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Title: Durch den Nebel
Author: Hugin, F.
Language: German
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  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1908 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und
    altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
    unverändert; fremdsprachliche Zitate sowie regional gefärbte
    Ausdrücke wurden nicht korrigiert.

    Fußnoten wurden der Übersichtlichkeit halber an das Ende des
    jeweiligen Kapitels verschoben. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom
    Bearbeiter erstellt.

    Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit
    den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

        gesperrt: +Pluszeichen+
        Antiqua:  ~Tilden~

  ####################################################################



G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung in Berlin


    Vom gleichen Verfasser ist erschienen:

    Hahn Berta

    Drittes Tausend Eine Erzählung Drittes Tausend

    205 Seiten. Duodez. Kart. 2 M., geb. 3 M.

Das ist ein ganz vortreffliches Buch, eins jener wenigen, die man
wiederholt mit Genuß liest, deren ganze Schönheit sich sogar nur dem
erschließt, der sich mehr als einmal in sie vertieft. Neben dem von
der stillen, verschüchterten Mutter ererbten redlichen Sinn ist in
Berta Hahn, der Tochter des Häuslers Hahn, eine wild gärende Kraft, die
sich unter allen Umständen auf eigenen Bahnen durchzusetzen trachtet.
Von dem Reichtum an innerem Erleben, das in diesem Buche geschildert
wird, kann ich nicht einmal eine Andeutung geben. Der Dichter geht
den Seelenregungen der von ihm mit großer Kunst charakterisierten
Menschen liebevoll nach und hat in den Gestalten der Hahn Berta und
ihres Vaters Vortreffliches geleistet. Von großer Schönheit sind
die Naturschilderungen. Sie sind niemals um ihrer selbst willen da,
sondern aufs innigste mit der Handlung verwoben. Die Schilderungen
des Waldbrandes und der Wanderung Bertas durch den toten Wald sind
bedeutend. Das Buch verdient die Beachtung aller Leser, die von einer
Erzählung mehr als Unterhaltung verlangen.

    Leipziger Neueste Nachrichten vom 24. 8. 1907.


Wenn ein Buch Berechtigung hat, von jedermann -- hoch oder niedrig
-- gelesen und beachtet zu werden wegen der Allgemeingültigkeit
seines Inhalts, der genialen Befähigung der Menschenprägung und
der Folgerichtigkeit ihres Entwicklungsganges, sowie wegen seiner
eigenartigen, herben, an Hebbel erinnernden klassischen Sprache, so ist
es dieses Werk. Es müßte ein Besitz aller Volksbibliotheken werden.
Gerade nach diesem Buche müßten alle diejenigen greifen, die heute der
deutschen Nation das Beste bieten wollen: das auf Verstand, Gemüt und
Nachdenken Wirkende, und die in Taten umgesetzte Religion.

    Tägliche Rundschau vom 30. 4. 1908.



                    Grote’sche Sammlung von Werken
                    zeitgenössischer Schriftsteller

                        Vierundneunzigster Band

                       F. Hugin, Durch den Nebel



                            Durch den Nebel

                                 Roman

                                  von

                               F. Hugin

                            [Illustration]

                                Berlin

                                 1908

                   G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung



                   Alle Rechte, insbesondere das der
             Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten.
               Titel- und Einbandzeichnung von Heinrich
                  Vogeler-Worpswede. Druck von Oscar
                   :::: Brandstetter in Leipzig ::::



Inhalt


                           Seite

    Einleitung                 1

    Kapitel I                  2

    Kapitel II                12

    Kapitel III               18

    Kapitel IV                25

    Kapitel V                 30

    Kapitel VI                39

    Kapitel VII               51

    Kapitel VIII              56

    Kapitel IX                68

    Kapitel X                 78

    Kapitel XI                86

    Kapitel XII               97

    Kapitel XIII             104

    Kapitel XIV              112

    Kapitel XV               123

    Kapitel XVI              135

    Kapitel XVII             144

    Kapitel XVIII            155

    Kapitel XIX              164

    Kapitel XX               177

    Kapitel XXI              187

    Kapitel XXII             194

    Kapitel XXIII            201

    Kapitel XXIV             213

    Kapitel XXV              219

    Kapitel XXVI             225

    Kapitel XXVII            237

    Kapitel XXVIII           245

    Kapitel XXIX             256

    Kapitel XXX              266

    Kapitel XXXI             273

    Kapitel XXXII            276



                            Durch den Nebel



Die See ist es. Die See mit ihrem grauen Nebel und ihrem starken Wind.
Der Wind langt herüber und knickt alles, was klein und schwach ist, und
wirft es fort, daß die Wälder dastehn in großen, geschlossenen Massen,
unbeugsam, feierlich. Und die schlichten, ruhevollen Formen der Koppeln
umschließen die wogenden Weiten. Dazwischen singt die See ihr Lied,
die alte, graue Mutter; und selbst wenn es in kleinen sonnigen Wellen
auflacht, es hat immer etwas Geheimnisvolles, daß der Mensch vor ihr
steht, ehrfürchtig, fast feierlich.

So bildet die See auch ihn. Sie läßt ihm nichts Kleinliches, und die
bewegliche Lustigkeit gewöhnt sie ihm ab. Die große Ruhe um ihn her
macht ihn still, und er lernt bald, schweigend hineinsehen in das große
Nebelwogen und warten auf ein Kommendes, auf das große Geheimnisvolle.
Und über dem Stillesitzen und Warten wird er oft grau und alt und hat
darüber die Zeit der Tat verpaßt.

Dann lachen seiner die klirrenden Stürme; denn die See ist unbarmherzig
und liebt nur das Große, -- auch die große Tat.



Kapitel I


Er hatte so sonderbare Augen. Die Farbe hatten sie von der See. Und er
sah sie auch fast immer an, die wogende, atmende, in ihrer Unruhe ewig
ruhende See -- wenn er im Riedgras lag. Und er lag dort oft. Mit den
andern Kindern auf dem Hof hatte er wenig gemeinsam. Er spielte lieber
mit der See. Er lief mit bloßen stämmigen Beinen hinein, und wenn die
großen grünen Wellen gelaufen kamen, riß er aus.

Oder er watete von fern hinter den Krabbenfängern her, wenn es silbern
von ihrem Netze traufte und sich die Ufer tief im Wasser spiegelten.

Oder wenn die See ihr Lied sang und in eintönig platschendem Jubelton
auf die Steine schlug, dann saß er auf den Steinen und sang auch, --
sang ein Lied nach dem andern.

Aber wenn die Sonnenstrahlen heiß zwischen dem storren, blauen
Strandgras lagen, war er dort. Und er sah in die See hinein mit seinen
großen, ernsten Augen. Die Ostluft streichelte ihm die Backen warm und
salzkräftig. So still saß er, daß die Möven seiner nicht mehr achteten.
Sie schimmerten in der Luft wie weiße Blitze, und wenn sie ins Wasser
tauchten, gab es einen silbernen Ring. Ihr Schrei klang wild und frei
und unbarmherzig wie das Meerlied. Dann sah er sich nachdenklich nach
ihnen um, wenn sie so jäh aufschrien, und dann lachte er leise.

„Lars! Lars!“ rief die Mutter, aber er rührte sich gar nicht. -- Sie
wußte aber lange, wo er zu finden war. Sie wurde auch nicht zornig,
wenn sie rufend fast über ihn stolperte im langen Riedgras. Sie zog ihn
nur in die Höhe und hielt ihn fest am Handgelenk, wenn sie wieder nach
dem Hof hinauf ging.

Der Hof hatte ein überhängendes Strohdach und weiße niedere Wände.
Mitten zwischen den Gebäuden stand ein Brunnen. Dort plätscherte und
klatschte und murmelte ein Wasserstrahl, besonders des Nachts hatte er
viel zu sagen. Wenn Lars nicht am Strande war, unterhielt er sich mit
dem Wasserstrahl.

Lars’ Vater stand mit der Pfeife im Mund an der Haustür. Dort stand er
fast so oft, wie Lars am Strande saß. Und wenn Mutter ihn rief, lachte
er freundlich, aber er kam auch nicht.

Christian Asmussen war überhaupt ein freundlicher Mann. Die Leute
mochten ihn fast alle gern. Sie fanden auch, daß er ein hübscher Mann
wäre mit seinen freundlichen blauen Augen. Nur ein wenig dick und ein
wenig rot und gedunsen war er geworden. Aber wovon das kam, wollten
sie nicht so gern sagen; denn sie hatten ihn eben alle gern. Auch die
kleinen Leute mochten ihn wohl leiden, denn er vertrat oft ihre Sache,
und für den Armen saß ihm das Geld lose in der Hand. Darum sahen sie
auch an dem großen Loch im Strohdach vorbei, das sie nun schon fünf
Jahre kannten. Und daß jedes Jahr ein paar Kühe weniger auf der Koppel
gingen, wollte man nicht recht bemerken. Man lachte nur, wenn Frau
Asmussens ernstes Gesicht mit den ängstlichen Augen abends im Kruge
bei Triensen erschien. Sie schob sich dann langsam bis hinten nach dem
Stammtisch vor, wo ihr Mann saß, und tippte ihm auf die Schulter.

„Crischan“, sagte sie, „Crischan.“

„Gleich, gleich“, machte er dann. Aber manchmal kam er auch mit, und
manchmal schwankte er ein wenig.

Dann lachten die andern noch mehr und sahen der Frau nach und sagten:
„Die Stackel!“[1]

Aber was sie auch sagten, Frau Asmussens Gesicht veränderte sich
nicht. Es lag etwas darüber, als wäre es in einem großen Schweigen
stehn geblieben und könne sich nie mehr regen in aufzuckendem Zorn
oder lachendem Scherze. Und in dem Schweigen hatten sich tiefe Linien
hineingegraben um den festgeschlossenen Mund und die angstvollen Augen.
Sie sah viel älter aus als der freundliche Herr Asmussen.

                              *         *
                                   *

„Ja“, sagte Herr Asmussen, „wenn wir also Geld hätten, dort könnten die
Schuppen wohl stehn; meinst du nicht auch, Stina?“ Und er machte eine
großartig deutende Bewegung nach der Koppel links vom Hof.

„Ja, Crischan, aber wir haben doch nun keins.“

„Ach was! Zwei müßten es sein, oder meinst du, eine wäre genug?“

„Aber Crischan!“

„Ach was! Es ist mächtig viel gewachsen dies Jahr; wenn es so
weitergeht, wird es ein gutes Jahr, ein richtig gutes Jahr, ich glaube,
wir brauchen zwei. -- Ich meine ja nur Schuppen, billige Holzschuppen,
keine richtigen Scheunen.“ --

„Crischan, du +weißt+ es aber doch.“ --

„Ach was, na, ich werde mal nachsehen, wieviel noch da ist.“

„Das tu, du hast lange nicht gerechnet.“

Mutter Asmussen saß im Schatten der Kastanie mit ihrem Strickzeug. Es
war spät nachmittag. Sie hatte Lars beredet, daß er einmal bei ihr
blieb. Es hatte noch mancherlei mitgeholfen beim Bereden: die großen,
gelben Sonnenlichter, die zwischen den Kastanienblättern breit aufs
bläuliche Gras fielen, die große, weiße Pfingstrose und die Libellen,
die ihm mit surrendem Wehen fast die Nase streiften. Er lag im Gras auf
dem Rücken und konnte ein kleines Stücklein Blau zwischen den breiten
dunklen Blättern sehn, und ein weißes Blütenlicht ragte hoch und steil
in das Blau hinein.

Der Mai war gerade zu Ende. Und es war die Zeit, da sich in dem
nordischen Lande die Erde fertig besonnen hat und nun mit Macht
herausbricht in unaufhaltsamer Frühlingswonne. Sie ist lange spröde
und zurückhaltend gewesen, nun ist sie über sich selbst errötet in
lastenden Blüten. Kein Busch und kein Wiesenfleck, wo nicht der
wallende Jubel heraufdrängt in üppigen, lachenden Farben, und noch weit
hinaus zwischen dunklem Ackerland ziehn sich die weißen Hecken wie
Kränze um ein lachend junges Haupt.

Eine Zeit waren sie ganz still, Lars und seine Mutter, und man hörte
das surrende Schwirren der Libellen; dann fing sie leise an, wie zu
sich selbst zu sprechen.

Lars rührte sich nicht, aber er hörte auf jedes Wort.

Und sie erzählte ihm von den zweien, die nicht mehr da waren, dem
stämmigen Bruder und der kleinen, blonden Schwester, und daß sie in
den Himmel gegangen wären und dann Lars heruntergeschickt hätten zur
Mutter. Und wie gut sie es hätten dort oben, sagte sie.

Und Lars sah durch das wundersam blaudämmrige Netzwerk der Kastanie
hinauf zu dem Himmelsflecklein und sah eine große blaue Halle mit
zahllos weißen Blütenlichtern geschmückt, und Leute mit goldenen
Kleidern gingen dort und winkten zu ihm nieder.

Und Mutter redete weiter, wie Lars nun groß und stark werden würde, und
wie gut er würde und klug, denn die Geschwister aus dem Himmel hätten
ihn doch der Mutter geschickt.

Und Lars saß auf einem großen, goldenen Wagen, da drin war die Mutter,
und Lars hatte vier Pferde vor sich. -- Peter Lassen hatte ihm in der
Schule von Bauer Toms erzählt, der hätte einmal vier Pferde vor dem
Wagen gehabt. -- Und neben Lars stand ein Sack mit Gold, und da griff
er hinein und schenkte dem alten, lahmen Tumpe-Jens und Miete Juste,
der alten Fischfrau, und dem kleinen kranken Steffen Maas.

„Und dann baust du schöne, große, neue Scheunen“, sagte Mutter.

Und er dachte, wie Maurer Pertersen den nassen Lehm auf die Steine
schmierte, und wie fein die Balken dadrin zusammengepaßt würden. Und
dann hämmerte er und probierte und baute so groß und mächtig, und von
dem, was Mutter sonst noch sagte, hörte Lars kein Wort, denn er war nun
ganz bei der Arbeit.

Und mitten in das Sommergeschimmer und das Schwirren und Summen und das
eintönige Reden fiel es wie ein Stein ins Wasser: „Justina“, rief der
Vater.

Da ging Mutter in das Haus. -- Aber noch ganz in Träumen mit dunklen
Augen, die nach innen sahen, stand der kleine Lars auf und ging an den
Tisch, wo Mutters Arbeitszeug lag. Und die Stricknadeln bohrte er in
den Tisch und zog die Näharbeit aus der Arbeitstasche und machte das
Dach damit. Und mit der Strickerei und der Leinwand machte er die
Wände und nähte alles schön fest aneinander und um die Stricknadeln
herum, so daß es eine feine Scheune geworden war, als Mutter zum
Abendbrot rief. Aber er erzählte weiter nicht davon, denn Vater sah
mißmutig aus beim Essen und sprach nicht mit ihm. Mutter aber schwieg
auch. Und es war so etwas wie eine Beklommenheit in der Stube.

Sie hatten Lars voriges Jahr zu Ostern in die Schule gegeben. Er war
noch kaum schulpflichtig, aber Vater hatte es gewollt, weil der Junge
doch so klug war. Er meinte, er werde Ehre einlegen. Aber es war erst
gar nicht recht gegangen in der Schule. Es gefiel Lars dort nicht,
und so blieb er fort. -- Er ging wohl von Hause weg mit dem großen
Schulranzen, wenn es Zeit war, aber weiter wußte dann bis Mittag keiner
etwas von ihm, am wenigsten der Lehrer. Aber Herr Asmussen hatte nur
dazu gelacht. Und seitdem die zwei kleinen Gräber auf dem Kirchhof
waren, hatte Mutter das Schelten ganz verlernt.

Als aber eine Mahnung kam von der Polizei wegen Schulversäumnis,
da hatte sich Vater geräuspert, den Bart glatt gestrichen und Lars
gerufen. Und Lars hatte sehr große, ernste Augen gemacht, als er
hörte, daß die Polizei ihm einen Brief geschrieben hatte.

Aber in diesem goldenen Sommer saß es sich besonders schlecht in
der dumpfen Schulstube. Da draußen war alles von Gold. Von den
Sonnenstrahlen triefte es, und auf den weiten Koppeln stand es aufrecht
und rauschte, und abends, wenn die Sonne sank, lag es breit auf der
flimmernden See, und die Möven trugen es zwischen den Flügeln bis
hinauf zu den goldenen Toren, wo die Sonne in goldgrünen Weiten ertrank.

Und Lars stand am Waldrand und hörte es dort drin aus den kleinen
Vogelstimmen rinnen, wie goldene Tropfen, bis die Vögel in
schlummernder Dämmerung zur Ruhe gingen oder verstummten in der satten
Sommerwärme.

Herr Asmussen hatte zur Erntezeit ein paar Arbeiter mehr gemietet, um
die goldenen Schätze sicher zu bergen. Und es war gut, denn gegen Ende
der Erntezeit schlug das Wetter um.

Aber als das eintönige Klatschen der großen Tropfen Tag aus Tag ein auf
der Steinstufe vor dem Hause erklang, da war der größte Teil der Ernte
geborgen. Was nicht in die enge, alte Scheune ging, das stand in Diemen
auf der Koppel. Und Herr Asmussen stand mit der Pfeife im Mundwinkel
unter der Haustür und lächelte in das rinnende, fließende, platschende
Grau.

Aber als er noch ein paar Tage so hinausgesehn hatte, wollten die Augen
nicht mehr mit den Lippen lächeln. Und als nach einer Woche noch immer
der klatschende Ton auf der Stufe klang, spuckte er manchmal rasch
seitwärts hinaus und fluchte dazu. Und mit zornigen Stapfen stieg er
zwischen den großen Wasserlachen hindurch nach dem Felde, wo die Diemen
standen. Von den dunklen Diemen sickerte es sachte -- sachte, und
täglich sahen sie trübseliger und finsterer aus, und Herr Asmussen ging
rund herum und stocherte mit dem Stock darin, und schüttelte mit dem
Kopf und murmelte halblaute Worte. Und dann ging er wieder zurück und
stand in der Haustür und spuckte in den Regen. Aber als das graue Tuch
noch Tag um Tag über dem Land gebreitet lag, fuhr er die Mutter oft im
Zorne an: „Die Schuppen, die Schuppen, na siehst du es nun?“

Aber Mutter sah noch ängstlicher drein und sagte kein Wort.


[1] Die Arme.



Kapitel II


Es war nun kein Zweifel mehr, die goldenen Schätze des Sommers waren
verloren gegangen. Das Korn in den Diemen war verfault.

Wenn Mutter jetzt des Abends im Wirtshaus Herrn Asmussen auf die
Schulter tippte: „Crischan, Crischan,“ sagte er nicht einmal: „Gleich,
gleich;“ er ruckte die Schulter zur Seite und sah in die Karten oder in
seinen Grog. Und einer von den Stammgästen mußte ihn fast jeden Abend
am Arm nach Hause führen.

Und es kam eine Nacht, in der horchte Mutter Stunde um Stunde auf den
tiefen Schlag der Uhr draußen auf der Diele. Aber Herr Asmussen kam
nicht.

Ticke-tack! sagte die Uhr, und Mutter hörte den harten Klang in der
Kammer. Und es war ihr, als schreite die Zeit mit harten Füßen über sie
hin, weiter -- weiter, über Lust und Leid, weiter -- weiter. Und es
war, als müßte sie halten und hemmen, aber es ging weiter, ticke-tack,
mit harten Füßen weiter -- weiter. Da konnte sie es nicht mehr ertragen
im Bett, zog sich hastig an und ging zu Lars hinein.

Lars warf sich im Bette hin und her, und endlich machte er langsam
die Augen weit auf. Da stand wahrhaftig im Mondschein Mutter an seinem
Bett, ganz still, und starrte und starrte Lars ins Gesicht. Und ganz
schlaftrunken sah Lars wieder hinauf, ohne sich zu regen, noch halb im
Traume, aber in großem Verwundern.

Und als sie sich so eine Weile angesehen hatten und draußen mit harten
Tritten die Zeit weiterging, da kam ein Ton. -- -- Mutter fuhr zusammen
und ging zur Tür hinaus, aber Lars war nun völlig wach und setzte sich
im Bette auf. Da kam der Ton wieder -- ein lautes, dröhnendes Klopfen
an der Haustür.

Und dann kam es herauf aus der dunklen, stillen Nacht, ein unheimlicher
Klang um den andern. Es durchzog das stille Haus, und Lars saß zitternd
in seinem Bett und lauschte. Erst war es wie das Scharren von vielen
Füßen, gedämpft, als träten sie leise auf, und ein Flüstern und Raunen,
wie von leisen Männerstimmen, und dann ein Rücken und Poltern und
wieder das Raunen und Scharren.

So ging es eine Weile und wollte nicht verstummen. Lars hätte gerne
geweint vor Angst, aber er wagte es nicht.

Dann klangen die Laute wieder auf der Diele, und dann schlug dumpf
die Haustür, und nur die alte Uhr ging ticke-tack über der Menschen
Lebenswege weiter.

Der Mond schien nicht mehr ins Zimmer. Die Dunkelheit lag über Lars
wie eine erstickende Decke. Aber aus der schwarzen Tiefe kam noch ein
Klang bis zum kleinen lauschenden Jungen. Es währte eine Weile, bis er
ihn unterschied; dann wußte er endlich, was es war. Von nebenan aus der
schrecklichen Nachtstille kam ein Schluchzen, ein herzbrechendes Weinen.

Er wußte selbst nicht, woher ihm der Mut gekommen war; aber auf
einmal lief er draußen über die Diele, und seine kleinen bloßen Füße
klatschten auf die Steinfließen.

Unter der Tür zum Schlafzimmer der Eltern lag ein heller, gelber
Schein. Da schob er sich leise ins Zimmer. Vater lag auf seinem Bett,
den Kopf ein wenig hintenüber, und er sah so sonderbar aus. Mutter
aber kniete auf der Erde und schluchzte und schluchzte. Und auf einmal
packte Lars das Grausen noch ärger als vorhin, und er hastete hinaus
und in sein Bett. Die Decke zog er weit hinauf und lag noch lange mit
weit offenen Augen zitternd da.

                              *         *
                                   *

Es tat den Leuten allen leid. Und Herrn Asmussens Freunde kamen alle
mit ihren Frauen. Und die Frauen setzten sich auf das gute Plüschsofa
und hatten das Taschentuch in der Hand und sagten schöne, tröstliche
und fromme Dinge. Aber Frau Asmussens Gesicht lag immer unter dem
großen Schweigen. Sie sah zur Seite und sagte meist kein Wort. Da
gingen sie wieder und fanden, daß man ihr die niedere Herkunft anmerke.

Auch von den kleinen Leuten kamen manche, die sahen ihr fest in die
Augen und gaben ihr still die Hand. Und manche sagten ihr, daß ihnen
Herr Asmussen da und da geholfen hätte, und daß sie ihn nicht vergessen
würden.

Aber sie konnten es doch alle nicht ändern, daß die fremden Männer
kamen und in Herrn Asmussens Büchern rechneten und durch das Haus
gingen und auf die alten edelgeformten Spiegel und Stühle und auf die
glänzenden neuen Möbel Zettel klebten. Und im Stall und der Scheune
redeten sie breit und laut; und in der Küche saß die Magd am Tisch und
weinte; und der junge Knecht ließ sich von dem alten noch einmal sagen,
wie es zugegangen sei, daß der gute Hof so verschuldet wurde, und daß
für den kleinen Lars, nun da seinen Vater im Rausch der Schlag gerührt
habe, so gut wie gar nichts geblieben sei.

                              *         *
                                   *

Es war an einem windigen Wintertage. Die öde, graue Kälte drängte und
pfiff ums Haus und trachtete schon Besitz zu nehmen von den herrenlosen
Räumen. Mutter hatte Lars bei der Hand genommen und war noch einmal
in jedes Zimmer gegangen. Und es war als atmeten die alten Möbel und
sprächen mit einer leisen singenden Stimme und als strömten sie eine
Wärme aus trotz der frostigen Öde vor den Fenstern.

Dann hatte sie den Mägden und Knechten die Hand gegeben. -- Lars’
Hand war ganz naß, weil Trina so darauf geweint hatte. Und dann fuhr
der Wind in Mutters kümmerliches, schwarzes Kleid und wippte den
Crêpeschleier auf ihrem Hute auf und nieder. Aber Mutters stilles
Gesicht zuckte nicht; es war nur noch schmaler und blasser. Sie hielt
Lars ganz fest und ging zum Wagen. Da packte sie den Jungen warm ein,
und dann setzte sie sich neben ihn. -- Kutscher Maaß schlug mit den
Zügeln und schnalzte mit der Zunge, dann rasselten sie fort.

An der Ecke sah sich Lars noch einmal um. Er wußte ganz genau, daß
es ein Abschied war fürs ganze Leben. Er sah das große Strohdach mit
dem Loch und den Wasserstrahl vom Brunnen mitten im Hof, und es war,
als ginge etwas entzwei in seiner kleinen Brust; aber er sagte kein
einziges Wort, und Mutter hatte sich nicht einmal umgesehen.



Kapitel III


Zuerst war es wie ein würgender Schmerz abends, wenn er im Bett lag.
Er drückte dann die Augen fest zu und versuchte zu fühlen, daß er
in seiner Kammer war, daheim auf dem Hof. Er dachte an den tiefen
Schlag der Uhr auf der Diele, und dann war es auf einmal Morgen, und
er stand draußen unter der Kastanie, und Sommertag war es, blauer,
golddurchwirkter Sommertag.

Und die See rauschte. Er lag im Strandgras, und die See rauschte.

Hier rauschte sie nicht so laut. Hier war sie fast überall begrenzt von
hügeligen Ufern. Dafür lag aber Großvaters Haus hart am Strand.

Mit der Zeit kam das furchtbare Würgen und Hungern nach den weißen
Mauern, nach dem plätschernden Wasserstrahl, nach dem warmen
Kuhstallduft und den tausend andern Dingen seltener und seltener, und
es lag über dem allen wie ein dunstig blauer Schleier, bis sie mehr und
mehr verschwammen. Dafür aber nahmen die Dinge um ihn her an Saft und
Farbe zu.

Sie saßen in einem kleinen Hause, aber sie saßen warm und gut, die
beiden Heimatlosen.

Es war still um den kleinen Jungen, denn der alte Fischer Klaas Klaaßen
war ein stiller Mann. Mutter Justina und ihr alter Vater waren aus
einem Holz geschnitten, und sie hatten sich nicht viel zu sagen. Aber
sie hatte sich nicht weiter besonnen und war mit ihrem Kinde zu ihm
gekommen, als sie im Unglück saß.

Klaas Klaaßen hatte keine Worte gemacht. Er war vom Fischen zu Hause
geblieben, obgleich er wußte, daß die Heringe in der Föhrde waren
und das Wetter gut war, und hatte wie verzweifelt in der alten Truhe
gesucht und im Schrank, wo Mutter-selig das Bettzeug aufhob. Und die
guten Tassen hatte er auf den Tisch gestellt und sein Sonntagszeug
angezogen.

Und so saß er schon lange auf dem Lehnstuhl, als sie ankamen.

Dann hatte er bald Lars zwischen seine Knie gestellt und ihm immer mit
der harten, schweren Hand über den hellen Kopf gestrichen.

Lars aber sah ihm fest in die freundlichen Augen, die so aussahen, als
blickten sie von weit -- weit her und hätten dort wunderlich ernste
Dinge gesehn.

Es mochten die guten Augen sein, die immer von Treuhalten reden
wollten, oder war es der Schalk, der irgend wo zwischen den Runzeln
versteckt saß -- aber Lars faßte ein Zutrauen zu seinem Großvater.

                              *         *
                                   *

Seit seine Kinder in die Welt hinaus waren und seine alte Frau ihre
erste große Reise ohne ihn hatte antreten müssen, hatte Klaas Klaaßen
nur einen einzigen Freund. Des Sonntags, wenn er nicht hinausging, und
an langen Winterabenden, da redete er manche Stunde mit ihm. Seine alte
Stina-Marie hatte sich schon weidlich über diesen Freund geärgert, und
damals war er doch noch stiller und kleiner gewesen.

Fischer Klaaßen war immer einer von den Ordentlichen und hatte manchen
Pfennig zurückgelegt. Mutter Stina-Marie aber war geizig mit dem
Geld, denn sie wollte alles für die Kinder zurückgelegt haben. Aber
Klaas Klaaßen war eigensinnig, und wenn er doch nicht trank und nicht
spielte, so wollte er wenigstens seinen Freund haben.

Und so hatte er sich ein Harmonium gekauft.

Er studierte in den Büchern und probierte und probierte wieder, bis er
es endlich heraus hatte. Und nun saß er mit seinen schweren, steifen
Händen und einem versonnenen Gesicht; aber einem Licht in den Augen,
wie ein Jugendschein, Stunde um Stunde, und redete mit seinem Freunde.

Und seit die Alte tot und die Kinder versorgt waren, hatte er sich ein
größeres erstanden. Und nun quoll und brauste es manchmal im Dämmern
aus der Strohdachhütte, daß die Nachbarn die Köpfe schüttelten. Aber
die Töne woben und breiteten sich über den kleinen Garten hin und
weit hinauf in die alten Eschen und bis hinunter an das weite, graue
Wasser. Und die Eschen und die wogende Weite gaben Antwort in tiefem
ernsten Rauschen. Die alte Stina-Marie hatte es nicht recht ertragen
können, dies endlose Brausen und Rauschen, und war manchmal zu ihrer
Schwestertochter hinüber gegangen, die in der Nähe wohnte. Das hatte
Klaas Klaaßen nicht weiter gestört.

Aber nun war es anders. Seine Tochter Justina Asmussen hörte dies
ernste Tönen gern. Sie saß dann über ihre Arbeit gebeugt mit ihrem
stillen, schmalen Gesicht und sann in sich hinein.

Lars hatte es gleich gefaßt, wie ein Zauber. Und Großvater sah gütig
zur Seite, wo der kleine Junge neben ihm lehnte mit weit offenen
Augen, und spielte ein Lied, das er kannte, und brummte es leise
vor sich hin; und erst leise und immer lauter und heller fiel die
frische Kinderstimme ein, bis es ihnen endlich zur Gewohnheit wurde,
so zusammen Musik zu machen in dem engen, traulichen Gehäuse vor der
stillen Frau im spärlichen Trauerkleide.

Manchmal nahm Großvater den Jungen mit hinaus aufs Meer. Um ihn wogte
es und wallte, zischte und klatschte, und seine Freunde, die Möven,
waren dicht um ihn her. Er hielt sich mit beiden Händen fest an dem
Brett, auf dem er saß, und staunte hinein in das Auf und Nieder des
grauen Geschiebes. Er wagte kaum zu atmen und sprach kein einzig Wort.
Aber es war eine Luft in ihm und ein jauchzendes Entzücken.

Lars hatte aber noch eine Freude: sein Freund Peter Lassen wohnte seit
einiger Zeit in dem andern Strohdachhause dicht am Strand. Fischer
Lassen war vor kurzem hierhergezogen. Nun gingen die zwei wieder
wie sonst zusammen den weiten Weg in die Schule. Und seit er größer
geworden war, erlaubte Lars dem andern mitunter, am Strande mit ihm
zu spielen. Einem andern hätte Lars das nie gestattet, denn er war am
liebsten für sich mit der See und seinen wunderlichen Gedanken. Aber
Peter Lassen war ein Fischerkind und kannte die See und wußte manches
zu erzählen, denn er war älter als Lars. Und er hatte schon manche
Erlebnisse mit der grauen, wogenden Alten.

Sie hatte ihn wieder mit feinen, unsichtbaren Fingern herangezogen,
die graue, ruhelose See. Ihr brausendes Lied und ihre stille Weite
durchwoben sein Denken und Fühlen, daß er ihr verstrickt ward mit
tausend unsichtbaren Fäden.

Es kamen wenig Menschen ins Fischerhaus.

Dem raschen, unruhigen Peter Lassen mit seinen hübschen, klugen
Blauaugen war es wohl in dem warmen Gehäuse. Dort konnte er lange brav
und still hocken, und Frau Lassen sagte, Mutter Asmussen habe nähere
Bekanntschaft mit ihrem Jungen als sie selbst.

Zwei- oder dreimal war oben vom Flecken Kaufmann Asmussen, Lars’
Vatersbruder, bei ihnen eingekehrt. Er sah dem freundlichen Herrn
Christian ähnlich, nur etwas Würdigeres hatte er. Er sprach väterlich
gütig mit dem kleinen Lars, und seine Stimme hatte einen Klang, als
hole er sie tief aus seinem behäbigen Fett herauf. Und er klopfte ihm
auf den Kopf und fragte nach seinen Schularbeiten und sprach laut, als
ob Lars noch nicht verstehen könne, und mit einem scherzenden Klang.
Lars mochte den Onkel nicht, und als er ihn einmal mit hinaufnahm, um
mit seinem kleinen Mädchen zu spielen, sagte er vor Zorn den ganzen
Nachmittag kein Wort.

                              *         *
                                   *

Es war an einem Sonntagnachmittag. Lars hatte mit Peter Lassen eine
weite Entdeckungsfahrt den Strand hinunter gemacht. Da kam ihm Onkel
Gust in der Haustür entgegen. Er hielt Lars’ Hand fest und klopfte
ihm auf die Backe, sagte ein paar freundliche Worte mit seiner dicken
Stimme und ging dann lachend weiter.

Als Lars in die Stube kam, saß Großvater am Harmonium, aber er spielte
nicht. Er hatte die Hände auf die Knie gestützt und sah still und
steif vor sich hin. Aber Mutter hatte die Hände vor dem Gesicht, und
als Lars an der Tür stehn blieb und sich mit großen verwunderten Augen
umschaute, da sah er, daß ganz, ganz langsam große Tropfen durch
Mutters Finger rannen und ganz, ganz langsam auf das schwarze Kleid
fielen.



Kapitel IV


Es war in der guten Stube mit den roten Plüschsesseln und den vielen
Nippsachen. Das Dämmerlicht war ein wenig bedrückend, weil die
gehäkelten Gardinen fast das Fenster deckten. Und die ganze Luft hatte
etwas Drückendes, denn Frau Henriette Asmussen war erregt. Sie saß auf
einem der roten Plüschsessel und sprach scharf, und die Worte fielen
wie das Hackmesser in der Küche. Aber Herr Asmussen ging lächelnd auf
und ab und pfiff zuweilen ein wenig. Das war schwer zu ertragen, denn
Frau Henriette war noch dazu müde. Sie hatte den ganzen Morgen in der
Küche gestanden, denn das Mädchen verwandte zu viel in der Wirtschaft,
und am Nachmittag hatte sie dem Kommis auf die Finger gepaßt.

Sie mochte das Getändel mit den Käufern und besonders den Käuferinnen
nicht leiden. Auf all so was mußte Frau Henriette achten, und in die
Bücher mußte sie sehen, denn den Männern war nirgends zu trauen.
Und nun war sie gereizt, weil sie müde war und Herr Asmussen wieder
ins Wirtshaus wollte; und der Lehnstuhl ächzte unter ihr. Aber Herr
Asmussen war gar nicht müde; denn er hatte nur morgens ein paar
Stunden mit seiner schweren, goldenen Uhrkette gespielt und ein paar
Kunden wohlwollend auf die Schulter geklopft. -- Jetzt aber hatte
er allerhand Neues gehört am Stammtisch; und seine Freunde hatten
bei Herrn Asmussens Reden zugehört, als würde ihnen aus der Zeitung
vorgelesen, mit andächtigem Kopfnicken. So etwas hatte Herr Asmussen
gern. -- Und darum lächelte er jetzt behaglich und pfiff leise vor sich
hin, bis Frau Henriette es nicht mehr aushielt und fast kreischend
auffuhr mit hellen, glitzerigen Augen, dunkelrot im Gesicht, daß der
gute Lehnstuhl fast umgeschlagen wäre.

Und derweilen saß mit traurig dunklen Augen der kleine Junge in der
Ecke beim Nippschrank und hörte zu.

Es war eine ganz neue Erfahrung in seinem Leben. Vater hatte wohl
einmal zornige Worte gebraucht, aber Mutter war dann nur noch leiser
geworden, und dann hatte Vater bald wieder gelacht. Und bei Großvater
waren sie alle still bis auf „Perle“ mit seinem Gekläff und manchmal
Peters lachendes Schwatzen.

Hier lag das Lärmen und Keifen in der Luft wie eine vibrierende Unruhe,
die den Menschen überall umzittert mit ödem Unbehagen. Selbst die
kleine Miete gehörte in die Unruhe hinein mit ihrem zappligen Bewegen
und ihrer schrillen Stimme. Und obgleich sie den stillen Vetter liebte,
war sie Lars doch kein rechter Trost.

Er begriff es immer noch nicht, daß sie ihn fortgegeben hatten. Er
wohnte nun in dem hohen Hause mit dem übelriechenden Laden, und nebenan
standen große steinerne Häuser.

Und die See konnte er nicht sehn. --

Und die friedlichen Wanderungen in die Dorfschule mit seinem Freunde
Peter Lassen waren ganz vorbei. Er ging mit vielen gutgekleideten
Kindern in ein Schulhaus dicht nebenan. Und er mochte nicht die kleine,
feine Lehrerin und nicht die gutgekleideten Kinder. Es hieß auch, Lars
sei ungezogen. Und Mutter hatte doch beim Fortgehen mit ihm geredet wie
mit einem Manne. Lars hatte es auch wohl verstanden, daß der Onkel für
ihn sorgen wolle, und er nun groß und reich werden würde, wie er zu
Hause unter der Kastanie geträumt hatte.

Aber er vergaß es immer wieder und vor allem, daß er versprochen hatte,
artig zu sein. Es lastete eben auf ihm und zerrte in dem fremden Haus.
Und wenn die Nachmittagssonne in seine Dachkammer schien, dann warf er
die Schulbücher unter den Tisch.

Klapp, klapp klangen die laufenden Füße die lange Straße hinunter.
-- Da war er auch schon draußen. -- Ein Stück ging es auf der hohen
Landstraße hin. Und die großen Wolkenschatten liefen nebenher über
das erste feine Saatengrün. Und das weite, offne Land lag weich
verschwommen im ersten Frühlingsduft bis hin in die traumweckenden
blauen Fernen.

Dann kam der Fußweg durch den Wald. -- Da war rings ein heimliches
Atmen und Regen in den keimenden Kräutern und den zugeschlossenen
Blätterknospen, ein Drängen und Tasten in dem feinen Gezweige, hinaus
in die weiche, starke Luft. Und es packte den Jungen, wie eine weitende
Lust, daß er Raum schaffen mußte. Und da er nicht wußte, wie anders, so
begann er ein Pfeifen laut und jubelnd und eigenwillig.

Und wenn er oben stand auf der freien Koppel, und unten lag im
glitzernd blauen Schein der breite, blanke Wasserspiegel, dann konnte
er sich nicht lassen vor wilder Wonne und warf die Mütze hoch in die
Luft.

Und wenn er dann drinnen in warmer Traulichkeit hockte mit stillen,
glücklichen Augen, dann brachten es Großvater und Mutter nicht übers
Herz, den Jungen heimzuschicken. Erst wenn mit weichen Händen die
Dämmerung das große stille Land einzudecken begann und die Bäume und
Waldklumpen scharf und mächtig in den hellen Abendhimmel ragten, dann
begleitete Peter Lassen seinen Freund nach dem Flecken hinauf und
schlenderte erst im Dunkeln wieder heim. Aber den Schularbeiten merkte
man Lars’ Heimfahrten an.



Kapitel V


Ein langgliedriger, sehniger Junge von zwölf Jahren war Lars geworden.
Aber die ernsten, sonderbaren Augen, die so aussahen wie das Meer,
hatte er immer noch.

Die Uhr auf dem alten Hof daheim hatte vielemal getickt, und Lars wußte
kaum, wie die Jahre hingerollt waren.

Viele, viele Fahrten ins Land hinaus zur alten Fischerhütte waren es
gewesen und ein stilles Dulden der kleinen Miete und ihrer Liebe und
ein leiser Widerstand und ein leises Mißtrauen gegen Onkel Gust und ein
offener Krieg mit Tante Jette; und nun sollte wieder ein Neues kommen.

Einer von den geheimnisvollen Herbsttagen war es. Hinter weichen,
wallenden Schleiern lag die Welt, und es ließ sich gut von ihr träumen.
-- Hinter den wunderlichen, ziehenden Gebilden mochte sich das
Wunderland verbergen im goldenen Schein, oder war es eine finstere Öde?

Auf dem Schiff, das nach der Stadt fuhr, saß Lars ganz am Ende der
Bank. Er saß ganz vorn im Schiff und hatte das Wasser dicht vor sich.
Mit beiden Händen hielt er seine Reisetasche auf den Knien fest; und
sein kleiner Koffer stand neben ihm.

Onkel Gust ging hierhin und dahin und fand überall gute Freunde und
trank auch wohl einen Kognak, weil der Morgen frisch war.

Aber Lars sah in den Nebel und träumte.

Das Wasser lag da still und dunkel wie ein Spiegel, und alles Ding war
in eine ernste Heimlichkeit getaucht. Auf einem Pfahl saß eine reglose
Möve. Ihr weißes Bild spiegelte sich im schwarzen Grunde, und leise
glitt das Schiff vorüber.

Braune Segel tauchten aus dem lichten Grau und glitten vorüber. Nun
glänzte es auf von lichten Segeln, ein königliches Geschimmer, und die
schwarze Tiefe leuchtete das Bild zurück, dann war der Schoner im Nebel
verschwunden.

Aber lichter und lichter ward der weiche Schleier. -- Nun bauschte er
sich zu riesigen Gebilden, und dazwischen leuchtete es und gleißte auf
der Flut, wie flüssiges Gold, und spann in Wunderfarben in den Lüften,
wie Gewebe lichter Klarheit.

Und nun glitt es voneinander -- und lachend leuchtete im blauen Äther
blendende Sonne.

Da atmete der stille Junge lang und tief auf. Er hatte die Hände um
die Reisetasche gekrampft, regungslos die Wunder geschaut. Ihm war es,
als gleite so sein Leben durch graue Heimlichkeit hinein in goldene
Zukunft. Die Tränen wollten kommen, aber er schluckte sie männlich
hinunter. „Brav und treu“, hatte Großvater beim Abschied gesagt, und
er hatte ihm die Hand darauf gegeben. Er würde jetzt auf sich selbst
stehen, und er wollte ein Mann sein. Darum hatte er auch beim Abschied
von der Mutter nicht geweint, und sie hatte ihm auch nur still mit der
Hand über die kurzen blonden Haare gestrichen.

Alle Sonnabend sollte er zum Onkel nach Hause kommen, und jeden dritten
Sonntag durfte er die Mutter besuchen. Da war es nicht so schlimm. Und
er fuhr ja in das leuchtende Licht hinein. --

Aus bläulichem Dunst tauchten rings die Ufer. -- Auf weiten Koppeln
stand das rotleuchtende Vieh und blickte verwundert und gelassen in das
erwachende Licht und genoß des warmen Scheins. Und bunte Herbstwälder
ragten in die klare Luft und warfen breite, blaue Schatten auf das
Land. Und aus stillen Strohdachhütten stiegen blaue Rauchsäulen
ruhevoll nach oben.

Mit dem warmen Sonnenschein waren auch manche Bekannte von Herrn
Asmussen an Deck gekommen. In behäbiger Zufriedenheit gingen sie
rauchend auf und ab und ordneten den Gang der Welt im allgemeinen
und den Gang des Geschäftes im besonderen. Und was sie sagten, war
meistenteils dänisch.

Und ihre Frauen setzten sich in der Sonne zusammen und zogen die
Häkelarbeit heraus. Und sie waren sehr bedacht auf ihre Vornehmheit und
achteten aufeinander und sprachen freundlich zusammen und hofften, daß
ihre Aussprache für echtes Kopenhagener galt.

Und der kleine Lars saß still am Ende der Bank mit zornigen Augen und
hörte, wie Onkel Gust von Dänemark sprach und von seiner Fürsorge
für das arme Süderjütland, von dem besseren Geschäftsverkehr und den
billigen Prozenten und der deutschen Mißwirtschaft.

Und Lars hörte in Gedanken die stockend langsame Rede des Großvaters,
wenn er von der schönen Schleswig-Holsteinschen Armee erzählte und der
Zeit, als sie in die Schlacht gezogen waren, wie zum Fest, und dann
wurde Großvaters Rede leiser und stockte noch öfter, und er erzählte
vom Tage bei Idstedt, wie sie die schöne Armee verraten hatten, und
wie sie heimgeschickt wurden ins Elend.

Aber keiner achtete auf den kleinen Jungen mit den zornigen Augen.

                              *         *
                                   *

Er wurde in einer Beamtenfamilie untergebracht.

Noch vier Gymnasiasten wohnten dort. Zwei kleine Jungen teilten seine
Stube: Hans Todtsen, der Zapplige -- mit seinem klugen Kopf und seinen
lustigen Einfällen, und der bescheidene, kleine Jakob Lind, der einen
so gerade und freundlich ansehen konnte. Man hatte sie erst vor wenigen
Tagen in der Quinta aufgenommen; auch waren sie jünger als Lars;
aber er hatte doch eine gewisse Hochachtung vor diesen beiden jungen
Städtern.

Auch die beiden andern Jungen, Swend und Aage Michelsen, waren
Stadtkinder, dänischredende Geschwister von der Grenze her. Von ihnen
aber trennte Lars ein weites Meer. Der eine war schon zur Quarta
und der andere sogar schon zur Sekunda hinaufgedrungen. Besonders
der Quartaner ließ es merken, wie weltenhoch er über den drei
Stubennachbarn stand.

Lars nahm die Dinge ernsthaft, und die Aufnahme ins Gymnasium war ihm
ein großer Abschnitt seines jungen Lebens. Wenn ihm auch über dem
Träumen und den Traumfahrten manche Pflichten durch die Finger geronnen
waren, so hatte er im Grunde die Bücher lieb gehabt, und er hatte die
andern rasch eingeholt, wenn er einmal bei der Arbeit war. Obgleich
er in den friedlichen Jahren der Dorfschule manches versäumt hatte,
so bestand er die Aufnahmeprüfung gut. Er war freilich der Älteste in
seiner Klasse.

Wie bei den Wilden in Afrika eine Kunde schneller von Mund zu
Munde fliegt, als wenn der Telegraph sie verbreitet, so wußten die
Gymnasiasten über des Neuen Herkunft Bescheid. Und mehr als die
kühle Nichtachtung der Großen reizte Lars die mitleidige Duldung der
Kleineren. Er war sich oft nicht klar, was ihm so heiß nach dem Kopf
stieg und in die Fäuste fuhr, daß sie den andern nach dem Gesicht
zucken wollten. Aber er wurde nur noch stiller dabei und ging seine
eigenen Wege. -- Und diese Wege führten ihn, so oft er frei war, zur
Stadt hinaus.

Da war sie -- die ihm Heimat, Freund und Spielgefährte war. Und wie in
alten Zeiten lag er im Riedgras und horchte auf ihr Lied, aber es klang
ihm trauriger als damals.

                              *         *
                                   *

Die graue Trübe lastete über den steilen grauen Häusern; und über den
Köpfen der Menschen lag sie wie ein Druck, der die Freude verscheucht.
Aber die Schar der Buben im Schulhof achtete weder der kalten Feuchte
noch der lastenden Wolken. Es war da ein buntwogendes Durcheinander
lauter herrisch-froher Töne und wechselnd beweglicher Bilder. Mitten
im toten Grau des sterbenden Jahres war hier ein Stück selbstherrlich
strotzenden Lebens.

