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Title: Henriette, oder die schöne Sängerin - Eine Geschichte unserer Tage
Author: (Freimund Zuschauer ), Rellstab, Ludwig
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Henriette, oder die schöne Sängerin - Eine Geschichte unserer Tage" ***


made available by the HathiTrust Digital Library.)



  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1826 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche,
    altertümliche sowie inkonsistente Schreibweisen bleiben gegenüber
    dem Original unverändert. Passagen in französischer Sprache wurden
    dem Original entsprechend übernommen.

    Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden in deren Umschreibung
    dargestellt (Ae, Oe, Ue). Die Verwendung des ‚scharfen s‘ (ß)
    weicht vom heutigen Gebrauch teilweise deutlich ab; dennoch wurde
    die Schreibweise des Originals beibehalten, sofern der Sinn des
    Textes dadurch nicht verloren geht.

    Die im Abschnitt ‚Verbesserungen‘ am Ende des Buches angeführten
    Korrekturen wurden bereits in den Text eingearbeitet. Das
    Inhaltsverzeichnis wurde vom Bearbeiter erstellt.

    Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit
    den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

        gesperrt: ~Tilden~
        Antiqua:  _Unterstriche_


  ####################################################################



                              Henriette,

                                 oder

                         die schöne Sängerin.

                     Eine Geschichte unserer Tage

                                  von

                          Freimund Zuschauer.

                               Leipzig,
                           bei F. L. Herbig,

                                 1826.



Inhalt.


    1.  Die Abendgesellschaft.                                     1

    2.  Die Urtheile.                                              9

    3.  Kabale und Liebe.                                         20

    4.  Henriette.                                                33

    5.  Der Hanswurst. Der Recensent.                             39

    6.  Lord Monday. Die Arche Noah. Der Regenbogen. Das Duell.
        Die Ohnmacht.                                             50

    7.  Die ausgewetzte Scharte. Das Krankenzimmer.               63

    8.  Bekenntnisse.                                             69

    9.  Pläne für die Zukunft. Die Rechtfertigung.                81

    10. Die Epigrammatisten. Die Ausforderung.                    87

    11. Lord Mondays Vorschlag. Das Duell.                        96

    12. Die Landparthie.                                         109

    13. Die Wette. Die Ankommenden. Das Mittagsessen.            123

    14. Spiele auf der Wiese. Die Wasserfahrt.                   132

    15. Die Entdeckungen. Die Maskerade.                         143

    16. Trübe Wolken. Die verschmähten Liebhaber.                150

    17. Das Concert. Graf Klammheim. Absagebriefe.               161



1. Die Abendgesellschaft.


Die Oper war zu Ende. Doch der rauschende Beifall, der die Talente
der jungen Sängerin Henriette, die als neu engagirtes Mitglied zum
erstenmal aufgetreten war, anerkennend ehren sollte, schien kein Ende
nehmen zu wollen. Immer neu wiederholte sich das schallende Getöse
tausend bewegter Hände, und dazwischen tönte der unablässige Ruf
des Namens der Schönen. Endlich rollte der Vorhang wieder auf; die
Holdselige erschien in aller der Anmuth, durch die sie den ganzen Abend
über entzückt hatte. Gegen den Lärmen, der sich jetzt erhob, war das
vorige Getöse eine Todtenstille zu nennen. Jeder überließ sich dem
lautesten Ausbruch seines Entzückens. Die junge Sängerin allein kam
nicht zu Worte, und mußte mit stummen Verbeugungen zurücktreten; doch
ihre vor Freude glänzenden Blicke sagten deutlich, was sie empfand.
Allein fast noch deutlicher sprachen die Blicke sämmtlicher jungen
und alten Herren im Schauspiel; keiner, dem nicht der Liebesgott
spöttisch aus den Augen gesehen hätte. Sogar der alte Feldmarschall
von Rauwitsch, auf dessen unter Feldzügen ergrautem Haupt kaum noch
einiges Haar zu zählen war, sogar der schien noch im späten Alter von
einem Pfeil getroffen worden zu seyn, gegen den er sich vielleicht zu
sicher gepanzert glaubte. Denn nicht nur die Brust hatte er mit hartem
Erz gegen Amors Schüsse zu waffnen gesucht, nein, seine Vorsicht ging
weiter, sogar das Gesicht, die Nase nicht ausgeschlossen, hatte er mit
Bachus Hülfe, der in Kupfer besser zu arbeiten versteht, als Vulkan,
mit einem purpurartigen Ueberzug jenes röthlichen Metalles gedeckt.
Die Augen, um auch dort sicher zu seyn, hatte ihm derselbe gütige Gott
Bachus verglasen helfen. Doch Amor, der Alliance spottend, war dennoch
durchgedrungen; wie, das wissen die Götter; allein unbezweifelt war
es, denn der Adjutant hörte den Marschal im Heraustreten aus der Loge
sagen: „Drei Tage wollte ich keinen Pontac riechen, wenn ich einen Kuß
von dem kleinen Teufelskind dafür einhandeln könnte.“ Und einen höhern
Schwur that er nie. Aehnlich war es dem Major Kegelino ergangen, der,
auf dem Casino fast eingerostet, sich diesmal doch hatte überreden
lassen, die Parthie zu versäumen und die Oper zu verträumen. Denn
gehört hatte er wahrscheinlich nichts, so hatte die junge reizende
Sängerin ihn verblendet, ja betäubt. Als er in den Wagen stieg, rief er
dem Kutscher zu: „Nach dem K-- Theater“ aus dem er nämlich eben kam;
so beschäftigte ihn der Gedanke, die auf den folgenden Tag angesetzte
Wiederholung des Stücks ja nicht zu versäumen. Doch der Kutscher, der
wohl merkte, wie es mit dem Herrn stand, fuhr ihn in die L-- Straße vor
sein Haus, und hatte die Absicht des Majors richtig errathen.

Noch mehr als diese aber waren zwei Königliche Räthe, Hemmstoff
und Wicke, innige Freunde durch kunstverwandte Gesinnung und
theaternachbarliche Gewohnheit des Daseyns und des Klatschens, noch
mehr, sag ich, waren diese von der Wundererscheinung entzückt. Wicke
ließ sein schwärmerisches Auge noch einmal auf dem gefallenen Vorhang
weilen; dann sprach er: „Freund, was ist das Leben ohne Liebesglanz!
O wie versteh ich jetzt den zarten sinnigen Dichter!“ „Wahr, sehr
wahr!“ entgegnete Hemmstoff, und suchte vergeblich mit der Hand durch
das Scheitelhaar zu fahren; (denn die Sense der Zeit hatte ihm diese
stattliche Zierde abgemäht, und nur aus alter Gewohnheit machte er
noch diese Bewegung nachlässiger Eleganz) „wahr, sehr wahr spricht
der Dichter. O ich fühle einen verdammten Hunger. Essen wir unten in
der Restauration, oder wo anders?“ „Unten lieber,“ entgegnete Wicke
mit schmelzender Stimme, „denn es sind, wie ich höre, frische Austern
angekommen. Ach was ist die Liebe für ein süßes Ding!“ So schritten
die Freunde hinab in die Restauration. Nicht sie allein, sondern auch
viele andere junge Bewohner der Residenz fühlten sich durch die Oper
so angegriffen, daß sie der Hülfe des Restaurateurs bedurften. Alle
Tische besetzten sich schnell, und auch der, an welchem Hemmstoff
und Wicke Platz nahmen, füllte sich bald mit Bekannten verschiedenen
Alters und Standes. Neben unsren Freunden rechts saß ein schon
ältlicher französischer Abbe, der, ein wahrer Trost für Hemmstoff,
noch stärkeren Mondschein von seinem Scheitel herableuchten ließ,
als dieser. Der Abbe, nach Art der französischen Geistlichen, ein
jovialer freidenkender Mann, war durch die klösterliche Erziehung
den Freuden des Lebens keinesweges abgestorben, sondern liebte Wein,
Gesang und Austern über alles. Auch der dritte Artikel des Lutherischen
Katechismus schien ihm nicht unbekannt, viel weniger unangenehm zu
seyn. Das zeigte die Begeisterung, in die ihn die junge Sängerin
versetzt hatte. „_Ah mon Dieu qu’elle est belle_,“ rief er aus und
wandte sich zu Hemmstoff, „_conseiller, l’avez vous vu_?“ „_Quoi
donc, Monsieur L’abbé_,“ entgegnete der Rath. „_Quoi?_“ fuhr der Abbe
zurück, „_son porte bras delicieux, et quand elle se tourne--vous
m’entendez!--Garcon, une bouteille de Champagne_!“ „Mir auch,“ rief
der Rath. „Auf das Wohl der Sängerin!“ -- Indessen haben wir Muße,
den übrigen Theil der Gesellschaft zu betrachten. Der Nachbar des
Abbe war ein großer magerer Mann im blauen Frack mit einem Ordenkreuz
im Knopfloch. Sein graues, jedoch zierlich frisiertes Haar stach
wunderlich gegen das rothe, runzlige, in tausend Falten gekniffte
Gesicht ab, welches deutlich zeigte, daß der Inhaber schon über die
sechzig hinaus seyn müsse; allein er suchte sich noch immer wie ein
Elegant von fünfundzwanzigen zu betragen. Eine Doppel-Lorgnette
hatte er beständig um seinen Hals, ein Perspectiv in der Hand, und
die Crawatte saß ihm, wie einem Engländer, der aufs Continent reist,
und im Ausland für einen Gentlemann erster Classe gelten will. Man
titulirte ihn Obrist-Lieutenant. Er schien sich das Ansehen eines
sehr bedeutenden Mannes geben zu wollen, denn er sprach kurz und
undeutlich, als wenn er es eben nicht der Mühe werth halte, den
Fragenden verständlich zu antworten. Ein Glück war es daher, daß der
Regisseur des Theaters, ein junger liebenswürdiger Mann von gefälligem
Wesen, neben ihm saß. Denn natürlich ergingen alle Fragen in Betreff
der Sängerin an diesen, und der lange Ritter im blauen Frack konnte
schweigen so viel er wollte. Noch mehr aber schwieg ein junger Mann
von interessantem Aeussern, der am Ende des Tisches saß, seinen Wein
für sich trank, die übrigen Gäste nach der Reihe betrachtete, und
nicht unaufmerksam auf ihr Gespräch zu seyn schien, wiewohl er sich
nicht darein mischte. Er mußte nicht aus der Residenz gebürtig, und
wahrscheinlich auch erst seit kurzem anwesend seyn, denn kein einziger
der genannten Tischgäste, die sonst jedermann kannten, wußte, wer er
war. Und doch schien sein Aeußeres so viel zu versprechen, daß man es
der Mühe werth halten durfte, näher mit ihm bekannt zu werden.

Das Gespräch richtete sich natürlich auf den Gegenstand, der das
Entzücken des heutigen Abends gewesen war. Alle waren einstimmig
darin, daß die Sängerin unübertrefflich sey, doch ein jeder wich
darin von dem andern ab, daß man sich nicht einigen konnte, worin
eigentlich ihre höchste Vollkommenheit bestände. So waren diese im
Grunde gleichgesinnten Bewunderer fast in Streit gerathen, denn
alle zugleich suchten ihre Meinung durch die triftigsten Gründe,
vorzüglich aber durch möglichstes Schreien zu beweisen. Doch das
Getümmel unterbrach sich plötzlich, denn der junge Mensch am Ende des
Tisches, der der Thür gegenüber saß, und von seinem Platz auf den
Corridor hinaus sehen konnte, stand unvermuthet auf, und verbeugte
sich gegen die Thür. Die Gesellschaft wurde aufmerksam und sah nach
der Gegend, wohin der junge Mensch gegrüßt hatte. Und siehe da, die
schöne Sängerin ging eben vorüber, und schien den jungen Mann recht
freundlich wieder zu grüßen. Die Gesellschaft erstaunte. Einige machten
Miene, schnell hinauszugehen, um den Anblick der reizenden Gestalt
noch einige Augenblicke länger zu genießen; das hatten auch schon
viele junge Stutzer gethan, und drängten sich ziemlich unartig um das
lieblich erröthende Mädchen. Verlegen sah sie sich nach dem Direktor
~Brückbauer~, der ihr folgte, um; dieser sprang dienstbeflissen
vor, bot ihr seinen Arm, und sprach mit seiner etwas schnarrenden
Stimme: „Erlauben Sie, meine Allertheuerste, daß ich Sie an den Wagen
führe.“ Sie reichte ihm graciös die Hand und verschwand den Blicken
unsrer Gesellschaft.



2. Die Urtheile.


Diese durch den unvermutheten reizenden Anblick aufs neue lebhaft
aufgeregt, schrie jetzt noch toller durch einander als vorher. Da
pochte der Regisseur auf den Tisch und rief: „Meine Herrn, erlauben
Sie, daß ich meine Amtsrolle heut auch noch nach der Vorstellung
fortsetze. Wir machen uns heiser und hören einander doch nicht. Ich
kann betheuern, ich weiß eben so gut, was der große Mogul von unserer
Sängerin denkt, als was einer der Herrn gesagt hat. Vielleicht sind wir
alle aufs Haar derselben Meinung, und haben uns ganz umsonst erhitzt.
Wenn Sie erlauben, mache ich den Anfang, und gebe meine Ansicht; dann
folgt der Herr Obrist-Lieutenant und so fort der Reihe nach.“ Alle
waren es zufrieden, und der Regisseur begann:

„Ich muß etwas weit ausholen, um zum Resultat meiner Gedanken über
unsere himmlische Sängerin zu gelangen. Sie erinnern sich noch alle,
meine Herren, jener unruhigen, heftig bewegten Zeit, wo die Erwartung
in unserer Brust aufs höchste gespannt war, ob das theure Kleinod,
welches wir jetzt besitzen, das unsre werden würde, oder nicht. Ich
war, wie Sie wissen, endlich der Glückliche, dem es gelang, dieses
Palladium in die Mauern unsrer Stadt zu führen. Doch nicht ohne
Mühe. Denn erstlich fand ich schon bei meiner Abreise Hindernisse
von Wichtigkeit. Als ich einen Paß nach Sachsen forderte, wurde
er mir verweigert, denn es waren in diesen Tagen so viele unserer
bedeutendsten Banquiers und Geschäftsmänner nach L. gereist, daß
die Regierung, aufmerksam dadurch gemacht, eine staatsgefährliche
Verbindung fürchtete, und bis auf weiteres das Ertheilen der Päße
nach L. untersagt hatte. Nur mit Mühe gelang es mir endlich, die
Nützlichkeit meines Reisezwecks für den Staat zu erweisen. Ich reiste.
Doch ein neues Hinderniß find ich am Thor von L***. Dort nämlich
erblickte ich einen der thätigsten Beschützer unsers Theaters in
gefänglicher Haft; er schrie aus dem Fenster der Thorwache kläglich zu
mir um Hülfe. Was konnte die Ursache dieser Einkerkerung seyn? Ich
halte, bestürme den Stadtsoldaten, der vor Schrecken sein Strickzeug
fallen läßt und nach dem Gewehr greift, dringe in den Kerker, und
hasche nach der Ursach dieser empörenden Mißhandlung eines solchen
Kunstgönners. ‚O Freund,‘ sprach dieser, ‚ich würde mein Geschick für
unerträglich, ja hoffnungslos halten, wenn ich es nicht mit Vetter
Kukuk, jenem redlichen Brautwerber theilte. Denken Sie sich meinen
Unfall. Sie wissen, daß viele unserer Kaufgenossen hochtönende Namen,
entlehnt von den Thieren des Waldes, führen. Diese alle sind als
Bewerber um die göttliche Sängerin vor mir einpaßirt. Der Thorwächter
notirte zu erst lächelnd den Namen Gans, logirt im Hotel de Baviere;
dann folgte Hirsch mit gleicher Wohnung, worauf der Pförtner abermals
lächelte und sprach: „Die Tafel im Hotel de Baviere wird gut besetzt!“
Darauf kam unser edler Wolf an, und der Wächter zog ein bedenkliches
Gesicht, ließ ihn jedoch frei gleichfalls ins Hotel de Baviere
laufen. Jetzt fuhr unser großer ~Bär~ vor. Den schnaubte aber der
Thorwart grimmig an und rief: „Was? Wieviel Thiere wollen denn die
holde Sängerin zerreißen? Fort in den Käfig mit dir!“ Doch der Bär,
vermöge seiner Stärke, riß sich los. Als nun aber ich, der ~Eber~,
herannahe, faßt mich der Wächter roh und kalt, und bändigt mich durch
Kerkergewalt!‘“

Da, rief ich, wie Sie sich vorstellen können, meine Herren, begeistert
aus:

    „Aus diesen Fesseln macht dich Gold frei,
    So wahr ich heiße Carl von ***,“

gab dem Stadtsoldaten einen Species und befreite den gefangenen Mäcen.

Wenn man sich solcher Abentheuer und Gefahren erinnern kann, meine
Herren, so wird uns der dadurch erworbene Preis doppelt theuer.
Deshalb mußte ich, um zu meiner Schlußmeinung zu kommen, diesen
Eingang machen. Von Herzen stimme ich daher in das Wort unsers großen
Director Brückbauer mit ein, der die himmlische Sängerin soeben
seine Allertheuerste nannte. Ja, sie kostet Opfer jeglicher Art, und
doch macht ihr Anblick, ein Ton ihrer süßen Stimme, uns alles dies
vergessen. Darum rühme ich das als ihre höchste Eigenschaft, daß sie,
selbst in den Augen derer, die hier für nichts anders, als für das
schnöde Metall Sinn haben, das blanke Gold so verdunkelt hat, daß
sie es förmlich ausgestreuet haben, um in Besitz dieses Kleinods zu
kommen. Und so rufe ich: Es lebe die Sängerin, sollten auch unsere
Aktien auf 50 pro Cent fallen! -- „Bravo, Bravo!“ erscholl der laute
Beifall der Andern, und alle leerten die Gläser. Doch des Regisseurs
Nachbar, der Obrist-Lieutenant, schlug auf den Tisch und begann:
„Das heiß’ ich sprechen, wie ein Regisseur. Aber in der That, es ist
wahr, ihre Schönheit ist strahlender als Gold, und ihre Stimme tönt
heller als Silber. Wenn ich indeß meine Meinung sagen soll, so muß ich
erklären, daß mir das das reizendste an ihr scheint, daß sie sowohl
als ihre Stimme sich von allen Standpunkten des Hauses unvergleichlich
ausnehmen.“

„Waren Sie im Sperrsitz?“ fragte Wicke. „Allerdings,“ entgegnete
der Gefragte. „Mir deucht, ich hätte Sie im ersten Rang gesehen?“
bemerkte der Abbe, während er eine Auster präparirte. „Sie haben sich
nicht getäuscht,“ antwortete der Obrist-Lieutenant. „So habe ich
mich geirrt,“ sprach Hemmstoff, „denn mir schien’s, als hätte ich
Sie in einer Parkettloge entdeckt!“ „Mit nichten, Freund, ich bin
sowohl rechts als links in einer Parkettloge gewesen,“ berichtigte
der magere Ritter. „Aber ich habe Sie ja beständig auf dem Theater
bemerkt,“ sagte der Regisseur erstaunt, „Brückbauer hatte noch seinen
eifersüchtigen Aerger darüber.“ „Ich werde es doch nicht versäumen,“
erwiederte der Blaufrack piquirt, „auch von dieser Seite meine Ansicht
zu berichtigen?“ Jetzt fing auch der junge Mensch am Ende des Tisches
zu reden an, und sprach: „Nun kann ich mir einen seltsamen Irrthum,
in dem ich geschwebt habe, erklären. Ich hatte die Ehre, mein Herr,
Ihr Nachbar im Parterre zu seyn; da mir aber mein Platz unvortheilhaft
schien, ging ich in den zweiten Rang hinauf, und zu meiner Verwunderung
fand ich meinen Nachbar dort von so sprechender Aehnlichkeit mit Ihnen,
daß ich sogleich vermuthete, er müsse Ihr Zwillingsbruder seyn. Noch
höher aber stieg meine Verwunderung, als ich, da ich auch dort nicht
gut placirt war, mich in den dritten Rang begab, und im Oeffnen der
Loge einem dritten Exemplare von Ihnen begegne, das eben heraustrat,
und Ihnen so ähnlich sah, wie ein Ey dem andern. Wie herrlich, dachte
ich bei mir, könnte man hier die Drillinge aufführen! Auch fiel mir
die Erzählung von den drei bucklichten Schelmen ein; und als ich nun
vollends hier in die Restauration kam, und Sie am Tisch erblickte,
dachte ich schon, Sie möchten vielleicht den vierten abgeben. Jetzt
sehe ich aber, daß Sie gar die Kunst besitzen, sich beliebig zu
multipliciren, und bitte daher um Vergebung, daß ich so lange im
Irrthum gewesen bin.“ Die etwas sarkastische Miene, mit welcher der
junge Mann diese Abentheuer erzählte, hatte die Gesellschaft halb
belustigt halb in Verwunderung gesetzt. Der Abbe verbarg sein Lächeln
hinter einem Zuge aus dem Champagnerglase; der Blaurock sagte etwas
verdrießlich: „Mir scheint, mein Herr, Sie lieben die etwas grelle
Mahlerei _al Fresco_,“ und Wicke raunte seinem Freund Hemmstoff ins
Ohr: „der junge Mensch scheint nicht zu uns zu gehören; auf was für
unschicklichen Plätzen hat er sich umhergetrieben!“ -- Der Regisseur
faßte sich am besten, denn er klopfte auf den Tisch und rief wie der
Präsident in der Deputirtenkammer: „Zur Ordnung! Sie sind in ihrer
Rede unterbrochen worden, Herr Oberst-Lieutenant. Geben Sie uns
gefälligst den Schluß.“ „Bin schon fertig,“ sprach der alte Jüngling
kurz, und nahm eine Prise. „_Monsieur L’abbé_,“ erinnerte darauf der
Regisseur, „ist Ihnen gefällig, das Scepter des Redners zu ergreifen?“
„_Mon cher_,“ entgegnete der Abbe, „mich hindern die Austern am
Reden; übrigens habe ich mein Votum gegen den Rath Hemmstoff schon
abgegeben. _N’est ce pas mon cher? Et qu’en dites vous?_“ „Ich bin
ganz Ihrer Meinung, und eben so durch die Austern gehindert,“ sprach
Hemmstoff, und lächelte innerlichst vergnügt; „mein Freund Wicke mag
denn fortfahren.“ Dieser räusperte sich, zupfte sein Jabot zurecht,
und begann dann mit einer feierlich weichen Stimme: „O die süße,
unaussprechlich süße, holde, liebreizender Eigenschaften reichest
begabteste Sängerin! In welcher Sprache soll ich ihr Lob verkünden!
Sie sieht uns lächelnd an und lächelt wieder, und wir weinen, halb vor
Entzücken, halb vor Schmerz!“ Dabei zog er sein gesticktes Schnupftuch,
welches in _Eau de Cologne_ gekocht zu seyn schien, aus der Tasche,
und wischte sich -- die Nase. „Freunde! Sympathisirend, mitfühlend
übereinstimmende Theilnehmer, seyd Ihr denn nicht im Innersten bewegt?
O, Ihr seyd von den Steinen die nicht fühlen, die nicht weinen! Tönt
der Jungfrau zarte Kehle Euch nicht rührend in die Seele? Mir scheint,
Ihr lächelt mit höhnender Geberde?“ -- „Das ist das Loos des Schönen
auf der Erde;“ fiel der Abbe ernsthaft ein, und verschluckte eine
Auster. -- „Geberde“ wiederholt der etwas empfindliche Wicke. „Versteht
ihr denn so gar nicht was ich meine?“ -- „Einsam bin ich nicht
alleine,“ sang plötzlich eine Stimme am andern Tische. Wicke stampfte
verdrießlich mit dem Fuße und sprach: „Es ist nicht auszuhalten!
Entweder wird man absichtlich oder zufällig unterbrochen. Ich hoffe,
die Herren werden meine Ansicht jetzt gefaßt haben!“ „Wollten Sie
sich denn nicht noch etwas näher auslassen?“ fragte bescheiden der
Regisseur, „gewiß wird man Ihnen mit Vergnügen zuhören.“ „Ich bin
vielleicht schon zu deutlich gewesen,“ entgegnete Wicke, und verbeugte
sich verbindlich. „So stände denn die Reihe an Ihnen, mein Herr, wenn
Sie uns mit Ihrer Ansicht bekannt machen wollten,“ wandte sich der
Regisseur höflich zu dem Fremden. „Sehr gern,“ sagt dieser; „allein
ich fürchte, sie wird sich gegen die Aussprüche so erleuchteter Kenner
sehr schülerhaft ausnehmen. Meiner Meinung nach hat die schöne Sängerin
eine unwiderstehliche Anmuth, eine reine seelenvolle Stimme, und eine
sehr gute Natur des Vortrags. Doch sie ehrt ihr Talent wenig, indem
sie die schlechtesten Opern zu ihrem Auftreten wählt, und sich an ein
Theater versagt hat, das nur eine sehr niedrige Tendenz vor Augen, und
eigentlich keinen andern Zweck, als Geld zu verdienen hat, und deshalb
der gemeinen Ansicht der Menge auf eine unwürdige Art huldigt.“ Hier
schwieg der junge Mann und sah die Gesellschaft der Reihe nach fest
an. Der Obrist-Lieutenant stocherte sich die Zähne und murmelte einige
unverständliche Worte; der Regisseur sah bedenklich aus, und schien zu
fühlen, daß der Fremde Recht habe. Der Abbe trank sein Glas aus und
sprach: „Ein schöner Enthusiasmus. Ich liebe die Passion für edlere
Vergnügungen auch. Noch funfzig Austern, Kellner!“ Wicke sah glühend
roth aus, strich sich verstört das dunkle Haar und raunte endlich
furchtsam Hemmstoff die Worte ins Ohr: „Der Mensch ist ein roher
Barbar!“

Jedem pfiff der Nachtwächter die eilfte Stunde. Die Gesellschaft
brach auf trotz der Vorstellungen des Abbe, der seine Austern nicht
in Stich lassen wollte. Wicke und Hemmstoff gingen Arm in Arm. Der
Regisseur sprach noch mit einigen Bekannten an andern Tischen, und der
Obrist-Lieutenant bewegte sich mit steifen stolzen Schritten durch
den Saal nach der Thür. Auch der junge Mensch ließ den Abbe endlich
allein. Jedoch als der Kellner ihm die Austern brachte, trällerte er:
„Einsam bin ich nicht alleine!“ und beging die Inconsequenz, seine
guten Gesellschafter sämmtlich durch Verzehrung wieder zu entfernen.
Wir lassen ihn in seinem gemächlichen Vergnügen, und sehen uns um, ob
die Residenz überall auf dieselbe Art von der neuen Sängerin dachte und
sprach, als es in unserer Gesellschaft geschehen war.



3. Kabale und Liebe.


Wir machen einen Morgenbesuch bei der schönen Caroline, die als erste
Sängerin bisher der Liebling der Residenz gewesen war. Mein Gott, in
welchem Zustande treffen wir die Unglückliche an! In Thränen aufgelöst,
das schöne Gesicht in ihr Tuch verbergend liegt sie matt auf der
Chaiselongue und scheint mehr von ihrem Kummer zu träumen als darüber
zu denken. Ein reizender Anblick, wenn er nur nicht so schmerzlich
wäre. Wer pocht? Es ist Auguste, Carolinens Freundin, die erste
Liebhaberin des Theaters. „Guten Morgen, geliebteste Freundin,“ ruft
sie mit ihrer bezaubernden Stimme -- „aber ums Himmels willen, was ist
Dir? Was hast Du? Du bist ja ganz entstellt?“

~Caroline.~ Wie Auguste, du fragst noch? Du heuchelst selbst eine
ruhige heitere Miene? Geh, Geh! Was sollen wir uns gegen einander
verstellen. Glaubst Du, ich halte Deine Heiterkeit für natürlich?

~Auguste.~ Aber meine liebe Caroline, was sollte mir denn fehlen,
ich bin so vergnügt. --

~Caroline.~ „Ich bin ja so selig, so glücklich, so fröhlich!“ O
Du falsche Freundin! Man sieht, daß Du eine Schauspielerin bist. Ach
ich bin freilich nur eine Sängerin, die bringen es nicht so weit in der
Verstellungskunst.

