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Title: Durch den Nebel Author: Hugin, F. Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Durch den Nebel" *** images of public domain material from the Google Books project.) #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1908 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Zitate sowie regional gefärbte Ausdrücke wurden nicht korrigiert. Fußnoten wurden der Übersichtlichkeit halber an das Ende des jeweiligen Kapitels verschoben. Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter erstellt. Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ #################################################################### G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung in Berlin Vom gleichen Verfasser ist erschienen: Hahn Berta Drittes Tausend Eine Erzählung Drittes Tausend 205 Seiten. Duodez. Kart. 2 M., geb. 3 M. Das ist ein ganz vortreffliches Buch, eins jener wenigen, die man wiederholt mit Genuß liest, deren ganze Schönheit sich sogar nur dem erschließt, der sich mehr als einmal in sie vertieft. Neben dem von der stillen, verschüchterten Mutter ererbten redlichen Sinn ist in Berta Hahn, der Tochter des Häuslers Hahn, eine wild gärende Kraft, die sich unter allen Umständen auf eigenen Bahnen durchzusetzen trachtet. Von dem Reichtum an innerem Erleben, das in diesem Buche geschildert wird, kann ich nicht einmal eine Andeutung geben. Der Dichter geht den Seelenregungen der von ihm mit großer Kunst charakterisierten Menschen liebevoll nach und hat in den Gestalten der Hahn Berta und ihres Vaters Vortreffliches geleistet. Von großer Schönheit sind die Naturschilderungen. Sie sind niemals um ihrer selbst willen da, sondern aufs innigste mit der Handlung verwoben. Die Schilderungen des Waldbrandes und der Wanderung Bertas durch den toten Wald sind bedeutend. Das Buch verdient die Beachtung aller Leser, die von einer Erzählung mehr als Unterhaltung verlangen. Leipziger Neueste Nachrichten vom 24. 8. 1907. Wenn ein Buch Berechtigung hat, von jedermann -- hoch oder niedrig -- gelesen und beachtet zu werden wegen der Allgemeingültigkeit seines Inhalts, der genialen Befähigung der Menschenprägung und der Folgerichtigkeit ihres Entwicklungsganges, sowie wegen seiner eigenartigen, herben, an Hebbel erinnernden klassischen Sprache, so ist es dieses Werk. Es müßte ein Besitz aller Volksbibliotheken werden. Gerade nach diesem Buche müßten alle diejenigen greifen, die heute der deutschen Nation das Beste bieten wollen: das auf Verstand, Gemüt und Nachdenken Wirkende, und die in Taten umgesetzte Religion. Tägliche Rundschau vom 30. 4. 1908. Grote’sche Sammlung von Werken zeitgenössischer Schriftsteller Vierundneunzigster Band F. Hugin, Durch den Nebel Durch den Nebel Roman von F. Hugin [Illustration] Berlin 1908 G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Titel- und Einbandzeichnung von Heinrich Vogeler-Worpswede. Druck von Oscar :::: Brandstetter in Leipzig :::: Inhalt Seite Einleitung 1 Kapitel I 2 Kapitel II 12 Kapitel III 18 Kapitel IV 25 Kapitel V 30 Kapitel VI 39 Kapitel VII 51 Kapitel VIII 56 Kapitel IX 68 Kapitel X 78 Kapitel XI 86 Kapitel XII 97 Kapitel XIII 104 Kapitel XIV 112 Kapitel XV 123 Kapitel XVI 135 Kapitel XVII 144 Kapitel XVIII 155 Kapitel XIX 164 Kapitel XX 177 Kapitel XXI 187 Kapitel XXII 194 Kapitel XXIII 201 Kapitel XXIV 213 Kapitel XXV 219 Kapitel XXVI 225 Kapitel XXVII 237 Kapitel XXVIII 245 Kapitel XXIX 256 Kapitel XXX 266 Kapitel XXXI 273 Kapitel XXXII 276 Durch den Nebel Die See ist es. Die See mit ihrem grauen Nebel und ihrem starken Wind. Der Wind langt herüber und knickt alles, was klein und schwach ist, und wirft es fort, daß die Wälder dastehn in großen, geschlossenen Massen, unbeugsam, feierlich. Und die schlichten, ruhevollen Formen der Koppeln umschließen die wogenden Weiten. Dazwischen singt die See ihr Lied, die alte, graue Mutter; und selbst wenn es in kleinen sonnigen Wellen auflacht, es hat immer etwas Geheimnisvolles, daß der Mensch vor ihr steht, ehrfürchtig, fast feierlich. So bildet die See auch ihn. Sie läßt ihm nichts Kleinliches, und die bewegliche Lustigkeit gewöhnt sie ihm ab. Die große Ruhe um ihn her macht ihn still, und er lernt bald, schweigend hineinsehen in das große Nebelwogen und warten auf ein Kommendes, auf das große Geheimnisvolle. Und über dem Stillesitzen und Warten wird er oft grau und alt und hat darüber die Zeit der Tat verpaßt. Dann lachen seiner die klirrenden Stürme; denn die See ist unbarmherzig und liebt nur das Große, -- auch die große Tat. Kapitel I Er hatte so sonderbare Augen. Die Farbe hatten sie von der See. Und er sah sie auch fast immer an, die wogende, atmende, in ihrer Unruhe ewig ruhende See -- wenn er im Riedgras lag. Und er lag dort oft. Mit den andern Kindern auf dem Hof hatte er wenig gemeinsam. Er spielte lieber mit der See. Er lief mit bloßen stämmigen Beinen hinein, und wenn die großen grünen Wellen gelaufen kamen, riß er aus. Oder er watete von fern hinter den Krabbenfängern her, wenn es silbern von ihrem Netze traufte und sich die Ufer tief im Wasser spiegelten. Oder wenn die See ihr Lied sang und in eintönig platschendem Jubelton auf die Steine schlug, dann saß er auf den Steinen und sang auch, -- sang ein Lied nach dem andern. Aber wenn die Sonnenstrahlen heiß zwischen dem storren, blauen Strandgras lagen, war er dort. Und er sah in die See hinein mit seinen großen, ernsten Augen. Die Ostluft streichelte ihm die Backen warm und salzkräftig. So still saß er, daß die Möven seiner nicht mehr achteten. Sie schimmerten in der Luft wie weiße Blitze, und wenn sie ins Wasser tauchten, gab es einen silbernen Ring. Ihr Schrei klang wild und frei und unbarmherzig wie das Meerlied. Dann sah er sich nachdenklich nach ihnen um, wenn sie so jäh aufschrien, und dann lachte er leise. „Lars! Lars!“ rief die Mutter, aber er rührte sich gar nicht. -- Sie wußte aber lange, wo er zu finden war. Sie wurde auch nicht zornig, wenn sie rufend fast über ihn stolperte im langen Riedgras. Sie zog ihn nur in die Höhe und hielt ihn fest am Handgelenk, wenn sie wieder nach dem Hof hinauf ging. Der Hof hatte ein überhängendes Strohdach und weiße niedere Wände. Mitten zwischen den Gebäuden stand ein Brunnen. Dort plätscherte und klatschte und murmelte ein Wasserstrahl, besonders des Nachts hatte er viel zu sagen. Wenn Lars nicht am Strande war, unterhielt er sich mit dem Wasserstrahl. Lars’ Vater stand mit der Pfeife im Mund an der Haustür. Dort stand er fast so oft, wie Lars am Strande saß. Und wenn Mutter ihn rief, lachte er freundlich, aber er kam auch nicht. Christian Asmussen war überhaupt ein freundlicher Mann. Die Leute mochten ihn fast alle gern. Sie fanden auch, daß er ein hübscher Mann wäre mit seinen freundlichen blauen Augen. Nur ein wenig dick und ein wenig rot und gedunsen war er geworden. Aber wovon das kam, wollten sie nicht so gern sagen; denn sie hatten ihn eben alle gern. Auch die kleinen Leute mochten ihn wohl leiden, denn er vertrat oft ihre Sache, und für den Armen saß ihm das Geld lose in der Hand. Darum sahen sie auch an dem großen Loch im Strohdach vorbei, das sie nun schon fünf Jahre kannten. Und daß jedes Jahr ein paar Kühe weniger auf der Koppel gingen, wollte man nicht recht bemerken. Man lachte nur, wenn Frau Asmussens ernstes Gesicht mit den ängstlichen Augen abends im Kruge bei Triensen erschien. Sie schob sich dann langsam bis hinten nach dem Stammtisch vor, wo ihr Mann saß, und tippte ihm auf die Schulter. „Crischan“, sagte sie, „Crischan.“ „Gleich, gleich“, machte er dann. Aber manchmal kam er auch mit, und manchmal schwankte er ein wenig. Dann lachten die andern noch mehr und sahen der Frau nach und sagten: „Die Stackel!“[1] Aber was sie auch sagten, Frau Asmussens Gesicht veränderte sich nicht. Es lag etwas darüber, als wäre es in einem großen Schweigen stehn geblieben und könne sich nie mehr regen in aufzuckendem Zorn oder lachendem Scherze. Und in dem Schweigen hatten sich tiefe Linien hineingegraben um den festgeschlossenen Mund und die angstvollen Augen. Sie sah viel älter aus als der freundliche Herr Asmussen. * * * „Ja“, sagte Herr Asmussen, „wenn wir also Geld hätten, dort könnten die Schuppen wohl stehn; meinst du nicht auch, Stina?“ Und er machte eine großartig deutende Bewegung nach der Koppel links vom Hof. „Ja, Crischan, aber wir haben doch nun keins.“ „Ach was! Zwei müßten es sein, oder meinst du, eine wäre genug?“ „Aber Crischan!“ „Ach was! Es ist mächtig viel gewachsen dies Jahr; wenn es so weitergeht, wird es ein gutes Jahr, ein richtig gutes Jahr, ich glaube, wir brauchen zwei. -- Ich meine ja nur Schuppen, billige Holzschuppen, keine richtigen Scheunen.“ -- „Crischan, du +weißt+ es aber doch.“ -- „Ach was, na, ich werde mal nachsehen, wieviel noch da ist.“ „Das tu, du hast lange nicht gerechnet.“ Mutter Asmussen saß im Schatten der Kastanie mit ihrem Strickzeug. Es war spät nachmittag. Sie hatte Lars beredet, daß er einmal bei ihr blieb. Es hatte noch mancherlei mitgeholfen beim Bereden: die großen, gelben Sonnenlichter, die zwischen den Kastanienblättern breit aufs bläuliche Gras fielen, die große, weiße Pfingstrose und die Libellen, die ihm mit surrendem Wehen fast die Nase streiften. Er lag im Gras auf dem Rücken und konnte ein kleines Stücklein Blau zwischen den breiten dunklen Blättern sehn, und ein weißes Blütenlicht ragte hoch und steil in das Blau hinein. Der Mai war gerade zu Ende. Und es war die Zeit, da sich in dem nordischen Lande die Erde fertig besonnen hat und nun mit Macht herausbricht in unaufhaltsamer Frühlingswonne. Sie ist lange spröde und zurückhaltend gewesen, nun ist sie über sich selbst errötet in lastenden Blüten. Kein Busch und kein Wiesenfleck, wo nicht der wallende Jubel heraufdrängt in üppigen, lachenden Farben, und noch weit hinaus zwischen dunklem Ackerland ziehn sich die weißen Hecken wie Kränze um ein lachend junges Haupt. Eine Zeit waren sie ganz still, Lars und seine Mutter, und man hörte das surrende Schwirren der Libellen; dann fing sie leise an, wie zu sich selbst zu sprechen. Lars rührte sich nicht, aber er hörte auf jedes Wort. Und sie erzählte ihm von den zweien, die nicht mehr da waren, dem stämmigen Bruder und der kleinen, blonden Schwester, und daß sie in den Himmel gegangen wären und dann Lars heruntergeschickt hätten zur Mutter. Und wie gut sie es hätten dort oben, sagte sie. Und Lars sah durch das wundersam blaudämmrige Netzwerk der Kastanie hinauf zu dem Himmelsflecklein und sah eine große blaue Halle mit zahllos weißen Blütenlichtern geschmückt, und Leute mit goldenen Kleidern gingen dort und winkten zu ihm nieder. Und Mutter redete weiter, wie Lars nun groß und stark werden würde, und wie gut er würde und klug, denn die Geschwister aus dem Himmel hätten ihn doch der Mutter geschickt. Und Lars saß auf einem großen, goldenen Wagen, da drin war die Mutter, und Lars hatte vier Pferde vor sich. -- Peter Lassen hatte ihm in der Schule von Bauer Toms erzählt, der hätte einmal vier Pferde vor dem Wagen gehabt. -- Und neben Lars stand ein Sack mit Gold, und da griff er hinein und schenkte dem alten, lahmen Tumpe-Jens und Miete Juste, der alten Fischfrau, und dem kleinen kranken Steffen Maas. „Und dann baust du schöne, große, neue Scheunen“, sagte Mutter. Und er dachte, wie Maurer Pertersen den nassen Lehm auf die Steine schmierte, und wie fein die Balken dadrin zusammengepaßt würden. Und dann hämmerte er und probierte und baute so groß und mächtig, und von dem, was Mutter sonst noch sagte, hörte Lars kein Wort, denn er war nun ganz bei der Arbeit. Und mitten in das Sommergeschimmer und das Schwirren und Summen und das eintönige Reden fiel es wie ein Stein ins Wasser: „Justina“, rief der Vater. Da ging Mutter in das Haus. -- Aber noch ganz in Träumen mit dunklen Augen, die nach innen sahen, stand der kleine Lars auf und ging an den Tisch, wo Mutters Arbeitszeug lag. Und die Stricknadeln bohrte er in den Tisch und zog die Näharbeit aus der Arbeitstasche und machte das Dach damit. Und mit der Strickerei und der Leinwand machte er die Wände und nähte alles schön fest aneinander und um die Stricknadeln herum, so daß es eine feine Scheune geworden war, als Mutter zum Abendbrot rief. Aber er erzählte weiter nicht davon, denn Vater sah mißmutig aus beim Essen und sprach nicht mit ihm. Mutter aber schwieg auch. Und es war so etwas wie eine Beklommenheit in der Stube. Sie hatten Lars voriges Jahr zu Ostern in die Schule gegeben. Er war noch kaum schulpflichtig, aber Vater hatte es gewollt, weil der Junge doch so klug war. Er meinte, er werde Ehre einlegen. Aber es war erst gar nicht recht gegangen in der Schule. Es gefiel Lars dort nicht, und so blieb er fort. -- Er ging wohl von Hause weg mit dem großen Schulranzen, wenn es Zeit war, aber weiter wußte dann bis Mittag keiner etwas von ihm, am wenigsten der Lehrer. Aber Herr Asmussen hatte nur dazu gelacht. Und seitdem die zwei kleinen Gräber auf dem Kirchhof waren, hatte Mutter das Schelten ganz verlernt. Als aber eine Mahnung kam von der Polizei wegen Schulversäumnis, da hatte sich Vater geräuspert, den Bart glatt gestrichen und Lars gerufen. Und Lars hatte sehr große, ernste Augen gemacht, als er hörte, daß die Polizei ihm einen Brief geschrieben hatte. Aber in diesem goldenen Sommer saß es sich besonders schlecht in der dumpfen Schulstube. Da draußen war alles von Gold. Von den Sonnenstrahlen triefte es, und auf den weiten Koppeln stand es aufrecht und rauschte, und abends, wenn die Sonne sank, lag es breit auf der flimmernden See, und die Möven trugen es zwischen den Flügeln bis hinauf zu den goldenen Toren, wo die Sonne in goldgrünen Weiten ertrank. Und Lars stand am Waldrand und hörte es dort drin aus den kleinen Vogelstimmen rinnen, wie goldene Tropfen, bis die Vögel in schlummernder Dämmerung zur Ruhe gingen oder verstummten in der satten Sommerwärme. Herr Asmussen hatte zur Erntezeit ein paar Arbeiter mehr gemietet, um die goldenen Schätze sicher zu bergen. Und es war gut, denn gegen Ende der Erntezeit schlug das Wetter um. Aber als das eintönige Klatschen der großen Tropfen Tag aus Tag ein auf der Steinstufe vor dem Hause erklang, da war der größte Teil der Ernte geborgen. Was nicht in die enge, alte Scheune ging, das stand in Diemen auf der Koppel. Und Herr Asmussen stand mit der Pfeife im Mundwinkel unter der Haustür und lächelte in das rinnende, fließende, platschende Grau. Aber als er noch ein paar Tage so hinausgesehn hatte, wollten die Augen nicht mehr mit den Lippen lächeln. Und als nach einer Woche noch immer der klatschende Ton auf der Stufe klang, spuckte er manchmal rasch seitwärts hinaus und fluchte dazu. Und mit zornigen Stapfen stieg er zwischen den großen Wasserlachen hindurch nach dem Felde, wo die Diemen standen. Von den dunklen Diemen sickerte es sachte -- sachte, und täglich sahen sie trübseliger und finsterer aus, und Herr Asmussen ging rund herum und stocherte mit dem Stock darin, und schüttelte mit dem Kopf und murmelte halblaute Worte. Und dann ging er wieder zurück und stand in der Haustür und spuckte in den Regen. Aber als das graue Tuch noch Tag um Tag über dem Land gebreitet lag, fuhr er die Mutter oft im Zorne an: „Die Schuppen, die Schuppen, na siehst du es nun?“ Aber Mutter sah noch ängstlicher drein und sagte kein Wort. [1] Die Arme. Kapitel II Es war nun kein Zweifel mehr, die goldenen Schätze des Sommers waren verloren gegangen. Das Korn in den Diemen war verfault. Wenn Mutter jetzt des Abends im Wirtshaus Herrn Asmussen auf die Schulter tippte: „Crischan, Crischan,“ sagte er nicht einmal: „Gleich, gleich;“ er ruckte die Schulter zur Seite und sah in die Karten oder in seinen Grog. Und einer von den Stammgästen mußte ihn fast jeden Abend am Arm nach Hause führen. Und es kam eine Nacht, in der horchte Mutter Stunde um Stunde auf den tiefen Schlag der Uhr draußen auf der Diele. Aber Herr Asmussen kam nicht. Ticke-tack! sagte die Uhr, und Mutter hörte den harten Klang in der Kammer. Und es war ihr, als schreite die Zeit mit harten Füßen über sie hin, weiter -- weiter, über Lust und Leid, weiter -- weiter. Und es war, als müßte sie halten und hemmen, aber es ging weiter, ticke-tack, mit harten Füßen weiter -- weiter. Da konnte sie es nicht mehr ertragen im Bett, zog sich hastig an und ging zu Lars hinein. Lars warf sich im Bette hin und her, und endlich machte er langsam die Augen weit auf. Da stand wahrhaftig im Mondschein Mutter an seinem Bett, ganz still, und starrte und starrte Lars ins Gesicht. Und ganz schlaftrunken sah Lars wieder hinauf, ohne sich zu regen, noch halb im Traume, aber in großem Verwundern. Und als sie sich so eine Weile angesehen hatten und draußen mit harten Tritten die Zeit weiterging, da kam ein Ton. -- -- Mutter fuhr zusammen und ging zur Tür hinaus, aber Lars war nun völlig wach und setzte sich im Bette auf. Da kam der Ton wieder -- ein lautes, dröhnendes Klopfen an der Haustür. Und dann kam es herauf aus der dunklen, stillen Nacht, ein unheimlicher Klang um den andern. Es durchzog das stille Haus, und Lars saß zitternd in seinem Bett und lauschte. Erst war es wie das Scharren von vielen Füßen, gedämpft, als träten sie leise auf, und ein Flüstern und Raunen, wie von leisen Männerstimmen, und dann ein Rücken und Poltern und wieder das Raunen und Scharren. So ging es eine Weile und wollte nicht verstummen. Lars hätte gerne geweint vor Angst, aber er wagte es nicht. Dann klangen die Laute wieder auf der Diele, und dann schlug dumpf die Haustür, und nur die alte Uhr ging ticke-tack über der Menschen Lebenswege weiter. Der Mond schien nicht mehr ins Zimmer. Die Dunkelheit lag über Lars wie eine erstickende Decke. Aber aus der schwarzen Tiefe kam noch ein Klang bis zum kleinen lauschenden Jungen. Es währte eine Weile, bis er ihn unterschied; dann wußte er endlich, was es war. Von nebenan aus der schrecklichen Nachtstille kam ein Schluchzen, ein herzbrechendes Weinen. Er wußte selbst nicht, woher ihm der Mut gekommen war; aber auf einmal lief er draußen über die Diele, und seine kleinen bloßen Füße klatschten auf die Steinfließen. Unter der Tür zum Schlafzimmer der Eltern lag ein heller, gelber Schein. Da schob er sich leise ins Zimmer. Vater lag auf seinem Bett, den Kopf ein wenig hintenüber, und er sah so sonderbar aus. Mutter aber kniete auf der Erde und schluchzte und schluchzte. Und auf einmal packte Lars das Grausen noch ärger als vorhin, und er hastete hinaus und in sein Bett. Die Decke zog er weit hinauf und lag noch lange mit weit offenen Augen zitternd da. * * * Es tat den Leuten allen leid. Und Herrn Asmussens Freunde kamen alle mit ihren Frauen. Und die Frauen setzten sich auf das gute Plüschsofa und hatten das Taschentuch in der Hand und sagten schöne, tröstliche und fromme Dinge. Aber Frau Asmussens Gesicht lag immer unter dem großen Schweigen. Sie sah zur Seite und sagte meist kein Wort. Da gingen sie wieder und fanden, daß man ihr die niedere Herkunft anmerke. Auch von den kleinen Leuten kamen manche, die sahen ihr fest in die Augen und gaben ihr still die Hand. Und manche sagten ihr, daß ihnen Herr Asmussen da und da geholfen hätte, und daß sie ihn nicht vergessen würden. Aber sie konnten es doch alle nicht ändern, daß die fremden Männer kamen und in Herrn Asmussens Büchern rechneten und durch das Haus gingen und auf die alten edelgeformten Spiegel und Stühle und auf die glänzenden neuen Möbel Zettel klebten. Und im Stall und der Scheune redeten sie breit und laut; und in der Küche saß die Magd am Tisch und weinte; und der junge Knecht ließ sich von dem alten noch einmal sagen, wie es zugegangen sei, daß der gute Hof so verschuldet wurde, und daß für den kleinen Lars, nun da seinen Vater im Rausch der Schlag gerührt habe, so gut wie gar nichts geblieben sei. * * * Es war an einem windigen Wintertage. Die öde, graue Kälte drängte und pfiff ums Haus und trachtete schon Besitz zu nehmen von den herrenlosen Räumen. Mutter hatte Lars bei der Hand genommen und war noch einmal in jedes Zimmer gegangen. Und es war als atmeten die alten Möbel und sprächen mit einer leisen singenden Stimme und als strömten sie eine Wärme aus trotz der frostigen Öde vor den Fenstern. Dann hatte sie den Mägden und Knechten die Hand gegeben. -- Lars’ Hand war ganz naß, weil Trina so darauf geweint hatte. Und dann fuhr der Wind in Mutters kümmerliches, schwarzes Kleid und wippte den Crêpeschleier auf ihrem Hute auf und nieder. Aber Mutters stilles Gesicht zuckte nicht; es war nur noch schmaler und blasser. Sie hielt Lars ganz fest und ging zum Wagen. Da packte sie den Jungen warm ein, und dann setzte sie sich neben ihn. -- Kutscher Maaß schlug mit den Zügeln und schnalzte mit der Zunge, dann rasselten sie fort. An der Ecke sah sich Lars noch einmal um. Er wußte ganz genau, daß es ein Abschied war fürs ganze Leben. Er sah das große Strohdach mit dem Loch und den Wasserstrahl vom Brunnen mitten im Hof, und es war, als ginge etwas entzwei in seiner kleinen Brust; aber er sagte kein einziges Wort, und Mutter hatte sich nicht einmal umgesehen. Kapitel III Zuerst war es wie ein würgender Schmerz abends, wenn er im Bett lag. Er drückte dann die Augen fest zu und versuchte zu fühlen, daß er in seiner Kammer war, daheim auf dem Hof. Er dachte an den tiefen Schlag der Uhr auf der Diele, und dann war es auf einmal Morgen, und er stand draußen unter der Kastanie, und Sommertag war es, blauer, golddurchwirkter Sommertag. Und die See rauschte. Er lag im Strandgras, und die See rauschte. Hier rauschte sie nicht so laut. Hier war sie fast überall begrenzt von hügeligen Ufern. Dafür lag aber Großvaters Haus hart am Strand. Mit der Zeit kam das furchtbare Würgen und Hungern nach den weißen Mauern, nach dem plätschernden Wasserstrahl, nach dem warmen Kuhstallduft und den tausend andern Dingen seltener und seltener, und es lag über dem allen wie ein dunstig blauer Schleier, bis sie mehr und mehr verschwammen. Dafür aber nahmen die Dinge um ihn her an Saft und Farbe zu. Sie saßen in einem kleinen Hause, aber sie saßen warm und gut, die beiden Heimatlosen. Es war still um den kleinen Jungen, denn der alte Fischer Klaas Klaaßen war ein stiller Mann. Mutter Justina und ihr alter Vater waren aus einem Holz geschnitten, und sie hatten sich nicht viel zu sagen. Aber sie hatte sich nicht weiter besonnen und war mit ihrem Kinde zu ihm gekommen, als sie im Unglück saß. Klaas Klaaßen hatte keine Worte gemacht. Er war vom Fischen zu Hause geblieben, obgleich er wußte, daß die Heringe in der Föhrde waren und das Wetter gut war, und hatte wie verzweifelt in der alten Truhe gesucht und im Schrank, wo Mutter-selig das Bettzeug aufhob. Und die guten Tassen hatte er auf den Tisch gestellt und sein Sonntagszeug angezogen. Und so saß er schon lange auf dem Lehnstuhl, als sie ankamen. Dann hatte er bald Lars zwischen seine Knie gestellt und ihm immer mit der harten, schweren Hand über den hellen Kopf gestrichen. Lars aber sah ihm fest in die freundlichen Augen, die so aussahen, als blickten sie von weit -- weit her und hätten dort wunderlich ernste Dinge gesehn. Es mochten die guten Augen sein, die immer von Treuhalten reden wollten, oder war es der Schalk, der irgend wo zwischen den Runzeln versteckt saß -- aber Lars faßte ein Zutrauen zu seinem Großvater. * * * Seit seine Kinder in die Welt hinaus waren und seine alte Frau ihre erste große Reise ohne ihn hatte antreten müssen, hatte Klaas Klaaßen nur einen einzigen Freund. Des Sonntags, wenn er nicht hinausging, und an langen Winterabenden, da redete er manche Stunde mit ihm. Seine alte Stina-Marie hatte sich schon weidlich über diesen Freund geärgert, und damals war er doch noch stiller und kleiner gewesen. Fischer Klaaßen war immer einer von den Ordentlichen und hatte manchen Pfennig zurückgelegt. Mutter Stina-Marie aber war geizig mit dem Geld, denn sie wollte alles für die Kinder zurückgelegt haben. Aber Klaas Klaaßen war eigensinnig, und wenn er doch nicht trank und nicht spielte, so wollte er wenigstens seinen Freund haben. Und so hatte er sich ein Harmonium gekauft. Er studierte in den Büchern und probierte und probierte wieder, bis er es endlich heraus hatte. Und nun saß er mit seinen schweren, steifen Händen und einem versonnenen Gesicht; aber einem Licht in den Augen, wie ein Jugendschein, Stunde um Stunde, und redete mit seinem Freunde. Und seit die Alte tot und die Kinder versorgt waren, hatte er sich ein größeres erstanden. Und nun quoll und brauste es manchmal im Dämmern aus der Strohdachhütte, daß die Nachbarn die Köpfe schüttelten. Aber die Töne woben und breiteten sich über den kleinen Garten hin und weit hinauf in die alten Eschen und bis hinunter an das weite, graue Wasser. Und die Eschen und die wogende Weite gaben Antwort in tiefem ernsten Rauschen. Die alte Stina-Marie hatte es nicht recht ertragen können, dies endlose Brausen und Rauschen, und war manchmal zu ihrer Schwestertochter hinüber gegangen, die in der Nähe wohnte. Das hatte Klaas Klaaßen nicht weiter gestört. Aber nun war es anders. Seine Tochter Justina Asmussen hörte dies ernste Tönen gern. Sie saß dann über ihre Arbeit gebeugt mit ihrem stillen, schmalen Gesicht und sann in sich hinein. Lars hatte es gleich gefaßt, wie ein Zauber. Und Großvater sah gütig zur Seite, wo der kleine Junge neben ihm lehnte mit weit offenen Augen, und spielte ein Lied, das er kannte, und brummte es leise vor sich hin; und erst leise und immer lauter und heller fiel die frische Kinderstimme ein, bis es ihnen endlich zur Gewohnheit wurde, so zusammen Musik zu machen in dem engen, traulichen Gehäuse vor der stillen Frau im spärlichen Trauerkleide. Manchmal nahm Großvater den Jungen mit hinaus aufs Meer. Um ihn wogte es und wallte, zischte und klatschte, und seine Freunde, die Möven, waren dicht um ihn her. Er hielt sich mit beiden Händen fest an dem Brett, auf dem er saß, und staunte hinein in das Auf und Nieder des grauen Geschiebes. Er wagte kaum zu atmen und sprach kein einzig Wort. Aber es war eine Luft in ihm und ein jauchzendes Entzücken. Lars hatte aber noch eine Freude: sein Freund Peter Lassen wohnte seit einiger Zeit in dem andern Strohdachhause dicht am Strand. Fischer Lassen war vor kurzem hierhergezogen. Nun gingen die zwei wieder wie sonst zusammen den weiten Weg in die Schule. Und seit er größer geworden war, erlaubte Lars dem andern mitunter, am Strande mit ihm zu spielen. Einem andern hätte Lars das nie gestattet, denn er war am liebsten für sich mit der See und seinen wunderlichen Gedanken. Aber Peter Lassen war ein Fischerkind und kannte die See und wußte manches zu erzählen, denn er war älter als Lars. Und er hatte schon manche Erlebnisse mit der grauen, wogenden Alten. Sie hatte ihn wieder mit feinen, unsichtbaren Fingern herangezogen, die graue, ruhelose See. Ihr brausendes Lied und ihre stille Weite durchwoben sein Denken und Fühlen, daß er ihr verstrickt ward mit tausend unsichtbaren Fäden. Es kamen wenig Menschen ins Fischerhaus. Dem raschen, unruhigen Peter Lassen mit seinen hübschen, klugen Blauaugen war es wohl in dem warmen Gehäuse. Dort konnte er lange brav und still hocken, und Frau Lassen sagte, Mutter Asmussen habe nähere Bekanntschaft mit ihrem Jungen als sie selbst. Zwei- oder dreimal war oben vom Flecken Kaufmann Asmussen, Lars’ Vatersbruder, bei ihnen eingekehrt. Er sah dem freundlichen Herrn Christian ähnlich, nur etwas Würdigeres hatte er. Er sprach väterlich gütig mit dem kleinen Lars, und seine Stimme hatte einen Klang, als hole er sie tief aus seinem behäbigen Fett herauf. Und er klopfte ihm auf den Kopf und fragte nach seinen Schularbeiten und sprach laut, als ob Lars noch nicht verstehen könne, und mit einem scherzenden Klang. Lars mochte den Onkel nicht, und als er ihn einmal mit hinaufnahm, um mit seinem kleinen Mädchen zu spielen, sagte er vor Zorn den ganzen Nachmittag kein Wort. * * * Es war an einem Sonntagnachmittag. Lars hatte mit Peter Lassen eine weite Entdeckungsfahrt den Strand hinunter gemacht. Da kam ihm Onkel Gust in der Haustür entgegen. Er hielt Lars’ Hand fest und klopfte ihm auf die Backe, sagte ein paar freundliche Worte mit seiner dicken Stimme und ging dann lachend weiter. Als Lars in die Stube kam, saß Großvater am Harmonium, aber er spielte nicht. Er hatte die Hände auf die Knie gestützt und sah still und steif vor sich hin. Aber Mutter hatte die Hände vor dem Gesicht, und als Lars an der Tür stehn blieb und sich mit großen verwunderten Augen umschaute, da sah er, daß ganz, ganz langsam große Tropfen durch Mutters Finger rannen und ganz, ganz langsam auf das schwarze Kleid fielen. Kapitel IV Es war in der guten Stube mit den roten Plüschsesseln und den vielen Nippsachen. Das Dämmerlicht war ein wenig bedrückend, weil die gehäkelten Gardinen fast das Fenster deckten. Und die ganze Luft hatte etwas Drückendes, denn Frau Henriette Asmussen war erregt. Sie saß auf einem der roten Plüschsessel und sprach scharf, und die Worte fielen wie das Hackmesser in der Küche. Aber Herr Asmussen ging lächelnd auf und ab und pfiff zuweilen ein wenig. Das war schwer zu ertragen, denn Frau Henriette war noch dazu müde. Sie hatte den ganzen Morgen in der Küche gestanden, denn das Mädchen verwandte zu viel in der Wirtschaft, und am Nachmittag hatte sie dem Kommis auf die Finger gepaßt. Sie mochte das Getändel mit den Käufern und besonders den Käuferinnen nicht leiden. Auf all so was mußte Frau Henriette achten, und in die Bücher mußte sie sehen, denn den Männern war nirgends zu trauen. Und nun war sie gereizt, weil sie müde war und Herr Asmussen wieder ins Wirtshaus wollte; und der Lehnstuhl ächzte unter ihr. Aber Herr Asmussen war gar nicht müde; denn er hatte nur morgens ein paar Stunden mit seiner schweren, goldenen Uhrkette gespielt und ein paar Kunden wohlwollend auf die Schulter geklopft. -- Jetzt aber hatte er allerhand Neues gehört am Stammtisch; und seine Freunde hatten bei Herrn Asmussens Reden zugehört, als würde ihnen aus der Zeitung vorgelesen, mit andächtigem Kopfnicken. So etwas hatte Herr Asmussen gern. -- Und darum lächelte er jetzt behaglich und pfiff leise vor sich hin, bis Frau Henriette es nicht mehr aushielt und fast kreischend auffuhr mit hellen, glitzerigen Augen, dunkelrot im Gesicht, daß der gute Lehnstuhl fast umgeschlagen wäre. Und derweilen saß mit traurig dunklen Augen der kleine Junge in der Ecke beim Nippschrank und hörte zu. Es war eine ganz neue Erfahrung in seinem Leben. Vater hatte wohl einmal zornige Worte gebraucht, aber Mutter war dann nur noch leiser geworden, und dann hatte Vater bald wieder gelacht. Und bei Großvater waren sie alle still bis auf „Perle“ mit seinem Gekläff und manchmal Peters lachendes Schwatzen. Hier lag das Lärmen und Keifen in der Luft wie eine vibrierende Unruhe, die den Menschen überall umzittert mit ödem Unbehagen. Selbst die kleine Miete gehörte in die Unruhe hinein mit ihrem zappligen Bewegen und ihrer schrillen Stimme. Und obgleich sie den stillen Vetter liebte, war sie Lars doch kein rechter Trost. Er begriff es immer noch nicht, daß sie ihn fortgegeben hatten. Er wohnte nun in dem hohen Hause mit dem übelriechenden Laden, und nebenan standen große steinerne Häuser. Und die See konnte er nicht sehn. -- Und die friedlichen Wanderungen in die Dorfschule mit seinem Freunde Peter Lassen waren ganz vorbei. Er ging mit vielen gutgekleideten Kindern in ein Schulhaus dicht nebenan. Und er mochte nicht die kleine, feine Lehrerin und nicht die gutgekleideten Kinder. Es hieß auch, Lars sei ungezogen. Und Mutter hatte doch beim Fortgehen mit ihm geredet wie mit einem Manne. Lars hatte es auch wohl verstanden, daß der Onkel für ihn sorgen wolle, und er nun groß und reich werden würde, wie er zu Hause unter der Kastanie geträumt hatte. Aber er vergaß es immer wieder und vor allem, daß er versprochen hatte, artig zu sein. Es lastete eben auf ihm und zerrte in dem fremden Haus. Und wenn die Nachmittagssonne in seine Dachkammer schien, dann warf er die Schulbücher unter den Tisch. Klapp, klapp klangen die laufenden Füße die lange Straße hinunter. -- Da war er auch schon draußen. -- Ein Stück ging es auf der hohen Landstraße hin. Und die großen Wolkenschatten liefen nebenher über das erste feine Saatengrün. Und das weite, offne Land lag weich verschwommen im ersten Frühlingsduft bis hin in die traumweckenden blauen Fernen. Dann kam der Fußweg durch den Wald. -- Da war rings ein heimliches Atmen und Regen in den keimenden Kräutern und den zugeschlossenen Blätterknospen, ein Drängen und Tasten in dem feinen Gezweige, hinaus in die weiche, starke Luft. Und es packte den Jungen, wie eine weitende Lust, daß er Raum schaffen mußte. Und da er nicht wußte, wie anders, so begann er ein Pfeifen laut und jubelnd und eigenwillig. Und wenn er oben stand auf der freien Koppel, und unten lag im glitzernd blauen Schein der breite, blanke Wasserspiegel, dann konnte er sich nicht lassen vor wilder Wonne und warf die Mütze hoch in die Luft. Und wenn er dann drinnen in warmer Traulichkeit hockte mit stillen, glücklichen Augen, dann brachten es Großvater und Mutter nicht übers Herz, den Jungen heimzuschicken. Erst wenn mit weichen Händen die Dämmerung das große stille Land einzudecken begann und die Bäume und Waldklumpen scharf und mächtig in den hellen Abendhimmel ragten, dann begleitete Peter Lassen seinen Freund nach dem Flecken hinauf und schlenderte erst im Dunkeln wieder heim. Aber den Schularbeiten merkte man Lars’ Heimfahrten an. Kapitel V Ein langgliedriger, sehniger Junge von zwölf Jahren war Lars geworden. Aber die ernsten, sonderbaren Augen, die so aussahen wie das Meer, hatte er immer noch. Die Uhr auf dem alten Hof daheim hatte vielemal getickt, und Lars wußte kaum, wie die Jahre hingerollt waren. Viele, viele Fahrten ins Land hinaus zur alten Fischerhütte waren es gewesen und ein stilles Dulden der kleinen Miete und ihrer Liebe und ein leiser Widerstand und ein leises Mißtrauen gegen Onkel Gust und ein offener Krieg mit Tante Jette; und nun sollte wieder ein Neues kommen. Einer von den geheimnisvollen Herbsttagen war es. Hinter weichen, wallenden Schleiern lag die Welt, und es ließ sich gut von ihr träumen. -- Hinter den wunderlichen, ziehenden Gebilden mochte sich das Wunderland verbergen im goldenen Schein, oder war es eine finstere Öde? Auf dem Schiff, das nach der Stadt fuhr, saß Lars ganz am Ende der Bank. Er saß ganz vorn im Schiff und hatte das Wasser dicht vor sich. Mit beiden Händen hielt er seine Reisetasche auf den Knien fest; und sein kleiner Koffer stand neben ihm. Onkel Gust ging hierhin und dahin und fand überall gute Freunde und trank auch wohl einen Kognak, weil der Morgen frisch war. Aber Lars sah in den Nebel und träumte. Das Wasser lag da still und dunkel wie ein Spiegel, und alles Ding war in eine ernste Heimlichkeit getaucht. Auf einem Pfahl saß eine reglose Möve. Ihr weißes Bild spiegelte sich im schwarzen Grunde, und leise glitt das Schiff vorüber. Braune Segel tauchten aus dem lichten Grau und glitten vorüber. Nun glänzte es auf von lichten Segeln, ein königliches Geschimmer, und die schwarze Tiefe leuchtete das Bild zurück, dann war der Schoner im Nebel verschwunden. Aber lichter und lichter ward der weiche Schleier. -- Nun bauschte er sich zu riesigen Gebilden, und dazwischen leuchtete es und gleißte auf der Flut, wie flüssiges Gold, und spann in Wunderfarben in den Lüften, wie Gewebe lichter Klarheit. Und nun glitt es voneinander -- und lachend leuchtete im blauen Äther blendende Sonne. Da atmete der stille Junge lang und tief auf. Er hatte die Hände um die Reisetasche gekrampft, regungslos die Wunder geschaut. Ihm war es, als gleite so sein Leben durch graue Heimlichkeit hinein in goldene Zukunft. Die Tränen wollten kommen, aber er schluckte sie männlich hinunter. „Brav und treu“, hatte Großvater beim Abschied gesagt, und er hatte ihm die Hand darauf gegeben. Er würde jetzt auf sich selbst stehen, und er wollte ein Mann sein. Darum hatte er auch beim Abschied von der Mutter nicht geweint, und sie hatte ihm auch nur still mit der Hand über die kurzen blonden Haare gestrichen. Alle Sonnabend sollte er zum Onkel nach Hause kommen, und jeden dritten Sonntag durfte er die Mutter besuchen. Da war es nicht so schlimm. Und er fuhr ja in das leuchtende Licht hinein. -- Aus bläulichem Dunst tauchten rings die Ufer. -- Auf weiten Koppeln stand das rotleuchtende Vieh und blickte verwundert und gelassen in das erwachende Licht und genoß des warmen Scheins. Und bunte Herbstwälder ragten in die klare Luft und warfen breite, blaue Schatten auf das Land. Und aus stillen Strohdachhütten stiegen blaue Rauchsäulen ruhevoll nach oben. Mit dem warmen Sonnenschein waren auch manche Bekannte von Herrn Asmussen an Deck gekommen. In behäbiger Zufriedenheit gingen sie rauchend auf und ab und ordneten den Gang der Welt im allgemeinen und den Gang des Geschäftes im besonderen. Und was sie sagten, war meistenteils dänisch. Und ihre Frauen setzten sich in der Sonne zusammen und zogen die Häkelarbeit heraus. Und sie waren sehr bedacht auf ihre Vornehmheit und achteten aufeinander und sprachen freundlich zusammen und hofften, daß ihre Aussprache für echtes Kopenhagener galt. Und der kleine Lars saß still am Ende der Bank mit zornigen Augen und hörte, wie Onkel Gust von Dänemark sprach und von seiner Fürsorge für das arme Süderjütland, von dem besseren Geschäftsverkehr und den billigen Prozenten und der deutschen Mißwirtschaft. Und Lars hörte in Gedanken die stockend langsame Rede des Großvaters, wenn er von der schönen Schleswig-Holsteinschen Armee erzählte und der Zeit, als sie in die Schlacht gezogen waren, wie zum Fest, und dann wurde Großvaters Rede leiser und stockte noch öfter, und er erzählte vom Tage bei Idstedt, wie sie die schöne Armee verraten hatten, und wie sie heimgeschickt wurden ins Elend. Aber keiner achtete auf den kleinen Jungen mit den zornigen Augen. * * * Er wurde in einer Beamtenfamilie untergebracht. Noch vier Gymnasiasten wohnten dort. Zwei kleine Jungen teilten seine Stube: Hans Todtsen, der Zapplige -- mit seinem klugen Kopf und seinen lustigen Einfällen, und der bescheidene, kleine Jakob Lind, der einen so gerade und freundlich ansehen konnte. Man hatte sie erst vor wenigen Tagen in der Quinta aufgenommen; auch waren sie jünger als Lars; aber er hatte doch eine gewisse Hochachtung vor diesen beiden jungen Städtern. Auch die beiden andern Jungen, Swend und Aage Michelsen, waren Stadtkinder, dänischredende Geschwister von der Grenze her. Von ihnen aber trennte Lars ein weites Meer. Der eine war schon zur Quarta und der andere sogar schon zur Sekunda hinaufgedrungen. Besonders der Quartaner ließ es merken, wie weltenhoch er über den drei Stubennachbarn stand. Lars nahm die Dinge ernsthaft, und die Aufnahme ins Gymnasium war ihm ein großer Abschnitt seines jungen Lebens. Wenn ihm auch über dem Träumen und den Traumfahrten manche Pflichten durch die Finger geronnen waren, so hatte er im Grunde die Bücher lieb gehabt, und er hatte die andern rasch eingeholt, wenn er einmal bei der Arbeit war. Obgleich er in den friedlichen Jahren der Dorfschule manches versäumt hatte, so bestand er die Aufnahmeprüfung gut. Er war freilich der Älteste in seiner Klasse. Wie bei den Wilden in Afrika eine Kunde schneller von Mund zu Munde fliegt, als wenn der Telegraph sie verbreitet, so wußten die Gymnasiasten über des Neuen Herkunft Bescheid. Und mehr als die kühle Nichtachtung der Großen reizte Lars die mitleidige Duldung der Kleineren. Er war sich oft nicht klar, was ihm so heiß nach dem Kopf stieg und in die Fäuste fuhr, daß sie den andern nach dem Gesicht zucken wollten. Aber er wurde nur noch stiller dabei und ging seine eigenen Wege. -- Und diese Wege führten ihn, so oft er frei war, zur Stadt hinaus. Da war sie -- die ihm Heimat, Freund und Spielgefährte war. Und wie in alten Zeiten lag er im Riedgras und horchte auf ihr Lied, aber es klang ihm trauriger als damals. * * * Die graue Trübe lastete über den steilen grauen Häusern; und über den Köpfen der Menschen lag sie wie ein Druck, der die Freude verscheucht. Aber die Schar der Buben im Schulhof achtete weder der kalten Feuchte noch der lastenden Wolken. Es war da ein buntwogendes Durcheinander lauter herrisch-froher Töne und wechselnd beweglicher Bilder. Mitten im toten Grau des sterbenden Jahres war hier ein Stück selbstherrlich strotzenden Lebens. „Du, Jakob,“ sagte Aage, „die alte Braunsche ist verrückt, gibt sie so ’nem Stift die feine Wurst aufs Brot und mir so’n Zeug. Her damit, Mensch!