„Du, Jakob,“ sagte Aage, „die alte Braunsche ist verrückt, gibt sie
so ’nem Stift die feine Wurst aufs Brot und mir so’n Zeug. Her damit,
Mensch!“

Aber Jakob riß aus mitsamt der Wurst.

Michelsen II war zu dick zum Laufen, aber er kommandierte: „Lind
aus Quinta soll mir gebracht werden.“

Aus der Quarta und Quinta waren dem Dicken ein paar Jungen
verpflichtet. -- Jakob Lind aus Quinta wurde herangeschleppt.

Von allen Jungen war aber der kleine gute Jakob der, den Lars am
liebsten hatte. Und da geschah es, daß ihm der Zorn diesmal so
übermächtig in die Fäuste fuhr, daß er auf den fetten Quälgeist sprang
wie eine wilde Katze.

Michelsen II war ein Tyrann und wegen seiner Mißgunst unbeliebt.
Es hielten wohl manche zu ihm, die an dem rothaarigen Faulpelz wegen
seines Witzes ihren Spaß hatten, oder die er durch sein großes
Taschengeld gewonnen hatte. Aber da der sehnige, kleine Quintaner auf
ihn einsprang, standen sie alle zur Seite und warteten gespannt.

Blaurot vor Zorn, die roten Borsten gesträubt, warf sich der große
Junge mit dem ganzen Übergewicht seines schweren Körpers gegen den
Kleinen.

Lars wurde zurückgedrängt, aber er machte eine wendige Biegung und
hatte den plumpen Großen untergefaßt. Und es war sonderbar, als die
großen, schweren Fäuste ihm auf Kopf und Rücken zu hageln begannen,
wuchs eine Wut in ihm, die mit jedem Schmerz an Kraft zunahm und
ihm in alle Glieder fuhr, daß sie stahlhart wurden und drückten und
preßten und wieder schlugen und zupackten, daß ihm der Atem keuchend
herausfuhr, und er es doch nicht gewahr wurde.

Da tat der unbeholfene Dicke in seinem Bemühen, Lars an die Mauer zu
drängen, einen Fehltritt. Lars aber packte zu, und keiner konnte sagen,
wie es geschah, aber der Dicke lag am Boden, und Lars’ Fäuste trafen
ihn ins Gesicht.

„Den Fuß hast du gestellt, du hast gemogelt,“ schrie der Dicke von
unten herauf.

Aber Michelsen I, der gleichmütig zugesehn hatte, sagte: „Das
ist nicht wahr.“

Da stand Lars auf, blaß und ohne Atem -- aber von dem Tage an achteten
ihn seine Mitschüler, und der kleine Jakob war sein getreuer Anhänger.



Kapitel VI


Es war wieder Sommer, und an Onkel Gusts Hause blühten an der
Gartenseite die Rosen.

So ein Nachhausekommen am Sonnabend, wenn die kleine Bucht im stillen
Abendsonnenschein lag und man das öde Mauergewirr hinter sich wußte,
warf doch einen ganz anderen Schein auf die Dinge. Selbst Tante Jette
schien erträglich, und Mietes Vorzüge waren in ein glänzendes Licht
getreten. In den Jahren, wo andern Mädchen einzelne Gliedmaßen und
Gesichtszüge davonzulaufen scheinen, die dann erst mit achtzehn,
neunzehn Jahren eingeholt werden, war sie immer ein feines, schmuckes,
kleines Mädchen geblieben. Ihr hübsches blondes Haar hing Sonntags
offen über ihren Rücken herunter, und eine blaue Schleife saß an der
Seite. Ihr vornehmes Wesen sagte an so einem Tage jedem, daß sie heute
das gute Kleid trug. Da war freilich wenig mit ihr anzufangen für einen
knapp vierzehnjährigen Quartaner. Aber draußen in der Laube verstanden
sie sich doch recht gut. Dort in der Tischschublade fanden sich Wurst-
und Kuchenstücke, die liebende Fürsorge ihm heimlich aufgehoben hatte.
Wenn sie schon ein wenig alt waren, so sicherte ein Gymnasiastenhunger
doch gnädige Aufnahme. Und während er kauend in dem grünlichen
Blätterdämmern saß, spielte er zuweilen nachlässig mit den feinen,
blonden Haaren. Und der kleine rote Mund neben ihm mit der spitzen,
altklugen Ausdrucksweise war immer in Bewegung, aber der kauende Vetter
war ein guter Zuhörer.

Die lustige Stina, die immer so nett zu ihnen gewesen war, hatte also
auch wieder fortgemußt. Es war doch schrecklich, das war nun schon
das dritte Mädchen, seit er fort war, oder war es die vierte. --
Stina, Jule, Marie, richtig, Emma war da ja noch. -- Und bei dieser
war Mutter richtig toll geworden und hatte sie fast geschüttelt, und
Vater war dann erst recht böse auf Mutter geworden, -- ‚Mama‘ sagte
Miete meistens. -- Und Stina hatte eine Faust gemacht und gesagt, sie
sei man froh, bei so einer geizigen Frau wolle sie gar nicht bleiben.
Aber Vater sei ganz traurig geblieben. Dann warf Miete hastig einen
heimlichen Seitenblick auf den Vetter. Aber der machte ein ganz
unbewegliches, fast böses Gesicht.

„Das ist alles gar nichts für dich,“ sagte er dann in belehrendem Tone
von Swend Michelsen.

Aber Miete lachte hell, daß es vibrierend durch den Garten klang. „Du
Dummer -- ich weiß mehr als du -- bist ja auch nur ein halbes Jahr
älter.“ Dann sah er unbeholfen aus und wußte nicht recht was zu sagen.

An einem sonnigen Sommersonntag war es, daß Lars am Morgen mit beiden
Füßen zugleich aus dem Bett sprang, weil die Sonne so strahlend in sein
Giebelfenster herein schien. Er sah hinaus über Onkels Garten in den
blauen Sommermorgen hinein.

Ringsum hoch, hoch oben zwischen den weißen Cirruswolken und unten
tief unter dem satten, saftstrotzenden Grün war es heut Sonntag. --
Der Sonntag lag blaudämmernd über dem seidenausgespannten kleinen See
und lockte geheimnisvoll in das Wunderdämmern, wo der Wald sich tief
ins Wasser neigte. Und in stillem Sonnenglanze lag er über dem kleinen
Garten und seinen geraden, gelben Wegen. Die alte, grünbewachsene
Urne ragte in feierlicher Ruhe, und der Buchsbaum roch nach Sonne. Am
strahlendsten aber breiteten sich die taufrischen gelben Rosen an der
Laube. Da kleidete sich Lars hastig an. Und als er gefrühstückt hatte,
lief er nach der See hinunter, um seine Schulfreunde vom Frühschiff
abzuholen. -- Als sie wiederkamen, hörten sie Herrn Asmussen in der
Laube sprechen.

Er saß dort fast verborgen hinter dem großen dänischen Zeitungsblatt.
Blaue Rauchwolken quollen gemächlich darüber, und er trommelte langsam
und in kleinen Pausen auf der Tischplatte. Am Tisch stand das neue
Mädchen und räumte den Kaffee fort. Frau Asmussen vertrat heute die
Familie in der Kirche.

Herr Asmussen schmunzelte von Zeit zu Zeit gütig zu dem neuen Mädchen
auf. Und er fragte dies und das, und sie gab Antwort, verlegen und ein
wenig kichernd. Auf dem weißen Tischtuch lag das grünliche Gedämmer,
und goldene Sonnenflecken glitten dazwischen.

Dann fiel das kräftige Tönen heller, starker Kinderstimmen durch
die Luft. Herr Asmussen räusperte sich und hob Zeitung und Zigarre
nachlässig auf. Auf dem gelben Kiesgang traf er Lars mit seinen beiden
Mitschülern und die sonntäglich geputzte Miete.

„Nun wieder Hans und Jakob?“ fragte Herr Asmussen, „warum denn nicht
einmal Swend und Aage?“

„Die waren letzten Sonntag da, Onkel, und Swend will auch gar nicht so
oft, und Tante meint überhaupt, Aage ißt zu viel.“

Miete stieß das neue Mädchen an, und sie kicherten.

„Und dann ist heute Großvaters Sonntag, da gehen wir eben hin.“

„So, so,“ machte Onkel Gust. „Und Miete muß wieder allein bleiben?“
Miete maulte ein wenig, und ihr Vater legte den Arm um ihren Nacken und
streichelte ihre Backe. „Nicht traurig sein, klein Deern.“ Aber Miete
dachte an ihre Locken und rekelte sich aus Vaters Arm heraus.

Die drei Freunde machten, so schnell sie konnten, daß sie aus dem
Garten heraus ins Freie kamen. Leise schwang die Gartenpforte hinter
ihnen her und quietschte ein wenig. -- Bald trabten sie auf dem hellen
Fußsteig über die Koppeln, und das Korn bauschte sich in grünen Wogen
zu beiden Seiten. Hans schwatzte laut und machte große Zeichen in die
Luft und war so eifrig, daß er Lars mit hineinriß. Aber Jakob ging ein
Ende hinterdrein und ließ sich die jungen Ähren durch die Hand gleiten.

Sie waren alle willkommene Gäste unter dem Strohdach, und sie saßen
gedrängt um den braunen Tisch am kleinen breiten Fenster und stippten
schweigend ihre Kartoffeln in die braune Sauce und löffelten ihre
Grütze, als hätten sie nie etwas Besseres geschmeckt. Und Mutter Stina
ging eifrig auf und ab und achtete mit Andacht, ob es ihnen mundete,
und setzte sich endlich in der Küche zu ihrem flüchtigen Mittagsmahl.

Auch diese Stadtkinder hatte schon längst der leise klingende Zauber
dieses heimatwarmen Gehäuses gefangen, und sie hatten sich in die
stille, schlichte Weise hineingepaßt, daß sie mit Großvater redeten,
als wie mit dem Direktor selbst, und Mutter Stina ihre Leiden und
Freuden vertrauten und ihre Sachen zum Stopfen brachten, in unbedingtem
Vertrauen.

Nur einer litt unter ihrem Kommen. Peter Lassen haßte die
Eindringlinge. Mit der ganzen Leidenschaft seiner Jungenseele mißgönnte
er ihnen Lars’ Freundschaft. Jakob war arm und bescheiden. Und weil er
klein und ängstlich war, hatte Peter für ihn nur eine leise Verachtung.
Aber Hans mit seiner großartigen, aufgeregten Art war ihm ein Greul.

Nachdem sie gegessen hatten, fragte Lars den Großvater, ob sie das Boot
haben könnten. Nach alter Weise sah er ihm fest in die Augen.

Großvater trat in die Tür und schnüffelte in die Luft. „Ost Süd-Ost
-- wenn er noch mehr umgeht, gibts ander Wetter. Ihr kommt nicht gut
gegen an, aber wenn ihr zurückkommt, paßt man auf; wo die Hölzung
aufhört, kommt es manchmal unversehens, und es ist böiges Wetter
geworden.“ --

Da kletterten sie in Großvaters Boot, und Lars wies ihnen ernsthaft
ihre Plätze an.

Dann saß er mit unbeweglichem Gesicht am Ruder. Ihm war nun wieder
wohl bis in den tiefsten Grund der Seele hinein. Mit großartiger Miene
und zusammengezogenen Brauen hielt Hans die Segelleine. Aber der
kleine Jakob und Peter saßen auf dem Fischkasten. In Peter Lassens
ganzer Haltung stand es überall geschrieben, daß er ganz und gar nicht
beteiligt sein wollte und ihn das Ganze nichts anging. Die Hände hingen
ihm lässig zwischen den Knien, und die Augen sahen scharf über See.
Sprechen wollte er überhaupt nichts, so schwer es ihm wurde.

Es waren große, wuchtige Wolkengebilde aufgequollen und warfen von
Zeit zu Zeit ihre mächtigen Schatten über die See. Die Farben jagten
sich über die weite Fläche. Jetzt tanzte das Boot durch ein unsäglich
tiefes Blau, nun glitt es durch smaragdgrüne Wunder, nun deckte graue
Öde alles Glänzen, um wieder in Leuchtefarben aufzuglühn. Und ringsum
ein jauchzendes Bewegen, ein rastloses Auf- und Niederkämpfen von
zischenden, platschenden weißen Köpfen und durchleuchteten grünen
Tiefen.

Und wie es ihnen bis auf die Haut und bis ans Herz griff, das salz- und
lebenstarke Sausen, vergaßen die vier ihre eigene junge Wichtigkeit mit
Groll und Würde, und das laute, lachende Geschwätz klang hell in den
sausenden Wind.

Nur Lars blieb still am Ruder sitzen und sah in das endlose Gewoge, und
seine Augen schimmerten dunkel und wechselten wie das Meer, und es war
in ihnen ein großes, unbewußtes Strahlen der Freude.

Sie mußten gegenauf kreuzen, und das Boot tauchte durch die Wellen mit
klatschendem Ton. Der Gischt spritzte über Bord und Hans schrie lachend
auf, wenn ihm das Wasser ins Genick schlug. Sie zogen Großvaters Ölrock
heraus und hängten ihn über Hans’ Schultern. Später fuhren sie ein
wenig unter Land an die andere Seite der Bucht, um zu drehen. Dann
faßte sie bald der Wind mit doppelter Gewalt. Es ging eine steife Böe
über die Bucht.

„Wir wollen doch lieber ein Reff einstecken“, sagte Lars.

„Du Bangbüx,“ schrie Hans zurück, „es ist grade schön.“ Peter Lassen
kriegte schon seine zornigen Augen.

„Ich muß doch das Ganze verantworten vor Großvater. Ich sitze am Ruder,
und ich sage: steckt ein Reff ein!“

Peter Lassen stand gehorsam auf. Gegen den am Ruder war keine
Einwendung zu machen. Aber Hans rührte sich nicht. „Du fürcht’st dich
ja man“, klang es herausfordernd. Da schwang sich Peter über die Duchte
und haute Hans eine Ohrfeige. Glühend vor Zorn warf sich Hans auf ihn.

„Menschen, seid ihr verrückt?“ schrie Lars, „Jakob, die Leine -- die
Segelleine!“ -- Aber schon war es zu spät, das Segel war losgefahren
und schlug donnernd im Wind, und das Boot tauchte und rollte und
schlingerte, wie ein Wesen, das plötzlich den Verstand verloren hat.

Hans und Peter Lassen waren gleichzeitig auf die Duchte gesprungen und
griffen nach dem unschierigen braunen Ungetüm, das sich mit krachendem
Getöse ihrer jungen Kraft entzog. Hans hatte sich weit hinüber
geworfen, und als seinen Händen die rauhen braunen Falten wieder
entglitten, rutschte sein Fuß auf der nassen Bank.

Das Wasser schlug klatschend auf und spritzte hoch in die Luft.

Eine Sekunde starrten die drei auf die Stelle, wo die grünen Wellen
zusammen geschlagen waren, da hatte Peter Lassen schon seine Jacke
heruntergerissen und zerrte wütend an seinen Stiefeln. -- Nur einen
Augenblick stand er dann auf dem Bootrand, streckte die Arme vor, wie
zum Kopfsprung und starrte in die rauschende grünschwarze Tiefe.

Klatsch klang es -- und das Boot schlug gewaltig nach der andern Seite
zurück. Lars aber hatte Jakob bei den Schultern genommen und ihn beim
Ruder hingestoßen. Er drückte seine Hände darum mit hartem Griff. Dann
war es ihm, als fahre es wieder in ihn, wie damals beim Kampfe mit
Aage, wie eine unsinnige Kraft, die ihm heiß und bebend durch alle
Fibern ging. Er stand auf der Duchte und faßte nach dem Segel. Und die
mageren sehnigen Jungenarme griffen in das wogende, schlagende, braune
Gewühl und zwangen es zusammen und faßten die Leine und knoteten sie
fest. Und dann erst blickte er mit großen wilden Augen in das grüne,
sprühende Gewoge.

Da war es -- da glänzte Peter Lassens Kopf auf der Welle. -- Jetzt
tauchte er wieder herunter und verschwand hinter dem Wasserberg.

Und jetzt war er deutlich zu sehn, er ruderte gewaltig und prustete und
spuckte, und mit der rechten Hand zog er etwas Dunkles mit, das von
Zeit zu Zeit unbeholfen im Wasser patschte. --

Lars konnte später selbst nicht sagen, wie er mit dem kleinen Jakob
das Segel umgelegt hatte und zur Stelle zurückgekreuzt war. Aber auf
einmal hatten sie die zwei an der Steuerbordseite, und Lars lehnte sich
hart über Backbord, weil Peter Lassen so schwer am Bootrand zog und der
kleine Jakob mit dem halben Leibe herüberhing, um ziehen zu helfen.

Als Peter Lassen im Boot stand und sich schüttelte wie ein nasser Hund,
war das einzige Wort, das er fand: „He swimmt as Bli, jämmerliche
Landratte, -- so was von swimmen!“

Aber Hans hockte triefend auf der Duchte und sagte gar nichts und sah
aus, als wüßte er noch nicht recht, wer er sei.

Eine Stunde später lag er in Großvaters Bett. Tief drin in der Wand,
wie ein Strandschwalbennest im Loch, war das Bett hinter bemalten
Schiebetüren. Und zwischen Federbetten ragte nur noch seine Nase
heraus, und selbst die Nase sah beschämt aus. Derweilen hing sein
Anzug in der Küche vor einem gewaltigen Feuer.

Als er aber abends in seinem knitterigen feuchten Zeuge neben Jakob auf
dem Schiff stand, das nach der Stadt fuhr, glich er gar nicht mehr dem
großartigen Hans Todtsen von heute morgen, und Jakob sah neben ihm aus,
als sei er gewachsen. Aber Peter Lassen stand am Strande, haute sich
auf die Knie und lachte.



Kapitel VII


Lars sollte erst mit dem Frühschiff nach der Stadt, so kam er noch
gerade zur Schule zurecht. Der Onkel hatte es diesmal so gewünscht.
Der Vollmond stand schon am Himmel, als er über die Koppeln nach
Onkels Hause schlenderte. Die grünschimmerige nordische Dämmerung und
das milde Mondgespinst aus gelblichem Geflimmer hatten alle Dinge
verzaubert. Lars sah sich um, blieb stehn und sah sich wieder um, und
ein Verwundern war in seinen Augen. Er kannte jeden Busch und jeden
Stein, und doch war heute so etwas Sonderbares ringsum. Es sah ihn
alles an so groß und feierlich und so in seltsam tiefe Zauberfarben
getaucht. Es wallte etwas in ihm auf, er wußte nicht, war es Lust
oder Leid, ein wonnig heißes Empfinden, die Liebe zu dieser stillen,
großen, geheimnisvoll-farbenglühenden Heimatwelt. -- Er warf sich in
den saftig-feuchten Klee und wälzte sich da wie ein Tier vor schierem
drängenden Behagen. Dann sprang er auf, sah bedenklich auf den
zerquetschten Klee und lief den ganzen Weg bis zu Onkel Gusts Haus;
denn es war spät, und er sollte eigentlich zum Abendbrot da sein.

Wie er sich scheu durch die Hintertür ins Haus drückte, zogen ihm
zugleich mit den herrlichen Wohlgerüchen zornig laute Töne aus der
Küche entgegen. Die Tante beklagte sich bei der Mamsell, daß das gute
Abendbrot verdarb, denn Onkel Gust hatte die Zeit wieder am Stammtisch
verpaßt.

Da schlug Lars die Mütze eilig über den Haken und setzte sich in die
Wohnstube, mit einem Gesicht, als säße er schon eine halbe Stunde auf
dem nämlichen Stuhl. Es dauerte auch nur kurz, da klang die Haustür
mit schrillem Geläut und laut redende Stimmen kamen die Treppe herauf.
Das Essen wurde auf den Tisch gestellt, und Miete half diensteifrig
beim Rücken und Richten; Lars aber fand, daß Tante Jettes Zorn
gerechtfertigt war, denn die Wohlgerüche hatten nicht getrogen. Sie
saßen um den runden Tisch unter der traulichen Hängelampe, und das
dänische Gespräch floß leicht und fröhlich. Onkel Gust hatte einen
fremden Herrn mitgebracht, der gewandt und höflich sprach und eine echt
dänische Ausdrucksweise hatte.

Die Teller wurden abgeräumt, und die Herren steckten ihre Zigarren
an, und Lars wunderte sich, wie schnell und treffend Tante Jettes
Bemerkungen über ihre feine Häkelei weg nach dem Tisch zu klangen, nun
sich die Rede zur Politik gewandt hatte.

Der fremde Herr kehrte sich oft zu dem stillen Jungen mit den großen
achtsamen Augen. Und mit der Zeit fühlte sich Lars geschmeichelt über
des fremden Herrn Freundlichkeit. Allmählich aber dämmerte in ihm eine
Ahnung davon auf, wer dieser Mann mit der gewandten höflichen Redeweise
war.

Vor bald einem Jahr war es einmal geschehn, daß Peter Lassen eine
Zeitung mitgebracht hatte, die sein Vater hielt. Sie lag auf dem Tisch,
an dem Großvater saß, und seine Augen fielen darauf. Er rückte langsam
herum, setzte seine Brille auf und fuhr mit dem Finger die Zeilen
entlang. Und während er las, zogen sich die buschigen, grauen Brauen
immer tiefer zusammen, daß sich die beiden Jungen schweigend an die
Wand drückten und Mutters Hände mit der Arbeit in den Schoß sanken. Da
kam es. -- Der alte Mann schlug mit der Faust auf den Tisch, daß es
dumpf aufdröhnte. Und dumpf wie ein Gewittergrollen und unbeholfen und
stoßweise kamen die Worte: „Unser Lied, unser Lied, was wir gesungen
haben in Lust, wie wenn der Morgen kam, -- und in Not und Tod, -- daß
es uns war, rein wie ein Gebet, -- das machen uns die Halunken von
Agitatoren schlecht und nennen es ein Aufrührerlied! -- Schämen sollte
sich dein Vater, Peter, daß er so ein Schandblatt hält -- das sollst
du ihm man gern sagen, Junge. -- Wir stammen nur drüben von der andern
Seite der Bucht, aber wir haben das im Herzen und wissen, wie tief die
deutsche Art im Volk sitzt, daß sie selbst das Blut nicht herauswäscht
und all’ die elende Quälerei sie nicht herauskriegt, ebenso wenig
wie die fetten Lockköder. -- Nur ihr hier von der Grenze, euch hat
man hin- und hergeworfen, und die Fürsten haben mit euch gespielt,
wie Kinder mit einem Ball, -- da ist euer echtes Herz dabei flöten
gegangen, daß ihr nichts mehr deutlich und stark fühlen könnt und
mit jedem lauft, der euch winkt. Schade ist’s um euch und das schöne
Stückchen Land, jammerschade, -- und das kannst du gern deinem Vater
sagen, min Jung’, das kannst du gern sagen.“ -- Dann hatte der Alte mit
seinem feierlichen Gesicht das Blatt durchgerissen und war auf seinen
Pantoffeln zum Ofen hingeschurrt und hatte es da hinein gestoßen, und
dann hatte er langsam sein Harmonium aufgeschlossen, und schwer und
mächtig hatte er die Akkorde angeschlagen, und es hatte nicht lange
gedauert, da hatten sie alle mit eingestimmt, sogar die Mutter, in das
Lied, -- sein Lied, -- ihr Lied --, und es war ihnen allen ein Druck
in den Hals gekommen, der ihnen feucht in die Augen steigen wollte.
Und ein Nachklingen von den großen, schweren Akkorden war Lars immer
irgendwo im Winkel des Herzens geblieben.

Und jetzt, unter der traulichen Hängelampe bei dem leicht und gefällig
hinfließenden Gespräch war es Lars irgendwie zum Bewußtsein gekommen,
daß der höfliche Mann und das Blatt, das in Großvaters Ofen brannte,
zusammen gehörten. Und das Lied klang lauter durch seine Seele, und
die Antworten des Jungen wurden immer einsilbiger, bis Tante Jette
ihn ansah und Onkel Gust mit mißbilligendem Lachen sagte: „Geh’ man
lieber zu Bett, du dummer Bengel. Deine Zunge ist ja wohl rein schon
eingeschlafen.“

Da stand er auf und sagte Gute Nacht. Aber Mietes Kinn war ordentlich
spitz geworden vor Stolz, daß sie noch mit den Großen aufbleiben
durfte. --



Kapitel VIII


Ein Schultag hatte sich an den andern gereiht mit Verbum und
Fallgesetzen, Extemporalien und Spektralanalysen. Herz und Muskel
erstarkten in prächtigen Schlägereien und der Sinn, der nach Innen
lauscht, in träumenden Wanderungen über schlickigen Ufersand.

Und Sonntag war dem Sonntag nachgerollt, keiner konnte sagen wohin.
Stille Viertelstunden neben der blonden Miete waren verronnen und immer
dringender werdende Gespräche mit Onkel Gust und seinem Freunde aus der
Stadt.

Und stille Sonntage mit ernstem, breitem Tönen aus dem alten Harmonium
und ernster, stockender Weisheit von Großvaters Lippen und dem alten,
klatschenden Getön der jauchzenden, schluchzenden, lockenden, zürnenden
Wellen.

Aus den schreienden, lachenden kleinen Quintanern waren langbeinige
eifrige Quartaner und endlich große ernste Tertianer geworden, die in
den Konfirmandenunterricht gingen.

Für Peter Lassen hatte sich das Leben verändert. Der große, starke
Mensch hatte alles das, was das Vaterland ihm an Bildung mitzugeben
gedachte, empfangen, und die Zeit der Arbeit schlug. Fischer Lassen
fischte seit Jahren mit in des alten Klaas Klaaßens Boot. Für einen
Dritten war weder Boot noch Fischgefährte da. So senkte denn Peter den
Kopf, daß ihm keiner in die wachen Blauaugen sehen konnte, und ging
aufs trockne Land als Ziegeleiarbeiter.

                              *         *
                                   *

Es war Ostermontag.

Die drei Freunde waren Palmarum eingesegnet worden. Sie gingen auf
den gelben Kieswegen auf und ab, und der Frühlingswind wischte
ihnen das Haar aus der Stirn. Es lag eine Feierlichkeit in den
Falten ihrer schwarzen Anzüge, und eine Feierlichkeit saß auf den
jungen Stirnen. Aber sie sprachen nicht viel über das, was tief im
Herzen vor sich ging, diese nordischen Jungen. Sie gingen eine Weile
still nebeneinander durch Onkel Gusts Garten in der weichen, warmen
Frühlingssonne.

Jakob Lind blieb manchmal stehn und sah auf das Krokusbeet nieder.
Die langen, feinen Blätter lüfteten sich von den Knospen und ließen
vereinzelt die Sonnenstrahlen einen Blick in das farbentiefe
Blüteninnere tun.

Jetzt blieb auch Hans stehn und schnitt mit dem Taschenmesser einen
Kerb in die junge Buche. -- „Weißt du, ich habe jetzt mit meinem Alten
gesprochen, Lars, und er erlaubt es.“

„Was denn?“ fragte Lars wie aus der Ferne.

„Na, daß ich nach dem Reifezeugnis auf das Polytechnikum darf. Was soll
unsereins denn mit dem ganzen gelehrten Kram. Vorwärts mit der Zeit
und ihren Entdeckungen, den greifbaren, praktischen!“ Er schnitt einen
großen Kerb in die Buche und sah sich dann triumphierend um. -- „Und du
Lars, hast du schon gesprochen?“

„Nein,“ sagte Lars und machte mit dem Fuß Zeichen in den Kies.

„Was will er denn sprechen?“ fragte Jakob.

„Na, doch natürlich, daß er auch aufs Polytechnikum möchte und Schiffe
bauen. Aber du, alter Jakob du, hast noch mächtig dicht gehalten mit
dem, was du werden willst, oder weißt du’s noch nicht?“

„Doch, und Lars weiß auch.“ Jakob sah fest vor sich hin.

„Na?“ fragte Hans.

„Theologie will er studieren,“ Lars scharrte noch im Sande. „Soo“ --
sagte Hans. -- Dann waren sie still und nahmen ihre Wanderung wieder
auf.

Oben am Fenster erschien von Zeit zu Zeit die Rückseite von Aages
rotem Kopf und gegenüber, mehr im Dämmern der Stube, das weiße
Spitzenhäubchen von Tante Jette. Es wippte auf und nieder, und sie
schienen eifrig zu reden. Tante Jette wollte ihnen allen einen
Osterschmaus machen. Sie hatte es mit einer so großartigen Würde
ausgesprochen, wie keine Königin zu ihrem Feste lud.

Jetzt klirrte das Fenster. Onkel Gust sah in den Garten: „Lars,“ rief
er, „Lars!“ Der lange steife Junge machte ein paar große Sätze ins Haus
hinein, und seine langen Beine nahmen immer gleich drei von den steilen
Treppenstufen. Aber oben blieb er einen Augenblick auf der dunklen
Treppe stehen, eh’ er die Klinke aufdrückte. Es hatte ihn auf einmal
etwas überkommen, das ihn umwehte, wie ein großer Ernst.

In der vorderen Stube ging Onkel Gust auf und nieder. Er war allein.
Durch die offene Tür konnte man Tante Jette und Aage am Fenster sitzen
sehn. Lars war bei der Tür stehen geblieben.

„Setz dich, mein Jung’, setz dich,“ sagte Onkel Gust. Da setzte er
sich auf den Stuhl bei der Tür. Und Onkel Gust ging auf und ab, die
Hände in den Hosentaschen. -- Man hörte, daß sich Tante Jette nebenan
räusperte.

„Ja, also mein Jung’, wir sind ja sehr zufrieden mit dir, und deine
Lehrer auch, besonders mit deinen Aufsätzen. Im Sprechen bist du
ja langsam, aber das Schreiben ist gut -- auch das andere --, aber
besonders das Schreiben, Herr Tiensen hat es auch gesagt.“

„Herr Tiensen?“ fragte Lars aus seiner Ecke. Herr Tiensen war der
höfliche Herr vom dänischen Blatt.

Lars hatte keine Ahnung, wo der Onkel hinwollte. „Ja, mein Junge, --
Herr Tiensen, gerade Herr Tiensen.“ Er war vor Lars stehen geblieben.
Jetzt spielte er mit der schweren, goldenen Uhrkette. „Und was ich
noch sagen wollte, -- wir möchten uns doch alle nützlich machen,
wo wir können, und der guten Sache dienen. Ich tue das ja auch, so
weit es in meinen Kräften steht, das weiß auch jeder.“ Es schimmerte
ordentlich feucht in Herrn Asmussens Augen, und die Stimme kam tief und
überzeugungsvoll aus seinem Fett herauf. „Und ich habe +schwer+
darunter gelitten, daß ich keinen Sohn hatte, den ich in den Dienst der
guten Sache stellen konnte. Und nun Herr Tiensen es bestätigt, daß du
begabt bist und einen guten Stil schreibst, ist es mir wie eine Gabe
des Himmels.“ Herrn Asmussens Augen ruhten in feuchter Rührung auf dem
Neffen. Aber der Neffe saß stumm und stocksteif im dunklen Winkel. „Ich
möchte, daß du von jetzt ab noch ganz besonders Gewicht darauf legst in
deinem Studium, -- besonders auf den Aufsatz, auf den Stil.“ --

„Aber so sag es ihm doch endlich,“ klang es scharf aus der Nebenstube.

„Ja, mein Jung’, denke dir, welch’ ein Glück für dich: Herr Tiensen
hält eine Stelle in der Redaktion seines Blattes für dich offen. Herr
Tiensen ist sehr mit Arbeit überlastet. Du weißt ja, mit der Agitation
und seiner Arbeit im Reichstag und was sonst, und er hofft nach allem,
was er gehört hat, daß du dich rasch heraufarbeiten wirst und bald eine
der oberen Stellen einnehmen und ihm in seiner großen, schönen Arbeit
zur Hand gehn wirst.“

Jetzt richtete sich der Junge langsam auf. Nun stand er da in seiner
ganzen Länge. Der Onkel trat rasch einen Schritt näher und legte ihm
die Hand auf die Schulter. „Ich weiß, ich weiß, mein Jung’, dein
Großvater hat dir manches dumme Zeug in den Kopf gesteckt. Aber nun
bist du groß und vernünftig geworden, und ich habe dir schon manche
klugen Schriften über unsere geschichtliche Entwicklung zu lesen
gegeben und dann über die wirtschaftlichen Vorteile und schließlich, du
bist jetzt alt genug, daß du eine ehrenvolle, sichere Versorgung nicht
mehr von der Hand weisen wirst. Es soll ja auch nicht gleich sein. --
Du hast ja noch Zeit. Aber du sollst dich darauf vorbereiten, du sollst
--“

„Nein, Onkel!“

Herr Asmussen trat einen Schritt zurück. „Was meinst du eigentlich?“

„Ich will nicht für die dänische Sache arbeiten. Ich bin deutsch.“

„Und alles, was wir für dich getan haben, und alle Hoffnungen, die wir
auf dich gesetzt haben?“ -- Herrn Asmussens Stimme schlug um. --

Da stand Frau Henriette Asmussen wie hingezaubert. Und ihre stahlharten
hellen Augen sprühten. „Damit du’s immer weißt, -- dein Onkel macht
wieder so viele unnütze Worte. -- Wir haben dich an Sohnesstatt
erzogen, damit du der guten Sache dienst, und wir werden auch weiter
an dir handeln, wie an unserm leiblichen Sohn, wenn du zu uns stehst.
Wir bieten dir einen schönen, reichen Beruf. Da kannst du dich
heraufarbeiten, ein Führer von vielen und ein reicher Mann werden. --
Wenn du aber bei deinem Undank bleibst, und wir haben alle Wohltaten an
dich verschwendet, dann ist da die Tür!“ -- Sie stand da, groß und mit
den kalten, glitzerigen Augen. Herr Asmussen saß am Tisch und hatte den
Kopf in die Hand gestützt.

Und alle die großartigen Worte und die großartige Art hatten etwas
so Sonderbares zwischen dem Nippschrank und dem guten Plüschsofa und
den biederen Gesichtern der alten Asmussen in den schwarzen runden
Rahmen. Und die enge, muffige Stube und die großartigen Worte und der
unbarmherzige Zwang, der überall herauslugte wie ein böses, langarmiges
Tier, krochen an Lars heran wie eine große Bangigkeit. Es hatte alles
vom ersten Tage an auf ihm gelastet, und je älter er wurde, je klarer
hatte er es gefühlt, aber es hatte unter der Gewohnheit versteckt
gelegen, und er hatte so dahingelebt in seiner Traumwelt, ohne sich
davon Rechenschaft zu geben. Jetzt hatte er nur ein Bewußtsein zorniger
Verhärtung. Man hatte ihm die Wohltaten vorgehalten wie einem Bettler.
Aber aus dem Zorn wuchs ein klarer Gedanke herauf, wie wenn ein
Sonnenstrahl in eine dunkle Stube fällt: „Jetzt bin ich frei.“

Beide, Onkel Gust und Tante Jette, sahen noch ganz verblüfft auf die
Stelle, wo Lars eben gestanden hatte, und dann auf die geschlossene Tür.

„Das hast du nun wieder mit deiner bissigen Art. Es ist doch
schließlich auch der Sohn von meinem einzigen Bruder.“ Onkel Gust war
noch immer in der gerührten Stimmung. Tante Jette aber sah noch hart
auf die geschlossene Tür. „Undankbares Krott,“ sagte sie.

                              *         *
                                   *

Die Krokus waren lange verblüht. An den Buchen waren die kleinen,
feinen Blättchen herausgekommen und schimmerten silberig in ihrem
schleierhaft zarten Duftegrün. Und die Fischer dachten an den Aalfang.
--

Das war erst ein helles Träumen gewesen. Auf dem Rick hatte er gesessen
und die Beine über dem Wasser hängen lassen, und Mutter und Großvater
ließen ihn, denn dort machte er Pläne für seine Zukunft. Und wie das
Wasser unter ihm hinfloß, eine grüne Welle nach der andern, -- über
der andern, -- in der andern, -- immer und immer wieder, so kamen die
Gedanken und gingen wieder gemächlich und glitten zurück ins Unbewußte,
und es war ein angenehmes Dämmern, und es kam nicht von der Stelle.

Und endlich fuhren sie nach der Stadt, um Herrn Braun zu fragen. Herr
Braun war der Hauswirt, bei dem die Gymnasiasten wohnten. Er war ein
Preuße mit einer lauten Stimme und einer knappen, selbstbewußten Art.

Sie hatten ernste, unbewegliche Gesichter, der alte Klaas Klaaßen und
der junge Lars Asmussen, als sie langsam hintereinander die Treppe
zu Herrn Brauns Wohnung hinaufstiegen. Sie sahen bedenklich auf das
glänzende Türschild, auf dem Herrn Brauns Name und Würden standen.

Als sie aber wieder die Treppe hinunter stiegen, waren die Gesichter
noch unbeweglicher, und die Augen suchten tief im Innern eine Welt, die
sich nicht mehr finden lassen wollte.

Er hatte laut und unumwunden gesprochen, mit kurzen, eindringlichen
Bewegungen, und der alte Fischer hatte zugehört mit seinen stillen,
klugen Augen und nur manchmal mit dem großen, grauen Kopfe langsam
genickt.

Was bot die große, bunte Welt mit ihren glitzernden Glücksstraßen dem
langgliedrigen, unbeholfenen Jungen mit den Träumeraugen und der
breiten Stirn? -- Ein Tertianer ohne einen Groschen Geld und noch dazu
ein Träumer, -- Herr Braun hatte nicht viel Hoffnung. -- Da war die
Subalternkarriere bei der Post; oder er konnte Kommis werden, oder er
ging zur See.

Konnte er sich da Geld sparen und schließlich zum Polytechnikum kommen
irgendwie oder sich sonst heraufarbeiten? Lars’ Augen waren weit und
dunkel.

Herr Braun zuckte die Achseln. Es hatte ja schon mancher so etwas
erreicht, so ein strammer Strebsamer. „Du bist ja begabt, Lars, aber du
bist langsam und verdöst. Mach dir lieber keine vergebliche Hoffnung!“

Und wie sie auf der Treppe standen, da überkam es ihn auf einmal, daß
ihm das Leben das Buch vor der Nase zugeschlagen hatte.

Dann waren sie doch noch durch eine schwere Stadthaustür nach der
andern gegangen und hatten gefragt und wieder gefragt in ihrer
langsamen Weise. Lars hatte meistens das Wort geführt und ein Blick
unter Großvaters dicken Brauen hatte den Ausschlag gegeben. Aber es war
nichts gewesen. In den großen Kaufhäusern hatten sie den unbeholfenen
Fünfzehnjährigen, der nicht einmal eine gute Handschrift schrieb,
nicht gewollt; in den kleinen Läden war der Gehalt zu jämmerlich. Bei
der Post war gerade keine Stelle in der Nähe frei, und es lockte Lars
auch ganz und gar nicht.

So traten sie schon im Dunkeln wieder in die niedrige Tür, wo Mutter
das Abendbrot noch bereit hielt, und sagten ihr, daß Lars Seemann
werden müßte.

Da geschah es zum erstenmal, so lange Lars denken konnte, daß das große
Schweigen von Mutters Gesicht zurückglitt und sie seine beiden Hände
packte. Sie reichte ihm jetzt nur ein wenig über die Schulter. Einmal
hatte sie ihn fortgegeben, ihren Einzigen. Nun kämpfte sie hart, daß er
jetzt nicht hinauszog über die große, graue Weite, die so harte Lieder
sang vor den Fenstern und nicht danach fragte, wer es war, den sie
behielt. „Nein, nein! Nicht Seemann! Nein, Lars! Nein, Vater!“

Da gaben sie sich bald darein; sie waren ja nur in der Not darauf
verfallen. Sie waren alle nicht für das Ringen bis aufs Blut; und sich
hineinzuzwängen in den Lebenskampf, war ihrer Art fremd.

Und so blieb nur noch eins übrig, und das war Lars im Grunde das
Liebste.



Kapitel IX


Es war wieder ein Sonntag, und durch die kleinen Scheiben des breiten
Fensters tanzte ein warmer, goldener Strahl über den braunen Tisch
und die bunten Schiebetüren von Klaas Klaaßens Bett. Aber Klaas
Klaaßen hatte den guten, dunkelblauen Anzug an und saß im Lehnstuhl
beim Tisch und spielte, in Gedanken verloren, mit den Zuckerstückchen
in der Zuckerdose mitten auf dem Tisch, und gegenüber saß Fischer
Lassen, auch in seinem blauen Sonntagszeug und hatte die Hände auf die
Knie gebreitet. Und Peter Lassen saß an der Wand, ein wenig lässig
hingerekelt. Der Sonntagsanzug war schon wieder ein wenig kurz und
eng geworden für den großen Menschen, und er sah gleichgültig in die
Stube hinein, aber die scharfen Augen gaben gut acht. Und Lars lehnte
am Türpfosten und sah vor sich auf die Erde. Aber Mutters Augen gingen
schnell von einem zum andern wie in angstvollem Fragen.

Die Männer sogen an ihren kurzen Pfeifen, und Mutter nahm ihr
Strickzeug wieder auf, und die Sonnenstrahlen reisten weiter, die
grünliche Wand entlang.

In Lars gingen die Gedanken auf und nieder wie die Wellen am
Steindamm. Er hatte viel erlebt in der Zeit, seit die ersten Krokus
in Onkel Gusts Garten aufblühten.

Es war eine Weile still gewesen in der Fischerhütte. Da zog Klaas
Klaaßen die Pfeife aus dem Mundwinkel und strich mit der Hand über den
Tisch, als lägen Krumen darauf. Er war aber ganz blank. „Ja, denn is
das wohl nich anders, wenn sie doch beide Lust zu haben.“

Hans Peter Lassen, der Vater, nahm die Pfeife heraus und spuckte zur
Seite. „Ja, denn soll das wohl so sein,“ sagte er, und nach einer
Weile: „Aber Geld gehört da auch zu.“

Peter Lassens Augen hatten immerfort acht gegeben, nun waren sie
hellwach. „Ich weiß ein Boot, das ist billig zu kaufen. Am Strand, gar
nicht weit von unserer Ziegelei, sitzt doch der alte Hinrich Maaß,
der so doll dänisch is. Ein bißchen dumm im Kopf ist der alte Kerl
auch schon. Er will sein Boot los werden und weiß nicht, wie viel es
noch wert ist.“ Peter lachte und fuhr sich mit der Hand über seine
kurzen Haare. „Ich hab’ ihm schon immer vorgeredet: Das alte Ding ist
nichts mehr wert. Und dachte, wer weiß, ob man’s nicht mal braucht.
Achtzig bis neunzig Mark, sagt’ ich ihm, mehr gibt ihm keiner für den
Klapperkasten. Aber es ist noch ein ganz gutes Boot, hat in Eckernförde
seine 200 Mark gut gekostet. Das wär doch dann mal das Sommerboot!“
Peter steckte die Daumen in die Achsellöcher, zeigte die weite Reihe
seiner weißen Zähne und sah von einem zum andern. Er hatte eine
Siegermiene, und Lars warf einen schnellen, bewundernden Blick nach ihm
hin. -- Die Alten nickten mit dem Kopf und sahen gerade aus.

„Und dann die Netze und was dazu gehört,“ sagte Hans Peter Lassen.

Klaas Klaaßen sah noch tiefer auf seine Pantoffel und tat ein paar
tüchtige Züge. Und so, mit dem Rauch zum Mundwinkel heraus, und nicht
ganz deutlich kamen die Worte: „Meine alte Stine-Marie hat ja ein gut
Teil zurückgelegt. -- Etwas hat Justina bei der Hochzeit mitgekriegt,
-- das hat ja Asmussen alles vermöbelt, -- aber etwas ist da noch, was
sie nach mein’m Tod gekriegt hätte. -- Recht wird’s ihr ja sein. -- Na
und denn“ -- Eine Handbewegung machte den Schluß. --

„Jaa,“ sagte Hans Peter Lassen und wiegte den Kopf hin und her. „Jaa,
aber ich hab’ noch nich so viel zurücklegen können, und mit den drei
Gören, die da noch sind zu Hause.“ -- Er sah starr nach der Wand
gegenüber und hielt die Hände breit auf den Knien.

Großvater zog die Pfeife wieder heraus, drehte den großen, grauen
Kopf nach Lassen hin und kniff ein Auge zu: „Naa, Hans Peter -- ~min
ven~,[2] uns machst du nix vor. Wir machen das ordentlich zu gleichen
Teilen, daß die Jungens sich nix vorzuwerfen haben und alles seine
Ordnung hat.“

Hans Peter zog die Mütze in die Stirn, setzte sich noch behaglicher
zurecht und brummte ein wenig in den struppigen Bart. Aber die Sache
war nun abgemacht, und Mutter ging, den Kaffee zu holen.

An dem Sonntag abend war das Meer ringsum wie eine zitternde
Perlmutterfläche. Und zwischen dem Wunderglänzen saß Lars in Großvaters
Boot und träumte. Das Boot war fest am Pfahl, und ganz leise glucksten
die Wellen daran, wie ein schläfriges Flüstern der ewig atmenden
Sehnsucht. Die Welt war goldenrötlich und glasig-licht bis hin zu den
fern verschwimmendsten Ufern. Und wunderlich still und rein war die
Welt. -- Und selbst die Möwen schienen es zu fühlen und glitten leise
dahin auf sonngebadeten Fittichen. -- Und groß und heilig zogen die
Leuchtewolken daher auf ihrer geheimnisvollen Bahn.

Lars sah ihnen nach, und es stieg ein Ahnen seines eigenen Lebens in
ihm auf. So glitt es hin. Wer sagte: „Dort liegt dein Ziel?“ -- Fern --
fern im Perlmutterglanz des Unerkannten, Unergründlichen mochte es sein.

Am Strande aber, eh’ er nach Hause ging, war noch eines in ihm wach
geworden. Er sah hinaus über die stille, schimmernde Weite, und es
läutete in ihm, wie von Glocken. Nun gehörte er +ihr+. --

                              *         *
                                   *

Bald darauf hatten sie alles mit Hinrich Maaß wegen des Bootes in
Ordnung gebracht. Auch das Netzwerk war beschafft worden, wie Großvater
es haben wollte. Und nun waren sie schon ein paarmal draußen gewesen.
Und sie hatten ganz gute Arbeit gemacht.

Das war ein Tag unmäßigen Stolzes gewesen, als sie zum erstenmal im
eigenen Boote hinausfuhren. Sie hatten Gesichter aufgesetzt, als sei
es eine alltägliche Beschäftigung. Ganz gleichgültig gingen sie mit
den Rudern und Netzen über der Schulter im Ölzeug zum Strand hinunter,
obgleich es sehr wenig regnete. Und die beiden hohen, jungen Gestalten
mit den lachenden Augen in den gleichgültigen Gesichtern sahen aus, daß
es eine Freude war im grauen Morgenlicht.

Und die Arbeit war eine Lust gewesen die ersten Male, und nur eine Lust.

Als aber die nassen Taue ihre Hände durchgezogen hatten und sie
die harte Arbeit in jedem Gliede spürten, da war es ein ander Ding
geworden. Peter Lassen hatte auch in der Ziegelei schwer gearbeitet,
und nur das Ungewohnte war zu überwinden. Aber Lars’ Körper war noch
weicher, und die Last war fast zu groß.

