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Title: Deutsche Romantik - Eine Skizze Author: Walzel, Oskar Franz Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Deutsche Romantik - Eine Skizze" *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1908 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert. Das vollständige Verzeichnis der Reihe „Aus Natur und Geisteswelt“, auf welches zu Beginn des Bandes hingewisen wird, vorliegenden Buches finden sich lediglich diejenigen Anzeigen, die ausschließlich in diesem Band abgedruckt wurden. Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: fett: =Gleichheitszeichen= gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ Das Caret-Symbol (^) steht für ein nachfolgendes hochgestelltes Zeichen. #################################################################### [Illustration] Ein vollständiges Verzeichnis der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt“ befindet sich am Schluß dieses Bandes. Die Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt“ die nunmehr auf ein mehr denn zehnjähriges Bestehen zurückblicken darf und jetzt 240 Bände umfaßt, von denen 60 bereits in zweiter bis vierter Auflage vorliegen, verdankt ihr Entstehen dem Wunsche, an der Erfüllung einer bedeutsamen sozialen Aufgabe mitzuwirken. Sie soll an ihrem Teil der unserer Kultur aus der Scheidung in Kasten drohender Gefahr begegnen helfen, soll dem Gelehrten es ermöglichen, sich an weitere Kreise zu wenden, dem materiell arbeitenden Menschen Gelegenheit bieten, mit den geistigen Errungenschaften in Fühlung zu bleiben. Der Gefahr, der Halbbildung zu dienen, begegnet sie, indem sie nicht in der Vorführung einer Fülle von Lehrstoff und Lehrsätzen oder etwa gar unerwiesenen Hypothesen ihre Aufgabe sucht, sondern darin, dem Leser Verständnis dafür zu vermitteln, wie die moderne Wissenschaft es erreicht hat, über wichtige Fragen von allgemeinstem Interesse Licht zu verbreiten. So lehrt sie nicht nur die zurzeit auf jene Fragen erzielten Antworten kennen, sondern zugleich durch Begreifen der zur Lösung verwandten Methoden ein selbständiges Urteil gewinnen über den Grad der Zuverlässigkeit jener Antworten. Es ist gewiß durchaus unmöglich und unnötig, daß alle Welt sich mit geschichtlichen, naturwissenschaftlichen und philosophischen Studien befasse. Es kommt nur darauf an, daß jeder Mensch an einem Punkte sich über den engen Kreis, in den ihn heute meist der Beruf einschließt, erhebt, an einem Punkte die Freiheit und Selbständigkeit des geistigen Lebens gewinnt. In diesem Sinne bieten die einzelnen, in sich abgeschlossenen Schriften gerade dem „Laien“ auf dem betreffenden Gebiete in voller Anschaulichkeit und lebendiger Frische eine gedrängte, aber anregende Übersicht. Freilich kann diese gute und allein berechtigte Art der Popularisierung der Wissenschaft nur von den ersten Kräften geleistet werden; in den Dienst der mit der Sammlung verfolgten Aufgaben haben sich denn aber auch in dankenswertester Weise von Anfang an die besten Namen gestellt, und die Sammlung hat sich dieser Teilnahme dauernd zu erfreuen gehabt. So wollen die schmucken, gehaltvollen Bände die Freude am Buche wecken, sie wollen daran gewöhnen, einen kleinen Betrag, den man für Erfüllung körperlicher Bedürfnisse nicht anzusehen pflegt, auch für die Befriedigung geistiger anzuwenden. Durch den billigen Preis ermöglichen sie tatsächlich jedem, auch dem wenig Begüterten, sich eine kleine Bibliothek zu schaffen, die das für ihn Wertvollste „Aus Natur und Geisteswelt“ vereinigt. Leipzig, 1908. B. G. Teubner. Aus Natur und Geisteswelt Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen 232. Bändchen Deutsche Romantik Eine Skizze von ~Dr.~ Oskar F. Walzel ord. Professor der deutschen Sprache und Literatur an der Königl. Technischen Hochschule zu Dresden [Illustration] Druck und Verlag von B. G. Teubner in Leipzig 1908 Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten. Albert Köster zugeeignet Vorwort. Der Aufforderung, für die Sammlung „Aus Natur- und Geisteswelt“ eine knappe Darstellung der deutschen Romantik zu liefern, sucht der folgende Versuch nach Kräften nachzukommen. In den vorgeschriebenen engen Grenzen konnte der ganze Reichtum romantischen Denkens und Dichtens nicht zur Erscheinung gelangen. Die Forschung ist auf diesem Gebiete im Augenblicke so eifrig tätig, daß Gegensätze wissenschaftlicher Betrachtung sich mannigfach ergeben haben. Den Standpunkt, den der Verfasser einnimmt, zu begründen, mußte manches ausführlicher auseinandergesetzt werden, als es für die Ökonomie des Büchleins gut war. Dem Zuge der Zeit entspricht es, daß das Bild der Romantik hier mehr nach der gedanklichen als nach der künstlerisch-schöpferischen Seite ausgeführt, mehr von den theoretischen Anschauungen der Frühromantik als von den dichterischen Leistungen der jüngeren Romantiker gesagt worden ist, so dankbar das umgekehrte Vorgehen gerade bei einer Auseinandersetzung wäre, die sich an weitere Kreise wendet. Doch dürfte auf dem Felde der Erforschung der Romantik das Problem des Augenblicks zunächst in der Aufgabe liegen, die Verbindungslinien zu ziehen, die von den ersten Anfängen bis in die letzten Ausläufer sich erstrecken. Die vertiefte Betrachtung der Frühromantik, die in den jüngsten Jahrzehnten uns geschenkt worden ist, hat der älteren romantischen Generation eine ganz neue Würdigung angedeihen und sie beträchtlich wertvoller erscheinen lassen, als bis vor kurzem angenommen worden war. Zugleich schien die Kluft, die zwischen ihr und den jüngeren Genossen besteht, ins Unübersehbare zu wachsen. Heute liegt die Gefahr nahe, daß der Begriff Romantik überhaupt in nichts zerfalle und daß künftig nur noch von zusammenhanglosen Vertretern des deutschen Geisteslebens und der deutschen Kunst in dem Zeitalter von 1795 bis 1830 gesprochen werde. Daß in solcher Spaltung und Trennung ein zweckloses Zerstörungswerk geleistet würde, ist die Überzeugung des Verfassers. Wie er selber es ansieht, das sucht er hier wenigstens andeutend zu zeigen. Der Versuch, die Hauptzüge frühromantischer Lebens- und Kunstanschauung zu zeichnen, nimmt den größten Teil der Ausführungen ein; aber er soll doch auch nur zu einer Grundlage für die Erörterung des Problems dienen, wie aus dem reichen Ideenschatze der Frühromantik die künstlerischen Formungen der jüngeren Romantik erwachsen. Was romantische Dichtung aus eigener Kraft und ohne die Mithilfe der Theorie geschaffen hat, kommt dabei hoffentlich nicht zu kurz. Der Gedanke, auf dem die ganze Darstellung ruht, ist von einem anderen Gesichtspunkte aus erwogen in dem Aufsatz „Goethe und das Problem der faustischen Natur“ (Internationale Wochenschrift 1908 Nr. 35). Entwickelungslinien zu zeichnen, wurde durchaus versucht. Welche Bedeutung dem einzelnen Menschen und dem einzelnen Kunstwerk im Zusammenhang der ganzen Romantik und damit im Zusammenhange des Ganges deutscher Kunst und Kultur zukomme, das festzustellen erschien innerhalb der vorgezeichneten Aufgabe als das lockendste Ziel. Die reiche neuere Literatur über das Gebiet ist dankbar verwertet worden, auch wenn sie nicht überall ausdrücklich angeführt ist. Der Kenner wird leicht herausfinden, wo Nachweise anderer benützt, wo eigene neue Anschauungen des Verfassers vorgetragen sind. Kein Literarhistoriker, der ernst genommen sein will, wird ohne gute und starke Gründe die Wege verlassen, die Wilhelm +Diltheys+ „Leben Schleiermachers“ (Berlin 1870) und Rudolf +Hayms+ „Romantische Schule“ (ebenda 1870) vorgezeichnet haben. Daß neuere Fingerzeige zu einer Erfassung der Romantik, die zunächst über Haym hinausgeht, nicht unbeachtet geblieben sind, ist selbstverständlich. Ricarda +Huchs+ Bücher „Die Blütezeit der Romantik“ und „Ausbreitung und Verfall der Romantik“ (Leipzig 1899-1902) haben der Forschung einen starken und glücklichen Anstoß gegeben. Karl +Joëls+ Buch „Nietzsche und die Romantik“ (Jena und Leipzig 1905) und Marie +Joachimis+ „Weltanschauung der Romantik“ (ebenda 1905) bieten, von ganz verschiedenen Voraussetzungen ausgehend und mit völlig gegensätzlicher Methode arbeitend, eine Fülle neuer Gesichtspunkte. Ein Torso ist Erwin +Kirchers+ „Philosophie der Romantik“ (ebenda 1906) geblieben; mindestens aber durfte der Nachlaß des Frühverblichenen nicht in einer Form herausgegeben werden, die den Unvorbereiteten irreführt, der unvollständiges Exzerpt und selbständige Betrachtung Kirchers nicht zu scheiden weiß. Von neueren Einzeluntersuchungen boten besondere Anregung die Arbeiten von E. +Spenlé+ „Novalis“ (Paris 1904), W. +Olshausen+ „Friedrich von Hardenbergs (Novalis) Beziehungen zur Naturwissenschaft seiner Zeit“ (Leipziger Dissertation 1905), H. +Simon+ „Der magische Idealismus. Studien zur Philosophie des Novalis“ (Heidelberg 1906), ferner J. +Rouge+ „~Frédéric Schlegel et la genèse du romantisme allemand~ (1791-1797)“ (Paris 1904) und „Erläuterungen zu Friedrich Schlegels Lucinde“ (Halle 1905) und M. +Joachimi-Dege+ „Deutsche Shakespeareprobleme“ (Leipzig 1907). Endlich hat Karl +Lamprecht+ im 10. Bande seiner „Deutschen Geschichte“ (Berlin 1907) dem Verfasser manche gern verwertete Belehrung geschenkt. Um das Nachprüfen zu erleichtern, sind die Zitate aus den Schriften der Romantiker genau belegt. Benutzt wurden neben den ersten Texten die alten Gesamtausgaben der Werke Wilhelm Schlegels (Böcking), Friedrich Schlegels (erste Gesamtausgabe), Tiecks, Brentanos, Fouqués, Fichtes, Schellings, die neueren wissenschaftlichen Editionen von Novalis (Minor) und Kleist (Minde-Pouet, Erich Schmidt und Reinhold Steig), dann Minors Ausgaben der Berliner Vorlesungen Wilhelm Schlegels, der Jugendschriften Friedrich Schlegels und der Schriften Tiecks und Wackenroders (Deutsche Nationalliteratur Bd. 145) und meine Auswahl aus den Schriften der Schlegel (ebenda Bd. 143). Nähere Nachweise über diese Literatur finden sich in Goedekes „Grundriß“ (Bd. 6 der 2. Auflage) und in R. M. Meyers „Grundriß der neuen deutschen Literaturgeschichte“ (2. Auflage). An beiden Stellen sind auch die größeren Briefsammlungen aus romantischer Zeit leicht zu erkunden: Jonas und Dilthey (Schleiermacher), Waitz (Caroline), Plitt (Schelling), Raich (Novalis und Dorothea), Walzel (Friedrich und Wilhelm Schlegel), Steig (Arnim). Dankbar sei hier noch der wertvollen Beihilfe gedacht, die bei der Korrektur Frau ~Dr.~ Marie +Joachimi-Dege+ dem Verfasser hat zuteil werden lassen. =Oskar F. Walzel.= Inhaltsverzeichnis. Seite Vorbemerkungen 1 1. Gegensatz zum Sturm und Drang. Jacobi und die Romantik 3 2. Herder und die Romantik. Der Organismusgedanke 10 3. Romantische Grundbegriffe: Proteisches, Magie, Sehnsucht nach dem Absoluten 17 I. Die erste und zweite Stufe der romantischen Theorie 25 1. Friedrich Schlegels klassizistische Anfänge 25 2. Friedrich Schlegels Bekenntnis zum Romantischen. Romantische Poesie, romantische Ironie, Transzendentalpoesie 31 II. Die dritte Stufe der romantischen Theorie 37 1. Schleiermachers Anstoß 37 2. Schelling und die Romantiker 40 ~a~) Ästhetische Weltanschauung und Organismusbegriff 40 ~b~) Die Naturphilosophie Schellings 48 ~c~) Der Schlegelianismus der Naturwissenschaften 53 3. Poesie der Poesie. Romantischer Monismus 59 III. Die Programme der romantischen Ethik und Religion 65 1. Schleiermacher. Lucinde. Frauenbildung 65 2. Stiftung einer neuen Religion. Hardenbergs geistliche Dichtung 72 3. Wendung zum Katholizismus, zum Mittelalter und Orient. Friedrich Schlegels spätere Konstruktionen der Entwickelung der Menschheit 77 IV. Tiecks und Wackenroders Anteil 87 1. Deutsches Mittelalter. Spanien 87 2. Romantische Malerei in Theorie und Praxis 97 3. Die Musik im romantischen Lichte. Die Lyrik und ihre Theorie 103 V. Der politische und soziale Umschwung der Romantik. Romantische Staatswissenschaft im Zeitalter der Befreiungskriege und der Reaktion 112 VI. Die Dichtung der Frühromantik und der jüngeren Romantik, ihr Zusammenhang und ihr Gegensatz 121 1. Volksliedartige Lyrik 121 2. Romantische Ironie und Naturphilosophie in der romantischen Dichtung 127 ~a~) Drama 127 ~b~) Roman und Lyrik. Heine 130 ~c~) Märchen 137 3. Die Nachtseite der Natur. H. v. Kleist 139 4. Das Lebensproblem in Drama und Roman 146 Namenregister 163 Sachregister 166 Vorbemerkungen. Wilhelm Scherer charakterisierte einmal (Vorträge und Aufsätze S. 341 f.) die ganze Kultur- und Literaturperiode von 1770 bis 1815 als ein großes und einheitliches Ganze. Er zog Verbindungslinien, die von der Literaturrevolution des Sturmes und Dranges zu der Literaturrevolution der Romantik hinüberführen: Interesse für Volkslieder und Volksbücher bei Herder, Goethe, Maler Müller, Jung-Stilling und bei Tieck, bei den Herausgebern des „Wunderhorns“, bei Görres und bei den Grimm; Goethes Eintreten für Erwin v. Steinbach neben Wackenroders, Friedrich Schlegels und Boisserées Bemühungen um altdeutsche Kunst; Schauerromantik, mit volkstümlicher Mythologie ausgestattet, bei Schiller, Tieck, Kleist, Arnim, Hoffmann; Herder, Goethe, Schleiermacher, Schelling, Görres, Kanne, Hegel vertreten den deutschen Pantheismus; die Lehre vom genialen Subjekt, das keine Regeln braucht, wird ästhetisch und ethisch während der ganzen Zeit geltend gemacht; Justus Möser ist Vorläufer romantischer Politik; W. v. Humboldt vindiziert dem Individuum die weitgehendsten Rechte, ebenso wie Lavater und Schleiermacher für die Heilighaltung der Individualität eintreten, während Freiherr v. Stein in gleichem Sinne den Neubau des Staates auf der Grundlage der Selbstverwaltung beginnt. Diese unverkennbaren Zusammenhänge haben etwas Bestechendes; wirklich hat lange Zeit die Romantik nur für einen Nachhall der Sturm- und Drangzeit gegolten. Neuere Zeit pflegt demgegenüber die Gegensätze beider Perioden in den Vordergrund zu schieben. Da indes nicht alle Romantik gleichmäßig zu dem Sturm und Drang in Kontrast gebracht werden kann, scheint die neueste Forschung es vorzuziehen, die Romantik selber in scharfgesonderte Gruppen aufzuteilen und besonders eine Romantik, die der Genieperiode der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts näher steht, und eine dieser Periode innerlich entfremdete Frühromantik zu scheiden. Die Frühromantik erscheint dann als Antipode des Sturmes und Dranges, im Gegensatz zur Blütezeit der romantischen Dichtung, unter der man vor allem die jüngere Romantik versteht. Freilich läßt sich die Grenze nicht scharf ziehen; und fraglich bleibt, ob etwa Clemens Brentano der Frühromantik noch anzugliedern ist oder nicht. Wie fremd dem Schlegelschen Kreise die Stürmer und Dränger geworden waren, bezeugt das Athenaeumfragment 306: „Die Geschichte von den Gergesener Säuen ist wohl eine sinnbildliche Prophezeiung von der Periode der Kraftgenies, die sich nun glücklich in das Meer der Vergessenheit gestürzt haben.“ Allein ein Glied der Schlegelschen Gruppe, Ludwig Tieck, hat später die Schriften einzelner Stürmer und Dränger gesammelt. Brentano vollends empfand es wie eine reizvolle Wiederentdeckung, als er 1806 Lenzens „Neuen Menoza“ in die Hand bekam, und er stellte ihn sofort hoch über die Versuche romantischer Genossen: „Das Ding ist mir besonders merkwürdig, weil es ein rechter Gegensatz der neuen Genialität ist, die so unendliche Dekoration und Farben und Klimata und Ironie und all den Teufel braucht -- und dort wie einfach.... Das Ganze rumpelt und rauscht und ist doch so leer und so voll. Nimm dagegen die modernen Dramen, etwa Pellegrin [Fouqué], Bernhardi -- was eine Menge, was eine Pracht! aber wie leer und tot.“ (R. Steig, Achim v. Arnim und Clemens Brentano S. 161.) So schrieb Brentano an Arnim, der 1802 über ein wichtiges Denkmal der Frühromantik scharf abgesprochen und dem Freunde (ebenda S. 41) offen bekannt hat, daß er Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen“ nach seinem ganzen Wesen recht mittelmäßig, ja elend finde, wenngleich manches einzelne schön: „Das dummgelehrte Bauerngeschwätz allenthalben, das Märchen endlich mit seiner Langweiligkeit, wenn man es nicht erraten kann, und mit seiner Unbedeutendheit, wenn man es nicht weiß.“ Brentano stimmte ohne Rückhalt zu: „Über Ofterdingen denke ich wie du, alle Figuren sind drin mit Fischschwänzen, alles Fleisch ist Lachs drin, ich empfinde einen seltsamen physischen Ekel es zu lesen“ (ebenda S. 51). Solche Urteile rücken Arnim und Brentano dem Sturm und Drang gewiß näher als der Frühromantik. Die Notwendigkeit, der Romantik neben der Genieperiode größere Selbständigkeit zu leihen, ergab sich in dem Augenblicke, da neben eine philologische Literarhistorik eine philosophisch geschulte trat. Solange die philosophischen Gedankengänge deutscher Literatur nur eine Aschenbrödelrolle in literarhistorischer Betrachtung spielten (und ganz überwunden ist diese Phase noch nicht), blieben die Winke, die Dilthey und Haym gegeben hatten, so gut wie unbeachtet. Dann aber wurde mit jedem Schritt klarer, daß die Romantik auf ganz anderer philosophischer Basis steht als der Sturm und Drang und daß schon aus diesem Grunde von starken Gemeinsamkeiten die Rede nicht sein kann. Abermals scheint nur die Frühromantik durch ihre philosophischen Neigungen sich vom Sturm und Drang zu sondern. Sie entsteht in enger Beziehung zu Fichte. Schleiermacher und Schelling gehören in ihre Kreise. Friedrich Schlegel und Novalis, dann ihre Anhänger und Genossen von der Art Hülsens spielen eine Rolle in der Geschichte der deutschen Philosophie. Die spätere Romantik dagegen zeigt gelegentlich einen Charakter, der von Spekulation nichts an sich hat. Trotzdem ist das Gemeinsame, das alle Romantik verknüpft, in verwandten metaphysischen Ansprüchen zu suchen; und dieser gemeinsame Zug unterscheidet die ganze Romantik vom Sturm und Drang. Nicht etwa darf angenommen werden, daß die Genieperiode der siebziger Jahre philosophisch ganz passiv gewesen wäre. Hamann und Herder und mit ihnen Goethe sind lediglich Gegner der Metaphysik, wie es die Philosophie ihrer Zeit mit sich brachte. Die gesamte Romantik dagegen ist bedingt durch die neue metaphysische Welle, die in Kant einsetzt und bis zu Hegel sich erstreckt. Dieses einigende Band muß heute um so mehr festgehalten werden, da einzelne Forscher nicht abgeneigt sind, die Romantik lediglich auf die Frühromantik einzuschränken und eine Gemeinsamkeit der Bestrebungen, die bisher durch den Namen Romantik verbunden worden waren, gänzlich zu leugnen -- ein Vorgehen, durch das mit Unrecht die Geistesgeschichte jener Tage in ein Konglomerat von Einzelheiten aufgelöst wird. 1. Gegensatz zum Sturm und Drang. Jacobi und die Romantik. Wenn anders nicht die Romantik in völlig unvereinbare Teile zerspalten werden soll, bleibt Kennzeichen der ganzen Bewegung, daß sie den Ansprüchen der Vernunft ein durchaus anderes Recht werden läßt als die Genieperiode. Schon an der Stelle, die die ersten zarten Keime einer kommenden neuen kulturellen Entwickelung zeigt, in +Friedrich Schlegels+ Briefen an seinen Bruder Wilhelm vom Jahre 1792 und 1793, löst sich die neue Weltanschauung von der älteren ab. Wilhelm Schlegel, der Freund und Schüler Gottfried August Bürgers, steht damals noch auf dem Standpunkt der Geniezeit, Friedrich sucht dem Bruder gegenüber die neue Lehre zu vertreten. Wilhelm spielt sich als Vernunftverächter auf und Friedrich weist nach, daß Wilhelm selber Vernunftforderungen erhebe. Zwei Dinge möchte Friedrich (am 28. August 1793, S. 111) gegen Wilhelm in Schutz nehmen: das System und das Ideal. „Ich weiß, der schändliche Mißbrauch sinn- und seelenloser Vernünftler hat diese Namen für dich sehr besudelt; aber du siehst nur darauf und verkennst, verachtest ungerechterweise die köstlichen lauten Urkunden unsres göttlichen Adels!“ Und er definiert: „Was wir in Werken, Handlungen und Kunstwerken Seele heißen (im Gedichte nenne ich’s gern Herz), im Menschen Geist und sittliche Würde, in der Schöpfung Gott, -- lebendigster Zusammenhang -- das ist in Begriffen System. Es gibt nur +ein+ wirkliches System -- die große Verborgene, die ewige Natur, oder die Wahrheit.“ In diesem Sinne fühlt Friedrich sich als Systematiker und, überzeugt, „eine heilige Anlage der Menschheit“ in sich zu tragen, bemerkt er gegen den Bruder: „Wir Leute sind also auch nicht unnütz, wenn wir auch nicht so gute Beobachter sein sollten, wie ihr Propheten.“ Die „Quelle des Ideals“ hingegen erblickt Friedrich in dem „heißen Durst nach Ewigkeit“, in der „Sehnsucht nach Gott“. „Einige, die es verkennen, wähnen es streite mit der Natur, die doch nur in Eintracht mit dem Geiste das wahrhaft Große erzeugt.“ Wirklich huldigte auch Wilhelm idealistisch einem „Streben nach dem Unerreichbaren“, einer „Liebe zu dem Namenlosen“ (ebenda S. 126); aber noch meint er, „die Vernunft leihe dem Ideal ja nichts“. Friedrich erwiderte: „Sie leiht ihm weiter nichts, als daß sie es erzeugt. Denn was ist Vernunft als Vermögen der Ideale?... und was ist Ideal, als Vernunftbegriff? -- Vernunft ist ja nicht nur ein Teil des Vorstellungsvermögens, sondern auch ein Grundtrieb, der nach dem Ewigen.“ Als bewußter Vernunftmensch spricht Friedrich zu seinem Bruder, der Vernunft abweist und doch von ihr erfüllt ist. Das ist der Gegensatz, der zwischen der Generation des Sturmes und Dranges und der Frühromantik waltet. Die Kulturträger der siebziger Jahre, voran Hamann und Herder, spotten über Vernunft, die Frühromantiker bekennen sich mit dem Kritiker Kant zu ihr; aber im Sinne Kants sind auch Hamann und Herder Vernunftmenschen. In denselben Tagen, da Friedrich dem Bruder das Wesen der Vernunft erklären will, sagt er auch (Oktober 1793, S. 123): „Kants Lehre war die erste, so ich etwas verstand, und ist die einzige, aus der ich noch viel zu lernen hoffe.“ Von Kant hat Friedrich ebenso wie Schiller gelernt, daß das Streben nach dem Ewigen und Unendlichen ein Vernunftgebot ist. Schiller umschrieb kurz darauf in der Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung“ das Wesen des Vernunft- und Ideenmenschen, indem er den Idealisten in Gegensatz zum Realisten stellte und dadurch verdeutlichte. Friedrich lernte schon 1793 den bewußten und den unbewußten Vernunftmenschen scheiden, da er selbst, von Kant über seine Vernunftforderungen belehrt und darum sich ihrer bewußt, in seinem Bruder wohl dasselbe Streben nach dem Ewigen, nicht aber das Bewußtsein entdeckte, durch dieses Streben dem Vernunftmenschen beigesellt zu sein. Daß indes die Generation der siebziger Jahre die Vernunft ablehnen konnte, ist ebenso auf Kants Rechnung zu schreiben wie die Tatsache, daß der junge Friedrich Schlegel offen und unzweideutig zu Vernunft, „System“, „Ideal“ sich bekannte. Zu Anfang der sechziger Jahre war Kant durch die englische Erfahrungsphilosophie an der Metaphysik Wolffs irre geworden; und als Herder mit ihm in Berührung kam, stand Kant auf dem Punkte äußerster Annäherung an den Skeptizismus. Durch Kants Vermittelung ging damals etwas von Humes Zweifel an der Vernunft auf Herder über und durch Herder wiederum auf das Geistesleben der Zeit. Wäre Kant in jenen Tagen weniger skeptisch gewesen, hätte er nicht eben mißtrauisch von aller Metaphysik sich abgewendet, er hätte nicht neben Sokrates-Hamann der Lehrer Herders werden können. Nie war Kant geneigter, gleich Hamann ein sokratisches „Und sehe, daß wir nichts wissen können“ zu betonen. Freilich arbeitete Kant sich rasch aus solcher empiristisch-skeptischer Gedankengärung zu neuer Metaphysik durch. Herder aber blieb zeitlebens empiristischer Skeptiker, allerdings mit den idealistischen Bedürfnissen, die den faustischen Naturen der Sturm- und Drangzeit ebenso eignen, wie einem Wilhelm Schlegel. Daß die Frühromantik, daß Friedrich Schlegel vom Anfang an hier klar gesehen hat, ist das Verdienst des Kritikers Kant. Kant hat das metaphysische Bedürfnis des Vernunftmenschen dargetan und Friedrich Schlegel war durch Kant belehrt worden, Vernunft nicht zum Gegenpol alles Großen, Starken und Hohen der menschlichen Seele zu machen. Wiederum von Kant geleitet ist Friedrich sorgsam bemüht, den Vernunftmenschen mit seinem Drang nach dem Unendlichen von dem „herz- und marklosen Vernünftler“ zu sondern, bei dem der „sehr wesentliche edle Trieb nach deutlichen Begriffen, nach klarer Einsicht“ „unnatürlich stark“ ist (S. 142). Friedrich Schlegel bekämpfte solchen Vernunftkultus schon deshalb, weil er in ihm eine Einseitigkeit erblickte. Denn gleichfalls schon im Oktober 1793 formulierte er (S. 125) seine Forderung harmonischer Allseitigkeit: „Ein Mensch hat so viel Wert als Dasein, d. h. als Leben, Kraft und Gott in ihm ist. Hat er aber auch viel Kraft und Leben, sind diese aber im Streite mit dem Gott in ihm, so wird er immer ein häßlicher Mensch, ein verächtlicher Dichter und sein Urteil schief sein.“ Schon sind wesentliche Bestimmungen des romantischen Menschen gewonnen; und diese Bestimmungen finden sich bereits 1793 bei Friedrich Schlegel: Der Romantiker ist Vernunftmensch im Sinne Kants und er ist sich dieser Eigenheit bewußt; er kennt nicht das an Hume gemahnende Mißtrauen des Stürmers und Drängers gegen die „Seifenblasen der Vernunft“. Er will aber auch nicht einseitiger Vernünftler sein, weil er dadurch der Totalität verlustig ginge. Die eigentümliche Verknüpfung von klarem Bewußtsein über sein eigenes Ich und von starkem Bedürfnis, das Unbewußte im Menschen nicht durch Vernünfteln zu zerstören, ist von Ricarda Huch zum wesentlichen Merkmal der Frühromantik erhoben worden. Hier wurde nur versucht, diese Eigenheit historisch abzuleiten: daß der Sturm und Drang auf anderem Boden stehen mußte als die Frühromantik, ergibt sich aus der gegensätzlichen Auffassung und Bewertung des Begriffes „Vernunft“. Schopenhauer definiert den Begriff des metaphysischen Bedürfnisses: der menschliche Geist möchte das Ganze der Erfahrung in seinem innersten Zusammenhange überschauen, die Erscheinungen in ihrer Gemeinsamkeit überblicken und sich der Einheit bewußt werden, die darin zur wechselnden Erscheinung kommt. Dieses Bedürfnis ist dem Stürmer und Dränger genau so sehr eigen wie dem Romantiker. Aber nur der Romantiker weiß, daß es aus den Wünschen der Vernunft keimt, während der Stürmer und Dränger von Vernunft nichts wissen will und hamannisch über Vernunft spottet. Und doch ist es nur metaphysisches Vernunftbedürfnis, wenn Faust erkennen möchte, was die Welt im Innersten zusammenhält, und alle Wirkenskraft und Samen schauen will. Ricarda Huch hat die kühne Hoffnung der Romantiker, das Geheimste zu erhellen, meisterlich dargetan. Sie waren mit voller Absicht Geister+seher+, nicht bloß Geister+ahner+. Sie begnügten sich nicht mit dem Gefühle, sondern unterwarfen es der Analyse. Dem Instinkt gingen sie denkend nach. In Gegensatz zu ihnen wagen die Stürmer und Dränger nicht, dem Gefühl einen Namen zu geben, überzeugt, daß Name Schall und Rauch ist, umnebelnd Himmelsglut. Den Vertretern der älteren Generation waren mit ehernem Griffel die Worte ins Herz geschrieben, die in Rousseaus „Emile“ den Mittelpunkt der ~profession de foi du vicaire savoyard~ darstellen: „~J’aperçois Dieu partout dans ses œuvres; je le sens en moi, je le vois tout autour de moi; mais sitôt que je veux le contempler en lui-même, sitôt que je veux chercher où il est, ce qu’il est, quelle est sa substance, il m’échappe et mon esprit troublé n’aperçoit plus rien.~“ Mit Rousseaus ~vicaire~ fürchteten die Stürmer und Dränger ihr Gefühl zu zerstören, wenn sie es begrifflich zu erfassen suchten. Der Romantiker kennt gleiche Furcht nicht, freilich untergräbt die stete Analyse und Selbstanalyse sein Temperament. Der Stürmer und Dränger ist und bleibt ein junger, von +einem+ starken Gefühle getragener, kraftvoller, gewaltiger „Kerl“, der sich wohl ahnungsvoll diesem Gefühle hingeben kann, seine eigenen Träume indes nicht deuten will. Enthusiastische Begeisterung hebt ihn über alle Gefühlskonstruktion hinaus; oder er bohrt sich auch wertherisch in seinen Schmerz hinein und verliert sich ganz an ihn. Der Romantiker dagegen will immer deuten; er hat immer ein Geheimnis zu enthüllen. Seine Gefühle werden durch solche Enthüllung gedämpft und abgeschwächt, aber er selber wird seelisch verfeinert. Die starke Neigung zur Analyse des Gefühls hat die Romantik auf zwei Gebieten besonders fruchtbar und ergebnisreich gemacht: auf dem Felde der Kunstbetrachtung und auf dem Felde der Erfassung des Religiösen. Da wie dort galt es, in die Tiefe des Unbewußten Licht zu tragen. Das Verlangen nach denkenden Künstlern ist vielleicht nie vorher so stark und doch wieder mit voller Anerkennung der Macht unbewußten Schaffens zum Worte gelangt; und das Wesen der Religion hat keiner vor ihm so scharf erfaßt wie +Schleiermacher+. Er konnte es, weil er echt romantisch das Gefühl begrifflich zu deuten und zugleich in seiner Besonderheit und in seinem Gegensatze zur Verstandesoperation zu erfassen fähig war. Denn wenn auch romantische Analyse vor dem Gefühl nicht scheu und ängstlich halt macht, so schlägt sie doch nicht ins Rationalistische um und zieht nicht an die Tageshelle, was im Dunkel der Brust bewahrt bleiben soll. Sehr fein bemerkt Ricarda Huch: „Wenn das Wissen und Bewußtwerden allein den Romantiker machte, wie wäre es möglich, daß sie mit gutem Gewissen den großen Krieg gegen die Aufklärung hätten führen können, daß jeder beim Worte Romantik an den geheimnisvollen lauschigen Wald des Märchens und der Sage denkt, in den sie die Menschen wieder eingeführt haben; daß in ihrem Gefolge der Zauber, die Magie, das Rätsel, die Sehnsucht -- alle die verschleierten Gestalten des Unbewußten erscheinen? Das ist eben, was man niemals vergessen darf, daß das Bewußtsein des Romantikers mit dem Gehalte des Unbewußten erfüllt ist“ (Blütezeit der Romantik S. 99 f.). Vereinigung von Fühlen und Wissen war das Ziel der Romantiker. Gewähr für die Möglichkeit dieser Vereinigung leistete ihnen die Einsicht, daß auch der vernunftfeindliche Stürmer und Dränger in dem Augenblick, da er über die Grenzen der Sinnenwelt hinausgeht und das Übersinnliche durch sein Gefühl erfassen möchte, ahnungslos einem Gebot der Vernunft folge. Hier aber wurzelt auch die Möglichkeit, daß die Romantik einen Weg zu +Friedrich Heinrich Jacobi+ fand. Der Gegner Kants, der Gefühlsphilosoph, dessen Roman „Woldemar“ von Friedrich Schlegel 1796 freilich mit verletzender Schärfe abgelehnt worden ist, spielt doch 1793, in den zitierten Briefen, eine wichtige Rolle: sein älterer Roman „Eduard Allwills Briefsammlung“ (1792) wird ausdrücklich gegen Wilhelms entgegengesetztes Urteil ein Werk genannt, „dessen Seele das Ideal und dessen einziger Inhalt die Vernunft ist“ (S. 126). Und wie sein Werk zu den Dokumenten der Vernunft, so wird auch Jacobi selbst zu den Vernunftmenschen gezählt, freilich wieder mit der kantischen Scheidung von Vernunft und Verstand: „Jacobis Vernunft ist eins mit der feinsten Sinnlichkeit, aber vielleicht nicht ganz mit dem Verstande“ (S. 142). Die Romantik hat immer wieder an Jacobi anknüpfen können, ohne je ihm ganz zuzustimmen. Fichte, Schelling, Schleiermacher bauen auf Jacobis Grunde weiter, sie alle aber haben auch mit ihm ihre Waffen gekreuzt. Keiner von den Romantikern steht Jacobi so nahe wie Schleiermacher. Schon 1802 hat Hegel in Schleiermacher eine höhere Potenz Jacobis festgestellt (Kritisches Journal 2, 1, 134 ff.). Ihr Berührungspunkt liegt in einem Felde, das von der Romantik dem Gefühl allein vorbehalten worden ist, in der Religion. „Beide fanden sich“, sagt Dilthey (Leben Schleiermachers S. 332), „mit der Fülle ihres inneren Lebens, ihrer ‚Mystik‘ im Gegensatz gegen alle Wissenschaft, die sie umgab, und die Tiefe und Freiheit ihres Gemütslebens, die Schärfe ihres Gedankens gestattete ihnen keinen nachgiebigen Vergleich. Beide blieben sich des Zusammenhangs ihrer Mystik und ihrer Individualität bewußt. Beide sahen in dieser Mystik gegenüber dem Idealismus nach seinen verschiedenen Zweigen einen höheren Realismus gegründet.“ Aber Jacobi war doch auch wiederum, ganz in Rousseaus Sinne, viel zu sehr Gegner alles reflektierenden Denkens, als daß er mit der Romantik hätte zusammen gehen können. Wie Rousseaus ~vicaire savoyard~ sagt er: Licht ist in meinem Herzen, aber wenn ich es in meinen Kopf bringen will, erlischt es. Jacobi bricht alle Brücken zwischen Glauben und Wissen ab und setzt beide in einen vollkommenen und prinzipiellen Widerspruch. Wohl möchte auch er den unendlichen und unbedingten Weltinhalt erfassen; sein metaphysisches Bedürfnis ist aufs stärkste entwickelt. Aber das Denken steht ihm bei diesem Bemühen nur im Wege und lediglich der Glaube eröffnet ihm die gesuchte Bahn, ein Glaube, der ausschließlich im individuellen Gefühle wurzelt. Er ist von dem unauflösbaren Widerspruch zwischen dem philosophischen Gedanken und der wahren Mystik überzeugt. Sehr richtig wendet daher Schleiermacher (an Brinckmann 19. Juli 1800, Bd. 4, 73 f.) gegen Jacobi ein: „Der scheinbare Streit der neueren Popularphilosophie gegen den Mystizismus hat ihm die falsche Meinung beigebracht, als ob es in der Tat einen Streit zwischen der Philosophie und der Mystik geben könne, da doch im Gegenteil jede Philosophie denjenigen, der so weit sehen kann und so weit gehen will, auf eine Mystik führt... Wollte Jacobi nur dekretieren, daß Philosophie und Mystik gänzlich auseinander liegen, und daß der ganze Schein ihres Zusammenhanges nur daher kommt, weil sie sich in der Tangente berühren, so würde er aufhören gegen die Philosophie unnütz zu polemisieren.“ So klar überblickt Schleiermacher das Verhältnis seiner religiösen Grundansicht zum spekulativen System und ihre Unabhängigkeit vom Beweis! Und das ist das Romantische in ihm, daß er wußte, was dem Gefühl und was dem Denken angehöre, daß er beide Gebiete wohl zu scheiden verstand und nicht das eine gegen das andere ausspielte. Auf gleichem Boden steht schon 1793 Fr. Schlegel. Gerade an Naturen von Jacobis Art mußte den kantisch geschulten Romantikern früh klar werden, daß das metaphysische Bedürfnis des Vernunftmenschen auch in Köpfen walte, die ihr starkes Gefühl gegen alle Vernunftkonstruktion ausspielen. In Kants Schule war Schleiermacher ebenso gegangen wie Fr. Schlegel; und beide sind nicht lange in ihr geblieben. Derselbe Brief an Wilhelm Schlegel (Oktober 1793, S. 123), in dem Friedrich sich zu Kants Lehre bekennt, bringt die wichtige Einschränkung: „Ich bin mit dem nicht eins, was ihr doch zum Grunde liegt, die intelligible Freiheit, der regulative Gebrauch der Ideen überhaupt, die reine Gesetzmäßigkeit als Triebfeder des Willens.“ Es sind bis ins kleinste dieselben Gesichtspunkte, von denen aus -- natürlich völlig unabhängig von Fr. Schlegel -- der junge Schleiermacher seine Einwendungen gegen Kant erhebt. Auch Schleiermacher setzt ein bei Kants „Kritik der praktischen Vernunft“, er zerfasert kritisch die regulative Gottesidee und die Freiheitslehre Kants (vgl. Dilthey, Leben Schleiermachers S. 131 f., Denkmale der inneren Entwicklung Schleiermachers S. 6 ff., 19 ff.). Die Romantik ist ohne Kant nicht zu denken, aber der Gegensatz zu Kant gibt ihr ein eigenes Lebensrecht, ein Gegensatz, der vor allem auf ethischem Felde waltete. 2. Herder und die Romantik. Der Organismusgedanke. Wie Schiller wurden auch die Romantiker von Kants Ethik durch ihre Überzeugung abgelenkt, daß nur harmonische Verbindung der Gegensätze Vernunft und Sinnlichkeit, nicht einseitiges Vernunftmenschentum den Menschen zu höchster sittlicher Stufe erheben könne. Und wie bei Schiller (vgl. Säkularausgabe von Schillers Werken 11, S. IX ff.) so steht auch bei den Romantikern der englische Denker Shaftesbury hinter solcher Überzeugung. Abermals nähert sich die romantische Welt an dieser Stelle der Generation der siebziger Jahre; denn machtvoll hatte Hamann die Notwendigkeit der Totalität betont und verlangt, daß alles, was der Mensch zu leisten unternehme, durch Tat oder Wort, aus sämtlichen vereinigten Kräften entspringe; alles Vereinzelte sei verwerflich. +Herder+ wie der ganze Sturm und Drang aber entnahm diesem Gebot zunächst das Streben, vom trockenen Sinnen weg ins Leben hineinzugehen, nicht bei Papier und Tinte zu weilen, sondern zur schaffenden Tat sich zu erheben. Wiederum bedurfte es der sondernden und orientierenden Kritik Kants, um hier Klarheit zu schaffen und die Waffen zu bereiten, mit denen Schiller ebenso wie die Romantiker, ethisch über Kant hinauszugehen bemüht, Kant selber bekämpften. Denn wiederum drohte die Gefahr, daß deutsche Kultur durch Hamanns und Herders Vernunftfeindlichkeit zur Ablehnung aller Spekulation gelange. Romantische Totalität aber verlangt nicht bloß Gefühlsmenschen und Tatnaturen, auch Denker und Betrachter. Ebenso erblickt Schiller in dem Stürmer und Dränger einen Sinnen- und Triebmenschen, der zu voller Harmonie menschlicher Anlagen und menschlicher Betätigung nicht aufsteigen kann. Der Begriff der ästhetischen Erziehung, an sich von Shaftesbury und über ihn weg von Plato abzuleiten, wird darum von Schiller doch in steter Rücksicht auf die ethischen Vernunftforderungen Kants formuliert. Und wenn die Romantik ihr Bildungsideal aufstellt, so ist auch sie bemüht, diesen echt romantischen Begriff der „Bildung“ nicht nur den wechselnden und spielenden Gefühlsstimmungen zu überlassen, sondern ein starkes geistiges Fundament ihm zu leihen. Da wie dort spürt man, daß von Kants hohen ideellen Ansprüchen an den Menschen ausgegangen wird, und daß dann erst von diesem Ausgangspunkte ein Weg zu der „Natur“, zum „Gefühl“ der Stürmer und Dränger sich eröffnet. Da wie dort wird indessen zuletzt der für alle Menschen gültigen Moral Kants eine Ethik des Ausnahmemenschen, der Adelsnaturen und genialen Persönlichkeiten gegenübergestellt. Solche Menschen feierte man auch um 1770. Einleuchtender ist darum die Übereinstimmung, in der Sturm und Drang ebenso wie Romantik im Sinne Shaftesburys das Privilegium der großen Persönlichkeit forderten. Windelband versäumt nicht (Geschichte der neueren Philosophie 2^3, 299), bei der Würdigung von Schleiermachers Ethik auf Shaftesbury hinzuweisen und Schleiermacher zuzubilligen, daß er wohl auf viel reiferem Standpunkte als der Engländer, aber doch als sein Nachfolger, durch die Betonung der Idee der Persönlichkeit das Geheimnis seiner Zeit ausgesprochen habe, in der die großen und originellen Individuen sich gewissermaßen drängen. Wohl führte das Verlangen, daß jede Individualität sich voll ausleben solle, um 1770 wie um 1800 zu Willkür und Zügellosigkeit. Aber nicht gelegentliche schlimme Folgerungen sollen die Ehrfurcht vor der Größe der Idee beeinträchtigen, die dem Kultus der Persönlichkeit beiderseits zugrunde liegt. Es ist die hohe Achtung vor dem Werte des Individuellen, des Eigentümlichen, das dem Menschen auf seinen Lebensweg mitgegeben ist. Aus diesem Gefühl heraus würdigt Hamann das Idiotistische einzelner Menschen wie ganzer Völker; an gleicher Stelle erwächst Herders Verständnis für alles Eigentümliche in Kunst und Leben. Und die Bedeutung des Individuellen wird von den Romantikern, vor allem von Schleiermacher, aufs nachdrücklichste zur Sprache gebracht. Auf ethischem Gebiete bestehen sie in Widerspruch zu Kant auf dem Recht der Persönlichkeit. Als Kunstbetrachter wetteifern sie mit Herder in der Fähigkeit, sich in eigenwilligste Individualitäten einzufühlen. Der weiche, anschmiegsame Wackenroder geht voran, der nur allzubewegliche Tieck folgt ihm getreu nach und Wilhelm Schlegel steigert sich zu allseitiger Aufnahmefähigkeit. Dabei sind sie im Geiste Herders bestrebt, die Erscheinungen der Kunst aus ihren historischen Voraussetzungen zu begreifen. Dem Recht der Persönlichkeit schaffen sie als Historiker auch dann Raum, wenn sie zeigen, wo und warum die Persönlichkeit nicht frei, sondern durch entwickelungsgeschichtliche Momente gebunden war. Denn das ist romantische Geschichtsauffassung, das geschichtlich Bedingte zwar in seinem Zusammenhange mit dem Ganzen zu erblicken, es indessen nicht seines individuellen Wertes zu berauben (vgl. A. Poetzsch, Studien zur frühromantischen Politik und Geschichtsauffassung, 1907, S. 81). Nicht nur im Verständnis für Individualität berühren sich Herder und Schleiermacher. Zwei Jahre vor der Abfassung von Schleiermachers „Reden über die Religion“ trug Herder in seiner letzten Sammlung „Christlicher Schriften“ unter dem Titel „Von Religion, Lehrmeinungen und Gebräuchen“ Anschauungen vor, die unmittelbar an Schleiermacher heranreichen. Wohl hat Schleiermacher durch tiefere Erfassung des religiösen Lebens noch schärfer zwischen Religion und Lehrmeinung geschieden und das religiöse Gefühl nicht bloß zur Metaphysik, auch zur Ethik in Gegensatz gebracht. Aber Herder stellte, zu Lessing zurückkehrend, fest, etwas anderes sei Religion, etwas anderes seien Lehrmeinungen, und Religion sei der Kern des Christentums; damit war einerseits der Grundgedanke Schleiermachers gegeben, anderseits die Anschauung des Mannes zu neuem Leben aufgerufen, von dem Friedrich Schlegel (an Novalis 2. Dezember 1798, S. 86) sagte, keiner habe von der wahren, neuen Religion mehr geahnt als er: „Nicht bloß Kant ist hier weit zurück, sondern auch Fichte und Jacobi und Lavater. Einige Millionen der letzten Sorte in den Schmelztiegel geschüttet, geben noch nicht so viel solide Materie und reinen Äther der Religion, wie Lessing hatte.“ Herders Bedeutung für die Romantik liegt natürlich nicht nur in den beiden erwähnten Momenten. Auf den ersten Blick scheint es sogar, als ob die Romantik ohne Herder gar nicht möglich, als ob sie die Erfüllung seiner Hoffnungen oder wenigstens das Ergebnis der von ihm ausgestreuten Saat sei. Dem steht unvereinbar die geringe Anerkennung entgegen, die er bei den Romantikern findet, und das Bewußtsein eines unüberbrückbaren Gegensatzes, der zwischen beiden Parteien waltet. Ob hier wirklich nur der schuldige Dank über dem Gegensatz der Generationen vergessen worden ist? Eher träfe ein anderes zu; viele Errungenschaften Herders waren schon so selbstverständlich geworden, daß man bei ihrer Nutzung Herders nicht weiter gedachte. Vielleicht hatte Friedrich Schlegel in dem Augenblicke, da er ein Winckelmann der griechischen Dichtung zu werden sich anschickte, selber vergessen, daß Herder in seinen Fragmenten zur Literatur ein Menschenalter früher seinen Zeitgenossen dieselbe Aufgabe gestellt hatte. Urteilt doch Friedrich Schlegel in einem flinken Überblick über die Erforscher der Antike am 13. November 1793 (an Wilhelm, S. 141), Herder vereinige Kenntnis und Sinn, habe aber doch dafür nicht viel gegeben. Noch weniger war im Gedächtnis der jüngeren Generation haften geblieben, daß Herder vor allem die Straße zu Shakespeare, zur altheimischen Poesie, zum Mittelalter und zum Volkslied eröffnet, ja daß er noch die romantische Orientalistik vorbereitet hatte. Seine „empfindsame Ästhetik“ (vgl. Wilhelm Schlegels Berliner Vorlesungen 1, 47, 16 ff.) war ihnen verhaßt. Und wenn Friedrich Schlegel in einem ersten historischen Versuche den „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ nachrühmt, daß sie „vieldurchdachte Erfahrung gegen einseitige Vernunft aufs schönste in Schutz nehmen“, so lautet 1803 Wilhelms abschließendes Urteil, sie seien ein Buch, in dem weder Ideen, noch Philosophie, noch Geschichte, noch Menschheit anzutreffen sei; nicht einen neuen Anfang, sondern den Gipfel der falschen modernen Geschichtsschreibung erkennt er in ihnen (Haym, Romantische Schule S. 848). Derselbe Wilhelm Schlegel hatte einst in Herders „Plastik“ eines seiner Lieblingsbücher erblickt! Am stärksten war merkwürdigerweise +Schelling+ des Dankes sich bewußt, den er Herder schuldete. Mit voller Absicht hat er wohl den Titel seiner ersten naturphilosophischen Schrift nach Herders Hauptwerk geformt. Denn er erkannte das von ihm verwertete Herdersche Gut auch dann, wenn es ihm aus zweiter Hand geboten wurde. Dem Spinozabüchlein Herders und den „Ideen“ entstammt die Grundidee der Naturphilosophie Schellings: die Durchgeistigung der Natur und die Annahme der Naturbedingtheit des Geistes. Zwar wurde durch die Rede, die der Professor an der Karlsschule zu Stuttgart Karl Fr. Kielmeyer 1793 „Über die Verhältnisse der organischen Kräfte untereinander in der Reihe der verschiedenen Organisationen, die Gesetze und Folgen dieser Verhältnisse“ gehalten hat, Schelling nahegelegt, Natur und Menschheit als +einen+ großen und einheitlichen Organismus zu fassen; er selbst aber führte die Gedankengänge Kielmeyers auf Herder zurück. Wirklich spinnen sich schon von Herders Aufsatz „Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele“ (1778) und von seinem „Gott“ (1787) Fäden hinüber zu Schelling und zu Novalis. Die Brücke vom Spinozismus zur Naturphilosophie hat Herder schlagen helfen und er ward dadurch ein Vorgänger des realistischen Umschwungs der Philosophie, der mit Schelling beginnt. ~Post festum~ suchte Herder 1802 im 6. Stück der „Adrastea“ auf seine Weise die Folgerungen aus den Prämissen zu ziehen, die er selber Schelling gegeben hatte; aber dabei gestand er anderen und sich nicht ein, daß Schelling, ihm vorauseilend, längst dasselbe Geschäft besorgt hatte. Denn für Herder war in Schellings Naturphilosophie durch die Schul- und Formelsprache, mit der sie durchsetzt war, sein eigener Besitz und Anteil fremd und unkenntlich geworden. So gingen auch diesmal wieder Menschen, die zu tiefstem und innigstem gegenseitigen Verständnis bestimmt waren, kalt und teilnahmslos ihre gesonderten Wege. Doch nach den erwähnten starken Zusammenhängen der Naturphilosophie und des Herderschen Denkens begreift man, daß ein Naturphilosoph von +J. W. Ritters+ Art nach dem Tode seines Freundes Hardenberg in Herders Arme flüchtete und in dessen Umgang volle Befriedigung fand. In den „Fragmenten aus dem Nachlasse eines jungen Physikers“ (1810 1, XXXI ff.) hat Ritter, der einzige Romantiker, der Herder im Innersten nahegetreten ist, diesem Freundschaftsbunde ein Denkmal errichtet. Und obgleich Ritter selbst ausdrücklich hervorhebt, daß er vor seinem ersten Besuche keine Zeile Herderschen Schrifttums gelesen hatte und nachher von Herder nur auf die „Älteste Urkunde des Menschengeschlechts“ hingewiesen worden sei, so ergibt doch jedes Wort des dichterisch ausgeschmückten Berichtes, daß beide nicht nur menschlich sich nahegekommen sind, sondern auch ihre „Ideen zur kosmischen Geschichte des Menschen und der Erde“ miteinander ausgetauscht haben. Aus der romantischen Naturphilosophie ist endlich noch die Erfüllung eines Wunsches des jungen Herder erwachsen. In der dritten Sammlung der „Fragmente über die neuere deutsche Literatur“ hatte er einst die Möglichkeit einer +neuen Mythologie+ erwogen. Angeregt hatte ihn ein unwillig polterndes Wort Hamanns: „Mythologie hin, Mythologie her! Poesie ist eine Nachahmung der schönen Natur -- und Nieuwentyts, Newtons und Buffons Offenbarungen werden doch wohl eine abgeschmackte Fabellehre vertreten können? -- -- Freilich sollten sie es tun, und würden es auch tun, wenn sie nur könnten. -- Warum geschieht es denn nicht? -- Weil es unmöglich ist, sagen eure Poeten“ (Schriften, herausgegeben von F. Roth, 2, 280). Klarer und genauer hatte Herder verlangt, aus dem „Ozean von Erfindungen und Besonderheiten“, der uns umfließt, aus der „neuen Welt der Entdeckungen“, die uns umgibt, eine neue Mythologie zu schöpfen. Auch später tauchte der Gedanke bei Herder wieder auf. Friedrich Schlegel und Schelling haben dann in der Naturphilosophie, die ja gleichfalls mit den neuesten Entdeckungen der Naturwissenschaft arbeitete, den Quell einer neuen künstlerischen Symbolwelt gefunden, und Novalis hat in dem Märchen des „Ofterdingen“ mit dieser neuen Mythologie als erster dichterisch zu wirken sich bemüht. Daß die Frühromantiker der Herderschen Anregungen nicht mit vollerem Danke gedachten, hatte noch einen besonderen Grund. Der +Organismusgedanke+ enthüllt sich mehr und mehr als der Schlüssel der romantischen Weltanschauung. Eben den Organismusgedanken hat Herder bilden geholfen, aber nur Schelling scheint das ganz erkannt zu haben. Die anderen Frühromantiker schrieben dieses Verdienst vor allem auf +Goethes+ Rechnung. Wirklich gingen sie dabei nicht fehl; nähere Betrachtung des allmählichen Werdens der Idee, vor allem ihrer Evolution im Laufe des 18. Jahrhunderts, lehrt, daß Goethe hier mindestens gleich starken Anteil wie Herder hatte (vgl. Jubiläumsausgabe von Goethes Werken 36, S. XXXV ff.). Die Frühromantiker, die im Gegensatz zu Schelling nicht von der naturhistorischen, sondern von der ästhetischen Seite zunächst an den Organismusbegriff herantraten, fanden ihn für ihre Zwecke deutlicher entwickelt in Kundgebungen Goethes aus der Zeit nach der italienischen Reise; am nächsten lag ihnen die von Goethe inspirierte Schrift „Über die bildende Nachahmung des Schönen“ (1788) von +Karl Philipp Moritz+. So stattete Wilhelm Schlegel denn in den Berliner Vorlesungen (1, 102 f.) in fast überschwenglicher Weise allen Dank an Moritz ab; ja er verschwieg hier nicht nur Herders Verdienst um das Problem, auch Goethe ward nicht genannt. „Die gesamte Natur ist... organisiert“, heißt es hier, „aber das sehen wir nicht; sie ist eine Intelligenz wie wir, das ahnden wir nur und gelangen erst durch Spekulation zur klaren Einsicht. Wird nun Natur in dieser würdigsten Bedeutung genommen, nicht als eine Masse von Produkten, sondern als das Produzierende selbst und der Ausdruck Nachahmung ebenfalls in dem edleren Sinne, wo es nicht heißt, die Äußerlichkeiten eines Menschen nachäffen, sondern sich die Maximen seines Handelns zu eigen machen, so ist nichts mehr gegen den Grundsatz einzuwenden, noch zu ihm hinzuzufügen: die Kunst soll die Natur nachahmen. Das heißt nämlich, sie soll wie die Natur selbständig schaffend, organisiert und organisierend, lebendige Werke bilden, die nicht erst durch einen fremden Mechanismus, wie etwa eine Penduluhr, sondern durch inwohnende Kraft, wie das Sonnensystem, beweglich sind.“ Knapp und populär ist hier der romantische Organismusgedanke in seiner ästhetischen Anwendung, zugleich aber auch in seiner Schellingschen Begründung zum Ausdruck gebracht. Und ohne Einschränkung wird Moritz zugebilligt, daß er allein in diesem höchsten Sinne den Grundsatz der Nachahmung für die Künste aufgestellt habe. Dennoch war Moritz nur einer unter vielen, die an dem werdenden Gedanken des organischen Kunstwerks gearbeitet hatten. Wilhelm Schlegel nennt indes ihn allein; und dabei gebraucht er den Vergleich des Künstlers mit Prometheus, der auch die Natur nachahmte, „als er den Menschen aus irdischem Ton formte und ihn mit einem von der Sonne entwandten Funken belebte“ -- einen Vergleich, der seit Shaftesbury mit dem ästhetischen Organismusproblem gern verknüpft wird (vgl. Jubiläumsausgabe 36, S. XXXIV ff.) und Goethe besonders geläufig war. Doch auch Schelling fand bald in Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten reichere Anregung als bei Herder. Kielmeyer, den er auf Herder zurückzuführen sich berechtigt fühlte, steht ja selber Goethes Anschauungen weit näher als denen Herders (vgl. E. A. Boucke, Goethes Weltanschauung auf historischer Grundlage, 1907, S. 237 ff.). Und so wurde von ästhetischer wie von naturwissenschaftlicher Seite Goethe zuletzt überall da zum alleinigen Anreger der Romantiker gestempelt, wo Herder mitschaffend nach gleichen Zielen gerungen hatte. 