~Auguste.~ Liebe, ich begreife Dich nicht.

~Caroline.~ Das ist mir zu arg. Nein für so falsch, so ohne
Zutrauen gegen deine beste Freundin, hatte ich Dich nicht gehalten. --
Riegle die Thür zu, daß uns niemand stören kann. -- Auguste, willst Du
mich wircklich glauben machen, der gestrige Abend brächte Dich nicht
aus Deinem Gleichmuth?

~Auguste.~ Ach Du meinst den Triumph der kleinen Sängerin, die,
wie heißt sie doch gleich, Henriette, glaub’ ich. Was thut das mir? Wir
haben so verschiedene Fächer --

~Caroline.~ Aber ihr habt nicht so verschiedene Liebhaber. Glaubst
Du, daß Dir die Deinigen treu sind? -- Ha, hab ich den reizbaren Fleck
getroffen? Sieh wie Du roth und blaß wirst. Auguste, komm an meine
Brust, sey offen gegen mich; wir wollen unsern Herzenskummer gegen
einander ausschütten. Ich bin in Verzweiflung! (Sie weint.)

~Auguste.~ Ja Caroline, ich muß gestehen, auch ich habe
Erfahrungen gemacht. O wir unglücklichen Frauen! O die falschen
leichtsinnigen Männer!

~Caroline.~ So gefällst Du mir, so bist Du meine Leidensgefährtin.
Laß uns gegenseitig alles erzählen, und dann überlegen, was zu thun
ist. Schon vorgestern, stell Dir vor, kam kein einziger meiner
täglichen Verehrer zu mir. Alle waren sie in die Probe gegangen, wo die
Henriette zum erstenmal sang.

~Auguste.~ Ach, mein Leiden fing schon einen Tag früher an. Denke
Dir, ich spiele die Julie. In den Sperrsitzen sehe ich meine alten
treuen Verehrer, die Räthe Wicke und Hemmstoff und den Abbe. Sie wenden
kein Auge von mir. Jede meiner Bewegungen, ich machte den stummen
Knaben, wurde beklatscht. Aber im zweiten Akt, was geschieht? Das
Gerücht verbreitet sich, die neue Sängerin sey angekommen, sie sitze
oben im ersten Rang. Von dem Augenblick an sind alle Perspective, die
bis dahin auf mich gezielt hatten, nach der Loge gerichtet. Kein Mensch
achtet mehr auf mich, und die größten Effecte meiner Rolle gingen
unbeachtet vorüber. Ich war außer mir!

~Caroline.~ Nun höre mein Schicksal. Vorgestern, wie gesagt, kam
niemand. Aber gestern! Schon um Eilf ließ sich der Major Longtrain bei
mir melden. Ich empfing ihn mit den Worten: Schon so früh Herr Major?
Ein recht willkommenes unverhofftes Ereigniß. Ich vermuthete Sie erst
um Zwölf! O meine schöne Caroline, erwiederte er, wer kann die Zeit
erwarten, zu Ihnen zu kommen. Apropos, werden Sie heut im Theater seyn?
Die neue Sängerin ist ganz bezaubernd.

~Auguste.~ Wie, das sprach er so rasch hinter einander fort?

~Caroline.~ Das war eben mein Aerger! Ich merkte ihm auch an,
daß er zerstreut war, und endlich bricht er gar schon nach einer
Viertelstunde auf, er den ich sonst nie los werden konnte!

~Auguste.~ Unerhört!

~Caroline.~ Sein Wagen hielt vor der Thür. Unter einem Vorwand
schicke ich meine Jungfer herunter, schärfe ihr aber ein, abzulauschen,
wohin der Major fahren will. Und denke Dir, er bestellt den Kutscher
nach der A.... Straße No. 70., wo sie wohnt.

~Auguste.~ Richtig! Als ich vorbeiging, sah ich den Wagen dort
halten.

~Caroline.~ Um welche Zeit war das?

~Auguste.~ Gegen zwei Uhr.

~Caroline.~ O ich Unglückliche, so ist er dritthalb Stunden bei
ihr gewesen, und bei mir eine Viertelstunde! Das überlebe ich nicht.
Und wenn er der einzige gewesen wäre! Aber gleich nach ihm fuhr der
Lord Monday vorbei, grüßte herauf, und fuhr weiter. Abends in der Loge
sagte er mir, er habe einen delicieusen Vormittag bei der allerliebsten
Henriette verlebt. Der Baurath Rahmer, der sonst gar kein Visitenmacher
ist, macht sich ebenfalls das abscheuliche Vergnügen, mir zu erzählen,
daß er anderthalb Stunden bei ihr zugebracht habe. Der trippelfüßige
Graf Sellin, der Justiz-Rath Udorf, der Banquier Rehlinger, sein langer
Sohn mit der Brille und dem Carbonari Mantel, alle diese sind auch dort
gewesen, denn mein Bedienter hat den ganzen Morgen vor ihrem Hause
stehen und mir rapportiren müssen, wer aus und ein ginge. Ach! Ich
könnte noch ein Dutzend nennen, wenn michs nicht so angriffe!

~Auguste.~ Glaubst Du denn, daß es mir um ein Haar besser gegangen
ist? Meinst Du, ein einziger meiner Anbeter habe sich bei mir sehen
lassen? Selbst Brückbauer, der sonst so ungemein zuvorkommend gegen
mich war, scheint mich beinahe nicht zu kennen. Aber was das Schlimmste
ist, heut Abend, wo ich im Opernhause auftrete, wird es leer seyn;
denn jetzt um 1 Uhr, als ich mich im Büreau erkundigte, war noch kein
Drittel der Sperrsitze verkauft. O wir Unglücklichen! Alles läuft nach
ihr.

~Caroline.~ Aber was zu thun? Was kann uns retten? Wie könnten wir
die Feindin bekämpfen?

~Auguste.~ Höre, mir fällt etwas ein. Mag sie uns auch hier in der
Stadt eine Zeitlang verdunkeln, denn ewig wird es hoffentlich nicht
dauern, so wollen wir ihr doch auswärts den Triumph schmälern, so viel
wir können. Es müssen Kritiken gegen sie erscheinen.

~Caroline~. Richtig, herrlich Auguste! Und Gedichte auf uns.

~Auguste~. Vortrefflich! Ich will meinen ganzen Einfluß dazu in
Bewegung setzen.

~Caroline.~ Laß uns einmal unsere Bekanntschaft mustern. An wen
können wir uns wohl wenden?

~Auguste.~ Da ist z. B. der Recensent Schillibold Avecça; der muß
mir eine Kritik gegen die Henriette schreiben. Er könnte z. B. sagen:
„Er würde sehr gern etwas an ihr loben, wenn er nur nicht bei ihrem
Spiel und Gesang eingeschlafen wäre.“

~Caroline.~ Recht so! Aber wir müssen sie recht gründlich und
musikalisch durchhecheln lassen; dazu paßt niemand besser als der
Redacteur Quark. Kennst Du ihn?

~Auguste.~ Nein, wer ist er?

~Caroline.~ Er giebt hier eine Zeitung heraus, und hat eine
verrückte Oper geschrieben, eigentlich ein Capriccio fürs Orchester.

~Auguste.~ Ach jetzt besinne ich mich. Geht er nicht immer in
Schuhen und weißen Strümpfen so hübsch einwärts vor sich hin?

~Caroline.~ Richtig, derselbe: in einem Coffesurrogatfarbenen
Ueberrock. Man muß ihm einige Artigkeiten sagen, so ist er in unserm
Dienst.

~Auguste.~ Das sind aber noch nicht genug Leute. Du mußt noch
mehrere vorschlagen, besonders auch Dichter, um Verse auf uns machen zu
lassen.

~Caroline.~ Da fällt mir eben einer ein; der ist wahrlich zu
brauchen, ein intimer Freund vom Redakteur Quark, der Critikus und Poet
Rennstein.

~Auguste.~ Den kenn ich ja gar nicht.

~Caroline.~ O besinne Dich nur, ein dicker Jüngling mit einem
Schnurrbart und einer großen Brille.

~Auguste.~ Ach ja, ich entsinne mich jetzt. Er thut etwas weise,
und rümpft über alles die Nase.

~Caroline.~ Derselbe; doch läßt sich mit der Nase eben nicht viel
rümpfen, da sie etwas breit gerathen ist. Das ist ein Mann, wie wir
ihn brauchen. Er und Quark sind vertraute Freunde; sie könnten in der
musikalischen Zeitung etwa eine Reihe von Critiken und Gegenkritiken
drucken lassen, in welcher einer zwar dem andern im Ganzen immer Recht
giebt, jedoch stets etwas hinzufügt, was der andere zu tadeln vergessen
hat.

~Auguste.~ Herrlich! Und solch ein Streit macht Aufsehen. Könnte
man nun noch außerdem die Person dieser Henriette, und einige unserer
ungetreuen Anbeter lächerlich machen, so nähme das Publikum den
lebhaftesten Antheil. Denn nichts hört man so gern mit an, als wenn
über andere gespöttelt wird, oder zwei sich heftig zanken.

~Caroline.~ Du bringst mich auf den rechten Gedanken. Rennstein
muß eine kritische Fehde mit irgend einem Lobhudler anfangen.

~Auguste.~ Wahrhaftig, ich weiß auch schon ein Blatt dazu, es
kommt jetzt eine neue Zeitschrift von Saffian heraus.

~Caroline.~ Wie? eine Zeitschrift von Saffian? Wie ist das zu
verstehen?

~Auguste.~ Je nun, der Redacteur heißt Saffian, ein äußerst
witziger, scharfsinniger Kopf. Das Blatt heißt, die Höllenpost. Diese
Post soll der übermüthigen Henriette schlechte Neuigkeiten bringen!

~Caroline.~ Mädchen, Du entzückst mich. O sie soll auch empfinden,
was es heißt, gekränkt werden. Doch liebe Auguste, trotz aller dieser
Anstalten geschieht noch nicht genug. Erstlich müssen noch mehrere
Schriftsteller von Gewicht für uns arbeiten, und zweitens muß man der
Uebermüthigen noch ernsthafte Händel erregen.

~Auguste.~ Freilich! Laß uns nur überlegen. Schriftsteller von
Gewicht! Hm, was meinst Du zu dem finstern Raupenbach? Wenn ich dem
verspreche, in einem seiner Werke aufzutreten, so thut er alles was ich
haben will.

~Caroline.~ Gut! Raupenbach soll einen ernsten Aufsatz verfassen,
in dem er die Geringfügigkeit ihrer Talente recht scharf und beißend
darstellen mag. Wen hätten wir denn sonst noch? Ja, nicht zu vergessen,
Puckbulz, Dein bester Freund, ist gewiß auf unsrer Seite; und seine
Critiken werden von den größten Männern, wenn auch nicht gelesen, doch
gelobt. Die werden gewiß Aufsehen erregen.

~Auguste.~ Ruhwitz muß in seinem Blatte der Menschenscheue ein
Sonnett auf uns drucken lassen.

~Caroline.~ Arion Sirius, dieser einzige wandelnde Fixstern,
muß ein Spottgedicht auf die Henriette in irgend einer Gesellschaft
improvisiren.

~Auguste.~ Und Quintus Curtius Rufus könnte eine neue parodirte
Lebensgeschichte des Alexander auf diesen Phönix des A. -- Platzes
schreiben.

~Caroline.~ Nun wüßte ich keinen bedeutenden Genius mehr in diesen
Mauern, den wir nicht zur Hülfe aufgeboten hätten. Das wären die
Geschäfte der Feder. Wenn man nun noch einen rüstigen Kämpfer mit dem
Degen auftreiben könnte, um die Anbeter dieser neuen Heiligen etwas in
Schrecken zu setzen! Aber ach, hier fühle ich wieder die ganze Tiefe
meines Unglücks; ich weiß keinen, der sich jetzt noch für mich schlagen
würde, und vor acht Tagen hätte ich eine Armee ins Feld stellen können.

~Auguste.~ Halt! mir fällt etwas ein. Sollte Dir auch Dein
zärtlichster Verehrer untreu geworden seyn? Wie? wäre auch jener
bleiche Jüngling, dessen schmachtendes, halb erloschenes Auge so
unverwandt, wenn gleich hoffnungslos, nach Deinen Fenstern blickt,
wäre auch er verschwunden, seit Henriettens Reiz alle Männer bezaubert?

~Caroline.~ Nein der ist treu! das ist wahr, den hatte ich
vergessen. O er wird nicht weit seyn. Laß uns einmal geschwind ans
Fenster. Siehst Du, dort geht er im blauen Ueberrock, gleich wird er
umdrehen, denn über 50 Schritte entfernt er sich nicht vom Hause.
Jetzt wendet er sich. Sieh nur, wie verstohlen sehnsüchtig er zu mir
aufblickt. Das ist ein Freund in der Noth, der soll für uns fechten.

~Auguste.~ Werden seine bleichen Wangen aber nicht ein Hinderniß
seyn, die Feinde in Schrecken zu setzen?

~Caroline.~ Gewiß nicht. Heut Abend, wenn ich nach Hause komme,
steht er gewiß im Dunkel unter der Laterne und sieht mich aus dem Wagen
steigen, dann will ich ihm einen so freundlichen Blick zuwerfen, daß
das glühendste Roth seine Wangen überdecken soll. Und wenn ich oben
bin, werde ich mit dem Licht noch einigemal ans Fenster kommen, als
sucht ich etwas, und so nach den Bäumen, unter denen er zuverlässig
steht, hinabwinken, daß ihm das Herz vor Freude schlagen soll. O lehre
mich nicht, wie ich diesen Jüngling in ein Bild der Gesundheit und
Kraft verwandle. In drei Tagen soll Mars selbst vor ihm davon laufen.

~Auguste.~ Herrlich! Wahrhaftig! Jetzt aber rasch ans Werk. Ich
will sogleich einen Schritt thun. Schillibold Avecça hat mit der
Direction zu sprechen, und dabei kann ich ihm gleich mein Anliegen
eröffnen.

~Caroline.~ Und ich will meinen blaßen Anbeter ein paarmal
freundlich anlächeln.

~Auguste.~ Leb also herzlich wohl, und sey treu und verschwiegen.

~Caroline.~ Bis in den Tod.

Auguste ging, Caroline setzte sich ans Fenster und sah mit ihren
schönen Augen die Promenade hinunter, um dem auserkornen Ritter einige
stärkende Blicke zu den bevorstehenden Kämpfen zuzuwerfen.



4. Henriette.


So zerfiel die Bewegung, welche unsere Sängerin in der Residenz
hervorgebracht, in zwei Hauptempfindungen: Bewunderung und Neid. Mit
Vergnügen verlassen wir diese, theils seicht lobpreisende, theils
kleinlich, neidisch herabsetzende Klasse, und wenden uns zu einem
interessanteren Gegenstande. Wer könnte dieß anders seyn, als unsere
reizende Henriette selbst? Ihrem jungen, rein und schuldlos fühlenden
Herzen war eigentlich das Aufsehen, welches sie erregte, zuwider.
Sie empfand, daß etwas Unschickliches, jede zartere Weiblichkeit
Verletzendes darin liege, so der Oeffentlichkeit sich Preis zu geben.
Doch die Verhältnisse, eine längere Gewohnheit, und ein gewisser
unschuldiger Glaube, daß es nicht anders seyn könne, halfen ihr diese
Empfindung überwinden. Manches indeß, was ihr dennoch und immer lästig
fiel, stand in so naher Beziehung zu ihren Verhältnissen, daß es sie
täglich auf’s Neue höchst unangenehm daran erinnerte, daß ihr Loos
mehr den Schein eines neidenswerthen habe, als es in der That sey.
Dahin gehörten vorzüglich zweierlei Dinge. Erstlich die lästigen,
oft unverschämt lobpreisenden Kritiken, die nie bei der Sache stehen
blieben, sondern (weil die Recensenten davon am wenigsten zu verstehen
pflegen) sich meist an zufällige Nebendinge hielten, und oft in einem
unschicklichen Grade ihre eigene Persönlichkeit berührten. Denn nicht
allein, daß ihr Haar, ihre Augen, Wangen, Zähne, Hände gelobt oder
bekrittelt wurden; nein, man ging noch weiter und stellte förmliche
Untersuchungen über ihre Schönheit an, die eine so specielle Richtung
nahmen, daß das reine und sittlich fühlende Mädchen darüber erröthen
mußte. Das Zweite waren die zahllosen überlästigen Besuche, die sie
täglich erhielt und leider empfangen mußte. Alle Zeit wurde ihr dadurch
gewaltsam geraubt. Denn die jungen, reichen, schamlosen Roue’s der
Residenz hielten es nicht für nöthig, sich bei einer Sängerin an eine
bestimmte schickliche Stunde zu binden, sondern kamen ohne Unterschied
zu jeder Tageszeit, wo sie sich eben gestimmt fühlten, albern zu
schwatzen. Ein Mann kann sich leichter mit Stolz gegen beleidigende
Unverschämtheit mancher Personen aufrichten; einer Frau ist es fast
nur dann möglich, wo es ihr Pflicht wird, nämlich im Fall man ihrer
Ehre zu nahe tritt. So weit wagten jedoch selbst die Dreistesten dieses
Gelichters nicht zu gehen, denn die Gewalt der Unschuld hält selbst
die zügellosesten Wüstlinge eine Zeit lang im Zaum. So empfand also
die liebenswürdige Henriette mehr eine Unbequemlichkeit von diesen
Herren, als sie wirklich darunter gelitten hätte. Uebrigens empfing
sie alle freundlich und gütig, weil es ihr Herz so mit sich brachte,
offen und wohlwollend gegen Jeden zu seyn, der sich dessen nicht
bestimmt unwürdig gemacht hatte. Allein sie war es früher gewohnt
gewesen, einen großen Theil der Zeit, den die eifrige Uebung der
Kunst ihr ließ, zur Beschäftigung mit sich selbst zu verwenden, und
einsam im Genuß eines guten Buchs, oder in der stillen Behaglichkeit
einer angenehmen häuslichen Thätigkeit sich glücklich zu fühlen.
Dieß war aber jetzt fast ganz vorüber, denn die Theaterproben, die
Aufführungen, die sich drängenden Einladungen, welche sie erhielt,
verbunden mit den unaufhörlichen Besuchen, die sie täglich belagerten,
ließen ihr kaum einige wenige Morgenstunden, die sie dem Einüben ihrer
Rolle widmen mußte. Anfangs hoffte sie, aus der Mannigfaltigkeit der
Bekanntschaften, die sie machte, einigen Nutzen zu ziehen, indem
sie durch die Verschiedenheit und Uebereinstimmung, die sich in den
Urtheilen zeigte, auf das Richtige gewiesen zu werden hoffte. Allein
es zeigte sich bald, wie sehr sie sich darin geirrt hatte. Ein Theil
wollte in ihr gar nicht die Künstlerin, sondern nur das schöne Mädchen
bewundern. Die Mitglieder dieser Klasse wetteiferten mit einander in
jeden Artigkeiten und oft unschicklichen Bemerkungen, durch die sie
ihrer Bewunderung Luft zu machen suchten. Ja selbst die mancherlei
Geschenke, die diese Leute ihr zu überreichen sich glücklich schätzten,
waren ihr zuwider. Denn ihr feiner Blick entdeckte gar leicht die
eigentlichen Quellen einer solchen scheinbaren Freigebigkeit und Güte.
Ein Theil gab, um reicher wieder zu empfangen; gewissermaßen war dieß
der verächtlichste, denn er muthete ihr, streng genommen, ein gemeines
Verkaufen ihrer Gunst und Zuneigung zu. Ein anderer Theil schenkte
ihr aus Eitelkeit, theils um sich als reich oder freigebig zu zeigen,
theils um mit beiläufig scheinender Gleichgültigkeit am dritten Orte
zu äußern: heute habe ich der kleinen Sängerin ein Cadeau gemacht,
worüber das Kind entzückt war. Ich kann von dieser Gewohnheit gar
nicht lassen. Haben Sie schon die Zeitung gelesen? Ein dritter Theil
glaubte, durch Geschenke die Erlaubniß des Zutritts zu ihr bezahlen
zu müssen. Ein vierter gar meinte, die Künstlerin damit belohnen zu
dürfen, wenn sie aus gütiger Gefälligkeit vielleicht in seinem Hause
gesungen hatte. Aber nicht ein einziger fand sich, der aus wirklichem
Wohlwollen gegen das Bessere in Henrietten ihr seine Zuneigung zu
erkennen gegeben hätte. Dieß zeigte sich auch an der gedankenlosen
Wahl der Geschenke. Alle beschränkten sie sich darauf, den Putztisch
der schönen Sängerin durch tausend einfältige, gänzlich unnöthige
Kleinigkeiten zu meubliren, die leider heut zu Tage so in der Mode
sind, daß die ganze Raffinerie eines Mannes von Ton sich darauf
beschränkt, etwas neues Unsinniges in diesem Gebiete zu entdecken.
Hielte uns nicht der Verfolg der Geschichte unserer Sängerin ab,
wir hätten hier schöne Gelegenheit, ein Kapitel besonders darüber zu
schreiben, wie diese Thorheit auch ihre ernsthaft schlechte Seite habe,
und wie selbst die Entschuldigung vieler Frauen, die einen Tisch mit
diesen glänzenden Narrheiten überfüllen und behaupten, diese Sammlung
entstände ohne ihr Zuthun, ja gegen ihren Wunsch zufällig, ganz eitel
und nichtig ist. Hättet Ihr nicht Eure Freude darüber, so würde Euch
niemand damit belästigen; und warum stellt Ihr denn das lächerliche
Spielwerk so sorgfältig auf, und weidet Euch an den staunenden Blicken
weniger begünstigten Frauen, ja Freundinnen, wenn sie Euch besuchen,
oder Ihr sie gar zu einer eitlen Gesellschaft eingeladen habt? Warum
findet sich bei häuslichen, das Bessere in Herz und Geist pflegenden
Frauen nie ein solcher Markt von Thorheit zusammen? Was sollte man von
einem Weisen sagen, der täglich von Narren umlagert wäre? Er heuchle
Weisheit. So die Frauen, die solche Thorheiten um sich sammeln, sie
aufstellen und sie zu verachten scheinen wollen. Es sind Thörinnen,
die sich bestreben, Vernunft zu heucheln; sie werden aber nur ähnliche
Thoren täuschen.



5. Der Hanswurst. Der Recensent.


Ein Kreis von Anbetern versammelte sich täglich bei unserer schönen
Sängerin. Einzelne derselben haben wir schon früher kennen gelernt. Ein
Blick in das Besuchzimmer kann unsere Kenntniß darin noch bedeutend
erweitern. Ich hoffe, wir thun ihn nicht unbelohnt. Denn welchen
Naturforscher sollte es nicht erfreuen, wenn man dabei Gelegenheit
fände, das Verzeichniß der ~Schaal~thiere auf eine leichte Art
um ein Bedeutendes vollständiger zu machen? So mischen wir uns denn
als schweigende Beobachter unter die Versammlung der Bewunderer
Henriettens. Daß unsere Bekannte, die Räthe Wicke und Hemmstoff, der
Abbe, der graue Jüngling von Obristlieutenant, der Regisseur des
Theaters, und viele Andere, die wir im Laufe der Geschichte schon
genannt haben, nicht fehlten, läßt sich denken. Weniger war es zu
vermuthen, daß auch jener junge Mann, den alle Obigen so wenig
kannten, als wir, sich zuweilen daselbst einstellte, und, obwohl er
wenig sprach, nie ein Geschenk machte, sondern nur häufig sarkastisch
lächelte, beständig von Henrietten gut, doch mit Verdruß von den Andern
aufgenommen wurde, die nur eine Art von Scheu vor seinen festen Wesen
hinderte, ihn grob zu behandeln, wozu sie nicht übel Lust hatten,
da man es nicht anders wußte, als daß er ein junger Musikus, Namens
Werner, sey, und sein Aeußeres, obwohl er sich anständig hielt, doch
keinen reichen Mann zu verrathen schien. Außerdem lernen wir aber auch
einen jungen Mann kennen, den wir nicht anders, als mit dem Namen des
muthwilligen Hanswurst bezeichnen können, denn in der That gab er
Narrenstreiche aller Art an, und schien ein Vorrecht dazu zu haben,
Jedermann zu necken, ohne daß es ihm übel genommen wurde. Selbst Werner
mußte manches von seiner geläufigen Zunge leiden, was er indeß lächelnd
hinnahm, obwohl er sonst entschlossen genug zu antworten pflegte. Man
unterhielt sich eben über die neuen Tagesblätter und die Kritiken, die
sie enthielten. Zu vermuthen ist es, daß die Anstalten der beiden
gekränkten Gegnerinnen Henriettens schon wirksam wurden, denn es
schien mancher Tadel, ja mancher Spott mit eingeflossen zu seyn. Jeder
Eintretende brachte ein Blatt mit, zog es hervor, und las und äußerte
seinen Unwillen oder seine Zufriedenheit mit den Recensenten. Der
Hanswurst hüpfte dabei im Zimmer umher, äußerte seine Empfindungen in
grotesker Manier und machte allerlei unsinnige Bemerkungen dazwischen.
Jetzt hatte auch Wicke ein sauber geheftetes Journal aus dem Busen
gezogen, und begann folgendermaßen: „O schönste Henriette, Sie sanfter
Strahl, der in die Nacht unserer Kunst gefallen ist, wie entzückt es
diese weiche, leicht gerührte Brust, daß die öffentliche Stimme auch
meine eigene ist!“ „Oder umgekehrt,“ schrie der Hanswurst dazwischen,
„Ihre eigene Stimme ist auch die öffentliche, denn ich wollte wetten,
Sie sind der Verfasser des Aufsatzes, den Sie lesen wollen. Gestehen
Sie nur, Rath! Sie sind es! Umarmen Sie mich, Edler! O welch köstlichen
Mann halte ich an meiner Brust!“ Wicke machte sich mühsam los, und
sprach etwas mit bedrängtem Athem, denn der Hanswurst hatte ihn fest
umschlossen: „Gütigster, Sie beschämen mich und zerdrücken mir die
Halskrause; aber ich bin nicht der Verfasser!“ „O leugnen Sie doch
nicht. Jedermann weiß ja, daß Sie an der Aurora arbeiten, daß die
rührenden, empfindungsvollen Sonette im Hesperus stets von Ihnen
sind, warum wollen Sie länger leugnen? Ja, meine Freunde, ich darf es
behaupten, denn ich weiß es aus sicherer Quelle, der Rath ist gewiß der
Verfasser! Er ist eben so großer Dichter, als Rath, und seine Talente
halten seinem Enthusiasmus die Waage. Lesen Sie also, ruhmwürdigster
Schriftsteller!“ Der Rath war nicht der Verfasser des Artikels; doch
da er ihn überlesen hatte, schien er ihm so schön geschrieben und so
schmeichelhaft für Henrietten, daß er es jetzt für eine gute Kriegslist
hielt, um in die Festung ihrer Gunst einzudringen, wenn er sich dem
Einfall des Hanswurst bequemte und sich für den Verfasser ausgab.
Er sprach also mit einem verblümten Lächeln: da unser scherzhafter
Freund mich denn verrathen hat, so wage ich es mit der schüchternen
Empfindung eines jungfräulichen Herzens, das die erste Liebe gesteht,
zu bekennen, -- „daß Sie selbst stets Ihre erste Liebe waren, sind und
seyn werden!“ fiel der Hanswurst ein. -- „Spottvogel!“ fuhr der Rath
fort, „wage, sag’ ich, zu bekennen, daß ich freilich im Drang meines
überfüllten Herzens mich nicht enthalten konnte, meine Empfindungen
öffentlich auszusprechen!“ „Lesen Sie, lesen Sie,“ unterbrach ihn die
Gesellschaft. Wicke zupfte sich den Hemdkragen zurecht, räusperte
sich und schob die Brille gerade. Dann begann er mit seiner sanften
schmachtenden Stimme:

