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Title: Tizian
Author: Knackfuss, H. (Hermann)
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Tizian" ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1897 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und
    altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
    unverändert; fremdsprachliche Zitate wurden nicht korrigiert.

    Einige Abbildungen wurden zwischen die Absätze verschoben und zum
    Teil sinngemäß gruppiert, um den Textfluss nicht zu beeinträchtigen.

    Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit
    den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

      fett:          =Gleichheitszeichen=
      gesperrt:      +Pluszeichen+
      Antiqua:       ~Tilden~
      unterstrichen: _Unterstriche_

  ####################################################################



                          Liebhaber-Ausgaben

                            [Illustration]



                         Künstler-Monographien

                In Verbindung mit Andern herausgegeben

                                  von

                              H. Knackfuß

                                 XXIX

                                Tizian

                       =Bielefeld= und =Leipzig=

                     Verlag von Velhagen & Klasing

                                 1897



                                Tizian

                                  Von

                              H. Knackfuß

           Mit 123 Abbildungen von Gemälden und Zeichnungen

                            [Illustration]

                       =Bielefeld= und =Leipzig=

                     Verlag von Velhagen & Klasing

                                 1897



Von diesem Werke ist für Liebhaber und Freunde besonders luxuriös
ausgestatteter Bücher außer der vorliegenden Ausgabe

_eine numerierte Ausgabe_

veranstaltet, von der nur 100 Exemplare auf Extra-Kunstdruckpapier
hergestellt sind. Jedes Exemplar ist in der Presse sorgfältig numeriert
(von 1-100) und in einen reichen Ganzlederband gebunden. Der Preis
eines solchen Exemplars beträgt 20 M. Ein Nachdruck dieser Ausgabe, auf
welche jede Buchhandlung Bestellungen annimmt, wird nicht veranstaltet.

    Die Verlagshandlung.


Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.



[Illustration: +Tizian.+ Selbstbildnis des Meisters in der
Sammlung des Uffizienpalastes zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]



[Illustration]



Tizian.


Am südöstlichen Ausgang des Ampezzothals, unweit der Grenze zwischen
Friaul und Tirol, liegt das Städtchen Pieve di Cadore. Die ganze
Erhabenheit des Hochgebirges umgibt den Ort, über ihm ragen die
seltsamen Riesenzacken der Dolomiten zum Himmel empor, unten windet
sich im engen Thal die reißende Piave südwärts, an deren Ufern sich von
altersher der kürzeste Verkehrsweg zwischen den Hochalpen und Venedig
entlang zieht. Die Landschaft Cadore, deren Hauptort Pieve ist, hat im
Wechsel der Zeiten bald zum Deutschen Reich, bald zum Patriarchat von
Aquileja gehört, bis sie im Jahre 1420 der Republik Venedig einverleibt
wurde.

In einer der Gassen von Pieve di Cadore steht das durch eine
Inschrifttafel kenntlich gemachte Haus, in dem der große Meister
der venezianischen Malerschule, der größte Farbenkünstler Italiens
überhaupt, Tiziano Vecellio, im Jahre 1477 geboren wurde.

Die Forschung hat die Abstammung des Malers weit hinauf verfolgen
können. Im Jahre 1321 wählten die Cadoriner einen Herrn Guecello,
Sohn des Tommaso von Pozzale, zu ihrem Oberhaupt. Solch ein gewählter
Vertreter der Stadt und ihres Gebietes leitete an der Spitze des Rates
das kleine Staatswesen fast gänzlich unabhängig von dem Burgvogt, der
als Beamter des Lehenträgers des Patriarchen von Aquileja in dem neben
der Stadt errichteten Kastell saß. Der Name jenes Guecello wiederholte
sich unter seinen Nachkommen und gab schließlich dem ganzen Geschlecht
die unterscheidende Benennung, die zum Familiennamen wurde. Das
Geschlecht wurde als das der Guecellier bezeichnet, und jedes Mitglied
desselben fügte schließlich diese Bezeichnung seinem Taufnamen bei.
Nur hatte sich die Schreibweise in der Zeit, in welcher Familiennamen
gebräuchlich wurden, verändert, das anlautende Gu, durch das im
mittelalterlichen Latein, und so auch im Italienischen, häufig der Laut
des deutschen W wiedergegeben wurde -- z. B. ~Gualterus~, ~Guilhelmus~,
~guerra~ -- war durch das der italienischen Zunge geläufigere V ersetzt
worden. Die Nachkommen des Guecello schrieben sich Vecellio anstatt
Guecellio; oder, in der Mehrzahlform, die im eigentlichsten Sinne als
Familiennamen anzusehen ist, da sie nicht auf den einzelnen, sondern
aus die Gesamtheit hinweist: Vecelli.

Den Taufnamen Tizian trugen viele Mitglieder der Familie Vecelli.
Namenspatron ist ein außerhalb des venezianischen Gebietes kaum
bekannter Kirchenheiliger, der Bischof Titianus von Oderzo, dessen
Gedächtnis in der Gegend von Cadore in dem Namen der Ortschaft
S. Tiziano -- im Gaimathal am Fuß des Monte Civetta -- fortlebt.
Heute denkt bei dem Namen Tizian nicht leicht jemand an eine andere
Persönlichkeit, als an den großen Maler aus dem Hause der Vecelli.

Die Vorfahren dieses Tizian waren von dem Ahnherrn Guecello an in vier
aufeinander folgenden Geschlechtern Rechtsgelehrte und dienten ihrer
Heimat in hervorragender Weise. Der fünfte in der Reihe, Gregorio
Vecellio, war des Künstlers Vater. Von ihm wird berichtet, daß er
„ebenso durch seine Weisheit im Rate von Cadore, wie durch seine
Tapferkeit im Felde sich auszeichnete;“ gegen Ende des XV. Jahrhunderts
wurde er zum Befehlshaber der Wehrmannschaft von Pieve ernannt, und als
im Jahre 1508 die Landsknechte Kaiser Maximilians durch das Ampezzothal
in das venezianische Gebiet eindrangen, hatte er rühmliche Gelegenheit,
seine Kriegstüchtigkeit zu bewähren. Tizians Mutter Lucia gehörte
ebenfalls dem Geschlecht der Vecelli an. Tizian wurde im Alter von
neun Jahren zu seiner Ausbildung nach Venedig gebracht, zu einem dort
wohnenden Oheim. Ob von vornherein die Absicht bestand, ihn der Kunst
zuzuführen, erscheint fraglich. Über ein Geschichtchen, das überliefert
wird, der kleine Tizian habe mit Blumensaft ein Marienbild an eine Wand
des elterlichen Hauses gemalt und durch den Farbenreiz dieses Werkes
alle Verwandten und Bekannten in Erstaunen gesetzt, mag man denken, was
man will. Jedenfalls erhielt Tizian in Venedig schon früh Unterricht
in der Malerei. Und daß Gregorio entgegen den Familienüberlieferungen
in die Wahl eines solchen Berufes einwilligte, beweist, daß der
Gesichtskreis dieser Patrizier eines Alpenstädtchens nicht eng war.
Allerdings galt damals in Italien die Malerei schon längst nicht mehr,
wie es in Deutschland noch der Fall war, als ein Handwerk.

[Illustration: Abb. 1. +Jacopo Pesaro wird durch Papst Alexander VI.
dem Schutze des heiligen Petrus empfohlen.+ Im Museum zu Antwerpen.]

Die Nachrichten über Tizians Lehrjahre sind sehr dürftig. Es heißt, er
habe seinen ersten Unterricht bei einem Mosaikarbeiter Namens Sebastian
Zuccato bekommen und sei von diesem dem Giovan Bellini zur weiteren
Ausbildung übergeben worden; später habe er sich den Giorgione zum
Vorbild genommen.

[Illustration: Abb 2. +Madonna mit Heiligen.+ In der
Liechtensteingalerie zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Der Altmeister Giovan Bellini, der Lehrer vieler vortrefflichen
Künstler, war der eigentliche Begründer der besonderen venezianischen
Malerei mit ihrer gesunden Kraft und Schönheit und ihrer
herzerfreuenden Farbenpracht. Auch Giorgio Barbarelli, der unter der
Benennung, die ihm seine Freunde gaben, Giorgione (der lange Georg) der
Nachwelt bekannt geworden ist, war sein Schüler. Giorgione war Tizians
Altersgenosse. Er war ein ausgezeichneter Künstler und ein Maler von
allererstem Range. Er fühlte in Farben. Sein im Louvre befindliches
Gemälde zum Beispiel, das mit dem Titel „Konzert im Freien“ bezeichnet
zu werden pflegt, ist eins der vollkommensten malerischen Kunstwerke,
die es gibt. Deutschland besitzt ein treffliches Werk von ihm in dem
vor kurzem für das Berliner Museum erworbenen Bildniskopf eines jungen
Mannes. Giorgione starb 1511 im Alter von vierunddreißig Jahren als ein
berühmter Mann. Es hat nichts Befremdliches, wenn der junge Tizian von
einem Gleichalterigen, der solch eine hervorragende Begabung besaß,
zu lernen sich bemühte. Tizian scheint kein Wunderkind gewesen zu
sein, sondern vielmehr sein außerordentliches Können durch arbeitsamen
Lerneifer sich erworben zu haben. Auch von dem um zwei oder drei Jahre
jüngeren Mitschüler Jacopo Palma, gewöhnlich Palma Vecchio („der Alte“)
zum Unterschied von einem gleichnamigen späteren Maler genannt, einem
Meister in der Schilderung blühender Frauenschönheit, hat Tizian vieles
gelernt. Man braucht darum die Selbständigkeit seiner Kunst nicht
geringer zu veranschlagen. Daß unter jungen Leuten, die in gleichen
Verhältnissen gleichen Zielen zustreben, einer von dem anderen annimmt,
ist nur natürlich. Auch erklärt der Umstand, daß in der Schule Bellinis
mehr als irgendwo anders zu jener Zeit nach dem Leben gemalt wurde und
daß daher die nämlichen Modelle verschiedenen Malern dienten, manche
Ähnlichkeiten. Jedenfalls hat Tizian, der auch den Palma überlebte,
später diesen sowohl wie den Giorgione übertroffen.

Über Tizians Jugendarbeiten ist aus den Quellen wenig zu erfahren.
Es heißt, eines seiner allerersten Werke sei ein Freskobild über der
Thür des Palastes Morosini gewesen, das den Hercules darstellte. Auch
Bildnisse seiner Eltern, Früchte eines Besuchs in der Heimat, die um
die Mitte des XVII. Jahrhunderts noch vorhanden waren, jetzt aber
verschollen sind, werden wohl zu seinen ersten Leistungen gehört haben.
Im Jahre 1499 soll er den gefürchteten Freischarenführer Cesare Borgia
gemalt haben, als dieser als Abgesandter des Papstes mehrere Tage in
Venedig verweilte.

Das erste erhaltene Gemälde Tizians, das eine einigermaßen sichere
Zeitbestimmung zuläßt, befindet sich im Museum zu Antwerpen. Es stellt
den venezianischen Prälaten Jacopo Pesaro vor, der mit der Kriegsfahne
Papst Alexanders VI. in der Hand vor dem Throne des Apostels Petrus
kniet und diesem von dem Papste selbst empfohlen wird (Abb. 1). Die
Zeitereignisse, auf die dieses Gemälde anspielt, lassen auf seine
Entstehung schließen: frühestens im Jahre 1501, in dem Jacopo Pesaro
zum Befehlshaber einer gegen die Türken ausgerüsteten päpstlichen
Flotte ernannt wurde; und schwerlich nach dem Jahre 1503, in dem
Alexander VI. starb.

Es versteht sich von selbst, daß der junge Maler, dem von einem Manne
wie Pesaro ein derartiger Auftrag anvertraut wurde, vorher schon
bedeutende Proben seines Könnens geliefert haben mußte. Eine Anzahl
von Gemälden ist vorhanden, die zwar der äußeren Anhaltspunkte zur
Bestimmung der Zeit ihres Entstehens entbehren, die sich aber durch die
Art ihrer Auffassung und Ausführung als Jugendwerke Tizians zu erkennen
geben.

[Illustration: Abb. 3. +Die heilige Familie.+ In der
Nationalgalerie zu London.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Vielleicht darf man hier ein Gemälde voranstellen, das sich in der
fürstlich-Liechtensteinschen Galerie zu Wien befindet. Es ist ein
Andachtsbild von jener in der Bellinischule besonders beliebten Art,
die verschiedene Heilige in der Verehrung des von der Jungfrau Maria
gehaltenen Jesuskindes vereinigt zeigt. Vor einem roten Vorhang sitzt
Maria, dem Beschauer zugewendet, und das Kind dreht sich nach der
heiligen Katharina um, die, von Johannes dem Täufer geleitet, mit einem
lieblichen Ausdruck mädchenhafter Schüchternheit herantritt. Katharina
ist gekennzeichnet durch die Märtyrerpalme in der einen Hand und ihr
Marterwerkzeug, das Rad, auf das sie die andere Hand legt. Sie und der
dunkellockige Johannes heben sich in sprechenden Umrissen von der
blauen Luft ab, im Gegensatz zu der Gruppe von Mutter und Kind, die
im wesentlichen als Helligkeitsmasse aus dem tiefen Ton des Vorhangs
hervorkommt (Abb. 2). Das liebenswürdige Gemälde besitzt Tizians
Farbenreiz, und es entspricht auch in der Linienkomposition seiner Art
und Weise. Aber es zeigt auffallende Mängel in der Zeichnung. Darum
wird sein Tizianscher Ursprung bezweifelt, und man möchte es als das
Werk eines seiner Schüler ansehen, der es unter starkem Einfluß des
Meisters geschaffen habe. Aber dagegen läßt sich einwenden, daß die
Farbe doch das Feinste in der Malerei ist, daß ein Lehrer eher die
Zeichnung eines Schülers zu berichtigen, als ihm sein Farbengefühl
mitzuteilen vermag. So mögen wir das Bild wohl als Probe von Tizians
Kunst aus einer Zeit betrachten, wo er zwar die Formengebung noch nicht
voll in der Gewalt hatte, aber schon imstande war, seinem dichterischen
Farbenempfinden Ausdruck zu geben.

[Illustration: Abb. 4. +Maria mit dem Kinde.+ In der kaiserl.
Gemäldegalerie zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Die Nationalgalerie zu London besitzt ein Gemälde, bei dem ein Zweifel
darüber, ob es ein Werk Tizians aus seiner Jugendzeit sei, wohl kaum
bestehen kann. Es stellt die Krippe zu Bethlehem dar (Abb. 3). Maria
und Joseph, dieser sitzend, jene knieend, halten das sehr zarte
Kind zwischen sich auf der aus Korbgeflecht gebildeten Krippe. Maria
schmiegt ihre Wange an den Scheitel des Kindes; der im Ausdruck sehr
innige Kopf setzt mit einem weißen Schleier ganz hell von der dunklen
Wand eines Felsens ab. Josephs dunkler Kopf steht auf der lichten
Luft. Der Blick des Pflegevaters ist auf den ersten Ankömmling der
Hirten gerichtet -- es ist eine prächtige Figur eines italienischen
Hirtenbuben --, der niederknieend seine Blicke treuherzig und
gläubig in die Augen des Kindes senkt. Im Hintergrund sieht man den
Verkündigungsengel bei den Schafhirten im Felde. Der Ochs und der
Esel, die nach alter Überlieferung bei dieser Darstellung nicht fehlen
dürfen, werden an der Felswand im Rücken Marias sichtbar. -- Auch in
diesem sehr schönen Bild machen sich auffallende Unvollkommenheiten der
Zeichnung bemerklich; besonders störend in der Figur Josephs, wo der
Kopf nicht recht auf den Schultern sitzt.

[Illustration: Abb. 5. +Marienbild+ (sogenannte Kirschenmadonna).
In der kaiserl. Gemäldegalerie zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von J. Löwy in Wien.)]

[Illustration: Abb. 6. +Maria mit dem Kinde und vier Heiligen.+ In
der königl. Gemäldegalerie zu Dresden.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Ein unbestritten echtes, gleichfalls noch ziemlich frühes Jugendwerk
Tizians ist ein Marienbild in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien,
das im Volksmunde die sonderbare Bezeichnung „Zigeunermadonna“ führt
(Abb. 4). Hier ist die Formengebung schon eine durchaus sichere;
namentlich in der Gestalt des Kindes fällt der Fortschritt in der
Zeichnung gegenüber dem erstgenannten Wiener Bilde sofort in die Augen.
Ein allerliebstes gesundes Knäblein ist dieses Jesuskind, das, an
die Mutter angelehnt, auf einer Steinbrüstung steht und spielend mit
dem einen Händchen die Falten von Marias Mantel, mit dem anderen die
Finger der haltenden Mutterhand anfaßt. Diese Maria ist durchaus keine
gesuchte Idealschönheit, sondern nur eine hübsche Venezianerin; aber
es liegt etwas Weihevolles über ihrem stillen, bescheidenen Antlitz
und über ihrer von Schleier und Mantel umhüllten Gestalt, das mit der
Stimmung der Linien und Töne des ganzen Gemäldes zusammenklingt und
dasselbe zu einem echten Andachtsbild macht. Den Hintergrund bildet zum
Teil ein grünseidener Vorhang, zum Teil ein Blick ins Freie; da sieht
man in eine Hügellandschaft, in der sich ein volles Gefühl für die
Poesie der unter blauem Himmel sich ausdehnenden Weite ausspricht.

[Illustration: Abb. 7. +Madonna mit drei Heiligen.+ Im
Louvremuseum zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

In der nämlichen Galerie zeigt ein anderes Marienbild, die sogenannte
„Kirschenmadonna“ (Abb. 5), uns den Künstler wieder auf einer reiferen
Stufe der Entwickelung, im Vollbesitz reichen malerischen Könnens,
das den feinsten Farbenempfindungen Ausdruck zu geben vermag. Maria,
holdselig und vornehm, mit einem Gesicht von lieblicher Fülle der
Formen, heftet einen echt mütterlichen Blick auf das Kind, das mit
freudiger Eile ihr einige von den Kirschen anbietet, die vor ihm
hingelegt worden sind und auf die der kleine Johannes mit einem
kindlichen Verlangen hinblickt, das ebenso natürlich wiedergegeben ist,
wie die Mitteilensfreude des kleinen Jesus. Zu beiden Seiten des roten,
goldgemusterten Stoffes, der für die mit einem faltenreichen hellroten
Gewande und blauem Kopftuch bekleidete Jungfrau den Hintergrund bildet,
werden Joseph und Zacharias sichtbar, dunkle Köpfe, die sich kräftig
von der blauen Luft abheben -- der erstere leider durch charakterlose
moderne Übermalung verunstaltet.

[Illustration: Abb. 8. +Madonna mit dem heiligen Antonius
Eremita.+ In der Uffiziengalerie zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Ähnliche Stimmung, aber reichere Wirkung zeigt das herrliche Bild der
Dresdener Gemäldegalerie, auf dem das Jesuskind, auf dem Knie der
Mutter stehend und von Johannes dem Täufer, der hier als erwachsener
Mann erscheint, unterstützt, sich drei herantretenden Heiligen zuwendet
(Abb. 6). Die Lichtgestalt des Kindes wird hier einerseits durch einen
dunkelgrünen Vorhang, vor dem die Figur des Johannes in braunen Tönen
sich unterordnend steht, andererseits durch das rote Kleid Marias
hervorgehoben. Auf dem Schoß Marias liegt der blaue Mantel, und ihr
Kopf steht ganz hell in hell, indem er sich mit einem weißen Schleier
von der weißbewölkten Luft absetzt. Auf derselben Luft steht dann
ganz dunkel der Kopf eines im tiefsten Schatten des Bauwerks, das
weiterhin den Hintergrund bildet, befindlichen Heiligen, der sich
in ehrfürchtiger Verneigung vorbeugt und den der wallende Bart und
das Schwert als den Apostel Paulus kenntlich machen. Der Schatten
überzieht auch das ganze sichtbare Stück des Bauwerks und, nach vorn
an Tiefe abnehmend, die Gestalt des heiligen Hieronymus, der als Büßer
dargestellt ist, wie er in heißem Gebet zu einem Kruzifix aufblickt,
mit herabgestreiftem Kardinalsgewande und entblößter Schulter. Die
ganze Dunkelheitsmasse, die auf diese Weise gebildet ist, wird wieder
geteilt durch die helle Gestalt einer weiter vorn stehenden weiblichen
Heiligen. Von der Seite einfallendes Licht und der Lichtwiederschein
von der Hauptgruppe überziehen das weiße Seidenkleid und die feine
Haut und das blonde, künstlich geordnete und mit einem blaßvioletten
Bande geschmückte Haar dieses Mädchens mit einem weichen Schimmer. Es
ist Maria Magdalena, die das Salbengefäß, durch das sie gekennzeichnet
wird, dem Christuskinde darbietet. Ihre rechte Hand, die das Gefäß
hält, wird durch den von der Schulter herabgeglittenen Mantel, dessen
anderes Ende sie mit der Linken gefaßt hat, zugedeckt; dieses Stück
Mantel, das sich an die Dunkelheit des Paulusgewandes anschließt,
bildet einen dunklen Trennungsstreifen zwischen den beiden weiblichen
Figuren. Wunderbar im Ausdruck ist die Gegenüberstellung der beiden
Frauen: die ganz von Scham erfüllte reuige Sünderin vor dem Angesicht
der Allerreinsten; wunderbarer noch der milde Ernst des Verzeihens in
dem Blick des Kindes.

Ein Gemälde von der nämlichen Gattung, das im einzelnen wieder ganz
anders angeordnet ist, befindet sich im Louvre. Es ist gleich den
vorbesprochenen Bildern in Halbfiguren komponiert. Links sitzt Maria
vor einer dunklen Wand. Sie blickt innig und sinnend in die Augen
des auf ihrem Schoße liegenden Kindes, das sie wieder ansieht und
nach der mit dem Schleier verdeckten Mutterbrust greift. Eine weiße
Windel hebt die Helligkeit des zartfarbigen kleinen Körpers. Vor der
Jungfrau und dem Kinde stehen drei Heilige in Andacht versammelt,
drei lebensvolle Charakterfiguren. Der vorderste ist der Kirchenvater
Ambrosius, ein langbärtiger Greis, vornehm und mit hartem Ernst in den
Zügen; er hebt die Augen nicht von seinem Gebetbuch auf. Zwischen ihm
und Maria sieht man den weiter zurückstehenden heiligen Stephanus mit
der Märtyrerpalme, der die Augen mit schwärmerischer Jünglingsandacht
aufschlägt. Der dritte ist der dunkelhäutige Mauritius, ein derber,
schlichter Kriegsmann in blankem Harnisch, mit bescheiden gesenktem
Blick. Über der reichfarbigen Gruppe der drei Heiligen spannt sich eine
bewölkte Luft aus, die ein schlichter Hügelstreifen säumt (Abb. 7).

[Illustration: Abb. 9. +Die heilige Jungfrau mit dem Jesuskind,
Johannes dem Täufer und der heiligen Katharina.+ In der
Nationalgalerie zu London.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Tizian verschmähte es nicht, sich zu wiederholen, wenn eine seiner
Schöpfungen Anklang fand. Dieses Pariser Bild stimmt fast genau
überein mit einem in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien
befindlichen, auf dem die drei Heiligen Stephanus, Hieronymus und Georg
sind.

An den Schluß der Reihe von Muttergottesbildern in Halbfiguren, die
uns von Tizians Jugendentwickelung innerhalb eines Zeitraums, dessen
Grenzpunkte sich nicht bestimmen lassen, die beste Anschauung gewährt,
kann man ein liebliches Gemälde in der Uffiziengalerie stellen, ein
Meisterwerk kostbarster liebevoller Ausführung. Das Jesuskind, gleich
seiner Mutter eine Erscheinung von süßer Holdseligkeit, ruht halb
liegend, halb sitzend auf den Armen Marias und auf dem Mantel, den
sie von Arm zu Arm herüberzieht; es hält die Händchen voll Rosen und
wendet das Köpfchen einer weiteren Rosenspende zu, die der kleine
Johannes diensteifrig mit hochgestrecktem Arm ihm darreicht. Seitwärts
steht der heilige Einsiedler Antonius, ein wunderschöner Greis, mit
beiden Händen auf den ihn kennzeichnenden ~T~-förmigen Stab
gestützt, und versenkt sich mit stiller Innigkeit in die Betrachtung
des kindgewordenen Gottessohnes. Den Hintergrund bildet zum größten
Teil ein Vorhang von bräunlicher Farbe; nur ganz seitwärts, an den
Köpfen der beiden Kinder, wird ein Stückchen duftiger Landschaft unter
einer lichten Wolkenwand sichtbar (Abb. 8). In dem Bewußtsein, etwas
Wohlgelungenes geschaffen zu haben, hat Tizian dieses Bild mit seinem
Namen bezeichnet.

Soviel Poesie auch in solchen Halbfigurengruppen Tizians lebt: das
volle Maß seiner malerischen Dichtkunst offenbart sich erst da, wo
der Künstler die Darstellung ganz ins Freie verlegt und aus Figuren
und Landschaft ein stimmungsvolles Ganzes zusammenwirkt. Solch eine
Tiziansche Landschaft ist nicht, wie etwa bei Raffaels Madonnen im
Grünen, nur eine reizvollere Art des Hintergrundes, sondern in ihr
steckt ebensoviel künstlerisches Empfinden, wie in den Figuren, sie ist
etwas Beseeltes, in dessen Wesen der Maler sich mit Schönheitswonne
vertieft, und das er zum vollendetsten Zusammenklange mit der Formen-
und Farbenstimmung der Figuren gebracht hat. Die Nationalgalerie zu
London besitzt ein Marienbild von dieser Art, von dem man nach der
großen Ähnlichkeit des Kopfes der Jungfrau mit der ebengenannten
Florentiner Madonna wohl annehmen muß, daß es um dieselbe Zeit wie
dieses entstanden sei. Maria sitzt auf einer Bodenerhöhung; neben ihr,
in ehrerbietigem Abstand, der kleine Johannes, der auch hier wieder
Blumen darreicht. Ohne die Augen von der zärtlichen Betrachtung des
auf ihrem Schoße liegenden Kindes zu erheben, nimmt die Jungfrau die
Blumenspende aus der Hand des Johannes. Vor ihr kniet die heilige
Katharina und herzt mit mädchenhafter Freude das Jesuskind. Das gelbe
Kleid Katharinas und das Rot und Blau der Gewandung Marias bilden
einen vollkräftigen Zusammenklang der drei Grundfarben. Und dahinter
spannt sich ein landschaftlicher Farbenzauber aus. Dichtbelaubte Bäume
stehen auf dem grünen Hang des Hügels, auf dem die Gruppe ruht; eine
dunkelbewaldete zweite Höhe senkt sich zu einer Ebene hinab, in der
Hirten ihre Herden weiden lassen; der Spiegel eines Sees erglänzt
in bläulicher Ferne, und weiterhin schweift der Blick über sanfte
Hügelwellen bis zu dem ragenden Hochgebirge; auf den Gipfeln lagern die
Wolkenmassen. Das Licht der Abendsonne dringt durch die Risse eines
Dunstschleiers und färbt den Rand eines dichten Wolkengebildes mit
rötlicher Glut. Oben in diesem Wolkenrand erscheint ein Engel, um die
Hirten auf der Flur, die ein Wiederschein des goldigen Lichtes erhellt,
zur Verehrung des göttlichen Kindes herbeizurufen (Abb. 9).

[Illustration: Abb. 10. „+Die himmlische und die irdische Liebe.+“
In der Galerie Borghese zu Rom.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Andachtsbilder waren damals, wie man zu sagen pflegt, das tägliche Brot
der Werkstatt, und Tizian hat früh bewiesen, mit welcher Innigkeit des
Empfindens er solche zu gestalten wußte. Sein berühmtestes Jugendwerk
aber, vielleicht von all seinen Schöpfungen die am meisten beim
Publikum beliebte und am weitesten durch Nachbildungen verbreitete,
ist kein religiöses Bild. Es ist das in der Villa Borghese zu Rom
befindliche Meisterwerk von Farbenpoesie, das den zweifellos ganz
unzutreffenden Namen „die heilige und die weltliche Liebe“ führt
(Abb. 10). Eine im XVII. Jahrhundert verfaßte Beschreibung nennt das
auch damals hochbewunderte Bild mit der gleichgültigen Bezeichnung:
„Zwei Mädchen am Brunnen.“ Es ist eine Allegorie, deren Gedanken
sicherlich nicht von Tizian ausgeklügelt, sondern von dem Besteller
ihm gegeben worden ist. Glücklicherweise ist die Enträtselung des
dunklen Sinnes keine Vorbedingung für den klaren Schönheitsgenuß, den
das Werk gewährt. Eine idyllische Landschaft dehnt sich hinab zum Meer,
dessen lichtblaue Linie den Gesichtskreis schließt; das Linienspiel
der Hügel wird durch das Spiel der von den weißen Wolken geworfenen
Schatten poetisch belebt. Nach vorn steigt das Gelände, ein paar
Bäumchen durchschneiden mit kräftiger Dunkelheit die Luft, und ganz
vorn steht im Grünen eine Brunneneinfassung von weißem Marmor, in der
Gestalt eines antiken Sarkophags gebildet und mit Reliefdarstellungen
geschmückt. Auf dem Rande des Wasserbeckens sitzt ein blondes
junges Mädchen, nackt bis auf ein um den Schoß geschlungenes weißes
Schleiertuch; das abgestreifte rotseidene Gewand haftet nur noch an
dem linken Oberarm und seine herabwallenden Falten begleiten reizvoll
den anmutigen Linienfluß der enthüllten Gestalt; aber die holdseligste
Unschuld ist das Kleid des Mädchens. Als ein fast überflüssiges äußeres
Sinnbild der Reinheit und Aufnahmefähigkeit dieser Seele hat der Maler
eine offene Schale von spiegelndem Silber neben die Figur auf den
Brunnenrand gestellt. Die liebliche Jungfrau hält mit der Linken ein
Gefäß empor, aus dem Opferdampf aufsteigt, und blickt über ihre rechte
Schulter mit großen, fragenden Augen auf den klaren Wasserspiegel im
Brunnen. Von hinten aber ist ein Liebesgott an den Brunnen getreten
und beugt sich wie ein spielendes Kind über den Marmorrand; er taucht
sein Händchen in die Fläche, und ein leichtes Plätschern wird die
ruhige Klarheit zerstören. Den Gegensatz zu dem jungen Mädchen, das
etwas Unbekanntem in kaum erwachender Ahnung entgegensieht, bildet ein
an der anderen Seite des Brunnens sitzendes blühendes junges Weib.
Diese Gestalt ist in einen Anzug von weißer Seide mit rotem Unterzeug
gekleidet, der mit weiten Falten ihre Formen umhüllt; selbst die Hände
sind mit Handschuhen bedeckt. Sie sieht den Beschauer groß und ruhig
an, ohne Frage und ohne Spannung; sie ist ganz Ruhe und Befriedigung.
Auf ihrem hellblonden Haar liegt ein schmaler Blätterkranz, die linke
Hand ruht auf einem geschlossenen Gefäß, die Rechte hält gleichgültig
ein paar abgerissene Rosen. Das Reliefbild an der Vorderseite des
Marmorbeckens zeigt verschiedene Gruppen von Kindern, deren Thun und
Treiben sicherlich eine mit dem Sinne des Ganzen zusammenhängende
Bedeutung hat. Zwischen den Kindergruppen ist über dem Ausflußrohr des
Brunnens ein Wappen angebracht, zweifellos dasjenige des Bestellers;
aber selbst dieses Wappen spottet aller Bemühungen der Forschung,
aus ihm auf die Person des Auftraggebers und demnach vielleicht auch
auf die Bedeutung des Gemäldes Schlüsse zu ziehn. Hier erkennt man
recht, wie untergeordnet für die Wirkung eines Kunstwerkes dessen
gegenständlicher Inhalt ist. Kein Mensch weiß den Sinn dieser
Darstellung in völlig befriedigender Weise zu erklären; aber von ihrem
künstlerischen Gehalt wird ein jeder bezaubert, der überhaupt des
Kunstgenusses fähig ist.

[Illustration: Abb. 11. +Der Tambourinschläger.+ In der kaiserl.
Gemäldegalerie zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Als ein kleines nicht religiöses Werk sei hier das köstliche Bildchen
in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien erwähnt, auf dem ein nacktes
Knäblein dargestellt ist, das im Grünen auf einer niedrigen Steinbank
sitzt und sich mit einem Tambourin belustigt (Abb. 11). Wenn das Kind
als Amor bezeichnet wird, so liegt dazu kein Grund vor; weder die
Flügel noch sonst eine Kennzeichnung des Liebesgottes sind vorhanden.
Eher darf man wohl an ein Porträt eines hübschen Kindes denken. Es
wird bezweifelt, ob das Bildchen wirklich von Tizian gemalt sei, da
die Malweise etwas zu hart für ihn erscheint. Aber ein überzeugender
Gegenbeweis gegen seine Urheberschaft ist damit durchaus nicht gegeben.
Vielmehr sind der muntere Liebreiz des Kindes und die entzückende Art
und Weise, wie das Figürchen mit der Landschaft zusammenkomponiert
ist, ganz und gar Tizianisch.

Was in Venedig selbst unter dem Titel von Jugendarbeiten Tizians
gezeigt wird, verdient nicht viel Beachtung.

Die erste Nachricht über Tizians Thätigkeit, welche eine sichere
Zeitbestimmung bietet, ist zugleich die erste Kunde von seiner
Beschäftigung an einem öffentlichen Werk. Aber nicht als selbständiger
Empfänger eines Auftrags, sondern als Gehilfe des Giorgione erscheint
hier der Künstler, der bereits in sein dreißigstes Lebensjahr
eingetreten war. Es handelte sich um Freskomalereien an den Außenwänden
eines Staatsgebäudes. Das als Wohn- und Warenhaus für die deutschen
Kaufleute in Venedig von der Regierung eingerichtete und unterhaltene
Gebäude war im Jahre 1505 abgebrannt; und es wurde nun alsbald die
Erbauung eines neuen Hauses für diesen Zweck ins Werk gesetzt. Schon im
Sommer 1507 war der neue „Fondaco de’ Tedeschi“ am Canal grande, ganz
in der Nähe der Rialtobrücke, im Bau vollendet, und sicherlich wurde
nun gleich mit der umfangreichen malerischen Ausschmückung desselben
begonnen. Giorgione erhielt den Auftrag und er übertrug einen Teil der
Arbeit an Tizian.

[Illustration: Abb. 12. +Der Doge Niccolo Marcello.+ In der
vatikanischen Pinakothek.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Während Tizian mannigfaltige Phantasien auf die Wände des Fondaco de’
Tedeschi zauberte, mögen seine Gedanken manchmal mit banger Sorge in
die Heimatberge hinübergeschweift sein. Denn im Anfang des Jahres
1508 drangen Kaiser Maximilians Truppen in Cadore ein. Pieve mußte,
da ein Versuch, der deutschen Artillerie Widerstand zu leisten,
aussichtslos erschien, eine kaiserliche Besatzung aufnehmen. Aber
mutige Männer, unter ihnen Tizians Großoheim Andrea Vecelli und dessen
Sohn, der auch Tizian hieß, hielten, unwegsame Bergpfade benutzend, die
Verbindung mit den venezianischen Truppen aufrecht und ermöglichten
einen Überfall, der den Rückzug der Deutschen und daraus einen
Waffenstillstandsabschluß zwischen dem Kaiser und der Republik zur
Folge hatte. Ein Bruder Tizians, Francesco, der ebenfalls die Malerei
als Beruf erwählt hatte und sich in Venedig ausbildete, hielt es unter
diesen Verhältnissen nicht aus bei der friedlichen Kunst. Er trat als
Reiter bei den Scharen des Condottiere Maco von Ferrara ein und erwarb
sich bald den Ruf eines tapferen Kriegers. Noch spät erzählte man von
seinem Zweikampf mit einem deutschen Hauptmann im Jahre 1509. Erst nach
längerer Zeit kehrte er auf Tizians Zureden zur Kunst zurück.

Im Spätherbst 1508 waren Giorgione und Tizian mit den Freskomalereien
am Fondaco, die sich über zwei Fronten und den Innenhof erstreckten,
fertig. Sie hatten das massige Gebäude mit einem bunten Spiel
von Figuren und Zierwerk umkleidet. Ein innerer Zusammenhang
der dargestellten Gegenstände läßt sich aus den Beschreibungen
nicht erkennen. Heute sind von dieser einst höchlich bewunderten
Dekorationsmalerei kaum noch einige ganz schwache Spuren wahrnehmbar;
in der Seeluft können Fresken sich nicht halten. Der zeitgenössische
Künstlerbiograph Vasari hat sich über diese Malereien sehr mißfällig
ausgesprochen; sie waren ihm, wie man in der Ausdrucksweise unserer
Zeit sagen würde, nicht „stilvoll“ genug entworfen. In den Augen
anderer aber bildete gerade das Freie, Lebendige, Malerische und
scheinbar Willkürliche dieses Farbenschmuckes dessen besonderen Reiz.

Vasari wußte hier nicht zu unterscheiden, was von Giorgione und was
von Tizian herrührte. Merkwürdig ist es ja auch nicht, wenn Tizian
sich der Art und Weise seines bewunderten Kunstgenossen enger anschloß
bei einer in Gemeinschaft mit diesem gemachten Arbeit. -- Vasari war
auch bei einem Altarbild, das er in der Kirche S. Rocco sah, über die
Urheberschaft im Zweifel, und er nennt dasselbe in zwei verschiedenen
Kapiteln seines Buches das eine Mal als Werk des Tizian, das andere
Mal als Werk des Giorgione. Dieses Bild, das sich heute noch an
seinem Platz befindet, aber in einem durch unzweckmäßige Behandlung
verursachten schlechten Erhaltungszustand, zeigt Christus auf dem Wege
nach Golgatha; es ist eine ausdrucksvolle und ergreifende Darstellung
und wohl sicher eine Schöpfung Tizians.

In die Zeit der Arbeiten am Fondaco de’ Tedeschi wird die Entstehung
eines merkwürdigen Bildnisses verlegt, das sich in der Gemäldesammlung
des Vatikans befindet. Es stellt einen Dogen von Venedig dar, in
lebensgroßer Halbfigur, bekleidet mit der eigentümlichen Mütze und dem
altertümlich geschnittenen Brokatmantel des Oberhauptes der Republik.
Der charaktervolle Kopf ist scharf im Profil gesehen, die Hände kommen
unter dem Mantel heraus; die Linke hält ein Battisttuch, die Rechte
-- die leider durch Übermalung ganz entstellt ist -- ist wie zu einer
Begrüßungsansprache vorgestreckt. Man kann sich nichts Überzeugenderes
von Lebenswahrheit denken, als dieses durch die großartigste
Einfachheit ausgezeichnete Bildnis, in dem gewissermaßen die ganze
Besonderheit der Würde des Mannes, dem die stolze Republik die Leitung
ihrer Macht anvertraut hat, zum Ausdruck kommt. Und doch hat Tizian
dieses Porträt nicht nach dem Leben gemalt. Den regierenden Dogen zu
porträtieren war ein Vorrecht, das dem alten Giovan Bellini, solange er
lebte, niemals entzogen wurde. Tizian hat hier auf der Grundlage irgend
eines alten Porträts, vermutlich im Auftrage der betreffenden Familie,
die Erscheinung eines längst Verstorbenen, des Dogen Niccolo Marcello,
der von 1473 bis 1474 die Herrschaft innegehabt hatte, mit wunderbarer
Meisterschaft glaubwürdig ins Leben gerufen (Abb. 12).

[Illustration: Abb. 13. +Der Zinsgroschen.+ In der königl.
Gemäldegalerie zu Dresden.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Tizians Thätigkeit bei der Ausschmückung des Fondaco mußte ihn
naturgemäß in häufige Berührung mit deutschen Kaufherren bringen. Wie
wäre es damals einem Deutschen in Venedig möglich gewesen, irgend ein
Werk der Malerei entstehen zu sehen, ohne in Gedanken einen Vergleich
zu ziehen mit den Schöpfungen des großen Landsmannes Albrecht Dürer,
der ja ganz vor kurzem erst die Lagunenstadt verlassen und dem der
Altmeister Bellini die unverhohlenste Bewunderung gezollt hatte?
Daß Tizian und Dürer sich persönlich kennen gelernt hatten, kann
bei dem Aufsehen, das die Arbeiten des deutschen Malers in Venedig
erregten, wohl keinem Zweifel unterliegen, wenn auch in Dürers
erhaltenen venezianischen Briefen Tizians Name nicht genannt wird.
Dem Wetteifer mit Dürers Kunst schreibt eine Erzählung, die zwar erst
im XVII. Jahrhundert aufgezeichnet wurde, aber sich auf glaubhafte
mündliche Überlieferung stützte, die Entstehung einer der vollendetsten
Schöpfungen Tizians zu. Bei einem Besuche von vornehmen Deutschen in
Tizians Werkstatt, so heißt es, zeigten diese sich nicht so entzückt
von dessen Werken, wie man erwartet hatte, und auf Befragen gestanden
sie den Freunden des Künstlers, daß sie weder diesen, noch irgend
einen anderen italienischen Maler jenes höchsten Maßes von Durchbildung
für fähig hielten, das ihren Landsmann Dürer auszeichnete. Darauf
soll Tizian gesagt haben, „wenn er die äußerste Durchbildung für
das wahre und letzte Ziel der Vollendung hielte, dann würde auch er
in Übereinstimmung mit der Ansicht jener zu Dürers Übermaß gekommen
sein; aber weil sein eigenes, durch langes Studium und fortgesetzte
Arbeitserfahrung hinreichend gekräftigtes Urteil ihn, gemäß der von
der schönen Natur und den besten Kunstwerken ausgeübten Einwirkungen,
zu der Erkenntnis gebracht hätte, daß er bei seiner Art zu malen als
der der Wahrheit mehr entsprechenden bleiben müsse: so halte er es
nicht für angezeigt, den breiteren und sicheren Weg zu verlassen, um
den ungewissen und von Mißerfolgen bedrohten einzuschlagen; dennoch
wolle er bei der ersten seinem Geschmacke zusagenden Gelegenheit, die
sich bieten würde, zeigen, daß er auch imstande sei, etwas mit vollem
Kunstfleiß in Gestalt und Zubehör durchzubilden und auch einmal etwas
ganz fein zu machen, ohne im Übermaß durchzugehen.“ Das Ergebnis dieses
Entschlusses soll das jetzt in der Dresdener Galerie befindliche
Gemälde gewesen sein, das unter der Benennung „der Zinsgroschen“
bekannt ist.

[Illustration: Abb. 14. +Der Triumphzug des Glaubens.+
Holzzeichnung, geschnitten von Andrea Andreani.

