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Title: Vier Jahre in Spanien. - Die Carlisten, ihre Erhebung, ihr Kampf und ihr Untergang.
Author: Goeben, August Karl von
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Vier Jahre in Spanien. - Die Carlisten, ihre Erhebung, ihr Kampf und ihr Untergang." ***


transcription was produced from images generously made
available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State
Library.)



  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

    Der vorliegende Text wurde anhand der 1841 erschienenen Buchausgabe
    so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
    Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und
    altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
    unverändert. Rechtschreibvarianten wurden nicht vereinheitlicht,
    wenn diese im Text mehrmals auftreten.

    Groß- und Kleinschreibung sind nicht konsistent und entsprechen
    nicht in allen Fällen den heutigen Schreibgewohnheiten; gleiches
    gilt für die Verwendung des ‚scharfen s‘ (ß).

    Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere
    Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den
    folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

        gesperrt:         +Pluszeichen+
        Antiqua:          ~Tilden~

  ####################################################################



                        Vier Jahre in Spanien.

                            Die Carlisten,

              ihre Erhebung, ihr Kampf und ihr Untergang.

             Skizzen und Erinnerungen aus dem Bürgerkriege

                                  von

                            A. von Goeben,

        Königlich-Spanischem Oberstlieutenant im Generalstabe.

                            Hannover, 1841.

              Im Verlage der Hahn’schen Hofbuchhandlung.



Über Alles, was während der letzten acht Jahre in Spanien sich ereignet
hat, ist bisher sehr Wenig in Deutschland veröffentlicht, und dieses
Wenige, fast durchgängig im Sinne der einen, stärkern Parthei, oft
selbst mit der Absicht, irrige Ansichten zu verbreiten, geschrieben,
konnte nur beitragen, das Urtheil des Publicums irre zu leiten. Es
dürfte daher nicht unwillkommen sein, wenn Augenzeugen die Dinge in
ihrem wahren Lichte darstellen und so das Gewebe von Dunkelheit und
Täuschung zerreißen, welches jene Ereignisse dem Blicke des Forschers
unzugänglich machte. Was ich während fünftehalbjährigen Aufenthaltes
und unter mannigfach wechselnden Verhältnissen erfahren und beobachtet
habe, das werde ich in diesen Erinnerungen darlegen, deren Zweck
erfüllt ist, wenn sie zur Beseitigung der Vorurtheile mitwirken, die
einem Jeden, der nicht aus eigenem Anschauen ein selbstständiges
Urtheil sich bildete, nothwendig aufgedrängt wurden.

Ich habe gestrebt, ein möglichst vollständiges Bild alles Dessen zu
geben, was in Bezug auf den Bürgerkrieg von Interesse sein muß. Die
Umstände setzten mich in Stand, fast allenthalben und Alles selbst zu
prüfen, da ich, seit dem Frühlinge 1836 der carlistischen Armee in
den baskischen Provinzen mich anschließend, nach und nach in allen
Theilen des Königreiches mich befand, in allen Armeen der Carlisten
Dienste leistete, in mehrfacher Gefangenschaft auch mit den Christinos
in häufige Berührung kam und endlich unter Cabrera’s Oberbefehle, der
einzige deutsche Officier, an dem letzten Todeskampfe im Frühjahre 1840
Theil nahm. Erst da nach Morella’s Falle kein carlistisches Heer mehr
existirte, legte ich die Waffen nieder, um noch im Meuchelmorde, dem
ich kaum mit schwerer Wunde entging, den Partheihaß zu erproben.

Doch verkenne ich nicht die mannigfachen Schwierigkeiten, mit denen
ich zu kämpfen habe. Nicht nur soll ich gegen vieles fast allgemein
Angenommenes und Anerkanntes mich erheben; ganz Soldat und seit Jahren
nur im Kriegesgetümmel beschäftigt, bin ich auch wenig gewohnt, die
Feder zu führen, und werde in der Darstellung den Mangel an Gewandtheit
nicht verleugnen können. Das Bewußtsein, daß ich für die Wahrheit in
die Schranken trete und nur Wahres gebe, darf mich wohl über solche
Rücksicht und solche Furcht hinwegsetzen.

Es wäre eben so thöricht als falsch, wenn ich Unpartheilichkeit für
mich in Anspruch nähme. Wo es von der Sache sich handelt, für die ich
mit Stolz mein Blut vergoß, bin ich stets Parthei, der Carlist wird
stets hervortreten. Aber das Verdienst, wenn es solches ist, auf das
ich gegründeten Anspruch machen darf, ist das der gewissenhaftesten
Treue und Wahrheit, der ich jede andere Rücksicht untergeordnet
habe. Was immer in meinen Notizen enthalten ist, habe ich entweder
aus eigener Beobachtung oder aus Forschung an Ort und Stelle und den
Berichten von Augenzeugen, deren Genauigkeit mir feststand, geschöpft;
wo ein Zweifel noch obwaltet, habe ich auch ihn nicht verschwiegen.

Sonstige Quellen konnte ich nicht benutzen, da die einzige, aus der
ich hätte schöpfen mögen, das geistreiche Werk meines geehrten Chefs
und Freundes, des Generals Baron von Rahden, über „Cabrera“, von ganz
anderm Gesichtspunkte aus abgefaßt ist. Auch begreift es nur einen
abgesonderten Theil der Ereignisse, die nämlich, in denen Cabrera
thätig mitwirkte, während ich an das selbst Erlebte es anknüpfend mehr
oder weniger detaillirt den ganzen Bürgerkrieg umfasse. In manchem
Einzelnen mußte ich auch von jenem Werke abweichen, welches als
Erzeugniß scharfer Beobachtung vom höchsten Interesse ist.

Übrigens ist es nicht meine Absicht, eine +Geschichte+ des
Bürgerkrieges in diesen Erinnerungen zu geben; möchten sie dem
künftigen Geschichtschreiber seine schwere Arbeit in Etwas erleichtern!



Inhalt.


                                                                   Seite

    I.       Hoffnungen und Träume -- Carl V. der rechtmäßige
             König                                                     1

    II.      Die Gränze -- Die Carlisten -- Ereignisse in den
             baskischen Provinzen seit dem Tode Ferdinands VII.
             bis zum Frühling 1836                                    13

    III.     Carl V. -- Die Linien -- Das Land und seine Bewohner
             -- Die ~fueros~                                          38

    IV.      Gefechte in Guipuzcoa -- Gefangenschaft -- Marsch
             nach Logroño                                             54

    V.       Grausamkeiten der beiden Partheien, in Heer und
             Volk                                                     77

    VI.      Expeditionen der Generale Don Basilio Garcia --
             Gomez -- Sanz                                            89

    VII.     Acht Monate im Kerker                                   105

    VIII.    Krieg in den Provinzen während der zweiten Hälfte
             1836 -- Belagerung von Bilbao -- Operationen im
             Frühlinge 1837                                          113

    IX.      Befreiung -- Fünf Wochen in Navarra -- Operationen
             in den Nordprovinzen                                    124

    X.       Expedition Zariategui’s -- Erstürmung von Segovia --
             Marsch auf Madrid -- Rückzug in die Gebirge             139

    XI.      Expedition Zariategui’s -- Wiederaufnahme der
             Offensive -- Lerma -- Valladolid -- Der Alt-Castilianer
             -- Verwundung -- Vereinigung mit der Armee des Königs   158

    XII.     Expedition des Königs -- Vereinigung mit Cabrera --
             Marsch auf Madrid -- Rückzug -- Sendung nach Vizcaya
             -- Rückkehr der Expeditionen -- Ereignisse während
             derselben                                               186

    XIII.    Der Aufschwung und das Sinken der carlistischen
             Macht -- Nachtheile der Expeditionen                    203

    XIV.     Expedition von Don Basilio Garcia -- Ebro-Übergang
             -- Verwundung -- Gefangennahme  225

    XV.      Das Hospital -- Marsch nach Madrid -- Marsch durch
             die Mancha und Andalusien nach Cadix                    246

    XVI.     Expedition von Don Basilio -- Tallada -- Die
             Cabecillas der Mancha -- Vernichtung der Division --
             Expedition des Grafen Negri -- Vernichtung derselben
             -- Peñacerrada                                          267

    XVII.    Maroto -- Partheiungen unter den Carlisten --
             Operationen in den Provinzen -- Valmaseda --
             Vermählung des Königs -- Muñagorri                      286

    XVIII.   Die Casematten von Cadix -- Maroto und Espartero --
             Fünf Generale ermordet -- Auswechselung nahe --
             Schein-Operationen in Vizcaya                           300

    XIX.     Fahrt von Cadix nach Valencia -- Das Mittelländische
             Meer -- Die Huerta und ihre Bewohner -- Die
             Auswechselung                                           318

    XX.      Don Ramon Cabrera, Guerrillero, General und Mensch
             -- Der Krieg in Aragon und Valencia bis zum Ende des
             Jahres 1837 -- Hungers-Gräuel                           335

    XXI.     Escalade des Castells von Morella durch achtzig
             Castilianer                                             351

    XXII.    Operationen in der ersten Hälfte des Jahres 1838 --
             Tallada -- Zaragoza -- Morella -- Belagerung desselben
             durch Oraa                                              364

    XXIII.   Belagerung von Morella -- Sturm -- Rückzug der
             Christinos -- Folgen                                    382

    XXIV.    Operationen im Herbst 1838 -- Schlacht bei Maella --
             Repressalien-System                                     392

    XXV.     Operationen in der ersten Hälfte 1839 -- Segura --
             Villafamés -- Montalban -- El Turia -- Lucena           412

    XXVI.    Reise nach Chelva -- Das Heer Cabrera’s -- Der
             Aragonese, Valencianer und Catalan -- Action von
             Chulilla                                                428

    XXVII.   Chelva -- Kampf bei Tales -- Cabrera -- Carboneras
             -- Verhältnisse und Hoffnungen im Sommer 1839 --
             Reise nach Morella -- Espartero in Aragon               444

    XXVIII.  Maroto’s Verrath -- Vertrag von Bergara -- Carl
             V. in Frankreich -- Graf Casa Maroto                    465

    XXIX.    Marsch nach Catalonien -- Das Fürstenthum und seine
             Bewohner -- Die dortigen Carlisten -- Graf de España --
             Operationen desselben                                   479

    XXX.     Vier Tage mit dem Grafen de España -- Berga -- Der
             27. October -- General Segarra                          497

    XXXI.    Verschwörung gegen den Grafen -- Seine Ermordung.       514

    XXXII.   Reise nach Morella -- Espartero in Luco und Bordon
             -- Baron von Rahden                                     522

    XXXIII.  Operationen Espartero’s und O’Donnell’s -- Stellungen
             der Heere -- Einzelne Gefechte -- Rückzug der
             Christinos                                              540

    XXXIV.   Reise mit Cabrera nach dem Ebro -- Krankheit des
             Generals                                                557

    XXXV.    Die ersten Monate 1840 -- Alzaga -- Chulilla erobert
             -- Espartero als Fälscher -- Verkauf von Segura         569

    XXXVI.   Castillote -- Marsch nach Castilien -- Don Manuel
             Matias -- El Turia und die Linie von Cañete --
             Verhältnisse daselbst                                   585

    XXXVII.  Don Manuel Brusco -- Cañete -- Arbeiten und
             Streifzüge -- Fortschritte von Espartero, O’Donnell und
             Aspiroz                                                 604

    XXXVIII. Eroberung von Morella, Cabrera passirt den Ebro --
             Don Remigio Cantero -- Beteta -- Palacios nach
             Frankreich                                              621

    XXXIX.   Marsch nach Cañete -- Marco Valero -- Rettung --
             Cañete geräumt -- Niederlegung der Waffen -- Cabrera und
             Valmaseda nach Frankreich -- Ende des Krieges  638

    XL.      Meuchelmord -- Reise nach Valencia und Barcelona --
             Ankunft in Frankreich  650



I.


In stolzen, hoffnungsreichen Träumen schwelgend durchflog ich die öden
Steppen der Landes, welche umsonst heimische Bilder mir zu erwecken
suchten. Meine Blicke waren gen Süden gerichtet. Dort tauchten fern
am Horizonte einem bläulichen Gewölk ähnlich die Höhenzüge der
Pyrenäen empor, unvergängliche Zeugen der Heldenthaten des braven
Gebirgs-Völkchens, mit dessen siegreichen Schaaren ich mich zu
vereinigen eilte, dessen Gefahren und Ruhm ich bald zu theilen hoffte.
Das Herz klopfte mir lauter, die Brust schwoll von unendlichen,
unaussprechlichen Gefühlen. Jung und unerfahren, den Kopf warm,
das Blut glühend, träumte ich von Krieges-Thaten und Kampfes-Lust,
malte den Augenblick mir aus, in dem die Kugeln des Feindes mich
umzischen würden, und ich wünschte mir Flügel, um früher das ersehnte
Ziel zu erreichen. -- Ich ahnete nicht die bittern Erfahrungen, die
schmerzlichen Enttäuschungen, welche meiner warteten; die Phantasie
schilderte mir die Zukunft in den lieblichen Farben, mit denen sie
so gern ihre Kinder schmückt, ohne die finstern Schatten zuzulassen,
welche nur zu oft ihre reizenden Erzeugnisse in Thränen des Schmerzes
ertränken. Ich sah jene Gebirge vor mir, in denen ich bald im
Schlachtgewühl mich tummeln, mein Blut für die Sache der Legitimität
darbieten sollte, und ich fühlte mich glücklich in der nahen Erfüllung
so lange gehegter Wünsche.

Und wie hätte ich nicht freudig zu der Vertheidigung des Monarchen
eilen mögen, der in heldenmüthigem Kampfe gegen übermächtige Heere
rang, welche die Revolutionäre aufgeboten hatten, um ihre unrechtmäßige
Herrschaft zu sichern und die Anstrengungen der treuen Anhänger ihres
Königs niederzuschmettern? Royalist im ganzen Sinne des Wortes, auf
immer befestigt in dieser Grundlage meiner politischen Denkungsart
durch Alles, was des Mannes Ansichten zu leiten vermag, überzeugt, daß
nur auf solcher Basis das Glück der Völker, Endzweck jeder Regierung,
sicher erreicht wird; mußte ich nicht stolz sein, mein Schwert der
Vertheidigung des wahren Souverains jenes unglücklichen Landes zu
weihen, welches unter dem doppelten Joche der Umwälzung und der
Usurpation schmachtend in krampfhaften Zuckungen die schweren Fesseln
abzuschütteln strebte! Mußte ich nicht mit Freude den kühnen Männern
mich anschließen, die, von ihren Gebirgen herab den Riesenkampf gegen
Christina’s erdrückende Waffen bestehend, für das Recht Alles opferten
und durch ihren Muth, ihre Ausdauer und unbeugsam scheinende Festigkeit
Europa’s Bewunderung sich würdig machten!

Ach, ihre Festigkeit +schien+ unbeugsam -- Kugeln und Schwert, Leiden
und Gefahren vermochten nicht sie zu erschüttern, Hunger, Blöße, Tod
waren machtlos gegen sie -- Ihre Festigkeit wich den Schmeichelworten,
welche unter den schönen Namen des Vaterlandes und des Friedens der
listige Feind durch ihre eigenen erkauften Anführer ihnen zuzuflüstern
wußte; sie wich den trügerischen Versprechungen der Parthei, die so
oft gezittert, da sie ihre Söldlinge vor den siegreichen Waffen jener
Männer fliehen sah. Um die Rechte und Freiheiten der vaterländischen
Provinzen zu sichern, verließen die Basken den angestammten Herrscher,
der allein jene Sicherung ihnen gewähren konnte.

Denn wie sehr auch seine erbitterten Feinde gegen ihn eifern, welche
schimpfliche Benennungen die liberale Presse aller Länder ihm
verschwenden mag, Carl V. ist der rechtmäßige König Spaniens, und
weder Christina’s zahlreiche Heeresmassen, noch die spitzfindigen
Sophismen ihrer Anhänger, vermögen die „unschuldige“[1] Isabelle von
dem Titel einer Usurpatorinn zu befreien. Das Gesetz, durch welches
Ferdinand VII. die Rechte seines Bruders annullirte, um der Tochter
die Krone zu geben, die durch die bisherigen Gesetze ihr versagt war,
konnte nie Gültigkeit erlangen, da theils es in sich den Stempel
der höchsten Ungerechtigkeit trug, theils die äußeren Erfordernisse
nicht gehörig beobachtet waren, welche die Staatsverfassung zu seiner
Feststellung bestimmte.

Philipp von Anjou erlangte nach langem, blutigem Kriege, in den die
ganze westliche Hälfte Europa’s verflochten, den unbestrittenen Besitz
des spanischen Thrones. England und die Niederlande, nach der Erwählung
des Erzherzogs Carl zum römischen Kaiser von seiner Gelangung zur
Krone Spaniens und der Vereinigung zweier so mächtigen Reiche unter
Einem Haupte die traurigsten Folgen für die Unabhängigkeit der übrigen
Staaten besorgend, wählten von zwei Übeln das kleinere, indem sie
den Enkel Ludwigs des Vierzehnten als König von Spanien und Indien
anerkannten, da sie doch so lange mit Aufbietung aller Kräfte und nicht
ohne glänzende Erfolge seine Ansprüche bekämpft hatten. Nur strebten
sie, im Friedensvertrage von Utrecht einer etwaigen spätern Vereinigung
der spanischen und französischen Monarchieen so weit vorzubeugen, wie
feierliche Garantieen, Entsagungen und Versprechen vorzubeugen vermögen.

Philipp V. hatte seit seiner Thronbesteigung aufgehört Franzose zu
sein; er arbeitete jetzt nur für das Wohl seines Königreiches und
erkannte daher leicht, wie sehr es in dessen Interesse und wie wichtig
es für Spaniens Unabhängigkeit war, jene Vereinigung mit dem mächtigen
und übermüthigen Nachbar so viel wie möglich zu erschweren. Um dieses
Ziel zu erreichen, und die mannichfachen sonstigen damit verknüpften
Vortheile nicht übersehend, etablirte er das Grundgesetz, welches
seitdem die Thronfolge in der Monarchie ordnete, und ergänzte und
vervollkommnete dadurch die Stipulationen des Vertrages von Utrecht.
Durch dieses Gesetz wurden die weiblichen Glieder der spanischen
Bourbons von der Herrschaft ausgeschlossen, so lange irgend ein
männlicher Nachkomme Philipp’s existirte; doch gestattete ihm die
väterliche Liebe wohl nicht, die Frauen ganz auszuschließen und so
seinen eigenen Nachkommen Fremde vorzuziehen, weshalb er anordnete,
daß ein streng Salisches Gesetz erst in Kraft treten sollte, im Falle
nach gänzlichem Aussterben der spanischen Bourbons das Haus Savoyen zum
Throne gelangen würde. -- Philipp V. versäumte keine der Maßregeln,
welche die alte spanische Verfassung möglich machte und vorschrieb,
um seine neue Thronfolge-Ordnung zu sanctioniren: sie ward von dem
höchsten Rath von Castilien geprüft und gebilligt, und im Jahre 1713
legte sie der König auch den besonders zu diesem Zwecke berufenen
und dazu von ihren Committenten mit Specialvollmachten versehenen
Reichs-Cortes vor, welche darüber berathschlagten und sie annahmen.
Dann ward diese Anordnung als Staats-Grundgesetz bekannt gemacht.

Als solches galt sie und diente als Basis in den Verhandlungen und
Bündnissen, die seitdem geschlossen wurden, ohne daß irgend Einer der
nachfolgenden Könige einen Schritt zu seiner Aufhebung gethan hätte,
bis Ferdinand VII., getrieben von seiner eben so herrschsüchtigen wie
intriganten Gemahlinn, der Prinzessinn Maria Christina von Neapel,
seinen Bruder, den Infanten Don Carlos, der ihm zustehenden Rechte zu
berauben und, im Falle seine Gemahlinn in der nahe bevorstehenden
Niederkunft mit einer Tochter ihn beschenken sollte, dieser die Krone
zu sichern beschloß. Ferdinand’s Charakter zeichnete sich durch
größte Neigung zur Intrigue aus. Selbst Dem, was er leichter auf dem
geraden Wege hätte erlangen können, mochte er lieber auf krummen
Schlangenpfaden hinschleichend zustreben; und nicht selten machte ihn
während der langen Zeit, in der er sein Königreich dem Untergange
zuführte, eben diese unedle Denk- und Handlungsart sein Ziel verfehlen.
Er verleugnete auch jetzt diese Neigung nicht, wiewohl die Furcht
vor dem Eindrucke, den sein Plan auf die zahlreichen Anhänger seines
Bruders machen würde, das Ihrige zu dem Entschlusse beitrug, auf seines
Vaters, Carl IV., Schultern die Last zu laden, der er sich wohl nicht
gewachsen fühlte.

Am 29. März 1830 erließ Ferdinand VII. das Decret, durch welches er den
direkten weiblichen Nachkommen des Herrschers in der Thronfolge den
Vorzug vor dessen männlichen Seitenverwandten einräumte. Als Hauptmotiv
dafür ward angegeben, daß im Staatsarchive aufgefundenen Papieren
gemäß schon Carl IV. im Jahre 1789 einen ähnlichen Gesetzesentwurf den
Cortes vorgelegt habe, so daß Ferdinand durch die Erneuerung desselben
nur die Absicht seines Vaters in Ausführung bringe. -- Die bald
nachher geborene Prinzessinn Isabella ward demzufolge für eventuelle
Thronerbinn erklärt. Der König, durch die langsam ihn aufzehrende
Krankheit an den Rand des Grabes gebracht, widerrief zwar das neue
Gesetz, dessen furchtbare Folgen ihm einleuchten und doch zu schwer auf
dem Gewissen des Sterbenden lasten mochten. Da aber die augenblickliche
Gefahr auf kurze Zeit gehoben wurde, gelang es der Königinn, ihren
Einfluß auf den geistig und körperlich nur noch vegetirenden Gemahl so
auszudehnen, daß sie das Gesetz unter den nichtigsten Vorwänden wieder
in Kraft treten und bis zu Ferdinand’s Tode nicht weiter abändern ließ.

       *       *       *       *       *

Die beiden Gründe, welche die Änderung der Thronfolge-Ordnung motiviren
sollten, sind die uralte, herkömmliche Gewohnheit der Monarchie und
der Gesetzesentwurf Carls IV. In Betreff der ersteren finden wir seit
der Zeit des Wahlreiches der Gothen bis zu dem Regierungs-Antritte
Philipps V., daß, wenn die Verwirrung und das oft sich Widersprechende
in der dunkeln Legislatur jener Zeiten keine gesetzliche Bestimmungen
auffinden läßt, allgemein die männlichen Descendenten den weiblichen
vorgezogen wurden; und ganz besonders in den Kronen von Castilien und
Aragon, durch deren Vereinigung die spanische Monarchie sich bildete,
ward dieser Grundsatz stets streng durchgeführt. Selbst als Alfonso,
wie aus Ironie der Weise benannt, in dem von ihm verfaßten Codex die
Frauen in der Thronfolge den Männern gleichgestellt hatte, kam diese
Anordnung so wenig zur Ausführung, daß ihr schon bei seinem Tode und
seinem eigenen Rathe gemäß geradezu entgegengehandelt wurde, was bei
jeder neuen Gelegenheit sich wiederholte. Überhaupt ward dieser Codex
nie als feste Grundlage der Gesetzgebung des Reiches angesehen und
befolgt. -- Die weiblichen Herrscher, welche wir vereinzelt an der
Spitze der Gothen und der kleinen christlichen Staaten der Halbinsel
sehen, verdankten ihre Erhebung stets außerordentlichen Verhältnissen,
Empörungen, Revolutionen oder dem Mangel an männlichen Erben, weshalb
diese Fälle nie als Norm gelten und ein Motiv zu Ferdinands Gesetze
abgeben konnten.

Noch unhaltbarer ist die andere Veranlassung der vorgenommenen
Gesetzes-Änderung. Der Sohn beschließt eine Ungerechtigkeit
auszuführen, weil -- sein Vater sie vor ihm beabsichtigte. Es ist
häufig selbst von Anhängern Christina’s an der Echtheit jener angeblich
im Archive gefundenen Documente gezweifelt; aber vorausgesetzt, daß
Carl IV. wirklich im Jahre 1789 eine solche Absicht gehegt hätte, so
that er doch nie einen Schritt zu ihrer weiteren Ausführung, wozu ihm
während der neunzehn Jahre bis zu seiner Entsagung gewiß hinreichende
Zeit gegeben war. Ferdinand ergriff jedoch begierig den von seinem
Vater augenblicklich und nur zur Beförderung des persönlichen
Interesses der Königinn Marie Louise aufgefaßten Gedanken, um sich
so den Schein einer, freilich unendlich schwachen Rechtfertigung
zu verschaffen und wenigstens die Schuld der Erfindung von sich zu
schieben.

Beachten wir nun das Gesetz in Bezug auf seine Gültigkeit lediglich
als solches, so drängt sich zuerst die Bemerkung auf, wie so ganz alle
äußeren Erfordernisse vernachlässigt wurden, ohne die doch das Gesetz
als gar nicht gegeben muß angesehen werden. Spaniens Könige sind nie
unumschränkt gewesen; ihre Macht war von jeher in mancher Hinsicht in
ziemlich enge Schranken gezwängt, und vor Allem standen die Cortes und
der Rath von Castilien als Wächter der alten Staats-Verfassung da: ohne
ihre Zustimmung konnte kein Gesetz in Kraft treten. Wir sahen oben,
daß Philipp V. allem der Verfassung nach Nothwendigen streng Genüge
leistete, da er seine Thronfolge-Ordnung einführte. Falls also irgend
einem seiner Nachkommen das Recht zustand, das von dem Stifter der
Dynastie angeordnete Erbgesetz umzustoßen, mußte dieses doch mit eben
den Förmlichkeiten und unter Beobachtung aller durch die Verfassung
vorgeschriebenen Bedingungen geschehen, um als gültig ins Leben treten
zu können.

Ferdinand VII. erließ das Decret, durch welches er Philipp’s
Grundgesetz vernichtete, ohne jene beiden höchsten Staatsgewalten
zu Rathe zu ziehen, er nahm es eben so zurück und erklärte es dann
nochmals für wirksam; die Cortes waren zu jener Zeit gar nicht
versammelt, das Gutachten des Rathes von Castilien ward nicht
eingefordert. Erst drei Jahre später, im April 1833 berief der
König die Cortes, aber nicht um über das zu gebende Gesetz mit
ihnen zu berathen, sondern um die Huldigung für die Thronerbinn
entgegenzunehmen, die dann auch ohne Widerstand geleistet ward,
da die Cortes vollkommen bearbeitet zu einem bloßen Werkzeuge der
ehrsüchtigen Königinn sich herabwürdigten. Von Specialvollmachten,
wie sie den Cortes von 1713 hatten ausgefertigt werden müssen, war
natürlich gar nicht die Rede. -- So entsprach also das Gesetz, welches
den Infanten Carl von der Nachfolge ausschließen sollte, in der Art,
in der es gegeben wurde, gar nicht den Bedingungen, durch welche es
der Verfassung gemäß Gültigkeit hätte erlangen können; es bleibt
schon deshalb kraftlos und kann die Bestimmungen der früher und jenen
Bedingungen entsprechend etablirten Thronfolge-Ordnung nicht aufheben.

Noch mehr aber werden wir von der Ungültigkeit desselben überzeugt,
wenn wir seinen Zweck erwägen. Wie durch Carls IV. Entwurf Marie
Louise’s, ist durch diesen nur Christina’s persönliches Interesse
berücksichtigt, ohne daß das Wohl des Staates im Geringsten beachtet
wäre. Alle die Vortheile, welche Philipp V. so mächtig zu seiner
Anordnung trieben, bleiben in den Hintergrund gedrängt, da es sich
darum handelt, die eitele Herrschsucht eines Weibes zu befriedigen; und
doch dauern alle diese Vortheile in eben der Kraft fort wie hundert
Jahre früher, ja sie gewinnen immer mehr Bedeutung, wie Spanien mehr
und mehr geschwächt und in eine abhängigere Stellung zurückgedrängt
wird. Und wie suchte Ferdinand so unedlen Zweck zu erreichen? Indem er
das von dem Gründer der Dynastie festgestellte Fundamental-Gesetz der
Thronfolge aufhob, wozu doch die Souverainitäts-Rechte des Königs nicht
befugen; indem er seinen Bruder der Rechte beraubte, die das Gesetz
ihm sicherte, und die keine Macht auf Erden legitimer Weise antasten
konnte. Das Recht vergeht nur mit der Sache, über die es gewährt ist,
und keine Verfügung, wenn auch König und Cortes sie gegeben, kann
Gültigkeit erlangen, sobald sie das Recht eines Dritten schmälert; es
sei denn mit dessen Zustimmung oder weil er selbst verbrecherischer
Weise des ihm Zustehenden sich unwürdig gemacht.

Wohl suchten die Gegner Carls V., listig die Ereignisse der letzten
zehn Jahre in Ferdinand’s Regierung benutzend, durch freche
Verleumdungen solche Unwürdigkeit in ihm darzuthun, indem sie seine
zügellose Herrschsucht als geheimen Hebel der ultra-royalistischen
Aufstände hinstellten, die mehrfach die Monarchie beunruhigten. Welche
Fehler man aber auch dem unglücklichen Fürsten beilegen möge, seine
strenge Gewissenhaftigkeit und Loyalität konnten nie angetastet werden;
auch ist er gegen so ungegründete Anschuldigungen von geistreichen
und mit jenen Ereignissen vertrauten Männern auf eine Art vertheidigt
worden, die fernere Worte darüber ganz unnütz macht.

Dagegen behaupteten auch die Anhänger Christina’s, daß der Infant
Don Carlos, da er nicht sofort gegen die Änderung des Grundgesetzes
protestirte, stillschweigend seine Zustimmung gegeben und also seiner
Rechte sich begeben habe. Ferdinand erließ nemlich sein Dekret im März
1830, der Infant protestirte am 29. April 1833, so wie einige Wochen
später der König von Neapel, der als männlicher Nachkomme Philipps V.
vor Ferdinand’s Tochter in der Reihefolge der Thronerben steht. Ganz
abgesehen aber davon, daß damals die Prinzessinn noch nicht geboren
war und der Infant daher im Falle der Geburt eines Prinzen durch eine
voreilige Protestation lediglich den Unwillen seines königlichen
Bruders veranlaßt hätte, bewogen ihn zu jener Zögerung zwei Gründe,
die seinen Charakter in das ehrenvollste Licht stellen und die
Grundlosigkeit jener Behauptung völlig klar machen.

Vor Allem wollte er, ehe er irgend einen Schritt zur Sicherung seiner
Rechte that, sich überzeugen, daß diese Rechte wirklich existirten.
Er fragte deshalb nicht nur die ersten Rechts-Gelehrten der Monarchie
um Rath, sondern consultirte auch die Universitäten von Spanien,
Portugal und Italien, und erst als sie einstimmig erklärt, daß seine
Ansprüche unumstößlich gerecht seien und Philipp’s Thronfolge-Ordnung
durch seines Nachkommen Willen keinesweges aufgehoben sei, entschloß
sich der Infant, seiner Pflicht gemäß, der Beraubung seines Rechtes
kräftig sich zu widersetzen. -- Dann wußte er sehr wohl, daß das
ursprüngliche Dekret Ferdinand’s der Verfassung des Staates gemäß
gar nicht Gesetzes Kraft haben könne, da weder Cortes noch Rath von
Castilien ihre Einwilligung erklärt; weshalb hätte er gegen ein Gesetz
protestirt, welches gar nicht existirte? Als aber Ferdinand im April
1833 die Cortes berief, um durch deren Huldigung seine Anordnung zu
heiligen, da erhob sich der Infant mit Festigkeit zur Vertheidigung
seiner nun bedroheten Rechte: er erließ die Protestation am 29. April
und zog sich nach Portugal zurück, ohne daß Ferdinand, schwach auch
in der Ausführung des beschlossenen Unrechts, so feindselige Maßregel
gehindert hätte.

       *       *       *       *       *

Da also keine der Bedingungen Statt fand, die für die Gültigkeit der
Veränderung des Grundgesetzes unerläßlich sind; da die neue Anordnung,
staatsrechtlich wie moralisch beurtheilt, nicht Gesetzes Kraft haben
kann; da das Recht der männlichen Nachkommen Philipps weder durch ihre
Unwürdigkeit noch durch ihre Einstimmung aufgehoben ist: so bleibt
Carl V. der rechtmäßige König von Spanien.

Übrigens waren die Leiter Derer, die auf jener unglücklichen Halbinsel
sich Liberale zu nennen wagen, da sie die Usurpation Christina’s
begünstigten, weit entfernt, deren Tochter für die legitime Thronerbinn
zu halten; so oft ich innerhalb und außerhalb Spanien mit solchen
Männern in Berührung kam, bewunderte ich die Gewandtheit, mit der
sie die Frage des Rechtes zu umgehen wußten. Diese Parthei, welche
seit vielen Jahren durch ihre Umwälzungs-Pläne namenloses Elend ihrem
Vaterlande bereitet, erkannte sehr wohl, daß sie nie hoffen dürfe,
unter Carl V. ihre selbstsüchtigen Absichten ins Werk zu setzen.
Die Denkungsweise dieses Fürsten war zu bekannt, als daß sie den
Anarchisten die mindeste Aussicht gelassen hätte, der Herrschaft sich
zu bemächtigen und so die reichen Schätze der Krone, die hohen Ämter
und die Verfügung über die Ressourcen des schönen Landes an sich
zu reißen. Die Regierung eines Kindes unter der Regentschaft eines
schwachen Weibes versprach ihnen leichteren Erfolg. Sie erkannten, daß
Christina ohne Unterstützung im Volke, ohne Hülfsquellen und Macht
schnell genöthigt sein würde, sich ihnen in die Arme zu werfen, und
edleren Gesinnungen ja ganz fremd, eilten sie, die ihren Zwecken so
günstige Gelegenheit nicht aus den Händen zu lassen. Sie erhoben sich
stürmisch für die Ansprüche Isabella’s gegen Ferdinand’s gefürchteten
Bruder; mit leicht erheucheltem Enthusiasmus huldigten sie dem Kinde,
welches unbewußt seines Onkels Rechte usurpirte, und -- entwanden den
Händen der Königinn die Zügel der Regierung, zu schwer für die Kraft
der ehrgeizigen Frau.

Die Ereignisse haben hinlänglich gezeigt, wie richtig Spaniens
sogenannte Liberale die Folgen ihrer Schritte berechnet hatten. Es
wäre ungerecht, das Gute mit Stillschweigen zu übergehen, welches sie
durch Abschaffung von einigen der zahllosen Mißbräuche hervorbrachten,
unter denen Spanien dahinstirbt; aber eben so wenig darf übersehen
werden, daß sie nur diejenigen angriffen, durch deren Zerstörung sie
sich bereichern, ihre Macht mehren konnten: daher die Aufhebung der
überreichen Klöster, deren Schätze größten Theils in das Ausland
wanderten, die Zurücknahme vielfacher Privilegien und der Einzelnen
ertheilten Monopole u. a. Wo dagegen solche Mißbräuche dem Interesse
der Parthei fröhnten, da bestanden sie fort in ihrer schrecklichsten
Gestalt oder tauchten gar ganz neu hervor; Bestechlichkeit,
Erpressung, Unterschleif waren und sind an der Tagesordnung, jeder
Zweig der Verwaltung liegt in der tiefsten Vernachlässigung danieder,
Gerechtigkeit ist für Gold feil; Gold ersetzt alle Tugenden, alle
Talente, Gold giebt Achtung, Ehre, Macht; der Mann wird nach der
Gewandtheit geschätzt, mit der er die kurze Zeit, während der er ein
Amt, eine Würde bekleidet, zur Erschöpfung jedes Weges der Bereicherung
benutzt.[2]

Die Zeit der Regentschaft Christina’s giebt ein entsetzliches Bild der
Verworfenheit, zu der niedrige Selbstsucht den Menschen führt, des
Elendes, welches sie hervorzurufen vermag. Während jene Männer ihr
Vaterland mit Trauer und Jammer füllten, seiner edelsten Söhne, von
Bruderhand gemordet oder in fremde Länder vertrieben, es beraubten,
während sie Europa’s reichstes Königreich in einen mit Blut und Thränen
getränkten Schutthaufen verwandelten, wußten sie, in raschem Wechsel
die Leitung der Geschäfte sich abnehmend, ihre leeren Koffer mit dem
Gewinne des verzweifelnden Ackerbauers und Bürgers, den Schätzen der
ausgeplünderten Handelsstädte zu füllen. Sie zauderten nicht, um ihren
Leidenschaften zu fröhnen, der Verachtung der Nationen, dem Fluche des
im Todeskampfe zuckenden Vaterlandes, der Rache des ewig Gerechten zu
trotzen. -- Und sie triumphiren!

  [1] In den offiziellen Erlassen der Madrider Regierung ward die
      Tochter Ferdinand’s gewöhnlich als „~nuestra innocente Reyna~“
      bezeichnet. Diese Eigenschaft ihrer Königinn schien wohl den
      Christinos besonders merkwürdig.

  [2] Von allen den Anführern der verschiedenen Fraktionen, welche
      unter dem Namen Christina’s die Regierung inne hatten, ist wohl
      Martinez de la Rose der Einzige, der uneigennützig und nach
      seiner Überzeugung das Beste des Staates suchte. Wie Mendizabal,
      der Graf Toreno und alle die übrigen Minister, nach ihnen mit
      wenigen Ausnahmen die Militair- und Civil-Behörden bis zu den
      untersten Beamten nur Geld zu ihrer Losung machten, wie die
      Ersteren, in Dürftigkeit aus der Verbannung zurückgekehrt,
      bald in übermüthigem Luxus glänzten und Millionen im Auslande
      niederlegten, die sie dann zu verprassen eilten, bis die
      Umstände, neue Herrschaft, neuen Raub versprechend, sie nach dem
      Vaterlande zurückriefen; -- das wurde selbst von ihren Anhängern
      nicht geleugnet und -- -- natürlich gefunden. Armes Spanien!
      Übrigens brachte das System der Verwaltung diese Mißbräuche mit
      sich und mußte sie allgemein machen, da, so oft eine andere
      Parthei des Ruders sich bemächtigte, die der vorher herrschenden
      Angehörigen ihrer Stellen entlassen und mit ihren Familien zum
      Betteln verdammt wurden, wenn sie nicht in der fetten Zeit für
      die magere Vorrath gesammelt.



II.


Von Schleichhändlern geführt, in die einfache Kleidung eines baskischen
Bauern gehüllt, durcheilte ich auf schmalen, kaum der Gebirgsziege
wegsam scheinenden Fußsteigen die Felsen-Thäler der West-Pyrenäen.
-- Der Pfad, bald hoch über grundlosem Abgrunde schwebend, bald in
die Schluchten tief sich senkend, die der rauschend hinschäumenden
Bergwassern malerisches Bett bilden, wand sich weit, stets die Punkte
aufzusuchen, wo die Schroffe der aufgethürmten Felsmassen oder der
von allen menschlichen Wesen gemiedene Wald das Auge des Forschers am
unwahrscheinlichsten machte. Hoch über uns blitzten die Gewehre einer
Patrouille, deren Blicken die sorgfältig benutzten Vorsprünge und
Biegungen uns entzogen, dann schreckte uns der Lärm eines durch nahes
Gebüsch entfliehenden Ebers; einzelne Bauern, von den militairisch mit
Vor- und Nachtrab marschirenden Führern in mir unbekannter Sprache
befragt, hatten befriedigende Nachrichten gegeben, und selten wurde
der kleine Zug auf einige Minuten gehemmt. Da -- schon nicht fern von
der Gränze -- ertönte wieder und wieder das gefürchtete „Halt!“ hinter
uns, und da es den eiligen Lauf uns nur beschleunigen machte, bald
auch das Feuern der französischen Douaniers, deren Kugeln uns jedoch
nicht erreichten. Doch plötzlich standen die Führer bewegungslos.
Neue, unausweichbare Gefahr befürchtend warf ich suchende Blicke nach
allen Seiten, als des Guiden gebrochenes „~Eh bien, nous voici chez
nous~“ mich in den Taumel der höchsten Freude versetzte: die letzte
Barriere war ja überschritten, die dem so lange ersehnten, so oft
ausgemalten Glücke noch hindernd im Wege gestanden.

Bald lag Zugarramurdi, das nächste carlistische Dorf, vor uns. Die
Behörden und die Officiere der dort stehenden zwei Compagnien empfingen
den Ankömmling artig und suchten zuvorkommend alle Dienste zu leisten,
welche meine gänzliche Unkenntniß der Sprache möglich machte, wobei
einer der Officiere, des Französischen kundig, als Dolmetscher diente.
Da sah ich die Braven, von deren Kriegesthaten ich so oft bewundernd
gelesen, an deren Seite zu kämpfen jetzt höchste Ehre und Ziel alles
Strebens mir war.

Ihr Anblick mußte tiefen Eindruck auf mich machen. Das dunkelgebräunte
Antlitz leuchtete ihnen vom Gefühle hohen Muthes und vom stolzen
Bewußtsein der vollbrachten Thaten, während die Narben, welche ihre
kühnen Züge noch mehr hervorhoben, das schönste Zeugniß der Gefahren
und Leiden bildeten, denen für König und Vaterland sie willig sich
ausgesetzt. Meine Bewunderung stieg, da ich den Zustand wahrnahm, in
dem diese Helden so viele Siege erfochten, so oft der Feinde dräuende
Heerhaufen durchbrochen und vernichtet hatten. Kaum deckten die
Überbleibsel eines hellblauen Rockes die kräftigen Glieder, während
Viele fast barfuß die Felsenwege hineilten oder höchstens durch
schwache Hanfsandalen[3] ihre Füße schützten. Ein scharlachfarbiges
oder weißes Basken-Barett (~la voyna~) deckte das Haupt, der Hals
war frei oder von einem seidenen Tuche umschlungen; die Bewaffnung
bestand nur aus dem Tod sendenden Gewehre mit um den Leib geschnallter
schwarzer Patrontasche, an der das Bajonett, oft ohne Scheide
hinabhing. Alles war auf die höchste Leichtigkeit und Beweglichkeit
berechnet: statt des Tornisters trugen sie einen leinenen Beutel auf
dem Rücken, der nur ein Hemd, ein Paar Sandalen und die Lebensmittel
enthielt.

An preußische Organisation, die elegante Einfachheit der preußischen
Armee gewöhnt, mußte mich im ersten Augenblicke der Anblick dieser
Krieger unangenehm choquiren. Doch schnell bedachte ich, wie unendlich
höher das Verdienst der Männer zu stellen ist, die unter solchen
Umständen nicht verzagten; die, an so vielem sonst für unerläßlich
gehaltenen Mangel leidend, muthig, wenige Hunderte anfangs, gegen
die von allen Seiten zu ihrer Erdrückung heraneilenden Colonnen sich
erhoben, Jahre lang den ungleichen Kampf bestanden, die feindlichen
Massen oft schlugen und aufrieben, bis sie, von ihren Gebirgsvesten
herabbrechend, durch alle Provinzen Spaniens bis zu Gibraltar’s Felsen
und an die Thore von Madrid den Schrecken ihrer Waffen verbreiteten
und die Usurpatorinn auf dem in seinen Grundlagen erschütterten Throne
zittern machten.

       *       *       *       *       *

Ferdinand VII., für den sein Volk unermeßliche Ströme edlen Blutes
vergossen, unter dem Spanien, ein Schatten Dessen, was es einst war
und noch sein könnte, von Stufe zu Stufe sinkend sich nur von dem mit
politischen Umwälzungen unzertrennbaren Elend erhob, um in neuen, wo
möglich, noch schmerzlicheren Jammer zurückgestürzt zu werden; --
Ferdinand starb am 29. September 1833 und überließ sein Reich allen
Schrecken eines Bürgerkrieges, den er durch Schwäche hervorgerufen,
dessen furchtbare Folgen er voraussehen mußte, ohne den Muth zu ihrer
Abwendung zu haben. Die Königinn Wittwe Maria Christina nahm sofort von
dem Throne im Namen der unmündigen Infantin Isabella Besitz.

Doch kaum ward die Nachricht von dem Tode des Königs in den Provinzen
bekannt, als allenthalben muthige Männer sich erhoben, die Rechte des
legitimen Thronerben proclamirend und bereit, den letzten Blutstropfen
in der Bekämpfung der Revolution zu opfern. Der greise Pfarrer Merino,
wegen seiner im Unabhängigkeitskampfe gegen Napoleon vollbrachten
Thaten vielleicht zu sehr gerühmt, sah sich in Alt-Castilien schnell an
der Spitze von mehr denn 20000 M., alle als ~voluntarios realistas~[4]
vollkommen bewaffnet, alle freiwillig für ihren Herrscher aufgestanden;
in den übrigen Theilen des Königreiches fanden ähnliche Bewegungen,
wiewohl in kleinerem Maßstabe, Statt. Ein entscheidender Schlag
hätte Alles enden mögen. Aber schon trat der Mangel an Einheit,
Einigkeit und daher an Energie hervor, der in einer späteren Epoche
so schmerzliche Folgen bereiten sollte. Merino, nach Alava gezogen,
ließ sich in Streitigkeiten über die Verpflegung seiner Castilianer
mit den Anführern in jener Provinz ein, die da behaupteten, eine jede
Provinz müsse ihre Truppen unterhalten, und den Castilianer deshalb
auf Castilien verwiesen. Mangel riß ein; Merino, anstatt fest auf
die Hauptstadt zu marschiren, zauderte fort: der größte Theil seiner
Truppen, seit vielen Tagen ohne Lebensmittel, zerstreute sich.

Christina aber zitterte. Sie fühlte dem Sturme sich nicht gewachsen,
den ihr Ehrgeiz hervorgerufen, und eilte, dem Fürsten, dessen Platz sie
usurpirt, Vorschläge zu machen. Carl V., damals in Portugal,
nahm sie mit der Verachtung auf, die allein ihnen passende Antwort
war: er kannte sein Recht und fühlte die Pflicht, +ganz+ es zu
behaupten. Da schon zeigte sich, wie wenig die Anführer der Parthei,
die liberal will genannt sein, sich scheuten, zu den entehrendsten
Maßregeln ihre Zuflucht zu nehmen, wenn sie so dem Ziele ohne Gefahr
sich zu nähern hofften. Sie übersandten dem schon geschwächten,
aber dennoch gefürchteten Merino eine Ordre, mit der verfälschten
Unterschrift Carls V. versehen, durch die ihm geboten ward,
den Rest seiner Truppen, da Kampf nun hoffnungslos, zu entlassen. Der
treuherzige Greis, unfähig, solche Niedrigkeit zu ahnen, vollführte mit
Schmerz seines Königs Befehle.

Die Anhänger Christina’s triumphirten und benutzten den günstigen
Augenblick zur erbarmungslosen Rache. In allen Städten, im ganzen
Königreiche wurde dem Beispiele der Residenz gemäß unermüdlich
gearbeitet, den überall drohenden Aufstand in Blut zu ersticken, auf
den Leichen der Loyalen sollte die Herrschaft der Usurpation sich
befestigen. Die Kerker wurden bald überfüllt durch die Unglücklichen,
welche in stets erneuten Haufen den Hauptstädten zugeschleppt wurden,
die gewöhnlichen Tribunale reichten nicht mehr hin, um so viele
Unschuldige zu verdammen. Militair-Commissionen wurden allenthalben
niedergesetzt, in ihrem Gefolge erhoben sich Schaffotte, bis, da auch
sie zu langsam ihr grausiges Werk vollbrachten, das kriegerische
Erschießen praktischer gefunden wurde. Ein unvorsichtiges Wort, eine
Klage, bloßer Verdacht reichten hin, um Trauer und gränzenloses Elend
den Familien zu bringen; Privathaß und Selbstsucht waren thätig, die
Zahl der Opfer jedes Alters, jedes Geschlechtes zu mehren; ganz Spanien
lag in stummer, wehrloser Verzweiflung, aller Derer beraubt, auf deren
Talente und Edelsinn es seine Hoffnungen gebaut hatte.

Noch schien Rettung nicht unmöglich. In den baskischen Provinzen und
dem Königreiche Navarra, diesem begünstigten Theile der Monarchie,
hatte lange schon dumpfe Unzufriedenheit gegährt, durch die Besorgnisse
hervorgerufen, welche das Betragen der Regierung für die unschätzbaren
~fueros~ der vier Provinzen rege machte. Während Ferdinand’s Herrschaft
waren diese Privilegien unangetastet geblieben, weil das Königreich
sich stets in solchem Zustande der Verwirrung und Schwäche befand, daß
es Tollheit gewesen wäre, durch Gewalt solche Maßregel durchzusetzen.
Aber sehr wohl wußten die Basken, daß trotz dem diese Frage mehrfach
zur Sprache gekommen; ja in der letzten Zeit waren wirklich Truppen an
ihrer Gränze zusammengezogen. Sie erinnerten sich, wie heilig diese
auf Verträge gegründeten Rechte seien, sie erkannten, welche Macht die
Lage und die Eigenschaften ihres Gebietes ihnen giebt; sie gedachten
auch, wie der Infant Don Carlos im Gefühle der Gerechtigkeit stets
für sie gesprochen, wie einst die schon beschlossene Aufhebung der
Privilegien nur durch seinen Einfluß rückgängig gemacht wurde. Das
brave Gebirgsvölkchen, dafür dankbar, zauderte nicht.

Sofort nach Ferdinand’s Tode erhoben sich kleine Schaaren, Carl V.
als König von Spanien, Herren von Vizcaya proclamirend; am 3. und 4.
October brach der Aufstand in Bilbao aus, worauf die Stadt durch von
San Sebastian entsendete Truppen besetzt wurde, in Vitoria erhob sich
das Volk am 7. October. Doch auch hier ward der erste Versuch blutig
niedergeschlagen. Sarsfield, zum General en Chef ernannt, durchzog
das Land und erschoß wie viele Basken, bewaffnet oder unbewaffnet, in
seine Hände fielen, selbst Weiber und Kinder wurden niedergemetzelt,
die Wohnungen verbrannt, alles Werthvolle geplündert, vernichtet.
Seine Untergebenen übertrafen ihn an Grausamkeit. Lorenzo ließ den
edlen Don Santos Ladron, der, ausgezeichnet als General, als Bürger
und als Mensch, an die Spitze des Aufstandes sich gestellt, im Graben
von Pamplona rücklings erschießen, da er durch Verrath ihn gefangen
genommen. Achthundert Mann hatte dieser General vereinigt, wiewohl zum
Theil noch nicht bewaffnet; sie zerstreuten sich auf die Kunde von
dem Tode ihres Chefs, die Wiederherstellung der Ruhe schien leicht.
-- Lorenzo ward zum Vicekönig von Navarra erhoben zum Lohne seiner
blutigen That.

Die Christinos behandelten das Land wie erobert: die Privilegien
wurden nicht länger beachtet, Truppen besetzten die wichtigsten
Stellungen und befestigten die Städte. Dazu wurden Brandschatzungen
erhoben, Arretirungen auf den leisesten Verdacht der Unzufriedenheit
hin vorgenommen, und Hinrichtungen fanden täglich in jedem Theile des
Landes Statt. Das vermochte der Basken Freiheitssinn nicht zu tragen.
In Masse erhoben sie sich gegen die Unterdrücker, welche nur in den
festen Plätzen augenblicklich sichere Zuflucht fanden, einmüthig
unterzogen sie sich, ein erhabenes Vorbild, für die Vertheidigung
ihres Königs und ihres Vaterlandes der Gefahr und allen den Leiden des
Kampfes gegen die zehnfach überlegene Macht des trotzigen Feindes. Doch
wie willig das Ländchen seine Hülfsquellen den eigenen Söhnen öffnete,
es fehlte ihnen an Waffen, an Munition, an einem Führer vor Allem. --
Jene entrissen sie den Gegnern selbst; kleine Siege, die sie anfangs
über einzelne Detachements davon trugen, gaben mit dem Vertrauen die
Mittel zur Bekämpfung auch der mächtigeren Corps. Und der Führer ....
Wer kennt nicht den Helden, der aus ungeübten, wehrlosen Bauern ein
Heer schuf, der an der Spitze seiner kühnen Landsleute die ersten
Feldherren der Monarchie schlug, ihre geübten Armeen vernichtete und
die Trabanten der Usurpation lehrte, was die kleine Schaar vermag,
wenn das Gefühl des Rechtes im Kampfe sie beseelt! Europa hat mit
Bewunderung Zumalacarregui’s Namen wiederholt.

       *       *       *       *       *

Es ist nicht meine Absicht, eine Geschichte der Thaten jenes Feldherrn
zu geben, die Materialien dazu würden mir fehlen, es sei denn, daß ich
zum Abschreiber oder Compilator mich herabwürdigen wollte. Doch wird es
zweckmäßig sein, eine gedrängte Übersicht der Ereignisse hinzustellen,
wie sie bis zu meiner Ankunft in den baskischen Provinzen Statt fanden.

Don Thomas Zumalacarregui diente in der Armee Ferdinand’s als Oberst
und Commandeur eines leichten Regimentes; sein Commando war ihm,
der nie seine politische Meinung verbarg, genommen, und Christina
sendete ihn als Staatsgefangenen nach Pamplona. Bald gelang es ihm zu
entkommen, nicht, wie die liberalen Blätter oft behaupteten, durch
Verletzung des gegebenen Ehrenwortes; er opferte die Caution, gegen die
es ihm gestattet war, in der Festung anstatt in der Citadelle zu leben.
Baske wurde er von den Basken mit Jubel empfangen, und schnell stellten
ihn seine Talente an die Spitze seiner Landsleute. Da entwickelte er
mit eben so viel Scharfsinn als Thätigkeit das Kriegessystem, dessen
standhafte Durchführung ihn befähigte, den erprobten Generalen Spaniens
siegreich zu widerstehen, die doch gegen seine Bauern ihre altgedienten
Soldaten heranführten. Die Configuration des Landes, bewundernswürdig
benutzt, und genaue Kenntniß der Örtlichkeiten begünstigten ihn in so
ungleichem Kampfe gleichwie die Neigung der Einwohner, welche Gut und
Leben aufs Spiel setzten, um den Kriegern, die ja für sie stritten,
unter denen sie die ihnen Theuren wußten, den Erfolg zu erleichtern,
Nachrichten ihnen zukommen zu lassen und hauptsächlich vor Mangel sie
zu sichern, so oft sie in den wilden Schluchten der Gebirge Zuflucht zu
suchen genöthigt waren.

Sarsfield, Valdes, Quesada an der Spitze der Armee -- so viele andere
Chefs unter ihnen -- scheiterten in dem Versuche, den stets wachsenden
Aufstand zu unterdrücken. Zumalacarregui, immer treue Bataillone
bildend und mit außerordentlicher Schnelle sie organisirend, vermied
die stärkeren Corps oder erwartete sie in Stellungen, welche ihre
Übermacht unnütz machten; er griff die kleinen an und vernichtete
sie; er flog von einem Theile des Kriegsschauplatzes zum andern, auf
die verschiedenen Abtheilungen sich zu werfen, wenn sie am wenigsten
den Angriff erwarten konnten. Jeder Tag brachte neue Triumphe, jeder
Tag mehrte mit den Verlusten den Schrecken des Feindes. Seine Siege
gaben dem General die Mittel zur Bewaffnung neuer Corps, wie sie
das Vertrauen seiner Landsleute zu anbetender Begeisterung hoben,
die kaum mehr steigen konnte, als im Juli 1834 Carl V. selbst, von
England unerwartet abgereiset, in den Provinzen anlangte. Doch hatten
die feindlichen Truppen noch alle wichtigeren Punkte, alle Städte
besetzt und größtentheils befestigt, ihre Colonnen durchzogen das
ganze Land, die Garnisonen erneuernd, verproviantirend und schützend.
Zumalacarregui war auf seine Gebirge -- das Land im Allgemeinen --
beschränkt, und selten noch gelang es ihm, irgend eines Forts sich zu
bemächtigen: seine Angriffsmittel waren zu klein, als daß sie raschen
Erfolg möglich gemacht hätten, und die christinoschen Divisionen eilten
herbei, die kaum begonnene Belagerung aufzuheben. Lange Zeit besaßen
die Carlisten nur ein Geschütz, ~el abuelo~ -- der Großvater --
genannt, welches viele Jahre vergraben gewesen war. Dann verstärkten
sie nach und nach ihre Artillerie durch Kanonen, die in den Seehäfen
halb in die Erde gegraben zum Anbinden der Schiffe gedient, und durch
einige Stücke, welche seit Mina’s Zeiten in den Klüften verborgen
gewesen.

Solche waren die Mittel, mit denen die Basken den Kampf gegen die Macht
der Monarchie begannen; erst nach Jahren konnten sie die Fabriken
und Werkstätten jeder Art etabliren, die ihnen dann alles Material
lieferten, ohne welches der Krieg sonst unmöglich scheint.

Kaum war Don Carlos in den Provinzen[5] angekommen, als General Marquis
Rodil, der so eben von Portugal mit der Armee, welche gegen Don Miguel
operirt hatte, als Oberbefehlshaber gesendet war, jene fantastische
Verfolgung begann, die ohne irgend ein günstiges Resultat für die
Christinos so sehr zu der Schwächung ihrer militairischen Operationen
beitrug. In dieser Verfolgung zeichnete sich Carl V. durch die Größe
und Festigkeit in Ertragung des Härtesten aus, die die Bewunderung der
Seinen, die Achtung auch seiner empörten Unterthanen ihm erwarben. Nur
von einigen Hunderten, der ausgesuchtesten Mannschaft, unter des treuen
Eraso Führung begleitet, irrte der König Monate lang durch die wilden
Gebirgszüge der Pyrenäen, verfolgt, umringt von vier und fünf Colonnen,
die nur diesem Zwecke bestimmt waren. Da duldete der König alle die
Entbehrungen und Drangsale, die in solchem Maße sonst kaum dem Soldaten
in den unglücklichsten Verhältnissen zu Theil werden. Viele Meilen weit
klimmte er, auf den Arm eines Begleiters gestützt, über die Felsen und
Abgründe, wo Pferd und Maulthier dem gefährlichen Marsche nicht länger
zu folgen vermochten; weder Sturm noch Kälte noch oft der Fuß hohe
Schnee konnten als Vorwand dienen zu augenblicklicher Ruhe, denn der
die Beute erlauernde Feind war stets auf den Fersen. Wie oft forderte
der Monarch ein Stück Brod vom bewährten Diener, der mit Thränen im
Auge schweigend die Stärkung versagte, da Alles aufgezehrt; wie oft
diente der rauhe Felsen, gefrorener Schnee ihm zum Lager, auf dem er,
in die Decke eines seiner Soldaten gehüllt, erschöpft den erquickenden
Schlaf suchte! -- Carl V. bewährte, daß er, wenn nicht energisch genug,
um der Intrigue und dem Verrath der Seinen fest sich entgegenzustellen,
mit immer gleicher Seelengröße über persönliche Leiden erhaben ist.
-- Und die Vorsehung war mit ihm. Wie durch Wunder entging er allen
Listen, allen Schlingen der schlausten Führer des Feindes, der oft nur
um Minuten sein Opfer verfehlte.

Während aber die Hauptmacht der Christinos in der Verfolgung eines
Schattenbildes, welches sie nie erreichen sollte, Zeit und Kraft
vergeudete, benutzte Zumalacarregui trefflich die Muße, welche sie
ihm gönnte. Schon wenige Tage nach der Ankunft Sr. Majestät -- am 21.
Juli und 1. August 1834 -- hatte er rühmliche Gefechte bestanden;
dann nahm er mehrere feste Punkte, rieb feindliche Abtheilungen auf
und machte selbst wiederholt Einfälle in Castilien, um Waffen vor
Allem und sonstige Kriegsbedürfnisse sich zu verschaffen. Er durchzog
die fruchtbare Rioja zu beiden Seiten des Ebro, schob sich kühn und
gewandt zwischen die Colonnen der Generale O’Doyle und Osma, die
combinirt bei der Rückkehr ihn auffangen wollten, und vernichtete sie
ganz in den beiden Actionen des 27. und 28. October zwischen Vitoria
und Salvatierra. Der gefangene O’Doyle ward erschossen, da die Feinde
fortwährend der Carlisten Aufforderung, gegenseitig Pardon zu geben,
zurückgewiesen. -- Am Ende des Jahres 1834 zählte Zumalacarregui
achtzehn Bataillone unter seinem Commando.

Rodil, am Erfolge verzweifelnd, hatte den Oberbefehl der christinoschen
Armee niedergelegt; Mina war an seiner Stelle ernannt worden. Seine
herrlichen Kriegsthaten im Unabhängigkeitskriege sind bekannt; das
Theater, auf dem er nun zu wirken bestimmt wurde, war dasselbe, welches
damals seinen Unternehmungen so günstig sich bewiesen. Bald aber erfuhr
er, wie verschieden sein jetziger Auftrag von der Aufgabe war, der er
sich einst freiwillig mit so glänzendem Erfolge unterzogen. Dazu war
er kränklich und häufig gehindert, selbst die Operationen zu leiten.
Seine untergeordneten Generale erlitten wiederholte und sehr bedeutende
Niederlagen, die Lage der Dinge wurde täglich mißlicher, Zumalacarregui
nahm mit seiner einen Kanone mehrere Forts -- so das wichtige ~los
Arcos~ -- unter Mina’s Augen. Nachdem der alte Guerrilla-Chef seine
Wuth in nutzlosen Grausamkeiten gegen Landleute und Weiber, wie in
Niedermetzelung der wenigen Gefangenen geäußert, die ihm in die Hände
gefallen, entsagte auch er mißmüthig dem Commando, welches er unter so
großen Hoffnungen seiner Parthei auf sich genommen.

Valdes, zugleich Kriegsminister, erhielt nochmals den Heerbefehl: die
Vereinigung der beiden Gewalten in eine Hand sollte den Operationen
ganz besonderen Schwung geben. In der That brach der neue General
im April 1835 mit zwei und vierzig Bataillonen nach dem Innern der
Provinzen auf; nie vorher war eine so starke Macht auf einem Punkte
disponibel gewesen, aber auch nie war die Noth so dringend. Einige der
festen Städte Vizcaya’s und Guipuzcoa’s waren gefallen, andere wurden
hart bedrängt und mußten unmittelbar entsetzt werden, da die Colonnen
in der letzten Zeit nicht mehr bis zu ihnen hatten durchdringen und die
nöthigen Bedürfnisse ihnen bringen können.

So wie Valdes Miene machte vorzudringen, eilte Zumalacarregui herbei
und begleitete beobachtend seinen Zug; in einer günstigen Stellung im
Gebirge, wenige Meilen von Estella entfernt, stellte er den Christinos
sich entgegen und griff sie trotz ihrer unendlichen Überlegenheit an.
Zwei Divisionen wurden geworfen und gesprengt, doch die Cordova’s
leisteten kräftigen Widerstand; der carlistische Feldherr brach den
Kampf ab, die Feinde aber, schon entmuthigt und für jetzt ihren Plan
aufgebend, traten den Rückzug an. Da, als schon die Nacht angebrochen,
warf sich Zumalacarregui von Neuem auf die feindliche Armee, panischer
Schrecken ergriff sie, Verwirrung riß ein, wie nie zuvor, Jedermann
glaubte den Feind zu sehen und schoß auf Jedermann, die Divisionen
alle flohen in wildester Unordnung auf Estella, Waffen, Gepäck und
Czakos fortwerfend, um leichter zu fliehen. Erst nach mehrern Tagen
konnten die Aufgelöseten wieder einigermaßen geordnet werden. Bald
ward Espartero, der von Bilbao aus auf der Heerstraße vordrang, um das
belagerte Villafranca zu entsetzen, eben so vollständig auf den Höhen
von Segura geschlagen, Iriarte nahe Bilbao geworfen. Valdes erkannte
die Unmöglichkeit, die festen Punkte im Innern der Provinzen länger zu
halten. Er ließ die noch nicht genommenen räumen und begnügte sich, die
Ebrolinie und die Forts der Seeküste zu behaupten, so daß die Carlisten
nun ganz Vizcaya und Guipuzcoa mit Ausnahme der Hafenstädte, die Hälfte
von Navarra und Alava, wo Vitoria den Feinden blieb, in ihrer Gewalt
sahen. So lange die Entscheidung des Krieges den Waffen überlassen
blieb, behaupteten sie dieses ihr Gebiet gegen alle Anstrengungen der
Christinos.

Das liberalisirte Spanien erhob seine Stimme gegen Valdes, da es so
Viel ihn aufgeben und durch den Rückzug hinter den Ebro seine Schwäche
ihn eingestehen sah; er ward selbst als Verräther bezeichnet und bald
genöthigt abzutreten. Doch war während seines Oberbefehls noch eine
wichtige Veränderung geschehen. Der Krieg war bis dahin ein Kampf
auf Leben oder Tod gewesen, und wenn ja ein Mal Gefangene gemacht
und erhalten waren, so war dieses nur der Großmuth des carlistischen
Feldherrn zuzuschreiben, der umsonst wiederholt gegenseitige Schonung
beantragt hatte. Die Christinos hatten in jener Zeit so selten
Gelegenheit, praktisch ihre Gesinnungen zu zeigen, daß man nicht wissen
kann, ob sie sonst nicht auch solcher fortwährenden Schlächtereien müde
geworden wären. So wie die Sachen standen, ließen sie nie den wenigen
Gefangenen, die sie machen konnten, Gnade angedeihen, erhoben aber
jedes Mal ein gewaltiges Zetergeschrei, wenn, diese Ausschweifungen so
wie die Excesse der empörendsten Art gegen die Bevölkerung zu rächen
und zu zügeln, auch die Carlisten zu Gewalt-Maßregeln schritten.

Diese wechselseitigen Grausamkeiten mußten Europa’s Aufmerksamkeit
und Abscheu erwecken. Lord Elliot, vom Tory-Ministerium deshalb
entsendet, brachte nach einigem Unterhandeln eine Übereinkunft zwischen
den Führern der beiden Armeen zu Stande, nach welcher die Gefangenen
als solche behandelt und ausgewechselt, so wie überhaupt die unter
civilisirten Völkern herrschenden Kriegesgebräuche auch auf diesen
Bürgerkrieg ausgedehnt werden sollten. -- Jedoch nur in den Heeren,
die Navarra und den baskischen Provinzen angehörten! -- Die Anträge
Zumalacarregui’s, diesen Vertrag auf ganz Spanien auszudehnen, wiesen
die Verkünder „der Aufklärung und zeitgemäßer Ideen“ entschieden zurück.

       *       *       *       *       *

Die respektive Lage der Armeen war ganz geändert. Bisher hatten die
Christinos noch immer die Meister der baskischen Provinzen sich
nennen dürfen, da sie ihnen stets offen und die Hauptpunkte derselben
von ihren Truppen besetzt waren; sie bemühten sich den Aufstand der
Bergbewohner zu unterdrücken. Die Carlisten dagegen bildeten ein
wanderndes Heer, welches ohne weitere Stützpunkte, als die das Terrain
ihm bot, in den Provinzen umherzog und dem Feinde so viel Schaden
that wie möglich, ohne für sich mehr Vortheile zu erlangen, als welche
es mittelbar und für die Zukunft durch der Feinde Schwächung hoffen
durfte. -- Nun war jenes Gebiet den Christinos geschlossen; die
Royalisten setzten in ihm sich fest wie in dem Kerne ihres Reiches,
während das Hauptstreben der Revolutions-Armee auf lange Zeit sich
beschränkte, die Ausdehnung des Aufstandes nach den andern Theilen des
Königreichs zu verhindern.

Lange schon hatte Bilbao, reich durch Handel, wichtig als Seehafen,
die Aufmerksamkeit der Carlisten auf sich gezogen. Zumalacarregui,
dem schon ein leichter Versuch, der Stadt sich zu bemächtigen,
fehlgeschlagen, wandte plötzlich mit seiner Hauptmacht (er commandirte
schon dreißig Bataillone) sich nach Vizcaya und betrieb sofort die
Belagerung mit höchstem Nachdruck. Das feindliche Heer war durch die
unaufhörlichen Niederlagen und Verluste so geschwächt, es war vor Allem
so ganz demoralisirt, daß jeder Versuch zum Entsatz zurückgewiesen
wurde: die Stadt, erst während des Krieges befestigt, war auf dem
Punkte, sich zu ergeben. Da traf der herbste Schlag die carlistische
Armee, der mehr als verlorene Schlachten Verderben ihr brachte. Ihr
großer Feldherr ward am 16. Juni 1835 in seinem Logis von einer
Flintenkugel leicht im Beine verwundet und starb bald. -- Das Volk
schrie über Vergiftung durch bestochene Wundärzte. Wahrscheinlicher
ist, daß die ruhelose, energische Heftigkeit, welche den General
charakterisirte, durch Entzündung des Blutes die Wunde tödtlich
gemacht. -- Der König ehrte das Andenken des ruhmvoll Hingeschiedenen,
indem er den Titel eines Herzogs des Sieges in der Familie erblich
machte.

Die nächsten Folgen schon waren furchtbar. Die Sieges-Laufbahn, welcher
die Armee ununterbrochen gefolgt und die unter Zumalacarregui’s
Leitung zu rascher Beendigung des Krieges sie führte, wurde gehemmt,
Muthlosigkeit ergriff die Truppen, da sie den angebeteten Führer nicht
mehr an ihrer Spitze sahen: es gelang Cordova, der so eben an Valdes
Stelle den Oberbefehl übernommen, das bedrohete Bilbao zu entsetzen.

       *       *       *       *       *

Dem greisen Moreno ward das Commando des verwaiseten Heeres anvertraut,
der ein lange gedienter und erfahrener General, wenn er Zumalacarregui
nicht ersetzen konnte, gewiß der Würdigste war, ihm zu folgen, da
der edle Eraso, schon dem Tode nahe, den Befehl abgelehnt. Doch wie
geeignet Moreno zur Vollendung des hohen Werkes sein mochte, welches
sein Vorgänger so gewandt wie glücklich durchgeführt, sein Commando
begann mit Unglück, dem höchsten Verbrechen in solchem Kriege.
Genöthigt, Bilbao aufzugeben, eilte er auf dem kürzesten Wege nach dem
entgegengesetzten Theile des Kriegstheaters und warf sich auf das feste
Puente la Reyna, dessen Wegnahme den Eintritt in das christinosche
Navarra und Aragon ihm sichern sollte. Cordova flog zur Hülfe der
bedrängten Veste; die Schlacht bei Mendigorria wurde geschlagen.
Übermacht trug über die Tapferkeit den Sieg davon, und wohl hätte
dieser Tag von unheilvollstem Einflusse für die Sache des Königs sein
mögen, wenn der feindliche Feldherr den Vortheil zu benutzen gewußt
hätte, den ein Zufall ihm in die Hände gespielt. Doch der Sieg war noch
den Christinos zu neu; sie geriethen in Unordnung, wagten nicht, die
Geschlagenen zu verfolgen und ließen ihnen Zeit, um sich sammeln und
den Siegern die Früchte ihres Glückes entreißen zu können. Doch war
Puente la Reyna gerettet, und die christinosche Armee hatte erkannt,
daß ihre Gegner nicht unbesiegbar waren, sie wagte wiederum Vertrauen
in sich selbst zu setzen und dem panischen Schrecken zu widerstehen,
der sonst bei dem Anblicke der gefürchteten Bergbewohner sie ergriffen.
Die Cavallerie aber der Christinos datirte von jenem Tage das
Übergewicht, welches sie unleugbar seitdem über die Carlistische der
Nordprovinzen behauptete.

Cordova stand also an der Spitze der constitutionellen Armee. Ganz ohne
Grundsätze oder Festigkeit des Charakters hatte er bald Royalist, bald
liberal sich gezeigt, heute den Gemäßigten gehorsam, morgen fest der
exaltirten Parthei sich anschließend; und bei Ferdinand’s Tode zwischen
Carl V. und der Königinn Wittwe schwankend würde er nun zum eifrigen
Republikaner werden, wenn er den Sieg der Republik für nahe halten,
sich durch sie gehoben hoffen sollte. Ehrgeiz, ungemessene Ehrsucht
ist seine herrschende Leidenschaft. Reißend schnell stieg er zu den
höchsten Graden im Heere, ohne je im Kriegsdienste sich ausgezeichnet
zu haben: er war bis zum Bürgerkriege stets als Diplomat beschäftigt
gewesen, und als solcher, kaum ein Dreißiger, General geworden. Aber er
hatte sich im Jahre 1823 eifrig absolutistisch gezeigt, er war feiner
Hofmann, gewandt in der Intrigue und +bei den Frauen+ beliebt; seine
Talente, wenn auch nicht als Militair, sind hoch. In den Nordprovinzen
zeigte er persönliche Bravour und in verwickelten Lagen viele
Besonnenheit[6].

Cordova erkannte bald, daß er nicht hoffen dürfe, durch Befolgung des
bisherigen Systems endlichen Sieg über die Carlisten zu erringen, daß
im Gegentheil dadurch sein Heer dahinschwinden und seine numerische
Überlegenheit endlich ganz verlieren müsse, da selbst die einzelnen
Siege, die es davon trug, es schwächten, ohne entsprechende Vortheile
herbeizuführen. Er adoptirte daher eine andere Methode. Die Carlisten
sollten in dem Gebiete, welches sie inne hatten, blockirt, jede Zufuhr
ihnen abgeschnitten und sie so, ganz auf sich reducirt, durch Mangel
zur Unterwerfung gezwungen werden. Er umringte zu diesem Zwecke die
Provinzen mit den sogenannten Linien -- festen Plätzen, die von
Distance zu Distance und aus jedem strategisch wichtigen Punkte
errichtet, seinen Truppen als Stützpunkt dienen, dem Feinde, soutenirt
wie sie waren durch mobile Colonnen, das Ausbreiten seiner Herrschaft
über ihre jetzigen Gränzen hinaus erschweren und ihn hindern sollten,
über sie hinaus in die fruchtbaren Niederungen Streifzüge wie bisher zu
unternehmen. Diese Linien erstreckten sich von der Gränze Frankreichs
nach Pamplona (Linie von Zubiri), längs der Arga zum Ebro und diesem
Strome entlang nach Alava; von dort sollte sie durch das Gebirge bis an
das Meer fortgesetzt werden, doch gelang es den Christinos nie, diesen
Theil des Werkes ganz zu vollenden, da die Befestigungen, welche sie
wiederholt in Valmaseda und andern Punkten versuchten, stets wieder
zerstört wurden. Dann besaßen sie alle Hafenpunkte bis San Sebastian,
von wo eine Linie durch das Bastan-Thal zur Vereinigung mit der von
Zubiri auf spätere Zeiten projektirt wurde, die dann die Umschließung
vollendet hätte.

In der That war Cordovas Plan gut berechnet. Verstümmelt und
unvollendet, wie er in der Ausführung noch war, brachte er doch die
Regierung Carls V. in große Verlegenheit, da während einiger Zeit die
Zufuhr aus Frankreich durch strenge Verbote fast ganz unterbrochen war.
Als der Plan aber gerade durch Theurung und in ihrer Folge entstehende
Unzufriedenheit seine Wirkungen zu äußern begann, ward Louis Philipp
oder sein Minister vermocht, jene Prohibitiv-Maßregeln zurückzunehmen,
so daß die Carlisten dem Mangel an Lebensmitteln immer aus jenem
Königreiche abhelfen konnten.

Während Cordova mit der Ausführung seines Lieblings-Projekts
beschäftigt war und deshalb von Pamplona nach Vitoria und zurück
hin und herzog, allenthalben die zu errichtenden Werke zu dirigiren
und gegen den Andrang des Feindes zu decken -- waren neue Massen
hinzugekommen, das treue Bergvölkchen zu bekriegen und die verhaßte
Herrschaft der Tochter Ferdinand’s ihm aufzudringen. Schon am 22. April
1834 hatten England, Frankreich und Portugal mit der revolutionairen
Regierung Spaniens den Quadrupel-Vertrag abgeschlossen, durch den
jene Nationen sich verbindlich gemacht, nöthigen Falls Isabella zu
unterstützen. Die Christinos hatten dringend diese Hülfe reclamirt,
ohne die sie nicht länger dem wachsenden Strome sich widersetzen
zu können glaubten. Louis Philipp sendete daher die französische
Fremden-Legion, welche acht Bataillone und einige Escadronen stark
bisher die Araber bekämpft, von Algier nach Catalonien, von wo sie
langsam nach Navarra sich in Marsch setzte. Sie zeichnete sich aus
durch die nordische Bravour, der der Spanier nie staunende Bewunderung
versagen kann. -- Zugleich hatte Oberstlieutenant de Lacy Evans die
Erlaubniß des britischen Ministeriums erlangt, um in den vereinigten
Königreichen ein Hülfscorps anzuwerben, welches auch, da Versprechungen
nicht gespart wurden, rasch errichtet war. Die Leute bestanden aus dem
Abschaum des Pöbels der drei Königreiche; die Officiere dagegen, unter
denen Viele der englischen Armee angehörten, verdienten desto mehr
Auszeichnung, daß sie mit solchem Stoffe so viel leisten konnten.

Evans, der mit den Ergänzungen, die nach und nach von England
anlangten, etwa 16000 Mann nach Spanien führte, landete mit seinem
noch undisciplinirten Haufen in San Sebastian, von wo er, bei einer
Recognoscirung gegen Hernani von General Gomez zurückgewiesen, nach
Bilbao aufbrach, welches wiederum bedroht war. Nach dessen Entsetzung
zog er langsam nach Vitoria, wo die Legion während des Winters
größtentheils unthätig blieb, mit ihrer Organisation beschäftigt.
Krankheiten rissen ein, durch die unmäßige Lebensart der Leute
hervorgerufen, und rafften viele Hunderte in entsetzlichem Elende
hin; dazu gesellte sich schon Unzufriedenheit, veranlaßt durch den
häufigen Mangel an Sold und selbst an den ersten Bedürfnissen, zu deren
Befriedigung, wie Engländer sie mochten erwartet haben, den spanischen
Behörden oft der Wille, stets die Mittel fehlten.

Zu diesen beiden Legionen kam bald eine portugiesische Division unter
dem Baron das Antas, 6000 Mann stark, die, nachdem sie in Castilien
operirt, im nächsten Jahre in Vitoria anlangte, wo sie fast ohne Kampf
blieb, bis sie kurz vor ihrer Zurückrufung den Versuch, sich einmal
thätig und nützlich zu zeigen, mit einer Niederlage büßte.

So hatten sich zu den Massen, welche Christina zur Erdrückung der
braven Basken aufgeboten, fast dreißigtausend Fremde gesellt. Wer
hätte da ferneren Widerstand für möglich gehalten? Carl V. aber,
im Gefühle seines Rechtes und dessen, was er den Seinen schuldig
war, zugleich hoffend, daß wohl Manche der Eindringlinge frühzeitig
gewarnt dem drohenden Geschicke nicht sich unterziehen würden, hatte
auf die erste Nachricht der beabsichtigten Werbung im Juni 1834 die
Proclamation erlassen, durch welche er die fremden Corps, welche in
der rein die spanische Nation betreffenden Successions-Frage die
Usurpations-Herrschaft aufrecht zu erhalten kämen, für ausgeschlossen
von den Wohlthaten des Elliot’schen Vertrages erklärte.

       *       *       *       *       *

Moreno, dessen Bedachtsamkeit, durch die Schwäche des Alters oft in
Zaudern ausartend, die Thatenlust der Carlisten nicht befriedigte, war
durch den Grafen Casa Eguia ersetzt, welcher alsbald das carlistische
Gebiet nach Süden hin zu sichern und durch Wegnahme der Küstenplätze
die Verbindung zur See zu eröffnen, den Rücken sich zu decken
suchte. San Sebastian war schon eng blockirt, es ward mit Parapeten
eingeschlossen, und wenn es auch den Basken ganz an den Mitteln zur
Belagerung einer so starken Festung gebrach, brachten sie sie doch in
große Gefahr, da sie weder wohl verproviantirt, noch mit dem nöthigen
Kriegesmaterial versehen war. Da sandten die französischen Behörden
von Bayonne aus das Fehlende. -- Die andern Forts aber fielen eines
nach dem andern während des Winters. Guetaria und Plencia, Mercadillo,
das zum Stützpunkt der Linie in Vizcaya bestimmte Valmaseda, endlich
Lequeytio fielen trotz aller Anstrengungen der Christinos, mit den
Forts eine herrliche Artillerie und Tausende von Gefangenen, in
den ersten Monaten 1836 in die Gewalt der Carlisten. Umsonst hatte
Cordova zu Vitoria seine Streitkräfte vereinigt und von dort aus
Demonstrationen zur Rettung der bedrängten Vesten versucht. Am 16.
und 17. Januar griff er, mit Evans vereinigt, 28,000 Mann stark in
drei Colonnen die verschanzte Stellung von Arlaban an, um nach dem
Innern von Guipuzcoa auf Oñate zu dringen. Er nahm und zerstörte die
Verschanzungen, ward aber am dritten Tage kräftig angegriffen und
mit schwerem Verluste nach Vitoria ganz ohne Erfolg zurückzukehren
gezwungen. Die Verschanzungen waren nach wenigen Tagen wieder
errichtet. Cordova aber wußte einen pompösen Bericht über die Schlacht
von Arlaban zu geben, die so ganz seine Unfähigkeit gezeigt hatte, da
während der beiden Tage, welche seine Truppen im entsetzlichsten Wetter
auf der genommenen Höhe campirten, nur wenige Stunden von Vitoria
entfernt, auch das Nothwendigste ihnen mangelte.

Während der Monate März und April waren einzelne Gefechte in Vizcaya
erfolgt, so bei Orduña am 6. März, dem die Wiederbesetzung von
Balmaseda durch Ezpeleta folgte, wo er jedoch bald angegriffen wurde
und bedeutende Verluste erlitt. Evans aber, dessen Legion während
der Winterruhe exercirt und organisirt war, zog in den ersten Tagen
des Mai’s nach San Sebastian, welches, auf Flintenschuß-Weite von
den Parapeten der Belagerer umgeben, täglich mehr bedrängt wurde.
Kurz vorher hatte die englische Flotte an der spanischen Küste Befehl
erhalten, thätig gegen die Carlisten mitzuwirken. Am 5. Mai griff
Evans die Verschanzung von San Sebastian an; die vier Bataillone,
welche sie vertheidigten, fochten mit Löwenmuth, der auch der Gegner
Bewunderung erregte. Sturm auf Sturm ward abgeschlagen. Erst als
ein gerade anlangendes englisches Dampfschiff mit seinem schweren
Geschütze eine Bresche in die schwachen Werke geöffnet, als dann der
brave Anführer der Carlisten, General Segastibelza, gefallen, konnten
die übermächtigen Briten die Linie und in ihr drei Geschütze nehmen.

Die Carlisten ließen der Bravour der Engländer Gerechtigkeit
widerfahren, da sie gestanden, daß solche Todesverachtung ihnen
unbegreiflich sei; auch ich, so oft ich gegen sie gefochten, mußte
bedauern, daß solche Soldaten nicht für eine bessere Sache starben.
Auch hier erkauften sie theuer den Sieg: sechszehnhundert Mann war
der Verlust der Christinos -- mehr als die Hälfte davon Engländer --
während ihre Feinde nicht ganz dreihundert Mann verloren hatten.

Evans drang dann bis Passages vor, welches er besetzte und durch
Schanzen deckte, während die Carlisten, jetzt zu schwach, theils ihm
gegenüber leichte Brustwehren errichteten, theils die Vorbereitungen
zu kräftigem Angriffe trafen, so wie Verstärkung anlangen würde. Eguia
war auf die Nachricht von der Action bei San Sebastian von Vitoria, wo
er Cordova’s Armee beobachtete, nach Hernani geeilt, ward jedoch durch
die Demonstrationen dieses Generals sogleich nach Alava zurückgerufen.
In der That drang Cordova am 21. Mai nach Guipuzcoa vor und nahm mit
schwerem Verluste die schon früher eroberten Höhen von Arlaban; er
bedrohete Oñate, besetzte Salinas und Villareal de Alava, zu dessen
Befestigung er alles Nöthige mit sich führte, ward zwar geworfen, drang
aber nochmals in Salinas ein, bis er, von Eguia mit zwei Colonnen in
Flanke und Rücken bedroht, sich zurückzog und am 25. wieder in Vitoria
anlangte, ohne das geringste Resultat erlangt zu haben. Die reiche
Stadt Villareal und mehrere Dörfer hatte er in Schutthaufen verwandelt.
Er befand sich wenige Tage später in Madrid, der Regierung, die gerade
eine bedeutende Veränderung getroffen, die Lage der Dinge und die bei
dem Mangel an jeder Resource täglich zunehmenden Schwierigkeiten selbst
darzulegen.

Die royalistische Armee bestand, da ich in Spanien anlangte, aus neun
und dreißig Bataillonen, welche zwanzig bis zwei und zwanzig tausend
Mann enthielten, und etwa fünfhundert Pferden. Die Bataillone der
Carlisten waren immer sehr schwach, gewöhnlich fünf oder sechshundert
Mann zählend, oft auf dreihundert sinkend, wofür der Grund wohl in dem
Streben liegt, ihre Zahl dem Feinde größer scheinen zu machen, als sie
es war. Auch scheute ein solches Bataillon sich nie, ein feindliches,
oft doppelt starkes anzugreifen: war die Zahl der Bataillone auf beiden
Seiten dieselbe, so wurden die Corps von gleicher Stärke geschätzt.
-- Bisher hatten die carlistischen Feldherren sich bemühet, von den
baskischen Provinzen als Grundlage ausgehend, nach und nach sich
auszudehnen, so die Mittel zu fernerem Kampfe zu vermehren, bis das
Übergewicht der Macht bei Schwächung des Gegners den entscheidenden
Sieg möglich machte. Hätten sie nie diesen Plan verlassen! Doch schon
verzagten sie an der Möglichkeit seiner Ausführung, und glaubten durch
die befestigten Linien und die Übermacht der Feinde auf das Gebiet sich
beschränkt, welches sie nun besaßen, und das freilich als unnehmbare
Veste mußte angesehen werden; wenig belehrt durch die Erfahrung, die
doch der unglückliche Ausgang der Expedition ihnen aufgedrungen, welche
Guergue’s Division im Jahre 1835 nach Catalonien versucht, sprachen
sie von der Nothwendigkeit, durch die Aussendung kleiner Corps die
baskischen Provinzen, so hart gedrückt, zu erleichtern, den Aufstand
nach den andern Theilen Spaniens zu tragen und ihn, wo er schon
ausgebrochen, zu ermuntern oder doch die Hülfsquellen der Monarchie
durch solche Kriegeszüge auszubeuten und den Feinden zu entreißen.
Da Casa Eguia diesen Expeditionen ganz entgegen war, arbeiteten ihre
Vertheidiger an seinem Sturze.

Im Halbkreise um die aufgestandenen Provinzen her bewegten sich
die Schaaren, welche Isabella’s Herrschaft aufrecht hielten; für
den Augenblick beschränkten sie sich, der Carlisten Vordringen zu
verhindern. Sie zählten über hundert und zwanzigtausend Mann, von denen
fast die Hälfte in den zahllosen Garnisonen zersplittert war, welche
Cordova um die Provinzen errichtet hatte. Über etwa funfzig spanische
Bataillone, durchschnittlich neunhundert Mann stark, nebst den fremden
Corps konnte der Obergeneral für seine Operationen verfügen. Eine
mobile Colonne -- ~de la rivera~, des Flußthales, genannt -- stand in
Navarra, bald stärker, bald schwächer, doch nie unter sechstausend
Mann zählend; ihr war die Deckung der Arga-Linie aufgetragen, während
die französische Legion, von Pamplona aus operirend, die Linie
von Zubiri schützte und oft heiße Kämpfe mit dem unternehmenden
Befehlshaber Navarra’s, General D. Francisco Garcia, bestand. Diese
Legion war mit Ausnahme einiger Compagnieen ganz aus Deutschen,
großen Theils Deserteuren, zusammengesetzt, und wie niedrig sie auch
moralisch standen, bewährten sie dem Feinde gegenüber sich doch so
deutsch, daß endlich der nahende Schall ihrer Trommeln hinreichte,
um die navarresischen Bataillone, so oft sie etwas gegen die Linie
unternommen, durch Zurückführung der schweren Geschütze zum Weichen
sich vorbereiten zu machen; und die Navarresen sind nicht feig. Aber
furchtbar blutig erkaufte die Legion den Ruf solcher Tapferkeit.

Auf dem linken Flügel der christinoschen Armee im westlichen Vizcaya
stand gleichfalls ein abgesondertes Corps, den Umständen nach aus zehn
bis vierzehn Bataillonen bestehend, oft durch eine zweite Division
verstärkt; dennoch konnte es seinen Auftrag, die dort projectirten
Forts zu errichten und zu decken, nie durchführen. General Cordova
mit der Hauptarmee zog bald den Bewegungen der Carlisten folgend in
der reichen Rioja, südlich vom Ebro, und in Unter-Navarra umher, bald
stellte er sich beobachtend und drohend zugleich in der Hochebene
Alava’s auf, bereit, nach Navarra sich zu wenden oder den bedrängten
Garnisonen Vizcaya’s zu Hülfe zu eilen. Die Configuration des
Kriegsschauplatzes ließ ihn nicht selten zu spät zur Rettung kommen.
Etwa dreitausend Pferde, welche am Ebro standen, schlossen sich
entweder dem Hauptcorps oder der Colonne der Rivera an.

Ganz in dem Rücken der carlistischen Armee endlich hielten die
Christinos Bilbao inne, mit starker Besatzung versehen, und San
Sebastian, wo Evans das Commando übernommen hatte und Großes versprach,
weshalb er durch mehrere spanische Bataillone von Navarra[7] und
Vizcaya aus verstärkt wurde. Ein gefährlicher Punkt in der That, der
die höchste Aufmerksamkeit der Feldherren Carls V. verdiente: ein
starkes Corps, von dort aus im Herzen der Provinzen operirend, gut
geleitet und in steter Combination mit den Bewegungen des Hauptheeres,
mußte alle Anstrengungen der Carlisten paralysiren, da es zu
immerwährender Zersplitterung ihrer Macht sie zwang und sie hinderte,
irgend Entscheidendes zu unternehmen oder errungene Vortheile zu
benutzen, indem es sofort nach dieser schwachen Seite sie zurückrief.
Ein solches Corps konnte entscheidend werden, da es im Rücken des
Feindes, im Innern seines Gebietes ihn immer bedrohete und die mindeste
Nachlässigkeit und Schwäche benutzen konnte, so daß die Früchte
der Siege, ja der Bewegungen aller andern Colonnen zu sammeln ihm
überlassen blieb.

Evans verstand nicht solche Vortheile zu würdigen, die der Werth seiner
Truppen noch unendlich ihm erleichtern mußte.

  [3] Diese Hanfsandalen, ~alpargatas~, werden in dem größten Theile
      Spaniens von den unteren Classen statt der Schuhe getragen und
      bilden, mit farbigen Bändern am Beine befestigt, eine eben so
      niedliche wie in der trockenen Jahreszeit passende Fußbekleidung.
      In einigen Provinzen tragen die Bauern auch Sandalen aus einem
      viereckigen Stücke gegerbten oder rohen Ochsenfelles; diese
      wurden jedoch von den Soldaten nur im Falle augenblicklicher Noth
      getragen, während die alpargatas in der Armee allgemein waren.

      Übrigens war die carlistische Armee späterhin oft sehr
      gut uniformirt; so stets die Divisionen beim Ausmarsch zu
      Expeditionen. Die Uniform bestand aus dem Überrock, der ohne
      Jacke etc. getragen wurde, rothen Beinkleidern, dem Barett mit
      wollenen Quasten; die Officiere trugen dunkelblaue Überröcke und
      darüber die beliebte ~zamarra~, eine elegante Jacke aus schwarzem
      Lämmerfell mit seidenen Schnüren; die Quasten ihrer Baretts waren
      von Gold oder Silber. Das Gepäck der Soldaten, wie der Officiere
      war sehr einfach, da selbst diese Effecten von den Bedienten
      getragen werden mußten: nur die Capitains durften ein Pferd mit
      sich führen. -- Die christinische Armee war eben so uniformirt;
      trug aber größtentheils weißes Lederzeug und, oft einzige
      Unterscheidung der streitenden Corps, Czako’s oder französische
      Mützen. -- Die Bekleidung der spanischen Armee in Friedenszeit
      ist äußerst geschmackvoll. Während des Krieges fehlte es oft an
      Allem.

  [4] „Königliche Freiwillige“: unter Ferdinand etablirt, den
      National-Garden der christinischen Regierung entsprechend, aber
      mit gerade entgegengesetzter Richtung, übrigens weit zahlreicher
      als diese, wiewohl sie alle freiwillig, die liberalen Nationalen
      großentheils gezwungen die Waffen trugen.

  [5] Die baskischen Provinzen und Navarra werden in Spanien gewöhnlich
      nur durch „~las provincias~“ bezeichnet.

  [6] Er ist erbitterter Feind Espartero’s.

  [7] Sie durchzogen Frankreich, die Waffen auf Wagen mit sich führend.



III.


Von einigen Freiwilligen geleitet trat ich am Morgen des 26. Mai’s
den Marsch nach Irun an, wobei wir das französische Gebiet, dessen
Gränze unserer Richtung im Allgemeinen parallel lief, mehrfach auf
kurze Strecken durchkreuzten, augenscheinlich mit vieler Vorsicht
und Scheu meiner Reisegefährten. Der Weg schien absichtlich über die
schroffsten und zerrissensten Theile des Gebirges geführt zu sein und
ward bisweilen so steil, daß er wie eine Treppe mit Stufen in den
Felsen gehauen war. Mit Mühe nur konnte ich, des Bergsteigens noch ganz
ungewohnt, den rüstigen Guiden folgen und die Ermüdung ihnen verbergen,
welche mich fast besiegte. Da fühlte ich mich denn recht ~à mon aise~,
als ich, in dem zum Nachtquartier ausersehenen Dörfchen mit der echten
Gastfreiheit der Gebirgsbewohner vom Alcalde aufgenommen, im hölzernen
Lehnstuhl auf dem Balkon mich dehnte und von der freundlichen Wirthin
kredenzt den Apfelwein im bunten Glase mir dargereicht sah.

Früh am folgenden Tage, da ich zum Aufbruch mich rüstete, überraschte
mich der Anblick eines langen Zuges schwarzgekleideter Weiber: es waren
die Bewohnerinnen des Dorfes, welche, wie ich später erfuhr, stets
zur Messe die niedliche schwarze Mantilla von Seide sich anlegen. Der
Marsch brachte eben die Mühseligkeiten wie am Tage zuvor, bis wir
am Mittag auf den Gipfel der letzten von Irun uns trennenden Kette
anlangten. Vor uns dehnte eine kleine, reich bebaute Ebene sich aus,
von dem Meere begränzt, welches in unabsehbare Ferne einem leuchtenden
Spiegel gleich sich erstreckte; zur Rechten entwand sich die Bidassoa
den engenden Felswänden und erschien rasch erweitert als mächtiger
Meeres-Arm. Dort ward die Brücke von Behobia sichtbar, deren von den
Christinos besetzte Caserne die Unsrigen so oft vergebens angegriffen,
da die unmittelbare Nähe des französischen Bodens die Entfaltung der
nöthigen Angriffsmittel nicht erlaubte. Links erhoben sich wieder die
Gebirge, welche die Aussicht nach San Sebastian und in das Innere
Guipuzcoa’s schlossen, während zu unseren Füßen das reiche Irun lag
und einige tausend Schritt entfernt, näher der Mündung der Bidassoa,
Fuenterrabia, die ~fons rapida~ der Römer, in dem die Carlisten ein
festes Gebäude als Fort eingerichtet, da die regelmäßigen Befestigungen
des einst bedeutenden Platzes von den Kriegern der französischen
Republik gesprengt wurden.

In Irun, wo ein guter Gasthof sich findet, mußte ich einige Tage mich
aufhalten, bis ich die Erlaubniß aus dem königlichen Hauptquartier
zur Weiterreise erhielt. Da ward mir die erste Lection praktischer
Menschenkenntniß und Klugheit, die dem Unerfahrenen in Spanien so oft
zufallen sollte. Die Stadt war durch eine einfache Mauer geschlossen,
und auf einer unbedeutenden Höhe, welche die große Madrid-Pariser
Straße beherrscht, ward gerade eine Schanze angelegt, deren
Einrichtung, da mir damals die Befestigungsart der Carlisten noch nicht
bekannt war, mich nothwendig in das höchste Staunen versetzen mußte.
Man denke sich ein regelmäßiges Sechseck, dessen Seiten durch eine
sechs oder sieben Fuß starke Brustwehr mit vorliegendem Graben gebildet
sind; auf der Brustwehr sind unendlich viele Schießscharten für das
Infanterie-Feuer in Stein errichtet und vertikal, horizontal und
schräg, in jeder Größe und Gestalt durcheinander geworfen. Das Sechseck
ist so auf der Höhe angelegt, daß weite Strecken unmittelbar am Fuße
derselben ganz unbestrichen bleiben, damit der stürmende Feind dort zur
letzten Kraftanstrengung gedeckt sich sammeln und ordnen kann, während
doch die Gestalt des Hügels eine Befestigung erlaubt, deren Theile
sowohl sich wechselseitig flankiren und schützen, wie den ganzen Abhang
und Fuß bestreichen können.

In der That war dieses Werk das Erzeugniß der vereinigten Talente
des Gouverneurs und einiger dort garnisonnirender Officiere, die,
da sie vor dem Aufstande nie daran gedacht, daß das Vaterland je
ihrer Fähigkeiten zu seiner Vertheidigung bedürfe, nun den Mangel an
militairisch-wissenschaftlicher Ausbildung schwerlich durch ihren Eifer
ersetzen konnten -- wie brav sie auch, darin +allen+ carlistischen
Officieren gleich, dem Feinde gegenüber sein mochten. Der Gouverneur,
so wie er erfahren, daß ich preußischer Officier, führte mich zu der
sogenannten Befestigung mit der Bitte, ihm meine Meinung über +sein+
Werk zu geben. Da ich nun aus natürlicher Schüchternheit wie in der
Furcht, Zweck und Plan desselben wohl nicht zu verstehen, zurückhaltend
und billigend darüber sprach, ward ich sofort von dem Gouverneur für
ein wahres Talent erklärt und glänzend fetirt. Als ich aber am nächsten
Tage, nach Überlegung dieses für meine Pflicht haltend, einige der
krassesten Fehler ihm andeutete und, da er widersprach, klar aus
einander setzte, erkannte der gute Herr seinen gestrigen Irrthum,
entschied plötzlich über meine Unwissenheit und Impertinenz und
behandelte mich demnach mit der kalten, geringschätzenden Höflichkeit,
die so sehr gegen seine vorige Herzlichkeit abstach.[8]

Bald ritt ich auf einem kräftigen Maulthiere, der großen Heerstraße
folgend, über Tolosa, eine der ersten und angenehmsten Städte der
baskischen Provinzen und bekannt durch seine ausgezeichneten Fabriken,
nach Villafranca de Guipuzcoa, wo der kleine Hof Carls V. damals sich
aufhielt. Wie schlug mir das Herz, da ich den Monarchen sehen sollte,
für dessen Rechte kämpfen zu dürfen ich so freudig mich gesehnet! --
für den gekämpft zu haben ich immer stolz bin.

       *       *       *       *       *

Am 31. Mai hatte ich die Ehre, Seiner Majestät vorgestellt zu werden.
Der König empfing mich mit der Huld und Leutseligkeit, die einen
Hauptzug seines Characters bilden, und die, da sie die Verehrung seines
Volkes ihm erworben, doch gegen den Verrath Derer ihn nicht sichern
konnte, die mehr als Alle seiner Gnade sich erfreut. Er ist klein,
regelmäßig und kräftig gebaut, das Gesicht trägt den Stempel hoher
Güte, das graue Auge verräth tiefes Gefühl, aber auch viele Sorgen,
vielleicht Schmerzen; ein starker blonder Bart bedeckte den Mund.
Die Stimme des Königs ist sanft und voll Melodie, er unterhielt sich
mit mir in französischer Sprache, wie er gern mit allen Fremden es
that, wenn sie selbst des Spanischen kundig waren. Er trug einfache
Civil-Kleidung.

Es ist viel über den Privat-Character Carls V. wie über seine
Eigenschaften als Herrscher gefabelt worden, und die öffentlichen
Blätter aller Länder haben manches ganz Unwahre oder doch Entstellte
über ihn im Publicum verbreitet. Wer hätte auch Anderes erwarten mögen,
wenn er die Quellen berücksichtigte, aus denen die Mehrzahl solcher
Urtheiler ihre Ansichten sich bildete: die Zeitungen und Flugschriften
des liberalen Spaniens oder die Schriften von Männern, welche bittern
Haß dem Fürsten weiheten, der im Nachbarstaate muthig der Verbreitung
ihrer Grundsätze zu widerstehen wagte. Da ich überzeugt bin, daß die
Wahrheit am vollständigsten die Verläumdungen widerlegt, die gegen den
Monarchen, für den ich mein Schwerdt ziehen durfte, von allen Seiten
erhoben sind, stehe ich nicht an, meine Meinung, wie ich auf eigene und
solcher Männer Beobachtung sie gründete, die lange Jahre den Infanten
und den König gekannt, schmucklos, weil sie der Ausschmückung nicht
bedarf, darzulegen.

Will man ~par force~ Fehler in Carl V. auffinden -- und er ist Mensch
--, so möchte ihm +der+ vor allen aufzubürden sein, daß er seine Geburt
nicht in eine Periode versetzte, in der es ihm gegeben wäre, das Glück
seines Volkes zu machen, statt daß er nun dieses Volk, durch Empörung
oder durch Furcht ihm entfremdet, sich erst erobern sollte. Carl V.
hat in der That alle die Eigenschaften, deren Zusammentreffen in der
Person des Fürsten bei friedlicher Regierung die Blüthe des Landes auf
den möglichen Höhepunkt treiben mag, und selten wurden sie von einigen
der Schatten verdunkelt, welche ja alles Menschliche, wie erhaben es
sei, trüben. Er ist mild und herablassend, streng beflissen, seine
Pflicht stets zu erfüllen und unerschütterlich in der Vollbringung
dessen, was er als solche erkennt; einfach, mäßig, enthaltsam in
Allem, was ihn persönlich betrifft, ist er dagegen nachsichtig und
großmüthig für seine Unterthanen, streng gerecht für Niedere wie für
Hohe, Jedermann zugänglich, ein Vater seines Volkes. Sein Wort ist
ein wahrhaft königliches Wort: bekannt ist der Tadel, den er offen
gegen seinen Bruder Ferdinand aussprach, da dieser, dessen Zusagen,
den augenblicklichen Umständen folgend, mit ihnen ihre Kraft verloren,
nach seiner Befreiung durch Ludwigs XVIII. Heere das, was während der
Herrschaft der Constitution geschehen, so wie den ihr geleisteten
Eid für ungültig erklärte, da doch er selbst sie beschworen hatte.
Da erklärte ihm der Infant Don Carlos, daß er lieber hätte sterben
müssen als den Eid leisten, welchen die empörten Unterthanen von
ihm forderten; wenn er aber die Schwäche gehabt, die aufgedrungene
Constitution anzuerkennen, müsse er nun auch unwandelbar seinem
Versprechen nachkommen.

Selbst die Fehler, welche in den Verhältnissen der letzten sieben
Jahre als solche hervortraten, beruhen im Übermaße der Tugenden,
welche den König auszeichnen, selten in seiner Erziehung. Die eigene
Herzensgüte, sein Edelsinn erlaubten ihm nicht, die Erbärmlichkeit
der Menschen und so Vieler besonders aus seiner nächsten Umgebung zu
ahnen; er beurtheilte nach seinem Charakter den der Andern, schenkte
daher leicht sein Vertrauen und ließ sich leiten von Denen, welche
heuchelnd ihn zu täuschen wußten. Dazu erzeugte die hohe Religiösität
des Königs ein oft ängstliches Festhalten an den Formen der Religion,
wie sie von jeher als heilig sich ihm eingeprägt, und wie er bei dem
Zustande der geistigen Cultur und den Neigungen seines Volkes sie vom
wohlthätigsten Einflusse für dasselbe hielt. Die Spanier haben durch
die Ereignisse der letzten zehn Jahre ihn gewiß nicht überzeugen
können, daß die Reformen, welche ihre herrschsüchtigen Schreier für
sie forderten, ihren Bedürfnissen wahrhaft angemessen sind und sie
in einen glücklicheren Zustand versetzt haben; daß aber umfassende
Verbesserungen in den kirchlichen Verhältnissen der Monarchie nöthig
seien, daß große, tief eingewurzelte Mißbräuche von Grund aus
vernichtet werden mußten, das war dem Könige eben so klar wie jedem
aufgeklärteren Spanier, und wiederholt sprach er bestimmt darüber sich
aus. Die oft im Auslande gehörte Behauptung, als ob mit der Herrschaft
Carls V. auch die der Inquisition ins Leben zurücktreten werde, ist
so absurd, daß jede Widerlegung derselben ganz unnütz ist: in Spanien
ist es nie Jemand, welcher Parthei er angehöre, in den Sinn gekommen,
Ähnliches aufzustellen.

Früher erwähnte ich, daß der Infant Don Carlos der Gegenstand
häufiger Anschuldigungen gewesen ist. Alles was seine Feinde über
Hof-Intriguen, über die letzte Zeit der Regierung Carls IV. und die
spätere Constitutions-Epoche, so wie über die Aufstände in Catalonien
und anderen Punkten des Königreiches gegen den erhabenen Fürsten
vorzubringen gewagt, ist mehrfach vollkommen zurückgewiesen, dabei
freilich dargethan, wie die Umtriebe der Umwälzungsmänner in ihm stets
einen edlen und entschiedenen wie gefürchteten Gegner fanden, der
deshalb das Ziel ihrer giftigen Anschwärzungen sein mußte. Wer wird
aber nicht mit tief empfundener Bewunderung auf Carl V. blicken, wenn
man ihn in den ersten Jahren nach seines Bruders Tode beobachtet,
wenn man seinen passiven Muth sieht, der, wenn nicht immer in seinen
Wirkungen, doch in seinen Quellen so hoch über der activen Kraft
steht; die Standhaftigkeit, mit der er die glänzenden Anerbietungen
der Usurpatorinn zurückwies, da ihm doch gar keine Hoffnung bleiben
konnte! Wer sollte nicht den Fürsten hoch ehren, der in dem Luxus
und der Verweichlichung eines spanischen Hofes erzogen, Monate lang
ungebrochenen Muthes alle Drangsale des Flüchtlings im schroffen
Gebirge erträgt, der, da Hunger, Durst, Kälte und Ermüdung zugleich auf
ihn einstürmen, lächelnd seinen Treuen Muth einspricht, und die Thräne
ihnen trocknet, welche Verzweiflung bei des angebeteten Souveraines
Elend auf die bärtigen Wangen lockte! Der, da er wieder Macht und
Herrschaft erkämpft, nur zu verzeihen und zu schonen weiß, der gestürzt
durch den Verrath der Männer, denen er vertraut, gefangen in dem
Lande, in dem er Schutz gesucht, unerschütterlich jeden erniedrigenden
Vorschlag zurückweiset, was er auch dulden möge!

Carl V. im friedlichen Besitze der angestammten Krone würde ein
zweiter Titus, die Wonne, das Heil seines Volkes geworden sein.
Das Schicksal wies ihm einen Platz an, dessen Ausfüllung eben so
viel Härte und Rücksichtslosigkeit nebst raschem Entschlusse und
Energie, die Eigenschaften des Helden, erfordert, wie Don Carlos
durch die entgegengesetzten Tugenden, die des Christen, des Menschen,
hervorglänzt.

       *       *       *       *       *

Nachdem ich auch dem Infanten Don Sebastian mich vorgestellt und
seine Frage, ob ich gutes Wetter auf der Reise gehabt, beantwortet
hatte, marschirte ich nach Hernani, da ich, zum Generalstabe von
Guipuzcoa bestimmt, dort bleiben sollte, bis ich mich einigermaßen
in der spanischen Sprache vervollkommnet. Es war mir angeboten, in
das Genie-Corps zu treten, welches gerade gebildet wurde, und dem es
noch sehr an brauchbaren Officieren[9] gebrach. Mit dem Zustande des
Geniewesen, wie es damals war, ganz unbekannt und nicht glaubend, daß
ein preußischer Infanterie-Officier nothwendig ein guter spanischer
Ingenieur sein müsse, wie aus Vorliebe für meine Waffe, lehnte ich den
Antrag ab und büßte so die Vortheile ein, welche ich durch den Eintritt
in ein Corps gewinnen mußte, dem mehrere Jahre später die Verhältnisse
mich dennoch angehören machten.

Ich eilte die berühmte Linie zu sehen, welche unser Gebiet von dem der
Festung San Sebastian trennte, und die durch die Ankunft der englischen
Legion und den Kampf, in dem Oberst-Lieutenant Evans unsere über
jener Festung errichteten Werke genommen, neues Interesse gewonnen
hatte. Von Linien war da freilich wenig zu sehen. Sie beschränkten
sich auf niedrige, von lose über einander gelegten Steinen gebildete
Mäuerchen, welche Parapete genannt wurden und übrigens nur stellenweise
sich vorfanden, so daß sie höchstens das offene Vordringen einer
Streifparthie erschweren konnten, während sie bei ernsterem Gefechte
sofort mußten über den Haufen geworfen werden. Hinter ihnen standen in
einzelnen Häusern unsere Vorposten, die jedoch mit Posten nur den Namen
gemeinschaftlich hatten. Das Terrain war dabei sehr zerrissen, von
Schluchten und Felszügen durchschnitten, und es wäre dem Feinde, hätte
er je die Idee eines Handstreiches zu fassen gewagt, leicht gewesen,
zwischen diese sogenannten Linien ganze Colonnen zu schieben oder die
Vorposten aufzuheben. Doch wurde die Linie später den Regeln der Kunst
gemäß angelegt.

Die der Feinde, von englischen Officieren construirt, stützte sich
rechts auf San Sebastian und seine Forts, links auf Passages, oder
besser auf die Redoute, welche auf der Höhe von Passages errichtet und
mit der Artillerie der englischen Marine garnirt war. Die Linie bestand
aus einzelnen dem Terrain nach angelegten Schanzen und Parapeten, die
sich wechselseitig vertheidigten, und ein Theil derselben ward von
den Geschützen der englischen Kriegsschiffe flankirt, die bei allen
Gefechten vor San Sebastian von so unheilvollem Einflusse gegen uns
waren.

Meine Sehnsucht, endlich die Kugeln der Christinos pfeifen zu
hören, sollte bald befriedigt werden. Indem ich einige Skizzen des
Terrains aufnahm, passirte ich eines unserer Wachhäuser und fand,
um die Ecke eines Busches tretend, einen Felsenvorsprung, der die
trefflichste Aussicht darbot, weßhalb ich bewundernd stehen blieb;
ein Unterofficier, der offenen Mundes von dem Hause mir gefolgt war,
blieb hinter einer nahen Hecke verborgen. Ich betrachtete die durch
eine schmale Schlucht von meinem Standpunkte getrennten Brustwehren
der Feinde und ergötzte mich an dem regen Treiben in dem Städtchen
Passages, dessen Hafen, zwischen zwei steile Felswände wie in einen
Riß eingezwängt und kaum auf beiden Seiten Raum für eine Reihe Häuser
lassend, mehrere Schiffe enthielt und malerisch tief unter mir dem
Blicke offen lag, während der Lärm der Seeleute mit dem Brausen des
Meeres vermischt zu mir herauftönte. Da hörte ich plötzlich ein langes
Zischen, von einem leichten Schlage auf den Felsen neben mir begleitet,
dann rasch einen Knall von der andern Seite der Schlucht. Überrascht
sah ich mich um und erblickte den guten Unterofficier in vollem Laufe
nach seiner Wache begriffen. In rascher Folge zischten die Kugeln,
hinter mir in den Busch schlagend oder Staub und Felsensplitter zu
meinen Füßen losreißend.

Nachdem ich schwellenden Herzens an der mir neuen Musik mich erfreut
und Zeit gelassen hatte, damit die Spanier die nordische Tollheit,
wie ich oft sie sagen hörte, hinreichend anstaunen könnten, kehrte
ich langsam zu dem Vorposten zurück, dessen Mannschaft vor der Thür
versammelt mich anstarrte. Da ich am folgenden Morgen im Grase
ausgestreckt lag, ward ich durch etwas nicht hoch über mir reißend
schnell hin Schwirrendes aufgeschreckt und hielt es für einen
gewaltigen Gebirgsadler: es war eine Kanonenkugel, deren die Engländer
jeden Morgen zur Begrüßung einige unsern Vorposten zuzusenden pflegten.

Ich benutzte die Zeit, welche durch die augenblickliche Ruhe mir
gegönnt war, um durch häufige Excursionen mit dem Lande, dem Geiste und
den Sitten seiner Bewohner mich vertrauter zu machen. Die baskischen
Provinzen -- Guipuzcoa, Vizcaya, Alava -- enthalten nebst dem kleinen
Königreiche Navarra nur 250 bis 260 Quadratmeilen, welche vor dem
Kriege etwa 650000 Einwohner zählten. Von diesem Ländchen waren etwa
zwei Drittel im Besitze der Carlisten, während die Feinde, die Herren
der spanischen Monarchie, auch die hauptsächlichsten Städte dieser vier
Provinzen, San Sebastian mit seinem Gebiete, Bilbao mit Portugalete,
Vitoria, Pamplona, viele andere Forts und die Hälfte von Alava und
Navarra inne, alle bedeutenderen Städte befestigt hatten.

Das ganze Land ist von Osten nach Westen von den Pyrenäen durchzogen,
welche in vielen Verzweigungen und mancherlei Formen wild durch
einander geworfen, ihm den Charakter eines Gebirgslandes verleihen: nur
die Hochebene von Alava und das herrliche Ebrothal Navarra’s, deren wir
nie vollständig und dauernd uns bemächtigen konnten, zeichnen durch
mildere, doch wieder unter sich ganz verschiedene, Gestaltung sich
aus. Die Oberfläche des übrigen Landes besteht aus furchtbar hohen und
schroffen, durchgängig mit reichen Waldungen bedeckten Gebirgsmassen,
die durch reizende und äußerst fruchtbare Thäler in mannigfacher
Gestalt intersektirt werden. In ihnen haben natürlich die Menschen ihre
Dörfer und Höfe erbaut, und diese immer reich bewässerten Thäler, in
denen jeder Fuß breit Landes mit Sorgfalt benutzt ist, bieten dem Auge
und Geiste nach den wild majestätischen Scenen der Gebirge eine so
willkommene wie liebliche Abwechselung.

Die Basken gewohnt, als privilegirtes Volk sich zu betrachten,
geschieden von ihren Nachbaren durch die Barrieren, welche Natur,
Politik und Vorurtheile so vielfach erhoben, sind stolz auf ihre
Abkunft, ihre Unabhängigkeit und ihre Vorrechte, sie sehen die übrigen
Spanier wie Fremde an und verachten sie als solche. Sie behaupten von
den Phöniziern abzustammen, was jedoch keinesweges erwiesen ist; gewiß
ist, daß sie seit undenklichen Zeiten und in allen den Umwälzungen,
unter die die andern Völker der Halbinsel so oft sich beugen mußten,
in ihrer Gebirgsveste sich unabhängig und unvermischt zu erhalten
wußten. Ihre Sprache hat gar keine Verwandtschaft mit irgend einer
jetzt bekannten, sie soll der grammatischen Bildung nach sehr reich
sein und ist gewiß wohlklingend und kräftig. Doch sind die Dialekte
derselben so mannigfach und so verschieden, daß oft die Bewohner der
wenige Meilen von einander entfernten Thäler mit Schwierigkeit sich
unterhalten, während die Sprache der französischen Basken von der der
spanischen und selbst die der nur in den Gebirgen baskisch sprechenden
Navarresen von der der Vizcainer so ganz verschieden scheint, daß sie
oft sich gar nicht verstehen. Die allgemeine spanische Sprache -- in
Spanien die Castilianische genannt -- hat in diesen Provinzen erst
während der letzten Kriegsjahre sich etwas mehr ausgebreitet, doch nur
als Luxussprache, und noch immer ist sie in den mehr zurückgezogenen
Theilen ganz unbekannt.

Die Basken sind ein hohes, kräftiges Geschlecht, ernst und
zurückhaltend, aber edelgesinnt, großmüthig, in hohem Grade gastfrei
und ihrem Worte treu; fest und unbeugsam bis zur Halsstarrigkeit
hängen sie dem Vaterlande, das heißt: ihren Provinzen, mit
schwärmerischer Begeisterung an. Sie zeichnen sich im Allgemeinen durch
Geist und Talent aus, sind kühn und thätig, voll Unternehmungsgeist und
anerkannt als die unerschrockensten Seeleute und die bravsten Krieger
der Monarchie; Viele haben als Hofleute und Staatsmänner sich glänzend
hervor gethan. Außerhalb ihrer Heimath unterstützen sie sich brüderlich
und erlangen dadurch ein großes Übergewicht über die andern Spanier,
die, vor Allen die Catalanen, welche fast ihren Unternehmungsgeist
theilen, am Hofe wie in allen Zweigen des Staatsdienstes ihre
Landsleute so viel wie möglich fernzuhalten und zu stürzen pflegen.
-- Überhaupt darf man ohne Zögern aussprechen, daß die Basken in
jeder Hinsicht vor den übrigen Bewohnern Spaniens sich auszeichnen;
selbst Einfachheit und Reinheit der Sitten waren früher ganz in diesen
lieblichen Thälern heimisch, und schmerzlich ist es, daß der Krieg auch
hier seine gewöhnlichen Folgen, Verderbtheit und Verfall der Sitten,
nach sich gezogen hat.

Die Wohnungen der Basken stechen durch bequeme Einrichtung wie durch
größte Reinlichkeit hervor, und es macht einen besonders angenehmen
Eindruck, diese blendend weißen Gehöfte über alle Thäler hingestreut
zu sehen. Die Weiber, ihren Männern an Schönheit nicht nachstehend,
wissen ihre Reize durch den höchst sittigen Anzug noch anziehender zu
machen und sind in Erfüllung ihrer ehelichen und häuslichen Pflichten
fast allen andern Spanierinnen weit überlegen; ihr Wesen erinnert
wie ihre Gestalt an die nordischen Weiber, selbst das blonde Haar
der kälteren Climate ist ganz vorherrschend.[10] Oft hörte ich die
leicht Feuer fangenden spanischen Officiere bewundernd ihr Bedauern
ausdrücken, da sie diese hohen, edlen Gestalten alle die schweren
und unzarten Arbeiten des Ackerbaues verrichten sahen, die sonst den
stärkeren Händen des Mannes vorbehalten sind. Denn außer Greisen und
Kindern wurden wohl nur Verstümmelte oder sonst zur Vertheidigung des
Vaterlandes Untaugliche in den Dörfern gesehen, so daß die Frauen
und Mädchen genöthigt waren, hinter dem Pfluge die Stelle des Gatten
oder der Brüder einzunehmen. Dabei ertönte ihr schwermüthiger Gesang,
den schrecklichen Krieg beklagend und die Ehre und Treue der Nation
verkündend; enthusiastisch wurden die fernen Männer aufgefordert, ihr
Vaterland gegen die Wuth der Schwarzen[11] zu schützen, die Thaten der
Vorfahren und der Gefallenen wurden besungen, und der oft wiederholte
Name ihres großen Feldherrn zeigte, wie Zumalacarregui’s Andenken
seinen Landsleuten theuer, wie seine Thaten ein Gegenstand des Stolzes
für die Basken waren.

Der Reichthum dieser Provinzen muß vor dem Kriege auf einen erstaunlich
hohen Grad gestiegen sein. Während zwei Heere auf so kleinem Gebiete
sechs Jahre lang kämpften und das eine wie das andere hauptsächlich
aus ihm seine Bedürfnisse zog, verarmte das Land doch nur nach und
nach und ward bis zum Ende des Krieges nie ganz erschöpft. Wirklich
haben die Provinzen alle Elemente des Reichthumes in sich, wie ihre
Bewohner wohl den möglichen Vortheil daraus zu ziehen wissen. Der
Boden ist äußerst ergiebig an Früchten jeder Art; Getreide, Taback, im
Süden feurigen Wein erzeugt er im Überfluß; die Gebirge, mit schönen
Waldungen in unendlicher Menge bedeckt, befördern die Viehzucht, die
Haupthülfsquelle während des Krieges, während die Minen ausgezeichnete
Metalle liefern, besonders viel Eisen, welche in den Fabriken des
Landes trefflich verarbeitet werden. Die Lage desselben, die Berührung
mit Frankreich und die sichern Häfen sind für den Handel sehr
vortheilhaft, und die Privilegien, deren die Basken bis vor wenigen
Monaten sich erfreuten, ließen alle jene Vorzüge noch herrlicher
hervortreten. Sie verdienen deshalb und als hervorstechende Ursachen
des Krieges nähere Betrachtung.

Die baskischen Provinzen vereinigten sich freiwillig, nicht durch
Waffengewalt gezwungen, mit der spanischen Monarchie; die Bedingung der
Vereinigung war die Aufrechterhaltung ihrer Privilegien -- ~fueros~
-- auf ewige Zeiten, wogegen die Basken den castilischen Königen den
Titel ihres Herrn bewilligten. Demnach kann wohl kein Zweifel über die
Unrechtmäßigkeit obwalten, die einem jeden Versuche der herrschenden
Gewalt, um diese auf Verträgen beruhenden Rechte wider den Willen der
Betheiligten umzustoßen, ankleben muß: die Abschaffung der Privilegien
mag politisch klug, mag dem Besten des Staates als Ganzes angemessen
sein; ungerecht bleibt sie immer.[12] Man weiß, wie Don Carlos in
der Commission, der Ferdinand VII. die Prüfung dieser Angelegenheit
aufgetragen, gegen solche Maßregel sich aussprach, weil sie ungerecht,
der Ehre der Regierung zuwider sei, und wie das Gefühl der Dankbarkeit
und der Achtung gegen ihren edlen Fürsprecher beitrug, daß die Basken
für Carl V. sich erklärten. -- Die Rechte des Königreiches Navarra,
wenn auch von hoher Bedeutung, sind doch nicht so ausgedehnt, wie die
der andern drei Provinzen.

Die Heftigkeit und Entschiedenheit des ganzen Volkes in der
Vertheidigung seiner Privilegien spricht für deren Wichtigkeit. In der
That sind die daraus den Basken entspringenden Vortheile unschätzbar:
sie werden nicht sowohl von dem Madrider Gouvernement als von den
durch sie und aus ihnen gewählten Provinzial-Ständen regiert, der
König ist ihr Herr nur in so weit seine Verfügungen mit ihrem Willen
übereinstimmen. Die Basken sind nämlich von aller Conscription und
Truppen-Aushebung frei, es dürfen selbst mit Ausnahme des Kriegsplatzes
San Sebastian gar keine Truppen ohne Genehmigung der Junta dorthin
gesendet werden oder sie durchziehen; dafür unterhalten die Provinzen
auf eigene Kosten ein Regiment, im Falle der Gefahr ist jeder Baske
Soldat zur Vertheidigung derselben. Eben so wenig hat der König
das Recht der Besteuerung oder der Gesetzgebung. Die Basken werden
gerichtet von den Männern, die sie selbst aus ihrer Mitte dazu gewählt,
so wie die ganze Verwaltung durch sie selbst nach ihrer Wahl geschieht.
Daher bestimmte die Provinzial-Deputation den Bedürfnissen des Landes
gemäß die Abgaben, deren Ertrag ganz im Lande bleibt; wenn die Madrider
Regierung einer besondern Hülfe bedarf, wird sie ihr zuweilen als
Geschenk und unter jedesmaligem Vorbehalte der Rechte bewilligt. --
Die Legislatur der Provinzen ist ganz unabhängig und verschieden von
der der andern Theile der Monarchie, und sie kann nur durch das Volk
verändert werden: die Inquisition konnte daher, da sie im übrigen
Spanien in der höchsten Blüthe stand, hier nie Fuß fassen. Dann ist
jeder Baske Edelmann und hat in den andern Provinzen und den Colonien
die Rechte eines solchen, was für die Erwerbung von Militair- und
Civilämtern, bei Hofe u. s. w. früher von hoher Wichtigkeit war.

Das Recht aber vor allen andern, welches die Unzufriedenheit der
Regierung und den Neid der andern Theile des Königreiches erregte,
ist die Zollfreiheit. Während Spanien unter ungeheuren Aus-
und Einfuhrzöllen seufzte, die den Handel lähmten und das Volk
verarmten, war dieser glückliche Winkel nicht nur ganz frei von
ihnen, er bereicherte sich auch durch den Zwischenhandel auf Kosten
der ganzen Halbinsel. Freilich wurden die baskischen Provinzen und
Navarra in Rücksicht auf Spanien ganz wie fremde behandelt, ihre
Gränzen mit Zoll-Linien und Douaniers umgürtet; aber trotz aller
Vorsichts-Maßregeln konnte der Schleichhandel, an dem die ganze Nation,
so das Beschimpfende ihm nehmend, Theil nahm, nicht verhindert werden.
Die Lage am Meere mit zahlreichen Hafenstädten und die Nähe Frankreichs
erlaubte den Basken, die Waaren aus der ersten Hand zu empfangen,
während die lange Ebro-Linie, da der Fluß dort im Sommer allenthalben
Furthen hat, mit seinen beiden Flügeln bis zur Gränze und zum Meere,
ihnen tausend Wege bot, um von Norden aus die verbotenen Waaren noch
weit mehr durch Spanien zu verbreiten, als es im Süden von Gibraltar,
etwas weniger von Portugal aus geschieht. So bildete sich in diesen
Provinzen ein vollkommenes Schleichhandel-System, in dessen Folge dort
die Reichthümer in noch größerem Maße sich anhäuften, als die Monarchie
täglich mehr verarmte und in tieferes Elend versank.