“ Aber Jakob riß aus mitsamt der Wurst. Michelsen II war zu dick zum Laufen, aber er kommandierte: „Lind aus Quinta soll mir gebracht werden.“ Aus der Quarta und Quinta waren dem Dicken ein paar Jungen verpflichtet. -- Jakob Lind aus Quinta wurde herangeschleppt. Von allen Jungen war aber der kleine gute Jakob der, den Lars am liebsten hatte. Und da geschah es, daß ihm der Zorn diesmal so übermächtig in die Fäuste fuhr, daß er auf den fetten Quälgeist sprang wie eine wilde Katze. Michelsen II war ein Tyrann und wegen seiner Mißgunst unbeliebt. Es hielten wohl manche zu ihm, die an dem rothaarigen Faulpelz wegen seines Witzes ihren Spaß hatten, oder die er durch sein großes Taschengeld gewonnen hatte. Aber da der sehnige, kleine Quintaner auf ihn einsprang, standen sie alle zur Seite und warteten gespannt. Blaurot vor Zorn, die roten Borsten gesträubt, warf sich der große Junge mit dem ganzen Übergewicht seines schweren Körpers gegen den Kleinen. Lars wurde zurückgedrängt, aber er machte eine wendige Biegung und hatte den plumpen Großen untergefaßt. Und es war sonderbar, als die großen, schweren Fäuste ihm auf Kopf und Rücken zu hageln begannen, wuchs eine Wut in ihm, die mit jedem Schmerz an Kraft zunahm und ihm in alle Glieder fuhr, daß sie stahlhart wurden und drückten und preßten und wieder schlugen und zupackten, daß ihm der Atem keuchend herausfuhr, und er es doch nicht gewahr wurde. Da tat der unbeholfene Dicke in seinem Bemühen, Lars an die Mauer zu drängen, einen Fehltritt. Lars aber packte zu, und keiner konnte sagen, wie es geschah, aber der Dicke lag am Boden, und Lars’ Fäuste trafen ihn ins Gesicht. „Den Fuß hast du gestellt, du hast gemogelt,“ schrie der Dicke von unten herauf. Aber Michelsen I, der gleichmütig zugesehn hatte, sagte: „Das ist nicht wahr.“ Da stand Lars auf, blaß und ohne Atem -- aber von dem Tage an achteten ihn seine Mitschüler, und der kleine Jakob war sein getreuer Anhänger. Kapitel VI Es war wieder Sommer, und an Onkel Gusts Hause blühten an der Gartenseite die Rosen. So ein Nachhausekommen am Sonnabend, wenn die kleine Bucht im stillen Abendsonnenschein lag und man das öde Mauergewirr hinter sich wußte, warf doch einen ganz anderen Schein auf die Dinge. Selbst Tante Jette schien erträglich, und Mietes Vorzüge waren in ein glänzendes Licht getreten. In den Jahren, wo andern Mädchen einzelne Gliedmaßen und Gesichtszüge davonzulaufen scheinen, die dann erst mit achtzehn, neunzehn Jahren eingeholt werden, war sie immer ein feines, schmuckes, kleines Mädchen geblieben. Ihr hübsches blondes Haar hing Sonntags offen über ihren Rücken herunter, und eine blaue Schleife saß an der Seite. Ihr vornehmes Wesen sagte an so einem Tage jedem, daß sie heute das gute Kleid trug. Da war freilich wenig mit ihr anzufangen für einen knapp vierzehnjährigen Quartaner. Aber draußen in der Laube verstanden sie sich doch recht gut. Dort in der Tischschublade fanden sich Wurst- und Kuchenstücke, die liebende Fürsorge ihm heimlich aufgehoben hatte. Wenn sie schon ein wenig alt waren, so sicherte ein Gymnasiastenhunger doch gnädige Aufnahme. Und während er kauend in dem grünlichen Blätterdämmern saß, spielte er zuweilen nachlässig mit den feinen, blonden Haaren. Und der kleine rote Mund neben ihm mit der spitzen, altklugen Ausdrucksweise war immer in Bewegung, aber der kauende Vetter war ein guter Zuhörer. Die lustige Stina, die immer so nett zu ihnen gewesen war, hatte also auch wieder fortgemußt. Es war doch schrecklich, das war nun schon das dritte Mädchen, seit er fort war, oder war es die vierte. -- Stina, Jule, Marie, richtig, Emma war da ja noch. -- Und bei dieser war Mutter richtig toll geworden und hatte sie fast geschüttelt, und Vater war dann erst recht böse auf Mutter geworden, -- ‚Mama‘ sagte Miete meistens. -- Und Stina hatte eine Faust gemacht und gesagt, sie sei man froh, bei so einer geizigen Frau wolle sie gar nicht bleiben. Aber Vater sei ganz traurig geblieben. Dann warf Miete hastig einen heimlichen Seitenblick auf den Vetter. Aber der machte ein ganz unbewegliches, fast böses Gesicht. „Das ist alles gar nichts für dich,“ sagte er dann in belehrendem Tone von Swend Michelsen. Aber Miete lachte hell, daß es vibrierend durch den Garten klang. „Du Dummer -- ich weiß mehr als du -- bist ja auch nur ein halbes Jahr älter.“ Dann sah er unbeholfen aus und wußte nicht recht was zu sagen. An einem sonnigen Sommersonntag war es, daß Lars am Morgen mit beiden Füßen zugleich aus dem Bett sprang, weil die Sonne so strahlend in sein Giebelfenster herein schien. Er sah hinaus über Onkels Garten in den blauen Sommermorgen hinein. Ringsum hoch, hoch oben zwischen den weißen Cirruswolken und unten tief unter dem satten, saftstrotzenden Grün war es heut Sonntag. -- Der Sonntag lag blaudämmernd über dem seidenausgespannten kleinen See und lockte geheimnisvoll in das Wunderdämmern, wo der Wald sich tief ins Wasser neigte. Und in stillem Sonnenglanze lag er über dem kleinen Garten und seinen geraden, gelben Wegen. Die alte, grünbewachsene Urne ragte in feierlicher Ruhe, und der Buchsbaum roch nach Sonne. Am strahlendsten aber breiteten sich die taufrischen gelben Rosen an der Laube. Da kleidete sich Lars hastig an. Und als er gefrühstückt hatte, lief er nach der See hinunter, um seine Schulfreunde vom Frühschiff abzuholen. -- Als sie wiederkamen, hörten sie Herrn Asmussen in der Laube sprechen. Er saß dort fast verborgen hinter dem großen dänischen Zeitungsblatt. Blaue Rauchwolken quollen gemächlich darüber, und er trommelte langsam und in kleinen Pausen auf der Tischplatte. Am Tisch stand das neue Mädchen und räumte den Kaffee fort. Frau Asmussen vertrat heute die Familie in der Kirche. Herr Asmussen schmunzelte von Zeit zu Zeit gütig zu dem neuen Mädchen auf. Und er fragte dies und das, und sie gab Antwort, verlegen und ein wenig kichernd. Auf dem weißen Tischtuch lag das grünliche Gedämmer, und goldene Sonnenflecken glitten dazwischen. Dann fiel das kräftige Tönen heller, starker Kinderstimmen durch die Luft. Herr Asmussen räusperte sich und hob Zeitung und Zigarre nachlässig auf. Auf dem gelben Kiesgang traf er Lars mit seinen beiden Mitschülern und die sonntäglich geputzte Miete. „Nun wieder Hans und Jakob?“ fragte Herr Asmussen, „warum denn nicht einmal Swend und Aage?“ „Die waren letzten Sonntag da, Onkel, und Swend will auch gar nicht so oft, und Tante meint überhaupt, Aage ißt zu viel.“ Miete stieß das neue Mädchen an, und sie kicherten. „Und dann ist heute Großvaters Sonntag, da gehen wir eben hin.“ „So, so,“ machte Onkel Gust. „Und Miete muß wieder allein bleiben?“ Miete maulte ein wenig, und ihr Vater legte den Arm um ihren Nacken und streichelte ihre Backe. „Nicht traurig sein, klein Deern.“ Aber Miete dachte an ihre Locken und rekelte sich aus Vaters Arm heraus. Die drei Freunde machten, so schnell sie konnten, daß sie aus dem Garten heraus ins Freie kamen. Leise schwang die Gartenpforte hinter ihnen her und quietschte ein wenig. -- Bald trabten sie auf dem hellen Fußsteig über die Koppeln, und das Korn bauschte sich in grünen Wogen zu beiden Seiten. Hans schwatzte laut und machte große Zeichen in die Luft und war so eifrig, daß er Lars mit hineinriß. Aber Jakob ging ein Ende hinterdrein und ließ sich die jungen Ähren durch die Hand gleiten. Sie waren alle willkommene Gäste unter dem Strohdach, und sie saßen gedrängt um den braunen Tisch am kleinen breiten Fenster und stippten schweigend ihre Kartoffeln in die braune Sauce und löffelten ihre Grütze, als hätten sie nie etwas Besseres geschmeckt. Und Mutter Stina ging eifrig auf und ab und achtete mit Andacht, ob es ihnen mundete, und setzte sich endlich in der Küche zu ihrem flüchtigen Mittagsmahl. Auch diese Stadtkinder hatte schon längst der leise klingende Zauber dieses heimatwarmen Gehäuses gefangen, und sie hatten sich in die stille, schlichte Weise hineingepaßt, daß sie mit Großvater redeten, als wie mit dem Direktor selbst, und Mutter Stina ihre Leiden und Freuden vertrauten und ihre Sachen zum Stopfen brachten, in unbedingtem Vertrauen. Nur einer litt unter ihrem Kommen. Peter Lassen haßte die Eindringlinge. Mit der ganzen Leidenschaft seiner Jungenseele mißgönnte er ihnen Lars’ Freundschaft. Jakob war arm und bescheiden. Und weil er klein und ängstlich war, hatte Peter für ihn nur eine leise Verachtung. Aber Hans mit seiner großartigen, aufgeregten Art war ihm ein Greul. Nachdem sie gegessen hatten, fragte Lars den Großvater, ob sie das Boot haben könnten. Nach alter Weise sah er ihm fest in die Augen. Großvater trat in die Tür und schnüffelte in die Luft. „Ost Süd-Ost -- wenn er noch mehr umgeht, gibts ander Wetter. Ihr kommt nicht gut gegen an, aber wenn ihr zurückkommt, paßt man auf; wo die Hölzung aufhört, kommt es manchmal unversehens, und es ist böiges Wetter geworden.“ -- Da kletterten sie in Großvaters Boot, und Lars wies ihnen ernsthaft ihre Plätze an. Dann saß er mit unbeweglichem Gesicht am Ruder. Ihm war nun wieder wohl bis in den tiefsten Grund der Seele hinein. Mit großartiger Miene und zusammengezogenen Brauen hielt Hans die Segelleine. Aber der kleine Jakob und Peter saßen auf dem Fischkasten. In Peter Lassens ganzer Haltung stand es überall geschrieben, daß er ganz und gar nicht beteiligt sein wollte und ihn das Ganze nichts anging. Die Hände hingen ihm lässig zwischen den Knien, und die Augen sahen scharf über See. Sprechen wollte er überhaupt nichts, so schwer es ihm wurde. Es waren große, wuchtige Wolkengebilde aufgequollen und warfen von Zeit zu Zeit ihre mächtigen Schatten über die See. Die Farben jagten sich über die weite Fläche. Jetzt tanzte das Boot durch ein unsäglich tiefes Blau, nun glitt es durch smaragdgrüne Wunder, nun deckte graue Öde alles Glänzen, um wieder in Leuchtefarben aufzuglühn. Und ringsum ein jauchzendes Bewegen, ein rastloses Auf- und Niederkämpfen von zischenden, platschenden weißen Köpfen und durchleuchteten grünen Tiefen. Und wie es ihnen bis auf die Haut und bis ans Herz griff, das salz- und lebenstarke Sausen, vergaßen die vier ihre eigene junge Wichtigkeit mit Groll und Würde, und das laute, lachende Geschwätz klang hell in den sausenden Wind. Nur Lars blieb still am Ruder sitzen und sah in das endlose Gewoge, und seine Augen schimmerten dunkel und wechselten wie das Meer, und es war in ihnen ein großes, unbewußtes Strahlen der Freude. Sie mußten gegenauf kreuzen, und das Boot tauchte durch die Wellen mit klatschendem Ton. Der Gischt spritzte über Bord und Hans schrie lachend auf, wenn ihm das Wasser ins Genick schlug. Sie zogen Großvaters Ölrock heraus und hängten ihn über Hans’ Schultern. Später fuhren sie ein wenig unter Land an die andere Seite der Bucht, um zu drehen. Dann faßte sie bald der Wind mit doppelter Gewalt. Es ging eine steife Böe über die Bucht. „Wir wollen doch lieber ein Reff einstecken“, sagte Lars. „Du Bangbüx,“ schrie Hans zurück, „es ist grade schön.“ Peter Lassen kriegte schon seine zornigen Augen. „Ich muß doch das Ganze verantworten vor Großvater. Ich sitze am Ruder, und ich sage: steckt ein Reff ein!“ Peter Lassen stand gehorsam auf. Gegen den am Ruder war keine Einwendung zu machen. Aber Hans rührte sich nicht. „Du fürcht’st dich ja man“, klang es herausfordernd. Da schwang sich Peter über die Duchte und haute Hans eine Ohrfeige. Glühend vor Zorn warf sich Hans auf ihn. „Menschen, seid ihr verrückt?“ schrie Lars, „Jakob, die Leine -- die Segelleine!“ -- Aber schon war es zu spät, das Segel war losgefahren und schlug donnernd im Wind, und das Boot tauchte und rollte und schlingerte, wie ein Wesen, das plötzlich den Verstand verloren hat. Hans und Peter Lassen waren gleichzeitig auf die Duchte gesprungen und griffen nach dem unschierigen braunen Ungetüm, das sich mit krachendem Getöse ihrer jungen Kraft entzog. Hans hatte sich weit hinüber geworfen, und als seinen Händen die rauhen braunen Falten wieder entglitten, rutschte sein Fuß auf der nassen Bank. Das Wasser schlug klatschend auf und spritzte hoch in die Luft. Eine Sekunde starrten die drei auf die Stelle, wo die grünen Wellen zusammen geschlagen waren, da hatte Peter Lassen schon seine Jacke heruntergerissen und zerrte wütend an seinen Stiefeln. -- Nur einen Augenblick stand er dann auf dem Bootrand, streckte die Arme vor, wie zum Kopfsprung und starrte in die rauschende grünschwarze Tiefe. Klatsch klang es -- und das Boot schlug gewaltig nach der andern Seite zurück. Lars aber hatte Jakob bei den Schultern genommen und ihn beim Ruder hingestoßen. Er drückte seine Hände darum mit hartem Griff. Dann war es ihm, als fahre es wieder in ihn, wie damals beim Kampfe mit Aage, wie eine unsinnige Kraft, die ihm heiß und bebend durch alle Fibern ging. Er stand auf der Duchte und faßte nach dem Segel. Und die mageren sehnigen Jungenarme griffen in das wogende, schlagende, braune Gewühl und zwangen es zusammen und faßten die Leine und knoteten sie fest. Und dann erst blickte er mit großen wilden Augen in das grüne, sprühende Gewoge. Da war es -- da glänzte Peter Lassens Kopf auf der Welle. -- Jetzt tauchte er wieder herunter und verschwand hinter dem Wasserberg. Und jetzt war er deutlich zu sehn, er ruderte gewaltig und prustete und spuckte, und mit der rechten Hand zog er etwas Dunkles mit, das von Zeit zu Zeit unbeholfen im Wasser patschte. -- Lars konnte später selbst nicht sagen, wie er mit dem kleinen Jakob das Segel umgelegt hatte und zur Stelle zurückgekreuzt war. Aber auf einmal hatten sie die zwei an der Steuerbordseite, und Lars lehnte sich hart über Backbord, weil Peter Lassen so schwer am Bootrand zog und der kleine Jakob mit dem halben Leibe herüberhing, um ziehen zu helfen. Als Peter Lassen im Boot stand und sich schüttelte wie ein nasser Hund, war das einzige Wort, das er fand: „He swimmt as Bli, jämmerliche Landratte, -- so was von swimmen!“ Aber Hans hockte triefend auf der Duchte und sagte gar nichts und sah aus, als wüßte er noch nicht recht, wer er sei. Eine Stunde später lag er in Großvaters Bett. Tief drin in der Wand, wie ein Strandschwalbennest im Loch, war das Bett hinter bemalten Schiebetüren. Und zwischen Federbetten ragte nur noch seine Nase heraus, und selbst die Nase sah beschämt aus. Derweilen hing sein Anzug in der Küche vor einem gewaltigen Feuer. Als er aber abends in seinem knitterigen feuchten Zeuge neben Jakob auf dem Schiff stand, das nach der Stadt fuhr, glich er gar nicht mehr dem großartigen Hans Todtsen von heute morgen, und Jakob sah neben ihm aus, als sei er gewachsen. Aber Peter Lassen stand am Strande, haute sich auf die Knie und lachte. Kapitel VII Lars sollte erst mit dem Frühschiff nach der Stadt, so kam er noch gerade zur Schule zurecht. Der Onkel hatte es diesmal so gewünscht. Der Vollmond stand schon am Himmel, als er über die Koppeln nach Onkels Hause schlenderte. Die grünschimmerige nordische Dämmerung und das milde Mondgespinst aus gelblichem Geflimmer hatten alle Dinge verzaubert. Lars sah sich um, blieb stehn und sah sich wieder um, und ein Verwundern war in seinen Augen. Er kannte jeden Busch und jeden Stein, und doch war heute so etwas Sonderbares ringsum. Es sah ihn alles an so groß und feierlich und so in seltsam tiefe Zauberfarben getaucht. Es wallte etwas in ihm auf, er wußte nicht, war es Lust oder Leid, ein wonnig heißes Empfinden, die Liebe zu dieser stillen, großen, geheimnisvoll-farbenglühenden Heimatwelt. -- Er warf sich in den saftig-feuchten Klee und wälzte sich da wie ein Tier vor schierem drängenden Behagen. Dann sprang er auf, sah bedenklich auf den zerquetschten Klee und lief den ganzen Weg bis zu Onkel Gusts Haus; denn es war spät, und er sollte eigentlich zum Abendbrot da sein. Wie er sich scheu durch die Hintertür ins Haus drückte, zogen ihm zugleich mit den herrlichen Wohlgerüchen zornig laute Töne aus der Küche entgegen. Die Tante beklagte sich bei der Mamsell, daß das gute Abendbrot verdarb, denn Onkel Gust hatte die Zeit wieder am Stammtisch verpaßt. Da schlug Lars die Mütze eilig über den Haken und setzte sich in die Wohnstube, mit einem Gesicht, als säße er schon eine halbe Stunde auf dem nämlichen Stuhl. Es dauerte auch nur kurz, da klang die Haustür mit schrillem Geläut und laut redende Stimmen kamen die Treppe herauf. Das Essen wurde auf den Tisch gestellt, und Miete half diensteifrig beim Rücken und Richten; Lars aber fand, daß Tante Jettes Zorn gerechtfertigt war, denn die Wohlgerüche hatten nicht getrogen. Sie saßen um den runden Tisch unter der traulichen Hängelampe, und das dänische Gespräch floß leicht und fröhlich. Onkel Gust hatte einen fremden Herrn mitgebracht, der gewandt und höflich sprach und eine echt dänische Ausdrucksweise hatte. Die Teller wurden abgeräumt, und die Herren steckten ihre Zigarren an, und Lars wunderte sich, wie schnell und treffend Tante Jettes Bemerkungen über ihre feine Häkelei weg nach dem Tisch zu klangen, nun sich die Rede zur Politik gewandt hatte. Der fremde Herr kehrte sich oft zu dem stillen Jungen mit den großen achtsamen Augen. Und mit der Zeit fühlte sich Lars geschmeichelt über des fremden Herrn Freundlichkeit. Allmählich aber dämmerte in ihm eine Ahnung davon auf, wer dieser Mann mit der gewandten höflichen Redeweise war. Vor bald einem Jahr war es einmal geschehn, daß Peter Lassen eine Zeitung mitgebracht hatte, die sein Vater hielt. Sie lag auf dem Tisch, an dem Großvater saß, und seine Augen fielen darauf. Er rückte langsam herum, setzte seine Brille auf und fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang. Und während er las, zogen sich die buschigen, grauen Brauen immer tiefer zusammen, daß sich die beiden Jungen schweigend an die Wand drückten und Mutters Hände mit der Arbeit in den Schoß sanken. Da kam es. -- Der alte Mann schlug mit der Faust auf den Tisch, daß es dumpf aufdröhnte. Und dumpf wie ein Gewittergrollen und unbeholfen und stoßweise kamen die Worte: „Unser Lied, unser Lied, was wir gesungen haben in Lust, wie wenn der Morgen kam, -- und in Not und Tod, -- daß es uns war, rein wie ein Gebet, -- das machen uns die Halunken von Agitatoren schlecht und nennen es ein Aufrührerlied! -- Schämen sollte sich dein Vater, Peter, daß er so ein Schandblatt hält -- das sollst du ihm man gern sagen, Junge. -- Wir stammen nur drüben von der andern Seite der Bucht, aber wir haben das im Herzen und wissen, wie tief die deutsche Art im Volk sitzt, daß sie selbst das Blut nicht herauswäscht und all’ die elende Quälerei sie nicht herauskriegt, ebenso wenig wie die fetten Lockköder. -- Nur ihr hier von der Grenze, euch hat man hin- und hergeworfen, und die Fürsten haben mit euch gespielt, wie Kinder mit einem Ball, -- da ist euer echtes Herz dabei flöten gegangen, daß ihr nichts mehr deutlich und stark fühlen könnt und mit jedem lauft, der euch winkt. Schade ist’s um euch und das schöne Stückchen Land, jammerschade, -- und das kannst du gern deinem Vater sagen, min Jung’, das kannst du gern sagen.“ -- Dann hatte der Alte mit seinem feierlichen Gesicht das Blatt durchgerissen und war auf seinen Pantoffeln zum Ofen hingeschurrt und hatte es da hinein gestoßen, und dann hatte er langsam sein Harmonium aufgeschlossen, und schwer und mächtig hatte er die Akkorde angeschlagen, und es hatte nicht lange gedauert, da hatten sie alle mit eingestimmt, sogar die Mutter, in das Lied, -- sein Lied, -- ihr Lied --, und es war ihnen allen ein Druck in den Hals gekommen, der ihnen feucht in die Augen steigen wollte. Und ein Nachklingen von den großen, schweren Akkorden war Lars immer irgendwo im Winkel des Herzens geblieben. Und jetzt, unter der traulichen Hängelampe bei dem leicht und gefällig hinfließenden Gespräch war es Lars irgendwie zum Bewußtsein gekommen, daß der höfliche Mann und das Blatt, das in Großvaters Ofen brannte, zusammen gehörten. Und das Lied klang lauter durch seine Seele, und die Antworten des Jungen wurden immer einsilbiger, bis Tante Jette ihn ansah und Onkel Gust mit mißbilligendem Lachen sagte: „Geh’ man lieber zu Bett, du dummer Bengel. Deine Zunge ist ja wohl rein schon eingeschlafen.“ Da stand er auf und sagte Gute Nacht. Aber Mietes Kinn war ordentlich spitz geworden vor Stolz, daß sie noch mit den Großen aufbleiben durfte. -- Kapitel VIII Ein Schultag hatte sich an den andern gereiht mit Verbum und Fallgesetzen, Extemporalien und Spektralanalysen. Herz und Muskel erstarkten in prächtigen Schlägereien und der Sinn, der nach Innen lauscht, in träumenden Wanderungen über schlickigen Ufersand. Und Sonntag war dem Sonntag nachgerollt, keiner konnte sagen wohin. Stille Viertelstunden neben der blonden Miete waren verronnen und immer dringender werdende Gespräche mit Onkel Gust und seinem Freunde aus der Stadt. Und stille Sonntage mit ernstem, breitem Tönen aus dem alten Harmonium und ernster, stockender Weisheit von Großvaters Lippen und dem alten, klatschenden Getön der jauchzenden, schluchzenden, lockenden, zürnenden Wellen. Aus den schreienden, lachenden kleinen Quintanern waren langbeinige eifrige Quartaner und endlich große ernste Tertianer geworden, die in den Konfirmandenunterricht gingen. Für Peter Lassen hatte sich das Leben verändert. Der große, starke Mensch hatte alles das, was das Vaterland ihm an Bildung mitzugeben gedachte, empfangen, und die Zeit der Arbeit schlug. Fischer Lassen fischte seit Jahren mit in des alten Klaas Klaaßens Boot. Für einen Dritten war weder Boot noch Fischgefährte da. So senkte denn Peter den Kopf, daß ihm keiner in die wachen Blauaugen sehen konnte, und ging aufs trockne Land als Ziegeleiarbeiter. * * * Es war Ostermontag. Die drei Freunde waren Palmarum eingesegnet worden. Sie gingen auf den gelben Kieswegen auf und ab, und der Frühlingswind wischte ihnen das Haar aus der Stirn. Es lag eine Feierlichkeit in den Falten ihrer schwarzen Anzüge, und eine Feierlichkeit saß auf den jungen Stirnen. Aber sie sprachen nicht viel über das, was tief im Herzen vor sich ging, diese nordischen Jungen. Sie gingen eine Weile still nebeneinander durch Onkel Gusts Garten in der weichen, warmen Frühlingssonne. Jakob Lind blieb manchmal stehn und sah auf das Krokusbeet nieder. Die langen, feinen Blätter lüfteten sich von den Knospen und ließen vereinzelt die Sonnenstrahlen einen Blick in das farbentiefe Blüteninnere tun. Jetzt blieb auch Hans stehn und schnitt mit dem Taschenmesser einen Kerb in die junge Buche. -- „Weißt du, ich habe jetzt mit meinem Alten gesprochen, Lars, und er erlaubt es.“ „Was denn?“ fragte Lars wie aus der Ferne. „Na, daß ich nach dem Reifezeugnis auf das Polytechnikum darf. Was soll unsereins denn mit dem ganzen gelehrten Kram. Vorwärts mit der Zeit und ihren Entdeckungen, den greifbaren, praktischen!“ Er schnitt einen großen Kerb in die Buche und sah sich dann triumphierend um. -- „Und du Lars, hast du schon gesprochen?“ „Nein,“ sagte Lars und machte mit dem Fuß Zeichen in den Kies. „Was will er denn sprechen?“ fragte Jakob. „Na, doch natürlich, daß er auch aufs Polytechnikum möchte und Schiffe bauen. Aber du, alter Jakob du, hast noch mächtig dicht gehalten mit dem, was du werden willst, oder weißt du’s noch nicht?“ „Doch, und Lars weiß auch.“ Jakob sah fest vor sich hin. „Na?“ fragte Hans. „Theologie will er studieren,“ Lars scharrte noch im Sande. „Soo“ -- sagte Hans. -- Dann waren sie still und nahmen ihre Wanderung wieder auf. Oben am Fenster erschien von Zeit zu Zeit die Rückseite von Aages rotem Kopf und gegenüber, mehr im Dämmern der Stube, das weiße Spitzenhäubchen von Tante Jette. Es wippte auf und nieder, und sie schienen eifrig zu reden. Tante Jette wollte ihnen allen einen Osterschmaus machen. Sie hatte es mit einer so großartigen Würde ausgesprochen, wie keine Königin zu ihrem Feste lud. Jetzt klirrte das Fenster. Onkel Gust sah in den Garten: „Lars,“ rief er, „Lars!“ Der lange steife Junge machte ein paar große Sätze ins Haus hinein, und seine langen Beine nahmen immer gleich drei von den steilen Treppenstufen. Aber oben blieb er einen Augenblick auf der dunklen Treppe stehen, eh’ er die Klinke aufdrückte. Es hatte ihn auf einmal etwas überkommen, das ihn umwehte, wie ein großer Ernst. In der vorderen Stube ging Onkel Gust auf und nieder. Er war allein. Durch die offene Tür konnte man Tante Jette und Aage am Fenster sitzen sehn. Lars war bei der Tür stehen geblieben. „Setz dich, mein Jung’, setz dich,“ sagte Onkel Gust. Da setzte er sich auf den Stuhl bei der Tür. Und Onkel Gust ging auf und ab, die Hände in den Hosentaschen. -- Man hörte, daß sich Tante Jette nebenan räusperte. „Ja, also mein Jung’, wir sind ja sehr zufrieden mit dir, und deine Lehrer auch, besonders mit deinen Aufsätzen. Im Sprechen bist du ja langsam, aber das Schreiben ist gut -- auch das andere --, aber besonders das Schreiben, Herr Tiensen hat es auch gesagt.“ „Herr Tiensen?“ fragte Lars aus seiner Ecke. Herr Tiensen war der höfliche Herr vom dänischen Blatt. Lars hatte keine Ahnung, wo der Onkel hinwollte. „Ja, mein Junge, -- Herr Tiensen, gerade Herr Tiensen.“ Er war vor Lars stehen geblieben. Jetzt spielte er mit der schweren, goldenen Uhrkette. „Und was ich noch sagen wollte, -- wir möchten uns doch alle nützlich machen, wo wir können, und der guten Sache dienen. Ich tue das ja auch, so weit es in meinen Kräften steht, das weiß auch jeder.“ Es schimmerte ordentlich feucht in Herrn Asmussens Augen, und die Stimme kam tief und überzeugungsvoll aus seinem Fett herauf. „Und ich habe +schwer+ darunter gelitten, daß ich keinen Sohn hatte, den ich in den Dienst der guten Sache stellen konnte. Und nun Herr Tiensen es bestätigt, daß du begabt bist und einen guten Stil schreibst, ist es mir wie eine Gabe des Himmels.“ Herrn Asmussens Augen ruhten in feuchter Rührung auf dem Neffen. Aber der Neffe saß stumm und stocksteif im dunklen Winkel. „Ich möchte, daß du von jetzt ab noch ganz besonders Gewicht darauf legst in deinem Studium, -- besonders auf den Aufsatz, auf den Stil.“ -- „Aber so sag es ihm doch endlich,“ klang es scharf aus der Nebenstube. „Ja, mein Jung’, denke dir, welch’ ein Glück für dich: Herr Tiensen hält eine Stelle in der Redaktion seines Blattes für dich offen. Herr Tiensen ist sehr mit Arbeit überlastet. Du weißt ja, mit der Agitation und seiner Arbeit im Reichstag und was sonst, und er hofft nach allem, was er gehört hat, daß du dich rasch heraufarbeiten wirst und bald eine der oberen Stellen einnehmen und ihm in seiner großen, schönen Arbeit zur Hand gehn wirst.“ Jetzt richtete sich der Junge langsam auf. Nun stand er da in seiner ganzen Länge. Der Onkel trat rasch einen Schritt näher und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich weiß, ich weiß, mein Jung’, dein Großvater hat dir manches dumme Zeug in den Kopf gesteckt. Aber nun bist du groß und vernünftig geworden, und ich habe dir schon manche klugen Schriften über unsere geschichtliche Entwicklung zu lesen gegeben und dann über die wirtschaftlichen Vorteile und schließlich, du bist jetzt alt genug, daß du eine ehrenvolle, sichere Versorgung nicht mehr von der Hand weisen wirst. Es soll ja auch nicht gleich sein. -- Du hast ja noch Zeit. Aber du sollst dich darauf vorbereiten, du sollst --“ „Nein, Onkel!“ Herr Asmussen trat einen Schritt zurück. „Was meinst du eigentlich?“ „Ich will nicht für die dänische Sache arbeiten. Ich bin deutsch.“ „Und alles, was wir für dich getan haben, und alle Hoffnungen, die wir auf dich gesetzt haben?“ -- Herrn Asmussens Stimme schlug um. -- Da stand Frau Henriette Asmussen wie hingezaubert. Und ihre stahlharten hellen Augen sprühten. „Damit du’s immer weißt, -- dein Onkel macht wieder so viele unnütze Worte. -- Wir haben dich an Sohnesstatt erzogen, damit du der guten Sache dienst, und wir werden auch weiter an dir handeln, wie an unserm leiblichen Sohn, wenn du zu uns stehst. Wir bieten dir einen schönen, reichen Beruf. Da kannst du dich heraufarbeiten, ein Führer von vielen und ein reicher Mann werden. -- Wenn du aber bei deinem Undank bleibst, und wir haben alle Wohltaten an dich verschwendet, dann ist da die Tür!“ -- Sie stand da, groß und mit den kalten, glitzerigen Augen. Herr Asmussen saß am Tisch und hatte den Kopf in die Hand gestützt. Und alle die großartigen Worte und die großartige Art hatten etwas so Sonderbares zwischen dem Nippschrank und dem guten Plüschsofa und den biederen Gesichtern der alten Asmussen in den schwarzen runden Rahmen. Und die enge, muffige Stube und die großartigen Worte und der unbarmherzige Zwang, der überall herauslugte wie ein böses, langarmiges Tier, krochen an Lars heran wie eine große Bangigkeit. Es hatte alles vom ersten Tage an auf ihm gelastet, und je älter er wurde, je klarer hatte er es gefühlt, aber es hatte unter der Gewohnheit versteckt gelegen, und er hatte so dahingelebt in seiner Traumwelt, ohne sich davon Rechenschaft zu geben. Jetzt hatte er nur ein Bewußtsein zorniger Verhärtung. Man hatte ihm die Wohltaten vorgehalten wie einem Bettler. Aber aus dem Zorn wuchs ein klarer Gedanke herauf, wie wenn ein Sonnenstrahl in eine dunkle Stube fällt: „Jetzt bin ich frei.“ Beide, Onkel Gust und Tante Jette, sahen noch ganz verblüfft auf die Stelle, wo Lars eben gestanden hatte, und dann auf die geschlossene Tür. „Das hast du nun wieder mit deiner bissigen Art. Es ist doch schließlich auch der Sohn von meinem einzigen Bruder.“ Onkel Gust war noch immer in der gerührten Stimmung. Tante Jette aber sah noch hart auf die geschlossene Tür. „Undankbares Krott,“ sagte sie. * * * Die Krokus waren lange verblüht. An den Buchen waren die kleinen, feinen Blättchen herausgekommen und schimmerten silberig in ihrem schleierhaft zarten Duftegrün. Und die Fischer dachten an den Aalfang. -- Das war erst ein helles Träumen gewesen. Auf dem Rick hatte er gesessen und die Beine über dem Wasser hängen lassen, und Mutter und Großvater ließen ihn, denn dort machte er Pläne für seine Zukunft. Und wie das Wasser unter ihm hinfloß, eine grüne Welle nach der andern, -- über der andern, -- in der andern, -- immer und immer wieder, so kamen die Gedanken und gingen wieder gemächlich und glitten zurück ins Unbewußte, und es war ein angenehmes Dämmern, und es kam nicht von der Stelle. Und endlich fuhren sie nach der Stadt, um Herrn Braun zu fragen. Herr Braun war der Hauswirt, bei dem die Gymnasiasten wohnten. Er war ein Preuße mit einer lauten Stimme und einer knappen, selbstbewußten Art. Sie hatten ernste, unbewegliche Gesichter, der alte Klaas Klaaßen und der junge Lars Asmussen, als sie langsam hintereinander die Treppe zu Herrn Brauns Wohnung hinaufstiegen. Sie sahen bedenklich auf das glänzende Türschild, auf dem Herrn Brauns Name und Würden standen. Als sie aber wieder die Treppe hinunter stiegen, waren die Gesichter noch unbeweglicher, und die Augen suchten tief im Innern eine Welt, die sich nicht mehr finden lassen wollte. Er hatte laut und unumwunden gesprochen, mit kurzen, eindringlichen Bewegungen, und der alte Fischer hatte zugehört mit seinen stillen, klugen Augen und nur manchmal mit dem großen, grauen Kopfe langsam genickt. Was bot die große, bunte Welt mit ihren glitzernden Glücksstraßen dem langgliedrigen, unbeholfenen Jungen mit den Träumeraugen und der breiten Stirn? -- Ein Tertianer ohne einen Groschen Geld und noch dazu ein Träumer, -- Herr Braun hatte nicht viel Hoffnung. -- Da war die Subalternkarriere bei der Post; oder er konnte Kommis werden, oder er ging zur See. Konnte er sich da Geld sparen und schließlich zum Polytechnikum kommen irgendwie oder sich sonst heraufarbeiten? Lars’ Augen waren weit und dunkel. Herr Braun zuckte die Achseln. Es hatte ja schon mancher so etwas erreicht, so ein strammer Strebsamer. „Du bist ja begabt, Lars, aber du bist langsam und verdöst. Mach dir lieber keine vergebliche Hoffnung!“ Und wie sie auf der Treppe standen, da überkam es ihn auf einmal, daß ihm das Leben das Buch vor der Nase zugeschlagen hatte. Dann waren sie doch noch durch eine schwere Stadthaustür nach der andern gegangen und hatten gefragt und wieder gefragt in ihrer langsamen Weise. Lars hatte meistens das Wort geführt und ein Blick unter Großvaters dicken Brauen hatte den Ausschlag gegeben. Aber es war nichts gewesen. In den großen Kaufhäusern hatten sie den unbeholfenen Fünfzehnjährigen, der nicht einmal eine gute Handschrift schrieb, nicht gewollt; in den kleinen Läden war der Gehalt zu jämmerlich. Bei der Post war gerade keine Stelle in der Nähe frei, und es lockte Lars auch ganz und gar nicht. So traten sie schon im Dunkeln wieder in die niedrige Tür, wo Mutter das Abendbrot noch bereit hielt, und sagten ihr, daß Lars Seemann werden müßte. Da geschah es zum erstenmal, so lange Lars denken konnte, daß das große Schweigen von Mutters Gesicht zurückglitt und sie seine beiden Hände packte. Sie reichte ihm jetzt nur ein wenig über die Schulter. Einmal hatte sie ihn fortgegeben, ihren Einzigen. Nun kämpfte sie hart, daß er jetzt nicht hinauszog über die große, graue Weite, die so harte Lieder sang vor den Fenstern und nicht danach fragte, wer es war, den sie behielt. „Nein, nein! Nicht Seemann! Nein, Lars! Nein, Vater!“ Da gaben sie sich bald darein; sie waren ja nur in der Not darauf verfallen. Sie waren alle nicht für das Ringen bis aufs Blut; und sich hineinzuzwängen in den Lebenskampf, war ihrer Art fremd. Und so blieb nur noch eins übrig, und das war Lars im Grunde das Liebste. Kapitel IX Es war wieder ein Sonntag, und durch die kleinen Scheiben des breiten Fensters tanzte ein warmer, goldener Strahl über den braunen Tisch und die bunten Schiebetüren von Klaas Klaaßens Bett. Aber Klaas Klaaßen hatte den guten, dunkelblauen Anzug an und saß im Lehnstuhl beim Tisch und spielte, in Gedanken verloren, mit den Zuckerstückchen in der Zuckerdose mitten auf dem Tisch, und gegenüber saß Fischer Lassen, auch in seinem blauen Sonntagszeug und hatte die Hände auf die Knie gebreitet. Und Peter Lassen saß an der Wand, ein wenig lässig hingerekelt. Der Sonntagsanzug war schon wieder ein wenig kurz und eng geworden für den großen Menschen, und er sah gleichgültig in die Stube hinein, aber die scharfen Augen gaben gut acht. Und Lars lehnte am Türpfosten und sah vor sich auf die Erde. Aber Mutters Augen gingen schnell von einem zum andern wie in angstvollem Fragen. Die Männer sogen an ihren kurzen Pfeifen, und Mutter nahm ihr Strickzeug wieder auf, und die Sonnenstrahlen reisten weiter, die grünliche Wand entlang. In Lars gingen die Gedanken auf und nieder wie die Wellen am Steindamm. Er hatte viel erlebt in der Zeit, seit die ersten Krokus in Onkel Gusts Garten aufblühten. Es war eine Weile still gewesen in der Fischerhütte. Da zog Klaas Klaaßen die Pfeife aus dem Mundwinkel und strich mit der Hand über den Tisch, als lägen Krumen darauf. Er war aber ganz blank. „Ja, denn is das wohl nich anders, wenn sie doch beide Lust zu haben.“ Hans Peter Lassen, der Vater, nahm die Pfeife heraus und spuckte zur Seite. „Ja, denn soll das wohl so sein,“ sagte er, und nach einer Weile: „Aber Geld gehört da auch zu.“ Peter Lassens Augen hatten immerfort acht gegeben, nun waren sie hellwach. „Ich weiß ein Boot, das ist billig zu kaufen. Am Strand, gar nicht weit von unserer Ziegelei, sitzt doch der alte Hinrich Maaß, der so doll dänisch is. Ein bißchen dumm im Kopf ist der alte Kerl auch schon. Er will sein Boot los werden und weiß nicht, wie viel es noch wert ist.“ Peter lachte und fuhr sich mit der Hand über seine kurzen Haare. „Ich hab’ ihm schon immer vorgeredet: Das alte Ding ist nichts mehr wert. Und dachte, wer weiß, ob man’s nicht mal braucht. Achtzig bis neunzig Mark, sagt’ ich ihm, mehr gibt ihm keiner für den Klapperkasten. Aber es ist noch ein ganz gutes Boot, hat in Eckernförde seine 200 Mark gut gekostet. Das wär doch dann mal das Sommerboot!“ Peter steckte die Daumen in die Achsellöcher, zeigte die weite Reihe seiner weißen Zähne und sah von einem zum andern. Er hatte eine Siegermiene, und Lars warf einen schnellen, bewundernden Blick nach ihm hin. -- Die Alten nickten mit dem Kopf und sahen gerade aus. „Und dann die Netze und was dazu gehört,“ sagte Hans Peter Lassen. Klaas Klaaßen sah noch tiefer auf seine Pantoffel und tat ein paar tüchtige Züge. Und so, mit dem Rauch zum Mundwinkel heraus, und nicht ganz deutlich kamen die Worte: „Meine alte Stine-Marie hat ja ein gut Teil zurückgelegt. -- Etwas hat Justina bei der Hochzeit mitgekriegt, -- das hat ja Asmussen alles vermöbelt, -- aber etwas ist da noch, was sie nach mein’m Tod gekriegt hätte. -- Recht wird’s ihr ja sein. -- Na und denn“ -- Eine Handbewegung machte den Schluß. -- „Jaa,“ sagte Hans Peter Lassen und wiegte den Kopf hin und her. „Jaa, aber ich hab’ noch nich so viel zurücklegen können, und mit den drei Gören, die da noch sind zu Hause.“ -- Er sah starr nach der Wand gegenüber und hielt die Hände breit auf den Knien. Großvater zog die Pfeife wieder heraus, drehte den großen, grauen Kopf nach Lassen hin und kniff ein Auge zu: „Naa, Hans Peter -- ~min ven~,[2] uns machst du nix vor. Wir machen das ordentlich zu gleichen Teilen, daß die Jungens sich nix vorzuwerfen haben und alles seine Ordnung hat.“ Hans Peter zog die Mütze in die Stirn, setzte sich noch behaglicher zurecht und brummte ein wenig in den struppigen Bart. Aber die Sache war nun abgemacht, und Mutter ging, den Kaffee zu holen. An dem Sonntag abend war das Meer ringsum wie eine zitternde Perlmutterfläche. Und zwischen dem Wunderglänzen saß Lars in Großvaters Boot und träumte. Das Boot war fest am Pfahl, und ganz leise glucksten die Wellen daran, wie ein schläfriges Flüstern der ewig atmenden Sehnsucht. Die Welt war goldenrötlich und glasig-licht bis hin zu den fern verschwimmendsten Ufern. Und wunderlich still und rein war die Welt. -- Und selbst die Möwen schienen es zu fühlen und glitten leise dahin auf sonngebadeten Fittichen. -- Und groß und heilig zogen die Leuchtewolken daher auf ihrer geheimnisvollen Bahn. Lars sah ihnen nach, und es stieg ein Ahnen seines eigenen Lebens in ihm auf. So glitt es hin. Wer sagte: „Dort liegt dein Ziel?