1. Blatt (Schluß des Zuges): Die heiligen Bekenner und Märtyrer.]

Dieses Bild ist in der That etwas in jeder Hinsicht Vollkommenes.
Gegenstand der Darstellung ist die Zurückweisung der an den Heiland
gerichteten Pharisäerfrage, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Zins zu
zahlen. Das Gemälde enthält nur das zum Aussprechen des Gedankens
unbedingt Notwendige: von Christus sieht man etwas weniger als die
halbe Figur, von dem Pharisäer, der ihm die Münze zeigt, nicht viel
mehr als das Gesicht und die Hand mit dem Geldstück (Abb. 13). Tizian
hat sein Wort gehalten. Er hat hier alles mit der äußersten Vollendung
der Einzelheiten durchgeführt. Aber er hat alle Einzelheiten der
natürlichen malerischen Gesamterscheinung unterzuordnen gewußt. So
wirkt das Haar, von dem das Christusantlitz eingerahmt ist, als eine
ruhige dunkle Masse; aber in der Nähe erkennt man die einzelnen lose
heraustretenden Härchen. So sind die Kleinigkeiten von Formen und
Farben, welche die Haut beleben, alle vorhanden, ohne daß dadurch die
große, einfache Wirkung des Fleischtons beeinträchtigt würde. Aber
nicht nur als eine Leistung des größten malerischen Könnens ist das
Bild das Wunderwerk, als das es zu allen Zeiten angesehen worden ist.
Auch in tieferem Sinne hat Tizian gezeigt, daß er den Vergleich mit
dem deutschen Meister herausfordern dürfe. Er hat sich mit ganzer
Seele in den Inhalt der Darstellung versenkt und hat diesen ganzen
Inhalt in klarster, schönster Kennzeichnung zum Ausdruck gebracht. Die
heimtückische Verschmitztheit des Fragestellers, sein schleichendes
Herandrängen, und die göttliche Ruhe, die hoheitsvolle Überlegenheit
des Heilands, die bestimmte und doch so vornehm leichte Bewegung, mit
der seine Hand die Gegenfrage: „Wessen ist das Bild?“ begleitet, --
das alles spricht so klar und deutlich, wie es nur jemals höchster
Kunst möglich gewesen ist. Und mit welcher erhabenen Einfachheit hat
der Künstler das alles zum Ausdruck gebracht! Dabei die wunderbare
Durchführung des Gegensatzes der Charaktere in jeder Form der beiden
Köpfe und der beiden Hände! -- Es ist wohl begreiflich, daß ein
Gesandter Karls V. beim Anblick dieses Bildes laut sein Erstaunen
darüber aussprach, daß es einen Maler gebe, der so mit Dürer zu
wetteifern imstande sei. Der Gesandte dachte selbstredend nicht an
Dürers Formenäußerlichkeiten, sondern an das Wesen von dessen Kunst.
Und ein Wehen von Dürers tiefem Geist hat Tizian verspürt, als er
dieses Werk schuf. Daß er bei allem anderen seine Farbenkunst nicht
vergaß, daß er die verschiedenartigen Fleischtöne und Haarfarben,
das Rot des Rockes und das Blau des Mantels in der reinsten Harmonie
zusammenklingen ließ, versteht sich von selbst.

[Illustration: Abb. 15. +Der Triumphzug des Glaubens.+
Holzzeichnung, geschnitten von Andrea Andreani.

2. Blatt: Der heilige Stephanus als der Anführer der Märtyrer; die
heiligen Bischöfe; die Apostel; Johannes der Täufer.]

Vasari sah den „Zinsgroschen“ im Arbeitszimmer des Herzogs von Ferrara.
Ob der Herzog Alfonso d’Este, für den später Tizian eine ganze Anzahl
von Bildern malte, der Besteller des Gemäldes war, oder ob er dasselbe
als ein fertiges, von dem Künstler aus eigenem Antrieb gemaltes Werk
erwarb, darüber fehlen die Nachrichten. Nach Dresden ist das Bild im
Jahre 1746 als ein Bestandteil der von König August III. dem Herzog
Francesco d’Este abgekauften modenesischen Sammlung gekommen.

Den Christuskopf, den Tizian hier geschaffen, hat er ein anderes
Mal in der Seitenansicht wiederzugeben versucht, in einem Gemälde,
das lediglich das Brustbild des Erlösers auf einem landschaftlichen
Hintergrunde zeigt. Das Gemälde, das dem „Zinsgroschen“ keineswegs an
Vollendung gleichkommt, befindet sich in der Sammlung des Pittipalastes
zu Florenz.

Das tiefe religiöse Gefühl, das aus Tizians Christusbildern spricht,
offenbart sich mit besonderer Kraft in einem Werk, das unter den
Arbeiten des großen Malers eine vereinzelte Stellung einnimmt. Es ist
eine Folge von Holzschnitten, die sich zu einem zusammenhängenden
Ganzen aneinander reihen. Nach dem Vorbild von Mantegnas berühmtem
Triumphzug Cäsars ist hier der „Triumphzug des Glaubens“ dargestellt.
Der Triumphator ist Christus, die Evangelisten ziehen seinen Wagen.
Voraus schreiten die Stammeltern des Menschengeschlechts, die Väter
des alten Bundes, die Propheten und die Sibyllen. Hinter dem Wagen des
Erlösers folgt das Heer der christlichen Heiligen (Abb. 14-18). -- Nach
Vasaris Angabe brachte Tizian diese Holzschnittfolge im Jahre 1508 an
die Öffentlichkeit.

Die nämliche Darstellung soll Tizian an die Wände des Zimmers gemalt
haben, das er in Padua bewohnte, als er dort längere Zeit verweilte.
Im Jahre 1511 nämlich hatte er in dieser Stadt eine Anzahl von
Freskogemälden auszuführen.

[Illustration: Abb. 16. +Der Triumphzug des Glaubens.+
Holzzeichnung, geschnitten von Andrea Andreani.

3. Blatt: Christus als Triumphator; der Wagen gezogen von den vier
lebenden Wesen, welche die Evangelisten versinnbildlichen, an den
Rädern die vier großen Kirchenväter.]

Es handelte sich um die Ausschmückung der „Scuola del Carmine,“ des
jetzt als Taufkapelle dienenden Raumes neben der Karmeliterkirche,
welcher der Versammlungsort der zu dieser Kirche gehörigen Bruderschaft
war, und der „Scuola del Santo“, des Bruderschaftssaales der St.
Antoniuskirche. Tizian bediente sich bei diesen Arbeiten, die nur mäßig
bezahlt wurden, der Beihilfe eines von ihm gedungenen, wahrscheinlich
in Padua einheimischen Malers. Von den Freskobildern in der Scuola
del Carmine, deren Inhalt die Lebensgeschichte der Jungfrau Maria
ist, rührt nur eines von Tizian selbst her. Es hat die Begegnung von
Joachim und Anna an der Pforte des Tempels zu Jerusalem -- nach der
alten Legende von den Eltern Marias -- zum Gegenstand. Die beiden alten
Leute, die sich nach langer Trennung wiedersehen, schauen einander
mit freudiger Bewegung ins Gesicht. Ihre Gestalten und diejenigen
von ein paar Zuschauerinnen heben sich farbig von den hellen Tönen
der Marmorarchitektur des Tempels ab. Seitwärts von der Hauptgruppe
kniet einer der Hirten, bei denen Joachim die Zeit seiner Abwesenheit
verbracht hatte. Hinter dieser Figur dehnt sich eine Hügellandschaft
unter heller Luft aus; man sieht die weite Straße, auf der Joachim
hergewandert ist. -- Daß das Bild mit einer gewissen Eilfertigkeit
hingestrichen ist und daß die Ausarbeitung mancher Einzelheiten dem
Gehilfen überlassen war, läßt sich nicht verkennen. Dennoch ist es ein
schönes Bild, dessen mit wenigen Tönen hergestellte malerische Wirkung
durch die schlechte Erhaltung zwar beeinträchtigt, aber doch nicht
zerstört worden ist. Die Hand von Tizians Gehilfen allein erkennt man
in dem daneben befindlichen Bilde. Campagnola, so hieß der Gehilfe --
hat hier sozusagen von derselben Palette gemalt wie sein Meister. Aber
seine Arbeit erscheint nur als eine Zusammenstellung von Einzelheiten,
die teilweise ganz schön sein mögen; das Tiziansche Bild dagegen ist
eine aus dem Ganzen gestaltete Schöpfung, ein Stimmungsgedicht.

[Illustration: Abb. 17. +Der Triumphzug des Glaubens.+
Holzzeichnung, geschnitten von Andrea Andreani.

4. Blatt: Die Propheten und Sibyllen.]

[Illustration: Abb. 18. +Der Triumphzug des Glaubens.+
Holzzeichnung, geschnitten von Andrea Andreani.

5. Blatt: König David, Propheten und Patriarchen, Moses, Noah, die
Stammeltern.]

[Illustration: Abb. 19. +Der heilige Antonius läßt ein unmündiges
Kind reden.+

Freskogemälde in der Scuola del Santo zu Padua.

(Nach einer Originalphotographie von Gebr. Alinari, Florenz.)]

[Illustration: Abb. 20. +Der heilige Antonius heilt einen
Jüngling.+

Freskogemälde in der Scuola del Santo zu Padua.

(Nach einer Originalphotographie von Gebr. Alinari, Florenz.)]

Noch bewunderungswürdiger sind die drei Fresken in der Scuola del
Santo, die Tizian in der Zeit vom 24. September bis 2. Dezember 1511
ausführte. Eingedrungene Feuchtigkeit und wiederholte Nachbesserungen
haben auch diesen Gemälden übel mitgespielt; aber dennoch kommt
die Arbeit des großen Malers in ihnen noch mächtig zur Geltung.
Unwillkürlich drängt sich einem hier in Padua, wo von Giotto und dessen
trefflichen Nachfolgern so herrliche Freskomalereien zu sehen sind, der
Vergleich mit diesen alten Meistern auf. Dasjenige, was bei Tizian als
etwas Neues und von jenen völlig Verschiedenes zunächst und am meisten
in die Augen fällt, ist die durchaus andersartige Farbenhaltung,
welche aus dem Gefühl für das Landschaftliche hervorgeht. Bei jenen
kamen landschaftliche Gegenstände, wie Bäume oder Felsen, nur als
Andeutungen einer Örtlichkeit zur Darstellung; die Luft war ihnen ein
dunkelblauer Hintergrund, vortrefflich geeignet zur Hervorhebung der
weißen Baulichkeiten, die sie mit Vorliebe als nächsten Hintergrund
der Figuren anbrachten. Für Tizian aber, den im Anblick der See groß
gewordenen Sohn des Hochgebirges, hatte die Luft eine ganz andere
Bedeutung als für die Kinder festländischer Marmorstädte; sie war ihm
eine lichterfüllte, lichtspendende Weite, und unter ihr vertiefte sich
die Landschaft ins Ferne hinein in zusammenhängender Mannigfaltigkeit
der Formen und Töne. Tizian ließ sich auch als Freskomaler ganz von
malerischer Empfindungsweise leiten; die Körperhaftigkeit der Wirkung,
durch welche die Giottoschüler ihre Zeitgenossen verblüfft hatten,
und die nach ihnen durch Mantegna aufs feinste durchgebildet worden
war, war für ihn etwas an und für sich Nebensächliches; sie war ihm
nur das selbstverständliche Ergebnis der natürlichen Lichtwirkung.
-- Die Fresken in der Scuola del Santo hatten Wunderthaten des
heiligen Antonius von Padua zu schildern, des berühmtesten Angehörigen
der Stadt, der dort schlechtweg „der Heilige“ (il Santo) hieß und
heißt. „Der heilige Antonius läßt ein unmündiges Kind zum Beweis der
Unschuld seiner verleumdeten Mutter reden“ ist der Gegenstand des
ersten Gemäldes. In der Mitte des Bildes steht der Heilige in seiner
graubraunen Kutte, ruhig, sanft und überzeugungsvoll; neben ihm kniet
ein Ordensbruder und hält in tiefer Erregung das kleine Kind empor,
das mit dem lebendigsten Ausdruck des Sprechens Kopf und Händchen
gegen seinen Vater, den Ankläger der Mutter, vorstreckt. Dieser, ein
vornehmer Herr in reicher Kleidung, starrt mit einer unwillkürlichen
Bewegung des Zurückweichens das Kind an; in seinem Gesicht vollzieht
sich der Übergang vom Zweifel zur Beschämung. Seine Gattin, ebenfalls
sehr vornehm gekleidet, vernimmt in würdevollem Tugendbewußtsein
die wunderbare Offenbarung der Ungerechtigkeit des gegen sie
ausgesprochenen Verdachtes. Rechts und links stehen bunte Zuschauer,
die von dem Wunder jeder in seiner Weise ergriffen werden. Den
Hintergrund bildet einerseits die dunkle Wand eines Gebäudes, vor der
ein antikes Marmorstandbild steht, andererseits eine grüne Landschaft
mit reizvoll gezeichneten Bäumchen vor heller Luft (Abb. 19). --
Unterhalb dieses prächtig wirkenden Bildes hat Tizian ein Stückchen
Wand neben der Thüre, das von der Holztäfelung, die bis zur Fußlinie
der Gemälde die Wände des Saales bekleidet, unbedeckt geblieben ist,
in allerliebster Weise ausgefüllt durch ein paar nackte Engelkinder,
die an den Seiten einer kleinen weißen Steinfigur des Heiligen
stehen. -- Das zweite Gemälde Tizians: „Der Heilige heilt einen
Jüngling, der sich den Fuß, mit dem er nach seiner Mutter getreten,
abgeschnitten hat,“ schildert einen Vorgang auf dem Lande. Das Bild
hat eine ländliche Stimmung. Man sieht unter einem von Wolkenstreifen
durchzogenen Abendhimmel weithin über eine reizende Landschaft, die das
Meer in Bogenlinien säumt; auf einer leichten Bodenerhöhung liegt ein
Städtchen, vor dessen Thoren Schafe weiden, unweit des Ortes, wo das
Ereignis eine dichte Menschengruppe zusammengeführt hat. Wie prächtig
sind die Bauersfrauen geschildert! die Mutter, die, von einer anderen
Frau unterstützt, den wie leblos am Boden liegenden schwerverwundeten
Sohn hält und mit wilder Angst und mit Hoffnung zugleich die Blicke
auf den Heiligen heftet; und ein starkknochiges junges Weib, das den
Umstehenden lebhaft und wortreich erzählt, wie das alles so gekommen
ist. Und wie vornehm im Gegensatz zu diesen Persönlichkeiten der
Heilige! Er tritt dicht an Mutter und Sohn heran, und indem er sich
vorwärts neigt, zieht er seine Kutte leicht herauf, um deren Saum nicht
in der großen Blutlache am Boden zu besudeln; er streckt die Rechte
vertrauengebietend aus, und unter dem Segensspruch seines Gebetes
schließt sich die Wunde in dem Bein des Burschen. Als Begleiter des
Heiligen sieht man außer einem jungen Mönch einen fürstlichen Herrn,
der einen Bewaffneten und einen Schildträger bei sich hat (Abb. 20).
-- Das dritte Bild ist kleiner als die beiden anderen; es ist am
stärksten beschädigt, bringt aber doch seine großartige Farbenstimmung
noch mächtig zur Geltung. „Der Heilige ruft eine von ihrem Manne aus
Eifersucht ermordete Frau ins Leben zurück.“ Mit diesem gegebenen
Gegenstande hat der Maler sich in der Weise abgefunden, daß er, anstatt
in allzu beschränktem Raum eine Komposition aufzubauen, die inhaltlich
eine große Ähnlichkeit mit derjenigen des vorigen Bildes gehabt haben
würde, die Missethat darstellt, deren Folgen der Heilige nachher wieder
gut zu machen hat. Der Ort der Handlung ist eine öde Landschaft, ein
wüster Platz hinter einem steilen Lehmhügel, wie zu einem Verbrechen
geschaffen. Der Eifersüchtige, ein vornehmer Herr, in weißem, mit roten
Sammetstreifen ausgeputztem Rock, schwarzhaarig, die schwarzen Augen
von rasender Leidenschaft glühend, hat die Frau an ihren blonden Haaren
zu Boden gerissen. Verzweifelt sträubt sie sich und windet sich, daß
die Falten ihres gelbseidenen Rockes sich weithin am Boden ausbreiten
und die dunkelfarbigen Strümpfe sichtbar werden. Schon blutet sie aus
einer Wunde an der nur vom Hemde bedeckten Brust, und der Mörder
holt mit fürchterlicher Wildheit zu einem zweiten Dolchstoß aus. Am
Himmel jagen die Wolken, der Wind peitscht die Zweige der kümmerlichen
Bäumchen, die auf dem Hügel stehen. Nur im Hintergrunde, in einem
kleinen Durchblick neben dem Hügel, wird der aufgeregten Stimmung des
Bildes gegenüber die Beruhigung angedeutet. Da wird auf das Eingreifen
des Heiligen hingewiesen in einer Nebendarstellung, die, nach der bei
Tizian zwar seltenen, jener Zeit im allgemeinen aber noch geläufigen
Art bildlicher Erzählung, das zeitlich Abliegende in räumlicher
Entfernung zur Anschauung bringt: der Heilige wandert mit zwei
Begleitern durch die Ebene, in der das Landhaus des Ehepaares liegt,
und ihm wirft sich der nach geschehenem Verbrechen von Reue gejagte
Missethäter hilfeflehend zu Füßen (Abb. 21).

Von einer Freskomalerei, die Tizian an der Straßenseite des Palastes
Cornaro in Padua, ebenfalls mit Beihilfe des Campagnola, ausführte, hat
sich nichts erhalten.

Von Padua begab sich Tizian nach Vicenza und malte hier in der
Gerichtslaube am Rathaus ein Freskobild: „Das Urteil Salomons.“ Dieses
Gemälde hat nur wenige Jahrzehnte bestanden; es ist einem um die Mitte
des Jahrhunderts ausgeführten Umbau zum Opfer gefallen.

[Illustration: Abb. 21. +Der heilige Antonius gibt einer von ihrem
Manne ermordeten Frau das Leben wieder.+

Freskogemälde in der Scuola del Santo zu Padua.

(Nach einer Originalphotographie von Gebr. Alinari, Florenz.)]

[Illustration: Abb. 22. +Der heilige Markus mit den Heiligen Kosmas
und Damian, Rochus und Sebastian.+

Altargemälde in S. Maria della Salute zu Venedig.

(Nach einer Originalphotographie von Gebr. Alinari, Florenz.)]

[Illustration: Abb. 23. „+Rühre mich nicht an!+“ In der
Nationalgalerie zu London.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Wahrscheinlich bald nach seiner Rückkehr nach Venedig, die im Frühjahr
1512 erfolgt sein wird, wurde Tizian mit der Anfertigung eines
Gemäldes für die Kirche Santo Spirito in Isola beauftragt, in dem
der Schutzheilige der Markusrepublik verherrlicht werden sollte. Man
vermutet, daß die in diesem Jahre zustande gekommene Beendigung der
Feindseligkeiten mit Kaiser Maximilian, die im Herbst 1511 auch Tizians
Heimat wieder in Mitleidenschaft gezogen hatten, die Bestellung dieses
Bildes mitveranlaßte. Auch dem Dank für das Erlöschen der Pest, die
ein Jahr vorher in Venedig gewütet hatte, sollte in dem Gemälde
Ausdruck gegeben werden. Darum wurden dem heiligen Markus der heilige
Kriegsmann Sebastian und der Schutzpatron der Pestkranken, der heilige
Rochus, zugesellt. Weiterhin kamen, unbekannt aus welchem Grunde, die
Heiligen Kosmas und Damian auf das Bild. -- Tizian löste auch die
Aufgabe, ein Altargemälde aufzubauen, vom malerischen Gesichtspunkte
aus, mit Verschmähung der strengen architektonischen Gebundenheit, die
bis dahin für Altarwerke als künstlerisches Gesetz galt. Im Malerischen
liegt die Großartigkeit der Wirkung dieses prächtigen Gemäldes, das
sich jetzt nicht mehr an seinem ursprünglichen Aufstellungsorte,
sondern in der Vorsakristei von S. Maria della Salute befindet. Der
heilige Markus thront wie ein Herrscher über den anderen Heiligen. In
einer etwas gewaltsam majestätischen Haltung sitzt er auf einem engen
Postament, die Linke herabhängend, die Rechte mit ausgestrecktem Arm
auf sein auf das Knie aufgestelltes Evangelienbuch gelegt. Seine rote
Tunika und sein blauer Mantel stehen kräftig beleuchtet vor der blauen,
weißwolkigen Luft; auf seinen Kopf, die linke Schulter und den linken
Arm aber fällt tiefer Schatten. Zur Linken des Evangelisten erhebt sich
ein ebenfalls im Schatten liegender Mauerpfeiler. Vor diesem stehen der
heilige Rochus und weiter vorn, wieder im hellsten Licht, der heilige
Sebastian; der letztere eine prächtige Jünglingsgestalt mit dunkler
Lockenfülle um das schöne Haupt, als Märtyrer gefesselt und entkleidet,
mit weißem Schurz, dessen Ende als starke Lichtmasse bis auf den Boden
herabwallt. Der Boden ist Marmortäfelwerk. Rechts von Markus stehen
vor den Stufen des Thronpostamentes Kosmas und Damian im Gespräch
miteinander, in große Gewänder gehüllte Prachtgestalten, deren Köpfe
sich dunkel von der Luft abheben (Abb. 22).

[Illustration: Abb. 24. +Alfons von Este, Herzog von Ferrara.+ Im
Pradomuseum zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von J. Laurent & Cie., Madrid.)]

[Illustration: Abb. 25. +Die drei Lebensalter.+ Nach einer alten
Kopie des bei Lord Ellesmere in London befindlichen Originals. In der
Galerie Doria zu Rom.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 26. +Mariä Himmelfahrt.+ Altargemälde,
vollendet im Jahre 1518.

In der Akademie zu Venedig.]

[Illustration: Abb. 27. +Kopf der Maria aus dem Himmelfahrtsbilde in
der Akademie zu Venedig.+

(Nach einer Originalphotographie von Gebr. Alinari, Florenz.)]

Als im März 1513 Leo X. den päpstlichen Thron bestieg, erhielt Tizian
alsbald von Rom aus eine Aufforderung, in die Dienste des Papstes
zu treten. Aber er zog es vor, seine Kraft Venedig zu widmen. Er
richtete am 31. März ein Gesuch an den Rat der Zehn, worin er,
unter Hinweisung auf den ruhmverheißenden Vorschlag des Papstes, um
Beschäftigung im venezianischen Staatsdienst bat. Insbesondere sprach
er den Wunsch aus, in der Halle des Großen Rats im Dogenpalast, an
deren Ausschmückung mit Gemälden schon seit geraumer Zeit gearbeitet
wurde, ein Schlachtengemälde ausführen zu dürfen, an das sich bisher
wegen der Schwierigkeit der Aufgabe noch niemand gewagt hatte. Er
habe die Malerei nicht sowohl aus Gewinnsucht, als aus dem
Verlangen, einigen Ruhm zu erwerben, erlernt, erklärte Tizian; so
sei er auch bereit, sich mit jedem Lohn, den man für seiner Arbeit
entsprechend halten würde, zu begnügen. Doch bat er zugleich, um der
Sicherstellung eines besseren Einkommens willen, um Gewährung derselben
Vergünstigungen, die Giovan Bellini genoß. Das war die Stellung von
zwei Gehilfen und Lieferung der Farben und sonstigen Erfordernisse
auf Staatskosten und außerdem die Verleihung eines Amtes, das um
seiner Einträglichkeit willen vielbegehrt war: des Amtes eines Maklers
am Fondaco de’ Tedeschi. Die Deutschen in Venedig und die anderen
Ausländer, denen mit ihnen das Recht, im Fondaco zu wohnen und Waren
niederzulegen, eingeräumt war, durften weder kaufen noch verkaufen
ohne die Vermittelung eines staatlichen Maklers (~sansere~
= ~sensale~). Die Zahl dieser Beamten betrug dreißig; und
ausnahmsweise wurde es begünstigten Personen gestattet, die Einkünfte
dieses Amtes zu beziehen, ohne die Obliegenheiten desselben auszuüben.
Tizian bewarb sich in seinem Gesuch um die Verleihung der nächsten frei
werdenden Stelle eines Sansere auf Lebenszeit.

Der Rat genehmigte, offenbar von der Befürchtung, einen solchen
Künstler durch die Übersiedelung nach Rom der Heimat entzogen zu
sehen, getrieben, Tizians Gesuch in allen Punkten und räumte ihm eine
Werkstatt in einem dem Staate gehörigen Hause ein.

[Illustration: Abb. 28. +Ariosto.+ In der Nationalgalerie zu
London.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 29. „+Flora.+“ In der Gemäldegalerie des
Uffizienpalastes zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Tizian war hierdurch von Staats wegen als ebenbürtig mit dem alten
Bellini anerkannt worden, der seit Jahren damit betraut war, die
Ausführung derjenigen Bilder in der Ratshalle, die er nicht selbst
malte, wenigstens zu beaufsichtigen. Bellini aber war trotz seiner
87 Jahre nicht gewillt, sich einen Künstler als gleichberechtigt
zur Seite stellen zu lassen. Es begann ein geheimer Kampf zwischen
dem alten und dem jungen Meister, der sich in den Ratsbeschlüssen
wiederspiegelt. Schon im Frühjahr 1514, als Tizian nach der Vollendung
der Vorarbeiten eben mit der Ausführung des großen Gemäldes begonnen
hatte, wurde ihm die Anwartschaft auf die nächste Maklerstelle und
die Besoldung der Gehilfen entzogen; im Herbst desselben Jahres aber
kam es wieder zu einer Verständigung. Im folgenden Jahre wurden die
Kosten, welche die Ausschmückung der Ratshalle verursachte, geprüft
und dabei festgestellt, daß das ganze bisher befolgte Verfahren ein
verschwenderisches gewesen sei; daraufhin wurde ein neues Verfahren,
wonach mit dem besten Maler über den Preis eines jeden einzelnen
Gemäldes besonders verhandelt werden sollte, beschlossen. Tizian machte
hiernach neue Vorschläge, und diese wurden gebilligt. Am 30. November
1516 starb Giovan Bellini, und Tizian rückte nun in die hierdurch
frei gewordene Maklerstelle mit Übergehung aller vor ihm angemeldeten
Anwärter ein.

[Illustration: Abb. 30. +Die Vergänglichkeit.+ In der königl.
Pinakothek zu München.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Aber über diesen Hinziehungen hatte Tizian die Lust an der
unterbrochenen Arbeit verloren. Endlich ans Ziel gelangt, gab er
seinerseits zunächst nichts weiter als das Versprechen, die Arbeit in
der Ratshalle wieder aufzunehmen.

Mehr Vergnügen mochte er jetzt an der Ausführung von Gemälden finden,
die der Herzog von Ferrara, Alfons von Este, bei ihm bestellte. Ein
Aufenthalt Tizians am Hofe dieses großen fürstlichen Kunstfreundes wird
zum erstenmal für das Jahr 1516 bezeugt; damals verweilte er im Februar
und März mit zwei Gehilfen dort. -- Außerdem fesselte ihn der Auftrag,
für die Franziskanerkirche (S. Maria dei Frari) ein Altargemälde von
ungewöhnlicher Größe zu schaffen.

Was Tizian in den zunächst vorhergehenden Jahren während seiner
Enthaltung von der Arbeit im Ratssaale gemalt hatte, darüber fehlen die
Nachrichten. Mit ziemlicher Sicherheit kann man zwei ausgezeichnete
Meisterwerke jener Zeit zuteilen. Beide befinden sich in London; das
eine, die Erscheinung des auferstandenen Heilandes vor Maria Magdalena,
in der Nationalgalerie, das andere, ein Gegenstand freier Erdichtung,
bekannt unter dem Namen „die drei Lebensalter,“ in der Sammlung des
Lord Ellesmere.

[Illustration: Abb. 31. „+Alfons von Ferrara und Laura Dianti+“
(früher „Tizian und seine Geliebte“ genannt). Im Museum des Louvre zu
Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Das Bild der Erscheinung des Auferstandenen ist ein Wunderwerk
poetischer Stimmung, ein von weihevoller Erhebung getragenes religiöses
Gedicht. Eine Landschaft, deren Formenanordnung derjenigen des einen
Antoniusbildes in Padua sehr ähnlich ist, liegt in weicher Dämmerung.
Das Morgenlicht überzieht in mächtig aufsteigender Flut den Himmel, daß
die dunkelblaue Meereslinie sich kräftig von der hellen Luft scheidet
und die Umrisse eines jungen Eichbaumes, der im Mittelgrund steht, sich
in scharfer Dunkelheit von dem schimmernden Gewölk abheben. Ganz vorn
tritt die Gestalt des Auferstandenen in milder Beleuchtung aus dem
dämmerigen Grunde hervor. Die Gärtnerhacke in seiner Hand weist darauf
hin, daß Magdalena ihn beim ersten Anblick für den Gärtner gehalten
hat. Beim Erkennen dessen, den sie im Grabe gesucht hat, sind ihr die
Kniee zusammengebrochen. Auf den Knieen ist sie näher gekommen, bis
an den Saum seines Gewandes heran. Die Hand, auf die sie sich stützt,
spreizt sich über dem Salbengefäß, das für den Toten bestimmt war, der
ihren Augen hier als Lebender erscheint. Und ihren Augen nicht trauend,
hat sie zaghaft die Rechte erhoben, um sich durch das Gefühl zu
überzeugen, ob sie etwas Wirkliches sieht. Christus aber weicht, indem
er sein Gewand vorzieht, ihrer Berührung aus; und zugleich neigt er
sich ihr erbarmungsvoll entgegen. Magdalena hat seine Stimme vernommen
und ist überzeugt; heilige Wonne verklärt ihr Gesicht, während ihre
Augen den Blick unendlicher Milde aufsaugen, den der Freund der reuigen
Sünder auf sie herabsenkt (Abb. 23).

[Illustration: Abb. 32. +Der Garten der Liebesgötter+ („das
Venusopfer“). Im Pradomuseum zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Jenes andere Gemälde, „die drei Lebensalter,“ versetzt uns in
ein welliges Hügelland von anmutiger Einfachheit der Linien. Im
Mittelgrunde schlafen zwei nackte Kinder unter einem Baum, dessen
Zweige noch keine Blätter tragen. Über die beiden hinweg schreitet
der Liebesgott, eilig, zu einem anderen Menschenpaar zu gelangen,
das für ihn reif ist. Dieses Paar sitzt ganz im Vordergrunde, im
blumigen Grase am üppig grünenden Waldessaum: ein Jüngling und ein
Mädchen, er fast nackt, sie in ländlicher Kleidung, blicken einander
in süßester Harmlosigkeit der Unschuld in die Augen; beide denken noch
an nichts anderes als an das Spiel auf Hirtenflöten, das sie unter
seiner Unterweisung einübt. Und weiter in der Tiefe des Bildes sitzt
bei einem Baumstamm, der den Wipfel verloren hat, ein Greis; müde
stützt er sich auf die Hände, als ob es ihm schwer würde, sich auf
dem schrägen Hang des Hügels noch zu halten; er ist allein, nur etwas
bleiches Totengebein erinnert ihn an das, was er einst besaß. In der
Ferne sieht man menschliche Wohnungen, und in ihrer Nähe steht ein
Hirt bei seiner Herde, gleichsam als der Betrachtende, der über das
Menschendasein nachdenkt. Und in weiter Ausdehnung grünen die Hügel,
bis sie das endlose Meer erreichen. Eine wunderbar schlichte, weiche
und zugleich klare Stimmung liegt über diesem gemalten Gedicht, einem
anspruchslosen, aber zu Herzen gehenden Lied (Abb. 25).

[Illustration: Abb. 33. +Das Bacchusfest.+ Im Pradomuseum zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 34. +Bacchus und Ariadne.+ In der
Nationalgalerie zu London.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 35. +Andrea Gritti, Doge von Venedig+
(1523-1538).

(Galerie des Grafen Jaromir Czernin von Chudenitz.)

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Zu machtvoll feierlicher Erhabenheit entfaltet sich dagegen Tizians
Kunst in dem großen Altarbild für die Frarikirche. Dies ist das Werk,
durch das Tizian sich auf einmal zum gefeiertsten Maler Venedigs
machte. Der Gegenstand des Bildes ist die Aufnahme der allerseligsten
Jungfrau in den Himmel (~Santa Maria Assunta~). Jetzt befindet
sich dasselbe in der Sammlung der Akademie von Venedig. An dem
Platze, für den es gemalt war, über dem Hochaltar jener Kirche, wurde
es im Jahre 1518 am 19. März, dem Vorabend eines Feiertages des
Franziskanerordens, in einem reichen Marmorrahmen aufgestellt. Das
war im zweiten Jahre nach der Erteilung des Auftrags an Tizian; der
Künstler hatte nicht an der Zeit gespart, um die großartige Aufgabe,
die ihm gestellt war, würdig zu lösen. Während Tizian bisher meistens
in kleinerem als lebensgroßen Maßstab gemalt hatte, gehen hier die
Figuren, wie es der weite Raum der Kirche verlangte, erheblich über
die Lebensgröße hinaus. In dem unteren Teil des Bildes sieht man die
am Grabe Marias zusammengekommenen Apostel, die in höchster Erregung
über das von ihnen wahrgenommene Wunder, unter den verschiedenartigsten
Äußerungen des empfangenen Eindrucks emporblicken; die großartigsten
Gestalten sind der greise Petrus, der ganz überwältigt mit gefalteten
Händen auf die Steineinfassung des Grabes niedergesunken ist, und
der von heiliger Glut begeisterte jugendliche Johannes. Das Grab
ist auf einem Berge befindlich gedacht, und der Horizont ist ganz
tief genommen; die erhobenen Köpfe und Arme der Apostel heben sich
von einer Luft ab, die das dunkle Blau des hohen Himmels zeigt. Die
Gestorbene aber, die auf einer mit jubelnden Englein angefüllten Wolke
den Zurückbleibenden entschwebt, wird über die Höhe des Erdenhimmels
hinausgehoben; ihre ganze Gestalt ist schon von der blendenden
Helligkeit eines goldenen Lichthimmels umgeben. Von unendlicher Wonne
durchbebt, breitet die Verklärte die Arme aus, und ihre glückseligen
Augen schauen das Angesicht Gottes, das sich ihr aus der Lichtflut
entgegenneigt. Scharen von Cherubim, silberfarbige Lichtgebilde,
schließen sich an die Englein auf der Wolke an, und bilden um die
Erscheinung Gottes eine Wölbung, die im Lichtglanz der Unendlichkeit
verschwimmt (Abb. 26). Etwas ganz Wunderbares an diesem Gemälde ist
der Eindruck räumlicher Weite, der fast ohne Anwendung wirklicher
Perspektive erreicht ist. Zu den Kunstgriffen, die Tizian anwendete,
um hierzu zu gelangen, gehört die ungleiche Ausführungsweise der
verschiedenen Teile des Bildes. Während er in der Hauptgruppe oben
alle Klarheit sammelte, hat er die unteren Figuren, die im trüberen
Erdenlicht stehen, ganz breit und mit einer gewissen Unschärfe
behandelt. Er folgte darin der Beobachtung des Naturgesetzes, daß, wenn
man die ganze Aufmerksamkeit der Augen einem entfernteren Gegenstand
zuwendet, alles was näher liegt als dieser Gegenstand, verhältnismäßig
undeutlich erscheint. Er bewirkte hierdurch den Anschein eines
Abstandes, der sich sonst nur durch starke Größenunterschiede
zwischen den oberen und den unteren Figuren hätte ausdrücken lassen.
Thatsächlich sind die Apostel im Maßstab nur um ein ganz Geringes
größer, als die Figur Marias. Der Pater Guardian der Franziskaner soll
freilich, als er das Bild in der Werkstatt des Meisters besichtigte,
die unteren Figuren noch zu groß gefunden haben; und man erzählte
sich, daß Tizian wegen des ausgesprochenen Tadels sich geweigert habe,
das Bild abzuliefern, und nur durch eine förmliche Entschuldigung des
Paters wieder umgestimmt worden sei. Als das Gemälde dann an seinem
Platze aufgestellt war, mußte jeder Zweifel an der Richtigkeit der
Erwägungen des Künstlers verstummen, und die Brüder hüteten sich wohl,
auf das Anerbieten des Gesandten Kaiser Karls V. einzugehen, der
ihnen das Bild sofort abkaufen wollte. Tizian hatte sein Werk eben
mit sorgfältigster Beachtung der Raum- und Beleuchtungsverhältnisse,
unter denen es in der Kirche zur Geltung kommen sollte, gemalt. Leider
ist durch die jetzige Aufstellung des Gemäldes in der Akademie die
vom Meister gewollte Wirkung wieder gestört. Bei viel zu geringem
Abstand von dem zu niedrig stehenden Bilde bleibt der Blick des
Beschauers zunächst an den Figuren der Apostel hängen, anstatt
gleich über dieselben hinweg nach oben gezogen zu werden; und das
gleichmäßige harte Licht des nahen Fensters läßt jene breite Behandlung
dieser Gestalten, die weiseste künstlerische Berechnung war, wie
Oberflächlichkeit erscheinen. Und ebendieselbe scharfe Beleuchtung,
welche unten die Dunkelheit auflöst, beeinträchtigt oben den Reiz der
Lichtmasse, indem sie die verhältnismäßig kräftigen Schattenangaben zu
stark hervorhebt, die der Maler gebrauchte, um in der dämmerigen Kirche
dem Gewoge der Englein in der Wolke die beabsichtigte Lebendigkeit
der Wirkung zu sichern. Mit diesen Erwägungen muß der Beschauer sich
erst abfinden, wenn er die ganze künstlerische Größe dieser erhabenen
Schöpfung empfinden will.

[Illustration: Abb. 36. +Entwurf zur Madonna von S. Niccolò de’
Frari.+

Federzeichnung in der Uffiziengalerie zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 37. +Die Madonna von S. Niccolò de’ Frari.+ In
der Pinakothek des Vatikans.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Mit welcher Sorgfalt Tizian die Raum- und Beleuchtungsverhältnisse,
für die seine Bilder bestimmt waren, in Betracht zog, davon ist auch in
dem zwischen ihm, dem Herzog von Ferrara und dessen Geschäftsträger in
Venedig, Jacopo Tebaldo, geführten Briefwechsel ein Zeugnis erhalten.
Da erbittet sich Tizian, bevor er ein bestelltes Bild anfängt, ganz
genaue Angaben, an welche Stelle einer bestimmten Wand im herzoglichen
Arbeitszimmer dasselbe kommen soll.

Dieser Briefwechsel enthält auch sonst manches Bemerkenswerte. Wir
erfahren daraus, daß der Maler von dem Herzog ganz ausgearbeitete
Anweisungen über die zu malenden Gegenstände bekam, die unter Umständen
sogar von Zeichnungen begleitet waren.

Etwas in den Briefen des Herzogs immer Wiederkehrendes ist seine
Klage, daß Tizian ihn so lange warten lasse. Und Tizian gibt seinem
Drängen gegenüber neue Versprechungen zu den noch uneingelösten
alten. Das erklärt sich zum Teil daraus, daß Tizian zeitweilig mit
größeren Arbeiten beschäftigt war, um derentwillen er die Bilder
für den Herzog beiseite legte. Gleich auf die Vollendung des großen
Himmelfahrtsbildes, die in die Zeit jenes Briefwechsels fällt, scheint
die Ausführung einer Altartafel mit der lebensgroßen Darstellung von
Mariä Verkündigung für den Dom zu Treviso gefolgt zu sein. Dieses Bild
wurde aller Wahrscheinlichkeit nach im Jahre 1519 auf seinen Platz
gebracht, auf dem es sich noch befindet.

Eine alte Nachricht spricht auch von einem Freskogemälde, das Tizian an
einer Wand jenes Domes ausgeführt habe.

Beiläufig sei hier erwähnt, daß Tizian in Treviso als Sachverständiger
angerufen wurde, um einen Streit zwischen Pordenone -- der später in
Venedig als sein Nebenbuhler auftrat -- und dem Besteller eines von
diesem gemalten Freskobildes zu entscheiden. Tizian gab seine Erklärung
dahin ab, daß das Bild gut genug sei für den niedrigen Preis.

[Illustration: Abb. 38. +Die Heiligen Katharina, Nikolaus, Petrus,
Antonius, Franziskus und Sebastian+ (unterer Teil des Altargemäldes
für S. Niccolò de’ Frari). Holzzeichnung, geschnitten von Andrea
Andreani.]

Ein Hauptgrund der Verzögerungen, die den Herzog von Ferrara zur
Ungeduld reizten, war neben der Bevorzugung der Kirchenarbeiten die
Art und Weise, wie Tizian bei der Ausführung seiner Gemälde zu Werke
ging. Es war -- nach der Mitteilung eines seiner Schüler -- ganz
gegen seine Gewohnheit, ein Bild „~alla prima~“ zu malen; ein
Improvisator, pflegte er zu sagen, könne keine tadellosen Verse machen.
Nachdem er ein Bild angelegt hatte, stellte er es gegen die Wand, um
es längere Zeit gar nicht zu sehen. Wenn er es dann, manchmal erst
nach Monaten, wieder hervorholte, so unterzog er es einer scharfen
Kritik, er sah es an, „wie wenn er einem Todfeind gegenüberstände.“
Und fand er dann etwas, was ihm mißfiel, so nahm er die Figur „wie ein
wohlmeinender Chirurg“ in Behandlung. Wenn er nun nach fleißiger Arbeit
zufrieden war, so stellte er das Bild wieder beiseite und arbeitete
an etwas anderem, bis das erstere trocken war. Und so verfuhr er zu
mehrerenmalen mit dem Bilde, bis er durch die wiederholten Übermalungen
das höchste Maß der Vollendung erreichte.

[Illustration: Abb. 39. +Die Grablegung Christi.+ Im Louvre zu
Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Es versteht sich von selbst, daß Alfonso d’Este, nachdem er mit
Tizian in Verkehr getreten war, auch sein Bildnis von ihm malen ließ.
Das Porträt wurde so schön, daß Karl V. später den Wunsch, dasselbe
zu besitzen, aussprach. Der Herzog mußte dem Wunsch des Kaisers
willfahren, und so ist das Bild nach Spanien gekommen; es befindet
sich jetzt im Pradomuseum zu Madrid. Alfonso zeigt sich uns da als ein
schöner Mann von feurigem Temperament, bräunlich von Hautfarbe, mit
dunkelbraunem Haar und Bart. Er trägt eine veilchenblaue, mit Gold
verzierte Kleidung. Seine Linke ruht auf dem Degengriff und die Rechte
streichelt ein seidenhaariges, weiß und braun geflecktes Hündchen, das
auf einem neben dem Herrn stehenden Tisch Platz genommen hat (Abb.
24). -- Daß Tizian auch die Herzogin, die schöne und bei der Nachwelt
vielleicht mehr als bei den Zeitgenossen verschrieene Lucrezia Borgia,
gemalt hat, davon dürfte man überzeugt sein auch ohne die ausdrückliche
Nachricht, daß ein solches Porträt vorhanden gewesen sei. Aber dieses
Bild ist verschollen.