3. Romantische Grundbegriffe: Proteisches, Magie, Sehnsucht nach dem Absoluten. Zwei frühromantische Lieblingsideen weisen auf Shaftesbury und über ihn auf Plato zurück: der Gedanke des harmonischen Menschen und der Gedanke des Organismus, angewandt auf Natur und Kunst. Beide Ideen sind dem Klassizismus und der Romantik gemein. Beide scheinen Gewähr zu leisten, daß die Romantik ihr Dasein auf ebenso festem und sicherem Grunde aufbaue wie der Klassizismus. Einheitliche, ausgeglichene Persönlichkeiten, Menschen, deren Innenleben die innere Sicherheit eines Naturprozesses an sich hat: dies ist als das Endziel romantischer Lebenskunst gedacht. Wie kam es, daß die Romantiker in ihren äußeren und inneren Lebenseigenheiten oft das gerade Gegenteil solcher in sich ruhender Festigkeit darstellen? Der Frühromantiker ist philosophisch viel zu gut geschult, als daß er meinen könnte, das Ziel der Harmonie je zu erreichen. Wie Schiller weiß auch Friedrich Schlegel, daß die seelische Harmonie ein Ideal darstelle, dem man sich wohl nähern, in dessen Besitz man indes nie gelangen kann. Die moderne Kulturwelt ist zu reich an Gegensätzen, als daß der einzelne aus vollem Bewußtsein heraus zu jenem inneren Ausgleich kommen könnte, der einst wie ein Geschenk des Himmels dem Menschen zugefallen war. Da jedoch Harmonie Verbindung und Verknüpfung der Gegensätze ist, meint der Romantiker dem Ideal der Harmonie näher zu kommen, wenn er von einem Gegensatz zum anderen sich wendet und ebenso rasch zum ersten zurückkehrt. Eben dieses Hin- und Herpendeln zwischen den Extremen verpönt die klassische Ethik. Der Romantiker hingegen glaubt auf solche Weise am besten der Gefahr der Einseitigkeit zu entgehen, die zu meiden ja auch dem Klassizismus heiliges Gebot war. Und so wird er zum Proteus, zum prinzipiellen Dualisten. Am 8. Februar 1802 begründete Friedrich Schlegel seine Reise nach Frankreich dem Freunde Schleiermacher gegenüber mit dem paradoxen und doch echt romantischen Bekenntnis: „Aber sage mir, wie du so gegen unsere Reise nach Frankreich sein kannst? Oder weißt du nicht, wie tief das mit meinem Innersten zusammenhängt, und daß dieser Dualismus des Lebens, den ich da suche, mir so gefehlt hat und ebenso notwendig ist, als der Dualismus in meiner Kunst und meinem Wissen? Ich kann nur zwei entgegengesetzte Leben leben oder gar keins.“ Schleiermachers Antwort scheint gegen solche Verherrlichung des Widerspruchs scharf aufgetreten zu sein. Dennoch zog Fr. Schlegel auch hier nur mit der ihm eigenen Konsequenz die letzte Folgerung aus einem seiner Glaubenssätze. Vergleicht ihn doch Wilhelm einmal mit einem Maulwurf, der sich immer tiefer einwühle und von dem man nicht wissen könne, ob er nicht unvermutet einmal bei den Antipoden zum Vorschein komme. Er selber aber erblickt in Widersprüchen das Kennzeichen aufrichtiger Wahrheitsliebe und Vielseitigkeit. Das ist romantisch; denn auch Tiecks William Lovell erklärt, er sei wandelbarer als Proteus oder ein Chamäleon. Zugrunde liegt all dem das Bewußtsein, daß Widersprüche nicht ausbleiben können, wenn man immer feiner und feiner differenziert. Es kündigt sich Hegels Philosophie und ihre Lehre vom Widerspruch, von dem steten Umschlagen der Thesis in die Antithesis an; sie war vorbereitet, seitdem Kant, Fichte und Schiller ihre Leser gewöhnt hatten, Gegensätze aufstellend und zu einer höheren Einheit verbindend in triadischem Rhythmus zu denken. Friedrich Schlegel verwertet selbst sehr früh die Kantischen Kategorien Einheit, Vielheit, Allheit zu ethischer Spekulation und möchte den Menschen von der Einheit zu ihrem Gegenpol, der Vielheit führen, um ihn so der Allheit zu nähern (an Wilhelm, Oktober 1793, S. 124). -- Noch in seinen philosophischen Vorlesungen von 1804/06 (Windischmann 1, 76. 93 f. 108) arbeitet er mit diesen Begriffen. Sein Schüler Adam Müller tritt 1804 mit einem Buch „Die Lehre vom Gegensatze“ auf den Plan. Auch Schellings Naturphilosophie kann den Begriff des Gegensatzes nicht entbehren, für den sie die Formel der Polarität -- wie Goethes naturwissenschaftliche Forschung -- benutzt. Goethe selbst verwendet den Begriff der Polarität seit 1792, also unabhängig von Schelling, vielmehr wahrscheinlich von Kant angeregt (vgl. E. A. Boucke, Goethes Weltanschauung, S. 220 ff. 244 ff.). Ob Schelling den Gedanken von Goethe übernommen hat, ist nicht mit Sicherheit zu erweisen. Menschlich liegt all dieser Verherrlichung des Gegensatzes, diesem proteischen Wesen der Romantik das faustische Bewußtsein zugrunde: „Wie ich beharre, bin ich Knecht.“ Volle Bewegungsfreiheit will sich die Seele erhalten. Eine unendliche Bestimmbarkeit, die auch in den Augen Schillers ein Vorzug ist, bleibt dem Menschen, der proteisch sich wandeln kann, am sichersten gewahrt. „Ewig“, sagt Joël (S. 174), „ist nur der Wechsel; das Leben schwingt periodisch, und alles Fühlen erschöpft sich in einer Richtung und drängt zu Umschlag und Wiederumschlag... Die romantische Seele, das ist die Seele, die sich ganz vom gesteigerten Lebensgefühl tragen läßt; sie ist wie ein in rauschenden, glitzernden Wassern sich drehendes Rad.“ In letzter Linie aber ruht die proteische Beweglichkeit der romantischen Seele auf dem Bewußtsein, sich jeden Augenblick über sich selbst erheben zu können. In diesem Bewußtsein wurzelt auch die romantische Ironie. Novalis sagt einmal, der Adel des Ich bestehe in freier Erhebung über sich selbst. Fichtes Lehre von der intellektuellen Anschauung hat die romantischen Genossen angeleitet, dem Spiele ihres eigenen Ich jederzeit betrachtend zuzusehen. Dem 18. Jahrhundert war es aber längst schon eigen gewesen, das Ich in ein beobachtendes und ein beobachtetes zu zerspalten. Der Romantiker bleibt nur -- und das ist das Neue -- nicht bei der Beobachtung stehen, sondern schreitet weiter, sucht willkürlich und mit vollem Bewußtsein das Ich zu lenken, zu stimmen, anzutreiben, in jede beliebige Situation zu versetzen. Fichtes intellektuelle Anschauung wird für Novalis unter der Hand zu einer Magie, die dem Menschen ermöglicht, sich auch physisch zu bestimmen. Fichte definiert in der zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre (Sämtliche Werke 1, 463), die intellektuelle Anschauung sei das unmittelbare Bewußtsein, daß ich handle, und was ich handle: sie ist das, wodurch ich etwas weiß, weil ich es tue. „Ich kann keinen Schritt tun, weder Hand noch Fuß bewegen, ohne die intellektuelle Anschauung meines Selbstbewußtseins in diesen Handlungen; nur durch diese Anschauung weiß ich, daß ich es tue, nur durch diese unterscheide ich mein Handeln und in demselben mich von dem vorgefundenen Objekte des Handelns.“ Novalis billigt Fichte zu, er habe den tätigen Gebrauch des Denkorgans gelehrt und entdeckt (Minor 2, 193); aber er fragt sich auch sofort, ob Fichte die Gesetze des tätigen Gebrauchs der Organe überhaupt entdeckt habe. Er meint, auf dieselbe Art, wie wir unser Denkorgan in beliebige Bewegung setzen, wie wir die Bewegungen des Denkorgans in Gebärden äußern, in Handlungen ausprägen, auf eben dieselbe Art müssen wir auch die inneren Organe unseres Körpers bewegen, hemmen, vereinigen und vereinzeln lernen. Er denkt an die Möglichkeit, eine willkürliche Herrschaft über einzelne, gewöhnlich der Willkür entzogene Teile unseres Körpers zu erlangen. Er hält es nicht für ausgeschlossen, daß der Mensch dann, wahrhaft unabhängig von der Natur, imstande sein werde, verlorene Glieder zu restaurieren und sich bloß durch seinen Willen zu töten. Kühne, überschwengliche Hoffnungen erheben sich hier; der freien Selbstbestimmung des Menschen werden weiteste Grenzen gezogen. Der Mann, der sich mit diesem Gedanken getragen hat, ist selbst lange Zeit energisch bemüht gewesen, durch den bloßen Willen zu sterben. Konnte die willkürliche Bestimmbarkeit im romantischen Sinne, konnte der Wunsch, sich über sich selbst zu erheben, dem Spiele der eigenen Seele zuzuschauen und es nach Willen zu lenken, weiter getrieben werden? Und dennoch glaubte Novalis nur die Gedanken Fichtes weiter zu denken, dann wohl auch die von Hemsterhuis. Fichtes Lehre vom Ich, das das Nicht-Ich setzt, begegnet zustimmend und bekräftigend sich in Hardenbergs Kopfe mit der Anschauung seines Lieblingsphilosophen Hemsterhuis, daß die Wirklichkeit das schöpferische Resultat unserer inneren und äußeren Organe sei. Unter diesen Organen steht bei Hemsterhuis an erster Stelle das moralische Organ. Den ~moral sense~ der Engländer aufnehmend, deutet das moralische Organ auf Lockes innere Erfahrung; zugleich aber ist es der Keim einer unendlichen Verbesserungsmöglichkeit des Menschen und einer Annäherung an die Gottheit. Die Hoffnungen, die Hemsterhuis auf das moralische Organ setzte, haben Novalis sehr eingeleuchtet. Er nennt sie einmal (3, 182) „echt prophethisch“, ein andermal bucht er (3, 379), augenscheinlich lebhaft interessiert, Hemsterhuis’ „Mutmaßungen von der Perfektibilität und dem unendlich möglichen Gebrauch dieses Sinns“. Die beiden philosophischen Theorien, die dem Menschen eine so große Macht über die Erscheinungswelt liehen, haben Novalis immer mehr in seiner Neigung bestärkt, die Ekstase zum Maßstab der menschlichen Kraft und der Wirkungen menschlichen Willens zu machen. Er wird zum Magier im strengsten Sinne des Wortes und stützt sich dabei auf die idealistische Philosophie seiner Zeit; darum nennt er sein System „magischen Idealismus“. Nur ein Dichter konnte so halsbrecherische Pfade des Denkens wandeln und für Willenseffekte halten, was lediglich Werk der Phantasie war. Daß da überall die Spuren des geheimen inneren Dranges zu künstlerischer, genialer Schaffenstat zu bemerken seien, hebt sehr richtig W. Olshausen hervor (Friedrich v. Hardenbergs Beziehungen zur Naturwissenschaft seiner Zeit. Leipzig 1905, S. 70 f.). So ist denn Novalis von der Philosophie zur Dichtung zurückgekehrt. Als Dichter konnte er dem grenzenlosen Drange genügen, bestimmend und bedingend die Wirklichkeit zu formen. Sobald er diese Tatsache erkannt hatte, wurde ihm Philosophie und Poesie ein und dasselbe. Die Ästhetisierung der Philosophie, die bei Friedrich Schlegel und besonders bei Schelling ein Glaubenssatz von entscheidender Wichtigkeit wird, gewinnt aber auch bei Novalis nicht etwa den Charakter einer Resignation. „Die Poesie ist das echt absolut Reelle. Dies ist der Kern meiner Philosophie. Je poetischer, je wahrer“, sagt er einmal (3, 11). Und ein andermal: „Der poetische Philosoph ist ~en état de Créateur absolu~. Ein Kreis, ein Triangel werden schon auf diese Weise kreiert. Es kommt ihnen nichts zu, als was der Verfertiger ihnen zukommen läßt“ (3, 376). Der Philosoph vergibt sich nichts und verzichtet auf nichts, wenn er Poet wird. Denn Poesie ist Wahrheit. Einst hatte A. G. Baumgarten Leibnizische psychologische Konstruktionen auf das Ästhetische angewendet und die Kunst zu einer Vorstufe der Erkenntnis gemacht. Schillers „Künstler“ trieben den Gedanken weiter und suchten darzutun, daß der Mensch nur durch das Morgentor des Schönen in der Erkenntnis Land dringe. Novalis aber ebenso wie Schelling schätzt die Poesie noch weit höher ein; nicht bloß eine propädeutische Bedeutung komme ihr zu, sie ist nicht nur ein Weg zur Erkenntnis, sondern Erkenntnis selbst. Ein sehr dunkles und unklares Fragment (3, 176) sucht die Sphären der beiden Begriffe abzugrenzen. Philosophie und Poesie verhalten sich wie System und Leben. Der Poesie wird dabei nachgerühmt, sie schaffe „die höchste Sympathie und Koaktivität, die innigste Gemeinschaft des Endlichen und Unendlichen“. Die „innigste Gemeinschaft des Endlichen und Unendlichen“ ist, was der Romantiker vor allem anstrebt. Die Anschauung, daß Poesie das „absolut Reelle“ sei, daß sie der Wahrheit gleichkomme, deutet nicht bloß auf die philosophische Überzeugung, hinter den Dingen, hinter den Erscheinungen der Sinnenwelt liege die wahre Welt. Sondern sie erkennt in der Poesie tatsächlich ein Mittel, das Absolute zu erfassen. Hier komme wirklich im Endlichen das Unendliche zur Geltung, hier werde das Absolute zum Erlebnis. Wilhelm Schlegel formuliert den romantischen Grundgedanken in den Berliner Vorlesungen (1, 90): „Man halte das Unendliche nicht etwan für eine philosophische Fiktion, man suche es nicht jenseits der Welt: es umgibt uns überall, wir können ihm niemals entgehen; wir leben, weben und sind im Unendlichen. Freilich haben wir seine Gewähr nur in unsrer Vernunft und Phantasie; mit den äußern Sinnen und dem Verstande können wir es nie ergreifen, denn diese bestehen eben nur durch ein beständiges Setzen von Endlichkeiten und Verneinen des Unendlichen.“ In seinen Vorlesungen über „Philosophie der Geschichte“ (2, 155) hat der alte Friedrich Schlegel 1828 beinahe strafend und rügend das Wesen des Romantischen nach seiner mittelalterlichen ersten Erscheinungsform in der Neigung zum Extrem oder dem Hange zum Absoluten gesucht, mag dieser sich im Herrschen, Entscheiden und Glauben, überhaupt im Willen oder im Wissen, Denken und Dichten offenbaren. Jetzt ist der Hang zum Absoluten in seinen Augen ein mit der Liebe auch alles Leben verwirrender und verschlingender Abgrund geworden, der das Mittelalter von einem Extrem zum anderen fortriß. In seiner Jugend hat er so stark wie Novalis diesem Hange nachgelebt; und auch ihm bedeutete damals all sein Ringen nach dem Absoluten im Innersten nur den Wunsch, dieses Absolute in irgendeiner Form und an irgendeiner Stelle zu erhaschen und es in Erlebnis umzusetzen. Der tiefste Grund all dieses Ringens und Strebens ist das Bewußtsein, daß dem Menschen eine Bestimmung gegeben ist, die über die Grenzen des Erdendaseins hinausreicht. Sehnsüchtig blickt der Romantiker über das Erdendasein hinweg und sucht den Weg vom Endlichen zum Unendlichen. Schon am 17. Mai 1792 bekennt Friedrich Schlegel seinem Bruder (S. 46) seine Sehnsucht nach dem Unendlichen. Und schon in diesen Tagen verknüpft er diese Sehnsucht mit dem Begriff der Liebe. Das Herz meine das unendliche Gut, das ihm fehle, im Geliebten zu finden: diese Sehnsucht, diese Liebe gestattet dem Menschen ins Absolute und Ewige hinüber zu greifen. Der Begriff der Sehnsucht ist in seiner philosophischen Bedeutung ähnlich von Fichte erfaßt worden. Fichte umschreibt ihn in der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ (1794, S. 303) als den „Trieb nach etwas völlig Unbekanntem, das sich bloß durch ein Bedürfnis, durch ein Mißbehagen, durch eine Leere, die Ausfüllung sucht, und nicht andeutet, woher? -- offenbart“. Dieses Sehnen ist für Fichte Voraussetzung aller Erkenntnis und aller Sittlichkeit; es ist die ursprüngliche, völlig unabhängige Äußerung des im Ich liegenden Strebens. In der Feststellung dieser Sehnsucht hat Fichte der Romantik das Mittel gegeben, ihr innerstes Wesen zu erkennen. Denn in dem Drang des Vernunftmenschen nach dem Unendlichen und Ewigen hat sich ja von Anfang an ein Kennzeichen der romantischen Generation ergeben. Romantisch ist es fernerhin, daß der Vernunftmensch sich dieser Zusammenhänge vollinhaltlich bewußt ist. Diesen Drang nach dem Ewigen, dieses metaphysische Bedürfnis findet der Romantiker da überall wieder, wo er Sehnsucht empfindet. Und so rückt denn auch Liebe in den Kreis des metaphysischen Bedürfnisses hinein; zunächst eine geistige Liebe im Sinne Platos und Plotins, eine Begeisterung für das Erkennen, ein geistiger Zeugungstrieb, bestrebt, uns dem Göttlichen zu nähern, eine sehnsuchtsvolle Liebe zum Göttlichen, eine religiöse Liebe zum Unendlichen, wie Schleiermacher sie vertritt. Diese mystische und der Mystik sehr geläufige Liebe bleibt aber nicht bloß innerhalb der Grenzen des Religiösen stehen. Auch die Liebe des Mannes zum Weibe gesellt sich hinzu. Und so erweitert sich romantische Sehnsucht zu einem allumschlingenden Drange, der Erkenntnis, Religion und Leidenschaft verknüpft. Darum führt Novalis’ Märchen von Hyazinth und Rosenblütchen den Liebenden in die Arme der Geliebten, wenn er das verschleierte Bild von Sais zu enthüllen, die volle Wahrheit zu erkennen strebt. Darum konnte Novalis in dem Traume von der blauen Blume alle romantische Sehnsucht nach dem Absoluten symbolisch darlegen. All das aber liegt schon in Friedrichs Brief an Wilhelm vom 17. Mai 1792 vorgedeutet, der die Sehnsucht nach dem Unendlichen zu einem Beweggrund der Liebe stempelt. In dieser romantisch gefaßten, religiös gefärbten Liebe zu Gott und zum Weibe kommt die Sehnsucht des Romantikers nach dem Absoluten zur Ruhe. Das Unendliche wird mithin nach romantischem Glaubensbekenntnisse von der Vernunft gefordert und gedanklich analysiert, von der Poesie veranschaulicht und in der Liebe zum Erlebnis. Ein Glaubensbekenntnis der Sehnsucht, die über alles Erdendasein in unermeßliche Weiten hinauszufliegen sich anschickt, der aber in dieser Welt doch zweifach Erfüllung und Stillung werden kann: durch Poesie und durch Liebe. Liebe ist dabei im göttlichen und im menschlichen Sinne gefaßt, ist ebenso religiöse Liebe zu Gott wie rein menschliche Liebe zum Weib. Schon in diesen vorläufigen Ausführungen kennzeichnet sich die Entwickelungsbahn, die von den Romantikern durchlaufen worden ist. Ihr Verlangen nach der Erfassung des letzten Grundes, aus dem die Welt erwachsen ist, stößt zunächst auf die festgefügten Mauern, in denen Kant die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit gezogen hat. Sie erfahren, daß ihre heiße Sehnsucht nach dem Ewigen und Unendlichen Sehnsucht bleiben soll. Aus dieser Enttäuschung erwächst die Lehre von der romantischen Ironie; sie bedeutet, daß der Romantiker des unüberbrückbaren Gegensatzes seiner metaphysischen Ansprüche und ihrer Erfüllung stets bewußt bleibt. Dennoch hält er Umschau nach den Mitteln, die ihn dem Ewigen näher bringen können. Nun soll die Stärke seines Geistes nicht länger nur auf das Bewußtsein sich beschränken, daß er mehr will und fordert, als ihm je geschenkt wird. Von verschiedenen Seiten vielmehr bieten sich Mittel und Wege, das Absolute zu ergreifen. Liebe, religiös und geschlechtlich gefaßt, und Poesie lassen den Romantiker das Absolute erleben. In der Liebe und in der Poesie verschlingt sich das Zeitliche mit dem Ewigen, das Endliche mit dem Unendlichen. Jetzt wird der romantische Ironiker zum Seher und Propheten. Nun zeigt sich der „Adleroptimismus mit der Devise ~Ascendam~“, von dem Ricarda Huch (1, 112) spricht und dem sie nachrühmt, er mache die Romantik so ewig jung und herrlich. „Sie zweifelten nicht, daß sie, wenn auch hundertmal geblendet und gelähmt, einmal das Antlitz der Sonne berühren würden.“ Nicht dem kühlen, bedächtigen Denker eignen solche Hoffnungen; wären die Romantiker, Schelling eingeschlossen, nicht Poeten gewesen, sie hätten nie den Enthusiasmus besessen, der zu ihrer Lehre vom Erleben des Ewigen gehört. Solchen Enthusiasmus verherrlicht Friedrich Schlegel schon am 21. Juli 1791 in einem Briefe an den Bruder Wilhelm, und Goethes „An Schwager Kronos“ zitierend, bekennt er: „Wenn wir im Ernst alles Enthusiasmus unfähig sind, dann ist es die rechte Zeit zur Abfahrt.“ Je näher die Frühromantik dem Unendlichen zu kommen glaubt, desto häufiger erscheint der Begriff Enthusiasmus in Friedrich Schlegels Äußerungen. In den letzten Aufsätzen des „Athenaeums“ kehrt er immer wieder. Novalis hat sogar den Gedanken einer „Kultur des Enthusiasmus“ (3, 44) gefaßt. Die vierte These endlich, die Fr. Schlegel am 14. März 1801 vor der Jenenser Fakultät vertrat, lautete: „~Enthusiasmus est principium artis et scientiae.~“ I. Die erste und zweite Stufe der romantischen Theorie. 1. Friedrich Schlegels klassizistische Anfänge. Völlig selbstverständlich ist, daß eine Gruppe von Schriftstellern, der die Lebensfragen in erster Linie der Betrachtung stehen, in ihren ästhetischen Betätigungen immer von neuem das Daseinsproblem aufwerfen wird. Zu den unvereinbaren Widersprüchen der Romantik scheint zu gehören, daß sie, wenn sie Kunst treibt, dies um der Kunst willen tut, während doch im Hintergrunde stets die im vorigen Abschnitt entwickelten Lebensfragen stehen. Nur höchst selten kann man die Romantik bei einseitiger Verwertung der Formel ~l’art pour l’art~ antreffen. Zwar weigert sie sich wie der Klassizismus energisch, die Kunst zur Dienerin unkünstlerischer Zwecke zu machen. Da sie indes die Grenzen der Poesie ins Unendliche zu erweitern scheint, das ganze Leben ins Poetische umzusetzen und die Poesie ins Leben hineinzutragen sucht, ergibt sich ihr von selbst die Notwendigkeit, in poetischem Gewande das Leben zu deuten. Auch dann, wenn der junge Friedrich Schlegel literar- und kulturhistorische Konstruktionen errichtet, spürt man deutlich, daß ihm eigentlich und in erster Linie die Probleme romantischer Lebensauffassung vorschweben. Friedrich Schlegel ist auch als Kultur- und Literarhistoriker ein Pionier der romantischen Weltanschauung; aber er ist so lange dem inneren Aufbau der Geschichte der Menschheit und ihrer Poesie nachgegangen, daß andere, zunächst Schleiermacher, Schelling und Novalis vor ihm an die Lösung der Aufgaben herantreten konnten, die er selbst längst, zunächst in den Briefen an seinen Bruder, formuliert hatte. Mindestens empfängt er viele seiner eigenen Ideen, nachdem sie von anderen weitergebildet und schärfer erfaßt waren, aus fremder Hand wieder, ehe er sie öffentlich darlegt. Und darum hat ihm lange der Vorwurf angehangen, er sei nur der eifrige, oft übereifrige Verwerter fremden Gutes gewesen, kein durchaus origineller Geist -- eine Rolle, die tatsächlich nicht er, sondern sein Bruder Wilhelm spielte. Die romantische Theorie wurde von Friedrich Schlegel zunächst literarästhetisch ausgebaut. Er möchte der Winckelmann der griechischen Literatur werden; er liefert neben einer Fülle kleinerer Versuche das großgedachte Fragment seiner „Geschichte der Poesie der Griechen und Römer“ (1798). Dabei will er aber nicht nur charakterisieren und beschreiben. Von Anfang an ist er auf systematisch-konstruktive Historik aus. Die geschichtsphilosophischen Probleme, die dem 18. Jahrhundert in erster Linie durch Rousseau ans Herz gelegt worden waren, finden bei ihm Berücksichtigung und neue Lösungsversuche. Rousseau hatte, nicht immer und nicht in seinen reifsten Kundgebungen, aber in seinen wirksamsten Jugendaufsätzen eine überkultivierte Welt zur Einfachheit des primitiven Daseins zurückgerufen. Auf lange Zeit hinaus drehte sich die Geschichtsphilosophie dank Rousseaus Anstoß nur um dies eine Problem. Das Glück der primitiven Gesellschaftsordnung oder vielmehr -unordnung erschien sofort den deutschen Denkern wenig glaubhaft. Der deutsche Idealismus verzichtete vollends früh darauf, den Menschen zu einem zweifelhaften kulturlosen Glück zurückführen zu wollen und suchte ihn im Gegenteil zu kulturell höherer geistiger Vollkommenheit zu leiten. Kant, Fichte, Schiller, aber auch Hemsterhuis wiesen diese Wege. Nicht Glück, sondern sittliche Güte, nicht ein geistloses, goldenes Zeitalter der Vergangenheit, sondern ein geisterfülltes der Zukunft wollte man erzielen (vgl. Säkularausgabe 11, S. LXII f.). Dabei mußte freilich im Sinne Rousseaus zugestanden werden, daß die Kultur den Menschen zwiespältig und einseitig gemacht habe. Es blieb, wollte man diesen Nachteil nicht ruhig hinnehmen, nur übrig, die verlorene Harmonie zum Zukunftsbild, zu einem Ideal zu machen, dem der Mensch rastlos zuzustreben habe, das er aber niemals ganz erreichen könne. Diese kulturhistorische Konstruktion deckt sich mit den ethischen Theorien, die der Romantik wie dem Klassizismus eigen sind. Oben (S. 17 ff.) ist dargelegt worden, wie die Romantik, bewußt, volle Harmonie nie ganz erzielen zu können, in dem Reichtum eines widerspruchsvollen, von Gegensatz zu Gegensatz eilenden Lebens Ersatz für die Allseitigkeit der Harmonie suchte. So hätte es dem Romantiker Friedrich Schlegel nahe gelegen, sofort für die zwar zwiespältige, aber geistig reichere Beweglichkeit moderner Kultur gegen die schlichtere Harmonie alter Kultur Partei zu nehmen. Merkwürdigerweise steht der Romantiker in seinem Aufsatz „Über das Studium der griechischen Poesie“ (1797) gerade auf entgegengesetztem Standpunkte. Nicht aus Eigenem ist er zu gerechterer Würdigung der modernen Kultur gelangt, sondern zunächst durch Schillers Anregung. Er durchläuft, ehe er dieser Anregung nachgibt, eine Periode „revolutionärer Objektivitätswut“; und nur nachdem er sie überwunden hatte, ist in ihm der Romantiker zu vollem Bewußtsein erwacht. Der Aufsatz „Über das Studium der griechischen Poesie“ ist, wie die Skizzen „Über die Grenzen des Schönen“ und „Vom Wert des Studiums der Griechen und Römer“ bemüht, das Verhältnis antiker und moderner Kunst und Kultur zu bestimmen. Dieselbe Aufgabe suchten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Impulse von Winckelmanns Deutung der Antike nicht nur Herder, Goethe, Schiller, W. v. Humboldt, auch Garve, Forster, Bouterweck und viele andere zu lösen. An die Stelle von Rousseaus Gegenüberstellung eines primitiven, aber harmonisch glücklichen Naturlebens und der vereinseitigenden, glückraubenden Kultur trat in den Erörterungen über antik und modern die Antithese antiker Harmonie und moderner Zwiespältigkeit. Winckelmanns Auffassung von der edlen Einfalt und stillen Größe des Griechentums hatte es ermöglicht, in Rousseaus Antithese für die primitive Harmonie der Urvölker die künstlerisch geadelte Harmonie Griechenlands einzusetzen, die ein würdigeres Vorbild für den hochgebildeten Sohn des 18. Jahrhunderts darstellte, als die Geistesarmut der Primitiven. Die seelischen Vorzüge der Primitiven, zunächst die volle Harmonie, blieb diesem idealisierten Naturvolke alter Griechen bewahrt. Dabei erblickte man die Griechen der Zeit des Sophokles und Pheidias auf einer Stufe unbewußt triebartiger Kunst, die einer Gleichstellung der Griechen und der Primitiven Rousseaus noch stärker entgegenkam. Friedrich Schlegel legte wie Schiller, von diesen Voraussetzungen ausgehend, Kants historischen Maßstab an die Antiken und Modernen und fand dort „Natur“, hier „Kunst“, d. h. Künstlichkeit. Er nahm diese Prädikate so ernst, daß er in dem Aufsatze „Vom Wert des Studiums der Griechen und Römer“ der antiken Kulturentwickelung die Bewegung des Kreislaufes, der modernen ein dauerndes Fortschreiten zugebilligte. Denn naturgemäße, organische Entwickelung vollzieht sich nach Herder in kreisförmiger Bahn, in der bewußten künstlichen Entwickelung hatte Kant die Notwendigkeit fortwährenden Aufwärtssteigens gefunden. Wenn aber Friedrich Schlegel antik und modern vergleicht, konstruiert er nicht bloß, vielmehr sucht er das Wesen beider Arten in anschauender Betrachtung zu ergründen. Und da gelangt er, ganz im Sinne einer feinen Bemerkung Goethes (Italienische Reise, 17. Mai 1787) und wahrscheinlich angeregt von einer Beobachtung Bouterwecks, zu der Erkenntnis, daß in der modernen Poesie ein Übergewicht des Individuellen, Charakteristischen und Philosophischen herrsche, daß sie auf das Interessante, Pikante und Frappante ausgehe. Sobald das Interessante als auszeichnende Eigenheit der modernen Poesie erkannt war, konnte Friedrich Schlegel nach Kants „Kritik der Urteilskraft“ erklären, daß moderne Poesie überhaupt mit dem Schönen nichts zu tun habe; denn nach Kant erweckt das Schöne ein interesseloses Wohlgefallen. So blieb der antiken Poesie allein das Vorrecht, der Welt des Schönen anzugehören. Die moderne erschien ihr gegenüber als manieriert; der Ausdruck entstammt einem Aufsatze Goethes aus der Zeit nach Italien (Jubiläumsausgabe 33, 54 ff.). Und gleichfalls Goethischem Sprachgebrauch entnommen ist es, wenn dieser manierierten Poesie des Interessanten die klassische Poesie als objektiv entgegengestellt wurde. Auch Chr. Gottfr. Körner, Schillers Freund, der damals ganz unter dem Eindrucke von Goethes Ästhetik steht, liebt den Terminus objektiv; von Körner hat Friedrich Schlegel in seiner Frühzeit starke Impulse erfahren. Endlich enthüllte sich die griechische Poesie in ihrer historischen Entwickelung, eben wegen ihrer Naturgemäßheit, wegen ihres organischen, durch keinerlei fremde Absichten getrübten Aufstiegs als „ewige Naturgeschichte des Geschmacks und der Kunst“. Dem Griechentum und seiner Poesie war durch diese Ableitung eine ausgezeichnete Sonderstellung zugewiesen, wie sie in gleicher Höhe kurz vorher und wahrscheinlich unter W. v. Humboldts Einwirkung Schillers Briefe „Über die ästhetische Erziehung“ (1795) gefordert hatten. Es war darum nicht ganz gerecht von Schiller, wenn er in den „Xenien“ über Fr. Schlegels Graekomanie spottete und die tiefere Wahrheit, die er der Welt verkündet hatte, von Fr. Schlegel auf den Kopf gestellt sah. Wohl aber hatte Schiller selbst inzwischen seinen Standpunkt geändert. Die Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung“ (1795/6) erwog, welche Vorzüge trotz aller Bedeutung und Größe antiker Kunst und Dichtung dem modernen Dichter übrigblieben; und sie fand diese Vorzüge in der höheren geistigen Kultur, in dem stärker entwickelten Vernunft- und Ideenmenschentum des modernen sentimentalischen gegenüber dem antiken naiven Poeten. Denn der Proportion Fr. Schlegels: „antik zu modern wie objektiv zu interessant“ entspricht Schillers Proportion „antik zu modern wie naiv zu sentimentalisch“. Irregeleitet durch die Erscheinungsdaten der stoffverwandten Arbeiten Schillers und Schlegels hat man fälschlich gemeint, Fr. Schlegel habe lediglich Schillers Aufstellung weitergetrieben. Tatsächlich ist seine Konstruktion längst fertig gewesen, ehe er Schillers Abhandlung las. Ferner aber geht Schillers Proportion nicht wie die Schlegels auf die künstlerische Qualität und den ästhetischen Eindruck antiker und moderner Dichtung; sondern Schiller bleibt bei dem Naturgefühl stehen, das bei dem antiken Dichter, eben weil er nach der Ansicht des 18. Jahrhunderts auf dem Naturstandpunkt steht, ein naives, bei dem modernen, der aus seiner zwiespältigen Kultur heraus nach der harmonischen Einheit der Natur sich sehnt, ein sentimentalisches ist. Gesehen ist das aus der Stimmungswelt des 18. Jahrhunderts, das in hervorragender Weise sentimental, d. h. von Sehnsucht nach der Natur erfüllt war. Der sentimentalische Sehnsuchtsmensch indessen ist aufs innigste verwandt mit dem romantischen, sehnsuchterfüllten Vernunftmenschen. Die künstlerische Bedeutung dieser Art Menschen und Dichter wird in Schillers Abhandlung festgestellt. Und Fr. Schlegel erfuhr durch Schiller, daß er den Sentimentalischen, den Modernen, die er zu Vertretern des Interessanten, des Nichtschönen gestempelt hatte, nicht gerecht geworden war. Der Romantiker hatte die Gruppe, zu der die Romantiker selber zählen, schlechter behandelt als der Klassiker Schiller. Und so bleibt Schiller das Verdienst, daß er der Romantik zur Selbstbesinnung und zur Erkenntnis ihrer eignen Bedeutung verholfen hat. Denn wirklich verschwindet Fr. Schlegels „Objektivitätswut“ sofort, und er tritt gleich nach der Veröffentlichung seiner Abhandlung „Über das Studium der griechischen Poesie“ rückhaltslos auf die Seite der Modernen, der Romantiker. Freilich darf nicht übersehen werden, daß all die scharfen Worte, mit denen Fr. Schlegel die Interessanten und Modernen in seiner Arbeit bedenkt, nur verkappter Liebe entstammen. Eben weil sie ihm innerlich doch näher stehen, verfährt er mit ihnen so grausam. Gehören doch seine Lieblinge Dante und Shakespeare zu ihnen. Wohl weist er beiden eine Ausnahmestellung unter den Modernen zu: Dantes „kolossalisches Werk“ ist ihm ein „erhabnes Phänomen in der trüben Nacht jenes eisernen Zeitalters“, Shakespeare ist der „Gipfel der modernen Poesie“ (Minor 1, 98. 108). Doch Dante werden die „gothischen Begriffe des Barbaren“ vorgeworfen und von Shakespeare heißt es: „Wer seine Poesie als schöne Kunst beurteilt, der gerät nur in tiefere Widersprüche... Wie die Natur Schönes und Häßliches durcheinander mit gleich üppigem Reichtum erzeugt, so auch Shakespeare. Keins seiner Dramen ist in Masse schön; nie bestimmt Schönheit die Anordnung des Ganzen.“ Diese Nachteile hat Fr. Schlegel rasch als Vorteile empfinden gelernt. Aber auch jetzt ist er schon von bester Hoffnung für die neueste und die kommende deutsche Poesie erfüllt. Die Hoffnung stützt sich auf „ein merkwürdiges und großes Symptom“, auf Goethes Poesie, die in seinen Augen die „Morgenröte echter Kunst und reiner Schönheit“ (ebenda S. 114) ist. Wie das gemeint ist, zeigt Friedrichs Brief an Wilhelm vom 27. Februar 1794: „Das Problem unsrer Poesie scheint mir die Vereinigung des Wesentlich-Modernen mit dem Wesentlich-Antiken; wenn ich hinzusetze, daß Goethe, der erste einer ganz neuen Kunstperiode, einen Anfang gemacht hat, sich diesem Ziele zu nähern, so wirst du mich wohl verstehen“ (S. 170). Auch diese Briefstelle offenbart, wie Fr. Schlegel zu Anfang an dem klassischen Harmonieprinzip viel zu stark festhält, als daß ihm die freie Bewegung zwischen den Gegensätzen, dieser echt romantische Zug, begehenswert erscheinen könnte: wenn schon nicht harmonische Objektivität, so doch Harmonie von antiker Objektivität und moderner Subjektivität -- so meint er es 1794. Auch da berührt er sich aufs innigste mit Schiller. Fichte war es vorbehalten, ihn zu neuen Ansichten zu leiten. 2. Fr. Schlegels Bekenntnis zum Romantischen. Romantische Poesie, romantische Ironie, Transzendentalpoesie. Im Handumdrehen gewinnt Fr. Schlegel nach seinem „manierierten Hymnus in Prosa auf das Objektive in der Poesie“ (Lyceumfragment 7) den romantischen Standpunkt. Schiller verhilft ihm zu dieser Wendung, aber ebensoviel Dank schuldet er +Fichte+. Die oben (S. 19 ff.) entwickelten Fichteschen Elemente des frühromantischen Glaubensbekenntnisses mußten notwendig einer höheren Einschätzung der modernen Poesie dienen. Fichtes Begriff der „intellektuellen Anschauung“ hob die Bedeutung des bewußten, mit voller Selbstbestimmung schaffenden Dichters. Volle Freiheit und Beweglichkeit des Menschen wurde gleichfalls durch Fichte nahegelegt. Wohl faßte Fichte all das ethisch weit rigoristischer auf als die Romantiker; sie aber fanden nur eine Stütze ihrer proteischen Wandelbarkeit und der Leichtigkeit, mit der sie von Pol zu Pol schwebten, wenn Fichtes Vorlesungen „Über die Bestimmung des Gelehrten“ (1794) behaupteten: „Alles Vernunftlose sich zu unterwerfen, frei und nach seinem eigenem Gesetze es zu beherrschen, ist letzter Endzweck des Menschen; welcher letzte Endzweck völlig unerreichbar ist und ewig unerreichbar bleiben muß, wenn der Mensch nicht aufhören soll, Mensch zu sein, und wenn er nicht Gott werden soll... Aber er kann und soll diesem Ziele immer näher kommen; und daher ist die Annäherung ins Unendliche zu diesem Ziele seine wahre Bestimmung als Mensch.“ Im 116. Athenaeumfragment hat Fr. Schlegel 1798 alle diese Kriterien von dem Menschen auf die romantische Poesie übertragen: die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie, sie ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. Keine Theorie kann sie erschöpfen und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist und als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide. Punkt für Punkt kehren die Forderungen wieder, die Fichte an den Menschen und an seine progressive Universalbetätigung stellt -- freilich mit jenem Zusatz, der strenge Selbstzucht in freie Willensbetätigung umwandelt. In demselben Fragment wird aber auch Fichtes intellektuelle Anschauung zur Bestimmung des Wesens romantischer Poesie verwertet, die Reflexion des denkenden und handelnden Menschen über sein Denken und Handeln, die Fähigkeit, wie in einem Spiegel sich selbst zu betrachten. Denn die romantische Poesie kann nach Fr. Schlegel am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse, auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen. Diese Poesie intellektueller Anschauung gestattet vor allem dem romantischen Dichter, sich jederzeit über sein Werk und über sein eigenes Schaffen zu erheben und kritischen Blickes beide zu betrachten; sie gestattet mit einem Worte: +romantische Ironie+. Schon die „Geschichte der Poesie der Griechen und Römer“ gedenkt der sokratischen Ironie, die „das Heiligste mit dem Fröhlichen und Leichtfertigen zu verweben pflegt“ (Minor 1, 239, 15). Das 108. Lyceumfragment definiert genauer: sie ist die einzige durchaus unwillkürliche und doch durchaus besonnene Verstellung. Wer sie nicht hat, dem bleibt sie auch nach dem offensten Geständnis ein Rätsel. In ihr soll alles Scherz und alles Ernst sein, alles treuherzig offen und tief verstellt. Sie enthält und erregt ein Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten. Sie ist die freieste aller Lizenzen, denn durch sie setzt man sich über sich selbst weg. „Es ist ein sehr gutes Zeichen, wenn die harmonisch Platten gar nicht wissen, wie sie diese stete Selbstparodie zu nehmen haben, immer wieder von neuem glauben und mißglauben, bis sie schwindlicht werden, den Scherz grade für Ernst und den Ernst für Scherz halten.“ Weiter deutet den Begriff das 42. Lyceumfragment: Die Poesie kann sich durch Ironie bis zur Höhe der Philosophie erheben. „Es gibt alte und moderne Gedichte, die durchgängig im ganzen und überall den göttlichen Hauch der Ironie atmen. Es lebt in ihnen eine wirklich transzendentale Buffonerie. Im Innern, die Stimmung, welche alles übersieht und sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigne Kunst, Tugend oder Genialität; im Äußeren, in der Ausführung die mimische Manier eines gewöhnlichen guten italienischen Buffo.“ Noch ausführlicher entwickelt der Aufsatz „Über die Unverständlichkeit“ (2, 392 f.) die vorzüglichsten Arten der Ironie. Es liegt auf der Hand, daß die romantische Ironie mit Fichtes intellektueller Anschauung aufs innigste verbunden ist und mit der Forderung, sich über sich selbst zu erheben, die von der Romantik aus Fichtes Formel abgeleitet wird (s. oben S. 19 f.). Zugleich aber ist die romantische Ironie Ergebnis des resignierten Bewußtseins, daß der Vernunftmensch sein metaphysisches Bedürfnis nie ganz befriedigen, daß er, im Endlichen befangen, niemals das Unendliche ausschöpfen kann. Zwischen dem Unendlichen und jedem Versuche, es in Worte zu fassen, bleibt auch für den Romantiker vorläufig noch eine unübersteigliche Kluft bestehen. Der Geist des Menschen wird sich seiner Unzulänglichkeit bewußt und mit weiser Selbstbeschränkung bringt er seine Aussprüche in eine Form, die allein schon diese Unzulänglichkeit zugesteht; das Zugeständnis der steten Unzulänglichkeit aber bleibt der beste Beweis, daß der Mensch nicht in eitler Selbstbespiegelung verharrt, sondern durch seinen Geist über die Schwächen seines Denkens hinausgehoben wird. Es ist -- fichtisch gesprochen -- ein äußerstes und letztes Mittel, durch sein Ich des Nicht-Ich Herr zu werden. Darum kann Fr. Schlegel sagen, daß die Selbstbeschränkung für den Künstler und für den Menschen das Notwendigste und das Höchste sei (Lyceumfragment 37). „Das Notwendigste: denn überall, wo man sich nicht selbst beschränkt, beschränkt einen die Welt; wodurch man ein Knecht wird. Das Höchste: denn man kann sich nur in den Punkten und an den Seiten selbst beschränken, wo man unendliche Kraft hat, Selbstschöpfung und Selbstvernichtung.“ Aus solcher Selbstbeschränkung erwächst durch romantische Ironie das Bewußtsein unbeschränktester geistiger Freiheit. Indem der Romantiker scheinbar sich ganz preisgibt, gelangt er zu höchster Beweglichkeit und uneingeschränktester Selbstbestimmung. Es ist die höchste Stufe freiester Menschlichkeit, die Schillers Briefe „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ ins Auge fassen, wenn sie in der Betätigung des Spieltriebes die reinste und stärkste Äußerung menschlichen Wesens erkennen, wenn sie behaupten, daß der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt. Romantische Ironie wandelt die schwierigsten geistigen und seelischen Denkprozesse auch in ein Spiel. Schillers Theorie vom Spieltrieb aber wurzelt genau wie die Lehre von der romantischen Ironie in Fichtes Denken. Die romantische Ironie ermöglicht dem Menschen, frei und ungebunden über den Dingen zu schweben. Die uneingeschränkte Beweglichkeit, die den romantischen Proteusnaturen unentbehrlich ist, wird durch sie gewahrt. Durch sie wird der Romantiker zur „Urbanität“ erzogen und jeder „Illiberalität“ entzogen. Das Bildungsproblem der Romantik erhält hier seinen eigensten Charakter: die von den Klassikern angestrebte Harmonie ist nie völlig zu erreichen; man nähere sich ihr also durch freieste Beweglichkeit. Und so fordert das 55. Lyceumfragment: „Ein recht freier und gebildeter Mensch müßte sich selbst nach Belieben philosophisch oder philologisch, kritisch oder poetisch, historisch oder rhetorisch, antik oder modern stimmen können, ganz willkürlich, wie man ein Instrument stimmt, zu jeder Zeit und in jedem Grade.“ Ein hervorstechender Zug dieser romantischen, mit Ironie getränkten Bildung ist der +Witz+. Ungezählte Spiegelungen des Witzes finden sich in Fr. Schlegels Aufzeichnungen. Von dem Begriffe des Witzes, der dem 18. Jahrhundert eignet und sich am besten mit dem Esprit der Franzosen verbinden läßt, geht es empor zu einer Form des Witzes, die unentbehrlicher Bestandteil der romantischen Weltanschauung wird. So kann es im 116. Athenaeumfragment heißen: „Die romantische Poesie ist unter den Künsten, was der Witz der Philosophie und die Gesellschaft, Umgang, Freundschaft und Liebe im Leben ist.“ Und das 16. Lyceumfragment stellt Witz neben Genie, Liebe und Glauben, macht sie nicht zur Sache der Willkür, sondern der Freiheit und verlangt, daß sie einst Künste und Wissenschaften werden müssen. Das 220. Athenaeumfragment scheidet den rein poetischen Witz, der eine Erwartung in nichts auflöst (Fr. Schlegel hat Kants Definition des Lachens, Kritik der Urteilskraft § 54, im Auge), von dem weit gehaltvolleren philosophischen Witze. Den Wert des philosophischen Witzes, den Fr. Schlegel ebenso bei Bacon wie bei Leibniz und Kant zum Vater der wichtigsten Entdeckungen machen möchte, schätzt er um so höher ein, da ihm Philosophie nichts anderes ist als der Geist der Universalität, die Wissenschaft aller sich ewig mischenden und wieder trennenden Wissenschaften, eine logische Chemie. Eben seine und Hardenbergs Fragmente sind der beste Beweis, welche Hoffnungen beide auf die kühnsten Kombinationen einer solchen logischen Chemie gesetzt haben (vgl. Olshausen S. 49 ff.). Die romantische Poesie aber enthüllt sich nach den oben dargelegten Voraussetzungen im 238. Athenaeumfragment als „+Transzendentalpoesie+“. Wie die Transzendentalphilosophie kritisch ist und mit dem Produkte auch das Produzierende darstellt und im System des transzendentalen Gedanken zugleich eine Charakteristik des transzendentalen Denkens enthält, so verbindet die Transzendentalpoesie „die in modernen Dichtern nicht seltnen transzendentalen Materialien und Vorübungen zu einer poetischen Theorie des Dichtungsvermögens mit der künstlerischen Reflexion und schönen Selbstbespiegelung, die sich im Pindar, den lyrischen Fragmenten der Griechen und der alten Elegie, unter den Neuern aber in Goethe findet“. In jeder ihrer Darstellungen soll die Transzendentalpoesie sich selbst mit darstellen und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie sein. +Poesie der Poesie+ -- wieder eins der schwierigen Schlagworte Fr. Schlegels. Im 238. Athenaeumfragment geht es unzweideutig auf eine Poesie, die sich selbst zum Gegenstand der Darstellung macht, in der wir den Dichter selbst am Handwerk sehen. Sofort sollte es ja eine Lieblingsform romantischer Ironie werden, den Dichter und das Dichtgeschäft in die Dichtung selbst zu versetzen, durch stete Zerstörung des geschlossenen Kunstwerks und seiner Illusion, Dichter und Leser sich über die Dichtung erheben zu lassen. Ein Dichten also abermals im Sinne der intellektuellen Anschauung Fichtes! Der Dichter beobachtet sein eigenes Schaffen und bringt es in die Dichtung hinein; aber auch der Leser soll in voller Freiheit und Bewußtheit die Dichtung als Dichtung und nur als Dichtung genießen. Die auch von Schiller und Goethe vertretene Lehre, daß das Kunstwerk keine vollständige Täuschung hervorbringen, sondern in dem Leser und Zuschauer das Gefühl wach erhalten solle, daß er Kunst und nicht Wirklichkeit vor sich habe, ward da bis auf ihre letzte Konsequenz verfolgt (vgl. auch W. Schlegels Berliner Vorlesungen 1, 262, 15). Als Poesie der Poesie erschien in diesem Sinne dem Kritiker Fr. Schlegel Goethes „Wilhelm Meister“, wenn er (Minor 2, 171, 30 ff.) an ihm beobachtete, daß der Dichter selbst die Personen und die Begebenheiten so leicht und so launig nehme, den Helden fast nie ohne Ironie erwähne und auf sein Meisterwerk von der Höhe seines Geistes herablächle. Aber Poesie der Poesie bedeutet bei Fr. Schlegel noch etwas anderes und höheres; und zwar gleich in den Athenaeumfragmenten: „Goethes rein poetische Poesie ist die vollständigste Poesie der Poesie“ (N. 247). Hier erscheint Poesie der Poesie als Gegensatz zu einer Poesie der Unpoesie. Hier langt Fr. Schlegel nach der Lösung des schwersten Problems aller Poetik, der Frage nach dem Wesen des Poetischen. Aber noch ist er in dieser Fichteschen Phase seiner Theorie nicht imstande, eine befriedigende Antwort zu geben. Er findet sie später (s. unten S. 59 ff.). In der Theorie von der romantischen Ironie ist auch die romantische Lehre vom +Genie+ begründet. Ein unbewußtes, traumhaft instinktiv schaffendes Genie ist auf solchem Boden nicht denkbar. Alle Vorzüge, die Fr. Schlegel in seiner objektiven Zeit dem triebartig schaffenden Künstler nachgerühmt hatte, verlieren an Wert. Der Geniebegriff des Sturmes und Dranges wird endgültig überwunden. Das Genie muß sich in der Hand haben, muß fähig sein, sich selbst zu lenken. „Solange der Künstler... begeistert ist, befindet er sich für die Mitteilung wenigstens in einem illiberalen Zustande“ (Lyceumfragment 37). Und so kann Fr. Schlegel nur bedauern, daß es Künstler gibt, die nicht etwa zu groß von der Kunst denken (denn das sei unmöglich), aber doch nicht frei genug sind, sich selbst über ihr Höchstes zu erheben (ebenda 87). Mehr und mehr rückt Subjektivität an die Stelle, die in Friedrichs erster Periode die Objektivität eingenommen hat. Die Dichter, die damals als Antipoden der Griechen eine wenig ehrenvolle Rolle gespielt hatten, kommen nun zu ganz anderer Würdigung, da ja der Wert des Modernen voll erfaßt ist. Dasselbe Fragment des Athenaeum (247), das Goethes rein poetische Poesie als die vollständigste Poesie der Poesie bezeichnet, nennt Dantes prophetisches Gedicht das einzige System der transzendentalen Poesie und immer noch das höchste seiner Art, erklärt ferner, Shakespeares Universalität sei wie der Mittelpunkt der romantischen Kunst, und findet in Dante, Shakespeare und Goethe den großen Dreiklang der modernen Poesie. Das „Gespräch über die Poesie“ (1800) hatte nicht viel zu diesem Urteil hinzuzufügen. Cervantes, Ariost, Sterne, Jean Paul u. a. dienen nur dazu, das Wesen dieser nun vollauf anerkannten modernen und romantischen Poesie näher zu erläutern. Nun ergibt sich aber eine neue Definition des Romantischen: romantisch ist, was uns einen sentimentalen Stoff in einer phantastischen Form darstellt (Minor 2, 370, 43). Sie gemahnt noch immer an die von Fichte inspirierten Definitionen der Athenaeumfragmente. Die Hoffnungen, die in dem Aufsatze „Über das Studium der griechischen Poesie“ auf die unmittelbare Gegenwart gesetzt worden waren, finden jetzt eine neue Begründung; und auch hier wird auf den transzendentalen Idealismus und auf Fichte gezielt. „Die Philosophie gelangte in wenigen kühnen Schritten dahin, sich selbst und den Geist des Menschen zu verstehen, in dessen Tiefe sie den Urquell der Phantasie und das Ideal der Schönheit entdecken und so die Poesie deutlich anerkennen mußte, deren Wesen und Dasein sie bisher auch nicht geahndet hatte“ (2, 353, 2). Doch nicht nur an Fichte ist hier gedacht; es melden sich die Männer an, die die dritte Phase von Fr. Schlegels Theorie wesentlich bedingen: Schleiermacher, Schelling, Novalis. II. Die dritte Stufe der romantischen Theorie. 1. Schleiermachers Anstoß. Im Frühjahr 1799 schloß +Schleiermacher+ seine erste selbständige Veröffentlichung ab. „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ lautet der Titel. Aus Spinozastudien, die Schleiermacher mit Fr. Schlegel gemeinsam betrieben hatte, ist das Buch erwachsen; Fr. Schlegel hat, kritisch bemüht, mit großer Sorgfalt den Druck überwacht. Spinozas Pantheismus oder Akosmismus behauptet, alles Endliche sei im Unendlichen enthalten. Aus dieser dogmatischen Behauptung erwächst Schleiermachers religiöse Forderung, in allem Endlichen das Unendliche zu erblicken. Denn nur im religiösen Vorgang werde das Unendliche erfaßt; und wenn der Sinn auf das Unendliche gerichtet werde, entstehe Religion. Schleiermacher gründet seine Behauptungen auf eine psychologische Analyse des Aktes der Wahrnehmung und stellt in ihm den Augenblick fest, da im Menschen der Begriff des Universums und mit ihm ein überströmendes mächtiges Gefühl aufgeht. Religiös ist in dieser Betrachtungsweise ein Mensch, der von dem Gefühl der Abhängigkeit vom Universum durchdrungen ist. Religion ist mithin für Schleiermacher nicht Metaphysik und nicht Moral, sondern Anschauen des Universums. Eine zwiefache Tendenz waltet: erstens, das Unendliche, Ewige, Eine von dem Flusse der endlichen Dinge zu trennen, damit es nicht in dessen Wellen untergehe; zweitens die Gegenwart des Unendlichen, Ewigen, Einen in den endlichen Dingen zu erfassen und den Widerstreit des Endlichen und Unendlichen zu lösen. Auch das Individuelle ist unendlich, ist Ausdruck und Spiegel des Unendlichen. Individualität im höheren Sinne, menschliche Individualität entspringt aus der Vermählung des Unendlichen mit dem Endlichen. Jeder Mensch ist Individualität. In jeder Individualität sind aber nur die Kräfte gebunden, die das Wesen der Menschheit ausmachen; daher ist jeder Mensch ein Kompendium der Menschheit. Wenn der Mensch auch in sich selber das Unendliche gefunden hat, dann ist die Religion vollendet. Der Strahl, an dem wir aus dem Unendlichen ausgehen und als einzelne und besondere Wesen hingestellt werden, ist die Stimme des Gewissens, die jedem seinen besonderen Beruf auferlegt und durch die der unendliche Wille einfließt in das Endliche. Selbstanschauung eröffnet uns die Anschauung des Unendlichen. Selbstanschauung wird mithin zum Organ der sittlichen Bildung. Sie läßt in der Individualität den Ausdruck und Spiegel des Universums erkennen. „So oft ich ins innere Selbst den Blick zurückwende, bin ich zugleich im Reich der Ewigkeit; ich schaue des Geistes Handeln an, das keine Welt verwandeln und keine Zeit zerstören kann, das selbst erst Welt und Zeit erschafft“, so heißt es in Schleiermachers „Monologen“ (1800), die von der Betrachtung der Religion zur Formung seiner ethischen Überzeugungen weiterschreiten. Selbstanschauung und Anschauung des Universums sind Wechselbegriffe. Nur aus der Selbstanschauung entspringt die volle und wahre Anschauung des Universums; und allein vom Standpunkte des Universums aus wird das Selbst in seinem wahren Wert als ewiger Gedanke gefaßt (Dilthey, Leben Schleiermachers S. 314). Ist aber jede menschliche Individualität ewiger Ausdruck und Spiegel des Universums, so ergibt sich als Mittelpunkt des sittlichen Vorganges Anschauung und Bejahung des ewigen Selbst mitten im Fluß von vergänglichem Handeln und Leiden. Selbstanschauung ist das Gewissen des freien Menschen. An dieser Stelle berührt sich mit Schleiermachers Lehre von der Religion seine Ethik. Ihr Kern ist: Ein Anspruch aller, die Menschenantlitz tragen, besteht, daß das in ihnen angelegte Ideal freien Spielraum und freudige Förderung erlange, daß Sinn und Liebe ihm begegnen und es tragen (Dilthey S. 454). Vollendung des freien individuellen Willens ist die Absicht dieser Ethik. „Immer mehr zu werden, was ich bin, das ist mein einziger Wille; jede Handlung ist eine besondere Entwicklung dieses +einen+ Willens. Begegne dann, was da wolle!