Peter Lassen zog den Mund manchmal ein wenig auseinander und zeigte die
weißen Zähne, wenn Lars unversehens nach seinem schmerzenden Rücken
langte oder aufzuckte, wenn ihm das Seil durch die offnen Wunden in
der Hand glitt. Dann zog Lars zornig die Brauen zusammen und tat seine
Arbeit ohne Klage. Aber nachts im Bett stöhnte er manchmal auf vor
Schmerz.

Mutter sah es wohl, aber sie wußte, daß sie ihm nicht davon reden
durfte.

Lars drückte die Lippen hart aufeinander, und in dieser Zeit setzte
sich auf seinem Gesicht der hölzern-unbewegliche, fast finstere
Ausdruck fest. Aber hinter den stillen Zügen, da arbeitete es. Wenn
die harte Arbeit ihn losließ, dann kam er ins Grübeln, denn er war
nicht im gleichmäßigen Einerlei von saurer Arbeit und müdem Behagen
aufgewachsen. Sein Geist war wachgerüttelt worden, und das weiche,
schlafende Land seiner Seele war nun schon manches Jahr bebaut
worden. Und grade jetzt war der bewußte Drang nach Wissen in seiner
schweigenden Jungenseele aufgestanden und hatte sich nach dem Fernen
-- Unbekannten gedehnt. Und es war etwas in ihm wach geworden, wie ein
Hunger nach einem Großen, das er nicht kannte, und nach Taten, die
ihm keiner hätte nennen können. Auch machten ihn jetzt die übergroße
Müdigkeit und die schmerzenden Glieder noch mißmutig. Er konnte mit
keinem von diesem sehnenden Leiden reden. Sie hätten ihn alle nicht
verstanden, und Peter Lassen hätte womöglich noch gelacht. Und daß er
alles so einsam trug, machte es noch schlimmer. Darum wuchs es in ihm
zu einem Haß auf gegen diejenigen, die ihn so herumgeworfen hatten zu
ihren selbstischen Zwecken. Wenn er an den fetten Onkel Gust dachte,
oder gar an Tante Jette, dann ballte er die Fäuste.

Aber in Lars’ Seele war zu viel Leben, als daß sie hätte in Kummer
und Grimm stecken bleiben können. Als das Rudern, Segeln und Fischen
und der Stolz des ersten eigenen Verdienstes ihren Reiz verloren
hatten, suchte er nach etwas Neuem, um seine überschüssige Kraft daran
zu erproben. Das Zimmern und Bauen hatte ihm von je her mehr Freude
gemacht als alles andere. Auch hatte er in der Stadt oft in seinen
freien Stunden bei einem alten Bootbauer herumgesessen. Nun kroch er
immer um Großvaters Winterboot, wenn er Zeit hatte, und befühlte es und
hockte sich daneben und sann.

So ging der Frühling herum und ein Teil des Sommers.

An einem Sonntagmorgen, als die andern alle fort waren, saß er wieder
bei Großvaters Boot, und die weich verschwommenen Sonnenstrahlen und
die großen Wolkenschatten liefen über ihn hin.

Mit einem großen Seufzer stand er auf und ging nach Hause. Durchs
Fenster sah er Mutter am Tisch sitzen; vor ihr lag die Bibel und das
Sonntagsblatt. Die Sonne lief über ihr Gesicht und glänzte auf den
weißen Strähnen in ihren Haaren. Wie viele Runzeln jetzt in dem
Gesichte waren, kam es ihm so in den Sinn! Er ging nun sehr langsam
und vorsichtig auf die Tür zu, denn er wußte, daß Mutter ihren Sonntag
feierte, weil sie die Männer weit weg glaubte. Und unklar empfand er
die herbe Würde in dem stillen Gesicht. Wie sie so dasaß und las,
lag es über der alternden Frau fast wie eine vornehme Unberührtheit.
Linkisch und fast verlegen bückte sich Lars zur Haustür herein. Sie
schob die Bibel zur Seite, und ihm war, als habe er die Mutter nicht
recht bekleidet überrascht.

Er holte sein Handwerkszeug und ging wieder hinaus. Aber es wollte
nicht mehr recht gehen mit dem Messen und Probieren. Mutters
Sonntagsruhe war mit herausgekommen und schwamm ringsum in der milden
Sommerluft.

Großvaters Boot war hoch auf den Strand gezogen, fast unter die
letzten Buchenbäume der Hölzung. Reglos starrten die Blätter in die
graue Luft, nur manchmal war es, als rinne ein Zittern durch den Baum
bis in das äußerste feinste Geäst. Ein Silberflimmerschein lag über
dem Wasser, und von Zeit zu Zeit lachte drüben das andere Ufer in
Sonnenleuchtefarben aus dem Grau.

Er fühlte nun auf einmal die feierliche Ruhe ringsum. Da paßte er
nicht hinein mit dem zornigen Mißmut, der immer wieder in ihm aufquoll
wie eine trübe Welle. Warum ihn dies Gefühl überkam, konnte er nicht
sagen. -- Zur Kirche gingen sie hier nicht oft, der Weg dorthin war
viel zu weit. Aber bei manchen von ihnen war ganz tief unten in ihren
wetterharten Seelen eine keuschumfriedete Stelle; dort wohnte die
Sonntagsstille. Da war Lars jetzt hineingetreten. Er schämte sich
des Hasses und Mißmuts, die nicht klingen wollten mit der stillen
Sonnenwelt. Er saß auf dem Bootrand, den Kopf ein wenig vorgebeugt, die
Lider tief über den Augen, mit dem feierlich, fast finstern Ausdruck
über dem Gesicht, wie er sonst in der Kirche darüber liegen mochte.
Denn in der sonntäglichen Stille war es über ihn gekommen, daß er dicht
um sich her eine große heilige Nähe fühlte, in der sein Denken und
Fühlen ein Echo fand. „Du dummer Lars,“ klang es ihm, und er beugte den
Kopf noch tiefer, -- „mit deinem Sorgen und Grämen und Zürnen! Es ist
ja alles für dich besorgt und das Wegziel gesteckt. Geh’ nur tapfer
geradeaus, du dummer Lars!“ --


[2] Mein Freund.



Kapitel X


Sie hatten die saure Winterarbeit gut überstanden trotz ihres billigen
schlechten Bootes. Und auch den Zorn hatten sie verschmerzt, daß
die andern Fischer ihrem Boot vorbeiliefen und mit breitem Lächeln
über ihre Schultern nach den zwei Nachzüglern blickten. Und bei der
harten Arbeit hatte Lars selten über seine Einsamkeit und seine große
Sehnsucht nachdenken können.

Dann war es im Frühling gewesen, daß es in Lars endlich zur Reife
gekommen war, was nun schon bald ein Jahr wühlte und wuchs. Er hatte
tief aufgeseufzt, und dann begann er davon zu reden. Er legte alles
langsam und bedächtig auseinander, und in Peter Lassens Augen zündeten
sich Flammen an, und er schlug begeistert mit der Faust auf den Tisch.
Hans Peter Lassen spuckte verächtlich aus und wollte von dem ganzen
Unsinn nichts hören. Nun sah er endlich, wo die Bildung den Jungen
verrückt gemacht hatte. Aber Klaas Klaaßen nickte langsam mit dem
großen, grauen Kopf. Und am nächsten Morgen besorgten sie sich die
Bohlen und Bretter.

Von der See aus sah man das Feuer und die beiden langen Gestalten,
die sich davor bewegten. Und sie achteten nicht der Brandwunden und
der schmerzenden Hände, wenn sie die Arbeit der Maschine tun mußten
und das starke Holz über der Flamme bogen. Und von Zeit zu Zeit kam
Großvater mit breiten, langen Schritten und stand mit den Händen in den
Hosentaschen ganz still, wie aus Holz geschnitten, kniff manchmal ein
Auge zu und sah wohlgefällig auf das Hämmern und Sägen, wie die Hobel
weiß umhersprühten, und die jungen Gesichter glühten. Und Hans Peter
Lassen kam wie zufällig vorbei und warf ein verächtliches Wort über die
Schulter und sah doch hin und kam am nächsten Tage wieder und blieb
allmählich bei Großvater stehn, die Pfeife im Mund. Und die andern
Fischer kamen und gaben in kurzen Worten Rat und Meinung. Aber die
beiden Jungen ärgerten sich der Alten und hörten nicht hin.

Nun war’s darüber Spätsommer geworden, und heute war der große Tag!
Lustige weiße Köpfe tanzten über die blaue See. Eisern fest hielt Lars
die Riemen und Peter Lassen ging voraus mit dem Mast über der Schulter.
Unheimlich laut klangen Lars seine eigenen Tritte auf den Brettern des
Ricks. Er wußte, daß sie alle auf ihn achteten am Strand, Großvater
und die andern alten Fischer, und er trachtete hart danach, eben so
gleichgültig auszusehen, wie Peter; denn ihm war, als müßten ihm die
Alten anmerken, wie sein Herz klopfte. Und er ging steifbeinig und mit
langen Schritten bis ans Ende des Ricks.

Aber am Strand, auf den umgekehrten Booten saßen Großvater und Hans
Peter Lassen und noch eine ganze Anzahl mit struppigen Bärten,
wetterharten Gesichtern und scharfspähenden Fischeraugen.

Und einer oder der andere stand auf und folgte ihnen breitbeinig und
gemächlich, die Pfeife im Mundwinkel, auf das Rick hinaus. Vorn am
Rick schaukelte ein gedecktes Fischerboot auf und nieder. Ein wenig
unbeholfen war die Form, aber sonst sah es neu und schmuck aus.

Peter ließ sich zuerst hinunter gleiten. Es hatte etwas Geschmeidiges,
unähnlich seinem steifen Bewegen, wie er sich ins Boot schwang. Lars’
Hände zitterten, als er ihm die Riemen herunterreichte, aber sein
Gesicht blieb gleichmütig.

Rrrr, ging das Segel hinauf. Die Fischer zeigten mit dem Daumen nach
dem Segel und der Stellung des Mastes und nickten mit dem Kopf.

Und nun stießen sie sich ab. -- Lars saß am Ruder, den Kopf ein
wenig nach vorn gestreckt. Wie sie vom Land freikamen, faßte sie die
frische Ostbrise. Es rasselte und klapperte in den Tauen, die weißen
Wellenköpfe sprangen gegen das Boot, aber es behielt die Nase oben und
lief gemächlich gegen an. Da stieg eine rasche Farbe in Lars’ Backen.

Am Ufer aber hatte sich ein beifälliges Gemurmel erhoben, sie wurden
fast lebhaft in ihrem Bewegen. Aber Großvater saß ganz still auf dem
umgekehrten Boot und schmauchte. Nur seine Augen lachten.

Dies war die Probefahrt gewesen. -- Der siebzehnjährige Junge hatte es
erreicht. Freilich, ein wenig schwerfällig war noch das neue Boot, und
es lief auch noch kaum so schnell wie die andern Fischerjollen, aber es
war doch ein seetüchtig Boot, das sagten sie alle, und daß es überhaupt
lief, das war das Verwunderliche.

                              *         *
                                   *

Das war an einem Sonnabend, und am Nachmittag brachte Lars mit
Großvater die Fische nach der Räucherei.

Gegen Abend war der Ostwind zu Bett gegangen, und sie krochen mit
schlappem Segel mühselig über die Bucht. Die Ufer spiegelten sich
tief im Wasser, und die große Stille lag wieder auf breiten Flügeln
über See und Land. Das lautlose Hingleiten und das ewige Schweigen
um ihn her löste etwas in Lars’ Seele, daß die Härte des Mühens und
Quälens ums tägliche Brot zurückglitt und er zum erstenmal anfing, von
der Sehnsucht zu reden, einmal hinaus zu kommen über diese schlichte
Runde von Mühen und Quälen, Essen und Schlafen. Und er fand auch Worte
für seinen Zorn und Haß gegen den reichen Onkel und die satten Leute
überhaupt. Aber der Alte hielt die Hand am Ruder, sah geradeaus über
die lautlose Fläche und sagte kein Wort.

Als sie so eine Weile unhörbar hingeglitten waren, bewegte er langsam
die Lippen, als spräche er mit sich selbst. Und mit eins fing er in
seiner stockenden, murmelnden Weise an. „Lars, min Jung’,“ sagte
Großvater. „Kannst du nich sehn, daß da rings herum alles so eine
richtige, feine Ordnung hat, und paßt sich eins ins andere, rein wie
mein Harmonium. Nur die Menschen machen da wohl mal einen Wirrwarr
hinein. Das ist dann der verstimmte Ton, weißt du. Dann klingt das,
als ob die ganze Melodie falsch ist, und kein Ton weiß mehr, ob er an
seinem richtigen Fleck sitzt. Aber das bleibt alles ganz richtig, und
wenn der eine falsche Ton weg ist, dann merkt man das. -- Ich glaube,
jeder muß nur richtig fest auf seinem eigenen Ton bleiben, dann paßt
ihn die große feine Ordnung überall herein. Nur wenn er nicht fest hält
auf seinem Ton und wackelt herum und macht selbst einen Wirrwarr, dann
muß er heraus. Wenn’s geht, läßt man ihn ganz aus der Melodie, und die
große Ordnung rings herum, wo alles arbeitet und brauchbar ist, sucht
auch nur, wie sie ihn los wird.“

Das traf Lars auch alles, als sei es in seiner eigenen Seele gewachsen.
Nur dunstiger hatte er es auch schon gedacht. Aber von dem Drängen und
Sehnen konnte Großvater eben doch nichts wissen.

„Ja“, fing er endlich wieder an und strich mit der Hand immer auf
der Duchte hin und her, „wenn man bloß so wissen könnte, welches der
richtige Ton ist, der einem eigentlich gehört. Das Boot habe ich doch
fein gebaut, und zu so was habe ich doch mächtige Lust, da wär’ das
doch dann richtig gut, wenn ich zuletzt +doch+ zum richtigen
Schiffbauer käme. Aber wenn das dann nicht geht, was ist denn da mein
eigener Ton?“

„Ja, min Jung’, das is nich so leicht, wie Spickaal essen. Das is
nich leicht und finden das raus, und ebenso schwer is dann wohl das
Erklären, denn das merkt jeder bloß ganz allein. Wenn’s auch manchmal
nicht so geht, wie du denkst, mußt eben aufpassen und lauern, wo dich
die große Ordnung hineinpaßt. Mit dem Gegenanstrampeln, wenn die
Ordnung nich will, und das Ding nich reif is, wird das sein Leben nix.
Das gibt man einen großen Tüter.“

„Aber immer so still sitzen und sich ducken, ist doch auch nichts. Da
drüben in Wanbyll die Fischer, die halten zusammen und wollen mal die
ganze Welt neu machen, das ist doch fein.“

„Das Zusammenhalten, ja, das is wohl was Rechts, aber mit dem andern
all’ machen sie mir viel zu viel Lärm. Da glaub’ ich nich an, das
is nich was, was die Ordnung reif gemacht hat. -- Wirst schon sehn,
arbeiten und langsam wachsen, und kein Spektakel, sonst wird da mein
Tag nix draus.“

Lars ruckte mit den Schultern, er war ungeduldig. Aber so oft er wieder
anfing zu reden, Großvaters Mund war nun wie ein fester Strich und die
Linien an den Seiten fest eingegraben. Er sagte kein Wort mehr. Er sah
weit über See und kniff von Zeit zu Zeit mit dem einen Auge.

In Lars aber war nichts von der gleichmütigen Ruhe. Der junge Ruhm
und dann das Gespräch mit Großvater hatten sein Denken und Fühlen
wachgeschüttelt, daß ihm die Brust zu eng wurde. Und es bäumte sich in
ihm der Wille in Auflehnung gegen das Stillehalten und Horchen. Heute
abend wußte er, daß er handeln mußte, vielleicht wie die in Wanbyll es
wollten, -- vielleicht anders. Nur nicht stillsitzen und abwarten!

Dann aber traten sie zurück in ihre stille Welt. Das Gleichmaß der
Arbeit legte die schwere, ruhevolle Hand auf Lars, und unbemerkt glitt
er in die dunstig-grüblerische Verträumtheit seiner Eigenwelt zurück.



Kapitel XI


Oben auf Moosgaard war Erntebier. Die Tage nahmen schon ab, und in der
Dämmerung warf der feuchte, kalte Wind die Wellen klatschend auf die
Steine.

Lars und Peter Lassen gingen zusammen den Fußsteig hinauf.

Peter hatte sich ein neues weißes Chemisett gekauft, das nicht recht in
seiner Weste haften wollte. Aber sein Gesicht glänzte in gleichmütiger
Würde über dem kleinen bunten Schlips.

Lars hatte jetzt ganz so einen blauen Anzug wie Peter. Er ging ins
neunzehnte Jahr und sah groß und männlich aus.

Peter hatte etwas Besonderes, was ihn auf dies Erntebier lockte. Er
hatte eine richtige Braut. Noch war er nicht ganz zwanzig. Aber seit
bald vierzehn Tagen hatte er eine Braut.

Er hatte Lars genau erzählt, wie das Ganze gekommen war: In der
Ziegelei, wo er gearbeitet hatte, wohnte eine ordentliche Familie.
Arme Arbeitsleute waren es, aber der Mann trank nicht wie die andern
dort und hielt sich auch mehr für sich. Die Frau war lange tot, und
die große helle Tochter sorgte für den Hausstand und die kleinen
Geschwister. Peter hielt sich immer zu den Ordentlichen, und so war
er bald mit dem ruhigen Mann und seinen flachsköpfigen Kindern gut
bekannt geworden. Er hatte oft im Winkel neben dem Herd gesessen, und
seine wachen Augen waren hin- und hergewandert mit dem starken, sichern
Bewegen der großen Schwester.

Nun hatte er neulich Dora Nielsen wieder getroffen. Oben im Flecken
war es gewesen, und sie hatte still und viel ernster ausgesehen. Der
Vater wäre schon seit ein paar Monaten tot, sagte sie ihm. Er hatte
sich überhoben mit einer allzuschweren Steinlast. Da war ein Blutsturz
gekommen, und er war gestorben. Der Körper sei schon zu schwach und
verarbeitet gewesen, meinte der Arzt.

Die Geschwister hatte sie unterbringen müssen. Zwei waren ja Gott sei
Dank so weit, daß sie auf Arbeit gehen konnten. Der Älteste war zum
Bauern, den Zweiten hatte sie in die Lehre gegeben, weil er nicht so
kräftig war. Bis jetzt hatte sie noch bei der Frau vom Ziegeleiherrn
gearbeitet und die kleinen Geschwister dabei besorgt. Nun war das
zu Ende. Die Kinder waren in der Gemeinde verteilt, und Dora suchte
einen Dienst. Wenn es noch weiter so schwer hielt, einen guten
Dienst zu finden, wollte sie dort, wo der Bruder als Knecht diente,
Meiereimädchen werden.

Sie hatte die ganze Zeit zur Seite gesehen und traurig vor sich hin
erzählt, ganz anders, als die starke Helle sonst gewesen war. Das
letzte hatte sie gleichgültig, fast finster gesagt. Aber Peter hatte
ein ernstes Gesicht gemacht, denn das war ein böses Brot für so ein
schmuckes, kräftiges Mädchen. Eine Zeitlang war er ganz still neben ihr
durch den Flecken gegangen. Dann war er stehen geblieben und hatte sie
gefragt, ob sie seine Frau werden wollte. -- Er hatte es im Grunde nur
gesagt, weil sie ihm so leid tat, nun sie aber seine richtige Braut
war, wollte er sie auch allen Leuten zeigen und war unbändig stolz,
daß er sich so eine kräftige, tüchtige Frau ausgesucht hatte. Und um
sich mit seiner Braut sehen zu lassen, ging er jetzt neben Lars nach
Moosgaard hinauf.

Mit aller Gewalt konnte Lars seine Züge nicht in Peters großartige
Gleichgültigkeit zwingen.

Er war Peters Zureden nur gefolgt, weil die Tochter von Bauer Hoek
zum Tanze kommen würde. Die hatte er ein paarmal bei Onkel Asmussen
gesehen, denn der Vater gehörte zur Dänenpartei. Sie war viel älter
als er, aber ein stattlich-schönes Mädchen. Das dunkle wellige Haar
trug sie in der Mitte gescheitelt, und mit den hellblauen Augen sah sie
unter dunklen Wimpern herausfordernd in die Welt. Sie war immer gut
gewesen zu dem langen Jungen mit der ernsten Stirn, und wenn sie ein
Wort an ihn richtete, durchrann es ihn heiß, daß er fortsah und kaum zu
antworten wagte.

Nun lehnte er immer an der grauen Wand im Gasthaussaal und dachte,
wie er es anfangen konnte, daß sie mit ihm tanze. Seine sonderbaren
wechselfarbigen Augen, die so tief unter der braunen Stirn saßen,
folgten ihr überall durch den Saal. Deswegen sah er auch die hübschen
Blauaugen nicht, die fast bittend auf ihm ruhten. Das war Trina Lassen,
Peters kleine Schwester, die so brennend gern einmal getanzt hätte.
Sie war ein unscheinbares kleines Mädchen, kaum sechzehnjährig und in
diesem Herbste bei Frau Henriette Asmussen in Dienst getreten.

Je länger Lars dastand, um so unbehaglicher wurde ihm zu Mute, und er
ärgerte sich, daß Peter ihn zum Mitgehen beredet hatte. Er sah nach
Peter hin. Der saß am Tisch in der Ecke, ein großes Glas vor sich. Die
blonde Dora saß neben ihm. Peter hatte nie tanzen gelernt, und nun
fand er das Hüpfen und Drehen zum Lachen und ganz unter seiner Würde.
Wenn sein Vater vom Grog erwärmt ein wenig lustig wurde und von der
Zeit, da er der beste Tänzer gewesen war, zu erzählen begann, trommelte
Peter auf der Fensterscheibe und sprach vom Verdienst der letzten Woche.

So saß er hinter dem Tisch in der Ecke und sah sich triumphierend um.
Da er nicht tanzte, sollte seine Braut auch ruhig und ordentlich bei
ihm sitzen bleiben. Aber Dora warf nur den Kopf zurück und lachte hell
und lustig.

So ein bißchen Spaß machte es Lars doch, daß Peters Braut den langen,
großartigen Menschen auslachte. Und Dora tat ihm leid, wenn ihre
Freunde von früher an den Tisch traten und mit ihr tanzen wollten.
Er sah, wie ihr Peter dann einen Puff gab. Sie wollte nicht tanzen,
mußte sie dann immer wieder sagen, aber sie lachte zuletzt gar nicht
mehr, sondern sie kriegte ganz böse Augen dabei. -- Dann achtete Lars
aber nicht mehr auf sie, denn die schmucke Hoektochter war zwischen
den Tanzenden herausgetreten. Sie setzte sich auf die Bank an der Wand
und nestelte an ihrem Schuh. Da wurde er rot bis an die blonden Haare
hinauf und ging sehr steif und ein wenig linkisch quer durch den Saal.
Es war ihm, als ginge ihm im Kopf alles durcheinander. Er wußte gar
nicht, wie er es gemacht hatte, sie zum Tanz zu fordern. Sie lachte ja
wohl, als sie mit ihm kam, aber er dachte jetzt nur daran, in Tritt zu
kommen. Sie gab ihm einen kleinen Stoß, und er tauchte zwischen die
Tanzenden mit demselben Gefühl, das er beim ersten Kopfsprung gehabt
hatte. Er gab sich viel Mühe, daß ihm der Schweiß übers Gesicht lief,
und sie schob und steuerte an ihm. Und dann war es endlich überstanden,
und die Paare gingen langsam hintereinander im Saale herum. Tramp,
tramp, klang es, und es war eine Feierlichkeit dabei. Lars sah noch
ernster aus, als die meisten wetterharten Gesichter um ihn her. Und
doch gingen glückliche Gedanken in ihm um. Fast zitternd vor Glück war
er sich bewußt, daß er die stattlich-schöne Hoektochter am Arme hatte.
Er dachte daran, wie er sie das letztemal gesehen hatte. Da stand sie
im weißen Erntezeug hoch oben auf der sonnengleißenden Weizenkoppel,
den tiefblauen Himmel hinter sich. Unter der weißen Sonnenhaube hatte
ein heißes, rotbraunes Gesicht herausgelacht, und die Augen hatten
gesprüht von sieghaften blauen Blitzen. Er hatte sich gar nicht
herangewagt. Und nun hatte er sie doch dicht neben sich ganz fest am
Arme. Verstohlen sah er nach ihrem Gesicht. Da saß wahrhaftig noch das
warme Licht, und das herausfordernde Sprühen war in den Augen. Da sah
er auf die andern, und es war ihm, als hätten sie alle von der heißen
Arbeit auf den goldenen Koppeln so eine warme Siegesfreude mitgebracht,
und ihr feierlicher Ernst kam ihm wie eine stolze Würde vor. Nur er
selbst hatte nichts Rechtes geleistet, meinte er, daß er wert war, dies
stolze Mädchen am Arm zu haben.

Diese Gedanken schwammen unbestimmt durch seinen Sinn, aber sie füllten
ihn so aus, daß er auf nichts anderes acht hatte. Da fühlte er auf
einmal eine große schwere Hand auf seiner Schulter, die ihn zurückzog.
Ein stämmiger Bauernsohn nahm den Arm seiner Tänzerin und zog ihn durch
den seinigen. Lars sah noch, wie die beiden großen Menschen sich in die
Augen lachten. Ein Gefühl unendlicher Erniedrigung übergoß Lars glühend
heiß von oben bis unten.

Dann wuchs ganz langsam die Wut und gleichzeitig sagte sein Stolz:
Nicht merken lassen. Er drehte sich auf dem Hacken um und sah im Saale
herum. Da begegnete sein Blick den bittenden Augen von Klein-Trina. Er
ging fest und steif zu ihr hinüber und zog sie ohne ein Wort in den
Saal. Die hielt den Kopf tief zwischen den Schultern und wußte auf
einmal nicht, ob sie sich freute, oder ob sie sich schämte.

Als der Tanz zu Ende war, sah Lars, daß der große Bauernsohn nach der
Tür ging. Da machte er ein paar lange Schritte hinter ihm her, und er
war gar nicht mehr verlegen. Er sah auch nicht mehr so linkisch aus
dabei. In der Tür sah er flüchtig nach Peter Lassen hinüber. Der hatte
sein großes Glas mit festem Ruck zurückgestoßen und war in seiner
ganzen Länge aufgestanden. Nun ging er mit Lars hinaus.

Was die zwei im dunklen Wirtsgarten mit dem jungen Bauernsohn und
seinen Freunden vorgehabt hatten, erzählten sie nachher nicht. Aber
als sie nach einer Viertelstunde wieder in den Saal kamen, zupften
und rückten sie an ihren Sachen, und ihre Haare sahen sehr zerzaust
aus. Sie zwinkerten ein wenig, als sie in die Tür traten, weil sie das
helle Licht blendete. Staub und Tabaksqualm ließen sie die Dinge nicht
deutlich erkennen. Aber der Platz am Tisch, wo Dora gesessen hatte,
war leer, das konnten sie sehen. Da blickte Lars wieder auf Peter
Lassen, und es wurde ihm ein wenig unbehaglich, wie er seine Augen sah.
Die fuhren im Saal herum. -- Da endlich -- dort hinten wiegte sie sich
im Tanze auf und ab, und gerade mit dem dicken Jens von der Ziegelei,
den Peter nicht leiden konnte.

Peter lehnte sich an den Türpfosten, und sein Gesicht sah dunkel aus.

Jetzt war es ihm gelungen, ihren Blick aufzufangen. Seine Augen
brannten, und er machte ihr ein herrisches Zeichen. Aber Dora wandte
den Kopf nach der andern Seite und schwatzte lustig weiter mit dem
dicken Jens.

Da stieg es dunkelrot bis in Peters Stirn, und die Adern schwollen an
den Schläfen. -- Zwei Tänze lang blieb er so regungslos am Türpfosten
gelehnt. Die Aus- und Eingehenden stießen gegen ihn, aber er merkte es
gar nicht. Lars blieb treulich neben ihm. Er wußte nicht recht, was er
nun dabei zu tun hatte.

Aber als sie nach dem zweiten Tanz noch immer dort drüben im andern
Winkel blieb, machte Peter ein paar lange Schritte durch den Saal. Er
schien ganz ruhig, nur die Adern waren noch angeschwollen, und die
Augen hatten ein sonderbares Glitzern, aber er war wirklich ganz
ruhig. Er faßte Dora bei der Hand und sagte: „Komm jetzt.“

Sie warf wieder den Kopf zurück und lachte, aber sie ging doch mit.
Mitten durch den Saal und zur Tür hinaus ging er und hielt sie immer an
der Hand. Nun wußte Lars gar nicht mehr, was er tun sollte. Aber wenn
Peter so aussah, stand es schlimm. Da ging er hinter ihm her. „Peter --
laß doch!“ sagte er halblaut. Aber der hörte gar nicht hin und ging in
den dunklen Garten hinaus.

Da packte er mit einem Male ihren Arm und schüttelte ihn. „Schäm’ dich!
Schäm’ dich!“ sagte er immerfort.

Sie weinte laut auf vor Zorn. „Du solltest dich schämen! Weil ich ein
armes Mädchen bin, willst du mir befehlen wie deiner Magd. Schäm’ du
dich. Wenn ich kann, tu’ ich es gleich wieder so.“

Da hörte Lars einen klatschenden Ton in der Dunkelheit. Peter Lassen
hatte seine Braut geschlagen. --

                              *         *
                                   *

Das Boot sah finster aus in der feuchten Morgenluft. Die großen,
braunen Segel sind heute fast schwarz von Nässe und stehen wie
Fledermausflügel vor der grauen Luft und dem endlos grauen Wasser. Und
es ist nur das leise klatschende Geräusch des Wassers, das die große
Stille stört. Und dann, wenn die Arbeit beginnt, das gleichmäßige
Platschen, wenn das Netz mit gemessenen Griffen ausgeworfen wird.

Lars ist bei der Arbeit, und er packt fest an mit zusammengezogenen
Brauen. Und bei jedem Ruck denkt er, daß er die stolze Hoektochter
straft und ihr zeigt, daß sie ihn nicht beleidigen konnte. Aber er hat
ein paar große blaue Male im Gesicht und im Herzen den großen Schmerz
um seine erste Liebe.

Peter sitzt an den Riemen und glotzt vor sich hin. Er kann es alles
nicht verstehn. Sich selbst und Dora Nielsen und die ganze Welt. Aber
am wenigsten versteht er, warum ihm jetzt, da sie ihm nicht mehr
gehört, die frische Helle immer vor der Seele steht, als das einzig
Sonnige im Leben.

Und Lars faßt in die großen, rauhen Haufen nassen Netzwerks und wirft
sie hinaus, immer mit demselben gleichmäßigen Griff, und immer platscht
das graue Wasser auf und die öde, graue Unendlichkeit liegt ringsum in
tiefem Schweigen, und sie fühlen beide ganz deutlich, daß nun alles aus
ist.



Kapitel XII


Ob die alte Uhr zu Hause im großen, weißen Bauernhof noch geht? Wenn
das Wasser noch plätschert im Brunnen mitten auf dem Hof und die weißen
Mauern schützen ihn noch nach drei Seiten vor dem harten Seewind,
wie liebevolle Arme einer guten Mutter, dann muß auch die Uhr noch
ticken, denn das gehört alles zueinander. Dann ist es viele tausend und
abertausend Schritte so hingegangen „Ticke-Tack“ mit unerbittlichem
Schreiten.

Lars ist darüber zum Mann geworden.

Mitten in das sachte Hinträumen in der vertrauten Gewohnheit war wie
ein scharfer Ruck die Einberufung gekommen.

In der großen, fremden Hafenstadt hatte zuerst das Heimweh an ihm
gefressen. Da hielt er sich ganz für sich, und sein Wesen hatte etwas
Scheues, daß seine Vorgesetzten und Kameraden ihn für einen Dummen
hielten. Ihr Spott wurmte ihn, und der Zorn über ihre Mißachtung weckte
ihn auch zuerst aus seiner träumerischen Dumpfheit. Und wie damals
in der Schule, so gewann er sich bald ihre Achtung, als er sich erst
einmal zusammenraffte. Die in ihm schlafende zuverlässige Tüchtigkeit
kam bald an die Oberfläche seines Wesens. Und auch seine Vorgesetzten
hielten etwas auf ihn. Da wachte auch die Selbstachtung mehr auf. Nun
war das Streben nach Männlichkeit ein bewußtes Wollen geworden. Darum
versagte er sich auch den Weihnachtsurlaub. Er wollte das Heimweh nicht
wieder wecken, und von Haus hatte er den Sinn für das Geldzurücklegen
als erste Bedingung der sicheren Verläßlichkeit mitbekommen. Da legte
er das Reisegeld an und ging in den freien Weihnachtstagen mit den
Händen tief in den Taschen vergraben und seinem unbeweglich ernsten
Gesicht in den Straßen der Stadt herum. Und mit dem stillen, ernsten
Blick trank er vieles in sich hinein und grübelte darüber, bis er
verstand, worum es sich handelte. Am liebsten war er am Hafen, und
er fing auch in seiner ruhigen, ernsten Art hier und da ein Gespräch
mit einem Werftarbeiter an. Die älteren Arbeiter mochten auch den
zuverlässig-stillen Soldaten gern leiden. Allmählich gewann er dort
einige Männer zu Freunden. Und eines Tags traf er Hans Todtsen.

Hans Todtsen von der Schule war bei der Werft angestellt. Der wollte
Lars bereden, daß er dort eintreten sollte, sobald er frei kam. „Du
kannst dich als Werftarbeiter leicht heraufarbeiten und es zu etwas
Ordentlichem bringen. Was ist denn das für dich, das Fischerspielen!“

Da tat es sich noch einmal auf vor Lars wie große, weite Möglichkeiten,
daß er ordentlich tief Atem holen mußte. Aber dann dachte er an den
Zwang, daß diese Arbeiter nicht handeln durften, wie sie wollten,
sondern von irgendwo eine fremde Gewalt über ihnen war, daß sie
gehorchen mußten und doch nicht recht verstanden wem und wozu. Und es
war, als ob etwas Starkes, Weites in ihm aufstand und sich reckte,
daß ihm gleichsam die Brust weiter wurde dabei. Er dachte an die
selbstgebauten Boote zu Hause und das freie Leben, wo er sein eigener
Herr war und keiner ihm zu sagen hatte. Und dann fiel ihm gleich
Großvater ein, wie müde er jetzt oft zusammensank nach der harten
Arbeit, und Mutters stilles Quälen und Mühen. Und er sann, was die
Alten machten in all der Zeit ohne ihn, und was sie sagen würden, wenn
der Brief kam, wo es drinstand: Lars kommt überhaupt nicht wieder. Sein
Geld braucht er selbst, um weiter zu kommen. Vielleicht später einmal,
wenn er sich heraufgearbeitet hat, dann kann er euch helfen. -- Später.
-- Und wenn er dann endlich gekommen wäre, und die Alten hätten sich
fertig gequält und wären fortgezogen in das unbekannte Land, wo sie
sein Geld nicht mehr brauchten? -- Da sagte er Hans Todtsen, daß er
keine Lust hätte, Werftarbeiter zu werden, und reiste nach Hause.

Zu Hause war es ihm erst viel zu still, und die öde, graue Einsamkeit
machte ihn mißmutig. Es stieg auch der Gedanke wieder auf, ob er auch
recht getan habe mit der Heimkehr; denn er meinte, daß sich da immer
noch etwas in ihm regte, das Besseres hätte leisten können, als Fische
fangen. -- Lars hatte Zeit zum Grübeln; denn ihm fehlte die Arbeit in
dieser Zeit.

Peter arbeitete schon lange wieder auf der Ziegelei. Als es dort keine
rechte Arbeit für ihn gab, war er in der Ernte zum Bauern gegangen.
Lars hatte er geschrieben, daß die Ernte spät sei und der Bauer noch
viel Arbeiter brauchen könnte.

Da ging Lars bald nach seiner Ankunft ein paar Stunden ins Land hinein
zum großen Bauernhof. Es sah sauber und fein aus auf dem breiten Hof,
und die bunten Blumen standen hoch vor den weißen Wänden. Aber der
Bauer blinzelte ihn mit den hellen, kalten Augen an und sagte, daß er
seinen Großvater wohl kenne und von Herrn Asmussen gehört habe, was
für einer Lars sei. „Ich kann deutsche Arbeiter nicht brauchen“, sagte
er, und Lars mußte ohne Mittagbrot den weiten Weg immer zwischen den
hohen Knicks nach Hause wandern.

Ein Stück weit gab ihm Peter das Geleit. „Ja, so ist er,“ sagte Peter.
„Wir müssen dänische Lieder singen und im dänischen Blatt lesen und,
wenn wir’s nicht tun, gibt uns die Frau einen schlechten Mittag. Das
ist rein zu doll hier oben. So wie Jens Steen sind sie fast alle
ringsherum auf den großen Höfen. Wenn hier ein deutscher Schmied oder
Zimmermann herzieht, der kann alle Tage Sonntag feiern. Arbeit geben
sie ihm nicht. Sie tun ja auch alle so, die kleinen Leute, als wenn sie
wunder wie bissig wären auf die Deutschen, dann geht’s ihnen fein. Ich
wär auch schön dumm, wenn ich merken ließe, wie ich denke.“

Aber Lars ging mit großen Schritten neben ihm und sagte kein Wort. Dann
schlug er auf einmal mit der Faust durch die Luft. „Eine Schande ist
es,“ sagte er. „Nun kommt man aus der Stadt nach Haus und denkt, hier
auf dem Lande sind die Leute frei und ihre eigenen Herren, und da ist
es wieder.“

„Was denn?“ sagte Peter Lassen.

„Der verfluchte Zwang, Mensch. In der Stadt bin ich natürlich oft bei
der Werft herumgekrochen, wenn ich Zeit hatte. Da habe ich ein paar
ordentliche ruhige Leute gekannt. Genossen waren sie natürlich, wie
die andern auch alle. Und du weißt ja, Peter, ich hab’ das auch immer
schön gefunden, was die da in Wanbyll wollten. Aber bis zu vier Mark
mußten sie manchmal in der Woche an den Verband abgeben. Und glaubst
du, daß sie so dachten, wie die andern? Is ja all dummen Snack, sagten
sie. Wie die das haben wollen, wird das nie, und unterdessen stockt
mit dem ewigen Streiken der Handel, und wir Arbeiter haben den größten
Schaden. Aber sie mußten mit, und wenn sie noch so gut im Verdienen
waren, gefeiert mußte werden, ob sie wollten oder nicht. Und der Zwang
ärgerte mich. Ich habe mir da manchmal gedacht, wenn ich bei der Werft
geblieben wäre, hätte ich mich wohl heraufarbeiten können. Hans Todtsen
von der Schule habe ich in der Stadt getroffen. Der kommt gut vorwärts,
und der wollte mich da auch gern festhalten, aber ich will hier lieber
frei und mein eigener Herr sein. Den Teufel aber auch, wenn es hier
nicht besser ist.“

                              *         *
                                   *

So mußte denn weiter gefeiert werden, bis Peter nach der Ernte beim
Bauern frei kam. Sie konnten mit dem Heringsfang nicht beginnen, weil
sie vier Mann brauchten in den zwei Booten.

Aber endlich war die untätige Zeit vorbei, und Peter war wieder da. Da
fing die schwere Arbeit an.

Großvater war sehr alt geworden in den letzten Jahren, und Hans Peter
Lassen hatte angefangen zu kränkeln.

In jedem Boot ging nun einer der Jungen mit einem der Alten hinaus, und
der Junge mußte eine weit größere Arbeitslast tragen als sonst.

Da kam mit der Arbeit die ruhige Sicherheit zurück, und Lars fing
wieder an, die starke Seeluft tief einzuatmen und zu fühlen, daß er zu
Hause war.



Kapitel XIII


Der Wind hatte die ganze Woche eiskalte Regenböen über das Wasser
gepeitscht. Weiße Säume waren an ihren Kleidern, wenn sie wie rasend
über dem schwarzen Wasser dahergelaufen kamen. Und die Fischerboote
duckten sich und bäumten auf und scheuten, wie wildgewordene Pferde,
wenn sie auf sie einstürmten. Es war ein saures Arbeiten, und ein
paarmal waren ihnen die Boote voll Wasser geschlagen, daß sie alle
ernste Gesichter machten und zu schöpfen begannen auf Tod und Leben.
Aber es war noch immer gut gegangen, und sie wollten nicht gern zu
Hause bleiben, weil der Fang reich war in diesen Herbstmonaten. Aber
den Alten war diese Zeit sauer geworden.

Der alte Händler, bei dem Großvater schon so lange, wie Lars denken
konnte, seine Fische verkaufte, war gestorben, und sie mußten sich
einen neuen suchen.

Die Fischer rings um die Bucht hatten alle viel gefangen, darum
drückten die Händler die Preise unmäßig herunter. Peter aber hatte
gelesen, daß die Heringe in der Nachbarstadt weit höher im Preise
standen. Da schickten sie die Fische dorthin. Aber die Händler hatten
es gemerkt, und, weil sie untereinander verbunden waren, nahmen die in
der anderen Stadt die Fische nicht an. Der Bescheid kam an die Fischer,
daß die Sendung unterwegs verdorben sei.

Da war das schwere Ringen mit dem schwarzen nassen Feinde umsonst
gewesen. Großvater streckte die steifen milden Glieder und sagte weiter
nichts. Aber in Lars stieg wieder der finstere Zorn auf.

Der Herbst hatte trotz der vielen Fische keinen guten Verdienst
gebracht. So mußte im Winter tüchtig gearbeitet werden. Aber es war ein
harter Winter. Eine Zeitlang stand das Eis auf der Bucht, da mußten sie
zu Hause bleiben. Lars holte wieder einmal seine lieben, alten Bücher
hervor und saß in der Stube bei Mutter Stina und las und las, und wenn
sie mit ihm sprachen, gab er keine Antwort und sah sie alle zornig an.
Und Mutter Stina ging leise um ihn herum und sorgte, daß er Ruhe hatte.

Und dann stand Lars wieder am Strand und sann darüber nach, was das
Leben wohl von ihm wolle.

Als es ein wenig taute, und der Wind das Eis an die andere Seite der
Bucht trieb, gingen sie wieder hinaus. Aber es war nicht gut mit
den Fischen. Vor der Bucht hatten die Fischer von draußen Stellnetze
gezogen. Die draußen hatten einen guten Verdienst, aber die Heringe
fanden keinen Weg mehr in die Bucht herein, und so war hier der Fang
nur gering. Peter Lassen schimpfte und fluchte jedesmal, wenn sie mit
dem kleinen Fang nach Hause kamen, und Lars hatte zornige Augen. Aber
die beiden Alten blieben ganz gleichmütig. Und alle vier blieben stetig
bei der Arbeit, selbst wenn sie kaum der Mühe zu lohnen schien. Und in
ihrer zähen Stetigkeit brachten sie es doch weiter als manche andere.

                              *         *
                                   *

Sie hatten alle Achtung vor den beiden Jungen.

Viele von den struppig-grauen, wetterharten Köpfen nickten bedächtig,
wenn sie von Lars Asmussen und Peter Lassen sprachen.

Unter den Jungen waren aber manche, die mit der breiten Hand durch die
Luft schlugen, als wäre es nicht viel wert, von den beiden zu reden.
Sie gingen so ruhig vor sich hin und unternahmen auch nichts Rechtes.

Aber Peter sagte: „Ja, das ist eine feine Art, wie dazumal Klaus Toms.
Der fuhr heraus in Sturm und Eis außen vor die Bucht und ging da vor
Anker, Mut hatte er wohl, und Fische kriegte er auch die schwere Menge
da draußen. Und dann wollte er Gut davon haben und ging jeden Abend
nach Seegade an Land ins Wirtshaus. Und als er nach vier Wochen wieder
zur Frau zurückkam, brachte er ihr ein feines Geschenk mit; weißt du,
was das war? -- Hundert Mark Schulden!“

Aber die andern gingen fort und murmelten, es sei man bloß, weil die
zwei sich fürchteten mit ihrem eigengemachten Boot.

Aber wenn dann die zwei Jungen ihre Segel setzten und in ihrem
neuen Boot so ruhevoll, fast feierlich dahinglitten und ihnen allen
vorbeiliefen, dann waren sie still und sahen nach der andern Seite.

Und auch darauf hatte Peter eine Antwort, wenn sie an ihm stichelten,
daß er und Lars zu keinem Spaß zu haben seien.

„Wo viele zusammen sind,“ sagte er, „da hat immer einer Durst. So kommt
das Trinken zuwege. Ein ordentlicher Mensch ist besser für sich.“

Und Lars und Peter wußten es, daß sie ordentliche Menschen waren. Und
sie trugen den Kopf hoch und steif. Lars vergaß es manchmal über all
seinen krausen, grübelnden Gedanken, aber bei Peter war das Bewußtsein
eigentlich immer gegenwärtig. Das gab ihm etwas Sicheres, Zufriedenes
und seinen Augen ein fröhliches Licht. Nur ganz selten kamen wohl aus
der Rumpelkammer von Peters Herzen Erinnerungen herauf an etwas Helles,
das in sein Leben hereinfiel wie Sonnenlicht. Dann wurde er mürrisch,
und sein großartiges Wesen war herausfordernd und verletzend.

Peter und Lars waren auch selten mit andern jungen Leuten zusammen.
Aber wenn bei Hans Peter Lassen die Fischer von Wanbyll saßen, dann
kamen die zwei mit ernsten Gesichtern und gesellten sich dazu.

Zwei von den Fischern waren ältere Männer. Kords, der dritte, war noch
jung, aber so gut wie ein Krüppel. Beim Netzeinziehen hatte er einen
Seeteufel mit der Hand gefaßt. Da war eine böse Vergiftung entstanden,
und der Arm blieb gelähmt. Dem Fischer kam nur die Unfallversicherung
nach dem landläufigen Tagelohn zu, und die war gering. Kords hatte
etwas Finsteres, als wäre er immer in Zorn. Das kam, weil er mit der
Frau und den vielen kleinen Kindern im Elend saß.

Auch die beiden andern Fischer gehörten zu den Unzufriedenen.

Vom roten Trollsen sagte Peter lachend: „Der hat sein Geld versoffen,
und nun schimpft er.“

Maszen aber mit den verkniffenen Zwinkeraugen und dem borstigen
Graubart hatte das Schimpfen ebenso an sich wie das gute Rechnen.
Und auf dem Gebiet hatten sich die aus Wanbyll mit Hans Peter Lassen
zusammengefunden, denn Hans Peter sah auf sein Geld.

Aber Lars hatte einen andern Grund, wenn er sich in Hans Peter Lassens
Hütte setzte und still zuhörte, wenn die aus Wanbyll sprachen, oder
immer wieder zu fragen hatte.