Seit 1517 weilte Ariosto, der kurz vorher seinen „Rasenden Roland“
vollendet hatte, am Hofe des Herzogs Alfonso. Daß der Dichter und
der Maler sich einer von dem anderen angezogen fühlten, ist leicht
begreiflich; die Überlieferung hat dieses Freundschaftsverhältnis mit
lebhaften Farben ausgeschmückt. Tizian hat den Ariosto vermutlich
mehrmals gemalt. Ein schönes Bildnis in der Nationalgalerie zu
London wird aller Wahrscheinlichkeit nach mit Recht mit dem Namen
Ariost bezeichnet. Es zeigt in sitzender Stellung einen schmächtigen
Mann -- Ariost war kränklich -- in gewählter Kleidung, mit feinem,
gedankenvollem Gesicht, das von lang herabwallendem Haar umgeben ist,
vor einem Hintergrund von Lorbeerzweigen (Abb. 28).

Lucrezia Borgia starb im Sommer 1519. Ein Mädchen von bürgerlicher
Herkunft, Laura Dianti, wurde ihre Nachfolgerin. Vasari erwähnt ein
staunenswürdiges Bildnis Lauras, das Tizian vor deren Erhebung zur
Gemahlin des Herzogs gemalt habe. Ein im Louvre befindliches Gemälde,
das eine junge Dame beim Ankleiden zeigt, führt jetzt die Bezeichnung
„Laura Dianti.“ Man erkennt nämlich in dem Kopfe eines diensteifrigen
Verehrers, der hinter der Schönen erscheint, eine Ähnlichkeit mit
dem Herzog Alfonso. Früher trug das Bild den Namen „Tizian und seine
Geliebte.“ Mit dem Meister selbst hat jener im Dunkel des Hintergrundes
verschwimmende Kopf allerdings gar keine Ähnlichkeit; aber auch die
Ähnlichkeit mit dem bekannten Bilde des Herzogs ist nur eine sehr
unbestimmte. Dagegen wird man durch Form und Haltung des weiblichen
Kopfes lebhaft an das allbekannte liebliche Mädchenbild in den Uffizien
erinnert, das mit dem Namen der Blumengöttin bezeichnet wird.

[Illustration: Abb. 40. +Madonna mit Johannes dem Täufer und dem
Stifter des Bildes.+

In der königl. Pinakothek zu München.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Diese „Flora“ gehört zu denjenigen Werken Tizians, die eine gewisse
Ähnlichkeit mit den von Palma Vecchio geschaffenen Gestalten zeigen.
Und man glaubt, in ihr das Bildnis von Violante, einer der schönen
Töchter Palmas, zu erkennen, von der die Sage erzählt, daß Tizian sie
geliebt habe. Eine jugendliche Erscheinung von vollen runden Formen,
nur leicht verhüllt durch ein feines, dünnfaltiges weißes Gewand,
tritt sie in halber Figur aus einem lichtgrauen Hintergrund hervor.
Prachtvolles Haar von jener rötlichschimmernden Goldfarbe, die die
Venezianerinnen jener Zeit durch künstliche Mittel hervorzubringen
wußten und die wir bei fast allen weiblichen Figuren Tizians finden,
umrahmt die feinen Linien vom Gesicht und Hals; am Scheitel sorgfältig
geordnet, wallt es mit seinen weichen losen Enden auf Schultern und
Brust herab. Die linke Hand hält ein umgeworfenes Obergewand von
blaßviolettem Damast, und die leicht vorgestreckte Rechte bietet weiße
Rosen und Veilchen dar. Der Kopf wendet und neigt sich nach der rechten
Schulter hin; ein Ausdruck ruhiger, wohlwollender Freundlichkeit
begleitet den Blick der sanften, unschuldigen Augen, die an einer
seitwärts außerhalb des Bildes befindlichen Person zu haften scheinen
(Abb. 29).

[Illustration: Abb. 41. +Skizze zur Madonna des Hauses Pesaro.+

Rötelzeichnung in der Albertina zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Die sogenannte Laura Dianti ist gegenüber der „Flora“ eine gereiftere
Schönheit. Die Formen ihres Gesichts haben nicht mehr jene zarte
schwellende Rundlichkeit, und die Körperformen sind stärker; der
Ausdruck hat nicht jenes Süße, Unbewußte, aber eine darum nicht weniger
reine anmutige Mädchenhaftigkeit. In Bezug auf den künstlerischen
Gedanken ist das sehr schöne Bild grundverschieden von der „Flora:“
während diese ganz wie mit Licht gemalt erscheint, entfaltet hier
eine prächtige Helldunkelwirkung ihre Reize. Die junge Dame steht im
Licht eines kleinen Fensters. Das Licht fällt ihr gerade ins Gesicht
und spiegelt sich in den schwarzen Augen; es trifft den Rücken
der erhobenen rechten Hand und zaubert Goldfunken hervor auf dem
zusammengenommenen Teil des Haares, den diese Hand zu ordnen sich
anschickt; und indem es vom Kinn und von der hervorgezogenen Haarmasse
aus scharf ansetzende und zart verlaufende Schatten auf Hals und
Schulter wirft, gleitet es weich über die Rundung der Büste und über
das feine Hemd, das die Brust bedeckt. Der rechte Unterarm bekommt nur
noch halbes Licht, und der weite Bauschärmel des Hemdes hängt in den
Schatten herab. Weiterhin wird die Helligkeit durch die dunkle Farbe
der Kleidungsstücke scharf abgeschnitten: an ein grünes Mieder schließt
sich ein gefältelter Rock, dem eine schwarze Schürze vorgesteckt ist;
das Ende der Schürze ist über den linken Arm genommen. Die linke Hand
befindet sich fast ganz im Schatten; sie hält auf dem Toilettentisch,
von dem man nur einen schmalen Streifen sieht, das Töpfchen mit der
Haarsalbe. Oben vermitteln die durchsichtigen Schatten des Fleisches
und das Goldhaar mit zauberhaftem Reiz zwischen dem blühenden Licht
und dem Dunkel des Hintergrundes, in dem ein unbestimmter brauner
Dämmerton und das tiefe Rot der Kleidung des Mannes prachtvoll
zusammenklingen. Der gefällige Kavalier hält im Rücken seiner Schönen
einen großen Rundspiegel aufrecht, in dem sich jenseits ihres Kopfes
das kleine Fenster spiegelt. Mit der anderen Hand, deren feine,
wohlgepflegte Finger vom Licht getroffen werden, hält er ihr einen
kleinen viereckigen Spiegel vor. In diesen Spiegel blickt die Dame mit
aufmerksamer Prüfung des aus dem anderen Glase zurückgeworfenen Bildes
der Rückseite ihres erst zur Hälfte geordneten Haares (Abb. 31).

Man kann nicht behaupten, daß die sogenannte Laura Dianti in
überzeugender Weise den Eindruck eines Bildnisses mache. Wenn sie eins
ist, so hat Tizian dabei ebenso wie bei der Flora -- die ja ihrer
ganzen Auffassung nach nicht als Porträt gelten will -- die Züge
der Dame, die ihm saß, seinem allgemeinen Schönheitsideal angepaßt.
Ähnliche Köpfe begegnen uns sehr häufig unter Tizians weiblichen
Idealfiguren. Fast in derselben Ansicht und Beleuchtung wie jene
beiden, aber die dunklen Augen dem Beschauer zuwendend, erscheint
ein solches Gesicht in einem allegorischen Gemälde der Münchener
Pinakothek, das leider durch ungeschicktes Reinigen seine feineren
Reize verloren hat. Da hält das schöne junge Weib mit der Rechten
eine eben erloschene Kerze und einen Spiegel, in dem man hinter einem
Tisch, den ein Geldsack, Haufen losen Goldes und Silbers und ein
Rosenkranz bedecken, eine häßliche Alte am Spinnrocken sitzen sieht.
Ein ernster, fast harter Blick aus den schönen Augen begleitet die aus
dem Spiegel sprechende Mahnung, daß keine Macht, nicht Reichtum und --
hier hat offenbar ein Horazischer Vers den Maler geleitet -- auch nicht
Frömmigkeit das Kommen des Alters aufzuhalten vermag (Abb. 30).

Die Unzufriedenheit des Herzogs Alfonso über Tizians vermeintlichen
Mangel an Eifer seinen Bestellungen gegenüber erreichte ihren höchsten
Grad im September 1519. Er beauftragte Tebaldi, den Maler von seinem
ernsten Unwillen und der Absicht, diesen Unwillen empfindlich fühlbar
zu machen, in Kenntnis zu setzen und die Anwendung von Zwangsmaßregeln
anzudrohen. Tizian ließ sich durch diesen Zornesausbruch nicht
beunruhigen, sondern antwortete einfach, wenn das Bild, um das es sich
eben handelte, so weit wäre, würde er es nach Ferrara bringen, wo es
an seinem Bestimmungsplatze die letzte Vollendung bekommen sollte.
Gegen Ende Oktober erfreute er den Herzog durch die Überreichung eines
herrlichen Meisterwerkes. Es war die Darstellung eines Bacchusfestes,
bestimmt, im Verein mit einem Gegenstück, das der Venus gewidmet war,
die Hauptwand in des Herzogs Arbeitszimmer zu schmücken. -- Sowohl das
„Bacchanal“ wie das „Venusopfer“ sind nachmals in den Besitz König
Philipps IV. von Spanien gelangt und befinden sich jetzt im Pradomuseum.

Der Vorwurf zu dem „Venusopfer“ ist dem griechischen Schriftsteller
Flavius Philostratus entnommen, der in der ersten Hälfte des III.
Jahrhunderts n. Chr. unter dem Titel „Bilder“ die erläuternde
Beschreibung einer neapolitanischen Gemäldesammlung veröffentlichte.
Da wird unter der Überschrift „Liebesgötter“ in reizvoller Weise
geschildert, wie auf dem Rasengrund eines Gartens und in den Zweigen
der Apfelbäume die Liebesgötter sich tummeln, eine Schar, „deren Zahl
so groß ist, wie die Vielheit der Wünsche des Menschengeschlechtes.“
Ihr Kinderspiel deutet die Mannigfaltigkeit des Wesens der Liebe
an. Am Bach, der die Wurzeln der Bäume benetzt, steht das Bild der
Venus, der Herrin der Nymphen, die sie zu Müttern der Liebesgötter
macht. Das Bild ist mit den Opfergaben der Nymphen behängt, einem
silbernen Spiegel und anderen Gegenständen, die durch die Inschrift
als Weihgeschenk bezeichnet sind. -- Tizian hat sich sehr genau an
diese Schilderung gehalten. Nur hat er die opfernden Nymphen mit in
die Darstellung gezogen: am Fuße des Marmorstandbildes der Venus
zeigen sich zwei jugendliche weibliche Gestalten, von denen die eine,
eilig, die Gunst der Liebesgöttin zu erlangen, einen Spiegel auf das
Postament hinaufreicht, während die andere still lächelnd auf ein
Inschrifttäfelchen mit dem Worte „~munus~“ (Weihegeschenk) zeigt,
um damit zu sagen, daß sie schon geopfert hat. Aber die Darbringung
des Opfers, nach der das Bild benannt zu werden pflegt, ist räumlich
und gegenständlich nur Nebensache. Das Wesentliche ist das niedliche
geflügelte Kindervolk, das in wirklich unzählbarer Schar den Garten
füllt. Was Philostratus von dem Treiben der Liebesgötter erzählt, hat
Tizian Gruppe für Gruppe getreulich verbildlicht; aber wie zwanglos
wirbelt das durcheinander! Auch den Schlußsatz hat er nicht vergessen,
daß die Kleinen der Göttin Äpfel darbringen, um sie zu bitten, sie möge
den Garten immer so lieblich erhalten. Etwas Lieblicheres, als wie
Tizian diesen Garten gemalt hat, kann man sich nicht denken. Es ist
ein unbeschreiblicher, sonniger Kinderzauber. Wie entzückend heiter
ist das Ganze gestimmt! Die Luft ist licht und die Bäume prangen in
saftig weichem Grün. Nur wenig Dunkelheiten sind vorhanden, und nur
wenige starke Farben: die Kleider der beiden Nymphen zeigen Blau und
Karminrot, in das rosig-goldige Gewoge der Kleinen tragen viele blaue
Flügelchen wie in flatterndem Spiel die Gegensatzfarbe hinein (Abb. 32).

[Illustration: Abb. 42. +Die Madonna des Hauses Pesaro.+
Altargemälde in der Kirche S. Maria de’ Frari zu Venedig.]

[Illustration: Abb. 43. +Bildnis eines Unbekannten.+ In der
königl. Pinakothek zu München.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 44. +Entwurf zu dem Bilde: „Die Ermordung
des heiligen Petrus Martyr“+ (von der Ausführung verschieden).
Tuschzeichnung in der Albertina zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 45. +Skizze zu dem Bilde: „Die Ermordung des
heiligen Petrus Martyr“+ (von der Ausführung verschieden).

Tuschzeichnung in der Uffiziengalerie zu Florenz.

(Nach einer Originalphot. von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E.,
Paris und New York.)]

Hier, wo Mädchen die Göttin anflehen, sie mit einem Liebesgott zu
beschenken, und die Flügelknaben noch ihre Waffen nur im Spiel
gegeneinander gebrauchen, hier mutet der Gesamteindruck des Bildes uns
an wie ein wonniger südlicher Frühlingstag. In dem Gegenstück aber, dem
„Bacchanal“, lebt die tiefer glühende Stimmung des Hochsommers. Süßes,
heißes Genießen wird hier geschildert. Bacchantinnen schwärmen mit
ihren Genossen in Wein, Gesang und Tanz. Die Luft ist tief dunkelblau;
blendend weiß leuchtet das Gewölk an diesem Gluthimmel und in noch
tieferem Blau liegt unter ihm das Meer. Das Grün der Bäume ist dunkel
und bräunlich. Ein scharfer Sonnenblick fällt auf den mit weichem
Rasen bedeckten Hügel, wo die Schar ihr Wesen treibt, und überzieht
einzelne Gestalten mit leuchtender Helligkeit, während die Mehrzahl
der dunkelbraunen Männer, die den goldigweißen Mädchen Gesellschaft
leisten, vom tiefen Schatten der Bäume umhüllt ist. Ein paar bunte
Farben von Gewändern klingen kräftig hinein: Rot und Blau stehen einmal
ganz hell, einmal dunkel nebeneinander. Im Vordergrund fesselt die
wunderschöne Gestalt eines jungen Mädchens den Blick, das, auf den
Rasen und das abgestreifte weiße Gewand gebettet, in Schlaf gesunken
ist; dieser Körper ist wie aus Licht geschaffen und dennoch Fleisch und
Blut und Haut. Die Figur eines kleinen Knaben, der sich sehr zwanglos
benimmt, bildet den Übergang von dieser großen Haupthelligkeit zu einer
zweiten Lichtgestalt, einer Mänade, die mit wehendem Gewande sich im
Reigen schwingt. Von ihren Mittänzern balanciert einer voller Übermut
eine gefüllte Krystallkanne, während ein anderer in dem Augenblick,
wo im Wechsel des Reigens seine Hände frei werden, mutwillig aus
dem Kreise heraus zu den Trinkenden hinspringt. In der Mitte des
Vordergrundes lagern zwei Mädchen, die heiter miteinander plaudern,
und zu den Füßen der einen von ihnen ruht ein Jüngling, der behaglich
dem Tanze zuschaut. Über Köpfe, Schultern und Arme der beiden Mädchen
spielen volles Licht und durchsichtiger Schatten, daß sie im Einschluß
des Weißzeugs und des vollen Rot und Blau ihrer Kleider wie prächtige
Blumen aus dem dunklen Grunde hervortreten. Der Kopf der einen, die mit
ausgestrecktem Arm ihre Trinkschale zum Füllen zurückreicht, ist einer
der fesselndsten Punkte im Bilde; es ist wieder jener Lieblingskopf
Tizians, diesmal durch sonnigen Frohsinn bezaubernd; auch hier spricht
die Überlieferung von einem Bildnis der Geliebten des Künstlers, und
in der That scheint das große Veilchen an ihrer Brust eine Anspielung
auf dem Namen Violante zu enthalten. Hinter der Gruppe sind zwei
Schenken beschäftigt, die Trinkgeschirre zu füllen. Zwei andere Männer
lehnen am Stamm eines Baumes; sie scheinen das Trinklied zu singen,
dessen Kehrreim in Text und Noten auf einem vor jener Schönen am Boden
liegenden Zettel zu lesen ist:

„~Chi boit et ne reboit ne çais qua boir soit~“

(Wer trinkt und nicht wiedertrinkt, weiß nicht, wozu der Becher blinkt).

[Illustration: Abb. 46. +Skizzen zu dem Bilde: „Die Ermordung
des heiligen Petrus Martyr.“+ Auf dem Blatt mit den Skizzen der
herabschwebenden Englein der für die Ausführung maßgebend gebliebene
Entwurf der drei Hauptfiguren. Im Museum zu Lille.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Ganz links sieht man einen bärtigen Mann, der eine mächtige Amphora
auf der Schulter herbeiträgt, und einen jüngeren, der ein großes Gefäß
zu langem Zuge hebt. Seitwärts von der geschlossenen Baumgruppe, deren
undurchdringliches Blätterdickicht den Zechenden Schatten spendet,
durchschneidet ein schlankes Bäumchen die Fläche der Luft, und in
seinen Zweigen wiegt sich oben vor dem dunkelsten Himmelsblau eine
Pfauhenne, ungescheucht von dem Lärm des Gelages. Ganz in der Ferne
sieht man am Horizont ein Segel, und man mag darum, wenn man will, in
der Schläferin des Vordergrundes die von Theseus verlassene Ariadne
erkennen, der die Gabe des Bacchus Vergessen ihres Jammers gebracht
hat. Aber der Gott selbst ist nicht zu sehen; auf seine Nähe deutet
nur die Gestalt des alten Silen, der in einiger Entfernung unter dem
Gesträuch eines Hügels bei seinem Weinkrug eingeschlafen ist. Fast hat
es auch den Anschein, als ob dem Bacchus hier eine mächtigere Gottheit
den Rang streitig mache. Denn wie eifrig ihm auch gehuldigt wird, so
sind doch unverkennbar die schönen Frauen die Herren der Situation. Das
ganze augenberauschende Bild ist Luft, Wärme, Sonnenschein (Abb. 33).

Beide Gemälde gehören zu Tizians glücklichsten Schöpfungen.
Nebeneinander betrachtet, sind diese so schön zusammenpassenden
Gegenstücke in ihrer Stimmungsverschiedenheit ein wunderbares Zeugnis
von der Feinheit der malerischen Empfindung Tizians.

Aus dem Anfang des Jahres 1520 erfahren wir, daß Tizian dem Herzog
in seinen Bemühungen, die Fayencefabrikation in Ferrara einzuführen,
thatkräftig unterstützte; daß er Zeichnungen zu Gefäßen entwarf, mit
Tebaldi die Werkstätten in Murano besuchte, wo die nach seinem Entwurf
geformten Gegenstände gebrannt wurden, und einen kundigen Mann nach
Ferrara schickte, um dort eigene Majolikawerkstätten einzurichten.

Beiläufig erfahren wir aus den Berichten über diese Angelegenheit die
bemerkenswerte Thatsache, daß Tizians Bilder im Schlosse zu Ferrara
vergoldete Rahmen bekamen. Später waren Philipp IV. und Velazquez der
Ansicht, daß schwarze Rahmen ihre Farbenpracht am besten kleideten.

Auf neue Bilder, die Tizian ihm versprochen hatte, wartete Herzog
Alfons im Jahre 1520 wieder vergeblich. Tizian vollendete in diesem
Jahre auf Bestellung eines in Ragusa ansässigen Venezianers ein
Altargemälde für die St. Franciscuskirche in Ancona, mit einer
Darstellung der zwischen Engeln in den Wolken thronenden Mutter Gottes
und des unten knieenden Stifters, dem der heilige Franciscus und der
heilige Blasius zur Seite stehen. Jetzt befindet sich das Bild in der
St. Dominicuskirche zu Ancona.

Außerdem arbeitete Tizian damals an einem dreiteiligen Altarwerk, das
der päpstliche Legat in Brescia für eine dortige Kirche bestellt hatte.
Der Herzog machte, voller Verdruß darüber, daß Tizian die Aufträge
von geistlicher Seite immer den seinigen vorzog, den Versuch, eine im
Herbst 1520 fertig gewordene Tafel dieses Altarwerkes, einen heiligen
Sebastian, für sich in Besitz zu nehmen und Tizian eine Wiederholung
derselben für den Besteller malen zu lassen; aber er schrak im letzten
Augenblick vor einer solchen Kränkung des päpstlichen Würdenträgers
zurück. -- Auch im Jahre 1521 erübrigte Tizian, der außer jenen noch
mehrere andere Kirchenbilder zu malen übernommen hatte, keine Zeit für
den Herzog. Selbst die Lockung des letzteren, er wolle ihn mit nach
Rom nehmen, wenn er sich dorthin begebe, um dem Nachfolger Leos X. zu
huldigen, blieb ohne Erfolg.

Im Jahre 1522 wurde das Altarbild für Brescia fertig. Das treffliche
Werk befindet sich noch dort in der Kirche S. Nazaro e Celso, für
die es gemalt worden ist. Es hat die altertümliche Anordnung eines
Flügelaltars. Auf der Mitteltafel ist die Auferstehung Christi
dargestellt. Die beiden seitlichen Tafeln sind quer geteilt. In
ihren oberen, kleineren Abschnitten ist die Verkündigung durch die
Halbfiguren der Jungfrau Maria und des Erzengels Gabriel verbildlicht;
der Auferstehung als dem Abschluß des Erdenlebens des Erlösers ist
so der Beginn seines menschlichen Daseins zur Seite gestellt. In
den unteren, höheren Feldern der Seitenflügel stehen einerseits die
heiligen Nazarus und Celsus neben dem Stifter, dem Legaten Averoldo,
der knieend den Auferstandenen anbetet; andererseits der heilige Rochus
mit einem Engel und, weiter im Vordergrund, der an einen Baum gebundene
heilige Sebastian. Dieser Sebastian ist eben jene Figur, die den Herzog
von Ferrara in Versuchung führte; die Venezianer glaubten noch nie
einen so schön gemalten Körper gesehen zu haben, und Tizian selbst
erklärte diese Gestalt für das Beste, was er gemacht habe.

Im Sommer dieses Jahres schickte der Rat der Zehn eine ernstliche
Ermahnung an Tizian, er solle seine Arbeit im Dogenpalast vorwärts
bringen; widrigenfalls würde er durch Entsetzung von seinem Makleramt
und durch Einziehung der ihm bereits gewährten Vorschüsse gestraft
werden. Tizian malte nun in der That eine Zeitlang in der Halle des
Großen Rates. Es ist zweifelhaft, ob das Gemälde, für dessen Vollendung
ihm in jenem Ratsbeschluß ein Termin gesetzt wurde, das Schlachtenbild
war, mit dem er vor neun Jahren einen Anfang gemacht hatte, oder
ein anderes, von Bellini unfertig gelassenes, das Tizian als dessen
Nachfolger zu vollenden hatte; der Gegenstand dieses letzteren war die
sagenhafte Demütigung Kaiser Friedrich des Rotbarts vor Papst Alexander
III. in der Markuskirche.

[Illustration: Abb. 47. +Landschaft.+ In der Sammlung der Königin
von England im Buckinghampalast.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 48. +Landschaft.+ Angetuschte Federzeichnung
in Sepia. In der Sammlung des Herzogs von Devonshire zu Chatsworth.]

Im Januar 1523 schickte Tizian endlich wieder ein Bild an den Herzog
von Ferrara. Er selbst reiste, bevor er sich dorthin begab, nach
Mantua. Denn dorthin hatte ihn der regierende Herr, Friedrich von
Gonzaga, ein Neffe des Herzogs von Ferrara, eingeladen. Dieser neue
Gönner behandelte den Maler, im Gegensatz zu dem bisweilen etwas
barschen Ton seines Oheims, mit der ausgesuchtesten Liebenswürdigkeit.
Er entließ Tizian mit der Bestellung eines Bildnisses und mit einem
Schreiben an den Herzog, in dem er diesen bat, ihm den Meister
möglichst bald wieder zurückzuschicken.

[Illustration: Abb. 49. „+Madonna mit dem Kaninchen.+“ Im
Louvremuseum zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 50. +Heilige Familie.+ Im Louvremuseum zu
Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Das Gemälde, dem Tizian damals in Ferrara an seinem Bestimmungsplatze
die letzte Vollendung gab, war eine mythologische Darstellung,
die sich den anderen, dem „Venusopfer“ und dem „Bacchusfest“, mit
denen sie auch im Format übereinstimmt, anschloß. Das Bild befindet
sich jetzt, nach mancherlei Wanderungen, in der Nationalgalerie zu
London. Gleich jenen beiden ist es ein wunderbares Meisterwerk voll
glühender Farbenpoesie. In genauem Anschluß an ein Gedicht Catulls
ist geschildert, wie Bacchus, mit seinem Gefolge einherziehend, am
Strand von Naxos Ariadne findet und von Liebe zu ihr ergriffen wird
(Abb. 34). Der Bacchuszug kommt unter den prächtigen Bäumen eines
Haines hervor in das Sonnenlicht des Gestades. Über der See und der
weithin sich erstreckenden formenreichen Küste flimmert die tiefblaue
Luft mit streifig gelagerten und zu hohen Ballen aufgetürmten, von
glühender Sonne durchleuchteten Wolken. Ariadne ist beim Nahen der
lärmenden Schar entsetzt aufgesprungen. Ihre ungeordneten Gewänder
eilig zusammenraffend, will sie fliehen, hinab zum Meere; aber schon
scheinen die Augen des Gottes sie zu bannen und ihre Flucht in halbes
Entgegenkommen zu verwandeln. Das Leopardengespann vor dem Wagen des
Bacchus hat, auch ohne Zügel dem Willen des Gebieters gehorchend, Halt
gemacht und steht regungslos. Der jugendschöne, epheubekränzte Gott
springt wie im Fluge vom Wagensitz aus über Brüstung und Rad, daß sein
Gewand nachflatternd emporwallt und die weichen Formen des jugendlichen
Körpers fast unverhüllt im Sonnenschein leuchten läßt. Heißes, süßes
Verlangen erfüllt seine Blicke, und seine Armbewegung fordert die
Fliehende auf, ihm in den einladenden Schatten des Haines zu folgen.
Über Ariadne leuchtet am Tageshimmel die Sternenkrone, die Brautgabe
des Gottes. In dem Schwarm von Satyrn und Mänaden, der den Bacchus
begleitet, hat der Künstler die Schilderung des Dichters in prächtige
malerische Erscheinung übersetzt, die in all ihrem Phantastischen
sozusagen den Eindruck glaubhafter Lebenswahrheit macht. Der erste im
Zuge ist ein übermütiges Faunenkind: unbekümmert um das Bellen eines
kleinen Hundes, der es zurückhalten will, schreitet es lustig mit
seinen Bocksbeinchen vorwärts, den entzückenden Schelmenkopf, mit Augen
wie schwarze Käfer, zurückgeworfen, singend und den Kopf eines Kalbes,
Überrest der Mahlzeit, an einer Leine nachschleppend. Hinter ihm kommt
eine junge Mänade in hochgeschürzten Gewändern; ihr abgemessener
Schritt folgt dem Takt der Cymbeln, die sie schlägt; ihr Kopf und der
erhobene rechte Arm sind in durchsichtigen Schatten gehüllt, von der
Höhe der nur halb verdeckten Brust an ist die anmutige Gestalt von
Licht übergossen. Seitwärts von ihr, weiter vorn und ganz im Schatten,
taumelt ein bärtiger Satyr, der seinen erhitzten braunen Körper mit
kühlenden Schlangen umwunden hat. Hinter diesem hüpft in ergötzlichen
Bockssprüngen ein Faun, auf den Thyrsusstab sich stützend und ein
Bein des verzehrten Kalbes in der Luft schwingend; seine begehrlich
leuchtenden Blicke sind auf eine reizende Tamburinschlägerin gerichtet,
die ihn mit neckischem Mutwillen ansieht, während sie vor seinem Nahen
zur Seite flieht, -- eine durch das dunkle Baumgrün hervorgehobene
Lichtgestalt. Der trunkene Silen kommt auf einem Esel sitzend langsam
nach; der feiste Fleischklumpen seines Körpers und die dunkle Gestalt
eines Mannes, der einen riesigen Weinkrug schleppt, haben das
reizvolle Spiel der Lichtdurchblicke zwischen den Baumzweigen als
Hintergrund. -- Wohl niemals ist ein Maler einem derartigen Gegenstand
aus der klassischen Mythe besser gerecht geworden, als Tizian in diesem
sprühenden Bilde von Genußfreude und Übermut, dessen Ungebundenheit
durch die Anmut beherrscht wird.

Über das Bildnis, welches Federigo Gonzaga bei Tizian bestellt hatte,
erfahren wir nichts Näheres. Im August 1523 bescheinigte der Markgraf
den Empfang eines Gemäldes, das ihm sehr gefallen habe. Inzwischen war
der Meister durch die Erledigung verschiedener heimischen Aufträge in
Anspruch genommen.

Gewissermaßen eine dienstliche Obliegenheit war es für ihn durch
sein Einrücken in die Stellung Giovan Bellinis geworden, das Bildnis
des regierenden Dogen zu malen, das in der Halle des Großen Rats den
Bildern von dessen Vorgängern angereiht wurde. Zum erstenmal trat
diese Aufgabe an ihn heran, als Antonio Grimani im Juli 1521 zum
Oberhaupt der Republik erwählt wurde. Der bei seinem Amtsantritt im
siebenundachtzigsten Lebensjahr stehende Herr hatte Tizian schon
vor Jahrzehnten gesessen; es heißt, daß er sich im Jahre 1498 und
im Jahre 1510 von ihm habe malen lassen. Und jetzt, als regierender
Fürst, gewährte er dem Meister mehrmals diese Gunst. Das pflichtmäßige
Bildnis Grimanis für den Großen Ratsaal scheint Tizian aber erst im
Frühjahr 1523 gemalt zu haben, kurz vor dem Tode des alten Herrn. Denn
als ihm das Honorar für dieses Porträt ausgezahlt wurde, war Grimanis
Nachfolger, Andrea Gritti (gewählt am 20. Mai 1523), schon im Amte.
Auch dieser Doge, der Tizian seine besondere Gunst zuwendete, saß ihm
außer zu dem amtlichen zu vielen anderen Porträts (Abb. 35).

[Illustration: Abb. 51. +Der heilige Hieronymus in der Wildnis.+
Im Louvremuseum zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 52. +Die heilige Magdalena.+ In der
Pittigalerie zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Giacomo Brogi, Florenz.)]

[Illustration: Abb. 53. „+Die Allegorie des Davolos.+“ Im
Louvremuseum zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Auch im Jahre 1523 erregte die Enthüllung eines großen Altargemäldes
Aufsehen in Venedig, besonders in Malerkreisen. Tizian hatte sich nach
Vasaris Versicherung bemüht, in diesem Werke etwas Hervorragendes zu
bieten. Das Bild war für dasselbe Kloster bestellt, wie die „Assunta“;
aber nicht für die Hauptkirche, sondern für die im Innern des Klosters
liegende kleine St. Nikolauskirche. Daher die Benennung, mit der es
bezeichnet zu werden pflegt: Madonna von S. Niccolò de’ Frari. Es kam
in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nach Rom und befindet
sich jetzt in der Vatikanischen Pinakothek; leider in verstümmeltem
Zustande, da man ihm unbegreiflicherweise den halbkreisförmigen oberen
Abschluß abgeschnitten hat, um es viereckig zu machen. Gegenstand
des Gemäldes ist die Verehrung der Mutter Gottes durch den heiligen
Nikolaus und mehrere andere Heilige (Abb. 37). Maria thront in den
Wolken, die mit einem mächtig vorgeschobenen Ballen das Bild quer
durchschneiden. Von oben senken sich Strahlen auf sie herab, deren
Quell -- vermutlich die Erscheinung Gottvaters und des heiligen Geistes
-- infolge der Verstümmelung des Bildes nicht mehr zu sehen ist.
Marias Blicke gehören nur dem göttlichen Kinde auf ihrem Schoße, das
sie dem Anblick der Beter enthüllt. Das Kind aber dreht mit lebhafter
Bewegung den Kopf, um nach den Anbetenden zu schauen. Diese, die
unten auf der Erde stehenden Figuren, sind größer im Maßstab, als die
in einer gewissen Entfernung gedachte himmlische Erscheinung. Zwei
liebliche Engelknaben, die zu den Seiten des Wolkenthrones weiter nach
vorn getreten sind, geben dem Auge des Beschauers die perspektivische
Vermittelung. Die Gruppe der Heiligen unten zeigt keinerlei künstlichen
Aufbau; denn die Figuren stehen alle aufrecht, dicht bei einander. Aber
sie wird durch eine zweifache malerische Wirkung kunstvoll gegliedert:
einer starken geschlossenen Helligkeit auf der einen Seite hält auf
der anderen eine anschwellende und ausklingende Farbenpracht das
Gegengewicht. Die lebhafte Helligkeit bildet der Körper des gebundenen,
pfeildurchbohrten heiligen Sebastian, eine fast weiblich zarte
Jünglingsgestalt. Durch die farbige Wirkung wird der heilige Nikolaus
als Hauptfigur hervorgehoben; die mächtige Gestalt des weißbärtigen
Mannes, der mit kräftiger Kopfbewegung aufwärts blickt, ist mit einem
prachtvollen Meßgewand aus Brokatstoff mit bunter Reliefstickerei
bekleidet. Das Gold des Brokatmusters und der reichen Einfassungen der
mit köstlicher Feinheit ausgeführten Stickerei, das Dunkelblau des
seidenen Grundstoffes des Gewandes und dessen rotes Futter klingen
feierlich ineinander und wirken voll zusammen mit einem kräftigen Grün
und einem lichten Violett in den Gewändern der heiligen Katharina, die
hinter Nikolaus steht. In Katharinas Gesicht, einem feinen Gesicht
mit gesenkten Lidern, und auf dem Überwurf auf ihren Schultern stehen
Helligkeiten von gleichem Wert mit den Lichtern des Goldbrokats; auf
dem unteren Teil ihrer Gestalt verliert sich die Farbenfülle in weichen
Schattentönen. Auf der anderen Seite des heiligen Nikolaus steht, halb
von ihm verdeckt, der heilige Petrus, der seinen schönen Greisenkopf
in Andacht senkt. In dessen hellgelbem Mantel und violettem Rock geht
die Farbigkeit in eine lebhaftere Helldunkelwirkung über. Zwischen den
beiden Wirkungshöhen, der farbigen und der hellen, steht schlicht und
ruhig das Grau der Kutten von zwei Mönchen, Mitgliedern des Ordens,
zu dem die Frari gehörten; der eine ist der heilige Franciscus, der
andere, den die Lilie kennzeichnet, der heilige Antonius von Padua. Den
Hintergrund der unteren Gruppe bildet das Innere eines halbverfallenen
Rundbaues. In der Mauer sieht man eine Inschrifttafel mit den Worten:
„~Titianus faciebat~“. Durch das Imperfektum an der Stelle des
gebräuchlichen „~fecit~“ teilt der Maler, nach berühmten Mustern
des griechischen Altertums, dem klassisch geschulten Beschauer mit,
daß das Werk nicht in schnellem Wurf geschaffen worden ist, sondern in
langer, ausdauernder Arbeit allmählich entstand.

Einen Beweis der Befriedigung, die Tizian selbst über dieses Werk
empfand, darf man in der Thatsache erblicken, daß er das Bild zum Zweck
der Vervielfältigung auf Holz zeichnete (Abb. 38).

[Illustration: Abb. 54. +Die Einweihung einer Bacchantin.+ In der
königl. Pinakothek zu München.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 55. „+~L’homme au gant.~+“ Im
Louvremuseum zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Das Jahr 1524 hindurch wartete der Herzog Alfonso wieder vergeblich auf
versprochene Werke von Tizians Hand bis zum Dezember, wo der Meister
sich endlich zu einem kurzen Aufenthalt in Ferrara entschloß. Was für
Gemälde es waren, die er damals dort fertig machte, darüber fehlt jede
Kunde. Im Anfang des Jahres hatten Fieberanfälle ihn verhindert, den
Wünschen des Herzogs nachzukommen, und dann wurde er durch Aufträge
des Dogen, deren Erfüllung er wohl allen anderen vorangehen lassen
mußte, an Venedig gefesselt. Andrea Gritti beschloß im Mai 1524 die
Neuausstattung einer im Dogenpalast gelegenen Kapelle und beauftragte
Tizian mit der Freskoausschmückung dieses Raumes. Leider ist von
diesen Fresken keine Spur übriggeblieben. Dagegen hat sich ein
einzelnes Freskogemälde erhalten, das Gritti um dieselbe Zeit durch
Tizian in dem Treppenraum zwischen den Wohngemächern des Dogen und
dem Senatssaal ausführen ließ. Der Gegenstand dieses Bildes ist der
heilige Christophorus. Weil das Wasser, durch welches der Riese das
Christuskind trägt, die Lagune von Venedig ist, hat man vermutet, daß
hier eine politische Anspielung versteckt sei. Aber wahrscheinlicher
ist es doch, daß der bejahrte Doge bei dieser Bestellung von nichts
anderem geleitet wurde, als von dem Volksglauben, der den heiligen
Christophorus als Beschützer gegen plötzlichen Tod verehrt. Was dem
Gemälde, trotz nicht zu leugnender Mängel in der Zeichnung des Riesen,
eine bedeutende Wirkung gibt, ist das Landschaftliche. Jenseits des
Wassers sieht man Venedig in schwimmenden Umrissen; darüber baut
sich die Luft in vielen Wolkenlagen empor. Durch den tiefen Horizont
und die Höhe der Luft wird in sehr wirksamer Weise der Eindruck
riesenhafter Größe der Figur gesteigert. Aber auch in sich hat die
große Gestalt, die mit einem entästeten Baum als Stütze durch die
bewegte Lagune watet, etwas sehr Mächtiges. Trefflich ist das schwere
Tragen zum Ausdruck gebracht, das Ankämpfen gegen eine nicht mehr zu
bewältigende Last. Der Riese wendet seinen Kopf, um eine Erklärung
für die unbegreifliche Last zu suchen, da er doch nur ein leichtes
Knäblein auf seinen starken Nacken genommen hat; und der Blick begegnet
dem allerliebsten Kindergesicht, dessen Ausdruck durch das nach oben
weisende Händchen erläutert wird.

[Illustration: Abb. 56. +Bildnis eines Malteserritters.+ Im
Pradomuseum zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von J. Laurent & Cie. in Madrid.)]

[Illustration: Abb. 57. +Kaiser Karl V.+, gemalt im Jahre 1533. Im
Pradomuseum zu Madrid.]

Im Louvremuseum befindet sich ein Prachtbild, das alle anderen dortigen
Meisterwerke Tizians in Schatten stellt: „die Grablegung Christi“
(Abb. 39). Das Bild stammt aus dem herzoglichen Schlosse zu Mantua
und es gehört vermutlich mit zu den ersten Arbeiten, die Tizian für
Friedrich Gonzaga ausführte. Raffaels berühmte Darstellung desselben
Gegenstandes erscheint als ein kaltes Formenspiel im Vergleich mit
diesem Gemälde, das den tiefsten Empfindungen farbenglühenden Ausdruck
gibt. In hellem goldigen Sonnenschein wird der Tote aus dem schönen
Licht des Tages hinweg in das kalte Dunkel des Grabes gebracht. Von
der Landschaft sieht man nichts als die düstere Felsenwand, die
den Grufteingang enthält und die sich mit einigen mageren Bäumchen
traurig von der leuchtenden Luft abhebt. Zwei Männer tragen den auf
ein Leintuch gelegten heiligen Leichnam. Einen Augenblick hemmen sie
die Schritte, da einer von ihnen einen Stein am Wege benutzt, um sein
Knie aufzusetzen und das Leintuch an den Füßen besser zurechtzulegen.
Der Jünger Johannes, der die rechte Hand des Heilandes in der
seinigen haltend nebenhergeht, wendet sich in diesem Augenblick
schmerzdurchbebt nach Maria um, die gebeugt und mit wankenden Knieen,
von Magdalena gestützt, nachkommt. Die Komposition ist in ihrer
Einfachheit ergreifend, aber das, wodurch sie am stärksten auf das
Gemüt des Beschauers wirkt, ist die Farbe im Verein mit der bewegten
Helldunkelwirkung des Bildes. Der vordere Träger, der rückwärts gehend
das Haupt Christi durch Anlehnen an seinen rechten Arm aufrecht hält
und mit seitwärts gebeugtem Oberkörper Kopf und Brust des Toten vor den
Sonnenstrahlen schützt, ist in blaßrote orientalische Seide gekleidet;
der Stoff schillert in den Tiefen der Falten glühendrot, ein stumpfes
Grün im Futter des Rockes und die helle kalte Farbe des grünlichen,
blau gewürfelten Halstuchs wirken den roten Tönen entgegen. Der andere
Träger hat einen Rock von warmer dunkelgrüner Farbe. Und an dieses
Dunkelgrün schließt sich einerseits das tiefe Rot des Johannesgewandes,
und von der anderen Seite stoßen das Blau von Marias Mantel und die
hellen und dunklen Goldtöne von Magdalenas Kleid und Haar dagegen.
Nirgendwo stehen Farben bei einander, die durch gegenseitige Ergänzung
einen abgeschlossenen Zusammenklang bilden. Aber im Ton des Ganzen
verschmilzt alles zu einer wunderbaren Harmonie.

[Illustration: Abb. 58. +Der Kardinal Hippolyt Medici in ungarischer
Tracht.+

In der Pittigalerie zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Giacomo Brogi, Florenz.)]

[Illustration: Abb. 59. +St. Johannes Elemosynarius.+ Altargemälde
in der Kirche dieses Namens zu Venedig.]

Als eine kleine Nebenarbeit, die um diese Zeit entstanden sein könnte,
mag man das farbentiefe Marienbild mit Stifterbildnis betrachten, das
die Münchener Pinakothek besitzt (Abb. 40). Die Mutter Gottes sitzt im
Freien vor einer dunklen Wand, neben der man an dem laubumkleideten
Stamm eines Baumes vorbei in eine vom fernen Hochgebirge begrenzte
freundliche Hügellandschaft sieht. Ein schwarzgekleideter bärtiger
Herr -- eine uns unbekannte Persönlichkeit, die das Bild als Weihegabe
für eine Kirche gestiftet hat, -- kniet zu Füßen Marias und fleht
sie um Fürbitte bei ihrem göttlichen Sohn an. Die Jungfrau hat nur
einen ernsten Blick für den Beter; aber sie hebt das Kind empor und
überreicht es dem an ihrer Seite sich niederbeugenden Johannes dem
Täufer, den wir als den besonderen Schutzheiligen, vielleicht den
Namenspatron, des Stifters anzusehen haben; und der Blick, den das
Jesuskind dem Täufer zuwendet, scheint zu sagen, daß es um seinetwillen
dem Bittflehenden gnädig sein wolle.