    „Meiner Pflicht als Correspondent zufolge berichte ich Ihnen,
    theurer Freund, Folgendes über die neu erworbene Sängerin
    Henriette. Wir haben das Palladium erobert. Das kostbarste Juwel
    schmückt jetzt die Krone der Kunst in unserer Stadt; das theuerste
    Kleinod, es ist gewonnen, es ist unser.“

„O lassen Sie es gut seyn, lieber Rath,“ unterbrach ihn Henriette. „Ich
ehre ihre dichterische Begeisterung, doch ich wünsche ihr einen bessern
Gegenstand!“

„Wie!“, schrie der Hanswurst, „Sie wollten, Theuerste, uns des
Entzückens berauben, Sie von dem begeisterten Wicke dithyrambisch,
hymnisch, feurig, sprudelnd besingen zu hören? Hier zu ihren Füßen
(dabei warf er sich auf’s Knie) schwöre ich, nicht eher Mittagbrod zu
essen, bis ich Wickes begeisterte Ode in Ihrer Gegenwart vernommen
habe. Wollen Sie mich Hungers sterben sehen? Ich schwöre Ihnen, gegen
die Festigkeit meines beharrlichen Willens ist der standhafte Prinz ein
gaukelnder Schmetterling.“ Henriette wollte lächelnd abwehren, doch die
Gesellschaft drang in sie, bestürmte den Rath, kurz ließ ihr nicht eher
Ruhe, bis Wicke also fortfuhr:

    „Das innerste Geheimniß der Kunst ist nun entdeckt, die goldene
    Zeit, die lang erwartete, ist da, und alle schwelgen wir in dem
    seligen Gefühl des höchsten Kunstgenusses, ja des höchsten Glücks.
    Was ist unsere Bühne, was unsere Oper seit wenigen Tagen geworden!
    O wir Armen! Wußten wir denn, was Gesang, was Spiel, was Anmuth,
    Reiz, Lieblichkeit, Seele war?“

„Nein, Rath, ich bitte Sie, hören Sie auf,“ sagte Henriette, sichtlich
verdrießlich; „ich muß das für Spott halten!“ „Göttlichste, es ist
die Stimme meines Herzens, die unbedingteste Wahrheit!“ „Wahrheit!
Wahrheit!“ schrie die Versammlung. „Bravo, Rath, wahrhaftig!“ „O
ungeheurer Frevel des Selbstmordes, den Sie an Ihren Verdiensten
begehen,“ schrie der Hanswurst, „wenn Sie das für Spott halten wollen.
Nein, der Rath ist das Organ der Welt. Weiter, Organ!“ „Weiter,
wir bitten,“ sagte der junge Unbekannte, und lächelte sarkastisch.
„Verschwören auch Sie sich gegen mich?“ sprach Henriette, „das hätte
ich nicht geglaubt!“ „Verzeihen Sie,“ entgegnete der junge Mann, „jedes
Wort eines solchen Kunstrichters ist wichtig. Man lernt daraus, und
deßhalb bitte ich nochmals dringend, daß der Herr Rath fortfahren
möge.“ Henriette schwieg, wie es schien, verlegen. Der Rath, der sich
bisher lächelnd und wohlgefällig umgesehen hatte, und den glücklichen
Zufall im Stillen nicht genug preisen konnte, der ihn bewegte, sich für
den Kritiker auszugeben, nahm jetzt das Blatt wieder vor und begann von
neuem:

    „Dieß ist die Stimme des ganzen Publikums, vom Ersten bis zum
    Letzten, vom Minister und Gesandten bis zu der Kammerjungfer
    hinunter, wenn nicht der Neid einen bittern Tropfen in das Urtheil
    mischt. Sie können sich leicht vorstellen, daß Ihr Correspondent
    von der tollen Menge“ --

Hier stotterte der Rath und wurde blutroth. „Tolle Menge,“ half der
Unbekannte sarkastisch ein, und warf einen Blick auf Henrietten, die in
der That etwas verlegen schien. „Rath! Sind Sie wahnsinnig? Flimmerts
Ihnen vor den Augen?“ schrie der Hanswurst. „Tolle Menge! Unmöglich
steht das da!“ „In der That,“ stotterte Wicke, „es ist ein höchst
unangenehmer Druckfehler. Meine Handschrift ist etwas flüchtig.“ --
„Wie soll es denn heißen?“ fragte der Abbe. „Erlauben Sie, -- ja, ich
glaube -- richtig -- es soll heißen, ~volle~ Menge!“ erwiederte
Wicke. „_Aha c’est une autre chose, bitte, continuez!_“ Der Rath
las sichtlich zitternd:

    „Sie können sich leicht vorstellen, daß Ihr Correspondent von der
    vollen Menge nicht mit fortgerissen worden ist, sondern sich einige
    Ruhe bewahrt hat.“

„Volle Menge!“ rief der Unbekannte, „das Beiwort ist in der That recht
passend. Aber weiter.“

Wicke, der indeß das Blatt durchlaufen hatte, erwiederte: „das
Wesentliche ist ja nun gesagt, ich fürchte, daß -- Sie möchten -- der
Aufsatz ist etwas lang --“ „Nein, guter Freund,“ rief der Hanswurst,
„so kommen Sie nicht los, jetzt müssen wir ihn ganz hören, lesen ~Sie~
weiter, oder ~ich~ fahre fort.“ „Ich bitte selbst darum,“ sprach
Henriette, „ich versöhne mich jetzt mit Ihnen, denn ich sehe, daß der
Eingang freilich nur eine kleine Persifflage auf eine gewisse Art
von Kunstrichtern enthält, die ich selbst nicht schätze. Aber jetzt,
da ihr Aufsatz wirklich die Wahrheit sagen will, wird er mir höchst
interessant.“ Wicke zitterte wie ein Espenlaub, das Blut stieg ihm bis
in die Stirn, er konnte kaum das Blatt halten. Zitternd fuhr er fort:

    „Man würde sehr thöricht handeln, wenn man --“

Verzeihen Sie, ich habe mich versprochen,

    „man würde sehr weise handeln, wenn man in die Urtheile eines
    unverständigen, kenntnißlosen --“

„ich bekomme Nasenbluten, entschuldigen Sie“ -- damit hielt er sich
das Tuch vor’s Gesicht und stürzte hinaus. „Das Blatt,“ rief ihm der
Unbekannte nach, „wir bitten um das Blatt.“ Doch Wicke war zur Thür
hinaus, ehe Jemand sich entschließen konnte, ihm zu folgen. Die Herren
rieben sich verlegen die Hände; auch Henriette wußte nicht, was sie
thun sollte. Da brach der Unbekannte das Schweigen, und fragte: „Aus
welchem Blatt war der Aufsatz?“ „Aus dem ~Menschenscheuen~,“ erwiederte
der Hanswurst, „und es scheint, der Rath ist auch menschenscheu
geworden. Sehen Sie nur, wie er sich verlegen an den Häusern
hindrückt.“ „O, das Blatt hab’ ich zufällig bei mir, hatte es indeß
noch nicht gelesen,“ sprach der Unbekannte. „Erlauben Sie, so vollende
ich die Lektüre.“ Die Gesellschaft schwieg; doch Henriette versicherte,
sie werde es recht gern hören, und jener las darauf folgendermaßen:

    „Man würde sehr thöricht handeln, wenn man in die Urtheile eines
    unverständigen, kenntnißlosen Publikums so unbedingt einstimmen
    wollte, und zum Glücke sagt das Sprichwort auch nur _vox populi,
    vox dei_, aber nicht _vox plebis, vox dei_. Demnach erlaubt
    sich Ihr Correspondent, wie schon erinnert, bei der allgemeinen
    Trunkenheit ein wenig nüchtern zu bleiben, und urtheilt so:
    Fräulein Henriette ist allerdings eine sehr angenehme und
    liebenswürdige Erscheinung auf der Bühne, doch scheint sie mir noch
    nicht den Rang unter den Künstlerinnen einzunehmen, den ein solcher
    Beifall, eine solche Lobpreisung voraussetzen müßte. Ihr Gesang
    hat manchen Fehler, zum Beispiel den, daß sie zu viel Passagen
    mit unterdrückter Stimme macht. Dies heißt die Menschenstimme,
    die eines höheren Ausdruckes fähig ist, zu einem Instrument
    herabsetzen, das seine Effekte allerdings nur in einem dürftigen
    Piano und Forte suchen kann. Warum läßt Fräulein Henriette ihre
    bessern Gaben so unbenutzt? Wir sind überzeugt, sie könnte, da sie
    ein liebenswürdiges Gemüth besitzen soll, mit einem tief ins Innere
    dringenden Ausdruck singen. Warum hören wir das so selten? Weshalb
    wählt sie so leer glänzende Flitterrollen, da sie lauteres Gold
    haben könnte?“

„Ich begreife nicht,“ unterbrach Henriette, „warum der Rath sich so
gescheuet hat, seine Meinung zu sagen; ich theile sie wahrhaftig
mit ihm; er hat ganz Recht!“ „_Ah! vous êtez un nage de bonté_,“
exclamirte der Abbe. „~Edle Seele~“ rief Hemmstoff, „hätte mein Freund
das ahnen können!“ „Nein,“ schrie der Hanswurst, „der Recensent ist
ein Barbar, ein Seythe, ein Kannibale, ich traue das unserm Freund
Wicke gar nicht zu! Wer weiß wer ihm einen Streich gespielt hat.“ Der
Obrist-Lieutenant hatte indeß durch die Doppel-Lorgnette nach dem
Fenster gesehen, und rief: „Meine Herrschaften, der Lord Monday.“



6. Lord Monday. Die Arche Noah. Der Regenbogen. Das Duell. Die Ohnmacht.


Diese Unterbrechung machte der Lektüre ein Ende. Lord Monday kam
lärmend die Treppe herauf. Man hörte ein Goddam nach dem andern, ohne
die Ursache zu errathen. Ungemeldet brach er ziemlich stürmisch durch
die Thür, und trat mit dem Staubmantel auf den Schultern ins Zimmer.
„Guten Morgen, Vortrefflichste, wie geschlafen?“ „Recht gut, Ew.
Herrlichkeit,“ entgegnete die etwas verlegene Henriette, „ich danke
Ihrer theilnehmenden Nachfrage. Einen Stuhl, Luise, sey so gütig.“
Die Kammerjungfer, die am andern Fenster mit Nähen beschäftigt war,
sprang auf. Doch Lord Monday rief: „Schon gut mein Kind, ich setze
mich aufs Kanapee,“ und wollte sich, indem er den Mantel noch immer
auf der Schulter hatte, eben darauf hinstrecken. Werner bemerkte
ziemlich accentuirt: „der Mantel wird Er. Herrlichkeit hinderlich
seyn.“ „Goddam,“ erwiederte der Lord, „das ist wahr,“ und warf den
Mantel unvorsichtig auf einen Stuhl, neben welchem eine Servante mit
Tassen stand. Durch den Schwung des Mantels wurde ein Theil derselben
herabgeschleudert, und zerbrach klirrend. „Goddam! der verteufelte
Mantel,“ rief der Lord, und stampfte mit dem Fuß. „Mein Gott,“ rief
die erschrockene Henriette, und eilte hinzu. Alles sprang auf, um die
Trümmer zu sammeln. Der Lord stampfte und fluchte. Werner schien höchst
aufgebracht, doch sagte er nichts. Henriette, die die zerbrochenen
Tassen mit aufnehmen half, ließ plötzlich ein halb verhaltenes: „o
weh!“ hören, und man sah, daß sie eine Thräne, die ihr ins Auge trat,
zu verbergen suchte. „Was ist Ihnen?“ fragte Werner. „O nichts,“
erwiederte sie, „die Tasse mit dem Bilde meiner jüngern verstorbenen
Schwester ist auch zerbrochen, und das thut mir nur leid,“ fügte sie
leiser hinzu. Der Lord, der es gehört haben mochte, rief: „Trösten Sie
sich, schöne Henriette, ich bezahle die Tassen dreifach, Sie sollen ein
Dutzend schönere dafür haben.“ Werner fuhr auf; doch Henriette, die
es sogleich bemerkte, wandte sich zu ihm, und sprach: „Herr Werner!
ein Wort! Ich bitte.“ Er folgte ihr einige Schritte bei Seite. „Thun
Sie mirs zu Gefallen,“ sprach sie dringend, „seyn Sie ruhig, es könnte
Ihnen übel zu stehen kommen, und das würde mir höchst traurig seyn;
ich bitte Sie, sagen Sie dem Lord nichts. Das Geschehene ist ja nun
doch geschehen.“ „Ich gehorche,“ entgegnete Werner, „allein seyn Sie
überzeugt, daß nur Rücksichten für Sie, keine für mich, mich abhalten,
diesem rohen Gesellen das zu sagen, wovor er sich durch seinen Stand
bei Ihnen geschützt glaubt.“

Die Scherben waren weggeräumt, man wollte sich so eben setzen, als
der Hanswurst überlaut rief: „die Arche Noah! die Arche Noah! Hahaha.
Wie die Thiere aus dem Kasten steigen!“ „Was giebts denn?“ fragte
der Obrist-Lieutenant, und sah, so wie die übrige Gesellschaft, ihn
mit fragenden Blicken an. „Kommen Sie nur her, und sehen Sie, so
bedarf es keiner Antwort mehr,“ rief der Hanswurst. Alle folgten
ihm ans Fenster bis auf den Lord, welcher auf dem Kanapee in der
bequemsten Stellung, die er finden konnte, zurück blieb, und _God
save the King_, trällerte. Die Ursache des Geschreies, welches der
Hanswurst gemacht hatte, waren einige Wagen, aus denen mehrere, uns
dem Namen nach schon bekannte Personen stiegen. Es waren jene Mäcene
der Bühne, Wolf, Hirsch, Bär, Gans, Eber, nebst den dazu gehörenden
_femininis_, Wölfin u. s. w. „Mein Gott, schrie der Hanswurst,
von jeder Gattung ein Paar, ein Männlein und ein Weiblein!“ „Nur
die Taube fehlt,“ bemerkt der Obrist-Lieutenant. „Nein, wahrhaftig
nicht,“ betheuerte Johannes Wurst, „sie ist auch dabei. Die Tochter
der Madam Gans heißt Täubchen! Sehn Sie, eben hüpft das Täubchen aus
dem Schlage. Tuck, tuck, tuck, tuck! Komm’, mein Täubchen, komm, komm!
So wahr ich lebe, da ist auch der Regenbogen!“ rief er aus. „Ja, ja,
dort unten! Schauen Sie nur gefälligst hin.“ Eben wölbt er sich über
den Rinnstein. Er kann gar nicht gelegener kommen! „Ach der Kammerherr
Graf von Regenbogen,“ sagte der Obrist-Lieutenant, nachdem er das
Perspectiv auf ihn gerichtet hatte. „Es konnte sich gar nicht besser
treffen! Goldnen Dank bin ich ihm schuldig,“ jubelte der Hanswurst
und sprang im Zimmer umher. -- Indeß waren die noachischen Herrn
heraufgekommen und wurden gemeldet. Henriette ging ihnen entgegen, und
empfing sie mit Freundlichkeit. Doch jetzt erhob sich im Zimmer ein
Geschnatter und Geschnarre, daß man hätte verzweifeln mögen. Das Männer
Quintett aus Jerusalem erschöpfte ein ganzes Lexicon von lobpreisenden
Beiwörtern über Henrietten, welche das weibliche Echopersonale sogleich
duplicirte, bis sie sich in ein brausendes Verhallen auflösten, wie
dies ja bei einem guten Echo immer der Fall ist. Ein neues Intermezzo
fuhr indeß rasch dazwischen. Graf Regenbogen trat ein. Er galt für den
feinsten Cavallier am Hofe. Niemand in der Residenz hatte sauberer
gekräuseltes Haar als er; seine Parfüms waren immer direct aus Paris
verschrieben; seine Schuhe ließ er in Wien, seine Fracks in Paris,
die Unterkleider und Ueberröcke in London machen. Schon an frühesten
Morgen, das heißt gegen zwölf Uhr, wenn er sich eben aus dem Bette
erhoben hatte, war er elegant. Ja es ging das nicht unwahrscheinliche
Gerücht, daß er stets in zwei Gilets und mit der feinsten Cravatte _à
l’ineroyable_ schlafe, und sich Nachts, da das Liegen die Coeffure
derangirte, selbst eigenhändig frisiere, wozu er der Bequemlichkeit
halber, einen großen Spiegel an der Decke seines Himmelbetts hatte
anbringen lassen. Auch wußte man von seinem Justiz-Commissarius, daß
er in seinem Testament eine Verordnung gemacht hatte, nach der er
_en habit habillé_ begraben seyn wollte, weil er es mit Recht
für unschicklich hielt, am Tage des jüngsten Gerichts unordentlich
angezogen zu seyn. Dieser geistvolle Mann war, wie gesagt, eingetreten.
Durch ~eine~ kunstreiche Verbeugung, die gleich der Sonne in Osten
begann, sich langsam westwärts bewegte, vor der schönen Henriette durch
den Meridian gieng, und sich denn endlich beim Lord Monday völlig
in Adent niedersenkte, begrüßte er mit erstaunenswerther Kunst die
ganze Gesellschaft zugleich, und hatte dabei noch die Feinheit gehabt,
jeden nach der Würde seines Standes zu behandeln. Denn bei Werner,
dem unbedeutenden Musikus, begann er und beugte den Kopf anderthalb
Pariser Zoll vorwärts (er rechnete immer nach französischem Maß, weil
dieses als ausländisches Fabrikat viel feiner und eleganter seyn
mußte als das deutsche), darauf senkte er sich in schräg absteigender
Linie durch die fünf Zeichen des Thierkreises, die zwischen Werner
und der schönen Henriette standen. Diese halbirte die Kurve seines
Bücklings. Dann gelangte er, immer tiefer sich verneigend über den
Hanswurst, den Abbe, den Rath Hemmstoff und den Obrist-Lieutenant,
endlich beim Lord als dem Vornehmsten an, und befand sich dort genau
in der (nach den ersten Ceremonienmeistern) schönsten Stellung der
Ehrfurcht, in welcher sich das Haupt und ein anderer Theil des Körpers
im Niveau befinden, oder gleichsam als die beiden Schaalen der Waage
an dem krummen Waagebalken des Rückens schweben. An diesem bildete
beim Grafen Regenbogen der Kammerherrn-Schlüssel, der sich durch die
veränderte Lage nach Newtons Gesetz der Schwere ganz richtig vertikal
mit dem Bart nach dem Himmel deutend, gestellt hatte, nicht ungeschickt
des Zünglein. In dieser Stellung also befand sich der Graf; doch zu
seinem Mißgeschick eine Sekunde zu lange. Denn urplötzlich öffnete
sich unvermuthet die Thür, und Brückbauer trat rasch ein. Das Unglück
wollte, daß die der Hirnschaale entgegengesetzte Schaale der Waage, in
welcher Graf Regenbogen stand, sich um einen Pariser Zoll zu nah an der
Thür befand, und so durch einen Stoß lädirt werden konnte, den man mit
vollem Rechte im eigentlichsten Sinne hinterrücks nennen mußte, denn
er traf wirklich eine Gegend, die sich in dem angenommenen _statu
quo_ noch hinter dem Rücken befand. Ein geschickter Mechaniker
wird die Folgen dieses Ereignisses leicht berechnen können; doch da
so gründliche Gelehrsamkeit nicht von allen Lesern zu fordern ist, so
muß ich es hier berichten. Der Graf wurde durch den Choc beträchtlich
aus dem schwebenden Gleichgewicht gebracht. Die vordere Schaale senkte
sich, die correspondirende stieg, das Zünglein schlug über, und das
Toupet, dieses achte Wunderwerk der Haarbaukunst, wurde zwischen den
Fußteppich des Zimmers und der Hirnschale des Kammerherrn entsetzlich
zermalmt. „Goddam,“ schrie Monday: „o weh,“ Henriette, „äh wai“ der
zehnstimmige Chor, (der, nach diesem Beispiele zu urtheilen, gleich
wie bei den Alten, sich anderer Dialektformen zu bedienen schien,)
„_ah mon dieu_“ der Abbe, „alle Teufel,“ der Obrist-Lieutenant.
-- Hemmstoff und Werner sprangen den Unglücklichen zu Hülfe. Am
erstauntesten schien Brückbauer; er stand mit offnem Munde in der
Thür, und konnte sich nicht entscheiden, ob er vorwärts schreiten,
um Verzeihung bitten, oder zurückspringen und verschwinden sollte.
Endlich vermochte ihn die zurufende Henriette, das erstere zu wählen.
Allein so wie man ihn ansichtig wurde, ertönte ein plötzlicher Schrei
des Entsetzens, und der eben aufgerichtete Graf prallte drei Schritte
zurück und rief: „blutbefleckter Mörder, hebe dich weg von mir!“ In
der That sah Brückbauer auch etwas blaß aus, und seine Kleider waren
mit Blut besprützt. „Um Gottes willen, was ist geschehen?“ fragte
Henriette, „woher dieses verstörte Ansehen?“ „Goddam! ein Duell!“
rief der Engländer. „Lassen Sie mich nur zu Athem kommen, meine
Allertheuerste,“ sprach Brückbauer mit sichtbarer Anstrengung; „Sie
sollen gleich erfahren, welches entsetzlichen Auftritts Zeuge ich
gewesen bin.“ Während dieser Unterredung war der gestürzte Graf vor den
Spiegel getreten, und erblickte die völlige Vernichtung seines Toupets.
Leichenblaß sank er zurück, und fiel dem Hanswurst in die Arme. Dieser
rief erschüttert: „Regenbogen, Sie verlieren die Farbe. Fassen Sie
sich! Theurer Regenbogen, soll ich Sie mit Wasser besprengen? O,
richten Sie sich auf, Vortrefflicher!“ Matt sagte endlich der Graf:
„Es ist nun vorüber! Fahren Sie fort Director Brückbauer, ich bin sehr
gespannt auf Ihre Neuigkeit, denn ich muß sogleich zu Sr. Durchlaucht,
der ich alle Mittag bei Tafel einiges Neue mitzutheilen suche.“
Regenbogen sprach den Wunsch der ganzen Versammlung aus, und Brückbauer
begann nun folgendermaßen.

„Nie ist ein Director zugleich freudiger und erschreckter gewesen
als ich. Stellen Sie sich vor! So eben war ich im Büreau bei meinem
Kassirer, und befragte ihn, wie es mit dem Verkauf der Billets zu der
morgenden Vorstellung, in der Sie, theure Henriette, zum ersten Male
in der Rolle der Amande auftreten werden, beschaffen sey. Ich erhalte
die freudige Antwort, daß nur noch ein einziges Billet zu haben ist.
In diesem Augenblick treten zwei Offiziere, der Lieutenant Spitzdegen,
ein gewandter Tänzer und Fechter, und der Lieutenant Maulbeer,
sein Busenfreund, zugleich ein. Beide fragen wie aus einem Munde,
ob sie noch Billets zu der Amande haben können. Der Kassirer zeigt
achselzuckend das letzte vorhandene. Wie Harpyen auf das Königsmahl
stürzen beide darauf los. Streit erhebt sich; wir wollen vermitteln;
vergeblich! die Degen blinken schon in der Hand beider gewandten
Fechter; umsonst springen wir dazwischen. Schnell wie der Blitz fallen
die Hiebe, wie Hagel so dicht; -- und ehe eine Minute verflossen war,
lag Maulbeer von einem furchtbaren Hiebe getroffen, blutend am Boden,
und Spitzdegen, der auch nicht ohne Wunde davon gekommen war, spießte
triumphirend das Billet auf den Degen, und schritt mit der theuren
Beute hinaus.“ Und der Verwundete? fragte Henriette zitternd und
fast in Thränen. „Wird sogleich nach seiner Kaserne gebracht werden,“
antwortete der Director. „Goddam!“ rief der Lord, „die Geschichte
verdiente in London passirt zu seyn!“ „Ja, in Bedlam!“ sprach Werner
stark betonend. „Eine delicieuse Neuigkeit!“ rief der Graf Regenbogen
entzückt, und schien über den Verlust seines Toupets ganz getröstet.
Der Lord war im sichtlichen Aerger, daß er keine Antwort für Werner
bereit hatte; doch sicher wäre er wenigstens mit einer Grobheit bei der
Hand gewesen, wenn nicht eine andere Begebenheit plötzlich alles aus
der Fassung gebracht hätte. Die schöne Sängerin, die, um ihre Unruhe
zu verbergen, sich gegen das Fenster gewandt hatte, sank nämlich mit
dem Rufe: „Ums Himmelswillen!“ ohnmächtig nieder. Alles sprang ihr zu
Hülfe; auch der Lord wollte sich auf eine dreiste Art thätig zeigen und
rief: „Man muß ihr das Corset öffnen!“ Doch Werner stieß ihn ziemlich
unsanft bei Seite, und brachte mit Luisens, des Kammermädchens, Hülfe,
die Ohnmächtige, in das Nebenzimmer. Nach einer Minute kam er zurück
und sprach zur Gesellschaft: Die Kranke ist der Obhut ihres Mädchens
und ihrer alten Pflegerin, einer erfahrnen Frau anvertraut. Auch ist
nach einem Arzt gesandt. Ihre Güte, meine Herrn, ist daher unnütz.
Für den guten Willen ist Fräulein Henriette gewiß dankbar. Da aber
Ruhe jetzt das erste ist, dessen sie bedarf, so hoffe ich, Sie werden
meinem Beispiele folgen und das Haus verlassen! Bei diesen Worten griff
er nach seinem Hut und ging. Der Lord fragte Regenbogen: „Sagen Sie
mir, wer ist der unverschämte Mensch, der hier thut, als sei er Herr
des Hauses?“ Wer kann alle _mauvais sujets_ kennen, antwortete
Regenbogen. Aber kommen Sie, mein Bester. Wir speisen wahrscheinlich
zusammen bei der Durchlaucht? -- „Versteht sich,“ erwiederte Monday.
Sie gingen, die übrige Gesellschaft folgte. Vor der Thür sahn sie die
Ursach von Henriettens Ohnmacht. Der verwundete, ganz mit Blut bedeckte
Offizier wurde die Straße hinab getragen. Man sah, daß Werner die Bahre
begleitete.



7. Die ausgewetzte Scharte. Das Krankenzimmer.


Die Gesellschaft nahm ihren Weg nach verschiedenen Richtungen.
Hemmstoff und der Hanswurst fuhren zusammen zum Hof-Traiteur um dort
zu Mittag zu essen. Als sie ins Zimmer traten, erblickten sie in
einer Ecke desselben Wicken, der schwermüthig und düster vor sich hin
starrte, und das Beefsteck, welches vor ihm stand, kaum zu beachten
schien. „Nun Rath, wie gehts?“ fragte der Hanswurst. „Denken Sie über
eine neue Kritik nach?“ „Ha Sie Abscheulicher!“ fuhr Wicke auf. „Sie
sind die Ursach meines Unglücks; denn Sie haben zuerst behauptet, ich
sey der Verfasser dieses Pamphlets.“ „Nun sind Sie’s denn nicht?“
entgegnete der erstaunte Hanswurst. „Ei mag der Teufel! Heut früh
erhielt ich das Blatt und stieß auf den verwünschten Artikel, dessen
Anfang so höchst schmeichelhaft und geistreich verfaßt zu seyn schien.
Natürlich glaubt ich, das Ding geht auch so zu Ende, denn wer Henker
mag vermuthen, daß sich der Wind so dreht. Ich war froh über den Fund,
steckte das Blatt ein, und freute mich, es der Henriette vorzulesen.
Und nun stachelt Sie der lebendige Teufel, mich mit Gewalt zum
Verfasser des Aufsatzes zu machen, welches ich nur zugab, um nicht mit
Ihnen zu streiten. Jetzt steckt der Karren im Koth, wer zieht ihn nun
heraus?“

„Ha, ha, ha, ha! Göttlich, delicieus, unnachahmlich!“ rief der
Hanswurst. „Nicht mit Gold zu bezahlen! Also hat meine Tollheit Ihre
Eitelkeit verführt, und Sie sind in Teufels Küche gerathen? Das ist auf
Ehre eine sublime Geschichte!“ Und Sie wollen noch lachen? fragte Wicke
halb weinend. „Bis ich platze, ha, ha, ha, ha!“ „Das ist zu viel!“
rief Wicke entrüstet, „wäre ich nicht von der Justiz, ich würde Sie
fordern. So erlauben es mir die Gesetze nicht!“ „Aber beruhige Dich
doch Freund,“ sprach Hemmstoff, „dein Beefsteck wird kalt, und der
Aerger verdirbt Dir überdies den Appetit!“ „Was soll ich aber machen?
Ich bin lächerlich vor der halben Stadt,“ rief Wicke, „und er ist
Schuld!“ „Ich mag den Teufel Schuld seyn, ich glaubte wirklich, Sie
wären der Verfasser. Leugnen können Sie’s ja doch nicht, daß Sie oft
schriftstellern. Aber Sie nehmen die Sache auch zu schlimm. Nichts
ist leichter, als das Ding zu redressiren. Sie schreiben der schönen
Henriette ein zartes Billet, worin Sie erklären, daß ein boshafter
Feind die zweite Hälfte Ihres Aufsatzes zugesetzt habe, und schicken
ihr das Manuscript des Dinges, wozu Sie den Anfang so weit abschreiben,
als Sie ihn brauchen können. Das verbreiten wir weiter, und in 3 Tagen
hält man Sie sogar für einen Märtyrer! So gewinnen Sie noch bei der
Sache.“ „Das ist wahr,“ sprach Wicke und trocknete sich seine Thränen
ab; „Ihr Rath ist gut.“ „Bezahlen Sie ihn mit hundert Austern?“ „Mit
Vergnügen,“ rief Wicke, und bestellte sie. Hemmstoff lobte jetzt diese
Art, die Sache in’s Gleiche zu bringen, auch, und man setzte sich
beruhigt und guter Dinge zu Tische.

