren Last golden
glänzenden Haares. Und das schmale Gesicht trug einen unaussprechlich
lieblichen Ausdruck.

»Laß uns beten,« sagte Georg Waltklinger.

Da knieten Vater und Tochter nieder und beteten leise miteinander.
In dem Gemach herrschte tiefe Stille. Nur der Wurm nagte leise in
dem Getäfel der hohen Wände, und die seltsam geformten Schatten des
flackernden Kerzenlichts huschten gespenstisch darüber hin.

Hierauf erhoben sie sich und sahen lange stumm in das engelschöne
Gesicht an der Wand. Endlich wandte sich Waltklinger zu Sonnhild, legte
ihr die Hände auf das Haupt und sprach mit Inbrunst:

»Bleibe ebenso gut und edel und rein, mein Kind, wie du bisher warst
und wie deine Mutter es gewesen ist!«

[Illustration]



[Illustration]

Siebentes Kapitel

Eine große Enttäuschung


Bernhard von Miltitz sehnte voll Ungeduld die nächste Zusammenkunft
mit Sonnhild herbei. Die Tage bis dahin vertrieb er sich damit,
einsam durch Wald und Flur zu streifen. Sein einziger Gedanke war
sie! Und sein Herz schlug vor Freude rascher, wenn er sich mit aller
Lebendigkeit die Erinnerung daran zurückrief, wieviel freundliche Worte
und Blicke Sonnhild für ihn besessen. Zuweilen fuhr er nachts aus dem
Schlafe auf. Dann meinte er, das Mädchen müsse vor ihm stehen. So
lebhaft hatte er von ihr geträumt.

Als endlich der Tag des Wiedersehens gekommen, machte sich der Jüngling
schon lange vor der festgesetzten Zeit auf den Weg. Er hatte sich
heute mit besonderer Sorgfalt gekleidet und das braune Haar fleißig
gebürstet, daß es in zierlichen Wellen herabhing. Auch einen prächtigen
Stickereikragen hatte er auf die Schultern gelegt und nagelneue, braune
Knöchelschuhe angezogen.

So ging er leichten Schrittes durch die Gassen der Stadt. Manche
Jungfrau, die dem vornehmen Junker begegnete, hätte ihn gar zu
gern genauer betrachtet. Aber die gute Sitte verlangte, daß sie
mit niedergeschlagenen Augen an ihm vorbeiging. Nur die jungen
Bürgerstöchter, die an den Fenstern hinter den blütenweißen Vorhängen
standen und sich die Zeit damit vertrieben, auf die Vorübergehenden
hinabzuschauen, verfolgten den Jüngling mit den Augen, so weit sie
konnten. Sein feines, bleiches Gesicht -- das nur ein wenig zu ernst
war --, fesselte ihre Aufmerksamkeit in hohem Maße und seine Haltung
entzückte sie.

Als Bernhard zum Lommatzscher Tor hinausschritt, mußte er unwillkürlich
des Mädchens gedenken, dem er jüngst begegnet war. Aber ebenso rasch,
wie dieser Gedanke gekommen, verschwand er wieder. Sonnhild stieg vor
seinem Geiste herauf und hielt all seine Sinne im Bann.

Der Jüngling setzte sich neben der Straße auf einen Stein, um hier das
Mädchen zu erwarten. Da schlug es vom Dom mit dumpfen Schlägen die
vierte Stunde. Bernhard sprang auf. Sollte er Sonnhild verfehlt haben?
Sie hatte heute gewiß einen andern Weg gewählt. Vielleicht war sie in
großer Ungeduld noch früher hinausgegangen als er und erwartete ihn an
der bekannten Stelle.

Mit eiligen Schritten lief Bernhard durch den Wald. Schon während des
Nahens suchten seine Augen die weiße Gestalt unter den grünen Bäumen.
Aber er konnte sie nicht entdecken. Endlich hatte er das Ziel erreicht,
-- Sonnhild war nicht zu sehen. Er eilte zu einigen anderen Punkten,
wo er mit ihr schon einmal verweilt, suchte alles mit den Augen ab,
rief »huhu!« und darauf wiederholt ihren Namen -- umsonst. Seine Stimme
verhallte im Walde.

Da kam das Gefühl einer großen Enttäuschung über ihn. Er warf sich
auf das schwellende Moos, verschränkte die Arme unter dem Kopf und
sah starr auf das leise Spiel des Windes in den Blättern. Bald setzte
er sich jedoch hastig wieder auf und sprang endlich in die Höhe. Das
heimliche Angstgefühl hatte ihn gepackt, Sonnhild könne krank geworden
oder ein Unglücksfall möchte ihr zugestoßen sein.

Unschlüssig, wie er sich hierüber Gewißheit verschaffe, trieb es ihn
rastlos in die Kreuz und die Quere, bis er endlich wieder auf dem alten
Fleck stand. Jetzt zwang sich Bernhard zum ruhigen Nachdenken. Es mußte
doch nicht gerade Krankheit sein, was Sonnhild am Kommen verhindert
hatte. Konnte nicht das Gespräch, welches sie gepflogen, die Ursache
sein, daß Sonnhild ein nochmaliges Zusammentreffen mit ihm vermied? Der
Zwist ihrer Väter und sein Bekennen zur katholischen Kirche -- --.

»Dieser unselige Religionshader,« seufzte der Jüngling, »nun empfinde
auch ich ihn.«

Traurig strich er ziellos durch den Wald, von Zeit zu Zeit nach dem
Aussichtspunkt zurückkehrend mit der leisen Hoffnung, das Mädchen könne
sich noch verspätet eingefunden haben. Er zermarterte seinen Kopf mit
Plänen, wie es ihm wohl möglich sei, Sonnhild heimlich zu sprechen.
Aber er gab einen Entschluß nach dem andern wieder auf. Mit ihrer
Ausführung hätte er Sonnhild sicher nur geschadet.

Nun ging der Tag zur Rüste, und jede Hoffnung, das Mädchen noch zu
sehen, entschwand. Bernhard schaute noch einmal hoch über den Strom
hinweg, nach den Weinbergen, die im Widerschein des aufleuchtenden
Abendrots in einen Schimmer von Purpur getaucht waren. Dann richtete
er den Blick auf das herrliche Meisterwerk Konrads von Westfalen, das
Markgrafenschloß, dessen zahlreiche Fenster rot glühten, als stehe
hinter ihnen alles in Flammen, und auf den altehrwürdigen Dom. Die
Strahlen der scheidenden Sonne umschmeichelten das goldene Kreuz in
schwindelnder Höhe, als wenn das Himmelslicht die letzte Dulderstätte
seines Herrn und Meisters, dieses irdische Symbol des höchsten Heils
noch einmal küssen wolle.

Aber der Jüngling hatte heute für die überwältigende Schönheit dieses
Anblicks kein Auge. _Seine_ Sonne strahlte nicht! Und vor seinem bangen
Blick zogen drohende Schatten herauf.

Müde begab er sich auf den Heimweg. Als er die Straße erreicht hatte,
bemerkte er eine weibliche Gestalt, die seitwärts an einem Baum
lehnte, als wenn sie ihn schon seit langem erwartet habe. Es war das
Judenmädchen.

Sie stand in steifer Haltung und hielt die Augen unverrückt auf ihn
gerichtet. Bernhard sah kurz hinüber. Und auch heute hatte er wieder
das Empfinden, als wenn er Sonnhilds Augen sähe.

Ihrer nicht achtend, ging er vorüber. Da hörte er, wie sie ihren Platz
verließ und ihm in kurzer Entfernung folgte. Bernhard verdroß dies. Er
blieb stehen, um sie vorbeizulassen. Sobald sie jedoch seine Absicht
erkannte, blieb sie ebenfalls stehen. Da warf er ihr einen strafenden
Blick zu. Sie fing ihn gleichmütig auf, und Bernhard sah, wie ihre
Augen verzehrend auf ihn gerichtet waren.

Er wandte sich wieder zum Gehen; sie folgte ihm. Er blieb stehen
-- sie auch. Nach einer Weile tat er es noch einmal, -- das Spiel
wiederholte sich.

Da ward der Jüngling zornig. Er trat auf das Mädchen zu und fuhr sie
hart an. Aber es schien, als wenn sie seine barschen Worte nicht
verstünde. In ihr marmorweißes Gesicht schoß ein schwaches Lächeln,
und in den glutvollen Augen loderte es auf. Das Schweigen des Mädchens
erbitterte Bernhard, daß er sie wütend schalt. Da wurde das Lächeln
auf ihrem Gesicht stärker; es drückte die Befriedigung aus, die sie an
seiner Gegenwart empfand.

Bernhard stand ratlos da. War sie erfreut, wenn er sie schalt? Er mußte
es annehmen! Was für ein rätselvolles Mädchen war dies! Was wollte sie
von ihm! Da schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Sie war sicherlich
kein Kind des Landes, und seine Sprache war nicht die ihrige.

»Verstehst du, was ich zu dir spreche?« fragte er.

»Ich verstehe Euch,« klang es zurück.

Da sah Bernhard dem Mädchen verständnislos ins Gesicht. Dann wandte er
sich ab und verfolgte den Weg weiter, sich nicht mehr daran kehrend,
daß sie ihm wie sein Schatten folgte.

Als sie das Stadttor erreicht hatten, drängte sie sich an ihn heran
und blickte ihm noch einmal ins Gesicht Dann blieb sie stehen. Da trat
aus der Wohnung des Torhüters eine Frau von unverkennbar jüdischem
Aussehen, deren Gesicht noch die Spuren einstiger hoher Schönheit trug.
Die sagte zärtlich zu dem Mädchen:

»Mirjam, mein Seelchen, wo bist du so lange gewesen?«

Das Mädchen achtete aber nicht auf diese Frage, sondern fuhr die Frau
an:

»Mutter, gib mir Geld auf ein Paar neue Schuhe!«

       *       *       *       *       *

Während der hierauf folgenden Woche ging Bernhard täglich vor das
Lommatzscher Tor hinaus, ohne jedoch Sonnhild wiederzusehen. Sein Gemüt
umdüsterte sich, und er wurde tieftraurig. Jeden Morgen hoffte er von
neuem, daß sie sich heute einstellen würde, und jeden Abend ging er
mißmutig und enttäuscht nach Siebeneichen zurück.

Das Judenmädchen stand Tag für Tag wie eine Bildsäule unter dem Baum,
seiner wartend. Wenn er vorbeigeschritten war, heftete sie sich lautlos
an seine Fersen. Bernhard hatte noch einen letzten Versuch gemacht, sie
davon zu jagen. Aber sie hatte seinen Zornausbruch teilnahmlos über
sich ergehen lassen. Und als er die Hand erhoben, um sie zu schlagen,
hatte sie gelächelt. Seitdem kümmerte er sich nicht mehr um sie und
vergaß zuweilen völlig, daß sie in seiner Nähe war.

Nun waren sieben Tage vergangen, ohne daß Bernhard Sonnhild
wiedergesehen hätte. Es war wieder Samstag. Bernhard lag an derselben
Stelle, wo sie sich getroffen, im Grase und träumte mit offenen Augen
von ihr. Das Herz war ihm schwer. Er wußte nicht, ob das Mädchen krank
war, oder ob sie nichts mehr von ihm wissen wollte.

Endlich erhob er sich von dem weichen Moosteppich, mit dem Entschlusse,
einen gewaltsamen Versuch zu wagen, Sonnhild wiederzusehen. Da fielen
seine Augen auf die Jüdin. Sie stand unweit von ihm und blickte ihn
an -- flehentlich und verlangend. Bernhard fühlte sich gefesselt von
diesen ausdrucksvollen Augen, und er empfand eine unerklärliche Unruhe.
Das Blut drang ihm heiß in die Schläfen, und seine Pulse flogen.

Mit feinem Instinkt merkte das Mädchen blitzschnell diese Veränderung.
Sie tat einen geschmeidigen Katzenschritt und stand nun dicht vor
ihm. Bernhard sah ein frohlockendes Lächeln auf ihren halbgeöffneten
Lippen und unterschied das heftige Wogen ihres Busens. Die Einsamkeit
des Waldes und das verschwommene Licht steigerten die Wirkung, die das
Mädchen auf den Jüngling ausübte. Sein ganzer Körper zitterte, und
eine starke Macht, die er noch nie empfunden, drängte ihn zu der Jüdin
hin. Schon fühlte er seinen Widerstand schwinden, -- da raffte er noch
einmal allen Willen zusammen.

Zurücktretend wandte er sich ab und ging langsam dahin. Wohl merkte er,
wie der Sturm in seinem Innern noch tobte, aber er zwang sich zur Ruhe.
Da erschien vor seiner Seele das leuchtende Bild Sonnhilds, und er sah
ihre unschuldvollen Augen. In demselben Augenblick fiel alle Schwäche
von ihm ab, und die kühle Besonnenheit stellte sich wieder ein.

Hinter sich hörte er die schleichenden Tritte des enttäuschten
Mädchens, das zu früh frohlockt hatte. Schnell trat er den Heimweg an,
damit die Versuchung weit hinter ihm bleibe.

[Illustration]



[Illustration]

Achtes Kapitel

Zwei bewegte Unterredungen


Der Abend dieses Tages war hereingebrochen. Mit dem Dunkelwerden waren
die Gassen Meißens verödet. Jetzt lagen sie in tiefer Ruhe. Im Sommer
pflegten viele Einwohner sich zu dieser Stunde zur Ruhe zu begeben.
Überdies war ja morgen Sonntag, an dem sich bei schönem Wetter das
Leben auf den Gassen schon frühzeitig entfaltete. Nur hier und da
brannte hinter den Fenstern noch Licht zu der letzten Verrichtung der
emsig schaffenden Hausfrau.

Dieser geringe Lichtschimmer bildete die einzige Beleuchtung der
Gassen. Wenn auch diese schwachen Flämmlein erstarben, war es dunkel
in der Stadt. Wer also zu später Stunde noch außer dem Hause war und
nicht das Glück hatte, daß ihm der Mond freundlich sein bleiches Licht
spendete, der mußte aufs Geratewohl seinen Weg zurücklegen. War aber
die Finsternis dem Auge undurchdringlich, dann trug wohl der nächtlich
Wandelnde eine Laterne in der Hand. Nur die reichen Bürger ließen sich
von einer Magd heimleuchten, und die Vornehmsten in den großen Städten
wurden von Dienern begleitet, die Pechfackeln vorauftrugen.

Tiefe Ruhe herrschte in der Stadt. Nur in den Schenkstuben war es
noch lebendig. An Gesprächstoff mangelte es in dieser bewegten Zeit
natürlich nicht. Aber selbst in stillen Zeiten hat Frau Politik, diese
liebenswürdige Dame, für jeden Stammtisch auf dem Erdenrund, an dem
wackre deutsche Männer sitzen, wenigstens ein Quentchen interessanter
Neuigkeit freundlicherweise immer übrig gehabt.

Es war ein milder Frühlingsabend. Sonnhild saß auf dem Lustgänglein,
um die herrliche Luft zu genießen. Vor ihr stand auf dem kleinen Tisch
eine zinnerne Lampe, in deren mit Erdöl gefülltem Becken der brennende
Docht lag. Das Mädchen hielt eine angefangene Stickereiarbeit in den
Händen, die zu dem nahen Geburtstag des Vaters fertig sein sollte.

Sonnhild stichelte tapfer beim trüben Schein der Lampe. Da entsank die
Arbeit den fleißigen Händen, und ihr Blick verlor sich. Sie dachte
angestrengt nach. Ein wehmütiger Zug trat auf ihr Gesicht, und endlich
lief eine feine Röte darüber hin. Das Mädchen erschrak und nahm die
unterbrochene Arbeit wieder auf. Bald kamen aber die Träumereien von
neuem, und sie vergaß gänzlich die Außenwelt.

Da fuhr sie auf. Hatte sie nicht auf dem Hof leises Geräusch vernommen?
Sie horchte. Es war alles still. Der milde Abendwind spielte leise mit
dem leinenen Vorhang, der ihren Platz von dem hinteren Teil der Galerie
abschloß. Sie beruhigte sich und gab sich von neuem willig den Gedanken
hin, die sie erfüllten.

Aber schon wieder war es ihr, als ob sie etwas Ungewöhnliches gehört
habe. Doch schalt sie auf ihren törichten Argwohn, denn was sollte sie
hier stören? Und abermals vergaß sie die Arbeit. Sie legte sich zurück
und schloß die Augen. Es mußte eine freundliche Erinnerung sein, die
in ihrer Seele heraufstieg! Denn ein glückliches Lächeln trat auf ihr
Gesicht, und ihr Mund flüsterte leise einen Namen -- einmal, zweimal.

Im nächsten Augenblick aber richtete sie sich auf und horchte
angestrengt. Jetzt bestand kein Zweifel mehr, daß sie einen fremden
Laut vernommen hatte. Sollte etwa ein Fremder ins Haus gedrungen sein?
Das Tor stand noch offen, der Vater verschloß es erst, wenn er aus der
Innungsstube nach dem Nachttrunk heimkehrte.

Das Mädchen saß unbeweglich und strengte alle Sinne an. Da bemerkte
sie, wie sich der Vorhang leise bewegte. Geängstigt sprang Sonnhild auf
und trat bis an die Mauer zurück, die Augen starr auf die Falten der
Leinwand gerichtet. Sie fühlte, daß dahinter ein Mensch stand. Ihre
Glieder waren wie gelähmt, und von ihren Lippen kam ein unterdrückter
Laut des Entsetzens.

Da teilte sich der Vorhang, und ein Mann trat in den Lichtkreis.
Sonnhild stand mit vorgeneigtem Oberkörper und starrte auf den
Eindringling Im nächsten Augenblick stieß sie geängstigt aus:

»Bernhard! ...« und

»Sonnhild!« klang es fast gleichzeitig, und Bernhard flog ihr zu Füßen
und haschte nach ihrer Hand und preßte sie lange an seine Lippen.

Sonnhild lehnte sich erschöpft an die Wand zurück; ihr Körper zitterte
vor Aufregung.

»Verzeiht,« flüsterte der Jüngling zerknirscht, »daß ich Euch
Angst bereitete. Ich bitte Euch tausendmal, mir zu verzeihen, edle
Jungfrau ...«

»Es ist nichts,« stammelte das Mädchen, sich sammelnd, »der Schrecken
ist schon vorüber. Wie tollkühn Ihr doch seid! Wenn nun mein Vater zu
Hause wäre!«

Bernhard erhob sich und betrachtete Sonnhilds verängstigtes Gesicht.

»Jungfrau,« sprach er, »wenn Ihr wüßtet, wie unsäglich ich in den
letzten Tagen gelitten habe! Mir war ja so sehr bange um Euch!« Und der
tiefe Ernst, der im Ton dieser Worte lag, bestätigte ihre Wahrheit.

»Auch mich, Junker, hat es nach dem Zusammensein mit Euch sehnlichst
verlangt,« sagte das Mädchen blutrot und mit niedergeschlagenen Augen.
»Und wie schwer ich es getragen habe, daß ich mein Versprechen nicht
halten konnte! Ich durfte es nicht wagen, Euch zu begegnen. Mein Vater
hat Verdacht geschöpft, oder ein mißgünstiger Aufpasser hat ihm etwas
hinterbracht. Er bat mich, den Fuß so lange nicht vor die Stadtmauer zu
setzen, bis er mir solches wieder erlaube. Und mein Vater ist ja so gut
zu mir, Junker! Man sagt, er sei ein Eisenkopf. Aber wenn er mit mir
spricht, ist er weich und liebevoll, wie eine Mutter zu ihrem kranken
Kind. Junker, -- ich durfte meinen Vater nicht betrügen!«

Bernhard sah Sonnhild voll Wärme an.

»Ihr tatet recht, Jungfrau,« sagte er leise, »Ihr dürft Eurem guten
Vater nicht weh tun. Aber ich flehe Euch an, mir Eure Gegenwart noch
einmal zu schenken. Von der Erinnerung an diese Stunde will ich dann
so lange zehren, bis das Glück uns holder sein wird. Denn in meinem
Herzen brennt eine Flamme, Jungfrau, die mich noch verzehrt!«

Sonnhild senkte den Kopf.

»Ihr sagtet Eurem Vater zu,« sprach der Jüngling weiter, »nicht vor
die Tore der Stadt zu gehen. Dieses Versprechen sollt Ihr ihm halten!
Deshalb sei der Ort unserer Begegnung der Schloßberg. Die dichten Bäume
am Fuße der Burg werden neidische Blicke von uns fernhalten. O -- edle
Jungfrau, sagt nicht nein, ich flehe darum!«

Der Klang dieser Worte schlug dem Mädchen ans Herz. Und als sie in
Bernhards bittende Augen sah, war ihr letzter Widerstand besiegt.

»Sei es darum,« flüsterte sie mit schmerzlichem Lächeln, »wie könnte
ich Euch etwas abschlagen, wenn Ihr so bittet. Am Dienstag zur
gewohnten Stunde wartet meiner oben im Schloßhof, ganz hinten an der
Mauer auf der Elbseite.«

»O -- wie gütig Ihr seid,« erwiderte der Jüngling, »ich danke es Euch
viele Male!«

»Doch wie konntet Ihr nur hierherkommen?« fragte Sonnhild ängstlich,
sich erst jetzt der großen Gefahr bewußt werdend, in der sie schwebten.

»Den Wächter am Jüdentor bestach ich mit einem reichlichen Weingeld.
Er wird mir auch zum Austritt wieder öffnen. Euer Haus fand ich offen,
und als ich den Lichtschein im Hofe sah, legte ich rasch die Leiter an
und gewann so das Lustgänglein. Noch konnte ich Euch ja nicht sehen
und zögerte deshalb. Da verriet mir der Schlag meines Herzens Eure
Gegenwart. Und so fand ich Euch,« schloß der Jüngling treuherzig.

Das Mädchen antwortete nicht, ließ es aber geschehen, daß Bernhard ihr
tief in die Augen sah. Plötzlich sagte sie hastig:

»Jetzt aber geht schnell! Die Uhr steht kurz vor zehn, -- der Vater
möchte uns andernfalls überraschen!«

Sie führte Bernhard die Treppe hinab und setzte die Lampe auf deren
unterste Stufe, daß ihr Licht den großen Hausflur spärlich erhellte.

Ein letzter Blick und Händedruck -- dann wandte sich Bernhard zum
Gehen. Im nächsten Augenblick prallte er zurück: er sah im Rahmen der
offenen Tür die hohe Gestalt eines Mannes stehen.

Der Jüngling war heftig erschrocken. Zudem bemerkte er noch, daß
Sonnhild taumelte und die Augen schloß. Dann trat der Mann näher und
richtete die Blicke durchbohrend zuerst auf Sonnhild, dann auf ihn
selbst. Bernhard sah in das gerötete Gesicht des Mannes, das dessen
hohe Erregung verriet. Eine Weile kämpfte dieser mit sich, bis er in
rauhem Tone fragte:

»Wer seid Ihr?«

»Bernhard von Miltitz,« antwortete der Jüngling, sich blitzschnell
des Tages erinnernd, an dem derselbe Mund die nämliche Frage an ihn
gerichtet hatte.

Der Mann zuckte zusammen, und mit großer Anstrengung fragte er wieder:

»Und was führt Euch zu dieser Stunde, was überhaupt kann _Euch_ in mein
Haus führen?«

Der Jüngling schwieg.

Eine todesbange Minute verstrich. In dem dämmrig erhellten großen
Hausflur klang kein Laut. Die drei Menschen standen regungslos, als ob
sie von Stein wären.

Da schrie der Mann auf:

»Ein Miltitz! -- in meinem Hause! -- -- -- zur Nacht! --«

Hier schlug seine Stimme um. Und sich gegen Sonnhild wendend, kam es
nur noch mit furchtbarer Anstrengung aus seinem keuchenden Munde:

»Du ...! Du ...!«

In diesem Augenblick stellte sich Bernhard vor dem Wutschäumenden und
sagte mit fester Stimme:

»Herr Burgemeister, alle Schuld gebührt mir. Ich drang in Euer Haus
ein; niemand rief mich!«

»Bube!« keuchte Waltklinger, und es schien, als wenn er sich auf den
Jüngling stürzen wolle. »Mein Kind, mein reines Kind fordere ich von
dir ...!«

Da flammte es in Bernhards bleichem Gesicht auf. Die Seelenqual des
verzweifelten Vaters erschütterte ihn. Von tiefster Bewegung erfüllt,
erwiderte er:

»Auf Euerm Kind, Herr Burgemeister, haftet nicht der leiseste Makel!«

Aber der, dem diese Worte galten, war taub dafür. Seine sinnlose Wut
gewährte der ruhigen Überlegung keinen Raum. Lange nach Worten ringend,
stieß er endlich aus:

»Hinaus aus diesem reinen Hause -- Gewürm! Miltitze -- -- wir rechnen
noch miteinander ab!«

Eine Sekunde lang schwankte Bernhard, ob er nicht auf die schwere
Beleidigung antworten sollte. Dann gewann das Bedauern mit dem Wütenden
die Oberhand. Er warf einen raschen Blick auf Sonnhild. Bleich bis in
die Lippen hinein, lehnte sie an der Mauer, und in ihren Augen lag ein
herzzerreißendes Flehen. Das tilgte in des Jünglings Brust den letzten
Zweifel. Er schritt langsam zur Tür und verließ das Haus.

Jetzt wandte sich Waltklinger zu Sonnhild. Aber noch bevor sein
furchtbarer Zorn zum Ausbruch kam, trat aus dem Dunkel der Treppe eine
Frau hervor, die sich mit ihrer hohen Gestalt schützend vor das Mädchen
stellte. Es war Hanne, die alte Haushälterin des Burgemeisters.

»Nun ist es genug!« rief sie. »Eure Absage an den Junker durfte ich
nicht stören. Dem Kinde aber werdet Ihr kein Haar krümmen! Ich habe
die ganze Unterhaltung der beiden heimlich mit angehört. Es war nichts
darin, was Euerm Namen, was Georg Waltklingers Tochter zur Unehre
gereicht hätte. Gefehlt haben beide; die Schuld trägt der Jüngling.
Euer maßloser Zorn hat sie gestraft, schwerer als sie es verdienen. --
Und nun geh in deine Kammer, Sonnhild!«

Das Mädchen raffte sich zusammen und ging wie eine Nachtwandlerin die
Treppe hinauf, indessen die alte Hanne die Haustür verschloß.

Aber die Wut Waltklingers hatten diese Worte nicht beschwichtigen
können.

»Infame Buhlerin!« rief er.

Da richtete die Greisin ihren langen, dürren Leib hoch auf und trat vor
ihren Beleidiger.

»Ihr glaubt mir nicht, Burgemeister?« sagte sie kalt. »Die Hanne dient
dem Hause Waltklinger nun fünfundsechzig Jahre, und keiner hat sie je
für unehrlich befunden. Aber ich gebe zu, leichtsinnig bin ich gewesen,
-- Jahre hindurch. Seht her, auf diesen alten Armen habe ich Euch
einst getragen, denn es war seit Eurer Geburt keine Mutter mehr in
diesem Hause. Ihr fandet an meinem Herzen das erste Lächeln, und Euer
erstes Lallen galt mir. Dann lehrte ich Euch das Beten, und Euer Kummer
und Euer Weinen erstarb, wenn Ihr die Arme um meinen Hals legtet. Mit
meiner schwachen Kraft behütete ich Eure Seele, und ich wachte an Eurem
Bett, wenn Ihr krank wart. So wuchst Ihr heran.

Dann kam die Zeit, wo ich fehlte, -- aus Liebe zu Euch!«

Georg Waltklingers Zorn hatte sich bei den Worten der Greisin gedämpft.
Jetzt machte er eine Gebärde.

»Nein,« fuhr die Alte mit schwächer werdender Stimme fort, »nein, Jörg,
heute müssen wir zusammen Rechnung machen! Weißt du es nicht mehr,
wie du zur Hanne betteltest und ihr schmeicheltest, daß sie deine
Jünglingsstreiche vor dem gestrengen Vater verbergen sollte? Wie oft
habe ich nicht die halbe Nacht aufgesessen und gelauscht, damit ich das
leise Klopfen an der Haustür nicht überhörte, um dich auf den Strümpfen
einzulassen! Und wie ich heucheln mußte deinem Vater gegenüber!
Damals schlichst du auch in Bürgerhäuser hinein, mein Jörg! Aber ob
du den Haustöchtern nur solche lauteren Worte gesagt hast, wie der
Junker heute abend deiner Tochter, -- das, Jörg, magst du dir selber
beantworten! Also rase nicht gegen dein eigen Blut. Du weißt doch, mein
Junge, -- die Sünden der Väter ...! Aber der gute Gott hat deinem Kinde
den Geist seiner Mutter vererbt. Sonnhild gleicht mit jedem Tage immer
mehr deiner Maria ...«

Hier kehrte Georg Waltklinger der Greisin stumm den Rücken und stampfte
die Treppe hinauf.

Und wie vor fünfzig Jahren der Kopf ihres Jörg, lag heute Nacht an der
treuen Brust der alten Hanne das Haupt seines schluchzenden Kindes.

       *       *       *       *       *

Am darauffolgenden Tage saßen Ernst von Miltitz und Frau Magdalena
im Familienzimmer des Schlosses Siebeneichen in ernstem Gespräch. Da
klopfte es an der Tür, und gleich darauf trat Bernhard ein.

»Du ließest mich rufen, Vater,« sagte er und kam ein paar Schritte
näher.

Ernst von Miltitz betrachtete den Sohn streng, während Frau Magdalena
vor sich niedersah.

»Heute vormittag ist ein Schreiben an mich gekommen, dessen Inhalt
eine Anklage gegen dich bildet. Nun hat sich freilich der Absender,
wie ich ihn kenne, großer Zurückhaltung beflissen. Aber daß gerade der
Burgemeister Waltklinger es ist, der berechtigten Grund hat, sich über
dich zu beklagen, ist mir überaus peinlich.

Erst vor kurzem habe ich dir geschildert, wie schwierig mir es zuweilen
wird, meine Pflichten als Amtmann zu tun, und du weißt, daß Waltklinger
mein schlimmster Gegner ist. Dennoch stellst du der Tochter dieses
Mannes nach. Das ist eine Unklugheit und ein Mangel an Rücksicht gegen
deinen Vater. Beides hätte ich nicht von dir erwartet.«

Bernhard nagte an der Unterlippe. Der Vater hatte recht, -- von seinem
Standpunkt aus. Aber er ahnte ja nicht, wie es in dem Herzen seines
Sohnes aussah! Er betrachtete das als Spielerei, was ihm heiliges
Empfinden war.

Da sollte es schon kommen. Ernst von Miltitz fuhr fort:

»Ich halte dich mit deinen achtzehn Jahren noch für zu jung, um schon
eine Liebschaft anzuknüpfen. Gewiß könntest du sagen, daß du in Dresden
bereits mancherlei gesehen hast, und daß junge Männer in deinem Alter
es als Zeitvertreib betrachten, Jungfrauen heimlich den Hof zu machen.
Aber das ist eine Unsitte! Sie verdirbt den Charakter, hält vom Studium
der ernsten Pflichten ab, die uns auferlegt sind, und verdreht einem
unschuldigen Mädchen den Kopf. Deine Erziehung, Bernhard, hat dich
gelehrt, solches als ein freventliches Spiel zu unterlassen. Die
Abkommen alter Familien müssen sich jederzeit der hohen Verpflichtung
bewußt sein, die ihnen ihr Name auferlegt. Die hervorragende Stellung
des Adels wird vom Bürgerstande genug angefeindet. Wenn wir noch dazu
unsern Ruf der Makellosigkeit hingeben, dann haben unsere Widersacher
recht, und wir verdienen es nicht, daß sich unsere Vorfahren durch die
Jahrhunderte heiß bemühten, unserm Namen den hohen Klang zu bewahren.
Nicht Stellung und Besitz -- der Ruf, Bernhard, ist das höchste Gut des
Mannes!«

Dem Jüngling waren die Worte aus der Seele gesprochen. Aber seine
Empfindungen für Sonnhild waren ja ganz anderer Art, als der Vater
glaubte. Und in diesem Augenblicke wurde sich Bernhard bewußt, daß
seine Neigung zu dem Mädchen tiefe Liebe war. Der Lebensernst war
frühzeitig in ihm wach geworden, er hatte ihn vom Vater geerbt. Und so
jung er auch war, erkannte er doch unzweifelhaft die Echtheit seiner
Leidenschaft.

»Vater,« erwiderte er jetzt, »es tut mir leid, wenn ich dich betrübt
habe! Verzeihe mir. Du kennst mich als besonnen und weißt, daß mir
gute Sitte und hohe Gesinnung unveräußerliche Güter sind. Während du zu
mir sprachst, habe ich einen tiefen Blick in mein Inneres getan. Und
ich weiß mich noch so rein, wie du mich immer befunden hast.«

Bernhard schöpfte tief Atem. Dann fügte er hinzu:

»Das Geschick ist gegen mich. Denn nicht nur, daß es mir seine Gunst zu
dem, was ich begann, versagte, es zwingt mich auch, mit dem Bekennen
meines Tuns, dich, lieber Vater, zu betrüben.«

Ernst von Miltitz hatte der Rede seines Sohnes beifällig zugehört. Bei
den letzten Worten sah er gespannt auf.

»Die Tochter des Burgemeisters Waltklinger ist aufs sorgfältigste
erzogen und eine Jungfrau von reinem und edlem Herzen. Ich liebe sie!«

Tiefe Stille herrschte in dem großen Zimmer. Ernst von Miltitz war von
dem Geständnis seines Sohnes so überrascht worden, daß er eine Weile
brauchte, ihm zu erwidern. Seine Stimme klang spöttisch, als er begann:

»Diese Rolle spielst du nicht gut, Bernhard! Gib sie auf! Denn was du
da sprachst, waren die unbesonnenen Worte eines bis über die Ohren
verschossenen Knaben. Aber man verliebt sich nicht in die Erstbeste.«

»Mein Vater,« erwiderte Bernhard bestimmt, »ich bin mir meines Handels
völlig bewußt. Ich wiederhole, daß ich Sonnhild liebe!«

Aber Ernst von Miltitz lächelte frostig und schüttelte den Kopf.

»Zugegeben, daß es wahr wäre -- im Grunde ist es aber nichts anderes
als das Eintagsspiel unreifer Kinder --, und wenn es so wäre, sage
ich, dann wüßtest du, was deine Pflicht ist.«

»Meine Pflicht kenne ich! Ich werde sie nie vergessen! Aber ihr Bereich
endet hier vor meinem Herzen. Untugend zu begehren und Sittenlosem zu
frönen, wäre meiner nicht würdig. Sonnhild aber ist eine Jungfrau von
makellosem Ruf und reinem Gemüt, die als Gattin heimzuführen, sich kein
Edelmann zu schämen brauchte!«

»Und vergißt du ganz, wer sie ist?« fragte Ernst von Miltitz mit
niedergehaltenem Zorn.

»Nein,« versetzte Bernhard, »das vergaß ich nicht. Sie entstammt einer
rechtschaffenen und sehr geachteten bürgerlichen Familie. Aber sollte
mich dies hindern, dem Mädchen meine Liebe zu schenken? Nimmermehr!
Denn welche Mutter aus adligem Geschlecht könnte feineren Adel in die
Seele ihres Kindes pflanzen, als ihn Sonnhild besitzt! Wer sie kennt,
wird mein Handeln verstehen; nur die herrschenden Anschauungen unserer
Kreise sind gegen mich!«

Ernst von Miltitz stand vom Stuhl auf.

»Du bist noch zu jung, mein Sohn, um dich schon zu verlieben. Auch
fehlt es dir noch am richtigen Empfinden, was man mit Rücksicht auf
seinen Stand unterlassen muß. Meine väterliche Obrigkeit braucht aber
mit dir hierüber nicht zu verhandeln. Ich habe mich umsonst an deinen
Verstand gewandt, der ist dir verliebten Toren abhanden gekommen.
Bernhard, ich untersage dir den Verkehr mit dem Mädchen! Du wirst sie
vergessen!«

Der Jüngling blieb hierauf stumm. Dieses Schweigen reizte den erzürnten
Vater.

»Du Tropf,« sagte er, »dein Herz wird nicht in Stücke gehen. Schon
morgen betrachtest du, was du heute aufgibst, als eine Laune von
gestern.«

Da klang es fest und ruhig von Bernhards Mund:

»Ich liebe Sonnhild aus tiefster Seele und werde nie anders können!«

Jetzt brauste Ernst von Miltitz auf:

»Widerspruch gegen mein Gebot? Weißt du jetzt selbst nicht mehr, daß
die vornehmste Pflicht eines Kindes gegen die Eltern der Gehorsam ist?
Wage es nicht, meinem Willen zu trotzen!«

Diese scharfe Zurechtweisung verletzte Bernhard tief. Aber die
Hochachtung vor der väterlichen Macht verhinderte ihn, dies
auszusprechen.

»Versprich mir,« versetzte Ernst von Miltitz, »daß du dich dem Mädchen
nie wieder nähern wirst!«

Bernhard richtete den Blick fest auf den Zürnenden und antwortete:

»Vater, -- das vermag ich nicht zu versprechen.«

Bis jetzt hatte Frau Magdalena an sich gehalten. Nun rang sie die Hände
ineinander, und ihre Blicke suchten die Augen des Sohnes. Bernhard sah
es, aber er zuckte nur stumm mit den Achseln.

Ernst von Miltitz' Zorn wuchs durch den Widerstand. Der Jüngling hatte
seinen Vater noch nie so erregt gesehen, und er ahnte einen heftigen
Ausbruch, den er mit großer Beherrschung über sich ergehen lassen
wollte.

»Du kannst mir dein Wort nicht geben?« rief Ernst von Miltitz mit
zornbebender Stimme. »Einfältiger Knabe! Begreifst du nicht, daß
es dich nach etwas ganz anderem verlangt, als nach dem Herzen des
Mädchens?«

Bernhard schwieg. Er empfand heimliche Befriedigung darüber, daß er
seine Beherrschung behielt. Der ihn so verletzte, war sein Vater! Von
ihm durfte er keine Rechenschaft fordern!

»Und das Mädchen,« klang des Zürnenden Stimme wieder, »es wird nicht so
töricht sein wie du. Darf sie nicht die Braut eines Miltitz werden, so
kann sie doch seine Geliebte sein ...«

»Vater!« schrie Bernhard in diesem Augenblick schneidend auf und flog
auf den Sprecher zu. Ernst von Miltitz stand unbeweglich. Aber sein
Blick ging nach den Degen, die ihm zur Seite an der waffengeschmückten
Wand hingen.

So standen sich Vater und Sohn gegenüber. Ernst von Miltitz mit
gekünstelter Ruhe, Bernhard in leidenschaftlicher Erregung, mit
totenbleichem Gesicht und funkelnden Augen. Doch währte es kaum eine
Sekunde, dann war die Leidenschaft verflogen.

Bernhard fühlte tiefe Beschämung und ging mit gesenktem Kopf bis zur
Tür zurück. Doch auch Ernst von Miltitz hatte angesichts der drohenden
Haltung seines Sohnes die verlorene Beherrschung rasch wiedergefunden.
Er wußte sich schuld an dem häßlichen Auftritt. Deshalb sprach er auch
kein Wort mehr darüber, sondern trat an das Fenster und sah eine Weile
schweigend hinaus.

Endlich wandte er sich um und sagte in scheinbar gleichgültigem Tone:

»Kaiser Karl weilt wieder einmal in Worms. Der Herzog beabsichtigt,
Caspar von Carlowitz an das kaiserliche Hoflager zu senden, um der
Majestät seine gleichbleibende Ergebenheit und seine Standhaftigkeit
im alten Glauben von neuem zu versichern. Du wirst den herzoglichen
Abgesandten als Junker dahin begleiten. Ich habe mit Vetter Carlowitz
bereits alles verabredet. In drei Tagen gehst du nach Dresden und
meldest dich in der Hofkanzlei, woselbst die Pässe und Vollmachten für
Euch geschrieben werden. Vor deiner Abreise spreche ich dich noch!«

Bernhard vernahm dies alles wie im Traum. Das gestrige Erlebnis hatte
ihn schon erschüttert, und nun der heutige Tag! -- Er verneigte sich
stumm und begab sich auf sein Zimmer.

[Illustration]



[Illustration]

Neuntes Kapitel

Im Schatten des alten Markgrafenschlosses


Auf der Ostseite des Markgrafenschlosses fällt der hohe Syenitfelsen
in einer steilen Lehne ab. Diese mit Bäumen bewachsene Fläche hieß
der Tiergarten. An dieser Stelle stand hinter einem Vorsprung der
Grundmauer des Schlosses Sonnhild und schaute hinab.

Zwischen den Rebenstöcken drüben auf dem Ratsweinberg liefen
Winzerinnen geschäftig hin und her, und die weißen Tücher, die sie um
den Kopf geschlungen, tauchten in dem saftigen Grün abwechselnd auf, um
nach einer Weile wieder zu verschwinden.

Auf der hölzernen Elbbrücke mit den beiden Torhäusern über den
Brückenköpfen gingen und standen Menschlein, die von der Höhe aus so
klein erschienen wie Finger. Den Strom zogen langsam schwerbeladene,
mächtige Holzkähne hinunter. Sie kamen zum Teil aus Böhmen, zum andern
Teil bargen sie Erzeugnisse der meißnischen Handwerkskunst und trugen
diese nach den Seehäfen. Am Rande des Stroms klapperten lustig Getreide
mahlende Schiffmühlen, die bei einer Belagerung der Stadt von der Mauer
aus sorgfältig beschützt wurden, da man ihrer nicht entbehren konnte.