So ist es leicht erklärlich, wie die Basken und Navarresen mit
höchstem Interesse über die Beobachtung so ausgedehnter und wichtiger
Rechte wachten. Das mit der Abneigung der Regierung stets wachsende
Mißtrauen und die Schritte, welche langsam aber augenscheinlich dem
Endzwecke, Aufhebung der fueros, zuführten, hatten entzündbaren
Stoff in unendlicher Menge in dem Ländchen angehäuft: es bedurfte
nur eines Funkens, um die Flamme wild ausbrechen zu machen und das
Volk, argwöhnisch, stolz, auf sein Recht, seine Kräfte und seine
Berge vertrauend, zu kühnem Aufstande zu vermögen. -- Ferdinand’s Tod
beschleunigte den Sturm.

  [8]  Dieser brave Officier starb den Heldentod in der kräftigsten
       Vertheidigung eines andern ihm anvertrauten Posten. -- In
       den letzten Jahren des Krieges waren übrigens die Genie-
       und Artillerie-Corps der carlistischen Nordarmee auf einen
       hohen Grad der Vollkommenheit gelangt und zählten sehr viele
       ausgezeichnete Officiere, unter denen mehrere Fremde, Deutsche
       besonders.

  [9]  Zwei Deutsche, die Capitains Roth und Strauß, waren seit Kurzem
       in das Corps getreten und hoben es sehr. Sehr schmerzte es mich
       damals, die Landsleute nicht kennen gelernt zu haben.

  [10] Zwei große Ortschaften Guipuzcoa’s, Azpeytia und Ascoytia,
       zeichnen sich so durch die herrlichen Gestalten ihrer Männer
       wie Weiber aus, daß es schwer sein möchte, in ihnen irgend ein
       junges Mädchen aufzufinden, welches nicht in jedem andern Punkte
       den Namen einer Schönheit erhalten würde.

  [11] ~Negros~, Schwarze, wurden die Constitutionellen schon zur Zeit
       Ferdinand’s schimpflich benannt, wogegen in jener früheren
       Epoche die königlich Gesinnten sich als „Weiße“ bezeichneten,
       welche Benennung jedoch nicht wie jene bestand.

  [12] Es ist bekannt, wie Espartero, nachdem er im Vertrage von
       Bergara von Neuem die Aufrechterhaltung der fueros zugesagt, nun
       mit ihrer Vernichtung beschäftigt ist.



IV.


Mehrere Truppen-Abtheilungen waren angekommen, Munition ausgetheilt
und alle die Vorbereitungen getroffen, welche dem Soldaten anzeigen,
daß bald sein Muth wird in Anspruch genommen werden. In der Nacht
des 5. Juni weckte mich der dumpfe Lärm, der stets den Abmarsch der
Truppen begleitet, und im Augenblick gekleidet und bewaffnet eilte
ich den Bataillonen nach, deren Marschrichtung die Absicht, die
feindlichen Stellungen anzugreifen, nicht bezweifeln ließ. Da mein
Pferd noch nicht angelangt war, konnte ich meine Functionen bei dem
General nicht versehen, weshalb ich dem 2. Bataillon von Guipuzcoa mich
anschloß, dessen Grenadier-Compagnie von einem Schweizer, mit dem ich
näher bekannt geworden war, commandirt wurde. Noch vor Tagesanbruch
standen -- oder besser lagen -- wir, hinter dem Kamm einer Anhöhe
auf der Erde ausgestreckt, den Vorposten des Feindes gegenüber,
die in ihre buntgestreiften wollenen Decken gehüllt rasch auf- und
abschritten, die Morgenkälte abzuwehren, die selbst in jener Jahreszeit
ihnen empfindlich blieb; die wild wehmüthigen ~playeras~
-- Meeresufer-Gesänge --, die Kinder des südlichen Andalusien
verrathend, wurden vom leichten Winde in abgerissenen Klängen zu uns
herübergetragen. Hinter den Vorposten erhoben sich die Verschanzungen
über Passages, augenscheinlich zum Ziel unseres Angriffes bestimmt. --
Ein zweites Bataillon lagerte etwas zur Rechten hinter uns.

In lautloser Erwartung lagen wir da. Wer vermöchte die Gefühle zu
schildern, die in der Brust des Jünglings stürmisch wogen, da er
die Stunde des ersten Kampfes nahen sieht! Stolz und Beklommenheit,
Vertrauen und Ungeduld wechseln gleich mächtig: der Augenblick ist ja
da, den er so lange herbeigewünscht, der bewähren soll, daß er würdig
ist, um den Preis der Tapferkeit mit Kriegern zu ringen.

Weithin zur Linken ertönte ein Schuß, ihm folgten Tausende; die
Jäger-Compagnie[13] des Bataillons stürzte auf das Signal, in
Tirailleurs sich auflösend, gegen die Vorposten-Linie der Feinde,
welche langsam zurückwich, bald aber durch bedeutende Massen
unterstützt wurde, gegen welche zu schwach auch unsere Tirailleurs
gelegentlich verstärkt werden mußten. Ungewiß hin und her wogten nun
die Feuer-Linien, ohne daß lange etwas Entscheidendes unternommen wäre;
zu unserer Linken aber ertönte fortwährend lebhaftes Flintenfeuer, von
häufigen Kanonenschüssen übertäubt. Ich verfluchte schon die Idee,
welche diesem Bataillone mich anschließen machte, da es dem Anschein
nach nur den Feind zu beschäftigen bestimmt war. In der That mußte es
niederschlagend sein, regungslos hinter der Höhe zu liegen und nur von
Zeit zu Zeit Verwundete, in tiefem Schmerze ächzend, zurückgeführt zu
sehen; mein erstes Feuer kühlte nach und nach ab, wie die Sonne höher
stieg, Hunger und Durst, immer gleich tyrannisch, machten sich sehr
fühlbar, und ich äußerte schon gegen meinen Schweizer den Wunsch, daß
das Gefecht aufhören oder wir zu thätiger Mitwirkung bestimmt werden
möchten.

Da sprengte ein Stabsofficier heran -- ohne Zweifel bringt er die Ordre
zur Bewegung, sei sie vor- oder rückwärts --; Aller Augen, finster
vor Ungeduld glühend, wandten dem Reiter sich zu. Er wechselte einige
Worte mit dem Chef des Bataillones, welches einen Augenblick später
in Masse gebildet stand, während eine zweite Compagnie die noch immer
in Tirailleurs aufgelöseten Jäger verstärkte. Nachdem der Commandeur
seinen Guipuzcoanern wenige Worte der Aufmunterung, mir unverständlich,
zugerufen, erstiegen wir rasch die Anhöhe, die bisher uns gedeckt,
und sahen vor uns eine kaum vollendete Verschanzung, ihr zur Seite
mehrere kleine Colonnen, deren Scharlach-Uniform weithin in der Sonne
glänzend die Engländer kund gab. Die andalusischen Schützen zogen sich
schnell vor unsern Tirailleurs zurück und stellten sich, die Fronte
der Schanze frei lassend, hinter den nahen Felsen auf, die allein der
kahlen Höhe, auf der wir fechten sollten, Abwechselung verliehen. Das
uns folgende Bataillon wandte sich gegen die Truppen, welche neben dem
Werke aufgestellt waren, zu dessen Nahme die in Masse gebildeten sechs
Compagnien des unsrigen, die Grenadiere an der Spitze, vorrückten.

Die Guipuzcoaner zeichnen sich allgemein durch Bravour und
Unerschrockenheit eben so aus wie durch die Gewandheit und Kühnheit,
mit der sie furchtlos und festen Kopfes die Abgründe ihrer Gebirge
durchfliegen oder leicht von Felsen zu Felsen springen; unter ihnen
genoß aber das zweite Bataillon des Rufes der höchsten Festigkeit, und
stolz strebte es, dessen sich würdig zu zeigen. Mit Ruhe schritten die
sechs Compagnien, etwa vierhundert Mann, zum Angriff; schon sausete
eine Kanonenkugel über ihren Köpfen hinweg, und der Gruß ward mit
lautem Jubelgeschrei beantwortet, eine zweite schlug dicht neben den
Truppen nieder und schleuderte Felsensplitter in die Reihen, manchen
derben Fluch hervorrufend. Die Masse beschleunigte den Schritt. Die
englischen Artilleristen fehlen selten: rechts und links stürzten die
Freiwilligen verstümmelt nieder und hemmten den geschlossenen Marsch,
ihr Schmerzensgeschrei, die Seele zerschneidend, verwandelte den Muth
ihrer Cameraden in Rachewuth. Umsonst spieen bald die Geschütze ihnen
Kartätschen entgegen, umsonst schlugen schon einzelne Flintenkugeln
in ihre Reihen: nicht mehr in der ersten, stolzen Ordnung, aber
mit immer wilderem Geschrei, immer rascheren Schrittes naheten die
kühnen Guipuzcoaner den schwarzen Ungeheuern, die nur aus der Ferne
verderblich; der Sieg war nicht mehr zweifelhaft. -- Ha, was war das!
Ein furchtbarer Donner ertönte zu unserer Rechten, das Bataillon,
welches uns deckte, floh, unsere Freiwilligen stutzten trotz dem Rufen
und dem Beispiel der Officiere. Ein zweiter Donner folgte; Eisenmassen
jeder Größe umschwirrten, durchschlugen unsern Haufen, die Soldaten
betäubt durch den nicht erwarteten Schlag wandten den Rücken, im
nächsten Augenblick flohen sie in wilder, unbändiger Verwirrung: ein
englisches Kriegsschiff, bisher hinter den Felsen verborgen, hatte sein
Feuer gegen unsere Flanke eröffnet und überschüttete uns mit seinen
furchtbaren Geschossen aller Arten und Formen.

Von dem ersten Entsetzen nach der ungewohnten Begrüßung zurückgekommen,
waren die Guipuzcoaner bald wieder gesammelt; verstärkt durch die
beiden andern Compagnien rückten sie nach kurzer Rast wieder vorwärts,
nicht mehr mit so lautem Geschrei, so jubelnd und ungeduldig, aber
fester und unerschütterlicher, denn sie wußten, was ihrer wartete,
was sie zu besiegen hatten. Über die Körper todter und verstümmelter
Gefährten führte der blutige Weg zum Siege; da flehete wohl mancher
Arme umsonst die Brüder an, seine Leiden barmherzig zu enden. Wieder
hüpften die Kanonenkugeln um uns und durch uns, wieder stürzten die
Cameraden unter den Kartätschen. Unwillkührlich wenden sich Aller
Blicke rechts, schon tritt die dunkele, ebenmäßige Gestalt des Schiffes
hinter den Felsen hervor, da flammt die Helle auf, weißer Rauch säuselt
empor: eine finstere Masse brauset die schreckliche Gabe daher, mit
Blut ihre Bahn zeichnend, begleitet von Todesröcheln und schmerzlichem
Gewimmer. Doch „Vorwärts!“ ertönen hundert Stimmen; das dreifache
Feuer der Fregatte, der Batterie und der englischen Infanterie hält
die Guipuzcoaner nicht auf, sie stürzen in furchtbarer Unordnung auf
die Geschütze und schwingen sich federleicht über die Brustwehr. Ein
augenblickliches Ringen erfolgt, das Ringen der Verzweiflung, die den
Tod gewiß sieht -- die zuckenden Leichen der Feinde bedeckten den Boden.

Übermüthig jubelnd stürzten sich die Guipuzcoaner auf die gehaßten, nun
hingestreckten Eindringlinge; die Männer, welche so eben mit herrlichem
Heldenmuthe dem tausendfachen Tode getrotzt, durchwühlten nun mit
gieriger Hast die Reste der Gefallenen, nach dem erbärmlichen Metalle
suchend, dem der Mensch zum Sklaven sich herabwürdigt!

Doch bald wurden die Freiwilligen von ihrem blutigen Werke aufgestört.
Eine dunkele Masse nahete, klein und unansehnlich, aber sichern
Schrittes und Unheil verkündend, da sie so finster gedrängt heranzog:
englische Marine-Truppen eilten, unsere Beute uns zu entreißen, die
wir, da das andere Bataillon nicht wie wir vorgegangen, ganz auf uns
beschränkt waren. Die Unsrigen wußten der Geschütze sich nicht zu
bedienen, gedachten ihrer wohl gar nicht. Rasch geordnet sandten sie
einen dichten Kugelregen den feindlichen Massen entgegen, doch sie
nahete; ihre Reihen wurden lichter, wie sie vorwärts drang, aber die
Masse nahete stets. Die Reihen der Carlisten wankten, dieses lautlose,
immer ruhige, immer sich gleiche Vordringen war ihnen unheimlich,
übernatürlich. Schon waren die Fremdlinge wenige Schritte von dem
genommenen Werke; noch eine Salve, sie muß die kleine Schaar wegfegen:
weit über den Köpfen der Andringenden flogen die Kugeln hin, die Basken
flohen aufgelöset ihrer ersten Stellung zu, sofort von den Kugeln
der Engländer verfolgt. Vergeblich strebten einige Officiere, den
Strom aufzuhalten; mein Schweizer, der schon leicht verwundet nicht
von der Spitze seiner Compagnie gewichen, tobte, flehete, stach in
Verzweiflung auf seine fliehenden Grenadiere -- zum kleinen Häuflein
zusammengeschmolzen. Eine Flintenkugel streckte ihn neben mir nieder,
und kaum gelang es, ihn hinter die schützende Höhe zu schleppen.

An neuen Angriff war nicht zu denken: das Bataillon hatte mehr als
die Hälfte seiner Leute, noch mehr der Officiere verloren. Da auch
auf den andern Punkten der Linie der Kampf ohne dauernden Erfolg
gewesen, wenn auch mit weit geringerem Verluste der Carlisten, ward der
allgemeine Rückzug anbefohlen. Um Mittag standen wieder die Vorposten
sich gegenüber, ruhig mit einander rauchend und trinkend, und über
den Bergen schwebte die heitere Ruhe, die ich so oft bewundert. Ein
Fremdling hätte geglaubt, in den Schoos tiefen Friedens und Glückes
versetzt zu sein.

       *       *       *       *       *

Am Abend jenes Tages saß ich neben dem Lager des Verwundeten. Die
rechte Brust war ihm durchbohrt, er konnte die Nacht nicht überleben;
schwer athmend lag er abwechselnd in wilden Phantasien und in
schlaffer, fast besinnungsloser Abspannung. Endlich schlug er die Augen
auf, Thränen füllten sie: er faßte sanft meine Hand und sprach mit
zitternd leiser Stimme von der fernen Heimath, von den Theuren, die
dort liebend seiner gedenken mochten, von seiner Mutter ...! Sie ahnete
wohl nicht, daß der einzige Sohn, auf das Schmerzesbett gestreckt, der
letzten unvermeidlichen Stunde so nahe sei! Noch ein Mal drückte er
lautlos mir die Hand. -- Auch ich gedachte des Vaterlandes, gedachte
der Lieben, die ich vielleicht nie wieder sehen sollte, ich rief so
manche glückliche Stunde, nun auf immer entflohen, mir zurück, malte
mir aus, was der Norden Lieblichstes beut: da gab ich der stillen,
sehnsuchtsvollen Wehmuth mich hin, die in dem Glücke der Vergangenheit
ein neues Glück, noch zarter, sich schafft.

Am folgenden Morgen ward mein braver Schweizer mit militairischem
Pompe beerdigt. Ich fühlte seinen Verlust wie den eines Freundes: im
fremden Lande, im Getümmel des Krieges, wenn man allein unter dem
kalten, theilnahmlosen Geschlechte dasteht, wenn rings der Tod lauert
und droht, wenig Augenblicke nur dem Genuß zu gewähren -- da schließen
sich die Bande auch leichter und enger, und Jeder eilt, das seltene,
flüchtige Glück nicht ungenutzt zu lassen.

       *       *       *       *       *

Einzelne Gefechte und Scharmützel ohne Bedeutung hatten kaum während
des ganzen Monats Juni die Unthätigkeit in Guipuzcoa unterbrochen, da
unsere Streitkräfte sich größtentheils nach andern Punkten gezogen
hatten, Evans aber, ehe er zur Ausdehnung seines Gebietes schritt, wohl
erst das schon Genommene befestigen und sich dadurch einen Anhaltspunkt
für den Fall eines Unglücks sichern wollte. Graf Casa Eguia war durch
den General Villareal im Oberbefehle ersetzt, der, Capitain unter
Ferdinand VII. und seit dem ersten Augenblicke des Aufstandes in
seiner vaterländischen Provinz Alava thätig, das besondere Vertrauen
Zumalacarregui’s verdient hatte. In der That zeichnete er sich als
Brigade- und Divisions-Chef durch Kaltblütigkeit und Bravour aus;
es fehlte ihm aber ganz an dem zur Leitung einer Armee nöthigen
Überblicke, weshalb er in der Menge seiner Bataillone sich selbst
verwickelte und sie nicht anzuwenden wußte.

Mit Villareal war das System der Expeditionen zur Herrschaft gekommen.
Während der General die feindliche Veste Peñacerrada bedrohete, und
dadurch Cordova zwang, seine Pläne auf das Bastan-Thal aufzugeben
und von Navarra nach Alava zu eilen, hatte Gen. Gomez die Provinzen
verlassen und schon auf dem Marsche nach Asturien die Reserve-Division
des Feindes vernichtet. Der Sieg ward durch das Land mit Jubel
gefeiert: Glockengeläute, auf den Plätzen angezündete Scheiterhaufen,
öffentliche Tänze und Freudenfeuer verkündeten die Theilnahme des
Volkes. Auch Gen. Garcia bestand mehrere Kämpfe in Navarra und
zerstörte einige Forts der Zubiri-Linie, mußte sich jedoch beim Nahen
der Übermacht stets zurückziehen.

Ich hatte mich während der selten unterbrochenen Muße mit dem
Studium der Sprache, wie mit fortwährenden Ausflügen durch das Land
beschäftigt, welche noch angenehmer waren, da Pferd, Waffen und Gepäck
endlich von den Staats-Schmugglern über die Gränze gebracht waren,
wobei natürlich die Gefahr der Contrebandiers, wie der Gendarmen
Kurzsichtigkeit, die Nachlässigkeit der Douaniers und die zufällige
Abwesenheit der Patrouillen ihren fixen Preis hatten. Im Anfange
Juli benachrichtigten uns endlich unsere Spione von Angriffs-Plänen
des Feindes, deren Ziel jedoch unbekannt war; in der Nacht vom 10.
zum 11. Juli meldeten die Vorposten, daß Bewegungen in den ihnen
entgegenstehenden Truppen bemerkbar würden: der geschäftige Lärm, der
von dem Hafen von Passages herübertönte, deutete an, nach welcher
Seite Evans seine Streitkräfte richtete. So wie der Morgen graute,
wurden Schüsse aus dem rechten Flügel unserer Linie hörbar und folgten
von Minute zu Minute mit mehr Lebhaftigkeit. Achttausend Mann, aus
spanischen und Legions-Truppen bestehend, sollten Fuenterrabia, dann
Irun nehmen, und so den Carlisten die Verbindung mit Frankreich auf der
großen Heerstraße abschneiden.

In Begleitung des Generals ritt ich zum Kampfplatze, wo unsere
Schwäche, da im ersten Augenblick nur zweihundert Mann dem Feinde
gegenüberstanden, uns nur erlaubte, ihm das Vorrücken so viel wie
möglich zu erschweren[14]; so gelangte er denn, wenn auch mit Verlust,
bis fast unter die Mauern von Fuenterrabia. In dem Verhältnisse, in dem
unsere weiter entfernt stehenden Truppen anlangten, war der Widerstand
kräftiger geworden, nun gingen wir zur Offensive über; die Engländer
wiesen den Sturm anfangs fest zurück und benutzten jedes Zaudern zu
erneuertem Vordringen, als aber ihre spanischen Bundesgenossen hart
gedrängt wichen und selbst in Unordnung geriethen, mußten auch sie
weichen. Sie zeigten, wie gewöhnlich, hohe Ruhe und Todes-Verachtung.
Langsam zogen sich ihre Massen, von Schützen schwach gedeckt, zurück,
in jeder Stellung hielten sie an, wie um auszuruhen, und vertheidigten
sich eine Zeit lang gegen unsere Tirailleurs-Linien, die sie von Berg
zu Berg, von Schlucht zu Schlucht auf dem Fuße verfolgten, oft stark
drängten und ungestraft in die geschlossenen Haufen hineinschossen,
ohne daß die schwerfälligen englischen Schützen, wie viele auch brav
das Leben auf ihrem Posten opferten, die leichtfüßigen Guipuzcoaner
hätten zurückhalten können. Ich glaubte den Kampf beendigt, da die
Feinde fast schon ihre ursprüngliche Stellung wieder erreicht hatten,
und ich freute mich, daß wir, wiewohl ohne entscheidenden Sieg davon zu
tragen, die Versuche des überlegenen Feindes so rühmlich zurückgewiesen.

Der General hielt auf einem Hügel, von dem wir einen Theil der
Feuerlinie übersehen konnten, als ziemlich fern zur Rechten
lebhafteres Feuer gehört wurde, weshalb ein Adjudant, mit dem ich,
da er französisch sprach, näher bekannt geworden, Befehl erhielt,
dorthin zu eilen; da hier schon Alles ruhig war, begleitete ich ihn.
Da die Truppen einen stark eingehenden Bogen bildeten, suchten wir auf
der kürzesten Linie zur Stelle zu kommen, bogen um die scharfe Ecke
eines mit Unterholz bedeckten Hügels und ... sahen, dreißig Schritte
entfernt, ein Detachement christinoscher Jäger vor uns. Schon waren
die Büchsen auf uns gerichtet: mein Gefährte sank todt vom Pferde,
das meinige stürzte nach einem verzweifelten Sprunge zu Boden, halb
mich bedeckend, während die Ordonnanz, welche hinter uns ritt, in
gestrecktem Galopp davon jagte. Im nächsten Augenblicke war ich umringt
und unter dem Pferde hervorgezogen -- eine Kugel hatte mir das Bein,
doch nicht gefährlich, verletzt. Halb betäubt blickte ich um mich, in
die dunkeln Gesichter der Jäger, ich zweifelte noch und konnte mir
das Schreckliche nicht möglich denken; ich fühlte mich zagen bei dem
Gedanken: ich bin gefangen.

Gefangen! Wo waren nun meine herrlichen Träume, wo waren Auszeichnung
und Krieges-Ehre und alle die stolzen, wilden Hoffnungs-Gebilde, die
meine Brust so oft stürmisch gehoben hatten! -- Da freilich hatte ich
wenig Zeit zu solchen Betrachtungen. Ich verfluchte auf gut deutsch
mein Geschick; bemühete mich, die Fragen des feindlichen Officiers
französisch zu beantworten, und machte gute Miene zum bösen Spiel,
dem Feinde durch festen Muth auch im Dulden zu imponiren. Doch wurde
ich damals sehr gut, selbst mit Rücksicht behandelt, und da ich den
Soldaten meine Börse ausgehändigt, ward ich nicht weiter ausgeplündert.

Oberstlieutenant Evans hatte, wie er sagte, seine Recognoscirung
auf Fuenterrabia glücklich ausgeführt und sich dann zurückgezogen;
oder, wie alle Welt sonst unverschämt es nannte, sein Plan, Irun und
Fuenterrabia zu nehmen, war ganz mißlungen, und er hatte lebhaft
gedrängt und mit schwerem Verluste in seinen Verschanzungen Schutz
suchen müssen. Solche verschiedene Versionen waren damals sehr
gebräuchlich, und man sah wahrhaft wunderbare Dinge in dem Genre. Das
Detachement, in dessen Hände ich gerathen, hatte sich seinem Bataillone
angeschlossen und zog mit ihm nach kurzer Rast der Festung zu, wohin
auch ich geführt werden sollte. Man glaubte meiner wohl ganz sicher
zu sein, da ich innerhalb der Linien doch schwerlich entschlüpfen
konnte: so blieb ich fast ganz unbeachtet, bald an der Tete, bald weit
zurück marschirend und gelegentlich mit irgend einem Officier einige
Worte wechselnd, der mit seiner Kenntniß des Französischen paradiren
wollte. Meine Gedanken schweiften unstät umher, bis sich bald alle in
dem Streben und der Hoffnung concentrirten, die Freiheit wieder zu
erlangen; die Idee schon gab mir neue Kraft und erhöhete meinen Muth.
In der That schien die Gelegenheit günstig sich darzubieten.

Am Nachmittage machte das Bataillon in einem kleinen Weiler Halt,
worauf die Soldaten, erschöpft wohl vom Kampfe und der Hitze des
Juli-Tages, theils in den Schatten der Bäume sich niederstreckten,
theils zu den Häusern eilten, Lebensmittel oder Getränk sich zu
verschaffen. Eine Zeit lang saß ich ruhig auf einem Steine, besorgt,
keinen Verdacht zu erregen, spatzierte dann auf und ab und schlug, da
Niemand auf mich achtete, den Weg nach San Sebastian ein. Eine Minute
später hatte ich die Heerstraße verlassen und erstieg, durch Bäume
und Gebüsch verborgen, rechts die Höhen-Reihe, die längs dem Meere
sich hinzieht. Das Dörfchen blieb weit unter mir links zurück, als
ich Entdeckung fürchtend in dichtem Gesträuch den Abend zu erwarten
beschloß. Da lag ich in furchtbarer Spannung regungslos. Knaben
trieben, kaum zehn Schritte entfernt, ihr Vieh zu einer Lache, die nur
der Busch von mir schied; dann hörte ich einen schweren Tritt langsam
nahen: da zitterte ich. Das Gesicht halb mit dem Basken-Barett bedeckt,
stellte ich mich schlafend; das Geräusch näherte sich, hörte auf,
näherte sich wieder, schon war es neben mir. Fest geschlossenen Auges
und regelmäßig athmend lag ich da. Wohl Minuten stand das unbekannte
Wesen über mir -- eine Ewigkeit schienen sie mir --, dann setzte es
ohne andern Laut seinen schwerfälligen Marsch fort, häufig wie vorher
ihn unterbrechend. Lange, lange schon hörte ich nichts, ehe ich ein
Auge halb zu öffnen wagte: nichts war sichtbar. War es ein Mensch? War
es ein Thier? Es ist mir stets ein Räthsel geblieben.

Endlich brach die ersehnte Dämmerung an. Ich eilte aus meinem Versteck
und folgte raschen Schrittes dem Höhen-Zuge, der längs dem Meere nach
Fuenterrabia mich führen sollte. Die herrliche Sommernacht erleichterte
den gefährlichen Marsch, der Glanz der Gestirne, auf dem dunkeln Blau
des spanischen Himmels heller leuchtend, ersetzte das Licht des Mondes;
ein sanfter, kaum fühlbarer Hauch von der See her störte nicht die
wohlthuende Ruhe der Natur. Selbst die Wogen des Vizcaischen Meeres,
immer fast stürmisch erregt, murmelten lieblich zu meiner Linken, und
ich war mehrfach versucht, schwimmend ihnen mich anzuvertrauen. --
Etwa eine Stunde lang folgte ich der Höhe, oft erschreckt durch das
Säuseln des Grases oder den Schall eines Steinchens, den mein Fuß den
Abhang hinabrollen machte, nicht selten athemlos mich zu Boden werfend,
wenn ein verdächtiger Laut mein Ohr traf. Da plötzlich ward dumpfer
Lärm zur Seite hörbar, Lichter funkelten am Fuße des Berges, und ich
stand über jähem Abgrunde, in dessen Tiefe große dunkle Körper aus der
Silberfläche des Wassers erkennbar waren. Ich befand mich über dem
Hafen von Passages, von einer Schlucht gebildet, die den Felsenzug
durchschneidet, der das Meer hier begränzt, und deren Eingang so
schmal ist, daß nur ein Schiff zur Zeit ihn passiren kann; zwischen
dem Hafen und dem Felsen bleibt nach Frankreich hin ein kleiner Raum,
der gerade eine Straße, ~Pasages de Francia~ genannt, fassen konnte.
~Pasages de España~ liegt auf der Westseite der Bucht, die es nur mit
seiner schmalen Seite berührt, da der Felsen, fast perpendikulär auf
ihre Wasserfläche sich senkend, nicht wie im Osten den Ort zu erbauen
erlaubte.

Rascher Entschluß war nöthig: den folgenden Tag durfte ich keinen Falls
erwarten, dazu war kaum die Nacht angebrochen, vielleicht konnte ich
im geschäftigen Treiben der Stadt unbemerkt den Hafen passiren. Auf
Umwegen suchte ich den südlichen Abhang hinabzusteigen, ich glitt bald
weite Stellen hinunter, stolperte dann über Felsen und Baumwurzeln und
mußte Hecken überspringen und mehrere terrassenförmig angelegte Gärten
forciren; an Händen und Gesicht verletzt sah ich mich endlich wieder
auf der Heerstraße. Ich durchschritt langsam und mit gleichgültigem
Äußern die Straßen der Stadt, in denen Matrosen und Soldaten[15], fast
alle Engländer, sich durch einander drängten, und erreichte bald den
Quai; neue Verlegenheit: eine Brücke existirte nicht, Umgehung der Bai
war nicht möglich, da ein Fluß in sie einmündet. Doch Zaudern vermehrte
nur die Gefahr. Ein Boot, in das ein fein gekleideter Mann, wohl ein
britischer See-Officier sich gesetzt, war im Begriff abzustoßen,
ich sprang hinein. Der Engländer fragte mich englisch, wer ich sei,
dann, da ich nicht antwortete, spanisch, worauf er, da ich einige
unverständliche Worte murmelte, abzustoßen befahl, ohne Zweifel nach
meinem Anzuge für einen Officier des baskisch-christinoschen Corps
mich haltend, ~chapelgorris~ -- Rothhüte -- genannt, da sie wie wir
das farbige Basken-Barett trugen. Am andern Ufer angekommen, grüßte
ich ihn und verschwand in einem Gäßchen, welches in die Häuserreihe
einschnitt. Der Weg führte auf den Felsenriff, der, nur durch den
Hafen von dem getrennt, auf welchem ich bis hieher gekommen, längs dem
Meere fortlief, derselbe, auf dem ich den ersten Kampf gekämpft, in dem
mein armer Schweizer den Todesschuß erhielt. Die steile Höhe war bald
erstiegen.

Der schwierigste Theil der Flucht stand noch bevor: ich mußte die
Vorposten-Linie des Feindes passiren, wobei die Helle der Nacht, die
mir bisher so günstig gewesen, nun zum Hinderniß wurde. Über Felder und
hinter Hecken fort schlich ich mit Vermeidung aller Wege den Posten
zu, die ich endlich Gewehr im Arm ihren regelmäßigen Gang auf und ab
spatzieren sah. Umsonst versuchte ich den Durchgang nahe bei dem Meere:
die Chaine war bis zu der hohen Felsküste ausgedehnt; umsonst schlich
ich hinter der Linie auf und ab, eine weniger scharf bewachte Stelle
suchend. Da machte ein helles „~quien vive?~“ das Blut mir in den Adern
gerinnen -- ich stand bewegungslos, lautlos -- nochmals ertönte nicht
dreißig Schritt vor mir der furchtbare Ruf; dann war Alles still.
Lange, lange stand ich wie eine Statue, es mochten Minuten sein, mir
schienen sie Jahre; endlich begann ich rückwärts zu gehen, Fuß vor
Fuß, besorgt, dem etwa forschenden Auge durch veränderte Stellung
einen neuen Gegenstand der Aufmerksamkeit darzubieten. Schon wagte ich
langsam mich umzudrehen: ein neues „~quien vive!~“ -- ich stand wie
vom Blitz getroffen. Da antwortete eine sanfte weibliche Stimme von
der andern Seite her, und rasch gingen zwei Bäuerinnen, hohe Körbe auf
den Köpfen tragend, wenige Fuß von mir entfernt vorüber. Ich benutzte
das Geräusch ihrer Schritte, um mich gleichfalls von dem gefürchteten
Posten zu entfernen.

Doch wozu mehr der Schrecken jenes Abends! Ein Hund, mit lautem
Gebell mir folgend, trieb mich zu rasender Verzweiflung, daß ich mit
dem Messer auf ihn stürzte, ihn zu tödten; dann die Patrouillen,
die fast mich berührend, den im Schatten eines Felsen oder Busches
Hingestreckten unbemerkt ließen! Wohl darf ich sagen, daß ich nie
später, nie früher solches Gemisch, so raschen, erstarrenden Wechsel
der Hoffnung und des Schreckens, der Anspannung aller geistigen und
körperlichen Fähigkeiten und plötzlicher Erschlaffung empfand, die
doch wieder dem Drange des Wollens weichen mußte; dazu der Schmerz,
stets wachsend, und die Lähmung der Wunde, die, wiewohl leicht, durch
die entsetzliche Anstrengung in jedem Augenblick empfindlicher wurde.
-- Hoffnungslos wollte ich den Versuch machen, mit Gewalt die Kette
zu durchbrechen. Einer der Posten rief mich an, da eine englische
Patrouille dicht hinter mir erschien: ich ward umringt und fortgeführt,
von Neuem ein Gefangener.

       *       *       *       *       *

Der Sergeant, mit dem ich einige Worte gewechselt, geleitete mich
zu der großen Schanze über Passages. Da er dort seinen Bericht
abgestattet, erhob sich dumpfes Gemurmel: „~the spy, the spy!~“ unter
den Leuten, der dort commandirende Marine-Officier aber befahl kalt
dem Sergeanten: „~give him to the Spaniards to shoot him~“; mit gleich
kalter Verbeugung wandte ich mich, dem Sergeanten zu folgen. Doch der
erklärte, daß ich englisch spreche, was Allem eine andere Wendung gab.
Nachdem ich eine Viertelstunde mit dem Officier mich unterhalten, wobei
ich, da nach spanischem Gesetz der entflohene Gefangene Todesstrafe
hat, als zufällig nach dem Gefechte zu weit vorwärts gegangen und
verirrt mich angab, ging ich Arm in Arm mit ihm nach Passages hinunter,
wo wir mit einigen andern Engländern mehrere Flaschen leeren mußten.
Dann fuhren wir auf einem kleinen Boote nach San Sebastian und blieben
während der Nacht auf dem Dampfschiffe Isabel, dessen Bemannung ganz
aus Engländern bestand. Nachdem wir trotz der mir offen ausgesprochenen
Ansicht Aller, daß ich am andern Tage würde erschossen werden, bis
lange nach Mitternacht gescherzt und getrunken, schlief ich bis zum
Frühstück auf einem Sopha, worauf einer der Officiere, nachdem alle
feierlich den Abschiedstrunk mir gereicht und herzlich Gutes wünschend
meine Hand gedrückt hatten, zum Oberstlieutenant -- im Dienste
Christina’s General-Lieutenant -- Evans mich begleitete.

Unpäßlich empfing er mich im Bette und befragte mich um manches die
Faktion, wie in Spanien die carlistische Parthei gewöhnlich genannt
wird, und mich selbst Betreffende; wenn ich da die Antwort meist
umging, konnte ich natürlich über das, was die Politik des Vaterlandes
und dergleichen anging, nur meine Unwissenheit erklären. Dann sagte
er mir, daß ich, da die Legion kein Pardon erhielte noch gäbe,
sofort hätte erschossen werden müssen, daß er aber, da ich doch als
Hannoveraner Unterthan desselben Königs und eigentlich ein „halber
Engländer“ sei, den Spaniern als Gefangenen mich übergeben werde. Ohne
dieses Mal gegen das ~half english~, das so guten Dienst mir leistete,
zu protestiren, folgte ich freudig dem Officier, der dem Gouverneur der
Citadelle mich übergeben sollte, und ward bald in das mir bestimmte
Zimmer eingeschlossen, nachdem der Gouverneur, ein Spanier, mich hatte
scharf durchsuchen und unter nichtigstem Vorwande Alles, was ihm
anstand, mit Beschlag belegen lassen.

Mein Zimmer bestand aus einem großen Rechteck mit zwei Alkoven, in
deren einem ein Strohsack, das einzige Meubel sich befand. Täglich zwei
Mal erschien ein altes Weib, mir einen kleinen Teller in Öl gekochter
Bohnen und ein Stückchen Ekel erregenden Brodes zu bringen; für
schweres Geld, durch den Verkauf des mir nicht Entrissenen verschafft,
konnte ich Chocolate, der Spanier gewöhnliches Morgengetränk,
haben; andere Erquickung war versagt, und selten nur mochte Etwas
hereingeschmuggelt werden. Der Zufall wollte, daß ich mein Handbuch
des Spanischen und ein anderes mir werthes Buch in der Tasche gehabt,
sie konnten die Habsucht nicht reizen und waren daher ein herrlicher
Trost in der Einsamkeit des Kerkers mir geblieben; sie las, durchdachte
ich wieder und wieder. Und dann ging ich Stunden lang auf und ab, zur
fernen Heimath versetzt, das Vergangene von Neuem durchfühlend, alles
mir Theure den Augen des Geistes vorzaubernd. Die Gefühle jener Stunden
klangen oft erhebend in die bittere Niedergeschlagenheit hinüber, die
wohl den Gefangenen auch geistig fesseln wollte.

Es war mir erklärt, daß, so wie ich das Fenster öffnete, auf mich
geschossen würde; es ging aber, wenigstens dreißig Fuß über dem Boden
erhaben, auf einen Theil des Wallganges, auf dem mehrere Schildwachen
standen, und der rings von entsetzlichem Abgrunde umgeben Flucht
unmöglich machte, da der einzige Pfad mitten durch die Wache führte.
Bald wagte ich denn auch, vorsichtig mein Fenster zu öffnen, und o
Freude! es blieb fast immer unbemerkt, so daß ich auch der herrlichen
Aussicht und der frischen Meeresluft mich erfreuen durfte.

Links bis zum Horizont dehnte sich die blaue Meeresfläche, bald
bewegungslos wie ein Spiegel leuchtend, bald thürmte es im wilden
Kampfe der Elemente seine Wogen häuserhoch und hüllte mit dumpfem
Gebrüll das Felsengestade in Schaum. Fast immer schmückten es ein- und
auslaufende Schiffe oder zahllose Fischerboote, häufig zog die leichte,
feine Gestalt einer englischen Fregatte meine Aufmerksamkeit an oder
ein Dampfschiff, stets gleich sicher die Wellen durchschneidend, schien
die dunkeln Qualm-Wolken in langem Schweife sich nachzuziehen. Etwas
weiter rechts erhob sich einem Gewölk nicht unähnlich die Hügelküste
Frankreichs, auch bei Nacht durch das Feuer der Leuchtthürme weithin
sichtbar. Vor mir breitete sich in seiner ganzen Schönheit das Thal
aus, in dem die Straße nach Passages hinläuft, oft von den Schaaren
der Christino’s und ihrer britischen Genossen durchzogen; eine
Schiffbrücke verbindet es mit der Festung. Dann erschien der Hafen mit
seinem Mastenwalde, und über ihm hinaus erhoben sich stufenweise die
Gebirgsreihen, zu denen die Carlisten nach der Ankunft der englischen
Legion zurückgedrängt waren. Von dort drang nicht selten das Getöse des
Gefechtes zu mir, oder der Schüsse Blitzen, wenn der Kampf bis in die
Nacht sich verlängerte, durchzuckte in rascher Folge die Dunkelheit.
Das waren die elendesten Tage der Gefangenschaft!

Tief unter der Citadelle bot die Stadt den größten Theil der Straßen
meinem Blicke dar, und deutlich unterschied ich das immerwährende
Getümmel auf dem Marktplatze, auf dem die Spanier einen nicht
unbedeutenden Theil ihres Lebens zuzubringen pflegen. San Sebastian
ist nicht regelmäßig gebaut, aber sehr freundlich, die Straßen sind
schmal, da der kleine Raum sorgfältig benutzt wurde, die Häuser, sonst
geschmackvoll, durchgehends sehr hoch, oft sechs, sieben Stockwerke
auf einander gethürmt. Die Stadt liegt auf einer durch eine hohe
isolirte Felsmasse gebildeten Halbinsel, die im Norden vom Meere,
im Westen vom Hafen und nach Morgen von einem Meeres-Arm umgeben
ist, welcher sich so weit erstreckt, daß er vom Hafen nur durch eine
schmale Landenge getrennt ist, die die kleine zwischen dem Felsen,
dem Arme und dem Hafen eingeschlossene Ebene, auf der die Stadt
gegründet, mit dem Festlande verbindet. Die Befestigung besteht nach
der Landseite aus einem Kronwerke, nach dem Meere zu ist San Sebastian
durch das auf dem Felsberge errichtete, nur auf schmalem, vielfach
sich windendem Wege zugängliche Castell ganz gedeckt und beherrscht.
Die Festung ist in der That eine der festesten und durch seine Lage
wichtigsten des Königreiches; sie möchte am besten von der Westseite
her anzugreifen sein, wo jenseit des Meeresarmes der Höhenzug, welcher
bis Passages ununterbrochen hinläuft, innerhalb Kanonenschußweite zur
Höhe des Castells sich erhebt, während jener Arm zur Zeit der Ebbe
ohne Schwierigkeit passirt wird. Dort besonders hatten die Carlisten
vor der Ankunft der Legion die Werke errichtet, die wegen Mangel an
Material nur zur Blokade dienten, von dort aus griff Wellington’s
englisch-spanische Armee die Festung an und nahm sie nach kräftiger
Vertheidigung.

Die Einförmigkeit der Gefangenschaft wurde oft, wiewohl nicht angenehm,
durch die Engländer unterbrochen, die in großer Zahl im Zustande der
Trunkenheit und wegen Insubordination[16] als Arrestanten auf dem
Wallgange oder im äußern Hofe sich befanden und wohl unter meinen
Fenstern ihre Spiele trieben. Der Anblick war furchtbar widerlich, ich
würde nicht ihn zu beschreiben wagen. Doch frappirte mich wiederholt
die Bemerkung, daß unter diesem Abschaum des Inselreiches Männer sich
fanden, die augenscheinlich einer höhern Sphäre angehört, andere, deren
Erziehung ihrem jetzigen Zustande moralischen wie physischen Elendes
ganz unangemessen schien. Ich erinnere mich, daß einer der Soldaten
seine mit Narben bedeckte Brust entblößend schwur, daß er nicht mehr
den feindlichen Lanzen trotzen werde, da man so ihn lohne, worauf ein
Zweiter ihm Horaz’s schönes „~dulce et decorum est pro patria mori~“
anführte. Ein anderer Elender aber, in seinen grauen Mantel, seine
einzige Kleidung, gehüllt, und im Schatten ausgestreckt, erwiederte
trocken: „~sed dulcius vivere pro patria~.“

       *       *       *       *       *

Sechs Wochen waren verflossen, sechs traurige Wochen, als die Ordre
Cordova’s anlangte, der gemäß ich nach Vitoria sollte abgeführt
werden. Froh verließ ich an einem der letzten Tage August’s das
Castell, um auf dem Dampfschiffe ~la reyna gobernadora~ nach Santander
eingeschifft zu werden. Die Officiere des Schiffes, wiederum sämmtlich
Engländer, empfingen mich eben so zuvorkommend und herzlich wie früher
die der Isabel, ja sie zeichneten mich so aus, daß, während zwei
christinosche Officiere, die die Überfahrt mit machten, in beliebigem
Winkel auf der Erde schliefen und aus eigenem Vorrathe kalte Küche
genossen, ich an der Tafel der Officiere Theil nahm und selbst in
des Capitains Cajüte ein Bett mir bereitet fand. Überhaupt zeigten
die Engländer hohen Unwillen, gar Verachtung gegen ihre spanischen
Gefährten, und wohlthuend war es mir, die Bravour der carlistischen
Officiere sie mit Bewunderung anerkennen zu hören, da sie stets an der
Spitze ihrer Krieger die Ersten auf den Feind sich stürzten, während
die constitutionellen Officiere in den ersten Jahren des Krieges
häufig hinter Felsen und Bäumen versteckt die freistehenden Soldaten
zum Vorrücken ermunternd gesehen wurden. Ein Adjudant des Generals
Jauregui erregte unser Lächeln, da er mit Depechen nach Santander im
Augenblick der Abreise anlangte und da auf seine ängstliche Frage ein
Midschipman sehr ernst ihm antwortete, daß wir wohl stürmisches Wetter
haben würden, sofort mit seinen Depechen in das Boot zurücksprang und
nicht wieder erschien. Capitain, Officiere, alle Welt erklärte sich
für gänzlich überdrüßig dieses Krieges mit solchen Bundesgenossen; sie
verhehlten sich nicht die Elemente der beiden Partheien für den Sieg
und für den Widerstand, ihre Verhältnisse und die Neigungen des Volkes.

Nach nur zu rasch geendeter Fahrt längs der Küste Vizcaya’s warfen
wir auf der Rhede von Santander Anker, nachdem man mich auf einen
Felsen aufmerksam gemacht, den die britischen Seeleute wegen seiner
Ähnlichkeit mit des Feldherrn Adlernase ~Wellington’s nose~ genannt
haben. Bald erschien ein Platzadjudant mit einem Detachement, dem
er unter meinen Augen zu laden befahl, und da ich an Bord das
Abschieds-Glas geleert und viele warme Händedrücke und Wünsche
empfangen, ward ich in dem Boote ans Land und in der Mitte von acht
Soldaten zum Gefängniß geführt. Doch hatte der Anblick englischer
Höflichkeit so viel vermocht, daß der Adjudant beim Fortgehen
mir gleichfalls die Hand reichen und seiner Theilnahme mich
versichern zu müssen glaubte, was wiederum auf die Artigkeit des
Kerkermeisters wohlthätig wirkte; so lange ich nämlich Lust hatte,
seine Gefälligkeiten, sein Bett und die Speisen seiner Küche zehnfach
zu bezahlen. Da ich jedoch nach kurzer Zeit in Rücksicht auf meinen
traurig zusammenschrumpfenden Geldbeutel erklärte, daß ich mit dem mich
begnügen werde, was mir als Gefangenen ausgesetzt sei, sah ich mich
plötzlich auf Schwarzbrod reducirt, indem mir mürrisch erklärt wurde,
das mir bestimmte Geld reiche nicht hin, um irgend Etwas zu kaufen.
Die Aussicht war trostlos; doch ward ihr nach ein Paar Tagen ein Ende
gemacht, da ich, von einer Escorte von zwanzig Mann umgeben, Santander
verließ und auf einem Esel die Straße nach Burgos entlang zog.

Bisher hatte ich geglaubt und geklagt, daß ich schlecht und allem
Völker- wie Krieges-Rechte zuwider behandelt werde, doch sollte ich
nun erkennen, wie relativ der Begriff des Guten und Schlechten ist und
wie die Ideen unserer liberalen Gegner über Ehre und Recht von denen
der andern Europäer abwichen. Während des Tagemarsches durfte ich in
der That nicht klagen, denn wenn der Officier sich ganz gleichgültig
zeigte, so thaten die Soldaten dagegen, was sie nur thun konnten, um
das Harte meiner Lage mir weniger fühlbar zu machen; die christinoschen
Soldaten waren meistens nicht wegen individueller Meinung in jenem
Heere: durch Gewalt waren sie ausgehoben, Furcht, Gewohnheit, oft
Gleichgültigkeit hielt sie fest. So bestand denn das Unangenehme nur in
den Volkshaufen, die lärmend, oft drohend, mir durch die Ortschaften
folgten, und in den Diners, die ich von neugieriger Menge umringt,
stets auf dem Marktplatze halten mußte, oder in den Bemerkungen der
Weiber.

So wie wir aber Abends im Nachtquartier anlangten, begann das Elend.
Irgend ein unterirdisches Loch ohne Fenster noch Luftzug, geschwärzt
von Qualm und Rauch, stinkend und voll Ungeziefer, der Landplage
Spaniens, nahm mich auf, oder -- noch widerlicher -- ich sah mich
mit den niedrigsten Verbrechern beider Geschlechter, zwischen denen
Kinder im Schmutz sich wälzten, in engem Kerker vereinigt, deren freche
Vertraulichkeit ich mit Mühe zurückweisen konnte, während die Scenen,
die unter solchen Menschen vorauszusetzen, mit Ekel und Abscheu mich
füllten. Glücklich schätzte ich mich, wenn ich selten ein Mal in einem
Fort der Obhut eines Officiers und einer militairischen Wache übergeben
wurde. Wohl darf ich meine Überzeugung aussprechen, daß, wäre ich der
Sprache wie später Meister gewesen, hätte ich irgend eine Geldsumme zu
meiner Verfügung gehabt, es mir nicht schwer geworden wäre, mit Leuten
und Waffen, ja mit den Officieren vielleicht, mich davon zu machen und
den Meinigen sie zuzuführen. Ihre Unterhaltung, ihre Fragen, einzelne
Bemerkungen verriethen, wo nicht immer Geneigtheit für die carlistische
Parthei, Kälte gegen die, welche sie vertheidigten, und vor Allem die
nun in allen Classen der Spanier so gewöhnliche Verderbtheit, welche,
wenn ihr Interesse angeregt, wenn ihnen +genug+ geboten wird, sie
bereit macht, schnöder Geldgier Alles zu opfern.

Nachdem wir die hohe Kette überschritten, die so reich an malerischen
und majestätischen Scenen von dem Hauptstamme der Pyrenäen bis Galizien
sich hinzieht, und da wir den Ebro seiner Quelle nahe mehrere Mal
passirt hatten, wandten wir uns links von der Straße von Burgos über
Reynosa, Pancorvo und Miranda auf Vitoria. Ich dachte der Zeiten,
in denen auf eben diesen Gefilden Wellington’s Armee der Herrschaft
Napoleon’s in der Halbinsel den letzten entscheidenden Schlag gab; ein
Gefangener fand ich mich, wo einst so viele meiner braven Landsleute,
viele persönlich mir Theure in den Reihen des siegreichen Heeres
gekämpft. Mannigfache Empfindungen mußte der Gedanke in mir hervorrufen!

General Cordova hatte das Commando niedergelegt und in Folge der
neuen gewaltthätigen Änderung der Verfassung nach Frankreich sich
zurückgezogen, weshalb ich den Ebro entlang wieder über Miranda,
Arro und Logroño nach Calahorra geführt wurde, wo General Oraa, der
interimistisch den Oberbefehl übernommen, einen Angriff auf Estella
vorbereitete. Wir trafen ihn am 13. Sept. früh im Augenblicke des
Abmarsches, da schon die Truppen aufgebrochen waren. Er ertheilte
Ordre, mich bis auf Weiteres in das Depot zu Logroño zu placiren, wohin
ich abgeführt wurde, nachdem ich von einem Mordversuch der Soldaten
der Garnison gerettet war. Wie immer auf dem Marktplatze von der
müßigen Menge umringt, genoß ich ruhig die Chocolate, welche ein alter
Capitain, der in Rußland Kriegsgefangener gewesen, mir übersandt. Da
nahten sich fluchend mehrere Soldaten und warfen der Escorte vor, daß
sie mich nicht längst unterwegs getödtet hätten; sie schimpften auf
den Ehrenmann, der mir die Chocolate geschickt: die Liberalen könnten
auf der Straße verhungern, ohne daß Jemand sich ihrer annehme. Der
Lärm tobte jeden Augenblick mehr, laut ward mein Blut gefordert, schon
berührten die Bajonete meine Brust, Messer funkelten: ich strebte
als braver Carlist fest zu sterben. Doch die kleine Escorte, deren
Zuneigung ich erworben, drängte sich zu meinem Schutze, sie stieß die
Wüthenden mit Kolbenstößen zurück und entriß mich mit Mühe dem tobenden
Pöbel, der durch die Straßen bis ins Freie mit Mordgeschrei uns folgte.
Mehrere Verwundungen waren vorgekommen.

Am folgenden Tage sah ich in dem zur Caserne umgeschaffenen Kloster
der Jesuiten von Logroño ein kleines, reinliches Zimmer sich mir
öffnen, in dem ein junger spanischer Officier in französischer Sprache
sein Vergnügen ausdrückte, daß die traurige Gefangenschaft durch so
angenehme Gesellschaft ihm erleichtert werde.

  [13] Die Bataillone bestehen in Spanien aus acht Compagnien, von
       denen zwei, die Grenadier- und die Jäger-Compagnie, als Elite
       -- ~de preferencia~ -- bezeichnet werden. Sie formiren an der
       Tête und Queue des Bataillons, wählen ihre Leute aus den übrigen
       Compagnieen und haben im Kriege, da sie stets ergänzt werden,
       oft die doppelte oder dreifache Stärke derselben. Sie sind
       stets die ersten und letzten dem Feinde gegenüber, leiden daher
       immer unverhältnißmäßig, weshalb die Officiere, die besten des
       Bataillons, auch mehr Avancement haben, wenn sie mit dem Leben
       davonkommen. Die Compagnie, welche 125 Mann stark sein soll,
       zählt einen Capitain, zwei Premier-, zwei Seconde-Lieutenants.
       Im Kriege führt sie natürlich oft ein Seconde-Lieutenant, in
       mehreren Fällen sah ich selbst einen zweiten Sergeanten --
       Unterofficier -- die Compagnie mehrere Tage lang commandiren,
       da stets außerordentlich viele Officiere der Carlisten, ganz im
       Gegensatze der Christinos, blieben.

  [14] Da ein Capitain mit seiner Compagnie zur Besetzung und
       Vertheidigung einer Reihe Felsen beordert wurde, sah ich ihn
       seine Leute im Kreise zum Beten des Rosenkranzes vereinigen,
       worauf er einen Caplan bat, ihnen für den Fall des Todes die
       Absolution zu ertheilen, was sogleich feierlich geschah.

  [15] Als die Feinde Passages nahmen, fanden sie dort nur Weiber. Die
       Männer ohne Ausnahme waren den Carlisten gefolgt, und ergriffen
       die Waffen gegen ihre Unterdrücker.

  [16] Viele behaupteten, nur auf ein Jahr sich engagirt zu haben, und
       weigerten sich daher, ferner zu dienen.



V.


Es ist Viel über die empörenden Grausamkeiten geschrieben, die
allgemein wie besonders gegen die Kriegsgefangenen von beiden Partheien
im spanischen Bürgerkriege begangen sind; und -- wie die Umstände es
mit sich brachten -- die öffentliche Meinung hat sich allgemein gegen
die Carlisten als Urheber und Hervorrufer jener Schreckens-Scenen
ausgesprochen. Dieses war natürlich. Die Constitutionellen hatten
zu ihrer Verfügung zahlreiche öffentliche Blätter, durch die sie
sich bemüheten, die Ereignisse so darzustellen, wie es ihren Zwecken
genehm war. Sie schilderten jede neue Rachethat der Carlisten mit
den schwärzesten Farben, die ihre Phantasie hervorzubeschwören
vermochte, während sie die unglaublichen Frevel, durch die jene
Thaten hervorgerufen und ihre Gegner zu wildester, rücksichtsloser
Verzweiflung gereizt sein mußten, ganz mit Stillschweigen übergingen.
Sie fanden aber in der liberalen Presse der Nachbarländer eifrige
Verbündete, welche sich beeilten, die so entstellten Thatsachen zu
verbreiten, durch ganz Europa den Schrei des Abscheu’s gegen die
Royalisten Spanien’s ertönen zu machen. Diese dagegen besaßen nicht
solche Zeitschriften, selbst nicht Zeit zum Schreiben und zum Aufklären
des Truges, sie waren genöthigt, zu den Verleumdungen zu schweigen,
die meistens wohl nicht ein Mal bis zu ihren Bergen und Lagern
durchdrangen; und wenn etwa eine vereinzelte Stimme in der Fremde zur
Rechtfertigung der schmählich Verleumdeten sich erhob, war sie bald
durch hundertfaches Geschrei der Getäuschten oder bei der Täuschung
Interessirten übertönt und erstickt.

Ich werde durch Thatsachen, von deren Genauigkeit ich mich zu
überzeugen Gelegenheit hatte, das gegen die Carlisten als Menschen so
allgemein herrschende Vorurtheil zu bekämpfen suchen, wie sehr ich
auch die Schwierigkeit und Undankbarkeit des Unternehmens würdige: --
gerade seinen Vorurtheilen klammert das arme Menschen-Geschlecht ja
am festesten sich an. Dabei muß ich voraussenden, daß ich keinesweges
leugne, daß von einzelnen Individuen Grausamkeiten begangen sind:
in solchem Kriege und bei solchem Charakter des Volkes waren sie
unvermeidlich. Aber die Tendenz der Carlisten als Ganzes, ihrer
Leiter und hervorstehenden Personen war stets auf Milde und Großmuth
gerichtet; selbst da verleugneten sie diese nicht, wo Pflicht der
Selbsterhaltung, Pflicht gegen ihre Untergebenen sie zwang, den
Schreckens-Maßregeln der Christinos durch Strenge einen Damm zu setzen,
Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

Übrigens bezieht sich das hier zu Sagende, wenn auch großen Theils
auf ihn anwendbar, nicht auf den -- stets als blutdürstigen Tiger
bezeichneten -- General Cabrera. Gegen ihn haben so mannigfache Stimmen
sich erhoben, mit Hintansetzung alles Rechtes und aller Wahrheit so die
Schmähungen ihm gehäuft, daß die Gerechtigkeit erfordert, ihm später
abgesondert einige Zeilen zu widmen.

Werfen wir einen Blick auf den Beginn des Bürgerkrieges, auf die Zeit,
da kurz nach Ferdinands VII. Tode die baskischen Provinzen und in den
andern Theilen des Königreiches viele einzelne Edle für Carl V. zu
den Waffen griffen. In Blut sollte da der drohende Aufstand erstickt
werden: in allen Städten wurden Blutgerüste errichtet, die Verdächtigen
wurden eingekerkert, die mit den Waffen in der Hand Gefangenen sofort
erschossen. Wir sahen früher, wie die Anhänger der unschuldigen
Isabella in den Nordprovinzen wütheten, wie dort Mina, Sarsfield,
Valdes, Lorenzo, Rodil in Mord und Zerstörung wetteiferten. Sie
erließen Tod und Vernichtung athmende Edikte, sie brannten die Dörfer
der aufgestandenen Distrikte nieder, zerstörten Saaten und Vorräthe,
schändeten die Frauen und Mädchen und opferten ohne Barmherzigkeit,
wen immer sie den carlistischen Guerrillas angehörig oder ihnen nur
günstig gesinnt glaubten. Bald fiel der edle Don Santos Ladron, der
General, der unter Ferdinand VII. an die Spitze der Getreuen sich
gestellt hatte, in Lorenzo’s Hände: mit seinen Gefährten ward er zu
Pamplona rücklings erschossen, worauf der Mörder, seiner Schandthat
sich rühmend, neue Proclamationen, noch mehr Mord schnaubend als
die früheren, erließ und freudig den Entschluß des Gouvernements
ankündigte, +keinem+ Rebellen Gnade zu schenken.

Und die Carlisten? Ohne Zweifel regten ihre Anführer zu blutiger Rache
sie auf, vergalten Drohung mit Drohung, Tod mit Tod? -- General Eraso,
der in den Thälern von Ober-Navarra befehligte und nach Ladron’s
Ermordung seine Stelle als Chef des Aufstandes einnahm, indem er den
Seinen den Tod ihres Führers anzeigte, forderte sie auf, zu bedenken,
daß sie für eine gerechte Sache, für die Religion der Liebe kämpften,
daß sie daher nicht Böses mit Bösem vergelten, auf die Gerechtigkeit
ihrer Anstrengungen gestützt vielmehr durch Großmuth die Wuth der
Revolutions-Kämpfer bändigen, den durch die Bravour errungenen Sieg
verschönern müßten. -- So beantworteten anfangs der Carlisten Anführer
die immer erneuten Drohungen und Gräuel der Generale Christina’s.

Zumalacarregui übernahm das Commando. Seine Armee wuchs täglich an
Zahl und Furchtbarkeit, er schlug den Feind, nahm Forts und machte
zahllose Gefangene: entweder sandte er sie auf ihr Versprechen, nicht
mehr dem Feinde zu dienen, in die Heimath oder gab ihnen, wenn sie
es begehrten, die Waffen für ihren König. Seine Gegner, Rodil, Mina
und die vielen untergeordneten Führer, fuhren fort, jeden Carlisten
niederzumetzeln, und beantworteten seine wiederholten Anträge für
menschliche und völkerrechtliche Kriegführung gar nicht oder durch
Hohn. Zumalacarregui drohete wieder und wieder: -- neue Schlächterei!
Die Christinos hielten sich stets für die Stärkeren und daher -- sehr
logisch -- für gerechtfertigt in Allem, was sie thun möchten, ihr
Übergewicht zu sichern oder ihrer Vernichtungs-Wuth zu genügen. Da
+durfte+ Zumalacarregui nicht länger die Rücksichten der Menschlichkeit
gegen den Feind vorwalten lassen; die Pflicht gegen die Seinen und
gegen die Sache, welche er vertheidigte, schrieb seine Maßregel vor:
er befahl zu Repressalien zu schreiten, für jeden außer Gefecht
getödteten Carlisten einen Gefangenen zu erschießen. Da auch dieses
ganz wirkungslos war, ordnete er für jeden Gemordeten die Erschießung
von zehn der zahlreichen Gefangenen, die seine Siege ihm täglich in die
Hände spielten, und deren doch die größere Zahl lebend blieb. Fühllos
bei dem Jammer der Ihrigen, wie sie bei dem Todes-Zucken der Gegner es
gewesen, fuhren die feindlichen Generale in ihrem Blut-System fort:
jeder Gefangene ohne Ausnahme wurde erschossen. Indem er die Gräuel
verfluchte, die er durch alle Mittel zu verhüten gesucht, befahl da
auch Zumalacarregui, daß fortan den Feinden kein Pardon gegeben werde
-- bis sie ihre Ausrottungs-Dekrete zurücknähmen und menschlichere Art
der Kriegführung adoptirten.

So war das Schreckenswort ausgesprochen: von beiden Seiten Kampf auf
Leben oder Tod. So hatten ihn die Christinos gewollt, so ward er ihnen;
doch der carlistische Feldherr, auf das Äußerste gereizt, verleugnete
sein inneres Gefühl nicht. Er stellte es dem Feinde anheim, durch
Aufhebung des Systemes, das ihn zu Gleichem gezwungen, sogleich dem
Blutvergießen willkommenes Ende zu machen.

Während des Jahres 1834 und im Anfange 1835 wurde der Krieg mit
allen Schrecknissen der Vernichtung fortgeführt. Und doch betrachten
wir näher das Betragen der beiden Armeen während jener Zeit! Die
Christinos, es ist wahr, hatten nicht häufig Gelegenheit, an
carlistischen Gefangenen ihre Wuth zu äußern; aber findet sich wohl
ein Beispiel, daß sie in solchem Falle der Unglücklichen verschont
hätten? Fielen sie nicht Alle unter ihren Streichen! Und nicht nur die
Waffen tragenden Freiwilligen, auch deren Väter und Brüder, friedliche
Landleute, ja entfernte Verwandte, Frauen und Kinder wurden von den
feindlichen Colonnen in fühlloser Wuth hingeopfert. Bald fanden sie
nur noch die verlassenen Dörfer vor, da jedes menschliche Wesen bei
ihrer Annäherung in die unzugänglichsten Gebirge entfloh; zur Strafe
plünderten sie dann die Wohnungen, brannten beim Abmarsch sie nieder
und verkündeten wieder Tod einem Jeden, der seinen Wohnsitz verlasse.

Zumalacarregui aber erfocht Sieg auf Sieg, er schlug die feindlichen
Divisionen, eroberte Fort auf Fort, reinigte nach und nach die
baskischen Provinzen und Navarra und machte selbst Einfälle jenseit
des Ebro nach Castilien; es ist leicht zu erachten, daß während der
langen Sieges-Periode viele Tausende in seine Hände fallen mußten. Der
Befehl, keinen Pardon zu geben, existirte fortwährend, denn die Feinde
hatten keinesweges mildere Saiten aufgezogen. So sanken Tausende --
unter ihnen General O’Doyle, O’Donnel, dessen zwei Brüder in den Reihen
der Royalisten mit Auszeichnung fochten, und andere hohe Officiere --
unter dem rächenden Arm der Carlisten, Opfer der Grausamkeit ihrer
eigenen Feldherren. Aber dennoch siegte oft Menschlichkeit und Großmuth
über die Gebote der Klugheit; dennoch rief Zumalacarregui in den
glorreichen Tagen, da er die Divisionen O’Doyle und Osma vernichtete,
seinen Freiwilligen, die die Fliehenden niedermachten, zu, vom Blutbade
abzulassen, da er so Entsetzliches nicht sehen könne -- und achthundert
der Feinde wurden gefangen fortgeführt und durften in die Bataillone
der Sieger eintreten; dennoch entsandte er die im Hospital von los
Arcos gefundenen Officiere und Soldaten und selbst die Garnison, welche
im Fort verzweifelten Widerstand geleistet, frei nach Logroño, während
einige Meilen von dort Mina mehrere verwundete Carlisten, die er in der
Pflege von Bauern in der Nähe von Pamplona entdeckte, hervorschleppen
und erschießen, diese Bauern erschießen, einen Jeden, der Bedauern
ausdrückte, erschießen und dann die Häuser, in denen die Verwundeten
verborgen gewesen, niederbrennen ließ.[17]

Unzähligen Gefangenen gab der carlistische Feldherr die Waffen,
so selbst sein strenges Rache-Gesetz umgehend, da doch längst die
Erfahrung ihn belehrt, daß die Mehrzahl, des entbehrungreichen
Lebens der Carlisten bald überdrüssig, bei erster Gelegenheit zu
ihren früheren Cameraden zurückkehrte. Andere entließ er, da sie
geschworen, nicht mehr gegen die Sache des Königs zu fechten; und
wenige Tage später standen sie wieder ihm gegenüber, da die Generale
der Revolution, nicht gesonnen, solches Versprechen zu achten, die
Verschonten zu einer andern Division zu versetzen sich begnügten, um
ihre Wiedererkennung im Falle eines zweiten Unglücks zu erschweren.

Und welchen Eindruck machte so edles Verfahren auf die Christinos?
Da sie nicht ein einziges Beispiel der Milde alle dem entgegensetzen
können, müssen sie nicht vielmehr zugestehen, daß, so oft
Zumalacarregui sein Repressalien-Gebot in der ganzen Strenge ausführte,
eine neue blutige That ihrerseits vollgültigen Grund dazu gegeben, ihn
zur Unterdrückung seiner Gefühle und Neigungen gezwungen hatte?

       *       *       *       *       *

Lord Elliot erschien auf dem Kriegsschauplatze, um durch die
Vermittelung der britischen Regierung, der Verbündeten Christina’s,
den Vertrag in’s Leben zu rufen, der den Kriegsgefangenen Leben und
Auswechselung sicherte. Die Carlisten empfingen freudig seine Anträge;
die Christinos zögerten und widerstrebten, und als ihr Oberfeldherr
dem Dringen des britischen Bevollmächtigten nachzugeben wagte, da
erhoben die wilden Exaltados ihr Geschrei gegen ihn, als Schwächling,
ja als Verräther ihn stempelnd. Zumalacarregui im Auftrage seines
Monarchen nahm unbedingt die vorgeschlagenen Artikel an; die Christinos
beschränkten den Vertrag auf die Armeen der Nord-Provinzen, während in
Galicien, Catalonien, Aragon, Valencia und der Mancha, wo zahlreiche
Carlisten-Corps sich gebildet, der Krieg wüthete. Umsonst forderte
Zumalacarregui, die Wohlthaten des Vertrages auf die ganze Halbinsel
ausgedehnt zu sehen. In den Nord-Provinzen fühlten die Christinos sich
schwächer und mußten befürchten, daß das Gewicht der erbarmenlosen
Kriegführung ferner, wie so lange schon, auf sie zurückfallen werde: da
gaben sie nach. In den andern Provinzen aber hielten sie sich für die
Stärkeren, dort, hofften sie, sollte die Wagschale des Blutes ganz zu
ihren Gunsten sich senken; sie hüteten sich wohl, durch Zulassung des
allgemeinen Vertrages die Hände sich binden zu lassen.

Carl V., wohl zu sehr der Stimme der Menschlichkeit allein Gehör
gebend, nahm dennoch den so verstümmelten Vertrag an und gab dadurch
das einzige Mittel aus der Hand, durch das er, wo er überlegen war,
die Gewaltthaten der Revolutionäre gegen die Schwächeren hätte zügeln
mögen. Erst spät, als sie auch dort die Macht der Carlisten schwer über
die ihrige sich erheben sahen, willigten die Feinde ein, für die Armeen
von Aragon und Catalonien ähnliche Übereinkünfte zu treffen; freudig
boten die Carlisten die Hand dazu. Der Sieg entschied sich für die
Christinos. Da beeilten sie sich -- Espartero im Frühjahr 1840 --, die
lästigen Banden abzuschütteln, welche nur die Noth ihnen aufgezwängt,
und der Oberfeldherr verkündete in einer in allen Städten und Dörfern
angehefteten Generalordre,[18] daß fortan den Rebellen, die Widerstand
leisteten, kein Pardon gegeben werde.

In Galicien aber und in der Mancha waren die Truppen der Königinn stets
den royalistischen Guerrillas überlegen; sie hatten also gar keinen
Grund, ihre Neigungen zu verleugnen, und konnten ohne Furcht und ohne
Rücksicht ihr Schreckens-System auf den höchsten Grad treiben. Da wurde
ein jeder Gefangene und jeder carlistisch Gesinnte erschossen, ihre
Angehörigen mit Schimpf vertrieben, die der Anführer nach langen Qualen
ohne Gnade hingemordet; da starben die neun und dreißig Verwandten des
Haupt-Chefs in der Mancha, D. Vicente Rojero -- Palillos --, getödtet
ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, die Frauen bis zum letzten
Augenblicke zur Befriedigung viehischer Lust benutzt -- das ungeborne
Kind ward der zum Tode geschändeten Mutter, der Enkelin Palillos’s,
aus dem Leibe gerissen und füselirt, um keine Spur von Leben
zurückzulassen;[19] gefangene Chefs wurden in Galicien geviertheilt,
die zuckenden Glieder als Trophäen über die Stadtthore ausgesteckt. Und
wenn da Palillos, nur noch der Rache lebend, das furchtbare: „es sterbe
alles Lebende“ aussprach, wenn jene Unglückliche, zum Tode getroffen
in Allem, was dem Menschen theuer, was ihm heilig ist, in der Raserei
der Verzweiflung nur Vernichtung athmeten und mit Wollust die Gehaßten
hinopferten; -- dann wurden sie der Welt als fluchwürdige Ungeheuer
dargestellt, aller Schonung und allen Mitleides unwürdig!

       *       *       *       *       *

So weit die kämpfenden Heere. Und das Volk? Es wäre eben so ermüdend
als widerlich, hier in detaillirte Beschreibung aller der tausendfach
wiederholten Excesse mich einzulassen, die in fast allen Theilen, allen
Hauptstädten der Monarchie gegen Carlisten ausgeübt wurden, weshalb ich
mich begnüge, diese Gräuel im Umrisse anzudeuten.

Zuerst wandte sich die Wuth des Volkes gegen die Mönche: in Madrid
erstürmten wilde Haufen die Klöster, ermordeten viele seiner Bewohner,
verjagten die übrigen, welche bei jedem Schritte neue Mißhandlungen zu
leiden hatten; die Regierung wollte oder mußte schweigen. Zaragoza,
Barcelona, Valencia, fast alle Hauptstädte der Provinzen und viele
andere Orte folgten dem Beispiele der Residenz: die Mönche wurden
niedergemetzelt oder im Falle hohen Glückes ins Weite gejagt, Hungers
zu sterben oder den carlistischen Guerrillas sich anzuschließen, denn
die erbärmliche Unterstützung, die die Regierung ihnen zusagte, wurde
Jahre lang nicht gezahlt. Dann wurden die herrlichen Klostergebäude
geplündert, oft zerstört, die reichen Denkmale der Kunst und
Wissenschaft, die in ihnen aufgehäuft waren, barbarisch vernichtet, die
Kirchengüter um Spottpreis hingegeben, die Kostbarkeiten verschwanden
unter den Händen der Behörden, denen Niemand Rechenschaft abforderte,
die heiligen Gefäße wurden zum niedrigsten Gebrauche mit Spott
herabgewürdigt. Wer Schmerz, wer Bedauern auszudrücken wagte, war ein
Feind des Volkes und litt als solcher.

Als General Guergué im Jahre 1835 nach Catalonien gezogen war, fiel
der ausgezeichnete Oberst der Cavallerie O’Donnell mit einigen hundert
Mann in die Gewalt der Feinde; der Elliot’sche Vertrag sicherte ihm
das Leben, und er ward mit vielen andern Gefangenen in die Citadelle
von Barcelona eingeschlossen. Am 4. und 5. Januar 1836 erhob sich
das Volk der Stadt und forderte den Tod der Gefangenen. Die Behörden
zogen sich nach einigen Vorstellungen zurück und beschlossen, sich
ganz passiv zu verhalten. Das Volk erstürmte ohne Blutvergießen die
feste Citadelle, deren Gouverneur ohne Vertheidigung die Thore zu
schließen sich begnügte, die Gefangenen wurden hervorgeschleppt,
schrecklich mißhandelt und ermordet. O’Donnell mit 107 seiner Gefährten
erlitt solches Geschick. Das Volk überhäufte mit Schimpf den Leichnam,
schleifte ihn durch die Straßen, verschlang ihn endlich zum Theil,
nachdem es ihn geröstet hatte. -- Der commandirende General Mina
gab auf Anfrage der Regierung als Veranlassung der Schauderthat die
Ermordung aller Gefangenen im carlistischen Fort Nuestra Señora
del Hort an; die Königinn Wittwe übersandte der National-Garde von
Barcelona, die hauptsächlich jene Scene veranlaßt und ausgeführt,
eine Ehrenfahne. Am 24. Januar nahm General Mina das Fort del Hort;
sämmtliche christinosche Gefangene, deren Tod die Ursache jener
Ereignisse gewesen, wurden unversehrt gefunden: Mina ließ die ganze
Garnison erschießen!

Andere Städte eilten auf die Nachricht der Ereignisse in Barcelona
jubelnd zur Nachahmung; durch ganz Catalonien hallte der Todesschrei,
floß Blut, nur in Tarragona gelang es, die Gefangenen durch rasche
Einschiffung zu retten. In Zaragoza wurden zur Beruhigung des Volkes
zwei carlistische Officiere zum Tode verurtheilt und erdrosselt, bald
vier andere, die deportirt werden sollten, auf Verlangen des Pöbels,
welcher mit drohendem Geschrei den Gerichts-Saal umtobte, gleichfalls
verurtheilt und ermordet; die Richter, welche nicht für den Tod
gestimmt hatten, entkamen kaum durch die Flucht. In Cartagena brach der
Aufstand im Mai aus, und einige zwanzig Carlisten fielen als Opfer; die
Behörden blieben ruhige Zuschauer.

Im Anfange Juni’s ward Brigadier Torres, der Nordarmee angehörend, bei
Huesca gefangen und nebst einem Oberst und zehn Officieren in Jaca
erschossen, weil -- Cabrera die Officiere der geschlagenen Colonne
Valdez habe erschießen lassen. Die Christinos hatten die Ausdehnung des
Pardons auf die Heere von Aragon verweigert; jetzt benutzten sie die
Folgen ihrer Weigerung als Vorwand für den Bruch des Zugestandenen.
Carl V. aber hatte auf die Kunde der Ermordung O’Donnell’s eine
Proclamation erlassen, durch die er die Seinen aufforderte, fern
von ähnlichen Ausschweifungen, stets dem gegebenen Worte treu die
Gefangenen mit Großmuth zu behandeln und ihm die Sorge zu überlassen,
welche Maßregeln die Wiederholung solcher schändenden Grausamkeiten
verhüten möchten. Es ist in dem ganzen Kriege nicht ein Beispiel
zu finden, daß das Volk, wo die carlistischen Behörden herrschten,
seiner Wuth habe ungezügelt sich hingeben können. Die Stellvertreter
der Königinn gaben entweder dem wilden Drängen des Volkes nach, oder
stellten sich gar an dessen Spitze oder -- -- wurden ermordet. Wie
selten finden wir in den tausendfach wiederholten Aufständen, daß die
Behörden mit Kraft ihnen entgegenzutreten und die Ruhe zu erhalten
wußten!

       *       *       *       *       *

Denn tausendfach wurden solche Scenen wiederholt, tausendfach floß
bis zum Schlusse des Krieges in allen Theilen Spanien’s das Blut
+wehrloser+ Carlisten oder carlistisch Gesinnter, und wenn ich diese
Thatsachen nicht weiter anführe, ist der Abscheu der Grund, der sie
zu detailliren mir unmöglich macht. Sie sind so vielfach besprochen,
durch die öffentlichen Blätter zu ihrer Zeit so verbreitet, daß mein
Schweigen darüber wohl keiner Mißdeutung fähig ist. Dagegen fordere
ich jeden Christino, jeden der revolutionären Regierung Spanien’s
Anhängenden auf, zu forschen, wo je von den Carlisten, so wie ihre
Feinde sie nicht gezwungen, ähnliche Grausamkeiten begangen sind,
wo sie nicht auf das Treuste den eingegangenen Verpflichtungen
nachgekommen sind, wo sie -- so oft vergebens -- nicht die Hand zuerst
zum menschlichen Kriegführen geboten haben. Wohl mag ich freudig das
Resultat des Forschens erwarten. Ja, wie oft -- und wieder +fast+ immer
vergebens -- haben sie, während ihre Gegner am blutigsten gegen sie
wütheten -- sie durch herrliche Beispiele der Großmuth und Milde zu
edlerem Verfahren zu zwingen gesucht, nicht ahnend, daß der Mensch
auch dagegen kalt und fühllos bleiben könne!

Doch muß ich, ehe ich schließe, auf eine frühere Bemerkung
zurückweisen: ich leugne nicht, daß von einzelnen Individuen, Carlisten
oder unter deren Namen, verabscheuungswürdige Thaten begangen sind; sie
können auf das Ganze oder zu seiner Beurtheilung keinen Einfluß üben.
Dazu kann nur die Tendenz der Parthei, ihres Königs und ihrer Führer
dienen; diese Tendenz habe ich gezeigt und der der christinoschen
Parthei und ihrer Führer[20] jeder Art gegenübergestellt, so weit
sie den gerade zu behandelnden Gegenstand betrifft. Übrigens werde
ich selbst Gelegenheit haben, einzelner, von Einzelnen ausgeübter
Grausamkeiten und Erbärmlichkeiten zu erwähnen, protestire aber ganz
gegen die Art, mit der solche benutzt sind, um das Urtheil derer, die
nicht aus persönlichem Anschauen schließen können, falsch zu leiten, so
wie gegen die Urtheile, welche auf solche nicht nur einseitige, sondern
auch ganz entstellte Darstellungen gegründet sind.

  [17] Alles buchstäblich. So führte auch Zumalacarregui, da er
       in Vitoria eingedrungen, eine Anzahl Gefangene fort; unterweges
       erfuhr er, daß Einige der Seinigen, die in den Händen der
       Garnison geblieben, erschossen seien, was natürlich den
       sofortigen Tod der Christinos zur Folge hatte.

  [18] Ich las sie wiederholt.

  [19] Auf Befehl des Commandeurs der Reserve-Armee, General Narvaez,
       wurden diese Gräuel im Jahr 1838 auf den höchsten Grad
       gesteigert; selbst die Christinos schrieen entsetzt gegen
       solches Übermaß der Grausamkeit.

  [20] Die Königinn ist bei solcher Regierungsform Nichts, eine Puppe,
       die eben so gut durch jede andere ersetzt oder gar ganz bei
       Seite geworfen wird.



VI.


Früher sagte ich, daß, seit General Villareal an Graf Casa Egina’s
Statt den Oberbefehl der carlistischen Armee übernommen, eine
plötzliche Änderung des Kriegssystems eingetreten sei. Villareal
glaubte des Sieges sich zu versichern, da er, statt wie bisher,
durch allmähliches Ausbreiten der Herrschaft in dem Hauptsitze des
Aufstandes sich zu stärken, nach den andern Provinzen des Königreiches
Truppencorps entsendete, um sie zu insurrectioniren und den etwa
vorhandenen Krieges-Elementen einen festen Anhaltspunkt zu geben, wie
zur Erleichterung des auf den baskischen Provinzen lastenden Druckes
und um die Hülfsquellen von ganz Spanien sich zugänglich zu machen.
Die Expeditionen von D. Basilio Garcia, Gomez und Sanz, rasch auf
einander folgend oder gleichzeitig, waren die ersten Resultate der
neuen Politik; ich werde sie, um Verwirrung zu vermeiden, nach einander
behandeln. Später werde ich die Nachtheile zeigen, welche diese
Expeditionen, so wie sie ausgeführt wurden, nach sich ziehen mußten;
die Kühnheit und Gewandheit, die einige von ihnen bis tief in’s Innere
des feindlichen Gebietes mitten zwischen weit überlegenen Divisionen
hinführte, konnte übrigens leicht das Urtheil des Zuschauers bestechen,
und als Beweis ihrer Zweckmäßigkeit wurde angeführt, was nur für die
Bravour und Standhaftigkeit der Truppen, wie für die Vorzüge der
Anführer zeugen kann.

Am 15. Juni passirte D. Basilio Garcia den Ebro unterhalb Logroño mit
3000 Mann Infanterie und 200 Pferden; er warf sich in die ~pinares~ --
mit Fichtenwaldungen bedecktes Gebirgsland -- von Soria, nahm diese
Stadt und wandte sich nach zweitägigem Aufenthalte daselbst nach der
Provinz Guadalajara. Cordova hatte zu seiner Verfolgung den General
Bernuy mit 5000 Mann ausgesendet, eine zweite Colonne unter General
Aspiroz eilte von Madrid aus ihm entgegen. Don Basilio aber, gewandt
beiden Divisionen ausweichend, durchzog ganz Neu-Castilien und den
größten Theil Nieder-Aragon’s, drang in die bedeutenderen Städte, ohne
sich jedoch irgendwo festsetzen zu können, und erhob allenthalben
Contributionen und Mannschaft. Nachdem er so während zweier Monate
den Krieg bis zur Mancha getragen und zwei Mal durch seine Annäherung
Madrid in höchsten Schrecken versetzt, nahm er bei Ararzo 300 Mann
gefangen, schlug den Angriff Bernuy’s, der ihn zum ersten Male bei
Maranchon ereilte, mit schwerem Verluste zurück und langte am 26. Aug.
mit 1200 Rekruten, fast 800 Gefangenen und 240 beladenen Maulthieren
nebst bedeutenden Geldsummen in Navarra an.

       *       *       *       *       *

Von höherem Interesse war die Expedition des General Gomez, der am 26.
Juni 1836 Amurrio in Alava mit fünf Bataillonen und zwei Escadronen,
2700 Mann Infanterie und 170 Pferden, verließ und, nachdem er am
27. die feindliche Reserve-Division unter General Tello, 6000 Mann
stark, seinen Abmarsch zu hindern bestimmt, bei Revilla gänzlich
geschlagen, in Asturias eindrang. Der Brigadier Marquis von Bóveda
begleitete ihn als Chef des Generalstabes. Er sollte in Asturias
und Galicien sich festsetzen, beide Provinzen insurrectioniren, die
dortigen carlistischen Banden um sich sammeln und organisiren und
so versuchen, sie auf den Zustand zu heben, in dem die baskischen
Provinzen sich befanden, mit denen sie durch das Gebirge von Santander
leicht in Verbindung standen; die Ausführung des Planes hätte der Sache
Christina’s verderblich werden müssen. Schon im Jahre 1835 war General
Eraso, einer der ersten und edelsten carlistischen Feldherrn, der nach
Zumalacarregui’s Tode den Oberbefehl, schon gleichfalls dem Tode
nahe, ablehnte, mit einigen Bataillonen nach Asturien vorgedrungen;
sein Versuch scheiterte jedoch an dem Grund-Typus des Charakters der
Asturianer und Galicier, der ängstlich berechnenden Vorsicht, die
ihnen, wie carlistisch sie gesinnt sein mochten, nicht erlaubte,
die Waffen zu ergreifen, wo sie sofort Übel ohne Zahl aus solchen
Schritten erwarten durften. Übrigens boten beide Provinzen große
Vortheile für die Kriegsart der Carlisten dar, da sie sehr gebirgig
und doch großentheils fruchtbar sind und unendlichen Reichthum an
Vieh haben. Dagegen ist dort das Geld sehr selten, indem der Handel
mit den Produkten des Landes trotz der günstigen Lage unbedeutend
bleibt, daher das Sprichwort: „der Galicier hat Alles im Hause, nur
kein Geld.“ In der That erzeugt das Land alle Bedürfnisse im Überfluß,
und die große Sparsamkeit der Galicier, die ihnen den Ruf des Geizes
zu Wege gebracht, macht, daß im Innern der Provinz die Bewohner eines
jeden Hauses das irgend Nöthige aus den selbst gewonnenen Produkten zu
verfertigen wissen.

Nachdem Gomez, schon hart verfolgt, in den Gebirgen des südlichen
Asturien manövrirt, warf er sich durch einen raschen Contremarsch auf
die Hauptstadt Oviedo und ruhete dort drei Tage lang. General Espartero
war ihm mit seiner Division, 9000 Mann in 12 Bataillonen, von Vizcaya
aus gefolgt, während der General-Capitain von Alt-Castilien, General
Manso, mit 5000 Mann von Süden gegen ihn rückte; so konnte sich Gomez,
da er wenig Anklang fand, in Asturien nicht halten und wandte sich,
ein kleines dort gebildetes Bataillon zurücklassend, nach Galicien,
vereinigte einen Theil der dortigen Guerrillas und zog am 18. Juli in
die Hauptstadt, Santiago de Compostella ein, die der General-Capitain
des Königreiches geräumt hatte. Er ward dort mit hohem Enthusiasmus
empfangen und konnte sofort ein starkes Bataillon aus zuströmenden
Freiwilligen bilden. Da er jedoch nach zwei Tagen bei Annäherung der
durch General Pardiñas verstärkten Division Espartero die Stadt geräumt
hatte, blieben am Abend des ersten Marschtages noch siebenzehn Soldaten
des Bataillons übrig, da die andern nach Santiago zurückgekehrt waren.
Er durchzog, stets die feindlichen Generale täuschend, in jedem Sinne
die Provinz, glaubte aber, da die Theilnahme gering, die gegen ihn
operirenden Streitkräfte unendlich überlegen waren, sich nicht in ihr
festsetzen zu können. So kehrte er, die Feinde weit zurücklassend, nach
Asturien zurück und drang, während man in Madrid, da er in dem Winkel
Galicien’s eingeschlossen, die Nachricht seiner Vernichtung erwartete,
anfangs August’s in das Königreich Leon ein, dessen Hauptstadt er
gleichfalls besetzte.

Einige Wochen operirte Gomez in den Provinzen Leon, Palencia und
Burgos; sein Auftrag war, wiewohl unerfüllt, beendigt, dazu hemmten
die Gefangenen, deren Zahl schon die seiner Truppen überstieg, jede
Bewegung. Er suchte daher, in Gewaltmärschen die feindliche Linie
cotoyirend, sie zu durchbrechen und so nach Vizcaya zurückzukehren.
Doch während Espartero und Manso ihn kräftig drängten, hatte sich
Cordova zwischen ihn und die Linie geschoben, den Durchbruch unmöglich
machend, weshalb Gomez, da er in einem Nachtrab-Gefechte etwa 100 Mann
verloren, was Espartero als Vernichtung der Division berichtete, nach
gehaltenem Kriegsrathe in das Innere der Halbinsel den Krieg zu tragen
beschloß und also nach Osten sich wandte, wo er mit den carlistischen
Chefs in Aragon sich zu vereinigen hoffte.

Am 23. August zog das Expeditions-Corps in Palencia ein, und große
Magazine von Kriegsbedürfnissen jeder Art nebst mehreren Cassen fielen
in seine Hände, dann drang es in die Provinz Guadalajara vor und setzte
Madrid in solche Bestürzung, daß alle compromittirten Personen ihre
Effekten gepackt, die Ministerien und anderen Behörden sich zur Flucht
vorbereitet hatten. Brigadier Lopez wurde mit seiner Brigade, 3000 M.
stark, als Avantgarde des Kriegsministers, Marquis Rodil, der mit der
ganzen Besatzung von Madrid nach der Nordarmee hatte abgehen sollen,
gegen Gomez beordert, während Alaix mit der Division Espartero ihn auf
dem Fuße verfolgte und die mobile Colonne von Soria von Norden ihn
bedrohen und hindern sollte, nach Navarra sich zu wenden.[21] Am 30.
August fand Gomez die Brigade Lopez in einer vortheilhaften Stellung
im Dorfe Matillos bei Jadraque, zehn Meilen von Madrid: die Truppen
hatten, da Lopez sich zurückziehen wollte, ihren Anführer gezwungen,
den Feind zu erwarten. Gomez umstellte das auf einer Höhe liegende Dorf
und griff kraftvoll an; nach einer halben Stunde war das Dorf erstürmt,
Lopez mit 2800 Mann gefangen, seine beiden Geschütze waren genommen
und nur zwei Uhlanen entkamen, den geängstigten Bewohnern Madrid’s
die Nachricht von der Vernichtung der Brigade zu bringen. Gomez aber,
seiner Schwäche sich wohl bewußt, setzte den Marsch nach Aragon
fort; er durchzog die Provinz Cuenca, nahm Moya, drang bis Chelva im
Königreiche Valencia und vereinigte sich, da er seine Verwundeten
und alle Gefangenen nach Cantavieja geschickt, bei Utiel mit General
Cabrera, der den größten Theil seiner Cavallerie und die Brigaden
Quilez und Miralles, 3400 Mann Infanterie und 400 Pferde, ihm zuführte.

Gomez beschloß nun, nach seiner Heimath Andalusien vorzudringen, da
die Fruchtbarkeit dieser Königreiche und ihr nicht durch den Krieg
verminderter Reichthum ihm herrliche Beute versprachen, wenn er selbst
nicht dort sich festsetzen könnte, was der Charakter der Andalusier
wohl nicht mit Grund hoffen ließ. Unendlich schlau, selbstsüchtig
und lebenslustig sind sie wenig geneigt, die Ruhe des Friedens gegen
die Beschwerden zu vertauschen, die der Krieg unvermeidlich macht;
sie fühlen sich nicht so sehr durch ihre Meinungen hingerissen, daß
sie deshalb den Gefahren einer Erhebung, den Leiden sich aussetzten,
die die Niederlage mit sich bringen müßte. In ihrer Indolenz und
Trägheit, die doch mit glühendem Blute und wild aufbrausender
Leidenschaftlichkeit verbunden sind, ist ihr einziges Streben auf
Lebensgenuß gerichtet, und wenig kümmert es sie, ob Carl V., ob
Isabella’s Vormünder ihnen Gesetze ertheilen. Sie ziehen es vor, den
Gang der Ereignisse abzuwarten, um in dem Augenblicke, der den Sieg
für eine der streitenden Partheien sich entscheiden sieht, mit hohem
Enthusiasmus sich zu erheben und einstimmig als begeisterte, ruhm- und
lohnwürdige Patrioten sich zu verkünden. Ein geistreicher Officier,
selbst Andalusier, stellte einst die Behauptung auf, der Krieg werde
erst beendigt sein, wenn ganz Andalusien in Masse sich erhoben hätte;
denn, setzte er auf das ungläubige Lächeln der Umstehenden hinzu,
meine Landsleute rühren sich gewiß nicht, bis sie den Sieg für uns
entschieden sehen.

Die Christinos boten nun alle Kräfte auf, um Gomez’s weitere
Fortschritte zu hindern, weshalb General Rodil Madrid mit allen
disponibeln Truppen verließ und, die Hauptstadt deckend, über
Guadalajara mit 8000 Mann heranzog, während Alaix mit 9000 Mann
unmittelbar die Expedition verfolgen sollte. Die vereinigten
carlistischen Führer brachen am 15. Sept., nachdem ein Versuch gegen
das feste Requena mißlungen, nach der Mancha auf, wurden aber am 19.
bei Tagesanbruch in Villarrobledo auf der Gränze von Cuenca und la
Mancha durch Alaix überfallen. Es gelang diesem, den rechten Flügel der
Carlisten, ehe er überrascht sich hatte formiren können, zu werfen, und
trotz einiger glänzenden Chargen der beiden Escadronen des Brigadiers
Villalobos ritt der Chef der feindlichen Cavallerie, Oberst Don Diego
Leon, mit dem Regiment Husaren der Kronprinzessinn, einige Bataillone
nieder, die in wilder Verwirrung dem nahen Gebirge zuflohen. Der linke
Flügel aber unter Cabrera’s Befehl wies, an das Gebirge gestützt,
den Angriff kräftig zurück und deckte durch seine feste Haltung den
Rückzug der übrigen Corps; dennoch verloren die Carlisten gegen 1300
Gefangene von den Bataillonen, die vor dem Andringen der Husaren sich
zerstreut und dadurch wehrlos sich in ihre Hände gegeben hatten. Alaix
hätte durch energische Benutzung seines Sieges dem Expeditions-Corps
verderblich werden können. Er blieb aber, seine erschöpften Truppen
ruhen zu lassen und die Gefangenen nach Cartagena zu senden, in
Villarrobledo stehen und setzte sich erst nach mehreren Tagen zur
Verfolgung in Bewegung.

Gomez hatte, so wie er die geschlagenen Truppen formirt, den Marsch auf
Andalusien fortgesetzt. Er durchkreuzte die Mancha, warf sich in die
Sierra morena, passirte den Engpaß des Despeñaperros, wo nur auf enger,
zwischen Felsen und Abgründen eingezwängter Straße die Verbindung
zwischen Castilien und Andalusien möglich ist, und zog am 26. Sept.
in la Carolina im Königreiche Jaen, dann in das Innere streifend in
Ubeda am Guadalquivir, in Baylen und Andujar auf der großen Heerstraße
ein, überschritt jenen Fluß und rückte gegen Cordova vor. Am 30. Sept.
erschien Cabrera, der die Vorhut befehligte, vor den Thoren der reichen
Hauptstadt, wo Niemand den Feind erwartet hatte; ungeheure Verwirrung
herrschte, während die Truppen und National-Gardisten großentheils in
die Forts sich einschließen wollten, eilten andere zur Vertheidigung
der Mauern und Thore. Da Cabrera, der an der Spitze einiger Reiter
die Stadt umkreisete, einem derselben sich nähernd, es geschlossen
aber ohne Truppen fand, befahl er den Einwohnern, es zu öffnen, und
stürmte durch die Straßen, aus denen die Besatzung nach den Forts sich
zurückzog, wo sie bald, 3500 M. stark mit drei Kanonen, sich ergab.
Die Eroberung Cordova’s hatte dem eben so braven als wie loyalen
Cavallerie-Brigadier Villalobos das Leben gekostet, da er mit weniger
Mannschaft einem der festen Gebäude zufällig sich genähert hatte.

Von allen Seiten eilten die feindlichen Massen herbei, um combinirt
das kleine Carlisten-Corps zu vernichten. Alaix hatte schon die Sierra
morena überstiegen, und Rodil, durch die Vereinigung mit der Division
Rivero 11000 Mann stark, zog durch die Mancha heran, während der
General-Capitain von Andalusien die ganze Provinz in Kriegszustand
erklärte und bei Sevilla ein Corps zusammenzog, General Escalante mit
einer kleinen Colonne von Malaga, General Quiroga eben so von Granada
und eine dritte Colonne von Estremadura heranrückte. Trotz so vieler
drohenden Maßregeln konnte Gomez vierzehn Tage lang in Cordova bleiben,
wo er eine Regierungs-Junta errichtet hatte und dauernde Herrschaft zu
beabsichtigen schien; der größte Theil der Provinz, den Krieg schon als
beendigt ansehend, proclamirte jubelnd Karl V. als König. Zahlreiche
Rekruten-Bataillone, aus den Freiwilligen gebildet, die von allen
Seiten herbeigeströmt, wurden rasch organisirt und exercirt. Damals
zählte Gomez etwa 13000 Mann unter seinem Commando, weshalb ihm häufig
zum Vorwurf gemacht ist, daß er mit solchen Streitkräften sich nicht
in Cordova behauptete; doch darf nicht übersehen werden, daß ihm nicht
nur die feindlichen Führer um mehr als das Doppelte überlegen blieben,
sondern auch die Hälfte seiner Truppen aus so eben bewaffneten Rekruten
bestand, daß die Lage der Provinz Cordova, rings den feindlichen
Colonnen offen, sehr ungünstig ist, während die wilde und ganz nackte
Sierra morena wohl Räuber-Banden bergen, nicht aber einer Armee als
dauernder Aufenthalt und Stütze dienen kann, daß endlich von dem Geiste
der Einwohner, so hell er plötzlich aufloderte, auf die Länge nichts
erwartet werden durfte.

Nachdem Cabrera am 5. Oct. bei Baena die Colonne Escalante’s vernichtet
und 400 Mann gefangen hatte, zog am 9. Gomez dem nahenden Alaix
entgegen, kehrte jedoch ohne Kampf zurück und räumte am 13. die
Stadt, die der Feind sogleich besetzte und unter dem Vorwande, die
royalistisch Gesinnten zu strafen, fast sie ganz plünderte; die Truppen
ließen die furchtbarsten Excesse sich zu Schulden kommen, Alaix selbst
warf viele der angesehensten Einwohner in’s Gefängniß, erhob schwere
Contributionen, raubte die kostbaren Kirchen-Geräthe und behandelte die
Stadt schlimmer als eine feindliche. Gomez aber ward von dem Bedauern
der Einwohner begleitet, als er abzog. Während der ganzen Expedition
zeigte er so viel Menschlichkeit und Milde, daß selbst die Christinos
einige Mal sein untadelhaftes Betragen anzuerkennen genöthigt waren:
überall ward das Privat-Eigenthum streng respektirt und Niemand seiner
Meinung wegen belästigt; er verkündete im Namen des Königs allgemeine
Amnestie für Diejenigen, welche sich unterwürfen, und begnügte sich die
National-Gardisten zu entwaffnen, wo sie sich nicht widersetzten, wenn
sie aber Widerstand leisteten, als Kriegsgefangene sie zu behandeln.
Viele von diesen entließ er nach kurzer Haft in ihre Heimath. Gomez
sorgte dafür, daß die Contributionen, welche er allenthalben erheben
mußte, mit Rücksicht eingetrieben wurden, die Disciplin wurde unter
den Truppen mit Strenge aufrecht erhalten, jede Gewaltthätigkeit,
jeder Insult hart bestraft, Plünderungen fanden selbst in den mit
den Waffen in der Hand genommenen Städten niemals Statt. Dennoch
hatten die häufigen Gefechte, da die Gefangenen stets dem Sieger
ihr Geld ausliefern mußten, und die zahllosen Convoys und königl.
Cassen, die auf dem langen Zuge der Division in die Hände fielen und
unter die Truppen vertheilt wurden, solchen Überfluß an Geld in dem
Corps erzeugt, daß die Einzelnen, in deren Taschen, wie gewöhnlich
im Kriegerleben, durch Spiel das Geld sich concentrirte, dem Bürger
allenthalben 25 und 30 ~duros~ in Silber für eine Gold-Unze -- 16
~duros~, 84 ~francs~ -- gaben.

Der eine Vorwurf, der nach deutschem Kriegsrechte dem carlistischen
General gemacht werden könnte -- er ließ die Gefangenen, wenn sie
den forcirten Märschen nicht folgen konnten, niederschießen -- ist
durch spanischen Kriegsbrauch ganz zurückgewiesen, wie denn auch die
Feinde stets eben dasselbe thaten und deßhalb nie der Grausamkeit ihn
anklagten. Dagegen ließ Alaix in allen Orten des gewiß christinoschen
Gebietes, in denen die Expedition gewesen, seine Soldaten ungestraft
Ausschweifungen begehen, und fünf Parlamentäre, welche Gomez mit
Vorschlägen wegen Auswechselung der Gefangenen und der Etablirung
neutraler Hospitäler zu ihm gesendet hatte, unter ihnen einen Oberst,
schickte er als Kriegsgefangene nach Granada. Die Anträge aber seines
edlen Feindes, ihm die Gefangenen, da sie nicht zu folgen vermochten,
gegen einen Empfangschein überliefern zu wollen, wogegen er eben so
viele Carlisten, sobald er könne, zurückzugeben habe, wies er mit der
Bemerkung zurück, die Gefangenen seien ihrer Parthei todt, möchten also
seinetwegen sterben.

       *       *       *       *       *

Nach der Räumung Cordova’s warf sich Gomez in die Sierra morena.
General Rodil im Norden, General Alaix im Süden folgten seinem Marsche
parallel auf einer Entfernung von vier bis fünf Meilen, ohne daß
einer der beiden einen Angriff auf das Expeditions-Corps versucht
hätte, welches so zwischen sie eingezwängt war. Nachdem er drei
Tage in solcher Begleitung geblieben war, täuschte Gomez die ihrer
Beute gewissen, stets für den nächsten Bericht die Vernichtung des
schon rettungslosen Feindes verheißenden Generale, ließ sie weit
zurück, stieg vom Gebirge nach Norden herab und erschien nach einigen
Scheinmärschen am 22. Oct. vor der festen Stadt Almaden, bekannt durch
seine reichen Quecksilber-Minen. Die Avantgarde unter Cabrera’s
Führung überraschte eine vom General Flinter, dem Chef der activen
Division von Estremadura, zur Recognoscirung entsendete Schwadron
Carabiniers und drang mit ihr, auf dem Fuße sie verfolgend, in die
Stadt ein, wo auf die größte Sorglosigkeit, da Niemand, auf den Schutz
der christinoschen Divisionen vertrauend, einen Angriff erwartet, eben
so große Verwirrung folgte. Flinter, ein Engländer, und Brigadier de
la Fuente, Gouverneur der Festung, schlossen sich mit 1800 Mann in
zwei massive Gebäude ein, schnelle Hülfe hoffend, mußten aber, da
diese nicht erschien, nach verzweifeltem Widerstande, capituliren.
Zwei Tage nachher überschritt Gomez, der dem Drängen anderer Chefs auf
Vernichtung der Quecksilber-Minen fest widerstanden hatte, die Guadiana
und stand am 27. in der bedeutenden Stadt Guadalupe in der Provinz
Toledo, schon nahe der Gränze von Estremadura, wohin er sich wandte:
ihm parallel, wenige Stunden, wie immer entfernt, folgte General Rodil,
der gleichfalls die Guadiana passirt hatte.

Die feindlichen Anführer schmiedeten fortwährend Einfange-Pläne, bald
selbst von den liberalen Blättern mit Hohn bedeckt, da ihr gerühmtes
System der parallelen Linien den einzigen Erfolg hatte, daß die in
jeder Depeche als ganz umstellt geschilderte Expeditions-Division
stets von neuem unter den Händen ihnen entschlüpft war und nebenher
von Stadt zu Stadt unbelästigt einherzog. General Narvaez war mit
neuen 6000 Mann von Madrid hergesandt: er sollte, die Hauptstadt
deckend, Gomez von Osten drängen, während Rodil, den Übergang über den
Tajo zu vertheidigen, beim Puente del Arzobispo sich aufstellte und
Alaix, der nun auch die Sierra morena überschritten, im Süden an der
Guadiana operirend, die Carlisten von dort abschneiden und, wenn sie
gegen den Tajo vorgingen, auf Rodil werfen sollte, um sie zwischen
beiden Corps zu erdrücken. Gomez aber, anstatt wie man gewiß erwartete,
den Übergang dieses Flusses zu versuchen und durch das westliche
Spanien nach den baskischen Provinzen sich zu wenden, stand bis zum
3. November abwechselnd in den reichen Städten Caceres und Trujillo,
ruhig hin und her die schönsten Gegenden Estremadura’s durchziehend
und seinen Truppen die nöthige Erholung gebend. Indem ihm eben so
langsam die Division Rodil auf der gewöhnlichen Entfernung von einigen
Leguas folgte, entwaffnete er allenthalben die National-Gardisten,
die zitternd sich unterwarfen, rüstete die zahlreichen Partheigänger
der Provinz und wandte sich, da er einen vollständigen Aufstand nicht
organisiren konnte, unerwartet wieder gen Süden. Am 6. Nov. passirte er
die Guadiana bei Medellin, wenige Stunden von Alaix entfernt, und drang
in das Königreich Sevilla ein.

Cabrera, der seine Unzufriedenheit über die Vorsicht des Obergenerals,
der ihm zu sehr den Kampf vermied, nicht verhehlte, trennte sich
mit einem großen Theile der Cavallerie von dem Expeditions-Corps,
und zog durch die Sierra morena, die Mancha und Castilien den ihm
untergebenen Provinzen zu, da die beunruhigenden Nachrichten, welche
von dorther über die durch den Feind errungenen Vortheile einliefen,
seine Gegenwart unumgänglich erforderten. Miralles -- ~el serrador~
-- war schon früher mit seiner Brigade dahin zurückgekehrt, so daß
nur noch die schwache Brigade Quilez mit Gomez’s Division vereinigt
blieb, welche nun 5000 Mann Infanterie und etwa 1000 Pferde zählte,
die meistens in Andalusien requirirt durch besondere Güte sich
auszeichneten. Die dort neu gebildeten Bataillone hatten sich natürlich
fast ganz zerstreut, so wie die Strapazen zugenommen. Das Commando der
schönen Division Rodil, dessen Unthätigkeit die Christinos erbitterte,
war dem General Rivero übertragen.

Gomez durchzog den westlichen Theil von Sevilla, die herrliche Stadt
bedrohend, überschritt am 10. Nov. den Guadalquivir und nahm am 14.
Ecija, eine der ersten Städte des Königreiches in der fruchtbaren Ebene
von Sevilla. Vier Divisionen, ein Ganzes von 30000 Mann bildend und
fortwährend verstärkt, operirten nun gegen ihn, da Espinosa im Süden
ihn bedrohete, während Narvaez Sevilla deckte und Alaix von Norden,
Rivero von Osten her drängten. Dennoch wand sich Gomez mitten zwischen
die feindlichen Colonnen hindurch, erreichte die Sierra de Ronda,
nahm am 16. Nov. diese Stadt und richtete sich, alle vier Divisionen
hinter sich herziehend, nach dem äußersten Süden der Halbinsel, wo er
in Algeciras eindrang und San Roque und das ~campo de Gibraltar~[22]
besuchte, dessen Garnison unter die englischen Kanonen sich geflüchtet
hatte. Ein englisches und ein portugiesisches Kriegsschiff beschossen
hier, jedoch fast ganz ohne Effekt, die Division; auch nahmen sie das
Fahrzeug, auf dem die Junta mit einem Theile der königlichen Gelder --
30000 Thlr. -- sich eingeschifft, und lieferten sie den Christinos aus.
Da aber die Feinde dem Expeditions-Corps, zwischen ihren Truppen und
dem Meere auf der schmalen vorspringenden Südspitze des Königreiches
eingeschlossen, jeden Ausweg sicher genommen glaubten, hatte Gomez
wiederum die christinoschen Generale getäuscht und, wiewohl so
furchtbar bedrängt, daß er die Division in mehrere kleine Colonnen
theilen mußte, die Sierra de Ronda erreicht, wo er, am 25. Nov. von
Narvaez am Guadalete ereilt, 150 Gefangene verlor, welche von der
Nachhut abgeschnitten wurden.

Gomez’s Lage war höchst bedenklich. Er war umringt von sechsfach
überlegenen Streitkräften in einer Provinz, in der er keinen
Anhaltspunkt hatte, ohne irgend eine Verbindung mit den carlistischen
Armeen und vor Allem beschwert und gehemmt durch mehrere tausend
Gefangene und einen ungeheuren aus Maulthieren und großen Wagen
bestehenden, oft zwei und drei Stunden Weges einnehmenden Convoy, wie
die Beute nach solcher Expedition ihn bilden mußte. In Andalusien
länger sich zu halten war unmöglich, und doch hatte er bestimmten
Befehl, im Süden Spanien’s zu verharren, um die Aufmerksamkeit der
Feinde zu theilen und nicht vor der Einnahme von Bilbao die bedeutenden
ihn verfolgenden Truppenmassen nach den Nord-Provinzen zu ziehen.
Gomez glaubte trotz dem der Nothwendigkeit weichen zu müssen; gewiß
fehlte er schwer, da er direkt jenen Provinzen sich zuwandte. Einmal
entschlossen, that er zur Rettung seiner Division das unmöglich
Scheinende: nachdem er den größten Theil der Gefangenen in Freiheit
gesetzt hatte, legte er in sechs und zwanzig Tagen auf großen Umwegen
die Entfernung von dem Felsen Gibraltar’s zu dem vizcaischen Meere
zurück, indem das Corps täglich Märsche von zwölf bis vierzehn Stunden,
an einzelnen Tagen bis zu siebenzehn Stunden machte. Nur spanische
Truppen möchten zu Ähnlichem fähig sein. Noch erstaunlicher ist, daß
die ihn verfolgende Colonne nicht nur eben diese ungeheuren Märsche
machen, sondern selbst ein Mal ihn überholen konnte.

Über Ossuna und Lucena richtete sich Gomez auf das Königreich Jaen; am
29. November ward er von Alaix bei Alcaudete überrascht, litt jedoch
außer einem Theile der Bagage keinen Verlust. Er passirte die Guadiana,
überschritt am 2. December die Sierra morena durch den Despeñaperros
und durchkreuzte in stets forcirten Märschen die Provinzen der Mancha
und Guadalajara. Ihm folgte auf dem Fuße Alaix, von dessen Division 800
Mann, die durch so gewaltige Anstrengungen erschöpft zurückblieben,
unter einigen Sergeanten nach Jaen zogen und die Stadt plünderten. Am
8. December langte Gomez nach einem Marsche von funfzehn Stunden Abends
neun Uhr in Huete an: eine Stunde später überfiel Alaix, der an dem
Tage siebenzehn Stunden zurückgelegt, die Stadt, in der die Compagnien
mit Austheilung des Soldes beschäftigt waren. Er machte ungeheure
Beute, aber kaum 200 Gefangene, da die Division nach den ersten
Schüssen zwar in gränzenloser Verwirrung aus der Stadt entflohen war,
sich aber sofort in dem Felde formirte und kaum eine Meile entfernt in
Ordnung campirte. Sie durchzog mit reißender Schnelle die Provinzen
Soria und Burgos, passirte den Ebro und langte am 19. December in
Orduña, der Hauptstadt Vizcaya’s, an. Zugleich war Alaix mit den 6000
Mann, die von seiner Colonne ihm gefolgt, in Valmaseda angekommen und
vereinigte sich mit Espartero, ihm folgten Rivero und Narvaez. Am 24.
December erstürmte Espartero die Positionen der Carlisten vor Bilbao
und entsetzte die wichtige Stadt.

Gomez, da er mit 2900 Mann die Nord-Provinzen verlassen und fortwährend
von zwei bis fünf überlegenen Corps verfolgt wurde, hatte in sechs
Monaten Spanien in jeder Hinsicht durchkreuzt; er hatte alle Provinzen
des Königreiches, mit Ausnahme von Catalonien, berührt und war in
viele der bedeutendsten Städte eingerückt. Wie oft er auch in den
Berichten der Feinde als verloren, vernichtet erschien, wußte er immer
durch gewandte Bewegungen sie zu täuschen, er nahm unter ihren Augen
verschiedene feste Punkte und vernichtete selbst durch glückliche
Gefechte mehrere Colonnen. Häufig mit doppelt so viel Gefangenen
belastet, als er selbst Truppen zählte, lieferte er in die Depots der
Nord-Armee und von Aragon über 9000 Gefangene ab, wiewohl er alle
National-Gardisten und später viele Soldaten in Freiheit gesetzt hatte;
und trotz so vieler Beschwerden und Kämpfe, trotz der erlittenen
Unfälle kehrte er endlich mit fast 5000 Mann, worunter 700 Pferde,
vollkommen organisirt und disciplinirt, nach Vizcaya zurück.

Zum Erstaunen Aller, welche nur diese glänzende Seite der Expedition
beachteten, ward Gomez sogleich seines Commandos entsetzt, arretirt
und vor ein Kriegsgericht gestellt. Er wurde angeklagt, seinen
ursprünglichen Auftrag in Galicien und Asturien nicht erfüllt, später
den erhaltenen Befehlen zuwider das südliche Spanien verlassen und
durch seine Rückkehr das Scheitern des Unternehmens auf Bilbao
veranlaßt zu haben. Dazu kamen Beschuldigungen über Mißbrauch und
Vergeudung der königlichen Gelder; doch wurden sie nie bewiesen. Später
ward Gomez in Rücksicht auf seine sonst ausgezeichneten Dienste durch
die Gnade des Königs in Freiheit gesetzt.

       *       *       *       *       *

Noch muß ich die kurze und unbedeutende Expedition erwähnen, zu der
General Sanz, welcher schon bei Gomez’s Abzuge mit einigen Bataillonen
eine Bewegung aus Castilien gemacht hatte, um die Aufmerksamkeit des
Feindes zu theilen, Ende Septembers mit drei Bataillonen und zwei
Escadronen nach Asturien abmarschirte, während die Hauptarmee zu
seiner Unterstützung im Thale von Mena operirte. Er zog am 4. October
in Oviedo ein, wandte sich nach Galicien und, von dort abgedrängt,
auf Castilien, durchzog einen Theil des Königreiches Leon und kehrte
kräftig verfolgt nach Asturien zurück. Da er am 19. October einen neuen
Versuch, in Oviedo einzudringen machte, ward er abgewiesen, nahm am 21.
die Hafenstadt Gijon und wurde, da er am 24. bei Salas eine der ihn
verfolgenden Colonnen angriff, mit einigem Verluste zurückgetrieben,
worauf er sich in die Gebirge von Santander warf und mit dem dort
operirenden General Castor vereinigte. Sein Zug hatte gar keinen Erfolg
gehabt.

  [21] Wie wenig die feindlichen Feldherren die Expeditionen als den
       Carlisten vortheilhaft ansahen, wird dadurch gezeigt, daß sie
       stets ihre Rückkehr zu verhindern sich bemüheten.

  [22] Befestigte Linie der Spanier, Gibraltar gegenüber und auf
       Kanonenschußweite von der Festung angelegt.



VII.


Monat auf Monat verging; meine Hoffnung, bald die Freiheit wieder zu
erlangen, stets aufs Neue getäuscht, schwand allmählich in finstere
Hoffnungslosigkeit hin. Der Winter hatte durch die für jenes Clima
ungewöhnliche Kälte und fußhohen Schnee in das nordische Vaterland mich
versetzt, der Frühling rief wieder seine lauen Lüfte hervor, frisches
Leben einhauchend; und immer zwang mich der Kerker zu peinlicher Ruhe,
mahnten mich die eisernen Gitterstäbe, wie so ganz verschieden die
Wirklichkeit war von den glänzenden Gebilden, in denen meine Phantasie
sich gefallen. Doch war meine Gefangenschaft als solche keinesweges
hart: die Gesellschaft, in der ich mich befand, machte sie vielmehr so
angenehm, wie möglicher Weise Gefangenschaft es sein kann.

Da sich in dem Depot von Logroño gar keine -- auch später sehr wenige
-- Gefangene befanden, war mir bei meiner Ankunft mit einem arretirten
christinoschen Officier ein Zimmer angewiesen, dessen freie Fenster,
achtzig bis neunzig Fuß über dem Hofe, der an die Stadtmauer stieß, auf
das Feld sahen. Da die Wache aber bei Madinaveytia’s Burschen, der uns
das Essen brachte, ein Strickchen fand, das er uns jedes Mal um den
Leib gewickelt brachte, und dann auch das Zimmer durchsuchend mehrere
andere entdeckte, die wir bereits, das Hinabsteigen zu erleichtern,
mit Knoten versehen hatten, wurden wir auf einige Tage getrennt und
bei unserer Wiedervereinigung in einen Kerker versetzt, der wohl jeden
Gedanken an Flucht ersticken mochte. Das einzige, mit furchtbar starkem
Gitter geschlossene Fenster öffnete auf die Straße, wo eine Schildwache
auf und ab spatzierte, während eine andere die Thür bewachte; die eine
Seitenwand trennte uns von dem Zimmer des wachehabenden Officiers,
die andere von der Wachstube. Eine Hoffnung blieb uns: unter dem
Kerker waren die Ställe der reitenden Artillerie, deren Sergeanten --
die Sergeanten, oft Männer von Bildung und durch ihre Stellung den
höchsten Einfluß auf die Soldaten übend, spielten in den tausendfachen
Aufständen der christinoschen Armee stets eine große Rolle -- als
unruhig und unzufrieden bekannt waren. Madinaveytia wußte Bekanntschaft
mit einigen derselben anzuknüpfen und bearbeitete sie mit dem ihm
eigenen Talente so weit, daß sie auf seinen Plan eingingen, der darin
bestand, durch die Ställe zu entkommen, auf den Pferden, mit denen die
Artilleristen außerhalb der Stadt warten würden, den Ebro zu passiren
und mit den Carlisten uns zu vereinigen, worauf er nach Frankreich
sich zurückziehen wollte. Manche hingeworfene Äußerungen machten mich
glauben, daß die Sergeanten mehr als bloßes Übergehen zu den Carlisten
bezweckten: sie wollten eine unabhängige Guerrilla bilden, auf echte
spanische Banditenart das Land ausplündern und dann mit ihrer Beute
davongehen, wie es bei dem Zustande des Königreiches sehr leicht
war und von vielen Erbärmlichen ausgeführt wurde, welche sich nicht
scheuten, den Namen von Carlisten zum Deckmantel ihrer Schandthaten zu
machen, so in Vieler Augen ihn schändend.

Ehe der Plan der Flucht zur Reife gekommen, mußten die Artilleristen
abmarschiren, wodurch uns die Hoffnung auf endliche Rettung ganz
genommen wurde. So suchten wir denn, die schwere Zeit so angenehm
und nützlich wie möglich hinzubringen, und die Mittel dazu fehlten
uns nicht. Die Mutter Madinaveytia’s, Doña Eulalia, war auf die
Nachricht seiner Arretirung von Madrid herbeigeeilt, den einzigen Sohn
zu pflegen; eine edle, tieffühlende Frau, ganz Milde und Hingebung,
beseelt von der innigsten aufopfernden Liebe für ihren Sohn, einer
der herrlichen ganz weiblichen Charaktere, wie unter Spanierinnen so
selten sie sich finden. Da ich das Loos ihres Sohnes theilte, schenkte
sie auch mir ihre volle Zuneigung und zeigte sich mir ganz als Mutter:
ihr einziges Streben war darauf gerichtet, die Lage ihrer „armen
beiden Söhne“ zu erleichtern. Bei den Besuchen, die sie täglich uns
abstattete, ward sie von ihrer Niece begleitet, einem jungen, reizenden
Mädchen, feurig und glühend, mit den dunkel schmachtenden Augen, dem
üppigen Wuchse und den wunderkleinen Füßen der Andalusierinnen; ihr
schneeiger Teint und die langen lichtbraunen Haare im Contrast gegen
jene Glut-Augen des Mittags gaben dem lieblichen Wesen etwas besonders
Anziehendes. Erst funfzehn Jahr alt war Paquita mit ihrem Cousin
verlobt, und ihre schwärmerische Liebe schien in der Hoffnungslosigkeit
stets leidenschaftlicher zu werden.

Häufig führten uns diese Damen einige ihrer weiblichen Bekannten und
Verwandten zu, deren die Spanier eine unendliche Zahl haben, da sie
die Vettern- und Basenschaft bis ins funfzigste oder sechszigste
Glied nachzurechnen pflegen. Jede der schönen Besucherinnen brachte
dann ausgesuchte Früchte, Eingemachtes und mancherlei Näschereien mit
und theilte, der Sitte gemäß, mit dem Herrn, dem sie durch solche
Artigkeit Vorzug zu zeigen beabsichtigte, den Leckerbissen, den sie
als schönsten sich vorbehalten hatte. Die Lebensweise der spanischen
Damen, wie sie durch die ganze Halbinsel dieselbe bleibt, ist getreu
mit zwei Worten geschildert: ihr Schmuck, vor Allem die Anordnung der
eleganten Mantilla, und die Bewegung des Fächers machen vom Morgen bis
zum Anbruche der Nacht ihre exclusive Beschäftigung aus. Der Nebenzweck
des Fächers ist, Kühlung zu geben; aber er drückt Alles aus, wodurch
weibliche Koketterie die schwachen Herzen der Männer zu erobern und
sich zu erhalten sucht, Unwille, Verlegenheit, Gleichgültigkeit,
Vorwurf, Hingebung, Eifersucht und wie alle jene mächtigen Verbündeten
der frivolen Gefallsucht und Eitelkeit heißen mögen -- die graziösen
Bewegungen des Fächers sprechen sie vollkommen aus. So sitzen diese
Damen plaudernd, Chocolate schlürfend und gähnend, sich moquirend und
schlummernd, kokettirend oder neue Eroberungs-Pläne entwerfend, bis
die Frische des Nachmittags sie zum Spatziergange ruft, auf welchem
Auge und Fächer um die Wette ihr grausames Spiel treiben; der Abend
führt sie zur kalten, langweiligen Tertulia, wo sie sich bald um die
Hasardtafeln gruppiren, durch die niedrigste Leidenschaft unüberlegt
ihre schönen Züge entstellend. In allen Classen der Gesellschaft ist
die Spielsucht auf unglaubliche, Schrecken erregende Höhe gestiegen.

       *       *       *       *       *

Mit Ausnahme der Stunden, welche die Besuche weniger nützlich uns
hinbringen ließen, waren wir eifrig mit Studiren beschäftigt, wozu
die Bücher uns behülflich waren, welche einige Priester uns hatten
verschaffen können. Alte und neue Sprachen beschäftigten uns besonders,
da zufällig ein Jeder diejenigen kannte, welche dem andern fremd
waren, während die französische als Communications-Mittel diente; dazu
verschiedene Wissenschaften und Musik, wobei wir die Geduld bewundern
mußten, mit der die neben uns wohnenden Wache-Officiere täglich unsere
Ohr zerreißenden Concerte auf Flöte und Guitarre ertrugen. So verging
uns die Zeit, wie stets bei einförmiger Beschäftigung, reißend schnell,
und die Ordre, durch die mein Stubengefährte auf den folgenden Tag
zum Abmarsche sich vorzubereiten angewiesen wurde, war für Beide ein
Donnerschlag, wenn längst befürchtet, deßhalb nicht weniger empfindlich.

Don Francisco de Madinaveytia, einer der ersten Familien Guipuzcoa’s
angehörig, hatte in einem jesuitischen Collegium ausgezeichnete
Erziehung genossen, so selten selbst in den höchsten Classen der
spanischen Nation. Sein Vater, Präsident des höchsten Gerichtshofes
unter Joseph Napoleon, für den er, wie viele ausgezeichnete Männer,
sich erklärt hatte, aus seiner Herrschaft Besseres für das Vaterland
hoffend, als es von den Nachkommen Ludwigs XIV. erfahren hatte, ward
nach dem Sturze des Kaisers vergiftet, ein Opfer des Hasses, den alle
Anhänger des Eindringlings so schwer empfanden. D. Francisco, als er
nach mehrjährigem Aufenthalte in Paris in das Vaterland zurückkehrte,
fand die Familien-Güter confiscirt, da sein Bruder, exaltirt liberal,
der das Majorat inne hatte, den Christinos sich angeschlossen: so
trat auch er in die Armee ein. Ohne Ressourcen, viele Monate lang wie
das ganze Heer ohne Sold, selbst ohne Rationen, da er, nachdem sein
Pferd getödtet, in das Depot nach Arro geschickt war, sah er sich in
der verzweifeltsten Lage; er lebte oft von dem Obst, welches er auf
dem Spatziergang im Felde fand. Da erfuhren seine Cameraden, daß der
Mayordomo des Großinquisitor mehrere Millionen[23] für Carl V. von
Madrid erhalten und in einem Dorfe auf schon carlistischem Terrain
versteckt habe, von wo sie am folgenden Tage nach dem Hauptquartier
abgehen würden. Anstatt pflichtgemäß ihren Behörden die Anzeige zu
machen, beschlossen sie, selbst des Schatzes sich zu bemächtigen, und
der unglückliche Madinaveytia willigte ein, sie zu begleiten. Als
Carlisten verkleidet passirten sie den Ebro, da der an der Brücke
die Wache habende Officier auch im Complott war, gelangten glücklich
zu dem Dorfe, öffneten mit Gewalt das Haus und bemächtigten sich des
Mayordomo. Doch alles Suchen nach der Summe war umsonst, der Besitzer
leugnete fest, sie empfangen zu haben, schon waren die Officiere
verdrießlich und fluchend im Begriff zurückzukehren, als der arme
Mayordomo die Unvorsichtigkeit beging, einen von ihnen, den er erkannt
hatte, bei Namen zu nennen. Schäumend vor Wuth, da er sich verrathen
sieht, stürzt dieser auf den Unglücklichen, ihn zu tödten. Umsonst
erbietet er sich, sein Leben durch Auslieferung des versteckten
Geldes zu erkaufen, umsonst suchen die andern Officiere den Rasenden
zurückzuhalten: er drückt sein Pistol auf den Mayordomo ab, der todt
zusammensinkt. Bestürzt fliehen Alle, schon nicht mehr des Geldes
gedenkend.