“ -- Fern -- fern im Perlmutterglanz des Unerkannten, Unergründlichen mochte es sein. Am Strande aber, eh’ er nach Hause ging, war noch eines in ihm wach geworden. Er sah hinaus über die stille, schimmernde Weite, und es läutete in ihm, wie von Glocken. Nun gehörte er +ihr+. -- * * * Bald darauf hatten sie alles mit Hinrich Maaß wegen des Bootes in Ordnung gebracht. Auch das Netzwerk war beschafft worden, wie Großvater es haben wollte. Und nun waren sie schon ein paarmal draußen gewesen. Und sie hatten ganz gute Arbeit gemacht. Das war ein Tag unmäßigen Stolzes gewesen, als sie zum erstenmal im eigenen Boote hinausfuhren. Sie hatten Gesichter aufgesetzt, als sei es eine alltägliche Beschäftigung. Ganz gleichgültig gingen sie mit den Rudern und Netzen über der Schulter im Ölzeug zum Strand hinunter, obgleich es sehr wenig regnete. Und die beiden hohen, jungen Gestalten mit den lachenden Augen in den gleichgültigen Gesichtern sahen aus, daß es eine Freude war im grauen Morgenlicht. Und die Arbeit war eine Lust gewesen die ersten Male, und nur eine Lust. Als aber die nassen Taue ihre Hände durchgezogen hatten und sie die harte Arbeit in jedem Gliede spürten, da war es ein ander Ding geworden. Peter Lassen hatte auch in der Ziegelei schwer gearbeitet, und nur das Ungewohnte war zu überwinden. Aber Lars’ Körper war noch weicher, und die Last war fast zu groß. Peter Lassen zog den Mund manchmal ein wenig auseinander und zeigte die weißen Zähne, wenn Lars unversehens nach seinem schmerzenden Rücken langte oder aufzuckte, wenn ihm das Seil durch die offnen Wunden in der Hand glitt. Dann zog Lars zornig die Brauen zusammen und tat seine Arbeit ohne Klage. Aber nachts im Bett stöhnte er manchmal auf vor Schmerz. Mutter sah es wohl, aber sie wußte, daß sie ihm nicht davon reden durfte. Lars drückte die Lippen hart aufeinander, und in dieser Zeit setzte sich auf seinem Gesicht der hölzern-unbewegliche, fast finstere Ausdruck fest. Aber hinter den stillen Zügen, da arbeitete es. Wenn die harte Arbeit ihn losließ, dann kam er ins Grübeln, denn er war nicht im gleichmäßigen Einerlei von saurer Arbeit und müdem Behagen aufgewachsen. Sein Geist war wachgerüttelt worden, und das weiche, schlafende Land seiner Seele war nun schon manches Jahr bebaut worden. Und grade jetzt war der bewußte Drang nach Wissen in seiner schweigenden Jungenseele aufgestanden und hatte sich nach dem Fernen -- Unbekannten gedehnt. Und es war etwas in ihm wach geworden, wie ein Hunger nach einem Großen, das er nicht kannte, und nach Taten, die ihm keiner hätte nennen können. Auch machten ihn jetzt die übergroße Müdigkeit und die schmerzenden Glieder noch mißmutig. Er konnte mit keinem von diesem sehnenden Leiden reden. Sie hätten ihn alle nicht verstanden, und Peter Lassen hätte womöglich noch gelacht. Und daß er alles so einsam trug, machte es noch schlimmer. Darum wuchs es in ihm zu einem Haß auf gegen diejenigen, die ihn so herumgeworfen hatten zu ihren selbstischen Zwecken. Wenn er an den fetten Onkel Gust dachte, oder gar an Tante Jette, dann ballte er die Fäuste. Aber in Lars’ Seele war zu viel Leben, als daß sie hätte in Kummer und Grimm stecken bleiben können. Als das Rudern, Segeln und Fischen und der Stolz des ersten eigenen Verdienstes ihren Reiz verloren hatten, suchte er nach etwas Neuem, um seine überschüssige Kraft daran zu erproben. Das Zimmern und Bauen hatte ihm von je her mehr Freude gemacht als alles andere. Auch hatte er in der Stadt oft in seinen freien Stunden bei einem alten Bootbauer herumgesessen. Nun kroch er immer um Großvaters Winterboot, wenn er Zeit hatte, und befühlte es und hockte sich daneben und sann. So ging der Frühling herum und ein Teil des Sommers. An einem Sonntagmorgen, als die andern alle fort waren, saß er wieder bei Großvaters Boot, und die weich verschwommenen Sonnenstrahlen und die großen Wolkenschatten liefen über ihn hin. Mit einem großen Seufzer stand er auf und ging nach Hause. Durchs Fenster sah er Mutter am Tisch sitzen; vor ihr lag die Bibel und das Sonntagsblatt. Die Sonne lief über ihr Gesicht und glänzte auf den weißen Strähnen in ihren Haaren. Wie viele Runzeln jetzt in dem Gesichte waren, kam es ihm so in den Sinn! Er ging nun sehr langsam und vorsichtig auf die Tür zu, denn er wußte, daß Mutter ihren Sonntag feierte, weil sie die Männer weit weg glaubte. Und unklar empfand er die herbe Würde in dem stillen Gesicht. Wie sie so dasaß und las, lag es über der alternden Frau fast wie eine vornehme Unberührtheit. Linkisch und fast verlegen bückte sich Lars zur Haustür herein. Sie schob die Bibel zur Seite, und ihm war, als habe er die Mutter nicht recht bekleidet überrascht. Er holte sein Handwerkszeug und ging wieder hinaus. Aber es wollte nicht mehr recht gehen mit dem Messen und Probieren. Mutters Sonntagsruhe war mit herausgekommen und schwamm ringsum in der milden Sommerluft. Großvaters Boot war hoch auf den Strand gezogen, fast unter die letzten Buchenbäume der Hölzung. Reglos starrten die Blätter in die graue Luft, nur manchmal war es, als rinne ein Zittern durch den Baum bis in das äußerste feinste Geäst. Ein Silberflimmerschein lag über dem Wasser, und von Zeit zu Zeit lachte drüben das andere Ufer in Sonnenleuchtefarben aus dem Grau. Er fühlte nun auf einmal die feierliche Ruhe ringsum. Da paßte er nicht hinein mit dem zornigen Mißmut, der immer wieder in ihm aufquoll wie eine trübe Welle. Warum ihn dies Gefühl überkam, konnte er nicht sagen. -- Zur Kirche gingen sie hier nicht oft, der Weg dorthin war viel zu weit. Aber bei manchen von ihnen war ganz tief unten in ihren wetterharten Seelen eine keuschumfriedete Stelle; dort wohnte die Sonntagsstille. Da war Lars jetzt hineingetreten. Er schämte sich des Hasses und Mißmuts, die nicht klingen wollten mit der stillen Sonnenwelt. Er saß auf dem Bootrand, den Kopf ein wenig vorgebeugt, die Lider tief über den Augen, mit dem feierlich, fast finstern Ausdruck über dem Gesicht, wie er sonst in der Kirche darüber liegen mochte. Denn in der sonntäglichen Stille war es über ihn gekommen, daß er dicht um sich her eine große heilige Nähe fühlte, in der sein Denken und Fühlen ein Echo fand. „Du dummer Lars,“ klang es ihm, und er beugte den Kopf noch tiefer, -- „mit deinem Sorgen und Grämen und Zürnen! Es ist ja alles für dich besorgt und das Wegziel gesteckt. Geh’ nur tapfer geradeaus, du dummer Lars!“ -- [2] Mein Freund. Kapitel X Sie hatten die saure Winterarbeit gut überstanden trotz ihres billigen schlechten Bootes. Und auch den Zorn hatten sie verschmerzt, daß die andern Fischer ihrem Boot vorbeiliefen und mit breitem Lächeln über ihre Schultern nach den zwei Nachzüglern blickten. Und bei der harten Arbeit hatte Lars selten über seine Einsamkeit und seine große Sehnsucht nachdenken können. Dann war es im Frühling gewesen, daß es in Lars endlich zur Reife gekommen war, was nun schon bald ein Jahr wühlte und wuchs. Er hatte tief aufgeseufzt, und dann begann er davon zu reden. Er legte alles langsam und bedächtig auseinander, und in Peter Lassens Augen zündeten sich Flammen an, und er schlug begeistert mit der Faust auf den Tisch. Hans Peter Lassen spuckte verächtlich aus und wollte von dem ganzen Unsinn nichts hören. Nun sah er endlich, wo die Bildung den Jungen verrückt gemacht hatte. Aber Klaas Klaaßen nickte langsam mit dem großen, grauen Kopf. Und am nächsten Morgen besorgten sie sich die Bohlen und Bretter. Von der See aus sah man das Feuer und die beiden langen Gestalten, die sich davor bewegten. Und sie achteten nicht der Brandwunden und der schmerzenden Hände, wenn sie die Arbeit der Maschine tun mußten und das starke Holz über der Flamme bogen. Und von Zeit zu Zeit kam Großvater mit breiten, langen Schritten und stand mit den Händen in den Hosentaschen ganz still, wie aus Holz geschnitten, kniff manchmal ein Auge zu und sah wohlgefällig auf das Hämmern und Sägen, wie die Hobel weiß umhersprühten, und die jungen Gesichter glühten. Und Hans Peter Lassen kam wie zufällig vorbei und warf ein verächtliches Wort über die Schulter und sah doch hin und kam am nächsten Tage wieder und blieb allmählich bei Großvater stehn, die Pfeife im Mund. Und die andern Fischer kamen und gaben in kurzen Worten Rat und Meinung. Aber die beiden Jungen ärgerten sich der Alten und hörten nicht hin. Nun war’s darüber Spätsommer geworden, und heute war der große Tag! Lustige weiße Köpfe tanzten über die blaue See. Eisern fest hielt Lars die Riemen und Peter Lassen ging voraus mit dem Mast über der Schulter. Unheimlich laut klangen Lars seine eigenen Tritte auf den Brettern des Ricks. Er wußte, daß sie alle auf ihn achteten am Strand, Großvater und die andern alten Fischer, und er trachtete hart danach, eben so gleichgültig auszusehen, wie Peter; denn ihm war, als müßten ihm die Alten anmerken, wie sein Herz klopfte. Und er ging steifbeinig und mit langen Schritten bis ans Ende des Ricks. Aber am Strand, auf den umgekehrten Booten saßen Großvater und Hans Peter Lassen und noch eine ganze Anzahl mit struppigen Bärten, wetterharten Gesichtern und scharfspähenden Fischeraugen. Und einer oder der andere stand auf und folgte ihnen breitbeinig und gemächlich, die Pfeife im Mundwinkel, auf das Rick hinaus. Vorn am Rick schaukelte ein gedecktes Fischerboot auf und nieder. Ein wenig unbeholfen war die Form, aber sonst sah es neu und schmuck aus. Peter ließ sich zuerst hinunter gleiten. Es hatte etwas Geschmeidiges, unähnlich seinem steifen Bewegen, wie er sich ins Boot schwang. Lars’ Hände zitterten, als er ihm die Riemen herunterreichte, aber sein Gesicht blieb gleichmütig. Rrrr, ging das Segel hinauf. Die Fischer zeigten mit dem Daumen nach dem Segel und der Stellung des Mastes und nickten mit dem Kopf. Und nun stießen sie sich ab. -- Lars saß am Ruder, den Kopf ein wenig nach vorn gestreckt. Wie sie vom Land freikamen, faßte sie die frische Ostbrise. Es rasselte und klapperte in den Tauen, die weißen Wellenköpfe sprangen gegen das Boot, aber es behielt die Nase oben und lief gemächlich gegen an. Da stieg eine rasche Farbe in Lars’ Backen. Am Ufer aber hatte sich ein beifälliges Gemurmel erhoben, sie wurden fast lebhaft in ihrem Bewegen. Aber Großvater saß ganz still auf dem umgekehrten Boot und schmauchte. Nur seine Augen lachten. Dies war die Probefahrt gewesen. -- Der siebzehnjährige Junge hatte es erreicht. Freilich, ein wenig schwerfällig war noch das neue Boot, und es lief auch noch kaum so schnell wie die andern Fischerjollen, aber es war doch ein seetüchtig Boot, das sagten sie alle, und daß es überhaupt lief, das war das Verwunderliche. * * * Das war an einem Sonnabend, und am Nachmittag brachte Lars mit Großvater die Fische nach der Räucherei. Gegen Abend war der Ostwind zu Bett gegangen, und sie krochen mit schlappem Segel mühselig über die Bucht. Die Ufer spiegelten sich tief im Wasser, und die große Stille lag wieder auf breiten Flügeln über See und Land. Das lautlose Hingleiten und das ewige Schweigen um ihn her löste etwas in Lars’ Seele, daß die Härte des Mühens und Quälens ums tägliche Brot zurückglitt und er zum erstenmal anfing, von der Sehnsucht zu reden, einmal hinaus zu kommen über diese schlichte Runde von Mühen und Quälen, Essen und Schlafen. Und er fand auch Worte für seinen Zorn und Haß gegen den reichen Onkel und die satten Leute überhaupt. Aber der Alte hielt die Hand am Ruder, sah geradeaus über die lautlose Fläche und sagte kein Wort. Als sie so eine Weile unhörbar hingeglitten waren, bewegte er langsam die Lippen, als spräche er mit sich selbst. Und mit eins fing er in seiner stockenden, murmelnden Weise an. „Lars, min Jung’,“ sagte Großvater. „Kannst du nich sehn, daß da rings herum alles so eine richtige, feine Ordnung hat, und paßt sich eins ins andere, rein wie mein Harmonium. Nur die Menschen machen da wohl mal einen Wirrwarr hinein. Das ist dann der verstimmte Ton, weißt du. Dann klingt das, als ob die ganze Melodie falsch ist, und kein Ton weiß mehr, ob er an seinem richtigen Fleck sitzt. Aber das bleibt alles ganz richtig, und wenn der eine falsche Ton weg ist, dann merkt man das. -- Ich glaube, jeder muß nur richtig fest auf seinem eigenen Ton bleiben, dann paßt ihn die große feine Ordnung überall herein. Nur wenn er nicht fest hält auf seinem Ton und wackelt herum und macht selbst einen Wirrwarr, dann muß er heraus. Wenn’s geht, läßt man ihn ganz aus der Melodie, und die große Ordnung rings herum, wo alles arbeitet und brauchbar ist, sucht auch nur, wie sie ihn los wird.“ Das traf Lars auch alles, als sei es in seiner eigenen Seele gewachsen. Nur dunstiger hatte er es auch schon gedacht. Aber von dem Drängen und Sehnen konnte Großvater eben doch nichts wissen. „Ja“, fing er endlich wieder an und strich mit der Hand immer auf der Duchte hin und her, „wenn man bloß so wissen könnte, welches der richtige Ton ist, der einem eigentlich gehört. Das Boot habe ich doch fein gebaut, und zu so was habe ich doch mächtige Lust, da wär’ das doch dann richtig gut, wenn ich zuletzt +doch+ zum richtigen Schiffbauer käme. Aber wenn das dann nicht geht, was ist denn da mein eigener Ton?“ „Ja, min Jung’, das is nich so leicht, wie Spickaal essen. Das is nich leicht und finden das raus, und ebenso schwer is dann wohl das Erklären, denn das merkt jeder bloß ganz allein. Wenn’s auch manchmal nicht so geht, wie du denkst, mußt eben aufpassen und lauern, wo dich die große Ordnung hineinpaßt. Mit dem Gegenanstrampeln, wenn die Ordnung nich will, und das Ding nich reif is, wird das sein Leben nix. Das gibt man einen großen Tüter.“ „Aber immer so still sitzen und sich ducken, ist doch auch nichts. Da drüben in Wanbyll die Fischer, die halten zusammen und wollen mal die ganze Welt neu machen, das ist doch fein.“ „Das Zusammenhalten, ja, das is wohl was Rechts, aber mit dem andern all’ machen sie mir viel zu viel Lärm. Da glaub’ ich nich an, das is nich was, was die Ordnung reif gemacht hat. -- Wirst schon sehn, arbeiten und langsam wachsen, und kein Spektakel, sonst wird da mein Tag nix draus.“ Lars ruckte mit den Schultern, er war ungeduldig. Aber so oft er wieder anfing zu reden, Großvaters Mund war nun wie ein fester Strich und die Linien an den Seiten fest eingegraben. Er sagte kein Wort mehr. Er sah weit über See und kniff von Zeit zu Zeit mit dem einen Auge. In Lars aber war nichts von der gleichmütigen Ruhe. Der junge Ruhm und dann das Gespräch mit Großvater hatten sein Denken und Fühlen wachgeschüttelt, daß ihm die Brust zu eng wurde. Und es bäumte sich in ihm der Wille in Auflehnung gegen das Stillehalten und Horchen. Heute abend wußte er, daß er handeln mußte, vielleicht wie die in Wanbyll es wollten, -- vielleicht anders. Nur nicht stillsitzen und abwarten! Dann aber traten sie zurück in ihre stille Welt. Das Gleichmaß der Arbeit legte die schwere, ruhevolle Hand auf Lars, und unbemerkt glitt er in die dunstig-grüblerische Verträumtheit seiner Eigenwelt zurück. Kapitel XI Oben auf Moosgaard war Erntebier. Die Tage nahmen schon ab, und in der Dämmerung warf der feuchte, kalte Wind die Wellen klatschend auf die Steine. Lars und Peter Lassen gingen zusammen den Fußsteig hinauf. Peter hatte sich ein neues weißes Chemisett gekauft, das nicht recht in seiner Weste haften wollte. Aber sein Gesicht glänzte in gleichmütiger Würde über dem kleinen bunten Schlips. Lars hatte jetzt ganz so einen blauen Anzug wie Peter. Er ging ins neunzehnte Jahr und sah groß und männlich aus. Peter hatte etwas Besonderes, was ihn auf dies Erntebier lockte. Er hatte eine richtige Braut. Noch war er nicht ganz zwanzig. Aber seit bald vierzehn Tagen hatte er eine Braut. Er hatte Lars genau erzählt, wie das Ganze gekommen war: In der Ziegelei, wo er gearbeitet hatte, wohnte eine ordentliche Familie. Arme Arbeitsleute waren es, aber der Mann trank nicht wie die andern dort und hielt sich auch mehr für sich. Die Frau war lange tot, und die große helle Tochter sorgte für den Hausstand und die kleinen Geschwister. Peter hielt sich immer zu den Ordentlichen, und so war er bald mit dem ruhigen Mann und seinen flachsköpfigen Kindern gut bekannt geworden. Er hatte oft im Winkel neben dem Herd gesessen, und seine wachen Augen waren hin- und hergewandert mit dem starken, sichern Bewegen der großen Schwester. Nun hatte er neulich Dora Nielsen wieder getroffen. Oben im Flecken war es gewesen, und sie hatte still und viel ernster ausgesehen. Der Vater wäre schon seit ein paar Monaten tot, sagte sie ihm. Er hatte sich überhoben mit einer allzuschweren Steinlast. Da war ein Blutsturz gekommen, und er war gestorben. Der Körper sei schon zu schwach und verarbeitet gewesen, meinte der Arzt. Die Geschwister hatte sie unterbringen müssen. Zwei waren ja Gott sei Dank so weit, daß sie auf Arbeit gehen konnten. Der Älteste war zum Bauern, den Zweiten hatte sie in die Lehre gegeben, weil er nicht so kräftig war. Bis jetzt hatte sie noch bei der Frau vom Ziegeleiherrn gearbeitet und die kleinen Geschwister dabei besorgt. Nun war das zu Ende. Die Kinder waren in der Gemeinde verteilt, und Dora suchte einen Dienst. Wenn es noch weiter so schwer hielt, einen guten Dienst zu finden, wollte sie dort, wo der Bruder als Knecht diente, Meiereimädchen werden. Sie hatte die ganze Zeit zur Seite gesehen und traurig vor sich hin erzählt, ganz anders, als die starke Helle sonst gewesen war. Das letzte hatte sie gleichgültig, fast finster gesagt. Aber Peter hatte ein ernstes Gesicht gemacht, denn das war ein böses Brot für so ein schmuckes, kräftiges Mädchen. Eine Zeitlang war er ganz still neben ihr durch den Flecken gegangen. Dann war er stehen geblieben und hatte sie gefragt, ob sie seine Frau werden wollte. -- Er hatte es im Grunde nur gesagt, weil sie ihm so leid tat, nun sie aber seine richtige Braut war, wollte er sie auch allen Leuten zeigen und war unbändig stolz, daß er sich so eine kräftige, tüchtige Frau ausgesucht hatte. Und um sich mit seiner Braut sehen zu lassen, ging er jetzt neben Lars nach Moosgaard hinauf. Mit aller Gewalt konnte Lars seine Züge nicht in Peters großartige Gleichgültigkeit zwingen. Er war Peters Zureden nur gefolgt, weil die Tochter von Bauer Hoek zum Tanze kommen würde. Die hatte er ein paarmal bei Onkel Asmussen gesehen, denn der Vater gehörte zur Dänenpartei. Sie war viel älter als er, aber ein stattlich-schönes Mädchen. Das dunkle wellige Haar trug sie in der Mitte gescheitelt, und mit den hellblauen Augen sah sie unter dunklen Wimpern herausfordernd in die Welt. Sie war immer gut gewesen zu dem langen Jungen mit der ernsten Stirn, und wenn sie ein Wort an ihn richtete, durchrann es ihn heiß, daß er fortsah und kaum zu antworten wagte. Nun lehnte er immer an der grauen Wand im Gasthaussaal und dachte, wie er es anfangen konnte, daß sie mit ihm tanze. Seine sonderbaren wechselfarbigen Augen, die so tief unter der braunen Stirn saßen, folgten ihr überall durch den Saal. Deswegen sah er auch die hübschen Blauaugen nicht, die fast bittend auf ihm ruhten. Das war Trina Lassen, Peters kleine Schwester, die so brennend gern einmal getanzt hätte. Sie war ein unscheinbares kleines Mädchen, kaum sechzehnjährig und in diesem Herbste bei Frau Henriette Asmussen in Dienst getreten. Je länger Lars dastand, um so unbehaglicher wurde ihm zu Mute, und er ärgerte sich, daß Peter ihn zum Mitgehen beredet hatte. Er sah nach Peter hin. Der saß am Tisch in der Ecke, ein großes Glas vor sich. Die blonde Dora saß neben ihm. Peter hatte nie tanzen gelernt, und nun fand er das Hüpfen und Drehen zum Lachen und ganz unter seiner Würde. Wenn sein Vater vom Grog erwärmt ein wenig lustig wurde und von der Zeit, da er der beste Tänzer gewesen war, zu erzählen begann, trommelte Peter auf der Fensterscheibe und sprach vom Verdienst der letzten Woche. So saß er hinter dem Tisch in der Ecke und sah sich triumphierend um. Da er nicht tanzte, sollte seine Braut auch ruhig und ordentlich bei ihm sitzen bleiben. Aber Dora warf nur den Kopf zurück und lachte hell und lustig. So ein bißchen Spaß machte es Lars doch, daß Peters Braut den langen, großartigen Menschen auslachte. Und Dora tat ihm leid, wenn ihre Freunde von früher an den Tisch traten und mit ihr tanzen wollten. Er sah, wie ihr Peter dann einen Puff gab. Sie wollte nicht tanzen, mußte sie dann immer wieder sagen, aber sie lachte zuletzt gar nicht mehr, sondern sie kriegte ganz böse Augen dabei. -- Dann achtete Lars aber nicht mehr auf sie, denn die schmucke Hoektochter war zwischen den Tanzenden herausgetreten. Sie setzte sich auf die Bank an der Wand und nestelte an ihrem Schuh. Da wurde er rot bis an die blonden Haare hinauf und ging sehr steif und ein wenig linkisch quer durch den Saal. Es war ihm, als ginge ihm im Kopf alles durcheinander. Er wußte gar nicht, wie er es gemacht hatte, sie zum Tanz zu fordern. Sie lachte ja wohl, als sie mit ihm kam, aber er dachte jetzt nur daran, in Tritt zu kommen. Sie gab ihm einen kleinen Stoß, und er tauchte zwischen die Tanzenden mit demselben Gefühl, das er beim ersten Kopfsprung gehabt hatte. Er gab sich viel Mühe, daß ihm der Schweiß übers Gesicht lief, und sie schob und steuerte an ihm. Und dann war es endlich überstanden, und die Paare gingen langsam hintereinander im Saale herum. Tramp, tramp, klang es, und es war eine Feierlichkeit dabei. Lars sah noch ernster aus, als die meisten wetterharten Gesichter um ihn her. Und doch gingen glückliche Gedanken in ihm um. Fast zitternd vor Glück war er sich bewußt, daß er die stattlich-schöne Hoektochter am Arme hatte. Er dachte daran, wie er sie das letztemal gesehen hatte. Da stand sie im weißen Erntezeug hoch oben auf der sonnengleißenden Weizenkoppel, den tiefblauen Himmel hinter sich. Unter der weißen Sonnenhaube hatte ein heißes, rotbraunes Gesicht herausgelacht, und die Augen hatten gesprüht von sieghaften blauen Blitzen. Er hatte sich gar nicht herangewagt. Und nun hatte er sie doch dicht neben sich ganz fest am Arme. Verstohlen sah er nach ihrem Gesicht. Da saß wahrhaftig noch das warme Licht, und das herausfordernde Sprühen war in den Augen. Da sah er auf die andern, und es war ihm, als hätten sie alle von der heißen Arbeit auf den goldenen Koppeln so eine warme Siegesfreude mitgebracht, und ihr feierlicher Ernst kam ihm wie eine stolze Würde vor. Nur er selbst hatte nichts Rechtes geleistet, meinte er, daß er wert war, dies stolze Mädchen am Arm zu haben. Diese Gedanken schwammen unbestimmt durch seinen Sinn, aber sie füllten ihn so aus, daß er auf nichts anderes acht hatte. Da fühlte er auf einmal eine große schwere Hand auf seiner Schulter, die ihn zurückzog. Ein stämmiger Bauernsohn nahm den Arm seiner Tänzerin und zog ihn durch den seinigen. Lars sah noch, wie die beiden großen Menschen sich in die Augen lachten. Ein Gefühl unendlicher Erniedrigung übergoß Lars glühend heiß von oben bis unten. Dann wuchs ganz langsam die Wut und gleichzeitig sagte sein Stolz: Nicht merken lassen. Er drehte sich auf dem Hacken um und sah im Saale herum. Da begegnete sein Blick den bittenden Augen von Klein-Trina. Er ging fest und steif zu ihr hinüber und zog sie ohne ein Wort in den Saal. Die hielt den Kopf tief zwischen den Schultern und wußte auf einmal nicht, ob sie sich freute, oder ob sie sich schämte. Als der Tanz zu Ende war, sah Lars, daß der große Bauernsohn nach der Tür ging. Da machte er ein paar lange Schritte hinter ihm her, und er war gar nicht mehr verlegen. Er sah auch nicht mehr so linkisch aus dabei. In der Tür sah er flüchtig nach Peter Lassen hinüber. Der hatte sein großes Glas mit festem Ruck zurückgestoßen und war in seiner ganzen Länge aufgestanden. Nun ging er mit Lars hinaus. Was die zwei im dunklen Wirtsgarten mit dem jungen Bauernsohn und seinen Freunden vorgehabt hatten, erzählten sie nachher nicht. Aber als sie nach einer Viertelstunde wieder in den Saal kamen, zupften und rückten sie an ihren Sachen, und ihre Haare sahen sehr zerzaust aus. Sie zwinkerten ein wenig, als sie in die Tür traten, weil sie das helle Licht blendete. Staub und Tabaksqualm ließen sie die Dinge nicht deutlich erkennen. Aber der Platz am Tisch, wo Dora gesessen hatte, war leer, das konnten sie sehen. Da blickte Lars wieder auf Peter Lassen, und es wurde ihm ein wenig unbehaglich, wie er seine Augen sah. Die fuhren im Saal herum. -- Da endlich -- dort hinten wiegte sie sich im Tanze auf und ab, und gerade mit dem dicken Jens von der Ziegelei, den Peter nicht leiden konnte. Peter lehnte sich an den Türpfosten, und sein Gesicht sah dunkel aus. Jetzt war es ihm gelungen, ihren Blick aufzufangen. Seine Augen brannten, und er machte ihr ein herrisches Zeichen. Aber Dora wandte den Kopf nach der andern Seite und schwatzte lustig weiter mit dem dicken Jens. Da stieg es dunkelrot bis in Peters Stirn, und die Adern schwollen an den Schläfen. -- Zwei Tänze lang blieb er so regungslos am Türpfosten gelehnt. Die Aus- und Eingehenden stießen gegen ihn, aber er merkte es gar nicht. Lars blieb treulich neben ihm. Er wußte nicht recht, was er nun dabei zu tun hatte. Aber als sie nach dem zweiten Tanz noch immer dort drüben im andern Winkel blieb, machte Peter ein paar lange Schritte durch den Saal. Er schien ganz ruhig, nur die Adern waren noch angeschwollen, und die Augen hatten ein sonderbares Glitzern, aber er war wirklich ganz ruhig. Er faßte Dora bei der Hand und sagte: „Komm jetzt.“ Sie warf wieder den Kopf zurück und lachte, aber sie ging doch mit. Mitten durch den Saal und zur Tür hinaus ging er und hielt sie immer an der Hand. Nun wußte Lars gar nicht mehr, was er tun sollte. Aber wenn Peter so aussah, stand es schlimm. Da ging er hinter ihm her. „Peter -- laß doch!“ sagte er halblaut. Aber der hörte gar nicht hin und ging in den dunklen Garten hinaus. Da packte er mit einem Male ihren Arm und schüttelte ihn. „Schäm’ dich! Schäm’ dich!“ sagte er immerfort. Sie weinte laut auf vor Zorn. „Du solltest dich schämen! Weil ich ein armes Mädchen bin, willst du mir befehlen wie deiner Magd. Schäm’ du dich. Wenn ich kann, tu’ ich es gleich wieder so.“ Da hörte Lars einen klatschenden Ton in der Dunkelheit. Peter Lassen hatte seine Braut geschlagen. -- * * * Das Boot sah finster aus in der feuchten Morgenluft. Die großen, braunen Segel sind heute fast schwarz von Nässe und stehen wie Fledermausflügel vor der grauen Luft und dem endlos grauen Wasser. Und es ist nur das leise klatschende Geräusch des Wassers, das die große Stille stört. Und dann, wenn die Arbeit beginnt, das gleichmäßige Platschen, wenn das Netz mit gemessenen Griffen ausgeworfen wird. Lars ist bei der Arbeit, und er packt fest an mit zusammengezogenen Brauen. Und bei jedem Ruck denkt er, daß er die stolze Hoektochter straft und ihr zeigt, daß sie ihn nicht beleidigen konnte. Aber er hat ein paar große blaue Male im Gesicht und im Herzen den großen Schmerz um seine erste Liebe. Peter sitzt an den Riemen und glotzt vor sich hin. Er kann es alles nicht verstehn. Sich selbst und Dora Nielsen und die ganze Welt. Aber am wenigsten versteht er, warum ihm jetzt, da sie ihm nicht mehr gehört, die frische Helle immer vor der Seele steht, als das einzig Sonnige im Leben. Und Lars faßt in die großen, rauhen Haufen nassen Netzwerks und wirft sie hinaus, immer mit demselben gleichmäßigen Griff, und immer platscht das graue Wasser auf und die öde, graue Unendlichkeit liegt ringsum in tiefem Schweigen, und sie fühlen beide ganz deutlich, daß nun alles aus ist. Kapitel XII Ob die alte Uhr zu Hause im großen, weißen Bauernhof noch geht? Wenn das Wasser noch plätschert im Brunnen mitten auf dem Hof und die weißen Mauern schützen ihn noch nach drei Seiten vor dem harten Seewind, wie liebevolle Arme einer guten Mutter, dann muß auch die Uhr noch ticken, denn das gehört alles zueinander. Dann ist es viele tausend und abertausend Schritte so hingegangen „Ticke-Tack“ mit unerbittlichem Schreiten. Lars ist darüber zum Mann geworden. Mitten in das sachte Hinträumen in der vertrauten Gewohnheit war wie ein scharfer Ruck die Einberufung gekommen. In der großen, fremden Hafenstadt hatte zuerst das Heimweh an ihm gefressen. Da hielt er sich ganz für sich, und sein Wesen hatte etwas Scheues, daß seine Vorgesetzten und Kameraden ihn für einen Dummen hielten. Ihr Spott wurmte ihn, und der Zorn über ihre Mißachtung weckte ihn auch zuerst aus seiner träumerischen Dumpfheit. Und wie damals in der Schule, so gewann er sich bald ihre Achtung, als er sich erst einmal zusammenraffte. Die in ihm schlafende zuverlässige Tüchtigkeit kam bald an die Oberfläche seines Wesens. Und auch seine Vorgesetzten hielten etwas auf ihn. Da wachte auch die Selbstachtung mehr auf. Nun war das Streben nach Männlichkeit ein bewußtes Wollen geworden. Darum versagte er sich auch den Weihnachtsurlaub. Er wollte das Heimweh nicht wieder wecken, und von Haus hatte er den Sinn für das Geldzurücklegen als erste Bedingung der sicheren Verläßlichkeit mitbekommen. Da legte er das Reisegeld an und ging in den freien Weihnachtstagen mit den Händen tief in den Taschen vergraben und seinem unbeweglich ernsten Gesicht in den Straßen der Stadt herum. Und mit dem stillen, ernsten Blick trank er vieles in sich hinein und grübelte darüber, bis er verstand, worum es sich handelte. Am liebsten war er am Hafen, und er fing auch in seiner ruhigen, ernsten Art hier und da ein Gespräch mit einem Werftarbeiter an. Die älteren Arbeiter mochten auch den zuverlässig-stillen Soldaten gern leiden. Allmählich gewann er dort einige Männer zu Freunden. Und eines Tags traf er Hans Todtsen. Hans Todtsen von der Schule war bei der Werft angestellt. Der wollte Lars bereden, daß er dort eintreten sollte, sobald er frei kam. „Du kannst dich als Werftarbeiter leicht heraufarbeiten und es zu etwas Ordentlichem bringen. Was ist denn das für dich, das Fischerspielen!“ Da tat es sich noch einmal auf vor Lars wie große, weite Möglichkeiten, daß er ordentlich tief Atem holen mußte. Aber dann dachte er an den Zwang, daß diese Arbeiter nicht handeln durften, wie sie wollten, sondern von irgendwo eine fremde Gewalt über ihnen war, daß sie gehorchen mußten und doch nicht recht verstanden wem und wozu. Und es war, als ob etwas Starkes, Weites in ihm aufstand und sich reckte, daß ihm gleichsam die Brust weiter wurde dabei. Er dachte an die selbstgebauten Boote zu Hause und das freie Leben, wo er sein eigener Herr war und keiner ihm zu sagen hatte. Und dann fiel ihm gleich Großvater ein, wie müde er jetzt oft zusammensank nach der harten Arbeit, und Mutters stilles Quälen und Mühen. Und er sann, was die Alten machten in all der Zeit ohne ihn, und was sie sagen würden, wenn der Brief kam, wo es drinstand: Lars kommt überhaupt nicht wieder. Sein Geld braucht er selbst, um weiter zu kommen. Vielleicht später einmal, wenn er sich heraufgearbeitet hat, dann kann er euch helfen. -- Später. -- Und wenn er dann endlich gekommen wäre, und die Alten hätten sich fertig gequält und wären fortgezogen in das unbekannte Land, wo sie sein Geld nicht mehr brauchten? -- Da sagte er Hans Todtsen, daß er keine Lust hätte, Werftarbeiter zu werden, und reiste nach Hause. Zu Hause war es ihm erst viel zu still, und die öde, graue Einsamkeit machte ihn mißmutig. Es stieg auch der Gedanke wieder auf, ob er auch recht getan habe mit der Heimkehr; denn er meinte, daß sich da immer noch etwas in ihm regte, das Besseres hätte leisten können, als Fische fangen. -- Lars hatte Zeit zum Grübeln; denn ihm fehlte die Arbeit in dieser Zeit. Peter arbeitete schon lange wieder auf der Ziegelei. Als es dort keine rechte Arbeit für ihn gab, war er in der Ernte zum Bauern gegangen. Lars hatte er geschrieben, daß die Ernte spät sei und der Bauer noch viel Arbeiter brauchen könnte. Da ging Lars bald nach seiner Ankunft ein paar Stunden ins Land hinein zum großen Bauernhof. Es sah sauber und fein aus auf dem breiten Hof, und die bunten Blumen standen hoch vor den weißen Wänden. Aber der Bauer blinzelte ihn mit den hellen, kalten Augen an und sagte, daß er seinen Großvater wohl kenne und von Herrn Asmussen gehört habe, was für einer Lars sei. „Ich kann deutsche Arbeiter nicht brauchen“, sagte er, und Lars mußte ohne Mittagbrot den weiten Weg immer zwischen den hohen Knicks nach Hause wandern. Ein Stück weit gab ihm Peter das Geleit. „Ja, so ist er,“ sagte Peter. „Wir müssen dänische Lieder singen und im dänischen Blatt lesen und, wenn wir’s nicht tun, gibt uns die Frau einen schlechten Mittag. Das ist rein zu doll hier oben. So wie Jens Steen sind sie fast alle ringsherum auf den großen Höfen. Wenn hier ein deutscher Schmied oder Zimmermann herzieht, der kann alle Tage Sonntag feiern. Arbeit geben sie ihm nicht. Sie tun ja auch alle so, die kleinen Leute, als wenn sie wunder wie bissig wären auf die Deutschen, dann geht’s ihnen fein. Ich wär auch schön dumm, wenn ich merken ließe, wie ich denke.“ Aber Lars ging mit großen Schritten neben ihm und sagte kein Wort. Dann schlug er auf einmal mit der Faust durch die Luft. „Eine Schande ist es,“ sagte er. „Nun kommt man aus der Stadt nach Haus und denkt, hier auf dem Lande sind die Leute frei und ihre eigenen Herren, und da ist es wieder.“ „Was denn?“ sagte Peter Lassen. „Der verfluchte Zwang, Mensch. In der Stadt bin ich natürlich oft bei der Werft herumgekrochen, wenn ich Zeit hatte. Da habe ich ein paar ordentliche ruhige Leute gekannt. Genossen waren sie natürlich, wie die andern auch alle. Und du weißt ja, Peter, ich hab’ das auch immer schön gefunden, was die da in Wanbyll wollten. Aber bis zu vier Mark mußten sie manchmal in der Woche an den Verband abgeben. Und glaubst du, daß sie so dachten, wie die andern? Is ja all dummen Snack, sagten sie. Wie die das haben wollen, wird das nie, und unterdessen stockt mit dem ewigen Streiken der Handel, und wir Arbeiter haben den größten Schaden. Aber sie mußten mit, und wenn sie noch so gut im Verdienen waren, gefeiert mußte werden, ob sie wollten oder nicht. Und der Zwang ärgerte mich. Ich habe mir da manchmal gedacht, wenn ich bei der Werft geblieben wäre, hätte ich mich wohl heraufarbeiten können. Hans Todtsen von der Schule habe ich in der Stadt getroffen. Der kommt gut vorwärts, und der wollte mich da auch gern festhalten, aber ich will hier lieber frei und mein eigener Herr sein. Den Teufel aber auch, wenn es hier nicht besser ist.“ * * * So mußte denn weiter gefeiert werden, bis Peter nach der Ernte beim Bauern frei kam. Sie konnten mit dem Heringsfang nicht beginnen, weil sie vier Mann brauchten in den zwei Booten. Aber endlich war die untätige Zeit vorbei, und Peter war wieder da. Da fing die schwere Arbeit an. Großvater war sehr alt geworden in den letzten Jahren, und Hans Peter Lassen hatte angefangen zu kränkeln. In jedem Boot ging nun einer der Jungen mit einem der Alten hinaus, und der Junge mußte eine weit größere Arbeitslast tragen als sonst. Da kam mit der Arbeit die ruhige Sicherheit zurück, und Lars fing wieder an, die starke Seeluft tief einzuatmen und zu fühlen, daß er zu Hause war. Kapitel XIII Der Wind hatte die ganze Woche eiskalte Regenböen über das Wasser gepeitscht. Weiße Säume waren an ihren Kleidern, wenn sie wie rasend über dem schwarzen Wasser dahergelaufen kamen. Und die Fischerboote duckten sich und bäumten auf und scheuten, wie wildgewordene Pferde, wenn sie auf sie einstürmten. Es war ein saures Arbeiten, und ein paarmal waren ihnen die Boote voll Wasser geschlagen, daß sie alle ernste Gesichter machten und zu schöpfen begannen auf Tod und Leben. Aber es war noch immer gut gegangen, und sie wollten nicht gern zu Hause bleiben, weil der Fang reich war in diesen Herbstmonaten. Aber den Alten war diese Zeit sauer geworden. Der alte Händler, bei dem Großvater schon so lange, wie Lars denken konnte, seine Fische verkaufte, war gestorben, und sie mußten sich einen neuen suchen. Die Fischer rings um die Bucht hatten alle viel gefangen, darum drückten die Händler die Preise unmäßig herunter. Peter aber hatte gelesen, daß die Heringe in der Nachbarstadt weit höher im Preise standen. Da schickten sie die Fische dorthin. Aber die Händler hatten es gemerkt, und, weil sie untereinander verbunden waren, nahmen die in der anderen Stadt die Fische nicht an. Der Bescheid kam an die Fischer, daß die Sendung unterwegs verdorben sei. Da war das schwere Ringen mit dem schwarzen nassen Feinde umsonst gewesen. Großvater streckte die steifen milden Glieder und sagte weiter nichts. Aber in Lars stieg wieder der finstere Zorn auf. Der Herbst hatte trotz der vielen Fische keinen guten Verdienst gebracht. So mußte im Winter tüchtig gearbeitet werden. Aber es war ein harter Winter. Eine Zeitlang stand das Eis auf der Bucht, da mußten sie zu Hause bleiben. Lars holte wieder einmal seine lieben, alten Bücher hervor und saß in der Stube bei Mutter Stina und las und las, und wenn sie mit ihm sprachen, gab er keine Antwort und sah sie alle zornig an. Und Mutter Stina ging leise um ihn herum und sorgte, daß er Ruhe hatte. Und dann stand Lars wieder am Strand und sann darüber nach, was das Leben wohl von ihm wolle. Als es ein wenig taute, und der Wind das Eis an die andere Seite der Bucht trieb, gingen sie wieder hinaus. Aber es war nicht gut mit den Fischen. Vor der Bucht hatten die Fischer von draußen Stellnetze gezogen. Die draußen hatten einen guten Verdienst, aber die Heringe fanden keinen Weg mehr in die Bucht herein, und so war hier der Fang nur gering. Peter Lassen schimpfte und fluchte jedesmal, wenn sie mit dem kleinen Fang nach Hause kamen, und Lars hatte zornige Augen. Aber die beiden Alten blieben ganz gleichmütig. Und alle vier blieben stetig bei der Arbeit, selbst wenn sie kaum der Mühe zu lohnen schien. Und in ihrer zähen Stetigkeit brachten sie es doch weiter als manche andere. * * * Sie hatten alle Achtung vor den beiden Jungen. Viele von den struppig-grauen, wetterharten Köpfen nickten bedächtig, wenn sie von Lars Asmussen und Peter Lassen sprachen. Unter den Jungen waren aber manche, die mit der breiten Hand durch die Luft schlugen, als wäre es nicht viel wert, von den beiden zu reden. Sie gingen so ruhig vor sich hin und unternahmen auch nichts Rechtes. Aber Peter sagte: „Ja, das ist eine feine Art, wie dazumal Klaus Toms. Der fuhr heraus in Sturm und Eis außen vor die Bucht und ging da vor Anker, Mut hatte er wohl, und Fische kriegte er auch die schwere Menge da draußen. Und dann wollte er Gut davon haben und ging jeden Abend nach Seegade an Land ins Wirtshaus. Und als er nach vier Wochen wieder zur Frau zurückkam, brachte er ihr ein feines Geschenk mit; weißt du, was das war? -- Hundert Mark Schulden!“ Aber die andern gingen fort und murmelten, es sei man bloß, weil die zwei sich fürchteten mit ihrem eigengemachten Boot. Aber wenn dann die zwei Jungen ihre Segel setzten und in ihrem neuen Boot so ruhevoll, fast feierlich dahinglitten und ihnen allen vorbeiliefen, dann waren sie still und sahen nach der andern Seite. Und auch darauf hatte Peter eine Antwort, wenn sie an ihm stichelten, daß er und Lars zu keinem Spaß zu haben seien. „Wo viele zusammen sind,“ sagte er, „da hat immer einer Durst. So kommt das Trinken zuwege. Ein ordentlicher Mensch ist besser für sich.“ Und Lars und Peter wußten es, daß sie ordentliche Menschen waren. Und sie trugen den Kopf hoch und steif. Lars vergaß es manchmal über all seinen krausen, grübelnden Gedanken, aber bei Peter war das Bewußtsein eigentlich immer gegenwärtig. Das gab ihm etwas Sicheres, Zufriedenes und seinen Augen ein fröhliches Licht. Nur ganz selten kamen wohl aus der Rumpelkammer von Peters Herzen Erinnerungen herauf an etwas Helles, das in sein Leben hereinfiel wie Sonnenlicht. Dann wurde er mürrisch, und sein großartiges Wesen war herausfordernd und verletzend. Peter und Lars waren auch selten mit andern jungen Leuten zusammen. Aber wenn bei Hans Peter Lassen die Fischer von Wanbyll saßen, dann kamen die zwei mit ernsten Gesichtern und gesellten sich dazu. Zwei von den Fischern waren ältere Männer. Kords, der dritte, war noch jung, aber so gut wie ein Krüppel. Beim Netzeinziehen hatte er einen Seeteufel mit der Hand gefaßt. Da war eine böse Vergiftung entstanden, und der Arm blieb gelähmt. Dem Fischer kam nur die Unfallversicherung nach dem landläufigen Tagelohn zu, und die war gering. Kords hatte etwas Finsteres, als wäre er immer in Zorn. Das kam, weil er mit der Frau und den vielen kleinen Kindern im Elend saß. Auch die beiden andern Fischer gehörten zu den Unzufriedenen. Vom roten Trollsen sagte Peter lachend: „Der hat sein Geld versoffen, und nun schimpft er.