Als Junge hatte es ihm immer schön geschienen, was die Wanbyller
wollten. Alles sollte so eingerichtet werden, daß die Arbeit zu ihrem
Rechte kam in der Welt, und keiner es besser hätte als der andere. Und
alle wollten sie zusammenhalten bis in den Tod. Aber seit er in die
Welt herausgekommen war, da war er mißtrauisch geworden. Der Zwang und
das Dreinreden waren ihm einmal zuwider. Beim Militär war es ihm auch
schon verhaßt gewesen. Aber das hatte er nun verstanden, daß die Leute
da sein mußten, um das Vaterland zu beschützen. Auch merkte er wohl,
wie die stramme Zucht eine harte, feste Männlichkeit in ihm aufgezogen
hatte. Das andere aber verstand er nicht, darum mißtraute er dem. Er
las jetzt viel in den Zeitungen, und ihm schien das, was die Führer
der Genossen sagten, gar nicht so recht nach dem zu klingen, was er
sich gedacht hatte. Es kam ihm so unvernünftig vor, und als suchten sie
ihren eigenen Vorteil. Eben, wie Großvater sagte, sie machten zu viel
Spektakel. Und nun suchte er von denen aus Wanbyll mehr zu erfahren.
Aber die schimpften wohl einmal mächtig los auf alles, wie es jetzt
war. Aber so ganz verstanden hatten sie es nicht, wie es werden sollte,
und Lars kriegte von ihnen überhaupt keinen rechten Bescheid. -- Da
wurde er immer stiller und merkte wohl, daß er sich solche Dinge alle
selbst herausgrübeln müßte. Und er kam auch seltener in Hans Peters
Haus, wenn die Männer aus Wanbyll da waren, sondern hielt sich nun noch
mehr allein. Und Hans Peter war zufrieden, wenn Lars fortblieb, denn
das, worüber der sprach, hatte für Hans Peter Lassen kein Interesse. Er
redete über Fische und Fischpreise, und Jung-Peter hatte da auch viel
zu sagen.

Jung-Peter arbeitete gern einmal hart, wenn ein guter Verdienst in
Aussicht stand. Aber das taten sie auch wohl in der andern Hütte. Klaas
Klaaßen war für das Anpacken und Sparen. Und trotz des schlechten
Winters gelang es den beiden Jungen, ein wenig Geld zurückzulegen.

So verging Lars der Winter in einsamem Grübeln und harter Arbeit.



Kapitel XIV


Nun war endlich der Frühling wieder in das nordische Land gekommen.
Unversehens zwischen den Sträuchern oder unter einem Knicktor stieg
ein schweres süßes Düften herauf, das in den Menschen hineintastete
wie unbewußtes Sehnen. Und im Holz die feinen jungen Buchenblätter
strömten ihren weichen, süßen Atem in die Abendluft. Es war ein
stiller, grauer Tag gewesen, und nur ein weiches, rötliches Scheinen
kam vom Westen. Die junge Wintersaat wogte ganz heimlich, als Lars über
die Koppel ging. Am Waldrand blieb er stehn und atmete den starken
Jelängerjelieberduft. -- Nun es ringsum aufstieg und wuchs aus den
dunklen Gründen, wie nicht zu dämmende Kräfte, da war auch in ihm
wieder der Drang nach etwas Fernem, Besserem erwacht und war fast zur
Qual angewachsen. Er sah über die weiten Koppelflächen hin in ihrem
zarten, milden Grün und hinab auf die stille, strahlende Fläche, wie
sie weich gebettet lag zwischen den breiten Hügeln bis dort, wo sich
das ferne Ufer im stillen, lichten Grunde widerspiegelte. Und wie eine
Sehnsucht reiste sein Blick hinaus, wo am fernen Horizonte Himmel und
Meer sich küßten.

Aber die Amsel aus der schimmerigen Waldestiefe wußte mit ihren
langgezogenen Tönen mehr von der drängenden Qual zu sagen als er. Er
ahnte kaum, warum er stand und in die Weite sah. Die Heimatschönheit
war ihm nur halbbewußt, und auch sie legte sich auf ihn wie eine Last
und wie ein sehnender Drang.

Ohne daß er darauf acht hatte, klang aus dem bläulichen Wunderdämmern
zwischen den stillen, grauen Stämmen näher und näher kommend sachtes
Blätterrascheln und leises Knacken trockener Zweige wie von Tritten.
Und die sehnsüchtigen Vogelstimmen klangen dazwischen, und wieder
lauter und näher kamen die Tritte.

Und dann hatte ihn der Ton endlich aufgeweckt. Er wandte den Kopf und
sah scharf in die frühlingsflimmrige Dämmerung hinein. Da schimmerte
ein helles Kleid aus der Tiefe. Und jetzt stand jemand am weißen
Knicktor und spähte nach ihm hin. Und das lichte, junge Blattgewebe
war rings um die feine, helle Gestalt, und der Kopf mit dem weichen
Blondhaar hob sich vom dämmerigen Waldgrund.

Er rührte sich nicht und sah darauf hin, eine wache Frage in den Augen,
bis er ihrem lachenden Blick begegnete.

Da wandte er sich herum.

„Miete,“ rief er. Dann fiel ihm gleich alles ein, was gewesen war, und
seine hart gewordene Arbeitshand. Und die Unbeholfenheit kam über ihn,
daß er langsam herantrat und ihr linkisch die Hand reichte. Aber ihr
helles Lachen, wie frohes Wasserplätschern, half ihm wieder zurecht,
und in seiner ganzen neugewonnenen Männlichkeit, ein wenig gütig und
ein wenig unbeholfen, begann er mit ihr zu reden, und hier und da sah
er scheu in die lachenden Augen hinein. Sie aber sah an der großen,
starken Mannesgestalt hinauf, und das Blut stieg unter die feine weiße
Haut.

Sie mußte ihn erst bitten, daß er mit ihr käme, dann ging er neben ihr,
so als erweise er ihr eine Gunst.

Sie kam vom Hoekhof und war auf dem Heimweg.

Und wie sie zusammen über die Koppeln wanderten, war die düfteschwere
Dämmerung rings um sie her mit ihrem wunderlichen, grünschimmerigen
Licht. Und Lars sah auf den hellen Kopf neben sich und sah die
weichgeformte Backe, in der das Blut unter der zarten Haut zu
wogen schien. Und von Zeit zu Zeit traf ihn ein lachender Blick
von der Seite wie ein warmes Geheimnis. Sie redeten dies und das,
und allmählich vergaß er alles andere über der schlanken, lichten
Gestalt im grünlichen Schimmerlicht und der lachenden Stimme und den
lachenden heimlichen Blicken. Leise wogte das junge Korn, und durch die
unsägliche Stille fielen wie goldiges Rinnen sehnsüchtige Vogelstimmen.

Und auf einmal standen sie zusammen vor dem grauen Hause, und überall
die Straße entlang aus den niedrigen Fenstern blinkte traulicher
Lichtschein in die Dämmerung heraus.

Er fuhr fast zusammen, so erschrocken war er, und wußte durchaus nicht,
wie es hatte geschehen können, daß er bis hierher mitgekommen war. Er
griff aber eilig nach der Mütze und wollte fort.

Aber sie packte lachend seinen Ärmel. „Vater,“ rief sie, „Mama!“

Zwischen dem Blattgewirr der Laube spielten wunderliche Lichter und
Schatten und malten große unheimliche Gebilde auf den Rasen. In der
Laube saßen Onkel Gust und Tante Jette bei der Lampe.

Jetzt kamen sie.

Es mutete Lars sonderbar an, der altbekannte quietschende Ton der
Gartentür. --

Miete hatte ihn immer noch beim Ärmel, aber er sah fast zornig auf sie
und wie ein großes unbeholfenes gefangenes Wild.

„Sieh mal an, was Miete da eingefangen hat! Das ist mal recht, klein’
Deern!“ Und Onkel Gust klopfte ihm auf die Schulter, wie in alter Zeit,
und als lägen die langen, harten Jahre nicht wie ein großes Wasser
zwischen ihm und dem steifen, zornblickenden Fischer. „Komm nur, Tante
macht uns noch einen kleinen Grog.“

Aber Lars rührte sich nicht.

Da streckte ihm Tante Jette die Hand hin. „Komm doch, Lars, das ist
nett, daß du dich mal sehen läßt.“

Und Miete zupfte ihn am Ärmel. Da ging er mit.

Und als er im flackerigen Lampenschein stand, da war es, als sei die
schwerfällige Widerspenstigkeit von ihm geglitten. Der selbstbewußt
vornehme Anstand, der fest im innersten Wesen seines Volkes sitzt, war
ihm zu Hilfe gekommen. Bald war er mitten im Erzählen von der Zeit
in des Kaisers Rock, und keiner konnte ihm ansehn, wie die trotzigen
Gedanken aufstiegen und das heimlich zarte Genießen überflutete,
bis ein schelmisch heißer Blick seitwärts unter den weichen blonden
Wimpern hervor ihn wie ein Schreck durchfuhr und das Blut wie in lustig
hüpfendem Tanz durch die Adern jagte.

Es war zu der Zeit, wenn aus der nordischen Dämmerung fast Dunkelheit
geworden ist. Ein wunderliches, geisterhaftes Scheinen liegt noch über
den Dingen. Da stand er auf und sagte „Gute Nacht.“

Als er an der Haustür vorbeiging, trat das Dienstmädchen heraus, um
Lampe und Gläser aus der Laube zu holen. Ein heller Schein fiel aus dem
Hause, daß Lars einen Augenblick geblendet stand.

Da kam eine Stimme, wie ein Jubelruf: „Lars!“

Lars mußte sich besinnen. Ach richtig, Trina Lassen mußte das sein. Da
stand sie im Dunkeln und hielt seine Hand, und er sprach ihr freundlich
von Peter und von den Eltern und Geschwistern. Sie aber schwieg ganz
still und hielt nur immer die große harte Hand.

Da trat Miete mit der Lampe aus der Laube. Es war nur einen Augenblick,
daß das Lampenlicht über Trina hinglitt.

Aber auf dem Heimwege grübelte Lars nicht mehr über das drängende
Sehnen nach. Es war ein anderes Fühlen in ihm, das füllte sein ganzes
Wesen wie eine heiße Freude. Manchmal sah er zornig vor sich hin. Was
wollte das kleine, blonde Mädchen von ihm? Er wollte frei sein von ihr
und ihrer Art, und er richtete sich grade auf.

Dann aber zog er wieder die Stirne kraus und sann: „Warum hat mich
Trina Lassen so angesehn wie in bittrer Not?“ --

                              *         *
                                   *

Herr Asmussen war wieder in der Fischerhütte gewesen. Mutter Stina
hatte ihm den besten Stuhl angeboten, und Großvater hatte sich
feierlich an die andere Seite vom Tisch gesetzt und hatte ihm
unverwandt ins Gesicht gesehn. Und beide schwiegen sie, Großvater und
Mutter Stina. Aber Herrn Asmussens Stimme füllte den kleinen Raum mit
tieftöniger Freundlichkeit.

Dann bückte sich Peter Lassens lange Gestalt zur Haustür herein. Es
war nichts von Staunen in seinen Mienen über den Gast. Er stand da in
seiner ganzen Länge, ein wenig lässig, mit der einen Hand am niedern
Deckenbalken angestemmt, und wippte gemächlich beim Sprechen hin und
her.

Und Herr Asmussen saß gut zurückgelehnt und holte die Stimme tief aus
seinem Fett herauf und sprach herablassend und mit Wohlgefälligkeit.
Und er wog die dicke Uhrkette vor der runden Weste mit der hohlen Hand
und lächelte gütig zu Peter Lassen hinauf. Und wenn er Andeutungen
machte auf eine Einladung zu Frau Henriette, dann war es, wie wenn
einer mit Geld in der Tasche klimpert. Peter aber sah aus klugen,
wachen Augen und nickte freundlich und wie in Freude.

Und Herr Asmussen erzählte wohlgefällig seiner Frau von den braven
Fischerleuten. Und von dem frischen, aufgeweckten, jungen Menschen, den
er mit seiner Freundlichkeit gewonnen hatte. Und dann breitete er mit
Behagen seinen neuen Plan vor ihr aus. Nun würde er Lars ganz gewiß für
die gute Sache zurückgewinnen, denn mit seiner Freundlichkeit wollte er
auch Lars’ Freunde zugleich einfangen.

Aber Frau Henriette warf einen raschen Blick über die Schulter nach
ihm, der sah aus wie Mitleid und Spott. Und in der Küche sagte sie zu
Miete: „Laß ihm man sein Spielzeug, diesmal ist es ein ungefährliches.“

Aber Miete ging mit aufgehobenem Kleide am rußigen Herde vorbei. Und
wie sie ins Feuer sah, war ein eigentümliches Blitzen in ihren Augen.

Und danach war Lars öfter bei Onkel Gust und Tante Jette. Wenn Mutter
Stina sah, daß er sich auf den Weg machte, dann wandte sie rasch den
Kopf nach ihm hin, aber sie sagte kein Wort. Und Großvater sagte auch
nichts, er sah sich nicht einmal um. Und doch legte es sich über Lars
wie ein Unbehagen, als hätten sie ihm einen Vorwurf gemacht. Und er war
mürrisch mit ihnen.

Es war zuerst fast wie eine Neugier gewesen. Mietes freundliches
Wesen mit der ganzen schelmischen Fremdartigkeit hatte sie in ihm
geweckt. Darum hatte er Onkel Gusts erstem drängenden Einladen nicht
widerstanden bei all seinem widerspenstigen Trotz. Als aber ihre Nähe
erst ein paarmal auf ihn gewirkt hatte, da war das heiße Blut, das bei
dem langsamen Volke doch so wild aufsieden kann, zum erstenmal erwacht.
Und Lars wollte kein Hindernis mehr sehen auf seinem Wege.

Aber wenn er allein war, konnte er nicht recht zur Ruhe kommen. Es
stimmte nicht an irgend einer Ecke. Es war etwas, das nicht recht
klingen wollte mit seinem Ton. Aber er mochte nicht darüber nachdenken,
woher es kam. Das durfte es nicht sein, daß das blonde Mädchen über ihn
herrschte gegen seinen Willen und ihn dort hinzog, wo er nicht sein
wollte. Er hatte auch immer noch die fast großartige Herrscherart mit
ihr. Aber gerade diese ungelenke Männlichkeit reizte sie, daß sie ihre
Kraft darein setzte, ihn zu beugen. Und ihre feine, geheimnisvolle
Art, die so anders war wie alles, was ihn sonst umgab mit kantiger
Schlichtheit, nahm ihn immer mehr gefangen, daß er bei ihr das zu
finden wähnte, was er von immerher suchte.

Und es kam dazu, daß Onkel Gust nun vorsichtig nach seinem neuen Plan
zuwege ging und auch den andern, die zu Lars gehörten, mit gleicher
Freundlichkeit begegnete.

Er hatte auch Peter Lassen in sein Haus eingeladen. Einmal hatte Peter
sein gutes blaues Zeug angezogen mit dem kleinen steifen Vorhemd und
war mit Lars hinaufgegangen.

Lars sah ihn manchmal von der Seite an. Laut und lustig pfiff er vor
sich hin. -- Peter pfiff immer falsch, aber laut. -- Und die ganze Zeit
saß etwas in seinen Augen, wie ein verschmitztes Lachen. Aber er sagte
weiter nichts.

Peter Lassen war ein schöner Mensch, und die Mädchen sprachen viel
mit ihm. Und er hatte eine Gelassenheit, und das Reden ging ihm viel
leichter als Lars, daß er nichts Unbeholfenes hatte.

Aber wenn sie dort bei Onkel auch viel mit ihm sprachen, es war dabei
etwas Wohlwollendes, als schenkten sie ihm etwas mit jedem Wort.

Und Tante Jette sah ihn überhaupt nicht an.

Lars meinte, Peter Lassen merke es gar nicht, weil er so freundlich
blieb, aber wenn er ihn wieder mitnehmen wollte zu Onkel Gust, so hatte
Peter immer zu tun.



Kapitel XV


Es war im November. Es sah gar nicht nach Sonntag aus in der Welt. Die
Regenböen kamen schräg über das Wasser gefahren und peitschten den
Leuten in die Augen, daß sie unter gerunzelter Stirn herausblinzelten,
was denn noch werden wollte aus dem Geheul und Gebrüll. Denn „das Meer
brüllt“, sagten die Leute und sahen nach der Ostsee hin.

Klaas Klaaßen stand am Strande und schnüffelte in die Luft. Dann
schüttelte er den Kopf. „Zwei Tage bläst er schon von Nordost.“

Hans Peter Lassen und Jung-Peter standen bei ihm und Lars.

Dann zogen sie zusammen die Boote aufs Land.

„Immer noch höher op,“ befahl der Alte, und die drei andern gehorchten
schweigend.

Als sie gegangen waren, stand der Alte noch immer, sah über See und
schüttelte den Kopf.

Mitten durch den Regen kam Lars zu Onkel Asmussens Haus. Der Ölrock
hing ihm lose über der Schulter, als er in den dämmrigen Flur trat. Er
warf ihn ab und schüttelte das Wasser aus den Haaren. Dann ging er nach
der Stube hinauf.

Miete saß am Fenster, den blonden Kopf tief über der Arbeit.

„Du verdirbst dir die Augen,“ sagte Lars, als er sich zu ihr setzte.

Sie ließ die Hände sinken. „Es geht auch nicht mehr.“

Es war eine Weichheit über der ganzen lässig hingelehnten jungen
Gestalt. Lars saß vorgebeugt, den Kopf in die Hand gestützt, und seine
Augen ließen nicht von ihr.

Sie schwiegen beide.

Dann wandte sie den Kopf, und er fühlte mehr ihren Blick in der
Dämmerung, als er ihn sah.

„Könntest du wohl etwas für mich tun, Lars?“ fragte sie, und es war,
als ob sie ihn streichelte mit ihrer Stimme.

Er konnte nicht gleich antworten. Er richtete sich auf und atmete tief,
dann rückte er noch näher zu ihr. „Das weißt du selbst, klein’ Deern,“
seine Stimme klang leise und atemlos.

„Nein Lars, ich möchte doch wissen“ --

Da ging die Tür, und Lars lehnte sich im Stuhl zurück. „Seh da, Lars,“
sagte Onkel Gusts dicke wohlwollende Stimme. „Ich dachte doch auch, du
würdest heute kommen. Aber ein verfluchtes Sonntagswetter. Komm, wir
wollen uns mit ’nem kleinen Grog wärmen gehn.“

Lars antwortete nicht gleich.

Aber auf einmal lachte Onkel Gust behaglich in sich hinein: „Ach so --
ach so,“ sagte er.

Miete aber gab Lars einen kleinen Stoß. Da stand er auf. „Na denn man
zu, Onkel.“

Er tat es für sie, sagte sich Lars und folgte Onkel Gust durch die
Dämmerung nach dem Gasthause.

Würdevoll und in sich gefestigt mit hallenden Tritten ging Herr
Asmussen voraus. Lars blieb lässig ein wenig zurück, denn er kam
widerwillig. Er wußte, was Onkel Gust von ihm wollte. Er sah immer
vor sich hin, wo die großen Wasserpfützen heller auf dem dunklen Weg
schimmerten; aber vor sich sah er Aage Michelsens dickes Gesicht. Das
hatte jetzt einen roten Schnurrbart und würdige Falten. Denn Aage war
Herrn Tiensens Mitarbeiter geworden. Er verdiente ein schönes Geld.
Sein Bruder Swend hatte es Lars damals, als er Soldat war, selbst
gesagt.

„Wir Dänen mögen die Sorte auch nicht,“ hatte Swend fast höhnisch
gelacht. „Drüben kriegt er Geld fürs Jammern und hier fürs Schimpfen!“

Aber Herr Asmussen hatte eine große Bewunderung für Aage Michelsen, und
er wollte, daß Lars ihn reden hören sollte. Lars war auch schon ein
paarmal mitgewesen um Mietes willen. Und in Gedanken sah er sie alle
im blauen Tabaksqualm sitzen um den Stammtisch, und das häßlich grelle
Wirtshauslicht flirrte über all die selbstzufriedenen Gesichter und
über die behaglich würdigen Falten der dunklen, zuverlässigen Anzüge.
Lars ärgerte sich, wenn er daran dachte, und stapfte mitten durch die
Wasserpfützen, daß es patschte.

Aber er wollte so gern darüber hinaus über das Einerlei des
Fischefangens, und er wußte doch einmal keinen Weg. Und das wußte er,
Miete wollte es so, daß er sich zu Onkel Gusts Freunden halten solle.

Aber mit eins, wie sie auf den Damm kamen, packte die beiden der
Nordost, wie mit wilden, mutwilligen Fäusten. Herr Asmussen griff
hastig nach seinem Hut.

Der kleine Meeresarm, den der Damm vom Wiesenland trennte, lag heute
nicht wie vergessen zwischen seinen grünen Ufern. Heute wußte er es
wieder, daß er ein Teil war von der Kraft, die stärker ist als der
Mensch. Die schwarzen Arme langten von unten herauf und griffen in den
Damm, und aus der Tiefe kam ein fauchendes Geheul.

An der Schleuse wogte es dunkel hin und her über den Damm. Da
arbeiteten die Männer. Einer faßte hart an Larsens Arm. „Wir brauchen
mehr Hände zur Hilfe, Lars, sonst bricht der Damm, und es fehlt auch
die Aufsicht.“ Das war Kords Stimme. Lars sah schnell nach den kleinen
Häusern in der Wiese hin und dann auf Onkel Gust.

„Ja wo ist denn der Ortsvorsteher?“ fragte der.

„Der hat heute morgen früh über Land gemußt,“ sagte Kords.

„Merkwürdig, diese deutschen Beamten!“ sagte Herr Asmussen. „Komm, mein
Jung, das geht uns nix an.“ -- Schweigend, mit der tiefen Falte mitten
auf der Stirn, ging Lars bis an die Wirtshaustür. Er sah über Onkel
Gusts Schulter in den warmen, hellen Raum, und die Stimmen klangen Lars
wie schnurrendes Behagen in die finstere Nacht hinaus. Sie saßen fast
alle da wie immer -- am dänischen und am deutschen Tisch. Da schlug
er die Tür hart hinter Onkel Gust zu, und der Sturm packte ihn in der
Dunkelheit mit wildem Geheul.

„Es geht nicht, Lars,“ brüllte ihm Kords zu, als er wieder bei ihm war,
„mein Arm will noch nicht, und wir brauchen alle Kräfte.“ Und von unten
aus der Finsternis klang es wie höhnendes Geheul zu den Männern herauf,
aber sie verstanden nicht, was das Meer ihnen sagte, und packten zu mit
ganzer Kraft.

Sie zündeten große Feuer auf dem Damm an und arbeiteten im flackernden
Schein. Und die schwarzen hastenden Gestalten mit ihren jähen, großen
Bewegungen warfen lange, unheimliche Schatten über den Damm.

Und das Meer griff herauf und biß sich in den Damm und brüllte und
kreischte vor Wut.

„Her mit den Sandsäcken,“ kam Lars’ Stimme tief und laut über das
Getöse. Und er hob sie, und klatschend versanken sie im weißen Gischt,
und kalt und naß spritzte es ihm ins Gesicht. Und Kords hob den Hammer
mit seinem einen Arm und holte weit über seinem Kopfe aus und ließ ihn
auf die starken Pfähle niedersausen.

Aber die See langte mit weißen Fingern am Pfahl herauf und riß und
lockerte an seinem Grund und heulte und lachte dazu mit klatschendem
Jauchzen.

„Kords, das Ding haftet nicht mehr,“ sagte ein alter Arbeiter und
spuckte in das wirbelnde schwarze Wasser. Aber Kords fluchte vor sich
hin und arbeitete weiter.

„Komm weg, Lars, das kann hier jeden Augenblick brechen, und es nützt
ja jetzt nix mehr,“ schrie einer Lars in die Ohren. Aber Lars biß die
Lippen aufeinander und sagte kein Wort.

Immer die unheimlichen, weißen Finger voraus kam sie heraufgekrochen,
und der schwarze, wogende, ringelnde Leib preßte sich an den Damm, und
wo eine schwache Stelle war, da biß sie hinein und nagte, wuchs und
wuchs.

Und endlich mußten sie zur Seite stehen und warten. Und das rote
flackernde Feuerlicht zuckte auf ihren finsteren unbeweglichen
Gesichtern hin und her, und der Wind kam aus der Finsternis gefahren
und schrie und zerrte um sie, und sie standen und warteten.

Und es kroch herauf, immer herauf, und sie konnten nichts, als stehen
und warten. Manchmal fluchte einer und sah nach den kleinen ärmlichen
Häusern hinüber, wo die Lichter ängstlich hin und her tanzten. Aber
meist standen sie ganz still, die Hände in den Hosentaschen mit
zornigen Augen. Und die stillen, wetterharten Gestalten im roten
Flackerlicht und der jaulend zornige Wind und der schwarze kriechende
Feind mit seinem lachenden Geheul hielten zusammen die Wacht.

Und die Minuten rannen hin und die Viertelstunden, und es war ihnen,
als ginge die Nacht darüber hin.

Und dann kam ein dumpfes Krachen und Rutschen. --

„Der Damm bricht!“ schrie Kords Stimme über das Getöse.

Da sprangen sie alle in die Wiese hinunter und liefen nach den kleinen
Häusern hin.

Aber hinter ihnen von der Schleuse her dröhnte es auf -- ein donnernd
lachendes Brüllen.

Sie schrie ihren Sieg hinaus in die Nacht, und mit den schwarzen Armen
und den vortastenden weißen Fingern packte sie in das Land hinter
dem Damm und nahm es zu eigen. Schneller, immer schneller kamen die
weißen Finger heran und griffen aus der Finsternis hinter den laufenden
Männern her. Schon ging ihnen das Wasser fast bis zum Knie.

Bei den kleinen Häusern war es ein Wühlen, Rennen und Rufen. Und die
schwarzen Arme waren schon heran, und klatschend griffen die weißen
Finger an den Mauern herauf.

Die Männer wateten knietief im Wasser, als sie die Ziegen und Schweine
herausschleppten.

Maurer Nissens Frau jammerte laut und aufgeregt. Jetzt packte sie Lars
beim Arm: „Nu seh! Nu seh! Ach, mein Gott, da ist das Wasser halb die
Stalltür herauf und das gute Schwein, das gute Schwein -- oha, oha! --
Kannst du’s nicht retten, Lars, mein Lieber? Ach, mein Gott!“

Lars hatte ein Kind auf dem Arm und zerrte eine Kuh hinter sich her.
Er schüttelte den Kopf. „Soll ich denn wohl mitsamt Ihrem Schwein
versaufen?“

Da stockte auf einmal Frau Nissens lautes Gejammer, und sie blieb
stehen, wie angewurzelt.

„Na was nu?“ fragte Kords.

„Großvater ist noch drin!“

„Mensch, is sie verrückt?“

„Großvater is manchmal so bockig und kann nich hören, und er wollte
nich aufbleiben mit uns und wachen. Und taub is er auch. Nu liegt er in
der Dachkammer und schläft.“

Da fing sie laut an zu heulen.

Aber Lars war schon umgekehrt. Jetzt ging ihm das Wasser bis an die
Hüften. Er wußte, wo dicht bei am Damm sonst ein Boot lag. Aber es war
nicht leicht, sich zurechtzufinden in der heulenden Finsternis.

Und die schwarzen Arme zerrten und hielten, und die weißen Finger
leckten hoch und immer höher. Da kam das Etwas aus der Tiefe seiner
Seele heraufgequollen, was so weit unten im Grunde schlief und über dem
das träumerische Wesen gebreitet lag, wie eine dichte Nebelschicht. Es
war wie eine heiße Kraft und ein ganz unbändiges Wollen, daß er, den
Kopf vorgestreckt, wie ein böser Stier gegen den wütenden, schreienden
Sturm und die schwarzen Arme rang.

Jetzt brüllte sie ihm das alte Lied in die Ohren, das er als kleines
Kind schon gehört: „Mein bist du!“

Aber sein Manneswillen war stärker als sie.

Und jetzt hatte er es erreicht.

Er schwang sich hinein und schnitt die Stricke los. Aber um Gottes
willen die Riemen!

Es waren keine Riemen in dem Boot.

Er tastete mit der Hand. Eine Stange lag unten am Boden. So mußte er
denn staken.

Das ging nicht gut, denn das Wasser stieg und stieg, und der Wind war
stark.

Wie er näher zum Hause kam, hörte er die jammernde Stimme des Alten. Er
wollte ihm zuschreien, daß Hilfe kam, aber ihm fiel ein, daß Großvater
taub war.

Schon stand das Wasser bis ans Dach. Großvater sah zur Luke heraus und
jammerte laut.

„Gammel[3] Nissen! Großvater!“ schrie Lars und hielt sich am Dachrand
fest. Aber der Alte sah in die Finsternis und jammerte fort.

Da nahm Lars seine Stange und stieß nach der Luke.

Das half.

Ein gurgelndes Lallen der Freude klang herunter. Er hielt die Stange
oben fest und tastete damit im Boot herum. Aber er schien noch nicht
ganz beruhigt, ging murmelnd in die Kammer zurück und zündete ein Licht
an.

„Schnell, schnell!“ schrie Lars hinauf.

Gammel Nissen leuchtete zum Fenster heraus. „Puh“ sagte der Wind. Da
war es dunkel. Aber er hatte doch genug gesehn.

So laut, als sei Lars selbst taub, brüllte er hinunter. Dann kam er
über das Dach gerutscht.

Mit dem einen Arm fing ihn Lars auf und setzte ihn ins Boot. -- Dann
riß er ein paar Duchten heraus. Die eine drückte er dem Alten in die
Hand, die andere nahm er selbst. So ruderten sie mühselig vorwärts.
Zuweilen stakte er.

Und endlich hatten sie die andern erreicht.

Er ging nicht mit, um trockenes Zeug anzuziehn. Er stürzte nur einen
Schnaps hinunter, den sie ihm boten. Dann stürmte er nach Hause. Aber
als er bei Onkel Gusts Hause vorbei lief, kam der gerade gemächlich die
Straße herauf. „Lars,“ rief er, „halt, Lars, wo willst du hin in dem
nassen Zeug? Komm herauf, ich hab’ gehört, du hast dich ja großartig
gemacht da beim Dammbruch. Du kannst trocknes Zeug von mir kriegen,
komm nur!“

Lars war einen Augenblick mit finsterm Gesicht stehn geblieben; nun
drehte er sich ohne Wort herum und lief weiter.

„Wohin rennst du bloß?“ rief Onkel Gust.

Da rief er über die Schulter: „Dahin, wo ich hingehöre, nach Hause. Ich
muß sehn, wie es dort steht. Hier wohne ich nicht!“

Onkel Gust starrte ihm nach. Dann schüttelte er den Kopf, und dann
lächelte er. Und so trat er gemächlich in seine Haustür, und der warme
Lichtschein fiel auf die Straße. --


[3] alter.



Kapitel XVI


Lars war noch einsilbiger nach der Sturmnacht. Als er sie da behaglich
im warmen Wirtshauslicht hatte sitzen sehn, die ehrbar satten
Bürgersleute, da hatte es mitten in der heulenden Dunkelheit um ihn
wie in grellem Licht gestanden. „Da gehörst du nicht hin.“ Darum
arbeitete er zu Hause jetzt hart, und zu Onkel Gust ging er nicht.
Lars hatte Arbeit, denn das Wasser hatte viel zerstört, wenn auch der
Strohdachhütte selbst nichts geschehen war.

Aber das Sehnen war schrecklich. Denn alles Denken und Träumen in
ihm hatte jetzt den einzigen Weg genommen hin zu dem feinen, blonden
Mädchen. Nur sie sah er, wenn er an den Riemen zog und über die See
blickte. Nur nach ihr griff er, wenn er ins braune Netzwerk faßte. Sie
quälte ihn, daß er nach der schweren Arbeit Stunde um Stunde wach lag
in der dunklen Nacht. Aber doch, er gehörte zu den schlichten, kleinen
Leuten und ihrer Not.

Und er ging nicht in den Flecken.

Da kam eine Postkarte von Miete, darauf stand: „Du willst es also nicht
tun. Deine Marie Asmussen.“ Da kämpfte er ein paar Tage mit sich, dann
hielt er es nicht mehr aus. Er wollte nur sehen, was sie eigentlich
von ihm wollte, -- sagte er sich. Und Sonntag nachmittag ging er doch
hinauf.

Ganz steif und feierlich kam er die Treppe herauf. Als er in der
Vorderstube Stimmen hörte, machte er die Tür zur Nebenstube auf. Miete
deckte dort mit Trina den Tisch.

Miete war es, als füllte seine große Gestalt das ganze Zimmer, und sein
widerspenstiger Ernst schüchterte sie beinah ein. Aber sie tat, als sei
er gestern erst hier gewesen, und lachte ihn lustig an. Als er Trina
die Hand gab, traf es ihn wie ein höhnischer Blitz seitwärts von Mietes
hübschen Augen. Dann setzte er sich langsam und folgte ihr mit den
Blicken, wie sie mit ihrem leichten, sichern Bewegen die blinkernden
Dinge auf das weiße Leintuch setzte und der rötliche Lampenschein und
der dunkle Schatten über sie hin und her glitten. Seine Blicke trieben
ihr das Blut in die Backen. „Rate, wer dort drin ist!“ sagte sie.

„Wie soll ich das wissen?“

„Hast du nicht gehört, daß wir in Aalby einen neuen Lehrer haben?“

„Was geht der mich an, die Fische kann ich doch nicht in die Schule
schicken.“

„Du sollst ihn aber sehen!“

„Herr Lehrer!“

„Miete, bist du verrückt?“

Da trat der Lehrer wirklich in die Tür, und Lars mußte wieder aufstehen
langsam und widerwillig. -- Es war ein schmächtiger Mann mit einem
braunen Vollbart. Und nun trat er vor Lars hin, und er lachte dabei.

Da erkannte der ihn an den Augen. „Jakob Lind!“ rief er. Dann wurde er
gleich wieder steif und dachte daran, daß er nur ein Fischer geblieben
war.

Aber Jakob Lind hatte die schwere Arbeitshand gefaßt und schüttelte
sie. „Du dummer Kerl!“ sagte er, und Lars sah, daß Jakob immer noch
die guten, geraden Augen hatte. Da taute er langsam auf, und beim
Abendbrot kamen sie allmählich auf die alten Geschichten, und der dicke
Aage und der laute Herr Braun mit der goldenen Brille und Hans Todtsen
mit seinen großen Worten, sie mußten alle heran, und Lars hatte fast
ganz vergessen, wo er war, und hatte laut mitgelacht über die alten
Geschichten.

Als das Essen zu Ende war und der blaue Zigarrenqualm um die Hängelampe
zog, hatte Jakob Lars gebeten, mit ihm zu gehen.

Da sah Lars von der Seite auf den hellen Kopf, der neben ihm über die
feine Stickerei gebeugt war. „Geh doch mit ihm!“ sagte Miete Asmussen.

Da stand er auf und trat mit Jakob aus dem Hause.

Es war eine milde Nacht für den beginnenden Winter. Durch die grauen
Wolken drang ein verschwommenes, bleiches Schimmern, und von Zeit zu
Zeit ward die gelbe Mondscheibe sichtbar. Die kahlen Zweige ragten wie
angstvoll gespreizte Finger. Und hier und da schrie eine Eule in ödem
Klageton nach dem Genossen.

Wie ins Unendliche hinein dehnten sich die kahlen Felder. Vor ihnen lag
wie ein massiger, schwarzer Klumpen der Wald. Am Wege standen nur hier
und da einsam ragende, schwarze Bäume. Manchmal rieben sich die dürren
Zweigenden raschelnd, oder ein Nachtvogel flog mit schwer klappendem
Flügelschlag in das weite Dunkel hinaus.

Es war wie ein Warten in der Luft auf ein wunderlich Verborgenes. Als
müsse das Wort zu finden sein, mit dem die heimlichen Tiefen sich
aufschließen und man hineinblickt in den Wurzelgrund des Seins.

So eine Nacht war es, die den Menschen aus sich heraushebt, daß er
seines kleinen Selbst vergißt.

Die zwei Männer hatten sich viel zu sagen. Es waren nicht nur die alten
Erinnerungen, es war noch ein anderes, das sie zusammenzog. -- Wer kann
den Finger auf die Stelle der Seele legen, aus der es aufklingt wie
tiefer Glockenton und das Echo aus der anderen Seele weckt?

Sie wußten es auch nicht, was die Dinge aus ihrer Seele heraufrief, die
sonst schweigend im Unbewußten ruhten.

Sie fingen an und erzählten von den vergangenen Jahren, so gut sie
konnten; denn sie waren beide langsame Menschen, und ihr Denken und
Grübeln lag oft tief, ihnen selbst fast verborgen.

Jakob hatte sich mühsam mit seinen geringen Mitteln bis zur Universität
gearbeitet. Als er erst wenige Semester dort war, starb sein Vater,
und es galt, schnell Geld verdienen für die Mutter und die kleinen
Geschwister; denn sie waren sehr arme Leute.

„Da bin ich Lehrer geworden,“ sagte er.

Dann war er still, und Lars hörte, wie es in den trockenen
Buchenblättern klappernd raschelte.

„Aber es ist mir gar nicht so schwer geworden,“ fing er dann wieder
an. „Weißt du, Lars, das ist so: erst kommen sie da mit tausend Fragen
und Meinungen, und man wird ganz wirr, und die ganze Welt ist zuletzt
schwarz und tot und gibt auf nichts mehr Antwort. Und wenn man dann
still ist und die Augen aufmacht, dann wächst es doch wieder wie ein
Licht aus dem Finstern.

Und das schien mir immer das Herrlichste, von +dem+ Licht den
armen, geplagten Menschen hintragen zu dürfen. Aber daraus ein Amt zu
machen mit Regeln und Würden, das war mir ganz zuwider. Und da ist es
mir ganz recht, daß ich nur ein Schulmeister geworden bin.“

Das konnte Lars wohl verstehen, und dann fing Jakob an und fragte
ihn, wie es bei ihm gewesen war mit dem schlichten Arbeiterleben.
Und allmählich kam Lars in das Erzählen, und Jakob erfuhr von den
ersten harten Arbeitsjahren und vom ersten jungen Stolz beim Bauen
der eigenen Boote und von den Jahren als Soldat und der Möglichkeit,
heraufzukommen. Aber immer wieder klang es durch, daß er frei sein
wolle und bleiben wolle, so wie es ihm selbst gefiel.

Und dann schwiegen sie wieder, und sie hörten den Klang ihrer eigenen
Füße auf der harten Straße und hörten vom nahen Wald ein Käuzchen
schreien, und im trüben Mondgedämmer lag rings wie in heimlichen
Schleiern das weite Land.

Lars wußte selbst nicht, wie es geschah, aber in der wunderlichen
Nachtstille trotz all der heißen, wühlenden Unrast in seiner Seele
fühlte er doch wieder das Sehnen nach etwas Besserem aus dem Grunde
aufsteigen, und mit knappen, halb verständlichen Worten sagte er Jakob
auch von dem.

„Ja,“ sagte da Jakob Lind, „es war ein alter Professor an der
Universität, der war uns Jungen ein lieber Freund. Den fragte ich mal
so was Ähnliches. ‚Den Drang haltet nur wach,‘ sagte der. ‚Der lügt
euch nie. Die Arbeit kommt von selbst, wenn ihr reif seid. Vielleicht
daß ihr sie tut, ohne daß ihrs selber wißt.‘“

„Das hätte Großvater wohl ähnlich denken können,“ meinte Lars.

Sie waren zusammen bis Aalby gewandert.

„Nun mußt du mit hereinkommen und meine Frau sehen,“ sagte Jakob.

Sie standen vor dem niederen, grünumwachsenen Hause. Lars blieb scheu
zurück. Aber Jakob trat in den Flur, und dann klinkte er gleich die
Tür zur Wohnstube auf, und eine behagliche Flut von Licht und Wärme
wallte Lars entgegen. Er sah in die lange Stube hinein. Hinten am Tisch
im warmen Lampenschein saß eine runde, frische, junge Frau über die
große Näharbeit gebeugt, und ein großes, blondes Mädchen saß geradeüber.

Als Jakob eintrat, sprang die Frau auf und gleich an seinen Hals. --
„Endlich!“ rief sie, und ihre Stimme hatte einen hellen, warmen Klang.
„Wir haben schon so lange gewartet!“

Lars war im Halbdunkel bei der Tür stehn geblieben und drehte an seiner
Mütze.

Da wandte sie sich zu ihm. „Ist das Lars?“ fragte sie und faßte ihn
gleich bei der Hand. Da wurde ihm ein wenig behaglicher zumute. „Karen
und ich haben schon gedacht, ob du ihn mitbringst.“

Lars sah auf die andere. Die war hoch gewachsen und stand da sehr
still, und ihre hellen Augen sahen prüfend tief in ihn hinein, daß es
ihm fast wieder unbehaglich wurde bei dem forschend ernsten Blick.
Aber die kleine Frau Lind ließ ihm keine Zeit dazu. Sie zog ihn an
den Tisch, und er mußte sich zwischen sie und Jakob setzen in den
traulichen Lampenschein. Sie fragte ihn über die Schuljahre mit Jakob
aus. So etwas war ihm noch nie begegnet, wie die freundliche Art der
kleinen Frau Lind mit ihrer fröhlich schwatzenden Munterkeit. Und
dazwischen kamen Jakobs verständige Worte, die so klangen, als ob
sie einen Luftzug aus der fernen, versunkenen Welt des Wissens und
Forschens herüber brächten.

Erst war es, als passe Lars nicht recht da auf den Lehnstuhl zwischen
die beiden Lehrersleute mit seinen großen, verarbeiteten Gliedern,
dann aber setzte er sich ordentlich behaglich zurecht, er wußte selbst
nicht warum. Ohne daß er es ahnte, war sacht eine Tür in seiner Seele
aufgegangen. Wenn er jetzt aufsah, dann traf er den ernsten, prüfenden
Blick des blonden Mädchens. Aber die forschenden Augen waren ihm nun
nicht mehr unbehaglich. Dies klare Schauen gehörte wohl mit zu der
lebendig-fröhlichen Wärme, wie sie hier im Schulhaus wohnte.

Und als Lars endlich über die dunklen Koppeln nach Hause ging, da war
etwas Fröhliches in ihm, was er sonst nicht kannte.



Kapitel XVII


Das Gespräch mit Jakob Lind hatte Lars zu denken gegeben. Woher hatte
er denn das Recht, von sich zu glauben, daß er etwas leisten könnte im
Leben? Er war am Ende zu weiter nichts da, als zum Fische fangen und
so ein feines, blondes Mädchen, wie diese kleine Miete, ganz fest in
seinen Armen zu halten. Sonst würde er doch stark und fest auf seinem
Wege geblieben sein und nicht ihrem ersten Rufe gefolgt sein, zurück
zu den behaglichen Leuten, zu denen er nicht gehörte. Er wußte ja noch
immer nicht, was sie von ihm wollte. Und dann stieg es ganz leise
in ihm auf: -- er wußte es doch -- längst wußte er, was sie von ihm
wollte. Sie wollte ihn ganz sachte wieder zurückziehen in ihre Kreise.
Und wie ihm bei dem Gedanken ein Unbehagen aufsteigen wollte, da stand
auch gleich der andere Gedanke daneben: Das tat sie ja nur, weil sie
ihn liebte! Ganz gewiß, sie liebte ihn. Er hatte es in ihren Augen
gesehen, und er fühlte es in ihrer warmen Nähe. Sie sehnte sich nach
seinen Armen, wie er sich sehnte, sie da an seiner Brust zu halten. Und
dann kam es wie eine heiße Welle, daß er nicht mehr sinnend darüber
grübeln konnte und nur das eine fühlte, er mußte -- er mußte sie erst
an sich reißen; dann wollte er weiter denken und kämpfen.

Aber wenn Lars auch im wilden Strudel der Leidenschaft nur sein heißes
Verlangen und daneben seine willenlose Ohnmacht empfand, so saß doch
tief im Grunde seines Wesens ihm selbst unbewußt die stille Kraft. Im
sparsamen Haushalt der großen Ordnung durfte die Kraft nicht nutzlos
verdämmern. Darum stand das Leben selbst auf, um den schlafenden Lars
aufzuschütteln.

Bald darauf war Sonntag, und Lars kam in der Dämmerung in das hohe,
graue Haus.

Er fand Miete wieder allein am Fensterplatz. Da tat sein Herz gleichsam
einen hohen Sprung und blieb dann einen Augenblick stehen.

Sein Reden war zuerst ein wenig atemlos, als er sich zu ihr setzte.
Aber sie sprach auch nicht viel und träumte, zurückgelehnt, in den
grauen Abend hinaus, und es war wie eine Schwüle in dem Zimmer. Sie
trug eine weiche Bluse, die schmiegte sich um die jungen, schlanken
Formen, und die Hände hatte sie hinter dem Kopf verschränkt.

Von Zeit zu Zeit sagte eines ein paar Worte mit halber Stimme und
ohne rechten Sinn. Und was sie in Wahrheit miteinander redeten, das
sprachen sie nicht mit Worten.

Sie wußten nachher beide nicht, wie es geschehen war, daß sein Arm sie
umschlungen hielt und sie zu ihm hingeglitten war, bis ihr Kopf auf
seiner Schulter lag. Es war fast dunkel in der Stube, und als sein Mund
ihre weichen Lippen fand, da war es, als höbe sich die ganze Welt um
ihn her in heißen Wogen und schlüge über ihm zusammen, und er versänke
im glühenden Taumel. --

Sie fuhren auseinander, als Tante Jette mit der Lampe kam.

Aber dann ging er bald, denn er fühlte, daß er seiner selbst nicht
mächtig war.

Unten stand Trina auf einem Stuhl und zündete die Flurlampe an.

Er sah sie gar nicht. Sein innerstes Wesen zitterte noch in heißer
Wonne. Er klinkte schon die Haustür auf.

„Lars,“ klang es da leise und bittend hinter ihm. Er wandte sich und
sah mit leerem, verständnislosem Blick in die ernsten, bittenden Augen.

„Ach, Lars, ich weiß ja gar nicht mehr -- es ist doch so schrecklich.
Kannst du denn nicht helfen -- ich -- ich“ -- da brach sie plötzlich
ab. „Du hörst mich ja gar nicht, Lars.“

Das klang gar nicht wie Klein-Trinas Stimme, so verwundert und
vorwurfsvoll. Aber es drang bis zu Lars’ Seele, und mit einem
verzweifelten Ruck holte er sie aus blütenschwerdunstigen Fernen
zurück. -- Helfen? hatte sie gesagt, und er sah wieder die Augen mit
der großen Not. -- „So, so, Klein-Trina, hab’ keine Angst, nun höre ich
ja, sag nur alles!“

Da sah sie herauf in die wechselfarbigen Augen, die so aussahen wie die
See, und erkannte wieder den warmen, ernsten Blick und sah noch ein
anderes, ihrer Not Verwandtes, etwas, das aussah wie Leid und Kampf.
-- Und es war zu viel für Klein-Trina gewesen. -- Sie mußte jemand
haben, der mit ihr trug. Und da sagte sie ihm alles: er hatte sich
auf die Treppenstufen gesetzt, und sie stand vor ihm, und von Zeit zu
Zeit nahm sie die Schürze vor das Gesicht. „Sag’ nur immer los,“ sagte
er dann ermunternd oder fast ungeduldig. „Weiter, weiter.“ So erfuhr
er es von Trina Lassens schwerem Kampf in all den langen Jahren mit
Onkel Gust und von dem Mißtrauen der Tante Jette, und wie schwer es
gehalten hatte, rein und ordentlich zu bleiben. Aber andere, wie die
arme Dora Nielsen, hatten es noch schwerer gehabt. Sie hatte keine
Eltern und keine einzige Seele, die ihr half. Peter zum Trotz war
sie damals Meiereimädchen geworden. Und dann war es eben so gekommen
mit ihr wie mit den andern Mädchen dort, und nun warfen die Leute
mit Steinen nach ihr. Aber das mochte ja wohl so sein, wenn man eine
Schuld begangen hatte, daß man dafür büßen müßte. Aber dann den andern
nicht helfen zu können, die man lieb hatte, das war hart. Doras kleine
Geschwister, die hatten es sehr schlecht. Der kleine Bruder, das arme
Kind, kriegte nicht satt zu essen, weil der Armenrat ihn zu den ärmsten
Leuten im Flecken gegeben hatte mit seinem kärglichen Kostgeld. Aber
das Schlimmste hatten sie mit der kleinen Schwester getan. Das hübsche
Mädchen hatten sie zu Kajens gegeben, und Lars wußte ja wohl, was
Kajens für Leute waren, und was das Kind da zu sehen kriegte. Aber wenn
Dora bat und weinte, dann lachte Herr Asmussen und die andern Herrn
vom Armenrat und neckten sie, daß sie fortlief in ihrer Not und Scham.
Wenn es nicht um der Kinder willen gewesen wäre, hätte sie sich am Ende
schon ein Leid angetan.