“ Zu reifer Vollendung ist Schleiermachers Ethik in seinem posthumen „Entwurf eines Systems der Sittenlehre“ gediehen. Die Forderungen der „Monologen“ kehren wieder, wenn hier die sittliche Aufgabe des Menschen in der vollendeten Ausbildung des Individuums gesucht wird, das in dem Gleichgewichte seiner verschiedenen Kräfte sein inneres Leben auszuleben hat. Jeder Mensch hat eine individuelle Aufgabe und erfüllt sie in einer persönlichen Durchbildung, die alle Momente des gemeinsamen Kulturlebens auf den einheitlichen Zweck der individuellen Vollendung zu beziehen hat. Das Sittengesetz offenbart sich so als innerlich notwendige Funktion des intelligenten Wesens. Nicht wie bei Kant steht es mit dem Naturgesetze in prinzipiellem Gegensatz. Den Entwickelungsgedanken der Leibniz, Herder und Schelling ethisch deutend, läßt Schleiermacher +eine+ Linie der Vervollkommnung aus der Natur in die Geschichte übergehen. Das Ideal ist nicht Vernichtung der niederen Zwecke, sondern ihre harmonische Ausgleichung mit den höheren. Eine gewisse Verwandtschaft mit Schillers Versuch, den Rigorismus Kants zu mildern, ist nicht zu verkennen. Aber nicht die Beziehung zu Schiller fällt hier in Betracht. Ebenso kann die oben (S. 12) angedeutete Verwandtschaft mit Herder jetzt übergangen werden. Auch der Fichteschen Anregung, die vor allem in dem Begriff der Selbstanschauung sich zeigt, und der überraschenden Verwandtschaft der Ethik Schleiermachers mit der von Fichtes gleichzeitiger „Bestimmung des Menschen“ sei hier nicht näher gedacht. Wichtiger ist zu ergründen, wie weit Schelling auf Schleiermachers „Reden“ gewirkt hat. Denn von den Reden ist eine so mächtige Wirkung auf die romantischen Genossen ausgeübt worden, daß nur bei schärfster Beobachtung Schleiermachers Anteil an der romantischen Theorie von dem Anteil Schellings zu trennen ist. Das Problem des Unendlichen, des Universums tritt fortan in die erste Linie der Diskussion bei den romantischen Genossen. Von dieser Stelle aus gehen die Versuche, den Menschen mit dem Absoluten in enge Verbindung zu setzen. Schleiermacher weist einen der Wege, auf denen im romantischen Sinne dem Menschen das Absolute zugänglich wird (s. oben S. 23 f.). 2. Schelling und die Romantiker. ~a~) Ästhetische Weltanschauung und Organismusbegriff. Drei Phasen von +Schellings+ Philosophie sind für die Geistesgeschichte der Romantik von Wichtigkeit: erstens seine Naturphilosophie, dargelegt besonders in den „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ (1797), in der Abhandlung „Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik“ (1798), und in dem „Entwurf eines Systems der Naturphilosophie“ (1799); zweitens sein ästhetischer Idealismus, den seine Schrift „System des transzendentalen Idealismus“ (1800) vorträgt; drittens sein Identitätssystem, das zunächst in dem Aufsatze „Darstellung meines Systems der Philosophie“ (1801), dann aber auch in einer Reihe ergänzender Aufsätze auseinandergesetzt wurde. Auf der ersten Stufe verknüpft Schelling Fichtes Wissenschaftslehre mit Herders und Goethes vitalistischer Naturauffassung, auf der zweiten wendet er sich resolut ins Ästhetische und gelangt zu Resultaten, die an Schillers Spekulation gemahnen, die dritte Stufe ist von Spinoza bedingt. Schellings +Naturphilosophie+ faßt die Natur als ein großes System auf, das aus der Vernunft hervorgegangen ist. Die Natur wird als die unbewußte Form des Vernunftlebens genommen, der die Tendenz eignet, die bewußte Form zu erzeugen. Die Natur ist die Odyssee, in der nach mancherlei Irrwegen der Geist zuletzt schlafend seine Heimat, d. h. sich selbst findet. Philosophische Naturerkenntnis betrachtet diesmal den ganzen Naturprozeß als ein zweckmäßiges Zusammenwirken von Kräften, die von den niedersten Daseinsstufen zu den höchsten des animalischen Lebens und des Bewußtseins führen. Die Natur muß dazu als ein großer Organismus gedacht werden, dessen Teile die Aufgabe haben, Leben und Bewußtsein hervorzurufen. Die Philosophie der Natur wird zur Geschichte des werdenden Geistes, die verschiedenen Stufen des Naturlebens sind als „Kategorien der Natur“ gefaßt, als die notwendigen Zwischenformen, in denen die Vernunft aus dem Unbewußten ins Bewußte weiterschreitet. Die Natur ist mithin die werdende Intelligenz. Die Entwickelung, die sie zu durchlaufen hat, betrachtet das Einzelding nur als notwendiges Mittel, nicht als Selbstzweck. Das Einzeldasein in der Natur ist ein vorübergehender Augenblick, in dem das Wechselspiel der Kräfte zum Stillstand kommt, um gleich wieder zu beginnen. In der Natur besteht ein Antagonismus entgegengesetzter Kräfte. Grundform alles natürlichen Geschehens ist aber nicht nur Dualismus und Polarität, sondern auch Synthese dieser antagonistischen Momente. Damit wird Fichtes triadischer Rhythmus von Thesis, Antithesis und Synthesis zum Prinzip der Deduktion der Naturphilosophie. Zugleich wird ein Lieblingsgedanke Goethes (s. oben S. 19) verwertet: Der Magnet als untrennbare Vereinigung entgegengesetzt wirkender Kräfte erscheint in Schellings Auge als der Typus der ganzen Naturkonstruktion. Diese Naturanschauung ist dynamisch wie die Kants. Was als Seiendes erscheint, ist ein Produkt des Tuns. Nicht ein Aggregat von Atomen in mechanischen Beziehungen, sondern das einheitliche Leben einer Urkraft ist das System der Natur. Die Denker, die von einer Weltseele sprachen, deren lebendige Entfaltung das Universum sei, haben ähnliches gemeint. Schellings Weltseele indes ist etwas anderes, ist das Ich, das aus dem unbewußten Triebe zum bewußten Leben kommen will und das durch alle Gestalten der anorganischen und organischen Natur zu dieser Selbsterfassung emporsteigt. Der ethischen Metaphysik Kants und Fichtes war der Gegensatz von Natur und Geist unentbehrlich geblieben, obgleich auch sie die Vernunftbedingtheit der Natur anerkennen mußten. Schelling machte diesem Widerspruch ein Ende, indem er die Natur zu einem Vernunftprozeß stempelte. Die Naturphilosophie ist die Lehre vom Werden des Ich, der +transzendentale Idealismus+ die Lehre vom Ich selbst. Weder im Theoretischen noch im Praktischen kommt das Ich zu seiner höchsten Entwickelung; da wie dort ist es einseitig. Nur in der ästhetischen Funktion des Ich ist die Einseitigkeit jener beiden Tätigkeitsformen aufgehoben. Denn das Genie ist die bewußtlos-bewußte Tätigkeit des Ich; sein Produkt, die Kunst, ist die vollendete Darstellung vom Wesen des Ich. Die Kunst zeigt das volle Gleichgewicht der bewußtlosen und der bewußten Tätigkeit, das sonst in der Erfahrung nicht möglich, nur in der Unendlichkeit denkbar ist. In der Kunst allein decken sich sinnliche und geistige Welt; denn das Genie ist die Intelligenz, die als Natur wirkt. So wird die Kunst zum höchsten Organon der Philosophie; denn sie löst das Problem, an dem das philosophische Denken arbeitet. Jedes wahre Kunstwerk ist eine zur vollkommenen Ausgestaltung gelangte Erscheinung der absoluten Welteinheit. In ihm ist der Gegensatz des Denktriebes und des Willenstriebes aufgehoben. Die Kunst ist die Vollendung des Weltlebens, sie ist die reifste Erscheinung des Ich, das den Urgrund aller Wirklichkeit bildet. Das ästhetische Moment ist also für die Weltauffassung Schellings bestimmend geworden. In Schellings +Identitätssystem+ wird endlich die Stufe voll anerkannt, zu der die Natur sich in den früheren Phasen seines Denkens allmählich emporgerungen hat. Sie war durch seine Behandlung selbständig geworden und stand dem Ich ebenbürtig gegenüber. Natur und Ich verlangen nunmehr nach Ableitung aus einem gemeinsamen Grunde. Spinozas Lehre legte Schelling nahe, in Natur und Geist die beiden Erscheinungsweisen des Absoluten zu erkennen; und wie Spinoza nennt er das Absolute bald Gott. Das Absolute ist bei Schelling weder ideal noch real, weder Geist noch Natur, sondern die absolute Identität oder Indifferenz beider Bestimmungen. Wie der ganze Magnet weder Nordmagnetismus noch Südmagnetismus, sondern beides ist und in seinem Mittelpunkte ihre Indifferenz enthält, so ist das Absolute die ungeschiedene Vereinigung aller Gegensätze. Zugleich enthält das Absolute die Möglichkeit, sich zu differenzieren und zu einem System der verschiedenen Erscheinungen zu werden. In Schellings Anschauung entwickelt sich die absolute Vernunft in zwei Reihen; in der einen überwiegt die Natur, in der anderen der Geist. In keiner dieser differenzierten besonderen Erscheinungen kommt das Absolute zu voller Darstellung: im menschlichen Organismus z. B. überwiegt noch das physische, im besten Werke eines Künstlers das ideelle Moment. Vollkommene Entfaltung der absoluten Vernunft ist deshalb nur im Universum, in der Totalität der Erscheinungen, möglich. Das Universum ist mithin der vollkommenste aller Organismen und das vollkommenste Kunstwerk, es ist die Identität des absoluten Organismus und des absoluten Kunstwerkes. Die Naturphilosophie der Renaissance hat gleichfalls das Universum als einen Organismus und als ein Kunstwerk betrachtet. Darum machte Schelling 1802 den größten italienischen Naturphilosophen Giordano Bruno zum Anwalt seiner Lehre, die Wahrheit und Schönheit gleichsetzte, und entwickelte seinen ästhetischen Pantheismus in dem Dialog: „Bruno oder über das natürliche und göttliche Prinzip der Dinge.“ Auf dieser dritten Stufe hat Schellings Philosophie die Fichtesche Form abgetan; er geht nicht weiter vom Ich aus, sondern von der Natur, also von dem, was früher von dem Ich realisiert wurde. Die Natur verlangt jetzt, unabhängig vom subjektiven Bewußtsein erkannt zu werden. -- Selbstverständlich kommen für die Frage, wie weit Schleiermachers „Reden“ und „Monologen“ von Schelling abhängig sind, nur Schriften der ersten Phase, also aus der Zeit der Naturphilosophie, in Betracht. Schleiermacher hat sie früh gelesen. Aber gewiß konnte er aus ihnen nicht entnehmen, was Schelling nachmals mit deutlicher Beziehung auf Schleiermacher als Verdienst der Naturphilosophie in Anspruch genommen hat: die Erklärung der Welt unter Voraussetzung wahrhafter Realität der in Raum, Zeit und Bewegung geordneten Außenwelt. Schelling bezeichnete später den, der „die Erklärung der Welt damit beginnt, daß er einen beträchtlichen Teil derselben gleich als nicht existierend erklärt“, als einen „Chirurgen, der ein Glied, das er heilen soll, lieber gleich abschneidet, weil dieses doch der kürzeste Weg sei, jemand von der Ungelegenheit, die es ihm verursacht, zu befreien“. Schleiermachers Ausgangspunkt, von dem aus er seine realistische Freude am Endlichen sich erobert, ist die Religion. Und dieser Ausgangspunkt war Schelling fremd. Noch mehr: Schellings Realismus kommt in der dritten Phase, im Stadium der Identitätsphilosophie, zum Durchbruch. Mag er sich früher schon vorbereiten, vielleicht sogar ankündigen, ganz gewiß hat Schleiermacher +vor+ Schelling seinen Realismus bekannt; vielleicht hat er -- neben anderen -- Schelling dadurch den Weg gewiesen. Wie Schleiermacher beschäftigt sich Schelling allerdings schon in seinen ersten Schriften mit dem Problem der sichtbaren Gegenwart des Unendlichen im Endlichen. Beide sind bemüht, den Weg von dem einen Pol zum anderen zu finden. Abermals aber gewinnt man den Eindruck, als ob der transzendentale Idealismus und die Identitätsphilosophie Schellings der Anschauung Schleiermachers näher ständen und die Frage, wie in endlicher Darstellung das Unendliche festzuhalten sei, stärker in den Vordergrund schöben, als die Naturphilosophie. Vielleicht ist dies unter Schleiermachers Einfluß so geworden. Ganz gewiß vollzieht sich indes in Schellings Urteil über Individualität eine Wandlung, die ihn Schleiermacher näher bringt; mindestens bekannte sich noch die Naturphilosophie zu einem Kredo, das der Individualität weit weniger günstig ist als Schleiermachers Persönlichkeitslehre. Daneben waltet freilich eine starke Übereinstimmung zwischen den „Reden“ Schleiermachers und der „Weltseele“ Schellings in der Art und Weise, wie alles besondere Dasein aus verschiedenen Mischungsverhältnissen der Gegensätze abgeleitet wird. Und an dieser Stelle kann Schleiermacher von Schelling gefördert worden sein. Die Wendung zum Ästhetischen, die sich in der zweiten und dritten Phase von Schellings romantischer Entwickelung vollzieht, ist schon in den „Reden“ zu finden. Ausdrücklich hebt Schleiermacher die Verwandtschaft hervor, die zwischen dem religiösen Vorgang und dem ästhetischen Eindruck besteht. Richtet sich dort der Sinn auf das Wie und Was der Erscheinung, auf den ungeteilten Eindruck eines Ganzen, so findet auch das ästhetische Vermögen seine Befriedigung in der bloßen Anschauung des Kunstwerkes oder der Natur, sofern sie als künstlerisch hervorbringend gedacht wird („Reden“ 1. Auflage S. 149; vgl. Dilthey, Leben Schleiermachers S. 304). Anschauung des Universums und Anschauung des Kunstwerkes treten hier schon in Parallele. Gelernt hat Schelling an dieser Stelle freilich nichts von Schleiermacher; denn die Parallelisierung von Universum und Kunstwerk ist ihm von anderer Seite in breiterer Ausführung geboten worden; eine an Mächtigkeit die flüchtigen Bemerkungen Schleiermachers weit übertreffende Hauptquelle der Philosophie Schellings kommt hier in Betracht: Goethe. Künstlerisches Schaffen und Naturbetrachtung in eins zu schlingen, war Goethe besonders seit Italien etwas Selbstverständliches. Am schwierigsten zu lösen ist die Frage, wieweit die Romantiker Schelling wegen seiner Fassung und Verwertung des +Organismusbegriffes+ verpflichtet sind. Ohne Zweifel hat keiner den Begriff so folgerichtig und so allseitig entwickelt, wie Schelling. Doch ebenso gewiß ist Fr. Schlegels Denken von Anfang an auf dasselbe Ziel gerichtet; ferner verwertet er von früh auf ästhetisch den Begriff, der ja eine lange Vorgeschichte in der Kunstlehre des 18. Jahrhunderts hat und von Goethe und Herder, aber auch von Moritz an Schelling wie an Fr. Schlegel in hochausgebildeter Form übergeben wird (s. oben S. 15 ff.). Das Hauptmerkmal organischer Betrachtung ist der Wunsch, eine Erscheinung als Ganzes zu begreifen, auf das Ganze und Einheitliche bei der Betrachtung und Würdigung, sei’s der Welt, sei’s eines Ausschnittes aus ihr, zu dringen. Das 116. Athenaeumfragment und die Definition der romantischen Poesie, die es versucht, sind auf dem Gedanken der vereinheitlichten Ganzheit aufgebaut. Und zwar ganz gewiß, ohne daß Schelling auch nur entfernt als Anreger in Betracht käme: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist..., alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen... Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten, wieder mehre Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst, bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang... Sie ist der höchsten und der allseitigsten Bildung fähig, nicht bloß von innen heraus, sondern auch von außen hinein; indem sie jedem, was ein Ganzes in ihren Produkten sein soll, alle Teile ähnlich organisiert...“ Aber noch viel früher drängt Fr. Schlegel auf das Einheitliche, Ganze im Kunstwerk. Schon Mitte Mai 1793 schreibt er an seinen Bruder (S. 86): „Es gibt nur zwei Gesetze für die Dichtkunst. Eines derselben ist -- das Mannichfaltige muß zu innerer Einheit notwendig verknüpft sein. Zu Einem muß alles hinwirken, und aus diesem Einen jedes andern Dasein, Stelle und Bedeutung notwendig folgen.“ Er nennt „das, wo alle Teile sich vereinigen, was das Ganze belebt und zusammenhält“, das „Herz des Gedichtes“ und sucht es in „Hamlet“, „Götz“, „Romeo“. „Ohne Natureinheit und Vernunfteinheit... ist die höchste Schönheit der Anordnung unmöglich... Zu ihr gehört die Verteilung in kleinere Ganze... Die Teile müssen in das größere Ganze sanft verschweben, wie Wellen des Stromes.“ Die trocken verstandesmäßigen, rein schematischen ästhetischen Kategorien Einheit und Mannigfaltigkeit gewinnen unter Fr. Schlegels Hand neues Leben. Divinatorisch schreitet er in der Richtung weiter, die Herder, Lenz, Goethe in der Sturm- und Drangzeit eingeschlagen haben und in der auch K. Ph. Moritz’ Spekulation sich bewegt. Auf ästhetischem Gebiete steigert sich seine Erkenntnis und seine Verwertung der organischen Ganzheit rasch und dauernd, bis er nicht nur das einzelne Kunstwerk, sondern die ganze Kunst wie eine organische Einheit betrachtet. Stolz sagt er 1804 in der Vorrede zum ersten Bande von „Lessings Gedanken und Meinungen“ (S. 34): „Die Konstruktion und Erkenntnis des Ganzen [der Kunst und Dichtkunst]... ist von uns als die eine und wesentlichste Grundbedingung einer Kritik, welche ihre hohe Bestimmung wirklich erfüllen soll, aufgestellt worden.“ Lessing wird dabei als Vorläufer solchen Strebens in Anspruch genommen. Daß eine organische Konstruktion des Ganzen der Kunst für Fr. Schlegel zugleich auch eine historische Konstruktion bedeutete, ist selbstverständlich. Der Wunsch, das Kunstwerk als organisches Ganze zu fassen, entspringt abermals dem metaphysischen Bedürfnisse Fr. Schlegels. Ganz wie Schopenhauer es umschreibt, möchte Fr. Schlegel das Kunstwerk in seinem innersten Zusammenhange überschauen und der Einheit sich bewußt werden, die darin zur wechselnden Erscheinung kommt. Vom einzelnen Kunstwerk schreitet er alsbald folgerichtig zum Ganzen der Kunst weiter. Hat indessen Fr. Schlegel vielleicht von Schelling gelernt, die ganze Welt, das Universum, als Organismus zu fassen? In den „Ideen“ und im „Gespräch über die Poesie“, wo diese Anschauung immer wieder auftaucht, zeigt sie sich sofort in der Form des ästhetischen Idealismus Schellings: „Alle heiligen Spiele der Kunst sind nur ferne Nachbildungen von dem unendlichen Spiele der Welt, dem ewig sich selbst bildenden Kunstwerk“, sagt Lothario im „Gespräch“ (2, 364). Und gleich im Eingang des „Gespräches“ (S. 339) erscheint die Erde als das „eine Gedicht der Gottheit, dessen Teil und Blüte auch wir sind“. Das Universum ein Kunstwerk! Schlegel ist zu dieser Überzeugung doch wohl sicher in dem Augenblick gelangt, da Schleiermacher ihm das Universum wieder nahegerückt hatte. Galt es doch auch diesmal nur die alten, jetzt freilich mit neuem Lebensinhalt erfüllten Begriffe in Friedrich wachzurufen; denn von Anfang an war er gewöhnt, seine Anschauung von organischer Einheit über die Grenzen des Ästhetischen hinaus auf die Erfassung der ganzen Welt anzuwenden. Der Brief an Wilhelm vom 28. August 1793, der für die Begriffe System und Ideal eine Lanze bricht, stellt die Gleichungen auf, die dann ebenso in den „Ideen“ und im „Gespräch“ wie in Schellings ästhetischem Idealismus wiederkehren: „Was wir in Werken, Handlungen und Kunstwerken Seele heißen (im Gedichte nenne ich’s gern Herz), im Menschen Geist und sittliche Würde, in der Schöpfung Gott, -- lebendigster Zusammenhang -- das ist in Begriffen System. Es gibt nur +ein+ wirkliches System -- die große Verborgene, die ewige Natur oder die Wahrheit. -- Aber denke Dir alle menschlichen Gedanken als ein Ganzes, so leuchtet ein, daß die Wahrheit, die vollendete Einheit das notwendige, obschon nie erreichbare Ziel alles Denken ist!“ Ohne daß der Ausdruck selbst erschienen, ist Schellings Universum als Totalität der Erscheinungen hier vorweggenommen; und diesem Universum werden die Prädikate zuerteilt, die Fr. Schlegel für das Kunstwerk gewonnen hat. Ob und wieweit Schelling für die zweite und dritte Phase seiner romantischen Periode etwas von Fr. Schlegel gelernt hat, wird wohl nie ganz einwandfrei festzustellen sein, denn beide fußen auf der Ästhetik und Naturerkenntnis Goethes und Herders. Nur scheint Fr. Schlegel früher als Schelling die Verwandtschaft von Goethes künstlerischen und naturwissenschaftlichen Denkformen erkannt zu haben; Schelling wurde von Goethe selbst in diese Zusammenhänge eingeführt, aber nur nachdem Fr. Schlegel längst die ganze Bedeutung des Organismusbegriffes nach der Seite der Ästhetik wie nach der Seite der Naturerkenntnis erfaßt hatte. Und so darf denn auch die Lehre vom „Mittelpunkt“, die in der organischen Weltanschauung Fr. Schlegels eine so große Rolle spielt, unmittelbar auf ihre ersten Quellen, auf Goethe und auf Moritz (vgl. Jubiläumsausgabe 36, S. XLIII), zurückgeleitet werden. Marie Joachimi möchte (S. 33 ff.) diese Lehre vom Mittelpunkte, die „Zentrumslehre“, zum eigentlichen Glaubensbekenntnis Fr. Schlegels machen. Auf ihre Ausführungen sei hier verwiesen. Wie Schleiermacher so erscheint also heute auch Fr. Schlegel und mit ihm Novalis weniger abhängig von Schelling, als bis vor kurzem angenommen worden war. Marie Joachimi behauptet (S. 18) in Übereinstimmung mit Dilthey, daß Schlegel von der Transzendentalphilosophie nichts gelernt habe und hält umgekehrt Schlegel für den Anreger Schellings überall da, wo Schelling in romantisch-ästhetischer Richtung über Fichte hinausgeht. Spenlé (S. 238 ff.) erweitert die Kluft, die nach den äußeren Zeugnissen zwischen Hardenberg und Schelling bestand. Kircher, der schon 1903 (Euphorion 10, 313 ff.) das Unromantische in Schellings Denken angedeutet hatte, meint in seinem Buche (S. 196, 214, 219, 224, 237) die auffallende Erscheinung feststellen zu müssen, daß ein System von verwegenster Intellektualität, das die ganze Fülle des Naturlebens in sich hell und licht zu machen sucht, zu einer „romantischen Philosophie“ gestempelt worden ist. Unleugbar bleibt nur die Übereinstimmung der eigentlichen Romantiker mit Schelling auf dem Felde der Naturphilosophie; aber auch da fallen heute die Abweichungen fast stärker auf als die Gemeinsamkeiten. Olshausen (S. 13, 17) beobachtet, daß Novalis die Sphäre Schellings eng erscheinen mußte neben der Universalität von Fr. Schlegels Geist; ferner sei Novalis, als Schellings „Weltseele“ erschien, so weit in eigener Richtung fortgeschritten gewesen, daß die Schrift, der Novalis an sich nahestand, keine tiefgehende Wirkung auf ihn weiter tun konnte. H. Simon (S. IX f.) erinnert an Hardenbergs Wort, daß trotz „echter Universaltendenz“ bei Schelling „ein beschränkter Begriff der Natur“ vorausgesetzt sei. „Der theoretische Naturmonismus Schellings“, sagt Simon, „war ganz gegen Novalis’ Überzeugung von der beginnenden Mannigfaltigkeit der Natur, die erst allmählich „moralisch“ und Eins werden sollte. Für ihn ist die Natur als Objekt... gar nicht als +eine+ Natur hinzustellen.“ Wollte Novalis doch an Stelle von Schellings „Urduplizität“ (also seiner Polarität) einen „Urinfinitismus“ der Natur annehmen. Auf der anderen Seite fanden wiederum Novalis und Fr. Schlegel keine Anerkennung. Steffens spottete (an Schelling; bei Plitt 1, 277) über den „Schlegelianismus der Naturwissenschaften“, über die Sucht, die Natur gleichsam auf witzigen Einfällen zu ertappen, Schelling selber aber erklärte 1802 angesichts der ersten Sammlung von Novalis’ Schriften (Plitt 1, 431 f.), er könne diese Frivolität gegen die Gegenstände nicht gut vertragen, an allen herumzuriechen, ohne +einen+ zu durchdringen. ~b~) Die Naturphilosophie Schellings. Die Naturphilosophie, sowohl die Schellings wie die Schlegels und Hardenbergs zu würdigen, muß ein Blick auf die Entwickelung der Naturwissenschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geworfen werden. Novalis und Fr. Schlegel, aber auch Schelling wären minder kühn in ihren naturphilosophischen Konstruktionen gewesen, hätten sie nicht überraschend neuen, die ganze Anschauung der Naturvorgänge umstürzenden Entdeckungen gegenübergestanden. In Perioden, da fast jeder Tag neue Erkenntnisse auf naturwissenschaftlichem Gebiete zeitigt, beginnt die wissenschaftliche Phantasie mit fieberhafter Schnelligkeit zu arbeiten. Magie und Mystik stellen sich ein und überholen ungeduldig die Ergebnisse der zwar rasch, aber für die Rastlosigkeit und den Übereifer wissenschaftlicher Enthusiasten doch noch zu langsam fortschreitenden Forschung. Innerhalb der Physik hatte die Lehre von der Schwerkraft Kant 1755 und -- in abschließender Weise -- Laplace 1798 zu ihrer Hypothese von der Entstehung des Sonnensystems geführt. Chladni versinnlichte 1787 die Schwingungszustände von Platten und Scheiben in den bekannten Klangfiguren. 1789 führten Galvanis Froschexperimente zur Feststellung einer tierischen Elektrizität; andere elektrische Erscheinungen glaubte man an der Voltaschen Säule zu entdecken, bis Volta die Identität beider Formen der Elektrizität nachwies. Die Chemie erfuhr 1774 durch Lavoisier eine gründliche Umgestaltung. Bis dahin hatte die Theorie gegolten, daß Verbrennung die Wirkung eines besonderen Prinzipes, des Phlogiston, sei. Man nahm an, daß bei der Verbrennung das Phlogiston in die Luft entweiche und daß die zurückbleibende Asche den eigentlichen Stoff des Körpers, ohne das Phlogiston, darstelle. Lavoisier wies nach, daß die Asche nicht immer leichter sei als der Körper vor der Verbrennung. Er erkannte auch, daß der verbrannte Stoff um so viel schwerer ist, als die umgebende Luft leichter wird. Der Luftbestandteil, der beim Verbrennungsprozeß hinzutritt, wurde in dem von Priestley gleichzeitig entdeckten Sauerstoff festgestellt. Um 1790 aber wurde noch eine andere Bewegung auf dem Felde der Naturwissenschaften wichtig, die etwa ein Menschenalter vorher eingesetzt hatte: die Verdrängung der mechanischen Naturanschauung durch eine organische. Der große Berner Haller ging bahnbrechend voran; auf medizinischem Felde hat er zuerst seine Wirkung ausgeübt. Er hatte in der Irritabilität der Muskeln und in der Sensibilität der Nerven zwei Erscheinungen entdeckt, die tief in das Wesen der organischen Welt einführten. Drei Schulen erwuchsen aus seiner Entdeckung: die eine sah in der Irritabilität eine Folge der Sensibilität, die andere, von dem schottischen Arzt Brown geleitet, erblickte in der Irritabilität das oberste Prinzip, die dritte suchte beide Gegensätze in einem höheren Begriffe zu verschmelzen. Die erste führte alle Lebenserscheinungen auf den Einfluß der Nerven zurück, die zweite wollte in der Muskelerregung die Quelle finden, die dritte vertrat die vitalistische Theorie, indem sie so Reizbarkeit wie Erregbarkeit zum Ausdruck einer allgemeinen Lebenskraft erhob. Die Brownsche Lehre schied zwei Krankheitstypen: zu starke und zu schwache Erregbarkeit des Muskelsystems, Asthenie und Sthenie. Die Unterscheidung gab der Naturphilosophie reiches Material zu Untersuchung und Hypothese. Der Vitalismus, vielfachster Deutung fähig, führte einerseits zu Hahnemanns Homöopathie, anderseits entstammt ihm der Mesmerismus. Mit bestem Gewissen und nach seinem besten Wissen hat Mesmer (1733-1815) die auf falscher Deutung richtiger Beobachtungen ruhende Lehre vom animalischen Magnetismus ausgebildet. Die Romantik ist bis zu Justinus Kerner gern in seine Schule gegangen. Ein Irrtum Mesmers und seiner Anhänger war es, bei Vorgängen, die lediglich auf Suggestion und Hypnose ruhten, an Magnetismus zu denken. Doch eben die Fülle neuer magnetischer, elektrischer, galvanischer Entdeckungen, die noch lange nicht zu übersichtlicher Ordnung gediehen war, öffnete willkürlicher Kombination und falscher Hypothese Tür und Tor. Waren dieselben Erscheinungen doch auch der Anlaß, die dynamisch-organische Erklärung der Naturvorgänge neben der mechanischen immer mächtiger hervortreten zu lassen. In den organischen Disziplinen vor allem bemächtigte sich die vitalistisch-organische Auffassung mehr und mehr der Herrschaft. Goethe neigte von Anfang an zu dieser Auffassung. Er war gewohnt, sich selbst der Natur einzuordnen. Und, obwohl nach Kräften bemüht, innerhalb des Anschaulichen zu bleiben und die Grenzen der Sinneserkenntnis zu wahren, suchte er die Typen herauszufinden, aus denen Pflanzliches und Animalisches erwachsen sei. Entwickelungsreihen aufzustellen, lag ihm fern, ebenso nach den Ursachen und Wirkungen dieser Entwickelungsreihen zu forschen. Neben Goethes physiologische Betrachtung trat in Fichtes Schriften eine psychologische Naturphilosophie. Denn Fichtes triadisches Schema ist ebenso eine primitive Form evolutionistischen Denkens wie Goethes Typentheorie und dient in letzter Linie zur Erklärung des Werdens seelischer Prozesse. Schelling endlich geht von physiologischer und psychologischer Betrachtung weiter zum Aufbau einer Entwickelung und behandelt zu diesem Zwecke die anorganische Natur ohne Zögern rein dynamisch. Schritt für Schritt läßt er die anorganische Natur der organischen sich nähern. Mit der zentrifugalen Kraft der Repulsion und der zentripetalen der Attraktion setzt er ein. Aus ihrem Intensitätsverhältnisse leitet er Schwere, Kohäsion und Elastizität, ja auch einen Teil der chemischen Eigenschaften ab. Der ponderablen Materie tritt die imponderable (der Äther) gegenüber; aus der Synthesis beider und aus ihrer gegenseitigen Hemmung erwachsen Licht und Wärme. Die nächste Stufe (auf ihr tritt das Grundgesetz der Dualität und Polarität zum erstenmal deutlich hervor) bilden die elektrischen Erscheinungen, deren tieferen Grund Schelling im Magnetismus sucht. Höchste Form der Polarität ist die chemische Wirkung des elektrischen Prozesses. Den Übergang zur organischen Welt bildet endlich der Galvanismus. Innerhalb der organischen Welt lösen sich die drei Stufen der Reproduktionsfähigkeit, Reizbarkeit, Sensibilität ab. Je höher die Entwickelung steigt, desto geringer wird die Reproduktionsfähigkeit, desto stärker die Sensibilität. In dieser Stufenleiter vollzieht sich bei Schelling der Übergang vom Unbewußtesten zum Bewußtesten, die allmähliche Durchgeistigung der Natur. Wenn Schellings System mehr als ein augenblicklicher Einfall sein wollte, mußte ein solcher Versuch, die Umbildung aus den niederen in die höheren Formen zu konstruieren, gewagt werden. An die großartige Konzeption der Naturphilosophie Schellings reicht diese Deduktion der einzelnen Stufen ganz gewiß nicht heran. Wie wenig sie Schelling selbst befriedigte, erhellt aus der Tatsache, daß er die Reihenfolge und die Übergänge seiner Kategorien der Natur mehrfach verschob. Schelling wollte ausdrücklich in der angeführten Stufenfolge eine „Entwickelung“ zeichnen. Er hat sich aber nicht ausgesprochen, ob dieser Übergang des Unvollkommenen in das Vollkommenere auch eine historische Tatsache und ein zeitlicher Prozeß sei. Nicht um eine Deszendenztheorie war es ihm zu tun, nicht eine kausale Erklärung ist seine Absicht. Die Bedeutung, die dem einzelnen innerhalb des Ganzen zukommt, möchte er ergründen. Teleologische Betrachtung war für Kant nur als Mittel zum Zwecke der Auffindung des kausalen Mechanismus zulässig gewesen; hier wird sie zu einem metaphysischen Erklärungsprinzip. Wie nahe Schelling den Konstruktionen der „Ideen“ Herders dabei kam, dessen war er sich selber vollkommen bewußt. Wenn er auch durch Kielmeyer sich besonders angeregt fühlte, so führte er doch selber auch Kielmeyers Gedanken auf Herdersche Impulse zurück (s. oben S. 14). Daß er auch Goethe aufs tiefste verpflichtet war, ist ihm wohl nur allmählich im Verkehr mit Goethe klarer und klarer geworden. Durchaus fremd war Herder und Goethe nur die Fichtesche Betrachtungsweise; nicht nur der triadische Rhythmus, auch die transzendental-idealistische Anschauung, die in der Phase der Naturphilosophie Schellings noch führt und herrscht, die Überzeugung, daß das Ich das Nicht-Ich setze, daß ohne das Ich von Natur keine Rede sein könne (vgl. E. A. Boucke, Goethes Weltanschauung S. 187 f.). Goethe hat trotzdem -- wie er Schelling am 27. September 1800 bekannte -- sich entschieden zu Schellings Lehre hingezogen gefühlt, in der er sein eigenes Gedankengut nicht übersehen konnte. „Ich wünsche eine völlige Vereinigung“, setzte er damals hinzu. In dem Gedicht „Weltseele“ hat Goethe dann dithyrambisch von der Durchgeistigung der anorganischen Natur und von dem Aufstieg durch die Natur zur Geisteswelt gesungen: Ihr greifet rasch nach ungeformten Erden Und wirket schöpf’risch jung, Daß sie belebt und stets belebter werden Im abgemeßnen Schwung. Und kreisend führt ihr in bewegten Lüften Den wandelbaren Flor Und schreibt dem Stein in allen seinen Grüften Die festen Formen vor. Nun alles sich mit göttlichem Erkühnen Zu übertreffen strebt; Das Wasser will, das unfruchtbare, grünen, Und jedes Stäubchen lebt. Und so verdrängt mit liebevollem Streiten Der feuchten Qualme Nacht! Nun glühen schon des Paradieses Weiten In überbunter Pracht. Wie regt sich bald, ein holdes Licht zu schauen, Gestaltenreiche Schar, Und ihr erstaunt, auf den beglückten Auen, Nun als das erste Paar. Die „Deduktion des dynamischen Prozesses“, die Goethe in dem zitierten Briefe an Schelling sich immer mehr aneignen zu können hoffte, ist hier ins Dichterisch-Visionäre umgesetzt. Leicht erkennt man in Goethes Strophen einzelne Phasen der Schellingschen Konstruktion; Goethe führt sie bis zu der Stufe der Menschheit. Am 20. Mai 1826 schrieb Goethe an Zelter über dieses Gedicht, es stamme aus einer Zeit, „wo ein reicher jugendlicher Mut sich noch mit dem Universum identifizierte, es auszufüllen, ja es in seinen Teilen wieder hervorzubringen glaubte“. Und er kann ein Vierteljahrhundert nach der Niederschrift des Gedichtes immer noch der Naturphilosophie Schellings zubilligen: „Jener kühne Drang hat uns denn doch eine reine, dauernde Einwirkung aufs Leben nachgelassen; und wie weit wir auch im philosophischen Erkennen, dichterischen Behandeln vorgedrungen sein mögen, so war es doch in der Zeit von Bedeutung und, wie ich tagtäglich sehen kann, anregend und anleitend für manchen.“ Im einzelnen hat der Naturhistoriker Goethe die Schellingschen „Kategorien der Natur“ nicht verwertet. Er blieb bei der Freude an der Gesamtanschauung der Naturentwickelung stehen. Kopfschüttelnd aber betrachten Söhne einer späteren Zeit die kühnen Kombinationen Schellings, die ja sicher manche wissenschaftliche Entdeckung angeregt haben, im wesentlichen doch ein ungreifbarer Schemen geblieben sind. Man muß dieser Tatsache sich bewußt bleiben, will man Hardenbergs noch kühnere Verknüpfungen nicht von vornherein zu undiskutierbaren Paradoxen stempeln. ~c~) Der Schlegelianismus der Naturwissenschaften. Etwas Beunruhigendes mußten ja die naturphilosophischen Kombinationen Hardenbergs sogar für Schelling haben; und in den Fragmenten, die 1802 aus Hardenbergs Nachlasse in die Welt traten, war manches, was der Augenblick geboren hatte, was der Augenblick aber auch wieder vernichten sollte, für alle Zeiten als Denkresultat Hardenbergs festgenagelt. Schelling war in mühsamer und mehrfach schwankender Verwertung der neuesten Resultate der „Physik“ zu einem Aufbau der Natur gelangt, in dem sie von Stufe zu Stufe ein allmähliches Bewußterwerden zeigte. Menschliches war damit in die Natur hineingetragen. Novalis und Fr. Schlegel gehen weiter: sie übertragen nicht nur geistige Qualitäten auf die Natur, sie erblicken auch Naturprozesse chemischer und elektrischer Art in geistigen Vorgängen; sie suchen Menschliches zu deuten, indem sie es ins Naturleben zurückversetzen. Novalis spricht nicht nur von der Toleranz und dem Kosmopolitismus der Blumen, wirft nicht nur die Frage auf, ob die Seelen der Pflanzenindividuen nicht vielleicht die ätherischen Öle seien; er nennt auch Denken eine Muskelbewegung, Witz ist ihm geistige Elektrizität, Denklehre entspricht der Meteorologie, er fragt: „Sollte Denken oxydieren, Empfinden desoxydieren?“ (2, 215). Und wie er mit Vorliebe das Verhältnis der Geschlechter auf die Natur überträgt, so stellt er umgekehrt die These auf: „Das Weib ist unser Oxygen“ (2, 217). Es sind kühnste Kombinationen des philosophischen Witzes (s. oben S. 34 f.), Versuche durch bloße Kombination ganz neue Wege der Wissenschaft zu finden. Weit eher als Schelling wurden für solche kühne Kombinationen Franz Baader und Joh. Wilh. Ritter Stützen und Helfer Hardenbergs. Ihnen beiden zollt er auch volle Anerkennung -- eine Anerkennung, mit der Ritter gegenüber selbst die Wissenschaft von heute nicht kargt. Von Baader heißt es in Hardenbergs Briefe an Fr. Schlegel vom 7. November 1798: „Seine Zauber binden wieder, Was des Blödsinns Schwert geteilt“; augenscheinlich denkt Novalis auch hier an Vereinheitlichung der Geisteswelt und der Natur. Von Ritter sagt Novalis’ Brief an Caroline Schlegel vom 20. Januar 1799: „Ritter ist Ritter und wir sind nur Knappen. Selbst Baader ist nur sein Dichter.“ Strengwissenschaftlich um die Ergründung und Prüfung des neuentdeckten Phänomens des Galvanismus bemüht, veröffentlichte Ritter 1798 den „Beweis, daß ein beständiger Galvanismus den Lebensprozeß in dem Tierreich begleite“. Auch hier war wieder der Nachweis versucht, daß die Natur das vollkommenste organische System sei: „Wo ist eine Sonne, wo ist ein Atom, die nicht Teil wäre, der nicht gehörte zu diesem organischen All, lebend in keiner Zeit, jede Zeit fassend in sich?“ Novalis schritt von diesem neuen Beweise der Alleinheitlichkeit der Natur sofort kühn zur Aufstellung eines „Galvanismus des Geistes“. Ritter sagt in seinen „Fragmenten aus dem Nachlaß eines jungen Physikers“ (1810, 1, XVIII), wenn er von seiner ersten Berührung mit Novalis zu sprechen hat: „Novalis und unser Freund verstanden sich den Augenblick: fürs erste lag auch nicht die geringste Merkwürdigkeit in ihrem Zusammenkommen; letzterem war schlechterdings nur eben, als wenn er einmal laut mit sich selber sprechen könnte.“ Die enge Geistesgemeinschaft beider Freunde wirft etwas Licht auf den geheimnisvollen Begriff des „Galvanismus des Geistes“. Fr. Schlegel, der allein den Terminus uns überliefert hat, scheint, wenn er zum erstenmal des Begriffes in einem Briefe an Schleiermacher gedenkt, selber über den Inhalt des Begriffes wenig im klaren zu sein (Aus Schleiermachers Leben 3, 77); und eine zweite Erwähnung in einem folgenden Briefe (ebd. S. 81) hilft auch nicht weiter: „Bei dem Galvanism des Geistes kommt es natürlich nur darauf an, zu finden, was Nerv und Muskel im Gemüt ist.“ Die dunkle Wendung deutet auf die oben (S. 49) entwickelten Hallerschen Begriffe der Sensibilität der Nerven und der Irritabilität der Muskeln, mit denen Novalis ja ebenso wie Schellings Naturphilosophie arbeitet. Nicht viel weiter helfen Fragmente Hardenbergs, wie: „Unser Denken ist schlechterdings nur eine Galvanisation, eine Berührung des irdischen Geistes, der geistigen Atmosphäre, durch einen himmlischen, außerirdischen Geist“; oder: „Seele und Körper wirken galvanisch aufeinander, wenigstens auf eine analoge Art, deren Gesetze aber in einer höhern Region liegen“; oder: „Der Geist galvanisiert die Seele mittelst der gröbern Sinne; seine Selbsttätigkeit ist Galvanism...“ (2, 214). Weiter führt die Vermutung Spenlés (S. 205, 210), daß Novalis durch Ritter auf Mesmers „Magnetismus“ geleitet worden sei. Ritter ist ja unter den naturphilosophischen Genossen den geheimnisvollen Zusammenhängen zwischen Natur und Menschenseele, die jene Zeit in den Erscheinungen des hypnotischen Schlafes zu finden glaubte, zuerst und am energischsten nachgegangen und hat von ihnen Offenbarungen über die Geheimnisse der anorganischen und der organischen Welt erwartet (vgl. Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers 2, 81). Spiritistisch gesprochen im Zustande des Trance, medizinisch gefaßt im autohypnotischen Schlafe dachte Ritter und mit ihm Novalis („Lehrlinge zu Sais“ 4, 26 f.) einen Zustand der „Unwillkür“ gefunden zu haben, in dem die Seele das Absolute am reinsten anschaut. Das Bewußtsein des Menschen in diesem Zustand der „Unwillkür“, fichtisch genommen: die „intellektuelle Anschauung“ des Menschen, der im hypnotischen Schlafe sich befindet, wurde so zum Schlüssel der Erkenntnis. Hier begegnet sich die Linie, die von Fichte aus gezogen wird, mit der Linie, die von der Mystik der Vitalisten, von Mesmer, ausgeht. Die wunderbaren Wirkungen, die von Novalis’ „magischem Idealismus“ erwartet wurden, die Steigerung der Fichteschen „intellektuellen Anschauung“ zu einer magischen Kraft der Selbstbezauberung und der zauberhaften Lenkung der Natur (s. oben S. 20 f.), fanden -- so meinten es die romantischen Magier Novalis und Ritter -- ihre „physikalische“ Begründung, ihre naturphilosophische Voraussetzung im tierischen Magnetismus, in dem hypnotischen Schlafe oder -- wie sie es selbst nannten -- in der willkürlosen ~clairvoyance~ der Somnambulen (vgl. Ritter a. a. O. S. 83, 85). Nun begreift man, warum Novalis auf „Ekstase“ solchen Wert legt. Nun wird der Sinn seiner Gleichung klar: „Ekstase − Inneres Lichtphänomen = intellektualer Anschauung“ (3, 186). Ausdrücklich ergänzt er ein andermal Fichtes Denken durch den Begriff der Ekstase und sagt: „Ohne Ekstase -- fesselndes, alles ersetzendes Bewußtsein -- ist es mit der ganzen Philosophie nicht weit her“ (3, 219). In der Ekstase gewinnt für Novalis die „intellektuelle Anschauung“ Fichtes einen erhöhten Erkenntniswert. Der ekstatische Seher schaut Dinge, die jedem anderen verborgen bleiben. Die Betonung der Ekstase aber führte Novalis notwendig zu der Quelle aller Mystik, zum Neuplatonismus. Das ganze Streben der Romantiker weist auf ein übervernünftiges Erfassen der göttlichen Wahrheit, das dem einzelnen Menschen in unmittelbarer Berührung mit der Gottheit selbst zuteil wird -- eine Anschauung, die vom Neuplatonismus zuerst aufgestellt worden ist. Schon Philon fordert, daß zu solchem Zwecke die Seele sich nur leidend und empfangend verhalten dürfe, sich aller Selbsttätigkeit zu enthalten habe. Bei solcher ἔκστασις wohnt nach Philon der göttliche Geist im Menschen. Hinter diesem Zustand liegt nach +Plotin+ alles Denken; die Ekstase ist Gottesgewißheit, selige Ruhe in ihm. Wenn darum Novalis einmal (Raich S. 102) die Namen nennt, an die er selber die besten Verdienste um die Naturphilosophie knüpft, so erscheint zuerst Fichte und Hemsterhuis, dann Spinoza. Nun aber heißt es: „Plotin betrat, vielleicht durch Plato erregt, zuerst mit echtem Geiste das Heiligtum und noch ist nach ihm keiner wieder so weit in demselben vorgedrungen.“ Leibnizens Theodicee ist für Novalis nur „ein herrlicher Versuch in diesem Felde“. Goethe aber „soll der Liturg dieser Physik werden“. Nirgends freilich fand Novalis sein eigenes Streben so ahnungsvoll vorweggenommen wieder wie bei dem ~philosophus teutonicus~, bei +Jakob Böhme+, und in dessen mystischer Hingabe an die Gottheit. Er hat ihn nur zu Anfang des Jahres 1800 kennen gelernt, also viel zu spät, als daß er noch Neues von ihm hätte lernen können. Entdeckt wurde Böhme für die Romantik durch Tieck, und Tieck hat auch Novalis in Böhmes Lehren eingeführt. Darum kann Hardenbergs Gedicht „An Tieck“ (1, 224 ff.) den Angesprochenen durch Böhme zum „Verkündiger der Morgenröte“ weihen lassen. Tieck selber aber hat in den Roman „Der Aufruhr in den Cevennen“ (1826) sein eigenes Erlebnis verwoben und erzählt, wie aus der Aufklärung heraus der Eintritt in Böhmes Welt wirkt. Fr. Schlegel hingegen faßte einmal scharf und knapp zusammen, was der naturphilosophische Kreis in dem Görlitzer Schuster fand (Philos. Vorlesungen, herausgegeben von Windischmann 1, 428 f.): er erkennt Böhme zu, daß er in der Anwendung des Idealismus auf die Natur und in der tiefen Beziehung des menschlichen Gemüts auf sie ahnend die Erkenntnisse neuester Entwickelung vorweggenommen habe. Natürlich denkt Fr. Schlegel an die Übertragung der geistigen Qualitäten des Menschen auf die Natur. „Aber noch viel merkwürdiger und charakteristischer“, setzt Fr. Schlegel hinzu, „ist die Annäherung seiner Philosophie zur Poesie... Böhme schloß sich durchgängig ganz an die poetische Ansicht an; keine andere Philosophie kommt ihm darin gleich; keine ist so reich an Allegorie und sinnbildlicher Bedeutung. Plato war nicht einmal imstande, die griechischen Gottheiten und die Mythologie so edel und tiefsinnig anzusehen, als wir jetzt; noch viel weniger sie so tief zu deuten, wie J. Böhme das Sinnbildliche des Christentums gedeutet hat.“ Fr. Schlegel behauptet darum, Böhme sei ein „vollkommenerer Idealist“, ein „größerer Deuter“ als Plato; mehr als alle anderen Dichter und Autoren enthalte er die schönsten und bedeutendsten Allegorien. Wirklich deutet Böhme chemische Begriffe psychologisch und theosophisch, mit einer Kühnheit, die den Fragmenten Hardenbergs nichts nachgibt. Seine Lehre geht von der Behauptung aus, daß Gutes und Böses von der Gottheit stamme, Göttliches und Widergöttliches in Gott enthalten sei, Süßes und Herbes, Licht und Finsternis. Das Süße setzt er dem Quecksilber gleich und dieses wieder wird ihm zum Symbol der organischen Natur, der Pflanzen, Tiere und Menschen; ebenso entspricht dem Herben der „Salniter“, das unorganische Reich, das „Finstere“. Jenes bedeutet in seinen Augen das Himmelreich, dieses die Hölle. Mittelglied aber sei das lebendige Feuer, der „Sulphur“, sowohl als zerstörendes Zornfeuer wie als wohltätiges Liebesfeuer. Zum Teil liegen hier Symbole vor, die der Romantik bald geläufig geworden sind. Das „Feuer“ im „Zentrum“ ist schon früh für Fr. Schlegel eine Form seiner Lieblingsvorstellung vom „Mittelpunkt“. „Im Centro liegt das ew’ge Feu’r verhüllet, Dem großen Vater ringt es stets entgegen Mit süßen sehnsuchtsvollen Pulsesschlägen, Daß Blum’ und Baum zum blauen Äther quillet“; so lautet es in Tiecks Sonett „An Friedrich Schlegel“, einer Dichtung, die „wirklich Fr. Schlegels Innerstes erkannt“ hat (vgl. Joachimi S. 48). Fr. Schlegels Bemerkungen über Böhme weisen aber auch auf die eigentliche Verwertung hin, die der „Schlegelianismus in den Naturwissenschaften“ suchte und fand. Mag auch viel Willkür und Phantastik in Novalis’ Analogien liegen, schließlich mündete all das in das Reich der Poesie; der Poet Novalis durfte für sich das Recht in Anspruch nehmen, eine dichterische „Physik“ als „Lehre von der Phantasie“ auszugestalten und in dem phantasiereichsten Dichter den eigentlichen physischen Magus zu entdecken. Der Poet -- so meint es Novalis -- versteht die Natur besser als der wissenschaftliche Kopf. War diese Behauptung zu kühn, wenn man in Goethe den „Liturgen“ der neuen Physik erblickte? Philosophie sollte in Poesie übergehen, sie sollte nicht bloß der Erkenntnis dienen. Die Naturphilosophie aber erhielt die besondere Aufgabe, eine +neue Mythologie+ zu schaffen. Der Mangel einer Mythologie war von Klopstock und von Herder (s. oben S. 15), aber auch von Schiller in den „Göttern Griechenlands“ zur Ursache der Trockenheit moderner Poesie gemacht worden. Wie Mythologie zu neuem Leben erwachen könnte, weiß Fr. Schlegels „Rede über die Mythologie“ im „Gespräch über die Poesie“ anzugeben. Aus der tiefsten Tiefe des Geistes muß sie herausgebildet werden. „Es muß das künstlichste aller Kunstwerke sein, denn es soll alle andern umfassen, ein neues Bette und Gefäß für den alten, ewigen Urquell der Poesie und selbst das unendliche Gedicht, welches die Keime aller andern Gedichte verhüllt“ (2, 358). Im Sinne Spinozas und der „jetzigen Physik“ soll die alte Mythologie geschaut und dadurch neu belebt werden. Dazu sollen auch die anderen Mythologien wieder erwachen, vor allem die des Orients. „Welche neue Quelle von Poesie könnte uns aus Indien fließen, wenn einige deutsche Künstler mit der Universalität und der Tiefe des Sinns, mit dem Genie der Übersetzung, das ihnen eigen ist, die Gelegenheit besäßen... Im Orient müssen wir das höchste Romantische suchen“ (2, 362). Das Mittel aber, all diese Schätze neu zu beleben, bleibt das „Studium der Physik“, „aus deren dynamischen Paradoxien jetzt die heiligsten Offenbarungen der Natur von allen Seiten ausbrechen“ (2, 363). Wiederum hat Schelling gleichzeitig (im „System des transzendentalen Idealismus“) die Mythologie das Mittelglied der Rückkehr der Wissenschaft zur Poesie genannt. Wiederum kann nicht festgestellt werden, ob Fr. Schlegel durch Schelling auf den Gedanken gekommen ist oder nicht. Sicher hat Schelling ihn schon früher in sich getragen, sicher aber auch Fr. Schlegel ihn kühner, allseitiger und weiteren Blickes dargelegt. War doch seine und seines Freundes Novalis’ Naturphilosophie von Anfang an poetischer, phantasievoller gedacht als die Schellings. Wohl hat Schelling in den Vorlesungen über Philosophie der Kunst (1802/3) das ganze Thema reicher und zusammenhängender dargelegt; aber damals stand er völlig auf den Schultern der romantischen Genossen. Wilhelm Schlegels Berliner Vorlesungen bemühten sich dann mehrfach den neuen Begriff der naturphilosophischen Mythologie zu verdeutlichen (1, 354 ff.; 2, 46 ff.). In der poetischen Ausmünzung der Naturphilosophie lag vielleicht der beste Gewinn, den die Poesie aus der romantischen Theorie ziehen konnte. Mindestens war hier systematisch erfaßt, war von einem höchsten geistigen Standpunkt aus festgelegt, was Poesie unbewußt längst geübt hatte, was jetzt aber aus bewußter Kunst in reichster Fülle der deutschen Dichtung zufallen sollte: die Verlebendigung und Vermenschlichung der Natur. Nicht mit Unrecht hat man darum die ganze Naturphilosophie als einen Versuch bezeichnet, die Natur poetisch zu stilisieren, ihre Erscheinungen und Erzeugnisse in Reihen zu ordnen, die bloß durch äußere Ähnlichkeit bestimmt wurden und bei denen der Begriff der Entwickelung ganz aus dem Spiel blieb (vgl. A. E. Schönbach, „Über Lesen und Bildung“, 7. Auflage, Graz 1905, S. 244). 3. Poesie der Poesie. Romantischer Monismus. Schleiermachers „Reden“ haben auf die romantischen Genossen überhaupt, nicht bloß auf Schelling, mächtig gewirkt. Sie erwecken zunächst in Fr. Schlegel und Novalis die Liebe zum Universum; sie bestärken Novalis und Tieck in ihren religiösen Neigungen und begegnen in Fr. Schlegel verwandten Tendenzen; sie drängen Fr. Schlegel auf das Gebiet der Ethik und werden so eine Voraussetzung der „Lucinde.“ Fr. Schlegels dritte Fragmentensammlung, die „Ideen“ im 1. Heft des 3. Bandes des „Athenaeum“ wird von Schleiermachers Universumlehre getragen. Hier kommt zum Ausdruck, was man neuerdings (M. Joachimi-Dege, Deutsche Shakespeareprobleme, 1907, S. 212 f.) den Monismus der Romantik genannt hat. Weil -- wie später auch Schelling es vorträgt -- im Endlichen allenthalben das Unendliche sich offenbart, weil das Universum durch jede seiner Erscheinungen seine Herrlichkeit erkennen läßt, lernt der Romantiker die Wirklichkeit lieben. Platonisch hält der Klassizismus Schillers an einer Scheidung der „wirklichen“ und der „wahren“ Welt fest. Wohl kennt auch die Romantik diese Scheidung, aber für sie ist die Möglichkeit gegeben, die wahre Welt in der wirklichen zu schauen und sich ihrer zu freuen. Wenn Schiller dem Dichter die wahre Welt im Gegensatz zur wirklichen zuweist, so ist Fr. Schlegel überzeugt, daß die Poesie das höchste Wirkliche nicht erreiche (Minor 2, 327). Ihm ist das Wirkliche eben nicht das Gewöhnliche und Gemeine, das Schiller im Wirklichen allein erblickt; ihm ist es durch die greifbare Beziehung auf das Unendliche geadelt. So wird der Romantiker zum Genußfreudigen und Lebensbejaher. Er beginnt die endliche Welt zu lieben, weil in ihr die Unendlichkeit sich spiegelt. Liebe zum Unendlichen, Sehnsucht nach dem Unendlichen war längst Fr. Schlegel eigen gewesen. Schon in dem Briefe vom 17. Mai 1792 bekennt er sich seinem Bruder gegenüber dazu. Und schon damals verknüpft er die Liebe zum Unendlichen mit der Liebe zum Freunde, mit der Liebe zur Geliebten. Diese mystische Liebesphilosophie wird unter dem Eindrucke der Reden Schleiermachers weiter ausgebaut. Die Sehnsucht nach dem Unendlichen kommt innerhalb der endlichen Welt nirgends besser zur Befriedigung als in der Liebe zum geliebten Weibe. Wiederum gibt Schleiermacher den romantischen Genossen, Friedrich wie Novalis, nur was sie selbst längst besaßen, freilich in geklärter und vertiefter Form. Im Märchen von Hyazinth und Rosenblütchen und im Traum von der blauen Blume, im „Ofterdingen“ überhaupt, ist nur künstlerisch dargestellt, was Schleiermacher philosophisch abstrakt formuliert: vergöttlicht, ins Unendliche erhoben wird das alltäglich Menschliche. Auch natürlichste Liebe erscheint als göttliche Urkraft. „In seiner Liebe zur Geliebten, in dieser unerklärlichen und doch allmächtigen Lebenskraft, die ihn zur Geliebten zieht, erlebt der Romantiker gewissermaßen nur einen Spezialfall der alles belebenden Gottheit“ (Joachimi S. 76). Nicht nur der Liebesbegriff wird dank Schleiermacher schärfer gefaßt. Auch die Poesie gelangt zu einer neuen Definition. Nun kann endlich gesagt werden, was das Poetische ausmacht und worin die „Poesie der Poesie“ begründet ist (vgl. oben S. 36 f.). „Alle heiligen Spiele der Kunst sind nur ferne Nachbildungen von dem unendlichen Spiele der Welt, dem ewig sich selbst bildenden Kunstwerk“, sagt Lothario im „Gespräch über die Poesie“ (2, 364). Ludoviko erwidert: „Mit andern Worten: alle Schönheit ist Allegorie. Das Höchste kann man, eben weil es unaussprechlich ist, nur allegorisch sagen.