Am Fuße des Abhangs, gleichlaufend mit dem Strom, stand die Stadtmauer.
Sie war aus schweren Granitblöcken gebaut und wurde von steinhartem
Mörtel zusammengehalten. Ihre Höhe betrug an die zehn Ellen und zwei
Ellen ihre Stärke. Stromabwärts, wo die Mauer nach der Nordseite
zurücksprang, war das Wassertor, das wie alle andern Stadttore starke
Flügel besaß, mit schweren Eisenbeschlägen, Schlössern und Ketten.
Darüber erhob sich der mit Ziegeln abgedeckte, die Wohnung des
Torwächters enthaltende Stadtturm.

Sonnhild sah dies alles, aber es machte keinen Eindruck auf sie. Nur
stromaufwärts richtete sich zuweilen ihr Blick, dahin, wo sie hinter
Bäumen verborgen Siebeneichen wußte.

Da hörte sie leichte Tritte, und gleich darauf trat Bernhard hinter
der Mauerecke hervor. Bei Sonnhilds Anblick blieb er stehen, und sie
sahen sich eine lange Weile stumm in die Augen. Dann trat er heran und
reichte ihr die Hand.

»Bernhard,« sagte das Mädchen in schmerzlichem Ton.

Der Jüngling preßte die Lippen aufeinander und erwiderte nichts.

»Wie jubelte es doch noch vor kurzem in meinem Herzen«, klagte
Sonnhild, »heute ist es still darin. Das Schicksal ist uns
mißgünstig ...«

»Wir werden ihm trotzen!« fiel Bernhard ein und warf den Kopf in den
Nacken.

»Jungfrau,« fuhr er fort, »ich danke Euch für Eure Worte, die Ihr
soeben gesprochen. Bestätigen sie mir doch, daß auch Euer Herz von dem
bewegt ist, was ich fühle.«

Sonnhild fuhr bestürzt auf. Denn ihr ward bewußt, daß sie ihr zartes
Geheimnis verraten hatte.

»Junker,« stammelte sie, »um Gottes willen, was sprechen wir. Nein, es
darf nicht sein. Die tiefe Abneigung der beiden Stände voreinander,
denen wir angehören -- der Haß -- -- --«

»Sonnhild,« versetzte der Jüngling mit Ernst, »sprecht nicht also,
ich bitte Euch! Was uns trennend im Wege steht, ist nichts anderes,
als ein schlimmes Vorurteil. Wie lange noch, und die sich heute so
bitter bekämpfen, werden nicht mehr verstehen, warum sie dies einst
getan. Adel und Bürgertum werden noch einmal die Schranke zwischen
sich niederreißen und sich versöhnen. Dann erst können sie die großen
Aufgaben lösen, die ihnen gemeinsam gesteckt sind.«

»Wie edel Ihr seid,« antwortete Sonnhild. »Aber wann wird dies
eintreten? Die Abneigung ist ja so tief eingewurzelt. Und dazu der
grimme Glaubenshader!«

»Wir beten alle zu einem Gott,« sagte Bernhard, »und wer ihn aus tiefem
Herzen verehrt, der allein dient ihm wahrhaftig.«

Das Mädchen vermochte nicht, zu erwidern. Aber ein innig dankbarer
Blick lohnte die Worte des Jünglings.

»Man hält uns für Kinder, Sonnhild, und was wir tun, für kindisches
Spiel. Aber sie wissen nicht, wie sie irren. Zeigen wir es ihnen, daß
wir stark sind im Beharren und daß wir dulden können. Heute ist unser
Himmel trübe, aber wir werden auch wieder die Sonne an ihm heraufziehen
sehen!«

Des Mädchens Brust arbeitete heftig.

»Junker!« rief sie plötzlich, »nein, nicht diese Worte! Mein Vater ist
unversöhnlich. Er würde nie erlauben -- -- --«

»Euer Vater? Wohl ist er heftig gewesen, und ich habe seinen Zorn
schwer empfinden müssen. Aber ich habe ihm das verziehen. Denn das Heil
seines Kindes steht ihm über allem. Und er ist ja Euer Vater!«

Da ergriff Sonnhild beide Hände des Jünglings und drückte sie warm.

»Mein Vater gleicht dem Euern,« fuhr Bernhard fort. »Er hat mich streng
gescholten, als er es erfuhr, und es ist zu einem Auftritt gekommen,
so schlimm, daß ich zeit meines Lebens erröten werde, wenn ich daran
denke. Aber auch bei ihm ist väterliche Liebe der Grund zu seinem Zorn
gewesen. -- Ach, wenn nur die Anschauungen nicht so verblendet wären!«

Von Traurigkeit erfüllt, schwiegen sie und sahen hinab auf den Strom,
auf dessen Rücken die breiten Schiffe schwammen, und auf die Brücke,
über die gerade eine Herde Vieh getrieben wurde, denn es war heute
wieder Markttag, und auf die sanften Hügel elbaufwärts, die vom
hellsten Grün bis zum dunkelsten Braun in reichster Farbenpracht
prangten. Glanz und Flimmern erfüllte die Luft, und auf dem schmalen
Streifen Wiese zu ihren Füßen gaukelten schillernde Schmetterlinge von
Blume zu Blume. Die Sonne schien von hinten her auf das Schloß, dessen
kolossalen Schatten mit seinen scharf abgegrenzten Rändern weithin
werfend.

»Sonnhild,« sagte Bernhard, »wißt Ihr, was mein Vater für mich
bestimmt hat? Ich soll einen Abgesandten des Herzogs nach Worms an den
kaiserlichen Hof begleiten. Übermorgen schon reise ich.«

Das Mädchen krampfte die Hände zusammen, antwortete aber nicht.

»Jeder meiner Altersgenossen wird mich darum beneiden. Und wenn dieser
Auftrag mir geworden wäre, bevor ich Euch wiedergesehen, hätte er mich
mit Stolz erfüllt. Heute macht er mich traurig. Denn die Wahl ist nur
auf mich gefallen, damit ich für längere Zeit von der Heimat entfernt
werde. Ich soll Euch vergessen. Aber Sonnhild,« versicherte der
Jüngling mit überquellender Wärme, »ich werde Euch nie vergessen!«

Da raffte sich das Mädchen auf.

»Nein, Bernhard,« sprach sie mit Festigkeit, »Ihr dürft nicht also
sprechen! Preist diese Sendung als ein Glück und heißt sie willkommen.
Die lange Trennung wird uns über die schwerste Zeit hinweghelfen.
Weiltet Ihr hier, so würden sich unsere Herzen nicht beruhigen, weil
eines die Nähe des andern immer fühlen müßte.«

Hier schwieg das Mädchen und wurde blutrot, daß sie so geplaudert.

»Liebe Sonnhild,« erwiderte Bernhard mit Bestimmtheit, »mein Herz wird
sich immer nach dem Euern sehnen, und wäre ich noch so weit von Euch
entfernt.«

Die Verwirrung des Mädchens wuchs bei diesen Worten, und sie wandte ihr
glühendes Gesicht ab. Da konnte der Jüngling nicht mehr an sich halten.
Er ergriff Sonnhilds Hand und bat:

»Scheltet mich nicht, wenn ich so spreche. Ach, wenn Ihr wüßtet,
Jungfrau, wie es um mich steht! Alles, was gut ist in mir, gehört Euch.
All meine Gedanken weilen am liebsten in Eurer Nähe, und wenn ich bei
Euch sein darf, und wenn ich in Eure lieben Augen schaue -- -- --«

»Haltet ein, Bernhard!« rief das Mädchen mit fliegendem Atem, »was
sprecht Ihr! Schonet meiner!«

»Nein,« fuhr der Jüngling mit gesteigerter Erregung fort, »laßt es
mich einmal sagen, was ich für Euch empfinde. Die Riesenlast möchte
mich sonst noch erdrücken. Sonnhild, ich liebe Euch mit meinem ganzen
Herzen, mehr, als ich Vater und Mutter liebe, und Euch zu besitzen,
wäre mir das höchste Glück auf Erden!«

»Aber es darf doch nicht sein!« schrie Sonnhild gequält auf.

»Vergeßt einmal alles,« bat Bernhard in weichem Tone, »was uns
scheidet, und sprecht das aus, wozu das Herz Euch drängt. Ach, sagt es
mir doch nur ein einziges Mal, wonach meine Seele bangt.«

»Bernhard, lieber Bernhard,« flehte Sonnhild mit rührender Stimme,
»seid stark!«

Und er sah, wie ihre Lippen zuckten, und wie ihre Augen umflort waren.
Sie war ein tapferes Mädchen und bezwang sich besser als er!

Sonnhild mußte alle Kraft zusammennehmen, um ihre Rührung zu bekämpfen.

Da bemerkte sie die tiefe Niedergeschlagenheit Bernhards. Und als sie
ihn heimlich noch einmal ansah, liefen ihm zwei dicke Tränen über die
Wangen. Aber sie wollte standhaft bleiben. Dann handelte sie, wie es ja
auch für ihn das beste war.

Sonnhild wandte sich ab und tat, als ob sie die Tränen des Jünglings
nicht bemerke. Sie fühlte in ihrer Brust einen nagenden Schmerz, und
sie mußte an sich halten, daß sie nicht verzweifelt schrie: »Bernhard,
ich kann ja nicht leben ohne dich!«

Minuten vergingen in lautlosem Schweigen. Endlich hob Bernhard an:

»Sonnhild, wollen wir nicht du zueinander sagen, wenn wir uns wieder
begegnen?«

»Ja, Bernhard,« antwortete das Mädchen freudig, »seien wir fortab
Freunde. Nimm mein schwesterliches Du!«

»Ich danke dir, Sonnhild,« sprach der Jüngling bewegt. »Aber nun bitte
ich noch um eins: übermorgen reise ich. Sonnhild, ich gehe weit fort.
Auf wie lange, weiß ich nicht. Möchtest du mir nicht morgen noch ein
einziges Viertelstündchen schenken, daß wir uns Lebewohl sagen?«

Das Mädchen schrak zusammen. Heute hatte sie ihr Herz bezwungen, ob ihr
dies noch einmal gelingen würde ...?

»Ach, Bernhard« stammelte sie bestürzt, »steh davon ab. Ich bitte dich
darum. Es ist des Schweren nun genug für uns!«

»Sonnhild,« antwortete er leise, und sein ganzes Herz lag in der
Stimme, »gewähre mir diese letzte Bitte! Laß uns morgen Abschied
nehmen.«

Das Mädchen schlug die Hand auf die Augen und wandte sich ab. Da
ergriff er ihre Rechte, und sie fühlte sein flehendes Verlangen noch
einmal im Druck seiner Hand.

»Wenn du es wünschest, Bernhard, so sei es,« sprach sie leise.

Darauf gingen sie stumm auseinander.

       *       *       *       *       *

Am nächsten Tag schritt Bernhard mit schwerem Herzen den Hohlweg
hinauf. Sein Gesicht zeigte die Spuren starker seelischer Erregung,
sein Gang war müde. Er hatte die letzte Nacht wachend auf seinem Lager
zugebracht. Liebte ihn Sonnhild nicht? Doch, er fühlte es. Aber sie
konnte ihr Herz bezwingen.

Bernhard empfand leise Scham, wenn er daran dachte, was für ein starker
Charakter das Mädchen war. Und er war fest entschlossen, heute keine
Schwachheit zu zeigen.

Als er den Ausgang des Hohlwegs erreicht hatte, stand geradeaus am
Stadttor das Judenmädchen, ihm den Rücken zuwendend. Ob sie in den
jüngst vergangenen Tagen, wo er nicht vor das Tor gegangen, seiner
geharrt?

Aber ebenso rasch, wie dieser Gedanke Bernhard gekommen, entschwand er
ihm wieder. Er bog links ab zur Schloßfreiheit und kam zum Afrakloster.
Als er dieses erreicht hatte, trat ein Priester aus der Tür, angetan
mit dem Meßgewand und in den Händen das Kruzifix und den Kelch mit der
Hostie. Er befand sich auf einem Versehgang, daß er einem Sterbenden
sein letztes Stündlein erleichtere. Die beiden Ministranten gingen
voran. Und da gerade ein paar Leute des Wegs kamen, ließen sie die
Klingeln ertönen. Aber die Männer beugten das Knie nicht, sondern
schritten mit abgewendeten Blicken vorüber. Es waren Lutherische.
Bernhard kniete jedoch nieder. Und als ihm der Priester das schwarze
Kreuz entgegenhielt, küßte er entblößten Hauptes die silberne Gestalt
des Erlösers. Alsdann faltete er die Hände, neigte das Haupt darüber
und flüsterte: »Hilf uns, heilige Maria, Gottesmutter, in unserem
schweren Herzeleid!«

Darauf schritt der Mönch die Stufen des Steigs hinunter, während
Bernhard am Schleinitzer Hof vorbei über die hohe Brücke ging, deren
gewaltiger steinerner Bogen, den Hohlweg überspannend, den Schloßberg
mit dem Afrafelsen verbindet. So kam er zum Burgtor, durchmaß den
kleinen Schloßhof und ging dann am Kornhaus vorbei quer über den
Domplatz.

Vor dem Domkeller zu seiner Rechten standen ein paar Handelsjuden,
die mit lauten Worten und unter lebhaften Gebärden ein Geschäft
abschlossen. Die Domherrenhäuser, die Dechanei und das bischöfliche
Wohnhaus lagen in tiefster Ruhe.

Im Vorbeischreiten warf der Jüngling träumend den Blick auf das Schloß
und auf die hohen Fenster des alten Doms. Dann gelangte er auf den
hinteren Schloßhof. Da blieb er stehen und schaute zurück, ob kein
neugieriges Auge ihm folge. Aber er sah keinen Menschen. Oder täuschte
er sich? War dort hinter der Ecke des Doms nicht blitzschnell eine
flüchtige Gestalt verschwunden? Bernhard schalt seine Phantasie. Nun
sah er schon am hellichten Tage Gespenster!

Mit raschen Schritten gewann er den lauschigen Platz. Da stand wie
gestern Sonnhild und wartete.

Das Mädchen kam ihm ein paar Schritte entgegen, und sie begrüßten sich.
Sonnhild sah bleich aus, und tiefer Ernst lag auf ihrem Gesicht. Sie
betrachtete den Jüngling forschend und fragte endlich:

»Bist du krank, Bernhard?«

»Nein, Sonnhild,« erwiderte er, »nur der Schlaf und die Lust am Essen
fliehen mich. Nun ich bei dir bin, ist ja alles gut.«

Das Mädchen antwortete nicht.

»Wie der Tag doch wieder herrlich ist,« sagte Bernhard und schaute
versonnen in den goldenen Glanz, der auf den Weinbergen und über den
Fluren lag. »Das eine bleibt mir, und wenn ich auch noch so weit von
dir sein werde: die Sonnenstrahlen, die dich wärmen, kommen auch zu
mir. Und wenn ich in wachen Nächten an meinem Fenster sitze und zu den
Sternen aufsehe, dann werde ich Trost in dem Gedanken finden, daß auch
_deine_ Augen diese Sterne erblicken.«

»Bernhard,« sagte Sonnhild leise, »es ist besser, wenn du die schönen
Stunden, die wir zusammen verlebt haben, bald vergißt. Zerquäle deine
Brust nicht. Laß das Neue auf dich wirken. Du wirst andere Länder und
Menschen sehen und viel Herrlichkeit und Pracht. Auch an andern Mädchen
wird es nicht fehlen, die viel schöner sein werden, als ich. Und du
wirst nicht mehr begreifen, wie du mich einst begehren konntest.«

Der Jüngling schüttelte mit abgewandtem Gesicht den Kopf.

»Wohl bin ich noch jung,« versetzte er langsam, »aber ich fühle eine
Lebensreife in mir, die höher ist als meine Jahre. Darum ist das, was
ich empfinde, die Überzeugung eines Mannes, der sich geprüft hat.
Gefühle, so heilig und stark, wie sie mich jetzt erfüllen, können für
eine andere nicht noch einmal erwachen. Mein Herz wird sich verhärten,
und die frühlingsjungen Pflänzlein, die in ihm sprießen, werden
verdorren bis zur Wurzel.«

»Sieh, Bernhard,« sagte Sonnhild mit tiefem Weh in der Stimme, »es muß
aber doch sein!«

»Ich bin nicht davon überzeugt. Starke Liebe, die treu und wahr ist,
überdauert alle Stürme des Lebens!«

Sonnhild wollten die Sinne schwinden, und jeder Blutstropfen wich aus
ihrem Gesicht. Aber sie blieb stumm.

»Morgen zu dieser Stunde sind wir schon weit von Dresden entfernt,«
sagte Bernhard in Gedanken verloren. »Und in acht Tagen? Wer mag
es wissen. -- Aber ich bin heute nicht gekommen, um noch einmal zu
klagen,« fuhr er mit Festigkeit fort. »Jetzt heißt es kämpfen. Täglich
und stündlich mit der Macht ringen, die dem beschwichtigenden Verstand
und dem wohltätigen Vergessen trotzt. Doch -- schweig' ich still
davon ...«

Ein düstrer Zug umspielte die Lippen des Jünglings und gab seinem
bleichen Gesicht etwas Herbes. Während der letztverwichenen fünf
Jahre hatte ihn die Erinnerung an Sonnhild nie verlassen. Wie
eine überirdisch schöne Erscheinung war ihr Bild in seiner Seele
heraufgestiegen, wenn sich der ernste Jüngling inmitten seiner anders
gearteten Altersgenossen einsam gefühlt hatte. Und dann war nach all
dem langen Hoffen und Harren das heiße Sehnen erfüllt, der herrliche
Traum war zur Wirklichkeit geworden.

Diese Erfüllung war auf seinen Lebensweg wie strahlender Sonnenschein
gefallen, dessen milde Wärme er bis ins Innerste gespürt. Dem Mädchen
hatte sein ganzes Denken, hatten seine edelsten Empfindungen gegolten!

Nun war alles aus! Rasch war das Glück gekommen, wie ein glänzendes
Himmelslicht in dunkler Nacht, -- und ebenso rasch war es wieder
verschwunden. Er sollte Sonnhild vergessen ...

Bernhard empfand unsägliche Bitterkeit bei diesem Gedanken.

Da sah er auf: in Sonnhilds Augen standen Tränen. Das tapfre Mädchen!
Auch sie bewegte der Abschied tiefinnerlich.

Er nahm ihre Hand in die seine und sagte gerührt:

»Sonnhild, ich sehe, wie du leidest. Ich will dir den Schmerz der
Abschiedsstunde verkürzen. Laß uns Lebewohl sagen.«

Sie versuchte sich zu fassen und drängte die Tränen zurück. Da schloß
sie plötzlich die Augen, und ihr jungfräulicher Körper bebte so stark,
daß Bernhard sie umfing. Und als ihr Kopf mit dem kummerbleichen
Gesicht und dem goldglänzenden Haar willenlos an seiner Brust lehnte,
flüsterte sie:

»Bernhard, -- mein Bernhard, -- ich liebe dich ja über alles!«

Da schoß es heiß nach dem Herzen des Jünglings, und in seine Augen trat
ein seltsamer Glanz.

»Sonnhild,« fragte Bernhard eindringlich, »vergißt du auch nicht das
schier Unüberwindliche, das zwischen uns steht?«

»Nein, ich vergaß es nicht,« flüsterte sie, »aber zwischen unserer
Liebe soll nichts stehen!«

Da drückte er das zitternde Mädchen an seine Brust, und ihre Lippen
fanden sich zum ersten Kuß.

»Bernhard,« sagte Sonnhild, sich aufrichtend, »ich konnte dich nicht
so ziehen lassen. Nun werde ich stark genug sein, die Trennung zu
ertragen. Meine treue Liebe wird dich begleiten und mein Gebet dich
beschützen.«

In seligem Empfinden zog Bernhard das Mädchen von neuem an sich.

»Mein Geliebter,« sprach Sonnhild innig, »wir wollen Geduld üben. Welch
wunderbare Fügungen sendet zuweilen der Himmel! Mag es noch so schwer
erscheinen. Wahrhafte Liebe -- du sagtest es bereits -- überwindet
alles!«

Da vernahmen sie ein leises Brechen von Zweigen. Und wie sie rasch die
Umarmung lösten und sich umwandten, blickten sie eine Sekunde lang in
ein Frauenantlitz, das so blaß und verzehrt war, wie das Gesicht eines
schwer leidenden Menschen. Aber die großen, blauen Augen unter dem
pechschwarzen Haar glühten vor innerm Feuer. Dann schlug das Gebüsch
wieder zusammen, und die Erscheinung war verschwunden.

»Wer war das?« fragte Sonnhild in banger Besorgnis.

»Ängstige dich nicht, mein Lieb,« antwortete Bernhard begütigend. »Ein
junges Judenmädchen war es, dem ich wiederholt begegnet bin, als ich
vergebens vor das Stadttor ging.«

Sonnhild atmete erleichtert auf.

»Hast du die drohenden Augen gesehen?« fragte sie, sich das Haar aus
der Stirne streichend.

»Du bist erregt, liebste Sonnhild,« antwortete Bernhard beklommen. »Das
Mädchen starrt immer so.«

Und wieder fiel ihm die Ähnlichkeit dieser Augen mit denen Sonnhilds
auf.

»Geh mit Gott, mein Geliebter,« sagte Sonnhild und schmiegte sich an
Bernhards Brust. »Was nun auch kommen mag, -- unsere Liebe soll sich
als stark und wahr erweisen.«

»Du inniggeliebtes Mädchen! Nicht Raum noch Zeit können unsere Liebe
vermindern. Und so stark die Stürme auch brausen mögen, wir werden
allem trotzen!«

Sonnhild zog einen schmalen Reif ab und steckte ihn an seinen Finger.
Hierauf legte sie noch einmal ihre Hand in die seine. Ein letzter,
langer Blick -- dann stand Bernhard allein. Wohl fühlte er, wie ihn der
Abschied tief betrübte. Aber die Traurigkeit, mit der er gekommen, war
verschwunden, und die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang aus diesem
Wirrsal erfüllte ihn.

[Illustration]



[Illustration]

Zehntes Kapitel

Der neue Herr


Das deutsche Volk hat bange Zeiten durchleben müssen, bevor es
sich seine Einheit und Machtstellung und damit den langjährigen,
segensreichen Frieden erkämpft hat. Einen der denkwürdigsten Abschnitte
seiner Entwickelung bildet die Zeit dieser Erzählung.

Wohl hatte draußen der deutsche Namen einen guten Klang. Aber im
Innern des Landes nahm der Kampf kein Ende. Starke Mächte wüteten
gegeneinander, und das Eisen und die Seuchen hatten furchtbar
aufgeräumt. Der Landadel mißbrauchte vielenorts seine Gewalt, daß die
bäuerliche Bevölkerung unter dem schweren Druck seufzte. Dazu trat der
nicht endenwollende Streit der Fürsten untereinander, die sich mit
Haß und Krieg verfolgten. Die glänzenden Erfolge der gewerbfleißigen
Städte wurden von den Adligen mit Mißgunst betrachtet. Der Wohlstand
des Bürgers war ihnen ein Dorn im Auge, und sein Selbstbewußtsein und
seinen Stolz erwiderten sie mit Verachtung.

Neben diesem erbitterten weltlichen Hader lastete schwere Kümmernis
auf den Seelen der Menschen. Schon lange war von vieler Mund der Ruf
erklungen, die Kirche an Haupt und Gliedern zu verbessern und den
Mißbrauch zu beseitigen, den sie trieb. Aber diese Stimmen blieben von
den Päpsten ungehört. Die Abgaben an die Kirche wuchsen von Jahr zu
Jahr und bildeten eine drückende Bürde für das Volk. Der höhere Klerus
strebte nach weltlicher Macht. Die fürstliche Prachtentfaltung, die er
übte, und sein Schwelgen in sinnlichem Genuß brachten es mit sich, daß
er das Wirken für die Lehre des Evangeliums vernachlässigte.

Die _niedere_ Geistlichkeit fühlte kaum noch die schwachen Zügel dieses
Regiments. Viele wurden träge, vernachlässigten ihre Pflichten als
Seelsorger und warfen sich der Sittenlosigkeit in die Arme. In den
Klöstern machte sich das Laster breit, daß die schamlosesten Vorgänge
dem Volke bekannt wurden.

So war es um die verordneten Diener der Kirche bestellt!

Ein großer Teil der Bevölkerung war tief verstimmt. Bangigkeit lastete
auf dem geistigen Leben, und die Herzen der Menschen litten schwer
unter der ungestillten Sehnsucht nach der ewigen Liebe und zerquälten
sich in bangem nach Gott Suchen.

Die Not war auf das höchste gestiegen, als von Wittenberg her eine
Stimme erklang, der das ganze Volk mit verhaltenem Atem lauschte.
Der Kapuzinermönch Doktor Martin Luther erhob laut Einspruch gegen
die unhaltbaren Zustände, unter denen er die wahre Religiosität
der Menschen gefährdet sah. Und Hunderttausende jubelten dem
Unerschrockenen zu, als er sich den Schmeicheleien verschloß, mit denen
der Papst ihn von weiteren Schritten gegen die Kirche abhalten wollte.

Des kühnen Mönchleins kernhafte Schriften und Reden zündeten in
Millionen deutschen Herzen. Wonach man seit Jahrzehnten gebangt, was
man unklar empfunden, hier wurde es deutlich ausgesprochen. Eine große
Partei entstand, die sich für Luther erklärte und die dessen weiteres
Wirken mit Spannung verfolgte. Die Studentenschaften scharten sich
zuerst um das neuentrollte Banner, auf dem der Kampf für die Freiheit
des Geistes in goldenen Lettern geschrieben stand. Dann folgten die
Städte und endlich das breite Land.

Wie auf Sturmesflügeln eilte die Botschaft durch die deutschen Lande,
daß der beherzte Reformator Papst und Kaiser getrotzt, indem er auf
dem glänzenden Reichstage zu Worms vor einer großen Anzahl von Fürsten
und hohen Würdenträgern der Kirche in gewaltiger Rede seine neue Lehre
verteidigt hatte.

Begeisterung riß das Volk hin, und endloser Jubel brach allerorts aus.
Man fühlte: es waren Ketten abgefallen. Und vom Knäblein bis zum Greis
sprachen die Menschen wie ein Gebet das herrliche Wort: »Hier stehe
ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen!«

Wohl begann noch einmal ein großes Streiten, bevor die erhitzten
Geister zur Ruhe kamen: der Bauernkrieg loderte auf, und auch die
Fürsten zogen aufs neue vom Leder. Aber bei diesen Kämpfen und allen
feindseligen Anfechtungen erstarkte die neue Kirche immer mehr und
entwickelte sich zu einem unüberwindlichen Bollwerk gegen ihre
Widersacher. Zahlreich waren die Übertritte. Kurfürst Friedrich der
Weise von Sachsen war der erste deutsche Fürst, der mit seinem ganzen
Volke die neue Lehre annahm. Andere folgten. Besonders groß war der
Eifer im Bürgerstand.

Die herzoglichen Sachsen sahen mit scheelen Augen nach Dresden, wo ihr
Landesherr, Herzog Georg, den die Nachwelt den Bärtigen nennt, seinen
Hof hatte. Dieser Fürst wollte nichts von dem neuen Evangelium wissen.

Die beiden Söhne des Herzogs waren gestorben. Damit nun das Land nicht
an seinen eifrig protestantischen Bruder Heinrich falle, hatte Herzog
Georg ein Testament errichtet, wonach Sachsen nur unter der Bedingung
Heinrich vererbt werde, daß dieser den alten Glauben unangerührt lasse.
Andernfalls sollten der Kaiser und König Ferdinand das Herzogtum
erhalten.

So lagen die Verhältnisse um die Zeit, da Bernhard von Sonnhild
Abschied genommen hatte. Wie alle andern Städte des Herzogtums,
grollten auch die Bewohner Meißens ihrem Landesfürsten. Denn mit
Ausnahme weniger war das ganze Land für die neue Lehre. Aber es wollte
kein Hoffnungsschimmer heraufdämmern, daß das heiße Sehnen des Volkes
gestillt würde.

Da eilte die überraschende Kunde von dem schnellen Tode des Herzogs
Georg durch Sachsen. Darauf hörte man, daß Herzog Heinrich sich von
seinem Aufenthaltsort Freiberg nach Dresden begeben habe, wo er das
allgemein bekannte Testament vorfinden mußte.

Würde er die Regierung antreten oder das Land fremden Machthabern
überlassen? Für die durch des Verstorbenen letzten Willen gesicherte
Beibehaltung des alten Glaubens war es gleich, wie er sich entschied.
Aber allenthalben ward der Wunsch laut, daß das angestammte Fürstenhaus
dem Herzogtum erhalten bleiben möchte. Denn im Grunde war das
sächsische Volk den Wettinern ehrlich zugetan.

Noch waren erst wenige Tage seit der Todeskunde verstrichen, als eine
neue Nachricht von Dresden kam, die das Land geradezu alarmierte.
Herzog Georg, so hieß es, habe zwar das Testament ausfertigen lassen,
aber die Vollziehung sei von ihm hinausgeschoben worden. Nun habe ihn
sein plötzlicher Tod daran verhindert, die Urkunde zu unterschreiben
und sie damit rechtskräftig zu machen. Herzog Heinrich sei der
gesetzmäßig Erbe, und keine Beschränkung hindere seinen Willen.

Da brach unter der Bevölkerung großer Jubel aus, der sich erneute, als
die Bestätigung dieser Nachricht eintraf. Denn niemand zweifelte daran,
daß der zum neuen Glauben treu stehende Herzog Heinrich die Wünsche des
Volkes erfüllen würde.

An den Rat der Stadt Meißen aber kam in diesen Tagen eine Verordnung
des neuen Regierenden, wonach der Verstorbene an der Seite seiner
Vorgänger im Dom beigesetzt werden sollte.

Burgemeister Waltklinger berief sogleich die Ratmannen zur Versammlung,
und man beriet die Feierlichkeiten, mit denen die Stadt dem
verstorbenen Landesfürsten die letzte Ehre erweisen wollte. Aller Hader
war verstummt. Der Tod hatte die Zwietracht ausgelöscht.

Die Gassen, die der Zug berühren mußte, wurden gründlich vom Schmutz
gereinigt. Denn zu Zeiten des Mittelalters war in den Städten die Gasse
der natürliche Abladeplatz für allen Abfall, der im Hause entstand,
und der Tummelplatz des lieben Stadtviehs. An diese Unreinlichkeit
hatten sich die Bewohner so gewöhnt, daß nur bei hohem Fürstenbesuch
gründlich aufgeräumt wurde, -- doch durfte solcher nicht öfter als
einmal im Jahre kommen. Erschien hingegen der Landesherr in kürzeren
Zeiträumen, so mußte er sich's gefallen lassen, wenn sein Wagen, wie
der jedes andern Sterblichen, bis zu den Achsen der Räder in dem Morast
versank.

Als der Tag herangekommen, hatte sich die ganze Einwohnerschaft in
Festkleidern vor den Häusern versammelt. Die Gilden und Innungen waren
mit umflorten Fahnen aufmarschiert und bildeten eine Ehrengasse für
den toten Herzog. Der Burgemeister und die Ratmannen, angetan mit
ihrer feierlichen Amtstracht und goldenen Ketten, empfingen die Leiche
am Stadttor und schritten ihr vorauf bis zum Dom. Langsam bewegte
sich unter großem Gepränge der Zug durch die Gassen, während die
Stadtpfeifer Trauermelodien aufspielten.

Vor dem Dom angekommen, war der Stadtrat unschlüssig, ob er das
Gotteshaus zur Teilnahme an der Totenfeier betreten sollte. Da aber
der Burgemeister und die Ratmannen ihren Herzog, den sie als guten
Lutherischen kannten, der Leiche hinterdrein schreiten sahen, folgten
auch sie ins Innere.

Da ward plötzlich allen Teilnehmern eine große Überraschung. Kaum
war der Sarg auf dem schwarzumkleideten Katafalk vor dem Hochaltar
niedergesetzt worden, als Herzog Heinrich noch vor Beginn des
Gottesdienstes den Dom wieder verließ. Der Stadtrat und ein großer Teil
der Versammlung schloß sich ihm an.

Das war eine deutliche Kundgebung des Herzogs für seine Stellung als
regierender Landesfürst zum neuen Glauben. Die Bürgerschaft Meißens
frohlockte, wenn sie an die Zukunft dachte, und die Nachricht von dem
Geschehnis flog pfeilschnell durch das Land.

Jeder fühlte, daß eine neue Zeit anbrach. Ein weiterer Vorbote ließ
nicht lange auf sich warten.

Die katholische Partei mit der Geistlichkeit an der Spitze
beabsichtigte, zu Ehren des verstorbenen Fürsten den Dreißigsten
besonders glanzvoll zu begehen. Da erhielt der Amtmann Ernst von
Miltitz eine Verordnung des Herzogs, daß die beabsichtigte Zeremonie zu
unterlassen sei.

Dieses Verbot bildete eine empfindliche Niederlage für die Anhänger
des alten Glaubens, besonders aber für den Klerus. Bisher hatten
seine Mühlen lustig geklappert, -- der Wind von Dresden her war immer
günstig gewesen. Herzog Georg hatte sich als verläßlicher Anhänger
und Beschützer der Kirche erwiesen, und durch das Testament wußte die
Geistlichkeit das Land für den alten Glauben erhalten.

Da starb ihr Schirmherr, und die Zuversicht, die man auf das Testament
gesetzt, ging in Trümmer. Alsbald hatte sich im katholischen Lager eine
Gegnerschaft wider den protestantischen Herzog Heinrich gebildet. Nun
war freilich, wie befürchtet, die Erhebung der lutherischen Lehre zur
Staatsreligion bisher ausgeblieben. Aber das Verhalten des Herzogs bei
der Beisetzung kennzeichnete klar seine Gesinnung.

Die Feier des dreißigsten Tages nach dem Hinscheiden des Herzogs Georg
sollte als eine große Prozession stattfinden. Da kam das Verbot.
Der Bischof geriet in hellen Zorn, und Ernst von Miltitz hatte es
als Anhänger der alten Kirche nicht leicht, der Weisung des Herzogs
Nachdruck zu geben. Die Feier würde dem Verstorbenen nichts nützen,
hatte der neue Herr gesagt, denn sie sei nur ein Mißbrauch Gottes.

Zuletzt blieb der Geistlichkeit aber doch nichts anderes übrig, als
sich zu fügen. Sie tat es widerwillig und nur mit Rücksicht auf die
heimliche Befürchtung, man möchte im Weigerungsfalle den Herzog zu
schärferem Vorgehen gegen die Kirche reizen.

Das sächsische Volk aber pries seinen Fürsten und stellte all seine
Hoffnung auf ihn.

[Illustration]



[Illustration]

Elftes Kapitel

Der Kurier des Herzogs


Nun waren schon Wochen seit dem Tage vergangen, an dem die beiden
Liebenden Abschied genommen hatten. Sonnhild fühlte sich vereinsamt.
Das Verhältnis zum Vater war anfänglich gespannt gewesen. Sie hatte
gemerkt, wie schwer es ihm gefallen war, die seinem Zorn folgende
Betrübnis zu überwinden. Gleichwohl war er immer freundlich zu ihr
und hatte den schlimmen Vorfall mit keinem Worte berührt. Auch schien
ihm seine Heftigkeit nachträglich leid zu tun. Er wiederholte seine
Liebkosungen wie früher und versuchte, Sonnhilds Schwermut durch
kostbare Geschenke zu vertreiben.

Mit müdem Lächeln dankte das Mädchen dem Vater. Doch empfand sie, wie
er überzeugt war, daß er ihr mit all diesem doch nicht helfen konnte.
Und so kam es, daß wohl die äußeren Liebesbeweise zwischen Vater und
Kind ebensooft wie früher ausgetauscht wurden, daß sie aber nicht mehr
so herzlich waren, und daß beide von Gefühlen bewegt wurden, die sie
voreinander verbargen. Statt der bisherigen Offenheit, herrschte jetzt
heimlicher Zwang zwischen ihnen.

Sonnhild litt sehr unter diesem Zustand. Zum Glück war der Vater in
dieser bewegten Zeit oft auf dem Rathaus und ließ sie viel allein.

Heute war Sonntag. Man schrieb den 15. Juli 1539.

Sonnhild saß schon zur zeitigen Vormittagsstunde am Fenster, um auf das
gewohnte bunte Treiben hinabzusehen, das sich Sonntags auf dem Markt
entwickelte. Zudem war heute Schützenfest. Hierzu waren die Landleute
aus der Umgegend schon am frühen Morgen als Zuschauer in die Stadt
eingezogen. Denn das Schützenfest war das größte Volksfest des ganzen
Jahres.

Eine Zeitlang schaute Sonnhild auf die geputzten Menschen. Dann lehnte
sie sich in den Stuhl zurück und sann. Das letzte Fest, bei dem sie
von Herzen fröhlich sein konnte, war das Maienfest gewesen. Da hatte
ihr die gute Hanne den Festschmuck aus der Lade geholt und sie damit
schmücken helfen und ihr den Maienkranz ins Haar gewunden. Der Vater
hatte beim Beutler eine neue zierliche Tasche für sie erstanden, die
köstlich nach Ambra gerochen, und einen silbergefaßten Handspiegel, der
an einer Kette als Zierat an der Seite getragen wurde.

So war sie hinaus auf den grünen Anger neben dem Kuttelhof gegangen.
Dort hatten sich die jungen Mädchen getroffen. Alle geschmückt mit
Schappel und Dupfing und in prächtigen Frühlingskleidern.

Zwar ging dem Maienfest alljährlich noch ein anderer Tag voran, an dem
man draußen mitsammen fröhlich war. Denn schon Wochen vorher, als die
ersten Kätzchen aus Weide und Hasel ausgebrochen, waren alle jungen
Mädchen und Jünglinge hinausgezogen. Und wer das erste Veilchen fand,
der verkündete dies laut. Dann eilten alle dahin und tanzten im Kreise
um diesen frühen Abgesandten des lieblichen Lenzes.

Doch beim Maienfest ging es noch lustiger her. Da wurden die großen
Reihen getanzt. Der Vorsänger stimmte an, worauf der Chor der
Umstehenden laut den Text des Reihens sang, und leise sangen die
tanzenden Mädchen die Weise mit. Dann wurde der bunte Federball
geworfen und noch einmal um die Linde getanzt.

Die jungen Bürgersöhne waren gleichfalls im Festschmuck erschienen, die
sammetnen Wämser an Kragen und Ärmeln mit köstlichen Spitzen besetzt.
Auch waren immer einige Junker dabei in wallendem Haar, den Gürtel wohl
beschlagen mit glänzendem Metall, und die Spitze des Schwertes beim
Gehen an der Ferse klingen lassend.

Die Bürgersöhne sahen deren Kommen aber nicht gern und betrachteten
sie mit stolzen Blicken, wofür die jungen Edelleute hochmütig um
sich schauten. Zuletzt wurde die schönste Jungfrau mit einem Kranz
von frühen Feldblumen als Maienkönigin gekrönt und im Triumphzug und
unter lautem Singen nach Hause geführt. In diesem Jahre war Sonnhild
Maienkönigin gewesen.

All diese freundlichen Bilder stiegen in Sonnhilds Erinnerung herauf.
Und bald nach dem lieblichen Fest war ja die schönste Zeit ihres Lebens
angebrochen: sie hatte den Jugendfreund wiedergesehen!

»Bernhard, -- mein Bernhard,« flüsterte Sonnhild. Und sie merkte, wie
es ihr warm in die Augen stieg. --

Mittlerweile hatte die Menge auf dem Markt zugenommen. Da sah man die
Bürgerfrauen, die keine Frau eines Dienenden in ihren Kreis ließen.
Abseits von ihnen standen die Frauen der reichen Familien. Aber den
unterwürfigsten Gruß erwiesen die Gesellen und Dienenden den Frauen
und Töchtern aus den Patriziergeschlechtern. Die gleiche Auszeichnung
erfuhren die Männer. Doch von diesen waren nur wenige auf dem Markt;
sie weilten zum Frühtrunk in den Schenken.

Die Frauen wachten streng darüber, daß die feinen Abstufungen in der
Rangstellung, die von der Größe des Reichtums abhängig waren, äußerlich
aufs peinlichste gewahrt wurden. Wer unter dem eigenen Kreis stand,
mußte sich's gefallen lassen, kühl behandelt zu werden. Nach oben aber
wurde viel Freundlichkeit aufgewendet.

Die eleganten Frauen unter den Reichen trugen ein langes Gewand von
kostbarem Stoff und reich besetzt. Der Schleppenschwanz war sechs Fuß
lang und nahm auf der Straße allerlei Unrat auf. Wenn sie zum Tanz
gingen, befestigten sie die lästige Schleppe mit einem großen, eisernen
Haken hinten am Rücken, wo sie wie ein schweres Gewicht niederhing.
Dafür hatten aber die Kleider oben fast gar keinen Stoff. Sie waren
so weit offen, daß man den ganzen Busen und den größten Teil des
Rückens sah. Die jungen Herren waren mit dieser Schaustellung recht
zufrieden. Aber die Prediger wetterten von den Kanzeln grimmig dagegen
-- natürlich erfolglos.

Die einfacheren Bürgerfrauen gingen zwar weniger kostbar, aber immer
noch recht anspruchsvoll gekleidet. Denn es bestand in den Städten
unter den Frauen ein wahrer Wetteifer in der Entfaltung von Luxus.

Ferner sah man unter der Menge langlockige Bauern in altfränkischer
Kleidung: kurzen, tuchenen Jacken, Kniehosen und hochschäftigen
Lederstiefeln, dazu ihre Weiber mit hellen Kleidern in schreienden
Farben. Auch herzogliche Landsknechte vom Schlosse waren da, mit
martialischen Bärten, einheimische und fremde Schützenbrüder und
endlich Bürger, bewaffnet mit Ober- und Untergewehr.