“ Maszen aber mit den verkniffenen Zwinkeraugen und dem borstigen Graubart hatte das Schimpfen ebenso an sich wie das gute Rechnen. Und auf dem Gebiet hatten sich die aus Wanbyll mit Hans Peter Lassen zusammengefunden, denn Hans Peter sah auf sein Geld. Aber Lars hatte einen andern Grund, wenn er sich in Hans Peter Lassens Hütte setzte und still zuhörte, wenn die aus Wanbyll sprachen, oder immer wieder zu fragen hatte. Als Junge hatte es ihm immer schön geschienen, was die Wanbyller wollten. Alles sollte so eingerichtet werden, daß die Arbeit zu ihrem Rechte kam in der Welt, und keiner es besser hätte als der andere. Und alle wollten sie zusammenhalten bis in den Tod. Aber seit er in die Welt herausgekommen war, da war er mißtrauisch geworden. Der Zwang und das Dreinreden waren ihm einmal zuwider. Beim Militär war es ihm auch schon verhaßt gewesen. Aber das hatte er nun verstanden, daß die Leute da sein mußten, um das Vaterland zu beschützen. Auch merkte er wohl, wie die stramme Zucht eine harte, feste Männlichkeit in ihm aufgezogen hatte. Das andere aber verstand er nicht, darum mißtraute er dem. Er las jetzt viel in den Zeitungen, und ihm schien das, was die Führer der Genossen sagten, gar nicht so recht nach dem zu klingen, was er sich gedacht hatte. Es kam ihm so unvernünftig vor, und als suchten sie ihren eigenen Vorteil. Eben, wie Großvater sagte, sie machten zu viel Spektakel. Und nun suchte er von denen aus Wanbyll mehr zu erfahren. Aber die schimpften wohl einmal mächtig los auf alles, wie es jetzt war. Aber so ganz verstanden hatten sie es nicht, wie es werden sollte, und Lars kriegte von ihnen überhaupt keinen rechten Bescheid. -- Da wurde er immer stiller und merkte wohl, daß er sich solche Dinge alle selbst herausgrübeln müßte. Und er kam auch seltener in Hans Peters Haus, wenn die Männer aus Wanbyll da waren, sondern hielt sich nun noch mehr allein. Und Hans Peter war zufrieden, wenn Lars fortblieb, denn das, worüber der sprach, hatte für Hans Peter Lassen kein Interesse. Er redete über Fische und Fischpreise, und Jung-Peter hatte da auch viel zu sagen. Jung-Peter arbeitete gern einmal hart, wenn ein guter Verdienst in Aussicht stand. Aber das taten sie auch wohl in der andern Hütte. Klaas Klaaßen war für das Anpacken und Sparen. Und trotz des schlechten Winters gelang es den beiden Jungen, ein wenig Geld zurückzulegen. So verging Lars der Winter in einsamem Grübeln und harter Arbeit. Kapitel XIV Nun war endlich der Frühling wieder in das nordische Land gekommen. Unversehens zwischen den Sträuchern oder unter einem Knicktor stieg ein schweres süßes Düften herauf, das in den Menschen hineintastete wie unbewußtes Sehnen. Und im Holz die feinen jungen Buchenblätter strömten ihren weichen, süßen Atem in die Abendluft. Es war ein stiller, grauer Tag gewesen, und nur ein weiches, rötliches Scheinen kam vom Westen. Die junge Wintersaat wogte ganz heimlich, als Lars über die Koppel ging. Am Waldrand blieb er stehn und atmete den starken Jelängerjelieberduft. -- Nun es ringsum aufstieg und wuchs aus den dunklen Gründen, wie nicht zu dämmende Kräfte, da war auch in ihm wieder der Drang nach etwas Fernem, Besserem erwacht und war fast zur Qual angewachsen. Er sah über die weiten Koppelflächen hin in ihrem zarten, milden Grün und hinab auf die stille, strahlende Fläche, wie sie weich gebettet lag zwischen den breiten Hügeln bis dort, wo sich das ferne Ufer im stillen, lichten Grunde widerspiegelte. Und wie eine Sehnsucht reiste sein Blick hinaus, wo am fernen Horizonte Himmel und Meer sich küßten. Aber die Amsel aus der schimmerigen Waldestiefe wußte mit ihren langgezogenen Tönen mehr von der drängenden Qual zu sagen als er. Er ahnte kaum, warum er stand und in die Weite sah. Die Heimatschönheit war ihm nur halbbewußt, und auch sie legte sich auf ihn wie eine Last und wie ein sehnender Drang. Ohne daß er darauf acht hatte, klang aus dem bläulichen Wunderdämmern zwischen den stillen, grauen Stämmen näher und näher kommend sachtes Blätterrascheln und leises Knacken trockener Zweige wie von Tritten. Und die sehnsüchtigen Vogelstimmen klangen dazwischen, und wieder lauter und näher kamen die Tritte. Und dann hatte ihn der Ton endlich aufgeweckt. Er wandte den Kopf und sah scharf in die frühlingsflimmrige Dämmerung hinein. Da schimmerte ein helles Kleid aus der Tiefe. Und jetzt stand jemand am weißen Knicktor und spähte nach ihm hin. Und das lichte, junge Blattgewebe war rings um die feine, helle Gestalt, und der Kopf mit dem weichen Blondhaar hob sich vom dämmerigen Waldgrund. Er rührte sich nicht und sah darauf hin, eine wache Frage in den Augen, bis er ihrem lachenden Blick begegnete. Da wandte er sich herum. „Miete,“ rief er. Dann fiel ihm gleich alles ein, was gewesen war, und seine hart gewordene Arbeitshand. Und die Unbeholfenheit kam über ihn, daß er langsam herantrat und ihr linkisch die Hand reichte. Aber ihr helles Lachen, wie frohes Wasserplätschern, half ihm wieder zurecht, und in seiner ganzen neugewonnenen Männlichkeit, ein wenig gütig und ein wenig unbeholfen, begann er mit ihr zu reden, und hier und da sah er scheu in die lachenden Augen hinein. Sie aber sah an der großen, starken Mannesgestalt hinauf, und das Blut stieg unter die feine weiße Haut. Sie mußte ihn erst bitten, daß er mit ihr käme, dann ging er neben ihr, so als erweise er ihr eine Gunst. Sie kam vom Hoekhof und war auf dem Heimweg. Und wie sie zusammen über die Koppeln wanderten, war die düfteschwere Dämmerung rings um sie her mit ihrem wunderlichen, grünschimmerigen Licht. Und Lars sah auf den hellen Kopf neben sich und sah die weichgeformte Backe, in der das Blut unter der zarten Haut zu wogen schien. Und von Zeit zu Zeit traf ihn ein lachender Blick von der Seite wie ein warmes Geheimnis. Sie redeten dies und das, und allmählich vergaß er alles andere über der schlanken, lichten Gestalt im grünlichen Schimmerlicht und der lachenden Stimme und den lachenden heimlichen Blicken. Leise wogte das junge Korn, und durch die unsägliche Stille fielen wie goldiges Rinnen sehnsüchtige Vogelstimmen. Und auf einmal standen sie zusammen vor dem grauen Hause, und überall die Straße entlang aus den niedrigen Fenstern blinkte traulicher Lichtschein in die Dämmerung heraus. Er fuhr fast zusammen, so erschrocken war er, und wußte durchaus nicht, wie es hatte geschehen können, daß er bis hierher mitgekommen war. Er griff aber eilig nach der Mütze und wollte fort. Aber sie packte lachend seinen Ärmel. „Vater,“ rief sie, „Mama!“ Zwischen dem Blattgewirr der Laube spielten wunderliche Lichter und Schatten und malten große unheimliche Gebilde auf den Rasen. In der Laube saßen Onkel Gust und Tante Jette bei der Lampe. Jetzt kamen sie. Es mutete Lars sonderbar an, der altbekannte quietschende Ton der Gartentür. -- Miete hatte ihn immer noch beim Ärmel, aber er sah fast zornig auf sie und wie ein großes unbeholfenes gefangenes Wild. „Sieh mal an, was Miete da eingefangen hat! Das ist mal recht, klein’ Deern!“ Und Onkel Gust klopfte ihm auf die Schulter, wie in alter Zeit, und als lägen die langen, harten Jahre nicht wie ein großes Wasser zwischen ihm und dem steifen, zornblickenden Fischer. „Komm nur, Tante macht uns noch einen kleinen Grog.“ Aber Lars rührte sich nicht. Da streckte ihm Tante Jette die Hand hin. „Komm doch, Lars, das ist nett, daß du dich mal sehen läßt.“ Und Miete zupfte ihn am Ärmel. Da ging er mit. Und als er im flackerigen Lampenschein stand, da war es, als sei die schwerfällige Widerspenstigkeit von ihm geglitten. Der selbstbewußt vornehme Anstand, der fest im innersten Wesen seines Volkes sitzt, war ihm zu Hilfe gekommen. Bald war er mitten im Erzählen von der Zeit in des Kaisers Rock, und keiner konnte ihm ansehn, wie die trotzigen Gedanken aufstiegen und das heimlich zarte Genießen überflutete, bis ein schelmisch heißer Blick seitwärts unter den weichen blonden Wimpern hervor ihn wie ein Schreck durchfuhr und das Blut wie in lustig hüpfendem Tanz durch die Adern jagte. Es war zu der Zeit, wenn aus der nordischen Dämmerung fast Dunkelheit geworden ist. Ein wunderliches, geisterhaftes Scheinen liegt noch über den Dingen. Da stand er auf und sagte „Gute Nacht.“ Als er an der Haustür vorbeiging, trat das Dienstmädchen heraus, um Lampe und Gläser aus der Laube zu holen. Ein heller Schein fiel aus dem Hause, daß Lars einen Augenblick geblendet stand. Da kam eine Stimme, wie ein Jubelruf: „Lars!“ Lars mußte sich besinnen. Ach richtig, Trina Lassen mußte das sein. Da stand sie im Dunkeln und hielt seine Hand, und er sprach ihr freundlich von Peter und von den Eltern und Geschwistern. Sie aber schwieg ganz still und hielt nur immer die große harte Hand. Da trat Miete mit der Lampe aus der Laube. Es war nur einen Augenblick, daß das Lampenlicht über Trina hinglitt. Aber auf dem Heimwege grübelte Lars nicht mehr über das drängende Sehnen nach. Es war ein anderes Fühlen in ihm, das füllte sein ganzes Wesen wie eine heiße Freude. Manchmal sah er zornig vor sich hin. Was wollte das kleine, blonde Mädchen von ihm? Er wollte frei sein von ihr und ihrer Art, und er richtete sich grade auf. Dann aber zog er wieder die Stirne kraus und sann: „Warum hat mich Trina Lassen so angesehn wie in bittrer Not?“ -- * * * Herr Asmussen war wieder in der Fischerhütte gewesen. Mutter Stina hatte ihm den besten Stuhl angeboten, und Großvater hatte sich feierlich an die andere Seite vom Tisch gesetzt und hatte ihm unverwandt ins Gesicht gesehn. Und beide schwiegen sie, Großvater und Mutter Stina. Aber Herrn Asmussens Stimme füllte den kleinen Raum mit tieftöniger Freundlichkeit. Dann bückte sich Peter Lassens lange Gestalt zur Haustür herein. Es war nichts von Staunen in seinen Mienen über den Gast. Er stand da in seiner ganzen Länge, ein wenig lässig, mit der einen Hand am niedern Deckenbalken angestemmt, und wippte gemächlich beim Sprechen hin und her. Und Herr Asmussen saß gut zurückgelehnt und holte die Stimme tief aus seinem Fett herauf und sprach herablassend und mit Wohlgefälligkeit. Und er wog die dicke Uhrkette vor der runden Weste mit der hohlen Hand und lächelte gütig zu Peter Lassen hinauf. Und wenn er Andeutungen machte auf eine Einladung zu Frau Henriette, dann war es, wie wenn einer mit Geld in der Tasche klimpert. Peter aber sah aus klugen, wachen Augen und nickte freundlich und wie in Freude. Und Herr Asmussen erzählte wohlgefällig seiner Frau von den braven Fischerleuten. Und von dem frischen, aufgeweckten, jungen Menschen, den er mit seiner Freundlichkeit gewonnen hatte. Und dann breitete er mit Behagen seinen neuen Plan vor ihr aus. Nun würde er Lars ganz gewiß für die gute Sache zurückgewinnen, denn mit seiner Freundlichkeit wollte er auch Lars’ Freunde zugleich einfangen. Aber Frau Henriette warf einen raschen Blick über die Schulter nach ihm, der sah aus wie Mitleid und Spott. Und in der Küche sagte sie zu Miete: „Laß ihm man sein Spielzeug, diesmal ist es ein ungefährliches.“ Aber Miete ging mit aufgehobenem Kleide am rußigen Herde vorbei. Und wie sie ins Feuer sah, war ein eigentümliches Blitzen in ihren Augen. Und danach war Lars öfter bei Onkel Gust und Tante Jette. Wenn Mutter Stina sah, daß er sich auf den Weg machte, dann wandte sie rasch den Kopf nach ihm hin, aber sie sagte kein Wort. Und Großvater sagte auch nichts, er sah sich nicht einmal um. Und doch legte es sich über Lars wie ein Unbehagen, als hätten sie ihm einen Vorwurf gemacht. Und er war mürrisch mit ihnen. Es war zuerst fast wie eine Neugier gewesen. Mietes freundliches Wesen mit der ganzen schelmischen Fremdartigkeit hatte sie in ihm geweckt. Darum hatte er Onkel Gusts erstem drängenden Einladen nicht widerstanden bei all seinem widerspenstigen Trotz. Als aber ihre Nähe erst ein paarmal auf ihn gewirkt hatte, da war das heiße Blut, das bei dem langsamen Volke doch so wild aufsieden kann, zum erstenmal erwacht. Und Lars wollte kein Hindernis mehr sehen auf seinem Wege. Aber wenn er allein war, konnte er nicht recht zur Ruhe kommen. Es stimmte nicht an irgend einer Ecke. Es war etwas, das nicht recht klingen wollte mit seinem Ton. Aber er mochte nicht darüber nachdenken, woher es kam. Das durfte es nicht sein, daß das blonde Mädchen über ihn herrschte gegen seinen Willen und ihn dort hinzog, wo er nicht sein wollte. Er hatte auch immer noch die fast großartige Herrscherart mit ihr. Aber gerade diese ungelenke Männlichkeit reizte sie, daß sie ihre Kraft darein setzte, ihn zu beugen. Und ihre feine, geheimnisvolle Art, die so anders war wie alles, was ihn sonst umgab mit kantiger Schlichtheit, nahm ihn immer mehr gefangen, daß er bei ihr das zu finden wähnte, was er von immerher suchte. Und es kam dazu, daß Onkel Gust nun vorsichtig nach seinem neuen Plan zuwege ging und auch den andern, die zu Lars gehörten, mit gleicher Freundlichkeit begegnete. Er hatte auch Peter Lassen in sein Haus eingeladen. Einmal hatte Peter sein gutes blaues Zeug angezogen mit dem kleinen steifen Vorhemd und war mit Lars hinaufgegangen. Lars sah ihn manchmal von der Seite an. Laut und lustig pfiff er vor sich hin. -- Peter pfiff immer falsch, aber laut. -- Und die ganze Zeit saß etwas in seinen Augen, wie ein verschmitztes Lachen. Aber er sagte weiter nichts. Peter Lassen war ein schöner Mensch, und die Mädchen sprachen viel mit ihm. Und er hatte eine Gelassenheit, und das Reden ging ihm viel leichter als Lars, daß er nichts Unbeholfenes hatte. Aber wenn sie dort bei Onkel auch viel mit ihm sprachen, es war dabei etwas Wohlwollendes, als schenkten sie ihm etwas mit jedem Wort. Und Tante Jette sah ihn überhaupt nicht an. Lars meinte, Peter Lassen merke es gar nicht, weil er so freundlich blieb, aber wenn er ihn wieder mitnehmen wollte zu Onkel Gust, so hatte Peter immer zu tun. Kapitel XV Es war im November. Es sah gar nicht nach Sonntag aus in der Welt. Die Regenböen kamen schräg über das Wasser gefahren und peitschten den Leuten in die Augen, daß sie unter gerunzelter Stirn herausblinzelten, was denn noch werden wollte aus dem Geheul und Gebrüll. Denn „das Meer brüllt“, sagten die Leute und sahen nach der Ostsee hin. Klaas Klaaßen stand am Strande und schnüffelte in die Luft. Dann schüttelte er den Kopf. „Zwei Tage bläst er schon von Nordost.“ Hans Peter Lassen und Jung-Peter standen bei ihm und Lars. Dann zogen sie zusammen die Boote aufs Land. „Immer noch höher op,“ befahl der Alte, und die drei andern gehorchten schweigend. Als sie gegangen waren, stand der Alte noch immer, sah über See und schüttelte den Kopf. Mitten durch den Regen kam Lars zu Onkel Asmussens Haus. Der Ölrock hing ihm lose über der Schulter, als er in den dämmrigen Flur trat. Er warf ihn ab und schüttelte das Wasser aus den Haaren. Dann ging er nach der Stube hinauf. Miete saß am Fenster, den blonden Kopf tief über der Arbeit. „Du verdirbst dir die Augen,“ sagte Lars, als er sich zu ihr setzte. Sie ließ die Hände sinken. „Es geht auch nicht mehr.“ Es war eine Weichheit über der ganzen lässig hingelehnten jungen Gestalt. Lars saß vorgebeugt, den Kopf in die Hand gestützt, und seine Augen ließen nicht von ihr. Sie schwiegen beide. Dann wandte sie den Kopf, und er fühlte mehr ihren Blick in der Dämmerung, als er ihn sah. „Könntest du wohl etwas für mich tun, Lars?“ fragte sie, und es war, als ob sie ihn streichelte mit ihrer Stimme. Er konnte nicht gleich antworten. Er richtete sich auf und atmete tief, dann rückte er noch näher zu ihr. „Das weißt du selbst, klein’ Deern,“ seine Stimme klang leise und atemlos. „Nein Lars, ich möchte doch wissen“ -- Da ging die Tür, und Lars lehnte sich im Stuhl zurück. „Seh da, Lars,“ sagte Onkel Gusts dicke wohlwollende Stimme. „Ich dachte doch auch, du würdest heute kommen. Aber ein verfluchtes Sonntagswetter. Komm, wir wollen uns mit ’nem kleinen Grog wärmen gehn.“ Lars antwortete nicht gleich. Aber auf einmal lachte Onkel Gust behaglich in sich hinein: „Ach so -- ach so,“ sagte er. Miete aber gab Lars einen kleinen Stoß. Da stand er auf. „Na denn man zu, Onkel.“ Er tat es für sie, sagte sich Lars und folgte Onkel Gust durch die Dämmerung nach dem Gasthause. Würdevoll und in sich gefestigt mit hallenden Tritten ging Herr Asmussen voraus. Lars blieb lässig ein wenig zurück, denn er kam widerwillig. Er wußte, was Onkel Gust von ihm wollte. Er sah immer vor sich hin, wo die großen Wasserpfützen heller auf dem dunklen Weg schimmerten; aber vor sich sah er Aage Michelsens dickes Gesicht. Das hatte jetzt einen roten Schnurrbart und würdige Falten. Denn Aage war Herrn Tiensens Mitarbeiter geworden. Er verdiente ein schönes Geld. Sein Bruder Swend hatte es Lars damals, als er Soldat war, selbst gesagt. „Wir Dänen mögen die Sorte auch nicht,“ hatte Swend fast höhnisch gelacht. „Drüben kriegt er Geld fürs Jammern und hier fürs Schimpfen!“ Aber Herr Asmussen hatte eine große Bewunderung für Aage Michelsen, und er wollte, daß Lars ihn reden hören sollte. Lars war auch schon ein paarmal mitgewesen um Mietes willen. Und in Gedanken sah er sie alle im blauen Tabaksqualm sitzen um den Stammtisch, und das häßlich grelle Wirtshauslicht flirrte über all die selbstzufriedenen Gesichter und über die behaglich würdigen Falten der dunklen, zuverlässigen Anzüge. Lars ärgerte sich, wenn er daran dachte, und stapfte mitten durch die Wasserpfützen, daß es patschte. Aber er wollte so gern darüber hinaus über das Einerlei des Fischefangens, und er wußte doch einmal keinen Weg. Und das wußte er, Miete wollte es so, daß er sich zu Onkel Gusts Freunden halten solle. Aber mit eins, wie sie auf den Damm kamen, packte die beiden der Nordost, wie mit wilden, mutwilligen Fäusten. Herr Asmussen griff hastig nach seinem Hut. Der kleine Meeresarm, den der Damm vom Wiesenland trennte, lag heute nicht wie vergessen zwischen seinen grünen Ufern. Heute wußte er es wieder, daß er ein Teil war von der Kraft, die stärker ist als der Mensch. Die schwarzen Arme langten von unten herauf und griffen in den Damm, und aus der Tiefe kam ein fauchendes Geheul. An der Schleuse wogte es dunkel hin und her über den Damm. Da arbeiteten die Männer. Einer faßte hart an Larsens Arm. „Wir brauchen mehr Hände zur Hilfe, Lars, sonst bricht der Damm, und es fehlt auch die Aufsicht.“ Das war Kords Stimme. Lars sah schnell nach den kleinen Häusern in der Wiese hin und dann auf Onkel Gust. „Ja wo ist denn der Ortsvorsteher?“ fragte der. „Der hat heute morgen früh über Land gemußt,“ sagte Kords. „Merkwürdig, diese deutschen Beamten!“ sagte Herr Asmussen. „Komm, mein Jung, das geht uns nix an.“ -- Schweigend, mit der tiefen Falte mitten auf der Stirn, ging Lars bis an die Wirtshaustür. Er sah über Onkel Gusts Schulter in den warmen, hellen Raum, und die Stimmen klangen Lars wie schnurrendes Behagen in die finstere Nacht hinaus. Sie saßen fast alle da wie immer -- am dänischen und am deutschen Tisch. Da schlug er die Tür hart hinter Onkel Gust zu, und der Sturm packte ihn in der Dunkelheit mit wildem Geheul. „Es geht nicht, Lars,“ brüllte ihm Kords zu, als er wieder bei ihm war, „mein Arm will noch nicht, und wir brauchen alle Kräfte.“ Und von unten aus der Finsternis klang es wie höhnendes Geheul zu den Männern herauf, aber sie verstanden nicht, was das Meer ihnen sagte, und packten zu mit ganzer Kraft. Sie zündeten große Feuer auf dem Damm an und arbeiteten im flackernden Schein. Und die schwarzen hastenden Gestalten mit ihren jähen, großen Bewegungen warfen lange, unheimliche Schatten über den Damm. Und das Meer griff herauf und biß sich in den Damm und brüllte und kreischte vor Wut. „Her mit den Sandsäcken,“ kam Lars’ Stimme tief und laut über das Getöse. Und er hob sie, und klatschend versanken sie im weißen Gischt, und kalt und naß spritzte es ihm ins Gesicht. Und Kords hob den Hammer mit seinem einen Arm und holte weit über seinem Kopfe aus und ließ ihn auf die starken Pfähle niedersausen. Aber die See langte mit weißen Fingern am Pfahl herauf und riß und lockerte an seinem Grund und heulte und lachte dazu mit klatschendem Jauchzen. „Kords, das Ding haftet nicht mehr,“ sagte ein alter Arbeiter und spuckte in das wirbelnde schwarze Wasser. Aber Kords fluchte vor sich hin und arbeitete weiter. „Komm weg, Lars, das kann hier jeden Augenblick brechen, und es nützt ja jetzt nix mehr,“ schrie einer Lars in die Ohren. Aber Lars biß die Lippen aufeinander und sagte kein Wort. Immer die unheimlichen, weißen Finger voraus kam sie heraufgekrochen, und der schwarze, wogende, ringelnde Leib preßte sich an den Damm, und wo eine schwache Stelle war, da biß sie hinein und nagte, wuchs und wuchs. Und endlich mußten sie zur Seite stehen und warten. Und das rote flackernde Feuerlicht zuckte auf ihren finsteren unbeweglichen Gesichtern hin und her, und der Wind kam aus der Finsternis gefahren und schrie und zerrte um sie, und sie standen und warteten. Und es kroch herauf, immer herauf, und sie konnten nichts, als stehen und warten. Manchmal fluchte einer und sah nach den kleinen ärmlichen Häusern hinüber, wo die Lichter ängstlich hin und her tanzten. Aber meist standen sie ganz still, die Hände in den Hosentaschen mit zornigen Augen. Und die stillen, wetterharten Gestalten im roten Flackerlicht und der jaulend zornige Wind und der schwarze kriechende Feind mit seinem lachenden Geheul hielten zusammen die Wacht. Und die Minuten rannen hin und die Viertelstunden, und es war ihnen, als ginge die Nacht darüber hin. Und dann kam ein dumpfes Krachen und Rutschen. -- „Der Damm bricht!“ schrie Kords Stimme über das Getöse. Da sprangen sie alle in die Wiese hinunter und liefen nach den kleinen Häusern hin. Aber hinter ihnen von der Schleuse her dröhnte es auf -- ein donnernd lachendes Brüllen. Sie schrie ihren Sieg hinaus in die Nacht, und mit den schwarzen Armen und den vortastenden weißen Fingern packte sie in das Land hinter dem Damm und nahm es zu eigen. Schneller, immer schneller kamen die weißen Finger heran und griffen aus der Finsternis hinter den laufenden Männern her. Schon ging ihnen das Wasser fast bis zum Knie. Bei den kleinen Häusern war es ein Wühlen, Rennen und Rufen. Und die schwarzen Arme waren schon heran, und klatschend griffen die weißen Finger an den Mauern herauf. Die Männer wateten knietief im Wasser, als sie die Ziegen und Schweine herausschleppten. Maurer Nissens Frau jammerte laut und aufgeregt. Jetzt packte sie Lars beim Arm: „Nu seh! Nu seh! Ach, mein Gott, da ist das Wasser halb die Stalltür herauf und das gute Schwein, das gute Schwein -- oha, oha! -- Kannst du’s nicht retten, Lars, mein Lieber? Ach, mein Gott!“ Lars hatte ein Kind auf dem Arm und zerrte eine Kuh hinter sich her. Er schüttelte den Kopf. „Soll ich denn wohl mitsamt Ihrem Schwein versaufen?“ Da stockte auf einmal Frau Nissens lautes Gejammer, und sie blieb stehen, wie angewurzelt. „Na was nu?“ fragte Kords. „Großvater ist noch drin!“ „Mensch, is sie verrückt?“ „Großvater is manchmal so bockig und kann nich hören, und er wollte nich aufbleiben mit uns und wachen. Und taub is er auch. Nu liegt er in der Dachkammer und schläft.“ Da fing sie laut an zu heulen. Aber Lars war schon umgekehrt. Jetzt ging ihm das Wasser bis an die Hüften. Er wußte, wo dicht bei am Damm sonst ein Boot lag. Aber es war nicht leicht, sich zurechtzufinden in der heulenden Finsternis. Und die schwarzen Arme zerrten und hielten, und die weißen Finger leckten hoch und immer höher. Da kam das Etwas aus der Tiefe seiner Seele heraufgequollen, was so weit unten im Grunde schlief und über dem das träumerische Wesen gebreitet lag, wie eine dichte Nebelschicht. Es war wie eine heiße Kraft und ein ganz unbändiges Wollen, daß er, den Kopf vorgestreckt, wie ein böser Stier gegen den wütenden, schreienden Sturm und die schwarzen Arme rang. Jetzt brüllte sie ihm das alte Lied in die Ohren, das er als kleines Kind schon gehört: „Mein bist du!“ Aber sein Manneswillen war stärker als sie. Und jetzt hatte er es erreicht. Er schwang sich hinein und schnitt die Stricke los. Aber um Gottes willen die Riemen! Es waren keine Riemen in dem Boot. Er tastete mit der Hand. Eine Stange lag unten am Boden. So mußte er denn staken. Das ging nicht gut, denn das Wasser stieg und stieg, und der Wind war stark. Wie er näher zum Hause kam, hörte er die jammernde Stimme des Alten. Er wollte ihm zuschreien, daß Hilfe kam, aber ihm fiel ein, daß Großvater taub war. Schon stand das Wasser bis ans Dach. Großvater sah zur Luke heraus und jammerte laut. „Gammel[3] Nissen! Großvater!“ schrie Lars und hielt sich am Dachrand fest. Aber der Alte sah in die Finsternis und jammerte fort. Da nahm Lars seine Stange und stieß nach der Luke. Das half. Ein gurgelndes Lallen der Freude klang herunter. Er hielt die Stange oben fest und tastete damit im Boot herum. Aber er schien noch nicht ganz beruhigt, ging murmelnd in die Kammer zurück und zündete ein Licht an. „Schnell, schnell!“ schrie Lars hinauf. Gammel Nissen leuchtete zum Fenster heraus. „Puh“ sagte der Wind. Da war es dunkel. Aber er hatte doch genug gesehn. So laut, als sei Lars selbst taub, brüllte er hinunter. Dann kam er über das Dach gerutscht. Mit dem einen Arm fing ihn Lars auf und setzte ihn ins Boot. -- Dann riß er ein paar Duchten heraus. Die eine drückte er dem Alten in die Hand, die andere nahm er selbst. So ruderten sie mühselig vorwärts. Zuweilen stakte er. Und endlich hatten sie die andern erreicht. Er ging nicht mit, um trockenes Zeug anzuziehn. Er stürzte nur einen Schnaps hinunter, den sie ihm boten. Dann stürmte er nach Hause. Aber als er bei Onkel Gusts Hause vorbei lief, kam der gerade gemächlich die Straße herauf. „Lars,“ rief er, „halt, Lars, wo willst du hin in dem nassen Zeug? Komm herauf, ich hab’ gehört, du hast dich ja großartig gemacht da beim Dammbruch. Du kannst trocknes Zeug von mir kriegen, komm nur!“ Lars war einen Augenblick mit finsterm Gesicht stehn geblieben; nun drehte er sich ohne Wort herum und lief weiter. „Wohin rennst du bloß?“ rief Onkel Gust. Da rief er über die Schulter: „Dahin, wo ich hingehöre, nach Hause. Ich muß sehn, wie es dort steht. Hier wohne ich nicht!“ Onkel Gust starrte ihm nach. Dann schüttelte er den Kopf, und dann lächelte er. Und so trat er gemächlich in seine Haustür, und der warme Lichtschein fiel auf die Straße. -- [3] alter. Kapitel XVI Lars war noch einsilbiger nach der Sturmnacht. Als er sie da behaglich im warmen Wirtshauslicht hatte sitzen sehn, die ehrbar satten Bürgersleute, da hatte es mitten in der heulenden Dunkelheit um ihn wie in grellem Licht gestanden. „Da gehörst du nicht hin.“ Darum arbeitete er zu Hause jetzt hart, und zu Onkel Gust ging er nicht. Lars hatte Arbeit, denn das Wasser hatte viel zerstört, wenn auch der Strohdachhütte selbst nichts geschehen war. Aber das Sehnen war schrecklich. Denn alles Denken und Träumen in ihm hatte jetzt den einzigen Weg genommen hin zu dem feinen, blonden Mädchen. Nur sie sah er, wenn er an den Riemen zog und über die See blickte. Nur nach ihr griff er, wenn er ins braune Netzwerk faßte. Sie quälte ihn, daß er nach der schweren Arbeit Stunde um Stunde wach lag in der dunklen Nacht. Aber doch, er gehörte zu den schlichten, kleinen Leuten und ihrer Not. Und er ging nicht in den Flecken. Da kam eine Postkarte von Miete, darauf stand: „Du willst es also nicht tun. Deine Marie Asmussen.“ Da kämpfte er ein paar Tage mit sich, dann hielt er es nicht mehr aus. Er wollte nur sehen, was sie eigentlich von ihm wollte, -- sagte er sich. Und Sonntag nachmittag ging er doch hinauf. Ganz steif und feierlich kam er die Treppe herauf. Als er in der Vorderstube Stimmen hörte, machte er die Tür zur Nebenstube auf. Miete deckte dort mit Trina den Tisch. Miete war es, als füllte seine große Gestalt das ganze Zimmer, und sein widerspenstiger Ernst schüchterte sie beinah ein. Aber sie tat, als sei er gestern erst hier gewesen, und lachte ihn lustig an. Als er Trina die Hand gab, traf es ihn wie ein höhnischer Blitz seitwärts von Mietes hübschen Augen. Dann setzte er sich langsam und folgte ihr mit den Blicken, wie sie mit ihrem leichten, sichern Bewegen die blinkernden Dinge auf das weiße Leintuch setzte und der rötliche Lampenschein und der dunkle Schatten über sie hin und her glitten. Seine Blicke trieben ihr das Blut in die Backen. „Rate, wer dort drin ist!“ sagte sie. „Wie soll ich das wissen?“ „Hast du nicht gehört, daß wir in Aalby einen neuen Lehrer haben?“ „Was geht der mich an, die Fische kann ich doch nicht in die Schule schicken.“ „Du sollst ihn aber sehen!“ „Herr Lehrer!“ „Miete, bist du verrückt?“ Da trat der Lehrer wirklich in die Tür, und Lars mußte wieder aufstehen langsam und widerwillig. -- Es war ein schmächtiger Mann mit einem braunen Vollbart. Und nun trat er vor Lars hin, und er lachte dabei. Da erkannte der ihn an den Augen. „Jakob Lind!“ rief er. Dann wurde er gleich wieder steif und dachte daran, daß er nur ein Fischer geblieben war. Aber Jakob Lind hatte die schwere Arbeitshand gefaßt und schüttelte sie. „Du dummer Kerl!“ sagte er, und Lars sah, daß Jakob immer noch die guten, geraden Augen hatte. Da taute er langsam auf, und beim Abendbrot kamen sie allmählich auf die alten Geschichten, und der dicke Aage und der laute Herr Braun mit der goldenen Brille und Hans Todtsen mit seinen großen Worten, sie mußten alle heran, und Lars hatte fast ganz vergessen, wo er war, und hatte laut mitgelacht über die alten Geschichten. Als das Essen zu Ende war und der blaue Zigarrenqualm um die Hängelampe zog, hatte Jakob Lars gebeten, mit ihm zu gehen. Da sah Lars von der Seite auf den hellen Kopf, der neben ihm über die feine Stickerei gebeugt war. „Geh doch mit ihm!“ sagte Miete Asmussen. Da stand er auf und trat mit Jakob aus dem Hause. Es war eine milde Nacht für den beginnenden Winter. Durch die grauen Wolken drang ein verschwommenes, bleiches Schimmern, und von Zeit zu Zeit ward die gelbe Mondscheibe sichtbar. Die kahlen Zweige ragten wie angstvoll gespreizte Finger. Und hier und da schrie eine Eule in ödem Klageton nach dem Genossen. Wie ins Unendliche hinein dehnten sich die kahlen Felder. Vor ihnen lag wie ein massiger, schwarzer Klumpen der Wald. Am Wege standen nur hier und da einsam ragende, schwarze Bäume. Manchmal rieben sich die dürren Zweigenden raschelnd, oder ein Nachtvogel flog mit schwer klappendem Flügelschlag in das weite Dunkel hinaus. Es war wie ein Warten in der Luft auf ein wunderlich Verborgenes. Als müsse das Wort zu finden sein, mit dem die heimlichen Tiefen sich aufschließen und man hineinblickt in den Wurzelgrund des Seins. So eine Nacht war es, die den Menschen aus sich heraushebt, daß er seines kleinen Selbst vergißt. Die zwei Männer hatten sich viel zu sagen. Es waren nicht nur die alten Erinnerungen, es war noch ein anderes, das sie zusammenzog. -- Wer kann den Finger auf die Stelle der Seele legen, aus der es aufklingt wie tiefer Glockenton und das Echo aus der anderen Seele weckt? Sie wußten es auch nicht, was die Dinge aus ihrer Seele heraufrief, die sonst schweigend im Unbewußten ruhten. Sie fingen an und erzählten von den vergangenen Jahren, so gut sie konnten; denn sie waren beide langsame Menschen, und ihr Denken und Grübeln lag oft tief, ihnen selbst fast verborgen. Jakob hatte sich mühsam mit seinen geringen Mitteln bis zur Universität gearbeitet. Als er erst wenige Semester dort war, starb sein Vater, und es galt, schnell Geld verdienen für die Mutter und die kleinen Geschwister; denn sie waren sehr arme Leute. „Da bin ich Lehrer geworden,“ sagte er. Dann war er still, und Lars hörte, wie es in den trockenen Buchenblättern klappernd raschelte. „Aber es ist mir gar nicht so schwer geworden,“ fing er dann wieder an. „Weißt du, Lars, das ist so: erst kommen sie da mit tausend Fragen und Meinungen, und man wird ganz wirr, und die ganze Welt ist zuletzt schwarz und tot und gibt auf nichts mehr Antwort. Und wenn man dann still ist und die Augen aufmacht, dann wächst es doch wieder wie ein Licht aus dem Finstern. Und das schien mir immer das Herrlichste, von +dem+ Licht den armen, geplagten Menschen hintragen zu dürfen. Aber daraus ein Amt zu machen mit Regeln und Würden, das war mir ganz zuwider. Und da ist es mir ganz recht, daß ich nur ein Schulmeister geworden bin.“ Das konnte Lars wohl verstehen, und dann fing Jakob an und fragte ihn, wie es bei ihm gewesen war mit dem schlichten Arbeiterleben. Und allmählich kam Lars in das Erzählen, und Jakob erfuhr von den ersten harten Arbeitsjahren und vom ersten jungen Stolz beim Bauen der eigenen Boote und von den Jahren als Soldat und der Möglichkeit, heraufzukommen. Aber immer wieder klang es durch, daß er frei sein wolle und bleiben wolle, so wie es ihm selbst gefiel. Und dann schwiegen sie wieder, und sie hörten den Klang ihrer eigenen Füße auf der harten Straße und hörten vom nahen Wald ein Käuzchen schreien, und im trüben Mondgedämmer lag rings wie in heimlichen Schleiern das weite Land. Lars wußte selbst nicht, wie es geschah, aber in der wunderlichen Nachtstille trotz all der heißen, wühlenden Unrast in seiner Seele fühlte er doch wieder das Sehnen nach etwas Besserem aus dem Grunde aufsteigen, und mit knappen, halb verständlichen Worten sagte er Jakob auch von dem. „Ja,“ sagte da Jakob Lind, „es war ein alter Professor an der Universität, der war uns Jungen ein lieber Freund. Den fragte ich mal so was Ähnliches. ‚Den Drang haltet nur wach,‘ sagte der. ‚Der lügt euch nie. Die Arbeit kommt von selbst, wenn ihr reif seid. Vielleicht daß ihr sie tut, ohne daß ihrs selber wißt.‘“ „Das hätte Großvater wohl ähnlich denken können,“ meinte Lars. Sie waren zusammen bis Aalby gewandert. „Nun mußt du mit hereinkommen und meine Frau sehen,“ sagte Jakob. Sie standen vor dem niederen, grünumwachsenen Hause. Lars blieb scheu zurück. Aber Jakob trat in den Flur, und dann klinkte er gleich die Tür zur Wohnstube auf, und eine behagliche Flut von Licht und Wärme wallte Lars entgegen. Er sah in die lange Stube hinein. Hinten am Tisch im warmen Lampenschein saß eine runde, frische, junge Frau über die große Näharbeit gebeugt, und ein großes, blondes Mädchen saß geradeüber. Als Jakob eintrat, sprang die Frau auf und gleich an seinen Hals. -- „Endlich!“ rief sie, und ihre Stimme hatte einen hellen, warmen Klang. „Wir haben schon so lange gewartet!“ Lars war im Halbdunkel bei der Tür stehn geblieben und drehte an seiner Mütze. Da wandte sie sich zu ihm. „Ist das Lars?“ fragte sie und faßte ihn gleich bei der Hand. Da wurde ihm ein wenig behaglicher zumute. „Karen und ich haben schon gedacht, ob du ihn mitbringst.“ Lars sah auf die andere. Die war hoch gewachsen und stand da sehr still, und ihre hellen Augen sahen prüfend tief in ihn hinein, daß es ihm fast wieder unbehaglich wurde bei dem forschend ernsten Blick. Aber die kleine Frau Lind ließ ihm keine Zeit dazu. Sie zog ihn an den Tisch, und er mußte sich zwischen sie und Jakob setzen in den traulichen Lampenschein. Sie fragte ihn über die Schuljahre mit Jakob aus. So etwas war ihm noch nie begegnet, wie die freundliche Art der kleinen Frau Lind mit ihrer fröhlich schwatzenden Munterkeit. Und dazwischen kamen Jakobs verständige Worte, die so klangen, als ob sie einen Luftzug aus der fernen, versunkenen Welt des Wissens und Forschens herüber brächten. Erst war es, als passe Lars nicht recht da auf den Lehnstuhl zwischen die beiden Lehrersleute mit seinen großen, verarbeiteten Gliedern, dann aber setzte er sich ordentlich behaglich zurecht, er wußte selbst nicht warum. Ohne daß er es ahnte, war sacht eine Tür in seiner Seele aufgegangen. Wenn er jetzt aufsah, dann traf er den ernsten, prüfenden Blick des blonden Mädchens. Aber die forschenden Augen waren ihm nun nicht mehr unbehaglich. Dies klare Schauen gehörte wohl mit zu der lebendig-fröhlichen Wärme, wie sie hier im Schulhaus wohnte. Und als Lars endlich über die dunklen Koppeln nach Hause ging, da war etwas Fröhliches in ihm, was er sonst nicht kannte. Kapitel XVII Das Gespräch mit Jakob Lind hatte Lars zu denken gegeben. Woher hatte er denn das Recht, von sich zu glauben, daß er etwas leisten könnte im Leben? Er war am Ende zu weiter nichts da, als zum Fische fangen und so ein feines, blondes Mädchen, wie diese kleine Miete, ganz fest in seinen Armen zu halten. Sonst würde er doch stark und fest auf seinem Wege geblieben sein und nicht ihrem ersten Rufe gefolgt sein, zurück zu den behaglichen Leuten, zu denen er nicht gehörte. Er wußte ja noch immer nicht, was sie von ihm wollte. Und dann stieg es ganz leise in ihm auf: -- er wußte es doch -- längst wußte er, was sie von ihm wollte. Sie wollte ihn ganz sachte wieder zurückziehen in ihre Kreise. Und wie ihm bei dem Gedanken ein Unbehagen aufsteigen wollte, da stand auch gleich der andere Gedanke daneben: Das tat sie ja nur, weil sie ihn liebte! Ganz gewiß, sie liebte ihn. Er hatte es in ihren Augen gesehen, und er fühlte es in ihrer warmen Nähe. Sie sehnte sich nach seinen Armen, wie er sich sehnte, sie da an seiner Brust zu halten. Und dann kam es wie eine heiße Welle, daß er nicht mehr sinnend darüber grübeln konnte und nur das eine fühlte, er mußte -- er mußte sie erst an sich reißen; dann wollte er weiter denken und kämpfen. Aber wenn Lars auch im wilden Strudel der Leidenschaft nur sein heißes Verlangen und daneben seine willenlose Ohnmacht empfand, so saß doch tief im Grunde seines Wesens ihm selbst unbewußt die stille Kraft. Im sparsamen Haushalt der großen Ordnung durfte die Kraft nicht nutzlos verdämmern. Darum stand das Leben selbst auf, um den schlafenden Lars aufzuschütteln. Bald darauf war Sonntag, und Lars kam in der Dämmerung in das hohe, graue Haus. Er fand Miete wieder allein am Fensterplatz. Da tat sein Herz gleichsam einen hohen Sprung und blieb dann einen Augenblick stehen. Sein Reden war zuerst ein wenig atemlos, als er sich zu ihr setzte. Aber sie sprach auch nicht viel und träumte, zurückgelehnt, in den grauen Abend hinaus, und es war wie eine Schwüle in dem Zimmer. Sie trug eine weiche Bluse, die schmiegte sich um die jungen, schlanken Formen, und die Hände hatte sie hinter dem Kopf verschränkt. Von Zeit zu Zeit sagte eines ein paar Worte mit halber Stimme und ohne rechten Sinn. Und was sie in Wahrheit miteinander redeten, das sprachen sie nicht mit Worten. Sie wußten nachher beide nicht, wie es geschehen war, daß sein Arm sie umschlungen hielt und sie zu ihm hingeglitten war, bis ihr Kopf auf seiner Schulter lag. Es war fast dunkel in der Stube, und als sein Mund ihre weichen Lippen fand, da war es, als höbe sich die ganze Welt um ihn her in heißen Wogen und schlüge über ihm zusammen, und er versänke im glühenden Taumel. -- Sie fuhren auseinander, als Tante Jette mit der Lampe kam. Aber dann ging er bald, denn er fühlte, daß er seiner selbst nicht mächtig war. Unten stand Trina auf einem Stuhl und zündete die Flurlampe an. Er sah sie gar nicht. Sein innerstes Wesen zitterte noch in heißer Wonne. Er klinkte schon die Haustür auf. „Lars,“ klang es da leise und bittend hinter ihm. Er wandte sich und sah mit leerem, verständnislosem Blick in die ernsten, bittenden Augen. „Ach, Lars, ich weiß ja gar nicht mehr -- es ist doch so schrecklich. Kannst du denn nicht helfen -- ich -- ich“ -- da brach sie plötzlich ab. „Du hörst mich ja gar nicht, Lars.