Wenige Tage nachher ward Madinaveytia arretirt, mit ihm der Officier,
welcher die Wache an der Brücke gehabt und sie verlassen hatte,
dem Zuge sich anzuschließen, die übrigen Theilnehmer, mehr mit dem
in Spanien allmächtigen Golde versehen, waren verschwunden. Der
Wach-Officier leugnete hartnäckig, er hatte bedeutende Verbindungen in
der Umgebung des Generals, so wie Einfluß bei den Richtern; also war
er unschuldig. Madinaveytia hatte sofort Alles gestanden und erfreute
sich nicht der Mittel, die im liberalisirten Spanien nach Belieben die
Wagschale der Gerechtigkeit heben und senken, er besaß weder Gold noch
Protection, war daher allein schuldig und mußte allein das Verbrechen
büßen. Vergeblich opferte seine herrliche Mutter, was sie besaß, zu
seiner Rettung. Er ward nach Vitoria geführt, vor ein Kriegsgericht
gestellt -- nach vierzehnmonatlicher Gefangenschaft --, zum Tode
verurtheilt und erschossen.

Nach langer Zeit wiederum Gefangener in Madrid eilte ich, nach seinen
Lieben zu forschen. Seine Braut, bei der Schreckenskunde von einem
Nervenfieber ergriffen, war schnell dem Geliebten gefolgt, worauf
Doña Eulalia in unaussprechlichem Schmerze über das Loos des einzigen
Sohnes in die Einsamkeit des Klosters sich zurückzog, dort die Stunde
erwartend, die auch sie bald von den irdischen Wehen erlösen sollte.
Sie starb im Herbste des Jahres 1838.

       *       *       *       *       *

Wieder allein fühlte ich doppelt bitter alles Schreckliche der
Gefangenschaft: Schwermuth bemächtigte sich meiner; die Gegenwart bot
mir ja Nichts zum Ersatze so vieler zerstörten Hoffnungen, die Zukunft
lag schwarz und drohend vor mir, so ungewiß, so unheimlich, daß ich
auf sie nicht bauen mochte. Da wandte ich mich der Vergangenheit zu.
Oft ist die Ansicht ausgesprochen, daß in der Widerwärtigkeit die
Erinnerung an das Verlorene das Gefühl des Schmerzes erhöhe, ihn gar
unerträglich mache; mir ist sie, wenn ich mich unglücklich glaube oder
schwere Leiden auf mir haften, die Quelle herrlicher Stärkung. Dann
dachte ich der Scenen, deren Bild so lebendig mir in’s Herz geprägt
ist, das Andenken an die Zeiten des Glückes machte sie mich wieder
durchleben und wieder fühlte ich mich glücklich.

So lag ich auch in jenen Tagen unmuthiger Hoffnungslosigkeit oft
lange in wachem Traume. Ich malte die Heimath mir aus, die Theuren,
welche doch wohl sorgend meiner gedachten, und jede Stunde, die ich
mit ihnen vereint gewesen war, die Worte selbst, welche wir in dem
trauten Vereintsein gewechselt hatten, traten wieder vor mich; alle
die Schlacken, durch die das Glück wohl getrübt gewesen, waren in der
Erinnerung hingeschwunden -- arme Menschen, die wir ganzes Glück nur in
Zukunft und Vergangenheit ahnen! Da erhob sich mir auch das Bild meiner
Jugendfreunde, und nochmals glaubte ich die Freuden zu genießen, die so
rein und so reich in ihrer Theilnahme mir geworden waren. Warum mußten
sie vergehen, diese Zeiten wahrer Wonne! Die Jugendfreundschaft, immer
gleich lieblich, gleich zart, geht wie ein leuchtender Stern durch das
ganze Leben, und alle die Widerwärtigkeiten und Enttäuschungen, welche
so bitter in das Leben gewebt sind, streifen machtlos über sie hin,
nur fester und unauflösbarer sie knüpfend. Wie zauberisch ist doch
der Reiz gemeinschaftlicher Erinnerungen; mit welcher Wonne geben wir
den Gefühlen uns hin, die der gemeinschaftliche Rückblick auf jene
liebe Zeit, in der wir nur die helle, freundlich lockende Seite des
Lebens sahen, auf jene Pläne und schwärmerischen Hoffnungen in der
durch sie vergnügten Brust hervorruft! Jugendfreundschaft gehört unter
die seltenen, unschätzbaren Güter, welche unbesudelt aus der Zeit
kindlicher Reinheit unter den schmutzigen Leidenschaften und Abwegen
der späteren Jahre sich uns erhalten mag. Schmerz empfinde ich für den
Menschen, der ihrem Werthe fühllos werden konnte.

  [23] Unter dem Ausdrucke einer Million versteht der Spanier so viele
       Realen, deren neunzehn fünf Franken gleich sind.



VIII.


Während General Gomez Spanien durchzog, ward die Ruhe in den
Nord-Provinzen selten durch unbedeutende Operationen unterbrochen;
beide Heere schienen, auf den Erfolg der Expedition gespannt, ihre
Kräfte sparen zu wollen, da sie ja rasche Entscheidung herbeiführen
konnte. General Garcia, commandirender General des Königreiches
Navarra, bestand einzelne Kämpfe gegen die Fremdenlegion, indem er
durch rasche Bewegungen irgend einen der festen Punkte des Feindes
überraschte und zerstörte, um bei der Annäherung der Hülfs-Colonnen
in die Gebirge sich zurückzuziehen. Cordova aber war nach der
verunglückten Unternehmung bei Arlaban auf Pamplona marschirt, um
das Bastan-Thal, dessen Bewohner er der constitutionellen Regierung
geneigt wähnte, zu besetzen, dem General Evans die Hand zu reichen
und dadurch, die Carlisten von der französischen Gränze, abschneidend
sein Blokade-System zu vervollkommnen. Die Nachricht von der
Vernichtung der Division Tello durch Gomez und von dem Abmarsche
Espartero’s zur Verfolgung der Expedition zwang ihn, da Villareal am
28. Juni Peñacerrada in Alava angegriffen, in Eilmärschen dorthin
zurückzukehren. Villareal, die Belagerung dieser Veste aufgebend, zog
nach Navarra und griff am 4. Juli die Linie von Zubiri an, ward aber,
da er ein Fort derselben genommen hatte, von der Fremdenlegion und
einigen spanischen Bataillonen zum Rückzuge genöthigt.

Nach dem fehlgeschlagenen Versuche des Feindes gegen Fuenterrabia
begnügte sich der carlistische Feldherr, durch Bedrohen der
verschiedenen Punkte auf den entgegengesetzten Theilen des
Kriegsschauplatzes die Christinos zu erschöpfenden Märschen zu zwingen;
er griff am 1. August mit funfzehn Bataillonen und sechs Geschützen
die Linie von Zubiri nochmals an, und wurde nach achtzehnstündigem
hartnäckigem Kampfe auf das Ulzama-Thal geworfen, wo die Fremdenlegion
durch empörende Ausschweifungen sich hervorthat und mehrere Dörfer
niederbrannte. Die folgende mehrmonatliche Waffenruhe war nur durch die
Operation Oraa’s auf Estella am 12. und 13. September unterbrochen.
Cordova hatte, da durch die Ereignisse von la Granja auf Verlangen
trunkener Sergeanten die Constitution verändert, seine Entlassung
eingereicht und sich nach Frankreich begeben, worauf der Oberbefehl
dem General Espartero und, da dieser krank war, interimistisch dem
General Oráa übertragen wurde, der durch eine glänzende Waffenthat sich
hervorthun wollte. Er vereinigte 16000 Mann und griff das von vier
navarresischen Bataillonen vertheidigte Estella an. Die Christinos
gelangten wiederholt bis auf die Höhen, welche die Stadt beherrschen
und warfen Granaten in sie, wurden aber stets mit dem Bajonnett
zurückgestürzt und zogen sich, nachdem sie 800 Mann geopfert, auf ihre
Linien, kräftig von den Tirailleurs und dem aufgestandenen Landvolke
verfolgt. -- In der ersten Hälfte Octobers fanden in den Linien von
San Sebastian einige Scharmützel ohne Erfolg Statt, so wie am 8. die
Engländer von der Stellung von Amezagana mit Verlust abgewiesen wurden.

Bilbao, die bedeutendste Stadt Vizcaya’s, reich durch ausgebreiteten
Handel, an dem schiffbaren Flusse Durango, der, mit dem Nervion
vereinigt, einige Stunden entfernt in das Meer strömt, war noch in
dem Besitze der Christinos; jeder Versuch, sich ihrer zu bemächtigen,
hatte stets kraftvolle Anstrengungen der Feinde zum Entsatze veranlaßt,
der große Führer der Carlisten, General Zumalacarregui fiel vor ihren
Mauern. Villareal wollte Bilbao erobern, so ganz Vizcaya reinigen und
den feindlichen Colonnen das Eindringen in die Provinz ohne solchen
Anhaltspunkt unmöglich machen; zugleich sollte die Wegnahme der
blühenden Hafenstadt von außen her als ~conditio sine qua non~
und Gewährleistung wichtiger Unterstützung gefordert sein. Ihre
Eroberung mußte den Carlisten großes moralisches Übergewicht geben, da
die Constitutionellen sich gewöhnt hatten, auf der Behauptung dieser
Stadt wie auf einer Lebensfrage zu bestehen; sie hätte bewiesen, daß
die carlistische Armee nicht nur in ihren Gebirgen, sondern auch
im regelmäßigen Kriege dem Feinde schon überlegen war. Daher sah,
wer in Europa Interesse für eine der Partheien hegte, mit Spannung
auf diese Belagerung. Sie wurde am 24. October 1836 von drei und
zwanzig Bataillonen unter Villareal und Eguia eröffnet, indem die
bisher blokirte Stadt eng eingeschlossen und zwei Batterien gegen sie
errichtet wurden.

Bilbao war nur von einer Mauer umgeben, welche durch mehrere
vorliegende Forts und befestigte Klöster gedeckt wurde; 7000 Mann
vertheidigten sie. Doch beruhete die Stärke der Stadt in ihrer Lage, da
sie durch den schiffbaren Fluß, dessen Mündung das feste Portugalete
beherrscht, mit dem Meere in Verbindung steht, von wo aus sie leicht
mit allem Nöthigen versehen und kräftig unterstützt werden konnte --
hauptsächlich durch die englische Flotte, welche ja seit dem Monate
März durch ihre Mitwirkung den Carlisten so unheilsvoll geworden war.
Auch war es unzweifelhaft, daß die Hauptarmee unter Espartero Alles
thun würde, der bedroheten Stadt Hülfe zu bringen. In der That zog
sie schon Ende Octobers über Valmaseda herbei, weshalb die Artillerie
zurückgezogen und die Belagerung in eine strenge Blokade verwandelt
wurde, während Villareal den andringenden Feind beobachtete; zwei der
am meisten avancirten Außenwerke waren bereits genommen.

Nachdem vier Ausfälle der Besatzung gänzlich mißlungen, ward die
Belagerung am 7. mit neuer Kraft aufgenommen, zwei vorgeschobene
Werke, das Fort Bandera und ein Kapuziner-Kloster wurden genommen, am
10. S. Manez mit 300 Mann und sechs Kanonen erstürmt. Zehn Batterien
wurden gegen die Stadt oder längs dem Ufer des Flusses etablirt, um
dort die Hülfe der englischen Kriegsfahrzeuge zu verhindern, die, so
oft sich Gelegenheit bot, die carlistischen Truppen beschossen,[24]
und wiewohl das schlechte Wetter die Arbeiten sehr verzögerte,
konnten die Batterien am 17. ihr Feuer eröffnen. Ein Ausfall ward mit
Verlust abgewiesen, am 27. erstürmten ein Bataillon von Castilien
und die Compagnien des Fremden-Bataillons mit höchster Bravour das
feste Kloster San Agostin unmittelbar an der Mauer und von 600 Mann
vertheidigt. Der Sturm gegen die offene Bresche wurde unternommen. 1100
Mann gelangten bis in die hinter der Bresche aufgestellte Batterie und
tödteten die Artilleristen neben ihren Geschützen, wurden aber, da die
anderen Colonnen, anstatt mit Kraft nachzudringen, regungslos stehen
blieben, von der feindlichen Reserve wieder aus der Stadt vertrieben
und litten viel. Die Carlisten begnügten sich fortan, die Stadt zu
bewerfen und richteten ihr ganzes Streben darauf, das Durchdringen
Espartero’s zu verhindern, da der in Bilbao täglich zunehmende Mangel,
falls die Entsetzung mißlang, die Garnison zur Capitulation zwingen
mußte.

Espartero war mit 20000 Mann von dem Thale von Mena nach Portugalete
gezogen, worauf Villareal in den Gebirgs-Stellungen sich befestigte
und am 27. und 28. November die Angriffe des Feindes abschlug, welcher
der Brücke über den Nervion sich zu bemächtigen suchte. Am 30.
November passirten die Christinos den Fluß auf einer Schiffbrücke,
welche ihnen die englischen Marine-Truppen geschlagen, und griffen
auf dem rechten Ufer, da Villareal ihnen dahin gefolgt war, am 4. und
5. December die Stellung von Asua an; mit Nachdruck empfangen und
nach starkem Verluste kehrten sie am 6. auf das linke Ufer zurück,
wo die Carlisten ihnen gegenüber sich verschanzten, dazu einen Theil
ihres Belagerungsgeschützes verwendend, wodurch sie die Einnahme der
Stadt ganz von der Niederlage Espartero’s abhängig machten. Umsonst
suchte dieser vorzudringen: er ward nach vergeblichen Scharmützeln
am 12. und den folgenden Tagen genöthigt zu weichen, zog sich am 15.
nach Portugalete zurück und ging am 19. und 20. December nochmals mit
19 Bataillonen und zwei und zwanzig Geschützen auf das rechte Ufer
des Nervion über, wo wieder Villareal seine Stellung ihm gegenüber
mit dem Belagerungsgeschütz deckte. Espartero gab die Hoffnung
des Durchdringens auf,[25] als die Ankunft der Divisionen, welche
Gomez nach sich gezogen, ihm ein furchtbares Übergewicht verlieh.
Nachdem am 22. und 23. leichte Scharmützel Statt gehabt, stürmten
am Weihnachtsabend die Christinos nach dem Plan des General Oráa
die carlistische Stellung, während 2000 Jäger in Kähnen den Fluß
hinauffuhren, die Flanke der Belagerungsarmee zu gewinnen. Von einem
entsetzlichen Schneesturm begünstigt, erstürmten die Feinde nach kurzem
Kampfe die Brücke von Luchana, gegen die sie ihre ganze Artillerie
concentrirt hatten. Die Fahrzeuge gelangten bis dahin und bemächtigten
sich nach furchtbarem Blutbade der Batterie, welche noch das
Debouchiren der Truppen verhinderte, worauf diese den Fluß passirten
und die Stellung auf den Höhen von Cabras und Arriaga stürmten. Drei
Mal gelangten die christinoschen Massen bis auf die Höhen, drei Mal
stürzten die Carlisten mit dem Bajonnett sie hinunter: beim vierten
Angriff behauptete sich Espartero im Besitze der Stellung, und die
Belagerungsarmee zog in Unordnung auf Durango zurück. Am ersten
Weihnachtstage zog das siegreiche Heer in die gerettete Stadt ein, in
der solches Elend herrschte, daß der Gouverneur am 24. dem anfragenden
Generale durch den Telegraphen meldete, wie er nur noch einen Tag sich
halten könne.

Der Jubel der Christinos war unendlich: die Folgen so entschiedenen
Sieges mußten groß sein und er zeigte unzweifelhaft, wie die Carlisten
noch nicht in geregeltem Kampfe den überlegenen Massen ihrer Feinde
entgegentreten durften. Die Hoffnung derselben, ohne weiteres
Blutvergießen der wichtigen Stadt sich zu bemächtigen, war ihnen
verderblich geworden, da sie gewiß früher sie genommen hätten, wenn
seit dem Anfange Decembers kräftig der Angriff fortgesetzt wäre. --
In der Action am 24. verloren die Christinos etwas über 2000 Mann,
die Carlisten nur 600, büßten aber ihre schwere Artillerie, drei
und zwanzig Geschütze, ein, da der Fuß hoch liegende Schnee die
Fortschaffung unmöglich machte.[26] Espartero, der noch unentschlossen
beim Beginn des Kampfes unwohl in Portugalete sich befand und erst, als
der Kannonendonner ertönte, seiner Armee nacheilte, verdankte seinen
Sieg der Entschlossenheit und dem Talente des Chefs des Generalstabes,
General Oráa, und vor Allem, wie sein Bericht anerkennt, der thätigen
Mitwirkung der englischen Marine. Er wurde zum Grafen von Luchana
ernannt. Villareal verlor den Oberbefehl, welcher dem Infanten Don
Sebastian und unter ihm, als Chef des Generalstabes fungirend, dem
General Moreno übertragen wurde.

       *       *       *       *       *

Während der ersten Monate des Jahres 1837 wurden von den Christinos die
größten Vorbereitungen getroffen, um im Frühjahre die Operationen mit
entscheidender Energie beginnen zu können; denn Entscheidung wollte
Espartero herbeiführen, indem eine allgemein combinirte Bewegung
sämmtlicher Streitkräfte nach dem Innern der baskischen Provinzen
diese unterwerfen, die carlistische Armee erdrücken und vernichten
sollte. Er selbst stand gegen Ende Februars mit 28 Bataillonen in
Bilbao, von wo er über Durango in das Innere von Vizcaya vordringen
würde, während Evans, durch die Division Rivero auf 21 Bataillone
verstärkt, von San Sebastian aus Hernani und Tolosa nähme und Guipuzcoa
besetzte, Sarsfield aber mit 19 Bataillonen von Pamplona aus die Thäler
Ulzama und Bastan unterwürfe, Evans die Hand reichte, dadurch die
carlistische Armee von der Gränze abschnitte und sie zwischen die drei
Corps zusammendrängte. Zugleich operirte die Division des Ebro-Thales
-- ~de la rivera~ --, jetzt fast ganz aus Cavallerie bestehend, im
südöstlichen Navarra an der Arga und dem Ebro, und die Division Alaix,
12 Bataillone stark, stand bei Vitoria in Alava, so die gänzliche
Umzingelung und Einzwängung der Carlisten vollendend. Dieser Plan
schien in der That, wenn er gewandt und kräftig durchgeführt wurde,
die Vernichtung der Carlisten nach sich führen zu müssen, und allein
so hätte das Ende des blutigen Kampfes +durch Waffengewalt+ mögen
vorbereitet werden. Dazu war die Nordarmee jetzt stärker, als sie je
zuvor es gewesen: außer den zahlreichen Besatzungen und den Freicorps
zählten jene fünf mobilen Colonnen 80 Bataillone, welche durch eine
neue Rekruten-Aushebung auf ihren vollständigen Etat gebracht waren.

Der Infant that, so viel feine Schwäche gestattete, um mit Festigkeit
den drohenden Sturm zu empfangen. Er selbst stand mit funfzehn
Bataillonen im Ulzama-Thale Sarsfield gegenüber, da dessen Vereinigung
mit Evans ganz besonders verderbliche Folgen hätte haben müssen,
Guibelalde mit neun Bataillonen hielt die Linien gegen die Divisionen
Evans und Rivero besetzt, während Goni mit 11 Bataillonen das
Hauptcorps Espartero’s beobachtete. Die übrigen Truppen waren in Alava
und dem südlichen Navarra vertheilt, gegen die beiden dort drohenden
Divisionen sie zu decken.

Am 10. März eröffnete Evans, nachdem er eine hochtönende Proclamation
an die Guipuzcoaner erlassen, den Feldzug, da er auf Hernani vordrang
und mit einem Verluste von 800 Mann die Höhen von Amezagana erstürmte,
welche durch leichte Verschanzungen gedeckt waren; er blieb dort
stehen, das Vorrücken der andern Colonnen erwartend. Auch zog Espartero
am folgenden Tage von Bilbao auf der Heerstraße vorwärts und besetzte
Durango nach unbedeutendem Gefechte, und Sarsfield wandte sich an
demselben Tage über Izarzan auf das Ulzama-Thal und drang bis zu dem
Engpasse ~de las dos hermanas~. Evans griff nach leichtem Scharmützel
in den vorhergehenden Tagen am 15. März von Neuem an und entriß nach
blutigem Kampfe den Fuß vor Fuß der Übermacht weichenden Carlisten das
Fort und die Höhen von Oriamendi nebst vier Kanonen; am 16. trieb er
wieder langsam die carlistischen Bataillone vor sich her, und schon
standen die Briten auf der Höhe, welche unmittelbar Hernani beherrscht;
der Erfolg war nicht mehr zweifelhaft. Da stiegen in eiligem Zuge von
den Gebirgen die Schaaren herab, mit denen der Infant den Seinen zu
Hülfe eilte; neun Bataillone, zwei Escadrone und vier Geschütze von
seinem Corps führte er nach ermüdendem Marsche auf das Schlachtfeld.
Er stürzte sich sofort auf die siegenden Massen der Anglochristinos,
umging, während er einen Scheinangriff auf den rechten Flügel richtete,
die linke Flanke, warf sich mit dem Bajonnette auf die nächsten
englischen Bataillone, zerstreute sie und rollte den ganzen linken
Flügel auf. Panischer Schrecken ergriff die Feinde. Die Flucht der
englischen Bataillone riß die ihnen zunächst stehenden spanischen fort,
und da nun auch das carlistische Centrum mit Kraft vorwärts drang,
lösete sich die ganze feindliche Armee in schimpflichster Verwirrung
auf und floh nach San Sebastian zurück, von den Siegern auf dem Fuße
verfolgt. Nur ein Detachement englischer Marine-Truppen, welches in
der christinoschen Armee sich befand, blieb geschlossen und rettete
den größten Theil der Artillerie, mit der es unerschütterlich fest
sich zurückzog. Die Carlisten, deren Verlust 740 Mann betrug, nahmen
vier Geschütze; die Engländer verloren etwa 900 Mann an Todten und
Verwundeten -- 500 Todte von der Legion wurden auf dem Kampfplatze
gezählt --, ihre spanischen Bundesgenossen aber 1300 Mann und 100
Gefangene.

Die Folgen so glorreichen Sieges waren unberechenbar. Die große
combinirte Bewegung, welche den Untergang der Carlisten herbeiführen
sollte, war ganz mißglückt, denn Evans, der in sechs Tagen fast 5000
Mann geopfert hatte, um dann schimpflich in seine frühere Stellung
getrieben zu werden, konnte nicht an Wiederaufnahme der Offensive
denken, da seine Truppen für den Augenblick ganz demoralisirt
waren.[27] Espartero, nachdem er ganz Vizcaya durchkreuzend am 15.
bis Eybar vorgedrungen, zog sich auf die Nachricht von der Niederlage
Evans’s und der Annäherung des Infanten eiligst auf Durango und am 21.
nach Bilbao zurück. Die Generale Goni, Guergué und Urbiztondo hatten
theils die Gebirge besetzt, durch welche die Straße sich hinzieht, und
belästigten von dort aus den Marsch, theils drängten sie mit Nachdruck
dem weichenden Heere nach. Mehrere Male machte dieses Front gegen
die Verfolger, ruhigeren Rückzug sich zu erkämpfen, aber immer mehr
eingezwängt und in dem schmalen Thale der Heerstraße sich verwickelnd,
bildete es zuletzt einen großen unbehülflichen Knäuel, der nur durch
die Festigkeit der Arriere-Garde vor Vernichtung geschützt wurde,
so daß die Armee, nachdem sie in der Operation 2800 Mann eingebüßt,
Bilbao erreichte. Sarsfield, da ein heftiger Schneefall sein Vorrücken
gehindert hatte, war unter dem Vorwande von Krankheit nach Pamplona
gegangen, dem General Ulibarren das Commando übertragend. Zu seiner
Beobachtung ließ der Infant, da er nach Guipuzcoa eilte, die von Evans
errungenen Vortheile zu hemmen, den General Zariategui zurück, der die
feindliche Colonne, da sie über das Ulzama-Thal auf der Straße nach
Tolosa vorrückte, in dem Engpasse ~de las dos hermanas~ warf und
mit Verlust von 1100 Mann nach Pamplona trieb.

So hatte die große mit 68 Bataillonen von drei Seiten aus gegen die
baskischen Provinzen unternommene Operation mit einer Niederlage
geendet, die den Christinos 9000 Mann gekostet hatte; die Scharte von
Bilbao war glänzend ausgewetzt. Espartero benutzte den Monat Mai, zu
neuem Angriffe sich vorzubereiten, der von San Sebastian, in dem Herzen
der vereinigten Provinzen, ausgehen sollte. Der König rüstete sich
gleichfalls mit höchster Thätigkeit: er wollte an der Spitze der Seinen
in das Innere des Königreiches ziehen, seine Hauptstadt, die zum Sitze
des usurpatorischen Gouvernements geworden, sich erobern und so den
Krieg enden, der von ihr ausgehend, von ihr aus unterhalten wurde.

Nachdem die Anglochristinos am 4. Mai das Dorf Loyola genommen, -- wozu
wieder die englische Marine die Schiffbrücke über den Urrumea schlug --
ging Espartero mit zwanzig Bataillonen zu Schiffe nach San Sebastian
und übernahm dort den Oberbefehl. Mit 36000 Mann und 40 Feldgeschützen
griff er am 15. Mai Hernani an und nahm es nebst Andoain nach geringem
Widerstande der Carlisten; der König hatte schon seine Kerntruppen
in Navarra für die Expedition vereinigt. Am folgenden Tage wandte
sich Evans mit 12000 Mann gegen Irun, welches von vier Compagnien
mit hoher Bravour vertheidigt wurde; erst am 17. nahm er die die
Straße beherrschende Redoute und drang in die Stadt ein. Die Garnison
behauptete sich hartnäckig gegen die stets wiederholten Stürme, die
Häuser wurden mit dem Bajonnett genommen und wieder genommen. Am
Nachmittage ergaben sich vierhundert Mann, da ein festes Gebäude, in
welches sie zuletzt sich geworfen hatten, schon halb erstürmt war;
zweihundert wurden nach der Capitulation von den Feinden, erbittert
über ihren Verlust, niedergestochen. Evans griff dann Fuenterrabia an,
dessen Garnison, 300 Mann stark, ohne Widerstand capitulirte, da sie
sich hülflos abgeschnitten sah.

So hatte Espartero endlich die große Heerstraße den Carlisten genommen
und es blieb ihm nur übrig, die Linie längs der Gränze zu etabliren,
um den Provinzen die Verbindung mit Frankreich abzuschneiden und sie
ganz auf die eigenen Hülfsquellen zu beschränken. Die Nachricht von
dem Abmarsche der königlichen Expedition und ihren Fortschritten in
Aragon zwang ihn, die Ausführung des wichtigen Planes aufzugeben: er
zog am 29. Mai von Hernani durch das Ulzama-Thal nach Pamplona, lebhaft
von einigen ihn beobachtenden Bataillonen harcelirt, wobei er mehrere
hundert Mann, unter ihnen den General Gurrea, einbüßte. Der Krieg in
den Nordprovinzen ward für einige Zeit zur Nebensache.

  [24] Die Präcision des Artillerie-Feuers jener Schiffe ging so weit,
       daß bald zwei oder drei Personen nicht mehr vereinigt dem
       Strande zu nahen wagten, da selbst ein so kleines Ziel nicht
       selten getroffen wurde.

  [25] In seinen Briefen an seine Gemahlinn nach Logroño erklärte er
       die Lage der Armee für ganz hoffnungslos, den Entsatz unmöglich.

  [26] Mein braver Camerad, Bernhard v. Plessen, früher Lieutenant in
       königl. Preußischem Dienste, ward gefangen, da er seine Batterie
       nicht verlassen wollte und bis zum letzten Augenblicke feuerte.
       Er fiel, kaum ausgewechselt, in der königlichen Expedition 1837.

  [27] Um die Größe jenes Sieges, den Moreno durch seine geschickten
       Dispositionen herbeiführte, die furchtbar verwirrte Flucht der
       Anglochristinos und ihre Muthlosigkeit ganz zu würdigen, muß man
       die Berichte der Officiere von der britischen Legion lesen.



IX.


Acht Monate waren mir in dem Kerker von Logroño verflossen, die
Operationen der beiden Armeen hatten mit dem Eintritt der schöneren
Jahreszeit mit mehr Lebhaftigkeit wieder begonnen; meine Ungeduld, da
ich immer zur Unthätigkeit verdammt blieb, ward bei jeder Nachricht
von neuem glorreichen Kampfe der Meinen zu bitterer Verzweiflung.
Umsonst hatte ich Auswechselung gefordert: es erfolgte keine Antwort
auf meine Vorstellungen, die wohl in irgend einem untergeordneten
Büreau mochten liegen geblieben sein. Da trat eines Morgens -- am 8.
Juni 1837 -- ein Platzadjudant in mein Zimmer, mich zu benachrichtigen,
daß ich am folgenden Tage nach der französischen Gränze abgeführt
werde. Der Gouverneur der Provinz, ein trefflicher Mann, der nach
langem Dienste im Auslande nicht ganz die Ideen und Vorurtheile seiner
Landsleute theilte, hatte mir erklärt, daß er streben werde, Befehl zur
Auswechselung oder den Paß für mich zu erlangen. Auf seine Darlegung
befahl ihm Espartero, bis zu der Gränze mich escortiren zu lassen.
Lange blieb ich regungslos bei der Freudenbotschaft, ich faßte nicht,
glaubte nicht, was ich schon nicht mehr zu hoffen gewagt; dann sprang
ich umher in lautem sinnlosen Jubel und lachte und dankte Gott für so
herrliches Geschenk. Mein sehnlichster Wunsch sollte ja endlich erfüllt
werden: ich verließ diesen Kerker, aus dem Flucht unmöglich war. Wohl
war ich entschlossen, das französische Gebiet nicht zu erreichen.

Am nächsten Tage durchschritt ich zwischen zwei Reihen von Soldaten die
fruchtbaren Gefilde der Rioja, welche der Ebro der Länge nach bespült.
Mit welcher Sehnsucht blickte ich auf die Hügel, die jenseit des
Stromes sich erhebend dem carlistischen Gebiete angehörten! Wiederholt
war ich im Begriff, die Wache zu durchbrechen und in den Strom mich
zu stürzen, der durch die Sonnenhitze ausgetrocknet fast überall
passirbar war. Solcher Versuch wäre Tollheit gewesen. Wir übernachteten
in Calahorra, wo früher die Messer der Mörder auf meine Brust gezückt
waren, und setzten dann den Marsch auf Tudela fort, den Ebro dort zu
passiren. Mein Plan war, nördlich von diesem Strome die Flucht zu
versuchen, da es leichter sein mußte, von dort aus durch die Gebirge
die carlistischen Truppen zu erreichen; da eine günstige Gelegenheit
früher sich darbot, eilte ich, sie zu benutzen.

Am Mittage des zweiten Marschtages machte meine Escorte Halt, um in
einem Landhause, einige hundert Schritt vom Ebro entfernt, ihr Mahl zu
bereiten und dort während der drückendsten Wärme zu ruhen. Durch eine
Schildwache vor der Thür bewacht, ward ich in ein Gemach der oberen
Etage eingeschlossen, während die übrigen Soldaten vertrauend, daß ich
der Freiheit zueilend wohl nicht entfliehen werde, und sorglos, wie
stets der Spanier es ist, sich niederlegten, ihre Siesta zu schlafen.
Auch der Officier zog sich auf sein Zimmer zurück, nachdem er mir
einige Impertinenzen gesagt hatte. Ich biß die Lippen über einander und
wünschte vom Grunde des Herzens, daß eine carlistische Streifparthei
die unvorsichtigen Schläfer unangenehm aus ihrer Ruhe aufstören möge.

Die Sonne stand hoch am Himmel, glühende, erschlaffende Hitze
ausströmend, da nicht der leiseste Hauch die Luft bewegte, Kühlung zu
erzeugen. Die lautlose Stille war nur durch der Schildwache eintönig
klagenden Gesang unterbrochen, der an die schwermüthig wilden Weisen
des Arabers erinnert, wenn er vor dem Eingange des Zeltes den dunkeln
Sternenhimmel bewundernd und umgeben von Allem, was ihm theuer, die
Gazellenaugen der schönen Töchter Arabiens oder die Reize seines
abentheuerlichen Wanderlebens besingt. Ich ward wunderbar aufgeregt;
stürmisch wechselten Erinnerungen und Hoffnungen und Wünsche, bis
alle in die eine Empfindung hinschwanden, in die unüberwindliche
Sehnsucht nach Freiheit, den Entschluß, sie zu erlangen -- sei es
durch den Tod. Geräuschlos nahete ich dem Fenster. Es war so hoch
über dem Boden, daß es unmöglich schien, hinabzuspringen; doch ich
konnte nicht mehr überlegen, ich schwang mich hinaus, ein kleiner
Absatz begünstigte mich, doch der Fuß glitt ab, ich stürzte auf das
Gras hinab, mit dem der Boden bedeckt war. Einen Augenblick lag ich
betäubt, nur einen Augenblick: das Gefühl der drängenden Gefahr trieb
mich auf, ich empfand kaum den Schmerz, welchen der heftige Fall dem
linken Arm und der Schulter verursachte. Oben ward Geschrei hörbar;
ich bog um die Ecke des Hauses, da lag der größte Theil der Soldaten
ruhend im Schatten -- ich flog an ihnen vorbei dem Strome zu. Kugeln
pfiffen um mich her, ehe ich ihn erreicht, ich warf mich in die Wellen
und theilte sie mit der Kraft des höchsten Entschlusses; eine kurze
Strecke nur mußte ich schwimmen, und bald deckten mich die Olivenwälder
des jenseitigen Ufers gegen die Schüsse der Verfolger, die sehr lau
in ihrem Bemühen den Fluß nicht zu überschreiten wagten, wiewohl
ihr verworrenes Geschrei noch weithin mir nachtönte. Dennoch lief
ich in athemloser Hast durch die Felder landeinwärts, bis gänzliche
Erschöpfung in dichtem Gebüsche zu rasten mich zwang.

Ich war frei! Herrliches Gefühl der Freiheit; was bietet das
menschliche Leben Erhabeneres, wer möchte ihm widerstehen, wer wäre
taub und fühllos gegen die tausendfachen Güter und Reize, welche das
eine Wort „Freiheit“ in sich fasset! Sie ist der schöne Götterfunken,
durch den alles Edlere in des Menschen Brust zu Leben und Thätigkeit
gerufen wird, das höchste Gut, welches den übrigen Werth giebt und sie
veredelt. Wie traurig, daß erbärmliche Selbstsucht und Partheigeist so
hehren Schatz zum Deckmantel ihrer Leidenschaften mißbrauchen können,
daß die Freiheit dienen muß, zu allem Niedrigen und Entehrenden die
verblendeten Menschen hinzureißen, und zur Verletzung ihrer heiligsten
Pflicht und ihrer Eide, zum Umsturze der ehrwürdigsten Rechte zu
vermögen. Wie schmerzlich, daß sie Selbstlingen, die jeder loyalen
Empfindung unfähig sind, den Vorwand bieten muß zu dem vergeblichen
Streben, was immer Natur, Recht und Gewohnheit als geheiligt hinstellt,
bis zu ihrer eigenen schmutzigen Sphäre hinabzuwürdigen!

Ich war frei! Mein Herz pochte laut bei so wonnigem Gedanken, und ich
stattete dem Höchsten innigen Dank für die neue Wohlthat. Doch die
Gefahr war noch nicht vorüber, und ich eilte, nach kurzer Frist meinen
Marsch fortzusetzen, indem ich den Stand der Sonne beachtend nach
Nordwesten mich richtete, wo ich zuerst carlistische Truppen zu finden
hoffte. Wohl durch die Mittagshitze von den Arbeiten zurückgehalten,
war lange Niemand in den Feldern sichtbar; wie aber die Frische zunahm,
traf ich häufig Bauern, deren Blicken ich möglichst mich zu entziehen
suchte. Was sollte ich thun? Ich wußte nicht, wo ich war, wie fern von
unsern Garnisonen; ich mußte fürchten, gar irgend einer feindlichen
Streifparthie oder einem ihrer festen Punkte mich zu nahen, im Falle
ich etwa noch im Gebiete der Christinos mich befände. So beschloß ich
zu fragen. Ein greiser Bauer war mir nahe mit der Hacke beschäftigt;
ich eilte zu ihm, der nicht wenig überrascht, erschreckt selbst mich
nahen sah. Mein Gespräch beruhigte ihn bald, und da ich endlich, durch
seine herzlichen, einfachen Worte ermuthigt, ihm meine Lage offen
auseinander setzte, bot er mir die Hand und bat mich, ohne Furcht
ganz auf ihn zu vertrauen. Eine Stunde später saß ich ruhig in seinem
niedrigen Häuschen, einen Becher stärkenden Weines vor mir, und spät am
Abend bestiegen wir die Maulthiere meines Wirthes, der mich sicher nach
Estella zu geleiten versprochen hatte.

Die Nacht war mondhell und erlaubte uns, auch auf den Gebirgspfaden
verhältnißmäßig schnell zu reiten; wir hatten dazu das Glück, Niemand
auf dem Marsche zu treffen, von dem wir Verrath hätten fürchten dürfen.
Wenige hundert Schritt zur Rechten erhoben sich die Mauern von Lerin,
die durch die Unseren kurz vorher zerstört, nun von Neuem aufgerichtet
wurden, und der Ruf der Schildwachen „~sentinela alerta~“, wie er
in rascher Folge längs den Werken hinablief, tönte hell und drohend
in unser Ohr. Gewohnt, während der Nacht carlistische Krieger ihnen
nahe und bis zum Fuße ihrer Wälle schweifend zu wissen, ließen die
Feinde uns unbeachtet, wiewohl das Gebell der Hunde wie der laute
Schall von den Tritten unserer Maulthiere die Gegenwart von Fremden
ihnen verrieth, und so wie wir aus ihrem unmittelbaren Bereiche waren,
entriß uns schnell ein tüchtiger Trab der Gefahr. Da naheten Tritte,
Bajonnette blitzten im Mondenscheine; ich gestehe, ich fürchtete und
beklommen vermochte ich kaum zu athmen. Doch mein Führer, scharfen
Blickes das Helldunkel durchspähend, ritt ruhig vorwärts -- im nächsten
Augenblicke erkannte ich die weißen Barette der Freiwilligen: ich war
unter den Meinen. Mein Jubel war unendlich. Nach so langen Monaten,
die ich eingekerkert, thatenlos verschmachtet, sah ich die Krieger,
die ich als Cameraden begrüßen durfte, deren Kämpfe zu theilen das
Streben meines höchsten Ehrgeizes war. Die Zukunft erschien mir wieder
in das anziehend glänzende Gewand der Hoffnung gehüllt, die, wie oft
auch bittere Erfahrung dem Menschen ihre Trüglichkeit zeigt, doch immer
wieder auftaucht aus der Tiefe, in der sie geschlummert; die alte,
heiße Sehnsucht nach Kampfesgetümmel und kriegerischem Treiben war nur
feuriger geworden durch das Erlittene und in dem Schmerze, daß so lange
Zeit, so glänzende Ereignisse für mich verloren waren.

       *       *       *       *       *

Am Mittage des 11. Juni langte ich in Estella an, einer der
vorzüglichsten Städte Navarra’s und Hauptpunkt des carlistischen
Theiles der Provinz; die Stadt, im Innern freundlich und
durchströmt von der Ega, war nun doppelt belebt und blühend durch
die Ausgewanderten, welche ihr eigener Eifer oder revolutionaire
Unduldsamkeit dorthin getrieben hatte. Die Befestigung war seit dem
Angriffe Oráa’s bedeutend gehoben; da die Stadt in einem Kessel liegt,
waren rings die sie umgebenden Höhen mit selbstständigen Forts und
Werken gekrönt, deren Feuer, überall sich kreuzend, wechselseitig
sie vertheidigte, die zu der Stadt führenden Wege und Schluchten
beherrschte und so die Annäherung sehr schwierig machte. Ich traf in
Estella einen befreundeten Officier, mit dem ich während ein Paar
Wochen vereint gefangen gewesen, und der mich dem General Garcia
vorstellte, von dem ich zum General Uranga gesandt wurde, da dieser
als commandirender General der vier Provinzen während der Abwesenheit
Sr. Majestät zurückgelassen war. Er war in der Armee unter dem
bezeichnenden Namen des guten Dummkopfes bekannt: seine rühmlichsten
Eigenschaften bestanden in unbegränzter Herzensgüte, Redlichkeit
und der Treue für seinen Monarchen, zu dessen Vertheidigung er das
Schwerdt ergriffen. Seine Talente entsprachen leider nicht der hohen
Stellung, die ihm anvertraut war, wiewohl er Vieles dadurch ersetzte,
daß er stets bereit war, den Rath erfahrener Männer zu erbitten und zu
befolgen. Uranga bestimmte mich nach freundlicher Aufnahme und langer
Unterredung zu dem Generalstabe von Navarra, da General Garcia mich
dazu erbeten hatte, von dem ich sofort, nach Estella zurückgekehrt, auf
das schmeichelhafteste empfangen wurde.

Don Francisco Garcia war bei dem Ausbruche des Aufstandes
Pr.-Lieutenant der freiwilligen Royalisten; Bravour und Talent hoben
ihn rasch zu den höchsten Graden. Ohne militairisch-wissenschaftliche
Bildung ersetzte er diesen Mangel durch lebhaften, das Verwickeltste
mit Leichtigkeit auffassenden Verstand und durch genaue Kenntniß von
seiner vaterländischen Provinz Navarra, den Vorzügen, Mängeln und
Bedürfnissen derselben, so wie von dem Charakter seiner Landsleute.
Seit er an der Spitze des Königreiches stand, leitete er die
Kriegs-Operationen mit höchster Auszeichnung und verwaltete das Land
sehr gerecht, weßhalb die Bauern, welche nicht selten seiner Fürsorge
und Großmuth die Erhaltung ihrer Erndten, ihrer Güter und ihres Lebens
verdankten, ihn eben so anbeteten wie die Soldaten, denen er der
sorgsamste Vater war. Unerschütterlich in seiner Treue für Carl V. war
er scharfsichtig genug, um die undankbaren Selbstlinge zu durchschauen,
welche den verblendeten König durch Heuchelei zu täuschen wußten, da
sie bereit waren, ihren erhabenen Wohlthäter zu opfern, so wie ihre
Zwecke es erheischen möchten. Garcia kannte sie und that, so viel
in seiner Macht stand, um ihren Plänen entgegenzuarbeiten. Arglist
siegte auch da über biedere Loyalität; der edle Garcia fiel unter den
Streichen Derer, die durch seinen und seiner Freunde Tod das Gelingen
ihrer Verrathes-Complotte sicherten.

Kurze Zeit vor meiner Ankunft hatte Garcia durch Überraschung das feste
Lerin genommen, bei der Annäherung Espartero’s aber, der mit sechszehn
Bataillonen von Pamplona heranzog, es geräumt, da er den vorgeschobenen
Platz nicht behaupten konnte. Die Bewohner der umliegenden Dörfer,
erbittert über die Gräuel, mit denen die Garnison auf ihren Streifzügen
sie heimgesucht, hatten die Stadt ganz ausgeplündert. Espartero fand
sie am 10. Juni evacuirt und die Festungswerke zerstört, die er
sogleich mit größter Thätigkeit wieder errichten ließ. Er blieb dann
in dem Ebro-Thale, um das bei Estella concentrirte Carlisten-Corps zu
beobachten, dem auch Uranga einige Bataillone zuführte, einen Angriff
Espartero’s auf die Stadt befürchtend, zu dem die Abwesenheit der
königlichen Expeditions-Truppen wohl einladen konnte.

Am 15. war Gen. Garcia mit einigen Bataillonen nach dem Dörfchen
Allo in dem reichen Solana-Thale aufgebrochen, von wo aus er die zur
Deckung der Arbeiten in Lerin aufgestellten Truppen beunruhigte. Am
Abend marschirten wir von dort ab, gegen Westen uns richtend, und
durchschnitten mehrere Stunden lang bald fruchtbare Thäler, bald
auf schmalen Felswegen unwirthbare Bergrücken, wobei wir uns mit
vieler Vorsicht und Anempfehlung von Stille bewegten und fortwährend
Detachements zur Rechten und Linken entsendeten. Endlich machten wir
Halt, und die Freiwilligen streckten compagnieweise, das Gewehr im Arm
und in die bunten Decken gehüllt, zu kurzem Schlafe sich hin, während
der General Meldungen empfing oder eifrig mit vier Landleuten redete,
die kurz vorher zu uns gestoßen waren. Plötzlich ward mit leiser
Stimme der Aufbruch befohlen, kaum hörbar durchlief dumpfes Gemurmel
die Reihen, selbst die Cigarren mußten ausgelöscht werden, und nur das
gleichmäßige, vage Geräusch der marschirenden Bataillone -- es waren
ihrer drei vereinigt geblieben -- tönte durch die Stille der Nacht.
Da ward auf geringe Entfernung ein dunkeler Gegenstand sichtbar, von
dem bald das bekannte „~sentinela alerta~“, weit zurück hinsterbend,
herüberschallte, und „Peralta, Peralta!“ säuselte ein leises Flüstern
die Marschkolonne hinab: es war in der That die bedeutende vom Feinde
befestigte Stadt Peralta, durch ganz Spanien wegen der ausgezeichneten
Weine seiner Umgegend bekannt.

Der General blieb mit den Bataillonen hinter einem nahen Olivenhölzchen
stehen, während zwei Grenadier-Compagnien, an deren Spitze er mich
und einen andern Officier seines Stabes gestellt, von zwei Landleuten
geführt vorwärts schlichen, jeden Busch, jede Vertiefung zur Deckung
benutzend und oft auf dem Bauche über offene Stellen fortkriechend.
Unbemerkt gelangten wir bis unter die Mauer, wo sie kaum neun Fuß
hoch von dem Felsen sich erhob, in den der Graben geöffnet war;
rasch wurde die mitgebrachte Leiter angesetzt -- da tönte wieder
der Wache Ruf[28], längs der Mauer hin, und rechts und links, kaum
dreißig Schritt entfernt, antworteten zwei Schildwachen der warnenden
Stimme; regungslos schmiegten wir uns an die Mauer. Einen Augenblick
später schwangen sich die beiden dazu bestimmten Grenadiere gewandt
hinauf, ich folgte mit meinem Gefährten, Beide gleichfalls mit Büchsen
bewaffnet und die Canana um den Leib geschnallt. „~Quien vive? Quien
vive?~“ und zwei Schüsse auf beiden Seiten folgten sich; die Grenadiere
erstiegen gedrängt die Mauer und sprangen sofort in die Stadt hinab, wo
alsbald ungeheures Getöse von Schüssen und Geschrei, Trommelwirbel und
Geläute der Glocken sich erhob. So wie eine halbe Compagnie innerhalb
der Mauer formirt war, führte sie mein Gefährte, mit der Örtlichkeit
vertraut, raschen Schrittes gegen das nächste Thor, dessen Wache wir
unter dem Gewehre fanden. Eine Salve, die erste, welche wir gaben, von
lautem ~Viva el Rey~ begleitet zerstreute sie; fünf Minuten später war
das Thor mit Beilen geöffnet, und Garcia stürmte herein mit seinen
Bataillonen, besetzte die Hauptstraßen, entsendete starke Patrouillen
und vermehrte durch wildes Feuer die Verwirrung des Feindes. Als der
Tag anbrach, fanden wir die Stadt in unserm Besitze, da die Garnison
mit Zurücklassung von etwa siebenzig Gefangenen in das Fort sich
geworfen hatte. Viele unserer Soldaten hatten sich plündernd durch
die Häuser zerstreut, und erst nach zwei Stunden gelang es durch
unerbittliche Strenge, sie wieder zu formiren und Ordnung herrschend zu
machen.

Espartero befand sich wenige Meilen entfernt in Lodosa, aber er rührte
sich nicht und machte eben so wenig irgend eine Bewegung gegen Uranga,
der mit neun Bataillonen von los Arcos aus, vier Stunden nördlich von
Lodosa, ihn beobachtete. So konnten wir drei Tage in Peralta bleiben,
dessen Besatzung übrigens im Fort unbelästigt blieb und auch gegen uns
keinen Schuß weiter abfeuerte. Nachdem alle Vorräthe, deren an Wein,
Getreide und Öl viele sich fanden, so wie die Waffen und Pferde nach
Estella geschafft waren, verließen wir die Stadt, um nach der Solana
zurückzukehren. -- Ich war glücklich, da ich endlich wieder dem Feuer
dieser Christinos mich gegenüber gesehen hatte.

       *       *       *       *       *

Einige Tage nachher ward ich vom Gen. Garcia beordert, siebenzig
Individuen der französischen Fremdenlegion, meistens Deutsche, die zu
uns übergegangen waren, nach der französischen Gränze zu geleiten,
da sie den Wunsch ausgesprochen hatten, nach ihrer Heimath entlassen
zu werden. Das aus solchen Deserteurs gebildete Bataillon, welches
mit der königlichen Expedition abmarschirt war, zeichnete sich bei
jeder Gelegenheit ebenso durch ungemessene Bravour wie durch Mangel
an Disciplin und durch Unordnungen, vor Allem Trunk und Diebereien,
aus, was natürlich nur der Schwäche der Officiere zuzuschreiben ist,
die meistens lediglich ihr pecuniäres Interesse zu fördern suchten
und selbst ihren Theil von den durch die Soldaten gestohlenen Gemüsen
und Obst empfingen, so daß mehrere von ihnen wegen Veruntreuung zu
Festungsarbeit verurtheilt werden mußten. Die Mehrzahl derselben
stammte gleichfalls von der Legion her.

Die mir anvertrauten Leute, wenn auch roh und wild, betrugen sich ganz
zu meiner Zufriedenheit. Ich passirte anderthalb Stunden von Pamplona,
durchkreuzte längs der Zubiri-Linie das schöne Ulzama- und Bastan-Thal,
überstieg den Höhenzug der Pyrenäen und erreichte glücklich die Gränze
bei Zugarramurdi, wo ich das Detachement den französischen Posten
überlieferte. Nachdem ich einige Stunden im nahen Städtchen mit den
Officieren der dort cantonnirenden Compagnien verplaudert, ward ich
nach Spanien zurückgeleitet und mit freudigem Staunen von dem Chef des
Gränzcordons begrüßt, der, da ich -- ohne Zweifel höchst unvorsichtig
-- den französischen Boden betreten, überzeugt gewesen war, daß
ich entweder auch die Provinzen verlassen wollte oder doch von den
jenseitigen Behörden an der Rückkehr würde verhindert werden.

Langsam ging ich dann, nur von einem Burschen begleitet, auf Estella
zurück. Wieder überstieg ich jenen Gebirgszug, der durch Wildheit
zugleich und Anmuth sich auszeichnet, indem die Berge über zwei
Drittel ihrer Höhe mit reichem Laubholze bedeckt sind und zahllose
kristallhelle Quellen aus ihnen hervorsprudeln; in den Thälern aber,
die vielen Mais und Roggen erzeugen, liegen vereinzelt schöne,
reinliche Städte, deren Bewohner die echte Treuherzigkeit und Geradheit
der Gebirgsvölker entfalteten und ganz besonders gastfrei sich mir
bewiesen. Dörfer oder vereinzelte Häuser finden sich erst im Bastan
wieder, wo ich auch zuerst Truppen traf, da auf dem ganzen Striche bis
zu der Gränzlinie das Terrain hinlänglich gegen die Einfälle der Feinde
sicherte. Schon hatte ich auch den hohen Rücken überschritten, der das
Bastan- vom Ulzama-Thale scheidet, und ich ruhte vom beschwerlichen
Marsche in einem der großen, ganz carlistisch gesinnten Dörfer dieses
Thales, von dem oft nicht eine Stunde entfernt die feindliche Linie
sich hinzog. Nachdem ich mit meinem Wirthe, einem reichen Bauer, über
den Krieg und die Angelegenheiten der Provinzen, unerschöpflichen Stoff
der Unterhaltung, geplaudert, suchte ich das Bett auf und schlief
bald fest auf fünf oder sechs über einander gethürmten Wollmatratzen,
während der Bediente in einem Winkel des an meinen Alkoven stoßenden
Zimmers sein Lager ausbreitete.

Mitternacht mochte vorbei sein, als ein dumpfes Geräusch auf der Straße
mich weckte; zugleich stürzte eine weibliche Gestalt mit fliegendem
Haare, in ein langes weißes Hemd gekleidet und ein brennendes Licht
in der Hand, in das Gemach; sie stellte sich vor mein Bett, bewegte
mit ausdrucksvoller Heftigkeit die Arme, auf Thür und Fenster deutend,
und verschwand lautlos, höchstes Entsetzen verrathend. Überrascht
sprang ich auf. Da ertönten heftige Kolbenstöße gegen die Hausthür,
der Lärm auf der Straße ward stets verworrener, und mein Thomas, der
an das Fenster geeilt war, rief mit zitternder Stimme: „~por Dios,
Señor, que son los christinos~!“ Ich flog an das Fenster: da stand
tobend und fluchend ein Haufen Bewaffneter, deren Kopfbedeckung nur
zu unzweifelhaft die verhaßten Negros erkennen ließ. In einem Sprunge
hatte ich die Thür erreicht: schon wälzte der Lärm sich die Treppe
herauf; ich eilte zum Fenster zurück; die kleine, kaum einen Fuß
breite Öffnung, wie sie oft in den Wohnungen der navarresischen Bauern
sich finden, machte Flucht unmöglich. Meine Lage, meine Gefühle waren
entsetzlich. Wieder ein Gefangener! Schon standen die Feinde auf dem
Vorplatze, wo die Frauen des Hauses, da der Wirth bereits durch die
Hinterthür entflohen, umsonst sie aufzuhalten suchten. Ich befahl
meinem Burschen, der, vor dem Kriege Mönch, zitternd mich fragte:
„Werden sie uns tödten?“ sich ruhig niederzulegen, versteckte die
Waffen und militairischen Kleidungsstücke unter das Bett und legte
mich gleichfalls nieder, nachdem ich die Depechen, welche der Chef der
Gränze als sehr wichtig für den General mir eingehändigt, oben auf den
Himmel des Bettes geworfen hatte.

Der Lärm auf dem Vorplatze dauerte fort; ich unterschied die Bitten
der Weiber, ihre Versicherungen, kaum verständlich im gebrochenen
Castilianisch, daß in diesem Zimmer Niemand versteckt sei, worauf die
Feinde mit Lachen erwiederten, daß sie ja Niemanden suchten, daß nun
Alle eins seien. Da ward die Thür aufgerissen, und schweigend, die
Gewehre in der Hand, traten funfzehn bis zwanzig christinosche Soldaten
herein. Der Augenblick war furchtbar: halb aufgerichtet, als sei ich so
eben erwacht, sah ich mit hochklopfendem Herzen auf die Eindringlinge,
ungewiß, ob Tod, ob Gefangenschaft mein Loos sei. Sie stellten in
Ordnung ihre Gewehre an die Wand, hängten Tornister und Lederzeug daran
auf und .... verließen in ehrerbietigem Schweigen das Zimmer. Dann
hörte ich sie zum Strohboden hinaufsteigen.

Ich sprang auf, den günstigen Augenblick zur Flucht zu benutzen,
erstaunt und nicht meinen Augen trauend. Doch Freude strahlend trat
die Wirthinn herein und erzählte weitschweifig, wie eine feindliche
Compagnie, die im nahen Fort als Garnison gestanden, mit Waffen und
Gepäck zu uns übergegangen sei; nur die Officiere und Sergeanten waren
in Thränen zurückgeblieben, da sie umsonst durch jedes Mittel die
Ausführung des rasch Beschlossenen zu hindern gesucht hatten. -- Eine
Tochter des Hauses, eine unglückliche Stumme, war, so wie sie das Bett
verlassen, zu mir geeilt, mich zu warnen, da sie die christinoschen
Soldaten erkannt hatte, während die übrigen Frauen Alles aufboten, um
mich zu retten und die gefürchteten Gäste von mir fern zu halten, in
ihrer einfachen Unwissenheit aber eben dadurch mich verrathend. Am
Morgen sah ich die Compagnie, dem Regimente von Ziguenza angehörend,
unter dem Befehle einiger Corporale zum Abmarsch formirt: schöne,
kräftige Leute, vollkommen bewaffnet und uniformirt. Da ich ein halbes
Jahr später das Commando einer Compagnie im 7. Bataillon von Castilien
erhielt, fand ich in ihr den größten Theil dieser Burschen wieder, die
den Schrecken, den sie einst mir verursacht, durch treuste Hingebung zu
vergelten suchten.

Als ich im Anfange Julis in Estella anlangte, hatte sich General
Uranga mit dem Operations-Corps nach dem westlichen Vizcaya gezogen,
und Espartero, eine neue Expedition fürchtend, war ihm auf das
~valle de Mena~ gefolgt, während Iriarte in der Rivera mit acht
Bataillonen und der Baron das Antas mit seiner Division in Vitoria
stehen blieb. Bald kehrte Espartero nach Logroño zurück und marschirte
schon am 8. Juli mit zwei Divisionen über Soria auf Guadalajara,
da er Ordre erhielt, Madrid gegen den Vormarsch der königlichen
Expedition zu decken. Uranga beschleunigte den Abmarsch eines andern
Corps, welches die gänzliche Entblößung Alt-Castilien’s von Truppen
benutzen und der Armee des Königs eine Diversion machen sollte, da
alle disponibeln Streitkräfte der Christinos auf sie sich geworfen
hatten. Da es natürlich mein innigster Wunsch sein mußte, jetzt, da die
Schwäche beider Heere in den Nordprovinzen keine bedeutenden Kämpfe
erwarten ließ, dieser Division mich anzuschließen, erreichte ich, zum
Generalstabe derselben bestimmt zu werden, und ward von dem General
Zariategui mit Herzlichkeit aufgenommen.

Nie sah ich so hohe, freudige Begeisterung die Truppen beleben, nie
fühlte ich selbst so ganz ihre Alles überwindende Macht, wie zu jener
Zeit, da wir, eine kleine, aber auserlesene Schaar, den Krieg in das
Innere des Königreiches tragen und den übermüthigen Feind in seinem
eigenen Gebiete aufsuchen sollten. Jubelnd zogen wir Alle dahin, und
an dem Tage, an dem wir nach glorreichem Siege den Ebro passirend aus
unsern Gebirgen in die reichen Ebenen Castilien’s hinabstiegen, sah
ich manche dunkelgebräunte Wange von einer Thräne des herrlichsten
Enthusiasmus genetzt. Wenn der Krieger dasteht, fest den Choc des
Feindes erwartend, da ergreift ihn ein innerer Trotz, jeder Einzelne
sucht sich fester hinzupflanzen, als gälte es persönlich schweren
Stoß zurückzuweisen; sein Antlitz verfinstert sich, der Mund ist fest
zusammengekniffen, und vielleicht zuckt ein leichtes verächtliches
Lächeln über seine Züge, wenn er die glänzenden Escadrone heranbrausen
sieht, deren Ohnmacht er wohl kennt, und die er schon von der
unerschütterlichen Masse abprallend in wilder Flucht aufgelöset im
Geiste sieht. Rückt er aber mit Vertrauen auf seine Führer und auf sich
selbst zum entscheidenden Angriff, dann strahlt das Auge des wahren
Soldaten von innerem Feuer, sein Kopf hebt sich im Gefühle stolzen
Muthes, sein Schritt wird elastisch, und echte Begeisterung macht das
Schwierigste ihm leicht, treibt ihn, durch Gefahr und Tod Heldenruhm
und Heldenehre sich zu erkämpfen und willig dem Triumphe der gerechten
Sache sich selbst zum Opfer zu bringen.

  [28] Er wird jede Viertelstunde von dem dazu bestimmten Posten
       erneuert und läuft von einem zum andern durch die ganze Chaine.



X.


Am 17. Juli 1837 war die zur Expedition nach Castilien[29] bestimmte
Division bei Santa Cruz de Campezu vereinigt, von wo aus sie unter
dem Mariscal de Campo -- Generallieutenant -- Zariategui den Marsch
durch Alava nach dem Ebro richtete. Sie bestand in drei Brigaden aus
den Bataillonen 2. und 6. von Guipuzcoa unter Brigadier Iturbe, 1. und
7. von Navarra unter Oberst Oteyza, 1. von Valencia, 6. von Castilien
und 3. von Aragon, Brigade von Castilien, unter Brigadier Noboa;
das Bataillon von Aragon war in Cuadro, d. h. es enthielt nur seine
Officiere und Unterofficiere, um aus Rekruten completirt zu werden. Die
Cavallerie bildeten die Escadrone der Legitimität, ganz aus Officieren
zusammengesetzt, und 1. und 3. von Navarra; ein Ganzes von 3700 Mann
Infanterie und 220 Pferden. Als Chef des Generalstabes fungirte
Brigadier Elio.

Langsam durchzogen wir das reiche Alava, passirten am folgenden
Tage die Heerstraße von Vitoria nach Logroño unmittelbar neben der
feindlichen Festung Peñacerrada und richteten uns dann westlich
parallel dem Ebro, den wir zu überschreiten bestimmt waren. Am 19.
setzten wir ruhig den Marsch fort, als am Morgen unser Vortrab ein
starkes feindliches Detachement entdeckte, welches sich in dem Dorfe
Zambrana festsetzte, dadurch andeutend, daß es Hülfe erwarte. Auch
erschienen bald zwei feindliche Bataillone und nahmen auf den Höhen
neben dem Dorfe Stellung, wo sie sogleich vom 1. Bat. von Navarra, der
Avantgarde, angegriffen wurden. Das Gefecht war kurz; der Feind, durch
Navarra stark gedrängt und von der Höhe geworfen, dann von einigen
Compagnien von Guipuzcoa, die herzugeeilt waren, in der rechten Flanke
bedroht, während eine Escadron ihn links umging, zog sich rasch auf das
Fort Armiñon zurück, ehe noch der Rest der Division erschienen war. Der
General blieb mit seinem Stabe, den Escadronen und dem Bataillone 1.
von Navarra in Zambrana, während die übrigen Truppen in zwei und eine
halbe Stunde rückwärts liegenden Dörfern stehen blieben.

Es war Mittag und unendlich heiß, die Cavallerie hatte ihre Pferde
abgezäumt, die Bataillone die Gewehre zusammengestellt, und die meisten
Officiere suchten die Mittagsgluth zu verschlafen; ich lag halb
bekleidet auf einer Matratze ausgestreckt. Da stürzten einige Leute
zum General mit der Meldung, daß feindliche Cavallerie, von starken
Infanteriemassen begleitet, im Trabe nahe; wir flogen zu den Fenstern
und sahen die Escadrone der Christinos schon am Eingange des Ortes
formirt. Es war der Portugiese Baron das Antas, der seine Division, mit
dem Freicorps des Schleichhändlers Martin Barea vereinigt und verstärkt
durch die Garnisonen von Vitoria und Treviño, heranführte, um die Ehre
der portugiesischen Waffen zu retten, da einige Bataillone am Morgen zu
weichen genöthigt waren. Die höchste Verwirrung herrschte in dem Dorfe,
von allen Seiten erschallte wildes Geschrei, bald von den Trommeln
übertönt, die Infanterie eilte zu ihren Gewehren, die Cavalleristen
schwangen sich auf die zum Theil ungesattelten Pferde. Auch ich warf
mich auf das Pferd, den Überrock und den Säbel in der Hand haltend
und ohne Weste, die ich am Abend in dem Hause wiederfand. Wenn die
feindliche Cavallerie sofort in den Ort eingebrochen wäre, hätte unsere
Infanterie gar nicht zu den Waffen greifen können, Alles wäre wehrlos
überrascht, ohne Zweifel der General mit seinem Stabe und sämmtliche
Cavallerie gefangen genommen; das Zaudern des Feindes, der wohl nicht
ohne Infanterie in einen besetzten Ort sich zu engagiren wagte, rettete
uns, da Zariategui trotz dem feindlichen Andrängen das Bataillon in
Masse formirt auf die Division zurückführen konnte, die er bereits in
Bataillons-Colonnen in einer Linie aufgestellt fand.

Reißend schnell zogen die Portugiesen zum Angriffe heran, in sieben
Bataillonen und drei Escadronen, 6200 Mann und 360 Pferde stark: Barea
auf dem linken Flügel bedrohete die Brigade Guipuzcoa, während eine
tiefe Colonne gegen unsern linken Flügel, die Brigade Castilien, sich
wandte, wo Valencia an ein stark besetztes Dörfchen sich lehnte. Auf
dieses warfen sich die Portugiesen mit Kraft und trieben das Bataillon
bis zu den Häusern zurück; dort wurde ihr Choc mit solcher Festigkeit
aufgenommen, daß sie schnell weichen mußten. Nochmals drangen die
Massen zum Sturm, und nochmals wurden sie zurückgeschlagen; ein dritter
Versuch hatte keinen bessern Erfolg. Das Gefecht hatte sich indessen
auf der ganzen Linie ausgebreitet, ohne daß es dem Feinde gelungen
wäre, irgendwo durchzubrechen. Das 7. Bataillon von Navarra bestrich
von seiner Centralstellung auf einer leichten wenig vorgeschobenen
Höhe die ganze vorliegende Ebene, und Iturbe mit dem 6. von Guipuzcoa
vertrieb Barea’s Corps von den Hügeln, die es inne hatte, und bedrohete
die linke Flanke der Portugiesen, worauf sie, da die ganze carlistische
Linie eine kräftige Bewegung vorwärts machte, in Ordnung den Rückzug
antraten.

Auf dem Fuße von unsern Tirailleurs verfolgt, nahm Das Antas hinter
dem Flüßchen Zadorra Position und stürmte, da Iturbe über eine
Brücke auf der Rechten rasch nachdringend sich isolirt hatte, mit
überlegenen Massen auf die Brigade Guipuzcoa ein, die jedoch den
Angriff mit Festigkeit aushielt, bis die übrigen Truppen den Fluß
passiren und die Escadron 3. von Navarra herzueilen konnte. Zwar
mißlang eine Charge derselben gegen ein feindliches Bataillon mit
schwerem Verluste an Menschen und Pferden, da aber zuletzt auch die
Brigade Navarra den Übergang erzwang und die ganze Linie wieder zum
Angriff überging, entschlossen sich die Portugiesen zu neuem Rückzuge,
den zwei Bataillone ihres rechten Flügels und die drei Escadrone
deckten. Wiewohl heftig gedrängt, zogen sie sich, ohne unser Feuer
zu erwiedern, bis zu einigen einzeln stehenden Häusern, wo sie Front
gegen uns machten. Die Escadrone der Legitimität -- 50 Pferde --, der
die Officiere des Generalstabes sich angeschlossen hatten, und 1. von
Navarra chargirten und trafen sich mit zwei der feindlichen Escadrone;
nach zwei furchtbaren Chocs, in denen ihr Oberst[30] getödtet, wurden
die Portugiesen zerstreut, worauf die beiden Bataillone, da sie ihre
Cavallerie geworfen sahen und unsere Tirailleurs, in die Massen
hineinschießend, sie eng umzingelt hielten, das Gewehr streckten.
Doch die dritte Escadron eilte herzu, befreite die Bataillone und
umwickelte selbst die Hälfte der 1. von Navarra, die aber eine neue
noch höhere Kraftanstrengung ihrer Gefährten rettete, wobei selbst
einige Gefangene bewahrt wurden. Der Tummelplatz war mit Todten und
Verwundeten, Pferden, Gewehren und Lanzensplittern bedeckt; Infanterie
und Cavallerie war bei den wiederholten Chargen und dem Wechsel der
Bewegungen bunt durch einander geworfen. Der Feind zog sich rasch, aber
geschlossen zurück, von der wieder geordneten Cavallerie gedeckt, die
auch hier den Ruf der Bravour behauptete, der sie auszeichnet. Wir
verfolgten ihn bis nahe dem Fort Armiñon, dessen Geschützfeuer zur
Rückkehr uns nöthigte.

Plötzlich ertönten zu unserer Rechten häufige Schüsse; ein Adjutant
eilte dorthin und fand am Ufer der Zadorra, deren Wasser von Blut
roth gefärbt war, einige Compagnien in lebhaftem Feuer begriffen. In
der Verwirrung der Cavallerie-Chargen hatten sich viele Soldaten der
beiden portugiesischen Bataillone in den Fluß geworfen und im Schilfe
versteckt, wo sie nun, so wie sie zum Athemholen den Kopf über das
Wasser erhoben, unsern lachend am Ufer wartenden Freiwilligen zur
Zielscheibe dienten.

Der Verlust des Feindes betrug 1100 Mann, worunter 150 Gefangene, der
unsere fast 500 Mann; neunhundert Gewehre und einige vierzig Pferde
waren in unsere Hände gefallen. Der General schlug mich für den Orden
St. Ferdinand’s erster Classe vor und ließ mir, da mein Pferd in einer
der Chargen verwundet war, das des gefallenen portugiesischen Obersten,
einen prachtvollen Goldfuchs, nebst dessen Waffen überreichen. --
Übrigens ist gewiß der unverzeihlichste Fehler, den ein General zu
begehen vermag, der, sich überraschen zu lassen; hier war er doppelt
schwer, da Zariategui bei solcher Nähe des Feindes auch nicht die
geringste Vorsichtsmaßregel getroffen, selbst nicht einen Vorposten
ausgestellt oder eine Patrouille entsendet hatte: Alles schlief oder
kochte. Könnte aber je solcher Fehler durch Tüchtigkeit im Erkämpfen
des Erfolges vergessen gemacht werden, so that es Zariategui durch die
meisterhafte Leitung der Action.

Nachdem die Verwundeten und Gefangenen zurückgebracht waren, und
da der General noch eine Zusammenkunft mit General Uranga gehabt
hatte, bivouakirten wir in der Nacht vom 21. zum 22. Juli auf dem
Ufer des Ebro und passirten ihn früh Morgens zwischen den beiden
Festungen Miranda de Ebro und Arro. Mit lautem, enthusiastischen ~viva
el Rey!~ betraten die Freiwilligen die fruchtbaren, mit lachendem
Grün bedeckten Gefilde Castilien’s, und von den Wällen des nahen
Miranda sahen die Feinde, ohne sich zu bewegen, wie wir siegreich die
Scheidewand überschritten, die von dem christinoschen Spanien uns
zurückhalten sollte. Hätte Das Antas, anstatt mit seinem schönen Corps
unnütz prunken zu wollen, sich begnügt, die wenigen Furthen zu decken,
welche hier den Übergang des Ebro gestatten, so würde er der Sache, die
er vertheidigte, bessere Dienste geleistet haben.

       *       *       *       *       *

In kleinen Märschen durchzogen wir die Provinz Burgos, vom General
Escalera bis Lerma verfolgt, ohne je seine Truppen zu Gesicht zu
bekommen; nur ein Mal nicht weit von Aranda de Duero sahen wir fern
die Colonne von Soria, welche unter General Alcala gleichfalls zu
unserer Verfolgung bestimmt sein sollte: sie zog sich zurück, so wie
wir sie zu empfangen uns aufstellten, und erschien nicht wieder.
Allenthalben wurden wir gut vom Volke aufgenommen, und da wir am
Tage des Ebro-Überganges einem niedlichen Städtchen naheten, kamen
die National-Gardisten weit uns entgegen und begrüßten die Truppen
als Befreier von den Einfällen der Facciosos. Verführt durch den
eben so pompösen als lügenhaften Bericht Das Antas’s, worin er den
Castilianern verkündete, daß er durch einen entschiedenen Sieg die
Expeditions-Division vernichtet und in ihre Wälder versprengt habe,
hielten uns die Armen für das portugiesische Corps und wollten sich
lange nicht von ihrem Irrthume überzeugen lassen, da sie, was wir sagen
mochten, für Scherz erklärten. Sie wurden jedoch nach Ablieferung ihrer
Waffen entlassen, wie es überhaupt Zariategui’s Grundsatz war, durch
wohlwollende Behandlung und Milde die Liebe des Volkes zu erwerben.

Am 27. Juli vereinigten wir uns bei Covarrubias mit einer Brigade
von Vizcaya, dem 5. Bataillon von Castilien und der Escadron von
Cantabrien, die den Ebro nahe seinen Quellen passirt hatten und die
Junta von Castilien uns zuführten. Die Mitglieder derselben, von einem
Geistlichen präsidirt, schienen von Allem zu wissen mit Ausnahme
dessen, was ihre Pflicht betraf: während die einfachsten Regeln in der
Verwaltung ihnen ganz unbekannte Dinge waren, wußten sie wohl ihre
Koffer tüchtig zu füllen. Auch ist nie bekannt geworden, was diese
Junta gewirkt hat.

Sie setzte sich in San Leonardo fest und mit ihr wurde in dem Gebirge
zwischen Burgos und Soria das 5. Bataillon von Castilien unter Oberst
Barradas zurückgelassen, der den Auftrag erhielt, Rekruten auszuheben,
einige Punkte zu befestigen und große Magazine von Lebensmitteln und
sonstigen Kriegesbedürfnissen anzulegen, da Zariategui, im Fall ein
Rückzug nöthig würde, sich hieher ziehen und hier behaupten wollte.
Dann kreuzte die Division, nun in acht Bataillonen und vier Escadronen
4300 Mann und 310 Pferde stark, die große Heerstraße nach Frankreich
zwischen Aranda und Lerma, überschritt am 31. bei Roa den Duero und
rückte, ohne irgend Widerstand zu finden, in die Provinz Segovia vor.

Am 3. August Nachmittags standen wir vor Segovia, zwölf Meilen von
Madrid entfernt, einer alten Stadt von 15000 Einwohnern, die als
Hauptort der Provinz, wegen seiner Münze und großen Tuchfabriken
von hoher Wichtigkeit ist; auch schloß sie mehrere militärische
Etablissements in sich, das große Cadetten-Institut des Königreiches,
Stückgießereien, Gewehrfabriken und bedeutende Niederlagen von
Kriegsbedürfnissen jeder Art. Die Stadt war mit einer hohen Mauer
umgeben, die durch vorspringende Thürme flankirt war. Sofort wurde
die Disposition zum Angriff gemacht, indem die Brigade Castilien zur
Erstürmung des uns gegenüberliegenden Thores bestimmt ward, während die
Brigaden Vizcaya und Guipuzcoa rechts und links die Mauer escaladiren
würden; Navarra blieb nebst der Cavallerie hinter einem großen
Fabrikgebäude als Reserve stehen. Jeder der angreifenden Brigaden wurde
ein Officier vom Generalstabe[31] beigegeben, mich traf die Brigade
Vizcaya. Die einzige Instruction, welche der General uns gab, war: die
Stadt muß genommen werden; Sie werden die Ersten innerhalb der Mauer
sein.

Auf das Zeichen zum Angriff drangen die drei Colonnen vorwärts, bald
von den Kugeln der Garnison -- 1500 Mann mit acht Geschützen auf der
Mauer -- überschüttet. Valencia gelangte fast bis zu dem Thore, das
es umsonst zu sprengen suchte, die andern Brigaden aber, da sie keine
Leitern hatten, holten aus den nahen Häusern Tische, Stühle und Thüren
zusammen, um aus ihnen Gerüste zur Ersteigung der Mauern zu erbauen.
Nach viertelstündiger vergeblicher Anstrengung wichen die Colonnen,
hinter den Häusern sich neu formirend, von wo sie, da Zariategui
wieder zum Sturm blasen ließ, sofort vorbrachen. Während Valencia den
Eingang zu erzwingen, das Thor in Brand steckte, hatte Vizcaya endlich
das Gerüst errichtet; mit lautem ~viva el Rey~ stürmten wir hinauf,
von Stuhl zu Stuhl emporkletternd. Der Feind wich, die Ersten der
Unseren schwangen sich auf die Mauer und stürzten die schon zur Flucht
gewendeten Vertheidiger jenseit hinunter; in demselben Augenblicke
drang Valencia durch das halb niedergebrannte Thor in die Stadt, wo die
siegreichen Colonnen mit Jauchzen sich begrüßten. Die Besatzung floh
allenthalben, so daß nun auch Guipuzcoa die Mauer ersteigen konnte. Ob
Valencia, ob Vizcaya zuerst die Stadt betraten, blieb unentschieden.

       *       *       *       *       *

Eiligen Laufes flohen die Christinos dem Alcazar zu, nun zum Castell
gemacht, ihnen nach jagten die Eingedrungenen und streckten Manchen in
den Straßen nieder. In entsetzlicher Unordnung löseten die Bataillone
sich auf und zerstreuten sich plündernd durch die Stadt, die rings von
Geschrei und Klagen wiederhallte; die Münze wurde erbrochen, und große
Säcke Kupfergeld, kaum noch beachtet, lagen bald in den Straßen umher.
Selbst einzelne, nein, sehr viele Officiere nahmen an der Unordnung
Theil, und einen derselben fand ich vor dem Hause eines reichen
Banquiers mit Säcken voll Piaster vor sich, aus denen er freigebig
allen Vorübergehenden mittheilte. Umsonst suchte der General dem
Unwesen zu steuern, umsonst sendete er die ihn umgebenden Officiere
nach allen Seiten aus; wenn die Plünderer mit Flüchen und Säbelhieben
aus einem Hause vertrieben waren, zerstreuten sie sich, um anderwärts
ihr grausames Spiel wieder zu beginnen. Endlich zog der General
die Reserve-Brigade von Navarra herein, um durch sie die Ordnung
herzustellen, auch gelang es ihm, etwa tausend Mann zu sammeln und aus
der Stadt zu führen. Da, in der Meinung, nun seien sie als Reserve
abgelöset, begannen die Navarresen ihrerseits zu plündern. Zariategui
war in Verzweiflung. Alles geschah unter den Augen der Besatzung
des Alcazar, und die weit überlegene Division von Mendez Vigo, dem
General-Capitain von Alt-Castilien, stand nur zwei Stunden entfernt in
dem Lustschlosse San Ildefonso (la Granja). Hätte die eine oder die
andere so furchtbare Unordnung benutzt, die Division mußte vernichtet
werden: keine der Beiden rührte sich.

Erst am folgenden Tage, da der Alcazar capitulirte, hörte die
Plünderung auf, in der viele Soldaten sich so bereicherten, daß später
auf dem Rückzuge stundenweit Silber- und Kupfergeld sich hingestreut
fand, nach und nach von den Soldaten weggeworfen, wie die Last der
gefüllten Tornister zu groß wurde. Die Garnison, wiewohl der Alcazar
ein sehr festes Gebäude und von tiefen in den Felsen gehauenen Gräben
umgeben, auch Mendez Vigo so nahe war, versuchte keinen Widerstand
nach der Einnahme der Stadt; sie capitulirte am 4. Juli und übergab
das Castell mit der Bedingung, daß die 300 Cadetten mit ihren Waffen
und ~tambour battant~, die Besatzung mit Gepäck und ohne Waffen nach
Madrid abzögen; das Eigenthum des Instituts, die Bibliothek, die
Waffensammlung und die Exercier-Geschütze ~en miniature~ der Cadetten
würden unangetastet bleiben. -- Die Erstürmung Segovia’s hatte uns etwa
200 Mann gekostet.

So wie die Thore der mächtigen Burg sich öffneten, eilten wir hinein,
unsere Eroberung zu bewundern. Wir mischten uns mit den Christinos,
die großen Theils für ihre Lage sehr passend und fest sich benahmen,
und unter denen viele höchst gebildete Officiere sich befanden, die
wiederum die Bravour unserer Truppen anerkannten und ihr Erstaunen
nicht verhehlten, daß sie anstatt der rohen, fanatischen Facciosos,
wie sie ihnen geschildert waren, vollkommen organisirte Truppen und
manche wissenschaftlich gebildete Officiere sahen, die, weit entfernt
von jenem blinden Fanatismus, mit Freimuth über die entgegengesetzten
Meinungen zu discutiren und auch im Gegner, so lange sie nicht
selbstische Motive zu verdecken dienen und, auf Überzeugung gegründet,
mit Edelmuth gepaart sind, sie zu ehren wußten. Ich gestehe, daß es
mir unendlich wohlthuend war, da ich unsere sonst so übermüthigen
Gegner hier genöthigt sah, wahre Anerkennung uns zu zollen; denn ich
fühlte, daß nicht Furcht oder Rücksicht aus ihnen sprach, und der
ernste Händedruck einiger ausgezeichneten Officiere des Cadetten-Corps
zeigte ihre Sympathie für die Carlisten, die sie bisher nur nach den
Erzählungen unserer Feinde gekannt und verabscheut hatten. Übrigens
erkannte die Garnison von Segovia, als sie mit ihren Waffengefährten
wieder vereinigt, auch in Madrid öffentlich den Edelmuth und die
Freisinnigkeit an, mit der sie von den siegenden Rebellen behandelt
waren.

Das feste und militärische Benehmen eines kleinen Cadetten frappirte
mich besonders als Contrast gegen die Niedrigkeit eines seiner Lehrer,
der am Morgen vor unserer Ankunft eine erbärmliche, mit beleidigenden
Invectiven gefüllte Proclamation an die Einwohner und Truppen erließ,
worin er sie aufforderte, gegen die blutdürstigen Meuchelmörder bis auf
den letzten Mann sich zu vertheidigen. Nun aber, da er uns als Sieger
in der Stadt sah, suchte er unsere Gunst durch eben so jämmerliche
Schmeicheleien und kriechende Unterwürfigkeit zu gewinnen, während
wir sein Machwerk in der Tasche hatten und darüber lachten. Jener
Cadett aber, ein Bursche von dreizehn Jahren, stand als Schildwache
bei den im Speisesaal zusammengesetzten Carabinern des Corps mit der
Instruction, Niemand die Waffen berühren zu lassen. Kaum hatten wir
den Alcazar besetzt, als ein plumper Navarrese in das Zimmer trat
und sofort einen der schönen Carabiner gegen sein Gewehr eintauschen
wollte. Die Schildwache rief ihm ruhig ihr: „zurück!“ zu. Der Navarrese
griff nach dem Carabiner mit verächtlichem Seitenblick den Knaben
messend, als die Schildwache wieder ein herrisches „zurück!“ ihm
zudonnerte und das Gewehr mit der Drohung auf den Erstaunten anlegte,
ihn sofort niederzuschießen. Einige Officiere entfernten den fluchenden
Navarresen, dem Cadetten gerechtes Lob für die Erfüllung seiner Pflicht
in solcher Lage spendend.

Große Schätze waren uns zu Segovia in die Hände gefallen, so viele
tausend Gewehre, eine bedeutende Munitions-Niederlage und einige
zwanzig Geschütze, von denen acht auf den Mauern des Alcazar
aufgepflanzt waren, dann fanden wir ungeheure Magazine vor, und aus
dem erbeuteten Tuche wurde die ganze Division neu uniformirt. Die
Stunden vergingen rasch in fortwährender drängender Beschäftigung.
Der Intendant fand gleichfalls außer dem baaren Gelde der königlichen
Cassen zwanzig Millionen in Staatsschuldscheinen vor und ... ließ das
Packet öffentlich auf dem Markte verbrennen. Als Zariategui auf die
Nachricht erschreckt und zornig hineilte, kaum das Geschehene glaubend,
sagte ihm der Finanzmann mit kläglicher Miene, er habe geglaubt, daß
die Papiere nur für Isabella’s Regierung Werth hätten, weßhalb er sie
habe zerstören lassen. Viele behaupteten, der Intendant habe andere
Papiere untergeschoben. In der Münze waren nur noch einige Barren,
da sie ganz ausgeplündert wurde; in ihr wurden Geldstücke mit dem
Bildnisse Carls V. geprägt, die einzigen, welche je angefertigt wurden.

Noch möchte ich ein ausgezeichnetes Monument antiker Baukunst nicht
unerwähnt lassen, da es stets meine Bewunderung in hohem Maße erregte:
eine alte Wasserleitung, deren Ursprung ungewiß ist, dort aber den
Carthaginensern und selbst den Phöniciern zugeschrieben wird. Sie
besteht aus behauenen Steinblöcken von solchem Umfange, daß zu ihrer
Herbeischaffung und Placirung Kräfte müssen angewendet worden sein, wie
sie für jene Zeiten uns kaum denkbar scheinen; das Merkwürdigste dürfte
sein, daß diese Steine an einander gefügt sind, ohne daß das Auge das
geringste bindende Material zu entdecken vermöchte. Jeder Karren,
der unter den weiten Bogen hinfährt, macht den ganzen Bau erzittern,
und doch trotzte dieses Riesenwerk Jahrtausenden. Über einem Bogen
findet sich eine halb zerstörte Inschrift in Charakteren, über welche
die Forscher bisher nicht einig waren, und die, anstatt in den Stein
gehauen zu sein, künstlich auf ihm befestigt sind.

       *       *       *       *       *

Indem das Bataillon -- in Skelett -- von Aragon in Segovia
zurückgelassen wurde, um sich aus den stets herzuströmenden Rekruten
zu vervollständigen, zogen wir am 6. August auf der Straße nach Madrid
vorwärts, welches an eben dem Tage in Belagerungszustand erklärt ward.
Mendez Vigo zog sich bei unserer Annäherung zurück, so daß wir ohne
Widerstand das prachtvolle Lustschloß von San Ildefonso besetzten. Der
General mit einem großen Theile der Officiere besah das Schloß, in dem
Alles in dem Zustande sich befand, wie die Königinn Wittwe es verlassen
hatte, so daß viele Kostbarkeiten und Merkwürdigkeiten in den Gemächern
zerstreut umherlagen. Dann ließ Zariategui das Schloß schließen und
Todesstrafe für einen Jeden verkünden, der den kleinsten Schaden
anstiften würde. Am Abend spielten die schönen Wasserkünste der Gärten,
die weithin ausgedehnt und mit geschmackvoller Eleganz geschmückt, ganz
das Werk Christina’s waren.

Langsam überstiegen wir das wilde Guadarama-Gebirge, auf dessen
höchstem ganz kahlem Gipfel ein ruhender Löwe über einem Piedestal
sich erhebt, dessen Inschrift anzeigt, daß „Ferdinand VI. die Gebirge
besiegt habe“, um durch diese Straße die beiden Castilien zu verbinden.
Mendez Vigo wich fortwährend, bis wir ihn am 11. Aug. Morgens nur
noch drei Stunden von der Hauptstadt entfernt, deren Thürme aus der
Ferne uns winkten, in einer festen Stellung trafen, die durch achtzehn
Geschütze der reitenden Artillerie der Garde gedeckt war. Die Stellung
war augenscheinlich unangreifbar und Umgehung durch das Terrain
faktisch unmöglich gemacht, da rechts und links tiefe Abgründe und
ungangbare Felswände sich hinzogen. Dennoch ließ Zariategui einige
Bataillone vorrücken, die jedoch, nachdem sie wenige vorgeschobene
Truppen auf die Hauptposition zurückgetrieben, mit Granaten empfangen
sich zurückzogen mit einem Verlust von zwanzig bis dreißig Mann, der,
so gering er scheinen mag, eine nutzlose Aufopferung war und vermieden
werden mußte und konnte, da die Demonstration durchaus keinen Zweck
hatte und nur durch den erbärmlichen Stolz, nicht ohne Gefecht sich
zurückziehen zu wollen, veranlaßt ward. Wir übernachteten in mehreren
Ventas und gingen dann, ohne vom Feinde gedrängt zu werden, auf der
Straße von Villacastin auf Segovia zurück, während die Brigade von
Vizcaya über den nahen Escurial marschirte.

Vielfältig ist es dem General Zariategui zur Last gelegt, daß er zu
jener Zeit nicht Madrid’s sich bemächtigt habe, und in der That war
bei unserm Vormarsche die Hoffnung, in die Hauptstadt einzuziehen, in
der Division allgemein verbreitet. Selbst unterrichtete Officiere,
die bei dem Zuge gegenwärtig waren, haben behauptet, daß der General
die Begeisterung der Truppen benutzend, die bei dem Anblicke Madrid’s
zu Allem sie bereit machte, Mendez Vigo hätte schlagen und die Stadt
nehmen müssen; sie ließen sich in ihrem Urtheile wohl nur durch ihren
feurigen Muth leiten, der ihnen jedes Hinderniß als unbedeutend
schilderte, da nur noch eine Kraftanstrengung zur Erreichung des
ersehnten Zieles nöthig schien. Wenn man die Stärke der Division Vigo
-- 9000 Mann --, die Zahl der Nationalgarden -- acht Bataillone --
und der übrigen Truppen in dem großen befestigten Madrid und dagegen
die Schwäche der Division Zariategui -- in Segovia nach den im
Generalstabe abgegebenen Rapporten der Corps 3950 und einige Mann und
300 Pferde schlagfertig -- und ihre gänzliche Entblößung von Artillerie
berücksichtigt, kommt man leicht zu dem Schlusse, daß es Tollheit
gewesen wäre, die Hauptstadt anzugreifen, selbst wenn Mendez Vigo den
Weg dahin ganz frei gelassen hätte. Billig aber muß bewundert werden,
wie dieses kleine Corps so Vieles ausrichten konnte.

Da die Division am 13. Villacastin sich näherte, entfloh der Gouverneur
mit 120 Pferden und 40 Infanteristen, ward aber von der Escadron
3 von Navarra unter dem braven Oberst Osma eingeholt, trotz seiner
Mehrzahl chargirt und geschlagen; Osma kehrte mit achtzig gefangenen
Reitern, den vierzig Infanteristen und dem Gouverneur zurück, dessen
Leben mit Mühe durch unsere Truppen gerettet wurde, da das Volk in
Villacastin wüthend den Kopf seines Peinigers forderte. Als wir in die
Stadt einzogen, sahen wir fern hinter uns auf der Höhe des Guadarama
eine mächtige Staubwolke sich einherwälzen: das Armeecorps Espartero’s,
der, mit seinen 20000 Mann von Guadalajara zum Schutze der Residenz
herbeigerufen, am Abend vorher seinen Einzug dort gehalten hatte, war
ohne Rast zu unserer Verfolgung aufgebrochen. Zugleich folgte uns der
nun mit General Aspiroz vereinigte Mendez Vigo, und die Division Puig
Samper, in Eilmärschen aus der Provinz Cuenca herangezogen, operirte
auf unserer linken Flanke. So war der eine Zweck des kühnen Zuges
erreicht: das Expeditions-Corps des Königs war von einem Theile der
Massen befreit, die sich gegen dasselbe vereinigt hatten und in den
Gebirgen von Cantavieja es zu erdrücken drohten. Die unmittelbare Folge
davon war die siegreiche Schlacht beim ~villar de los navarros~.

Am 14. Mittags langten wir wieder in Segovia an, von den feindlichen
Colonnen, die bei unserm Abmarsche von Villacastin angesichts der
Stadt standen, nahe verfolgt. Wir fanden nicht nur das Bataillon von
Aragon vollständig, sondern auch ein anderes, von Segovia genannt,
aus freiwilligen Rekruten gebildet, die sofort mit einem Theile der
genommenen Gewehre bewaffnet wurden. Am Abend ward im Theater ein
großes Schauspiel aufgeführt, da wir eine Comödianten-Gesellschaft
aufgefangen und nach der Stadt geschickt hatten. Die Freiwilligen,
denen freier Zutritt gestattet war, und die daher den größten Theil
des Hauses einnahmen, staunten jubelnd die Wunderdinge an, da sie ja
in den vaterländischen Gebirgen nichts Ähnliches gesehen hatten, und
als endlich der nationale Bolero das Fest schloß, mußte unter dem
donnernden Applaus unserer Burschen der malerische Tanz wiederholt
werden.

Gewaltige Verwirrung herrschte indessen in der Stadt. Unbegreiflicher
Weise war während der eilf Tage, die unsere Truppen in ungestörtem
Besitze derselben zugebracht, Nichts geschehen, um für den Rückzug, der
doch wohl vorausgesehen werden mußte, die nöthigsten Vorbereitungen
zu treffen, so daß nun Alles in Unordnung durch einander rannte und
wir in Betreff der Transportmittel lediglich auf das beschränkt waren,
was die Stadt uns bieten konnte. Ein wenig Fürsorge des Generals würde
alle die unersetzlichen Effekten gerettet haben, die wir nun mit
tiefem Schmerze aufgeben mußten. Der größte Theil der vorgefundenen
Vorräthe, die Lebensmittel und das Tuch wurden verlassen, das Pulver,
mit Ausnahme von etwa funfzig Maulthierlasten, ward in einen nahen
Teich geworfen, und, noch empfindlicher! selbst für die Fortschaffung
der Gewehre reichten unsere Mittel nicht hin. Die Artillerie wurde
ruinirt, nur eine sechspfündige Kanone und eine fünfzöllige Haubitze,
beide ganz neu und ausgezeichnet durch Schönheit und Leichtigkeit,
konnten mitgeführt werden; für erstere wurden zweihundert, für die
Haubitze einhundert funfzig Schuß ausgewählt, alles Übrige mußte
zurückbleiben. Auch unsere Verwundeten ließen wir mit denen des Feindes
in dem Hospitale; ihre Klagen und ihr Flehen, da sie so dem Elende der
Gefangenschaft sich hingegeben sahen, waren herzzerreißend und ach! nur
zu gegründet, denn Wenige wurden je wieder mit den Ihrigen vereinigt.
Während der Nacht war alle Welt in Bewegung, da die Saumthiere
gesammelt, bepackt und wieder entladen werden mußten, weil etwa irgend
etwas Wichtigeres vergessen war; Befehle wurden von hundert Stimmen auf
einmal gegeben, von Niemand ausgeführt, denn Jeder war schon mehr als
zu sehr beschäftigt. Gegen Morgen ward Apell geblasen, nach welchem
die Truppen in ihre Quartiere zurückkehrten, um eine halbe Stunde
später durch das Assemblee-Signal wieder zur Formation gerufen zu
werden. In der Meinung, es gelte einer Gewehr-Inspection, die am Tage
vorher angesagt war, ließen viele Soldaten, sorglos wie sie sind, ihr
Gepäck im Logis zurück und mußten ohne dasselbe abmarschiren; denn die
feindlichen Colonnen standen nur noch eine halbe Stunde von Segovia und
rückten von Süden her in die Stadt, als wir, der vorausgesandten Bagage
folgend, auf der Straße nach Aranda aufbrachen, um die Sierra, unsern
Stützpunkt, wieder zu gewinnen.

Rührend war der Schmerz der Einwohner, als sie uns davon ziehen sahen.
Eben Die, welche wir bei unserm Einzuge mißhandelt und ausgeplündert
hatten, flehten jetzt weinend, wir möchten sie nicht verlassen, nicht
wieder dem Elende und den Erpressungen der revolutionairen Regierung
Preis geben. So wohlthätig hatten die Milde Zariategui’s und sein
versöhnendes Betragen, wie die nähere Bekanntschaft mit unsern
ungebildeten, aber treuherzigen und wackern Freiwilligen auf Aller
Gemüther eingewirkt. Zariategui hatte nicht nur die Stadt ganz von
Contributionen und sonstigen Abgaben befreit, er vertheilte selbst in
Rücksicht auf die Leiden, welche die Erstürmung nach sich geführt,
unentgeltlich die nöthigsten Bedürfnisse, von dem Geraubten wurde
Vieles zurückerstattet, und die einzelnen unvermeidlichen Fälle, in
denen Soldat oder Officier dem Bürger Grund zur Klage gegeben, waren
mit Strenge bestraft. Schmerzlich ist, daß er mit so edler Schonung
der friedlichen Bewohner nicht die nothwendige Thätigkeit und Energie
verband, durch die er manche Verluste uns hätte ersparen und die
errungenen Vortheile ganz benutzen können.

Während die Brigade Vizcaya mit den Escadronen der Legitimität und
Cantabrien die Heerstraße hinabzog, marschirte das Hauptcorps rechts
von derselben ab, anfangs in höchster Ordnung und schlagfertig, wiewohl
der Feind uns nicht auf dem Fuße zu verfolgen schien. Als wir aber
um Mittag eine dürre Sandebene betraten, auf der, so weit das Auge
reichte, kein Haus, keine Höhe, nur hie und da Fichtengehölz zerstreut
sich zeigte, als bei drückender Gluth der Sonne im aufquellenden
Staube weder Quelle noch Brunnen gefunden ward, den brennenden Durst
zu löschen; da wurde die Marschcolonne immer länger und länger, und
die Bataillone mit Ausnahme des 1. von Navarra, welches geschlossen
den Nachtrab bildete, löseten sich endlich ganz auf, da die Soldaten
rechts und links sich zerstreuten, um Wasser zu suchen und zugleich
die Staubwolken des Weges zu vermeiden. Wie eine große Schafheerde
durchkreuzte die Division die Ebene, als hinter uns Waffen und Helme
durch den Staub blitzten: die feindliche Cavallerie nahete in scharfem
Trabe und war im Begriff, sich auf uns zu werfen. Ein ungeheurer Schrei
des Schreckens ertönte weit hin über die Fläche, und die Freiwilligen
rannten in kleine Haufen sich zu vereinigen, während ich im Gefolge
Elio’s dem 1. von Navarra zuflog, welches er sofort in Masse formirte
und rechts und links durch die beiden Escadrone von Navarra deckte.
Hätte der Feind seine sieben oder acht Escadrone in mehrere Theile
getheilt und so auf die ungeordnete Menge sich geworfen, würde gewiß
gänzliche Vernichtung uns getroffen haben; aber er vereinigte sich
in eine große Colonne uns gegenüber und stürmte in drei Echelons
zum furchtbaren Choc gegen das Carré. Elio ließ die Escadronen bis
auf dreißig Schritte nahen, ehe er das Commando zum Feuer gab: sie
zerstoben nach allen Seiten, dem zweiten Echelon Platz machend, welches
wie das dritte rasch ihr Schicksal theilte, den Boden mit Menschen,
Pferden und Waffen bedeckt lassend. Die Navarresen verlangten nun,
den geworfenen Feind zu chargiren, was Elio nicht gestattete, worauf
der Marsch mit größerer Vorsicht und Ordnung fortgesetzt und von der
christinoschen Cavallerie, die sich in respektsvoller Entfernung hielt,
nicht weiter beunruhigt wurde.

Bei der gewöhnlich so großen Scheu unserer Infanterie vor den
Cavallerie-Angriffen, die im Gebirgskriege so selten und daher durch
den Mangel an Vertrautheit mit ihnen mehr gefürchtet sind, war das
Betragen unserer Soldaten bemerkenswerth, die, anstatt zu fliehen, in
kleine Massen vereinigt dem formirten Bataillon sich anzuschließen
eilten. Einem Officier, der einem Trupp Navarreser, auf das nahe Gehölz
deutend, zurief, sich dahinein zu werfen, antworteten die braven
Burschen dem Bataillone sich zuwendend: „Nein, wir siegen oder wir
sterben mit unsern Brüdern.“

Bald hatten wir, mit Vizcaya vereinigt, den Duero passirt und
erreichten die Gebirge von Soria, während die feindlichen Divisionen
Mendez Vigo und Puig Samper nach Aranda marschirten. Espartero war nach
Madrid zurückgekehrt, um von neuem dem königlichen Expeditions-Corps
sich entgegen zu stellen.

  [29] Diese Expedition, als eine der interessantesten und da meine
       Stellung mit allen Details mich genau bekannt machte, habe ich
       weitläuftig behandeln wollen, so daß sie ein deutlicheres Bild
       unserer Kriegesart zu geben vermag.

  [30] Der schönste Mann, den ich je gesehen, vielleicht sechs und
       zwanzig Jahre alt. Abgeschnitten und ohne Rettung sprang er
       vom Pferde und rief, auf ein Knie sich niederlassend und dem
       nächsten Lancier seinen Degen reichend: Pardon, Pardon! dieser
       stach ihn trotz dem Zurufe zweier heransprengender Officiere
       erbarmungslos nieder. Als ich von der Verfolgung zurückkehrte,
       lag der Leichnam, ein Bild männlicher Kraft, ganz nackt neben
       dem Wege.

  [31] Bei den Divisionen, welche die Nordprovinzen verließen, war
       meistens die Stellung der Officiere vom Generalstabe
       sehr schwierig, da sie aus Mangel an Ingenieur- und
       Artillerie-Officieren deren Geschäfte mit übernehmen mußten.
       Bei der Expedition Zariategui befand sich ein Ingenieur und ein
       Officier der Artillerie, der bald getödtet wurde. Übrigens zogen
       die Generalstabs-Officiere die höchste Eifersucht der andern
       Officiere auf sich, da sie zu jedem gefährlichen Unternehmen
       gebraucht wurden. Von den sieben Officieren, welche unter
       Brigadier Elio den Generalstab bildeten, wurden zwei getödtet
       und drei schwer verwundet.



XI.


Als die Division in den Gebirgen, die zwischen Soria und Burgos in
beiden Provinzen sich hinziehen, mit dem Obersten Barradas sich
vereinigte, fanden wir zu unserm höchsten Erstaunen, daß der Auftrag,
Lebensmittel anzuhäufen und passende Orte zu befestigen, gar nicht
in Ausführung gebracht war. Ein neu gebildetes Bataillon war jedoch
da, für das es nun an Waffen und Uniformen gebrach. Wie schmerzlich
empfanden wir da den Verlust der Tausende von Gewehren, die durch
unsere Schuld in Segovia hatten zurückbleiben müssen. Hier stieß auch
der Oberst Valmaseda zu uns, der mit dem 8. Bataillon von Castilien
-- 250 Mann, -- vier Compagnien von Alava und anderen vier von
Navarra bei Mendavia den Ebro passirt hatte, um einen bedeutenden
Munitions-Transport dem Corps des Königs zuzuführen. Die Compagnien
von Alava und Navarra kehrten sofort nach den Nord-Provinzen
zurück, während Valmaseda, später als Partheigänger durch kühne
Entschlossenheit wie durch Wildheit bekannt, mit einiger Cavallerie
seinen Zug fortsetzte. Castilla blieb mit unserer Division vereinigt.

Bis zum Ende des Monates August standen wir ohne wichtige Ereignisse
in der Sierra, vorzüglich mit der Ausbildung der neu errichteten
Bataillone beschäftigt und Vorräthe jeder Art in San Leonardo
und Ontorio del Pinar sammelnd. So wie wir dort anlangten, war
eine Operation gegen die kleine Colonne von Soria, 2500 M. stark,
versucht worden, die bisher in der Verfolgung des Oberst Barradas
beschäftigt gewesen, dem als des Terrains Kundigem die Leitung des
Unternehmens anvertraut wurde. Die Colonne ward nach erschöpfenden
Hin- und Hermärschen während der Nacht umstellt und jeder Ausweg ihr
abgeschnitten, so daß wir sie sicher gefangen hatten, als ... sie bei
Anbruch des Tages verschwunden war. Barradas hatte eine Schlucht zu
besetzen versäumt, und durch sie war der Feind entflohen.

Mendez Vigo, nachdem er lange unthätig in Aranda de Duero gerastet, wo
seine Truppen von Erschöpfung vollkommen aufgelöset angekommen waren,
hatte sich endlich gegen uns in Bewegung gesetzt und seine 7000 Mann
in Navreda aufgestellt, wo Zariategui ihn am 28. August zu überfallen
beschloß. Spät am Morgen naheten wir dem Dorfe und erfuhren von einigen
Bauern, die wir eine Stunde entfernt antrafen, daß die Truppen mit
Reinigen der Wäsche und Gewehrputzen beschäftigt seien; auch gelang es
uns, nur wenige tausend Schritt von dem feindlichen Vorposten -- ein
einziger Posten war ausgestellt -- einen seinen Blicken offenen Grund
unbemerkt zu durchkreuzen. Alles versprach uns glücklichen Erfolg.
Die Brigade von Navarra sollte rechts hinter dem Dorfe ein Gebüsch
besetzen, welches als Rückzugspunkt des Feindes angesehen werden mußte,
während Noboa mit dem 5. von Castilien links den Ort umgehen und, so
wie das Feuer begänne, mit dem Bajonnett auf ihn sich stürzen, das
Hauptcorps aber in der Front und von der rechten Seite ihn bestürmen
würde, so den Feind auf die versteckte Brigade werfend. Schon war
Navarra auf dem Marsche nach jenem Gebüsche, als plötzlich Feuer zu
unserer Linken gehört wurde, dem alsbald die Allarm-Trommeln im Dorfe
antworteten: Noboa war es, der, so wie er den feindlichen Feldwachen
sich gegenüber sah, mit lautem Geschrei sie angriff und in das Dorf
hineintrieb. Die feindliche Division verließ dieses sogleich und
wälzte, eine große verwirrte Masse, dem Gebüsch sich zu, in dem, wenn
nicht Noboa’s Übereiltheit den Plan vereitelte, Navarra sie schon hätte
empfangen müssen. Nur die großen Wachen des Feindes, einzige geordnete
Truppe, deckten den Rückzug der Division, die von Castilien kräftig
gedrängt wurde. In dem Gebüsche formirte sie sich rasch, als Navarra
dort ankam, fest mit dem Bajonnette sie angriff, Alles warf, was sich
ihm entgegenstellte, mehrere hundert Gefangene machte und, furchtbare
Gewohnheit, die oft den navarresischen Bataillonen verderblich wurde,
sich zerstreute, die Gefangenen zu plündern. Mendez Vigo führte seine
Reserve herbei, die allein noch auf dem Kampfplatze formirt war, und
trieb ohne Schwierigkeiten die debandirten Bataillone vor sich her.
Ihre Vernichtung schien unvermeidlich, als die Reserve in der Flanke
angegriffen und zum Stehen genöthigt wurde. Zariategui, richtig die
Ereignisse beurtheilend, hatte unter Elio’s Leitung einige Bataillone
auf das Gebüsch entsendet, so wie Noboa unzeitig das Feuer eröffnete;
wir langten mit Valencia in dem Augenblick an, da Navarra in gänzlicher
Unordnung floh, griffen mit dem Bajonnett an und warfen die Reserve des
Feindes, die eilig auf die übrigen Truppen zurückwich. Umsonst waren
die Befehle, Drohungen und Bitten der christinoschen Generale, um ihre
Soldaten zum Stehen zu bringen. Die ganze Division floh, von panischem
Schrecken ergriffen, bis Aranda, wo sie unwillig sich empörte und
Mendez Vigo zwang, das Commando niederzulegen, so daß nun Puig Samper
beide Divisionen befehligte.

Zariategui aber, da auch seine Truppen in hohe Verwirrung gerathen,
kehrte in seine frühere Stellung zurück, von wo er gegen Salas de
los Infantes aufbrach, in dessen Castell eine Besatzung von 120 Mann
sich befand. Nach vier und zwanzigstündiger Beschießung aus unsern
beiden Geschützen, wobei die Kanone ihres geringen Calibers wegen auf
funfzig Schritt Entfernung vom Fort aufgestellt war, ergab es sich,
und die Garnison, von der etwa 30 Mann vorzogen, für Carl V. die
Waffen zu ergreifen, marschirte nach Aranda ab. Mit dem Gepäcke der
Colonne von Soria, welches sie, um leichter zu marschiren, in Salas
zurückgelassen hatte, konnten unsere jungen Bataillone bekleidet
werden; die abgeschossenen Kanonenkugeln wurden, so viel thunlich,
wieder eingesammelt. An demselben Tage zogen wir vor el Burgo de Osma,
ein reiches niedliches Städtchen, welches gleichfalls durch ein Fort,
aus einer Kirche in solches verwandelt, gedeckt war. Der Chef ~du
jour~ ließ, da das Fort nur von einem schmalen Platze umgeben war, die
Kanone der bessern Deckung wegen in das erste Stockwerk eines gegenüber
liegenden Hauses postiren, und durch den Balkon feuern. Bei dem ersten
Schusse stürzte, wie längst vorhergesagt war, der Fußboden ein, so daß
über dem Hervorziehen aus dem Schutte und der neuen Aufpflanzung, die
auf dem Platze unter lebhaftem Feuer des Feindes geschehen mußte, die
Nacht anbrach. Am Morgen capitulirte die Garnison, zwei Compagnien,
mit den Bedingungen, die Salas erlangt hatte. So Herren der ganzen
Sierra, ohne daß Puig Samper, uns so sehr überlegen, irgend eine
Bewegung unternommen hätte, richteten wir uns gegen Lerma, welches auf
der großen Heerstraße in gleicher Entfernung von Burgos und Arando de
Duero die Verbindung dieser Städte und dadurch die von Madrid mit der
Nordarmee der Christinos sicherte, weshalb die mit Mauern umgebene
Stadt durch ein Bataillon und eine Escadron garnisonirt war; das
als trefflich geschilderte Fort beherrschte sie. Indem wir, aus dem
Gebirge hervorbrechend, wieder zur Offensive übergingen, wurden die
neuorganisirten Bataillone in der Sierra zurückgelassen, um sich dort
in Ruhe zu üben und auszubilden.

       *       *       *       *       *

Bei der Belagerung von Salas und el Burgo hatte ich einen
verhältnißmäßig müssigen Zuschauer abgegeben, da jedes Mal nur
zwei Officiere des Generalstabes ihrer Anciennetät nach mit den
vorfallenden Geschäften, d. h. mit Allem, was sonst dem Ingenieur- und
Artillerie-Officier obliegt, beauftragt wurden. Denn die carlistischen
Artilleristen bekümmerten sich nur um die Fortschaffung ihrer Geschütze
und um das Feuern; auch der Bau der Batterien gehörte nicht in ihren
Bereich. Jetzt bei der dritten Belagerung lag es mir als drittältestem
Officier ob, die Arbeiten zu dirigiren, wozu der Pr. Lieutenant
Galindo als jüngerer Officier mir beigegeben wurde. Am Mittage des
5. September, da die Division die Chaussee von Aranda nach Lerma
erreichte, sandte uns deshalb Zariategui mit einer Jäger-Compagnie und
zwölf Pferden voraus, um die Stadt zu recognosciren.

Von Ungeduld hingerissen ließ ich, etwa anderthalb Stunden von Lerma
entfernt, das Detachement unter der Führung eines Gefährten zurück
und ritt die Heerstraße entlang der Stadt zu. Frohen Muthes trabte
ich auf meinem prächtigen Goldfuchs, demselben, der bei Zambrana
den portugiesischen Obersten getragen, durch das reiche Hügelland,
mit Freude die dunkelnde Färbung der Trauben, mir die lieblichste
Frucht, bemerkend, da die sanften Abhänge zur Anlegung von Weingärten
benutzt waren. So bog ich um die scharfe Ecke eines Hügels, um
dessen Fuß die Straße sich hinwand, als ich zu meiner Überraschung
kaum zweihundert Schritt entfernt die Stadt erblickte, und auf dem
schattigen Spatziergange, der zwischen ihr und dem Hügel sich hinzog
und mit eleganten Damen und Herren, meistens Officieren, bedeckt war,
ein starkes Detachement Cavallerie, das wie es schien, im Begriff war
fortzureiten. So wie ich, durch das Scharlachbarett mit goldenem Quaste
auf den ersten Blick als Carlist erkannt, trabend um die Ecke bog,
ertönte ein wilder Schrei: „~los facciosos, los facciosos~!“ Die Damen
kreischten, die Spatziergänger flogen mit nie gesehener Behendigkeit
rechts und links durch die Felder, und die 25 Lanciers, die so eben
zur Recognoscirung der Division abgehen sollten, jagten in Carriere
der Stadt zu. Sie mußten natürlich voraussetzen, daß die Truppen
unmittelbar mir folgten.

Da ich alle Welt laufen sah, sprengte ich hinter den Fliehenden drein,
die das Stadtthor bereits geschlossen fanden und daher längs der Mauer
sich hinwandten, von der einige Schüsse mich kurz halten machten.
Die Cavallerie, da sie mich fortwährend allein sah, hielt auch an und
kehrte bald zögernd gegen mich zurück: ich wandte halb mein Pferd und
forderte den Capitain, der an der Spitze seiner Leute ritt, auf, allein
vorzukommen; da er aber von der ganzen Schaar begleitet heransprengte,
jagte ich davon, sofort mit furchtbarem Geschrei von dem Feinde
verfolgt. Ehe er indessen die Biegung passirte, hielt er nochmals an,
wohl ungewiß, ob nicht Truppen dahinter ständen, wodurch ich einen
kleinen Vorsprung gewann. Als aber die Lanciers dann, so weit ihr Blick
reichte, kein carlistisches Barett sahen, da war ihr Muth plötzlich
wiedergekehrt, und in wilder Jagd tobten sie die Straße hinab hinter
mir her. Ich konnte auf meinen Renner vertrauen und erkannte ihn bald
den Pferden der Feinde überlegen, während die Hecken und Weingärten
diese zwangen, vereint auf der Straße zu bleiben; so sah ich sie mit
Freude mir folgen und bemühte mich nur, möglichst die Kräfte meines
Thieres zu schonen.

Endlich nach halbstündigem Lauf sah ich das Detachement mir nahe;
die Infanterie nahm eine Stellung auf einem Hügel ein, die Pferde
postirten sich auf die Straße, ihre ganze Breite einnehmend. Doch bald
erkannte ich an den Reitern jene schwankende Bewegung, das unruhige
Vor- und Zurückprallen einzelner Pferde, die stets das sichere
Vorzeichen augenblicklicher Flucht sind. Ich fühlte mich erbleichen:
die ganze Last der Verantwortlichkeit fiel mir auf das Herz, wie sie
mich treffen mußte, wenn meine Reiter zur Division flohen und die
Infanterie verlassen zurückblieb. Da konnte nur schneller Entschluß
retten. Verzweifelt riß ich das Pferd herum und stürzte mit gezücktem
Säbel auf den feindlichen Rittmeister, der, wenige Schritte hinter mir,
seinen Leuten bedeutend voraus war. Überrascht wich er und warf sich
unter die Lanciers. Mein Zweck war erreicht; denn meine Reiter, durch
den raschen Akt ermuthigt, chargirten, und die Feinde flohen verwirrt
zurück. Bis dicht vor die Stadt setzten wir die Verfolgung fort und
nahmen drei der Christinos, einen von ihnen verwundet, gefangen; wir
fanden die Thore noch immer geschlossen, und als bald meine Jäger
anlangten, fingen sie einen Officier und mehrere andere Spatziergänger
auf, die noch in den Feldern umherirrten. Auch nicht ein Mann war von
dem Gouverneur entsendet, um Nachricht über uns und über die Lanciers
einzuziehen; noch an demselben Abend, ehe wir die Stadt einschließen
konnten, ward die feindliche Escadron weggeschickt und zog sich auf
Aranda zurück.

Ich hatte bei Abgabe der Gefangenen nur allgemein gemeldet, daß ich
ein kleines Rencontre gehabt. Als aber Zariategui bei der Übergabe des
Forts durch die christinoschen Officiere den Vorfall erfuhr, schickte
er mich nach einem derben Verweise arretirt nach meinem Logis, weil ich
meine Truppen verlassen, durch jugendlichen Übermuth, wie er es nennen
wollte, das Gelingen des mir Aufgetragenen compromittirt und mich
selbst unnütz ausgesetzt habe. Nach einer Viertelstunde ließ er mir
durch einen Adjudanten ankünden, daß ich frei sei, und ein prachtvolles
englisches Fernrohr, das, in Lerma erbeutet, meine Bewunderung erregt,
mir überreichen, damit ich in Zukunft den Feind aus der Ferne sehen
könne.

Als die Division am Abend anlangte, hatte ich meine Recognoscirung
bewerkstelligt und erhielt vom General auf meinen Antrag zwei
Compagnien Grenadiere, um einen Versuch zur Überrumpelung der Stadt
zu machen. An mehreren Punkten lehnten sich Häuser an die Mauer, so
daß ich hoffte, durch eines derselben mich introduziren zu können,
aus dem ich bei Tagesanbruch vorbrechen, dem Corps die Thore öffnen
und die in der Stadt befindlichen Christinos nach dem Castell jagen
würde, wo der größere Theil der Besatzung die Nacht zubrachte. In der
That gelangte ich nach Mitternacht mit meinen Grenadieren unbemerkt an
eines jener Häuser und stieg auf einer Leiter zu einem etwa dreißig
Fuß über dem Boden befindlichen Fenster empor. Nach wiederholtem
Klopfen antwortete zitternd eine feine weibliche Stimme; mit der
Versicherung, daß sie persönlich Nichts zu besorgen habe, verband ich
die Drohung, das Haus in Brand zu stecken, wenn sie nicht sofort öffne.
Das Fenster flog auf, und mit Entsetzen sah ein junges, reizendes
Mädchen, kaum mit dem übergeworfenen Tuche bedeckt, ihr Zimmer mit
bärtigen Grenadieren gefüllt. Der Ausdruck der Stimme, da sie halb
ohnmächtig auf einen Stuhl sinkend: „~caballero, por Dios!~“[32] mir
zuhauchte, erschütterte mich tief, und ich eilte aus dem Heiligthume
sie zu führen, zu dessen rücksichtsloser Verletzung ich das Werkzeug
gewesen war. Auf dem Vorplatze übergab ich sie der Mutter, die entsetzt
bei dem ungewöhnlichen Lärm herbeieilte. Natürlich sah ich die Damen,
welche einer der ersten Familien der Provinz angehörten, nicht wieder;
mehrere Jahre später traf ich aber in Morella den Bruder des jungen
Mädchens, einen ausgezeichneten Officier im Sappeur-Corps, der damals
im väterlichen Hause sich aufhielt und oft über die tragikomischen
Scenen jener Nacht lachte.

Mit den größten Vorsichtsmaßregeln wurde bewirkt, daß eine Wache,
die im anstoßenden Hause sich befand, nicht das mindeste Geräusch
hörte, bis wir, so wie der Tag graute, auf die Straße stürmten und ein
lebhaftes Feuer eröffneten, um in der Stadt Verwirrung zu erregen und
die Unseren zu benachrichtigen. Während die eine Compagnie das nahe
Thor öffnete und die schon harrenden Bataillone einließ, durchstreifte
die andere, in Patrouillen vertheilt, die Straßen, wo der Feind, ohne
an Widerstand zu denken, dem Fort zueilte. Mit vier Mann verfolgte
ich einige Flüchtlinge und hatte fast sie erreicht, als sie um eine
Ecke bogen und uns ein lebhaftes Flintenfeuer entgegen donnerte: wir
standen unmittelbar vor dem feindlichen Fort, und ein Tambour, vor dem
uns bisher die Fliehenden gedeckt, bestrich die ganze Straße. Zwei
meiner Grenadiere stürzten nieder, der dritte schwankte einige Schritte
zurück und sank gleichfalls, wir andern Beiden flogen in weiten
Sprüngen die Straße hinab, von den feindlichen Kugeln umzischt, bis wir
-- uns schien die Zeit eine Ewigkeit -- ein schützendes Seitengäßchen
erreichten. Einer von den Grenadieren war todt, die andern wurden bald
mit Haken, die an lange Stäbe befestigt waren, in die nahen Häuser
gezogen und den Wundärzten übergeben.

Das Fort bestand aus einem sehr festen Kloster und einer Kirche,
die künstlich zu einem zusammenhängenden Vertheidigungs-Systeme
eingerichtet waren, dessen erste Linie der vorliegende gleichfalls
befestigte Platz bildete. Zur Beschießung bot sich ein ganz besonders
günstiger Punkt dar, auf dem keine Kugel verloren gehen und der am
wenigsten Feuer gegen unsere Arbeiten und bei dem Sturme concentriren
konnte, während alle übrigen Punkte, gegen die wir Artillerie hätten
aufstellen können, durch starkes flankirendes Feuer beschützt wurden.
Dagegen mußte dann die Batterie kaum dreißig Schritt von dem Fort
angelegt werden, weil die feindlichen Werke den Raum weiter rückwärts
ganz von der Seite beherrschten, was bei dem Batteriebau ungeheuren
Verlust nach sich ziehen mußte. Es gelang mir mit Elio’s Hülfe endlich,
die Einwilligung des Generals durch die Bemerkung dazu zu erhalten, wie
sehr die Wirkung unseres Sechspfünders gegen die starke Mauer durch
solche Nähe erhöht werde. Wir eröffneten daher, von Haus zu Haus die
Zwischenwände durchbrechend, einen verdeckten Gang, stapelten in dem
letzten Hause einen großen Vorrath von Wollmatratzen, Mehlsäcken und
ähnlichen Gegenständen auf und stürzten, ein Jeder mit Matratzen oder
Säcken belastet, auf die Straße, in der ein furchtbarer Kugelregen uns
empfing. In einem Augenblicke war eine Brustwehr errichtet, hinter
der dann der regelmäßigere Bau der Batterie vor sich gehen konnte.
Am Nachmittage war sie vollendet trotz dem unausgesetzten Feuer der
Besatzung, welche uns 4 Mann und den Artillerie-Capitain, den einzigen
Officier dieser Waffe, tödtete und siebenzehn Mann verwundete, von
denen mehrere bei dem Versuche, von einer Seite der Straße nach der
andern hinüberzuspringen, getroffen wurden, da die Besatzung, das
Bataillon Schützen von Cantabrien, aus geübten Gebirgsjägern bestand,
die jedes lebende Wesen, selbst Hunde und Katzen, niederstreckten, so
wie sie in Schußweite sich zeigten. Ein Barett, auf einem Bajonnett
kaum über die Brustwehr erhoben, fiel in einer Sekunde in Fetzen herab.

Während des Batteriebaues hatte Brigadier Elio aus Matratzen einen
großen Schirm anfertigen lassen, der auf Rädern ruhend leicht geschoben
wurde; hinter ihm schleppten die Freiwilligen mit Jubel die Kanone
heran, indem sie spottend die feindlichen Schützen aufforderten, nun
die Geschicklichkeit zu zeigen, deren sie sich vorher so gerühmt
hatten. Denn da einige unserer Compagnien in die dem Fort nächsten
Häuser gestellt waren, um von dort aus die Vertheidiger der Werke zu
belästigen, füllten die Kämpfenden die Zeit zwischen den Schüssen mit
Scherzreden, Beschimpfungen, oft auch mit Prahlereien. Bald schlug
unsere erste Kanonenkugel, von donnerndem Viva geleitet, in die Mauer
ein, Schuß auf Schuß folgte rasch, und auch einige Granaten wurden
in das Fort geschickt. Bei Tagesanbruch begann das Feuer wieder, und
am Mittage war eine Bresche in die erste Linie geöffnet, so daß am
Abend der Sturm unternommen wurde; nach halbstündigem Ringen hatten
unsere Grenadier-Compagnien alle Häuser der Linie erstürmt und die
Vertheidiger, die sich sehr brav gehalten, in das eigentliche Fort,
die Kirche, zurückgedrängt, gegen welche sofort das Feuer eröffnet
und während der Nacht lebhaft unterhalten wurde. Gegen Morgen befahl
Zariategui, die ganze erste Linie so wie zwei Häuser, die als
Außenwerke dem Fort dienten und so eben gleichfalls erstürmt waren, in
Brand zu stecken, da ein heftiger Wind Flamme und Rauch den Christinos
zuführte.

Die Scene war schauerlich schön: das Prasseln der hell auflodernden
Flammen, das Geschrei der Kämpfenden, das hundertfache unregelmäßige
Gewehrfeuer, von dem Donner der beiden Geschütze in gleichmäßigen
Pausen übertönt, dann die hohe Kirche und das Kloster, vom
Wiederscheine des Feuers geröthet und von dichten Rauchwolken umwallt,
aus denen in rascher Folge die Schüsse der Cantabrer hervorblitzten;
rings umher das Krachen einstürzender Mauern, das Klagegeschrei der
Verwundeten -- es war ein herrlich wildes Ensemble, dessen Bild tief
dem Geiste sich einprägen mußte. Da flatterte hoch über den finsteren
Massen des Forts ein weißes Fähnlein empor, und der Silberklang einer
Trompete tönte durch den Tumult; einige Schüsse fielen, dann unterbrach
nur noch das Geprassel des Feuers die Todtenstille. Eine halbe Stunde
später zogen siebenhundert Mann aus und übergaben ihre Waffen, da der
Gouverneur und die Officiere capitulirt hatten, wiewohl die Mannschaft
laut die Vertheidigung fortzusetzen forderte; die Kirche war noch ganz
unverletzt, und es gebrach der Garnison an Nichts, die auch, vielleicht
aus den bravsten Soldaten der Armee bestehend, umsonst zum Ausfalle
geführt zu sein verlangte. Leicht hätte ein solcher uns verderblich
werden können, da Zariategui durchaus nicht die Vorsichtsmaßregeln
getroffen hatte, welche solch einen Versuch hätten unschädlich machen
oder auch nur unsere Kanone decken können, für die wir übrigens nur
noch ein und zwanzig Schuß hatten, als der Feind, der am Mittage
unbewaffnet nach Burgos abmarschirte, die weiße Fahne aufzog.

Durch dreitägige fast ununterbrochene Anstrengung zum Tode erschöpft,
stattete ich in achtzehnstündigem Schlafe der Natur den schuldigen
Tribut ab.