Wie Trina erzählte, da wurden Lars’ Augen dunkel im Zorn, und wie sie
ihre Hand auf seinen Ärmel legte, „Lars, lieber Lars, hilf wenigstens
den beiden Nielsenkindern, -- und Dora, kannst du ihr nicht helfen?“
Da stand er auf, langsam, als habe sie ihm eine Last aufgelegt. „Ich
verspreche dir, Trina, ich will tun, was ich kann.“ --

                              *         *
                                   *

Bei Klaas Klaaßen in der Nebenstube stand neben dem Spinnrad ein
Webstuhl. Der hatte der alten Stine-Marie gehört. Aber Mutter Stina
hatte auch weben gelernt. Wenn die Männer auf See waren, klang der
rasselnde, klappernde Ton durchs Haus. Aber in dieser Zeit stockte er
manchmal eine ganze Weile, eh er dann mit doppelter Macht einsetzte.
Dann stand Mutter Stina, stützte die Hände auf den Webstuhl und sah
lange still vor sich hin. Und es war eine Trauer in dem stillen Gesicht.

Sie sah es nun schon viele Tage, und sie durfte doch nicht danach
fragen. Aber wenn Lars sich quälte, dann quälte sich Mutter Stina mit.

Er blieb fast keinen Augenblick im Hause, und er sprach auch kein Wort
mit ihnen. Aber zu Onkel Gust ging er auch nicht oder zu Jakob Lind.
Wenn er nicht arbeitete, stand er auf dem Rick und sah ins Wasser, und
wenn er in die Stube kam, dann saß es in seinen Augen wie damals im
Anfang, als er die Schmerzen im Rücken und in den Händen verschwieg,
-- nur noch viel dunkler im Schmerz saß der Blick, und eine Unruhe war
dabei.

So stand die Sorge eine lange Zeit in Mutter Stinas Augen geschrieben.

Da war einen Tag Jakob Lind in das Fischerhaus gekommen und hatte sich
gleich auf den alten Platz wie in früherer Zeit gesetzt und hatte sich
durchaus nicht zum guten Stuhl überreden lassen. Und Jakob Lind hatte
gefühlt, daß da irgend etwas nicht in der rechten Ordnung war wie in
alter Zeit. Aber Jakob wollte gern alles hell haben um sich herum. Und
er hatte gesehen, daß die dunkelste Wolke auf Lars’ Stirn saß, der
da an der Wand lehnte, ganz ohne zu reden, mit dem großen Blick zum
Fenster hinaus über die Weite.

Da nahm er ihn für den Abend einfach mit nach Aalby. Und nachdem ging
Lars da öfter hin, wenn er Zeit hatte. Und es war sonderbar, er hatte
Jakob Lind kein Wort von dem wirren Durcheinander erzählt, das sich
nicht ordnen lassen wollte in seiner Seele. Aber zwischen den klaren,
fröhlichen Augen im Schulhause wurde auch das trübe Gewoge stiller,
daß er den Weg, den er gehen mußte, klar und unerbittlich vor sich sah.

In dieser Zeit sprach er auch wohl mit Jakob von seinem Zorn über den
Zwang, der von allen Seiten am kleinen Manne schob und drängte, daß er
in seiner Unruhe nicht mehr wußte wohin.

„Ja,“ sagte Jakob, „wenn sie auch satt und gut zu essen haben, sie
kommen nicht zur Ruhe, und hier bei uns fängt ein Teil des Kampfes erst
an. Aber es ist auch wieder schön, Lars, so ein Drängen und Werden. Und
in unserer Zeit redet gerade das Werdende das größte Wort. Du solltest
es nur hören, Lars, auf den Universitäten und überall, wo die Leute
wach und lebendig sind. -- Das ist ein Bewegen nach vorwärts. In der
Kunst brechen sie neue Bahnen und in der Wissenschaft, und es weht
frische Luft überall. Es wird auch das „Zeitalter des Kindes“ genannt,
weil so viel Denken und Sorgen für das kommende Geschlecht wohl früher
niemals gewesen ist. Und weißt du, Lars, der Arbeiter, der ist auch
noch ein Kind; ihm gehört die Zukunft, darum ist es eben sein Zeitalter
jetzt.“

„Ja, das ist wohl eine schöne Zeit, Jakob,“ sagte Lars und sah vor sich
hin. „Aber gerade darum möchte man doch auch selber mit Hand anlegen.“

Aber Jakobs freie Zeit war nicht immer dieselbe wie bei Lars. Und wenn
er fort mußte, dann saß Lars manchmal noch eine kleine Weile gemütlich
bei der lustigen, runden Frau Lind, oder die junge Stütze setzte sich
einen Augenblick mit ihrer Arbeit zu ihm. Sie sprachen beide nicht
viel, aber sie verstanden sich gut. Und wenn Karen ihn mit ihren
weiten, klaren Augen ansah, war es, als klänge ihm endlich nach langer
Unrast sein eigenster Ton klar und fast feierlich in der Seele auf. Er
verstand das aber selber nicht. Er wußte nur, daß ihm wieder klar und
ruhig zumute wurde.

Wenn er den Fußweg durch die Felder nach Hause schritt, dann stand
Karen oft an ihrem Kammerfenster und sah ihm nach. Und nach einer Weile
seufzte sie auf, zog dann aber fast ärgerlich die Stirne kraus und ging
an ihre Arbeit. Aber von dem allen wußte er nichts.

Aber mit der Zeit wurde sie ein wenig zutraulicher. Und als der
Frühling gekommen war und die feinen, jungen Blätter der Laube goldig
schimmerten, saßen sie dort manchmal zusammen, wenn Jakob gegangen
war. Und sie erzählte ihm von dem großen Bauernhof daheim und von
der schlichten, ernsten Mutter, der keine Arbeit zu schlecht war und
keine Tagelöhnernot zu klein, daß sie nicht zugriff und half mit ihren
starken Händen und ihrem klaren, ernsten Sinn. Und sie sprach von der
schwarzen Zeit, als die Eltern gestorben waren und sie hinaus mußte in
die Fremde.

Sie hatte ganz allmählich angefangen, ihm solche Dinge zu erzählen, und
sie war immer noch scheu dabei und so, als bäte sie ihn um Verzeihung.
Aber wenn sie in seine stillen, traurigen Augen sah, wie sie jedes Wort
in den tiefen, dunklen Seelengrund, der hinter ihnen schlummerte, wie
in einen weiten See hinein tranken, dann sprach sie weiter.

Und stockend sagte sie auch von dem einen, was sie aus dem schlichten
Elternhause mitgebracht hatte, und was ihre Heimat geblieben war, wie
alles andre von ihr ging. Und die Sonne lag in ihren lichten, großen
Augen, als schimmere es von innen hervor wie ein Siegesglanz.

Und dann kam die runde, fröhliche Frau Lind mit ihrer Näherei heraus.
Und Karen stand auf und ging an die Arbeit. Lars aber hörte nicht recht
auf das lustige Geschwätz, denn im Gemüsegarten lag Karen auf den
Knien, die große, weiße Sonnenhaube über dem hellen Haar. Und ihre hohe
biegsame Gestalt wandte sich eifrig hierhin und dorthin bei der Arbeit.
Und seine Augen lagen sinnend auf ihr, und das, was sie ihm erzählt
hatte, ging durch seine Gedanken. Und die kleine Frau Lind merkte es
wohl, und sie freute sich.



Kapitel XVIII


Tief drin im untersten Grunde wühlte und bohrte es in Lars’ Seele. Die
ruhige, klare Art in Jakob Linds Hause machte ihm den eigenen unklaren
Zustand immer unbehaglicher. Jakob und die hohe stille Karen gingen so
fest und sicher vor sich hin, und um die kleine tätige Frau Lind war es
am allermeisten wie eine frische, gesunde Luft bewußten Frohsinns.

Und immer ließ ihn Trinas Not und ihr großes Zutrauen nicht los. Er
sann und sann und konnte es doch nicht in Einklang bringen, seine
behagliche Freundschaft mit den Asmussens und das ganze Elend, von dem
ihm Klein-Trina auf der Treppe erzählt hatte.

Und doch tobte und kochte die Leidenschaft in ihm noch stärker als
vorher. Bis er sich einen Entschluß abgerungen hatte, durfte er seinen
Mund nicht wieder auf die weichen Lippen drücken; der Gedanke packte
ihn wie verzweifelte Qual.

Einstweilen wollte er da anfangen, wo er erst einmal ein Stückchen Weg
vor sich sah. Er wollte versuchen, etwas für Dora zu tun.

In einer nebeldicken Morgenfrühe begann er Peter Lassen im Boot von ihr
zu reden. Und er sagte ihm alles, was er von Trina gehört hatte. Von
Doras einsamem Kampf und ihrer Not, und wie die Verachtung der Leute
und die große Scham sie jetzt fast erdrückten und doch keine einzige
helfende Hand da war, die sie aufrichtete. Und die kleinen Geschwister,
die sie gern mit dem eigenen Leibe vor allen Gefahren gedeckt hätte,
blieben doch unbeschützt, und keiner wollte ihres Notrufs achten.

Es tat Lars wohl, etwas von dem, was ihn drückte, von der Seele zu
reden. Aber Peter sah zur Seite und keiner konnte sagen, was in ihm
vorging.

Sich selbst aber hatte Lars geholfen. Er hatte einen Anfang gemacht.
Nun wußte er, daß Klarheit werden mußte. Onkel Gust sollte erfahren,
wie er dachte, und Miete wollte er hinüberreißen in seine schlichte,
reinliche Welt. Für sie konnte er sich dann wohl aufraffen und sich aus
dem armselig-engen Kreise heraufarbeiten. Sie liebte ihn, so wie er sie
liebte, darum würde sie auf ihn warten.

So kam es endlich, daß er gerade aufgerichtet und zuversichtlich über
die Koppeln zu Herrn Asmussens Hause ging.

Im hohen grauen Hause auf der Treppe traf er Trina Lassen. Es war ihm
fast wie ein Schreck, so leuchteten ihre Augen auf bei seinem Anblick.
Da blieb er bei ihr stehen und fragte nach Doras Geschwistern und
anderem mehr, und sie sah ihm fest in die Augen und erzählte schlicht
und voll großem Vertrauen.

Dann ging er mit schweren Tritten die Treppe hinauf. Das vordere Zimmer
war leer. Im zweiten fand er Onkel Gust in dicken Tabakswolken hinter
der Zeitung.

Da drückte er die Lippen fest aufeinander, daß sein Gesicht wieder
aussah, wie aus Holz geschnitten, und trat dicht vor ihn hin.

Onkel Gust wehte mit der Zeitung die blauen Wolken auseinander. „Sieh
da Lars, -- endlich läßt du dich sehen,“ sagte er gütig.

„Onkel, ich habe mancherlei zu sagen,“ brachte Lars mit harter Stimme
heraus.

Zum Lesen brauchte Herr Asmussen einen Kneifer. Über den Kneifer hinweg
sah er seitwärts nach Lars hin. „Setz’ dich, setz’ dich, min Jung!“ Und
dann: „Na?“ sagte er erwartungsvoll.

Lars saß an der andern Seite vom Tisch, nun legte er die Arme darauf
und beugte sich zu Herrn Asmussen hinüber, und er sprach ganz deutlich
und langsam, und Herr Asmussen rückte an seinem Kneifer.

„Ich weiß gar nicht, was du überhaupt meinst,“ sagte er und putzte den
Kneifer vorsichtig mit dem Taschentuch ab.

Aber Lars blieb ruhig dabei und sprach von Trina Lassen und was die
Leute ihm sagten von Onkel Gust.

„Was geht das dich überhaupt an?!“ Und Onkel Gust lehnte sich im
Lehnstuhl zurück und suchte beleidigt auf Lars zu blicken.

Aber Lars achtete gar nicht darauf, und als er auf Dora Nielsen zu
reden kam und ihre Geschwister, da rückte Onkel Gust ein wenig auf
seinem Stuhl herum und lachte verlegen. „Naa“ sagte er begütigend und
zwinkerte Lars zu. Aber Lars redete weiter, und er redete sich in Zorn
und sprach von denen, die keine Hilfe fänden und keinen Schutz, weil
die andern, welche die Kraft hatten und die Pflicht zu sorgen, im
Wirtshaus saßen und faule Witze rissen.

Da wurde es Onkel Gust zu bunt. „Grünschnabel, geh’ und predige deinen
Fischen!“ schrie er und setzte den Kneifer wieder auf.

„Ja,“ sagte Lars da auf einmal in einem ganz anderen Ton, „ich bin
weiter nichts als ein Fischer, und ich habe kein Recht, zu sprechen,
aber es kann sein, daß es heute das letztemal ist, daß ich hier sitze,
und eh’ Ihr euch entschließt, solltet Ihr wissen, wie ich denke.“

Da legte Onkel Gust die Zeitung schnell wieder hin und sah Lars mit
einem Ausdruck ins Gesicht, der fast dumm ausgesehen hätte, wenn es
eben nicht Herr Asmussen gewesen wäre.

Lars schwieg einen Augenblick, und sein hartgeschnittenes Gesicht war
unter der Wetterbräune blaß geworden.

Draußen hörte man einen Hund bellen. --

„Ich wollte dich fragen, ob du mir Miete zur Frau geben wolltest,“
sagte er, und die Stimme war sehr tief und fast hohl.

Da veränderte sich Herr Asmussen, wie wenn im April die Sonne durch die
Wolken bricht. „Mein lieber Lars!“ sagte er gerührt, und auch seine
Stimme klang tief, aber mehr im Fett erstickt. „Ich habe mir immer
gedacht, daß du wieder zu uns kommst. Der Stand, dem du angehörst, ist
ja unmöglich für dich. Bei deiner Begabung läßt sich alles in kurzer
Studienzeit nachholen. Ja, ja, ich glaube schon, daß die klein’ Deern
„ja“ sagen wird. Und ihr seid ja jung; bis du dich wieder soweit
eingearbeitet hast, daß du reif bist für den Posten, so lange könnt ihr
ja gut warten -- und --“

„Was meinst du eigentlich Onkel?“ Lars stand hoch aufgerichtet und sah
ihn mit weiten Augen an.

Aber Herr Asmussen war schon an der Tür -- „Miete -- Miete!“ rief er
die Treppe hinunter. „Ich wußte es ja, und ich habe die ganze Zeit eine
nette kleine Stelle für dich im Auge behalten -- aber sieh, da bist du
ja schon, klein’ Deern, na, na, da will ich euch lieber allein lassen,“
und er lachte leise, -- noch hinter der Tür hörten sie ihn lachen.

Miete stand vor ihm, und sie sah halb verlegen zur Seite, und in den
weichgeformten Backen ging das Blut auf und ab. Und es war zwischen
ihnen wie eine heiße Welle, die hin und her wogte und den Blick zu
trüben schien, daß kein Überlegen mehr war, nur das heiße Müssen.

Sie wußten es beide nicht, wie lange sie so in seinen Armen gelegen
hatte.

Aber wieder war es Tante Jette, die die Tür hart aufklinkte. Miete
sprang auf mit glühenden Backen, und Lars stand neben ihr, hochatmend
mit dunklen Augen.

„So,“ sagte Tante Jette, und setzte sich, „nun wollen wir erst mal
vernünftig reden.“

Die beiden setzten sich langsam nebeneinander, und Lars fuhr sich mit
der Hand über die Stirn und weit über die kurzen Haare hin.

„Also dein Vater sagt mir, Miete, daß Lars dich heiraten will und
selbstverständlich in unsern Stand zurückkehrt und sich für die Arbeit
bei Herrn Tiensen vorbereiten will. Eine lange Warterei wird das ja
geben, und gerade keine besonders feine Stellung für dich. Aber lieber
als diese Wirtschaft hier zwischen euch ist mir diese Heirat dann
schließlich auch noch und --“

„Tante Jette,“ sagte da Lars auf einmal, und er war wieder ganz blaß
geworden, „Onkel Gust hat mich ganz falsch verstanden. Wenn mich Miete
lieb hat, wird ihr wohl jeder Stand recht sein. Es kann ja vielleicht
Mittel und Wege geben, daß ich mich irgendwie weiterbilde und
heraufarbeite, aber zu Herrn Tiensens Arbeit, -- nie und nimmer. Hier
ist bloß der Fischer!“ Er drehte sich zu Miete in seiner schwerfälligen
Art. Und es stand auf seinem Gesicht wie ein rücksichtslos zorniges
Fragen, aber auch etwas wie eine verhaltene Qual war in den gezogenen
Linien.

Sie war fast zusammengefahren und tat einen Ruck von ihm fort. „Was,
Fischerfrau?!“ sagte sie, „Lars, bist du verrückt?“ -- Und sie lachte
schrill auf, beinah, wie ihre Stimme manchmal als Kind geklungen hatte.

Tante Jettes Brust hob und senkte sich stürmisch mit dem dicken
goldenen Locket. „Das wäre dir wohl recht, das kann ich wohl glauben.
Eine kleine niedliche Frau und Geld dazu. Und dann deinen Wohltätern
den Rücken kehren und womöglich gegen ihre Sache kämpfen. -- Ich habe
dir immer mißtraut, Lars Asmussen, und diese Tändelei mit meinem Kinde
war mir ein Greuel.“

„Ach Mama, du verdirbst aber auch alles,“ sagte Miete feindlich.

„Ja, ja, das tut sie immer,“ sagte Herr Asmussen, der bei dem lauten
Reden eingetreten war.

„Lars,“ und Miete kam zu ihm heran, so dicht, daß er ihren Atem weich
auf seiner Backe spürte, „du hast mir doch versprochen, daß du etwas
für mich tun würdest, -- Lars?“ -- Und sie hatte ihre weiche Hand auf
seine harten braunen Finger gelegt.

Es war, als versänke etwas in ihm, daß es ihn wie eine körperliche
Schwäche überkam und ihm zugleich den heißen Blutstrom ins Gehirn trieb.

„Lars,“ sagte Herrn Asmussens wohlwollende Stimme, „Lars, min Jung’ --
bedenke, wie du vorher geredet hast, denk an die kleinen Leute, denke,
wie ein Agitator in jeden Winkel kommt und alle Verhältnisse kennt.
Welchen Einfluß wirst du haben, wieviel kannst du nützen?“

Einen Augenblick sah er von einem zum andern mit seinem blassen,
unbeweglichen Gesicht. Er sah jetzt seiner Mutter ähnlich. -- „Leb
wohl, Miete!“ sagte er.

Ihre Finger lagen noch immer weich auf seiner Hand. Jetzt lehnte sie
sich an ihn, und ihre ganze Gestalt war sehnende Hingabe. „Lars, kannst
du denn gar nichts für mich tun? Wenn du mir versprichst, dich zu uns
zu halten, weiter gar nichts?“

Da faßte er sie plötzlich bei den Schultern und sah ihr ins Gesicht.
Sie versuchte zu lächeln, aber sie konnte ihm nicht gerade in die
Augen sehn. Etwas Unbestimmtes -- Verstecktes glitt über das helle,
weiche Gesicht. -- „Jetzt weiß ich, daß du mich betrügen willst, Miete
Asmussen, um mich einzufangen.“ Seine Stimme klang sehr hart. „Und Gott
weiß, daß du stark bist!“ -- Er schob sie fort und wollte nach der Tür.
Aber Miete beugte sich vor und sah ihm in die Augen, daß der Blick sich
gleichsam in sein Innerstes wühlte.

„Du kommst wieder!“ flüsterte sie.

„Nein,“ sagte er.



Kapitel XIX


Das waren böse Tage, die nun für Lars Asmussen gekommen waren. Es lag
alles im Trüben und hatte keinen rechten Sinn. Und er fühlte nur, daß
es wund war in ihm. Aber da hatte ihm eines Tags Peter Lassen etwas
erzählt, das brachte eine Weile so ein klares, ruhiges Fühlen in ihn,
wie wenn Karen mit ihm redete.

Was Peter ihm aber erzählte, war so gekommen:

Peter kam einmal im Sonnenschein über die Koppeln. Er ging aufrecht und
trat fest auf und pfiff laut und fröhlich. Peter war zufrieden mit dem
frischen, starken Wind und vor allem mit Peter Lassen. Er rechnete den
Verdienst der letzten Woche zusammen, und auch damit war er zufrieden.

Auf einmal blieb er vor dem Knickloch stehen und sah auf die Koppel
dahinter.

„Jetzt schon Kühe!“ sagte er. „Hoekskoppel“ nickte er vor sich hin. „Da
kriechen die Küken auch eher aus dem Ei als bei andern Leuten.“

Er wollte eben weitergehen, da trat ein Mädchen von der andern Seite
auf die Koppel. Sie ging zu den Kühen hin und sah kein einziges Mal
vom Boden auf. Und die feinen, starren Schlehdornzweige, mit den weißen
Blüten, standen hoch gegen die milde blaue Luft und dahinter stand
Peter und sah auf das Mädchen hin. Und Peter hatte lange aufgehört
zu pfeifen und der zufriedene Schimmer war nicht mehr in den Augen,
sondern ein unruhiges Licht war darin; fast gequält blickten sie
zwischen den Blüten hindurch auf das Mädchen. Das hatte sich ganz ruhig
auf den Melkschemel gesetzt und war bald fertig mit der ersten Kuh.

Da machte Peter eine Bewegung, als wollte er auf die Koppel steigen,
aber er zog die Brauen zusammen und blieb, wo er war. -- Nun
ging sie zur zweiten Kuh, aber Peter stand noch immer hinter den
Schlehdornzweigen. Und das Gequälte in seinen Augen war noch stärker.
Sie gab der letzten Kuh einen kleinen Stoß, daß sie weiter ging, und
dann legte das Mädchen die Hände auf die Knie und den Kopf in die Hände
und blieb so zusammengebeugt auf dem niederen Schemel, so wie zerdrückt
von einer großen Last. Und der weiche Frühlingssonnenschein lag auf
ihren hellen Haaren, daß sie gleißten, und über der Koppel lag der
weiche warme Frühlingsfrieden.

Da seufzte Peter tief auf und trat auf die Koppel hinaus. Die Falte
hatte er noch zwischen den Brauen, und in seinem aufrechten Gang lag es
wie lauter Rechtlichkeit. -- „Guten Tag, Dora,“ sagte er.

Da sah sie schnell zu ihm auf, und das Blut stieg ihr bis an die
Haarwurzeln. „Guten Tag, Peter Lassen,“ sagte sie leise.

„Eine schöne Kuh,“ sagte Peter und klopfte der Roten auf den Rücken.

Dora aber sah ihm ins Gesicht mit einer großen Bangigkeit in den Augen
und sagte kein Wort. -- Da räusperte sich Peter und stützte sich mit
dem Ellbogen gegen die Kuh. Aber er fand immer noch nicht die rechten
Worte. Und hoch oben in der weichverschwimmenden Bläue zitterte die
Luft vom hellen Lerchenjubel.

Da stand sie langsam auf und hob den Melkschemel vom Boden. „Dora,“
sagte Peter, „wart’ einmal. -- Dora, es ist dir nicht so gut gegangen,
du hättest mal lieber auf mich hören sollen. -- Nun tust du das
vielleicht eher, Dora,“ -- er holte tief Atem und dann hastig: „wir
wollen uns doch lieber heiraten jetzt.“

Da kam es ganz anders, als Peter dachte. Dora hatte sich aufgerichtet.
Und mit einem Male war es wieder die große Helle, die vor ihm stand.
Aus den Augen blitzte und flackerte es. „Ja, du hast recht, mir ist
das schlecht gegangen, Peter Lassen, und ich bin jetzt so eine, mit
der niemand mehr viel Umstände macht. Aber so demütig bin ich dabei
doch nicht geworden, Peter Lassen, daß ich jeden Gnadenbissen annehme,
den du mir hinwirfst.“ Sie nahm ihren Schemel unter den Arm und ging,
und ihr Rock streifte die blühenden Margueriten. Dann blieb sie stehn
und rief über die Schulter: „Wenn du das nächste Mal mit mir sprichst,
vergiß nicht, daß du mir etwas abzubitten hast, Peter Lassen.“

Dann war sie fort, und Peter starrte ihr nach. -- Er gab der Kuh
einen zornigen Stoß und ging nach dem Fußsteig zurück. -- „Es ist
gut,“ dachte er, „nun habe ich getan, was ich mußte. -- Die hätte nie
zu unsereins gepaßt. Weiß Gott, was Mutter gesagt hätte -- und alle
andern ordentlichen Leute. -- Bewahre, was hätte der rote Trollsen und
der alte Mazen gelacht. Und die jungen dummen Henigsens hätten sich
gefreut.“ Und Peter sagte sich immer wieder, wie gut es sich traf, daß
Dora Nielsen so unvernünftig war. -- Aber er sah gar nicht vergnügt
aus dabei, und alle Augenblicke blieb er stehen und sah sich um. Aber
es war rein gar nichts zu sehn auf den sonnigen Koppeln, als nur
glänzende rote Kühe.

Da ging er weiter, aber den Kopf hielt er ein wenig gebeugt.

Sie wußten nicht, was Peter hatte. Von denen zu Hause kam keiner mehr
mit ihm zurecht. Er war viel schweigsamer als sonst, und wenn er
sprach, war es, um irgend jemand anzufahren.

Lars rang und kämpfte selbst mit seiner großen Not. Aber er merkte
doch, daß auf dem andern eine Last lag, und manchmal sah er ihn mit
seinen tiefen Augen fragend an. Dann drehte Peter den Kopf zur Seite
und begann zu pfeifen, aber er hörte bald wieder auf.

Und immer wieder sagte er sich, daß es gut wäre. Aber so wie die große
Helle vor ihm gestanden hatte in der warmen Frühlingssonne, so stand
sie ihm immer vor der Seele. Er wurde sie nicht los. Und er fing an,
sich wieder und wieder die Worte zu sagen, die sie gesprochen hatte.
Und er tat etwas, was Peter Lassen noch nie getan hatte, er versuchte,
sich auszudenken, wie ihr zumute war, daß sie gerade diese Worte
hätte sagen müssen, und ob sie Peter Lassen wohl nicht mehr leiden
konnte. Und wenn er das dachte, dann zog sich sein Herz ganz fest
zusammen, daß es war wie ein körperlicher Schmerz. Und auf einmal, an
einem Sonntagmorgen, als er lange auf Klaas Klaaßens umgekehrtem Boot
gesessen hatte und wunderliche neue Gedanken in ihm aufgedämmert waren
und wieder versunken, da wußte er, wie Dora Nielsen zumute gewesen war,
und Dora Nielsen tat ihm im innersten Herzen so bitter leid, daß er
sich im Zorn mit der Faust aufs Knie schlug. Dann stand er auf und ging
nach Hause.

Als ihn nach einer Weile die kleinere Schwester Lena fragte, wo er im
guten Sonntagszeug hingehen wollte, fuhr er sie erschrecklich an und
hätte sie beinahe geohrfeigt.

Auf dem Hoekhof fragte er mit bitterbösem Gesicht nach Dora Nielsen.

Die stattliche Hoektochter sah neugierig zum Fenster heraus, als er in
den Kuhstall ging.

Dora war bei den Kälbern. Sie hatte etwas Weiches, Mütterliches, wie
sie das trinkende Kalb streichelte. -- Sie fuhr so stark zusammen, als
sie Peter erblickte, daß das Kalb zur Seite sprang.

Peter stand vor ihr und drehte an seiner Mütze. Er sah zur Seite, und
es war etwas Jungenhaftes an dem großen Menschen. „Verzeih mir die
Ohrfeige,“ brachte er endlich mit seiner tiefen Stimme heraus.

Dora sah ihn groß an, sie zitterte ein wenig. -- Da blickte er ihr fest
ins Gesicht. Und in seinen guten Blauaugen stand etwas, daß Dora die
Hände vors Gesicht schlug und laut aufweinte. „Ich bin’s nicht wert --
ich bin’s ja nicht wert,“ schluchzte sie.

Da fühlte sie seine starken Arme um ihren Leib, und nun wußte die große
Helle, daß sie endlich nach Hause gefunden hatte.

                              *         *
                                   *

Daß alles zwischen den beiden so gekommen war, dazu hatte Lars’
Erzählung damals im Boot mitgeholfen, das wußte er. Eine kurze Zeit
war ihm der Gedanke eine Art Trost. Aber die Qual der Sehnsucht blieb.
Da flüchtete er sich immer mehr in die Arbeit. Und es gab jetzt gerade
genug zu tun für die beiden Jungen. Jeder hatte in seiner eigenen
Heimhütte schon eine Weile den Alten mit eigenen Gedanken zugesehen.

Hans Peter Lassen hatte ein Magenleiden und saß verfallen und
schweigsamer als je in seinem kleinen Hause. Und seine Frau jammerte
laut. So mußte Großvater allein hinausgehen. Mühsam drehte der alte
Mann mit seiner Winde das Netz herauf, und sein Fang war jämmerlich
gering. Aber er wollte selbstverdientes Brot essen, und er klagte
nicht, wenn er nach der Arbeit ganz matt in sich zusammensank. Den
Frauen hatten Lars und Peter nur mürrisch kurze Antworten gegeben, wenn
die darauf zu sprechen kommen wollten. Aber Lars und Peter kamen doch
zusammen und berieten, was zu tun sei. Die Jungen waren sich einig, daß
keiner von den beiden Alten bei der harten Winterarbeit mehr aushalten
könnte. Da hatten sie ausgemacht, daß Lars und Peter jeder in einem
eigenen Boote hinausgehen und einen Mann zur Hilfe mitnehmen sollte,
und der hatte dann geringeren Anteil am Verdienst. Großvaters altes
Winterboot war nicht mehr viel wert. So mußte im Sommer ein neues Boot
gebaut werden.

Mit dem Aalfang war es in dieser Zeit überhaupt nicht gut gewesen, so
daß sie oft an einem Tage zweimal hinausmußten. Und in den Stunden,
wo sie sonst schliefen, stand Lars und zimmerte und hämmerte an dem
neuen Boot. Und wenn die Späne flogen und die Säge ächzte oder der
Hammer dröhnte, dann wurde ihm wohler. Und wenn das heiße Sehnen in ihm
aufstieg wie ein körperlicher Schmerz, dann ließ er das Holz kreischen
und dröhnen, und fort und fort sagten ihm die Töne dasselbe: frei
wollte er bleiben und unabhängig von den behaglichen, satten Leuten
dort oben. Nach +seiner+ Art, frei, frei. --

Als es gar zu lange währte, daß er sich nicht sehen ließ, kam Jakob
Lind einmal den Strand entlang, wo Lars vor dem Feuer stand mit
schwarzen Händen und beschmiertem Zeug.

„Die Arbeit ist der rechte Grund zum Bauen, hat Großvater gesagt, und
da hat er recht. Laß mich man, Jakob Lind!“

Und Lars blieb bei seiner Arbeit und ging nicht zu Jakob Lind. Wenn er
einmal einen Augenblick absetzen mußte nach stundenlangem Quälen und
es war nicht gerade Schlafenszeit, dann stand er totstill am Ende des
Ricks und sah ins Wasser. Aber dies einsame Sinnen mit der großen Qual
im Herzen brachte ihn nicht vorwärts, sondern er saß im Nebel fest.

So kam wieder einmal ein Sonntag, aber er lastete grau und schwül über
dem trägen, öligen Wasser.

Es war Trina Lassens freier Nachmittag gewesen, und sie trat aus der
Haustür, um nach dem Flecken zurückzugehen.

Da sah sie Lars auf dem Rick stehen. Die reglose dunkle Gestalt vor der
weiten, öden See hatte etwas Tieftrauriges für die Augen der kleinen
Trina, denn sie wußte, wie es ihm im hohen grauen Hause ergangen war,
und er tat ihr so leid, der starke, große Lars.

Schritt vor Schritt, als ob sie einen im Schlafe störe, ging sie
zaghaft aufs Rick hinaus. Ganz leise, kaum hätte man es der Arbeitshand
zugetraut, legte sie die Finger auf seinen Arm. „Lars, ich wollte bloß
danken,“ sagte sie.

„Wofür?“ fragte er.

„Da drin sitzt Helle-Dora bei Peter, und sie sind so froh. Das hast du
getan.“

Da sah er ihr mit sonderbarem Blick in die Augen. Dann strich er ihr
freundlich über die Hand. „Du findest wohl das Rechte, Trina, Kind.“

Sie sah dankbar zu ihm auf.

„Ist es immer noch so schwer da drüben?“ fragte er.

„Es geht schon“, sagte sie.

„Und Miete -- hilft sie dir nicht?“ Seine Stimme klang fast hart.

„Sie kann wohl nicht,“ sagte Trina und sah zur Seite. Sie hatte den
Kopf vorgebeugt, daß ein paar dunkle Haarsträhnen ihr über die Stirn
hingen.

„Warum bleibst du denn dort?“

„Ich weiß nicht, aber es ist wohl überall schwer, und hier bin ich doch
nah bei den Eltern. Sie sagen, in Hamburg oder so wäre es besser, aber
ich fürchte mich.“

Da faßte er sie auf einmal bei der Hand. „Sieh mal, Trina, wir sind
beide nicht so froh, und wir kennen uns von klein auf und könnten gewiß
gut zusammen arbeiten, was meinst du, wollen wir’s nicht zusammen
versuchen?“

Sie wurde flammend rot und dann wieder blaß und sah ihn an, als wenn er
in fremder Sprache gesprochen hätte. Da fragte er noch einmal:

„Wollen wir uns heiraten, Klein-Trina?“

Da sah sie zu ihm auf mit hell strahlendem Glück in den Augen, daß er
sie bei der Hand nahm und mit ihr zu Mutter Stina ging. Und sie merkte
es gar nicht, daß er nicht so froh aussah. --

                              *         *
                                   *

Der nächste Sonntag, an dem es Jakob Lind erfuhr, war wieder ein
klarer, stiller Frühsommertag, und er hatte mit seiner Frau und
Karen einen Weg über Land gemacht. Die Nachmittagssonne lag über dem
kleinen Landsee, und jeder Schilfhalm hob sich lautlos in den goldenen
Frieden hinauf, nur die Libellen schwirrten durchs Schilf und setzten
sich auf die großen, roten Blumen. Zwischen den Kastanienblättern
fielen die goldenen Lichter bis auf den grünen Wassergrund, wo sich
die wunderlichen Schlinggewächse wanden. -- Und aus dem blauen
Schatten glitten lautlose weiße Schwäne ins goldene Licht hinaus, und
ihr weißes Gefieder schimmerte bläulich und gleißte wieder auf in
goldig-weißem Schein. -- Und aus der Hölzung träumte auf langgezogenen
Sehnsuchtsklängen die Drossel und jauchzte wieder auf von goldenen
Sonnenträumen, und manchmal -- leise tief aus grüner Dämmerheimlichkeit
rief lockend der Kuckuck ins Kinderland.

Auf dem Seeweg ging Jakob Lind, und an seinem Arme hing seine kleine
Frau.

Karen war ein Stück zurückgeblieben. Hier und da beugte sie sich zum
dunklen Wasser und brach die hohen, gelben Iris zum Strauße. Und die
grüngoldenen Sonnenlichter tanzten über ihr helles Kleid.

Dann träumte sie in den märchenstillen Sonnenfrieden hinaus, und es
war ihr, als ginge der große, ernste Fischer immer neben ihr, und als
ob er etwas von ihr wollte. Was sollte sie tun? Was sie war, gehörte
ihm; ihr schien, das war von immerher sein Recht. War denn eine Zeit
gewesen, wo sie ihn noch nicht kannte? Im tiefsten Seelengrunde hatte
sie so wie ein Bild von seinem Wesen wohl immer schon geträumt. Denn
wie verstand sie sonst, bis in ihr innerstes Empfinden, die ernste,
grüblerische Art und diese Kraft, die doch so schwer war zur frischen,
starken Tat? Wer ihn aufrütteln durfte aus seinen Träumen! Hatte Gott
ihr diese Seele in die Hände gelegt, weil sie allein sein innerstes
Empfinden verstand?

Sie lehnte am gewunden-rötlichen Kastanienstamm und sah hinauf nach dem
Mückenschwarm, der da im goldenen Strahle tanzte, und wieder war der
helle Siegesschein in ihren weiten, klaren Augen.

Als sie in den Flecken kamen, sagte ihnen jemand, daß Lars Asmussen mit
Trina Lassen versprochen sei. Da stampfte die kleine Frau Lind mit dem
Fuße auf. „Das hat er nur getan, um die abscheuliche Miete zu ärgern,
der dumme, dumme Mensch!“

„Ich fürchte, es war Feigheit,“ sagte Jakob Lind.

Aber Karen ging still weiter.



Kapitel XX


Der alte Klaas Klaaßen hat recht, es sind die Menschen, die einen
Tüter[4] in die große, wunderbare Ordnung machen.

Manch einer ist geboren in so einer wunderlichen Nacht um Sonnenwend
oder wenn die feine Mondsichel über die wachsenden Knospen wacht oder
wenn der Vollmond dem scheidenden Jahre leuchtet. Da haben die tiefen
Glocken im Grunde der Dinge heraufgeklungen und der Quell, der da unten
verborgen aufwallt, hat gerauscht.

Der Mensch geht dann mit ernsten Augen über die Erde, und seine Ohren
sind feiner als anderer Leute Gehör. Und wenn er still hält und
aufhorcht, kommt ihm ein Ahnen von dem, wie es hätte sein sollen. --
So ein feines, tastendes Fühlen ist es, wie es Kindern im Traume redet
oder die Wandervögel durch die Lüfte führt oder die Flut zum Lande
drängt. -- Und er könnte weinen, wenn er den großen Tüter sieht, den
die Menschen hineinbringen. Es ist, als triebe sie eine dunkle Macht,
daß sie in die große Ordnung hineingreifen und ihr Gewebe zerreißen.

Aber so, wie die Natur selbst immer strebt, zu begleichen und mit
Schönheit zu umhüllen, so strebt auch die Ordnung selbst, die Dinge in
ihren Wohlklang zurückzubilden. Es fürchtet sich aber der Mensch oft
vor ihrem Wege, denn er geht am öftesten durch die Nacht.

Hat eines ihrer Kinder aber im lärmenden Geklirr des Unverstandes ihre
Stimme überhört und ist den falschen Weg gelaufen, -- wenn er sich nur
zu ihr hält, so bringt sie ihn immer wieder zurecht. An ihrem Faden muß
er spinnen, wenn er es selber nicht glaubt. Und er kommt dennoch zum
Ziel.

Lars hatte einen Tüter gemacht in sein Leben.

„Ich gehöre zu den schlichten, arbeitenden Leuten,“ sagte er zu Jakob
Lind. „Da bin ich am Platz. Dies ist das Wahre im Leben, Jakob, was
sich auf die Arbeit gründet. Das andere ist unecht.“

„Recht hast du, Lars Asmussen,“ sagte Jakob Lind, „aber du bist übers
Ziel geschossen.“

Er suchte seine Freunde unter den einfachen Leuten, und die Linds mied
er in dieser Zeit. Er sollte mit seiner Frau in einem neuen Hause ein
wenig weiter ab vom Strande wohnen.

Das war das einzige Haus, das in der Nähe zu haben war, und vor dem
Herbste, eh’ der Heringsfang wieder anfing, sollte geheiratet werden.

Mutter Lassen war eine tüchtige Frau, und Trinas Aussteuer lag schon
lange sauber in der Lade. So konnte Lars es haben, wie er wollte.

Da war er gar nicht mehr zum Nachdenken gekommen. Am neuen Hause war
noch manches zu tun, ehe er einziehen konnte, und das Boot war noch
nicht ganz fertig. Auch hatten sie noch nicht alles wegen der Männer in
Ordnung, die mit ihnen fischen sollten. Lars wollte gern Kords in sein
Boot haben. Mit Kords Hand ging es besser, und er hatte seit fast einem
Jahr auf der Werft gearbeitet.

Aber nun war er plötzlich nach Hause gekommen, ohne Geld und mit einer
kranken Frau. Das wußte Lars, und er wollte ihn nun für seine Arbeit
anwerben.

Die Arbeit war jetzt Lars’ einziger Gedanke. -- Wie es in ihm selbst
aussah, das wollte er nicht sehn. Er war sich dumpf bewußt, daß, wenn
er anhielt im Schaffen und sich Zeit ließ, einmal hinein zu horchen
in die eigene Seele, er da einen unerträglich brennenden Schmerz
fand. Aber schon um Klein-Trinas willen wollte er sich einreden, daß
er zufrieden sei. Es war auch wirklich wieder eine größere Sicherheit
in Lars, seit er in sein Innerstes hineingeschnitten und Miete
herausgerissen hatte. Indem er sich an Trina Lassen band, hatte er die
Tür hinter sich verschlossen. Nun konnte er nie mehr zurück!

Er trat fest auf, wie ein Mann, der ein Ziel vor Augen hat. So ging
er auch am Strande entlang nach Wanbyll, um mit Kords zu sprechen.
Aber bei allem festen Schreiten lag es doch wie eine Wolke auf seiner
Stirn und über seiner Seele wie ein dumpfer Traum. Auch in der grauen,
schwülen Sommerluft war kein frischer Atem, der ihn aufweckte. Die See
lag unheimlich still und schwarz. Nur an manchen Stellen glitzerte
es silberig auf. Tief hinein spiegelten sich die scharf geformten
Ufer, und greifbar nah lagen sie. In einer kleinen, einsamen Bucht
zwischen kantigen, grauen Steinen war ein blendendes Geflatter weißer
Möwenflügel. Das gellende Möwenschreien klang unheimlich über der
lautlos harrenden Weite. Als Lars herankam, kreischten sie jäh auf,
als sollte die große Stille in Stücke zerreißen, dann ein glitzerndes
Gewoge, und sie waren fort.

Weiter draußen auf dem grauen Steine saß noch eine Möwe allein.
Blendend weiß spiegelte sich ihr Bild im schwarzen Grunde.

Und wieder umhüllte die unheimliche Stille den schreitenden Mann wie
ein finsterer Traum. Und es lag auch immerfort über ihm in dieser Zeit,
als handle und rede er im Traum. Und er setzte die Füße gleichmäßig und
sah gerade vor sich hin.

In Wanbyll am Strande zwischen den aufgehängten Fischnetzen stand Kords
mit andern Männern.

Als er Lars sah, lachte er ihm hart entgegen. „Na, da bin ich wieder
mit der kranken Frau und den brüllenden Gören.“

„Warum denn?“ fragte Lars.

„Na, ihr könnt das ja denn auch noch einmal hören,“ sagte Kords. „Das
war nämlich so: Du weißt ja, daß ich schon immer zu den Genossen
gehört habe. Na, da sollte das ja nun ordentlich vorwärts gehn mit der
Arbeit dort unter all den Brüdern. Und bei dem guten Verdienst wollte
ich auch ordentlich abbezahlen an den Schulden von der Krankheit her
und dem Umzug.“ Er lachte wieder laut auf, und das grelle, gelbliche
Gewitterlicht lag auf seinem harten, finsteren Gesicht. „Das ging ja
auch ganz fein die erste Zeit. Dann mußten wir streiken, das machte
ich gerne mit um der Sache willen, wenn’s mich auch zurück brachte.
Dann kam aber bald wieder ein Streik und jetzt vor ein paar Wochen
der dritte. Und ich sage dir, Lars Asmussen, das war ein Unsinn mit
dem letzten Streik. Ich erkläre euch das nicht, das versteht ihr doch
nicht. -- Das habe ich den Führern auch gesagt: Das ist ein Unsinn, da
mache ich nicht mit. Aber denkst du, sie hätten mich tun lassen, wie
ich wollte? Nein, streiken sollte ich und mußte ich, und besonders die
ganz jungen Grünschnäbel verlangten das am lautesten.“

„Na, da hatten die Kerls am Ende gar nicht so unrecht,“ meinte Lars
bedächtig dazwischen. „Wenn du nun einmal eingetreten warst, mußtest du
schon mitmachen. So mit den Brüdern und all den schönen Geschichten,
wie du dir das denkst, so ist das ja wohl nirgends in der Welt. Das
wäre fein, wenn man das so einrichten könnte. So lange ich aber immer
nur merke, daß mich die fremden Führer an der Nase rumziehen, bleibe
ich lieber mein eigener Herr. Und wenn du deine eigene Meinung behalten
wolltest und ein freier Mann bleiben, warum bist du da überhaupt
eingetreten?“

„Tünn nicht so, Lars, das verstehst du ja alles gar nicht. Ich hab’
mir auch keine Vorschriften machen lassen, nee, nun ging ich gerade
zur Arbeit schon aus Trotz. Da wird mir auch noch die Frau krank, und
ich muß den Doktor holen, und eine andere mußte ich bezahlen, die nach
den kleinsten Würmern sieht. Und mit der kranken Frau und den kleinen
Kindern, ich sage dir, Lars, ein Elend war’s. Na, ich komme den einen
Morgen früh aus dem Hause, und es ist mir schon trübselig genug.
Die Straße ist auch ganz still. Auf einmal saust da etwas aus einem
Hausflur heraus und prallt mir gegen den Kopf, daß mir erst ganz düsig
wird, und ich mich an die Wand lehnen muß. Dann merke ich, hat mir
einer mit dem Stein den Kopf blutig geworfen. Ich reiße mich also hoch
und in den Hausflur rein, aber der Kerl war schon durch den Hof und
fort. Da konnte ich nach Hause gehn und mir das Blut abwaschen und im
Bett liegen.“

Da standen die Männer eine Weile still und sahen über die See, und die
unheimlichen weißen Wolkenarme langten immer höher herauf. Das Licht
lag wechselnd scharf und wieder trübe über den wetterharten Gestalten
und den knochig stillen Gesichtern.

„Na und die andern Verheirateten, was machen die denn?“ fragte Lars,
„streiken die alle mit, wenn sie gut bei der Arbeit sind?“

„Aus Angst streiken sie, wenn sie sich noch so sehr ärgern, die
Däsköpfe. Und die jungen Schreier ziehen dann fort, und sie sitzen da
mit ihren heulenden Gören und den paar Gnadenpfennigen.“

„Warum sind sie so dumm und überlegen sich’s nicht vorher, was man da
von ihnen verlangt. Laufen sie gleich mit, wenn ihnen ein fremder Kerl
was vorschnackt. Wenn die ruhigen Leute alle zusammenhielten, dann
müßte auch jeder seinen eigenen Weg gehen können, ohne sich weder von
den Reichen noch von fremden Parteigeschichten herumkommandieren zu
lassen.“

Lars stand sehr lang und hoch da und sah ein wenig über Kords weg, als
er sprach. Da wurde es ganz dunkel auf Kords Stirn, und er fuhr auf:
„Ich hab’ deine guten Lehren satt, Lars Asmussen, hast du das gehört?“
schrie er. „Ich bin übrigens gleich am nächsten Tage ausgetreten, und
dann bin ich mit der kranken Frau und den brüllenden Gören nach Hause
gereist, ob sie alle wollten oder nicht. In dem verfluchten Nest bleibe
ich nicht. Hol’ sie alle der Teufel mit ihrem Zukunftsstaat!“

„Ja, und die Frau wäre beinah dran gestorben, und Geld hat er nun auch
keins,“ sagte Christen Matthies mit seiner schleppend traurigen Art.