Indeß müssen wir auch Henrietten in ihrem bedenklichen Zustande wieder
besuchen.

Der heftige Schreck, den sie über den Lieutenant Maulbeere gehabt
hatte, den man ganz unvermuthet aus dem gegenüberstehenden Hause,
in welchem die Billets verkauft wurden, heraustrug, hatte sie in
Ohnmacht geworfen. Zum Glück dauerte indeß dieser Zustand nicht lange,
sondern sie erholte sich sehr bald, und ihre erste Frage war nach dem
Verwundeten. Man sagte ihr, Werner habe es schon übernommen, dafür zu
sorgen, daß der Kranke vorsichtig nach Hause gebracht und verpflegt
werde. Demnach erwartete sie mit ängstlicher Ungeduld die Rückkehr des
thätigen Freundes, weil der blutige Anblick sie zu heftig erschüttert
hatte, und sie sich den Verwundeten nicht anders, als in den heftigsten
Leiden und Schmerzen denken konnte.

Maulbeere, dieß müssen wir berichten, gehörte zu ihren großen
Verehrern, und war ihretwegen fast zum Theaterpfeiler geworden. Seine
Leidenschaft äußerte sich darin vorzüglich, daß er seine Göttin jedes
Mal, wenn sie öffentlich auftrat, sah, und ihr unablässig bravo
und da capo zurief. So war er der ganzen Stadt bekannt, und jeder
Theatergänger wußte schon, wo er ihn zu suchen habe, nämlich auf der
linken Seite der Sperrsitze. Die gütige Henriette litt seinetwegen
eine Stunde der Angst; doch nach Verlauf dieser kam Werner zurück,
bestellte dem Kammermädchen, daß es mit Maulbeeres Wunde nichts auf
sich habe, und fragte nach dem Gesundheitszustande Henriettens. Als er
erfuhr, daß sie ziemlich wohl, nur etwas matt und vorzüglich nur noch
durch die Besorgniß um den Verwundeten angegriffen sey, ließ er durch
das Kammermädchen anfragen, ob er gegen Abend wieder zu ihr kommen
dürfte, er habe ihr etwas, was ihr selbst nicht unwichtig seyn werde,
zu entdecken. Sie gewährte es ihm, und er ging sichtlich froh hinunter.

Um die Dämmerungsstunde stand er wieder vor ihrer Thür. Luise, die
auf sein Schellen öffnete, fragte halb heraussehend: „Sind Sie es,
Herr Werner?“ „Ja, Luise, ich bin’s.“ „Ach, lieber Herr Werner, mein
Fräulein ist nicht allein; der Lord ist bei ihr, und will nicht wanken
noch weichen. Schon zehnmal hat Fräulein Henriette ihm zu verstehen
gegeben, daß sie gern allein seyn möchte, doch Sie kennen ihn ja
selbst und werden sich’s denken, daß er nicht versteht, was er nicht
verstehen will.“ „Der Unverschämte!“ rief Werner, „aber dießmal soll er
fort, und wäre er angeschmiedet.“ „Um Gotteswillen, begehen Sie keine
Unbesonnenheit, lieber Herr Werner,“ bat das Mädchen, „mein Fräulein
würde sich auf den Tod ängstigen.“ „Sey ruhig, Luise, ich will ihn nur
durch List fortbringen. In einer halben Stunde bin ich wieder hier,
und werde zweimal schellen; öffne Du mir alsdann selbst, so wollen wir
ihn schon hinausschaffen.“ Damit ging er die Treppe wieder hinab. Zur
bezeichneten Zeit kam er zurück, und that, wie er gesagt hatte. Luise
öffnete ihm mit freudigem Gesicht, und erzählte, vor zwei Minuten sey
ein Diener in feiner Livree dort gewesen, habe nach dem Lord gefragt
und ihm ein Billet überbracht, worauf dieser schleunigst hinweggegangen
sey. „So ist meine Maaßregel zum Glück nicht nöthig,“ erwiederte
Werner, und steckte etwas in seine Tasche, was Luise nicht erkennen
konnte. Darauf trat er ein.



8. Bekenntnisse.


Er fand Henrietten in ihrem Kabinet auf dem Sopha sitzend, mit einem
Buche in der Hand. Neben ihr stand ein Tisch, den eine Astrallampe
freundlich, doch nicht zu hell erleuchtete. Die dunkelgrünen Vorhänge
der Fenster hatte sie dicht zugezogen. Das Zimmer war so still und
heimlich, die schöne Bewohnerin sah so gütig und vertraulich aus, die
ganze Umgebung machte einen so wohlthuenden Eindruck, daß Werner sich
einen Augenblick so befangen darin fühlte, daß er, der seines Thuns
sonst so gewiß war, fast die Fassung verloren hätte. „Zürnen Sie mir
nicht,“ begann er endlich, „daß ich störend in diese holde Stille,
in diese heimliche Umgebung trete?“ „Ich freue mich darauf, sie mit
Ihnen zu genießen,“ erwiederte sie, „denn ich hoffe, Sie bleiben den
Abend bei mir. Es ist der erste, seit ich in dieser Stadt bin, den ich
mein nennen kann.“ „Eben darum,“ entgegnete Werner, „fühle ich das
Unrecht, welches ich begehe, indem ich ihn Ihnen raube. Die Einsamkeit
ist ein schönes Gut!“ „Sie haben Recht, aber nur für Hoffnungslose und
Glückliche. Ich bin keines von beiden;“ antwortete sie ernst. „Nicht
glücklich, Henriette? Ist das Ihr Ernst?“ „Gewiß! Sie zweifeln auch
nicht daran, wenn Sie sich z. B. des heutigen Vormittags erinnern
wollen. Aus einer langen Reihe solcher Tage besteht mein Jahr, mein
Leben. Man sättigt mich ewig mit Schaugerichten und betäubendem
Weihrauch, der mich ermüdet und ermattet. Ach, und wie oft sehne ich
mich nach einem Tropfen reinen, klaren Bergwassers, aus dem Kelch
der reinen unverdorbenen Natur! Doch lassen wir das! -- Sie sprachen
von der Einsamkeit. Sie ist doch nur ein sehr bedingtes Glück. Mir
scheint es, sie wird nur dann unsere Freundin, wenn uns Freunde fehlen,
oder wenn wir von den Menschen so verwundet sind, das wir sie alle
unterschiedslos verbannen.“ „Doch Sie meinten,“ erwiederte Werner,
„daß auch der Glückliche die Einsamkeit liebe? Warum denn er?“ „Aus
demselben Grunde, wie mir scheint. Wer ein überseliges Herz hat, dem
müssen selbst liebe Freunde bisweilen zu wenig seyn, und daher zieht
man sich in die einsam vertraute Stille zurück, um in seinen Gedanken
zu schwelgen, die immer ein höher Glück gewähren, als die Wirklichkeit
giebt. Und dann noch eins; ich glaube, ein wahrhaft Glücklicher fühlt
bisweilen das Bedürfniß, dem Urheber alles Glücks so recht herzinnig
zu danken -- und dazu muß man einsam seyn. So auch jedes Herz, das
sich in der Angst seiner Schmerzen zum Himmel wendet.“ Werner schwieg
einen Augenblick. Dann fragte er: „Hat Sie Ihre Lektüre auf so ernste
Gedanken gebracht?“ „Kennen Sie das Buch nicht mehr?“ entgegnete sie,
„und doch waren Sie der Erste, durch den ich damit bekannt wurde, und
ich selbst durch das Buch Ihnen.“ „Also Jean Pauls Titan?“ fragte
Werner. „Ganz recht, und ich las mit tiefer Wehmuth darin. Das große
Herz, dem dies ewige Buch entquoll, schlägt nun auch nicht mehr! Mir
war bei der Nachricht, als habe ich einen meiner liebsten Freunde
verloren!“ Bei diesen Worten drang eine Thräne in Henriettens schönes
Auge, sie wollte indeß ihre Bewegung verbergen, und stand auf, um
zu schellen. „Den Thee, liebe Luise!“ sprach sie zu dem eintretenden
Mädchen. „Ich will heut einmal Ihre Wirthin seyn, und Ihnen den Beweis
geben, daß ich gern Ihren großen Dienst erwiedern möchte.“ „Die
Kleinigkeit,“ entgegnete Werner, „wie mögen Sie doch nur so lange daran
denken.“ „Ich werde es gewiß nie vergessen,“ erwiederte Henriette.
„Es ist mir eine sehr liebe Erinnerung. Noch sehe ich mich hinter dem
Wagen hergehen, der den steilen Berg leer hinabfahren mußte, weil ich
mich fürchtete. Die ganze reizende Gegend steht vor mir. Das grüne Thal
zu meinen Füßen, in welchem sich das freundliche Dorf ausbreitete,
die zackigen Felsen zur Linken, der reissende Bergstrom, der an ihrem
dunkel bewaldeten Fuß dahin brauste, und rechts der schöne dunkle
Buchenwald! -- Ja, ich könnte den Stein malen, auf dem Ihr Buch lag.
Ich sehe es noch, wie der Fuhrmann sich umwendete, mit der Peitsche
auf das Buch deutete, und mir zurief: „Fräulein, dort liegt Etwas
für Sie!“ Neugierig trat ich hinzu, sah das aufgeschlagene Buch, und
vermuthete sogleich, irgend ein Reisender werde es vergessen haben.
Lianens Tod war die erste kostbare Perle (denn Perlen deuten ja auf
Thränen), welche ich aus diesem reichen Schatz kennen lernte. Der
Himmel lag eben im Rauch der Abendröthe, wie er im Buch geschildert
wird. Die Natur war so überaus schön, und das Herz doch so schmerzlich
bewegt. Ich vertiefte mich im Lesen. Der Wagen kam mir bei der Wendung
des Weges aus dem Gesicht, und wie ich aufblickte, standen Sie vor
mir. Was müssen Sie doch gedacht haben?“ „Ich war innigst erfreut,“
entgegnete Werner, „daß mein Lieblingsschriftsteller Ihnen gleich bei
der ersten Bekanntschaft auch so theuer wurde. -- Auch ich bewahre das
Andenken jenes Tages als eines meiner glücklichsten. Wir gingen nur
den kurzen Weg bis ins Dorf hinunter zusammen; doch da ein seltsames
Begegnen auf einer bedeutenden Stelle näher rückt, als ein jahrlanges
Nebeneinanderstehen in gewöhnlichen Kreisen des Lebens, so waren auch
wir schnell vertrauter mit einander geworden. Ehe wir das Dorf erreicht
hatten, wußte ich, was Sie in der Welt, was Sie in ihrem Herzen waren;
und daß ich, ein armer Musiker, mit leidlichem Eifer für seinen Beruf
sey, war Ihnen auch nicht verborgen geblieben.“ „Doch noch schneller,
als wir bekannt wurden, waren Sie ~gütig~ gegen mich,“ entgegnete
Henriette. „Es ist wirklich kein geringes Opfer, wenn man, wie Sie,
einen Tag lang zu Fuß gewandert und ganz durchnäßt worden war, sein
behagliches Nachtlager einer Fremden abzutreten. Nun, Sie sollen dafür
gewiß immer freundlich aufgenommen seyn, so oft Sie sich bei mir
zeigen.“ Dabei bot sie ihm mit unschuldiger Freundlichkeit die Hand,
welche Werner lebhaft ergriff und mehr als artig küßte. Indem trat
Luise mit dem Thee ein. Jetzt wurde Henriette die sorgsame Wirthin. Mit
angeborner Zierlichkeit verwaltete sie alle jene kleinen Pflichten, die
einer Frau so gut stehen. Sie wußte in das Unbedeutendste den Ausdruck
der Freundlichkeit zu legen, die sich bei einer wohlwollenden Seele
selbst in den geringfügigsten Kleinigkeiten zeigt. Die Art, wie sie
eine Tasse füllte, halb seitwärts sehend, um dem Auge ihres Gastes
abzumerken, wenn er befriedigt seyn würde; die freundliche Miene, mit
der sie ihm den Zucker und das Gebackene reichte; ihr gutmüthiges
Zureden, wenn er dankte; der Ausdruck ihres Gesichts, der so bestimmt
sagte, daß es sie freue, wenn ihr Gast sich behaglich finde, alles
zusammen bildete eine höchst anmuthige Erscheinung. Es war zu sehen,
wie Werner dies alles empfand, denn ohne zu sprechen, begleitete er
jede Bewegung der freundlichen Gestalt mit seinen Blicken. Endlich
brach er das Schweigen. „Ich fühle mich innerlich beschämt,“ sagte
er, „so viel Güte von Ihnen zu genießen und dabei das Bewußtseyn zu
haben, daß ich sie so wenig, ja sogar nicht verdiene. Wenn Sie wüßten,
wie sehr ich heute zum Verräther an Ihnen geworden bin!“ „Wie so?“
fragte Henriette. „Sie sollen es hören, denn ich kam in der Absicht,
es selbst zu gestehen. Die strenge Beurtheilung, welche heute Morgen
der unglückliche Rath, wahrscheinlich durch den parodirenden Eingang
getäuscht, für die seinige ausgab, war von mir.“ „Und das,“ unterbrach
Henriette lebhaft, „nennen Sie Verrath? Ich versichere Ihnen, ich bin
ganz Ihrer Meinung. Sie thun mir nur darin Unrecht, daß Sie meiner
Neigung und Wahl das beimessen, was eigentlich nur die Schuld der
Umstände ist. Denn leider habe ich bei diesem unglücklichen Theater
gar keine Wahl. Doch, mein aufrichtiger Freund, haben Sie vollkommen
richtig geurtheilt, und dürfen diese Wahrheitsliebe nicht mit dem Namen
Verrath entehren.“ „Das thue ich auch nicht,“ entgegnete Werner; „ich
nenne nicht mein Urtheil einen Verrath. Allein ich habe Sie auf andere
Weise schwer gekränkt. So mühsam ich’s überwinde, muß ich es doch
aussprechen. Ich glaubte in der That, denn es schien mir unmöglich,
daß es nicht seyn sollte, die lobpreisende Stimme der Menge, und
die zum Theil völlig gerechten Huldigungen, die man Ihnen von allen
Seiten dargebracht hat, möchten Ihren richtigen Blick über sich selbst
geblendet, ja, Sie vielleicht als eine Art von geistigem Capua gegen
die rauhe Luft selbst gerechten Tadels so empfindlich gemacht haben,
daß Sie den Verfasser eines Aufsatzes, wie der meinige, für Ihren Feind
halten würden. Ich konnte an Ihnen eine solche Verirrung nicht ohne
Schmerz ertragen, deßhalb beschloß ich, auf die ausgeführte Art Sie auf
die Probe zu stellen. Hätte der Rath nicht vorwitzig selbst gelesen, so
würde ich einen Vorwand gefunden haben, mitten unter Ihren Bewunderern
diesen Aufsatz vorzutragen. Wie beschämt stand ich aber, als Sie so
ganz rein aus der dunklen Wolke des Verdachts traten, wie fühlte ich
mich gedrungen, Ihnen zu gestehen, wie klein ich von Ihnen gedacht!
Können Sie das Ihrem Freunde vergeben?“ Dabei faßte er ihre Hand und
sah ihr ins Auge. „Ich will ihn nur bitten,“ entgegnete sie mit sanfter
Freundlichkeit, „sich recht nahe mit mir bekannt zu machen, ja, mich
nie aus dem Auge zu lassen, damit er mich nicht wieder der Schwäche
fähig halte, wo ich ihr nicht unterworfen bin, und da recht aufrichtig
tadle und mir beistehe, wo er mich fehlen und irren sieht. Wollen
Sie das?“ „O, wie verdiene ich solche Güte!“ rief Werner. „Ich kann
meinen Fehler nur dadurch verbessern, daß ich mich dieses Vertrauens
ganz würdig mache. Und das will ich, so wahr ich lebe! So lassen Sie
mich gleich anfangen. Warum geben Sie dieß Leben nicht auf? Weßhalb
bleiben Sie in dieser lästigen Sklaverei des Theaters, die sogar Ihrer
zarten Weiblichkeit unwürdige Opfer auferlegt?“ Henriette seufzte.
„Genügt Ihnen,“ fuhr Werner fort, „nicht ein stilles, freilich aber
beschränkteres Loos? Würden Sie verzweifeln, das zu finden?“ „Mein
aufrichtiger junger Freund,“ sprach Henriette bewegt, „wären Sie doch
eben so besonnen, eben so unterrichtet! Betrachten Sie mein Leben von
Jugend auf. Am Theater wuchs ich auf. Ich mußte mich gewöhnen, trotz
allen Glanzes, der uns oft umgiebt, auch manche harte Demüthigung zu
dulden, der der Stand, den mir das Schicksal zuwies, unterworfen ist.
Ich weiß wohl, daß, wie gern man uns in Gesellschaften, selbst in der
vornehmsten, sieht, wie sehr man sich freut, wenn wir zuvorkommend
gegen die Verehrer sind, die uns umgeben, man uns dennoch nicht in
die ärmsten Familien gern als Mitglieder aufnehmen und es doch für
eine Mißheirath halten würde, wenn sich der seichteste Stutzer mit uns
verbinden wollte. Keinen Künstlerstand trifft dieses Loos so, als uns;
das weiß ich wohl, auch die Gründe sind mir bekannt, und ich kann sie
nicht ganz verwerfen. Und dennoch, was bleibt mir? Für diesen Stand
bestimmt, fehlt mir die Ausbildung, die ich als Erzieherin nöthig
hätte, und die Stelle einer bloßen Gesellschafterin scheint mir doch zu
geringfügig, da ich einer Kunst leben kann, die doch etwas Wesentliches
bedeutet, wenn gleich sie fast unter der Last des Unwesentlichen,
womit die Thorheit der Menge sie behängt, erdrückt wird. Welch’ andere
Zuflucht hätte ich nun noch? Die Arbeit meiner Hände! Aber die ist
nicht im Stande, meine jüngeren, unmündigen Geschwister zu ernähren,
für die ich mich opfere, um sie einem Stande zu entziehen, der freilich
einem Herzen, das am Edlen hängt, wenig Erfreuliches bietet. Ich
muß mich also damit begnügen, das Bewußtseyn in mir zu tragen: ich
bin besser, als mein Stand, selbst wenn meine besten Freunde daran
zweifeln.“ Hier brach ihr die Stimme, weil die lange zurückgehaltenen
Thränen jetzt mit Gewalt hervordrangen. Sie lehnte erschöpft das Haupt
auf die Kissen des Sophas und ließ Werner die Hand, der sie heftig
ergriffen hatte und mit Freundeswärme drückte.

Einige Augenblicke herrschte ein leises Schweigen. Werner stand auf und
ging im Zimmer auf und nieder, wie wenn er mit einem großen Entschluß
kämpfte. Endlich trat er wieder zu Henrietten. Sie trocknete mit ihrem
Tuch die Thränen, und sah ihn, so freundlich sie vermochte, an. „Nun
wissen Sie Alles; lassen wir das nun ruhen. Ist es nicht thöricht,
daß wir einen so seltenen, vertraulichen Abend so trüben Betrachtungen
widmen wollen? Sie hätten mir etwas vorlesen, oder mit mir Musik machen
sollen. Ich habe manches, was ich sehr liebe, vielleicht seit Jahren
nicht gesungen. Doch Sie sehen ja gar so ernst aus? Was ist Ihnen?“
„Henriette,“ sprach Werner mit tief bewegter Stimme, „ich könnte Ihnen
noch einen Ausweg zeigen, der Sie einem Stande entnähme, den Sie,
wie ich überzeugt bin, nicht um seinetwillen erwählt haben. Ich weiß
Jemand, der für Ihre Geschwister sorgen könnte, und Ihnen, wenn auch
nur einen eingeschränkten, doch sicheren, ruhigen, der Weiblichkeit
ganz angemessenen Wirkungskreis zu bieten vermöchte.“ Henriette sah ihn
ahnend an; sein Händedruck wurde stärker; sie neigte sich ihm sanft
entgegen; er rief heftig: „Wollen Sie die Meine seyn?“ und sie sank an
sein Herz.



9. Pläne für die Zukunft. Die Rechtfertigung.


Sie hielten sich lange stumm umfaßt. Die große heilige Wallung ihrer
Herzen vermochte nicht Worte zu finden. Nach einigen Minuten standen
sie auf, und gingen Arm in Arm, wobei sich Henriette dicht, fast
schüchtern sich verbergend, an den Freund schmiegte, im Zimmer auf
und nieder ohne zu sprechen. Werner hatte seinen Arm um ihren Nacken
gelegt, und hielt mit der Linken ihre zitternde Hand, die er von Zeit
zu Zeit an die heißen Lippen drückte. Endlich stand er still, stellte
sich vor sie und rief: „Ist es aber wahr, ist es möglich, bin ich denn
wirklich so überaus glücklich?“ Und sie sank ihm von neuem an das Herz
und lispelte schüchtern: „bist Du denn wohl so glücklich als
ich?“ -- --

Erst jetzt gewann nach und nach ihr Zustand die Sprache wieder.
Sie nahmen den vertraulichen Platz auf dem Sopha wieder ein, und
Werner, der ihr zuvor nur gegen über geseßen hatte, wurde jetzt ihr
Nachbar. Die glückliche Gegenwart genießt sich ohne eine Kunst von
selbst. Das Glück der Erinnerung wie der Zukunft wird erst durch eine
besondere Thätigkeit wieder vor die Seele der Menschen gebracht. So
gefielen sich denn unsere Liebenden auch darin, die holde Gestalt der
Gegenwart noch mit Blumen der Erinnerung und Zukunft zu schmücken.
Jeder Moment, den sie seit jenem ersten Begegnen auf der Reise mit
einander zugebracht hatten, die Zeit, wo sie getrennt gewesen waren,
bis zu der Wiedervereinigung in der Residenz, alles wurde auf das
genaueste besprochen. Endlich fragte Werner, als der besonnenere Mann
und der, dem hierbei die nächste Pflicht oblag, zuerst: „Wie aber
soll nun unsere Zukunft seyn? Wie wollen wir uns durch die äußern
Lebensverhältnisse mit Ehre, Glück und Zufriedenheit hindurch kämpfen?
Denn dem Theater kann ich dich, theure Henriette, nicht lassen.“ „Nein,
um des Himmels Willen nicht,“ sprach diese. „Laß uns weit von dem
Geräusch der Welt in heimlicher, lieber Stille leben, wo ich nur dir
gehöre.“ „Das möchte schwer, wo nicht unmöglich auszuführen seyn,“
antwortete er. „Nur in einer größern Stadt kann ich mein Talent und
meine Kenntnisse so geltend machen, daß sie die Früchte tragen deren es
bedarf, um Dich und die Deinen in einer sorgenlosen Unabhängigkeit zu
erhalten. Für den Anfang besitze ich zum Glück einiges Vermögen; wenn
es auch gleich nur gering ist, so reicht es doch hin, die Bedürfnisse
der nächsten Jahre zu decken. Und dann hoffe ich mit Gott so weit zu
seyn, daß ich diesen Stab wegwerfen kann.“ „Und glaubst Du denn,“
erwiederte Henriette erfreut, „ich sey so ganz hilflos? Nein, ich kann
Dich auch gewiß mit so manchem erfreuen, was ich bereits erworben
habe; denn ich dachte immer an einen Wechsel des Glücks, und an die
lieben Geschwister. Die werden doch alsdann mit uns seyn und leben?“
„Gewiß meine Liebe,“ sprach Werner, und küßte ihr die hold zur Frage
geöffneten Lippen, „wir werden ~eine~ glückliche Familie seyn! Ich
freue mich recht auf die Zeit, wo man im Erreichen vieler kleinen Ziele
ein Glück finden, und in dem geringsten Erwerb eine Freude sehen wird,
da er sich gleich zu Nutzen und Frommen lieber Angehörigen verwenden
läßt. Wer ohne alle Mühe vorfindet, was er braucht, genießt nicht halb
so, als der da mühsam arbeitend erwirbt. O, wie fühle ich mich stark,
für Dich, liebes Wesen, alles zu unternehmen, um Dich nur aus dieser
das Bessere erdrückenden Lage zu befreien.“ -- In dieser Art spann
sich das Gespräch fort. Pläne wurden entworfen und verworfen; andere
mit neuer Lust und neuem Muth angefangen und ebenso gemißbilligt, wo
sie sich unhaltbar zeigten. Wir wollen die nur den Liebenden wichtigen
Angelegenheiten übergehn und uns mit dem Hauptplan begnügen, der darin
bestand, daß Henriette, sobald ihre Verpflichtungen aufhörten, das
Theater verlassen solle. Zum Beschluß ihrer öffentlichen künstlerischen
Laufbahn, und um das Nöthige zu einer Einrichtung ihres Hauswesens,
das, auf die Geschwister berechnet, weiter ausgedehnt werden mußte, zu
erwerben, wollte sie ein Concert veranstalten, zu dem sie schon lang
aufgefordert worden war. Werner sollte indeß mit seinem Vater, dessen
Einwilligung er bedurfte, sich brieflich einigen, und verschiedene
Schritte thun, um eine Stelle als öffentlicher Lehrer der Tonkunst an
der Universität zu erhalten, die eben offen stand. -- Unter diesen
Gesprächen und Luftschlössern war der Abend fast verstrichen. Da
schallte es unvermuthet noch an Henriettens Thür. Louise trat mit einem
Briefe herein, den der Rath Wicke gesendet hatte. „Wir wollen ihn nicht
öffnen,“ sprach Henriette, „wer weiß, was er Unangenehmes enthält!“
Doch Werner war anderer Meinung, indem er sagte, es sey doch möglich,
daß der Brief etwas enthalte, welchem man vielleicht umso besser
ausweichen könne, falls man zeitig unterrichtet wäre. Er wurde daher
erbrochen, Henriette las ihn vor:

    Hochverehrteste, holdeste, liebreizendste
    Henriette!