“ Das klang gar nicht wie Klein-Trinas Stimme, so verwundert und vorwurfsvoll. Aber es drang bis zu Lars’ Seele, und mit einem verzweifelten Ruck holte er sie aus blütenschwerdunstigen Fernen zurück. -- Helfen? hatte sie gesagt, und er sah wieder die Augen mit der großen Not. -- „So, so, Klein-Trina, hab’ keine Angst, nun höre ich ja, sag nur alles!“ Da sah sie herauf in die wechselfarbigen Augen, die so aussahen wie die See, und erkannte wieder den warmen, ernsten Blick und sah noch ein anderes, ihrer Not Verwandtes, etwas, das aussah wie Leid und Kampf. -- Und es war zu viel für Klein-Trina gewesen. -- Sie mußte jemand haben, der mit ihr trug. Und da sagte sie ihm alles: er hatte sich auf die Treppenstufen gesetzt, und sie stand vor ihm, und von Zeit zu Zeit nahm sie die Schürze vor das Gesicht. „Sag’ nur immer los,“ sagte er dann ermunternd oder fast ungeduldig. „Weiter, weiter.“ So erfuhr er es von Trina Lassens schwerem Kampf in all den langen Jahren mit Onkel Gust und von dem Mißtrauen der Tante Jette, und wie schwer es gehalten hatte, rein und ordentlich zu bleiben. Aber andere, wie die arme Dora Nielsen, hatten es noch schwerer gehabt. Sie hatte keine Eltern und keine einzige Seele, die ihr half. Peter zum Trotz war sie damals Meiereimädchen geworden. Und dann war es eben so gekommen mit ihr wie mit den andern Mädchen dort, und nun warfen die Leute mit Steinen nach ihr. Aber das mochte ja wohl so sein, wenn man eine Schuld begangen hatte, daß man dafür büßen müßte. Aber dann den andern nicht helfen zu können, die man lieb hatte, das war hart. Doras kleine Geschwister, die hatten es sehr schlecht. Der kleine Bruder, das arme Kind, kriegte nicht satt zu essen, weil der Armenrat ihn zu den ärmsten Leuten im Flecken gegeben hatte mit seinem kärglichen Kostgeld. Aber das Schlimmste hatten sie mit der kleinen Schwester getan. Das hübsche Mädchen hatten sie zu Kajens gegeben, und Lars wußte ja wohl, was Kajens für Leute waren, und was das Kind da zu sehen kriegte. Aber wenn Dora bat und weinte, dann lachte Herr Asmussen und die andern Herrn vom Armenrat und neckten sie, daß sie fortlief in ihrer Not und Scham. Wenn es nicht um der Kinder willen gewesen wäre, hätte sie sich am Ende schon ein Leid angetan. Wie Trina erzählte, da wurden Lars’ Augen dunkel im Zorn, und wie sie ihre Hand auf seinen Ärmel legte, „Lars, lieber Lars, hilf wenigstens den beiden Nielsenkindern, -- und Dora, kannst du ihr nicht helfen?“ Da stand er auf, langsam, als habe sie ihm eine Last aufgelegt. „Ich verspreche dir, Trina, ich will tun, was ich kann.“ -- * * * Bei Klaas Klaaßen in der Nebenstube stand neben dem Spinnrad ein Webstuhl. Der hatte der alten Stine-Marie gehört. Aber Mutter Stina hatte auch weben gelernt. Wenn die Männer auf See waren, klang der rasselnde, klappernde Ton durchs Haus. Aber in dieser Zeit stockte er manchmal eine ganze Weile, eh er dann mit doppelter Macht einsetzte. Dann stand Mutter Stina, stützte die Hände auf den Webstuhl und sah lange still vor sich hin. Und es war eine Trauer in dem stillen Gesicht. Sie sah es nun schon viele Tage, und sie durfte doch nicht danach fragen. Aber wenn Lars sich quälte, dann quälte sich Mutter Stina mit. Er blieb fast keinen Augenblick im Hause, und er sprach auch kein Wort mit ihnen. Aber zu Onkel Gust ging er auch nicht oder zu Jakob Lind. Wenn er nicht arbeitete, stand er auf dem Rick und sah ins Wasser, und wenn er in die Stube kam, dann saß es in seinen Augen wie damals im Anfang, als er die Schmerzen im Rücken und in den Händen verschwieg, -- nur noch viel dunkler im Schmerz saß der Blick, und eine Unruhe war dabei. So stand die Sorge eine lange Zeit in Mutter Stinas Augen geschrieben. Da war einen Tag Jakob Lind in das Fischerhaus gekommen und hatte sich gleich auf den alten Platz wie in früherer Zeit gesetzt und hatte sich durchaus nicht zum guten Stuhl überreden lassen. Und Jakob Lind hatte gefühlt, daß da irgend etwas nicht in der rechten Ordnung war wie in alter Zeit. Aber Jakob wollte gern alles hell haben um sich herum. Und er hatte gesehen, daß die dunkelste Wolke auf Lars’ Stirn saß, der da an der Wand lehnte, ganz ohne zu reden, mit dem großen Blick zum Fenster hinaus über die Weite. Da nahm er ihn für den Abend einfach mit nach Aalby. Und nachdem ging Lars da öfter hin, wenn er Zeit hatte. Und es war sonderbar, er hatte Jakob Lind kein Wort von dem wirren Durcheinander erzählt, das sich nicht ordnen lassen wollte in seiner Seele. Aber zwischen den klaren, fröhlichen Augen im Schulhause wurde auch das trübe Gewoge stiller, daß er den Weg, den er gehen mußte, klar und unerbittlich vor sich sah. In dieser Zeit sprach er auch wohl mit Jakob von seinem Zorn über den Zwang, der von allen Seiten am kleinen Manne schob und drängte, daß er in seiner Unruhe nicht mehr wußte wohin. „Ja,“ sagte Jakob, „wenn sie auch satt und gut zu essen haben, sie kommen nicht zur Ruhe, und hier bei uns fängt ein Teil des Kampfes erst an. Aber es ist auch wieder schön, Lars, so ein Drängen und Werden. Und in unserer Zeit redet gerade das Werdende das größte Wort. Du solltest es nur hören, Lars, auf den Universitäten und überall, wo die Leute wach und lebendig sind. -- Das ist ein Bewegen nach vorwärts. In der Kunst brechen sie neue Bahnen und in der Wissenschaft, und es weht frische Luft überall. Es wird auch das „Zeitalter des Kindes“ genannt, weil so viel Denken und Sorgen für das kommende Geschlecht wohl früher niemals gewesen ist. Und weißt du, Lars, der Arbeiter, der ist auch noch ein Kind; ihm gehört die Zukunft, darum ist es eben sein Zeitalter jetzt.“ „Ja, das ist wohl eine schöne Zeit, Jakob,“ sagte Lars und sah vor sich hin. „Aber gerade darum möchte man doch auch selber mit Hand anlegen.“ Aber Jakobs freie Zeit war nicht immer dieselbe wie bei Lars. Und wenn er fort mußte, dann saß Lars manchmal noch eine kleine Weile gemütlich bei der lustigen, runden Frau Lind, oder die junge Stütze setzte sich einen Augenblick mit ihrer Arbeit zu ihm. Sie sprachen beide nicht viel, aber sie verstanden sich gut. Und wenn Karen ihn mit ihren weiten, klaren Augen ansah, war es, als klänge ihm endlich nach langer Unrast sein eigenster Ton klar und fast feierlich in der Seele auf. Er verstand das aber selber nicht. Er wußte nur, daß ihm wieder klar und ruhig zumute wurde. Wenn er den Fußweg durch die Felder nach Hause schritt, dann stand Karen oft an ihrem Kammerfenster und sah ihm nach. Und nach einer Weile seufzte sie auf, zog dann aber fast ärgerlich die Stirne kraus und ging an ihre Arbeit. Aber von dem allen wußte er nichts. Aber mit der Zeit wurde sie ein wenig zutraulicher. Und als der Frühling gekommen war und die feinen, jungen Blätter der Laube goldig schimmerten, saßen sie dort manchmal zusammen, wenn Jakob gegangen war. Und sie erzählte ihm von dem großen Bauernhof daheim und von der schlichten, ernsten Mutter, der keine Arbeit zu schlecht war und keine Tagelöhnernot zu klein, daß sie nicht zugriff und half mit ihren starken Händen und ihrem klaren, ernsten Sinn. Und sie sprach von der schwarzen Zeit, als die Eltern gestorben waren und sie hinaus mußte in die Fremde. Sie hatte ganz allmählich angefangen, ihm solche Dinge zu erzählen, und sie war immer noch scheu dabei und so, als bäte sie ihn um Verzeihung. Aber wenn sie in seine stillen, traurigen Augen sah, wie sie jedes Wort in den tiefen, dunklen Seelengrund, der hinter ihnen schlummerte, wie in einen weiten See hinein tranken, dann sprach sie weiter. Und stockend sagte sie auch von dem einen, was sie aus dem schlichten Elternhause mitgebracht hatte, und was ihre Heimat geblieben war, wie alles andre von ihr ging. Und die Sonne lag in ihren lichten, großen Augen, als schimmere es von innen hervor wie ein Siegesglanz. Und dann kam die runde, fröhliche Frau Lind mit ihrer Näherei heraus. Und Karen stand auf und ging an die Arbeit. Lars aber hörte nicht recht auf das lustige Geschwätz, denn im Gemüsegarten lag Karen auf den Knien, die große, weiße Sonnenhaube über dem hellen Haar. Und ihre hohe biegsame Gestalt wandte sich eifrig hierhin und dorthin bei der Arbeit. Und seine Augen lagen sinnend auf ihr, und das, was sie ihm erzählt hatte, ging durch seine Gedanken. Und die kleine Frau Lind merkte es wohl, und sie freute sich. Kapitel XVIII Tief drin im untersten Grunde wühlte und bohrte es in Lars’ Seele. Die ruhige, klare Art in Jakob Linds Hause machte ihm den eigenen unklaren Zustand immer unbehaglicher. Jakob und die hohe stille Karen gingen so fest und sicher vor sich hin, und um die kleine tätige Frau Lind war es am allermeisten wie eine frische, gesunde Luft bewußten Frohsinns. Und immer ließ ihn Trinas Not und ihr großes Zutrauen nicht los. Er sann und sann und konnte es doch nicht in Einklang bringen, seine behagliche Freundschaft mit den Asmussens und das ganze Elend, von dem ihm Klein-Trina auf der Treppe erzählt hatte. Und doch tobte und kochte die Leidenschaft in ihm noch stärker als vorher. Bis er sich einen Entschluß abgerungen hatte, durfte er seinen Mund nicht wieder auf die weichen Lippen drücken; der Gedanke packte ihn wie verzweifelte Qual. Einstweilen wollte er da anfangen, wo er erst einmal ein Stückchen Weg vor sich sah. Er wollte versuchen, etwas für Dora zu tun. In einer nebeldicken Morgenfrühe begann er Peter Lassen im Boot von ihr zu reden. Und er sagte ihm alles, was er von Trina gehört hatte. Von Doras einsamem Kampf und ihrer Not, und wie die Verachtung der Leute und die große Scham sie jetzt fast erdrückten und doch keine einzige helfende Hand da war, die sie aufrichtete. Und die kleinen Geschwister, die sie gern mit dem eigenen Leibe vor allen Gefahren gedeckt hätte, blieben doch unbeschützt, und keiner wollte ihres Notrufs achten. Es tat Lars wohl, etwas von dem, was ihn drückte, von der Seele zu reden. Aber Peter sah zur Seite und keiner konnte sagen, was in ihm vorging. Sich selbst aber hatte Lars geholfen. Er hatte einen Anfang gemacht. Nun wußte er, daß Klarheit werden mußte. Onkel Gust sollte erfahren, wie er dachte, und Miete wollte er hinüberreißen in seine schlichte, reinliche Welt. Für sie konnte er sich dann wohl aufraffen und sich aus dem armselig-engen Kreise heraufarbeiten. Sie liebte ihn, so wie er sie liebte, darum würde sie auf ihn warten. So kam es endlich, daß er gerade aufgerichtet und zuversichtlich über die Koppeln zu Herrn Asmussens Hause ging. Im hohen grauen Hause auf der Treppe traf er Trina Lassen. Es war ihm fast wie ein Schreck, so leuchteten ihre Augen auf bei seinem Anblick. Da blieb er bei ihr stehen und fragte nach Doras Geschwistern und anderem mehr, und sie sah ihm fest in die Augen und erzählte schlicht und voll großem Vertrauen. Dann ging er mit schweren Tritten die Treppe hinauf. Das vordere Zimmer war leer. Im zweiten fand er Onkel Gust in dicken Tabakswolken hinter der Zeitung. Da drückte er die Lippen fest aufeinander, daß sein Gesicht wieder aussah, wie aus Holz geschnitten, und trat dicht vor ihn hin. Onkel Gust wehte mit der Zeitung die blauen Wolken auseinander. „Sieh da Lars, -- endlich läßt du dich sehen,“ sagte er gütig. „Onkel, ich habe mancherlei zu sagen,“ brachte Lars mit harter Stimme heraus. Zum Lesen brauchte Herr Asmussen einen Kneifer. Über den Kneifer hinweg sah er seitwärts nach Lars hin. „Setz’ dich, setz’ dich, min Jung!“ Und dann: „Na?“ sagte er erwartungsvoll. Lars saß an der andern Seite vom Tisch, nun legte er die Arme darauf und beugte sich zu Herrn Asmussen hinüber, und er sprach ganz deutlich und langsam, und Herr Asmussen rückte an seinem Kneifer. „Ich weiß gar nicht, was du überhaupt meinst,“ sagte er und putzte den Kneifer vorsichtig mit dem Taschentuch ab. Aber Lars blieb ruhig dabei und sprach von Trina Lassen und was die Leute ihm sagten von Onkel Gust. „Was geht das dich überhaupt an?!“ Und Onkel Gust lehnte sich im Lehnstuhl zurück und suchte beleidigt auf Lars zu blicken. Aber Lars achtete gar nicht darauf, und als er auf Dora Nielsen zu reden kam und ihre Geschwister, da rückte Onkel Gust ein wenig auf seinem Stuhl herum und lachte verlegen. „Naa“ sagte er begütigend und zwinkerte Lars zu. Aber Lars redete weiter, und er redete sich in Zorn und sprach von denen, die keine Hilfe fänden und keinen Schutz, weil die andern, welche die Kraft hatten und die Pflicht zu sorgen, im Wirtshaus saßen und faule Witze rissen. Da wurde es Onkel Gust zu bunt. „Grünschnabel, geh’ und predige deinen Fischen!“ schrie er und setzte den Kneifer wieder auf. „Ja,“ sagte Lars da auf einmal in einem ganz anderen Ton, „ich bin weiter nichts als ein Fischer, und ich habe kein Recht, zu sprechen, aber es kann sein, daß es heute das letztemal ist, daß ich hier sitze, und eh’ Ihr euch entschließt, solltet Ihr wissen, wie ich denke.“ Da legte Onkel Gust die Zeitung schnell wieder hin und sah Lars mit einem Ausdruck ins Gesicht, der fast dumm ausgesehen hätte, wenn es eben nicht Herr Asmussen gewesen wäre. Lars schwieg einen Augenblick, und sein hartgeschnittenes Gesicht war unter der Wetterbräune blaß geworden. Draußen hörte man einen Hund bellen. -- „Ich wollte dich fragen, ob du mir Miete zur Frau geben wolltest,“ sagte er, und die Stimme war sehr tief und fast hohl. Da veränderte sich Herr Asmussen, wie wenn im April die Sonne durch die Wolken bricht. „Mein lieber Lars!“ sagte er gerührt, und auch seine Stimme klang tief, aber mehr im Fett erstickt. „Ich habe mir immer gedacht, daß du wieder zu uns kommst. Der Stand, dem du angehörst, ist ja unmöglich für dich. Bei deiner Begabung läßt sich alles in kurzer Studienzeit nachholen. Ja, ja, ich glaube schon, daß die klein’ Deern „ja“ sagen wird. Und ihr seid ja jung; bis du dich wieder soweit eingearbeitet hast, daß du reif bist für den Posten, so lange könnt ihr ja gut warten -- und --“ „Was meinst du eigentlich Onkel?“ Lars stand hoch aufgerichtet und sah ihn mit weiten Augen an. Aber Herr Asmussen war schon an der Tür -- „Miete -- Miete!“ rief er die Treppe hinunter. „Ich wußte es ja, und ich habe die ganze Zeit eine nette kleine Stelle für dich im Auge behalten -- aber sieh, da bist du ja schon, klein’ Deern, na, na, da will ich euch lieber allein lassen,“ und er lachte leise, -- noch hinter der Tür hörten sie ihn lachen. Miete stand vor ihm, und sie sah halb verlegen zur Seite, und in den weichgeformten Backen ging das Blut auf und ab. Und es war zwischen ihnen wie eine heiße Welle, die hin und her wogte und den Blick zu trüben schien, daß kein Überlegen mehr war, nur das heiße Müssen. Sie wußten es beide nicht, wie lange sie so in seinen Armen gelegen hatte. Aber wieder war es Tante Jette, die die Tür hart aufklinkte. Miete sprang auf mit glühenden Backen, und Lars stand neben ihr, hochatmend mit dunklen Augen. „So,“ sagte Tante Jette, und setzte sich, „nun wollen wir erst mal vernünftig reden.“ Die beiden setzten sich langsam nebeneinander, und Lars fuhr sich mit der Hand über die Stirn und weit über die kurzen Haare hin. „Also dein Vater sagt mir, Miete, daß Lars dich heiraten will und selbstverständlich in unsern Stand zurückkehrt und sich für die Arbeit bei Herrn Tiensen vorbereiten will. Eine lange Warterei wird das ja geben, und gerade keine besonders feine Stellung für dich. Aber lieber als diese Wirtschaft hier zwischen euch ist mir diese Heirat dann schließlich auch noch und --“ „Tante Jette,“ sagte da Lars auf einmal, und er war wieder ganz blaß geworden, „Onkel Gust hat mich ganz falsch verstanden. Wenn mich Miete lieb hat, wird ihr wohl jeder Stand recht sein. Es kann ja vielleicht Mittel und Wege geben, daß ich mich irgendwie weiterbilde und heraufarbeite, aber zu Herrn Tiensens Arbeit, -- nie und nimmer. Hier ist bloß der Fischer!“ Er drehte sich zu Miete in seiner schwerfälligen Art. Und es stand auf seinem Gesicht wie ein rücksichtslos zorniges Fragen, aber auch etwas wie eine verhaltene Qual war in den gezogenen Linien. Sie war fast zusammengefahren und tat einen Ruck von ihm fort. „Was, Fischerfrau?!“ sagte sie, „Lars, bist du verrückt?“ -- Und sie lachte schrill auf, beinah, wie ihre Stimme manchmal als Kind geklungen hatte. Tante Jettes Brust hob und senkte sich stürmisch mit dem dicken goldenen Locket. „Das wäre dir wohl recht, das kann ich wohl glauben. Eine kleine niedliche Frau und Geld dazu. Und dann deinen Wohltätern den Rücken kehren und womöglich gegen ihre Sache kämpfen. -- Ich habe dir immer mißtraut, Lars Asmussen, und diese Tändelei mit meinem Kinde war mir ein Greuel.“ „Ach Mama, du verdirbst aber auch alles,“ sagte Miete feindlich. „Ja, ja, das tut sie immer,“ sagte Herr Asmussen, der bei dem lauten Reden eingetreten war. „Lars,“ und Miete kam zu ihm heran, so dicht, daß er ihren Atem weich auf seiner Backe spürte, „du hast mir doch versprochen, daß du etwas für mich tun würdest, -- Lars?“ -- Und sie hatte ihre weiche Hand auf seine harten braunen Finger gelegt. Es war, als versänke etwas in ihm, daß es ihn wie eine körperliche Schwäche überkam und ihm zugleich den heißen Blutstrom ins Gehirn trieb. „Lars,“ sagte Herrn Asmussens wohlwollende Stimme, „Lars, min Jung’ -- bedenke, wie du vorher geredet hast, denk an die kleinen Leute, denke, wie ein Agitator in jeden Winkel kommt und alle Verhältnisse kennt. Welchen Einfluß wirst du haben, wieviel kannst du nützen?“ Einen Augenblick sah er von einem zum andern mit seinem blassen, unbeweglichen Gesicht. Er sah jetzt seiner Mutter ähnlich. -- „Leb wohl, Miete!“ sagte er. Ihre Finger lagen noch immer weich auf seiner Hand. Jetzt lehnte sie sich an ihn, und ihre ganze Gestalt war sehnende Hingabe. „Lars, kannst du denn gar nichts für mich tun? Wenn du mir versprichst, dich zu uns zu halten, weiter gar nichts?“ Da faßte er sie plötzlich bei den Schultern und sah ihr ins Gesicht. Sie versuchte zu lächeln, aber sie konnte ihm nicht gerade in die Augen sehn. Etwas Unbestimmtes -- Verstecktes glitt über das helle, weiche Gesicht. -- „Jetzt weiß ich, daß du mich betrügen willst, Miete Asmussen, um mich einzufangen.“ Seine Stimme klang sehr hart. „Und Gott weiß, daß du stark bist!“ -- Er schob sie fort und wollte nach der Tür. Aber Miete beugte sich vor und sah ihm in die Augen, daß der Blick sich gleichsam in sein Innerstes wühlte. „Du kommst wieder!“ flüsterte sie. „Nein,“ sagte er. Kapitel XIX Das waren böse Tage, die nun für Lars Asmussen gekommen waren. Es lag alles im Trüben und hatte keinen rechten Sinn. Und er fühlte nur, daß es wund war in ihm. Aber da hatte ihm eines Tags Peter Lassen etwas erzählt, das brachte eine Weile so ein klares, ruhiges Fühlen in ihn, wie wenn Karen mit ihm redete. Was Peter ihm aber erzählte, war so gekommen: Peter kam einmal im Sonnenschein über die Koppeln. Er ging aufrecht und trat fest auf und pfiff laut und fröhlich. Peter war zufrieden mit dem frischen, starken Wind und vor allem mit Peter Lassen. Er rechnete den Verdienst der letzten Woche zusammen, und auch damit war er zufrieden. Auf einmal blieb er vor dem Knickloch stehen und sah auf die Koppel dahinter. „Jetzt schon Kühe!“ sagte er. „Hoekskoppel“ nickte er vor sich hin. „Da kriechen die Küken auch eher aus dem Ei als bei andern Leuten.“ Er wollte eben weitergehen, da trat ein Mädchen von der andern Seite auf die Koppel. Sie ging zu den Kühen hin und sah kein einziges Mal vom Boden auf. Und die feinen, starren Schlehdornzweige, mit den weißen Blüten, standen hoch gegen die milde blaue Luft und dahinter stand Peter und sah auf das Mädchen hin. Und Peter hatte lange aufgehört zu pfeifen und der zufriedene Schimmer war nicht mehr in den Augen, sondern ein unruhiges Licht war darin; fast gequält blickten sie zwischen den Blüten hindurch auf das Mädchen. Das hatte sich ganz ruhig auf den Melkschemel gesetzt und war bald fertig mit der ersten Kuh. Da machte Peter eine Bewegung, als wollte er auf die Koppel steigen, aber er zog die Brauen zusammen und blieb, wo er war. -- Nun ging sie zur zweiten Kuh, aber Peter stand noch immer hinter den Schlehdornzweigen. Und das Gequälte in seinen Augen war noch stärker. Sie gab der letzten Kuh einen kleinen Stoß, daß sie weiter ging, und dann legte das Mädchen die Hände auf die Knie und den Kopf in die Hände und blieb so zusammengebeugt auf dem niederen Schemel, so wie zerdrückt von einer großen Last. Und der weiche Frühlingssonnenschein lag auf ihren hellen Haaren, daß sie gleißten, und über der Koppel lag der weiche warme Frühlingsfrieden. Da seufzte Peter tief auf und trat auf die Koppel hinaus. Die Falte hatte er noch zwischen den Brauen, und in seinem aufrechten Gang lag es wie lauter Rechtlichkeit. -- „Guten Tag, Dora,“ sagte er. Da sah sie schnell zu ihm auf, und das Blut stieg ihr bis an die Haarwurzeln. „Guten Tag, Peter Lassen,“ sagte sie leise. „Eine schöne Kuh,“ sagte Peter und klopfte der Roten auf den Rücken. Dora aber sah ihm ins Gesicht mit einer großen Bangigkeit in den Augen und sagte kein Wort. -- Da räusperte sich Peter und stützte sich mit dem Ellbogen gegen die Kuh. Aber er fand immer noch nicht die rechten Worte. Und hoch oben in der weichverschwimmenden Bläue zitterte die Luft vom hellen Lerchenjubel. Da stand sie langsam auf und hob den Melkschemel vom Boden. „Dora,“ sagte Peter, „wart’ einmal. -- Dora, es ist dir nicht so gut gegangen, du hättest mal lieber auf mich hören sollen. -- Nun tust du das vielleicht eher, Dora,“ -- er holte tief Atem und dann hastig: „wir wollen uns doch lieber heiraten jetzt.“ Da kam es ganz anders, als Peter dachte. Dora hatte sich aufgerichtet. Und mit einem Male war es wieder die große Helle, die vor ihm stand. Aus den Augen blitzte und flackerte es. „Ja, du hast recht, mir ist das schlecht gegangen, Peter Lassen, und ich bin jetzt so eine, mit der niemand mehr viel Umstände macht. Aber so demütig bin ich dabei doch nicht geworden, Peter Lassen, daß ich jeden Gnadenbissen annehme, den du mir hinwirfst.“ Sie nahm ihren Schemel unter den Arm und ging, und ihr Rock streifte die blühenden Margueriten. Dann blieb sie stehn und rief über die Schulter: „Wenn du das nächste Mal mit mir sprichst, vergiß nicht, daß du mir etwas abzubitten hast, Peter Lassen.“ Dann war sie fort, und Peter starrte ihr nach. -- Er gab der Kuh einen zornigen Stoß und ging nach dem Fußsteig zurück. -- „Es ist gut,“ dachte er, „nun habe ich getan, was ich mußte. -- Die hätte nie zu unsereins gepaßt. Weiß Gott, was Mutter gesagt hätte -- und alle andern ordentlichen Leute. -- Bewahre, was hätte der rote Trollsen und der alte Mazen gelacht. Und die jungen dummen Henigsens hätten sich gefreut.“ Und Peter sagte sich immer wieder, wie gut es sich traf, daß Dora Nielsen so unvernünftig war. -- Aber er sah gar nicht vergnügt aus dabei, und alle Augenblicke blieb er stehen und sah sich um. Aber es war rein gar nichts zu sehn auf den sonnigen Koppeln, als nur glänzende rote Kühe. Da ging er weiter, aber den Kopf hielt er ein wenig gebeugt. Sie wußten nicht, was Peter hatte. Von denen zu Hause kam keiner mehr mit ihm zurecht. Er war viel schweigsamer als sonst, und wenn er sprach, war es, um irgend jemand anzufahren. Lars rang und kämpfte selbst mit seiner großen Not. Aber er merkte doch, daß auf dem andern eine Last lag, und manchmal sah er ihn mit seinen tiefen Augen fragend an. Dann drehte Peter den Kopf zur Seite und begann zu pfeifen, aber er hörte bald wieder auf. Und immer wieder sagte er sich, daß es gut wäre. Aber so wie die große Helle vor ihm gestanden hatte in der warmen Frühlingssonne, so stand sie ihm immer vor der Seele. Er wurde sie nicht los. Und er fing an, sich wieder und wieder die Worte zu sagen, die sie gesprochen hatte. Und er tat etwas, was Peter Lassen noch nie getan hatte, er versuchte, sich auszudenken, wie ihr zumute war, daß sie gerade diese Worte hätte sagen müssen, und ob sie Peter Lassen wohl nicht mehr leiden konnte. Und wenn er das dachte, dann zog sich sein Herz ganz fest zusammen, daß es war wie ein körperlicher Schmerz. Und auf einmal, an einem Sonntagmorgen, als er lange auf Klaas Klaaßens umgekehrtem Boot gesessen hatte und wunderliche neue Gedanken in ihm aufgedämmert waren und wieder versunken, da wußte er, wie Dora Nielsen zumute gewesen war, und Dora Nielsen tat ihm im innersten Herzen so bitter leid, daß er sich im Zorn mit der Faust aufs Knie schlug. Dann stand er auf und ging nach Hause. Als ihn nach einer Weile die kleinere Schwester Lena fragte, wo er im guten Sonntagszeug hingehen wollte, fuhr er sie erschrecklich an und hätte sie beinahe geohrfeigt. Auf dem Hoekhof fragte er mit bitterbösem Gesicht nach Dora Nielsen. Die stattliche Hoektochter sah neugierig zum Fenster heraus, als er in den Kuhstall ging. Dora war bei den Kälbern. Sie hatte etwas Weiches, Mütterliches, wie sie das trinkende Kalb streichelte. -- Sie fuhr so stark zusammen, als sie Peter erblickte, daß das Kalb zur Seite sprang. Peter stand vor ihr und drehte an seiner Mütze. Er sah zur Seite, und es war etwas Jungenhaftes an dem großen Menschen. „Verzeih mir die Ohrfeige,“ brachte er endlich mit seiner tiefen Stimme heraus. Dora sah ihn groß an, sie zitterte ein wenig. -- Da blickte er ihr fest ins Gesicht. Und in seinen guten Blauaugen stand etwas, daß Dora die Hände vors Gesicht schlug und laut aufweinte. „Ich bin’s nicht wert -- ich bin’s ja nicht wert,“ schluchzte sie. Da fühlte sie seine starken Arme um ihren Leib, und nun wußte die große Helle, daß sie endlich nach Hause gefunden hatte. * * * Daß alles zwischen den beiden so gekommen war, dazu hatte Lars’ Erzählung damals im Boot mitgeholfen, das wußte er. Eine kurze Zeit war ihm der Gedanke eine Art Trost. Aber die Qual der Sehnsucht blieb. Da flüchtete er sich immer mehr in die Arbeit. Und es gab jetzt gerade genug zu tun für die beiden Jungen. Jeder hatte in seiner eigenen Heimhütte schon eine Weile den Alten mit eigenen Gedanken zugesehen. Hans Peter Lassen hatte ein Magenleiden und saß verfallen und schweigsamer als je in seinem kleinen Hause. Und seine Frau jammerte laut. So mußte Großvater allein hinausgehen. Mühsam drehte der alte Mann mit seiner Winde das Netz herauf, und sein Fang war jämmerlich gering. Aber er wollte selbstverdientes Brot essen, und er klagte nicht, wenn er nach der Arbeit ganz matt in sich zusammensank. Den Frauen hatten Lars und Peter nur mürrisch kurze Antworten gegeben, wenn die darauf zu sprechen kommen wollten. Aber Lars und Peter kamen doch zusammen und berieten, was zu tun sei. Die Jungen waren sich einig, daß keiner von den beiden Alten bei der harten Winterarbeit mehr aushalten könnte. Da hatten sie ausgemacht, daß Lars und Peter jeder in einem eigenen Boote hinausgehen und einen Mann zur Hilfe mitnehmen sollte, und der hatte dann geringeren Anteil am Verdienst. Großvaters altes Winterboot war nicht mehr viel wert. So mußte im Sommer ein neues Boot gebaut werden. Mit dem Aalfang war es in dieser Zeit überhaupt nicht gut gewesen, so daß sie oft an einem Tage zweimal hinausmußten. Und in den Stunden, wo sie sonst schliefen, stand Lars und zimmerte und hämmerte an dem neuen Boot. Und wenn die Späne flogen und die Säge ächzte oder der Hammer dröhnte, dann wurde ihm wohler. Und wenn das heiße Sehnen in ihm aufstieg wie ein körperlicher Schmerz, dann ließ er das Holz kreischen und dröhnen, und fort und fort sagten ihm die Töne dasselbe: frei wollte er bleiben und unabhängig von den behaglichen, satten Leuten dort oben. Nach +seiner+ Art, frei, frei. -- Als es gar zu lange währte, daß er sich nicht sehen ließ, kam Jakob Lind einmal den Strand entlang, wo Lars vor dem Feuer stand mit schwarzen Händen und beschmiertem Zeug. „Die Arbeit ist der rechte Grund zum Bauen, hat Großvater gesagt, und da hat er recht. Laß mich man, Jakob Lind!“ Und Lars blieb bei seiner Arbeit und ging nicht zu Jakob Lind. Wenn er einmal einen Augenblick absetzen mußte nach stundenlangem Quälen und es war nicht gerade Schlafenszeit, dann stand er totstill am Ende des Ricks und sah ins Wasser. Aber dies einsame Sinnen mit der großen Qual im Herzen brachte ihn nicht vorwärts, sondern er saß im Nebel fest. So kam wieder einmal ein Sonntag, aber er lastete grau und schwül über dem trägen, öligen Wasser. Es war Trina Lassens freier Nachmittag gewesen, und sie trat aus der Haustür, um nach dem Flecken zurückzugehen. Da sah sie Lars auf dem Rick stehen. Die reglose dunkle Gestalt vor der weiten, öden See hatte etwas Tieftrauriges für die Augen der kleinen Trina, denn sie wußte, wie es ihm im hohen grauen Hause ergangen war, und er tat ihr so leid, der starke, große Lars. Schritt vor Schritt, als ob sie einen im Schlafe störe, ging sie zaghaft aufs Rick hinaus. Ganz leise, kaum hätte man es der Arbeitshand zugetraut, legte sie die Finger auf seinen Arm. „Lars, ich wollte bloß danken,“ sagte sie. „Wofür?“ fragte er. „Da drin sitzt Helle-Dora bei Peter, und sie sind so froh. Das hast du getan.“ Da sah er ihr mit sonderbarem Blick in die Augen. Dann strich er ihr freundlich über die Hand. „Du findest wohl das Rechte, Trina, Kind.“ Sie sah dankbar zu ihm auf. „Ist es immer noch so schwer da drüben?“ fragte er. „Es geht schon“, sagte sie. „Und Miete -- hilft sie dir nicht?“ Seine Stimme klang fast hart. „Sie kann wohl nicht,“ sagte Trina und sah zur Seite. Sie hatte den Kopf vorgebeugt, daß ein paar dunkle Haarsträhnen ihr über die Stirn hingen. „Warum bleibst du denn dort?“ „Ich weiß nicht, aber es ist wohl überall schwer, und hier bin ich doch nah bei den Eltern. Sie sagen, in Hamburg oder so wäre es besser, aber ich fürchte mich.“ Da faßte er sie auf einmal bei der Hand. „Sieh mal, Trina, wir sind beide nicht so froh, und wir kennen uns von klein auf und könnten gewiß gut zusammen arbeiten, was meinst du, wollen wir’s nicht zusammen versuchen?“ Sie wurde flammend rot und dann wieder blaß und sah ihn an, als wenn er in fremder Sprache gesprochen hätte. Da fragte er noch einmal: „Wollen wir uns heiraten, Klein-Trina?“ Da sah sie zu ihm auf mit hell strahlendem Glück in den Augen, daß er sie bei der Hand nahm und mit ihr zu Mutter Stina ging. Und sie merkte es gar nicht, daß er nicht so froh aussah. -- * * * Der nächste Sonntag, an dem es Jakob Lind erfuhr, war wieder ein klarer, stiller Frühsommertag, und er hatte mit seiner Frau und Karen einen Weg über Land gemacht. Die Nachmittagssonne lag über dem kleinen Landsee, und jeder Schilfhalm hob sich lautlos in den goldenen Frieden hinauf, nur die Libellen schwirrten durchs Schilf und setzten sich auf die großen, roten Blumen. Zwischen den Kastanienblättern fielen die goldenen Lichter bis auf den grünen Wassergrund, wo sich die wunderlichen Schlinggewächse wanden. -- Und aus dem blauen Schatten glitten lautlose weiße Schwäne ins goldene Licht hinaus, und ihr weißes Gefieder schimmerte bläulich und gleißte wieder auf in goldig-weißem Schein. -- Und aus der Hölzung träumte auf langgezogenen Sehnsuchtsklängen die Drossel und jauchzte wieder auf von goldenen Sonnenträumen, und manchmal -- leise tief aus grüner Dämmerheimlichkeit rief lockend der Kuckuck ins Kinderland. Auf dem Seeweg ging Jakob Lind, und an seinem Arme hing seine kleine Frau. Karen war ein Stück zurückgeblieben. Hier und da beugte sie sich zum dunklen Wasser und brach die hohen, gelben Iris zum Strauße. Und die grüngoldenen Sonnenlichter tanzten über ihr helles Kleid. Dann träumte sie in den märchenstillen Sonnenfrieden hinaus, und es war ihr, als ginge der große, ernste Fischer immer neben ihr, und als ob er etwas von ihr wollte. Was sollte sie tun? Was sie war, gehörte ihm; ihr schien, das war von immerher sein Recht. War denn eine Zeit gewesen, wo sie ihn noch nicht kannte? Im tiefsten Seelengrunde hatte sie so wie ein Bild von seinem Wesen wohl immer schon geträumt. Denn wie verstand sie sonst, bis in ihr innerstes Empfinden, die ernste, grüblerische Art und diese Kraft, die doch so schwer war zur frischen, starken Tat? Wer ihn aufrütteln durfte aus seinen Träumen! Hatte Gott ihr diese Seele in die Hände gelegt, weil sie allein sein innerstes Empfinden verstand? Sie lehnte am gewunden-rötlichen Kastanienstamm und sah hinauf nach dem Mückenschwarm, der da im goldenen Strahle tanzte, und wieder war der helle Siegesschein in ihren weiten, klaren Augen. Als sie in den Flecken kamen, sagte ihnen jemand, daß Lars Asmussen mit Trina Lassen versprochen sei. Da stampfte die kleine Frau Lind mit dem Fuße auf. „Das hat er nur getan, um die abscheuliche Miete zu ärgern, der dumme, dumme Mensch!“ „Ich fürchte, es war Feigheit,“ sagte Jakob Lind. Aber Karen ging still weiter. Kapitel XX Der alte Klaas Klaaßen hat recht, es sind die Menschen, die einen Tüter[4] in die große, wunderbare Ordnung machen. Manch einer ist geboren in so einer wunderlichen Nacht um Sonnenwend oder wenn die feine Mondsichel über die wachsenden Knospen wacht oder wenn der Vollmond dem scheidenden Jahre leuchtet. Da haben die tiefen Glocken im Grunde der Dinge heraufgeklungen und der Quell, der da unten verborgen aufwallt, hat gerauscht. Der Mensch geht dann mit ernsten Augen über die Erde, und seine Ohren sind feiner als anderer Leute Gehör. Und wenn er still hält und aufhorcht, kommt ihm ein Ahnen von dem, wie es hätte sein sollen. -- So ein feines, tastendes Fühlen ist es, wie es Kindern im Traume redet oder die Wandervögel durch die Lüfte führt oder die Flut zum Lande drängt. -- Und er könnte weinen, wenn er den großen Tüter sieht, den die Menschen hineinbringen. Es ist, als triebe sie eine dunkle Macht, daß sie in die große Ordnung hineingreifen und ihr Gewebe zerreißen. Aber so, wie die Natur selbst immer strebt, zu begleichen und mit Schönheit zu umhüllen, so strebt auch die Ordnung selbst, die Dinge in ihren Wohlklang zurückzubilden. Es fürchtet sich aber der Mensch oft vor ihrem Wege, denn er geht am öftesten durch die Nacht. Hat eines ihrer Kinder aber im lärmenden Geklirr des Unverstandes ihre Stimme überhört und ist den falschen Weg gelaufen, -- wenn er sich nur zu ihr hält, so bringt sie ihn immer wieder zurecht. An ihrem Faden muß er spinnen, wenn er es selber nicht glaubt. Und er kommt dennoch zum Ziel. Lars hatte einen Tüter gemacht in sein Leben. „Ich gehöre zu den schlichten, arbeitenden Leuten,“ sagte er zu Jakob Lind. „Da bin ich am Platz. Dies ist das Wahre im Leben, Jakob, was sich auf die Arbeit gründet. Das andere ist unecht.“ „Recht hast du, Lars Asmussen,“ sagte Jakob Lind, „aber du bist übers Ziel geschossen.“ Er suchte seine Freunde unter den einfachen Leuten, und die Linds mied er in dieser Zeit. Er sollte mit seiner Frau in einem neuen Hause ein wenig weiter ab vom Strande wohnen. Das war das einzige Haus, das in der Nähe zu haben war, und vor dem Herbste, eh’ der Heringsfang wieder anfing, sollte geheiratet werden. Mutter Lassen war eine tüchtige Frau, und Trinas Aussteuer lag schon lange sauber in der Lade. So konnte Lars es haben, wie er wollte. Da war er gar nicht mehr zum Nachdenken gekommen. Am neuen Hause war noch manches zu tun, ehe er einziehen konnte, und das Boot war noch nicht ganz fertig. Auch hatten sie noch nicht alles wegen der Männer in Ordnung, die mit ihnen fischen sollten. Lars wollte gern Kords in sein Boot haben. Mit Kords Hand ging es besser, und er hatte seit fast einem Jahr auf der Werft gearbeitet. Aber nun war er plötzlich nach Hause gekommen, ohne Geld und mit einer kranken Frau. Das wußte Lars, und er wollte ihn nun für seine Arbeit anwerben. Die Arbeit war jetzt Lars’ einziger Gedanke. -- Wie es in ihm selbst aussah, das wollte er nicht sehn. Er war sich dumpf bewußt, daß, wenn er anhielt im Schaffen und sich Zeit ließ, einmal hinein zu horchen in die eigene Seele, er da einen unerträglich brennenden Schmerz fand. Aber schon um Klein-Trinas willen wollte er sich einreden, daß er zufrieden sei. Es war auch wirklich wieder eine größere Sicherheit in Lars, seit er in sein Innerstes hineingeschnitten und Miete herausgerissen hatte. Indem er sich an Trina Lassen band, hatte er die Tür hinter sich verschlossen. Nun konnte er nie mehr zurück! Er trat fest auf, wie ein Mann, der ein Ziel vor Augen hat. So ging er auch am Strande entlang nach Wanbyll, um mit Kords zu sprechen. Aber bei allem festen Schreiten lag es doch wie eine Wolke auf seiner Stirn und über seiner Seele wie ein dumpfer Traum. Auch in der grauen, schwülen Sommerluft war kein frischer Atem, der ihn aufweckte. Die See lag unheimlich still und schwarz. Nur an manchen Stellen glitzerte es silberig auf. Tief hinein spiegelten sich die scharf geformten Ufer, und greifbar nah lagen sie. In einer kleinen, einsamen Bucht zwischen kantigen, grauen Steinen war ein blendendes Geflatter weißer Möwenflügel. Das gellende Möwenschreien klang unheimlich über der lautlos harrenden Weite. Als Lars herankam, kreischten sie jäh auf, als sollte die große Stille in Stücke zerreißen, dann ein glitzerndes Gewoge, und sie waren fort. Weiter draußen auf dem grauen Steine saß noch eine Möwe allein. Blendend weiß spiegelte sich ihr Bild im schwarzen Grunde. Und wieder umhüllte die unheimliche Stille den schreitenden Mann wie ein finsterer Traum. Und es lag auch immerfort über ihm in dieser Zeit, als handle und rede er im Traum. Und er setzte die Füße gleichmäßig und sah gerade vor sich hin. In Wanbyll am Strande zwischen den aufgehängten Fischnetzen stand Kords mit andern Männern. Als er Lars sah, lachte er ihm hart entgegen. „Na, da bin ich wieder mit der kranken Frau und den brüllenden Gören.“ „Warum denn?“ fragte Lars. „Na, ihr könnt das ja denn auch noch einmal hören,“ sagte Kords. „Das war nämlich so: Du weißt ja, daß ich schon immer zu den Genossen gehört habe. Na, da sollte das ja nun ordentlich vorwärts gehn mit der Arbeit dort unter all den Brüdern. Und bei dem guten Verdienst wollte ich auch ordentlich abbezahlen an den Schulden von der Krankheit her und dem Umzug.“ Er lachte wieder laut auf, und das grelle, gelbliche Gewitterlicht lag auf seinem harten, finsteren Gesicht. „Das ging ja auch ganz fein die erste Zeit. Dann mußten wir streiken, das machte ich gerne mit um der Sache willen, wenn’s mich auch zurück brachte. Dann kam aber bald wieder ein Streik und jetzt vor ein paar Wochen der dritte. Und ich sage dir, Lars Asmussen, das war ein Unsinn mit dem letzten Streik. Ich erkläre euch das nicht, das versteht ihr doch nicht. -- Das habe ich den Führern auch gesagt: Das ist ein Unsinn, da mache ich nicht mit. Aber denkst du, sie hätten mich tun lassen, wie ich wollte? Nein, streiken sollte ich und mußte ich, und besonders die ganz jungen Grünschnäbel verlangten das am lautesten.“ „Na, da hatten die Kerls am Ende gar nicht so unrecht,“ meinte Lars bedächtig dazwischen. „Wenn du nun einmal eingetreten warst, mußtest du schon mitmachen. So mit den Brüdern und all den schönen Geschichten, wie du dir das denkst, so ist das ja wohl nirgends in der Welt. Das wäre fein, wenn man das so einrichten könnte. So lange ich aber immer nur merke, daß mich die fremden Führer an der Nase rumziehen, bleibe ich lieber mein eigener Herr. Und wenn du deine eigene Meinung behalten wolltest und ein freier Mann bleiben, warum bist du da überhaupt eingetreten?