Denn jeder Bürger, soweit waffenfähig, war wehrhaft. Zu ruhigen
Zeiten gingen sie ihrem Handwerk nach. Sobald aber die Waffenübungen
riefen, dann stand die Werkstatt leer. Hoch aufgereckt stolzierte der
Angehörige der Bürgerwehr durch die Menge. Auf dem Kopfe den großen
Schlapphut, geschmückt mit Birkenreis oder Hopfenblüte, Sporen an den
Füßen, die Flinte auf dem Rücken und den Degen vorm Herzen. Die Bürger
eines Viertels hatten ihr eigenes Fähnlein, und an ihrer Spitze stand
der Viertelsmeister.

Auch Franziskanermönche aus dem Kloster am Heinrichsplatz drängten sich
durch das Gewimmel, den Apostolischen Friedensgruß bietend. Sie gingen
ohne Schuhe und unbedeckten Hauptes. Die lange Kutte mit der Kapuze auf
dem Rücken war von grauer Wolle und mit einem knotigen Strick umgürtet.
Sie waren Bettelmönche und standen in engem Verkehr mit den Bürgern, da
viele von ihnen Meißner Stadtkinder waren.

Vom Turm der Frauenkirche wurden fromme Lieder mit Posaunen geblasen,
und dann begann von allen Türmen das Läuten der Glocken.

Ein Teil der Fremden staute vor der Rathaustür, neben der an einer
Kette ein Halseisen hing, als Zeichen, daß der Markt die Richtstätte
war. In dem hohen Gewölbe des Eingangs stand die Ratswage. Wer
freilich in den großen Saal im Oberstock hätte einen Blick werfen
können, der würde die Ratsherren an einer reichgeschmückten Tafel haben
sitzen sehen. An jedem Sonntag hatten sie freien Tischtrunk, heute aber
bot ihnen die Stadt einen Festschmaus.

Vom Dom schlug gerade die zwölfte Stunde, und schon schickten sich die
ersten an, zum Mittagessen nach Hause zu gehen, als mit einemmal in
der Menge eine Bewegung entstand. Vom Heinrichsplatz her drang dumpfer
Lärm und pflanzte sich bis zum Marktplatz fort. Gleichzeitig wichen
die Menschen zurück, und durch die so geschaffene Gasse sprengte auf
schweißbedecktem Pferde ein Postreiter der herzoglichen Hofpost.

Als er den Markt erreicht hatte, hielt er inmitten der vielen
Neugierigen an, riß die auf seinem Rücken hängende, bestaubte
Ledertasche auf den Bauch und entnahm ihr einen dicken Brief, der mit
großen roten Siegeln verschlossen war.

»Wo treffe ich den Burgemeister?« rief er in die Menge. Worauf es
durcheinander schrie:

»Auf dem Rathause!«

Der Reiter sprang vom Pferde, warf einem der Nächststehenden die Zügel
zu und stampfte zur Rathaustür hinein.

Die Ankunft eines Eilboten vom herzoglichen Hof in Dresden war etwas
Außergewöhnliches und rief eine starke Spannung unter der Menge hervor.
Niemand entfernte sich. Dafür drängten alle nach dem Rathaus hin, und
einer gab dem andern seine Ansicht über den Inhalt des Schreibens kund.

Die Erwartung stieg immer höher. Und da eine geraume Zeit darüber
hinging, bis die Neugierde gestillt wurde, schwoll das Stimmengewirr
zum Lärm an.

Da erschallten plötzlich laute Rufe nach Ruhe. Aller Blicke richteten
sich auf das Rathaus, wo der Burgemeister eben ein Fenster aufriß.
Hinter ihm und an den andern Saalfenstern erschienen die Ratsherren.

Georg Waltklingers Gesicht war bleich vor innerer Bewegung; nur die
Stirn zeigte sich von dem genossenen Wein leicht getötet. In der Hand
hielt er ein großes Pergament mit herabhängendem Siegel.

Der Lärm auf dem Marktplatz verstummte augenblicklich. Aller Herzen
klopften vor Spannung; man ahnte eine bedeutsame Kundmachung.

Waltklinger beugte sich weit aus dem Fenster und rief mit gewaltiger
Stimme in das Schweigen hinein:

»Mitbürger, vernehmt die hohe Botschaft des Herzogs an seine treuen
Landeskinder: Alle Kirchen der Stadt, den Dom dazu gerechnet, werden
dem neuen Evangelium geöffnet! Von den Kanzeln und in den Schulen darf
fortan nur die protestantische Lehre verkündet und das Abendmahl soll
in beiderlei Gestalt gereicht werden!«

Der Burgemeister ließ das Blatt sinken. Kein Beifallsruf erscholl. Die
Überraschung hatte die Zungen aller gelähmt.

Da rief er noch einmal:

»Bürgerschaft Meißens! Euer tiefes Sehnen während langer Jahre ist
erfüllt. Die Botschaft bedeutet die Einführung der Reformation im
meißnischen Sachsen! -- Lang lebe Herzog Heinrich!«

Jetzt brach ein beispielloser Tumult aus. Alles schrie und jubelte
durcheinander. Des Herzogs Name wurde immer von neuem gerufen. In
manchem Auge standen Tränen. Die einen blieben stumm vor Rührung,
andere umarmten sich oder warfen die Hüte in die Luft und stießen laute
Freudenrufe aus. Ja man mußte sich's wiederholen, daß das Unglaubliche
Geschehnis war: der Herzog hatte dem Lande die Reformation geschenkt!

Lange noch hielt der betäubende Lärm an, bis sich die Menge allmählich
verlaufen hatte. Es gab aber kein Haus in der Stadt, in dem man während
des Mittagessens nicht über das große Ereignis gesprochen hätte. Der
heutige Tag war ohnehin ein Festtag. Durch die frohe Botschaft hatte er
aber eine hohe Weihe erhalten!

[Illustration]



[Illustration]

Zwölftes Kapitel

Benedikt Biertimpel


Bald wurde die Einwohnerschaft wieder auf die Gasse gelockt. Der große
Festzug der Bürgerschützen zog mit Trompeten- und Paukenschall vor das
Jüdentor, allwo der Schießanger lag. Und die Menge hastete dem Zug
hinterdrein.

Den kleinen Platz inmitten der Fleischgasse, der Hundewinkel genannt,
schlossen lauter niedrige Häuser von gewinnendem Aussehen ein,
bestehend aus Unter- und Oberstock. Eines von ihnen machte einen
besonders freundlichen Eindruck. Es war frisch weiß gestrichen und mit
einem hölzernen Spalier versehen, an dem sich edle Reben hinaufrankten,
daß die grünen Weinblätter die ganze Vorderseite des Hauses bis zu dem
moosbewachsenen Ziegeldach bedeckten. Das steinerne Türgewände stellte
einen verzierten Rundbogen dar, in den hüben und drüben ein Sitzstein
eingelassen war. Die Haustür war in der Mitte teilbar, die obere Hälfte
stand tagsüber immer offen. Vor dem Haus befand sich ein schmales
Gärtchen, das ein niedriger Lattenzaun einfriedigte.

Auf den Sitzsteinen saßen ein Mann und eine Frau. Sie waren beide alt
und daher wohl dem Festtrubel abhold. Aber ihre Augen, mit denen sie
die Vorübergehenden musterten, glänzten noch frisch.

»Ach, Gevatterin,« sagte der alte Mann, »mein Weib kann noch immer
nicht vom Treiben der Jugend lassen. Natürlich mußte sie mit zum
Festplatz ziehen.«

Dazu seufzte er so komisch, daß die Zuhörerin leise lächelte. Sie war
seit langen Jahren die Nachbarin des Ehepaares und dessen Vertraute.

»Euer Weib ist eben noch lebenslustig, daran müßt Ihr denken, Gevatter.
Eine so rüstige Sechzigerin wie sie ...«

»Ja, ja, -- wenn sie erst an die Siebzig kommt, wird sie's wohl auch
lassen,« unterbrach sie der Alte kopfnickend.

Benedikt Biertimpel war seines Zeichens Löffelmacher, betrieb aber
sein Handwerk schon seit Jahren nicht mehr. In der Jugend war er lange
auf der Wanderschaft gewesen und hatte viel gesehen, so Prag und Wien.
Auch nach Ungarn hinein war er ein Stück gekommen. Da war er wieder auf
Schusters Rappen gestiegen, und der Wind hatte ihn quer über das liebe
deutsche Vaterland hinweg bis nach Flandern getrieben. Von dort war
er eines Tages heimgekehrt, aber nicht allein, wie er ausgezogen. An
seiner Seite hatte sich ein blutjunges Frauenzimmer befunden, ein immer
lustiges Ding, das sein vom Vater ererbtes Häuschen täglich fast auf
den Kopf stellte.

Der gute Biertimpel war ein sinnierender Geselle und von langsamem,
bequemem Wesen. Da brachte ihn sein junges Weib zuweilen höllisch in
Trab. Sie fuhr wie ein Irrwisch umher, und zu keiner Minute war er
sicher vor ihr. Als temperamentvolle Rheinländerin mochte sie es nicht
leiden, wenn ein Mensch gemächlich war. So führte sie ein straffes
Pantoffelregiment über ihren Biertimpel, worein er sich nach kurzem
Widerstand ergeben hatte, und das er still seufzend erduldete.

»Ach, Gevatterin,« hob der allwege philosophierende Biertimpel redselig
an, »nein, Gevatterin, Ihr könnt daher reden, was Ihr mögt, aber wir
leben in einer verderbten Zeit! Denkt einmal nach, als wir jung waren,
wie friedlich da alles zuging.«

»Aber Gevatter, Ihr dürft nicht denken ...«

»Die Menschen sind es,« schnitt Biertimpel der Matrone gewandt das Wort
ab, »die Menschen selbst, sage ich, verschlechtern die Zeiten. Wo sind
die guten Tage der Einfachheit geblieben! Heute? Glanz, Pracht und
Hoffärtigkeit!«

Die Zuhörerin fügte sich lachend in das aufgezwungene Stillschweigen.
Wenn Meister Biertimpel also sprach -- und dies pflegte er nie in
Gegenwart seiner Frau zu tun --, dann war gegen ihn nicht aufzukommen.
Also schwieg sie. So konnte Biertimpel sein Lieblingsthema gemächlich
ausspinnen.

»In den Weibsbildern sitzt der Teufel! Das habe ich immer behauptet,
und noch keiner hat mir's widerlegt. O, diese Töchter und Mütter, die
nicht wissen, wie sie prangen sollen! Sie treten einher und schwänzeln
und haben köstliche Schuhe an den Füßen und tragen güldene Hauben, und
auf den Kleidern Perlborten und hohe Krausen und sonstiges Gefetz. Auch
in durchsichtigen Gewändern laufen sie und strecken die bleckenden
Hälslein aus wie Hirsche. Dazu werfen sie die Äuglein um sich und
wissen ihre Gebärden danach zu richten, daß alles lieblich und lustig
anzusehen ist.

Die jungen Weibsbilder wollen alle gern schön sein, klar Gesichte und
weiße Händlein behalten. Und da manche diese von Natur nicht hat,
untersteht sie sich, solches durch Kunst und andere Mittel zuwege zu
bringen. Und es will traun allenthalben gemein werden, daß die jungen
Frauen beginnen ins Töpflein zu blasen und das Angesicht zu färben nach
ihrem Gefallen, damit sie desto schöner mögen anzusehen sein. Wo bleibt
da Zucht und Sitte?«

Hier sah der wackere Biertimpel die Matrone entsetzt an. Aber an einer
Antwort war ihm nichts gelegen, deshalb fuhr er rasch fort:

»Vorzeiten ließen sich's die Menschen genügen an dem Zeuge, das sie
selbst gemacht. Sie kleideten sich in wollene Tuche und in Barchent
und wußten nichts von Sammet und Seiden. Purpur und köstliche Leinwand
waren der Könige und großer Potentaten Tracht!

Itzund lassen sich's Adlige und Bürgertöchter daran nicht genügen. Sie
wollen es hohen Personen nachtun und das Beste von Damast und Atlas
haben und weiche Kleider an ihrem Halse und auf ihrem Leibe tragen.
Ist fast keine Dienstmagd zu finden, sonderlich in fürnehmen Städten,
sie will seidene Ärmel, einen Rock von bruggischem Atlas oder von
Zindeldort mit zwei, drei Schweifen und sammetnen Borten tragen. Und in
den Röcken muß ein Stahlreifen sein, damit sie wie eine Glocke aussehen
und weit um sich sperren. Darin walzen sie daher wie Bierfasse und
können nicht aus den Gestühlen der Kirche kommen. Wenn sie aber eine
Hausmutter werden soll, kann sie nicht wohl ein Windeltüchlein bezahlen
oder zuwege bringen.«

Benedikt Biertimpel hatte sich in Eifer geredet. Jetzt nahm er sein
Käppchen ab und wischte die Schweißperlen von der Stirn. Diese
Gelegenheit benutzte die Nachbarin klug und versetzte:

»Gevatter, erzürnt Euch nicht! Auch in unserer Jugend ...«

»War alles viel besser!« eiferte der Entrüstete von neuem. »Was bei
den Alten vor dreißig und vierzig Jahren ehrbar gewesen, taugt jetzt
nicht mehr. Ist alles nur aufs Prangen gerichtet. Man will immer was
Neues, was Seltsames haben. Was fremd -- ausländisch, hat man am
liebsten! Alle Völker haben ihre sonderliche Tracht und Manier, allein
wir Deutschen wollen bei nichts Gewissem bleiben. Was man einmal
gesehen, will man nachtun! Muß alles verschnürt, verbrämt, gekräuselt
und wunderlich und seltsam gestickt sein. Möchte doch bald eine jede
Frau von Adel oder bei fürnehmen Bürgern eine eigene Nähterin und
Bortenwirkerin haben, die übers Jahr ausnähet. Da muß man mehr auf
Kleidung und Schmuck wenden, als sonsten in der Haushaltung. Ei, behüte
Gott!«

Der Sprecher wischte flugs wieder einmal über die Stirn.

»Es sind ihrer viele, die schändliche und greuliche Hoffart treiben mit
den Haaren ihres Hauptes. Die natürlichen Haare taugen nichts mehr, sie
müssen blond gebleichet sein und über einen Draht gezogen. Das soll
sonderlich hübsch sein! Und manche trägt auf ihrem Haupte Haare, die
aus dem Beinhaus von einem toten Kopfe sind.

Um den Hals muß man ein großes, dickes Gekröse haben aus teurer
Leinwand. Das muß gestärkt und mit heißem Eisen ausgezogen werden.
Da steht das Haupt in der Mitte, wie Sankt Johannes' Haupt in der
Schüssel. Ja, die Kleider müssen auch nicht mehr vorn, sondern hinten
im Nacken zugemacht sein, als stünde das Gesichte auf dem Rücken. Und
gar die Ärmel! Die müssen unter dem Arm durchsichtig sein, daß man die
weiße Haut sehen und erkennen mag. Geht doch manche Dienstmagd dermaßen
daher, daß sie es wohl einer reichen Bürgerstochter zuvortut. Danach,
wenn sie zur Ehe greifen soll, da ist weder Bett, Decke, noch Strecke.
Die jungen Frauen lernen sich fein in die Hoffart schicken. Weiß manche
nicht, wie sie treten soll. Weiß die Füße so zierlich zu setzen, daß
sie nicht ein rohes Ei entzwei trete. Das ist jetzund der Welt Lauf!«

Die gutmütige Greisin war bei dieser langen Rede wirklich ein wenig
ungeduldig geworden und begann jetzt, ihr vielgeschmähtes Geschlecht zu
verteidigen. Da sah Meister Biertimpel auf und maß die Sprecherin mit
erstaunten Blicken. Nicht lange vermochte er an sich zu halten. Dann
fuhr er ihr hitzig ins Wort:

»Gevatterin, was Ihr daherredet! Die Zeit ist verderbt, sage ich. Hat
nicht unlängst selbst der Burgemeister laut gescholten, daß die Frauen
ungesellig seien und steif wie Ölgötzen bei der Tafel säßen und Prunk
über alles liebten und adelsüchtig wären? Das war der Waltklinger,
Gevatterin, der das sprach, kein Geringerer! Und ist es nicht wahr,
daß die jungen Weibsbilder mit den Äuglein nach den jungen Gesellen
werfen? Und wie sie sich verantworten können! Sollte sie einer zur
Rede setzen, dem würde es wohl gehen, wie jenem alten Vater. Der sagt
zu einer jungen Frau, so ihm auf der Gasse begegnete: ›Junge Frauen
sollen nicht nach Mannspersonen sehen, sondern ihre Augen zur Erden
niederschlagen.‹

›Nein‹, antwortete sie darauf, ›nicht also! Ihr selbst sollt die Erde
ansehen, denn der Mann ist aus der Erden. Das Weib aber ist aus einer
Mannesrippen erbaut. Drum sehe ich mich nach dem um, von dem ich
genommen und gemacht bin.‹«

Meister Biertimpel betrachtete die Gevatterin triumphierend. Diese
zuckte die Achseln und schwieg. Sie bekannte sich geschlagen. Da
zeterte er weiter:

»Jeder will freien, wann und wo er will. Junge Rotzlöffel, die kaum
achtzehn Jahre alt sind, wollen Weiber haben, die man noch billig in
der Schulen schicken möchte.

Will jetzund schweigen des losen Gesindels, fürnehmlich unter den
Frauen, das die Ehe hält, wie der Hund die Fasten ...«

Hier brach der Zürnende plötzlich ab und wurde sichtlich unruhig. Die
Gevatterin sah verwundert auf -- da kam des guten Biertimpels wackeres
Eheweib über den Platz geschritten. Sie kehrte erhitzt vom Schießanger
heim. Jetzt lächelte die Gevatterin, sie verstand den raschen Schluß
der eifernden Rede.

Nun nahm die Angekommene ihres Ehegatten Sitz ein, und ihre Lippen
flossen über von der Lust und Freude, die sie heute wieder erlebt
hatte. Meister Biertimpel schwieg dazu und machte sich in dem kleinen
Vorgarten zu schaffen.

So bestand zwischen den beiden Ehegatten eine Harmonie, bei der sie
alt geworden waren. Ab und zu freilich protestierte Biertimpel einmal
gegen die leise Flöte, nach der er gezwungenermaßen tanzte. Bei solchen
Gelegenheiten hörte die Nachbarin immer einen kurzen Streit, dessen
Ende ein wiederholtes, kräftiges Klatschen bildete. Darauf wurde die
brummende Stimme des Hausherrn still.

Jedenfalls wußten die Umwohnenden, daß in dem weißgetünchten und
mit grünen Reben umrankten, freundlichen Häuschen die ehelichen
Verhältnisse aufs beste geregelt waren.

[Illustration]



[Illustration]

Dreizehntes Kapitel

Drei Fragen


Auf dem Festplatz ging es hoch her. Das Gewühl war stark und die Luft
an einigen Stellen schier unerträglich, denn es wurde viel Staub
aufgewirbelt, und der Tag war heiß.

Da die Bürger die Verteidigung der Stadt in Kriegszeiten übernehmen
mußten, hatte der Rat ein großes Interesse an der Erhaltung ihrer
Schießfertigkeit. Deshalb begünstigte er die bürgerlichen Waffenübungen
mit Freibier und Prämien. Bei den alljährlichen Schützenfesten -- so
pflegte er es seit langem -- bestand sein Preis in einem Stück Tuch von
zwanzig Ellen zu Hosen oder in dreißig Stück zinnernen Tellern.

Zu diesem Freischießen kamen die Schützen von weit her. Es galt
als Ehrensache, den einmal gewonnenen Ruf der Treffsicherheit zu
verteidigen. Die Schützenfeste mancher Städte standen hoch im Ansehen,
so die von Leipzig, Chemnitz, Dresden und Meißen.

Das Schützenzelt stand am Jüdentor. Die Schießbahn lief elbwärts längs
der Stadtmauer bis zu einem dicken Turm, der Fronfeste.

Geschossen wurde auf zweierlei Art: mit der Armbrust nach einem
aufgerichteten Vogel und mit der Büchse oder dem Haken nach einer
Scheibe von dritthalb Schuh um den Nagel. Die Schützen saßen beim
Schießen und mußten ohne Anlehnen mit freischwebenden Armen zielen.
Wer einen Fehler schoß, wurde geneckt. Er bekam unter großem Hallo auf
einem hölzernen Teller inmitten eines Nesselkranzes einen Quarkkäse und
ein Glas Bier. Dazu wurde ein Tusch geblasen.

Das Hauptvergnügen für jung und alt bildeten die Lustbarkeiten.
Auch bei dem diesmaligen Schützenfest gab es deren im Überfluß.
Unmittelbar vor dem Fleischtor stand ein weithin sichtbares Gerüst,
des Pritschmeisters Predigtstuhl. Das Amt des Pritschmeisters war ein
uralter Brauch bei Volksfesten. Wer es ausübte, zog von Stadt zu Stadt,
und es gab etliche, die eine Berühmtheit erlangten. Der Pritschmeister
war als Hanswurst gekleidet und mußte Späße machen und komische Reden
halten. Dann wieder befand er sich unter der Menge, wo er mit seiner
langen Pritsche die erkorenen Opfer bearbeitete. Das mußte sich jeder
gefallen lassen.

Seine Gehilfen waren Knaben in Narrentracht. Sie überfielen den
Erstbesten und schleppten ihn zum Predigtstuhl. Hier eröffnete der
Pritschmeister ein hochnotpeinliches Gericht, von dessen verhängten
Strafen sich der Verurteilte nach Rang und Ansehen mit einem
Biergeld loskaufen konnte. Dieses unaufhörliche Spiel bildete die
Hauptbelustigung für jedermann.

An einer andern Stelle wurden die Kräfte im Steinstoßen versucht.
Ein fünfundvierzig Pfund schwerer Stein mußte nach Stoßensrecht
fortgeschleudert werden.

Dort wieder stand ein wilder Mann, dem man neun Kugeln um einen
Kreuzer in den Mund warf. Unweit von ihm war ein Degenschlucker.
Daneben kauerte in einem Topf ein Hahn, der bei verbundenen Augen mit
Dreschflegeln getroffen werden mußte. Dudelsackpfeifer spielten dazu
auf. Auch ein glatter Kletterbaum war da und mehrere Kegelbahnen. Wer
sein Glück versuchen wollte, griff in den Glückstopf, gefüllt mit
Anweisungen auf Gewinne und mit noch mehr Nieten.

Hier galoppierten Bauernburschen an einer Puppe vorbei und warfen
Bälle danach. Am Abhang zur Triebisch stand eine junge, ungezähmte
Kuh, die den Hügel hinabgepeitscht wurde und mit fettigen Handschuhen
zurückgehalten werden mußte.

Auch ein alter Landsknecht wartete mit seinen Darbietungen auf. Er
mochte sich viele Jahre seines Lebens und für manchen deutschen
Potentaten herumgeschlagen haben. Zuletzt war er Fähnrich gewesen und
verstand sich meisterlich aufs Fahnenspiel. Mit dem weiß-grünen Tuch
am langen Stock führte er Ober- und Unterhiebe, Paraden und Stockaden
und zeigte das Rosenbrechen. Dann drehte er die Fahne im Zirkelschwung
um das Haupt und warf sie in die Höhe, um bis zum Auffangen ein Pistol
abzuschießen. Endlich schlang er das Fahnentuch malerisch um sich und
machte seine Reverenz, indem er beide Knie beugte. Dazu spielte sein
zahnloses Weib auf einer Mundharmonika den Burgundermarsch.

Zwischen zwei Bäumen hatte ein verwegener Seilfahrer sein Seil
aufgespannt, auf dem er vom Jüdentor bis zum Fleischtor lief.

Ferner wurde ein kluger Hund gezeigt, der einen Luftsprung machte, wenn
einer sein Liebchen nannte, der aber heulte, wenn man den türkischen
Kaiser nannte. Zuletzt hing ihm sein Herr ein Hütlein an die Pfote
und schickte ihn auf den Hinterbeinen zu den Zuschauern um einen
Zehrpfennig, dieweilen er noch eine große Reise vorhabe.

Hier gab es einen Vater mit sechs Kindern, die alle musizierten, dort
ein Weib, das mit Händen und Füßen essen und nähen konnte, und wieder
anderswo ein einjähriges Kind, ganz voll Haare und mit einem Barte.

Schließlich waren noch zwei Affen zu sehen, ein Meerschwein und eine
Löffelgans. Auch Bänkelsänger und verblüffende Taschenspieler warteten
mit ihren Künsten auf.

So fehlte es nicht an allerhand Ergötzlichem. Und doch war mit diesem
allen der Reichtum an Sehenswertem noch keineswegs erschöpft.

Da handelte einer mit Wurmsamen, der andere mit Bilsensamen gegen
das Zahnweh. Hier stand einer, der fraß Werg, stopfte es bis in den
Hals hinein und spie Feuer heraus. Einer verkaufte Läusesalbe, das
Gedächtnis damit zu stärken, einer wusch die Hände und das Gesicht mit
geschmolzenem Blei, ein anderer zog Schnüre aus dem Mund. Wieder einer
hielt ein Büchslein hin. Ein einfältiger Tropf blies neugierig hinein,
worauf ihm eine Rußwolke das ganze Gesicht bestäubte. Wer von den
Umstehenden darob lachte, zahlte einen Kreuzer.

Das waren die Griffe der Landfahrer und Gaukler, womit sie sich durch
die Welt brachten.

Recht Erkleckliches wurde im Essen und Trinken geleistet. Dazu saßen
die Gäste auf Bänken um lange Tische herum, deren Pfähle in den Boden
gerammt waren. Da gab es Bratferkel, Reis in griechischer Weise, Hähne,
französisches Blancmanger und orientalisches Konfekt. Auch Sauerkraut
mit Riesenbratwürsten und gekochte Elbfische in saurer Milch. Alles
mußte kräftig gewürzt sein.

Dazu wurde einheimisches Bier und Meißner Landwein geschenkt.

Alten Landsknechten mit ausgepichten Kehlen, die gewohnt waren, jeden
Batzen durch die Gurgel zu jagen, war der dargebotene Stoff zu wenig
herzhaft. Sie hätten am liebsten gehackte Glassplitter drein getan.
Daher bestellten sie sich ein Gemisch von verdorbenem Wein, scharfem
Pfeffer und Honig. Das hieß der Lautertrank. Dieser war so sauer, daß
er die eisernen Schnauzen der Gefäße abfraß.

Die Frauen knabberten unablässig Süßigkeiten. Marzipan galt nicht mehr
für fein. Dafür war Zitronat aufgekommen.

Die Ratsherren saßen an einer Ehrentafel im Schützenzelt. Auf der Wiese
drängte sich die Menge, lachend, schreiend, schwitzend.

Alle Stände waren vertreten. Natürlich kam auch der alte Unfriede
zwischen Adel und Bürgertum wieder zum Vorschein. Als Vertreter dieser
beiden Klassen fühlten sich Handwerksgesellen mit losem Mundwerk und
Landsknechte berufen. Das waren sonnverbrannte, starkknochige Männer
mit kühnem Antlitz und scharfer Wehr. Zwar waren sie gerade keine
Tugendspiegel, aber treu und verläßlich. Jeder einzelne hätte sich bei
rittermäßiger Veranlassung für seinen Herrn ohne Bedenken totschlagen
lassen.

Da flogen die Sticheleien herüber und hinüber; Handwerksgesellen und
Bauern bildeten eine Partei.

»Eisenbeißer,« höhnten sie die Landsknechte, »Hahnenreißer,
Bärenstecher, stolze Federhansen!«

Und »Heringsnasen«, gaben die zurück, »Krippenreiter, Wurstreiter,
Pfeffersäcke, Misthammel!«

»Haha, haha,« lachte ein junger Gesell. »Als unlängst der Teufel ein
paar Krippenreiter fortschaffen wollte, riß ihm in der Luft der Sack.
Da hat er den ganzen Plunder an der nächsten Ecke ausgeschüttet.«

Hier verlor einer der Gefoppten die Geduld und stürzte dem Lachenden
seinen frisch gefüllten Becher Lautertrank ins Gesicht. Aber der
Begossene lachte nur noch ärger. Da guckte der alte Landsknecht betrübt
in den leeren Becher, doch war es nun einmal geschehen.

Dicht daneben spielte der Stadtpfeifer mit seinen Gesellen auf. Der
grüne Wiesenplan war der Tanzplatz. Mit sicherem Griff packte der
Bursche sein Mädchen um die Hüfte und riß die vor Lust Kreischende im
Wirbel herum. Wange war an Wange gepreßt, und die Schweißperlen auf
ihren Stirnen flossen ineinander. So drehte man sich, so lange der Atem
reichte.

Heiahei und hei! Wie flog da Mantel, Rock und Gugelhut!

Unter den Festteilnehmern befand sich auch Sonnhild. Zwar wäre sie am
liebsten zu Hause geblieben, sich ihren Träumereien überlassend. Aber
die alte Hanne hatte zum Gehen gemahnt, da das Mädchen andernfalls den
Vater betrüben würde.

Einsilbig stand sie unter ihren Freundinnen und betrachtete mit
gezwungenem Lächeln die Lustbarkeiten. Das golden leuchtende Haar
war mit einem Schappel von kostbaren Bändern geschmückt, und das
enganschließende, weiße Kleid mit roter Schärpe und ebensolchen
Schleifen hob den jugendfrischen Eindruck ihrer zarten Gestalt. Aber
die rosigen Wangen waren bleich geworden, und die großen, traurigen
Augen gaben dem lieblichen Gesicht einen rührenden Ausdruck.

Ein Spielmann fesselte für kurze Zeit ihre Aufmerksamkeit. Er trug die
Fiedel samt Bogen an einem Bande auf dem Rücken und übte die Kunst des
Wahrsagens aus den Linien der Hand.

Seine Prophezeiungen wurden viel begehrt, besonders von den jungen
Mädchen. Mit heißen Wangen stellten sie die um einen Kreuzer erlaubten
drei Fragen, die fast immer den noch unbekannten Zukünftigen betrafen.
Wie alt er sei, wollten sie wissen, ob schön, blond oder braun, wie
gewachsen, welchen Zeichens sein Handwerk wäre, ob er ein guter Junge
sei, oder ob er gar tränke und später sein Weib prügele. Alles dies
interessierte.

Der Prophet war mundgewandt und verstand es, nicht zu viel des Guten,
aber auch nicht zu wenig zu sagen, fast immer aber die Wißbegierde der
jungen Dinger zu befriedigen.

Sonnhild war aufmerksam geworden und hörte eine Weile den Fragen und
Antworten zu. Sie verspürte den brennenden Wunsch, sich ebenfalls die
Zukunft entschleiern zu lassen. Schon hielt sie ihre Hand hin, als die
Scham das Begehren überwand und sie sich abkehrte.

Teilnahmlos ging sie durch die Menge, vor dieser und jener Darbietung
kurze Zeit stehen bleibend. So hatte sie allmählich das Ende des
Festplatzes erreicht, wo sich nur wenig Menschen befanden.

Hier blieb sie stehen und sah gedankenschwer einem Trupp weißer
Federwolken nach, die in dem blauen Luftmeer pfeilschnell hoch über
ihrem Haupte dahinzogen, nach Westen zu. Wenn sie mit ihnen ziehen
könnte! Nur einen Gruß möchte sie diesen flüchtigen Reisenden mitgeben
können, die des Raumes sieghaft spotteten.

Da vernahm sie, wie von hinterher jemand zu ihr sprach. Und als sie
sich umwandte, stand der Bursche vor ihr, der den Mädchen wahrgesagt
hatte.

»Mit Gunst, Herrin,« versetzte dieser, »möchtet nicht auch Ihr einem
armen Spielmann einen Zehrpfennig verdienen lassen?«

»Ich habe keine Fragen an Euch,« antwortete Sonnhild abweisend.

»Nun, so erlaubt, daß ich drei Fragen an Euch richte,« versetzte er
keck.

Sonnhild horchte auf. Der Ton seiner Worte machte sie stutzig. Verbarg
sich hinter ihnen etwas?

Sie betrachtete den Spielmann genauer. Er war ein hübscher, junger
Bursche mit freiem Blick und glänzendweißen Zähnen.

»Fragt immerhin,« erklärte sie, auf den Scherz eingehend; »ob ich Euch
aber antworten werde ...«

»Hoffentlich vermögt Ihr's,« fiel er ihr in die Rede. »Die erste Frage
also. Sie soll entscheiden, ob ich die zweite und dritte tue. Herrin,
wo träumt sich's besser, unter dreizehn Linden oder unter sieben
Eichen?«

Sonnhild war betroffen. Sie heftete den Blick durchdringend auf den
Spielmann, um in seinem Gesicht zu lesen. Der aber stand gleichgültig
vor ihr, und seine Züge offenbarten keinen seiner Gedanken.

»Unter sieben Eichen,« antwortete Sonnhild zögernd.

»Die zweite Frage: so der Ausgezogene seiner Herzallerliebsten ein
Gegenangebinde sendet, von derselben Art, wie er beim Abschied
empfangen, was müßte dieses dann sein?«

Sonnhild wurde dunkelrot. War es Zufall, was der Fremde sprach? Durfte
sie sich ihm anvertrauen? Sollte wirklich ...? Das Herz klopfte ihr zum
Zerspringen.

»Ein Ringlein,« sagte das Mädchen endlich mit gepreßter Stimme.

»Die dritte Frage! Und wie nennt Ihr jenen, von dem Ihr solches
empfangen möchtet?«

Sonnhild kämpfte mit einer großen Verwirrung. Sie schlug die Augen
nieder, und es währte eine Weile, bevor sie sich gesammelt hatte. Nach
einem tiefen Atemzug sah sie wieder auf; alles Blut war aus ihren
Wangen gewichen.

»Bernhard,« sagte sie kaum hörbar.

In des jungen Spielmanns Augen trat ein Leuchten.

»Dann seid Ihr die ehr- und tugendsame Jungfrau Sonnhild Waltklinger!«
rief der Landfremde freudig, »und ich habe recht geraten. Zweierlei
präge dir wohl ein, sagte der edle Junker zu mir: die Reinheit und
Bläue der Luft -- das sind ihre Augen, sowie das goldene Glänzen der
Sonne -- das ist ihr Haar. Und das Ganze ist mein Himmel, setzte er für
sich hinzu.«

Zugleich tastete der Bursche nach der dunkelroten Wollschärpe, die er
um den Leib gewunden trug, und deren goldgefranste Enden von der linken
Hüfte herabhingen. Aus ihren Falten zog er einen niedlichen Gegenstand,
sorgsam in weiches Papier eingeschlagen. Und als er die Hülle entfernt,
hielt er einen Ring zwischen zwei Fingern, den er Sonnhild verstohlen
reichte.

»Empfangt ihn, o Herrin; nun bin ich meines Auftrags ledig.«

Bebend griff das Mädchen nach dem teuern Liebeszeichen und barg es
rasch in dem Täschchen, das ihr an der Seite herabhing.

»Ja Nürnberg war es,« erklärte der Spielmann, »wo Junker von Miltitz
mich mit dieser Sendung betraute. Dort sollte sein Begleiter ein
kostbares Geschenk für den Kaiser einhandeln. Ihr wißt, o Herrin,
daß in dieser Stadt die weltberühmten Meister der deutschen
Goldschmiedekunst ihr edles Handwerk betreiben. Bei einem derselben
erstand er das Ringlein. Er war auf der Reise nach Worms; ich trug
meine Fiedel gegen Wien. Da ward mir der Auftrag. Sein Vertrauen ehrte
mich, und so wandte ich die Spitzen meiner Schuhe nach Sachsen.«

»Viel herzlichen Dank, wackerer Fremdling,« stammelte Sonnhild, »und
als äußeres Zeichen meiner Erkenntlichkeit für Euern guten Dienst nehmt
das.«

Während dieser Worte hatte das Mädchen von einem feingliedrigen,
goldenen Kettlein einen Florentiner Dukaten genestelt, den sie auf der
Brust trug.

»Nein, edle Jungfrau,« sagte er, mit der Hand wehrend und leise den
Kopf schüttelnd, »nicht also. Schon dem Junker habe ich die Annahme
einer Entlohnung verweigert. Denn er steht nicht in meiner Schuld, wohl
ich aber tief in der seinigen. Hört meinen raschen Bericht, wie das
gekommen.«

Und mit fliegenden Worten erzählte der Jüngling:

»Also zu Nürnberg war's, auf dem Marktplatz, just vor dem Schönen
Brunnen, wo ich gerade im Begriff bin, mit dem ersten Bogenstrich,
den ich in der Stadt tue, Zuhörer anzulocken. Ich war todmüde von
der Wanderung. Magen und Beutel waren leer. Da entsteht ein wüster
Tumult. Gedränge um mich herum und laute Rufe nach dem Dieb, der
einer vornehmen Frau, wie mich die ausgestoßenen Worte belehren, ein
zierliches ~Agnus Dei~ von Gold und blitzenden Steinen im Gewühl von
der Brust gerissen. Das Getümmel wächst lawinengleich. Da schreit eine
Stimme: Der Spielmann! Hundert Augen haschen nach mir, und im nächsten
Augenblick dringt die erregte Menge auf mich Ahnungslosen ein. Rohe
Fäuste fallen nieder und zerren mich nach allen Seiten. Der Landfahrer
war's, kein anderer! Schlagt ihn tot, zerreißt ihn, den Hund! Ich fühle
Grabesodem auf meinem Gesicht, und: Maria, du Gebenedeite! durchblitzt
es mein Hirn. Da haften meine Augen verzweiflungsvoll auf zwei anderen,
hoch über der Menge, die träumerisch blicken. Ich sehe, wie diese
Augen erwachen und meine Todesnöte erkennen. Viel schneller, als ich's
erzähle, drängt ein Reiter sein steigend Roß in das Getümmel, -- ein
schöner Jüngling, mit feinem und bleichem Antlitz.

›Vernunft, Leute!‹ ruft er, den Lärm übertönend. ›Die Bürger Nürnbergs,
meine ich, werden keinen ohne Urteil richten!‹ Aber die Wut der
Menge läßt den Einspruch abprallen. Schon dringt ein riesenhafter,
wild aussehender Gesell auf mich ein und greift mit beiden Fäusten
nach meinem Halse -- da saust ein blankes Schwert flach auf seinen
breiten Rücken nieder. Der Getroffene brüllt wie ein Hengst und wendet
sich gegen seinen Angreifer. Der aber hat den Degen schon wieder
emporgerissen und mit flammendem Antlitz und zornfunkelnden Augen beugt
er sich weit über den Hals des Pferdes.

Elender! ruft er, wagt es, diesem ein Leid zu tun!

Der Geschlagene fühlte seine Wut verrauchen; der herrische Zorn seines
Angreifers entwaffnete ihn. Auch die Menge war im Nu ernüchtert, ebenso
rasch, wie sie mich andernfalls zerrissen hätte. Und als nun noch
der Begleiter des Jünglings, ein älterer Edelmann, wie ich sogleich
erkannte, beruhigend einsprach, ließen sie von mir ab. Eine Sekunde
später war es um mich herum leer: die Wütenden waren zur Kirche unserer
lieben Frauen hinüber geeilt, wo man den Dieb im Besitze des Kleinods
erwischt hatte.

Daß ich's vollende,« schloß der Erzähler. »Der mutige Jüngling
wehrte meinen Dank, warf mir einen Goldgulden zu und sprengte seinem
voraufreitenden, arg bestaubten Begleiter nach. Aber ich lief bis zur
Nacht die Gassen ab, bis meine wegwunden Sohlen in den Schuhen in Blut
standen. Gerade vor der Herberge der beiden Herren sank ich nieder.

Am nächsten Tag trat ich vor meinen Retter und flehte um einen Dienst.
Da ward er mir; ich kam ihm gelegen. Und so bin ich hier.«

In Sonnhilds Brust war beim Zuhören mehr als einmal heller Jubel
erklungen. Ihr Busen wogte stürmisch auf und nieder. Das war der edle
Charakter und die Unerschrockenheit Bernhards! Sich zur Ruhe zwingend,
sprach sie:

»Möchtet Ihr, Fremdling, diese Gabe nicht doch als Andenken an mich mit
Euch nehmen?«

Die Augen des Jünglings ruhten versunken auf dem schönen Mädchen.

»Das Gold, das Ihr mir bietet,« sagte er traurig, »würde bei mir
keine bleibende Statt haben. Der Hunger ist der grimmigste Feind der
Fahrenden. Ich weiß, daß ich mich von Euerm Dukaten einstmals doch
trennen müßte, und das täte mir im Herzen weh! So Ihr meinen schlechten
Dienst aber reich lohnen möchtet, schenkt mir das blutrote Schleiflein
von Euerm Kleid, das Euch just am Herzen sitzet.«

Errötend lächelte Sonnhild und willfahrte der Bitte. Der Jüngling
empfing mit zitternder Hand das Geschenk und führte es andächtig an
seine Lippen. Dann sprach er leise:

»Er nannte Euch seinen Himmel! Ich begriff nicht, wie ein Liebender
so sprechen könne. Jetzt aber, wo ich Euch gesehen, das jähe Erröten
und Erbleichen Eurer Wangen beobachtet und Euern lauten Herzschlag
vernommen, als Ihr ihn nanntet, jetzt verstehe ich seine Worte. Ihr
zeigtet Euch gütig gegen mich und huldvoll und gewährtet mir dieses
Geschenk. Jungfrau -- das ist der beglückendste Lohn, der dem Spielmann
werden konnte!«

Mit diesen Worten wandte er sich rasch ab und verschwand in der Menge.

Sonnhild sah dem Davonschreitenden mit warmen Blicken nach. Und selbst
dann, als sie seine Gestalt in dem Gewühl nicht mehr unterscheiden
konnte, stand sie noch eine Weile traumverloren. Endlich erinnerte sie
sich des Ringleins und verließ mit schnellen Schritten den Festplatz.