Kords wollte wieder auffahren, aber Lars fing bedächtig an von seinem
Boot zu reden und Kords anzuwerben für die Winterarbeit. Kords aber
hatte weder Boot noch Netze und brauchte Arbeit. Darum wurde er still
und grunzte nur noch zustimmend. Und dann schwiegen die Männer alle
wieder und sahen über See. Und als der erste Regen fiel, da gingen sie
in Kords elende Hütte, wo beinah gar nichts stand als das Bett mit der
kranken Frau, denn alle guten Möbel hatten sie versetzen müssen. Die
schmutzigen Kinder jagte er vor die Tür. Und dann machten sie alles
fest ab miteinander.

Für Christen Matthies hatte Lars einen Auftrag von Peter Lassen.
Christen Matthies aber sah vor sich hin und sagte, er müßte sich’s erst
überlegen.

Zwei große, starke Söhne waren vor ihm hingestorben, und er hatte
noch mehr Trauriges erlebt. Davon waren seine Haare frühzeitig weiß
und seine Art langsam geworden, als lohne es sich nicht der Mühe. Er
arbeitete aber still und fleißig, und seine alte Frau ging mit hinaus
und half ihm beim Fischen.

Als sie zu Ende waren, hatte auch der Regen aufgehört, und die Männer
traten mit Lars heraus. Die Sonne war hinter den Wolken im Sinken und
zwischen den finstern Schichten hervor fiel ein blutroter Schein über
das dunkle Wasser, daß es tiefblau schien neben der breiten, roten
Straße. Scharf und hell standen drüben die Türme der Stadt gegen den
Himmel.

„Du hast das schon weit gebracht, Lars, für deine Jahre. Du kannst mir
helfen, daß wir denen da drüben was antun für ihre Niedertracht,“ sagte
Kords und drohte mit der Faust über das Wasser nach der Stadt hin. Der
rote Trollsen stand auch dabei und lachte laut auf.

Aber Christen Matthies sagte: „Er sollte lieber den kleinen Leuten
helfen, wenn er so klug ist.“

Das klang Lars noch im Ohr, als er nach Hause ging.


[4] Verwirrung im Tauwerk.



Kapitel XXI


So hatte Lars dann noch vor der Zeit des Heringfangs geheiratet und
war in das neue Haus gezogen. Nun fuhren sie zusammen hinaus in die
heulenden Herbststürme, Lars und Kords und Peter mit Christen Matthies.
Der Herbst war stürmisch, aber er blieb lange warm. Darum konnten die
Fischer von draußen ihre Stellnetze nicht setzen, und die Fischer in
der Bucht hatten einen guten Verdienst. Aber als dann der erste Frost
kam und die Stellnetze wieder die Bucht absperrten, war der Unterschied
fühlbar hart, und die Fischer brauchten zornige Worte.

Lars war mit Kords ein paarmal ins Wirtshaus gegangen statt zu Herrn
Asmussen oder den Linds. Peter sagte nichts darüber, aber er ging mit
finsterm Gesicht um Lars herum. Im Wirtshaus saß Lars meist mit seinem
unbeweglichen Gesicht zwischen den dicken Tabakswolken, fast als wenn
er schliefe, und sagte nur selten ein Wort.

Als sie mit den Fäusten auf den Tisch schlugen und laut auf die Fischer
von draußen fluchten, da hatte er sich einmal aufgerichtet: „Das ist,
weil ihr euch hier nicht einig werden könnt bei uns. Anderswo haben
die Fischer Vereinigungen, da machen sie die Sachen untereinander aus.“

„Ach was, Vereinigungen,“ sagte der rote Trollsen, „damit man mir
vorschreibt, daß ich heute fischen muß, ob ich will oder nicht, und
nicht mehr mein eigener Herr sein darf.“

„So eine Vereinigung müßte das eben sein, wo jeder ruhig seinen eigenen
Weg gehen könnte und sie sich gegenseitig schützten gegen den Zwang
von außen. Da können sie auch wohl zusammen ihre eigenen Interessen
schützen.“

Der rote Trollsen schüttelte mit dem Kopf, aber sie wagten doch alle
nicht recht, etwas zu sagen; denn Lars’ stille Art und sein sicheres,
ruhiges Fortarbeiten zwang ihnen allen Achtung ab.

Zum Frühling hatte er auch so viel Geld verdient, daß er sich ein Stück
Kartoffelland hinter dem Hause kaufen konnte. Er schritt nun wieder
aufrecht daher und sein Blick ging zufrieden geradeaus. Zu seinen
Schreiner- und Holzarbeiten bekamen die Leute immer mehr Vertrauen, und
er mußte Fischkasten bauen und ihnen die schadhaften Boote bessern.
Wenn er so für sie arbeitete, so lernten sie ihn mit der Zeit besser
kennen und bekamen immer mehr Achtung vor seinem stetig-kraftvollen
Schaffen. Und als das Jahr herum war, da war ihm die Arbeit stetig
zugewachsen. Und für die er gearbeitet hatte, die beredeten ihn oft,
daß er nach der Arbeit mit ihnen ins Wirtshaus kam. Und weil er auf ihr
Zureden gekommen war, und sie sich an seiner Arbeit gefreut hatten,
meinten sie, ein Anrecht auf ihn zu haben, und waren gleichsam stolz
auf sein verständiges Reden. Ihr Beifall aber zog die andern mit.
So kam es, daß in diesem Jahr viele mit großem Vertrauen auf Lars
hörten. Und Lars merkte es wohl, und es war, als gäbe ihm das alles
eine Kraft. Und es kam eine Freude in ihn, daß die Gedanken leichter
und fröhlicher in ihm umgingen. Er machte Pläne von einer großartigen
Fischereivereinigung, die er gründen wollte. Wenn die Gedanken und
Pläne bisher auch weder Hand noch Fuß hatten, so gaben sie Lars doch
einen frohen Stolz, daß er hochaufgerichtet und sicher einherging.

Aber einen Kummer hatte Lars dabei; denn wie die Monate dahinrollten,
schien Großvater immer weniger Anteil an seinem Tun zu nehmen.

Großvaters tiefe Augen sahen unter den schweren, weißen Brauen heraus
auf Lars’ neue Wege, aber er schwieg dazu. Er schwieg jetzt fast immer,
und wenn er sprach, war es ein halbverständliches Murmeln. Seit er
nicht mehr auf die See ging, saß er am Fenster der Hinterstube, wo
Mutters Webstuhl stand, und sah still auf das Meer hinaus. Den weißen
buschigen Kopf senkte er bis auf die Brust, aber in den Augen war immer
noch waches, sinnendes Leben. Aber es hatte fast den Anschein, als sei
all das Neue, das in Lars’ Leben gekommen war, gar nicht bis in die
fast gleichgültige Stille gedrungen, in der Großvater jetzt lebte.

Manchmal hockte sich Lars auf den Schemel, der dort bei Großvater
stand, und versuchte, ihm langsam und deutlich zu erzählen. Dann ließ
der Alte die sinnenden Augen kurz über den langen, ernsten Fischer
hingehn. Er wischte sich mit der schweren, großen Hand über Mund und
Bart. Aber dann sah er nach seiner Gewohnheit wieder zum Fenster hinaus
und gab keine Antwort. Und Lars stand auf, und wenn er sich umdrehte,
saß eine tiefe Falte zwischen seinen Augenbrauen.

Da war es aber doch noch einmal gekommen, daß Großvater zu etwas
aufwachte, was Lars anging.

Als das grüne Herbstlicht die Welt mit Klarheit zu überfluten begann,
da trat Mutter Stina in die Hinterstube mit einem hellen Schein über
dem stillen Gesicht. Und sie legte behutsam Lars’ kleinen Sohn in
Großvaters Arme. Und es war, als schimmerte es feucht in Großvaters
alten Augen, und er fing an, vor sich hinzumurmeln, und es klang wie
ein Segen. Lars stand dabei und sah still auf die beiden. Er sagte
weiter nichts, aber er wollte von da ab, daß sie dem Alten das Kind
häufig brachten. Und Großvater hielt es in den Armen, und manchmal
murmelte er ihm Worte zu. Und der kleine Klaus war lange still in
Großvaters Armen und schlief dort fast ruhiger als bei seiner Mutter
daheim.

Auch Lars saß oft sinnend auf seinem alten Platz. Und von Zeit zu Zeit
wechselte er ein Wort mit Mutter Stina, und auf Mutter Stinas Gesicht
lag der seltene, helle Schein, wenn sie ihn und den kleinen Klaus unter
dem Strohdach hatte.

Dann war es an einem Frühlingsmorgen. In Lars’ Hause war großes
Reinemachen. Da hatte Trina das Kind in aller Frühe zu Mutter Stina
hinübergebracht.

Die Sonne stand noch tief und sandte blitzende Strahlenbündel aus
den mächtigen Wolkentoren hervor über See und Land. Die riesigen,
quellenden Wolkengebilde lagen im rötlichen Schein, und vom Lande,
wo ein Schatten über die See fiel, war sie wie von blauen Schleiern
überhangen.

Großvater saß am Fenster, das Kind im Arm, und sah auf Lars und Peter
hin, die mit ihrem Boote nicht weit vom Ufer lagen.

Als Mutter Stina nach einer Weile zu den beiden in die Hinterstube
sah, verwunderte sie sich, wie tief Großvaters Kinn auf das Kind
heruntergesunken war. Da sah sie aufmerksam hin. --

Das sinnende Licht war in den alten Augen erloschen.

In der Morgensonne war Großvaters standhafte Seele über die See
hinausgewandert in die große Ewigkeit hinein. --

                              *         *
                                   *

Als der Platz am Fenster leer war und der tiefe, sinnende Blick ihm
nirgends mehr begegnete, da fühlte Lars doch ringsum eine große Öde. Es
zog ihn wieder zu Jakob Lind hin. -- Still und in sich gekehrt saß er
dort manchmal, und die kleine Frau Lind wußte nicht recht, was sie mit
ihm anfangen sollte.

Aber wenn er mit Jakob oder mit Karen allein war, dann sprach er ein
wenig. Und er erzählte ihr von Großvater und seiner stillen Art. Wie er
sich immer gleich blieb und seinen eigenen Weg ging, ohne zu wanken, ob
es bergauf gegangen war oder bergab.

„Solche Leute sollten sie zu Führern haben, die Arbeitenden,“ sagte
Lars und wurde eifriger dabei. „Solche Leute aus ihrer Mitte, die sie
kennen und achten und die auf sicheren, festen Füßen stehen, Leute von
den Ordentlichen, die sich schon bewährt haben. Sie müssen ja wohl
hinter irgend jemand herlaufen. Jetzt führt sie der, der am lautesten
schreit; aber hier zwischen unsern ruhigen Leuten müßte es anders sein.“

Und Karen nickte, und ihre weiten hellen Augen gaben ihm Antwort.

Da hatte Lars einen Ersatz für Großvaters schweigendes Verstehen
gefunden und ging wieder zufriedener an seine Arbeit.



Kapitel XXII


Immer schaffte Trina still und emsig um Lars her, aber er hatte nicht
viel acht auf sie. Sie war ja wohl auch zufrieden, meinte er. --

Der kleine Klaus war nun fast drei Jahre und hatte ganz seines Vaters
Art, nur ungezogener war der kleine Klaus. Trina hatte ihre liebe
Not. Wie er sich selbständig fortbewegen konnte, da lief er ihr fort
und suchte sich den Weg zu Großmutters Strohdachhaus. Und wenn nach
ängstlichem Suchen Trina ihn stolz bei Großmutter sitzen fand, ein
großes Stück Zucker in der Backe, dann durfte sie ihn nicht schelten,
sonst wachte Großmutter aus ihrer Stille auf und kam beinahe in Zorn.

Aber in diesem Sommer war Trinas Schritt langsam und mühsam geworden,
und ihre Augen sahen trübe aus. Es hatte nur keiner recht acht darauf.

Und es kam ein Morgen, an dem sie immer wieder versuchte, sich
aufzurichten; aber es gelang ihr nicht mehr.

Lars kam spät vom Fischen heim. Da fand er den kleinen Klaus
unangekleidet am Boden sitzen und weinen. Trina aber lag im Bett mit
fieberheißen Backen und trüben, teilnahmlosen Augen.

Da legte Lars seine harte Hand vorsichtig auf die glühende Stirn, und
es wachte etwas in ihm auf wie eine große Sorglichkeit. Fast wie ein
Vater für sein Kind, so übersann er, was zu tun sei für Klein-Trina.

Erst ging er zu Dora hinüber, und die Helle machte nicht viel Umstände.
Sie klopfte Peter aus dem behaglichen Wandbett heraus, in dem er seit
einer halben Stunde schnarchte. Die kleine Schwester, die jetzt bei
ihnen wohnte, holte eben Milch drüben auf dem Hoekhof. -- Darum hieß
sie Peter auf die drei Kinder achten. Dem Säugling gab sie noch zu
trinken, dann ging sie zu Trina Asmussen.

Lars hatte den Arzt geholt.

„Das ist der Typhus,“ sagte der Arzt; „die Gegend hier herum ist
verseucht.“

Sie konnten nicht viel für sie tun, Helle-Dora und Lars, so gut sie es
auch meinten. Klein-Trina lag meist dumpf und stumpf und verlangte nur
nach Ruhe für ihren schmerzenden Kopf.

Später kamen Nächte, wo sie sich in heißer Unrast wälzte und aus der
Dunkelheit ein namenloses Fürchten stieg. Nur wenn sie Lars’ große,
stille Hand hielt, dann überkam es sie wie Ruhe.

So saß er denn halbe Nächte lang bei der abgezehrten Kranken, und
sein unbewegliches Gesicht schimmerte wie gemeißelt in der fahlen,
nordischen Dämmerung, die zum Fenster hereinsah. Und sie achteten beide
auf die unheimlichen Geräusche der Nacht, und der dunkle Todesengel
hielt hinter ihnen Wache.

Wundersame Dinge waren es, die Trina sah auf der dunklen Straße
zwischen Leben und Tod. Und Klein-Trina, die Ängstliche, -- in den
feierlichen Nachtstunden, da fand sie den Mut und sagte ihrem Manne
davon. Und wenn Lars nicht ihre Hand hielt, dann faltete er manchmal
die schweren, harten Finger.

                              *         *
                                   *

Eines Tages sagte ihnen der Arzt, daß die Gefahr vorüber sei. Da
lachte Helle-Dora über das ganze Gesicht, und aus Lars’ unbeweglichen
Zügen schimmerten die Augen auf, als sei irgendwo in seiner Seele ein
Licht angezündet worden. Er hatte vieles gut zu machen, der lange Lars
Asmussen, nun sollte die Zeit kommen.

Trina war sehr still gewesen in der Krankheit, aber nun begann sie
viel zu sprechen. Helle-Dora setzte sich zu ihr aufs Bett, aber wie sie
sich auch zu ihr beugte, sie konnte sie nicht verstehen.

Lars und Dora schüttelten den Kopf, denn nun das Fieber vorüber war,
fing Trina an, wirres Zeug zu reden.

Es war an einem sonnigen Morgen, als sie zum erstenmal aufstand. Dora
und Lars waren beide bei ihr.

Als Trina die Füße aufsetzte, sahen sich Lars und Dora entsetzt an,
weil sie so wild und laut aufgelacht hatte.

Es zog sich noch ein paar Tage hin, dann sagte ihnen der Arzt, daß
Trina den Verstand verloren habe. Es sei nicht selten nach dieser
Krankheit, aber es sei heilbar.

Als sie ein wenig kräftiger geworden war, fuhr eine Pflegerin mit ihr
in die Landesirrenanstalt.

Dora Lassen weinte bitterlich an dem Tage, aber Lars sagte kein Wort.
Mutter Stina saß und hielt mit der einen Hand Larsens und mit der
andern Klein-Klausens Hand.

                              *         *
                                   *

Es waren nur wenige Monate, bis Trina wiederkam. Es sei eine
entschiedene Besserung, sagten die Ärzte, aber es müsse noch auf sie
geachtet werden.

Als sie Lars und ihr Kind sah, kam wieder das laute, breite Lachen,
und Lars zog die Brauen zusammen wie in körperlichem Schmerz. Aber der
Kleine sah sie mit großen, fragenden Augen an.

Auch Trinas Züge waren nicht dieselben geblieben. Sie waren breiter
geworden, und es war fast etwas Rohes in ihnen.

Lars konnte nicht auf Arbeit gehen, Trina folgte ihm auf Schritt und
Tritt, fast wie ein Hund, und wenn sie ihn nicht sah, geriet sie in
Aufregung.

Und der kleine Klaus verlernte das Lachen dabei.

Es war wieder Frühling geworden darüber. -- Die weißen Wolken zogen
durch das weiche Blau, kleiner und kleiner werdend in der duftigen
Ferne, daß ein unnennbares Sehnen in den Menschen aufstieg, wenn
sie hinausblickten in den weitausgespannten Raum oder über die See
mit ihrem weichen blauen Schleier. Die Stachelbeerbüsche streckten
vorschnelle, grüne Finger in die Luft, und im ersten warmen Strahle
flügelten gelbe Falter zwischen den weißen Anemonen und den kleinen
farbensatten Veilchen. Und weiterhin nach der Hölzung zu machten die
gelben Primeln ihre weiten Sonnenaugen auf, und ein paar Rotkehlchen
jauchzten sich zu, als müsse die Lust die kleine Kehle sprengen.

Unterhalb von Mutter Stinas Garten saß Trina am Strande und strickte.
Die Sonne blinkerte auf den Stricknadeln.

Dicht vor ihr auf dem Rick arbeitete Lars an den Netzen. Von den
großen, schwarzbraunen Geweben sickerte das Wasser in silbersprühenden
Tropfen. Außer dem Vogelgezwitscher klangen von Zeit zu Zeit seine
schweren Holzschuhe dumpf von den Brettern herüber.

Auf einmal drehte er schnell den Kopf nach Trina hin. Sie hatte so
sonderbar gerufen. -- Da sah er, wie sie aufsprang und das Strickzeug
von sich in die See warf. So schnell sie laufen konnte, stürmte sie
den Strand entlang; kaum konnte der lange Lars ihr folgen. Auf einmal
machte sie eine Wendung nach der See hin und lief in das Wasser hinein,
daß es aufspritzte.

Lars war noch nicht heran, da hatte sie sich hineingeworfen.

Es war dort nicht tief genug, um gefährlich zu sein. Aber sie war
durchnäßt und beschmutzt, als Lars sie ans Ufer zurückführte, und der
rote Trollsen, der gerade vom Fischen kam, blieb stehen und sah ihnen
nach.

Das alte Strohdachhaus war das nächste. Mutter Stina brachte sie zu
Bett, und ihre leise, freundliche Stimme redete der Kranken gut zu. Da
wurde sie ein wenig ruhiger, aber sie verlangte immer nach Lars.

Sie hatten ihr nasse Tücher auf die Stirn gelegt, und Lars saß bei
ihr mit seinem stillen Gesicht, in das der Kummer scharfe Linien zu
graben begann. Ein schummerig-grünliches Licht war in der Kammer, und
allmählich kam Trina in Schlaf, und Stunde um Stunde saß Lars und
wachte bei ihr.

Aber in der Hinterstube auf Großvaters Fensterplatz saß Mutter Stina,
und bei ihr ganz still der kleine Klaus am Boden. Und ganz langsam
tropften die Tränen aus Mutter Stinas alten Augen.

Zum Fenster herein kam das helle Gejubel des Rotkehlchens.



Kapitel XXIII


Von da ab wurde es besser mit Trina, und Lars konnte wieder auf Arbeit
gehen. Aber ganz allein konnte sie doch nicht bleiben, darum zog
ihre Mutter zu ihr. Hans Peter Lassen war schon vor ein paar Jahren
gestorben. -- Kurz vor Großvaters Tod hatte ihn der Schlag gerührt.
Frau Lassen war froh, daß sie eine Unterkunft fand, und zog willig in
Larsens Haus. Aber Frau Lassen war eine laute, fast herrische Frau, und
im Alter war sie schwatzhaft geworden.

Und das laute, breite Lachen seiner Frau, und das harte, zänkische
Geplapper der Mutter umgaben Lars wie eine unerträgliche Qual.

Und Jakob wußte, wie es um ihn stand, und kam und sah nach ihm, wenn
er Zeit hatte, und Frau Lind und Karen begleiteten ihn manchmal. Meist
gingen sie am Strand entlang und versuchten, ihn zu treffen, wenn er
dort allein an seinen Netzen arbeitete. Er wandte sich kaum nach ihnen
um und hantierte an seiner Arbeit weiter mit seinen schweren großen
Bewegungen. Frau Lind meinte dann wohl, sie sei ihm zur Last, und
setzte ihren Weg fort, aber Jakob und Karen ließen sich von seiner
mürrischen Art nicht stören.

Meist gab er nur kurze Antworten auf das, was sie ihn fragten. Aber
einmal, als Frau Lind wieder vorausgegangen war und Karen bei ihm
stehen blieb, fast unbeholfen, aber mit einem ernsten geraden Blick
des Mitleids in den hellen Augen, da fing er an, vor sich hinzureden,
immer, ohne sie anzusehen dabei. Sie hatten gerade von seiner Arbeit
gesprochen, und er packte fast wütend in seine Netze hinein, während er
sprach.

„Es ist eben alles grundfalsch,“ sagte er. „Ich hätte zupacken sollen
und meinen eigenen Weg gehen und mich um die andern nicht scheren. Was
können sie mir jetzt helfen! Wäre ich auf die Werft gegangen, so hätte
ich es nun vielleicht zu etwas Tüchtigem gebracht. So ist bald alle
Freudigkeit aus mir herausgequetscht, und ich bin zu nichts mehr gut!“

Sie stand ganz still hinter ihm, und er schaffte wieder weiter mit
schweren, zornigen Bewegungen. Dann sagte sie stockend und so, als
mache es ihr Mühe, ihre innersten Gedanken laut auszusprechen: „Lars“,
sagte sie, „Herr Lind hat neulich etwas gesagt, das glaube ich auch
ganz fest. Wenn man einen höheren Berg hinauf soll, muß man allemal
wieder ins Tal hinunter. Vielleicht kommt jetzt Ihr höherer Berg.“

Aber Lars antwortete nicht, und Karen mußte weitergehen.

Es war aber nachher noch ein paarmal geschehen, daß sie über ernste
Dinge zusammen zu reden kamen, bis der goldene Oktobertag kam, der die
große Wendung brachte.

Es war ein trüber Morgen, und in dem schweren Nebel sah alles
Ding traurig und ernst aus und als habe es das Leben tief in sich
hineingezogen. Peter und Lars kamen mit schweren Tritten vom Strande
herauf. Sie waren müde von der langen Arbeit. Mutter Lassen stand in
Larsens Haustür. Sie stemmte die Arme ein und wiegte sich auf und ab.
„Sieh, sieh, die vornehmen Herrn Fischer, unsere feinen Herrn kommen zu
Hause, Trina!“

Peter warf seiner Mutter ein ärgerliches Wort zu und ging nach seinem
Hause weiter. Trina wußte, daß die Art der Mutter Lars quälte, und in
ihrer Not lachte sie ihm laut und breit entgegen.

Da ging er ohne Gruß an den Frauen vorbei und setzte sich an den Tisch.
Trina brachte ihm zu essen. Und weil sie die Wolken auf seiner Stirn
sah, setzte sie sich ihm gegenüber und sann, was sie für ihn tun könne.
Über dem Sinnen kam aber das Lachen wieder und wollte nicht aufhören.

„Klein-Trina ist immer lustig,“ sagte Mutter Lassen. „Warum bist du
so steif und still, du kleiner Klaus, geh’ hin und sprich mit Vater,
erzähl’ ihm was, du dummer ~lill dreng~[5]!“

Aber Klaus drückte sich in die Ecke mit zornigen Augen.

„Willst du ungezogen sein, du dummes Kind?“ Und sie schüttelte ihn
heftig bei der Schulter. Trina sah mit angstvollen Augen zu, und ihr
Mund zog sich breit, als wolle sie weinen, aber sie lachte nur noch
mehr.

Lars hatte schweigend fertig gegessen. „Laß den Jungen!“ donnerte er
jetzt.

Da wurde sie wild. „Das will nu so ein feiner Herr sein und in die
Bücher studieren und kann doch sein eigen Kind nicht erziehn, und wenn
alte Leute mit Erfahrung die Wirtschaft mit dem Jungen nicht mehr
ansehen können, so schreit er sie an.“

Sie keifte noch weiter, aber Lars war in die Nebenstube gegangen und
hatte sich zu Bett gelegt. Er schlief fest, aber nach einer guten
Stunde weckte ihn doch die schrille Stimme seiner Schwiegermutter und
Trinas lautes Lachen.

Es war Sonnabend, und Peter und Lars gingen heute nicht mehr auf See.
Da zog sich Lars hastig an und trat aus dem Hause.

Gegen Mittag war die Sonne durch den Nebel gebrochen; jetzt lag die
Welt in goldener Herbstklarheit.

Lars hatte Besorgungen im Flecken. Er ging schnell, als wollte er dem
Jammer hinter sich entfliehen.

Im Laden traf er Karen. Linds waren morgens mit ihr hergefahren, und
sie war über Mittag bei einer Freundin gewesen. „Kommen Sie doch mit
nach Aalby,“ sagte sie, „Lehrer Linds werden nun auch zu Hause sein,
sie hatten nur kurz in Norbüll zu tun.“

Da ging er mit ihr. Sie waren beide hoch und schlank und schritten
tüchtig aus, und die starke Herbstluft strich ihnen über die Backen und
gab ihnen ein warmes Rot. Es lag etwas so Frisches, Junges in der Luft,
daß das Blut schneller durch ihre Adern trieb und sich davon ein froher
Schimmer in ihren Augen anzündete.

Die starke, junge Herbstluft mochte es auch sein, die ein wenig von
der Schwere forthob, die auf Lars’ Schultern lag. Und es war gar nicht
mehr, als ringe er jedes Wort wie in Not aus seiner Seele herauf,
sondern er redete vertraulich und kam wohl einmal ins Erzählen.

Und ringsum lag die goldig-blaue Klarheit über den Koppeln, und wo
der blaue Waldesschatten darüber glitt, da hing es noch wie weiche
dunstige Schleier. Und an den trocknen Halmen schaukelten im linden
Winde silberne Spinnweben, und in den feinen Wassertropfen spiegelte
sich die goldene Klarheit wider. Aber zwischen dem allen jauchzte eines
hervor wie ein Freudenschrei: Das waren zwischen den Koppeln da, wo die
Meeresarme ins Land hineinlangten, die großen, blauen Wasserflächen.

Und Lars und Karen wandelten mitten zwischen dem Glanze.

Von Zeit zu Zeit stieg es wie ein Verwundern in Lars auf, daß sie ihn
so schnell verstand und daß sie beide immer wußten, was der andere
dachte und fühlte.

Und dann waren sie an den Wald herangekommen. Die weiche, feuchte
Moderluft kam ihnen entgegen. Sie gingen langsamer, als sie in das
mildgedämpfte Licht traten. Hoch und feierlich war der Raum. Die
dicken, grauen Stämme ragten ernsthaft bis in das gelbe Blätterdach
hinein. Ganz leise tastete sich manchmal ein zitternd goldener
Strahl aus dem tiefen Blau zwischen dem gelben Dache hindurch zu dem
farbentiefen Waldesboden.

„Hier wollen wir uns setzen,“ sagte Karen. „Wir haben ja Zeit.“
Sie saß auf einem Baumstumpf, und er war an ihrer Seite. Vor
ihnen, tief gewurzelt und stark, stand die alte Buche mit den
wunderfarbig sattgrünen Moosen am grauen Stamm, und eine hohe,
schlanke Klettenpflanze hob sich davor in wundervoller Ebenmäßigkeit.
Herbstmüde, lichtgrüne und gelbe Farren verdeckten den kleinen Bach,
aber sein Murmeln spann sich wie ein endloses Lied von heimlicher
Weisheit durch den feierlichen Herbstwald.

Lars hatte sich auf seinen Arm zurückgelehnt im weichen Waldboden.
Er sah hinauf in das tiefe Blau zwischen den gelben Blättern. Von
ungefähr, aus den unbewußten Tiefen, stieg ihm ein Erinnern auf an die
Kinderzeit: Die breiten Kastanienblätter und das weiße Blütenlicht
und Mutters Nähe. -- So wohl war ihm jetzt wie damals in der uralten
Heimstätte, nur daß er es jetzt mit tiefen Atemzügen in sich trank, was
er damals im Unbewußten wohl nur halb genoß. So vertraut war ihm das
große, blonde Mädchen wie Mutter selbst; das war das Wunderliche an
dieser Stunde. Er mußte sie fragen, wie das war. Da richtete er sich
auf. Aber seine herbe Unbeholfenheit ließ ihn nicht die rechten Worte
finden. Sie hatte sich vorgebeugt, um zu verstehen, wie er’s meinte,
und sah ihm tief in die Augen hinein. Da überwand er sich und versuchte
es noch einmal, aber es waren auch nur stockende Worte.

Mit eins aber ging eine Veränderung über ihr Gesicht, und wie er
das andere Licht in ihren Augen sah, da wußte er, daß sie ihn doch
verstanden hatte. -- Aber er wußte mehr -- er wußte auf einmal die
Antwort dazu. Und in dem stillen, milden Waldeslicht sagten sich ihre
Augen wunderliche Dinge.

Der milde Herbstfrieden und die heimlich süße Waldesstille waren es
gewesen, die hatten den Wächter vor Karens Seele eingeschläfert. Da war
die Seele groß und stark aus ihrem Haus getreten und hatte aus Karens
klaren Augen herausgeblickt. Und die andere Seele hatte geantwortet,
und still, wie der atemlos harrende Herbstwald, hatten sie miteinander
geredet.

Dann kam es wie ein herbes Erschrecken in ihr Gesicht. Sie reckte sich
auf und ging fest und schnell den Fußsteig nach Aalby voraus, und Lars
folgte ihr.

                              *         *
                                   *

An dem Nachmittage wunderte sich Lehrer Lind über Lars’ scheues,
wortkarges Wesen, und die klugen, dunklen Augen der kleinen Frau Lehrer
gingen angstvoll zwischen Lars und Karen hin und her. Aber Karen schien
so ruhig und heiter wie sonst zu sein.

Lars blieb nicht lange. Als er nach Hause ging, hatte sich der Nebel
wieder zusammengezogen. Er ging wieder durch den Wald. Als er unter
die hohen Wölbungen trat, hatte das reglose gelbliche Dämmern etwas
Unheimliches bekommen. Wie erstarrt hingen die gelben Blätter in der
grauen Luft. Nur manchmal ließ hier oder dort eines müde seinen Halt
los und glitt leise, geisterhaft durch den trüben Raum, und zögernd
fand es seinen Weg zum tiefgrünen Muttergrunde. Lars hatte sich auf
die Stelle vom Nachmittag gesetzt. -- Den Kopf hatte er in beide Hände
gestützt. Er fühlte nur das eine: es war alles aus.

Er konnte nicht recht denken. Manchmal wollte es in ihm aufzucken wie
heißes, wonniges Licht, daß sie ihn liebte. Aber dann kam es wieder
wie die Herbstestrübe darübergezogen, unbarmherzig, fast unerträglich.
Er hatte sie durch seine eigene Schuld verloren.

Und das Wasser neben ihm murmelte und raunte und spann sein Lied
durch die Stille wie von Ewigkeit her. Und es klang unerbittlich, wie
unabwendbar ewige Gesetze.

Tastend -- leise -- geisterhaft -- flatterte ein müdes Blatt vorüber.
Und allmählich kam sein Leben und stieg vor ihm auf. -- Da war der
alte, weiße Hof. Da hatten sie ihn fortgeschleppt, und sein Herz war
fast darüber zersprungen, aber er hatte die Hand losgelassen, und
als er groß und stark wurde, hatte er nicht einmal darum gekämpft.
Und aus der heimlich schlichten Eigenwelt hatten sie ihn gerissen in
ein Fremdes, in das er nicht paßte. Und dann hatten sie ihn wieder
zurückgestoßen mit dem Hunger nach den fernen Landesgrenzen im Herzen.
Aber er hatte es ertragen und nicht gekämpft um das ferne Ziel. Und da
er ein Mann ward, sah er wieder einen offenen Weg vor sich; aber er war
wieder umgekehrt, um anderer Menschen willen und um unklares Fühlen.
Und zuletzt war die Frau in sein Leben getreten, die zu ihm gehörte,
und er hatte es gar nicht gemerkt.

Es war so, als kämen die zahllosen Stimmen aus dem raunend-platschenden
Hinfließen und sagten es ihm alles in Worten. Noch nie war dies in
deutlichem Denken in seiner Seele wach geworden. Und er sann und quälte
sich und sann, wie es so gekommen war. -- Er war immer so vor sich
hingegangen im trüben Licht und hatte gewartet und geträumt und wieder
gewartet in den weißen Nebel hinein. Der Nebel war es gewesen, der
hatte es zugedeckt. Und nun war alles falsch und wirr.

Konnte er es denn ertragen, dies öde Leben, und ohne sie? Er hatte sich
wieder an den Boden gelegt. Er deckte den Arm über die Augen. „Ich kann
nicht,“ murmelte er.

Ganz, ganz leise fing es an, zwischen den trockenen Blättern zu
rascheln und klappern. Dann kam ein leises, gleichförmiges Tröpfeln.
Der Nebel war zum Regen geworden. Reicher, satter wurden die Farben in
der Feuchtigkeit. Es kam ein farbiges Gleißen über die reglosen Blätter
und die ernsten Stämme. Und geheimnisvoll wie das Rinnen des Baches
klang das gleichmäßig leise, klappernde Tropfen.

War denn nirgends ein starkes Frisches, nach dem er hinsehen konnte und
aufstehen und vorwärtsgehen? Er merkte nichts von der großen Ordnung.
Das war ein schöner Traum gewesen, den sich der alte Fischer zurecht
gesponnen hatte. Es war alles wirr.

Und das murmelnde Fließen rann und rann wie ein endlos mühseliges
Gespinst. -- Und das öde Getropfe webte ringsum mit sachtem Rascheln.
Aber aus der alten Erde stieg ein feuchter Duft, und es war, als ob ein
Trieb der Stärke mit aufquoll aus dem dunklen Grunde. In dem reglos
Liegenden wuchs das Wollen aus den Tiefen seines Wesens herauf. -- Es
ist ein Wundersames um die Kraft, wie sie dem Mutterherzen der alten
Erde entströmt. -- Lars stand auf, und er sah mit dunklen Augen fest
vor sich hin. Noch war er ein freier Mann, und er wollte das Leben fest
anpacken. Nur eines konnte er nicht: Karen lassen. Dies starke, treue
Herz, das sein innerstes, wirres Wesen verstand, die mußte ihm helfen.
Vielleicht, daß noch irgendwo eine Arbeit auf ihn wartete, und wie von
ungefähr stieg Christen Matthies’ trauriges Gesicht in seiner Seele
auf. „Er sollte lieber den kleinen Leuten helfen, wenn er so klug ist,“
hatte Christen Matthies gesagt.

So ging er durch den leise rinnenden Regen nach Hause.


[5] Kleiner Bursch.



Kapitel XXIV


Die Asmussens waren durch Trinas lange Krankheit zurückgekommen.
Anstatt wie sonst Geld auf die Sparkasse tragen zu können, hatten sie
Geld aufnehmen müssen. Das machte Lars mißmutig. Und das ewige Gejammer
der alten Lassen darüber machte es nur noch ärger. Seit der Stunde im
Walde war es wie eine wunde Stelle irgendwo in seiner Seele, und das
Reden und das laute Lachen trafen darauf wie Peitschenhiebe. Da ging er
ins Wirtshaus, und es war ihm selbst kaum bewußt, daß es der Gedanke
aus dem Walde war, der ihn hintrieb.

Er setzte sich gleich zu Christen Matthies und wollte mit ihm reden
über die neue Vereinigung, wie sie die Fischer in den andern Buchten
hatten. Aber Christen Matthies war dänisch gesonnen, darum fuhr
ihn Lars bald heftig und hochfahrend an. Da sah Christen mit den
schwermütigen alten Augen fragend zu ihm auf und gab bald keine Antwort
mehr.

„Ja, wenn wir die Fische mit einem eigenen Dampfer zur Stadt bringen
sollen, wie die andern, woher sollen wir das Geld dann für einen
Dampfer nehmen?“ fragte da Trollsen dazwischen, „Christen Matthies
hat recht, wenn wir uns zu den Dänen halten, kriegen wir Geld zu viel
billigeren Prozenten.“

Aber in Lars war die wunde Unrast, darum konnte er ihnen nicht in Ruhe
klar machen, wie er es meinte, sondern geriet in Zorn. Da schüttelten
sie die Köpfe über ihn und hörten nicht mehr hin. Und bald stand er
auf und ging hinaus. Er trat aus dem Dunst in den stillen, klaren
Herbstabend hinaus. Es hatte sich abgeregnet, und eine grünleuchtende
Klarheit lag über der bunten Herbstwelt.

Es lag eine Dumpfheit über Lars und eine Müdigkeit. -- Das war also
auch nichts. Denen würde er ebenso wenig helfen können, wie sich
selbst. Er sehnte sich nach einem stillen Winkel, darum ging er zu
Mutter Stina in die alte Heimhütte.

Zwischen den hohen, bunten Malven lag das kleine, grünbemooste
Strohdachhaus wie im tiefen Schlaf, als hätte es über seinem leisen,
traulichen Klingen sich und die Welt vergessen und wäre nun auch
vergessen worden zwischen seiner bunt-blühenden Pracht.

Mutter Stina saß allein mit ihrem Strickzeug, und über dem alten
Gesicht lag es fast wie Kirchhofsruhe. -- Sie fragte auch nichts. Sie
ließ ihn still da sitzen und vor sich hin sehn. Dann ging sie in die
Küche und holte ihm zu essen. Und als es dunkel wurde, ging er wieder
nach Hause, und sie wagten ihn dort alle nicht zu fragen, wo er gewesen
war.

                              *         *
                                   *

Und nun kamen böse Tage für Lars Asmussen. Alles Ding war zwecklos und
hatte seinen Sinn verloren, und nur der scharfe Schmerz von den harten,
lauten Stimmen weckte ihn hier und da zur Wirklichkeit. Und alle
Arbeit, die mit Unlust und halber Kraft getan ist, bringt kein Glück.
So ging es in diesen Wochen rückwärts mit den Asmussens. Manchmal
wollte Lars sich aufraffen. Dann dachte er an Karen. Er meinte immer,
sie müsse ihm zum Rechten helfen können. Und dann suchte er sie zu
treffen. Aber Karen wich ihm aus seit der Stunde im Walde. Und wenn sie
einmal zusammentrafen, war ihm, als tue er eine Sünde, und er schämte
sich hinterher vor Trina, und ihr Lachen reizte ihn nur noch mehr.
So kam es, daß, wenn Lars und Karen zusammen waren, sie nichts davon
hatten, sondern etwas Verstecktes, Unnatürliches zwischen ihnen lag,
und sie es beide empfanden wie einen Schmerz. Aber doch lebte Lars nur
für die kurzen, flüchtigen Augenblicke. Karen aber trachtete heimlich,
eine andere Stelle anzunehmen. Doch sie wußte, daß Frau Lind sie nicht
hergeben wollte. Sie ging ihr im Haushalte zur Hand, aber vor allem war
sie ihr bei den Kindern unentbehrlich geworden; denn Jakob Lind hatte
sich allmählich ein großes Gartenland zusammengekauft, und Frau Lind
hatte viel zu tun. Die vier kleinen Kinder aber hingen an Karen. Und
Karen waren sie ans Herz gewachsen, daß sie sich auch nicht schnell zum
Scheiden entschließen konnte.

So zogen sich die trübseligen, unfruchtbaren Wintertage hin.

Wo im Walde ein krankes Stück sich verbirgt, da stürzen sich die
starken und gesunden darauf und forkeln[6] es zu Tode. Und die
Menschenherde ist nicht besser als das Wild. -- Die Männer witterten
es, wie die Tiere wittern, daß etwas Krankes am starken, klugen Lars
Asmussen war. Etwas, das nicht mitklang bei ihren Scherzen und das
sich zusammenzog, wenn sie darauf schlugen. Eben eine Schwäche war da.
Und darum schlugen sie darauf. Und wenn einer schlug, so schlugen sie
alle. Sie dachten nicht darüber nach. Sie hatten nur Lust, so zu tun.

Aber es war noch eins, das traf ihn empfindlicher als das andere alles.
Peter hatte sich gegen ihn gekehrt. Lars’ lässiges Arbeiten hemmte
auch ihn. Und er hatte keine Geduld mit seiner unlustigen Art. -- Auch
schämte er sich seiner Schwester. Ihre ganze Art mit dem sinnlos dummen
Lachen lag auf Peter wie eine Schande. Und er war hart gegen Trina
Asmussen, wenn er sie traf.

Und Peters unfreundliches Wesen verschüchterte sie ganz. -- Daß ihre
Art auf Lars lastete und ihn hemmte, empfand Peter wohl, und er wäre
Lars gern aus dem Wege gegangen deshalb. Stunde um Stunde aber band sie
die Arbeit zusammen auf dem einsamen Meer. Und da wurde er hart gegen
Lars und fuhr ihn zornig an, weil Lars ihm war wie ein Vorwurf, und er
sich nicht zu helfen wußte in seinem Unbehagen. -- Daß Lars es jetzt
mit so vielen hielt, war ihm immer zuwider gewesen. Aber heimlich war
er doch stolz darauf, daß die Männer ringsum auf Lars’ Worte hörten und
zu ihm aufsahen. Da sie aber von ihm ließen und mit harten Worten nach
ihm warfen, da fühlte Peter, daß Lars im Unrecht gewesen war, und in
seinem Zorn und in seiner Härte hatte er etwas Verächtliches gegen ihn.

Und es kam ein böser Wintersonntag, an dem der eisig feuchte Wind und
die endlos kalte Öde den Menschen bis tief in die Brust hineinlangten
und das bißchen Lust und Hoffnung herauszerrten und hinstreuten über
das weite, graue Meer.

Lars ging allein am Strande entlang nach Wanbyll, und wieder sagte
irgend etwas in ihm: „Ich +kann+ nicht“. Aber diesmal sagte er es
nicht laut; denn seine Lippen waren aufeinandergepreßt, und der harte
Zug saß fest um den Mund.

Der rote Trollsen wagte sich am kecksten an ihn heran und spöttelte
offen über den Spaßverderber. Einige von den Männern um den rohen
Holztisch zogen den Mund breit und sahen sich an.

Da lachte Lars hart auf und stürzte ein Glas Grog hinunter. Es war
kalt, und das heiße, betäubende Prickeln tat ihm wohl. Da forderte er
ein zweites und ein drittes, und es war, als versinke das finstere
Elend um ihn her, und ein wohliges Vergessen käme über ihn. Da lachte
er wild auf und forderte immer mehr. Und er hörte es erst am nächsten
Tage, daß er zu Hause geschleppt worden sei.


[6] Mit dem Geweih stoßen.



Kapitel XXV


Trina hatte manchmal Näharbeiten übernommen. Sie hatte das Nähen bei
Frau Asmussen gut gelernt. Jetzt hatte sie es wieder aufgenommen. Mit
ihrer Hände Arbeit schaffte sie manches für Lars heran, was ihm sonst
gefehlt hätte. Denn in dieser Zeit tat es not, daß noch etwas Geld
verdient wurde. Auch die Linds gaben ihr manchmal etwas zu tun. Karen
hatte die Arbeit öfter zu ihr hingetragen. Aber jetzt ging sie nur zu
der Zeit, wenn die Fischer auf See waren.

Es war ein früher Märztag. In der Luft lag das Geheimnis. -- Kahle
Zweige ragten in die graue Luft, und öde, graue Flächen dehnten sich
über die Koppeln. Und doch lag das Geheimnis in der Luft. Ein weiches
Flügeln und Streicheln huschte über die Dinge und tastete sich bis in
die Menschenherzen hinein. Und die Lerchen trieb es hinauf -- hinauf
und drängte und weitete die kleine Brust, daß sie sich Luft schaffen
mußten in zwitscherndem Gejubel und die Flügel regten im Takt, immer
hinauf in das weiche Grau.

Denn die Lerchen glaubten an das Licht hinter den Wolken. --

Oben auf der Koppel, von wo der freie Blick über das Wasser geht, stand
Karen und horchte hinauf nach den Lerchen. Ihre hohe, schlanke Gestalt
stand dunkel vor der Luft, aber es war etwas Helles auf ihrer Stirn.

Karen war aufrecht ihres Weges gegangen, und keiner hatte über sie zu
klagen gehabt. Da war nichts Zerdrücktes, Schwächliches an ihr. Ihre
Last hob sie auf und deckte sie sorglich mit ihrem Stolze zu und ging
damit vorwärts mit gehobenem Haupt.

Aber das Weiche, Tastende in der Luft hemmte ihr frisches
Vorwärtsschreiten, daß sie sinnend einhalten mußte und hinaufhorchen
nach den Lerchen und in sich hinein. Und die Gedanken stiegen auf und
lagen auf ihrer Stirn, daß sie die Brauen zusammenzog über den hellen
Augen und langsam weiterging, den Blick am steinigen Wege. Sie konnte
und konnte es nicht verstehn. Warum saß diese Liebe ihr so grundtief
im Herzen, daß sie sich selbst nicht denken konnte ohne diese Liebe?
-- Es hatte doch alles Ding einen Sinn im wundersamen Weltgefüge. Wo
war er hier? Warum konnte sie nicht einen andern lieben? -- Es gab
tüchtige, starke Männer genug um sie her, und sie hätten die Arme weit
aufgemacht für dies stolze, frische, junge Leben. Dann wäre sie reich
geworden. Eigenes, zartes, junges Sein hätte sie an der Brust gewiegt.
Und wie Siegesstolz wäre des Weibes höchste Lust ihr aufgegangen, wenn
rote Kinderlippen sie Mutter nannten.

Aber es hätte alles angefangen mit einer großen Lüge.

Sich ohne Liebe zu geben, dazu sagte ihr ganzes Wesen „Nein“. Und
ihre Liebe wohnte bei dem einen, für den sie zwecklos war in dieser
rätselvollen Welt.

Und Karen setzte die Füße fest auf, als wollte sie die grübelnden
Gedanken unter sich treten. Da sah sie die Fischerhäuser vor sich
liegen, und sie atmete tief auf. Sie mußte irgendwo zugreifen --
vielleicht daß sie ihm helfen könnte durch die Frau. Sie mußte eben
aufhorchen und achten, wenn der Augenblick kam, daß diese stumme Liebe
zur Tat werden konnte.