“ „Tünn nicht so, Lars, das verstehst du ja alles gar nicht. Ich hab’ mir auch keine Vorschriften machen lassen, nee, nun ging ich gerade zur Arbeit schon aus Trotz. Da wird mir auch noch die Frau krank, und ich muß den Doktor holen, und eine andere mußte ich bezahlen, die nach den kleinsten Würmern sieht. Und mit der kranken Frau und den kleinen Kindern, ich sage dir, Lars, ein Elend war’s. Na, ich komme den einen Morgen früh aus dem Hause, und es ist mir schon trübselig genug. Die Straße ist auch ganz still. Auf einmal saust da etwas aus einem Hausflur heraus und prallt mir gegen den Kopf, daß mir erst ganz düsig wird, und ich mich an die Wand lehnen muß. Dann merke ich, hat mir einer mit dem Stein den Kopf blutig geworfen. Ich reiße mich also hoch und in den Hausflur rein, aber der Kerl war schon durch den Hof und fort. Da konnte ich nach Hause gehn und mir das Blut abwaschen und im Bett liegen.“ Da standen die Männer eine Weile still und sahen über die See, und die unheimlichen weißen Wolkenarme langten immer höher herauf. Das Licht lag wechselnd scharf und wieder trübe über den wetterharten Gestalten und den knochig stillen Gesichtern. „Na und die andern Verheirateten, was machen die denn?“ fragte Lars, „streiken die alle mit, wenn sie gut bei der Arbeit sind?“ „Aus Angst streiken sie, wenn sie sich noch so sehr ärgern, die Däsköpfe. Und die jungen Schreier ziehen dann fort, und sie sitzen da mit ihren heulenden Gören und den paar Gnadenpfennigen.“ „Warum sind sie so dumm und überlegen sich’s nicht vorher, was man da von ihnen verlangt. Laufen sie gleich mit, wenn ihnen ein fremder Kerl was vorschnackt. Wenn die ruhigen Leute alle zusammenhielten, dann müßte auch jeder seinen eigenen Weg gehen können, ohne sich weder von den Reichen noch von fremden Parteigeschichten herumkommandieren zu lassen.“ Lars stand sehr lang und hoch da und sah ein wenig über Kords weg, als er sprach. Da wurde es ganz dunkel auf Kords Stirn, und er fuhr auf: „Ich hab’ deine guten Lehren satt, Lars Asmussen, hast du das gehört?“ schrie er. „Ich bin übrigens gleich am nächsten Tage ausgetreten, und dann bin ich mit der kranken Frau und den brüllenden Gören nach Hause gereist, ob sie alle wollten oder nicht. In dem verfluchten Nest bleibe ich nicht. Hol’ sie alle der Teufel mit ihrem Zukunftsstaat!“ „Ja, und die Frau wäre beinah dran gestorben, und Geld hat er nun auch keins,“ sagte Christen Matthies mit seiner schleppend traurigen Art. Kords wollte wieder auffahren, aber Lars fing bedächtig an von seinem Boot zu reden und Kords anzuwerben für die Winterarbeit. Kords aber hatte weder Boot noch Netze und brauchte Arbeit. Darum wurde er still und grunzte nur noch zustimmend. Und dann schwiegen die Männer alle wieder und sahen über See. Und als der erste Regen fiel, da gingen sie in Kords elende Hütte, wo beinah gar nichts stand als das Bett mit der kranken Frau, denn alle guten Möbel hatten sie versetzen müssen. Die schmutzigen Kinder jagte er vor die Tür. Und dann machten sie alles fest ab miteinander. Für Christen Matthies hatte Lars einen Auftrag von Peter Lassen. Christen Matthies aber sah vor sich hin und sagte, er müßte sich’s erst überlegen. Zwei große, starke Söhne waren vor ihm hingestorben, und er hatte noch mehr Trauriges erlebt. Davon waren seine Haare frühzeitig weiß und seine Art langsam geworden, als lohne es sich nicht der Mühe. Er arbeitete aber still und fleißig, und seine alte Frau ging mit hinaus und half ihm beim Fischen. Als sie zu Ende waren, hatte auch der Regen aufgehört, und die Männer traten mit Lars heraus. Die Sonne war hinter den Wolken im Sinken und zwischen den finstern Schichten hervor fiel ein blutroter Schein über das dunkle Wasser, daß es tiefblau schien neben der breiten, roten Straße. Scharf und hell standen drüben die Türme der Stadt gegen den Himmel. „Du hast das schon weit gebracht, Lars, für deine Jahre. Du kannst mir helfen, daß wir denen da drüben was antun für ihre Niedertracht,“ sagte Kords und drohte mit der Faust über das Wasser nach der Stadt hin. Der rote Trollsen stand auch dabei und lachte laut auf. Aber Christen Matthies sagte: „Er sollte lieber den kleinen Leuten helfen, wenn er so klug ist.“ Das klang Lars noch im Ohr, als er nach Hause ging. [4] Verwirrung im Tauwerk. Kapitel XXI So hatte Lars dann noch vor der Zeit des Heringfangs geheiratet und war in das neue Haus gezogen. Nun fuhren sie zusammen hinaus in die heulenden Herbststürme, Lars und Kords und Peter mit Christen Matthies. Der Herbst war stürmisch, aber er blieb lange warm. Darum konnten die Fischer von draußen ihre Stellnetze nicht setzen, und die Fischer in der Bucht hatten einen guten Verdienst. Aber als dann der erste Frost kam und die Stellnetze wieder die Bucht absperrten, war der Unterschied fühlbar hart, und die Fischer brauchten zornige Worte. Lars war mit Kords ein paarmal ins Wirtshaus gegangen statt zu Herrn Asmussen oder den Linds. Peter sagte nichts darüber, aber er ging mit finsterm Gesicht um Lars herum. Im Wirtshaus saß Lars meist mit seinem unbeweglichen Gesicht zwischen den dicken Tabakswolken, fast als wenn er schliefe, und sagte nur selten ein Wort. Als sie mit den Fäusten auf den Tisch schlugen und laut auf die Fischer von draußen fluchten, da hatte er sich einmal aufgerichtet: „Das ist, weil ihr euch hier nicht einig werden könnt bei uns. Anderswo haben die Fischer Vereinigungen, da machen sie die Sachen untereinander aus.“ „Ach was, Vereinigungen,“ sagte der rote Trollsen, „damit man mir vorschreibt, daß ich heute fischen muß, ob ich will oder nicht, und nicht mehr mein eigener Herr sein darf.“ „So eine Vereinigung müßte das eben sein, wo jeder ruhig seinen eigenen Weg gehen könnte und sie sich gegenseitig schützten gegen den Zwang von außen. Da können sie auch wohl zusammen ihre eigenen Interessen schützen.“ Der rote Trollsen schüttelte mit dem Kopf, aber sie wagten doch alle nicht recht, etwas zu sagen; denn Lars’ stille Art und sein sicheres, ruhiges Fortarbeiten zwang ihnen allen Achtung ab. Zum Frühling hatte er auch so viel Geld verdient, daß er sich ein Stück Kartoffelland hinter dem Hause kaufen konnte. Er schritt nun wieder aufrecht daher und sein Blick ging zufrieden geradeaus. Zu seinen Schreiner- und Holzarbeiten bekamen die Leute immer mehr Vertrauen, und er mußte Fischkasten bauen und ihnen die schadhaften Boote bessern. Wenn er so für sie arbeitete, so lernten sie ihn mit der Zeit besser kennen und bekamen immer mehr Achtung vor seinem stetig-kraftvollen Schaffen. Und als das Jahr herum war, da war ihm die Arbeit stetig zugewachsen. Und für die er gearbeitet hatte, die beredeten ihn oft, daß er nach der Arbeit mit ihnen ins Wirtshaus kam. Und weil er auf ihr Zureden gekommen war, und sie sich an seiner Arbeit gefreut hatten, meinten sie, ein Anrecht auf ihn zu haben, und waren gleichsam stolz auf sein verständiges Reden. Ihr Beifall aber zog die andern mit. So kam es, daß in diesem Jahr viele mit großem Vertrauen auf Lars hörten. Und Lars merkte es wohl, und es war, als gäbe ihm das alles eine Kraft. Und es kam eine Freude in ihn, daß die Gedanken leichter und fröhlicher in ihm umgingen. Er machte Pläne von einer großartigen Fischereivereinigung, die er gründen wollte. Wenn die Gedanken und Pläne bisher auch weder Hand noch Fuß hatten, so gaben sie Lars doch einen frohen Stolz, daß er hochaufgerichtet und sicher einherging. Aber einen Kummer hatte Lars dabei; denn wie die Monate dahinrollten, schien Großvater immer weniger Anteil an seinem Tun zu nehmen. Großvaters tiefe Augen sahen unter den schweren, weißen Brauen heraus auf Lars’ neue Wege, aber er schwieg dazu. Er schwieg jetzt fast immer, und wenn er sprach, war es ein halbverständliches Murmeln. Seit er nicht mehr auf die See ging, saß er am Fenster der Hinterstube, wo Mutters Webstuhl stand, und sah still auf das Meer hinaus. Den weißen buschigen Kopf senkte er bis auf die Brust, aber in den Augen war immer noch waches, sinnendes Leben. Aber es hatte fast den Anschein, als sei all das Neue, das in Lars’ Leben gekommen war, gar nicht bis in die fast gleichgültige Stille gedrungen, in der Großvater jetzt lebte. Manchmal hockte sich Lars auf den Schemel, der dort bei Großvater stand, und versuchte, ihm langsam und deutlich zu erzählen. Dann ließ der Alte die sinnenden Augen kurz über den langen, ernsten Fischer hingehn. Er wischte sich mit der schweren, großen Hand über Mund und Bart. Aber dann sah er nach seiner Gewohnheit wieder zum Fenster hinaus und gab keine Antwort. Und Lars stand auf, und wenn er sich umdrehte, saß eine tiefe Falte zwischen seinen Augenbrauen. Da war es aber doch noch einmal gekommen, daß Großvater zu etwas aufwachte, was Lars anging. Als das grüne Herbstlicht die Welt mit Klarheit zu überfluten begann, da trat Mutter Stina in die Hinterstube mit einem hellen Schein über dem stillen Gesicht. Und sie legte behutsam Lars’ kleinen Sohn in Großvaters Arme. Und es war, als schimmerte es feucht in Großvaters alten Augen, und er fing an, vor sich hinzumurmeln, und es klang wie ein Segen. Lars stand dabei und sah still auf die beiden. Er sagte weiter nichts, aber er wollte von da ab, daß sie dem Alten das Kind häufig brachten. Und Großvater hielt es in den Armen, und manchmal murmelte er ihm Worte zu. Und der kleine Klaus war lange still in Großvaters Armen und schlief dort fast ruhiger als bei seiner Mutter daheim. Auch Lars saß oft sinnend auf seinem alten Platz. Und von Zeit zu Zeit wechselte er ein Wort mit Mutter Stina, und auf Mutter Stinas Gesicht lag der seltene, helle Schein, wenn sie ihn und den kleinen Klaus unter dem Strohdach hatte. Dann war es an einem Frühlingsmorgen. In Lars’ Hause war großes Reinemachen. Da hatte Trina das Kind in aller Frühe zu Mutter Stina hinübergebracht. Die Sonne stand noch tief und sandte blitzende Strahlenbündel aus den mächtigen Wolkentoren hervor über See und Land. Die riesigen, quellenden Wolkengebilde lagen im rötlichen Schein, und vom Lande, wo ein Schatten über die See fiel, war sie wie von blauen Schleiern überhangen. Großvater saß am Fenster, das Kind im Arm, und sah auf Lars und Peter hin, die mit ihrem Boote nicht weit vom Ufer lagen. Als Mutter Stina nach einer Weile zu den beiden in die Hinterstube sah, verwunderte sie sich, wie tief Großvaters Kinn auf das Kind heruntergesunken war. Da sah sie aufmerksam hin. -- Das sinnende Licht war in den alten Augen erloschen. In der Morgensonne war Großvaters standhafte Seele über die See hinausgewandert in die große Ewigkeit hinein. -- * * * Als der Platz am Fenster leer war und der tiefe, sinnende Blick ihm nirgends mehr begegnete, da fühlte Lars doch ringsum eine große Öde. Es zog ihn wieder zu Jakob Lind hin. -- Still und in sich gekehrt saß er dort manchmal, und die kleine Frau Lind wußte nicht recht, was sie mit ihm anfangen sollte. Aber wenn er mit Jakob oder mit Karen allein war, dann sprach er ein wenig. Und er erzählte ihr von Großvater und seiner stillen Art. Wie er sich immer gleich blieb und seinen eigenen Weg ging, ohne zu wanken, ob es bergauf gegangen war oder bergab. „Solche Leute sollten sie zu Führern haben, die Arbeitenden,“ sagte Lars und wurde eifriger dabei. „Solche Leute aus ihrer Mitte, die sie kennen und achten und die auf sicheren, festen Füßen stehen, Leute von den Ordentlichen, die sich schon bewährt haben. Sie müssen ja wohl hinter irgend jemand herlaufen. Jetzt führt sie der, der am lautesten schreit; aber hier zwischen unsern ruhigen Leuten müßte es anders sein.“ Und Karen nickte, und ihre weiten hellen Augen gaben ihm Antwort. Da hatte Lars einen Ersatz für Großvaters schweigendes Verstehen gefunden und ging wieder zufriedener an seine Arbeit. Kapitel XXII Immer schaffte Trina still und emsig um Lars her, aber er hatte nicht viel acht auf sie. Sie war ja wohl auch zufrieden, meinte er. -- Der kleine Klaus war nun fast drei Jahre und hatte ganz seines Vaters Art, nur ungezogener war der kleine Klaus. Trina hatte ihre liebe Not. Wie er sich selbständig fortbewegen konnte, da lief er ihr fort und suchte sich den Weg zu Großmutters Strohdachhaus. Und wenn nach ängstlichem Suchen Trina ihn stolz bei Großmutter sitzen fand, ein großes Stück Zucker in der Backe, dann durfte sie ihn nicht schelten, sonst wachte Großmutter aus ihrer Stille auf und kam beinahe in Zorn. Aber in diesem Sommer war Trinas Schritt langsam und mühsam geworden, und ihre Augen sahen trübe aus. Es hatte nur keiner recht acht darauf. Und es kam ein Morgen, an dem sie immer wieder versuchte, sich aufzurichten; aber es gelang ihr nicht mehr. Lars kam spät vom Fischen heim. Da fand er den kleinen Klaus unangekleidet am Boden sitzen und weinen. Trina aber lag im Bett mit fieberheißen Backen und trüben, teilnahmlosen Augen. Da legte Lars seine harte Hand vorsichtig auf die glühende Stirn, und es wachte etwas in ihm auf wie eine große Sorglichkeit. Fast wie ein Vater für sein Kind, so übersann er, was zu tun sei für Klein-Trina. Erst ging er zu Dora hinüber, und die Helle machte nicht viel Umstände. Sie klopfte Peter aus dem behaglichen Wandbett heraus, in dem er seit einer halben Stunde schnarchte. Die kleine Schwester, die jetzt bei ihnen wohnte, holte eben Milch drüben auf dem Hoekhof. -- Darum hieß sie Peter auf die drei Kinder achten. Dem Säugling gab sie noch zu trinken, dann ging sie zu Trina Asmussen. Lars hatte den Arzt geholt. „Das ist der Typhus,“ sagte der Arzt; „die Gegend hier herum ist verseucht.“ Sie konnten nicht viel für sie tun, Helle-Dora und Lars, so gut sie es auch meinten. Klein-Trina lag meist dumpf und stumpf und verlangte nur nach Ruhe für ihren schmerzenden Kopf. Später kamen Nächte, wo sie sich in heißer Unrast wälzte und aus der Dunkelheit ein namenloses Fürchten stieg. Nur wenn sie Lars’ große, stille Hand hielt, dann überkam es sie wie Ruhe. So saß er denn halbe Nächte lang bei der abgezehrten Kranken, und sein unbewegliches Gesicht schimmerte wie gemeißelt in der fahlen, nordischen Dämmerung, die zum Fenster hereinsah. Und sie achteten beide auf die unheimlichen Geräusche der Nacht, und der dunkle Todesengel hielt hinter ihnen Wache. Wundersame Dinge waren es, die Trina sah auf der dunklen Straße zwischen Leben und Tod. Und Klein-Trina, die Ängstliche, -- in den feierlichen Nachtstunden, da fand sie den Mut und sagte ihrem Manne davon. Und wenn Lars nicht ihre Hand hielt, dann faltete er manchmal die schweren, harten Finger. * * * Eines Tages sagte ihnen der Arzt, daß die Gefahr vorüber sei. Da lachte Helle-Dora über das ganze Gesicht, und aus Lars’ unbeweglichen Zügen schimmerten die Augen auf, als sei irgendwo in seiner Seele ein Licht angezündet worden. Er hatte vieles gut zu machen, der lange Lars Asmussen, nun sollte die Zeit kommen. Trina war sehr still gewesen in der Krankheit, aber nun begann sie viel zu sprechen. Helle-Dora setzte sich zu ihr aufs Bett, aber wie sie sich auch zu ihr beugte, sie konnte sie nicht verstehen. Lars und Dora schüttelten den Kopf, denn nun das Fieber vorüber war, fing Trina an, wirres Zeug zu reden. Es war an einem sonnigen Morgen, als sie zum erstenmal aufstand. Dora und Lars waren beide bei ihr. Als Trina die Füße aufsetzte, sahen sich Lars und Dora entsetzt an, weil sie so wild und laut aufgelacht hatte. Es zog sich noch ein paar Tage hin, dann sagte ihnen der Arzt, daß Trina den Verstand verloren habe. Es sei nicht selten nach dieser Krankheit, aber es sei heilbar. Als sie ein wenig kräftiger geworden war, fuhr eine Pflegerin mit ihr in die Landesirrenanstalt. Dora Lassen weinte bitterlich an dem Tage, aber Lars sagte kein Wort. Mutter Stina saß und hielt mit der einen Hand Larsens und mit der andern Klein-Klausens Hand. * * * Es waren nur wenige Monate, bis Trina wiederkam. Es sei eine entschiedene Besserung, sagten die Ärzte, aber es müsse noch auf sie geachtet werden. Als sie Lars und ihr Kind sah, kam wieder das laute, breite Lachen, und Lars zog die Brauen zusammen wie in körperlichem Schmerz. Aber der Kleine sah sie mit großen, fragenden Augen an. Auch Trinas Züge waren nicht dieselben geblieben. Sie waren breiter geworden, und es war fast etwas Rohes in ihnen. Lars konnte nicht auf Arbeit gehen, Trina folgte ihm auf Schritt und Tritt, fast wie ein Hund, und wenn sie ihn nicht sah, geriet sie in Aufregung. Und der kleine Klaus verlernte das Lachen dabei. Es war wieder Frühling geworden darüber. -- Die weißen Wolken zogen durch das weiche Blau, kleiner und kleiner werdend in der duftigen Ferne, daß ein unnennbares Sehnen in den Menschen aufstieg, wenn sie hinausblickten in den weitausgespannten Raum oder über die See mit ihrem weichen blauen Schleier. Die Stachelbeerbüsche streckten vorschnelle, grüne Finger in die Luft, und im ersten warmen Strahle flügelten gelbe Falter zwischen den weißen Anemonen und den kleinen farbensatten Veilchen. Und weiterhin nach der Hölzung zu machten die gelben Primeln ihre weiten Sonnenaugen auf, und ein paar Rotkehlchen jauchzten sich zu, als müsse die Lust die kleine Kehle sprengen. Unterhalb von Mutter Stinas Garten saß Trina am Strande und strickte. Die Sonne blinkerte auf den Stricknadeln. Dicht vor ihr auf dem Rick arbeitete Lars an den Netzen. Von den großen, schwarzbraunen Geweben sickerte das Wasser in silbersprühenden Tropfen. Außer dem Vogelgezwitscher klangen von Zeit zu Zeit seine schweren Holzschuhe dumpf von den Brettern herüber. Auf einmal drehte er schnell den Kopf nach Trina hin. Sie hatte so sonderbar gerufen. -- Da sah er, wie sie aufsprang und das Strickzeug von sich in die See warf. So schnell sie laufen konnte, stürmte sie den Strand entlang; kaum konnte der lange Lars ihr folgen. Auf einmal machte sie eine Wendung nach der See hin und lief in das Wasser hinein, daß es aufspritzte. Lars war noch nicht heran, da hatte sie sich hineingeworfen. Es war dort nicht tief genug, um gefährlich zu sein. Aber sie war durchnäßt und beschmutzt, als Lars sie ans Ufer zurückführte, und der rote Trollsen, der gerade vom Fischen kam, blieb stehen und sah ihnen nach. Das alte Strohdachhaus war das nächste. Mutter Stina brachte sie zu Bett, und ihre leise, freundliche Stimme redete der Kranken gut zu. Da wurde sie ein wenig ruhiger, aber sie verlangte immer nach Lars. Sie hatten ihr nasse Tücher auf die Stirn gelegt, und Lars saß bei ihr mit seinem stillen Gesicht, in das der Kummer scharfe Linien zu graben begann. Ein schummerig-grünliches Licht war in der Kammer, und allmählich kam Trina in Schlaf, und Stunde um Stunde saß Lars und wachte bei ihr. Aber in der Hinterstube auf Großvaters Fensterplatz saß Mutter Stina, und bei ihr ganz still der kleine Klaus am Boden. Und ganz langsam tropften die Tränen aus Mutter Stinas alten Augen. Zum Fenster herein kam das helle Gejubel des Rotkehlchens. Kapitel XXIII Von da ab wurde es besser mit Trina, und Lars konnte wieder auf Arbeit gehen. Aber ganz allein konnte sie doch nicht bleiben, darum zog ihre Mutter zu ihr. Hans Peter Lassen war schon vor ein paar Jahren gestorben. -- Kurz vor Großvaters Tod hatte ihn der Schlag gerührt. Frau Lassen war froh, daß sie eine Unterkunft fand, und zog willig in Larsens Haus. Aber Frau Lassen war eine laute, fast herrische Frau, und im Alter war sie schwatzhaft geworden. Und das laute, breite Lachen seiner Frau, und das harte, zänkische Geplapper der Mutter umgaben Lars wie eine unerträgliche Qual. Und Jakob wußte, wie es um ihn stand, und kam und sah nach ihm, wenn er Zeit hatte, und Frau Lind und Karen begleiteten ihn manchmal. Meist gingen sie am Strand entlang und versuchten, ihn zu treffen, wenn er dort allein an seinen Netzen arbeitete. Er wandte sich kaum nach ihnen um und hantierte an seiner Arbeit weiter mit seinen schweren großen Bewegungen. Frau Lind meinte dann wohl, sie sei ihm zur Last, und setzte ihren Weg fort, aber Jakob und Karen ließen sich von seiner mürrischen Art nicht stören. Meist gab er nur kurze Antworten auf das, was sie ihn fragten. Aber einmal, als Frau Lind wieder vorausgegangen war und Karen bei ihm stehen blieb, fast unbeholfen, aber mit einem ernsten geraden Blick des Mitleids in den hellen Augen, da fing er an, vor sich hinzureden, immer, ohne sie anzusehen dabei. Sie hatten gerade von seiner Arbeit gesprochen, und er packte fast wütend in seine Netze hinein, während er sprach. „Es ist eben alles grundfalsch,“ sagte er. „Ich hätte zupacken sollen und meinen eigenen Weg gehen und mich um die andern nicht scheren. Was können sie mir jetzt helfen! Wäre ich auf die Werft gegangen, so hätte ich es nun vielleicht zu etwas Tüchtigem gebracht. So ist bald alle Freudigkeit aus mir herausgequetscht, und ich bin zu nichts mehr gut!“ Sie stand ganz still hinter ihm, und er schaffte wieder weiter mit schweren, zornigen Bewegungen. Dann sagte sie stockend und so, als mache es ihr Mühe, ihre innersten Gedanken laut auszusprechen: „Lars“, sagte sie, „Herr Lind hat neulich etwas gesagt, das glaube ich auch ganz fest. Wenn man einen höheren Berg hinauf soll, muß man allemal wieder ins Tal hinunter. Vielleicht kommt jetzt Ihr höherer Berg.“ Aber Lars antwortete nicht, und Karen mußte weitergehen. Es war aber nachher noch ein paarmal geschehen, daß sie über ernste Dinge zusammen zu reden kamen, bis der goldene Oktobertag kam, der die große Wendung brachte. Es war ein trüber Morgen, und in dem schweren Nebel sah alles Ding traurig und ernst aus und als habe es das Leben tief in sich hineingezogen. Peter und Lars kamen mit schweren Tritten vom Strande herauf. Sie waren müde von der langen Arbeit. Mutter Lassen stand in Larsens Haustür. Sie stemmte die Arme ein und wiegte sich auf und ab. „Sieh, sieh, die vornehmen Herrn Fischer, unsere feinen Herrn kommen zu Hause, Trina!“ Peter warf seiner Mutter ein ärgerliches Wort zu und ging nach seinem Hause weiter. Trina wußte, daß die Art der Mutter Lars quälte, und in ihrer Not lachte sie ihm laut und breit entgegen. Da ging er ohne Gruß an den Frauen vorbei und setzte sich an den Tisch. Trina brachte ihm zu essen. Und weil sie die Wolken auf seiner Stirn sah, setzte sie sich ihm gegenüber und sann, was sie für ihn tun könne. Über dem Sinnen kam aber das Lachen wieder und wollte nicht aufhören. „Klein-Trina ist immer lustig,“ sagte Mutter Lassen. „Warum bist du so steif und still, du kleiner Klaus, geh’ hin und sprich mit Vater, erzähl’ ihm was, du dummer ~lill dreng~[5]!“ Aber Klaus drückte sich in die Ecke mit zornigen Augen. „Willst du ungezogen sein, du dummes Kind?“ Und sie schüttelte ihn heftig bei der Schulter. Trina sah mit angstvollen Augen zu, und ihr Mund zog sich breit, als wolle sie weinen, aber sie lachte nur noch mehr. Lars hatte schweigend fertig gegessen. „Laß den Jungen!“ donnerte er jetzt. Da wurde sie wild. „Das will nu so ein feiner Herr sein und in die Bücher studieren und kann doch sein eigen Kind nicht erziehn, und wenn alte Leute mit Erfahrung die Wirtschaft mit dem Jungen nicht mehr ansehen können, so schreit er sie an.“ Sie keifte noch weiter, aber Lars war in die Nebenstube gegangen und hatte sich zu Bett gelegt. Er schlief fest, aber nach einer guten Stunde weckte ihn doch die schrille Stimme seiner Schwiegermutter und Trinas lautes Lachen. Es war Sonnabend, und Peter und Lars gingen heute nicht mehr auf See. Da zog sich Lars hastig an und trat aus dem Hause. Gegen Mittag war die Sonne durch den Nebel gebrochen; jetzt lag die Welt in goldener Herbstklarheit. Lars hatte Besorgungen im Flecken. Er ging schnell, als wollte er dem Jammer hinter sich entfliehen. Im Laden traf er Karen. Linds waren morgens mit ihr hergefahren, und sie war über Mittag bei einer Freundin gewesen. „Kommen Sie doch mit nach Aalby,“ sagte sie, „Lehrer Linds werden nun auch zu Hause sein, sie hatten nur kurz in Norbüll zu tun.“ Da ging er mit ihr. Sie waren beide hoch und schlank und schritten tüchtig aus, und die starke Herbstluft strich ihnen über die Backen und gab ihnen ein warmes Rot. Es lag etwas so Frisches, Junges in der Luft, daß das Blut schneller durch ihre Adern trieb und sich davon ein froher Schimmer in ihren Augen anzündete. Die starke, junge Herbstluft mochte es auch sein, die ein wenig von der Schwere forthob, die auf Lars’ Schultern lag. Und es war gar nicht mehr, als ringe er jedes Wort wie in Not aus seiner Seele herauf, sondern er redete vertraulich und kam wohl einmal ins Erzählen. Und ringsum lag die goldig-blaue Klarheit über den Koppeln, und wo der blaue Waldesschatten darüber glitt, da hing es noch wie weiche dunstige Schleier. Und an den trocknen Halmen schaukelten im linden Winde silberne Spinnweben, und in den feinen Wassertropfen spiegelte sich die goldene Klarheit wider. Aber zwischen dem allen jauchzte eines hervor wie ein Freudenschrei: Das waren zwischen den Koppeln da, wo die Meeresarme ins Land hineinlangten, die großen, blauen Wasserflächen. Und Lars und Karen wandelten mitten zwischen dem Glanze. Von Zeit zu Zeit stieg es wie ein Verwundern in Lars auf, daß sie ihn so schnell verstand und daß sie beide immer wußten, was der andere dachte und fühlte. Und dann waren sie an den Wald herangekommen. Die weiche, feuchte Moderluft kam ihnen entgegen. Sie gingen langsamer, als sie in das mildgedämpfte Licht traten. Hoch und feierlich war der Raum. Die dicken, grauen Stämme ragten ernsthaft bis in das gelbe Blätterdach hinein. Ganz leise tastete sich manchmal ein zitternd goldener Strahl aus dem tiefen Blau zwischen dem gelben Dache hindurch zu dem farbentiefen Waldesboden. „Hier wollen wir uns setzen,“ sagte Karen. „Wir haben ja Zeit.“ Sie saß auf einem Baumstumpf, und er war an ihrer Seite. Vor ihnen, tief gewurzelt und stark, stand die alte Buche mit den wunderfarbig sattgrünen Moosen am grauen Stamm, und eine hohe, schlanke Klettenpflanze hob sich davor in wundervoller Ebenmäßigkeit. Herbstmüde, lichtgrüne und gelbe Farren verdeckten den kleinen Bach, aber sein Murmeln spann sich wie ein endloses Lied von heimlicher Weisheit durch den feierlichen Herbstwald. Lars hatte sich auf seinen Arm zurückgelehnt im weichen Waldboden. Er sah hinauf in das tiefe Blau zwischen den gelben Blättern. Von ungefähr, aus den unbewußten Tiefen, stieg ihm ein Erinnern auf an die Kinderzeit: Die breiten Kastanienblätter und das weiße Blütenlicht und Mutters Nähe. -- So wohl war ihm jetzt wie damals in der uralten Heimstätte, nur daß er es jetzt mit tiefen Atemzügen in sich trank, was er damals im Unbewußten wohl nur halb genoß. So vertraut war ihm das große, blonde Mädchen wie Mutter selbst; das war das Wunderliche an dieser Stunde. Er mußte sie fragen, wie das war. Da richtete er sich auf. Aber seine herbe Unbeholfenheit ließ ihn nicht die rechten Worte finden. Sie hatte sich vorgebeugt, um zu verstehen, wie er’s meinte, und sah ihm tief in die Augen hinein. Da überwand er sich und versuchte es noch einmal, aber es waren auch nur stockende Worte. Mit eins aber ging eine Veränderung über ihr Gesicht, und wie er das andere Licht in ihren Augen sah, da wußte er, daß sie ihn doch verstanden hatte. -- Aber er wußte mehr -- er wußte auf einmal die Antwort dazu. Und in dem stillen, milden Waldeslicht sagten sich ihre Augen wunderliche Dinge. Der milde Herbstfrieden und die heimlich süße Waldesstille waren es gewesen, die hatten den Wächter vor Karens Seele eingeschläfert. Da war die Seele groß und stark aus ihrem Haus getreten und hatte aus Karens klaren Augen herausgeblickt. Und die andere Seele hatte geantwortet, und still, wie der atemlos harrende Herbstwald, hatten sie miteinander geredet. Dann kam es wie ein herbes Erschrecken in ihr Gesicht. Sie reckte sich auf und ging fest und schnell den Fußsteig nach Aalby voraus, und Lars folgte ihr. * * * An dem Nachmittage wunderte sich Lehrer Lind über Lars’ scheues, wortkarges Wesen, und die klugen, dunklen Augen der kleinen Frau Lehrer gingen angstvoll zwischen Lars und Karen hin und her. Aber Karen schien so ruhig und heiter wie sonst zu sein. Lars blieb nicht lange. Als er nach Hause ging, hatte sich der Nebel wieder zusammengezogen. Er ging wieder durch den Wald. Als er unter die hohen Wölbungen trat, hatte das reglose gelbliche Dämmern etwas Unheimliches bekommen. Wie erstarrt hingen die gelben Blätter in der grauen Luft. Nur manchmal ließ hier oder dort eines müde seinen Halt los und glitt leise, geisterhaft durch den trüben Raum, und zögernd fand es seinen Weg zum tiefgrünen Muttergrunde. Lars hatte sich auf die Stelle vom Nachmittag gesetzt. -- Den Kopf hatte er in beide Hände gestützt. Er fühlte nur das eine: es war alles aus. Er konnte nicht recht denken. Manchmal wollte es in ihm aufzucken wie heißes, wonniges Licht, daß sie ihn liebte. Aber dann kam es wieder wie die Herbstestrübe darübergezogen, unbarmherzig, fast unerträglich. Er hatte sie durch seine eigene Schuld verloren. Und das Wasser neben ihm murmelte und raunte und spann sein Lied durch die Stille wie von Ewigkeit her. Und es klang unerbittlich, wie unabwendbar ewige Gesetze. Tastend -- leise -- geisterhaft -- flatterte ein müdes Blatt vorüber. Und allmählich kam sein Leben und stieg vor ihm auf. -- Da war der alte, weiße Hof. Da hatten sie ihn fortgeschleppt, und sein Herz war fast darüber zersprungen, aber er hatte die Hand losgelassen, und als er groß und stark wurde, hatte er nicht einmal darum gekämpft. Und aus der heimlich schlichten Eigenwelt hatten sie ihn gerissen in ein Fremdes, in das er nicht paßte. Und dann hatten sie ihn wieder zurückgestoßen mit dem Hunger nach den fernen Landesgrenzen im Herzen. Aber er hatte es ertragen und nicht gekämpft um das ferne Ziel. Und da er ein Mann ward, sah er wieder einen offenen Weg vor sich; aber er war wieder umgekehrt, um anderer Menschen willen und um unklares Fühlen. Und zuletzt war die Frau in sein Leben getreten, die zu ihm gehörte, und er hatte es gar nicht gemerkt. Es war so, als kämen die zahllosen Stimmen aus dem raunend-platschenden Hinfließen und sagten es ihm alles in Worten. Noch nie war dies in deutlichem Denken in seiner Seele wach geworden. Und er sann und quälte sich und sann, wie es so gekommen war. -- Er war immer so vor sich hingegangen im trüben Licht und hatte gewartet und geträumt und wieder gewartet in den weißen Nebel hinein. Der Nebel war es gewesen, der hatte es zugedeckt. Und nun war alles falsch und wirr. Konnte er es denn ertragen, dies öde Leben, und ohne sie? Er hatte sich wieder an den Boden gelegt. Er deckte den Arm über die Augen. „Ich kann nicht,“ murmelte er. Ganz, ganz leise fing es an, zwischen den trockenen Blättern zu rascheln und klappern. Dann kam ein leises, gleichförmiges Tröpfeln. Der Nebel war zum Regen geworden. Reicher, satter wurden die Farben in der Feuchtigkeit. Es kam ein farbiges Gleißen über die reglosen Blätter und die ernsten Stämme. Und geheimnisvoll wie das Rinnen des Baches klang das gleichmäßig leise, klappernde Tropfen. War denn nirgends ein starkes Frisches, nach dem er hinsehen konnte und aufstehen und vorwärtsgehen? Er merkte nichts von der großen Ordnung. Das war ein schöner Traum gewesen, den sich der alte Fischer zurecht gesponnen hatte. Es war alles wirr. Und das murmelnde Fließen rann und rann wie ein endlos mühseliges Gespinst. -- Und das öde Getropfe webte ringsum mit sachtem Rascheln. Aber aus der alten Erde stieg ein feuchter Duft, und es war, als ob ein Trieb der Stärke mit aufquoll aus dem dunklen Grunde. In dem reglos Liegenden wuchs das Wollen aus den Tiefen seines Wesens herauf. -- Es ist ein Wundersames um die Kraft, wie sie dem Mutterherzen der alten Erde entströmt. -- Lars stand auf, und er sah mit dunklen Augen fest vor sich hin. Noch war er ein freier Mann, und er wollte das Leben fest anpacken. Nur eines konnte er nicht: Karen lassen. Dies starke, treue Herz, das sein innerstes, wirres Wesen verstand, die mußte ihm helfen. Vielleicht, daß noch irgendwo eine Arbeit auf ihn wartete, und wie von ungefähr stieg Christen Matthies’ trauriges Gesicht in seiner Seele auf. „Er sollte lieber den kleinen Leuten helfen, wenn er so klug ist,“ hatte Christen Matthies gesagt. So ging er durch den leise rinnenden Regen nach Hause. [5] Kleiner Bursch. Kapitel XXIV Die Asmussens waren durch Trinas lange Krankheit zurückgekommen. Anstatt wie sonst Geld auf die Sparkasse tragen zu können, hatten sie Geld aufnehmen müssen. Das machte Lars mißmutig. Und das ewige Gejammer der alten Lassen darüber machte es nur noch ärger. Seit der Stunde im Walde war es wie eine wunde Stelle irgendwo in seiner Seele, und das Reden und das laute Lachen trafen darauf wie Peitschenhiebe. Da ging er ins Wirtshaus, und es war ihm selbst kaum bewußt, daß es der Gedanke aus dem Walde war, der ihn hintrieb. Er setzte sich gleich zu Christen Matthies und wollte mit ihm reden über die neue Vereinigung, wie sie die Fischer in den andern Buchten hatten. Aber Christen Matthies war dänisch gesonnen, darum fuhr ihn Lars bald heftig und hochfahrend an. Da sah Christen mit den schwermütigen alten Augen fragend zu ihm auf und gab bald keine Antwort mehr. „Ja, wenn wir die Fische mit einem eigenen Dampfer zur Stadt bringen sollen, wie die andern, woher sollen wir das Geld dann für einen Dampfer nehmen?“ fragte da Trollsen dazwischen, „Christen Matthies hat recht, wenn wir uns zu den Dänen halten, kriegen wir Geld zu viel billigeren Prozenten.“ Aber in Lars war die wunde Unrast, darum konnte er ihnen nicht in Ruhe klar machen, wie er es meinte, sondern geriet in Zorn. Da schüttelten sie die Köpfe über ihn und hörten nicht mehr hin. Und bald stand er auf und ging hinaus. Er trat aus dem Dunst in den stillen, klaren Herbstabend hinaus. Es hatte sich abgeregnet, und eine grünleuchtende Klarheit lag über der bunten Herbstwelt. Es lag eine Dumpfheit über Lars und eine Müdigkeit. -- Das war also auch nichts. Denen würde er ebenso wenig helfen können, wie sich selbst. Er sehnte sich nach einem stillen Winkel, darum ging er zu Mutter Stina in die alte Heimhütte. Zwischen den hohen, bunten Malven lag das kleine, grünbemooste Strohdachhaus wie im tiefen Schlaf, als hätte es über seinem leisen, traulichen Klingen sich und die Welt vergessen und wäre nun auch vergessen worden zwischen seiner bunt-blühenden Pracht. Mutter Stina saß allein mit ihrem Strickzeug, und über dem alten Gesicht lag es fast wie Kirchhofsruhe. -- Sie fragte auch nichts. Sie ließ ihn still da sitzen und vor sich hin sehn. Dann ging sie in die Küche und holte ihm zu essen. Und als es dunkel wurde, ging er wieder nach Hause, und sie wagten ihn dort alle nicht zu fragen, wo er gewesen war. * * * Und nun kamen böse Tage für Lars Asmussen. Alles Ding war zwecklos und hatte seinen Sinn verloren, und nur der scharfe Schmerz von den harten, lauten Stimmen weckte ihn hier und da zur Wirklichkeit. Und alle Arbeit, die mit Unlust und halber Kraft getan ist, bringt kein Glück. So ging es in diesen Wochen rückwärts mit den Asmussens. Manchmal wollte Lars sich aufraffen. Dann dachte er an Karen. Er meinte immer, sie müsse ihm zum Rechten helfen können. Und dann suchte er sie zu treffen. Aber Karen wich ihm aus seit der Stunde im Walde. Und wenn sie einmal zusammentrafen, war ihm, als tue er eine Sünde, und er schämte sich hinterher vor Trina, und ihr Lachen reizte ihn nur noch mehr. So kam es, daß, wenn Lars und Karen zusammen waren, sie nichts davon hatten, sondern etwas Verstecktes, Unnatürliches zwischen ihnen lag, und sie es beide empfanden wie einen Schmerz. Aber doch lebte Lars nur für die kurzen, flüchtigen Augenblicke. Karen aber trachtete heimlich, eine andere Stelle anzunehmen. Doch sie wußte, daß Frau Lind sie nicht hergeben wollte. Sie ging ihr im Haushalte zur Hand, aber vor allem war sie ihr bei den Kindern unentbehrlich geworden; denn Jakob Lind hatte sich allmählich ein großes Gartenland zusammengekauft, und Frau Lind hatte viel zu tun. Die vier kleinen Kinder aber hingen an Karen. Und Karen waren sie ans Herz gewachsen, daß sie sich auch nicht schnell zum Scheiden entschließen konnte. So zogen sich die trübseligen, unfruchtbaren Wintertage hin. Wo im Walde ein krankes Stück sich verbirgt, da stürzen sich die starken und gesunden darauf und forkeln[6] es zu Tode. Und die Menschenherde ist nicht besser als das Wild. -- Die Männer witterten es, wie die Tiere wittern, daß etwas Krankes am starken, klugen Lars Asmussen war. Etwas, das nicht mitklang bei ihren Scherzen und das sich zusammenzog, wenn sie darauf schlugen. Eben eine Schwäche war da. Und darum schlugen sie darauf. Und wenn einer schlug, so schlugen sie alle. Sie dachten nicht darüber nach. Sie hatten nur Lust, so zu tun. Aber es war noch eins, das traf ihn empfindlicher als das andere alles. Peter hatte sich gegen ihn gekehrt. Lars’ lässiges Arbeiten hemmte auch ihn. Und er hatte keine Geduld mit seiner unlustigen Art. -- Auch schämte er sich seiner Schwester. Ihre ganze Art mit dem sinnlos dummen Lachen lag auf Peter wie eine Schande. Und er war hart gegen Trina Asmussen, wenn er sie traf. Und Peters unfreundliches Wesen verschüchterte sie ganz. -- Daß ihre Art auf Lars lastete und ihn hemmte, empfand Peter wohl, und er wäre Lars gern aus dem Wege gegangen deshalb. Stunde um Stunde aber band sie die Arbeit zusammen auf dem einsamen Meer. Und da wurde er hart gegen Lars und fuhr ihn zornig an, weil Lars ihm war wie ein Vorwurf, und er sich nicht zu helfen wußte in seinem Unbehagen. -- Daß Lars es jetzt mit so vielen hielt, war ihm immer zuwider gewesen. Aber heimlich war er doch stolz darauf, daß die Männer ringsum auf Lars’ Worte hörten und zu ihm aufsahen. Da sie aber von ihm ließen und mit harten Worten nach ihm warfen, da fühlte Peter, daß Lars im Unrecht gewesen war, und in seinem Zorn und in seiner Härte hatte er etwas Verächtliches gegen ihn. Und es kam ein böser Wintersonntag, an dem der eisig feuchte Wind und die endlos kalte Öde den Menschen bis tief in die Brust hineinlangten und das bißchen Lust und Hoffnung herauszerrten und hinstreuten über das weite, graue Meer. Lars ging allein am Strande entlang nach Wanbyll, und wieder sagte irgend etwas in ihm: „Ich +kann+ nicht“. Aber diesmal sagte er es nicht laut; denn seine Lippen waren aufeinandergepreßt, und der harte Zug saß fest um den Mund. Der rote Trollsen wagte sich am kecksten an ihn heran und spöttelte offen über den Spaßverderber. Einige von den Männern um den rohen Holztisch zogen den Mund breit und sahen sich an. Da lachte Lars hart auf und stürzte ein Glas Grog hinunter. Es war kalt, und das heiße, betäubende Prickeln tat ihm wohl. Da forderte er ein zweites und ein drittes, und es war, als versinke das finstere Elend um ihn her, und ein wohliges Vergessen käme über ihn. Da lachte er wild auf und forderte immer mehr. Und er hörte es erst am nächsten Tage, daß er zu Hause geschleppt worden sei. [6] Mit dem Geweih stoßen. Kapitel XXV Trina hatte manchmal Näharbeiten übernommen. Sie hatte das Nähen bei Frau Asmussen gut gelernt. Jetzt hatte sie es wieder aufgenommen. Mit ihrer Hände Arbeit schaffte sie manches für Lars heran, was ihm sonst gefehlt hätte. Denn in dieser Zeit tat es not, daß noch etwas Geld verdient wurde. Auch die Linds gaben ihr manchmal etwas zu tun. Karen hatte die Arbeit öfter zu ihr hingetragen. Aber jetzt ging sie nur zu der Zeit, wenn die Fischer auf See waren. Es war ein früher Märztag. In der Luft lag das Geheimnis. -- Kahle Zweige ragten in die graue Luft, und öde, graue Flächen dehnten sich über die Koppeln. Und doch lag das Geheimnis in der Luft. Ein weiches Flügeln und Streicheln huschte über die Dinge und tastete sich bis in die Menschenherzen hinein. Und die Lerchen trieb es hinauf -- hinauf und drängte und weitete die kleine Brust, daß sie sich Luft schaffen mußten in zwitscherndem Gejubel und die Flügel regten im Takt, immer hinauf in das weiche