Zu Hause angekommen begab sich Sonnhild heimlich in ihre Kammer und
verriegelte die Tür hinter sich. Dann lauschte sie atemlos. Ob die alte
Hanne ihr Kommen gehört hatte? Nichts regte sich. Alles blieb still,
als wäre das große Haus mit den vielen Stuben und dunkeln Winkeln
ausgestorben. Die Hanne saß gewiß strickend auf dem Lustgänglein in
ihrem bequemen Stuhl. Und die Mägde weilten noch auf dem Festplatze.

Jetzt trat Sonnhild zum Fenster und zog den Ring hervor, ein eben
nicht breiter goldener Reif und ein kleines Kunstwerk. Er stellte
eine Schlange dar, die sich in den Schwanz biß -- das Symbol der
ewigen Liebe. Der immer schwächer verlaufende Leib war mit kunstvoll
geschliffenen, überaus zierlichen Edelsteinen besetzt, die den
Schuppenpanzer der Schlange darstellen sollten. Der Kopf des Tieres war
abgeplattet, und die Augen bildeten zwei köstliche Rubinchen, von denen
purpurleuchtende Strahlen ausgingen.

Das Mädchen stand wie geblendet. Dieser wunderschöne Ring! Keiner der
ihrigen, soviel sie als vornehme Bürgerstochter deren auch besaß, glich
ihm an Schönheit. Und dazu kam er von dem Geliebten! Sein Auge hatte
auf ihm geruht und seine Hand ihn berührt. Im Überschwang ihrer Gefühle
preßte Sonnhild einen Kuß auf das köstliche Liebeszeichen, und in
ihren großen Augen schimmerten Freudentränen.

Dann entnahm sie einem aus Zedernholz gefertigten und mit
Perlmuttereinlagen kunstvoll verzierten Schmuckkasten, der bis zum
Rande mit Kostbarkeiten angefüllt war, eine dünne, goldene Kette und
zog sie durch den Ring. Hierauf betrachtete sie ihn noch lange mit
zärtlichen Augen, und es war dem Mädchen, als ob sie Zwiesprache mit
dem Ringe halten könne.

Er erzählte ihr, wie oft der ferne Geliebte ihrer gedenke, und daß er
zuweilen leise ihren Namen flüsterte. Und Bernhards feines, blasses
Antlitz stieg vor Sonnhilds Geist herauf. Sie sah es in edlem Zorn wie
mit Blut übergossen, als er hoch zu Roß, alle Gefahr verachtend, in
die wütendes Menge hineinsprengte, sein Leben für einen arg Bedrängten
aufs Spiel setzend. Denn wie leicht hätte sich die Leidenschaft des
Volkshaufens gegen ihn kehren können! Das Mädchen erschauerte.

Die Dämmerung stahl sich herein, und Sonnhild hörte, wie die Besucher
des Festplatzes in die Stadt zurückkehrten. Da hing sie das Kettlein um
den entblößten Hals und barg den Ring an ihrem Herzen. Denn sie mußte
ihn vor dem Auge des argwöhnenden Vaters verborgen halten.

Darauf kühlte sie die brennenden Augen und begab sich in das
Familienzimmer.

Nach beendeter Abendmahlzeit stand Georg Waltklinger auf, streichelte
Sonnhild liebevoll das Haar und drückte ihr den gewohnten Gutenachtkuß
auf die Stirn. Dann ging er nach dem Ratskeller. Denn der heutige Tag
war hoch bedeutsam, der denkwürdigste vielleicht, den das lebende
Geschlecht feiern durfte. Herzog Heinrich hatte ja dem Lande die
Reformation geschenkt!

       *       *       *       *       *

Draußen war es dunkel und still geworden. Da überkam Sonnhild mit
einem Male eine tiefe Sehnsucht, den Platz aufzusuchen, wo sie von dem
Geliebten Abschied genommen.

Mit fliegender Hast eilte sie in ihre Kammer, schlang ein Tuch um
die Schultern und stahl sich aus dem Hause. Die köstliche Luft des
Sommerabends mit tiefen Zügen einatmend, schritt sie quer über den
Markt und die Burggasse hinauf.

Der Mond war in einer schmalen Sichel aufgegangen und beleuchtete die
Gassen hinreichend. Nur die im Schatten liegenden Häuserreihen waren in
tiefes Dunkel getaucht. Aus den Schenken schallte Lärm, und durch die
Fenster drang das Licht auf die Gasse. Sonnhild begegnete nur ein paar
verspätet Heimkehrenden. Wenn sie an ihnen vorüberging, zog sie das
Tuch sorgsam über das Gesicht.

So erreichte sie den Hohlweg. Als sie seine Steigung mit verlangsamten
Schritten zurücklegte, hallte ihr Tritt leise von den hohen Mauern
zurück. In diese schmale Schlucht fiel kein Lichtstrahl. Kaum
konnte das Auge in der pechschwarzen Finsternis das Nächstliegende
unterscheiden. Nichts regte sich; Kirchhofsstille. Sonnhild fühlte eine
leise Beklemmung. Aber der Gedanke an den Geliebten verlieh ihr Mut.

Da hatte sie den Ausgang des Hohlwegs erreicht, und nun schimmerte in
kurzer Entfernung vor ihr das matte Licht der Lampe des Torwarts vom
Lommatzscher Tor.

Schon wollte sich Sonnhild linksab wenden, um dem Wege zu folgen, der
am Afrakloster vorbei über den Domplatz zum Schlosse führte, als sie
plötzlich jäh stehen blieb. Zu ihrer Linken hatte sich von der hohen
Mauer ein Schatten gelöst, der durch die tiefe Dunkelheit unhörbar auf
sie zukam. Ein furchtbares Angstgefühl überfiel das Mädchen. Sie wollte
fliehen, aber ihre Glieder waren wie gelähmt.

Jetzt stand die Gestalt dicht vor ihr. Das Mondlicht fiel ihr voll ins
Gesicht. Sonnhild fühlte, wie ihr Herzschlag aussetzte: sie sah in ein
erschreckend bleiches Antlitz, aus dem ein Paar tiefliegender Augen sie
starr betrachteten. Blitzschnell erinnerte sie sich des Abschiedes von
Bernhard, bei dem diese Augen aus dem nahen Gebüsch heraus drohend auf
sie gerichtet waren.

Das unbekannte Mädchen zuckte zusammen. Es hatte seine Todfeindin
erkannt. Eine dämonische Freude schoß in das ausgezehrte Gesicht,
und in den großen Augen flackerte es auf. Da stieß Sonnhild einen
durchdringenden Schrei aus und lief davon, so schnell ihre Füße sie
trugen. Das Judenmädchen aber eilte ihr in wilder Jagd hinterdrein.

Das Gattertor zum Friedhof vor dem Sankt Afrakloster stand offen.
Sonnhild fuhr hinein und eilte zwischen den Gräbern hin, den Weg
verfehlend. Die herabhängenden Zweige der Trauerweiden peitschten ihr
Gesicht, und die Dornen der Rosenbüsche zerrissen ihre Kleider und
Hände. Aber nur vorwärts! Dicht hinter ihr keuchte die Verfolgerin.
Da hatte diese die Fliehende erreicht. Sonnhild fühlte, wie eine
abgemagerte, heiße Hand ihre Schulter umklammerte ... Noch einmal
verlieh ihr die Verzweiflung Riesenkräfte. Mit ein paar wilden Sätzen
gewann sie wieder einen kleinen Vorsprung, wobei ihr die umklammernde
Hand das Tuch von der Schulter riß.

Eine weit geöffnete Pforte gähnte der Geängstigten tiefschwarz
entgegen; -- hinein! Wie Schatten huschten die beiden Frauen durch den
langgestreckten Kreuzgang und zum hinteren Tor hinaus wieder ins Freie.
Von neuem ging die rasende Flucht die Gänge des Friedhofs entlang und
im Sprung über Grabhügel hinweg, durch das Gattertor auf die Straße
zum Hohlweg zurück. Mit unverminderter Geschwindigkeit flogen sie den
abschüssigen Weg hinab, in der pechschwarzen Finsternis nur durch die
tiefen Atemstöße die Gegenwart des andern erkennend.

Am Ende des Hohlwegs befand sich das Terminhaus der Freiberger
Dominikaner, das Stationshaus für den Bettelbezirk. Ein trübbrennendes
Lämpchen hing jetzt über der Tür.

Pfeilschnell schoß Sonnhild darauf zu. Aber ihre Kraft war erschöpft,
sie fühlte, daß sie nach wenigen Schritten zusammenbrechen mußte. Doch
das Schnaufen der Verfolgerin trieb sie weiter.

Da sah Sonnhild im Näherkommen, wie von der Burggasse her ein Weib auf
den schwachen Lichtkreis zuschritt. In der nächsten Sekunde war sie bei
ihr.

»Helft, Frau! Um Gottes willen, erbarmt Euch!« stieß die Todesmatte aus
und sank auf dem kleinen Platz nieder.

Verwundert blickte die Fremde auf das zusammengebrochene Mädchen. Da
flog eine zweite Gestalt atemlos heran und war im Begriff, sich auf
die Liegende zu stürzen, als das Weib dazwischentrat.

»Mirjam!«

Die Rasende prallte zurück.

»Mutter, hinweg!« zischte sie.

»Mirjam,« bat die Stimme.

»Hinweg, sage ich -- sie _darf_ nicht mehr leben ...«

Gleichzeitig stieß sie die Frau beiseite, und Sonnhild sah ihr
wutverzerrtes Gesicht und ihre glühenden Augen über sich gebeugt. Da
wurde das Mädchen weggezogen und die beiden Frauen rangen miteinander,
bis die Mutter die Schwachwerdende festhielt, ihren Mund zu deren Ohr
neigte und ihr leise ein paar Worte zuflüsterte.

Die Wirkung dieser Mitteilung war entsetzlich. Eine Sekunde lang stand
die Rasende unbeweglich. Dann warf sie die Hände über den Kopf und fiel
mit einem erschütternden Schmerzensschrei hintenüber.

Eine kurze Weile betrachtete die Mutter in bitterer Wehmut ihr Kind.
Dann hob sie die Ohnmächtige auf und verschwand mit ihr in der
Dunkelheit des Hohlwegs.

Halb betäubt raffte sich Sonnhild empor. Das von Wut entstellte Gesicht
wollte nicht vor ihren Augen verschwinden, und der durchdringende
Aufschrei gellte ihr noch in den Ohren gräßlich wider.

Endlich wandte sie sich um und kehrte erschöpft nach Hause zurück.

[Illustration]



[Illustration]

Vierzehntes Kapitel

Nächtlicher Besuch im Dom


Den Burgemeister Waltklinger nahmen in diesen Tagen seine Amtsgeschäfte
stark in Anspruch. Der Ruf seiner Tüchtigkeit als Stadtoberhaupt war
auch zum Herzog Heinrich gedrungen. Und obwohl dieser ihn nicht kannte,
schätzte er ihn. Denn es war wertvoll, gerade in Meißen, der Residenz
des Bischofs, jetzt einen energischen und zuverlässigen Burgemeister zu
wissen.

Zwar war der rechtmäßige Vertreter der Landesregierung der Amtmann. Und
an Ernst von Miltitz' treuer Pflichterfüllung und Anhänglichkeit an das
Herrscherhaus wurde nicht gezweifelt.

Ob nun aber die Regierung in Dresden es vorzog, sich an den
Burgemeister Waltklinger wegen seines großen Einflusses auf die
Bürgerschaft Meißens und wegen seines Eifers für die neue Lehre
unmittelbar zu wenden, oder ob sie das religiöse Empfinden des
katholischen Amtmanns schonen wollte -- genug, jedenfalls wurde in
diesen Tagen der Rat der Stadt mit der Ausführung von Herzoglichen
Verordnungen betraut, deren Vollziehung zu andern Zeiten dem Amtmann
zufiel.

Darüber herrschte unter den Ratmannen lebhafte Befriedigung, denn der
Vorzug, der ihrem Burgemeister solchergestalt wurde, schmeichelte
ihrem Stolz. Unter der Einwohnerschaft lief sogar das Gerücht herum,
Ernst von Miltitz sei beim Herzog in Ungnade gefallen, worüber manch
einer leise Schadenfreude empfand.

Obzwar die Stadt der Tüchtigkeit des Amtmanns manche Verbesserung
verdankte, wurde doch andrerseits sein straffes Regiment als lästig
empfunden. Zudem war er Katholik! Und gerade in diesen kriegerischen
Tagen, nachdem man so lange für das neue Evangelium gestritten und so
viele Demütigungen durch den fanatischen Klerus erlitten hatte, genügte
schon die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, um einem Mann die
Volksgunst zu entziehen.

Eines Vormittags erschienen im Hause des Burgemeisters zwei Ratmannen,
Peter Sorgenfrei, der reiche Fleischhauer, und der alte Niclas
Anesorge. Sie trafen ihn natürlich bei der Arbeit. Georg Waltklinger
legte die Arbeitsschürze ab und geleitete seinen Besuch nach einer der
Prunkstuben im ersten Stockwerk. Hier setzten sie sich an den runden
Tisch.

Das Temperament dieser beiden Ratmannen war grundverschieden. Niclas
Anesorge war der bekannte Brausekopf, der sich trotz seiner hohen Jahre
leicht zu Unüberlegtheiten hinreißen ließ. Der am Ausgang der Fünfziger
stehende Peter Sorgenfrei hingegen war bedächtig in Wort und Tat, aber
von einer zähen Ausdauer. Er besaß einen hünenhaften Körper, und seine
Bewegungen waren schwerfällig. Seine Familie galt als eine der ältesten
der Stadt.

Niclas Anesorge war in fröhlicher Stimmung. Schmunzelnd rieb er sich
die Hände, während er versetzte:

»Wer hätte noch vor wenigen Wochen gedacht, daß sich alles so glücklich
schickte! Herzog Heinrich, du bist mir der Liebste!«

»Ja, es hat sich wunderbar gefügt,« sagte Waltklinger.

»Am Tage, wo die Schwarzröcke zum Tor hinausziehen, soll aus dem
Löwenmaul des Marktbrunnens auf mein Geheiß Wein fließen,« erwiderte
Anesorge.

»Wie ihr wißt,« begann Waltklinger, »haben wir alljährlich gegen
Bezahlung aus der Herzoglichen Hofkasse an das Kloster zum heiligen
Kreuz meißnisches Tuch und schwäbische Schleier geliefert. Nun hat in
diesem Jahr die Äbtissin Christina von Lüttichau für jede Nonne einen
Leidener Rock und einen lundischen Mantel bei der Hofhaltung in Dresden
angefordert.

Was tut da der Herzog? Heute früh erhalte ich ein Schreiben, wonach die
alljährliche Lieferung an das Kloster unterbleiben soll. Die frommen
Schwestern aber hat er streng angewiesen, das Ordensgewand abzulegen
und weltliche Kleider zu tragen.«

Niclas Anesorge lachte ins Fäustchen.

»Ein verständiger und energischer Herr ist Herzog Heinrich,« klang
Peter Sorgenfreis tiefer Baß. »Der packt fest zu. Wie weit ist denn die
Streitigkeit mit der Domgeistlichkeit, Burgemeister?«

»Dieselbe Verordnung des Herzogs, die uns die Einführung der
Lutherischen Lehre anbefiehlt, hat natürlich auch der Bischof erhalten.«

Anesorge krümmte sich vor Freude.

»Mein halbes Vermögen,« rief er, »hätte ich darangegeben, die
giftgrünen Pfaffengesichter zu sehen, als sie es erfuhren. Die
kugelrunden Domherren werden fauchend umeinander gesprungen sein wie
geprügelte Katzen.«

Lächelnd fuhr Waltklinger fort:

»Wenige Tage darauf bietet der Bischof dem Herzog an, er wolle Kirchen
und Schulen reformieren. Aber damit war Heinrich nicht einverstanden.
Vielmehr läßt er den geistlichen Herrn bescheiden, daß er die
Reformation selbst durchführen wolle, und zwar streng nach dem Sinn der
Augsburgischen Konfession.«

»Alles, was man vom Tun des Herzogs vernimmt, zeugt für seine Klugheit
und Tatkraft,« unterbrach Sorgenfrei.

»Und um das begonnene Werk zu fördern, erklärt Herzog Heinrich dem
Bischof gleichzeitig, daß er in den nächsten Tagen den Wittenberger
Theologen Jonas zu ihm schicken werde, nach dessen Anordnung zu handeln
sei.«

Niclas Anesorge sprang vom Stuhl auf und durchmaß stürmischen Schritts
die Stube.

»Ein Segen ist dieser Herzog für das Land!« rief er wiederholt, »sein
Andenken wird nie untergehen im sächsischen Volk!«

»Diese Haltung Herzog Heinrichs hat den Bischof natürlich aufs
höchste erbittert, und es hat an heftigen Vorstellungen in Dresden
nicht gefehlt. Dem Landesfürsten stehe es nicht zu, hat der Krummstab
geäußert, sich in die innern Angelegenheiten der katholischen Kirche zu
mischen. Der Fürsten Machtbereich erstrecke sich allein auf weltliche
Dinge.

Darauf hat der Herzog in kühlem Ton erwidert, die Angelegenheiten der
katholischen Kirche interessierten ihn gar wenig. Dafür bekümmere er
sich eifrig um die protestantische Lehre, zu der er sich bekenne, und
die nun auch fast alle seiner Untertanen angenommen hätten. Den Bischof
werde sein geistliches Hirtenamt nicht mehr drücken, da er fortan nur
noch verschwindend wenig Schäflein besitzen würde.«

Die beiden Ratsherren horchten mit Spannung auf des Burgemeisters
Erzählung. Dieser fuhr fort:

»Nun ist unlängst der angekündigte Prediger Jonas in aller Stille
angekommen und Rudolf von Rechenberg als weltlicher Rat ihm zur Seite.
Diese beiden sind vor den Bischof getreten und haben unter Berufung
auf die Verordnung des Landesfürsten von ihm die Abtretung des Doms
verlangt. Darüber ist der geistliche Herr etwas aus dem Häuschen
geraten, und er soll die herzoglichen Abgesandten wenig manierlich
angehaucht haben. Mit um so größerer Ruhe haben diese die Forderung
wiederholt und Gewaltmaßregeln in Aussicht gestellt. Der entrüstete
Bischof ist daraufhin so lebhaft geworden, daß alle Domherren
nacheinander herbeigelaufen sind. Und nun war das Gezeter natürlich
groß.

Der Dom ist kirchliches Eigentum, hat der Bischof einmal über das
andere gerufen. Nein, hat Rudolf von Rechenberg ruhig geantwortet, er
ist von den Spenden und Abgaben des Volkes erbauet worden und Eigentum
des Landes. Den kirchlichen Vertretern wurde er alsdann zur Benutzung
übergeben.

Wir werden das Gotteshaus nicht herausgeben, hat der zornige Priester
gewettert, auf daß es nicht entweihet werde.

In dem ehrwürdigen Bau, hat darauf Rechenberg erwidert, werde auch in
Zukunft dem allmächtigen Gott ebenso ergeben und inbrünstig gedient
werden, wie bisher. Und die göttliche Liebe und Gnade werde sich
auch über die neue Gemeinde ausgießen. Die Diener der katholischen
Kirche möchten nur ruhig das Gotteshaus verlassen und die felsenfeste
Überzeugung mitnehmen, daß der Dom für alle Zeiten eine geweihte Stätte
bleiben werde. Nicht Stein und Eisen stempelten den Bau zur Kirche,
sondern der lebendige Geist, den das göttliche Wort in den Seelen der
in ihm Versammelten erzeuget.«

Georg Waltklinger machte eine Pause.

»Ihr werdet nun wissen wollen,« begann er wieder, »woher ich dies alles
so gut kenne. Hört den Schluß meiner Erzählung, woraus hervorgehen
wird, daß bei der Ausführung der Herzoglichen Verordnung ich selbst
mitgewirkt habe.«

Die Zuhörer fuhren überrascht auf, versuchten aber nicht, den Fluß der
Rede mit unnützen Fragen aufzuhalten.

»Die beiden Abgesandten des Herzogs hatten dem Bischof die Frist von
dreimal vierundzwanzig Stunden gestellt. Nach Ablauf dieser Zeit
sollten alle Merkmale des katholischen Glaubens aus dem Dom entfernt
sein. Dies geschah nicht. Vernehmt nun, wie Herzog Heinrich seinem
landesherrlichen Ansehen Nachdruck verschafft.

Verwichene Nacht, es mochte gegen ein Uhr in der Frühe sein, tönt
der eiserne Klopfer an meinem Haustor sehr vernehmlich dreimal. Ich
verlasse das Bett, kleide mich rasch an und öffne. Ein Mann tritt in
den Flur. Beim Schein der flackernden Kerze erkenne ich Herrn Rudolf
von Rechenberg.

›Herr Burgemeister,‹ spricht dieser, ›ich ersuche Euch, mit mir zu
gehen. Auf herzogliche Weisung bedarf ich Eurer Zeugenschaft als
bestallter Vertreter der Stadt Meißen.‹

Ich werfe meinen Nachtmantel über, und wenige Minuten darauf schreiten
wir durch die Burggasse und die Stiegen hinauf nach dem Schloß. Kein
lebendes Wesen war zu sehen. Auf dem Domplatz begegnet uns ein Mann. --
›Herr Jonas, es kann beginnen‹, sagt Rudolf von Rechenberg.

Da sehe ich vor der offenen Dompforte eine Schar Leute, zehn oder
zwölf, und sechs bewaffnete Burgknechte, die den Eingang bewachen.

Nun treten wir in das Innere des Doms. Zunder flammt auf, und beim
Schein von Pechfackeln geht es vorwärts. Unsere Tritte hallen durch das
nächtliche Schweigen von den hohen Mauern zurück.

Wir stehen vor dem Altar. Herr Rudolf von Rechenberg läßt alles von
ihm entfernen, was an Sonderheiten der katholischen Lehre vorhanden.
Schweigend packen die Männer die Geräte in bereitgehaltene Körbe, --
Altardecke, Paramente, Monstranz, Glocken, Weihrauchkessel, Patenen,
Peristerium und das Aquamanile. Auch der Reliquienschrein wird entfernt
und noch mancherlei dazu.

Herr Jonas bezeichnet die Gegenstände, und Rechenberg befiehlt, sie
wegzuräumen.

Endlich ist scheinbar alles getan. Da ruft Herr Rudolf von Rechenberg
einige Männer zu sich, ihres Zeichens Steinmetzen, wie ich alsbald
erkennen sollte. Mit diesen begibt er sich zum Grabe des heiligen Benno
und weist die Leute an, es zu entfernen. Sie werfen ihre Kittel ab,
und nun hallen die Schläge von Hammer und Meißel durch die Stille, bis
der tote Bischof den Platz geräumt hat und sein Grabmal dem Erdboden
gleich gemacht ist. Die entfernten Steinbilder werden gleichfalls
sorgsam in Körbe verpackt.

Nun, Herr Jonas, hebt Rechenberg an, ist das Werk vollendet? Der
Wittenberger Theolog schaut sich lange um. Es ist getan, sagt er
endlich.

Da läßt Herr von Rechenberg die Körbe schließen. Tragt sie nach dem
Heinrichskloster hinab, befiehlt er den Männern. Diese heben ihre Last
auf und entfernen sich.

Darauf wendet er sich an mich. Herr Burgemeister, sagt er mit jener
Gelassenheit, die ihn auszeichnet, solchermaßen bewältigt man
rebellische Priester. Der Fürst muß immer Herr bleiben in seinem Lande.
Er dient allein dem Höchsten, nicht der Kirche. Diese ist ihm untertan.
Lasset alle wissen, was Ihr hier gesehen, und tut der Einwohnerschaft
kund, daß morgen abend neun Uhr der erste lutherische Gottesdienst im
Dom von unserem wackern Herrn Jonas abgehalten wird. Sobald heute die
Stunde schicklich, teilen wir diesen herzoglichen Willen dem Amtmann
mit.

Als ich das herrliche Gotteshaus verließ,« schloß Georg Waltklinger
seinen Bericht, »dämmerte im Osten fahles Frühlicht herauf, und auf dem
Schloßfirst jubelten die Schwarzdrosseln dem jungen Tag entgegen. Ich
aber sah und hörte nicht viel von alledem, so hatte mich das Erlebnis
ergriffen!«

Aber auch die beiden Ratmannen standen unter dem Bann des Erzählten.

»Wann willst du den Rat zusammenberufen, Burgemeister?« fragte Peter
Sorgenfrei.

»Für heute nachmittag vier Uhr. Der Ratsbote ist darum schon auf den
Beinen. Der Bürgerschaft soll es durch den Ausrufer verkündet werden.«

Niclas Anesorge frohlockte.

»Wie wird dem Siebeneichener die Galle schwellen, wenn er hört, daß
wieder einmal ohne seine Mitwirkung alles besorgt worden ist.«

»Und daß nicht er, sondern der Burgemeister zugezogen wurde,« setzte
Waltklinger lächelnd hinzu.

Peter Sorgenfrei blieb ernst.

»Burgemeister,« sagte er in seiner ganzen Bedächtigkeit, »meinst du
nicht, daß es an der Zeit wäre, den Amtmann durch ein paar freundliche
Worte wissen zu lassen, wie der Rat der Stadt Wert darauf legt, in
guten Beziehungen zu ihm zu stehen?«

Da fuhr der alte Anesorge auf:

»Freundliche Worte diesem Amtmann? Warum nicht gar!« rief er patzig.

Georg Waltklingers Stirn hatte sich gerunzelt.

»Wir sind Ernst von Miltitz keine Erklärung schuldig,« sagte er mit
verhaltenem Grimm. »_Er_ hat das gute Einvernehmen zwischen uns
gestört, nicht wir. Von _seiner_ Seite kamen die Angriffe.«

»Er befolgte Willen und Weisung seines Fürsten!«

»Mit Quälereien hat er uns zugesetzt, als er wußte, in welch tiefer
Sehnsucht sich die Bürgerschaft nach dem neuen Evangelium verzehrte.«

»Er schuldete seinem Herrn Gehorsam!«

Waltklinger lachte bitter auf. Wohl war er innerlich überzeugt, daß
Ernst von Miltitz als Beauftragter des Herzogs nicht anders hatte
handeln können. Aber sein Widerwillen gegen diesen Mann war so stark,
daß er ihm wissentlich unrecht tun konnte.

»Du meinst also, wie er zu uns kam und uns zu überreden versuchte, tat
er nur -- -- --«

»Seine Pflicht!« unterbrach Peter Sorgenfrei eisig. »Du selbst,
Burgemeister, und gerade du hättest nicht anders gehandelt. Ein
ungetreuer Knecht, der nicht den Willen seines Herrn erfüllte!«

Georg Waltklingers Erregung wuchs.

»Sorgenfrei,« sagte er kopfschüttelnd, »du befindest dich in einem
großen Irrtum. Wohl ist ein Amtmann seinem Fürsten zum Gehorsam
verpflichtet. Aber hinter allem, was Miltitz sprach und uns in
kirchlichen Dingen auferlegte, lauerte ein gut Teil persönlichen
Übelwollens. Weißt du nicht, daß der hochmütige Herr auf Siebeneichen
einer der schlimmsten Römlinge ist, die wir im Lande haben?«

»Recht hast du, Burgemeister,« eiferte Niclas Anesorge. »Dieser
Amtmann ist uns doppelt mißgünstig gesinnt. Einmal gehört er zu jenen
Vertretern des Adels, die die Bauern am liebsten vor den Pflug spannen
und uns Städtern einen strengen Zehnten auferlegen möchten, damit sie
im Nichtstun prassen können. Und das andere Mal ist er ein finsterer,
herzloser Hasser von allem, was lutherisch ist.«

Der reiche Fleischhauer warf dem Sprecher einen mißbilligenden Blick
zu.

»Dein weißes Haar, Anesorge, sollte dich endlich davon zurückhalten,
Abwesende zu verunglimpfen. Aus deinen Worten spricht persönlicher Haß
und kleinliche Gesinnung.«

»Hörst du's, Waltklinger?« fuhr der Gescholtene auf, »so spricht ein
Ratmanne der Stadt Meißen!«

Peter Sorgenfrei ließ sich nicht irremachen.

»Du zeigst dich gegen den Amtmann gereizt, Burgemeister,« fuhr er
fort. »Wir wollen unsere gute Zeit jetzt nicht daran verschwenden,
zu untersuchen, wie weit du dazu im Rechte bist. Aber das eine nimm
mir nicht krumm, Waltklinger: ich bin verwundert ob deiner Rede, der
Miltitz sei ein Römling. Solches plappert der Volksmund. Lassen wir den
Nachbetern ihr Geschwätz. Wir sind ernste Männer und sprechen nur das,
was wir wissen! Oder solltest du Beweise für deine Behauptung besitzen?
Dann will ich gern bekennen, daß ich im Unrecht bin.«

Der Burgemeister kämpfte mit einer leichten Verlegenheit. Hatte er
Beweise? Nein! Sorgenfrei war kein geübter Sprecher, und es machte
ihm sichtlich Mühe, längere Zeit zu reden. Aber was er sagte, war
durchdacht. Alles war kernig an ihm! Ein Mensch, auf dessen Wort man
wie auf einen Felsen bauen konnte.

Schnell gefaßt, versetzte Waltklinger:

»Hast du's ganz vergessen -- 's ist noch nicht lange her --, wie der
Amtmann unsere Ratsversammlung besuchte und uns überreden wollte, den
alten Glauben zu behalten? Da verriet sich sein schwarzes Herz doch
recht offenkundig!«

»Ich habe den Sinn seiner Worte getreu im Gedächtnis behalten,«
erwiderte Sorgenfrei. »Miltitz verglich den alten und den neuen
Glauben mit zwei Wegen, die zum ewigen Heil führten. Das ist eine Rede,
wie sie ein eingefleischter Papist nicht im Munde führt. Denn ein
solcher läßt das lutherische Wort nimmermehr gelten. Seien wir also
gerecht.«

Waltklinger fühlte sich in die Enge getrieben. Sorgenfreis
ungeschminkte Rede war nicht zu widerlegen. Da enthob ihn ein
eintretender Bote, der einen Brief brachte, der Verlegenheit, zu
antworten. Der Burgemeister öffnete und las die Schrift.

»Vom Amtmann,« sagte er. »Er fordert den Rat auf, übermorgen
zehn Uhr vormittag vor dem Heinrichskloster einzutreffen, um die
alte Streitigkeit zwischen dem Kloster und der Stadt wegen der
Kirchhofsgrenze zu schlichten.«

Niclas Anesorge spitzte die Lippen und pfiff laut.

»Nichts als ein Vorwand,« rief er. »Der alte Fuchs will uns wieder
einmal die Leviten lesen!«

»Glaub's schon, daß dem so ist,« stimmte Waltklinger zu. »In der
letzten Zeit ist es zu oft geschehen, daß sich die Landesregierung
unmittelbar an die Stadt gewendet hat, statt durch den Amtmann zu uns
zu sprechen. Darob ist er ergrimmt. Und weil er nach oben hin still
sein muß, hat er sich vorgenommen, dem Rat einmal seine ganze Macht zu
zeigen.«

Anesorge stimmte zu. Peter Sorgenfrei schwieg. Waltklinger empfand
dies als einen erneuten Widerspruch, der ihn stark verdroß, so sehr er
seinen Vertreter auch schätzte.

»Gevatter,« wandte er sich mit schlecht verhehltem Spott an Sorgenfrei,
»mir scheint, wir bemühen uns heute umsonst, deine Beistimmung zu
erhalten. Und doch verfechten wir nur die Sache der Bürgerschaft. Der
Herr Amtmann hat dir's angetan! Hm ... Vertreter einer der ältesten
Adelsfamilien des Landes, hohes Amt, sehr angesehen bei Hofe -- -- --
Rückgrat! Rückgrat!«

Peter Sorgenfrei richtete seinen gewaltigen Körper etwas höher auf,
wie ein gereizter Löwe tut, der es aber verschmäht, sich auf seinen
Angreifer zu stürzen. Doch das Zittern seiner tiefen Stimme verriet
den Zorn, der in ihm aufgestiegen war. Die Gutmütigkeit des reichen
Fleischhauers war in der Stadt sprichwörtlich. Um so mehr wirkte es
deshalb, wenn er zornig wurde.

»Ich kann es keinem erlauben,« sagte er endlich, »an meiner Gesinnung
als Vertreter der Bürger zu zweifeln. Alles, was ich für die Stadt
tue, habe ich daraufhin geprüft, ob es ihrem Wohle dient. So hab' ich
es gehalten von dem Tage ab, an dem ich mein Amt übernommen. Wenn die
Bürgerschaft mit Peter Sorgenfrei nicht mehr zufrieden ist, möge sie
sein Amt von ihm zurückfordern. Bis dahin aber übe ich es so aus, wie
in all den Tagen, wo ich mit gutem Gewissen Gott und den Menschen
Rechenschaft ablegen konnte.«

Der Hüne zwang sich bei dieser Rede zur Ruhe. Nur die mächtige Hand,
die auf dem Tische lag, zitterte. Jetzt verrauchte sein Zorn schon
wieder. Und in gemäßigterem Tone fuhr er fort:

»Dies alles ist dir genugsam bekannt, Waltklinger, wenn selbst du so
verletzende Worte gebrauchst, wie eben. Denn gerade du bist es, der
mich vor allen andern wohl am besten kennt. Aber ebensogut kenne ich
dich, dein Herz und deine Klugheit. Aber auch deine Schwächen! Und da
wir einmal bei dieser Aussprache sind, will ich auf halbem Wege nicht
stehenbleiben. Männer, die eine vierzigjährige Freundschaft verbindet,
dürfen ganz offen zueinander sprechen.

Bürger und Adel sind die Kinder _einer_ Mutter. Ihre Aufgaben sind in
vielen Dingen gemeinsame. Was läge näher als ihr Zusammenarbeiten zum
Wohle des Landes! Anstatt dieses zu tun, liegen sie seit Jahrhunderten
in erbittertem Streit und vergeuden damit gute Kräfte. Wir kennen die
Ursachen des Haders, der sich täglich erneuert. Gefehlt wird hüben
und drüben! Wem aber das Gedeihen der Heimaterde am Herzen liegt, der
sollte vom Streit ablassen und sich zum Frieden geneigt zeigen. Das
gilt für die Einsichtigen in beiden Lagern. Schon hört man unter den
Adligen Stimmen, die den Hochmut ihresgleichen uns Bürgern gegenüber
verurteilen. Wenn sich aber solche Freunde des Friedens uns nähern,
werden sie kalt zurückgewiesen. Das frommt dem Frieden nicht!«

Peter Sorgenfrei beugte sich weit vornüber.

»Georg,« sagte er eindringlich, »so mich nicht alle guten Geister
verlassen, dann werde ich recht behalten, wenn ich ausspreche: der
Siebeneichener ist einer von denen, die vermitteln möchten. Prüfen
wir uns einmal recht sorgfältig, ob in manchem Streit, den wir mit
ihm hatten, nicht die Ursache bei uns gelegen hat. Sein Regiment ist
straff, aber nicht hart, und seine Gerechtigkeit wird gerühmt. Zudem
sind die Widerwärtigkeiten des religiösen Zwistes beseitigt, die
auf dem Wege lagen, wie spitze Stiefel. Aber mehr als einmal habe
ich empfunden, daß er unser Vertrauen suchte. Und könnten wir uns
entschließen, ihm solches zu schenken, so wäre das der erste Schritt
zur Freundschaft!

Also: starker Bürgersinn und Bürgerstolz in Ehren! Aber trotzig wollen
wir nicht sein und einem guten Wort eine gute Statt einräumen. Wer uns
einen Schritt entgegenkommt, dem wollen wir's mit zweien danken. Das
dient dem Frieden, Georg, und fördert das Wohl der Bürgerschaft!«

Der reiche Fleischhauer erhob sich.

»Genug, Freunde,« sagte er, »zwischen uns besteht Klarheit. Laßt meine
Rede auf Euch wirken, sie ist gut gemeint.«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, drückte er beiden Männern die Hand
und ließ sie allein.

Die ruhigen Worte hatten auf die Zuhörer Eindruck gemacht. Als
Sorgenfrei sie verlassen, schwiegen sie eine Weile. Dann fragte Niclas
Anesorge etwas kleinlaut:

»Nun, Burgemeister, wie stellst du dich dazu?«

Waltklinger warf einen raschen Blick durch das Fenster, hinab auf den
Markt, wo der Ausrufer mit der Klingel gerade verkündete, was sich in
der verflossenen Nacht im Dom zugetragen hatte. Endlich versetzte er:

»Sorgenfrei ist ein Schönseher. Schon immer war er's. Nun er den
Glaubenshader glücklich beseitigt weiß, meint er, Bürger und Adel
brauchten sich nur in die Arme zu fallen. Ich wäre nicht abgeneigt,
Frieden zu schließen. Aber der Bürger möchte Kratzfüße machen und mit
krummem Rücken demütig bitten. So will es der Adel. Und so wird es
nicht! Um Freundschaft bitten, haben wir nicht nötig. Ist es den Herren
ehrlich daran gelegen, so mögen sie kommen. Hochmütig anschauen werden
wir sie nicht. Bis dahin aber Gott befohlen!«

Anesorge lächelte.

»Du redest gut, Burgemeister. Auf dich ist immer Verlaß. Bis jetzt war
das Pfaffengesindel der grimmigste Feind, nun ist es der Adel. -- Und
wie denkst du über den Amtmann?«

Waltklinger zog die Brauen zusammen.

»Dem trau' ich nicht! Er sollte bestrebt sein, unser Freund zu werden?
Nimmermehr! Ich halte ihn keiner warmen Regung fähig. Vielleicht
erleben wir es noch, daß sich mein Urteil als richtig erweist. Er ist
ein herzloser Mann, der nur auf seinen Vorteil denkt. Ich werde seinen
Hochmut mit Verächtlichkeit abtun.«

»Vortrefflich! Ganz ausgezeichnet!« frohlockte der alte Anesorge und
klopfte den Burgemeister auf die Schulter. »Bleib' so, Waltklinger, wir
alle werden dir beistehen!«

Danach trennten sich die Männer.

[Illustration]



[Illustration]

Fünfzehntes Kapitel

Die Sterne schweigen


Am Abend des nächsten Tages strömte das Volk zum Dom. Und es waren
ihrer weit mehr, die Eintritt begehrten, als der geräumige Bau fassen
konnte. Zur gleichen Stunde hatte die katholische Geistlichkeit für die
Anhänger des alten Glaubens einen Trutzgottesdienst in der Kirche des
Franziskanerklosters verkünden lassen.

Hier wurde der ganze kirchliche Glanz des Mittelalters, das höchste
Schaugepränge des katholischen Kultus entfaltet. Eine große Anzahl
Kerzen verbreitete in der Kirche strahlendes Licht, und starker
Weihrauchduft schlug den Eintretenden entgegen.

Der Hochaltar war rot bekleidet und mit schwersilbernen Leuchtern,
die dicke Wachskerzen trugen, aufs prächtigste geschmückt. Zu diesem
Hochamt hatten sich alle Priester Meißens und seiner Umgebung
versammelt. Selbst aus dem nahen Dresden waren sie herbeigekommen.

Der Propst war mit dem vollzähligen Domkapitel erschienen. Die
Domherren trugen Gewänder von kostbaren Stoffen mit Pelzwerk verbrämt
und mit reichgoldenen Stickereien.

Das Chor war angefüllt mit Vikaren und Großvikaren, Offizialen,
Diakonen und Subdiakonen, die hinter den Kanonikern standen. Den noch
freien Raum nahmen die Choralisten ein, die sich beim Betreten des
Chors nach Osten und Westen verneigten und die den beiden Prälaten,
Propst und Dekan, die schuldige Achtung durch Verbeugen erwiesen.

Zuletzt erschien unter einem Baldachin der Bischof in vollem Ornat,
geschmückt mit Mitra und Brustkreuz und den Krummstab in den Händen.
Zahlreiche Ministranten begleiteten ihn. Das Pontifikalamt begann, bei
dem der Bischof die Messe zelebrierte.

Unter den am Eingang stehenden Andächtigen befand sich ein Mann, der
mit sichtlicher Unrast seine Augen schweifen ließ und nicht viel von
der Weihung vernehmen mochte, die sich gerade vollzog. -- -- ~In nomine
Patris et Filii et Spiritus sancti. Amen~ -- -- -- -- Seine Sinne
arbeiteten angestrengt, ein Gedanke von höchster Bedeutung mußte ihn
erfüllen.

Wie im Traum vernahm er noch das ~Dominus vobiscum, Et cum spiritu tuo,
Oremus~. Dann versank er in tiefes Grübeln, aus dem ihn erst wieder
das ~Kyrie eleison~ merkte. Als aber das ~Gloria in excelsis~ ertönte,
hörte er nichts mehr. Nur beim Verklingen des Gesangs murmelten seine
Lippen: Amen.

Die Opferung wurde vollzogen, die Händewaschung -- ~Orate, fratres, ut
meum~ -- -- -- -- ~Per omnia saecula saeculorum~ -- -- --.

Das ~Sursum corda~ zitterte durch den Raum, die heilige Wandlung stand
bevor. Hier erwachte der Grübler für einen Augenblick, dann wurde sein
Geist wieder hinweggezogen. Da traf ein von Jugend auf wohlbekannter
Klang sein Ohr, der den Versunkenen in die Gegenwart hereinriß, --
das Tönen der Schelle der Ministranten. Ein Rauschen, und die ganze
Gemeinde fiel auf die Knie. Der heiligste Augenblick der Messe war
gekommen. Der Bischof erhob sich und zeigte die geweihte Hostie und den
Kelch dem Volke.

Während der nun folgenden Kommunion sah der Mann wieder teilnahmlos
auf die Schar der Andächtigen, bis der Priester das ~Te Deum laudamus~
anstimmte und die Gemeinde mit Inbrunst einfiel: Großer Gott, wir loben
dich!