    „Das grausame Geschick, im Bunde mit schwarzen Verräthern, hatte
    sich diesen Morgen gegen mich verschworen. Ich war allerdings der
    Verfasser jenes Aufsatzes, aber nur seiner ersten Hälfte. Irgend
    ein hämischer, boshafter Feind, dem ich auf die Spur zu kommen
    denke, hatte meinen Schluß gestrichen und sein Pamphlet angefügt.
    Das unterzeichnete W., der Anfangsbuchstabe meines Namens, sollte
    den Verdacht auf mich wälzen, als sey ich der freche Beleidiger
    Ihrer holden Anmuth und bezaubernden Kunst. Die Bereitwilligkeit,
    die ich hatte, den Aufsatz vorzulesen, und mein Entsetzen, das
    mich aller Faßung beraubte, als ich ihn so abscheulich verstümmelt
    sah, mögen zuerst für die Wahrheit meiner Behauptung, für die
    Treue meiner Gesinnung zeugen. Alsdann aber würdigen Sie auch das
    beiliegende Blatt eines Blickes, und überzeugen Sie sich durch
    die Mittheilung meiner Urschrift, wie ich von Ihnen denke. In der
    Hoffnung, daß Sie jetzt mich wieder Ihrer würdig achten, und mich
    nicht grausam verdammen werden,

    Ihr ewig getreuer Verehrer
    Wicke.“

Die Beilage enthielt eine Fortsetzung des Aufsatzes in den
übertriebensten und tollsten Ausdrücken, die wir dem Leser nicht
aufdringen wollen. Zu einer andern Zeit möchte diese vorgebliche
Rechtfertigung des Rathes höchst komisch erschienen seyn. Jetzt waren
die Liebenden zu glücklich, um die Sache einer längern Aufmerksamkeit
zu würdigen. Henriette warf das Blatt bei Seite, und der Inhalt, wie
der Schreiber desselben waren vergessen. -- Die Liebenden wurden jetzt
einig, daß ihr Plan noch geheim bleiben müsse, und ihr Verhältniß
ebenfalls der treuen Verschwiegenheit Luisens allein anvertraut
werden dürfe. So schieden sie spät in der Nacht mit vollem seligen
Herzen, denn kein anderer Wunsch blieb, als der eines recht baldigen
Wiedersehens.



10. Die Epigrammatisten. Die Ausforderung.


Wir hatten unsere Bekannten, die Räthe Wicke und Hemmstoff, so wie
den Hanswurst bei einer wohlbesetzten Tafel im eleganten Lokal des
Hoftraiteurs verlassen. Dort hatten sich noch mehrere Freunde zusammen
gefunden. Ihr Gespräch war, wie natürlich, Henriette. Wicke, der
den Namen nicht nennen hören konnte, ohne sich seines verdießlichen
Unfalls zu erinnern, schlich abseits, ließ sich von einem der Kellner
Feder, Tinte und Papier geben, und schrieb den Brief und Aufsatz, den
wir im vorigen Kapitel gelesen haben. Allein ehe er ihn absendete, las
er ihn noch in der Gesellschaft vor, indem er vorgab, er habe ihn so
eben aus seiner Wohnung geholt. Natürlich fand er allgemeinen Beifall,
so daß Wicke fast seinen Stern prieß, dessen Einfluß ihn auf diese
Art zum Schriftsteller gemacht hatte. Er wurde darauf dem Kellner
übergeben, der die Besorgung übernahm. Durch Wickes Vorlesung hatte
sich das Gespräch auf die Kritiken des Tages gewendet, und jedermann,
der die letzten Flugblätter verschiedener Art gelesen hatte, fand, daß
sie sich offenbar in zwei Partheien theilten, deren eine absichtlich
hämische Angriffe auf Henrietten that, die andere dagegen sie kräftig
beschirmte und vertheidigte. Der Redakteur des Menschenscheuen, der
Professor Ruhwitz, mußte nach der Meinung der Gesellschaft offenbar
bestochen worden seyn, um Wickes Kritik so schändlich zu Henriettens
Nachtheil zu verdrehen. „Doch wer könnte,“ fragte der Rath Hemmstoff,
„wohl dazu Anlaß gegeben haben?“ „Wie?“ fiel Wicke ein, „können Sie
noch zweifeln? Ich wette, es ist die neidische Caroline gewesen!“
„Sie haben Recht,“ rief der wohlbekannte Obrist-Lieutenant, der auch
dabei war, „ich bin diesen Morgen, ehe ich zu Henrietten ging, einen
Augenblick bei ihr gewesen, da konnte sie ihre Wuth kaum unterdrücken.
Ich neckte sie absichtlich ein wenig, indem ich Henrietten in den
Himmel erhob, und jedes Mal, daß sie selbst von sich und einer ihrer
Rollen anfing, sprang ich ab, und kam wieder auf Henriettens Vorzüge.
Sehn Sie, die kleine neidische hübsche Person hätte beinah geweint
vor Aerger.“ „Deliciös,“ rief ein uns noch nicht bekannter Mann,
Namens ~von Hayfisch~, (ebenfalls ein Mäcen des Theaters und
Jerusalemitischer Abkunft,) „auf Ehre, lieber Obrist-Lieutenant,
deliciös. Ich hätte mögen dabei seyn. Aber morgen will ich hin und
es eben so machen. Man muß den übermüthigen Sängerinnen zeigen, daß
man sie nach Gefallen absetzen kann. Sie ist lang genug meine Göttin
gewesen; morgen soll sie einmal statt des Weihrauchs bittre Pillen
schlucken!“ Ein junger blaßer Mann, der bisher einsam und ohne zu
sprechen an einem Tische gesessen hatte, stand jetzt auf und näherte
sich den etwas laut Sprechenden. Der Hanswurst erkannte ihn und
flüsterte: „Seht da die Leiche, die Carolinens Schatten bildet; es
ist ihr blaßer Verehrer. Nun, wenn er Eure Rede gehört hat, und er
wird nicht roth wie ein gesottener Krebs, so erlebe ich, daß ein Mohr
blaß wird, wie der steinerne Gast.“ Wirklich überzog eine leise Röthe
des Verdrußes die Wangen des bleichen hagern Jünglings. Er schien
zweifelhaft, ob er der Gesellschaft näher treten solle, oder nicht,
doch endlich machte er, wie einer der einen plötzlichen Entschluß
gefaßt hat, eine Wendung, schritt gerade auf den Tisch zu, und redete
folgender maßen:

„Meine Herrn! Ich höre hier so eben einige ganz unschickliche und
ungeziemende Reden, die eine Dame, welche sie alle kennen, beleidigen.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen sie ausgesprochen hat, doch ich erkläre
Ihnen hierdurch, daß ich die Redner, falls sie das nicht unleugbar
beweisen können, was sie gesagt haben, für Männer ohne Ehre halte.
Könnten sie es aber auch beweisen, so muß ich dennoch die Art, wie sie
über eine Dame hinter dem Rücken derselben sprechen, für niedrig und
unter der Würde eines Mannes von Stande erklären. Darnach haben Sie
sich zu richten. Ich bin ein Römer, heiße ~Agrippinus Coloniensis~,
meine Wohnung ist in der Roßmariengaße.“ Mit diesen Worten schritt er
stolz zur Thür hinaus. Die Gesellschaft saß mit offenem Munde, und
wußte nicht was sie sagen sollte. Endlich fing Hayfisch an furchtsam
zu fragen: „Hat denn jemand von uns etwas gesagt, was den Herrn
beleidigen könnte?“ „Daß ich nicht wüßte,“ erwiederte der Rath Wicke.
Der Obrist-Lieutenant sah höchst verdrießlich aus und sprach kein Wort.
Während dieser Pause traten mehrere Herren ein, die jedermann auf den
ersten Blick an ihren Gesichtern für Kritiker erkannte. Es waren unter
andern ~Raupenbach~, der Redacteur ~Quark~, der Poet und Kritikaster
~Schillibold Avecça~, desgleichen ~Rennstein~, ~Ruhwitz~, ~Puckbulz~,
~Huhn~ und andere; sie schienen im lebhaftesten Gespräch mit einander,
setzten sich an einen etwas entlegenen Tisch und forderten Wein.
Man hätte gewiß wenig von ihrem Wechselgespräch verstehen können,
wenn nicht in der ersten Gesellschaft gerade eine so tiefe Stille
eingetreten wäre. So hörte man ab und zu folgendes:

~Quark.~ Das wird Aufsehn machen, lieber Rennstein, glauben Sie
mir; besonders, wenn Sie, lieber Schillibold, und Sie, theurer Huhn,
uns Ihren Beistand nicht entziehen.

~Schillibold Avecça.~ Freilich! Wir halten uns zu keiner Parthei,
aber unserm Humor wollen wir Luft machen.

~Huhn.~ Mir braust es im Gehirn wie Champagner! Wenn ich nur Luft
für alle Gedanken hätte!

~Quark.~ Mir geht es eben so! Ha, wie wird das die Zeitung heben!
Ich widerlege mich zehn Mal selbst, und immer gröber. Ja ich wäre im
Stande und sagte mir selbst Injurien, und verklagte mich auch selbst
beim Kammergericht.

~Rennstein.~ Quark! der Gedanke ist kostbar. Wie, wenn ich dagegen
das Blatt umdrehte, mich selbst in einem halben Dutzend Antikritiken
immer mehr und unbegränzter lobte, nur stets meine Bescheidenheit
tadelte?

~Raupenbach.~ Auch gut! Nur nicht so vortheilhaft für den Absatz;
bittre Kritik lockt die Menge an. Nichts konnte mir daher lieber seyn,
als der Auftrag, den mir Caroline gegeben.

~Ruhwitz.~ Gut, wir dienen ihr, aber lassen uns doch das Recht
nicht nehmen, auch den andern dienstbar zu seyn. Hören Sie, mir fällt
etwas ein! Ich habe ein kleines Epigramm auf beide. Sie müssen ein
jeder eine Preisfrage thun, der sie ihren Namen unterzeichnen, und der
unterzeichnete Name könnte immer gleich eine scharf satyrische Antwort
enthalten, z. B. so: Henriette fragt und unterzeichnet sich.


~Preisfrage.~

Wer sänge eitel gern mit jedem in die Wette?

    ~Henriette.~

Darauf antwortet Caroline.


~Preisfrage.~

Wer zieht zu bösem Spiele gute Miene?

    ~Caroline.~

~Puckbulz.~ Schön; mir fällt auch eins ein.


~Preisfrage.~

Wer zahlet gut für lobende Sonette?

    ~Henriette.~

~Preisfrage.~

Wer wäre gerne die erste auf der Bühne?

    ~Caroline.~

~Preisfrage.~

~Huhn.~ Wer ist, frag ich, die listigste Kokette?

    ~Henriette.~

~Preisfrage.~

Kennt ihr die böse reizende Cocquine?

    ~Caroline.~

~Quark.~ Ha! Ha! Ha! Lassen sie uns nur nachsinnen, so bringen wir
ein Dutzend heraus! -- Aber still, ich glaube wir werden behorcht.

Sie sprachen jetzt leiser, denn der andere Tisch war wirklich
aufmerksam geworden. Rennstein strich sich den Schnurrbart und schob
die Brille zurecht, Raupenbach nahm eine Prise, Quark lächelte
und verdrehte die Augen, halb nach dem Himmel, Puckbulz hustete,
Schillibold stand auf und ging überzwerg auf dem Teppich umher.
Damit wollten sie den Schein geben, als hätten sie gar kein eifriges
Gespräch geführt. Die tiefe Stille, die seit der Ausforderung an
dem andern Tisch herrschte, wurde jetzt zuerst wieder einigermaßen
unterbrochen. Der Obrist-Lieutenant nämlich äußerte: „Meine Herrn,
ich habe mir die Sache überlegt. Wir können die Rede des blassen
Mannes nicht unbeachtet lassen. Offenbar war er über das ergrimmt,
was wir, nämlich ich, Herr Rath Wicke und unser Freund Hayfisch über
Carolinen gesagt haben. Wir müssen also alle drei zu ihm und uns näher
mit ihm besprechen.“ „Freilich,“ rief der Hanswurst! „Wicke, ich bin
Ihr Sekundant. Wir wollen den Blassen erblassen machen!“ Doch Wicke
saß stumm und ängstlich, und Hayfisch zitterte an allen Gliedern. Als
der Hanswurst dies bemerkte fuhr er fort: „Seht, das ist männlich,
Kinder, daß Euch der Grimm so blaß macht, und ihr vor Zorn kein Wort
hervor bringen könnt. Ja wir wollen sehen, was der Blasse sagen wird,
wenn ihn der Hayfisch angähnt! aber hört, schont des armen Menschen.
Die Liebe treibt ihn zu dem Wahnsinn. Bedenkt seine Angehörigen und
Verwandte, die sich schon über die Verirrung des Jünglings so betrüben;
wie würden sie nicht erst trauern, wenn er verstümmelt würde, oder
gar todt auf dem Platz bliebe.“ „Nun meine Herrn,“ unterbrach der
Obrist-Lieutenant, „wann gehen wir zu dem Ausforderer? Ich bin der
Meinung, daß es morgen in aller Frühe geschehen müsse, und zwar
gemeinschaftlich. Ich werde Sie um sieben Uhr abholen, da ich bei
ihnen vorbei muß, um nach der Roßmaringaße zu kommen. Sind sie dies
zufrieden?“ „Ja Bester,“ stammelten beide und sahen betrübt gen Himmel.



11. Lord Mondays Vorschlag. Das Duell.


Der Hanswurst wollte eben seiner spottenden Laune Luft machen, als
Lord Monday mit Geräusch eintrat, und sich im ganzen Zimmer suchend
umsah, darauf ging er ins anstoßende Gemach und so weiter bis an das
äußerste Kabinet. Von dort kehrte er zurück in das Zimmer, wo unsere
Freunde saßen, und fragte: „Meine Herrn, hat Einer von Ihnen vielleicht
den Grafen Klammheim aus W. gesehn?“ „Ei, lieber Lord,“ antwortete
der Obrist-Lieutenant, „der wird ja, wie ich höre, erst in sechs
Wochen erwartet. Sie meinen doch den, der als Geschäftsträger aus
W.... herkommen soll?“ „Freilich,“ rief der Lord. „Aber Goddam weiß,
wie es zugeht, vor einer halben Stunde erhalte ich bei unserer kleinen
Henriette, wo ich den Abend zubringen wollte, einen Brief, den mir
ein Bedienter des Grafen brachte, der auch die Livree trug, die ich
von W. aus genau kenne. Er war mit des Grafen Wappen gesiegelt, und
er schreibt mir darin, er sey so eben angekommen und habe sogleich
Affairen von der äußersten Wichtigkeit mit mir zu besprechen. Ich solle
ihn beim Hoftraiteur treffen, von dort wollten wir zusammen zum Fürsten
fahren. Natürlich mache ich mich spornstreichs auf, -- allein, wen ich
nicht treffe, ist mein Graf Klammheim, und von wem Niemand etwas wissen
will, ist, Goddam, wieder der Graf! So weiß ich zum Teufel nicht, was
ich machen soll.“

„Je nun, wenn er Ew. Herrlichkeit herbeschieden hat,“ entgegnete der
Hanswurst, „so dächte ich, Sie erwarteten ihn hier, und verschmähten
es nicht, solange an unserem Tische Platz zu nehmen.“ Der Lord nahm
die Einladung an setzte sich und begann: „Goddam, ich bin höchst
verdrießlich. Ich war so im Zuge bei der Kleinen! Ich wollte wetten,
daß ich heut zum Ziel gekommen wäre. So allein mit ihr im Kabinet,
bei Abend, die Lampe brannte nicht zu hell, ich der Lord, sie die
Sängerin, ich versichere Ihnen, meine Herren, daß ich schon im Begriff
war, Sturm zu laufen, als der Teufel den verwünschten Bedienten des
Grafen Klammheim herbeiführte. Indeß habe ich jetzt einen andern
Plan. Mit den Visiten kommt man zu nichts. Ich bin der Meinung,
man müsse Landparthien, Bälle und dergleichen arrangiren, da macht
die Gelegenheit sich immer besser.“ „Freilich, freilich,“ fiel der
Hanswurst ein, „es ist immer besser, daß Sie die Gelegenheit abwarten,
als Gewalt brauchen.“ Der Lord merkte, als Ausländer, die Anspielung
durch die sprichwörtliche Redensart nicht, doch die Andern lachten. Er
zog es auf das Verhältniß überhaupt und verzog seine Miene gleichfalls
zum Lachen, wobei er einem Satyr nicht unähnlich sah. „Doch wieder
auf die Landparthie zu kommen,“ lenkte er ein: „wie wäre es, wenn
die Herren auf Morgen meinen Vorschlag annähmen? Wir laden die
schöne Henriette ein, nach Strahlheim zu fahren. Dort machen wir eine
Wasserfahrt, vielleicht einen _bal champêtre_, dann natürlich
müssen noch mehrere Damen dazu eingeladen werden, wir spielen kleine
Spiele im Freien, z. B. Haschens, Versteckens, Anschlag, Reifen
u. s. w., und es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn man auf einer
solchen Parthie sich nicht eine ländliche Freiheit erlauben dürfte!
Was meinen Sie, meine Herren?“ Alle fanden den Vorschlag vortrefflich;
nur der Obristlieutenant äußerte, daß er vielleicht Geschäfte habe,
die ihn, den Rath Wicke und Herrn von Hayfisch abhalten könnten. Die
letztern Beiden schnitten dazu so sauere Gesichter, als hätten sie auf
Holzäpfel gebissen. Doch der Obristlieutenant schien die Ausforderung
des Römers so verdammt ernsthaft zu nehmen, daß sie nicht sahen,
wie sie geschickt davon kommen konnten. Es knüpften sich nun noch
manche Gespräche über die Art und Weise an, wie man das bevorstehende
Vergnügen recht aus dem Grunde genießen könne; man verabredete Dies und
Jenes, wie man fahren, reiten, zu Abend essen wollte, wer alles Theil
nehmen solle und dergl. mehr, so daß es zuletzt ziemlich spät darüber
wurde. Der Graf Klammheim war indeß nicht gekommen, und der Lord hielt
es endlich für das Gerathenste, nach Haus zu fahren, worin die andern
Herren seinem Beispiele folgten.

Wicke hatte eine schlaflose Nacht und der Hayfisch wäre gern in die
nächste See untergetaucht, wenn nur das verdammte Duell aus dem Lauf
der Dinge hätte gestrichen werden können. Doch die Sachen waren einmal
nicht zu ändern, und so mußte er in den sauern Apfel beißen. Mit dem
Schlage sieben Uhr pochte der Obristlieutenant an seine Thür. Er
hatte sich schon angekleidet, um es zu verbergen, daß er, trotz der
warmen Sommerzeit, drei Paar Unterbeinkleider, davon eins von dickem
Rehleder, und eine gleiche Anzahl wollener Nachtkamisole angezogen
hatte. Mit gleicher Vorsicht hatte er ein dichtes seidenes Tuch um den
Hals gewickelt und darüber eine Kravatte gebunden, die stärker war,
als ein homerischer Schild von neun Stierhäuten. Gern würde er auch
eine wattirte Perrücke aufgesetzt haben, wenn er eine gehabt hätte.
In diesem magen-wärmenden Anzuge folgte er dem Obristlieutenant,
der heute in Uniform erschien, wiewohl er sonst nie anders, als
im blauen Frack zu gehen pflegte. Sie riefen Wicke ab. Dieser trat
ihnen blaß entgegen, anscheinend ebenfalls mit Vorsicht gekleidet.
„Liebe Freunde,“ sprach er, „ich weiß wahrhaftig nicht, ob es recht
gehandelt ist, daß wir, Staatsdiener von Ansehen, unser Leben gegen
einen so jungen Menschen auf ein gewagtes Spiel setzen wollen, der in
der Verzweiflung unglücklicher Liebe der Teufel selbst im Fechten
seyn kann. Das Landrecht spricht sich deutlich gegen die Duellanten
aus. Ich bin wahrhaftig in einer ordentlichen Gewissensangst!“ „Sehr
wahr!“ bekräftigte Hayfisch, „auch ich bin mit meinem Gewissen nicht
einig, denn ich habe Religion, und diese verbietet mir, meinem
Nächsten feindselig gegenüber zu treten.“ „Donnerwetter,“ fuhr der
Obristlieutenant heraus, „ich schlage mich auch nicht zum Spas, denn
ich bin ein alter Kerl, aber Ausflüchte, meine Herren, gestatte ich
nicht. Entweder Siemmen mit, oder ich erkläre Sie öffentlich --“ „Ja,
mein Bester,“ fiel Wicke unterbrechend ein, „wir äußerten ja nur eine
Ansicht. Wir sind ja ganz bereit! Es denkt ja Niemand an Ausflüchte.
Ich analysirte nur die traurige Nothwendigkeit.“ -- „Hier wohnt
er,“ rief der Obristlieutenant, „lassen Sie uns hinauf.“ Sie stiegen
die Treppe hinauf und traten ein. Agrippinus saß auf dem Sopha und
hatte ein Miniaturgemälde in der Hand, das er seufzend betrachtete.
Vor ihm stand der Kaffee noch unberührt, links auf dem Tisch waren
Schreibmaterialien zu sehen, rechts lag ein Damenhandschuh. Einige
Aktenstücke auf einem Stuhl waren dicht bestäubt, ein Zeichen, daß sie
lange nicht berührt worden. Angefangene Sonette sah man wie Streusand
auf der Diele verbreitet. Alles verrieth den Liebenden und Dichter.
Als er die Fremden eintreten sah, erhob er sich langsam feierlich
von seinem Sitz und fragte nach ihrem Begehr. Der Obristlieutenant
that ihm Bescheid, er entgegnete, daß er erwartet habe, man würde
ihm Sekundanten schicken; er sey indeß zu jeder Zeit bereit. Darauf
erklärte der Obristlieutenant, daß er es keineswegs den Gesetzen der
Ehre gemäß finde, wenn drei gegen Einen aufträten, und schlug ihm
vor, durch das Loos zu wählen, wer sich mit ihm schlagen, schießen
oder stechen sollte. Dies geschah, das Loos fiel auf Hayfisch. Wicke
that einen Luftsprung und schwur, es thue ihm leid, daß er nicht der
Kämpfer seyn dürfe. Hayfisch glaubte davon so viel er wollte, fand
aber das Lotto fürchterlich. Man kam überein, daß es ein Duell auf
den Hieb geben solle. Es wurde nach einem Arzt, nach Wagen und nach
einem Sekundanten für Agrippinus geschickt. Die beiden Ersten kamen
in einer Viertelstunde, der Letztere bald darauf auch. Der Arzt war
ein großer Mann mit schwarzem Haar, dunkeln Augen, hoher Stirn und von
lebhafter, fast dunkelrother Gesichtsfarbe; er sprach langsam aber
entschlossen, und hatte in seinem dunkeloliven farbenen Ueberrock
etwas Imponirendes. Hayfisch freuete sich innigst, daß er es nicht mit
ihm zu thun habe. Der Sekundant unsers Agrippinus dagegen war fast
eben so blaß, als er, noch viel schmäler von Gesicht und länger von
Gestalt. Doch gab ihm etwas gekräuseltes braunes Haar und ein munterer
Blick ein zierliches Ansehen. Er schien sein Amt gern zu verwalten und
benahm sich genau und pünktlich. Beide waren Landsleute des Blassen.
In zwei Wagen fuhren die beiden Partheien nach Strahlheim, wo der
Zweikampf sogleich vor sich gehen sollte. Der Obristlieutenant und
Wicke waren Sekundanten des kleinmüthigen Gegners, der indeß alle
mögliche Fassung zu zeigen suchte. Strahlheim lag eine Stunde von der
Residenz an dem Ufer des dort breiteren schönen Stromes. Gegenüber
dem Dorfe befand sich ein anderer anmuthiger Flecken, hinter dem sich
ein dunkles Erlengebüsch ausbreitete. Dieses hatte man zum Kampfplatz
ausersehen, und setzte, nachdem man in Strahlheim abgestiegen war, mit
einem kleinen Nachen dahin über. Auf einem mit Rasen bedeckten Fleck,
der einen festen ebenen Boden für die Fechter bot, wurde die Mensur
genommen und Alles zum Kampf bereitet. Der Obristlieutenant hatte, das
muß ich noch bemerken, diesen Ort vorgeschlagen, weil er dadurch der
auf heute verabredeten Landparthie noch theilhaft zu werden hoffte;
sonst war es eben nicht der gebräuchlichste Platz zu Unternehmungen
dieser Art. Die Kämpfer legten nun die Röcke ab und traten auf die
Mensur. Hayfisch zupfte seine Halsbinde bis an die Unterlippe hinauf
und suchte seine Ohren in derselben zu verbergen. In den Hut, der
aufgesetzt wurde, legte er zur Vorsicht noch sein großes Taschentuch
und drückte sich dann den filzenen Helm tief ins Gesicht. Agrippinus,
der der Sache gewohnter seyn mochte, als der Mäcen aus dem Morgenlande,
stand kalt auf der Mensur, ohne weder Furcht noch Zorn zu vermuthen.
Die Sekundanten lächelten indeß, als sie den hohen Wall sahen, den
Hayfisch um seinen Hals gethürmt hatte, und der Arzt bemerkte: der
Herr scheine die Rose oder den Ziegenpeter zu haben, weil er sich
so warm halte. Jetzt legte man sich aus; der Mäcen zitterte wie die
Blätter der Erlen hinter ihm, mit denen der Wind spielte. Die Klingen
wurden gebunden, der erste Hieb geschah. Hayfisch, der sonst nicht
übel focht, suchte sich nur zu decken, und duckte mit dem Kopfe unter,
wie eine Ente beim Wetterleuchten. „Teufel, Herr! So hauen Sie doch!“
schrie sein Sekundant, der Obristlieutenant, „Sie lassen sich ja den
Filz Centner weise vom Deckel hauen, und Ihr Stulp wird auch nächstens
ein Hachee abgeben.“ Auf diese Rede wollte Hayfisch ausfallen, wie
Falstaff, und führte seine Klinge mit halb zugedrücktem Auge zu einem
mächtigen Streich, indem er mit dem rechten Fuß einen guten Schritt
vorwärts that. Doch diese blinde Begeisterung hatte die Folge, daß der
Mäcen etwas zu schräg zu stehen kam, und auf dem Rasen, der von einem
Morgenregen etwas schlüpfrig war, ausglitt und vorwärts auf seinen
Gegner stürzte. Dieser hatte a Tempo zum Hieb ausgeholt, und traf nun
den Hebräer gerade über den Rücken bis an den Ort, wo dieser seinen
ehrlichen Namen verliert, so, daß die Weste und das schenkelverhüllende
Gewand von einander platzten, und die Unterhaut, bestehend aus
einem wollenen Kamisol und gelben rehledernen Beinschalen, in einem
länglichen Ritz sichtbar wurde. Doch der Römer kam schlimmer dabei
weg, denn der ungeschickt Fallende streifte ihm beim Sturz den Oberarm
mit dem Schläger, und, halb Stich, halb Stoß, traf die Klinge die
Hüfte, und drang ziemlich tief ins Fleisch. Die Sekundanten schrien
Halt! Hayfisch brüllte Hülfe, Agrippinus fluchte: Verdammtes Pech.
Der Arzt sprang ein und untersuchte die Wunde des Römers; sie war
nicht gefährlich, hinderte ihn aber doch am Fechten, und daher mußte
der Kampf aufgehoben werden, wiewohl die Kampfrichter ihn nicht für
beendet erklären konnten. Nachdem Agrippinus verbunden war, trat der
aufgeschlitzte Mäcen zu ihm heran und sprach: „Herr Doktor, haben Sie
doch die Güte und sehen Sie zu, ob ich bin verwundet; es könnte doch
seyn, ich hätte eine Wunde und möchte mich verbluten.“ Alle lachten,
und der Mediziner erklärte: „Nein Herr, ~Ihre~ Wunden übersteigen
meine Kunst; die muß ein Schneider verbinden. Wir Chirurgen nähen
zwar auch, aber ein so langer Schlitz, wie der Ihrige, braucht eine
geschicktere Hand.“ Damit hatte das Duell ein Ende. Man setzte sich
wieder auf den Nachen und fuhr nach Strahlheim über. Hayfisch, der die
Wiederholung des Schauspiels eben nicht wünschte, ließ den Römer durch
Wicke fragen, ob er nicht Satisfaktion annehmen wolle. Dieser erklärte
sich bereit, falls Hayfisch schriftlich erklären wolle, daß er ihn
erstlich nicht verwundet habe, zweitens Alles zurücknehme, was er gegen
Carolinen gesagt hatte, und drittens gelobte, nie wieder einen Fuß über
Carolinens Schwelle zu setzen. Der Mäcen erklärte sich zu Allem bereit,
schrieb die Akte nieder, ließ sich die Wunde zunähen, und die Sache
war somit abgethan. Man versöhnte sich demnach, und ein Frühstück in
Strahlheim sollte das Siegel des neuen Bundes werden.