“ Und Lothario darauf: „Darum sind die innersten Mysterien aller Künste und Wissenschaften ein Eigentum der Poesie.“ Da ist Schellings Ansicht von 1801 vorweggenommen, daß kein Werk eines Künstlers das absolute Kunstwerk, das Universum, erreicht. Da wird Schleiermachers religiöse Verehrung des Universums für die Ergründung der Poesie verwertet. Die Poesie der Poesie ruht auf der Beziehung zum Universum, zum Unendlichen. Darum ist alle Poesie allegorisch oder, besser und unserem Sprachgebrauch entsprechender: symbolisch. Sie zeigt im Bilde das Unendliche. So definiert denn auch W. Schlegel in den Berliner Vorlesungen (1, 90): „Das Schöne ist eine symbolische Darstellung des Unendlichen“; und zwar mit ausdrücklicher und absichtlicher Umwandlung von Schellings Definition: Schönheit ist das Unendliche endlich dargestellt. W. Schlegel kehrt da zu der Formulierung seines Bruders zurück. Da nun aber der Glanz des Unendlichen -- nach Schleiermacher -- auf allem Endlichen ruht, so dehnt sich das Gebiet der Poesie mächtig in die Weite. „Ist denn alles Poesie?“ kann eine der Teilnehmerinnen des „Gespräches“ komisch entsetzt fragen (S. 354); und am Eingang des „Gespräches“ (S. 338 f.) wird die Grenzenlosigkeit des Reiches der Poesie in mächtigen Akkorden gefeiert: „Unermeßlich und unerschöpflich ist die Welt der Poesie wie der Reichtum der belebenden Natur an Gewächsen, Tieren und Bildungen jeglicher Art, Gestalt und Farbe. Selbst die künstlichen Werke oder natürlichen Erzeugnisse, welche die Form und den Namen von Gedichten tragen, wird nicht leicht auch der umfassendste alle umfassen. Und was sind sie gegen die formlose und bewußtlose Poesie, die sich in der Pflanze regt, im Lichte strahlt, im Kinde lächelt, in der Blüte der Jugend schimmert, in der liebenden Brust der Frauen glüht? -- Diese aber ist die erste, ursprüngliche, ohne die es gewiß keine Poesie der Worte geben würde. Ja wir alle, die wir Menschen sind, haben immer und ewig keinen andern Gegenstand und keinen andern Stoff aller Tätigkeit und aller Freude, als das eine Gedicht der Gottheit, dessen Teil und Blüte auch wir sind -- die Erde. Die Musik des unendlichen Spielwerkes zu vernehmen, die Schönheit des Gedichtes zu verstehen, sind wir fähig, weil auch ein Teil des Dichters, ein Funke seines schaffenden Geistes in uns lebt und tief unter der Asche der selbstgemachten Unvernunft mit heimlicher Gewalt zu glühen niemals aufhört.“ Poesie der Poesie aber ist jetzt eine Poesie, die dieses Poetische der Welt in sich faßt. In erster Linie tut dies die romantische Poesie. Darum fordert Fr. Schlegel, daß alle Poesie romantisch sei (2, 373). Und weil diese Poesie mit dem romantischen Sehnsuchtsbegriffe so innig verschwistert ist, verlangt Fr. Schlegel nunmehr, daß das Romantische einen sentimentalen Stoff darstelle. Nur dürfe man dabei nicht die „gewöhnliche übel berüchtigte Bedeutung des Sentimentalen“ meinen, „wo man fast alles unter dieser Benennung versteht, was auf eine platte Weise rührend und tränenreich ist und voll von jenen familiären Edelmutsgefühlen, in deren Bewußtsein Menschen ohne Charakter sich so unaussprechlich glücklich und groß fühlen“ (2, 370 f.). Das Sentimentale, das er selbst meint, umschreibt Fr. Schlegel: „Das was uns anspricht, wo das Gefühl herrscht, und zwar nicht ein sinnliches, sondern das geistige.“ Und indem er die Definition weiterspinnt, bietet er die tiefsten und innigsten Gedanken, die er jemals über Poesie und Romantik vorgebracht hat: „Die Quelle und Seele aller dieser Regungen ist die Liebe, und der Geist der Liebe muß in der romantischen Poesie überall unsichtbar sichtbar schweben... Die galanten Passionen, denen man in den Dichtungen der Modernen... nirgends entgehn kann, sind dabei grade das wenigste oder vielmehr sie sind nicht einmal der äußre Buchstabe jenes Geistes, nach Gelegenheit auch wohl gar nichts oder etwas sehr Unliebliches und Liebloses. Nein, es ist der heilige Hauch, der uns in den Tönen der Musik berührt. Er läßt sich nicht gewaltsam fassen und mechanisch greifen, aber er läßt sich freundlich locken von sterblicher Schönheit und in sie verhüllen; und auch die Zauberworte der Poesie können von seiner Kraft durchdrungen und beseelt werden. Aber in dem Gedicht, wo er nicht überall ist oder überall sein könnte, ist er gewiß gar nicht. Er ist ein unendliches Wesen und mit nichten haftet und klebt sein Interesse nur an den Personen, den Begebenheiten und Situationen und den individuellen Neigungen; für den wahren Dichter ist alles dieses, so innig es auch seine Seele umschließen mag, nur Hindeutung auf das Höhere, Unendliche, Hieroglyphen der +einen+ ewigen Liebe und der heiligen Lebensfülle der bildenden Natur“ (2, 371). Das geheimnisvollste Mysterium soll hier enthüllt werden; und wirklich hebt mit zarten Fingern Fr. Schlegel die Decke empor, die es verbirgt. In Worte will er fassen, was dem modernen Menschen die Poesie bedeutet. Und die Begriffe, die auf unserem Wege uns bisher begegnet sind, die Begriffe, durch die der Romantiker die Welt zu deuten sucht, stellen sich fast vollzählig ein. Die Poesie und das Poetische ist mit einer Stimmung der Sehnsucht aufs innigste verknüpft. Diese Sehnsucht zielt auf ein Höheres, Unendliches. Das Streben nach dem Unendlichen, das dem romantischen Vernunftmenschen eigen ist, findet in der Poesie einen Widerhall. Die Poesie wird dadurch ein Analogon der Liebe im romantisch-mystischen Sinne. Und in ihr naht dem Menschen das Unendliche; zum Erlebnis wird ihm in der Poesie das Absolute; in keinem Endlichen ist -- nach Schleiermachers Anschauung betrachtet -- das Unendliche so gegenwärtig wie in der Poesie. An dieser Stelle kündigt sich wohl am eindringlichsten innerhalb der romantischen Spekulation an, daß und warum dem Romantiker Leben und Denken, Natur und Philosophie zur Poesie hat werden müssen. Weit ungenauer und unsicherer heißt es bei Novalis: „Der Sinn für Poesie hat viel mit dem Sinn für Mystizismus gemein. Er ist der Sinn für das Eigentümliche, Personelle, Unbekannte, Geheimnisvolle, zu Offenbarende, das Notwendig-Zufällige. Er stellt das Undarstellbare dar. Er sieht das Unsichtbare, fühlt das Unfühlbare usw.“ „Es gibt einen speziellen Sinn für Poesie, eine poetische Stimmung in uns. Die Poesie ist durchaus personell und darum unbeschreiblich und undefinissabel. Wer es nicht unmittelbar weiß und fühlt, was Poesie ist, dem läßt sich kein Begriff davon beibringen. Poesie ist Poesie“ (2, 298 f.). Novalis kommt, das Geheimnis der Poesie zu beschreiben, nicht über negative Merkmale hinaus. Fr. Schlegel wagt es, die negativen Elemente, die Novalis erkennt, ins Positive umzudeuten. Für Novalis ist Poesie das Unbeschreibliche, Unfaßbare; für Fr. Schlegel wird Poesie zur Lösung des Rätsels, das von dem Unbeschreiblichen, dem Geheimnisvollsten uns aufgegeben wird -- ein Symbol des Unendlichen. Ist aber Poesie ein Abglanz des Unendlichen, gönnt sie uns einen Blick in die Schönheit des größten Kunstwerkes, gestattet sie uns, „die Musik des unendlichen Spielwerkes zu vernehmen“: dann ist es Aufgabe des Dichters, des Künstlers überhaupt, seine Anschauung des Unendlichen der Welt zu vermitteln. So wird der Künstler zum Mittler. „Ein Mittler“, sagt die 44. Idee, „ist derjenige, der Göttliches in sich wahrnimmt und sich selbst vernichtend preisgibt, um dieses Göttliche zu verkündigen, mitzuteilen und darzustellen allen Menschen in Sitten und Taten, in Worten und Werken.“ Aber nur wer sein Zentrum in sich hat, kann der Aufgabe genügen. „Wem es da fehlt, der muß einen bestimmten Führer und Mittler außer sich wählen“ (Idee 45). „Nur derjenige kann ein Künstler sein, welcher eine eigne Religion, eine originelle Ansicht des Unendlichen hat“ (Idee 13). So arbeitet Fr. Schlegel mit Schleiermachers Anschauungen. Das Genie erhält hier einen neuen Charakterzug. Die Fichteschen Züge des Genies (s. oben S. 36) mit ihrer Neigung, ihrem Inhaber etwas Schillerndes, Unsicheres, Schwankendes zu leihen, finden ihre Ergänzung in der Forderung, daß der Künstler eine in sich geschlossene Persönlichkeit, ein „organischer Geist“ (Athenaeumfragment 366) sei, daß er ein festes Zentrum habe. Und so verbinden sich die Strahlen, die aus der Schleiermacherschen, Fr. Schlegelschen und Schellingschen Vergöttlichung des Unendlichen hervorgehen, in einem Punkte. Hatte Fichte der Romantik zu grenzenloser Selbstbestimmung und willkürlicher Freiheit verholfen, hatte er zugleich eine Scheidewand zwischen dem Reich der Geistigkeit und dem Reich der Natur aufgerichtet, so wich nunmehr nicht bloß solcher Dualismus einem wirklichkeitsfrohen Monismus. Auch die grenzenlose und unbeschränkte Willkür darf nicht länger ungestört walten. Organische Einheit und Ganzheit, Verbindung und Verknüpfung der Teile zu einem geschlossenen Ganzen mit einem festen und sicheren Mittelpunkte: diese neuen Forderungen geben dem Romantiker seinen Halt. Sie weisen auf die Stelle hin, an der der endliche Mensch das Ewige und Unendliche in sich darstellt in einer nur ihm eigenen Form. Stillen aber soll die neue Lehre die krankhafte Sehnsucht nach dem Unendlichen. Die Seelenpein des Vernunftmenschen, der sein Ideal nie erreichen kann, kommt zur Ruhe in der monistischen Verschmelzung des Unendlichen und Endlichen. Die sehnsüchtige Liebe zum Ewigen, zum Absoluten, zu Gott, zum Universum -- sie kann in der Liebe zum Endlichen, zu dieser Welt ihren Frieden finden. Darum sinkt Hyazinth, da er das Bild der Wahrheit zu enthüllen sucht, in Rosenblütchens Arme, darum wird ihm in ihren Armen ein volles, ungetrübtes Glück. Trotzdem bleibt romantische Poesie im wesentlichen eine Poesie der Sehnsucht. Weit seltener als von der erfüllten, dichtet der romantische Poet von der unerfüllten Sehnsucht, sei das nun eine rein räumliche Sehnsucht nach der Ferne oder die Sehnsucht das Ewige, die Gottheit zu erfassen, oder die Sehnsucht nach der Geliebten. Für die Charakteristik dieser Sehnsuchtstimmungen haben die Romantiker feinste und subtilste Worte gefunden, allen voran Novalis. Die Liebe jedoch, die in diesen romantischen Gedankengängen eine solche Rolle spielt, mußte notwendigerweise einmal zu allseitiger Betrachtung kommen; es geschah in der „Lucinde“. III. Die Programme der romantischen Ethik und Religion. 1. Schleiermacher. Lucinde. Frauenbildung. Die romantischen Versuche, eine neue Ethik zu stiften, sind von Anfang an aufs engste mit Schleiermacher verknüpft. Der Zusammenhang ist wohl im Auge zu behalten, soll diesen romantischen Tendenzen nicht Unrecht widerfahren. Das hohe Ziel, das Schleiermacher seiner Sittenlehre gibt, fordert auch für die kühnsten sittlichen Paradoxe der Romantiker verständnisvolle Würdigung; Worte wiederum von beleidigender Schärfe, allerspitzeste Epigramme gegen die übliche Sittlichkeit hat vor allem Schleiermacher geformt. Aus Opposition gegen die bestehende Moral, gegen die Sittenlehre der Aufklärungszeit, sind die Romantiker zu den Forderungen einer neuen Ethik gelangt. Eben deshalb trägt die Mehrzahl ihrer ethischen Kundgebungen denselben Charakter überspannender und übertreibender Polemik, der den innerlich und auch äußerlich nahe verwandten Versuchen Nietzsches eigen ist. Weit mehr noch als auf ästhetischem oder naturhistorischem Felde fühlt ein kühner Neuerer auf dem Gebiete der Sitte sich zu kräftiger Farbengebung angereizt. Die Umwertung aller Werte vollzieht sich hier weit geräuschvoller als dort; schallende Ohrfeigen ertönen da, während der literarische Revolutionär, der naturphilosophische Neuerer mit weniger kräftigen und derben Waffen in den Kampf zieht. Diesmal gilt es, den „Ökonomen der Moral“ ein Schnippchen schlagen. Die Romantik zieht ins Feld gegen den „Philister“. Schleiermachers Ethik, wie sie in den „Monologen“ und im „System der Sittenlehre“ sich zeigt, fällt in erster Linie durch ihren Gegensatz zu Kants Rigorismus ins Auge. Wie Schiller möchte auch Schleiermacher eine Sittlichkeit der großen Persönlichkeit, der starken Individualität vortragen, möchte dartun, daß auserlesene Naturen wohl imstande sind, auf die stete Selbstkontrolle der Beobachtung des kategorischen Imperativs zu verzichten. Schiller behält jedoch für seine Ausnahmemenschen, für die „schönen Seelen“, das ultimum refugium des kategorischen Imperativs bei, wenn sie durch den Affekt aus der Bahn des normalen Lebens hinausgeworfen sind. Schleiermacher denkt an eine organische Sittlichkeit, an eine Beachtung der Stimme, die aus dem Innersten der menschlichen Individualität ertönt, des Gesetzes, das mit Naturnotwendigkeit im Wesen der einzelnen Persönlichkeit gegeben ist. Solcher organischer Sittlichkeit strebt auch Fr. Schlegel zu. Aber er ist in frühromantischer Zeit weder zu klarer Erfassung noch zu unzweideutiger Formulierung seiner Absichten gelangt. Obendrein nimmt die Negation des Bestehenden in seinen ethischen Äußerungen weit mehr Raum ein, als die Darlegung positiver ethischer Werte. Im Gegensatz zu derselben Moral der Aufklärung, gegen die der Sturm und Drang eifert, entwickelt sich die romantische Ethik. Darum übersieht man auch hier leicht die feinen, aber scharfen Unterschiede. +Heinse+ und der Dichter der „Lucinde“ scheinen auf den ersten Blick enger miteinander verwandt zu sein, als sie es tatsächlich sind. Der Sturm und Drang, vor allem aber Heinse, steuert ins Uferlose. Alle Schranken sollen niedergebrochen werden. Das „Herz“ allein wird zum Gesetzgeber gemacht, das heißt: der Einfall des Augenblickes, die Stimmung der einzelnen Stunde, nicht das durch Reflexion und Selbstbeschauung erkannte Gesetz der eigenen Persönlichkeit. Ein Philosoph des Genusses, wehrt sich Heinse gegen alles „bürgerliche Wesen“ der Liebe. Die Ehe erscheint nur als „hartes Joch“, als „Tod bei lebendigem Fleische“, eine „Gewohnheit und ein Gesetz“, das „bloß für den Pöbel ist, eben weil er Pöbel ist, der sich nicht selbst regieren kann“. Heinse will von solch „barbarischer Gesetzgebung“ nichts wissen; er wünscht eine Republik, wo wenigstens Mann und Frau mit ihrer Liebe heilig und frei sind. Diese Verherrlichung der freien Liebe bedeutet selbstverständlich vor allem für das Weib eine völlige Umstürzung des Bestehenden. Und in solchem Sinne entwickelt Heinse am Schlusse des „Ardinghello“ die Prinzipien seiner idealen Republik, in der die Liebe in allerhöchster Freiheit ihre Flügel schwingt. Erheben sich die anderen Stürmer und Dränger nicht zu gleichen Forderungen einer völlig gesetzlosen Freiheit des individuellen Lebens, bleibt Goethe in der „Stella“, Schiller als Vertreter der „Freigeisterei der Leidenschaft“ bei einer zahmeren Zulassung von Ausnahmefällen stehen, so tönt doch aus der gesamten Dichtung der Zeit ein Hymnus auf das starke, titanische Weib. Theoretisch und prinzipiell hat ja nur Heinse das Glück der Unverheirateten verkündet, die, eine Göttin, ganz Herr über sich selbst, in Gesellschaft mit den verständigsten, schönsten, witzigsten und sinnreichsten Männern lebt und ihre Kinder als freiwillige Kinder der Liebe mit Lust erzieht. Doch die Machtfrauen der Dichtung jener Tage, voran Adelheid von Walldorf, bezeugen unverkennbar, wie stark und wie verlockend der Gedanke einer Weiblichkeit, die sich mutig über alle Schranken hinwegsetzt, damals auf die Jugend gewirkt hat. Die Romantik verkündet die Emanzipation der Frau und kämpft gegen die bestehende Ehe. Aber sie sucht die Erhöhung des Weibes nicht in geschlechtlicher Ungebundenheit und sie kämpft für die echte und wahre gegen die falsche und konventionelle Ehe. Das oftzitierte Wort Fr. Schlegels: „Es läßt sich nicht absehen, was man gegen eine Ehe ~à quatre~ gründliches einwenden könnte“, enthält nicht die entscheidenden Eigenheiten des romantischen Ehegedankens; es ist, aus seinem Zusammenhange losgelöst, nur geeignet Mißverständnisse zu züchten. Denn tatsächlich eifert das 34. Athenaeumfragment, dem es entnommen ist, aus sittlichem Rigorismus gegen die bestehenden Ehen, die fast alle nur „Konkubinate“ seien, „Ehen an der linken Hand oder vielmehr provisorische Versuche und entfernte Annäherungen zu einer wirklichen Ehe, deren eigentliches Wesen, nicht nach den Paradoxen dieses oder jenes Systems, sondern nach allen geistlichen und weltlichen Rechten darin besteht, daß mehre Personen nur eine werden sollen“. Also nicht Frivolität, sondern strengste Anforderungen an die wahre und echte Ehe haben Fr. Schlegel dieses Fragment diktiert; aus gleichen Gründen wendet er sich gegen die Ansicht, daß der Staat die mißglückten Eheversuche mit Gewalt zusammenhalten solle; er hindere dadurch die Möglichkeit der Ehe selbst, „die durch neue, vielleicht glücklichere Versuche befördert werden könnte“. Zu solchen neueren Versuchen rechnet Fr. Schlegel auch eine Ehe ~à quatre~. Das heißt: um über die Unsittlichkeit der Mehrzahl bestehender Ehen hinauszukommen, um sich dieser Unsittlichkeit bewußt zu werden, wird provisorisch gestattet, daß jeder Teil eines bestehenden gesetzlichen Ehebundes außerhalb der Ehe nach der Persönlichkeit suche, mit der er wahrhaft +eine+ Person werden möchte. Fr. Schlegels eigentliche Meinung zeigt sich unverhüllter und ohne die Neigung, für Übergangszustände Ausnahmegesetze zu geben in den Paris-Kölner Vorlesungen (Windischmann 2, 353). Da heißt es: „Die Ehescheidung ist eigentlich nicht möglich; die Ehe scheiden heißt nur -- erklären, es sei keine Ehe gewesen; denn die Ehe ist unauflöslich, das versteht sich von selbst.“ Hinzugefügt ist noch die Bemerkung: „Auch maßt sich der Staat zu viel an, wenn er sich in die häuslichen Verhältnisse mischt, die er eben nicht versteht und nicht zu beurteilen vermag.“ Das Experiment der Ehe ~à quatre~, die Ehescheidung überhaupt, sollte mithin nur Übergangserscheinung sein. Optimistisch hofft Fr. Schlegel, daß die Zeit kommen werde, da alle Ehen „wirkliche“ Ehen sein würden. Fichtes „Naturrecht“ (1796), dessen Anschauung von Ehe der Ansicht Fr. Schlegels sehr nahe kommt, ja ihr vielleicht zum Vorbild gedient hat, ist wesentlich radikaler: „Ist das Verhältnis“, heißt es da, „das zwischen Eheleuten sein sollte, und welches das Wesen der Ehe ausmacht, unbegrenzte Liebe von des Weibes, unbegrenzte Großmut von des Mannes Seite, vernichtet, so ist dadurch die Ehe zwischen ihnen aufgehoben. Also -- Eheleute scheiden sich selbst mit freiem Willen, wie sie sich mit freiem Willen verbunden haben“ (Werke 3, 336). Denselben Radikalismus atmet Schleiermachers „Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen“ (Athenaeumfragment 364). „Merke auf den Sabbat deines Herzens, daß du ihn feierst, und wenn sie dich halten, so mache dich frei oder gehe zugrunde“, ruft Schleiermacher dem liebenden Mädchen, aber doch auch der Frau zu, die durch ein gesetzliches Band an den ungeliebten Mann gefesselt ist. Freilich warnt er: „Du sollst keine Ehe schließen, die gebrochen werden müßte.“ Ihm ist die Ehe etwas Heiliges; und er gäbe die bestehende Ehe nur auf, um Besseres für sie einzutauschen. Völlig gleicher Ansicht ist Fr. Schlegels „+Lucinde+“ (1799): sie spottet über Unehen, mißachtet den Mann, der in der Frau nur die Gattung, die Frau, die im Manne nur den Grad seiner natürlichen Qualitäten erblickt; aber sie feiert auch die „echte Ehe“, deren Voraussetzung ewige Liebe ist. Schleiermachers Verteidigungsschrift, die „Vertrauten Briefe“ (1800) über die „Lucinde“, hatte nach dieser Richtung nichts Wesentliches hinzuzufügen, wenn sie sich anschickte, „in klaren und festen Linien eine Lebensphilosophie zu entwerfen, welche der Frau, der Liebe, der Ehe und Freundschaft, der Scham und der künstlerischen Darstellung der Liebe in der neuen Gesellschaft ihr Wesen bestimmen sollte“ (Dilthey S. 497). Nicht im Gegensatz zu Fr. Schlegels Roman, sondern in voller Übereinstimmung entspringt auch nach Schleiermachers Ansicht aus der Ehe erst das kraftvollste tätige Leben. Die Angriffe, die Fr. Schlegels „Lucinde“ erfahren hat, erfährt und erfahren wird, gehen auch weniger gegen die Auffassung der Ehe, als gegen die künstlerische Darstellung und gegen die Analyse der Liebe. Daß Friedrich kein Erzähler ist, daß er weder mit seinem Vorbilde, den Lehrjahren Wilhelm Meisters, noch etwa mit dem „Ofterdingen“ seines Freundes Hardenberg wetteifern kann, wo es gilt epischen Verlauf künstlerisch darzustellen, ist gewiß. Er selber wollte ein Werk des „Witzes“ liefern, ein Produkt der „Willkür“ des Dichters, die kein Gesetz über sich leidet. Die „Lucinde“ ist auch noch in anderem Sinne mit den Fichteschen Elementen der romantischen Theorie verknüpft: sie arbeitet mit dauernder Selbstbespiegelung, sie ist ein Roman der intellektuellen Anschauung. Dieser Roman aber möchte die Liebe ebenso allseitig zur Darlegung bringen, wie in Goethes „Meister“ das Theater, in „Sternbald“ die Malerei erwogen wird. Und so gipfelt er in einer impressionistisch-mimischen Wiedergabe der „schönsten Situation“. Die Naturwahrheit der Darstellung, von Fr. Schlegel mit der ihm eigenen Starrköpfigkeit durchgeführt, mag jeden abschrecken, der für solche Stoffe die künstlerische Stilisierung der römischen „Elegien“ Goethes wünscht. Uns indessen sind in den jüngsten zwanzig Jahren so viele Versuche vorgelegt worden, in Romanform das Leben in allen seinen Zügen zu erfassen, daß man die Rücksicht und Anpassungsfähigkeit des Lesers, die hier etwas Selbstverständliches war, auch der „Lucinde“ gegenüber walten lassen sollte. Auch der oft hervorgehobene Pedantismus der Dichtung könnte in modernster Literatur leicht Gegenstücke finden. Ziel und Zweck des ganzen Buches ist allseitige Beleuchtung der Liebe. Und so erwägt es denn auch die Liebe, die nicht Ehe und Fortpflanzung, sondern nur sich selbst zum Zweck hat. Anstoß kann da nur nehmen, wer die romantische Auffassung der Liebe nicht kennt. Ein übersinnlich-sinnlicher Freier, macht der Romantiker die Liebe zur Religion; und zwar zur Religion im Sinne Schleiermachers. „Heute fand ich“, schreibt Julius an Lucinde, „in einem französischen Buche von zwei Liebenden den Ausdruck: „Sie waren einer dem anderen das Universum.“ -- Wie fiel mir’s auf, rührend und zum Lächeln, daß, was da so gedankenlos stand, bloß als eine Figur der Übertreibung, in uns buchstäblich wahr geworden sei!“ (S. 243 f.) Der mystische Liebesbegriff der Romantik gestattet, Höchstes und Niedrigstes, Geistigstes und Sinnlichstes zu verknüpfen. Schleiermacher deutet fein aus: „Sie wissen ja doch von Leib und Geist und der Identität beider, und das ist doch das ganze Geheimnis.“ Das ist die metaphysische, Schelling vorwegnehmende Voraussetzung des ethischen Grundgedankens, auf den Schleiermacher die geistige Sinnlichkeit der „Lucinde“ zurückleitete, des Gedankens bildender Sittlichkeit, die die Sinnlichkeit, die Phantasie, die Leidenschaft durch den Geist adelt, nicht durch die bloße Gewalt des Gesetzes einschränkt. Voraussetzung solcher Liebe, aber auch der „echten, wirklichen“ Ehe ist freilich die geistige Hebung der Frau, die in der „Lucinde“ ebenso gefordert wird, wie in Schleiermachers „Katechismus“. Bildung soll der Frau zuteil, sie soll dem Manne geistig genähert, ihm ebenbürtig gemacht werden. „Laß dich gelüsten nach der Männer Bildung, Kunst, Weisheit und Ehre“, lautet das zehnte Gebot Schleiermachers. Ein Thema, das von Anfang an Fr. Schlegels Forschen und Sinnen beschäftigt! Auch hier geht er von der Antike aus. In zwei Aufsätzen, die ihren Zusammenhang mit Plato und Hemsterhuis nicht verleugnen, spricht er sich 1794 „Über die weiblichen Charaktere in den griechischen Dichtern“ und 1795 „Über die Diotima“ aus. Sokrates erscheint als Vertreter der Anschauung, daß die Vollkommenheit beider Geschlechter nur +eine+, Plato und die Stoiker bezeugen, daß die Bestimmung des weiblichen und männlichen Geschlechts die gleiche sei. Und indem Fr. Schlegel mit Plato und im Gegensatz zu Rousseau für die Frau öffentliche Erziehung, dann Anteil an der Bildung, den Pflichten und Rechten der Männer fordert, möchte er alle einseitige Männlichkeit und alle einseitige Weiblichkeit abwehren. Das klassisch-romantische Ideal des harmonischen Menschen wird auf die Frauenfrage angewendet, im Gegensatz zu Schillers Klassizismus, der ganz inkonsequent die Frau in die Einseitigkeit des Naiven bannte. Wieland war da dem Bildungsstreben der Frau weit mehr entgegengekommen; und auch er hatte antike Frauengestalten wie Aspasia ins Feld geführt. Schillers „Würde der Frauen“ wurde von dem Rezensenten Fr. Schlegel mit dem scharfen Zusatz abgelehnt: „Männer wie diese müßten an Händen und Beinen gebunden werden; solchen Frauen ziemte Gängelband und Fallhut“ (2, 4). W. Schlegel parodierte witzig das Gedicht Schillers (2, 172). Schärfer noch tritt das „Athenaeum“ für die Bildungsansprüche der Frau ein. Die Fragmente kommen vielfach auf das Thema zu sprechen. Im ersten Heft des zweiten Bandes (1799) schlägt dann Fr. Schlegel die Brücke von seinen Absichten, die Frau zu bilden, zu Schleiermachers Religionsbegriff mit dem Aufsatze „Über die Philosophie. An Dorothea“. Die Liebe zum Universum scheint nach Friedrichs Ansicht der Frau besonders nahe zu liegen. Der Frau eignet, meint er, die Innerlichkeit, die stille Regsamkeit alles Dichtens und Trachtens, die für ihn die wesentliche Anlage zur Religion oder vielmehr diese selbst bedeutet. „Wie dürfte man dir“, so spricht er Dorothea mit unverkennbarem Anklange an die Katechisationsszene von Goethes „Faust“ an, „die Religion bloß darum absprechen wollen, weil es dir vielleicht an einer Antwort fehlen könnte, wenn man dich fragte, ob du an Gott glaubst?“ (2, 323). Und so streng hält er auf seinen Satz: Religion sei die wahre Tugend und Glückseligkeit der Frauen, daß er sie zur Philosophie erziehen will, nicht zur Poesie: die Poesie sei wohl der Erde gewogner, die Philosophie aber heiliger und gottverwandter. Und „die Poesie der Dichter bedürfen die Frauen weniger, weil ihr eigenstes Wesen Poesie ist“ (Idee 127). 2. Stiftung einer neuen Religion. Hardenbergs geistliche Dichtung. Auch auf dem Gebiete der +Religion+ zeigt sich dieselbe Erscheinung, die bei der Naturphilosophie und bei der Vergötterung und Ästhetisierung des Universums zu beobachten war: es ist unendlich schwer, genau anzugeben, von wem der erste Anstoß ausgegangen ist. Diesmal vielleicht noch schwerer als sonst. Denn der Kreis der religiös Begeisterten ist weiter: Schelling zwar kommt nicht in Betracht; vielmehr sind mit Schleiermacher ungefähr gleichzeitig Fr. Schlegel und Novalis bemüht, religiöser zu werden, dem Christentum neues Leben abzugewinnen. Und Tieck bleibt nicht zurück; konnte er doch von ganz anderer Seite, von der Betrachtung der bildenden Kunst, wie er sie gemeinsam mit seinem frühverstorbenen Freunde Wackenroder geübt hatte, sein Scherflein zu dem religiösen Enthusiasmus der Romantiker beitragen. Am 15. November 1799 schrieb Dorothea von Jena aus an Schleiermacher: „Das Christentum ist hier ~à l’ordre du jour~; die Herren sind etwas toll. Tieck treibt die Religion wie Schiller das Schicksal; Hardenberg glaubt, Tieck ist ganz und gar seiner Meinung; ich will aber wetten, was einer will, sie verstehen sich selber nicht, und einander nicht.“ Kurz vorher hatte Fr. Schlegel dem Freunde berichtet, wie die „Reden“ auf Novalis gewirkt hätten: „Hardenberg hat Dich mit dem höchsten Interesse studiert und ist ganz eingenommen, durchdrungen, begeistert und entzündet. Er behauptet nichts an Dir tadeln zu können, und insofern einig mit Dir zu sein. Doch damit wird es wohl so so stehen“ (3, 125). Schon diese Zeugnisse deuten an, daß die „Reden“ stark gewirkt, daß sie aber auch einen wohlvorbereiteten Boden angetroffen haben und daß wiederum die romantischen Genossen schon zu weit auf dem Wege zu Religion und Christentum vorgeschritten waren, um Schleiermachers Lehren uneingeschränkt aufzunehmen. Wirklich schreibt Fr. Schlegel schon ein volles Jahr früher an Novalis (20. Oktober 1798): „Was mich betrifft, so ist das Ziel meiner literarischen Projekte eine neue Bibel zu schreiben und auf Muhameds und Luthers Fußstapfen zu wandeln.“ Novalis antwortet am 7. November: „Du schreibst von Deinem Bibelprojekt und ich bin auf meinem Studium der Wissenschaft überhaupt und ihres Körpers, des Buchs -- ebenfalls auf die Idee der Bibel geraten -- der Bibel als des Ideals jedweden Buchs.“ Er erblickt in diesem Zusammentreffen ein auffallendes Beispiel ihrer „inneren Symorganisation und Symevolution“. Fr. Schlegels Brief vom 2. Dezember erkennt in dem „absichtslosen Zusammentreffen“ der „biblischen Projekte“ „eines der auffallendsten Zeichen und Wunder“ des „Einverständnisses“ beider Freunde, aber auch ihrer „Mißverständnisse“. Denn Schlegel hatte sofort aus Hardenbergs Brief herausgelesen, daß Novalis nur „in einem gewissen Sinne“ in der Bibel die „literarische Zentralform und also das Ideal jedes Buchs“ finde. Schlegel selber aber hatte „eine Bibel im Sinne, die nicht in gewissem Sinne, nicht gleichsam, sondern ganz buchstäblich und in jedem Geist und Sinne Bibel wäre“. Nicht um ein literarisches, sondern um ein biblisches, durchaus religiöses Projekt handele es sich. „Ich denke eine neue Religion zu stiften oder vielmehr sie verkündigen zu helfen: denn kommen und siegen wird sie auch ohne mich. Meine Religion ist nicht von der Art, daß sie die Philosophie und Poesie verschlucken wollte.“ Schlegel findet, daß Gegenstände übrigbleiben, die weder Philosophie noch Poesie behandeln kann. „Ein solcher Gegenstand scheint mir Gott, von dem ich eine durchaus neue Ansicht habe.“ Sehr dunkel umschreibt Fr. Schlegel die Bedingung, unter der er auf Hardenbergs volle Zustimmung rechnen darf: „Die eigentliche Sache ist die, ob Du dich entschließen kannst, wenigstens in einem gewissen Sinne das Christentum absolut negativ zu setzen.“ Und prophetisch ruft er dem Freunde zu: „Vielleicht hast du noch die Wahl, entweder der letzte Christ, der Brutus der alten Religion, oder der Christus des neuen Evangeliums zu sein.“ Dieses neue Evangelium rege sich schon; Schleiermacher arbeite an einem Werke über die Religion, Tieck studiere Jakob Böhme; und die Synthesis von Goethe und Fichte -- die Voraussetzung und der Ausgangspunkt der romantischen Naturphilosophie (s. S. 40) -- könne nichts anderes ergeben als Religion. Am 20. Januar 1799 erklärt dann Novalis, Friedrichs Meinung von der Negativität der christlichen Religion sei vortrefflich. „Das Christentum wird dadurch zum Range der Grundlage der projektierenden Kraft eines neuen Weltgebäudes und Menschentums erhoben.“ „Absolute Abstraktion, Annihilation des Jetzigen, Apotheose der Zukunft -- dieser eigentlichen, besseren Welt: dies ist der Kern der Geheiße des Christentums, und hiermit schließt es sich an die Religion der Antiquare, die Göttlichkeit der Antike, die Herstellung des Altertums, als der zweite Hauptflügel an; beide halten das Universum, als den Körper des Engels, in ewigem Schweben.“ Fr. Schlegel stimmt zu, daß das Christentum eine Religion der Zukunft sei, wie die der Griechen eine der Vergangenheit. „Aber ist sie nicht noch mehr eine Religion des Todes, wie die klassische eine Religion des Lebens?“ „Vielleicht bist du der erste Mensch in unserem Zeitalter, der Kunstsinn für den Tod hat“ (S. 130). Dunkle, mystische Bekenntnisse! Wir wundern uns nicht, daß die Genossen dauernd auf gegenseitiges Mißverständnis gefaßt sind. Eine Deutung erwächst aber aus den Werken, die solchem Gedankenaustausche entsprangen. Vor allem erhellt aus den zitierten Briefstellen, daß Fr. Schlegel und Novalis den Impulsen Schleiermachers längst vorangeeilt waren. Auch das persönliche Bekanntwerden Hardenbergs und Tiecks (im Sommer 1799) kann nur bestätigend und weitertreibend auf Novalis gewirkt haben. Aus herrnhutischer Umgebung hervortretend, von Zinzendorfs Gedanken der „Konnexion mit dem historischen Christus“ früh berührt, mystisch der Ergründung des „Mittlertums“ Christi hingegeben, findet Novalis auch als einziger unter den Genossen sofort die dichterische Kraft, in unvergänglicher künstlerischer Form auszudrücken, was ihm Religion und Christentum bedeutet. Es entstehen seine +geistlichen Lieder+, Offenbarungen zugleich der neuen Religion, der Vergöttlichung des Universums, der sehnsüchtigen Liebe zum Ewigen, wie auch wunderbar schlichte Bekenntnisse eines Gläubigen, dem in Christi Gestalt ein Wegweiser zum Überirdischen erstanden ist. Fr. Schlegel hat den hohen künstlerischen und menschlichen Wert der christlichen Sänge Hardenbergs sofort erkannt und dem Freunde Schleiermacher (November 1799) gemeldet: „Auch christliche Lieder hat er uns gelesen; die sind nun das Göttlichste, was er je gemacht. Die Poesie darin hat mit nichts Ähnlichkeit, als mit den innigsten und tiefsten unter Goethens früheren kleinen Gedichten.“ Weit deutlicher noch als in den geistlichen Liedern kommen die Gedankenembryone der zwischen Fr. Schlegel und Novalis gewechselten Briefe von Anfang 1799 in Novalis’ „+Hymnen an die Nacht+“ zu dichterisch geklärter und vertiefter Gestaltung. Erlebtes Leid verknüpft sich mit dem neuerrungenen religiösen Gefühl. Das Christentum als „Grundlage der projektierenden Kraft eines neuen Weltgebäudes und Menschentums“, sein Geheiß einer „absoluten Abstraktion, Annihilation des Jetzigen“, die daraus erwachsende „Apotheose der Zukunft, dieser eigentlichen besseren Welt“: all das ist in die „Hymnen“ hineinverwebt und dazu auch das Verhältnis des Christentums zur Antike, zur „Religion der Antiquare“. Und auch Fr. Schlegels Frage ist hier beantwortet, ob das Christentum nicht noch mehr eine Religion des Todes ist, als die klassische eine Religion des Lebens. Eben weil die Antike ganz auf das Leben, auf das Diesseits gestellt ist, so ist ihr der Tod ein Schreckbild, während Christus die Welt mit dem Todesgedanken ausgesöhnt hat. Der Tod eröffnet dem Christusgläubigen den Eintritt in eine höhere und bessere Welt; das Kreuz hat die Menschheit für die Ewigkeit geboren. Schleiermachers Anschauung, daß das religiöse Gefühl uns dem Unendlichen nahebringe, ist in den „Hymnen“ ganz und gar in die Formen christlichen Glaubens umgesetzt: der Mittlertod Christi hat der Menschheit den Weg ins Ewige eröffnet. Der Gedanke der Unendlichkeit, symbolisiert in der Vorstellung eines jenseitigen Lebens, tröstet den Dichter über den Verlust der Geliebten. Nur in diesem engen irdischen Dasein hat er auf die Geliebte zu verzichten. Menschendasein aber reicht weiter, reicht hinaus über die Grenzen des Irdischen. Und der Tod sprengt die Fesseln dieses irdischen Lebens. Freilich kommt diesmal nur die eine Seite von Schleiermachers Religion zur Geltung: das Unendliche hebt über das Endliche empor, nicht die andere: das Endliche ist uns lieb, weil das Unendliche sich in ihm darstellt. Eine Dichtung des romantischen Monismus und der romantischen Daseinsfreude sind die „Hymnen“ nicht. Novalis hat sie geschrieben, erfüllt von der Idee eines freiwilligen, bewußt erstrebten Todes, von dem Gedanken also, den das Ableben Sophiens von Kühn in ihm ausgelöst hatte. Er hat sich zuletzt wieder mit der Welt des Diesseits ausgesöhnt, freilich immer nur im Sinne Schleiermachers, für den auf dieser Welt ein Abglanz der ewigen ruht. W. Schlegel umschreibt die Stimmung der „Hymnen“ im achten Gedichte des „Totenopfers für Augusta Böhmer“ (1, 136). Du schienest, losgerissen von der Erde, Mit leichten Geistertritten schon zu wandeln, Und ohne Tod der Sterblichkeit genesen. Du riefst hervor in dir durch geistig Handeln, Wie Zauberer durch Zeichen und Gebärde, Zum Herzvereine das entschwundne Wesen. Solch gewolltes Sterben, solcher Tod, „durch geistig Handeln“ erstrebt, ist auch das Ziel des „hohen Menschen“ in Jean Pauls „Unsichtbarer Loge“. Ihn kennzeichnet „die Erhebung über die Erde, das Gefühl der Geringfügigkeit alles irdischen Tuns, ... der Wunsch des Todes und der Blick über die Wolken“ (Hempel 1, 184). Im Emanuel des „Hesperus“ hat Jean Paul einen Menschen dieser Art gezeichnet. Zugleich begegnet sich Novalis mit Böhmes Anschauung von der „Zerbrechlichkeit“. Durch den Sündenfall ist „Zerbrechlichkeit“ in die Welt gekommen; vorher waren die Dinge nur „ihr Äther“. Wenn die zerbrechliche Form vergeht, dann wird die Seele wieder Äther und erkennt alle Herrlichkeit in ungetrübter Helle. Alle Qual der Leidenschaft verschwindet mit der Zerbrechung der Fesseln. Wie in fast aller Mystik verbindet Platonisches und Christliches sich auch in diesen Anschauungen Böhmes. Eine verwandte Verknüpfung liegt den „Hymnen“ zugrunde; daher rührt die Ähnlichkeit. Unmittelbare Übernahme Böhmescher Lehren zeigt nur der „+Ofterdingen+“. Der ganze Roman mit seinen Fortsetzungen hätte das allmähliche Aufsteigen des Menschen, die schrittweise Erlösung aus den Fesseln des irdischen Lebens zeichnen sollen. Für die Stufenfolge dieses Aufstrebens dachte Novalis den Böhmeschen Begriff der dreifachen Geburt zu nutzen. Die erste und zweite Stufe ist nicht rein vor dem Herzen Gottes; die erste, die elementische, die Stufe des Todes, die zweite, die siderische, die beiden Welten angehört. Auf der dritten, der animalischen Stufe ersteht der zur Wiedergeburt reife Mensch. Zur Erlangung der Seligkeit muß jeder Mensch alle drei Geburten durchmachen. Daß sich diese Symbolik mit der aufsteigenden Entwickelungsreihe der Naturphilosophie verknüpfen ließ, ist klar. Aus beiden Voraussetzungen ergeben sich die Fiktionen, die den Schluß des „Ofterdingen“ bilden sollten und die ohne diesen Kommentar sonderbar genug klingen: Heinrich wird ein Stein, dann ein klingender Baum, dann ein goldener Widder, endlich ein Mensch. Weibliche Aufopferung gestattet ihm, von einer Stufe zur anderen weiterzugehen. Das Ewig-Weibliche zieht auch Heinrich von Ofterdingen hinan. 3. Wendung zum Katholizismus, zum Mittelalter und Orient. Fr. Schlegels spätere Konstruktionen der Entwickelung der Menschheit. Novalis blieb bei dem Mystizismus der Unendlichkeits- und Universumsreligion Schleiermachers nicht stehen. Schon hatte er in den „Hymnen“ und in den geistlichen Liedern die Symbolwelt des Christentums verwertet. Er hatte mithin nicht bei der Scheidung von Moral und Theologie einerseits und von Religion anderseits mit Schleiermacher halt gemacht, war vielmehr ins Konfessionelle weiter gegangen. Aber auch innerhalb des christlichen Glaubensbekenntnisses suchte er weiter das, was ihm zusagte, zu trennen von dem, was ihm fremd war. Gleichzeitig mit den geistlichen Liedern kündigte Fr. Schlegel den Aufsatz „+Die Christenheit oder Europa+“ von Novalis dem Genossen Schleiermacher an (3, 133 f.) und führte ihn ausdrücklich auf die „ungeheure Wirkung“ zurück, die von den „Reden“ auf Novalis ausgeübt worden war. Der Aufsatz selber will die „Philanthropen und Enzyklopädisten“ zu einem „Bruder“ führen; „der soll mit euch reden, daß euch die Herzen aufgehn, und ihr eure abgestorbene, geliebte Ahndung mit neuem Leibe bekleidet, wieder umfaßt und erkennt, was euch vorschwebte und was der schwerfällige, irdische Verstand freilich euch nicht haschen konnte“. Dieser Bruder „hat einen neuen +Schleier+ für die Heilige +gemacht+, der ihren himmlischen Gliederbau anschmiegend verrät und doch sie züchtiger als ein andrer verhüllt“ (2, 40 f.). Fest muß man diesen Passus und den deutlichen Hinweis auf Schleiermacher im Auge behalten, soll die Absicht des Aufsatzes nicht überspannt werden. Er gibt eine kulturhistorische Konstruktion nach dem Rhythmus, den Schillers Klassizismus, die Romantik Fr. Schlegels und Fichtes Geschichtsphilosophie vorgezeichnet haben. Von primitiver, monotoner Harmonie geht es weiter zur Disharmonie und endlich zu höherer Allseitigkeit. Doch die alten Rubriken finden neue Ausfüllung. In der ersten erscheint diesmal nicht das Griechentum, sondern das katholische Mittelalter. Auf wenigen Seiten entwirft Novalis ein Bild der „schönen, glänzenden Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo +eine+ Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte“. Diese „echtkatholischen oder echtchristlichen Zeiten“ sind mit dem romantischen Auge gesehen, das fortan auf Jahrzehnte hinaus das Mittelalter ebenso sentimentalisch verklären sollte, wie die Antike vom 18. Jahrhundert sentimental geschaut worden war. Die Disharmonie, die jenem Zustande ein Ende machte, war notwendig; denn nur durch sie konnte die Kulturentwickelung weiterschreiten. Trotzdem erspart Hardenberg dem Protestantismus, der die Disharmonie mit sich brachte, keinen Vorwurf. Luther habe den Geist des Christentums verkannt; die Behauptung der heiligen Allgemeingültigkeit der Bibel mischte die Philologie, die Buchstabenwissenschaft, in die Religionsangelegenheiten und wirkte auszehrend auf den Sinn. Daher gebe es nur wenige Lichtpunkte in der Geschichte des Protestantismus, so Zinzendorf und Böhme. Dem Protestantismus gegenüber erhält sogar der Orden der Jesuiten ein ehrenvolles Zeugnis; die Jesuiten erscheinen als universalstrebende Vorkämpfer der katholischen religiösen Bildung. Um so schlimmer ergeht es der Aufklärung. Bibel, Christentum und Religion werden von den Aufklärern ebenso gehaßt und verketzert wie Phantasie und Gefühl, Sittlichkeit und Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit. Im Kampf gegen die Aufklärung erstehe zurzeit die neue Harmonie. Naturwissenschaft und Politik bezeugen, daß eine neue Zeit herankomme: Naturwissenschaft natürlich im Sinne der Naturphilosophie genommen, die Politik, weil Hardenberg hofft, daß die Christenheit wieder lebendig und wirksam zu werden und eine sichtbare Kirche ohne Rücksicht auf Landesgrenzen zu bilden sich anschicke. In dieser Hoffnung auf die „heilige Zeit des ewigen Friedens“ klingt der Aufsatz aus. Auf Jahrzehnte hinaus war hier nicht nur die romantische Anschauung des Mittelalters gegeben; auch die letzten religiös-politischen Konsequenzen der Romantik waren vorweggenommen. Fr. Schlegel ist nur langsam und allmählich zu gleichen Zielen gekommen. 1799 stand er der Programmschrift Hardenbergs noch so romantisch-ironisch und überlegen gegenüber, daß er Schellings Neigung unterstützte, ein Wort gegen Novalis vorzubringen. Er schrieb an Schleiermacher (3, 134), Schelling habe, da Hardenberg und Tieck „es so grimmig trieben mit ihrem Wesen“, „einen neuen Anfall von seinem alten Enthusiasmus für die Irreligion bekommen“ und fügte hinzu, daß er selber ihn darin aus allen Kräften bestätige. „Drob hat er ein Epikurisch Glaubensbekenntnis in Hans Sachs Goethes Manier entworfen“; das „+Epikurisch Glaubensbekenntniß Heinz Widerporstens+“ (abgedruckt in Plitts Buche „Aus Schellings Leben“ 1, 282 ff.) ist ein Protest des Verehrers der Natur, dem „nur das wirklich und wahrhaft ist, was man kann mit den Händen betasten“, gegen den Spiritualismus der Gottsucher, die sich ins Universum verlieren wollen. Nur daß der Gegensatz viel feiner ist, als man auf den ersten Blick meinen möchte. Denn obwohl alles auf einen frischen Genuß der Sinnlichkeit angelegt scheint, kommt der Spiritualismus Schellings doch auch bald zum Vorschein; besonders wenn die Weltseele der Schellingschen Naturphilosophie sich selber charakterisiert und die Alleinheit der Natur predigt: Ich bin der Gott, der sie [die Natur] im Busen hegt, Der Geist, der sich in allem bewegt. Vom ersten Ringen dunkler Kräfte Bis zum Erguß der ersten Lebenssäfte, Wo Kraft in Kraft und Stoff in Stoff verquillt, Die erste Blüt’, die erste Knospe schwillt, Zum ersten Strahl von neu gebornem Licht, Das durch die Nacht wie zweite Schöpfung bricht, Und aus den tausend Augen der Welt Den Himmel so Tag wie Nacht erhellt, Hinauf zu des Gedankens Jugendkraft, Wodurch Natur verjüngt sich wieder schafft, Ist +eine+ Kraft, +ein+ Pulsschlag nur, +ein+ Leben, Ein Wechselspiel von Hemmen und von Streben. Standen indes die Schleiermacher und Novalis einem solchen Glaubensbekenntnis wirklich so fern? Schelling schiebt übertreibend die romantischen Genossen etwa an die Stelle, auf der F. H. Jacobi steht, wenn er spottet: Deswegen mir nichts ist so sehr verhaßt Als so ein fremder fürnehmer Gast, Der auf der Welt herumstolziert Und schlechte Red’ im Munde führt Von der Natur und ihrem Wesen, Dünkt sich besonders auserlesen. Ist eine eigne Menschenklasse, Von eignem Sinn und geistlicher Rasse, Halten all’ andre für verloren, Haben ewigen Haß geschworen Der Materie und ihren Werken. Aber das Ganze stellt ja nur einen übertreibenden Scherz dar, mag es immerhin auf eine Kluft deuten, die, vorläufig noch leicht überbrückbar, später mehr und mehr sich auftun sollte. Noch betrachteten die romantischen Genossen solche Gegensätze und ihre humoristische Darlegung so ganz vom Standpunkt des rein Geistigen, um nicht zu sagen des Witzspiels, daß sie Novalis’ Bekenntnis neben dem Schellings im „Athenaeum“ abzudrucken geneigt waren. Ihrer „Philironie“ hätte solche Betonung der Gegensätze ihres eigenen Glaubensbekenntnisses zugesagt. Da aber legte Goethe, den man um Rat angegangen hatte, sein Veto ein, Goethe, der mit Heinz Widerporst im Innersten gegen die romantischen Religiösen sich einig fühlte, der in Schellings Gedicht Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein finden mußte. Die geistige Freiheit und „Philironie“ verschwand auf allen beteiligten Seiten in dem Augenblick, da die Romantik von der Diskussion der Ideen zur Tat weiterschritt. Fr. Schlegels Übertritt ins katholische Lager setzte Hardenbergs Theorie in Praxis um. Um 1800 aber steht Schlegel diesem Schritt noch so fern, daß seine nächsten kulturhistorischen Konstruktionen von dem Aufbau des Hardenbergschen Aufsatzes weit abliegen; nur nach der Konversion nähert sich Schlegels Geschichtsphilosophie dem Aufsatze „Die Christenheit oder Europa“. Im Zeitalter des „Athenaeums“ hatte sich Fr. Schlegels erste welthistorische Konstruktion im romantischen Sinne verschoben. Der antiken Harmonie war Disharmonie gefolgt, aus dieser Disharmonie aber leitete die Romantik, sei es, daß sie mit Fichte im Sinne der romantischen Ironie freieste, allseitigste Beweglichkeit vertrat, sei es, daß sie mit Schelling den organisch notwendigen Prozeß steten Bewußterwerdens durchlebte, zu neuer Harmonie weiter. Diese Konstruktion änderte sich in dem Augenblick, da der +Orient+ in den Gesichtskreis Fr. Schlegels trat. Auch Novalis hat in seinen letzten Kundgebungen immer wieder auf den Orient hingewiesen. Wohl muß geschieden werden zwischen mystischen Andeutungen, die an ein Lieblingsbuch Hardenbergs, an Jung-Stillings „Heimweh“ (1794) erinnern, und unverhüllten, unzweideutigen Hinweisen auf Orient und Morgenland. Jung-Stilling denkt an Christus und Christenglauben, wenn er vom Osten und vom Morgenland redete; ähnlich meint es das zweite geistliche Lied Hardenbergs, wenn es einsetzt: „Fern in Osten wird es helle“ (1, 64). Mystisch mindestens, wenn auch nicht im Heimwehsinne Stillings, sagt die 133. Idee: „Zunächst rede ich nur mit denen, die schon nach dem Orient sehen.“ Und ebenso mystisch klingt das Nachwort der „Ideen“ aus, die Widmung an Novalis: „Allen Künstlern gehört jede Lehre vom ewigen Orient. Dich nenne ich statt aller andern“ (2, 307). Realer erscheint der Orient und Indien in dem Aufsatze „Die Christenheit oder Europa“ (2, 37. 39) und im „Ofterdingen“ (4, 142). An östliche Kultur denkt Fr. Schlegel wirklich, wenn es im „Gespräch über die Poesie“ (2, 362) heißt: „Im Orient müssen wir das höchste Romantische suchen.“ Ebenso ist es mit dem Fragment Hardenbergs: „Größere Einfachheit -- wenigere aber besser verteilte Massen der Natur, des Lebens und der Menschen im Orient. Die orientalischen Menschen, Lebensalter usw. unterscheiden sich sehr von den unsrigen“ (3, 298). Eben diese Beobachtung kehrt bei Fr. Schlegel wieder und wird von ihm verwertet und weiter gedacht. Der Aufsatz, der programmartig den ersten Band von Fr. Schlegels „Europa“ (1803) eröffnet, sucht den Orient in die welthistorische Konstruktion einzubeziehen und entdeckt in ihm eine Synthese der Gegensätze, die in Europa walten und gewaltet haben. Was im Orient aus +einer+ Quelle entspringt, sollte sich in Europa teilen und künstlicher entfalten. Vorzügliche Eigenheiten der beiden Gegensätze klassisches Altertum und moderne romantische Zeit sind in Indien zur höchsten Schönheit vereint oder bestehen, ohne sich gegenseitig auszuschließen, dicht nebeneinander. So finden die geistigste Selbstvernichtung der Christen und der üppigste, wildeste Materialismus in der Religion der Griechen ihr höheres Urbild in Indien. Fr. Schlegel ist denn nicht abgeneigt, die europäische Trennung des Klassischen und Romantischen unnatürlich und verwerflich zu finden. Katholische Kunst und neueste Philosophie bezeugen ihm, daß eine Verknüpfung von Klassischem und Romantischem wohl denkbar sei: die katholische Religion habe sich den künstlerischen Glanz und Reiz, die poetische Mannigfaltigkeit und Schönheit der griechischen Mythologie und Gebräuche zu eigen gemacht, die Philosophie -- nicht nur der Idealismus, auch schon Spinoza -- stimme mit der antiken Philosophie derart überein, daß sie nur deren Fortsetzung zu sein scheine. Diese Übereinstimmung alter und neuer Philosophie sei ja begreiflich, da die Trennung und immer weiter getriebene Trennung des Einen und Ganzen aller menschlichen Kräfte und Gedanken schon im Altertum einsetze. Jetzt freilich sei die Trennung an der äußersten Grenze angelangt. „Tiefer kann der Mensch nun nicht sinken.“ Pessimistischer als je urteilt Fr. Schlegel hier über die Gegenwart: „Daraus, daß es so weit gekommen ist, folgt mit nichten, daß es nun bald besser werden müsse. Ferne sei es von uns, so eilfertig zu schließen. Wir werden im Gegenteile nichts dagegen einwenden, wenn ein historischer Philosoph nach reifer Beobachtung es am wahrscheinlichsten finden sollte, daß das Geschlecht der Menschen in Europa sich keinesweges zum Bessern erheben, sondern vielmehr nach einigen fruchtlosen Versuchen dazu in immer wachsender Verschlimmerung durch die innere Verderbtheit endlich auch äußerlich in einen Zustand von Schwäche und Elend versinken werde, der nun nicht höher steigen kann, und in dem sie alsdann vielleicht Jahrhunderte unverändert beharren oder doch erst durch eine Einwirkung von außen herausgezogen werden möchten“ (S. 36). Eine Revolution müßte vom Orient kommen: „Wir können es doch nicht vergessen haben, woher uns bis jetzt noch jede Religion und jede Mythologie gekommen ist, d. h. die Prinzipien des Lebens, die Wurzeln der Begriffe.