       *       *       *       *       *

Am 10. September Morgens zog die Expeditions-Division unter dem
ausschweifenden Jubel des Volkes in Aranda de Duero ein, nachdem Puig
Samper am Tage vorher die Stadt geräumt und die Garnison mit sich auf
Madrid geführt hatte. Die beiden Divisionen jenes Generals zählten
trotz der Verluste durch Desertion über 11000 Mann, die unserige nach
dem Rapport der Corps in Aranda 3860 Mann und fast 400 Pferde, da die
Escadrone durch die requirirten Pferde ergänzt waren, während die vier
jungen Infanterie-Bataillone in der Sierra standen. Das neben der Stadt
am Duero errichtete Fort war ein so merkwürdig schlechtes Machwerk,
daß seine Räumung als ein Zeichen gesunder Vernunft des feindlichen
Generals betrachtet werden mußte; Mäuerchen, wenige Fuß hoch und noch
weniger stark, erhoben sich in diesem Wirrwarr über und durch einander,
von flachen Graben nicht gedeckt, so daß sie sich vielmehr gehindert
als wechselseitig vertheidigt hätten und gewiß beim ersten Anlauf
von den Freiwilligen ~à vive force~ genommen wären. Da der Stadt die
gebührende Contribution zugetheilt wurde, fand sich, daß bereits am
Abend kurz nach dem Abmarsche Puig Samper’s, zwei Cavalleristen in die
Stadt gedrungen waren und im Namen des Generals mehrere tausend Piaster
gehoben hatten. Ein Sergeant und ein Cadett, des Verbrechens überführt,
wurden zum Tode verurtheilt; als sie schon, um erschossen zu werden,
niederknieten, flog athemlos ein Beamter der Stadt herbei, Gnade
verkündend, da der General mit übel verstandener Milde den Fürbitten
der Behörden nachgegeben hatte. Die Elenden wurden degradirt und als
letzte Soldaten in die Strafcompagnie gesteckt, die schon in Segovia
wegen der Unordnungen nach dem Sturme errichtet war.

Unsere kleine Division hatte außerordentliches Vertrauen erworben;
da wir so viele Schwierigkeiten überwunden hatten, und da schon die
feindlichen Massen ohne Kampf das Land uns überließen, glaubte das
Volk, daß wir nun bleibend Castilien eroberten und schnell den
Krieg siegreich zu Ende führen würden. Auch stand uns augenblicklich
kein Feind mehr gegenüber, der uns hätte entgegentreten und unsere
Fortschritte hemmen können, und Castilien, das Herz der Monarchie,
lag offen und vertheidigungslos vor uns, während das königliche
Expeditions-Corps von Aragon aus eben dahin sich richtete. Der
moralische Einfluß, den unsere Siegesbahn äußerte, war unermeßlich,
und mit ihm nahm unsere Stärke täglich zu. Da wurden hohe Hoffnungen
rege, Hoffnungen, die wohl konnten erfüllt werden; wir glaubten uns
selbst unüberwindlich, wir sahen uns als Herrscher Castilien’s,
wir berechneten schon, wann wir in Madrid würden einziehen und den
verehrten Herrscher auf dem Throne seiner Väter würden begrüßen dürfen.
Und die Eifersucht, die Intrigue mußte die herrlichen Hoffnungen
zerstören, die wahrlich nicht zu voreilig gefaßt waren!

Nach zweitägiger Rast in Aranda zogen wir langsam auf beiden Ufern des
Duero hinab, überall von den biedern Alt-Castilianern mit Begeisterung
empfangen, da sie damals zuerst carlistische Truppen ihre reichen Gaue
durchziehen sahen. Das festliche Geläute der Glocken tönte schon aus
der Ferne uns entgegen, und die Bewohner kamen in feierlichem Aufzuge,
die ersehnten Befreier zu begrüßen, während in den Ortschaften die
Frauen wetteifernd uns in die Häuser zogen, wo sie ihre schönsten
Leckerbissen für unsere Bewirthung zubereitet hatten. Da ward es
wohl unzweifelhaft, wie der Kern des Volkes ganz seinem rechtmäßigen
Könige ergeben war: es ist ja so schwer, seinen gesunden Verstand irre
zu leiten. Nur zwei Orte machten eine Ausnahme von dem allgemeinen
Jubel, der häufig in wilde Ausgelassenheit überging; die Besatzung des
Felsenschlosses Peñafiel empfing uns mit Kugeln, weshalb das in Aranda
errichtete Bataillon, um es an das Feuer zu gewöhnen, zu seiner Blokade
zurückgelassen wurde, und in dem Flecken Roa auf dem rechten Ufer
des Stromes herrschte bei dem Einrücken unserer Bataillone finstere
Stille, die grell genug gegen die Luft der ganzen Provinz abstach.
Der Besitz derselben eröffnete uns große Hülfsquellen, da sie durch
ungemeine Fruchtbarkeit, vorzüglich an Getreide, sich auszeichnet,
wogegen sie so holzarm ist, daß allgemein der Mist als Feuerung
benutzt ist, wozu ich ihn zu meinem Erstaunen sehr brauchbar fand,
indem die von ihm ausstrahlende Wärme, während er sorgfältig bedeckt
bleibt, nicht nur bei der empfindlichsten Nacht-Frische die Küche, das
gewöhnliche Versammlungszimmer der Hausbewohner, sehr wohnlich macht,
sondern auch die Speisen außerordentlich rasch und schmackhaft liefert,
ohne daß Auge oder Nase je an die Anwendung des ominösen Materials
erinnert würden.

Am 15. September Abends standen wir zwei Stunden von Valladolid
entfernt. Der Generalcapitain von Alt-Castilien verließ die
Stadt während der Nacht mit 4000 Mann und sämmtlichen leichten
Geschützen, indem er 1200 Mann auserwählter Truppen mit vierzehn
schweren Geschützen in dem Fort San Benito zum Schutze der dort
befindlichen großen Magazine von Kriegesbedürfnissen und der Güter
der Compromittirten zurückließ, welche gleichfalls dorthin gerettet
waren. Der Erzbischof von Valladolid, als exaltirter Liberaler bekannt
und durch das usurpatorische Gouvernement eingesetzt, kam uns bis
Tudela entgegen und wurde ehrerbietig empfangen; ihm folgte bald
ein unendlicher Haufen Menschen, die sich um unsere kleine Schaar
neugierig drängten und die treffliche Haltung der gebräunten, mit
Narben geschmückten Krieger bewunderten, da sie die Facciosos als
wilde Ungeheuer gefürchtet hatten, denen sie kaum menschliche Gestalt
zuzuschreiben wagten. Nachdem der General der Division und dem Volke
erklärt hatte, daß jeder Insult wegen Meinungsverschiedenheit, jeder
Diebstahl über den Werth eines Real und jede Unordnung mit dem Tode
bestraft werde, rückten wir mit schmetternder Hornmusik durch die
wogende Menge in die Stadt ein, die durch blühenden Handel und als
Hauptstadt der Provinz eine der bedeutendsten des Königreiches ist und
35000 Einwohner zählt. Während die Division auf dem großen Platze zur
Revue sich aufstellte, wurden einige Bataillone detachirt, das Fort zu
cerniren.

Trotz der Freudenbezeugungen des Volkes war etwas Drückendes,
Ängstliches in dem Äußern der Stadt und der Bewohner nicht zu
verkennen; augenscheinlich herrschte noch Mißtrauen und Furcht unter
ihnen. Selbst die Laden waren bei unserm Einmarsche geschlossen. Wie
hatten nicht unsere Feinde gearbeitet, um die ehrlichen Castilianer, zu
denen wir bisher nie gedrungen, über uns zu täuschen, mit wie schwarzen
Farben mußten sie uns geschildert haben, um solches Vorurtheil in dem
Volke wecken zu können! Erst als die Truppen, da der Dienst vertheilt
war, nach ihren Quartieren sich zerstreuten und dort mit Rücksicht
und Schonung sich betrugen, wie die Bürger von den Christinos nie sie
erfahren, als die Soldaten so rasch das Wohlwollen ihrer Wirthe sich
erworben, während der General anstatt der gefürchteten Plünderungen
und Brandschatzungen nur das dringend Nothwendige forderte; da kehrte
das Vertrauen in die Brust der Bürger, laute Heiterkeit verbreitete
sich durch die Stadt, die glänzenden Laden entfalteten ihre Schätze den
Augen der erstaunten Gebirgssöhne, und von allen Straßen tönte bald
der Klang der Tambourine und Castagnetten, die Freiwilligen zum Tanze
mit Valladolid’s reizenden Töchtern einladend. Und als dann Zariategui
allgemeine Amnestie verkündete und Männer jeder Meinung ungefährdet
unter uns treten, selbst ihre Ansichten frei verfechten konnten, trat
wahre Liebe und Enthusiasmus an die Stelle der Besorgnisse, welche die
Erzählungen von dem Blutdurst und der Raubsucht der Carlisten und von
ihrem politischen und religiösen Fanatismus, der zu jeder Grausamkeit
sie bereit mache, wohl hatten aufregen müssen. Da erschienen auch viele
Beamte und frühere Officiere Ferdinands VII., ja Isabella’s, endlich
gar einige, die gegen uns unter den Waffen gestanden und spät erst
aus den Reihen unserer Feinde geschieden waren; in ihren glänzenden
Uniformen und die Christinos-Mütze auf dem Kopfe, mischten sie sich
unbesorgt unter uns und wurden von den Freiwilligen mit mehr Ehrfurcht
noch, als die eigenen Officiere derselben begrüßt, welche in ihrer
Einfachheit seltsam gegen jenen Glanz abstachen. Mehrere solche alte
Officiere, da sie unsern Triumph entschieden glaubten, boten ihre
Dienste an.

Es wäre Tollheit gewesen, wenn wir mit den Mitteln, die uns zu Gebote
standen, an die förmliche Belagerung eines Forts hätten denken wollen,
zu dessen Vertheidigung vierzehn schwere Geschütze aufgestellt waren.
Es ward endlich beschlossen, San Benito durch eine Mine anzugreifen,
die sofort in einem Stalle begonnen wurde und, gegen die Sakristei des
Klosters, die als Pulvermagazin diente, gerichtet, rasch vorschritt,
während an verschiedenen andern Punkten, die Besatzung zu täuschen,
mit vielem Lärm ähnliche Arbeiten angestellt wurden. Da der Feind
sich jedoch sonst unbelästigt sah, hielt er sich vollkommen ruhig,
und bald hatten sich zwischen ihm und unsern Wachen freundschaftliche
Gespräche angeknüpft, so daß in der Nacht ein förmlicher Tauschhandel
etablirt ward, indem die Freiwilligen den feindlichen Soldaten frisches
Fleisch und Gemüse brachten und dafür von ihnen neue Gewehre der
National-Gardisten für alte oder beschädigte erhielten. In Folge dessen
untersagte Zariategui am folgenden Tage, daß irgend Jemand dem Fort
sich nähere, aus dem einige Soldaten, mit Lebensgefahr von den Mauern
sich herablassend, zu uns übergingen.

Die Mine ward so thätig betrieben, daß sie in zwei Tagen bis unter die
Sakristei hätte poussirt werden können, der Besatzung die Alternative
augenblicklicher Ergebung oder der Vernichtung lassend, als Zariategui
mit ihr eine Capitulation abschloß, kraft deren sie, wenn innerhalb
zehn Tagen kein Entsatz nahte, sich kriegsgefangen ergeben würde.
Gewiß war es ein großer Fehler des Generals, daß er in jener Lage
der Dinge zu ähnlicher Capitulation seine Zustimmung gab; aber die
feindlichen Anführer zeigten sich erbärmlich schwach und feige, da sie
mit solchen Vertheidigungsmitteln und an Nichts Mangel leidend die Zeit
der Übergabe fixiren konnten, ohne nur einen Schuß zu thun. Viel mochte
zu diesem Entschlusse die Mine beitragen, deren Vorschritt im Fort
wohl erkannt war, da die Einstellung jeder Arbeit zur ersten Bedingung
gemacht wurde; weit mehr aber die moralische Schwäche und Entmuthigung,
die damals unsere Gegner ergriffen hatte. Wie die feindlichen Truppen
den Widerstand schon für unnütz hielten und überall ohne Schwerdtstrich
wichen, wie das Volk sich nicht mehr scheute, frei seine Sympathie zu
erklären, da es die Herrschaft der Carlisten stabil in der Provinz
glaubte, weil es für den Augenblick sie unbestritten sah, so fing auch
Zariategui an, sich für unbesiegbar, unangreifbar zu halten und war,
durch seine bisherigen Erfolge aufgeblasen, überzeugt, daß Niemand
wage, im ruhigen Besitze des Genommenen ihn zu stören.

Kleine Detachements wurden durch die Provinzen Palencia, Leon, Zamora
und Salamanca entsendet, und Brigadier Iturbe besetzte mit seiner
Brigade die alte Stadt Toro am Duero, während die neu gebildeten
Bataillone das ganze Duero-Thal und den Gebirgszug zwischen Burgos und
Soria beherrschten. In Valladolid aber strömte von allen Seiten die
junge Mannschaft herbei, um unter dem Banner ihres rechtmäßigen Königes
zu kämpfen, zum Theil Pferde mit sich bringend oder Gewehre, die sie
den National-Gardisten der Heimath entrissen; selbst von diesen kamen
mehrere freiwillig, ihre Waffen einzuliefern, da ja nun Widerstand
unnütz sei. So konnten in wenigen Tagen drei starke Bataillone --
von Valladolid genannt -- errichtet werden, wiewohl auf besondern
Befehl des Generals jedem Rekruten vorgestellt wurde, daß der Krieg
noch lange nicht beendigt sei und viele Opfer und Mühseligkeiten
erheischen werde, weshalb, wer nicht bereit sei und sich für fähig
halte, das Schwerste für Carl V. mit Freudigkeit zu ertragen,
zurücktreten möge, da es noch Zeit sei. Und diese braven Bataillone
haben sich herrlich bewährt, da sie im folgenden Jahre, hülflos gegen
Elemente und Feindesüberlegenheit ankämpfend, alle Beschwerden mit
heroischer Standhaftigkeit ertrugen und dann, unter dem Drucke der
Gefangenschaft erliegend, durch keine Lockung oder Drohung noch durch
die Qualen, die bis zum Hungertode die Grausamkeit der Christinos über
sie verschwendete, zur Verletzung des Eides der Treue sich hinreißen
ließen, den sie in besserer Zeit ihrem Könige geleistet hatten.

Der Charakter des Alt-Castilianers,[33] dieses Kernes der aus so vielen
heterogenen Bestandtheilen zusammengesetzten spanischen Nation, wird
am Meisten dem der Basken sich nähern, wenn die Verschiedenheiten
berücksichtigt werden, die Lage und politische Verhältnisse nothwendig
erzeugen mußten; doch sind die Castilianer vor ihnen durch einen
Grundzug von herzlichem Wohlwollen und Gutmüthigkeit ausgezeichnet,
mit dem ihr ganzes Wesen durchwebt ist. Wenn die Basken stolz auf
ihre Vorrechte hohen Unabhängigkeitssinn entwickeln, herrscht hier
tiefe, unerschütterliche Ergebenheit für Alles, was ihre Voreltern
als geheiligt ihnen überliefert haben, und der Scharfsinn, den
in Jenen ihre Isolirung und eigenthümlichen Verhältnisse, der
Speculations-Geist, den die Lage am Meere und zwischen Spanien und
Frankreich in Verbindung mit den Privilegien hervorrief, sind durch
innige Religiösität und Loyalität wohl mehr als ersetzt. Den wackern
Bauern einiger Distrikte unseres norddeutschen Vaterlandes möchte ich
die Alt-Castilianer gleich stellen. Der Bewohner Neu-Castiliens ist
in mancher Hinsicht verschieden und nähert sich mehr seinen südlichen
und westlichen Nachbarn: er ist schlauer, weniger gewissenhaft in Wort
und That, vor Allem unendlich viel selbstischer. Der Alt-Castilianer
aber, langsam, ehe er sich entschließt, ist unerschütterlich, wenn er
das Rechte erkannt, treu, treuherzig und offen, vertrauend, weil er
Vertrauen verdient, wenig den Neuerungen geneigt, plump, aber einfach
und gastfrei. Wahre Biederkeit ist die Grundlage alles seines Thuns
und giebt selbst der äußern Haltung einen edlen, anziehenden Ausdruck.
Als Soldat ist er leicht disciplinirt, ausdauernd, gehorsam und folgt
dem Chef, der seine Zuneigung zu erwerben gewußt hat, mit Freudigkeit
durch alle Drangsale und zu jeder Gefahr; die heldenmüthige Eroberung
des Castells von Morella, deren ich später erwähnen werde, ist ein
glänzendes Beispiel von Dem, was der Alt-Castilianer vermag, wenn er
gut geleitet ist. Sein hauptsächlicher Fehler besteht in der Heftigkeit
und der unbezähmbaren Streitsucht, so wie er beleidigt, sein Stolz
verletzt wird, auch ist er allgemein unwissend und abergläubisch;
Mängel, deren Schwinden leider nur zu oft so manche jener herrlichen
Eigenschaften mit verwischt, ohne durch angemessene Vorzüge sie zu
ersetzen.

       *       *       *       *       *

Der Alt-Castilianer ist der unveränderte Nachkomme der alten Hesperier,
wie Griechen und Römer so bewunderns- und liebenswürdig in ihrer
ursprünglichen Einfachheit sie uns schildern; er ragt hoch über
alle andern Spanier hervor, wie er mehr als die meisten von fremder
Mischung rein sich erhielt. Der Baske, dann der Navarrese, ein hartes
Geschlecht, folgen ihm am nächsten, wogegen Andalusier und Valencianer
am tiefsten in moralischer, die Bewohner einiger Distrikte der Mancha
in intellektueller Beziehung stehen, in der nur die Estremeños, von
unendlicher Natürlichkeit und Herzensgüte, aber ganz vernachlässigt und
roh -- ~los indios de la nacion~ genannt -- den Rang ihnen streitig
machen würden, wenn von Aufklärung und Cultur herstammende Intelligenz
entscheidet.

       *       *       *       *       *

Tag auf Tag schwand hin unter Jubel und Festen, Bällen und Theater; die
Valladolider hatten sich gewöhnt, uns als werthe Gäste anzusehen, und
behandelten uns zum großen Ärgerniß der verstockten Ultra-Liberalen,
die finster und spähend durch das Getümmel hinschlichen, täglich
mit mehr Zuneigung und Herzlichkeit. Doch mochten wohl die Damen in
unsern Officieren die zarte Sentimentalität und die unwiderstehlich
liebenswürdige Galanterie jener christinoschen Officiere vermissen, die
so fein mit ihnen zu seufzen und von den Abentheuern des Krieges zu
erzählen wußten, den -- die bleichen Züge bekräftigten es hinreichend
-- ihre zerrüttete Gesundheit sie zu meiden genöthigt hatte. Alle
großen Städte wimmelten damals von solchen Officieren, die unter
tausend Vorwänden ihre Regimenter verlassen hatten, um ungestört dem
Vergnügen sich hingeben zu können. Und wie hätten auch unsere kräftigen
Officiere jene gerühmten Künste sich aneignen mögen; sie, die seit
Jahren im wilden Gebirgskampfe sich umhergetummelt, deren liebste Musik
das Pfeifen der Kugeln, deren Bett der Felsboden des Bivouacs war, und
von denen Viele die Epaulette lediglich der Bravour und Ergebenheit
verdankten!

Während wir so in gedankenloser Lust die Tage vergeudeten, stand nicht
fern von uns der Ausgang des langen blutigen Krieges auf dem Spiele:
die königliche Expedition bedrohete die Hauptstadt Spaniens und ...
Zariategui ruhete auf seinen Lorbeeren in den Delicien von Valladolid.
So lautet die schwerste Anklage, welche gegen diesen General erhoben
ist. Hätte er, behaupteten die Tadler, nach dem Einzuge in Aranda de
Duero statt gen Westen nach dem Königreiche Leon ohne Zaudern die große
Heerstraße hinab auf Madrid seinen Marsch gerichtet, so würde er zu
rechter Zeit angelangt sein, um mit dem Corps Sr. Majestät combinirt
zu operiren; er würde so die Unentschlossenheit der Führer desselben
und damit den Krieg beendet haben. -- Zariategui, es ist wahr, hat in
den Tagen seines höchsten Glanzes nicht die Umsicht, noch weniger die
Energie entfaltet, durch die allein die Benutzung und vor Allem die
Behauptung der errungenen Vortheile gesichert werden konnte; er hat
in Valladolid kostbare Zeit verloren, ohne Verhältnißmäßiges zu thun.
Ohne Zweifel ward jedoch der Aufenthalt der Division in Alt-Castilien
durch die erhaltenen Instructionen in der Absicht angeordnet, durch
sie einen Theil der die königliche Expedition beobachtenden Massen
abzuziehen und ihr so freiere Hand für die Operationen auf Madrid zu
lassen, wie denn die Wiederaufnahme der Offensive mit dem Vormarsche
des Königs von Aragon aus genau zusammenfällt. Und abgesehen von den
Instructionen ist es klar, daß wir, mit höchster Eile die Division
Puig Samper verfolgend, um mehrere Tage zu spät angelangt wären, wenn
nicht etwa gefordert wird, daß wir jene uns mehr als doppelt überlegene
Division in Aranda unbeachtet ließen, um uns, von ihr im Rücken
verfolgt, zwischen sie und das Heer Espartero’s einzuzwängen, was
natürlich die nutzlose Vernichtung des Corps zur unmittelbaren Folge
haben mußte. Der 12. September 1837, wie ein scharfsinniger Beobachter,
der als Augenzeuge und vermöge seiner Stellung im Generalstabe des
königlichen Expeditions-Corps zu gründlichem Urtheile befähigt ist, der
Brigade-General B. von Rahden, es ausspricht, der 12. September war
der Wendepunct; an jenem Tage lag die Entscheidung des Krieges in der
Hand der carlistischen Feldherrn. Da der günstige Augenblick unbenutzt
entflohen, konnte auch Zariategui’s Ankunft ihn nicht zurückschaffen.

Es bleibt deßhalb nicht weniger wahr, daß unser Anführer in sträflicher
Indolenz die Zeit verlor, die unter solchen Umständen doppelt kostbar
geworden war: während der acht Tage, die wir üppig in Valladolid
zubrachten, ohne auch nur einen Soldaten zur Beobachtung uns gegenüber
zu haben, hätten wir Vieles thun können. Die außerordentlichen
Erfolge hatten Zariategui geblendet: vom Volke angebetet, von den
Behörden als unüberwindlicher Sieger gepriesen und täglich neue
Glück verkündende Nachrichten empfangend, wies er die Warnungen
einzelner Officiere, besonders Elio’s, als unzeitige Ängstlichkeit
zurück und vernachlässigte im sorglosen Genusse der Gegenwart die
allernothwendigsten Vorsichtsmaßregeln.

Schon am 23. September verbreiteten sich in der Stadt Gerüchte über
die Annäherung feindlicher Truppen; am 24. Morgens, da eine Deputation
des Ayuntamiento wegen erlassener Contribution dem General zu danken
kam, theilte sie ihm die eben erhaltene Nachricht mit, daß eine starke
Division der Nordarmee über Burgos auf Palencia marschirt sei, um
Valladolid anzugreifen. Zariategui erklärte Alles für Erfindung von
Übelwollenden und fügte hinzu, die Stadt könne in dem Vertrauen leben,
daß es keinem Feinde einfallen würde, den Angriff zu wagen.

Gemüthlich saß ich in meinem reichen Logis, die Zeit des Diner
erwartend, als der unheilvolle Generalmarsch[34] wild durch die
Straßen ertönte. Während der Bediente das Pferd sattelte, flog ich
hinaus, Nachrichten einzuziehen: eine Cavallerie-Patrouille, die Elio
besorgt auf Palencia abgesendet, hatte die feindliche Avantgarde kaum
eine Stunde von der Stadt angetroffen, während zugleich die Botschaft
anlangte, daß Generallieutenant Baron Carandolet in forcirten Märschen
und dem Vortrabe auf dem Fuße folgend, 9000 Mann und mehrere Geschütze
auf beiden Ufern der Pisuerga heranführe. In den Straßen flog Alles
in wildem Treiben durch einander. Die Soldaten eilten den bestimmten
Sammelplätzen zu, Officiere liefen ordnend hin und her, und die Bagage
zog in langen Reihen dem südlichen Thore zu, während die Bürger mit
finster besorgten Mienen dastanden und manches niedliche Mädchen bleich
und mit Thränen dem Krieger nachsah, den die Pflicht aus ihren Armen
auf das Schlachtfeld riß. Ich traf Elio schon zu Pferde, und rasch
ritten wir an der Spitze der Escadron 1. von Navarra dem Kampfplatze
zu, von dem lebhaftes Flintenfeuer herüberschallte.

Die Bataillone Valencia und 7. von Navarra waren die ersten, welche
dem andringenden Feinde sich hatten entgegenwerfen können. Sie thaten
es mit solchem Nachdrucke, daß sie die vordersten Bataillone der
Christinos warfen und zerstreuten, worauf Navarra, der alten Gewohnheit
treu, sich ganz auflösete, die Gefangenen zu plündern. Eine feindliche
Escadron, die hinter einer Mauer versteckt gewesen war, brach hervor
und säbelte die Plündernden nieder, als Elio mit der Cavallerie
erschien und sie sofort dem Bataillon zu Hülfe führte; die feindliche
Escadron wandte sich gegen uns. Fest kam sie unserer Charge entgegen,
der Augenblick des Zusammenstoßens war da: beide Escadronen parirten
und standen, mit den Lanzen fast sich berührend, unbeweglich. Finster
und lautlos starrten die Krieger sich an; Niemand konnte fliehen,
Niemand mochte zuerst auf die feste Masse der Gegner sich werfen.
Da tönte aus den feindlichen Reihen drei Mal und jedes Mal lauter
der Ruf: ~viva el Rey~! Wir befahlen ihnen, die Waffen zur Erde zu
werfen, aber sie blieben bewegungslos, wie zuvor die Lanzen eingelegt.
Eine neue Pause, noch beklemmender, noch majestätischer, folgte.
Plötzlich stürzte ein Officier mit lautem ~viva Carlos quinto~ auf den
feindlichen Oberstlieutenant, der wie ein Braver seinen Leuten um eine
halbe Pferdeslänge voraus war, und streckte ihn durchbohrt zur Erde;
eine Sekunde später hatten die Navarresen die Feinde durchbrochen,
vierzig Mann todt und verwundet niedergeworfen und eben so viele Pferde
genommen.

Die Bataillone von Vizcaya und Castilien waren mit der Cavallerie
in die Gefechtslinie eingerückt, während 1. von Navarra, um die
Garnison des Forts San Benito in Zaum zu halten, in der Stadt blieb
und die Rekruten-Bataillone mit der Artillerie und Bagage hinter ihr
sich aufstellten. Guipuzcoa war noch nicht von Toro zurückgekehrt.
Wir hatten die Action außerordentlich vortheilhaft begonnen und der
Christinos avancirte Bataillone auf das Hauptcorps zurückgedrängt, mit
dem schon ein lebhaftes Tirailleur-Feuer engagirt war. Die Truppen,
längst schon erprobt, waren von hohem Enthusiasmus beseelt, so daß ich
nicht zweifele, wie die von Zambrana, würde auch diese Überraschung
trotz der Überlegenheit des Feindes glorreich für uns geendet haben.
Aber es hatten in Valladolid viele alte Officiere sich der Division
angeschlossen und waren gut aufgenommen; mehrere befanden sich jetzt
um den General. Nicht mehr an das Zischen der Kugeln gewohnt und
noch weniger bekannt mit dem Geiste unserer Freiwilligen, riethen
sie ängstlich dem General zum Rückzuge, ihm vorstellend, daß hinter
der Front ein Fluß sich befinde, der im Falle einer Niederlage die
Vernichtung des Corps nach sich ziehen müsse. Zariategui, des Terrains
nicht kundig, brach das Gefecht ab, und langsam zogen wir seitwärts der
Stadt uns zurück, indem Valencia[35] die Nachhut übernahm.

Carandolet hatte während der Action nicht von seiner zahlreichen
Artillerie Gebrauch machen können, da wir theils seinen Truppen
unmittelbar nahe standen, theils durch das Terrain, dem Geschützfeuer
ungünstig, gedeckt wurden; so wie wir aber den Rückzug angetreten,
schütteten seine Geschütze mit schrecklicher Präcision ihre Kugeln
und Granaten über uns aus und verursachten uns bedeutenden Verlust.
Eine der ersten Granaten sprang dicht neben dem General, tödtete einen
Burschen, verwundete mich am rechten Ellenbogen und streckte meinen
herrlichen Goldfuchs mit zerschmettertem Kopfe todt nieder. Ich bestieg
ein bei unserer Charge genommenes Officierpferd. Das Bataillon von
Valencia litt vor Allem durch dieses Feuer, und eine Kanonenkugel, die
ganze Masse durchschlagend, tödtete und verwundete ihm drei und zwanzig
Mann, indem sie dem Ersten Schädel und Barett, dem Letzten, einem
Officier, die Hand mit dem Degen fortriß. Unser Verlust bestand in
etwa zwei hundert und dreißig Todten und Verwundeten; doch hatten wir
einige vierzig Pferde erbeutet und 32 Gefangene gemacht. Nachdem das 1.
Bataillon von Navarra und am Abend auch die Brigade Guipuzcoa zu uns
gestoßen war, übernachteten wir in Tudela, zwei Stunden von Valladolid.

Als wir die Esgueva, den gefürchteten Fluß, überschritten, fanden
wir einen unbedeutenden Bach, der nicht zwei Fuß hohes Wasser hatte.
Zariategui war außer sich, da er nun erkannte, wie die Ängstlichkeit
jener Ankömmlinge, auf deren Abmahnung er schwach gehört hatte, die
Gelegenheit zu neuem herrlichem Siege ihn hatte ungenutzt vorübergehen
lassen. Er beschloß am Morgen wieder gegen Valladolid zu ziehen und
in ihr den Feind anzugreifen, wenn er nicht zum Kampfe uns entgegen
käme; in der That defilirten beim ersten Strahl der Morgenröthe die
Bataillone auf dem Wege nach der geräumten Stadt. Da langte ein Bauer
an und überreichte dem General einige Papiere. Seine Stirn verfinsterte
sich, da er die Depeschen las, er ordnete den Contre-Marsch an und
schlug schweigend an der Spitze der Division den Weg nach Aranda de
Duero ein. Der Unglücksbote hatte die Meldung von dem Rückzuge des
königlichen Expeditions-Corps auf die Sierra von Soria nebst der Ordre
gebracht, in engere Verbindung mit demselben zu treten.

Wenn auch unwillig, den gehofften Angriff nicht ausgeführt zu sehen,
zogen die Truppen doch gutes Muthes das Duero-Thal hinauf, da sie
vertrauten, mit den Divisionen des Königs vereinigt, alsbald wieder
kräftig die Offensive zu ergreifen. Unser Corps war nie auf so
glänzendem Fuße gewesen, da unsere alten Truppen durch Disciplin und
Bravour gleich sehr als Kerntruppen sich bewährten, die jungen aber
auf acht starke Bataillone, über 6000 Mann, gebracht waren, und alle
gleiche Begeisterung und Kampfbegier zeigten. Wir zogen das Bataillon
an uns, welches zur Blokade von Peñafiel geblieben war und in seinem
ersten Gefechte gut sich hielt, da es einen Ausfall der Garnison, aus
zwei Compagnien Peseteros[36] bestehend, mit Verlust zurückwies. Auf
beiden Seiten des Flusses naheten wir Aranda, wohin ich ungeduldig mich
sehnte, da meine Wunde, die den Knochen bedeutend verletzt hatte, wenn
sie noch nicht an Bewegung mich hinderte, doch stündlich peinigender
wurde, während ich, von dort aus ein Hospital oder einen gesicherten
Ort erreichend, durch Ruhe in kurzer Zeit wieder kampffähig zu sein
hoffte.

Das 5. Bataillon von Castilien überschritt die Brücke, welche vom
linken Ufer des Flusses nach Aranda führt, als hinter ihm die Tete
einer starken feindlichen Colonne erschien und sofort im Sturmschritt
auf die Brücke drang. Es war die Division des Generals Lorenzo, die
7500 Mann und 500 Pferde stark, von Espartero abgesandt war, um uns
in der Besetzung von Aranda zuvorzukommen und die Vereinigung mit dem
Corps des Königs zu verhindern; eine Viertelstunde später hätten wir
die Stadt im Besitze des Feindes gefunden. Noboa besetzte mit seiner
Brigade die Häuser, welche in geringer Entfernung von der Brücke
einen Halbkreis bilden, dessen beide Enden an den Fluß sich lehnen,
und eröffnete von dort ein mörderisch concentrisches Feuer auf die
Sturm-Colonne des Feindes. Sehr brav drang sie bis zu der Mitte der
Brücke vor, und ward, da sie dann wich, sogleich durch eine zweite
ersetzt, die ebenfalls die Brücke betrat, dann aber, da von den
Fenstern herab die Kugeln auf sie regneten, in Unordnung zurückfloh.
Zariategui und Elio langten mit dem Stabe an, und die Bataillone
eilten im Lauftritt herzu, während Lorenzo zwei Kanonen etwa funfzig
Schritt vor der Brücke abprotzen und ein lebhaftes Kartätschen-Feuer
gegen die Häuser beginnen ließ. Da befahl der General zum Angriff zu
schreiten. Valencia sollte zur Rechten, wo eine Wehr den Übergang zu
erleichtern versprach, den Fluß passiren und den Feind in der Flanke
angreifen, während Castilla und Guipuzcoa über die Brücke vordrängen.
Unter heftigem Feuer und das Wasser bis zur Brust erreichte Valencia
das andere Ufer und formirte sich dort zur Angriffs-Colonne, Castilien
aber wich auf der Mitte der Brücke dem doppelten Feuer der Geschütze
und der Infanterie, riß Guipuzcoa mit sich zurück und gab so das
brave Valencia isolirt dem Andrange der Feinde Preis. Ehe noch der
General mit Zornesflammen sprühenden Augen seinem Gefolge das Wort
„Freiwillige!“ zugerufen, stürzte ich mit andern zwei Officieren
vorwärts, wo schon die Chefs von Castilien zu neuem Sturme die Truppen
ordneten. Ohne zu wanken, folgten nun die Bataillone den Führern und
debouchirten am andern Ufer, auf dem auch Valencia im Sturmschritt
vorrückte. Die Feinde flohen in Unordnung und verließen ihre Kanonen;
schon waren wir wenige Schritte von den ersehnten Trophäen entfernt,
als zwei Artilleristen mit herrlicher Todesverachtung zurückstürzten,
unter furchtbarem Kugelregen die Geschütze einhängten und, auf die
Maulthiere[37] sich schwingend, sie uns entrissen, da wir fast mit den
Bajonnetten sie berührten. Ehre den Braven, wo sie sich finden mögen!
Die That jener beiden Männer, wie sie die Einzigen unter dem Pfeifen
zahlloser Kugeln und im Bereiche unserer Bajonnette unerschrocken ihre
Pflicht erfüllten, nöthigte mir die höchste Bewunderung ab.

Lorenzo nahm die weichenden Bataillone mit der Reserve auf und drang
noch ein Mal umsonst vor, worauf er langsam und in Ordnung, bald durch
seine Cavallerie gedeckt, den Rückzug ~en échelons~ antrat, von unsern
Tirailleurs eine Stunde weit mit Nachdruck verfolgt; eine Escadron
des königlichen Expeditions-Corps, die während des Gefechtes zu uns
gestoßen war, schloß sich dabei uns an. Bei unserer Rückkehr nach
Aranda fanden wir die Divisionen Sr. Majestät dort.

  [32] ~caballero~ entspricht dem ~true gentleman~ der Engländer.

  [33] Die Bewohner des Königreiches Leon werden in Spanien stets als
       Alt-Castilianer betrachtet, denen sie in jeder Beziehung ganz
       gleich stehen. Sie selbst kennen nur den Namen Castilianer für
       sich.

  [34] ~la generala~ wird nur geschlagen, wenn der Feind vor den Thoren
       steht, daher bei Überfällen u. s. w.

  [35] Dieses Bataillon zeichnete sich während der ganzen Expedition
       besonders aus; es ward durch treffliche Officiere befehligt,
       und die ursprünglichen Valencianer waren nach und nach durch
       Aragonesen und Castilianer ersetzt.

  [36] Freicorps, so genannt, weil sie eine ~peseta~ -- vier Realen --
       Sold erhielten.

  [37] Die spanische Artillerie ist durchgängig mit schönen Maulthieren
       bespannt, die vor den Pferden durch Ausdauer hervorstechen.



XII.


Während Espartero von San Sebastian aus die Linien von Hernani und
Irun zerstörte, verließ Carl V. Navarra an der Spitze von 18
Bataillonen und 3 Regimentern Cavallerie, 11000 Mann Infanterie und
1200 Pferde. Die Expeditionen des vergangenen Jahres, so wenig sie der
Sache genützt, hatten doch die Hoffnung nicht niederschlagen können,
daß durch solche Züge endlich große Resultate erlangt würden; der
Geist des Volkes hatte sich allgemein nicht feindlich gezeigt, manche
Erfolge waren erfochten, andere nur durch Schwäche eingebüßt. So sollte
denn nun ein kraftvoller Versuch gemacht werden, um in das Innere des
Königreiches vorzudringen und im Vereine mit den königlichen Armeen
Westspaniens durch die Eroberung von Castilien den Krieg zu beenden.

Am 19. Mai passirte das Heer den Fluß Aragon und zog in langsamen
Märschen nach Westen hin, während General Iribarren, der mit 12000
Mann zu seiner Verfolgung eilte, von Tafalla aus nördlich dem Ebro
ihm parallel zog. Am 24. zog es in die bedeutende Stadt Huesca ein;
noch waren die Truppen in den Straßen aufgestellt, als schon Granaten
über ihnen platzten. Kaum konnten die ersten Bataillone eine Stellung
vor der Stadt einnehmen und den Andrang des Feindes bis zum Ausrücken
ihrer Gefährten zurückhalten; da endlich der Kampf allgemein wurde,
sah sich Iribarren, der seine Divisionen zum Angriff führte, bald zum
Weichen genöthigt. Umsonst schlug sich die Fremdenlegion mit ihrer
gewohnten Todesverachtung, umsonst führte der Brigadier D. Diego Leon,
der vorzüglichste Cavallerie-Anführer der Christinos, seine Escadronen
zu verzweifelter Charge; seine Cuirassiere und Carabiniere der Garde
wurden zersprengt, er selbst fiel im wilden Getümmel, Iribarren ward
schwer verwundet, seine Massen durchbrochen und zum Rückzuge gezwungen,
den sie unbelästigt ausführten. Er starb wenige Tage nachher an seinen
Wunden.

Glänzend hatte auch diese Expedition begonnen, die, dem Namen nach
durch den Infanten D. Sebastian befehligt, vom General Moreno, dem Chef
des Generalstabes, geleitet wurde, der, durch langjährige Erfahrung
als Strategiker ausgezeichnet, nicht immer angesichts des Feindes
die nöthige Entschlossenheit und Schnelle im Handeln entwickelte.
Er zog am 27. Mai nach Barbastro, wo er abermals unthätig stehen
blieb, während Oráa von Nieder-Aragon herzueilte und die geschlagene
Division Iribarren aufnahm, mit der auch Buerens, 3000 Mann stark,
sich vereinigt hatte. Am 2. Juni griff er die carlistische Armee bei
Barbastro an und ward nach hartnäckigem Kampfe zurückgeschlagen; die
französische Fremdenlegion, die dem carlistischen Fremdenbataillone
gegenübergestanden und auch hier ihre deutsche Bravour nicht verleugnet
hatte, wurde ganz vernichtet, und ihr Commandeur, der Brigadier Conrad,
da er seine weichenden Tirailleurs vorwärts führte, gefährlich am Kopfe
verwundet, starb nach wenigen Tagen.

Der Mangel an Energie, der später der kleinen Armee und der Sache,
für die sie focht, so verderblich werden sollte, äußerte jetzt schon
seine unheilvolle Einwirkung. Die Truppen waren nach dem Siege ruhig
nach Barbastro zurückgekehrt und brachen erst am 4. Abends nach dem
kaum eine Stunde entfernten Cinca auf, wo sie, kaum glaublich, nicht
die geringsten Vorbereitungen für den Übergang getroffen fanden, da
doch das Corps acht volle Tage in Barbastro gestanden hatte. Das
Hauptquartier war von zahllosen ~ojalateros~[38], Officieren und
Angestellten, die essen wollten, ohne zu arbeiten und der Gefahr sich
auszusetzen, begleitet, und Jeder von ihnen führte eine enorme Bagage
mit sich; so mußten die Bataillone auf dem rechten Ufer campiren,
während alle jene Leute, die zahlreichen Munitions- und Bagage-Convoys,
die Verwundeten und die Nicht-Combattanten in den einzigen zwei Kähnen
über den Fluß geschafft wurden. Erst am Morgen, da schon das Heer
Oráa’s nahete, konnte der Transport der Truppen beginnen: das herrliche
4te Bataillon von Castilien, welches die Nachhut bildete, befand sich
allein auf dem jenseitigen Ufer, als die Massen des Feindes erschienen
und sofort von allen Seiten es bestürmten; nach verzweifeltem
Widerstande wurde es zersprengt und unter den Augen ihrer Cameraden,
die ihnen nicht Hülfe bringen konnten, theils in den Fluß geworfen,
theils gefangen.

Die Armee drang nach diesem Unglückstage in Catalonien ein und
vereinigte sich mit den dort gebildeten Banden, ohne irgend Nutzen
von ihnen ziehen zu können, da gänzlicher Mangel an Organisation und
Disciplin zu aller geregelter Kriegführung sie untüchtig machte. Der
feindliche General-Capitain des Fürstenthums, Baron de Meer, rückte von
Lerida nach Balaguer vor und griff, nachdem Oráa, durch die Brigade
Iriarte von Espartero um 4000 Mann verstärkt, zur Bekämpfung Cabrera’s
nach Unter-Aragon hatte zurückkehren müssen, das Expeditions-Corps
bei Guisona am 13. Juni an; die Flucht der catalonischen Truppen, die
dem ersten Stoße der Christinos wichen, hätte fast den Untergang der
Armee nach sich gezogen. Nach einem Verluste von 1000 Mann an Todten
und Verwundeten und 150 Gefangenen erkämpfte die Entschlossenheit
einiger Chefs und die Festigkeit der alten Bataillone kaum einen
geordneten Rückzug. Da zeichnete ein Deutscher, der junge Brigadier
Fürst Lichnowsky, glänzend sich aus, indem er im kritischen Augenblicke
an der Spitze der Cavallerie mit Erfolg chargirte und der Erste in
die feindlichen Lanciers einhieb. Mein armer Freund, Bernhard von
Plessen, mit dem im Vaterlande, da wir Einem Bataillone angehörten, die
Bande enger Cameradschaft schon mich umfaßten, starb bei Guisona den
Heldentod, da er, Capitain der Artillerie, freiwillig den vorgehenden
Bataillonen sich angeschlossen; eine Kanonenkugel streckte ihn todt
nieder.

Der König zog am 15. Juni nach Solsona und von dort am 19. auf Berga,
welches der Oberst Osorio, von den Cataloniern gänzlich geschlagen und
durch General Royo in die Festung eingeschlossen, während der Nacht
mit 800 Mann und zwei Geschützen räumte. In dem Heere ward indessen
außerordentlicher Mangel fühlbar, da die rauhen Hochgebirge für solche
Colonnen die nöthigen Subsistenzmittel nicht liefern konnten, und
die wenigen vorhandenen Ressourcen durch die jämmerliche Verwaltung
der carlistischen Bandenanführer eher vernichtet als weise benutzt
wurden. So trat endlich wahre Hungersnoth ein: die Soldaten, in öden
Schluchten campirend, blieben drei und vier Tage lang ohne Ration und
auf unreife Früchte beschränkt, die sich nur mehrere Stunden entfernt
fanden und durch Zerkochen genießbar werden mußten; wer aber von seinem
Bataillone getrennt getroffen wurde, duldete harte Strafe. Für ein Brot
zahlten die Officiere zwei, drei Piaster, für ein Papier-Cigarrchen
eine Peseta. Und wenn ein Freiwilliger, von der Verzweiflung des
nagenden Hungers getrieben, selbst die drohende Todesstrafe nicht
achtend, in einem Landhause etwas Nährendes zu suchen ging, trieben
ihn nicht selten die wilden Gebirgsbewohner, die Alles sich genommen
sahen, mit Kugeln von den Häusern zurück, und blutige Kämpfe entspannen
sich. Unter den Navarresen, leicht zu Unordnungen gebracht, nahm die
Unzufriedenheit immer mehr drohenden Ton an, während Castilianer und
Basken schweigend, bis sie entkräftet hinsanken, das Ungemach zu
ertragen wußten.

Endlich zog unter allgemeinem Jubel die Armee gen Süden dem Ebro
zu, dessen Übergang, von Cabrera thätig vorbereitet, am 29. Juni bei
Cherta im Norden von Tortosa bewerkstelligt wurde. Die feindliche
Colonne, welche die Vereinigung hindern sollte, langte auf dem Ufer
an, als die letzten Truppen auf der Mitte des Stromes sich befanden,
und machte ihrer ohnmächtigen Wuth durch ein zweckloses Geschützfeuer
Luft. Nachdem die ausgehungerten Soldaten in dem reichen Ebro-Thale,
wo Cabrera große Vorräthe für sie angehäuft hatte, sich erholt hatten,
wandte sich Moreno, durch die Division jenes Generals verstärkt,
nach dem Königreiche Valencia, während Oráa, der von Alcañiz aus sie
beobachtete, über Teruel dem Marsche der Carlisten folgte, um von
dort der bedroheten Provinz zu Hülfe eilen. Die herrliche Huerta
von Valencia wurde besetzt und Castellon de la Plana am 8. Juli
eingeschlossen, der Angriff ~à vive force~ aber zurückgewiesen;
am 10., da Oráa noch mehrere Märsche weit entfernt war, stand die
Armee im Angesichte des vielthürmigen Valencia, welches, nur von
einer Mauer umgeben und bis auf die Nationalgarden fast ganz ohne
Truppen, dem ersten Anlaufe wohl nicht widerstehen konnte. Doch
die Führer der königlichen Expedition besaßen nicht die Thatkraft
und Entschlossenheit, die solchem Unternehmen erste Bedingniß des
Gelingens ist, da durch Temporisiren Nichts gewonnen, leicht Alles
verloren werden kann. Der greise Moreno, nachdem er mehrere Tage
lang die Stadt angeschaut hatte, zog, ohne den Angriff zu versuchen,
südlich vom Guadalaviar ab, da Oráa, dem er durch sein Zögern Zeit zur
Vereinigung mit der Colonne von Valencia gegeben, über Segorbe von
Aragon herabstieg. Wie unendlich würde die Einnahme von Valencia die
Verhältnisse geändert haben, welches Übergewicht hätte sie nicht den
Carlisten im westlichen Spanien gegeben! Ich wiederhole, Moreno war
ausgezeichneter Strategiker, seine Bewegungen waren stets meisterhaft
berechnet; wo es dann galt, das Resultat derselben in kräftigem Handeln
zu sichern, hätte Cabrera seine Stelle einnehmen müssen.

Bei Chiva trafen sich am 15. Juli die beiden Heere, und die Carlisten,
nach anfänglich bedeutenden Vortheilen geschlagen, zogen sich mit
einem Verlust von mehr als 1000 Mann auf Chelva zurück, von wo
sie über Sarrion, Linares und Mosqueruela in das Hochgebirge von
Unter-Aragon sich warfen. Der König begab sich nach Cantavieja,
damals einzige Festung Cabrera’s, während die Truppen, durch die
Leiden und Unglücksfälle der letzten Zeit sehr demoralisirt, täglich
mehr in das Gebirge zusammengedrängt wurden. Auch Espartero war von
den Nordprovinzen herbeigerufen, um gegen das Expeditions-Corps zu
operiren, so daß die drei Colonnen von Oráa, Espartero und Buerens
im Halbkreise es umstellen und concentrisch es angreifen konnten;
am 30. war selbst Oráa bis Mosqueruela, vier Stunden von Cantavieja
vorgedrungen, und die königlichen Truppen waren auf die Städte
Villafranca, Fortanete und Mirambel in dem wildesten Theile des
Gebirges von Cantavieja beschränkt.

Die Lage der Armee war sehr bedenklich, da sie unmöglich lange in
jenem unfruchtbaren Theile Aragon’s sich aufhalten konnte; indessen
die feindlichen Anführer, eifersüchtig auf einander, combinirten nicht
ihre Kräfte zu thätiger Offensive, und bald war Oráa genöthigt, nach
Valencia zu eilen, da Forcadell, die Entblößung der Provinz benutzend,
bis zu der Hauptstadt vordrang und am 4ten August selbst ihren Hafen,
el Grao, mit einigen tausend Mann besetzte, worauf seine Truppen
von einer englischen Fregatte beschossen wurden. Als Oráa am 8. in
Castellon de la Plana anlangte, zog Forcadell sich zurück, weshalb
Jener über Segorbe nach Teruel eilte, wieder seine Stellung dem Könige
gegenüber einzunehmen. Aber auch Espartero war während der Zeit zur
Deckung Madrid’s gegen die Division Zariategui abgerufen, so daß der
König, in Etwas von den Massen befreit, die ihn bisher erdrückten, in
der Mitte August’s aus der Felsen-Festung vordringend die Offensive
ergreifen konnte, das Gebirge von el Albarracin durchzog und sich dann
nach dem an Wein und Getreide reichen Hügellande wandte, welches von
der nördlichen sanften Abdachung des Hochgebirges von Unter-Aragon nach
dem Ebro hin gebildet ist. Oráa und Buerens folgten dem carlistischen
Armee-Corps dorthin, dessen Disciplin und Selbstvertrauen, wiewohl es
schon sehr zusammengeschmolzen, während der sorgfältig benutzten Ruhe
der letzten Wochen ganz hergestellt waren.

Am 24. August standen die Divisionen in der Gegend von Herrera,
als eine Depeche des General Buerens aufgefangen wurde, in welcher
er, von der Seite von Zaragoza heranziehend, dem General Oráa nach
Daroca meldete, daß er am folgenden Tage angreifen werde und dazu
die Mitwirkung desselben erwarte. Moreno stellte das Heer vor dem
Villar de los Navarros in vortheilhafter Stellung auf und traf so
treffliche Vorbereitungen, daß Buerens, der mit vielem Muthe angriff,
zurückgewiesen, durchbrochen und vollkommen geschlagen wurde. Seine
ganze Division, 11000 Mann, wurde zerstreut und in vollständiger
Verwirrung auf Herrera gejagt, wo mehrere tausend Mann, die sich
in die Kirche eingeschlossen hatten, capituliren mußten; nur zwei
Garde-Bataillone zogen sich geschlossen vom Schlachtfelde zurück.
4000 Gefangene und 5000 Gewehre fielen in die Gewalt der siegreichen
Carlisten, die durch diesen Schlag den Weg auf Madrid sich offen sahen,
wiewohl Espartero in Folge dessen über Ziguenza nach Aragon eilte und
schon am 1. Sept. in Daroca ankam.

Mit den Truppen Cabrera’s vereinigt durchzog das Expeditions-Corps
die Provinz Cuenca und marschirte über Tarancon auf der Heerstraße
gegen Madrid, indem Moreno gewandt manövrirend dem Feinde mehrere
Märsche abzugewinnen wußte; es überschritt den Tajo bei Fuentidueña und
rückte am 12. September Morgens vor die Thore der stolzen Residenz.
Cabrera, der mit seiner Division die Avantgarde bildete, hatte bei
Vallecos, anderthalb Stunden von Madrid, die Cavallerie-Regimenter
der Garde, da sie mit reitenden Batterien sich ihm entgegenstellten,
gänzlich geschlagen, er schoß schon in die Straßen der Stadt hinein
und erwartete ungeduldig mit den nachrückenden Divisionen die Ordre
zum Angriffe, dessen Erfolg ganz unzweifelhaft war. Da ... erhielt er
Befehl, seine Truppen zurückzuziehen. Er gehorchte -- Carl V. ließ den
Augenblick, der die entrissene Krone ihm darbot, ungenutzt, und dieser
Augenblick kam nie wieder.

Augenzeugen versichern, daß Cabrera in gerechtem Zorne über die
Erbärmlichkeit der Rathgeber des Königs geschworen habe, fortan nur
seinen eigenen Eingebungen zu folgen; so that er. Im königlichen
Hauptquartiere selbst, welches bis Arganda, vier Stunden von Madrid
gelangte, war Alles so von dem Einzuge in die Residenz überzeugt
gewesen, daß schon einem Jeden sein Logis daselbst bezeichnet war. In
finsterem Mißmuthe trat die Armee den Rückzug an, der die Früchte aller
Anstrengungen und Siege auf immer ihr entriß.

       *       *       *       *       *

Mannichfach sind die Gründe oder, sage ich, die Entschuldigungen,
welche für das Aufgeben der Unternehmung auf Madrid angeführt sind;
doch kamen endlich alle übrigen auf die beiden hauptsächlichsten, die
Schwäche der Armee bei der Nähe Espartero’s und das Nichterscheinen
der Division Zariategui, hinaus. Früher zeigte ich, wie dieser General
mit dem königlichen Expeditions-Corps in seiner Bewegung auf die
Hauptstadt nicht combinirt agiren konnte, noch durfte, da er, so eben
zur Offensive übergegangen, ein überlegenes feindliches Corps im Rücken
hätte zurücklassen müssen. Auch war auf die Mitwirkung Zariategui’s
gewiß nicht von den Anführern der Armee gerechnet.

Diese zählte zu jener Zeit mit Einschluß der Division Cabrera 13000
bis 14000 Mann; dagegen befanden sich in Madrid etwa 5000 Mann
Linientruppen und acht Bataillone National-Garde mit ihrer Cavallerie
und Artillerie, während Espartero über Guadalajara in Eilmärschen 25000
Mann heranführte. Daher hieß es, würde es Tollkühnheit gewesen sein,
in ein Straßengefecht uns einzulassen, um im glücklichsten Falle nach
vier und zwanzig Stunden aus der Stadt entweichen zu müssen oder in
ihr den Angriff des feindlichen Heeres zu souteniren. Sieger in so
hoffnungslosem Kampfe, wären wir in Madrid blockirt worden, besiegt
konnte Nichts die gänzliche Vernichtung von uns abwenden.

Die Nichtigkeit solcher Argumentation ist auf den ersten Blick
durchschaut. Das gefürchtete Straßengefecht würde gar nicht Statt
gefunden haben: einige Bataillone hatten sich zwar bei dem zunächst
bedroheten Thore aufgestellt und erwarteten ohne Hoffnung und ohne
Muth den Angriff; aber die Besatzung reichte lange nicht hin, um die
ausgedehnten Mauern auch nur rings zu besetzen, und jene Bataillone
würden alsbald gezwungen sein, wie es ja stets den Garnisons
der größeren Städte erging, in irgend ein festes Gebäude sich
einzuschließen, um unter möglichst guten Bedingungen zu capituliren.
Denn in der Stadt erwartete die Masse, der Kern des Volkes nur das
Signal zum Angriffe, um sich zu erheben und Carl V. zu proclamiren.
Daß jedoch, wie dem Anschein nach wohl erwartet wurde, die Bevölkerung
bei der Annäherung der Carlisten selbstständig die Contrerevolution
bewirke und die Truppen verjage, so daß unsere Armee die Thore geöffnet
und von der Menge jubelnd sich empfangen fände -- das hieß in der That
zu sehr auf das Loyalitäts-Feuer des Volkes rechnen. Auch von der
National-Garde waren die vier letzten Bataillone durch Zwang gebildet
und bestanden durchgängig aus echt royalistisch gesinnten Männern,
Handwerkern und kleinen Kaufleuten, denen die Wahl gelassen war, ihre
Laden zu schließen und ihre Familien, die Stadt verlassend, ins Elend
zu stürzen oder als National-Gardisten sich enrolliren zu lassen. Es
ist bekannt, daß die revolutionaire Regierung später Untersuchungen
anstellen ließ, weil diese Bataillone bei dem Erscheinen der Carlisten
ihre Neigung für sie deutlich an den Tag gelegt und complottirt hatten,
um bei dem Angriffe für sie sich zu erklären, was natürlich allen
Widerstand beendigt hätte.

Sehr zu bezweifeln ist aber, daß die Armee Espartero’s auf die
Carlisten, nachdem diese Madrid’s sich bemächtigt, den Angriff gewagt
hätte. Die Nachricht von dem Ereignisse würde auf die Soldaten den
niederschlagendsten Einfluß geäußert und die Bande der Disciplin,
in jener Zeit so sehr gelockert, vollends zerrissen haben. Und wenn
Espartero trotz ihrer Entmuthigung die Truppen zur Wiedereroberung der
Hauptstadt führte, entschied er nur rascher den Ausgang des Krieges
und den Sturz der Parthei, für die er kämpfte. Da war es nicht nöthig,
vor ihm zu fliehen oder geschlagen oder in der Hauptstadt blockirt zu
werden; die siegreiche Armee würde mit Begeisterung dem Feinde entgegen
gegangen sein, um ihn selbst anzugreifen, ihn moralisch geschwächt, wie
er war, zu vernichten und so mit der letzten Hoffnung der Christinos
den ferneren Widerstand ganz niederzuschlagen.

Alle jene Schwierigkeiten, so weit sie wirklich bestanden, mußten
bedacht sein, ehe der verhängnißvolle Zug unternommen wurde; so wie
der erste Schritt gethan, hörte alles Schwanken auf, und „Vorwärts“
ward das Loosungswort, denn jedes Zaudern brachte Verderben. Das
ganze unendliche Übergewicht, welches die Eroberung Madrid’s ihnen
gab, überließen die Carlisten durch den Rückzug ihren Feinden, indem
sie den Spaniern und der Welt die Überzeugung von ihrer Schwäche
oder ihrer Unfähigkeit aufdrängten, das Vertrauen der friedlichen
Bewohner einbüßten, die sie nur erscheinen sahen, um sich eiligst den
verfolgenden Christinos durch die Flucht zu entziehen, und sich, was
oft noch unheilsvoller war, mit den vergeblichen Hin- und Herzügen zum
Gegenstande des Spottes und der Verachtung machten.

So unermeßlich waren die Folgen der Uneinigkeit und des
Intriguen-Spieles, welche unter den nächsten Umgebungen des Königs
herrschten und jede energische Kraftäußerung unmöglich machten, jedes
Unternehmen lähmten. Da war es nicht zu verwundern, wenn mancher treue
Diener von Überdruß ergriffen wurde, wenn endlich die Truppen laut
über Verrath schrieen und mit Widerstreben den Mühseligkeiten sich
unterwarfen, die ihrer Führer verkehrtes Benehmen über sie verhängte.

       *       *       *       *       *

Die nächsten Tage vergingen in Bewegungen zwischen den Henares und
Tajuña der Armee Espartero’s gegenüber, der fortwährend verstärkt
täglich mehr das Expeditions-Corps drängte. In der Nacht vom 18. zum
19. September versuchte Moreno einen Überfall desselben in Alcalá, der
gänzlich fehlschlug und das nachtheilige Arrieregarde-Gefecht vom 19.
veranlaßte, in dem die Carlisten, heftig von der feindlichen Cavallerie
bestürmt, mit Verlust in die Gebirge sich zurückzogen. Mehrere
Compagnien, die man aus Gefangenen gebildet, denen auf ihr Bitten die
Waffen gegeben waren, warfen bei dem Angriffe der Lanciers die Gewehre
nieder und gingen mit dem Rufe: ~viva Isabel segunda!~ zu ihren alten
Gefährten über. Cabrera, der in Guadalajara unter den Augen Espartero’s
eingezogen war, trennte sich von dem Heere und führte seine Division
nach Aragon zurück, da er in längerem Bleiben Schmach und Vernichtung
erkannte, worauf der König, dessen Truppen in dem traurigsten Zustande
waren und an Allem Mangel litten, den Rückzug nach dem Gebirge von
Soria beschloß. Da die Division Zariategui den Angriff Lorenzo’s auf
die Brücke von Aranda zurückschlug, konnten die beiden Corps in dieser
Stadt sich vereinigen.

       *       *       *       *       *

Kaum war ich, von der Verfolgung Lorenzo’s zurückgekehrt, in meinem
alten, nun mit Officieren der königlichen Divisionen angefüllten
Logis angekommen und suchte ein Strohlager mit Mantel und Decke
etwas bequemer zu machen, als ich zum General berufen wurde, der so
eben in höchstem Mißmuthe von einer Zusammenkunft mit dem Infanten
zurückkehrte. Er erklärte mir, daß er in Rücksicht auf meine Verwundung
mich ausersehen habe, um etwa zweihundert durch Wunden und Krankheiten
undienstfähige, aber leicht transportable Leute nach den Nordprovinzen
zurückzuführen, wo auch ich raschere Heilung hoffen dürfe. Schmerzlich
mußte es mir sein, meine Cameraden in jenem Augenblicke zu verlassen,
da ich trotz des Elendes, in dem die andern Divisionen sich mit uns
vereinigt, fest glaubte, daß nun rasch und kräftig die Offensive würde
ergriffen und Entscheidung erkämpft werden. An Siege und glänzende
Erfolge gewöhnt, konnten wir noch nicht den Gedanken fassen, so
plötzlich von der Höhe herabgestürzt zu sein. Aber dennoch war ich
meinem Chef Elio, denn ihm verdankte ich die Rücksicht, innig dankbar
für die mir gewordene Sendung, da meine Wunde, in den ersten Tagen
vernachlässigt, mehr und mehr peinigend wurde und mich auf einige Zeit
für thätigen Dienst ganz untauglich machte.

Nachdem mir siebenzehn beladene Saumthiere für den General Uranga
übergeben waren, trat ich in der Nacht mit meinem Convoy den Marsch
an; zwanzig Infanteristen, alle aus den Theilen Castilien’s gebürtig,
die ich durchschneiden sollte, so daß sie im Nothfalle als Führer mir
dienen konnten, bildeten die Bedeckung. Ich durchkreuzte die ganze
Provinz Burgos, im Allgemeinen den Windungen der Sierra folgend,
überschritt die Heerstraße von Burgos nach Vitoria, dann den Ebro,
wo er ein schmaler Bergstrom schäumend über die Felsen hinbrauset,
und erreichte am 7. October den famösen Paß, der Felsen von Orduña
genannt, der die Verbindung von Vizcaya und Burgos über den Hochrücken
der Pyrenäen bildet. Wiewohl ich der Verwundeten wegen den Marsch sehr
langsam gemacht und, nicht immer die unzugänglichsten Gebirgsstriche
aufsuchend, mehrere bedeutende Orte berührt hatte, langte ich in den
Nordprovinzen an, ohne auch nur einen Soldaten, Carlist oder Christino,
getroffen zu haben. Nachdem ich die mir ertheilten Aufträge vollzogen,
eilte ich nach Navarra, dessen milderes Clima mich anzog, um dort die
Heilung meines Armes abzuwarten.

Während ich in einem reizenden Landhause bei Estella; welches als
Convalescirungs-Quartier mir zugetheilt war, einige Wochen in
angenehmer Muße zubrachte, gingen von den Corps, die ich in Aranda
zurückließ, Unheil verkündende Berichte ein; eines Tages erschien
selbst ein Trupp Cavalleristen, die bei Mendavia den Ebro passirt
hatten und sich als vom Hauptcorps nach dessen Niederlage abgesprengt
erklärten. Ihnen folgten in rascher Folge Andere, bis endlich die
ganze dritte Escadron von Navarra, zu Zariategui’s Division gehörend,
bei Estella anlangte. Sie erzählten, ihre Desertion zu entschuldigen
-- denn die Officiere waren nicht mit ihnen gekommen -- wie die
vollständigste Unordnung in die Armee eingerissen sei, die, an Allem
Mangel leidend und überall geschlagen, nur in der Zerstreuung habe Heil
finden können. Die Deserteure wurden arretirt und ihre Aussagen für
erlogen erklärt, aber dennoch nahmen die beunruhigenden Gerüchte immer
mehr überhand, als unerwartet und nach der Furcht der letzten Zeit fast
mit Freude begrüßt die Nachricht anlangte, daß der Infant mit einem
Theile des Heeres den Ebro passirt habe. Bald erschien er in Estella,
von Zariategui und den ersten Officieren von dessen Division begleitet.
Ich hatte die Genugthuung, von meinem Generale zur Rückkehr zu seinem
Stabe aufgefordert zu werden, im Falle sein Commando ihm gelassen
würde, was nicht geschah.

Da die königliche Expedition bei der Vereinigung mit Zariategui in
gränzenlosem Elende sich befand, auch sehr fatiguirt und demoralisirt
war, übernahm dieser die Deckung des Rückzuges, der unter den Augen
Espartero’s und im fortwährenden Kampfe mit dessen nachdrängenden
Massen bewerkstelligt wurde. Die feindlichen Generale, nachdem sie
durch Heranziehen aller disponibeln Truppen sich verstärkt hatten,
rückten in die Sierra vor, zerstörten alle Vorräthe und trieben die
Carlisten von Stellung zu Stellung, von Ort zu Ort, überall mit
unmenschlicher Härte Jeden hinopfernd, der carlistischer Gesinnungen
verdächtig war oder, wenn auch gezwungen, der Armee einen Dienst
geleistet hatte; die Häuser selbst, in denen der König oder der Infant
logirt hatte, brannte der wilde Lorenzo nieder. Da beschloß Moreno den
Angriff der Feinde zu erwarten. Bei Retuerta bezog er mit 14000 Mann
eine feste Stellung, in der er am 5. Oct. von Espartero und Lorenzo,
die 35000 Mann vereinigt, bestürmt wurde; der Kampf war blutig, aber
unentschieden, da die Carlisten gegen alle Versuche der Christinos
ihre Stellung behaupteten und sie mit schwerem Verluste zum Rückzuge
nöthigten, ohne doch solchen Vortheil benutzen zu können.

In kleine Colonnen aufgelöset suchten die Expeditionen sich in der
Sierra zu behaupten; aber der Mangel an Allem wuchs täglich, die
Feinde, hier alle Gräuel der ersten Kriegesjahre erneuernd, verfolgten
mit Kraft und errangen immer neue Vortheile, selbst der König, von
allen seinen Bataillonen getrennt, fand sich umzingelt und entkam
kaum zu Fuß durch die Wälder den Schlingen, die Verrath ihm gelegt.
Verrath! Durch das ganze Heer tönte der Schrei: Verrath! manche der
ersten Führer wurden als dem Feinde verkauft bezeichnet und bedroht. Da
siegte Espartero in der Action von la Huerta del Rey, die carlistische
Cavallerie fast aufreibend; die Desertion riß immer mehr ein --
gänzliche Vernichtung oder Rückzug nach den Nordprovinzen war die
einzig übrig bleibende Wahl. Der Infant Don Sebastian marschirte zuerst
mit der Division Zariategui dorthin ab und langte am 19. Oct. in Alava
an; der König war trotz seines Widerwillens, da er beim Abmarsche
der Expedition erklärte, daß er nur als Sieger wiederkehren werde,
gezwungen, den Rest des Heeres gleichfalls dorthin zu führen, um nicht
seiner Treuen Leben umsonst zu opfern: am 24. Oct. überschritt er den
Ebro. Er erließ eine Proclamation an Volk und Heer, ihnen verkündend,
daß er selbst den Oberbefehl übernehme und daß er zurückgekommen
sei, um die Armee von den Verräthern zu reinigen, welche die
Anstrengungen der braven Freiwilligen vergeblich gemacht und den Erfolg
der Expedition gehindert hätten; zugleich versprach er kraftvolle
Wiederaufnahme der Operationen. General Guergué ward zum Chef des
Generalstabes an Moreno’s Stelle gewählt.

Große Hoffnungen erregte diese Proclamation; sie sollten nie erfüllt
werden! Die Verräther konnten unentlarvt ihre Pläne verfolgen, während
die bravsten Truppen in nutzlosen Zügen geopfert, der Krieg lässiger
als je hingezogen wurde.

       *       *       *       *       *

General Uranga hatte seit dem Abmarsche Zariategui’s bedeutende
Vortheile davon getragen, indem die Unordnungen, welche unter den in
den feindlichen Linien gebliebenen Truppen einrissen, ihm erlaubten,
trotz seiner Schwäche die Offensive zu ergreifen. Escalera war von
der nichtssagenden Verfolgung unserer Division eilig zurückgekehrt,
um das bedrohete Peñacerrada zu decken; seine Soldaten ermordeten ihn
zu Miranda de Ebro, und der greise Sarsfield, Vicekönig von Navarra,
hatte am 26. August zu Pamplona dasselbe Geschick. Sofort warf sich
Uranga auf das feste Peñacerrada, wichtig, weil es sowohl die directe
Verbindung zwischen Vitoria und Logroña und dadurch zwischen dem
östlichen und westlichen Theile des Kriegstheaters, als die reiche
alavesische Rioja beherrscht; da der Feind keinen Versuch zum Entsatze
machte, mußte die Garnison, 400 Mann mit vier schweren Geschützen, sich
gefangen ergeben. Dann beschoß er den Brückenkopf von Lodosa, einen
Hauptpunct der Ebro-Linie, und schlug den Partheigänger Zurbano, der
dem bedroheten Fort zu Hülfe eilte, in der Ebene von Logroño südlich
vom Ebro mit Verlust von 400 Todten und Gefangenen, wiewohl die
Annäherung Ulibarren’s von dem westlichen Navarra her ihn nöthigte,
die Belagerung aufzuheben. General Garcia aber nahm und zerstörte die
Linie von Zubiri, seit so langer Zeit der Gegenstand täglicher Kämpfe,
und öffnete den carlistischen Invasionen den feindlichen Theil von
Navarra und das ganze Ober-Aragon; er belagerte Peralta, welches er
früher schon überrascht, und zwang die 500 Mann starke Besatzung zur
Capitulation. Ulibarren nahm es in der Mitte Octobers wieder. Zugleich
erstürmten die Carlisten in der Linie von San Sebastian das von den
Anglo-Christinos genommene Andoain, wobei mehrere Compagnien Engländer,
die, in die Kirche eingeschlossen, bis sie ihre letzte Patrone
verschossen, muthig sich vertheidigten, in die Pfanne gehauen wurden,
wie so oft von ihren spanischen Gefährten erbärmlich verlassen.

Espartero war dem Könige nach den Nordprovinzen gefolgt und bezog
wiederum die gewöhnlichen Stellungen in Alava und längs dem Ebro. Er
beschäftigte sich während der letzten Monate des Jahres nur mit der
Bestrafung der begangenen Excesse, vor Allem der an den Generalen
verübten Morde, und mit Einführung einer strengen Disciplin, der seine
Truppen so sehr bedurften. Die Vernichtung der französischen Legion,
von der nur einige hundert Mann überblieben, welche fast alle nach
Frankreich zurückgingen; die Entlassung der Trümmer der englischen
Legion, da ihre Dienstzeit abgelaufen, und die Zurückrufung der
portugiesischen Hülfs-Division nach ihrem Vaterlande hatten sein Heer
sehr geschwächt, das nun mit Ausnahme von etwa 1500 Briten, die sich
auf ein Jahr länger engagirten, ganz aus Spaniern bestand. Alle diese
Verluste so wie die, welche der blutige Feldzug veranlaßt hatte, wurden
indessen durch die Verstärkungen, die während desselben mit Entblößung
der nicht aufgestandenen Provinzen zu ihm gestoßen waren, und durch
eine neue bedeutende Quinta vollkommen ersetzt.

  [38] ~ojala~, wollte Gott, daß ...! Daher Die, welche sich begnügten,
       mit ihren Wünschen den Erfolg der Sache zu befördern, von den
       Soldaten ~ojalateros~ genannt.



XIII.


Beobachten wir den Gang der Ereignisse in den baskischen Provinzen seit
der Schilderhebung ihrer Bewohner, so frappirt uns die Bemerkung der
anfänglichen außerordentlichen Fortschritte der Carlisten-Schaaren, des
plötzlichen Stillstandes, der dann in ihrer Siegeslaufbahn folgte, und
endlich des Rückganges, welcher nach einigen vergeblichen Versuchen
zur Erlangung der früheren Superiorität mit dem gänzlichen Unterliegen
der Parthei endete. Während Zumalacarregui, überall angreifend,
überall siegreich, die Colonnen der Christinos vernichtet, ihre Massen
zurückgewiesen, das Land nach Wegnahme aller festen Anhaltspunkte
ihnen geschlossen hatte, werden seine Krieger später selbst in den
ihnen ganz ergebenen Provinzen bedroht und angegriffen und statt
kräftiger Offensive auf nie entscheidenden Vertheidigungskrieg
beschränkt. Die Carlisten, da sie anfangs ohne Waffen, ohne Material
und ohne Organisation die an Zahl unendlich überlegenen und mit allem
der neueren Kriegskunst Nothwendigen im Überfluß versehenen Feinde
verachten durften, sehen wir in den letzten Jahren mit Erstaunen die
festen Positionen und die Forts, nicht selten ohne Kampf, verlieren,
durch die ihnen der Eintritt in die benachbarten Gebiete des Feindes
offen steht, und die ihm ihre eigenen Thäler verschließen. Und doch
liefern ihnen nun ausgezeichnete Fabriken das sonst Fehlende; doch
übertreffen sie, von erfahrenen Führern disciplinirt, schon ihre Gegner
eben so an Kriegszucht, wie früher an Unerschrockenheit, und das
Terrain, stets den Carlisten verbündet, stellt dem angreifenden Feinde
seine furchtbaren Hindernisse entgegen!

Zur richtigen Würdigung der Ursachen, welche jene so verschiedenen
Resultate erzeugten, werde ich darthun, wie es möglich war, daß
die Carlisten überall, wo sie bedeutendere Corps bildeten, so
große Vortheile davon trugen; und welche Gründe dann den Stillstand
nothwendig nach sich ziehen und die Vertheidiger Carls V. von Stufe zu
Stufe völligem Untergange zuführen mußten.

Die Hauptursache der Überlegenheit der früheren carlistischen Truppen
beruht ohne Zweifel in dem Charakter und den Neigungen des spanischen
Volkes, welche seine Art, den Krieg zu führen, von der aller andern
europäischen Nationen wesentlich verschieden machen. Wie Spanien, von
dem übrigen Europa durch die Pyrenäen-Kette geschieden, geographisch
durch Lage, Clima und Produkte mehr Afrika angehört, so hat auch der
Spanier in jeder Hinsicht größere Ähnlichkeit mit dem Morgenländer
als mit Europa’s Völkern. Innige, achthundert Jahre lang dauernde
Verschmelzung mit den durch muhamedanischen Enthusiasmus nach allen
Weltgegenden fortgeschleuderten Arabern nährte in den Bewohnern der
meisten Provinzen solche Hinneigung, die in ihrem Äußern, ihren
Vorzügen, Leidenschaften, Sitten und Gebräuchen hervortritt, welche
mit denen der Bewohner Nordafrika’s und des südwestlichen Asiens
übereinstimmen. In Nichts ist jedoch die Ähnlichkeit der Spanier mit
den Morgenländern so auffallend wie in ihrer Kriegesart.

Der Europäer kämpft in geschlossenen Massen, er sucht seine Stärke in
der Vereinigung, er tritt seinem Gegner offen und fest gegenüber und
thut keinen Schritt rückwärts, ohne von seinen Chefs dazu befehligt
zu sein; ihm ist der Einzelne Nichts: im unbedingten Gehorsam, im nie
schwankenden Zusammenwirken Aller weiß er das Element des Sieges zu
finden. Diese Art zu kriegen hat den Heeren Europa’s die Überlegenheit
gegeben, welche sie seit Jahrtausenden gegen die zahllosen Schwärme der
Asiaten gelten machen. Diese fechten dagegen in langen aufgelöseten
Reihen, sie brausen heran zum wilden Sturme und prallen zurück, um
wieder zu gleichem Versuche vorzudringen; mehr vertrauen sie der
persönlichen Gewandtheit und Kraft als des Führers weisen Anordnungen.
Von dem Augenblicke an, in dem er die Seinen zum Kampfe führt, ist der
Feldherr Soldat, welcher, der Leitung seiner Leute beraubt, nur noch
durch individuelle Bravour vor ihnen hervorsticht und von ihrem Muthe
den Sieg hoffen muß.

So der Spanier. Er ist der schlechteste Liniensoldat von der Welt;
aber für den kleinen, den Guerrilla-Krieg entwickelt er die höchsten
Talente und wahrhaft bewundernswürdige Eigenschaften. So wie er einer
militairischen Organisation und kriegerischer Disciplin unterworfen
wird, scheint er in eine Zwangsjacke gesteckt, die an jeder Bewegung
ihn hindert und ihm alle Fähigkeit zum Handeln nimmt: er bedarf langer
Zeit, um mit der seiner Natur so ganz widerstrebenden Lage in Etwas
sich vertraut zu machen. Sieht er sich aber in selbstständigerer
Stellung, die aus bloßer Maschine zum denkenden und unabhängig
handelnden Wesen zu werden ihm gestattet, da treten alle die
Eigenschaften, welche besonders im Gebirgskriege die Überlegenheit
sichern, im höchsten Grade bei ihm hervor; er ist scharfsinnig, schlau,
thätig, gewandt und unermüdlich in der Ertragung von Beschwerden und
Entbehrungen. Der Spanier ist, wenn er vom Enthusiasmus getrieben wird,
augenblicklich sehr brav. Aber den kalten, Tod verachtenden Muth, die
unerschütterliche Festigkeit, die den guten Liniensoldaten auszeichnen
und ein Erbtheil der Völker von deutschem und slavischem Ursprunge
sind, solchen herrlichen Muth kann der Spanier nie sich zu eigen machen.

Um über die Ereignisse der Kriege, die in diesem Jahrhundert die
Halbinsel verwüstet haben, ein Urtheil fällen zu können, ist es
durchaus nothwendig, den spanischen Guerrillero zu studiren, mit allen
seinen Verhältnissen sich vertraut zu machen und in seine Ideen,
Gefühle und Vorurtheile selbst sich hineinzudenken. Sonst wird, wer
mit militairischem Auge die Geschichte jener Ereignisse betrachtet,
nur unerklärbare Widersprüche und stetes Abweichen von Allem finden,
was die Erfahrung von Jahrhunderten als unwandelbar hinstellt. Der
Spanier geht nur auf reelle Vortheile aus: die Ehre des Sieges wie die
Schande einer Niederlage sind ihm Worte ohne Bedeutung, die, kämen sie
ihm ja einmal zu Ohren, gar keinen Eindruck auf ihn machen würden.
Nein; hat er im Gefechte einen größeren Verlust dem Feinde verursacht,
als er selbst ihn erlitt, so wird er des errungenen Vortheiles stolz
sich rühmen, sollte er auch fliehend die feindliche Überlegenheit haben
anerkennen müssen. Die schönste That ist ihm, hinter einem Felsen
versteckt dem sorglos vorüberziehenden Gegner die tödtliche Kugel zu
senden und entdeckt durch eilige Flucht den Kampf zu vermeiden, in
welchem schon die Chancen gleich sein würden; nie hält er sich für
besiegt, wenn er am Tage nach der Schlacht die Stellung, den Punkt,
von welchem er in ihr vertrieben wurde, hinter des Feindes Rücken
wieder inne hat; daher verliert er auch durch keinen Unfall den Muth,
und das beliebte ~no importa~ setzt ihn über Alles hinweg, was
dem geregelten Heere ein unwiederbringlicher Verlust wäre. Seine
Kriegskunst besteht weit mehr in gewandtem Fliehen, in sorgfältiger
Vermeidung des Zusammentreffens, wo irgend Gleichheit der Kräfte Statt
findet, und in der Benutzung jedes Vortheils, den List und genauere
Kenntniß des Terrains ihm bieten, als darin, entscheidende Schläge
vorzubereiten und auszuführen, durch die im geregelten Kriege der
Militair sein Ziel erreicht. Von Plänen, Regeln und allen den sonst
unvermeidlich gehaltenen Rücksichten weiß der Guerrillero natürlich
Nichts: das augenblickliche Bedürfniß und die Laune entscheiden Alles,
während seine einzige Sorge ist, nie aus dem ihm vollkommen bekannten
Terrain sich zu entfernen, wenn er auch dadurch sonstige Vortheile
opfern müßte.

Diese Art nun, den Krieg zu führen, ist diejenige, welche die
Vertheidiger Carls V. allenthalben adoptirten, wo sie gegen die
Usurpation in die Waffen traten; und ihr zuerst verdankten sie die
Siege, welche sie über die in die Formen europäischer Organisation und
Zucht gezwängten Christinos davontrugen. Dennoch wären sie unmöglich
gewesen, wenn jene Guerrilleros nicht in der Configuration des
Terrains, dem zweiten Grunde ihrer Fortschritte, eine so unermeßliche
Unterstützung gefunden hätten. Ganz Spanien ist von Gebirgsketten
durchzogen, die mannigfach verzweigt viele rauhe, unzugängliche Knoten
und einzelne Hoch-Plateaus bilden, selten aber Ebenen zulassen, von
denen nur in Castilien und Andalusien einige existiren. Vor den andern
Provinzen zeichnen die baskischen und Catalonien, dann der Centralpunkt
von Valencia, Unter-Aragon und Catalonien südlich vom Ebro durch die
Schroffheit der Gebirgsformen und die Unzugänglichkeit ihrer Thäler
sich aus, weshalb denn auch sie die Haupt-Schauplätze carlistischer
Macht wurden.

In Vizcaya, Guipuzcoa und der nordwestlichen Hälfte Navarra’s sind die
Züge des Gebirges, seine Biegungen und Äste so in und durch einander
geschlungen, daß es dem geübtesten Auge schwer wird, die allgemeinen
Gesetze zu erkennen, welche dem ganzen System doch zum Grunde liegen
müssen: alles scheint eine wilde Masse ungeheurer Felsblöcke, die ohne
Ordnung und Regel über einander gehäuft sind. Von der Hochebene Alava’s
fällt plötzlich das Terrain nach Vizcaya und Guipuzcoa zu hinab und
bildet bis zum Meere eine stark abgedachte schiefe Fläche, wodurch
die Zerrissenheit des Landes, die verderbliche Wildheit der Gewässer,
die Erschwerung der Communicationen, endlich die hohen und steilen
Meeresufer herbeigeführt werden. Dadurch wird auch die Schwierigkeit
aller Operationen erklärbar, die von Alava aus in das Innere der
Provinzen unternommen wurden, da, wer von Vitoria nach Vizcaya
vordrang, in einen Kessel hinabstieg, aus dem stets die Rückkehr sehr
mißlich und bei einiger Thätigkeit und Einsicht des Feindes verderblich
sein mußte.

Die Verbindungswege zwischen den einzelnen Thälern dieses Gebirgslandes
folgen meistens dem Laufe der Flüsse, die in weiten Windungen durch
unabsehbar tiefe Schluchten sich Bahn gebrochen haben; sonst ist die
Communication, eben so gefährlich, nur über die scheidenden Bergrücken
möglich. Da verzögern furchtbare Defilées, durch die nur Mann hinter
Mann fortschreiten kann, oft Tage lang den Marsch der Colonnen, und
kaum drängt ein beladenes Saumthier durch die beengenden Felswände sich
hindurch. Dazu kommt, daß die hohen, großentheils mit dichten Waldungen
bedeckten Gebirge eine ungeheure Menge Feuchtigkeit absondern und
heranziehen, die sich in heftige, lange dauernde Regengüsse auflöset.
Dann schwellen selbst unbedeutende Bäche zu Strömen an, die Alles mit
sich fortreißen, die Brücken zerstören, die Wege auf weite Strecken
überschwemmen und für den Augenblick die Passage ganz hemmen.

Trefflich wußten die Basken die Vortheile, welche solche
Terrain-Gestaltung ihnen darbot, im Kampfe gegen Christino’s Armeen
geltend zu machen, während ihr großer Führer eben so mit hohem Talente
die geometrische Gestalt des Kriegsschauplatzes benutzte. Er bildet
nämlich einen Kreis, dessen Centrum, jene unnehmbare Bergfeste, in
der Gewalt der Carlisten war; die Christinos hielten, als sie aus dem
Innern vertrieben waren, rings die Peripherie inne, suchten in ihr die
Feinde vom Vordringen nach den andern Provinzen abzuhalten und von dort
aus wieder ihre Herrschaft gegen das verlorene Centrum auszudehnen.
Die oberflächlichsten militairischen Kenntnisse reichen hin, um auf
den ersten Blick das Übergewicht dessen fühlen zu machen, der dieses
Centrum inne hat. Ihm ist stets die Sehne offen, während der Feind
dem weit schweifenden Bogen zu folgen genöthigt ist; er hat seine
Communicationen, einen der großen Hauptnerven des Krieges, kurz und
gesichert, da es ihm immer leicht ist, sich auf die an und für sich
schon bedeutend längeren des Feindes zu werfen, sie zu unterbrechen
und abzuschneiden. Wie herrlich kann der Feldherr in solcher Lage
seine strategischen Talente glänzen lassen, wenn ein Terrain, wie das
der baskischen Provinzen, ihn begünstigt, und wenn seine Soldaten der
Eigenschaften jener Gebirgsbewohner sich rühmen können!

Zumalacarregui hatte ganz den Geist des Krieges begriffen, der
allein dort Sieg geben konnte und, mit Kraft befolgt, ihn sicherte.
Irgend einen Punkt der feindlichen Linien bedrohend eilte er auf dem
kürzesten Wege nach dem entgegengesetzten Theile des Kriegstheaters,
führte den scharf berechneten Schlag aus und stand schon wieder auf
seinem früherem Posten, ehe der Feind die Nachricht des Geschehenen
erhielt oder seine Abwesenheit benutzen konnte. Er vermied die Heere
der Christinos im ungünstigen Terrain, lockte sie listig in die
Schluchten des Gebirges, um dort, da ihre Überlegenheit ihnen unnütz
wurde, von allen Seiten über sie herzufallen, und begleitete sie
harcelirend auf dem Rückzuge, wie er beim Vordringen derselben nicht
selten ihren Vor- und Nachtrab zugleich bildete. Überlegenen Colonnen
ausweichend, stürzte er sich auf die schwächeren; er schob sich
zwischen die verschiedenen Heerhaufen, isolirt sie zu schlagen; er
interceptirte die Verbindung, fing die Convoye auf und nöthigte durch
unaufhörliche Verluste zum Aufgeben der Vortheile, die seine Schwäche
augenblicklich einzuräumen ihn etwa veranlaßt hatte. Nicht aufgehalten
durch Artillerie, Magazine, Bagage und alle die endlosen Impedimenta
der geregelten Armeen konnte er mit Leichtigkeit unter allen Umständen
und in jedem Terrain operiren, erschien auf Punkten, von denen man ihn
viele Meilen entfernt glaubte, und überraschte den Feind häufig durch
Märsche, die in Rücksicht auf Schnelligkeit und Terrain unmöglich
scheinen würden.

Freilich konnte Zumalacarregui solche Wunder nur mit Kriegern, wie er
sie befehligte, ausführen, Söhnen des Gebirges, die Tage lang ohne
Ermüdung die steilen Bergpfade auf- und abklimmten und leicht wie
die Gemsen über Felsen und Abgründe hinsprangen, denen endlich, da
sie jede Schlucht und jeden Weg kannten, Tag und Nacht gleichgültig
waren für den Marsch wie für das Gefecht. Auch in Bewaffnung und
Gepäck hatten diese Soldaten Viel vor ihren schwerfälligen Gegnern
voraus. Während die Christinos das beschwerliche Lederzeug, den
Säbel, den vollgepackten Tornister und den Czako schleppten, hatte
der Carlist seine leichte Patrontasche um den Leib geschnallt, sein
Gepäck bestand in einem leinenen Beutel zur Aufnahme des reinen Hemdes
und der Rationen, und die wollene Decke, welche er über die Schulter
herabhängend trug, diente zugleich als Haus und Bett und Mantel. Hatte
der Soldat seine Rationen in Ordnung, so war es ihm dasselbe, auf einem
Felsen wie unter Dach auszuruhen, und oftmals brachten Bataillone ganze
Monate in den Gebirgen zu, ohne ein Haus zu betreten.

Wenn nun die angegebenen Ursachen die Fortschritte der Royalisten
zum Theil erklären, darf nicht verkannt werden, daß sie dennoch
schwerlich der Übermacht auf die Dauer widerstanden hätten, wenn nicht
der Geist des ganz ihnen ergebenen Volkes trefflich sie unterstützt
hätte. In allen Provinzen, in denen die carlistische Macht blühete,
hat das Volk Viel gethan und Viel geopfert, aber nirgends wie in den
baskischen Provinzen und Navarra; freilich war auch nicht wie hier das
materielle Interesse der Bewohner so eng an den Ausgang des Kampfes
geknüpft. Drangen die Christinos in das Innere des aufgestandenen
Landes vor, so fanden sie die Häuser, die Dörfer verlassen; alles
Werthvolle, Alles, was irgend den Eindringlingen nützen konnte, war
in die wildesten Theile des Gebirges gerettet, und der erschöpfte
Soldat, wenn er gehofft hatte, nach des Tages Gefahr und Mühe in der
Ruhe der Nacht sich zu erholen, sah die leeren Mauern der Häuser vor
sich, mußte die Thüren aufbrechen und mit dem sich begnügen, was er im
Tornister hergetragen hatte. Das Resultat war, daß bei ihrem Abzuge
nicht selten die Wohnungen in Flammen aufloderten, wodurch denn die
Abneigung der Bauern in Haß und wilde Rachsucht sich umwandelte.
Da wurden die Divisionen durch die Landbewohner von Dorf zu Dorf
mit Flintenschüssen escortirt, und der Arbeiter, der, ruhig am Wege
mit der Hacke beschäftigt, sie vorüberziehen sah, griff nach dem
versteckten Gewehr, um in die letzte Compagnie hineinzuschießen und
mit einem Sprunge hinter den Felsen zu verschwinden; die Vorposten
waren während der Nacht in beständigem Allarm und wurden oft, das Herz
vom Messer durchbohrt, todt niedergestreckt gefunden, während der
Unglückliche, welcher wenige hundert Schritt von den Marsch-Colonnen
sich zu entfernen wagte, unter furchtbaren Martern von den Wüthenden
hingeopfert wurde. Und fand sich etwa ein Bauer, der, unter die
Christinos sich mischend, Erfrischungen zum Kauf bot oder, wie durch
Zufall aufgegriffen, eine Zeit lang als Führer diente, so war er gewiß
ein Spion, der bei der ersten Gelegenheit entschlüpfte, das Erforschte
seinen Landsleuten, seinen Vertheidigern zu überbringen.

Der carlistische Krieger aber fand immer Schutz und Hülfe bei den
Basken. Einzeln durchstreifte er mit Sicherheit die ganzen Provinzen
und war gewiß, überall freudig aufgenommen, mit allem Nöthigen versehen
und selbst, wo Gefahr drohete, von den Wirthen versteckt zu werden,
die sich selbst geopfert hätten, um ihn dadurch zu retten. Befanden
sich unsere Truppen in den Gebirgen, so eilten die Landleute von allen
Seiten mit Lebensmitteln und Erquickungen herbei, ja im Beginn des
Krieges, da die Städte sämmtlich im Besitze der Constitutionellen
waren, führten nicht selten die Bewohner der feindlichen Festungen das
von dem sorglosen Soldaten gekaufte oder geraubte Pulver und Blei den
Freiwilligen zu, die Mangel daran litten. Die Basken boten während der
ersten Jahre des Krieges das herrliche Schauspiel eines Volkes, das, um
den gemeinschaftlichen National-Zweck zu erreichen, die individuellen
Interessen ganz bei Seite setzt.

In keiner Hinsicht war die Zuneigung des Volkes so wichtig für die
Carlisten wie in Bezug auf die Nachrichten. Die Gebirgsbewohner
erspäheten von ihren Höhen hinab jede Bewegung der Feinde in der
Ebene, und die Feuer, längs den Gipfeln im Augenblicke Stunden weit
hinleuchtend, verkündeten, ob und in welcher Richtung die Truppen aus
ihren Stellungen aufbrachen. So wie die Colonnen das carlistische
Gebiet betraten, ward jedes Kind zum Kundschafter, die Worte der
Generale selbst wurden in den Quartieren derselben sorgfältig erlauscht
und sofort den nahe stehenden Freiwilligen überbracht, die, während sie
stets treue Boten in Überfluß fanden, täglich Bauern erscheinen sahen,
um ihnen die Depechen und Mittheilungen zu übergeben, welche Jenen
unter Androhung von Todesstrafe vom christinoschen Befehlshaber für
irgend einen andern feindlichen Posten anvertraut waren.

Es ist einleuchtend, welchen unendlichen Einfluß auf den Krieg die
obigen Umstände haben mußten; um aber ganz ihr Gewicht zu fühlen,
vergleiche man die beiden Perioden, während deren Mina, der berühmte
Guerrilla-Chef, in eben diesen Provinzen das Commando führte, und sehe,
was er in denselben Verhältnissen ausrichtete, da er das erste Mal sie
ganz benutzen konnte, dann aber selbst sie bekämpfen sollte. Ein Bauer
erhob sich Mina zum Streite für die Unabhängigkeit des Vaterlandes;
da wagte er, gestützt auf die Beschaffenheit des Terrains, den Geist
seiner Krieger und die Liebe des Volkes, mit wenigen Tausenden, die er
gesammelt hatte, den Heeren Napoleon’s zu trotzen, und schlug unzählige
Male mit seinen Bauern die glänzend organisirten kaiserlichen Truppen.
Verfolgt von mehreren der besten Generale Frankreichs, ohne Festung
oder Anhaltspunkt, vereitelte er alle Pläne und Anstrengungen der
Gegner, stand nach einzelnen Niederlagen stets furchtbarer wieder da,
machte Einfälle tief in die Provinzen jenseit der Pyrenäen und konnte
bei Beendigung des Krieges sich rühmen, den Franzosen einen Verlust von
mehr denn 50000 Mann beigebracht zu haben, während seine ganze Macht
selten zu 8000 Mann stieg. -- Eben dieser General sah sich später an
der Spitze eines zahlreichen, gut geregelten Heeres auf dem Theater
seiner früheren Triumphe; gegen ihn standen wieder einige tausend
Bauern, wie damals er sie befehligt hatte. Sein Auftrag war, das Land
zu unterwerfen, für dessen Befreiung er einst sich erhoben hatte. Da
wurden seine Colonnen geschlagen, seine Festungen genommen, seine
Angriffe zurückgewiesen, bis der alte Guerillero mißmüthig das Commando
niederlegte, da er den Erfolg als unmöglich erkannte.

       *       *       *       *       *

Noch bleiben zwei Umstände zu berücksichtigen, welche zu Gunsten
der Carlisten großes Gewicht in die Wagschale legten: die Nähe der
französischen Gränze und die Einheit im Commando im Gegensatz zu der
durch mancherlei Rücksichten bedingten Kriegführung der Christinos.

Wenn gleich das französische Gouvernement die Einfuhr von
Kriegsartikeln auf das strengste untersagte und dem Anscheine nach sie
zu verhindern strebte, wenn Douaniers, Gensdarmen und Militair-Posten,
längs der Gränze aufgestellt, mit Geräusch die Absichten ihrer
Regierung gegen die Carlisten verkündeten, bezogen diese doch offen
von dort her, was sie nur bedurften, und die Schließung des Verkehrs
war nur während weniger Monate so wirksam, daß Verlegenheiten in den
Provinzen daraus zu entstehen drohten. Nicht nur wurden alle Arten von
Lebensmitteln eingeführt, so unentbehrlich wegen der Anhäufung von
Consumenten bei der durch Mangel an Händen verhältnißmäßig verminderter
Production; auch die zur Ausrüstung der Truppen nöthigen Stoffe, das
Schuhwerk und die Baretts wurden fast ausschließlich aus Frankreich
erhalten, und wenn die Bataillone nicht immer vollständig gekleidet
waren, so lag dieses nicht sowohl an den Ausfuhr-Verboten Ludwig
Philipp’s, als an dem traurigen Geldmangel, der so oft in der Armee
fühlbar ward. Viele Waffen und ungeheure Transporte von Salpeter zur
Fabrication des Pulvers wurden herübergeschmuggelt und selbst die
Pferde der Cavallerie waren mit seltener Ausnahme französische, die
von dem deshalb in Bayonne angelegten Depot ergänzt wurden. Ja, die
Liberalen Spanien’s irrten nicht, wenn sie häufig die Hülfsquellen,
welche Don Carlos in dem nahen Frankreich fand, als einen Hauptgrund
für die Dauer des Krieges bezeichneten, und ich darf ohne Furcht vor
Übertreibung sagen, daß derselbe schnell und anders entschieden wäre,
wenn die Provinzen, die der Schauplatz der Thaten Cabrera’s wurden, in
ähnlicher Lage gewesen wären.

Eine andere große Quelle der Macht fand Zumalacarregui, wie die
Führer der andern carlistischen Aufstände, in der Art, wie er
über sein Heer und über alle Ressourcen frei verfügen konnte. Die
Revolutions-Generale hatten stets tausend verschiedene Rücksichten zu
beachten: ihre politischen Meinungen und Pläne hatten mehr Einfluß
auf die Operationen, als die Gelegenheit, welche die kriegerischen
Ereignisse darbieten mochten; der Wunsch, einer oder der andern
Parthei das Übergewicht zu geben, ein Ministerium zu stürzen oder zu
befestigen, veranlaßte sie zu Unternehmungen, die sie zu anderer Zeit
unter günstigeren Verhältnissen durchgeführt hätten, oder vermochte sie
unthätig zu bleiben, wo sicherer Erfolg ihnen winkte. Und was vermag
nicht, wo Revolutionen das Volk aufregen, die öffentliche Meinung,
so gefürchtet selbst von den Leitern der verblendeten Massen; welche
Macht besitzt nicht die Presse, die zügellos Alles zu beurtheilen sich
anmaßet und zur Beförderung der niedrigsten Zwecke sich mißbrauchen
läßt! Christina’s Feldherren hatten Viel zu berücksichtigen, Vielen
zu genügen. Während in der royalistischen Armee König und Minister
im Lager waren, so daß das nützlich Erkannte ohne Zögern beschlossen
und ausgeführt wurde, mußten sie die Instructionen von der entfernten
Residenz her erwarten, Lebensmittel, Kleidung, Geld fehlten fast immer,
die Operationen auf das entscheidendste lähmend, und die Minister in
Madrid waren nicht immer bedacht, der Nothdurft und damit der Gefahr
rasch abzuhelfen. In der carlistischen Armee dagegen waren Aller Kräfte
auf den einen Punkt, die Betreibung des Krieges und die Beförderung des
großen allgemeinen Zweckes, des Sieges, gerichtet. So wie der General
den Plan entworfen, konnte er auch Hand an die Ausführung legen, und
die Civil-Verwaltung, deren Functionen fast darauf beschränkt blieben,
war thätig bemüht, die Mittel herbeizuschaffen, die das Gelingen
erleichtern konnten.

       *       *       *       *       *

Character und Kriegsart des Volkes, die Eigenschaften des Terrains
und der Geist seiner Bewohner, die Nähe der Gränze, die Verhältnisse
endlich, unter denen die Anführer der sich entgegenstehenden Armeen
befehligten, erleichterten die ursprünglichen Fortschritte der
Carlisten. Ich gehe zu den Umständen über, durch die das Aufhören
jener Fortschritte bedingt und der endliche Ruin der Sache Carls V.
eingeleitet ward.

Zumalacarregui, der große Schöpfer und Führer des
baskisch-carlistischen Heeres starb vor Bilbao; mit seinem Tode begann
das Sinken der Parthei, die er so erfolgreich vertheidigt hatte. Mit
festem, eisernem Willen begabt, gefürchtet zugleich und angebetet
wußte er alle Mittel, alle Anstrengungen seines Vaterlandes dem
einen großen Ziele zuzuwenden und vereinigte die widerstreitendsten
Interessen für den einzigen Punkt, den Kampf. Mit Stolz sahen die
Basken auf den Basken, der so oft ihre Söhne zum Siege geführt; sie
fanden ihre Größe in der seinigen, sahen in seinem Ruhme den Ruhm des
baskischen Namens und opferten, da ein Landsmann sie dazu aufforderte,
freudig Alles, was sie jedem Andern versagt hätten. Und Zumalacarregui
verstand diese Stimmung trefflich zu nutzen, wie er die dadurch ihm
gebotenen Mittel in seiner Hand unerschöpflich zu machen wußte. Ein
Wort von ihm reichte hin, seine kräftigen Freiwilligen zur Ertragung
der äußersten Beschwerden anzuspornen, seine Gegenwart beseelte sie
mit dem Vertrauen, welches der sicherste Bürge des Sieges ist. Sein
Talent, dem Unbedeutenden und dem Größten gleich gewachsen, umfaßte
Alles, rastloser Eifer und unermüdliche Thätigkeit vervielfältigten
seine Hülfsmittel und nöthigten die untergeordneten Führer zur gleichen
Anspannung ihrer Kräfte, da sein Scharfblick ihnen rasche Entdeckung
verhieß, der die Strafe unerbittlich auf dem Fuße folgte. Unbeugsam
und durchgreifend gab er nie der Intrigue Gehör und verschmähete den
Weihrauch, welchen die Schmeichelei zur Erreichung ihrer selbstischen
Zwecke ihm darzubieten eilte; Gerechtigkeit -- und sie in ihrer
höchsten Strenge -- war der einzige Leitstern seiner Handlungen,
Verdienst das einzige Recht auf Belohnung. Nur seinem Gotte und seinem
Könige Rechenschaft schuldig, wirkte er stets mit der Entschiedenheit
und Standhaftigkeit, die das Bewußtsein seines erhabenen Zieles und das
Gefühl inwohnender Fähigkeit und Kraft ihm einflößen mußten.

Der Tod eines solchen Mannes mußte die unheilvollsten Folgen nach sich
ziehen. Neid und Intrigue begannen sofort ihr jämmerliches Spiel, und
ehe noch die Geister von der Betäubung sich erholt, die der unerwartete
Schlag verbreitet hatte, erhoben sich bittere Streitigkeiten um die
Nachfolge des Helden. Niemand bedachte, daß es doppelt schwer wurde,
nach ihm das Commando zu führen. Moreno übernahm den Heerbefehl,
ausgezeichnet durch hohe Talente, aber ohne die Eigenschaften, welche
in solchem Kriege vor allen andern den Sieg sichern. Die Männer,
welche nach einander an die Spitze der Armee traten, besaßen weder die
Energie, die früher so Viel vermocht, noch wußten sie die Popularität
sich zu erwerben, deren Zumalacarregui genossen hatte; mehrere unter
ihnen, so wie sehr viele der andern Generale gehörten andern Provinzen
Spanien’s an. Die Basken und Navarresen sind gewohnt, einen Jeden, der
nicht ihr Landsmann ist, als Fremden zu betrachten, ja als Feind, der
ihren Interessen natürlich abgeneigt ist; sie konnten daher nur mit
Widerwillen von diesen Fremdlingen sich befehligt und in ihre Hand das
Geschick des Landes gelegt sehen. Die Eifersucht that sich bei jeder
Gelegenheit kund und dehnte sich bald auch auf die Bataillone aus,
welche aus Castilianern, wie sie alle Nichtbasken bezeichnen, gebildet
waren: Streitigkeiten und blutige Händel, nicht immer durch strenge
Kriegszucht verhütet, waren die traurigen Folgen. Uneinigkeit, die ja
stets von Schwäche begleitet ist, nahm im carlistischen Heere unter
Anführern und Truppen täglich mehr überhand; Mißtrauen und böser Wille
entsprangen rasch aus solcher Wurzel.

Schon war dieses Heer auch nicht mehr aus den alten, von
Vaterlandsliebe und Begeisterung getriebenen Freiwilligen
zusammengesetzt, die im Beginn des Krieges so manchen Sieg erkämpft
hatten. Die Bataillone, wie sie zusammenschmolzen oder neu gebildet
werden sollten, wurden großentheils durch Rekruten ergänzt, die,
kaum aus dem Knabenalter getreten, mit Gewalt dem väterlichen Heerde
entrissen und dem Feinde entgegengeführt waren, so daß in vielen
bedeutenden Ortschaften nicht ein einziger unverheiratheter Mann über
siebenzehn Jahren sich fand. Diese Conscribirten wurden häufig nur
durch Zwang und durch die Furcht vor den Folgen, welche die Desertion
für ihre Verwandten nach sich zog, in den Reihen zurückgehalten, da
sie die Eltern und Schwestern derer, die sich verleiten ließen, in
Frankreich Schutz gegen die Aushebungen der beiden kämpfenden Partheien
zu suchen, Jahre lang im Kerker schmachten, ihre Güter eingezogen
und verkauft sahen. Wenn auch die Unerschrockenheit, die den Basken
nie verläßt, ihn, wenn er einmal Soldat, zum braven Soldaten machte,
konnte doch solchen Kriegern nie der Enthusiasmus eingeimpft werden,
der die ersten Vertheidiger Carls V. unwiderstehlich machte. Sie wurden
täglich lauer, sie benutzten gern jede Gelegenheit, die sich bieten
mochte, um auf einige Zeit die Gefahren und Mühen des Feldzuges gegen
die Ruhe eines Hospitals oder die lockenden Freuden des väterlichen
Hauses zu vertauschen, und des hohen Preises vergessend, der durch den
Krieg errungen werden mußte, gewöhnten sie sich, nur als Übel ihn zu
betrachten.

Und an diesen Gefühlen nahm bald auch der friedliche Bewohner Theil.
Wiewohl stets den Gesinnungen treu, die bei dem Beginne des Aufstandes
seinen Söhnen die Waffen in die Hände gab, empfand der Bauer doch zu
schwer das Gewicht des langjährigen Krieges, als daß er nicht das Ende
desselben mit Sehnsucht herbeiwünschen sollte; ja er hätte wohl, um
nur Frieden zu erlangen, einen Theil der Ansprüche aufgegeben, für die
er einst bereitwillig Alles opfern wollte. In der That war die Lage
der Bewohner des Kriegsschauplatzes verzweifelt. Noch hatte der Bauer
die Erndte nicht eingesammelt, wenn schon übermäßige Forderungen an
ihn gerichtet waren, die stets wiederholt, bis er Alles hingegeben
hatte, zu traurigstem Elende ihn verdammten, ihm oft selbst das für
die nächste Aussaat Nöthige raubten. Das Vieh, sonst der Reichthum
dieser Provinzen, ward aufgezehrt, der Handel und die Contrebande,
unerschöpfliche Quellen ihres Wohlstandes, existirten nicht mehr;
der Ackerbau sank zusehends, da die Zahl des Viehes so gering wurde,
und mehr noch aus Mangel an Arbeitern, der es dahin brachte, daß
allgemein die Mädchen und Frauen das Land bestellten, da die Männer
den Pflug mit dem Gewehre hatten vertauschen müssen. Zugleich wurden
den Bauern Leinen und Betten für Hospitale und Casernen abgenommen
und oft mit, leider unvermeidlicher, Härte eingetrieben, während sie
selbst an Festungswerken zu arbeiten, mit ihren Maulthieren den Truppen
zu folgen oder gar, bei Belagerungen in der Tranchee arbeitend, ihr
Leben auszusetzen genöthigt waren. So ist es nicht zu bewundern, wenn
das Volk im Allgemeinen überdrüssig wurde und dem Kriege abgeneigt zu
werden begann, der seit so langer Zeit es niederdrückte, ohne durch
bedeutende Erfolge, wie in der ersten Epoche, seiner Nationaleitelkeit
zu schmeicheln und die Hoffnung auf baldige glückliche Beendigung
dieses Zustandes zu beleben.

Für den General aber und die Verwaltungsbehörden wurde es täglich
schwieriger, alle die Bedürfnisse herbeizuschaffen, ohne welche
Kriegführung unmöglich ist, hauptsächlich Kleidung und Mundvorräthe, so
wie Sold. Das Land war, wie gesagt, erschöpft und wurde, täglich mehr
ausgesogen, auch täglich unfähiger, das von ihm Geforderte zu leisten;
daher mußte Alles aus der Fremde und zwar, da englische Kriegsschiffe
die Seeküste blockirten, aus Frankreich bezogen werden. Das Geld nun
wurde immer seltener, die Quellen, aus denen es früher geflossen, waren
versiegt, und auch das Ausland machte stets größere Schwierigkeiten,
Summen zu zahlen, die ganz ohne Erfolg weggeworfen schienen. Umsonst
gab der König das Beispiel höchster Einfachheit und Entsagung, umsonst
blieben die Truppen drei, vier Monate lang unbezahlt, ohne daß das
geringste Murren ihre Unzufriedenheit verrathen hätte; die Verlegenheit
des Schatzes wurde täglich dringender, und der Scharfsinn der
carlistischen Agenten so wenig wie die Aufopferung einzelner ergebener
Anhänger des Königs vermochte der immer erneuerten Noth abzuhelfen.

       *       *       *       *       *

Noch muß ich einen Grund erörtern, der Viel dazu beitrug, die Basken
an der Verfolgung der anfänglich errungenen Vortheile zu hindern,
wiewohl er auf den ersten Blick diese nur befördern zu können scheint;
es ist die Methode, welche bald nach Zumalacarregui’s Tode adoptirt
wurde, Expeditionen über den Ebro hinaus nach den übrigen Provinzen
der Monarchie zu entsenden. Solche Expeditionen konnten ohne Zweifel
von höchstem Interesse werden und auf die Beendigung des Krieges
entscheidend einwirken, wenn sie gehörig basirt und combinirt waren,
anstatt daß sie ganz ohne Anhaltspunkt und auf die unbedeutenden
Hülfsmittel beschränkt, die sie mit sich führen mochten, in die
Mitte der feindlichen Massen geschickt wurden. Sie zersplitterten so
unendlich die Macht der Carlisten, schwächten ihr Hauptheer, setzten
alle ruhenden Kräfte der Christinos in Bewegung, ohne angemessenes
Gegengewicht zu schaffen, und hatten selbst mit ganz unüberwindlichen
Hindernissen und Schwierigkeiten zu kämpfen, so daß zu bewundern ist,
wie irgend eines der dazu bestimmten Corps der Vernichtung entgehen
und vorübergehend glänzende Erfolge davontragen konnte. Da diese Züge,
oft an Kühnheit und Gewandtheit hervorstechend, höchst interessante
Episoden des Krieges bilden, ist es natürlich wünschenswerth, ihre
Verhältnisse etwas näher zu betrachten.

Seit dem Augenblicke, in dem die Expedition die Nordprovinzen verließ,
gab sie alle die Vortheile auf, welche sie in jenem Terrain über den
Feind hatte, und mußte ihm selbst einen Theil derselben einräumen,
ohne die Verhältnisse für sich zu haben, durch welche die Christinos
in Stand gesetzt wurden, dem widrigen Einflusse häufig sich zu
entziehen. Sie wird alsbald von Colonnen verfolgt, deren jede an Zahl
ihr überlegen ist und täglich verstärkt wird, da die Elemente, welche
bisher unthätig ruheten, nun alle zur Bekämpfung der eingedrungenen
Feinde ins Leben treten und gegen sie sich vereinigen. Das Terrain,
dessen Kenntniß in solchem Kriege mehr als je von Wichtigkeit, ist
natürlich dem General unbekannt, (denn Karten so wie Instrumente
fanden sich gewöhnlich gar nicht und wurden verachtet); während die
Christinos, von der Bevölkerung zuweilen aus Sympathie, häufiger
aus Furcht und Gewohnheit unterstützt, leicht überall die nöthigen
Kenntnisse und Führer sich verschafften. Dabei ist die Expedition,
um das ihr günstigere Terrain nicht aufzugeben wie mit Rücksicht
auf die festen Orte des Feindes, gezwungen, den Biegungen und
Verschlingungen der Gebirge zu folgen; ihr Verfolger dagegen, im
Besitze von Anhaltspunkten, die alles Nothwendige ihm liefern, benutzt
die kürzesten Linien und vermag mit geringer Anstrengung stets die
Carlisten im Auge zu behalten.

Von allen Seiten sieht das Expeditions-Corps von Feinden sich umgeben,
die den passenden Augenblick erlauern, um über dasselbe herzufallen,
und doch reichen seine Kräfte kaum hin, um gegen eine der Colonnen sich
zu schlagen, die ihm entgegen operiren; unfähig mit Erfolg den Gegnern
entgegen zu treten, ist es also verdammt, immer den Kampf zu vermeiden.
Der Soldat verliert den Muth, er erschlafft, Desertion reißt ein, und
die Krankheiten als natürliche Folge der unvermeidlichen, nie endenden
Strapatzen nehmen überhand. Bald nimmt die Disciplin ab, oft trennen
sich kleine Schaaren von der Masse und sinken zu Raubgesindel herab;
wer aber einzeln zurückbleibt, ist verloren, denn die Nationalen,
welche vor dem Einrücken der Truppen entflohen, um auf den Seiten
und im Rücken sie zu begleiten, kennen kein Erbarmen: wer ihnen in
die Hände fällt, wird niedergemacht, krank oder gesund, wehrlos wie
nach bravster Vertheidigung. Dann wird es im Gebirge oft schwer, die
nöthigen Subsistenz-Mittel herbeizuschaffen, und in den südlichen
Provinzen ist es unmöglich, stets die Ebene zu vermeiden; so wie die
Freiwilligen sie betreten, sehen sie die Cavallerie bereit, in sie
einzuhauen, diese brave, unendlich überlegene Cavallerie, die auf dem
Fuße ihnen folgte, den Moment erwartend, der sie zur Thätigkeit rief,
und die, immer zu sehr gefürchtet, nun ihre ganze Gewalt entwickelt und
Schrecken und Tod in die Reihen der geschwächten Bataillone trägt.

Und sollte es nun gelingen, eine der verfolgenden Colonnen vereinzelt
zu überraschen und zu schlagen, Bahn sich zu brechen, sind da jene
Schwierigkeiten und Gefahren überwunden? An Benutzung des erfochtenen
Sieges ist nicht zu denken, wenn nicht etwa für augenblicklich
ungestörte Fortsetzung des Marsches; denn kaum wird die Blutarbeit
vollendet sein, wenn schon andere Corps da sind, die Niederlage ihrer
Gefährten unschädlich zu machen und den Rückzug derselben zu sichern.
Die Expedition muß wieder fliehen; was wird da aus den Verwundeten,
von denen der Sieger nicht frei sein wird, was wird aus allen Kranken?
Die Unglücklichen müssen entweder ihrem Schicksale, dem mehr als Tod
gefürchteten Elend in der Liberalen Gefangenschaft, überlassen werden,
oder sie erschweren und verzögern ins Unendliche jede Bewegung, wo
keine Minute ungestraft verloren wird. Zugleich sollen die Munitionen
ersetzt werden, eine andere unübersteigliche Schwierigkeit. So setzt
also der Sieg, anstatt das Corps zu retten, nur neuen Verlegenheiten es
aus, denen es fortwährend geschwächt endlich unterliegen muß.

Kann aber solch eine kleine, isolirte Division, wenn sie irgend thätig
und geschickt verfolgt wird, die Zwecke erreichen, um die es von der
Hauptarmee entsendet wurde? Ist es möglich, daß sie das feindliche
Gebiet occupire und in ihm sich festsetze, daß sie die etwa vorhandenen
Stoffe zum Aufstande anrege und die carlistisch gesinnten Bewohner
ermuntere, mit den Vertheidigern der Legitimität sich zu vereinigen?
Oder kann sie, wenn sie selbst auf so zweideutigen und die Aufopferung
so vieler Braven nicht rechtfertigenden Zweck sich beschränken wollte,
kann sie auch nur Vorräthe anhäufen, Contributionen erheben und Geiseln
mit sich führen, um doch mit Beute beladen nach den Nordprovinzen
zurückzukehren? Die Carlisten müssen stets fliehen; wie aber soll der
Bewohner, so entschieden er in seiner Meinung sei, den Truppen sich
anschließen, die er ohne Ruhe noch Rast gehetzt sieht? Das Vertrauen
des Volkes muß unter solchen Verhältnissen eben so schwinden wie des
Soldaten moralische Kraft, durch die doch vorzüglich die physische
aufrecht erhalten wird. Der Soldat, welcher stets fliehet, ist nicht
mehr Soldat; er wird zum Schatten seines Ichs, von jeder Gefahr
aufgeschreckt und unfähig, ihr zu trotzen und den Beschwerden zu
widerstehen, die sich auf ihn häufen. Mancher Führer, wenn er dies
bedacht hätte, würde wohl vorgezogen haben, mit dem Schwerdte in der
Hand Sieg oder Tod zu erkämpfen, ehe er das ihm anvertraute Corps auf
schmachvolle Weise langsamer, aber sicherer vernichtet sähe.

Ist die Expedition mit einiger Sachkenntniß verfolgt, so muß sie
unterliegen, ohne ihren Zwecken entsprochen zu haben. Festsetzen kann
sie sich nirgends; sie würde das Verderben, welches sie kaum vermieden,
sofort auf sich ziehen; wie sollte sie aber, ohne sich festzusetzen,
den Aufstand organisiren, die Provinzen beherrschen und dadurch zum
Siege der guten Sache mitwirken? Sie vermag höchstens das Land zu
durcheilen, hie und da Contributionen erhebend, die Mißgriffe des
Feindes benutzend, um in irgend eine Stadt einzudringen, die sie bald
wieder räumen muß, und den friedlichen Einwohnern nebst den Leiden und
dem Jammer des Krieges Abscheu gegen diejenigen aufzwängend, welche so
ohne Nutzen ganzen Provinzen Zerstörung bringen.

Wenn man erwägt, was die Expeditionen gegen sich in die Wagschale
gelegt sahen, kann man nicht umhin, erstaunt zu fragen: Wie ist es
denn möglich, daß mehrere Expeditionen so glänzend ausfielen, daß sie
der ihnen entgegengestellten Colonnen spotten oder gar sie aufreiben
konnten; daß Gomez bis zu den reichen Ebenen Andalusien’s und
Gibraltar’s Felsen die ganze Halbinsel durchziehen und, wenn er nichts
Dauerndes gethan, doch an Zahl bedeutend verstärkt und mit mannigfachen
Schätzen nach Vizcaya zurückkehren durfte? Wie stand Zariategui
später als Herr von Castilien da, wie wurde Madrid wiederholt in
Schrecken gesetzt? Unfähigkeit und Nachlässigkeit der christinoschen
Anführer trug wohl noch mehr dazu bei, als die Geschicklichkeit der
carlistischen Generale und die Bravour der Truppen, so hoch sie auch
zu stellen ist. Und dann vermag das Glück, wie in allen menschlichen
Dingen, auch im Kriege so Viel. Doch bleibt unzweifelhaft, daß, während
die Expeditionen gut disponirt und vor Allem combinirt das Ende des
Krieges herbeiführen mußten -- was gethan werden konnte, hat das Jahr
1837 in den Zügen des Königs mit Cabrera und Zariategui’s gezeigt, --
daß sie durch die Art ihrer Ausführung die carlistische Macht unendlich
schwächten und, da sie der Hauptarmee ohne Ersatz viele Tausende ihrer
besten Krieger raubten, sie unfähig machten, den früheren Siegeslauf
fortzusetzen. Zu bewundern ist in der That, daß die feindlichen
Feldherren, ihr Bestes ganz verkennend, den Abmarsch dieser, dem
Untergange geweiheten Corps zu verhindern strebten, anstatt ihnen beim
Vordringen goldene Brücken zu bauen, und nur der Rückkehr mit ganzer
Kraft sich zu widersetzen.

       *       *       *       *       *

Ich schließe diese Abschweifung, indem ich alle die Umstände,
welche mächtig zum Verfall des seit dem Beginn des Bürgerkrieges so
kräftig aufblühenden carlistischen Heeres beitrugen, zur Übersicht
zusammenfasse. Die Berücksichtigung derselben erläutert manches sonst
Dunkele und mag Vorurtheile berichtigen, die außerhalb Spanien gegen
viele meiner ehemaligen Chefs und gegen meine Cameraden im Allgemeinen
sich bildeten und bilden mußten. Sie sind vor Allem der +Tod des
großen Zumalacarregui+ und die +Unzulänglichkeit+ seiner Nachfolger
im Commando, wodurch der +Eifersucht+ und den bis dahin stummen
+Intriguen+ der Kampfplatz geöffnet wurde; der Haß der Provinzen auf
einander, der in schwächender +Uneinigkeit+ und +Unzufriedenheit+
sich kund gab; die +Erschöpfung+ des Landes und der +Überdruß+ der
Bewohner nach so vieljährigem Dulden; der drückende +Geldmangel+;
die +Elemente+, aus denen später die Truppen bestanden; endlich die
+Expeditionen+.



XIV.


Seit der Rückkehr der Armee nach den Nordprovinzen waren mit dem
lebhaftesten Eifer und Thätigkeit die Organisation und neue Ausrüstung
der Bataillone betrieben, und ganz besonders wurde gearbeitet, die
Corps von Castilien, bestimmt, schnell wieder den Ebro zu neuer
Expedition zu passiren, auf den besten Fuß zu setzen. Die Truppen waren
abgerissen und von Allem entblößt angelangt, weshalb die königlichen
Fabriken mit nie gesehener Lebhaftigkeit mit der Anfertigung von
Waffen und Munition beschäftigt wurden, während von Frankreich große
Quantitäten Tuch, Schuhzeug, Schwefel und Salpeter so wie die zur
Ergänzung der Escadronen nöthigen Pferde ankamen. Zugleich wurden
die vielen aus Castilien durch Zariategui hergeführten Rekruten
einexercirt, und die Anführer strebten, die im Sommer etwas geschwächte
Kriegszucht wiederherzustellen, und so den Erfolg der neuen Operationen
zu erleichtern. Da meine Wunde geheilt war, bat ich gegen Ende
Novembers um Bestimmung zu einem der castilianischen Bataillone, um mit
diesen auszuziehen und dadurch mehr Gelegenheit zu thätigem Wirken zu
erhalten, als ich nördlich vom Ebro erwarten durfte; die 6. Compagnie
des 7. Bataillons von Castilien ward mir als ältesten Premierlieutenant
anvertraut, da der Capitain in einem Scharmützel bei Bilbao kurz vorher
getödtet war.

Am 19. December musterte der König das aus 12 Bataillonen zu 500 Mann
und aus 5 Escadronen bestehende Corps von Castilien zwischen Amurrio
und Llodio. Hohe Hoffnungen erregte der Anblick dieser schönen Truppen,
die glänzend equipirt, wie nie zuvor die Carlisten, und aus jungen,
kraftvollen Kriegern, die meistens lange erprobt, zusammengesetzt,
mit enthusiastischen Viva’s ihren König begrüßten und jubelnd die
Nachricht empfingen, daß sie wiederum ausziehen würden, den gehaßten
Feind aufzusuchen und die Befreiung der noch unter seinem Joche
seufzenden vaterländischen Provinzen zu versuchen. Die dritte Division
setzte sich sofort in Marsch, durchkreuzte schnell in zwei Colonnen
Guipozcoa und Navarra und vereinigte sich am 27. Dec. in der Gegend
von los Arcos mit der Cavallerie, die auf dem beschlossenen Zuge sie
begleiten sollte.

Ein Tagesbefehl des Mariscal de Campo D. Basilio Garcia verkündete
am folgenden Morgen der Division, daß er mit Stolz den ehrenvollen
Auftrag übernommen habe, dem ersehnten Kampfe gegen die Schaaren
der Revolution sie zuzuführen. Er empfahl den Chefs und Officieren
die Aufrechterhaltung der strengsten Disciplin und drohete harte
Strafe denen, welche Ausschweifungen oder sonstige Beleidigungen
gegen Bauer und Bürger sich zu Schulden kommen ließen. Mehr durch
unerschütterliche Treue und Anhänglichkeit an seinen Monarchen, als
durch hohe kriegerische Talente ausgezeichnet besaß Don Basilio den Ruf
persönlicher Bravour, und das Glück, durch das er von seiner ersten
kurzen Expedition im Jahre 1836 mit Beute reich beladen nebst vielen
Rekruten zurückgekommen war, hatte wohl bedeutend zu seiner jetzigen
Wahl beigetragen. Doch kann man sich nicht verhehlen, daß er sehr guter
Brigade-Chef, der in untergeordneter Stellung häufig sich hervorgethan,
nicht der schwierigen Aufgabe gewachsen war, die er über sich genommen
hatte. Der Mangel an einer hinlänglichen Zahl ergebener zugleich und
fähiger Anführer nöthigte Carl V. oft, Männer, welche ihre bisherigen
Posten glänzend ausgefüllt hatten, zu höheren zu berufen, denen ihre
Kräfte nicht mehr angemessen waren, wodurch die einen und die andern
ungenügend besetzt wurden. Don Basilio hatte nicht die Eigenschaften,
die allein in einem Unternehmen, wie die zu beginnende Expedition es
war, Erfolg ihm versprechen konnten; die traurigste Erfahrung hat
gezeigt, wie sehr es ihm an Festigkeit, raschem Überblick und kühner
Entschlossenheit gebrach, die doch so höchst wichtig, und deren Mangel
endlich den gänzlichen Untergang der ihm anvertrauten braven Division
herbeiführte.