Grau. Denn die Lerchen glaubten an das Licht hinter den Wolken. -- Oben auf der Koppel, von wo der freie Blick über das Wasser geht, stand Karen und horchte hinauf nach den Lerchen. Ihre hohe, schlanke Gestalt stand dunkel vor der Luft, aber es war etwas Helles auf ihrer Stirn. Karen war aufrecht ihres Weges gegangen, und keiner hatte über sie zu klagen gehabt. Da war nichts Zerdrücktes, Schwächliches an ihr. Ihre Last hob sie auf und deckte sie sorglich mit ihrem Stolze zu und ging damit vorwärts mit gehobenem Haupt. Aber das Weiche, Tastende in der Luft hemmte ihr frisches Vorwärtsschreiten, daß sie sinnend einhalten mußte und hinaufhorchen nach den Lerchen und in sich hinein. Und die Gedanken stiegen auf und lagen auf ihrer Stirn, daß sie die Brauen zusammenzog über den hellen Augen und langsam weiterging, den Blick am steinigen Wege. Sie konnte und konnte es nicht verstehn. Warum saß diese Liebe ihr so grundtief im Herzen, daß sie sich selbst nicht denken konnte ohne diese Liebe? -- Es hatte doch alles Ding einen Sinn im wundersamen Weltgefüge. Wo war er hier? Warum konnte sie nicht einen andern lieben? -- Es gab tüchtige, starke Männer genug um sie her, und sie hätten die Arme weit aufgemacht für dies stolze, frische, junge Leben. Dann wäre sie reich geworden. Eigenes, zartes, junges Sein hätte sie an der Brust gewiegt. Und wie Siegesstolz wäre des Weibes höchste Lust ihr aufgegangen, wenn rote Kinderlippen sie Mutter nannten. Aber es hätte alles angefangen mit einer großen Lüge. Sich ohne Liebe zu geben, dazu sagte ihr ganzes Wesen „Nein“. Und ihre Liebe wohnte bei dem einen, für den sie zwecklos war in dieser rätselvollen Welt. Und Karen setzte die Füße fest auf, als wollte sie die grübelnden Gedanken unter sich treten. Da sah sie die Fischerhäuser vor sich liegen, und sie atmete tief auf. Sie mußte irgendwo zugreifen -- vielleicht daß sie ihm helfen könnte durch die Frau. Sie mußte eben aufhorchen und achten, wenn der Augenblick kam, daß diese stumme Liebe zur Tat werden konnte. Da stand sie vor dem Hause und schob die Gartentür auf. Mutter Lassens laute Stimme fiel ihr schrill entgegen, daß sie zurückstutzte. Denn dieses Volk zwischen den großen, stillen Weiten hat oft einen Abscheu vor dem Lauten und Rohen. Und Karen war auf einem einsamen Hofe ausgewachsen zwischen schweigsamen Leuten. Dann trat sie rasch über die Schwelle, aber in ihrer Art war etwas Gezwungenes. Und wie sie Trina ansprach, fühlte die es gleich, und das laute, breite Lachen grüßte Karen wie ein Schlag. Da ging es wie ein kühler Hauch über ihr Wesen, und im harten Kampf gegen ihre Art bekamen die klaren, hellen Augen fast etwas Hochmütiges. Das verwirrte Trina nur mehr, daß sie nicht verstand, was Karen von ihr wollte, und ihre Art immer unsicherer und alberner wurde. Und dazwischen kam immer wieder das laute Lachen und breitete Trinas Gesicht, bis das Rohe es fast unkenntlich machte. Es war Karen fast unheimlich, mit ihr zu reden, und sie wandte sich an Mutter Lassen mit ihrem Auftrage. Die stemmte die Arme ein und kam diensteifrig heran, und ihr Gesicht legte sie in würdige Falten. Aber der Gedanke, daß diese zwei zu Lars gehörten, stieg in Karen auf wie ein zorniger Widerwillen. Mutter Lassens schwatzender Bereitwilligkeit antwortete sie mit knappen Worten, und in den Worten und den hellen Augen lag es immer wie Hochmut. Dann wandte sie sich nach der Tür, und ihr Abschied von den beiden war wie eine Flucht. Sie ging langsam über die Koppeln hinauf; denn seit dem Tode der Eltern hatte noch niemals so schwere Last auf ihr geruht wie heute. Und bei jedem Schritt stieg deutlicher das Bewußtsein von ihrer eigenen hochmütigen Kälte in ihr auf. Es war fast unerträglich, diese wachsende Scham. Und all das ahnungsjunge Frühlingshoffen von vorhin ward daneben wie ein lächerlicher Hohn. Sie kam am Waldesrand entlang. -- Und tief aus den kahlen, dämmerigen Tiefen zog ein Klingen hinaus in die weiche, graue Luft. Es legte sich um das Menschenherz wie unsagbares Sehnen nach unerreichbarem Licht, und wieder wie ein zartes wachsendes Hoffen auf wunderlich-rätselvoll Verborgenes, ein Aufquellen aus geheimnisvollen Gründen, ein jauchzendes Erschauen und dann ein zart verklingendes, ahnungsvolles Hoffen. Es war die erste Drossel, die Karen in diesem grauen Vorfrühling sang. Und sie legte die Hand über die Augen, und ihre Seele ging langsam Schritt um Schritt aus ihrer eigenen Unrast hin zu der hellen, rauschenden Quelle, aus der sie sich schon so oftmals junge, freie Kraft geschöpft hatte. Im Flecken traf sie Jakob Lind. Der hatte gehört, daß Lars in den letzten Wochen oft betrunken gewesen war. Aber sie sprachen nicht über das, was sie drückte, diese beiden. -- Jakob Lind und Karen gingen schweigsam den Weg nach Aalby nach Hause. Und das weiche, tastende Geheimnis aus der grauen Luft strich ihnen leise über die ernsten Stirnen. Karen versuchte es noch ein paarmal, wenn Frau Lind Näharbeit zu Trina Asmussen besorgt haben wollte. Es gelang ihr auch wohl, daß die kühle, fast hochmütige Art aus ihrem Wesen fern blieb. Aber sie kam darum doch nicht viel weiter mit Klein-Trina, und sie fühlte wohl, daß noch etwas wie ein Widerwillen in ihrem Herzen saß gegen die arme Kranke. Kapitel XXVI Jakob Lind konnte Lars’ nicht habhaft werden. Er ging ihm nun schon seit vielen Wochen mit finsterm Gesicht aus dem Wege. Da kam ein Tag, an dem sich Peter an der Hand verletzt hatte und ein paar Tage aussetzen mußte mit der Arbeit. Jakob Lind hatte davon gehört, und er ging nach Mutter Stinas Strohdachhaus, und in seinem Kopf steckte ein Plan. Die beiden Fischer saßen dort auf ihren alten Plätzen. Aber ihre ärgerlich-harten Stimmen klangen ungewohnt unter dem niedrigen Dach hervor. Sie saßen mit den Mützen in die Stirn gerückt und sahen jeder in eine Ecke, und über Mutter Stinas stillem Gesicht lag der Kummer wie eine schwere Last und hatte mit harter Schrift unzählig tiefe Linien hineingegraben. Sie rührten sich alle kaum, als Jakob Lind eintrat, und grüßten ihn nur mit den Augen. -- Er fragte nach Peters Hand, und wen Lars zum Ersatz in seinem Boot hätte heute nacht. Denn die Luft war milde und still und günstig zum Fischen. Lars gab eine mürrische Antwort, weil er niemand hatte, denn im Sommer arbeiteten die zwei andern nicht mit ihnen. Da blitzte es fast lustig auf in Jakobs Augen. „So nimm mich mit, Lars, ich möchte einmal helfen.“ Da sahen sie wirklich aus ihren Ecken heraus und sahen sich an, und beide Fischer lachten halblaut vor sich hin. „Das wird wohl schwer halten, Herr Lehrer,“ sagte Peter, und er hatte etwas Mitleidiges dabei. „Du kannst mich ja pullen lassen, Lars; das Auswerfen verstehe ich wohl nicht. Aber für einmal schaffe ich es wohl, mit dem Netz einziehn, wenn du mir’s zeigst. Und ich habe eben Lust dazu.“ Da sah ihn Lars sonderbar an und schwieg eine Weile. „Na, denn man zu, Jakob,“ sagte er endlich mit tiefer Stimme. „Peter borgt mir wohl sein Zeug,“ sagte Jakob Lind. „Es wird ein bißchen groß sein, Herr Lehrer.“ -- Und in Peters Stimme saß ein verhaltenes Lachen. Es war eine von den wunderlichen, milden Nächten. Hier und da glitten die Wolken zur Seite, und durch graue Dünste goß der Mond ein zitterig rotes Scheinen über die Welt. Aus der frühlingsatmenden Erde stieg ein reiches, schweres Duften wie ein aufquellend-sehnendes Leben. -- Aber rings in der lautlos samtweichen Dunkelheit lag es wie seltsam schlummernde Dinge, wartend, aus ihrem leisen Schlafe aufzustehn und in das rötliche Geschimmer hinzutreten. Merkwürdig laut klangen die Tritte der schweigsamen Männer auf den Brettern des Ricks. Und dann kam der Ton der Riemen in den Dollen und das leise, gleichmäßige Platschen. Das paßte sich hinein in das große Schweigen und ward selbst ein Klang der raunend-dunklen Heimlichkeit. Es dauerte eine lange Zeit, dies schweigende Hingleiten. Aber endlich seufzte Jakob auf und nahm seinen Blick von der breiten, glitzerigen Flimmerstraße über den Wellen fort. Eine Weile sah er auf die dunkle Gestalt an den Riemen und ihr gleichmäßig schweigendes Tun. -- „Lars, es ist ja nur der eine Ruck, Mensch, daß du aus dir herauskommst, nachher ist dir leichter; das weißt du!“ „Es nützt doch nichts, Jakob. Es ist doch einmal alles verwirrt, am besten, man beißt die Zähne zusammen und schweigt.“ Und Lars sah wieder gerade vor sich hin. „Aus dem Ärgsten hast du dich schon herausgewühlt, Lars, ich weiß es. Seit fast zwei Monaten warst du nicht im Wirtshaus. Du bist schon den ersten Schritt den neuen höheren Berg hinauf. Warum redest du denn davon, daß es alles nichts nützt?“ „Weil ich nicht mehr an den Berg glauben kann, Jakob Lind. Es ist ein ewiges Auf und Ab, weiter nichts!“ Die Stimme klang, als wenn er aufschrie in seiner Not. „Seit wann ist denn das so gekommen?“ „Das kann ich dir nicht so sagen, Jakob,“ stockend und stoßweise sprach er. „Ich habe eben mit einmal gemerkt, daß ich es alles verpfuscht habe in meinem Leben, und ich hab’ doch eigentlich immer vorwärts und hinauf gewollt, und wenn das denn doch so zugelassen wird, dann ist da ja wohl auch alles tot und still hinter der Welt. Großvater hat sich das alles so schön gedacht, aber das war wohl nur so ein Spielzeug von ihm, und nun ist er ebenso tot wie ein Hering oder wie die Mücken von gestern.“ Da waren sie lange still. Dann seufzte Jakob noch einmal auf und richtete sich ein wenig hoch, wie mit einem Entschlusse. „Und die Liebe Lars? -- Meinst du, wir wüßten nun nicht endlich, warum Karen nicht heiratet? So eine große, stille Liebe die gar nichts will und doch festhält, ist die auch nur in die Welt hineingehagelt ganz zweck- und sinnlos?“ „Das weiß ich nicht, Jakob.“ Und wieder klang das leise, gleichmäßige Patschen. Und der Mond war verschwunden, und unter dem Uferschatten lag die weiche, unheimliche Finsternis. -- Da fing er wieder an mit der sonderbaren Stimme, in der die Not hindurchzitterte. „+Wenn+ es nur etwas gäbe, Jakob, irgendein Festes, an dem man es greifen könnte. Wenn ich alles Helle in meinem Leben verpfuscht und vertrieben habe, meinetwegen. Aber, daß man andere unter Wasser zieht, daß ich den Leuten nicht mehr helfen kann und dann“ -- Lars stockte und zog die Riemen ein und lehnte sich schwer darauf. Da beugte sich Jakob ganz vor. „Mensch! Lars, dir ist Kraft gegeben über die Menschen bei all deiner träumenden Langsamkeit. Pack’ zu! Schaff’ dir wieder Mut!“ „Ich kann nicht, Jakob, wenn ich denke, es hat alles keinen Zweck, da ist kein Berg, auf den es sich lohnt, daß ich mich und sie hinaufschleppe. -- Es müßte da +ein+ Festes sein in dem großen Tüter. Weißt du eins, an dem man es sieht, daß da eine Ordnung ist in dem Ganzen und ein Wille dahinter. -- Früher, da dachte ich, der Jesus Christus mit seiner stillen, sicheren Art. Der sagt, daß er von Gott kommt, und dem kann man es glauben, wenn er sagt, daß er Gott gesehen hat. -- Aber da hab’ ich ein Buch gelesen, da war das alles klipp und klar bewiesen, daß er sich geirrt hatte und nur ein ganz gewöhnlicher Mensch war, so ehrlich und treu er auch sonst sein mochte. Und der Gott, an den er so fest glaubte, soll ihn im Stich gelassen haben, und mit dem Schrei ist er auch gestorben. -- Na, wenn der sich geirrt hat, dann ist ja doch auch nichts hinter der wirren Welt, und es ist eben alles gleich.“ „Lars, das läßt sich nicht so ausrechnen, wie die da in dem Buch geschrieben haben. Wir wissen nur so viel, daß sein bester Freund, der Tag um Tag mit ihm war, gesagt hat, er war ohne Sünde. Und das hat auch der allerbeste Freund noch von keinem Menschen sonst behaupten können. Und sieh mal, Lars, wenn dieser Mensch ohne Sünde sagt: ‚Wer ihn ansieht, der sieht Gott‘ und er ruft die ganze, große Menschheit zu sich und will sie allein zu Gott hinführen, dann muß er wohl wissen, wovon er redet.“ „Du magst ja vielleicht auch recht haben, Jakob, das ist dann doch auch wohl wieder so ausgeklügelt wie in dem Buch, nur anders herum. So recht verstehen wie ihr, die ihr euer ganzes Leben daran herum denkt, können wir einfachen Leute das ja nicht. Aber zum Weiterkommen hilft das Überlegen wohl nichts.“ „Nein, da hast du ganz recht, Lars. Ich glaube, du mußt dir mal Mutter Stinas Bibel herunter holen und die alten Geschichten ganz still für dich allein durchlesen, und dann einfach drauflos leben, so wie du fühlst, daß es recht ist für dich. Aber dann mußt du manchmal die Ohren aufmachen und in dich hineinhorchen und um dich in die wunderliche Welt. Da klingt sie schon herauf, die große Wahrheit aus der Tiefe. Weißt du, wir Männer sind mehr zum Anpacken und Vorwärtsschieben gemacht, glaube ich. Aber die Frauen, die sitzen noch näher an der großen Ordnung fest, von der Klaas Klaaßen immer sprach. Die hören die Stimmen aus den heimlichen Tiefen viel lauter. Ich glaube, die können uns helfen darin!“ -- Dann war Jakob still und wartete. Aber Lars hatte die Tür seiner Seele wieder zugeschlossen. Er schämte sich, daß er so viel gesagt hatte. Und Jakobs Reden wollte er gern unterbrechen. Darum gab er ihm die Riemen und fing an, das Netz auszuwerfen. Jakob fühlte, daß er genug gesagt hatte, und er trachtete nur noch, wie er Lars bei der Arbeit helfen könnte. Und die große, stille Nacht war um die schweigenden Männer. Und leise gluckste das Wasser, und patschend tropfte es vom Netz und glitzerte im rötlichen Mondlicht. Und weit draußen tauchten ein paar dunkle rundlich-breite Körper aus dem Wasser und versanken wieder, um weiterhin herauszuschnellen, mitten in der flimmerigen Mondesstraße. „Sieh da, Tümmler,“ sagte Lars. Dann war es wieder still und einsam. * * * Es war an einem Sonnabend, als Lars und Peter die Fische nach der Räucherei brachten, daß Trina groß Reinemachen hatte. Es ging ihr viel besser, und Mutter Lassen hütete jetzt oft tagelang ihren Enkel in Peters Haus oder bei ihrer andern Tochter. Die Fenster standen weit offen, und die weißen Gardinen bauschten sich im warmen, salzkräftigen Sommerwind. Ein starkes Duften trug er von den Jasminbüschen bis in die Stube hinein, und von Zeit zu Zeit summte eine Biene am Fenster vorbei. Trina saß vor dem Tisch und räumte die Schublade auf, und der Wind hatte ihr ein paar Haarsträhnen über die Stirn geweht. Ihre Backen waren heiß, und sie glich wieder mehr Klein-Trina von früher. Da klang ein leichter, fester Tritt vor dem Fenster. Karen trug ein Bündel im Arm, und es war, als brächten die hellen Haare und die hellen Augen noch mehr Licht in die Stube. Trina war so ganz bei der Arbeit, daß sie das Lachen vergaß, und Karen konnte ungestört ihr Bündel aufknoten. Als sie ihr die Arbeit erklärt hatte, setzte sich Karen ans Fenster und rief Klein-Klaus heran. Er spielte vor der Tür und kam langsam Schritt vor Schritt näher, und seine prüfenden Augen ruhten ernst auf der Fremden. Aber das helle Kleid, auf dem der breite Sonnenschein lag, und die lachend klaren Augen gefielen ihm, und er stellte sich zu ihr. Trina freute sich, daß er einmal artig war, und sie sah schnell von ihrem Räumen auf. Es war, als hätte der warme, sonnige Wind die Schwere zur Seite geblasen, die sonst in dem Zimmer zu lasten schien. Es wurde Karen heute fast leicht mit Trina zu reden. Sie hatte eben eine Frage wegen Peters Kindern gestellt, da blieb Trinas Blick auf einem Stück Papier haften, und sie gab ihr keine Antwort mehr. Karen sah erstaunt auf Trina hin; aber sie starrte immer auf den Brief. Und jetzt sah sie, wie sich Trinas Schultern hoben, wie in unterdrücktem Schluchzen. Es ging wie eine Blässe über ihr Gesicht und wie etwas Gequältes. Da schob Karen den Jungen fort und zog ihren Stuhl zu Trina hinüber. „Was ist es, Frau Asmussen, vielleicht kann ich helfen,“ sagte sie schnell und legte ihre Hand auf Trinas Arm. Aber Trina rückte ängstlich zur Seite. „Nein, nein,“ sagte sie hastig und deckte die Hand über das Papier. Aber große Tränen waren in ihre Augen getreten, und sie sah Karen schnell ins Gesicht wie mit einer quälenden Frage. Aber Karen scheute sich, weiter zu drängen, und sah fast hilflos auf Trina. Da legte die mit eins die Arme auf den Tisch und grub das Gesicht in die Arme und ihr ganzer Körper bebte in heftigem Weinen. Das ging Karen ins Herz, und sie legte den Arm um ihre Schulter. „Ich kann’s gewiß hören, Trina,“ bat sie. Trina weinte laut auf und, ohne den Kopf zu heben, schob sie ihr das weiße Blatt hin. „Ist das wahr, o ist das wahr?“ schluchzte sie. Auf dem Blatt stand ein kurzer ärztlicher Bericht über Trinas Befinden und die Angabe der Zeit für ihre Rückkehr. Und darüber gedruckt stand „Landesirrenanstalt“. -- Nun wußte Trina, daß sie nicht im Diakonissenhaus gewesen war. -- Karen strich ihr still über die Schultern. „Haben Sie’s gewußt?“ kam es endlich stoßweise zwischen dem Schluchzen hervor. „Ja, Klein-Trina.“ Und Karen streichelte sie. „Jetzt haben Sie Angst vor mir. -- Und sie mögen mich alle nicht mehr. -- Und oh, ich schäme mich so.“ Und Trina wühlte den Kopf noch tiefer, und das Schluchzen war herzbrechend. Da schmolz das Harte in Karens Brust, das die Tür gegen Trina Asmussen gesperrt hatte. Jetzt hatte sie vergessen, daß dies Lars’ Frau war. Es war nur eben Klein-Trina, ein Menschenkind in großer Not. Und sie redete ihr zu wie einem Kinde und tröstete sie, und daß die große, stolze Karen noch so zu ihr sein konnte, das half Trina aus ihrer ersten Not über die Schande, die auf ihr lag, heraus. -- Aber darum war sie doch noch da, wenn Karen ihr auch über dies erste Erfahrene hinweggeholfen hatte. Und Trina schämte sich. -- Und am allermeisten schämte sie sich vor Lars. -- Aber von dem Tage an wußte Karen, daß sie getrost in die Zukunft hineingehen konnte. Sie hatte Klein-Trina lieb gewonnen. Kapitel XXVII Lars Asmussen und Jakob Lind hatten recht. Es sitzt eine heilende Kraft im Anpacken. Der Mensch treibt mit seiner frischen Tat den Nebel vor sich her, daß er nicht mehr vor seinen Augen liegt wie eine trübe Wand. Und während er noch mit aller Kraft bei seinem Werke ist, hat sich leise, leise der Nebel geteilt, und der erste keusche Sonnenstrahl tastet sich durch das trübe Grau. -- Dann kommt wohl irgendeine treue Hand und rührt ihn an und sagt: „Da ist das Licht!“ Und er sieht auf und wagt fast noch nicht, sich zu freuen. Dann aber hebt er den Kopf in den Sonnenschein und zieht auf seiner eigenen Straße nach dem Ziel, das ihm in der großen Ordnung gesteckt ist. Und vielleicht ist es gar nicht fern. Aber das gilt ihm gleich, denn er sieht wieder, daß es auf einem hohen Berg gelegen ist und daß die Sonne scheint. Der arme, kleine Mensch -- nicht einmal den Nebel kann er selbst vertreiben, um wieder seinen eigenen Weg in der großen Ordnung zu sehen! Nur tapfer handeln kann er, seiner Art getreu, und warten, bis der Nebel weicht. -- Lars war zu einem Entschlusse gekommen. Nicht, daß ihm Jakobs Raten viel genützt hätte. -- Guter Rat hat wohl noch keinen Mann aus dem Brunnen gezogen. Und gerade einem aus dem eigenwilligen nordischen Volke wäre es ein hartes Ringen gegen seine Art gewesen, auf fremdes Wort zu hören. -- Nein, der Rat tut’s selten, aber die Liebe tut es. -- Da ist es, als schlösse der andere Mensch ein Fenster in seiner Seele auf. Mancher tut’s schnell, als stieße er mit Kraft die beiden Flügel auf, der andere drückt und stemmt und bringt die rostigen Angeln nur mühsam auseinander. Aber wie es auch ist, und manchmal war es nur ein unbehilflich Wort -- aber von da innen aus der verschlossenen Seelentiefe sehen dann so wunderlich strahlende Dinge hervor, die man nicht nennen kann und nicht ausrechnend wägen. Aber für kurze Augenblicke hat sie der in der großen Not gesehen, und ganz leise, wie von fern kommt es ihm wie Lerchenglaube, daß da Licht sein könnte hinter dem Nebel. -- Lars hatte eins verstanden: Da war ein Mensch, der glaubte noch an ihn. Da wußte er, daß er wieder Mut fassen konnte, wenn er sich aufraffte. Und er schämte sich seiner Tatenlosigkeit. Er ging durch Haus und Gartenland und sah, daß überall Arbeit wartete. Und wie er erst anzupacken begann, begriff er nicht mehr, daß er es hatte so weit kommen lassen. Es war zurückgegangen in Lars’ Wirtschaft. Und nun faßte ihn die Arbeit wie ein Fieber. Peter wurde es fast zu viel, weil Lars Stunde um Stunde draußen bei der Arbeit bleiben wollte. Und wenn er dann vom Fischen kam, machte er sich an die Kartoffeln, und Trina half ihm tüchtig beim Ausmachen. Und er besserte und hämmerte überall. Und dann machte er sich mit dem Dachdecker daran und setzte ein neues Strohdach auf Mutter Stinas Haus. Er wurde mager in diesem Sommer über all dem harten Arbeiten; aber als der Herbst herankam, war fast alles wieder so gut imstande in den beiden Häusern und dem Gartenland wie sonst, und das viele Arbeiten hatte auch Trina gut getan, und sie war so gesund und ruhig, daß Mutter Lassen zu ihrer zweiten Tochter ziehen konnte, wo eben wieder ein Kind geboren war. In seinem Hause war es nun stiller und klarer geworden. Lars war kaum zum Nachdenken gekommen. Er wußte nicht recht, wie ihm selbst zumute war. Aber unbewußt war es auch klarer und ruhiger in ihm, und da war auch allmählich ein Entschluß gereift. Er wußte wohl, daß er die Unrast erst ganz los wurde, wenn er es sich ganz unmöglich machte, Karen wiederzusehen. Das wollte er ihr nun sagen. -- Es mußte ein Abschluß gemacht sein. Es war ein warmer Sonntagnachmittag für den beginnenden Herbst. Lars ging nach Aalby. Als er in den Lehrergarten trat, sah er gleich, daß Karen hinten unter dem Apfelbaum stand. Die schweren Äste hatten viele Stützen, und doch bogen die rotbackigen Äpfel die Zweige fast bis zum saftiglangen Grase hinunter. Zwei hellhaarige, kleine Lehrerskinder standen neben Karen und hielten den großen Korb. Den kleinen Zweijährigen hob sie nach den bunten Äpfeln hinauf, und er patschte mit den dicken Armen in die vollen Äste hinein und riß von den lustigen Früchten herunter. Karen nahm sie ihm ab und warf sie in den Korb. Zwischen den Blättern aber lachten die hellen Sonnenlichter hindurch und schillerten auf all den hellhaarigen Köpfen und lagen wie goldene Flecke im schattig bläulichen Grase. Es war wie ein Zittern in der Luft von hellen, lachenden Kinderstimmen und warmen Sonnenlichtern. Als Karen die Schritte hörte und sich umsah, ging es wie ein ernster Schatten über die frohen Augen. -- „Gleich,“ sagte sie, „wenn ich hier fertig bin, will ich mit Ihnen sprechen.“ Dann setzte sie das Kind zur Erde und zog ihm die kleine Schürze zurecht. Es wollte weinen, aber sie gab ihm einen bunten Apfel zum Spielen und faßte dann selbst in die roten Früchte hinein. Der Korb war bald gefüllt, und sie schickte die Kinder damit ins Haus. Dann setzte sie sich zu Lars auf die Bank unter dem Apfelbaum und hob den Zweijährigen auf ihren Schoß. Lars aber sah immer unverwandt mit dem ernsten Gesicht vor sich hin, so als merke er gar nichts von der lachenden, reifenden Fülle ringsum, sondern sähn nur tief in sich hinein auf einen steten, festen Punkt. „Nun?“ fragte Karen endlich und sah auf das Kind hinunter. „Ich habe mir das überlegt,“ sagte Lars, und er sprach es eintönig, wie eingelernt, vor sich hin. „Es ist besser, ich komme nicht mehr hierher. Ich wollte aber gern, daß Sie das wüßten. Und ich wollte Ihnen auch gern Lebewohl sagen -- für immer“ -- setzte er leiser hinzu. Sie hob den Kopf und sah ihn fest an. -- „Das habe ich schon immer gedacht. Ich gehe auch zum ersten Januar nach Hamburg in eine andere Stellung. Sie brauchten aber gar nicht erst zu kommen, ich hätte das schon so gewußt, warum.“ „Vielleicht wollten Sie auch nichts mehr von mir wissen -- jetzt!“ Es lag finster über seinem Gesicht und wie eine Bitte. Es war einen Augenblick still. Ein Apfel fiel mit dumpfem Klang ins Gras. Auf dem schmalen Fußsteig hüpfte eine Amsel mit ihren Jungen und fütterte sie aus einem alten Apfel. Karen zeigte sie dem Kinde, und es lachte und streckte die Arme nach den Vögeln. Da sah sie Lars wieder fest in die Augen. „Ich wußte, daß es nicht so bleiben würde, wie die Zeit im Winter. Ich wußte, daß Sie wieder zurecht kommen würden, Lars Asmussen.“ Die Sonne lag ihr wieder in den Augen. „Warum wußten Sie das?“ „Das weiß ich nicht, aber ich weiß auch, daß alles wieder ganz hell wird in Ihnen. Gott wird Sie noch brauchen, Lars Asmussen.“ Lars hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und sah tief ins lange Gras hinunter. „Wenn man aber nichts merkt und nichts fühlt.“ -- Er stockte. „Sie fühlen es ja schon wieder, sonst wären Sie gar nicht so weit. Sie haben nur geschlafen bis jetzt.“ Sie war ganz rot geworden, solche Anstrengung war es ihr, so zu sprechen. Er sah sie wieder an. „Vielleicht ist es so. -- Es muß wohl etwas sein“ -- er sprach nicht fertig, sondern stand langsam auf. Sie stand auch vor ihm. Das Kind hatte sie auf die Erde gleiten lassen, und es trottete zu den kreischenden jungen Amseln hinüber. Einen Augenblick ging es wie eine heiße Welle über sein Gesicht. Aber sie sah ihm fest in die Augen und gab ihm die Hand. Da hielt er sie fest in seiner schweren Arbeitsfaust, dann drehte er sich um und ging hinaus, und sein Gesicht war so ruhig wie sonst. Auf den Koppeln stand fast überall das Korn in Hocken. Es knisterte förmlich in der warmen Sonne. Die Luft war sehr still. Hier und da schnarrte der metallene Grillenklang zwischen den glänzenden Stoppeln herauf. Lars stand und sah auf die strahlend weißen Wolken, wie sie hinter den Koppeln riesenhaft heraufwuchsen im tiefen Blau. Es war eine Stille in Lars Asmussen. Er hatte vor den großen Rätseln gestanden und in die unergründliche Nacht gesehen. Aber er hatte mit Taten auf das Dunkel losgeschlagen. Und nun begann es, sachte, ganz sachte zu tagen. Und in Lars’ Seele war es so, wie zu der feierlichen Stunde, wenn der ernste Morgenwind vom kommenden Lichte raunt. Die letzten Jahre hatten harte Linien in sein Gesicht gegraben. Aber er ging wieder wie sonst fest und aufrecht seiner Arbeit zu. Kapitel XXVIII Christen Matthies war der erste, der im alten Vertrauen mit Lars zu reden begann. Die andern beiden Männer behielten noch eine Weile ihre verächtliche Art mit ihm. Aber er kehrte sich nicht an sie. Er hatte ein paar große Aalkästen für die Räuchereien gezimmert und ein gutes Stück Geld damit verdient. So konnte er sein Land vergrößern. Auch brachte der Winterfang guten Verdienst. Was im Haus oder an den Booten zu machen war, zimmerte er alles selbst, so gab er weniger aus als die andern. Auch war Trina eine tüchtige Frau und hielt das Geld gut zusammen. Er hielt sich viel für sich in diesem Winter. Und Trina freute sich in ihrer stillen Art, daß er öfter bei ihr saß. Wenn er in der Arbeit absetzte, dann gönnte er sich wieder die alte Freude und saß hinter seinen Büchern. Er stützte dann wohl einmal die Ellbogen auf den Tisch und sann vor sich hin. Und ganz selten, wenn Trina fort war und Klaus in der Schule, holte er auch das dicke Bibelbuch aus der Schublade und saß und blätterte und sann. Und dann ging er wieder in seine Werkstatt im Schuppen hinter dem Hause und hämmerte und zimmerte und machte sich hier und da einen Nebenverdienst mit seinen geschickten Händen, daß sie zum Frühling endlich wieder Geld nach der Sparkasse bringen konnten. In dem Sommer schaffte Lars nicht mehr so fieberhaft wie im vorigen Jahr, aber er arbeitete mit ruhiger Stetigkeit. Das ruhelose Sehnen, das in ihm gewesen war, hatte ihn nun verlassen. Ganz tief unten im Grunde seines Herzens, dort, wo die stillumfriedete Stelle war, dort wohnte auch seine Liebe. Aber ebenso wie in seiner Knabenzeit, trat er dort selten ein. Wenn er einmal ganz einsam sonntägliche Stille um sich fühlte, dann legte sich, wie in alten Zeiten ein knabenhaft-ernster, fast finsterer Ausdruck über das braune Arbeitergesicht, in dem jetzt so viele harte Linien standen; dann war Lars in sein Heiligtum getreten. Aber es war nichts Finsteres, was er dort in der Stille fand. Da war Karens helles Bild, und da war Größeres als Karen. Aber einen tiefen Ernst brachte er doch immer von dort ins Leben zurück. In dem Ernst bekamen die Dinge um ihn her ein anderes Gewicht und Maß. Der Hohn oder die Achtung der andern kümmerten ihn nicht viel. Darum konnte er auch Peters und Kords scharfe, harte Reden ruhig anhören, ohne ihnen, wie sonst, mit bittern, zornigen Worten zu antworten. Seine fast gleichgültige Schweigsamkeit machte sie stutzig, besonders da bei seiner Arbeit nichts mehr von Gleichgültigkeit war. Da wurde ihnen die verächtliche Art, die sie noch immer mit Lars hatten, zuerst unbehaglich, und allmählich fielen sie unbewußt in ihren alten Ton von den früheren Jahren zurück. Die andern Männer, die mit ihnen zu tun hatten, empfanden die größere Achtung in ihrer Art, mit Lars zu reden, und nahmen denselben Ton an. Mit einem lecken Boot oder einem kaputten Fischkasten fing es an. Da durfte er wieder raten und helfen wie in alter Zeit. Und allmählich waren es größere Dinge als Boote und Fischkasten, wegen derer sie zu ihm kamen. Und ganz allmählich ließen sie es zu, daß sich die Erinnerung an Lars’ böse Zeit verwischte. Da merkte Lars, daß er sich doch noch freuen konnte. Und wie das lange, klare Sommerlicht wieder über dem stillen Wasser lag, da sah er mit festem, klarem Blick hinein. Und es war wie ein Widerschein des hellen Sommerlichts in seinen Augen, und wie er dastand, war es wie eine unerschütterliche Sicherheit über dem ganzen Manne. Er sprach jetzt noch seltener als sonst, und er ging auch seltener ins Wirtshaus. Aber gerade seine große Schweigsamkeit gewann ihm das Vertrauen der Leute noch schneller wieder. Der Sommer war schon vorbei und der Heringsfang sollte wieder beginnen. Da war es an einem Abend, an dem das Sägen und Hämmern unten am Strande wieder in die große Stille hinausklang, daß Kords zu Lars herangegangen kam. Seine Hände staken in den Hosentaschen, und seine niedere Stirn sah noch finsterer aus als sonst. Lars sah nicht auf von der Arbeit. „Naa?“ fragte er, als sich Kords neben ihn stellte. „Naa,“ sagte Kords, „wer soll das Boot haben?“ „Hinrichsen,“ sagte Lars. „So’n Ding kriegt leicht ein Leck,“ sagte Kords. „Warum?“ brummte Lars und hämmerte dröhnend auf die Planken. „Naa, wenn man das rammt, so hier mit dem Vordersteven in die Breitseite!“ Er fuhr mit der Hand an den Planken entlang und wischte dann mit der knotigen, großen Faust durch sein Gesicht und schnaufte dabei ein wenig verächtlich. Lars tat noch ein paar Hammerschläge, dann richtete er sich auf und sah Kords an. „Was ist eigentlich los?“ fragte er. „Das habe ich gestern ausprobiert, was so’n Boot aushält, an dem da von dem verfluchten Kerl!“ „Was für’n Kerl, nun erzähl’ vernünftig oder laß mich bei der Arbeit!“ „Na, weißt du noch, von dem, der mich dazumal mit dem Stein geschmissen hat?“ „Na, das ist wohl öfter bei dir vorgekommen!“ Kords stand da, groß und dunkel gegen die helle See, und als stäken die überkräftigen, verarbeiteten Glieder überall zu groß aus seinen Kleidern hervor. Es war nichts von Spaß an ihm, nur etwas Mißmutiges, und eine ernste Wirklichkeit sah aus seinen tiefliegenden, kleinen Augen heraus. Als Lars ihn ansah, stellte er Hammer und Säge zur Seite und setzte sich auf den Bootrand. „Naa?“ fragte er noch einmal ernster. Fast zornig, als rede er wider seinen Willen, und ruckweise fing Kords an: „Du weißt doch, dazumal in der Stadt, als ich nicht streiten wollte und mir der Kerl den Kopf halb einschmiß? Na, den Kerl kriegte ich dazumal doch nicht zu packen. Aber denken konnte ich mir, wer’s war. Da war so’n junger, bummliger Lump, der konnte mich nicht leiden und soll nachher auch so ein paar Redensarten gemacht haben, daß man ganz gut merken konnte, der war’s! Na, der verfluchte Kerl ist nach Seegaade gezogen und fischt mit so ’nem andern Kumpan da draußen. Laß ihn, hab’ ich mir gedacht, wenn ich mir auch nichts Schöneres hätte denken können, als dem was verwischen! Nu fängt das Untier aber an, wenn draußen zu tolle See steht, und kommt hier in die Bucht. Ich das merken, und sobald draußen Sturm steht, leg’ ich mich mit meinem Boot hin und laure. Ich sage dir, Lars, auf hundert Meilen kenn’ ich das Boot! Wenn nun der Kerl um die Landspitze kreuzt, und ich merke schon, da und dahin geht der Kurs, dann lauf’ ich vor, werf’ Anker aus und fang’ an zu fischen, und er kann abziehen und einen andern Platz suchen. Und wenn ich dann merke, er hält Kurs auf einen guten Fischplatz, laufe ich noch mal vor.“ Kords lachte rauh und schlug mit der Faust aufs Knie. „Na, gestern war das denn auch so. Du weißt ja, jetzt im Sommer habe ich doch meinen großen Jungen mit im Boot. -- Wie wir den fremden Kerl wieder reinlaufen sehen, gehen wir schnell Anker hoch und laufen ihm vor. Zweimal machten wir das, da wird er wild, kommt auf uns losgekreuzt, und wie er nah genug ist, fängt er ganz elend an zu fluchen. Na so was kann ich nicht so gut vertragen von so einem. -- Du weißt ja, was das für ein Nordweststurm war gestern. Der Junge reißt das Segel hoch, und ich lege das Ruder um, so daß wir mit toller Fahrt losgehn, und eh’ der Kerl merkt, was ich will, habe ich ihn Steuerbord gerammt. Ich sage dir, Lars, der und sein Freund, die mußten schöpfen, daß sie trocken ans Land kamen, und meinem Boot hat’s kaum was gemacht!“ Kords lachte wieder fast roh heraus. Aber Lars sah immer ganz gerade vor sich hin. „Du mußt ihm Geld geben, daß er dich nicht verklagt,“ sagte er nach einer Weile bedächtig. „Das tu ich nicht, ich wollte, er wäre ganz ersoffen!“ „Dann wirst du wohl ins Gefängnis kommen, denn der andere Mann kann ja bezeugen, daß du’s vorsätzlich tatest.“ Aber Kords stand finster da in der Dämmerung und sah nach der andern Seite. „Dann verklag’ ich ihn wegen Mordversuchs.“ „Aber du hast keine Zeugen.“ „Wer weiß, ob ich nicht doch noch jemand auftreibe, der ihn durch den Hinterhof rennen sah.“ „Na,“ sagte Lars nachdenklich, „ich will’s denn mal versuchen, wenn man ihm mit den alten Geschichten droht, vielleicht hält er reinen Mund über diese Sache. Meinetwegen mag er mir sein kaputtes Ding bringen. Ich werd’s flicken.“ „Schön Dank!“ sagte Kords. Und am nächsten Sonnabend segelte Lars hinaus und brachte die Sache in Ordnung. Aber die Geschichte wurde doch unter den Fischern bekannt, und an den nächsten Sonntagen im Wirtshaus sprachen sie leise darüber. Und sie fluchten auf die Fischer von draußen, daß sie nun auch noch anfingen, bei schlechtem Wetter an ihren Fischplätzen in der Bucht zu fischen. Und alle freuten sich, daß Kords es dem von draußen gegeben hatte. Über Lars aber nickten sie wohlgefällig mit dem Kopf, weil er die Angelegenheit wieder zurechtgebracht hatte. Da dauerte es nicht lange, daß er ihnen klar gemacht hatte, wie not es tat, mit denen draußen zusammenzuhalten und feste Gesetze über die Fischplätze und die Stellnetze zu machen. „Seht, wenn wir an Tagen, wo für draußen allzuviel See steht, feste Plätze für sie hier bei uns frei halten, werden die sich vielleicht drauf einlassen, die Stellnetze nicht so weit vor die Bucht zu setzen.“ „Recht hast du wohl, Lars Asmussen,“ sagte Christen Matthies langsam. „Aber wenn wir so eine Vereinigung gründen, kommt uns da nicht die Regierung herein, und wir dürfen nicht mehr denken und sagen, was wir wollen?“ Lars lachte still in sich herein. „Da sei ganz ruhig, Christen, du kannst meinetwegen in deinem Herzen auf gammel Danmark schwören. Wir wollen bloß zusammenhalten, damit jeder gerade sein kann, wie er will, und uns keiner hereinredet.“ „Fein wäre das,“ schrie Kords auf einmal und haute mit der Faust auf den Tisch. -- Und die andern um den Tisch nickten ernsthaft mit dem Kopf, und allmählich gingen sie alle darauf ein. Und da im Tabaksdunst der Wirtsstube taten sich die ersten zusammen. Zuhause mit Peter hatte Lars noch länger zu reden, eh’ er bereit war, mitzumachen. Dora hatte das Gute viel schneller gefaßt. „Warum denn +nur+ die Fischer, Lars, die Arbeiter auf dem Lande brauchen auch so was. Laß sie auch mitkommen, und dann können sie untereinander auch für ihre eigenen Kranken und die Waisen sorgen.“ Da sah Lars sie ernst an. „Vielleicht kommt das mal so, Dora.“ Dora brachte auch Peter allmählich so weit, daß er nachgab. Es dauerte nicht so sehr lange, da war die Vereinigung zustande gekommen; denn sie sahen fast alle ein, daß es not tat. Und als es ihnen Lars recht vorgestellt hatte, gingen sie immer mehr mit dem Gedanken um, einen eigenen kleinen Dampfer zu kaufen, der die Fische direkt zum Markt brächte. „Und dann gehört noch dazu, daß wir einen Händler hätten, der zu unserm Verein gehörte, damit die Fischpreise von uns aus bestimmt werden und die Arbeit zu ihrem Rechte kommt,“ sagte Lars. Dazu schüttelten aber viele die Köpfe und meinten, daß es sich nicht machen lassen werde. -- Und als das Jahr herum war, da hatte es sich gezeigt, daß die neue Fischervereinigung gute Geschäfte machte. Die Fische kamen frisch und gut mit dem Dampfer zur Stadt. -- Und weil sie alle zusammenhielten, konnten die Händler nicht viel gegen sie machen; auch hörten sie, daß die Rede unter den Fischern ging, eigene Händler anzustellen. Es war vorgekommen, daß einige von den Fischern auch in der Schonzeit Heringe fischten, auch waren die Maschen der Netze bei vielen unvorschriftsmäßig eng. Es war aber sehr selten vorgekommen, daß der Fischmeister in dieser Bucht nachgesehen hatte. Darum setzten sich die Fischer zusammen und machten eigene Gesetze und schrieben ihre Anliegen nieder und wählten unter sich sichere Männer und schickten die zur Stadt, damit das Ganze von der Regierung bestätigt werde. Sie erreichten auch, was sie wollten, und die Fischer waren zufrieden. Der erste dieser sicheren Männer, den sie wählten, war Lars Asmussen gewesen. Auch Peter Lassen war dabei und einige von draußen. Und nun kam es ganz von selbst, daß sie anfingen, diese Männer wie Führer anzusehn. Als immer mehr Fischer der Vereinigung beitraten, da versuchten einige Krakehler von Wanbyll, Macht über sie zu gewinnen. Aber sie ließen sich nicht hereinreden und kamen nur überein, daß sie unter sich Geld zurücklegen wollten für Notfälle. Und wieder war es Lars, der alles deswegen ordnen mußte. Kapitel XXIX Lars hatte sich noch ein Stück niederes Uferland gekauft, auf das bei Wind viel Seetang getrieben wurde. Wenn Lars nicht Zeit hatte, dann stand Trina mit ihrem Jungen, und sie harkten das Seegras herein, und sie trockneten es und hatten noch einen guten Verdienst mit dem Verkauf. Und Peter wußte, daß Lars immer mehr Geld auf die Sparkasse brachte, und daß er es zu etwas gebracht hatte in den letzten zwei Jahren. Auch sah er, wie sich die Leute von Lars führen ließen und daß es doch Hand und Fuß hatte, was er riet. Da wachte auch die alte Anhänglichkeit wieder auf, und er fing wieder an, zu Lars aufzusehn. Und hinter Lars’ Rücken rühmte er ihn vor den Leuten und machte ihnen klar, was Lars wolle, und kämpfte für seine Pläne. Und Peter kamen die Worte leichter als Lars, daß er manch einen gewann. Sie erreichten es auch, daß der Fischdampfer nicht von dänischem Gelde gekauft wurde. Das meiste hatten die Fischer selbst bestritten, und es hatte viel Geld gekostet. Peter und Dora hätten gern gewußt, wieviel Lars dazugegeben hatte, aber sie bekamen es nicht heraus. Es mußte viel gewesen sein, meinten sie, weil er wieder so hart an der Arbeit war. „Das ist ja gar kein Leben,“ sagte Peter und stand mit den Händen in den Hosentaschen dabei. „Man will doch einmal absetzen und +wissen+, daß man lebt.