“ Die Verknüpfung des Klassischen und Romantischen, die Beseitigung der Schranken, die beide Begriffe trennen, ist ein natürliches Ergebnis von Fr. Schlegels Sinnesart. Auf Allheit war er von Anfang aus gewesen, größte Vielseitigkeit ist von vornherein sein Programm. Der Begriff der romantischen „Universalpoesie“ deutet auf dieses Programm; das „Gespräch über die Poesie“ hatte vollends den Begriff des Poetischen fast ins Unermeßliche erweitert. Das Verbinden der Gegensätze, die Fähigkeit sich jederzeit in jedem Sinne selbst bestimmen zu können, ist Fr. Schlegels Lieblingstendenz gewesen, seitdem er seine „revolutionäre Objektivitätswut“ überwunden hatte. Nun galt es Antikes und Modernes, Klassisches und Romantisches auch in der Praxis aufs kühnste zu binden. Das Probestück der neuen Theorie ist sein „Alarkos“ (1802). Schon das Versmaß strebt die Versöhnung der Gegensätze an. Der spanische Rhythmus vereint sich mit dem Trimeter zu einem Kunstwerk. Dem Formenreichtum der romantischen Dramen, der zunächst spanischen Vorbildern abgesehen war, ersteht eine neue Erweiterung, die noch in Goethes „Faust“, zunächst im dritten Akte des zweiten Teiles künstlerisch fördernd wirkt. Dem Einflusse der indischen Philosophie auf die europäische ist fortan Fr. Schlegel mehrfach beobachtend gefolgt, so natürlich in dem Buche „Über die Sprache und Weisheit der Indier“ (1808, S. 204 ff.) und in der fünften Vorlesung über die „Geschichte der alten und neuen Literatur“ (1815, I, 187 ff.). Das Problem des Entwickelungsganges der Menschheit spielt ferner fast in allen seinen späteren Schriften eine Rolle, so zunächst in den Paris-Kölner Vorlesungen. Die Umschreibung des Begriffes „Romantisch“ gewinnt bei diesen Erwägungen neue Formen. Immer stärker tritt das christliche oder vielmehr katholische Element der Weltanschauung von Fr. Schlegels letzter Entwickelungsphase in den Vordergrund. Und zwar dehnt sich infolgedessen sein Begriff des Romantischen bald unendlich weit aus, bald zieht er sich wieder zusammen. Das Problem der Harmonie wird dabei in wechselnder Betrachtung immer neu gefaßt. Bald decken sich Harmonie und Romantik, bald treten sie weit auseinander. Die weiteste Ausdehnung erfährt das Romantische um die Mitte des zweiten Dezenniums des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit ist Fr. Schlegel der in der „Europa“ aufgestellten Behauptung, daß eine Verknüpfung des Klassischen und Romantischen denkbar sei und daß der Katholizismus eine solche Verbindung verwirkliche, in den Wiener Vorlesungen über „Geschichte der alten und neuen Literatur“ (1815, 2, 128 ff.) weiter nachgegangen. Bei Gelegenheit der spanischen Poesie wiederholt er die These, daß das Romantische mit dem Alten und wahrhaft Antiken nicht streite. Das Romantische aber beruht diesmal für Fr. Schlegel „auf dem mit dem Christentum und durch dasselbe auch in der Poesie herrschenden Liebesgefühl, in welchem selbst das Leiden nur als Mittel der Verklärung erscheint, der tragische Ernst der alten Götterlehre und heidnischen Vorzeit in ein heiteres Spiel der Phantasie sich auflöst und dann auch unter den äußern Formen der Darstellung und der Sprache solche gewählt werden, welche jenem inneren Liebesgefühl und Spiel der Phantasie entsprechen“. Gedanken, die in dem „Gespräch über die Poesie“ schon auftauchen, finden hier eine mehr und mehr katholische Färbung. Der Katholizismus entwickelt sich Schritt für Schritt zum Hort der Allseitigkeit, die Schlegel von Jugend auf anstrebt. Dieser katholischen Romantik werden nunmehr die „Sage von Troja“ und die homerischen Gesänge nahegerückt und „alles, was in indischen, persischen und andern alten orientalischen oder europäischen Gedichten wahrhaft poetisch ist“. „Wo irgend das höchste Leben mit Gefühl und ahndungsvoller Begeisterung in seiner tieferen Bedeutung ergriffen und dargestellt ist, da regen sich einzelne Anklänge wenigstens jener göttlichen Liebe, deren Mittelpunkt und volle Harmonie wir freilich erst im Christentum finden.“ Selbst in den Tragikern der Alten spürt er jetzt Anklänge dieses Gefühls. Ja das Romantische, das nun vollends zur Universalpoesie geworden ist, hat nur zwei Gegensätze: das fälschlich unter uns wieder aufgestellte „Antikische“, das ohne innere Liebe bloß die Form der Alten nachkünstelt, und das Moderne, das die Wirkung auf das Leben zu erreichen glaubt, indem es sich ganz an die Gegenwart anschließt und sich in die Wirklichkeit einengt. Ein Zusatz der Ausgabe von 1822 (2, 128) geht noch weiter: nunmehr wird die Harmonie der katholischen Dichtkunst noch über die der Antike gesetzt. Die „allegorisch-christliche Dichtkunst“, die in Calderon gipfelt, ist „keine bloße Natur- oder fragmentarisch zerstreute und größtenteils unbewußte Volkspoesie, noch auch eine bloß mit der äußeren Bilderhülle spielende, sondern eine zugleich den tiefen Sinn erkennende, mithin wohlbewußte und wissende Poesie des Unsichtbaren“. Was bei den Alten geschieden war, die strenge Symbolik der Mysterien und die eigentliche Mythologie oder die „neue, sinnliche Heldenpoesie“, ist hier vereinigt. Alles ist in ihr durch und durch symbolisch. Diese Symbolik, die in dem Naturgeheimnis der Seele begründet ist, hat auch Shakespeare erreicht, Calderon aber zur christlichen Verklärung durchgeführt. Es sind die alten, um 1800 gewonnenen Gesichtspunkte: die Darstellung des Unendlichen im Endlichen, die Allseitigkeit, die Forderung einer bewußten Poesie; aber alles spitzt sich jetzt auf den Katholizismus zu. Religion, Liebe, Mittlertum -- alles war schon in den „Ideen“ verwertet worden, alles das hatte dort dem Begriffe der romantischen Poesie sich eingegliedert. Jetzt sind indes diese Vorstellungen verengt und genauer, nicht im übertragenen, sondern im katholischen Sinne gefaßt. Das katholische Kredo gestattet Schlegel noch ganz zuletzt, einen höchsten Typus der Harmonie in katholischem Sinne welthistorisch zu konstruieren. Ausführlich erwogen wird das Problem in den achtzehn Wiener Vorlesungen von 1828 über „Philosophie der Geschichte“ (1829). Nun hat er ganz die Formen katholischen Denkens angenommen; freilich deckt sich manches auch mit Lehren Böhmes, auf die oben (S. 76) Bezug genommen worden ist: Es ist Aufgabe der Philosophie, das verlorene göttliche Ebenbild im Menschen wiederherzustellen. Aus freier Wahl ist der Mensch durch den Sündenfall um die Herrschaft über die Natur gekommen und unter sie herabgesunken. Verwilderung und Ausartung war die Folge; ein Kampf der Urvölker, in der mosaischen Tradition als Kampf der Kainiten und Sethiten berichtet, aber ebenso der ältesten Tradition aller Völker zugrundeliegend, vollzieht sich. Doch auch der einzelne Mensch wird uneinheitlich. Nur Genies, große Charaktere oder gottinnige Menschen können sich wieder zur ursprünglichen Einheit erheben. Das höhere Licht der göttlichen Wahrheit ward durch das Christentum der Wissenschaft und dem Leben näher gebracht, nachdem die Juden schon als Wegweiser zur Erkenntnis Gottes sich erwiesen hatten. Das vierte Weltalter, an dessen Grenze Fr. Schlegel seine Zeit setzt, wird den Sieg des Lichtes über die Finsternis bringen. Voraussetzung der ganzen Konstruktion ist der Glaube an Christus und an das Gnadengeheimnis der göttlichen Erlösung des Menschengeschlechtes. Ohne diesen Glauben wäre die ganze Weltgeschichte „nichts als ein Rätsel ohne Lösung, ein Labyrinth ohne Ausgang, ein großer Schutthaufen aus den einzelnen Trümmern, Steinen und Bruchstücken von dem nun unvollendet gebliebenen Bau, aus der großen Tragödie der Menschheit, die alsdann gar kein Resultat haben würde“ (2, 9). Innerhalb dieser Entwickelung, die eine letzte Umgestaltung der alten Schillerschen und frühromantischen Konstruktion bedeutet, erscheint eine Stufe der Harmonie, ein besonders begünstigtes Zeitalter, das alle die Vorteile sein eigen nennt, mit denen Schiller und der junge Fr. Schlegel die griechische Antike bedenken. Es ist das vorghibellinische Mittelalter. Fr. Schlegel denkt an den Augenblick, da der deutsche Stammescharakter und die germanische Natur- und Heldenkraft mit dem römischen Weltverstande durch die christliche Liebe und religiöse Gesinnung ganz in Harmonie gesetzt und in eins verschmolzen waren. Aus dieser glücklichen Mischung gingen die großen und milden Charaktere Karls des Großen und Alfreds hervor. Sobald die religiöse Macht der christlichen Gesinnung nachließ, fielen die Elemente, die die Menschheit zur Vereinigung gebracht hatten, wieder auseinander. Und in dieser Zersplitterung wurzelt das Romantische; ihr entkeimt Dantes Werk ebenso wie Baukunst und Malerei des Mittelalters. Und doch erscheinen hier wiederum nur alte Thesen der frühromantischen Zeit in neuem Lichte! Ganz überraschend aber ist die Übereinstimmung einzelner Behauptungen Fr. Schlegels mit Hardenbergs Aufsatz: „Die Christenheit oder Europa“. Wohl ist manches modifiziert, mindestens historisch genauer umgrenzt; aber an beiden Stellen erscheint das gläubige Mittelalter, die Zeit da Staat und Kirche Hand in Hand gehen, als eine Epoche der Harmonie, gedacht wie das Griechentum der Briefe „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ oder der Abhandlung „Über das Studium der griechischen Poesie“. Über ein Menschenalter weg reichen sich Novalis und sein zum Ultramontanen gewordener Jugendfreund die Hand. Kühne, hoch über der Erde schwebende Ahnungen Hardenbergs sind jetzt zu Leitsätzen der ultramontanen Geschichtsphilosophie Fr. Schlegels geworden. Ein unvereinbarer Widerspruch besteht indes nicht zwischen dieser letzten welthistorischen Konstruktion Fr. Schlegels und der Anschauung des Romantischen in den Wiener Vorlesungen über „Geschichte der alten und neueren Literatur“. Vielmehr handelt es sich nur um den Gegensatz, der von Anfang an in der romantischen Fassung des Begriffes „Harmonie“ liegt. Mit Schiller hat Fr. Schlegel in seiner ersten „objektiven“ Zeit die Griechen zu Vertretern einer Harmonie gestempelt, die alle Gegensätze zu voller Einheitlichkeit verknüpft. Dann war ihm die proteusartige Beweglichkeit, die Fähigkeit von einem Gegensatz zum anderen zu springen und das Widersprechendste zu einer Einheit zu verknüpfen, als Ideal menschlicher Allseitigkeit aufgegangen. Dieses Ideal liegt der romantischen Poesie zugrunde; dieses Ideal findet er wieder im Orient, findet es in einem Reichtum und in einer Fülle der Gegensätze, die selbst die Antike einseitig erscheinen läßt. Im Organismus der orientalischen Kultur ist für Fr. Schlegel der Zwischenraum zwischen den beiden Polen größer als in irgendeinem anderen Kultursystem; und doch ist auch dieser ganze Organismus nur +ein+ Magnet (s. oben S. 42). Nun kann er in den Wiener Vorlesungen das Romantische überall da entdecken, wo ähnlicher Reichtum sich zeigt. 1828 kehrt er zu der einheitlichen Harmonie zurück, im Gegensatz zu der das Romantische wohl als reicher, aber auch als zersplitterter erscheint. Und jetzt schreibt er, ultramontan geworden, der Zeit des Mittelalters, in der germanisches Heldentum und romanische Kirche Hand in Hand gehen, solche Harmonie, eine Harmonie im klassischen Sinne, zu. Vorweggenommen hatte diese Anschauung Hardenbergs Aufsatz „Die Christenheit oder Europa“. Und schon aus diesem Grunde bezeichnet er einen entscheidenden Schritt zur späteren katholischen Wendung der Romantik hin. Seine Verherrlichung des katholischen Mittelalters bereitet das Zeitalter der Bekehrungen und Konversionen vor. Eine weitere Vorstufe bildet frühromantische Verklärung der christlichen Malerei. Ist doch auch Novalis’ Aufsatz nicht unberührt geblieben von den Hymnen, die der christlichen Malerei von ihren frühromantischen Vergötterern gesungen worden sind. IV. Tiecks und Wackenroders Anteil. 1. Deutsches Mittelalter. Spanien. Ganz aus Eigenem hatte Novalis sein Bild des katholischen Mittelalters nicht geschöpft. Die neue Freundschaft mit +Tieck+ trug da ihre ersten Früchte. Tieck ließ in die romantische Gedankenwelt +Wackenroders+ Ströme münden. Es ist vielleicht das merkwürdigste Phänomen der ganzen Entwickelungsgeschichte der deutschen Romantik, daß eine Haupttendenz, die bald darauf alle anderen Bestrebungen der Frühromantik überwuchern, der Mit- und Nachwelt als Mittelpunkt deutscher Romantik erscheinen und ihr die nachhaltigsten kulturellen und künstlerischen Wirkungen schenken sollte, von einem überzarten, kränklichen, früh dem Tode verfallenen Jüngling ausgegangen ist, der mit den Führern der frühromantischen Bewegung wenig oder gar keine Fühlung hatte, in seinem innersten Wesen zu den romantischen Proteusnaturen nicht paßte. Fr. Schlegel aber, der ihn nur flüchtig kennen lernte, hat den Nagel auf den Kopf getroffen, als er Anfang November 1797 an seinen Bruder schrieb (S. 307), ihm sei Wackenroder „der liebste aus dieser ganzen Kunstschule“, d. h. aus dem Kreise Tiecks, und hinzusetzte: „Er hat wohl mehr Genie als Tieck; aber dieser gewiß weit mehr Verstand.“ Bei keinem der Frühromantiker war die Gemütseite gleich stark, fast einseitig entwickelt wie bei Wackenroder. Auch Hardenberg drängt es energischer aus den Kreisen des Unbewußten zur Klarheit hin. Dennoch steht er Wackenroder gewiß am nächsten; und der Zauber, den Tieck bei der ersten Bekanntschaft auf Novalis ausgeübt hat, ruhte ohne Zweifel auf den Eigenheiten Tiecks, die der Verkehr mit Wackenroder in ihm ausgelöst hatte; Tieck selber aber fand in Novalis viel von dem wieder, was er durch Wackenroders Tod verloren hatte, verstand sich aber auch, der anpassungs- und wandlungsfähige, Novalis von der Seite zu nehmen, von der er seinerzeit Wackenroder gewonnen hatte, eben von der Seite des Gemüts. Als Gemütsmensch mit geringer Neigung zur Selbstanalyse und „intellektueller Anschauung“ in Fichtes Sinne fühlte Wackenroder auch unter allen Frühromantikern dem Sturm und Drang sich am nächsten verwandt; und darum widmete er sich, verbunden mit Tieck, der eigentlichen Weiterleitung der Lieblingsideen, in denen die Stürmer und Dränger mit den Romantikern übereinkommen. Zunächst übernahm er das Interesse der siebziger Jahre für altdeutsches Wesen, altdeutsche Kunst und altdeutsche Dichtung. Er ist da Schüler Herders und teilt mit seinem Lehrer die Fähigkeit, individuelle Schönheit nachzufühlen, vor allem die nationale Individualität in ihrer künstlerischen Ausprägung zu verstehen und zu würdigen. Nicht einseitig lokalpatriotischer Nationalismus, sondern der ernste Wille und die Begabung allseitiger Einfühlung ist Wackenroder wie Herdern eigen. In den „+Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders+“ (1797, S. 106 f.) heißt es: „Uns, Söhnen dieses Jahrhunderts, ist der Vorzug zuteil geworden, daß wir auf dem Gipfel eines hohen Berges stehen, und daß viele Länder und viele Zeiten unsern Augen offenbar, um uns herum und zu unseren Füßen ausgebreitet liegen. So lasset uns denn dieses Glück benutzen und mit heitern Blicken über alle Zeiten und Völker umherschweifen und uns bestreben, an allen ihren mannigfaltigen Empfindungen und Werken der Empfindung immer das Menschliche herauszufühlen.“ Zum Verständnis älterer deutscher Literatur wurde Wackenroder von seinem Lehrer Erduin Julius Koch geführt. Schon Anfang Dezember 1792 gesteht er dem Freunde Tieck: „Da hab’ ich denn manche sehr interessante Bekanntschaft mit altdeutschen Dichtern gemacht und gesehn, daß dies Studium, mit einigem Geist betrieben, sehr viel Anziehendes hat.“ Tieck antwortete wenig ermutigend, genau mit demselben Einwand, den Schiller später der von Tieck besorgten Sammlung der Minnelieder entgegenhielt (28. Dezember); er beklagt die „erstaunliche Einförmigkeit“ der Minnesänger. „Es ist überhaupt schon gar keine Empfehlung für den poetischen Geist dieses Zeitalters, daß es nur diese eine Art von Gedichten gab, nur diesen Zirkel von Empfindungen, in denen sich jeder wieder mit mehr oder weniger Glück herumdrehte.“ Schwindel und Wüstheit des Kopfes sei die Folge, wenn man sich mit vielen lange herumdrehe. Wackenroder indes ließ sich nicht beirren; und wirklich wurde im Sommersemester 1793, das beide Freunde zu Erlangen verbrachten, Tieck zu altdeutschen Studien bekehrt, die sich zunächst allerdings den Volksbüchern zuwandten. Wackenroder schritt inzwischen von altdeutscher Dichtung zu altdeutscher Kunst weiter; neu erwachte in ihm die Liebe, die einst in und nach Straßburg den jungen Goethe zum Bewunderer Erwins von Steinbach und Dürers gemacht hatte. „Nicht bloß unter italienischem Himmel, unter majestätischen Kuppeln und korinthischen Säulen -- auch unter Spitzgewölben, krausverzierten Gebäuden und gotischen Türmen wächst wahre Kunst hervor,“ erklären die „Herzensergießungen“ (S. 129). Von gleichen Erwägungen aus hatte Heinse sich den Weg zu Rubens gebahnt. Liebevoll in die Kunst deutschen Altertums, zunächst in die Malerei Dürers eindringend, schuf sich Wackenroder ein gewiß idealisiertes, aber doch stark gefühltes und von mächtiger Stimmung getragenes Bild deutscher Vergangenheit. „Als Albrecht den Pinsel führte, da war der Deutsche auf dem Völkerschauplatz unsers Weltteils noch ein eigentümlicher und ausgezeichneter Charakter von festem Bestand; und seinen Bildern ist nicht nur in Gesichtsbildung und im ganzen Äußeren, sondern auch im inneren Geiste dieses ernsthafte, grade und kräftige Wesen des deutschen Charakters treu und deutlich eingeprägt“ (S. 121 f.). Das ist die Stimmung, aus der heraus in Hardenbergs Aufsatz „Die Christenheit oder Europa“ das deutsche Wesen alter Zeit gesehen ist (s. oben S. 78); ebenso auch im „Ofterdingen“ und in mehreren Jugenddichtungen Tiecks. Dieselbe Stimmung kehrt später noch in ihrer höchsten künstlerischen Form wieder, wenn Moritz v. Schwind sein Märchen von den sieben Raben oder seine schöne Melusine schafft oder die Fresken aus dem Leben der heiligen Elisabeth auf der Wartburg. Da klingt und singt es wirklich wie aus einer fernen schönen Welt. Es ist gewiß nicht das wahre Mittelalter, sondern ein eingebildetes; aber es ist doch noch etwas anderes als das „Mittelalter der Ritterdramen und Ritterromane mit seinen physiognomielosen, verschwommenen Personen und seinen einförmig biederen Gesinnungen“ (W. Scherer, Jakob Grimm, 2. Aufl. S. 60 f.). Denn die feine Seele Wackenroders hat diesem deutschen Mittelalter einen Schimmer geliehen, der den derberen Händen der Ritterdramatiker, selbst eines Maler Müller, nicht gegönnt war. Wichtiger aber noch ist, daß Wackenroders verschönendes Auge auch die Schlegel und Novalis gelehrt hat, das Mittelalter und das Deutschtum in diese Stimmung zu tauchen. Denn ehe Wackenroder durch Tiecks Vermittelung auf Hardenberg wirkt, ist von einer Verklärung deutschen Mittelalters bei den Jenenser Genossen nichts zu spüren. Wohl besteht von Anfang an ein starkes Bewußtsein deutscher Kraft. Doch das 38. Lyceumfragment Fr. Schlegels lautet: „An dem Urbilde der Deutschheit, welches einige große vaterländische Erfinder aufgestellt haben, läßt sich nichts tadeln als die falsche Stellung. Diese Deutschheit liegt nicht +hinter+ uns, sondern +vor+ uns.“ Und noch in die „Ideen“ ist Wackenroders Glaubensbekenntnis nur zum Teil aufgegangen: „Nicht Herrmann und Wodan sind die Nationalgötter der Deutschen, sondern die Kunst und die Wissenschaft. Gedenke noch einmal an Keppler, Dürer, Luther, Böhme; und dann an Lessing, Winckelmann, Goethe, Fichte. Nicht auf die Sitten allein ist die Tugend anwendbar; sie gilt auch für Kunst und Wissenschaft, die ihre Rechte und Pflichten haben. Und dieser Geist, diese Kraft der Tugend unterscheidet eben den Deutschen in der Behandlung der Kunst und der Wissenschaft“ (Nr. 135). Das ist die Auffassung von deutscher Größe, deutscher Art und Kunst, die auch in den Jugendbriefen Friedrichs an Wilhelm sich offenbart: nicht das Germanische wird betont, nicht Klopstocks Teutonismus gepredigt, sondern den Schöpfern der neueren deutschen Kultur gehuldigt. Dabei macht sich die Ansicht geltend, die Novalis gern vertritt: Deutschland ist im Begriff die geistige Führung Europas an sich zu nehmen. Um 1800 bekennt sich auch Schiller zu diesem Glauben und möchte Deutschlands Größe feiern. „Der Deutsche“, sagt Novalis einmal (2, 124), „ist lange das Hänschen gewesen. Er dürfte aber wohl bald der Hans aller Hänse werden. Es geht ihm, wie es vielen dummen Kindern gehn soll: er wird leben und klug sein, wenn seine frühklugen Geschwister längst vermodert sind und er nun allein Herr im Hause ist.“ Fr. Schlegel und Novalis sind durchaus nicht darauf aus, den Deutschen zu idealisieren. Am besten spürt man den Unterschied, der zwischen ihnen und Wackenroder auch noch zu der Zeit bestand, da das „Athenaeum“ zu Ende ging, in der 120. Idee: „Der Geist unsrer alten Helden deutscher Kunst und Wissenschaft muß der unsrige bleiben, solange wir Deutsche bleiben. Der deutsche Künstler hat keinen Charakter oder den eines Albrecht Dürer, Keppler, Hans Sachs, eines Luther und Jakob Böhme. Rechtlich, treuherzig, gründlich, genau und tiefsinnig ist dieser Charakter, dabei unschuldig und etwas ungeschickt. Nur bei den Deutschen ist es eine Nationaleigenheit, die Kunst und die Wissenschaft bloß um der Kunst und der Wissenschaft willen göttlich zu verehren.“ Noch ruht der Blick zu scharf auf den Dingen, um Wackenroders Idealisierung zuzulassen. Aus gleichem Gesichtspunkte ist Fr. Schlegels Mahngedicht „An die Deutschen“ (Athenaeum 3, 165 ff.) gesehen. Dagegen atmen seine beiden Sänge „Bei der Wartburg“ und „Am Rheine“ von 1802 (Europa 1, 1, 8 und 15) schon die ganze Stimmung Wackenroders und des „Ofterdingen“. Aus dieser Stimmung wird die romantische Germanistik geboren. Wackenroders Freund Tieck geht voran. Während Fr. Schlegel um 1800 sich noch wenig um altdeutsche Literatur kümmert, Wilhelm allerdings schon einige Kenntnis verrät und da und dort ein bedeutsames Wort über altdeutsche Poesie einschiebt, Hardenberg aber durch Wilhelm die -- übrigens von ihm nicht verwertete -- Literatur über Heinrich von Ofterdingen sich nachweisen läßt, tritt 1803 +Tieck+ als erster mit einer Sammlung mittelhochdeutscher Poesie hervor, mit seinen neubearbeiteten „+Minneliedern aus dem Schwäbischen Zeitalter+“. Mag die halbschürige Übertragung ins Neuhochdeutsche uns heute unerträglich sein, sicher bleibt die Vorrede (Kritische Schriften 1, 185 ff.) der erste Versuch -- und ein sehr erfolgreicher obendrein -- die Dichtung des deutschen Mittelalters in den Rahmen der romantischen Poesie charakterisierend einzuordnen. Jakob Grimm wurde von der Skizze Tiecks aufs tiefste ergriffen. Nicht das Wissen Tiecks, nicht seine kühnen und mitunter ganz glücklichen Zusammenfassungen, auch nicht eine Bemerkung über den Verfasser des Nibelungenliedes, die Lachmanns Forschungen vorwegnimmt, nicht diese Einzelheiten mögen auf Grimm überwältigend gewirkt haben; vielmehr die Gesamtanschauung des deutschen Mittelalters, die durchaus im Geiste Wackenroders und Hardenbergs gehalten ist. Für Tieck ist das Mittelalter vor allem eine Zeit, die durch einen besonders innigen, empfänglichen und vielumfassenden Sinn für Poesie ausgezeichnet war. „Der Ritterstand verband damals alle Nationen in Europa, die Ritter reisten aus dem fernsten Norden bis nach Spanien und Italien, die Kreuzzüge machten diesen Bund noch enger und veranlaßten ein wunderbares Verhältnis zwischen dem Orient und dem Abendlande; vom Norden sowie vom Morgen her kamen Sagen, die sich mit den einheimischen vermischten, große Kriegsbegebenheiten, prächtige Hofhaltungen, Fürsten und Kaiser, welche der Dichtkunst gewogen waren, eine triumphierende Kirche, die Helden kanonisierte, alle diese günstigen Umstände vereinigten sich, um dem freien unabhängigen Adel und den wohlhabenden Bürgern ein glänzendes Leben zu erschaffen, in welchem sich die erwachte Sehnsucht ungezwungen und freiwillig mit der Poesie vermählte, um klarer und reiner die umgebende Wirklichkeit in ihr abgespiegelt zu erkennen. Gläubige sangen vom Glauben und seinen Wundern, Liebende von der Liebe, Ritter beschrieben ritterliche Taten und Kämpfe, und liebende, gläubige Ritter waren ihre vorzüglichsten Zuhörer“ (1, 195 f.). Die starke Idealisierung des Mittelalters, die Tieck vornimmt, wird um einige Grade von Wilhelm Schlegel in seinen Berliner Vorlesungen von 1803/4 herabgestimmt. Auch er möchte die altdeutsche Dichtung in den Rahmen der romantischen Poesie einfügen; unzweifelhaft hat er sehr viel von Tiecks Vorrede gelernt. Besonders aber suchte er das „wunderbare Verhältnis zwischen dem Orient und dem Abendlande“ des näheren zu beschreiben und zu ergründen; die neuen Errungenschaften Fr. Schlegels leihen ihm die Mittel, den Orient näher zu erfassen. Den romantischen Geist des deutschen Mittelalters, den „ritterlichen Geist“, wie Schlegel ihn nennt, diese „mehr als glänzende, wahrhaft entzückende und bisher in der Geschichte beispiellose Erscheinung“ (3, 89) leitet er geradezu aus der „Kombination der kernigten und redlichen Tapferkeit des deutschen Nordens mit dem Christentum, diesem religiösen orientalischen Idealismus“ ab. Knapper und zugleich mit weiterem Umblick beleuchtete W. Schlegel dasselbe Problem in der ersten der Wiener Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur (1808). Diesmal schreitet er zu einer kulturhistorischen Konstruktion weiter, die nicht nur den „ritterlichen Geist“ auf eine echt romantische Formel bringt, sondern von der Verbindung des nordischen und christlichen Wesens die Eigenheiten des Romantischen überhaupt ableitet und von diesem Gesichtspunkte aus die Antithese klassisch und romantisch ganz neu formt: bei den Griechen war die menschliche Natur selbstgenügsam, sie ahnte keinen Mangel und strebte nach keiner Vollkommenheit, die sie durch eigene Kraft nicht erreichen konnte. In der christlichen Ansicht hat die Anschauung des Unendlichen das Endliche vernichtet. „Das Leben ist zur Schattenwelt und zur Nacht geworden, und erst jenseits geht der ewige Tag des wesentlichen Daseins auf“ (S. 16). Diese Religion macht deutlich, daß wir nach einer hier unerreichbaren Glückseligkeit trachten, daß kein äußerer Gegenstand jemals unsere Seele ganz wird erfüllen können. So entstehen Lieder der Schwermut, wenn die Seele ihr Verlangen nach der fremd gewordenen Heimat ausatmet. „Die Poesie der Alten war die des Besitzes, die unsrige ist die der Sehnsucht; jene steht fest auf dem Boden der Gegenwart, diese wiegt sich zwischen Erinnerung und Ahndung.“ Melancholie ist mithin das Wesen der nordischen Poesie. Auf lange Zeit hinaus bindend ist diese Auffassung der germanischen Poesie geblieben. Noch wenn Richard Heinzel und Wilhelm Scherer das Wesen und den Stil der germanischen Dichtung ergründen wollen, klingt W. Schlegels Anschauung von der mittelalterlichen Sehnsuchtspoesie an. Auf die romantische Dichtung der Fouqué und Uhland hat sie stark gewirkt. Die Freunde des germanischen Altertums am Anfang des 19. Jahrhunderts spinnen indes vor allem den Faden Wackenroders und Hardenbergs weiter, die Lehre von der „kernigten und redlichen Tapferkeit des deutschen Nordens“; sie idealisieren das deutsche Mittelalter durchweg. Voran gehen die Heidelberger und unter ihnen wiederum Görres. Doch sie fühlen sich noch von einer neuen Strömung getragen, wenn sie das germanische Wesen feiern: sie sind national und Freunde des deutschen Volkes geworden. Die Germanistik endlich hat sich von W. Schlegels Berliner Vorlesungen ebenso anregen lassen, wie von Tiecks Minneliedern. Fr. H. v. d. Hagen war W. Schlegels Zuhörer und hat seine Dankesschuld gern bekannt. Tiecks Interesse für katholische Kunst und Dichtung bringt die Romantik auch mit den spanischen Dichtern in Fühlung. Tieck erobert ihnen den größten Dichter des Katholizismus, +Calderon+. Calderon tritt im romantischen Bewußtsein als Nebenbuhler neben Shakespeare. +Shakespeare+ steht für die Schlegel von Anfang an im Vordergrund; Tieck war unabhängig von der Schlegel an ihn herangekommen. Schon 1796 veröffentlichte er seine Bearbeitung von Shakespeares „Sturm“ und fügte eine „Abhandlung über Shakspears Behandlung des Wunderbaren“ hinzu. Ohne den Autor des Büchleins zu kennen, besprach W. Schlegel es in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung (Werke 11, 16 ff.), mit Einschränkungen billigend, und fällte das Gesamturteil: „Ungeachtet dieser und ähnlicher Übereilungen wird der Verfasser, wenn er seine Gedanken über Sh. mehr reifen läßt, gewiß viel Gutes für ihn leisten können.“ Wie dann die gemeinsame Arbeit der Genossen zu neuen Erkenntnissen führt, wie an Shakespeare die romantische Theorie der Poesie erwächst und jede neue theoretische Errungenschaft Shakespeare zugute kommt, entwickelte jüngst lichtvoll Marie Joachimi-Deges Buch „Deutsche Shakespeare-Probleme im 18. Jahrhundert und im Zeitalter der Romantik“ (Leipzig 1907). Leider hat weder Tieck ein geplantes umfassendes Werk über Shakespeare zur Ausführung gebracht, noch W. Schlegel in selbständiger Darstellung zusammengefaßt, was er und seine Gefährten an Shakespeare erkannt und in ihm gefunden hatten. So bleibt die Krone frühromantischer Shakespearearbeit das Fragment einer Übertragung seiner Dramen, das W. Schlegel mit Carolinens Hilfe 1797-1810 Deutschland geschenkt hat: die auch heute noch unbestritten beste deutsche Übersetzung eines ausländischen Klassikers. Alle Vorschläge, an ihre Stelle etwas noch Vortrefflicheres zu setzen, sind bisher auf kleinere Verbesserungsversuche beschränkt geblieben, denen etwas Problematisches anhaftet. Denn W. Schlegel ist der außerordentliche Erfolg zugefallen, Shakespeare in seiner Verdeutschung zum deutschen Klassiker zu stempeln. Shakespeares Verse in Schlegels Übertragung sind uns so geläufig und werden genau so häufig und so gewohnheitsmäßig als Sentenzen im täglichen Leben angeführt wie die Verse Goethes und Schillers. Die Ergänzung von Schlegels Übertragung, von Tiecks Tochter Dorothea und Graf Wolf Baudissin besorgt und unter Ludwig Tiecks Namen 1825-33 zum erstenmal gedruckt, ruft energischer nach einem neuen Übersetzer und konnte nur, weil sie von Schlegels Meisterleistung getragen wurde, den dauernden Erfolg erringen, der auch ihr zufiel. Doch auch W. Schlegel ist nie wieder als Übersetzer gleich erfolgreich gewesen. Sein Dante ist leider nie zu Ende geführt worden. Sein „Spanisches Theater“ (1803-1809) hat zwar die ersten korrekten Versionen Calderons vorgelegt und der Wirkung Calderons auf deutsche Dichtung die Bahn gebrochen. Doch ist, auch nachdem andere wie J. D. Gries weitere Stücke des Spaniers übertragen hatten, Calderon niemals der deutschen Welt so geläufig geworden wie Schlegels Shakespeare. Deutlich läßt diese gegensätzliche Wirkung verspüren, daß die Übersetzung Shakespeares durch Schlegel nur den Abschluß einer deutschen Kulturleistung bedeutet, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts mit J. E. Schlegel und Lessing einsetzt, an der fast alle großen Vertreter deutschen Geisteslebens der zweiten Hälfte des Jahrhunderts beteiligt sind, während die Entdeckung Calderons weit jüngeren Datums, im wesentlichen romantisches Verdienst ist. Tieck geht voran. Tiecks spanische Studien begannen 1793. Er nahm sie 1797 auf, um Cervantes’ „Don Quixote“ zu übertragen. Die Arbeit erschien 1799-1801 und lieferte Fr. Schlegel neues Material zur Ergründung der romantischen Poesie, zunächst im „Gespräch über die Poesie“. Von Cervantes schritt Tieck weiter zum Drama und zur Lyrik Spaniens, ebenso wie er, um Shakespeare besser zu würdigen, dessen Zeitgenossen, Vorläufer und Nachfolger studierte. Nun eröffneten sich ihm „die entzückenden Träume des Calderon und die wundersamen Bilder der spanischen Poeten“ (Schriften 6, S. XVIII f.). Später hat er auf den Gegensatz hingedeutet, den er zwischen Shakespeare und Calderon walten sah: Calderon steht der Antike näher. „In Form und Anwendung der drei dichterischen Elemente“ kann er mit den Alten verglichen werden. „Welche lyrische Ausbrüche der Leidenschaft, der Liebe, der Andacht in seinen Romanzen und kanzonenartigen Versen. Welche Malerei, welches Feuer in eben diesen Lyren, Romanzen und Ottaven. Kein Schauspiel, fast kein Akt ist ohne solche Prachtstücke, diese gehören recht eigentlich zum Wesen des spanischen Drama“ (Kritische Schriften 2, 194 f.; Einleitung zu Lenzens Schriften). Tiecks Aufsatz „Das deutsche Drama“ (ebenda 4, 183 ff.) geht noch weiter: die englische und die spanische Bühne seien völlig entgegengesetzt. Die spanische Bühne ist zu dem Kultus der Religion nie in scharfen Gegensatz getreten; Wunder, Legenden und andere Elemente katholischen Glaubens sind im spanischen Drama nichts Seltenes. Die individuelle Zeichnung der Charaktere, die Motivierung, das notwendige Fortschreiten der Handlung, die Weisheit des Planes englischer Dramatik werde ersetzt durch dialektischen Scharfsinn, künstliche und ergreifende Gegensätze, große Erschütterung, Anregung der geheimsten Kräfte der Phantasie und poetische Allegorie. „In einer Staatsrevolution, dem Untergange eines Königs oder Reiches suche man ja nicht jene tiefsinnigen und überzeugenden Motive des Shakespeare, die uns ebensoviel Psychologie wie Politik entwickeln...: sondern die Tatsache wird auf Treu und Glauben angenommen, die Erklärung wird schon vorausgesetzt, und die Handlung an Legende und Anekdote, Leidenschaft oder Liebe geknüpft.“ Die Leidenschaft hat bei Calderon eine gewisse Norm; Shakespeare und Goethe sind inniger und herzlicher. „Kurz, was dem verständigen Deutschen oder Engländer das Wichtigste ist, wird vom Spanier als Nebensache behandelt oder gar nicht beachtet, und was dem Spanier die wahre Poesie und Drama ist, liegt uns so fern, daß wir uns erst daran gewöhnen müssen und nie unser Erstaunen darüber ganz verlernen können.“ Augenscheinlich stellt sich Tieck mit diesen scharfen Urteilen in Gegensatz zu W. Schlegel, der enthusiastischer auch als sein Bruder für Calderon Partei genommen hatte. Mindestens gelangt Fr. Schlegel sehr spät dazu, Calderon zu verherrlichen. Tieck aber ist von der Überschätzung Calderons abgekommen, weil er in der Schicksalstragödie eine schlimme Frucht der Bewunderung spanischer Dramatik erkennen mußte (vgl. a. a. O. S. 211 ff.). Wie fern Fr. Schlegel noch im „Gespräch über die Poesie“ Calderon steht, beweist die Ergänzung, die er hier 1823 Calderon zuliebe vornahm. Ursprünglich hieß es da: „In der Poesie ... gab es zwar vom Lope de Vega bis zum Gozzi manche schätzbare Virtuosen, aber doch keine Poeten und auch jene nur für die Bühne“ (2, 352). Nun wurde der völlig gegenteilige Satz eingefügt: „Die einzige, glänzende Ausnahme bildet Calderon, der spanische Shakespeare, als wahrer Künstler und großer Dichter, der aus der chaotischen Fülle der spanischen Schauspiele, durch die Tiefe der Phantasie sowie durch die klare Form, ganz abgesondert und einzig in seiner Vollendung hervortritt“ (Werke 5, 246 f.). Noch in Fr. Schlegels Wiener Vorlesungen von 1812 sind die Momente, die gegen Calderon sprechen, stark betont (2, 132 ff.). Und abermals wird 1822 ein ganzer Absatz eingefügt, der höchstes Lob Calderons enthält (Werke 2, 127 f.). Hier wird Calderon nicht bloß mit Shakespeare und Dante auf eine Stufe gestellt; hier heißt es auch: „Im Calderon, als dem letzten Nachklange wie im strahlenden Abendrot des katholischen Mittelalters, hat eben jene Wiedergeburt und christliche Verklärung der Phantasie, welche den Geist und die Poesie desselben überhaupt charakterisiert, den vollen Gipfel ihrer Verherrlichung erreicht.“ Weit schneller folgte W. Schlegel dem Hinweise Tiecks. Schon 1803 beginnt er seine Übertragung Calderons zu veröffentlichen. Gleichzeitig bringt die „Europa“ eine Art Selbstanzeige, den Aufsatz „Über das spanische Theater“ (1, 2, 72 ff.). Gleich diese erste ausführliche romantische Äußerung über das spanische Drama setzt Calderon hoch über Lope: ein ebenso fruchtbarer Kopf, ebenso fleißiger Schriftsteller wird Calderon genannt, aber auch „ein ganz anderer Dichter, ein Dichter, wenn es je einen gegeben hat“ (S. 79). Im 3. Zyklus der Berliner Vorlesungen konnte W. Schlegel sich schon auf seine Übertragung beziehen; doch bereits im ersten (1, 110) hatte er erklärt: „Calderon kann uns als Beispiel eines von dem Shakespeareschen ganz verschiednen, jedoch eben so vollendeten Stiles im romantischen Drama dienen.“ Die Wiener Vorlesungen hatten den stolzen Worten des Aufsatzes der „Europa“ nur noch wenig hinzuzufügen (6, 384 ff.). 2. Romantische Malerei in Theorie und Praxis. Wackenroders Verständnis für Individualität eröffnet ihm nicht nur den Weg zu Dürer, auch zu der italienischen Malerei der Zeit vor Raffael. Hier galt es nicht deutsches Wesen zu begreifen, überhaupt weniger zu belehren als abzuwehren. Der Kampf gegen die Einseitigkeit der Klassizisten war ja längst vor Wackenroder aufgenommen worden. Herder, der junge Goethe, Heinse waren ihm vorangegangen. Aber die Lehre Winckelmanns von der alleinseligmachenden Schönheit griechischer Kunst hatte immer wieder neue Anhänger gefunden; Goethe neigte ihr am Ende des Jahrhunderts, auch schon vor der Veröffentlichung der „Propyläen“ (1798-1800), stärker zu, als die Welt wissen konnte. Wackenroder fragt: „Warum verdammt ihr den Indianer nicht, daß er indianisch und nicht unsere Sprache redet? -- Und doch wollt ihr das Mittelalter verdammen, daß es nicht solche Tempel baute wie Griechenland?“ (S. 102). Seine eigene Fähigkeit, sich in Gegensätzliches einzufühlen, möchte er allen einflößen: „O, so ahndet euch doch in die fremden Seelen hinein und merket, daß ihr mit euren verkannten Brüdern die Geistesgaben aus derselben Hand empfangen habt!“ W. Schlegels Anzeige der „Herzensergießungen“ in der Jenaischen „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ (Werke 10, 363 ff.) hat sich das Programm, der Kunst aller Zeiten gerecht zu werden, sofort zu eigen gemacht. Auf dem Felde der bildenden Kunst besser geschult als sein Bruder, vertritt Wilhelm im „Athenaeum“ die neue, von Wackenroder angeregte Anschauung. Im 2. Bande (1799) setzt das Gespräch „+Die Gemälde+“ Wackenroders Theorie in Praxis um und wird zu einem Lobeshymnus auf die italienischen Meisterwerke der Dresdner Galerie, aber auch einer ganzen Reihe neuerer Gemälde anderer Nationen. Nur Rubens stößt auf Skepsis. Der Ruf der Sistina Raffaels ist im wesentlichen durch diese romantische Kundgebung bedingt; doch auch Holbeins Madonna ist nicht beiseite gelassen. Der ganze Dialog geht auf gemeinsame Studien zurück, die im Jahre 1798 die damals in Dresden fast vollzählig anwesenden Frühromantiker in immer wiederholter Wanderung durch die Galerie angestellt haben. Die Gemäldebeschreibungen und die Äußerungen über Raffael sind Eigentum Carolinens. Wilhelm wetteifert mit ihr in dichterischer Form: er kleidet typische Motive der modernen Malerei, zunächst die von der katholischen Mythologie gegebenen Situationen, in Sonette. In den Berliner Vorlesungen erreicht W. Schlegels kunstgeschichtliche und kunstcharakterisierende Arbeit ihre Höhe. Die historische Methode, für die Wackenroder so gefühlswarm sich eingesetzt hatte, siegt auf der ganzen Linie. Einer Beobachtung von Hemsterhuis folgend, stellte W. Schlegel ebenda fest, alle moderne Kunst neige zum Pittoresken, alle antike zum Plastischen (1, 156 f.). Darum entspreche es der Gegenwart, die Malerei auf Kosten der Plastik zu pflegen, nicht -- wie Winckelmann und seine Nachfolger es wünschten -- der Plastik allein zu dienen und ihre Gesetze der Malerei auszulegen. Goethe, sonst auf saubere Trennung der Kunstarten bedacht, war durch seine Vorliebe für antike Kunst mehr und mehr auf die Wege Winckelmanns und dadurch zu Anforderungen gekommen, die den Maler zu bildhauerischer Behandlungsweise drängten. Die Romantiker hielten sich von gleichen Unfolgerichtigkeiten frei; wie Herder wandten sie ihr Augenmerk auf die individuellen Eigenheiten der Zeit und verwahrten sich dagegen, antike Neigungen der neueren Zeit einzuimpfen. Sie kamen freilich dadurch in Gegensatz zu dem „sächsisch-weimarischen Heidentum“ und dieser Gegensatz steigerte sich, je mehr die Romantiker für die katholischen Motive der modernen Malerei nicht nur aus künstlerischen, sondern auch aus konfessionellen Gründen Partei nahmen. Fr. Schlegel ging da führend voran. Ganz undogmatisch hatte Wackenroder auch den Katholizismus seines historisch-individualistischen Verständnisses teilhaftig werden lassen. Auch der Katholizismus sei Christentum! Freilich war ihm die Religion der Maler früherer Zeit mehr als eine historische Tatsache. Er suchte die Rolle zu bestimmen, die der Religion in ihrem Lebensgefühl zufiel. Er war überzeugt, daß vor allen den alten deutschen Künstlern ihre Kunst ein geheimnisvolles Sinnbild ihres Lebens gewesen sei. „Ja, beides, ihre Kunst und ihr Leben, war bei ihnen in ein Werk +eines+ Gusses zusammengeschmolzen, und in dieser innigen, stärkenden Vereinigung ging ihr Dasein einen desto festeren und sichereren Gang durch die flüchtige, umgebende Welt hindurch“ (Phantasien über die Kunst, herausgegeben von J. Minor, S. 8). Der Glaube wird ihm so zu einem Faktor, der die Form des Kunstwerkes und dessen Gefühlsgehalt bestimmt. Darum verlangte Wackenroder, daß Bildersäle Tempel seien, wo man in stiller, schweigender Demut und in herzerhebender Einsamkeit die großen Künstler bewundert. Aber nicht er, sondern Tieck legte einem „jungen deutschen Maler“ die Frage in den Mund: „Kannst du ein hohes Bild recht verstehen und mit heiliger Andacht es betrachten, ohne in diesem Momente die Darstellung zu glauben?“ (S. 192). Der Fragesteller läßt sich wie Schillers Mortimer durch den Zauber des katholischen Kultus zu Rom in die Arme der katholischen Kirche führen. W. Schlegel sah sich deshalb veranlaßt (Werke 10, 365 f.), Tieck und Wackenroder gegen den Vorwurf zu schützen, ihre Kunstliebe habe eine Tendenz zum Katholizismus. Und er fragte: „Wenn wir, der Forderung gemäß, daß der Betrachter sich in die Welt des Dichters oder Künstlers versetzen soll, sogar den mythologischen Träumen des Altertums gern ihr luftiges Dasein gönnen, warum sollten wir nicht, einem Kunstwerke gegenüber, an christlichen Sagen und Gebräuchen einen näheren Anteil nehmen, die sonst unsrer Denkart fremd sind?“ Die Gedichte, die W. Schlegel selber in das Gemäldegespräch eingefügt hat, erwecken allerdings nicht den Eindruck, als ob ihm die katholische Denkart ganz fremd sei. Der Anempfinder hat sich da mit solcher Energie in katholische Kunst geworfen, daß er nachmals mit der Wendung, es sei nur ~prédilection d’artiste~ für das Künstlerische des Stoffgebietes gewesen, sich entschuldigen zu müssen glaubte. Selbstverständlich wurde Tieck alsbald zum Vorkämpfer katholischer Kunst und formte das Epigramm: „Der Protestant protestiert ja gegen alles Gute und besonders gegen die Poesie“ (10, 275). Novalis Aufsatz „Die Christenheit oder Europa“ gewinnt hier von allen Seiten Stützen. Fr. Schlegels Beschäftigung mit der Malerei aber setzt in einem Augenblick ein, da er dem Katholizismus und dem Übertritt schon näher und näher gekommen war. In seiner „Europa“ (1803-05) und in seinem „Poetischen Taschenbuch für das Jahr 1806“ sind Fr. Schlegels wichtigste Beiträge zur Charakteristik der bildenden Kunst enthalten. Er führt im wesentlichen nur Wackenroders Ideen weiter aus und wendet sie auf ein viel umfangreicheres Material an. Er geht über die ~prédilection d’artiste~ hinaus und prüft die Renaissancekunst weniger auf ihren künstlerischen als auf ihren religiösen Gehalt. Darum ist ihm der „gottbegeisterte reine Jüngling“ Raffael lieber als der reife. Darum nennt er die Malerei gern eine göttliche Kunst. Unverkennbares Verdienst hat er um die Würdigung der altdeutschen Kunstwerke sich erworben, die von den Boisserées gesammelt worden waren. Ihre Bewertung und ihre historische Eingliederung hat er auf lange Zeit hinaus bestimmt. Er vor allen hat Meister Stephan Locheners Kölner Dombild neben die Sistina gestellt; ganz im Stile Winckelmanns feierte er das Werk: „Man sieht, daß jene Zeit das Köstlichste und Höchste in diesem Bilde aufbieten wollte, was sie vermochte, es ist mit größter Liebe vollendet. Aber es ist auch entworfen im Geist und unter der Begünstigung der göttlichen Liebe...; die Blüte der Anmut ist diesem beglückten Meister erschienen, er hat das Auge der Schönheit gesehen und von ihrem Hauch sind alle seine Bildungen übergossen. So allein wie Raffael, der Maler der Lieblichkeit, unter den Italienern steht, so einzig ist dieser unter den Deutschen.“ Nachdem er die einzelnen Züge des Bildes in Worte gebracht, schließt Fr. Schlegel: „Doch wie ließen sich alle Schönheiten dieses Gemäldes aufzählen oder auch nur die Umrisse der Anordnung und des Gedankens einigermaßen befriedigend beschreiben? In einem Werke wie diesem liegt die ganze Kunst beschlossen; und etwas Vollkommneres, von Menschenhänden gemacht, kann man nicht sehen“ (Europa 2, 2, 135 f.). Freilich hat Schlegel später, da er doch noch strenger katholisch fühlen gelernt hatte, von diesem hohen Lobe eher etwas zurückgenommen und auch dadurch bewiesen, daß er nicht aus religiösen Gründen so enthusiastisch geworden war. Die nazarenische Malerschule aber knüpfte an diese Bekenntnisse Fr. Schlegels an; und von ihnen aus, mehr noch als von Wackenroders Schriften, entwickelte sich das „neukatholische Künstlerwesen“, das „klosterbruderisierende, sternbaldisierende Unwesen“, wie Goethe es höhnisch nannte, bewußt, daß er im Urteil der Zeitgenossen gegen die neue Richtung nicht aufkommen könne. Konnte doch Fr. Schlegel, nachdem er 1819 den Nazarenismus noch einmal sachlich verteidigt hatte, 1825 den Sieg der Genossen verkündigen. Nunmehr freilich hat sich seine Kunstanschauung so sehr verschoben, daß von allen Gesichtspunkten Wackenroders nur noch der eine herrschend übriggeblieben ist: das innere Licht der Beseelung. Es gilt jetzt in Friedrichs Auge weit mehr als das bloße Talent der fruchtbaren Erfindung oder der Magie der Farbe. Die propagandistische Tätigkeit im Gefolge Wackenroders hat Fr. Schlegel nicht dazu kommen lassen, seine tiefste und prinzipielle Kunstüberzeugung auf die bildende Kunst anzuwenden. Er überließ es Schelling, der dem Nazarenismus im Innersten fremd gegenüberstand, den Maler zu organischem Schaffen zu erziehen und von ihm zu verlangen, daß er das Ganze im Auge habe und das einzelne danach entwerfe und ausführe. Schellings Rede „Über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur“ (1807) hat das Thema so formuliert, daß Goethe voll zustimmen konnte; waren ja doch die Grundanschauungen, auf denen Fr. Schlegels Theorie vom künstlerischen Organismus, vom Ganzen und von seinen Teilen und von der wechselseitigen Verknüpfung beider erwachsen war, von Goethe vorgetragen worden. Goethe jedoch konnte auch mit dem romantischen Maler, der den Gedanken Schellings in Theorie und Praxis auf seine Weise am nächsten gekommen war, sich verständigen, mit Philipp Otto +Runge+. Runge, der Schüler Jens Juels, war von ganz anderer Seite zu gleichen Zielen weitergeschritten. Wie ein zweiter Schüler Juels, Kaspar David Friedrich, lernte Runge von seinem Lehrer, die Umrisse der Landschaft im Lichte aufzulösen, die Landschaft nicht weiter in festen Umrissen, überhaupt nicht in Gegenständen, sondern als ein Ganzes von Farbentönen zu schauen. Wie fremd und überraschend der Zeit und auch einem Romantiker Friedrichs Versuche waren, bezeugt die aus einem Aufsatze Arnims und Brentanos gezogene Notiz von Kleists „Abendblatt“ (13. Oktober 1810) „Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft“ (Werke, herausgegeben von Erich Schmidt, 4, 230 f.; vgl. auch Clemens Brentanos Schriften 4, 424 ff.). Man hat Runge nachgerühmt, daß er alle wesentlichen Gedanken der Malerei des 19. Jahrhunderts ahnend vorweggenommen habe. Wirklich ist er nicht bloß durch sein Streben, Licht und Farbe durch intensivstes Studium der Natur wie Goethe neu zu erfassen, nicht bloß durch seine, mit Goethe und der Romantik ihn verknüpfende Theorie organischer Gestaltung, auch durch eine symbolische Ornamentik, die abermals auf Schelling hinwies, seiner Zeit vorangeeilt. Von den romantischen Genossen haben besonders die Heidelberger ihm nahe gestanden. Aber nicht die künstlerischen Ideen Runges, sondern die stofflichen Sympathien Wackenroders bedingen die sogenannte romantische Malerei. Runges und Friedrichs Wirken bleibt ein Seitentrieb, der viel später nur zu vollem Gedeihen kam. Wie nahe an Goethe dieser Seitentrieb im Gegensatz zum Nazarenismus heranwuchs, bezeugen die auf Runge und Friedrich aufbauenden „Briefe über Landschaftsmalerei“ des Dresdner Physiologen und Malers +C. G. Carus+ (1831 und 1835). Carus knüpfte die Theorie der Landschaftsmalerei oder, wie er es nannte, der Erdlebenbildkunst unmittelbar an Schellings Naturphilosophie und an den Begriff der Weltseele an. Er meinte, die Landschaft bekäme einen höheren und mächtigeren Sinn, wenn man in der weiten, großen Oberfläche des Planeten das lebende geistige Prinzip erkenne oder mindestens ahne. Dann verstehe man das geistige Band, das die Regungen und Umgestaltungen des äußeren Naturlebens an die Gefühlsschwankungen unseres Innern mit geheimer Gewalt feßle (vgl. seine Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten 1, 181 f.). Er suchte darum mit Friedrich ein seelisch erfaßtes Naturbild und in ihm zugleich eine Darstellung des Wechsels im Leben der Landschaft nach Jahreszeit und Stunde, nach Licht und Wetter. Nicht schöne und denkwürdige Gegenden sollten den Vorwurf bilden; sondern Stimmungslandschaften waren ihre Absicht. In den weiten pommerschen Ebenen war es Carus aufgegangen, daß ein Ruisdael nur von einer armen Natur, mit Eichen, Sand und Feld und Sumpf, gebildet werden konnte, während die reiche Natur des Schweizerlandes lange Zeit auch nicht entfernt ähnliches hervorgebracht habe (ebenda S. 261). Carus und Friedrich stehen mit diesen echt romantischen Bemerkungen neuester Kunst weit näher als der Nazarenismus. 3. Die Musik im romantischen Lichte. Die Lyrik und ihre Theorie. Nicht nur zur Malerei hat Wackenroder den romantischen Genossen den Weg gezeigt, auch zu der Kunstgattung, die gern zur romantischesten gestempelt wird, zur +Musik+. Einem Menschen von starkem und gegen Analyse sich wehrendem Gefühl mußte die Musik, und was sie in ihm anregte, Herzensoffenbarung sein. Wieder scheinen nur Herder und Heinse vor Wackenroder ein gleich starkes Verhältnis zu dieser Kunst gehabt zu haben. Wackenroder war Schüler Faschs und Reichardts, des Komponisten Goethescher Lieder und revolutionären Publizisten, dem die „Xenien“ übel mitgespielt haben. In Reichardts Hause, zu dem er bald in verwandtschaftliche Beziehungen trat, wurde Tieck mit Musik übersättigt. Wackenroder aber lernte hier nicht so sehr der Musik ihre Geheimnisse ablauschen als vielmehr diese in unberührter Keuschheit bewahren. In den Aufsätzen der „Herzensergießungen“ und der „Phantasien über die Kunst“, in denen Wackenroder von der Musik spricht, wehrt er sich ausdrücklich dagegen, Tonstücke in Worten zu erklären, „die reichere Sprache nach der ärmeren abzumessen und in Worte aufzulösen, was Worte verachtet“ (Phantasien, herausgegeben von J. Minor, S. 71). Und wie hat er es doch verstanden, die Stimmung alter choralmäßiger Kirchenmusik in Worte zu bannen, „die wie ein ewiges ~Miserere mei, Domine!