Der Brigadier Marquis von Santa Olalla, ein Mann von hohem Talente
und nie rastender Thätigkeit, stand an der Spitze des Generalstabes;
doch wurden seine Anstrengungen durch hohes Alter und damit verbundene
Gebrechlichkeit leider sehr gelähmt. Oberst Fulgocio, ausgezeichnet
als Edelmann, als Anführer und als Soldat, commandirte die aus den
Bataillonen 7. von Castilien und 1. von Valencia bestehende erste
Brigade, Oberst Bosque, mehr geeignet zum kleinen Guerrilla-Kriege,
in dem er sich hervorthat, als zur Leitung des regelmäßigen
Liniengefechtes, die zweite, die Bataillone 1. und 2. von Aragon in
sich fassend. Die Cavallerie bildeten die Escadrone der Legitimität,
mit der ich unter Zariategui zusammen gefochten hatte, und 1. von
Aragon; sie zählten etwa 150 Pferde. Eine vierpfündige Bergkanone, von
Maulthieren getragen, begleitete die Division, so wie ein bedeutender
Convoy von Munition, deren Erlangung nach Passirung des Ebro nur
möglich war, wenn man dem Feinde sie entriß; funfzig Gewehrschmiede, zu
der an Waffenfabriken Mangel leidenden Armee Cabrera’s bestimmt, waren
uns aggregirt.

Nachdem am Morgen des 28. Decembers Rationen für mehrere Tage dem
Corps ausgetheilt, langten wir Nachmittags um 4 Uhr in dem reizenden
Städtchen los Arcos an, wo die Bürgerschaft mit Wein, Speck, Stockfisch
und Brod uns erwartete; mit anbrechender Dämmerung setzten wir dem Ebro
zu uns in Marsch. Eine unendliche Menschenmenge umringte uns bei dem
Abzuge, den Freiwilligen irgend einen Leckerbissen, einige ersparte
Silbermünzen zusteckend und der Klageruf der Frauen: „~los pobres, que
ya son perdidos!~“ tönte weithin uns nach: der gesunde Verstand des
Volkes theilte nicht den Wahn, der zu bald auch in unserm Verderben
sich kund that.

Um 9 Uhr langte die Division nach vorsichtigem Marsche auf dem Ufer des
Ebro an. Die Furth von Mendavia, zwischen den feindlichen Festungen
von Logroño und Lodosa gelegen, war zum Übergangspunkte ausersehen;
doch erklärten die Führer alsbald, daß der durch häufige Gebirgsregen
angeschwollene Fluß diese Furth, die beste der ganzen Gegend, ungangbar
gemacht habe. Eine zweite, etwas höher liegend, ward fast ohne Hoffnung
auf Erfolg aufgesucht, und bald durchlief die Reihen in leisem Gemurmel
die Nachricht, daß der Übergang schwer, aber möglich sei. Gerade um
diese Zeit verkündeten die Madrider Zeitungen jubelnd, wie nun schon
der Ebro, die sicherste Schutzwehr der christinoschen Provinzen, den
drohend vorbereiteten Einfällen der Carlisten auf lange Zeit eine
unübersteigliche Barriere entgegensetze. Schnell zeigten wir ihnen, daß
solche Hindernisse den Muth unserer braven Freiwilligen nicht brechen
konnten, daß sie die Fluthen des mit der Winterkälte verbündeten
Stromes zu überwinden vermochten, wie sie sich nicht scheuten, den
Massen der Revolutionsheere zu trotzen.

Es war eine jener trüben, stürmisch kalten Nächte, welche in den
Gebirgen Spanien’s so oft in nordisches Clima uns zu versetzen
schienen. Finsteres Gewölk, schwer auf einander gethürmt, durchflog den
Horizont, tausend phantastische Gebilde an einander reihend, zwischen
denen hie und da der matte Schein eines Sternes blinkte. Schneidender
Nordostwind führte von den Schneegefilden der Pyrenäen erstarrende
Kälte uns zu, während vor uns laut brausend der Ebro seine Wassermassen
dahin wälzte, aus denen die Wogen durch das Aufzischen weißen Schaumes
auf der dunkeln Fläche hervortraten, deren Gränze die Schatten der
Nacht dem ängstlich forschenden Auge verhüllten. Regungslos standen die
Bataillone in Colonnen formirt auf dem Ufer, mit stummen Grauen auf das
Rauschen der mächtigen Wasser horchend; ich gedachte der Lieben in der
schönen friedlichen Heimath: ob ich wohl je sie wieder in die Arme
schließe! Da tönte ein Commandowort durch die lautlose Stille, und die
Jäger-Compagnien warfen sich halb entkleidet in den Fluß, um auf dem
andern Ufer Position nehmend den Übergang zu decken. In gedrängtem Zuge
folgten ihnen die übrigen Truppen.

Keine Vorbereitung war getroffen, den Übergang der Division zu
erleichtern, und die Cavallerie, welche stromaufwärts in einer Linie
sich aufstellend die Kraft der Wogen zu brechen bestimmt war, sah
sich durch die grimmige Kälte schnell gezwungen, an das andere Ufer
zu passiren. Da drang ein langer, wilder Schrei durch die Nacht, ein
Schrei des Todes. Ungeheures Entsetzen ergriff die Herzen der stumm
in Erwartung Dastehenden, athemlos von kaltem Schauder durchrieselt,
starrten Alle auf die tobende, schäumende Fluth. Klagelaute, Weherufe
der Verzweiflung ertönten und starben, immer wiederholt, immer grauser
die Brust uns durchschneidend, stromabwärts in die Finsterniß hin. Die
unwiderstehliche Gewalt der Fluthen riß die Cameraden mit sich fort,
wir hörten ihr flehendes Jammergeschrei und konnten nicht helfen; eine
Bildsäule stand ich kraftlos, gedankenlos, jede Fiber angespannt, wie
zum eigenen Todeskampfe, mit starrem, weit offenem Auge das furchtbare
Dunkel vergeblich durchforschend; das Haar sträubte sich mir, das
einzige Mal im Leben. Da traf eine Stimme mein Ohr, meine innerste
Seele, eine liebe, theure Stimme; nein! zu gewiß war es, herzzerreißend
drang eines lieben Gefährten Hülferuf zu mir -- ich hörte, ich empfand
nichts mehr. An der Spitze meiner braven Freiwilligen fand ich mich auf
dem andern Ufer des Flusses, als das Bataillon sich dort formirte. Spät
entsann ich mich alles Geschehenen.

Herrlich hatten sich unsere wackeren Burschen bewährt, deren
Standhaftigkeit durch das Schrecklichste nicht erschüttert wurde.
Während ihrer sterbenden Cameraden Jammergeschrei: „Ich ertrinke, um
Gottes willen, ich ertrinke!“ zu ihnen tönte und bald, dumpfer und
dumpfer werdend, im Brausen der Wogen verhallte, während erstarrte
Körper, mit Mühe dem wilden Element entrissen, durch die Reihen
leblos dem nahen Dorfe zugetragen wurden, stürzten die Compagnien
ungeschwächten Muthes mit dem Rufe: „Es lebe der König!“ in den Strom,
der ihnen gleich furchtbares Geschick drohete. Um Mitternacht befanden
sich alle Corps auf der Südseite des Ebro und richteten ihren Marsch
gegen den nahen ihm parallel laufenden Gebirgszug.

Don Basilio entwickelte bei diesem Übergange zuerst den Mangel an
Vorsicht, der ihm so oft verderblich werden und der sehr Vielen der ihm
anvertraueten Krieger frühen, leicht vermiedenen Tod bringen sollte.
Ein bloßes Tau, als Stütze gegen den Andrang der Wassermassen über
den Fluß gespannt, hätte den Schmerz uns erspart, zwischen funfzig
und sechzig unserer Genossen, unter ihnen drei Officiere, rettungslos
fortgerissen zu sehen. Um der, Manchem bis an die Schultern reichenden
und durch grimmige Kälte doppelt gefährlichen, Fluth widerstehen zu
können, stemmten sich die Freiwilligen auf das mit aufgestecktem
Bajonnett verlängerte Gewehr, und mehrere unter ihnen wurden durch
die Ungeschicktheit, mit der Hinter- oder Nebenleute die Stütze
handhabten, in Fuß und Bein verwundet, während andere, da sie schon
den schlüpfrigen Boden unter sich schwinden fühlten, alles Lästige
in der Noth von sich werfend, überglücklich das Ufer ohne Waffen
und Gepäck erreichten. Einige wurden, durch die Kälte des Wassers
und des Windes zugleich erstarrt, als sie kaum in den Fluß getreten
waren, bewegungslos zurückgebracht, Maulthiere und Pferde wurden
fortgeschwemmt, und einzelne kühne Reiter strebten umsonst, mit eigener
Aufopferung überall Hülfe zu leisten.

Mehr als zweihundert Mann, die schwächsten an Geist und Körper, und
fünf Officiere mit ihnen, waren, durch die Gefahr zurückgeschreckt,
in Navarra geblieben und gingen, nachdem sie die Nacht in Mendavia
zugebracht hatten, nach Estella, worauf der König die Officiere, zu
gemeinen Soldaten degradirt, zu den dortigen Bataillonen bestimmte.
Der General in Anerkennung der Festigkeit und des Enthusiasmus, welche
die Division bei dem Übergange an den Tag gelegt, schlug Sr. Majestät
vor, als Zeichen seiner königlichen Gnade eine Auszeichnungs-Medaille
ihr zu verleihen. Als die Expedition durch die gegen sie verschworenen
Elemente und die Schwächen ihres Anführers mehr, als durch der Feinde
überlegene Schaaren nach dem heldenmüthigsten Widerstande ganz
vernichtet war, als die Mehrzahl fechtend gefallen, einige, nicht
weniger rühmlich, verwundet in den Hospitälern der Christinos als
Gefangene schmachteten -- nur 250 Mann entkamen zu dem Heere Cabrera’s
-- geruhete der König, den Officieren, die den Ebro passirt und dem
Tode entgangen waren, einen Grad zu verleihen.

Unter den Schlachtopfern jener Nacht befand sich Gustav Philippron,
ein junger holländischer Officier, ausgezeichnet durch Bravour und
militairische Ausbildung wie durch seine Entschiedenheit für die Sache,
deren Vertheidigung er sich gewidmet hatte. Wenige Minuten vor seinem
Tode fand ich ihn, wie er auf einem der Maulthiere behaglich reitend
seine Compagnie der Furth zuführte, in der so eben der Übergang begann,
und lachend wünschte ich ihm Glück, daß er so das Unangenehme der Nässe
zu vermeiden gewußt. Die Mitte des Stromes hatte mein armer Freund
erreicht, als das Maulthier, auf den glatten Steinen ausgleitend,
nach kurzem Kampfe hingerissen wurde; die ihm unmittelbar folgenden
Seinen sahen den geliebten Officier in der Dunkelheit verschwinden,
hörten in der Ferne seinen durchdringenden Hülferuf und mußten hülflos
ihn hinsterben lassen, da jeder Schritt von der vorgezeichneten Bahn
gleichen unabwendbaren Tod brachte. Mehrfach hatte Philippron gegen
mich geäußert, daß er überzeugt sei, er werde im Wasser umkommen, wie
sein Vater beim Bade, sein älterer Bruder, dem Vaterlande gegen die
empörten Belgier dienend, in der Schelde ertrunken sei. -- Von Allen,
die ich liebte, und durch engere Bande mir verbunden hielt, sollte
allein ich den Untergang unserer braven Armee überleben! Glücklich
ruhen sie längst von den Mühen, die so reichlich ihnen wurden;
glücklich, da sie im glorreichen Kampfe für das, was sie als recht und
wahr erkannt, auf dem Felde der Ehre bluten durften, glücklicher noch,
daß sie nicht sehen mußten, wie Niedrigkeit und Verrath im Untergange
der gerechten Sache triumphirten. Ehre sei den Braven!

       *       *       *       *       *

Unser kleines Corps, am Morgen nach dem Übergange den Rapporten gemäß
in allen Waffengattungen 1968 Mann stark, wandte also dem unter dem
Namen der ~pinares de Soria~ bekannten Gebirgszuge sich zu, der, als
iberisches Gebirge bei den Quellen des Ebro von dem Hauptstamme der
Pyrenäen sich losreißend, gen Südosten unter mannichfachen Benennungen
bis Unter-Aragon und Neu-Castilien sich erstreckt, wo er mit der
Sierra morena in Verbindung steht. Der König hatte dem General Cabrera
Befehl ertheilt, eine der Divisionen seiner Armee unserem Anführer zu
untergeben, damit dieser mit den vereinten Streitkräften den Krieg
nach der Mancha und den anderen Central-Provinzen Spaniens tragen
und die dort unter verschiedenen selbstständigen Partheigängern
gebildeten carlistischen Guerillas organisiren und combiniren könne,
um dem Kriege daselbst, der bisher mehr in Raub und Plünderung als im
Kampfe bestanden, regelmäßigere und entscheidendere Gestalt zu geben.
Große Schwierigkeiten bot der Auftrag. Nicht nur waren die Truppen
zu fürchten, welche, nun fast unthätig in der Mancha garnisonirend,
bei der Ankunft der Expedition Leben gewannen; selbst die Division
durften wir nicht als gefährlichsten Feind ansehen, welche 4000 Mann
Infanterie und 300 Pferde stark unter General Uribarri von Espartero
zu unserer Verfolgung gesandt war, und auf der kürzesten ihnen
offenen Marschlinie uns zuvorzukommen und abzuschneiden strebte. Die
größten Schwierigkeiten drohten uns in der offenen, ebenen Gestalt
jener Provinz, welche die Überlegenheit des Feindes und besonders die
seiner schönen Cavallerie so sehr begünstigte, wie in dem Charakter
unserer dortigen Alliirten, die gewohnt, ohne Disciplin und Zwang nach
eigenem Gutdünken zu verfahren, mit Widerwillen und selbst mit offener
Widersetzung das Joch der Kriegszucht und der festen Ordnung empfingen,
durch das Don Basilio zu Soldaten, würdig des Namens von Carlisten, sie
umzuwandeln beschloß.

In starken Märschen eilten wir der Vereinigung mit dem Heere Cabrera’s
entgegen und zogen schon am 2. Januar in das alte Calatayud ein, unter
den Römern Hauptort der Provinz; wir hatten noch keinen Feind getroffen
und waren von den Einwohnern überall auf eine Art aufgenommen, die
ihr freudiges Erstaunen über die hohe Disciplin und die Schonung
aussprach, welche sie von den Truppen beider Partheien, die sonst in
diesen Gegenden gehauset, so selten erfahren hatten. Die Garnison von
Calatayud hatte sich nebst den National-Gardisten in das über der Stadt
angelegte Castell eingeschlossen, wo sie, da wir uns begnügten, die
nöthigen Rationen und die Contribution zu erheben, und nicht dabei
gestört wurden, ganz unangetastet blieb. Auch in den übrigen Punkten
Aragon’s, in denen wir feindliche Forts trafen, fand kein Act von
Feindseligkeit Statt; während der Nacht ruheten wir sorglos in den oft
wenige Schritte von den Verschanzungen entfernten Häusern.

Oráa hatte sich, unser Durchdringen zu Cabrera zu verhindern, mit
einem Theile der Armee des Centrum nach Daroca und Cariñena gezogen,
wodurch wir gezwungen wurden, südlich der Provinz Cuenca uns
zuzuwenden. Da begannen die Drangsale, durch die unsere Expedition
eben so erschöpfend als unglücklich werden sollte. Himmel und Erde
verbanden sich, ihr stets besiegte, stets neu und schreckender sich
aufthürmende Hindernisse entgegenzuwerfen. Furchtbare, nie aufhörende
Regengüsse verwandelten die Wege in tiefe Sumpfgründe und machten
es fast unmöglich, den schmalen Gebirgspfaden zu folgen, deren
Schlüpfrigkeit dem Fuße keinen festen Stützpunkt mehr darbot, während
jeder Fehltritt Zerschmetterung auf den Felsen des Abgrundes drohete.
Jedes Gebirgswasser ward zum reißenden Strome, der die leichten
Brücken und Stege fortriß und nur auf Kosten der unwiederbringlichen
Zeit, oft mit Verlust von Menschenleben, überschritten werden konnte;
aus jeder Schlucht, jeder Vertiefung bildete sich ein tiefer See, zu
weiten Umwegen nöthigend und die Beschwerden der ermatteten Leute
verdoppelnd. Die elenden, weit entlegenen Dörfer reichten nicht hin,
selbst so kleiner Truppenzahl die nöthigen Lebensmittel zu liefern;
Mangel an allem Nothwendigen ward stündlich mehr fühlbar, Krankheiten
fingen an einzureißen, und die braven Freiwilligen, nach ermüdendem
Marsche zitternd von Nässe und Kälte, mußten oft auf der Straße neben
einem erlöschenden Feuer Erholung und Stärke für die Strapatzen des
folgenden Tages suchen, da die Officiere und Beamten, welche der Glanz
und Prunk liebende General in großer Zahl um sich hatte, nebst denen
der Legitimität für die Compagnien kaum einige erbärmliche Häuser frei
ließen.

Solche das Hauptquartier begleitende, im Gefechte unsichtbare, sonst
überall sich vordrängende und Alles prätendirende Männer jedes Ranges,
wie sie fast immer die Divisionen begleiteten, wurden von den Soldaten
sehr treffend Blutigel genannt; doch saugen +sie+, wo sie einmal
sich angehängt, unersättlich, bis sie das Herzblut getrunken haben.
Eine Thatsache mag als Beispiel ihrer Selbstsucht und rücksichtslosen
Habgier angeführt sein. Die erste Sorge des spanischen Soldaten beim
Einrücken in die Ortschaften ist, die als Feldflasche ihm dienende
Bockshaut mit Wein zu füllen, dessen Entbehrung, wiewohl er nie
trunken, ihm drückender ist als die des Brodes selbst. Wie groß
mußte das Staunen unserer erschöpften Krieger sein, da sie jetzt
täglich die Thüren der Wirthshäuser durch Ordonnanzen besetzt fanden,
welche barsch mit der Erklärung sie zurückwiesen, der Wein sei auf
Befehl des Generals mit Beschlag belegt! Doch rasch verwandelte sich
dieses Staunen in drohenden Unwillen, als die Truppen erfuhren, daß
der General, weit entfernt, solchen Mißbrauch anzuordnen, gar nicht
von der Maßregel in Kenntniß gesetzt sei; daß einige Nichtsthuer zu
diesem Mittel gegriffen, um sich Wein zu sichern und ihre Taschen zu
füllen, da sie den Rest desselben, unter dem Vorwande der Ordre des
Generals den Wirthen ohne Entschädigung genommen, bei dem Abmarsche
heimlich verkauften. Don Basilio verdiente nie den sonst den spanischen
Generalen so oft mit Recht gemachten Vorwurf der Selbstsucht und des
Unterschleifes, er verabscheute das entehrende Verbrechen und strafte
es schwer: ein Oberstlieutenant und ein Civilbeamter wurden am 9.
Januar wegen unbefugter Beschlagnahme und Defraudirung von Wein vor der
Front der Division erschossen.

Man glaube nicht, daß nur in den carlistischen Corps dergleichen
Mißbräuche sich fanden. Gewiß waren sie auch in ihnen häufig, und
besonders diejenigen Beamten, denen die Herbeischaffung der täglichen
Bedürfnisse oblag, und von deren Amte Unterschleif ja unzertrennlich
zu sein scheint, ließen die schreiendsten Räubereien durchgängig sich
zu Schulden kommen: während die Truppen in Gegenden, die an Vieh und
Getreide Überfluß hatten, oft am Nothwendigsten Mangel litten, wußten
sie ihre Koffer mit dem Golde des Landmannes zu füllen, indem sie,
mit den Magistraten den Gewinn theilend, ihn zwangen, die zehnfach
geforderten Lebensmittel in Geld zu liefern. Wohl ward hin und wieder
solch ein Erbärmlicher erschossen, aber das half für Tage kaum, während
der Unwille des seinen Unterdrückern fluchenden Volkes nie aufhören
konnte. Noch weit mehr breitete sich jedoch diese Raubmethode in
dem Heere Christina’s aus. Generale, Anführer, Officiere nahmen in
ihm an diesen Ungerechtigkeiten Theil, die vollkommene systematische
Aussaugung des Landes ward mehr noch als des Feindes Verfolgung
betrieben, und da ich als Gefangener oft in nähere Berührung mit den
Officieren der revolutionären Armee zu treten genöthigt war, ward ich
durch die Frechheit empört, mit der sie ihrer Gewandheit in solchen
Diebeskünsten wie des ehrenvollsten Talentes stets sich rühmten.

       *       *       *       *       *

Die stets zunehmenden Drangsale bei fortwährend forcirten Märschen
mußten den Etat des kleinen Corps sehr herabbringen; eine lange Reihe
Kranker folgte auf Eseln und Maulthieren dem Zuge und Mancher, der
augenblickliche Ruhe suchend hinter dem Nachtrabe zurückblieb, fand
unter den Händen der Nationalen den Tod, während Andere, entmuthigt und
unfähig, so viele Leiden länger zu tragen, ihre Waffenbrüder verließen
und dem gehaßten Feinde sich hingaben. Die Gesänge, welche den Marsch
der spanischen Soldaten begleiten und zur Ertragung der höchsten
Beschwerden ihn ermuntern, waren längst verstummt; finsteres Schweigen
herrschte die langgedehnten Marsch-Colonnen hinab und artete fast in
die fühllose Niedergeschlagenheit aus, die dem Mann, durch physisches
und moralisches Dulden besiegt, die Kraft zum Handeln und zum Denken
raubt. Da ertönte am Morgen des 13. Januars 1838 der Ruf, feindliche
Truppen seien vor kurzem durch das Dorf gezogen, welches so eben unser
Vortrab betrat; die ersten Bataillone erhielten Befehl, im Lauftritt
vorwärts zu gehen. Neues Leben beseelte unsere Freiwilligen; das Elend,
die Mattigkeit waren vergessen, Scherze und Gesänge erschallten, und
viele Kranke selbst schlossen ihrem Corps sich an, da der ersehnte
Augenblick des Kampfes nahe schien. Bald brachte die Cavallerie etwa
vierzig Gefangene, meistens Nachzügler, zurück; wir erfuhren, daß
wir auf die von den Nordprovinzen zu unserer Verfolgung gesandte
Division gestoßen waren, welche, durch an sich gezogene Detachements
und National-Garden auf mehr als 5000 Mann verstärkt, nach Cuenca
marschirte, wo sie von den Strapatzen der letzten Wochen auszuruhen
gehofft hatte. Die beiden Divisionen hatten wenige Stunden von einander
entfernt übernachtet, ohne die geringste Nachricht davon erhalten zu
haben, so daß erst der Zufall, der auf dem Durchschnittspunkt der
beiden Marschlinien sie sich einander treffen ließ, den Generalen die
Nähe des Feindes anzeigte.

Die Überlegenheit der Christinos bewog Don Basilio, nicht den Kampf
zu suchen, weshalb er den beschwerenden Munitions-Convoy unter dem
Schutze eines Bataillons von Aragon vorausschickte und mit den andern
drei Bataillonen und der Cavallerie, auf Alles gefaßt, langsam in
derselben Richtung folgte. Auf seine Übermacht vertrauend eilte
Uribarri gegen uns, und schnell waren die Jäger-Compagnien in lebhaftes
Feuer engagirt, während die feindliche Cavallerie unsere Rechte zu
überflügeln suchte, da dort das Terrain ihre Bewegungen gestattete.
Doch D. Basilio führte die in Masse gebildeten Bataillone, die
bedrohete Flanke durch die Escadrone deckend, bis zu einem nahen Defilé
zurück und nahm dort Position, worauf der Feind, ohne einen Versuch
zur Forcirung der starken, in der Front durch ein schroffes Ravin
geschützten Stellung zu machen, sich zurückzog und nur einige leichte
Truppen zur Beobachtung uns gegenüber ließ.

Wenn die Division bis zum Anbruche der Dunkelheit diese Position
festgehalten hätte, so würden wir unter dem Schutze der Nacht
unsern Marsch mit Sicherheit fortgesetzt haben, ohne einem Kampfe
uns auszusetzen, dessen unglücklicher Ausgang vorher gesehen werden
und unheilsvoll auf die ganze Expedition wirken konnte. Der General
beschloß Anderes. Kaum sah er die feindlichen Truppen in einiger
Entfernung, als er den Bataillonen zu defiliren befahl, während alle
Elite-Compagnien den Rücken deckten und die beiden Escadrone auf dem
etwas freierem Terrain zu unserer Linken folgten. Bald begann wiederum
das Feuer hinter uns, ohne jedoch unsern Marsch zu unterbrechen; doch
nach und nach nahm es zu und näherte sich rasch, schon waren die
Jäger und Grenadiere nicht mehr im Stande, den stark aufdrängenden
Feind zurückzuhalten, und um 2 Uhr Nachmittags wurden die Bataillone
genöthigt, in Schlachtordnung sich aufzustellen. Kaum nahmen wir
unsern Posten auf dem äußersten linken Flügel ein, als wir eine dunkle
feindliche Masse, deren Tirailleurs-Linie unsere Jäger vor sich
her trieb, anrücken sahen; eine zweite Colonne suchte unsere Linke
zu überflügeln, weshalb zwei Compagnien entsendet wurden, sich ihr
entgegenzustellen. Als das feindliche Bataillon bis auf hundert Schritt
herangekommen, zogen seine Tirailleurs sich rechts und links, und
mit dem wilden Gebrüll, ohne daß der Spanier nie angreifen zu können
glaubt, avancirte es im Sturmschritt. Fest erwarteten wir sie, Gewehr
im Arm. Schon waren sie kaum vierzig Schritt entfernt, da ertönte
hell das Commandowort „Feuer!“, ein dichter Kugelregen lichtete die
Reihen, und mit gefälltem Bajonnett stürzten wir auf die Wankenden, die
in Unordnung entflohen, bis sie, eine kleine Ebene durchschreitend,
jenseit einer schroffen Schlucht von ihrer Reserve aufgenommen wurden.
Wir eilten den errungenen Vortheil zu benutzen, als auf der Ebene
zwei feindliche Escadrone hervorbrachen, deren eine gegen uns sich
wandte, aus dem sofort gebildeten Carré mit Kugeln begrüßt, jedoch in
ehrerbietiger Ferne blieb, während die zweite auf die beiden Compagnien
sich warf, welche in Tirailleurs aufgelöset unsere Linke deckten.

Entsetzen ergriff mich, da ich die eine der Compagnien zaudern, dann
ungewiß sich verwirren und, anstatt wie die zweite in Haufen sich zu
vereinigen, ungeordnet den nicht nahen Gebüsch zueilen sah. Jubelnd
holten die Reiter sie ein und säbelten die Wehrlosen nieder; mehrere
Freiwillige lagen zu Boden gestreckt, andere erflehten, hoch die
umgekehrten Kolben emporhaltend, den so selten gewährten Pardon;
da stutzten die feindlichen Dragoner, und um den Hügel jagten die
Officiere der Legitimität zur Rettung ihrer Gefährten heran. Selbst
in Unordnung gerathen entflohen die Christinos, auf dem Fuße von den
Unsern verfolgt; die zweite feindliche Escadron suchte die Flüchtigen
aufzunehmen, wurde aber selbst mit fortgerissen und fand wie jene erst
hinter ihrer Infanterie Schutz.

Unser Commandeur war ungewiß, welche Maßregeln er ergreifen sollte.
Vor uns stand in fester Stellung der weit stärkere Feind, das uns
zunächst aufgestellte Aragon blieb unbeweglich trotz der Zeichen, durch
die es bei unserm Vorgehen zu correspondirender Bewegung aufgefordert
war, weither verkündete sogar das stets mehr zurück sich ziehende
Feuer bedeutendes Vordringen der Christinos. Keine Ordre des Generals
erfolgte, so daß jeder Chef, wie so oft der Fall war, nach eigener
Eingebung handeln mußte. Rasch entschied sein Muth den unseren zum
Vordringen, um durch Bedrohung des feindlichen rechten Flügels dem
bedrängten Valencia Luft zu machen. Oberst Fulgocio stellte sich an
die Spitze des Bataillons und führte es vorwärts: unter dem lebhaften
Feuer des Feindes stiegen wir die steile Felswand zur Schlucht hinab,
erkletterten mit lautem ~viva el Rey~ mühsam die entgegengesetzte Höhe
und sahen uns Meister der Stellung, von der die Christinos erstaunt
gewichen waren. Doch ehe wir uns zu ordnen vermocht, eilte ihre
Reserve in Masse zum Angriffe vor, durchbrach im ersten Drange unsere
Linie und stürzte in das Ravin uns zurück, mit dichtem Kugelregen uns
überschüttend, wie wir im Rückzuge die Felsen hinaufsteigen mußten.
Da sahen wir Aragon eilig weichen; rechts und links fielen die
Freiwilligen, die Reihen mischten sich und löseten sich auf, wildes
Geschrei ertönte, und in Verwirrung floh das Bataillon. Umsonst
suchten wenige Officiere durch Bitten und Drohen die Fliehenden
zum Stehen zu bringen, umsonst durchbohrte Fulgocio, der das Pferd
zurücklassend der Erste beim Angriff, der Letzte auf dem Rückzuge
gewesen war, ergrimmt einen der Freiwilligen; es war unmöglich, die
wenige Minuten vorher so braven Soldaten zu ermuthigen, und der auf
dem Fuße uns verfolgende Feind machte alle Anstrengungen der Officiere
vergeblich.

Da fühlte ich einen leichten Schlag an die Schulter, und baumelnd
sank mein rechter Arm am Körper nieder, während der Säbel der Hand
entglitt: eine Flintenkugel hatte den Oberarm, der Schulter nahe,
zerschmettert. Langsam schlich ich unter dem Pfeifen der Kugeln zurück,
bis Oberst Fulgocio mich zwang, sein Pferd zu besteigen, auf dem ich,
nachdem die Bataillone sich gesammelt hatten, dem Rückzuge bis zum
nächsten Dorfe folgte, wo den Truppen Brod und Wein ausgetheilt wurde,
Kraft zum nöthigen Nachtmarsche ihnen zu geben. Unser Verlust stieg
auf etwa zweihundert Mann, der des Feindes war bei seiner Übermacht
weit bedeutender, denn unser kleines Corps, wiewohl besiegt, hatte
sich seiner würdig gezeigt in hartnäckiger, blutiger Gegenwehr. Die
Christinos, weit entfernt, uns unmittelbar zu verfolgen, kehrten nach
den nächsten Dörfern zurück und büßten so die Vortheile ein, welche ihr
Sieg bei der gänzlichen Erschöpfung unserer Soldaten ihnen darbot.

       *       *       *       *       *

In zehrendem Schmerze lag ich auf meinem Lager in dem Feldhospitale;
die Wundärzte hatten erklärt, daß der Knochen des Armes gänzlich
zerschmettert sei und daß meine Fortführung im Gefolge der Expedition
nothwendig schnellen Tod nach sich ziehen müsse: ich sollte
zurückgelassen werden. Entsetzliches Geschick! Umsonst sträubte ich
mich, umsonst flehte ich und betheuerte, daß ich den Tod dem mir
bestimmten Loose vorziehe. Das Urtheil war gesprochen, ich blieb
verdammt, wieder den verabscheuten Trabanten der Usurpation in die
Hände zu fallen, nochmals alle die Drangsale zu dulden, welche von
solcher Gefangenschaft unzertrennbar sind. Verzweiflungsvoll klagte ich
das Geschick an, daß es zum Spielballe seines Hasses mich erkoren; ich
wünschte mir den Tod im Übermaße des bittern Schmerzes und beneidete
die, welche an jenem Tage neben mir das glorreiche Ziel ihrer Laufbahn
erreicht hatten.

Dann traten die treuen Cameraden, vom Oberst Fulgocio geführt, ins
Zimmer, Abschied von mir zu nehmen. Der Krieger ist wenig gewohnt,
seine Empfindungen in schöne Phrasen zu kleiden, die so oft zum
Deckmantel kalter Gefühllosigkeit dienen. In wenigen herzlichen Worten
drückten die Gefährten ihre Theilnahme, ihre Wünsche mir aus; noch ein
langer, kräftiger Händedruck ... schon rief der helle Hörnerklang zum
Abmarsche, und sie eilten, ihren Compagnien sich anzuschließen. Wie
viele dieser Braven sollte ich nie wiedersehen! Ehe ich von neuem mir
den Vertheidigern Carls V. mich vereinigen durfte, hatten die Meisten
unterlegen; auch sie sanken in der allgemeinen Vernichtung der kleinen
Division.

Regungslos horchte ich dem Geräusche, welches von den Straßen
herauftönte. Bald zogen die Escadrone ab klirrend und rasselnd;
langsamen, schweren Schrittes folgte die Infanterie; kurze Ruhe
trat ein, dann erschallte der freie, weniger der bindenden Ordnung
unterworfene Tritt der Jäger, die den Nachtrab bildeten. Athemlos
suchte ich den letzten Laut der Cameraden zu erhaschen, bis das
Geräusch dumpfer und dumpfer hinstarb; Alles ward still wie das Grab.
Da ward ich überwältigt von schmerzlichsten Gefühlen. Die Augen füllten
sich mir mit glühenden Thränen, finstere Gedanken durchwühlten die wild
sich hebende Brust und machten mich unfähig, meine Lage zu würdigen,
unfähig selbst, Theil zu nehmen an dem Jammer derer, die mir nahe in
schrecklichen Zuckungen ihr Leben aushauchten, oder in leisem Gewimmer
die Schmerzen verriethen, deren Töne zu unterdrücken ihre Kraft nicht
mehr hinreichte. Wohin vermag Selbstsucht den Menschen zu treiben! Sie
tödtet jedes edlere Gefühl in ihm, sie macht ihn unempfindlich gegen
die Leiden seiner Mitmenschen, ja sie vermag so ihn zu versteinern, daß
er Freude fühlt bei dem Anblicke fremden Elendes und Trost im Dulden
Anderer für sein eigenes Geschick sucht. Doch regten sich bald bessere
Gefühle in meinem Herzen: die Bitterkeit machte der Wehmuth Platz, Ruhe
und Ergebenheit trat an die Stelle des wilden Zornes, bis die bisherige
Aufregung in Erschlaffung und Abmattung sich auflösete und fester,
erquickender Schlaf des erschöpften Körpers sich bemächtigte.

Als ich erwachte, dämmerte der Morgen. Waffen und blutige
Kleidungsstücke lagen im Zimmer umher; zwei der Verwundeten waren
während der Nacht gestorben, die andern neun lagen hülflos da, außer
Stand, sich zu bewegen. Nachdem ich meine Lage überdacht hatte,
erhob ich mich langsam mit unsäglicher Mühe, in Schulter und Arm
von stechenden Schmerzen gefoltert; ich hielt es als der Erste an
Graduation unter den Zurückgelassenen für Pflicht, der Erste dem
Feinde, der jede Minute anlangen konnte, mich darzubieten und die
Sorgfalt der Anführer für die verwundeten Gefährten in Anspruch zu
nehmen. Sehr geschwächt schlich ich dem Eingange des Dorfes zu, dessen
Bauern, niedrig knechtisch gesinnt, wie der Neu-Castilianer allgemein,
und vor dem Stärkeren stets schmeichelnd im Staube kriechend, mir
finstere Seitenblicke zuwarfen, ohne ihre Hülfe anzubieten, und selten
wagte irgend ein mitleidigeres Weib, einige Worte des Bedauerns zu
äußern. Von Durst gequält trat ich in das kleinste Haus, einen Trunk
Wasser zu fordern. Das Mädchen, welches mir ihn reichte, flüsterte mir
zu: „Um Gottes willen, fliehen Sie ins Gebirge, denn die Schwarzen
sind schon im Anzuge und werden Sie tödten.“ Mit schmerzlichem Lächeln
sah ich auf den Arm, den bei der leichtesten Bewegung scharfe Stiche
durchzuckten, und dankte dem theilnehmenden Kinde; dann setzte ich den
schwankenden Gang dem Thore zu fort und erwartete auf einem Baumstamme
sitzend die Ankunft der Feinde.

Las Cuevas -- die Höhlen -- liegt, seinem Namen Ehre machend, wie ein
Schwalbennest einem hohen abschüssigen Felsberge angeklebt, in dessen
Mitte ein Absatz sich befindet, gerade groß genug, um die Häuser des
Dorfes zu fassen, dem ein schmaler Felsenweg sich zuwindet, während
die Straße, ohne den Ort zu berühren, unten im Grunde sich hinzieht.
Von meinem Sitze aus konnte ich etwa tausend Schritt weit das Thal
übersehen, bis es sich hinter den in mannigfacher Gestaltung es
umkränzenden Höhen verlor. Im Morgennebel lag die Landschaft düster
da, nicht durch emsige Arbeiter belebt, da diese, die Raubgier der
zügellosen Soldateska fürchtend, ihre Wohnungen nicht zu verlassen
wagten und nur von Zeit zu Zeit neugierig forschende Blicke nach dem
Wege warfen, auf dem die siegreichen Christinos herankommen mußten.
Sie zauderten nicht lange. Gewehre blitzten, einzelne Reiter, leichte
Truppen des Vortrabes wurden sichtbar, und schnell folgte eine lange
dunkele Masse, wie eine ungeheure Schlange durch die Öffnungen der
Berge sich hinwindend. Die Colonnen befanden sich zur Seite des
Dorfes, als ein kleiner Trupp, von der Marschordnung sich trennend,
den Felsenweg heraufzog; Helme funkelten näher, und ein Detachement
Dragoner, welchem eine Jäger-Compagnie folgte, sprengte dem Eingange
des Ortes zu.

An der Spitze der Reiter jagte der Capitain der Jäger einher. An ihn
richtete ich mich mit der Bitte, die im Gemeindehause befindlichen
Verwundeten gegen jede Mißhandlung schützen zu wollen, worauf er,
ein Mann edel und großmüthig, wie ich selten unter Spaniern, unter
Christinos sie fand, mich aufforderte, ihm zu folgen und meiner
Leute wegen unbesorgt zu sein; er stellte sofort Posten zu ihrer
Sicherheit auf und ließ für die Armen, um die seit dem Abend Keiner
sich bekümmert, durch die Behörden Pflege und Nahrung besorgen. In der
That wagte Niemand, Hand an uns zu legen, so lange dieser Ehrenmann
mit seiner Compagnie im Dorfe blieb; da aber kaum der letzte Jäger
den Rücken gewandt, um mit der Colonne sich zu vereinigen, stürzten
die Dragoner über uns her, mißhandelten die Hülflosen trotz ihres
herzzerreißenden Jammers, nahmen ihnen Alles ab, was sie an Werth
besitzen mochten, und gingen in ihrer wilden Grausamkeit so weit, daß
sie die Kleidungsstücke, steif von geronnenem Blute, ihnen vom Leibe
rissen. Auch ich ward, wie meine Cameraden, entkleidet und mußte auf
besondern Befehl des feindlichen Generals dem Corps folgen, während die
übrigen Verwundeten den Dorfbehörden zum Transporte nach dem nächsten
Hospitale übergeben wurden.

Nachdem ich eine schreckliche Stunde zu Fuß mich fortgeschleppt
hatte, durfte ich auf die Ballen eines hoch beladenen Maulthieres
mich heben lassen. Jeder Schritt machte mich von furchtbarem Schmerze
zucken, und mit fest über einander gebissenen Zähnen saß ich starr
und lautlos, bis endlich die nie aufhörende Wiederholung desselben
Schmerzes mich ihm vertraut oder stumpf gemacht hatte. Dann ward ich
vom Hunger gequält, da ich seit dem Morgen des vergangenen Tages
Nichts genossen, und umsonst hoffte ich, daß die Division anhalten und
Lebensmittel austheilen werde. Der Marsch dauerte fort und fort, meine
Schwäche durch Blutverlust und Nahrungslosigkeit herbeigezogen, nahm
immer zu, ich glaubte mich sterbend und freute mich, daß alle Leiden
nun bald vollbracht seien. Schon brach die Nacht an und noch ward
nicht gerastet. Mein Maulthier weigerte sich, länger zu marschiren,
es stolperte in jedem Augenblicke, dadurch meine Schmerzen auf den
höchsten Grad steigernd, und wurde nur durch Kolbenstöße der Wache zum
Weitergehen gezwungen. Da schlug es einen schmalen Fußsteig ein, der
hoch über dem Wege erhaben neben ihm hinlief, glitt aus und stürzte
von der Höhe hinab. Der eine furchtbare Schrei, den ich ausstieß,
machte weithin die marschirenden Truppen stutzen: ich war auf den
zerschmetterten Arm gefallen und lag besinnungslos am Boden. Einige
Soldaten hoben mich auf und setzten mich, da ich wieder zum Bewußtsein
gekommen war, auf ein anderes Maulthier, und wieder ging Stunden lang
der Zug fort, bis ich gegen Mitternacht endlich von der folternden
Furcht eines neuen Falles, die nun jede andere Empfindung zum Schweigen
brachte, mich erlöset sah, da die Colonne in Carascosa auf der
Heerstraße von Cuenca nach Madrid Halt machte, um bis zum Morgen von
dem endlosen Marsche zu ruhen. Jener Tag war einer der entsetzlichsten,
die ich erlebt; ich hatte den Tod als eine Wohlthat erbeten.

Vom Generalstabsarzte untersucht ward ich auf seinen Bericht in
Carascosa zurückgelassen und am Tage darauf langsam und möglichst
bequem nach Cuenca abgeführt, in dessen Hospital ich endlich die Pflege
und vor Allem die Ruhe zu finden hoffte, deren Entbehrung in meinem
Zustande die grausamste Qual war.



XV.


Nach vier Monaten durfte ich zum ersten Male vom Bette mich erheben.
Vier furchtbare Monate! Mit Schaudern dachte ich an die Leiden zurück,
die ich da erduldet hatte, und zollte der ewigen Vorsehung innigsten
Dank, daß sie wunderbar mich erhaltend durch das Schrecklichste mich
geleitet. Wunderbar war meine Rettung in der That; denn Nachlässigkeit,
Schmutz, Ungeschick und böser Wille vereinigten sich wetteifernd,
meine Wunde tödtlich zu machen. Zwei Mal kamen die Wundärzte, wie sie
sich zu nennen nicht anstanden, mit dem Apparate ihrer gefürchteten
Instrumente zu meinem Bette, mir erklärend, daß nur die Amputation
Hoffnung auf Rettung des Lebens übrig lasse; die standhafte Weigerung,
ihrer Amputirsucht mich zu unterwerfen, die Reinheit und Festigkeit
meiner Constitution und die Geduld, mit der ich hundert und fünf
Tage lang mit unbeweglichem Oberkörper auf den Rücken ausgestreckt
ausharrte, retteten mir den Arm. Aber Entsetzliches litt ich. Und
dann wurden in demselben Zimmer, in dem ich mit dreißig andern
Verwundeten und Kranken lag, blutige Operationen vorgenommen, und
das Zetergeschrei der Schlachtopfer machte uns innerlich erzittern;
mit ansteckenden Krankheiten Behaftete, endlich gar Blatternkranke
schmachteten neben mir, im Bereiche meines Armes selbst; das Röcheln
der Sterbenden umtönte mich täglich, und viele Stunden hindurch lagen
verzerrte Leichname in unserer Mitte, ohne die Aufmerksamkeit der
Wächter zu erregen. Und doch ward mir als Officier manche Sorge, die
andern Unglücklichen versagt war. -- Sollte man möglich glauben, daß
Gewohnheit uns endlich auch gegen alle jene Scenen des Schreckens und
der Qual gleichgültig, ja taub machen konnte!

Wer möchte all den Jammer, das tausendfache, herzzerreißende Elend
schildern, wie es in einem spanischen Hospitale, den Kältesten
erschütternd, zusammengehäuft ist? Da liegen die Armen, in langen
Reihen dicht an einander gedrängt, ja oft zu zweien in demselben Bette
vereinigt, so daß der Genesende die Convulsionen des Sterbenden neben
sich fühlt, der hülflose Kranke den eisigen Leichnam seines Gefährten
berührt. Dumpfe, schwülstige Luft, geschwängert mit den widerlichen
Ausdünstungen so vieler verschiedenartiger Übel, beklemmt die Brust des
Eintretenden und macht ihn zurückschaudern im athemlosen Ekel; grause
Unreinigkeit stattet rings in den widrigsten Formen, und Legionen von
jeder Art Ungeziefer, dieser Kinder des Schmutzes, bedecken Boden,
Wände und Betten durch nie endende Qual die Unglücklichen aufzehrend,
welche umsonst ihre Kräfte erschöpfen, die höllischen Plagegeister von
sich abzuwehren. Die Betten bestehen aus einem Strohsacke mit Betttuche
und wollener Decke; als Nahrungsmittel, unabänderlich festgesetzt, ward
am Mittag und Abend ein Stückchen Schaffleisch und ein halbes Pfund
Brod, am Morgen etwas Brod mit Wasser, Knoblauch und Salz zerkocht
und ein wenig rohes Öl darüber gegossen -- ~la sopa~ -- ausgetheilt.
Sogenannte Bouillon von Schaffleisch fand sich in solcher Menge, daß
die größere Hälfte stets weggegossen wurde, da selbst die Bettler sie
nicht genießen mochten. So war die Kost aller Hospitale, die ich unter
den Christinos gesehen, den Verbreitern der allgemeinen Aufklärung und
Humanität, wie sie gern sich nennen; auf strengere Diät wurden die
Kranken willig gesetzt, feinere, stärkende Nahrungsmittel dagegen nie
bewilligt. Ist es unter solchen Umständen zu bewundern, daß Tausende
von verwundeten oder erkrankten Soldaten in den Lazarethen ihr Leben
aushauchten, da sie so leicht dem Lande konnten erhalten werden?

Und was sage ich von denen, die, in der Verwaltung der Hospitale
angestellt, am meisten zur Pflege und zum Wohle der Kranken mitwirken
sollten? Wenn ich behaupte, daß ihr Streben nur darauf gerichtet ist,
durch die gröbsten und schändlichsten Veruntreuungen -- denn das
Schändlichste ist, die leidende Menschheit, die Hülf- und Wehrlosen
noch tiefer zu stürzen -- sich zu bereichern und möglichsten Vortheil
sich zu sichern; da würden diese Leute mit Recht sich beklagen, daß ich
ihre Handlungsweise in falschem Lichte darstelle, da in Deutschland
spanische Verhältnisse und Begriffe unbekannt sind. Sie würden fragen,
wie ich ihnen das als Verbrechen anrechne, was allgemein bekannt,
folglich, da es unbestraft bleibt, erlaubt war? Wie ich ihnen vorwerfe,
was alle Beamten des Staates vom Minister zum niedrigsten Schreiber,
vom General en Chef zum Corporal -- der Soldat wurde stets von allen
geschunden -- zum höchsten Ziele ihrer Mühen machten? Sie würden
fragen, ob ich verlange, daß sie, indem sie nicht dem gewöhnlichen
Wege folgten, sich ins Gesicht lachen, als Thoren sich schelten und
verachten ließen? ob sie, da ihnen Jahre lang kein Gehalt gezahlt
wurde, mit ihren Familien etwa Hungers sterben sollten? Und zu allen
diesen Fragen werde ich achselzuckend stillschweigen oder mit „Ja“ sie
beantworten müssen, denn sie widerlegen zu wollen, würde nur grobe
Unwissenheit verrathen. In allen Classen des liberalisirten Spaniens
ist dieses Betrugssystem so weit ausgebildet, so ganz heimisch in
ihnen geworden, daß, wer nicht dem gewohnten Geleise folgte, verlacht
und gestürzt wurde. Die christinoschen Beamten jedes Zweiges und
jedes Ranges sahen sich lange, lange Monate hindurch ohne Hülfsmittel
irgend einer Art gelassen, sie wußten sehr wohl, daß sie nie die
Summen, welche Jahr auf Jahr rückständig blieben, zu erhalten hoffen
durften; da suchten sie durch Veruntreuung und Bestechlichkeit, wo eine
Gelegenheit sich bot, reichlich sich zu entschädigen. Sie wußten, wie
ihre Stellung ganz ephemer war, wie sie, wenn eine andere Parthei an
das Ruder kam, sofort von ihrer Höhe gestürzt, vielleicht in der Fremde
Sicherheit zu suchen genöthigt wurden; so strebten sie, für solchen
Fall durch Anhäufung von Capitalien sich vorzubereiten.

Sonderbar wäre es gewesen, wenn die in den Hospitalen Angestellten von
der allgemeinen Ansteckung frei geblieben wären, und in diesem Zweige
mußten die Folgen doppelt traurig und empörend sein. Die Intendanten,
die Kriegs-Commissaire, Directoren, Inspectoren und tausend Andere
zerrten an der leichten Beute, einen Fetzen davon an sich zu reißen.
Die Wundärzte, nur dem Namen nach solche, stammten fast allgemein aus
der Classe der Soldaten, indem sie einige Zeit in einem Hospitale als
Gehülfen gedient hatten und dann berechtigt waren, selbstständig zu
tödten. Der Caplan stürzte durch die Zimmer, stopfte dem Sterbenden das
Sakrament in den Mund, machte ein paar Kreuze über ihm und verschwand,
angenehmeren Beschäftigungen zueilend. Endlich die Krankenwärter
... Doch ich will nicht länger das Bild menschlichen Elendes in der
entsetzlichsten Verlassenheit dem schaudernden Blicke aussetzen. Nur
wer es erlebt, wer selbst es empfunden hat, vermag solche Gräuel und
solchen Jammer sich zu denken.

Sie war vorbei, diese Zeit des herben Duldens. Noch schwach, aber
überselig, da ich aus den Thoren des Lazareths in die freie, herrliche
Luft trat, ward ich zu dem Depot geführt, um mit der ersten Gelegenheit
nach Madrid abzumarschiren. Ehe ich jedoch Cuenca verlasse, muß ich
hinzufügen, daß ich dort nicht ohne Zeichen der Theilnahme gelassen
wurde; nein, noch immer denke ich mit inniger Dankbarkeit dorthin
zurück. Seit dem Augenblicke, in dem ich die Stadt betrat, hatte
der Bischof, ein wahrer Geistlicher und wahrer Christ, mit Allem
mich, wenn auch oft umsonst, zu versehen gesucht, was die Lage eines
Verwundeten zu erleichtern vermag; und später, da ich schon auf dem
Wege der Besserung war, sah ich mehrere Male vor meinem Bette eine
junge, reizende Dame, die, enthusiastische Carlistinn, trotz dem
Widerlichen, was das Hospital für die zarten Gefühle des Weibes haben
muß, mit ihrer Mutter kam, den Verwundeten Trost und Hülfe zu bringen.
Theilnehmende, ermuthigende Worte flüsterte sie mir zu, und bis zu
meinem Abmarsche durfte nie einer der kleinen Leckerbissen mir fehlen,
die unter den höhern Classen der Spanier so sehr geschätzt werden. Zwei
Jahre später, als Verrath schon den Untergang über uns gebracht und
uns nur Wochen der Existenz gelassen hatte, fand ich diese Damen als
Verbannte in der Festung, die wir die letzte noch inne hatten, und kaum
entgingen sie dem allgemeinen Verderben.

       *       *       *       *       *

Am 12. Juli stieg ich die Hauptstraße von Cuenca, welche, da die Stadt
auf dem Abhange eines Berges liegt, wohl eine halbe Stunde lang mit
vielen Krümmungen das Thal sucht, zum Antritt des Marsches nach Madrid
hinab. Mit Wollust athmete ich, die am Fuße des Berges gelegene große
Vorstadt verlassend, die reine, freie Luft ein, welche ich so lange
gegen die giftigen Dünste des Hospitales hatte vertauschen müssen, und
überschaute schwellenden Herzens die Gefilde, reich mit Saaten bedeckt,
die lieblich grünen Wälder und die Hügel, welche rings der Landschaft
die mannichfachste Gestaltung gaben. Selbst gegen die erhabene
Schönheit der Natur wird des Menschen Geist kälter durch die Gewohnheit
ihres Anblickes; aber nach langer Krankheit oder wenn aus dem Kerker
der ersehnten Freiheit wieder gegeben, sind wir doppelt empfänglich
für das schmerzlich Entbehrte. So würde der Marsch nach Madrid mir
immer höchst angenehm geworden sein, wenn auch der die Bedeckung
commandirende Officier nicht so ganz edel und rücksichtsvoll -- wie
in Spanien, im Bürgerkriege äußerst selten -- gewesen wäre. Er hatte
lange Jahre gedient und in den Feldzügen gegen die insurgirten Colonien
in Amerika gefochten, er kannte den Krieg, kannte die Gebräuche und
Rechte, wie civilisirte Nationen auch unter Feinden sie festgestellt;
er war brav, und der Brave ist stets großmüthig. Ich durfte während des
Marsches ganz wie frei mich betrachten, theilte sein Logis und sein
Mahl und sah mich stets mit aufmerksamer Artigkeit behandelt. Mehrere
Male traf ich unter den Christinos mit Männern zusammen, die sich
gegen mich auf die ehrenvollste Art benahmen, da ich doch aus eigener
Erfahrung weiß, wie meine spanischen Gefährten nicht nur allgemein,
sondern selbst von eben jenen Männern zu dulden hatten. Der Umstand,
daß ich ein Fremder war, mochte wohl hauptsächlich zu solchem Vorzuge
beitragen. Der ungewöhnliche Edelmuth jenes Officiers entwaffnete mich.
Ich verließ Cuenca mit dem Entschlusse, trotz der Schwäche meines
rechten Armes, der bewegungslos in der Binde hing, einen Versuch zur
Flucht zu machen, die bei der Nähe der Truppen Cabrera’s möglich
schien. Der Mißbrauch solcher Großmuth wäre schamlos, entehrend
gewesen; ich blieb.

Ein Gefangener nahte ich Madrid auf derselben Straße, auf der ein Jahr
vorher Carl V. seine Divisionen bis an die Thore der Residenz geführt
hatte. Welche Betrachtungen, welche Gefühle mußte der Gedanke mir
wecken! Bald hatten wir den Tajo passirt, die Gebirgszüge verloren sich
in Hügel, die mehr und mehr wellenförmige Gestalt annahmen; da, als wir
eine leichte Anhöhe erstiegen, lag die stolze Königsstadt vor uns in
ihrer Pracht, von zahllosen Thürmen hoch überragt. So sah ich Madrid
wenige Monate früher, da wir in freudiger Hoffnung nach Segovia’s
Erstürmung heranzogen; damals eilte ich zum Kampfe gegen die Satelliten
der Revolution, die wir rasch zu unsern Füßen zu zerschmettern hofften,
und jetzt ...! Wie konnte so kurze Zeit so viel Schweres, so viel
Furchtbares mit sich bringen?

Gegen ein Uhr Mittags betraten wir den Prado, den Versammlungsort der
schönen Welt von Madrid; sechs Reihen herrlicher Bäume bilden, so
weit das Auge reicht, schattige Alleen, von prachtvollen Gebäuden
und Gärten umschlossen. Um diese Tageszeit war der Spatziergang ganz
leer, weshalb wir gehofft hatten, unbemerkt und ohne Anfechtung die
wenigen Straßen zu durchschreiten, welche von der zu unserer Aufnahme
bestimmten Caserne von San Mateo uns trennten. Doch das Volk Madrid’s
im Eifer, durch Insultirung wehrloser Gefangenen die Entschiedenheit
seiner Meinungen darzuthun, scheut nicht Hitze, Staub und Ermüdung.
Schnell umringte uns ein großer Haufe vom Pöbel aller Classen;
einzelnen Schimpfworten folgten wilde Drohungen, mit den gräßlichsten
Flüchen untermischt, und viele der Wüthenden, selbst Weiber, suchten
zwischen die Soldaten der Bedeckung sich einzudrängen, um die
Gefangenen zu erreichen. Die Escorte schloß dicht um uns und hielt mit
vorgehaltenem Bajonnett die Rasenden zurück, unter denen zahlreiche
National-Gardisten durch ihre französischen Militairmützen kenntlich
waren, bis es ihr gelang, nachdem sie einige Schreier leicht verwundet
hatte, bis zu der Caserne sich Bahn zu brechen. Die Abneigung der
christinoschen Soldaten gegen die National-Gardisten stieg oft bis zu
höchster Erbitterung, da diese, nur zu Grausamkeiten und Metzeleien
fähig und willig, nie zu offenem Kampfe sich uns entgegenstellten,
dagegen in ihren Ansprüchen noch über die Linientruppen hinausgingen.
Solche Abneigung rettete manchem carlistischen Gefangenen das Leben,
indem die Truppen, wenn jener Pöbel, wie so oft, ihr Blut forderte,
bereitwillig sie zu beschützen eilten.

Das Gefängniß, in welches ich geführt ward, war so finster, daß ich
anfangs gar nichts sah; als sich mein Auge endlich an das Halbdunkel
gewöhnt hatte, bemerkte ich zehn oder zwölf Unglückliche, sämmtlich
Officiere von der Armee Cabrera’s. Der Kerker war ein zwanzig Fuß
langer schmaler Raum, der durch ein Gitterfensterchen sein Licht aus
dem vorliegenden Gange erhielt. Von den Wänden fielen, durch die
Feuchtigkeit losgebröckelt, fortwährend Stücke Kalk herab, in langsam
regelmäßigen Pausen tropfte das Wasser zur Erde, und der Boden war
mit leichtem Schlamme bedeckt, der nie trocknen sollte. Dabei diente
eine Pritsche zur gemeinschaftlichen Schlafstelle, und das Zimmer
trug ganz den Stempel der Militair-Gefängnisse, wie sie in allen
spanischen Casernen sich finden, auch wimmelte es natürlich von Flöhen,
die Tag und Nacht uns quälten. Von Zeit zu Zeit ward es uns erlaubt,
eine Stunde lang in dem Hofe spatzieren zu gehen, wo wir dann die
Unglücksgefährten trafen, welche in den andern oft noch schrecklicheren
Gefängnissen schmachteten. Jeden Sonnabend war aber Communication mit
der Außenwelt, indem alle diejenigen, welche durch Furcht vor der Rache
der Liberalen und den Insulten der National-Gardisten, welche die Wache
in der Caserne hatten, sich nicht abschrecken ließen, uns sehen und
sprechen durften, wobei ein hölzernes Gitter sie von uns trennte.

Dennoch brachte ich die Wochen meines Aufenthaltes in Madrid so
angenehm zu, wie unter solchen Verhältnissen irgend möglich wurde. Ich
hatte von der Heimath her Empfehlungen in Madrid vorgefunden, wodurch
ich, da Geld und Connexionen dort unumschränkt herrschen, leicht die
Erlaubniß erlangte, Alles, was zur Verbesserung meiner Lage dienen
konnte, herbeizuschaffen und selbst Besuche in einem besondern Zimmer
zu empfangen; auch den gefangenen Cameraden konnte ich so zuweilen
nützen. Daher bedauerte ich nur, den Aufenthalt in der Hauptstadt nicht
zum Kennenlernen ihrer Merkwürdigkeiten benutzen zu dürfen. Wohl wäre
es leicht gewesen -- und es wurden mir wiederholt deshalb Anerbietungen
gemacht -- gegen Caution die Stadt als Gefängniß angewiesen zu
bekommen; doch würde ich mich nur unter steter Gefahr von Seiten des
niedern und hohen Pöbels in den Straßen gezeigt haben; auch hielt ich
für erbärmlich, meine Genossen in so trauriger Lage zu verlassen, um
selbst der Freiheit mich zu erfreuen oder gar dem ihnen drohenden
Geschick mich zu entziehen. Denn auch ihr Leben war fortwährend
bedroht: tobende Haufen umwogten oft während der Nacht mit Blutgeschrei
die Caserne, und Truppen mußten aufgestellt werden, die Erstürmung zu
verhindern. Eines Abends ward auch die Wache plötzlich abgelöset und
durch Linientruppen ersetzt, da ein Zufall die Verschwörung verrathen
hatte, durch die wir in jener Nacht unter Mitwirkung der Wache habenden
Compagnie sollten ermordet werden, die dem zweiten Bataillone der
National-Garde angehörte, berüchtigt wegen hundertfach wiederholter
Aufstände und Emeuten.

Da ward uns eines Abends die Nachricht, daß wir am folgenden Tage
nach dem südlichen Spanien abmarschiren würden: die National-Garde
und der ganze Pöbel war so aufgeregt, und das Gouvernement fühlte
sich ihnen gegenüber so schwach, daß es durch unsere Entfernung dem
Sturme vorzubeugen suchte. Am Mittage des 6. Septembers verließen wir
Madrid. Wieder umrasete uns das Volk, wieder mußten die Truppen, von
denen jetzt ganze Infanterie- und Cavallerie-Regimenter die Straßen und
die Zugänge besetzt hielten, mit Gewalt den Durchgang durch die dicht
gedrängten Haufen uns erzwingen, und einzelne Pistolenschüsse fielen
unter dem Jubel der Menge, ohne jedoch Schaden zu thun. Die Scenen um
uns her waren widrig empörend. Einige Nationale schlugen zwei junge
Damen nieder, da sie ihrem Vater und ihrem Bruder, die, Oberst und
Lieutenant im Genie-Corps, mit uns fortgeführt wurden, Adieu zuzurufen
wagten, und das Volk zollte durch laute Bravos der Brutalität Beifall.

Entsetzlich war der Marsch jenes Tages; nie wohl verlor ich mit der
physischen so ganz die moralische Kraft, nie war ich so abgestorben für
Alles, Alles, bis auf das augenblickliche Dulden. Furchtbar glühend,
sengend stand hoch die Sonne über uns, glühend, wie nur Madrid’s
Hochebene sie kennt; kein erfrischendes Lüftchen regte sich, kein Baum
war da, Schatten zu geben, der Staub wirbelte in dicken Wolken unter
den Füßen der Colonne auf, Erstickung drohend, und umsonst schaute das
matte Auge nach einem Tropfen Wasser umher. Noch schwach vom langen
Krankenlager, dessen Wirkung durch die ihm folgende Einkerkerung
keineswegs verwischt war, widerstand ich kaum; stumpf, zusammensinkend
schleppte ich mich vorwärts und stürzte, so wie Halt gemacht wurde
-- jede Viertelstunde -- auf den Boden, unempfindlich für Alles im
Gefühle des schrecklichen, tödtenden Durstes. Da bot ich Piaster, Gold,
Alles, was ich besaß, für ein Glas, für einen Trunk Wasser, selbst
für einen Trunk Wein; und Jedermann drückte den Schlauch, der etwa
noch einige Tropfen enthalten mochte, gierig ängstlich an sich; da
hatte auch das Gold seine Allmacht verloren. Und da wir endlich das
Ziel des Tagemarsches erreichten, ward Übermaß so verderblich, wie die
Entbehrung vorher. Wir ergriffen mit unmäßiger Hast die dargebotenen
Krüge, um in einem Zuge sie zu leeren und wieder und wieder zum Füllen
sie hinzureichen; und immer dauerte unbefriedigt, unersättlich die Gier
nach Wasser fort, so daß wir selbst trinkend mit Neid den Gefährten
trinken sahen. Bis dahin wußte ich nicht, was Durst sei.

In Aranjuez, durch liebliche Gärten und ein schönes Schloß
ausgezeichnet, überschritten wir den Tajo, der dort noch weit von der
majestätischen Ausdehnung entfernt ist, in welcher er dem Meere seine
Gewässer zuführt; dann rasteten wir in Ocaña, wo die Franzosen die
fast zwei Mal so starken Spanier in der festesten Stellung gänzlich
schlugen. Schon breiteten sich vor uns die weiten Ebenen der Mancha
aus, bekannt als Don Quixote’s Vaterland. Ermüdet schweifte der Blick
über einförmige Sandflächen hin, die selten vom matten Grüne eines
Baumes belebt wurden, Tagereisen lang ward keine Quelle, kein Brunnen
sichtbar, in dem der Wanderer seinen Durst löschen könnte, und viele
Stunden weit liegen die elenden Dörfer von einander entfernt. Die
Bewohner der Mancha machen eben so traurigen Eindruck und flößen den
tiefsten Schmerz über die Degradation des Menschen ein. Nirgends fand
ich sie so gesunken, wie in einem Dörfchen, las Cuevas[39] -- die
Höhlen --, dessen Wohnungen in den oben bedeckten Spalten eines Felsen
bestanden, welcher dicht neben der Heerstraße sich erhob. Die Kinder,
augenscheinlich bis zum Alter von vierzehn oder funfzehn Jahren,
spielten ganz nackt auf der Straße, mit hellem Kreischen entfliehend,
da wir naheten, während ihre Eltern, in jämmerliche Lumpen gehüllt,
die kaum ihre Blöße deckten, und von widerlichem Schmutze starrend,
dumm uns angafften und sich bekreuzten. Ohne einen Begriff von allem
nicht rein Thierischen vegetiren diese Unglücklichen hin, ein elendes
Geschlecht. Wie ist es möglich, daß der Mensch so entsetzlich tief
sinke! Unmöglich scheint es, daß ein so schmerzliches Schauspiel,
so beschämend in dem hochgebildeten Europa, wenige Meilen von einer
Hauptstadt, die mit Aufklärung und Civilisation prahlen mag, Auge
und Gefühl entsetzlich verletzen dürfe. In der That verdient nur die
Chaussée auf der ganzen weiten Strecke gerühmt zu werden, und neben ihr
-- welcher Jammer, welche Erniedrigung, an der Tausende und Tausende
kalt vorüber fliegen, höchstens mit Eckel den Blick wegwenden, statt zu
helfen!

Nachdem wir die Guadiana überschritten, wo sie unter die Erde
verschwindet, um sieben Stunden weiter eben so mächtig sich wieder
Bahn zu der Oberfläche zu brechen, und da wir Valdepeñas lieblich
leichten Wein getrunken hatten, sahen wir endlich fern die dunkeln
Massen der Sierra morena -- der gebräunten Kette -- sich erheben,
welche den unzähligen Räubern, die stets die südliche Hälfte Spaniens
überschwemmten, so viele und unzugängliche Schlupfwinkel darbietet, daß
Ferdinand VII., um von dem kühnsten zugleich und edelsten derselben
das Land zu befreien, einen Vertrag mit ihm abschloß, durch den der
König dem Räuber lebenslängliche bedeutende Pension zusicherte. Den
Edelsten nenne ich José Maria, und wahrlich als Räuber -- als Mann,
welcher der Gesellschaft, dem Gesetze Krieg erklärt hat -- verdient
er ungeschmälert die höchste Bewunderung, welche ihm als freiwilligem
oder unfreiwilligem Mitgliede der Gesellschaft versagt bleiben mußte.
Anhänger der Theorie der Menschenrechte und Gleichheit, ließ er die
praktische Anwendung derselben, so viel in seinen Kräften, sich
angelegen sein; er beraubte nur Reiche, vorzugsweise solche, die ihre
Schätze ungerecht erworben oder die lieblos sie verwendeten, und er
beeilte sich, den Armen, welche er traf, seine Beute auszutheilen,
für sich selbst ganz uneigennützig. Die niedere Classe betete seiner
Großmuth und Freigebigkeit wegen ihn an und opferte Alles für ihn,
wodurch er den Jahre lang ihn verfolgenden zahlreichen Truppen
trotz ihrer verzweifelten Anstrengungen -- den Chefs derselben ward
endlich Absetzung, selbst Tod gedroht, wenn sie ihn nicht einfingen
-- entgehen und seine Macht so ausdehnen konnte, daß eine Zeile von
ihm hinreichte, um reiche Müssiggänger zur Lieferung des Geforderten
zu bewegen. Doch lasse ich die spanischen Räuber, denn ich würde nie
enden, wollte ich von ihnen erzählen. Wir durchkreuzten bald die wilden
Schluchten des Gebirges, die Felsen und Abgründe, über die kühn die
Straße geführt ist. Bei dem Anblick dieser Gebirgsmassen regte sich
der alte Geist in mir; ich sah auf die kleine, sorglos einherziehende
Bedeckung und betrachtete dann die kräftigen Gestalten der dreihundert
Gefangenen: wohl bemerkte ich sehnsüchtige Blicke auf die wilden Felsen
geworfen, und ich glaubte das Blitzen des kühnen Entschlusses in den
dunkel glühenden Augen zu entdecken. Doch der Zug ging ruhig und
ununterbrochen fort; der Charakter, die Seele des Spaniers entsprechen
selten dem Eindrucke, welchen ihre stolze, scharf gezeichnete
Physiognomie hervorbringt. Ich warf einen Blick auf den noch immer
regungslosen Arm, der jede rasche Bewegung mir hemmte: es war
unmöglich, der Versuch wäre Tollheit gewesen und mußte augenblickliches
Verderben nach sich ziehen. Langsam, in hoffnungslosem Schmerze folgte
ich den Gefährten.

       *       *       *       *       *

Der Marsch durch die Mancha war unheilsvoll gewesen. Mehrere Gefangene,
auch ein Soldat der Christinos, waren von der sengenden Hitze erstickt
todt auf der Heerstraße niedergesunken, andere starben erschöpft in den
Nachtquartieren oder in den Dörfern, in denen sie mußten zurückgelassen
werden, und die Hospitäler aller Städte, die wir durchzogen, wurden
angefüllt durch die Unglücklichen, welche in ihnen die Kraft zu
weiterem Marsche, weiterem Dulden suchen sollten. So wie wir aber die
Sierra morena erstiegen hatten, fühlten wir uns neu belebt durch den
Hauch der milden, lieblichen Lüfte Andalusien’s, dessen Schönheit ich,
ach! nur ahnen durfte; selbst als Gefangener empfand ich den Reiz des
herrlichen, nie genug gerühmten Landes. Ich bewunderte la Carolina,
nebst mehreren anderen Städtchen am Fuße des Gebirges von deutschen
Ansiedlern erbaut, regelmäßig mit schnurgeraden Straßen und freundlich
winkenden Häusern. Wenn gleich die jetzigen Bewohner der Geburt und der
Sprache nach Spanier sind, tragen doch die reichen Gefilde rings umher
das Gepräge deutscher Thätigkeit und Sorgfalt, die mit den einfachen
Sitten ihrer Vorfahren in den Nachkommen fortleben. Dann rasteten
wir einige Tage in Baylen, wo Dupont’s Divisionen den Spaniern sich
ergaben, überschritten bei Andujar den Guadalquivir und zogen dem
alterthümlichen Cordova zu, welches einst die siegreichen Carlisten in
seinen Mauern gesehen hatte. Einen Tag brachten wir dort in eben dem
Forte zu, in dem die Besatzung vor Gomez die Waffen streckte, da es,
ein ausgedehntes massives Gebäude, nun als Gefängniß benutzt wurde.
Von dort wurden wir nach Sevilla geführt, fortwährend den Guadalquivir
cotoyirend, dessen hohe, abgerissene Ufer, wiewohl der Fluß nun sanft
und wohlthätig dahinströmte, die furchtbaren Wassermassen verrieth,
welche in anderer Jahreszeit den Gefilden Verderben bringend sein
Bett zerwühlen. Alle, auch die bedeutendsten Flüsse der pyrenäischen
Halbinsel theilen diese Eigenschaft der Berggewässer; während sie im
Sommer an vielen Punkten zu durchwaten sind, toben sie, wenn häufige
Regen oder der schmelzende Schnee der Gebirge ihnen Nahrung geben, in
weite Landseen verwandelt und rings die Thäler verwüstend, wild dem
Meere zu. Häufig wurde ich unangenehm überrascht, wenn ich die Flüsse,
welche ich als die ersten Spaniens in der majestätischen Pracht der
deutschen Ströme mir dachte, fast trockenen Fußes passiren konnte;
ja bei unserem Abmarsche von Madrid war in dem Manzanares nicht ein
Tropfen Wasser sichtbar.

Wie wir dem Königreiche Sevilla naheten, breitete die Landschaft in
immer größerer Schönheit den bewundernden Blicken sich aus. Die Hitze
war eben so groß wie in der Mancha und doch wie verschieden: ein
frischer Wind, regelmäßig zwischen neun und zehn Uhr wiederkehrend,
hauchte während der Gluth der Mittagsstunden von der See her
erquickende Kühlung; Flüsse und Quellen bieten im Überfluß ihren
Labetrunk, und die schneeweißen Dörfer und Landhäuser, überall durch
die Felder zerstreut, laden freundlich den müden Reisenden zur Ruhe
und Erholung ein. Die Wege, auf dem wellenförmigen Boden sanft auf-
und niedersteigend, sind mit duftenden Stauden, mit Stachelfeigen
und mannichfachem Caktus eingefaßt, und eben diese Pflanzen dienen
mit ihren langen Stacheln und schneidenden Blättern zum Schutze der
Felder. So oft der Wanderer eine der leichten Höhen erstiegen hat,
weilt sein Auge auf dem lieblichsten Schauspiele, durch welches die
Natur, überschwänglich den Fleiß des Bebauers lohnend, den denkenden
Mann erfreuen kann. Orangen- und Olivenhaine, mit weit ausgedehnten
Weinbergen abwechselnd, bedecken die Hügel bis zum fernsten Horizonte
und zeigen, mit einzelnen Granaten-, Citronen- und Mandelbäumen
oder breitblättrigen Feigen gemischt, die zartesten Nuancen, welche
das wohlthuende Grün in seinen Schattirungen so reich entwickelt.
Reinliche Dörfchen, Landhäuser, kleine Capellen mit den niedrigen,
eleganten Thürmchen und hie und da ein altergraues Kloster, ehrwürdig
von malerischer Höhe das Land überschauend, verschönern das zauberhaft
liebliche Gemälde und erwecken in uns die Erinnerungen und Gefühle, die
so herrlich uns anregen.

Wenn das Land als eines der am meisten von der Natur begünstigten
erscheint, rufen Städte und Einwohner unwillkürlich die Periode uns ins
Gedächtniß, während der diese Provinzen unter der Herrschaft der Araber
unserem Welttheile entfremdet waren. In Andalusien war der Hauptsitz
der kühnen Morgenländer, in seinen vier Königreichen trotzten sie am
längsten der stets wachsenden Macht der Christen, bis mit Granada’s
Fall ihre letzte Hoffnung vernichtet, ihr letztes Bollwerk genommen
war. Da erst entschlossen sich die trauernden Reste der Eindringlinge,
im nahen Afrika den Schutz ihrer Glaubensbrüder anzuflehen, die längst
zur theuren Heimath gewordene Eroberung den gehaßten Feinden zu
überlassen.

So ist es nicht zu bewundern, daß der Andalusier das orientalische
Blut, welches lange Berührung und Verschmelzung mit dem Araber ihm
mittheilte, noch jetzt nicht verleugnet, und daß Gebräuche und Sitten
der Vorfahren nur langsam mit denen der Abendländer sich mischen und
von ihnen verwischt werden. Dunkelgebräunt, ernsten Blickes, zeigt er
in seinen Zügen die majestätische, schwermüthige Ruhe, die plötzlich in
wildeste Leidenschaftlichkeit ausbricht, wenn seine Würde, sein Stolz
verletzt werden, oder wenn unerwartete Hindernisse seinen Wünschen
entgegenstehen. Eifersüchtig bis zur Raserei flattert er doch gern von
Blume zu Blume; zugleich ist er verstellt im höchsten Grade und scheut
sich nicht, jedes Mittel zur Erreichung seines Zweckes anzuwenden.
Die Frauen, mit jener Schönheit des Südens begabt, die Viele für den
Augenblick unwiderstehlich anzieht, die aber nie auf immer zu fesseln
vermag, suchen ihren höchsten Stolz, ihr Glück darin, zahllose Anbeter
zu ihren wunderbar zarten Füßen zu sehen, und die Beschäftigung ihres
Lebens besteht in den Künsten, durch die sie über die Nebenbuhlerinn
den Sieg davon zu tragen hoffen. Kein Opfer ist ihnen zu groß, um
solchen Triumph dadurch sich zu bereiten. Doch ich thue Unrecht, diese
Eigenschaften als nur den Andalusierinnen angehörend hinzustellen,
da alle ihre spanischen Schwestern gleichen Anspruch darauf machen
dürfen; was aber unter diesen auf die höheren Classen, die feine
Welt, beschränkt bleibt, während da, wohin solche Verfeinerung nicht
gedrungen, auch die Sittenreinheit nicht ganz gewichen ist, das ist den
Andalusierinnen allgemein, es ist ihnen eigenthümlich und angeboren.

Auch in dem Äußern der Städte hat die Ähnlichkeit mit denen des Orients
sich bewahrt und drängt sofort der Beobachtung sich auf. Die Häuser,
ohne Ausnahme schneeweiß, zeigen noch nach der Straße hin die kleinen,
mit Eisengittern geschlossenen Fensterchen, durch welche muhamedanische
Eifersucht die Tugend der Weiber zu sichern hoffte; nur in den größten
Handelsstädten haben weite Balkonfenster ihre neidischen Brüder zu
verdrängen vermocht. Die flachen Dächer sind mit duftenden Blumen
geschmückt, oft ganz in Gärten verwandelt und laden freundlich zum
Genusse der frischen Abendluft, während in den größeren Gebäuden weite
Marmorsäle und kühlende Springbrunnen in die Zauberpaläste der Sultane
uns versetzen.

Das prachtvolle Sevilla lag vor uns, berühmt durch sein Clima, seine
Gärten und die Tertulias mit den reizenden Frauen, die in schmachtender
Schönheit die übrigen Töchter Spaniens weit überstrahlen. Schon dehnte
der Guadalquivir, ein weiter Meeresarm, in stolzer Breite sich aus,
bedeckt mit zahllosen Fahrzeugen, die in jeder Größe und Gestalt, von
dem Handelsschiffe, welches reich mit Indiens Schätzen beladen nach
Monate langer Fahrt von dem fernen Manila heimkehrte, und dem alle
Hindernisse im gleichmäßigen Fluge besiegenden Dampfschiffe bis zum
Fischernachen oder der anmuthigen Gondel, die tausendfachen Bedürfnisse
der Sevillaner zu befriedigen bestimmt sind. Jenseit des Flusses erhob
sich die Kuppel der prachtvollen Kathedrale, kühn den Wolken zustrebend
und von den Spaniern als Meisterwerk ihrer Architektur hoch geschätzt.
Die niederen Thürme der zahllosen Kirchen und Klöster umringten sie,
mehr ihre Herrlichkeit hervorhebend, wie die Edlen den verehrten
Herrscher, während die dichte Masse der Häuser, dem treuen Volke
gleich, vertrauensvoll zu den Füßen der erhabenen Königinn ruhte, in
deren Glanz und Größe sie ja sich selbst verherrlicht sieht.

Ein altes Kloster nahm uns auf, von Außen abschreckend in seinem
grauen, düstern Braun; da wir aber den innern Hof betraten, mit Orangen
und Cypressen geschmückt, überraschte mich der Ausdruck der Eleganz
und Pracht, die das Innere fast aller spanischen Klöster auszeichnen,
den Reichthum verkündend, durch den sie den Haß des Volkes auf sich
zogen. In bitterer Mißstimmung brachte ich die kurze Zeit hin, welche
wir in Sevilla’s Mauern zurückgehalten wurden. Konnte es anders sein,
da ich verdammt war, die Hauptstädte der schönen Halbinsel zu betreten,
die Gegenden zu durchwandern, deren Schilderung so oft mein Interesse
erregt und die lebhafte Sehnsucht, sie kennen zu lernen, in mir
angefacht hatte; da ich nun verdammt war, sie nur zu durchwandern, ein
Gefangener, dem der Genuß so vieler Reize versagt war, da ich gerade
hinreichend sie sehen durfte, um den harten versagenden Zwang auf das
bitterste mich fühlen zu lassen.

Wir durchschnitten, wieder auf das linke Ufer des Guadalquivir
zurückkehrend, die herrliche Ebene zwischen Sevilla und Xerez de la
Frontera, aßen das unübertreffbare Brod von Alcalá de los Panaderos,
durch die ganze Halbinsel als Leckerbissen verkauft,[40] und rasteten
in las Cabezas, welches in der Geschichte traurige Berühmtheit
erlangte, indem dort die Revolution von 1820 ausbrach, durch die das
Heer, welches, zur Bekämpfung der aufgestandenen Colonien bestimmt,
den Befehl zur Einschiffung erwartete, die Waffen gegen seinen König
wandte und die Constitution proclamirte, die erst der Einmarsch der
französischen Armee umstürzte. Dann bewunderte ich, da ein deutscher
Kaufmann, den Wache habenden Officier zu Gaste ladend, mich nach seiner
Wohnung führen durfte, das freundliche Xerez, schön und anmuthig wie
der Wein, den seine fruchtbaren Umgebungen erzeugen, und bald sahen
wir von dem Puerto de Santa Maria aus unsern endlichen Bestimmungsort
-- Cadix -- aus den Wogen auftauchen, glänzend weiß in der Morgensonne
weithinleuchtend, stolz in der Erinnerung seiner früheren Größe.
Wiewohl die Entfernung zu Wasser kaum zwei Stunden beträgt, mußten wir
der sechs Leguas langen Landstraße über den Puerto Real und die Isla de
Leon folgen, deren berühmte Caserne, die geräumigste und prachtvollste
des Königreiches, der Angabe nach für 18000 Mann eingerichtet, eine
Nacht uns beherbergte. In ihr fanden wir einige Tausend unserer
armen Burschen im entsetzlichsten Elende schmachtend und doch
unerschütterlich fest; blutenden Herzens verließen wir sie, ach! ohne
helfen zu können. Mit Thränen in den Augen begrüßten mich mehrere Leute
meiner Compagnie, die gleich mir verwundet in Gefangenschaft gerathen
waren. Meine Lage war beneidenswerth, mit der ihrigen verglichen.

Am folgenden Tage zogen wir nach der berühmten Festung, einer der
wenigen Spaniens, deren Napoleon’s Schaaren nie sich bemächtigen
konnten. Cadix, wenn auch seit dem Verluste der amerikanischen Colonien
und dem damit verbundenen Fallen des Handels von der Größe und dem
Reichthum gesunken, die einst zur ersten Handelsstadt von Europa
es machten, zeichnet sich stets durch die Schönheit, die liebliche
Zierlichkeit aus, die nebst seinem unermeßlichen Wohlstande den Namen
der ~tasa de plata~ -- der Silbertasse -- ihm erwarben. Ein
anziehendes Denkmal des geschwundenen Glanzes hat es den lebhaften, die
Schätze aller Zonen und aller Welttheile in ihm aufstapelnden Verkehr
sich entrissen gesehen, den seine Lage ihm auf immer zu sichern schien.
Aber die mannigfachen Annehmlichkeiten, die das Clima, gemildert durch
den wohlthätigen Einfluß des Meeres, welches die Stadt umwogt, ihr zu
geben vermochten, und die herrliche Lage der schönsten Provinz Spaniens
gegenüber sind ihr mit dem Verluste des Handels nicht genommen;
noch immer bleibt der Ausspruch des phantastisch genialen Dichters
Britanniens wahr, der Cadix als die reizendste der Städte rühmt.

Durch seine Lage auf einer kleinen Felseninsel wird Cadix zur
außerordentlich starken Festung gemacht, während die Nähe des festen
Landes ihm erlaubt, den höchsten Einfluß auf die dortigen Ereignisse zu
üben, wie in den Kriegen und Umwälzungen, welche in diesem Jahrhunderte
die Halbinsel zerrütteten, mehrfach sich bewährt hat. Die Entfernung
von der Küste reicht hin, um gegen eine Belagerung von dort aus wie
gegen die Wirkung auch der schwersten Kanonen die Stadt zu sichern,
doch vermögen große Mörser ihre Geschosse bis zu ihr zu schleudern; so
verursachten die Franzosen in dem einen Stadtviertel, bis in welches
sie ihre Bomben trieben, einige Verheerung, da sie die gewaltigen
Mörser, welche später als Trophäe nach England gebracht wurden, nahe am
Strande aufgepflanzt hatten. Eine zwei Stunden lange, schmale Landenge
verbindet die Festung mit der Isla de Leon und der auf derselben
liegenden Stadt San Fernando, die, gleichfalls stark befestigt und
durch einen Wassergraben ganz vom Lande getrennt, als Außenwerk von
Cadix betrachtet werden darf. Jene Enge, künstlich erhoben, ist so
schmal, daß die auf ihr hinlaufende Chaussée zu beiden Seiten vom Meere
bespült und zur Zeit der höchsten Ebbe von grundlosem Moraste umgeben,
oft aber von den Wellen bedeckt ist; sie wird durch starke Cortaduras
-- Abschnitte -- gedeckt und kann in wenigen Minuten ganz vernichtet
werden.

Noch gehören mehrere bedeutende, zum Theil auf abgesonderten Inselchen
angelegte und hauptsächlich zur Deckung des Zuganges zum Hafen
bestimmte Forts in das Vertheidigungs-System der Festung, welche,
so lange der thätige Erfindungsgeist nicht mit neuen, furchtbareren
Angriffsmitteln uns bekannt macht, als von der Landseite aus unnehmbar
betrachtet werden darf.

So war ich endlich auf dem Punkte angelangt, der nach dem furchtbar
mühevollen Marsche noch traurigere Ruhe mir gewähren sollte. Nachdem
wir einige Tage in dem Stadtgefängnisse, einem der ausgezeichnetsten
Gebäude der Stadt, zugebracht hatten, wurden wir nach den Casematten
gebracht, die vom Meere bespült und schauerlich feuchtkalt zu unserer
Aufnahme bestimmt waren. In tiefe Kerker, die durch die Thür Licht
und Luft erhielten, waren je dreißig bis vierzig gefangene Officiere
eingeschlossen, während die Unterofficiere und Soldaten in der
großen Caserne von la Isla zurückblieben. Unter den Unglücklichen,
die abgezehrt und bleich uns zu begrüßen kamen, fand ich einige der
Cameraden, die mit mir aus den baskischen Provinzen abmarschirt waren,
und viele andere, welche wir dort zurückgelassen hatten, mißmuthig über
die Entscheidung, die sie noch unthätig zu bleiben verdammte. Tief
bewegt lernte ich die unendlichen Leiden kennen, die sie bestanden,
und vernahm die Kunde von dem rühmlichen Tode so Vieler, die ich einst
trauernd scheiden sah, deren Glück ich oft beneidet hatte; mit innigem
Schmerze hörte ich die Schilderung von dem Untergange der kleinen,
schönen Division, da sie, wie die Tausende anderer Braven, nutzlos dem
unvermeidlichen Verderben geweiht war.

  [39] Nicht mit dem gleichnamigen Dorfe der Provinz Cuenca zu
       verwechseln, in dem ich gefangen genommen war.

  [40] Ferdinand VII. ließ Bäcker, Mehl, Wasser und alles zum Backen
       Nöthige von Alcalá nach Madrid bringen, ohne doch so gutes Brod
       dort schaffen zu können; die Luft soll Schuld daran sein. Jenes
       Brod ist in der That schöner als das beste Biscuit und wird auf
       Maulthieren nach Lissabon, Madrid und selbst Barcelona versendet.



XVI.


Don Basilio Garcia war, wie ich früher erwähnte, von der Hauptarmee der
Nordprovinzen in den letzten Tagen des Jahres 1837 entsendet worden,
um in der Provinz Cuenca und in la Mancha,[41] zu deren commandirendem
General er ernannt war, zu operiren, die dort existirenden zahlreichen
Carlisten-Guerrillas zu vereinigen und durch bessere Organisation
dem Feinde sie furchtbar zu machen. Er sollte daher zuerst nach
Aragon ziehen, da Cabrera Befehl hatte, eine seiner Divisionen Don
Basilio zu untergeben. Oráa vereitelte, indem er in Daroca sich
aufstellte, den Versuch der Division, von Calatayud aus nach Cantavieja
durchzudringen, und schob sie, auf der Straße nach Teruel ihren Marsch
cotoyirend, nach der Provinz Cuenca, wo wir am 13. Januar 1838 auf die
Verfolgungs-Division Uribarri trafen und, von der Übermacht erdrückt,
geworfen wurden.

Von Aragon abgeschnitten wandte sich Don Basilio in forcirten Märschen
nach der Mancha und erreichte die Sierra von Toledo, wo er sofort eine
kleine gegen Palillos operirende Colonne ganz vernichtete. Wenige Tage
später begegnete er, ohne daß einer der beiden Anführer von des andern
Expedition Kunde gehabt hatte, dem Corps des Brigadier Tallada von
der Armee Cabrera’s; es war von Chelva zu einem Zuge nach der Mancha
und Andalusien abmarschirt. Don Basilio wünschte, daß diese Division
sich ihm anschließen möge, weßhalb er, da Tallada, dessen Truppen
weit zahlreicher waren, gar keine Neigung zeigte, ohne besonderen
Befehl Cabrera’s sich ihm unterzuordnen, so weit nachgab, daß sie
gemeinschaftlich die Leitung des Corps übernehmen wollten, bis Cabrera
entschieden habe, welche seiner Divisionen dem königlichen Befehle
gemäß zu Don Basilio’s Disposition gestellt sei. Die beiden Chefs
durchzogen darauf die Mancha, überstiegen die Sierra morena und drangen
in das Königreich Jaen -- Andalusien -- vor, wobei Tallada durch
gelegentliche Eigenmächtigkeiten seine Selbstständigkeit schien darthun
zu wollen.

Am 3. Februar stand seine Division, 3500 Mann Infanterie in fünf
Bataillonen und 300 Pferden stark, in Baeza, die der Nordarmee, nur
1600 Mann Infanterie und 140 Pferde, in dem drei Viertelstunden
entfernten Ubeda, nahe dem Guadalquivir, als Don Basilio die Nachricht
erhielt, daß General Pardiñas, der das Commando der Colonne Uribarri’s
übernommen, verstärkt durch die mobilen Truppen der Mancha über den
Paß des Despeñaperros die Sierra morena überschritten habe und zum
Angriffe heranziehend in la Carolina angekommen sei. Er ließ sofort den
Brigadier Tallada auffordern, entweder durch einen forcirten Marsch dem
Feinde entgegenzugehen und ihn überrascht anzugreifen, oder, was er
selbst rieth, durch einen Nachtmarsch in den Rücken der Christinos sich
zu werfen, den Paß des Despeñaperros zu besetzen und so, Andalusien
und die Mancha zugleich bedrohend, jeden Umstand zu benutzen. Tallada
antwortete, seine Truppen bedürften der Ruhe, und wies auch den Antrag,
eine concentrirte Stellung bei Ubeda zu nehmen, mit dem Bemerken ab,
daß er dafür einstände, daß der Feind gar nicht an einen Angriff denke.

Bei Tagesanbruch ertönte zugleich mit der Nachricht, Pardiñas sei
wenige tausend Schritte von den Vorposten entfernt, lebhaftes Feuer
von Baeza her. Don Basilio sandte einen Adjudanten an Tallada mit
der Bitte, nur eine halbe Stunde sich zu halten, da er zu seiner
Hülfe herbeifliege. Der Adjudant fand die ganze schöne Division in
furchtbarer Unordnung, wie eine große Heerde von den feindlichen
Massen vor sich her gejagt, Tallada selbst außer sich[42] und erhielt
von ihm, da er ihn aufforderte, seine Leute zu sammeln, die Antwort,
wie er nicht einmal für sich, geschweige für seine Leute einstehen
könne. Erst als die Bataillone der Nordarmee mit Festigkeit den
Sturm der Christinos ausgehalten hatten und selbst durch kraftvolle
Bajonnettangriffe sie zurückdrängten, kam er in Etwas zur Besinnung
und ordnete sein Corps zu geregelterem Rückzuge, dem die Division
Don Basilio’s deckend sich anschloß, zwei Stunden weit bot sie unter
stetem Feuer dem Andrange der feindlichen Infanterie und Cavallerie
die Stirn, bis diese, ohne einen Gefangenen ihr abgenommen zu haben,
die Verfolgung einstellten. Pardiñas schrieb die Rettung des Corps
Tallada’s, welches 300 Gefangene einbüßte, der bewundernswürdigen
Bravour der Truppen Don Basilio’s zu.

Dieser drang in die Provinz Murcia ein. Entsetzliche Leiden
warteten dort der Freiwilligen, indem Regen und Schnee Wochen lang
ununterbrochen auf sie herabstürmten und die Gebirge ungangbar
machten; die Lebensmittel fehlten mehr und mehr, die Leute marschirten
bald barfuß, und ihre Uniformen hingen in Fetzen herab. Da trennte
sich Tallada eigenmächtig von dem Expeditions-Corps, um nach
Valencia zurückzukehren: er ward am 27. Februar, da er eben den
Jucar überschritten hatte, von Pardiñas in Castriel überfallen,
nach der gänzlichen Vernichtung seiner Division gefangen und der
Gerechtigkeit gemäß erschossen. Don Basilio aber, da die geringen
Streitkräfte, welche ihm blieben, durch die Drangsale täglich mehr
zusammengeschmolzen waren, wandte sich wieder nach der Mancha und
vereinigte sich mit den dort hausenden Partheigängern.

       *       *       *       *       *

Drei Cabecillas hatten sich in diesem Theile Neu-Castiliens besonders
hervorgethan: Jara hatte einige tausend Mann Infanterie gebildet, d. h.
Bauern gesammelt, die nicht exercirt und ohne Uniform größtentheils mit
Büchsen und Jagdflinten bewaffnet waren; Orejita führte ein Bataillon
und etwa funfzig Pferde; Don Vicenta Rojero -- Palillos genannt --
commandirte mehrere Escadrone Reiter, deren Zahl den Umständen nach
zwischen sechshundert und tausend schwankte. Diesen Chefs schlossen
sich mehrere Partheigänger an, die gewöhnlich in Estremadura sich
aufhielten, aber häufig nach der Mancha hinein streiften und
gleichfalls 800 bis 1000 Pferde vereinigen konnten.

Alle diese verschiedenen Banden nannten sich Carlisten und wollten für
eifrige Verfechter der Religion gelten, während sie die Sache, welche
sie zu vertheidigen vorgaben, durch fluchwürdige Excesse schändeten.
Ich spreche nicht davon, daß sie die Feinde, welche in ihre Hände
fielen, unbarmherzig opferten: sie thaten Recht daran. Wie konnten
Männer anders verfahren, die, weil sie schwächer waren, durch die
Gegner von den Wohlthaten jedes Vertrages ausgeschlossen wurden, die
Alles, was ihnen angehörte, ihnen nahestand, getödtet, verwüstet und
vernichtet sahen? Früher habe ich erzählt, durch welche Gräuel die
Christinos den Aufstand in diesen Provinzen zu unterdrücken suchten;
sie konnten nach solchen Schauder erregenden Thaten nie Schonung
erwarten. Nein -- wenn jene Männer, zur Raserei getrieben, mit Feuer
und Schwerdt gegen die Liberalen das Werk der Rache übten, handelten
sie nur gerecht und erfüllten ihre Pflicht; denn da wäre Milde und
Verzeihen zur verächtlichen, unvermeidliches Verderben nach sich
ziehenden Schwäche geworden.

Aber Entehrung häuften sie auf sich selbst, und sie schändeten
die Sache, für die sie zu kämpfen vorgaben, indem sie ihrer
Rache Wuth von den Erbärmlichen, die sie hervorgerufen, auf das
ganze Menschengeschlecht ausdehnten und -- zu Räuberbanden sich
erniedrigten. Von ihren Gebirgen aus -- denn auch die Reiter hatten
ihre Zufluchtsorte in den schroffsten Gebirgen gesucht, welche die
prachtvollen Pferde mit erstaunlicher Ausdauer auf und ab kletterten
-- durchstreiften sie die umliegenden Provinzen, mordeten und
brannten; sie plünderten die Reisenden und die Waaren, welche nur in
großen Convoys mit Bedeckung von Truppen transportirt werden konnten,
schleppten die Gefangenen in ihre Schlupfwinkel und ermordeten sie,
wenn nicht bald reiches Lösegeld aus ihren Händen sie rettete.
Auch die unglücklichen Bauern blieben nicht verschont. Ihre Ernte
wurde häufig zum Futter abgemähet und fortgebracht, wenn nicht gar
muthwillig zerstört, die Maulthiere auf dem Felde aufgefangen und
erst gegen Auszahlung großer Summen herausgegeben. So sanken diese
Banden zu verzweifelten Räubern im ganzen Sinne des Wortes herab,
die, wo sie erschienen, Tod und Elend in ihrem Gefolge führten. Die
Carlisten, d. h. die Männer, welche in den regelmäßigen Heeren für die
Aufrechthaltung der Rechte ihres Königs ehrenvollen Kampf kämpften,
wollten natürlich nie jenen Schaaren der Mancha den Ehrennamen von
Carlisten zugestehen. Die Christinos aber benutzten schlau die von
Jenen verübten Gräuel, um den Anhängern Carls V., unter deren
Namen sie verbreitet wurden, den Abscheu der Welt zu erregen.

Übrigens waren diese Banden doppelt furchtbar, durch die hohe
individuelle Bravour, durch welche sie, wiewohl nicht organisirt
und ohne Disciplin, nicht selten den gegen sie operirenden Truppen
verderblich wurden. Vor Allem zeichnete die Cavallerie Palillo’s durch
seltene Todesverachtung, ja Verwegenheit sich aus und erwies dem
Expeditions-Corps während der kurzen Zeit, die es mit ihm vereinigt
blieb, wiederholt große Dienste. Die Bewaffnung der Reiter bestand in
Säbel, Pistolen und dem Trabuco, jenem gefürchteten Carabiner, dessen
Lauf von der Schwanzschraube zu der Mündung allmählich sich erweitert
und mit einer Handvoll Kugeln, oft funfzehn bis zwanzig Stück, geladen
wird. Er kann nur auf geringe Entfernungen gebraucht werden und wird
neben der rechten Seite frei auf dem linken Arm ruhend abgedrückt,
da der Rückstoß anderes Anlegen nicht erlaubt; seine Wirkung ist
ungeheuer, indem die Geschosse wie die Cartätsche einen Streukegel
bilden, der Alles vor sich niederreißt. Die christinosche Cavallerie
ward bei dem Anblicke der Trabucos, mit denen die Palillos unbeweglich
bis auf wenige Schritt ihre Annäherung abzuwarten pflegten, von
panischen Schrecken ergriffen, und es sind Beispiele vorgekommen, daß
ein Mann, mit dieser Waffe versehen, eine Straße oder eine Brücke mit
Erfolg gegen feindliche Detachements vertheidigte.

Solche waren die Banden, welche Don Basilio um sich vereinigen,
denen er Ordnung und Kriegszucht einflößen, die er an regelmäßigen,
ehrenvollen Kampf gewöhnen und dadurch der Sache nützlich machen
sollte, der sie dem Namen nach angehörten. Leider war er nicht der Mann
für so schwierigen Auftrag, der eisernen Willen, Entschlossenheit,
Kraft und -- Glück erforderte. Don Basilio besaß keine dieser
Gaben. Im Anfange freilich, da er nur den Eingebungen der wahrhaft
ausgezeichneten Männer folgte, die ihn umgaben, des Marquis von Santa
Olalla, seines Secretairs, des Oberstlieutenant Alcalde, des Obersten
Fulgocio und so vieler anderer Chefs, die fast ohne Ausnahme auf diesem
für die Division so glorreichen wie unglücklichen Zuge getödtet wurden
oder in Gefangenschaft fielen; da waren seine Maßregeln trefflich, und
der Erfolg schien sie krönen zu wollen. Er nahm das schon von Gomez
eroberte Almaden und in wenigen Tagen fünf andere kleine Forts[43],
an denen alle Versuche der Partheigänger gescheitert waren, wodurch
er ihre Achtung vor seiner überlegenen Macht erzwang. Dann erließ er
strenge Strafbefehle gegen Jeden, der ein Vergehen gegen die Disciplin
oder die geringste Erpressung und Beleidigung der Einwohner sich
zu Schulden kommen ließe. Wer des Diebstahls überwiesen war, wurde
ohne Gnade erschossen, wer ohne Erlaubniß auf eine Stunde sein Corps
verließ, wurde erschossen; die Christinos selbst rühmten, daß Don
Basilio mit ihren Generalen gemeinschaftlich auf die Banditen Jagd
mache, die bisher jene Provinzen infestirten.

Da er so den ersten, dringendsten Schritt gethan, um die Räuber in
Soldaten umzuschaffen, strebte er, möglichst sie zu organisiren und
zugleich zu überwachen, indem er viele seiner besten Officiere unter
die Corps von Palillos, Jara und Orejita vertheilte. Auch wollte er
Einigkeit und Combination in ihre Operationen bringen und hoffte, wenn
er einigermaßen an militairisches Handeln sie gewöhnt, um seine kleine
Division als den Kern ein furchtbares Corps zu bilden, welches im
Innern Castiliens, im wahren Centrum der Monarchie, von entscheidendem
Einflusse auf den Krieg werden mußte. So weit war Alles gut.

Bald jedoch verdarb die Schwäche des Generals, der unglückliche Gang
der Ereignisse und die Abneigung der Cabecillas, was die Kraft kaum
erreicht hatte und nur Kraft erhalten konnte. Orejita war der einzige
unter den Chefs der Mancha, welcher wahrhaft das Beste der Sache im
Auge hatte und daher mit Eifer die Pläne des Generals adoptirte; bald
ward er auf einem Zuge durch den südlichen Theil der Sierra Morena
von überlegener Zahl überrascht, sein noch nicht ganz ausgebildetes
Bataillon von der feindlichen Cavallerie niedergeritten und vernichtet,
er selbst mit fast allen seinen Officieren getödtet. Jara und Palillos
dagegen beugten sich nur gezwungen augenblicklich unter die Zucht, die
Don Basilio etablirt hatte; ein Jeder suchte den Andern zu verdrängen
und bei dem General herabzusetzen, da sie, Beide das Commando in
Anspruch nehmend, die höchste Eifersucht und selbst Haß gegen einander
hegten, der verschiedene Male blutige Streitigkeiten unter ihren
Truppen erzeugt hatte. Beider Streben aber war auf Unabhängigkeit und
auf Abschütteln der lästigen Controle gerichtet, die seit der Ankunft
der Expeditions-Division auf jeder ihrer Bewegungen lastete.

Die Lage Don Basilio’s war in der That schwierig; anstatt aber mit nie
rastender Thätigkeit und Energie lediglich dem ihm vorgesteckten Ziele
nachzugehen, anstatt auf jede Art die beiden Anführer zur Einigkeit
und zum Befördern der einzigen, endlichen Sieg verheißenden Kriegsart
zu bewegen, gab er bald dem Einem, bald dem Andern Gehör, begünstigte
den gerade Gegenwärtigen und regte dadurch die Leidenschaften immer
mehr auf. Vielleicht mochte er glauben, durch Intrigue und Schlauheit
leichter sie zu bändigen, als mit Gewalt, da daraus wohl offene
Widersetzlichkeit ihrer Schaaren gegen ihn und folglich gänzliches
Fehlschlagen des Zweckes seiner Expedition hervorgehen konnte. Nach
und nach gewann Jara, der listig und fein ihm zu schmeicheln wußte,
sein Vertrauen und nahm ihn gegen den geraden, derben Palillos durch
vielfache Verleumdungen ein, bis dieser, über die wiederholt erlittenen
Zurücksetzungen erbittert, zur großen Freude seiner Reiter ganz von Don
Basilio sich trennte. Da machte der General unkluger Weise die Spaltung
auf immer unheilbar, indem er laut drohete, Palillos zu erschießen,
wenn er seiner habhaft würde. Palillos sprach die gleiche Drohung
gegen den General aus und that entschieden feindselige Schritte gegen
die Division, fing auch sein altes Plünderungswesen von neuem an. Don
Basilio ließ mehrere Reiter, die er zerstreut getroffen, füsiliren;
Palillos drohte Repressalien auszuüben: offener Krieg war im Begriffe
auszubrechen. Da erkannte Don Basilio, daß der Zweck des Zuges ganz
verfehlt und nun unerreichbar sei, daß längeres Verweilen in der Mancha
der Sache nur noch schaden könne. Er entschloß sich schweren Herzens,
das Unmögliche aufzugeben und die Rettung der Trümmer seines braven
Corps zu versuchen. Es sollte nur in der Vernichtung das Ende seiner
Leiden finden.

Am 26. März hatte die Miniatur-Division in Valdepeñas auf der großen
Heerstraße von Madrid nach Sevilla und Cadix ein glorreiches Gefecht
bestanden, da sie vom General Flinter, seit seiner Auswechselung nach
Gomez Expedition commandirender General der Mancha, mit 5000 Mann
am Mittage angegriffen wurde; die Christinos hatten alle Zugänge
der Stadt besetzt und mehrere Gefangene in den Häusern gemacht,
ehe -- unglaubliche Nachlässigkeit des Generals! -- die Nachricht
ihrer Annäherung bekannt wurde. Dennoch brachen, als endlich der
Generalmarsch sie aufschreckte, die Bataillone compagnieweise, wie sie
einquartiert waren, durch die Feinde sich Bahn, formirten sich auf
dem Felde in Sturm-Colonnen und kehrten sofort zum Angriffe zurück.
Bis zur Mitte der Stadt drangen sie mit aufgepflanztem Bajonnett vor,
so den größten Theil der Gefährten rettend, welche, da sie vorher das
freie Feld nicht hatten erreichen können, aus den Fenstern der Häuser
die Feinde niederschossen. Nur dreißig Mann Infanterie und fast die
ganze Escadron der Legitimität, welche vom Feinde in ihrem Quartier
überrascht war, fielen in die Hände der Christinos, wogegen die
Division auf dem Rückzuge, den sie unverfolgt bewerkstelligte, vierzig
Gefangene fortführte.

Mehrere Wochen hindurch wurde das Corps in höchst aufreibenden
und schwächenden Märschen umhergeschleppt, während Don Basilio
noch immer die Ausführung seiner Pläne in Bezug auf die Cabecillas
hoffte. Täglich fanden Gefechte mit den überlegenen Feinden Statt,
stets rühmlich, und die Truppen, schon auf 1300 Mann geschmolzen,
zeichneten sich fortwährend durch herrliche Standhaftigkeit und Muth
aus, die leider ihr Führer nicht so kräftig benutzte, wie die Lage
der Dinge unumgänglich erheischte. Er scheute sich, mit dem Feinde
zusammenzutreffen, da Erfolg doch nur durch entschlossenes Angreifen
auch der größten Schwierigkeiten unter solchen Verhältnissen möglich
wurde. Da kam die Trauerkunde von dem Tode Orejita’s; der Bruch mit
Palillos entschied sich; bald langte Jara an -- ohne Corps: seine
Brigade war durch eigene Schuld in ungünstigster Stellung angegriffen,
zersprengt, vernichtet. Jara ward sofort verhaftet und vor ein
Kriegsgericht gestellt. Don Basilio aber, nun ganz auf sich beschränkt,
wandte sich mit den 1100 Mann, die ihm blieben, von vier feindlichen
Divisionen gedrängt und selbst von Palillos angefeindet, nach
Estremadura und drang in die Provinz Salamanca ein, von wo er wohl mit
dem in Alt-Castilien operirenden Corps des Grafen Negri in Verbindung
zu treten hoffte.

In der Nacht vom 3. zum 4. Mai ruhte Don Basilio in Vejar, keines
Angriffes gewärtig, da der Feind am Morgen jenes Tages siebenzehn
Meilen entfernt war; Pardiñas aber, der am nächsten ihn verfolgte,
marschirte die ganze Nacht hindurch und war, von Einwohnern von Vejar
geführt, der Stadt nahe, als die Diana die Carlisten zum Weitermarsch
rief. Bei dem Klange der Trommeln und Hörner stutzten die Truppen,
da sie ihre Annäherung verrathen glaubten; der junge feurige General
stellte sich, ein Gewehr in der Hand, an die Spitze seiner Grenadiere
und forderte sie auf, ihm zu folgen. Die carlistischen Bataillone
marschirten dem Sammelplatze zu, als das Feuer von den Eingängen der
Stadt her die Nähe der Gefahr ihnen verkündete, da die Christinos von
ihren Guiden über Felder und Gärten mit Vermeidung der ausgestellten
Vorposten bis innerhalb der Mauern geleitet waren.

Ein entsetzlicher Kampf entspann sich in den Straßen. Mit fünffacher
Übermacht stürmten die Christinos, ihrem kühnen General folgend,
gegen den Marktplatz; die Carlisten stürzten mit dem Bajonnett ihnen
entgegen, trotz der Überraschung der gewohnten Bravour treu. Aber von
allen Seiten gedrängt sahen sie ihre Reihen schnell gelichtet und
wichen kämpfend; schon betrat Pardiñas den Marktplatz, als er den
Oberst Fulgocio, in Ferdinand’s Garde einst sein Camerad, zu Pferde vor
einigen hundert Mann, den Überresten seiner Brigade, halten sah, zu
festem Widerstand sie ermunternd. „Ergieb Dich, Fulgocio, ergieb Dich!“
rief Pardiñas ihm zu; doch der heldenmüthige Fulgocio, edel wie wenige
Spanier, antwortete laut: „Während mein Schwerdt mich schützt, ergebe
ich mich nicht!“ und sank von Kugeln durchbohrt zur Erde. Seine kleine
Schaar ward nach verzweifeltem Ringen gebrochen und niedergestreckt, da
sie Pardon nicht gab noch forderte; alle ihre Anführer waren vor ihr
gefallen. Zweihundert Mann, die in das Stadthaus sich eingeschlossen,
ergaben sich, als sie ihre letzte Patrone verschossen hatten.

Don Basilio war wie durch Wunder aus einem Fenster seines Logis und
über mehrere Dächer hinweg entkommen, da schon die Thüren des Hauses
vom Feinde besetzt waren. Mit 250 Mann, dem Reste des Corps, welches
durch seine Sorglosigkeit in Märschen und Überfällen -- doch stets
glorreich kämpfend -- vernichtet ward, gelang es ihm, nach Aragon
durchzudringen und der Armee Cabrera’s sich anzuschließen. Alle die
besten Chefs und Officiere der Division, unter ihnen der General
Marquis von Santa Olalla, Chef des Generalstabes, ein Brigade-
und drei Bataillons-Commandeure waren gefallen; Wenige, darunter
Oberstlieutenant Alcalde vom Generalstabe und der Commandeur des
Bataillons von Valencia, Beide verwundet, fielen in die Hände der
Christinos. Auch Jara, der kein gutes Loos erwarten mochte, hatte
freiwillig als Gefangener sich ausgeliefert.

Unter den Todten befand sich mein Chef und Freund, der Commandeur des
7. Bataillons von Castilien, Oberstlieutenant Sabi, fast in jedem
Gefechte verwundet und immer gleich unerschrocken. Mit noch offener
Wunde verließ er die Nordprovinzen, um im Anfange der Action von
Sotoca wiederum von einer Kugel getroffen zu werden. Dann fiel er bei
Valdepeñas in die Gewalt der Christinos, die Brust bis zum Rücken
durchbohrt; gegen einen dort gefangenen Escadrons-Chef ausgewechselt,
so wie er transportirt werden konnte, fiel er an der Spitze von 140
Mann, der kleinen Schaar, die von seinem Bataillon ihm geblieben, als
er, wiewohl noch schwach und ohne Commando, gegen den anstürmenden
Feind sie begleitete. So viele treue Gefährten sanken da in die frühe
Gruft! Von allen Officieren meines Bataillons retteten sich nur zwei
nach Aragon; der eine von ihnen ward dort bei der Belagerung von
Morella getödtet, mir lieb wie ein Bruder. Glücklich, glücklich preise
ich sie: sie ruhen in dem Schooße der Heimath, sie kennen nicht,
wie ihre trauernden Gefährten, den bittern, erdrückenden Schmerz,
verrathen, verkauft dem Monarchen, für dessen Rechte sie ihr Blut
vergossen, in die kalte Fremde folgen zu müssen, ihren König gefangen
schmachten zu sehen und das Vaterland unter dem Joche revolutionairer
Anarchie seufzend zu wissen. Sie errangen sich herrliches,
beneidenswerthes Loos!

       *       *       *       *       *

Seitdem General Guergué nach der Rückkehr des Königs aus Castilien das
Commando der Armee übernommen, war sein Streben darauf gerichtet, so
bald wie möglich den Krieg wieder nach den Provinzen südlich vom Ebro
zu spielen, wozu er, der Navarrese, das Corps von Castilien benutzte.
Drei große Fehler beging er dabei: er entsendete die Expeditionen in
der Jahreszeit, die alles Ungemach ihnen häufen mußten; er entsendete
sie isolirt, ohne ihnen doch die nöthige Stärke zu geben, um für sich
mit Kraft auftreten zu können; und er gab ihnen Führer, die wenig
geeignet waren, solche Nachtheile aufzuwiegen.

Die dritte Division erlag dem Verhängnisse, welches seit dem
Augenblicke des Ebro-Überganges im December 1837 über ihr waltete.
Durch unvorhergesehene Hindernisse aufgehalten, folgten ihr erst im
Anfange März die acht Bataillone Castilianer, welche mit ihr bei
Amurrio die Revue vor Sr. Majestät passirt hatten; das Commando
derselben nebst vier Escadronen und zwei Berggeschützen ward dem
Generallieutenant Grafen Negri anvertraut. Ein prachtvolles Corps, ganz
Ergebenheit für die Sache der Legitimität und Ausdauer und Disciplin --
und wie ging es unter! -- Graf Negri ist ausgezeichnet durch Geburt und
Bildung, unerschütterlich loyal, persönlich brav; aber General war er
nie und am wenigsten der schwierigen Aufgabe gewachsen, die bei solcher
Expedition ihm zu Theil wurde. Welche herrliche, unersetzbare Kräfte
wurden in diesen Zügen nutzlos vergeudet!

Ich werde das Schicksal dieser Expedition nicht in seinen Details
verfolgen: sie sind, wie mehrfach schon geschildert, aus Fehlern und
Elend, Strapatzen und bewundernswürdiger Ausdauer, aus einzelnen
lichten Punkten und namenlosem Unglücke zusammengesetzt. Ein kurzer
Umriß des Geschehenen wird genügen. Bei seinem Auszuge aus den
Provinzen wies Negri den General Latre, der seinem Marsche sich zu
widersetzen eilte, mit Verlust zurück und schlug ihn bald nachher
in dem Gebirge von Santander, wobei Latre selbst verwundet wurde.
Er durchzog dann ganz Alt-Castilien und besetzte Segovia, welches
dieses Mal von den Truppen und Behörden geräumt war; der Zweck dieser
Besetzung ist stets dunkel geblieben, wenn man nicht die Absicht, doch
auch in eine bedeutende Stadt einzuziehen, als Beweggrund annimmt,
denn die Verhältnisse waren sehr verschieden von denen, welche die
Expedition Zariategui’s veranlaßt hatten. Nach wenigen Tagen schon war
Negri genöthigt, Segovia zu verlassen; auf dem Fuße von den feindlichen
Colonnen verfolgt, warf er sich in die Gebirge und erreichte sie kaum,
nachdem er alle seine Jäger-Compagnien eingebüßt, da sie, den Rückzug
der Division deckend, von Infanterie und Cavallerie mit unendlicher
Überzahl angegriffen, umringt und in Masse formirt nach hartnäckigem
Kampfe gefangen oder niedergemacht wurden. Da begann das entsetzliche
Elend. Ohne Lebensmittel, ohne Schuhwerk verlor das Corps Zeit und
Kraft in nutzlosen Hin- und Herzügen durch die Gebirge von Soria und
Burgos, der Regen fiel Tag und Nacht in Strömen, den Truppen ward
nicht Ruhe noch Rast gegönnt; sie verlangten nur zu schlagen und Negri
hieß sie marschiren. Die Castilianer sanken erschöpft zusammen und
rafften sich wieder auf und murrten nicht; ihr Pulver war längst durch
unaufhörliche, Alles durchdringende Regengüsse verdorben, sie waren
waffenlos, vertheidigungslos -- und ergeben folgten sie ihrem Führer;
seit mehreren Tagen marschirten sie ohne Rationen, von Allem entblößt
-- und ihre einzige Bitte war, daß sie gegen den Feind geführt würden,
mit dem Bajonnette das Mangelnde sich zu erringen. Negri hieß sie
marschiren, ohne Rast, ohne Aufhören marschiren.

Espartero war mit seiner mobilen Colonne nach Burgos gezogen und
erwartete dort ruhig den Augenblick, der das kräftig verfolgte
Expeditions-Corps in seinen Bereich bringen und Gelegenheit zum
Vernichtungsschlage ihm geben werde. Am 27. April zogen die Colonnen
Negri’s wenige Meilen von Burgos entfernt durch die Sierra,
verzweiflungsvoll, den Tod im Herzen; da ertönte der Ruf, Espartero
sei nur noch eine Stunde hinter dem Corps zurück: er war von Burgos
aufgebrochen, es abzuschneiden und übernahm, zu spät gekommen,
mit Lebhaftigkeit die Verfolgung. Unbewegt hörten die Truppen die
Schreckenskunde. Umsonst suchte Negri den Marsch zu beschleunigen,
einen hohen Paß zu erreichen, der leicht vertheidigt ferneren Rückzug
sicherte. Die Soldaten schlichen, schon für Alles gleichgültig, den
Weg hinan, sie hatten mehrere Nächte hindurch keine Ruhe, seit acht
und vierzig Stunden keinen Bissen Brod gehabt, der Regen machte jede
Bewegung doppelt lästig. Bald waren die Truppen Espartero’s, die frisch
und kraftvoll Burgos verlassen, im Angesichte des Nachtrabes, sie
hatten den Weg mit Sterbenden und in Schwäche Hingesunkenen bedeckt
gefunden.

Da wollte Negri, der so lange ängstlich den Kampf vermieden hatte, doch
rühmlich untergehen; er ordnete seine Divisionen in Bataillons-Colonnen
zur Schlachtordnung, und die braven Castilianer fühlten sich neu
belebt, da sie endlich stehen und fechten sollten. Rasch dringt
Espartero an der Spitze seiner Cavallerie-Massen heran, er stutzt,
da er auf der kleinen Ebene, das Gebirge im Rücken, die acht dichten
Haufen bewegungslos, drohend dastehen sieht, während die beiden
Escadrone die Flanken zu decken scheinen. Doch schnell entscheidet
er sich zur Charge und stürzt auf die ersten Bataillone, die fest
den Sturm erwarten und, da die Reiter wenige Schritt entfernt, auf
der Führer Stimme Feuer geben. -- -- Die Gewehre sinken aus den
erschlafften Händen: nicht Ein Schuß war erfolgt, da alles Pulver
untauglich geworden. In wenigen Minuten war das unblutige Werk
vollbracht. Graf Negri mit den beiden Escadronen und einigen berittenen
Officieren entfloh unverfolgt und gelangte nach Aragon; die acht
Bataillone, die treuen, ergebenen Castilianer -- fielen wehrlos in des
übermüthigen Siegers Hand, der auch die Geschütze und Bagage erbeutete.

So ward jenes herrliche Corps von Castilien vernichtet, welches nach
der königlichen Expedition die Hoffnungen der Carlisten von neuem
anregen durfte; seine beiden Theile sanken gleich brav, gleich nutzlos
hingeopfert. Aber die Division, welche unter Don Basilio auszog, war
glücklicher, da ihr gegeben war, bis zum Untergange heldenmüthig gegen
die Übermacht zu ringen, da sie kämpfend, tödtend fiel, im Unterliegen
auch des Feindes Bewunderung davon tragend.

       *       *       *       *       *

Während Guergué so zwölf Bataillone und vier Escadrone plan- und
hülflos untergehen ließ, war er in den Nordprovinzen vollkommen
unthätig und genoß der Muße, die Espartero reichlich ihm ließ, indem
auch dieser, nachdem er die im vorhergehenden Feldzuge erschlaffte
Disciplin wiederhergestellt und strenges Gericht über die Schuldigen
gehalten, bis zum Frühlinge mit Spatziermärschen von einem Theile
seiner Linien nach dem andern sich begnügte. So beschäftigte sich
denn Guergué, während er den alten Pfarrer Merino mit den indessen
neugebildeten Bataillonen von Castilien nach dieser Provinz
entsendete,[44] mit der Reorganisation der traurig herabgekommenen
Armee, was ihm jedoch so wenig gelang, daß, natürliche Folgen der
Unthätigkeit, Mangel an Disciplin und Unzufriedenheit täglich überhand
nahmen.

Nach der Vernichtung der Expedition Negri’s ward jedoch Espartero
so lebhaft von Madrid aus zu kräftigerem Handeln gedrängt, und das
Geschrei der Liberalen erhob sich so laut und drohend gegen ihn, daß
er seinen Entschluß verkündete, die Festung Peñacerrada in Alava,
welche Uranga im August 1837 erobert hatte, wiederzunehmen, und demnach
umfassende Vorbereitungen traf. Da diese Veste den Carlisten die
reichen Gefilde der Rioja alavesa unterwarf, Castilien ihnen öffnete
und die Verbindung zwischen Alava und Navarra dem Feinde nur auf weitem
Umwege über Miranda de Ebro möglich machte, eilte Guergué zum Schutze
derselben herbei; er gab ihr eine auserlesene Garnison und mehrte, so
viel die Umstände zuließen, die Befestigungen. Da jedoch in dem Heere
die Hauptstütze und Sicherheit des Platzes gegen einen regelmäßigen
Angriff beruhen mußte, errichtete er ein befestigtes Lager über einer
Brücke auf dem Wege, den allein der von Vittoria heranziehende Feind
benutzen konnte.

Um die Mitte Juni’s verließ Espartero diese Stadt mit 20000 Mann,
von einem zahlreichen Belagerungs-Train begleitet; mit fast 14000
Mann stellte Guergué sich ihm gegenüber. Aber, o Staunen! er ließ
das ganz unangreifbare, den Zugang beherrschende Lager unbesetzt, ja
er vernichtete nicht einmal die Brücken, wodurch der Transport der
Artillerie unendlich erschwert wäre; dagegen nahm er eine Stellung
zur Seite der Festung in den Gebirgen. Espartero zog daher bequem
heran, da er kein Hinderniß und die Wege im besten Zustande fand,
bemächtigte sich mit Leichtigkeit eines kleinen dominirenden Forts, für
Infanterie-Feuer eingerichtet, etablirte seine Batterien und begann
mit Nachdruck die Beschießung der Stadt, die übrigens auf Befehl des
Generals -- der keine längere Belagerung erwartete oder, da ja die
Verbindung mit der Armee, so lange sie ihre Stellung inne hatte, offen
blieb, nicht mehr Munition aussetzen wollte -- nur auf drei Tage mit
Schießbedarf versehen war.

Am 27. Juli nach zweitägigem, ununterbrochenem Feuer war die Bresche
im Begriff practicabel zu werden, auch empfand die Garnison schon
Mangel an Munition, weshalb Guergué, durch einen Adjudanten stündlich
von der Lage der Dinge unterrichtet, den Angriff auf die feindliche
Armee beschloß, welche den Sturm für die kommende Nacht vorbereitete.
Der Kampf wogte hin und her, aber um Mittag hatte die carlistische
Armee den Feind auf allen Seiten zurückgedrängt. Die Besatzung der
Stadt jubelte, und Guergué hielt selbst den Sieg für entschieden,
wiewohl Espartero stets in vollkommener Ordnung einen Flintenschuß
entfernt stand; daher befahl er den Bataillonen, während der glühenden
Hitze zu ruhen und ihre Rationen rasch zuzubereiten, während ein
einziges Bataillon von Navarra dem Feinde gegenüber zur Beobachtung
stehen blieb; am Nachmittage sollte der Angriff fortgesetzt, der
schon unzweifelhafte Sieg vollendet werden. Espartero benutzte diese
Sorglosigkeit, vereinigte seine ganze Cavallerie, stellte sich selbst
an die Spitze der Husaren,[45] warf im glänzenden Choc das Bataillon
von Navarra über den Haufen und stürzte auf die kaum von ihren
Kochtöpfen verwirrt sich aufraffenden Carlisten. Die Husaren von
Arlaban suchten den Sturm aufzuhalten und chargirten mehrmals mit
Glanz, wurden aber nach hartnäckigem Widerstande ganz zusammengehauen;
in einer halben Stunde war die so eben noch siegreiche Armee zerstreut
und floh in wilder Auflösung.

Der Feind nahm fast die ganze Artillerie der Carlisten, von der
Espartero mehrere in den Fabriken der Provinzen verfertigte Geschütze
wegen ihrer besondern Schönheit als Merkwürdigkeit nach Madrid sandte,
auch machte er eine bedeutende Zahl Gefangener. Am Nachmittage zog er
in Peñacerrada ein, da die Garnison, so wie sie die deckende Armee
auf der Flucht und die Christinos im Begriff sah, ganz die Festung
einzuschließen, ohne Mittel zu längerer Vertheidigung sie verließ und
in die Gebirge sich rettete. Der moralische Eindruck dieses Sieges
war außerordentlich: gewiß ist er der größte und wichtigste, den
Espartero mit den Waffen in der Hand je errungen hat, und Muthlosigkeit
verbreitete sich bei der Nachricht des Geschehenen durch die Provinzen.
Drei Tage später ward Guergué, als General en Chef ganz untauglich, des
Oberbefehls enthoben.

  [41] La Mancha umfaßt die Provinzen Toledo und Ciudad Real, beide zu
       Neu-Castilien gehörend.