Im Jahre 1525 erübrigte Tizian wohl nicht viel Zeit für kleinere
Bilder. Denn er setzte jetzt seine ganze Kraft an die Vollendung eines
großen Altargemäldes, das ihm schon lange bestellt worden war und für
das die aufgespannte Leinwand seit dem Herbste 1519 in seinem Atelier
stand. Auftraggeber war jener Jacopo Pesaro, Titularbischof von Paphos,
der sich von Tizian in dessen früher Jugend in einem Votivbilde hatte
malen lassen. Auch das jetzige Gemälde war ein Votivbild; es sollte
dem Danke des Stifters für den Schutz des Himmels, den er in jenem
Türkenkriege erfahren, Ausdruck geben und ihn im Verein mit anderen
Angehörigen seines Hauses in dauerndem Gebete vor den himmlischen
Beschützern zeigen. Aber während man sonst derartige Bilder in
bescheidenen Maßen zu halten pflegte, ließ Pesaro dem Gemälde eine
gewaltige Größe geben. Vielleicht geschah dies auf Zureden Tizians;
denn das Bild war für die nämliche Kirche bestimmt, in deren weitem
Raume das Riesenbild der „Assunta“ seine mächtige Wirkung ausübte. --
Von Entwürfen und Vorarbeiten, die Tizian der Ausführung seiner Gemälde
vorausgehen ließ, erfahren wir im allgemeinen nicht viel; es scheint,
daß er gewöhnlich ohne große Vorbereitungen ans Werk ging, und daß er
den etwa gemachten Skizzen und Studien zu wenig Wert beilegte, um sie
aufzubewahren.

[Illustration: Abb. 60. +Franz I., König von Frankreich.+

Im Louvremuseum zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Aber zu dem Pesarobild sind mehrere Vorarbeiten vorhanden; eine
Rötelzeichnung der Hauptgruppe befindet sich in der Albertina (Abb.
41) und eine gemalte Naturstudie zu dem Christuskind in den Uffizien.
-- Auf die Zeit der Vollendung des Gemäldes kann man aus dem Umstande
schließen, daß in den von der Familie Pesaro aufbewahrten Quittungen
über die Bezahlung des Bildes am 27. Mai 1526 der Empfang der Restsumme
bescheinigt wird. -- Das Gemälde ist an seinem Aufstellungsorte,
über einem Seitenschiffaltar der Franziskanerkirche, geblieben. Es
ist an Größe der „Assunta“ fast gleich und hat überlebensgroßen
Maßstab. Den Umstand, daß das Altargemälde vor allem ein Votivbild
war und daß für solche eine Profilkomposition, die den Anbetenden
dem Heiligen gegenüberstellte, die natürlichste und auch schon lange
eingebürgerte Anordnung war, hat der Künstler benutzt, um ganz
mit der bei Altargemälden gebräuchlichen Symmetrie zu brechen und
mit voller Freiheit rein malerische Grundsätze an die Stelle der
architektonischen zu setzen. Die Hauptmasse der Figuren zieht sich in
zusammenhängender Gruppierung schräg durch das Bild. Ganz seitwärts
rechts sieht man ein Stück von der Eingangswand eines Kirchengebäudes
in schräger Perspektive. Eine Säulenhalle von mächtigen Abmessungen
ist dem Gebäude vorgelegt; zwei der Riesensäulen sind sichtbar, und
ihre granitenen Schäfte wechseln in breiten Streifen mit der sonnigen
Luft. Oben durchschneidet eine vom Himmel herabgesenkte kleine Wolke
die senkrechten Formen; auf der Wolke halten zwei Englein das Kreuz
des Erlösers. Die Sonne beleuchtet und durchleuchtet das Wölkchen
und wirft dessen Schatten auf die Säulenschäfte. Mit seinem hellsten
Licht verweilt der Sonnenschein auf der Gruppe der Jungfrau mit
dem Jesuskind. Marias weißer Schleier, der, an ihrer rechten Seite
herabhängend und an der anderen Seite von dem Jesuskind emporgehoben,
einen Rahmen um beide Figuren bildet, gibt der Lichtwirkung die
höchste Steigerung. Maria sitzt auf dem Podest der Säulenhalle; ein
Teppich hängt von ihrem Sitz aus über den hohen Marmorabsatz herab. Mit
Rücksicht auf die Kirche, in die das Bild gestiftet wurde, erscheint
die Jungfrau als „heilige Maria der Frari:“ neben ihr stehen, auf
einem tieferen Absatz, die Ordensheiligen Franciscus und Antonius;
das Jesuskind wendet sich freundlich scherzend dem ersteren zu, der
seine Hände ausbreitet, um deren Wundmale zu zeigen. Der eigentliche
Vermittler aber zwischen der Mutter Gottes und dem betenden Jacopo
Pesaro ist der Apostelfürst Petrus; der Beschirmer des Papsttums
steht auf der obersten Stufe des Podestes und blickt, die Augen von
seinem Buche erhebend, auf Pesaro, den päpstlichen Legaten, dem der
Befehl über eine päpstliche Flotte anvertraut war, herab. Auf Pesaros
besonderes Verdienst um den heiligen Stuhl weisen die an seiner
Seite sich zeigenden Figuren hin: ein geharnischter Krieger, der das
lorbeergeschmückte Banner mit dem Wappen Alexanders VI. emporhält,
führt ein paar gefesselte Türken herbei. Jacopo Pesaro kniet, innig
betend, ganz unten in der linken Ecke des Bildes. Sein weites schwarzes
Seidengewand steht in malerischer Gegenwirkung zu der Farbenpracht,
deren Höhen in dem Rot und Blau der Gewänder Marias, dem gelben Mantel
des Petrus und dem golddurchwirkten roten Fahnentuch liegen. Dem Jacopo
gegenüber knieen die nicht unmittelbar bei dem Vorgang beteiligten
übrigen Mitglieder des Hauses Pesaro, der vorderste von ihnen in einen
prächtigen Brokatmantel gekleidet. Sie alle sehen in andächtigem Gebet
vor sich hin; nur der jüngste, ein hübscher Knabe, vermag die Sammlung
nicht zu wahren, sondern blickt unbefangen zum Beschauer heraus (Abb.
42).

[Illustration: Abb. 61. +Isabella von Este.+ In der kaiserl.
Gemäldegalerie zu Wien.]

Während Tizian dieses hohe Meisterwerk der Vollendung entgegenbrachte,
wurde ihm von seiner Gattin der erste Sohn geschenkt. Über den
Zeitpunkt, wann Tizian die Ehe mit Frau Cecilia schloß, und über deren
Herkunft haben sich keinerlei Nachrichten erhalten. Mutmaßlich fand die
Vermählung im Jahre 1523 oder 1524 statt.

Aus dem Jahre 1527 erfahren wir, daß Tizian dem Markgrafen von
Mantua zwei Porträts als Geschenk übersandte, Bilder von Personen,
die dem Markgrafen, wie er selbst in seinem Dankschreiben an Tizian
sagte, stets sehr lieb waren. Von den beiden Abgebildeten war der
eine, Girolamo Adorno, vor vier Jahren als kaiserlicher Gesandter in
Venedig gestorben. Der andere war vor kurzem nach Venedig gekommen,
um dort seinen Wohnsitz zu nehmen. Es war der Dichter Pietro Aretino,
jene merkwürdige Persönlichkeit, um deren Gunst sich die Mächtigsten
bewarben, aus Furcht vor den gefährlichen Boshaftigkeiten, von denen
seine gewandte Feder überfloß, sobald er aufhörte zu schmeicheln. Wie
abscheulich auch der Charakter sein mag, der aus seinen Schriften
spricht, im persönlichen Verkehr muß Aretino doch etwas Bestechendes
gehabt haben. Jedenfalls gelang es ihm bald, sich Tizian zum Freunde zu
machen.

In der Münchener Pinakothek befindet sich ein Bildnis eines
schwarzgekleideten Herrn im Alter von einigen dreißig Jahren, aus
dessen Zügen sich mancherlei schlechte Eigenschaften herauslesen
lassen. Eben aus diesem Grunde galt das Bild früher für Aretinos
Porträt. Der Vergleich mit anderen, beglaubigten Bildnissen des
Dichters hat indessen die Irrigkeit dieser Benennung erwiesen. Aber
wer auch die dargestellte Persönlichkeit sein mag, jedenfalls ist
dieses Porträt, das wohl der in Rede stehenden Zeit angehören kann, ein
vortreffliches Beispiel von Tizians Bildniskunst, die mit sprechender
Kennzeichnung die größte Vornehmheit der Auffassung zu vereinigen wußte
(Abb. 43).

In den Jahren 1528 und 1529 hielt sich Tizian wiederholt längere
Zeit in Ferrara auf. Wir erfahren, daß er mit einem Gefolge von fünf
Personen im Schlosse abstieg, und daß der Herzog sehr gnädig und von
Bewunderung für die erhaltenen Gemälde erfüllt war. Über die Gemälde
selbst aber erfahren wir nichts. -- Auch dem Markgrafen von Mantua
machte Tizian von Zeit zu Zeit seine Aufwartung.

[Illustration: Abb. 62. „+Venus von Urbino.+“ In der Galerie der
Uffizien zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Das Bruderschaftshaus von S. Rocco in Venedig besitzt ein durch
Vermächtnis seines ersten Besitzers dorthin gekommenes Gemälde Tizians,
eine lebensgroße Darstellung von Mariä Verkündigung. Aus der Malweise
des sehr schönen Bildes mag man schließen, daß es wohl um diese Zeit
entstanden sei. -- In dem Alpendorf Zoppé, 20 Kilometer von Pieve di
Cadore entfernt am Fuße des Monte Pelmo gelegen, verbirgt sich ein
kleines Altarbild von des Meisters Hand: Maria mit dem Jesuskind auf
dem Schoß und ihren Eltern Joachim und Anna und dem heiligen Hieronymus
zur Seite. Die Dorfkapelle wurde erbaut auf Grund der Nachlaßbestimmung
eines Cadoriner Patriziers vom Jahre 1528; und Tizian wird wohl
bald nachher das Bild gemalt haben, in dem er den Bewohnern seiner
Heimatberge eine Probe seiner Kunst zeigte.

Seine beste Kraft widmete der Meister auch in diesen Jahren wieder
einem sehr großen Altargemälde. Die Bruderschaft des heiligen Petrus
Martyr hatte das Bild für den Altar ihres Heiligen in der Kirche S.
Giovanni e Paolo bestellt. Es wird berichtet, daß die Auftraggeber
sich nicht gleich an Tizian wendeten, sondern einen Wettbewerb
ausschrieben, und daß Tizian über zwei Mitbewerber, seinen Freund
Palma und den jüngeren ruhmbegierigen Pordenone, den Sieg davontrug.
Verschiedene Entwürfe und einige Einzelstudien sind als Zeugnisse
von Tizians Vorbereitungen für diese Arbeit erhalten (Abb. 44, 45,
46). Der Gegenstand des Bildes war der Tod jenes Heiligen, eines
Dominikaners, der um seines Glaubenseifers willen ermordet wurde und
daher den Beinamen „der Märtyrer“ erhielt. Im April 1530 befand sich
das Gemälde auf seinem Platze. Von Mit- und Nachwelt wurde es als eines
der allerhöchsten Meisterwerke Tizians bewundert. Als einmal eine sehr
bedeutende Summe für das Bild angeboten wurde, trat die venezianische
Regierung derartigen Versuchungen durch einen Erlaß entgegen, der die
Entfernung des Gemäldes von seinem Platze bei Todesstrafe verbot. Aber
es verfiel einem beklagenswerteren Schicksal. Im Jahre 1867 wurde es
vom Altar herabgenommen, weil in dessen Nähe Herstellungsarbeiten
am Gebäude ausgeführt wurden, und in eine Seitenkapelle gebracht;
in dieser Kapelle brach in der Nacht vom 15. auf den 16. August auf
unerklärte Weise Feuer aus, und das Bild verbrannte. -- Die vorhandenen
Kopien und Kupferstiche können nur eine unvollkommene Vorstellung von
dem Meisterwerk geben. Mit allen herkömmlichen Regeln für Altarbilder
hat Tizian hier ganz und gar gebrochen. Die Komposition ist ganz frei
bewegt; sie veranschaulicht den Vorgang in natürlicher, glaubhafter
Schilderung. Der Schauplatz ist ein Wald, durch dessen Wipfel der Sturm
fährt. Der gedungene Meuchelmörder hat sein Opfer zu Boden geworfen und
holt mit dem Schwerte zum Todesstoß aus. Der Begleiter des Überfallenen
rennt, von Entsetzen gejagt, vorwärts, gleichsam zum Bilde heraus. In
der Ferne reitet der Urheber des Mordes davon. Daß das Opfer dieser
That ein Heiliger ist, das verrät nur ein liebliches Engelpaar, das von
Himmelsstrahlen begleitet durch die Baumkronen herabschwebt, um ihm
die Siegespalme zu überbringen, und an diesen Himmelsboten haftet der
letzte Blick des Märtyrers.

Auch die Nachbildungen lassen erkennen, daß das Außerordentliche der
Wirkung des Gemäldes in der großartigen Landschaftsstimmung gelegen
hat, die in hochpoetischer Weise die Erzählung der Begebenheit mit der
Schilderung eines Aufruhrs in der Natur, dessen stürmische Bewegung
vom Sonnenlicht siegreich durchbrochen wird, begleitete. Und der
Künstler, der diese Schilderung gab, war vertraut mit der Sprache der
Bäume und Wolken. Wie gern sich Tizian dem erfrischenden Verkehr mit
der freien Natur hingab, beweisen die Landschaftszeichnungen, die
in der nicht großen Zahl der von ihm hinterlassenen Handzeichnungen
fast die Mehrzahl bilden (Abb. 48). Manchmal genügte ihm die bloße
Zeichnung nicht, um die Eindrücke, die er auf seinen Wanderungen, sei
es auf dem nahen venezianischen Festland, sei es in den oft besuchten
Heimatbergen, empfing, wiederzugeben. Er sah was vor ihm noch niemand
gesehen hatte, in der Landschaft einen sich selbst genügenden Bildstoff
und malte reine Landschaftsbilder. Mochte er auch bisweilen durch
Hinzufügung einer religiösen oder mythologischen Staffage dem Bild
einen Titel und die Daseinsberechtigung in den Augen des Publikums
geben, so verschmähte er dies doch in anderen Fällen und setzte nur
solche Figuren hinein, die, wie Hirten oder Wanderer, etwas wirklich
zu der Gegend Gehörendes waren. Darum gilt Tizian als der Vater der
Landschaftsmalerei, und der Berechtigung dieses Titels kann die
Thatsache, daß um dieselbe Zeit in der Kunst des Nordens gleichartige
Erscheinungen zu Tage traten, keinen Abbruch thun.

Die meisten seiner Landschaftsbilder sind nur aus
Kupferstichnachbildungen bekannt. Aber ein wunderbares Gemälde ist
erhalten geblieben. Es befindet sich in der Sammlung der Königin von
England im Buckinghampalast. Ein Regenschauer an einem Hochsommertag
gießt Wasserströme auf das Vorland der Alpen herab und sendet
schnellziehende Wolken vor sich her, unter denen auf dem welligen
Gelände mit seinen Türmen, Bäumen und Gebüschen die Schatten und
Lichter sich drängen und jagen (Abb. 47). Ein solches bewegtes Leben in
der unbeseelten Natur bildlich wiederzugeben, daran hatte vor Tizian
damals weder in Italien noch in den Niederlanden jemand anders auch nur
entfernt gedacht.

[Illustration: Abb. 63. „+La Bella di Tiziano.+“ Im Pittipalast zu
Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Giacomo Brogi, Florenz.)]

Als Karl V. in Bologna verweilte, um mit Papst Clemens VII. über
die Geschicke Italiens zu verhandeln und von ihm die Kaiserkrone
zu empfangen, im Winter von 1529 auf 1530, wurde Tizian dorthin
eingeladen und dem Kaiser vorgestellt. -- Nach Vasaris Angabe soll der
Meister damals ein sehr schönes Bild des Kaisers im Harnisch gemalt
haben.

[Illustration: Abb. 64. +Francesco Maria della Rovere, Herzog von
Urbino.+

In der Galerie der Uffizien zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Im Anfange des Jahres 1530 hatte Tizian drei Bilder für den Markgrafen
von Mantua in Arbeit: ein Porträt des Markgrafen in Rüstung, eine
Madonna mit der heiligen Katharina und ein Bild mit badenden Frauen.
Also alles was die Renaissancezeit von der Kunst des Malers verlangte:
Bildnis, Religiöses und schönes Fleisch.

Eines von diesen drei Gemälden hat sich erhalten. Wenigstens wird mit
gutem Grunde angenommen, daß die im Louvre befindliche „Madonna mit
dem Kaninchen“ jenes Madonnenbild sei, das Tizian vor dem Frühjahr
1530 nach Mantua ablieferte. Es ist ein liebenswürdiges Idyll, bei dem
das Heilige -- das äußerlich durch den dreiteiligen Strahlenschein
um das Köpfchen des Jesuskindes angedeutet wird -- nur in der
Herzlichkeit der Empfindung und in der reinen Anmut liegt. In einer
von Bergen begrenzten Hügellandschaft, unweit eines zwischen Bäumen
halbversteckten ländlichen Hauses, vor dem ein Hirt sich in behaglicher
Ruhe bei seinen Schafen niedergelassen hat, sind die Jungfrau Maria und
die heilige Katharina -- die wie üblich in vornehmer Kleidung erscheint
-- um das Jesuskind beschäftigt. Maria sitzt im blumigen Grase, das
Arbeitskörbchen vor sich; Katharina hat ihr das Kind abgenommen. Da
bietet sich eine Gelegenheit, dem Kleinen ein echtes Kindervergnügen
zu bereiten. Ein weißes Kaninchen ist herbeigesprungen, die Mutter
hält es fest, und Katharina bückt sich mit dem Kinde, damit es das
Tierchen in der Nähe sehe. Wie nun das Kind voller Freude nach dem
lebendigen Spielzeug greifen möchte und doch das ausgestreckte Ärmchen
scheu zurückhält, während es mit der anderen Hand, um des sicheren
Rückzugsortes gewiß zu bleiben, das Gesicht der Freundin anfaßt: das
ist etwas ganz Entzückendes; wie hat der Maler die Kinderseele zu
belauschen verstanden! Ein mildes, gedämpftes Sonnenlicht gießt einen
goldenen Ton über die liebliche Gruppe (Abb. 49).

Das nämliche Museum besitzt ein zweites Bild dieser Gattung, das dem
ebengenannten gleich ist an Liebenswürdigkeit der Empfindung und das
durch die weitere Ausdehnung der Landschaft noch einen besonderen Reiz
besitzt. Die heilige Familie im Genuß des Familienglücks ist hier
dargestellt. Auf einer Anhöhe, von der man über Wiesen, Baumgruppen
und einen Wasserspiegel hinaus auf die Mauern und die Vorhäuser einer
Ortschaft sieht, sitzt Maria mit dem Kinde auf der Rasenbank, und
Joseph, neben ihr behaglich hingelagert, scherzt mit dem Kinde. Aber
die Aufmerksamkeit des kleinen Jesus wendet sich dem kleinen Johannes
zu, der ein Lämmchen herbeibringt; er möchte ihm entgegen springen,
beide Füßchen gehen in die Luft, und die lächelnde Mutter muß fest
zufassen, um ihn zu halten. Daß das Lamm, das Opfertier, hier noch
eine andere Bedeutung hat, als die eines Spielzeuges für das Kind, das
sagen nur dem Beschauer die Englein, die in einer um die Baumstämme
schwebenden Wolke ein Abbild des Marterholzes tragen; in der Flur von
Bethlehem herrscht noch Paradiesesfrieden. Daß jene Ortschaft Bethlehem
ist, das erkennen wir an den beiden Tieren, den Mitbewohnern des
Stalles, die am Fuß der Anhöhe auf die Weide geführt werden (Abb. 50).

[Illustration: Abb. 65. +Eleonora Gonzaga, Herzogin von Urbino.+

In der Galerie der Uffizien zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

In jener Zeit einer ehrlichen Freude an der Kunst war in den hohen
Kreisen Italiens das Schenken von wertvollen Kunstwerken ein beliebtes
Mittel, um die Gunst von Mächtigen zu gewinnen. Tizians Gemälde mußten
oft zu solchen Zwecken dienen. Eine erzählenswerte kleine Geschichte
fällt in den Sommer des Jahres 1530. Während des Hoflagers Karls V.
in Bologna hatte im Hause des Grafen Pepoli, wo der Kaiser verkehrte,
ein Kammerfräulein der Gräfin die lebhafteste Aufmerksamkeit des
kaiserlichen Staatssekretärs Covos erregt. Als Federigo Gonzaga, den
der Kaiser eben durch die Verleihung des Herzogstitels ausgezeichnet
hatte, hiervon erfuhr, sah er einen gewiesenen Weg, um sich den
kaiserlichen Vertrauten in freundlicher Gesinnung zu erhalten. Er
beauftragte den Bildhauer Giambologna und den Maler Tizian mit der
Anfertigung von Porträts jenes jungen Mädchens, um dieselben Covos als
Geschenke zu schicken. Tizian traf im Juli mit einem schmeichelhaften
Empfehlungsschreiben des Herzogs von Mantua an die Gräfin Pepoli in
Bologna ein. Aber das gesuchte Fräulein fand er nicht; es war erkrankt
und um der Luftveränderung willen aufs Land geschickt worden. Das
brachte indessen Tizian nicht aus der Fassung. Er schrieb an den
Herzog, die Schönheit junger Damen präge sich ihm so ein, daß er sich
anheischig mache, nach dem Eindruck, den jene früher auf ihn gemacht
habe, ihr Bild so zu malen, als ob sie ihm mehreremal gesessen hätte.

[Illustration: Abb. 66. +Giovanni Moro, Oberbefehlshaber der
venezianischen Flotte im Jahre 1537.+ Im königl. Museum zu Berlin.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

In dem nämlichen Briefe erwähnte Tizian beiläufig, daß er sich nicht
ganz wohl fühle und von der Hitze in Bologna leide. Als er Mitte Juli
in Venedig wiedereintraf, war er krank. Aber zu Hause erwartete ihn
noch Schlimmeres. Seine Frau erkrankte auch und starb. Am 6. August
wurde sie begraben. Sie ließ ihrem Gatten drei Kinder zurück, von
denen das älteste fünf Jahre zählte. Tizian war ganz untröstlich, und
eine Zeitlang versagte ihm die Arbeitskraft. -- Doch konnte er gegen
Ende September das versprochene Porträt des Bologneser Fräuleins an
den venezianischen Geschäftsträger des Herzogs von Mantua abliefern,
der dasselbe alsbald an seinen Herren abschickte. Zur Leitung seines
Hauswesens ließ Tizian jetzt seine Schwester Orsa aus Cadore kommen.
Im nächsten Jahre vertauschte er seine bisherige Wohnung am Canal
grande mit einem gesünderen Hause an dem damals noch gartenreichen
Nordostrande der Stadt.

Im Jahre 1531 bekam der Herzog von Mantua einen heiligen Hieronymus
und eine heilige Magdalena von Tizian. Beide Gegenstände hat der
Meister oft behandelt; der büßende Kirchenvater gab Gelegenheit,
durch eine wilde Landschaft zu wirken, und die reuige Magdalena,
„schön und thränenreich,“ in deren Verbildlichung sich das Erbauliche
mit dem Reizenden vereinigte, war eine Darstellung nach dem Herzen
der damaligen Kunstfreunde, da sie ihren Geschmack nach zwei Seiten
hin befriedigte. Zwei prächtige Bilder, der Hieronymus im Louvre
(Abb. 51) und die Magdalena im Pittipalast (Abb. 52), seien hier
erwähnt, da ihre Entstehung wohl in die in Rede stehende Zeit fallen
kann. -- Das Magdalenenbild, welches Federigo Gonzaga bestellte, war
wieder als Geschenk für einen einflußreichen Herrn bestimmt: für den
Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen in der Lombardei, Don Alfonso
Davalos, Marchese del Vasto. -- Zu den Gegengaben, die Tizian für
seine Gemälde von dem Markgrafen von Mantua empfing, gehörte als eine
außerordentliche Gunstbezeugung die Erwirkung einer geistlichen Pfründe
für seinen ältesten Sohn Pomponio.

[Illustration: Abb. 67. +Bildnis eines Unbekannten.+ Im königl.
Museum zu Berlin.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Im Herbst 1531 wurde ferner ein Gemälde für den Dogenpalast fertig.
Jeder Doge war durch das Herkommen verpflichtet, außer seinem Bildnis
für die Halle des Großen Rats ein Bild für den Saal des Kollegiums der
Pregadi malen zu lassen, in dem er unter dem Geleit eines Heiligen vor
dem Thron der Mutter Gottes betend dargestellt war. So malte Tizian
den Dogen Gritti, mit dem Evangelisten Markus zur Seite, vor den Füßen
Marias, die mit dem Jesuskinde zwischen einem Gefolge von Heiligen,
die von Gritti nach besonderen Beziehungen zu ihren Namen ausgewählt
worden waren, erscheint. Das Bild wurde als eine der besten Schöpfungen
Tizians bewundert. Es ist bei dem Brande im Dogenpalast im Jahre 1577,
der auch die Gemälde im Saal des Großen Rats vernichtete, zu Grunde
gegangen.

[Illustration: Abb. 68. +Skizze eines Teiles des untergegangenen
Gemäldes in der Halle des Großen Rats zu Venedig: „Die Schlacht von
Cadore“.+ In der Galerie der Uffizien zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 69. +Mariä Tempelgang.+ In der Akademie zu
Venedig. (Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in
Dornach i. E., Paris und New York.)]

Im Spätherbste 1531 ließ der General Davalos den Meister bitten, zu ihm
nach Correggio, wo er sein Hauptquartier hatte, zu kommen. Vermutlich
gab er ihm damals den Auftrag, sein Bildnis zu malen. Dieses Bildnis
glaubt man in einem Prachtgemälde der Louvresammlung wiederzuerkennen,
das einen vornehmen Kriegsmann im Mittelpunkt einer allegorischen
Darstellung zeigt. Die Tröstung der Gattin des scheidenden Feldherren
-- Davalos war seit kurzem mit Maria von Arragonien vermählt -- ist
der Gegenstand des Bildes. Die in idealer Gewandung, gleichsam als die
Liebesgöttin selbst, dargestellte junge Frau, der ihr Gatte, schon im
Eisenharnisch zum Kriegszug gerüstet, beim Abschied noch einmal die
Hand auf die Brust legt, ist in die Betrachtung einer Glaskugel, des
Sinnbildes der Zerbrechlichkeit des Erdenglückes, versunken; da treten
Amor, Viktoria und Hymen -- Liebe, Sieg und Eheglück -- vor sie hin, um
ihr zu sagen, daß sie sie nicht verlassen wollen (Abb. 53). Das Gemälde
ist in Komposition und Ausführung ein wundervolles Meisterwerk. Die
Dame auf der einen Seite und Viktoria und Amor auf der anderen Seite
bilden zwei Massen duftiger Lichttöne, die oben in den beiden schönen
Frauenköpfen gipfeln, und unten sich in den Händen einander nähern und
durch die vollen Farben in den Gewändern der Dame -- Grün und Rot --
miteinander verbunden werden. Zwischen den beiden weichen Helligkeiten,
und durch diese hervorgehoben, steht in kraftvoller Wirkung die
Gestalt des Mannes mit dem blitzenden, spiegelnden Eisenharnisch und
dem von schwarzbraunem Haar und Bart umrahmten Kopf. Der Hintergrund
für den Herrn und die Dame besteht in einer schlichten dunklen
Wand, die sich hinter jenem so weit auflichtet, daß er zum größten
Teil mit dunklem Umriß davon absetzt. Hinter dem Kopf der Viktoria
bilden der beschattete Kopf des Hymen, dessen emporgehobener Korb
voll Blumen und Früchte und die wolkige Luft einen reichen farbigen
Hintergrund. Die Figuren überbieten eine die andere an Vollkommenheit
der Durchbildung. Die Dame ist so überaus liebenswürdig und vornehm;
aus ihrem Antlitz spricht ein Herz voll Liebe, der Blick ist ernst
und sinnend, gedankenschwer; ihre Gestalt ist voll, die Haut ganz
zart, die Hände weich, biegsam und fein. Der Mann ist ebenso ernst,
etwas Weiches und Schwermütiges liegt in der Bewegung des gewendeten
und seitwärts geneigten Kopfes; aber während die Frau mit gesenkten
Lidern, den Blick ein wenig von der Glaskugel erhebend, die Viktoria
ansieht, deren Worte sie nur halb vernimmt, hält er die Augen beim
Betrachten der Glaskugel männlich offen gegen das unbekannte Geschick.
Sein kräftig geschnittener Kopf ist der Kopf eines Edelmannes in jeder
Linie, bis in die Haarspitzen hinein; und dem entspricht die wunderbar
feine und doch ganz männliche, vornehme Hand. Im Schulterstück seines
Harnisches spiegelt sich der Kopf der Siegesgöttin. Diese ist ein
blondes junges Mädchen, durch den Lorbeerkranz im Haar als das was
sie vorstellt gekennzeichnet; sie neigt sich vor der Dame, in deren
Augen sie einen leuchtenden Blick hingebender Verehrung sendet, und
öffnet die Lippen zu herzlichen Worten, während sie die rechte Hand
mit den schönen Fingern in lebendigem Ausdruck der Beteuerung über
ihre Brust legt. Der kleine Amor, der auf der Schulter ein dickes
Bündel fest zusammengeschnürter Pfeile herbeibringt, mit einem Ausdruck
eines Kindes, das seiner Mutter eine rechte Freude zu machen denkt,
ist eine der köstlichsten unter Tizians köstlichen Kinderfiguren. Von
Hymen sieht man nicht viel mehr als das stark verkürzte Gesicht mit
vollen Lippen und im Schatten glänzenden Augen, die auf seine freudig
dargereichten Gaben gerichtet sind.

[Illustration: Abb. 70. +Katharina Cornaro, Königin von Cypern, als
heilige Katharina.+ In der Galerie der Uffizien zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Das Neue einer solchen Bildnisgruppe in allegorischer Einkleidung
fand Beifall. Davon legen zwei in der kaiserlichen Gemäldegalerie
zu Wien befindliche Bilder Zeugnis ab. Beide sind Abwandelungen der
„Allegorie des Davolos“; aber beiden sieht man es an, daß die Wünsche
der Besteller, die sich hier mit ihren hübschen Geliebten porträtieren
ließen, Tizian nicht zu solchen tiefempfundenen vornehmen Schöpfungen
anzuregen vermochten, wie jenes Bild eine war. Man empfängt den
Eindruck, als ob der seichtere Inhalt der allegorisch auszudrückenden
Gedanken eine minder vollendete künstlerische Ausführung von selbst mit
sich gebracht hätte.

Wie ein unmittelbarer Nachklang der „Allegorie des Davolos“, nicht dem
Inhalt, aber der Form nach, erscheint ein mythologisch-allegorisches
Bild in der Münchener Pinakothek: Venus weiht ein junges Mädchen
in ihre Geheimnisse ein. Das Bild mag in der Ausführung, der des
Meisters einzigartiger Farbenschmelz fehlt, die Hand eines Schülers
verraten; seine Erfindung aber ist echt Tizianisch. Die Liebesgöttin
und das Mädchen sind einander fast genau so gegenübergestellt,
wie die Gattin des Davalos und die Viktoria. Das Mädchen ist eine
angehende Bacchantin; es ist mit bacchischem Geleit herbeigekommen.
Ein häßlicher, grinsender Satyr mit einer gefüllten Fruchtschale
nimmt genau den Platz im Bilde ein, den dort Hymen inne hat, und
an der Stelle des Ritters steht erwartungsvoll ein hübscher junger
Faun. Venus thut, was ihres Amtes ist, indem sie sich anschickt, vor
der Unkundigen, die mit halbgeöffneten Lippen und mit verlangenden,
glänzenden Augen zu ihr aufschaut, eine verschleierte Herme, das
geheimnisvolle Bild des Mannes, zu enthüllen; aber sie thut es mit dem
Ausdruck tiefen Mitleides für das junge Geschöpf. Über die Schulter der
Liebesgöttin blinzelt Amor, hier ein boshafter Schlingel, nach seinem
willigen Opfer hin (Abb. 54).

Von vielen Arbeiten Tizians, namentlich auch aus der Zeit von 1530
bis 1532, ist nichts als eine schriftliche Nachricht, sei es in ganz
allgemeiner Erwähnung, sei es in bestimmter Bezeichnung der Werke,
auf uns gekommen. Andererseits fehlt für eine vielleicht noch größere
Anzahl vorhandener Gemälde jegliche Kunde über ihre Entstehung. Das
ist namentlich bei den Bildnissen von Privatpersonen der Fall. Als
Porträtmaler ist Tizian von keinem übertroffen worden. In dem an
schönen Bildnissen fruchtbarsten Jahrhundert, dem XVII., hat Rubens
ihn sich zum Muster genommen und van Dyck ihm als einem unerreichbaren
Vorbild nachgestrebt; selbst der große Velazquez hat sein Auge an
Tizians vornehmen Bildnisgestalten geschult. -- Zu den herrlichsten
Bildnissen des Meisters gehört die Halbfigur eines jungen Mannes,
schwarzgekleidet, vor ganz dunklem Hintergrund, im Louvre, genannt „Der
Mann mit dem Handschuh“ (Abb. 55). Ein ebenso hervorragendes Porträt
besitzt das Pradomuseum in dem Bild eines gleichfalls ganz schwarz
gekleideten Ritters des Malteserordens (Abb. 56).

Als eine der wenigen Holzschnittzeichnungen Tizians sei das
Profilbildnis des Ariosto besonders erwähnt, das die im Jahre 1532
veranstaltete Endausgabe des „Orlando furioso“ schmückt.

[Illustration: Abb. 71. +Das Töchterchen des Roberto Strozzi.+

In der königl. Gemäldegalerie zu Berlin.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Im Winter von 1532 auf 1533 saß der Kaiser Karl V. Tizian zum Porträt.
Der Kaiser war im Herbst über die Alpen gekommen, zum Zwecke einer
nochmaligen Begegnung mit dem Papst in Bologna. Am 6. November war er
in Mantua eingetroffen, und schon am nächsten Tage schrieb der Herzog
Federigo an Tizian, er möge sobald als möglich kommen. Aber nicht in
Mantua, sondern erst in Bologna malte Tizian das Kaiserbildnis. Es
wird mit gutem Grund vermutet, daß die Nachricht Vasaris über ein
schon zwei Jahre früher gemaltes Porträt Karls V. auf einem Irrtum
beruhe, daß Tizian vielmehr bei dem jetzigen Aufenthalt des Kaisers
in Bologna zwei große Bildnisse desselben, davon eines in Rüstung,
anfertigte. Zweifellos ist das prachtvolle Porträt Karls V. in ganzer
Figur, das sich im Pradomuseum befindet, ein Ergebnis der jetzigen
Sitzungen. In diesem, leider etwas nachgedunkelten Bilde trägt der
Kaiser einen weißen, mit Gold verzierten Anzug mit einem lederfarbigen
goldgestickten Wams darüber, ein schwarzes Mäntelchen und schwarze
Mütze mit weißer Feder; seine Rechte ruht am Griff des Dolches und die
Linke faßt das Halsband eines großen Windhundes, dessen eigentümliche
helle Farbe der Maler in den feinsten Zusammenklang mit dem Weiß, dem
Gold und der Lederfarbe des Anzugs gebracht hat; die ganze Erscheinung
hebt sich von einem dunkelgrünen Vorhang prächtig ab (Abb. 57).

Tizian blieb, wahrscheinlich mit der Ausführung des Beiwerks in den
Kaiserbildnissen beschäftigt, bis in den März hinein in Bologna. Der
Herzog Federigo hatte ihn mit der Anfertigung einer Wiederholung eines
der Bildnisse beauftragt, die er später in Venedig ausführte.

Es versteht sich von selbst, daß Tizian nicht in ununterbrochenem
Fluß der Arbeit den Kaiser porträtieren konnte. In den Zwischenzeiten
seines mehrmonatlichen Aufenthalts in Bologna nahmen Herren aus
dem kaiserlichen Gefolge seine Thätigkeit in Anspruch. So der mehr
soldatisch als geistlich beanlagte Kardinal Ippolito de’ Medici, der
von einem Heerzuge durch Ungarn nach Bologna gekommen war und sich
einmal in voller Rüstung, ein anderes Mal in ungarischer Kriegertracht
von Tizian malen ließ. Das letztere Porträt befindet sich im
Pittipalast zu Florenz (Abb. 58).

Der Kaiser, der sich von Bologna über Genua nach Spanien begab,
spendete dem Künstler kaiserlichen Dank. Gleich nach seiner Landung in
Barcelona im Mai 1533 fertigte er eine Urkunde aus, durch die er Tizian
zum „Grafen des Lateranischen Palastes und Mitglied des kaiserlichen
Hofes und Staatsrates unter den Titel eines Pfalzgrafen mit allen aus
dieser Würde entspringenden Vorrechten“ ernannte; er machte Tizian
zum Ritter vom goldenen Sporn mit allen sonst durch Ritterschlag
verliehenen Rechten, und erhob dessen Kinder zum Range von Edelleuten
des Reiches mit allen Ehren der Familien mit sechzehn Ahnen. -- Vasari
versichert, Karl V. habe, nachdem er Tizian kennen gelernt, keinem
anderen Maler mehr gesessen. Der Wortlaut der Urkunde rechtfertigt
diese Äußerung, indem darin der Kaiser das Verhältnis Tizians zu ihm
mit dem des Apelles zu Alexander dem Großen vergleicht, also auf ein
Alleinrecht, den Herrscher zu porträtieren, hinweist.

Auch mit der Bezahlung scheint Karl V. damals nicht gekargt zu haben.
Denn Tizian kaufte sich nach seiner Rückkehr von Bologna einen Landsitz
im Gebiet von Treviso.

Zu den ersten Arbeiten, die Tizian jetzt in Venedig ausführte, dürfte
das Hochaltargemälde für die Kirche S. Giovanni Elemosinario gehört
haben. Die nach einem Brande neugebaute Kirche war eben fertig
geworden; der Altar wurde am 2. Oktober 1533 geweiht. Nach Vasaris
Angabe bewarb sich Tizian im Wettstreit mit Pordenone um die Bestellung
des Altarbildes. Der gegebene Gegenstand war der Namensheilige der
Kirche, Johannes, Patriarch von Alexandria, dem seine Wohlthätigkeit
den Beinamen des Almosenspenders gebracht hatte. Tizian malte ein
Bild von großartiger Einfachheit in der Anordnung und in den vollen
Farbentönen. Der Heilige, eine mächtige, würdevolle Greisengestalt in
den roten und weißen Gewändern eines Kirchenfürsten, wendet sich auf
seinem Sitz, zu dem Marmorstufen emporführen, ein wenig seitwärts,
um mit vornehmer und doch von herzlicher Freundlichkeit erfüllter
Bewegung eine Gabe in die Hand eines mit dürftigen Lumpen bekleideten
Bettlers, der auf den Stufen kauert, gleiten zu lassen; auf der anderen
Seite des Bischofs, der um der Almosenspende willen sein Kirchengebet
unterbrochen hat, kniet ein Engel als Chorknabe mit dem Vortragekreuz.
Fast die ganze Gestalt des Heiligen hebt sich von der Luft ab, deren
Blau von sonnigem Gewölk durchzogen ist. Oben wird die Luft durch einen
grünen Vorhang begrenzt. Ursprünglich bildete das Stück Vorhang eine
größere Masse, als jetzt zu sehen ist. Denn das Bild, das sich noch
auf seinem Platze befindet, ist bei einer Umänderung des Rahmens durch
Abschneiden des oberen Bogenabschlusses verstümmelt worden (Abb. 59).

Im Frühjahr 1534 beauftragte Isabella von Este, die Mutter des Herzogs
von Mantua und Schwester des Herzogs von Ferrara, Tizian mit der
Anfertigung ihres Bildnisses. Aber sie wünschte nicht so gemalt zu
werden, wie sie jetzt aussah, sondern schickte dem Meister ein altes
Porträt aus ihrer Jugendzeit als Vorlage. Danach malte Tizian das jetzt
in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien befindliche schöne Bild der
Fürstin (Abb. 61).

Verloren sind leider die von Tizian gemalten Bildnisse des im Januar
1534 vermählten Herzogspaares von Mailand, des alten, kränkelnden
Francesco Sforza und der kaum zwölfjährigen Nichte des Kaisers,
Christine von Dänemark. Es würde interessant sein, Tizians Bildnis
der kindlichen Neuvermählten mit dem wenige Jahre später von Holbein
gemalten Bild der jungen Witwe zu vergleichen.

[Illustration: Abb. 72. +Papst Paul III.+ In der Ermitage zu St.
Petersburg.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Am 31. Oktober 1534 verlor Tizian durch den plötzlichen Tod des
Herzogs Alfons von Ferrara seinen ältesten fürstlichen Gönner.
Er war damals noch mit Arbeiten für Alfonso beschäftigt, unter
anderem mit einer Wiederholung von dessen an den Kaiser abgegebenem
Porträt. Daß Tizian imstande war, noch nach Jahren Wiederholungen von
Bildnissen anzufertigen, erklärt sich daraus, daß er bei bedeutenden
Personen die ersten Aufnahmen nach dem Leben nicht gleich auf die
Ausführungsleinwand, sondern besonders zu malen pflegte, um sie für
sich zu behalten. Das Porträt Alfonsos ließ dessen Nachfolger Ercole
vollenden.

Das meiste von Tizians Arbeitskraft scheint in diesem und in den
folgenden Jahren Friedrich Gonzaga, der in seinen Briefen dem Künstler
jetzt die Anrede „Vortrefflicher und teurer Freund“ gab, für sich in
Anspruch genommen zu haben. Von den Gemälden, die Tizian für ihn und
für diese oder jene andere hohe Persönlichkeit damals ausführte, werden
mehrere besonders genannt; aber von all diesen läßt sich heute keins
mehr nachweisen.

Einen Vorschlag Karls V., ihn auf seinem Kriegszug gegen Tunis zu
begleiten, hatte Tizian abgelehnt. Aber als der Kaiser aus Afrika
zurückgekehrt war und bei Asti Heerschau über die zum Kriege gegen
Frankreich zusammengezogenen Truppen abhielt, begab sich Tizian mit dem
Herzog von Mantua nach Asti, um dem Kaiser seine Aufwartung zu machen,
und er wurde durch neue Huldbeweise geehrt.

Die Schwester des Herzogs Federigo, Eleonora Gonzaga, war an Francesco
Maria della Rovere, Herzog von Urbino verheiratet. Dadurch kam Tizian
auch zu diesem Fürsten in Beziehungen. Francesco Maria starb im Herbst
1538 an Vergiftung. Die Gemälde, welche Tizian für ihn ausführte,
scheinen innerhalb einer nur kurzen Reihe der vorhergehenden Jahre
entstanden zu sein.