Da verließ der Mann die Kirche und trat hinaus auf den Heinrichsplatz.
Seine Augen, von dem hellen Kerzenlicht geblendet, konnten die
Finsternis nicht durchdringen. Die Stadt war wie ausgestorben, kein
Mensch begegnete ihm.

In dem hohen Erker des Eckhauses an der Elbgasse brannte ein einsames
Licht. Vom Heinrichskloster her tönten die Klänge des Lobgesanges ihm
noch schwach hinterdrein. Sonst herrschte lautlose Stille.

In der Mitte des Marktes blieb der nächtliche Wanderer erschöpft
stehen, nahm den Hut vom Kopf und trocknete die feuchte Stirn.
Die Umrisse der hohen Giebel und Erker der Gebäude traten aus der
Dunkelheit schwach hervor. Rechts stand das ehrwürdige Rathaus,
zu seiner Linken ragte die wuchtige Fassade vom Wohnhause des
Burgemeisters hoch in die Luft.

Der einsame Mann sah zum bewölkten Himmel auf; ein einziger Stern
glänzte hell herab. Mit einer stummen Frage hingen seine Augen lange an
dem blinkenden Licht. Wenn ihm von oben herab Rat kommen möchte! --
Aber keine Stimme drang hernieder. Der leuchtende Stern zog seine ferne
Bahn still weiter.

Jetzt ruhten die Blicke des Mannes versonnen auf dem Brunnen. Die
steinernen Figuren standen steif auf ihren Sockeln. Ab und zu schien
es, als ob sie die Gesichter einander zuwendeten und leise flüsterten.
Der Löwe über ihren Häuptern betrachtete aufmerksam den runden Strahl,
der ihm aus dem Maule floß, und es sah aus, als wenn er die Ohren
spitzte und aufmerksam den murmelnden Klängen des alten Brunnenliedes
lauschte, das seine Wasser sangen.

Noch einmal schlug der Einsame die Augen aufwärts. Sein Atem ging
schwer. Da teilte sich plötzlich eine Nebelwolke, und zwei weitere
Sterne wurden sichtbar. Die Blicke des Schauenden hingen wie gebannt an
dieser Erscheinung, und sein Herz schlug laut. Sollte das Hervortreten
der flimmernden Himmelslichter für ihn bedeutungsvoll sein? Wies das
glänzende Dreigestirn nicht nach dem Dom? Der Mann erschauerte.

Noch eine kurze Weile hingen seine Augen an den Sternen. Dann riß er
sich von dem Anblick los und ging mit schnellen Schritten die Burggasse
hinauf.

Am Fuße der Domstufen brannte am Terminhause der Dominikaner wie
allnächtlich das Lämpchen und leuchtete ihm ein Stück. Endlich stand
er vor dem Dom, durch dessen bunte Fenster das Licht fiel und auf das
Steinpflaster scharf geschnittene Rechtecke zeichnete.

Die Besucher des Gotteshauses standen eng aneinander gedrängt bis
zu der offenen Tür. Jeder hatte an dem ersten protestantischen
Gottesdienst im Dom teilnehmen wollen. Der Unbekannte stellte sich
auf die steinerne Schwelle und sah hinein. Auch hier strahlte heller
Lichterglanz bis in die fernsten Winkel des Kirchenschiffs.

Auf der Kanzel stand in schwarzem Talar mit weißen Beffchen die
ehrfurchtgebietende Gestalt des greisen Predigers Jonas, der mit
markigen Worten zu der Gemeinde sprach. Seine Augen leuchteten in
heller Begeisterung, und das faltenreiche Gesicht war von einer
jugendlichen Röte überzogen.

Die Rede des trefflichen Greises drang den Zuhörern zum Herzen. Wie
gebannt hingen ihre Blicke an seinem Munde. Auch der Unbekannte
lauschte den zündenden Worten.

Der weise Religionsdiener hatte als Stoff seiner Predigt das Herz
der christlichen Lehre gewählt, jenes Kapitel, das wie kein anderes
geeignet ist, das menschliche Empfinden wachzurufen. Er sang das
unvergängliche Hohe Lied der Liebe! Jetzt sprach er von der Liebe zum
Nächsten. Mit eindringlichen Worten ermahnte er seine protestantischen
Zuhörer, es den katholischen Mitbrüdern nicht zu entgelten, wenn sie
an ihrem alten Glauben festhielten, und keiner solle meinen, daß sein
Glaube der wahre und nur allein gottgefällige sei. Hier müsse das
Herz entscheiden. Das Irren sei der menschlichen Natur als Stempel
aufgedrückt. Man dürfe nicht hoffärtig auf seiner Überzeugung beharren,
-- Demut und felsenfester Glaube an die Barmherzigkeit und Ewigkeit der
Himmel seien der köstlichste Schmuck eines wahren Christen.

Mit diesen Worten schloß Herr Jonas die erste protestantische Predigt
im Dom zu Meißen.

Jetzt erklang die Orgel. Zuerst spielte sie ein leises Präludium.
Durch die Fülle der Töne zog sich eine gedämpfte Melodie, die nur leise
anklang und gerade dann wieder entschwand, wenn die Zuhörer sie zu
erkennen meinten. Ihr Wohllaut entzückte jedes Ohr.

Da riß das Vorspiel plötzlich ab. Eine Sekunde lang herrschte tiefe
Stille. Dann setzte die Orgel mit voller Kraft ein. Die machtvollen
Töne brausten durch den Dom bis in den entferntesten Winkel, schlugen
hinauf zu dem großen Erlöserkreuz an der Decke und brachen sich an
den hohen Säulen, daß diese erzitterten. Nun stimmte die Gemeinde mit
vielhundert Kehlen in hoher Begeisterung den Gesang an. Es war jenes
Lied, das in den damaligen Tagen in aller Mund war, und das die Mutter
ihrem Kindlein als Wiegenlied sang -- das Lied, das der mannhafte
Doktor Martin Luther seinen Anhängern als Trutzlied beschert:

    »Ein' feste Burg ist unser Gott,
    Ein' gute Wehr und Waffen!«

Der Unbekannte war der Predigt mit großer Aufmerksamkeit gefolgt. Jetzt
aber, als er den brausenden Gesang vernahm und die hohe Begeisterung
der Andächtigen von ihren Gesichtern las, fühlte er sich tief ergriffen.

Er verließ seinen Platz und ging sinnend vor dem Gotteshaus auf und ab.

Was vorhin im Heinrichskloster und jetzt hier im Dom die Seelen
der Menschen im Bann gehalten, waren der Geist und die weihevollen
Ausdrucksformen der beiden Hauptzweige der christlichen Kirche, die
sich wie zwei Weltanschauungen schroff gegenüberstanden. Beiden wohnte
die Kraft inne, das menschliche Herz vom Irdischen loszulösen und
in unstillbarer Sehnsucht nach dem unerforschlichen Ewigen lauter
schlagen zu lassen; -- und doch gähnte zwischen ihnen ein tiefer
Abgrund!

Dem Sinnenden ward offenbar, daß er einen schwankenden Steg von Fels zu
Fels geschlagen hatte, auf dessen Mitte er jetzt unschlüssig stand.

Da hörte er Schritte. Und um sich neugierigen Blicken zu entziehen,
ging er hinüber nach der Schotterei und verbarg sich im Dunkel.

Der Gesang war zu Ende, und die Besucher verließen den Dom. Noch
durchdrungen von der Weihe, gingen sie in Gruppen schweigsam der
Stadt zu. Nach kurzer Zeit war das Gotteshaus leer, und die Lichter
verlöschten. Da verließ der Unbekannte seinen Platz und näherte sich
der offengebliebenen Tür.

In der Kirche waren nur noch zwei Personen, der Domdiener, der bei
dem matten Schein der auf dem Altar brennenden zwei Kerzen die
Abendmahlgefäße ordnete, und der Prediger Jonas, der mit der Bibel
unter dem Arm eben auf den Ausgang zuschritt. Da bemerkte der Greis an
der Türschwelle einen Menschen. Er näherte sich ihm und betrachtete ihn
bei dem herrschenden Halbdunkel forschend. Das Gesicht war Herrn Jonas
bekannt; erst gestern hatte er diesem Mann gegenübergestanden.

»Ihr hier, -- Herr Amtmann?« fragte er höchlichst erstaunt.

Ernst von Miltitz trat dicht an den Prediger heran und antwortete:

»Ehrwürdiger, ich bitte Euch, kehrt noch einmal um und ... reicht mir
das Abendmahl in beiderlei Gestalt!«

[Illustration]



[Illustration]

Sechzehntes Kapitel

Wider die Brüder des heiligen Franziskus


Am nächsten Morgen hatten sich der Burgemeister und die Ratmannen zu
der vom Amtmann anberaumten Stunde auf dem Heinrichsplatz eingefunden.
Die Ursache des Zusammenkommens war eine langjährige Streitigkeit.
Während der Abt der Franziskaner behauptete, nach alten Abmachungen
dürfe die niedrige Mauer des Friedhofs um zwei Ellen in den Frauenmarkt
hineingerückt werden, machte die Stadt geltend, die Verbreiterung
des Kirchhofes wäre früher wohl einmal erwogen worden, doch seien
die Verhandlungen hierüber auf halbem Wege steckengeblieben. Die
Klosterverwaltung hätte ihre Gegenentschädigung so verklausuliert,
daß der Rat die Sache habe fallen lassen. Jetzt vorgebrachte
Zeichnungen seien Entwürfe, wie es damals geplant war. Zum Abschluß der
Unterhandlungen wäre es jedoch nicht gekommen.

Unter den Versammelten herrschte das Vorgefühl von Siegesbewußtsein.
Zwar hatte das Kloster erhebliche Anstrengungen gemacht, die
Rechtmäßigkeit seiner Forderung zu beweisen. Aber die Urkunde über den
Abschluß beizubringen, war den Kuttenträgern nicht gelungen. Und der
bestimmte Ton ihres Begehrens hatte die Stadtväter arg verschnupft.
Freundlichen Bitten hätte man wohl das Ohr geliehen. So aber blieb der
Rat kühl und bestand auf Vorweisung des Dokuments.

»Gebt wohl acht, Freunde, wie sich der Amtmann gebärden wird,« rief
Niclas Anesorge den Ratmannen zu. »Der ist bekanntlich gut Freund mit
dem Kloster. Freilich, -- die Schwarzen halten zusammen.«

»Meinst du, daß Miltitz seinen Freunden zuliebe Recht bräche?« warf
Siegmund Badehorn, der Becherer, ein.

Der in diesen Worten klingende leise Spott ernüchterte den alten
Anesorge ein wenig. Er lachte verlegen auf und erwiderte:

»Na, Gevatter, du weißt ja, Wachs ist biegsam. Es kommt darauf an, wie
man's knetet.«

»Und wer es in Händen hat,« brummte Peter Sorgenfrei.

Der verbissene Streitkopf ward ärgerlich.

»Eine Krähe hackt der andern kein Auge aus!« rief er.

»So ist es, Anesorge hat recht,« bestärkten Claus Haßbecher und
Christoph Pfluger wie aus einem Munde.

»Als ob wir nicht schon Beweise genug dafür hätten, wie's gemacht wird,
damit uns die Bäume nicht in den Himmel wachsen,« bestätigte Heinrich
Faust.

»Wenn die katholische Kirche sich mit der Stadt um etwas streitet, hat
diese von Rechts wegen unrecht,« erklärte Valentin Heide lachend.

Hans Mortitz, der Gewürzzehntner, nickte beifällig.

»An den Fingern könnte man die Fälle herzählen, wo es so eintrat,«
meinte er.

Der Burgemeister vernahm diese Stimmen nicht ungern.

»Daß das Kloster sich der hohen Protektion des Siebeneichener Herrn
erfreut, wissen wir,« sagte er trocken. »Wie sie es aber hier drehen
und wenden werden, darauf bin ich neugierig. Stadtschreiber, habt Ihr
die alten Verhandlungen vollzählig bei Euch?«

»Hier sind sie,« versicherte Valentin Schein.

Da wurde die Unterhaltung gestört. Der Prior, angetan mit grauer
Kutte, trat aus dem Kloster und kam mit bedächtigen Schritten heran.
Ihm folgte der Lektor mit einer großen Papierrolle in der Hand. Die
Parteien begrüßten sich frostig, wurden aber jeder weiteren Verhandlung
enthoben, denn über den Frauenmarkt kam soeben ein kleiner Trupp
Berittener, mit dem Amtmann an der Spitze. Seine Begleiter waren Hans
von Minkwitz, der stellvertretende Schloßhauptmann, und Anton von
Schönberg. Vier Burgknechte mit Hellebarden auf den Schultern gingen
hinterher.

Ernst von Miltitz war anscheinend gut aufgelegt. Er erwiderte den Gruß
nach allen Seiten und ritt mitten unter die Versammelten, während sich
seine Begleiter als Unbeteiligte ein Stück seitwärts hielten.

»Ein dringliches Geschäft ruft mich auf die Burg,« versetzte er,
»unsere Sache wird ja nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Herr Prior,
Ihr seid der Fordernde, bringt vor, was Ihr zu sagen habt.«

Der Angesprochene, ein alter Mönch mit gebeugtem Kopf und rundem
Rücken, versetzte:

»Der Streit währet nun schon viele Jahre, und es wäre wohlgetan, ihn zu
beendigen. Das Kloster verlangt die Hinausschiebung der Friedhofsmauer
um zwei Ellen. Zur Abtretung des Streifens Land hat sich die
Stadtverwaltung bereits verpflichtet ...«

»Verpflichtet?« fiel hier der Burgemeister erregt ein.

»Laßt der Rede ohne Unterbrechung Lauf,« begütigte der Amtmann und sah
von neuem auf den greisen Prior.

»Verpflichtet, sage ich,« sprach dieser weiter. »Wie anders würden wir
das als Forderung bezeichnen, um was wir sonst nachsuchen müßten.«

»Nun, Herr Burgemeister,« versetzte Ernst von Miltitz, »was habt Ihr
hiergegen vorzubringen?«

Georg Waltklinger war heute morgen ziemlich unwirsch erwacht. Das
Bewußtsein, mit dem Amtmann verhandeln zu müssen, hatte seinen
Nachtschlaf beeinträchtigt. Dazu reizte ihn der Streit mit dem Kloster.
Und was bedeutete die befremdende Freundlichkeit des Amtmanns? Dahinter
mußte etwas stecken! Der sonst besonnene Mann empfand Argwohn und
Unruhe, und sein heißes Temperament rang heimlich mit der kühlen
Beherrschung.

»Schon unter meinem Amtsvorgänger,« erwiderte er, sich zur Ruhe
zwingend, »hat das Kloster sein Ersuchen an die Stadt gerichtet. Die
Erfüllung scheiterte trotz aller Geneigtheit des Rats an der fehlenden
Bereitwilligkeit zu Gegenleistungen. Zu einem Abschluß ist es nicht
gekommen.«

Der Amtmann wandte sich wieder an den Prior.

»Ich selbst bin es gewesen,« versetzte dieser, »der damals, es mögen an
die zwanzig Jahre verstrichen sein, die Unterhandlungen des Klosters
als Lektor führte.«

»Unterhandlungen!« rief der Burgemeister, »aber kein Abschluß. Es ist
nichts verbrieft und nichts besiegelt.«

»Vielleicht sind die Parteien geneigt, sich zu vergleichen,« riet der
Amtmann.

»Wir wären gern einverstanden,« versetzte der Prior, »dem Schaden
muß doch abgeholfen werden, bevor er unheilbar ist. Der Friedhof ist
des Klosters und dient den frommen Brüdern als letzte Ruhestätte.
So die Stadt unsere Forderung bewilligte -- auch ihr mangelt es an
Begräbnisplätzen --, wären wir erbötig, den Bürgern einen Teil des
Gewonnenen einzuräumen. Das ist mein Vorschlag.«

Ernst von Miltitz wandte sich an Waltklinger.

»Wie denkt Ihr darüber? Mir will das Anerbieten günstig erscheinen.«

Die Ratmannen verhielten sich still und sahen auf ihren Burgemeister.
Nur vereinzelt tönten aus ihrer Mitte Zeichen des Beifalls.

In Waltklinger begehrte der Eigensinn auf. Amtmann und Prior waren
ihm beide verhaßt. Warum auch sich vergleichen! Lieber diesen ohnehin
geringen Gewinn der Stadt entgehen lassen. Sie würden hinterher ja doch
nur triumphieren, dem Rat einen Vorteil abgelistet zu haben. Für diesen
Spott von Kirche und Adel war der Bürger zu gut!

»Herr Amtmann,« erklärte er schroff, »die Stadt beabsichtigt nicht, auf
einen Vergleich einzugehen. Der angebotene Raum hülfe unserm Bedürfnis
nicht ab, da er viel zu klein wäre. Der Rat erwägt überdies die Anlage
eines größeren Friedhofes vor dem Jüdentor.«

Diese wenig verbindliche Rede verdroß den Amtmann etwas.

Aber Ernst von Miltitz war heute in gehobener Stimmung, so daß er dem
Sprecher die Unfreundlichkeit nicht nachtrug.

»Das Angebot ist abgewiesen, Herr Prior,« sagte er bedauernd.

Der Greis schüttelte den Kopf, als wenn er diese Hartnäckigkeit nicht
verstünde.

»Wohllöblicher Rat,« hob er in väterlichem Ton an, »glaubt es mir altem
Mann, wenn ich versichere, daß die Stadt die Verpflichtung hat, die
Forderung zu erfüllen.«

»Euer graues Haar in Ehren,« antwortete Georg Waltklinger frostig,
»aber es ist nicht üblich, mit mündlichen Versicherungen zweifelhafte
Abmachungen als geschehen darzustellen. Beweist es!« --

Ernst von Miltitz machte eine Handbewegung, die die Richtigkeit dieser
Worte bestärkte.

»Herr Prior, wie Ihr wißt, -- ohne Beweis kein Urteil.«

Da wandte sich der ehrwürdige Greis um und griff nach dem Pergament,
das der Lektor ihm reichte. Die vergilbte Urkunde ausrollend, sprach er:

»Vor wenigen Wochen haben wir diesen Zeugen für die Rechtmäßigkeit
unserer Forderung im Archiv des Klosters ganz zufällig entdeckt. Wir
hofften, ohne dieses Beweisstück gütlich auszukommen; es mißlang. Nun
mag der Zeuge sprechen. Dies ist eine Zeichnung über die vereinbarte
Änderung. Sie unterscheidet sich von den bereits beigebrachten aber
dadurch, daß sie am Rande die Worte trägt: Hiemit einverstanden.
Gottlieb Kühne, Burgemeister. So es Euch beliebt, Herr Amtmann, mögt
Ihr Euch leicht von der Wahrheit überzeugen.«

Mit diesen Worten trat der Prior an Ernst von Miltitz heran, der sich
vom Pferde herabbeugte und mit lauter Stimme die Randschrift noch
einmal las.

Diese plötzliche Wandlung hatte die Ratmannen so überrascht, daß jeder
von ihnen die Sache verloren gab. Nur Georg Waltklinger beharrte bei
seinem Sträuben.

»Mit dem Anerkenntnis des verstorbenen Stadtoberhaupts ist der Streit
entschieden,« versetzte Ernst von Miltitz. »Dem Kloster steht die
Veränderung der Fluchtgrenze mit Recht zu.«

»Wo ist der Beweis dafür, Herr Amtmann?« sagte der Burgemeister mit
schlecht verhehlter Erbitterung.

»Hier ist er,« antwortete Ernst von Miltitz und wies auf das Dokument.

»Das ist keine Urkunde nach dem Gesetz,« brauste Waltklinger auf. »Wo
ist der Schriftsatz, frage ich, der bestehen muß, wenn eine Sache als
rechtsverbindlich gelten soll?«

Den Ratmannen wurde ungemütlich. Sie erkannten, daß ihr Burgemeister im
Begriff war, eine Torheit zu begehen. Und manch einer, der wußte, wie
es um Waltklingers Jähzorn stand, bangte für ihn. Seine herausfordernde
Haltung und das Beben seiner Stimme weissagten nichts Gutes.

Aber Georg Waltklinger bezwang sich noch einmal.

»Eine Schrift über die Gültigkeit der Abtretung muß doch vorgelegt
werden,« wiederholte er in ruhigerem Tone.

Ernst von Miltitz war ein feiner Menschenkenner. Er ahnte, was in dem
Erregten vorging. Eine kurze Weile war er unentschlossen, ob er die
ungehörige Form des Einspruchs rügen solle. Da bestimmte ihn der
gemäßigtere Ton Waltklingers es zu unterlassen.

»Herr Burgemeister,« versetzte er ruhig, »Ihr befindet Euch in einem
Irrtum. Nicht einen ausführlichen Schriftsatz verlangt das Gesetz über
Abmachungen dieser Art, sondern eine schriftliche Anerkennung. Als
solche muß ich den Vermerk Eures Amtsvorgängers ansehen.«

Georg Waltklingers Auge glühte. Er reckte sich hoch auf, und die
Umstehenden sahen, daß er zitterte. Wie er so stand, mit wogender
Brust, den schönen Kopf mit dem kurzgeschnittenen Vollbart
zurückgeworfen, bot er ein Bild wahrhafter Männlichkeit -- hingerissen
von der Leidenschaft.

»Herr Amtmann,« rief er mit bebender Stimme, »das bedeutet eine
Vergewaltigung der Stadt ...«

»Bist du unsinnig?« rannte ihm Peter Sorgenfrei von hinten zu.

Waltklinger empfand den Warner wie einen neuen Feind. Seine Wut wurde
durch die Beschwichtigung nur noch größer. Er wandte den Kopf nach ihm
zurück ...

In demselben Augenblick machte das Pferd des Amtmanns eine rasche
Bewegung. Das lange Stehen hatte es ohnehin unruhig gemacht, und sein
Schweif hatte rastlos die Mücken abgewehrt. Jetzt mußte das Tier den
Stich eines dieser Blutsauger empfinden. Es tat einen plötzlichen
Schritt vorwärts und bäumte auf. Waltklinger hatte sich gereizt zu
Sorgenfrei gewendet, da fuhr er herum. Des Pferdes Kopf war dicht
über dem seinen. -- Der Amtmann fühlt sich verletzt, durchblitzte es
ihn, er will dich überreiten. Und seine erregte Phantasie ließ eine
erhobene Reitpeitsche über ihm schweben, die in der nächsten Sekunde
niederfallen mußte. Sollte der Bürger warten, bis ihn der Adlige ...

Da griff er schon in die Zügel, um das Pferd zu halten. Aber sein
maßloser Zorn hatte ihm alle Überlegung geraubt. Gerade wie das Tier
wieder im Niedergehen war, riß er es mit gewaltigem Arm herab, daß
es fast auf die Knie niederbrach. Der Reiter, durch das plötzliche
Aufbäumen zurückgeworfen, wurde jetzt auf den Pferdehals geschleudert
und stürzte kopfüber herab, noch ehe die Umstehenden zur Hilfe
herbeispringen konnten.

Nun hoben sie den Besinnungslosen auf; sein Gesicht war vor Schmutz
fast unkenntlich.

Noch hielt die Bestürzung alle im Bann, als Hans von Minkwitz, der
stellvertretende Schloßhauptmann, vom Pferde sprang und rief:

»Burgemeister Waltklinger, ich verhafte Euch im Namen des Gesetzes! Ihr
habt Euch in seinem Vertreter an der unverletzlichen Person des Herzogs
vergriffen!«

Auf diese Worte hin drangen die vier Burgknechte durch die Versammelten
und nahmen den Verhafteten in ihre Mitte.

Georg Waltklingers Gesicht war weiß wie ein Tuch. Seine Augen ruhten
starr auf dem Gestürzten, der gleich einem Toten in den Armen zweier
Ratmannen lag.

»Auf das Schloß mit ihm!« rief Hans von Minkwitz den Burgknechten
zu, während Siegmund Badehorn und Valentin Heide den Ohnmächtigen
vorsichtig nach der nahen Baderei trugen.

Da trat Peter Sorgenfrei vor.

»Herr Schloßhauptmann,« sagte er in tiefer Bewegung, »ein entsetzliches
Unglück ist über uns gekommen. Noch vermögen wir nicht, es zu fassen.
Waltklinger wird sich der rechtlichen Untersuchung nicht entziehen.
Nur erlaubt gütigst, daß Eure Knechte ihn hinüber nach der Fronfeste
bringen, anstatt auf das Schloß.«

Hans von Minkwitz, obgleich wie alle Umstehenden aufs höchste erregt,
verstand. Der Burgemeister der Stadt -- -- -- in Haft auf dem _Schloß_?
Die Bürger wollten zeigen, daß der städtische Gewahrsam ebenso sicher
sei und daß sie es als Ehrensache betrachteten ...

»Peter Sorgenfrei, verbürgt Ihr Euch als jetzt amtierender Burgemeister
für die Sicherheit des Gefangenen?« fragte der Schloßhauptmann.

»Ich verbürge mich,« antwortete dieser.

»Dann nach der Fronfeste,« befahl Minkwitz.

Georg Waltklinger blickte teilnahmlos auf die Sprechenden. Da gab ihm
einer der Burgknechte ein Zeichen, worauf er in ihrer Mitte nach dem
nahen Turm schritt. Und alle Anwesenden gaben ihm das Geleit.

[Illustration]



[Illustration]

Siebzehntes Kapitel

Das Geheimnis


Die Kunde von der Gefangennahme Waltklingers war wie ein Lauffeuer
durch die Stadt geeilt. Jeder, der das Unglück vernahm, blieb stumm vor
schmerzlicher Überraschung. Meißens Burgemeister in strenger Haft! Und
angeklagt eines Majestätsverbrechens! Das war eine niederschmetternde
Nachricht. Georg Waltklinger, der stolze Bürger und hochgeschätzte
Burgemeister der Stadt Meißen, in der Fronfeste! ... Mancher schüttelte
den Kopf und wollte nimmer daran glauben.

Nachdem der erste Schrecken vorüber war, besprach man den Vorfall
mit seinen Ursachen und Folgen. Es gab deren, die dem Amtmann die
ganze Schuld beimaßen. Wie könne es denn auch für Recht gelten, alte
Unterhandlungen als gültig anzusehen, ohne daß eine ordentliche Schrift
sie beglaubige. Ein solches Geschäft wäre erst dann richtig, wenn man
etwas Geschriebenes in Händen habe.

Die Zeichnung mit den wenigen zustimmenden Worten des früheren
Burgemeisters genüge nicht. Der verstorbene Gottlieb Kühne, -- du
lieber Gott, er war ja ein ganz tüchtiges Stadtoberhaupt gewesen. Aber
schließlich, zu der Zeit, aus der die Unterschrift stammte, war er
schon ein alter Mann und sein Geist nicht mehr frisch. Deshalb mochte
er auch vergessen haben, nachträglich für eine richtige Urkunde zu
sorgen. Was er da geschrieben, sei seine Meinung gewesen. Ob aber der
gesamte Rat damit einverstanden war, wo stand denn das?

So sprachen welche und versuchten, sich gegenseitig von der Richtigkeit
ihrer Ansicht zu überzeugen. Innerlich glaubten sie diese Rede aber
nicht. Der alte Anesorge lief von einem zum andern, hielt seine Opfer
eine halbe Stunde auf der Gasse am Rockknopf fest oder brachte sie
daheim in der Werkstatt um unziemlich lange Zeit. Er wetterte und
schimpfte gegen die Pfaffen, die die ganze Zeichnung gefälscht hätten,
und gegen den Amtmann, der daran zweifle, wenn Waltklinger sage, die
Abtretung sei nicht gültig.

Dabei sprudelte er seinem Zuhörer ins Gesicht und ließ ihn nicht zu
Worte kommen und redete so lange auf ihn ein, bis seine umherspähenden
Augen einen andern entdeckt hatten, der arglos seines Weges kam. Dann
ließ er den völlig Zerredeten stehen und schoß auf den Kommenden los.

So brachte ihm jeder neue Tag neue Aufregung.

Der größte Teil der Bürgerschaft war aber von der Schuld Waltklingers
überzeugt. Und da unterdessen auch des Amtmanns Übertritt zum
Protestantismus bekannt wurde, dämpfte sich bei manchem die feindselige
Stimmung gegen ihn. So sehr man den Burgemeister schätzte und obgleich
jedermann sich sagte, daß er an das Wohl der Stadt gedacht, als er die
Gültigkeit der Urkunde anzweifelte, hier konnte man ihm doch nicht
recht geben. Sein Jähzorn, den er sonst immer bezwungen, hatte ihm
einen bösen Streich gespielt. Die Abtretung bestand sicherlich zu Recht.

Nur die Vertrauten wußten, daß die tiefe Abneigung Waltklingers gegen
den adligen Amtmann der wirkliche Antrieb zu seinem Widerspruch gewesen
war.

Wie würde die Strafe sein? Man wagte kaum, davon zu sprechen. Es war
eine vom Amtmann anberaumte Versammlung zweier strittigen Parteien
gewesen, zu der dieser als Vertreter des Herzogs gekommen war, um
Recht zu sprechen. Und während der gesetzlichen Verhandlung hatte der
Burgemeister den Amtmann persönlich angegriffen! Sicherlich würde bei
Betrachtung der Schuldfrage der verhängnisvolle Umstand mildernd in die
Wagschale fallen, daß das Pferd stieg und Waltklinger argwöhnen konnte,
der von ihm Gekränkte wolle ihn züchtigen.

Aber viel sprach das nicht für ihn. Denn ein im Namen des Landesfürsten
Recht sprechender Amtmann, so würde man erwidern, läßt sich zu
Tätlichkeiten nicht hinreißen. Er besitzt genug Mittel, Verletzungen
seines Ansehens zu ahnden. Solches ist selbst dem gemeinen Volke
bekannt. Wie erst muß ein Burgemeister dies wissen!

Zur Verschärfung der Schuld mußte aber der betrübende Umstand
beitragen, daß Ernst von Miltitz aus seiner Ohnmacht noch nicht erwacht
war! Die aus Dresden herbeigerufenen Ärzte hatten die Köpfe geschüttelt
und sehr ernste Gesichter gemacht. Ob die Schädelwandung zerbrochen
sei, wußten sie noch nicht.

Jedenfalls lastete auf der Bürgerschaft Meißens schwere Kümmernis,
denn es gab niemand, der für den Burgemeister Waltklinger keine warme
Empfindung besaß. Er war der Stolz der Stadt und ihr Liebling.

Von allen Menschen hatte das Unglück Sonnhild natürlich am schwersten
getroffen. Als sie die entsetzliche Kunde vernommen, war sie nach der
Fronfeste geeilt, um dem geliebten Vater Trost zuzusprechen. Hier
hatten die Burgknechte am Fuße der Treppe sie zurückgewiesen.

Darauf war Sonnhild in die zu ebener Erde gelegene Wohnung des alten
städtischen Hüters des Gefängnisses getreten, von dem sie wußte, daß er
dem Vater aus früherer Zeit Dank schuldete. Aber der alte Mann hatte
bedauernd den Kopf geschüttelt. Der Gefangene stand nicht unter seiner
Obhut. Und wie er wußte, hatten die Knechte strenge Weisung, keinen
Menschen, wer es auch sei, zu ihm zu lassen. Dieser Befehl stamme vom
Schloßhauptmann, bei ihm möge sie ihre Bitte vorbringen.

Da war Sonnhild zum Schloß hinaufgegangen und hatte gebeten, vor den
Schloßhauptmann gelassen zu werden. Aber ihre Bitte war abgeschlagen
worden. Sonnhild hatte sich jedoch im Hause versteckt und ohne Speise
und Trank an ihrem geschützten Platze bis zum Abend ausgehalten. Als
dann der Schloßhauptmann die Treppe herabgeschritten kam, hatte sie
sich vor ihm auf die Knie geworfen und seine Füße umklammert und in den
Tönen der Verzweiflung gefleht, sie zu ihrem Vater zu lassen.

Herr Hans von Minkwitz war ein edler Charakter. Und als er in das
wunderschöne Mädchenantlitz gesehen, das leichenfahl und von Schmerz
entstellt war und aus dem ihn zwei große Augen flehentlich anstrahlten,
mochte es ihm unsagbar schwer geworden sein, seine Pflicht zu tun.

Aber er mußte das Mädchen abweisen. Bevor der untersuchende Staatsrat
aus Dresden nicht gekommen sei und ihren Vater verhört habe, dürfe er
niemandem Zutritt zu dem Gefangenen gewähren.

Da hatte sich Sonnhild aufgerafft und war müden Schrittes gegangen.

Am nächsten Tage hatte sie den Versuch erneuert. Hans von Minkwitz ließ
die Unglückliche bescheiden, die Untersuchung sei zwar beendet, der
herzogliche Abgesandte habe aber die strenge Haft verfügt, wonach der
Burgemeister keinen Besuch erhalten dürfe. Daß diese scharfe Maßregel
nur in solchen Fällen angewendet wurde, wenn der Beschuldigte eine
schwere Strafe gewärtigen mußte, hatte Hans von Minkwitz wohlweislich
verschwiegen.

Der Urteilspruch pflegte in allen Fällen, in denen die Hoheitswürde
empfindlich geschädigt war, rasch verkündet zu werden. Zudem lag hier
der Fall klar zutage. Der Verhaftete bestritt seine Schuld nicht. Als
ihm aber der Staatsrat nahegelegt, die Gnade des Herzogs anzurufen,
hatte er stumm den Kopf geschüttelt.

Was die alsbaldige Festsetzung der Strafe jedoch verhinderte, war der
Zustand des Amtmanns, der noch immer zwischen Leben und Tod schwebte.
Je nachdem, wofür das Geschick sich entschied, würde das Herzogliche
Hofgericht ein schärferes oder milderes Urteil fällen.

Die Einwohnerschaft horchte daher gespannt auf jede Nachricht, die aus
Siebeneichen über das Befinden des Schloßherrn in die Stadt drang.
Allstündlich ließ Peter Sorgenfrei, als Vertreter des in Haft gesetzten
Burgemeisters, auf dem Marktplatz den Bescheid ausrufen, der dem Boten
des Rats in Siebeneichen geworden.

Die Verkündung blieb tagelang dieselbe: Ernst von Miltitz habe die
Besinnung noch nicht wieder bekommen. Seine Ernährung erfolge künstlich.

Sobald des Ausrufers Klingel ertönte, öffnete sich eines der Fenster
des stattlichen Bürgerhauses auf dem Marktplatz und eine in tiefe
Trauer gekleidete Mädchengestalt beugte sich weit heraus. Wenn die
Mitteilung über das unveränderte Befinden des Kranken verklungen
war, verschwand das blasse Antlitz mit dem Ausdruck schmerzlicher
Enttäuschung, und das Fenster schloß sich wieder.

So wurde die Bürgerschaft Meißens Tage hindurch in atemloser Spannung
gehalten.

Die alte Hanne, selbst tief erschüttert, hatte in dieser Zeit schwer
zu kämpfen. Sonnhild saß vom Morgen bis zum Abend am Fenster, starrte
hinab auf den Marktplatz und weigerte sich, etwas zu genießen. Nur mit
Mühe konnte die Greisin ihren Liebling dazu bewegen.

Es war um die Mittagstunde, und das Klingelzeichen tönte wieder einmal
herauf. Sonnhild erwachte aus ihrer Erstarrung und öffnete mechanisch
das Fenster. Da klangen auch schon die Worte des Ausrufers an ihr Ohr:

»... zwar noch nicht völlig zum Bewußtsein gekommen, aber die Ärzte
haben erklärt, daß keine Lebensgefahr mehr bestünde!«

Sonnhild sank in den Stuhl zurück. Mit geschlossenen Augen saß sie eine
Weile regungslos.

Endlich erhob sie sich mühsam und ging durch die Flucht der Zimmer, bis
sie vor der Tür des letzten stehenblieb. Feierlich, als wenn sie ein
Heiligtum beträte, öffnete sie und schritt über die Schwelle.

Unterdessen hatte eine fremde Frau das Waltklingersche Haus betreten.
Die alte Hanne, die ihr auf der Treppe begegnete, war erschrocken
stehengeblieben und hatte kein Wort vom Munde gebracht.

Mürrisch und ohne Gruß trat die Fremde zu der Greisin und sprach ein
paar Worte zu ihr. Darauf zeigte die Hanne stumm auf eine Tür, durch
die die Fremde verschwand. Die Greisin aber lief in die Küche und
setzte sich erschöpft auf einen Stuhl.

Das Zimmer, worin sich die Fremde nun befand, war das nämliche, das
Sonnhild soeben verlassen hatte. Sie betrachtete die schweren Möbel und
die Eichentäfelung der Wände. Bald wandte sie die Augen aber unwillig
ab und ging durch die weitgeöffneten Türen von einem Zimmer ins
andere. Zuletzt stand sie vor einem Raum, aus dem durch die Türspalte
Kerzenlicht schimmerte.

Zögernd blickte sie hinein und unterschied in dem Halbdunkel eine
kniende Mädchengestalt, die ihr den Rücken zuwandte. Da fiel ihr Blick
auf ein Frauenbildnis an der Wand. Die Fremde zuckte zusammen und trat
zurück.

Sonnhild hatte das Geräusch gehört, das die rasche Bewegung gemacht,
und trat aus dem Zimmer. Fragend betrachtete sie die Fremde. Hatte sie
diese harten Züge nicht schon einmal gesehen? Aber so kummervoll wie
heute waren sie nicht gewesen. Sonnhild sann nach. Der Schmerz und die
Angst hatten ihr Gedächtnis geschwächt

Da wachte die Erinnerung an ein grausiges Erlebnis auf. Sie sah im
Geiste die wutverzerrten Züge und die funkelnden Augen des Mädchens,
von dem sie in jener Nacht verfolgt worden war.

Unwillkürlich wich Sonnhild einen Schritt zurück, und ihr Blick ging
besorgt zur Tür, ob nicht das Mädchen dahinter laure.

Mit spröder Stimme sagte jetzt die Frau:

»Meine Tochter läßt Euch bitten, sie noch heute zu besuchen. Sie ist
krank und liegt zu Bett.«

Sonnhild sah erstaunt auf.

»Ich soll Eure Tochter besuchen? Sie, die Böses wider mich im Schilde
geführt? Das kann doch unmöglich Euer Ernst sein.«

»Doch,« antwortete die Frau kurz, »es ist so. Sie läßt Euch dringlich
bitten.«

Sonnhilds Stolz regte sich.

»Dann sagt ihr, daß ich nicht käme.«

»Ihr tätet etwas Gutes, so Ihr sie besuchtet.«

»Wer so gehandelt, wie sie, hat das Anrecht auf die Freundlichkeit des
von ihm Bedrohten verwirkt.«

»Sie hat gefleht, ich solle nicht eher von Euch gehen, bis Ihr mir die
Zusage gegeben.«

»Dann tut es mir um Euretwillen leid, daß Ihr Euch vergeblich bemühtet.«

»Aber wenn sie Euch um Verzeihung bitten möchte?«

»Verzeihen? Warum, frage ich, tat sie mir dies Schlimme?«

»Das fragt sie selbst.«

Da überdachte Sonnhild ihr eigenes Weh, und Mitleid kam sie an.

»Sagt, Frau, durchlebt Eure Tochter Stunden, in denen sie ohne Verstand
ist?«

»Nein,« erwiderte die Frau, der die weiche Regung Sonnhilds nicht
entgangen war, »ihr Verstand ist gesund. Oder doch, -- Ihr habt recht,
sie hatte in jener unseligen Stunde den Verstand verloren.«

Die Frau tat einen tiefen Atemzug. Dann sprach sie weiter.

»Hört, was ich Euch sage. Mein armes Kind besitzt das Blut seiner
Mutter. Sie liebt mit grenzenloser Leidenschaft. Auch ich tat es einst.
Heute hasse ich ihn, den ich liebte.«

Sonnhild empfand Unbehagen beim Klang dieser Worte.

»Aber was habe ich mit der Liebe Eurer Tochter zu schaffen?« fragte sie.

»Sie hat Euern Junker wiederholt von der Ferne gesehen. Seine männliche
Schönheit hat ihr's angetan. Leidenschaft hat ihre Vernunft erdrückt,
sonst wäre es nicht dahin gekommen. Die Eifersucht eines Weibes ist um
so maßloser, je größer ihre Liebe ist ...«

Sonnhild erzitterte. Darum also! Einer warmen Empfindung nachgebend,
sagte sie:

»Seht, Frau, und versichert Eurer Tochter, daß ich ihr verzeihe.«

»Möchtet Ihr das meinem Kinde nicht selbst sagen?«

»Nicht jetzt. Die Erinnerung an die häßliche Stunde ist noch zu frisch.
Ich bin besorgt, der Ton meiner Stimme möchte die Herzlichkeit meiner
Worte mindern.«

Da wurde die Frau weich.

»Ihr verdient Dank! Aber welcher edle Mensch tut das Gute nur halb,
wenn er es ganz verrichten kann?«

»Später einmal, verlaßt Euch darauf!«

»Jungfrau,« erwiderte die Bittende ernst, »sagt nicht: später. Es würde
sicher zu spät sein! Denn das Leben meiner Tochter währt nur noch
Stunden ...«

Der wehmutsvolle Zug in Sonnhilds bleichem Gesicht trat schärfer
hervor, als sie mit unsäglicher Ergebung antwortete:

»Gute Frau, auch ich stehe an der Schwelle zur Ewigkeit. Ihr kennt
sicherlich das furchtbare Schicksal, das uns betroffen, und dessen
zermalmende Ungewißheit vielleicht schon tötet, bevor der Richtspruch
fällt. Der Trostlose vermag nicht, Trost zu spenden. Kehrt deshalb
rasch heim zu Eurer Tochter, damit sie keine Minute ihrer letzten
Stunden der mütterlichen Liebe entbehre.«

Und als Sonnhild wahrnahm, wie es in dem strengen Gesicht der Frau
arbeitete, fügte sie, um ihr Tröstung zuzusprechen, hinzu:

»Euer Kind ist reich gegen mich Arme, denn sie hat noch eine Mutter.
Vielleicht auch den Vater ...«

»Den hat mein Kind nie besessen!« stieß die Frau aus. »Kommt mit mir!«
flehte sie gleich darauf wieder.