12. Die Landparthie.


Lord Monday war am andern Morgen zur schönen Henriette gefahren und
hatte sie zu der von ihm projektirten Fahrt auf’s Land eingeladen. Sie
nahm es unter der Bedingung an, daß sie als ihre eigene Wirthin dabei
erscheinen wolle, und behielt sich das Recht vor, selbst einige Gäste
mitzubringen. Monday hatte sich zwar andre Pläne gemacht, doch er mußte
nachgeben. Brückbauer, mehrere Schauspielerinnen, unter denen auch
Auguste und noch einige andere Familien, nahmen Theil. Daß Hemmstoff,
der Abbe, auch Regenbogen und der Hanswurst nicht fehlten, läßt sich
denken. Henriette theilte, so wie Monday fort war, Wernern, der im
andern Zimmer gesessen hatte, sogleich mit, was der Lord gewollt habe.
Sie bat ihn, ihr Begleiter zu seyn, um sie gegen Zudringlichkeiten,
die sie fürchtete, zu schützen, auch lud sie, um nicht ohne weibliche
Begleitung zu seyn, die Tochter ihrer Wirthin, Wilhelmine, ein
stilles, bescheidenes Mädchen, zur Theilnahme ein, und redete ihrer
alten Pflegerin zu, mitzufahren, um die schöne Sommerluft zu genießen.
Um drei Uhr sollte in Strahlheim zu Mittag gegessen werden. In der
Hoffnung, dort einige angenehme Morgenstunden zuzubringen, ehe die
lärmende Gesellschaft nachkäme, schlug Henriette vor, sogleich zu
fahren. Werner besorgte den Wagen; in einer Viertelstunde war man auf
dem Wege.

Unsere Duellanten saßen gerade beim Versöhnungsfrühstück, als der
Wagen vor das Wirthshaus rollte, und Henriette in einem leichten
weißen Sommeranzug, anmuthig wie eine Grazie, aus dem Gebüsch des
Einganges trat, und an Werners Arm den Gartenpfad hinaufwandelte. Man
war höchst überrascht, doch es war keine Zeit die Trinkanstalten aus
dem Wege zu räumen, denn noch ehe man sich besonnen hatte, öffnete
sich schon die Saalthüre und Henriette trat ein. Man sprang auf, um
sie zu begrüßen; sie erstaunte sehr, die Herren schon hier zu finden.
Noch höher aber stieg ihre Verwunderung, als sie die Waffen und
anderes Duellgeräth auf einem Tische liegen sah. „Mein Gott, meine
Herren!“ rief sie, „ich trete hier wol ganz unvermuthet und störend
ein? Was ist hier vorgegangen, oder was soll geschehen? Ich bin zu
einer Landparthie geladen, von der ich mir, den schönen Vormittag zu
genießen, einige Stunden vorausgenommen habe.“ „Eben das,“ entgegnete
der Obristlieutenant, „haben auch wir gethan; es erfreut mich ungemein,
daß wir uns auf gleichen Gedanken begegnen. Darf man Sie, meine
Schönste, zum Frühstück einladen?“ „Ich danke Ihnen sehr,“ entgegnete
Henriette, „ich ziehe es vor, noch einen Morgenspatziergang mit meiner
Begleitung zu machen. In kurzer Zeit komme ich zurück; lassen Sie
sich indeß durchaus nicht stören.“ Mit diesen Worten verließ sie den
Saal. Draußen wandte sie sich an Werner: „Um Gottes Willen, lieber
Werner, ich habe Waffen gesehen; erzeigen Sie mir die Freundschaft und
suchen Sie zu erfahren, was hier vorgeht oder vorgehen soll.“ „Nach
meiner Kenntniß der Dinge -- vorgegangen ist,“ erwiederte Werner, „und
wahrscheinlich ganz glücklich abgelaufen; doch will ich das Nähere zu
erfahren suchen.“ „Wenn nur ich nicht wieder die unschuldige Ursache
gewesen bin; das beunruhigt mich so sehr,“ entgegnete Henriette.
Werner tröstete sie darüber, und versprach ihr, noch Vormittag
Nachricht deßhalb zu schaffen. Man schlug jetzt einen schattigen Weg
nach einer mit hohem Gras bewachsenen Wiese ein, die rings von dem
Strom umschlossen wurde. Auf ihrer Mitte stand, von alten ehrwürdigen
Bäumen umgeben, die Dorfkirche, welche dem Ort eine fromme heimliche
Stille verlieh. Hier setzten sich unsre Wandernden auf den Rasen und
erfreueten sich an dem lieblichen Gemälde, das durch die heiterste
Beleuchtung und den reinen Hintergrund des blauen wolkenlosen Himmels
noch an Reiz gewann. Werner und Henriette sahen sich stumm an, doch
ihre Blicke sprachen die ganze Seligkeit der innigst Vereinigten
aus. Indem hörte man das Gras rauschen, und siehe da, die Herren
von der Gesellschaft im Wirthshause hatten sich aufgemacht, um den
Spatzierenden zu folgen. Jetzt entspann sich unter ihnen ein Gespräch,
das wir mittheilen wollen, wenn wir zuvor die lagernde Gruppe
gezeichnet haben. Die Hauptfigur, um die sich die andern gruppirten,
war natürlich Henriette. Sie saß auf einem dicht mit Moos bedeckten
Steine, am Fuße einer alten breitästigen Linde; neben ihr zur Linken
die stille schüchterne Wilhelmine etwas niedriger; rechts, halb zu
ihren Füßen, hatte Werner seinen Platz genommen, nämlich so, daß er
ihr, ohne sich merklich zu wenden, in das liebe Angesicht schauen
konnte. Bescheiden zurückgezogen, hinter Henrietten, hatte sich die
alte Wärterin mit einem Strickstrumpf niedergelassen, und lehnte sich
seitwärts an den Stamm der Linde. Wicke, Hayfisch, der Obristlieutenant
und die feindliche Parthei, aus dem Sekundanten, dem Arzt und dem
Verwundeten bestehend, waren jetzt nachgekommen und suchten sich, nach
guter Malerordnung, der Hauptfigur so nahe als möglich anzuschmiegen.
Wicke traf es gut, indem er zunächst neben Wilhelminen Platz nahm;
Hayfisch und der Obristlieutenant reiheten sich hinter ihm an. Denn
Keiner mochte hinüber zu Werner, der ihnen mehr als ein Dorn im Auge
war. Doch Agrippinus, der ihn nicht kannte, ihm zunächst der Sekundant,
und als starker Beschützer des Flügels, der große schwarzaugige und
schwarzlockige Arzt, schlossen sich an die gegenüberstehende Seite
an. So lagerten die Duellanten also fast wie zwei feindliche Armeen
einander gegenüber. Doch in der Mitte thronte die anmuthige Göttin
der Schönheit und hielt die wilden Horden im Zaum. Wicke nahm nach
der ersten Begrüßung so das Wort: „Ein glücklicher Gedanke von Ihnen,
schönste Henriette, daß Sie so früh hinaus in die Arme der reizenden
Natur geeilt sind. Doch Ihre Erscheinung im Saale war so flüchtig, so
überraschend, daß wir kaum Fassung gewinnen konnten, Sie zu begrüßen,
viel weniger ich dazu kam, Ihnen noch meine mündliche Entschuldigung
über das Mißverständniß“ --

~Henriette.~ Lassen wir das, Herr Rath. Die Gegend ist hier zu
ländlich, das Wetter zu schön, um die Welt mit Allem, was sie Lästiges
und Drückendes hat, nicht von Herzen gern zu vergessen. Erzählen Sie
uns lieber, was Sie und die Herren so früh herausgeführt hat.

~Wicke.~ Die Sehnsucht nach dem Genuß der Natur.

~Der Arzt.~ Der Wunsch, uns eine kleine Bewegung zu machen. Auch
der Körper will ein Recht.

~Werner.~ Es wird ihm hoffentlich bekommen?

~Arzt.~ O, vortrefflich. Bewegung und Aderlaß sind das Gesundeste
für den Städter.

~Werner.~ Auch Aderlaß? So!

Der Römer erröthete; Hayfisch sah stolz aus.

~Der Obristlieutenant.~ Wer wird noch Alles von der Parthie seyn?
Wir sind so früh gefahren, daß wir nicht einmal wissen, wie das Fest
arangirt ist. Ich war auch heute nach P--m und Ch--burg geladen. Aber
wer kann überall seyn!

~Werner.~ Ja, das ist eine Kunst, die man üben muß. Nicht wahr,
Herr Obristlieutenant?

~Obristlieut.~ Freilich, _ars longa, vita brevum est_.

~Arzt.~ Freilich! Und Sie führen gleich den Beweis.

~Obristlieut.~ Beweis! Wie so?

~Arzt.~ Fragen Sie nur den Römer. Agrippinus, nicht so?

~Agrippinus~ (aus einer Abwesenheit zurückkommend) O, ganz
natürlich. Es ist außerordentlich!

~Sekundant.~ Wo warst Du?

~Arzt.~ Vermuthlich am jenseitigen Ufer.

~Werner.~ Oder in der Stadt.

~Agrippinus.~ Verzeihen Sie. Ein Vorfall, der mir gestern Abend
begegnete, hat mich beschäftigt.

~Arzt.~ O ja, ich glaube, schon den ganzen Vormittag.

~Henriette.~ Ei meine Herren, lassen Sie doch dem Herrn seine
Weise. Ich finde den Tag und die Gegend ganz geeignet, sich seinen
Gedanken zu überlassen. Ich selbst habe eine Neigung dazu.

~Wicke.~ Sie haben ~sie~ auch mit Recht; allein wer bei Ihnen abwesend
ist, wo sollte der anwesend seyn?

~Hayfisch.~ Gewiß, der Rath sagt wahr. Ganz meine Meinung.

~Henriette.~ Meine Herren, die Artigkeiten, die man auf Kosten
Anderer hört, sind verdächtig; es deucht mir, man hört sie nur, weil
man eben da ist, die andern abwesend.

~Sekundant.~ Das wäre nicht unbillig. Der Lebende hat Recht, sagt
Schiller.

~Wicke.~ O erhabener Dichter! Wie wahr!

~Arzt.~ Es hat seine Seiten. Die meisten Lebenden glauben zwar,
Recht zu haben, beschweren sich aber immer, daß sie’s nicht bekommen.

~Henriette.~ Ist die Aussicht hier nicht recht schön? Man spricht
so viel von der dürftigen Landschaft hier rings umher; ein genügsamer
Sinn findet doch manche liebe Stelle.

~Arzt.~ Ja, ein Genügsamer.

~Hayfisch.~ Dort das Erlengebüsch am jenseitigen Ufer macht sich
reizend.

~Sekundant.~ Vielleicht knüpft sich manche interessante Erinnerung
für Sie daran.

~Arzt.~ Sie haben vielleicht dort oft auf dem schwellenden Rasen
gelegen.

~Obristlieut.~

    Wohl dem, der vergißt,
    Was nicht zu ändern ist.

~Hayfisch.~ Sie sind reich an Stellen aus Dichtern. Erlauben sie
mir auch eine:

    Die That, nicht sein Geschick, bewährt den Mann.

~Arzt.~ Das schlimmste Geschick ist das Ungeschick!

~Henriette.~ Die Herren sprechen ja so räthselhaft!

~Arzt.~

    Der Mensch versuche die Götter nicht,
    Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
    Was sie gnädig verhüllen mit Nacht und mit Grauen.

~Sekundant~ (halb laut). Mit Nadel und grauem Zwirn.

~Henriette.~ O, ich will nicht in Ihre Geheimnisse dringen. Aber
sehen Sie Herrn Agrippinus; er ist wirklich schon wieder tausend Meilen
von uns.

~Arzt.~ Nicht ganz so weit, glaub ich. Doch ich kenne einen
Zauber, mit dem ich ihn zu uns banne. (Er singt): _Un troubador_ --

~Agrippinus~ (fährt auf).

~Arzt.~ Sehen Sie! Das wirkt so rasch, wie Blausäure.

~Agrippinus.~ Ich habe wirklich um Verzeihung zu bitten, es ist so
manches -- ich dachte --

~Henriette.~ Mein Gott, warum denn Entschuldigungen? Sie sollten
aber ihre Freunde anklagen, die nicht ganz ohne Schelmerei gegen Sie
zu verfahren scheinen. Wir sind ja hier auf dem Lande; der ängstliche
Zwang der Gesellschaften muß hier wegfallen. Wie wäre es, wenn wir ein
wenig auf der Wiese umhergingen! Das zerstreut vielleicht die trüben
Wolken von der Stirn unsers nachdenkenden Gesellschafters.

Man nahm den Vorschlag mit Vergnügen auf. Die Ruhenden erhoben sich und
begleiteten die reizende Henriette, die muntern Schrittes voran über
die Wiese hüpfte. Sie sah heiter aus, wie der Frühling. Das leichte
Gewand flatterte im frischen Zuge der Luft, die braunen Locken fielen
reizend über ihren Nacken, und sie nahm den schirmenden Sommerhut ab,
um die Lüfte frei um die lieblich blühenden Wangen spielen zu lassen.
„Sie ist ein Engel!“ flüsterte Wicke dem Obristlieutenant in’s Ohr.
„Ja, für sie,“ fiel Hayfisch ein, „wäre es noch der Mühe werth gewesen,
das Leben zu wagen.“ Dabei brüstete er sich und sah stolz umher. -- Es
wurde indeß nach und nach wärmer, ja sogar ziemlich heiß. Alles war
in leichten Sommerkleidern und empfand daher die Wärme nicht so sehr.
Doch Wicke und Hayfisch, deren Vorsicht sie zu dreihäutigen Schlangen
gemacht hatte, bewegten sich keuchend in ihren winterlichen Gewändern.
Sie waren daher froh, als Henriette ihren raschen Schritt einigermaßen
anhielt und langsamer den Weg zurück nach dem Dörfchen einschlug.
Werner hatte sich ihr genähert, sie nahm seinen Arm und lehnte sich
recht vertraulich auf ihn, indem sie ihn mit einem unbeschreiblich
holden Blick ansah.

Wicke, Hayfisch und der Obristlieutenant gingen hinterher. „Der
verdammte Musikant,“ fing der Letztere an, „ich wollte, der Teufel
holte den Geigenkratzer, oder was er sonst seyn mag. Ist er denn nicht
immer der Nächste an ihr? Und unser einer muß demüthig nachziehen!“
„Ja, es ist zum Verzweifeln!“ rief Wicke. „Sehen Sie, die Kleine ist
heut so allerliebst, daß ich im Stande wäre, mich ernsthaft in sie
zu verlieben! Ja wahrhaftig, ich glaube, ich könnte ihr meine Hand
antragen, wenn ich nicht fürstlicher Rath wäre!“ „Wahrhaftig, Rath,“
sprach Hayfisch, „ich hab’s auch still bei mir gedacht; sie ist so
verführerisch, die kleine Kokette, daß, wenn ich eine Messaliance thun
könnte, sie die einzige wäre, die mich dazu zu verleiten im Stande
wäre.“ „Sacht, sacht, meine Herrn,“ erwiederte der Obrist-Lieutenant,
„wenn es der Musikant hört, so ist der Teufel los, und man könnte
sich doch mit dem nicht schlagen.“ Unter diesen Gesprächen waren sie
ins Dorf gekommen und langten bald vor dem Wirthshause an. Da noch
niemand von den erwarteten Herrschaften angelangt war, gingen die Herrn
ein wenig auf den großen Weg hinaus, um den Ankommenden zu begegnen,
während Henriette, Wilhelmine und die Pflegerin sich hinauf begaben, um
ein wenig zu ruhen. Als die Herrn vors Dorf kamen, bemerkten sie einen
Zug Artillerie, der aus mehreren Wagen und Geschützen bestand, und
die Chaussee hinab nach der Stadt fuhr. Sie freuten sich der schönen
Ordnung der Bespannung und der wohlgebauten Fahrzeuge. Der Offizier,
ein schöner stattlicher Mann, der den Zug zu Pferde begleitete, kannte
den Obrist-Lieutenant, sie begrüßten sich, und der Hauptmann hielt sein
Pferd an, um mit den Herrn einige Worte zu sprechen.

Indessen marschirte der Zug weiter. Die Herrn verwickelten sich in
ein Gespräch, das wohl zehn Minuten gedauert haben mochte, so daß
die Kanonen ihnen schon fast aus dem Gesichte gekommen waren. Jetzt
sah sich der Hauptmann um, und fand für gut, seiner Mannschaft
eiligst nachzusprengen, nachdem er zuvor versprochen hatte, noch nach
Strahlheim heraus zu kommen, um an der Landparthie Theil zu nehmen. Im
vollen Gallopp ritt er davon, daß der Staub hinter ihm hoch aufstieg.
Unsere Freunde wandelten indeß die Chaussee noch etwa hundert Schritte
weiter hinauf bis an eine Stelle, wo sie sich theilte und in zwei Armen
nach zwei verschiedenen Stadtthoren führte. Hier setzten sie sich auf
eine am Wege stehende Bank, um abzuwarten, wenn die ersten Wagen der
Gesellschaft ankommen würden.



13. Die Wette. Die Ankommenden. Das Mittagsessen.


Nach einigen Minuten hörten sie das Gerassel eines Pferdes, und sahen
Staub auf der Straße aufsteigen, die die Artillerie nicht gefahren war.
Bald erkannte man einen Reuter, der in vollem Carriere daher sprengte.
Als er näher kam, sah man, daß es der Rittmeister Holm von der
fürstlichen Leibgarde war, der ebenfalls zu den Verehrern der schönen
Henriette gehörte. Er parirte auf dem Punkt, wo die Straßen zusammen
kamen, und sein erstes Wort war: „Ist der Lord Monday schon hier?“
„Nein,“ war die Antwort. „So habe ich hundert Flaschen Champagner
gewonnen, und die hat mein Schimmel verdient, dafür soll er auf Ehre
das ganze Jahr reinen Hafer fressen! Aber zum Teufel, der Lord kommt
ja noch nicht? Zu sehn müßte er doch wenigstens seyn.“ „Was hats denn
gegeben, lieber Rittmeister?“ fragte der Obrist-Lieutenant. „Wir haben
gewettet, wer der Erste hier seyn würde. Vom A. Platz sind wir zugleich
ausgeritten. Ich durchs F-- Thor, er durch St-- Thor. Sein Weg ist
etwa hundert Schritt länger als der meinige, aber die hat er auf seine
braune Stute gerechnet. Hier war das Ziel der Wette. Wer zuerst ankäme,
sollte den andern hier erwarten. Ich kann mir nicht anders denken,
als daß er gestürzt seyn muß, denn ich hoffte auf meine Ehre nicht
die Wette zu gewinnen, weil die Stute ein kapitales Pferd ist. Mein
Schimmel ist auch keine Kuh, im Gegentheil ein äußerst braves Pferd,
aber die Stute!“ Hier unterbrach ihn Werner: „Da es wahrscheinlich ist,
daß der Lord gestürzt sey, so dächt ich, machten wir uns auf den Weg
ihm entgegen!“

„Ja, auf Ehre, Sie haben Recht, mein Liebster,“ sprach der Rittmeister,
„der arme Kerl hat vielleicht ein Unglück gehabt. Ich werde sacht
voraus traben, mein Pferd darf sich so nicht rasch abkühlen. Sie sind
doch meine Zeugen, daß ich zuerst hier gewesen bin?“ Damit trabte er
die Chaussee hinunter. Doch ehe er noch hundert Schritte geritten
war, sah man schon den Lord um die Ecke des Weges reiten. Sein Pferd
jagte ebenfalls _ventre à terre_. Als er den Rittmeister ansichtig
wurde, parirte er und ritt ihm im Schritt entgegen. Beide kehrten
zusammen um, und der Rittmeister schien vor Lachen bersten zu wollen.
Denn er saß auf dem Pferde und hielt sich beide Seiten, indem er den
Oberleib immer auf und nieder beugte. Endlich vereinigten sich die
Reuter mit der Gesellschaft, und nun erzählte der Lord sein Unglück.
„Goddam,“ rief er, „die verteufelte Artillerie. Ich kam wie ein Wetter
die Chaussee herunter geritten, da versperrte mir die Kolonne den Weg.
Ich schrie. Platz! Platz! Aber alle Kanonier sind taub wie Holz. Ich
wollt’ es wagen und an der Seite vorbei reiten, obwohl ich einen Fuß
dabei lassen konnte, allein meine verwünschte Stute scheute sich vor
den Kanonen, denn ich habe sie einmal beim Maneuvre zu nah in den Schuß
geritten, sie prallte zurück, bäumte sich, überschlug sich, und da
lag ich im Staube. Die Leute halfen mir dann wieder auf und klopften
mir den Staub ab. Aber die Wette ist verloren.“ Der Obrist-Lieutenant
äußerte sein Bedauren über dieses Mißgeschick, und fragte, woher denn
der Lord die rothen und blauen Streifen im Gesichte habe, die sogar an
einigen Stellen ein wenig mit Blut unterlaufen zu seyn schienen? „Ich
muß mit dem Gesicht durch die Pappelzweige gestreift seyn,“ erwiederte
der Lord und wurde etwas roth; Werner maß die Höhe, in der die Zweige
anfingen und schüttelte den Kopf. Der Rittmeister konnte nicht aufhören
zu lachen, und rief, einmal über das andere: „Die Artillerie soll
leben!“ Ein Reitknecht des Lords, der mittlerweile nachgekommen war,
nahm ihm und dem Rittmeister die Pferde ab. Darauf setzte die ganze
Gesellschaft sich wiederum auf die Bank an der Ecke, um die Theilnehmer
der Landparthie ankommen zu sehn. Zuerst rollte ein Whisky herbei,
auf welchem Regenbogen in der zierlichsten Sommerkleidung saß. Die
untere Hälfte seines eleganten Ichs war weiß, die obere hellgrün;
ein silbergrauer Pariser Strohhut schützte ihn vor der Sonne; eine
Badine spielte nachläßig in seiner Hand. Man konnte die Toilette nicht
geschmackvoller wählen. Dies Zeugniß hatte er sich, als er vor dem
Einsteigen noch einmal in den Spiegel schaute, selbst gegeben, indem
er ausrief: „Regenbogen, du siehst aus wie die Grazie der ländlichen
Gefilde!“ Hinter diesem rollten der Hanswurst und Hemmstoff, auf deren
neugierigen Gesichtern man die Frage nach dem Duell las. Die stolze
Miene des Siegers Hayfisch, denn dafür hielt er sich, bezeugte ihnen,
daß ihm kein Haar gekrümmt sey. Jetzt fuhr der Director Brückbauer
mit seiner Gemahlin und Augusten an den Herrn vorüber und ins Dorf
hinein. Wicke und Hemmstoff grüßten höflichst beflissen, doch Auguste
erwiederte das Kompliment sehr kalt. Nach einigen Minuten rollte
auch der Regisseur mit zwei Damen vom Theater herbei, und rasselte
vor das Wirthshaus. Mehrere uns unbekannte Familien mögen unbekannt
bleiben. Ganz zuletzt kam unser Freund, der Abbe, der ein Frühstück,
zu dem er bei einer alten Freundin, der Frau von W. geladen war, nicht
hatte im Stich lassen wollen. Als man ihn deshalb neckte, sprach er:
_que voulez vous? Est ce que le prêtre doit être le premier dans
l’eglise?_ -- Wir lassen nun die vereinigte Gesellschaft gemächlich
ins Wirthshaus gehn und sich an die Tafel setzen. Der Lord wollte
Henrietten zu Tisch führen, allein sie erwiederte ihm ausweichend:
„Ihro Herrlichkeit, ich darf nicht vergessen, daß ich Gäste habe,“ nahm
Werners Arm, der auch Wilhelminen führen mußte, und ließ zur Linken
ihre alte Pflegerin sitzen. Wicke hatte Augusten den Arm geboten, doch
sie entschuldigte sich damit, daß sie zu Brückbauer gehöre, und ließ
ihn stehn. Hemmstoff wußte, daß es ihm nicht besser gehen würde, daher
fürchtete er sich einen Versuch zu machen. Er hielt sich also zum
Abbe, der sich wieder an das Essen und die Flasche zu halten dachte.
Sie paßten überhaupt beide vortrefflich zusammen. Nicht allein wegen
ihrer ähnlichen Neigungen und gastronomischen Bestrebungen, sondern
auch weil von beider Haupt ein lichter Mondschein (der Heiligenschein
der Lebemänner) herabdämmerte. Da der Lord mit dem Gestirne seiner
Liebe nicht in Conjunktion kommen konnte, so hatte er die Stellung
im Gegenschein für die vortheilhafteste gehalten, und sich gerade
gegenüber gesetzt. Von diesem Platze bestrahlte er sie mit feurigem
Blicke und strömte eine Lavafluth von begeisterten Reden aus, die
das Herz seiner Göttin bei ihm erwärmen sollte. Doch Werner wußte
geschickt mitunter einen Eiszapfen in des Lords glühenden Busen zu
stecken, der ihn sichtlich fast erstarren machte. So fragte er ihn
z. B. einmal mitten in der Rede, ob nicht der Graf Klammheim aus W.
angekommen sey; er habe gestern eine Equipage mit der Livree desselben
fahren sehn. Der Lord, mochte er nun glauben, daß er angeführt
worden sey, oder daß ein Mißverständniß obgewaltet habe, mußte diese
Erinnerung höchst verdrießlich empfinden. Denn er hatte eine halbe
Ahnung, daß er doch vielleicht ein wichtiges Gespräch versäumt haben
möge, und fühlte sich nicht vorwurfsfrei, indem er weder, wohin er
geritten war, in seinem Hotel hinterlassen, noch sich näher erkundigt
hatte, ob der Graf wirklich angekommen sey. Deshalb stockte plötzlich
der Strom seiner Rede, und er antwortete nur kurz: „Ich habe auch
davon gehört, es mag aber ein Mißverständniß seyn; bei mir ist er noch
nicht gewesen.“ Nach einigen Minuten richtete er wieder eine starke
Apostrophe an Henrietten. Plötzlich fuhr Werner dazwischen. „Ach, Sie
wissen noch gar nichts von dem Unglück Ihrer Herrlichkeit! Sehen Sie,
Sie haben eine Wette verloren und sind noch dazu vom Pferde geworfen
worden, und was das schlimmste ist, in die Zweige der Pappeln hinein.
Sehn Sie nur die rothen Striche auf Ihrer Herrlichkeit Antlitz;
das sind die Spuren davon!“ „Das thut mir leid,“ sagte Henriette
aufrichtig, „nur begreife ich nicht,“ fügte sie unschuldig hinzu,
„wie sie in die Pappelzweige gerathen sind. Die scheinen mir doch
viel höher zu seyn als ein Reuter.“ „Ei,“ rief Werner, „das Pferd hat
ihre Herrlichkeit vermuthlich erst hoch in die Luft geworfen!“ „Das
muß ein schrecklicher Fall gewesen seyn,“ bedauerte Henriette. „Eine
Kleinigkeit, _passons la dessus_,“ erwiederte der Lord, „Sie sehn,
ich bin ganz wohl.“ Doch dies schien nicht wahr zu seyn, denn plötzlich
wurde er blaß und roth, und kam fast außer Faßung. Unmöglich konnte
die Ursach davon die seyn, daß der Artillerie-Hauptmann, der noch nach
Strahlheim zu kommen versprochen hatte, eben unvermuthet in den Saal
trat. Doch ließ sich nichts anders ersinnen, was Sr. Herrlichkeit so
in Unruhe hätte setzen können; es mußte daher wohl die Erinnerung an
den Fall, und den damit verknüpften Verlust und Aerger seyn, die durch
die Erscheinung des Artillerie-Offiziers aufs neue höchst lebhaft
erweckt wurde. Auch der Hauptmann war erstaunt, erwähnte indeß nichts
von dem Vorfall (vermuthlich aus Delikatesse) und nahm neben dem
Obrist-Lieutenant Platz. Die letzt erzählte Agitation hatte den Lord
ganz einsilbig gemacht, und es ist eben weiter nicht viel von ihm zu
erzählen. Die ganze Tafelzeit verstrich überdies unter unbedeutenden
Gesprächen, so daß wir sie kurz überspringen können. Den Kaffee nahm
die Gesellschaft auf dem Balkon ein.