Da stand sie vor dem Hause und schob die Gartentür auf. Mutter Lassens
laute Stimme fiel ihr schrill entgegen, daß sie zurückstutzte. Denn
dieses Volk zwischen den großen, stillen Weiten hat oft einen Abscheu
vor dem Lauten und Rohen. Und Karen war auf einem einsamen Hofe
ausgewachsen zwischen schweigsamen Leuten. Dann trat sie rasch über die
Schwelle, aber in ihrer Art war etwas Gezwungenes. Und wie sie Trina
ansprach, fühlte die es gleich, und das laute, breite Lachen grüßte
Karen wie ein Schlag.

Da ging es wie ein kühler Hauch über ihr Wesen, und im harten Kampf
gegen ihre Art bekamen die klaren, hellen Augen fast etwas Hochmütiges.
Das verwirrte Trina nur mehr, daß sie nicht verstand, was Karen von
ihr wollte, und ihre Art immer unsicherer und alberner wurde. Und
dazwischen kam immer wieder das laute Lachen und breitete Trinas
Gesicht, bis das Rohe es fast unkenntlich machte. Es war Karen fast
unheimlich, mit ihr zu reden, und sie wandte sich an Mutter Lassen
mit ihrem Auftrage. Die stemmte die Arme ein und kam diensteifrig
heran, und ihr Gesicht legte sie in würdige Falten. Aber der Gedanke,
daß diese zwei zu Lars gehörten, stieg in Karen auf wie ein zorniger
Widerwillen. Mutter Lassens schwatzender Bereitwilligkeit antwortete
sie mit knappen Worten, und in den Worten und den hellen Augen lag es
immer wie Hochmut.

Dann wandte sie sich nach der Tür, und ihr Abschied von den beiden war
wie eine Flucht.

Sie ging langsam über die Koppeln hinauf; denn seit dem Tode der Eltern
hatte noch niemals so schwere Last auf ihr geruht wie heute. Und
bei jedem Schritt stieg deutlicher das Bewußtsein von ihrer eigenen
hochmütigen Kälte in ihr auf. Es war fast unerträglich, diese wachsende
Scham. Und all das ahnungsjunge Frühlingshoffen von vorhin ward daneben
wie ein lächerlicher Hohn.

Sie kam am Waldesrand entlang. -- Und tief aus den kahlen, dämmerigen
Tiefen zog ein Klingen hinaus in die weiche, graue Luft. Es legte sich
um das Menschenherz wie unsagbares Sehnen nach unerreichbarem Licht,
und wieder wie ein zartes wachsendes Hoffen auf wunderlich-rätselvoll
Verborgenes, ein Aufquellen aus geheimnisvollen Gründen, ein
jauchzendes Erschauen und dann ein zart verklingendes, ahnungsvolles
Hoffen.

Es war die erste Drossel, die Karen in diesem grauen Vorfrühling
sang. Und sie legte die Hand über die Augen, und ihre Seele ging
langsam Schritt um Schritt aus ihrer eigenen Unrast hin zu der hellen,
rauschenden Quelle, aus der sie sich schon so oftmals junge, freie
Kraft geschöpft hatte.

Im Flecken traf sie Jakob Lind. Der hatte gehört, daß Lars in den
letzten Wochen oft betrunken gewesen war.

Aber sie sprachen nicht über das, was sie drückte, diese beiden. --

Jakob Lind und Karen gingen schweigsam den Weg nach Aalby nach Hause.
Und das weiche, tastende Geheimnis aus der grauen Luft strich ihnen
leise über die ernsten Stirnen.

Karen versuchte es noch ein paarmal, wenn Frau Lind Näharbeit zu Trina
Asmussen besorgt haben wollte. Es gelang ihr auch wohl, daß die kühle,
fast hochmütige Art aus ihrem Wesen fern blieb. Aber sie kam darum doch
nicht viel weiter mit Klein-Trina, und sie fühlte wohl, daß noch etwas
wie ein Widerwillen in ihrem Herzen saß gegen die arme Kranke.



Kapitel XXVI


Jakob Lind konnte Lars’ nicht habhaft werden. Er ging ihm nun schon
seit vielen Wochen mit finsterm Gesicht aus dem Wege. Da kam ein
Tag, an dem sich Peter an der Hand verletzt hatte und ein paar Tage
aussetzen mußte mit der Arbeit. Jakob Lind hatte davon gehört, und er
ging nach Mutter Stinas Strohdachhaus, und in seinem Kopf steckte ein
Plan.

Die beiden Fischer saßen dort auf ihren alten Plätzen. Aber ihre
ärgerlich-harten Stimmen klangen ungewohnt unter dem niedrigen Dach
hervor. Sie saßen mit den Mützen in die Stirn gerückt und sahen jeder
in eine Ecke, und über Mutter Stinas stillem Gesicht lag der Kummer wie
eine schwere Last und hatte mit harter Schrift unzählig tiefe Linien
hineingegraben.

Sie rührten sich alle kaum, als Jakob Lind eintrat, und grüßten ihn nur
mit den Augen. -- Er fragte nach Peters Hand, und wen Lars zum Ersatz
in seinem Boot hätte heute nacht. Denn die Luft war milde und still und
günstig zum Fischen. Lars gab eine mürrische Antwort, weil er niemand
hatte, denn im Sommer arbeiteten die zwei andern nicht mit ihnen. Da
blitzte es fast lustig auf in Jakobs Augen. „So nimm mich mit, Lars,
ich möchte einmal helfen.“

Da sahen sie wirklich aus ihren Ecken heraus und sahen sich an, und
beide Fischer lachten halblaut vor sich hin. „Das wird wohl schwer
halten, Herr Lehrer,“ sagte Peter, und er hatte etwas Mitleidiges dabei.

„Du kannst mich ja pullen lassen, Lars; das Auswerfen verstehe ich wohl
nicht. Aber für einmal schaffe ich es wohl, mit dem Netz einziehn, wenn
du mir’s zeigst. Und ich habe eben Lust dazu.“

Da sah ihn Lars sonderbar an und schwieg eine Weile. „Na, denn man zu,
Jakob,“ sagte er endlich mit tiefer Stimme.

„Peter borgt mir wohl sein Zeug,“ sagte Jakob Lind.

„Es wird ein bißchen groß sein, Herr Lehrer.“ -- Und in Peters Stimme
saß ein verhaltenes Lachen.

Es war eine von den wunderlichen, milden Nächten. Hier und da glitten
die Wolken zur Seite, und durch graue Dünste goß der Mond ein zitterig
rotes Scheinen über die Welt. Aus der frühlingsatmenden Erde stieg
ein reiches, schweres Duften wie ein aufquellend-sehnendes Leben. --
Aber rings in der lautlos samtweichen Dunkelheit lag es wie seltsam
schlummernde Dinge, wartend, aus ihrem leisen Schlafe aufzustehn und in
das rötliche Geschimmer hinzutreten.

Merkwürdig laut klangen die Tritte der schweigsamen Männer auf den
Brettern des Ricks. Und dann kam der Ton der Riemen in den Dollen und
das leise, gleichmäßige Platschen. Das paßte sich hinein in das große
Schweigen und ward selbst ein Klang der raunend-dunklen Heimlichkeit.

Es dauerte eine lange Zeit, dies schweigende Hingleiten. Aber endlich
seufzte Jakob auf und nahm seinen Blick von der breiten, glitzerigen
Flimmerstraße über den Wellen fort. Eine Weile sah er auf die dunkle
Gestalt an den Riemen und ihr gleichmäßig schweigendes Tun. -- „Lars,
es ist ja nur der eine Ruck, Mensch, daß du aus dir herauskommst,
nachher ist dir leichter; das weißt du!“

„Es nützt doch nichts, Jakob. Es ist doch einmal alles verwirrt, am
besten, man beißt die Zähne zusammen und schweigt.“ Und Lars sah wieder
gerade vor sich hin.

„Aus dem Ärgsten hast du dich schon herausgewühlt, Lars, ich weiß es.
Seit fast zwei Monaten warst du nicht im Wirtshaus. Du bist schon den
ersten Schritt den neuen höheren Berg hinauf. Warum redest du denn
davon, daß es alles nichts nützt?“

„Weil ich nicht mehr an den Berg glauben kann, Jakob Lind. Es ist
ein ewiges Auf und Ab, weiter nichts!“ Die Stimme klang, als wenn er
aufschrie in seiner Not.

„Seit wann ist denn das so gekommen?“

„Das kann ich dir nicht so sagen, Jakob,“ stockend und stoßweise sprach
er. „Ich habe eben mit einmal gemerkt, daß ich es alles verpfuscht habe
in meinem Leben, und ich hab’ doch eigentlich immer vorwärts und hinauf
gewollt, und wenn das denn doch so zugelassen wird, dann ist da ja wohl
auch alles tot und still hinter der Welt. Großvater hat sich das alles
so schön gedacht, aber das war wohl nur so ein Spielzeug von ihm, und
nun ist er ebenso tot wie ein Hering oder wie die Mücken von gestern.“

Da waren sie lange still.

Dann seufzte Jakob noch einmal auf und richtete sich ein wenig hoch,
wie mit einem Entschlusse. „Und die Liebe Lars? -- Meinst du, wir
wüßten nun nicht endlich, warum Karen nicht heiratet? So eine große,
stille Liebe die gar nichts will und doch festhält, ist die auch nur
in die Welt hineingehagelt ganz zweck- und sinnlos?“

„Das weiß ich nicht, Jakob.“ Und wieder klang das leise, gleichmäßige
Patschen. Und der Mond war verschwunden, und unter dem Uferschatten lag
die weiche, unheimliche Finsternis. --

Da fing er wieder an mit der sonderbaren Stimme, in der die Not
hindurchzitterte.

„+Wenn+ es nur etwas gäbe, Jakob, irgendein Festes, an dem man es
greifen könnte. Wenn ich alles Helle in meinem Leben verpfuscht und
vertrieben habe, meinetwegen. Aber, daß man andere unter Wasser zieht,
daß ich den Leuten nicht mehr helfen kann und dann“ -- Lars stockte und
zog die Riemen ein und lehnte sich schwer darauf.

Da beugte sich Jakob ganz vor. „Mensch! Lars, dir ist Kraft gegeben
über die Menschen bei all deiner träumenden Langsamkeit. Pack’ zu!
Schaff’ dir wieder Mut!“

„Ich kann nicht, Jakob, wenn ich denke, es hat alles keinen Zweck,
da ist kein Berg, auf den es sich lohnt, daß ich mich und sie
hinaufschleppe. -- Es müßte da +ein+ Festes sein in dem großen
Tüter. Weißt du eins, an dem man es sieht, daß da eine Ordnung ist in
dem Ganzen und ein Wille dahinter. -- Früher, da dachte ich, der Jesus
Christus mit seiner stillen, sicheren Art. Der sagt, daß er von Gott
kommt, und dem kann man es glauben, wenn er sagt, daß er Gott gesehen
hat. -- Aber da hab’ ich ein Buch gelesen, da war das alles klipp und
klar bewiesen, daß er sich geirrt hatte und nur ein ganz gewöhnlicher
Mensch war, so ehrlich und treu er auch sonst sein mochte. Und der
Gott, an den er so fest glaubte, soll ihn im Stich gelassen haben, und
mit dem Schrei ist er auch gestorben. -- Na, wenn der sich geirrt hat,
dann ist ja doch auch nichts hinter der wirren Welt, und es ist eben
alles gleich.“

„Lars, das läßt sich nicht so ausrechnen, wie die da in dem Buch
geschrieben haben. Wir wissen nur so viel, daß sein bester Freund, der
Tag um Tag mit ihm war, gesagt hat, er war ohne Sünde. Und das hat
auch der allerbeste Freund noch von keinem Menschen sonst behaupten
können. Und sieh mal, Lars, wenn dieser Mensch ohne Sünde sagt: ‚Wer
ihn ansieht, der sieht Gott‘ und er ruft die ganze, große Menschheit zu
sich und will sie allein zu Gott hinführen, dann muß er wohl wissen,
wovon er redet.“

„Du magst ja vielleicht auch recht haben, Jakob, das ist dann doch
auch wohl wieder so ausgeklügelt wie in dem Buch, nur anders herum. So
recht verstehen wie ihr, die ihr euer ganzes Leben daran herum denkt,
können wir einfachen Leute das ja nicht. Aber zum Weiterkommen hilft
das Überlegen wohl nichts.“

„Nein, da hast du ganz recht, Lars. Ich glaube, du mußt dir mal Mutter
Stinas Bibel herunter holen und die alten Geschichten ganz still für
dich allein durchlesen, und dann einfach drauflos leben, so wie du
fühlst, daß es recht ist für dich. Aber dann mußt du manchmal die Ohren
aufmachen und in dich hineinhorchen und um dich in die wunderliche
Welt. Da klingt sie schon herauf, die große Wahrheit aus der Tiefe.
Weißt du, wir Männer sind mehr zum Anpacken und Vorwärtsschieben
gemacht, glaube ich. Aber die Frauen, die sitzen noch näher an der
großen Ordnung fest, von der Klaas Klaaßen immer sprach. Die hören die
Stimmen aus den heimlichen Tiefen viel lauter. Ich glaube, die können
uns helfen darin!“ --

Dann war Jakob still und wartete. Aber Lars hatte die Tür seiner Seele
wieder zugeschlossen. Er schämte sich, daß er so viel gesagt hatte. Und
Jakobs Reden wollte er gern unterbrechen. Darum gab er ihm die Riemen
und fing an, das Netz auszuwerfen. Jakob fühlte, daß er genug gesagt
hatte, und er trachtete nur noch, wie er Lars bei der Arbeit helfen
könnte. Und die große, stille Nacht war um die schweigenden Männer.
Und leise gluckste das Wasser, und patschend tropfte es vom Netz und
glitzerte im rötlichen Mondlicht. Und weit draußen tauchten ein paar
dunkle rundlich-breite Körper aus dem Wasser und versanken wieder, um
weiterhin herauszuschnellen, mitten in der flimmerigen Mondesstraße.

„Sieh da, Tümmler,“ sagte Lars. Dann war es wieder still und einsam.

                              *         *
                                   *

Es war an einem Sonnabend, als Lars und Peter die Fische nach der
Räucherei brachten, daß Trina groß Reinemachen hatte. Es ging ihr viel
besser, und Mutter Lassen hütete jetzt oft tagelang ihren Enkel in
Peters Haus oder bei ihrer andern Tochter.

Die Fenster standen weit offen, und die weißen Gardinen bauschten sich
im warmen, salzkräftigen Sommerwind. Ein starkes Duften trug er von den
Jasminbüschen bis in die Stube hinein, und von Zeit zu Zeit summte eine
Biene am Fenster vorbei.

Trina saß vor dem Tisch und räumte die Schublade auf, und der Wind
hatte ihr ein paar Haarsträhnen über die Stirn geweht. Ihre Backen
waren heiß, und sie glich wieder mehr Klein-Trina von früher.

Da klang ein leichter, fester Tritt vor dem Fenster. Karen trug ein
Bündel im Arm, und es war, als brächten die hellen Haare und die hellen
Augen noch mehr Licht in die Stube. Trina war so ganz bei der Arbeit,
daß sie das Lachen vergaß, und Karen konnte ungestört ihr Bündel
aufknoten.

Als sie ihr die Arbeit erklärt hatte, setzte sich Karen ans Fenster
und rief Klein-Klaus heran. Er spielte vor der Tür und kam langsam
Schritt vor Schritt näher, und seine prüfenden Augen ruhten ernst auf
der Fremden. Aber das helle Kleid, auf dem der breite Sonnenschein lag,
und die lachend klaren Augen gefielen ihm, und er stellte sich zu ihr.
Trina freute sich, daß er einmal artig war, und sie sah schnell von
ihrem Räumen auf.

Es war, als hätte der warme, sonnige Wind die Schwere zur Seite
geblasen, die sonst in dem Zimmer zu lasten schien. Es wurde Karen
heute fast leicht mit Trina zu reden.

Sie hatte eben eine Frage wegen Peters Kindern gestellt, da blieb
Trinas Blick auf einem Stück Papier haften, und sie gab ihr keine
Antwort mehr. Karen sah erstaunt auf Trina hin; aber sie starrte immer
auf den Brief. Und jetzt sah sie, wie sich Trinas Schultern hoben, wie
in unterdrücktem Schluchzen. Es ging wie eine Blässe über ihr Gesicht
und wie etwas Gequältes.

Da schob Karen den Jungen fort und zog ihren Stuhl zu Trina hinüber.
„Was ist es, Frau Asmussen, vielleicht kann ich helfen,“ sagte sie
schnell und legte ihre Hand auf Trinas Arm.

Aber Trina rückte ängstlich zur Seite. „Nein, nein,“ sagte sie hastig
und deckte die Hand über das Papier. Aber große Tränen waren in ihre
Augen getreten, und sie sah Karen schnell ins Gesicht wie mit einer
quälenden Frage. Aber Karen scheute sich, weiter zu drängen, und sah
fast hilflos auf Trina.

Da legte die mit eins die Arme auf den Tisch und grub das Gesicht in
die Arme und ihr ganzer Körper bebte in heftigem Weinen. Das ging Karen
ins Herz, und sie legte den Arm um ihre Schulter. „Ich kann’s gewiß
hören, Trina,“ bat sie.

Trina weinte laut auf und, ohne den Kopf zu heben, schob sie ihr das
weiße Blatt hin. „Ist das wahr, o ist das wahr?“ schluchzte sie.

Auf dem Blatt stand ein kurzer ärztlicher Bericht über Trinas Befinden
und die Angabe der Zeit für ihre Rückkehr. Und darüber gedruckt
stand „Landesirrenanstalt“. -- Nun wußte Trina, daß sie nicht im
Diakonissenhaus gewesen war. --

Karen strich ihr still über die Schultern. „Haben Sie’s gewußt?“ kam es
endlich stoßweise zwischen dem Schluchzen hervor.

„Ja, Klein-Trina.“ Und Karen streichelte sie.

„Jetzt haben Sie Angst vor mir. -- Und sie mögen mich alle nicht mehr.
-- Und oh, ich schäme mich so.“ Und Trina wühlte den Kopf noch tiefer,
und das Schluchzen war herzbrechend. Da schmolz das Harte in Karens
Brust, das die Tür gegen Trina Asmussen gesperrt hatte. Jetzt hatte
sie vergessen, daß dies Lars’ Frau war. Es war nur eben Klein-Trina,
ein Menschenkind in großer Not. Und sie redete ihr zu wie einem Kinde
und tröstete sie, und daß die große, stolze Karen noch so zu ihr sein
konnte, das half Trina aus ihrer ersten Not über die Schande, die auf
ihr lag, heraus. --

Aber darum war sie doch noch da, wenn Karen ihr auch über dies erste
Erfahrene hinweggeholfen hatte. Und Trina schämte sich. -- Und am
allermeisten schämte sie sich vor Lars. --

Aber von dem Tage an wußte Karen, daß sie getrost in die Zukunft
hineingehen konnte. Sie hatte Klein-Trina lieb gewonnen.



Kapitel XXVII


Lars Asmussen und Jakob Lind hatten recht. Es sitzt eine heilende
Kraft im Anpacken. Der Mensch treibt mit seiner frischen Tat den Nebel
vor sich her, daß er nicht mehr vor seinen Augen liegt wie eine trübe
Wand. Und während er noch mit aller Kraft bei seinem Werke ist, hat
sich leise, leise der Nebel geteilt, und der erste keusche Sonnenstrahl
tastet sich durch das trübe Grau. -- Dann kommt wohl irgendeine treue
Hand und rührt ihn an und sagt: „Da ist das Licht!“ Und er sieht auf
und wagt fast noch nicht, sich zu freuen. Dann aber hebt er den Kopf in
den Sonnenschein und zieht auf seiner eigenen Straße nach dem Ziel, das
ihm in der großen Ordnung gesteckt ist.

Und vielleicht ist es gar nicht fern.

Aber das gilt ihm gleich, denn er sieht wieder, daß es auf einem hohen
Berg gelegen ist und daß die Sonne scheint.

Der arme, kleine Mensch -- nicht einmal den Nebel kann er selbst
vertreiben, um wieder seinen eigenen Weg in der großen Ordnung zu
sehen! Nur tapfer handeln kann er, seiner Art getreu, und warten, bis
der Nebel weicht. --

Lars war zu einem Entschlusse gekommen. Nicht, daß ihm Jakobs Raten
viel genützt hätte. -- Guter Rat hat wohl noch keinen Mann aus dem
Brunnen gezogen. Und gerade einem aus dem eigenwilligen nordischen
Volke wäre es ein hartes Ringen gegen seine Art gewesen, auf fremdes
Wort zu hören. -- Nein, der Rat tut’s selten, aber die Liebe tut es.
-- Da ist es, als schlösse der andere Mensch ein Fenster in seiner
Seele auf. Mancher tut’s schnell, als stieße er mit Kraft die beiden
Flügel auf, der andere drückt und stemmt und bringt die rostigen Angeln
nur mühsam auseinander. Aber wie es auch ist, und manchmal war es nur
ein unbehilflich Wort -- aber von da innen aus der verschlossenen
Seelentiefe sehen dann so wunderlich strahlende Dinge hervor, die
man nicht nennen kann und nicht ausrechnend wägen. Aber für kurze
Augenblicke hat sie der in der großen Not gesehen, und ganz leise,
wie von fern kommt es ihm wie Lerchenglaube, daß da Licht sein könnte
hinter dem Nebel. --

Lars hatte eins verstanden: Da war ein Mensch, der glaubte noch an ihn.
Da wußte er, daß er wieder Mut fassen konnte, wenn er sich aufraffte.

Und er schämte sich seiner Tatenlosigkeit. Er ging durch Haus und
Gartenland und sah, daß überall Arbeit wartete. Und wie er erst
anzupacken begann, begriff er nicht mehr, daß er es hatte so weit
kommen lassen. Es war zurückgegangen in Lars’ Wirtschaft. Und nun
faßte ihn die Arbeit wie ein Fieber. Peter wurde es fast zu viel, weil
Lars Stunde um Stunde draußen bei der Arbeit bleiben wollte. Und wenn
er dann vom Fischen kam, machte er sich an die Kartoffeln, und Trina
half ihm tüchtig beim Ausmachen. Und er besserte und hämmerte überall.
Und dann machte er sich mit dem Dachdecker daran und setzte ein neues
Strohdach auf Mutter Stinas Haus. Er wurde mager in diesem Sommer über
all dem harten Arbeiten; aber als der Herbst herankam, war fast alles
wieder so gut imstande in den beiden Häusern und dem Gartenland wie
sonst, und das viele Arbeiten hatte auch Trina gut getan, und sie war
so gesund und ruhig, daß Mutter Lassen zu ihrer zweiten Tochter ziehen
konnte, wo eben wieder ein Kind geboren war.

In seinem Hause war es nun stiller und klarer geworden. Lars war kaum
zum Nachdenken gekommen. Er wußte nicht recht, wie ihm selbst zumute
war. Aber unbewußt war es auch klarer und ruhiger in ihm, und da war
auch allmählich ein Entschluß gereift. Er wußte wohl, daß er die Unrast
erst ganz los wurde, wenn er es sich ganz unmöglich machte, Karen
wiederzusehen. Das wollte er ihr nun sagen. -- Es mußte ein Abschluß
gemacht sein.

Es war ein warmer Sonntagnachmittag für den beginnenden Herbst. Lars
ging nach Aalby. Als er in den Lehrergarten trat, sah er gleich, daß
Karen hinten unter dem Apfelbaum stand. Die schweren Äste hatten viele
Stützen, und doch bogen die rotbackigen Äpfel die Zweige fast bis zum
saftiglangen Grase hinunter. Zwei hellhaarige, kleine Lehrerskinder
standen neben Karen und hielten den großen Korb. Den kleinen
Zweijährigen hob sie nach den bunten Äpfeln hinauf, und er patschte mit
den dicken Armen in die vollen Äste hinein und riß von den lustigen
Früchten herunter. Karen nahm sie ihm ab und warf sie in den Korb.
Zwischen den Blättern aber lachten die hellen Sonnenlichter hindurch
und schillerten auf all den hellhaarigen Köpfen und lagen wie goldene
Flecke im schattig bläulichen Grase. Es war wie ein Zittern in der Luft
von hellen, lachenden Kinderstimmen und warmen Sonnenlichtern.

Als Karen die Schritte hörte und sich umsah, ging es wie ein ernster
Schatten über die frohen Augen. -- „Gleich,“ sagte sie, „wenn ich hier
fertig bin, will ich mit Ihnen sprechen.“ Dann setzte sie das Kind zur
Erde und zog ihm die kleine Schürze zurecht. Es wollte weinen, aber sie
gab ihm einen bunten Apfel zum Spielen und faßte dann selbst in die
roten Früchte hinein. Der Korb war bald gefüllt, und sie schickte die
Kinder damit ins Haus. Dann setzte sie sich zu Lars auf die Bank unter
dem Apfelbaum und hob den Zweijährigen auf ihren Schoß. Lars aber sah
immer unverwandt mit dem ernsten Gesicht vor sich hin, so als merke er
gar nichts von der lachenden, reifenden Fülle ringsum, sondern sähn nur
tief in sich hinein auf einen steten, festen Punkt.

„Nun?“ fragte Karen endlich und sah auf das Kind hinunter.

„Ich habe mir das überlegt,“ sagte Lars, und er sprach es eintönig, wie
eingelernt, vor sich hin. „Es ist besser, ich komme nicht mehr hierher.
Ich wollte aber gern, daß Sie das wüßten. Und ich wollte Ihnen auch
gern Lebewohl sagen -- für immer“ -- setzte er leiser hinzu.

Sie hob den Kopf und sah ihn fest an. -- „Das habe ich schon immer
gedacht. Ich gehe auch zum ersten Januar nach Hamburg in eine andere
Stellung. Sie brauchten aber gar nicht erst zu kommen, ich hätte das
schon so gewußt, warum.“

„Vielleicht wollten Sie auch nichts mehr von mir wissen -- jetzt!“ Es
lag finster über seinem Gesicht und wie eine Bitte.

Es war einen Augenblick still. Ein Apfel fiel mit dumpfem Klang ins
Gras. Auf dem schmalen Fußsteig hüpfte eine Amsel mit ihren Jungen und
fütterte sie aus einem alten Apfel. Karen zeigte sie dem Kinde, und es
lachte und streckte die Arme nach den Vögeln. Da sah sie Lars wieder
fest in die Augen. „Ich wußte, daß es nicht so bleiben würde, wie die
Zeit im Winter. Ich wußte, daß Sie wieder zurecht kommen würden, Lars
Asmussen.“ Die Sonne lag ihr wieder in den Augen.

„Warum wußten Sie das?“

„Das weiß ich nicht, aber ich weiß auch, daß alles wieder ganz hell
wird in Ihnen. Gott wird Sie noch brauchen, Lars Asmussen.“

Lars hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und sah tief ins lange
Gras hinunter. „Wenn man aber nichts merkt und nichts fühlt.“ -- Er
stockte.

„Sie fühlen es ja schon wieder, sonst wären Sie gar nicht so weit.
Sie haben nur geschlafen bis jetzt.“ Sie war ganz rot geworden, solche
Anstrengung war es ihr, so zu sprechen.

Er sah sie wieder an. „Vielleicht ist es so. -- Es muß wohl etwas
sein“ -- er sprach nicht fertig, sondern stand langsam auf. Sie stand
auch vor ihm. Das Kind hatte sie auf die Erde gleiten lassen, und es
trottete zu den kreischenden jungen Amseln hinüber. Einen Augenblick
ging es wie eine heiße Welle über sein Gesicht. Aber sie sah ihm fest
in die Augen und gab ihm die Hand. Da hielt er sie fest in seiner
schweren Arbeitsfaust, dann drehte er sich um und ging hinaus, und sein
Gesicht war so ruhig wie sonst.

Auf den Koppeln stand fast überall das Korn in Hocken. Es knisterte
förmlich in der warmen Sonne. Die Luft war sehr still. Hier und da
schnarrte der metallene Grillenklang zwischen den glänzenden Stoppeln
herauf. Lars stand und sah auf die strahlend weißen Wolken, wie sie
hinter den Koppeln riesenhaft heraufwuchsen im tiefen Blau. Es war eine
Stille in Lars Asmussen.

Er hatte vor den großen Rätseln gestanden und in die unergründliche
Nacht gesehen. Aber er hatte mit Taten auf das Dunkel losgeschlagen.
Und nun begann es, sachte, ganz sachte zu tagen. Und in Lars’ Seele
war es so, wie zu der feierlichen Stunde, wenn der ernste Morgenwind
vom kommenden Lichte raunt. Die letzten Jahre hatten harte Linien in
sein Gesicht gegraben. Aber er ging wieder wie sonst fest und aufrecht
seiner Arbeit zu.



Kapitel XXVIII


Christen Matthies war der erste, der im alten Vertrauen mit Lars zu
reden begann. Die andern beiden Männer behielten noch eine Weile ihre
verächtliche Art mit ihm. Aber er kehrte sich nicht an sie.

Er hatte ein paar große Aalkästen für die Räuchereien gezimmert und ein
gutes Stück Geld damit verdient. So konnte er sein Land vergrößern.
Auch brachte der Winterfang guten Verdienst. Was im Haus oder an den
Booten zu machen war, zimmerte er alles selbst, so gab er weniger aus
als die andern. Auch war Trina eine tüchtige Frau und hielt das Geld
gut zusammen. Er hielt sich viel für sich in diesem Winter. Und Trina
freute sich in ihrer stillen Art, daß er öfter bei ihr saß. Wenn er in
der Arbeit absetzte, dann gönnte er sich wieder die alte Freude und
saß hinter seinen Büchern. Er stützte dann wohl einmal die Ellbogen
auf den Tisch und sann vor sich hin. Und ganz selten, wenn Trina fort
war und Klaus in der Schule, holte er auch das dicke Bibelbuch aus der
Schublade und saß und blätterte und sann. Und dann ging er wieder in
seine Werkstatt im Schuppen hinter dem Hause und hämmerte und zimmerte
und machte sich hier und da einen Nebenverdienst mit seinen geschickten
Händen, daß sie zum Frühling endlich wieder Geld nach der Sparkasse
bringen konnten.

In dem Sommer schaffte Lars nicht mehr so fieberhaft wie im vorigen
Jahr, aber er arbeitete mit ruhiger Stetigkeit.

Das ruhelose Sehnen, das in ihm gewesen war, hatte ihn nun verlassen.
Ganz tief unten im Grunde seines Herzens, dort, wo die stillumfriedete
Stelle war, dort wohnte auch seine Liebe. Aber ebenso wie in seiner
Knabenzeit, trat er dort selten ein. Wenn er einmal ganz einsam
sonntägliche Stille um sich fühlte, dann legte sich, wie in alten
Zeiten ein knabenhaft-ernster, fast finsterer Ausdruck über das braune
Arbeitergesicht, in dem jetzt so viele harte Linien standen; dann war
Lars in sein Heiligtum getreten. Aber es war nichts Finsteres, was er
dort in der Stille fand. Da war Karens helles Bild, und da war Größeres
als Karen.

Aber einen tiefen Ernst brachte er doch immer von dort ins Leben
zurück. In dem Ernst bekamen die Dinge um ihn her ein anderes Gewicht
und Maß. Der Hohn oder die Achtung der andern kümmerten ihn nicht
viel. Darum konnte er auch Peters und Kords scharfe, harte Reden
ruhig anhören, ohne ihnen, wie sonst, mit bittern, zornigen Worten zu
antworten. Seine fast gleichgültige Schweigsamkeit machte sie stutzig,
besonders da bei seiner Arbeit nichts mehr von Gleichgültigkeit war. Da
wurde ihnen die verächtliche Art, die sie noch immer mit Lars hatten,
zuerst unbehaglich, und allmählich fielen sie unbewußt in ihren alten
Ton von den früheren Jahren zurück.

Die andern Männer, die mit ihnen zu tun hatten, empfanden die größere
Achtung in ihrer Art, mit Lars zu reden, und nahmen denselben Ton an.

Mit einem lecken Boot oder einem kaputten Fischkasten fing es an. Da
durfte er wieder raten und helfen wie in alter Zeit. Und allmählich
waren es größere Dinge als Boote und Fischkasten, wegen derer sie
zu ihm kamen. Und ganz allmählich ließen sie es zu, daß sich die
Erinnerung an Lars’ böse Zeit verwischte.

Da merkte Lars, daß er sich doch noch freuen konnte. Und wie das lange,
klare Sommerlicht wieder über dem stillen Wasser lag, da sah er mit
festem, klarem Blick hinein. Und es war wie ein Widerschein des hellen
Sommerlichts in seinen Augen, und wie er dastand, war es wie eine
unerschütterliche Sicherheit über dem ganzen Manne. Er sprach jetzt
noch seltener als sonst, und er ging auch seltener ins Wirtshaus. Aber
gerade seine große Schweigsamkeit gewann ihm das Vertrauen der Leute
noch schneller wieder.

Der Sommer war schon vorbei und der Heringsfang sollte wieder beginnen.
Da war es an einem Abend, an dem das Sägen und Hämmern unten am Strande
wieder in die große Stille hinausklang, daß Kords zu Lars herangegangen
kam. Seine Hände staken in den Hosentaschen, und seine niedere Stirn
sah noch finsterer aus als sonst.

Lars sah nicht auf von der Arbeit. „Naa?“ fragte er, als sich Kords
neben ihn stellte.

„Naa,“ sagte Kords, „wer soll das Boot haben?“

„Hinrichsen,“ sagte Lars.

„So’n Ding kriegt leicht ein Leck,“ sagte Kords.

„Warum?“ brummte Lars und hämmerte dröhnend auf die Planken.

„Naa, wenn man das rammt, so hier mit dem Vordersteven in die
Breitseite!“ Er fuhr mit der Hand an den Planken entlang und wischte
dann mit der knotigen, großen Faust durch sein Gesicht und schnaufte
dabei ein wenig verächtlich.

Lars tat noch ein paar Hammerschläge, dann richtete er sich auf und sah
Kords an. „Was ist eigentlich los?“ fragte er.

„Das habe ich gestern ausprobiert, was so’n Boot aushält, an dem da von
dem verfluchten Kerl!“

„Was für’n Kerl, nun erzähl’ vernünftig oder laß mich bei der Arbeit!“

„Na, weißt du noch, von dem, der mich dazumal mit dem Stein geschmissen
hat?“

„Na, das ist wohl öfter bei dir vorgekommen!“

Kords stand da, groß und dunkel gegen die helle See, und als stäken
die überkräftigen, verarbeiteten Glieder überall zu groß aus seinen
Kleidern hervor. Es war nichts von Spaß an ihm, nur etwas Mißmutiges,
und eine ernste Wirklichkeit sah aus seinen tiefliegenden, kleinen
Augen heraus. Als Lars ihn ansah, stellte er Hammer und Säge zur Seite
und setzte sich auf den Bootrand. „Naa?“ fragte er noch einmal ernster.

Fast zornig, als rede er wider seinen Willen, und ruckweise fing Kords
an:

„Du weißt doch, dazumal in der Stadt, als ich nicht streiten wollte
und mir der Kerl den Kopf halb einschmiß? Na, den Kerl kriegte ich
dazumal doch nicht zu packen. Aber denken konnte ich mir, wer’s war.
Da war so’n junger, bummliger Lump, der konnte mich nicht leiden und
soll nachher auch so ein paar Redensarten gemacht haben, daß man
ganz gut merken konnte, der war’s! Na, der verfluchte Kerl ist nach
Seegaade gezogen und fischt mit so ’nem andern Kumpan da draußen. Laß
ihn, hab’ ich mir gedacht, wenn ich mir auch nichts Schöneres hätte
denken können, als dem was verwischen! Nu fängt das Untier aber an,
wenn draußen zu tolle See steht, und kommt hier in die Bucht. Ich
das merken, und sobald draußen Sturm steht, leg’ ich mich mit meinem
Boot hin und laure. Ich sage dir, Lars, auf hundert Meilen kenn’ ich
das Boot! Wenn nun der Kerl um die Landspitze kreuzt, und ich merke
schon, da und dahin geht der Kurs, dann lauf’ ich vor, werf’ Anker
aus und fang’ an zu fischen, und er kann abziehen und einen andern
Platz suchen. Und wenn ich dann merke, er hält Kurs auf einen guten
Fischplatz, laufe ich noch mal vor.“ Kords lachte rauh und schlug mit
der Faust aufs Knie. „Na, gestern war das denn auch so. Du weißt ja,
jetzt im Sommer habe ich doch meinen großen Jungen mit im Boot. -- Wie
wir den fremden Kerl wieder reinlaufen sehen, gehen wir schnell Anker
hoch und laufen ihm vor. Zweimal machten wir das, da wird er wild,
kommt auf uns losgekreuzt, und wie er nah genug ist, fängt er ganz
elend an zu fluchen. Na so was kann ich nicht so gut vertragen von so
einem. -- Du weißt ja, was das für ein Nordweststurm war gestern. Der
Junge reißt das Segel hoch, und ich lege das Ruder um, so daß wir mit
toller Fahrt losgehn, und eh’ der Kerl merkt, was ich will, habe ich
ihn Steuerbord gerammt. Ich sage dir, Lars, der und sein Freund, die
mußten schöpfen, daß sie trocken ans Land kamen, und meinem Boot hat’s
kaum was gemacht!“ Kords lachte wieder fast roh heraus.

Aber Lars sah immer ganz gerade vor sich hin.

„Du mußt ihm Geld geben, daß er dich nicht verklagt,“ sagte er nach
einer Weile bedächtig.

„Das tu ich nicht, ich wollte, er wäre ganz ersoffen!“

„Dann wirst du wohl ins Gefängnis kommen, denn der andere Mann kann ja
bezeugen, daß du’s vorsätzlich tatest.“

Aber Kords stand finster da in der Dämmerung und sah nach der andern
Seite.

„Dann verklag’ ich ihn wegen Mordversuchs.“

„Aber du hast keine Zeugen.“

„Wer weiß, ob ich nicht doch noch jemand auftreibe, der ihn durch den
Hinterhof rennen sah.“

„Na,“ sagte Lars nachdenklich, „ich will’s denn mal versuchen, wenn man
ihm mit den alten Geschichten droht, vielleicht hält er reinen Mund
über diese Sache. Meinetwegen mag er mir sein kaputtes Ding bringen.
Ich werd’s flicken.“

„Schön Dank!“ sagte Kords.

Und am nächsten Sonnabend segelte Lars hinaus und brachte die Sache in
Ordnung.

Aber die Geschichte wurde doch unter den Fischern bekannt, und an den
nächsten Sonntagen im Wirtshaus sprachen sie leise darüber. Und sie
fluchten auf die Fischer von draußen, daß sie nun auch noch anfingen,
bei schlechtem Wetter an ihren Fischplätzen in der Bucht zu fischen.
Und alle freuten sich, daß Kords es dem von draußen gegeben hatte.
Über Lars aber nickten sie wohlgefällig mit dem Kopf, weil er die
Angelegenheit wieder zurechtgebracht hatte.

Da dauerte es nicht lange, daß er ihnen klar gemacht hatte, wie not es
tat, mit denen draußen zusammenzuhalten und feste Gesetze über die
Fischplätze und die Stellnetze zu machen. „Seht, wenn wir an Tagen,
wo für draußen allzuviel See steht, feste Plätze für sie hier bei uns
frei halten, werden die sich vielleicht drauf einlassen, die Stellnetze
nicht so weit vor die Bucht zu setzen.“

„Recht hast du wohl, Lars Asmussen,“ sagte Christen Matthies langsam.
„Aber wenn wir so eine Vereinigung gründen, kommt uns da nicht die
Regierung herein, und wir dürfen nicht mehr denken und sagen, was wir
wollen?“

Lars lachte still in sich herein. „Da sei ganz ruhig, Christen, du
kannst meinetwegen in deinem Herzen auf gammel Danmark schwören. Wir
wollen bloß zusammenhalten, damit jeder gerade sein kann, wie er will,
und uns keiner hereinredet.“

„Fein wäre das,“ schrie Kords auf einmal und haute mit der Faust auf
den Tisch. -- Und die andern um den Tisch nickten ernsthaft mit dem
Kopf, und allmählich gingen sie alle darauf ein. Und da im Tabaksdunst
der Wirtsstube taten sich die ersten zusammen.

Zuhause mit Peter hatte Lars noch länger zu reden, eh’ er bereit war,
mitzumachen.

Dora hatte das Gute viel schneller gefaßt. „Warum denn +nur+ die
Fischer, Lars, die Arbeiter auf dem Lande brauchen auch so was. Laß sie
auch mitkommen, und dann können sie untereinander auch für ihre eigenen
Kranken und die Waisen sorgen.“

Da sah Lars sie ernst an. „Vielleicht kommt das mal so, Dora.“

Dora brachte auch Peter allmählich so weit, daß er nachgab. Es dauerte
nicht so sehr lange, da war die Vereinigung zustande gekommen; denn sie
sahen fast alle ein, daß es not tat.

Und als es ihnen Lars recht vorgestellt hatte, gingen sie immer mehr
mit dem Gedanken um, einen eigenen kleinen Dampfer zu kaufen, der
die Fische direkt zum Markt brächte. „Und dann gehört noch dazu,
daß wir einen Händler hätten, der zu unserm Verein gehörte, damit
die Fischpreise von uns aus bestimmt werden und die Arbeit zu ihrem
Rechte kommt,“ sagte Lars. Dazu schüttelten aber viele die Köpfe und
meinten, daß es sich nicht machen lassen werde. -- Und als das Jahr
herum war, da hatte es sich gezeigt, daß die neue Fischervereinigung
gute Geschäfte machte. Die Fische kamen frisch und gut mit dem Dampfer
zur Stadt. -- Und weil sie alle zusammenhielten, konnten die Händler
nicht viel gegen sie machen; auch hörten sie, daß die Rede unter den
Fischern ging, eigene Händler anzustellen. Es war vorgekommen, daß
einige von den Fischern auch in der Schonzeit Heringe fischten, auch
waren die Maschen der Netze bei vielen unvorschriftsmäßig eng. Es war
aber sehr selten vorgekommen, daß der Fischmeister in dieser Bucht
nachgesehen hatte. Darum setzten sich die Fischer zusammen und machten
eigene Gesetze und schrieben ihre Anliegen nieder und wählten unter
sich sichere Männer und schickten die zur Stadt, damit das Ganze von
der Regierung bestätigt werde. Sie erreichten auch, was sie wollten,
und die Fischer waren zufrieden.

Der erste dieser sicheren Männer, den sie wählten, war Lars Asmussen
gewesen. Auch Peter Lassen war dabei und einige von draußen. Und nun
kam es ganz von selbst, daß sie anfingen, diese Männer wie Führer
anzusehn.

Als immer mehr Fischer der Vereinigung beitraten, da versuchten einige
Krakehler von Wanbyll, Macht über sie zu gewinnen. Aber sie ließen
sich nicht hereinreden und kamen nur überein, daß sie unter sich Geld
zurücklegen wollten für Notfälle. Und wieder war es Lars, der alles
deswegen ordnen mußte.



Kapitel XXIX


Lars hatte sich noch ein Stück niederes Uferland gekauft, auf das bei
Wind viel Seetang getrieben wurde. Wenn Lars nicht Zeit hatte, dann
stand Trina mit ihrem Jungen, und sie harkten das Seegras herein, und
sie trockneten es und hatten noch einen guten Verdienst mit dem Verkauf.

Und Peter wußte, daß Lars immer mehr Geld auf die Sparkasse brachte,
und daß er es zu etwas gebracht hatte in den letzten zwei Jahren. Auch
sah er, wie sich die Leute von Lars führen ließen und daß es doch Hand
und Fuß hatte, was er riet. Da wachte auch die alte Anhänglichkeit
wieder auf, und er fing wieder an, zu Lars aufzusehn. Und hinter Lars’
Rücken rühmte er ihn vor den Leuten und machte ihnen klar, was Lars
wolle, und kämpfte für seine Pläne. Und Peter kamen die Worte leichter
als Lars, daß er manch einen gewann.

Sie erreichten es auch, daß der Fischdampfer nicht von dänischem Gelde
gekauft wurde. Das meiste hatten die Fischer selbst bestritten, und es
hatte viel Geld gekostet. Peter und Dora hätten gern gewußt, wieviel
Lars dazugegeben hatte, aber sie bekamen es nicht heraus. Es mußte
viel gewesen sein, meinten sie, weil er wieder so hart an der Arbeit
war.

„Das ist ja gar kein Leben,“ sagte Peter und stand mit den Händen
in den Hosentaschen dabei. „Man will doch einmal absetzen und
+wissen+, daß man lebt.“

Aber Lars sah gar nicht auf, sondern hob den Ballen Seegras und trug
ihn fort. Dann kam er zurück. „Sieh, Peter, wenn du mir mal hilfst,
will ich hier einen Damm ziehen, damit mir die See nicht jedes Jahr
über dies Land spült; dann kann das mal eine gute Wiese werden. Ein
paar Kühe können wir uns dann vielleicht auch noch kaufen.“ -- Peter
schüttelte den Kopf, aber er faßte an und half das trockne Seegras
hereinschaffen.

Peter aber konnte nicht wissen, wann Lars „lebte“. Wenn er sich freute,
dann schwieg er gerade so, wie wenn er litt.

Aber doch wußte Lars jetzt, daß er lebte.

                              *         *
                                   *

Es war ein warmer Frühlingsmorgen. Der Regen hatte alles reingewaschen,
nun kam der weiche, starke Wind vom Meer und streichelte mit dem
Sonnenschein um die Wette an den jungen, feinen Blättern herum. Neben
Lars’ Garten lief eine Quelle, die murmelte und rauschte, als ließe
sie sich keine Zeit, vor Lust hineinzulaufen in den Sonnenschein und
hinunter zu hasten nach dem großen Wasser. Lars saß auf der kleinen
Bank am Haus, und sein Schatten fiel scharf und blau an die weiße Wand.

Trina trat aus der Tür. Es war Sonntag, und Lars hatte das gute, blaue
Zeug an. Trina strich ihm ein Stäubchen fort, und ihre Hand nahm sich
Zeit, wie eine Liebkosung. Lars sah in die weiche Bläue hinein und
hielt wohlgefällig still. Er streckte die langen Beine in die Sonne,
und ihm war wohl. Er konnte einmal aufatmen ohne Sorgen und wissen, daß
er an seinem rechten Platze stand. Darum war ihm wie damals, als er ein
Junge war. Er hätte sich wälzen mögen in dem frischen, jungen Grün vor
lauter drängendem Behagen.

Jakob Lind kam über die Höhe zwischen dem wogenden jungen Korne daher.
Er schlenderte gemächlich und hatte den Hut abgenommen.

„Guten Morgen, Lars,“ sagte er und kam in den Garten. „Ich soll zu Jes
Land hinüber, der will meinen Rat haben wegen seines Jungen. Er kann
selbst nicht kommen mit dem kranken Bein.“

„Wer ist das denn?“

„Weißt du nicht, von dem sagen sie ja, wenn er in Wanbyll steht, dann
wirft die Nase noch Schatten bis Seegaade quer übers Wasser, so lang
ist sie.“

Lars lachte in sich hinein und nickte.