Der Herzog von Urbino war am französischen Hofe erzogen worden; er
blieb Franzosenfreund, wenn er auch den Dienst des Kaisers vorzog. Er
ließ sich durch Tizian das Bildnis des Königs Franz I. malen. Vasari
sah dieses vermutlich nach einer Schaumünze gemalte Porträt im Schlosse
zu Urbino. Ein anderes Exemplar desselben wurde an den König selbst
geschickt; es befindet sich jetzt im Louvremuseum. Wenn man es nicht
wüßte, würde man beim Anblick eines so sprechenden Bildnisses nicht
denken, daß der Maler das lebende Urbild niemals gesehen hat (Abb. 60).

Das kostbarste von allen Gemälden, die in das Schloß zu Urbino
gelangten, ist das jetzt in der Uffiziengalerie zu Florenz befindliche
Bild einer unbekleidet auf ihrem Ruhebett liegenden jungen Frau; ein
Gemälde, das unter Tizians besten Schöpfungen eine hervorragende
Stellung einnimmt. Man nennt das Bild „Venus von Urbino“; aber es
stellt keine Göttin vor. Tizian hatte früher einmal -- in einem jetzt
in der Sammlung des Lord Ellesmere zu London befindlichen Gemälde --
nach der Beschreibung eines Bildes des Apelles die aus der Meeresflut
in unverhüllter Schönheit auftauchende Göttin gemalt. Hier aber hat er
nicht an die Verbildlichung eines überirdischen Wesens gedacht, es ist
ihm auch nicht eingefallen, im Sinne der antiken Kunst eine Gestalt
schaffen zu wollen, deren Schönheit über die in der Natur vorkommende
Schönheit hinausginge. Er hat vielmehr eine schöne Wirklichkeit in dem
verklärenden Zauberlicht seiner einzigartigen Poesie wiedergegeben. Das
ganze Bild ist echteste Poesie; es ist in dem hinreißenden Wohllaut
seiner Farbenklänge ein fast feierlich zu nennender Lobgesang auf die
Schönheit des Weibes, dessen Stimmung auch nicht durch die leiseste
Beimischung irgendwelchen lüsternen Nebengedankens getrübt wird. Die
Schöne ruht. Ihr Ruheplatz ist durch eine dunkelgrüne Stoffwand von dem
übrigen Raum des Gemaches geschieden, aber nicht ganz abgeschlossen.
Auf dem mit frischem weißen Leinen überzogenen roten Polster und
auf weißen Kissen, die ihr Schultern und Kopf erhöhen, behaglich
ausgestreckt, badet sie ihre Glieder in der durch das große Fenster
einströmenden weichen Luft; im Wachen träumend, regungslos bis auf ein
leichtes Tändeln mit einer Handvoll Rosen, die ihre Rechte ergriffen
hat, wartet sie, daß die Dienerinnen ihr die Kleider bringen. Wohl
begegnet der Blick der süßen, unergründlichen Augen dem Beschauer;
aber kein lockendes Lächeln, kein Hauch bewußter Sinnlichkeit stört
die Reinheit und Ruhe der Züge; der Blick fesselt je länger je mehr.
Prächtig ist der malerische Gegensatz zwischen der großen ruhigen Masse
des weichen, zarten Fleisches, deren Helligkeitswirkung durch das
Weißzeug gehoben wird, und dem Reichtum kleiner Formen im Hintergrund,
wo der getäfelte Fußboden, die Wandtapeten, die Polsterbank unter dem
Fenster, das durch eine Säule geteilte Fenster, in dem ein Blumentopf
steht und durch das man auf den Wipfel eines Baumes sieht, und die
Figuren der beiden Dienerinnen bis ins kleinste ausgeführt sind.
Die beiden Zofen sind vortrefflich geschildert; die eine, ein noch
unerwachsenes Mädchen, weiß gekleidet, hat von einem Teil der als Truhe
dienenden Polsterbank den Deckel aufgeklappt und hebt, den Deckel mit
dem Kopf hochhaltend, mit beiden Händen ein Gewand heraus; die andere,
eine stämmige Person in rotem Kleid, die bereits einen Rock für ihre
Herrin auf der Schulter liegen hat, steht dabei und kommandiert,
während sie ihren rechten Hemdärmel aufstreift, um besser hantieren zu
können (Abb. 62).

[Illustration: Abb. 73. „+~Ecce homo!~+“ In der kaiserl.
Gemäldegalerie zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von J. Löwy in Wien.)]

Der Gedanke läßt sich nicht abweisen, daß diese „Venus“ ein Porträt
sei; darum braucht man das liebliche Geschöpf, dessen ganze Schönheit
der Künstler schauen durfte, noch lange nicht zu einer Geliebten
des Herzogs von Urbino oder sonst etwas derartigem herabzuwürdigen.
Man glaubt die nämliche Persönlichkeit in dem herrlichen, ebenso
anmutigen wie vornehmen Porträt im Pittipalast wiederzuerkennen,
das die volkstümliche Bezeichnung „die Schöne des Tizian“ trägt
(Abb. 63). Diese junge Dame mit dem goldigglänzenden braunen Haar,
in reichem, blau und violettem Modekleid mit goldenem und weißem
Ausputz -- das ganze Bild wieder ein Wunderwerk der Farbenstimmung --
besitzt allerdings dieselben fesselnden Reize von Jugend, Schönheit
und Liebenswürdigkeit, wie die „Venus“. Aber die Ähnlichkeit der
Gesichtszüge zwischen beiden ist doch keine völlig überzeugende.

Der Herzog von Urbino ließ sich selbst und seine Gemahlin im Jahre 1537
zu Venedig von Tizian malen. Beide Bildnisse befinden sich jetzt in
der Uffiziengalerie (Abb. 64 und 65). Francesco Maria war nach Venedig
gekommen, um den Oberbefehl in dem Türkenkrieg zu übernehmen, zu dem
der Kaiser und der Papst sich mit der Markusrepublik verbündet hatten.
So steht er in dem Bilde als Feldherr da, in vollem Harnisch, den
Kommandostab auf die Hüfte aufsetzend; das blitzende Eisen der Rüstung
hebt sich von einem mit dunkelrotem Sammet bekleideten Verschlag
ab, darüber bildet eine entferntere braune Wand den Hintergrund für
den Kopf; zu seiner Rechten sieht man den mit einem Greifen und
einem Federbusch geschmückten Kriegshelm, zu seiner Linken sein
Wappenzeichen, den Eichbaum (~rovere~). Die von Kraft und Feuer
erfüllte Erscheinung des Mannes, das von einem dichten schwarzen
Haarrahmen eingeschlossene Gesicht mit der gebräunten, fettlosen
Haut, den harten, entschlossenen Zügen und den glühenden Augen
geben ein Bild, das ganz im Einklang steht mit demjenigen, das die
Geschichte von ihm gezeichnet hat: der Herzog Francesco Maria war ein
heißblütiger Mann, dem Degen und Dolch schnell aus der Scheide flogen,
ein stählerner Körper, der in Dauerritten Abenteuerliches leistete,
Soldat mit Leib und Seele, so kurz entschlossen zu entscheidender That,
wie umsichtig in der Führung der Truppen. Neben diesem Mann wirkt
die Erscheinung der Herzogin Eleonora doppelt zart, und es befremdet
nicht, wenn in ihrem feinen, vornehmen Gesicht etwas Dulderhaftes
verborgen liegt. Auch dieses Bild ist ein Meisterwerk der Farbenkunst.
Das nicht mehr jugendfrische, aber noch lichtfarbige Fleisch tritt im
Schmucke der Juwelen, am Halse und den Handgelenken von durchsichtigem
Weißzeug bedeckt, zu klarer Helligkeitswirkung hervor aus dem Rahmen,
den das durch kleine gelbe Puffen belebte Schwarz des Kleides, das
dunkelbraune Haar und ein graubräunlicher Hintergrund bilden; zu diesem
Ganzen von vorherrschend warmen Tönen hat der Künstler die reizvollste
Ergänzung gefunden in einem Fensterdurchblick auf den lichtbewölkten
blauen Himmel und die von sommerlichem Duft überflimmerte grüne Ebene;
die grüne Decke eines Tisches, auf der das braun und weiß gefleckte
Schoßhündchen neben einer kleinen metallenen Standuhr liegt, wirkt als
vermittelnder Übergang.

Für den Herzog von Mantua war Tizian im Jahre 1537 mit der Anfertigung
von Bildern der zwölf ersten römischen Kaiser (Julius Cäsar mit
eingerechnet) beschäftigt, die einem Zimmer des herzoglichen
Schlosses als Wandschmuck dienen sollten. Als Vorlagen standen ihm
antike Standbilder und Münzen zur Verfügung. Nachdem er im April
1537 eines dieser Bilder abgeliefert hatte, wurden zehn andere nach
und nach im Laufe der folgenden Jahre fertig; das zwölfte malte mit
Tizians Einwilligung Giulio Romano. Diese Cäsarenbilder, Werke
von dekorativer Art, sind durch Kupferstiche von Ägidius Sadeler
sehr bekannt geworden; in den Stichen machen sie einen befremdlich
theatralischen Eindruck. Von den Originalen scheint keins erhalten
geblieben zu sein.

[Illustration: Abb. 74. +Die Sendung des heiligen Geistes+,
Tuschzeichnung. In der Uffiziengalerie zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 75. +Bildnis eines Fürsten, vielleicht Guidobaldo
II. von Urbino.+

In der königl. Gemäldegalerie zu Kassel.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

[Illustration: Abb. 76. +Amor, der Bezwinger der Stärke.+ Im
Besitz des Herrn Oberstleutnant Jekyll in London.]

Es war nicht Tizians Schuld, daß diese Arbeit sich so in die Länge
zog. Ein Bild der Verkündigung Marias, das er im Jahre 1537 der
Kaiserin übersandte, nahm ihm freilich nicht viel Zeit weg; denn es
war ein schon vollendetes Werk, für eine Kirche in Murano bestellt,
aber von den Bestellern wegen des zu hohen Preises nicht abgenommen,
und jetzt der neuen Bestimmung dadurch angepaßt, daß zwei aus den
Wolken herabsehenden Englein das Wahlzeichen Karls V., eine Säule mit
dem Spruchband „~plus ultra~“ (weiter!), in die Hände gegeben
wurde. -- Auch das in demselben Jahr gemalte Bildnis des Admirals
Giovanni Moro (Abb. 66) brachte keinen großen Aufenthalt. Dieses
schöne Porträt befindet sich jetzt im Berliner Museum, und es ist ein
besonderer Genuß, das Bild des wackeren Kriegshelden mit dem ebenda
befindlichen Bild eines selbstgefälligen jungen Mannes, dessen Namen
vergessen ist (Abb. 67), zu vergleichen und sich in die Bewunderung
der unvergleichlichen Feinheit zu vertiefen, mit der Tizian, in jedem
Bildnis neu, seine Auffassung dem Wesen der Persönlichkeit anpaßte. --
Es wurden Stimmen laut in Venedig, die sagten, Tizian sei überhaupt nur
als Porträtmaler groß. Um so mehr Grund hatte der Meister, sich seiner
alten Verpflichtung gegen die venezianische Regierung, der Malerei
im großen Ratssaal, nicht länger zu entziehen. Und der Rat der Zehn
erneuerte seine Mahnungen mit sehr nachdrücklicher Strenge; er erließ
im Juni 1537 den Befehl an Tizian, er solle, da das Schlachtengemälde,
zu dessen Ausführung er sich im Jahre 1516 verbindlich gemacht, noch
immer nicht ausgeführt sei, alle Gelder, die er seit jener Zeit aus
seinem Makleramt ohne Gegenleistung bezogen habe, zurückzahlen. Jetzt
ging Tizian ernstlich ans Werk und vollendete „mit unglaublicher
Kunst und Ausdauer“ das große, vor mehr als zwanzig Jahren entworfene
Schlachtenbild. Die Regierung gab der Erschöpfung ihrer Geduld aber
auch sehr empfindlichen Ausdruck. Nicht nur mußte Tizian bis auf
weiteres auf sein Maklergehalt verzichten; sondern er mußte es sich
gefallen lassen, daß Pordenone als gleichberechtigt neben ihn gestellt
und mit der Ausführung eines Gemäldes im großen Ratssaale beauftragt
wurde. Pordenone aber war des Meisters eifriger Nebenbuhler; er
kokettierte mit der Behauptung, seine Furcht vor Tizians Neid sei so
groß, daß er nicht ohne Degen auszugehen wage. Doch mit der Vollendung
des Schlachtenbildes ging das Ungemach vorüber. Pordenone starb im
Jahre 1538, und vom folgenden Jahre an bekam Tizian seine Bezüge aus
dem Makleramt wieder ausbezahlt.

[Illustration: Abb. 77. +Pietro Aretino.+ In der Pittigalerie zu
Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Giacomo Brogi, Florenz.)]

[Illustration: Abb. 78. +Papst Paul III. mit Alessandro und Ottavio
Farnese+ (unvollendet).

Im Nationalmuseum zu Neapel.]

[Illustration: Abb. 79. +Danae.+ Im Nationalmuseum zu Neapel.]

[Illustration: Abb. 80. „+Venus, sich an der Musik erfreuend+“
(Ottavio Farnese und seine Geliebte). Im Pradomuseum zu Madrid.

(Mit Genehmigung der photographischen Gesellschaft in Berlin.)]

Das hochgepriesene Schlachtengemälde ist bei dem Brande von 1577 mit
den anderen damals in der großen Ratshalle befindlichen Bildern zu
Grunde gegangen. Ein Kupferstich hat die Umrisse desselben aufbewahrt,
und eine in der Uffiziengalerie befindliche Ölskizze -- wahrscheinlich
nicht ein vorbereitender Entwurf des Meisters, sondern eine nach dem
Bilde von jemand anders gemachte Übungsarbeit -- gibt auch von der
Farbe und Wirkung des größten Teiles des Bildes eine Vorstellung
(Abb. 68). Der Gegenstand des Gemäldes war die Schlacht von Cadore im
Jahre 1508, der Sieg der Venezianer über die Kaiserlichen in Tizians
Heimat. In dem mittelalterlichen Freskobild, an dessen Stelle das neue
Gemälde kam, war der Sieg eines Kaisers über die päpstliche Stadt
Spoleto verbildlicht gewesen. Es scheint, daß anfangs die Absicht
bestand, diesen Gegenstand beizubehalten, und daß man sich erst später
zu der Verherrlichung einer den Kaiserlichen beigebrachten Niederlage
entschloß; daraus erklärt es sich, daß das Bild von Zeitgenossen auch
mit dem Namen „die Schlacht bei Spoleto“ belegt wurde, obgleich die
Cadoreschlacht, wie die erhaltenen Anschauungsmittel bekunden, ganz
deutlich gekennzeichnet war. Sogar die Örtlichkeit, die wir da sehen,
ist als ein Abbild der Gegend, in der die Schlacht stattfand, mit
Bestimmtheit zu erkennen. Den Schauplatz des Kampfgetümmels, in dem
das Gelingen eines überraschend ausgeführten Angriffs veranschaulicht
wird, bilden die felsigen Ufer eines Baches, eines Zuflusses des
Boite; steile Höhen, zwischen denen der Felsen und die Burg von Cadore
sichtbar werden, schließen den Blick. Die venezianische Reiterei,
über der ein Banner mit drei Leoparden, das Banner der Cornaro, weht,
hat den Übergang über den Bach erreicht, und in musterhafter Ordnung,
Abstand haltend, nehmen die Geharnischten einzeln oder zu zweien
im Galopp die schmale Brücke, um mit Ungestüm in den Knäuel des am
anderen Ufer sich in Unordnung drängenden feindlichen Vortrupps
einzusprengen. Schon strecken Speere und Schwerter der vordersten die
verzweifelt sich wehrenden Gegner nieder. Was ihnen ausweichen will,
Mann oder Roß, stürzt über die Felsen des Bachrandes. Noch flattert
zwar die Reichsfahne mit dem Adler den Venezianern entgegen; aber für
den Beschauer ist es zweifellos, daß aus der entstandenen Verwirrung
sich kein erfolgreicher Widerstand mehr entwickeln kann. In geringer
Entfernung rückt eine Abteilung venezianischen Fußvolkes unter weiß
und rot gestreifter Fahne im Eilschritt vor, um den am Fuß des Monte
Zucco sich zeigenden hellen Haufen der kaiserlichen Landsknechte von
der Seite zu fassen. Das schnelle Daherbrausen der Kriegermassen hat
unbeteiligte Personen ins Gedränge gebracht; ein junges Mädchen ist,
um sich zu retten, in den Bach gesprungen und hält sich angstvoll an
einem Felsblock des von den Venezianern besetzten Ufers fest. Ganz im
Vordergrunde, rechts von der Mitte des Bildes (auf der Florentiner
Skizze, der das Stück mit der anmarschierenden Reiterei fehlt,
dicht am rechten Rande), hat der Maler den venezianischen Feldherrn
hingestellt. In der Nähe eines verlassenen Geschützes steht Giorgio
Cornaro -- diesen glaubt man in ihm zu erkennen -- und blickt mit
stolzer Haltung, den Kommandostab mit ausgestrecktem Arm auf einen
Felsblock aufstützend, in die Niederlage der Feinde; ein Page ist damit
beschäftigt, ihm die Rüstung anzulegen, und sein noch ungesatteltes
Streitroß, ein langmähniger Schimmel, wiehert, aufgeregt durch den
Klang der Trompete, den vorbeimarschierenden Pferden ungeduldig zu.
Unsere heutige realistische Anschauungsweise entsetzt sich vor der
künstlerischen Freiheit, die den Befehlshaber an einer so unmöglichen
Stelle zeigt und ihn dort in aller Ruhe seine Wappnung vornehmen läßt.
Jener Zeit aber war eine derartige künstlerische Freiheit durchaus
nicht anstößig; das damalige venezianische Publikum würde zweifellos
ein Weglassen des Führers der Venezianer viel übler vermerkt haben,
sein Anbringen an einer Stelle, wo er sich in Wirklichkeit während
des geschilderten Augenblickes nicht befunden haben kann; und es
verstand die Absicht des Künstlers, der gerade dadurch, daß er den
Kommandierenden beim Anlegen der Rüstung zeigte, deutlich ausdrückte,
daß man sich ihn als an einem anderen Orte befindlich zu denken und
sein Hiersein nur sinnbildlich aufzufassen habe. Noch befremdlicher
ist es für uns, daß die Deutschen im Vordergrunde in antiker Rüstung
dargestellt sind. Dafür gibt es einen zweifachen Grund. Erstens wollte
der Künstler die Gelegenheit benutzen, um seine Befähigung, auch in
stark bewegten und verkürzten Figuren die menschliche Gestalt richtig
wiederzugeben, ins Licht zu stellen; er schloß sich dabei der von Rom
ausgegangenen und von den Schülern Raffaels aufs äußerste getriebenen
Kunstmode an, die durch alle Kleidung hindurch die Körperformen
zeigte, und die eben daraus entstanden war, daß die Künstler mit
ihrem Wissen und Können prunken wollten. In Mantua hatte Tizian ja
Giulio Romano kennen gelernt, der diese Richtung in weitestgehender
Weise vertrat, und an den Marmorfiguren, die seinen Cäsarenbildern
als Vorbilder dienten, hatte er die der Körperform angeschmiegte
römische Rüstung gesehen. Aus dem nämlichen Grunde, um seine Kenntnis
und Geschicklichkeit zu zeigen, hat er auch im Vordergrunde der
Schlacht einen ganz entkleideten Gefallenen angebracht, eine Figur,
die sich durch die Annahme rechtfertigen ließ, es habe im Hin und
Her der Schlacht schon vorher hier ein Gefecht stattgefunden und die
Plünderer hätten Zeit gehabt, die Toten ihrer Rüstung und Kleider zu
berauben. Wenn aber der Künstler für jene einer fremden Kunstweise
entliehene, innerlich in Künstlereitelkeit begründete Freiheit eine
äußere Begründung dem venezianischen Publikum gegenüber gebrauchte,
so war diese darin gegeben, daß sich so die beiden Parteien deutlich
unterscheiden ließen. In der Wirklichkeit gab es ja damals keine
wesentlichen Unterschiede der Tracht und Bewaffnung zwischen
italienischen und deutschen Soldaten, und im Handgemenge machten
Freund und Feind sich durch das Feldgeschrei kenntlich. Und doch war
es wichtig, im Bilde die Fallenden als die Feinde zu kennzeichnen. Das
wurde durch die fremdartige Einkleidung der Gegenpartei erreicht; und
Tizian durfte auf volles Verständnis bei seinen Zeitgenossen rechnen,
wenn er die Truppen des römischen Kaisers durch eine, wenn auch längst
vergangener Zeit angehörige, römische Kriegertracht kennzeichnete. --
Mit den großen Gemälden des Ratssaales ist auch das Porträt des Dogen
Pietro Lando, des Nachfolgers des Andrea Gritti, das Tizian bald nach
dessen Erwählung im Anfang des Jahres 1539 malte, untergegangen. Auch
was von anderen Bildern -- es sind fast nur Porträts -- aus den Jahren
1538 bis 1540 genannt wird, ist alles nicht mehr vorhanden oder nicht
nachweisbar; die einzige, aber auch nicht ganz unzweifelhafte Ausnahme
bildet ein Kardinalsporträt im Palast Barberini zu Rom, in dem man den
von Tizian in dieser Zeit zweimal gemalten Kardinal Bembo zu erkennen
glaubt.

[Illustration: Abb. 81. +Venus.+ In der Galerie der Uffizien zu
Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Die moderne Forschung setzt die Entstehung des räumlich größten von
den erhaltenen Gemälden Tizians, über das die alten Nachrichten
merkwürdigerweise sehr wenig bringen, auf Grund der Anhaltspunkte,
welche die Malweise bietet, in eine dem Jahre 1540 naheliegende Zeit.
Es ist das jetzt in der Akademie zu Venedig befindliche Bild „Mariä
Tempelgang“ (Abb. 69). Nach der Legende über die Kindheitsgeschichte
der Jungfrau Maria ist dargestellt, wie Maria als Kind sich in den
Tempel begibt, um sich dem Dienst des Höchsten zu weihen. Das Kind
schreitet freudig und unbefangen, sein hellblaues Kleid ein wenig
aufhebend, die Stufen der langen Freitreppe des Tempels hinan, dem
Hohenpriester entgegen, der mit einigen Begleitern aus der Vorhalle
herausgetreten ist, um erstaunt die Kleine in Empfang zu nehmen. Maria
befindet sich ganz allein auf der Treppe; ein goldiger Lichtschein
umgibt das liebliche Figürchen, das trotz seiner Kleinheit auf der
riesigen Leinwand dem Beschauer sofort als der Mittelpunkt der ganzen
Darstellung in die Augen fällt. Die Eltern Joachim und Anna sind am
Fuß der Treppe zurückgeblieben, Joachim spricht mit Wichtigkeit zu
den Umstehenden. Viele Menschen sind auf dem Platz vor dem Tempel
stehen geblieben, um zuzusehen, wie es eben geschieht, wo etwas
Ungewöhnliches bemerkt wird. Das ist eine prächtige venezianische
Volksgruppe, Leute von mancherlei Art, von stolzen Senatoren an bis zu
ganz armseligen Erscheinungen, ehrwürdige Greise, stattliche Männer,
hübsche Frauen und gedankenlose Kinder. Alle Personen in dieser Menge,
die so treffend den Eindruck macht, vom Zufall zusammengeführt zu
sein, sind so ausgeprägt in ihrer Eigenart, daß man lauter Bildnisse
zu sehen glaubt. Die Überlieferung weiß einige der vornehmen Herren
mit Namen zu nennen; die Mitlebenden aber haben gewiß auch das alte
Höckerweib erkannt, das neben der Treppe bei seinem Eierkorb sitzt. Den
Tempelplatz säumen stattliche Gebäude, Marmor- und Backsteinbauten,
an denen Balkon und Fenster sich mit Zuschauern füllen. Durch die
breite Straße sieht man in eine vorn im Schatten liegende, in den
fernen Höhen aber lichtschimmernde Landschaft unter bewölktem Himmel.
-- Niemals hat ein Maler eine so große Leinwand mit Figuren, die
fast alle nichts zu thun haben, so reizvoll und in einer solchen
Zusammengehörigkeit von Menschen und Gebäuden gefüllt, und dabei,
unbeschadet des Anscheins vollkommener Natürlichkeit, der Komposition
in Linien und Farben ein so feierliches Ebenmaß zu wahren gewußt. In
dieser großräumigen venezianischen Architekturphantasie, die einer
Darstellung religiösen Inhalts als lichter, festlicher Rahmen dient,
sehen wir den Weg gewiesen, auf dem später Paul Veronese weiter
schritt. Um die Komposition vollständig würdigen zu können, muß
man wissen, daß die jetzige Gestalt des Bildes nicht mehr ganz die
ursprüngliche ist und daß man nicht mehr sieht, welche besonderen
Rücksichten der Meister zu nehmen hatte. Das acht Meter lange Gemälde
nahm an seinem Bestimmungsort, in einem Saal des Bruderschaftshauses
der Carità -- das ist dasselbe Gebäude, welches jetzt die Akademie
inne hat, -- die Fläche einer ganzen Wand von der unteren Verkleidung
bis zur Decke ein; zwei Thüren, eine größere rechts und eine kleinere
links, schnitten in diese Fläche ein, so daß das Bild mit seinem
unteren Rande diesen Einschneidungen ausweichen mußte. Als es in die
Gemäldesammlung übertragen wurde, hat man die beiden Einschnitte durch
eingesetzte Stücke ausgefüllt. Das Ungehörige dieser Ergänzungen macht
sich besonders an der rechten Seite fühlbar; der flickende Maler hat
selber das Störende der großen leeren Fläche, die durch das Durchführen
der Treppenwand entstand, empfunden, aber sein Gedanke, diese Leere
durch das Anbringen eines großen Kellerloches einigermaßen auszufüllen,
war ein sehr unglücklicher.

Im Juni 1540 hatte Tizian den Tod seines feinsinnigen und aufmerksamen
Gönners Federigo Gonzaga zu beklagen. In das Zuströmen von Bestellungen
aber brachte dieser Verlust keine Unterbrechung.

[Illustration: Abb. 82. +Christus und die zwei Jünger zu Emmaus.+
Im Museum des Louvre zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Davalos, der jetzt als Generalleutnant der kaiserlichen Heere in
Italien in Mailand stand, drängte auf Vollendung eines Bildes, mit
dessen Ausführung er den Meister im vorigen Jahre beauftragt hatte,
und das ihn als Feldherrn darstellen sollte, wie er eine Ansprache an
seine Soldaten hält. Tizian konnte sich zeitweilig damit entschuldigen,
daß seine Pflicht ihn bei dem Herzog Francesco, dem Nachfolger
Federigos, in Mantua festhalte. Im Jahre 1541 wurde die „Allokution des
Davalos“ fertig und fand in Mailand großen Beifall. Davalos belohnte
den Künstler durch Zuweisung eines Jahrgehaltes. Später ist das Gemälde
in den Besitz des Königs von Spanien gekommen und befindet sich jetzt
im Pradomuseum. Bei zwei Bränden, im Escorial im Jahre 1671 und im
Königsschlosse zu Madrid im Jahre 1734, hat es schwere Beschädigungen
erlitten und ist infolge dessen gänzlich überarbeitet worden. In seinem
jetzigen Zustande besitzt es nicht mehr viel von Tizianischem Reiz.

[Illustration: Abb. 83. +Kaiser Karl V. am Morgen der Schlacht bei
Mühlberg.+ Im Pradomuseum zu Madrid.

(Mit Genehmigung der photographischen Gesellschaft in Berlin.)]

Vermutlich überbrachte Tizian persönlich das Bild dem General. Denn
im Spätsommer 1541, als der Kaiser in Mailand verweilte, begab
er sich dorthin. Karl V. gab auch bei dieser Gelegenheit wieder
einen Gnadenbeweis durch Anweisung eines Jahrgehaltes, das aus der
mailändischen Staatskasse -- Mailand war durch den Tod des Herzogs
Francesco Sforza im Jahre 1535 dem Kaiser zugefallen -- gezahlt werden
sollte.

[Illustration: Abb. 84. +Kaiser Karl V. im Jahre 1548.+

In der königl. Pinakothek zu München.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Mit der Jahreszahl 1542 sind zwei Gemälde bezeichnet, die als Werke
geringen Umfangs zwischen größeren Arbeiten, die den Meister damals
beschäftigten, entstanden sind. Das eine ist ein Idealbildnis der
Königin von Cypern, Katharina Cornaro. Es befindet sich in der
Uffiziengalerie. Die im Jahre 1510 verstorbene „Tochter der Republik“
ist darin mit ihrer Namensheiligen, der alexandrinischen Jungfrau aus
königlichem Geschlecht, verschmolzen. Sie trägt eine reiche Krone
mit einem eigentümlichen Schleieraufbau darüber und fürstlichen
Juwelenschmuck an dem rotseidenen Kleid und dem Überkleid von grünem
Damast. Ein leichter Heiligenschein und das im Hintergrund angedeutete
Marterwerkzeug des Rades geben die Kennzeichnung der heiligen Katharina
(Abb. 70). -- Wenn man es diesem Prunkstück wohl etwas ansieht, daß
es nicht nach der Natur gemalt ist, so ist dafür das andere Bild
eine um so frischere Wiedergabe des Lebens. Es ist ein entzückendes
Kinderbildnis und stellt ein Töchterchen von Roberto Strozzi, einem
zeitweilig in Venedig wohnenden Sohne des aus Florenz verbannten
Filippo Strozzi, vor. Bis vor einigen Jahren hat es im Palazzo Strozzi
gehangen; jetzt schmückt es das Museum zu Berlin. Das Bild ist in
seiner Verbindung von Liebreiz, Lebenswahrheit und Farbenzauber eine
künstlerische Kostbarkeit, die in dieser Art wohl nicht ihres gleichen
hat. Die Kleine, ein allerliebstes Geschöpf von etwa vier Jahren,
mit braunen Augen und krausen Löckchen von jenem warmen Blond, das
sich in späteren Jahren in Kastanienbraun verwandelt, streichelt und
füttert ihr Hündchen, das auf einem Marmortisch sitzt. Das gesättigte,
geduldige und verständige Hündchen sieht den Beschauer ganz ernsthaft
an; seine kleine Herrin aber hält nur einen Augenblick still, sie
wendet den Kopf und wird gleich davonlaufen, um wiederzukommen, -- es
ist etwas wunderbares, wie der Künstler es verstanden hat, die muntere
Lebhaftigkeit ihres Wesens zu veranschaulichen. Das Kind ist in weiße
Seide gekleidet, trägt auch schon zierlichen Schmuck. Das seidenhaarige
Hündchen ist weiß mit rotbraunen Flecken; der weiße Marmor seines
Sitzes, der am Fuß mit einem Reliefbild spielender Amoretten
geschmückt ist, hat eine bräunliche Altersfarbe angenommen. Auf der
einen Seite des Bildes bildet eine schlichte graubraune Wand einen
ruhigen Hintergrund für das helle Figürchen, auf der anderen Seite
aber entfaltet sich ein entzückendes Farbenspiel: über die Marmorbank
hängt eine nachlässig hingeworfene Decke von krapprotem Sammet mit
entsprechendem Seidenfutter; darauf steht eine goldene Schale mit
Früchten; über die Bank hinweg sieht man auf das dichte Laub eines weit
ausgedehnten Parks und auf einen wolkenlosen Sommermittagshimmel, in
dessen gleichmäßigem duftigen Blau ferne Hochgebirgsgipfel verschwimmen
(Abb. 71.)

[Illustration: Abb. 85. +Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen+,
als Gefangener zu Augsburg 1548. In der kaiserl. Gemäldegalerie zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von J. Löwy in Wien.)]

Im Jahre 1542 porträtierte Tizian auch den elfjährigen Ranuccio
Farnese, einen Enkel des Papstes Paul III. Der Beifall, den dieses --
jetzt nicht mehr vorhandene -- Bildnis bei den Erziehern des Prinzen
fand, hatte wiederholte Einladungen an Tizian, sich nach Rom zu
begeben, zur Folge. Insbesondere war es der sehr kunstsinnige junge
Kardinal Alessandro Farnese, Ranuccios ältester Bruder, der sich
bemühte, die Dienste Tizians für sich zu gewinnen.

Schon im folgenden Jahre brachten die politischen Ereignisse eine
Gelegenheit, daß Tizian den Papst und dessen Angehörige malen konnte,
ohne deswegen nach Rom zu gehen. Paul III. brach im Frühjahr 1543 nach
dem Norden Italiens auf, um wie sein Vorgänger persönlich mit dem
Kaiser zu verhandeln, und er schickte eine Aufforderung an Tizian,
mit ihm zusammenzutreffen. Der Meister stellte sich in Ferrara beim
Papste ein und begleitete denselben dann nach Busseto bei Cremona, wo
die Zusammenkunft mit Karl V. stattfand. Zwischen ihren politischen
Verhandlungen unterhielten die beiden Häupter der Christenheit sich
über Tizians Kunst. Tizian kehrte mit dem Papst zurück und blieb bis
in den Sommer in Bologna. In dieser Zeit malte er zwei Bildnisse
Pauls III., eines von dessen Sohn Pier Luigi, Herzog von Castro, ein
Doppelbildnis des Papstes und des Herzogs Pier Luigi, und ein Bildnis
des Kardinals Alessandro Farnese. Von den Bildern des Papstes, die
begreiflicherweise oft kopiert worden sind, besitzt die Sammlung
der Ermitage zu Petersburg eins, das zweifellos eine nach dem Leben
gemalte erste Aufnahme ist, die von dem Meister für sich selbst
zurückbehaltene Grundlage zu einem ausgeführten Gemälde. Das Bild
stammt nachweislich aus dem Nachlasse Tizians. Man sieht der Malerei
die Schnelligkeit an, mit der es entstanden ist. Der merkwürdige
Kopf des Papstes, mit langer, herabhängender Nase, buschigen Brauen
und schweren Augenlidern, weißlichem Vollbart und dunkler Hautfarbe,
ist mit der sprechendsten Lebendigkeit gekennzeichnet; er hat einen
unangenehmen Ausdruck von Verschlagenheit, die Mundwinkel sind unter
den dichten Büscheln des Schnurrbartes emporgezogen, ohne darum zu
lächeln, der Blick der nach den Augenecken gedrehten und auf den
Beschauer gerichteten dunklen Augen hat etwas Beunruhigendes (Abb.
72). -- Das für den Papst selbst ausgeführte Exemplar des Bildnisses
befindet sich im Museum zu Neapel; hier sehen wir, wie der Meister
seine ganze Geschicklichkeit aufgeboten hat, um ein Wunderwerk
vollendeter Durchbildung herzustellen. In dem nämlichen Museum findet
man das Bildnis des Kardinals Alessandro Farnese, dessen Andenken
die Kunstgeschichte besonders in Ehren zu halten hat, da auf seine
Anregung hin Vasari seine Künstlerbiographien schrieb, die trotz
mancher Irrtümer die wichtigste Quellenschrift über die Kunst der
italienischen Renaissance sind. -- Das Porträt des Herzogs von Castro
wird im königlichen Schloß zu Neapel aufbewahrt. -- Das Doppelbildnis
ist verschollen.

[Illustration: Abb. 86. +Nicolas Granvella, Kanzler Kaiser Karls
V.+

Im Museum zu Besançon.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Paul III. wollte seine Erkenntlichkeit durch Überweisung der Einkünfte,
welche mit dem Titel eines päpstlichen Siegelbewahrers verbunden waren,
bezeugen. Aber Tizian besaß die Hochherzigkeit, dieses Anerbieten
abzulehnen, weil er durch die Annahme einen anderen Künstler geschädigt
haben würde; denn um an ihn übertragen werden zu können, hätte der
Amtstitel dem Maler Sebastian Luciani aus Venedig -- der eben hiernach,
weil die Bullensiegel in Blei gedruckt wurden, den Beinamen „del
Piombo“ führte -- entzogen werden müssen.

Bevor Tizian Venedig verließ, um sich zum Papst zu begeben, hatte er im
Auftrage des Dogen Lando das übliche Votivbild für den Saal der Pregadi
vollendet. Das Bild ist mit den übrigen seinesgleichen im Jahre 1577
verbrannt. -- Vor Ablauf des Jahres 1543 vollendete der Meister ein
ziemlich umfangreiches Gemälde, die Vorführung Christi durch Pilatus
darstellend, für einen Privatmann, den Kaufmann Giovanni d’Anna, einen
in Venedig naturalisierten Niederländer. Andere Bilder, die Tizian
im Auftrage des nämlichen Mannes malte, sind verloren gegangen. Das
große „~Ecce Homo~“ aber von 1543 ist erhalten und befindet sich
jetzt in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien (Abb. 73). Es ist
eine figurenreiche Komposition von großer Wirkung, aber mit manchen
Unschönheiten im einzelnen, die auf die Mitwirkung von Schülerhänden
schließen lassen. Ähnlich wie bei dem Bilde „Marias Tempelgang“ ist
der Vorgang auf und an eine große Freitreppe verlegt. Die Treppe führt
zu dem reichverzierten Marmorportal des römischen Amtsgebäudes, dessen
Wand mit Rustikapilastern besetzt und mit marmornen Götterbildern
geschmückt ist; ein säulenbesetzter Pfeiler deutet einen weiten
Portikus vor dem Gebäude an. Zwischen dem Pfeiler und der Wand sieht
man die von schwülem Gewölk bedeckte Luft. Die Gesichtslinie ist so
tief genommen, daß nichts von Landschaft über dem Gedränge des Volkes
zum Vorschein kommt. Pilatus ist aus dem Hause hervorgetreten, und
neben ihm erscheint, von einem Soldaten geschoben, Christus unter
dem Portal, gebeugt, gesenkten Hauptes, mit vornüber wallendem Haar.
Der in römische Imperatorentracht gekleidete Landpfleger weist mit
ausdrucksvoll sprechenden Händen auf den gepeinigten und verhöhnten
Dulder hin und stellt ihn mit einem halben spöttischen Lächeln, einem
unübertrefflichen Ausdruck mitleidiger Geringschätzung, dem Volke vor,
das, mit den Armen in der Luft, brüllend die Straßen hinaufdrängt.
Müßige Neugier hat auch ein paar junge Mädchen, von denen eines einen
kleinen Jungen vor sich herschiebt, in das Gedränge getrieben; sie
sehen gar nicht nach der Schmerzensgestalt hin, der der Lärm gilt,
und höchstens in dem Blick der einen, die sich umwendet, um mit
jemand zu sprechen, kann man etwas wie eine schwache Mitleidsregung
lesen. Hinter ihnen sieht man immer mehr gehobene Hände vor der Luft
und bekommt dadurch den Eindruck einer sehr großen lärmenden Menge,
obgleich man auf der Treppe nur zwei Schreier sieht. Auch denkt man
sich noch viele Leute durch die zwei Wächter verdeckt, die sich, dem
Beschauer näher, auf der Treppe bewegen und von denen der eine dem
anderen etwas zuraunt. Noch weiter vorn dreht sich ein Kriegsmann, der
in beschaulicher Ruhe auf der Treppe saß, schwerfällig um, um nach dem
Gegenstand der Volkserregung zu blicken; er benutzt dabei seinen Schild
mit dem römischen Kaiseradler -- den Tizian natürlicherweise so, wie
er ihn kannte, doppelköpfig, gebildet hat -- als Stütze. Neben ihm
sitzt ein halbwüchsiger Gassenbengel, mit einem Hunde spielend, auf den
Stufen und schreit aus reiner Lust am Schreien in das vor dem Bilde
befindlich zu denkende Volk hinein, -- eine Gestalt aus dem Leben.
Der tobende Pöbel ist das Werkzeug, dessen sich die einflußreichen
Widersacher des Heilandes bedienen; diese selbst sehen wir durch
zwei am Fuße der Treppe miteinander sprechende Charakterfiguren von
Pharisäern vertreten: einen galligen, schwarzbärtigen Fanatiker und
einen salbungsvollen kahlköpfigen Fettwanst in rotem Gewande und
kostbarem Pelzkragen. Hinter diesen beiden halten zwei Reiter: ein
Türke auf einem weißmähnigen Fuchs und ein geharnischter vornehmer
Herr auf einem Schecken. Der Türke sieht feindselig auf Christus
hin: der Ritter scheint ihn auf die Erbärmlichkeit des wankelmütigen
Volkes aufmerksam zu machen. Den beiden Reitern folgt ein ebenfalls
berittener Bannerträger, der die mit einem eingestickten R (Roma)
gezeichnete Fahne schwingt. In dem Türken erkannten die Zeitgenossen
den Sultan Soliman, dessen Gegenwart unter den Widersachern Christi
sehr zeitgemäß erschien. Die Versuchung, den Ritter, der eine Rüstung
nach der Mode der Zeit trägt -- wie denn überhaupt in der Kostümierung
der Figuren Antikes und Modernes unbefangen durcheinander gemischt ist
--, ebenfalls auf eine bestimmte Persönlichkeit zu deuten, lag nahe;
aber die Deutungen, auf die man gekommen ist, haben keinen Sinn. Dem
Besteller des Bildes, der zu Tizians näherem Freundeskreise gehörte,
und manchem anderen Beschauer wird es ein besonderes Vergnügen gewesen
sein, zu bemerken, daß zum Kopf des Pilatus der gottlose Spötter Aretin
Modell gesessen hatte. -- Tizian hat das Bild mit einer augenfälligeren
Bezeichnung versehen, als er sonst zu thun pflegte: auf der Treppe
liegt ein Zettel mit der Aufschrift: „~Titianus Eques Ces.~
(kaiserlicher Ritter) 1543.“

[Illustration: Abb. 87. „+Die Jungfrau mit der Fruchtschale+“
(Tizians Tochter Lavinia). Im königl. Museum zu Berlin.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Großen Verdruß bereitete dem Meister zu dieser Zeit ein Rechtsstreit
mit der Geistlichkeit der Kirche S. Spirito in Isola, der im Dezember
1544 noch nicht geschlichtet war und ihn veranlaßte, sich mit der Bitte
um Beistand an den Kardinal Alessandro Farnese zu wenden. Für diese
Kirche, die neu ausgebaut worden war, hatte Tizian die Herstellung
eines Altarblattes und mehrerer in die Deckenfelder einzusetzenden
Bilder übernommen. Die Ausführung dieser Gemälde, die er wahrscheinlich
im Jahre 1541 anfing, scheint seine Hauptarbeit im Jahre 1542 gewesen
zu sein und kam wohl erst 1544 zum Abschluß. Und nun entstanden
Schwierigkeiten wegen der Bezahlung, die zu eben jenem Rechtshandel
führten. -- Die Bilder, um die es sich handelte, befinden sich jetzt in
der Kirche S. Maria della Salute. Das Altargemälde ist dort in einer
Seitenkapelle angebracht worden. Es stellt die Sendung des heiligen
Geistes dar. Leider hat es durch Nachdunkeln viel an seiner Wirkung
eingebüßt. Die Uffiziengalerie zu Florenz besitzt eine Sepiazeichnung,
die als ein Entwurf Tizians zu diesem Gemälde gilt, von dem sie in
Einzelheiten abweicht. (Abb. 74). -- Acht Rundbilder, in denen die
vier Evangelisten und die vier großen Kirchenlehrer als lebenswahre
Persönlichkeiten verbildlicht sind, schmücken die Decke des Chors. In
der Sakristei sind die übrigen Deckenbilder angebracht: drei in kühnen
Verkürzungen aufgebaute Gruppen, die den Brudermord Kains, das Opfer
Abrahams und Davids Sieg über Goliath schildern.