~ klingt, und deren langsame, tiefe Töne gleich sündenbeladenen Pilgrimen in tiefen Tälern dahinschleichen. -- Ihre bußfertige Muse ruht lange auf denselben Akkorden; sie getraut sich nur langsam die benachbarten zu ergreifen; aber jeder neue Wechsel der Akkorde, auch der allereinfachste, wälzt in diesem schweren, gewichtigen Fortgange unser ganzes Gemüt um, und die leise vordringende Gewalt der Töne durchzittert uns mit bangen Schauern und erschöpft den letzten Atem unseres gespannten Herzens. Manchmal treten bittere, herzzerknirschende Akkorde dazwischen, wobei unsre Seele ganz zusammenschrumpft vor Gott; aber dann lösen kristallhelle, durchsichtige Klänge die Bande unseres Herzens wieder auf und trösten und erheitern unser Inneres. Zuletzt endlich wird der Gang des Gesanges noch langsamer als zuvor, und von +einem+ tiefen Grundton wie von dem gerührten Gewissen festgehalten, windet sich die innige Demut in mannigfach-verschlungenen Beugungen herum und kann sich von der schönen Bußübung nicht trennen, -- bis sie endlich ihre ganze aufgelöste Seele in einem langen, leise verhallenden Seufzer aushaucht -- --“ (S. 64). Dieser Versuch, das erwirkte Gefühl festzuhalten, zeigt deutlich, wie Wackenroder es meinte, wenn er warnend ausrief: „Wer das, was sich nur von innen herausfühlen läßt, mit der Wünschelrute des untersuchenden Verstandes entdecken will, der wird ewig nur Gedanken über das Gefühl und nicht das Gefühl selber entdecken... Wie jedes einzelne Kunstwerk nur durch dasselbe Gefühl, von dem es hervorgebracht ward, erfaßt und innerlich ergriffen werden kann, so kann auch das Gefühl überhaupt nur vom Gefühl erfaßt und ergriffen werden“ (S. 70). Wohl klingt es unromantisch, wenn Wackenroder das fühlende Herz ein „selbständiges verschlossenes göttliches Wesen“ nennt, „das von der Vernunft nicht aufgeschlossen und gelöst werden kann“; doch wenn er sich dagegen sträubt, den Gefühlsinhalt vernunftmäßig zu deuten, so sucht er ihn doch zu vollem Bewußtsein zu erheben. Das Gefühl soll Gefühl bleiben, aber als Gefühl auch ganz zur Erfassung gelangen. Denn als Gefühl enthält es einen Erkenntniswert, der bei begrifflicher Analyse verloren ginge. Wackenroder sucht zu verdeutlichen, was er meint: „Ein fließender Strom soll mir zum Bilde dienen. Keine menschliche Kunst vermag das Fließen eines mannigfaltigen Stroms, nach allen den tausend einzelnen, glatten und bergigten, stürzenden und schäumenden Wellen, mit Worten fürs Auge hinzuzeichnen, -- die Sprache kann die Veränderungen nur dürftig zählen und nennen, nicht die aneinanderhängenden Verwandlungen der Tropfen uns sichtbar vorbilden. Und ebenso ist es mit dem geheimnisvollen Strome in den Tiefen des menschlichen Gemütes beschaffen, die Sprache zählt und nennt und beschreibt seine Verwandlungen in fremdem Stoff; -- die Tonkunst strömt ihn uns selber vor. Sie greift beherzt in die geheimnisvolle Harfe, schlägt in der dunkeln Welt bestimmte dunkle Wunderzeichen in bestimmter Folge an, -- und die Saiten unseres Herzens erklingen, und wir verstehen ihren Klang“ (S. 71). Ohne irgendwelche philosophischen Ansprüche zielt Wackenroder ebendahin, wo Schellings ästhetischer Idealismus und mit ihm die Ansicht Fr. Schlegels und Hardenbergs steht: Kunst und Philosophie wird aufs innigste verknüpft, das Kunstwerk zum Mittel der höheren Erkenntnis erhoben. Ja Wackenroder berührt sich, über die Philosophie seiner Zeit hinauslangend, mit +Schopenhauer+, der seinerseits nur Schellings Glaubensbekenntnis weitertreibt. In künstlerischer Anschauung, in der ruhigen Kontemplation verwandelt sich jedes einzelne Ding in seine Idee, in seine ewige Form, in das Wesentliche und Bleibende, das ihm eignet. Die Kunst gewährt so die Anschauung der ewigen Ideen, deren volle Erfassung dem Denken nicht gegönnt ist. Allein unter den Künsten gibt die Musik nach Schopenhauer noch mehr als ein Abbild der Ideen. Die Musik könnte, auch wenn die Welt gar nicht wäre, doch bestehen. Sie ist „eine so unmittelbare Objektivation und Abbild des ganzen Willens, wie die Welt selbst es ist“. „Deshalb eben ist die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger und eindringlicher, als die der anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen“ (Die Welt als Wille und Vorstellung, herausgegeben von E. Grisebach, 1, 340). Ganz im Sinne Wackenroders, dann aber auch in überraschender Einstimmigkeit mit Hardenbergs Anschauungen von der magischen und ekstatischen Erfassung der Welt (s. oben S. 22 f. und 54 ff.) heißt es bei Schopenhauer: „Die Erfindung der Melodie, die Aufdeckung aller tiefsten Geheimnisse des menschlichen Wollens und Empfindens in ihr, ist das Werk des Genius, dessen Wirken hier augenscheinlicher, als irgendwo, fern von aller Reflexion und bewußter Absichtlichkeit liegt und eine Inspiration heißen könnte. Der Begriff ist hier, wie überall in der Kunst, unfruchtbar: der Komponist offenbart das innerste Wesen der Welt und spricht die tiefste Weisheit aus, in einer Sprache, die seine Vernunft nicht versteht; wie eine magnetische Somnambule Aufschlüsse gibt über Dinge, von denen sie wachend keinen Begriff hat“ (ebenda S. 343). Die große Rolle, die im Leben, im Empfinden, im Denken, im Glauben, im Fühlen, im Dichten der Romantiker die Musik spielt (vgl. Joël S. 36 ff.), hängt mit der Wackenroderschen, Schopenhauer ankündigenden Anschauung von Musik zusammen. Dunkle Vorahnung von Schopenhauers Lehre meldet sich an, wenn Novalis vom „vollkommensten Bewußtsein“, das „sich alles und nichts bewußt ist“, sagt: „Es ist Gesang, bloße Modulation der Stimmungen -- wie dieser der Vokale oder Töne. Die innere Selbstsprache kann dunkel, schwer und barbarisch -- und griechisch und italienisch sein -- desto vollkommener, je mehr sie sich dem Gesange nähert“ (2, 237). Und an Schopenhauers Durchführung der Analogie von Musik und Erkenntnis gemahnt bis ins einzelnste das Fragment Hardenbergs: „Die Betrachtung der Welt fängt im unendlichen, absoluten Diskant, im Mittelpunkt an und steigt die Skala herunter; die Betrachtung unsrer selbst fängt mit dem unendlichen, absoluten Baß an, der Peripherie, und steigt die Skala aufwärts. Absolute Vereinigung des Basses und Diskants, dies ist die Systole und Diastole des göttlichen Lebens“ (2, 232 f.). Tieck hat aus den Voraussetzungen, die Wackenroder ihm an die Hand gab, seine Frage abgeleitet: „Ist es nun nicht gleichgültig, ob der Mensch in Instrumentestönen oder in sogenannten Gedanken denkt?“ (S. 90). Dichterisch geformt hat er dieses Paradoxon in den oft zitierten, oft glossierten Versen: Liebe denkt in süßen Tönen, Denn Gedanken stehn zu fern, Nur in Tönen mag sie gern Alles was sie will verschönen. Novalis geht weiter; er notiert: „Erzählungen, ohne Zusammenhang, jedoch mit Assoziation, wie Träume. Gedichte, bloß wohlklingend und voll schöner Worte, aber auch ohne allen Sinn und Zusammenhang -- höchstens einzelne Strophen verständlich -- wie lauter Bruchstücke aus den verschiedenartigsten Dingen“ (2, 308). Besonders scheint ihm solche Form für das Märchen zu taugen; es sei „wie ein Traumbild, ohne Zusammenhang, ein Ensemble wunderbarer Dinge und Begebenheiten, z. B. eine musikalische Phantasie, die harmonischen Folgen einer Äolsharfe, die Natur selbst“. Tiecks „Sternbald“ wirft einmal den Gedanken hin, man könnte sich ein Gesprächstück von mancherlei Tönen aussinnen (Minor S. 284), und fragt ein andermal, warum eben Inhalt den Inhalt eines Gedichtes ausmachen solle (S. 344). Im „Sternbald“ sucht dann das Wort mit der Musik zu wetteifern, suchen Verse die Klangfarbe einzelner Instrumente wiederzugeben, den Schalmeiklang, den Posthornschall, die Waldhornmelodie, das Alphorn. Tiecks „Verkehrte Welt“ treibt das Experiment weiter und setzt an den Anfang eine Symphonie in Worten; die Zwischenaktsmusik wird mit gleichen Mitteln bestritten. Brentanos „Gustav Wasa“ ahmt auch diesen Scherz Tiecks nach. In der symphonischen Ouvertüre der „Verkehrten Welt“ aber heißt es unter der Überschrift „~Violino Primo Solo~“: „Wie? Es wäre nicht erlaubt und möglich, in Tönen zu denken und in Worten und Gedanken zu musizieren? O wie schlecht wäre es dann mit uns Künstlern bestellt! Wie arme Sprache, wie ärmere Musik!“ (5, 286). Tieck vertritt in den „Phantasien“ auch seine Lehre von der Verwandtschaft von Farbe und Musik: „Zu jeder schönen Darstellung mit Farben gibt es gewiß ein verbrüdertes Tonstück, das mit dem Gemälde gemeinschaftlich nur eine Seele hat“ (S. 45). Mutig und unentwegt ist er auf dieser Bahn weitergeschritten und hat den Farben und Formen Töne, den Tönen Farben geliehen. Im „Zerbino“ charakterisiert die Flöte sich selber: „Unser Geist ist himmelblau, Führt dich in die blaue Ferne“ (10, 291); und prinzipiell gilt im Garten der Poesie die Gütergemeinschaft der Sinne (10, 251): Die Farbe klingt, die Form ertönt, jedwede Hat nach der Form und Farbe Zung’ und Rede. Was neidisch sonst der Götter Schluß getrennet, Hat Göttin Phantasie allhier vereint, So daß der Klang hier seine Farbe kennet, Durch jedes Blatt die süße Stimme scheint, Sich Farbe, Duft, Gesang Geschwister nennet. Umschlungen all sind alle nur +ein+ Freund, In sel’ger Poesie so fest verbündet, Daß jeder in dem Freund sich selber findet. Die ~audition colorée~ wird hier mit allen ihr verwandten Erscheinungen in den Garten der romantischen Poesie eingeführt. Die hohe Bedeutung und der tiefe Sinn, die von den Romantikern der Musik zugeschrieben wurden, wirkten ebenso auf ihren Stil wie auf Lyrik. Romantische +Bildlichkeit+ holt ihren Stoff gern aus dem Gebiet der Töne. Sie liebt es, das Sinnlichere und uns Geläufigere durch einen Vergleich mit dem Unsinnlicheren und Unbekannteren, das Bekannte und Gewöhnliche durch eine Zusammenstellung mit dem Fremden und Wunderbaren aus der Sphäre der gemeinen Wirklichkeit herauszuheben und dem Dargestellten dadurch Größe und Würde zu leihen (vgl. W. Schlegels Berliner Vorlesungen 1, 290). Darum kann der Romantiker Sichtbares und Anschauliches durch verwandte Töne zu deuten suchen. Er ist dazu um so mehr berechtigt, da er die Außenwelt wirklich musikalisch empfindet. Er hört besser und feiner als andere, leise und dumpfe Geräusche tönen vernehmlicher an sein Ohr. Deshalb wandeln sich ihm Gesichtswahrnehmungen in Rhythmus oder ein geistiger Vorgang nimmt für sein Ohr die Melodie eines Musikstückes an, Gedankenverbindungen aber und Gedankengegensätze erscheinen ihm wie symphonisch verbundene Stimmen. Fr. Schlegels Besprechung von Goethes „Lehrjahren“ behandelt das Dichtwerk wie ein Tonstück. Er verteidigt Tiecks „Sternbald“ gegen Goethes Vorwurf, daß er nur „musikalische Wanderungen“ biete, mit der lobenden Bemerkung, das Buch wolle nichts sein als eine süße Musik von und für die Phantasie (Caroline 1, 227). W. Schlegel aber sagt von den Liedern in Tiecks „Volksmärchen“: „Die Sprache hat sich gleichsam alles Körperlichen begeben und löst sich in einen geistigen Hauch auf. Die Worte scheinen kaum ausgesprochen zu werden, so daß es fast noch zarter wie Gesang lautet: wenigstens ist es die unmittelbarste und unauflöslichste Verschmelzung von Laut und Seele, und doch ziehn die wunderbaren Melodien nicht unverstanden vorüber“ (12, 34). Das Unklare und Unscharfe der romantischen Metapher entstammt noch einer zweiten Veranlassung. Sie arbeitet gern mit der „neuen Mythologie“ der romantischen „Physik“. Die Naturphilosophie schenkt dem romantischen Bilderschatz eine Fülle von Symbolen, deren tieferer Sinn uns ebenso dunkel ist, wie er der romantischen Generation geläufig war. Görres entwickelt einen erdrückenden Reichtum von Bildlichkeit. Und dauernd bemüht er sich, geheimste geistige Zusammenhänge durch Zusammenhänge des Naturlebens zu verdeutlichen. Ihm ist es mehr als eine Metapher, er glaubt tatsächlich im naturphilosophischen Sinne neue Erkenntnis zu schaffen, wenn er Antike und moderne Welt wie Urgebirge und Flözgebirge einander gegenüberstellt und den Gegensatz bis ins kleinste ausdeutet. Um Görres’ Stil zu verstehen und zu würdigen, muß beherzigt werden, daß die stete Parallelisierung geistiger und physischer Vorgänge seiner naturphilosophischen Weltanschauung das Gegebene und Selbstverständliche war. Wer in solche Anschauungswelt sich nicht hineindenken kann, glaubt nur Schwulst und Phrase in Görres’ Schriften zu finden (vgl. Euphorion 10, 792 ff.). Tatsächlich galt es ihm, die neue Natursymbolik auszubauen. In dem Streben, die Metapher neu zu schaffen und aus dem innigsten Empfinden der Zeit abzuleiten, trifft Görres mit Jean Paul, seinem stilistischen Vorbilde, zusammen. Und von Jean Paul weist der Weg zu Klopstock zurück, dessen „schimmernde“ Gleichnisse romantische Bildlichkeit ankündigen. „Noch zarter wie Gesang, die unmittelbarste und unauflöslichste Verschmelzung von Laut und Seele“ -- so ist Tiecks Lyrik gedacht. Das Lied soll wie Musik wirken, die Worte wetteifern mit der Melodie, die Tonwirkung ist dem Dichter wichtiger als die Formung des Gedanklichen und Stofflichen. Vor allem gilt dies von der Lyrik seiner Jugend; und innerhalb dieser Gruppe kommen die Lieder seiner „Magelone“, dann die des „Sternbald“ seinen Absichten am nächsten. Die Klangwirkung wird ausgelöst durch freie Gestaltung des Rhythmus; von Verszeile zu Verszeile kann dieser wechseln oder aber auch von Strophe zu Strophe. Diese feinfühlige Stimmungspoesie kann und will ein einheitliches metrisches Schema nicht durch ein ganzes Gedicht hindurch festhalten. Das Auf- und Abwogen der Stimmung, der romantisch-proteische Wechsel der Gefühlslage zeichnet sich ab, wenn Strophen von verschiedenem Ethos zu +einem+ Liede sich verbinden. Daß solche Lyrik, die sich dem Gange des Innenlebens weich anschmiegt, auch den Komponisten locken kann, bezeugt Brahms’ Vertonung der Lieder der „Magelone“ (Opus 33). Leidenschaft kann in dieser Form zur Geltung kommen, besser noch taugt die Form dazu, Bild an Bild zu reihen, wie sie in verschwimmenden Umrissen vor dem Auge des Dichters vorbeiziehen. Das Gedicht, das in der ersten Auflage des „Sternbald“ am Anfang des zweiten Bandes steht, beweist dies. In 75 Zeilen, die zum überwiegenden Teile in vierzeilige Strophen geordnet sind, zum Teil aber auch Absätze von fünf und sechs Zeilen bilden, „beweint“ nach seinem eigenen Kommentar der Dichter „in diesen Worten seine weit entflohene Jugend, und seine Erinnerungen legen sich als Töne und sanfte Bilder vor ihm hin.“ Die wechselnde Stimmung malt sich in dem Wechsel der rhythmischen Gebilde, die bei freudiger Stimmung raschere Bewegung, bei trauriger ein lässigeres Tempo annehmen. Die Stimmung selber aber erwächst aus den Bildern, die der Phantasie des Dichters sich aufdrängen. Hoffnungsvoll freudig setzt das Gedicht ein: Aus Wolken winken Hände, An jedem Finger rote Rosen, Sie winken dir mit schmeichlerischem Kosen, Du stehst und fragst: wohin der Weg sich wende? Da singen alle Frühlingslüfte, Da duften und klingen die Blumendüfte, Lieblich Rauschen geht das Tal entlang: Sei mutig, nicht bang. Siehst du des Mondes Schimmer, Der Quellen hüpfendes Geflimmer? In Wolken hoch die goldnen Hügel, Der Morgenröte himmelbreite Flügel? Dir entgegen ziehn so Glück als Liebe, Dich als Beute mit goldenen Netzen zu fahn, So leise lieblich, daß keine Ausflucht bliebe, Umzingeln sie dich, bald ist’s um dich getan ... Die Stimmung schlägt um; in düsteren Farben malt sich die Enttäuschung, die all den Jugendhoffnungen folgt: Es ist, als wenn die Quellen schwiegen, Ihm dünkt, als dunkle Schatten stiegen Und löschten des Waldes grüne Flammen, Es falten die Blumen den Putz zusammen. Die freundlichen Blüten sind nun fort, Und Früchte stehn an selbigem Ort; Die Nachtigall versteckt die Gesänge im Wald, Nur Echo durch die Einsamkeit schallt ... Eine schier gesetzlose Bilder- und Stimmungspoesie! Und doch verknüpft sich mit dem Streben, in freiestem Schweifen sich gehen zu lassen, der Wunsch rhythmisch die Stimmung genauer und schärfer zu erfassen und wiederzugeben, als strengere Versgebilde es gestatten. Diese Lyrik glaubt gelegentlich in den formreichen Gebilden des Minnesangs ein Vorbild zu entdecken. Näher kommt sie den freien Rhythmen Klopstocks und Goethes. Wohl läßt sie den Schwung vermissen, den Klopstock und Goethe den freien Rhythmen einhauchen. Ferner legt sie sich die Fessel des Reimes auf; diese wird freilich 1805 und 1806 in den beiden Zyklen, die der italienischen Reise Tiecks entstammen, in den „Reisegedichten eines Kranken“ (Gedichte 1834, 3, 98 ff.) und in der „Rückkehr des Genesenden“ (ebenda S. 236 ff.) abgeworfen. Damit aber verschwindet ein Ingrediens romantischer Lyrik, das der Klangmalerei und dem musikalischen Charakter bestens gedient hatte. Tieck selbst behauptet in der Vorrede zu den „Minneliedern“ (Krit. Schriften 1, 199), den Reim bedinge „die Liebe zum Ton und Klang, das Gefühl, daß die ähnlich lautenden Worte in deutlicher oder geheimnisvoller Verwandtschaft stehen müssen, das Bestreben, die Poesie in Musik, in etwas Bestimmt-Unbestimmtes zu verwandeln“. Die romantische Lyrik schwelgt daher gern im Reime, kann ihn nicht genug häufen, nicht oft genug wiederkehren lassen, gefällt sich sogar in bedenklichem Reimechospiel. Und aus gleichen Gründen huldigt sie der Assonanz, die durch lange Versreihen durchgeführt und der Stimmungsmalerei noch weit stärker, zuweilen bis zur Geschmacklosigkeit (Tiecks „Die Zeichen im Walde“, Gedichte 1, 22 ff.) dienstbar gemacht wird. Die Bewertung, die dem Reime zuteil ward, lockte die Romantiker auch auf das Feld der romanischen metrischen Gebilde. Der erste Anstoß rührt von G. A. Bürger her, er hat seinem Schüler W. Schlegel die Übertragung und Verwertung des Sonetts, des weiteren aber auch die Nachbildung romanischer Poesie und ihrer Formenwelt nahegelegt. An sich war hier das Programm einer formstrengen Lyrik gegeben, das von Tiecks musikalisch verschwimmender Weichheit weit abwich. Wirklich sind größere Gegensätze als die Sonette und Stanzen des sauberen Reimisten W. Schlegel und die Sänge der „Magelone“ und des „Sternbald“ kaum zu denken. Dennoch konnte Tieck seiner musikalischen Lyrik auch die romanischen Formen dienstbar machen. Kanzonen und Balladen kamen der romantischen Neigung, im Reimspiel eine Bedeutung zu suchen, noch mehr entgegen. Denn die tiefere Bedeutung sowohl der Reim- und Assonanzbindungen wie der romanischen Strophengebilde zu entdecken, war ein Lieblingsfeld romantischen Scharfsinns. Abermals konnte da gezeigt werden, wie der Geist in der Form, das Unendliche im Endlichen sich spiegelt. Eine Reim- und Assonanzsymbolik, eine Symbolik der Strophenformen geht aus solchen Bestrebungen hervor. W. Schlegel schreitet früh voran, zunächst nur als Metriker und Philologe interessiert. Seine Betrachtungen über Metrik (7, 155 ff.) erwägen 1794 schon Probleme des seelischen Gehaltes des tönenden Sprachmaterials. 1795 folgen in den „Horen“ die „Briefe über Poesie, Silbenmaß und Sprache“ (7, 98 ff.), 1798 erscheint im „Athenaeum“, polemisch gegen Klopstock gewendet, „Der Wettstreit der Sprachen“ (7, 197 ff.), der den musikalischen Wert der Kultursprachen zu messen versucht. In den Berliner Vorlesungen hat W. Schlegel dann bei der Charakteristik der italienischen Poesie (3, 186 ff.) das Ethos der italienischen Strophenformen zu erfühlen und zu konstruieren sich bemüht, nicht ohne von Formsymbolik in Mystik überzugreifen. Gleichzeitig erwog Tiecks Schwager A. F. Bernhardi im zweiten Teil seiner „Sprachlehre“ (1803, S. 399 ff.) sowohl den tieferen Sinn von Alliteration, Assonanz und Reim wie auch die Klangfarbe und die symbolische Bedeutung italienischer und spanischer Strophen. Den Abschluß solcher romantischer Bemühung bedeutet Kaspar Poggels geistreiche Schrift „Grundzüge einer Theorie des Reims und der Gleichklänge mit besonderer Rücksicht auf Goethe“ (Münster 1836). V. Der politische und soziale Umschwung der Romantik. Romantische Staatswissenschaft im Zeitalter der Befreiungskriege und der Reaktion. Am Anfang des 19. Jahrhunderts scheint der eben noch reiche und volle Gedankenstrom der Romantik zu versiegen. Hardenbergs Tod (1801), Fr. Schlegels Übersiedelung nach Paris (1802), die Berliner Vorlesungen des Bruders und dessen Eintritt in den Kreis der Frau v. Staël, Tiecks Abreise nach Italien (1804), Schellings Verbindung mit Caroline und Berufung nach Würzburg (1803): all das bedeutet Abschluß und Auseinandergehen. Die Fäden werden einzeln weitergesponnen, man treibt diesen oder jenen Gedanken der romantischen Theorie vorwärts, aber die grundlegende spekulative Epoche der Romantik ist im wesentlichen vorbei. Nur ein ganz neues Element, das sich unversehens in überraschender Macht entfaltete, konnte eine so völlige Wandlung herbeiführen. Noch sind die Romantiker lange nicht so abgenützt, daß sie bloß versagen, ohne für die Gedankenbildung, die sie aufgeben, sofort etwas anderes, Vorwärtsleitendes, Umstürzendes einzusetzen. Nicht Schwäche und Ermattung, sondern ein kühner Aufschwung tritt ein, ein Aufschwung freilich, der den Gesichtskreis der Romantiker ebenso nach einer Richtung verengt, wie er ihn nach der anderen erweitert. Das Neue ist das politische, nationale und kollektivistische Interesse. Die Romantiker beginnen gegen Napoleon Front zu machen, sie werden sich ihrer nationalen Eigenheiten nicht bloß im ästhetischen, sondern in politischem Sinne bewußt und sie fangen an, die Lehre von der Ausbildung des auserlesenen Individuums durch die Anerkennung der Bedeutung des Volkes, der Gesamtheit also, zu ergänzen. Deutsches Volkstum wird fortan ihr Programm. 1810 veröffentlichte Turnvater Jahn ein Buch mit dem Titel „Das Deutsche Volkstum“. Aber mehr als fünf Jahre reichen die Anregungen zurück; und sie kommen unmittelbar aus dem Lager der Romantik. Merkwürdig rasch geht es bei den Brüdern Schlegel vom Kosmopolitismus zur nationalen Politik weiter. In ihren Anfängen hatten sie kosmopolitisch sich für die französische Revolution interessiert. Noch 1796 schrieb Fr. Schlegel für die Zeitschrift „Deutschland“ des „Sanskulotten“ Reichardt seinen „Versuch über den Begriff des Republikanismus“. In abstrakter Deduktion knüpft er an Kants Wort an: „Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein“ (Minor 2, 57) und führt es in eherner Konsequenz weiter aus. Dann aber wird völlige Abkehr von politischer Diskussion ein Schlagwort des „Athenaeums“: „Nicht in die politische Welt verschleudere du Glauben und Liebe, aber in der göttlichen Welt der Wissenschaft opfre dein Innerstes in dem heiligen Feuerstrom ewiger Bildung“ (106. Idee). Gleichzeitig kündigt sich schon die Wendung in dem romantischen Interesse für Politik an: 1798 erscheinen im Juliheft der „Jahrbücher der preußischen Monarchie unter der Regierung Friedrich Wilhelms III.“ Fragmente Hardenbergs mit dem Titel „Glauben und Liebe oder der König und die Königin“. Nun fühlt sich auch Fr. Schlegel gefesselt und schreibt an den Verfasser: „Weniges ehre ich so, und weniges hat so auf mich gewirkt“ (Raich S. 129 f.). Der Republikanismus ist verschwunden, die kommende restaurative Staatstheorie der Romantiker kündigt sich an. Aber noch fehlt das national-kollektivistische Empfinden. Die Königin Luise, nicht das deutsche Volk bannt Hardenbergs Dichterauge, wie sie das Auge Heinrich v. Kleists gefesselt hat. Wie die „Ideen“ das nationale Problem formulieren, wie durch Wackenroder und Novalis Interesse für altheimisches Wesen wachgerufen wird, ist oben (S. 77 f., 89 ff.) angegeben. Wie fern man trotzdem einem nationalen, im Sinne der Zeit patriotischen Empfinden noch stand, bezeugen feine Spottworte W. Schlegels über Klopstocks und seiner Jünger „fanatischen, von aller historischen Kenntnis des Charakters der Deutschen, ihrer jetzigen Lage und ihrer ehemaligen Taten entblößten Patriotismus“ (Berliner Vorlesungen 3, 21 f.). Ältere Polemik gegen Klopstocks chauvinistische Verherrlichung der deutschen Sprache wieder aufnehmend, lächelt W. Schlegel über Klopstocks Forderung, der deutsche Jüngling müsse sein Vaterland jedem anderen vorziehen, wenn anders ein deutsches Mädchen ihn lieben solle. Und er fragt ironisch: „Ist es denn ein so großer Mangel keinen Nationalstolz zu haben? Sehen wir nicht, daß er bei andern Völkern häufig auf Einseitigkeit, Beschränktheit, ja auf bloßen Einbildungen beruht?“ Eher kündigt sich eine neue Zeit an, wenn W. Schlegel die Notwendigkeit des Krieges, für den „schon manche Philosophen ein Fürwort eingelegt“ hätten, behauptet (3, 93 ff.). Heißt es ja doch auch in den nachgelassenen Entwürfen zum „Ofterdingen“: „Auf Erden ist der Krieg zu Hause. Krieg muß auf Erden sein“ (4, 259). Der Wendepunkt trat in dem Augenblick ein, da Fr. Schlegel französischen Boden betrat. Die beiden Gedichte „Bei der Wartburg“ und „Am Rhein“, die er 1803 in den ersten Aufsatz der „Europa“ (s. oben S. 91) aufgenommen hat, feiern alte deutsche Ritterzeit nicht allein in dem verklärenden Sinne Wackenroders und Hardenbergs; sie sind national aus dem Augenblick herausgedacht. Der Rhein gemahnt Fr. Schlegel daran, was die Deutschen einst waren und was sie heute sein könnten. Am 12. März 1806 erklärt nunmehr auch W. Schlegel in seinem umfänglichen Bekenntnisbrief an Fouqué (8, 144 f.): Die Dichter der letzten Epoche hätten die bloß spielende, müßige, träumerische Phantasie allzusehr zum herrschenden Bestandteil ihrer Dichtungen gemacht. Deutschland aber bedürfe im Augenblick einer durchaus nicht träumerischen, sondern wachen, unmittelbaren, energischen und besonders einer patriotischen Poesie. „Vielleicht sollte, solange unsere nationale Selbständigkeit, ja die Fortdauer des deutschen Namens so dringend bedroht wird, die Poesie bei uns ganz der Beredsamkeit weichen, einer Beredsamkeit, wie z. B. in Müllers Vorrede zum vierten Bande seiner Schweizergeschichte.“ Und dabei weist W. Schlegel auf die beiden Gedichte seines Bruders hin. Öffentlich vertrat W. Schlegel 1807 dieselben Ansichten in der Rezension von Rostorfs Dichtergarten (12, 206 ff.). Und abermals konnte er auf Verse seines Bruders sich beziehen. Die ganze Sammlung sei in deren Sinne gedacht: Den Heldenruhm, den sie zu spät jetzt achten, Des deutschen Namens in den lichten Zeiten, Als Rittermut der Andacht sich verbunden, Die alte Schönheit, eh’ sie ganz verschwunden Zu retten fern von allen Eitelkeiten, Das sei des Dichters hohes Ziel und Trachten! Fr. Schlegel steuert unmittelbar auf die Lyrik der Befreiungskriege los. Gleich nach Jena, im selben Augenblick, da Arndt zu singen beginnt, dichtet er seine Sänge „Gelübde“ und „Freiheit“ (9, 180, 182). Fortan ist der patriotische Sang eng mit ihm verknüpft. Der Wiener Gefolgsmann der Schlegel, Heinrich Joseph v. Collin, dichtet für den Krieg von 1809, den Fr. Schlegel im Stabe Erzherzog Karls mitmachte, seine „Lieder österreichischer Wehrmänner“. Im Hause Fr. Schlegels zu Wien verkehren Theodor Körner und Eichendorff, ehe sie in den Krieg ziehen. Max v. Schenkendorf trifft von allen Befreiungssängern den romantisch-religiösen Ton Hardenbergs und Schlegels am besten und läßt sich besonders von Schlegels „Freiheit“ zu seinem Sange „Freiheit, die ich meine“ anregen. Der entscheidende Anstoß zu kollektivistischer Betrachtung sollte indes von dem Manne ausgehen, an den die einseitigsten individualistischen Kundgebungen der Romantik anknüpften: von +Fichte+. Noch in seinem „Naturrecht“ (1796) neigt Fichte so stark zu kosmopolitischen Anschauungen, daß er für nationales Wesen nichts übrig hat. Der Staat wird im wesentlichen von seiner polizeilichen Seite gefaßt. Dagegen kündigt sich schon das Verlangen an, daß der Staat jedem seiner Bürger das sittliche Grundrecht, von seiner Arbeit leben zu können, gewährleiste. Diesen Grundgedanken des Sozialismus entwickelte Fichte in seinem „Geschlossenen Handelsstaat“ (1800): der Staat habe die gesamte Organisation der Arbeit in die Hand zu nehmen. Nunmehr wurde ihm der Staat schon ein gesellschaftlicher Organismus, dessen Wesen er dann in den „Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters“ (1806) tiefer zu erfassen suchte. Die Napoleonischen Eroberungskriege trieben ihn weiter. Sie legten ihm die Frage nahe, ob wie die einzelnen Persönlichkeiten so auch die einzelnen Nationalitäten im Weltplan eine besondere Bestimmung hätten; ob mit dieser Bestimmung die Pflicht, sie zu erfüllen, und das Recht zu politischer Selbständigkeit gegeben sei. Von diesem Probleme aus vorwärtsschreitend, gelangte Fichte zu der Überzeugung, die deutsche Nation habe eine so mächtige Kulturbestimmung, daß sie fast allein neben den Einseitigkeiten der anderen Nationen zur Erfüllung des Ideals der Humanität berufen sei. Nur von der Regeneration des deutschen Volkes erhofft er das Heil für die verfahrenen Zustände des Zeitalters. Die Selbstbefreiung des deutschen Geistes ist mithin die Pflicht, die der Nation von ihrer Bestimmung auferlegt wird. Dazu müssen die Deutschen politische Nationalität erwerben. Eine nationale Erziehung hat also den Boden für die Zukunft vorzubereiten. So lautet das Glaubensbekenntnis der „Reden an die deutsche Nation“ (1808). Mit einem Schlage war hier der nationale Gedanke und die gesellschaftliche Betrachtung zu einem Ganzen verschmolzen; nicht länger war es nur ein Appell an die vergangene Größe Deutschlands, nicht länger nur der Anspruch, daß Deutschland die geistige Führung der Welt zukomme (s. oben S. 90 f.). Aus dem Zustand der deutschen Nation, aus den augenblicklichen gesellschaftlichen Verhältnissen und aus den künftigen Aufgaben der Gesellschaft wurde die Pflicht nationalen Fühlens abgeleitet. Hier war zum erstenmal uneingeschränkt die Behauptung aufgestellt, daß eine Gelehrtenrepublik noch kein Ersatz für einen Staat sei, daß die Vernichtung der politischen Selbständigkeit der deutschen Nation auch die ganze Herrlichkeit deutscher Literatur und Kunst in Frage stelle (vgl. R. Fester, Rousseau und die deutsche Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1890, S. 151). Doch noch von ganz anderer Seite gewöhnte man sich damals daran, das deutsche Volk als Einheit im Gegensatz zu den einzelnen großen Persönlichkeiten zu fassen und die Pflichten zu bedenken, die der einzelne dieser Gesamtheit gegenüber hat. +Arnim+ geht da voran. Ihn verband ein starkes Gefühl mit der Scholle, auf der er geboren war; er besaß ein wirkliches Vaterland. Für dieses Vaterland sammelte er schon 1806 Kriegslieder. Er war aber elastisch genug, dieses echte Vaterlandsgefühl auf ganz Deutschland auszudehnen. Das ganze Deutschland sollte der Freude teilhaftig werden, die er selber an deutscher Art und Kunst hatte. Als erster unter den Romantikern beginnt Arnim mit Bewußtsein nicht nur für den Gebildeten zu arbeiten, sondern für das Volk und diesem nicht nur altes Volksgut wieder zuzuführen, sondern auch aus der Welt der Gebildeten ihm zu schenken, was ihm taugt. Das Dauernde suchte er auf: „Wir wollen“, heißt es 1805 in seinem Aufsatze „Von Volksliedern“ (Deutsche Nationalliteratur 146, 1, 78), „allen alles wiedergeben, was im vieljährigen Fortrollen seine Demantfestigkeit bewährt, nicht abgestumpft, nur farbespielend geglättet alle Fugen und Ausschnitte hat zu dem allgemeinen Denkmale des größten neueren Volkes, der Deutschen.“ Von einem begeisterten Liebhaber altdeutschen Wesens wird da vor Fichte der Ton der „Reden an die deutsche Nation“ angeschlagen. Aus der Geschichte erwächst für Arnim der Begriff des deutschen Volkstums. Er fühlt sich als Träger einer Tradition und möchte diese Tradition bewahrt wissen. „Nur der Ruchlose“, heißt es in der „Gräfin Dolores“ (1, 93), „fängt eine neue Welt an in sich, das Gute war ewig.“ „Der wunderbare Zustand ohne Gegenwart“ (Werke 12, 29), den die französische Revolution gezeitigt hat, scheint ihm verwerflich. Er will von dem Kosmopolitismus, der „Europa zu einem schönen humanen Ganzen zusammengefabelt“ hat (Dolores 1, 124), nichts wissen. All das ist aus dem Lebensgefühl des märkischen Edelmanns geschaut; dabei nimmt Arnim den Begriff des Adels im höchsten Sinne und hält den Adligen zu Selbstbescheidung und Pflichterfüllung vor anderen berufen. Agrariertum offenbart sich bei ihm in streng sittlicher, verpflichtender Form. Seine ausgesprochene Vorliebe für das Land läßt ihn gegen Industrie und Handel ungerecht werden; in ihr findet seine Abneigung gegen das Judentum eine Stütze. Ein starkes Standesbewußtsein bestimmt auch seine pädagogischen Gedanken. Nicht Menschen, sondern Deutsche will er erziehen, nicht allseitige Entfaltung der Kräfte verlangt er wie die Frühromantik, sondern nach Dienern des Vaterlandes ruft er, die in den Grenzen ihres Standes nach dem Maße ihrer Kräfte wirken (vgl. Friedrich Schultze, Die Gräfin Dolores, Leipzig 1904, S. 23 ff.). Eng verwandt mit Arnims staatswissenschaftlichen Anschauungen sind +Adam Müllers+ Lehren. Damm konnte Arnim mit Adam Müller und mit seinem Standesgenossen Heinrich v. Kleist, dessen patriotische Begeisterung lyrisch und dramatisch gleich machtvoll ertönte, zu dem gemeinsamen Unternehmen der „Abendblätter“ (1810/11) sich verbinden. Durch Reinhold Steigs Forschungen (Heinrich v. Kleists Berliner Kämpfe, Berlin und Stuttgart 1901) ist heute klargestellt, daß die „Abendblätter“ nach Tendenz, Inhalt und Form das Organ der preußischen Junker in ihrem Kampfe gegen den Minister Hardenberg darstellten, gegen seine Politik, die im Sinne der von der französischen Revolution angeregten Anschauungen dilettierte, wie auch gegen seine staatswissenschaftlichen Ansichten, die auf Adam Smith begründet waren. Adam Müller drückte dem Blatte seinen Stempel auf: prinzipielle Gegnerschaft gegen die Revolution und gegen die Staatsanschauung Edmund Burkes, wesentliche Erhaltung Preußens als eines Agrikulturstaates, keine Reform der wirtschaftlichen Zustände im Sinne von Adam Smith; und all das getragen von einem starken Patriotismus und von dem Wunsche, das französische Joch abzuschütteln. Mag in dem Parteiblatte auch gelegentlich junkerliche Interessenpolitik etwas einseitig sich geltend machen, sicher ist es eine charakteristische und echte Urkunde romantischer, politischer, patriotischer und nationalökonomischer Tendenzen. Denn wie Arnim fast durchaus diesen Kundgebungen zustimmen konnte, so deuten alle Äußerungen Adam Müllers auf das romantische staatswissenschaftliche Glaubensbekenntnis, wie es sich nach 1800 entwickelt. Das konservative Agrariertum, das Adam Müller vertritt, bereitet die reaktionäre Politik der Zeit nach 1815 vor. Herold dieser Richtung ist Adam Müller in enger Verbindung mit Friedrich v. Gentz, der rechten Hand Metternichs, mit Fr. Schlegel und mit Karl Ludwig v. Haller geworden. +Fr. Schlegel+ ging auch auf diesem Felde voran. In den Kölner Vorlesungen von 1806 (Windischmann 2, 306-396) entwickelt er zum erstenmal systematisch seine Ansichten über Natur- und Staatsrecht, über Politik und Völkerrecht. Auch hier heißt es (S. 369): „Der Adel gehört ganz zu dem Landmann; er ist nur der höhere Landmann.“ Auch hier wird ständische Verfassung vertreten. Auch hier wird erklärt: „Die Art, wie der Handel jetzt ausgeübt wird, ist dem Staatszwecke im höchsten Grade gefährlich“ (S. 371). Allein vorläufig trennt noch eine weite Kluft die Berliner Patrioten von Fr. Schlegel. Schlegel steht schon auf einem mittelalterlich religiösen Standpunkte, er führt Gedanken und Träume von Novalis’ Aufsatz „Die Christenheit oder Europa“ (s. oben S. 77 f.) systematisch aus. Von dieser Stelle gab es vorläufig keine Brücke zu Arnim, Kleist und Adam Müller. Adam Müller aber ist nachmals in Schlegels Lager übergegangen. Fundamentale Anschauungen der Frühromantik liegen den Ausführungen Fr. Schlegels zugrunde: ein großer Organismus soll aufgebaut werden, in dem alle Teile ineinander leben, ein kirchlich-staatliches Universalsystem. Die organische Alleinheit, Gott, wird im christlichen Sinne genommen; und zwar enthüllt sich, wie in Novalis’ Aufsatz, wie in den späteren kulturhistorischen Konstruktionen Fr. Schlegels (s. oben S. 85 f.), die mittelalterliche Welt als höchste Verkörperung der organischen und harmonischen Verknüpfung geistlicher und weltlicher Gewalt. Dem Katholizismus sollte nunmehr die Aufgabe zufallen, diese organische Harmonie von neuem zu begründen. Die Religion wurde so zum organischen Mittelpunkt des Lebens. Diesem Glaubensbekenntnis ist die Kirche das erste und der Staat das zweite. Alle Staatsgewalt kommt von Gott. In der Kirche erfüllt sich jeder Zweck höchster geistiger Gemeinschaft; der Staat hat nur die äußeren Bedingungen eines solchen Gemeinschaftslebens zu gewährleisten. Er beschränkt sich darum auf die mittelalterlichen Staatsziele: Ordnung und Recht, Friede und Gerechtigkeit. „Schon in dieser keimhaften Entwicklung kündigt sich der zugleich aristokratische und demokratische, der exklusive und der Massencharakter namentlich des künftig vollentwickelten Klerikalismus, zugleich aber auch die Möglichkeit einer Massenentwicklung jeder Art des Konservatismus und damit das Geheimnis ihrer stärksten politischen Wirkungen an“, sagt Lamprecht (Deutsche Geschichte 10, 449). Von solchen Ansichten aus gelangt romantische Staatswissenschaft rasch zu einem Standpunkte, der dem nationalen Streben der Befreiungskriegszeit durchaus entgegengesetzt ist. Ein politischer Universalismus löst die nationalen Begrenzungen wieder auf, die am Anfang des 19. Jahrhunderts an die Stelle des Kosmopolitismus getreten waren. Österreich sollte die universalistisch-klerikalen Ideale erfüllen; seine bunte nationale Zusammensetzung schien dem Zwecke dienlich zu sein. Dagegen ging die kollektivistische Wendung vom Anfang des Jahrhunderts nicht verloren. Wohl wird der Monarch zum Repräsentanten der großen harmonischen Einheit erhoben, ja sogar der Gedanke erwogen, ob mit der Würde des Herrschers auch die höchste Priesterwürde zu verknüpfen sei. Nicht der Zwang der Gesetze, sondern die Autorität des Fürsten soll ferner den Staat erhalten. Ein religiöser Absolutismus also, wie er im 16. Jahrhundert teils geplant, teils wirklich durchgeführt worden ist! Jedoch ebenso wird die höchste Freiheit des einzelnen bei der festesten Vereinigung aller gefordert und die Idee einer Repräsentation des Volkes nach Ständen erwogen. Die Romantik weist in diesen letzten Forderungen politischer Art nach, daß sie mit dem Zeitgeist fortgeschritten ist. Das junge Deutschland bekennt sich gleichfalls zu Kosmopolitismus und Kollektivismus. Freilich ist es ebenso radikal und revolutionär gesinnt, wie die Romantik der Reaktion dient. Aber die Probleme des Zeitalters werden auf beiden Seiten gleich eifrig, wenn auch von ganz entgegengesetztem Standpunkte erwogen. Stellt das junge Deutschland im wesentlichen ein Weiterdenken frühromantischer Ideen dar, so konnte es doch schließlich, um auf der Höhe des Zeitalters zu stehen, nichts anderes tun, als die Zeitprobleme des Kosmopolitismus und Kollektivismus mit dem alten romantischen Gedankenschatz und mit seinen revolutionären Strebungen zu verknüpfen, mit Elementen, die von der Romantik selbst längst preisgegeben worden waren. Wohl überholt das junge Deutschland auf solche Weise die alternde Romantik, aber es bewährt sich auch in dieser Verknüpfung nur als Epigone und erhärtet, daß die Romantik bis zuletzt gewußt hat, wie die Fragen lauteten, die einer Lösung harrten. VI. Die Dichtung der Frühromantik und der jüngeren Romantik, ihr Zusammenhang und ihr Gegensatz. 1. Volksliedartige Lyrik. Ein doppeltes Problem erhebt sich, wenn die Beziehung der romantischen Gedankenwelt zur romantischen Dichtkunst, das Verhältnis von Spekulation und Schaffen erwogen werden soll: Ist die frühromantische Dichtung aus der Theorie erwachsen? Steht die Dichtung der späteren romantischen Blütezeit überhaupt noch im Zusammenhang mit der Theorie der Frühromantik? Beide Fragen sind nicht schlichtweg zu bejahen oder zu verneinen. Frühromantische Dichtung soll zum großen Teil die Theorie illustrieren; aber sie nimmt auch theoretische Ergebnisse vorweg. Spätere romantische Dichter fühlen sich mehrfach im Gegensatz zu der spekulativen Richtung Fr. Schlegels, Schleiermachers und Hardenbergs; aber sie treiben trotzdem Gedanken und Formen weiter, die im frühromantischen Lager ihre Vorbereitung gefunden hatten. Um den Zusammenhang frühromantischer Theorie und jüngerer Romantik nicht zu verkennen, darf man allerdings nicht einzelne Worte aus ihrem Zusammenhang herausheben und einseitig deuten. Arnim bekennt 1808 als Herausgeber der „Zeitung für Einsiedler“ (Nr. 8, S. 58): „Der blinde Streit zwischen sogenannten Romantikern und sogenannten Klassikern endet sich; was übrig bleibt, das lebt, unsre Blätter werden sich mit beiden und für beide beschäftigen; man lernt das Eigentümliche beider Stämme wie in einzelnen Individuen erkennen, achten und sich gegenseitig erläutern und in seiner Entwickelung erkennen.“ Ganz irrig wäre es, in diesen Worten eine Absage, an die ältere Romantik gerichtet, zu suchen. Vielmehr bekennt Arnim sich genau zu der Anschauung, die Fr. Schlegel in der „Europa“ (s. oben S. 81 f.) vertritt; und so verweist er denn ausdrücklich auf Fr. Schlegels „Werk über Indien“, wo „diese Entwicklung“ dargestellt sei. Gerne wird von Kurzsichtigen auch Uhland zu der Romantik überhaupt und natürlich am stärksten zu der Theorie der Frühromantiker in Gegensatz gestellt. Bestenfalls gibt man eine Verwandtschaft der behandelten Stoffe und der verwerteten Formen zu. Uhland aber hat in einem Jugendaufsatz den Begriff des Romantischen ganz und gar im Sinne der Schlegel, Schleiermachers und Schellings umschrieben: er spricht von der unendlichen Sehnsucht in die weite Ferne. „Der Geist des Menschen, wohl fühlend, daß er nie das Unendliche in voller Klarheit in sich auffassen wird, und müde des unbestimmt schweifenden Verlangens, knüpft bald seine Sehnsucht an irdische Bilder, in denen ihm doch ein Blick des Überirdischen aufzudämmern scheint... Dies mystische Erscheinen unseres tiefsten Gemütes im Bilde, dies Hervortreten der Weltgeister, diese Menschwerdung des Göttlichen, mit +einem+ Worte: dies Ahnen des Unendlichen in den Anschauungen ist das Romantische“ (Werke, herausgegeben von L. Fränkel, 2, 347 f.). Sind das nicht fast wortgetreu Schleiermachers Gedanken von der Gegenwart des Unendlichen im Endlichen, ist das nicht im wesentlichen Fr. Schlegels und Schellings Idee von der Symbolisierung des Unendlichen durch das Endliche? Und ebenso ist aus den tiefsinnigsten Anschauungen der Romantik, wie sie bei Novalis begegnen, das endgültige Urteil über die Romantik geflossen, das Uhland fällt: „Die Romantik ist nicht bloß ein phantastischer Wahn des Mittelalters; sie ist hohe, ewige Poesie, die im Bilde darstellt, was Worte dürftig oder nimmer aussprechen, sie ist das Buch seltsamer Zauberbilder, die uns im Verkehr erhalten mit der dunkeln Geisterwelt; sie ist der schimmernde Regenbogen, die Brücke der Götter, worauf, nach der Edda, sie zu den Sterblichen herab und die Auserwählten zu ihnen empor steigen“ (S. 350 f.). Mit welcher Andacht die jüngeren romantischen Konventikel von der Art des Kreises Uhlands und Kerners in die Leitsätze der romantischen Theorie sich versenkten und sie sich zu eigen zu machen suchten, das beweist Uhlands Studie über das Romantische unwiderleglich (vgl. insbesondere oben S. 93). Noch unzweideutiger und klarer als der Zusammenhang der frühromantischen Theorie und der Dichtung der jüngeren Romantiker ist die Verbindung, die zwischen früherer und späterer romantischer Dichtung besteht; nur wenige Entwickelungslinien der romantischen Poesie setzen in späterer Zeit ein und sind nicht bis in das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts zurückzuverfolgen. Vielleicht die stärkste Wendung vollzieht sich auf dem Gebiet der Lyrik. Die spätere Romantik hat der deutschen Literatur einen unschätzbaren Reichtum lyrischer Poesie geschenkt. Die deutsche volkstümliche Lyrik des 19. Jahrhunderts entkeimt zum weitaus überwiegenden Teile der Umwandlung, die sich im ersten Dezennium des 19. Jahrhunderts auf dem Felde romantischer Lyrik abspielte. Nicht die Lyrik der Befreiungskriege kommt hier in Betracht; denn sie ist noch von frühromantischer Hand gestiftet worden (s. oben S. 114 f.), wohl aber die volksliedartige Lyrik. Weder die musikalische Lyrik Tiecks, noch die formalen Kunststückchen im romanischen Stil, wie zunächst die Schlegel sie schaffen, noch Novalis’ schlicht treuherziger und doch so beziehungsreicher Sang bereiten die volksliedartigen Lieder vor, die von den Schwaben, von Eichendorff, Wilh. Müller, Heine gesungen worden sind. Vielmehr haben merkwürdigerweise so Wackenroder und Tieck wie die beiden Schlegel die dankbare Rolle der Wiedererwecker deutscher volksliedartiger Lyrik den Herausgebern des „+Wunderhorns+“ überlassen. Das von Wackenroder und Tieck angeregte Interesse für altdeutsche Dichtung führte allerdings auch W. Schlegel noch am Ende des 18. Jahrhunderts zu seinem Lehrer Bürger und zu Balladen im Stil des Göttinger Hains zurück. Deutlicher aber als in seinem Aufsatze über Bürger von 1800 (8, 64 ff.) brachte er den Wunsch nach einer Sammlung deutscher Volkslyrik in der Art von Percys „~Reliques of ancient English poetry~“ (1765) vor, als in den Berliner Vorlesungen über „Romanzen und andere Volkslieder“ (3, 160 ff., 167) zu sprechen war. Doch ebenso hatte Goethe am Ende des Jahrhunderts angefangen, sich volksliedartigen Gedichten wieder zuzuwenden; in seinem und Wielands „Taschenbuch auf das Jahr 1804“ aber wies er in Liedern, die sich an Volkslied und Volksmelodie anlehnen, wie „Schäfers Klagelied“ und „Bergschloß“, einen neuen Weg. Fr. Schlegels Rezension von Goethes Werken in den Heidelbergischen Jahrbüchern von 1808 (Deutsche Nationalliteratur 143, 376, 378) hob sofort die merkwürdige Mischung des Lied- und Romanzenartigen an diesen Gedichten hervor: „Ein Lied, das sich an irgend eine Volksmelodie anschließt, das nicht in der eignen Person gedichtet ist, sondern in irgend einer, mehr oder minder aus der romantischen Sage entlehnten, besonders wenn in diesem mythischen Hintergrund irgend eine Geschichte andeutend vorausgesetzt oder wohl gar teilweise erzählt wird, nähert sich durch diese Bedingungen stufenweise immer mehr der Romanze und geht endlich ganz in dieselbe über.“ Romanzenartige Lieder im Stil des „Bergschlosses“ und von „Schäfers Klagelied“ bilden fortan eine Lieblingsform romantischer Lyrik. Vor allem ist „Schäfers Klagelied“ von den romantischen Sangesgenossen immer wieder nachgebildet, in Eingang und in einzelnen Wendungen verwertet, weitergesungen und parodiert worden. Unter Goethes Ägide trat denn auch 1806-08 die Sammlung deutscher Volkslyrik hervor, die im Sinne jener Sänge einen weiteren entscheidenden Anstoß gab und unentbehrliche Voraussetzung der romantischen wie überhaupt des größten Teiles der modernen Lyrik wurde: „Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Gesammelt von L. A. v. Arnim und Clemens Brentano. Mit einem Anhange von Kinderliedern.“ Arnims freudiges Streben, dem deutschen Volke deutsche Poesie zu vermitteln, verband sich in diesem Werke mit Brentanos früh einsetzender Vorliebe für Volkslied und volksliedartige Poesie. Schon Brentanos Roman „Godwi“ (1801/02) war von solchen Klängen durchzogen. Die lyrischen Einlagen des Romans bewähren Brentanos geniale Kunst, im Sinne des Volkes mythenbildend zu schaffen. Arnims Neigung zu volksliedartig träumerischen, verschwimmenden Tönen, verbunden mit Brentanos volkstümlicher Phantasie, verleitete die Herausgeber dazu, energische Eingriffe in das Volksliedergut zu tun, das ihnen vorlag, und „Ipsefakten“ in freier Verwertung echter Überlieferung zu gestalten. Exakte Philologen riefen darum: „Betrug!“ Allein Goethe erkannte sehr wohl, daß eben diese Eingriffe den Zeitgenossen das alte Volkslied mundgerechter machten; und mit vollem Rechte durften die Herausgeber feststellen, daß ihre „Ipsefakten“ selbst von Kennern für echte Volkslieder gehalten wurden, ja ganz gewiß ist die mächtigste Wirkung von Liedern des „Wunderhorns“ ausgegangen, denen Arnim und Brentano den Stempel ihres Fühlens am stärksten aufgedrückt hatten. Das klassische Beispiel ist und bleibt das Lied „Zu Straßburg auf der Schanz’“, das unter dem Titel „Der Schweizer“ ins „Wunderhorn“ überging. Das Alphornmotiv ist da in ein derbes Deserteurgedicht eingeschmuggelt und dadurch zu einem Lieblingsthema sehnsüchtig-romantischen Sanges erhoben worden. Wie wenig die Frühromantik geneigt war, dem Unternehmen Arnims und Brentanos vollen Beifall zu zollen, erhellt aus der Anzeige, die Fr. Schlegel in den Heidelbergischen Jahrbüchern 1808 der „Sammlung deutscher Volkslieder“ von Büsching und v. d. Hagen widmete (Deutsche Nationalliteratur 143, 361 ff.). Nicht nur wird hier die wohlwollende Rezension, die Goethe in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung von 1806 (Jubiläumsausgabe 36, 247 ff.) dem „Wunderhorn“ hatte zuteil werden lassen, ironisch parodiert; den Sammlern wird auch vorgeworfen, daß sie die Grenzen zu weit gezogen und Unbedeutendes aufgenommen haben, als „Abweg“ des „Wunderhorns“ aber geradezu bezeichnet, daß die Herausgeber „das Wesen des Volksliedes vorzüglich in die Unverständlichkeit setzen, die sie nun nicht bloß lassen, wo sie sich etwa schon findet, sondern geflissentlich aufsuchen, und nie genug davon haben können, welches leicht zum Abgeschmackten führen kann. Dieser Abweg findet natürlich nur bei den willkürlich ändernden Sammlern statt oder bei denen, welche die Art und Weise des Volksliedes in eigenen Gedichten absichtlich nachbilden zu können vermeinen.“ Dennoch haben Arnim und Brentano eben durch die von Fr. Schlegel getadelten Bestrebungen der romantischen volksliedartigen Lyrik ihr eigentümlichstes Problem gegeben. Denn fortan sucht man in verschiedenster Form und in größerer oder geringerer Annäherung „die Art und Weise des Volksliedes in eigenen Gedichten absichtlich nachzubilden“. Bald entstehen Lieder, die in Strophenbau und Sprache die Eigenwilligkeit des Volksliedes nachschaffen, bald ergeben sich Formen, die volkstümlich sind ohne die „alten Sprachholperigkeiten und Unbeholfenheiten“ zuzulassen (vgl. Heine an Wilhelm Müller, 7. Juni 1826). Wenige treffen ohne Affektation den Ton des „zersungenen“ Volksliedes so glücklich wie Mörike; Heines Absicht ist, „reinen Klang“ und „wahre Einfachheit“ zu erzielen und er bekennt, daß diese Absicht vor ihm von Wilhelm Müller am besten erreicht worden sei. In der langen Reihe der Nachbildungsversuche herrscht weitaus der Vierzeiler vor. Die Vorliebe für die vierzeilige Strophe wird von zwei Strömungen unterstützt, die von ganz anderen Punkten ausgehen. Dieselbe spanische Literatur, deren komplizierteste und mühsamste metrische Bindungen von der Frühromantik mit Vorliebe nachgebildet worden sind, macht neben dem deutschen Volkslied den gereimten Vierzeiler zu einem Liebling der Blütezeit romantischer Lyrik. Und zwar bieten diesmal frühromantische Versuche die erste Anregung. Nur eine Auswahl aus der Fülle frühromantischer formaler Experimente vollzog sich in späterer Zeit auch auf diesem Gebiet. Von all den spanischen Formen, deren schwierigste und dem deutschen Sprach- und Melodiegefühl am wenigsten entsprechende den Wagemut der Schlegel und ihrer Genossen am meisten reizen, setzt sich später im wesentlichen lediglich der trochäische, meist gereimte, zuweilen nur durch Assonanz verknüpfte Vierzeiler durch. Großenteils wird er für romanzenartige Gedichte verwertet, am ausgiebigsten von Brentano in den „Romanzen vom Rosenkranz“. Trochäische Vierzeiler mit Reimbindung werden der deutschen Lyrik indessen auch durch Goethes „Westöstlichen Divan“ geläufig. Dem romantischen Hinweis auf den Orient ist bekanntlich Goethes letzte große lyrische Sammlung zu verdanken. Nur wendet er sich nicht der von den Romantikern besonders geschätzten Poesie Indiens, sondern der urwüchsigeren und primitiveren Dichtung und Kultur Persiens zu. Darum blieben die romantischen Versuche, indische metrische Gebilde ins Deutsche zu übertragen, für die deutsche Poesie unfruchtbar. Goethe wiederum hat seinem „Divan“ nur in ganz geringem Umfang orientalische Formen geschenkt. Das Gasel erscheint nur vereinzelt und in freier Nachahmung. Wohl empfand auch er den Reiz der „zugemessenen Rhythmen“; aber er fand auch, daß sie, „hohle Masken ohne Blut und Sinn“, schnell „abscheulich widern“ („Nachbildung“, Jubiläumsausgabe 5, 22). So wandte er sich zu schlichteren Formen eigener Erfindung und setzte in ihnen fort, was er in den Gedichten für das „Taschenbuch auf das Jahr 1804“ begonnen hatte (vgl. K. Burdach, Jubiläumsausgabe 5, S. XXVI f.). Ganz wie die „lieben kleinen Sänger“, die dem nach Osten pfeifenden alten Dichter folgten, huldigte auch Heine rasch den Rhythmen des „Divans“. Und wenn auch nach Goethe das Gasel eine reichere Pflege fand, wenn vollends Rückert, nach W. Schlegels bissigem Urteil „aller morgenländ’schen Zäune König“ (2, 218), den Reichtum orientalischer Reimgebilde nachzuschaffen befähigt war: im wesentlichen hat spätere romantische Dichtung dem Orient nur seinen exotischen Farbenzauber abgesehen, wie Goethe bemüht im fernen Osten Patriarchenlust zu kosten. Im übrigen aber ließ sie sich von dem mächtigen Strome tragen, dessen Quellen zuletzt im deutschen Volkslied sprudeln. 