»Ich habe alles verziehen, sagt ihr das ...«

»Möchtet Ihr einem Todkranken nicht das Sterben erleichtern?« stammelte
die Frau schluchzend und die Hände ringend. »Es ist ja mein Kind, mein
einziges Kind, zu dem Ihr kommen sollt!«

Da schrie Sonnhild gequält auf:

»Ich, die ich vor Kummer vergehe, soll trösten? Frau! Wer hat denn für
mich Trost in meinem entsetzlichen Weh?«

»Meine Tochter wird Euer tröstender Engel sein ...«

»Eure sterbende Tochter? Welchen Anteil sollte sie an meinem Schicksal
nehmen und an dem meines Vaters?«

Die Frau hatte die Augen niedergeschlagen; ihr Gesicht war wie von
Stein. Plötzlich sah Sonnhild, wie die Fremde dicht an sie herantrat,
und vernahm ihre leise, tonlose Stimme. Ein Schwindel überfiel das
Mädchen. Sie taumelte gegen die Wand und griff mit den Händen in die
Luft, um Halt zu finden. Die Frau aber wich ein paar Schritte zurück,
dann war auch ihre Kraft zu Ende. Vom Schmerz überwältigt, lehnte sie
die Wange an die Tür und blieb in zusammengesunkener Haltung stehen.

Endlich raffte sie sich wieder auf und strich die rabenschwarzen Haare
von den Schläfen zurück. Schon war sie im Begriff, das Zimmer zu
verlassen, als sie, ohne sich umzusehen, noch einmal fragte:

»Was darf ich Mirjam ausrichten, Jungfrau?«

Eine bange Sekunde verstrich, dann klang es leise von Sonnhilds
zuckenden Lippen:

»Ich komme ...«

       *       *       *       *       *

Erst geraume Zeit darauf, als die Frau das Zimmer verlassen hatte,
richtete sich Sonnhild auf und ging in ihr Zimmer zurück. Hier setzte
sie sich wieder in den Armstuhl und stützte den Kopf in die Hand. --

Wollte der Boden, auf dem das väterliche Haus stand, denn nicht wanken?

Sonnhild überdachte ihr junges Leben. Die zartesten Erinnerungen an
die verstorbene Mutter stiegen herauf, und sie entsann sich, ach, wie
vieler Gelegenheiten, wo sie die Liebe und unerschöpfliche Güte ihres
Vaters warm empfunden hatte. Ihr Leben war heiter und sonnig gewesen,
wie ein köstlicher Frühlingstag. Kein Wunsch war ihr versagt geblieben.
Und sie hatte ihren Vater von ganzer Seele wiedergeliebt. Als sie aus
den Kinderjahren getreten, war sie stolz auf ihn gewesen, weil er so
hohe Verehrung genoß und weil alle stolz auf ihn waren.

Sie kannte sein weiches Herz und wußte, daß fremde Not ihm näher ging,
als eigene. Wieviel Gutes tat er nicht heimlich! Was für ein wahrhaft
gläubiger Christ er war, und mit welch tiefer Liebe er an seiner
unersetzlichen Heimgegangenen hing! Seine Rechtschaffenheit in Handel
und Wandel, seine hohen Ehrbegriffe, sein Streben nach Erfüllung edler
Menschlichkeit ...

Sonnhild verfiel in tiefes Sinnen. Noch nie hatten ähnliche Gedanken
sie bestürmt wie in dieser Stunde. Ein lichter Funke war in ihre
Seele gefallen, und sie prüfte und urteilte mit dem Verständnis eines
gereiften Menschen. Das schwere Geschick hatte ihr geistiges Auge
sehend gemacht. Sollte sie verweilen? Sicherlich war viel Schmerz und
Weh bereitet worden! Aber das leuchtende Bild des Vaters ließ sich
nicht aus ihrer Seele verdrängen. Wie oft mochte auch an seinem Herzen
bittrer Schmerz genagt haben!

Das Mädchen sprang auf, eilte zu dem Wandbrett, riß das Bild des Vaters
herunter und küßte es mit Inbrunst.

Dann begab sie sich auf den schweren Weg.

Auf dem Markt verkündete der Ausrufer eine weitere Besserung des
Schwerkranken in Siebeneichen. Sonnhild vernahm es, und ihre Lippen
sprachen ein stummes Dankgebet. Wer der Schmerzgeprüften begegnete, sah
voll Mitleid auf sie. Und sie fühlte, wie alle ihren Vater lieb hatten.

[Illustration]



[Illustration]

Achtzehntes Kapitel

Die beiden roten Rosen


Der Torhüter des Lommatzscher Tores war ein hochbetagter Jude und hieß
Rebbe Liebmann. Obgleich die Juden nicht geachtet waren, erfreute
sich der alte Liebmann eines guten Rufs. In ernster Zeit, als die
Pest, die grausige Würgerin, wieder einmal durch die deutschen Lande
fegte, hatte er sein schweres Amt übernommen. Mit sprichwörtlicher
Zuverlässigkeit hütete er das Stadttor, und die ehrwürdige Erscheinung
des Alten wurde im Laufe der vielen Jahre zu einem Wahrzeichen der
alten Markgrafenstadt. Nicht nur das herangewachsene Geschlecht Meißens
kannte und schätzte ihn, sondern auch alle Fuhrleute weit und breit.
Vielen hohen und niederen Reisenden war er bekannt und einer großen
Anzahl der Vaganten und Handwerksburschen, die das liebe deutsche
Vaterland unausgesetzt nach allen Richtungen hin durchzogen.

Denn unter diesen Herumstreichern wurde _der_ nicht als zunftmäßig
angesehen, der nicht wenigstens einmal die spitzen Domtürme und die
verwitterten Mauern des hochragenden Schlosses von Alt-Meißen gesehen
hatte. Gerade diese Stadt galt vor vielen andern deutschen Städten als
ein beliebtes Ziel der Wanderfahrten.

Am Bodensee und am Niederrhein, in den Marschen und im Bereiche des
flatternden schwarz-goldenen Kreuzbanners vom Deutschen Ritterorden
sprach man daher von dem eisgrauen Torhüter Meißens. Und alle
fahrenden Burschen, die wieder einmal, von Leipzig kommend, durch das
Lommatzscher Tor in die Stadt einzogen, begrüßten ihn mit freudigem
Zuruf. So vieles sich im Laufe der Jahre auch veränderte -- die Burg,
der Dom und der alte Rebbe in Meißen blieben.

Sein Weib war ihm gestorben. Dafür besorgte die Tochter den Haushalt
der Familie, die ein Enkelkind vermehrt hatte. Und als Liebmann --
fast hundertjährig und noch immer rüstig -- erblindet war, gab man ihm
einen Gesellen zur Hand. Der Alte durfte seine Wohnung im Torwärterhaus
behalten, und die Stadt gewährte ihm den Unterhalt bis ans Lebensende.

Mit beklommenem Herzen trat Sonnhild in das Haus des alten Torhüters,
wo ihr Mirjams Mutter entgegenkam.

»Ihre Kammer ist die erste im Oberstock,« sagte sie und führte Sonnhild
zu der dunkeln Holzstiege. Die ausgetretenen Stufen knarrten, als des
Mädchens leiser Tritt sie berührte.

Sonnhild öffnete die nächste Tür und trat ein. In der kleinen Kammer
stand am Fenster ein Bett, in dem die Kranke lag. Erschreckt blieb
Sonnhild stehen und betrachtete die Züge des Mädchens, die sich so
verändert hatten, daß sie fast nicht mehr zu erkennen waren. Das
Gesicht war wachsbleich, und die roten Flecken auf den eingefallenen
Wangen zeugten für die Fieberhitze, die in diesem welken Leib raste.

Sonnhild bemerkte, wie die in ihre Höhlen zurückgesunkenen Augen des
Mädchens mit einem todesbangen Ausdruck sie ansahen. Da senkte sich auf
das Bürgerkind tiefes Mitleid herab. Die Unglückliche! Wie hart hatte
sie das Schicksal von Geburt an behandelt! Hier mußte sie versuchen,
eine große Schuld zu mildern!

Sonnhild trat heran und legte ihre Hand auf die abgezehrte, fieberheiße
der Kranken, deren Blicke noch immer mit herzzerreißendem Flehen auf
ihr ruhten.

»Schwester, -- liebe Schwester,« sagte Sonnhild leise.

Da erbebte der Körper des Mädchens unter heftigen Zuckungen.
Überwältigt schloß sie die Augen, und Tränen rannen über ihre
Wangen. Sonnhild setzte sich auf den Bettrand, zog aus dem an ihrer
Seite hängenden Täschchen ein Spitzentuch und trocknete Mirjams
Tränen. Bei dieser Berührung öffnete diese die Augen wieder, und ein
unbeschreiblicher Dankesblick strahlte zu der Wohltäterin auf.

Dann verharrten die Mädchen lange Zeit ganz still. Nur die großen,
blauen Augen beider hielten stumme Zwiesprache.

»Kann ich etwas für dich tun?« fragte Sonnhild, sich tief zu Mirjam
hinabbeugend.

Die aber lächelte nur und schüttelte leise den Kopf.

»Ich bin ja so unsäglich glücklich!« flüsterte sie.

Darauf sahen sie sich wieder stumm in die Augen, und keines von ihnen
empfand, wie die Zeit verrann. Die Gegenwart war ihren Sinnen entrückt,
nur ihre Seelen sprachen zueinander. Auch daß sich einmal die Tür
leise öffnete und Mirjams Mutter in dem Spalt flüchtig sichtbar wurde,
bemerkten sie nicht.

Endlich erhob sich Sonnhild; die Kranke kämpfte mit einem
Schwächeanfall.

»Nun will ich dich für heute allein lassen,« sagte sie, »morgen besuche
ich dich wieder.«

Ein neuer Dankesblick lohnte das Versprechen, und die Kranke machte
Anstrengung, zu reden. Sonnhild neigte sich über sie und vernahm die
Worte:

»Darf ich's sagen?«

»Sprich es aus, Mirjam,« antwortete sie weich.

»Nenne mich noch einmal, wie du mich nanntest.«

Da küßte Sonnhild die marmorweiße Stirn und sprach:

»Liebe Schwester!«

»Du Gute,« flüsterte die Kranke und schloß die müden Augen.

Sonnhild wartete noch so lange, bis die gleichmäßigen Atemzüge
verkündeten, daß Mirjam schlief. Dann verließ sie leise die Kammer.

Wie die letztvergangenen Nächte, verbrachte Sonnhild auch diese Nacht
ohne Schlaf. Mechanisch kleidete sie sich am andern Morgen an und nahm
auf das dringende Bitten der bekümmerten Haushälterin einige Bissen
Nahrung zu sich. Dann setzte sie sich ans Fenster und wartete geduldig,
bis auf dem Markt das Klingelzeichen ertönte. Sie lehnte sich hinaus
und hörte wie im Traum die weiterschreitende Besserung des kranken
Amtmanns verkünden.

Auf dem Lustgänglein befand sich Sonnhilds kleiner Blumengarten. Hier
schnitt sie von einem hohen Stock zwei dunkelrote Rosen ab, die über
Nacht aufgebrochen waren, sie der Kranken zu bringen.

Als sie in Mirjams Kammer trat, schlief diese. Sonnhild näherte
sich leise und ließ sich wie gestern auf dem Bett nieder. Der
Gesichtsausdruck Mirjams erschien ihr heute weniger leidend. Aber
die verfallenen Züge führten eine eindringliche Sprache und riefen
Sonnhilds ganzes Erbarmen wach.

Da zuckte es einige Male in dem Gesicht der Schlafenden, und dann
schlug sie die Augen auf.

»Guten Morgen, liebe Mirjam,« sagte Sonnhild und legte die Rosen auf
die Bettdecke.

Über das Gesicht Mirjams lief ein glückliches Lächeln, und eine
schwache Röte verfärbte ihr Stirn und Schläfen. Das Gefühl der höchsten
Freude erstickte ihre Worte. Endlich stammelte sie:

»Sonnhild -- habe Dank!«

Nun erblickte sie auch die Rosen und sog deren starken Duft mit tiefen
Zügen ein. Sonnhilds Brust schnürte die Wehmut zusammen, als sie die
dunkelroten Blumen neben dem bleichen Gesicht sah.

Auch heute fiel der Kranken das Sprechen schwer. Aber Sonnhild
bemerkte, wie glücklich ihre Gegenwart sie machte. Die beiden Mädchen
sahen sich wie gestern wortlos in die Augen. Alles, was ihre Lippen
hätten sagen mögen, sprachen ihre Blicke, die in unendlicher Liebe
ineinander ruhten.

»Kannst du mir wirklich verzeihen?« flüsterte die Kranke.

»Liebe Schwester,« tröstete sie Sonnhild. »Sprich nicht also! Alles,
was hinter uns liegt, wollen wir vergessen. Wir haben uns gefunden, um
uns zu lieben.«

Der Schauer eines unfaßbaren Glücks überlief Mirjam. Die ganze
Lebenskraft der Heimgehenden schien sich in ihren Augen zu vereinigen,
die in unnatürlichem Glanze strahlten.

Da beugte sich Sonnhild herab und fragte mit tiefem Ernst:

»Mirjam, ein schweres Verhängnis hat es gefügt, daß du des Vaters
entbehren mußtest. Zürnst du ihm dafür?«

Wieder lief eine feine Röte über das bleiche Gesicht der Kranken, und
sie flüsterte:

»Ich bete allstündlich für meinen unglücklichen Vater.«

»Mirjam!« schrie Sonnhild gepreßt auf, dann sank ihr Kopf auf die
Bettdecke nieder. In dem Gesicht der Kranken leuchtete es auf, und
ihre abgemagerten Hände streichelten Sonnhilds goldglänzendes Haar.
Feierliches Schweigen herrschte in dem kleinen Raum. Die Mädchen
gedachten wohl des einen, der ihnen teuer war, und in dem Flehen für
sein Heil vereinigten sich beider Seelen.

Dann nahm Sonnhild Abschied. Schmeichelnd berührte sie Mirjams Wangen,
deren Blick für alles Liebe dankte, das sie empfing.

»Zum Abend komm' ich noch einmal,« sprach Sonnhild.

»Liebe, liebe Schwester,« stammelte die Kranke. Aber die Stimme
versagte für mehr Worte, und Tränen füllten ihre Augen.

Noch einmal nickte die Gehende von der Tür aus zurück; dann war Mirjam
allein. Sie nahm die beiden Rosen und betrachtete sie lange und mit
liebevollem Blick. Und als sie die Blumen küßte, fielen ein paar Tränen
darauf, die wie glänzende Tautropfen auf den dunkelroten Blättern lagen.

[Illustration]



[Illustration]

Neunzehntes Kapitel

Im »Gasthof zur Dürren Henne«


Die Kunde von den Vorgängen in Meißen hatte im Lande großes Aufsehen
erregt. Der Urteilsspruch war nunmehr stündlich zu erwarten, da sich
der Verletzte außer Lebensgefahr befand. Eine große Menge Neugieriger
strömte deshalb in die Stadt, da alle Zeugen des Ausgangs der Tragödie
sein wollten.

Eine Viertelmeile vor dem Lommatzscher Tor lag an der Landstraße
der »Gasthof zur Dürren Henne«. Hier fand zu allen Zeiten mancher
Fahrende Unterschlupf, der sich tagsüber müde weitergeschleppt und
die Stadt nicht mehr erreichen konnte, oder dem sich das Stadttor mit
Sonnenuntergang geschlossen hatte.

Mittag war längst vorüber. Die Schenke war gefüllt. Da sah man alles
Volk vereinigt, das die Landstraße befuhr: Handwerksburschen, einen
reisenden protestantischen Geistlichen, dem am Tische gegenüber ein
Kapuzinermönch saß, Landsknechte, die vor der Schenke ihre Lanze in den
Boden gestoßen hatten, Bauern, rittermäßige Leute und ihre Knechte und
wildes Volk.

Die erregten Stimmen der Trinkenden verursachten dumpfen Lärm, aus dem
bisweilen ein kerniger Fluch oder ein dröhnendes Lachen herausschallte.
Der Wirt lief in weißen Hemdärmeln und großer, blauer Schürze umher und
trug auf. Ein paar unersättliche Hartsäufer lehnten am Schenktisch.

Den Mittelpunkt der zusammengewürfelten Gesellschaft bildeten zwei
Männer, deren Tisch die andern respektvoll freigelassen hatten. Beide
waren abenteuerliche Erscheinungen und im Herzogtum allerorts bekannt.

Der erste gehörte zu jenen uralten, wilden Edelleuten ohne Halm und
Bügel, wie sie nach dem Verfall des Rittertums so lange durch die Lande
liefen, bis das namenlose Geschlecht ausstarb oder bis sein letzter
Vertreter am Hochgericht als eines jener formlosen Bündel schaukelte,
um die die schwarzen Vögel flatterten.

Nun war Ritter Burkhard ein alter Mann, der mit der abgeklärten Ruhe
eines Philosophen auf den Augenblick wartete, der der letzte seines
bewegten Erdenlebens sein sollte. Denn bewegt war dieses wahrhaftig
gewesen. Schon als Fünfzehnjähriger hatte er sich als Landsknecht
verdungen und im Laufe der Jahrzehnte allen europäischen Herrschern
gedient. Warf eine wohlgelaunte Lebenswoge sein Schifflein hoch empor,
daß ihn ein Reichsgraf als Edelmann duzte oder ein leibhaftiger Herzog
ihn zu Tisch bat, so ertrug er dies mit der nämlichen vornehmen
Gelassenheit, mit der er andern Tags zusammen mit einem Bettelmann die
Suppe auslöffelte, oder es erlitt, wenn ein erzürnter Wirt ihn als
zahlungsunfähigen Zecher vor die Tür warf.

Der andere von beiden war eine ebenso interessante Erscheinung. Nicht
allzu groß, aber herkulisch gebaut. Todesverwegen und mit einer wahren
Löwennatur begnadet, war er der Schrecken der Schenken. Dem Wirt, der
ihm nichts auf Pump geben wollte, schlug er alles kurz und klein. Zwar
war es das Gesetz der Schenke, das Geld vorher auf den Tisch zu legen.
Bruder Antonius jedoch machte die alleinige Ausnahme.

So hieß er, weil er früher einmal Dominikanerpater gewesen war. Als
er die sieben Weihen auf sein Haupt bekommen, fühlte er, daß es an
der Zeit war, den in nebelhafte Ferne hinausgeschobenen himmlischen
Belohnungen die reellen irdischen Freuden vorzuziehen. Eines Morgens,
als in dem Kloster der gewohnte Ton des Mettenglöckleins durch den
Schlafsaal zitterte, worauf sich beim Ampelschein lautlose Gestalten
vom Lager erhoben, die alsdann kerzentragend paarweise durch den
Kreuzgang schritten und geistliche Lieder dazu sangen, -- als dieses
Erhebende sich wieder einmal zutrag, fehlte einer der frommen Mönche.
Das war Bruder Antonius, der nächtlicherweile die weiße Kutte voll
Ordnungssinn an den ragenden Nagel in seiner Zellentür gehangen
und danach in wenig anderer als paradiesischer Kleidung von der
Klostermauer hinabgesprungen war, -- irrtümlich auf die weltliche Seite.

Da kam in aller Herrgottsfrühe ein Bauersmann die Straße daher, der
auf seinem Hundekarren Butter und Eier zur Stadt fuhr. Bruder Antonius
hielt den Verdutzten an und bat ihn höflich um seine Gewandung. Er
hätte gewiß noch ein zweites Kleid daheim im Kasten, deshalb müsse er
mit ihm teilen. Solches fordere auch die Bibel, wie der Bauer, wenn er
Protestant sei, sich ja daheim sattsam überzeugen könne.

Der solchermaßen Überfallene gab sein Mißbehagen zu erkennen, worauf
Bruder Antonius ihm die Hand vorsichtig auf die Schulter legte. Ein
weniger behutsamer Griff hätte dem Landmann unnütz den Arm zerbrochen.
Da hüpfte der riesige Hund aus seinem Geschirr und machte Anstalt, sich
auf den Unbekleideten zu stürzen. Der fromme Antonius ergriff gelassen
einen mäßigen Feldstein und warf ihn dem Vierbeinigen vor den Bauch,
worauf sich dieser vor Bestürzung und aus andern Ursachen einige Male
sorgfältig überschlug.

Nun war der Bauer überzeugt, daß er der höflichen Bitte zu willfahren
hatte. Der ungewandte Mönch schlüpfte in die sündenvolle weltliche
Kleidung, dankte herzlich und empfahl sich für ein andermal. Als darauf
das Bäuerlein, beinahe barfuß bis zum Kinn, vor seinem Hunde stand,
wunderte sich dieser nicht wenig über das schnurrige Aussehen seines
Herrn.

Mit diesem Begebnis trat Bruder Antonius in die lasterhafte Welt ein,
die er bis jetzt von Berufs wegen viel geschmäht und deren Sündenlast
er fortan um ein Erkleckliches vermehren sollte.

»Vor kurzem trank ich das ölige, schwarze Bier der Erfurter, brr,«
sagte Ritter Burkhard. »Hierzulande braut man besser.«

»Weiß nicht, ob Ihr recht habt, Konfrater,« versetzte Bruder
Antonius; »mir ist's einerlei, wessen Bier ich trinke. -- Rülpse
nicht so anhaltend, Schwein!« rief er einem alten Landsknecht zu,
der die Gewohnheit hatte, jedem Gegenübersitzenden einmal über das
andere mit unfehlbarer Sicherheit dicht am rechten und linken Ohre
vorbeizuspucken.

Jedem andern wäre der Gescholtene, ein bärbeißiger Gesell, an die
Gurgel gefahren. Mit Bruder Antonius aber wollte er seit jenem Tage im
Bösen nichts zu tun haben, wo er gesehen, daß dieser einen baumlangen
Fuhrmann im Bogen durch das splitternde Fenster der Schenke hinaus zu
seinen Pferden warf.

»Heda, Wirt,« rief Bruder Antonius, »bring' mir heut Wein!«

Der Gerufene stellte sich schwerhörig und setzte einen Topf Bier auf
den Tisch.

»Daß dich der Donner und Hagel miteinander erschlage, alter Fuchs!«
schrie der ehemalige Mönch. »Was soll mir der Quark? Wein! Hörst du?«

»Rösselwein?«

»Der bangt um sein Geld,« rief Bruder Antonius belustigt und schlug auf
die klimpernde Tasche. »Hier ist genug. Bring' mir einen Krug roten
Traminer!«

»Hast wohl Geld, Bruderherz?« fragte der Ritter Burkhard, sehnsüchtig
mit dem funkelnden Wein liebäugelnd. Zugleich sann er darüber nach,
welchem Gaunerstreich der Mönch seinen Reichtum wohl verdanke.

Bruder Antonius lächelte. Der alte Ritter pflegte mit der Miene eines
vollendeten Grandseigneurs jedem das für Höherstehende bestimmte Ihr
zu gönnen. Konnte er aber damit etwas herausschlagen, so gebrauchte
er leutselig das Du. Und wenn ein zerlumpter Herumtreiber ihm einen
Kornschnaps zahlte, ertrug es seine Würde, wenn auch dieser ihn duzte.

»Bist gewiß wieder einmal abgebrannt, Gevattersmann,« versetzte
gutmütig der Mönch. »Wirt, gib dem Ritter Traminer!«

Die Augen des Alten funkelten, und er sog den Wein begierig über die
Zunge.

»Fällt mir gerade eine Geschichte ein,« warf er gut gelaunt hin,
»an die ich gestern dachte, als ich in der Stadt die hochgeladenen
Mistwagen sah. Denn die Meißner, das muß man ihnen lassen, halten ihre
Stadt sauber.

Kam ich da kürzlich von Speyer in Frankfurt an. Wie ich über den
Marktplatz schlendere, sehe ich auf der Erde eine Mütze liegen, eine
Mütze, wie sie der gemeine Mann nicht zu tragen pflegt. Ich bücke
mich und hebe sie auf. Da -- o Wunder! -- erkenne ich unter der Mütze
einen Schopf blonder Haare. Ich sehe näher hin -- und richtig! Wie
ich vermutete, gehörte zu dem Haarbüschel ein Kopf, der im Morast
steckte. Ich grabe rundherum auf, und mit meiner Hilfe gelingt es dem
Blondgeschopften auch glücklich, sich vollends herauszuarbeiten.

Der Maria sei Dank und gleichfalls Euch, sagt der gerettete Edelmann.
Ein Lumpenpack, das Stadtvolk! Seine Gassen so versäuen zu lassen. Doch
nun helft mir, wackerer Speergesell, mein Pferd ausgraben, das noch
darin steckt. Es ist mit mir zu gleicher Zeit versunken.«

Das war eine von den kleinen Geschichten, wie sie der alte Ritter bei
guter Laune zu erzählen pflegte. Denn sein adliges Herkommen -- wofür
er einen vollgültigen Beweis zwar nicht beibringen konnte -- legte ihm,
wie er behauptete, die Pflicht auf, die Städter gelegentlich ein wenig
zu hänseln.

Einige Zuhörer rümpften die Nase, die meisten lachten aber. Am ärgsten
Bruder Antonius, der als ehemaliger Kleriker von keiner Partei war. Er
wieherte, daß er sich krümmte.

»Beim heiligen Dominikus,« rief er, »der Spaß ist köstlich!«

Einen Tuchmachergesellen, der an diesem Morgen in Oschatz aufgebrochen
war, machte die Geschichte aber ärgerlich. Und da er nach Meißen
gewandert, um bei einem angesehenen Meister -- der vornehmsten Innung
der Stadt! -- in Lohn und Brot zu treten, fühlte er sich berufen, die
Sache der Städter wahrzunehmen.

Er wandte sich zu einem nebensitzenden Handwerksburschen und sagte laut:

»Du, wie heißt doch das gute, alte Bauernsprichwort? Ach, ich hab's:
Jungen Sperlingen und jungen Edelleuten soll man beizeiten die Köpfe
eindrücken.«

Im Nu fuhren die Landsknechte auf. Die Handwerksgesellen aber scharten
sich um den jungen Sprecher. Wilde Rufe wurden ausgestoßen, geballte
Fäuste flogen in die Luft, und es sah aus, als ob die Parteien in der
nächsten Sekunde im Handgemenge sein würden.

Da stieß Bruder Antonius wohlgelaunt und ohne jeglichen Kraftaufwand
mit dem Fuße nach dem nächststehenden Handwerksburschen, dessen
elastischen Körperteil unterhalb des Rückens leicht berührend. Der
Getroffene flog wie eine Kanonenkugel in das Gemenge, im Fallen die
drei Ergrimmtesten unter den Streitenden mit zu Boden reißend. Das
wirkte. Ebenso schnell, wie sich die Gemüter erhitzt, waren sie wieder
abgekühlt. Man setzte sich nieder, vergaß den Groll und sah vergnügt
und erstaunt einander an.

»Jugend ist stürmisch,« entschuldigte Bruder Antonius, zum Ritter
gewendet, mit komischem Ernst den Vorfall. »Man müßte jedem Zornigen,
bevor er den Weg zur Sünde beschreitet, eindringlich ins Gewissen
reden.«

Der Alte schmunzelte:

»Das würde bei ihm so viel wirken, als wenn man einem Krebs droht, man
wolle ihn ersäufen. Solches sagte schon meine alte Magd, die meinen
Sohn erzogen und beflohet hat.«

Da trat ein Spielmann in die Schenkstube, ein junger, hübscher Bursche
mit verhärmtem Gesicht und einer Fiedel auf dem Rücken.

»Wollt Ihr mein Bündel für eine Nacht beherbergen?« fragte er den Wirt.

»Jeder, der zahlt, bekommt bei mir sein Losament,« antwortete dieser.

Der Spielmann nickte.

»Heda, du junges Blut,« rief Bruder Antonius, »setze dich da her.«

Der Gerufene wagte nicht zu widersprechen und nahm am Tisch der beiden
Platz.

»Warst du nicht kürzlich in Nürnberg?« fragte der Mönch.

»Da habt Ihr recht! Ach, nun erkenn' ich Euch. Ihr habt mich nachts
von der Gasse aufgelesen, nachdem ich auf der Suche nach meinem
Lebensretter vor Erschöpfung zusammengebrochen war. Auf Euern Armen
trugt Ihr mich in eine Herberge und reichtet mir Speis' und Trank ...«

»Larifari,« unterbrach Bruder Antonius den sich mit Worten
Überstürzenden unwillig, »das war sicher ein anderer. Aber erzähle mir,
Bursch, wie es kam, daß du mit deiner Brotwinsel so schnell von dort
verschwandest?«

»Ohne Euch Lebewohl zu sagen. Gelt, das war schlecht von mir! Aber
hört, wie sich das zutrug. Der mutige Junker vertraute mir ein Ringlein
an, damit ich es nach Meißen zu seiner Herzallerliebsten brächte. Und
so kam es, daß ich über den einen den andern vergaß.«

»Und da kommst du erst heute mit dem Reif an?«

»Ach nein,« versetzte der Spielmann, »die Jungfrau hat längst ihren
Schmuck. Ich war unterdessen schon wieder in Leipzig und habe auf der
Messe zum Tanz aufgespielt. Aber ich weiß selbst nicht, warum ich
wieder hierher zurückgekehrt bin ...«

Der Bursche wurde rot und fing an zu stottern.

»Ich will dir's sagen, Knabe,« wandte sich Ritter Burkhard an ihn. »Du
bist verliebt! Das holde Kind mit dem Ringlein hat dir's angetan. Deine
blassen Wangen schreien es einem ja in die Ohren.«

Der Spielmann bekam einen puterroten Kopf und blinzelte mit den Augen
wie eine Zieselmaus.

»Jaja, -- der Schnaps und die verfluchte Liebe,« versetzte Bruder
Antonius trocken. »Wirtschaft, Traminer!«

Der Wirt flog.

»Hast du Hunger?« fragte der Mönch den Burschen, worauf dieser den Kopf
schüttelte.

»Dann trink',« versetzte er mit gekünsteltem Unwillen. »Ein
schmachtender Spielmann! Ich mag kein sauertöpfisches Gesicht sehen!«

»Ich auch nicht,« stimmte der Bursche bei und goß das erste Glas hinab.

»Gevattersmann,« rief Bruder Antonius dem Ritter Burkhard zu, »was habt
Ihr denn da für einen absonderlichen Ring am Finger?«

Der Alte hielt den Arm in die Höhe, daß es alle sehen konnten. Am
kleinen Finger der linken Hand steckte ein ganz schmaler, goldener
Reif.

»Wie oft habt Ihr den schon vertrunken und wieder eingelöst?«
erkundigte sich der Mönch.

»Noch nie,« versetzte der Ritter Burkhard stolz. »Er stammt von meiner
Schwester, die nun aber schon seit hundertdreißig Jahren tot ist.«

Der Alte hatte dies so ernsthaft gesagt, daß es eine Weile dauerte, bis
die Umsitzenden fühlten, wie er sie wieder foppen wollte. Der Mönch
lachte zuerst, er war natürlich der Schlaueste. Allmählich begriffen
auch die andern den Scherz.

»Der Ritter ist mit allen Salben geschmiert,« schrie Bruder Antonius
und lachte, daß die Wände zitterten.

»Meine Schwester,« so fuhr Ritter Burkhard mit unverwüstlicher Ruhe
fort, »erhielt von der Gemahlin Friedrichs des Streitbaren am Tage der
Gründung der Leipziger Universität ein Paar Ohrringe. Diese wurden nach
ihrem Tode zu Fingerringen erweitert. Der eine von ihnen ist dieser
Ring.«

Da lachte Bruder Antonius so ausgelassen, daß die Umsitzenden besorgt
waren, er möchte einen Schaden erleiden. Als alter Leipziger kannte er
das Gründungsjahr der Universität recht gut. Nachdem er sich endlich
beruhigt hatte, versetzte er:

»Nein, Gevattersmann, so verwegen wie Ihr schneidet keiner auf.«

»Es verhält sich aber doch so, wie ich sagte,« versicherte der Alte.

Jetzt wurde der Mönch unwillig. Der Ritter mußte doch wissen, daß er
wenigstens ihm solche Bären nicht aufbinden konnte.

»Es tut mir leid, Euch blamieren zu müssen,« sagte er ärgerlich, »aber
nun kann ich doch nicht anders. Die Gründung der Universität zu Leipzig
erfolgte nämlich im Jahre ...«

»1409,« fiel ihm der Alte ins Wort.

Der Mönch saß mit offenem Munde da.

»Da wißt Ihr's ja selbst, alter Ketzer!« schrie er. »Aber gesteht
doch nun die Unmöglichkeit zu, daß Eure Schwester an der Feier hat
teilnehmen können. Wir schreiben heute doch Anno 1539!«

»Ich schlage vor,« warf der junge Spielmann schüchtern ein, »wer
unrecht hat, zahlt einen Traminer.«

»Vortrefflich!« frohlockte der Mönch. »Den meinen auf den Tisch! Dem
Weißkopf soll das Wasser kannenweis aus den Mundwinkeln laufen, wenn
ich ihn allein trinke.«

Ritter Burkhard nahm die Wette an und legte -- mangels barer Münze --
als Pfand den strittigen Ring auf den Tisch.

»Merkt auf,« begann er. »Meine Schwester war Anno 1409 gerade sieben
Jahr alt, als sie der Markgräfin Blumen auf den Weg streuen durfte. Zur
Belohnung dafür empfing sie die Ringe. Unser gemeinsamer Vater zählte
damals siebenundzwanzig. Noch in demselben Jahre starb meine Schwester,
also vor 130 Jahren. Später starb auch die Gemahlin meines Vaters.
Lange blieb er unbeweibt. Da heiratete er mit 78 Jahren ein zweites Mal
und bekam trotz seines hohen Alters -- Anno 1460 -- noch einen Sohn.
Der bin ich. Heute zähle ich neunundsiebzig.«

Der Alte hatte langsam und überzeugend gesprochen. Jeder war verblüfft,
Bruder Antonius am meisten. Die Rechnung war richtig! Warum sollte ein
Greis von achtundsiebzig Jahren nicht noch einmal Vater werden? Derlei
hat es schon gegeben.

Noch war die Erstarrung von den Zuhörern nicht gewichen, als Ritter
Burkhard den Ring wieder sorgfältig an den Finger steckte. Dann griff
er mit Seelenruhe nach dem Krug, der vor dem Mönch stand, und goß den
blutroten Traminer schmunzelnd in sein Glas. Angesichts dieser Bewegung
wachte Bruder Antonius auf.

»Bei dem gütigen Augenstrahl des heiligen Benno, der Malefiz hat
recht,« seufzte er, um sodann mit Löwenstimme zu schreien:

»Sauf, daß dir das höllische Feuer in die Gurgel fahre!« Dazu lachte er
grimmig über sich selbst, denn er fühlte sich am meisten gefoppt.

»Wie war das doch damals, Bruder Antonius,« rief einer über alle Köpfe
hinweg, »als Ihr die große Trinkschlacht gewannt?«

Diese Aufforderung war nicht ohne Absicht geschehen. Der Rufende kannte
den Mönch seit langem und wußte, wie gern dieser von dem hitzigen
Zechgelage erzählte. Antonius kam die Frage gelegen.

»Ich war noch nicht einmal Laienbruder,« erzählte er, »und kasteite
mich wohl gerade auf das Ordensgelübde, als das Kloster den Besuch
eines hohen Prälaten erhielt. Diesen frommen Diener der Kirche
begleitete, wohin er auch ging, der Ruf, ein ganz gewaltiger Zecher zu
sein. Am Abend wurde mir als Novizen der Zutritt zum Refektorium nicht
erlaubt. Da kommt nach dem Nachtschmaus der Bruder Kellermeister, der
meinen Durst am besten kannte, atemlos zu mir in die Zelle. Hochwürden
sei in rosigster Laune und wünsche einen sattelfesten Bruder als
Zutrinker. Keiner der Brüder wage den Strauß; ich möchte den Ruf des
Klosters retten.

Von langem Besinnen bin ich nie gewesen, willige also bald ein, für
die frommen Mitbrüder Kämpe zu sein. Daß ich's kurz mache: einer nach
dem andern um mich herum sank langsam vom Stuhl. Unser gestrenger Abt
nickte mir als Letzter des Klosters noch einmal freundlich zu, dann sah
ich ihn an diesem Abend nicht mehr. Auch die Konventsherren schliefen
ein, und als allerletzter empfahl sich der hohe Herr, nachdem er noch
einen wahren Basiliskenblick auf mich Grünen geschossen hatte. -- Der
Bruder Kellermeister, der als Unparteiischer nicht mittrinken durfte,
sprach mir hierauf seine Hochachtung aus. Bei solchen hervorstechenden
Fähigkeiten, versicherte er, sei mir eine glänzende Laufbahn gewiß.
Dieser Tag,« so schloß Bruder Antonius, »ist der erhabenste meines
Lebens geblieben!«

Anhaltendes Gelächter, vermischt mit fröhlichen Zurufen, lohnte
dem Erzähler seine lustige Geschichte. Keiner unterließ, ihm seine
Anerkennung auszusprechen. Nur der junge Spielmann blieb stumm. Der
feurige Wein hatte seine Wangen getötet. Den Kopf in die Hand gestützt,
saß er am Tisch und sah sinnend zu Boden.

Da schnellte er plötzlich in die Höhe, sprang auf den Tisch und griff
nach der Geige.

»Ruhe,« rief es durcheinander, »der Fahrende will uns eins singen!«

Stillschweigen trat ein. Der Bursche stützte die Fiedel wie eine Laute
auf die Hüfte und zupfte die Saiten zu einem kleinen Vorspiel. Alsdann
sang er mit schäumendem Übermut:

    »Es war einmal ein Kandidat,
    Der ganz entsetzlich saufen tat,
    Das hohe Konsistorium,
    Ja selbst den Bischof soff er um!

    Dem kam einst wie von ungefähr
    Der Teufel stinkend in die Quer
    Und fragt', ob er den Mut wohl hätte,
    Zu zechen mit ihm um die Wette.

    Da tranken sie drei Tag' und Nächt',
    Als wären Karpfen sie und Hecht,
    Bis endlich, dick- und vollgetrunken,
    Der Satan untern Tisch gesunken.

    Nun leert' der Schelm den Humpen aus
    Und stammelt selig: Ei der Daus,
    Wer mit dem Pfäfflein siegend stritt,
    Der fürchtet auch den Teufel nit!«

Die Wirkung dieses Liedes war unbeschreiblich, denn der gutmütige
Mönch, so gewalttätig er zuweilen auch sein mochte, war allgemein mehr
beliebt als gefürchtet. Schon manch einer war Zeuge gewesen, wie er in
einer schwachen Stunde geheult hatte, wie ein Schloßhund. Ein ehrlicher
Jubel brach aus, daß die Schenkstubenwände erzitterten. Nur die
überlaute Stimme des Mönchs war herauszuhören. Wie unsinnig trommelte
er mit den Fäusten auf den Tisch und schrie in einem fort: »Traminer!
Traminer!« Und als er den Wirt zaudern sah, warf er einen vollen
Dukaten auf den Tisch und schrie dann noch ärger: »Tra -- mi -- ner!«

Im Nu standen sechs Krüge auf dem Tisch, und von allen Seiten griffen
Hände nach den Gläsern.

»Das Lied muß mit Fledermausblut auf Menschenhaut geschrieben und im
Gasthof zur Dürren Henne zum ewigen Andenken aufbewahrt werden,« schrie
einer zum Klang der Gläser.

»Hol mich dieser und jener!« rief Bruder Antonius, »das war das Beste,
was ich mein Lebtag gehört habe. Doch, wo ist der Bursch? Er soll einen
guten Rekompens haben!«

Alle sahen sich nach dem Spielmann um, aber keiner entdeckte ihn. Er
hatte den Tumult benutzt und sich hinausgestohlen.

»Laßt ihn laufen, er entgeht seiner Belohnung nicht,« versetzte der
Mönch. »Der verliebte Schäfer wird allein sein wollen. Die Holzweibchen
und der höllische Nachtjäger rüsten sich schon, durch den Wald zu
fahren; dazu will er ihnen aufspielen.«

[Illustration]



[Illustration]

Zwanzigstes Kapitel

Das Schönste, was ihr der Spielmann gesungen


Nachdem Sonnhild die schwerleidende Mirjam verlassen, hatte diese lange
Zeit still gelegen, die weitgeöffneten Augen nach der Decke gerichtet.
Ihr Atem ging immer schwächer. Aber der sonnige Glanz, der über das
ergebungsvolle Gesicht gebreitet war, hatte sich nicht vermindert.

Da schlugen mit einem Male schmeichelnde Töne an ihr Ohr. Mit
Anstrengung richtete sie sich auf und sah zwischen den Blumentöpfen auf
dem Fensterstock hinab. Drunten lehnte am Zaun ein junger Spielmann und
strich die Geige. Und als er sie bemerkte, sang er mit weicher Stimme:

    »Das Menschenherz ist eng und klein,
    Und wohnt ein großes Glück darein,
    Dann klingt's.
    Ist aber heimlich über Nacht
    Ein schwerer Kummer drin erwacht,
    Dann springt's.«

Mirjam lehnte sich gegen das Fenster, dessen einer Flügel geöffnet war,
und preßte die Stirn an die Scheibe, damit ihr kein Wort entgehe. Als
der Sänger geendet, wurde sie traurig, denn sein Lied war ihr zu Herzen
gegangen.