“ Aber Lars sah gar nicht auf, sondern hob den Ballen Seegras und trug ihn fort. Dann kam er zurück. „Sieh, Peter, wenn du mir mal hilfst, will ich hier einen Damm ziehen, damit mir die See nicht jedes Jahr über dies Land spült; dann kann das mal eine gute Wiese werden. Ein paar Kühe können wir uns dann vielleicht auch noch kaufen.“ -- Peter schüttelte den Kopf, aber er faßte an und half das trockne Seegras hereinschaffen. Peter aber konnte nicht wissen, wann Lars „lebte“. Wenn er sich freute, dann schwieg er gerade so, wie wenn er litt. Aber doch wußte Lars jetzt, daß er lebte. * * * Es war ein warmer Frühlingsmorgen. Der Regen hatte alles reingewaschen, nun kam der weiche, starke Wind vom Meer und streichelte mit dem Sonnenschein um die Wette an den jungen, feinen Blättern herum. Neben Lars’ Garten lief eine Quelle, die murmelte und rauschte, als ließe sie sich keine Zeit, vor Lust hineinzulaufen in den Sonnenschein und hinunter zu hasten nach dem großen Wasser. Lars saß auf der kleinen Bank am Haus, und sein Schatten fiel scharf und blau an die weiße Wand. Trina trat aus der Tür. Es war Sonntag, und Lars hatte das gute, blaue Zeug an. Trina strich ihm ein Stäubchen fort, und ihre Hand nahm sich Zeit, wie eine Liebkosung. Lars sah in die weiche Bläue hinein und hielt wohlgefällig still. Er streckte die langen Beine in die Sonne, und ihm war wohl. Er konnte einmal aufatmen ohne Sorgen und wissen, daß er an seinem rechten Platze stand. Darum war ihm wie damals, als er ein Junge war. Er hätte sich wälzen mögen in dem frischen, jungen Grün vor lauter drängendem Behagen. Jakob Lind kam über die Höhe zwischen dem wogenden jungen Korne daher. Er schlenderte gemächlich und hatte den Hut abgenommen. „Guten Morgen, Lars,“ sagte er und kam in den Garten. „Ich soll zu Jes Land hinüber, der will meinen Rat haben wegen seines Jungen. Er kann selbst nicht kommen mit dem kranken Bein.“ „Wer ist das denn?“ „Weißt du nicht, von dem sagen sie ja, wenn er in Wanbyll steht, dann wirft die Nase noch Schatten bis Seegaade quer übers Wasser, so lang ist sie.“ Lars lachte in sich hinein und nickte. „Aber dich muß ich auch was fragen,“ sagte Jakob, „wegen Jung-Klaus.“ „Na schieß los, Jakob! Ist der Jung ungezogen in der Schule?“ „Das ist es nicht. Ein Musterkind ist er ja gottlob nie gewesen. Dazu hat er zu viel Leben im Blut. Aber der Jung ist klug. Du solltest ihn was lernen lassen.“ Lars schwieg und sah wieder vor sich über das blaue Wasser in die blaue Luft hinein. Er griff nach der Pfeife neben sich und steckte sie bedächtig an. Langsam tat er ein paar tiefe Züge. Dann nahm er sie heraus und rief: „Klaus!“ „Vater!“ antwortete es aus dem Hause. „So, nun sag’s ihm, Jakob.“ Da fing Jakob Lind an und sprach bedächtig und freundlich, und Klaus stand da, stämmig und groß in der blauen Wolljacke, ein wenig breitbeinig, so, als wollte er recht festen Halt haben an der Mutter Erde, und sah Jakob stramm in die Augen. Und Jakob setzte es ihm auseinander, daß er bei den Büchern bleiben und etwas Tüchtiges werden könne. „Vater könnte das wohl durchsetzen, wenn du gern möchtest.“ „Was sollte es denn sein?“ fragte der Jung’. „Na -- vielleicht Schullehrer,“ sagte Jakob. „Oha“, sagte der Jung’. Lars lachte. „Na, was möchtest du denn werden, du Däskopf?“ fragte er. „Ich möchte wohl werden wie du, Vater,“ sagte Klaus und sah in fest an. „Warum denn?“ Da steckte Klaus die Hände tief in die Hosentaschen und besann sich. „Weißt du, Vaa, das Fischen mag ich wohl leiden, immer so da draußen auf dem Wasser, und dann“ -- er grub die Hände noch tiefer, „dir hat keiner was zu sagen, du tust gerade, wie du willst, so möchte ich auch sein.“ Da sahen sich Vater und Sohn noch einen Augenblick in die Augen. „Na, denn lauf wieder zu Mutter!“ sagte Lars. -- Es dauerte gar nicht lange, da kam von hinter dem Hause das trauliche Getön einer Ziehharmonika durch die Frühlingsluft. „Er hat die Musik von Großvater,“ sagte Lars wohlgefällig. „Aber siehst du, Jakob, aus dem wird auch nichts weiter.“ Da nickte der. „Es mag wohl auch so am besten sein,“ sagte er und stand auf. „Ich meine es beinah auch,“ sagte Lars. -- Und dann saß Lars noch eine Weile. Klaus war weiter fortgegangen mit seiner Ziehharmonika. Aus der Ferne kam das Klingen, und es paßte sich zusammen mit dem Murmeln des Baches. Und wie beides hineinschwamm in den Sonnenschein, war es wie eine heimliche Traulichkeit und ein sinniges Behagen in der weichen Frühlingsluft. Ja dieser Zeit taute etwas auf in Lars’ Innerm. So etwas, was noch immer wie in hartem Krampf in sich verschlossen gelegen hatte. Bei all’ seiner Schweigsamkeit war doch etwas warmes Menschliches an ihm zu spüren. Trina wagte es auch wohl einmal, von Grund aus fröhlich zu sein, wenn der lange Lars in der Nähe war, und es saß jetzt manchmal in seinen Augen wie bei Großvater, ganz heimlich und versteckt, wie der Schalk. -- Sie lebten nicht mehr wie die Hamster oder Dachse, jeder nur für seine saure Arbeit und jeder in seinem eigenen Bau, sondern sie kamen alle zusammen, wenn sie Zeit hatten, und waren fast fröhlich dabei. Am häufigsten kamen Lars und Trina mit ihrem Jungen und Peter mit seiner ganzen Familie Sonntags zu Mutter Stina herüber. Und Mutter Stina bediente sie und saß mit ihrem traurig-ernsten Gesicht zwischen ihnen, sagte selten ein Wort und war doch von Herzen froh. Oder sie packten ihre Boote bis oben voll mit ihren schreiend-fröhlichen Kindern und fuhren mit ihnen über die Bucht, hinüber zu Kords oder nach Aalby zu und gingen zu den Linds hinauf. Aber all das waren Feiertage in ihrem Leben, denn in ihrer harten Arbeit ließen sie nicht nach. Aber daß Lars überhaupt mit andern Feiertage haben konnte, das war das Neue, was er nun endlich in seinem Leben gelernt hatte. Auch an Trinas Freuden und Wünsche dachte Lars jetzt manchmal. Als ihr Geburtstag herankam, da hörte er gegen Abend mit seinem harten Mühen auf und kam mit seinem Handwerkszeug vom Strand herauf. In der einen Hand trug er vorsichtig einen langen geräucherten Aal. Den brachte er ihr zum Geschenk. Der sollte heute abend gegessen werden. Und gegen Abend kamen sie alle im guten Zeug nach Lars’ Haus heraufgegangen, Mutter Stina und Peter und Dora und die große Tochter, die bald größer war als Jung-Klaus, und der älteste, stämmige Sohn, der ganz so aussah wie Peter. Und das Jüngste, das noch auf dem Arm getragen werden mußte, brachte Dora auch noch mit. Und nachdem sie gegessen hatten, saßen sie alle herum in der Dämmerung, und Klaus spielte ihnen ein Stück nach dem andern auf seiner Ziehharmonika. „Nicht satt zu essen gibst du, Trina,“ sagte Peter und nahm die Milchflasche seines Jüngsten an den Mund. Dora schlug ihm auf die Hand. „Tut man nicht so, als ob er nur Milch saugen kann,“ sagte Lars. „Weißt du noch dazumal, Dora?“ „Was, dazumal?“ „Als ihn der Wirt vom Waldkrug beredet hatte, beim Feuerwehrfest hereinzukommen, und du ihn selbst wieder abholen mußtest?“ „Is nich wahr!“ sagte Dora. „Na und unter den Arm mußtest du ihn nehmen, und der Jung’ lief voraus und schrie immer vor Freude: „Vater is dun“ -- „Vater is dun!“ „Da war ich aber erst fünf Jahr,“ sagte der Jung’. „Sei man still, Lars,“ sagte Mutter Stina, „du bist damals allein gegangen, aber du machtest mächtig lange, steife Schritte, und ganz gerade gingst du auch nicht.“ Und dann lachten sie alle, und als die Sterne anfingen, in das breite, niedere Fenster hereinzublinzeln, standen sie auf und sagten ‚Gute Nacht‘. Und Klaus ging ein Stück mit und spielte die Harmonika dazu. * * * Ja, das waren ein paar gute Jahre für Lars Asmussen. Gerade wie der Pflanze, tut auch dem Menschen ein wenig Sonne not, wenn er sich voll und breit entwickeln soll. Packt ihn dann auch wieder der Sturm, so kann er nicht mehr sein Wachstum hemmen und ihn in krüpplige Formen zwängen. Unbewußt fühlten es die Leute, wenn sie mit Lars redeten: Das war ein +Mensch+, der vor ihnen stand. Es war ein rechtlich starker Mann, und es war auch ein tüchtiger Arbeiter; aber unter dem rauhen, blauen Zeuge saß auch ein menschlich warmes Herz. Damals, zur Zeit seiner hölzernen Rechtlichkeit, achteten ihn alle, aber jetzt hatten viele Leute Lars Asmussen lieb. Ja, das waren ein paar gute Jahre, das fühlte er selbst. Aber solche Leute, wie Lars, müssen immer wieder aus dem glatten Strome heraus. Kein Mensch kann sagen, warum es so ist. Der Sturm lauerte darauf, Lars Asmussen zu packen. Und an einem schönen Juniabend fing sein erstes, leises Drohen an. Kapitel XXX Es war ein Juniabend. Die Sonne war längst gesunken, aber alle Dinge schwammen noch in milder Klarheit. Der Vollmond hing im schimmerigen Abendhimmel, aber es ging kein Scheinen von ihm aus in den taghellen nordischen Abend. Die breite, lichte Scheibe hatte etwas Geisterhaftes in dem geheimnisvoll stillen Abendlicht. Auf der lichten, spiegelnden Fläche waren Lars und Peter bei der Arbeit. Vom Ufer kam der Duft der glänzenden Hollunderblüten und ferner, weicher Vogelgesang. Unbewußt hatte die beiden der Frieden eingesponnen, daß sie kein Wort sprachen und manchmal in der Arbeit inne hielten und sich umsahen. „Sieh, da kommt doch wahrhaftig von draußen ein Boot.“ Peter zog die Riemen ein und starrte vor Verwunderung. Lars legte das Netzzeug aus der Hand und sah sich um. „Was will der bei dem Wetter?“ sagte er böse. „Werden draußen wohl die besten Fischplätze belegt haben, da versucht er’s hier.“ „Ist aber gegen die Abmachung.“ -- „Sieh, jetzt da drüben, wo Kords fischt, der geht wieder Anker hoch und läuft quer über.“ „Er soll nur nicht wieder anfangen mit dem Vorlaufen, das ist nicht das Rechte.“ „Er tut’s aber doch und sieh, da muß der andere wieder Kurs ändern. -- Nun geht er da auch noch vor. -- Der andere muß ganz nach der andern Seite kreuzen.“ Lars nahm die Netze wieder hoch. „Heute hat er das Recht ja eigentlich auf seiner Seite. Aber so macht’s nur böses Blut. Das ist nicht das Rechte. Ich will’s ihm sagen.“ -- Am nächsten Tage ging Lars zu Kords hin. Und er warnte ihn, daß er es nicht wieder tun solle. Aber Kords fuhr auf und fragte, ob sich Lars jetzt als Herr aufspielen wolle. Er sei sein eigener Herr und wolle es bleiben. Und er schrie so laut, daß noch ein paar Männer, die beim Segelfärben standen, herankamen. Und sie standen zu Lars und gaben Kords alle Unrecht. Lars blieb ganz ruhig dabei, aber es kam doch so weit, daß Kords Lars die Arbeit für den Winter aufsagte. -- Auf dem Heimwege kam Lars ins Sinnen. Es tat ihm leid, daß Kords mit ihm gebrochen hatte, aber all seine harten, wilden Worte hatten Lars darum nicht weiter getroffen. Und daß die andern zu ihm standen, fest und zornig wie zu ihrem Könige, darüber mußte er lächeln. Das hätte ihn früher alles durchschüttelt in Zorn und stolzer Freude. Jetzt war es so, als ginge es ihn nicht viel an. Er wußte jetzt, daß er etwas zu wirken hatte hier in seiner Welt, das kein anderer für ihn tun konnte. Aber er grübelte und sann nicht mehr darüber nach. Er ging nur Schritt vor Schritt und wußte, daß er irgendwo ein Ziel erreichen werde. Und es war ein stilles Freuen in ihm, wie er in den lichten Abend hineinsah. * * * Zum Winter hatte Lars einen Mann in sein Boot genommen, der im Sommer auf der Ziegelei, weiterhin im Lande, arbeitete. Die Ziegeleiherren dort in der Gegend waren Dänen, und sie übten ein strammes Regiment. Da hatten einige von Streiken geredet und waren Genossen geworden. Aber die stöhnten wieder über die Abgaben und das Dreinreden der fremden Führer; und es half den Arbeitern auch nichts. Es waren aber im Winter unter den Fischern viele, die im Sommer Maurer oder Ziegeleiarbeiter waren. Und mit der Zeit kamen sie zu Lars und sprachen mit ihm. Sie sahen, wie sich die Fischereivereinigung untereinander schützte und half. Da meinten sie, die Arbeiter könnten auch so einen Halt finden und sich an die Fischer angliedern. „Darüber muß ich erst nachdenken,“ sagte Lars. „Vielleicht kann ich euch dann raten.“ Und er saß lange und sprach mit Peter darüber. „Sieh, wenn das so aus ihnen herauswächst, der Wunsch, Peter, dann mag da was dran sein, ich habe ja immer an so was gedacht. Wenn sie auch gemeinsam Geld zurücklegten, wie wir, und ruhige, ordentliche Leute aus ihrer Mitte zu Führern hätten. -- Was meinst du, Peter?“ „Ja, wozu eigentlich, Lars? Was soll es ihnen nützen?“ „Dann wüßten sie, wo ihr Geld bleibt, und wenn so eine große Menge fest zusammenhält, wagt sich die Parteihetzerei nicht so leicht heran.“ Peter nickte bedächtig vor sich hin. Dann saßen sie auch noch eine Weile und sannen, denn das Entschließen wuchs langsam bei ihnen aus schwerem, ernstem Denken heraus. Der scharfe, harte Wind war in dem Herbst irgendwo in blauduftigen Fernen schlafen gegangen. Die gelben Blätter an den Buchenzweigen hoben sich an jedem Morgen wieder lautlos aus dem lichten Nebel und wiesen um Mittag wie goldene Finger in das durchsichtige Blau hinein. Ganz unmerklich breitete es sich wie ein abgelegtes Kleid von matten Wunderfarben um den moosig grünen Fuß. Und in den Knicks leuchtete an jedem Tage neue jauchzende Buntheit. Tiefrote Blätter und grelle Beerenbüschel, die in die Sonne hineinlachten wie ein heller Trompetenstoß. Daneben strebten späte, gelbe Blüten nach einer letzten, sonntäglichen Daseinsfeier. Aber im stillen, lauen Wasser hatten die Fischer mühsame Arbeit. Der Hering hielt sich in der Wärme nur kurze Zeit nach dem Fang, und der kleine Fischdampfer hätte an allen Enden zugleich sein sollen. Bis das Boot mit den Fischen zu den ausgemachten Sammelstellen kam, wo der Dampfer hielt, da drohte der Hering schon zu faulen. Denn manche Fischer hatten einen weiteren Weg, weil die Anlegestelle nach der Mehrzahl bestimmt war. Kords hatte sich mit dem roten Trollsen zusammengetan, und die zwei Männer taten in zwei Booten die Arbeit von vieren. Nun verlangten sie, daß der Dampfer dicht bei ihren Fischplätzen anlegen solle. Aber sie bekamen den Bescheid, daß für zwei Männer der ganze Ertrag nicht benachteiligt werden könne. Da gerieten sie in Zorn und kamen zu Lars. Sie trafen ihn bei Mutter Stina. Und die kleine, alte Mutter Stina sank ganz in sich zusammen, als die lauten, zornigen Männer vor Lars hintraten. Der große, starke Fischer stand ganz still und fast gleichgültig, als sie ihm die Fäuste vors Gesicht hielten. „Du wolltest bloß der Herr sein -- nun hast du uns betrogen! Wir wollen unser Geld wieder haben,“ brüllten sie ihm ins Gesicht. Es war nichts mit ihnen zu machen, und sie traten aus der Vereinigung aus und verlangten Zinsen für das Geld, das sie zum Fischdampfer gegeben hatten. Die Zinsen bekamen sie auch; aber das Ganze machte viel böses Blut unter den Fischern. Auch hielten sich Kords und Trollsen an keine Regel mehr und störten, wo sie konnten. Sie fuhren sogar außen vor die Bucht, um in das Fischwasser von Kords Todfeind zu kommen. Dazu mußten sie fast die ganze Nacht auf dem Wasser liegen. Aber es gelang ihnen doch oft, und bei dem warmen Wasser war der weitere Weg für den andern eine böse Sache. Da kam der auch und beklagte sich. Und als die Vereinigung gegen die beiden Wilden nichts machen konnte, schimpfte er auch darauf und drohte mit dem Austritt. Im Winter wurde alles wieder ruhiger, und die Verhandlungen mit den Ziegelei- und andern Landarbeitern fingen an. Sie wählten schon ruhige, verständige Männer aus ihrer Mitte, die sollten alles mit Lars bereden, und im nächsten Herbst, wenn die Ziegeleiarbeit zu Ende war, sollten feste Beschlüsse gefaßt werden. Kapitel XXXI In dem Frühjahr kam die Wärme zeitig. Es war wie ein Atmen in den schweren, feuchten Schollen und ein Drängen und Tasten in den feinen Zweigen, und in der warmen Sonne flügelten gelbe und weiße Falter über die ersten saftig grünen Halme. Aber das alles sah Lars nicht. Er hatte eine tiefe Linie zwischen seinen Augen und arbeitete hart. Und er wußte doch bei aller harten Arbeit, daß er es nicht aufhalten werde. Die gärende Unzufriedenheit von Kords und Trollsen hatte immer mehr andere angesteckt. Gerade weil Kords sich vor Lars schämte, wuchs ein Haß in ihm gegen den andern Mann, der so stark und ruhig arbeiten konnte. Und er und Trollsen suchten, mit ihrem Schimpfen andere gegen ihn zu gewinnen. Noch ehe der Aalfang anfing, waren der Unzufriedenen so viele, daß die andern einsahen, der Dampfer war nicht mehr zu halten. Sie mußten ihn gut zu verkaufen trachten und nach Möglichkeit die Anteile herauszahlen. Was in Lars vorging, erfuhr keiner; er ging seiner Arbeit nach und schwieg. Auch Trina wagte vor ihm kein Wort darüber. Aber sie ging jetzt manchmal zu Peter und Dora hinüber. Dora jagte die vielen hellhaarigen, blauäugigen Kinder heraus, und dann setzten die drei sich an den Tisch, und es fielen zornig harte Worte über Kords und die andern Undankbaren. Und Peter fuhr sich mit der Hand durch die Haare und sann, wieviel wohl von ihrem Gelde zu retten und wieviel durch den Dampfer verloren sei. Und dann kam endlich eine Verkaufsgelegenheit für den Dampfer. Gerade so, wie er sich für diese Bucht eignete, paßte er nicht anders wohin. Darum war es ein jämmerlich geringes Geld, das der Verkauf einbrachte. Und es ging ein Murren um zwischen den Fischern, das oft zu wildem Fluchen wuchs. Die einen tobten und schimpften über Lars und seine Pläne, die andern warfen es den unzufriedenen Hetzern vor, daß sie an allem Unglück schuld seien. Aber Peter und alle die, welche zu Lars gehörten, waren jetzt still geworden; denn sie saßen in schweren Sorgen. Es war nun nicht länger zu verbergen gewesen, daß Lars sein ganzes Erspartes in den Dampfer hinein gesteckt hatte. Schlimmer aber war noch, daß er sogar sein kleines Besitztum belastet hatte, um Geld für den Ankauf zu erheben. Nun fehlte nicht nur der Notpfennig für die schlechten Zeiten, sondern es galt noch Schulden abzuzahlen, denn die kleine Summe, die er vom Dampferverkauf erhalten hatte, deckte die Schuld nicht einmal ganz. Da waren sie alle gedrückt und mutlos. Nur Lars ging mit festen, schweren Tritten seiner Arbeit nach, und das ruhig starke Licht war in seinen Augen. Aber er arbeitete wieder so schwer, daß Trina ein paarmal weinend zu Mutter Stina kam in ihrer Not. „Das kann ja gar kein Mensch aushalten, wie er das treibt. Wenn er nun noch krank wird, Mutter?“ Aber Mutter Stina hatte kein Trostwort für Trina. Sie hatte nun schon so viel erlebt. So viel auf und ab, so viel Sonne und schwarzen Schatten. Und sie hatte immer still halten müssen. Nun lag es wie herbe, schweigende Würde über dem runzeligen Gesicht. Und aus dem Schweigen konnte sie nicht mehr heraus. Kapitel XXXII Der Damm um das Wiesenland war schon im vorigen Jahre von Lars und Peter gebaut worden. Der kleine Klaus hatte wacker mitgeholfen. Es war ein großer, starker Junge für sein Alter und ebenso ein stiller Arbeiter wie sein Vater. Eine Kuh hatten Lars und Peter noch gemeinsam gekauft, ehe das Unglück mit dem Dampfer ihnen den Mut hatte nehmen können. Nun gingen die Kuh und ein paar Ziegen auf der Wiese, und die Milch brachte einiges Geld. Auch der Seegrasverkauf und die Tischlerei brachten Lars manches ein, und gegen den Winter war die Schuld schon fast abgezahlt. Die ersten Monate des Heringsfanges waren gut. Dann aber kam eine grimmige Kälte. Unter der feinen Schneedecke lagen weit und still die weich gebetteten Koppeln, und unsäglich blau leuchteten die Wasserarme dazwischen auf. Kalt und kälter blitzte das harte Blau, und dann war es mit eins aus mit der Fischerei, denn die Bucht stand mit Eis. So ein Aussetzen der Arbeit war jetzt eine arge Sache bei der kaum gedeckten Schuld. Peter stand schimpfend auf dem Rick; denn auch er hatte ein großes Teil seiner Ersparnisse verloren. Aber Lars sagte nichts. Die Kinder merkten es an diesem Weihnachten, daß bei den Eltern nicht alles so war wie sonst. Dora hatte das Weihnachtsessen knapper gerichtet, und auch der stämmige Klaus Asmussen war mit der Feier bei seinen Eltern nicht so recht zufrieden. Am Weihnachtsabend saßen sie aber alle in der lieben alten Strohdachhütte bei Großmutter. Da grämten sie sich nicht weiter. Draußen ächzte und klapperte der eisige Ostwind, und es heulte im Schornstein wie ein Wesen in quälender Not. Aber um die kleine Lampe saßen sie gedrängt und warm. Auf Großmutters Gesicht war heute so etwas Feierliches, wenn sie den Kaffee auf den Tisch stellte oder den Kuchen hereintrug. Man konnte gar nicht vergessen, daß heute etwas ganz Besonderes war. „Wenn uns nun Großvater ein Weihnachtslied hätte spielen können,“ sagte Trina. Und dann sahen sie still nach dem Harmonium hin, von dem sich Großmutter nicht hatte trennen können. Da mußte es Klaus auf der Harmonika tun, und Doras Kinder stimmten ein, und der kleine Raum zitterte von dem hellen, lauten Klingen. Lars war sehr still, aber er sah zufrieden aus. Er saß hart am kleinen Fenster und stützte den Ellbogen auf das Fensterbrett. Eine Weile sah er hinaus in die finstere Nacht und friedlich, wie Weihnachtsglocken, ging es ihm durch den Sinn, was Jakob Lind ihm vorgestern gesagt hatte: „Karen kommt übers Fest zu uns.“ Lars würde Karen nicht sehn -- aber sie war da. Karen war wieder in Aalby. Und dann sprachen sie mit ihm, und er antwortete. Und es war eine Milde in seiner Art, wie sie erst in den letzten Jahren im großen, starken Lars aufgewacht war. * * * Bald nach Weihnachten drehte sich der Wind nach Südwest, und über die klare, harte Bläue zogen graue Dünste. Es fiel von Zeit zu Zeit ein wenig Schnee, und in den letzten Nächten hatte es Rauhreif gegeben. Am frühen Morgen ging Lars nach dem Rick hinunter, um nach dem Eis zu sehen. Sehr still und glitzerig lag die Winterwelt. Lars hörte kaum seinen eigenen Tritt im frischen Schnee. So still war es auch in ihm geworden, ging ihm der Gedanke durch den Kopf. Immer so gerade vor sich hin ging Lars Asmussen. Nicht, daß er ein helles Ziel sah, auf das er zuschritt, aber weil er sich selbst treu geblieben war und auf seinem eigenen Wege ging, darum war er so ruhig geworden. In den harten Jahren des Mühens und des mühseligen Grübelns war ihm endlich eine Antwort gekommen aus der großen Ordnung heraus. Die trug er tief hineinversenkt in seiner schweigenden Seele. Selbst Lars Asmussen wagte kaum daran zu rühren. Aber seit sie ihm geworden war, da wankte er nicht mehr. Lars war so tief in Gedanken, daß er fast erschrak, als ihn Peter anrief. „Der Eisbrecher ist heute endlich wieder los gegangen,“ sagte Peter. „Dann können wir in der Rinne heute nachmittag fischen,“ sagte Lars, und es blitzte auf in seinen Augen. „Wir wollen doch lieber warten, bis die Dampfer die Rinne ordentlich ausgefahren haben. Auf einmal dreht sich der Wind, und wir kriegen das Treibeis an den Hals.“ „Naa,“ sagte Lars, „ans Leben wird’s jawohl nicht gleich gehen!“ „Lars, du bist jetzt verrückt mit der Arbeit. Das hat ja keinen Zweck, so ein Quälen auf Tod und Leben.“ „Ich weiß nicht, Peter, aber mir ist jetzt immer so, als ob das alles einen Zweck hat, was so im Ernst gearbeitet wird. Wenn man’s auch nicht gleich merkt.“ Peter sah ihn an: „Meinst du etwa, daß das Ganze mit der Vereinigung und so was alles doch einen Sinn gehabt hat und einmal wieder zurecht kommt?“ „Ich weiß nicht, Peter, aber ich glaube das wohl. Das hat einmal Leben gehabt und Wurzel geschlagen, nun wird’s zu seiner Zeit schon wieder ausschlagen. Totkriegen können sie so einen Gedanken nicht, wenn er lebendig ist.“ „Hmm!“ machte Peter nachdenklich. „Christen Matthies hat mir Sonntag gesagt, drüben sprächen sie eher mehr davon als früher, und auf Kords schimpften immer mehr. Sein könnte es ja.“ „Na vielleicht erlebe ich’s nicht mehr,“ sagte Lars und sah in das graue Wolkengeschiebe hinein: „Sieh, da kommt wahrhaftig ein bißchen Sonne durch, und der Schnee fängt auch an zu kleben. Glaubst du, daß die zwei andern bange sind, in der Rinne zu fischen?“ Peter hob bedenklich die Schultern und rauchte in langen Zügen. Die andern schüttelten alle die Köpfe, als sie davon hörten, aber sie gingen am Nachmittag doch mit. Es war böiges Wetter geworden. Zwischen den türmenden Wolkenmassen schwammen manchmal grünlich lichte Ätherseen, und die Sonne brach heraus und umriß die finsteren Riesengebilde mit grellem Gold. In den Dampferrinnen hatten sich viele Heringe zusammengezogen, und die Männer arbeiteten angestrengt. Einmal rief Peter herüber, daß der Wind schon zweimal umgesprungen sei. „Wir können bald mitten im Treibeis sitzen!“ Aber auch die anderen Männer wollten nicht vom guten Fang lassen. Und sie vertrauten auf ihre festen Boote. Hier und da krachte es dumpf gegen die Planken, aber die Männer arbeiteten schweigend weiter und achteten nur, daß keine von den großen Schollen das Netz zerriß. Klarer und weiter wurden die goldgrünen Ätherseen, je tiefer die Sonne sank, und die Kälte wurde wieder beißend scharf. Die nassen Bretter fingen an schlüpfrig zu werden, denn es fror. Die vereisten Taue schnitten in die Hand. „Peter, was meinst du, der letzte Zug?“ rief Lars nach dem andern Boote hinüber. „Ja, besser -- der letzte Zug!“ kam es zurück. -- Sie mußten tüchtig ziehn. Es war ein guter Zug, und das Netz war schwer von Eis. Christen Matthies war heute bei Lars im Boot. Lars wollte dem Alten die schwere Arbeit erleichtern. Er spannte jede Muskel. Aber nach dem schweren Quälen und Mühen der letzten Monate war Lars’ Körper nicht so stahlhart wie sonst. Er spannte und zog und trat mit dem rechten Fuße zurück. Die Bohlen waren jetzt spiegelndes Eis. -- Der Hacken glitt ab. Er wollte sich halten, aber er griff vorbei. Mit der Wucht des schweren, langen Körpers schlug er zurück, und die im andern Boot sahen, wie er über Bord ging. Sie waren gleich heran. Sie sahen wie er sich heraufkämpfte, aber die schweren hölzernen Fischerstiefel zogen ihn herunter. Wieder, wie damals als Junge, hatte Peter das Zeug abgerissen und war in das Eiswasser getaucht. Er öffnete die Augen im grünen Dämmern, daß ihn mit atemraubender Kälte umgab. -- Da war etwas Großes, Dunkles. -- Er griff hinein und ruderte mächtig mit dem freien Arm und den Beinen. -- So tauchte er herauf. -- Es war wie ein Krampf in seiner Brust von der eisigen Kälte, daß er nach Atem rang. Aber der Bootrand war dicht zur Hand. Wie sie sich mühten und quälten, bis sie den reglosen, schweren Körper im Boote hatten! Dann kniete sich Peter in seinem triefenden Zeuge über ihn hin und versuchte, ihn wieder zu beleben. Lars hatte nur wenig Seewasser in sich. Aber er regte sich nicht. Da fing Christen Matthies an, ihn zu betasten und seine Glieder anzufühlen. Mit eins tat er einen leisen Ruf und Peter ließ Lars’ Arme los und sah auf. Da zeigte der Alte auf eine Stelle zwischen den nassen Haaren dicht über der Schläfe, die dunkel und klebig war von Blut. Es mußte von den schweren Eisschollen sein. Und Christen Matthies traurige Augen lagen still auf dem reglos edlen Gesicht mit den festgeschlossenen Augen. Aber Peter zog die Brauen nur finster zusammen und sah Christen Matthies ungeduldig an. -- Dann mühte er sich weiter. Sie rieben ihn mit Branntwein und zwängten Branntwein zwischen die festgeschlossenen Lippen hinein. Und immer wieder versuchte es Peter mit den Atemübungen. Und dann legte er wieder den Kopf auf Lars’ Brust und horchte. Aber da blieb alles ganz still. Christen Matthies half immerfort, aber er sah noch trauriger aus als sonst, und die andern beiden wußten, was er dachte. Sie mühten sich lange, aber in die reglosen Züge kam nur noch stärker der Ausdruck ruhevollen Fernseins, und es war da keine Regung. Dann war’s endlich, daß Peter sich aufrichtete und den andern ins Gesicht sah. Und seine Augen sahen hohl und dunkel aus. -- Und dann zogen sie das andere Boot heran, und Christen und der andere stiegen hinüber. Peter ruderte ein Stück voraus. Wie urgewaltige Gletscherberge türmten die Wolkenmassen weißblendend ins Abendlicht hinauf. Eisig klares Scheinen schwamm über der Winterflut. Ein feierlich verhaltenes Abendlicht gab ihm seinen Glanz. Aber zwischen dem goldumrissenen Urgeschiebe am Himmel blitzten strahlende Lichtstraßen tief ins Abendgold hinein. Und das dunkle Boot glitt langsam dahin. Und fast wie in Ehrfurcht blieb das andere zurück. Und der schweigende Mann an den Riemen hatte die Lippen fest zusammengedrückt und sah in die Abendwolken hinein. Vom Rick ging der alte, traurige Fischer voraus zu Mutter Stina, um es ihr zu sagen; denn ihr Haus lag nah. Dann klangen die schweren, dumpfen Tritte der beiden andern durch den Garten. Mutter Stina machte die Tür auf und trat zur Seite. -- Und dann trugen sie ihn in die Heimhütte unter das Strohdach und legten ihn auf Klaas Klaaßens Bett. Mutter Stina schob einen Stuhl her und setzte sich neben ihn und nahm seine Hand in ihre beiden alten Hände. Nachher kamen die andern -- Trina und Klaus und Dora und Mutter Lassen. Der kleine Klaus stellte sich gleich zu Großmutter hin und legte seinen festen, starken Jungenarm um ihren Hals. So blieb er stehen. Auch der Arzt kam späterhin, aber er sagte nur, daß es so sei. Da weinte Mutter Lassen laut auf, und ihr heulendes Klagen schnitt in die Stille. Peter saß immer am Fenster, den Kopf sehr tief in die Hand gestützt. Er stand auf und nahm seine Mutter beim Arm. Ganz ruhig und fast sanft führte er sie, aber er machte die Tür auf und schob sie hinaus. Sie blieb auch gehorsam in der Winternacht, bis das Weinen nachließ. Peter setzte sich auf den alten Platz und stützte den Kopf wieder auf. -- Es war, als könnten sie alle gar nicht mehr anders, als so still da sitzen und vor sich hinsehn. An dem Tage, als der Sarg kam und Jakob Lind bei ihnen eingetreten war, saßen sie auch alle so. Als der Sarg aber geschlossen wurde, stand Mutter Stina auf. Sie ging ein wenig zitterig -- und trat an den Sarg. Leise streichelte sie über das schwarze Holz. -- „Leb’ wohl, Lars!“ sagte sie ganz leise, -- da schluchzte es in der Ecke, wo Trina saß, einmal auf, als ob etwas zerbräche. Dann waren sie alle wieder still. Aber als die Beerdigung kam, gingen sie schweigend herum und taten, was sie mußten. Nur wenn man mit ihnen davon sprechen wollte, dann sahen sie, wie aus der Ferne mit verständnislosem Blick die Leute an und gaben keine Antwort. Dora zuckten dann die Lippen dabei. Aber Peter kehrte sich um und ging fort. Herr Asmussen war auch gekommen, und große, glänzende Tränen liefen ihm über die Backen. Er stand am Sarge und schüttelte immerfort mit dem Kopf. „So hoffnungsvoll -- und alles umsonst -- alles umsonst. -- So ein Ende.“ Peter stand daneben. Da hob er den Kopf. „Nein, Herr Asmussen, das sollen Sie noch sehn. Umsonst soll das nicht gewesen sein.“ Hinter Jakob Lind stand seine kleine, runde Frau, und ihre Brust hob und senkte sich im leisen, hastigen Schluchzen. Jakob lief still Träne um Träne in den Bart. Aber noch weiter zurück die hohe, schmale Gestalt im schwarzen Trauerkleid mit dem hellen Haar und dem blassen Gesicht sah immer nur mit weiten Augen auf den Sarg. Und dann hoben sie ihn auf und trugen ihn hinaus. Mutter Stina stand und sah ihnen nach. -- Aber in dem weißen Nebel verschwammen bald die dunklen Gestalten. * * * Karen ging allein über die Koppeln zurück. Um sie her wogte und webte es von kühlen, weißen Schleiern. Sehr nah und groß schimmerten die weiß übersponnenen Bäume am Wege, und der Weg ging tief hinein in das unergründliche Weiß. Manchmal kam ein kühler, streichender Atem. Dann hob sich der Nebel ein wenig, und man sah einen Augenblick die Bucht zwischen gespenstisch weißem Gewoge und hier und da ein dunkles Segel; denn das Wasser war wieder offen. Dann blieb Karen stehen und sah hinüber. Und immer wieder stieg es auf in ihr. „So ist das Leben. -- Und wenn der Schleier wieder zugezogen ist, einen Blick habe ich doch hinein getan -- dahinter aber ist das Meer.“ -- Und dann ging sie wieder vorwärts mit ihrem jungen, festen Tritt. Und auf einmal blieb sie stehen und sagte es in den Nebel hinein mit dem klaren, festen Blick geradeaus: „Peter hat recht: umsonst war das nicht, nein, alles, alles nicht. Ganz gewiß.“ Inhalt der +Grote+’schen Sammlung von Werken zeitgenössischer Schriftsteller Otto Glagau, +Fritz Reuter und seine Dichtungen+. Neue, umgearbeitete Auflage. Mit Illustrationen. Geb. 4 M. Julius Wolff, +Till Eulenspiegel redivivus+. Ein Schelmenlied. Mit Illustrationen. Fünfundzwanzigstes Tausend. Geb. 4 M. 80 Pf. Julius Wolff, +Der Rattenfänger von Hameln+. Eine Aventiure. Mit Illustrationen von P. Grot Johann. Vierundsiebzigstes Tausend. Gebunden 4 M. 80 Pf. Wilhelm Raabe, +Horacker+. Mit Illustrationen von P. Grot Johann. Dreizehnte Auflage. Geb. 4 M. Friedrich Bodenstedt, +Theater+. (Kaiser Paul. -- Wandlungen.) Gebunden 4 M. Anastasius Grün, +In der Veranda+. Eine dichterische Nachlese. Dritte Auflage. Geb. 2 M. Julius Wolff, +Schauspiele+. Zweite Auflage. Geb. 4 M. 80 Pf. Carl Siebel, +Dichtungen+. Gesammelt von seinen Freunden. Herausgegeben von Emil Rittershaus. Gebunden 4 M. Wilhelm Raabe, +Die Chronik der Sperlingsgasse+. Neue Ausgabe mit Illustrationen von Ernst Bosch. Zweiundfünfzigste Auflage. Geb. 4 M. Julius Wolff, +Der wilde Jäger+. Eine Weidmannsmär. Achtundneunzigstes Tausend. Geb. 4 M. 80 Pf. Hermann Lingg, +Schlußsteine+. Neue Gedichte. Gelb. 4 M. Julius Wolff, +Tannhäuser+. Ein Minnesang. Mit Porträtradierung. Zwei Bände. Zweiundvierzigstes Tausend. Geb. 8 M. Julius Wolff, +Singuf+. Rattenfängerlieder. Siebzehntes Tausend. Gebunden 4 M. 80 Pf. Julius Grosse, +Gedichte+. Mit einer Zuschrift von Paul Heyse. Geb. 4 M. Julius Wolff, +Der Sülfmeister+. Eine alte Stadtgeschichte. Zwei Bände. Siebenundvierzigstes Tausend. Gebunden 8 M. A. von der Elbe, Der +Bürgermeisterturm+. Ein Roman aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Zweite Auflage. Geb. 7 M. Julius Wolff, +Der Raubgraf+. Eine Geschichte aus dem Harzgau. Achtundfünfzigstes Tausend. Geb. 7 M. Julius Grosse, +Der getreue Eckart+. Roman in zwölf Büchern. Zwei Bände. Zweite Auflage. Geb. 9 M. 60 Pf. Theodor Fontane, +Unterm Birnbaum+. Eine Novelle. Zweite Auflage. Geb. 4 M. Wilhelm Raabe, +Unruhige Gäste+. Ein Roman aus dem Säkulum. Fünfte Auflage. Geb. 4 M. Julius Wolff, +Lurlei+. Eine Romanze. Vierundsechzigstes Tausend. Geb. 6 M. Wilhelm Raabe, +Im alten Eisen+. Eine Erzählung. Fünfte Auflage. Gebunden 4 M. Arthur Drews, +Irold+. Eine Rhapsodie in sechs Gesängen. Geb. 4 M. Julius Wolff, +Das Recht der Hagestolze+. Eine Heiratsgeschichte aus dem Neckartal. Siebenunddreißigstes Tausend. Geb. 7 M. Wilhelm Jordan, +Zwei Wiegen+. Ein Roman. Neue Ausgabe. Zwei Bände. Fünftes Tausend. Geb. 7 M. Inhalt der +Grote+’schen Sammlung von Werken zeitgenössischer Schriftsteller Guido List, +Carnuntum+. Historischer Roman aus dem vierten Jahrhundert n. Chr. Zwei Bände. Geb. 8 M. Julius Wolff, +Die Pappenheimer+. Ein Reiterlied. Vierundzwanzigstes Tausend. Geb. 6 M. Ernst Eckstein, +Murillo+. Dritte Auflage. Geb. 3 M. Ernst Eckstein, +Hertha+. Roman. Dritte Auflage. Geb. 8 M. A. von der Elbe, +In seinen Fußstapfen+. Roman aus Lüneburgs Vorzeit. Geb. 7 M. Großfürst Konstantin, +Gedichte+. In freier Nachbildung von Julius Grosse. Geb. 4 M. Julius Wolff, +Renata+. Eine Dichtung. Dreißigstes Tausend. Geb. 6 M. Anton Springer, +Aus meinem Leben+. Mit zwei Bildnissen. Geb. 7 M. C. Gräfin von Haugwitz, +Eines Kaisers Traum+. Dichtung. Geb. 4 M. Anton Ohorn, +Der Ordensmeister+. Eine deutsche Minne- und Heldenmär. Geb. 4 M. Hermann Lüders, +Unter drei Kaisern+. Malerfahrten. Mit 221 Illustr. vom Verf. Zwei Bände. Geb. 9 M. 60 Pf. Ernst Eckstein, +Themis+. Roman. Zwei Bände. Geb. 9 M. 60 Pf. Julius Wolff, +Der fliegende Holländer+. Eine Seemannssage. Zweiunddreißigstes Tausend. Geb. 5 M. Ernst Julius Hähnel’s +Literarische Reliquien+. Herausgegeben von Julius Grosse. Geb. 6 M. Ernst Eckstein, +Der Mönch vom Aventin+. Novelle. Dritte Auflage. Geb. 4 M. Ludwig Ganghofer, +Doppelte Wahrheit+. Neue Novellen. Fünftes Tausend. Geb. 5 M. Maria Janitschek, +Atlas+. Novelle. Geb. 2 M. Ernst Eckstein, +Familie Hartwig+. Roman. Zweite Auflage. Geb. 8 M. Maria Janitschek, +Pfadsucher+. Vier Novellen. Geb. 4 M. Julius Wolff, +Das schwarze Weib+. Roman aus dem Bauernkriege. Dreiundzwanzigstes Tausend. Geb. 7 M. Ernst Eckstein, +Kyparissos+. Roman. Zweite Auflage. Geb. 8 M. Julius Wolff, +Aus dem Felde+. Nebst einem Anhang: +Im neuen Reich+. Gedichte. Vierte, vermehrte Auflage. Geb. 2 M. 50 Pf. Konrad Telmann, +Bohémiens+. Roman. Geb. 6 M. Ola Hansson, +Der Schutzengel+. Roman. Geb. 4 M. Ernst Eckstein, +Roderich Löhr+. Roman. Zweite Auflage. Geb. 8 M. Julius Wolff, +Assalide+. Dichtung aus der Zeit der provençalischen Troubadours. Sechzehntes Tausend. Geb. 6 M. Ernst Eckstein, +Adotja+. Novellen. Geb. 6 M. 50 Pf. Ernst Eckstein, +Die Hexe von Glaustädt+. Roman. Zweite Auflage. Geb. 8 M. Gustav Frenssen, +Die drei Getreuen+. Roman. Zweiundneunzigstes Tausend. Geb. 5 M. Julius Wolff, +Der Landsknecht von Cochem+. Ein Sang von der Mosel. Zwanzigstes Tausend. Geb. 6 M. Inhalt der +Grote+’schen Sammlung von Werken zeitgenössischer Schriftsteller Freiherr von Schlicht, +Die feindlichen Waffen+. Humor. Roman. Geb. 4 M. 50 Pf. Heinrich Steinhausen, +Heinrich Zwiesels Ängste+. Eine Spießhagener Geschichte. Geb. 5 M. Ludwig Ganghofer, +Das Schweigen im Walde+. Roman in zwei Bänden. Dreiundzwanzigstes Tausend. Geb. in 1 Band. 6 M. Julius Wolff, +Der fahrende Schüler+. Eine Dichtung. Vierzehntes Tausend. Geb. 6 M. Gustaf Dickhuth, +Wie der Leutnant Hubertus von Barnim sich verloben wollte und anderes+. Novellen. Geb. 4 M. Gustav Frenssen, +Die Sandgräfin+. Roman. Vierundfünfzigstes Tausend. Geb. 5 M. Robert Wendlandt, +Der Wendenhof+. Roman. Geb. 4 M. 50 Pf. Hermann Heiberg, +Reiche Leute von einst+. Roman. Geb. 4 M. Gustav Frenssen, +Jörn Uhl+. Roman. Zweihundertneuntes Tausend. Geb. 5 M. Victor Blüthgen, +Gedichte+. Neue, vermehrte Ausgabe. Geb. 4 M. Wilhelm Raabe, +Nach dem großen Kriege+. Eine Geschichte in zwölf Briefen. Dritte Auflage. Geb. 3. M 50 Pf. Hans Hopfen, +Gotthard Lingens Fahrt nach dem Glück+. Roman. Geb. 5 M. Julius Wolff, +Die Hohkönigsburg+. Eine Fehdegeschichte aus dem Wasgau. Sechsundzwanzigstes Tausend. Geb. 6 M. Johannes Trojan, +Auf der anderen Seite+. Streifzüge am Ontario-See. Geb. 3 M. Wilhelm Raabe, +Die Kinder von Finkenrode+. Sechste Aufl. Geb. 4 M. Johannes Trojan, +Berliner Bilder+. Hundert Momentaufnahmen. Zweite Auflage. Geb. 4 M. Joseph Lauff, +Pittje Pittjewitt+. Ein Roman vom Niederrhein. Vierzehntes Tausend. Geb. 5 M. Adam Karrillon, +Michael Hely+. Roman. Sechstes Tausend. Geb. 5 M. Julius Wolff, +Zweifel der Liebe+. Roman aus der Gegenwart. Neunzehntes Tausend. Geb. 6 M. Ernst von Wildenbruch, +Das schwarze Holz+. Roman. Vierzehntes Tausend. Geb. 5 M. Joseph Lauff, +Frau Aleit+. Roman. Zwölftes Tausend. Geb. 5 M. Gustav Frenssen, +Hilligenlei+. Roman. Hundertachtundzwanzigstes Tausend. Geb. 6 M. Adam Karrillon, +Die Mühle zu Husterloh+. Roman. Fünftes Tausend. Geb. 5 M. Fritz Philippi, +Adam Rotmann+. Ein Leben in der Zelle. Roman. Geb. 4 M. Gustav Frenssen, +Peter Moors Fahrt nach Südwest+. Ein Feldzugsbericht. Hundertfünfunddreißigstes Tausend. Geb. 3 M. Wilhelm Raabe, +Halb Mär, halb mehr+. Erzählungen, Skizzen, Reime. Zweite Auflage. Geb. 4 M. Julius Wolff, +Das Wildfangrecht+. Eine pfälzische Geschichte. Siebzehntes Tausend. Geb. 6 M. Joseph Lauff, +Die Tanzmamsell+. Roman. Zwölftes Tausend. Geb. 5 M. Ernst von Wildenbruch, +Lukrezia+. Roman. Zwölftes Tausend. Geb. 6 M. F. Hugin, +Durch den Nebel+. Roman. Geb. 4 M. Joseph Lauff, +Sankt Anne+. Roman. Geb. 5 M. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Durch den Nebel" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.