[Illustration: Abb. 88. +Tizians Tochter Lavinia.+ In der königl.
Gemäldegalerie zu Dresden.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Ein sehr schönes Altargemälde, dessen Entstehung in eben diese Zeit
gesetzt wird, befindet sich im Dom zu Verona. Mariä Himmelfahrt ist
darauf dargestellt, nicht in einer so machtvollen Komposition, wie
diejenige des inhaltsgleichen größeren Gemäldes in Venedig ist,
aber mit großer Innigkeit und hoher Farbenpoesie. Die Gruppe der am
leeren Grabe versammelten Apostel steht prächtig und vollfarbig auf
blauwolkiger Luft. Maria, eingehüllt in den dunkelblauen Mantel,
schwebt von Wolken getragen, in halb sitzender, halb kniender Stellung,
auf die Erde zurückblickend und betend, vor einem lichten Goldton, der
von rosigen Cherubim umsäumt und von hellgrauem Gewölk eingeschlossen
ist.

Karl V. hatte zu Busseto ein Bildnis seiner verstorbenen Gemahlin,
Isabella von Portugal, an Tizian übergeben, um danach ein neues zu
malen. Während der Dauer des vierten Krieges zwischen dem Kaiser und
dem König von Frankreich konnte der Meister begreiflicherweise kein
Gemälde an den Kaiser gelangen lassen. Aber gleich nach der Beendigung
des Feldzuges durch den Frieden von Crespy, im Herbst 1544, schickte er
zwei Bildnisse der Kaiserin an Karl V., mit einem Begleitschreiben, in
dem er sich mit seinem Alter und der Weite des Weges entschuldigt, daß
er sie nicht persönlich überbringe. Von diesen Bildern, die der Kaiser
sehr hoch schätzte und die er nach seiner Abdankung mit sich nach S.
Yuste nahm, ist eines vermutlich bei dem Brande des Königsschlosses
zu Madrid untergegangen, das andere befindet sich im Pradomuseum. Bei
seinem Anblick denkt man nicht, daß es nicht nach dem Leben gemalt
ist, und nur eine gewisse Steifheit der Zeichnung erinnert daran, daß
ihm ein Gemälde flandrischen Ursprungs zu Grunde gelegen hat. Tizians
Farbenreiz hat die Erscheinung der Kaiserin neu beseelt. Donna Isabel,
mit sehr ernstem Ausdruck in dem jugendlichen Gesicht, sitzt in einem
juwelengeschmückten Anzug von prächtigen roten Stoffen vor einem
Brokatvorhang, an einem Fenster, durch das man auf Wald und Berge sieht.

[Illustration: Abb. 89. +Tizians Selbstbildnis.+ Im königl. Museum
zu Berlin.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Im Jahre 1545 malte Tizian den Herzog Guidobaldo II. von Urbino und
dessen Gemahlin. Das Fürstenpaar residierte zu Pesaro, und ihr Hof
bildete einen Sammelpunkt bedeutender Männer der Politik und der
Litteratur. In diesem gewählten Kreise spielte Tizian damals eine
große Rolle. Er malte dort eine ganze Menge von Bildnissen, von denen
leider nur die schriftliche Kunde erhalten ist. Vielleicht gehört zu
den Bildern aus Pesaro das in der Gemäldegalerie zu Kassel befindliche
prächtige Bildnis eines fürstlichen Herrn in ganzer Figur, von dem
man nicht weiß, wer es ist. Man sollte an den Herzog Guidobald
selbst denken, wenn nicht etwa beglaubigte Bildnisse dieses Fürsten
vorhanden sind, die der Annahme widersprechen. Der in dem Kasseler
Gemälde Abgebildete ist eine nicht große, aber stolze Erscheinung.
Das lebhafte und selbstbewußte Gesicht ist von einem dichten braunen
Vollbart umgeben. Seine Kopfbedeckung ist ein reichgestickter roter
Herzogshut mit roter Straußenfeder. Der ganze Anzug ist rot mit
Goldverzierungen; das Wams hat statt der Ärmel nur kurze, in Streifen
geteilte Achselstücke nach dem Muster römischer Imperatorenrüstungen
und läßt an den Armen das graue Eisengeflecht der unter dem Wams
getragenen Panzerjacke frei. So steht der Fürst als Kriegsmann da,
mit Schwert und Dolch umgürtet, den Speer in der feinen, aber fest
zufassenden Hand. Der zu dem Kriegsanzuge gehörige Helm steht neben ihm
auf einer Erderhöhung; er ist mit rotem Leder überzogen, das in seiner
Farbe und seinen Goldverzierungen demjenigen des Wamses ganz gleich
ist, und trägt über einem Helmschmuck in Drachengestalt einen roten,
wiederum mit Gold verzierten Federbusch. Aber daß der hohe Herr nicht
immer an Kriegsthaten denkt, läßt er den Beschauer auch wissen. Auf
dem blumigen Rasenteppich hat sich der Liebesgott herangeschlichen;
der blickt schalkhaft zu ihm auf und schiebt den Helm beiseite. Und
neben dem Kampf und der Liebe erfreut ihn das edle Weidwerk. Ein weißer
Jagdhund mit gelben Abzeichen streicht sich zuthunlich an ihm. Mit dem
mag er gern das buschige grüne Gelände durchstreifen, das sich bis zu
fernen Bergen hinzieht, deren duftige Töne in der leichtbewölkten Luft
verschwimmen (Abb. 75). Die Ausführung dieses Gemäldes ist etwas ganz
Kostbares; sie veranschaulicht vortrefflich die spielende Leichtigkeit,
mit der der Meister sein Handwerkszeug nach fünfzigjähriger Praxis
beherrschte, während er in seiner Jugendzeit sich eines geduldigen
Durcharbeitens befleißigt hatte, das den Strich des Pinsels nirgendwo
sichtbar werden ließ. Wenn man hier die Landschaft, die so wunderbar
reizvoll wirkt, in der Nähe ansieht, so wird man an die Anekdote
erinnert, daß ein kaiserlicher Gesandter einmal mit Staunen zusah,
wie Tizian einen Pinsel von dem Umfange eines Besens handhabte. Die
Figur und alles andere im Vordergrunde ist mit einer entsprechenden
Leichtigkeit behandelt und dabei doch aufs wunderbarste durchgebildet,
bis zu den Blümchen im Grase hin, und mit einer Kennzeichnung der
Eigenart der natürlichen Oberfläche eines jeden Dinges, wie sie so
vollkommen kaum jemand anders erreicht hat; das weiße Fell des Hundes
zum Beispiel ist ein technisches Meisterstück, das die Geschicklichkeit
der größten Tiermaler in Schatten stellt.

Denselben Reiz einer duftigen Landschaft in Grün und Blau, dieselbe
Formvollendung in der Durchbildung eines Kinderkörpers, die nämliche
Feinheit in der Farbigkeit des Ganzen und eine Verbildlichung des
gleichen Gedankens, daß die Liebe den Starken besiegt, zeigte
dem Beschauer der in London im Winter 1894 auf 95 veranstalteten
Ausstellung venezianischer Kunstwerke ein dort in Privatbesitz
befindliches Rundbild, ein schnell gemaltes, aber darum erst recht
entzückend wirkendes Dekorationsstück: Amor, ein allerliebstes
nacktes Kind, mit den Bogen und scharfen Pfeilen bewaffnet, schreitet
über einen Löwen, der stöhnend unter dem Druck der leichten Füßchen
zusammenbricht (Abb. 76). Daß dieses kostbare Bild während des
damaligen Aufenthaltes Tizians in Pesaro entstanden ist, darf man mit
Sicherheit annehmen; denn es ist wohl zweifellos ein und dasselbe
mit einem Werk, über das eine Nachricht vorhanden ist. Das Porträt
des zu jenem Kreise gehörenden Schriftstellers Sperone war mit einem
Deckel versehen, den das Bild eines mit einem Löwen spielenden Kindes
schmückte.

Auch Pietro Aretino wurde im Jahre 1545 von Tizian gemalt. Er hatte
sich das Bild erbeten, um es dem Herzog von Florenz, Cosimo de’
Medici, zum Geschenk zu machen. Das treffliche Porträt, das uns von
der Person des gefürchteten Federhelden ein ungeschminktes, wenn auch
freundschaftlich aufgefaßtes Abbild gibt, wird in der Sammlung des
Pittipalastes zu Florenz aufbewahrt (Abb. 77).

[Illustration: Abb. 90. +Der Untergang des Pharao im Roten Meer.+
Kupferstich, gestochen von Domenico delle Greche i. J. 1549.]

Im Herbst 1545 folgte Tizian den wiederholt vom päpstlichen Hofe
ergangenen Einladungen und brach in Begleitung seines jüngeren
Sohnes Orazio, den er sich zum Gehilfen erzog, nach Rom auf. Der
Herzog Guidobaldo übernahm die Kosten der Reise und stellte sieben
Reiter als Begleitungsmannschaft. In Rom wurde dem Meister eine
Wohnung im Vatikanischen Palast angewiesen. Der Empfang, den er
fand, begeisterte ihn, und der Anblick der Antiken versetzte ihn in
Entzücken. Er bedauerte, wie er an Aretin schrieb, daß er nicht zwanzig
Jahre früher nach Rom gekommen wäre; aber auch jetzt noch, als ein
Achtundsechzigjähriger, hatte er die Überzeugung, daß der Aufenthalt
in dieser großartigen Kunstwelt für sein Kunstvermögen von Nutzen sei.
Allerdings war die römische Kunstweise des Tages von der venezianischen
von Grund aus verschieden. In Michelangelo und Tizian begegneten sich
die Häupter zweier Richtungen, die auf entgegengesetzten Wegen der
höchsten Schönheit zustrebten. Hier strömte eine sonnig heitere Freude
an dem Wirklichen ihre Herzenswärme in Farben aus, um das Natürliche
künstlerisch zu verklären; dort rang die formengewaltige Schaffenskraft
eines Titanengeistes mit der Natur, um sie zu übermeistern. So
wenig wie die jüngere Künstlerschar hier wie dort den beiden Großen
gleichkommen konnte, ebensowenig konnten die beiden Greise einer von
dem anderen etwas lernen wollen. Vasari begleitete eines Tages
Michelangelo in die Werkstatt Tizians im Vatikan, und er hat das Urteil
für die Nachwelt aufgezeichnet, das der alte Florentiner auf dem
Nachhausewege über den venezianischen Maler aussprach: „Dessen Farbe
und Behandlungsweise gefalle ihm sehr; aber es sei schade, daß man in
Venedig nicht zuerst ordentlich zeichnen lernte, und daß die dortigen
Maler nicht gründlicher im Studium wären; ja, wenn dieser Mann über so
viel künstlerisches Wissen und so viel Formsicherheit verfügte, wie er
natürliche Begabung besitze, besonders im Nachbilden des Lebens, so
würde niemand mehr und besseres erreichen; denn er habe eine schöne
Auffassungsgabe und eine sehr reizvolle und lebendige Malweise.“ Ebenso
wird auch umgekehrt dem Tizian Michelangelo einseitig vorgekommen sein.

Die erste Aufgabe, die ihm in Rom gestellt wurde, war ein
Gruppenbildnis von Papst Paul III. mit dem Kardinal Alessandro Farnese
und dessen jüngerem Bruder Ottavio, dem Schwiegersohn des Kaisers.
Dieses Werk blieb -- unbekannt, aus welchen Gründen -- unvollendet.
Das unfertige Gemälde befindet sich im Museum zu Neapel, als ein
Bestandteil der im Jahre 1786 dem Königshaus von Neapel zugefallenen
Farnesischen Erbschaft (Abb. 78).

Mehrere andere Porträts sowie einige religiöse Bilder, von denen
berichtet wird, sind wieder spurlos verschwunden. Erhalten aber ist ein
Meisterwerk mythologischen Inhalts, das Tizian für den Prinzen Ottavio
Farnese malte. Es befindet sich ebenfalls im Museum zu Neapel und
stellt Danae vor in dem Augenblick, wo Zeus, in einen goldenen Regen
verwandelt, sich ihr naht. Auf weißen Kissen, vor einem Hintergrund,
der sich aus dem rotseidenen Bettvorhang, einer beschatteten Wand mit
einer Säule auf dunkelgrünem Sockel, und einer duftigen Landschaft
unter wolkenlosem Himmel zusammensetzt, liegt ein junges Weib von
vollen, üppigen Formen und bebt in der Ahnung unermeßlicher Wonne dem
Gotte entgegen, der sich in verborgener Gestalt zu ihr herabsenkt;
Amor, der seine Schuldigkeit gethan hat, schleicht mit einem scheuen
Blick auf die Wolke, der der goldene Regen entströmen will, still
beiseite (Abb. 79). Es gehörte die Freiheit der Anschauungen jenes
Zeitalters dazu, einem Maler derartige Darstellungen aufzugeben.
Tizian aber hat sich der gewagten Aufgabe mit einer Unbefangenheit und
einer reinen Schönheitsfreude entledigt, als ob der Geist des alten
Griechentums in ihm wieder lebendig geworden wäre.

Ottavio Farnese bestellte auch eine „Venus“ bei Tizian, und es
unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß dieses Gemälde in einem durch
König Philipp IV. von Spanien aus dem Nachlaß des Königs Karl I. von
England erworbenen und jetzt im Pradomuseum befindlichen Venusbilde
wiederzuerkennen ist. Von einer Verbildlichung der Liebesgöttin ist
hier allerdings gar nicht die Rede. Es ist vielmehr das Porträt eines
jungen Weibes, das sich einem vornehmen Herren zu eigen gegeben
hat, und dieser Herr zeigt sich im Bilde, wie er die Geliebte mit
Musik unterhält, während er ihre Reize bewundert. Nur ein Tizian war
imstande, auch eine solche Aufgabe so zu erfassen, daß er daraus ein
poetisch verklärtes, durch die Zaubermacht seiner einzigen Farbenkunst
zu echtem Schönheitsadel erhobenes Werk schuf (Abb. 80). Das Venusbild
des Ottavio Farnese -- das beglaubigte Porträt Ottavios auf dem
Gruppenbild zu Neapel unterstützt die Annahme, daß dieser der hier
abgebildete Kavalier sei -- ist ein wunderbares Gemälde von höchster
Vollendung. Der helle Körper des goldblonden jungen Weibes -- ein
ziemlich derb gebauter Körper -- ruht auf einer bräunlich-purpurnen
Sammetdecke, die über weiße Kissen gebreitet ist. Ein rotpurpurner
Seidenvorhang bauscht sich in schweren Falten über dem Kopfende des
Lagers, und gleich hinter dem Lager sieht man auf die Wiesen und
die geraden Baumreihen eines regelmäßig angelegten Parks; das Grün
nimmt einen dämmerigen warmen Ton an in dem Abendlicht, das gelb
unter einem grauen Wolkenschleier hervorscheint. Auf dem Fußende des
Ruhebettes sitzt der Kavalier, in Schwarz und Dunkelgelb mit hellblauem
Unterzeug gekleidet, mit dem Ritterdegen an der Seite. Seine Finger
gleiten über die Tasten einer Orgel, und eben wendet er sich, das
Spiel unterbrechend, nach seiner Schönen um; vielleicht stört ihn das
dunkelgoldfarbige Hündchen, das zu seiner Herrin hinaufspringt. Diese
legt die Hand auf den kleinen Störer, und ihr halbes Lächeln und der
verlorene Blick scheinen zu sagen:

    „Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist,
    Spielt weiter.“

[Illustration: Abb. 91. +Prinz Philipp von Österreich, nachmals König
Philipp II. von Spanien.+

Im Pradomuseum zu Madrid.]

Das Bild, das hier die Einkleidung für eine Porträtgruppe gab, war auch
geeignet, in allgemeiner Fassung an die Öffentlichkeit gebracht zu
werden. Gleich daneben hängt im Pradomuseum ein ebenfalls sehr schönes,
aber doch nicht ganz so fein durchgearbeitetes Gemälde, das jenem
ganz ähnlich ist, nur daß das junge Weib durch die Hinzufügung eines
Liebesgottes, der sich an ihre Schulter schmiegt, hier wirklich als
Venus gekennzeichnet ist, und daß der Orgelspieler zu ihren Füßen den
Eindruck eines recht unbedeutenden Jünglings macht.

Ein anderes Mal hat Tizian fast die nämliche Figur mit Weglassung des
Musikers als Venus gemalt, die auf Amors Geflüster lauscht (Abb. 81).
Dieses Bild, dessen Empfänger vermutlich der Herzog Guidobaldo war,
ist aus der urbinatischen Sammlung in die Uffiziengalerie gekommen.
Es reicht an poetischem Farbenreiz weder an das in derselben Galerie
befindliche ältere Venusbild, noch an die beiden Madrider Bilder
hinan; doch bleibt es den Nachahmungen späterer Maler, unter denen das
Dresdener Venusbild mit dem Lautenspieler die bekannteste ist, immer
noch weit überlegen, nicht allein durch die Farbe, sondern auch durch
die liebenswürdige Natürlichkeit, die alles so ungesucht erscheinen
läßt.

Tizian blieb bis zum Anfang des Sommers 1546 in Rom, wo er nach Vasaris
Zeugnis auch für den Herzog von Urbino mehrere Bildnisse malte. Den
Rückweg nach Venedig nahm er über Florenz; der Herzog Cosimo empfing
ihn, saß ihm aber nicht zum Porträt.

Von den Werken, die er nach seiner Rückkehr in diesem Jahre noch malte,
ist das Bildnis des Bandenführers Giovanni de’ Medici, des Vaters des
Herzogs Cosimo, erhalten; es befindet sich jetzt in der Uffiziengalerie
zu Florenz. Aretin, der feine politische Laufbahn als Sekretär des
Condottiere begonnen hatte, ließ das Bild als Geschenk für den Herzog
Cosimo malen; als Unterlage gab er dem Maler eine Totenmaske, die er
hatte anfertigen lassen, als Giovanni de’ Medici den Folgen einer
schweren Verwundung erlegen war.

Im Jahre 1547 vollendete Tizian ein vor fünf Jahren bestelltes
Altarbild für die Hauptkirche des Alpenstädtchens Serravalle (an der
Straße von Conigliano nach Capo di Ponte bei Belluno), das sich dort
noch befindet. Darauf ist die Mutter Gottes in den Wolken thronend, von
Engelkindern umringt, dargestellt und zu ihren Füßen die Apostel Petrus
und Andreas; zwischen diesen beiden sieht man in der Entfernung ihre
Berufung am See von Genezareth, und in dieser Nebendarstellung hat der
Meister eine römische Erinnerung verwertet, indem er Raffaels berühmte
Komposition desselben Gegenstandes frei benutzte.

Es erscheint unbegreiflich, daß Tizian zwischen der Erledigung aller
an ihn herantretenden Aufträge noch Zeit fand, Bilder zu malen, mit
denen er seine Wohnung und seine Werkstatt schmückte. Von Zeit zu
Zeit erhalten wir Nachricht, daß ein Kunstliebhaber gelegentlich ein
Gemälde von dem Meister erwarb, das er vorher nicht bestellt hatte.
So wird über ein Bild, in dem das Mahl zu Emmaus dargestellt war,
berichtet, daß ein venezianischer Patrizier es von Tizian kaufte, um
es dann dem Staate zu schenken. Dieses Gemälde ist bis gegen Ende des
vorigen Jahrhunderts im Dogenpalast aufbewahrt worden, und es wird in
einem jetzt in der Sammlung eines englischen Lords befindlichen Bilde
wiedererkannt. -- Eine in Einzelheiten abweichende, im ganzen aber sehr
ähnliche Darstellung desselben Gegenstandes befindet sich im Louvre.
Wir blicken in den säulengetragenen Vorbau des Gasthauses, der eine
weite Aussicht auf die im Abendlicht glühende Berglandschaft gewährt.
An dem mit einem feinen Tafeltuch gedeckten Tische segnet Christus das
Brot, der eine der Jünger fährt beim Erkennen des Heilandes erstaunt
zurück, der andere faltet stumm die Hände zum Gebet. Der Wirt, der in
seiner häuslichen Arbeitstracht erscheint, und ein wohlgekleideter
Diener warten auf (Abb. 82).

Gegen Ende des Jahres 1547 gab es einen großen Andrang zu Tizians Haus;
Scharen von Menschen kamen, um Bilder von ihm zu kaufen oder wenigstens
irgend ein kleines Andenken seiner Kunst zu erwerben. Denn Tizian hatte
vom Kaiser die Aufforderung erhalten, zu ihm nach Augsburg zu kommen,
wo am 1. September der Reichstag eröffnet worden war. Die Venezianer
fürchteten, ihren großen Meister zu verlieren, sei es daß der Kaiser
ihn bei sich behielte, sei es daß er den Anstrengungen der für einen
Mann seines Alters unter den damaligen Verkehrsverhältnissen doch sehr
mühevollen Reise unterliegen würde.

[Illustration: Abb. 92. +Die heilige Margareta.+ Im Pradomuseum zu
Madrid.

(Mit Genehmigung der Photographischen Gesellschaft in Berlin.)]

Für möglichste Bequemlichkeit der Reise hatte der Kaiser selbst
gesorgt, der alle Kosten derselben zahlte. So trat Tizian mitten im
Winter, Anfang Januar 1548, den Ritt über die Alpen an und gelangte
wohlbehalten nach Augsburg. In der fremdartigen Umgebung und in dem
geräuschvollen Leben, das der Reichstag in den kaiserlichen Hofhalt
brachte, arbeitete der siebzigjährige Meister alsbald mit demselben
Fleiß, als ob er sich in seiner gewohnten Werkstatt befände. Im Mai
mußte er schon an Aretin schreiben, er möge ihm durch den nächsten
kaiserlichen Boten eine in Augsburg nicht zu beschaffende Ergänzung
seines Farbenvorrats schicken.

Die erste Aufgabe, um deren willen der Kaiser den Maler hatte kommen
lassen, war, daß er ihn in der Rüstung und auf dem Streitroß male,
mit dem er im April des vorigen Jahres in die Schlacht bei Mühlberg
geritten war. Dieses große Reiterbildnis Karls V., das sich jetzt
im Pradomuseum befindet, ist eins der allerschönsten Gemälde, die
es überhaupt gibt. Es hält die Nachbarschaft der Meisterwerke des
Velazquez, die dort für den heutigen Beschauer die Werke aller
anderen großen alten Meister niederdrückt, ganz unbeschadet aus und
steht als etwas völlig Ebenbürtiges neben ihnen. Die Gemälde des
Spaniers sind von malerischer Poesie erfüllt, weil die in ihnen so
wahr wiedergegebene Natur, mit solchen Künstleraugen gesehen, selbst
poetisch ist; Tizian erreichte den Schein von Naturwahrheit mit
selbstgeschaffenen Farbenharmonien.

Die Größe der Auffassung in diesem Kaiserbilde ist einzig in ihrer Art.
Wir werden in das Morgengraun des Schlachttages versetzt. Das Grün
der Landschaft liegt in bräunlicher Dämmerung, in der Ferne zeigen
sich blaue Hügel des Elbufers. Der von Wolkenstreifen durchzogene
und von rauchartigem Dunst überflorte Himmel ist gerötet; diese
Röte hat etwas Unheimliches, man denkt unwillkürlich, daß sie den
Wiederschein von Blut bedeute. Und etwas Unheimliches, Drohendes liegt
auch in der Erscheinung des Reiters, der, von den grellen Lichtern
seiner goldverzierten Eisenrüstung umblitzt, auf seinem schwarzen,
rotgeschirrten Schlachtroß in kurzem Galopp aus dem dunklen, von der
Morgenröte durchglühten Gehölz heraussprengt und seinen Blick über
die vor ihn liegende Ebene sendet. Der Kaiser ist in voller Rüstung,
nur die gichtgequälten Beine stecken in Lederstiefeln; der von einem
schmalen roten Tuch umwundene visierlose Helm trägt einen Busch von
roten Straußenfedern; über dem Brustharnisch liegt die Kette des
Goldenen Vließes und die rote Feldbinde. Rot sind auch die sammetne
Satteldecke und die Panzerdecke, sowie der Federbusch des Rappens.
Die verschiedenen Karmintöne der verschiedenen roten Stoffe sind
durch goldene Einfassungen und goldene Besatzstreifen belebt. Das ist
alles sehr prächtig und vornehm und doch auch düster gestimmt. Das
marmorkalte Gesicht des Kaisers ist so bleich, daß es fast grünlich
auf dem roten Himmel steht. Die Blicke sind vorwärts gerichtet, wie
der Speer in der Faust. Die ganze Erscheinung des regungslos im Sattel
sitzenden Reiters macht den Eindruck eines sicheren und unaufhaltsamen,
jedem Widerstand gewachsenen Vorgehens. Das Bild ist gleichsam eine
Verbildlichung des Wahlspruches Karls V.: „~Plus ultra~ --
weiter!“ (Abb. 83).[1]

Nicht als der erfolggekrönte Sieger, sondern als der verdüsterte,
am Gelingen seiner großen Pläne zweifelnde und zur Schwermut sich
neigende Mann, der sich nach Tisch in eine Fensterecke zurückzuziehen
pflegte, um stumm den Gesprächen der anderen zuzuhören: so erscheint
Karl V. in einem andern Gemälde, das Tizian ebenfalls im Jahre 1548
zu Augsburg ausführte, und das sich jetzt in der Münchener Pinakothek
befindet. Ganz in Schwarz gekleidet, ohne irgend einen Schmuck
außer dem Abzeichen des Goldenen Vließes, sitzt der Kaiser in einem
mit karminrotem Sammet gepolsterten und mit Goldfransen verzierten
Eichenholzstuhl. Hinter seinem Rücken ist ein goldbrokatener Vorhang
ausgespannt, und den Fußboden bedeckt ein Teppich von Scharlachtuch.
Das hellgraue Steinwerk der Architektur umrahmt einen weiten Blick
in die sommerliche Landschaft, die sich unter grauem Wolkenhimmel
ausdehnt. Wenn man auch mehrfache ausgedehnte Übermalungen von späterer
Hand an dem Gemälde bemerkt, so bleibt dessen großartige Wirkung doch
ungestört (Abb. 84).

[Illustration: Abb. 93. +Prinz Philipp von Österreich, nachmals König
Philipp II. von Spanien.+

In der Pittigalerie zu Florenz.

(Nach einer Originalphotographie von Giacomo Brogi, Florenz.)]

[Illustration: Abb. 94. +Danae und der goldene Regen.+ In der
kaiserl. Gemäldegalerie zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Tizian malte außer dem Kaiser noch eine ganze Menge hoher Personen in
Augsburg. Des Kaisers Bruder, der deutsche König Ferdinand, und seine
Schwester Maria, Königinwitwe von Ungarn; die zwei Söhne und fünf
Töchter des Königs Ferdinand, von denen eine mit dem Herzog Albrecht
III. von Bayern vermählt war; die beiden Töchter der verstorbenen
Schwester des Kaisers, Isabella von Dänemark, nämlich die verwitwete
Herzogin Christine und die Gemahlin des Pfalzgrafen Friedrich II.,
Dorothea; dann die Witwe des Bayernherzogs Wilhelm I., Maria Jakobine
von Baden; ferner Moritz von Sachsen, Philibert Emanuel von Savoyen
und der Herzog Alba, sowie die überwundenen Gegner des Kaisers, Johann
Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen: alle diese saßen ihm auf
Verlangen des Kaisers, der ihre Bilder zu besitzen wünschte. Es ist ein
Verlust nicht allein für die Kunst, sondern für die Weltgeschichte,
daß diese Bildnisse, die zuerst nach den Niederlanden und später, nach
der Abdankung Karls V., nach Spanien gebracht wurden, samt und sonders
einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen sind.

[Illustration: Abb. 95. +Venus und Adonis.+ Im Pradomuseum zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Der gefangene Kurfürst von Sachsen war in der Rüstung abgemalt, die
er bei Mühlberg getragen hatte, und man sah im Gesicht die dort
empfangene Wunde. Ein anderes Bildnis Johann Friedrichs, ohne Rüstung,
das ebenfalls nach Spanien ging, ist nach Deutschland zurückgekommen
und befindet sich jetzt in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien.
Aus den zahlreichen Bildnissen, die Lukas Cranach nach diesem seinem
geliebten Herrn gemalt hat, ist die schwerfällige fette Erscheinung
Johann Friedrichs allgemein bekannt. Tizian hat die Unförmlichkeit
der Gestalt, die durch den großen Pelzüberrock -- der auch aus den
Cranachschen Porträts nicht fehlt -- und durch die weiten Ärmel des
Rockes noch vergrößert wird, nicht im geringsten gemildert, die Hände
hat er in ihrer formlosen Gedunsenheit wiedergegeben, und den auf
einem unglaublich feisten Halse sitzenden Kopf mit seinen mächtigen
Fettlagen hat er mit einer solchen Naturtreue gemalt, daß man den
schweren Herrn schnaufen zu hören vermeint. Aber die Größe von Tizians
Auffassungsweise hat in das Bild etwas hineingebracht, wozu dem
biederen Cranach all seine rührende Liebe und Anhänglichkeit an den
Kurfürsten nicht verhelfen konnte: man sieht in diesem Koloß einen Mann
von hoher Gesinnung, einen vornehmen, wahrhaft fürstlichen Herrn (Abb.
85).

Erhalten ist ferner das Bildnis des Kanzlers Nicolas Granvella, des
Vorsitzenden des Reichstags (Abb. 86). Es befindet sich im Museum
zu Besançon, als Überbleibsel einer sehr reichen und auserlesenen
Kunstsammlung, die Granvella in dem Palast, den er sich hier in seiner
Heimat erbaut hatte, zusammenbrachte, und in der er eine stattliche
Reihe von Meisterwerken Tizians vereinigte.

Tizian würde trotz seiner Arbeitskraft wohl nicht imstande gewesen
sein, die Menge der in Augsburg, wo ihm doch auch zweifellos viele
Festlichkeiten Abhaltung brachten, übernommenen Porträts -- außer den
angeführten werden noch andere genannt -- zu bewältigen, wenn er nicht
seinen Verwandten Cesare Vecelli als Gehilfen bei sich gehabt hätte,
dem er die Ausarbeitung von Nebendingen überlassen konnte. Cesare war
der Sohn eines Vetters von Tizians Vater; er hat seinen Namen besonders
durch die Herausgabe der ersten „Kostümkunde“ („~Degli abiti antichi
e moderni~,“ Venedig 1590) bekannt gemacht.

Der unermüdliche Meister erübrigte sogar noch die Zeit, für die
Königinwitwe Maria von Ungarn vier Bilder mit den überlebensgroßen
Gestalten von Höllenqual erduldenden Männern zu malen: Prometheus,
Sisyphus, Ixion und Tantalus. -- Als die Königin Maria ihrem
kaiserlichen Bruder nach dessen Abdankung nach Spanien folgte, nahm
sie auch diese Gemälde mit. Zwei derselben, die schon ein Jahrzehnt
nach ihrer Entstehung in schlechten Zustand geraten waren, sind
untergegangen. Ob in dem Prometheus und dem Sisyphus, die noch im
Pradomuseum bewahrt werden, die Tizianschen Originale erhalten sind,
wird bezweifelt. Aber wenn diese beiden Bilder Kopien von der Hand
eines Spaniers sein sollten, so sind sie so vortrefflich gelungen, daß
sie uns wie in ursprünglicher Kraft die mächtigen, großartig düsteren
Darstellungen des gefesselten Titanen, der in wilder Qual sich unter
dem zerfleischenden Adler windet, und des Sisyphus, der unter seiner
Felsenlast dem unerreichbaren Berggipfel entgegenkeucht, vorführen.

Im Herbst 1548 trat Tizian die Heimreise an. Unterwegs malte er in
Innsbruck die drei jüngsten Töchter des Königs Ferdinand, Kinder von
einem, fünf und neun Jahren, in einem Gruppenbild. Das Gemälde befindet
sich jetzt in der Sammlung des Lord Cowper. -- Es ist bemerkenswert,
das der geschäftskluge Künstler sich von dem Könige als Lohn für seine
Leistungen Bauholz aus einem Tiroler Walde erbat, das er bei Bauten,
die er vorhatte, verwenden wollte.

Vom Kaiser hatte Tizian eine Anweisung auf Verdoppelung des ihm aus der
mailändischen Staatskasse zugewiesenen Jahrgehaltes bekommen. Aber die
Auszahlung dieser Gelder konnte er nicht erwirken, obgleich er es nicht
an Geschenken von Bildnissen fehlen ließ, um seine dahin gerichteten
Bemühungen zu unterstützen.

Aber auch so brachte er eine ansehnliche Einnahme mit nach Hause. Er
vergrößerte sein Heim, indem er zu dem Hause, worin er seit 1531 zur
Miete wohnte, das ganze zugehörige Grundstück erwarb. Den am Strand der
Lagune, der Insel Murano gegenüber, sich ausbreitenden Garten hatte er
schon vorher zu einer reizvollen Anlage ausgestattet, in der er oftmals
fröhliche Feste veranstaltete. Als ein Freund heiterer Geselligkeit
versammelte er gern einen ausgewählten Kreis von geistig bedeutenden
und von hochstehenden Männern in seinem Heimwesen. Die alleinige Dame
des Hauses wurde durch den Tod von Tizians Schwester Orsa, im März
1549, seine Tochter Lavinia.

[Illustration: Abb. 96. +Die Anbetung der heiligen Dreifaltigkeit+
(„~La Gloria~“). Im Pradomuseum zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von J. Laurent & Cie., Madrid.)]

Lavinia war des Vaters Liebling, und mehrere Gemälde führen uns die
taufrische, kindlich liebenswürdige Erscheinung der zu straffer Fülle
herangeblühten Jungfrau vor Augen. Ein Bildnis Lavinias, dessen im
Jahre 1549 als eines in Arbeit befindlichen Werkes Erwähnung geschieht,
ist der Vermutung nach das jetzt im Berliner Museum befindliche
Bild einer jungen Dame, die eine blumengeschmückte Fruchtschale in
den erhobenen Händen trägt. In einem vornehmen Kleid von grünem
Seidendamast, mit einem lose um die Schultern geworfenen feinen weißen
Schleier, geschmückt mit einem kostbaren Diadem in den goldblonden
sich kräuselnden Haaren, einem Perlenhalsband und einem Gürtel von
kunstvoller Goldschmiedearbeit, so tritt des Künstlers Tochter aus dem
Hause auf den Altan, an dessen Eingangspfeiler ein dunkelroter Vorhang
zurückgeschlagen ist; ihr Körper biegt sich zurück, um dem Gewicht
der gefüllten Metallschale, die ihre weichen Hände mit biegsamen
Fingern halten, entgegenzuwirken. Auf der Schwelle bleibt sie noch
einmal stehen und wendet den Kopf zurück, so daß wir zugleich die runde
Linie ihres Nackens und das Gesicht mit seinen Kirschenlippen und den
unschuldigen braunen Augen, deren Blick uns begegnet, bewundern können.
So mag Lavinias Erscheinung oftmals das Auge des zärtlichen Vaters
und schönheitsfrohen Malers entzückt haben, wenn sie in den Garten
hinaustrat, um den Gästen aufzuwarten; nur hat der Künstler den Blick
auf die Heimatberge, die man von dort aus in weiter Ferne über dem
Meere schimmern sah, in die Nähe gerückt (Abb. 87). -- Neben diesem
Bild der „Jungfrau mit einer Fruchtschale“ wird ein gleichartiges als
„Mädchen mit einer Schüssel Melonen“ erwähnt, von dem aber nur eine
Kupferstichnachbildung erhalten ist.

[Illustration: Abb. 97. +~Ecce homo.~+ Im Pradomuseum zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Das anmutige Bewegungsmotiv war hier so glücklich gefunden, daß Tizian
dasselbe in einem Bilde wiederholte, dem er durch eine Umänderung einen
historischen Titel und damit den Charakter eines leichtverkäuflichen
Werkes gab. Er verwandelte die Fruchtschale in eine Schüssel mit dem
Haupte Johannes des Täufers und machte so aus Lavinia eine Salome. In
solcher Gestalt sehen wir das liebliche Mädchen, das uns hier auch
seine vollen Arme durch eine durchsichtige Hülle hindurch zeigt, in
einem Gemälde von köstlichem Farbenreiz, das sich im Pradomuseum
befindet. Freilich paßt das unschuldsvolle Gesicht wenig für die
Tochter der Herodias. Dieser Empfindung gibt eine Sage Ausdruck, die
sich an ein im Besitze des Lord Cowper befindliches Gemälde mit der
nämlichen Figur knüpft: auch hier soll das junge Mädchen zuerst die
Salome vorgestellt haben; nachträglich aber habe der Meister das
abgeschlagene Haupt zugestrichen und das prächtige Schmuckkästchen, das
man jetzt dort sieht, darüber gemalt; die abgespreizten Finger erinnern
noch an den in die Hände Salomes gelegten Ausdruck des Widerwillens
gegen die blutige Last.

[Illustration: Abb. 98. +Die schmerzenreiche Mutter.+ Im Museum zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Im Dezember 1549 machte Tizian an Ferrante Gonzaga, den Bruder des
verstorbenen Herzogs Federigo, in einem auf die Erwirkung des Mailänder
Jahrgehaltes bezüglichen und von einem Kaiserporträt begleiteten Briefe
die Mitteilung, daß er seine Tochter verlobt habe. Der Erwählte war
ein junger Mann aus dem Alpenstädtchen Serravalle, mit Namen Cornelio
Sarcinelli. Als glückliche junge Braut mögen wir Lavinia Vecelli
erkennen in dem so überaus liebenswürdigen, mit wahrer Zärtlichkeit in
jedem Strich gemalten Bildnis in der Dresdener Galerie, in dem sie als
eine ganz in Licht gehüllte Gestalt in weißem, fein mit Gold verziertem
Seidenkleid vor uns steht, mit einem fähnchenförmigen Fächer -- wie
solche in Spanien heute noch gebraucht werden -- in der Hand (Abb. 88).

Um dieselbe Zeit, wo er das Bildnis seiner Tochter malte, fand der
Meister wohl auch die Muße, sich selbst zu porträtieren. Vasari erwähnt
ein Selbstbildnis, das Tizian für seine Kinder malte, und setzt die
Entstehung desselben in die Zeit um 1543. Das schönste der erhaltenen
Selbstbildnisse Tizians, im Berliner Museum, scheint ihn indessen
in etwas vorgerückterem Alter zu zeigen, sodaß es eher gegen 1559
entstanden sein dürfte. In diesem Bilde ist nur der Kopf -- ein sehr
schön geformter Kopf -- ausgeführt; alles übrige, die Jacke von heller
Seide, der Pelzüberrock, die goldenen Ritterketten und die Hände, von
denen die eine auf dem Schenkel ruht, während die andere auf dem Tische
trommelt, ist nur skizziert mit Anwendung weniger Farben -- Tizian soll
einmal gesagt haben, mit Schwarz, Weiß und Rot könne man, wenn man die
drei Farben nur richtig anwende, alles malen --. Skizziertes aber und
Ausgeführtes sind von gleichem Leben erfüllt, die ganze Erscheinung
spricht von Thatkraft und rastloser Arbeit, aus den Augen leuchtet
Feuer und Geist (Abb. 89). -- Das Selbstbildnis in der Sammlung von
Malerbildnissen in der Uffiziengalerie (s. d. Titelbild) zeigt den
Kopf in genau derselben Ansicht und in ähnlicher Auffassung, ist aber
stärker beschädigt und dabei weniger lebendig in der Wirkung, als das
Berliner Bild.

Das Jahr 1549 ist noch bemerkenswert durch das Erscheinen eines
Kupferstiches nach einer von Tizian eigens zu diesem Zwecke
ausgeführten Zeichnung. Das seltene Blatt stellt den Untergang des
Pharao im Roten Meer vor und ist von Domenico delle Greche, einem
Schüler Tizians von griechischer Herkunft, gestochen (Abb. 90).

Hauptsächlich wird sich der Meister während der Jahre 1549 und 1559
wohl damit beschäftigt haben, diejenigen Bilder, die er in Augsburg
nur angelegt hatte -- denn daß er die ganze Menge seiner dortigen
Arbeiten in der Zeit von kaum drei Vierteljahren gleich vollständig
fertig gemacht hätte, ist nicht denkbar --, mit Ruhe zu vollenden.
Im Herbst 1559 wurde Tizian zum zweitenmal nach Augsburg berufen,
wo der Kaiser inzwischen wieder einen Reichstag eröffnet hatte. Am
11. November berichtete er an Aretin, daß der Kaiser ihn mit der
gewohnten Höflichkeit empfangen und sich nach den mitgebrachten Bildern
erkundigt habe. Karl V. gestattete ihm jederzeit Zutritt, und der
freundschaftliche Verkehr des sonst so abgeschlossenen Herrschers
mit dem Maler erregte weithin Aufsehen. Tizian traf jetzt einen
deutschen Kunstgenossen hier an, der noch einige Jahre älter war als
er und sich eine ebenso unermüdliche Arbeitskraft bewahrt hatte, in
seiner künstlerischen Auffassungsweise aber so ziemlich das gerade
Gegenteil von ihm war: Lukas Cranach. Unter den dreißig Bildern, die
der Wittenberger Meister zur Unterhaltung seines gefangenen Herrn in
Augsburg malte, befand sich auch das Konterfei Tizians.

An die Arbeitskraft Tizians scheinen während seines diesmaligen
Aufenthalts in Augsburg keine so ungeheuren Anforderungen gestellt
worden zu sein, wie das vorige Mal. Seine wichtigste Aufgabe war es,
das Bild des Kaisersohnes Philipp zu malen, der aus Spanien über Genua
und Mailand nach Deutschland gekommen war, um diesen Teil von seines
Vaters Reich kennen zu lernen. Die Aufnahme, welche Tizian von dem
dreiundzwanzigjährigen Prinzen machte, diente zunächst einem Paradebild
als Unterlage, das sich jetzt im Pradomuseum befindet. Es ist ein
stolz und vornehm wirkendes Gemälde. Philipp steht in weißem Anzug und
halber Rüstung vor einer dunklen Wand auf einem dunkelroten Teppich;
seine Linke ruht auf dem Degenkorb und die Rechte auf dem Helme, der
auf einer mit karminrotem Sammet bedeckten Konsole steht. Die Ärmel
und die Beinkleider sind mit Stickereien verziert, die Rüstung mit
Ciselierungen und Vergoldungen reich geschmückt. Das an sich wenig
anziehende, von rotem Haar und Bart umgebene bleiche Gesicht, in dem
das blutfarbige Rot der hängenden Unterlippe als vereinzelter starker
Farbenfleck steht, hat durch die Größe von Tizians Auffassung eine
solche Vornehmheit bekommen, daß die natürliche Unschönheit hinter
der Hoheit verschwindet. Es ist vollkommen zu begreifen, daß die
Königin Maria von England, der das Gemälde zugeschickt wurde, als
Philipp sich um sie bewarb, „ganz verliebt“ in das Bild sein konnte.
Bezeichnend für den Wert, den die Besitzerin des Bildes, Maria von
Ungarn, demselben beilegte, ist der Umstand, daß sie es der englischen
Königin nicht schenkte, sondern nur bis zur erfolgten Vermählung lieh.
Erwähnenswert ist noch, daß Maria von Ungarn in dem Schreiben, mit dem
sie die Absendung des Gemäldes nach London begleitete, hervorhob, daß
man es nicht aus zu großer Nähe betrachten solle. Die kühne und freie
Malweise, zu der Tizian allmählich gekommen war, rechnete genau mit dem
richtigen Abstand, den der Beschauer einnehmen muß, um ein Bild als
Ganzes auf sich einwirken zu lassen.