  [42] Tallada nahm kurz vor seiner Bereinigung mit Don Basilio einige
       Compagnien der königlichen Garde gefangen, und ließ die
       Officiere derselben trotz der zugestandenen Capitulation niedrig
       ermorden -- aus Habsucht. Seit dem Augenblicke dieser Schandthat
       wich alle Energie, die vorher ihn ausgezeichnet hatte, von ihm,
       und ein furchtsames Schwanken und Geistesabwesenheit lähmten
       seine Talente, wie er denn von Unglück zu Unglück dem schnellen
       Untergange zueilte.

  [43] Jedes bedeutende Dorf in der Mancha war zum Schutze gegen die
       Banden befestigt.

  [44] Da die Züge Merino’s, deren Résumé Abmarsch, Aufenthalt in den
       Wäldern und Vernichtung ist, keine nähere Erörterung verdienen,
       erwähne ich ihrer hier kurz. Eine unbegreifliche Verblendung
       ließ diesen Greis, der längst sich überlebt hatte und dessen
       Ruhm seine Thaten weit überragt, in dem Jahre 1838 mehrfach
       zum Anführer kleiner Corps bestimmen, die er denn auch so
       trefflich zu handhaben wußte, daß er jedes Mal ganz ohne
       Truppen zurückkam. Es scheint wahrlich, daß es damals den
       Heerführern der Basken nur darauf ankam, der Castilianer sich
       zu entledigen, gleichviel auf welche Art. -- Merino hatte zu
       seiner Zeit nur Cavallerie geführt und hatte gar keinen Begriff
       von der Infanterie; doch gab man stets ihm solche. Er verließ
       die Provinzen mit zwei Bataillonen, verlor sie, entkam nach
       Aragon, nahm dort das Commando der Castilianer-Bataillone, die
       von Zariategui dorthin sich gerettet hatten, zog, nachdem er der
       Belagerung von Morella beigewohnt, gegen Cabrera’s Willen -- auf
       höheren Befehl -- damit aus, verlor sie, kehrte nach Navarra
       zurück, erhielt neue drei Bataillone und verlor sie wieder in
       Castilien. Von da an blieb er unthätig. Es ist bekannt, wie
       der Gram ihn tödtete, da er bei Maroto’s Verrath im verhaßten
       Franzosenlande Zuflucht suchen mußte.

  [45] Espartero soll persönlich sehr brav sein und zeigt dieses
       gern, indem er sich an die Spitze seiner angreifenden Escadrone
       stellt. Doch erzählten mir christinosche Officiere, welche bei
       jenem Angriffe sich befanden, daß Espartero, da die Husaren von
       Arleban mit Festigkeit chargirten, schweigend sein Pferd wandte
       und von der Tete zu der Queue der Colonne ritt.



XVII.


Don Rafael Maroto, in Andalusien geboren, diente im
Unabhängigkeitskampfe gegen Napoleon und später in den Colonien
gegen die Insurgenten, in welchem Kriege er bis zu dem Grade von
Brigadier stieg. Auch er sog dort die niedrigen, selbstischen
Ideen und Grundsätze ein, die in allen Generalen und Chefs, welche
in jenen Kriegen gegen die aufgestandenen Amerikaner ihre Schule
machten, mit seltenen Ausnahmen so auffallend sind und später in
Unbeständigkeit, Bestechung und Verrath sich kund thaten. Bei seiner
Rückkehr nach Europa hatte Maroto umsonst das Commando einer Brigade
in der Garde zu erlangen gesucht; der Graf de España, damals Chef
des Garde-Infanterie-Corps, wußte die mächtige Fürsprache, welche
die schöne Frau des Brigadier ihm erlangt hatte, zu vereiteln, indem
er dem Könige vorstellte, daß Maroto vorher selbst ein Kriegsrecht
fordern müsse, um über sein Benehmen bei dem schimpflichen Ende jenes
Feldzuges sich richten zu lassen. Bald nachher war er genöthigt, jene
Frau, eine reizende, sehr reiche Amerikanerinn, nach ihrem Vaterlande
zurückzusenden, da sich fand, daß er mit ihr sich verheirathet
hatte, während seine erste Frau vergessen in Spanien lebte. --
Maroto vereinigt mit niedrigen Gesinnungen hohe Talente; er ist
fest, unbeugsam in seinem Willen, energisch in der Ausführung des
Beschlossenen wie ohne Bedenken bei der Wahl der Mittel, dabei mit
durchdringendem Verstande und herrischem Temperament begabt. Sein
Äußeres und sein Benehmen üben auf die Umgebung, besonders auf die
Frauen, so mächtig in Spanien, eine unwiderstehliche Gewalt: diese tief
liegenden, dunkel glühenden Augen scheinen die Macht jener Schlange zu
haben, deren Blick die zitternden Opfer fesselt und anzieht.

Dieser war der Mann, den Carl V. berief, um durch sein Talent die
Unglücksfälle gut zu machen, welche unter Guergué’s Commando die Armee
der Nordprovinzen getroffen hatten; und wahrlich, Viel hätte er thun,
auf immer die Liebe des Volkes und den Dank des Monarchen sich erringen
können, dessen Vertrauen so hoher Stellung ihn werth hielt. Maroto
hatte während des Bürgerkrieges mannigfach sich ausgezeichnet, ohne
doch durch glänzende Erfolge seine Fähigkeiten verkündet zu haben.
Nicht ohne zweideutiges Benehmen nach dem Tode Ferdinand’s kämpfte
er später in untergeordneter Stellung in den baskischen Provinzen
und wurde -- sein erstes selbstständiges Commando -- im Jahre 1836
zum commandirenden General in Catalonien ernannt, hatte aber von dem
ersten Augenblicke seines Auftretens daselbst mit so entschiedenem
Unglück zu kämpfen, daß es ihm unmöglich ward, die wilden Horden --
denn andere Namen verdienten sie nicht -- der dortigen Carlisten zu
bändigen und durch Vertrauen sich zu verbinden. Er wich den Umständen
und zog sich nach Frankreich zurück, wo er, anscheinend ohne Einfluß,
aber den Ereignissen und Intriguen des königlichen Hauptquartiers nicht
fremd, bis zu dem Augenblicke lebte, in dem der Gang der Dinge die
Machinationen der ihm Verbundenen zu begünstigen schien. Da eilte er,
persönlich seine Pläne zu betreiben.

Der Hof und in ihren Führern die Armee waren schon lange durch die
Spaltungen, Intriguen und innern Anfeindungen getheilt, die so viel
zur Schwächung der Carlisten und zur Paralysirung ihrer Anstrengungen
beitrugen. Zwei Hauptpartheien oder Fractionen standen sich gegenüber,
die in wenigen Worten charakterisirt sind. Die erste, die von ihren
Feinden aller Orte und aller Arten als ultraroyalistisch bezeichnete
Parthei, d. h. Alle, welche den König als König verehrten, ihn
vertheidigten, weil ihre Grundsätze es erheischten, weil seine Sache
die +gerechte+ war, Alle, welche bereit waren, für ihn den letzten
Blutstropfen zu vergießen. Die andere Parthei nannte sich gemäßigt:
sie widmete sich der Vertheidigung Carls V., um ihre persönlichen
Zwecke und Interessen zu fördern, sie betrachtete und betrieb den
Krieg als Mittel der Bereicherung, der Größe; sie strebte, möge nun
Legitimität oder Usurpation den Sieg davontragen, für sich möglichst
fette Bissen zu sichern. Ihr schlossen viele Wohlmeinende sich an,
theils kurzsichtig und getäuscht, theils aus schwacher Verzagtheit. Wie
empfehlungswerth und wohlthätig in den gewöhnlichen Verhältnissen des
Lebens die Mäßigung auch sein mag, sie wird nicht selten als schönes
Deckwort der Schwäche, der Verderbtheit benutzt und muß denen als
Schild dienen, die offen zum Kampf nicht vortreten mögen. Es giebt
Umstände, in denen Mäßigung unvermeidliches Verderben bringen, „Alles
oder Nichts“ der Wahlspruch sein muß, da, wer mit Etwas sich begnügen
wollte, bald auch dieses Etwas sich entrungen sehen würde. In solchem
Falle fanden sich die Carlisten.

An der Spitze der ersten Parthei standen Männer, die seit dem Beginn
des Krieges in Treue und Heldenmuth sich hervorgethan; sie wollten
ihren König ganz als solchen, daher keine Transactionen, keine
Unterhandlungen, Sieg oder Tod! Freilich zählten sich ihnen auch
solche zu, die, nur Fanatismus kennend und blind ihren Leidenschaften
folgend, durch Gräuel die Sache schändeten, welche ihr entschlossener
Muth hob; doch blieben diese stets in geringer Zahl und ohne Einfluß
auf das Ganze. Die Gemäßigten verzagend am Erfolge, der so lange schon
streitig, oder um das Errungene zu sichern und zu genießen, schlugen
Aussöhnung vor und Nachgeben in einzelnen Punkten: die Armen, wie
wenig kannten sie Spaniens Revolutions-Männer! Nebst dem Padre Cyrilo,
Erzbischof von Cuba, leitete sie Maroto, nun an die Spitze des Heeres
gestellt, und gewandt wußten sie die geistesstarke Princessin von
Beira, mit der Carl V. sich zu vermählen gut fand, über ihre Zwecke
zu täuschen und sie ganz für sich zu gewinnen. Maroto’s Pläne aber
gingen weiter, als selbst die große Zahl der ihm Verbundenen es ahnete;
vielleicht ließ er sich, da die ersten Schritte gethan, hinreißen zu
dem, was er nie gewollt, da der Rücktritt schwer, die Lockung groß,
ihm unwiderstehlich sein mochte. Er verkaufte sich, verkaufte das ihm
anvertraute Heer, das Land, den König selbst, der so hoch ihn gehoben
hatte; er ward zum Verräther! -- Ehe er aber den entscheidenden
Schritt thun konnte, mußte er von jenen Männern sich befreien, die,
treu bis zum Tode ihrem Herrscher ergeben, offen als Gegner sich ihm
darstellten, die seine Gesinnungen, seine Maßregeln durchschauten und
ihnen entgegen arbeiteten. Maroto ward alles leicht, was förderlich
war: die Edlen starben von Henkershand, und triumphirend vollendete der
Verrath sein Werk.

       *       *       *       *       *

Maroto’s erstes Auftreten war seinen Talenten angemessen und wohl
geeignet, die Blicke Aller auf ihn zu ziehen und selbst den heller
Sehenden hohe Hoffnungen zu erwecken. Die Disciplin war gänzlich
erschlafft; Wochen reichten dem neuen Obergeneral hin, strenge
wie nie zuvor sie herzustellen. Seine Kraftmaßregeln beugten die
Widerspenstigen, einige leichte Unruhen wurden fest unterdrückt und
gerügt, die kleinsten Fehler gegen die Kriegszucht hart geahndet;
selbst das Mißtrauen, den Haß, der zwischen Basken und Castilianern
geherrscht und so oft in blutigen Zwisten sich Luft gemacht hatte,
wußte seine Energie zu verdecken, wenn nicht auszurotten.

Der Zufall wollte, daß in dem Augenblicke seiner Ernennung zum
Generalate eine bedeutende Summe, von eines edlen Fürsten Hand --
wohl zu besserm Zwecke -- gespendet, die seit langer Zeit leeren
Cassen gefüllt hatte, und Maroto wußte sie trefflich für seine Pläne
zu benutzen. Er bedurfte der Liebe und des Vertrauens der Soldaten.
Während er also sie gehorchen lehrte, sorgte er für ihre Bedürfnisse
mit väterlicher Sorgfalt: die Rationen fehlten nie, denn Geld vermochte
Alles, die Bataillone und Escadrone wurden neu uniformirt und selbst
überflüssig ausgerüstet, Soldaten und Officiere erhielten regelmäßig
ihren Sold, zum ersten Male seit den Zeiten des großen Zumalacarregui.
Zugleich blendete der General seine Truppen durch Glanz und Luxus, wie
die einfachen Gebirgssöhne nie zuvor ihn gekannt. Prachtvolle Pferde,
mit Gold bedeckte Schabracken, reich gestickte Uniformen setzten die
Menge in Erstaunen, ein glänzender Generalstab umringte den Mann, der
das Alles geschaffen hatte, zahlreiche Dienerschaft folgte ihm, jeden
Wink des Gebieters zu erfüllen. Der Soldat, das Volk betrachteten
Maroto als ein höheres Wesen, sie kannten die Quellen nicht, aus denen
diese Wunder entsprungen, und glaubten deshalb, daß alles von ihm
stamme, sein Werk sei. Er ward der Abgott der Truppen, die zugleich
ihn anbeteten und wie einem Vater ihm vertrauten, der Abgott des
Volkes, welches sich erleichtert fühlte trotz solches Aufwandes und
so gehäufter Kosten; die Officiere, da sie strengste Gerechtigkeit
ihn üben und jeden Mißbrauch mit Kraft angegriffen sahen, mehr aber
noch im Gefühle der Verbesserungen, welche die Armee ihm verdankte,
waren ganz sein. Maroto’s Name war in Aller Munde, Alle begrüßten
und ehrten ihn als den Messias, zur Rettung der bedrängten Sache der
Gerechtigkeit abgesandt. Hinter so vielen Talenten, so vielem Eifer und
-- so vielem Golde, wer hätte da den undankbaren Verräther gesucht an
dem Könige, der mit Ehre und Wohlthaten ihn überhäuft, der, noch mehr!
sein Vertrauen ihm geschenkt, den Verräther an dem Lande, welches in
freudiger Hoffnung an der Spitze seiner braven Söhne ihn sah!

Die Christinos hatten beschlossen, das Kriegsglück, welches seit dem
Herbste des Jahres 1837 so hold ihnen gelächelt hatte, kräftig zu
benutzen, um die errungenen Vortheile zu krönen, indem sie im Osten und
Norden zugleich entscheidende Schläge versuchten: Morella, Solsona
und Estella sollten belagert werden. Der Ausgang des Unternehmens
gegen Morella ist bekannt; die Armee des Centrums hat ihre frühere
Überlegenheit über Cabrera’s Truppen seit jener Zeit nicht wieder
erlangt. Später werde ich darauf zurückkommen.

Estella also sollte genommen werden. Doch wollte Espartero vorher
theils einen Versuch gegen das Castell von Guevara[46] machen, wozu
der Umstand des gerade eingetretenen Wechsels im Commando ihm sehr
günstig sein mußte, theils auch die Aufmerksamkeit der Carlisten auf
den entgegengesetzten Theil des Kriegstheaters ziehen. Er zog mit 18
Bataillonen und einem bedeutenden Belagerungspark nach Vitoria, in
dessen Angesicht jenes feste Bergschloß liegt, das als Stützpunkt
und Depot der alavesischen Division, wie durch seine Festigkeit und
Lage von hoher Wichtigkeit war. Maroto eilte mit mehreren Divisionen
von Estella herbei und stellte sich in vortheilhafter Position die
Schlacht anbietend auf; doch Espartero hielt nicht für gerathen
anzugreifen, und da er umsonst durch Märsche und Contremärsche den
carlistischen Feldherrn aus seiner Stellung zu locken, über die eigenen
Absichten ihn zu täuschen gesucht, ging er rasch auf Logroño zurück
und verkündete nun, durch die Division der Rivera unter Don Diego Leon
auf mehr denn 30000 Mann verstärkt, daß er unverzüglich Estella nehmen
werde. Maroto that seinerseits Alles, um diese Stadt in den möglichst
besten Vertheidigungszustand zu setzen: die Forts wurden verstärkt,
alle Zugänge verschanzt und selbst die Straßen mit Abschnitten
und Barrikaden versehen, während fast alle nicht waffenfähigen
Einwohner die bedrohete Stadt verließen. Einige Officiere, unter
ihnen der Commandant eines nahen Forts, die, durch das Gold und die
Versprechungen des feindlichen Führers bestochen, in Einverständniß mit
ihm getreten waren, wurden nach Spruch des Kriegsgerichtes erschossen.

Jede Vorbereitung war längst getroffen, die schwere Artillerie in
großer Menge in den äußersten festen Punkten der Christinos versammelt,
und Woche auf Woche ging hin, ohne daß Espartero die Erwartungen
der Revolutionaire, welche in seinen Siegen ihren endlichen Triumph
nahe träumten, gerechtfertigt hätte. Die am 18. August aufgehobene
Belagerung von Morella hatte längst den seltsamen Vorwand entfernt,
daß er erst nach der Einnahme jenes Platzes angreifen wolle, um in dem
moralischen Einflusse derselben eine Chance mehr für sich zu haben;
ja eben das gänzliche Fehlschlagen der Operationen Oráa’s schien ihn
aufzufordern, durch einen glänzenden Sieg den übeln Eindruck desselben
auf seine Parthei zu verwischen, den triumphirenden Muth der Carlisten
niederzuschlagen. -- Espartero spatzierte fortwährend von einem der
festen Punkte zum andern, stets drohend, stets rüstend, ohne doch je
einen Schritt zur Ausführung zu thun.

Schwer ist es, zu entscheiden, was zu solcher Unthätigkeit ihn bewegen
konnte. Vielleicht nahm der Federkrieg, in den er gerade damals mit
dem Madrider Cabinet sich eingelassen hatte, zu sehr seine Zeit in
Anspruch, als daß er an Betreibung der militairischen Operationen
hätte denken können. Unzufrieden mit dem Ministerium hatte er die
Entlassung einiger Glieder desselben verlangt, mit der Drohung, die
seinige einzureichen, wenn ihm nicht gewillfahrt würde, und seine
Forderung ward erfüllt, da man vergebens gesucht hatte, durch Nachgeben
und Zugeständnisse ihn zu besänftigen. Die constitutionellen Minister
traten ab, weil der General sie nicht liebte! Solche ist die Freiheit
des liberalisirten Spaniens. -- Vielleicht war es nicht die Absicht
des ehrsüchtigen Mannes, durch Erringung entscheidender Vortheile sich
entbehrlich zu machen: Espartero wußte sehr wohl, daß man ihn und seine
Anmaßungen nur duldete, weil die Furcht vor den Carlisten jede andere
Rücksicht überwog, und zu jener Zeit hatte er noch nicht das Heer
so ganz sich zu eigen gemacht, daß er ohne Scheu als unumschränkter
Gebieter auftreten und nach Belieben zu thun und zu lassen sich anmaßen
durfte. -- Dann stand er wohl damals schon in Unterhandlungen mit
Maroto; deshalb schonte er ihn. Die Einnahme von Estella hätte gewiß
diesem General seine Stelle gekostet, während doch seine Erhaltung
zur Ausführung des abzuschließenden Handels unbedingt nöthig war; so
opferte Espartero augenblicklich den kleinen Vortheil, um das Ganze
einst desto sicherer und leichter zu erfassen. -- Wie dem auch sei,
ich bin überzeugt, wie ich zur Zeit dieser Ereignisse es war, daß die
Christinos ohne Schwierigkeit Estella genommen hätten, wenn sie sofort,
da Maroto noch neu im Commando war, mit Kraft es angriffen, ehe dessen
Maßregeln die Vertheidigungsfähigkeit der Stadt so sehr erhöheten. Und
Estella’s Besitz übte unberechenbaren moralischen Einfluß.

Doch endlich sollte die lange erwartete Operation vor sich gehen.
Nachdem am 3. September Maroto eine Demonstration nach dem Ebro zu
gemacht, vor Lodosa ein feindliches Corps zurückgetrieben und dann
mit seinen Truppen in Schlachtordnung geprunkt hatte, ohne daß der
Feind einen Schritt gegen ihn gethan hätte, concentrirte Espartero am
6. plötzlich alle seine Divisionen an der Arga und zog langsam gegen
Estella in mehrere Ortschaften ein, die ohne Schwertschlag geräumt
wurden. Alle Welt erwartete mit Spannung die nächsten Schritte ...
Espartero ging am 9. über den Ebro zurück: der Angriff auf Estella
war ganz aufgegeben! -- Der Vorwand fehlte ihm nie. Er detachirte
einige Bataillone zur Verstärkung der Armee des Centrums, die mehrere
Niederlagen unmittelbar hinter einander gelitten; ein anderes Corps
sandte er, den Pfarrer Merino zu verfolgen, der so eben Valladolid’s
Behörden in Schrecken gesetzt hatte. Er hatte mit 1200 Mann das Heer
Cabrera’s verlassen, um nach den baskischen Provinzen zurückzukehren,
durchzog mit der kleinen Schaar ganz Castilien und vertrieb den
feindlichen General-Capitain, Baron Carandolet, aus Valladolid, da
dieser bei der Annäherung des gefürchteten Geistlichen mit dreifach
überlegener Macht die Stadt räumte. Merino jedoch eilte nach dem
Gebirge von Soria, wo er fast ganz ohne Mannschaft mit dem wilden
Valmaseda sich vereinigte, und, da dieser seine Gefangenen nach Vizcaya
in Sicherheit brachte, mit ihm dorthin ging.

Valmaseda, ein tapferer, ja tollkühner Reiterchef, rauh, grausam,
Wüthrich gegen Alles, was nicht seine Meinung theilte, zugleich
ausgezeichnet gebildeter Militair, hatte mit der Division des Grafen
Negri den Ebro überschritten, bald aber, unzufrieden mit dem nutz-
und kampflosen Hin- und Herziehen, sich von dem Expeditions-Corps
eigenmächtig getrennt und mit einigen Hundert Mann in die Sierras
von Castilien geworfen. Glänzend bewährte er sich als Partheigänger,
hob kleine Detachements auf, mied stärkere, zerstörte Convoys, hob
Contributionen und verwüstete dabei das Land, bis er seine Thaten
krönte, indem er die Colonne, welche unter Oberst Coba in seiner
Verfolgung beschäftigt war, am 2. September in Quintanar de la Sierra
überfiel und vernichtete. Dreihundert Mann wurden niedergehauen oder
kamen in den Flammen des brennenden Dorfes um, der ganze Rest der
Colonne ward mit ihrem Chef gefangen. Bei seiner Rückkehr nach den
baskischen Provinzen ward ihm die Trennung vom Grafen Negri verziehen,
da dieser ja das Schlimmste erduldet hatte, während Valmaseda reich mit
Beute beladen anlangte.

       *       *       *       *       *

So wie Espartero die Belagerung von Estella aufgegeben hatte,
wandte sich Maroto mit der Hauptmacht nach Vizcaya, theils Bilbao
und dessen Hafenstadt Portugalete bedrohend, theils mit Thätigkeit
die Befestigungen betreibend, durch die er seine Herrschaft bis in
die Provinz Santander auszudehnen suchte. In Navarra war wiederum
der General Don Francisco Garcia als Chef geblieben; er trug am 19.
September entschiedenen Sieg über General Alaix, christinoschen
Vicekönig von Navarra, davon, als dieser mit 9000 Mann von Artajona
heranzog, um westlich von der Arga zu operiren. Garcia traf mit nicht
ganz 6000 Mann auf ihn, und ein hartnäckiges, lange unentschiedenes
Gefecht entspann sich; schon wankte die carlistische Division, von der
Übermacht schwer gedrängt und in nachtheiliger Stellung.[47] Doch da
Alaix das Regiment von Zaragoza, dessen Munition erschöpft war, durch
Almansa ablösen ließ, benutzte Garcia das in sehr gebrochenem Terrain
ausgeführte Manöver zu neuem, stürmischen Angriffe. Almansa, welches
den linken Flügel inne hatte, da es jenes Regiment im Augenblicke
des Vorrückens der Carlisten abmarschiren sah, wich in Unordnung
mit dem Rufe: „Zaragoza verläßt uns!“ Das Regiment Soria, eines der
bravsten des Heeres, ward durch die auf dem Fuße nachdrängenden
carlistischen Bataillone in der Flanke angegriffen, aufgerollt und
zerstreut, die ganze Linie lösete sich zur Flucht auf. Umsonst suchte
die christinosche Cavallerie das Gefecht herzustellen; auch sie
ward geworfen, worauf das Corps in wilder Verwirrung nach Puente la
Reyna und Larraga sich zerstreute, von den Siegern bis zu den Glacis
der Festungen verfolgt. Die Christinos verloren 1250 Mann, unter
denen 200 Todte, Soria, das Lieblings-Regiment Espartero’s, der als
Oberst es commandirte, büßte, da es am hartnäckigsten widerstand, 400
Mann ein; Alaix war schwer verwundet, sein Chef des Generalstabes
gefangen. Die Carlisten verloren fast 500 Mann. Erst als bedeutende
Verstärkungen angelangt waren, wagten die geschlagenen Divisionen, ihre
Zufluchtsstätten zu verlassen, um den Streifzügen Garcia’s Schranken zu
setzen.

Am 19. October langte die Prinzessin von Beira in Tolosa an, wo sie
als Gemahlinn des Königs mit den höchsten Ehrenbezeugungen empfangen
ward; sie begleitete der älteste Sohn Carls V., der Prinz von
Asturien.[48] Viele der treuen Anhänger Sr. Majestät jubelten laut,
da sie diese Nachricht vernahmen; sie schlossen, daß Carl V. wohl
sehr begründete Aussichten auf rasche, glückliche Beendigung der
Successions-Frage haben müsse, da er sich entschloß, nicht nur unter
den obwaltenden Verhältnissen sich zu vermählen, sondern auch seinen
Sohn zum Kriegsschauplatz kommen zu lassen. Gerüchte über fremde
Intervention zu Gunsten der Carlisten, über Congresse und kräftige
Unterstützung verbreiteten sich. Ich erinnere mich, welche Hoffnungen,
oft ungereimt, alle so grausam getäuscht, Viele der Unglücklichen
in Cadix’ Casematten belebten! -- Andere wollten den Augenblick für
unpassend halten, und glaubten, wie die Ereignisse sich entwickelten,
ihre Ansicht mehr und mehr bestätigt zu sehen. Die Christinos spotteten
und fürchteten dennoch. Gewiß hätte die Königinn den wohlthätigsten,
ja entscheidenden Einfluß üben können, wenn sie nicht das Übergewicht,
welches ihr männlich kräftiger Geist über Carls V. milden Charakter ihr
gab, zur Beförderung und Aufrechthaltung der so genannten Gemäßigten,
vor Allen Maroto’s, benutzt hätte, da diese über ihre wahren Zwecke bis
zum letzten Augenblicke sie zu blenden wußten. So war sie, ohne es zu
ahnen, für den Sturz der Ihrigen thätig.

Ein neuer Feind hatte sich indessen gegen die Carlisten erhoben, ein
Feind, der auf den ersten Blick große Gefahr zu bereiten schien.
Muñagorri, einst Notar, dann im Dienste des Königs, jetzt mit der
Madrider Regierung complottirend, warf sich in Frankreich zum Haupte
einer dritten Parthei auf, deren Streben dahin gerichtet war, den
vaterländischen baskischen Provinzen durch die Unterwerfung unter
Christina’s Herrschaft den lange entbehrten Frieden zu geben und
ihnen zugleich die alten Privilegien zu sichern, welche als Bedingung
jener Unterwerfung auf immer bestätigt werden sollten. So wollte also
Muñagorri die Successions-Frage ganz von der lediglich die Basken
betreffenden über deren Vorrechte trennen; seine Losung war: „~paz y
fueros~“ -- Friede und Privilegien --. Vielleicht wäre sein Plan besser
ihm gelungen, wenn nicht Maroto bereits ähnliche Absichten gehegt und
mehrere der baskischen Führer dafür gewonnen hätte. Wie hätte dieser
nicht Alles aufbieten sollen, um die Fortschritte des Mannes zu hemmen,
ihn zu vernichten, der, wiewohl auf edlerem Wege, die Waffen in der
Hand, eben dem Ziele zustrebte, welches Maroto mit Aufopferung der
heiligsten Verpflichtungen zu erreichen hoffte, dadurch seine Habgier
zu befriedigen; den Mann, dessen Erfolg +seinen+ Verkauf unnütz oder
weniger wichtig, also das Kaufgeld niedriger machen würde!

Dennoch gelang es Muñagorri, durch französischen Einfluß und englisches
Gold unterstützt, ein kleines Corps aus Deserteurs und Flüchtlingen
zu bilden, dem einige Basken sich anschlossen, die ermüdet Frieden
suchten, nur Frieden, in welcher Gestalt er sich auch darbieten möge.
Er drang während des Winters wiederholt in das carlistische Gebiet
ein und setzte sich auch wohl mit der Schaar, die er vereinigt -- man
sprach anfangs von Tausenden, die bald auf achthundert sanken -- auf
einige Zeit fest. Aber das Volk zeigte wenig Sympathie und hielt sich
ruhig; Maroto nahm kräftige Maßregeln gegen ihn. So war Muñagorri
stets gezwungen über die Gränze zurückzugehen, seine Anhänger wurden
lau und schmolzen täglich zusammen, und das Unternehmen -- wie so oft
in Spanien der Fall war -- endete desto unbeachteter und erfolgloser,
je mehr es vorher Geräusch und leidenschaftliche Hoffnungen und
Besorgnisse erregt hatte.

       *       *       *       *       *

Während der letzten Monate 1838 und bis zum Frühlinge des folgenden
Jahres ruhten die Operationen der Hauptheere gänzlich, und selten
unterbrach irgend ein Streifzug eines untergeordneten Führers die
Unthätigkeit. So bestand der mit immer gleich rastlosem Eifer wirkende
General Castor einige leichte Gefechte im westlichen Vizcaya und in
der Provinz Santander, von wo er häufig bis nach Asturien hineindrang.
Valmaseda hob verschiedene Detachements und nicht fern von Logroño die
zwei Compagnien starke Bedeckung der Correspondenz auf; ohne Schonung,
wie immer, ließ er sie niedersäbeln, was ihm strengen Verweis zuzog
und Remonstrationen von Seiten Espartero’s veranlaßte, der endlich
selbst zu Repressalien schritt. Von mehr Wichtigkeit war die Action,
welche Maroto mit vier Escadronen gegen die Colonne des General Don
Diego Leon bestand, als dieser über Sesma auf los Arcos durchzudringen
suchte, um der dort befindlichen Vorräthe sich zu bemächtigen. Wiewohl
jenes Corps aus mehr als 5000 Mann mit zahlreicher Cavallerie und
Artillerie bestand, hielt Maroto durch wiederholte glänzende Chargen es
auf, bis die zunächst stehenden Bataillone herankommen konnten, worauf
Leon, ohne weiter das dargebotene Gefecht acceptiren zu wollen, nach
Mendavia sich zurückzog. Ein junger preußischer Husarenofficier, Herr
von Schmidewsky, zeichnete sich besonders aus, indem er, der Erste beim
Choc, einen feindlichen Oberstlieutenant vor seiner Escadron vom Pferde
hieb und den Lanciers, die ihrem Chef zu Hülfe eilten, empfindlich die
Schwere des deutschen Armes fühlbar machte.

Noch muß ich anführen, daß in den ersten Tagen des neuen Jahres die
Besatzungen von Alhucemas und von Melilla, Fort und Presidio[49] an der
Küste von Afrika, Carl V. proclamirten und mit den Gefangenen, die fast
alle wegen politischer Verbrechen, d. h. wegen Anhänglichkeit an ihren
König, dorthin verbannt waren, zur Vertheidigung sich vereinigten. Auch
in Ceuta ward eine Verschwörung zu demselben Zwecke angezettelt und
entdeckt. Die Besatzung von Alhucemas in der Provinz Malaga entfloh;
Melilla aber ward durch einige Kriegsschiffe blokirt und genöthigt,
eine Capitulation einzugehen, in der bedingt ward, daß Garnison
und Gefangene nach den baskischen Provinzen geführt würden, um der
carlistischen Armee sich anzuschließen. Es ist unnöthig hinzuzusetzen,
daß sie nie dort anlangten. In Cadix ereilte sie ein Befehl des
Ministeriums, dem zu Folge sie nach der Havanna eingeschifft wurden.

  [46] Guevara lag malerisch auf einer hohen Bergkuppe und war
       sorgfältig befestigt. Mit dem Fernglase sah man von dort aus
       jede Bewegung der Truppen in Vitoria, selbst die Einwohner in
       den Straßen, und das ganze Alava bis zum Ebro lag dem Blicke
       offen. Espartero ließ es am Ende des Krieges sprengen.

  [47] Christinosche Officiere vom Regimente Soria erzählten mir die
       Action, wie ich sie gebe.

  [48] ~Principe de Asturias~ ist der Titel der spanischen Kronprinzen.

  [49] Bagno für die zu Zwangsarbeit Verurtheilten. In Afrika finden
       sich ihrer mehrere, das hauptsächlichste in Ceuta.



XVIII.


Monat auf Monat schwand mir langsam in den düstern Casematten von Cadix
hin. Der Winter, mild wie die lieblichsten Frühlingstage des Nordens,
war vergangen, schon nahete der Sommer, herrliche Früchte, die des
Südens Clima früh reift, im Übermaß ausstreuend; und die Hoffnung
auf Befreiung blieb immer gleich ungewiß. Viel hatten wir gelitten.
Was wilder, ungezügelter Haß, was leidenschaftlicher Partheigeist
und Grausamkeit über die Opfer ihrer Wuth zu verhängen vermögen, das
duldeten im schrecklichsten Grade die Gefangenen jener Periode. Im
Anfange war unsere Behandlung erträglich gewesen, und wenn der Wächter
Kargheit uns oft mit bitterm Mangel bedrohete, war uns doch gestattet,
mit der Außenwelt in Verbindung zu stehen; Eltern und Verwandte boten
auf, was in ihrer Macht stand, gaben willig ihr Letztes, um den
Theuren Erleichterung zu schaffen, die, weil sie ihrem Könige treu,
in hoffnungsloser Gefangenschaft schmachteten. Und wer, freundlos und
bedürftig, Nichts besaß, litt doch nicht Noth, so lange Cameraden ihm
helfen konnten. -- Da ertheilten die Behörden Christina’s die Weisung,
jede Communication uns abzuschneiden.

Furchtbar waren die Folgen des grausam berechneten Befehls. Es war
zu der Zeit, in der die Repressalien, von den beiden in Aragon und
Valencia sich bekämpfenden Heeren ausgeübt, die Menschheit mit Schauder
erfüllten, in der viele Hunderte, Tausende von Unglücklichen in den
Gefängnissen der beiden Armeen unter den Qualen, die der Grimm des
Pöbels oder die Rache der Krieger über sie verhängten, ihr Leben
aushauchten. Fern von dem Kriegsschauplatze, dem größten Theile
nach nicht einmal jenen Heeren angehörend, blieben die Gefangenen
zu Cadix doch nicht ganz frei von den Metzeleien, die in den großen
Städten des Ostens an der Tagesordnung waren. Zwei Mal verkündete uns
hohnlachend der Chef des Depots, daß zehn der Officiere[50] durch das
Loos zum Erschießen bestimmt würden, um irgend einen in der Mancha
oder in Aragon verübten Exceß zu rächen; zwei Mal zog ich aus der
verhängnißvollen Voyna das Stückchen Papier, welches Tod oder Leben
entschied. Und dann sahen wir die Gefährten unsern Armen entrissen,
fortgeschleppt zum schrecklichen, unvermeidlichen Tode; athemlos,
unbeweglich standen wir, horchend, zusammenzuckend bei jedem Laut und
doch noch hoffend -- da ertönte der dumpfe Wirbel der Trommeln --
eisiger Schauder durchbebte uns, eine Secunde noch .... ha!.. sie sind
nicht mehr! Und von der Blut bedeckten Stätte erschallte rauschend die
Janitscharen-Musik der Christinos und des Pöbels donnerndes ~viva~!

Da füllte sich wohl manchem Krieger das Auge mit Thränen, und Mancher
knirschend gelobte Rache, gelobte ewigen Haß.

Aber Schrecklicheres noch als den Tod wußte der Liberalen Wuth zu
ersinnen, um die Vortheile zu rächen, welche Cabrera’s schwache
Schaaren, gehoben durch das Gefühl des Rechtes, über die Satelliten
der Revolution davon trugen. Der Tod -- wenn ein Übel -- war ja nur
ein Augenblick; er befreite seine Opfer von den Qualen, die ihre
Peiniger über sie verhängen ließen. Wie Viele erflehten den Tod!
Wie Viele litten ihn hundertfach in der stets erneuten Pein! Unsere
Wächter, „uns fühlen zu lassen, was es heißt, Gefangener in den Händen
der Christinos zu sein“,[51] nahmen zum Hunger ihre Zuflucht. Die
Nahrungsmittel, welche uns gegeben wurden, waren kaum hinreichend,
um nothdürftig das Leben zu fristen, und von Tage zu Tage wurden
sie mehr geschmälert: zuletzt waren wir auf ein Bischen Reis und Öl
beschränkt, und oft, sehr oft fehlte auch dieses. Das Brod, auf Ekel
erregende Art mit fremdartigen, schmutzigen Stoffen durchbacken, ward
auf ein Viertel der gewöhnlichen Ration herabgesetzt. Finster brütend
durchschlichen die abgemagerten Gestalten den Hof, gegen Alles stumpf
und unempfindlich geworden, da das Gefühl des nagenden Hungers jeden
andern Gedanken niederdrückte. Längst hatten die tausendfachen Spiele
und Tänze aufgehört, mit denen die Armen während der ersten Zeit der
Einkerkerung ihre Lage augenblicklich vergessen machten; die kraftlosen
Arme vermochten nicht mehr den Ball zu schleudern; selbst das dem
Spanier, wo er sein Stiergefecht nicht haben kann, so ansprechende
Schauspiel der zum blutigen Kampfe gehetzten Hunde, welches sonst einen
weiten Kreis von Zuschauern versammelte, die mit donnerndem Beifallrufe
ihr Interesse kund gaben, hatte nun seine Anziehungskraft für sie
verloren. Täglich führte die Entkräftung Einige der Unglücklichen zum
Hospitale, welches sie häufig nur gegen die Ruhestätte des heiligen
Feldes[52] vertauschen sollten.

War aber die Lage der Officiere traurig, so ward die der Gefangenen in
der Isla de Leon auf den höchsten Punkt des Entsetzlichen gebracht.
Dort schmachteten etwa viertausend Mann, von denen einige Hunderte
schon seit drei Jahren und länger die Schrecken der Gefangenschaft
trugen, aus Navarra’s Feldern hierher geschleppt, während die
Andern zu Gomez und des Grafen Negri Corps, Einige zur Division
Don Basilio’s gehörten. Was immer durch Furcht oder Hoffnung den
Menschen zu beugen vermag, war gegen diese Braven angewendet worden;
doch umsonst vereinigten sich Drohungen und Verheißungen, Strafen
und Schmeichelworte, um zum Abfall von ihrem Könige sie zu bewegen.
Da sollten auch sie durch Hunger gebändigt werden. Unfähig, sich
aufrecht zu halten, schwankten bald die Freiwilligen, zu vier oder fünf
vereinigt und gegenseitig sich stützend, durch die langen Gänge der
Riesen-Caserne. Jede Kleidung blieb ihnen versagt, so daß die Mehrzahl
nur noch mit elenden Lumpen ihre Blöße bedeckten; das Ungeziefer zehrte
sie auf. So starben über sechshundert Menschen hin, beneidet von den
Gefährten, aus deren entfleischten, farblosen Antlitzen gleicher
Tod starrte. Verzweifelnd entschloß sich endlich eine große Zahl,
fast tausend Mann, die Waffen für Isabella zu nehmen, und der größte
Theil ward nach den Colonien eingeschifft. Diejenigen, welche zu der
Reserve-Armee, die damals unter Narvaez die Mancha reinigte -- besser:
im Blut ertränkte -- bestimmt waren, fanden rasch den Weg zu den
Ihrigen.

       *       *       *       *       *

Erst im Frühlinge 1839 hörte so ruchlose Behandlung auf, die auf immer
ein Schandfleck für Christina’s Anhänger bleibt. Alle Vorstellungen,
welche von den Gefangenen durch die feindlichen Behörden an Maroto
gerichtet worden, hatten gar keinen Erfolg gehabt. Der General
hatte weder Muße noch Lust, für die Rettung von Männern ein Wort zu
verlieren, deren Treue ihm freilich nur hinderlich sein konnte. Aber
das Klagegeschrei der Schlachtopfer war zu Cabrera’s Ohren gedrungen,
dieses Cabrera, den die Zeitungsschreiber von Madrid und ihnen blind
folgend die Presse fast aller europäischen Völker als den Tiger
bezeichneten, der, im Blute seiner Opfer schwelgend, nach mehr Blut
lechzte; von dessen Grausamkeiten sie tausend und tausend abgeschmackte
Mährchen erzählten, während die schändenden Thaten, welche ihn
zwangen, trauernden Herzens das Racheschwerdt zu erheben, in das Meer
der Vergessenheit gesenkt wurden.

Wohl wußten die Christinos, daß Cabrera nie umsonst sprach. Kaum
ertönten die drohenden Worte des Feldherrn, furchtbare Vergeltung
ankündigend für die Leiden seiner Kampfgenossen, als heilsame Furcht
eine Änderung des bisherigen Systemes hervorbrachte. Wenn auch mit
Widerstreben nahmen sie einen Theil der harten Maßregeln zurück, die
ihr Haß, so lange er ungezügelt war, erfinderisch gehäuft hatte; und
die Gefangenen, welche so vielen Jammer zu ertragen vermocht, segneten
den Retter, segneten die Furcht, die ja allein den Niedrigdenkenden in
Schranken zu halten vermag.

O, wie sehnsüchtig blickten wir da auf jene Armee, deren Siege und
Fortschritte und täglich sich mehrende Macht uns noch erlaubten zu
hoffen, noch Aussicht auf einstige Befreiung uns ließen! Wie verfolgte
ich begierig jede ihrer Operationen, wie jubelten wir entzückt, so
oft die Nachricht eines errungenen Vortheils zu uns dringen durfte!
Herrliche, unschätzbare Hoffnung! Und meine Hoffnung ward nicht
getäuscht: schon nahete der ersehnte, der beseligende Tag der Freiheit;
schon vergaß ich Alles, was ich geduldet, was ich noch litt, um ganz in
dem Bilde der nahen, glücklicheren Zukunft zu schwelgen.

       *       *       *       *       *

Während in den Nordprovinzen die Waffen ruhten, schritt das Werk
der Intrigue, täglich klarer hervortretend, mit Riesenschritten dem
Ziele zu. Maroto hatte Armee und Volk sich gewonnen, er ward zugleich
gefürchtet und angebetet; seine Creaturen und seine Gönner, zum Theil
den Umfang des Planes, an dem sie arbeiteten, gar nicht kennend,
umgaben den betrogenen Monarchen, der -- wie zu oft der Edele --
solche Niedrigkeit nicht für möglich hielt und die Warnungen, welche
einzelne Getreue selten wagen durften, unwillig von sich wies. Doch
noch konnte Maroto nicht offen die Ausführung des Complottes betreiben;
noch befanden sich in den ersten Stellen der Armee und der Verwaltung
Männer, welche er haßte, weil der Verräther stets den Loyalen haßt,
welche er fürchtete, weil er wohl wußte, daß sie ihn durchschauten
und überwachten, und weil sie die Macht besaßen, kräftig ihm entgegen
zu arbeiten. Maroto zauderte nicht. Der Untergang jener Männer war
beschlossen, gleichgültig, durch welche Mittel; ihre Stellen sollten
seine Helfershelfer besetzen oder doch solche, die geblendet bereit
waren, das Werk zu befördern, dessen Folgen sie nicht ahneten, und
das sie, da es vollbracht in seiner ganzen Schwärze ihnen klar wurde,
verfluchten wie den Elenden, der unbewußt zu Verräthern sie gestempelt
hatte.

Espartero durfte nicht länger unthätig bleiben. Die öffentliche Meinung
sprach sich heftig gegen die lange Waffenruhe aus, die Journale,
welche so gern zu Organen derselben sich aufwerfen, wo es ihren
Partheizwecken frommt, verdächtigten den Obergeneral, und das Volk,
beunruhigt durch die wiederholt auf den andern Kriegsschauplätzen
erlittenen Niederlagen, war nicht ungeneigt, jenen Zuflüsterungen
Gehör zu geben. Außerdem wünschte Espartero, die Existenz des
Ministeriums, die Herrschaft der gerade das Ruder führenden Fraction
zu verlängern, und dazu mußte irgend ein Erfolg über das carlistische
Heer unumgänglich davon getragen werden. Maroto im Gegentheil stand
schon unerschütterlich da und fürchtete nicht mehr in einer Niederlage
den Verlust des Commando’s und damit das Scheitern seiner Anschläge;
er wollte vielmehr das Vertrauen der Basken auf die eigene Kraft
erschüttern, dadurch zum Nachgeben sie geneigter zu machen.

So ward denn beschlossen, daß die Christinos die Forts, welche
während des Winters an der Westgränze von Vizcaya bis in die Gebirge
von Santander hinein errichtet waren und ganz Vizcaya deckten,
nehmen und den größern Theil dieser Provinz erobern sollten. Den
Schein zu retten, vereinigte Espartero mehr als 30000 Mann mit
vieler Belagerungs-Artillerie nebst ansehnlichen Vorräthen an allem
für Schlacht und Belagerung Nöthigen, während Maroto kräftige
Vertheidigungsmaßregeln anordnete. Aber nun drängte die Zeit; ehe
Maroto die Niederlage sich beibringen ließ, mußte er die ihm feindlich
gesinnten Männer entfernen und selbst den Schein des Widerstandes gegen
ihn unmöglich machen: der lange meditirte Schlag wurde ausgeführt.

Am 16. Februar 1839, da Jedermann fern in Vizcaya ihn glaubte,
erschien Maroto plötzlich in Estella, von geringer Escorte begleitet;
einige Bataillone, die er mitgebracht hatte, waren in nahe liegenden
Dörfern zurück geblieben. Mehrere der angesehensten Ultra-Royalisten
befanden sich in jener Stadt und ihrer Umgebung: der Generallieutenant
Don Francisco Garcia, commandirender General im Königreiche Navarra
ward gewarnt und suchte als Geistlicher verkleidet zu entkommen; er
wurde entdeckt und festgenommen. General Guergué, vor kurzem en Chef
die Armee commandirend, nun mit der Bestellung seines Landgütchens
beschäftigt, Generallieutenant Don Pablo Sanz, Generalmajor Carmona
und der General-Intendant des Heeres Uriz wurden sofort gefangen
gesetzt und in Estella mit General Garcia vereinigt. Dumpfer Schrecken
herrschte: „Was verbrachen diese Männer, so lange bewährt, welches Loos
erwartet sie?“ Flüsternd theilte Jeder seine Besorgniß, seine Zweifel
mit; denn Niemand wagte laut zu sprechen. Da ertönten am 18. Morgens
einige Schüsse; Maroto hatte ohne Kriegsrecht, ohne Befehl seines
Monarchen die fünf Generale füsilirt.

Ich gedenke des wilden Tumultes, der bei der Schreckenskunde
unsere Casematten durchtobte. Anfangs zweifelten wir, hielten die
unglaubliche Nachricht für eine jener Erfindungen, wie christinosche
Zeitungsschreiber so oft sie geschmiedet; doch als nun das Schreckliche
sich bestätigte, schien jeden Einzelnen ein betäubender Schlag
getroffen zu haben. Wohl wollten Manche aufstellen, daß die Generale
gerecht den Tod erlitten, daß Verrath gegen ihren König solche Strafe
auf ihr schuldiges Haupt gezogen habe: das Vertrauen auf Maroto stand
ja so fest, auf ihn gründeten sich alle Hoffnungen, sein Character,
seine Talente galten noch Allen als Pfand des sichern, schnellen
Sieges! Wer aber die gefallenen Opfer kannte, erhob sich unwillig
gegen die entehrende Anschuldigung. War es möglich, daß ein Garcia,
der so edel, so entschlossen treu, mitschuldig sei am Verrathe, daß er
die Hand geboten zum Bunde gegen den Fürsten, in dessen Vertheidigung
er so oft freudig sein Blut vergossen, mit solchem Feuereifer
gekämpft und gesiegt hatte? Und welche Fehler man Einigen der andern
Hingemordeten, so weit Talent und Fähigkeit betraf, auch beimessen
möchte, ihr Character, ihre Redlichkeit und Ergebenheit glänzten
makellos, keinen Angriff scheuend. -- Und dennoch! auf der andern Seite
stand Maroto, standen so viele edlere Namen, hoch geachtet als Stützen
unserer Parthei! -- Ungewiß schwankten wir hin und her unter Zweifel
und Furcht und trüben Ahnungen. Unter den Gefangenen, welche das
gemeinschaftliche Unglück unauflösbar zu verknüpfen schien, erhob sich
Zwiespalt; dort selbst unter den Leiden, die schonungslose Grausamkeit
auf uns häufte, schuf Partheigeist bittern Groll und entfremdete die
sonst eng Verbundenen. War es zu bewundern, daß der Schauplatz jener
Schreckensscenen das Bild der unsäglichsten Verwirrung bot?

Die Aufregung in den Provinzen war unter allen Classen gewaltig;
ein Jeder fühlte sich selbst von furchtbarem Unglücke getroffen und
erwartete fürchtend, daß die nächste Zukunft neuen, entsetzlichen
Schlag bringe. Wen nicht die Pflicht aus dem Hause trieb, der
vermied sorgfältig die Straße zu betreten, man athmete beklommen wie
vor schwerem Gewitter. Drückendes Mißtrauen entfernte die Geister
von einander; Niemand wagte zu sprechen, kaum mit Andern sich zu
vereinigen: man wußte ja nicht, ob man den Freund sah oder einen
versteckten Feind, der zum Verderben des Unvorsichtigen das nicht
genau abgemessene Wort benutzen werde. Denn stündlich fanden neue
Arrestationen Statt, und mehrere Officiere wurden erschossen.

Da erschien eine Proclamation Carls V., welche Maroto’s Verfahren
als illegalen Mord, ihn selbst als Verräther bezeichnete; er ward
für abgesetzt erklärt und der öffentlichen Rache Preis gegeben. Die
Guten jubelten. Noch ein Mal hatten die wahren Carlisten gesiegt und
den Einfluß zurückgedrängt, welchen die Marotisten bisher auf den
König geübt; mehrere Anführer -- so Valmaseda und Don Basilio Garcia
-- rafften eilig Truppen zusammen und marschirten auf Estella, das
königliche Edict in Ausführung zu bringen. Maroto nahm mit den acht
Bataillonen, die er ganz sich ergeben wußte, solche Stellungen, daß er
im Nothfall auf seine neuen Verbündeten, die Feinde seines Königs, sich
stützen oder zu ihnen entfliehen konnte. Schon hieß es allgemein, er
sei zu den Christinos übergegangen.

Nicht lange dauerte der Triumph der Carlisten. Zu gut hatten die
Verschworenen ihre Maßregeln genommen; unterstützt von Manchen, die
auch da noch nicht von dem Wahne enttäuscht waren, daß Maroto der
Retter, emporgehalten vor Allem durch den Einfluß der verblendeten
Königinn, konnten sie die Männer verdrängen, welche durch ihren
Rath die Ächtung des Mörders bewirkt hatten. Es gelang ihnen, den
unglücklichen Monarchen in ihre Netze zurückzuführen und ihn selbst
die Schuld seiner hingeschlachteten Treuen glauben zu machen. In einer
neuen Proclamation erklärte Carl V., daß er von der Unschuld und dem
Verdienste seines Generales überzeugt sei, und daß die Erschossenen
als Verräther gerechte Strafe gelitten hätten; er nahm demnach das
frühere Edikt zurück und bestätigte Maroto in allen seinen Stellen und
Ehren. So stand dieser, der ein Vertheidigungsschreiben an den König
erlassen hatte, welches allein des Hochverrathes ihn schuldig machte,
triumphirend mächtiger da als je. Die Edlen, welche ihre nie wankende
Ergebenheit mit dem Tode der Verbrecher gebüßt, blieben ungerächt.
Schon war der Sturz der Sache entschieden, die so viel Heroismus und so
viel Blut gehoben hatten.

Alle irgend Verdächtigen, Alle, die gegen Maroto sich erklärt hatten,
mußten nach Frankreich auswandern, unter ihnen Uranga, Don Basilio
Garcia, der Minister Arias Tejeiro und viele andere Generale, Obersten
und hohe Civil-Beamten. Valmaseda, zum Tode verurtheilt, entfloh mit
den beiden von ihm gebildeten Husaren-Escadronen und brach sich Bahn zu
dem Heere von Aragon, verzweiflungsvoll die schwarze Fahne aufsteckend,
das Zeichen des Kampfes auf Leben und Tod. Noch blieben in den
Nordprovinzen und selbst in der Umgebung des Königs viele hochgestellte
Personen, wahre Carlisten, Viele, die später in der schrecklichen
Katastrophe herrlich sich bewährten. Aber Maroto vermochte jetzt Alles,
seine Genossen überwachten den König, seine Mitverschworenen hielten
die wichtigsten Stellen inne, Täuschung und Furcht machten jeden
Widerspruch schweigen; nur der Name des Königs fehlte dem übermüthigen
General, um König zu sein.

Der erste Act des Trauerspieles war vollendet.

       *       *       *       *       *

Längst hatten Gerüchte über bevorstehende Auswechselung unruhige
Spannung in dem Depot rege gemacht; ein Jeder hoffte und fürchtete und
berechnete die Chancen, die ihm auf Befreiung wurden. Da ward eines
Morgens dem Chef des Depots eine Liste der Gefangenen übergeben, welche
zur Einschiffung nach Valencia bestimmt waren; Hunderte stürmten,
drängten um das verhängnißvolle Papier: o Glück, unaussprechliche
Wonne, mein Name leuchtete aus der Reihe der Glücklichen mir entgegen!

Cabrera, jetzt zum Grafen von Morella erhoben, hatte alle Gefangenen,
welche dem Feinde in Valencia und Aragon nach den Metzeleien des
Winters überblieben, ausgewechselt und reclamirte nun neunzig
Officiere aller Grade aus dem Depot von Cadix, da das Kriegsglück ihm
täglich neue Gefangene in die Hände spielte. Von mehreren Classen
befand sich nicht die hinreichende Zahl von Individuen aus der
Armee Cabrera’s unter uns, weßhalb die Fehlenden aus den Officieren
der Nordarmee ergänzt werden mußten; so sollte auch die Classe der
Premier-Lieutenants, unter die ich, wiewohl seit einem Jahre zum
Capitain avancirt, bis zur Auswechselung mich zählte, da ich als
solcher gefangen genommen wurde, um sieben Individuen vermehrt
werden. Nicht lange vorher hatte mich ein wackerer Mann, der Consul
von Großbritannien und Hannover, durch Zufall kennen gelernt und
sofort auf das gütigste meiner sich angenommen, indem er nicht nur
die seit Monaten abgerissene Verbindung mit den Meinigen mir wieder
eröffnete, sondern auch in jeder Hinsicht thätig für mich wirkte,
manche Erleichterung durch seinen mächtigen Einfluß mir schuf und,
unschätzbarste Wohlthat in solcher Lage, stets mit ausgesuchten
Büchern mich versah. Leicht hatte Mr. Brackenbury bewirkt, daß ich zur
Ergänzung meiner Classe bestimmt wurde. Welche christinosche Behörde
hätte gewagt, das irgend Mögliche dem Wunsche eines solchen Mannes zu
versagen? Wo Protektion und Gold Alles erlangen, mußte der Wille des
britischen Consul als höchstes Gesetz gelten.

Unendlich war meine Freude, meine Dankbarkeit, da das Ende des Leidens
nahe schien. Ha, wie ich erbebte in grimmiger Lust, wie das Blut mir
siedete und jede Muskel krampfhaft sich spannte bei dem Gedanken, daß
ich bald diesen Christinos gegenüber stehen sollte! Wie ich lechzte
nach dem beseligenden Augenblick der Rache, blutiger Rache für
tausendfache Gräuel! -- Aber doch durchzuckte mich ein schmerzliches
Gefühl, das Glück trübend, welches so freundlich mir lächelte. So
viele mußte ich ja verlassen, die ich innig liebgewonnen hatte, mußte
sie in solcher Lage lassen, deren Schrecken ich ganz gekannt; meinen
Martinez, kaum den Knabenjahren entwachsen, gemüthvoll, kindlich rein
und offen und mit kindlicher Liebe mich umfassend. Wie oft ruhete er
an meiner Brust und erzählte von den Eltern und Geschwistern, von dem
schönen, friedlichen Leben im väterlichen Hause, von der reizenden
Heimath in dem fruchtbaren Ebro-Thale und von den lieblichen Scenen
des Glückes, wie sie aus den Jahren der Kindheit, seligen Träumen
gleich, in das ernste Leben herüberklingen. Und dann schilderte er, die
Gluth des großen, dunkeln Auges von Thränen umschleiert, den Schmerz
der trauernden Mutter, als sie den Knaben, der mit den Bataillonen
der Expedition zur Vertheidigung seines Königs auszog, scheidend an
das Herz drückte; und die Leiden, welche den Zarten, Unerfahrenen
trafen, mit dem Elend und alle dem Schrecken des Krieges und der
Gefangenschaft, die so rauh ihn verletzen mußten. Ich fühlte mit ihm,
und liebevoll lächelte er durch seine Thränen mir zu, bald wieder
heiter und kindlich froh. Das Ende des Krieges führte den Knaben, zu
weich für seine Schrecknisse, in die Arme der Seinen zurück.

Auch von ihm sollte ich mich trennen, dem theuern Gefährten, für den
verwandte Gesinnungen, gemeinschaftlich getragenes Leid als Freund mich
empfinden machten; auch er war verdammt, in den Banden der Wütheriche
zurückzubleiben, deren Wuth wir zu bitter erprobt hatten. Einer der
ersten Familien der Schweiz angehörend hatte Guiguer de Prangins
bis zur Juli-Revolution als Officier in Carls X. Schweizer-Garde,
nach ihr in königlich sardinischem Dienste gestanden, aus dem er,
getrieben vom Durste nach kriegerischer Thätigkeit, nach Catalonien
eilte, den Vertheidigern der Legitimität sich anzuschließen. Das Glück
wollte ihm nicht wohl. Bald nach seiner Ankunft in den Nordprovinzen,
wohin Ekel an dem Treiben der Catalonier ihn führte, zog er mit dem
Expeditions-Corps des Grafen Negri nach Castilien und befand sich
unter den Tausenden, welche nach namenlosen Drangsalen der Elemente
Wuth wehrlos den Feinden überlieferte.

Sein edles Äußere, das Modell männlicher Schönheit, zog unwillkührlich
die Aufmerksamkeit auf sich -- ich hörte die Spanier, denen solche
kraftvoll hohe Gestalt, so majestätisches, Ehrfurcht erweckendes
Antlitz wunderbar imponirten, mehrfach den römischen Kriegsknechten ihn
vergleichen, wie wir in den Gemälden alter Meister bei den Wundern und
Leiden des Herrn sie dargestellt sehen --; die erhabenen Eigenschaften
des Geistes und des Herzens mußten den Eindruck, den sein Anblick
hervorgebracht hatte, zu warmer Verehrung steigern, während sie den,
der nicht sie zu würdigen wußte, in ehrerbietiger Ferne hielten.
Fremde unter Spaniern finden sich schnell. Auch wir hatten uns an
einander geschlossen, hatten Ideen und Betrachtungen, Schmerz und
Hoffnungen ausgetauscht und getheilt, hatten viele lange Tage durch
trauliches Gespräch über Vergangenes und Fernes verkürzt. Viel lernte
ich aus meines Freundes Erfahrungen; ich bewunderte die Schärfe seines
Verstandes, sein Urtheil war das des Mannes, der mit feinstem Gefühle
für das Rechte ein scharfes Studium der Menschen, Vertrautheit mit den
verschiedenartigsten Verhältnissen und hohe Bildung verbindet.

Ergötzlich war es in der That, wenn er in seiner Haushaltswoche das
sehr frugale Mal für uns beide zubereitete, vor dem kleinen zwischen
unsern Betten aufgestellten Heerdchen Episoden aus seinem Leben
ihn schildern oder geistreich über Fragen aus dem Bereiche jedes
Wissens disputiren zu hören, während er eifrig den aufquellenden Reis
überwachte und mit dem kleinen Strohfächer die sparsam zugetheilten
Kohlen wedelnd anfachte.

Umsonst hatte Mr. Brackenbury sich bemühet, auch die Auswechselung
Prangin’s zu bewirken. Er gehörte einer Classe an, in der von
Cabrera’s Armee mehr Individuen im Depot sich befanden, als nach
Valencia gesandt wurden; so war es unmöglich, ihn in die Liste
einzuschieben, da alle Welt wohl wußte, daß jener General nie einen
andern Officier auswechseln würde, so lange ein einziger der seinigen
in der Gefangenschaft schmachtete. Mit innigem Schmerze schied ich
von dem Freunde. -- Als wenige Monate später der Übertritt Carls V.
nach Frankreich die Hoffnung auf glücklichen Ausgang des Krieges nach
der Katastrophe von Bergara vernichtete, und da sie die Aussicht auf
Befreiung ganz schwinden machte, erlangte Prangins durch den Consul den
Paß nach der Heimath und trat in die Dienste des Königs von Sardinien
zurück.

       *       *       *       *       *

Espartero hatte mit möglichster Energie die Zurüstungen für die
beschlossenen Operationen betrieben, ohne jedoch den Augenblick der
Verwirrung, die jener Gewaltstreich von Estella hervorbrachte, irgend
zu benutzen; erst im April, da der Frühling milderes Wetter brachte,
begann er die Bewegungen gegen die Forts, welche das erste Ziel
seines Angriffes sein sollten. Maroto stellte sich den 35000 Mann der
Christinos mit vierzehn Bataillonen, kaum 9000 Mann, entgegen. Übrigens
war Alles unter den beiden Generalen auf das beste geordnet.

Früher sagte ich, wie Maroto während des Winters durch die Anlegung
mehrerer befestigter Punkte seine Herrschaft nach Alt-Castilien
hinein ausgedehnt und zugleich Vizcaya gegen Angriffe von Westen
her gedeckt hatte; die hauptsächlichste dieser Befestigungen war
die des Fleckens Ramales in der Provinz Santander, über dem ein
sehr starkes, regelmäßiges Castell errichtet war. In dem Orte
war eine Kanonengießerei, die bei der Annäherung der Christinos
zurückgezogen wurde. Aller jener festen Punkte sollte also Espartero
sich bemächtigen, um dann nach Vizcaya vordringen zu können; Maroto
zog sich vor den anrückenden Feinden langsam auf Ramales zurück.
Schon nicht fern von diesem Punkte ward der Marsch der Christinos
plötzlich aufgehalten: eine Höhle, in der Mitte einer senkrechten
Felswand und nur mit Leitern zu ersteigen, war von dreißig Mann und
einem Vierpfünder besetzt, welcher vollkommen die einzige durch die
Schlucht sich windende Straße beherrschte. Drei schwere Geschütze
wurden sofort gegen die Höhle aufgepflanzt und zwangen am folgenden
Tage die Besatzung, sich zu ergeben, so daß der Zug fortgesetzt werden
konnte. Mehrere kleine Forts, um nicht unnütz die Zeit zu verlieren,
ergaben sich sofort, andere wurden geräumt; nur in Ramales, als dem
wichtigsten Punkte, sollte der Schein eines kräftigen Widerstandes
gerettet werden, weshalb Maroto eine ausgesuchte Garnison unter sehr
entschlossenem Gouverneur in das Fort legte. Nachdem er am 30. April
die herrlichsten Stellungen, wie jene Gebirge nur sie bieten konnten
und wie sie stets den Heeren der Christinos ganz unzugänglich gewesen,
nach kurzem Scharmützel mit den feindlichen Massen verlassen und so
die Zugänge zum Fort ihnen frei gegeben hatte, stellte er mit seinen
vierzehn Bataillonen rückwärts nahe demselben sich auf.

Espartero drang sogleich vor und errichtete die Batterien, während
er eilf Bataillone der Garde dem carlistischen Heere zur Beobachtung
gegenüber placirte; Maroto that keinen Schuß auf sie, sich mit der
Rolle des müssigen Zuschauers begnügend. Bald begannen die Batterien,
auf sehr große Distance angelegt, ihr Feuer gegen die Wälle des Forts,
ohne den geringsten Eindruck auf dasselbe zu machen, und setzten
es mehrere Tage lang mit großer Lebhaftigkeit und vielem Lärmen
fort. Dann, da die Kanonen keine Wirkung hervorgebracht hatten,
sandte Espartero seine zwei Bataillone Guiden vorwärts, welche, kaum
belästigt, bis zum Fuße des Glacis drangen, dort sich etablirten
und hinter Parapeten ein sehr lebhaftes Gewehrfeuer gegen die Werke
eröffneten. Es ist leicht zu erachten, welchen Effekt diese neue
Belagerungsmethode haben mußte; viel Pulver wurde verknallt, und die
Garnison des Forts lachte darüber. Doch das wurde wohl langweilig,
und für das damit Beabsichtigte war genug gethan; so kam denn am
dritten Tage dieses Feuerns -- am 8. Mai -- ein Expresser Maroto’s und
brachte dem Gouverneur des Forts die Ordre, da keine Hülfe möglich,
also Vertheidigung unnütz sei, unter möglichst guten Bedingungen zu
capituliren, worauf die Garnison, gegen welche eben so viele feindliche
Gefangene abgeliefert wurden, das Fort übergab und zu der carlistischen
Armee zurückkehrte, die bereits auf dem Rückzuge begriffen war. Die
Christinos fanden die Werke im besten Zustande und die Magazine mit
allem Nöthigen überfüllt; Espartero sandte pompöse Berichte nach
Madrid, in denen er die unbegränzte Todesverachtung der nie besiegten
Vertheidiger der Constitution und der unschuldigen Königinn auf das
glänzendste hervorhob und ehrend die Bravour der feindlichen Armee und
die Festigkeit der Garnison anerkannte. Maroto erließ Proclamationen
in gleichem Sinne und überhäufte die Vertheidiger des Forts mit
Ehrenbezeugungen, die sie erröthend empfingen, seine Armee mit
schmeichelhaftem Lobe und Belohnungen, während sie fortwährend ohne
Schwerdtschlag sich zurückzog.[53]

Am 10. Mai ergab sich Guardamino, worauf die christinosche Armee in
Vizcaya vordrang, ohne daß Maroto eine der unnehmbaren Positionen, an
denen so oft die Feldherren der Usurpation gescheitert, zum Schlagen
benutzt oder einen Versuch gemacht hätte, in den wilden Schluchten und
Ketten, so gefürchtet vom Feinde, den Eroberungen desselben ein Ziel
zu setzen. Im Gegentheil, Valmaseda, Arciniaga und die andern festen
Punkte Vizcaya’s, mit so vielem Blute behauptet, unter so vielen
Beschwerden befestigt, wurden ohne Widerstand verlassen; am 22. Mai
besetzte Espartero Orduña, die Hauptstadt der Provinz, und eilte, zum
Waffenplatze sie umzuschaffen. Selbst die berühmte Peña de Orduña, den
Paß über den Hochrücken der Pyrenäen, den hundert Mann gegen ein Heer
vertheidigen, fand er unbesetzt.

Schrecken, Entsetzen ergriff die Basken, ihr Vertrauen wich, da sie
so Unerhörtes, nie für möglich Gehaltenes sahen; wo waren die Zeiten,
in denen der große Zumalacarregui seine Landsleute zu Kampf und
Sieg führte? Die Verschworenen aber streuten heimlich mannigfache
Gerüchte aus über Transaction und bald zu hoffenden Frieden, dessen
Herrlichkeiten sie listig dem geängsteten Volke in den schönsten Farben
ausmalten.

Während Espartero in Vizcaya vorwärts marschirte, war Don Diego Leon
in Navarra thätig gewesen. Die Carlisten hatten wenige Stunden von
Pamplona entfernt eine Brücke über die Arga geschlagen und sie durch
eine regelmäßige Verschanzung, das Fort von Velascoain, gedeckt; ihnen
war dadurch der Übergang über jenen Fluß gesichert, und sie konnten
nach Belieben das feindliche Navarra bis Ober-Aragon hin durchstreifen.
General Leon zog mit vierzehn Bataillonen gegen dieses Fort, zu dessen
Unterstützung zwei navarresische Bataillone, spät durch andere zwei
verstärkt, dort waren.[54] Das Kanonenfeuer, am 29. und 30. April mit
großer Lebhaftigkeit und Kraft unterhalten, brachte gar keine Wirkung
auf die Besatzung hervor, weshalb General Leon, ein entschieden
braver Mann, nachdem er die Jäger-Compagnien bis zum Fuße der Werke
vorgeschoben, an der Spitze seiner Bataillone unter dem heftigsten
Feuer der Garnison den Fluß passirte. Einige Bataillone drangen zum
Sturm in geschlossenen Massen vorwärts, während die andern rechts und
links vom Fort gegen die carlistischen Bataillone sich wandten. In
Gefahr, abgeschnitten zu werden, und ganz ohne Hoffnung auf Entsatz
verließ die Garnison die Verschanzungen, in denen der Feind fünf
schwere Geschütze erbeutete.

Don Diego Leon ward von diesem Siege -- er hatte wiederholt der
Sache der Constitution sehr wichtige Dienste geleistet -- zum Grafen
von Velascoain ernannt; Espartero aber, weil er ohne Sieg der Armee
Maroto’s in das Innere von Vizcaya gefolgt war, erhielt den Titel des
Herzogs des Sieges -- duque de la victoria --, den einst mit mehr Recht
Carl V. dem getödteten Zumalacarregui verliehen hatte, das Andenken des
unbesiegten Helden zu ehren.

Der zweite Act des großen Trauerspieles war vollendet!

  [50] Es befanden sich zwischen dreihundert und vierhundert Officiere
       in Cadix, den Expeditionen Negri’s, Don Basilio Garcia’s und
       Merino’s, dem Heere Cabrera’s und den Partheigängern der Mancha
       angehörend. Letztere wurden später alle erschossen.

  [51] Ihre Lieblings-Phrase: „~ya les haremos à Ustedes sentir lo que
       es el ser prisionero nuestro~.“

  [52] Die Spanier bezeichnen den Kirchhof mit dem Namen des ~campo
       santo~.

  [53] Ich erfuhr die Einzelnheiten, wie ich sie gebe, übereinstimmend
       von christinoschen und carlistischen Officieren, welche als
       Augenzeugen in beiden Heeren gegenwärtig waren.

  [54] Maroto zersplitterte, ganz der Kriegsart seiner Vorgänger
       zuwider, seine Streitkräfte stets absichtlich so, daß er nie den
       feindlichen Heeren mit verhältnißmäßiger Macht entgegentreten
       konnte. Damals befanden sich fast funfzig Bataillone in den
       Nordprovinzen.



XIX.


Endlich waren die tausend und tausend Schwierigkeiten überwunden,
welche ewiger Geldmangel der Abreise der auszuwechselnden Gefangenen
entgegengesetzt hatte; an einem der letzten Tage Juni’s war Alles
zur Einschiffung bereit. Schweren Herzens nahmen wir Abschied von
den Cameraden, die düster ernst uns Glück wünschten zur Reise,
uns beschworen, dem sieggekränzten Anführer, dessen Armee wir in
Zukunft angehören sollten, ihre Lage und Wünsche vorzustellen. In
dichtgedrängtem Haufen umstanden sie das Thor des Palisaden-Gitters,
die Armen, durch das wir einzeln, so wie unsere Namen verlesen wurden,
die Casematten verließen; mein Name, verstümmelt in des Südländers
Munde, ertönte -- noch ein Händedruck, ein herzliches Lebewohl --
schon sah ich die Trauernden nicht mehr; schneller fühlte ich die
Brust sich mir heben, da die furchtbaren Räume, in denen so viele
Monate in peinlicher Muße mir hingeflossen, auf immer hinter mir sich
schlossen. Bald durchzogen wir, kaum durch das gaffende Volk belästigt,
die Stadt mit ihren niedlichen, schneeigen Häusern und bewunderten den
Hafen, wie er, immer noch mit den Flaggen aller Nationen geschmückt,
in sanfter Ruhe sich vor uns ausbreitete. Ihn begränzend erhob sich
uns gegenüber die Küste des Festlandes, von sanft aufsteigenden Hügeln
überschattet, bis wo die dunkleren Massen der Sierra das reizende
Tableau schlossen; Puerto Real und Puerto de Santa Maria, beide wie
Cadix auf das anziehendste gebaut, belebten nebst zahllosen Landhäusern
die mit Weinbergen und lieblichen Orangengärten abwechselnde Gegend.
Noch vor Sonnenuntergang verließen wir die Bucht und flogen, von nicht
ungünstigem Winde getrieben dem offenen Meere zu.

Das Schiff auf dem wir uns befanden, war ein alter Küstenfahrer,
nicht unbequem, da er, um so viel Waaren wie möglich fassen zu
können, geräumig genug eingerichtet war. Vor dem Winde segelte er mit
außerordentlicher Leichtigkeit, so daß wir dann alle Fahrzeuge, welche
wir zu Gesicht bekamen, zu unserm Ergötzen bald überholten; so wie
aber der Wind von der Seite kam, wurde er doppelt schwerfällig und
langsam, wie man behauptet, eine gewöhnliche Eigenschaft bei alten
Schiffen. Unsere Bedeckung -- ich schäme mich fast, ihrer zu erwähnen
-- bestand aus einem Officier und sechs oder sieben Marine-Soldaten,
während neunzig gefangene Officiere an Bord sich befanden. Ich suchte
die Gesinnungen derer zu tentiren, welche den meisten Einfluß auf
die Übrigen ausübten, erkannte aber sehr bald, daß ihr persönliches
Interesse das Gefühl des allgemeinen Besten niederhielt, daß sie für
eine große Thorheit gehalten hätten, jetzt, da sie ihrer Befreiung
gewiß waren, nach Gibraltar, wie ich andeutete, oder irgend einem
andern Punkte sich zu wenden, um vielleicht die Leiden des Exils
erdulden zu müssen. Wie wenig ahneten die Armen das Schicksal,
welches wenige Monate später sie ereilen sollte! Umsonst stellten die
Einzelnen, welche mir sich anschlossen, vor, daß der Feind genöthigt
sein würde, noch ein Mal eine gleiche Zahl unserer zurückgebliebenen
Leidensgefährten zu lösen; die weit überwiegende Mehrheit beharrte
entschieden auf ihrer selbstischen Ansicht. Übrigens erkannte der uns
escortirende Officier seine Lage so wohl, daß er sofort die Waffen
seiner Leute in einen Kasten einschließen ließ und sich dadurch wehrlos
unserm Willen hingab. Er hielt es ohne Zweifel für klüger, uns ganz
gewähren zu lassen, als durch Zwang und lästige Vorsichtsmaßregeln uns
zu reizen; auch mochte er wohl des Characters seiner Landsleute gewiß
sein.

Nachdem während der Nacht Windstille uns gefesselt hatte, trieb nach
Sonnenaufgang ein leichter Hauch das Fahrzeug langsam der Küste
entlang, deren Schönheit um diese Jahreszeit in der höchsten Pracht
entfaltet war. Die Landhäuser der reichen Kaufleute von Cadix bedeckten
in mannigfach wechselnder Gestalt den Strand, bis wo die Kette der
das Meer cotoyirenden Gebirge wilder sich hob; dort lag Chiclana, wo
umsonst die Schaaren der Constitution gegen Angouleme’s Heer Widerstand
versuchten. Dann doublirten wir das Vorgebirge, bei dem der erste
Seeheld der stolzen Britannia mit seinem Tode den herrlichen Sieg
erkaufte, der entscheidend Spaniens und Frankreichs vereinte Flotten
vernichtete, und mit der Überlegenheit seines Vaterlandes über die
gefährlichen Nebenbuhler die Seeherrschaft desselben auf lange Zeit
sicherte. Schon erhoben sich fern am Horizont die bläulichen Hügel
Afrika’s und schienen, vor uns Europa berührend, das Vorwärtsdringen
dem kühnen Seefahrer schließen zu wollen. Der Wind, jeden Augenblick
mehr frischend, näherte uns rasch dem Eingange in die berühmte Straße
des Herkules: zur Rechten zog das maurische Tanger meine Aufmerksamkeit
an, dann links Tarifa mit seinen niedrigen Festungswerken, geschützt
durch eine vorliegende gleichfalls befestigte Insel. Wie in beiden
Städten dasselbe Gemisch von arabischen und europäischen Sitten den
Beobachter frappirt, boten sie auch beide denselben Anblick der
einförmigsten Weiße; jedes Leben schien in ihnen erstorben zu sein.

Von Strömung und Wind gleich begünstigt flogen wir durch die immer
mehr sich engende Straße zwischen zwei Welttheilen hin, welche durch
einen breiten Strom geschiedene Theile desselben Landes schienen. Zu
beiden Seiten erhoben sich wellenförmig die Höhen vom Gestade zu den
dunkleren Gebirgen, zu beiden Seiten prangten die Gefilde in demselben
lachenden Grün und leuchteten gleiche Häuser und Dörfchen in den
Strahlen der Mittagssonne; in Afrika, wie in Europa zeigte das Fernrohr
reizende Gärten und weite Haine von Orangen und Citronen, unter denen
die schlanke Palme, einer Säule ähnlich, hoch gen Himmel strebte.
Da fesselte ein Felsen meine Blicke, zur Linken scharf über die
niedrigeren Höhen hervortretend: die Veste lag vor uns, deren Name des
stolzen Spaniers Brust im Gefühl vergangener Größe, jetziger Schmach
von Zorn und Rachsucht schwellen macht, sein Antlitz in die Gluthfarbe
der Scham badet. Majestätisch steigt aus den Wellen die finstere Masse
empor, die ihres Vertheidigers erkaufte Nachlässigkeit in die Gewalt
der Briten gab, und durch deren Abtretung der Enkel Ludwigs XIV. ihnen
die Anerkennung seiner Herrschaft bezahlte; die, durch die Kunst in
eine fast unangreifbare Veste umgeschaffen, nun die wichtigste unter
den Stationen ist, mit welchen Englands Herrschsucht Europa, ja den
Globus, wie mit einer Kette zu umschlingen wußte, um seinem Handel als
Stapelplatz, seinen Flotten als Stützpunkt und Zuflucht zu dienen, und
die ihm erst dürfte entrissen werden, wenn die hundertfaches Verderben
sprühenden Kriegsmänner, welche, bisher unbesiegt, die stolze Insel
zur Königinn der Meere erhoben, einem in jugendlicher Kraft blühenden
Rivalen unterliegen.

Dann ward Ceuta sichtbar, schon außerhalb der eigentlichen Straße
von Gibraltar gelegen, doch ihm so nahe, daß in jedem der beiden
Punkte Kanonen sich finden sollen, welche den anderen zu erreichen
vermögen; einige jener Ungeheuer, wie der Rhein-Reisende auf dem
Ehrenbreitstein eines bewundert. Auch Ceuta ist sehr stark; es liegt
auf einer Landzunge, deren ganze Breite die die Landseite deckende
Befestigungslinie einnimmt, so daß diese in eingehenden Bogen
construirt werden konnte. Die Regierung Christina’s begrub in den
Kerkern des dortigen Presidio Tausende von Unglücklichen, welche
Anhänglichkeit an ihren König zu Verbrechern stempeln mußte.

Vor uns dehnte das Mittelländische Meer sich aus, so reich an
Erinnerungen und herrlichen Thaten, umringt von den schönsten Ländern
der alten Welt, von den Reichen, die in der höchsten Blüthe der
Civilisation und der Macht prangten, als die Völker des Nordens, welche
jetzt über den ganzen Erdball hin das Loos der Nationen lenken, auf
lange noch in den Banden des finstern Barbarismus lagen. Und was sind
sie nun, diese herrlichen Länder, welche die Geschichte als die Wiege
alles Erhabenen und Schönen uns malt? Würden die mächtigen Könige
Egyptens, die Erbauer der Pyramiden, die Priester, denen Griechenlands
Weise ihre geistigen Schätze verdankten, ihr Vaterland wieder erkennen
in den öden Gefilden, deren Bewohner eines Mehemed Ali Cultur als
Wunder anstaunen müssen? Könnten wohl die Helden der weltumfassenden
Roma für ihre Nachkommen +die+ Männer halten, deren schlaffer,
knechtischer Geist selbst den +Gedanken+ der Thaten ihrer Vorfahren
nicht zu fassen vermöchte? Tunis Dey herrscht da, wo einst Carthago in
seiner stolzen Handelsgröße thronte, wo Hannibal, groß als Feldherr
und groß im Rathe, seine kühnen Pläne zum Kampfe um die Herrschaft der
Welt entwarf; Macedoniens unterdrücktes Volk vergaß längst, daß ein
Alexander triumphirend zu den Gränzen des fabelhaften Indiens und bis
in die glühenden Wüsten von Afrika es führte. Und was ward aus der
pyrenäischen Halbinsel, die eine neue Welt sein nennen durfte, deren
Flotten von Osten und von Westen her die unerschöpflichen Reichthümer
der heißen Zone ihr, der Gebieterinn, zuführten; deren Herrscher sich
rühmte, daß nie in seinen Staaten die Sonne untergehe? Was ward aus
Griechenland, dessen Söhne, lange Jahrhunderte unter schmähliches
Sclavenjoch gebeugt, durch alle Stürme und Leiden hindurch nur die
alte Uneinigkeit zu bewahren wußten? In des großen Constantin Stadt
zittert ohnmächtig der Sohn der Sultane, welche zu Wiens Belagerung
ihre fanatischen Krieger führten; ein türkischer Pascha gebeut
in den Reichen des großen Mithridates, in den Stätten, die durch
Hectors und Achilles Thaten verherrlicht sind. Wo der Herr der Welten
beseligende Liebe verkündete, da kämpfen wilde Horden um das Recht, die
erniedrigten Bewohner bis zum letzten Blutstropfen auszusaugen! --

O, Vergänglichkeit alles Menschlichen! -- Und das Meer unter allen
Umwälzungen rollt seit Jahrtausenden unverändert seine Wogen.

       *       *       *       *       *

Der Südwest, welcher uns so kräftig durch die Straße von Gibraltar
getrieben und die Hoffnung erregt hatte, in wenigen Tagen Valencia
zu erreichen, starb weg, als wir während der Nacht Malaga und Motril
passirt hatten; im Angesichte des Cabo de Gata fesselte uns gänzliche
Windstille, von den Schiffern mit finsterer Stirn begrüßt. Erstickende
Schwüle lähmte Geist und Körper, bleischwer auf uns lastend, die Sonne
glühte sengend auf unsern Scheitel herab, und als die ersehnte Nacht
endlich kam, brachte auch sie nicht jene erfrischende Kühlung, die
sonst sie zu begleiten pflegt. Die Segel schlugen schlaff hin und
her an die Masten, durch ihre Bewegung fortwährend uns Unerfahrene
täuschend, da wir die Wirkung des Windes in ihr suchten; zugleich
schwankte das Schiff tief sich beugend von einer Seite zur andern und
erzeugte dadurch rings umher ein leichtes Zittern des Wassers, gegen
das die todte Glätte des Meeres, so weit das Auge reichte, desto mehr
auffiel.

Gegen Mittag des folgenden Tages ward fern gen Norden ein kleiner
schwarzer Punkt sichtbar, der reißend anschwoll und den Horizont
überzog; dumpfes Rauschen ertönte aus der Tiefe, aus der Luft, die
Oberfläche des Meeres regte sich, hie und da kleine Streifen weißen
Schaumes zeigend. Emsig kletterten die Seeleute umher, die verwitterten
Züge in starre, drohende Falten geworfen, zogen hier ein Segel ein und
banden sorgfältig es fest oder untersuchten mit prüfendem Auge die
Taue, während dort die Schiffsjungen alles Überflüssige in den Raum
warfen, um das Verdeck, schon durch eine große Zahl von uns überfüllt,
etwas freier zu machen. Rasch bedeckte schwarzes Gewölk hoch auf
einander gethürmt den ganzen Himmel, immer hohler tönte über uns,
wie unten in den Wassern, abgerissen unheilverkündendes Brausen, und
das Fahrzeug ward in kurzen, heftigen Stößen hin und her geworfen.
Augenblickliche Stille trat ein, unheimlich, ängstlich: in der nächsten
Minute brüllte und pfiff der Sturm durch das Tauwerk, welches längst
von seiner Last befreit war.

Ein Sturm ist so oft geschildert worden, daß es nur lästige
Wiederholung des oft Gehörten wäre, wollte ich unsere körperlichen
und geistigen Leiden während der folgenden Tage im Detail geben. Das
Schiff flog dahin vor der Wuth der losgelassenen Winde, bald hoch
auf einer Woge emporgehoben und weithin das wilde Treiben der Wasser
überschauend, bald war es in den Abgrund versenkt, dessen Schaumwände
einem Kerker gleich, dicht uns umschlossen und jeden Augenblick über
uns zusammenzuschlagen drohten. Nicht mehr bestimmt, so grausen Kampf
zu bestehen, krachte das alte Schiff in allen seinen Fugen, als bräche
es unter der Last der Massen, die es bestürmten. Wehklagen und Jammer
ertönte aus dem Raume, wo jede neue Welle die von der Seekrankheit
Geplagten über und durch einander warf, während so viele, welche auf
dem Lande oft furchtlos dem Tode getrotzt, nun die Stunde verwünschten,
in der sie dem treulosen Elemente sich anvertrauen mußten.

Als wir uns einschifften, hatte ich wohlweislich ein Plätzchen auf
dem Verdecke mir ausgewählt, und so lange das Wetter günstig, war
mir diese Vorsicht wohl zu Statten gekommen; die frische, zehrende
Luft erregte nur meinen Appetit, und die mannigfachen Leidens- und
Klagelaute, die besonders von unten herauf schallten, hatten, wie
das denn zu geschehen pflegt, mir reichen Stoff zum Lachen geboten.
Jetzt ward aber der Zustand der in freier Luft Lagernden mit jedem
Augenblicke beschwerlicher. Schon mußten wir lang ausgestreckt neben
einem Mastbaume hingekauert mit Händen und Füßen uns anklammern, um
nicht fortgeschleudert oder von den Wogen, die häufig über das Verdeck
hinfegten, über Bord geschwemmt zu werden. Durchnäßt bis auf das
Mark, stets von neuem gerüttelt und gerissen beneidete ich diejenigen
meiner Gefährten, welche unter Deck, wenn sie mit dem Kopfe gegen die
Schiffswand geschlagen wurden, eben dadurch die tröstliche Gewißheit
erhielten, daß diese Wand, so lange sie existirte, die tobenden Wasser
von ihnen fern hielt. Ein kleiner dreizehnjähriger Cadett wurde vor den
Augen seines Vaters, der umsonst einen herzzerreißenden Hülfeschrei
ausstieß, vom Verdeck geschwemmt und augenblicklich in den schäumenden
Fluthen begraben; zwei Officiere entgingen wie durch Wunder demselben
Geschick, da sie, über Bord gehoben, irgend ein Tau ergreifen konnten
und halb zerschlagen zurückgezogen wurden; ein anderer brach sich
zweifach den Arm, viele trugen Contusionen davon.

Genug des Unangenehmen, welches der Sturm reichlich uns brachte.
Wer etwa mehr davon wissen möchte, wird durch Überlesen einer der
vielen grausigen Erzählungen der Art, wie sie in den Schriften zur
Belehrung der Kinder sich finden, über und über befriedigt werden; wenn
zehnfach übertrieben, sind solche Beschreibungen im Allgemeinen nicht
unbezeichnend, und eine lebhafte Phantasie wird das Fehlende leicht
ergänzen.

Am dritten Tage hatte der Himmel sich aufgeklärt, das Meer umspülte
wieder sanft plätschernd unser Fahrzeug, Delphine folgten ihm spielend
und kündigten die Dauer des guten Wetters an; der Schiffer aber
erklärte zum großen Erstaunen Vieler unter den Reisegefährten, die
später nicht wenig prahlten, durch einen Sturm so weit vom Vaterlande
fortgetrieben zu sein, daß wir nahe bei der Insel Sardinien uns
befänden. Das Feuer, so lange schon nicht angezündet, wurde wieder
angefacht, und ausgehungert wie wir durch dreitägiges Fasten es waren,
-- ich hatte in der That kaum ein Bischen ganz aus über einander
wimmelnden Würmern bestehenden Schiffszwieback gegessen -- überwachten
wir mit dem Auge der höchsten Ungeduld die Zubereitung des Mahles.
Nie fühlte ich so entsetzlichen Hunger; ich segnete die Seekrankheit,
durch welche die Hälfte von uns unfähig gemacht war, am kärglichen
Essen Theil zu nehmen. Ein halbgünstiger Wind trieb das alte Schiff
vor sich her, und nach wenigen Tagen entdeckten wir wieder Spaniens
blaue Gebirge fern über dem Wasserspiegel. Die Küste des Königreiches
Granada lag vor uns. Bald tauchten die weißen Gipfel der Sierra nevada
am Horizonte empor, selbst in dieser Jahreszeit mit Schnee bedeckt,
während die Ufer, so weit das Fernrohr sie enthüllte, überall das Bild
der reichsten Fruchtbarkeit darboten. Wir cotoyirten das liebliche
Königreich Murcia, in dem Cartagena’s hohes Castell im Glanze der
Morgensonne aus dem dunkeln Gebirgsrahmen leuchtete, der seine Weiße
noch blendender hervorhob, dann doublirten wir das Cabo de Palos,
begrüßten Alicante, reich an aromatischem Weine, dem Lieblinge der
spanischen Damen, und bogen am Abend des 11. Juli in den Busen von
Valencia ein, das hohe, ihn begrenzende Cabo San Martin umschiffend.

Die Scene war prachtvoll, erhebend schön. Vor uns breitete die Bay sich
aus, zitternd in kaum fühlbarer Bewegung, zauberhaft wiederstrahlend
in dem schwankenden Lichte der Mondscheinnacht, wie nur des Südens
Himmel, rein und hell, so wunderbar lieblich sie schafft, und umkränzt
von dem dunkeln Streifen der amphitheatralisch sich erhebenden Gebirge.
Tief im Grunde funkelte einsam auflodernd das Feuer auf Valencia’s
Leuchtthurme, während zur Linken, uns näher, zahllose Lichter aus
Denia, Gandia und so vielen das Gestade schmückenden Dörfern, bald
langsam verlöschend, das thätige Treiben der Menschen verriethen. Die
finstern Massen der Handelsschiffe, wie sie theils dem offenen Meere
zuglitten, theils nach Valencia’s Hafen sich wandten, die Produkte
des in ewigem Frühlinge blühenden Königreiches für die Erzeugnisse
fremden Gewerbfleißes einzutauschen, schwanden in ungewissen Umrissen
in der Dunkelheit hin, schwarzen Ungeheuern gleich, die mit glänzend
weißen Flügeln im zweifelhaften Lichte des Mondes über die Silberfläche
hinflogen. Zwischen ihnen schwebten anmuthig wie leichte Sylphen
die Fischerboote, mit ihrem einfachen Segel bedeckt, und die Stimme
der Fischer, bis ihr Klang in der dunkeln Ferne hinstarb, ertönte
schauerlich ernst durch die Nacht, wie sie im Wechselgesange den
Schutzheiligen ehrten, der so oft aus den tobenden Fluthen sie gerettet
hatte, oder die Schönheit und Gnade der jungfräulichen Himmelsköniginn
priesen.

Am folgenden Tage lagen wir dem Grao gegenüber vor Anker. Die Ordre
zur Ausschiffung erfolgte bald, so daß wir um Mittag die kleine
Hafenstadt durchzogen, um nach Valencia gebracht zu werden, wohin eine
drei Viertel Stunden lange, mit schattigen Bäumen besetzte Straße
führt, umgeben von eleganten Landhäusern und Gärten. Da die Behörden
nicht wagten, durch die von unzähligen niedrigen Thürmen überragte
Stadt uns zu führen, zogen wir rings um die Mauer, die, aus den
Zeiten der Araber stammend, jetzt ausgebessert und mit Schießscharten
versehen war, ohne doch einem ernstlichen Angriffe irgend Widerstand
entgegensetzen zu können. Endlich fanden wir uns in einen der alten
Thürme eingeschlossen, welche zur Flankirung der Mauern bestimmt waren
und nun häufig als Gefängnisse dienen; es war eben derselbe Thurm, aus
dem wenige Monate früher unsere unglücklichen Cameraden, um der Wuth
der Revolutions-Männer zu genügen, wehrlos zur Schlachtbank geschleppt
waren.

Auch uns war dieses Loos nicht fern. Aufgereizt und bezahlt, wie immer,
durch die Selbstlinge, denen jedes Mittel für ihre Zwecke recht ist,
versammelten sich die National-Garde und der Pöbel Valencia’s, wilde
Drohungen ausstoßend und für die Nacht Wiederholung der so oft erneuten
Mordscenen verheißend. Die Behörden fühlten sich zu schwach, um mit
Gewalt den Aufstand niederzuhalten; so wurden wir denn, anstatt, wie
bestimmt, am folgenden Morgen zu marschiren, plötzlich Mittags aus
unserm Thurme gezogen und eiligst mit starker Bedeckung nach Murviedro
abgeführt, natürlich von den zusammenlaufenden Liberalen möglichst
insultirt und beschimpft.

       *       *       *       *       *

Herrlich dehnt zwischen dem Meere und dem Gebirge, zwei bis vier
Meilen breit und etwa zwanzig lang, die Ebene sich aus, die unter dem
Namen der Huerta -- des Fruchtgartens -- von Valencia bekannt ist,
so sorgfältig bebaut und so bis zum kleinsten Fleckchen benutzt, wie
die am reichsten cultivirte Landschaft in Deutschlands Auen es zu
sein vermag. Die Nähe des Meeres verbreitet auch in den glühendsten
Monaten des Sommers wohlthätige Kühlung und befruchtende Feuchtigkeit
über diesen begünstigten Landstrich, die hohen Berge, welche schützend
ihn umgeben, halten die rauhen Winde der kalten Jahreszeit fern. Dazu
hat die Sorgfalt des Landmannes durch Cisternen und Canäle, die in
unendlicher Menge die Felder durchkreuzen, regelmäßige Bewässerung des
Bodens geschaffen, seine Saaten gegen die dörrende Hitze der Sonne
schützend.

Und diese Sorgfalt, so selten in Spanien, dem Lande der Trägheit, ist
nicht unbelohnt geblieben. Die strotzenden Felder, die reichen Gärten
zeugen von der Fruchtbarkeit des Landes, die reinlichen Dörfer, welche,
dicht an einander gedrängt, in unglaublicher Menge diese gesegneten
Auen schmücken und mit ihren weißen Kirchthürmen freundlich sich zu
begrüßen scheinen, verkünden die Wohlhabenheit der Bewohner und zeigen,
was Natur vermag, wenn des Menschen ausdauernder Fleiß ihr zu Hülfe
kommt. Wäre die ganze Halbinsel wie diese Huerta bebaut, so würde sie
leicht die fünffache Zahl ihrer jetzigen Bewohner ernähren. Zugleich
vermannigfacht das Klima ausnehmend die Produkte, so daß der erstaunte
Fremde Alles dort bewundert, was im Gebiete der Pflanzenwelt Natur
reichstes und liebliches in allen Zonen und Welttheilen hervorbrachte.

Asiens Zuckerrohr gedeihet neben der hoch aufstrebenden Palme von
Afrika; Arabien lieh seinen Kaffeebaum, wie Indien die wohlthätige
Pflanze der Baumwolle zur Bereicherung dieses weiten Gartens, und
selbst die Königinn der Früchte, die köstliche Ananas, vertauschte
gern mit Valencia’s Ebene die waldbedeckten Flächen Amerika’s. Auch
in den Gegenden, deren übermäßige Nässe jede Cultur zu verspotten
scheint, belohnt der nährende Reis die Mühe der Armen, welche, bleich
und hinfällig eine Beute der stets herrschenden Fieber, den Gefahren
trotzen mögen, die jene Sumpfgründe täglich ihrem Bebauer drohen.

Gegen Abend erreichten wir Murviedro, gekrönt auf hohem, unzugänglich
scheinendem Felsen von dem Castell, das als eines der festesten
in Spanien angesehen ist; Murviedro, das alte Sagunt, so reich an
geschichtlichen Erinnerungen und auf immer berühmt durch seine
heldenmüthige Vertheidigung gegen den afrikanischen Feldherrn, der
durch die Belagerung dieser Stadt den ersten Schritt that zu dem
herrlichen Zuge, in dem er seine Schaaren bis vor die Thore der stolzen
Roma führte. Noch jetzt sind einige Trümmer jener alten Veste und
noch mehr des carthagischen Lagers sichtbar. Wir blieben in Murviedro
bis zum folgenden Mittage, worauf wir über Nules den Marsch auf
Castellon de la Plana fortsetzten. Das Land, wenn schon von Hügeln
durchschnitten, die hin und wieder schrofferen Character annahmen, trug
fortwährend den Stempel der Fruchtbarkeit und hoher Wohlhabenheit;
doch hatte der Krieg, der Zerstörer jedes Glückes, hier häufige Spuren
seiner Wuth zurückgelassen.

Die Bewohner des Königreiches Valencia, mehr gewandt als kräftig,
lebhaft, schlau, oft hinterlistig, und aufbrausend, frappiren den
Fremden sofort durch ihre National-Kleidung, in der sie, durch die
stets gleich milde Sonne begünstigt, den Gebräuchen ihrer Voreltern
treu geblieben sind. Wahrscheinlich ist ihr jetziger Anzug noch
eben derselbe, in dem vor Jahrtausenden die Urvölker Spanien’s die
phönizischen und ägyptischen Handelsflotten empfingen, und dem Klima
angemessen ist er zugleich nicht unmalerisch. Ein weißes leinenes
Hemd bedeckt den Oberkörper, und die weiten gleichfalls weißen
Beinkleider gehen kaum bis zum Knie hinab und sind durch eine breite
schwarze oder scharlachfarbige Schärpe um den Leib festgehalten;
das Unterbein schützen knappe weiße Strümpfe von Wolle, die bis zum
Knöchel hinabreichen, während ihr Schuhzeug in den aus Flachs oder
Hanf geflochtenen Sandalen besteht, an den Fuß mit rothen oder blauen
Bändern zierlich befestigt. Ein schwarzsammetnes Westchen mit vielen
Reihen kleiner silberner Knöpfe vollendet den Anzug, wobei eine
Scharlachmütze, weit über die Schultern hinabfallend, den dunkeln
Lockenkopf deckt. So ziehen sie, mit lauter, klangreicher Stimme ihre
Volkslieder singend, neben den kleinen Maulthieren und Eseln einher,
die ihre einzigen Transportmittel bilden; ich erinnere mich nicht, mit
Ausnahme der größten Städte, irgendwo einen Karren oder ein sonstiges
Fuhrwerk je gesehen zu haben. Die Sprache der Valencianer ist ein
Gemisch der französischen, italienischen und spanischen mit einzelnen
arabischen Formen, dem Dialekt der Catalonier nahe verwandt, doch etwas
mehr dem Castilianischen sich zuneigend; es ist demjenigen, der jene
drei Sprachen besitzt, leicht, sich ihnen verständlich zu machen, was
der Bewohner Castiliens sehr schwierig findet.

Tag auf Tag verging uns in der schmutzigen Klosterkirche, in die
wir bei der Ankunft in Castellon eingeschlossen waren, ohne daß
die Auswechselung sich verificiren zu wollen schien; und wiewohl
ich mich bemühete, beim gänzlichen Mangel an Büchern durch eine
L’Hombre-Parthie, die gewöhnlich vom Sonnenaufgang bis zum Dunkelwerden
dauerte, möglichst mich zu zerstreuen, war doch die stets neu erregte,
stets wieder getäuschte Erwartung so furchtbar peinlich, daß wir am
Ende in einem Zustande von vollkommener Abspannung uns befanden. Doch
endlich nach langen vierzehn Tagen kam der Glück bringende Augenblick.
Um zwei Uhr Morgens am 1. August 1839 standen wir geordnet vor der Thür
der Kirche zum Abmarsch bereit. Drei unserer Cameraden durcheilten
unsere Reihen, Thränen im Auge, beschworen uns, für sie zu sprechen,
und nahmen mit schmerzlichem Händedruck Abschied, als der ersehnte
Befehl zum Aufbruch ertönte: der Graf von Morella hatte sich geweigert,
sie auszuwechseln, da sie durch Gold und Fürsprache bewirkt hatten,
daß die Christinos sie anstatt anderer drei Officiere von der Armee
Cabrera’s nach Valencia sandten, während jene in Verzweiflung in Cadix
zurückbleiben mußten.[55]

Schwellenden Herzens verließen wir Castellon de la Plana und zogen
den nahen Gebirgen zu, den Gebirgen, die wir als den Unseren gehörig
betrachten durften. Nie waren wir so leichten Schrittes gegangen;
kaum vermochte die kleine Escorte, welche dem Vertrage gemäß zur
Auswechselung uns geleitete, so stürmisch rasch zu folgen. Links,
wenige tausend Schritt entfernt, glänzten stolz in der Morgensonne
die hohen Mauern von Villafamés, das so oft unsern schwachen
Angriffsmitteln widerstanden; schon war die Bresche wieder geschlossen,
die wenige Wochen vorher Tortosa’s brave Freiwillige umsonst gestürmt
hatten. Mehr und mehr wurde das Terrain gebrochen; der feindliche mit
der Auswechselung beauftragte Brigadier blickte erwartungsvoll durch
sein Fernrohr umher. Einige Reiter erschienen weithin in dem Grunde
der Schlucht; wir erkannten die rothen und weißen Baretts der Carlisten
und begrüßten sie mit donnerndem Jubelruf.

Eine halbe Stunde später standen wir in langer Reihe den Officieren
gegenüber, die für uns sollten ausgetauscht werden; das lästige
Ceremoniel war endlich durchgemacht, ein rauschender Triumphmarsch der
Janitscharen-Musik ertönte: wir waren frei! Carlisten und Christinos
umarmten sich im Taumel der Freude und wünschten sich Glück; dann
schieden wir, um bald im Getümmel des Kampfes uns wiederzufinden.

Ich war frei, war vereint mit den Meinen; ich durfte hoffen, im Blute
der Gehaßten so viele Leiden, so viele mit Zähneknirschen empfangene
Insulte, so viele hingeopferte Gefährten zu rächen. Ich jubelte im
Vorgefühle des seligen Tages, an dem ich die Waffen in der Hand den
Schaaren Christina’s mich gegenüber sehen würde, ich athmete, ich
schwur Rache, Rache für alle die Unbilde, welche sie höhnend auf uns
Wehrlose gehäuft hatten.

Das Volk aus den umliegenden Ortschaften war nebst vielen carlistischen
Officieren gekommen, um Zeuge der Auswechselung zu sein, der zweiten,
die seit dem Vertrage Statt fand, welcher den beiderseitigen
Schlächtereien des Winters ein Ziel setzte. Sie hatten Lebensmittel
und den feurigen Wein des Landes mit sich gebracht, und rasch war das
Feld bedeckt mit bunten Gruppen, die fröhlich schmausend und trinkend
ihr Glück in Gesängen des Krieges und der Liebe kund gaben, bis
Guitarre und Castagnetten die Losung zum Tanze gaben, den der Spanier
so selten zurückweiset. Erst als die sinkende Sonne zum Aufbruch
mahnte, vertheilte sich die Masse in die nächsten Dörfer, in denen
Vorbereitungen zu festlichem Empfange getroffen waren. Am folgenden
Tage marschirten wir über las Cuevas nach San Mateo, einem freundlichen
Städtchen in äußerst fruchtbarer und lieblicher Gegend und daher
ausgewählt, damit wir von den Strapazen und Entbehrungen, welche die
Gefangenen so hart geduldet hatten, dort ruhend uns erholten, ehe wir
in Thätigkeit gesetzt würden.

Unwillig, ferner müssig zu sein -- ich hatte nur zu lange in
gezwungener Muße mich aufgezehrt -- eilte ich zu unserm Commandeur,
um einen Paß nach Tales ihn zu bitten, wo der General mit einigen
Bataillonen gegen O’Donnell’s Heer operirte.

  [55] Ein anderer Officier war niederträchtig genug gewesen, sein
       Recht auf Auswechselung um Gold einem Andern zu verkaufen.
       Er wurde mit Mühe von der Todesrache eines dritten Officiers
       gerettet, dem er zuerst seine Ansprüche abgetreten hatte, um sie
       dann, da ein Anderer eine höhere Summe ihm bot, heimlich diesem
       zu überlassen, indem er vor dem feindlichen Chef des Depots
       unauflösbar den Contract einging. Juan, ein braver, biederer
       Sohn des Gebirges, kernig an Körper und Geist und Herz, jeder
       Falschheit unfähig und sie hassend mit der ganzen, herrlichen
       Gluth seiner Seele, dabei wild und leidenschaftlich ewige Rache
       athmend, wie unerschütterlich fester Freund -- Juan hörte die
       Schreckenskunde, durch welche die sichere Hoffnung, das höchste
       Ziel alles seines Strebens so bubenmäßig ihm geraubt und in
       ungewisse Ferne hinausgerückt war. Wir wurden am Abend in
       unsere Casematte eingeschlossen. Da zog Juan ein Papier hervor
       und las den zwei und dreißig, die wir zusammen dort wohnten,
       die Verpflichtung vor, welche Ruiz gegen ihn eingegangen;
       zugleich erklärte er, wie dieser Ruiz nun schändlich sein Wort
       gebrochen. Er nahete darauf dem Bette desselben und sagte ihm
       ruhig. „Du hast fünf Minuten Zeit, Dich vorzubereiten, dann
       mußt Du sterben.“ Lautlos starrte der Wicht ihn an und brach
       in Thränen und Klagen und Flehen aus. Wie die fünf Minuten
       verflossen, ergriff Juan zwei mächtige Bretter und reichte
       Ruiz das eine derselben dar mit den Worten: „Waffen haben wir
       nicht -- nimm dieses und wehre Dich gut; denn wehrst Du Dich,
       so schlage ich Dich todt, und wehrst Du Dich nicht, so schlage
       ich Dich auch todt.“ Die übrigen Officiere sahen gleichmüthig
       dem zu, ohne sich zu rühren; auch der Vater von Ruiz, der den
       Sohn zu solcher Erbärmlichkeit überredet hatte, drückte sich
       in einen Winkel. Dieser aber, anstatt das dargebotene Brett
       zu ergreifen, wimmerte feig und jammerte weinend um Hülfe,
       um Rettung, bis er, als Juan den Schlag zu führen seinen Arm
       hob, in Todesangst mit weitem Sprunge zwischen Guiguer’s und
       mein Bett sich warf, unsere Kniee flehend umklammerte und --
       unter den Betten verschwand. Dem Einflusse meines Freundes
       gelang es, Juan auf einen Augenblick durch Bitten und durch die
       Bemerkung zu entwaffnen, daß er sich nicht mit dem Blute eines
       solchen Wichtes besudeln dürfe; und ehe die Verachtung dem
       wieder auflodernden Zorne gewichen, war Ruiz dem Chef des Depot
       übergeben, der ihn auf ein Castell abgesondert bringen ließ. Er
       entschloß sich dann, für Isabella Parthei zu nehmen, und ward
       aufgenommen.



XX.


Don Ramon Cabrera, Sohn eines Kaufmanns in Tortosa, Student der
Theologie und Inhaber einer kleinen ~capellania~ bei seiner
Vaterstadt, verließ auf die Nachricht von dem Tode Ferdinands VII.
seine Studien, um den Guerrillas sich anzuschließen, welche in den
Gebirgen Aragon’s, Valencia’s und Cataloniens für die Rechte Carls V.
zu den Waffen griffen. Drei und zwanzig Jahr alt stellte er sich an
die Spitze von funfzehn Genossen, meistens seinen Schulcameraden,
sämmtlich mit Jagdflinten und Stöcken bewaffnet, und warf sich mit
ihnen in die Sierra, welche von dem zum Hochplateau sich erweiternden
Gebirgsstocke von Unter-Aragon nach Norden zum Ebro ausläuft und jene
Provinz von Catalonien, das Flußgebiet des Guadalupe von dem des
Ebro scheidet. Sofort zeichnete Cabrera, feurig und thatendurstig,
durch Unerschrockenheit und Ausdauer eben so sehr sich aus, wie
durch Scharfsinn und entschlossene Kühnheit in der Ausführung der
schwierigsten Unternehmungen.

Es würde ermüdend sein, Schritt vor Schritt den Zügen und Thaten des
jungen Helden zu folgen; ich begnüge mich, bis zu der Epoche, in der er
an die Spitze aller bis dahin unabhängigen Guerrillas jener Provinzen
gestellt wurde, eine allgemeine Übersicht des von ihm Gethanen zu geben.

Miralles -- el Serrador, der Holzsäger, nach dem Handwerke genannt,
welches er vor seinem Auftreten gegen die Constitution von 1820
hatte -- Quilez, Llagostera, Forcadell, Tallada, la Coba und viele
unbedeutendere Männer waren die Chefs jener Haufen, über welche alle
dem Namen nach Carnicer gebot, ein erfahrener General, der hohen Geist
mit kriegerischem Talente verband. Ihm schloß Cabrera sich an und ward
anfangs als Factor oder Commissariats-Gehülfe, bald als Lieutenant und
Abanderado angestellt, in welcher Eigenschaft das schwierige Geschäft
der Rationirung des Bataillons ihm oblag.

Bei jeder Gelegenheit ausgezeichnet durch Bravour, Intelligenz und
Thätigkeit erhielt er schon im Frühlinge 1834 mit dem Grade eines
Capitains das Commando einer Jäger-Compagnie, und wie die Wechselfälle
eines solchen Guerrilla-Krieges es mit sich brachten, war er bald mit
seinem Chef vereinigt, bald kämpfte er lange Zeit unabhängig für sich
oder in Combination mit andern Anführern. Sein Ruf verbreitete sich
weit, und ihm vorzugsweise strömte fortwährend junge Mannschaft zu, so
daß er zwei Compagnien, endlich ein Bataillon bilden konnte, mit dem er
während der zweiten Hälfte des Jahres tief nach Aragon hinein und in
den südlichen Theil des Königreiches Valencia Streifzüge machte, häufig
glückliche Gefechte bestand und feindliche Forts nahm und zerstörte,
wobei er durch Gefangene, die gern unter solchem Führer die Waffen
nahmen, wie durch freiwillige Rekruten täglich die Zahl seiner Truppen
mehrte. Schon hatte er seinen Namen zum Schrecken der Constitutionellen
gemacht.

Im Frühjahre 1835 commandirte Cabrera zwei schöne Bataillone und nahm
unter Carnicer, der hier alle Guerrillas vereinigt hatte, an der
unheilsvollen Schlacht bei Molina Theil, in der er durch persönliche
Bravour und die Leitung seiner Truppen wie durch deren feste Haltung,
Organisation und Disciplin sich auszeichnete und eine glänzende
Ausnahme von der allgemeinen Verwirrung und Entmuthigung machte,
dadurch Vieles rettend. Er ward so zum Lieblinge der Soldaten, welche
schaarenweise die übrigen Chefs verließen, um ihm sich anzuschließen,
ja mehrere dieser Chefs selbst, im Gefühle seiner Überlegenheit,
ordneten freiwillig sich ihm unter, so Don Luis Llagostera y Cadival,
etwas später auch Don Domingo Forcadell und La Coba. Dadurch konnte
Cabrera drei neue, starke Bataillone und einige Escadrone Lanciers
bilden und stand im Sommer 1835 als der mächtigste und gefürchtetste
Carlisten-Anführer des östlichen Spaniens da. Die Gewandtheit, mit der
er die Vortheile des Terrains benutzte, die Raschheit seiner Märsche,
sein durch kein Hinderniß abgeschreckter Unternehmungsgeist und das
Talent, durch das er selbst aus den einzelnen Niederlagen Vortheile
unerwartet zu erobern wußte, flößten den Feinden, die so oft unter
seinen furchtbaren Schlägen bluteten, den Glauben ein, daß mehrere
Cabrera gegen sie wütheten, und machten ihn zum Abgott der Seinen;
zugleich trat aber auch die Eifersucht vieler Mitanführer, die da
glaubten, höhere Ansprüche als der Jüngling machen zu dürfen, täglich
mehr hindernd und erschwerend hervor.

Da ward Carnicer von den Christinos gefangen und erschossen, und
der König ernannte an seiner Statt den Brigade-General Cabrera,
der persönlich in den Nordprovinzen sich präsentirt hatte, zum
Oberbefehlshaber sämmtlicher Streitkräfte in Unter-Aragon und Valencia.
Willig gehorchten sogleich alle Chefs dem königlichen Befehle, den die
Weisheit dictirt hatte; nur Miralles, el Serrador, mochte sich nicht
beugen. Er hatte an der Spitze seiner Schaar im Königreiche Valencia
die kühnsten Thaten verrichtet, die ganze Huerta von Castellon de la
Plana, welches er zwei Mal nahm, bis unter die Mauern der Hauptstadt
und südlich bis Murcia’s Gränze beherrscht und der Sache der Carlisten
wesentliche Dienste geleistet; das Landvolk betete ihn an, und lange
reichte sein Name hin, um alle Thore ihm zu öffnen. Diese Rücksichten
bewogen Cabrera, mit Schonung gegen den verdienten Mann zu verfahren,
bis die stets erneueten Eigenmächtigkeiten desselben und der bestimmte
Befehl des Königs ihn zwangen, zur Strenge zu schreiten. Miralles
vertauschte die Gefangenschaft, welche er seit der Expedition Gomez’s
erlitten, nur mit dem Privatleben, aus dem er bis zum Ende des Krieges
nicht heraustreten durfte.

So stand Cabrera im Anfange des Jahres 1836 an der Spitze der Armee
von Aragon und Valencia als commandirender General dieser beiden
Provinzen. -- Die Christinos hatten seit dem Beginn des Kampfes auch
dort ihr beliebtes System in Anwendung gebracht: sie fühlten sich die
Stärkeren, folglich mußte der Aufstand in Blut und Flammen erstickt
werden. Es ward den Carlisten der Pardon gänzlich verweigert, sie
wurden erschossen, wo immer sie in die Hände ihrer Feinde fielen, die
Verwundeten und Kranken kaltblütig niedergemacht; ihre Güter wurden
verwüstet und andern Eigenthümern übergeben, die Weiber und Kinder auf
empörende Art gemißhandelt und dann fortgejagt. In den Gebirgsdörfern
hauseten die Truppen entsetzlich; alle Einwohner, hieß es, sind
Carlisten und müssen vernichtet werden; so ward denn geplündert,
geraubt, geschändet und niedergebrannt. Viele Hunderte zwang das Elend,
den Carlisten sich anzuschließen.

Diese, so lange sie schwächer waren, vergalten Gleiches mit Gleichem,
auch sie machten die besiegten Feinde nieder; aber wie so oft in
den baskischen Provinzen, siegte auch hier zu häufig Großmuth über
strengrächende Gerechtigkeit, und Tausenden von den in genommenen
Forts gefangenen Garnisonen wurden die Waffen gegeben, mit denen sie
gewöhnlich ihren früheren Gefährten sich wieder anzuschließen eilten,
Dankbarkeit und Treue zugleich mit Füßen tretend.

So wie Cabrera den Oberbefehl übernahm, machte er im Vertrauen auf
seine täglich zunehmende Stärke dem Feinde Vorschläge, die zu milderem
Kriegssysteme führen konnten. Er verlangte, in den Vertrag des Lords
Elliot, der schon in den Nordprovinzen gültig war, aufgenommen zu
werden, und erließ, da diese Forderung mit Spott zurückgewiesen wurde,
ein Rundschreiben an sämmtliche Gouverneurs und Colonnen-Anführer
der Christinos, in welchem er erklärte, daß er den Wunsch hege, auf
menschliche Art den Krieg zu führen, und daß daher Gewaltmaßregeln von
seiner Seite nur als Repressalien für die von den Feinden ausgeübten
Statt finden würden. Trotz dem fuhren diese fort, alle Gefangenen zu
erschießen; Cabrera aber empfahl nochmals in einer General-Ordre seinen
Truppen Mäßigung und Schonung der Besiegten. Die Madrider Zeitungen
stempelten ihn indessen unverdrossen zum blutdürstigen Ungeheuer, zum
Tiger und führten als Beweis die Strenge an, mit der er, seine Armee
zu unterhalten und mit allem Nöthigen zu versehen, unvermeidlich und
pflichtgemäß gegen nachlässige oder böswillige Alcaldes und sonstige
Ortsbehörden verfahren mußte.

Da ließ General Nogueras im Februar 1836 ohne irgend eine Veranlassung
die siebenzigjährige blinde Mutter Cabrera’s, seit Monaten in enger
Haft, auf dem Marktplatze von Tortosa erschießen, als warnendes
Beispiel für alle Rebellen; er ließ die Schwestern desselben öffentlich
stäupen und dann aus der Stadt jagen. -- Mina, der General-Capitain
von Catalonien, hatte auf Anfrage Nogueras’s seine Zustimmung zu der
Schandthat gegeben.

Entsetzlich war die Verzweiflung des Sohnes, da er die schuldlose
Mutter hingemordet sah, gemordet, um sein Verbrechen zu strafen;
Rache, ewige Rache gegen die ruchlosen Mörder war sein erster Schrei.
„Mit thränenschweren Augen,“ schreibt er in der General-Ordre aus
Valderobles wenige Tage nach der Schandthat, die er seinen treuen
Kriegern in Worten namenlosen Schmerzes verkündet, „mit thränenschweren
Augen und gebrochenen Herzens erkläre ich die Mörder meiner schuldlosen
Mutter für verlustig aller der Vortheile, welche Gesetz und Gewohnheit
des Krieges ihnen gewähren könnten; und wie sehr ich auch aus innerster
Seele das Blutvergießen verabscheue, wie sehr ich, wo irgend möglich,
das Leben meiner Mitmenschen zu retten bemüht war, befehle ich jetzt,
dem Rechte und der Pflicht gemäß, daß fortan dem erbarmungslosen Feinde
kein Pardon zugestanden werden soll.“ Als Repressalie aber für den
Tod, „der Besten der Mütter“ ordnete er an, daß sofort die Gemahlinn
des Obersten Fontiveros, Gouverneurs von Chelva, die so eben in die
Hände der Carlisten gefallen war, und mit ihr andere drei Frauen
erschossen würden, sich vorbehaltend, zu gleichem Zwecke andere dreißig
Frauen zu bezeichnen. Für jedes neue Schlachtopfer christinoscher
Grausamkeit sollten aber von nun an zehn der Ihrigen als Sühne fallen.

Dann stürzte Cabrera zur Rache, und in wenigen Tagen hatte der
verzweifelnde Anführer Fort auf Fort vom Feinde erobert, und Alles, was
lebte, fiel unter seinem Schwerdte. Oberst Fontiveros aber, er, der am
schwersten gelitten, sprach in einer Bittschrift an seine Herrscherinn
den Mann, auf dessen Befehl seine Gattinn gestorben, frei von jeder
Schuld und verlangte mit kraftvoller Beredtsamkeit die Bestrafung
der Ungeheuer, welche durch den einen gräßlichen Frevel so viel Wehe
hervorgerufen hatten.

Und Cabrera? Wenige Monate, nachdem er das Verdammungsurtheil über
Alles, was Christina angehörte, ausgesprochen, da kaum die erste,
wilde Leidenschaft des unendlichen Schmerzes verraucht war, da hören
wir ihn wieder die Sprache der Mäßigung und Menschlichkeit reden,
da erläßt er wieder Rundschreiben, ähnlich den früheren, an die
feindlichen Befehlshaber und spricht seinen Wunsch aus, dem blutigen
Repressalien-Systeme ein Ende zu machen, von ihren Maßregeln es
abhängig machend, ob das Leben der Gefangenen geheiligt sei oder nicht.
Und bald nachher, da er durch die Wegnahme einiger befestigten Posten
in Aragon über 700 Gefangene im Depot hatte,[56] richtete er an den
General Palarea ein Schreiben, worin er über abermalige Hinschlachtung
der Seinigen sich beschwerte und drohete, im Wiederholungsfalle von
jenen Siebenhundert eine verhältnißmäßige Zahl zu erschießen. Am 30.
Mai aber nahm er bei Bañon 1200 Mann von der Colonne Valdez gefangen
und gab ihnen Allen Pardon, und als er am 29. Juni in Alcoriza
eindrang, führte er die Besatzung gleichfalls gefangen fort, nur die
Nationalen erschießend. -- Diese wie die Voluntarios Realistas waren
+nach dem Gesetze+ stets vom Pardon ausgeschlossen: wer kriegen
will, trete in die Armee ein. -- Von den dreißig Frauen, die ferner für
seiner Mutter Tod sterben sollten, ward keine einzige geopfert.

Und das that derselbe Cabrera, der in Wogen menschlichen Blutes
sich badete, der mit wollüstigem Vergnügen das Todeszucken seiner
Schlachtopfer sah!

Niedrig mißbrauchten die revolutionären Blätter von Madrid das
Privilegium, ohne Widerspruch Alles sagen zu können, was Partheigeist
ihnen eingeben mochte. Ohne Zweifel sind auch in Aragon viele Thaten
geschehen, die außerhalb Spanien unerhört scheinen würden; unter den
besondern Verhältnissen des Bürger-, des Guerrilla-Krieges wurden
sie zur traurigen Nothwendigkeit, da hohe Strenge allein Erfolg
möglich machte, während Repressalien gerecht und durch die Pflicht
vorgeschrieben waren. Vor Allem darf nicht übersehen werden, daß die
Christinos durch empörende Ausschweifungen und kaltblütige Metzeleien
die Rache-Acte hervorriefen, die sie so wohl zu schildern wußten,
während die zehnfach blutigen und schändenden Aufreizungen ganz
unerwähnt blieben.

Cabrera war strenge, oft hart, weil er nur so durchsetzen konnte, was
er als nothwendig und gerecht erkannt: der geringste Mangel an Gehorsam
ward beim Bürger und Bauer wie beim Soldaten mit unausbleiblichem
Tode bestraft; er kannte das Volk, mit dem er zu schaffen hatte.
Vorzüglich litten darunter die Magistrate und Behörden der Distrikte,
welche abwechselnd von beiden Armeen besetzt, von beiden abwechselnd
ausgebeutet wurden; denn wer nicht auf das genaueste das Befohlene
ausgeführt hatte, starb wie der, welcher überführt war, +freiwillig+
dem Feinde Vorschub geleistet zu haben. Daß aber Cabrera mit aller
Strenge nur gerecht war, ist wohl am besten durch die Liebe und
Verehrung bewiesen, die er beim Volke und beim Heere in so hohem Grade
besaß.

Im Gefecht war Cabrera furchtbar: er flog stets an der Spitze der
Seinen der Erste zum Kampfe, und wo er erschien, da stürzten die
Feinde unter seinem eisernen Arme. So lange er Widerstand fand, kannte
er keine Gnade, und nicht selten ertönte durch das Getümmel seine
Donnerstimme: „~á ellos, carajo, no hay cuartel~!“ -- Vorwärts, kein
Pardon! -- Gegen den Feind, der besiegt in seiner Gewalt war, blieb
er stets großmüthig, und ich habe mich umsonst bemüht, ein einziges
Beispiel von +überlegter+ Grausamkeit mit Ausnahme der natürlichen
Rache-Scenen nach dem Tode seiner Mutter, wenn man sie überlegt nennen
darf, während seiner thatenreichen Laufbahn aufzufinden.

       *       *       *       *       *

Am 15. September 1836 vereinigte sich Cabrera nebst Quilez und Miralles
bei Utiel mit der Division von Gomez. Bei der Beschreibung jener
Expedition sahen wir, wie Cabrera fortwährend mit hoher Auszeichnung
kämpfte, wie er nach dem unglücklichen Treffen von Villarrobledo mit
der Vorhut in Cordova eindrang und dann bei Baena den General Escalante
schlug. Später dankte ihm Gomez die rasche Einnahme von Almaden,
worauf Cabrera am 7. November mit einigen Hundert Reitern von ihm sich
trennte, da der Zustand der Dinge in Aragon gebieterisch die Rückkehr
nach den ihm untergebenen Provinzen forderte.

Cabrera wollte jedoch vorher nach den Nordprovinzen passiren, um
mit den Anführern der dortigen Armee über etwanige Operationen und
Combinirung derselben sich zu verständigen; auch war er nicht mit den
kampflosen Zügen von Gomez’s Division seit der Räumung von Cordova
einverstanden gewesen und glaubte, über diesen General gegründete
Beschwerden führen zu müssen. Glücklich durchkreuzte er die Mancha
und die Provinzen Guadalajara und Soria und gelangte bis nach Rincon,
einem Dorfe nahe am Ebro, eine halbe Stunde von dem feindlichen Fort
von Calahorra entfernt. Unbekanntschaft mit den Verhältnissen in diesem
Theile des Kriegsschauplatzes und Mangel an der nöthigsten Vorsicht
wurden ihm verderblich; anstatt den Ebro zu passiren und dadurch
im wirklich carlistischen Gebiete -- in Navarra -- Sicherheit zu
suchen, ließ er die erschöpften Truppen im Dorfe auf dem jenseitigen
Ufer ruhen und stellte selbst trotz der Warnungen eines vertrauten
Officiers -- des Capitain Garcia aus Calahorra, der, schwer verwundet,
von der Division Gomez mit Cabrera nach den Nordprovinzen zurückgehen
wollte -- die auf so gefährlichem Punkte unerläßlichen Vorposten
nicht aus, da die Leute nach einem Ritte von vierzehn Meilen des
Schlafes bedurften.[57] In der Nacht überfiel die Colonne der Rivera
unter Iribarren die sorglos Ruhenden; ein Theil der Reiter wurde
niedergemacht, ein anderer gefangen, mit dem Reste entfloh Cabrera,
der verwundet und halb entkleidet kaum entkommen war, nach der Provinz
Soria, um von dort aus Aragon zu erreichen. Doch vorher wurde seine
geschwächte Schaar gänzlich zersprengt; er selbst, aus drei Wunden
blutend, ohne Pferd und ganz erschöpft, ward mit Mühe durch einen
treuen Gefährten, den Oberst Don Rodriguez Cano -- la Diosa genannt
-- gerettet, der den hülflos Daliegenden fortschleppte, auf dem Fuße
verfolgt durch unwegsame Wälder ihn geleitete und endlich den von
Blutverlust und Anstrengung zum Tode Müden in dem vom Feinde besetzten
Städtchen Almazan unter der Pflege eines braven Pfarrers verborgen
zurückließ. Cano eilte nach Aragon, kehrte im Fluge mit einer Compagnie
Lanciers zurück und führte den noch nicht hergestellten Feldherrn den
Seinen zu.