Freilich paßte der Schluß dieser schwermütigen Weise nicht auf sie; in
ihrer Brust frohlockte es.

Da hob der Spielmann von neuem den Bogen. Seine Augen schwammen in
Wehmutstränen. Und als wenn es gelte, sich allen Kummer vom Herzen zu
singen, stimmte er voll Inbrunst an:

    »Wie schallte mein Lied einst aus jubelnder Brust,
    Und wie süß klang die Geige den Ohren,
    Da sah ich ein Mägdlein -- o himmlische Lust!
    An sie hab' mein' Ruh' ich verloren.

    Mein Auge ist trüb und das Herz, ach, so schwer,
    Und die Wolken tief hangen hernieder,
    Die Fiedel klingt schmeichelnd wie einstens nicht mehr,
    Und vergessen sind all meine Lieder.

    Nun wandre ich wieder hinaus in die Welt,
    Das Kuhhorn zum Abschied tut blasen.
    Was ist doch ein Spielmann, dem's Leben vergällt!
    Ach, läg' ich doch schon unterm Rasen.«

In den Augen der Kranken perlten Tränen des Mitleids. Auch dieses Lied
war nicht für sie. Aber aus _seiner_ Seele heraus hatte es gesprochen.
So jung und schon so viel Weh! Vielleicht ward auch ihm heilsame
Tröstung.

Der Bursche wollte schon wieder wandern, als er noch einmal zum Fenster
hinaufsah. Da begegnete sein Blick dem mitleidvollen des Mädchens. Ihre
großen, strahlenden Augen erinnerten ihn unwillkürlich an ein anderes
Augenpaar, das unvergeßlich in seiner Erinnerung stand. Auf die weiße
Stirn der Schauenden und auf ihr schwarzes Haar hingen leuchtende
Fuchsienblüten herab.

Da griff der Spielmann noch einmal zur Geige, und der süßeste Wohllaut,
der in ihren Saiten schlummerte, klang zu dem Mädchen hinauf, als er
sang:

    »Ein Mensch, den trog das Leben schwer,
    Rief: Wenn es doch zu Ende wär',
    Was andern ward zur Freude,
    Das schlug mir aus zum Leide.

    Der Herrgott hat gar feine Ohrn,
    Drum ging der Notschrei nicht verlorn,
    In seinem Allerbarmen
    Ruft er zu sich den Armen.

    Doch schüttet er in seinen Schoß
    Vorher ein reiches Menschenlos,
    Damit ihm von der Erden
    Der Abschied schwer sollt' werden.

    Der Arme wirft den Reichtum hin,
    Nicht mehr nach Ird'schem stand sein Sinn,
    Er faltet fromm die Hände
    Und spricht, wie's geht zum Ende:

    Hab' Dank, o lieber Vater mein,
    Daß du verkürzest meine Pein.
    Um deiner Himmelsfreuden
    Will gern von hier ich scheiden!«

Als das Lied geendet, lehnte Mirjam regungslos am Fenster. Ihr
lebensmüdes Herz schlug noch einmal zum Zerspringen. Das war das
Schönste, was ihr der Spielmann gesungen!

Sie nahm eine der rotglühenden Rosen und warf sie dem Sänger hinab. Der
griff danach, um der großen, blauen Augen willen, und steckte die Rose
vorn in das Wams.

Jetzt sank Mirjam erschöpft auf das Bett zurück. Sie fühlte ihr
Herz beklemmt, schob die Bettdecke zurück und riß das Hemd auf. Die
abgezehrte, marmorweiße Brust, mit feinen, blauen Adern durchzogen,
ward sichtbar. Da nahm sie die dunkelrote Rose und legte sie an ihr
Herz. Draußen klang der Tritt der Mutter, und gleich darauf trat diese
in die Kammer.

       *       *       *       *       *

Sonnhild hatte vergebens gehofft, von dem Ausrufer eine weitere
Besserung des Kranken aus Siebeneichen zu hören. Da auch während des
Nachmittags die Nachricht sich nicht veränderte, verließ das Mädchen
den Platz am Fenster und machte sich zu Mirjam auf.

Wie sie in das Torhaus trat, schien es Sonnhild, als ob ihr ein kalter
Hauch entgegenwehe. Vor der kleinen Tür blieb sie stehen und holte tief
Atem. Dann trat sie ein.

Mirjam lag mit gefalteten Händen unbeweglich auf dem Rücken. Ihre
Brust war bloß; an ihrem Herzen lag eine rote Rose. Die Augen waren
geschlossen und die bleichen Lippen leicht geöffnet, als ob sie
flüstere. Himmlischer Frieden verschönte die Züge. Ihr reines Herz
hatte aufgehört zu schlagen.

Vor dem Bett kniete Mirjams Mutter. Sonnhild ließ sich neben ihr
nieder, legte die Stirn auf die Bettkante und betete. Der letzte der
drei Menschen, der sie liebte, war von ihr gegangen. Nun war sie
allein -- -- --

Als Sonnhild wieder aufstand, fühlte sie sich gestärkt. Noch einmal
betrachtete sie das friedliche Gesicht der Dulderin und berührte zum
letztenmal die durchsichtigen Hände. Mirjam hatte ausgekämpft! Wann
würde _ihr_ geängstigtes Herz Ruhe finden?

Alsdann ging sie. Mirjams Mutter folgte dem Mädchen.

Im Hausflur reichten sich beide Frauen wortlos die Hände. Keine von
ihnen vermochte die andere zu trösten.

Als Sonnhild nach Hause zurückkehrte, erschien sie den Vorübergehenden
noch bleicher als in den letzten Tagen. In ihrem Zimmer angekommen,
setzte sie sich müde ans Fenster und wartete geduldig. Da drang der Ton
der Klingel heraus. Sie öffnete, beugte sich hinaus, und -- das Herz
wollte ihr stillstehen.

Noch lange, nachdem die Worte auf dem Markt verklungen waren, stand
sie am Fenster. Dann sank sie in den Stuhl zurück. Die furchtbare
Verkündung schallte unaufhörlich in ihren Ohren: »-- -- morgen
früh auf dem Marktplatz gestäupt und auf zehn Jahre aus dem Lande
verwiesen -- -- --«

Das Mädchen war vernichtet. Die Schwester tot, der Vater entehrt und
schimpflich verjagt und der Geliebte weit entfernt, -- jetzt konnte nur
noch das Himmelsgewölbe auf sie niederbrechen. Als die Bäume sich in
diesem Jahre belaubten, vermochte sie das große Glück kaum zu fassen,
das ihr die Vorsehung beschieden. Nun, wo die Blätter bald abfielen,
war sie der ärmste Mensch auf Erden! O du furchtbares Schicksal! -- Und
keine Träne wollte ihr die Brust erleichtern!

Da schlug sie die Augen auf und fuhr voll Entsetzen im Stuhl zurück.
Spottete nun auch noch die Phantasie ihrer?

»Sonnhild,« hörte sie eine Stimme sprechen. Dann schritt jemand auf sie
zu, kniete vor ihr nieder und legte die Arme um sie. Ihre umflorten
Augen konnten kaum die Umrisse des Knienden erkennen. Sie tastete nach
ihm und fragte leise:

»Bernhard, bist du es?«

»Ja, Geliebte, dein Bernhard!«

Da beugte sich das Mädchen herab und sagte:

»Bernhard, du darfst mich nicht länger lieben! Ich bin deiner nicht
mehr wert.«

»Sonnhild,« rief der Jüngling schluchzend, »du Reine!«

»Morgen wird mein Vater ehrlos sein -- -- --«

»Tausende werden sein unbeflecktes Bild nicht aus ihrer Seele
verdrängen lassen -- -- --«

»Die Tochter eines Entehrten weist jeder von seiner Schwelle.«

»Dein furchtbares Geschick wird dich vor Gott und den Menschen nur
erhöhen!«

»Aber dein schwerkranker Vater!« stammelte das Mädchen.

»Geliebte, ich bringe dir gute Nachricht,« rief der Jüngling
aufspringend. »Mein Vater ist vor wenigen Stunden zum Bewußtsein
gekommen, und die Ärzte haben erklärt, daß schlimme Folgen des Sturzes
sich nicht einstellen würden.«

Da erhob sich das Mädchen, legte ihren Kopf an die Brust des Geliebten
und wehrte ihm nicht, als er ihre Stirn küßte.

»Sonnhild,« raunte ihr Bernhard ins Ohr, »deinem Vater darf kein Leid
geschehen, ich befreie ihn aus dem Gefängnis.«

Das Mädchen schreckte zusammen.

»Heute zur Mittagstunde bin ich mit Caspar von Carlowitz heimgekehrt,«
sprach er weiter. »Er begab sich auf die Burg, um sein Amt als
Schloßhauptmann wieder anzutreten, und ich eilte nach Siebeneichen,
wo ich den Vater schon bei Bewußtsein fand. Ich habe nicht gewagt,
mit ihm über die Ursache seines Sturzes zu sprechen. Aber er war sehr
gütig. Gegen Abend habe ich große Müdigkeit infolge der weiten Reise
vorgeschützt und bin zu dir geeilt, während sie mich in meiner Kammer
wähnen. Der Plan zur Befreiung deines Vaters steht in mir fest, er muß
gelingen!«

Bei diesen Worten schlug in Sonnhild die Flamme der Begeisterung für
das Befreiungswerk hoch auf. Dunkle Röte schoß in die bleichen Wangen,
und ihre Augen glänzten.

»Der Turm ist in die Stadtmauer eingebaut,« sprach sie mit fliegenden
Worten. »Wir nähern uns außerhalb der Stadt der Fronfeste und rufen
meinen Vater ans Fenster. Dann werfen wir ihm einen Stein zu, an den
ein Faden gebunden ist, und lassen ihn eine Strickleiter emporziehen
und Werkzeuge, mit denen er die eisernen Stäbe vor dem Fenster
durchfeilen kann -- -- --«

Bernhard sah der Geliebten in das glühende Gesicht. Bewunderung und
Wehmut erfüllten ihn. Der Plan war unausführbar. Denn am Fuße des
Turms, außerhalb der Mauer, stand ein Pikett Burgknechte, wie er
gesehen, als er die Umgebung der Fronfeste betrachtet hatte. Aber in
seinen Augen flackerte es, und auf seinem ernsten Gesicht stand die
Entschlossenheit, mit der er seinen Plan ausführen würde. So gefahrlos,
wie Sonnhild wähnte, war das Werk freilich nicht zu verrichten.

»Geliebte,« antwortete der Jüngling zärtlich, »sorge dich nicht! Du
hast in den vergangenen Tagen viel Schweres durchkämpfen müssen.
Nun laß mich an deine Stelle treten. Mein Plan ist ein anderer, --
will's Gott, daß er gelingt! Auf ihn wollen wir bauen. Wirf deinen
großen Kummer von dir. Wenn mich nicht alle Gunst des Himmels verläßt,
befindet sich dein Vater morgen früh in Sicherheit. Jetzt aber entlaß
mich, damit ich noch die letzten Vorbereitungen für das Werk treffen
kann.«

Sonnhild schmiegte sich an den Geliebten. An seiner Brust fühlte sie
sich geborgen. Und ihr Vertrauen auf seine Umsicht und Entschlossenheit
war felsenfest.

»Was du auch tust, du stehst unter dem Schutze des Höchsten, mein
Geliebter,« sprach sie mit Innigkeit, »ich werde für dich und für
meinen schwergeprüften Vater beten!«

Aufs tiefste bewegt, drückte Bernhard das Mädchen an sich, als wenn es
gälte, Abschied für immer zu nehmen -- -- --

[Illustration]



[Illustration]

Einundzwanzigstes Kapitel

Rebbe Liebmann, der alte Jude


Es war Abend geworden. In der zu ebener Erde gelegenen Stube im
Torwarthause am Lommatzscher Tor saßen einsam zwei Menschen. Auf
dem Tisch stand eine tönerne Schale, gefüllt mit Mohnöl, worin ein
Docht brannte. Der Schein der Lampe erhellte das Zimmer nur spärlich.
Dem Tisch gegenüber stand ein großes Bett, worüber ein weißes Laken
gebreitet war.

Vornübergesunken hockte zu Füßen des Bettes auf dem Boden eine Frau.
Im Hintergrunde der Stube saß in einem schweren Armstuhl ein würdiger
Greis von dem Aussehen eines altbiblischen Propheten. Sein Kopf war
mit einer wahren Löwenmähne langen Haares bedeckt, und der schlohweiße
Bart, der von dem runzeligen Gesicht nur die scharfe Hakennase und
die mächtige Stirn freiließ, hing tief auf die Brust herab. Über den
blinden Augen wölbten sich buschige Brauen. Die Arme des Greises lagen
auf den Seitenlehnen des Stuhles.

Drückende Stille herrschte in dem Raum.

Da fuhr das Weib auf:

»Zwanzig Jahre der Qual und Verzweiflung -- Jehova rast wider uns!«

Dann sank sie von neuem vornüber.

»Der furchtbare Schlag hat dein Gemüt umdüstert, Lea,« antwortete
Rebbe Liebmann mit tiefer Stimme. »Der Herr hat uns schwer geprüft.
Aber selbst aus dem tiefsten Leid sollen seine Kinder die köstliche
Zuversicht schöpfen, daß sie dereinst reich belohnt werden.«

»Unser Geschlecht ist verflucht!« murmelte das Weib in dumpfer
Verzweiflung.

»Die Ratschlüsse des Ewigen sind unerschöpflich; was er tut, ist
wohlgetan.«

»Warum knechtet er gerade sein Volk mit blindwütiger Grausamkeit!
Zuerst zerstreute er es in alle Welt. Dann ließ er zu, daß die Völker
der Erde die Flüchtlinge wieder vertrieben oder aus ihrer Gemeinschaft
ausstießen. Tief verhaßt und unentbehrlich, begehrt und verflucht
sein war unser Los. Waren nicht unsere Väter von allem entrechtet?
Haben nicht -- auch in den deutschen Landen! -- die grausamsten
Judenverfolgungen jahrhundertelang angehalten und unzählige Leben
vernichtet und mühsam erworbenes Gut geraubt? Man beschuldigte uns, das
Vieh krank gemacht, die Brunnen vergiftet und Mißwachs herbeigeführt
zu haben, um die unmenschlichsten Missetaten an uns zu verüben. Wie
kurz ist erst die Zeit, die vergangen, seitdem unser Volk nicht mehr
die gelbe Kokarde an den Rücken trägt -- das schimpfliche Abzeichen der
Unreinen -- -- --«

Das Weib hielt keuchend inne. Ihr Gesicht trug den Ausdruck maßloser
Erbitterung.

»Und wie die Gemeinschaft,« fuhr sie fort, »verfolgt er erbarmungslos
auch den einzelnen.«

»Lea,« fiel der Blinde beschwörend ein, »deine Rede ist lästerlich. Laß
den reinen Spiegel deiner Seele nicht trüben von den dunkeln Wolken
des Zorns, die darüber hinziehen, und wende dein Herz nicht von dem
Herrn aller Himmel! Zwei Jahrzehnte hast du die teuflischen Geister des
Grolles und Hasses bezwungen -- -- --«

»Jetzt reißen sie die schwachen Schranken nieder,« schrie das Weib,
sprang auf und stampfte den Boden mit den Füßen, »die die versagende
Kraft jeden Morgen von neuem aufrichten mußte. Fallt ab von mir,
schwachherzige Geduld und schimpfliche Geneigtheit zur Vergebung! Es
ist ein Kampf wider die Natur. Der Gott, der mich erschaffen, muß es
an seinem Werke büßen, daß es mißraten. Einst war ich groß im Lieben,
heute bin ich's im Hassen! Haha!«

»Wer so frevelt wie du, mein Kind, dem wird es dereinst schwer werden,
vor dem Richterstuhle des Ewigen Worte zu finden.«

»Soll ich den lieben, der mich betrog und mein Kind zum Bankert machte?«

»Und doch kenne ich eine,« klang des Greises eindringliche Stimme, »die
zu Gott dankte, als er ihren Schoß segnete.«

Da verstummte das Weib. Der Greis aber fuhr fort:

»Hast du ihm nicht alles abgeschlagen, was er in leidenschaftlicher
Liebe für dich und das Kind tun wollte? Und wie er vor der Wiege
des Neugeborenen kniete und mit gerungenen Händen dich anflehte, du
möchtest ihm verzeihen, was sprachst du da? Ich verzeihe um den Preis
der völligen Entsagung auf das Kind! Er umklammerte deine Füße, -- du
stießest ihn. Da versprach er's und ging. Aber in wieviel ungezählten
Nächten haben wir nicht die wohlbekannten Schritte vor dem Hause und
das leise Klopfen an der Tür vernommen, bis nach stundenlangem Harren
der Tritt in der Ferne verhallte. So ging es, bis sich die Wunde in
seinem Herzen geschlossen haben mochte.«

Am Stadttor tönte der eiserne Klopfer, draußen stand jemand, der Einlaß
begehrte. Aus einer Nebenkammer ging der Geselle hinaus. Die schweren
Ketten rasselten und fielen herab, und das Tor kreischte in den Angeln.
Eine kurze Weile, dann entfernten sich stadtwärts Schritte. Das Tor
schlug zu, und der Geselle kehrte wieder in seine Kammer zurück. Die
zwei Menschen hörten es kaum, so gefesselt waren all ihre Sinne.

»Mein armes Kind,« klang des Greises Stimme wieder, »laß das
herzzerreißende Weh, das sich in deine Seele hineingebohrt, nicht
Herr über dich werden. Nach unsern Werken der Liebe werden wir
einst belohnet oder gerichtet werden. Der Gute vergißt über dem
eigenen Schmerz nicht den Schmerz des Nächsten. Du weißt, daß er ein
Unglücklicher ist und wie schwer er jetzt leidet.«

»Heute sind alle Wunden wieder aufgerissen,« klagte das Weib tonlos,
»die er meinem Herzen geschlagen. Und ich fühle, daß ich gelogen, als
ich ihm verziehen.«

»Dann verzeihe ihm nun aus vollem Herzen.«

»Wer meinen Gram und meine Verzweiflung ermessen kann, die schlimmer
peinigen als Höllenqualen, der wird nicht verlangen, daß ich ihm ein
zweites Mal vergebe.«

»Nicht zweimal sollen wir vergeben, fordert der Allmächtige des Himmels
und der Erden, sondern siebenmal siebzigmal.«

»Aber ich vermag es nicht!« schrie das Weib grell auf.

Da erhob sich der Blinde, ging mit sicheren Schritten zu dem Bett und
schlug das weiße Laken zurück. Seine großen lichtlosen Augen auf die
Tochter gerichtet, sprach er:

»So lerne das Verzeihen von deinem Kinde, das mit einem Gebet für den
Vater von uns gegangen ist.«

Die Frau erschrak und stützte sich schwer auf das Fußende des Bettes.
Ihr Atem flog und ihre weitgeöffneten Augen waren starr auf die
abgezehrte Gestalt im weißen Sterbehemd. Das blasse Gesicht der
Toten war verklärt von dem Ausdruck tiefen Friedens, den Mirjam beim
Verscheiden empfunden. Zwischen den gefalteten Händen hielt sie die
dunkelrote, welke Rose.

Sekunden verstrichen. Als wenn sie einem zermalmenden Druck trotzen
wollte, verharrte die Frau hartnäckig in gebeugter Haltung. Dann brach
sie vor dem Bett lautlos nieder.

[Illustration]



[Illustration]

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Die drei Getreuen


Die ältesten Bewohner Meißens erinnerten sich nicht, die Stadt jemals
in so großer Aufregung gesehen zu haben, wie an diesem Abend. Die
Häuser standen leer, jedermann war auf die Gasse geeilt. Wie zu
Kriegszeiten herrschte fieberhaftes Leben unter der Einwohnerschaft.
Hinter vielen Fenstern brannte Licht, so daß die Gassen hell waren.

Auf dem Markt standen vier hohe Böcke, die mit Pech gefüllte, eiserne
Schalen trugen, aus denen rote, rußige Flammen emporloderten. Vor dem
Rathaus bauten Zimmerer ein hölzernes Gerüst. Eine unabsehbare Menge
drängte sich unaufhörlich daran vorbei. Die hellen Hammerschläge
drangen scharf durch den Lärm. Jeder verstand, was sie verkündeten:
morgen früh sollte auf diesen Brettern dem Burgemeister Georg
Waltklinger durch den aus Dresden zu erwartenden Henker der entblößte
Rücken mit Ruten gepeitscht werden.

Zwar war eine Abordnung der Bürgerschaft unter Vorantritt Peter
Sorgenfreis nach Dresden geeilt, um die Gnade des Herzogs anzurufen.
Aber sie waren abgewiesen worden!

Der Herzog hatte die Männer wohl empfangen und sein Bedauern
ausgesprochen, daß er ihre Bitte abschlagen müsse. Den ausgezeichneten
Ruf ihres Burgemeisters kenne er. Gleichwohl dürfe er dem Spruch
des Gerichts nicht entgegentreten. Die unbesonnene Handlung sei ein
schwerer Angriff gegen Gesetz und Obrigkeit, und das Leben eines hohen
Beamten des Landes, den der Herzog als einen seiner besten bezeichnete,
wäre ihr um Haaresbreite zum Opfer gefallen. Nur insoweit könnte das
Urteil gemildert werden, als der Besitz des Schuldigen nicht um den dem
Staat bei der Ausweisung zufallenden Teil geschmälert würde.

Traurig kehrten die Männer heim. Wie der Herzog bei Einführung der
Reformation seine Tatkraft bewiesen, ebenso unbeugsam war er, wenn es
galt, eine Verletzung der Würde des Gesetzes zu sühnen.

Das Gewühl in den Gassen wurde immer ärger, und dasselbe Bild, das
große Zusammenläufe einer erregten Menge überall bieten, zeigte sich
auch hier. Anfänglich schoben sich die Menschen stumm durcheinander.
Der Geist der Ordnung leitete sie noch. Allmählich gewann aber
die Erregung Oberhand, die die Masse berauschte. Die Unbesonnenen
begannen damit, drohende Rufe auszustoßen, und die friedlich Gesinnten
wurden davon angesteckt. Dazu tat der genossene Wein seine Wirkung.
Nichtsnutziges Gesindel beging Ausschreitungen und riß durch sein
Beispiel nüchterne Zuschauer, die aus Neugierde auf die Gasse gegangen
waren, mit fort.

Man fragt sich, wo diese lichtscheuen Elemente in ruhigen Zeiten ihre
Schlupfwinkel haben, -- inmitten eines erregten Volkshaufens blüht ihr
Weizen, und sie sind wie aus der Erde gestampft da. Sie laufen Sturm
wider Gesetz und Ordnung, wiegeln die Friedfertigen auf und sitzen
mit dem Aufruhr zu Tische. Ihr Handwerk ist um so gefährlicher, als
sie es am liebsten heimlich betreiben. Droht ihnen Gefahr, so ducken
sie sich. Und greift der eiserne Arm des Gesetzes ein, dann sind sie
wie weggeblasen und überlassen den bürgerlichen Mitschreier seinem
Schicksal. -- Parasiten!

Vor der Fronfeste, wo gleichfalls Pechpfannen brannten, gab es wüste
Auftritte. Stimmen wurden laut, die die gewaltsame Befreiung des
Gefangenen forderten. Und gegen die am Eingang stehenden bewaffneten
Burgknechte fielen wilde Drohungen. Ein Haufe von Schreienden und
Betrunkenen zog durch die Gassen, den Tumult steigernd.

Als auf dem Marktplatz der Bau des Gerüstes beendet war, hatte sich
ein Mann darauf geschwungen, der mit einer zündenden Rede das Volk
aufforderte, den durch den Herzog abgeschlagenen Gnadenakt selbst zu
vollziehen. Es war der Bruder Antonius. Seine Beredsamkeit stachelte
das Volk auf, daß es seinen Worten Beifall schrie. Aber die Besonnenen
unter der Menge schritten ein, verwiesen dem Mönch seine Rede und
beschwichtigten die Aufgeregten.

Die Bürger, die die Nachtwache hatten, gingen umher, ermahnten das
Volk zur Ruhe und versuchten, es zum Heimkehren zu bewegen. Aber diese
Zirkler sahen bald ein, daß sie heute machtlos waren. Die Aufregung war
zu groß, und es waren ihrer zu viel, die in den Gassen tobten.

Dazu gab es selbst Bürger, die die wachsende Leidenschaft insgeheim
anstachelten. Der alte Anesorge lief durch die Menge und reizte sie
auf. Die ungeheure Spannung und das vergebliche Harren auf die noch
immer erwartete Begnadigung hatten ihm fast den Verstand geraubt.

Während nun auf den Gassen der drohende Aufruhr sein schauerliches Lied
sang, war es in der Zelle des Gefangenen der Fronfeste still. Der Lärm
drang nicht durch die dicken Mauern und starken, eichenen Fensterladen.
Der Raum war schmal. Ein Tisch, ein Stuhl und ein eisernes Bett
bildeten seine dürftige Ausstattung.

Georg Waltklinger lehnte mit dem Rücken gegen den Tisch. Sein Haar
war in Unordnung, das Gesicht bleich. Vor ihm stand der weißhaarige
Edelbeck, der Hüter der Fronfeste. Er war soeben eingetreten, hatte
die Tür sorgsam hinter sich geschlossen, die brennende Laterne
niedergestellt und den großen Schlüsselring dazugelegt.

»Nein, Herr Burgemeister,« versetzte der Alte, »nun kann ich's nimmer
mit ansehen. Euer Unglück zerbricht mir das Herz.«

Waltklinger seufzte und machte eine Handbewegung, die sagen wollte: mir
ist nicht zu helfen.

»Wie geht's deinem Sohn, dem Heinrich?« fragte er mit müder Stimme, um
den Alten abzulenken.

»Von ihm wollte ich eben sprechen,« antwortete Edelbeck. »Wieviel Gutes
habt Ihr an dem getan! Herr Burgemeister, wenn Ihr wüßtet, wie der
Junge an Euch hängt, wohl ebenso, wie an seinem leiblichen Vater.«

»Laß es gut sein,« versetzte Waltklinger, »'s war nicht der Mühe wert.«

»Wie, ich sollte das gering anschlagen? Es war ein schlimmer Abend,«
nickte der Alte. »Der wilde Junge, der aber doch zu lenken war wie ein
Kind, hatte im Jähzorn einen Mitspieler mit dem Messer gestochen. Ihr
kanntet meinen Heinrich, war er doch Euer Lehrbursche und Geselle, und
Ihr hattet ihn wahrhaft lieb. Ein braves Kind, dein Heinrich, sagtet
Ihr manchmal zu mir. Da kam das Unglück. -- Ich rang vor Euch die
Hände: helft, helft, daß mein Heinrich vor Schande bewahrt bleibe!
Meine Verzweiflung rührte Euch. Ihr versaht den Jungen mit einem guten
Stück Geld und ließt ihn bei Nacht und Nebel heimlich entweichen. Den
Schwergetroffenen, der sich nur langsam erholte, suchtet Ihr auf, gabt
ihm Schweige- und Schmerzensgeld und nahmt Euch seiner Familie an. Noch
heute empfängt sie ja Eure Wohltaten.«

Waltklinger sah nachdenkend nieder.

»Nun ist der Junge im Hessischen,« erzählte der alte Edelbeck weiter,
»und es geht ihm gut. Und seine Frau, die sich fast zu Tode ängstigte,
als ihm der Prozeß gemacht werden sollte, ist mit den Kindern
wohlbehalten bei ihm angekommen. Er schreibt, daß sein neuer Meister
mit ihm recht zufrieden sei. Als dieser hörte, daß er das Handwerk
bei Euch gelernt habe, hat er den Jungen eingestellt. Denn Euer Name
war ihm bekannt. Wenn Ihr den Heinrich damals nicht vor dem Schlimmen
bewahrt hättet, wie anders wär' es gekommen! Seine brave Frau und die
lieben Kinder hätte der furchtbare Schlag schwer getroffen.«

Den Alten übermannte die Rührung, daß ihm die Sprache versagte. Er
schwieg eine Weile und fuhr mit der Hand über die feuchten Augen. Dann
begann er wieder:

»Und wie meinem Heinrich das Unglück damals zugestoßen, ebenso seid
auch Ihr hineingeraten: das heiße Blut hat Euch hingerissen. Wie
manchem prächtigen Menschen hat der Jähzorn nicht schon schwere Stunden
gebracht!«

Der alte Wärter brach hier kurz ab, wandte den Kopf nach der Tür und
lauschte angestrengt. Von dem lärmenden Volkshaufen war nichts zu
hören. Nur der verworrene Klang einzelner Worte drang in die Zelle, die
von den wachehabenden Burgknechten kamen.

Da trat Edelbeck nahe an den Sitzenden heran und sagte mit gedämpfter
Stimme:

»Herr Burgemeister, seitdem Ihr in der Fronfeste sitzt, ist der Schlaf
meinen alten Augen ferngeblieben, und ich habe meinen Kopf zerquält um
Euretwillen. Nun weiß ich, was ich tun muß. Euch ist bekannt, daß der
Turm zwei Ausgänge hat: den gewöhnlichen, den die Knechte bewachen, und
den nie benutzten, der aus meiner Wärterstube unmittelbar ins Freie
führt. Die drei größten Schlüssel an diesem Bund öffnen die eiserne
Tür.«

Georg Waltklinger horchte auf.

»Es wäre jammerschade, wenn ein so geachteter und verdienter Mann,
wie Ihr seid, dieselbe erniedrigende Strafe erleiden sollte, wie der
gemeine Verbrecher. Und ich müßte mich noch in der Sterbestunde einen
schlechten Kerl nennen, wenn ich Euch heute den Dienst nicht vergelten
wollte, den Ihr meinem Heinrich getan habt. Also geht auf und davon,
Burgemeister! Freilich -- -- -- na, wie soll ich's sagen, -- Ihr wißt
ja, ich hab's zugeschworen, meine Gefangenen treu zu bewachen. Auf
meinem weißen Haar haftet kein Stäubchen Unehre, und ich darf vor den
Menschen nicht meineidig werden. Wie ich freilich mit dem droben fertig
werden soll, -- na, kümmert Euch nicht viel darum, das wird mir schon
gelingen! Ich tu's ja für meinen Heinrich und die herzigen Kinderchen
-- -- -- Ihr könnt noch unendlich viel Gutes tun, um mich alten Mann
ist es nicht schade! -- Die Tür ist unverschlossen, die Treppe bis zu
meiner Stube frei -- -- nehmt den spitzen Stahl, der mir an der Seite
hängt, Burgemeister -- und -- -- stoßt zu -- -- --«

Waltklinger war den hastigen Worten des Alten mit höchster Spannung
gefolgt. Jetzt stand er erschüttert auf, umarmte den Wärter und sagte:

»Edelbeck, was du da sprichst, verrät dein gutes Herz. Wie soll ich
dir's danken! Du bist ein Held! Deshalb ist der Preis zu hoch, mit dem
ich mir die Freiheit erkaufen sollte. Ich will in den Augen unseres
lieben Herrgotts zwar gern weniger gelten als du, aber ich möchte vor
ihm nicht als Wicht dastehen. Und das wäre ich, wenn ich dein Angebot
annähme. Du hältst viel auf mich, Alter, -- das freut mich! Aber gerade
darum, weil ein solcher Ehrenmann, wie du mich schätzt, muß ich über
meinen Ruf streng wachen. Sonst sagen die Leute: an dem Waltklinger ist
doch nichts gewesen!«

Dem Alten war bei diesen Worten der Kopf auf die Brust gesunken. Nun
wandte er sich langsam um, nahm das klirrende Schlüsselbund auf und
verließ, ohne noch ein Wort zu sprechen, die Zelle. Georg Waltklinger
sah eine Weile in das matte Licht der auf dem Boden stehenden Laterne.
Dann setzte er sich, stützte den Kopf auf und versank in tiefes
Nachdenken.

Da hörte er, wie der alte Edelbeck wieder eintrat.

»Herr Burgemeister,« sagte dieser, »ein Weib hat an meine Tür geklopft
und so dringend gebeten, zu Euch gelassen zu werden, daß ich ihr's
nicht abschlagen mochte.«

Waltklinger sah sich um.

»Wen soll es jetzt so dringlich nach einer Unterredung mit mir
verlangen? Es ist doch nicht meine Tochter? Ich möchte ihr den Schmerz
meines Anblicks ersparen ...«

»Das Weib ist verhüllt, aber Eure Tochter ist es nicht.«

Waltklinger schwankte einen Augenblick.

»Laß sie kommen,« sagte er alsdann.

Der Alte ging. Eine kurze Weile verstrich. Da hörte Waltklinger ein
leises Geräusch, und wie er sich umwandte, sah er auf der Schwelle
eine Frau stehen. Ihr Kopftuch war herabgeglitten. Aber das Licht
der Laterne brannte so trübe, daß er die Züge der Eintretenden nicht
erkennen konnte. Waltklinger erhob sich und tat ein paar Schritte nach
der Tür. Plötzlich blieb er überrascht stehen. Die Frau ging zu dem
Bett und setzte sich erschöpft darauf.

»Ja, Georg, ich bin es,« sagte sie unter raschen Atemzügen. »Unser Kind
ist gestorben.«

»Lea,« schrie der Mann auf, »Mirjam ist tot -- -- --?«

Die Frau nickte mit dem Kopf.

»Sie ist tot,« wiederholte sie.

Georg Waltklinger sank auf den Stuhl nieder, stützte die Ellenbogen
auf den Tisch und barg das Gesicht in beiden Händen. So saß er
unbeweglich. Nur das fast unmerkliche Jucken seiner breiten Schultern
verriet den großen Schmerz, der in ihm arbeitete.

Die Frau betrachtete den Erschütterten lange. Dann ging sie zu ihm hin.
Zögernd legte sie ihre Hand auf seine Schulter.

»Georg,« sagte sie in weichem Tone, »ich glaubte immer, du hättest sie
aus deinem Herzen gestoßen. Jetzt weiß ich's, wie lieb du sie behalten
hast.«

Waltklinger wandte sich zu ihr.

»Deine Botschaft ist tieftraurig, Lea, hab' aber Dank, daß du gekommen
bist. Willst du mir nicht etwas von unserm Kind erzählen?«

Die Frau setzte sich wieder auf das Bett und beschrieb Mirjams
Krankheit und Hinscheiden. Waltklinger war es feierlich zumute. Zwar
hatte er das Mädchen, wie es die engen Verhältnisse der kleinen Stadt
mit sich brachten, im Laufe der Jahre oft gesehen. Aber er hatte sie
nie angesprochen und durch nichts verraten, daß er ihr Vater war. Die
Scheu vor der Öffentlichkeit, mehr aber noch das Gelöbnis, das er der
Mutter einst gegeben, hatten ihn abgehalten, den Schleier zu lüften,
der auf Mirjams Geburt lag. Innerlich war er ihr jedoch nahe geblieben,
und es hatte ihn geschmerzt, sie als Fremde ansehen zu müssen. Nun
aber, wo er ihren Tod vernahm, fühlte er, wie nahe sie seinem Herzen
immer gestanden hatte.

»Du bist hart zu mir gewesen, Lea,« sagte Waltklinger schmerzlich.
»Aber ich darf mit dir nicht rechten, denn ich hatte deinen Frieden
schwer gestört. Wie viele Jahre seitdem auch dahingegangen sind, der
Kummer darüber ist nicht von mir gewichen. Durch aufopferndes Wirken
für andere habe ich versucht, mein Gewissen zu beschwichtigen. Aber
seine Stimme hat nie stillgeschwiegen.«

»Wenn ich deine Seelenpein mildern kann, Georg, will ich's gern tun.
In so bitteres Leid der Tod den Menschen auch stößt, wenn er ihm sein
Alles raubt, so ist er doch ein Bote des Himmels. Und sein gewaltiger
Schmerz erweicht das Gemüt. Ich durfte dir wohl zürnen, aber ich war
grausam. Das tut mir heute weh! Der große Schmerz trifft uns beide, er
soll uns aussöhnen. Auch Mirjam hat dir nicht gezürnt. Sie ging mit
einem Gebet für ihren Vater auf den Lippen.«

Waltklinger blickte schmerzlich auf.

»Deine Worte geben mir viel Tröstung, Lea; ich danke dir!«

»Georg,« sagte die Frau und trat zu dem Sitzenden, »ich kann dich nicht
so leiden sehen. Dein Schicksal rührt mich tief.« Sie zog aus der
Tasche ihres Kleides ein Fläschchen. »Hier nimm,« flüsterte sie, »es
ist ein sicher wirkender Trank, der dich friedlich einschlafen läßt.
Unsere Familie behütet sein Geheimnis seit Jahrhunderten. Du bist ein
ehrenhafter, stolzer Mann, Jörg, und wirst den Tod der erniedrigenden
Strafe vorziehen. Das Herz würde mir vollends brechen, wenn -- --«

Sie schwieg und sah zur Seite.

Der Gefangene griff überwältigt nach ihren beiden Händen und antwortete:

»Liebe Lea, so weit also geht deine Güte für den, der dich betrog?
Du beschämst mich. Dein Vorschlag will mein Bestes, aber ich kann
ihn nicht annehmen! Ich habe gefehlt! Deshalb darf ich mich meinen
irdischen Richtern nicht entziehen, so unerträglich mir ihre Strafe
auch scheint. Dem himmlischen Richter kann ich doch nicht entgehen.
Und er würde viel schwerer geneigt sein, mir zu vergeben, wenn
ich handelte, wie du mir rätst. Ein aufrechter Mann darf nicht
zurückschrecken, wenn getane Schuld an ihm gesühnt werden soll.«

Die Frau weinte leise.

»Ich habe es geahnt, daß du so sprechen würdest,« stammelte sie.

Enttäuscht barg sie das Fläschchen wieder in ihrer Tasche und wischte
die Tränen aus den Augen. Dann reichte sie ihm die Hand zum Abschied
und sagte:

»So tröste dich der Allmächtige, Jörg. Mit seiner Kraft wirst du das
Schwere überwinden.«

»Mag er auch dein Weh mildern und in bangen Stunden an deiner Seite
stehen. Lebe wohl, Lea!«

Eine Sekunde darauf war Waltklinger allein. Er lauschte noch aufmerksam
den sich entfernenden Tritten, bis sie ganz verklungen waren. Dann
streckte er sich ermattet auf das Bett. Wieder war ein lieber Mensch
von ihm gegangen! Und eine innere Stimme sagte ihm, daß auch unter der
Bürgerschaft viele innigen Anteil an seinem Geschick nähmen. Da fühlte
er, wie sich langsam seine Augen füllten. Es waren Freudentränen, und
er schämte sich ihrer nicht.

Bald öffnete sich die Tür wieder; der alte Edelbeck erschien noch
einmal.

»Herr,« versetzte er, »unten wartet ein Kapuziner, um Euch geistliche
Stärkung zu bringen.«

»Ein Mönch?« fragte Waltklinger. »Er muß doch wissen, welchen Glaubens
ich bin. Teile ihm mit, daß ich heute von einem Diener _meiner_ Kirche
bereits Tröstung empfangen hätte.«

»Das sagte ich dem Kuttenträger schon, aber er ließ sich nicht
fortschicken.«

Waltklinger lächelte trübe.

»Er will mir eine vermeintliche Wohltat erweisen; dafür gebührt ihm
Dank. Schick' ihn herauf.«

Mit diesen Worten erhob er sich vom Bett und ging mit großen Schritten
auf und ab. Da trat der Mönch in die Zelle, die Kapuze auf dem Kopf. Er
horchte noch einmal in den Gang hinaus. Aber es war nichts Verdächtiges
zu hören, nur ein dumpfer, verworrener Lärm, der vom Frauenmarkt
heraufdrang. Nun schloß er die Tür und wandte sich zu dem Gefangenen.

Rasch löste er den Knoten des hanfenen Strickes, der um seinen Leib
geschlungen war, riß die Kutte herab und warf sie von sich. Ein
hochgewachsener Jüngling von schlankem Körper, an dessen Seite ein
gerader Degen hing, stand jetzt vor dem Erstaunten.

»Bernhard von Miltitz!« rief Waltklinger, »Ihr hier? Und was soll diese
Verkleidung?«

»Es ist das drittemal, Herr Burgemeister, daß ich Euch unter die Augen
trete. Heute werdet Ihr mich nicht von Euch weisen.«

Und des Jünglings Atem flog, als er hinzusetzte:

»Ich bringe Euch Befreiung! Schlüpft in diese Kutte und begebt Euch von
hinnen. Keiner der Burgknechte wird argwöhnen, daß dieses Ordenskleid
seinen Träger gewechselt hat. In den Gassen tobt eine aufgeregte Menge;
es kann Euch nicht schwer werden, im Gewühl unerkannt zu entkommen. Der
Wächter des Jüdentores ist bestochen, er wird öffnen. Am Einfluß der
Triebisch in den Strom liegt ein Boot; der vertraute Fährmann rudert
Euch über die Elbe. Drüben wartet Georg von Komerstadt Eurer. Von da
mögt Ihr auf windschnellem Rosse über Königsbrück in das böhmische Land
entkommen. Eilt, daß keine kostbare Minute verrinne!«

Georg Waltklinger war starr vor Überraschung. Endlich fragte er:

»Was bewegt Euch dazu, Junker, mich aus meinem Gefängnis zu befreien?«

»Die Liebe zu Eurer Tochter,« rief dieser. »Unsere Herzen sind unlösbar
verbunden. Ich habe heute mit Sonnhild von Eurer Rettung gesprochen,
ohne ihr meinen Plan zu verraten. Aber sputet Euch!«

»Und wenn ich Euer Anerbieten annähme, was würde dann aus _Euch_?«

»Ich bleibe an Eurer Stelle im Turm!«

»Ist es Euch bekannt, daß Gefangenenbefreiung mit schwerer
Freiheitsstrafe gesühnt wird, die auch Euer Vater von Euch nicht
abwenden könnte?«

»Ich weiß es. Doch unterlaßt alle Worte und nehmt das Kleid,« drängte
der Jüngling in fiebernder Hast.