[Illustration: Abb. 99. +Die schmerzenreiche Mutter.+ Im
Pradomuseum zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Vielleicht wurden schon gleich in Augsburg Wiederholungen dieses
Bildnisses mit Hülfe von Schülern angefertigt. Von anderen Werken, die
Tizian damals dort malte, erfährt man nur wenig. Er verweilte auch nur
während der Zeit der kurzen, zum Malen so ungünstigen Wintertage in
Augsburg. Bei der Abreise nach Schluß des Reichstages, im Februar 1551,
empfing er vom Kaiser den Auftrag zu einem sinnbildlichen Gemälde, in
dessen Thema schon die Gemütsstimmung Karls V. Ausdruck fand, die ihn
zu seiner Abdankung bewegte. Der Maler durfte ahnen, was kein anderer
voraussehen konnte. -- Tizian begleitete den Kaiser nach Innsbruck;
dort soll er eine große Allegorie mit den Figuren der ganzen Familie
des Herrschers gemalt haben; aber man weiß nichts weiteres über
dieses Bild, und die ganze Nachricht beruht wahrscheinlich auf einer
mißverstandenen Kunde von jenem Auftrag, den er mit sich nahm. Tizian
sah den Kaiser nicht wieder.

[Illustration: Abb. 100. +Tizian und ein venezianischer Senator.+
In der Sammlung der Königin von England im Schlosse Windsor.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Im Sommer 1551 war Tizian wieder daheim. Mehrere Jahre lang arbeitete
er jetzt fast ausschließlich für den Kaiser, für den Prinzen Philipp
und für Maria von Ungarn. Die einzigen anderweitigen Arbeiten aus
der Zeit bis 1554, von denen man weiß, sind einige Bildnisse: das in
den Uffizien befindliche Porträt des päpstlichen Nuntius in Venedig
Lodocico Beccadelli, das die Datumbezeichnung „1552 im Monat Juli“
trägt; das bei dem Brande von 1577 untergegangene pflichtschuldige
Porträt des im Sommer 1553 erwählten Dogen Marcantonio Trevisani;
ferner die nur durch ihre Erwähnung in Briefen Aretins bekundeten
Bildnisse des kaiserlichen Gesandten Vargas und des Thomas Granvella.

Im Jahre 1552 schickte Tizian drei Gemälde an den Prinzen Philipp nach
Spanien: eine Landschaft, eine heilige Margarete und eine „Königin
von Persien“; der Gegenstand des letzteren Bildes war, wie aus dem
Begleitschreiben des Meisters hervorgeht, frei von ihm gewählt;
vermutlich war bei den zwei anderen dasselbe der Fall. Erhalten ist
von diesen Gemälden nur das Bild der heiligen Margarete. Es befindet
sich im Pradomuseum. Die Heilige ist nach der von den Künstlern der
Renaissancezeit öfters verbildlichten Legende als die Überwinderin
eines Drachens dargestellt. Sie schreitet in lebhafter Bewegung über
den in langen Windungen am Boden liegenden und auch im Tode noch Grauen
einflößenden Leichnam des Ungeheuers hinweg, das durch den Anblick des
Kreuzes in ihrer erhobenen Hand getötet worden ist; in ihrem grünen
Gewande, das Hals und Arme und das vorgesetzte Bein unbedeckt läßt,
hebt sie sich hell von der düsteren Felsenlandschaft ab (Abb. 92).

[Illustration: Abb. 101. +Der Doge Antonio Grimani in Verehrung vor
der Erscheinung des Glaubens.+ Im Dogenpalast zu Venedig.

(Nach einer Originalphotographie von Gebr. Alinari, Florenz).]

Im März des folgenden Jahres ließ Tizian ein Porträt Philipps folgen.
Es ist dies vermutlich das jetzt im Museum zu Neapel befindliche
schöne Bild, in dem der Prinz, wieder in ganzer Figur, in weißseidenem,
goldgesticktem Anzug dargestellt ist, und von dem sich eine etwas
veränderte, wohl teilweise eigenhändige Wiederholung im Pittipalast
befindet (Abb. 93). -- In seinem Begleitschreiben sagt Tizian, daß die
liebenswürdige und gnädige Antwort Philipps auf seine vorige Sendung
an ihm das Wunder gewirkt habe, daß er wieder jung geworden sei; und
er erwähnt, daß er mit dem Fertigmachen der „Poesien“ beschäftigt sei.
-- Philipps dankende Erwiderung hierauf enthält die feinste Artigkeit,
die dem Künstler gesagt werden konnte, indem die ganze Bewunderung des
Bildnisses in die Worte zusammengefaßt wird: „es ist eben von Eurer
Hand“.

[Illustration: Abb. 102. +Der Sündenfall.+ Im Pradomuseum zu
Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Wenn man die „Poesie“, welche Tizian bald darauf nach Madrid
abschickte, und die sich jetzt im Pradomuseum befindet, ansieht, so
muß man in der That sagen, daß der Sechsundsiebzigjährige wieder jung
geworden ist. Die Komposition dieses Gemäldes war freilich keine
neue Schöpfung; es ist nur eine Umarbeitung der acht Jahre früher
in Rom gemalten Danae. Aber wie das von neuem empfunden, und wie es
gemalt ist, das ist allerdings eine Äußerung von Jünglingsfrische.
Gegenständlich unterscheidet sich das Bild von jenem älteren dadurch,
daß Amor weggelassen und dafür eine häßliche alte Dienerin, die
eine starke Gegensatzwirkung hervorbringt, hinzugefügt ist. Es ist
vielleicht weniger duftig, als jenes, aber dafür glühender; und die
Malweise hat etwas, man möchte sagen Bebendes von einzigartigem Reiz.
Der ganze Farbeneindruck wirkt wie ein bestrickender Zauber. Die zarte
Haut des blonden Weibes ist heller als das feine Weißzeug des Bettes;
vor den dunkelpurpurnen Vorhang schiebt sich die graue Wolke, die
unter dem Zucken rötlicher Blitze den Goldregen entsendet; unter der
Jupiterwolke sieht man auf blaues, weißgemischtes Gewölk, gegen das die
braune Alte sich dunkel absetzt, die sich bemüht, in ihrer Schürze auch
einige der Goldtropfen aufzufangen.

Es gibt zwei Wiederholungen dieses Gemäldes, mit Abweichungen, die sich
hauptsächlich auf die Figur der Alten erstrecken. Die eine befindet
sich in der Ermitage zu Petersburg, die andere (Abb. 94) in der
kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien. Beide müssen, wenn sie auch den
Reiz des Madrider Bildes nicht erreichen, als eigene Arbeiten Tizians
angesehen werden. Der Gegenstand fand eben großen Beifall in jener Zeit.

[Illustration: Abb. 103. +Johannes der Täufer in der Wüste.+

In der Kunstakademie zu Venedig.

(Nach einer Originalphotographie von Gebr. Alinari, Florenz.)]

Eine zweite „Poesie“, Venus und Adonis darstellend, ließ Tizian
der Danae einige Monate später, im Herbst 1554, folgen, mit einem
Begleitschreiben, in dem er dem Prinzen seine Glückwünsche zu der
inzwischen (am 25. Juli) vollzogenen Vermählung mit der Königin von
England darbrachte und mehrere andere Gemälde gleicher Art, daneben
aber auch ein Bild religiösen Inhalts in Aussicht stellte. Das Gemälde
kam zu Philipps großem Verdruß in beschädigtem Zustande in London
an; es war durch eine mitten quer durchlaufende Falte entstellt. Die
Spur dieser Knickung hat niemals ganz beseitigt werden können; man
sieht sie heute noch an dem jetzt im Pradomuseum befindlichen Bilde.
Auch hier war der Gegenstand, das Losreißen des seinem Todesgeschick
entgegengehenden Jünglings aus den Armen der liebenden Göttin, nicht
neu. Tizian hatte die Komposition schon vor Jahren geschaffen, und
seine Schüler haben sie oft wiederholt. Aber wiederum malte der
greise Meister in der Neugestaltung ein von jugendlicher Kraft der
Empfindung erfülltes bezauberndes Bild. Venus, deren weiche Haut
in einem leuchtenden Goldton schimmert, sitzt auf einer mit ihren
abgelegten Gewändern bedeckten Erhöhung und umschlingt mit einem
wunderbaren Ausdruck von Angst und Liebe im Gesicht den von ihrer
Seite aufgesprungenen Adonis. „Mit zähen Armen angeschmiegt,“ wird die
biegsame Gestalt von dem wegeilenden Jüngling mit herumgezogen, der
es eilig hat, mit seinen beutelustig schnuppernden Doggen, denen ein
gefleckter Spürhund zugesellt ist, in den nahen Bergwald zu kommen.
Denn schon zu lange hat der Jäger in den Armen der Liebe verweilt; die
Strahlen des Sonnengottes blitzen durch das sommerliche Gewölk des
dunkelblauen Himmels, der schwül über der braungrünen Landschaft liegt;
und Amor ist im Schatten einer dichten Baumgruppe eingeschlafen. Nur
einen Augenblick hemmt Adonis, dessen bräunlichen Körper ein kurzer
hellroter Chiton bedeckt, noch seinen Schritt; seine linke Faust
greift in die um seinen Oberarm geschlungene Koppelleine der starken
gelben Hatzhunde, die ungeduldig vorwärts drängen; mit der Rechten den
gefiederten Wurfspeer fest umfassend, hat er für die Geliebte nichts
mehr, als einen lächelnden, übermütigen, sorglosen Blick, den er in
ihre Augen wirft (Abb. 95).

Gegen diese wundervollen Gemälde, die dem „Bacchusfest“ und dem
„Venusopfer“ kaum nachstehen, fallen die in dem nämlichen Museum
befindlichen Bilder, welche Tizian zu derselben Zeit für Karl V. gemalt
hat, merkwürdig ab.

Am 31. Mai 1553 hatte der Kaiser von Brüssel aus an seinen Gesandten in
Venedig folgenden Brief geschrieben:

„Hier hat man gesagt, Tizian wäre gestorben, und obgleich das später
nicht bestätigt worden ist und daher wohl nicht so sein wird, so
gebt Uns doch Nachricht über die Wahrheit, und ob er gewisse Bilder
vollendet hat, die er zu machen übernahm, als er von Augsburg abreiste,
oder wie weit er damit ist.“

[Illustration: Abb. 104. +Der heilige Dominikus.+ In der Galerie
Borghese zu Rom.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Darauf lautete die Antwort des Gesandten Vargas vom 30. Juni:

„Tizian lebt und befindet sich wohl und ist nicht wenig erfreut, zu
wissen, daß Eure Majestät sich um ihn Sorge machen; er hatte mir früher
von dem Bilde der Dreieinigkeit gesprochen, ich habe ihn gemahnt, und
so arbeitet er eifrig daran und sagt, daß er es im Laufe des September
fertig bringen wird. Ich habe es gesehen, und es scheint mir, daß es
ein seiner würdiges Werk sein wird, wie ein Bild es ist, das er schon
fertig hat für die Durchlauchtigste Königin Maria, mit der Erscheinung
im Garten vor Magdelena. Von dem anderen Gemälde sagt er, es sei ein
Bild Unserer Lieben Frau, als Gegenstück zu dem ~Ecce Homo~, das
Eure Majestät besitzen, und er könne, da ihm das Größenmaß nicht, wie
versprochen, geschickt worden sei, es nicht machen, bis er diese für
die Ausführung nötige Angabe bekäme.“

Es verging mehr als ein Jahr, bis Tizian die beiden Gemälde fertig
hatte; im September 1554 meldete er ihre Vollendung dem Kaiser, und
einige Wochen später sandte sie Vargas nach Brüssel ab. Der Gesandte
berichtete an Karl V., Tizian habe sich an dieser Arbeit lange
aufgehalten; seine Entschuldigung sei der Wille und das Verlangen, den
Kaiser zufrieden zu stellen, und die Güte der Bilder, von denen das
größere sicherlich ein sehr schätzbares Werk sei.

Auch Tizian selbst erwähnt in seinem Schreiben die Mühe, die er sich an
der „Dreieinigkeit“ gegeben, und daß er es sich nicht habe verdrießen
lassen, die Arbeit von mehreren Tagen wiederholt wegzuputzen, um
das Bild so gut werden zu lassen, daß es den Kaiser und ihn selbst
befriedige.

[Illustration: Abb. 105. +Die Weisheit.+ Deckenbild in der
Bibliothek von S. Marco zu Venedig.]

Das sieht man nun freilich dem Bilde an, daß es nicht in frischem,
fröhlichem Guß entstanden, sondern mühsam zusammengequält worden ist.
Offenbar hat der Meister sich für den vorgeschriebenen Gegenstand
nicht erwärmen können. Der Titel „die Dreieinigkeit“ sagt nicht genug,
und die später gebräuchlich gewordene Benennung „die Glorie“ bezeichnet
nur eine Äußerlichkeit des Gemäldes (Abb. 96). Oben sieht man die
heilige Dreieinigkeit in einem Lichtglanz, den unermeßliche Scharen
von Cherubim und Seraphim umringen; weiter unten steht auf der Wolke
die Jungfrau Maria als Vermittlerin zwischen der Gottheit und den
sündigen Menschen. Ihre Fürbitte wird in Anspruch genommen durch eine
Gruppe von Personen, die, in Leichentücher gehüllt -- gleichsam als
Auferstandene am Tage des Gerichts --, auf tieferen Wolkenschichten
knieen; das sind Kaiser Karl V., der die Krone niedergelegt hat, und
die Kaiserin Isabella, die Königin Maria von Ungarn, der Prinz Philipp
und dessen Schwester Maria. Dieser Gruppe reihen sich weiter unten
einige Nebenfiguren an, unter denen der greise Tizian kenntlich ist,
während ein anderer bärtiger Mann den Gesandten Vargas vorstellt, der
den Meister um diese Anbringung seiner Person gebeten hatte. Von den
Betern aus nach vorn und wieder zurück und hinauf bis zur Jungfrau
Maria hin bilden die Patriarchen und Propheten einen weiten Ring
von mächtigen, in lebhafter Bewegung hinaufschauenden Gestalten; in
besonderer Hervorhebung erscheinen in der Mitte eine Sibylle, Noah mit
der Friedenstaube und der Gesetzgeber Moses. Das Ganze ist ein Gewühl
von Figuren, in derben, aus dem Kopfe gemalten Formen; die Gewänder
von Gott Vater, Christus und Maria stehen in scharfem Blau auf der
lichtgoldigen Glorie; ein ähnlicher blauer Fleck wiederholt sich in der
Mitte des Bildes, in einem Luftdurchblick zwischen den Wolken; den
wahren Tizianischen Farbenreiz hat nur die feine dunstige Landschaft
ganz unten.

Das kleine Bild, das gleichzeitig mit diesem großen Gemälde an
den Kaiser gelangte, stellt die schmerzenreiche Mutter Maria in
etwas weniger als halber Figur dar. Sein schon früher vorhandenes
-- wahrscheinlich im Jahre 1547 gemaltes -- Gegenstück zeigt den
dornengekrönten Heiland im roten Mantel, mit gebundenen Händen (Abb.
97). Diese Schmerzensgestalt ist sehr ausdrucksvoll, und ungezählte
spätere Maler haben, mit weniger Glück, dem Meister den Versuch
nachgemacht, das ganze bedeutungsvolle „~Ecce homo!~“ in einer
Halbfigur oder einem Brustbild auszusprechen. Aber zum erstenmal
begegnen wir hier einem Gemälde Tizians, dem der bezaubernde Farbenreiz
fehlt. Vielleicht trägt der ungewohnte Malgrund einen Teil der Schuld;
denn die beiden Gegenstücke sind auf Schiefer gemalt. Die „~Mater
dolorosa~“ wirkt ebenso wenig oder noch weniger als das „~Ecce
homo~“ durch die Farbe. Aber sie erfüllt den Zweck, durch den
Ausdruck seelischer Schmerzen zu rühren (Abb. 98). Der kaiserliche
Empfänger schätzte jedenfalls die beiden Bilder sehr hoch. Er ließ
sie zu einem Klappaltärchen vereinigen, und in dieser Verbindung
gehörten sie zu einer kleinen Sammlung Tizianscher Gemälde, die Karl
V. mit sich in die Stille von S. Yuste nahm. Dieselbe Bevorzugung
wurde einem anderen, jetzt ebenfalls im Pradomuseum befindlichen
Bilde der schmerzenreichen Mutter zu teil. Dieses Gemälde, ebenfalls
eine Halbfigur (Abb. 99), ist in dem hübschen Gesicht und in den
ineinandergeschlagenen Händen noch ausdrucksvoller als jenes. Seine
Farbe ist kräftig, aber auch nicht wohlthuend; der über das rote
Kleid und den weißen Schleier geschlagene gelbgefütterte Mantel ist
furchtbar blau. Merkwürdig, daß der Meister, der sonst gerade mit
der blauen Farbe wahre Wunder wirken konnte, durch eine das Auge
verletzende Anwendung dieser Farbe das erste Anzeichen einer Abnahme
seiner künstlerischen Kraft gibt. -- Das Hauptstück der Sammlung von
S. Yuste, die außer religiösen Bildern auch das Bildnis des Kaisers
in der Rüstung, dasjenige der Kaiserin und ein Doppelporträt des
Kaisers und der Kaiserin enthielt -- war das Dreieinigkeitsbild. Dieses
Gemälde hing dem Sterbebett gegenüber, und auf ihm ließ Karl V. am
21. September 1558, nachdem er eine Zeitlang das auf seinen Wunsch
herbeigebrachte Ehebildnis betrachtet hatte, seine Blicke haften, bis
er die weltmüden Augen schloß.

Von dem Gemälde für die Königin Maria, das Vargas im Jahre 1553 schon
vollendet in des Meisters Werkstatt sah, ist nur ein Bruchstück in
das Madrider Museum gerettet worden: der obere Teil von der Figur des
Auferstandenen mit der Gärtnerhacke in der Hand; der Kopf steht warm
und farbig auf einer sehr blauen, hellwolkigen Luft, über einer weißen
Tunika liegt ein blaues Obergewand.

Tizians Gesundheit war angegriffen, während er an jenen Werken für
den Kaiser arbeitete. Er klagte um diese Zeit einem Arzt, daß es Tage
gebe, an denen er sich gezwungen fühle, müßig zu gehen, in jähem
Wechsel mit Tagen, an denen er mit wahrer Leidenschaft male. Sein
Gemütszustand litt darunter, daß es ihm trotz aller Bemühungen nicht
gelang, die reichlichen Einkünfte, die der Kaiser ihm angewiesen hatte,
auch wirklich zu bekommen. Am meisten aber drückte ihn der Kummer
über seinen ältesten Sohn Pomponio, der dem geistlichen Kleid, das er
trug, wenig Ehre und dem Vater wenig Freude machte. Während Tizian mit
einer rührenden väterlichen Besorgtheit, die manchmal geradezu die
Erscheinungsform der Habgier annahm, sich bemühte, dem Sohne Pfründen
zu verschaffen, vergeudete dieser, was der Vater erwarb. Im Jahre 1554
erreichte der Verdruß über den mißratenen Sohn eine solche Höhe, daß
Tizian bewirkte, daß die Pfründe des mantuanischen Stifts Medole dem
Pomponio entzogen und einem Vetter desselben übertragen wurde. Als
Tizian den nunmehrigen Inhaber, seinen Neffen, in Medole besuchte,
wurde er krank und mußte längere Zeit in dessen Hause liegen. Zum Dank
für die genossene Pflege schenkte er ein Altarbild in die Kirche von
Medole, eine religiöse Allegorie, die sich noch dort befindet.

Wie körperliches und seelisches Leiden Furchen in das Gesicht des
Meisters gruben, sein Aussehen gedrückt und seine Haltung gebeugt
werden ließen, das zeigt uns sein Selbstbildnis in einem im Schloß zu
Windsor befindlichen Doppelporträt, wo er einem jüngeren Manne in
senatorischer Tracht, dessen Persönlichkeit nicht feststeht, über die
Schulter blickt (Abb. 100).

[Illustration: Abb. 106. +Die Grablegung Christi.+ Im Pradomuseum
zu Madrid.

(Nach einer Originalphotographie von J. Laurent & Cie., Madrid.)]

Gegen Ende des Jahres 1554 und in den ersten Monaten des folgenden
finden wir Tizian mit der Ausführung des Bildnisses und des Votivbildes
des neuen Dogen Francesco Venier beschäftigt. Das waren die letzten
amtlichen Dogenbilder, die Tizian malte; denn unter dem Nachfolger
Veniers wurde er von dieser Verpflichtung entbunden.

Auf Veniers Veranlassung wurde Tizian beauftragt, auch zum Gedächtnis
des im Jahre 1523 gestorbenen Dogen Antonio Grimani ein Votivbild zu
malen, da es während dessen kurzer Regierungszeit nicht zur Ausführung
eines solchen gekommen war. Tizian nahm dieses Gemälde alsbald in
Arbeit. Aber es wurde nie an seinen Bestimmungsort gebracht, sondern
blieb in der Werkstatt stehen. Diesem Umstande verdankt es, als das
einzige seiner Art, die Erhaltung. Es wurde nach des Meisters Tod,
von Schülerhand fertig gemacht, in dem „Saal der vier Thüren“ im
Dogenpalast aufgestellt, wo es sich noch befindet. Wahrscheinlich hat
die venezianische Regierung daran Anstoß genommen, daß Tizian hier
den Dogen nicht, wie üblich, vor der Mutter Gottes, sondern vor einer
allegorischen Gestalt, der Verbildlichung des christlichen Glaubens,
im Gebete knieen läßt. Nach dieser Gestalt wird das Bild gewöhnlich
„~la Fede~“ (der Glaube) genannt. Die Fides, durch Kreuz und
Abendmahlskelch nach dem Herkommen gekennzeichnet, erscheint in einem
Lichtschein, den ein von Cherubimköpfen angefüllter Wolkenring umgibt.
Von der Bewegung des Herannahens in der Wolke wehen ihr Schleier, das
offene Haar und der Gürtel rückwärts, die Falten des nach dem Muster
der Antike gebildeten Gewandes wallen. Mit der Rechten hält sie, von
einem kleinen Engel unterstützt, den Kelch hoch in die Höhe, mit der
Linken hat sie das große Kreuz gefaßt, das zwei Engelkinder tragen
helfen. Sie blickt hoheitsvoll und mit milder Freundlichkeit zu dem
Dogen herab. Die irdischen Gestalten, der Doge und sein Gefolge, bilden
vor einer Säulenarchitektur und einem schweren Vorhang eine Gruppe
von prachtvoller Wirkung. Grimani kniet in Harnisch und Pupurmantel
auf einem Kissen, mit vorgestreckten Händen, wie in antiker Weise
betend; sein wunderbar ausdrucksvoller magerer Greisenkopf trägt ein
weißes Käppchen auf dem kahlen Scheitel. Neben ihm kniet ein Page
im Brokatgewand, der die reichgeschmückte Dogenmütze hält. Hinter
ihm stehen zwei Krieger, die stumm und befangen auf die Erscheinung
blicken, zu der der Fürst mit Hingebung und Vertrauen aufschaut. Auf
der anderen Seite des Bildes, dem Dogen gegenüber, steht der heilige
Markus, eine majestätische Gestalt; er wendet, von seinem Buche
aufblickend, den schönen, kräftigen Kopf nach der Erscheinung um; der
kennzeichnende Löwe liegt ihm zu Füßen. Zwischen ihm und dem Dogen
sieht man über dem auf einen schmalen Streifen beschränkten Steinboden,
der die sämtlichen unteren Figuren trägt, ein Stück Venedig mit dem
Dogenpalast und dem Markusturm (Abb. 101).

Am 15. Januar 1556 verzichtete Karl V. zu Gunsten seines Sohnes auf die
Krone von Spanien; zugleich übergab er demselben seine italienischen
Besitzungen. Am 4. Mai schrieb der junge König Philipp II. an Tizian in
dem gewohnten freundschaftlichen Ton, ihn mit „~Amado nuestro~“
(Unser Geliebter) anredend, um ihm für einen neulichen Brief zu danken
und seiner Befriedigung darüber, daß er demnächst wieder mehrere
Werke des Meisters erwarten dürfe, Ausdruck zu geben. Es hat etwas
Rührendes, wie der König sich in diesem Schreiben bemüht, den Maler
hinsichtlich der Beschädigung des Adonisbildes, über die er dem
Gesandten Vargas recht heftige Vorwürfe gemacht hatte, zu beruhigen
durch die Versicherung, der Schaden sei durch Unvorsichtigkeit beim
Auspacken in Brüssel entstanden. Doch unterläßt er nicht, die Ermahnung
hinzuzufügen, Tizian möge die neuen Bilder recht sorgfältig verpacken.

Wie aus dem Schreiben des Königs hervorgeht, hatte Tizian die Bilder,
die er damals für ihn fertig hatte, nicht genannt. Die nächste
erhaltene Nachricht über Absendung eines Gemäldes an Philipp II. gibt
die Kunde, daß eine im November 1557 abgeschickte „Grablegung Christi“
durch die Schuld der Thurn und Taxisschen Post verloren ging.

Zu den, wie man doch annehmen muß, im Sommer 1556 beförderten Bildern
gehört vielleicht die im Pradomuseum befindliche Darstellung des
Sündenfalls, von der man nur weiß, daß sie aus der Sammlung Philipps
II. stammt, über deren Anfertigungs- oder Ablieferungszeit aber kein
Beleg vorhanden ist. In dem obenerwähnten Brief von 1554 spricht
Tizian von einem Gemälde, das er schon vor zehn Jahren angefangen habe
und jetzt zu vollenden beabsichtige. In solcher Weise könnte wohl
das Bild des Sündenfalls entstanden sein. Denn in diesem mächtigen
Werk, das leider die Spuren von schweren, wahrscheinlich bei dem
Brande von 1734 erlittenen Beschädigungen trägt, vereinigt sich die
ganz breite und weiche Malweise, die Tizian in seinem Greisenalter
zu einem staunenswürdigen Maße ausbildete, mit einer Vollkommenheit
der Erfindung und Gestaltung nach jeder Richtung hin, die den
Gedanken nahe legt, daß es in einer früheren Zeit entworfen sein
müsse. Die Gestalten von Adam und Eva stehen mit den warmen Tönen des
verschiedenartigen, hier ganz lichten, dort bräunlichen Fleisches
in wunderbar feiner Stimmung zu dem braungrünen Gesamtton des
Landschaftlichen im Vordergrunde, der blauen Ferne und der wolkigen
Luft; und ebenso vollendet ist der Zusammenklang der Linien der
beiden großartigen Gestalten mit den Linien der Baumstämme und der
belaubten Zweige. Dazu die Größe des Ausdrucks! Eva zittert, indem
sie dem Verlangen nachgibt und aus der Hand des Versuchers, der aus
dem Schlangenleibe mit Kopf und Armen eines Kindes, eines teuflischen
Cupido, hervorkommt, die verbotene Frucht entgegennimmt; sie bedarf
eines Haltes und lehnt sich so schwer auf einen Wurzelschößling des
Baumes, daß das armdicke Stämmchen sich unter dem Drucke biegt. Adam
ist sitzen geblieben, hat nicht ja und nicht nein gesagt; jetzt macht
seine Hand eine Bewegung des Zurückhaltens gegen das Weib; aber diese
Bewegung ist keine entschiedene mehr, und sein Blick hängt schon
begehrlich an der glänzenden Frucht (Abb. 102).

[Illustration: Abb. 107. +Die heilige Magdalena.+ Im Museum der
Ermitage zu St. Petersburg.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Eine in dem nämlichen Briefe von 1554 angekündigte und vermutlich
1556 abgesandte Darstellung von Perseus und Andromeda, die von Vasari
besonders gerühmt wird, und ein gleichzeitiges, für die Königin
bestimmtes Andachtsbild sind verschwunden. -- Über welch mächtige
Schaffenskraft der Meister noch verfügte, bekunden mehrere für Venedig
gemalte und noch dort befindliche Werke, die zweifellos auch der
Erfindung nach der Zeit vom Ende des achten und vom Beginne des neunten
Jahrzehnts seines Lebens angehören.

[Illustration: Abb. 108. +Bildnis eines Unbekannten+, vom Jahre
1561.

In der königl. Gemäldegalerie zu Dresden.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Eine vornehme Venezianerin, Elisabetta Quirini, beauftragte Tizian,
für die Begräbniskapelle ihres im Anfange des Jahres 1556 gestorbenen
Gatten Lorenzo Massolo in der Kirche der Crociferi ein großes
Altargemälde mit der Darstellung von dessen Namensheiligem auszuführen,
und der Meister schuf in Erfüllung dieses Auftrages ein Werk, das als
der „Assunta“ und dem „Petrus Martyr“ ebenbürtig gepriesen wurde.
Leider ist das Gemälde so stark nachgedunkelt, daß seine ursprüngliche
Wirkung sich kaum noch würdigen läßt, zumal da es an seinem jetzigen
Aufenthaltsort, in der Jesuitenkirche, nur sehr wenig Licht bekommt. In
Figuren von überlebensgroßem Maßstab ist die Marter des jugendlichen
Glaubenszeugen mit unbarmherziger Lebenswahrheit geschildert. Auf
dem von stattlichen Gebäuden eingeengten Vorplatz eines Tempels ist
der Eisenrost aufgestellt, auf dem die schöne Gestalt des Jünglings
ausgestreckt ist. Es ist Nacht, und die Beleuchtung geht von dem
flackernden Feuer unter dem Rost und von einer in der Höhe angebrachten
Pechfackel aus; nur der heilige Laurentius selbst wird noch von einem
anderen, überirdischen Licht beleuchtet, das durch Finsternis und
Rauch hindurchdringt und zu dessen am Nachthimmel gleich einem Stern
schimmernden Quell der Gemarterte Antlitz und Hand erhebt, während
die wilden Schergen unter der Aufsicht eines von Soldaten begleiteten
berittenen Befehlshabers sich anschicken, ihn umzuwenden und durch
Anschüren des Feuers und durch Mißhandlungen seine Qual zu vergrößern.
In dem Blick des Heiligen ist der Sieg über alle irdische Qual so
vollständig ausgesprochen, daß der Künstler es für überflüssig halten
konnte, die üblichen versöhnenden Engelserscheinungen anzubringen.

Vor der Vollendung dieses großen Gemäldes, das den Meister sicher
mehrere Jahre hindurch beschäftigte, entstand ein kleineres Altarbild,
das im Jahre 1557 als etwas Neues in Venedig besprochen und bewundert
wurde. Das ist das jetzt in der Akademie befindliche großartig erdachte
Bild des Täufer Johannes, der als der Prediger in der Wüste aus der
Felsenwildnis hervortritt und mit strengen, glühenden Augen zu den
Beschauern redet (Abb. 103).

Als eine Schöpfung von ähnlichem Feuer und ähnlicher Größe der
Auffassung sei hier das Bild eines anderen Predigers, des heiligen
Dominicus, erwähnt, das sich in der Borghesischen Galerie zu Rom
befindet und das zu derselben Zeit entstanden sein könnte (Abb. 104).

Außer den beiden Altarbildern besitzt Venedig noch ein ausgezeichnetes
Dekorationsstück von Tizian aus derselben Zeit. In der von Sansovino,
einem der liebsten Freunde des Meisters, erbauten Bibliothek von S.
Marco wurde im Jahre 1556 mit der Ausschmückung des großen Saales
durch Freskomalereien begonnen. Tizian hatte als Preisrichter dem
jungen Veroneser Paolo Caliari als dem Sieger im Wettbewerb um diese
Aufgabe eine goldene Kette überreicht. Während dieser hier arbeitete,
konnte der alte Meister es sich nicht versagen, in dem vor jenem Saal
gelegenen Eingangsraum, der im übrigen nur mit architektonischer
Dekorationsmalerei geschmückt wurde, das Gerüst zu besteigen und in das
achteckige Mittelfeld der Decke die in den Wolken thronende Gestalt
der Weisheit zu malen. Als ob man sie draußen in der Höhe sähe, ist
die mit wunderbarem Geschick in das Achteck hineinkomponierte Figur in
starker Verkürzung von unten dargestellt. In ein weißes Untergewand
und ein um die Beine geschlungenes gelbgrünes Obergewand gekleidet,
das lorbeerbekränzte Haupt von einem gelben Schleier umwallt, lagert
sie in erhabener Ruhe auf dem Wolkensitz, mit einer entfalteten
großen Schriftrolle in der einen Hand, und mit der anderen eine Tafel
berührend, die ein Flügelknabe ihr entgegenhält. Dieses Deckenbild ist
ein in seiner Art klassisches Werk: so groß und schön im Gedanken und
in den Formen, wie dekorativ wirkungsvoll als Raumfüllung (Abb. 105).

[Illustration: Abb. 109. +Tizians Tochter Lavinia als Frau.+

In der königl. Gemäldegalerie zu Dresden.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

[Illustration: Abb. 110. +Bildnis eines jungen Mädchens.+ In der
königl. Gemäldegalerie zu Dresden.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

König Philipp II. schickte, nachdem er in Gent die Nachricht vom Tode
seines Vaters empfangen hatte, alsbald den durch eine eigenhändige
Nachschrift geschärften Befehl an seinen Statthalter in Mailand, daß
alle von Karl V. dem Tizian bewilligten, noch rückständigen Jahrgelder
ausgezahlt werden sollten. Nach Empfang dieses Befehls setzte der
Statthalter, der Herzog von Sessa, Tizian davon in Kenntnis, mit
der Aufforderung, das Geld in Mailand abzuholen. Tizian beauftragte
wegen seines Alters, das ihm das Reisen nun doch beschwerlich machte,
seinen Sohn Orazio mit der Empfangnahme der Gelder. Orazio brach
im Frühjahr 1559, mit einer Ladung von Bildern ausgerüstet, nach
Mailand auf. Er verweilte dort längere Zeit, da der Herzog ihn mit der
Ausführung seines Porträts beauftragte. Seine friedliche Thätigkeit
wurde durch ein schreckliches Ereignis abgebrochen. Am 14. Juni machte
der Bildhauer Leone Aretino, bei dem er als Gastfreund wohnte, mit
mehreren Leuten einen Mordanfall auf ihn, um ihn zu berauben. Orazio
lag, von sieben Degen- und Dolchstichen getroffen, am Boden, als
durch das Geschrei eines zufällig herbeikommenden Dieners, der auch
noch drei Stiche erhielt, die Nachbarschaft herbeigerufen wurde,
so daß die Mörder sich zurückziehen mußten. Der schwer, aber nicht
tödlich Verwundete wurde in eine Herberge gebracht und durch den
Chirurgen des Herzogs verbunden. -- Man kann sich denken, in welche
fürchterliche Aufregung der alte Vater durch diese Nachricht versetzt
wurde. Er schrieb sofort an den König und bat um strenge Bestrafung des
Raubmörders. Wenn Orazio das Leben verloren hätte, versichert er in dem
Schreiben, so würde er, der Alte, darüber den Verstand und somit auch
die Fähigkeit, dem Könige mit seiner Kunst zu dienen, verloren haben.
-- Aber Leone muß mächtige Freunde in Mailand gehabt haben; er wurde
nach kurzer Zeit aus der Haft entlassen, das Verfahren gegen ihn wurde
hingeschleppt, und erst nach Jahren wurde die Missethat durch eine
Geldbuße gesühnt.

Mit dem Schreiben Tizians kreuzte sich ein Schreiben Philipps II.,
worin dieser dem Meister die Weisung gab, zwei als fertig angemeldete
„Poesien“ über Genua abzusenden und ein neues Bild der Grablegung
Christi als Ersatz für das verloren gegangene anzufertigen.

[Illustration: Abb. 111. +Bildnis einer Dame in rotem Kleid.+

In der königl. Gemäldegalerie zu Dresden.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Den letzteren Auftrag führte Tizian in der kurzen Zeit von sechs Wochen
aus. An den mythologischen Bildern hatte er seit Jahren mit Fleiß
gearbeitet. Am 27. September 1559 wurden die drei Gemälde nach Madrid
abgeschickt. Tizian hatte noch ein viertes, kleineres hinzugefügt, das
Bild einer Dame in gelber Kleidung und morgenländischem Aufputz; in
seinem Begleitschreiben bezeichnete er es als das Abbild derjenigen,
die die unbedingte Herrin seiner Seele sei, so daß er dem Könige
nichts Lieberes und Kostbareres senden könne. Über den Verbleib dieses
letztgenannten Bildes, in dem man wohl mit Recht ein Phantasieporträt
Lavinias vermutet, ist nichts bekannt. Die beiden „Poesien,“ in
denen die Mythen von Diana und Aktäon und von Diana und Kalisto in
figurenreichen Darstellungen geschildert werden, sind im Anfang des
XVIII. Jahrhunderts von König Philipp V. an den Marquis von Gramont
verschenkt worden und befinden sich jetzt in der Sammlung des Lord
Ellesmere zu London. Das Museum zu Madrid bewahrt von ihnen sehr
geschickt gemalte Kopien in verkleinertem Maßstab, die neben den
älteren Werken verwandten Inhalts bekunden, daß der Reiz, den Tizian
in derartige Darstellungen zu legen wußte, im Erlöschen war. -- Ein
fesselndes Werk ist die schnell gemalte Grablegung, die, nachdem
sie zuerst in Aranjuez, dann im Escorial einen Altar geziert hatte,
sich jetzt ebenfalls im Pradomuseum befindet. In der Komposition
unterscheidet sich dieses Gemälde von dem um mehr als ein Menschenalter
früher entstandenen inhaltsgleichen Pariser Bilde hauptsächlich
dadurch, daß der heilige Leichnam nicht zu Grabe getragen, sondern in
einen Marmorsarkophag hinabgesenkt wird. Von der Herzenswärme und dem
Farbenzauber, die in dem früheren Bilde leben, ist keine Rede mehr.
Aber das Machwerk ist staunenswürdig. In ein einigermaßen eintönig
zusammenklingendes Ganze sind ein paar starke Farben -- Krapprot
in der Kleidung des Nikodemus, der in gebückter Stellung die Beine
des Heilandes hält, und Blau im Mantel der Mutter Maria -- keck
hineingesetzt. Das ganze Gemälde offenbart sich als das Werk eines
Künstlers, der ein ungeheures Maß von Wissen und Können spielend
beherrscht und dem es dadurch gelungen ist, auch ohne viel Aufwendung
von Herzensarbeit in glücklichem Wurf noch ein schönes Bild zu schaffen
(Abb. 106).

[Illustration: Abb. 112. +Bildnis einer Dame in Trauer.+ In der
königl. Gemäldegalerie zu Dresden.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Im Jahre 1560 ließ Tizian ein Bild der heiligen drei Könige an Philipp
II. abgehen. Auch dieses Gemälde befindet sich im Pradomuseum. Es wirkt
trotz des malerischen Prunkes in der Schilderung des Aufzuges der drei
Weisen, die mit großem Gefolge zu der Hütte in Bethlehem gekommen
sind, nicht besonders anziehend, und man muß ohne Frage eine starke
Beteiligung von Schülerhänden annehmen.

[Illustration: Abb. 113. +Selbstbildnis+, wahrscheinlich aus dem
Jahre 1562. Im Pradomuseum zu Madrid.

(Mit Genehmigung der Photographischen Gesellschaft in Berlin.)]

Ein erwähnenswertes Zeugnis von der Unternehmungslust des greisen
Künstlers ist es, daß er in einem Schreiben vom 22. April 1560
dem Könige den Vorschlag machte die Siege Karls V. in Gemälden zu
verherrlichen. Hauptzweck dieses Schreibens war die Klage Tizians
darüber, daß er eine in Genua für ihn angewiesene Summe ebensowenig
ausgezahlt bekam, wie vordem das mailändische Gehalt. „Es scheint,“
sagt Tizian ganz offen, „daß Eure Majestät, die über die mächtigsten
und stolzen Feinde mit Ihrer unüberwindlichen Macht zu siegen wissen,
den Gehorsam Ihrer Beamten nicht besitzen.“

[Illustration: Abb. 114. +Ein venezianischer Nobile.+ In der
königl. Pinakothek zu München.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Der König scheint die Ordnung dieser Angelegenheit übersehen zu haben.
Ein Jahr später kam Tizian noch einmal auf die Sache zurück und
kündigte dabei ein Magdalenenbild an, das mit seinen thränenvollen
Augen ihm als Fürsprecher dienen solle. Philipp II. befahl darauf die
sofortige Auszahlung des Geldes. Auch jetzt versuchten die Genuesen
noch, den Meister zu benachteiligen, indem sie die Summe anstatt in
Gold, in Silber schickten, was einen Unterschied von 200 Dukaten
machte. Aber Tizian meldete auch das ohne Zaudern dem König, und er
bekam von diesem alsbald in einem freundschaftlichen Antwortschreiben
die Mitteilung von dem erlassenen Befehl zur Regelung der Sache.

Das erwähnte Magdalenenbild wurde Anfang Dezember 1561 abgeschickt.
Sein Verbleib ist nicht nachzuweisen. Man darf annehmen, daß es
übereinstimmend gewesen ist mit der aus dem Nachlaß des Meisters
stammenden ausdrucksvollen Halbfigur in der Ermitage zu Petersburg
(Abb. 107). Von der Beliebtheit dieser Darstellung legt der Umstand
Zeugnis ab, daß Tizian dieselbe häufiger und unveränderter als irgend
ein anderes seiner Bilder mit Beihülfe von Schülern wiederholt hat.

In ganzer Größe zeigt sich uns der alte Tizian noch da, wo er
unmittelbar nach der Natur gemalt hat, im Bildnis. Die Jahreszahl
1561 liest man in der verstümmelten Inschrift eines in der Dresdener
Galerie befindlichen Porträts eines schwarzgekleideten Herrn mit der
befremdlichen Beigabe eines Palmenzweigs in der Hand (Abb. 108).