Cabrera fand die Armee, welche er so glänzend verlassen hatte, in
dem Zustande der furchtbarsten Auflösung. Umsonst hatte der brave
Oberst Arévalo, sein Stellvertreter, Alles gethan, die Fortschritte
des Feindes zu hemmen: seine Kriegserfahrung vermochte Nichts, da die
untergeordneten Anführer, die einst unabhängigen und jetzt nur durch
Cabrera’s Ansehen zusammengehaltenen Guerrilla-Chefs, Mitwirkung und
Gehorsam ihm versagten. Sie wurden einzeln von den übermächtigen Massen
der Christinos erdrückt, und ihre Truppen zerstreuten sich zum Theil
oder verloren doch ganz die Disciplin und das Selbstvertrauen, durch
welche Cabrera so Viel mit ihnen vermocht hatte.

So war es denn dem General Don Evarista San Miguel möglich gewesen,
selbst Cantavieja, den Haupt- oder vielmehr einzigen Waffenplatz
Cabrera’s in dem Centrum des wilden Gebirgsknoten von Unter-Aragon, am
31. October ohne Schwierigkeit zu nehmen, indem er mehr die Elemente
und die Unzugänglichkeit des Terrains als den Widerstand der Carlisten
zu besiegen hatte. Die Garnison verließ die Stadt, nachdem sie an
dem Versuche, die 3000 Christinos nebst dem Brigadier Lopez, welche
Gomez gefangen dorthin gesandt hatte, vor ihrem Rückzuge zu ermorden,
durch dreihundert Mann von Gomez’s Division verhindert waren, die, zur
Bewachung der Gefangenen zurückgelassen, die Ankunft der Feinde in der
Stadt erwarteten, um die Wehrlosen nicht der Wuth ihrer Gefährten
Preis zu geben. Sie fielen daher in die Hände San Miguel’s. Es wäre
ungerecht, wenn ich nicht als ein Beispiel christinoscher Großmuth
anführte, daß Espartero jene 300 Mann in Anerkennung ihres edlen
Betragens, ohne Auswechselung frei nach Navarra sandte.

Bei seiner Rückkehr sah also Cabrera die Schwierigkeiten unendlich
gehäuft und seine Macht in eben dem Maße verringert nicht nur durch
die erlittenen Unglücksfälle, sondern auch durch die Trennung von
Quilez, der mit seiner Brigade bei Gomez geblieben war. Die erste Sorge
des Feldherrn war auf die Wiederherstellung der verlorenen Disciplin
gerichtet, wozu freilich der Zauber seiner Gegenwart nebst einigen
exemplarischen Strafen hinreichte. Sofort im Anfange des Jahres 1837
eilte er nach der Ebene von Valencia und streifte am 16. Januar bis an
die Thore der Hauptstadt; mit reicher Beute zog er sich langsam nach
den Gebirgen, als er am 18. Januar bei Torre blanca auf den General
Borso di Carminati stieß, der seine Colonne zur Deckung Valencia’s
heranführte. Ein hartnäckiger Kampf entspann sich, in dem die Carlisten
vergeblich die Stellung des Feindes zu forciren suchten, da die Jäger
von Oporto, aus Deutschen bestehend, die unter Don Pedro nach Portugal
gekommen und vor kurzem, durch höchste Unerschrockenheit ausgezeichnet,
der Tochter Ferdinand’s zu Hülfe gesandt waren, unerschütterlich fest
standen. Cabrera ward, an der Spitze seiner Cavallerie chargirend, von
neuem im Schenkel verwundet und verlor einige hundert Mann; Borso aber
rettete sich während der Nacht durch einen Gewaltmarsch nach Castellon
de la Plana.

Der verwundete General beobachtete von Rosell aus die feindliche
Division von Valencia, während Forcadell im Februar eine Expedition
nach der Mancha machte, wo er ungeheure Vorräthe von Getreide und Vieh
zusammenbrachte, mit denen er glücklich nach Aragon zurückkam.

Schon war Cabrera, noch nicht genesen, wieder rastlos thätig. Er
drang plötzlich tief nach Valencia hinein und griff am 18. Februar
bei Buñol die 5000 Mann starke Colonne des General Cahuet in fester
Stellung an, schlug sie gänzlich, nahm über 1900 Mann gefangen und
jagte den Rest in vollkommener Auflösung und ohne Waffen, die sie zu
leichterer Flucht weggeworfen hatten, nach der Hauptstadt. Sofort eilte
er nach Aragon, um General Oráa, der so eben das Commando der Armee
des Centrums übernommen, dorthin zu locken, wendete sich blitzschnell
wieder nach Süden und stand am 29. März abermals im Angesicht von
Valencia, wo er eine Colonne von 1500 Mann ereilte und vernichtete
und Murviedro beschoß. Er durchzog, ohne Widerstand zu finden, die
reiche südliche Hälfte des Königreiches und erschien am 1. April vor
Alicante, während er Forcadell bis nach Orihuela, der Hauptstadt der
Provinz, vorschob, deren Garnison bei der Annäherung der Carlisten
entfloh. Mit siebenhundert ausgehobenen Pferden und einem ungeheuern
Convoy von Lebensmitteln und Kriegsbedarf nebst 2300 Gefangenen kehrte
Cabrera nach seiner natürlichen Gebirgsfeste zurück, wo Oberst Cabañero
-- welcher, ein reicher Gutsbesitzer und Commandeur eines Bataillons
Nationalgarde, vor kurzem ein Corps für die Carlisten gebildet hatte,
um auch sie später zu verrathen -- am 27. April die Festung Cantavieja
durch Einverständniß mit den Bürgern wieder genommen und die schwache
Garnison, nur 600 Mann, gefangen hatte.

In vier Monaten waren durch die Anwesenheit des Generals alle die
zahllosen Verluste ersetzt, die während seiner Entfernung die Armee von
Aragon fast vernichteten; er hatte die Angelegenheiten der Carlisten in
diesem Theile Spaniens selbst auf eine höhere Stufe gehoben, als sie
je vorher gewesen. Aus dem kühnen Guerrilla-Chef war ein Heerführer
geworden, dem der erste Feldherr Christina’s -- denn Oráa verdient den
Namen -- entgegengestellt wurde, der schon seine gut organisirten und
disciplinirten Truppen auf offenem Felde gegen den Feind führte, und
der ungestraft die vorzüglichsten Städte Spanien’s bedrohete, seine
reichsten Provinzen sich tributpflichtig machte.

Im Mai zog Cabrera nach Aragon und Catalonien,[58] wo er seine
Herrschaft täglich ausdehnte, die feindlichen Forts, mit denen das Land
übersäet war -- die Christinos hatten jede Stadt, auch die kleinste,
befestigt und verloren so, um Alles zu decken, oft auch das, was sie
ohne Zersplitterung ihrer Macht hätten bewahren können -- eroberte, die
Werke derselben zerstörte und dabei fortwährend Zahl und Güte seiner
streitbaren Mannschaft vermehrte. Doch umsonst belagerte er wieder
das herrliche Gandesa, so oft schon bedrohet, umsonst suchte er der
bedeutenden Stadt Alcañiz sich zu bemächtigen, welche er am 23. Mai zur
Übergabe aufforderte; die Mittel zur regelmäßigen Belagerung fehlten
ihm ganz, und die feindlichen Colonnen eilten stets zu raschem Entsatze
herbei. Er zog dann vor Caspe und passirte, Zaragoza bedrohend, den
Ebro, wandte sich sofort nach der Gränze von Aragon und Castilien, fing
dort einen Convoy auf und stand am 14. Juni schon wieder vor Caspe,
dessen Belagerung er eröffnete, um durch seine Einnahme der königlichen
Expedition, die am 5. Juni in Catalonien angelangt war, einen bequemen
Übergangspunkt über den Ebro zu sichern. Die Annäherung Oráa’s zwang
ihn, das Unternehmen auf Caspe aufzugeben, weßhalb er den Übergang bei
Cherta, nahe bei Tortosa, vorbereitete, wo er glücklich am 29. Juni
bewerkstelligt wurde, von dem zu spät herbeieilenden Feinde nicht mehr
gehindert.

Früher sagte ich, wie ununterbrochen thätig Cabrera während der
Vereinigung mit dem Corps des Königs war, wie er unwillig vor Madrid
zurückwich, dann am 18. September Guadalajara unter den Augen
Espartero’s besetzte und zwei Tage später, von der Expeditions-Armee
sich trennend, mit seiner Division den Rückzug nach den ihm
untergebenen Provinzen antrat.

Oráa warf sich auf die abgesondert marschirende Infanterie und holte
sie mit seiner Cavallerie bei Arcos de la Frontera, nahe bei Cuenca,
in einer Ebene am Fuße der Gebirge ein. Die zehn Elite-Compagnien
der Brigaden von Tortosa und Mora stellten sich dem Feinde entgegen
und hielten, in Massen formirt, seinen Choc auf, bis die Division
das Gebirge erreicht hatte; so ihre Gefährten rettend sahen sie sich
umzingelt und wurden, als die Infanterie der Christinos ankam, sich zu
ergeben gezwungen. Nie hatte Cabrera so empfindlichen Verlust gelitten,
der aus dem Fehler entsprang, welchen er durch Detachirung der ganzen
Cavallerie unter Forcadell machte, während er mit seiner Infanterie
nicht in einem Terrain blieb, das gegen Angriff der feindlichen
Reiterei ihn gesichert hätte. --

Oráa beschloß Cantavieja wiederzunehmen. Er vereinigte in Valencia
einen bedeutenden Belagerungs-Train und führte ihn im Anfange Novembers
über San Mateo auf Morella. Cabrera erwartete den Feind auf dem
südlichen steilen Abhange der Sierra Buey zwischen Ares del Mestre und
Cati und wies dessen wiederholte Versuche zur Forcirung des Durchganges
kraftvoll zurück; Oráa zog sich, seinen Plan aufgebend, nach Valencia
zurück. -- Er hatte für die Belagerung von Cantavieja allein von der
Stadt Zaragoza 30000 Piaster außerordentlicher Kriegssteuer erhoben,
denn das Land mußte beiden Heeren Alles liefern.

Cabrera flog, die Entfernung der christinoschen Divisionen benutzend,
nach dem Hügellande Unter-Cataloniens und belagerte von neuem Gandesa,
in dessen Mauern er drei Mal umsonst Bresche geöffnet hatte. Auch jetzt
zog General San Miguel, einer der fähigsten Anführer der Feinde,
von Zaragoza zum Entsatze. Cabrera warf sich ihm entgegen, griff nur
halb so stark wie der Feind bei Corvera ihn an und nöthigte ihn zum
Weichen, konnte aber nicht verhindern, daß San Miguel ohne weiteren
Verlust durch geschicktes Manövriren die bedrohete Stadt erreichte.
Bei seinem Abmarsche führte er jedoch die Garnison mit sich fort, da
er die Unmöglichkeit längeren Widerstandes erkannte, und ließ so am
Schlusse des Feldzuges die Carlisten in unbestrittenem Besitze des
südlich vom Ebro gelegenen Theiles von Catalonien, der durch seine
Fruchtbarkeit und den Geist der Einwohner von hoher Wichtigkeit war und
die Verbindung mit der royalistischen Armee von Catalonien sicherte. --
Gandesa hatte eilf Belagerungen Cabrera’s erlitten.

       *       *       *       *       *

Der Winter von 1837 zu 38 war Zeuge einer Scene voll des unendlichsten
Jammers und Elendes, einer Scene, die an herzzerreißendem Schrecken
Alles überragt, was sonst der Bürgerkrieg Entsetzliches mag
hervorgebracht haben.

Da die Operationen im Verein mit der königlichen Expedition und später
zur Vertheidigung Cantavieja’s bis in den Spätherbst sich ausgedehnt
hatten, war es dem carlistischen Feldherrn unmöglich gewesen, wie in
andern Jahren aus den umliegenden Provinzen Lebensmittel nach dem
Gebirge zu führen, so daß dort bald der empfindlichste Mangel sich
fühlbar machte. Alle Magazine waren leer, alle Vorräthe erschöpft;
das Volk lebte von wenigen Kartoffeln, dem Einzigen, was nebst etwas
Hafer in diesen unfruchtbaren Districten gewonnen wird, die Bataillone
blieben drei und vier Tage lang ohne Lebensmittel und waren während
ganzer Monate auf halbe und Viertel-Rationen beschränkt.

Tausende von Gefangenen waren in den Depots der Carlisten aufgehäuft,
der Mehrzahl nach von der glorreichen Action vom Villar de los Navarros
herrührend, wo der König das Corps des General Buerens vernichtete.
Cabrera erkannte die Unmöglichkeit, unter den obwaltenden Umständen
solche Zahl den Winter hindurch zu ernähren. Er setzte daher dem
feindlichen Obergeneral Oráa auseinander, wie gänzlicher Mangel an
allem Nöthigen, unter dem seine eigenen Truppen schwer litten, ihm
nicht erlaubten, die Gefangenen zu versorgen; wie auch bei dem Willen,
es zu thun, die Unmöglichkeit unbesiegbar bleibe, da alle Magazine
geleert seien. Er erbot sich, alle diese Gefangenen gegen einen
bloßen Empfangschein auszuliefern, unter der Bedingung, daß Oráa, so
wie Carlisten in seine Hände fielen, bis zur Completirung jener Zahl
als ausgewechselt sie zurückgebe. Für den Fall aber, daß Oráa dieses
nicht eingehen wollte, forderte er ihn auf, das zur Beköstigung der
Gefangenen Nothwendige zu liefern, bis Cabrera in der bessern Jahrszeit
im Stande sei, es zurückzugeben. Würde weder der eine noch der andere
Vorschlag angenommen, so müßten alle jene Unglücklichen unfehlbar
Hungers sterben.

Der christinosche General antwortete, daß, wer sich dem Feinde ergebe,
sein wohl verdientes Schicksal tragen möge, was es auch mit sich bringe.

Furchtbar war das Loos der Krieger, die so von den eigenen Gefährten
hingeopfert wurden. Als die Mittel der Bewohner, welche Wochen lang
spärlich sie unterhielten, endlich ganz erschöpft waren, als sie Alles,
was auf Augenblicke die entsetzliche Qual lindern konnte, bis auf das
Leder ihrer Schuhe zernagt und verschlungen hatten, da sanken Hunderte
in tödtlicher Entkräftung hin, und -- -- die Überlebenden zehrten
gierig von dem Fleische ihrer gestorbenen Cameraden.

Da setzte Cabrera schaudernd die Mehrzahl der Verschmachtenden in
Freiheit und vertheilte sie alle unter die Bauern zur Verpflegung. Oráa
lud den Fluch aller menschlich Denkenden jeder Parthei auf sich; die
Exaltados aber riefen ihm Beifall zu und -- -- schimpften Cabrera als
blutgierigen Tiger!

  [56] Der General Baron von Rahden irrt, da er in seinem Werke über
       Cabrera sagt, daß dieser zu Cordova die ersten Gefangenen nach
       seiner Mutter Ermordung gemacht habe.

  [57] Viele Reiter waren auf den furchtbar forcirten Märschen
       -- täglich zwölf bis achtzehn Meilen durch Feindes Land -- aus
       eigener oder ihrer Pferde Ermüdung zurückgeblieben, mehrere todt
       niedergefallen.

  [58] Ein kleiner Theil des Fürstenthums Catalonien liegt südlich vom
       Ebro, von diesem Flusse, dem Meere, Valencia und Aragon
       umgränzt. Dieser Theil war, wie Valencia und Unter-Aragon,
       Cabrera untergeben.



XXI.


Als die Expeditions-Division von Zariategui in Aranda de Duero mit der
königlichen Armee sich vereinigte, sandte er die in Valladolid und in
der Provinz neu errichteten Bataillone nach der Sierra de Soria, um
ihre Ausbildung zu vervollkommnen. Die größere Zahl derselben gelangte
bei dem Rückzuge der beiden Expeditions-Corps in der zweiten Hälfte
des Octobers 1837 mit ihnen nach den baskischen Provinzen, wo sie das
beklagenswerthe Corps von Castilien bildeten; drei dieser Bataillone
aber unter dem Obersten Savega sahen sich nach manchen Abenteuern und
Gefahren, die meistens in der gänzlichen Unerfahrenheit der Rekruten
ihren Grund hatten, durch die Colonnen Espartero’s abgedrängt und in
die Sierra zurückgeworfen. Die ungeheuren Mühseligkeiten hatten auf die
junge, des Krieges ganz ungewohnte Mannschaft so entmuthigend gewirkt,
daß die Brigade schon von 2800 Mann auf 1700 zusammengeschmolzen war,
ohne daß irgend ein ernstliches Treffen Statt gefunden hätte.

Savega war ein habsüchtiger Mann, der erfreut, als unabhängiger Chef
dazustehen, den Truppen seine Absicht erklärte, in der Provinz Soria
sich zu halten, wo er natürlich sein persönliches Interesse leicht
befördern konnte; er begann also, sofort eifrig große Getreidevorräthe
aufzustapeln. Doch das Officier-Corps dachte anders. Es stellte ihm
vor, daß das Bleiben unvermeidliches Verderben nach sich ziehen müsse,
weil die Mannschaft neu ausgehoben und größtentheils noch gar nicht im
Feuer gewesen sei; weil es so ganz an Munition fehle, daß jeder Soldat
nur fünf Patronen habe, wobei an Ersatz derselben nicht zu denken sei;
weil zwei Colonnen von Burgos und Soria zu ihrer Verfolgung eilten;
weil endlich der fortwährende Mangel am Nöthigsten in der rauhen
Jahreszeit die ganz abgerissenen Truppen zur Desertion verleiten werde,
welche die Nähe des kaum verlassenen väterlichen Daches noch besonders
begünstige. Sie forderten ihn daher auf, die Brigade entweder nach
Aragon oder nach den Nordprovinzen zu führen.

Da der Oberst unter nichtigen Vorwänden auf seinem Entschlusse
beharrete, entschlossen sich die Officiere, selbstständig zu handeln.
Sie sammelten daher in einer Nacht das eine Bataillon vollständig, die
Hälfte des zweiten und die Jäger-Compagnie des dritten und verließen
das Städtchen, in dem es dem Obersten mit Hülfe einiger ergebener
Officiere gelang, den Rest der Leute, etwa 600 Mann, zurückzuhalten:
wenige Tage nachher wurden dieselben vom Feinde ereilt und sofort
zersprengt, der Oberst ward gefangen. Doch will ich diese willkürliche
Trennung nicht rechtfertigen; wohl aber darf ich sagen, daß das Corps
fortan stets durch Disciplin und Bravour sich auszeichnete und so jenen
Fehler -- bei dem übrigens die Bataillons-Chefs an der Spitze standen
-- vergessen machte.

Nachdem dreißig Artilleristen Zariategui’s, die nach Vergrabung ihrer
beiden Geschütze sich retten konnten, und sechszig Pferde, Versprengte
von allen carlistischen Corps, sich ihr angeschlossen hatten, richtete
sich die kleine Brigade in forcirten Märschen nach Aragon, befreiete
unterweges eine Guerrilla von 300 Mann, die, von einigen christinoschen
Compagnien in einer alten Burg eingeschlossen, aus Mangel sich zu
ergeben im Begriff waren, und langte im Anfange Decembers glücklich bei
Cantavieja an. Cabrera befand sich gerade in der Ebene von Valencia,
wohin er dem nach der verunglückten Demonstration auf Cantavieja sich
zurückziehenden Oráa folgte; er befahl der nun in zwei Bataillone, ein
jedes zu 450 Mann, organisirten Brigade, die Blokade der feindlichen
Festung Morella zu übernehmen.

Morella im Königreiche Valencia liegt mitten in dem Hochgebirge,
welches der Schauplatz der Thaten Cabrera’s, der Sitz der carlistischen
Macht im östlichen Spanien und die Basis war, auf die jener Feldherr
seine Operationen nach Aragon, Valencia und Catalonien stützte.
Nur acht Leguas von Cantavieja entfernt und mit starker Garnison
versehen, gewährte die Festung den feindlichen Generalen bei allen
Offensiv-Operationen einen willkommenen Anhaltspunkt, war den Carlisten
-- im wahren Centrum ihres Gebietes liegend -- nicht selten sehr
hinderlich und konnte bei größerem Unglücke leicht verhängnißvoll
entscheidend werden, während ihre Festigkeit bei der Schwäche der
feindlichen Angriffsmittel gegen jede Tentative sie zu sichern schien.

Auf einem isolirten Felsberge ragt ein ungeheurer, 140 bis 200 Fuß hoch
senkrecht sich erhebender Granitblock empor. Auf diesem Blocke oder
besser Kegel, der etwa 500 Fuß im Durchmesser hat, ist das gefürchtete,
von den Bewohnern der Umgegend mit stummer Ehrfurcht angestaunte,
Castell von Morella erbaut, und zu seinem Fuße auf dem höchsten Abhange
des Berges dehnt sich im Halbkreise die Stadt aus, durch starke von
Thürmen flankirte Mauern und vorliegende Felsabschüsse geschützt. Die
Werke waren mit zahlreicher Artillerie garnirt und wurden durch eine
ausgesuchte Besatzung von 900 Mann unter dem Obersten Don Bruno Velasco
y Portillo vertheidigt, einem trotzigen Wütherich, dem Schrecken des
Landes.

So war die Festung, deren Blokade die beiden Bataillone von Burgos und
von Valladolid unternahmen. Sie postirten sich in Cinctorres und el
Orcajo, zwei Meilen entfernt und die Wege nach Cantavieja beherrschend,
und detachirten den Oberstlieutenant Don Martin Gracia mit 200 Mann, um
die Stadt eng einzuschließen. Er vertheilte seine Mannschaft in Posten
von zwanzig bis dreißig Mann, welche die rings um die Festung liegenden
massiven Masadas -- Bauernhöfe, große Scheunen -- besetzten und durch
geeignete Maßregeln die strengste Blokade etablirten.

Ich will nicht den Ereignissen derselben in ihren Details folgen;
Ungeheures litten die wackern Castilianer. In elende Lumpen gehüllt,
ohne sie auch nur wechseln zu können, waren sie fortwährend der
rauhen Kälte, dem eisigen Schnee des Hochgebirges ausgesetzt; in
der ganz verwüsteten Landschaft -- da bei dem Mangel jenes Winters
die Magazine nichts lieferten -- konnten die nöthigen Lebensmittel
nicht aufgetrieben werden, und Wochen lang waren die Armen auf wenig
Brod und wenige Bohnen beschränkt; die Mehrzahl ging bald barfuß, da
weder Schuhe noch Sandalen zum Ersatze der abgerissenen sich fanden.
Dazu machte die vier Mal so starke Garnison fast täglich Ausfälle
mit einigen leichten Geschützen, theils die Masadas, das einzige
Obdach der Carlisten, zu zerstören, theils mit der Absicht, das
fehlende Brennholz sich zu verschaffen. Selten gelang das Eine oder
das Andere, da die Castilianer, rasch dem bedroheten Punkt -- es war
nur ein Thor der Festung offen -- zu Hülfe fliegend, mit fabelhaft
scheinender Unerschrockenheit immer kraftvoll den Andrang empfingen,
oft die Übermacht in wilder Flucht bis zum Fuße der Mauern jagten,
da das gebrochene Terrain das Feuer der Festung den Tirailleurs ganz
unschädlich machte.

Und die braven Burschen murrten nicht. Lauter unbärtige Jünglinge sahen
sie mit Liebe und Vertrauen auf die erprobten Führer, welche sie jedes
Ungemach mit ihnen theilen und im Kampfe stets die ersten der Gefahr
sich aussetzen sahen. Der herrliche Character der Alt-Castilianer,
ihre biedere Treuherzigkeit, ihre Ausdauer und die aufopferndste
Anhänglichkeit und Gehorsam gegen ihre Vorgesetzten verleugneten sich
auch hier nicht.

       *       *       *       *       *

Sei es mir vergönnt, nun die Worte wiederzugeben, mit denen der
Oberstlieutenant Don Pablo Alió, als ich im Januar 1840 zu Morella ihn
kennen gelernt, in der einfachen Bescheidenheit, die den enthusiastisch
braven, tief religiösen Mann so liebenswürdig machte, die Heldenthat
mir beschrieb, durch die er das furchtbare Felsen-Castell der
Herrschaft seines Königs eroberte, eine Heldenthat, wie die Geschichte
ihrer nicht viele rühmen mag.

„Seit mehreren Wochen schon standen wir der Festung gegenüber, ohne die
Hoffnung zu erlangen, daß wir je unser sie nennen würden; im Gegentheil
wurde unsere Lage täglich schrecklicher, und es war vorauszusehen, daß
wir bald die Blokade würden aufgeben müssen. Indessen hatte ich seit
dem Augenblicke unserer Ankunft überlegt, ob es denn nicht möglich sei,
durch einen Handstreich etwas gegen sie auszurichten. Aber nahmen wir
auch die Stadt, so war uns wenig geholfen, da das Feuer des Castells
uns sofort wieder vertrieben hätte; und dieses ... Wer könnte jene
furchtbar senkrechten Felswände erklimmen, deren Anblick Schwindel
erregt! -- Dennoch faßte der Gedanke täglich festere Wurzel in meiner
Brust, bis ich endlich den Entschluß unserm Commandeur Gracia und
dem Blokade-Adjudanten García mittheilte. Sie erschraken im ersten
Augenblicke, aber bald stimmten sie mir bei: das Castell sollte mit
Gottes Hülfe erstiegen werden.“

„Zuerst suchte ich der Liebe und der unbedingten Ergebenheit meiner
Freiwilligen mich zu versichern. Ich litt selbst an Allem Noth; aber
für das Wenige, was ich besaß, ließ ich Lebensmittel und Wein und
Sandalen kommen und vertheilte Alles unter die armen, ausgehungerten
Burschen. Dann gaben auch der Commandant und García das Ihrige dazu
her, wir erborgten das Geld unserer Cameraden und verkauften endlich
unsere Kleidungsstücke, bis wir Alle gar Nichts mehr hatten. Die armen
Burschen erkannten mit der kindlichsten Dankbarkeit unsere Fürsorge
und waren für uns zu Allem bereit. Zugleich führte ich sie bei den
häufigen Kämpfen mit dem ausfallenden Feinde immer selbst an, schonte
ihrer, wo ich konnte, und wählte für mich den gefährlichsten Posten:
so gewann ich das Vertrauen meiner Leute, und sie folgten mir freudig,
wohin ich sie auch führen mochte.“

„Indessen waren heimlich Leitern angefertigt, ungeheuer hoch und an den
Enden gepolstert, um jedes Geräusch beim Ansetzen zu vermeiden; trotz
aller Vorsicht ward Etwas davon bekannt, und die Bauern sprachen Viel
über die Leitern. Ich fürchtete, daß die Christinos es auf irgend eine
Art erfahren könnten, und beschloß deshalb, in der ersten stürmischen
Nacht den Angriff zu wagen; aber da erschrak wieder der Commandant, er
wandte unentschlossen seine Verantwortlichkeit ein und verschob die
Unternehmung trotz unserer Bitten von einem Tage zum andern. Als er nun
am 23. Juni auf einige Tage Urlaub nahm, wollten García und ich nicht
länger zaudern: wir theilten unseren Plan dem Interims-Commandeur mit,
der endlich, als er wieder und wieder die Felsmasse betrachtet hatte,
mit Thränen seine Zustimmung gab. Ich durfte achtzig Freiwillige selbst
mir auswählen; dazu rief ich einen Artilleristen, der wenige Tage
vorher aus der Festung zu uns desertirt war und sich nun, weil er genau
das Castell kannte, zum Führer anbot.“

„Der 25. Januar war furchtbar stürmisch; so sollte denn in der Nacht
der Versuch gemacht werden. Am Abend versammelte ich die achtzig Mann
in der Masada des Commandanten und sagte ihnen, was ich beabsichtigte,
und wie ich das feste Vertrauen hege, daß unsere Beschützerinn, die
erhabene Jungfrau der Schmerzen, ihren himmlischen Beistand zu dem
Werke nicht versagen werde, da wir es ja für das Recht und für die
Religion unternahmen. Ich forderte, nachdem ich ihnen die ganze
Gefahr aus einander gesetzt hatte, daß ein Jeder, der nicht den Muth
fühle, mit Freudigkeit mir zu folgen, jetzt zurücktrete; aber Alle
antworteten, daß sie mit mir sterben wollten. Dann sah ich die Waffen
nach und gab die nöthigen Instructionen, worauf wir Alle beichteten
und das heilige Sakrament nahmen, um uns zum Tode zu weihen; ich ließ
endlich die Freiwilligen tüchtig speisen und befahl ihnen, nachdem
ich nochmals den Segen der heiligen Jungfrau erfleht hatte, sich
niederzulegen und bis zu der Stunde der Ausführung zu ruhen.“

„Ich trat in das Zimmer des Commandanten und besprach noch ein Mal
Alles mit ihm und García, die Beide bleich waren und zitterten, weil
sie zurückbleiben sollten; auch verabredeten wir, daß ich im Falle des
Gelingens ein hohes Feuer auf dem Platze des Castells anzünden solle,
wenn es aber unglücklich abliefe, würden sie am folgenden Tage unsere
Leichen fordern und sie in geweiheter Erde christlich beisetzen. Dann
umarmte ich beide, die mich immer noch nicht lassen wollten, rief meine
Burschen und trat an ihrer Spitze den Marsch an, während von den beiden
Officieren, die mich begleiteten, der Eine in der Mitte des Zuges ging,
der Andere ihn schloß.“

„Die Nacht war entsetzlich; ein furchtbarer Schneesturm mit Schlossen
zwang uns, oft still zu stehen, auch bedeckte Fuß hoher Schnee die
Felsenabsätze, über die wir hinkletterten, so daß wir nur sehr langsam
vorwärts kamen. Seufzend gedachte ich der zerrissenen Bekleidung und
der nackten Füße der armen Burschen: was mußten sie nicht leiden!
Aber Niemand klagte. Erst gegen ein Uhr konnten wir von der Mauer des
Kirchhofes, hinter der wir einen Augenblick Athem geschöpft hatten,
nach dem Fuße der Felsenmasse, die dunkel über uns sich aufthürmte,
schleichen, was wir, so viel die Leitern erlaubten, einzeln thaten,
um nicht die Aufmerksamkeit der feindlichen Schildwachen zu erwecken.
Glücklich waren wir endlich Alle angekommen und richteten die Leiter
auf. Ich hatte eine Stelle gewählt, auf der in der Mitte der Wand ein
schmaler, sehr abschüssiger Absatz sich befand, da ich sonst nicht mit
den Leitern bis oben hätte hinkommen können.[59] Dort stiegen wir
einzeln hinauf, wobei die Leitern, deren ich zwei an einander gebunden
hatte, entsetzlich unter unserer Last sich bogen, weil wir sie, um sie
leicht handthieren zu können, sehr schwach machen mußten. Auch wären
sie hundert Mal gebrochen, wenn sie nicht beinah von unten bis oben an
den Felsen sich gelehnt hätten.“

„So wie die Hälfte von uns auf dem Vorsprunge stand, fingen wir an, die
mit ungeheurer Mühe heraufgeschleppte Leiter in die Höhe zu ziehen;
grausig war die Arbeit, wie wir so über siebenzig Fuß hohem Abgrunde
schwebten -- jeder Fehltritt sicherer Tod --, eben so hoch über uns die
senkrechte Felsenwand und oben der Feind. Lange gelang es uns nicht,
die Leiter auf dem abschüssigen Felsenabsatze zu fixiren, den der
unaufhörlich fallende Schnee glatt machte. Endlich stand sie aufrecht
da, natürlich fast ganz senkrecht und von den drei riesenhaften
Gastadores[60], die ich deshalb mitgebracht hatte, gestützt, da sie
sonst unter uns sofort wieder hinabgeglitten wäre.“

„Leise flüsterte ich den dicht gedrängten Freiwilligen einige Worte
der Aufmunterung zu und folgte rasch dem Führer zum Sturm, worauf die
Andern in der durch das Loos bestimmten Ordnung sich anschlossen. Auf
der obersten Stufe angelangt fehlten dem Führer noch vier Fuß bis zu
der Höhe des Felsen. Das war furchtbar, denn fiel bei dem Versuche
hinaufzuklettern Einer, steif durch die Kälte, wie Alle waren, so riß
er im Sturze die Übrigen mit sich hinab; und die Leiter schwankte
und bog sich entsetzlich unter der Last. Aber die gnadenreiche
Himmelsköniginn wachte über uns. Der Führer schwang sich hinauf --
schon stand ich ihm zur Seite. Da sah uns die zwanzig Schritt entfernt
in ihr Häuschen gedrückte Schildwache; sie sprang heraus und rief
mit vom Entsetzen hinsterbender Stimme: „~cabo de guardia, los
facciosos~!“ Der Schuß des Führers streckte sie todt nieder.“

„Mit lautem ~viva el Rey~ stürzte ich auf die Wache, die, 30 Mann
stark, in dem Gebäude sich verbarrikadirte und ein heftiges Feuer
begann. Jeder Augenblick war kostbar, denn schon tönten von der Stadt
her die Trommeln und Hörner, und bald klangen die Glocken wild durch
den hundertfachen Lärm; nahmen wir nicht rasch die Wache, so mußte
die Hülfe dasein, und Alles war verloren. Aber wieder begünstigte
uns unsere Schutzheilige. Die Freiwilligen, wie sie oben anlangten,
stürzten herbei und feuerten auf Thür und Fenster des Wachhauses, da
ich umsonst zwei Mal den Eingang zu forciren suchte. Ich befahl dann,
rasch zu schießen und ließ alle Welt laut „~viva el Rey, viva Cabrera!
acá Castilla! acá Tortosa! Aragon para siempre!~“ durch einander rufen,
als wären alle diese Truppen unter Cabrera’s Anführung dort oben. Die
Wache, durch das Geschrei getäuscht, brach plötzlich aus dem Gebäude
hervor, um sich durchzuschlagen; auch gelang es Einigen zu entkommen,
zwölf Mann wurden gefangen, die andern getödtet.“

„Ich recognoscirte nun rasch die Seite des Castells, welche die Stadt
beherrscht, und sah schon die Garnison auf dem Platze aufmarschirt.
Daher vertheilte ich meine Leute längs den Schießscharten der
Ringmauer, öffnete mit Hülfe von drei gefangenen Artilleristen die
Magazine und ließ eine große Zahl von geladenen Bomben und Granaten
herausholen. Zugleich befahl ich den Artilleristen, mit allen Kanonen
unaufhörlich zu feuern, um nur den Feind einzuschüchtern.“

„Dieser rückte sofort zum Sturm heran. Eine dunkele Colonne drang
langsam und geschlossen auf dem gewöhnlichen Wege gegen das Thor
vor, während plötzlich ein anderer starker Haufen über die Felsen zu
klimmen und so uns zu überraschen suchte. Da ließ ich alle Granaten
und Bomben anzünden und über die Felsen mitten unter die Massen der
Stürmenden hinabrollen, so daß die ganze Felsenwand mit spielend
hinunterhüpfenden Flammen bedeckt schien. Aber die Christinos rückten
dennoch muthig vor und gelangten bis zu der ersten Biegung des Weges.
Erst als dort das Gewehrfeuer aus tödtlicher Nähe sie niederschmetterte
und fortwährend Bomben und Granaten auf sie regneten, wandten sich
beide Colonnen zur Flucht und stürzten in nie gesehener Verwirrung in
die Stadt zurück. -- Morella war unser.“

„Da sank ich mit Thränen im Auge auf die Knie und mit mir alle die
braven Burschen, und laut dankte ich der gnadenreichen Jungfrau der
Schmerzen, daß sie so herrlichen Sieg uns gegeben habe. -- Dann befahl
ich, ein großes Feuer anzuzünden, um den Gefährten das Zeichen zu
geben.“

So weit der wackere Alió. In zehrender Unruhe horchte sein Commandeur
und der Adjudant García auf das leiseste Geräusch, ob es Nachricht
bringe von den kühnen Genossen. Aber Stunde auf Stunde verging in
lautloser Stille, nichts Gutes verkündend; -- und plötzlich ertönte
wildes Gewehrfeuer, bald von dem Krachen der Geschütze übertäubt,
das immer heftiger in die Nacht hinausschallte; der furchtbare
Felsen schien ein rings Flammen sprühender Vulkan, Tod und Verderben
ausspeiend. Sie zweifelten nicht mehr: ihre braven Gefährten
waren entdeckt und lagen schon begraben unter dem immer dichter
fallenden Schnee; im stummen Schmerze starrten sie bewegungslos
das majestätische, Unheil verheißende Schauspiel an. -- Da trat
geräuschloses Schweigen an die Stelle des Tumultes, jedes Leben schien
erstorben; einen Augenblick später erhob sich hoch über die dunkle
Felsenmasse eine hell aufleuchtende Flamme -- das Glück verkündende
Zeichen des Sieges!

In stürmischer Freude umarmten sich die beiden Männer und eilten, ihre
Truppen, die sie, auf Alles vorbereitet, vereinigt gehalten hatten, dem
fliehenden Feinde entgegenzuschicken.

       *       *       *       *       *

Mit Erstaunen hatten die Bewohner weit in der Runde dem ungewohnten
Lärmen von der gefürchteten Veste her gehorcht: sie glaubten, daß
die Garnison unter einander sich bekämpfe, und waren erfreut, daß
Zwietracht die gehaßten Negros wechselseitig sich opfern mache.
Bewunderung machte selbst den Jubel auf einen Augenblick verstummen,
als sie am Morgen die unglaubliche Kunde vernahmen. -- Der Gouverneur
Portillo floh mit der Garnison auf der Straße, welche nach el Orcajo
führt, und dann rechts durch das Gebirge auf Alcañiz, aber über 150
Mann, die in den Schrecken jener Nacht sich zerstreut hatten, wurden
von den Streifparthieen und selbst vom Landvolke aufgefangen und
eingebracht. Dagegen traf Portillo auf der Brücke, die zwischen Morella
und dem Orcajo die Ufer des Bergantes verbindet, eine von letzterer
Stadt entsendete Patrouille des Bataillons von Valladolid und nahm
achtzehn Mann von derselben gefangen.

Am folgenden Morgen ging die Sonne zum ersten Male seit Wochen
an unbewölktem Horizonte auf, mit ihren Strahlen die unabsehbare
Schneefläche in blendenden Glanz hüllend; der Himmel schien sein
finsteres Sturmgewand nur beibehalten zu haben, um den Carlisten die
Gelegenheit zu der kühnen That nicht zu rauben. Als Alió dann mit einem
Detachement seiner Braven in die Stadt hinabstieg, in deren Straßen
jetzt Todtenstille herrschte, fand er auf dem Platze vierzig Mann unter
einem Sergeanten aufmarschirt, die, zurückgeblieben, um fortan unter
dem carlistischen Banner zu fechten, mit lautem ~viva Carlos Quinto!~
ihn begrüßten. Er arretirte sie indessen, da dieser Entschluß in
solchem Augenblicke sehr verdächtig schien.

Die Einwohner der Stadt, welche besorgt den Tag erwartet hatten,
sahen freudig erstaunt, daß nicht die geringste Unordnung ausgeübt
wurde: kein Freiwilliger betrat irgend ein Haus, wiewohl sie Alle ganz
abgerissen und ohne Wäsche waren, bis Alió ihnen befahl, in die blau
bezeichneten Häuser der dem revolutionairen Gouvernement günstig
Gesinnten[61] zu gehen, und ein Jeder ein Hemd und ein Paar Beinkleider
sich geben zu lassen. Und die treuherzigen Castilianer, sie, die eben
stürmend die unnehmbar geachtete Veste erobert, sie naheten demüthig
den zitternden Bürgern und baten sie beschämt, ein Hemd ihnen zu geben,
weil sie so ganz entblößt seien; und freudig eilten sie zu ihrem
Officier, mit kindlichem Vertrauen den erlangten Schatz ihm zu zeigen.

Freilich muß ich hinzufügen, daß auch unter den Carlisten solche
Mäßigung wohl recht selten sich gefunden hat. Die jungen Castilianer,
noch nicht durch langes Kriegen verhärtet und noch nicht gestählt gegen
den Eindruck des fremden Jammers durch den immerwährenden Anblick von
Leid und Elend und Gräuel, wußten wohl, dem geliebten Anführer in jede
Gefahr folgend, das Schwerste auszuführen, aber den wehrlosen Bürger
zu berauben wußten sie nicht. Sie gedachten noch des greisen Vaters,
der Lieben, die daheim ja auch friedlich und wehrlos dem Übermuthe der
Gewalt Preis gegeben waren; wie sollten sie da nicht mild und schonend
sich zeigen!

Die Freudenbotschaft von der Escalade von Morella fand den General in
Benicarló, dessen Fort er, nach der Reinigung von Unter-Catalonien
wieder nach Valencia geeilt, so eben zur Übergabe genöthigt hatte. Er
langte wenige Tage später in der Festung an und belohnte reich den
Heldenmuth der kleinen Schaar. Lieutenant Alió trat als Capitain zu der
Brigade von Tortosa, der Garde des Heeres, über, in der ich später als
Oberstlieutenant ihn kannte.

So hatte denn das Jahr 1838 höchst günstig für die Sache der Carlisten
begonnen. Durch die Eroberung von Morella sah sich Cabrera im
vollständigen Besitze des Hochgebirges, welches die Grundlage und
den Rückhalt aller seiner Operationen bilden mußte; in ihm konnte
er mit Vortheil der Macht des Feindes sich entgegenstellen, von ihm
aus als dem Centrum alle Provinzen der Christinos bedrohen und nach
einander angreifen. Die Einnahme von Benicarló gab ihm einen Punkt
am mittelländischen Meere und befestigte seine Herrschaft in dem
fruchtbarsten Theile des Königreiches Valencia. Morella ward jetzt
der Centralpunkt der carlistischen Macht im westlichen Spanien, wie
Cantavieja bisher es gewesen war; zugleich schnitt es die Communication
auf dem geraden Wege zwischen dem nördlichen Unter-Aragon und Valencia
ganz ab, wodurch der Feind, das eine und das andere zu schützen, zu
steter Zersplitterung seiner Kräfte genöthigt wurde.

Cabrera eilte, diese Vortheile zu verfolgen, zu kräftigster Offensive
sie zu benutzen, während Oráa, der in Aragon eine neue Unternehmung
gegen Cantavieja vorbereitete, rasch nach Valencia zur Deckung dieser
Provinz zog, durch deren vollständige Eroberung Cabrera ungeheure
Hülfsquellen sich geöffnet hätte.

  [59] Die ganze Höhe des escaladirten Felsen betrug 143 Fuß.

  [60] Die bei den Infanterie-Bataillonen befindlichen Sappeurs.

  [61] Portillo ließ die Thüren der Anhänger Christina’s blau, die der
       Royalisten roth anstreichen, um Verwechselungen vorzubeugen!



XXII.


Der Frühling 1838 rechtfertigte keineswegs die Hoffnungen, welche
durch die Eroberung von Morella angeregt waren; er brachte vielmehr
allen carlistischen Armeen gleich empfindliche Verluste, von denen ich
die Vernichtung der von Navarra zu neuen Expeditionen nach Castilien
entsendeten Divisionen früher erzählte. Auch Cabrera, wenn er einzelne
Vortheile errang, litt in seinen Unterfeldherren schwere Niederlagen
und sah mehrfach seine eigenen Unternehmungen vereitelt.

Die Christinos hatten durch die Befestigung von Castellon, Villafamés
und Lucena mit dem festen Bergschlosse von Villamaleja eine Linie
nördlich vom Flusse Mijares gebildet, welche die Streifzüge der
Carlisten nach dem südlichsten, reichsten Theile von Valencia sehr
erschwerte, die Consolidirung aber ihrer Herrschaft daselbst unmöglich
machte. Cabrera wollte diese Linie brechen und wandte sich deshalb
gegen Lucena, welches, in der Mitte der beiden letztern Festungen und
durch seine Lage äußerst stark, von ganz besonderer Wichtigkeit war.
Alle Versuche Cabrera’s gegen dasselbe vor- und nachher scheiterten
an der Festigkeit der Garnison, die meistens aus National-Milizen
bestand, welche wegen exaltirter Gesinnungen aus ihrer den Carlisten
unterworfenen Heimath geflohen waren und nun den Kampf des glühendsten
Hasses und der Verzweiflung kämpften.

Kaum war die Belagerung eröffnet, zu der ein Theil der in Morella
genommenen Artillerie herangezogen war, als Oráa mit weit überlegener
Macht von Castellon de la Plana zum Entsatze eilte und, nachdem die
Carlisten durch entschlossenen Widerstand bei Alcora die Zeit zur
Zurückziehung ihrer schweren Geschütze gewonnen -- in den unwegsamen
Sierras stets der schwierigste Punkt --, nach Lucena durchdrang.
Cabrera aber flog auf der kürzesten Linie nach dem nun entblößten
Aragon und nahm nach kurzer verzweifelter Gegenwehr das bedeutende
Calanda im Flußgebiete des Guadalupe mit Sturm, worauf Andorra
capitulirte. Er berannte sofort Alcañiz, ward aber zur Aushebung der
Belagerung gezwungen, da General San Miguel von Zaragoza aus der
bedroheten Stadt zu Hülfe zog. Er eilte von da, die Division von Aragon
zurücklassend, nach el Turia, dem Landstriche zu beiden Seiten des
Guadalaviar, wo Aragon, Castilien und Valencia sich berühren, welcher
durch Tallada’s Vernichtung ganz von Truppen entblößt war.

Tallada war schon frühe als Guerrilla-Chef aufgetreten und von Tage
zu Tage in den Provinzen del Turia und Cuenca mächtiger geworden,
wiewohl er selten entschiedenen Sieg über feindliche Colonnen davon
getragen hatte. Er war gewandter in der Kunst, den Kampf, wenn nicht
alle Chancen ihm günstig, zu vermeiden, als in der des Schlagens,
dabei überraschte er Freund und Feind häufig durch Märsche und durch
Expeditionen bis tief in die Mancha und das Königreich Murcia, welche
den Stempel der höchsten Kühnheit trugen, da er doch alle Verhältnisse
so genau berechnet hatte, daß er seiner Sache sicher war. Seit er
unter Cabrera’s Befehl stand, organisirte er seine Colonne trefflich
und bildete fünf schöne Bataillone und drei Escadronen Lanciers, ein
Ganzes von fast viertausend Mann. Er war indessen grausam gegen die
Christinos, eigennützig und drückte schwer die von ihm heimgesuchten
Districte.

Ich erwähnte früher, wie Tallada auf seinem Zuge durch die Provinz
Cuenca im Januar 1838 einige Compagnien der königlichen Garde, die
in einer Capelle sich eingeschlossen hatten, gefangen nahm, Leben
und Eigenthum ihnen zusagend; und wie er wenige Stunden nachher die
Officiere derselben gegen sein Wort meuchlings erschießen und ihre
Leichen in einen Fluß werfen ließ, um der bedeutenden Geldsummen sich
zu bemächtigen, welche zwei von ihnen mit sich führten. -- Seine
eigenen Officiere tadelten laut diesen Act niedriger Wortbrüchigkeit;
sie prophezeiten selbst, daß solches Verbrechen Unheil nach sich
ziehen müßte, und daß gewiß schweres Unglück auf diesem Zuge die
Division treffen würde. Tallada aber verlor seit dem Augenblicke die
Klarheit des Geistes, den Überblick und die Bravour, welche vorher ihn
auszeichneten; er wurde düster und schwankend in seinen Anordnungen.

Bald vereinigte er sich mit dem Corps Don Basilio Garcia’s, störte
durch seine Eifersucht wesentlich den Erfolg der Expedition, veranlaßte
das unglückliche Gefecht bei Ubeda und trennte sich endlich in Murcia
von jenem General, um nach el Turia zurückzukehren.

Die furchtbaren Regen, welche schon in der letzten Zeit seiner
Vereinigung mit Don Basilio verderblich gewirkt hatten, fuhren fort
auf dem eiligen Rückmarsche ihn unendlich zu belästigen, auf dem die
Division an Allem Mangel litt und, durch furchtbare Fatiguen erschöpft,
vom General Pardiñas lebhaft verfolgt wurde. Doch gelang es ihr, am
26. Februar den Xucar, hoch durch die Regengüsse angeschwollen und von
feindlichen Colonnen beobachtet, um den Übergang zu verhindern, ohne
Zusammentreffen zu erreichen und auf einer Nothbrücke zu passiren. Die
Division war gerettet, da der Feind, wenn die Brücke zerstört wurde,
sie unmöglich einholen konnte; so blieb sie denn in dem nahen Castriel
zur ersehnten Nachtruhe. Aber am Abend waren kaum zwei Drittel der
Truppen versammelt, indem Erschöpfung und die grundlosen Wege viele
Hunderte gehindert hatten, dem lang gedehnten Zuge zu folgen. Da befahl
Tallada, die Brücke nicht abzubrechen, damit die Nachzügler während der
Nacht der Division sich anschließen könnten.

Um vier Uhr Morgens am 27. Februar überfiel Pardiñas mit einigen
Compagnien Avantgarde nach furchtbar forcirtem Marsche den offenen Ort.
Wähnend, daß die National-Gardisten der Umgegend sich genähert hätten,
um die Colonne durch ihr Schießen zu allarmiren, ließ der Brigadier
die Truppen ruhig in den Quartieren bleiben, mit der Ordre, aus den
Fenstern der auf das Feld sehenden Häuser auf die Feinde zu schießen,
falls sie zu lästig würden. So konnte Pardiñas, rasch verstärkt,
die Eingänge der Straßen und selbst den Marktplatz ohne Widerstand
besetzen. Als die Carlisten endlich aus den Häusern stürzten, fanden
sie die ganze Stadt in der Gewalt des Feindes, dessen Patrouillen mit
den sich formirenden Compagnien vermischt waren. Ungeheure Verwirrung
herrschte. Die meisten Soldaten wurden gefangen, so wie sie auf die
Straße traten, viele entflohen drei, vier Mal, um eben so oft einem
andern Trupp in die Hände zu fallen; ganze Compagnien abgeschnitten
ergaben sich.

Nur etwa 400 Mann entkamen und erreichten Chelva im Turia. Brigadier
Tallada selbst, anfangs entflohen und allein umherirrend, ward am
andern Tage von National-Gardisten aufgefangen und, der Einzige
der Division, als Repressalie für den Mord jener Garde-Officiere
füsilirt. Da Cabrera dieses als eine Verletzung der (stillschweigends
eingegangenen) Übereinkunft über Nichterschießung der Gefangenen
ansah und demnach zu rächen drohte, sandten die Christinos ihm die
Actenstücke, welche sie über den Tod der Ihrigen aufgenommen hatten,
worauf der General sich für völlig befriedigt und die Erschießung
Tallada’s für gerechte Strafe einer Schandthat erklärte.

Diesem ersten Schlage folgten rasch andere, nicht minder verderblich.
Bei der Nachricht von der Vernichtung der Division Tallada war
die Brigade von Castilien, jene kleine, herrliche Brigade, die
so eben durch die Eroberung von Morella unvergängliche Ehre sich
gewonnen hatte, kaum 900 Mann stark, nach dem Turia beordert, die
entblößte Provinz zu decken, während Oberst Arnau, ein Jugendgefährte
Cabrera’s, mit dem Commando derselben und der Organisirung der neu
zu errichtenden Division beauftragt wurde. Arnau, nur durch Bravour
ausgezeichnet,[62] war nicht zum unabhängigen Anführer geschaffen oder
ausgebildet, weßhalb ihn Cabrera, durch brüderliche Freundschaft ihm
verknüpft, später stets in seiner unmittelbaren Nähe behielt. Damals
hatte er noch nie unabhängig commandirt.

Bei la Yesa erhielt Arnau die Nachricht, daß eine feindliche Colonne
nahe. Er wandte sich zu den Bataillons-Commandeuren und fragte sie,
was die Burschen sagten, ob sie schlagen wollten? Auf die Antwort:
„gewiß gern“ beschloß er: „nun, so schlagen wir.“ Er befahl zu essen
und zu ruhen; der Feind aber war eine halbe Stunde entfernt. Einer
der Commandeure fragte ihn, ob es nicht besser sei, eine Stellung
zu nehmen, worauf Arnau mit dem Ausrufe: „~carajo, que tontadas!~“
-- Dummheiten! -- doch aufbrechen ließ und nach einigem Suchen die
Cavallerie endlich auf eine Höhe postirte, von der sie vorwärts
und rückwärts einzeln über die Felsenwege defiliren mußte, das
eine Bataillon in Masse formirt in einer mit Unterholz bedeckten
Schlucht, das andere in Tirailleurs aufgelöset auf einer lichten Ebene
aufstellte. Das Resultat war vorauszusehen. ~Tambour battant~ kam der
Feind im Sturmschritt heran und zerstreute in einem Augenblick die
ganze Brigade, ehe noch Arnau das Wie und das Warum begriffen hatte.
Sie verdankte ihre Rettung der Unentschlossenheit der Christinos,
die mit dem leichten Siege sich begnügten, ohne einen Schritt zur
Verfolgung zu thun, so daß auch die Cavallerie ohne Verlust ihren
halsbrechenden Rückzug bewerkstelligen konnte.

Übrigens vollführte Arnau seinen Auftrag der Organisation der
neuen Division ausgezeichnet gut und brachte sie auf einen hohen
Grad der Kriegszucht und Disciplin. Er hatte Ordre erhalten, jedes
fernere Zusammentreffen zu vermeiden, und übergab das Commando der
ausgebildeten Division sofort dem kriegserfahrenen Obersten Arévalo;
er kehrte zu dem Stabe Cabrera’s zurück und ward nicht wieder zu
selbstständigem Auftrage von Interesse gebraucht.

Bald litt die Brigade von Castilien empfindlicheren Schlag. Sie
wurde im Monat März, da Forcadell nach Castilien vordrang, mit
vorgeschoben und besetzte Cañete, wenige Meilen von Cuenca entfernt.
Am 27. April ward sie dort durch Nachlässigkeit des commandirenden
Officiers, der, mehrfach von dem Anrücken einer feindlichen Division
warnend benachrichtigt, ungläubig gar keine Maßregel nahm, am Mittage
überfallen, da die Bataillone außerhalb der Stadt mit Exerciren
beschäftigt waren. Sie warfen sich rasch in die mit einer starken
Mauer aus der Zeit der Araber umgebene Stadt; der commandirende Oberst
aber eilte mit einigen Compagnien und dreißig Reitern dem andringenden
Feinde entgegen und wurde nebst 160 Mann gefangen, während die
Bataillone den Versuch, die Stadt zu nehmen, fest zurückwiesen, worauf
der Feind, da Forcadell nur einige Leguas entfernt stand, nach Cuenca
weiterzog.

Auch in Aragon erlitt Cabrera herben Verlust. In der Nacht zum 6. März
drang Cabañero, Chef der Division von Aragon, durch Einverständniß
mit einigen Einwohnern in die Hauptstadt Zaragoza ein und bemächtigte
sich derselben. Da aber die Soldaten plündernd sich zerstreuten,
wurden sie von der Garnison und der National-Garde, die in das Castell
sich gerettet hatten, in den Straßen angegriffen und unter vielem
Blutvergießen aus der Stadt verjagt. Das ganze 6te Bataillon ward
abgeschnitten und in der Kirche, welche es zur Vertheidigung besetzte,
gezwungen, zu capituliren. Der Verlust der Carlisten stieg auf 1100
Mann. Cabañero aber, da er durch Mangel an Energie und Vernachlässigung
der Kriegszucht die Schuld des mißglückten Unternehmens trug, büßte
sein Commando ein, worauf er nach den baskischen Provinzen abging,
mit Maroto zum Verrath sich einigend. Der Brigadegeneral Don Luis
Llagostera y Cadival erhielt den Oberbefehl der Division und Provinz
Aragon.

So war die Armee Cabrera’s gegen die Mitte des Jahres 1838 sehr
geschwächt, während die feindliche des Centrums unter Oráa eben so
bedeutend verstärkt war, da nicht nur mehrere Regimenter aus dem
südlichen Spanien sich ihr anschlossen, sondern auch zwei bisher der
Nordarmee angehörende Corps zu ihr stießen. Die Expeditions-Division
von Don Basilio Garcia war im Mai zu Vejar vernichtet und dieser
Führer rettete sich mit dem Überreste derselben, kaum 250 Mann, zu dem
Heere Cabrera’s; er zog dadurch auch die schöne in seiner Verfolgung
beschäftigte Division Pardiñas, gegen 5000 Mann, nach Aragon, wo sie
dem dortigen Heere einverleibt wurde. In derselben Zeit langten etwa
150 Reiter, Alles, was von dem unglücklichen Corps des Grafen Negri
noch existirte, fliehend bei Cabrera an und in ihrem Gefolge abermals
vier Escadrone bei der ihm gegenüber stehenden Armee.

Dadurch sah sich der carlistische Feldherr genöthigt, die Erweiterung
seines Gebietes, welches er trotz aller Anstrengungen Oráa’s durch die
Zerstörung der das Land beherrschenden Forts bisher ausgedehnt hatte,
für jetzt ganz aufzugeben; ja er war ungeachtet einiger glücklichen
Gefechte im Juni ganz auf die Defensive beschränkt, während die
Feinde mit Entwickelung aller ihrer Kräfte den Krieg auf den Zustand
zurückzuführen suchten, in dem er am Schlusse des vergangenen Jahres
sich befand. Dann hofften sie durch kräftiges Verfolgen der errungenen
Vortheile und durch kluge Combination des moralischen Übergewichtes,
welches sie ihnen geben mußten, mit der physischen Übermacht endlich
die vollständige Unterdrückung der carlistischen Parthei vollenden zu
können.

Oráa aber war ganz der Mann, um den kühnen Plan kühn und kraftvoll
durchzuführen. Er zeichnete sich eben so durch langjährige Erfahrung,
wie durch wahres Feldherrntalent aus, an dem es den meisten Generalen
beider Partheien so sehr gebrach; er hatte einen raschen, scharfen
Überblick, viel Entschlossenheit und Festigkeit; und unter Mina,
Cordova und Espartero in den Nordprovinzen, wie seit dem Beginn seines
Oberbefehls in Aragon hatte er sich als einen der wenigen Chefs
bewährt, die das Glück klug zu benutzen und, immer gleich besonnen, dem
Unglücke die beste Seite abzugewinnen wissen.

Oráa hatte einen großen Fehler, einen Fehler, der ihn stürzte: er stand
Cabrera gegenüber. --

       *       *       *       *       *

Das Madrider Gouvernement glaubte nach den Siegen des Frühlings
1838, daß der Zeitpunkt gekommen sei, in dem es durch gleichzeitiges
energisches Handeln auf allen Theilen des Kriegstheaters den
furchtbaren Aufstand endlich erdrücken könne, der vor wenigen Monaten
bis vor die Thore der Hauptstadt seine Heere hatte senden dürfen.
Espartero sollte Estella nehmen und Navarra überziehen, um das
carlistische Hauptheer, von der Verbindung mit Frankreich, seiner
vorzüglichsten Hülfsquelle, abgeschnitten, nach Guipuzcoa und Vizcaya
zur Vernichtung zusammenzudrängen; daher begann Espartero seine
Spatziergänge nach der Einnahme von Peñacerrada und stand Wochen auf
Wochen drohend da. Der Baron de Meer eroberte Solsona in Catalonien,
die Hauptveste der dortigen Carlisten, da der alte Graf de España,
welcher kaum das Commando derselben übernommen, nur zuchtlose Haufen
vorgefunden hatte. Oráa sollte Morella wieder nehmen, in Folge dessen
mit Cantavieja des ganzen Hochgebirges sich bemächtigen und dann den
Ausrottungskampf gegen die geschwächten, entmuthigten Anhänger seines
Königs systematisch betreiben.

Mit außerordentlicher Thätigkeit bereitete Oráa das Unternehmen
vor, dessen Schwierigkeit er sich nicht verhehlte. Er vereinigte
in Alcañiz einen Belagerungspark, wie ihn die Provinzen noch nicht
gesehen, er errichtete eben dort ungeheure Magazine von Lebensmitteln
und Kriegsbedürfnissen und begann am 23. Juli in drei Colonnen die
concentrische Bewegung, deren Ziel das Felsencastell von Morella
war.[63] General Borso di Carminati drang von Castellon de la Plana,
Oráa von Teruel und San Miguel von Alcañiz aus in das Gebirge vor;
trotz den beobachtend sie cotoyirenden Divisionen von Valencia, Aragon
und del Ebro vereinigten sich die drei Führer nach nicht bedeutenden
Gefechten und durch sehr gewandtes Manövriren bei Cinctorres und
standen, in 22 Bataillonen 20000 Mann Infanterie mit fast 2000 Pferden
stark, am 29. Juli im Angesichte der bedroheten Festung, von der ihnen
die schwarze Fahne, das Zeichen des Entschlusses, nie sich zu ergeben,
Tod verkündend winkte.

Cabrera, da sein Versuch, die Division San Miguel durch einen
Hinterhalt auf ihrem Anmarsche zu vernichten, durch die Hitze eines
untergeordneten Führers so weit mißlungen war, daß er ihr nur einen
Verlust von 300 Mann zufügen konnte, beschloß, die belagernde Armee
seinerseits zu belagern, jeden Fuß breit Terrain ihr streitig zu
machen, sie täglich, stündlich zu belästigen, zu harceliren und
anzugreifen, die Communicationen ihr abzuschneiden und durch strengste
Blokade aller Hülfsmittel sie zu berauben.

Er besetzte demnach mit einem kleinen Theile seiner Truppen die Muela
de la Garumba, eine nahe Morella steil sich erhebende und bis über el
Orcajo sich hinziehende Bergmasse, die, zum Hochplateau erweitert,
zur Erhaltung der Verbindung mit Cantavieja von Wichtigkeit war; mit
den übrigen Bataillonen stellte er theils dem andringenden Oráa sich
entgegen, theils occupirte er die oft durch Schluchten und über wildes
Gebirge führenden Wege nach Alcañiz und suchte die Herbeiführung der
schweren Artillerie und der Convoys möglichst zu erschweren. Seine
Armee bestand -- einige Rekruten-Bataillone waren unbewaffnet -- aus
sechszehn Bataillonen in drei Divisionen und aus neun Escadronen,
da das Lanciers-Regiment von Tortosa dem Grafen de España zu Hülfe
gesendet war. Dazu kam die castilianische Brigade, jetzt unter Merino’s
Befehl, und die Trümmer der Expedition von Don Basilio Garcia und Negri
als ~batallon espedicionario~ und ~escuadron del conde Negri~. Da aber
die Corps ohne Ausnahme durch die Unglücksfälle der letzten fünf Monate
sehr geschwächt waren, zählten sie nur 9700 Mann Infanterie, von denen
1300 -- von Aragon und Tortosa -- die Besatzung der Festung und des
Castells bildeten. Die Cavallerie enthielt fast 1000 Pferde.

Morella’s Befestigungswerke hatten Nichts mit den Meisterwerken
eines Vauban oder Coehorn gemein. Ganz abgesehen davon, daß die
Vertheidigung durch die Lage der Stadt und noch mehr des Castells
lediglich bohrend wurde, und daß kein vorliegendes Werk die Mauern
gegen den unmittelbaren Angriff deckte, waren diese schwachen Mauern
mit den unregelmäßig vertheilten flankirenden Thürmen wohl darauf
berechnet, dem Stoße des ehernen Widderkopfes zu widerstehen; aber der
Alles niederschmetternden Gewalt des Pulvers mußten sie augenblicklich
unterliegen. Und doch waren sie Alles, was Kunst für die Vertheidigung
der Festung gethan hatte. Desto mehr begünstigten sie ihre Lage und die
Eigenschaften des sie umgebenden Terrains.

Die Mauer ist rings umher auf ungeheure Felsmassen basirt, welche,
bald unmittelbar zu ihrem Fuße, bald mehr oder weniger -- doch nur
unmittelbar neben dem Castell über funfzig Schritt -- vorspringend,
zwölf, dreißig, an einzelnen Stellen selbst funfzig und mehr Fuß tief
perpendiculär sich hinabsenken. Sie bilden daher die eigentliche Mauer
der Stadt, indem sie, sollte auch in das künstliche Werk Bresche
geöffnet sein, den Sturm fast unmöglich machen oder doch, wo etwa
einzelne Einschnitte oder Schluchten, die sehr selten sind, weniger
steil auf die Höhe der Felsen führen, den Stürmenden zwingen, unter
dem wirksamsten Feuer der Belagerten auf weiten Umwegen emporklimmend
der Bresche zu nahen. Eben diese Felsbildung macht die Anwendung der
Minen dem Belagerer unzulässig, während wiederum die Lage der Stadt
auf hohem isolirten Berge gegen sehr wenige Punkte die Aufstellung von
Bresche-Batterien erlaubt, da die umliegenden Höhenpunkte fast alle
entweder zu weit entfernt sind oder, bedeutend niedriger, die Wirkung
der Geschütze unendlich schwächen, wo nicht ganz vereiteln. Einige
dieser Höhen sind selbst dem Fußgänger nur mit Gefahr zugänglich, für
Artillerie also impracticabel.

Der Belagerer hat also, um Bresche zu legen, doppelte Schwierigkeit
zu überwinden: die Mauer muß von der Stelle, auf der die Batterie
errichtet werden kann, wirksam zu erreichen sein, und das
zwischenliegende Terrain muß nach geöffneter Bresche den Sturm
gestatten.

Solcher Punkte aber findet sich in der That nur einer: nahe dem Thore
San Miguel im Norden der Stadt, wo, etwa fünfhundert Schritt von ihr
entfernt, die Höhe la Querola sich erhebt, während der Zugang zu der
Mauer möglich bleibt; doch ist der Sturm auch hier mit großen Gefahren
verbunden, da auf Pistolenschußweite ein Felsabsatz erklimmt oder
die gewöhnliche unter dem Feuer der Festung in starken Windungen zum
Thore hinaufführende Straße erstiegen werden muß. Dort finden sich denn
auch dicht neben einander die Spuren mehrerer Breschen. Denn Morella
war stets von politischer und militairischer Bedeutsamkeit; durch
seine Lage auf den Grenzen von Valencia, Catalonien und Aragon, deren
Communicationen es beherrscht, und seines Castells mehr noch als der
Stadt wegen für wichtige Festung gehalten, hatte es seit den frühesten
Zeiten während der Kriege der kleinen christlichen Könige unter sich
und gegen die Araber, wie im Successions-Kriege und in dem Kampfe des
spanischen Volkes gegen Napoleons Massen manche Belagerung ertragen und
oft seinen Herrn wechseln müssen.

Nur zwei alte Breschen finden sich an andern Stellen der Mauer. Die
eine, nicht zweihundert Schritt vom Fuße des Castells entfernt,
ward durch den General Starhemberg geöffnet -- noch jetzt von den
Spaniern als ~el gran capitan~ bezeichnet --; sie bot zwar die größte
Bequemlichkeit zum Sturm dar, da das Terrain zwischen ihr und der
Batterie ganz eben, aber diese Batterie war kaum hundert Schritt von
der Festung entfernt, und dicht hinter ihr fällt der Fels wenigstens
sechszig Fuß furchtbar schroff hinunter, so daß nur ein Fußsteig
in vielen Windungen hinaufführt. Und ein schwindelfreier Kopf ist
nöthig, um diesen Fußsteig zu benutzen! Es müssen daher ganz besondere
Verhältnisse obgewaltet haben -- etwa gänzliche Entblößung der
Veste von Artillerie -- damit Starhemberg dort am Fuße des Castells
die Batterie etabliren und die Geschütze entweder jenen Felsen
hinaufschaffen, oder längs der Mauer auf dem gewöhnlichen Fahrwege in
die Batterie sie führen konnte. Übrigens war dem wackern Deutschen
solche Kühnheit dennoch fruchtlos; als die Bresche bei der Annäherung
einer Entsatzarmee erstürmt war, fand er eine unmittelbar dahinter
liegende Kirche in einen Abschnitt verwandelt, den er ~à vive force~
nicht nehmen konnte, so daß er die Belagerung aufheben mußte.

Die zweite Bresche war gerade auf der entgegengesetzten Seite der
Festung nach Osten hin geöffnet. Eine zu beiden Seiten von wilden
Felsmassen hoch umgränzte Schlucht, die dem Beschauer durch Kunst
in den Granit gebildet zu sein scheint, führt sanft steigend bis
unmittelbar zum Fuße der Mauer, und da der senkrechte Felsen, auf dem
diese gegründet ist, nur drei Fuß hoch über jenen Einschnitt sich
erhebt, würde hier im Vergleich mit den andern Seiten der Festung,
der Sturm sehr leicht sein. Die Batterie dagegen konnte nur auf den
etwa 700 Schritt entfernten Rocas de Beneito angelegt sein, die,
selbst von den Bergbewohnern für unzugänglich gehalten, der Placirung
des schweren Geschützes gewaltige Hindernisse entgegensetzen, deren
Überwindung mit Bewunderung für die Männer uns erfüllt, welche solches
vollbracht haben. Auch diese Bresche soll aus den ersten Jahren des
Erbfolgekrieges herstammen; ich konnte nicht erfahren, von wem.

Die Franzosen fanden die Veste unbesetzt. Als Marschall Suchet in
der Mitte des Jahres 1813 hinter den Ebro, Valencia räumend, sich
zurückzog, blieb eine Besatzung von 300 Mann in Morella und schloß
sich beim Anrücken der Spanier in das Castell ein. Fortwährend von
einigen Bataillonen blockirt und gelegentlich durch eine Mörserbatterie
beworfen, hielt sie sich bis zum Anfange des folgenden Jahres, worauf
sie capitulirte, selbst die Bedingungen vorschreibend. So wie sie aber
die Stadt betraten, warfen sich die Einwohner auf sie und plünderten
sie aus; dann wurden sie gefangen fortgeschleppt, anstatt den
Bedingungen gemäß nach Frankreich geführt zu werden. --

Doch zurück zu 1838.

       *       *       *       *       *

Auch Oráa wählte die Höhe der Querola zur Aufpflanzung seiner
Batterien, weshalb er der Hermite von San Pedro Martyr auf einem
weithin die Gegend beherrschenden Berggipfel sich zu bemächtigen
eilte. Er nahm sie am 2. August trotz der kräftigen Gegenwehr der
Armee Cabrera’s, die er unter großem Verluste in zweitägigem,
unausgesetztem Kämpfen von Schlucht zu Schlucht, von Felsen zu Felsen
bis dahin zurückdrängte. Kaum hatten die Christinos die Höhe inne, als
Cabrera einen neuen, wilden Angriff an der Spitze einiger Escadrone
machte. Aber wieder durch das Infanterie-Feuer geworfen und von weit
überlegenen Reitermassen chargirt, entging der kühne General nur durch
persönliche Bravour -- er tödtete eigenhändig mehrere Cuirassiere --,
durch die Ergebenheit seiner Truppen und durch sein Glück dem Tode oder
der Gefangenschaft. Zwei Pferde wurden ihm unter dem Leibe erschossen;
und Oráa rühmte sich in seinem Berichte, den weißen Mantel und die
Voyna des gefürchteten Rebellen, beide von Lanzenstichen und Kugeln
durchbohrt, erbeutet zu haben.

Cabrera sah sich endlich genöthigt, da die wiederholten Versuche
an der Festigkeit des Feindes scheiterten, den Besitz der Höhe
ihm zu überlassen, worauf Oráa den General San Miguel zur
Eröffnung der Communication mit Alcañiz, wie zur Escortirung des
Belagerungsgeschützes und der dringend nöthigen Lebensmittel entsendete.

Ich will nicht die einzelnen Bewegungen und Angriffe verfolgen, durch
die Cabrera während der ganzen Dauer der Belagerung das feindliche
Heer auf das äußerste erschöpfte, seine Arbeiten erschwerte und
verzögerte, die Verbindung mit seinen Festungen ihm unterbrach und
endlich durch Auffangung mehrerer Convoys den drückendsten Mangel im
Lager der Christinos veranlaßte, welcher endlich eben so sehr wie der
unerwartete, heroische Widerstand der Besatzung und die erlittenen
schweren Verluste den feindlichen Führer zum Rückzuge vermochte. Es
reicht hin zu sagen, daß Cabrera nie unthätig war, daß er Tag und
Nacht den Feind harcelirte und in ermüdendem Allarm hielt, und daß er,
während seine Truppen ruhten, nach der Festung eilte, dort anzuordnen,
zu ermuntern und selbst für die rasche Ersetzung alles Mangelnden zu
sorgen.

Denn Morella wurde während der Belagerung nie ganz eingeschlossen:
Oráa war viel zu vorsichtig, als daß er einem Cabrera gegenüber und
in solchem Terrain sein Heer in verschiedene Einschließungs-Corps
hätte theilen sollen; er hielt seine Divisionen dem Punkte gegenüber
vereinigt, den er angreifen wollte, und befestigte sich so viel nur
möglich in den genommenen Stellungen. So blieb der Besatzung die
Verbindung mit der Armee und mit dem acht Leguas entfernten Cantavieja
stets offen, und selbst nachdem Oráa am 12. das Meson de Beltran,
ein auf der Hauptstraße nach el Orcajo und Cantavieja liegendes
Wirthshaus,[64] besetzt und befestigt hatte, auch dort gegen alle
Angriffe sich hielt, konnte er nicht verhindern, daß täglich von
letzterer Festung auf Gebirgspfaden das nöthige Pulver der Stadt
und den Divisionen zugeführt wurde. Diese litten am Ende so großen
Mangel daran, daß sie von jedem Tage das während der letzten vier und
zwanzig Stunden fertig gewordene und in der Nacht ausgetheilte Pulver
verbrauchten, um das Gefecht abzubrechen, so wie sie davon entblößt
waren. Die Garnison aber, die anfangs sehr verschwenderisch mit der
Munition umgegangen war, mußte ihren nur noch sehr kleinen Vorrath auf
die äußersten Fälle aufsparen.

Wiewohl die nach Alcañiz führenden Wege auf jede Art unfahrbar gemacht
waren, rückte doch der große Convoy am 7. August bis la Pobleta
de Monroyo, drei Leguas von Morella, vor, da ganze Divisionen
unausgesetzt an der Herstellung des Zerstörten arbeiteten. Am folgenden
Tage griff Cabrera die Escorte Division San Miguel auf dem Marsche
an und zwang sie, nach la Pobleta zurückzukehren, konnte aber den
vereinten Anstrengungen derselben und der Colonne Borso’s, der ihr
zur Hülfe entgegenzog, nicht widerstehen. Nachdem sie auch am 9.
fortwährendes Scharmützel bestanden hatten, gelang es den beiden
Colonnen, am 10. mit dem Belagerungsgeschütz und dem Convoy das Lager
hinter San Pedro Martyr zu erreichen. Oráa trieb alsbald die Truppen
der Garnison, welche bisher die nahen Höhen außerhalb der Mauern
behaupteten, in die Festung und begann den Batterie-Bau auf der
Abdachung der Querola; schon am 13. waren die Geschütze -- acht Kanonen
und drei Mörser -- aufgefahren, und am 14. Morgens eröffneten sie ihr
Feuer gegen die Mauern der Stadt.

Der General Graf Negri, welcher in den Gefechten gegen die anrückenden
Divisionen sich besonders hervorthat, hatte das Commando der Festung
und der Truppen in ihr übernommen, während Oberst O’Callaghan als
Gouverneur unter ihm befehligte. Jener theilte die Stadt in Distrikte,
welche alle an das Castell gelehnt und in der Eile möglichst
befestigt, noch innerhalb der Stadt die hartnäckigste Vertheidigung
gegen den Feind erlaubten, falls er die Bresche erstürmen sollte; er
verwandelte die hinter der Angriffsfront liegenden Häuser in Forts und
traf jede Vorsichtsmaßregel zur Verhütung von Feuer oder sonstigem
Unglücke. Zugleich befahl er, die Thüren aller Häuser zu öffnen,
da ein Bombardement erwartet werden mußte, was bei der Abwesenheit
der entflohenen Einwohner zu mannigfachen Unordnungen führte, denen
jedoch rasch gesteuert wurde. Der Geist der Garnison, der Elite des
Heeres, war trefflich; ihr hatten sich etwa dreihundert ~voluntarios
realistas~ aus den Bürgern von Morella angeschlossen, die während der
ganzen Belagerung mit hoher Auszeichnung fochten. Die übrigen Einwohner
waren fast sämmtlich ausgewandert, das Schlimmste befürchtend. Alles,
was geblieben war, drängte sich in die Cathedrale, das einzige
bombenfeste Gebäude der Stadt, zusammen, auf den Knieen von der hohen
Schutzherrinn Rettung erflehend; eben diese Kirche mußte denn auch als
Munitions-Magazin, Hospital und als Ruheplatz für die nicht zum Dienste
berufene Mannschaft dienen.

Die feindliche Artillerie beschoß die Mauer nicht auf die sonst beim
Bresche-Legen übliche Art: sie begann ihr Zerstörungswerk mit dem
obern Theile derselben und flachte sie nach und nach ab, wobei ihre
Schwäche und Hinfälligkeit die Wirkung der Geschosse so begünstigte,
daß schon nach einstündigem Feuer eine bedeutende Öffnung gebildet
war. Da brachte das Feuer des Castells die Kanonen der Belagerer
zum Schweigen, und erst am folgenden Morgen konnten diese die
Bresche vervollständigen, nachdem sie während der Nacht die Batterie
ausgebessert und die demontirten Geschütze ersetzt hatten. Die Mörser
und Haubitzen aber bewarfen die Stadt ununterbrochen und richteten in
ihr, wie im Castell, große Verwüstungen an; auch verursachten einige
in dem letzteren durch Unvorsichtigkeit auffliegende Munitionskasten
empfindlichen Verlust, eine Anzahl Artilleristen mit drei Officieren
tödtend und verwundend. In der Stadt wurden viele Häuser eingestürzt,
und mehrfach brach Feuer aus, welches erst nach langer Anstrengung der
Realisten und Freiwilligen gelöscht werden konnte.

In der Nacht vom 14. zum 15. August und am folgenden Tage ließ Graf
Negri auf einem kleinen, freien Raum hinter der Bresche eine starke
Brustwehr von Erde als Abschnitt errichten und mit friesischen Reitern
besetzen; auf die nun ganz offene und über vierzig Schritt breite
Bresche und unmittelbar hinter ihr wurden ungeheure Massen trockenen
Holzes und zur Entzündung präparirter Stoffe aufgehäuft. Diese Arbeit
kostete vielen Sappeurs das Leben, da sie unter dem fortwährend
lebhaften Feuer der Christinos bewerkstelligt werden mußte.

Mit Vertrauen sahen die braven Krieger dem Sturm entgegen, den sie mit
Gewißheit für die kommende Nacht erwarteten.

  [62] Es ist sehr natürlich, daß in höheren Chargen Männer sich
       fanden, die eben nur brav waren, da ja nebst Ausdauer die
       Bravour das hauptsächlichste Erforderniß des Guerillero in den
       ersten Kriegsjahren war. -- Später zeigte sich der Scharfblick
       der Commandirenden in der Art, wie sie jeden Officier dahin zu
       postiren wußten, wo seine individuellen Gaben am meisten in
       Wirksamkeit traten.

  [63] Die Bewegungen und Gefechte der beiden Heere und der einzelnen
       Divisionen sind vom General Baron von Rahden in seinem Werke
       über „Cabrera“ genau und im Detail gegeben.

  [64] Alle Gebäude in diesem Theile Spaniens sind massiv.



XXIII.


Die Lage der christinoschen Armee vor Morella wurde mit jeder Stunde
schwieriger. Der empfindlichste Mangel an Lebensmitteln machte sich im
Lager geltend, die Transporte, welche mit großen Opfern herbeigeschafft
werden konnten, reichten nicht mehr hin für so gehäufte Bedürfnisse,
und als dann Llagostera, der fortwährend auf der Communications-Linie
mit Alcañiz operirte, den letzten, sehnlich erwarteten Convoy auffing
und fast ganz verbrannte, blieb dem Heerführer der Christinos nur die
Alternative: „Einnahme der Festung oder rascher Rückzug.“ Oráa ließ
die Bresche recognosciren, nachdem er nochmals umsonst die Besatzung
zur Übergabe aufgefordert hatte. Der Ingenieur meldete, daß sie
practicabel, wiewohl sehr schwer zu ersteigen sei; daß aber die hinter
ihr aufgeführte Brustwehr jeden Erfolg sehr zweifelhaft mache. Da
keine Wahl blieb, wurde der Sturm auf die Nacht vom 15. zum 16. August
festgesetzt.

Um Mitternacht rückten die Colonnen der Stürmenden vorwärts. Die erste
wandte sich gerade gegen die Bresche und gelangte unbemerkt bis an
den Fuß der hier nicht hohen Felswand, welche sie ersteigen mußte;
die andere unter Leitung des früheren Gouverneurs der Stadt, Oberst
Portillo, zog den Fahrweg hinan; zwei kleinere Haufen zur Rechten
und zur Linken waren bestimmt, die Aufmerksamkeit der Belagerten zu
theilen. -- Diese hatten die Compagnien Grenadiere von Tortosa und
Jäger der Guiden von Aragon mit dem schweren Werke der Vertheidigung
der Bresche beauftragt, während die Reste dieser Bataillone zu beiden
Seiten die Thürme und die Schießscharten der Mauer besetzt hielten.
Drei andere Bataillone von Tortosa und Aragon, am Abend in die Stadt
gezogen, waren als Reserve in Masse aufgestellt, um sich sofort auf
den eingedrungenen Feind zu werfen, oder standen in den barrikadirten
Häusern längs der Angriffsfront.

Die Sappeurs arbeiteten indessen thätig an den Abschnitten, die
allenthalben in der Stadt geöffnet wurden, und richteten die
terassenförmig dem Umfange des Castells parallel laufenden Straßen
zur Vertheidigung ein; die ~voluntarios realistas~ bewachten rings
die Mauer. Da der Sturm mit Zuversicht erwartet wurde, befand sich
Jedermann seit dem Anbruche der Nacht auf seinem Posten. Auch Graf
Negri, selbst Alles überwachend, logirte in dem der Bresche nächsten
Thurme; er ermahnte die Freiwilligen, nicht eher Feuer zu geben, bis
der Feind den Fuß der Bresche erreicht habe.

Da ward das Geräusch der nahenden Massen gehört. Rasch entzündet
wirbelte der ungeheure Holzstoß seine Flammen gen Himmel, die ganze
Weite der Bresche in züngelnde Gluth hüllend und weit in die Nacht
hinaus leuchtend. Kaum funfzig Schritt von der Bresche waren die Feinde
entfernt. Sie hielten einen Augenblick hinter dem Felsenabsatz, dann
schwangen sie sich mit wildem Gebrüll hinauf und stürmten rasend den
Feuerwogen zu, die ihnen entgegenzuckten; von den Musikchören der
ganzen Armee erschallte zugleich die Revolutions-Hymne Riego’s, zu
fanatischer Wuth sie zu entflammen, während alle Regimenter, die Blicke
auf das furchtbar erhabene Schauspiel gerichtet, in Schlachtordnung
aufgestellt waren. -- Todtenstille herrschte in der Stadt; der
blutrothe Schein der Flammen zeigte den Anstürmenden die dunkeln Massen
der Carlisten ihrer harrend, die Gewehre zum Schuß bereit.

Mit Muth griffen die Christinos an, deren beste Bataillone ausgewählt
waren. Unter dem lauten Rufe: „~viva Isabel segunda! viva la
constitucion!~“ erreichten sie den Fuß der Bresche, schon betraten
sie die Trümmer, da übertönte ihr Geschrei und das Prasseln des
Scheiterhaufens donnernd das Commandowort „Feuer!“ Die ersten Reihen
der Stürmenden lagen zu Boden gestreckt, aber gleich fest drangen die
Nachfolgenden über die Leichen ihrer Cameraden vorwärts. Die Kugeln aus
der Bresche und von der Mauer zu beiden Seiten schlugen sie nieder, und
nach langem vergeblichem Streben, die Trümmer zu erklimmen, wichen die
Ermüdeten hinter die schützende Felsenwand zurück.

Auch Portillo’s Colonne war mit Festigkeit vorgerückt. Eine finstere
Masse erstieg sie langsam den vielfach sich schlängelnden Fahrweg,
anfangs unbelästigt, da Aller Augen auf die Bresche gerichtet waren,
deren helle Gluth malerisch die grausige Scene erleuchtete. Aber
bald sprüheten die Mauern auch auf sie Tod und Zerstörung hinab.
Unerschüttert drang die Colonne auf ihrem gefährlichen Marsche vor, der
in der wirksamsten Schußweite längs einem Theile der Mauer hinführte;
das Feuer wurde mit jedem Augenblicke heftiger, große Steine wurden
von den Thürmen des San Martin-Thores herabgeschleudert, und die
Soldaten fielen in dichten Haufen. Da stand die Colonne regungslos,
weder vordringend noch weichend, als Oberst Portillo wüthend vorwärts
stürzte: von den Seinen verspottet und verachtet hatte er geschworen,
die schimpflich verlorene Veste zu nehmen oder unter ihren Mauern
zu sterben. Sein Schwur ward erfüllt. Mit wildem Fluche schleuderte
er seinen Degen über die Mauer hinein in die Stadt, die er nicht zu
bewahren gewußt, und sank gräßlich lästernd, von fünf Kugeln zum Tode
getroffen. Als der Führer gefallen war, stürzte die Masse gelichtet und
schwankend zurück und vereinigte sich, rechts sich schiebend, hinter
dem Felsen mit den Gefährten, die so eben von der Bresche gewichen
waren. -- Oberst Portillo blieb am Fuße der Mauer liegen.

Bald waren die Truppen von neuem geordnet und durch ein Bataillon
verstärkt, das gefürchtetste der christinoschen Armee: die Jäger von
Oporto, aus deutschen Abenteurern bestehend, waren zum Sturm beordert.
Wieder erklimmte die Masse den Felsen und stürmte gegen die Bresche,
nicht mehr in der majestätischen Ordnung wie vorher, -- wild und
gedrängt mit fanatischem Freiheitsgeheule; nur die Fremden schritten
lautlos und fest wie zur Parade nach dem gleichmäßigen Tacte der
herüberrauschenden Janitscharen-Musik. Wieder wurden die Trümmer der
Bresche mit den Leichen der Wüthenden bedeckt, und zerstreut flohen die
Verschonten. Die Jäger von Oporto allein wichen nicht, sie erstiegen
die Bresche, oben auf ihr, von Flammen umspielt, suchten sie den Weg
durch die brennenden Stoffe und stürzten dort unter den tödtlichen
Kugeln in die Gluth. Doch das Feuer vor ihnen und dahinter eine neue
Mauer, Verderben speiend, machte alle Anstrengungen vergeblich: die
Deutschen wichen, Morella war gerettet.

Umsonst ermunterten die Officiere ihre Compagnien zu nochmaligem Sturm,
finsteres Schweigen antwortete ihren Bitten, ihren Drohungen, und die
Soldaten rührten sich nicht hinter dem Felsen, der sie deckte. Um drei
Uhr Morgens zogen die abgeschlagenen Truppen entmuthigt und die Reihen
gelichtet ins Lager zurück.

       *       *       *       *       *

Der 16. August verging unter steten, blutigen Scharmützeln der beiden
Armeen, da die Carlisten so eben einen Transport Pulver erhalten
hatten; zugleich spielte die Artillerie fortwährend gegen die
Festung, den neuen letzten Versuch der Christinos vorzubereiten und
die Ausbesserung der Bresche zu verhindern. Denn noch einen Versuch
wollte Oráa machen und zwar ohne Aufschub: seine Soldaten aßen seit
drei Tagen nur geröstetes Korn, die Pferde hatten alles Getreide der
Felder aufgezehrt und fielen schon häufig. Der Sturm sollte bei Tage
unternommen werden, da die Führer der beim ersten Angriffe angewendeten
Corps das Mißlingen desselben der Verwirrung im Dunkel der Nacht
und dem Umstande zuschrieben, daß weder die Braven durch Hoffnung
auf Auszeichnung getrieben wären, noch die Feigen Schmach und Strafe
gefürchtet hätten, weil ja beide unbekannt blieben.

Am 17. August bei Anbruch des Tages gaben drei Kanonenschüsse das
Signal zum Sturm. Dreizehn Bataillone griffen in fünf Colonnen die
Festung von drei Seiten an; aber nur die gegen die Bresche gerichtete
Masse, die Regimenter Ciudad-Real und Ceuta, kämpfte brav. Sie gelangte
auch dieses Mal bis auf die Trümmer -- der Kugelregen trieb sie wieder
und wieder zurück, bis endlich Muthlosigkeit die Schaar ergriff, da sie
ihre Chefs und die besten Officiere fallen sahen. In wilder Verwirrung
flohen sie dem verschanzten Lager zu, mit Kraft von den Bataillonen
Guiden und Tortosa verfolgt, welche unter des Grafen Negri Führung,
durch die Bresche hinabsteigend, auf die Fliehenden sich warfen und
ihnen ein leichtes Geschütz abnahmen. Die zur Escalade bestimmten
Colonnen hatten nirgends den Fuß der Mauer erreicht.

Nachdem Oráa am 17. wiederum die Stadt mit allen Mörsern und Haubitzen
beworfen und dadurch unnütz große Verwüstungen unter den Häusern
angerichtet hatte, brannte er während der Nacht alle Masadas der
Umgegend nieder und begann am 18. den Rückzug auf Alcañiz, die
Unternehmung aufgebend, die er mit so unendlichem Aufwande vorbereitet,
deren Erfolg er als unfehlbar verkündet hatte.

Da, wie gesagt, die carlistische Armee ganz von Munition entblößt war
-- jeder Soldat erhielt am 18. Morgens eilf Patronen von einem gerade
angelangten Transport -- kehrte Cabrera nach Morella zurück, die
weitere Verfolgung oder vielmehr Beobachtung der abziehenden Feinde
der Division von Castilien unter Merino überlassend, nachdem er sie am
18. und 19. von Position zu Position, fast immer mit dem Bajonnett,
gedrängt und einige hundert Gefangene ihnen abgenommen hatte. Den
Truppen war auch nicht eine Patrone geblieben. Eben dieser empfindliche
Mangel, durch den Cabrera verhindert wurde, den errungenen Vortheil bis
zur Vernichtung des christinoschen Heeres zu verfolgen, war auch die
Ursache, daß der General während der letzten Tage der Belagerung mit
den Divisionen eine ganz secundäre Rolle spielte und besonders während
der Stürme, bei denen energisches Handeln von außen her entscheidend
sein konnte, als nur passiver Zuschauer dastand. Wie oft dankten
die Feinde des Königs ihre Siege oder ihre Rettung dem ungeheuren
Mißverhältnisse zwischen den materiellen Mitteln der kämpfenden Heere!

Dennoch waren die Folgen des mißlungenen Unternehmens gegen Morella
unberechenbar. Die feindliche Armee hatte in den tausendfachen Kämpfen
und Strapatzen der letzten vier Wochen einen Verlust von 7000 bis 8000
Mann, einem Drittel ihrer ursprünglichen Stärke, gehabt, von denen
über 5000 auf dem Kampfplatze oder in den Hospitälern in Folge der
Verwundung durch bronzene Kugeln starben.

Durch gänzlichen Mangel an Blei waren nämlich die Carlisten genöthigt,
jedes Metall, welches sie erlangen konnten, zu ihren Flintenkugeln
zu benutzen, so daß, wenn nicht augenblicklich Hülfe kam, durch das
Ausscheiden von Gift in der Wunde diese tödtlich werden mußte. Oráa
protestirte gegen den Gebrauch solcher Kugeln als dem Völkerrechte
zuwider, worauf Cabrera sich bereit erklärte, sofort der gewöhnlichen
Kugeln ausschließlich sich zu bedienen, wenn ihm Oráa das zum Guß
derselben nöthige Blei verabfolgen ließe. Da auf diese Forderung weiter
keine Antwort erfolgte, fand die Anwendung der tödtlichen Geschosse
ferner Statt. Die revolutionairen Blätter aber schrien über die
Barbarei und Unmenschlichkeit des Feindes, der solche Waffen gebrauche!

Jenem ungeheuren Verluste der Christinos gegenüber hatte die
carlistische Armee während der Dauer der Belagerungs-Operationen nur
1400 Mann an Todten und Verwundeten eingebüßt, wie denn alle Umstände
solche Ungleichheit natürlich machten.

Weit höher jedoch als dieser materielle Vortheil war der in seinen
Folgen so viel wichtigere moralische Einfluß zu schätzen, welchen die
Aufhebung der Belagerung von Morella auf die beiden Heere, dann auf das
Volk und auf den Krieg ausübte. Der Nimbus der Unwiderstehlichkeit war
nun von der Armee der Christinos gewichen, denn bis dahin rühmte sie
sich, daß, wohin ihre Massen sich wendeten, sie immer durchdrängen und
die leichten Schaaren der Facciosos zerstieben machten oder vor sich
niederschmetterten; sie behaupteten, daß die Carlisten im geregelten
Kampfe ihnen nie widerstehen, ihrem Sturme nie Stand halten könnten;
sie pochten auf ihre Organisation und Massen-Taktik und schrieben
die einzelnen Siege, welche sie den noch immer als Horden und Banden
bezeichneten Feinden zugestanden, nur der Überraschung und der
Benutzung des günstigen Terrains zu.

Jetzt änderten sie plötzlich ihre Sprache gegen und über jene
verachteten Schaaren. Eine Unternehmung, zu der die Blüthe der Armee
unter allen ihren ausgezeichnetsten Generalen sich vereinigt hatte, und
für welche die umfassendsten Vorbereitungen getroffen waren, war ganz
mißlungen; eine Operation, bei der sie ihre gerühmte Überlegenheit so
vollkommen entwickeln konnten, hatte in entschiedener, schimpflicher
Niederlage geendet. Das Selbstvertrauen der Christinos war dahin, und
mit ihm schwanden alle die Vorzüge und die moralische Macht, die sie
noch immer behauptet hatten. Die Armee des Centrum, wiewohl sogleich
durch mehrere Brigaden der Nordarmee und aus dem Innern verstärkt,
erlangte jene Überlegenheit nie wieder.

Dagegen erkannten die Freiwilligen, was sie vermochten, und die
Vortheile anerkennend, welche die Organisation und militairische
Ausbildung der Feinde neben ihren großen materiellen Hülfsquellen
ihnen gaben, hielten sie sich jetzt für unüberwindlich, da sie ja über
das Alles so herrlichen Sieg davongetragen hatten. Das Volk aber sah
von nun an die Sache der Carlisten als die entschieden siegreiche;
demnach wagte es entweder offener seine Neigung darzuthun, oder es
schmiegte sich leicht unter das ihm unabwendbar scheinende Verhängniß.

Die Folgen aber dieses Schlages für die Operationen der Armeen und
für den Krieg im Allgemeinen waren von entscheidendem Gewichte; der
Verrath eines Maroto war nöthig, um sie zu paralysiren. Der ganze große
Vernichtungsplan der Feinde war vereitelt, in sich zusammengefallen;
sie sahen sich nicht nur im westlichen Spanien geschlagen und selbst
schwer bedroht, auch Espartero gab auf die Nachricht davon sogleich
sein Unternehmen auf Estella und auf Navarra auf, zu seiner alten
Unthätigkeit zurückkehrend. Die müssigen Schreier der Puerta del Sol,
die im Voraus gejubelt hatten, wagten nun, den greisen Führer der
Armee des Centrum, den General, der Alles gethan, was der General
thun konnte, weil er eine Niederlage erlitten hatte, als Verräther
zu bezeichnen und des Einverständnisses mit Cabrera zu zeihen.
Wenige Wochen vorher war er der Held, auf den allein sie vertrauten,
überschüttet mit Preis und Schmeichelei. Das ist der Liberalismus der
Spanier!

Den General Cabrera belohnte seines Königs Gnade für so herrlich
errungene Erfolge durch den Titel des Grafen von Morella, den das
Cabinet Maria Christina’s für Oráa, den Sieger, bestimmt hatte;
zugleich ward er zum General -- ~teniente general~, dem General der
Infanterie oder der Cavallerie entsprechend -- ernannt, als welcher er
die Provinzen Aragon, Valencia, Murcia und Cuenca commandirte. Fünf
Jahre hatten dem armen Studenten hingereicht, um in der Vertheidigung
der Rechte seines Königs von Stufe zu Stufe die höchsten Grade und
Ehren sich zu verdienen und, gefürchtet vom Feinde, die Hoffnung
der Seinen, an der Spitze eines von ihm selbst im Kampfe gegen
die Usurpation gebildeten Heeres über vier mächtige Provinzen zu
herrschen;[65] in fünf Jahren hatte der unbekannte Jüngling, der mit
einem Stock bewaffnete Guerrillero, europäischen, geschichtlichen Ruhm
sich erworben.

Auch die Armee ward nach dem Vorschlage des Generals reich belohnt;
die Divisions-Chefs und Brigadiers Don Domingo Forcadell und Don Luis
Llagostera, der ganz besonders durch Thätigkeit und Einsicht sich
hervorgethan hatte, wurden zu General-Lieutenants -- ~mariscales de
campo~ -- erhoben und als zweite commandirende Generale den einzelnen
Provinzen vorgesetzt.

Die Armee unter dem Oberbefehle des Grafen von Morella bestand nach der
Belagerung von Morella aus folgenden Truppen.

Die Division vom Ebro, unter dem unmittelbaren Befehle des Generals en
Chef, enthielt die Brigade von Tortosa, 3 Bataillone unter dem Oberst
Palacios, stets um die Person des Generals und von den übrigen Truppen
als seine Garde bezeichnet; und die Brigade von Mora, 2 Bataillone
unter Oberst Feliu, nebst dem Regiment Lanciers von Tortosa, unter
Oberst Gil. 3200 Mann Infanterie und in 4 Escadronen 350 Pferde.

Die Division von Aragon unter dem Mariscal de Campo Llagostera bestand
aus 6 Bataillonen, durch die Verluste des Frühjahres sehr geschwächt,
und 2 Regimentern Lanciers, 2400 Mann Infanterie und in 5 Escadronen
330 Pferde.

Die Division von Valencia zählte 6 Bataillone und ein Regiment Lanciers
unter dem Mariscal de Campo Forcadell. 3800 Mann Infanterie und in 4
Escadronen 320 Pferde.

Die Division von Murcia -- früher del Turia und unter Tallada
vernichtet -- unter dem Oberst Arnau ward organisirt und enthielt
jetzt 2 Bataillone und 2 Escadrone. 700 Mann Infanterie und 120 Pferde.

So sah sich Cabrera an der Spitze von etwa 10000 Mann Infanterie und
1100 Pferden. Dazu kamen das Artillerie- und das Genie-Corps, letzteres
bis dahin nur aus Sappeurs mit nicht wissenschaftlichen Officieren
bestehend, und die ~voluntarios realistas~, welche ihre Wohnsitze
nicht verließen, nebst einigen kleinen Freicorps, die kaum 200 Mann
stark waren.

Merino marschirte alsbald mit den Bataillonen von Castilien ab; ebenso
kehrten Graf Negri und Don Basilio mit den Reitern des ersteren durch
einen kühnen Zug nach Navarra zurück. Don Basilio’s 200 Mann traten zur
Brigade von Tortosa über.

  [65] Denn Cabrera herrschte in ihnen; nur die festen Städte
       gehorchten dem Feinde.



XXIV.


Oráa hatte die Belagerung von Morella aufgehoben. Die Beobachtung des
geschlagenen Feindes der Division von Castilien überlassend, eilte
Cabrera mit zwei Divisionen der fruchtbaren Huerta von Valencia zu,
den glorreichen Sieg thätig zu benutzen: am 24. August schon stand er
vor den Thoren der Hauptstadt, die wenige Tage vorher durch glänzende
Feste die Eroberung von Morella gefeiert hatte, da die Nachricht davon
als unzweifelhaft verbreitet war. Auch jetzt empfing das Jubelgeläute
aller Glocken die carlistische Armee, denn Niemand zweifelte, daß der
wilde Cabrera nach dem Verluste seiner Festung und geschlagen vor
dem siegreichen Heere Christina’s auf der Flucht begriffen sei und
unmittelbar von demselben verfolgt werde.

Doch er durchzog ruhig die ganze reiche Provinz, erhob überall
Contributionen und häufte große Vorräthe von Lebensmitteln und
Kriegsbedarf an; er überschritt den Guadalaviar, vereinigte sich mit
den Bataillonen von Arnau, der mit einigen Truppen von der Division des
Ebro von Morella direct nach dem während der Belagerung verlassenen
Chelva marschirt war, passirte dann auch den Xucar und drang im
Triumphzuge bis unter die Mauern von Alicante und in die Umgegend von
Murcia. Mit sechshundert requirirten Pferden, einigen hundert Rekruten
und einem ungeheuren Convoy richtete er sich wieder gen Norden. Und auf
dem ganzen stolzen Zuge hatte jeder Freiwillige nur zwei Patronen!

Während San Miguel die Artillerie nach Alcañiz escortirte, hatte sich
Borso rasch auf Valencia, Oráa nach Teruel gewendet, von wo dieser auf
die Nachricht von dem Zuge Cabrera’s gleichfalls nach dem Königreiche
Valencia hinabstieg, um in Vereinigung mit Borso den Carlisten den
Rückweg abzuschneiden. Er stellte sich deshalb in Jerica auf, während
Borso mit seiner Division das nur drei Stunden entfernte Segorve inne
hielt. Cabrera aber, dessen Truppen fortwährend ganz ohne Munition
waren, führte mittelst eines kühnen Manövres den ganzen unermeßlichen
Convoy mitten durch die feindlichen Divisionen hin, welche in die
von ihnen besetzten Städte sich einschlossen und die wehrlose, durch
Tausende von Maulthieren und beladenen Karren zu viele Stunden langem
Zuge verlängerte Colonne unangefochten passiren ließen.

Bei dem Zustande gänzlicher Entmuthigung, in dem ihre Truppen sich noch
befanden, wagte keiner der beiden Generale den Angriff, bei dem er der
Mitwirkung seines Gefährten nicht gewiß war. Nur Generalmajor Valdés
beunruhigte die Arrieregarde und nahm ihr einige Karren ab, die aber
durch einen raschen Angriff der nächsten Compagnien wieder gewonnen
wurden. So gelangte Cabrera mit der ganzen herrlichen Beute ohne
Verlust nach Onda am Mijares, wo er durch die von Cantavieja’s Fabriken
erhaltenen Sendungen die Divisionen wieder mit Munition versehen konnte.

General Oráa, von dem man sicher erwartet hatte, daß er nun den
gehaßten Chef vernichten oder wenigstens den Convoy ihm abnehmen werde,
verlor bald das Commando, da er wieder ihn hatte entschlüpfen lassen.
An seine Stelle trat der General Don Antonio van Hahlen, Bruder des
Generals, der einst in den belgischen Unruhen eine bedeutende Rolle
spielte. Sogleich nach dem Rückzuge von Morella war der Kriegsminister
General Latre selbst zur Armee gekommen, um sie zu inspiciren und die
Ursachen jener Niederlage zu erforschen.

Cabrera wandte sich sofort nach Unter-Catalonien, überschritt bei Mora
den Ebro, zog einige Geschütze aus Miravet, einem alten, sehr starken
maurischen Castell auf dem südlichen Ufer jenes Flusses, welches er
sorgfältig hatte herstellen lassen, und griff die beiden feindlichen
Forts von Falset und Belmunt an, deren ausgedehnte Bleiminen wegen des
drückenden Mangels an diesem Metalle von hoher Wichtigkeit wurden. Oráa
schon in der letzten Zeit seines Heerbefehls zog sich auf der großen
Straße längs der Küste des Meeres bis Tortosa; vor seiner Ankunft hatte
jedoch Cabrera das eine der belagerten Forts genommen, da die Besatzung
während der Nacht entfloh, und war auf das rechte Ufer des Ebro
zurückgekehrt, nachdem er den vorgefundenen Vorrath an Blei und seine
Artillerie nach Miravet gesendet hatte.

Ein Ereigniß verdient erwähnt zu werden, welches, ein trauriges
Erzeugniß des mit Wildheit des Characters gepaarten, glühenden
Partheihasses, das Grauen selbst der an die blutigen Scenen des
Bürgerkrieges gewöhnten Krieger erregte. Unter der Besatzung von Falset
befand sich ein junger Catalan, dessen beide Brüder in der Division
vom Ebro für die carlistische Sache kämpften. Sie forderten, da Falset
belagert wurde, den Bruder auf, mit ihnen zur Vertheidigung seines
legitimen Königs sich zu vereinigen; er aber erwiederte von der Mauer
herab lästernd und mit Hohn, daß sie selbst aus dem Fort ihn holen
möchten; dann erst würde er ihnen folgen. Wenige Tage nachher räumte
die Besatzung das Fort und zerstreute sich lebhaft verfolgt, worauf
jener Catalan, da er sich auf dem Punkt sah, gefangen zu werden, für
Überläufer sich erklärte. Kaum umringt traf er auf seine Brüder und
eilte zu ihnen, Schutz hoffend. Und die Beiden, wie sie den Kommenden
erblickten, erhoben ihre Gewehre und streckten ihn todt zu ihren Füßen,
ihm zurufend: „Du bist nicht würdig, unser Bruder zu heißen!“

Bei einer andern Gelegenheit sah ich auf unsern Vorposten einen
Freiwilligen, schon bejahrt, dessen Sohn, kaum zweihundert Schritt
entfernt, einer Feldwache des Feindes angehörte. Beide riefen sich
zu, da sie bei den unter den Posten nicht ungewöhnlichen Gesprächen
sich erkannt, und forderten wechselseitig sich auf, nicht länger für
Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu kämpfen, vielmehr sofort der
gerechten Sache sich zu weihen. Da solche Überredung Nichts fruchtete
und endlich in Gezänk und Schimpfen ausartete, griffen sie fluchend zu
den Waffen, und Vater und Sohn sendeten sich Kugeln zu. Sie trafen sich
nicht.

       *       *       *       *       *

Als Cabrera nördlich vom Ebro mit der Einnahme von Falset beschäftigt
war, manövrirte General Pardiñas von Alcañiz aus, um die Verbindung
mit Morella ihm abzuschneiden. Cabrera, auf das südliche Ufer
zurückgekehrt, wandte sich gegen ihn, und nachdem die beiden Generale,
einige Tage lang in unmittelbarer Nähe sich beobachtend, umsonst
günstige Gelegenheit zum Schlagen erspähet hatten, zog sich Pardiñas in
den letzten Tagen des Septembers nach Maella am Nonaspe zurück, während
Cabrera das wenige Stunden entfernte Favara besetzte.

Pardiñas, den wir früher in seinen Siegen kennen lernten, war einer der
ausgezeichnetsten Generale Christina’s, wie Cabrera jung, entschlossen,
brav und thatendurstig; er hatte durch die Vernichtung der Corps von
Don Basilio und Tallada seinen Ruf begründet und sprach laut den Wunsch
aus, mit seinen siegreichen Truppen auf des gefürchteten Häuptlings
Schaaren zu treffen, um den Übermuth desselben blutig niederzuschlagen.
Die Division, welche er in Maella commandirte, bestand aus fünf
erprobten Bataillonen und drei Escadronen, denselben, die er bei der
Verfolgung jener Generale angeführt hatte, und so eben neu ergänzt, so
daß sie 4700 Mann Infanterie und 450 Pferde enthielten. Cabrera hatte
die fünf Bataillone der Division vom Ebro und zwei Bataillone von
Aragon bei sich, etwa 4100 Mann; seine Cavallerie aber war über 700
Pferde stark.

Da Cabrera mehrere Bataillone von Aragon erwartete, verließ er am
Morgen des 1. Octobers seine Stellung, um die Vereinigung mit ihnen
zu erleichtern. Zugleich brach auch Pardiñas von Maella auf, um den
Heranmarsch der Verstärkung zu begünstigen, die von Caspe aus zu ihm
stoßen sollte.[66]

Von Maella nach Favara, Südwest zu Nordost, erstreckt sich ein etwa
drei Stunden langer Höhenzug, dessen obere, ganz kahle Fläche, ein
Hochplateau bildend, in seiner größten Breite -- anderthalb Stunden
von jedem der beiden Orte -- etwa eine halbe Stunde beträgt. Die
Verbindungswege zwischen ihnen laufen zu beiden Seiten dieser Höhe in
dem Grunde der sie cotoyirenden Thäler hin, von dem das nordwestliche,
in dessen Tiefe das Flüßchen Nonaspe sich hinschlängelt, reich bebaut
und hauptsächlich mit Weingärten und mit Olivengehölzen bedeckt ist,
auch ist die Höhe dorthin sehr sanft abgedacht. Das andere südöstliche
Ravin ist durch steil abfallende Wände gebildet und durch rauhe,
vorspringende Felsmassen verengt; es ist mit Ausnahme von wenigen
Olivenbäumen ganz ohne Cultur.

Pardiñas, die von Caspe herführenden Wege zu decken, schlug natürlich,
links sich wendend, den Weg längs dem Flusse ein, um nach der
Vereinigung mit der erwarteten Verstärkung Cabrera anzugreifen,
während dieser, ohne von der Absicht und dem Ausbruch jenes Generals
Nachricht zu haben, von Favara aus gleichfalls links das schroffere
südöstliche Thal hinabzog, da die Bataillone, denen er die Hand reichen
wollte, von Süden her naheten.

Die Eclaireurs der beiden Corps, längs den Flanken der Marschcolonnen
schwärmend, trafen sich auf der Mitte des Plateaus und eröffneten
alsbald das Feuer. Die beiden Generale schickten den Kämpfenden
Verstärkung auf Verstärkung und zogen sich, ihrem Vortrabe folgend,
nach und nach auf die Höhe des Plateaus, wo die Divisionen in
Schlachtordnung auf einander stießen, so daß die Avantgarde einer jeden
der Arrieregarde der andern gegenüberstand, welche die Christinos
jedoch bedeutend zurückgehalten hatten. Die Front der Carlisten war
jetzt nach Norden gerichtet.

Die feindliche Cavallerie der Avantgarde stürzte sich auf die beiden
Bataillone von Mora, welche den rechten Flügel der Carlisten bildeten,
durchbrach sie, noch nicht geordnet, und säbelte sie furchtbar nieder.
Das Regiment von Tortosa sprengte zu ihrer Rettung herbei, und sie
konnten, von den Guiden von Aragon aufgenommen, sich rasch formiren
und wieder vordringen. Die Lanciers von Tortosa aber wurden durch
einen neuen, heftigen Choc gleichfalls geworfen und verloren eine
große Zahl Todter, da die Christinos Alle, welche sie einholten, mit
dem Rufe: „heute giebt es keinen Pardon für Euch!“ erbarmungslos
niederstachen, wiewohl diese, von den Pferden springend, sich gefangen
gaben.[67] Zugleich griff Pardiñas mit seiner Infanterie des Centrum
die Bataillone von Tortosa an, welche auf vierzig Schritt Entfernung
mit Bataillons-Salven die Massen empfingen und dann mit dem Bajonnett
ihnen entgegenstürmten. Unentschieden wogte der Kampf vor und zurück.
Die braven Tortosiner wichen nicht, und die Bataillone von Cordova
und Afrika, eben so brav, drangen immer wieder zu wildem Angriffe. So
ward die Infanterie beider Corps in furchtbarem Handgemenge vermischt,
aus dem die Losungsworte ~viva Carlos quinto! und viva Isabel
segunda!~ verwirrt durch einander tönten, da nicht eine einzige
Compagnie in sich geschlossen geblieben war.

Cabrera erkannte, daß der Augenblick der Entscheidung da war: ein
Cavallerie-Angriff in solchem Chaos mußte Wunder thun. Er beorderte
einige der Escadrone herbei, die so eben auf dem rechten Flügel die
Fortschritte der feindlichen Reiter wieder gehemmt hatten. Aber ehe sie
anlangten, stürzte er, schon leicht verwundet, an der Spitze seiner
Ordonnanzen, kaum 60 Reiter, in die Mitte des Getümmels der Infanterie,
mit dem Rufe: «~hay cuartel, abajo las armas!~» -- es giebt Pardon,
nieder mit den Waffen! -- die Christinos betäubend. Die verwegene
That hatte den herrlichsten Erfolg. Die Feinde überall mit der
Infanterie von Tortosa gemischt, konnten sich nicht in Massen formiren;
allgemeine Bestürzung, panischer Schrecken ergriff sie, und Pelotons,
Compagnien und ungeordnete Haufen, wie sie aus dem Handgemenge sich
vereinigen konnten, streckten die Waffen, Alles verloren wähnend,
da sie die Cavallerie der Carlisten in ihrer Mitte sahen. Wenige
flohen. Die Ordonnanzen und die herangezogenen Escadrone von Tortosa,
der Infanterie das Werk der Entwaffnung überlassend, jagten an dem
erstarrten Haufen der Christinos vorüber, die zagend die Gewehre
niederwarfen, bis sie wieder und wieder die ganze Linie durchkreuzt
hatten.

In einer Viertelstunde war das Unglaubliche vollbracht. Zugleich
warf sich der linke Flügel Cabrera’s auf den zurückgezogenen, auf
dem Abhange stehenden Nachtrab der Feinde, bei welchem sämmtliche
Bagage sich befand. Er war sofort zerstreut und floh in gränzenloser
Verwirrung auf Caspe, die Vernichtung der schönen Division verkündend,
worauf die zur Verstärkung derselben bestimmten Truppen dort blieben.

Pardiñas hatte sich umsonst bemühet, das Gefecht wieder herzustellen;
in Verzweiflung stürzte er mit der Cavallerie des linken Flügels zur
Rettung seiner schon aufgelöseten Bataillone, aber die Escadrone wurden
durch die Festigkeit einiger Compagnien von Tortosa geworfen und durch
einen Chor der Lanciers ganz zerstreut und, in die Schlucht gedrängt,
größtentheils gefangen. Bald war an die Stelle des wilden Tumultes
majestätische Ruhe getreten, nur durch den jubelnden Siegesruf: ~viva
el Rey!~ unterbrochen.

Schon verwundet, das Pferd unter ihm getödtet, floh Pardiñas allein
und zu Fuß dem Ravin zu, durch welches Cabrera’s Armee heraufgezogen
war. Vom Oberstlieutenant Rufo, einem Adjudanten des Generales, zu
Pferde verfolgt, gelangte er bis zu dem Grunde des Thales, vermochte
aber, geschwächt durch Blutverlust, nicht mehr, die entgegengesetzte,
steile Höhe zu ersteigen. Er ergriff das Gewehr eines Grenadiers, der
gleichfalls fliehend an ihm vorübereilte, und zerschmetterte durch
einen Schuß den Arm Rufo’s, da dieser ihn aufforderte, sich zu ergeben.
Das Feuer hatte schon ganz aufgehört; so zog dieser vereinzelte Schuß
einige Ordonnanzen herbei, welche, den Adjudanten ihres Generales
verwundet sehend, den feindlichen Anführer niederhieben, wiewohl er als
Pardiñas sich kund gab.[68]

Oberstlieutenant Rufo, mit einer Schwester des Grafen von Morella
verlobt, starb einige Wochen nach der Action in Valderobles, da die
sogenannten Wundärzte nicht sogleich zur schwierigen Amputation
geschritten waren. Die Nachricht von der Verwundung des Geliebten warf
seine Braut, die liebenswürdigste von den drei reizenden Schwestern
des Generals, auf das Krankenlager; sie überlebte nur um einen Tag die
Schreckenskunde von seinem Tode.

Der Sieg nach einstündigem, furchtbarem Ringen war vollkommen. 3500
Mann waren gefangen, über 4000 Gewehre, zwei Geschütze, 350 Pferde und
die ganze reiche Bagage wurden auf dem Schlachtfelde erbeutet. Nur 800
bis 900 Mann, zum Theil unbewaffnet, entkamen nach Alcañiz und Caspe,
wo sie die größte Bestürzung verbreiteten, die bald durch das ganze
christinosche Spanien wiederhallte. -- Der Verlust der Carlisten war
sehr bedeutend, wie solcher Kampf ihn mit sich brachte, sie zählten
ungefähr 1200 Mann Todter und Verwundeter, ein Viertel ihrer ganzen
Stärke.

Nach dem Siegestage von Maella entsendete Cabrera drei Bataillone und
zwei Escadrone unter dem Oberst Polo nach Castilien, wo sie bis in die
Mancha vordrangen und, ohne Widerstand zu finden, einen großen Convoy
von Lebensmitteln sammelten -- der Winter war ja nahe. -- Er selbst
durchstreifte mit der Division vom Ebro Nieder-Aragon bis an die Thore
von Zaragoza, während sein Adjudant, Oberst Garcia, der wegen seiner
mannichfachen militairischen Kenntnisse bei dem gänzlichen Mangel an
Genie-Officieren[69] deren Functionen versah, die Blockade von Caspe
leitete. Llagostera aber drang von neuem in die Ebene von Valencia und
bis in das Königreich Murcia vor; bei seiner Rückkehr traf er auf den
General Borso und ward am 2. December bei Chiva geworfen, wobei er
etwa 200 Gefangene einbüßte, welche erschossen wurden, da schon das
Repressalien-System in Kraft getreten war. Doch später davon.

So wie das Belagerungsgeschütz dort anlangte, war Cabrera nach Caspe
geeilt; er ließ sofort die Batterien errichten, beschoß die Stadt
kräftig und hatte sich schon in einigen Häusern unmittelbar neben der
Mauer festgesetzt, als General van Hahlen mit starkem Corps zum Entsatz
nahete. Auf seiner Flanke und in den Communicationen bedrohet, zog
Cabrera seine Artillerie am 18. October zurück, hob die Belagerung
auf und wandte sich nach dem Königreiche Valencia, wo Forcadell durch
Überfall des Castells von Villamaleja sich bemächtigt hatte. Da van
Hahlen sich sofort dahin in Bewegung setzte, stand der carlistische
Feldherr nach einigen Gewaltmärschen wieder in Aragon und erneuerte die
Belagerung von Caspe, die auch dann fehlschlug, weil Niemand in der
Armee sich fand, der eine Mine, welche nothwendig war, mit gehöriger
Wirkung anzulegen wußte.

Cabrera durchzog in den letzten Tagen des Novembers noch ein Mal die
fruchtbare Huerta und machte einen vergeblichen Versuch, Lucena in
Valencia durch Hunger zur Übergabe zu zwingen, worauf er nach Morella
ging, da die Witterung für den Augenblick jede Operation unmöglich
machte. Mehrere Monate verflossen in anscheinender Unthätigkeit.
General van Hahlen begnügte sich, Convoys nach den vorgeschobenen
Festungen zu escortiren und im Halbkreise auf der großen Straße
von Castellon nach Valencia, Teruel, Daroca und Zaragoza um das
carlistische Gebiet in beobachtender Ferne sich zu bewegen. Der
Graf von Morella aber arbeitete an der Completirung und Ausbildung
der Armee, ersetzte das Vernichtete und Mangelnde und traf alle
Vorbereitungen, um mit dem Frühjahre kräftig die Offensive ergreifen
zu können, da die glänzenden Erfolge des letzten Feldzuges die
Überlegenheit des carlistischen Heeres unter Cabrera’s Leitung factisch
dargethan hatten.

Cabrera ward schon von den Anhängern Carls V. als der Mann
betrachtet, der den Krieg beenden und dem Könige den Weg zu dem
Throne seiner Väter öffnen würde; in ihm concentrirten sich jetzt
alle Hoffnungen. Von der Armee der Nordprovinzen erwartete, wünschte
man nur noch, daß sie sich halten und so die ihr gegenüber stehenden
Truppen dort fesseln möge. An endlichen Sieg durch sie dachte Niemand
mehr: „Das Übrige wird schon Cabrera thun“ klang vertrauensvoll aus
Aller Munde. -- Wer hätte ahnen mögen, daß Verrath die Waffenthaten
des jugendlichen Helden vergeblich machen und das sinkende Gebäude der
Revolution stützen werde!

       *       *       *       *       *

Der Winter von 1838 zu 1839 sticht in der Geschichte des spanischen
Bürgerkrieges blutig durch eine lange Reihe systematischer Metzeleien
hervor, die das Gefühl mehr empören müssen als alle die Gräuel,
welche in den ersten Jahren des Krieges verübt wurden, weil diese
durch die Leidenschaft des Augenblickes und die Verhältnisse eine
theilweise Entschuldigung finden könnten, während jene, nachdem lange
schon menschlicherer Kriegsgebrauch herrschend gewesen, mit kalter
Berechnung und an Unglücklichen Statt fanden, die, seit längerer Zeit
schon gefangen, eben deshalb gegen jede Gefahr gesichert und unter
den Schutz von Allem gestellt erschienen, was die Leidenschaften des
Menschen bändigen kann. Ich will die Umstände darlegen, welche jene
Blutscenen veranlaßten, die natürlich ganz und allein dem carlistischen
General zugeschrieben wurden und gegen ihn den Abscheu der Welt häuften.

Als ich in der Armee Cabrera’s ausgewechselt wurde, war ich, wie hoch
ich die militairischen Eigenschaften dieses Anführers stellte, von eben
so hohen Vorurtheilen gegen ihn als Menschen befangen. Ich betrachtete
die Darstellung, welche die Blätter des liberalisirten Spanien von
seiner Grausamkeit, seinem Blutdurst und den zahllosen Schandthaten
gaben, die ihm zugeschrieben wurden, als übertrieben zwar, aber doch in
ihren Grundstrichen wahr und gegründet. Daher konnte ich, wie sehr auch
der blutige Krieg mit Scenen von Härte und Rücksichtslosigkeit mich
vertraut gemacht, ja mich gewöhnt hatte, mit Gleichgültigkeit den Tod
und das Elend der Menschen bloß als materiellen Verlust oder Gewinnst
zu berechnen, dennoch nur mit Grauen auf den Mann sehen, der so jedes
höhere Gefühl verleugnete, der ohne Veranlassung mit Wollust das Blut
seiner Mitmenschen stromweise vergoß, und der in Anderer Jammer sein
Vergnügen, sein Glück fand. Denn so schilderten ihn die Christinos,
doch mit unendlich stärker aufgetragenen Farben.

Während meiner Gefangenschaft brachten mich diese meine Empfindungen
gegen Cabrera, da ich offen sie auszusprechen pflegte, selbst in
häufige und scharfe Collisionen mit manchen Officieren der Armee von
Aragon, die auch wohl die Drohung laut werden ließen, im Falle ich
ausgewechselt würde, über meine Äußerungen dem General Meldung zu
machen.

So darf ich wohl annehmen, daß ich in meinem Urtheile über Cabrera,
so fern es die von ihm erzählten, Schauder erregenden Schandthaten
betrifft, nicht durch blinde Partheilichkeit und durch den Glanz,
welcher für den Carlisten stets die Person des Helden Cabrera umgiebt,
geleitet wurde. Sehr widerstrebend, nur wenn vollkommen überzeugt, gebe
ich eine Ansicht auf, da ich einmal sie gefaßt habe. Und in der That
konnte erst die genaueste Forschung an Ort und Stelle mich zwingen,
meine Meinung über den Character Cabrera’s zu ändern; ich glaube aber,
sorgfältig und strenge geprüft zu haben, vielleicht um desto strenger,
wie das Resultat der Prüfung mehr und mehr das Gegentheil von dem mir
aufdrang, was ich mit Sicherheit zu finden erwartet hatte.

Da erkannte ich denn, daß Cabrera immer fest und selbst strenge
war, daß er Vieles that, was in einem andern Lande oder in einem
andern Kriege verdammungswürdig wäre, daher von so Vielen verdammt
ist; daß er aber Alles, was ihm vorgeworfen wird, der Sache, die er
vertheidigte, und den Seinen schuldig war. Hätte er weniger gethan,
so würde er seine Pflicht verletzt haben, die er, so weit der Soldat
es darf, stets mit der Menschlichkeit zu verbinden suchte. Freilich
war Cabrera kein schwacher, jämmerlicher Wicht, der, wo er die Wuth
der Revolutions-Männer zügeln konnte -- sei es, indem er in ihrem
Blute diese Wuth erstickte -- wehrlos die treuen Unterthanen seines
Königs ihr hingäbe. Für die Beurtheilung des von ihm gegen die
feindlichen Soldaten und Gefangenen Geschehenen muß der Hauptpunkt
immer im Auge behalten werden, daß die strengsten Repressalien stets
gerecht, in einem Kampfe aber, wie der auf der pyrenäischen Halbinsel
wüthende es war, unumgänglich nothwendig sind und selbst unendlich
mehr Blutvergießen verhüten. Die schwächere, als Empörer, weil sie
schwächer, gebrandmarkte Parthei würde ohne sie ganz dem Bluthasse
ihrer nicht durch Rücksichten irgend einer Art zurückgehaltenen Gegner
sich überliefert haben. So bluteten Hunderte, um vielen Tausenden das
Leben zu erhalten.