2. Romantische Ironie und Naturphilosophie in der romantischen Dichtung. ~a~) Drama. Die Lyrik ist der Ruhmestitel der jüngeren Romantiker; und in ihrer Ausgestaltung bewährten sie sich den älteren Genossen gegenüber am selbständigsten. Zwei Haupttendenzen der Theorie übernahmen sie dagegen von ihren Vorgängern, die diese Haupttendenzen nicht nur gedanklich entwickelt, sondern auch in Praxis umgesetzt hatten: die romantische Ironie und die naturphilosophische Durchgeistigung der Natur. Doch vielleicht könnte der Ausdruck „in Praxis um gesetzt“ zu Mißverständnissen Anlaß geben. Denn tatsächlich erstehen im frühromantischen Kreise Schöpfungen voll romantischer Ironie, ehe Fr. Schlegel die Lehre von der Ironie weiter ausgeführt und zu einem Grundsatz der Schule gemacht hat. Und Märchen von naturphilosophischem Charakter werden geschrieben, ohne daß die Naturphilosophie, sei es Schellings oder Fr. Schlegels und Hardenbergs, ihre unbedingte Voraussetzung heißen könnte. Tieck spendet da wie dort Exemplifizierungen der romantischen Theorie, die den Theoretikern ausgezeichnet taugten, von ihnen aber nicht angeregt worden sind. Tiecks vielbewegliches Talent war ja in erster Linie berufen, die kühnen ästhetischen Gedankengänge der Genossen schöpferisch zu poetischer Verwirklichung zu bringen. Er hat denn auch mehrfach diese Aufgabe erfüllt. Um so notwendiger ist, seine Originalität voll anzuerkennen, wo er aus Eigenem schafft. Die einleuchtendste, nächstliegende und von der Romantik am ausgiebigsten ausgenutzte Form der romantischen Ironie ist die Zerstörung der dramatischen Illusion. Fr. Schlegels Definitionen der romantischen Ironie (s. oben S. 32 ff.) hatten sich diesen Zug nicht entgehen lassen, wenn sie auf „die mimische Manier eines gewöhnlichen guten italienischen Buffo“ (Lyc.-Fgm. 42) sich bezogen. Ja schon 1794 verteidigte Fr. Schlegels Aufsatz „Vom ästhetischen Werte der griechischen Komödie“ (1, 18) Aristophanes gegen den Vorwurf, „er unterbreche oft die Täuschung“. Das liege, meint Schlegel, „in der Natur der komischen Begeisterung“. „Diese Verletzung ist nicht Ungeschicklichkeit, sondern besonnener Mutwille, überschäumende Lebensfülle... Die höchste Regsamkeit des Lebens muß wirken, muß zerstören; findet sie nichts außer sich, so wendet sie sich zurück auf einen geliebten Gegenstand, auf sich selbst, ihr eigen Werk; sie verletzt dann, um zu reizen, ohne zu zerstören. Dieser charakteristische Zug des Lebens und der Freude wird in der Komödie noch überdem bedeutend durch die Beziehung auf die Freiheit.“ Schon hier verknüpft sich Illusionszerstörung mit den Fäden, aus denen später der Begriff der romantischen Ironie gesponnen wurde, und erscheint als wesentlicher Zug des Ideals der Komödie, das dem jungen Romantiker vorschwebt. Denn von Anregungen Kants, Heydenreichs und Chr. G. Körners unterstützt, verwirft derselbe Jugendaufsatz die zeitgenössische Komödie, die mit den Reizen der Komik ernsthafte dramatische Handlungen aus dem häuslichen Leben schmücke, während echte Komödie, zunächst die griechische des Aristophanes, sich ihrer Fröhlichkeit nicht schäme und einen Rausch der Fröhlichkeit darstelle. Von diesem dauernd festgehaltenen Programm aus eröffneten die Romantiker ebenso wie Schiller, der wahrscheinlich von Fr. Schlegel den Anstoß erhielt, einen unerbittlichen Kampf gegen die rührseligen Lustspiele Ifflands, Kotzebues und ihrer Nachbarn. Von der Aufstellung des Gedankens einer Komödie voll reiner Fröhlichkeit zu seiner Verwirklichung gelangten die Genossen aber nur mit Tiecks Hilfe. Sein erster Versuch und zugleich das entscheidende Vorbild für fast alle romantischen Lustspiele wurde „Der gestiefelte Kater, ein Kindermärchen in drei Akten“ (1797). Allein ganz sicher ist bei der Abfassung des satirischen Spiels, das auf jeder Seite der Bühnenillusion ins Gesicht schlägt, nicht Fr. Schlegel der Leiter Tiecks gewesen. Vielmehr hatte Tieck längst den burlesken Späßen Holbergs und Gozzis, dem „Triumph der Empfindsamkeit“ von Goethe, dann aber auch dem „Sommernachtstraum“ Shakespeares, den ~comical satires~ von dessen Zeitgenossen Ben Jonson und am stärksten den Hanswurstspielen es abgesehen, wie die Bühne mit sich selbst Scherz treiben kann. Schon in dem Puppenspiel „Hanswurst als Emigrant“ (1795), das 1855 in seinen „Nachgelassenen Schriften“ (1, 76 ff.) zum erstenmal gedruckt wurde, bereitet sich die Manier des „Gestiefelten Katers“ vor. Nun galt es nur noch, auf dem glücklich eröffneten Weg weiter zu schreiten. Tieck selber ging sofort mit seinem „Zerbino“ und mit der „Verkehrten Welt“ (1799) voran. W. Schlegel folgte mit „Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theaterpräsidenten v. Kotzebue“ (1800), Brentano mit dem gleichfalls gegen Kotzebue gerichteten „Gustav Wasa“ (1800). Die kaum übersehbare Reihe satirischer Dramoletts, die gern die Form des Puppenspiels annehmen, bildet ein starkes Band der Zusammengehörigkeit aller romantischen Gruppen. In Schwaben ist nicht nur Kerner, auch der weit ernstere und einheitlichere Uhland in solchen irrlichternden Scherzspielen zu Kundgebungen romantischer Ironie gelangt. Endlich beginnt die Romantik in dieser Form über sich selbst zu spotten; Eichendorff kündigt den Philistern im eigenen Lager den Krieg an (1824). Grabbe verbindet „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ (1827) zu einem stachlichten Witzspiel. Zuletzt mündet die Bewegung an eben dem Punkte, auf den Fr. Schlegel von Anfang an hingewiesen hatte: bei Aristophanes. Platens aristophanische Komödien (1826-29) brechen eine Lanze mit der Romantik; aber durch die streng aristophanische Form leuchtet allenthalben der Geist romantischer Ironie, den am Ende des 18. Jahrhunderts Fr. Schlegel und Tieck zum Kampf gegen die Bühnenbeherrscher der Zeit aufgerufen hatten. Freilich war man sich im romantischen Lager bewußt, daß das Programm einer reinen Komödie durch satirische Scherzspiele nicht ganz erfüllt sei. Wohl nur Platen glaubte in seinen aristophanischen Komödien wirklich alle Wünsche zu erfüllen, die den Gegnern der Rührkomödie am Herzen lagen. An Versuchen, das Lustspiel von der persönlichen literarischen Satire zu befreien, fehlte es nicht. So wandelte Tieck zeitweilig auf den Pfaden der Lustspiele desselben Ben Jonson, dessen comical satires zu den Vorbildern des „Gestiefelten Katers“ zählten. Wie wichtig den Romantikern das Problem der reinen Komödie blieb, bezeugt ihr starkes Interesse für Goethes und Schillers Preisausschreiben vom Jahre 1800, das ganz im romantischen Sinn ein Intrigenlustspiel ohne Rührung forderte. Brentanos „Ponce de Leon“ gehörte zu den eingereichten Stücken. Erfüllt aber wurden alle Wünsche, die von romantischer wie von klassischer Seite nach einem Kunstwerk der Komik riefen, durch Kleists „Zerbrochenen Krug“ (1811). Da ward endlich eine Komödie geboten, die weitab von den rührenden Familienszenen der Kotzebueschen Richtung nur den Intellekt in Bewegung setzte; die derberen Effekte der romantischen Ironie kommen nicht zur Geltung, rein waltet der Humor in dem Stücke, das mit genialem Griffe auch da nur zum Lachen zwingt, wo kriminalistische Motive einen nicht lustspielmäßigen Ernst hervorzubringen drohen. Wohl weist auch der Ausgang des „Zerbrochenen Krugs“ auf eine Verlobung hin. Aber nicht, daß Ruprecht sein Evchen bekommt, ist der Zweck des Stückes, sondern die Beantwortung der Frage: wird Richter Adam es verhindern, daß der wahre Krugzertrümmerer entlarvt werde? Ein reines Verstandesproblem also, das alle Rühreffekte ausschließt! ~b~) Roman und Lyrik. Heine. Romantische Ironie in der Form der Illusionszerstörung fällt am deutlichsten in Theaterstücken ins Auge; denn nirgends innerhalb der Poesie ist Wirkliches und Wirklichkeitsanspruch so deutlich zu verspüren, wie auf der Bühne. Trotzdem können auch andere Dichtungsgattungen mit Illusionszerstörung arbeiten, d. h. mit einem Schlage aus voller Hingabe an die Welt der Kunst uns in die Werkstatt des Dichters versetzen, uns gleichsam einen Blick hinter die Kulissen eröffnen. Als Fr. Schlegel verlangte, daß „Transzendentalpoesie“ das Produzierende zusammen mit dem Produkt darstelle (Ath.-Fgm. 238), dachte er sicher in erster Linie an den Roman, der ja nach seiner Ansicht die ganze moderne Poesie „tingiert“ (Ath.-Fgm. 146). Wirklich glaubte er in Goethes „Meister“ (2, 171, 30) durch die Hülle der Dichtung den Dichter selbst zu erblicken, der von der Höhe seines Geistes auf seine Schöpfung herablächele (s. oben S. 35). Weit kenntlicher offenbart sich, was Fr. Schlegel forderte, in Jean Pauls Romanen; erscheint doch Jean Pauls humoristische Poesie oft „gleich eingestreuten Liedern als Episode oder vernichtet als Appendix das Buch“ (Ath.-Fgm. 421). Tatsächlich lernen die romantischen Romandichter vor allem von Jean Paul die „Ironie des aus dem Stück Fallens“, wie Brentano drastisch es nennt. Jean Paul läßt mit Vorliebe auf „Dampfbäder der Rührung“ „Kühlbäder der Satire“ folgen; seinen Humor definiert er selbst als das Ergebnis des Aufbrausens beider Spiritus, wenn seine negativ elektrische Philosophie und sein positiv elektrischer Enthusiasmus ins Gleichgewicht zu kommen ringen. Lieblingsform von Jean Pauls Humor ist, die Person des Dichters zwischen den Leser und die Erzählung zu schieben, von seinem Dichtgeschäft, von seinen schriftstellerischen Mühen, von Ärger über die Arbeit zu berichten. Jean Paul knüpft dabei nur an längst geübte Gebräuche der komischen Poesie an, die in Prosa und lieber noch in Versen innerhalb des Buches gern vom Buche, von seiner Entstehung, von Buchdrucker- und Honorarfragen spricht. Da lernt zuletzt der Verfasser, der den größten Teil seiner Dichtung nur als getreuer Kopist eines ihm übergebenen Manuskriptes vorgelegt haben will, die Personen seiner eigenen Schöpfung von Angesicht zu Angesicht kennen; sie selber aber lesen, was er über sie niedergeschrieben hat. Cervantes, englische komische Novellisten wie Smollet und englische Humoristen wie Sterne arbeiten mit solchen Mitteln; deutsche Erzähler (Miller, Musäus) folgen ihnen. Wielands Versdichtungen aber bieten, mannigfachen Anregungen folgend, eine Musterkarte der verschiedenen Mittel, durch die der Dichter in seine eigene Dichtung sich und seine Reflexionen einmischen kann. Sterne vor allem hat seinem Landsmann Byron und dessen ganzer Schule den Weg gewiesen, dann aber auch Jean Paul und den Romantikern, endlich den Reiseschilderern von M. A. v. Thümmel bis zu Heine und über diesen hinaus durch das junge Deutschland bis in unsere Tage gezeigt, wie ein Erzähler das epische Nacheinander zu einer Nebensache, zu einem Nichts herabdrücken und durch überwuchernde Reflexionen, durch Selbstbetrachtung und Selbstdarstellung einen dünnen Erzählerfaden hindurchspinnen kann. Im 421. Athenaeumfragment wird Jean Paul darum auch vorgeworfen, daß er „nicht +eine+ Geschichte gut erzählen kann, nur so was man gewöhnlich gut erzählen nennt“. Bald aber gefiel sich romantische Novellistik in solcher unepischen Willkür; und schon die „Lucinde“ zeigt starke Neigungen, Jean Paul durch Anwendung aller Formen, nur nicht durch das epische Nacheinander fortschreitenden Berichtes zu übertrumpfen. Auch der „Lucinde“ möchte man den Vorwurf machen, daß ihr Verfasser nicht erzählen kann. Die Manier Sternes und Jean Pauls wurde aber auf die Spitze getrieben und überholt von Brentanos „verwildertem“ Roman „Godwi“. Da ergeben sich -- wie bei Jean Paul -- seltsame Überraschungen, wenn zuletzt der pseudonyme Verfasser Maria die Persönlichkeiten seines Berichtes zu sehen bekommt; so ruft er, wenn er endlich den Titelhelden erblickt hat, erstaunt aus: „Dies war also der Godwi, von dem ich so viel geschrieben habe... Ich hatte ihn mir ganz anders vorgestellt.“ Nicht nur wird im Buche -- wiederum ganz nach Jean Pauls Art -- das Buch selber nach Kapitel oder Seitenzahl zitiert; Godwi erklärt: „Dies ist der Teich, in den ich Seite 266 im ersten Bande falle“ oder fragt Maria: „... was wollten Sie Seite 281 mit den stillen Lichtern?“; oder man spricht von der Stelle, „wo Werdo Senne Seite 126 singt“. Noch vermehrt werden die Spiegelungen und Widerspiegelungen, die nach Fr. Schlegels Programm der romantischen Ironie eigen sind, indem endlich auch der unter seine eigenen Geschöpfe versetzte Dichter Maria stirbt. Er habe sich bei der Ausarbeitung des zweiten Teils zu Tode gelangweilt, heißt es. Und eine fragmentarische Fortsetzung erzählt seine letzte Krankheit. Energischer konnte der Dichter -- nach romantischer Ansicht -- sich nicht über sich selbst erheben, als wenn er sich selber sterben ließ und von seinem eigenen Tode berichtete. Diese Scherze romantischironischer Erzählungen setzen sich -- und darum verdienen sie nähere Beachtung -- durch Jahrzehnte fort. Immermanns „Epigonen“ (1836) noch lassen gegen das Ende hin den Verfasser in den Kreis seiner Romangestalten eintreten; die Beteiligten lesen, was er über sie geschrieben hat und geraten durch irrige Auslegungen in peinlichste Konflikte. Sogar noch Immermanns „Münchhausen“ (1838/39) arbeitet mit dem Buchbinder, so wie einst Sterne und Jean Paul den Buchdrucker herbeibemüht hatten. Immermanns Roman beginnt, angeblich durch ein Versehen des Buchbinders, mit Kapitel 11; und erst nach dem 15. Kapitel folgen die ersten zehn. Eine Korrespondenz des Verfassers mit dem Buchbinder darf nicht fehlen. Allerdings zielte dieser Buchbinderscherz auf Pückler-Muskaus „Briefe eines Verstorbenen“ (1830 f.), die im ersten Bande die Nummern 25-48 bringen und im zweiten die Nummern 1-24 nachtragen. Unserem Gefühl erscheinen solche Scherze veraltet und wirkungsarm. Dieses geistige Feuerwerk verpufft zu rasch, und wir haben nur den Eindruck einer fast zwecklosen Zerstörung. Doch die Romantik selber hat noch gelernt aus der Stimmungsbrechung stärkere Effekte zu holen. +Heine+ war es vorbehalten, in Prosa und Vers die romantische Ironie mit französischer Pointentechnik zu verknüpfen, die romantische Stimmungsbrechung zur Schlußpointe zu verwerten. Am geläufigsten sind jedermann die illusionzerstörenden Schlüsse seiner Gedichte. Am Schlusse des „Seegespensts“ (Nordsee I, 10) will der Dichter, von dem Anblick der tief unten im Meer erschauten Geliebten gefesselt, sich ins Wasser stürzen; die Farbengebung ist stark genug, daß wir es glauben; der Kapitän aber hält ihn zurück mit dem derbprosaischen, die Stimmung des ganzen Gedichts zerstörenden Zuruf: „Doktor, sind Sie des Teufels?“ Im „Goldenen Topf“ (1, 184) hatte E. T. A. Hoffmann genau denselben Witz sich geleistet. Aber nur Heine erzielt mit ihm einen blendenden Schlußeffekt. Schlußpointen, die witzig die im Gedicht selber wachgerufene Stimmung vernichten, hatte schon Gellert den Franzosen abgesehen; Heine erhebt die Schlußpointe ins Romantische, indem er die Pointe gegen sich selbst, gegen das Ich des Dichters kehrt, und indem er mit dem Gegensatz des konventionellen Philistergefühls und des Enthusiasmus eines Dichterherzens arbeitet. Mindestens ebenso schlagende Effekte erzielt Heines Prosa. Sterne liebt die Aposiopese und den Gedankenstrich. Mehrere Zeilen Gedankenstriche deuten geheimnisvoll auf unsagbare Erlebnisse hin. Heine fingiert, daß die Zensur ihm seinen Text übel zusammengestrichen habe; das ganze 12. Kapitel des Buches „Le Grand“ besteht fast nur aus Zensurstrichen, die vorgeblich von dem Texte des Abschnitts nur die Worte: „Die deutschen Zensoren -- -- -- Dummköpfe -- --“ übriglassen. Zu so spitzen Scherzen hatte weder Sterne noch Jean Paul noch die Romantik den Buchdruckerwitz ausgebeutet. Heine geht noch weiter: er bereitet Witzpointen seiner Prosa viele Seiten früher vor. Die Anwendung des Hundegebets „O Hund, du Hund -- du bist nicht gesund...“ auf König Ludwig von Bayern (Elster 4, 510) ist zehn volle Seiten früher angebahnt (S. 500) und wirkt eben darum so treffend. Unter Heines Hand ist die romantische Ironie zu ihren raffiniertesten Wirkungen gelangt. Ein Formkünstler von ungewöhnlicher Virtuosität, hat er in der romantischen Ironie ein Werkzeug gefunden, das seinem Witze und seiner künstlerischen Anlage vorzüglich entsprach. Kunstreiche Kunstlosigkeit ist das Kennzeichen seines ganzen Schaffens. Die romantische Ironie aber entbindet die Willkür des Dichters und läßt ihn zerstörungslustig vernichten, was er selbst erbaut hat. Bei Heine wird der Schein der Willkür und Zerstörungslust festgehalten; aber die Wirkungen dieser scheinbaren Willkür sind aufs genaueste vorausberechnet. Selbst Brentano, der als Mensch und Dichter, in Prosa und in Versen Heine urverwandt ist, hat nicht die Schlagkraft und die Treffsicherheit von Heines Witz. Ihm wie allen romantischen Ironikern, auch Tieck, genügte es, jeanpaulisch den Leser aus dem Dampfbad der Rührung in das Kühlbad der Satire zu stürzen. Romantische Freiheit bewährt sich in dem jähen Wechsel der Gegensätze. Es bleibt aber bei einem steten Verneinen. Heines Witz gibt Positives auch in der Negation. Und darum erscheint er wie ein spitzes Stilett neben dem stumpfen Schwerte, als das uns heute meist der stimmungsbrechende Effekt der romantischen Ironie sich offenbart. Heine nimmt überhaupt die romantischen Tendenzen nur vom Standpunkt des Künstlers, er sucht alle künstlerische Wirkung ihnen abzugewinnen, deren sie fähig sind; aber er denkt nicht daran, die tieferen Absichten zu erfüllen, auf die jene romantischen Tendenzen abgestellt waren. Als romantischer Ironiker hat er sicher nie das Problem der „Transzendentalpoesie“ erwogen. Ebenso war ihm gewiß romantische Naturphilosophie wenig wichtig; aber den künstlerischen Reiz der Naturbeseelung und -durchgeistigung, der Vermenschlichung der Naturerscheinungen hat er stark empfunden und kundig zur Geltung gebracht. Noch weit mehr als Tieck ist er der virtuose Schauspieler, der alle Stimmungen, die seine Kunst verlangt, darstellen kann, ohne ihr Sklave zu sein, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Das ganze Repertoire romantischer Poesie kehrt bei Heine wieder; doch nur sehr selten und nur in seinen ersten Anfängen glaubt er an die romantischen Stimmungen, die er wachrufen will. Freier und freier bewegt er sich in dem romantischen Zaubergarten der Poesie. Und darum hat er aus ihm weit stärkere künstlerische Wirkungen geholt als die Romantiker, denen der Geist wichtiger war als die Form, das Leben interessanter als die Kunst. Eben darum ist er der Überwinder der Romantik geworden, weil er ihr Bestes verwertet, ohne sich selber in die Fesseln der Romantik werfen zu lassen. Verglichen mit Heine erscheint die große Mehrzahl der echtesten Romantiker wie Dilettanten. Denn er besitzt „Architektonik im höchsten Sinn, diejenige ausübende Kraft, welche erschafft, bildet, konstituiert“; der Romantiker strenger Observanz „hat davon nur eine Art von Ahnung, gibt sich aber durchaus dem Stoff dahin, anstatt ihn zu beherrschen“ (Goethe, Schema über den Dilettantismus, Weimarische Ausgabe 47, 326). Romantische Kunst wird oft durch die gedankliche Last, die sie zu tragen hat, zu Boden gedrückt. Ein echter und großer Dichter wie Novalis hält es für möglich, seine geheimnisvollsten und intimsten, allerpersönlichsten und schwer nachzufühlenden naturphilosophischen Überzeugungen in das Märchen des „Ofterdingen“ hineinzugeheimnissen. Daß er Märchen von entzückender Frische schaffen kann, auch wenn er ihnen tiefen seelischen und ideellen Gehalt leiht, bezeugt seine Erzählung von Hyazinth und Rosenblütchen. Im Märchen des „Ofterdingen“ aber kommt die Poesie nicht zu ihrem Rechte; sie ringt umsonst danach, eine künstlerische Form für kulturhistorische, naturphilosophisch gerichtete Spekulation zu erobern. Heine hingegen kümmert sich nicht um Schellings Naturphilosophie und um den „Schlegelianismus der Naturwissenschaften“. Dennoch trifft er mit künstlerischer Leichtigkeit das Ziel, das auch den Romantikern vorschwebte: die Natur, anorganische wie organische, in ein menschlich fühlendes, durchgeistigtes Reich der Poesie umzuschaffen. Er knüpft da an, wo auch die romantischen Theoretiker das praktische Vorbild ihrer poetischen „Physik“ fanden, zunächst bei Goethe. Von früh auf hatte Goethes Lyrik in beseelten und vermenschlichten Naturerscheinungen eben die neue Mythologie zu schaffen begonnen, nach der die Romantiker verlangten. Goethe nahm für sich das Recht in Anspruch, mit mythologischer Schöpfung an der Stelle einzusetzen, wo primitive Völker ihre Mythologie sich zurechtgestalten: er lieh der Natur seine eigenen Gefühle. Schon das Straßburger Gedicht „Willkommen und Abschied“ zeigt Goethes mythenbildende Kraft: Der Abend wiegte schon die Erde Und an den Bergen hing die Nacht; Schon stund im Nebelkleid die Eiche Wie ein getürmter Riese da, Wo Finsternis aus dem Gesträuche Mit hundert schwarzen Augen sah. Der Mond von seinem Wolkenhügel Schien schläfrig aus dem Duft hervor, Die Winde schwangen leise Flügel, Umsausten schauerlich mein Ohr; Die Nacht schuf tausend Ungeheuer ... In Goethes „Faust“ fand vollends der Naturphilosoph Schelling (Werke 5, 1, 731 ff.) einen ewig frischen Quell der Wissenschaft geöffnet und er rief allen, die in das wahre Heiligtum der Natur dringen wollten, zu, sich mit diesen Tönen aus einer höheren Welt zu nähren und in früher Jugend die Kraft in sich zu saugen, die wie in dichten Lichtstrahlen von diesem Gedichte ausgehe und das Innerste der Welt bewege. Gleichzeitig mit Goethe schuf Hölty eine neue Mythologie des Frühlings. Beide trieben weiter, was deutsches Volkslied und deutscher Minnesang längst geübt hatten. Ist es doch urältester Brauch der Lyrik, menschliches Leid und menschliche Freude in die Welt der Tiere und Pflanzen hineinzulegen. Der Perser singt von dem Liebeswerben der Nachtigall um die Rose, ganz wie im deutschen Volkslied der Knabe das Röslein bricht oder das Käuzlein klagt, daß ihm der Ast entwichen, auf dem es ruhen wollte. Blumen- und blütenreich, weist auch die Dichtung des 17. Jahrhunderts der Romantik den Weg: Brentano kann von dem Liede nicht loskommen, in dem der Schnitter Tod die Blüten hinmäht; Lenau blickt bewundernd und eigene Kunst bewußt anknüpfend zur Natursymbolik Friedrich Spees empor. (Vgl. L. A. Frankl, Zur Biographie N. Lenaus, Wien 1885, S. 69.) +Lenau+ ist vielleicht noch um ein wenig mehr romantischer Theoretiker als Heine. Er will Natur und Menschenleben zu einem dritten „Organischlebendigen“ verknüpfen, das symbolisch die höhere geistige Einheit von Natur- und Menschenleben darstellt (Rezension von Keils „Lyra und Harfe“, 1834). Seine Naturmythologie ist wesentlich schärfer beobachtet und sinnlicher geschaut als die Heines. Alle menschlichen Züge, die abstrakten Begriffen, wie dem Frühling oder der Frühlingsmorgenstunde, aus liebevoller Beschauung der Natur geliehen werden können, verbindet er zu einem Ganzen: er sieht diese Begriffe wie Menschen sich bewegen, sich freuen, leiden und sterben. Heines beseelter Zaubergarten ist ganz frei aus einer Phantasie erwachsen, die jetzt die schwülen Düfte orientalischer Vegetation und dann die kräftige Luft des deutschen Waldes atmen läßt. Bald kichern und kosen die Veilchen, bald zittern die Lotosblumen zum Monde empor. Das Firmament spielt mit; und das Lieblingsfeld von Heines Phantasie, das Meer, schenkt ihm die kühnsten und die drastischsten Verquickungen von menschlichem Brauche und Naturvorgang. Freie Phantasieschöpfung kommt aber auch hier zur Mythenbildung: in dem echt Heineschen Mythos von Luna und Sol (Die Nordsee I, 3), oder wenn christliche Glaubenssymbole ins Leben der Tiere hineingedeutet werden (Neuer Frühling 9). ~c~) Märchen. Das eigentliche Gebiet dichterischer Verwertung der neuen naturphilosophischen Mythologie wird im romantischen Kreise das +Märchen+. Goethes „Märchen“ (1796) in den „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ wirkte als lockendes Vorbild. In seinem künstlerischem Sinne spielte Goethe hier lediglich mit der Möglichkeit tieferer Ausdeutung. Die Phantasie ahnt hinter den reichen Bildern des „Märchens“ bedeutsame Anschauungen und legt ihnen gern unter, was Goethe selber niemals hineingelegt hatte. Novalis aber oder Chamisso in „Adelberts Fabel“ wollen wirklich ein Gedankengerippe mit den Blüten der Märchenphantasie schmücken, sie wollen mit Märchensymbolen Erkenntnis schaffen. Der romantische Magier soll sich als Philosoph bewähren. Freier schaltet Tieck mit naturphilosophischen Grundanschauungen. Das Thema seiner Märchen, auf eine naturphilosophische Formel gebracht, ist: zwischen dem Menschen und der Natur befindet sich keine unübersteigliche Mauer, in der Natur herrscht ein Fühlen, das dem menschlichen wesensverwandt ist, im Menschen lebt noch ein Stück Natur. Wichtiger ist diesem Dichter, die Naturkraft im Menschen und das menschliche Leben in der Natur von ihrer bedrückenden und zerstörenden Seite zu zeigen, als das Befreiende der Naturphilosophie zu offenbaren, die Geist in die Natur und natürliche Gesetzlichkeit ins Menschendasein bringen will. In Tiecks Märchen gehen die Menschen an dem Grauen zugrunde, das ihr seltsam widerspruchsvolles Verhältnis zur Natur in ihnen wachruft. Abermals muß Tieck zugebilligt werden, daß seine Anschauung von Natur und Menschentum und durch diese das Hauptmotiv seiner Märchen ihm zuteil geworden war, ehe er von romantischer Naturphilosophie etwas wußte. Wie der „Gestiefelte Kater“ im rechten Augenblick hervortrat, um der neuen Theorie der Ironie und der reinen Komödie zum Exempel zu dienen, so kommt im selben Jahre 1797 Schellings erste naturphilosophische Kundgebung und Tiecks „Blonder Eckbert“ heraus. Mit dieser Dichtung beginnt Tieck eine Reihe von Naturmärchen, die er im „Getreuen Eckart und dem Tannenhäuser“ (1799) und im „Runenberg“ (1803), dann in mehreren unbedeutenderen Versuchen fortsetzt. Mehr und mehr findet sich in ihnen Tiecks Naturauffassung und die Naturphilosophie zusammen. Die Welt des Bergmanns, den Schülern des Freiberger Geologen A. G. Werner wert und wichtig, von Novalis im „Ofterdingen“ verklärt, wird nun auch von Tieck erobert und entwickelt sich zu einem Lieblingsschauplatz romantischer Naturbeseelung. Der „Runenberg“ kommt auf solche Weise der Physik der Romantiker schon so nahe, daß H. Steffens, Schellings getreuer Schüler („Was ich erlebte“ 3, 22), ihn auf seine eigenen Erlebnisse und auf einen Bericht zurückführen konnte, in dem er Tieck die Eindrücke einer Seereise von Kopenhagen nach der Felsenküste Norwegens vorgetragen hatte. Dennoch bleibt der bezeichnende Unterschied bestehen, daß die Naturphilosophen das Licht des Bewußtseins in die Natur tragen wollten, während Tieck dem Geiste des Menschen aus der Natur dumpfe Betörung erwachsen läßt. Von entgegengesetzten Polen gehen sie aus: dort erhebt man das Unbewußte in die Sphäre des Bewußtseins, hier taucht die Phantasie in die berückenden Tiefen des Unbewußten hinab. Aus innersten Gefühlserlebnissen Tiecks ist das erwachsen; es bereitet sich allmählich vor und findet vor dem „Blonden Eckbert“ schon seinen Ausdruck in dem Märchen „Nadir“ des „Almansur“ (1790) und in der Geschichte „Der Fremde“ (1796), klingt auch in anderen jugendlichen Versuchen an (vgl. R. Benz, Märchendichtung der Romantiker, Gotha, 1908, S. 102 ff.). Für den Zauber, für das Bestrickende und das Grauen des einsamen Waldes finden die refrainartig wiederkehrenden Verse von der „Waldeinsamkeit“ im „Blonden Eckbert“ einen so echt Tieckschen Ausdruck, daß W. Schlegel scherzend in ihnen die Quintessenz von Tiecks Dichtung feststellen durfte. Neben den Zauber des Waldes tritt in Fouqués „Undine“ (1814) der Zauber des Wassers. Fouqué geht stofflich über Tieck hinaus, aber er hat nur eine romanhafte Geschichte zu erzählen, einen rührenden Vorgang romantisch aufzuputzen und kann die tiefeindringenden Stimmungswirkungen nicht auslösen, die Tiecks Naturmärchen bergen. Weit dämonischer sind Hoffmanns Märchen geartet; auch er versetzt den Leser an die Stelle, wo Bewußtes und Unbewußtes in untrennbarer Verschlingung sich verknoten. Er kennt die Tiecksche Stimmung, die aus dem Gefühl der Unsicherheit keimt, ob ein Erlebnis Wirklichkeit oder Traum ist. Darum konnte er in den „Bergwerken von Falun“ (1819) dem „Runenberg“ Tiecks eine kongeniale Leistung anreihen. Hoffmanns Märchendichtung aber wird noch durch die Weiterbildung romantischer Anschauungen von Magie bedingt, die an den Namen Gotthilf Heinrich v. Schuberts sich knüpft. Schubert hat ja Hoffmann den Stoff zu den „Bergwerken von Falun“ geschenkt. 3. Die Nachtseite der Natur. H. v. Kleist. Die Naturphilosophie lenkte im späteren romantischen Zeitalter immer mehr psychologischen Untersuchungen zu. Schellings Anschauung, die Natur sei eine bewußtlose Intelligenz, drängte seine Schüler zu einer eingehenderen Prüfung der Regionen des geistigen Daseins, in denen der Übergang zum Bewußtsein sich vollzieht. Den unbewußten Untergrund des bewußten menschlichen Lebens untersuchen, hieß die Entwickelungsstufe begreifen, durch die die organische Natur vom vernünftigen Dasein getrennt wird. Solche psychologische Beobachtung nannten die Romantiker: die „Nachtseite“ der Natur studieren. Man bewegte sich dabei auf demselben Boden, der Tiecks Märchen trägt. Man folgte zugleich den Anregungen, die Ritter und mit ihm Novalis gegeben hatten. Durch Mesmer war Ritter zum Studium des tierischen Magnetismus gekommen, hatte diesen in dem Treiben der Somnambulen wiederzufinden geglaubt und war dann zu Experimenten weitergeschritten, die ihn bis zur Verwertung der Wünschelrute führten. Steffens, Burdach, Carus, vor allem Schubert bewegten sich mehr oder minder vorsichtig auf dem gefährlichen Grunde. Schuberts „Ahndungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens“ (1806-21) und seine „Geschichte der Seele“ (1830) beschäftigten sich besonders mit der unbewußten Grundlage der psychischen Störungen, mit den geheimnisvollen Erscheinungen des Somnambulismus und mit dem rätselhaften Ineinandergreifen bewußter und unbewußter Tätigkeit, das der menschlichen Psyche einen Platz auf der schwankenden Grenze der natürlichen und der vernünftigen Welt anzuweisen scheint. Schubert bot besonders in seinen „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft“ (1808) den dichterischen Genossen eine wahre Fundgrube von psychologischen Problemen, die nach künstlerischer Ausgestaltung verlangten. Seine „Symbolik des Traumes“ (1814) kam vollends den Wünschen und Ansprüchen der dichtenden Magier auf Schritt und Tritt entgegen. Da war tatsächlich eine wissenschaftliche Betrachtung im Sinne von Hardenbergs magischem Idealismus und seiner „Hymnen an die Nacht“ versucht. Schlaf, Traum, traumähnliche Zustände, die Ekstase -- sie erschienen als Mittel von Offenbarungen, die dem wachen Bewußtsein nicht zugänglich sind. Schubert war überzeugt, daß im Traume die Seele schneller als der wache irdische Mensch der Ewigkeit sich nähere. Ein Schritt weiter, und ein Romantiker von Justinus Kerners Schlage konnte auch in Epilepsie und Wahnsinn neue Quellen mystischer Erkenntnis aufzudecken glauben. Die Nachtseite der Naturwissenschaft durfte um so mehr auf dichterische Verwertung Anspruch erheben, da ja Goethe ihr in seinen „Wahlverwandtschaften“ (1809) volle Würdigung und breite Verwertung hatte angedeihen lassen. Der ganze Roman beruht auf einer naturphilosophischen Konstruktion: der chemische Begriff der Wahlverwandtschaft, der ~affinitas~ oder ~attractio electiva~, wird nicht nur symbolisch mit seelischen Vorgängen verknüpft, vielmehr wird angenommen, daß im Geistigen wie in der Natur +ein+ einheitliches Gesetz herrsche. Überall sei, so meint Goethe (vgl. Goethejahrbuch 27, 195), nur +eine+ Natur, und auch durch das Reich der heiteren Vernunftfreiheit zögen sich die Spuren trüber, leidenschaftlicher Notwendigkeit unaufhaltsam hindurch. Das heißt: Goethe betritt und erforscht den Boden, der den Romantikern und Schubert als Nachtseite der Natur galt. Wirklich hat man erzählt, Schelling habe Goethe die erste Anregung zu dem Romane gegeben. Nicht nur indes der Titel und die Idee der Dichtung sind naturphilosophisch gemeint. Eine ganze Reihe von Einzelphänomenen der „Nachtseite“ findet Berücksichtigung; inbesondere der Magnetismus und der Somnambulismus im Sinne Mesmers, Ritters und Schuberts ist ausgiebig verwertet. Ja Ritters Experimente mit der Wünschelrute, von denen Goethe durch Schellings gedruckte und durch Hegels mündliche Mitteilungen erfahren hatte, sind einbezogen: Ottilie erscheint als magnetisch veranlagt, als Somnambule oder -- wie neuere Pneumatologen sagen -- als gutes Medium (vgl. ebenda S. 187 ff.). Der Magnetiseur und die Somnambule kehren sofort nach Goethes Roman wieder in Arnims „Gräfin Dolores“ (1809); mit verwandten Motiven sind die „Kronenwächter“ (1817) Arnims und seine Novelle „Melück Marie Blainville“ ausgestattet. In Brentanos „Romanzen vom Rosenkranz“ wird die tote Biondette mit „metallenen Scheiben“ wieder lebendig gemacht. +Hoffmann+ veröffentlicht in den „Phantasiestücken in Callots Manier“ (1814 f.) seinen „Magnetiseur“. In den „Bergwerken zu Falun“ steigert Hoffmann noch die magischen Motive seiner Vorlage Schubert. „Die Automate“ (Grisebach 7, 95) spricht mit ausdrücklichem Bezug auf Schuberts „Ansichten“ von der Urzeit des menschlichen Geschlechtes, da es noch in der ersten heiligen Harmonie mit der Natur lebte und da die Natur das wunderbare Wesen, das sie geboren, noch aus der Tiefe ihres Daseins nährte; damals umfing sie den Menschen wie im Wehen einer ewigen Begeisterung mit heiliger Musik. Noch in der Luftmusik oder Teufelsstimme auf Ceylon, die selbst dem ruhigsten Beobachter tiefes Entsetzen einflöße, äußerten sich heutzutage jene vernehmlichen Laute der Natur. Hoffmann will selbst in der Nähe des Kurischen Haffs Ähnliches erlebt haben. Im „Unheimlichen Gast“ (8, 94 f.) gedenkt er wiederum der Teufelsstimme. Die „Phantasiestücke“ (1, 317) erwähnen ferner die Stimme des „inneren Poeten“, von dem Schuberts „Symbolik des Traumes“ zu erzählen weiß. Die „seltsamen Leiden eines Theaterdirektors“ (4, 40) verweilen des längeren bei diesem Phänomen, bei diesem „redenden Gewissen“: „Der Spiritus familiaris hüpft aus dem Inneren heraus und spricht, ein unabhängig Wesen, hinein mit sublimen Redensarten.“ Die innere Stimme redet so laut, daß man sie wie einen Ton aus fremdem Munde vernimmt. Hoffmanns Lieblingsvorstellung vom Doppelgängertum -- er teilt sie mit Jean Paul -- begegnet sich hier mit Anschauungen Schuberts. Selten hat ja ein Romantiker dem Unterbewußtsein eine so körperlich greifbare Form geliehen wie Hoffmann. Er scheint dadurch zu einem unüberbrückbaren Dualismus zu gelangen. Zwiespältig beginnt sein Leben und im Zwiespalt beharrt es. Mit zäher Energie behauptet Hoffmann sich selbst, wahrt er seine Dichterexistenz mitten in völlig undichterischem Berufe. Er selber ist klein, possierlich, fast häßlich und -- ein Magier im Sinne Hardenbergs -- schafft er durch seine Dichterphantasie sich um, läßt er durch die Kunst sich zeitweilig aus der unbequemen Wohnung seines Geistes in die Welt des Schönen emportragen. Denselben Prozeß durchlaufen in seinen Märchen typische Figuren, in deren Erscheinung wir rasch Hoffmanns eigene Züge entdecken: der hagere Archivarius Lindhorst im „Goldenen Topf“ mit seinen großen starren Augen, die aus den knöchernen Höhlen des mageren, runzeligen Gesichts wie aus einem Gehäuse hervorstrahlen, mit seinen kuriosen Redensarten und mit seinem damastenen Schlafrock: er verwandelt sich unversehens in die ehrfurchtgebietende Gestalt des majestätischen Salamanderfürsten mit Königsmantel und Diadem. Er lebt ein doppeltes Leben; und wie Lindhorst so sind die alte Liese, das Äpfelweib, und Serpentina, die Tochter Lindhorsts, zugleich Figuren der Geisterwelt, ist in „Klein-Zaches“ Frl. von Rosenschön die Fee Rosabelverde und Doktor Prosper Alpanus ein Zauberer und Schüler Zoroasters, ist im „Meister Floh“ die kokette Dörtje Elverdink eigentlich die Prinzessin Gamaheh von Famagusta und Tochter des Königs Sekakis, ihr Verehrer George Pepusch aber ist die Distel Zeherit. Durch die äußere Hülle den wahren Kern zu erkennen, ist nur Auserlesenen gestattet, so dem Studenten Anselmus im „Goldenen Topf“ und dem Peregrinus Tyß im „Meister Floh“. Ihr innerer Sinn zeigt ihnen das wahre Bild, während die Philister, die Konrektor Paulmann und Registrator Heerbrand, jede Deutung, die über die Grenzen des gesunden Menschenverstandes hinausgeht, als Wahn ablehnen; höchstens Alkohol kann sie für Augenblicke zu Sehern machen. Urromantische Anschauungen finden da ihren dichterischen Ausdruck. Novalis’ Überzeugung von der Magie der Dichtung, die dem Menschen gestattet, über die Grenzen seiner Sinnesorgane hinauszuschreiten, von dem Zustand künstlerischer Ekstase, der die Wahrheit reiner vermittelt als alles Denken, liegt zugrunde. Und darum mündet echt romantisch auch Hoffmanns Dualismus in Monismus. Mag er immer ein doppeltes Leben geführt und in seinen Märchen das Leben im Licht des gesunden Menschenverstandes zu dem Leben im Lichte des romantischen Sehers in dauernden Gegensatz gebracht haben: das einzig Wahre blieb auch ihm das Weltbild des Dichters. Und das Rittergut, das dem Studenten Anselmus nach seiner Verbindung mit Serpentina zufällt, ist für ihn wirklich das Wunderland Atlantis, in dem der Einklang aller Wesen verwirklicht ist. Im strengsten Sinne Schleiermachers und Fr. Schlegels ist der so oft als Phantast ausgebotene Hoffmann zugleich befähigt gewesen, das Unendliche im Endlichen zu erblicken, und zwar in einem Endlichen, das er mit schärfstem Auge beobachtet. Ihm eignet eine Kraft des Schauens, die den Realismus späterer Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, etwa die Fähigkeit Kellers und Otto Ludwigs, Originale zu zeichnen, vorwegnimmt. Er studiert mit dem Vergrößerungsglase wunderliche Erscheinungen, seltsame, unheimliche Menschen; und deutend läßt er aus dem Wunderlichen das Wunderbare erwachsen, mit einer Fähigkeit der Einfühlung, die in der Skizze „Des Vetters Eckfenster“ zu divinatorischen Tiefblicken heimlichster Seelendeutung sich erhebt. Diese Beobachtungsgabe läßt auch das Örtliche bei Hoffmann in viel festeren und schärferen Umrissen erscheinen als bei der Mehrzahl seiner romantischen Genossen. Und weil er das Wunder in eine realistisch gezeichnete Umgebung versetzt, weil er es langsam aber sicher aus dem bloß Wunderlichen keimen läßt, ist er zu der überraschenden Technik gelangt, mitten im prosaischen Alltagsleben, in Örtlichkeiten von Berlin oder Dresden, die jeder täglich beschreiten kann, das Wunder lebensfähig und glaubhaft erscheinen zu lassen. Denn ebendeshalb glückt es ihm, das Wunder wie etwas Erlebtes zu gestalten. Wohl hat auch Arnim in „Isabelle von Ägypten“ (1811) und in den „Kronenwächtern“ die Welt des Wunderbaren unmittelbar neben realistisch geschaute Wirklichkeit gestellt; aber nur Chamissos „Peter Schlemihl“ (1814) reicht an Hoffmanns Kunst heran, das Wunderbare aus dem Wunderlichen hervorgehen und dadurch glaubhaft erscheinen zu lassen. Doch im Gegensatz auch zu Chamisso bleibt Hoffmann der erste, der -- lange bevor der Zeitroman zu solchen naturalistischen „Kühnheiten“ schritt -- in der Erzählung die Namen von Berliner Straßen und Plätzen zu erwähnen wagt. Ist doch dieser Romantiker, dieser Seher und Magier, einer der ersten, die überhaupt Berlin in die höhere Literatur eingeführt haben. Das scharf realistische Auge und die Neigung zur „Nachtseite der Natur“ teilt Heinrich v. +Kleist+ mit Hoffmann, so groß auch sonst die Gegensätze beider Begabungen sind. Freilich wäre es unrichtig, den Gegensatz -- wie es oft geschieht -- zu übertreiben. Gern schließt man Kleist aus dem romantischen Kreise aus und stellt ihn besonders zur Frühromantik in Gegensatz. Das ist falsch. Wenn metaphysisches Bedürfnis und das Bewußtsein dieses Bedürfnisses den Romantiker bezeichnet, so sind diese Züge Kleist mindestens ebenso eigen wie Hoffmann. Nur keimen sie bei ihm aus anderen Voraussetzungen. Das entscheidende, Kleist auf das tiefste erschütternde Gedankenerlebnis war der Eindruck, den Kants erkenntnistheoretische Aufstellungen auf ihn machten; wichtigstes Zeugnis ist der Brief an seine Braut Wilhelmine v. Zenge vom 22. März 1801. Einigermaßen mit frühromantischen Thesen verwandt, wenn auch nicht aus romantischer Quelle geschöpft war die Lebensanschauung, die er „schon als Knabe“ sich angeeignet hat: daß wir einst nach dem Tode von der Stufe der Vervollkommnung, die wir auf diesem Sterne erreichten, auf einem anderen weiter fortschreiten würden. Nach und nach sei es ihm deshalb zur „Religion“ geworden, nie auf einen Augenblick hienieden still zu stehen und unaufhörlich einem höheren Grade von Bildung entgegenzugehen. Bildung schien ihm das einzige Ziel, das des Bestrebens, Wahrheit der einzige Reichtum, der des Besitzes würdig sei. Eben dieser Glaube, der Wahrheit teilhaftig zu werden, wurde ihm von Kant genommen. Er suchte, was er aus Kants Kritik herauslas, seiner Braut zu verdeutlichen: „Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, +sind+ grün -- und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so +ist+ die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr -- und alles Bestreben, ein Eigentum zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich“ (5, 204). Mit erschütternden Worten kündigt er an, wie diese Einsicht ihn tief in seinem heiligsten Innern verwundet habe: „Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr.“ Ein faustisches Erlebnis, dem Bescheid des Erdgeistes gleich wirkend, ward also auch Kleist durch Kant zuteil, und ganz faustisch gesteht er am 23. März 1801 der Schwester: „Mich ekelt vor allem, was Wissen heißt“ (ebenda S. 207). So tief und so schmerzvoll haben die Frühromantiker kaum die Folgerungen aus Kants Lehre verspürt. Dennoch sind sie auch ihnen Voraussetzung für ihr weiteres Denken und Ringen geworden. Mindestens bewährt sich bei Kleist wie bei ihnen das echt romantische Bedürfnis, das Absolute als begriffliche Wahrheit zu erfassen. Für Kleist aber ergibt sich aus dem Gedankenerlebnisse die Grundlage fast seiner ganzen späteren Dichtung. Einem Worte Goethes folgend, hat man an Kleists Dramen und Novellen im einzelnen nachzuweisen versucht, daß er auf Verwirrung des Gefühls ausgehe; und des weiteren ward festgestellt, daß er das verwirrte Gefühl wieder zur Klarheit führe. Nicht beachtet wurde, daß die Gefühlsverwirrung durchweg auf der Unsicherheit beruht, in die der Mensch durch die unlösbare Frage: „Was ist Wahrheit?“ versetzt wird. Das Thema von Kleists Dichtung könnte umschrieben werden: welche seelischen Konflikte erwachsen aus der Unmöglichkeit voller Erfassung der Wahrheit, welche ethischen Folgen hat die theoretische Beschränktheit des Menschen? Verstandesirrtümer werden zur Voraussetzung von sittlichen Krisen. Sinnestäuschung macht die Schroffensteiner zu Mördern ihrer Kinder. Alkmene weiß nicht, daß sie Jupiter in Amphitryons Gestalt umarmt hat, die Marquise von O... ahnt wirklich nicht, wer der Vater ihres Kindes ist, ja sie verkennt lange ihren eigenen Zustand. Kohlhaas hat irrige Anschauungen von dem Begriff des Rechtes. Penthesilea glaubt tatsächlich Achill besiegt zu haben. Der Graf von Strahl meint, der Traum habe ihm in Kunigunde seine künftige Braut gezeigt. Homburg wird durch die Ungewißheit, ob Sinnestäuschung oder wirkliches Erlebnis in der nächtlichen Krönung durch Natalie sich abgespielt hat, zu allen weiteren Verwickelungen getrieben. Ins Komische gewendet ist das Problem im „Zerbrochenen Krug“: Das Spiel mit der Wahrheit kann so lange hinausgesponnen werden, weil die Sinne des Menschen so unzuverlässig sind. „Wenn ihr euch totschlagt, ist es ein Versehen“: so klingt es höhnisch aus den Schroffensteinern (Vers 2705) uns entgegen. Solcher „Versehen“ ist Kleists Dichtung übervoll. Nur selten wird dies „Versehen“ unmöglich gemacht durch aufklärende Erhebung des Menschen über sich selbst. Der seelische Läuterungsprozeß, den der Prinz von Homburg durchläuft, läßt ihn über alles Irren und alle Fehlgriffe siegreich emporsteigen. Meist aber zieht die Klarheit, wenn sie sich endlich einstellt, nur die letzten Konsequenzen des tragischen Konflikts: Penthesilea tötet sich selbst, Kohlhaas besteigt gefaßt und innerlich gehoben das Schafott. Geläutert sind sie alle zuletzt wie Homburg, aber nur er braucht den Gewinn nicht mit dem Tode zu bezahlen. Eben weil menschliches Denken fehlgreift, ist volles Glück nur in dem idyllischen Zustand des Unbewußtseins möglich. Diese idyllische Phase kennzeichnet sich am deutlichsten in Käthchens unbeirrbarem Wesen. Das Bewußtwerden führt zum Mißverständnis, führt zur Gefühlsverwirrung. Alkmene und Penthesilea werden durch das helle Licht des Bewußtseins in Tragik hineingetrieben. Romantisch offenbart sich als letztes Ziel eine seelische Harmonie, die aus dem Bewußtsein emporkeimt, die alle irdischen Schwächen überwunden hat. Selbstverständlich führte der Gedanke von der Unsicherheit und dem Trug der menschlichen Sinne Kleist zum Studium der „Nachtseite“. Eben deshalb ist ihm Schubert so wichtig. Darum holt er sich aus Schuberts 13. Vorlesung über die Nachtseite der Naturwissenschaft den Stoff des „Käthchen“. Der Graf von Strahl ist wieder der Magnetiseur, Käthchen die Somnambule. Neben Schubert hat wahrscheinlich der Pneumatolog Jung-Stilling durch seinen Roman „Theobald oder die Schwärmer“ (1784 f.) und der Physiolog Johann Christian Reil durch seine „Rhapsodien über die Anwendung der psychischen Kurmethode auf Geisteszerrüttungen“ (1803) Kleist geholfen, sein somnambules Käthchen und den somnambulen Prinzen von Homburg zu gestalten. Gerade Reil belehrte ihn über Sinnesstörungen und befruchtete dadurch Kleists Denken, dem die Grenzen der Sinneserkenntnis durch Kant zum zentralen Thema geworden waren (vgl. S. Wukadinovic, Kleiststudien, Stuttgart und Berlin 1904, S. 150 ff., 186 ff.). 4. Das Lebensproblem in Drama und Roman. Kleists künstlerische Begabung war stark genug, um die fast übermäßige gedankliche Last seiner erkenntnistheoretischen Probleme zu tragen. Nicht wie andere Romantiker bricht er als Dramatiker unter der Aufgabe zusammen, das Leben zu deuten. Der Gegensatz, in dem das romantische Drama zu der Bühne steht, hat eine ganze Kette von Ursachen. Der Widerspruch, in dem man von Anfang an zu den Bühnenbeherrschern der Zeit, zunächst zu Kotzebue, sich fühlte, erschwerte sicherlich ein bescheidenes Anknüpfen an das bestehende Theater. Wer wie Tieck im „Gestiefelten Kater“, in der „Verkehrten Welt“ und im „Zerbino“ mit geistreichem Spott die mehr oder minder notwendigen Anpassungsversuche übergossen hat, die der Bühnenkonvention zuliebe von gewandten Theaterleuten zugelassen werden, der hat es sich nicht leicht gemacht, ein bühnenfähiges Stück zu schreiben, wenn er einmal nicht bloß zerstören, sondern selber bauen will. Die Romantiker von Tiecks Art haben zu lange in der Opposition gesessen, um die Regierung auf dem Theater mit Erfolg zu übernehmen. Noch wesentlich erschwert wurde ihnen die Aufgabe durch ihren Gegensatz zu Schillers Meisterdramen. Hier war wirkliche Kunst mit der Fähigkeit verknüpft, das bestehende Theater zu beherrschen. Wenn die Romantiker aufgaben, was ihnen an Schiller mißfiel, so boten ihre Lieblingsdramatiker Shakespeare und Calderon wohl Mittel, das Aufgegebene zu ersetzen. Mindestens hat Grillparzer gezeigt, wie aus spanischer Dramatik ein bühnengerechtes Kunstwerk deutscher Zunge Anregungen ziehen kann, die über Schiller hinausführen, Otto Ludwig aber scharfen Auges die Vorteile erforscht, die dem modernen Dramatiker durch das Studium Shakespeares sich ergeben, wenn er von vornherein festhält, was Schiller von Shakespeare trennt. Den romantischen Dramatikern aber ging weder an Shakespeare noch an Calderon die Bühnenkunst auf, die Schiller von Anfang an angeboren war. Schiller hatte in seiner Jugend genial herausgefühlt, später mit vollem Bewußtsein aus dem Studium antiker Dramatik und alter wie neuerer Theorie erschlossen, daß die tragische Form dank der eigentümlichen Bedingungen bühnengemäßer mimischer Darstellung auf einem scharf umgrenzten, von Anfang an genau berechneten Zusammenhang von gegensätzlichen Tatsachen beruhe. Der antithetische Grundzug von Schillers Denken deutete von vornherein auf dieses Ziel. Wenn irgendwo, so war in der Tragödie ein freies Schweifen, eine lässige Hingabe an den Stoff, ein liebevolles Ausmalen so lange verfehlt, als die strenge gerade Linie, die zu dem Konflikte führt, noch nicht von dem Dichter gezogen war. Der bezaubernde und betörende Reichtum Shakespearescher Kunst hatte gleich bei den ersten starken Wirkungen, die sie nach 1760 ausübte, Shakespeares wunderbare Kraft der Wiedergabe des Lebens bedeutsamer erscheinen lassen als seine Kunst, wirklich tragische Situationen zu schaffen. Darum durfte Lessing in der „Hamburgischen Dramaturgie“ (St. 38) sich auf die Worte des Aristoteles berufen, daß die σύνθεσις oder σύστασις τῶν πραγμάτων Hauptsache für den Tragiker sei (Poetik, Kap. 6). Schiller fand denn auch in der Bemerkung des Aristoteles, daß bei der Tragödie auf die Verknüpfung der Begebenheiten alles ankomme, den Nagel auf den Kopf getroffen (an Goethe 5. Mai 1797). Trotz Lessing glaubte die Mehrheit der Stürmer und Dränger, vor allem Goethe in seinem „Götz von Berlichingen“, trotz Schiller meinten die Romantiker, daß in dem Kolorit und nicht in der exakten Linienführung das Geheimnis der tragischen Dichtung liege. Das Kolorit reich auszugestalten wurden die Romantiker von Calderon vielleicht noch mehr als von Shakespeare angeleitet. Der Vorbericht, mit dem Tieck 1828 seine Dramen einführt (1, XXVI ff.), offenbart ganz unzweideutig, wie wichtig ihm der formale Schmuck war, den er ihnen lieh, wie wenig er sich daneben um den Aufbau tragischer Konflikte kümmerte. Wohl hatte die romantische Shakespeareforschung längst sich von den Fehlgriffen befreit, die kurz vor und auch unmittelbar nach der „Hamburgischen Dramaturgie“ in der Beurteilung und Ergründung der tragischen Form Shakespeares sich eingestellt hatten (vgl. M. Joachimi-Dege, Deutsche Shakespeare-Probleme im XVIII. Jahrhundert und im Zeitalter der Romantik, S. 158 ff.). Doch weil Fr. Schlegel und seine Gehilfen allzu fein das Problem anpackten, diente ihre Forschung nicht der lebendigen Bühne. Fr. Schlegels Zentrumstheorie, die Annahme eines „Mittelpunkts“, der jedes Shakespearesche Drama beherrsche, nützte der σύστασις τῶν πραγμάτων nicht, lehrte nicht, wie man Begebenheiten zu unlösbaren tragischen Konflikten verknüpfe. Vielmehr legte die Lehre den Romantikern nahe, eine gewiß künstlerische, Shakespeare in hohem Grade eigene Tönung des ganzen Dramas auf +eine+ Stimmung vor allem anderen anzustreben. Und ebensowenig konnte diese feinfühlige Theorie verhindern, daß die Romantik ihr Lieblingsproblem, die Darstellung und Ergründung des Lebensrätsels, zur Hauptsache auch in der Tragödie erhob. In den Wiener Vorlesungen von 1812 (2, 138) sagte Fr. Schlegel von Shakespeare: „Wäre Verstand, Scharfsinn und Tiefsinn der Beobachtung, insofern sie notwendig sind, das Leben charakteristisch aufzufassen, die erste unter allen Eigenschaften des Dichters, so würde in dieser schwerlich ein anderer sich ihm gleichstellen können.“ Die Dramen der Romantik stellen das Leben dar, ohne es mit der ganzen Schärfe von Shakespeares Auge zu sehen. Streng dramatische Form im Sinne des Aristoteles, Lessings oder Schillers war von vornherein ausgeschlossen. Denn die Forderung, daß romantische Poesie alle getrennten Gattungen der Poesie wieder vereinigen sollte, wurde gleich in Tiecks Dramen zu einer Hauptaufgabe. Seine Vorliebe für Dramen mit epischen Einlagen („Perikles“, Shakespeares „Wintermärchen“) und für den reichen lyrischen Schmuck des spanischen Bühnenstücks erleichterte ihm, diese Aufgabe zu erfüllen. Sehr richtig hat ferner Joh. Ranftl (L. Tiecks „Genoveva“, Graz 1899, S. 141 f.) herausgefühlt, daß Tieck trotz der äußerlich dramatischen Form episch denke, weil seine Dichtung ihm ein gelesenes Gedicht, nicht ein dargestelltes Theaterstück bedeute. Ranftl selber hat freilich auch das künstlerische Gesetz der „Genoveva“ herausgefunden (S. 149 ff.), indem er die Symmetrie des Aufbaues und die durchgehende Verwertung von Kontrastwirkungen aufzeigte. „Das scheinbar Verworrene entfaltet sich nach geheimen höheren Gesetzen.