Das vollendetste Meisterwerk der Bildniskunst seines hohen Alters
ist wohl das um dieselbe Zeit gemalte Porträt seiner Tochter in
der nämlichen Galerie. Lavinia, die im Sommer 1555 von Cornelio
Sarcinelli heimgeführt worden war, erscheint hier als eine zu kräftiger
Fülle ausgereifte Frau mit einem würdigen Ausdruck in dem stärker
gewordenen Gesicht, der in seiner Art ebenso ansprechend ist wie der
Unschuldsblick in ihrem Mädchenbilde. Auf das in Venedig von der
Mode verlangte Bleichen des Haares hat sie in dem Bergstädchen, wo
sie jetzt lebte, verzichtet: das Haar zeigt statt des goldigen Blond
seine natürliche kastanienbraune Farbe. Sie trägt ein mit weißen
Seidenpuffen und mit Goldlitzen verziertes Kleid von grünem Sammet und
hält einen großen Fächer aus Straußenfedern in der Hand; im Haar, an
Hals und Brust und am Gürtel glänzen Perlen und anderes Geschmeide,
ein Teil ihres Juwelenbesitzes, über den ihr Gatte dem Vater eine
besondere Quittung zu der Empfangsbescheinigung über die ansehnliche
Mitgift ausgestellt hatte. Kleidung und Schmuck, Fleisch und Haar
sind mit einem braunem Hintergrund zu vollendeter Farbenschönheit
zusammengestimmt (Abb. 109). -- Es mag gestattet sein, an dieser Stelle
auch die drei anderen weiblichen Bildnisse zu erwähnen, welche die
Dresdener Galerie als Werke Tizians besitzt: das Mädchen mit der Vase
(Abb. 110), die Dame im roten Kleid (Abb. 111) und die Dame in Schwarz
mit dem Trauerschleier (Abb. 112). Bei diesen drei Bildern, von denen
das erstgenannte leider durch starke Übermalung seinen besten Reiz
verloren hat, ist Tizians Urheberschaft nicht ganz unzweifelhaft. Aber
selbst als Werke von Schülern oder Nachahmern würden sie von dem Geist
des Meisters Zeugnis ablegen, der es in unerreichter Weise verstanden
hat, jedem Porträt seine besondere Auffassung zu geben und aus jedem
ein vollendetes Kunstwerk von besonderer malerischer Eigenart zu
machen. -- In demselben Sinne darf auch das prächtige Bildnis eines
venezianischen Edelmannes in der Münchener Pinakothek (Abb. 114)
angeführt werden.

Im Jahre 1562 malte Tizian, wie Vasari berichtet, ein Selbstporträt.
Dieses dürfen wir wohl in dem im Pradomuseum befindlichen Bilde
erkennen, das den Meister in der Seitenansicht mit ganz weiß gewordenem
Barte zeigt (Abb. 113).

[Illustration: Abb. 115. +Die heilige Jungfrau mit dem
Jesusknaben.+

In der königl. Pinakothek zu München.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Im April 1562 hatte Tizian, nach längerer Arbeit als er gedacht hatte,
zwei vor Jahr und Tag angekündigte neue Gemälde für König Philipp II.
fertig. Das eine stellte das Gebet Christi am Ölberg dar, das andere
den Raub der Europa. Ein kleines Bild, dessen Gegenstand nicht genannt
wird, war kurz vorher nach Spanien abgegangen. Die „Europa auf dem
Stier“ wird als ein hervorragendes Werk geschildert; sie ist, wie
die Bilder von Aktäon und von Kalisto, im vorigen Jahrhundert nach
Frankreich gekommen, und befindet sich jetzt in England in der Sammlung
des Lord Darnley. Von „Christus am Ölberg“ sind zwei von einander
verschiedene Bilder im königlichen Besitz in Spanien vorhanden.
Das eine befindet sich noch im Escorial und ist, wie die meisten
Gemälde, die bei der Einrichtung des Pradomuseums dort zurückgelassen
wurden, in sehr verdorbenem Zustande. Das andere, im Pradomuseum,
ist ein merkwürdiges Nachtstück: zwei Kriegsleute, von denen einer
eine Laterne trägt, suchen den Heiland, der, von einem sanften
Himmelslicht bestrahlt, in der Ferne auf dem Berge kniet und betet; die
Christusfigur ist das einzige Farbige und Beleuchtete auf dem Bilde.

In dem Begleitschreiben zu jenen Gemälden berichtete Tizian dem König,
daß er an einem Marienbild arbeite, und er gibt die Versicherung, daß
er trotz seines Entschlusses für den Rest seiner hohen Jahre sich etwas
Ruhe zu gönnen, fortfahren werde, dem Könige mit seiner Kunst zu dienen.

Zwischen diesem und dem nächsten erhaltenen Briefe des Meisters an
Philipp II. liegen fünfzehn Monate. Daß die Zwischenzeit durch Werke
ausgefüllt wurde, über die nur die Nachrichten fehlen, ist um so
eher anzunehmen, als in dem Brief, worin der König schreibt, daß er
die Bilder „Christus am Ölberg“ und „Europa“ erwarte, der Nennung
dieser beiden die Worte „und die übrigen“ (~y los demas~)
hinzugefügt sind, und als auch über die Vollendung und Versendung jenes
Marienbildes keine Kunde erhalten ist. Ein Marienbild, das dieser
Zeit anzugehören scheint und das angeblich aus Spanien gekommen ist,
besitzt die Münchener Pinakothek: eine lebensgroße, lebendig bewegte
Gruppe von Mutter und Kind mit Abendstimmung in der Landschaft (Abb.
115). -- Vielleicht darf man hierhin die Entstehung und Übersendung
eines Gemäldes setzen, über das weiter nichts Schriftliches vorliegt,
als seine Nennung in einem von Tizian später aufgestellten Verzeichnis
der Bilder, welche der König von ihm empfangen hatte: „Venus mit
Amor, der ihr den Spiegel hält“. Zwar ist das nach Spanien geschickte
Bild dieses Gegenstandes verschollen; aber die Sammlung der Ermitage
zu Petersburg besitzt ein aus dem Nachlasse des Meisters stammendes
anderes Exemplar desselben. Auch gibt es davon mehrere von Schülern
ausgeführte Wiederholungen. Venus sitzt in einem pelzbesetzten
Morgenrocke von tiefrotem Sammet, aus dem sie den linken Arm
herausgezogen hat, so daß durch das Niedergleiten des Kleidungsstückes
der Oberkörper entblößt worden ist, auf einem mit gestreiftem Polster
bedeckten Ruhebett und betrachtet ihr Gesicht in dem Spiegel, den ein
stämmiger kleiner Liebesgott mit Kraftaufwand vor ihr hochhält. Das
helle Fleisch wird außer durch das Rot und Braun des Gewandes durch
einen dunkelolivengrünen Vorhang und eine bräunliche Wand prächtig
hervorgehoben. Das blonde Haar, goldene Armbänder, das gelbe Köcherband
Amors -- der Köcher selbst liegt abgebunden zu dessen Füßen -- und
die gestickte Borte des Gewandes spielen mit ihren verschiedenen
Goldtönen reizvoll in das kühle Fleisch und das warme Purpurrot hinein.
Ein vereinzelter blauer Fleck -- das Tüchlein, das Amor in die Hand
genommen hat, um den Ebenholzrahmen des Spiegels damit anzufassen --
steht in feiner Zusammenstimmung zwischen dem gelben Köcherband und
dem roten Gewande. Auf dem Petersburger Exemplare ist ein zweiter
Liebesgott hinzugefügt, der hinter dem Spiegel stehend und von diesem
beschattet, sich aufreckt, um der Venus einen Kranz ins Haar zu setzen
(Abb. 116).

[Illustration: Abb. 116. +Venus mit dem Spiegel.+ In der Ermitage
zu St. Petersburg.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Im Juli 1563 teilte Tizian dem König Philipp II. mit, daß er
beabsichtige, nach so vielen Fabeldarstellungen ihm ein großes
religiöses Geschichtsbild zu übersenden; und zwar sollte dies ein
vor sechs Jahren angefangenes Bild des letzten Abendmahles des Herrn
in lebensgroßen Figuren sein. Nach dem Wortlaut des Briefes fehlte
nicht mehr viel an der Vollendung des Gemäldes. Aber erst im Herbst
1564 wurde das umfangreiche Werk fertig. Garcia Hernandez, der
spanische Geschäftsträger in Venedig, war überzeugt, daß Tizian die
Ablieferung des Bildes absichtlich verzögere „nach seiner Schlauheit
und Habsucht“, bis zum Eintreffen eines Befehls von seiten des Königs
zur Berichtigung der wieder vorhandenen Rückstände. Tizian hatte wohl
gelernt, mißtrauisch in dieser Beziehung zu sein. Philipp II. aber
gab sich ehrlich Mühe, ihm zu allem was ihm zugesichert worden war,
zu verhelfen; er erließ im Jahre 1564 dahingehende Befehle nicht nur
an den Statthalter von Mailand, sondern auch an den Vizekönig von
Neapel, der die Verwirklichung gewisser Einkünfte von dort, die Karl
V. vor vielen Jahren dem Meister angewiesen hatte, ohne daß dieser
jemals zu deren Genuß gekommen wäre, besorgen sollte. -- Das Mittel
des Bilderverschenkens an maßgebende Persönlichkeiten wendete der
alte Tizian noch immer an. Hernandez flicht in seinen Bericht an den
Minister Perez in Madrid, der jene Äußerung über Tizian enthält, die
Bemerkung ein, wenn der Minister „einige Sächelchen von dessen Hand“
haben wolle, so sei die Gelegenheit günstig. Der Alte, der immer
arbeiten könne, sagt er, würde, wenn er Geld sähe, mehr thun, als mit
seinem Alter vereinbar sei. Das Bild des Abendmahls bezeichnet er als
eine wunderbare Sache, die von Kunstverständigen und von allen die
es sehen, zu den besten Werken des Meisters gezählt würde. -- Jetzt
ist dieses Gemälde, das im Refektorium des Escorial hängt, nur noch
eine Ruine. Die Luft im Escorial scheint der Erhaltung von Gemälden
nicht günstig zu sein; so ist das Bild im Lauf der Zeit so oft durch
Übermalungen „aufgefrischt“ worden, daß kaum noch etwas Ursprüngliches
von seiner Farbe zu sehen ist; außerdem aber ist ihm oben, um es der
Wand anzupassen, der ganzen Länge nach ein breites Stück abgeschnitten
worden, so daß auch die durch den Linienzusammenklang der Figuren mit
der Architektur bedingte Wirkung der Komposition zerstört ist.

Einige Monate vor der Absendung des Abendmahlsbildes hatte Tizian dem
König, wohl um ihm eine kleine Entschädigung für das lange Warten
auf jenes Gemälde zu geben, ein Bildnis der römischen Königin Maria,
der mit ihrem deutschen Vetter Maximilian, dem nachmaligen Kaiser,
vermählten Schwester Philipps II., geschickt. Das Porträt ist, wie so
vieles andere von Tizians Werken, nicht mehr vorhanden.

[Illustration: Abb. 117. +Der Arzt Parma.+ In der kaiserl.
Gemäldegalerie zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von J. Löwy in Wien.)]

Gleich nach der Vollendung des „letzten Abendmahls“ sollte Tizian auf
Wunsch des Königs den heiligen Laurentius in einem großem Altarbild für
die auf den Namen dieses Heiligen geweihte Kirche des Escorial malen.
Als einen Beweis von dem Eifer des Meisters für diese Arbeit meldete
Hernandez dem Könige gleichzeitig mit der Anzeige von der Verpackung
jenes großen Gemäldes, daß Tizian sofort den nämlichen Blendrahmen,
auf dem jenes aufgespannt gewesen, für das Laurentiusbild benutzen
werde. „Er ist kräftig und gut im Stande zu arbeiten“, fügt Hernandez
hinzu, „und wenn es Eurer Majestät Wunsch ist, daß er einige andere
eigenhändige Sachen mache, so wird es nötig sein, ihn zeitig davon
zu benachrichtigen; denn nach der Aussage von Leuten, die ihn seit
vielen Jahren kennen, geht er gegen die Neunzig, obgleich er sich
das nicht merken läßt“. -- Das Laurentiusbild, eine Wiederholung des
Altargemäldes in der Kirche der Crociferi, wurde im Frühjahr 1566 als
nahezu vollendet gemeldet. Aber seine Absendung nach Spanien erfolgte
erst im Dezember 1567.

Inzwischen arbeitete der Meister, der gerade jetzt wieder eine
außerordentliche Schaffenskraft besessen zu haben scheint, keineswegs
ausschließlich für den König. Er hatte im Herbst 1564 die Anfertigung
von drei großen Gemälden mythologisch-allegorischen Inhalts -- das
Gegenständliche wurde genau vorgeschrieben -- zum Schmuck der Decke
des Rathauses in Brescia übernommen. Er hatte um dieses Auftrags
willen eine Reise nach Brescia nicht gescheut. Von seiner körperlichen
Rüstigkeit gab er auch im folgenden Jahre durch einen Besuch in seiner
Vaterstadt einen Beweis, wo er den Plan zur Ausschmückung der dortigen
Kirche entwarf.

Bei der Ausführung der großen Deckenbilder für Brescia scheint er das
meiste seinen Gehülfen, unter denen sein Sohn Orazio immer noch an
erster Stelle stand, überlassen zu haben. Wenigstens ließ er sich
einen Abzug an der Bezahlung, den die Brescianer wegen Mangels der
Eigenhändigkeit machten, nach einigem Sträuben gefallen. Die Bilder
sind schon im Jahre 1575 durch Feuer zu grunde gegangen. -- Auch
die Altargemälde, die Tizian in seinem hohen Alter noch aus seiner
Werkstatt hervorgehen ließ, werden hinsichtlich der Ausführung wohl
zum größten Teil auf Rechnung der Gehülfen kommen. Bei dem Bilde der
Verkündigung Marias, das sich in der Kirche San Salvadore zu Venedig
befindet, hat der Meister allerdings seine Urheberschaft durch ein
energisches „~Titianus fecit fecit~“ beglaubigt.

In ganz ungeschwächter Meisterschaft tritt uns Tizian in einem Porträt
von 1566 entgegen, das sich in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu
Wien befindet. Es ist das Bild des Altertumshändlers Jacopo Strada,
das völlig ebenbürtig neben den ebendort befindlichen Meisterwerken
der Bildniskunst aus Tizians früherer Zeit, den Porträts des Arztes
Parma (Abb. 117) und des Geschichtschreibers Varchi steht. Der Handel
mit Kunstaltertümern war ein schwunghaftes Geschäft in Venedig;
Tizian selbst beschäftigte sich gelegentlich mit dergleichen Dingen,
und sein Urteil darin galt als das des höchsten Sachverständigen.
Strada hatte von Kaiser Ferdinand die Titel eines kaiserlichen
Antiquarius und Hofrates verliehen bekommen. In dem ebenso lebendigen
wie farbenprächtigen Bilde steht er in schwarzer und hellroter
Kleidung, mit einem langhaarigen weißlichen Pelz über den Schultern,
an einem grünbedeckten Tische, auf dem man neben goldenen und
silbernen Denkmünzen und einem Brief mit Tizians Adresse einen kleinen
Marmortorso und ein altertümliches Bronzefigürchen sieht. Er hebt mit
beiden Händen eine Venusstatuette auf, um sie mit lebhafter Wendung
einem außerhalb des Bildes gedachten Kunstkenner zu zeigen. Die ganze
Erscheinung ist die eines gewandten Mannes, der viel auf sich hält.
Er trägt den Degen und die Ritterkette, zu deren Anlegung ihn die
kaiserlichen Titel berechtigen, und diese Titel selbst sind neben
dem eines römischen Bürgers auf einer schmuckvollen Inschrifttafel
angebracht (Abb. 118). Das Bild ist sichtlich schnell gemalt; in dem
Pelz erkennt man deutlich die Spuren des Daumens, den Tizian nach der
Aussage eines seiner Schüler in seinen späteren Jahren viel beim Malen
gebrauchte.

[Illustration: Abb. 118. +Der Antiquar Strada+, gemalt 1566.

In der königl. Gemäldegalerie zu Wien.

(Nach einer Originalphotographie von J. Löwy in Wien.)]

Im Anfange des Jahres 1566 erwirkte Tizian von der venezianischen
Regierung den gesetzlichen Schutz für die Vervielfältigungen von
mehreren seiner Gemälde, die er durch den holländischen Kupferstecher
Cornelis Cort und den italienischen Formschneider Niccolò Boldrini
ausführen ließ.

Aus dem Sommer dieses Jahres liegt ein interessantes Dokument vor
in der Steuererklärung Tizians, die er jetzt zum erstenmale abgeben
mußte, nachdem er ein halbes Jahrhundert hindurch die Vergünstigung
der Steuerfreiheit genossen hatte. Man erfährt daraus, daß er ganz
ansehnliche Landbesitzungen in Conigliano, in der Umgegend von
Serravalle und in seiner Heimat hatte.

Im Mai 1566 besuchte Vasari, der Italien durchreiste, um für eine
neue Ausgabe seiner Künstlerlebensbeschreibungen Stoff zu sammeln,
den Tizian in seiner Werkstatt. Er fand den Alten in fleißiger
Arbeit an der Staffelei und unterhielt sich mit ihm, während er die
vorhandenen Bilder besah. In seinem Buche schrieb er dann über ihn:
„Tizian hat eine Gesundheit und ein Glück genossen wie noch nie einer
seinesgleichen; und nie hat ihm der Himmel etwas anderes als Gunst
und Segen beschert. In seinem Hause zu Venedig sind alle Fürsten,
alle Gelehrten und alle Leute von weltmännischer Bildung gewesen,
die zu seiner Zeit Venedig besucht oder bewohnt haben; denn er war,
abgesehen von seiner hervorragenden Bedeutung als Künstler, ein sehr
liebenswürdiger Mensch, von schöner Erscheinung und von sehr angenehmem
Wesen und Benehmen. Er hat in Venedig einige Nebenbuhler gehabt, aber
keine von großer Bedeutung; daher hat er sie alle mit Leichtigkeit
aus dem Felde geschlagen durch die Vortrefflichkeit seiner Kunst und
durch seine Begabung, sich zu unterhalten und sich bei den Vornehmen
beliebt zu machen. Er hat recht viel verdient; denn seine Arbeiten sind
ihm sehr gut bezahlt worden. Aber es wäre wohlgethan gewesen, wenn er
in diesen seinen letzten Jahren nur noch zum Zeitvertreib gearbeitet
hätte, um nicht durch minder gute Werke den Ruhm zu beeinträchtigen,
den er sich in seinen besseren Jahren, und als die Natur ihn durch
ihren Verfall noch nicht in Gefahr brachte, Unvollkommenes zu schaffen,
erworben hat.“

So unangemessen dieser gute Rat auch war, von einem so unbedeutenden
Maler wie Vasari einem so großen Künstler wie Tizian gegeben -- das
Buch erschien noch bei Lebzeiten des Alten --: sachlich können wir
Vasari so ganz Unrecht nicht geben. Im Museum zu Madrid, dessen
Meisterwerke durch mustergültige Vervielfältigungen zur Kenntnis
weiterer Kreise zu bringen, ein hochanerkennenswertes Verdienst der
Berliner Photographischen Gesellschaft ist, sind Gemälde Tizians aus
fast einem halben Jahrhundert vereinigt. Die Summe des Eindrucks, den
man hier von den Werken seines hohen Alters gegenüber denen seiner
prächtigsten und heitersten Schaffenskraft empfängt, erweckt -- eben
weil der Vergleich sich so unmittelbar aufdrängt -- ein Gefühl des
Bedauerns. Eine bestimmte zeitliche Grenze läßt sich freilich nicht
ziehen; während eines ausgedehnten Zeitraums stehen ja Meisterwerke
allerersten Ranges unmittelbar neben solchen, in denen sich eine
greisenhafte Abstumpfung des Gefühls ankündigt. -- Was im Escorial von
Werken Tizians verblieben ist, macht vollends einen unerfreulichen
Eindruck. Das große Laurentiusbild über dem Altar der Alten Kirche,
das sich von dem älteren Bilde in Venedig hauptsächlich durch die
Hinzufügung zweier mit der Siegeskrone herabschwebenden Engel
unterscheidet, macht keine Ausnahme. Aber unmittelbar nach diesem
Gemälde schuf der neunzigjährige Künstler ein Meisterwerk, in dem
Jugendlust und Jugendkraft noch einmal aufflammten.

[Illustration: Abb. 119. +Jupiter und Antiope+ („~Venus del
Pardo~“). Im Museum des Louvre zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Die Abschickung des Laurentiusbildes wurde durch die Krankheit und
den Tod des königlichen Geschäftsträgers Garcia Hernandez um mehrere
Monate verzögert. Diese Zeit benutzte Tizian, um eine „nackte Venus“
zu malen, die er der Sendung an den König beifügte; er sagt in dem
Begleitschreiben ausdrücklich, daß er das Bild +nach+ der
Vollendung des Altargemäldes gemacht habe. In dem schon erwähnten
späteren Verzeichnis seiner für Philipp II. gemalten Bilder nennt
er dasselbe: „Die Nackte mit der Landschaft und dem Satyr.“ Daraus
ergibt sich, daß es das unter dem Namen „die Venus von Pardo“ berühmte
Gemälde in lebensgroßen Figuren ist, das sich jetzt im Louvre befindet.
Diesen Namen führt es von seiner Aufbewahrung in dem königlichen
Schloß el Pardo bei Madrid. Es entging dem Brande, der im Jahre 1604
die in diesem Schlosse vereinigten Tizianschen Bildnisse zerstörte,
wurde dem im Jahre 1623 um die Infantin Maria werbenden englischen
Thronfolger, dem nachmaligen König Karl I., zum Geschenk gemacht, fiel
bei der Versteigerung des Nachlasses des enthaupteten Königs dem Kölner
Kunstliebhaber Jabach zu und kam bald darauf durch Vermittelung des
Kardinals Mazarin in den Besitz Ludwigs XIV. -- Die Benennung „Venus“
ist nicht im eigentlichen Sinne zu nehmen; sie bezeichnet hier nur in
allgemeiner Bedeutung eine nackte weibliche Idealfigur. Der Gegenstand
des Gemäldes ist die weniger bekannte mythologische Erzählung von
der thebanischen Königstochter Antiope, die, während sie erhitzt und
ermüdet von der Jagd im Walde ruhte, von dem in der Gestalt eines
Satyrs ihr nahenden Zeus überlistet wurde. Was den heutigen Beschauer
an diesem Bilde zunächst befremdet, sind die Nebenfiguren, die den
Ort, wo die schöne Jägerin entkleidet schlummert, als ebensowenig
zu einer derartigen Ruhe wie zu einem heimlichen Liebesabenteuer
geeignet erscheinen lassen. Aber was in den Nebenfiguren dargestellt
ist, dient zur Erklärung der Lage, in der wir Antiope erblicken, und
das räumliche Zusammenrücken der Vorgänge, die uns das Leben in
einem mythologischen Wald schildern, haben wir als eine damals für
durchaus statthaft geltende künstlerische Freiheit aufzufassen. Wer
den Wald zu durchstreifen gewohnt ist, hat keine Scheu vor den dort
heimischen Satyrn; das sehen wir daran, daß die Dienerin Antiopes sich
in ein freundschaftliches Gespräch mit einem solchen Waldgeist, der
sich zu ihr gesetzt hat, einläßt, und daß auch die Hunde des Jägers
ganz zutraulich bei demselben stehen bleiben. Aber die Hunde dürfen
nicht verweilen, der Hornruf erschallt, der Jäger schickt sich an, in
eilendem Lauf zu seinen Gefährten dort in der Lichtung jenseits des
Baches zu kommen. Da hat die Jagd eben ihren aufregendsten Augenblick
erreicht: die vordersten aus der Meute haben einen starken Hirsch
gestellt, sie sind den Schlägen des Geweihes ausgewichen und halten
ihn fest; gleich wird das stolze Tier der heranstürmenden Überzahl
erliegen. Die Nymphen des Waldes oder des Baches, der in einen
Wasserfall aus dem Gebüsch hervorkommt, sehen im Gesträuch versteckt
dem Schauspiel zu. Von solcher Jagd ermüdet, hat Antiope ihr Jagdgerät
an einen Baum gehängt und aus dem Pantherfell, das ihr als Mantel
diente, sich ein Lager bereitet; sie hat von den Erfrischungen, welche
die Dienerin mitgebracht hat -- man sieht einen Weinkrug und Früchte
--, genossen und sich dann mit von den Schultern gestreiftem Gewande,
unbefangen wie die kleiderlosen Nymphen, zur Ruhe gelegt. Wenn sie
beim Erwachen den Satyr sieht, der leise herangeschlichen ist und das
lose Gewand, mit dem sie sich halb zugedeckt hat, aufhebt, so wird
sie bei dessen Anblick ebensowenig Furcht empfinden, wie die Dienerin
vor dem wirklichen Satyr, der deren Aufmerksamkeit als ein gefälliger
Gehilfe des Zeus von der Herrin ablenkt, und sie wird denken, daß
die Neckereien des häßlichen Gesellen ihr so wenig gefährlich werden
können, wie den Nymphen. Sie kann nicht ahnen, daß in dieser Gestalt
sich der mächtige Gott verbirgt, dessen Leidenschaft Amor durch einen
Pfeilschuß anstachelt. -- Die so ausgesponnene Darstellung gab dem
Maler Gelegenheit, neben dem Reiz des ruhenden weiblichen Körpers
auch lebendige Bewegung zu schildern und sich in der Gestaltung einer
ausgedehnten Landschaft zu ergehen; und auf all diesen Gebieten
seines Könnens hat der hochbetagte Künstler hier noch einmal seine
Meisterschaft gezeigt (Abb. 119).

Dieses staunenswürdige Gemälde ist nicht das einzige, durch das Tizian
noch im höchsten Alter die Leistungsfähigkeit seiner Künstlerkraft
bekundete. Um dieselbe Zeit mag er das kräftig gestimmte Bild des
heiligen Hieronymus gemalt haben, das aus einer Kirche Venedigs in
die Sammlung der Brera zu Mailand gekommen ist. Auch das kostbare
Meisterwerk „Venus und Cupido“ in der Borghesischen Sammlung zu Rom
gehört zu diesen späten Schöpfungen. In der Komposition erinnert
dasselbe an die „Allegorie des Davalos“ und an die „Einweihung der
Bacchantin“. Aber der Inhalt ist neu; die Ausrüstung des Liebesgottes
wird geschildert. Der kleine Cupido lehnt sich auf die Kniee der
Venus, und diese verbindet ihm die Augen; die Grazien bringen ihm
den wohlgefüllten Köcher und den Bogen. Hinter Venus steht auf ihrem
Sitz ein anderer Liebesgott, der sich an ihre Schulter lehnt und sich
boshaft freut im Gedanken an das Unheil, welches das so ausgerüstete
Brüderchen, blind seine Pfeile versendend, in der Welt anstiften wird;
er scheint eben eine vorlaute Bemerkung gemacht zu haben, die ihm einen
verwarnenden Blick der Mutter zuzieht (Abb. 120).

Ein Zeitraum von zwei Menschenaltern liegt zwischen diesem Bilde
und der in der nämlichen Sammlung befindlichen Liebesallegorie der
zwei Mädchen am Brunnen. Die auffallendsten Unterschiede zeigen sich
in der Art, wie die Gewänder gemalt sind. Hier hat der Jüngling
Tizian noch in der glatten, die Einzelformen sauber zeichnenden
Behandlungsweise des XV. Jahrhunderts gemalt. Dort zeigt der Greis,
der achtzig Jahre hindurch Auge und Hand geübt hat, jeden einzelnen
Pinselstrich, und er läßt die Umrisse in den ineinander gesetzten
Strichen verschwimmen; aber indem er dies thut, bringt er die Formen
nur desto reizvoller zur Geltung für den das Bild aus dem richtigen
Abstand betrachtenden Beschauer; so schreibt er dem XVII. Jahrhundert
seine Malweise vor. Hier wie dort aber lebt das gleiche Farbengefühl;
wenn in dem Alterswerk auch nicht mehr in so heller Pracht wie in der
Jugendschöpfung, so doch noch freudig glühend.

[Illustration: Abb. 120. +Venus und Cupido.+ In der Galerie
Borghese zu Rom.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Im zehnten Jahrzehnt seines Lebens malte Tizian ebenso unermüdlich
wie zuvor. Wie unternehmungslustig er noch war, kann man daraus
ersehen, daß er in dem Begleitschreiben zu dem Laurentiusbild (vom
2. Dezember 1567) dem König Philipp den Vorschlag machte, er wolle
eine ganze Reihe von Bildern aus dem Leben des heiligen Laurentius
-- allerdings mit Hilfe seines Sohnes Orazio, den er als seinen
Nachfolger überall einzuführen sich bemühte -- für den Escorial malen.
Bemerkenswert ist, daß Tizian auch jetzt nicht versäumt, sich nach den
Beleuchtungsverhältnissen des Platzes für die zu malenden Bilder zu
erkundigen.

Philipp II. ging auf diesen Vorschlag Tizians nicht ein.

Der Verkehr zwischen dem König und dem Maler kam überhaupt jetzt ins
Stocken. Der Aufstand in den Niederlanden raubte Philipp wohl die
Lust, sich viel um die schöne Kunst zu kümmern. Er schrieb auch nicht
mehr selbst an Tizian. Dieser aber brachte sich von Zeit zu Zeit durch
Übersendung eines Gemäldes in Erinnerung und verfehlte dabei niemals,
den König, dem die selbstgemachten Schulden das Gewissen weniger
gedrückt zu haben scheinen, als die von seinem Vater hinterlassenen
Verbindlichkeiten, an Bezahlungsrückstände zu erinnern. Im Oktober
1568 schickte er ein Bild: „Christus mit dem Pharisäer, der ihm den
Zinsgroschen zeigt.“ Ob eine mit Tizians Namen bezeichnete, aber
sehr wenig ansprechende Darstellung dieses von dem Meister sechzig
Jahre früher so glücklich behandelten Gegenstandes, die sich in
der Nationalgalerie zu London befindet, dieses Bild ist, erscheint
fraglich. In dem Begleitschreiben kündigte Tizian als seine nächste
Arbeit für den König eine Komposition von viel mehr Mühe und Kunst, als
er wohl seit vielen Jahren gemacht habe, an. Das ist möglicherweise
die sonst nirgendwo erwähnte, aus dem Escorial in das Museum zu Madrid
gekommene Allegorie „Spanien als Beschützerin der Religion,“ ein farbig
wirkungsvolles Dekorationsstück von schwerverständlichem Inhalt. Aus
einem Briefe, den Tizian im August 1571 an den König schrieb, erfahren
wir, daß er demselben kurz zuvor ein Bild „Die Überwältigung der
Lucretia durch Tarquinius“ durch den venezianischen Gesandten hatte
überreichen lassen. Dieses scheint in einem in der Sammlung Wallace zu
London befindlichen Gemälde erhalten zu sein.

Der große Sieg über die Türken in der Seeschlacht bei Lepanto brachte
Philipp II. auf den Gedanken eines Gemäldes, das, als Gegenstück zu
dem Bilde Karls V. auf dem Felde von Mühlberg, ihn mit Bezugnahme auf
die Schlacht von Lepanto darstellen sollte. Wie das Bild zu fassen
wäre, gab der König dem spanischen Maler Sanchez Coello genau an, den
er unter seinen Augen eine kleine Skizze zeichnen ließ. Dann ließ er
durch denselben Künstler sein Porträt in Lebensgröße malen und sandte
Bildnis und Skizze als Vorlagen für Tizian nach Venedig. Tizian, dem es
begreiflicherweise keine besondere Freude machte, eine vorgezeichnete
Komposition auszuführen, gab die gewandte Antwort, der Verfertiger
der Vorlagen sei ein so tüchtiger Künstler, daß der König nicht nötig
habe, fernerhin noch Bilder im Auslande zu bestellen. Aber Philipp
II. blieb dabei, daß Tizian das Bild malen solle. Gegen Ende des
Jahres 1574 war der Meister mit diesem Werk beschäftigt. Daß er es
nicht mit Herzensfreude gemalt hat, sieht man dem jetzt im Pradomuseum
befindlichen Gemälde wohl an. Es ist stumpf in den Formen und wirkt als
Bild fast ebenso schwerfällig, wie sein allegorischer Inhalt. König
Philipp II. steht in halber Rüstung an einer Art von Altar, an dessen
Fuß ein gefangener Türke kniet; türkische Waffen und Abzeichen liegen
am Boden. In der Ferne sieht man das Meer mit der brennenden türkischen
Flotte. Der König hält ein nacktes Knäblein, den wenige Wochen nach
der Schlacht von Lepanto geborenen Thronfolger Don Fernando, in die
Höhe, der Siegesgöttin entgegen, die mit Lorbeerkranz und Palmenzweig
in den Händen vom Himmel herabfliegt. Die Göttin gibt die Siegespalme
dem Kind in das Händchen mit der Verheißung, die auf einem um den
Zweig geschlungenen Bande zu lesen ist: „~Majora tibi~ (möge
dir noch größeres beschert sein)!“ -- Trotz allem schwebt auch über
diesem Bilde, wenn auch noch so abgeschwächt, ein Rest des alten
Farbenzaubers; von dem alten Lichtzauber ist freilich nichts mehr
hineingekommen.

Im Sommer 1574 empfing Tizian den Besuch des jungen Königs von
Frankreich Heinrich III., der auf seiner Reise von Krakau nach Paris
sich kurze Zeit in Venedig aufhielt. Als der König nach dem Preise
einiger Bilder fragte, machte Tizian ihm dieselben zum Geschenk.

In des Meisters Werkstatt stand immer von neuem ein Vorrat an
fertigen Bildern. Wenn er in seinem höchsten Alter vielleicht nicht
mehr so ununterbrochen arbeitete wie früher, so malte er dafür desto
schneller. Er erübrigte zwischen der Ausführung der bestellten und der
zu nutzbringenden Geschenken bestimmten Bilder auch noch die Zeit,
dieses oder jenes lediglich zu seinem Vergnügen, mit der Absicht, es zu
behalten, zu malen. So hat er einmal ein Bild der Lucretia, die sich
selbst den Tod gibt, ausdrücklich mit der Inschrift versehen: „~Sibi
Titianus pinxit~“ (von Tizian für sich selbst gemalt).

Eines Tages sah der hochbegabte Tintoretto, selbst damals kein junger
Mann mehr -- er war 1519 geboren --, ein bestimmungsloses und beiseite
gestelltes Bild bei Tizian, das ihm als ein unvergleichliches Vorbild
für die Art, wie man malen müsse, erschien; er erbat und bekam dasselbe
von dem Meister zum Geschenk. Dieses Gemälde stellte die Dornenkrönung
Christi dar, und es ist wohl zweifellos in dem jetzt in der Münchener
Pinakothek befindlichen Bilde dieses Gegenstandes erhalten (Abb.
121). Die Malweise ist hier in der That etwas ganz Wunderbares. In
der Nähe sieht man nur ein Durcheinander von schwarzen, weißen, roten
und gelben Flecken, die mit breiten Pinseln hingehauen sind; und wenn
man den richtigen Abstand nimmt, verschmilzt alles zu durchgebildeter
körperhafter Erscheinung und zu tiefer, reicher Farbenwirkung. Und was
für eine großartige Gestaltungskraft spricht noch aus dem Linienzug
und der Massenverteilung der Komposition, aus der wilden Lebendigkeit
der Schergen und aus dem erschütternden Dulderausdruck des gemarterten
Christus! Und welches Stimmungsgefühl liegt noch in der düsteren, von
den qualmenden Flammen eines Hängeleuchters ausgehenden Beleuchtung!

Aus dem an den spanischen Staatssekretär Antonio Perez gerichteten
Brief Tizians vom 22. Dezember 1574, der die Mitteilung enthält, daß
das von Philipp II. zum Andenken an die Schlacht bei Lepanto bestellte
Bild in Arbeit sei, erfahren wir, daß Tizian zugleich noch mehrere
andere für den König bestimmte Gemälde angefangen hatte, von denen
aber nur eines, eine „Krippe“, d. h. die Geburt Christi, genannt wird;
und daß auch Perez kürzlich Bilder von ihm bekommen hatte und noch
weitere erwartete, deren Vollendung nur die ungünstige Jahreszeit
verzögerte.

[Illustration: Abb. 121. +Die Dornenkrönung.+ In der königl.
Pinakothek zu München.

(Nach einer Originalphotographie von Franz Hanfstängl in München.)]

Nachzuweisen ist von diesen Sachen nichts. Auch über das Bild der
Geburt Christi, zu dessen Anfertigung der Meister durch die von einem
kürzlich aus Spanien zu ihm gekommenen Maler -- vermutlich Sanchez
Coello -- gemachte Mitteilung bewogen wurde, daß diese Darstellung
in der Sammlung des Königs noch nicht vorhanden sei, fehlen die
weiteren Nachrichten. Eine Komposition dieses Gegenstandes aus Tizians
Alterszeit zeigt ein Bildchen von kleinem Maßstab in der Sammlung des
Pittipalastes zu Florenz.

Die letzten erhaltenen Briefe Tizians, vom Weihnachtstage 1575 und vom
27. Februar 1576, sind an König Philipp II. gerichtet und enthalten
beide die Mitteilung, daß Tizian noch immer mit Gemälden für den König
beschäftigt war.

[Illustration: Abb. 122. +Der Erlöser der Welt.+ In der kaiserl.
Gemäldegalerie der Ermitage zu St. Petersburg.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach
i. E., Paris und New York.)]

Einige von den allerletzten Werken des Meisters befinden sich in der
Sammlung der Ermitage zu Petersburg, in die der größte Teil der Bilder
gekommen ist, welche bei Tizians Tode in dessen Werkstatt standen. Dazu
gehört ein Bild des segnenden Erlösers mit der gläsernen Weltkugel
in der Hand, das ein höchst bezeichnendes Beispiel seiner spätesten
Malweise ist. Wenn auch die Hand des Künstlers nicht mehr fest und
sein Farbengefühl getrübt war und wenn er sich bei den Nebendingen mit
Andeutungen in breiten Pinselstrichen begnügte, so war er doch noch
imstande, in Hand und Antlitz des Erlösers eine heilige Erhabenheit zum
Ausdruck zu bringen (Abb. 122).

Als Tizian in sein neunundneunzigstes Jahr ging, dachte er ernstlich
an den Tod und bestellte sich in der Franziskanerkirche, auf deren
Altären zwei seiner größten und großartigsten Schöpfungen, die
Himmelfahrt Marias und das Weihebild des Hauses Pesaro, prangten, die
letzte Ruhestätte. Er einigte sich mit den Mönchen dahin, daß er das
Grab bekommen sollte gegen Lieferung eines Gemäldes der „Pietà,“ der
Klage um den vom Kreuze abgenommenen Leichnam des Herrn. Mit einer
unbegreiflichen Schaffenskraft entwarf Tizian das Bild: die Mutter
Maria sitzend in der Mitte, mit dem Leichnam Christi, dessen Kopf
und Schultern sie hochhält, auf dem Schoße; Joseph von Arimathia
daneben knieend und die herabhängende Hand des Toten haltend; Maria
Magdalena in heftiger Bewegung herbeieilend; ein Englein am Boden
und ein anderes, das eine Fackel trägt, in der Höhe; als Hintergrund
eine Nische mit einer Darstellung des alten Sinnbildes der göttlichen
Liebe, des Pelikans, zwischen Pfeilern und den Standbildern des Moses
und einer Sibylle. -- Als das Gemälde beinahe vollendet war, entzweite
der Alte sich mit den Brüdern von S. Maria de’ Frari, und bestimmte,
daß er nicht dort, sondern in der Familiengruft zu Pieve di Cadore
begraben werden solle. Das Bild wurde beiseite gestellt; nach dem Tode
des Meisters machte Palma der Jüngere dasselbe fertig und ließ es in
eine andere Kirche bringen. Jetzt befindet es sich in der Akademie zu
Venedig. Das Gemälde, das der neunundneunzigjährige Tizian zum Schmuck
seines eigenen Grabes anfertigte, würde ein Anrecht darauf haben, mit
Ehrfurcht betrachtet zu werden, auch wenn es gar keine künstlerischen
Eigenschaften besäße. Aber es ist thatsächlich ein großgedachtes Werk
und als solches bewunderungswürdig trotz der im Aufbau und in den
einzelnen Figuren sich kundgebenden Abstumpfung des Formengefühls;
wieviel der Meister noch an Farbenpoesie hineinzulegen vermocht hat,
das läßt sich nach den vielen Übermalungen, denen es preisgegeben
worden ist, nicht mehr beurteilen.

Im Jahre 1575 war wieder einmal die Pest aus dem Orient in Venedig
eingeschleppt worden. Obgleich die venezianische Regierung alle Mittel,
die nur möglich waren, anwendete, um das Umsichgreifen der Seuche zu
verhindern, erreichte die fürchterliche Krankheit im nächsten Jahre
eine noch nie dagewesene Höhe. Fünfzigtausend Menschen, mehr als ein
Viertel der Einwohnerschaft von Venedig, wurden von ihr dahingerafft.
Am 27. August 1576 fiel auch Tizian der Seuche zum Opfer. -- Er hatte
bis zuletzt gearbeitet. Ein Bild von Adam und Eva stand eben erst
angefangen in der Werkstatt.

Die zur Bekämpfung der verheerenden Krankheit erlassenen Gesetze
enthielten die Bestimmung, daß keiner, der an der Pest gestorben war,
in einer Kirche begraben werden durfte. Aber bei dem großen Tizian
wurde eine Ausnahme gemacht. Auf Befehl der Regierung wurde der
Leichnam am 28. August, unter dem Geleit der Domherren von S. Marco, in
die Frarikirche gebracht und unter fürstlichen Ehrenbezeugungen an der
Stelle, an der er begraben zu werden gewünscht hatte, eingebettet.

Eine von der venezianischen Künstlerschaft geplante prunkvolle
Leichenfeier nach dem Vorbilde derjenigen, welche die Florentiner dem
Michelangelo veranstaltet hatten, mußte wegen der Pest unterbleiben.

Über der Gruft Tizians erhebt sich jetzt ein stattliches Grabmal,
das Kaiser Ferdinand I. von Österreich im Jahre 1839 stiftete und
das im Jahre 1852 vollendet wurde: ein mit vielen Figuren und mit
Reliefnachbildungen von Gemälden des Meisters geschmückter Marmorbau.

Orazio Vecellio, den Tizian zu seinem Erben eingesetzt hatte, erlag
wenige Wochen nach dem Vater der Pest. Während er im Lazarett lag,
wurde aus dem leerstehenden Hause ein großer Teil der beweglichen Habe
von Dieben fortgetragen. Der nunmehrige Erbe Pomponio beeilte sich, das
Vermögen durchzubringen, das Tizian in achtzig Jahren fleißiger Arbeit
erworben hatte.

[Illustration]


Fußnote:

    [1] Das herrliche Gemälde bereitet der photographischen Aufnahme
        ungewöhnliche Schwierigkeiten. Die beste Wiedergabe desselben
        befindet sich in der vortrefflichen Veröffentlichung
        „Die Meisterwerke des Museo del Prado in Madrid“, welche
        die Photographische Gesellschaft in Berlin ihrer ebenso
        dankenswerten vorzüglichen Veröffentlichung der Meisterwerke
        der Ermitage zu Petersburg vor kurzem hat folgen lassen.





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