14. Spiele auf der Wiese. Die Wasserfahrt.


Die Sonne war jetzt allmählig tiefer gesunken, und man fand die
Zeit sehr passend, um auf der Wiese einige Spiele zu veranstalten.
Wicke und Hayfisch schlugen dagegen eine Wasserfahrt vor, allein der
Obrist-Lieutenant widersprach ihnen, und meinte die Wasserfahrt müsse
gemacht werden, wenn sich die Sonne fast zum Untergang neigte, weil
dann erstlich die Landschaft am schönsten beleuchtet sey, und zweitens
das Blenden und Stechen der Sonne, was auf dem Wasser unerträglich
sey, aufhöre. „Zudem,“ fügte er in einer bei ihm seltenen Begeisterung
hinzu, „was läßt sich reizenderes denken, als in der lieblichen
Abendkühle auf den purpurn sich brechenden Wellen zu treiben und
den Mond abzuwarten, der heut voll wird, und herrlich aufgehn muß?
Entscheiden Sie, schöne Henriette, habe ich nicht Recht?“ Henriette
erwiederte: „Ich habe hier nur ~eine~ Stimme zu geben, und die ist
mit Vergnügen die Ihrige, doch behaupte ich, daß die Damen einzeln
befragt werden müssen, ob sie die Kühle des Abends nicht fürchten. Wenn
das wäre, so müßten wir lieber jetzt fahren und die Spiele aufgeben.“
Dies geschah, doch alle entschieden sich für den Obrist-Lieutenant.
Man konnte eigentlich nicht recht begreifen, was Wicke und Hayfisch
gegen die Gesellschaftsspiele hatten, doch der Obrist-Lieutenant schien
es geahnt zu haben, und wußte sie nachher in die Enge zu treiben.
Es war nämlich nichts anders, als ihre vorsichtige Kleidung, in der
sie schon Hitze genug ausstanden, die sie nicht durch Springen und
Laufen vermehren mochten. Als man daher auf die Wiese gegangen war und
berathschlagte, was man spielen könnte, schlug er zuerst das Spiel:
~Katze~ und ~Maus~ vor, welches mit Beifall angenommen wurde. Unter den
Damen wurde durchs Loos die Maus, unter den Herrn die Katze bestimmt.
Der Obrist-Lieutenant, der alles anordnete, wußte es so einzurichten,
daß Wicke die Katze spielen mußte. Er machte tausend Entschuldigungen,
allein es half ihm nichts. Der Zufall wollte, daß Henrietten das
Loos der Maus zugefallen war. Es war jetzt Wickes Aufgabe, die
niedliche Maus zu haschen, und unter andern Umständen hätte ihm nichts
willkommener seyn können, auch ward der Lord förmlich eifersüchtig auf
ihn: doch jetzt, wo er vor Hitze schon fast umkommen wollte, schien
es ihm eine förmliche Pein. Er hätte sich gerne langsam und träge
benommen, allein das würde ihm solche Neckereien gebracht haben, daß
er dachte, „thue dein Möglichstes, sie rasch zu greifen, so ist der
Scherz bald vorbei.“ Der Kreis wurde jetzt geschlossen, und der Katze
ein Durchgang angewiesen, während die Maus überall den Freipaß des Aus-
und Einganges erhielt. Wicke stand außerhalb des Kreises, Henriette
inwendig. Das Signal wurde gegeben, und der Rath sprang, wie ein Löwe
auf die Beute, mit einem ungeheuren Satz auf Henrietten zu. Doch sie
bückte sich leicht und war außerhalb des Kreises. Jetzt versuchte Wicke
die Mauer zu durchbrechen. Er rannte sich dreimal als Mauerbrecher
gegen den Lord und den Obrist-Lieutenant, doch vergeblich. Jetzt wandte
er sich zur List. Durch verstellten Angriff suchte er Henrietten
in die Nähe der Stelle zu treiben, wo ihm der Ausgang offenstand.
Dies gelang ihm, doch floß der Schweiß schon in großen Tropfen von
seiner Stirn. Jetzt plötzlich wandte er sich und schoß hinaus. Die
überraschte Henriette, der nicht mehr Zeit genug blieb, sich in den
Kreis zu begeben, floh wie eine Taube rings um denselben herum, und
Wicke hinterdrein, wie Achill hinter Hektor. Da er aber schon fast
athemlos war, konnte er die leichtfüßige Grazie nicht einholen, und als
sie dies bemerkte, hüpfte sie ohne Anstrengung vor ihm her, dreimal
um den Kreis herum, während der Rath schwer keuchend nachsetzte. Ein
helles Gelächter brachte den armen Teufel noch mehr in Wuth, und er
beschloß nun alles daran zu setzen, um sich den Fang nicht entgehen zu
lassen. Allein die Jugend war auch eben nicht sein Fehler, und er fing
jetzt erst an, das erste Mal zu bemerken, daß er eigentlich schon das
sey, was der französische Lustspieldichter einen alten Jüngling nennt,
denn die Glieder wollten dem Willen nicht mehr gehorchen, und fast
brachen schon die Kniee unter ihm zusammen. Henriette schlüpfte jetzt
in den Kreis und verschaffte ihm dadurch Luft, indem er nun nicht mehr
nöthig hatte, sie zu verfolgen, sondern sie sich (man verzeihe den
Jagdausdruck) stellen konnte. Mit einem Male ging es ihm wie ein Blitz
auf. Daß Agrippinus seiner Wunde wegen nicht eben fest halten konnte,
war natürlich, zugleich stand neben diesem die schüchterne Wilhelmine.
Napoleon hat nie einen so glücklichen Operationsplan entworfen als
Wicke in dem Augenblick machte. Dort, nirgend anders, war der Schlüssel
zur Position. Durch Scheinangriffe trieb er Henrietten auf die morsche
Stelle in der Mauer. Kaum hatte er sie daselbst, so rannte er an wie
eine Schneelavine, brach glücklich durch, und -- plumpte lang auf den
Rasen nieder, während Henriette durch eine behende Bewegung entrann.
Durch den Chok waren ihm sämmtliche Westenbänder geplatzt, auch hatten
die Tragbänder einen starken Riß bekommen; daher mußte er nun die
Sache aufgeben, und bekannte mit verzweifelter Miene, er könne nicht
mehr. Der Oberst-Lieutenant, der Sekundant und der Arzt, die die Sache
ahnen mochten, lachten innerlichst vergnügt über das unwillkührliche
russische Bad, welches Wicke nehmen mußte. --

Man schlug jetzt ein anderes Spiel vor, nämlich: den dritten abzujagen.
Ich beschreibe das Spiel nicht weil es jedermann kennt. Werner war
zuerst der Führer des Plumpsacks; er schien durch eine glückliche
Divinationsgabe zu ahnen, daß Hayfisch eben so wenig zum Laufen
angekleidet seyn möchte als Wicke, daher lauerte er ihm auf und traf
ihn glücklich. Er hatte sich nicht geirrt, denn Hayfisch schien
in einer Art von Verzweiflung, daß das Unglück ihn so verfolgte.
Kleinmüthig nahm er das linnene Zepter seiner Würde, und setzte sich
in Lauf. Er kalkulirte richtig, daß Wicke der Erschöpfteste seyn
müßte, und glaubte ihn daher am leichtesten zu haschen; deshalb
richtete er sein Auge auf ihn. Dieser, der sich kaum erholt hatte,
sah sein Geschick nahen; die Furcht gab ihm Flügel zum Entweichen. Er
hüpfte wie ein Gemsbock und Hayfisch schoß hinterdrein. Wie Tantalus
nach der Frucht, strebte der Mäcen nach dem Rath. Die Hoffnung, sein
entsetzliches Amt los zu werden, gab ihm nach jedem mißlungenen Versuch
neue Kräfte, und Wicke strengte die seinigen bis aufs äußerste an, um
nur dem schrecklichen Verderben zu entrinnen. Wie zwei glühende Bolzen
sahen die beiden Duellanten aus. Doch ihre gegenseitige Hoffnung und
Furcht hielt sich so die Wage, daß sie sich gegen eine Viertelstunde
jagten, ohne dem Ziele näher zu kommen. Endlich keuchte Hayfisch: Ich
kann nicht mehr, ich muß bitten mich abzulösen, oder ein andres Spiel
anzufangen. Das letzte wurde angenommen, und der Obrist-Lieutenant
schlug das Wittwerspiel vor, wo hintereinander stehende Paare sich
trennen, eine Strecke laufen, und sich wieder vereinigen müssen, ohne
von einem heirathssüchtigen Wittwer, der sich eine Frau greifen will,
geschieden zu werden. Bei diesem Spiel, wo freilich nicht jede Bewegung
streng abgemessen werden kann, hoffte der Lord das gegen Henrietten
auszuüben, was er ländliche Freiheiten nannte. Er ließ es sich daher
gerne gefallen der erste Wittwer zu seyn. Henriette stand mit Werner
gepaart; ein Grund mehr für den Lord, dem verhaßten Musikus die
schöne Spiel-Verlobte abzunehmen. Er ließ daher alle Paare ziemlich
ruhig vorbeilaufen, ohne sich sehr anzustrengen, und merkte sich nur,
wenn Werner und Henriette kommen würden. Doch Werner brauchte die
erlaubte List, zu der der Hanswurst ihm behülflich war, seinen Platz
zu tauschen, und ließ diesen, der mit dem langen hagern Sekundanten
gepaart stand (denn es fehlte an Damen, um die bunte Reihe vollständig
zu machen) an seiner Stelle laufen. Der Lord, der sich nicht umsehen
durfte, glaubte gewiß Henrietten zu greifen, sprang daher wie ein Pfeil
nach der Seite herum, wo die Dame ankommen mußte, und hielt -- den
Hanswurst in seinen Armen, der ihn sogleich Mylady anredete und sich
seiner glücklichen Verbindung freuete, die zum Verdruß des Lords auch
glücklich bis ans Ende des Spiels fortdauerte. --

Jetzt war der Abend so weit vorgerückt, daß man die Wasserfahrt
beginnen wollte. Ein geschmückter Nachen, der die ganze Gesellschaft
aufnehmen konnte, lag bereit; in einem zweiten folgten mehrere
Spielleute mit Blasinstrumenten, die Werner bestellt hatte. Der Strom
lag licht und eben wie ein Spiegel; die Sonnenstrahlen fielen schon
röthlich in die Wellen und umzogen die Stadt, deren Thürme sich in der
Fluth spiegelten, mit einem goldnen wunderbaren Duft. Denn grade hinter
der Residenz ging die Sonne unter. Hatte man in dieses Prachtgemälde
eine Zeitlang hineingeschaut, so erquickte sich dagegen der Blick
nach der andern Seite durch die ruhige, tiefe dämmernde Bläue in der
der Horizont lag, und durch die frischgrünen Ufer und Inseln, die der
dunkelblaue Strom zierlich umschloß. Der Nachen wiegte sich sanft auf
den leise bewegten Wellen, die die angenehmste Kühlung aushauchten; der
Himmel spannte sich klar und blau über die Erde; die ganze wehmüthig
feierliche Stille des Abends herrschte auf der Flur und dem Gewässer.
Durchdrungen von der Schönheit des Anblicks, von dem wonnigen Hauch
der lauen Abendlüfte selig erquickt, überdrängt von den Gefühlen der
eigenen Brust traten die Thränen in Henriettens Auge, und wie von
einer höhern Macht begeistert, ergriff sie eine Guitarre und sang
dazu mit ihrer seelenvollen Stimme ein Lied, das in Aller Brust die
wunderbarsten Gefühle weckte.

Werner saß neben ihr, und drückte ihr, als sie geendigt hatte, in
tiefster Bewegung die Hand. Wie entzückt würde er ihr ans Herz gesunken
seyn, wenn er jetzt gedurft hätte! So trug er seine Wonne in sich,
und nur durch den leisen Druck der Hand und durch begegnende Blicke
verständigten sich die Liebenden. Der Lord hatte dies so halb und halb
gesehn, und ergrimmte innerlichst darüber. „Ich glaube wahrhaftig,“
sagte er leise zum Obrist-Lieutenant, „der unverschämte Musikant
wird dreist gegen den kleinen Engel. Wenn ich das wüßte, sollte ihn
der Teufel holen. Ich wäre im Stande und peitschte ihn aus.“ Diese
Worte hörte der Artillerie-Hauptmann, und fragte ziemlich laut: „Ew.
Herrlichkeit sprechen vom Auspeitschen? Wie kommen Sie darauf?“ Der
Lord schwieg, der Hauptmann lächelte ziemlich unverholen; dies fiel
allgemein auf. -- Man ruderte indeß den Strom hinauf, um sich bei
Mondenschein sanft von der Welle zurück treiben zu lassen. Es war
nicht zu verhindern, daß die rudernden Schiffsleute die Lustfahrenden
bisweilen etwas besprützten. Auch den Lord traf dies einige Mal. Roh,
wie er war, äußerte er sich laut darüber gegen die Ruderer. Diese, die
sich wenig um den Engländer kümmerten, trieben es jetzt absichtlich und
bespritzten ihn so, daß ihm der ganze Nacken naß wurde. Er suchte sein
Tuch, um sich abzuwischen, fand es aber nicht, weil er es vermuthlich
bei den Spielen verloren hatte. Ohne sich zu bedenken, griff er
nach dem Hut des Obrist-Lieutenants, der neben ihm lag, zog dessen
Federbusch heraus, und kehrte damit sowohl den Sitz als den Nacken ab.
Das durfte man dem Obrist-Lieutenant nicht bieten. Entrüstet stand er
auf und sprach: „Ew. Herrlichkeit, was thun Sie dort, das ist ja mein
Federbusch?“ „Bagatelle,“ erwiederte der Lord, „ich kaufe Ihnen morgen
einen bessern.“ „Höll und Teufel,“ fuhr der Obrist-Lieutenant auf,
„Herr, was erdreisten Sie sich? Glauben Sie, Ihre Lordschaft gebe Ihnen
das Recht, einen Offizier so zu beleidigen? Das soll Ihnen theuer zu
stehn kommen!“ Zugleich fuhr auch der Artillerie-Hauptmann auf. „Herr,“
rief dieser, „Sie wagen es einen Offizier auf diese Art zu beleidigen?
Sie, der Sie ihm gar keine Genugthuung geben können?“ Mit diesen
Worten sprang er auf den Lord zu; mehrere Herrn thaten ein gleiches,
dadurch kam der Nachen auf die Seite zu liegen, die Damen schrieen laut
auf, mußten aber doch unwillkührlich auf die tiefere Seite hinüber,
das Uebergewicht wurde zu groß, der Kahn schlug um, und die ganze
Gesellschaft lag im Wasser.



15. Die Entdeckungen. Die Maskerade.


Angstgeschrei und Hülferuf tönte von allen Seiten. Werner hatte
Henrietten gefaßt, und ein rüstiger Schwimmer, wie er war, erreichte
er bald mit ihr das Ufer, wo er sie sogleich in ein Zimmer des
Wirthshauses bringen ließ und eiligst zurück kehrte, um zur Rettung
der Uebrigen behülflich zu seyn. Zum Glück war der Nachen mit den
Spielleuten gleich zur Hand gewesen, und auch ein andrer Kahn auf
das Geschrei um Hülfe schnell herbei gekommen. So fand Werner die
meisten Personen schon in Sicherheit; nach den andern wurde sogleich
gesucht. Henriettens alte Pflegerin und Wilhelmine hatten sich an dem
umgestürzten Fahrzeug fest gehalten, und wurden jetzt von Werner in
den Fischerkahn, auf dem er gekommen war, aufgenommen. Auch Wicke und
Hayfisch waren noch im Wasser und schrien jämmerlich um Hilfe. Werner
versuchte sie in den Kahn zu ziehen, allein es war unmöglich, weil
ihre siebenfache Garderobe so viel Wasser eingesogen hatte, daß sie
zu schwer wogen. Er bedeutete sie daher sich noch einige Minuten zu
gedulden, bis er mit Hilfe zurück gekehrt sey, und fuhr ab. Obgleich
sie sich in gar keiner Gefahr mehr befanden, und das laue Bad nicht
anders als angenehm seyn konnte, so schrien sie doch entsetzlich
nach Hilfe und Rettung. Werner beeilte sich daher aufs möglichste,
Wilhelminen und die Alte zu Henrietten zu bringen, um rasch zurück zu
kehren. Dies geschah auch sogleich, indem er noch zwei Schiffleute
annahm, die ihm halfen die Verunglückten in den Nachen zu heben. Als
sie endlich herein waren, betheuerte der Schiffer, zwei so schwere
Menschen seyen ihm noch niemals vorgekommen.

Am Ufer traf man jetzt die ganze Gesellschaft beisammen; ertrunken
war zwar niemand, doch einige Damen und der Lord lagen in Ohnmacht.
Die erste Sorge bestand jetzt darin, trockne Kleider anzuschaffen.
Der Wirth brachte herbei, was möglich war, und führte die Herrn in
einen großen Saal, wo sie sämmtlich Toilette machten und sich in
Bauer- und Schifferkleidung stecken mußten. Alle waren fertig bis
auf Wicke, Hayfisch und den Lord, der jetzt erst seine Besinnung
erhalten hatte. Diesen stand aber eine bittere Lektion bevor. Denn
als man sie entkleidete, fand sich zuerst, wie vielerlei Hülsen die
beiden Duellanten übereinander gezogen hatten. Wie Zwiebeln wurden
sie abgehäutet, und unter jeder Haut steckte eine neue. Der Hanswurst
rief endlich: „Hört auf, Kinder, ich bitte Euch, denn am Ende bleibt
nichts von den beiden Leuten übrig. Vier Paar wollene Beinkleider
habe ich dem Rath allein abgestreift!“ Vor allem aber lachten der
Sekundant, Agrippinus und der Arzt; Wicke und Hayfisch hätten vor
Aerger bersten mögen, doch sie mußten ihr Geschick nun einmal ertragen,
und entschuldigten sich durch Kränklichkeit. Bei der Enthäutung des
Lords that sich aber noch ein ganz anderes Schauspiel dar. Er würde
sich gewiß in einem besondern Zimmer umgekleidet haben, wenn er nicht
besinnungslos gewesen wäre. Doch jetzt war das zu spät, und so wurde,
was er verbergen wollte, Allen offenbar. Vergeblich suchte er einen
Vorwand, das Hemd anzubehalten, der Arzt drang darauf, daß er trockene
Wäsche anziehen müsse. Geschah es nun aus Bosheit oder Zufall, aber der
Wirth brachte ihm ein Hemd, welches durchaus nicht auf seinen Körper
passen wollte, und so mußte der Lord es endlich, nachdem er sich lange
damit herumgequält und es halb zerrissen hatte, zurückgeben, und war
nun, bis ein neues angeschafft wurde, aller Augen im adamitischen
Paradieskleide preisgegeben. Da entdeckten sich auf seinem Rücken noch
viel bedeutendere und zahlreichere Streifen, als auf seinem Gesichte.
„Sind das auch Pappelzweige?“ fragte Werner. „Was Teufel, Lord,“ schrie
der Hanswurst, „Sie sehen ja aus wie ein Zebra! Oder sind Sie ein
Obelisk, oder eine Pyramide? Denn Hieroglyphen ohne Zahl sind hier auf
Ihrem Rücken geschrieben.“ „Es muß von dem Fall seyn,“ stotterte der
Lord. Doch der Hauptmann von der Artillerie trat hinzu und sprach: „Ich
bin zwar kein Champollion, aber diese Hieroglyphen vermag ich zu lesen.
Ich würde geschwiegen haben, wenn Se. Herrlichkeit sich nicht mit ihrer
englischen Anmaßung so unverschämt gegen den Herrn Obristlieutenant
benommen hätten. So aber muß ich Ihnen sagen, daß die Streifen von
den Kantschuhhieben meiner Kanoniere herrühren, die der edle Lord
überreiten wollte, weil sie ihm nicht so schleunig Platz machen
konnten, als er befahl.“ Auf diese Nachricht zogen sich die Herren
von dem Lord zurück. Der Rittmeister sagte: „Zum Donnerwetter, so ist
meine Wette hin, denn von dem kann ich sie nicht mehr annehmen,“ und
der Obristlieutenant äußerte, er müsse jetzt einen andern Ausweg für
seine Ehrensache suchen. Man ließ nun den Lord allein, und bekümmerte
sich auch nicht sonderlich um Hayfisch und Wicke, die sich indeß bald
möglichst der andern Gesellschaft anzuschließen suchten. Der Lord
verschwand, und man sah ihn nicht wieder.

Da auch die Damen nunmehr ihre Toilette vollendet hatten, kam die
Gesellschaft in dem Saal, wo man zu Mittag gegessen hatte, wieder
zusammen. Von dem Schreck hatte man sich erholt, Niemand hatte Schaden
gelitten, und so freute man sich doppelt, sich nach dem Unfall
wiederzusehen. Ueberdies waren die drolligsten Figuren entstanden,
da der Zufall die Garderobe auf das Wunderlichste vertheilt hatte.
Henriette sah in dem Sonntagskleide eines Bauermädchens allerliebst
aus, auch Auguste schien die Tracht einer Gärtnerin, die ihr
zugefallen, gar nicht übel zu finden. Der Hanswurst war in des Küsters
schwarze Sonntagslivree gefahren, und ruhte nicht, bis er auch die
Perücke dazu hatte. Nur Regenbogen fühlte sich höchst unglücklich,
da er in einem grauen leinenen Kittel und weiten manschesternen
Beinkleidern allerdings kein eben elegantes Ansehen hatte, besonders
da sein sonst so sauber gekräuseltes Haar ihm in langen nassen Faden
herabhing. Man kam überein, nun noch eine Zeit lang fröhlich zusammen
zu bleiben, und dann gemeinschaftlich den Rückweg anzutreten. Nach
dem Lord fragte Niemand, denn im Grunde war Jeder froh, daß er
fehlte. Ein ländliches Abendmahl, wobei sich’s vorzüglich der Abbe
und Hemmstoff wohlschmecken ließen, beschloß diese an Begebenheiten
reiche Landparthie. Niemand war dabei lustiger, als Brückbauer, der da
schwur, er wolle in einer Nußschale über das Weltmeer schiffen, denn
ihm sei es nicht verhängt, zu ertrinken. Schon einmal sey er auf dem
nämlichen Flecke mit dem Kahne umgeschlagen, ohne zu verunglücken, und
auch heute habe der Himmel sich besonders gnädig gegen ihn gezeigt, da
er nicht einmal den Kopf unter Wasser gehabt habe, sondern nur etwas
eingetaucht worden sey. Der Hanswurst bemerkte, daß er demnach von
Glück sagen könne, daß er kein Zwieback sey, weil sonst seine untere
Hälfte abgeweicht seyn würde, und rieth ihm, eine Rede über das Thema
auszuarbeiten: „Was hängen soll, ersäuft nicht.“ In dieser lustigen
Stimmung brach die Gesellschaft endlich auf und fuhr nach Hause.



16. Trübe Wolken. Die verschmähten Liebhaber.


Indeß waren mehrere Wochen verstrichen, während unsere Bekannte ihr
altes Treiben fortsetzten. Sie flogen bei Henrietten aus und ein,
nur der Lord erschien nicht; man erzählte, er sey ins Bad gereist.
Werner und Henriette blieben im stets vertrauten Einverständniß und
bereiteten im Stillen alles zu ihrer häuslichen Einrichtung vor;
denn nur noch wenige Wochen, und Henriettens Verpflichtungen waren
abgelaufen. Bisweilen schien Werner unruhig; doch wich er Henriettens
Nachforschungen aus. Eines Morgens kam er indeß ganz früh zu ihr, und
zeigte ihr an, daß er ihr etwas Wichtiges zu entdecken habe. Sie war
gespannt zu hören, und er erzählte ihr Folgendes: „Ich hegte bisher die
Hoffnung, theuere Henriette, Dir in Beziehung auf Deine äußere Lage
mehr erfüllen zu können, als ich Dir versprochen, denn mein Vater ist
ein sehr reicher Mann. Ich wollte Dir das nicht entdecken, weil ich Dir
nicht eitle Hoffnungen rege machen wollte, denn diese wären es, wie die
Erfahrung mir bestätigt hat, gewesen. Mein Vater hat eine entschiedene
Abneigung gegen den Stand, den Du selbst nicht liebst, und glaubt an
keine völlige Reinheit der Gesinnung unter den Mitgliedern desselben.
Daher hat er sich entschieden gegen unsere Verbindung erklärt. Seine
Worte lauten fest und unwiderruflich, denn ich kenne ihn, so:“ (Hier
nahm er einen Brief aus dem Busen und las Henriette folgende Stelle
vor.)

    „Was Deine Verbindung anbetrifft, so bist Du mündig, und kannst
    thun, was Du willst. Daß ich entschieden dagegen bin, konntest
    Du wissen; ebenso aber weißt Du auch, daß nicht die gewöhnlichen
    Vorurtheile vom Unterschied der Stände und des Vermögens mich
    bestimmen. Meine Entscheidung gründet sich auf eine reife Ansicht
    und auf feste Grundsätze der Sittlichkeit, besonders in Beziehung
    auf den weiblichen Charakter. Willst Du, trotz meines väterlichen
    Rathes, den Träumereien der unbesonnenen Jugend folgen, so thust
    Du es auf eigene Gefahr; die Familie soll dadurch aber, dies ist
    mein unabänderlicher Wille, nicht im mindesten gekränkt oder
    beeinträchtigt werden. Ich ersuche Dich also, Dich mit Deiner
    künftigen Frau fern von uns zu halten, auch keine Ansprüche an mein
    Vermögen machen zu wollen, was ich Deinen Geschwistern, denen der
    Wunsch und der Wille ihres Vaters theurer war, als Dir, zuwenden
    will. Uebrigens zürne ich Dir nicht, sondern will nur, daß Du
    auch alle Folgen Deines Schrittes zugleich mit tragen sollest.
    Liebst Du wirklich, und ist Deine Erwählte das, wofür Du sie
    hältst, so wirst Du reichlich entschädigt seyn. Sollte uns das
    Geschick zusammenführen, so werde ich ~Dich allein~ nicht
    mit Widerwillen sehen, denn ich schätze Vieles an Dir, selbst die
    eigensinnige Festigkeit, die mirs gewiß macht, daß meine Antwort
    Deinen Entschluß nicht ändern wird. Anbei erfolgen die Papiere, die
    Dich in den unbeschränkten Besitz Deines mütterlichen Vermögens
    setzen.“ --

„Dies schreibt mir mein Vater,“ fuhr Werner nach einem langen
Stillschweigen fort. Henriette sank ihm an das Herz und lispelte:
„Theurer, Du bringst mir ein großes Opfer, das Dich gereuen wird; laß
ab von mir, ich fühle mich nicht würdig genug, Dir das zu ersetzen,
was Du verläßt.“ „Meine Liebe,“ sprach Werner freundlich, „traust Du
selbst Dir nicht einmal das zu, was doch mein Vater Dir zutraut? Er
sagt, Du werdest mir eine reiche Entschädigung seyn, wenn Du so bist,
als ich Dich halte, unschuldig und liebevoll. Und das bist Du! -- Ich
war auf diesen Brief gefaßt; meine Hoffnung, daß er anders seyn würde,
war so schwach, daß ich ihre Zerstörung für nichts rechnen kann. Ich
bin so glücklich, wie zuvor, und hege allen Muth und alle Zuversicht,
die ich je gehabt habe, noch frisch und freudig im Herzen. Ja selbst
mein Vater, so hoffe ich, wird seinen starren Sinn beugen, wenn die
Folge ihn lehren wird, daß seine Grundsätze über Frauentugend und
die nothwendigen Eigenschaften einer Gattin durch Dich nicht leiden,
sondern strenger befolgt werden, als er in der Wirklichkeit jemals
gesehen hat.“ „Ich will Alles thun, was ich vermag, um mir seine
Achtung und Liebe zu gewinnen,“ erwiederte Henriette, und legte ihre
Hand versprechend in Werners. „Die Gelegenheit dazu, meine Liebe, wird
Dir früher werden, als Du denkst, denn wahrscheinlich trifft mein Vater
in einigen Wochen hier ein,“ erwiederte dieser, indem er sie zärtlich
umarmte. „Ich weiß, daß Geschäfte ihn hieher führen. Vielleicht, daß
seine Gegenwart Alles zum Besten wendet. Doch hoffe ich wenig davon,
weil ich ihn darin genau kenne, daß kein äußerer Reiz und kein fremdes
Urtheil ihn bestechen. Ob er aber selbst Gelegenheit haben wird,
redlich zu prüfen, ob es ihm darauf ankommen wird, sie zu suchen,
das will ich nicht entscheiden. Laß uns nun für jetzt annehmen, daß
nichts in unserer Lage sich ändern werde und darnach unsere Maßregeln
treffen.“ Sie besprachen sich jetzt näher über das, was zu thun sey, um
die Pläne, die wir im Allgemeinen kennen gelernt haben, auszuführen,
und setzten vieles Einzelne, was für uns von geringerem Interesse ist,
fest. Das Wesentlichste war, daß der Tag zu Henriettens Concert, in dem
sie Abschied vom Publikum nehmen wollte, in drei Wochen festgesetzt
wurde. Erst nach diesem wollte sie ihre Verbindung mit Werner
öffentlich bekannt machen; bis dahin gab sie nur an, daß dringende
Beweggründe sie nöthigten, das Theater zu verlassen.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Nachricht durch die Stadt
und erregte die verschiedenartigsten Empfindungen. Der größte Theil
des Publikums bedauerte es, die treffliche anmuthreiche Künstlerin zu
verlieren; doch da auch ihre Persönlichkeit große Theilnahme erregt
hatte, so wünschte man von vielen Seiten, daß eine erfreuliche Ursache
sie bewegen möchte, der öffentlichen Ausübung der Kunst zu entsagen.
Daß es eine Verbindung sey, vermuthete man natürlich. Den angenehmsten
Eindruck machte die Nachricht aber auf Carolinen und Augusten, die
die verhaßte Nebenbuhlerin verloren. So ließen sie es auch gern
geschehen, daß Rennstein, der poetische Kritiker, ein Abschiedssonett
an Henrietten dichtete, welches Quark in Musik setzte und es ihr
dedicirte. Am seltsamsten wirkte die Nachricht auf zwei unserer
Bekannten, Hayfisch und Wicke. Beide hatten schon seit langer Zeit den
halben Entschluß mit sich getragen, um Henriettens Hand zu werben. Daß
sie vom Theater abging, traf sie wie ein Blitz, denn nun ließ sich
vermuthen, daß sie sich irgend einem Glücklichen verlobt habe. Sie
riethen hin und her, und kamen endlich auf die seltsame Idee, einander
in Verdacht zu haben. Hayfisch hielt Wicken für den Begünstigten, und
dieser ihn. Ein Jeder von ihnen glaubte aber, daß er dem Andern den
Rang streitig machen dürfe, deshalb kamen Beide auf den Entschluß, den
Versuch zu machen, ob sie vielleicht einander ausstechen könnten. Eines
Morgens erhielt Henriette daher folgende zwei Briefe, die sie, obwohl
sie ihr nicht angenehm seyn konnten, doch nicht ohne Lächeln las. Der
erste lautete so:

    Angebetete Henriette!