„Aber dich muß ich auch was fragen,“ sagte Jakob, „wegen Jung-Klaus.“

„Na schieß los, Jakob! Ist der Jung ungezogen in der Schule?“

„Das ist es nicht. Ein Musterkind ist er ja gottlob nie gewesen. Dazu
hat er zu viel Leben im Blut. Aber der Jung ist klug. Du solltest ihn
was lernen lassen.“

Lars schwieg und sah wieder vor sich über das blaue Wasser in die
blaue Luft hinein. Er griff nach der Pfeife neben sich und steckte sie
bedächtig an. Langsam tat er ein paar tiefe Züge. Dann nahm er sie
heraus und rief: „Klaus!“

„Vater!“ antwortete es aus dem Hause.

„So, nun sag’s ihm, Jakob.“

Da fing Jakob Lind an und sprach bedächtig und freundlich, und
Klaus stand da, stämmig und groß in der blauen Wolljacke, ein wenig
breitbeinig, so, als wollte er recht festen Halt haben an der Mutter
Erde, und sah Jakob stramm in die Augen. Und Jakob setzte es ihm
auseinander, daß er bei den Büchern bleiben und etwas Tüchtiges werden
könne. „Vater könnte das wohl durchsetzen, wenn du gern möchtest.“

„Was sollte es denn sein?“ fragte der Jung’.

„Na -- vielleicht Schullehrer,“ sagte Jakob.

„Oha“, sagte der Jung’. Lars lachte. „Na, was möchtest du denn werden,
du Däskopf?“ fragte er.

„Ich möchte wohl werden wie du, Vater,“ sagte Klaus und sah in fest an.

„Warum denn?“

Da steckte Klaus die Hände tief in die Hosentaschen und besann sich.
„Weißt du, Vaa, das Fischen mag ich wohl leiden, immer so da draußen
auf dem Wasser, und dann“ -- er grub die Hände noch tiefer, „dir hat
keiner was zu sagen, du tust gerade, wie du willst, so möchte ich auch
sein.“

Da sahen sich Vater und Sohn noch einen Augenblick in die Augen.

„Na, denn lauf wieder zu Mutter!“ sagte Lars. -- Es dauerte gar
nicht lange, da kam von hinter dem Hause das trauliche Getön einer
Ziehharmonika durch die Frühlingsluft.

„Er hat die Musik von Großvater,“ sagte Lars wohlgefällig. „Aber siehst
du, Jakob, aus dem wird auch nichts weiter.“

Da nickte der. „Es mag wohl auch so am besten sein,“ sagte er und stand
auf.

„Ich meine es beinah auch,“ sagte Lars. --

Und dann saß Lars noch eine Weile. Klaus war weiter fortgegangen mit
seiner Ziehharmonika. Aus der Ferne kam das Klingen, und es paßte sich
zusammen mit dem Murmeln des Baches. Und wie beides hineinschwamm
in den Sonnenschein, war es wie eine heimliche Traulichkeit und ein
sinniges Behagen in der weichen Frühlingsluft.

Ja dieser Zeit taute etwas auf in Lars’ Innerm. So etwas, was noch
immer wie in hartem Krampf in sich verschlossen gelegen hatte. Bei
all’ seiner Schweigsamkeit war doch etwas warmes Menschliches an ihm
zu spüren. Trina wagte es auch wohl einmal, von Grund aus fröhlich zu
sein, wenn der lange Lars in der Nähe war, und es saß jetzt manchmal in
seinen Augen wie bei Großvater, ganz heimlich und versteckt, wie der
Schalk. --

Sie lebten nicht mehr wie die Hamster oder Dachse, jeder nur für seine
saure Arbeit und jeder in seinem eigenen Bau, sondern sie kamen alle
zusammen, wenn sie Zeit hatten, und waren fast fröhlich dabei.

Am häufigsten kamen Lars und Trina mit ihrem Jungen und Peter mit
seiner ganzen Familie Sonntags zu Mutter Stina herüber. Und Mutter
Stina bediente sie und saß mit ihrem traurig-ernsten Gesicht zwischen
ihnen, sagte selten ein Wort und war doch von Herzen froh.

Oder sie packten ihre Boote bis oben voll mit ihren
schreiend-fröhlichen Kindern und fuhren mit ihnen über die Bucht,
hinüber zu Kords oder nach Aalby zu und gingen zu den Linds hinauf.

Aber all das waren Feiertage in ihrem Leben, denn in ihrer harten
Arbeit ließen sie nicht nach. Aber daß Lars überhaupt mit andern
Feiertage haben konnte, das war das Neue, was er nun endlich in seinem
Leben gelernt hatte.

Auch an Trinas Freuden und Wünsche dachte Lars jetzt manchmal. Als ihr
Geburtstag herankam, da hörte er gegen Abend mit seinem harten Mühen
auf und kam mit seinem Handwerkszeug vom Strand herauf. In der einen
Hand trug er vorsichtig einen langen geräucherten Aal. Den brachte er
ihr zum Geschenk. Der sollte heute abend gegessen werden.

Und gegen Abend kamen sie alle im guten Zeug nach Lars’ Haus
heraufgegangen, Mutter Stina und Peter und Dora und die große Tochter,
die bald größer war als Jung-Klaus, und der älteste, stämmige Sohn,
der ganz so aussah wie Peter. Und das Jüngste, das noch auf dem Arm
getragen werden mußte, brachte Dora auch noch mit. Und nachdem sie
gegessen hatten, saßen sie alle herum in der Dämmerung, und Klaus
spielte ihnen ein Stück nach dem andern auf seiner Ziehharmonika.

„Nicht satt zu essen gibst du, Trina,“ sagte Peter und nahm die
Milchflasche seines Jüngsten an den Mund.

Dora schlug ihm auf die Hand.

„Tut man nicht so, als ob er nur Milch saugen kann,“ sagte Lars. „Weißt
du noch dazumal, Dora?“

„Was, dazumal?“

„Als ihn der Wirt vom Waldkrug beredet hatte, beim Feuerwehrfest
hereinzukommen, und du ihn selbst wieder abholen mußtest?“

„Is nich wahr!“ sagte Dora.

„Na und unter den Arm mußtest du ihn nehmen, und der Jung’ lief voraus
und schrie immer vor Freude: „Vater is dun“ -- „Vater is dun!“

„Da war ich aber erst fünf Jahr,“ sagte der Jung’.

„Sei man still, Lars,“ sagte Mutter Stina, „du bist damals allein
gegangen, aber du machtest mächtig lange, steife Schritte, und ganz
gerade gingst du auch nicht.“ Und dann lachten sie alle, und als die
Sterne anfingen, in das breite, niedere Fenster hereinzublinzeln,
standen sie auf und sagten ‚Gute Nacht‘. Und Klaus ging ein Stück mit
und spielte die Harmonika dazu.

                              *         *
                                   *

Ja, das waren ein paar gute Jahre für Lars Asmussen. Gerade wie der
Pflanze, tut auch dem Menschen ein wenig Sonne not, wenn er sich voll
und breit entwickeln soll. Packt ihn dann auch wieder der Sturm, so
kann er nicht mehr sein Wachstum hemmen und ihn in krüpplige Formen
zwängen.

Unbewußt fühlten es die Leute, wenn sie mit Lars redeten: Das war ein
+Mensch+, der vor ihnen stand. Es war ein rechtlich starker Mann,
und es war auch ein tüchtiger Arbeiter; aber unter dem rauhen, blauen
Zeuge saß auch ein menschlich warmes Herz. Damals, zur Zeit seiner
hölzernen Rechtlichkeit, achteten ihn alle, aber jetzt hatten viele
Leute Lars Asmussen lieb.

Ja, das waren ein paar gute Jahre, das fühlte er selbst. Aber solche
Leute, wie Lars, müssen immer wieder aus dem glatten Strome heraus.
Kein Mensch kann sagen, warum es so ist.

Der Sturm lauerte darauf, Lars Asmussen zu packen. Und an einem schönen
Juniabend fing sein erstes, leises Drohen an.



Kapitel XXX


Es war ein Juniabend. Die Sonne war längst gesunken, aber alle Dinge
schwammen noch in milder Klarheit. Der Vollmond hing im schimmerigen
Abendhimmel, aber es ging kein Scheinen von ihm aus in den taghellen
nordischen Abend.

Die breite, lichte Scheibe hatte etwas Geisterhaftes in dem
geheimnisvoll stillen Abendlicht. Auf der lichten, spiegelnden Fläche
waren Lars und Peter bei der Arbeit. Vom Ufer kam der Duft der
glänzenden Hollunderblüten und ferner, weicher Vogelgesang. Unbewußt
hatte die beiden der Frieden eingesponnen, daß sie kein Wort sprachen
und manchmal in der Arbeit inne hielten und sich umsahen.

„Sieh, da kommt doch wahrhaftig von draußen ein Boot.“ Peter zog die
Riemen ein und starrte vor Verwunderung.

Lars legte das Netzzeug aus der Hand und sah sich um. „Was will der bei
dem Wetter?“ sagte er böse.

„Werden draußen wohl die besten Fischplätze belegt haben, da versucht
er’s hier.“

„Ist aber gegen die Abmachung.“ --

„Sieh, jetzt da drüben, wo Kords fischt, der geht wieder Anker hoch
und läuft quer über.“

„Er soll nur nicht wieder anfangen mit dem Vorlaufen, das ist nicht das
Rechte.“

„Er tut’s aber doch und sieh, da muß der andere wieder Kurs ändern. --
Nun geht er da auch noch vor. -- Der andere muß ganz nach der andern
Seite kreuzen.“

Lars nahm die Netze wieder hoch. „Heute hat er das Recht ja eigentlich
auf seiner Seite. Aber so macht’s nur böses Blut. Das ist nicht das
Rechte. Ich will’s ihm sagen.“ --

Am nächsten Tage ging Lars zu Kords hin. Und er warnte ihn, daß er es
nicht wieder tun solle. Aber Kords fuhr auf und fragte, ob sich Lars
jetzt als Herr aufspielen wolle. Er sei sein eigener Herr und wolle
es bleiben. Und er schrie so laut, daß noch ein paar Männer, die beim
Segelfärben standen, herankamen.

Und sie standen zu Lars und gaben Kords alle Unrecht. Lars blieb ganz
ruhig dabei, aber es kam doch so weit, daß Kords Lars die Arbeit für
den Winter aufsagte. --

Auf dem Heimwege kam Lars ins Sinnen. Es tat ihm leid, daß Kords mit
ihm gebrochen hatte, aber all seine harten, wilden Worte hatten Lars
darum nicht weiter getroffen. Und daß die andern zu ihm standen, fest
und zornig wie zu ihrem Könige, darüber mußte er lächeln. Das hätte
ihn früher alles durchschüttelt in Zorn und stolzer Freude. Jetzt war
es so, als ginge es ihn nicht viel an. Er wußte jetzt, daß er etwas zu
wirken hatte hier in seiner Welt, das kein anderer für ihn tun konnte.
Aber er grübelte und sann nicht mehr darüber nach. Er ging nur Schritt
vor Schritt und wußte, daß er irgendwo ein Ziel erreichen werde. Und es
war ein stilles Freuen in ihm, wie er in den lichten Abend hineinsah.

                              *         *
                                   *

Zum Winter hatte Lars einen Mann in sein Boot genommen, der im Sommer
auf der Ziegelei, weiterhin im Lande, arbeitete. Die Ziegeleiherren
dort in der Gegend waren Dänen, und sie übten ein strammes Regiment. Da
hatten einige von Streiken geredet und waren Genossen geworden. Aber
die stöhnten wieder über die Abgaben und das Dreinreden der fremden
Führer; und es half den Arbeitern auch nichts.

Es waren aber im Winter unter den Fischern viele, die im Sommer Maurer
oder Ziegeleiarbeiter waren. Und mit der Zeit kamen sie zu Lars
und sprachen mit ihm. Sie sahen, wie sich die Fischereivereinigung
untereinander schützte und half. Da meinten sie, die Arbeiter könnten
auch so einen Halt finden und sich an die Fischer angliedern.

„Darüber muß ich erst nachdenken,“ sagte Lars. „Vielleicht kann ich
euch dann raten.“

Und er saß lange und sprach mit Peter darüber. „Sieh, wenn das so aus
ihnen herauswächst, der Wunsch, Peter, dann mag da was dran sein,
ich habe ja immer an so was gedacht. Wenn sie auch gemeinsam Geld
zurücklegten, wie wir, und ruhige, ordentliche Leute aus ihrer Mitte zu
Führern hätten. -- Was meinst du, Peter?“

„Ja, wozu eigentlich, Lars? Was soll es ihnen nützen?“

„Dann wüßten sie, wo ihr Geld bleibt, und wenn so eine große Menge fest
zusammenhält, wagt sich die Parteihetzerei nicht so leicht heran.“

Peter nickte bedächtig vor sich hin. Dann saßen sie auch noch eine
Weile und sannen, denn das Entschließen wuchs langsam bei ihnen aus
schwerem, ernstem Denken heraus.

Der scharfe, harte Wind war in dem Herbst irgendwo in blauduftigen
Fernen schlafen gegangen. Die gelben Blätter an den Buchenzweigen
hoben sich an jedem Morgen wieder lautlos aus dem lichten Nebel
und wiesen um Mittag wie goldene Finger in das durchsichtige Blau
hinein. Ganz unmerklich breitete es sich wie ein abgelegtes Kleid
von matten Wunderfarben um den moosig grünen Fuß. Und in den Knicks
leuchtete an jedem Tage neue jauchzende Buntheit. Tiefrote Blätter und
grelle Beerenbüschel, die in die Sonne hineinlachten wie ein heller
Trompetenstoß. Daneben strebten späte, gelbe Blüten nach einer letzten,
sonntäglichen Daseinsfeier. Aber im stillen, lauen Wasser hatten die
Fischer mühsame Arbeit. Der Hering hielt sich in der Wärme nur kurze
Zeit nach dem Fang, und der kleine Fischdampfer hätte an allen Enden
zugleich sein sollen. Bis das Boot mit den Fischen zu den ausgemachten
Sammelstellen kam, wo der Dampfer hielt, da drohte der Hering schon
zu faulen. Denn manche Fischer hatten einen weiteren Weg, weil die
Anlegestelle nach der Mehrzahl bestimmt war.

Kords hatte sich mit dem roten Trollsen zusammengetan, und die zwei
Männer taten in zwei Booten die Arbeit von vieren. Nun verlangten
sie, daß der Dampfer dicht bei ihren Fischplätzen anlegen solle.
Aber sie bekamen den Bescheid, daß für zwei Männer der ganze Ertrag
nicht benachteiligt werden könne. Da gerieten sie in Zorn und kamen
zu Lars. Sie trafen ihn bei Mutter Stina. Und die kleine, alte Mutter
Stina sank ganz in sich zusammen, als die lauten, zornigen Männer vor
Lars hintraten. Der große, starke Fischer stand ganz still und fast
gleichgültig, als sie ihm die Fäuste vors Gesicht hielten.

„Du wolltest bloß der Herr sein -- nun hast du uns betrogen! Wir wollen
unser Geld wieder haben,“ brüllten sie ihm ins Gesicht.

Es war nichts mit ihnen zu machen, und sie traten aus der Vereinigung
aus und verlangten Zinsen für das Geld, das sie zum Fischdampfer
gegeben hatten. Die Zinsen bekamen sie auch; aber das Ganze machte viel
böses Blut unter den Fischern. Auch hielten sich Kords und Trollsen an
keine Regel mehr und störten, wo sie konnten. Sie fuhren sogar außen
vor die Bucht, um in das Fischwasser von Kords Todfeind zu kommen. Dazu
mußten sie fast die ganze Nacht auf dem Wasser liegen. Aber es gelang
ihnen doch oft, und bei dem warmen Wasser war der weitere Weg für den
andern eine böse Sache.

Da kam der auch und beklagte sich. Und als die Vereinigung gegen die
beiden Wilden nichts machen konnte, schimpfte er auch darauf und drohte
mit dem Austritt.

Im Winter wurde alles wieder ruhiger, und die Verhandlungen mit den
Ziegelei- und andern Landarbeitern fingen an. Sie wählten schon ruhige,
verständige Männer aus ihrer Mitte, die sollten alles mit Lars bereden,
und im nächsten Herbst, wenn die Ziegeleiarbeit zu Ende war, sollten
feste Beschlüsse gefaßt werden.



Kapitel XXXI


In dem Frühjahr kam die Wärme zeitig. Es war wie ein Atmen in den
schweren, feuchten Schollen und ein Drängen und Tasten in den feinen
Zweigen, und in der warmen Sonne flügelten gelbe und weiße Falter über
die ersten saftig grünen Halme.

Aber das alles sah Lars nicht. Er hatte eine tiefe Linie zwischen
seinen Augen und arbeitete hart. Und er wußte doch bei aller harten
Arbeit, daß er es nicht aufhalten werde. Die gärende Unzufriedenheit
von Kords und Trollsen hatte immer mehr andere angesteckt. Gerade weil
Kords sich vor Lars schämte, wuchs ein Haß in ihm gegen den andern
Mann, der so stark und ruhig arbeiten konnte. Und er und Trollsen
suchten, mit ihrem Schimpfen andere gegen ihn zu gewinnen.

Noch ehe der Aalfang anfing, waren der Unzufriedenen so viele, daß die
andern einsahen, der Dampfer war nicht mehr zu halten. Sie mußten ihn
gut zu verkaufen trachten und nach Möglichkeit die Anteile herauszahlen.

Was in Lars vorging, erfuhr keiner; er ging seiner Arbeit nach und
schwieg. Auch Trina wagte vor ihm kein Wort darüber. Aber sie ging
jetzt manchmal zu Peter und Dora hinüber.

Dora jagte die vielen hellhaarigen, blauäugigen Kinder heraus, und dann
setzten die drei sich an den Tisch, und es fielen zornig harte Worte
über Kords und die andern Undankbaren. Und Peter fuhr sich mit der Hand
durch die Haare und sann, wieviel wohl von ihrem Gelde zu retten und
wieviel durch den Dampfer verloren sei.

Und dann kam endlich eine Verkaufsgelegenheit für den Dampfer. Gerade
so, wie er sich für diese Bucht eignete, paßte er nicht anders wohin.
Darum war es ein jämmerlich geringes Geld, das der Verkauf einbrachte.
Und es ging ein Murren um zwischen den Fischern, das oft zu wildem
Fluchen wuchs. Die einen tobten und schimpften über Lars und seine
Pläne, die andern warfen es den unzufriedenen Hetzern vor, daß sie an
allem Unglück schuld seien.

Aber Peter und alle die, welche zu Lars gehörten, waren jetzt still
geworden; denn sie saßen in schweren Sorgen.

Es war nun nicht länger zu verbergen gewesen, daß Lars sein ganzes
Erspartes in den Dampfer hinein gesteckt hatte. Schlimmer aber war
noch, daß er sogar sein kleines Besitztum belastet hatte, um Geld für
den Ankauf zu erheben. Nun fehlte nicht nur der Notpfennig für die
schlechten Zeiten, sondern es galt noch Schulden abzuzahlen, denn die
kleine Summe, die er vom Dampferverkauf erhalten hatte, deckte die
Schuld nicht einmal ganz.

Da waren sie alle gedrückt und mutlos.

Nur Lars ging mit festen, schweren Tritten seiner Arbeit nach, und das
ruhig starke Licht war in seinen Augen. Aber er arbeitete wieder so
schwer, daß Trina ein paarmal weinend zu Mutter Stina kam in ihrer Not.

„Das kann ja gar kein Mensch aushalten, wie er das treibt. Wenn er nun
noch krank wird, Mutter?“

Aber Mutter Stina hatte kein Trostwort für Trina. Sie hatte nun schon
so viel erlebt. So viel auf und ab, so viel Sonne und schwarzen
Schatten. Und sie hatte immer still halten müssen. Nun lag es wie
herbe, schweigende Würde über dem runzeligen Gesicht. Und aus dem
Schweigen konnte sie nicht mehr heraus.



Kapitel XXXII


Der Damm um das Wiesenland war schon im vorigen Jahre von Lars und
Peter gebaut worden. Der kleine Klaus hatte wacker mitgeholfen. Es
war ein großer, starker Junge für sein Alter und ebenso ein stiller
Arbeiter wie sein Vater. Eine Kuh hatten Lars und Peter noch gemeinsam
gekauft, ehe das Unglück mit dem Dampfer ihnen den Mut hatte nehmen
können. Nun gingen die Kuh und ein paar Ziegen auf der Wiese, und die
Milch brachte einiges Geld. Auch der Seegrasverkauf und die Tischlerei
brachten Lars manches ein, und gegen den Winter war die Schuld schon
fast abgezahlt.

Die ersten Monate des Heringsfanges waren gut. Dann aber kam eine
grimmige Kälte. Unter der feinen Schneedecke lagen weit und still die
weich gebetteten Koppeln, und unsäglich blau leuchteten die Wasserarme
dazwischen auf.

Kalt und kälter blitzte das harte Blau, und dann war es mit eins aus
mit der Fischerei, denn die Bucht stand mit Eis.

So ein Aussetzen der Arbeit war jetzt eine arge Sache bei der kaum
gedeckten Schuld. Peter stand schimpfend auf dem Rick; denn auch er
hatte ein großes Teil seiner Ersparnisse verloren. Aber Lars sagte
nichts.

Die Kinder merkten es an diesem Weihnachten, daß bei den Eltern
nicht alles so war wie sonst. Dora hatte das Weihnachtsessen knapper
gerichtet, und auch der stämmige Klaus Asmussen war mit der Feier bei
seinen Eltern nicht so recht zufrieden.

Am Weihnachtsabend saßen sie aber alle in der lieben alten
Strohdachhütte bei Großmutter. Da grämten sie sich nicht weiter.
Draußen ächzte und klapperte der eisige Ostwind, und es heulte im
Schornstein wie ein Wesen in quälender Not. Aber um die kleine Lampe
saßen sie gedrängt und warm.

Auf Großmutters Gesicht war heute so etwas Feierliches, wenn sie den
Kaffee auf den Tisch stellte oder den Kuchen hereintrug. Man konnte gar
nicht vergessen, daß heute etwas ganz Besonderes war.

„Wenn uns nun Großvater ein Weihnachtslied hätte spielen können,“
sagte Trina. Und dann sahen sie still nach dem Harmonium hin, von dem
sich Großmutter nicht hatte trennen können. Da mußte es Klaus auf der
Harmonika tun, und Doras Kinder stimmten ein, und der kleine Raum
zitterte von dem hellen, lauten Klingen.

Lars war sehr still, aber er sah zufrieden aus.

Er saß hart am kleinen Fenster und stützte den Ellbogen auf das
Fensterbrett. Eine Weile sah er hinaus in die finstere Nacht und
friedlich, wie Weihnachtsglocken, ging es ihm durch den Sinn, was Jakob
Lind ihm vorgestern gesagt hatte: „Karen kommt übers Fest zu uns.“ Lars
würde Karen nicht sehn -- aber sie war da. Karen war wieder in Aalby.

Und dann sprachen sie mit ihm, und er antwortete. Und es war eine Milde
in seiner Art, wie sie erst in den letzten Jahren im großen, starken
Lars aufgewacht war.

                              *         *
                                   *

Bald nach Weihnachten drehte sich der Wind nach Südwest, und über die
klare, harte Bläue zogen graue Dünste. Es fiel von Zeit zu Zeit ein
wenig Schnee, und in den letzten Nächten hatte es Rauhreif gegeben.
Am frühen Morgen ging Lars nach dem Rick hinunter, um nach dem Eis zu
sehen.

Sehr still und glitzerig lag die Winterwelt. Lars hörte kaum seinen
eigenen Tritt im frischen Schnee.

So still war es auch in ihm geworden, ging ihm der Gedanke durch den
Kopf. Immer so gerade vor sich hin ging Lars Asmussen. Nicht, daß er
ein helles Ziel sah, auf das er zuschritt, aber weil er sich selbst
treu geblieben war und auf seinem eigenen Wege ging, darum war er so
ruhig geworden. In den harten Jahren des Mühens und des mühseligen
Grübelns war ihm endlich eine Antwort gekommen aus der großen Ordnung
heraus. Die trug er tief hineinversenkt in seiner schweigenden Seele.
Selbst Lars Asmussen wagte kaum daran zu rühren. Aber seit sie ihm
geworden war, da wankte er nicht mehr.

Lars war so tief in Gedanken, daß er fast erschrak, als ihn Peter
anrief. „Der Eisbrecher ist heute endlich wieder los gegangen,“ sagte
Peter.

„Dann können wir in der Rinne heute nachmittag fischen,“ sagte Lars,
und es blitzte auf in seinen Augen.

„Wir wollen doch lieber warten, bis die Dampfer die Rinne ordentlich
ausgefahren haben. Auf einmal dreht sich der Wind, und wir kriegen das
Treibeis an den Hals.“

„Naa,“ sagte Lars, „ans Leben wird’s jawohl nicht gleich gehen!“

„Lars, du bist jetzt verrückt mit der Arbeit. Das hat ja keinen Zweck,
so ein Quälen auf Tod und Leben.“

„Ich weiß nicht, Peter, aber mir ist jetzt immer so, als ob das alles
einen Zweck hat, was so im Ernst gearbeitet wird. Wenn man’s auch nicht
gleich merkt.“

Peter sah ihn an: „Meinst du etwa, daß das Ganze mit der Vereinigung
und so was alles doch einen Sinn gehabt hat und einmal wieder zurecht
kommt?“

„Ich weiß nicht, Peter, aber ich glaube das wohl. Das hat einmal Leben
gehabt und Wurzel geschlagen, nun wird’s zu seiner Zeit schon wieder
ausschlagen. Totkriegen können sie so einen Gedanken nicht, wenn er
lebendig ist.“

„Hmm!“ machte Peter nachdenklich. „Christen Matthies hat mir Sonntag
gesagt, drüben sprächen sie eher mehr davon als früher, und auf Kords
schimpften immer mehr. Sein könnte es ja.“

„Na vielleicht erlebe ich’s nicht mehr,“ sagte Lars und sah in das
graue Wolkengeschiebe hinein: „Sieh, da kommt wahrhaftig ein bißchen
Sonne durch, und der Schnee fängt auch an zu kleben. Glaubst du, daß
die zwei andern bange sind, in der Rinne zu fischen?“

Peter hob bedenklich die Schultern und rauchte in langen Zügen.

Die andern schüttelten alle die Köpfe, als sie davon hörten, aber sie
gingen am Nachmittag doch mit.

Es war böiges Wetter geworden. Zwischen den türmenden Wolkenmassen
schwammen manchmal grünlich lichte Ätherseen, und die Sonne brach
heraus und umriß die finsteren Riesengebilde mit grellem Gold. In den
Dampferrinnen hatten sich viele Heringe zusammengezogen, und die Männer
arbeiteten angestrengt.

Einmal rief Peter herüber, daß der Wind schon zweimal umgesprungen sei.
„Wir können bald mitten im Treibeis sitzen!“ Aber auch die anderen
Männer wollten nicht vom guten Fang lassen. Und sie vertrauten auf ihre
festen Boote.

Hier und da krachte es dumpf gegen die Planken, aber die Männer
arbeiteten schweigend weiter und achteten nur, daß keine von den großen
Schollen das Netz zerriß.

Klarer und weiter wurden die goldgrünen Ätherseen, je tiefer die Sonne
sank, und die Kälte wurde wieder beißend scharf. Die nassen Bretter
fingen an schlüpfrig zu werden, denn es fror. Die vereisten Taue
schnitten in die Hand.

„Peter, was meinst du, der letzte Zug?“ rief Lars nach dem andern Boote
hinüber.

„Ja, besser -- der letzte Zug!“ kam es zurück. -- Sie mußten tüchtig
ziehn. Es war ein guter Zug, und das Netz war schwer von Eis. Christen
Matthies war heute bei Lars im Boot. Lars wollte dem Alten die schwere
Arbeit erleichtern. Er spannte jede Muskel. Aber nach dem schweren
Quälen und Mühen der letzten Monate war Lars’ Körper nicht so stahlhart
wie sonst. Er spannte und zog und trat mit dem rechten Fuße zurück. Die
Bohlen waren jetzt spiegelndes Eis. -- Der Hacken glitt ab. Er wollte
sich halten, aber er griff vorbei. Mit der Wucht des schweren, langen
Körpers schlug er zurück, und die im andern Boot sahen, wie er über
Bord ging. Sie waren gleich heran. Sie sahen wie er sich heraufkämpfte,
aber die schweren hölzernen Fischerstiefel zogen ihn herunter. Wieder,
wie damals als Junge, hatte Peter das Zeug abgerissen und war in das
Eiswasser getaucht. Er öffnete die Augen im grünen Dämmern, daß ihn
mit atemraubender Kälte umgab. -- Da war etwas Großes, Dunkles. -- Er
griff hinein und ruderte mächtig mit dem freien Arm und den Beinen. --
So tauchte er herauf. -- Es war wie ein Krampf in seiner Brust von der
eisigen Kälte, daß er nach Atem rang. Aber der Bootrand war dicht zur
Hand.

Wie sie sich mühten und quälten, bis sie den reglosen, schweren Körper
im Boote hatten!

Dann kniete sich Peter in seinem triefenden Zeuge über ihn hin und
versuchte, ihn wieder zu beleben. Lars hatte nur wenig Seewasser in
sich. Aber er regte sich nicht.

Da fing Christen Matthies an, ihn zu betasten und seine Glieder
anzufühlen. Mit eins tat er einen leisen Ruf und Peter ließ Lars’
Arme los und sah auf. Da zeigte der Alte auf eine Stelle zwischen den
nassen Haaren dicht über der Schläfe, die dunkel und klebig war von
Blut. Es mußte von den schweren Eisschollen sein. Und Christen Matthies
traurige Augen lagen still auf dem reglos edlen Gesicht mit den
festgeschlossenen Augen. Aber Peter zog die Brauen nur finster zusammen
und sah Christen Matthies ungeduldig an. -- Dann mühte er sich weiter.

Sie rieben ihn mit Branntwein und zwängten Branntwein zwischen die
festgeschlossenen Lippen hinein. Und immer wieder versuchte es Peter
mit den Atemübungen. Und dann legte er wieder den Kopf auf Lars’ Brust
und horchte. Aber da blieb alles ganz still. Christen Matthies half
immerfort, aber er sah noch trauriger aus als sonst, und die andern
beiden wußten, was er dachte. Sie mühten sich lange, aber in die
reglosen Züge kam nur noch stärker der Ausdruck ruhevollen Fernseins,
und es war da keine Regung.

Dann war’s endlich, daß Peter sich aufrichtete und den andern ins
Gesicht sah. Und seine Augen sahen hohl und dunkel aus. -- Und dann
zogen sie das andere Boot heran, und Christen und der andere stiegen
hinüber.

Peter ruderte ein Stück voraus.

Wie urgewaltige Gletscherberge türmten die Wolkenmassen weißblendend
ins Abendlicht hinauf. Eisig klares Scheinen schwamm über der
Winterflut. Ein feierlich verhaltenes Abendlicht gab ihm seinen Glanz.
Aber zwischen dem goldumrissenen Urgeschiebe am Himmel blitzten
strahlende Lichtstraßen tief ins Abendgold hinein. Und das dunkle
Boot glitt langsam dahin. Und fast wie in Ehrfurcht blieb das andere
zurück. Und der schweigende Mann an den Riemen hatte die Lippen fest
zusammengedrückt und sah in die Abendwolken hinein.

Vom Rick ging der alte, traurige Fischer voraus zu Mutter Stina, um es
ihr zu sagen; denn ihr Haus lag nah.

Dann klangen die schweren, dumpfen Tritte der beiden andern durch den
Garten. Mutter Stina machte die Tür auf und trat zur Seite. -- Und dann
trugen sie ihn in die Heimhütte unter das Strohdach und legten ihn auf
Klaas Klaaßens Bett. Mutter Stina schob einen Stuhl her und setzte sich
neben ihn und nahm seine Hand in ihre beiden alten Hände.

Nachher kamen die andern -- Trina und Klaus und Dora und Mutter Lassen.

Der kleine Klaus stellte sich gleich zu Großmutter hin und legte seinen
festen, starken Jungenarm um ihren Hals. So blieb er stehen.

Auch der Arzt kam späterhin, aber er sagte nur, daß es so sei.

Da weinte Mutter Lassen laut auf, und ihr heulendes Klagen schnitt in
die Stille. Peter saß immer am Fenster, den Kopf sehr tief in die Hand
gestützt. Er stand auf und nahm seine Mutter beim Arm. Ganz ruhig und
fast sanft führte er sie, aber er machte die Tür auf und schob sie
hinaus.

Sie blieb auch gehorsam in der Winternacht, bis das Weinen nachließ.

Peter setzte sich auf den alten Platz und stützte den Kopf wieder auf.
-- Es war, als könnten sie alle gar nicht mehr anders, als so still da
sitzen und vor sich hinsehn.

An dem Tage, als der Sarg kam und Jakob Lind bei ihnen eingetreten war,
saßen sie auch alle so. Als der Sarg aber geschlossen wurde, stand
Mutter Stina auf. Sie ging ein wenig zitterig -- und trat an den Sarg.
Leise streichelte sie über das schwarze Holz. -- „Leb’ wohl, Lars!“
sagte sie ganz leise, -- da schluchzte es in der Ecke, wo Trina saß,
einmal auf, als ob etwas zerbräche. Dann waren sie alle wieder still.

Aber als die Beerdigung kam, gingen sie schweigend herum und taten, was
sie mußten. Nur wenn man mit ihnen davon sprechen wollte, dann sahen
sie, wie aus der Ferne mit verständnislosem Blick die Leute an und
gaben keine Antwort. Dora zuckten dann die Lippen dabei. Aber Peter
kehrte sich um und ging fort.

Herr Asmussen war auch gekommen, und große, glänzende Tränen liefen ihm
über die Backen. Er stand am Sarge und schüttelte immerfort mit dem
Kopf. „So hoffnungsvoll -- und alles umsonst -- alles umsonst. -- So
ein Ende.“

Peter stand daneben. Da hob er den Kopf. „Nein, Herr Asmussen, das
sollen Sie noch sehn. Umsonst soll das nicht gewesen sein.“

Hinter Jakob Lind stand seine kleine, runde Frau, und ihre Brust hob
und senkte sich im leisen, hastigen Schluchzen. Jakob lief still Träne
um Träne in den Bart.

Aber noch weiter zurück die hohe, schmale Gestalt im schwarzen
Trauerkleid mit dem hellen Haar und dem blassen Gesicht sah immer nur
mit weiten Augen auf den Sarg.

Und dann hoben sie ihn auf und trugen ihn hinaus.

Mutter Stina stand und sah ihnen nach. -- Aber in dem weißen Nebel
verschwammen bald die dunklen Gestalten.

                              *         *
                                   *

Karen ging allein über die Koppeln zurück. Um sie her wogte und webte
es von kühlen, weißen Schleiern. Sehr nah und groß schimmerten die
weiß übersponnenen Bäume am Wege, und der Weg ging tief hinein in
das unergründliche Weiß. Manchmal kam ein kühler, streichender Atem.
Dann hob sich der Nebel ein wenig, und man sah einen Augenblick die
Bucht zwischen gespenstisch weißem Gewoge und hier und da ein dunkles
Segel; denn das Wasser war wieder offen. Dann blieb Karen stehen und
sah hinüber. Und immer wieder stieg es auf in ihr. „So ist das Leben.
-- Und wenn der Schleier wieder zugezogen ist, einen Blick habe ich
doch hinein getan -- dahinter aber ist das Meer.“ -- Und dann ging sie
wieder vorwärts mit ihrem jungen, festen Tritt.

Und auf einmal blieb sie stehen und sagte es in den Nebel hinein mit
dem klaren, festen Blick geradeaus: „Peter hat recht: umsonst war das
nicht, nein, alles, alles nicht. Ganz gewiß.“



Inhalt der +Grote+’schen Sammlung von Werken zeitgenössischer
Schriftsteller


    Otto Glagau, +Fritz Reuter und seine Dichtungen+. Neue,
    umgearbeitete Auflage. Mit Illustrationen. Geb. 4 M.

    Julius Wolff, +Till Eulenspiegel redivivus+. Ein Schelmenlied.
    Mit Illustrationen. Fünfundzwanzigstes Tausend. Geb. 4 M. 80 Pf.

    Julius Wolff, +Der Rattenfänger von Hameln+. Eine Aventiure.
    Mit Illustrationen von P. Grot Johann. Vierundsiebzigstes Tausend.
    Gebunden 4 M. 80 Pf.

    Wilhelm Raabe, +Horacker+. Mit Illustrationen von P. Grot
    Johann. Dreizehnte Auflage. Geb. 4 M.

    Friedrich Bodenstedt, +Theater+. (Kaiser Paul. -- Wandlungen.)
    Gebunden 4 M.

    Anastasius Grün, +In der Veranda+. Eine dichterische Nachlese.
    Dritte Auflage. Geb. 2 M.

    Julius Wolff, +Schauspiele+. Zweite Auflage. Geb. 4 M. 80 Pf.

    Carl Siebel, +Dichtungen+. Gesammelt von seinen Freunden.
    Herausgegeben von Emil Rittershaus. Gebunden 4 M.

    Wilhelm Raabe, +Die Chronik der Sperlingsgasse+. Neue Ausgabe
    mit Illustrationen von Ernst Bosch. Zweiundfünfzigste Auflage. Geb.
    4 M.

    Julius Wolff, +Der wilde Jäger+. Eine Weidmannsmär.
    Achtundneunzigstes Tausend. Geb. 4 M. 80 Pf.

    Hermann Lingg, +Schlußsteine+. Neue Gedichte. Gelb. 4 M.

    Julius Wolff, +Tannhäuser+. Ein Minnesang. Mit
    Porträtradierung. Zwei Bände. Zweiundvierzigstes Tausend. Geb. 8 M.

    Julius Wolff, +Singuf+. Rattenfängerlieder. Siebzehntes
    Tausend. Gebunden 4 M. 80 Pf.

    Julius Grosse, +Gedichte+. Mit einer Zuschrift von Paul Heyse.
    Geb. 4 M.

    Julius Wolff, +Der Sülfmeister+. Eine alte Stadtgeschichte.
    Zwei Bände. Siebenundvierzigstes Tausend. Gebunden 8 M.

    A. von der Elbe, Der +Bürgermeisterturm+. Ein Roman aus dem
    fünfzehnten Jahrhundert. Zweite Auflage. Geb. 7 M.

    Julius Wolff, +Der Raubgraf+. Eine Geschichte aus dem Harzgau.
    Achtundfünfzigstes Tausend. Geb. 7 M.

    Julius Grosse, +Der getreue Eckart+. Roman in zwölf Büchern.
    Zwei Bände. Zweite Auflage. Geb. 9 M. 60 Pf.

    Theodor Fontane, +Unterm Birnbaum+. Eine Novelle. Zweite
    Auflage. Geb. 4 M.

    Wilhelm Raabe, +Unruhige Gäste+. Ein Roman aus dem Säkulum.
    Fünfte Auflage. Geb. 4 M.

    Julius Wolff, +Lurlei+. Eine Romanze. Vierundsechzigstes
    Tausend. Geb. 6 M.

    Wilhelm Raabe, +Im alten Eisen+. Eine Erzählung. Fünfte
    Auflage. Gebunden 4 M.

    Arthur Drews, +Irold+. Eine Rhapsodie in sechs Gesängen. Geb.
    4 M.

    Julius Wolff, +Das Recht der Hagestolze+. Eine
    Heiratsgeschichte aus dem Neckartal. Siebenunddreißigstes Tausend.
    Geb. 7 M.

    Wilhelm Jordan, +Zwei Wiegen+. Ein Roman. Neue Ausgabe. Zwei
    Bände. Fünftes Tausend. Geb. 7 M.


Inhalt der +Grote+’schen Sammlung von Werken zeitgenössischer
Schriftsteller


    Guido List, +Carnuntum+. Historischer Roman aus dem vierten
    Jahrhundert n. Chr. Zwei Bände. Geb. 8 M.

    Julius Wolff, +Die Pappenheimer+. Ein Reiterlied.
    Vierundzwanzigstes Tausend. Geb. 6 M.

    Ernst Eckstein, +Murillo+. Dritte Auflage. Geb. 3 M.

    Ernst Eckstein, +Hertha+. Roman. Dritte Auflage. Geb. 8 M.

    A. von der Elbe, +In seinen Fußstapfen+. Roman aus Lüneburgs
    Vorzeit. Geb. 7 M.

    Großfürst Konstantin, +Gedichte+. In freier Nachbildung von
    Julius Grosse. Geb. 4 M.

    Julius Wolff, +Renata+. Eine Dichtung. Dreißigstes Tausend.
    Geb. 6 M.

    Anton Springer, +Aus meinem Leben+. Mit zwei Bildnissen. Geb.
    7 M.

    C. Gräfin von Haugwitz, +Eines Kaisers Traum+. Dichtung. Geb.
    4 M.

    Anton Ohorn, +Der Ordensmeister+. Eine deutsche Minne- und
    Heldenmär. Geb. 4 M.

    Hermann Lüders, +Unter drei Kaisern+. Malerfahrten. Mit 221
    Illustr. vom Verf. Zwei Bände. Geb. 9 M. 60 Pf.

    Ernst Eckstein, +Themis+. Roman. Zwei Bände. Geb. 9 M. 60 Pf.

    Julius Wolff, +Der fliegende Holländer+. Eine Seemannssage.
    Zweiunddreißigstes Tausend. Geb. 5 M.

    Ernst Julius Hähnel’s +Literarische Reliquien+. Herausgegeben
    von Julius Grosse. Geb. 6 M.

    Ernst Eckstein, +Der Mönch vom Aventin+. Novelle. Dritte
    Auflage. Geb. 4 M.

    Ludwig Ganghofer, +Doppelte Wahrheit+. Neue Novellen. Fünftes
    Tausend. Geb. 5 M.

    Maria Janitschek, +Atlas+. Novelle. Geb. 2 M.

    Ernst Eckstein, +Familie Hartwig+. Roman. Zweite Auflage. Geb.
    8 M.

    Maria Janitschek, +Pfadsucher+. Vier Novellen. Geb. 4 M.

    Julius Wolff, +Das schwarze Weib+. Roman aus dem Bauernkriege.
    Dreiundzwanzigstes Tausend. Geb. 7 M.

    Ernst Eckstein, +Kyparissos+. Roman. Zweite Auflage. Geb. 8 M.

    Julius Wolff, +Aus dem Felde+. Nebst einem Anhang: +Im neuen
    Reich+. Gedichte. Vierte, vermehrte Auflage. Geb. 2 M. 50 Pf.

    Konrad Telmann, +Bohémiens+. Roman. Geb. 6 M.

    Ola Hansson, +Der Schutzengel+. Roman. Geb. 4 M.

    Ernst Eckstein, +Roderich Löhr+. Roman. Zweite Auflage. Geb. 8
    M.

    Julius Wolff, +Assalide+. Dichtung aus der Zeit der
    provençalischen Troubadours. Sechzehntes Tausend. Geb. 6 M.

    Ernst Eckstein, +Adotja+. Novellen. Geb. 6 M. 50 Pf.

    Ernst Eckstein, +Die Hexe von Glaustädt+. Roman. Zweite
    Auflage. Geb. 8 M.

    Gustav Frenssen, +Die drei Getreuen+. Roman.
    Zweiundneunzigstes Tausend. Geb. 5 M.

    Julius Wolff, +Der Landsknecht von Cochem+. Ein Sang von der
    Mosel. Zwanzigstes Tausend. Geb. 6 M.


Inhalt der +Grote+’schen Sammlung von Werken zeitgenössischer
Schriftsteller


    Freiherr von Schlicht, +Die feindlichen Waffen+. Humor. Roman.
    Geb. 4 M. 50 Pf.

    Heinrich Steinhausen, +Heinrich Zwiesels Ängste+. Eine
    Spießhagener Geschichte. Geb. 5 M.

    Ludwig Ganghofer, +Das Schweigen im Walde+. Roman in zwei
    Bänden. Dreiundzwanzigstes Tausend. Geb. in 1 Band. 6 M.

    Julius Wolff, +Der fahrende Schüler+. Eine Dichtung.
    Vierzehntes Tausend. Geb. 6 M.

    Gustaf Dickhuth, +Wie der Leutnant Hubertus von Barnim sich
    verloben wollte und anderes+. Novellen. Geb. 4 M.

    Gustav Frenssen, +Die Sandgräfin+. Roman. Vierundfünfzigstes
    Tausend. Geb. 5 M.

    Robert Wendlandt, +Der Wendenhof+. Roman. Geb. 4 M. 50 Pf.

    Hermann Heiberg, +Reiche Leute von einst+. Roman. Geb. 4 M.

    Gustav Frenssen, +Jörn Uhl+. Roman. Zweihundertneuntes
    Tausend. Geb. 5 M.

    Victor Blüthgen, +Gedichte+. Neue, vermehrte Ausgabe. Geb. 4 M.

    Wilhelm Raabe, +Nach dem großen Kriege+. Eine Geschichte in
    zwölf Briefen. Dritte Auflage. Geb. 3. M 50 Pf.

    Hans Hopfen, +Gotthard Lingens Fahrt nach dem Glück+. Roman.
    Geb. 5 M.

    Julius Wolff, +Die Hohkönigsburg+. Eine Fehdegeschichte aus
    dem Wasgau. Sechsundzwanzigstes Tausend. Geb. 6 M.

    Johannes Trojan, +Auf der anderen Seite+. Streifzüge am
    Ontario-See. Geb. 3 M.

    Wilhelm Raabe, +Die Kinder von Finkenrode+. Sechste Aufl. Geb.
    4 M.

    Johannes Trojan, +Berliner Bilder+. Hundert Momentaufnahmen.
    Zweite Auflage. Geb. 4 M.

    Joseph Lauff, +Pittje Pittjewitt+. Ein Roman vom Niederrhein.
    Vierzehntes Tausend. Geb. 5 M.

    Adam Karrillon, +Michael Hely+. Roman. Sechstes Tausend. Geb.
    5 M.

    Julius Wolff, +Zweifel der Liebe+. Roman aus der Gegenwart.
    Neunzehntes Tausend. Geb. 6 M.

    Ernst von Wildenbruch, +Das schwarze Holz+. Roman. Vierzehntes
    Tausend. Geb. 5 M.

    Joseph Lauff, +Frau Aleit+. Roman. Zwölftes Tausend. Geb. 5 M.

    Gustav Frenssen, +Hilligenlei+. Roman.
    Hundertachtundzwanzigstes Tausend. Geb. 6 M.

    Adam Karrillon, +Die Mühle zu Husterloh+. Roman. Fünftes
    Tausend. Geb. 5 M.

    Fritz Philippi, +Adam Rotmann+. Ein Leben in der Zelle. Roman.
    Geb. 4 M.

    Gustav Frenssen, +Peter Moors Fahrt nach Südwest+. Ein
    Feldzugsbericht. Hundertfünfunddreißigstes Tausend. Geb. 3 M.

    Wilhelm Raabe, +Halb Mär, halb mehr+. Erzählungen, Skizzen,
    Reime. Zweite Auflage. Geb. 4 M.

    Julius Wolff, +Das Wildfangrecht+. Eine pfälzische Geschichte.
    Siebzehntes Tausend. Geb. 6 M.

    Joseph Lauff, +Die Tanzmamsell+. Roman. Zwölftes Tausend. Geb.
    5 M.

    Ernst von Wildenbruch, +Lukrezia+. Roman. Zwölftes Tausend.
    Geb. 6 M.

    F. Hugin, +Durch den Nebel+. Roman. Geb. 4 M.

    Joseph Lauff, +Sankt Anne+. Roman. Geb. 5 M.





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