»Bernhard von Miltitz, Ihr seid ein edelmütiger Jüngling, und ich
schulde Euch großen Dank. Euer Plan ist verlockend, und seine
Ausführung würde wohl glücken. Aber ich muß Eure Hilfe ausschlagen.«

»Ausschlagen? Was ficht Euch an, Herr Burgemeister?«

»Meine Freiheit wäre zu teuer erkauft -- --«

»Sorgt Euch nicht um andere, denkt an Euer Kind. Klopft Euer Vaterherz
nicht rascher bei dem Gedanken, das Werk für Sonnhild zu tun?«

»Tut Ihr es für sie?« fragte Waltklinger.

Da schoß dem Jüngling die Röte in das Gesicht.

»Ich sagte es Euch ja schon, -- -- -- aber, -- auf denn! Wozu die
Worte! Die Gunst möchte sich von der Ausführung des Plans bei weiterem
Zögern wenden.«

»Ich bleibe!«

Der Jüngling fuhr auf. Draußen wurden eilende Schritte hörbar.

»Geht doch,« rief Bernhard, »das ganze Lebensglück Eures Kindes steht
auf dem -- --« Da flog krachend die Tür auf, und drei Bewaffnete
stürzten herein.

»Im Namen des Herzogs, Junker von Miltitz, Ihr seid mein Gefangener!«
rief der vorderste Knecht, indem er auf Bernhard eindrang.

Dieser riß seinen Degen aus der Scheide und hieb den schlanken
Holzschaft des ihm entgegengehaltenen Spießes mittendurch. Ein anderer
Knecht sprang mit großem Ungestüm an die Stelle des Wehrlosen. Bernhard
sah den Stoß der Pike kommen und wich blitzschnell zur Seite. Ein
scharfes Knirschen -- und die stählerne Spitze zersplitterte an den
Steinquadern der Mauer. »Ergebt Euch!« rief der dritte Knecht und
kam mit wagrechtem Spieß heran. Da sprang Bernhard hinzu, griff mit
nerviger Hand nach der Waffe und ruckte so heftig daran, daß der Knecht
jählings auf den Fußboden der Zelle geschleudert ward und besinnungslos
liegenblieb.

Jetzt riß der Jüngling in schäumendem Zorn den Degen in die Höhe, als
Caspar von Carlowitz, der Schloßhauptmann, der mit Bernhard erst heute
von der Reise zurückgekehrt war, mit dem blanken Schwert in der Faust
atemlos in die Zelle trat.

»Kein Blut fließe!« befahl er. »Bernhard, den Degen weg!«

Aber die maßlose Erregung des Junkers war damit nicht zu
beschwichtigen. Er sah in dem plötzlich Erschienenen nur einen neuen
Feind. Und er drang auf die beiden Knechte ein, die das Untergewehr
gegen ihn gezogen hatten. Da stieß Caspar von Carlowitz sein Schwert in
die Scheide, kreuzte die Arme über der Brust und rief:

»Sinnloser Knabe! Wenn du Blut vergießen mußt, so wähl' das meinige!«

Diese Worte schlugen in die Seele des Ergrimmten. Der zum Streich
ausgeholte Arm sank schlaff herab. Ein Zittern überlief die schlanke
Gestalt, und der Degen entglitt der Faust und fiel klirrend zu Boden.
Und dann sank der Jüngling mit lautem Aufschluchzen an die Brust des
väterlichen Freundes.

       *       *       *       *       *

Unterdessen war der Lärm und die Bewegung in den Gassen zu solcher Höhe
angewachsen, daß Peter Sorgenfrei, um einen etwa ausbrechenden Aufruhr
niederzuhalten, drei Fähnlein der Bürgerwehr aufgeboten hatte.

Das erste war unter seinem Viertelsmeister, den die schwarz-gelbe Binde
kenntlich machte, in Reih und Glied vor dem Rathaus aufmarschiert. Das
Fähnlein des zweiten Bezirks war vom Jahrmarkt her im Sturmschritt auf
den Frauenmarkt gerückt, und der dritte Haufe zog unter Trommelschlag
durch die Jüdengasse ebenfalls vor die Fronfeste.

Hier hatte sich die Verwirrung aufs höchste gesteigert. Der
Schloßhauptmann war mit einer Wachtverstärkung angekommen, was einen
Unsinnigen veranlaßt hatte, das Gerücht auszusprengen, dem Burgemeister
solle ein Leids zugefügt werden. Dem alten Anesorge wiederum war der
Gedanke aufgestiegen, die Menge trunken zu machen, daß sie geneigt
werde, eine Gewalttat zu begehen. Zu diesem Zweck hatte er neben der
Frauenkirche einige Oxhoft Wein aufstellen lassen, der in tönernen
Krügen herumgereicht wurde. Er selbst fuhr durch das Gewühl und feuerte
die ärgsten Schreier an, die Fronfeste zu stürmen und den Burgemeister
zu befreien.

Das Heulen in den Gassen wuchs, und der Ruf »Feuerjo!« ertönte
von allen Seiten. Ein Eiferer war auf den Kirchturm geeilt, und
schon gellte die Feuerglocke über die Stadt hin. Die Bürger des
Feuerschutzdienstes liefen nach der Spritze. Bald darauf rasselte diese
durch die Elbgasse nach dem Marktplatz.

Am schlimmsten ging es am Turm zu, von dessen Eingang die Bürgerwehr
die Menge zurückgedrängt hatte. Hier war das Gerücht von einer
Befreiung des Burgemeisters durch List laut geworden. Der Wächter
vom Jüdentor habe den Plan verraten, und das Dazwischentreten des
Schloßhauptmanns hätte das Werk vereitelt.

Ein ohrenzerreißender Lärm hallte über den Frauenmarkt. Peter
Sorgenfrei stand auf dem von Menschen freigemachten, kleinen Raum vor
dem Tor der Fronfeste, den zu betreten bewaffnete Bürger die Menge
zurückhielten. Da wandte sich Sorgenfrei gegen den ärgsten Lärmmacher
in der vordersten Reihe -- Bruder Antonius --, der jäh verstummte,
als der riesige Fleischhauer auf ihn zutrat. Der Mönch stand wie
versteinert, nicht das Weiße im Auge zuckte. Nur der Blick hing starr
an der erhobenen, gewaltigen Faust. Wenn diese niederfiel -- das wußte
er --, zerschlug sie seinen Schädel wie einen irdenen Topf. Doch ging
das Verhängnis noch einmal an dem alten Landstreicher vorbei.

Da machte die Menge eine Bewegung und drängte, allen Anstrengungen der
Bürgerwehr zum Trotz, bis nahe zum Eingang des Turmes vor.

Zur gleichen Zeit öffnete sich das Tor der Fronfeste und Caspar von
Carlowitz trat heraus. Acht bewaffnete Burgknechte folgten ihm, in
deren Mitte mit leichenblassem Gesicht Bernhard von Miltitz ging.

»Eine Gasse im Namen des Herzogs!« rief der Schloßhauptmann der
dichtgedrängten Menge zu.

Keiner rührte sich, der Aufforderung nachzukommen; nur ein verstärktes
Geheul erbrauste als Antwort.

Jetzt klang Peter Sorgenfreis gewaltige Stimme in den Lärm hinein:

»Will die allzeit gesetzestreue Bürgerschaft Meißens dem Herzog
Heinrich die Reformation mit Aufruhr und Empörung danken?«

Das wirkte. Stille trat ein, und die Menge teilte sich.

Caspar von Carlowitz ging voran und winkte den Knechten, ihm zu folgen.

Da geschah etwas Unerwartetes. Ein Weib drängte sich durch die
vordersten Reihen und flog mit dem schrillen Ruf »Bernhard!« auf
den Gefangenen zu. Einer der Knechte, den die drohende Haltung der
Menge und ihr Geschrei kopflos gemacht, glaubte, daß eine gewaltsame
Befreiung des Gefangenen versucht würde. Er hob den Spieß, stach zu
und -- traf einen Jüngling, der blitzschnell vor das Mädchen gesprungen
war. Der Gestochene brach lautlos zusammen. Das Mädchen aber schlüpfte
zwischen den Knechten hindurch und schlang die Arme um den Gefangenen.

Der rasche Vorgang war von tiefer Wirkung auf die Umstehenden. Jeder
kannte das Mädchen, es war die Tochter des Burgemeisters. Und wer war
der unglückliche Gefangene, der Waltklingers Befreiung heldenmütig
versucht hatte?

Da rief eine Stimme:

»Ist das nicht der Junker von Miltitz?«

Der Ruf schlug ein. Die Menge ahnte, was sich hier abspielte, und war
ergriffen. Die Liebenden waren die Kinder der feindlichen Väter! So
dichtgedrängt das Volk den Frauenmarkt auch bedeckte, herrschte doch
jetzt tiefes Stillschweigen.

Inzwischen waren Caspar von Carlowitz und Peter Sorgenfrei zu den
Umschlungenen getreten und hatten gütlich auf sie eingesprochen. Darauf
flüsterte Bernhard der Geliebten noch ein paar Worte zu und löste
alsdann ihre Hände schonend von seinem Hals. Während Sorgenfrei nun
die Gebrochene beiseite führte, setzten sich die Burgknechte mit dem
Gefangenen in ihrer Mitte in Bewegung.

Dieser Auftritt hatte die Menge plötzlich ernüchtert. Keiner besaß
noch Verlangen, den Lärm fortzusetzen. Alle fühlten, daß sich etwas
Großes zugetragen hatte. Das allgewaltige Schicksal war mit leisem
Flügelrauschen über ihren Häuptern hingezogen.

Rascher, als er entstanden, zerstreute sich der Auflauf, und die Gassen
wurden leer. Nur die letzten der Heimkehrenden sahen noch, wie der
Schloßhauptmann auf schäumendem Pferde die Burggasse herabgesprengt kam
und über den Markt und durch die Fleischgasse galoppierte. Schon in
geraumer Entfernung vom Fleischtor klang seine befehlende Stimme:

»Torwart, hallo, -- Tor auf!«

Der Torwart sprang hinzu, riß die schweren Torflügel auseinander, und
Caspar von Carlowitz ritt hindurch. Donnernd schlugen die Pferdehufe
den Triebischsteg. Und dann sprengte er den Plossenberg hinan, -- die
Straße nach Siebeneichen.

       *       *       *       *       *

Nachdem Peter Sorgenfrei das zitternde Mädchen aus der Menge geführt,
ließ er sie allein und eilte zum Turm zurück. Da bemerkte Sonnhild an
der Kirchhofsmauer einige Männer, die einen auf der Erde Liegenden
umstanden.

Das Mädchen ging zu der Gruppe; sie wußte, daß dort ihr heldenmütiger
Retter lag. Als sie sich zu ihm hinabbeugte, erkannte sie ihn. Es
war der junge Spielmann. Der Stoß des Knechts auf seine Brust war so
stark gewesen, daß er den Körper durchbohrt hatte. Die Fiedel, die der
Bursche auf dem Rücken getragen, lag neben ihm. Des Spießes Spitze
hatte sie zertrümmert.

Sonnhild kniete mit zusammengepreßten Lippen zur Seite des Spielmanns
nieder. Die glanzlosen Augen des Verscheidenden leuchteten auf, als er
das Mädchen erkannte.

»Jungfrau,« flüsterte er in hohem Glücksgefühl, »welch schöner Tod!«

Sonnhild drängte das furchtbare Weh zurück, das ihr die Brust zerriß.

»Edler Jüngling,« sprach sie erschüttert, »wie soll ich's Euch danken,
was Ihr für mich getan!«

Aber der Spielmann wehrte ihren Worten.

»Sprecht nicht also. Das Bewußtsein, Euch gedient zu haben, ist mir
Danks genug.«

»Ihr habt mein armseliges Leben um eine kurze Spanne verlängert, indem
Ihr Euer junges Leben als Einsatz gabt. Unerträglicher Gram hat mein
Herz gebrochen; wie lange noch, und es steht still. Ihr hättet Euch
nicht aufopfern sollen.«

Da lächelte der Spielmann beglückt.

»Ihr werdet noch ungezählte Tage erleben, und die Sonne wird freundlich
auf Euern Weg fallen. Was liegt an mir?«

Ein hellroter Blutstrahl brach aus seinem Munde und machte ihn
verstummen. Große Schwäche kam über ihn. Er fühlte, es war sein
Letztes. Mit äußerster Kraft widerstand er noch einmal dem Ruf aus dem
Jenseits und stammelte:

»Jungfrau, ich mußte von hinnen, weil ich Euch liebte -- er mag mir's
verzeihen. Das Leben hätte mich bedrückt, aber der Tod für Euch
beseligt mich! Grüßt mir den edlen Junker; -- ihm -- und -- Euch --
meine -- -- Segens -- wün -- sche -- -- --«

Mit diesen Worten starb der Spielmann. Sonnhild sah sein Auge brechen,
nachdem es ihr noch einmal gelächelt. Da deckten die Männer einen
Mantel auf ihn und trugen ihn fort. Nun war Sonnhild allein. Der Mond
schien hell und ließ alle Gegenstände deutlich erkennen.

Ohne zu wissen wohin, lief Sonnhild fort von dieser Stelle, bis sie
vor einer Mauer stand. Jetzt sah sie sich um. Sie befand sich auf dem
Friedhof der Franziskaner, und dicht vor ihr war das Beinhaus.

Eine Weile lang versuchte das Mädchen, alle Kraft zusammenzunehmen,
daß sie der übermächtigen Schwächeanwandlung, die sie fühlte, nicht
erliege. Dann brach sie in die Knie, lehnte die Wange an die Mauer des
Beinhauses und schrie auf vor Schmerz.

[Illustration]



[Illustration]

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Der Ritt nach Dresden


Frau Magdalena von Miltitz saß beim Schein der Lampe im Familienzimmer
des Schlosses Siebeneichen. Sie war unbeschäftigt, und ihr Blick hing
nachdenklich an dem offenen Fenster. Leise Unruhe quälte sie.

Sie ging zum Fenster und lehnte sich hinaus. Es war ein prächtiger
Herbstabend. Die Mondscheibe hing scharf umzeichnet am Himmel, und das
silberne Licht umwob schmeichelnd die Zweige und Blätter der Bäume. In
der Tiefe glitzerte das breite Band des Elbstroms. Fledermäuse huschten
vorbei, und von Zeit zu Zeit erklang der Ruf eines Kauzes.

Jetzt vernahm Frau Magdalena Pferdegetrappel. Eilends verließ sie das
Zimmer und begab sich auf die nach dem Schloßhof gelegene Veranda. Da
trabte auch schon ein Reiter durch das Tor. Sie erkannte Caspar von
Carlowitz und rief ihn an.

»Base,« hörte sie seine Stimme im Näherkommen, »wie ist das Befinden
deines Mannes? Kann ich ihn sogleich sprechen?«

Damit hielt er vor der Veranda. Frau Magdalena sah in sein
mondbeschienenes Gesicht; es war tiefernst, wie sie es noch nie
gesehen.

»Du triffst Ernst nicht zu Hause,« antwortete sie. »Kaum war er heute
zum Bewußtsein zurückgekehrt, so erkundigte er sich nach dem Schicksal
Waltklingers. Als er die Strafe erfuhr, war er aufs tiefste betroffen.
Während des ganzen Nachmittags stand er unter dem Eindruck dieser
Nachricht. Mit einem Male erklärte er, daß er zum Herzog fahren und
um Milderung der Strafe bitten wolle. Die Tat sei in der heftigsten
Gemütserregung geschehen, Waltklinger wäre als Mensch und Burgemeister
hochachtbar, und was er ähnliches mehr sprach. Und da Bernhard die
Nachricht aus Dresden mitbrachte, Herzog Heinrich werde noch heute nach
Prag reisen und als Liebhaber nächtlicher Fahrten gegen Mitternacht
aufbrechen, ließ Ernst alsbald anspannen und fuhr davon. Sein Zustand
war recht gut; dennoch bange ich um ihn. Doch mochte ich ihn nicht von
der Fürbitte zurückhalten.«

Frau Magdalena schwieg. Während ihrer Rede war der Vogt aus dem
Pferdestall auf den Hof getreten.

»Ich muß gleichfalls zum Herzog,« stieß der Schloßhauptmann aus.
»Welche Stunde ist es, Vogt?«

»Fast elf,« antwortete dieser.

»Vetter Carlowitz,« sagte Frau Magdalena, »dein Gebaren ist ein wenig
seltsam. Du ängstigst mich. Was bewegt dich zu dem nächtlichen Ritt?
Sag' es mir.«

»Nichts, nichts, Base,« beschwichtigte dieser erregt. »Vogt, ziehe
sofort das schnellste Pferd aus deinem Stalle! In zwei Minuten muß ich
reiten.«

Der Vogt verschwand in großer Eile.

»Soll dich nicht wenigstens Bernhard begleiten?« drang Frau Magdalena
in den Schloßhauptmann.

»Bernhard?« entfuhr es diesem.

Beim Klange dieses einen Wortes stutzte Frau Magdalena.

»Nun ja,« sagte sie gepreßt. »Er begab sich heute schon früh zu Bett
-- -- Doch, nein, -- wie ist mir, -- sein feines Ohr hätte unser
Gespräch längst schon vernommen und er wäre ans Fenster getreten -- --«

Frau Magdalena warf einen geängstigten Blick zu den Fenstern hinauf.

»Vetter!« rief sie. »Du verbirgst mir etwas! Laß es mich wissen, was es
auch sei!«

Caspar von Carlowitz erwiderte:

»Nun du es ahnst, kann ich das Schlimme nicht mehr verschweigen.« Und
er erzählte mit hastigen Worten, was sich zugetragen.

Frau Magdalena erbleichte bis in die Lippen hinein.

Jetzt führte der Vogt das rasch gezäumte Pferd vor. Der Schloßhauptmann
sprang von dem seinen und bestieg das junge, mutige Tier.

»Wie lange rechnest du mit ihm bis zum Dresdner Schloß?« fragte er.

»Wenn Ihr ihm die Zügel laßt, Herr, dann trägt Euch der Hengst in
weniger als einer Stunde dahin. Habt Ihr erst Wilsdruff hinter Euch, so
wird er davonschießen wie ein Pfeil.«

»Es ist gut.«

Carlowitz nahm die Zügel fest in die Faust und ritt dicht an die
Veranda heran.

»Mut, Base,« raunte er, »du kennst den Edelsinn unseres Herzogs.« Und
als er ihren starren Blick sah, fügte er hinzu: »Wir stehen alle in
Gottes Hand. Kein Haar fällt ohne seinen Willen von unserm Haupt!«

Da beugte sich Frau Magdalena über die Brüstung, reichte dem
Schloßhauptmann die Hand und sprach gefaßt, aber mit zuckenden Lippen:

»Reite unter seiner Hut, Vetter!«

Carlowitz drängte sein Pferd zurück und trabte zum Hoftor hinaus. Bald
hatte er die Landstraße erreicht, die hell beschienen wie eine gerade
Linie durch die Landschaft lief.

Da schnalzte er mit der Zunge; der Hengst prustete und spitzte die
Ohren. Jetzt drückte ihm der Reiter die Sporen in die Weichen. Das
junge Tier gewahrte die Zügelfreiheit und galoppierte an. Eine Sekunde
darauf flog Carlowitz wie eine spukhafte Erscheinung durch die stille
Nacht.

[Illustration]



[Illustration]

Vierundzwanzigstes Kapitel

Unter den sieben Eichen


Ein schöner Herbstmorgen brach an. Schon zu früher Stunde wurde es
in den Gassen lebendig. Von der Erregung vom Abend vorher war nichts
mehr zu spüren. Die Menschen trugen ernste, sorgenvolle Mienen, und
unwillkürlich dämpfte jeder die Stimme im Gespräch mit dem andern.

Die Menge wuchs. Heute dachte niemand daran, sein Tagewerk zu beginnen.
Unaufhörlich strömten die Neugierigen nach dem Markt, und das Gerüst
war von einem undurchdringlichen Menschenring eingeschlossen.

Da flog plötzlich von der Fronfeste her ein Gerücht durch die Menge.
Wer es vernahm, schreckte zusammen und glaubte ihm nicht, obwohl es
jedes Herz in neuer Hoffnung schlagen machte.

Ernst von Miltitz wäre gestern unter schwerer Gefahr für seine
Gesundheit nach Dresden zum Herzog geeilt. Im Schloß angekommen, sei
er infolge der Wagenfahrt sehr schwach gewesen. Endlich habe er sich
wieder erholt und den Herzog vor der Abreise noch am Wagenschlag
um Gnade für den Burgemeister gebeten. Herzog Heinrich hätte die
überraschende Bitte freundlich aufgenommen. Im Begriff, seinem
Geheimschreiber eine Milderung der Strafe zu diktieren, sei Caspar
von Carlowitz auf fast zusammenbrechendem Rosse herangesprengt. Auch
dieser habe um Gnade gefleht, und zwar für den Sohn des vor dem Herzog
stehenden Vaters, der für seinen Feind bat. Als Herzog Heinrich die
unüberlegte Tat des edelmütigen Jünglings vernommen, sei er ergriffen
gewesen. Und wie er seinen geschätzten Amtmann, ob des Ungeheuerlichen,
das sein Sohn gewagt, habe erbleichen sehen, da sei es rasch von seinem
Lippen gekommen: ›Volle Gnade für beide!‹

Vor wenigen Minuten hätte Caspar von Carlowitz dem Burgemeister die
Begnadigung verkündet.

Aus dem dichtgedrängten Haufen erscholl nicht ein einziger Ruf der
Freude. Man mußte erst Gewißheit haben, bevor man das gepreßte Herz
frei machte. Wie grausam wäre ein Irrtum gewesen.

»Auf, zur Fronfeste!« rief laut eine Stimme, und die Menge drängte
ungestüm durch die Jüdengasse nach dem Frauenmarkt.

       *       *       *       *       *

Das Gerücht beruhte auf Wahrheit! Noch in der Nacht waren Ernst von
Miltitz und Caspar von Carlowitz von Dresden zurückgekommen. Und als
der Morgen dämmerte, hatte beim Wächter des zu Füßen des Burgfelsens
gelegenen Wassertors ein Jüngling um Auslaß gebeten. Außerhalb der
Stadtmauer war er sodann elbaufwärts geeilt, bis er Siebeneichen
erreicht hatte.

Zu derselben Zeit, als in Meißen die Kunde des herzoglichen Gnadenaktes
laut wurde, saßen Ernst von Miltitz, Frau Magdalena und Bernhard beim
Morgenimbiß. Eine schwere Stunde lag hinter ihnen. Bernhard hatte
seinen Vater um Verzeihung für seine Tat gebeten. Die Liebe zu der
Tochter des Burgemeister habe ihn zu diesem Beginnen bewegt. Auch habe
er geglaubt, die schwere Strafe von dem Mann abwenden zu sollen, um
deren Milderung der Vater sicherlich würde gebeten haben, wenn er das
verhängnisvolle Geschick Waltklingers gekannt hätte. Der väterliche
Bittgang, nachdem er das Urteil erfahren, bestätige dem Sohn, daß er
die Großmut des Vaters seinem Feinde gegenüber richtig eingeschätzt.

Wohl verurteilte Ernst von Miltitz die rasche und gegen das Gesetz
gerichtete Tat des Jünglings. Aber mit geheimem Stolz erkannte er auch
den Edelmut, der den Sohn zu dieser Handlung getrieben. Deshalb verzieh
er ihm aus vollem Herzen, und ihre Aussöhnung vertrieb selbst den
Schatten, der seit jenem bösen Auftritt zwischen ihnen gestanden.

Frau Magdalena hatte ihren Sohn stumm in die Arme geschlossen. Sie
kannte ihn nur zu gut. Er war das treue Abbild seines Vaters. Eine
übereilte Handlung konnte der Jüngling, bis das Leben seinen Charakter
gereift, wohl begehen, aber nie eine Tat, die einen Makel auf ihn
geworfen hätte. Und die warme Regung, die ihn getrieben, war doch
ebenfalls das Erbe seines Vaters.

So saßen die drei mit übervollem Herzen beieinander.

Da hörten sie die Tür gehen. Und wie sie sich umschauten, gewährten
sie auf der Schwelle zwei Menschen: ein junges, blasses Mädchen und
einen gebeugten Mann. Die schönen Augen des Mädchens waren mit Tränen
gefüllt; ihre Hand lag in der des völlig fassungslosen Begleiters.
Keines von beiden sprach ein Wort. Da tat der Mann an der Tür ein paar
unsichere Schritte ins Zimmer. Dann versagte ihm die Kraft. Langsam
breitete er die Arme aus, sank auf die Knie nieder und stammelte:

»Ernst von Miltitz, -- Ihr habt -- -- --«

Hier brach seine Stimme.

Der Amtmann sprang vom Stuhl auf und ging zu dem Knienden.

»Georg Waltklinger,« sagte er gütig, »steht auf. Nicht mir, unserm
gütigen Herzog gebührt Euer Dank!«

Der Kniende haschte nach den ihm entgegengestreckten Händen und hielt
sie fest.

»Herr Amtmann,« stammelte er, »meine schwere Schuld drückt mich bei
Eurem Anblick nieder, -- und so will ich mit Euch sprechen. Eure
Großmut mag meinem _Dank_ wehren, für den mir alle Worte zu schwach
sind, aber mein Geständnis müßt Ihr anhören. Ich bin Euch übel gesinnt
gewesen, und was ich über Euch gesprochen, mag mir Gott verzeihen.
Als einen rechthaberischen Mann ohne menschliches Mitgefühl habe ich
Euch betrachtet. Und wäre das Schlimme nicht über mich gekommen, so
hätte ich Euch wohl für immer bitter unrecht getan. Darum preise ich
die Prüfung! Meine Hoffart habt Ihr mit Edelsinn erwidert. Ernst von
Miltitz, Ihr habt mich besiegt! -- Könnt Ihr verzeihen?«

Während dieser Rede waren die Ratsherren und noch einige andere
angesehene Bürger Meißens in das Zimmer getreten. Alle waren sichtlich
ergriffen.

»Ich verzeihe Euch gern, wenn Ihr eine Schuld gegen mich fühlt,«
antwortete der Amtmann bewegt. »Die Überlieferung aus vergangenen
Zeiten ist es gewesen, was Euch verhinderte, mich gerechter zu
beurteilen. Und was Ihr erlitten, mußtet Ihr für die Feindschaft büßen,
die Adel und Städte so lange schon trennt. Vielenorts wird der Wunsch
laut, das alte Zerwürfnis zu beseitigen. Beginnen wir damit! Wollt
Ihr das Versprechen besiegeln, allen Hader zu vergessen und mir Euer
Vertrauen für die Zukunft zu schenken, so reicht mir die Hand.«

»Das will ich, Herr Amtmann!« versetzte Waltklinger freudig und schlug
ein.

»Ich danke Euch, Herr Burgemeister! Und Ihr sollt es erfahren, wie ich
Euch schätze. Nun aber steht auf.«

Peter Sorgenfrei dankte jetzt im Namen des Rats für die hochherzige
Fürbitte. Aber Ernst von Miltitz wehrte ab.

Da trat ein Greis vor den Schloßherrn. Es war der alte Niclas Anesorge.
Seine Züge waren verfallen, und es schien, als wenn die Aufregungen der
letzten Tage den verbissenen Weißkopf an den Rand des Grabes gebracht
hätten.

»Herr Amtmann,« murmelte der Alte, »mir müßt Ihr noch erlauben, zu Euch
zu sprechen. Ich hab' Euch am schlimmsten mitgespielt! Und wenn man's
gewahr wird, daß es ein guter Mensch gewesen, den man verunglimpft hat,
so tut das bitter weh! Ich werde mir's nimmer verzeihen können -- --«

Der Alte senkte den Kopf und weinte. Als Ernst von Miltitz ihn
getröstet, ging er kopfschüttelnd hinaus.

»Was Ihr unserm Burgemeister erwiesen, Herr Amtmann,« hob Peter
Sorgenfrei noch einmal an, »das empfindet jeder einzelne der
Bürgerschaft, als wenn Ihr's ihm getan hättet.«

Bei diesen Worten hatte Sorgenfrei das Fenster geöffnet.

»Möchtet Ihr nicht einmal herantreten?« fragte er.

Ernst von Miltitz stellte sich neben ihn und sah hinaus. Den ganzen
weiten Park füllte, Kopf an Kopf, eine dichtgedrängte Menge, die mit
entblößten Häuptern in feierlichem Schweigen harrte. Ergriffen sah der
Amtmann hinab. Da brausten plötzlich vielhundertstimmig die Rufe durch
die Luft:

»Ernst von Miltitz! -- -- -- Herzog Heinrich! -- --«

Und zu dem lauten Jubel schwenkten die Meißner die Hüte und Mützen,
und aus ihren Augen las Ernst von Miltitz Dankbarkeit und ehrliche
Beschämung.

Sich zu den im Zimmer Versammelten zurückwendend, fielen des Amtmanns
Blicke auf seinen Sohn, dessen Augen vor innerer Bewegung mit Tränen
gefüllt waren.

Da wandte sich Ernst von Miltitz nach allen Seiten um, als wenn er
jemand suche. Plötzlich schritt er durch den Kreis der Ratsherren nach
der Tür, wo Sonnhild lehnte. Er sprach leise ein paar väterliche Worte
zu ihr, faßte sie alsdann bei der Hand und führte sie vor ihren Vater.

Mit niedergeschlagenen Augen stand das Mädchen mitten unter den
Versammelten. In ihren Zügen war von dem großen Glück, das ihr Herz
erfüllte, nichts zu lesen. Die Freude war zu jäh gekommen, und die
Leiden waren zu schwer gewesen. Das feine Gesicht Sonnhilds war bleich,
und die edelgeformten Schläfen, die das leuchtende Haar halb bedeckte,
zitterten noch ob der furchtbaren Aufregung der letzten Tage.

»Burgemeister Waltklinger,« hob Ernst von Miltitz an, »hier Eure
Tochter, die mit ihren schwachen Kräften von allen wohl am meisten
gelitten hat!«

Bei diesen Worten schossen Tränen in Waltklingers Augen.

Ernst von Miltitz ergriff mit der freien Linken die Hand Bernhards.

»Was erwidert Ihr, Georg Waltklinger, wenn ich jetzt als Brautwerber
meines Sohnes vor Euch trete und bitte: gebt ihm die Hand Eurer
Tochter!«

Da überlief die hohe Gestalt Waltklingers ein so starkes Zittern,
daß Peter Sorgenfrei an seine Seite trat und ihn stützte. Über die
Wangen des Tiefergriffenen rannen die Tränen, und seine Augen gingen
in unaussprechlicher Dankbarkeit zu dem edelmütigen Jüngling, der das
Leben furchtlos an seine Befreiung gesetzt hatte. Die Bewegung, die den
starken Mann erzittern machte, war so tief, daß er kaum ein paar Worte
sprechen konnte.

Nun legte Ernst von Miltitz die Hände der Liebenden ineinander.
Bernhard sah, wie eine feine Röte in Sonnhilds bleiches Gesicht stieg.
Und als das Mädchen die wunderbaren Augen zu ihm aufschlug und ihre
Blicke sich trafen, da erwachte in ihren beiden jungen Herzen die
Zuversicht, daß die bangen Tage nun zu Ende waren und eine glücklichere
Zukunft verheißungsvoll für sie anbrach.

Frau Magdalenas feines weibliches Empfinden ermaß von allen am besten,
was Sonnhild gelitten. Und da sie bemerkte, daß die Rührung das tapfere
Mädchen zu überwältigen drohte, führte sie es aus dem Kreis und zog
im jähen Aufwallen ihrer mütterlichen Liebe die junge Tochter an ihre
Brust.

       *       *       *       *       *

Meißen ist die älteste Stadt der Mark; von ihr ging einst die deutsche
Kultur über das ganze Land. Seine geheimnisvolle Anziehungskraft,
die schon im Mittelalter die Fahrenden verspürten, übt ihre Wirkung
auch auf die Menschen unserer Tage aus. Ein großer Strom von Reisenden
flutet alljährlich dahin. Aufmerksam betrachten sie das alte Rathaus
und die noch erhaltenen alten Häuser in den engen Gassen.

Sie bestaunen den prächtigen Dom, diese vornehme Pflegstätte des
protestantischen Gottesdienstes, mit seiner tief auf das menschliche
Herz wirkenden Schönheit, -- die Albrechtsburg, das herrliche
Baudenkmal aus mittelalterlicher Zeit, deren Anfänge auf ein
Jahrtausend zurückschauen, -- die Fürstenschule, eine der ersten
Bildungsstätten Deutschlands, die bald nach Einführung der Reformation
gegründet wurde, -- und die berühmte Porzellanmanufaktur, deren
Erzeugnisse, kenntlich durch die gekreuzten Kurschwerter, in der ganzen
Welt hochgeschätzt werden.

So finden Kunst, Wissenschaft und Gewerbefleiß in Meißen vorzügliche
Pflege; -- die Enkel verstehen es, den Ruf, den ihre Väter der Stadt
erwarben, hochzuhalten!

Umgrenzt von Bergen und Rebenhügeln, von Feld und Wald, liegt die Stadt
malerisch zu beiden Seiten des Elbstroms. Wie der Drang und Wechsel
der Zeiten sich auch gestalten möge, die herrliche Gottesnatur, die
sie umgibt, wird der alten Markgrafenstadt für alle Zeiten einen guten
Platz unter den schönsten deutschen Städten sichern.

       *       *       *       *       *

Der Tag, mit dessen Anbruch unsere Erzählung schließt, neigte sich
seinem Ende zu. Im Schlosse Siebeneichen war alles still. Die
Dämmerung ließ das gegenüberliegende Ufer mit seinen lieblichen
Weinbergen nur noch schwach erkennen. In der Tiefe rauschten die Wasser
des Stroms ihre dumpfen, jahrtausendealten Gesänge.

An den Stamm eines der alten Bäume gelehnt, die dem Schloß seinen
Namen gegeben, standen schweigsam zwei junge Menschen eng umschlungen
und blickten in die zunehmende Dunkelheit. Zuweilen erschauerte das
Mädchen. Dann drückte sie der Jüngling an sich, und sie beruhigte sich
dabei.

Tiefer Frieden erfüllte die Seelen beider, und in der weiten Natur
herrschte feierliches Schweigen, in das nichts anderes hineinklang als
eine wundersame, geheimnisvolle Melodie: das leise Rauschen der sieben
Eichen.

[Illustration]

[Illustration]



Schaffet gute Bücher ins Haus!

Ein Roman aus der guten alten Zeit!


Rund um den Kreuzturm

Roman aus den Dresdner Maitagen von 1849

von

Gustav Hildebrand

Mit Federzeichnungen von Josef Windisch

Vornehm gebunden 6 M.

    Gustav Hildebrand, der sich mit seinem Roman »Siebeneichen«
    sofort einen ehrenvollen Platz in der Literatur unserer Tage
    gesichert hat, legt in seinem Roman »Rund um den Kreuzturm«
    den blutigen Dresdner Mai-Aufstand vom Jahre 1849 zu Grunde,
    und die Schilderungen der Häuser- und Straßenkämpfe mit all
    ihrem Drum und Dran, besonders die Barrikadenstürme bilden den
    Mittel- und Höhepunkt des Buches, das mit feinem historischen
    Gefühl die ganze Bewegung aus ihren Ursachen heraus sich
    entfaltend vorführt bis zu ihrem traurigen Abschluß. Scharf
    treten die Führer hervor, klar erfaßt ist die Stimmung in
    Volk und Heer, und das alles auf dem Grunde eines ebenso
    plastischen, wie liebevollen Gemäldes der Stadt Dresden und der
    Gesellschaft der damaligen Zeit dargestellt. Anheimelnde Wärme
    und Frische und ein gesunder, gemütvoller Idealismus sprechen
    aus jeder Zeile.


Karl Voegels Verlag G. m. b. H. • Berlin O 27.



Ein Buch, das jeder besitzen sollte!


Leonardo da Vinci

Historischer Roman aus der Wende des 15. Jahrhunderts

von

Dmitry Sergejewitsch Mereschkowski.

Zweiter Band der Trilogie: =Christ und Antichrist=.

    (Erster Band: =Julian Apostata=;
    Dritter Band: =Peter der Große=.)

_Erste vollst. Ausgabe!_

_90. Tausend!_

Ein stattlicher Band von 487 Seiten mit 16 Kunstbeilagen, gebunden in
elegantem, modernem Geschenkband.

Preis nur 9 M.

_Einige Kritiken_: Das Buch gehört zu den seltenen Schriften, deren
Wirkung auf nachdenkliche Leser bleibend ist, ja deren Lektüre wie ein
Schicksal in das Leben vieler einzugreifen imstande ist. Es kann nicht
dringend genug empfohlen werden. Um ihm gerecht zu werden, müßte man
allerdings mehr als ein paar Ankündigungszeilen zur Verfügung haben.
Hier müssen einige wenige Worte warmer Bewunderung genügen.

            (»Blätter für Volksbibliothek und Lesehallen.«)

Nur ein absoluter Beherrscher schriftstellerischer Darstellungskunst
konnte dieses Buch ins Leben rufen, das seinem Autor eine den
bedeutendsten Erzählern ebenbürtige Stellung anweist ...

            (›Monatsb. üb. Kunstw.‹, Münch.)

Mereschkowski, der jüngste der russischen Schriftsteller, ist ein
würdiger Nachfolger Tolstois und Dostojewskis.

            (»Daily Telegraph«, London.)

Ein packendes Buch, das höher steht als die besten Romane der Neuzeit,
höher, als es sich sagen läßt ...

            (»Spectator«, London.)

... Gewöhnliche Romane hat Mereschkowski nicht geschrieben, es sind
gewaltige Seelen- und Kulturbilder.

            (»Liter. Echo«, Berlin.)

... so steht dieses machtvolle Werk als das bedeutendste, das
Riesenfleiß und geniale Phantasie bisher einen modernen Dichter aus
der Lebens- und Gestaltenfülle der italienischen Renaissancezeit hat
erschaffen lassen.

            (»Westermanns illustr. Monatshefte.«)


Karl Voegels Verlag G. m. b. H. • Berlin O 27.



Bücher, die man kennen muß!


Julian Apostata

Der letzte Hellene auf dem Throne der Cäsaren

Historischer Roman von

Dmitry Sergejewitsch Mereschkowski.

Elegant gebunden 7 M.

Erster Band der Trilogie: =Christ und Antichrist=.

    (Zweiter Band: =Leonardo da Vinci=;
    Dritter Band: =Peter der Große=.)

Ein hochinteressanter Roman, der immer wieder bedeutendes Aufsehen in
der Leserwelt erregt.


Peter der Große und Alexei

Historischer Roman aus Rußlands großer Zeit von

Dmitry Sergejewitsch Mereschkowski

Vornehm gebunden 8 M.

Dritter Band der Trilogie: =Christ und Antichrist=.

    (Erster Band: =Julian Apostata=;
    Zweiter Band: =Leonardo da Vinci=.)

Der Roman ist sowohl in historischer als auch in kulturgeschichtlicher
Beziehung von größtem Reiz.


Karl Voegels Verlag G. m. b. H. • Berlin O 27.



Für Freunde vornehm. Belletristik!


Tolstoi und Dostojewski

Leben / Schaffen / Religion

von

Dmitry Sergejewitsch Mereschkowski.

Deutsch von Carl von Gütschow.

Vornehm geb. 7 M.

    Über die Bedeutung eines Werkes, welches diese größten
    Vertreter des russischen Geisteslebens einer eingehenden u.
    grundlegenden kritischen Untersuchung unterwirft und sie in
    ihrer Gesamterscheinung als Menschen und Künstler betrachtet,
    brauchen wir hier wohl nicht viel zu sagen. Reicht doch
    der geistige Einfluß, den diese machtvollen dichterischen
    Persönlichkeiten auf ihre Zeitgenossen ausgeübt haben, weit
    über die Grenzen ihres großen Vaterlandes hinaus, und dieses
    Buch darf daher von vornherein nicht nur bei Literaturforschern
    und allen Gelehrten, die den Erscheinungen und treibenden
    Kräften unseres bewegten Zeitalters nachspüren, sondern
    überhaupt bei der Gesamtheit der Gebildeten auf das lebhafteste
    Interesse rechnen. -- Wenn Mereschkowski in seiner Kritik
    zu ganz neuen Ergebnissen kommt und z. B. Tolstoi, den er
    als Künstler hochschätzt und in gewisser Hinsicht sogar als
    den bedeutendsten unserer Zeit hinstellt, einen gewaltigen
    Zwiespalt und Inkonsequenz in seiner Welt- und Lebensanschauung
    nachweist, so mag das manchem als Ketzerei erscheinen, wird
    aber nicht verfehlen, gerade auch die zahlreichen Mitglieder
    der großen Tolstoi-Gemeinde in Deutschland zu zwingen, zu
    diesem Buche Stellung zu nehmen. -- Daß Mereschkowski, selbst
    ein schaffender Dichter von so bedeutender Darstellungskraft,
    auch in diesem Werke weit mehr gibt als eine bloße Kritik
    dieser beiden Geistesheroen, daß er vielmehr die menschliche
    u. dichterische Persönlichkeit seiner großen Landsleute in
    genialer Weise vor dem Leser aufbaut, war von ihm nicht anders
    zu erwarten.


Karl Voegels Verlag G. m. b. H. • Berlin O 27.


Druck: Oskar Bonde, Altenburg.



    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
    Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

    Korrekturen:

    S. 235: die → die die
      Oberhand, {die die} Masse berauschte





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Siebeneichen - Roman aus dem Alt-Meißner Land" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home