“ Doch von streng tragischer Architektonik kann natürlich trotzdem keine Rede sein. Vielmehr soll „der ganze Umkreis des Lebens“ (Tiecks Schriften 1, S. XXXIX) in diesen Kontrastwirkungen sich spiegeln; die Rätselfragen des menschlichen Daseins wollen auch in der Tragödie zur Erörterung kommen. Das romantische Denken spitzte sich -- wie wir gesehen haben -- von Anfang an auf das Problem zu, wie der Mensch zu diesem Leben ein Verhältnis finden könne. Seine letzte und höchste Lösung fand das Problem in Schleiermachers Versuch, das irdische Leben, die Endlichkeit, im Abglanz des Unendlichen zu sehen, im Endlichen das Unendliche zu lieben. Doch dieser romantisch-monistische Anlauf zu einer Aussöhnung mit der Welt blieb den Romantikern vielfach nur ein ideales Programm. Sie fühlten sich trotzdem in stetem Gegensatz zu dem Leben, das sich gegen ihre Zumutung wehrte, in Poesie umgesetzt zu werden. Obgleich sie mit Goethe so gern von „Lebenskunst“ sprachen, waren sie vielfach Lebensdilettanten. „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ wurden die romantische Bibel, soweit der Held der „falschen Tendenz“ huldigte, Poesie im Leben verwirklichen zu wollen; da er zuletzt diese Tendenz gegen Lebenskunst umtauschte, verwandelte sich den Romantikern Goethes Roman in einen „Candide gegen die Poesie“. Im tiefsten Innern verwandter war der romantischen Generation der Roman Tiecks, der, abermals ehe es zur theoretischen Feststellung kam, das proteische Wesen des Romantikers dichterisch erfaßte (s. oben S. 17 ff.), sein „William Lovell“ (1795/96). In diesem Buche fand Fr. Schlegel einen „Kampf der Prosa und der Poesie, wo die Prosa mit Füßen getreten wird und die Poesie über sich selbst den Hals bricht“ (Athen.-Fgm. 418). Ähnliche Schicksale wurden den Romantikern selber zuteil. „Lovell ist“, sagte Fr. Schlegel, „ein vollkommner Phantast in jedem guten und in jedem schlechten, in jedem schönen und in jedem häßlichen Sinne des Worts.“ Schillers Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung“ umschreibt das Wesen des Phantasten: er verläßt die Natur aus bloßer Willkür, um dem Eigensinne der Begierden und den Launen der Einbildungskraft desto ungebundener nachgeben zu können. „Aber eben darum, weil die Phantasterei keine Ausschweifung der Natur, sondern der Freiheit ist, also aus einer an sich achtungswürdigen Anlage entspringt, die ins Unendliche perfektibel ist, so führt sie auch zu einem unendlichen Fall in eine bodenlose Tiefe und kann nur in einer völligen Zerstörung sich endigen“ (Säkularausgabe 12, 263). Wirklich stimmt Schillers Definition genau zu dem Lebensgange Lovells; die Romantiker aber kamen in ihrem Leben den Wegen Lovells oft bedenklich nahe. Lovell ist Solipsist: „Die Wesen sind, weil wir sie dachten“; „Wir sind das Schicksal, das sie [die Welt] aufrecht hält“; „Die Tugend ist nur, weil ich selber bin, Ein Widerschein in meinem innern Sinn“; „Die Tugend ist nur, weil ich sie gedacht“ (6, 178). Solchem Solipsismus ist Novalis in den Spekulationen seiner Fragmente nicht immer mit Erfolg ausgewichen. Die unbegrenzte Macht, die er, von Fichte ausgehend, dem Willen des Menschen zuschrieb, zeigt, wie viel er mit Lovell gemein hatte. Mit Novalis urverwandt sind wiederum die „hohen Menschen“ Jean Pauls (s. oben S. 76). Jean Paul aber hat die Galerie problematischer Naturen jener Epoche um mehr als ein Bild bereichert. Roquairol im „Titan“ ist nächster Nachbar Lovells, ist eine so typische Gestalt, daß seine Züge noch bei Byron oder in Benjamin Constants „Adolphe“ (1816) sich nachweisen lassen. Tiecks Lovell und Jean Pauls problematische Naturen schreiten an der Spitze der langen Reihe romantischer Romanhelden, die in den Erlebnissen Wilhelm Meisters ihren Lebensdilettantismus bewähren. Goethes Eduard gesellt sich zu ihnen. Sie alle quälen sich mit der Frage nach dem Sinn des Daseins, nach den Mitteln, ein festes Verhältnis zu diesem Leben zu gewinnen. Und dennoch hat keiner die Kraft, sein Leben mit fester Hand zu formen; sie lassen sich treiben, sie scheinen von einem Verhängnis weitergeschoben zu werden. Zuerst bringen die „Wahlverwandtschaften“ das Gebot energischerer Lebensführung den Romantikern nahe. Arnims Graf Karl in der „Gräfin Dolores“ zeigt alsbald die festeren Züge des echten Edelmanns von altem Schrot und Korn. Doch noch Eichendorff läßt den Helden von „Ahnung und Gegenwart“ (1815) gut katholisch in völligem Verzicht auf das tätige Leben enden, weil er zwar selber zu ernst geworden ist, um die freie Ethik der ersten romantischen Romane anzuerkennen, den Weg aber nicht findet, auf dem sein Held das Leben als Sieger durchwandeln könnte. Nur in humorvollem Spotte war es Eichendorff gegeben, sich über die ältere romantische Ansicht zu erheben; und so dichtete er seinen „Taugenichts“ (1826). Dieselben Probleme des Lebens, die der romantische Roman nicht müde wird zu variieren -- Probleme, die noch Gottfried Kellers „Grünem Heinrich“ zugrunde liegen --, sie werden auch im romantischen Drama zur Hauptsache. Nur wurde diesem zum Hemmnis, was dem Roman einen reichen und fruchtbaren Boden schuf. Der romantische Roman ist ebenso vielgestaltig und interessant, wie das romantische Drama durch seine Abschilderung des Lebens an tragischer Kraft verliert. Die Romane, die dem Gefolge von Goethes „Lehrjahren“ angehören, erreichen ihr Vorbild nach der Seite architektonischer Abrundung freilich nicht. Hatte schon dieser Roman Goethes eine viel freiere Komposition als „Werther“ und „Wahlverwandtschaften“, so gestatteten sich die Romantiker doch noch ein weit unbekümmerteres Hin- und Herschlendern, wenn sie nicht gar „schöne Willkür“ zum Prinzip erhoben. Bei Jean Paul, der neben Goethe den romantischen Erziehungsroman am stärksten befruchtete, war strengere Erzählungstechnik vollends nicht zu lernen. Wohin aber mußte ein Drama geraten, das unwillkürlich und gewohnheitsmäßig in die Art solcher Erzählungskunst sich verlor? Von allen Problemen des Lebens, die da in Roman und Drama zur Erwägung kamen, bot nur eines Handhaben zu strengerer Beobachtung dramatischer Form: die Frage nach der Willensfreiheit des Menschen. Wenn auch in einseitigem und wenig rühmenswertem Sinne wurde denn auch das Schicksalsmotiv ein Mittel, die Romantiker an die bestehende Bühne zu gewöhnen. Ihre +Schicksalsdramen+ sind tatsächlich wirksame Theaterstücke. Die Schicksalstragödie ist eine der seltsamsten Wirkungen der Romantik; die Romantiker selbst haben sie verleugnet, eben weil in ihr ein starker nichtromantischer Einschuß sich zeigt. Sie verknüpft Schillersche Lehre mit romantischen Ideen und Formen; sie übertreibt da wie dort und endet in schlimmer äußerlicher Mache. Aber ihr erstes Produkt stammt von einem hochbegabten Dichter; und in Grillparzers „Ahnfrau“ nähert sie sich echter Kunst. Wie tief die Schicksalstragödie in der Romantik wurzelt, bezeugen Tiecks jugendliche Versuche „Der Abschied“ (1792) und „Karl von Berneck“ (1795). Der Fatalismus des jungen Tieck, der sich im „Blonden Eckbert“ noch stark kundgibt, seine Anschauung von der willenlosen Gebundenheit des Menschen, dessen Leben von einer rätselhaften Naturmacht geleitet wird, arbeitet bis ins einzelne den Dichtungen Z. Werners, Müllners, Houwalds vor. Der Gegensatz Tiecks zu der romantischen Philosophie, die das Licht des Geistes in die Natur, nicht die Gebundenheit der Natur in das Menschenleben hineintragen wollte (s. oben S. 137), zeigte sich in jenen Dramen noch stärker als in dem Märchen. Tieck wühlt mit wahrer Wollust im Grauenhaften, während die Schlegel, Novalis, Schleiermacher in ein freies Reich des Geistes hinaufführen wollen. Doch auch die kühnsten und gedankenfreiesten romantischen Denker waren der Gefahr ausgesetzt, willensschwach von den Verhältnissen sich führen zu lassen. Die strenge Ethik Kants war ihnen fremd, sie lauschten auf die Stimme der Natur, die in ihrem Inneren sprach, sie scheuten sich, gegen die Wünsche ihres Gefühlslebens aufzutreten, weil sie in ihm die Kundgebungen des Gesetzes ihrer eigenen Persönlichkeit sahen. Eben die Schwierigkeit, dieses Gesetz der eigenen Persönlichkeit zu erfassen, läßt die Romantiker oft wie willenlose Instinktmenschen erscheinen. Ricarda Huch hat (2, 131) ihnen vorgeworfen, daß sie das Leben nicht selbsttätig formen, wie der Künstler mit seinem Stoffe verfährt, daß sie nicht leben, sondern gelebt werden; und sie hat sich dabei auf ein Wort bezogen, das die Günderode gegen Bettina ausspielte: „Du dünkst mir der Lehm zu sein, den ein Gott bildend mit Füßen tritt.“ Überhaupt ist die romantische Weltanschauung weder ganz auf dem Standpunkte der Willensfreiheit noch auf dem der völligen Willensunfreiheit zu finden. Novalis scheint dem menschlichen Willen grenzenlose Macht zuzugestehen und dabei neigt er, gleich Fr. Schlegel und Schelling, zum Spinozismus. Die Schwierigkeit und die Möglichkeit des Problems, wie Spinozismus und Willensfreiheit im romantischen Denken sich verbinden konnten, berühren Fragmente von Novalis: „Die lutherische Lehre von der moralischen Nullität des freien Willens und dem ~servo arbitrio~ ist völlig einerlei mit der neuern entgegenlaufenden Lehre von der moralischen Notwendigkeit des freien Willens“ (3, 109). „Die Lehre von der Gnade und die Lehre vom freien Willen widersprechen sich gar nicht, wenn sie recht verstanden werden; beides gehört zu einem Ganzen und oft nezessitieren sie sich“ (3, 289); „Die Lehre vom ~servo arbitrio~ ist realistisch und spinozistisch. Ihr Gegensatz Vereinigung. Unmittelbare d. h. unbemerkbare, und mittelbare, d. h. objektive Einwirkung Gottes, Inspiration“ (3, 296). Die dunklen Andeutungen weisen durchaus auf eine Verbindung von Determinismus und Willensfreiheit. Ebenso heißt es im „Ofterdingen“ aus dem Munde Klingsohrs (4, 166 f.): „ein inniger Glaube an die menschliche Regierung des Schicksals“ (d. h. an die Regierung des Menschen durch ein menschlich geartetes, ihm innerlich verwandtes Schicksal) sei dem Dichter unentbehrlich, „weil er sich das Schicksal nicht anders vorstellen kann, wenn er reiflich darüber nachdenkt.“ Dann aber setzt Klingsohr hinzu, und wir spüren auch hier, daß Goethe ihm zum Modell gedient hat: „Wie weit entfernt ist diese heitere Gewißheit von jener ängstlichen Ungewißheit, von jener blinden Furcht des Aberglaubens. Und so ist auch die kühle, belebende Wärme eines dichterischen Gemüts gerade das Widerspiel von jener wilden Hitze eines kränklichen Herzens.“ Von Spinoza mächtig gepackt, hat auch Goethe sich vom Determinismus nicht zum Aberglauben treiben lassen. Novalis aber fragt wie Goethe, welche Verantwortung dem Menschen auch dann bleibt, wenn er den Determinismus anerkennt, und er sucht als Dichter den Punkt, von dem aus der dumpfe Wahnglaube der obengenannten Dichtungen Tiecks sich überwinden lasse, auch wenn ein „Schicksal“ in höherem Sinne vom Dichter nicht geleugnet wird. Das Problem der Willensfreiheit steht natürlich im Mittelpunkt der Spekulation des größten Ethikers der Romantik: +Schleiermacher+ hat es schon in einem jugendlichen Versuche erwogen. Wie Spinoza und Leibniz, Lessing und Hume, Goethe und Hegel verzichtete auch er auf völlige Wahlfreiheit. Sein Determinismus aber gewann feste Gestalt, ehe er Spinoza kannte, unabhängig auch von der Prädestinationslehre der Reformierten (Dilthey S. 139). Er ist überzeugt, daß ein moralisches Gefühlsleben, das unter der Voraussetzung freier Willkür steht, uns nur eine ganz chimärische Möglichkeit willkürlicher Entschließungen biete, während es zusammenhängende Arbeit an unserer Besserung unmöglich mache. Nur die Einsicht in die Gesetzmäßigkeit menschlicher Handlungen lehre eine Selbsttätigkeit kennen, die mit dem Wachstum des Charakters selbst wächst. In den „Monologen“ ist die Frage vom Gesichtswinkel der Weiterführung kantischer Ethik betrachtet, die sich dem Verfasser inzwischen ergeben hatte (s. oben S. 37 ff.). Der 4. Monolog erhärtet, daß es für den wahren Willen kein Schicksal gebe, ohne auf die deterministische Grundansicht zu verzichten. Schleiermacher hatte erkannt, daß jeder Mensch auf eigene Art die Menschheit in sich darstellen soll, in einer ihm allein eigenen Mischung ihrer Elemente. Bejahen und Gestalten der eigenen Individualität wird darum Aufgabe des Menschen. Und wenn der Mensch dies Ziel erreicht, dann kümmert es ihn nicht weiter, glücklich zu sein. Wer sein Lebtag dem Glücke nachjagt, wird zum Sklaven des Schicksals. Deshalb muß sich der Mensch von solchen Wünschen erst frei machen. Es gilt nur, die in uns lebendigen Kräfte zu freier, widerspruchsloser Entfaltung zu bringen, unserem Dasein den ganzen Wert zu geben, der in uns angelegt ist. „Bei dem Denken eines solchen Willens schwindet der Begriff des Schicksals.“ „Leid und Freude und was sonst die Welt als Wohl und Wehe bezeichnet, müssen mir gleich willkommen sein, weil jedes auf eigne Weise diesen Zweck erfüllt.“ Der Verzicht auf eudämonistische Wünsche wird so zu einer Voraussetzung der Freiheit. Eine strenge, trotz ihrem Gegensatz zu Kant rigorose Ethik! Die Durchführung des Gesetzes, das in jedes Menschen Brust schlummert, wird zu einer schweren und ernsten Aufgabe. In ihrer Durchführung bewährt der menschliche Geist seine Freiheit. Die moralische Notwendigkeit des freien Willens wird -- wie Novalis es sagt -- hier wirklich mit Determinismus eins. Solche Askese zu üben, so völlig auf das Glück zu verzichten, war einem großen Teile der romantischen Generation nicht gegeben. Vielleicht hatte Schleiermacher selbst die Endlichkeit zu schön erscheinen lassen, als daß man vor ihren Lockungen in sein Paradies des freien Willens hätte fliehen wollen. Wohl am wenigsten war Z. +Werners+ sophistische Natur geeignet, das Gebot Schleiermachers zu erfüllen. Werner war von Anfang an darauf aus, seine individuellen Neigungen in das stolze Gewand mystischer Prinzipien zu hüllen und in der Terminologie Hardenbergs seine Sinnlichkeit zu einer Religion umzustempeln. Abergläubisch genug, um sich täglich Orakel zu machen, um später seine ewige Seligkeit nach dem Regen oder Nichtregen eines Tages vorauszuberechnen, schielte er mit steter Furcht nach dem Schicksal, das ihm auflauerte. Ein dauerndes Schuldbewußtsein ließ ihn in jedem Vorgang die Ankündigung der kommenden Strafe ahnen. Dabei war Werner von allen Romantikern vielleicht die ausgesprochenste Bühnenbegabung. Ein Praktikus wie Iffland erkannte ebenso wie Goethe durch die verundeutlichende mystische Hülle seiner ersten Versuche, daß Werner das Theater zu beherrschen verstehe. Goethe war überzeugt, Werner sei berufen, Schillers Nachfolger zu werden, wenn er auf seine Schrullen verzichte. Noch Grillparzer hat die Ansicht geteilt. Da indes alle Versuche, Werner ins rechte Fahrwasser zu bringen, scheiterten, entschloß sich Goethe, ihm eine genau umschriebene Aufgabe zu stellen und ihm nicht nur streng einzuschärfen, daß er all sein verruchtes Zeug diesmal weglasse, sondern auch Thema, Behandlung, Personenzahl, Umfang bis ins kleinste zu bestimmen. Die Wirkung des Fluches sollte dargestellt werden. Augenscheinlich war Goethe bemüht, in seiner Aufgabe den dramaturgischen Prinzipien Schillers Ausdruck zu verleihen. Schiller meinte, seiner Überzeugung von der Notwendigkeit einer strengen tragischen Verknüpfung der Begebenheiten nach antikem Vorbild am besten durch Dichtungen gerecht zu werden, in denen die Motivierung auf einer schicksalsartigen Zwangssituation beruhte. Darum ertönt in seinen letzten Tragödien so gern das Wort Schicksal. Freilich war es ihm dabei nicht um einen einseitigen Determinismus, sondern um eine unverrückbare Motivierung zu tun. Trotzdem gelangte er auf der Suche nach einem Stoffe, der die Vorteile des „König Ödipus“ von Sophokles aufwiese, zuletzt zu den fatalistischen Motiven der „Braut von Messina“. Wenn nun Goethe in der Wirkung des Fluches die „Triebfeder der griechischen Tragödie“ erblickte und ihre dramatische Verwertung zu Werners Aufgabe machte, wollte er augenscheinlich Werner eben dahin stellen, wo Schiller zuletzt gestanden hatte. Werner indes nahm das Schicksal von vornherein weit äußerlicher und einseitiger als Schiller. Während Schiller das große, gigantische Schicksal darstellen wollte, das den Menschen erhebt, wenn es ihn zermalmt, während bei ihm -- streng kantisch -- die Willensfreiheit und Selbstbestimmung des Helden gerade in dem Augenblick sich bewähren sollte, da er physisch den äußeren Umständen erliegt, so zeichnete Werner im „Vierundzwanzigsten Februar“ Figuren, die -- wie man fein gesagt hat -- vom Schicksal magnetisiert sind wie Somnambule. Die Selbstbestimmung sinkt auf ein Nichts zusammen; dafür sind die Handlungen seiner Personen abhängig von Ort, Zeit und fluchbeladenen Requisiten. Außerhalb des Menschen steht eine tückische Macht, die in sein Leben hineinregiert und gegen die kein Widerstand fruchtet. Derselbe Aberglaube herrscht in den Nachbildungen des „Vierundzwanzigsten Februars“. An die Stelle einer beabsichtigten Schicksalstragödie tritt ein Zufallsdrama. „Wo ist der“, so tönt es noch aus Grillparzers „Ahnfrau“, „der sagen dürfe: So will ich’s, so sei’s gemacht! Unsre Taten sind nur Würfe In des Zufalls blinde Nacht.“ Dennoch bleibt unleugbar, daß die Schicksalsstücke, voran Werners „Vierundzwanzigster Februar“, mit der Bühne weit besser auskommen als die Mehrzahl der romantischen Dramen. Schillers dramatische Prinzipien, durch Goethe der Schicksalsdichtung zugeleitet, haben da gute Früchte getragen. Der Theatererfolg ließ denn auch nichts zu wünschen übrig. Gleich Tieck indes hat den inneren Zusammenhang Werners mit Schiller dem Schicksalsdramatiker verdacht, den er schlechtweg (Krit. Schriften 4, 158) zu Schillers „Nachtreter“ stempelt. Dabei gesteht er zu, daß Werner „mit großem Talent begabt“ war, daß er mindestens „gerade treffliche Naturanlagen genug hatte, um als ein glänzendes Meteor aufzusteigen“ (ebenda S. 214). Die gesamte Schicksalstragödie aber steht für Tieck „auf einem so sonderbaren Punkt roher Barbarei, daß sich in früheren Zeiten kaum etwas Ähnliches, selbst in Paris während der Revolution, auf dem Theater wenigstens nicht, gemeldet hat“ (S. 144). Es ist nachgerade zum Gemeinplatz geworden, den dramaturgischen Kritiker Tieck zum Gegenpol des Dichters Tieck zu machen. Tatsächlich verwirft Tieck in seiner Ablehnung der Schicksalsdramatik die verwandten Versuche seiner Jugend. Freilich ist er nicht unmittelbar für die Schicksalstragödie des 19. Jahrhunderts verantwortlich. Denn eben diese Jugendversuche haben auf die Schicksalstragödie der Werner, Müllner, Houwald usw. kaum gewirkt. Die Quellen der Schicksalstragödie sind Schillers Vorbild, Goethes Wunsch und Werners Temperament. Tieck gewann durch diesen Zusammenhang ein gewisses Recht, ebenso wie Börne und Platen die Schicksalstragödie zu verurteilen. Schon der Eingang der Erzählung „Schicksal“ (1795; 14, 3 f.) spricht sehr rationalistisch von Schicksal und Zufall. Zwei Jahrzehnte später, im Prolog zum „Fortunat“ (1816), scherzt Tieck über Fortuna und ihren Diener, den „Zufall“. Fortuna wird von sechs Klägern beschuldigt, sie in Unglück gestürzt zu haben. Sie kann nachweisen, daß jeder aus freiem Entschlusse ihre Gaben schlecht benutzt hat. Dem „Zufall“ hält der aufgeklärte Sekretär entgegen, daß für den vernünftigen Menschen es gar keinen Zufall gebe. Er aber wirft die Tische um, daß alle Skripturen in einem schwarzen Meer von Tinte ersaufen... Dieser Prolog ist wohl das erste öffentliche Bekenntnis, das Tieck gegen die Schicksalstragödie abgegeben hat. Er entstammt einer Zeit, in der Tieck noch völlig im romantischen Sinne dramatisch formt, und steht an der Spitze einer Dichtung, die von Bühnengeschick wenig verrät; einer Dichtung, der wichtiger als alle dramatische Formung die Frage nach dem Sinn und nach der Führung des menschlichen Lebens ist. Auch Z. Werners mystische Schrullen, „all sein verruchtes Zeug“, wurzeln zuletzt in dem allgemein romantischen Wunsche, in der Tragödie Daseinsprobleme zu beantworten. Auch er will die Bühne zur Kanzel machen, um seine „Religion“ predigen zu können. Den Iffland und Goethe erschien er nur darum bühnenfähiger als die große Mehrheit seiner romantischen Genossen, weil er auf den Versuch verzichtete, im Rahmen eines Theaterstückes das Leben so breit und so impressionistisch wiederzugeben, wie es im Roman geschieht. Tiecks „Genoveva“ und „Oktavian“ zeigen dagegen die Neigung, Andeutungen ihrer Quellen zu ausführlichen, dramatisch zwecklosen und das Fortschreiten der Handlung hemmenden Bildern des Lebens auszugestalten. Sein „Fortunat“ ist vollends ein in halb dramatische Form umgesetzter Roman der romantischen Wilhelm Meister-Reihe. Auch hier ziehen Jünglinge, falscher Tendenzen voll, ins Leben hinaus und erleiden, weil sie Lebensdilettanten sind, immer wieder Schiffbruch; zwar Vater Fortunat ringt sich zuletzt zu einer Art Lebenskunst empor, sein Sohn Andalosia aber kann nicht verzichten, er bleibt der ruhe- und endlos Begehrende, Suchende, sich Sehnende und geht zugrunde. Das Leben selber soll hier wie -- um noch ein Beispiel zu nennen -- in Arnims „Halle und Jerusalem“ (1811) seinen Reichtum vor uns ausbreiten. Cardenio, der Held des zweiteiligen Stückes, dessen Stoff Arnim von Andreas Gryphius übernahm, ist abermals ein Zwillingsbruder der typischen romantischen Romanhelden, die beiden Frauengestalten, zwischen die er gestellt ist, Olympia und Celinde, finden ihr Ebenbild in ähnlichen gegensätzlichen Paaren der erzählenden Erziehungsdichtungen. Was Cardenio erlebt, erwächst aus den Hemmnissen, auf die eine geniale Natur trifft, wenn sie das Leben nach ihrem Sinn gestalten will. Der Gegensatz zur Welt, zu ihrer Falschheit und ihrer Konvention, treibt ihn zu tragischen Verwickelungen. Und auch dieses Stück spottet jeglicher Bühnenmöglichkeit, schlägt den freien Gang eines Romans ein und bedient sich lediglich, um den Anschein dramatischer Bewegung zu wahren, der Monolog- und Dialogform. Sogar die eingelegte Lyrik weist auf die „Lehrjahre“ und ihre Nachfolge hin. Wie wenig die Generation der Zeit die Erfordernisse dramatischer Technik ahnte, beweist Jakob Grimm, der am 22. Januar 1811 Arnim brieflich bestätigte, er habe an „Halle und Jerusalem“ lebhaft erkannt, daß Arnim bestimmt ein dramatisches Talent sei, und gleichzeitig aus dem „Käthchen von Heilbronn“ die Überzeugung gewonnen, „daß der Heinrich Kleist weiter kein Schauspiel mehr schreiben sollte“. Von dramatischem Talente im Sinne der σύστασις τῶν πραγμάτων kann bei Arnim keine Rede sein. Wie sollte auch zu der Prägnanz der Bühnenform ein Dichter gelangen, der nach Brentanos scharfem, aber richtigem Wort seine Poesie „allzusehr wie Wildfleisch wachsen ließ“. Dramatisches Leben in einer einzelnen Szene zu erwecken glückt ihm wohl; und mit wunderbar feinem und tiefblickendem Auge ist dem Leben da und dort in seinen Dramen -- wie in seinen Novellen und Romanen -- sein Intimstes abgelauscht. Die Kunst des jungen Goethe und einzelner seiner Sturm- und Dranggefährten, vor allem Lenzens, die Kunst, durch die der Anfänger Gerhart Hauptmann sich den besten Teil seines Publikums gewonnen hat, waltet auch bei Arnim: den Gestalten, die im dramatischen Zusammenhang vielleicht nie ganz ihrer Aufgabe gerecht werden, Stimmungsmomente und Worte zu leihen, die in gleicher Weise nie vorher dargestellt worden sind und doch wie Offenbarungen ewig wiederkehrender Regungen der Menschenbrust uns berühren. Nur fragt der Leser mehr als einmal erstaunt, was diese Tiefblicke an der Stelle des Dramas sollen, an die Arnim sie hingestellt hat. Den romantischen theaterwidrigen Bemühungen gegenüber ist es schon ein Vorzug, wenn Fouqué um seinen „Helden des Nordens“ (1810) nachträglich -- am Schlusse des zweiten Teiles -- ein einigendes Band schlingt und die Sigurdsage zu einer einzigen Kette von Schuld und Sühne macht; Gudruna eröffnet diesen zusammenfassenden Blick (Ausgewählte Werke 2, 180): Wir war’n die Opfer, und wir wußten’s nicht. Nun liegen die, nun ist durch mich geschehn, Was nötig war; bald folg’ ich ihnen nach. Bist du blödsichtig? Oder siehst du nicht Aus Sigurds Totenfei’r den blut’gen Strahl Loswinden sich, in unzerreißbar’n Kreisen Verblendend und umwindend all den Stamm, Durch dessen Frevel er, der Held, erlag? Solch eine Tat wird nicht so leicht gebüßt. Die will auch den Schuldlosern, rechtet fort, So lang’ ein Kind, ein Weib der Frevler lebt, Und nur Ausrottung heißt ihr endlich Ziel. Das ganze Leben und den Tod des Helden oder der Heldin darzustellen, reizte die Romantiker spanische Dramatik noch mehr als Shakespeares Königsdramen. „Leben und Tod der heiligen Genoveva“ heißt Tiecks Stück; er dramatisiert sogar „Leben und Tod des kleinen Rotkäppchens“ (1800). Fouqué bedient sich einmal des Titels „Historie vom edlen Ritter Galmy und einer schönen Herzogin aus Bretagne“ (1806). Durchaus wird da alte erzählende Überlieferung in eine dramatische Form umgesetzt, der das Epische äußerlich und innerlich unverkennbar anhaftet. Dieses Weiterdichten alter Epik deutet um so mehr auf eine völlige Verkennung des Ethos der Tragödie, da man aus archaistischem Interesse und aus religiöser Verehrung des alten Stoffes sich wohl hütete, energisch ordnend einzugreifen. Fouqués Umdichtung der Sigurdsage kann da ebenso als Beleg dienen wie die Mehrzahl der nordischen Dichtungen Oehlenschlägers, der seinerseits in seinem „Aladdin“ (1808) das Lebensproblem im Sinne des „Wilhelm Meister“ auf die Bühne bringt und in dramatisierten Lehrjahren sich versucht. Eine Dichtung von der Art der „Genoveva“ kommt aus gleichem Grunde mit streng dramatischer Führung in Konflikt. Die romantisch-mittelalterliche, religiöse Stimmung auszuwirken, wird Tieck und vielen seiner Nachfolger wichtiger als alle Form. Sehr fein beobachtete Solger, wie durch dieses Streben etwas Absichtliches und Gewolltes in die „Genoveva“ kommt, das die künstlerische Wirkung beschränkt Er behauptet mit Recht in seinem Briefe an Tieck vom 23. November 1816 (Schriften und Briefwechsel 1, 465 f.), daß damals die religiöse Sinnesart nicht ganz Tiecks „gegenwärtiger Zustand“, daß er vielmehr nur von tiefer Sehnsucht nach dieser Sinnesart erfüllt gewesen sei. „Das äußert sich auch in der Form, welche überall von Erzählung eingeschlossen ist, und worin auch das Dramatische sich zu sehr voneinander löst. Die Form ist doch nie zufällig; hier haben Sie uns mit Absicht in die Einfalt und Liebe alter Zeiten versetzen wollen; und gewiß, Sie würden uns die Zustände derselben nicht so deutlich vorgestellt und ausgesprochen haben, wäre dies nicht durch einen Gegensatz gegen etwas anderes geschehen, wodurch das Bewußtsein in sich uneins gemacht und zu Reflexion veranlaßt wird... Die Charakteristik sowohl einzelner Personen als des ganzen Zeitalters scheint mir oft absichtlich.“ Wie wenig auch der Dramaturg Tieck befähigt war, den tieferen Sinn der σύστασις τῶν πραγμάτων zu erfassen, wie wenig er den Begriff einer genau berechneten, scharf umgrenzten Verknüpfung der dramatischen Handlung im Sinne Schillers begriff, das erhellt aus den Wendungen, die er selbst gebraucht, wenn er sichere Bühnentechnik umschreibt: er rühmt Schröder nach, daß er Charaktere und Sachen trefflich und meisterhaft zu entwickeln und vorzubereiten, die Handlung in jeder Szene und Rede fortschreiten zu lassen verstehe (Krit. Schriften 4, 200). Genau die gleichen Ausdrücke werden wenige Seiten (S. 203) später auf Schillers Jugenddramen angewendet, die Tieck sehr hoch schätzt und denen er „eine Fülle echten dramatischen Talentes“ nachrühmt, „jenes theatralischen Instinktes, der alles vor unseren Augen und der Phantasie in Leben und Tätigkeit setzt“. „In jeder Rede schreitet die Handlung vor, jede Frage und Antwort gibt Theaterspiel, die Spannung steigt, alles, was hinter dem Theater und in den Zwischenakten geschieht, belebt die sichtbar gemachte Gegenwart.“ In dem „Fortschreiten“, in dem „Lebendigwerden durch das Spiel“ erkennt er „Gaben, die dem Dichter mit der Geburt geschenkt sein müssen, indem er sie nicht erwerben, nur ausbilden kann“. Ohne Zweifel ist all das sehr fein beobachtet und trifft wichtige Eigenheiten dramatischer Begabung; aber nicht den Kernpunkt, nicht die Hauptsache. Und genauer hat sich Tieck über das Geheimnis der dramatischen Kunst nie ausgesprochen. An der Theaterfremdheit der romantischen Dramen trug zum Teil auch die Tatsache Schuld, daß die Romantiker sich Goethe ebenso nahe fühlten, wie sie Schiller fremd gegenüberstanden. Tieck hat später, nachdem er in seinen Dramen dauernd als Schüler von Goethes Romandichtung sich bewährt hatte, wohl erkannt, daß Goethes Tragödien keine eigentlichen Bühnenstücke seien (Krit. Schriften 4, 198 f.). „Goethes wunderbare Natur hätte wohl in seiner Poesie wenigstens ebensoviel aufopfern müssen, wenn er die theatralische Wirkung gefunden hätte, als er durch dieses Gelingen nur irgend gewinnen konnte.“ Der Theaterleiter Goethe hat freilich den Romantikern ihr bühnenfremdes Wesen aufs bitterste verdacht; am schlimmsten fuhr bei Goethe seltsamerweise Heinrich von Kleist. Goethes Brief an Kleist vom 1. Februar 1808 tadelt scharf angesichts der „Penthesilea“ die Neigung der Romantiker, auf ein Theater zu warten, das da kommen soll. „Ein Jude, der auf den Messias, ein Christ, der aufs neue Jerusalem, und ein Portugiese, der auf den Don Sebastian wartet, machen mir kein größeres Mißbehagen.“ Doch wenn der Weimarische Theaterintendant sich auch zu dem Glaubensbekenntnis seines Theaterdirektors bekannte, daß, wer recht zu wirken denke, auf das rechte Werkzeug halten müsse: als Dichter ist Goethe in den letzten Jahrzehnten seines Wirkens völlig auf den Platz getreten, den Tieck ihm anweist. Am 27. Juni 1810 gesteht er brieflich Kirms zu: „Ob ich aber, da ich so viel andere Dinge vorhabe, mich wieder zu theatralischen Arbeiten, wobei weder Freude, noch Genuß, noch Vorteil zu erwarten ist, wenden möchte, glaub’ ich schwerlich.“ Der Roman lockte ihn mehr als das Bühnenstück; dort durfte er seine Kunst frei walten lassen, hier sah er sich den beengenden und ihm nicht selbstverständlichen Gesetzen der Bühnenwirkung gegenüber. Und so fügte er begründend hinzu: „Ich ziehe jetzt den Roman allem andern vor, weil einen dabei alles begünstigt, was beim Theater dem Autor nur zum Nachteil gereicht.“ Entschloß er sich indes doch noch einmal, die dramatische Form zu wählen, so näherte er sich romantischem Brauche mehr als der Praxis Schillers. Einst in seiner Jugend war er als deutscher Shakespeare begrüßt worden. Dann hatte er das dramatische Feld allmählich an Schiller abgetreten. Als es ihm durchaus nicht glücken wollte, Schillers Demetrius zu vollenden, da mochte ihm ganz klar geworden sein, daß Schillers dramatische Begabung ein Element enthalte, das ihm selbst fehlte. Seine letzten dramatischen Arbeiten, Ausgeführtes und Fragmente, sind formal und inhaltlich romantisch gedacht. Der Reichtum der Formen und die Tiefe des Lebensgehalts entsprechen romantischer Neigung. Und so hat er denn im Abschluß des ersten und in der Ausführung des zweiten Teiles seines „+Faust+“ das Höchste geleistet, was aus dem undramatischen Programm des romantischen Dramas erwachsen konnte. In vielgestaltiger romantischer Form, Antikes und Neues bindend, ein unschätzbares Muster- und Meisterstück der progressiven Universalpoesie, entwickelt der „Faust“ die höchsten Daseinsprobleme, zeichnet er vor allem die Entwickelung des romantischen Sehnsuchtsmenschen, dem dauerndes Aufwärtsstreben eignet, der darum nie befriedigt sein kann und den das Ewig-Weibliche zum Unendlichen hinaufträgt. Dem Sturm und Drange der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts bleibt der Ruhmestitel, daß die mächtigste Dichtung deutscher Sprache und deutscher Nation ihm entkeimt. Die Romantik aber darf sich rühmen, daß in ihrem Sinne dies Werk zu Ende geführt worden ist. Ruht um des „Faust“ willen auf dem Sturm und Drange etwas wie der Glanz der aufgehenden Sonne, so tritt im Lichte der Faustdichtung Goethes die Romantik in die magische Beleuchtung des Gestirns, das am Ende seiner Tageslaufbahn angelangt ist. [Illustration] Namenregister. Alfred, Kg. der Angelsachsen 86. Aristoteles 147 f. Ariost 36. Aristophanes 127 bis 129. Arndt, E. M. 115. Arnim, L. A. v. 1 f. 102. 117 f. 121. 123-125. 140. 143. 151. 158 f. -- A. u. Brentano: „Des Knaben Wunderhorn“ 1. 123 bis 125. Aspasia 71. Baader, Franz 54. Bacon 34. Baudissin, Wolf Graf 95. Baumgarten, A. G. 21. Benz, R. 138. Bernhardi, A. F. 2. 112. Bettina 152. Böhme, Jakob 56 bis 58. 73. 76. 78. 85. 90 f. Böhmer, Auguste 76. Boisserée, S. u. M. 1. 100. Boucke, C. A. 17. 19. 52. Bouterweck, Fr. 27 f. Brahms, Joh. 110. Brentano, Klemens (s. auch Arnim) 1 f. 102. 107. 123-126. 129-133. 136. 140. 158. Brown 49 f. Bruno, Giordano 42. Brutus 73. Buffon 15. Burdach, K. 126. -- K. F. 139. Bürger, G. A. 4. 111. 123. Burke, Edmund 118. Büsching, J. G. G. 125. Byron 131. 150. Calderon 84. 94-97. 147 f. Carus, C. G. 102 f. 139. Cervantes 36. 95. 131. Chamisso, A. v. 137. 143. Chladni 49. Collin, H. J. v. 115. Constant, Benjamin 150. Dante 30. 36. 86. 95. 97. Dilthey, W. 3. 9 f. 38. 47. 154. Dürer, Albrecht 89 bis 91. 97. Edda 122. Eichendorff, Josef v. 115. 123. 129. 151. Erwin von Steinbach 1. 89. Fasch 103. Fester, R. 117. Fichte 3. 9-13. 18 bis 20. 23. 26. 31 bis 37. 39-41. 43. 50 f. 56. 64. 68 f. 73. 77. 88. 90. 116 f. Forster, J. G. 27. Fouqué, Fr. de la Motte- 2. 93. 138. 159. Frankl, L. A. 136. Friedrich, Kaspar David 102 f. Galvani 49. Garve, Chr. 27. Gellert, Chr. F. 133. Gentz, Fr. v. 118. Görres, J. J. 1. 94. 109. Goethe 1. 3. 7. 16 f. 19. 25. 27 f. 30. 35 f. 40 f. 44 f. 47. 50-53. 56. 58. 67. 69 f. 73 f. 90. 95 f. 98 f. 101 f. 108. 111. 123-126. 129 f. 134-137. 140. 145. 148-151. 153. 155. 157 f. 161 f. -- „Faust“ 7. 19. 71. 83. 135 f. 144. 162. -- „Märchen“ 137. -- „Wahlverwandtschaften“ 140. 150 f. -- „Weltseele“ 52 f. -- „Werther“ 7. 151. -- „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ 35. 69. 108. 130. 149-151. 158. Gozzi 97. 128. Grabbe, Chr. D. 129. Gries, J. D. 95. Grillparzer, F. 147. 152. 155 f. Grimm, Jakob 1. 92. 158. Grimm, Wilhelm 1. Günderode, Karoline von 152. Hagen, Fr. H. von der 94. 125. Hahnemann 50. Haller, A. v. 49. 55. Haller, Karl Ludwig von 118. Hamann, J. G. 3-5. 11 f. 15. Hardenberg, Friedrich v. s. Novalis. Hardenberg, Fürst 118. Hardenberg-Rostorf, K. G. A. v. 115. Hauptmann, Gerhart 158. Haym, R. 3. Hegel, G. W. F. 1. 3. 9. 18. 140. 153. Heine, H. 123. 125 f. 132-136. Heinse, W. 66 f. 89. 98. 103. Heinzel, R. 93. Hemsterhuis, F. 20 f. 26. 56. 70. 99. Herder 1. 3-5. 10 bis 17. 27 f. 39 f. 44 f. 47. 51. 58. 88. 98 f. 103. Herrmann (Arminius) 90. Heydenreich, K. H. 128. Hoffmann, E. T. A. 1. 133. 138 f. 141 bis 143. Holbein, H., der jüngere 98. Holberg, L. 128. Hölty, L. 136. Houwald, E. v. 152. 156. Huch, Ricarda 6-8. 24 f. 152. Hülsen, A. L. 3. Humboldt, W. v. 1. 27. 29. Hume, D. 5 f. 153. Iffland, W. L. 128. 155. 157. Immermann, K. 132. Jacobi, F. H. 3. 8 bis 10. 13. 79. Jahn, F. L. 113. Jean Paul 36. 76. 109. 130-132. 141. 150 f. Joachimi-Dege, Marie 47. 60 f. 94. 148. Joël, K. 19. 106. Jonson, Ben 128 f. Juel, Jens 102. Jung-Stilling, J. H. 1. 80 f. 146. Kanne, J. A. 1. Kant, I. 3. 5 f. 10 bis 12. 18. 26. 28. 34. 39. 41. 49. 51. 66. 113. 128. 154. 156. Karl der Gr. 86. Karl, Erzherzog 115. Keller, Gottfried 143. 151. Keppler 90 f. Kerner, J. 50. 122. 129. 140. Kielmeyer, K. Fr. 14. 17. 51. Kircher, E. 47. Kleist, H. v. 1. 102. 114. 118. 129 f. 143-146. 158. 161. Klopstock 58. 90. 109. 112. 114. Koch, Erduin Julius 89. Körner, Chr. G. 28. 128. Körner, Theodor 115. Kotzebue, A. v. 128 f. 146. Kühn, Sophie v. 75. Lachmann, K. 92. Lamprecht, Karl 120. Laplace 49. Lavater 1. 13. Lavoisier 49. Leibniz 21. 34. 39. 56. 153. Lenau 136. Lenz, J. M. R. 2. 45. 158. Lessing 13. 45 f. 90. 95. 147 f. 153. Lochener, Stephan 101. Locke 21. Lope de Vega 97. Ludwig I., Kg. v. Bayern 133. Ludwig, Otto 143. 147. Luise, Königin 114. Luther, M. 73. 90 f. 153. Mesmer 50. 55. 139 f. Metternich, Fürst 118. Miller, J. M. 131. Mörike, E. 125. Moritz, K. Ph. 16. 44 f. 47. Möser, Johannes 1. Muhamed 73. Müller, Adam 19. 118 f. Müller, Friedrich (Maler) 1. 90. Müller, Johannes 115. Müller, Wilhelm 123. 125. Müllner, A. 152. 156. Musäus, J. K. A. 131. Napoleon I. 113. 116. Nibelungenlied 92. Nietzsche, Fr. 66. Nieuwentyt 15. Newton 15. Novalis 2 f. 14 f. 19 bis 22. 24-26. 34. 37. 47. 53-59 (Naturphilosophie). 60. 63-65. 72-81 (Religion). 86 bis 93. 100. 105 bis 107. 112. 114 bis 119. 121 f. 127. 134 f. 137-139. 141 f. 150. 152 f. 155. -- „Die Christenheit oder Europa“ 77-80. 86 f. 90. 100. 119. -- „Geistliche Lieder“ 74-77. 81. -- „Hyazinth und Rosenblütchen“ 24. 60. 65. 135. -- „Hymnen an die Nacht“ 75-77. 139 f. -- „Ofterdingen“ 135. 138. 153. Oehlenschläger, Adam 159. Olshausen, W. 21. 35. 48. Percy 123. „Perikles, Prinz v. Tyrus“ 149. Pheidias 28. Philon 56. Pindar 35. Platen, A. Grf. v. 129. 157. Plato 11. 17. 23. 56 f. 70. Plotin 23. 56. Poggel, Kaspar 112. Poetzsch, A. 12. Priestley 49. Pückler-Muskau, Grf. 132. Raffael 98. 100 f. Ranftl, Joh. 149. Reichardt, J. F. 103. 113. Reil, Joh. Christ. 146. Ritter, J. W. 15. 54. 139 f. Rousseau 7. 9. 26. 28. 71. Rubens, P. P. 89. Rückert, F. 126. Ruisdael 103. Runge, Phil. Otto 102. Sachs, Hans 91. Schelling 1. 9. 14 bis 17. 19. 21 f. 25 f. 37. 39. -- Sch. u. die Romantiker 40 bis 48. -- Schs. Naturphilosophie 48-53. 59-61. 64. 72. 78-80. 101 bis 103. 105. 112. 122. 127. 135. 137 f. 140. 152. -- „Heinz Widerporst“ 79 f. Schenkendorf, Max von 115. Scherer, Wilhelm 1. 90. 93. Schiller 1. 5. 26-31. 33. 39 f. 58. 60. 66 f. 71. 77. 85 f. 89. 91. 95. 100. 128 f. 147 f. 150. 152-157. 160 bis 162. Schlegel, Caroline 94. 98. 112. Schlegel, Dorothea 71 f. Schlegel, Friedrich 1 bis 6. 8. 10. 13-15. 17-19. 21-25. 25 bis 31 (Klassizistische Anfänge). 31-37 (Bekenntnis zum Romantischen). 44-48 (Organismusgedanke). 53 f. 57-59. 59-65 (Dritte Stufe seiner Theorie). 66-72 (Ethik). 77-79. 80 bis 87 (Spätere historische Konstruktionen). 87 f. 90-92. 95-97. 99 bis 102. 105. 108. 112-115. 118-120 (Politik). 121 bis 123. 125-130. 132. 142. 148-150. 152. -- „Alarkos“ 82 f. -- „Lucinde“ 59. 65. 69 f. 131. Schlegel, Joh. Elias 95. 138. Schlegel, Wilhelm 2 bis 4. 12-14. 22. 26. 35. 59. 61. 71. 75 f. 90-100. 108. 111-115. 121 bis 123. 126. 128 f. 152. Schleiermacher 1. 3. 8-10. 12 f. 18. 23. 26. 37-39. 43 f. 46 f. 59-61. 63 f. 67-70. 72-75. 77. 121 f. 142. 149. 152-154. Schönbach, A. E. 59. Schopenhauer 6. 46. 105 f. Schröder, F. L. 160. Schubert, G. H. v. 139-141. 146. Schultze, Friedrich 118. Schwind, Moritz v. 90. Shaftesbury 11 f. 17. Shakespeare 13. 30. 36. 45. 84. 94-97. 128. 147 f. 159. 162. Simon, H. 48. Smith, Adam 118. Smollet 131. Sokrates 5. 32. 71. Solger, F. 160. Sophokles 28. 155. Spee, Friedrich 136. Spenlé, E. 47. 55. Spinoza 14. 37. 40. 42. 56. 58. 82. 152 f. Staël, Mme. de 112. Steffens, H. 48. 138 f. Steig, Reinhold 118. Stein, Freiherr v. 1. Sterne, L. 36. 131 bis 133. Thümmel, M. A. v. 131. Tieck, Dorothea 95. Tieck, Ludwig 1 f. 12. 18. 56. 58 f. 72 bis 74. 79. 87-92. 94-96. 99 f. 103. 106-112. 123. 127 f. 134. 137 bis 139. 146-150. 152 f. 157. 159 bis 161. -- „Fortunat“ 157. -- „Sternbald“ 69. 107 f. 110. -- „William Lovell“ 18. 149 f. Uhland 93. 121 f. 129. Volta 49. Wackenroder 1. 12. 72. 87-93 (Altdeutsches). 97 bis 103 (Malerei). 103 bis 106 (Musik). 114. 123. Werner, A. G. 138. Werner, Z. 152-157. Wieland 71. 123. 131. Winckelmann 13. 26 f. 90. 99. 101. Windelband, W. 12. Wodan 90. Wolff, Chr. 5. Wukadinovic, Sp. 146. Zinzendorf 74. 78. Sachregister. Absolutes 17. 22-24. 39. 42. 65. 144. Agrariertum 117 bis 119. Alphorn 107. 124. Altdeutsches 1. 13. 85-94. 123-125. Antike 26-31. 36. 70 f. 74 f. 81 f. 84 bis 87. 93. 95 f. 98 f. ~Audition colorée~ 108. Baukunst 1. 86. Befreiungskriege 112-118. Berlin 143. Bergmannsleben 138. Bewußt und unbewußt 4-10. 36. 40-42. 138-146. Bibel 72 f. 78. Bildlichkeit 59. 108 f. Bildung 11. 113. 144. Christus, Christentum 73-75. 93. Deutschland, Junges 120. 131. Deutschtum 89-91. 113-117. Dresden 98. 143. Dualismus 18. 41. 51. 64. 141 f. Ehe 67-70. Ekstase 21. 56. 106. 142. Enthusiasmus 25. Erdlebenbildkunst 103. Ethik 10-12. 17 f. 38 f. 59. 65-72. Frauenfrage 67. 70 bis 72. Frühromantik und jüngere Romantik 1-3. 121-162. Galvanismus 49 f. 51. 54 f. Galvanismus des Geistes 54 f. Gasel 126. Gefühl s. Bewußt und unbewußt. Genie 1. 36. 41. 64. 85. 106. Germanistik 91-94. Goldenes Zeitalter 26 f. Hanswurst 128. Harmonie, Seelische 6. 10 f. 17 f. 27 f. 30 f. 34. 71. 80. 84 bis 87. 119. 141. 146. Homöopathie 50. Identitätssystem 42 f. Illusionszerstörung, Stimmungsbrechung 35. 127-134. Indien 81-83. 121. 126. Individualität, Persönlichkeit 1. 12. 38 f. 43 f. 64. 66. 88. 113. 115. 117. Intellektuelle Anschauung 19 f. 31 f. 35. 55 f. 69. 88. Ironie, Romantische 19 f. 24. 32-34. 80. 127-130 (Drama). 130-134 (Roman u. Lyrik). 137. Irritabilität 49. 51. 55. Jesuiten 78. Katholizismus 77 f. 80. 83-87. 99 bis 101. 119 f. Klassisch s. Antike u. Romantisch. Kollektivismus siehe Soziales. Komödie 128-130. 137. Kosmopolitismus d. Romantik 113. 117. 120. Kunst 1. 7. 86 f. 97 bis 103. ~L’art pour l’art~ 25. Lebenskunst, Lebensproblem 25 f. 146 bis 162. Liebe 23 f. 60-65. 70. 77. 83 f. 162. Lyrik 109-112. 114 f. 122-126. 130. Magie 17. 19-21. 48. 55. 137. 139. Magischer Idealismus 21. 55. 139. Magnet, Magnetismus 41 f. 87. -- Animalischer Magnetismus 50. 55. 139-141. 146. Malerei 86 f. 97 bis 103. Märchen 137-139. Metaphysisches Bedürfnis 3. 5 f. 9 f. 23 f. 33. 46. 143 f. Metrik 111 f. Minnesang 89. 91 f. 94. 111. 136. Mittelalter 1. 13. 78. 86-94. 159 f. Mittelpunkt s. Zentrum. Monismus 60. 64 f. 75. 142. 149. Musik 103-108. Mythologie, Neue 15. 58. 109. 135 f. Nachtseite der Natur 139-146. Naturphilosophie 14 f. 40 ff. 48-53 (Schelling). 53 bis 58 (Novalis u. Fr. Schlegel). 73. 78. 109. 127. 134. 137 bis 139. Naturwissenschaft d. 18. Jahrhunderts 48-50. Nazarenismus 101 f. Neuplatonismus 56. Organismus, Organisch 10. 15-17. 42. 44-47. 49 f. 64. 66. 86 f. 101 f. 136. Orient 58. 80-83. 92. Persien 126. Philister 66. 133. 142. Phlogiston 49. Poesie der Poesie 35 f. 59-65. Polarität 19. 41. 51. Politik, romantische 1. 78. 112-120. ~Prédilection d’artiste~ für katholische Kunst 100. Proteisches 17-19. 34. 149 f. Protestantismus 78. 100. Reaktion 112. 118 bis 120. Realismus 9. 14. 43 (philosophisch). 142 f. (ästhetisch). Reim 111 f. Religion 7-9. 12 f. 37-39. 43. 59. 71-81. 96. 119. 144. 157. 159 f. Revolution, Französische 113. 117 f. Roman 130-132. 149-151. 161. Romanisches (s. auch Spanien) 111 f. Romantisch (Definitionen) 29-37. 62. 80-87. 93. 121. R. und klassisch 81 f. 121. Schicksal u. Willensfreiheit 151-157. Schicksalstragödie 96. 151-158. Schlegelianismus d. Naturwissenschaften 48. 53-59. 135. Sehnsucht 17. 23-25. 29. 62 f. 65. 93. 122. 162. Sensibilität 49. 51. 55. Sentimentalisch 29. 62. Somnambulismus 55. 139 f. 146. Soziales 112-120. Spanien 83 f. 87. 95-97. 125 f. 159. Stimmungsbrechung s. Illusionszerstörung. Sturm und Drang 1-11. 36. 66 f. 88. 148. 158. 162. Σύνθεσις oder σύστασις τῶν πραγμάτων 147 f. 158. 160. Tod 74-76. Traum 139-141. Transzendentaler Idealismus 37. 41. 43. Transzendentalpoesie 35 f. 130. 134. Unendliches 22-24. 31. 33. 37-39. 43. 60-65. 75. 84. 93. 112. 122. 142. 149. 162. Universum 37-39. 42. 44. 46 f. 52. 59 bis 61. 65. 70 f. 74. Universalpoesie 31. 162. Vitalismus 40. 49 f. 55. Volkslieder u. Volksbücher 1. 13. 89. 117. 121-126. 136. Wald 138. Wasser 138. Willensfreiheit und Determinismus 151-157. Witz 34 f. 69. 133. Wunderliches und Wunderbares 143. Wünschelrute 139 f. Zentrum, Mittelpunkt 47. 57. 64. 148. [Illustration] Druck von B. G. Teubner in Dresden. Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin. Das Erlebnis und die Dichtung Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin Vier Aufsätze von =Wilhelm Dilthey=. [VI u. 455 S.] gr. 8. 1907. 2. erw. Aufl. Geh. M. 5.--, in Leinw. geb. M. 6.-- „... Dieses tiefe und schöne Buch gewährt einen starken Reiz, Diltheys feinfühlig wägende und leitende Hand das künstlerische Fazit so außerordentlicher Phänomene im unmittelbaren Anschluß an die knappe, großlinige Darstellung ihres Wesens und Lebens ziehen zu sehen. Hier, das fühlt man auf Schritt und Tritt, liegt auch wahrhaft inneres Erlebnis eines Mannes zugrunde, dessen eigene Geistesbeschaffenheit ihn zum nachschöpferischen Eindringen in die Welt unserer Dichter und Denker geradezu bestimmen mußte.... Was diesen auf einen Lebenszeitraum von 40 Jahren verteilten -- man wendet hier das Wort fast instinktiv an -- klassischen Aufsätzen ein ganz besonders edles Gepräge gibt, das ist der goldene Schimmer geistiger Jugendfrische, der sie verklärt, die lautere Verehrung unserer höchsten literarisch-künstlerischen Kulturwerke, der den Ausdruck überall durchzittert. Hier schreibt Ehrfurcht, und zwar lebendige Ehrfurcht, die sich den Geistern und ihrem Werk in liebendem Erkenntnisdrange hingibt und weiß, warum sie es tut.“ (=Das literarische Echo.=) Psychologie der Volksdichtung Von Dr. Otto Böckel. [VI u. 432 S.] gr. 8. 1906. Geh. M. 7.--, in Leinw. geb. M. 8.-- „Dies Buch ist so reichhaltig und dabei so übersichtlich klar geordnet und so schlicht anmutig ohne allen Gelehrtendünkel und vielsprachigen Ballast geschrieben, daß es sicherlich sehr viele mit Freude lesen werden. Und niemand wird es ohne Wissensbereicherung aus der Hand legen. Es hat doppelten Wert. Es bietet in seinem eigentlichen Texte eine großartig umfassende Abhandlung über das Wesen des Volksliedes, in seinen überaus zahlreichen Anmerkungen eine Bibliographie zum Thema und somit einen Wegweiser für jeden, der die empfangenen Anregungen in ein oder anderer Hinsicht zu gediegeneren Kenntnissen ausbauen will.“ (=Tägliche Rundschau.=) „Wie müßten doch Herder und Goethe, die Brüder Grimm und Uhland voll Freude und voll Dankes sein über dieses Buch, die reife Frucht eines dem Volkslied gewidmeten Lebenswerkes. Die Psyche des Volksliedes hat sich ihm in ihrer vollen Klarheit und Totalität eröffnet, und so kommt sie auch bei größtem Ernst der wissenschaftlichen Darstellung schön und unwiderstehlich in ihrer Macht durch das ganze Buch zum Ausdruck: zur Wirkung auf den Leser.“ (=Frankfurter Zeitung.=) Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin. Gottfried Keller =Sieben Vorlesungen= von Professor ~Dr.~ =Albert Köster=. 2. Auflage. Mit einer Reproduktion der Radierung Gottfried Kellers von +Stauffer+-Bern in Heliogravüre [VI u. 160 S.] gr. 8. 1907. In Leinwand geb. M. 3.20 „Wir besitzen eine große Anzahl von Biographien G. Kellers, aber keine, welche in so kurzer, anziehender Form so klar und deutlich den Kern von Kellers Leben und Werken darlegt, wie dies in den „sieben Vorlesungen“ geschieht, die K. hier in überarbeiteter Ausgabe zum zweiten Male in die Welt sendet. Man mag das Büchlein wo immer aufschlagen und zu lesen beginnen, so wird es fesseln durch die Tiefe der Auffassung, die sich bei K. mit der Gabe einer flüssigen und eindringlichen Darstellung paart.“ (=Allgemeines Literaturblatt.=) „Der Verfasser hat sich an den Ausspruch Gottfried Kellers gehalten, wonach das schlichteste Buch über einen Dichter meist auch das ehrlichste ist. Durch die schlichte und liebevolle, dabei mit klarem kritischen Blick geschaute Darlegung des Lebens- und künstlerischen Werdeganges des Dichters wird vor allem jenen, die Keller schon aus seinen Werken lieben gelernt haben, die dichterische, wie die aus so schweren Entwicklungskämpfen hervorgegangene menschliche Persönlichkeit näher gerückt werden; für manches in seinen Werken wird ihnen ein tieferes Verständnis aufgehen.“ (=Schwäbischer Merkur.=) Goethes Selbstzeugnisse über seine Stellung zur Religion u. zu religiös-kirchlich. Fragen In zeitlicher Folge zusammengestellt von ~D. Dr.~ =Theodor Vogel= 3. Auflage. Mit Buchschmuck von E. +Kuithon+ [IV u. 262 S.] gr. 8. 1903. Geh. M. 3.20, in Leinw. geb. M. 4.-- „Wem daran liegt, daß die wahre Einsicht in Goethes Wesen und Art, das echte und rechte Verständnis unseres Dichterfürsten immer mehr gewonnen und die Erkenntnis seiner Größe immer klarer, sicherer und inniger werde, der wird es mit lebhafter Freude begrüßen, daß die vorliegende Schrift in neuer Auflage erschienen ist.... Das gesamte geistige und soziale Leben unseres Volkes wird aus Vogels schönem Werke reichen Gewinn ziehen, namentlich aber ist der Freund und Verehrer Goethes dem Verfasser für seine mühevolle und selbstlose Arbeit zu wärmstem Danke verpflichtet.“ (=Otto Lyon i. d. Zeitschr. f. d. deutsch. Unterr.=) „Die Arbeit eines feinen Geistes und eines tiefen Gemütes ist ganz dazu geschaffen, manchem zur Aufklärung und zur Erbauung zu dienen.“ (=Der Türmer.=) „Es war mir ein Erbauungsbuch und wird es noch lange sein. Mehr kann man kaum von einem Buch sagen.“ (=Die Gesellschaft.=) Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin. „Aus Natur und Geisteswelt.“ Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen aus allen Gebieten des Wissens. Jeder Band (v. 120-180 Seiten) ist in sich abgeschlossen und einzeln käuflich. Jeder Band geh. M. 1.--, in Leinwand geb. M. 1.25. In der Sammlung sind u. a. erschienen: +Bruinier, J. W.+, das deutsche Volkslied. Über Wesen und Werden des deutschen Volksgesanges. 2. Auflage. (Nr. 7.) +Das Buchgewerbe+ und die Kultur. Sechs Vorträge gehalten im Auftrage des Deutschen Buchgewerbevereins. (Nr. 182.) +Hensel, P.+, Rousseau. Mit einem Bildnisse Rousseaus. (Nr. 180.) +Kahle, B.+, Henrik Ibsen, Björnstjerne Björnson und ihre Zeitgenossen. Mit 7 Bildnissen auf 4 Tafeln. (Nr. 193.) +Krebs, C.+, Haydn, Mozart, Beethoven. Mit vier Bildnissen auf Tafeln. (Nr. 92.) +Külpe, O.+, Immanuel Kant; Darstellung und Würdigung. Mit einem Bildnisse Kants. (Nr. 146.) +v. Negelein, J.+, germanische Mythologie. (Nr. 95.) +Paulsen, Fr.+, das deutsche Bildungswesen in seiner geschichtlichen Entwickelung. (Nr. 100.) +Sieper, E.+, Shakespeare und seine Zeit. Mit 3 Tafeln und 3 Textbildern. (Nr. 185.) +Uhl, W.+, Entstehung und Entwicklung unserer Muttersprache. Mit vielen Abbildungen im Text und auf Tafeln, sowie mit einer Karte. (Nr. 84.) +Unger, A. W.+, wie ein Buch entsteht. Mit 7 Tafeln und 26 Abbildungen im Text. (Nr. 175.) +Weise, O.+, Schrift- und Buchwesen in alter und neuer Zeit. 2. Aufl. Mit 37 Abbildungen. (Nr. 4.) +Witkowski, G.+, das deutsche Drama des neunzehnten Jahrhunderts. In seiner Entwicklung dargestellt. 2. Auflage. Mit einem Bildnis Hebbels. (Nr. 51.) +Ziegler, Th.+, Schiller. Mit dem Bildnis Schillers von Kügelgen in Heliogravüre. (Nr. 74.) Nähere Angaben über diese Bände siehe im Anhang. VERLAG VON B. G. TEUBNER IN LEIPZIG UND BERLIN. ELEMENTARGESETZE DER BILDENDEN KUNST GRUNDLAGEN EINER PRAKTISCHEN ÄSTHETIK VON HANS CORNELIUS Mit 240 Abbildungen im Text und auf 13 Tafeln [VIII u. 197 S.] gr. 8. 1908. Geh. M. 7.--, in Leinw. geb. M. 8.-- Arbeiten alle bildenden Künste für das Auge und beginnt alle Erkenntnis der Dinge durch dieses mit der Erkenntnis von +Raum und Form+, so muß die elementare +Aufgabe aller künstlerischen Gestaltung+ darin bestehen, dem Auge dasjenige zu +geben+, was für die Erkenntnis von Raum und Form +erforderlich+ ist und ihm +aus dem Wege zu räumen+, was solcher Erkenntnis +im Wege steht+. Die verschiedenen Forderungen, welche für die Lösung dieser Aufgabe zu erfüllen sind, werden in dem vorliegenden Buche in Anknüpfung an +Hildebrandsche+ Anschauungen systematisch entwickelt und an über 250 Beispielen und Gegenbeispielen aus allen Gebieten alter und neuer Kunst, aus Malerei und Graphik, Plastik und Architektur, insbesondere aber auch aus allen Zweigen kunstgewerblicher und kunstindustrieller Tätigkeit, erläutert. So wendet sich das Buch an Künstler, Kunstgewerbler und Kunstindustrielle, an jeden, der sich in der Praxis mit irgendwelchen künstlerischen Fragen auseinanderzusetzen hat, aber auch an jeden, der sich mit dem oberflächlichen Gefallenfinden an Werken der Kunst nicht begnügen, sondern sich der Gründe ablehnender oder zustimmender Empfindung bewußt werden möchte. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Deutsche Romantik - Eine Skizze" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.