    Tausend Qualen hat dies Herz um Sie gelitten, doch die Angst, in
    der es jetzt schlägt, übersteigt alles Vorige um so viel, als ihre
    Schönheit alles überstrahlt, was man bisher schön genannt hat.
    Sie wollen Abschied von uns nehmen? Sie wollen fliehen? Wohin?
    Wohin? Glauben Sie mir, es giebt keinen sicherern Zufluchtsort für
    Sie, als meine Brust. Für Sie habe ich das Herz dem mörderischen
    Stahl Preis gegeben, an jenem Tage, wo das Geschick uns allen
    mit Vernichtung drohte. So litt ich damals in Strahlheim zwei Mal
    für Sie den Tod, und jetzt leide ich ihn zum dritten Male, wenn
    Sie mich verstoßen und vielleicht ein Nebenbuhler mich durch ein
    vorschnelles Wort überlistet hat. Schwieg ich bisher, so war es
    meine Bescheidenheit. Daher verwerfen Sie jetzt mein Herz nicht,
    da es noch nicht zu spät ist, und haben Sie gleich einem Andern
    früher zugesagt, so ist meine Liebe doch älter, und ich hoffe auf
    ihr beseligendes Jawort. Lassen Sie sich, dies füge ich noch hinzu,
    nicht durch den Stand verführen. Was ist ein Rath! Oft weiß er sich
    selbst nicht zu rathen. Ich aber bin reich und kann Sie glücklich
    machen.

    Ihr getreuester von Hayfisch.

Der zweite kürzere war von Wicke:

    Himmlisch süße Henriette!

    Ich lese Tod in Ihren Blicken. Sollte es wahr seyn, sollten Sie
    Ihre Huld an ihn verschenkt haben, der nur Gold für Liebe bieten
    kann? Ich biete Ihnen Blut und Leben. Fordern Sie, was Sie wollen,
    nur seyn Sie die Meine. Ich bin Rath, doch ich weiß mir selbst
    nicht zu rathen! Mein Kopf fiebert, mein Herz bebt, meine Augen
    weinen, -- -- kurz, ich liebe Sie bis zur Verzweiflung. Retten
    Sie mich, oder ich sterbe. Was wäre ein übereiltes Wort für eine
    Fessel, wenn die Rücknahme desselben Sie in das wahre Paradies der
    Liebe führen könnte? Geben Sie mir ihre Hand und Sie sollen in dies
    Paradies kommen, denn nur dort blüht

    Wicke, Ihr ewiger Anbeter.

Auf beide Briefe antwortete Henriette, daß sie den Freiern nicht
angehören könne, und aus Gründen das Theater verlasse, die sie erst
in künftiger Zeit enthüllen dürfe. -- Zufällig speisten den Mittag,
als sie die Antwort ertheilte, beide zusammen beim Hoftraiteur. Das
Unglück macht zu Vertrauten, sie gestanden einander ihr Schicksal,
und schwuren, die Sirene zu meiden und zu Carolinen und Augusten
zurückzukehren. Auf der Stelle wollten sie ihren Plan ausführen, und
fuhren bei Carolinen vor. Doch diese ließ ihnen, da sie sich melden
ließen, hinaussagen, sie nähme keinen Besuch an. Höchst betroffen
stiegen sie wieder in den Wagen und fuhren zu Augusten, die am
Fenster stand, als der Wagen vor der Thür hielt. Als sie die Treppe
hinaufkamen, hörten sie die erbitterte Schöne zu ihrem Mädchen sagen:
„Wenn der Rath Wicke und Herr von Hayfisch kommen, so bin ich nicht
zu Haus.“ Das war genug. Zum Schein gingen Beide eine Treppe höher,
fragten nach Jemand, der gar nicht im Hause wohnte, und setzten sich
dann wieder in den Wagen. Doch an Augustens satyrischem Lächeln, die,
während sie einstiegen, sich dreist wieder an’s Fenster gestellt hatte,
merkten sie wol, daß sie durchschaut waren. Voll Verdruß fuhren sie
nach Wickes Hause. Hier trat der Bediente dem Rath mit einem Billet,
das so eben angekommen seyn sollte, entgegen. Es war von Carolinen und
enthielt die lakonischen Zeilen: „Ich habe gehört, Herr Rath, wie Sie
und einige andere Herren sich öffentlich über mich geäußert. Meine
Würde verbietet mir, Besuche von Herren anzunehmen, die solche Urtheile
über mich ins Publikum bringen. Daher werden Sie mich nie mehr zu Haus
treffen!“ Wicke las voller Zorn und gab dann den Zettel seinem Freunde,
indem er sagte: „Es wird Ihnen die Mühe sparen, den Liebesbrief zu
Haus zu öffnen.“ Und er hatte Recht, denn eine wörtliche Kopie war bei
Hayfisch und beim Obristlieutenant abgegeben worden. Daß der Vorfall
beim Hoftraiteur Carolinen bekannt geworden seyn mußte, ging deutlich
daraus hervor. Noch mehr Folgen, deren wir später gedenken werden,
hatten sich zum Erstaunen der Residenz daran geknüpft, wurden jedoch
erst nach einiger Zeit bekannt.



17. Das Concert. Graf Klammheim. Absagebriefe.


Der Tag, an dem Henriettens Concert gegeben werden sollte, nahte heran.
Noch nie war in der Residenz ein ähnlicher Andrang nach Einlaßkarten
erhört worden. Die reichsten und vornehmsten Bewohner der Stadt
beeiferten sich, der jungen Künstlerin noch einmal ihre Theilnahme zu
beweisen, indem sie für die Einlaßkarten die ansehnlichsten Geschenke
sandten. In dem Bewußtseyn, zu welchem theuern Zwecke Henriette den
Gewinn dieses ihres letzten öffentlichen Auftretens benutzen wollte,
erfreute sie sich der über alle Erwartung reichen Einnahme ungemein.
Schon drei Tage vor dem Concert war kein Billet mehr zu haben, und sie
mußte bekannt machen, daß keine Tageskasse Statt finden werde.

Am Concerttage ließ sich unvermuthet der Graf Klammheim aus W. bei ihr
melden. Er stellte sich ihr als ein außerordentlicher Bevollmächtigter
des W. Hofes vor, erzählte, er sey gestern Abend spät angekommen, und
vernehme mit Schrecken, daß ein Genuß, auf den er sich so sehr gefreut
habe, ihm nicht mehr werden solle, nämlich Henriettens Gesang. Er fügte
hinzu, daß er auch den vergeblichen Versuch gemacht habe, ein Billet zu
ihrem Concert zu erhalten, und bat sie frei um die Erlaubniß, demselben
beiwohnen zu dürfen. Henriette versicherte, daß es ihr eine große
Ehre seyn würde, daß sie aber nicht ein einziges Billet mehr besitze.
„Soll sich also das Vergnügen ganz entbehren, Sie jemals zu hören?“
fragte der Graf. „Ich weiß nur einen Ausweg, Ew. Excellenz,“ erwiederte
Henriette. „Und der wäre?“ „Sie müßten mir erlauben, Ihnen gleich
etwas vorzusingen.“ Dies sagte sie so anmuthig, daß der Graf eine
sichtliche Freude darüber empfand, und ihr, wiewohl er ein Mann nahe an
sechszig Jahre zu seyn schien, mit jugendlicher Lebhaftigkeit die Hand
küßte. Sie setzte sich darauf an das Fortepiano und sang ihm mehrere
Canzonetten mit der ihr eigenen Anmuth vor. Der Graf war entzückt, bat
sie aber noch um ein deutsches Lied. Sie wählte ihr Lieblingsgedicht
von Schiller: „Der Eichwald brauset, die Wolken ziehn.“ Dies schien
den Grafen innigst zu bewegen, er dankte ihr unverkennbar gerührt, und
sprach: „Sie haben mir durch Ihre Güte eine sehr große Freude gemacht.
Darf ich nun auch wohl mit den Worten eben jenes Dichters sagen:
‚Empfangen Sie ein Angedenken dieser Stunde?‘“ und dabei überreichte
er ihr eine Brillanten-Nadel. Henriette wollte ablehnen, doch er bat
so dringend, daß sie endlich nachgab. Jetzt empfahl sich der Graf.
Doch in der Thür kehrte er um und sprach: „Noch eins, meine gütige
Freundin, Sie erlauben mir wohl, trotz der kurzen Bekanntschaft, dies
Wort, ich habe dringende Gründe, meine Anwesenheit noch nicht offiziell
bekannt werden zu lassen; versprechen Sie daher, Niemandem, aber auch
Niemandem zu sagen, daß ich bei Ihnen gewesen sey.“ Henriette versprach
es. Der Graf ging. -- Der Abend kam heran, das Concert war beispiellos
voll und glänzend. Ein berühmter Künstler, der so eben angekommen
war, begrüßte Henrietten auf dem Orchester, und äußerte mit wahrer
Bewegung seine Theilnahme, daß diese Zierde der Musen und der Kunst
von nun an nur einem engern Kreise blühen wolle. Ein unaufhörlicher,
endloser Beifall folgte jedem Stücke, das sie sang, und als sie zuletzt
Abschied nahm, warf man aus allen Logen des Saals Rosen und Myrthen
auf sie herab, ein Zeichen, daß man die Ursache, die sie der Bühne
entnahm, wohl ahnte. Für ihr empfindendes Gemüth hatte dieses letzte
Auftreten etwas erhaben Rührendes; mit Thränen im Auge dankt sie für
die Aufnahme, indem ihr der Gedanke eine schmerzliche Empfindung
erregte, daß sie nun gewissermaßen den Tempel der Kunst, deren würdige
Priesterin sie gewesen war, für immer verließ. Mochte auch das stille
Heiligthum der Häuslichkeit ihr einen beglückenden Ersatz bieten,
er mußte doch mit einem Opfer erkauft werden. -- Werner führte sie
an den Wagen und fuhr mit ihr nach Hause. Als sie ankamen, sanken
sie einander in die Arme, und Henriette rief: „Nun bin ich ganz die
Deine!“ Nach einer langen seligen Umarmung sprach Werner tief bewegt:
„Henriette, weißt Du, wen ich im Concerte gesehen habe?“ und als sie
ihn fragend ansah, fuhr er fort: „Meinen Vater! Ich werde ihn Morgen
mit dem Frühesten aufsuchen, und Dir dann sagen, wie meine Unterredung,
wie Dein Anblick auf ihn gewirkt hat.“ Die Liebenden trennten sich
voller Hoffnung des Besten; denn daß der Vater im Concert gewesen
war, konnte man für kein böses Zeichen halten. -- Ganz früh am andern
Morgen ließ sich ein Pfarrer, Namens Walter, bei Henrietten melden. Ein
ehrwürdiger Greis mit silbernem Haar trat ein. Er redete Henrietten
mit einer vertrauensvollen Miene an: „Mein Begehr an Sie ist schnell
ausgesprochen, und eben so schnell gewährt oder abgeschlagen. Sie haben
gestern einen reichen Tag gehabt; Sie sehen wohlwollend und gütig aus.
Vielleicht hat Sie die Freude auch mild gestimmt. Ich komme, Sie für
eine sehr unglückliche Familie anzuflehen. Eine Mutter, die früher im
Wohlstande gelebt hat und eine höhere Bildung genossen, schmachtet mit
drei Kindern im Elende. Ihr Mann ist vorgestern in den Schuldthurm,
wohin ihn nur Unglücksfälle führten, gesetzt worden. Wenige hundert
Thaler könnten ihn retten, der unglücklichen Familie den Vater und
Erhalter wiedergeben, allein sie sind schwer zusammenzubringen, und
indeß zehren Mangel und Kummer am Leben und Glück des Vaters, der
Gattin und der Kinder. Wollen Sie durch einen gütigen Beitrag das
Ziel des Unglücks kürzer stecken helfen? Darum bitte ich Sie und habe
Vertrauen zu Ihnen.“ Henriette war durch die einfache Erzählung und die
Würde des alten Mannes tief gerührt. Sie fragte schüchtern: „Wie groß
ist die Schuldsumme?“ „Zweihundert Thaler; und etwa hundert möchten
nothwendig seyn, um den dringendsten Bedürfnissen der Familie bis so
weit abzuhelfen, daß der Mann von Neuem im Stande wäre, sie durch
Thätigkeit, an der es ihm nicht mangelt, zu erhalten.“ „Mein Gott!“
rief Henriette, „war denn der Unglückliche so arm an Freunden, daß
er um dieser geringen Summe willen so viel Jammer ausstehen mußte!“
Mit diesen Worten eilte sie an ihren Sekretair und holte dreihundert
Thaler, die sie dem Pfarrer mit den Worten gab: „Nehmen Sie, würdiger
Mann. Der Himmel hat mich so reich beschenkt in diesen Tagen, daß ich
auch nach Abzug dieser Kleinigkeit noch viel reicher bin, als ich
hoffte. Ich bitte, nehmen Sie und helfen Sie bald!“ Der alte Mann
faßte Henriettens Hand und drückte sie heftig an seine Lippen. „Das
wird Ihnen Gott lohnen,“ rief er mit leuchtendem Auge, „gewiß, meine
Tochter, vertrauen Sie darauf!“ Es lag etwas prophetisches in seinen
Worten, das Henrietten seltsam traf. Sie geleitete ihn an die Thür, und
ging mit frohem Herzen zurück in ihr Gemach. -- Eine elegante Equipage
fuhr vor. Es war der Graf Klammhaim. „Was kann er so früh wollen,“
dachte Henriette, nahm ihn jedoch an. Er trat mit den Worten ein: „Sie
sind betrogen, beste Freundin, ich bin doch in ihrem Konzert gewesen,
ein erkrankter Freund hat mir seine Karte gegeben.“ „Das freut mich
ungemein,“ erwiederte sie; „ich wünschte, alle Zuhörer wären so gütig
und empfänglich als Sie, Herr Graf.“ -- Der Graf schwieg und schien
etwas verlegen. Endlich begann er: „Schöne Henriette, viele Worte sind
nicht meine Sache; ich kann nicht läugnen, daß ich Ihretwegen nicht
allein bei Ihnen, sondern sogar in dieser Stadt bin. Unser Fürst, ein
Mann in den besten Jahren, hat es bisher gescheut, sich zu vermählen,
weil er die Ehen der Etikette haßt. Doch die Nothwendigkeit heischt
endlich dieses Opfer von ihm. Er muß dem Lande eine Fürstin geben.
Allein auch sein Herz hat Bedürfnisse. Er kennt Sie,“ -- „Halten Sie
ein, Herr Graf, ich bitte Sie,“ erwiederte Henriette, „ich glaube
zu ahnen, was Sie sagen wollen, aber ich bitte Sie dringend, es zu
verschweigen. Ich dürfte Ihnen dann nicht wieder freundlich begegnen.“
„Sie betrachten das Verhältniß,“ fuhr der Graf zur Erde sehend fort,
„vielleicht falsch. Der Fürst wird öffentlich zeigen, daß er Sie nicht
nur liebt, sondern auch ehrt. Dürfen Sie ihn tadeln, wenn er über der
Staatspflicht nicht verlernen kann, daß er auch ein menschliches Herz
hat? Die Gemahlin ist nur die Fürstin, die Mutter des Thronerben, aber
nicht seine Gattin. Fürchten Sie die Mißdeutung der Welt? Er wird
durch sein Benehmen zeigen, daß er Sie hochachtet. Sie sind, wenn Sie
einwilligen, von dieser Minute an, Herrin einer Grafschaft, und im
Besitz dieses Titels auch für Ihre Nachkommen. Glauben Sie nicht, daß
der Fürst Sie erkaufen will, er will Sie lieben, und seine Liebe giebt
Ihnen, was er hofft, daß Ihnen Ehre und Freude gewähren wird. -- Reden
Sie!“ „Herr Graf. Ich tadle den Fürsten nicht, und überlasse es ihm
zu entscheiden, was er darf; überlassen Sie das aber auch mir. Ich
fühle, daß ich Ihren Antrag verwerfen muß, daß er mich kränkt. O hätten
Sie geschwiegen, ich hätte besser von Ihnen denken dürfen. Nehmen Sie
diese Nadel zurück, ich weiß jetzt, daß Sie“ -- hier hinderten sie
die Thränen weiter zu sprechen. Der Graf, sichtlich bewegt, schwieg
ebenfalls lange Zeit, endlich aber sprach er: „Nun wohl, so will ich
Ihnen denn meinen Auftrag ganz enthüllen.“ „Ich bitte Sie, nein,“ rief
Henriette, „ich darf, ich will nicht hören.“ „Sie dürfen, auf mein
Wort,“ sprach der Graf fest. „Der Fürst sah Ihre Antwort zuvor und war
darauf vorbereitet. Doch er liebt Sie wirklich. Der Staat verbietet
ihm Ihre Hand, so lange er herrscht. Er tritt die Regierung seinem
Bruder und dessen Nachkommen ab, und begiebt sich in den Privatstand,
um durch Ihre Hand, die er als Ihr rechtmäßiger Gemahl empfangen will,
ein Glück zu erhalten, was ihm der Thron nicht bietet. Sprechen Sie
ein Wort, und ich begrüße Sie als meine Fürstin.“ Henriette schwieg
einen Augenblick, dann trat sie mit edler Bescheidenheit auf den Grafen
zu: „Herr Graf, ich fühle mich hoch geehrt durch Ihren Antrag; ich
glaube, daß Ihr Fürst mich liebt, daß er ein edler Mann ist. Um so
mehr würde ich mir vorwerfen, wenn ich solch einen Mann seinem Lande
rauben wollte. Ja selbst, wenn er mich zur herrschenden Fürstin machen
wollte, -- ich kann nicht, ich darf nicht und -- nur Ihnen sey’s
gesagt, ich will und wünsche nicht. Forschen Sie nach keiner Ursach --
genug, daß ich Ihnen versichere, daß mein Weigern mich nicht um mein
Glück bringt!“ Der Graf hatte sie lange mit freudig leuchtenden Augen
angesehn. Jetzt hielt er sich nicht mehr; er breitete seine Arme aus
und rief: „Edles, treffliches Mädchen, komm an mein Herz. Du sollst
meine Tochter seyn.“ In seiner Miene lag der Ton väterlicher Liebe.
Henriette fühlte sich von einem unbegreiflichen Gefühl hingerissen und
sank an seine Brust. In diesem Augenblick öffnete sich die Thür mit
Heftigkeit. Werner stürzte hinein, und mit dem Ruf: „Mein Vater!“ fiel
er dem Grafen um den Hals.

Die Lösung ist leicht. Werner war schon seit Jahren unter dem
angenommenen Namen und Stand gereist, weil er den Zwang der Etikette,
der ihn sein Stand unterwarf, zu vermeiden wünschte. Er hatte dem
Vater von seiner Verbindung mit Henrietten geschrieben, die dieser
in dem Briefe, den wir kennen, durchaus verwarf. Doch der Ruf ihrer
Liebenswürdigkeit hatte ihn schon halb für sie eingenommen, nichts
war ihm daher willkommener, als daß ihn Geschäfte an den Hof zu B.
riefen, wo er die Braut seines Sohnes prüfen wollte. Daß er dies auf
mehr als eine Art gethan, zeigte auch der Eintritt Walters, den wir
als Pfarrer kennen gelernt haben, der aber nur der alte Lehrer Werners
war und mit der innigsten Zärtlichkeit an dem Schüler hing. Daß Werner
Henrietten seinen Stand verschwiegen, geschah anfangs ohne Absicht,
später, weil er nicht Hoffnungen bei ihr erregen wollte, die er ihr
bei widerstrebender Gesinnung seines Vaters nicht erfüllen konnte, und
zuletzt, weil er entschlossen war, für sie dem Stande zu entsagen,
in welchem er sich als enterbter Sohn seines Vaters nicht behaupten
konnte. -- Jetzt erklärt sichs auch, wie der Lord durch einen Brief
des Grafen getäuscht werden konnte. Henriettens Verlobung mit dem
jungen Grafen von Klammheim wurde jetzt öffentlich bekannt gemacht. Der
Graf wollte sie feierlich begangen wissen, und lud zu dem Ende alle
Bekannte Henriettens, die wir im Lauf dieser Erzählung kennen gelernt
haben, ein. Doch nicht alle erschienen, sondern mehrere ließen sich
entschuldigen. Noch bei Tafel erhielt Henriette folgende Absagebillets:

Nr. 1. Sie entschuldigen, schöne Henriette, daß ich bei Ihrem Feste
nicht zugegen seyn kann; denn eine ganz vertrauliche, freundschaftliche
Einladung der schönen Caroline beraubt mich dieses Glücks.

    ~Wicke.~

Nr. 2. Grausame! Sie wollen meiner noch spotten, und mich zum Zeugen
bei Ihrer Verlobung machen? Gehn Sie hin; in mir ist ein anderer
größrer Geist erwacht. Ich fühle mich stolz auf mein Volk und
Vaterland. Aus Westen, prophezeite der große Johannes Müller, werde
eine neue Sonne der Kultur für Europa aufgehn. Uns ist sie aufgegangen.
Major Noah in Amerika ist der große Held der Geschichte, der das
älteste Volk der Welt wieder zu seinem alten Glanz erheben wird.
Unter seinen Fahnen denke ich zu fechten. Leben Sie wohl! Seyn Sie
immerhin Gräfin! Sie verscherzten Ihr Glück, denn Sie konnten dereinst
vielleicht Oberrichterin in Israel seyn!

    ~von Hayfisch.~

Nr. 3. Die inliegende Karte sagt Ihnen, geehrte Henriette, warum ich
die freundliche Einladung zu Ihrem Feste nicht annehmen kann; ich feire
ein Gleiches. Mögen Sie so vielen Glücks theilhaft werden, als ich
selbst hoffe und genieße.

    ~Agrippinus.~

Die Karte lautete: Bei ihrer Verlobung empfehlen sich:

    ~Agrippinus~ und ~Caroline~.

Der Leser wird errathen, daß Agrippinus kühnes Benehmen für Carolinens
Sache, welches ihr bekannt geworden war, ihm ihre Gunst zugewendet
hatte. Und da sie gesehen, daß er der einzige Treue ihrer Verehrer war,
zögerte sie nicht länger, ihm ihre schöne Hand, um die er so redlich
geworben, zu reichen.

Die Verlobung wurde mit großer Pracht gefeiert, der Abbe, und viele
andere, ja auch Auguste erschienen dabei. Hemmstoff, der ihr eigentlich
immer treu geblieben war, wußte die günstige Stimmung, in die sie das
Fest setzte, zu nutzen, und erhielt Vergebung und -- ihre Hand, so daß
auch gleich bei Tafel das Wohl des neuen Paares getrunken wurde. Der
Hanswurst hielt eine Verlobungsrede, und schloß mit den Worten:

„In meiner muntern Laune habe ich manchen zum Besten gehabt, oder
vielmehr nur über seine Thorheiten gespottet. Wer sich dazu bekennt,
wird auch nicht klagen dürfen, daß man darüber lacht. Wer sich der
Thorheit nicht bewußt ist, ist auch nicht gemeint gewesen. Und so hoffe
ich, wird mir niemand grollen, denn wie der Dichter sagt:

    Keinen hab’ ich kränken wollen.
    Allen hat es gelten sollen.“



Verbesserungen.


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    --   12 --   12 v. o. --    Müden l. Mäcen.
    --   25 --    4 -- -- --    ergriffe l. angriffe.
    --   26 --    9 -- -- --    Arecca l. Avecça.
    --   32 --    6 -- -- --    Arecca l. Avecça.
    --   52 --    3 v. u. --    Rücksicht l. Rücksichten.
    --   -- --   -- -- -- --    abhalte l. abhalten.
    --   53 --    9 v. u. --    Mäceer l. Mäcene.
    --   54 --    3 v. o. --    Alles l. er aus.
    --   69 --   11 -- -- --    selbst l. sonst.
    --   76 --    7 v. u. --    werden l. würden.
    --   86 --    7 -- -- --    enthält l. enthielt.
    --   91 --    7 -- -- --    Arecca l. Avecça.
    --   92 --    7 v. o. --    Arecca l. Avecça.
    --   94 --    9 -- -- --    Locquine l. Cocquine.
    --   99 --    6 -- -- --    Reiten l. Reifen.
    --  100 --    5 v. u. --    neuen l. neun.
    --  101 --    9 v. o. --    da l. der.
    --  116 --    9 v. u. --    haben auch l. haben ~sie~ auch.
    --  118 --    6 -- -- --    lacht auf l. fährt auf.
    --  128 --    2 v. o. --    Ihre l. Ihro.
    --  128 --    4 -- -- --    Liebe l. Linken.
    --  131 --    3 -- -- --    erfreut l. erstaunt.
    --  133 --    4 v. u. --    verordnete l. anordnete.
    --  135 --   10 v. o. --    leichtfertige l. leichtfüßige.
    --  141 --   13 -- -- --    fürs allgemeine l. fiel allgemein.
    --  154 --    4 -- -- --    tritt l. trifft.
    --  169 --    1 -- -- --    gewähren l. gewähren wird.





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