Wenige Monate nach der Ermordung seiner Mutter bemühte sich Cabrera
abermals, wie früher erwähnt wurde, menschlichere Art der Kriegführung
geltend zu machen. Es gelang ihm dieses endlich so weit, daß, wenn
ein förmlicher Vertrag fortwährend von den Feinden abgelehnt wurde,
doch der Wehrlose, anstatt wie bis dahin niedergemacht zu werden, nun
gefangen wurde, und daß häufig Auswechselung dieser Gefangenen Statt
fand, wie sehr auch die Exaltirten in allen Provinzen dagegen schrieen.
Und wie hätten die feindlichen Heerführer sich nicht entschließen
sollen, Pardon zu geben, da ja Cabrera, noch ehe sie sich dazu
verstanden, viele Hunderte von Gefangenen aufgehäuft hatte und dann
drohend erklärte, daß sie Alle zur Sühne geopfert würden, wenn nun das
Leben seiner Freiwilligen nicht verschont werde!

So erpreßte die Furcht vor der immer zunehmenden Macht Cabrera’s, was
seine oft wiederholten gütlichen Vorschläge nie hatten bewirken können.
Auch ward diese stillschweigende Übereinkunft während der zweiten
Hälfte des Jahres 1837 und im folgenden bis nach der Belagerung von
Morella treu beobachtet, und selbst der Hungertod eines Theils der
Gefangenen, von dem ich erzählt habe, konnte keine Änderung darin
hervorbringen, da Oráa, wohl der Schuld sich bewußt, sich hütete,
deshalb als Ankläger aufzutreten oder Maßregeln der Rache dafür zu
nehmen. Doch plötzlich sollte diese völkerrechtliche und den Neigungen
des carlistischen Feldherrn so entsprechende Behandlung des Feindes
aufhören, und an ihre Stelle traten Scenen des Schreckens, wie sie in
solcher Ausdehnung gegen Wehrlose noch nicht Statt gefunden hatten. Die
Action von Maella bot den Vorwand dazu.

Man erinnert sich, daß die feindliche Cavallerie des linken Flügels
anfangs die der Carlisten warf; sie verfolgte auf dem Fuße die
fliehenden Escadrone, und wiewohl die Eingeholten, dem Gebrauche gemäß,
von den Pferden sprangen und sich dadurch für gefangen erklärten,
schlachteten die wüthenden Reiter diese wehrlos Dastehenden mit dem
Rufe hin: „~hoy no hay cuartel para vosotros!~“ -- heute giebt es
keinen Pardon für Euch! -- Etwa vierzig Lanciers von Tortosa wurden
so hingemetzelt, nachdem sie sich ergeben hatten. Die christinoschen
Dragoner erklärten später, daß ihr General Pardiñas beim Beginn
der Action, seine Leute ermunternd, ihnen befohlen habe, nicht mit
Gefangenen sich einzulassen, sondern Alles niederzustechen.

Nach dem letzten verzweifelten Angriffe von Pardiñas fiel nun ein
großer Theil jener Reiterei, dem Regimente Dragoner des Königs
angehörend, in die Gefangenschaft eben der Lanciers von Tortosa,
welche sie vorher so gemißhandelt hatten, und die trotz dem das Leben
ihnen ließen. Aber Cabrera, der Feldherr, durfte nicht so die Großmuth
allein hören, er mußte die Seinen rächen und Ähnlichem vorbeugen. Daher
ließ er alle Individuen jenes Regimentes absondern und sofort sie
niederschießen, ihnen zeigend, daß sie, indem sie Pardon verweigerten,
demselben auch für sich entsagten. 180 Mann erlitten diese Strafe.
Sie gehörten, wie gesagt, ohne Ausnahme jenem Regimente des Königs
an, wogegen die übrigen Gefangenen, mit der gebräuchlichen Rücksicht
behandelt, nach dem Depot des Orcajo abgeführt wurden.

Kaum war dieser Act gerechter und nothwendiger Rache unter den
Christinos bekannt geworden, als wilde Gährung der Gemüther sich
bemächtigte, die durch die wiederholten Niederlagen des Heeres schon
zu grimmigem Zorne entflammt waren. Ohne sich erinnern zu wollen, daß
die Erschossenen selbst und ohne Veranlassung den Pardon verweigert
hatten, forderte das Volk -- der Pöbel wird bei den Christinos das
Volk genannt, -- forderten vor Allen die blutgierigen National-Garden
laut Vergeltung für den Tod jener Schlachtopfer. Die Behörden, selbst
nicht ungeneigt dazu oder sich schwach fühlend, wagten nicht, offen
dem Drängen sich zu widersetzen. Um jedoch für den Augenblick die Wuth
der Schreier abzulenken, und die Überzahl der Gefangenen in Cabrera’s
Händen bedenkend, griffen sie zu einem Mittel, ganz der Trabanten der
Revolution würdig.

In Zaragoza, und dessen Beispiele folgend in allen größern Städten
der Provinz, wurden plötzlich Hunderte von friedlichen Einwohnern,
die sorglos ihren Geschäften nachgingen, den jammernden Familien
entrissen und eingekerkert: ihr Verbrechen war, royalistischer
Gesinnungen verdächtig zu sein. Sie sollten daher für die angebliche
Grausamkeit der Carlisten büßen. Cabrera aber, so wie er von der
empörenden Maßregel Kunde erhielt, warnte die Behörden und vorzüglich
den zweiten Commandirenden in Aragon, General San Miguel, nicht solche
Ungerechtigkeit weiter zu treiben; er machte ihn aufmerksam, daß nicht
nur in den carlistischen Depots viele tausend Gefangene für das Leben
der Eingekerkerten Bürge wären, sondern daß zahllose Liberale in dem
Gebiete der Carlisten und allenthalben, wohin ihre Truppen drängen, die
Mittel zu schrecklicher Repressalie böten.

Unglücklicher Weise kam in demselben Augenblicke ein Ereigniß dazu,
welches die schon drohend angefachte Gluth sofort in Verderben
sprühende Flammen auflodern ließ. Nach den spanischen Kriegsgesetzen
wird jeder Gefangene, welcher einen Versuch zur Flucht macht, wenn
er ergriffen wird, mit dem Tode bestraft. Die carlistischen und
christinoschen Behörden hatten unzählige Male solche Strafe über ihre
Gefangenen verhängt und mit vollkommenem Rechte, da das Gesetz jedem
Militair bekannt, so sie verhängte; auch war es nie der andern Parthei
in den Sinn gekommen, deshalb Klage oder Drohung laut werden zu lassen.
Ich selbst war wiederholt Augenzeuge solcher gesetzlichen Executionen
sowohl als Gefangener, da sie gegen carlistische Soldaten Statt fanden,
wie in unsern Reihen gegen Christinos, welche auf dem Versuche zur
Flucht entdeckt waren.

Nun zettelten die Sergeanten der Division Pardiñas im Depot zu
el Orcajo eine Verschwörung an, um durch Gewalt die unbedeutende
Bewachungsmannschaft, zwei Compagnien, zu entwaffnen und nach dem
nicht fernen Alcañiz sich zu retten. Die Sergeanten hatten stets in
der christinoschen Armee einen ungemessenen Einfluß auf die Soldaten;
Bildung, Geist, ihre Stellung und festes Aneinanderschließen gab diesen
ihnen, und sie spielten daher stets die Hauptrolle in den tausendfachen
Emeuten vom Tumulte in den Casernen bis zur Revolution der Granja,
durch welche die Verfassung des Staates umgeworfen wurde.[70] Auch
in Orcajo nahm die Masse der Gefangenen den Vorschlag freudig auf.
Aber ein Elender fand sich, der seine Freiheit durch Verrath an den
Cameraden zu erkaufen hoffte: er zeigte das Complott an. -- Sieben
und neunzig Sergeanten, stolz ihre Schuld eingestehend und rühmend,
wurden dem Kriegsrechte gemäß erschossen. Cabrera aber begnadigte die
verführten Soldaten und ließ den Angeber vor dem Eingange des Depots
aufhängen.

Da brach die Wuth der Christinos alle Schranken. Sie schleppten
sämmtliche gefangene Unterofficiere aus den verschiedenen Festungen
zusammen, ergänzten ihre Zahl aus den Soldaten bis auf sieben
und neunzig und erschossen sie. Cabrera in hohem Unwillen drohte
mit Repressalien. -- Sofort ließ van Hahlen, der gerade Oráa den
Heerbefehl abgenommen hatte, allenthalben die royalistischer Meinungen
Verdächtigen einkerkern und drohete, auch sie hinzurichten. Cabrera
befahl, nochmals sieben und neunzig Mann zu füsiliren und verhieß
strengste Rache für jeden neuen Mord, für jede neue Gewaltthat. -- Van
Hahlen erklärte den Pardon für aufgehoben.

Augenblicklich stand tobend der Pöbel in Valencia auf und ließ in
den letzten Tagen des Octobers einen Theil der dortigen Gefangenen,
Militairs und Privatleute, hinrichten; Alicante, Murcia, Zaragoza,
dann alle größeren Städte folgten dem Beispiele: die Kriegsgefangenen
und wegen politischer Vergehen Arretirten wurden mit Zustimmung der
Behörden erschossen oder gegen ihren Willen niedergemetzelt, und die
überall errichteten Repressalien-Juntas opferten zahllose Unglückliche,
da für jedes von den Carlisten getödtete Individuum eine jede Junta
nun auch einen Carlisten tödten wollte. Da befahl Cabrera, im Gefühle
seiner Pflicht gegen die Ermordeten und gegen seine Soldaten, daß
hinfort kein Pardon mehr gegeben werde: gegen die treulosen Mörder
Kampf auf Leben und Tod!

Den ganzen Winter hindurch wüthete das schreckliche System der
Rache. Forcadell nahm Villamaleja und erschoß 55 Gefangene; in
Valencia fielen fünf und funfzig, in Teruel neun, in Zaragoza acht
Carlisten -- die einzigen noch vorhandenen, -- in jeder kleinern Stadt
verhältnißmäßig. Borso di Carminati schlug am 2. December bei Chiva den
General Llagostera und nahm ihm 200 Gefangene ab, denen er mit seinem
Ehrenworte das Leben zusagte, da sie sich weigerten, die Waffen zu
strecken. Van Hahlen erschien und füsilirte sie trotz der Protestation
Borso’s, der erzürnt seine Entlassung forderte. Cabrera natürlich
füsilirte wieder eben so viele Christinos.

Doch verfolgen wir nicht so widerlich empörende Auftritte weiter in
ihre Einzelheiten. Die immer wiederholten Aufstände des Volkes in
Valencia und Zaragoza, die selbst mehreren Chefs der Liberalen das
Leben kosteten,[71] zogen eben so viele Schlächtereien der Gefangenen
und Royalisten nach sich, und als er einst gar keine von denselben in
seiner Gewalt hatte, ließ van Hahlen seinem eigenen Berichte gemäß die
Eltern und Verwandten der carlistischen Soldaten hervorschleppen und
erschießen, die Schandthat erneuernd, welche einst Cabrera’s blinde
Mutter für die Schuld und den Haß büßen machte, welche der kühne Sohn
auf sich geladen hatte. Wie schonend aber dieser General bei aller
strengen Wiedervergeltung, die er stets übte, zu Werke ging, geht
aus dem Umstande hervor, daß bei der Abschließung des Vertrages von
Lézera am 3. April 1839 noch über dreitausend Kriegsgefangene in den
carlistischen Depots sich befanden, und daß er nur Soldaten, mit den
Waffen in der Hand gefangen, opferte, ohne trotz aller jener Proceduren
der Christinos ein einziges Mal die friedlichen Bewohner des Landes
seinen Zorn fühlen zu lassen.

Übrigens muß zu van Hahlen’s Ehre hinzugefügt werden, daß er sich eben
so bereitwillig zeigte, die Vorschläge anzunehmen, welche Cabrera
auf besondern Befehl seines Monarchen im Frühjahr aufs neue für die
Abschaffung der Repressalien und feste Annahme der völkerrechtlichen
Kriegsgebräuche für beide Theile machte, wie er in der Durchführung
des Repressalien-Systems energisch und rücksichtslos sich bewies.
So ward denn jene Convention von Lézera abgeschlossen, welche den
höchsten Unwillen der Revolutions-Männer gegen van Hahlen erregte und
mehr noch als das unglückliche Resultat der militairischen Operationen
seine Absetzung verursachte. In der That gewährte sie den Carlisten
viele Vortheile, deren vorzüglichster in dem Artikel bestand, daß
die zum ersten Male Desertirten, im Falle sie wieder eingefangen
würden, als Kriegsgefangene sollten betrachtet werden. Denn theils
bestand ein nicht unbedeutender Theil der carlistischen Armee aus
solchen Deserteuren, die, gewaltsam ausgehoben, die erste Gelegenheit
benutzt hatten, um, von der Gemeinschaft mit den verhaßten Negros sich
losreißend, den Vertheidigern ihres Königs und ihrer Religion sich
anzuschließen. Noch mehr aber reizte sie die christinoschen Soldaten
zur Desertion, die ja durch solche Clausel straflos und erlaubt wurde,
während der carlistische Feldherr wohl vertrauen durfte, daß seine
Freiwilligen ohne Furcht und ohne Zwang treu an ihm fest hielten. In
einigen Garnisonen mußten die feindlichen Chefs nun ihre Leute strenge
bewachen lassen, und doch gingen während der ersten Wochen nach dem
Vertrage mehrere hundert Soldaten zu den Carlisten über.

Nur zwei Personen hatte Cabrera von den Wohlthaten ausgenommen, welche
jener Vertrag zusicherte; eigenhändig fügte er die Worte hinzu: „Ich
will keinen Pardon und Nogueras, der Mörder meiner Mutter, erhält
keinen Pardon.“

  [66] Die folgende Action war eine der entscheidendsten und
       merkwürdigsten des Krieges, da die Truppenzahl etwa gleich, das
       Terrain beiden Theilen gleich günstig und dennoch der Ausgang
       des Kampfes für die eine Division so völlig vernichtend war.
       Daher erregte sie zu jener Zeit auch viel Aufsehen und Geschrei,
       weshalb ich sie näher detailliren werde. -- Die Notizen sammelte
       ich im Winter 1839 auf dem Schlachtfelde selbst von Bauern und
       später von vielen Officieren, welche dort mit fochten. Ich muß
       gestehen, daß die Darstellung der Bauern oft klarer war, als
       die von Manchem dieser Officiere. -- Die Bauern als ~bagageros~
       waren übrigens Augenzeugen.

  [67] Pardiñas ertheilte beim Beginn des Kampfes, des Sieges gewiß,
       die Ordre, keinen Pardon zu geben.

  [68] In der carlistischen Armee ward der Tod von Pardiñas, über den
       die christinoschen Lärmmacher lautes Geschrei erhoben,
       gewöhnlich erzählt, wie General von Rahden in seinem Werke ihn
       wiedergiebt: daß Pardiñas durch Rufo, dieser durch den Grenadier
       gefallen sei. -- Doch bin ich von der Genauigkeit meiner Version
       überzeugt, da ich sie von mehreren unterrichteten Augenzeugen
       empfing; so von dem Oberst Don Eliodoro Gil, später Gouverneur
       von Cañete, der bei Maella die Lanciers von Tortosa befehligte
       und hohen Antheil an dem Siege hatte.

  [69] Capitain Bessieres, der Einzige, welcher bei der Vertheidigung
       von Morella die Arbeiten leitete, war, dem Heere der
       Nordprovinzen angehörend, mit dem Grafen Negri und Don Basilio
       dorthin zurückgekehrt.

  [70] Der Hauptanführer bei derselben, Sergeant Lucas, welcher bis in
       das Schlafgemach der Königinn Wittwe drang, ging bekanntlich
       nachher zu den Carlisten über, zeichnete sich sehr aus -- er
       nahm Theil an der Escalade von Morella -- ward Officier und
       wurde dann gefangen und füsilirt.

  [71] Der commandirende General im Königreiche Valencia sogar, General
       Mendez Vigo, wurde ermordet.



XXV.


Seit langer Zeit war Cabrera’s Streben darauf gerichtet, durch Kauf mit
Waffen sich zu versehen. Alle die Gewehre, welche seine Armee besaß,
waren den Händen des Feindes entrissen, der größtentheils aus den
britischen Zeughäusern sie erhalten hatte, und die Zahl der fortwährend
erbeuteten mochte wohl den täglichen Abgang ersetzen -- der unter den
obwaltenden Verhältnissen ungeheuer war, da kein Kunstverständiger
bei den Bataillonen sich befand, der den etwaigen Schaden sofort
ausgebessert hätte -- aber unmöglich konnten sie zu der Bewaffnung
der zahllosen Rekruten hinreichen, welche von allen Seiten den Fahnen
Carls V. zuströmten. Die so eben in Villarluengo etablirte
Gewehrfabrik, noch in ihrer Kindheit und an Arbeitern Mangel leidend,
konnte sehr wenig leisten.

So bildete denn Cabrera aus jenen Rekruten zwölf starke Bataillone, die
vollkommen organisirt und exercirt wurden, um, sobald sie bewaffnet
wären, zu den Operationen zugezogen zu werden. Leider sollte das Ende
des Krieges sie fast alle in eben dem Zustande der Wehrlosigkeit
finden, in dem sie ein Jahr vorher sich befanden, da alle Versuche des
Generals, aus England und Frankreich Waffen sich zu verschaffen, an der
Wachsamkeit der feindlichen Kreuzer und mehr noch an der Nachlässigkeit
und der Gewissenlosigkeit der Agenten scheiterten.

Schon waren vier starke Transporte aufgefangen. Da endlich schien
das Glück auch hierin Cabrera wohl zu wollen -- und was hätte es
Größeres für ihn thun können! --: ein mit zehntausend Gewehren von
England abgesegeltes Fahrzeug erschien im Februar 1839 an der Küste
von Catalonien, südlich vom Ebro, wohin schon sämmtliche Rekruten
dirigirt waren. Aber das Meer ging unruhig, so daß das Schiff nicht
der Küste sich nähern konnte, und der Eigner weigerte sich, dem Wunsche
Cabrera’s gemäß, gegen vollständige Entschädigung es auf den Strand
laufen zu lassen. Der Stiefvater des Generals, ein alter Seemann, der
die carlistische Marine, einige große Kähne, befehligte, wagte es
endlich, zu dem Schiffe hinüberzufahren, und brachte zweihundert schöne
Gewehre ans Land; das Unwetter machte jeden weiteren Versuch unnütz. Am
folgenden Tage sprang der Wind um, das Fahrzeug ward genöthigt, weiter
in’s hohe Meer hinauszusegeln; zwei Guardacostas nahmen es unter den
Augen Cabrera’s und führten es nach Barcelona.

Die Hoffnung des carlistischen Heerführers, den Feldzug an der Spitze
von dreißig disponibeln Bataillonen zu eröffnen, war durch dieses
neue Mißgeschick vereitelt. Welche außerordentliche Resultate eine
solche Vermehrung seiner Streitmacht hervorbringen mußte, begreift
leicht ein Jeder, der die Erfolge zu würdigen weiß, welche er selbst
ohne sie während der Campagne des Sommers errang. Sie machten ihn zum
unumschränkten Gebieter des ganzen Kriegsschauplatzes und verbürgten,
da sechs Generale nach einander seine Fortschritte umsonst zu
hemmen gesucht hatten, die Ausführung des herrlichen Planes, durch
die Unterwerfung von Castilien und die Einnahme der Hauptstadt den
langwierigen Kampf zu enden.

Durch die kleine Festung Montalban am Flusse Martin dominirten die
Feinde einen großen Theil des Hügellandes von Unter-Aragon, so oft die
carlistischen Truppen auf einem andern Theile des Kriegsschauplatzes
standen; zugleich hatten sie in ihr einen willkommenen und gegen das
Hochgebirge vorgeschobenen Stützpunkt für ihre Operationen in jenem
Königreiche. Diese Vortheile beschloß Cabrera ihnen zu entreißen;
sein Adlerauge wählte ein altes, in Ruinen zerfallenes Bergschloß
zur Ausführung des Beschlossenen: Segura, drei Leguas westlich von
Montalban und in der Mitte des reichen, hügeligen Distriktes, der bis
zum Ebro von dem Gebirgsstock von Unter-Aragon sich hinabsenkend,
bisher stets den feindlichen Colonnen offen gestanden hatte -- Segura
sollte befestigt werden.

Viele Schwierigkeiten bot das Unternehmen. Nachdem er die
feindliche Hauptarmee unter Oráa tief nach Valencia hinuntergezogen
hatte, erschien Cabrera plötzlich in Unter-Aragon, bedrohete
Caspe, überschritt den Ebro, lockte die zur Deckung der Provinz
zurückgebliebene Division Mir durch geschickte Bewegungen nach
Zaragoza, passirte wiederum den Ebro und warf sich mit den Divisionen
vom Ebro und von Aragon in Eilmärschen auf den ausersehenen Punkt.
Am 7. März dort angelangt, ließ er sofort mit höchstem Eifer die
Befestigungsarbeiten beginnen, während ein kleiner Theil der Truppen
Montalban blockirte.

Tag und Nacht arbeiteten mehrere Bataillone Rekruten, die Handwerker
jeder Art wurden auf zwanzig Meilen in der Runde zusammengeholt, und
einige Compagnien Sappeurs, denen Tausende von Bauern untergeben
wurden, eilten von Morella herbei. Niemand durfte müßig sein, denn der
General selbst legte häufig Hand an und war allenthalben gegenwärtig.
So war es möglich, daß das sehr ausgedehnte und vorher nur noch in
seinen Trümmern bestehende Castell in wenigen Tagen wieder hergestellt
und, da einige Geschütze von Morella zu seiner Bewaffnung gebracht
waren, der kräftigsten Vertheidigung fähig sein konnte, wozu die
Leitung der so eben von der Nordarmee angelangten Ingenieure viel
beitrug.

Durch die Befestigung dieses Platzes hatte sich Cabrera zum Meister
des reichsten und fruchtbarsten Theiles von Unter-Aragon gemacht,
den Einfluß des feindlichen Montalban paralysirt und die Eroberung
desselben erleichternd vorbereitet. Er beherrschte dadurch die Straße
von Valencia und Teruel nach Zaragoza und die Verbindung dieser Stadt
mit den Festungen der Christinos am unteren Ebro, und er hatte durch
die weit in das bisher feindliche Gebiet vorspringende Veste, falls er
sie behaupten konnte, einen herrlichen Anhaltspunkt für seine weiteren
offensiven Operationen gewonnen.

Die Anführer der Revolutions-Armee verkannten diese Vortheile nicht,
welche den Besitz von Segura weit selbst über einen glänzenden
Sieg hinausstellten. Van Hahlen kehrte eilig von Valencia zurück,
während Mir in Daroca alle disponibeln Truppen des Königreiches an
sich zog: Segura -- so lautete die bestimmte Ordre des Madrider
Cabinets -- sollte vor Allem genommen und Cabrera dadurch in seine
Schlupfwinkel zurückgeworfen werden. So rückte denn General Ayerbe, zum
commandirenden General von Aragon ernannt, am 22. März mit den beiden
Divisionen Mir und Parra, in 12 Bataillonen und 9 Escadronen 11000 Mann
Infanterie und 1400 Pferde enthaltend, nebst acht leichten Geschützen
und dem Belagerungs-Train über Muniesa bis Cortes und la Josa, etwa
zwei Stunden von Segura, vor.

Cabrera stellte sich mit acht Bataillonen auf einer Höhe auf, die
unmittelbar den Weg berrschte, auf dem die Artillerie vor das Castell
gebracht werden mußte; drei hinter einander aufgeworfene Reihen
Parapete, hinter denen die Bataillone, zum Theil in Tirailleurs
aufgelöset, lagen, verstärkte die Position gegen den so sehr
überlegenen Feind.

Am 23. griff Ayerbe an. Während seine sämmtlichen Geschütze die
carlistischen Linien beschossen, stand er über eine Stunde lang auf
Flintenschuß-Weite ihnen gegenüber, mit Gewandtheit manövrirend und
bereit, die leichteste Blöße zu benutzen. Er bedrohete die linke
Flanke, schob sich rasch links und warf sich dann, da Cabrera die
rechte Flanke verstärkte, stürmisch auf den nun geschwächten linken
Flügel. In einem Augenblicke war der Kampf auf der ganzen Linie
allgemein geworden.

Die Truppen, welche die erste Reihe der Parapete besetzt hielten,[72]
flohen vor dem Andrange des Feindes und warfen sich in Verwirrung auf
die zweite, welche gleichfalls aufgegeben werden mußte, nachdem die
Tortosiner kraftvoll sie vertheidigt hatten. Umsonst suchte Oberst
Palacios durch einen Bajonett-Angriff an der Spitze des 1. Bataillon
von Tortosa die verlornen Linien wiederzunehmen: er ward umzingelt und
kaum durch einen glänzenden Angriff gerettet, den der General mit der
Cavallerie unternahm. Nochmals drangen die Bataillone von Tortosa und
die Guiden von Aragon vor. In Massen formirt wiesen die Christinos fest
sie zurück und stürzten sich sofort auf die dritte Linie, welche sie
nach kurzem Widerstande nahmen und behaupteten.

Die carlistische Armee -- wenn man acht Bataillone mit einigen
Escadronen so nennen darf -- floh in Unordnung auf Armillas zurück,
zwei Bataillone aber wurden abgedrängt und warfen sich auf Segura.
Ayerbe, anstatt kraftvoll den gänzlich geschlagenen Feind zu verfolgen,
blieb bewegungslos auf dem Schlachtfelde stehen und machte dadurch
möglich, daß Cabrera -- echt guerrilleromäßig -- nach einer Stunde
seine Bataillone vollkommen geordnet hatte und sie, keinesweges durch
die nach allem Anschein entscheidende Niederlage entmuthigt, am Abend
wieder zum Kampf führen konnte.

Nach halbstündigem Ausruhen wandten sich die Christinos endlich gegen
das Castell, recognoscirten es und bewarfen es mit einigen Haubitzen;
ja sie besetzten während der Nacht das unmittelbar unter den Werken
liegende Städtchen. Die Besatzung erwartete natürlich, am folgenden
Morgen die Batterieen errichtet zu sehen, wiewohl sie umsonst irgend
ein Geräusch der Arbeit zu erhorchen strebten, um sie durch ihre
Geschütze zu erschweren. Aber Ayerbe hatte seine Artillerie am Abend
zurück gesendet; er selbst trat gegen Morgen still den Rückzug auf
Muniesa und von da nach Daroca an, auf dem Fuße von Cabrera verfolgt,
der während der Nacht ein zur Erhaltung der Communication einige
Stunden rückwärts aufgestelltes Corps angegriffen, es zersprengt und
800 Gefangene ihm abgenommen hatte.

Nun verkündeten die Christinos, daß, da Ayerbe die +Recognoscirung+[73]
des Castells mit so großem Erfolge ausgeführt habe, der Obergeneral
van Hahlen zu der Eroberung desselben schreiten werde. Dieser rückte
denn auch in den ersten Tagen des April’s sehr bedächtig über Muniesa
heran und gelangte, da Cabrera eine Aufstellung rückwärts von Segura
genommen hatte, ohne Hinderniß am 6. April vor das Castell; er
führte 18 Bataillone und 12 Escadrone mit acht leichten und zwölf
Belagerungsgeschützen heran. Am folgenden Tage recognoscirte er
wiederum genau die Werke und -- -- zog sich aus Zaragoza zurück, ohne
einen Schuß gegen die Veste oder die Armee gethan zu haben.

Der Grund so merkwürdigen Verfahrens ist nie klar geworden, wenn man
nicht etwa den Mangel an Vertrauen, welchen man seit der Belagerung von
Morella in jeder Bewegung der revolutionairen Generale wahrnimmt, als
solchen betrachten will. Die Christinos wütheten, da sie die Einnahme
von Segura als ganz unzweifelhaft anzusehen sich gewöhnt hatten.
Van Hahlen, der wenige Tage vorher den ominösen Vertrag von Lézera
unterzeichnet hatte, verlor sofort das Commando, welches dem General
Nogueras, dem Mörder der Mutter Cabrera’s, übertragen wurde. Bei der
Nachricht von seiner Ernennung ward er vom kalten Fieber befallen[74]
und legte alsbald unter dem Vorwande der Krankheit den Heerbefehl
nieder, ohne während desselben je die Feinde aufgesucht zu haben,
worauf General Amor interimistisch an die Spitze der Armee des Centrums
trat.

Brigadier Valmaseda, nach der Erschießung der fünf Generale durch
Maroto zu gleichem Tode verurtheilt, langte um jene Zeit mit den beiden
Escadronen, die er gebildet und auf der Flucht mit sich geführt hatte,
bei der Armee des Grafen von Morella an und trat unter die Befehle
desselben. Leicht erlangte dieser von Seiner Majestät die Begnadigung
des wilden, aber unerschütterlich treuen Reiterchefs, dessen Escadrone
fortan als die besten des ganzen Heeres sich erwiesen. Valmaseda wurde
für den Augenblick nach Aragon bestimmt, wo er mit der Division dieses
Königreiches operirte.

       *       *       *       *       *

Kaum sah Cabrera mit dem Rückzuge von Van Hahlen das Unternehmen des
Feindes gegen Segura gescheitert, als er mit den Brigaden Mora und
Tortosa in Eilmärschen nach dem Königreiche Valencia zog, während
er die Division von Aragon unter Llagostera zur Blokade von Caspe,
Alcañiz und Montalban und zur Beobachtung des Hauptcorps der Christinos
zurückließ, von dem er bei den Zwistigkeiten der verschiedenen
Anführer bis zur definitiven Ernennung eines Generals en Chef keine
kraftvolle Operation befürchtete. Er vereinigte sich mit der Division
Forcadell und rückte vor Villafamés, dessen Besitz zum Herrn der
reichen Ebene Valencia ihn machen sollte.

Das schwere Geschütz, von Morella herbeigezogen, öffnete bald Bresche,
die aber wegen Mangels an Munition sowohl, als weil gegen die Ansicht
des Chefs des Geniewesens, Oberst Barons von Rahden, eine ganz
unpassende Stelle für sie ausersehen war, nicht practicabel gemacht
werden konnte. Dennoch befahl der General den Sturm, welchen einige
Compagnien von Mora, von einem Detachement Sappeurs geführt, mit hoher
Bravour ausführten. Sie erkletterten unter mörderischem Feuer den
Felsen, auf dem die Mauer gegründet ist, und klimmten hinabgestürzt
wieder und wieder gleich Katzen die noch zur Hälfte aufrecht stehende
Mauer hinan; mehrere Freiwillige wurden selbst oben auf der Bresche
getödtet. Aber der Widerstand war des Angriffes würdig; die Stürmenden
flohen.

Da führte Oberst Palacios das erste Bataillon seiner Brigade von
Tortosa zum Sturm. Unerschütterlich erklimmte es die Bresche, dann
konnte es nicht weiter gelangen. Mit schwerem Verluste standen die
braven Tortosiner unbeweglich unter dem feindlichen Feuer, weder
vorgehend noch weichend, bis Cabrera befahl, das Signal zum Rückzuge
zu geben. Augenzeugen versichern, daß er bei dem Anblicke seiner
hingeschlachteten Lieblinge Thränen vergossen habe, verzweiflungsvoll
ausrufend: „Meine armen Burschen sterben, ohne Widerstand leisten zu
können!“

Da der fortwährende Mangel an Munition für die Geschütze den Erfolg
ungewiß machte und jedenfalls ihn sehr weit hinausschob, zog sich
Cabrera bei der Annäherung des Generals Aspiroz von Castellon her
zurück, die Belagerung aufhebend.

Schon während derselben war Oberst Don Juan Muñoz y Polo mit drei
Bataillonen und zwei Escadronen von Aragon zu einer Expedition
nach Castilien entsendet und bis tief in die Provinz Guadalajara
vorgedrungen. Jetzt richtete sich Cabrera selbst an der Spitze von nur
sechs Bataillonen und 600 Pferden dorthin, die Division von Valencia
zur Sicherung der Communication in el Turia und der Provinz Cuenca
zurücklassend; er erhob bis in das Innere der Mancha Contributionen und
Rekruten und kehrte dann, ohne daß der Feind sich ihm irgend widersetzt
hätte, über Cañete nach el Turia zurück. Er ordnete die Befestigung
jener Stadt an, die nur acht Stunden von Cuenca entfernt ist, so wie
die von el Collado, einem die ganze Provinz beherrschenden Felsberge,
Alpuente und Vejis in el Turia, wo Brigadier Arévalo an Arnau’s Statt
das Commando übernommen hatte.

Durch seine Lage über dem Guadalaviar und neben der Quelle dieses
Flusses, des Xucar und des Tajo ward el Turia täglich von größerer
Wichtigkeit, da durch dessen Besitz das Ausbreiten der Herrschaft
nach dem südlichen Valencia und Murcia sowohl, wie in die Ebenen
Castilien’s und gegen die Hauptstadt erleichtert wurde, indem es als
Basis und Anhaltspunct diente. Cabrera aber, der die feindliche Armee
ganz demoralisirt, die seinige an Zahl und Güte täglich zunehmen sah,
wandte schon seine Blicke gen Westen, das glorreiche Ende des Krieges
dort zu suchen. Daher trug er Sorge, durch die Befestigung von el Turia
die Grundlage zu der Ausführung seiner großartigen Pläne zu legen,
während er Cañete nach Castilien eben so kühn vorschob und mit eben den
glänzenden Vortheilen in Betreff Cuenca’s und der Mancha, wie er kurz
vorher das Felsencastell Segura in dem feindlichen Theile von Aragon
drohend errichtet hatte.

Das Hauptcorps der Christinos war indessen in Aragon beschäftigt und
festgehalten, ohne jenen Zug Cabrera’s und die Befestigung der von ihm
designirten Orte verhindern zu können, da Llagostera die Belagerung
von Montalban unternommen hatte. Unter dem Oberbefehle desselben
leitete sie der Oberst Baron von Rahden, während die Division von
Aragon zu ihrer Deckung aufgestellt war.[75] Es war vorauszusehen,
daß der Feind trotz dem Mangel an Einheit im Commando, welcher seit
dem Rücktritte van Hahlen’s alle seine Maßregeln lähmte, das Äußerste
thun werde, um die Festung zu retten, die ihm besonders für die nur
aufgeschobene Unternehmung auf Segura vom höchsten Interesse war und
stets bedeutende Streitkräfte der Carlisten festhalten mußte.

In der That hatten die Belagerer kaum der Stadt sich bemächtigt und
noch nicht die Batterien gegen die Werke des eigentlichen Forts
errichtet, als General Ayerbe in der Nacht zum 2. Mai sie überraschte
und in die Stadt einzog. Er verließ sie jedoch alsbald und ward auf
seinem Rückmarsche kraftvoll vom Obersten Polo verfolgt, der an
demselben Tage mit seiner Brigade von der Expedition nach Castilien
zurückgekehrt war und sich nun der Division wieder anschloß. Eine
Stunde nachher war die Blokade schon von neuem etablirt.

In der Mitte Mai’s wurde die Belagerung mit Nachdruck aufgenommen;
die Artillerie war von Morella angelangt und die Beschießung begann.
Sogleich eilte General Amor, mit Ayerbe vereinigt, an der Spitze
von funfzehn Bataillonen und zehn Escadronen von Teruel, wo er zur
Beobachtung Cabrera’s sich aufgestellt hatte, der Festung zu Hülfe,
schob sich zwischen die Colonnen von Llagostera und Valmaseda, welche
Eifersucht trennte, warf diesen am 18. zurück und griff am 19. Mai die
Division Llagostera’s bei Utrillas an. Die Christinos schlugen sich
brav, durchbrachen die carlistische Linie und nahmen Utrillas, als
Oberst Palacios, mit der Brigade von Tortosa vom General entsendet,
nach forcirtem Marsche von sechs Leguas auf dem Kampfplatze anlangte,
das Vordringen des Feindes endete und selbst durch einen glänzenden
Angriff mit dem Bajonett Utrillas wieder nahm. Amor brach alsbald
das Gefecht ab und zog sich auf Montalban zurück, von wo die schwere
Artillerie in das Gebirge gebracht war.

Kaum hatte er die Stadt nach Ablösung der Garnison verlassen, als die
Geschütze wieder in den unversehrt gefundenen Batterien aufgestellt
wurden und die Beschießung fortsetzten. Am 22. war Bresche geöffnet,
wiewohl kaum practicabel, und der Sturm ward versucht; er scheiterte
gänzlich an der Festigkeit der Garnison.

Cabrera langte zugleich von seinem Zuge nach Castilien an und übernahm
selbst das Commando der in Aragon vereinigten Truppen, von denen
Oberst Polo von neuem mit seiner Brigade nach der Provinz Guadalajara
detachirt war. Am 24. Mai zog Ayerbe mit vierzehn Bataillonen zum
Entsatze heran. Cabrera erwartete ihn bei dem Dorfe Armillos, wo er
auf einem niedrigen Höhenzuge eine vortheilhafte Stellung einnahm, die
jedoch für seine Streitkräfte -- neun Bataillone und sieben Escadrone
-- zu ausgedehnt war. So gelang es Ayerbe, nach blutigem Kampfe
zugleich das Centrum zum Weichen zu bringen und durch die Besetzung
des Dorfes Martin den linken Flügel der Carlisten zu bedrohen, weshalb
Cabrera, die Straße nach Montalban offen lassend, eine halbe Stunde
weit mit geschlossenen Massen sich zurückzog, ohne daß der Feind einen
einzigen Gefangenen gemacht hätte.

Ayerbe stellte die zerstörten Werke her und zog sich dann, nachdem er
die Garnison verstärkt hatte, am 29. Mai über Muniesa auf Daroca. An
demselben Tage waren die Batterien wieder errichtet und spielten mit
erneuter Kraft gegen die Mauern der Veste.

Da Cabrera nun in Person die Belagerung leitete, wurden alle Mittel
aufgeboten, um das Endresultat zu beschleunigen; denn bisher hatte
der Eifer des nun schwer verwundeten Obersten von Rahden vergeblich
gegen die Sorglosigkeit und oft gegen den Unverstand Llagostera’s[76]
angekämpft. Der größte Theil der Werke, durch Minen oder durch die
Wirkung der Geschütze vernichtet, lag bald in Trümmern. Aber Sturm
auf Sturm ward mit großem Verluste zurückgeschlagen; die Belagerten
kämpften mit heroischem Muthe. Eine neue ungeheure Mine -- ungeheuer in
Rücksicht auf die Hülfsmittel der Carlisten: sie enthielt 1800 Pfund
Pulver -- ward unter ihrem letzten Réduit, der festen auf hohem Felsen
gegründeten Kirche, angelegt, um den Thurm zu sprengen. Da ertönte am
8. Juni die Nachricht, daß Ayerbe eilends nahe.

Cabrera befahl, die durch den Capitain vom Genie-Corps Verdeja
ausgeführte Mine zu sprengen, wiewohl ihm erklärt ward, daß noch
einige Fuß zur vollkommenen Erlangung der gewünschten Wirkung fehlten.
Ungeheure Massen Felsen und Schutt erhoben sich gen Himmel, der Thurm
wankte und -- fiel nicht, wie Cabrera noch immer gehofft hatte; ein
furchtbarer Fluch verkündete die getäuschte Erwartung. Aber der über
der Mine stehende Eckpfeiler des Gebäudes stürzte ein und bot eine
schmale Öffnung zum Sturm dar; rasche Benutzung des Augenblickes
hätte den Erfolg sichern können, aber es ward wohl eine halbe Stunde
verloren, um die den Weg bedeckenden Schutthaufen zu entfernen. Die
Besatzung, welche bei der Explosion entsetzt in das Innere der Kirche
entflohen war, hatte ihre Posten wieder eingenommen: auch dieser
sechste Sturm ward mit außerordentlicher Standhaftigkeit abgewiesen.

Am folgenden Tage zog Ayerbe ohne Gefecht mit achtzehn Bataillonen und
zehn Escadronen in Montalban ein. Er forderte Freiwillige aus seinem
Corps zur ferneren Vertheidigung der Ruinen, aber Niemand antwortete
dem Aufrufe. Da zog er am Morgen des 11. Juni ab, die Garnison mit sich
führend, von der mehr als die Hälfte todt oder schwer verwundet war;
fast kein Mann war ohne Wunde geblieben.

Cabrera verfolgte ihn an der Spitze von 900 Reitern und griff in der
weiten Ebene von la Hoz die feindliche Cavallerie an, welche die
Deckung des Marsches übernommen hatte. Sie focht sehr brav, und lange
wogte der Kampf unentschieden; Charge folgte auf Charge, der Boden war
mit Leichen, Pferden und Waffen bedeckt. Endlich ward die Reiterei
der Christinos ganz zersprengt und mit Verlust von fast 400 Pferden
auf die Infanterie geworfen, welche in Masse formirt sie aufnahm und
Cabrera zwang, sich entfernt zu halten, da er gar keine Infanterie bei
sich hatte. Die carlistische Cavallerie hatte sich hier wie nie vorher
bewährt; sie vernichtete die Überlegenheit, deren die Feinde auch in
der Armee des Centrum in dieser Waffe bisher sich rühmen durften. Die
herrliche Escadron von Toledo machte und empfing dreizehn Chargen
hinter einander: Valmaseda’s beide Escadrone fochten mit gleicher
Auszeichnung.

       *       *       *       *       *

Die Beharrlichkeit Cabrera’s hatte endlich die Eroberung des so oft
entsetzten Montalban erreicht, zu dessen Rettung die Feinde die höchste
Kraft und Thätigkeit umsonst entwickelt hatten; er sah sich dadurch
im ungestörten Besitze von Unter-Aragon bis zu der Heerstraße von
Zaragoza nach Teruel, da die Garnisonen der Festungen Alcañiz und Caspe
nun auf ihre Mauern beschränkt, ganz abgeschnitten und von gar keinem
Einflusse mehr auf die Operationen waren. Über jene Straße hinaus
stand aber die ganze Provinz ihm offen und bot ihm ihre Hülfsquellen.

Er eilte von Montalban, dessen Werke geschleift wurden, nach dem
Königreiche Valencia, wo während seiner langen Abwesenheit der
Generallieutenant Forcadell, der einen Theil seiner Division in el
Turia und Castilien beschäftigt sah, gegen den Feind Terrain verloren
hatte. General Aznar war bis nach San Mateo, einer bedeutenden, offenen
Stadt in dem nördlichen Theile der Ebene vorgedrungen und hatte die
dort aufgehäuften Getreidevorräthe genommen und zerstört. Cabrera
bedrohete ihn mit der Cavallerie auf der Flanke und im Rücken, schnitt
ihn, da die Division del Ebro herangekommen war, von Castellon de la
Plana, seinem Rückzugspunkte ab, und zwang ihn nach hitzigem Gefechte,
mit 3000 Mann nach Lucena sich zu werfen, wo er sofort eng blokirt
wurde, da der Mangel an Lebensmitteln baldige Ergebung hoffen ließ.

General O’Donell,[77] bisher commandirender General in Guipuzcoa, war
so eben zum Oberbefehlshaber der Armee des Centrum ernannt. Er eilte
mit drei Divisionen zur Rettung der eingeschlossenen Bataillone und
griff am 15. Juni das Heer Cabrera’s, vierzehn Bataillone, bei Alcora
an, wo sie -- öfter wiederholter Fehler -- eine ausgedehnte Stellung
nur schwach besetzen konnten. O’Donell durchbrach die carlistische
Linie und konnte nach dreitägigem Gefechte den General Aznar befreien,
wobei er jedoch ungeheuern Verlust erlitt, da er fortwährend mit
seinen Massen die Tirailleurs der Carlisten bekämpfte und zur Seite
drängte.

Während so O’Donnell, Aragon entblößend, im Königreiche Valencia
operirte, ließ Cabrera einen Theil der schweren Artillerie von Morella
über Cantavieja nach Alcalá la Selva bringen, der am meisten gen Osten
in der Richtung zum Turia vorspringenden Festung des Hochgebirges von
Unter-Aragon. Von dort sollte sie, sobald eine Gelegenheit sich böte,
nach el Turia und Cañete transportirt werden, um theils zur Garnirung
der neu angelegten Festungen zu dienen, ganz besonders aber für die
Ausführung der beschlossenen Operationen in Castilien zur Hand zu sein.

Nichts zeigt so unzweifelhaft die Pläne des carlistischen Feldherrn
für die zweite Hälfte des Jahres 1839, als diese Sendung des
Belagerungsgeschützes nach dem so eben durch Befestigung gesicherten
Gebiete, welches das Innere Spanien’s und selbst den Weg nach Madrid
der Armee öffnete, da die Hauptstadt ohne weitere Vertheidigung, als
seine eigenen, schwachen Mauern und seine Garnison, nur noch wenige
Tagemärsche entfernt war. Kurz vorher hatte Cabrera auch Beteta nahe
dem Tajo in der Provinz Guadalajara und zwanzig Leguas von Madrid zu
befestigen angeordnet, was, ohne im geringsten vom Feinde gestört
zu sein, ausgeführt werden konnte, da doch kaum 300 Mann Carlisten
dauernd in der Provinz blieben. So groß war die Apathie, welche sich
bereits der Christinos bemächtigt hatte! Wo immer Truppen Cabrera’s
erschienen, unterwarf sich Alles unbedingt, und mit Recht klagten und
höhnten die liberalen Blätter der Opposition, daß ein Sergeant mit
acht Mann ungehindert ganz Guadalajara durchziehe und die Befehle
seines Anführers mit Muße ausführe, während 6000 Mann Christinos
in ihr vertheilt ständen, um bei dem Erscheinen einer feindlichen
Guerrilla .... in die Festungen sich einzuschließen.

Durch die Anlegung des Castells von Beteta -- einst ein maurisches
Schloß -- machte sich Cabrera zunächst die Hülfsquellen der ganzen
Provinz zugänglich und sicher; für die späteren Operationen mußte es
durch seine Lage höchste Wichtigkeit erhalten.

O’Donnell zog nach der Mitte Juni’s von Lucena zur Belagerung des
kleinen Forts von Tales. Schon van Hahlen hatte nämlich die Stadt Onda
befestigt, um durch sie in Verbindung mit Castellon und Segorve nebst
den vorliegenden Vesten Villafamés und Lucena die Huerta, so reich
an Hülfsquellen, gegen die Einfälle der Carlisten zu decken. Diese
hatten nun über Tales, eine halbe Stunde von Onda, ein kleines Castell
nebst zwei Thürmen angelegt, durch die sie der Garnison das Wasser
abschnitten; diese Werke wollte daher O’Donnell vernichten. Cabrera zog
ihm nach und nahm zur Deckung von Tales eine auf dessen Werke gestützte
Stellung.[78]

  [72] Die Bataillone von Mora, merkwürdiger Weise unter guten Chefs
       stets die schlechteste Brigade des Heeres, welche jeden
       Augenblick sich zerstreute, während die Brigade von Tortosa,
       gleichfalls Catalanen und aus einem benachbarten Distrikte,
       fortwährend glänzend sich auszeichnete. -- In dieser Action
       durchlief bei dem Anblicke des manövrirenden Feindes ein
       dumpfes Murmeln die Reihen von Mora, bis sie mit dem Rufe: „Sie
       manövriren, wir sind verloren!“ in gänzlicher Unordnung davon
       liefen, ehe noch der Feind einen Schuß gegen sie that.

  [73] Jedenfalls war es ein ganz besonderer Gedanke, zu einer
       Recognoscirung den Belagerungs-Train mit so ungeheuren
       Schwierigkeiten durch die Gebirge mit sich zu schleppen.

  [74] In den ersten Jahren des Krieges einer der thätigsten Verfolger
       der Carlisten und mehr als jeder Andere ihnen furchtbar, vermied
       er seit jenem Morde jedes Zusammentreffen mit ihnen.

  [75] Herr General B. v. Rahden hat in seinem Werke sehr schätzbare
       Notizen über die Operationen des Jahres 1839 gegeben. Auch die
       demselben beigefügte Charte des Kriegsschauplatzes ist sehr
       genau.

  [76] Llagostera verstand Nichts von Artillerie und Genie-Wesen,
       dennoch überall die Leitung mit Halsstarrigkeit fordernd.
       Übrigens war er einer der besten Untergenerale Cabrera’s im
       Felde; doch nicht sehr unternehmend und rasch.

  [77] Die Familie O’Donell ist eine der ausgezeichnetsten Spanien’s.
       In diesem Kriege dienten einer jeden Parthei zwei von den vier
       Brüdern; der eine Christino ward von Zumalacarregui erschossen,
       der eine Carlist gefangen vom Pöbel zu Barcelona ermordet und
       aufgefressen. Der andere ward zum Verräther mit Maroto!

  [78] Ich habe die Operationen des Jahres 1839 nicht so detaillirt,
       wie meine Materialien es wohl erlaubt hätten, da General Baron
       von Rahden als Augenzeuge sie so meisterhaft beschrieben hat,
       daß ich im besten Falle nur das schon Gesagte wiederholen könnte.



XXVI.


Nach langer, leidenvoller Gefangenschaft war ich wieder frei.
Bewunderung füllte mich für den jugendlichen Feldherrn, der aus dem
Nichts seine zahlreichen Schaaren geschaffen, die wilden Guerrillas
in disciplinirte Bataillone umgewandelt und mit seiner Schöpfung die
Armeen geschlagen hatte, welche seit sechs Jahren in der Erdrückung
der verachteten und immer herrlicher erblühenden Carlisten beschäftigt
waren. Nun stand er gefürchtet ihnen gegenüber, den oft Besiegten
rasche Vernichtung drohend. Ich glühte von Kampfbegierde und Sehnsucht,
unter dem Helden zu streiten, auf den die Blicke aller Loyalen mit
der Hoffnung des endlichen Triumphes gerichtet waren, während die
Christinos mit Zagen den Tod verkündenden Namen hörten.

Und dennoch, wie ich vorher schon sagte, fühlte ich Grauen, da ich
der Thaten jenes Mannes gedachte: sein Bild schwebte vor mir als das
des blutdürstigen Ungeheuers, wie er ja immer der Welt dargestellt
wurde, der schmählich den Glanz seiner Siege durch Grausamkeit und des
Abscheues würdige Schandthaten trübte.

Kaum in San Mateo, einem der lieblichsten Städte unseres Gebietes,
angekommen, eilte ich Urlaub zu erbitten, um den General aufsuchen und
meinen Wunsch nach sofort thätigem Wirken ihm vorlegen zu können; ich
konnte mich unmöglich entschließen, Wochen lang träger, erschlaffender
Muße mich hinzugeben, wie sehr auch die Gefährten solches Glückes nach
dem langen Dulden sich zu erfreuen schienen. Der Chef des Depots sah
mich erstaunt an und -- -- schlug den erbetenen Urlaub mir rund ab.
Er erklärte, daß wir, da der General die ausgewechselten Officiere
zur Erholung hieher bestimmt habe, die höchste Undankbarkeit zeigen
würden, wenn Jemand von uns, anstatt die gütige Fürsorge anzuerkennen,
selbst zu neuer Arbeit sich darböte. Er wenigstens werde sich nie
compromittiren, indem er zu solchem Schritte Urlaub gewähre.

Im Innern gegen alle Mönche wüthend, die ihren Rosenkranz mit dem
Schwerdte vertauschten, schied ich von dem überängstlichen Mann. Denn
Oberst Alcalde, übrigens ein ausgezeichnet braver und kenntnißreicher
Mann, der, den Degen in der Faust, vom gemeinen Freiwilligen zum
Obersten der Cavallerie sich emporgeschwungen hatte, war bis zu
Ferdinands VII. Tode Bruder eines Prediger-Ordens, in dem er durch
Wissen und besonders durch seine hohe Beredtsamkeit sich so hervorthat,
daß er den rühmenden Beinamen des ~pico de oro~ -- des Goldschnabels
-- sich erwarb. Da es uns indessen frei stand, das carlistische Gebiet
zu durchstreifen, beschloß ich, einen meiner Cameraden nach Chelva
im Turia zu begleiten, um das Land und das Volk, wie unsere Lage und
Verhältnisse näher kennen zu lernen.

Unser Weg führte uns durch mehrere der vorzüglichsten Gebirgsketten --
Sierras -- des nördlichen Valencia. Sie erheben sich im Allgemeinen
nicht zu so bedeutender Höhe, wie ich in den baskischen Provinzen,
dem Zuge der Pyrenäen angehörend, sie überstiegen hatte; aber dagegen
bestehen sie, furchtbar wild und rauh, aus schroffen, über einander
gethürmten Felsen, durch und über welche die Pfade hinlaufen, jetzt
so steil zur Schlucht sich senkend, daß die Maulthiere sitzend
hinuntergleiten, und dann wieder, nicht selten ganz ohne Windung, mit
stufenartig ausgetretenen, jedoch unregelmäßigen Absätzen eben so
steil die gegenüberliegende Höhe hinaufstrebend. Das Gebirge war fast
immer kahl, dadurch von denen Guipuzcoa’s und Vizcaya’s verschieden,
welche, überall mit herrlichen Waldungen bedeckt, das Auge durch die
mannigfachen Schattirungen des lachenden Grüns erfreuen, während diese
nackten, finstern Felsmassen, die kaum spärliches Moos oder einzelne
grünbraune Kriechpflanzen ernähren, von der Hand des erstarrenden
Todes getroffen scheinen. Da stört der Schritt des Reisenden kein
lebendes Wesen auf, und kein Vogel belebt durch muntern Gesang
das unheimliche Schweigen der Natur; nur grün glänzende Eidechsen
gleiten lautlos durch das Gerölle, und der heisere Schrei des auf
den unzugänglichen Felsen horstenden Adlers dringt hoch aus der
Luft drohend zum Ohre des Menschen, der mit verdoppelter Hast den
lieblicheren Thälern zueilt.

Und dann die Wege![79] Wie ist es möglich, daß ein Mensch ohne
Herzklopfen diese -- was hier Wege genannt wird -- betritt; wie kann
er gar, dem allgemeinen Gebrauche gemäß, ruhig auf seinem Maulthiere
sitzend über diesen Abgründen auf dem mit losen Steinen besäeten und
abschüssigen Pfade hinziehen! Der nicht an solche Art des Reisens
Gewöhnte glaubt jeden Augenblick die unvermeidliche Katastrophe da; ein
Fehltritt des Thieres muß in die gähnende Tiefe ihn hinabstürzen, jedes
unter dem Fuße desselben hinabrollende Steinchen scheint ihn mit sich
zum Verderben hinunterreißen zu müssen.

Lange pflegte ich, so oft solch eine halsbrechende Stelle kam, seufzend
abzusteigen, den eigenen Füßen mehr trauend als fremden, bis ich
endlich, da ich regelmäßig mit Lebensgefahr einige Mal stürzte, während
die Reiter sicher und ungefährdet unten anlangten, von dem Thörichten
meiner Befürchtungen mich überzeugte. Da vertraute ich denn auch auf
den Theilen des Weges, die allenthalben sonst als ganz ungangbar würden
betrachtet sein, der Gewandtheit des Maulthieres beim Hinabsteigen mich
an. -- Das Hinaufklettern bietet im Vergleiche gar keine Gefahr dar. --
Aber welche Vorsicht und welche Sicherheit zugleich entwickeln dann
die klugen, dort so ganz unentbehrlichen Thiere! Mit den größten Lasten
beladen schreiten sie langsam und ruhig über den Schwindel erregenden
Abgründen hin; nie schwanken sie, nie gleiten sie aus; ja bei finsterer
Nacht thun sie keinen Schritt auf dem gefährlichen Boden, ohne vorher
mit dem Fuße das Terrain sorgfältig betastet zu haben.

Auch in den Wegen tritt also die große Verschiedenheit dieser
Gebirgsmassen von denen der baskischen Provinzen hervor, wo die
Hauptstädte durch die schönsten Chausseen Spaniens und auch die im
wildesten Gebirge gelegenen Dörfer durch fahrbare Wege verbunden sind.
Denn dort sind allgemein von Ochsen gezogene Karren zum Transporte
üblich, während in Valencia jedes Fuhrwerk unbekannt und ganz durch
Maulthiere und Esel ersetzt ist.

So wie wir aber von diesen hohen Gebirgszügen in die mannigfach
gestalteten Thäler hinabstiegen, entfaltete die reiche Natur des
Südens wieder ihre ganze köstliche Pracht und Fülle vor uns. Wiewohl
der allgemeine Charakter der Wildheit auch hier häufig hervortritt und
oft mitten in den fruchtbaren Auen ein nackter Felsblock schroff sich
erhebt, wie durch eine ungeheure Macht von dem Gipfel jener Massen
losgerissen und in die Thäler hinabgeschleudert,[80] so war doch der
sorgfältig benutzte Boden in scharfem Contraste gegen die ungastliche
Kahlheit der Gebirge mit edlen Südfrüchten, Wein und dem trefflichen
Weizen bedeckt, den die pyrenäische Halbinsel so reichlich erzeugt;
und die starre Rauhheit der höheren Luftschichten ging, wie wir mehr
und mehr zu den Ortschaften hinabstiegen, in liebliche Lauigkeit und
bald in die reine, trockene Hitze über, welche in diesen Ländern doch
gar nichts Drückendes und Entkräftigendes hat, wiewohl sie oft Monate
lang durch keinen Regenguß gemildert wird.

Denn alle Städte und Dörfer sind in diese bezaubernden Thäler
zusammengedrängt, die, oft zu Stunden weiter Breite ausgedehnt, oft
auch schluchtenförmig eingeengt, als wollten die benachbarten, steil
abgedachten Felsen zur Vereinigung über sie hinabstürzen, überall das
Bild des regsten Lebens darbieten. Einzelne Gehöfte -- ~masadas~,
~masias~ --, schneeweiß und von Reben umrankt, liegen zerstreut
zwischen den zahlreichen Ortschaften umher und lassen dem in das
Thal Hinabsteigenden gleich einem jener weiten baskischen Dörfer es
erscheinen, in denen jedes Haus, weit vom Nachbar getrennt, von den ihm
angehörenden Ländereien umgeben ist. Dort schlängeln auch die Bäche,
selten, bis sie die Ebene erreichen, zu größeren Gewässern vereinigt,
durch die Gefilde befruchtend sich hin.

Auf den Gebirgen dagegen findet sich fast nie ein größeres Dorf und
recht oft auf vier und fünf Stunden Entfernung selbst nicht ein
einziges Haus, wohl aber sieht man hie und da einen viereckigen
Raum, durch eine aus losen Steinen errichtete Mauer umgränzt, zur
Einschließung des Viehes bestimmt, welches, meistens Ziegen und Schafe,
als zur glücklichen Friedenszeit noch nicht Freund und Feind es
aufgezehrt hatten, in den unwirthbaren Schluchten seine Nahrung suchte,
die freilich spärlich genug ausfallen mußte.

Jetzt trafen wir sehr selten eine kleine Heerde von zwanzig bis dreißig
Schafen; Cabrera hatte sie, da er aus der Mancha viele Tausende
heimbrachte, fürsorglich unter die Landleute zu vertheilen befohlen,
wie er denn bei jeder Gelegenheit den Landmann begünstigte, aus der
drückenden Lage, in die der Krieg ihn gestürzt hatte, ihn zu heben und
gegen die Anmaßungen des Soldaten zu schützen suchte. Vorher besaß die
ganze, weite Sierra buchstäblich auch nicht Ein Stück Vieh mehr. Alles
war requirirt und großentheils leider vergeudet worden, indem beim
Beginn des Aufstandes von einer regelmäßigen Verwaltung und Benutzung
der Hülfsquellen natürlich nicht die Rede sein konnte.

       *       *       *       *       *

Die Bevölkerung dieses ganzen Theiles von Valencia war entschieden
carlistisch gesinnt; ich habe stets gefunden, daß der Kern des Volkes
es allenthalben gleich war, wenn man etwa die Andalusier ausnimmt: sie
sind Nichts. Cabrera’s Armee bestand fast allein aus Valencianern,
Aragonesen und Cataloniern; sehr wenige Castilianer fanden sich
in ihr, und diese in der Division del Turia, da die während der
Expeditionen in den letzten Jahren sich anschließenden Freiwilligen den
Rekruten-Bataillonen zugetheilt wurden, welche nie konnten bewaffnet
werden. Die Aragonesen aber waren weit zahlreicher im Heere, als jede
der beiden andern Völkerschaften.

Der Bewohner von Nieder-Aragon ist ungebildet und selbst roh, aber
zugleich bieder und treuherzig; seine unbezwingbare Halsstarrigkeit,
welche das Sprüchwort der der Vizcainer gleichstellt, wird nur durch
die Grobheit übertroffen, die er über Jedermann ohne Ansehn der Person
ausschüttet und die sein ganzes Wesen, wie ein unveränderlicher
Grundstoff, durchzieht. Selbst in den größeren Städten, in denen
die dort einheimische Verderbtheit dem Charakter einen Anstrich von
Treulosigkeit und Gefühllosigkeit gegeben hat, welche so oft zu den
entsetzlichsten Excessen führten, hat jener grobe rücksichtslose
Starrsinn nicht verwischt werden können. Dabei ist der Aragonese
tief religiös gesinnt, was bei dem Zustande seiner Cultur stets in
den krassesten Aberglauben ausartet, und auch in den Ausbrüchen der
Leidenschaft, die bei ihm so furchtbar sind, wird er nie die höchste
Achtung und Ehrfurcht vor Allem, was die Religion geheiligt hat,
aus den Augen setzen. Das Bild der Jungfrau von Zaragoza,[81] der
Schutzherrin von Aragon, trägt er stets als wohlthätiges Amulet auf dem
Busen geborgen; an sie richtet er sein kurzes, glühendes Gebet, sie
wird, so vertraut er fest, in der Todesstunde ihren Schützling segnend
umschweben.

Körperlich kräftig gebaut, untersetzt, oft selbst plump, ist der
Aragonese einer der besten Linien-Soldaten Spaniens, so lange er durch
strenge Disciplin gefesselt ist; wo sie irgend erschlafft, wo er gar
in den Vorgesetzten Schwäche wahrnimmt, wird er sofort das Joch der
Subordination von sich schütteln, und schwer ist es dann, ihn wieder
zur Ordnung zurückzuführen. Daher waren die Bataillone von Aragon
unter Cabañero’s schwacher Leitung stets undisciplinirt und zu jeder
Unordnung, vor Allem zu Plünderung und Marodiren geneigt, was das
Mißlingen manches Unternehmens veranlaßte -- so des Angriffes auf
Zaragoza. -- Seit aber Llagostera, der jedoch zum Theil durch seine
grobe Härte -- auch er ist Aragonese, -- weit mehr noch durch manche
andere Fehler, besonders Habsucht, den Haß seiner Soldaten auf sich
zog, den Oberbefehl der Division übernommen hatte, zeichnete sie sich
durch Organisation und Disciplin sowohl, wie im Kampfe fortwährend aus.

Der Aragonese wird übrigens mit eben der Festigkeit gegen eine
feindliche Veste geschlossen zum Sturm vorgehen, mit der er als
Tirailleur Stunden lang Schuß auf Schuß mit dem gegenüberstehenden
Gegner wechselt, in Masse formirt die Cavallerie bis auf zwanzig
Schritt sich nahen läßt oder auf der Bresche mit unerschütterlicher
Kaltblütigkeit dem Andrange des stürmenden Feindes sich entgegenstemmt.
Doch wird er sich oft ohne Nutzen aufopfern, um nur nicht weichen zu
müssen.

Ganz verschieden von dem Sohne des rauheren Aragon ist der Valencianer.
Leicht und gewandt ist er furchtbar im ersten Sturm des Enthusiasmus,
der aber eben so rasch verfliegt und dann gänzliche Erschlaffung
zurückläßt; weichlich, wie Klima und Lebensart natürlich ihn machten,
ermüdet er schon, wo sein aragonesischer Camerad, der zwar anfangs
langsameren Schrittes ihm folgte, der inwohnenden Kraft wahrhaft
sich bewußt wird. Im Valencianer ist Nichts fest und entschieden:
er schwankt wie das Rohr vor jedem Winde und folgt augenblicklich
dem eben gegebenen Impuls, um durch den nächsten in vielleicht ganz
entgegengesetzte Richtung sich werfen zu lassen. Er ist scharfsinnig
und listig, ohne Treue und Glauben; ein Wort reizt ihn zu brausendem
Zorne, und er stürzt sich auf den Beleidiger, das lange Messer ihm
durch die Brust zu stoßen; aber eben so rasch besinnt er sich, zieht
sich lächelnd zurück und -- erwartet den wehrlosen Feind hinter einer
Ecke verborgen, um im Dunkel der Nacht unbestraft seine Rache an ihm zu
kühlen.

Die valencianischen Truppen taugen nur zum ersten, raschen Angriff,
wenn die Entscheidung augenblicklich herbeigeführt werden kann; so
sind sie auch wohl zu dem unregelmäßigen Gefechte der ursprünglichen
Guerrilleros geeignet,[82] denen der Kampf fast nur in Überfällen,
Hinterhalten und Fliehen besteht. In dem schon regelmäßig organisirten
Heere Cabrera’s dagegen waren die Bataillone der Division von Valencia
immer die am wenigsten disciplinirten und wurden in jeder Hinsicht als
die unzuverlässigsten und schlechtesten angesehen.

Zu festem, regelmäßigem Linien- und Massenkampfe mit den Colonnen
der christinoschen Infanterie taugten sie gar nicht: sie wurden
augenblicklich gebrochen und in wilde Flucht geworfen, denn geordneter
Rückzug war ihnen unbekannte Sache. Bei dem Anblicke der Cavallerie
aber pflegten sie, wenn nicht durch das Terrain gesichert, sich zu
zerstreuen, indem ein Jeder für sich im Laufe sein Heil suchte. Und sie
liefen leicht mit den Pferden um die Wette. -- Daher schlug Cabrera
alle seine siegreichen Actionen mit den Divisionen von Aragon und vom
Ebro.

Diese letztere hat den höchsten Ruf erworben: doch müssen dabei ihre
beiden Theile streng gesondert werden. Sie bestand aus Cataloniern,
den Landsleuten Cabrera’s, welche indessen mit den echten Cataloniern
wenig gemein haben und ihnen selbst nicht angehören wollen: sie nennen
sich Tortosinos und sehen mit gleicher Eifersucht auf Valencia und
Catalonien, keinem von beiden sich zurechnend. Es sind die Bewohner
des Ebrothales und des kleinen Theiles dieses Fürstenthumes, der
sich südlich von dem Strome hinzieht. Sie bilden den Übergang von
dem rauhen, braven Aragonesen zu dem geschmeidigen und weichlichen
Valencianer, indem sie viele der bessern Eigenschaften der beiden
Nachbarvölker in sich vereinigen und von deren Fehlern auch nicht ganz
frei geblieben sind. Sie haben neben der unverwüstlichen Kraft und
Ausdauer des Aragonesen die Körpergewandtheit und Leichtigkeit der
Valencianer erhalten, deren auflodernde Heftigkeit und Rachsucht sie
dafür auch theilen. Bieder und treu im Umgange verbinden sie damit die
Schlauheit, durch die sie ihren Vortheil wohl zu wahren wissen.

In Betreff des militairischen Werthes dieser Süd-Catalonier muß wohl
die Brigade von Mora, welche von ihren eigenen Officieren geführt wurde
und nicht unter dem Einflusse von so vielen einwirkenden Umständen war,
als Grundlage für die Beurtheilung angenommen werden. Sie sind demnach
entschieden brav und fest beim Angriffe, tollkühn beim Sturm; aber
selbst angegriffen verlieren sie leichter die Ruhe und Besonnenheit,
und es ist vorgekommen, daß sie, ehe der Feind auch nur einen Schuß auf
sie that, fliehend sich zerstreuten, da er durch langes Manövriren,
dem sie sich nicht gewachsen glaubten, ihr anfängliches Feuer in
Muthlosigkeit erkalten machte. Doch waren sie leicht disciplinirt und
ertrugen standhaft jede Beschwerde.

Ganz verschieden aber zeigte sich stets die Brigade von Tortosa, die
Garde des Grafen von Morella, zuletzt vier Bataillone stark. Sie
focht mit hoher Auszeichnung immer gleich kaltblütig, gleich brav und
entschlossen, und wie sie wahrhaft der Kern war, um den die Armee nach
und nach sich gebildet hatte, so wurde sie auch die Elite derselben.
Sie war begeistert durch das Gefühl, daß der angebetete General, den
sie überall begleitete, als Landsmann und als Schöpfer ihr angehöre,
und sie verrichtete heroische Thaten, um der Vorliebe eines solchen
Führers sich würdig zu zeigen.

Unendlich Viel trug zu dieser Überlegenheit der Brigade von Tortosa
über ihre Brüder von Mora ohne Zweifel der Umstand bei, daß Cabrera
alle die ausgezeichnetsten Officiere der Armee, einen Jeden, der durch
eine hohe Kriegerthat hervorleuchtete, zur Ergänzung der täglich in
jener Brigade geöffneten Lücken[83] bestimmte. Und was hätte er mehr
thun können, um sie zu heben! So durfte sie in Disciplin, Bravour,
unerschütterlicher Festigkeit und Ausdauer den Elite-Truppen der ersten
Armeen Europa’s an die Seite gestellt werden. In äußerer Ausschmückung
stand sie freilich weit hinter ihnen.

Wie seine Officiere wußte Cabrera auch die Vorzüge und Schwächen seiner
Truppen genau zu beurtheilen und sie immer dahin zu stellen, wo sie
ihrer Eigenthümlichkeit wegen den meisten Erfolg hoffen durften. Die
Division von Valencia sehen wir daher fast nie bei einer regelmäßigen
Action genannt, sie wurde gewöhnlich in kleineren Detachements in
der Art des Guerrilla-Krieges in den Provinzen verwendet, in denen
das Terrain auch dem Feinde die Entwickelung seiner Massen nicht
gestattete. Daher war sie besonders im gebirgigen Theile von Valencia,
im Turia und in der Provinz Cuenca höchst thätig, während Cabrera
mit den andern Divisionen in die ebeneren Provinzen, die Huerta, das
westliche Aragon, Mancha und Guadalajara sich ausdehnte.

       *       *       *       *       *

Am 31. Juli langten wir in Chelva an, einem niedlichen Städtchen
nicht fern vom Guadalaviar, umgeben von Weinbergen und reizenden
Gärten, in denen alle Arten von Südfrüchten prangten. An demselben
Tage wurde ich dem Brigadier Arévalo vorgestellt, welcher damals en
Chef die Provinz del Turia und die Division von Murcia commandirte,
die er, ein erfahrener Militair, der seit dem Unabhängigkeits-Kriege
in dem königlichen Heere gedient hatte, täglich mehr hob. Er sagte,
daß er einen Angriff des Feindes erwarte, und erlaubte uns gern,
da er zu schlagen entschlossen war, für diesen Fall seinen Truppen
uns anzuschließen, wie er denn überhaupt durch höchst feine Bildung
und Artigkeit vortheilhaft vor vielen unserer andern Chefs sich
auszeichnete, die nur brave Soldaten und gute Anführer waren.

Der folgende Tag war in Lust und Scherz hingegangen, indem einige
Officiere der dortigen Division in die tausendfachen Annehmlichkeiten
der Stadt und ihrer köstlichen Umgebung uns einzuführen bemüht waren.
Nachdem wir lange zu Pferde umhergestreift und dann dem üppigen
Nationaltanze zugeschaut hatten, zogen wir uns nach Mitternacht vom
Kaffeehause nach unserm bequemen Logis zurück, wo die Wirthinn, eine
ausgewanderte Murcianerinn, uns schwellende Betten bereitet hatte, wie
wir seit Jahren so einladend sie nicht gesehen, mit dem Gaze-Netze
gegen die Mosquitos sorglich versehen. Da weckte uns früh Morgens am
2. August das Wirbeln der Trommeln, wir erfuhren, daß eine feindliche
Colonne gegen Chulilla heranziehe, weshalb die zwei Compagnien,
welche in Chelva sich befanden, dorthin eilten. Es war die Brigade
Ortiz, welche, 3000 Mann Infanterie und 400 Pferde stark, mit zwei
Feldgeschützen von Valencia entsendet war, um die kaum begonnene
Befestigung von Chulilla zu zerstören und dann gegen die Colonne
Arévalo’s zu operiren.

Um acht Uhr Morgens waren wir in dem nur zwei Stunden entfernten
Chulilla angelangt, einem kleinen, freundlichen Dorfe, über dem ein
isolirter Felsen an den Guadalaviar gelehnt sich erhebt, der zur
Errichtung eines Castells benutzt war, um dadurch sowohl el Turia
nach Südwesten hin zu decken, als den Übergang über jenen Fluß und
die Einfälle bis zum Xucar und in das Königreich Valencia den Unsern
zu sichern. Kundschafter erschienen indessen von Minute zu Minute,
die Bewegungen des Feindes zu verkünden; doch Arévalo blieb ruhig in
dem Dorfe, wo den von allen Seiten sich vereinigenden Compagnien Brod
und Wein nebst Munitionen ausgetheilt wurde. Erst als ein Bauer[84]
die Nachricht brachte, daß die Negros nur noch eine kleine Stunde
entfernt seien, schwang er sich auf’s Pferd und stellte sich an die
Spitze der Bataillone; ich folgte ihm mit einigen Adjudanten auf einem
Bergpferdchen, dem einzigen, welches ich hatte auftreiben können, und
so klein, daß meine Füße nicht selten auf dem unebenen Boden streiften.

Etwa eine Viertelstunde von Chulilla entfernt zog sich der Weg zwischen
zwei leichten Anhöhen hin; dort stellte Arévalo die drei Bataillone,
welche sich vereinigt hatten, mit dem rechten Flügel an den Guadalaviar
gelehnt, auf, während der linke einige Landhäuser besetzt hielt.
Die Grenadiere und Jäger standen, in Tirailleurs aufgelöset, etwa
vierhundert Schritt vorwärts in den Weinfeldern, und 40 Pferde wurden
dem Feinde entgegengeschickt. Fast drei Escadrone waren in Chulilla
zurückgeblieben. Kaum waren jene Dispositionen getroffen, als auf dem
vorliegenden Höhenkamme die dunkele Colonne der Christinos sichtbar
wurde, höchstens 2000 Schritt entfernt; sie zog langsam herab und
rückte dann in drei Bataillons-Massen gegen unsere Stellung an, eine
starke Tirailleurs-Linie vor sich ausbreitend und die Cavallerie auf
beide Flügel vertheilt.

Ich hatte mich, eine Büchse in der Hand und die Patrontasche um den
Leib geschnallt, der Grenadier-Compagnie des 1. Bataillon del Turia
angeschlossen, welche nahe am Guadalaviar vorgeschoben war; pochenden
Herzens und glühend von Ungeduld erwartete ich den Angriff der Feinde,
jetzt da ich zum ersten Male nach so langer, schmerzlicher Ruhe,
nach den tausendfachen Unbilden, die ich durch sie gelitten hatte,
den Gehaßten mich gegenüber sah. Die Christinos drangen auf der
Heerstraße fest vor, rechts und links durch die Cavallerie und einige
Compagnien Infanterie gedeckt. Sie warfen mit Leichtigkeit die beiden
Compagnien, welche dort sie empfingen, und erstiegen geschlossen die
Anhöhe, auf der unsere Bataillone aufgestellt waren. Zugleich stürzte
eine Escadron, welche im Trabe dem Flusse entlang avancirte, sich auf
die Grenadiere, denen ich mich zugesellt hatte, und zwang uns, in ein
nahes, mit niedrigen Weinstöcken besetztes Feld uns zu werfen, wo zwei
Compagnien sofort mit dem Bajonnett uns angriffen. Einen Augenblick
wichen die Grenadiere, die rechte Flanke der carlistischen Stellung
entblößend. Aber sofort von ihren Officieren gesammelt und geführt,
drangen sie wieder vor, trieben mit dem Rufe: ~viva el Rey!~ die beiden
Compagnien vor sich her und nahmen das verlorene Weinfeld wieder, wobei
sie zwanzig Gefangene machten.

Die Hauptmasse des Feindes aber rückte kräftig im Centrum vor, die
carlistischen Tirailleurs mit einigem Verluste vor sich herschiebend,
und seine beiden Escadrone des rechten Flügels jagten die dorthin
gezogenen 40 Lanciers in die Flucht, zersprengten die Elite-Compagnien,
welche nicht mehr Zeit hatten, sich in Masse zu bilden, und
bedroheten die linke Flanke und selbst den Rücken unserer Bataillone
in dem Augenblicke, in dem sie den Angriff der feindlichen Massen
erwarteten. Die Lage der Dinge war kritisch; Mancher verfluchte wohl
die Unvorsichtigkeit des Brigadiers, der unsere Reiterei unthätig in
Chulilla ließ.

Da erschien plötzlich auf der Höhe, von welcher der Feind
herabgestiegen war, ein starker Trupp Cavallerie, in eine dichte
Staubwolke gehüllt; die Christinos verstärkend mußte er sofort unsere
Niederlage entscheiden. Beide Colonnen standen bewegungslos, ungewiß,
wem die im scharfem Trabe Nahenden Hülfe brächten, als ein langer
Jubelschrei: ~son los nuestros!~ -- die Unseren! -- durch die Linie der
Carlisten ertönte: die rothen und weißen Baretts leuchteten durch den
aufquellenden Staub. Die drei Escadrone, welche Arévalo in dem Dorfe
zurückließ, hatten dort den Fluß passirt, auf dem jenseitigen Ufer den
Feind umgangen und fielen ihm nun in den Rücken, auf das linke Ufer
zurückgekehrt.

Mit dem Losungsrufe ~viva Carlos quinto!~ stürmten sie gegen das
nächste Bataillon der Christinos; großentheiles aus Rekruten bestehend,
zerstreute es sich und riß auch das zweite Bataillon, das umsonst
dem Drange sich zu entziehen suchte, in die Flucht fort. Arévalo
gab zugleich das Signal zum allgemeinen Avanciren, und die sechs
Elite-Compagnien warfen sich mit dem Bajonnette von vorn auf die nach
allen Seiten Fliehenden, so die furchtbarste Unordnung erzeugend. Das
eine Detachement der feindlichen Cavallerie ward gleichfalls zerstreut,
da es zur Rettung der Infanterie unsere Escadrone chargirte, das andere
stärkere floh, ohne zu kämpfen, auf Chiva. In einer halben Stunde war
die ganze Colonne vernichtet, und die wilde Verfolgung der Fliehenden
ward bis zum Abend fortgesetzt.

Nur die Jäger und Grenadiere der Bataillone waren zum Schuß gekommen
und hatten etwa 120 Mann an Todten und Verwundeten eingebüßt. Dagegen
wurden an jenem und dem folgenden Tage 1200 Gefangene nebst siebenzig
Pferden und einer genommenen Kanone nach Chelva gebracht; die andere
hatten die Artilleristen auf der Flucht in einen Brunnen gestürzt, wo
sie unentdeckt blieb, bis einige Wochen später eine andere Division der
Christinos sie herauszog und davon führte. Übrigens hatte der Feind,
welcher nur 71 Todte aus dem Schlachtfelde ließ, von seinen Geschützen
gar keinen Gebrauch gemacht.

Zweitausend Gewehre waren erbeutet, von denen die besten zur Bewaffnung
einiger neu gebildeten Compagnien und zur Ergänzung der in der Division
von Murcia fehlenden benutzt wurden, worauf Arévalo den Rest an den
General Forcadell ablieferte, welcher damit das 7. Bataillon der
Division von Valencia bewaffnete. Die Brigade Ortiz erschien nicht
wieder im Felde. Uns aber empfing, da wir am Abend mit einem Theile
der Gefangenen nach Chelva zurückkehrten, das Jubelgeschrei der treu
carlistisch gesinnten Einwohner, gegen deren Insulte mit einiger Mühe
die wehrlosen Christinos geschützt wurden. Sie bestanden fast ganz aus
jungen, unbärtigen Männern aller Provinzen und schienen, vor wenigen
Monaten mit Gewalt dem väterlichen Hause entrissen, nun fast erfreut,
da ihre militairische Laufbahn für das Erste beendet war.

  [79] Die Bewohner des Landes bezeichnen diese Wege mit dem
       nicht unpassenden Ausdruck der ~caminos reales de perdices~ --
       Rebhühner-Chausseen. --

  [80] Der Volksglaube knüpft an diese isolirten Blöcke manche Sage
       und manchen Aberglauben. Einen derselben sollte Orlando --
       Roland -- durch einen Fußtritt von einem benachbarten Felsberge
       hinabgeworfen haben, auf dessen Gipfel eine Lücke von ähnlicher
       Gestalt sichtbar ist. Nicht fern davon ist eine ungeheure Spalte
       in einem Felsen: Orlando öffnete sie mit einem Hiebe seines
       Schwerdtes im Kampfe gegen die Araber u. s. w.

  [81] Als ~Nuestra Señora del pilar de Zaragoza~ -- unsere Herrin von
       der Säule von Zaragoza -- in ganz Aragon enthusiastisch verehrt.
       Die Capelle der Cathedrale, in der ihre auf einer Säule stehende
       Statue von Gold bewahrt ist, soll die prachtvollste der
       Halbinsel sein. Espartero suchte sich die Gunst der Aragonesen
       zu versichern, indem er bei seinem Durchzuge im Herbst 1839 der
       Jungfrau seine Ehrfurcht bewies; das Volk aber behauptete, er
       habe gar nicht die gehörigen Formen beachtet und sich benommen,
       als ob er zu hoch stehe, um ihre Jungfrau anzubeten.

  [82] Dagegen taugten sie zu solchen nicht so gut, weil sie die
       Strapatzen einer solchen Kriegsart nicht zu ertragen wußten.

  [83] Die Division, zu jedem schwierigen Unternehmen unter den Augen
       des Generals verwendet, litt immer ungeheure Verluste, so daß
       sie endlich aus lauter unbärtigen Jünglingen bestand. Die
       Officiere aber fielen natürlich stets die Ersten.

  [84] Wo die Carlisten in ihrem Gebiete waren, ermüdeten sie selten
       die Truppen mit Vorposten-Dienst: jedes Dorf mußte die geringste
       Bewegung des Feindes sofort durch Eilboten melden und während
       der Nacht jeden Weg durch einen Posten bewachen lassen, so daß
       die Truppen durch mehrfache Reihen wachsamer Bauern geschützt
       waren.



XXVII.


Mehrere Wochen waren seit meiner Ankunft im Turia auf die angenehmste
Weise verflossen. Das Gefühl, wieder unter den Meinen, wieder frei zu
sein, würde ja das elendeste Gebirgsdörfchen zum lieben Aufenthalte
mir gemacht haben; wie hätte ich da nicht überglücklich in dem
reizenden Chelva sein sollen, wo eine ausgewählte, wahrhaft gebildete
Gesellschaft sich vereinigte, da nicht nur die Familien vieler
höheren Officiere und Beamten, sondern auch noch weit mehr aus den
nahen, dem Feinde unterworfenen Provinzen vertriebene oder freiwillig
ausgewanderte Carlisten dort sich niedergelassen hatten. Dazu kamen
die eben so belehrenden wie heiteren Stunden, welche ich in Arévalo’s
Gesellschaft, so oft er in Chelva war, zubrachte, die Tertulias in
seinem Hause und die Spatzierritte, zu denen er täglich in der Kühle
des Nachmittags mich einlud, da er seit dem glücklichen Gefechte von
Chulilla durch ganz besonderes Wohlwollen mich ehrte.

So begleitete ich ihn auch zu einer militairischen Promenade mit zwei
Bataillonen und zwei Escadronen südlich vom Guadalaviar auf Chiva --
unglücklichen Andenkens, da die Expedition des Königs dort von Oráa
geschlagen wurde -- und dann gen Westen über Buñol nach Castilien, wo
wir einen Tag in dem schönen Handelsstädtchen Utiel rasteten, um von
da über Tuejar nach Chelva zurückzukehren. Wir hatten nirgends den
Feind gesehen, schleppten aber einen nicht unbedeutenden Convoy von
Lebensmitteln und vierzehn Maulthierladungen von Tuch und Schuhen mit
uns, die, für O’Donnell’s Armee bestimmt, auf der großen Heerstraße von
Madrid nach Valencia von uns aufgefangen waren.

Es war natürlich, daß meine durch den Jammer der anderthalbjährigen
Gefangenschaft ganz zerrüttete Gesundheit unter dem Zusammenwirken so
vieler wohlthätigen Umstände täglich mehr und mehr aufblühte.

Wenige Tage nach unserer Rückkehr, am 24. August, kam Cabrera, von
Niemand erwartet, mit einer kleinen Escorte seiner Tortosiner in Chelva
an; andere Bataillone von allen Divisionen sollten nebst zahlreicher
Cavallerie theils auf dem Marsche nach dem Turia und der Provinz
Cuenca begriffen sein, theils schon in den umliegenden Ortschaften
sich befinden. Auch Oberst Polo -- seit kurzem mit einer Schwester
des Grafen von Morella vermählt -- welcher mit fünf Bataillonen zu
einem neuen Zuge nach Castilien detachirt wurde, während der General
den feindlichen Oberfeldherrn mit seiner ganzen Armee bei Tales
einige Wochen festhielt, war so eben mit bedeutenden Geldsummen durch
la Mancha zurückgekehrt, einige dreißig tausend Schafe den Gebirgen
zutreibend, wo sie sofort unter die Bauern vertheilt wurden.

Alle Maßregeln deuteten auf die nahe Ausführung hoher Pläne, und
Officiere und Soldaten, wenn auch noch ungewiß, wohin ihr angebeteter
Feldherr jetzt sie zu führen beabsichtige, vertrauten jubelnd, daß die
nächste Zukunft Großes bringen werde.

Wir sahen, wie Cabrera, da er General Aznar’s Rettung nicht hatte
hindern können, zur Deckung der schwachen bei Tales errichteten Werke,
eines kleinen Castells und zweier einfach runden Thürme, dem General
O’Donnell gegenüber sich aufstellte. Es darf nicht übersehen werden,
daß dieser General den größten Theil seiner disponibeln[85] Armee, 17
Bataillone und 11 Escadrone mit 17 Geschützen, dort vereinigt hatte,
während er nur kleine Colonnen von zwei oder drei Bataillonen -- doch
mit zahlreicherer Cavallerie, die in jenem Terrain selten Anwendung
fand -- in den übrigen Provinzen seines Commandos zur Beobachtung der
Carlisten zurückgelassen hatte, deren Hauptmacht er natürlich unter
Cabrera’s Befehl sich gegenüber wähnte.

Dieser aber entsendete nach und nach von den 14 Bataillonen und 7
Escadronen, welche er nach Tales führte, die größere Hälfte nach den
vom Feinde entblößten Theilen des Kriegsschauplatzes und blieb mit
nur 7 Bataillonen und 2 Escadronen in den Schluchten und Abhängen
nahe Tales stehen, den Feind durch gewandt berechnete Manövres und
Listen glauben machend, daß er fortwährend das ganze Corps vor sich
habe, wobei die unbedingte Ergebenheit der Einwohner trefflich ihn
unterstützte. Ja selbst von jener unbedeutenden Macht detachirte er
noch drei Bataillone und fast die ganze Cavallerie auf längere Zeit,
die Communicationen des Feindes mit Castellon de la Plana und Valencia
bedrohend.

Durch solche Täuschung irre geleitet, operirte O’Donnell vierzehn
Tage lang nur mit äußerster Behutsamkeit und Zeit raubender Vorsicht
gegen die kleine Schaar Cabrera’s. Als er aber endlich den Betrug
erkannte und die kostbare Zeit, welche er unnütz dort verloren hatte,
während die übrigen carlistischen Truppen weithin das christinosche
Gebiet beherrschen und ausbeuten durften; da erst griff er in blindem
Zorn eben so fehlerhaft, wie er vorher gezaudert, mit allen seinen
Truppen in Masse die Stellung der Carlisten an, die er so lange kaum zu
betasten wagte, und erkaufte den Besitz eines nutzlosen Thurmes mit dem
Blute von Tausenden seiner Krieger.[86]

Schon am 1. August hatte O’Donnell seine Batterien gegen das
kleine, nur funfzig Mann fassende Castell und die beiden, noch weit
unbedeutenderen Thürme errichtet; da jedoch die Stellung Cabrera’s eine
größere Annäherung ohne Kampf nicht zuließ, waren die Batterien so
entfernt, daß sie fast gar keinen Schaden thun konnten. Die Carlisten
harcelirten fortwährend die feindliche Armee, bald hier, bald dort
erscheinend und so ihre Schwäche verbergend. Am 4. August zerstörten
sie selbst einen großen Theil der feindlichen Arbeiten, und am 6.
jagten sie alle avancirten Posten in gänzlicher Verwirrung auf das
Hauptcorps, worauf sie am folgenden Tage den Versuch O’Donnell’s, eines
vorwärts neben dem Castell liegenden Felsens sich zu bemächtigen, mit
Verlust zurückwiesen. Die Scharmützel dauerten während der nächsten
Tage ununterbrochen fort, ohne daß das Feuer der Batterien gegen
die Werke oder die furchtsamen Demonstrationen der Armee gegen die
Bataillone Cabrera’s entscheidenden Effect gehabt hätten.

Erst am 14. August, da die Feinde durch die Unvorsichtigkeit der
Carlisten[87] von deren Schwäche unterrichtet waren, stürmten sie
mit Aufbietung aller ihrer Kräfte die nur durch vier Bataillone
vertheidigten Stellungen derselben, welche sie auch alsbald nahmen,
den linken Flügel nach hartnäckigem Widerstande aus dem Dorfe Suera
baja vertreibend, worauf sie es niederbrannten. Sie bemächtigten sich
dann der beiden Thürme -- ein jeder war durch funfzehn Mann vertheidigt
-- und verbrannten auch das Dorf Tales, wurden aber bei dem Sturme
auf das Castell zurückgeschlagen, weshalb sie nun ihre Batterien nahe
demselben aufführten.

Cabrera, der am Morgen in den vordersten Reihen der Tirailleurs
mehrere Male nur durch das sehr gebrochene Terrain dem andringenden
Feinde entkommen war, stürmte am Nachmittage mit zwei Bataillonen von
Tortosa wieder vor, warf die ihm entgegenstehenden Massen über den
Haufen und stand während der Nacht einen Flintenschuß weit von der
am Morgen verlorenen Stellung. Als er aber am folgenden Tage, durch
die detachirten drei Bataillone verstärkt, zu neuem Angriffe eilte,
fand er das Castell in der Gewalt des Feindes: die kleine Garnison
hatte es auf Befehl des Gouverneurs geräumt. Dieser wurde, da er Ordre
erhalten hatte, bis auf den letzten Mann sich zu vertheidigen, nach dem
Ausspruche eines Kriegsgerichtes erschossen.

O’Donnell zog sich auf Castellon de la Plana. Sein Heer war selbst
in dem errungenen Erfolge außerordentlich entmuthigt und geschwächt,
da es bei Tales gegen 4000 Mann eingebüßt hatte, während zugleich
von allen andern Punkten des Kriegstheaters die niederschlagendsten
Nachrichten einliefen. Die Unterfeldherrn Cabrera’s hatten die
Entfernung der feindlichen Armee thätig benutzt, um bis zu den Thoren
der großen befestigten Städte vorzudringen und das flache Land sich zu
unterwerfen. Teruel, Daroca und Zaragoza waren blokirt, Llagostera,
den Ebro passirend, fiel in Hoch-Aragon ein, Arévalo vernichtete die
Brigade Ortiz, Polo durchzog und brandschatzte Mancha und die Besatzung
von Cañete beherrschte die ganze Provinz Cuenca und drang selbst in
Verbindung mit Beteta in das Innere von Guadalajara vor, wo sie am
6. August den berühmten Badeort Sacedon überfiel und mehrere hohe
Hofbeamten der Königinn Wittwe nebst einigen Deputirten der Cortes
gefangen fortführte.

Von nun an schloß sich O’Donnell in seine festen Plätze ein, ohne
weiter den Operationen des carlistischen Feldherrn sich entgegen zu
stellen. Er folgte ihm höchstens beobachtend in der Ferne und eilte
bei seiner Annäherung unter den Schutz seiner Festungen zurück. Ohne
Zweifel trug zu solcher Unthätigkeit die Erschlaffung und gänzliche
Muthlosigkeit der christinoschen Truppen viel bei, da sie im Fall eines
Zusammentreffens verderblich werden mußten; aber eben so sehr mochten
den feindlichen General die Instructionen Espartero’s dazu bewegen,
der, des Unterganges der carlistischen Hauptarmee in den Nordprovinzen
gewiß, bis dahin Nichts auf das Spiel zu setzen befahl.

Cabrera aber flog mit gewohnter Thätigkeit nach Aragon und führte die
schwere Artillerie von Alcalá la Selva über die Heerstraße von Teruel
auf Segorve nach el Turia, wo er sie einstweilen in der Bergveste el
Collado deponirte. Er vereinigte dort die Divisionen vom Ebro und von
Valencia und die Brigade Arnau von der Division von Aragon nebst der
kleinen Division Arévalo’s und der Besatzung von Cañete, zusammen 12000
Mann Infanterie und 1300 Pferde in 18 Bataillonen und 13 Escadronen.
Llagostera stand mit dem Reste seiner Division in Nieder-Aragon, die
vor kurzem gebildeten Bataillone 4. von Tortosa und 7. von Valencia
nebst dem Bataillon Sappeurs und kleinen Detachements der andern Corps
im Königreiche Valencia, größtentheils als Besatzung der festen Punkte,
während zwei Escadrone von Tortosa am untern Ebro streiften und Oberst
Bosque mit seinem Frei-Bataillon Schützen von Aragon die Festungen
Alcañiz und Caspe blokirte.

       *       *       *       *       *

Am Tage nach der Ankunft des Generals stellte Brigadier Arévalo mich
ihm vor. Mein Vorurtheil gegen Cabrera mochte wohl Grund sein, daß ich
in den kühnen Zügen etwas Wildes, Unheimliches zu erkennen glaubte,
was mir späterhin nie mehr auffallend war. Übrigens ist das Äußere
desselben so oft geschildert worden, daß ich das oft Gesagte nur
nochmals wiederholen könnte; doch werde ich nie den Eindruck vergessen,
welchen die Augen Cabrera’s auf mich machten, diese dunkel glühenden
Augen, die in unaufhörlicher Bewegung feurige Blitze entsenden und,
wohin sie sich fixiren, bis auf den tiefsten Grund durchbohrend zu
dringen scheinen. -- Diejenigen, welche seit einigen Jahren ihn nicht
gesehen hatten, fanden ihn unendlich verändert und gealtert, Sorgen
und rastloses Mühen hatten ihren Stempel dem jugendlichen Antlitze
aufgedrückt.

Ich ward von Cabrera auf nicht sehr schmeichelhafte Art empfangen, wozu
mein Äußeres, wie es damals wohl choquiren konnte, die Veranlassung
gab. Schon durch meine Statur zog ich stets die Aufmerksamkeit der
Spanier auf mich, da sie allgemein kräftig, aber untersetzt gebaut
sind. Dazu war ich wahrhaft ausgemergelt durch die Leiden und
Entbehrungen der furchtbaren Gefangenschaft in Cadix’ Casematten und
die dadurch hervorgerufene Kränklichkeit, während die Gesundheit,
welche kaum wiederzukehren begann, die Spuren des Elends in den hohlen
Wangen und dem krankhaft bleichen Teint noch nicht zu verwischen
vermochte.

Der lange Aufenthalt in jenen halbdunkeln, feuchten Räumen, in denen
wir zum Lesen selbst bei Tage des künstlichen Lichtes uns bedienen
mußten, hatte meine Augen so geschwächt und empfindlich gemacht, daß
noch Monate lang nachher das Strahlen der Mittagssonne, in jenen
Landstrichen doppelt blendend, da sie rings von den weißen Häusern
oder von grau glänzenden Felswänden zurückgeworfen wird, brennende
Schmerzen mir erregte. Ich pflegte deshalb die Augen durch blaue oder
grüne Klappenbrillen gegen den widrigen Einfluß zu schützen und beging,
wiewohl das Vorurtheil der einfachen Facciosos gegen alles nicht der
Natur Angemessene mir wohl bekannt war, die Unvorsichtigteit, bei
dem Gange zum General eine blaue Brille aufzubehalten, deshalb nichts
Übeles erwartend.

Als Arévalo mit einigen gütigen Worten mich vorstellte, betrachtete
mich Cabrera eine Sekunde und fragte dann, die Stirn in Falten gezogen:
„Und diese Brille? Ist das Mode in ihrem Lande?“ Auf meine Erwiederung,
daß nicht Mode, sondern die Rücksicht auf meine in den Kerkern der
Christinos geschwächten Augen sie mich tragen mache, sagte er kurz:
„Vorwand, ~carajo~!“ Da konnte ich trotz dem Kopfschütteln Arévalo’s,
der neben dem General stehend mir Schweigen zuwinkte, mich nicht
enthalten, zu antworten, daß ich nie einen Vorwand gebrauchen würde,
der übrigens in einer so ganz gleichgültigen Sache höchst unnütz wäre.
„Aber ~carajo~, ich mag keine Brillen, Herr!“ donnerte Cabrera los. --
„So ersuche ich Ew. Excellenz um Paß nach Catalonien zu dem Heere des
Grafen von España,“ bat ich fest, aber respektvoll.

In dem Augenblicke wandte sich Arévalo an den General und führte ihn
an eine Fensterbrüstung, wo er eifrig mit ihm sprach. Bald traten sie
wieder hervor und unterhielten sich mit den Officieren und Beamten,
welche fortwährend mit Meldungen und Anfragen zu- und abgingen. Als
ich endlich nach einer halben Stunde des Wartens mein Gesuch um den
Paß wiederholte, erklärte mir Cabrera kurz, daß ich fürs Erste mit ihm
kommen würde.

Arévalo, als ich bald mit ihm das Zimmer verließ, machte mir freundlich
Vorwürfe über meine Empfindlichkeit und Schroffheit; er fügte hinzu,
daß man unter Spaniern nicht jedes Wort so strenge nehmen und am
wenigsten höher Stehenden so scharf erwiedern dürfe, wenn man nicht
den unangenehmsten Händeln sich aussetzen wolle. „Ein Spanier, der so
den Paß gefordert hätte, würde gewiß bei erster Gelegenheit erschossen
sein; und Gelegenheit fehlt einem General nie.“

Wiewohl ich weder solche Macht des Generals noch solchen Charakter
selbst im Spanier als allgemein anerkennen konnte, fühlte ich doch,
daß mein Début mich auf etwas schlüpfrigen Boden stellte, und beschloß
demnach, mit doppelter Vorsicht zu verfahren. Den Wunsch Arévalo’s
aber, daß ich nicht wieder mit der ominösen Brille erscheinen möge,
konnte ich unmöglich erfüllen; ich würde sie gern abgelegt haben, so
wie der General mir ihretwegen nicht mehr Kälte zeigte; bis dahin hätte
ich dadurch nur erbärmliche Schwäche kund gegeben. -- Während der
folgenden Tage sah ich Cabrera wiederholt und ward stets mit flüchtigem
Blicke und leichtem Neigen des Kopfes freundlich empfangen.

Der General war, so lange er in Chelva weilte, in ununterbrochener
Thätigkeit; sein Logis war stets gefüllt und umgeben durch Haufen
von Landleuten, welche auf die Kunde seiner Ankunft von allen
Seiten herzuströmten, ihre Klagen und Bitten ihm vorzulegen. Da war
keine Wache, um die Zudringlichen zurückzuweisen, kein Adjudant
oder Kammerdiener, um mit nie erfüllten Versprechungen die Armen
abzuspeisen. Cabrera empfing selbst Jedermann, hörte die Beschwerden
und half sofort, indem er durch einen Adjudanten die betreffende Ordre
niederschreiben, oder, wo Geld helfen konnte, von irgend Jemand aus
seiner Umgebung einige Duros oder Gold-Unzen sich geben ließ; denn die
eigenen Taschen hatte er gewöhnlich in der ersten halben Stunde geleert.

War er nicht so beschäftigt, so dictirte er im Büreau und sah die
Berichte durch, welche stündlich von allen Seiten an ihn einliefen;
bald empfing er Confidenten, oft aus den fernsten Theilen der
Monarchie, bald hielt er Revue über die Truppen oder inspicirte
Magazine und Hospitale, allenthalben bis in die kleinsten Details
prüfend und jede Verbesserung selbst anordnend. Vorzüglich oft wurden
auch die Kriegscommissaire herbeigerufen, entweder -- in Spanien sind
sie alle anerkannte Spitzbuben -- um furchtbar sie anzudonnern oder gar
einen aus ihnen auf der Stelle erschießen zu lassen,[88] wenn durch
ihr Verschulden die Bedürfnisse der Truppen unbefriedigt geblieben
waren; oder um anzuweisen, auf welche Art sie neue Ressourcen sich
öffnen konnten. Hin und wieder rastete der General ein halbes Stündchen
in der Mitte seiner Officiere, meistens über die Ereignisse des Tages
sich unterhaltend, bis irgend ein neuer Gedanke der Fürsorge für seine
Freiwilligen der kurzen Muße ihn entriß.

       *       *       *       *       *

Am 28. August brachen wir von Chelva auf, wo Arévalo mit seinen
Bataillonen zurückblieb. Wir zogen, nur vier Bataillone und einige
Escadrone, über Titaguas der Provinz Cuenca zu, wurden aber bald durch
Theile der Division vom Ebro und von Aragon verstärkt; wir sollten, so
hieß es, nach der Mancha ziehen, wiewohl die eingeschlagene Richtung
eher auf die Provinz Guadalajara als das Ziel des Marsches zu deuten
schien.

Nachdem wir in einigen unbedeutenden Dörfern geruhet hatten, setzten
wir am folgenden Tage den Marsch fort. Da erschien ein Spion, von
mehreren Bauern begleitet, und ward angelegentlich vom General
examinirt; der Marsch ward beschleunigt, Ordonnanzen entfernten sich in
scharfem Trabe rechts und links, und bald erzählten sich die Adjudanten
des Generals, daß wir eine feindliche Colonne angreifen würden. Der
Spion hatte die Nachricht gebracht, daß fünf Bataillone und drei
Escadrone der Division von Cuenca langsam dieser Stadt zuzögen, da sie
den Aufenthalt Cabrera’s in el Turia und die Anhäufung von Truppen
daselbst erfahren hatten. Wir eilten daher, den Rückzug dorthin ihnen
abzuschneiden.

Am Mittage des 30. August vereinigten wir uns mit General Forcadell,
der einige Bataillone von seiner Division und vier Escadrone uns
zuführte, dann stieß auch Valmaseda mit seinen Reitern und die Escadron
von Toledo zu uns. Wir hatten ohne Aufenthalt den ganzen Tag marschirt,
als ein neuer Confident erschien, dessen Mittheilung den General, der
fast ohne zu sprechen an der Spitze der Divisionen einherritt, lebhaft
anregte. Er wandte sich mehrere Male zu uns um mit den Worten: „~los
tenemos, Señores!~“ -- wir haben sie! -- und Blitze sprühten aus den
leuchtenden Augen. Die feindliche Colonne war nach Carboneras, vier
Stunden von Cuenca, abmarschirt, um dort zu übernachten und am Morgen
Cuenca zu erreichen.

Nachdem am Abend kurze Zeit gerastet war, setzten wir mit jeder
Vorsicht wieder den erschöpfenden Marsch fort, dessen Beschwerden die
Freiwilligen in der Hoffnung auf baldigen Kampf freudig ertrugen.
Über schroffe Gebirge auf fast ungangbaren Pfaden schritten die
Bataillone Mann hinter Mann einzeln hin, so daß häufig auf freierem
Platze angehalten wurde, um die Queue der langgedehnten Marschcolonne
nachkommen zu lassen; die Cavallerie aber schlug andere, weitere
Wege ein, den Windungen der Thäler folgend. Kurz vor Tagesanbruch
vereinigte sie sich mit der Infanterie; bald ward wieder Halt gemacht.
Todtenstille herrschte unter den Truppen; eine dunkele Masse nicht
achthundert Schritt vor uns sollte das vom Feinde besetzte Dorf sein,
und doch verrieth kein Laut die Gegenwart lebender Wesen in ihm. Da
schallte der eintönige Ruf der Schildwachen zu uns herüber -- ein Jeder
wohl athmete leichter, von schwerer Last die Brust befreit. Wenige
Minuten später, als schon der Tag dämmerte, ertönte im Dorfe die Diana,
die Feinde zum Morgen-Appell rufend.

Unsere Escadrone trabten rechts und links ab, den Ort zu umstellen,
während die Bataillone auf die niedrigen Anhöhen rings sich
vertheilten, von denen die leichten Geschütze in dem Augenblicke ihr
Feuer eröffneten, in dem die Infanterie zum Sturm gegen die Häuser
vordrang, welche, gleichfalls auf einer Höhe liegend und sämmtlich
massiv, einer kräftigen Vertheidigung fähig waren.

In Carboneras befanden sich zwei Bataillone von Ecija und ein und ein
halbes von dem Linien-Regimente el Rey nebst zwei Escadronen; ein
Bataillon des Regimentes Reyna Gobernadora, ein halbes vom Rey und
eine Escadron standen in Reilla, eine Stunde weit auf dem Wege nach
Cuenca liegend. Gegen diese wandte sich Forcadell mit einem Theile des
Corps. Er traf die Feinde auf dem Marsche, da sie, das Feuer hörend,
ihren Cameraden zu Hülfe eilten, griff sie an, zersprengte sie gänzlich
und machte etwa 500 Gefangene, von denen zwei Compagnien der Reyna
Gobernadora niedergemacht wurden, da sie, nachdem sie sich ergeben
hatten, wieder zu den Gewehren griffen und von hinten auf die Sieger
feuerten.

Forcadell rückte dann zur Beobachtung gegen Cuenca vor, wohin am Abend,
keine Gefahr ahnend, der Anführer der Division mit seinem Chef des
Generalstabes zu einer Berathung mit dem commandirenden General der
Provinz gezogen war, so daß, da der zweite Commandeur in Reilla sich
befand, der älteste Oberstlieutenant zu Carboneras commandirte.

Der Angriff unserer Freiwilligen, wie erschöpft sie auch sein mußten,
war äußerst brav, aber der Feind, von der ersten Überraschung
zurückgekommen, vertheidigte sich mit gleicher Bravour; jedes Haus
mußte einzeln genommen werden, in jedem kämpften die Christinos
verzweifelt und räumten es gewöhnlich erst, wenn es angezündet über
ihnen zusammenzufallen drohte. Die Bataillone, nachdem sie einige
Stunden gefochten hatten, wurden durch andere abgelöset, um zu
ruhen, worauf sie von neuem ins Feuer gingen, während ihre Cameraden
auf einige Zeit zurückgezogen wurden. Das Dorf brannte fortwährend
rings umher, dichte Rauchwolken gen Himmel sendend, aus denen das
ununterbrochene Knallen der Schüsse, das wilde Geschrei der Fechtenden
und das Krachen der einstürzender Mauern schauerlich durch einander
tönten. Am Abend hatte die Eroberung der Trümmer von etwa zwanzig
Häusern, die zum Theil mit dem Bajonnett genommen und wieder genommen
waren, uns schon über 300 Mann gekostet.

Mit immer gleicher Wuth von beiden Seiten tobte der Kampf die Nacht
hindurch; doch waren die Christinos während derselben schon bedeutend
nach der Mitte des großen Dorfes zusammengedrängt, rings von einem
Kreise rauchenden Schuttes und halb eingesunkener Wände umgeben,
wodurch das Vordringen unserer Freiwilligen bedeutend erschwert wurde.
Auch die noch vertheidigten Häuser brannten langsam weiter, indem die
Angreifer bemüht waren, brennbare Stoffe um sie her anzuhäufen. Die
Einwohner des Dorfes aber, von denen freilich einige getödet waren,
retteten sich meistens zu uns und wurden auf des Generals Befehl sofort
in den nächsten Dörfern untergebracht.

Cabrera war wüthend. Er fluchte den Feinden und drohete furchtbare
Rache, da sie ganz ohne Hoffnung auf Hülfe nutzloses Blutvergießen
veranlaßten,[89] er jammerte über seine armen Burschen, wie sie
fortwährend todt oder verwundet aus dem Getümmel zurückgebracht wurden;
dabei waren noch immer keine Lebensmittel vorhanden, und die Hitze
wurde gegen Mittag furchtbar drückend. Endlich erschien ein großer
Convoy, von dem nahen Cañete gesendet, worauf der General sofort den
gerade ruhenden Truppen einen Theil der Lebensmittel austheilen ließ
und dann, da sie kaum gegessen hatten -- an Kochen war natürlich
nicht zu denken, -- zur Ablösung der kämpfenden Bataillone sie
schickte, damit auch diese mit Brod und Wein sich stärkten. Zwei
Maulthierladungen von Orangen, welche der Gouverneur von Cañete aus
besonderer Aufmerksamkeit dem General bestimmte, befahl er nebst
dem exquisiten Weine den Verwundeten zu bringen, für sich und jeden
Officier seines Stabes eine Orange zurückhaltend.

So oft ein Haus lebhaften Widerstand leistete, beorderte Cabrera irgend
einen Officier aus seiner Umgebung, an die Spitze der Stürmenden
sich zu stellen; und wehe! wenn er nicht der Erste der Gefahr sich
entgegenwarf. Auch ich ward mehrere Male mit solchen Aufträgen geehrt
und führte sie mit Glück aus. Cabrera selbst setzte sich häufig
der größten Gefahr aus und ging bis dicht an die noch vom Feinde
vertheidigten Gebäude vor. Officiere und Ordonnanzen wurden an seiner
Seite verwundet, und ein Capitain von Tortosa, da er vor dasselbe
Fenster eines eben eroberten Hauses trat, aus dem der General eine
Sekunde vorher den Fortgang des Kampfes beobachtet hatte, ward durch
eine Büchsenkugel zu seinen Füßen todt niedergestreckt.

Schon nahete wieder der Abend, und immer noch hatten die Christinos
zehn oder zwölf Häuser rings um die Kirche inne, aus denen sie ein
lebhaftes Feuer gegen die anstürmenden Truppen unterhielten. Mit
mehreren Adjudanten und anderen Officieren stand ich hinter dem
General, der bleich mit furchtbar gefalteter Stirn und über einander
gekniffenen Lippen den vierten Sturm beobachtete, welchen eine
Compagnie von Tortosa auf ein kleines, unscheinbares Haus machte,
das, aus der noch vom Feinde besetzten Masse vorspringend und sie
flankirend, mit großer Festigkeit behauptet wurde und ganz von Truppen
gefüllt schien. Wieder mußten die braven Tortosiner weichen, nachdem
die am kühnsten vorwärts Dringenden unter dem mörderischen Feuer
gefallen waren.

Einen Augenblick stand der General starr, nur das Gesicht von einer
krampfhaften Bewegung durchzuckt; dann wandte er rasch sich um,
und das geisterhaft flammende Auge auf die sich zur Seite wendenden
Officiere gerichtet, rief er mit Donnerstimme: „Wer wagt es? Niemand,
~carajo~?“ Mit hochklopfendem Herzen flog ich, von einem jungen
Cavallerie-Officier begleitet, an die Spitze der Grenadiere, denen
Cabrera ermunternd: „Vorwärts noch ein Mal, Burschen, und stecht die
Teufel alle nieder!“ zurief.

Mit lautem ~viva el Rey! viva Cabrera!~ stürmten wir vorwärts. Nach
fünf Minuten langem Ringen im Innern des Hauses hatten die herrlichen
Tortosiner es genommen, alle Räume mit Todten und Sterbenden gefüllt;
schon feuerten sie aus den Fenstern auf die zunächst liegenden Gebäude.

In dem Augenblicke, da der General in das Haus trat, sah ich,
wie einige Freiwillige drei verwundete Christinos, die einzigen
überlebenden von den Vertheidigern, aus einem Winkel hervorschleppten;
sie durchbohrten kaltblütig den Ersten, einen Officier, und hoben die
Bajonnette, um die Andern, welche umsonst Gnade erflehten, zu opfern,
als mein Ausruf des Entsetzens: „Halt, Infame, Pardon!“ ihre Wuth
hemmte. Da herrschte Cabrera finster mir zu: „ich habe befohlen, kein
Pardon, Herr Capitain!“ mit einem Zornesblick vom Kopf zum Fuß mich
messend, wie ich nie so drohend ihn gekannt. -- Mein Entschluß, Aragon
zu verlassen, stand fest, während ich unmuthig nun mit verdoppelter
Anstrengung in den Kampf mich stürzte.

Während der folgenden Nacht trieben wir den Feind, dessen Widerstand,
wiewohl stets entschieden, doch augenscheinlich mehr und mehr
erschlaffte, von einem Hause zum andern nach dem Mittelpunkte zusammen,
nicht ohne manchen braven Gefährten einzubüßen. Beim Anbruch des Tages
hielt er nur noch die Kirche mit ihrer unmittelbaren Umgebung inne,
nach der er seine Pferde, Bagage und viele Verwundete gerettet hatte,
und die in der Eile durch Öffnung von Schießscharten zur Vertheidigung
eingerichtet war. Obgleich wir die verzweifelte Lage der Christinos
kannten, welche, seit vielen Stunden ohne einen Tropfen Wassers,
unmöglich lange ausharren konnten, befahl dennoch der General erbittert
aufs neue den Sturm, als ein Officier, von einem Trompeter begleitet,
sich zeigte und zu capituliren begehrte.

Ein Capitain von Tortosa ging zuerst bis zur Kirchenthür ihm entgegen,
wohin ich mit andern Officieren ihm folgte. Als wir den kleinen
Platz zwischen den Trümmern der zuletzt genommenen Gebäude und der
Kirche überschritten, sahen wir in allen Schießscharten die Mündungen
der Gewehre blitzen und dahinter die dunkel geschwärzten Köpfe der
feindlichen Soldaten -- wohl um zu imponiren; doch wurden sie auf unser
Verlangen sofort zurückgezogen.

Die Christinos forderten nach kurzem Gespräche, während dessen einem
jüngern Officier, da er seine unzähmbare Gier nach Wasser aussprach,
seine Cameraden drohende Blicke der Wuth und Verachtung zuwarfen, daß
ihnen freier Abzug nach Cuenca mit Waffen und Gepäck zugestanden werde.
Als der General auf die Meldung des Tortosiners dagegen unbedingte
Ergebung verlangte, baten die Parlamentaire, selbst zu Cabrera geführt
zu werden, was sofort geschah. Sie bestanden nach langem Unterhandeln
daraus, daß die Colonne erst nach acht und vierzig Stunden sich ergebe,
im Fall kein Entsatz käme, daß ihr aber bis dahin Lebensmittel und
vor allem Wasser geliefert werde. Da erklärte der General, die Uhr
hervorziehend, daß, wenn in zehn Minuten die Kirche noch besetzt sei,
Niemand lebend sie verlassen werde. Vor Ablauf der Frist zogen die
Christinos compagnieweise aus der Kirche, von Pulverdampf und Rauch
geschwärzt und verzehrt vom glühendsten Durst, so daß viele unter ihnen
nicht mehr vermochten, ein Wort zu sprechen.

Über 2100 Mann, unter ihnen 450 Verwundete, streckten die Waffen, so
daß wir mit den Gefangenen Forcadell’s deren etwa 2400 zählten; 1620
Mann waren unter den Trümmern des Dorfes und in der Action Forcadell’s
umgekommen, während von der ganzen schönen Division nur 800 Mann von
Reilla nach Cuenca entflohen waren. Auch fielen 140 Pferde und fast
4000 Gewehre in unsere Hände. Bei dem verzweifelten Widerstande des
Feindes mußte natürlich unser Verlust gleichfalls bedeutend sein: mehr
als 800 Mann waren außer Gefecht gesetzt.

Cabrera -- ich muß es hier wiederholen -- während er im Getümmel des
Kampfes und vor Allem, wo er seine Freiwilligen um sich her fallen sah,
keine Schonung kannte und, von Haß und Rache glühend, den fechtenden
Feind bis auf den letzten Mann vernichtete; Cabrera bewährte gegen die
Entwaffneten, die Gefangenen stets den Edelsinn und die Großherzigkeit,
welche den Grundtypus seines Charakters bilden. Auch bei Carboneras
wurden die Gefangenen mit ungewöhnlicher Großmuth behandelt. Sie
behielten ihr Gepäck unangerührt, und den Officieren wurden selbst die
Pferde für den weiten Marsch bis zum Depot gelassen, während alle ihre
Bedürfnisse sogleich mit höchster Sorgfalt befriedigt wurden. Als aber
dem General angezeigt ward, daß die Christinos kurz vor der Übergabe
die in den Cassen befindlichen bedeutenden Fonds nach Verhältniß ihrer
Grade unter sich vertheilt hätten, wobei man ihm bemerklich machte, daß
er auf sie als königliche Gelder vollkommenes Recht habe, befahl er:
„Nein, laßt es den Armen; sie werden mehr, als wir, es nöthig haben.“
Die unglücklichen Einwohner aber des zerstörten Dorfes sprach er für
die Dauer des Krieges von jeder Abgabe und Leistung frei, ließ auf
Kosten des Gouvernements die zerstörten Wohnungen ihnen aufrichten und
bewilligte ihnen ansehnliche Vorräthe an Korn für den Unterhalt und die
Aussaat.

       *       *       *       *       *

Nach Beendigung des Kampfes bat ich den General von neuem um Paß nach
dem Heere von Catalonien, und er gestand ihn ohne Schwierigkeit mir zu.
Ich ersetzte die ganz erschöpfte Kraft durch Speise und kurzen, aber
erquickenden Schlaf und ritt am Nachmittage auf Cañete zurück, nachdem
ich einen letzten Blick auf das unglückliche Dorf geworfen hatte, in
dem nur die Kirche mit vier oder fünf Häusern aus dem Trümmerhaufen
emporragte. Gräßlich durch das Feuer verstümmelt, lagen Leichen in
Entsetzen erregender Zahl unter dem mit Blut getränktem Schutte der
zusammengestürzten Gebäude, aus dem noch hie und da dichte Rauchsäulen
und zuweilen auflodernde Flammen sich erhoben. Ringsum waren die
Bataillone und Escadrone gelagert, von der schweren, sieggekrönten
Arbeit ruhend, nachdem sie jubelnd im feurigen Weine, der nach dem
Kampfe ausgetheilt wurde, auf das Wohl ihres Königs und des angebeteten
Feldherrn getrunken. Schmerzlich bewegt zog ich von dannen; ich
beneidete die Braven, welche ich verließ, überzeugt, daß Großes ihrem
Muthe vorbehalten sei. Unterweges traf ich viele Officiere und kleine
Truppenabtheilungen, die ihnen sich anzuschließen eilten, so wie ein
starkes Detachement Sappeurs, welches von Cañete herab zum Heere
beordert war.

Nachdem ich wieder einige Tage bei dem wackern Arévalo zugebracht
hatte, reisete ich über Vejis, Linares und Mosqueruela langsam
nach Morella, von wo aus ich nach Catalonien abzureisen gedachte.
Überall zeigten die Gebirge, welche ich zu übersteigen hatte, der
wahre, ein mächtiges Hochplateau bildende Knoten der wilden Sierras
von Unter-Aragon, jene Schroffheit und Unzugänglichkeit, welche im
Königreiche Valencia mich frappirt hatten. Die Thäler aber waren nicht
mehr so lieblich und so reich bebaut, wie dort; auch sie trugen das
Gepräge der Ungastlichkeit und Rauheit, so wie die Wohnungen sich nicht
durch jene Sauberkeit auszeichneten, mit der der Valencianer auch die
Hütte anziehend zu machen weiß.

Dagegen ward ich überall wahrhaft herzlich willkommen geheißen und
mit tausend Fragen über die Armee und ihre letzten Siege bestürmt,
die gewöhnlich mit einem enthusiastischem viva Don Ramon! geschlossen
wurden. Diese Bergbewohner hatten in der That seit dem Beginn des
Krieges sich stets als echte Carlisten bewährt und standen daher
hoch in der Gunst Cabrera’s, dessen sie sehr wohl sich erinnerten,
wie er als Abanderado in dem Corps von Carnicer im Studentenrock und
ein buntes Tuch turbanartig um den Kopf gewickelt[90] die Sierra’s
durchstrich, oft nur durch die Ergebenheit der Landleute von den
verfolgenden Streifparthieen der Negros gerettet.

Schon jetzt war in diesen Gebirgen, deren Bewohner, auf den Bau von
Roggen und Kartoffeln beschränkt, durch Gewerbthätigkeit das Fehlende
sich ersetzen, die Luft rauh und herbe geworden, und wiewohl am Mittage
die belebende Wärme der Sonne in sengende Hitze überging, waren doch
die Nächte schauerlich frisch, und schneidende Kälte begleitete die
Winde von den mit Schnee bedeckten Höhen herab. So näherten wir uns
gern den mächtigen Feuern, welche in allen Häusern einladend vom Heerde
uns entgegen leuchteten, da hier im Gegensatz zu den nackten Hochrücken
von Valencia das Gebirge mit reichen Fichtenwaldungen bedeckt ist.

Gegen das Ende September’s langte ich in Morella an, dessen Castell von
seinem Felsblocke herab weit umher über die niederen Berge hin sichtbar
war. Ich bewunderte die feste Lage der Stadt, wie sie hoch über die
Thäler erhaben um den Fuß des schützenden Felsens malerisch sich
gruppirt, und ich bewunderte die Bravour der Christinos, welche trotz
so vieler von der Natur ihnen entgegengesetzten Schwierigkeiten bis
zum Fuße der Bresche stürmend vordringen konnten. Aber Staunen ergriff
mich, als ich den ungeheuren Felskegel vor mir aufgethürmt sah, auf
dessen Gipfel das Castell wie durch Zaubermacht hingepflanzt scheint;
als ich die senkrechte Wand betrachtete, wo die braven Castilianer
furchtlos sie erstiegen! Unmöglich scheint es, daß Menschen solches
Unternehmen im Geiste auffaßten, unmöglich, daß Menschen sich fanden,
die nicht vor der Ausführung schaudernd zurückbebten. Dort auf dem
schmalen, abschüssigen Absatze in furchtbar schwindelnder Höhe faßten
die Stürmenden Fuß, dort, über dem Abgrunde schwebend, setzten sie die
gebrechlichen Leitern an zur Erklimmung der noch eben so hoch über
ihnen senkrecht aufsteigenden Felsenmasse!?

Noch ward ich durch Rücksicht auf einige Officiere, die nach Catalonien
mich begleiten wollten, in Morella und dem nahen Orcajo festgehalten,
als am 6. October Cabrera dort ankam, finster die Stirn umwölkt,
während schwankende Gerüchte verkündeten, daß Espartero mit zahlreichen
Heerhaufen in Zaragoza stehe. Nachdem er O’Donnell, der zur Beobachtung
von Valencia über Teruel nach Castilien sich richtete, durch gewandte
Demonstrationen getäuscht und zurückgedrückt hatte, war der General
mit zwölf Bataillonen und neun Escadronen nebst sechs Geschützen über
Beteta nach Guadalajara aufgebrochen, wo keine feindliche Colonne mehr
existirte, die seinem Vormarsch auf Madrid sich hätte widersetzen
können. O’Donnell aber befand sich weit entfernt im Königreiche
Valencia, während Forcadell und Arévalo mit neun Bataillonen und
vier Escadronen in Cañete und dem Turia zurückgelassen waren, um das
feindliche Heer zu beobachten und den Rücken des vordringenden Corps zu
sichern.

In stolzer Zuversicht durchzogen die Colonnen das fruchtbare Hügelland
Castilien’s; schon jubelten die Freiwilligen, nur noch zwölf Leguas von
der Hauptstadt entfernt, des nahen, herrlichen Triumphes gewiß[91] --
da ordnete Cabrera den Rückzug an und führte die erstaunten Truppen
in Eilmärschen nach Aragon zurück. Er hatte die Nachricht von dem
schmählichen Verkaufe von Bergara und dem Übertritt Carls V.
nach Frankreich erhalten.

Espartero war in Zaragoza angekommen, um mit O’Donnell vereint die
Armee Cabrera’s zu erdrücken, der sich schon durch den Letzteren von
dem ganz vertheidigungslosen Hochgebirge abgeschnitten sah, welches
die Grundlage und den Kern seiner Macht bildete. Bei seiner Annäherung
zog sich jedoch der feindliche Feldherr ehrerbietig in die Festungen
zurück, ohne den Rückmarsch zu stören. Cabrera eilte, zum Todeskampfe
sich vorzubereiten.

  [85] Denn die ganze Stärke der Armee des Centrum mit Garnisonen
       u. s. w. war etwa 60000 Mann.

  [86] O’Donnell wollte überall durch Massen siegen, den kleinen Krieg
       gar nicht kennend. So erreichte er zwar augenblicklich sein
       Ziel, aber stets mit so ungeheurem Verluste, daß jeder Vortheil
       dadurch einer Niederlage gleich wurde.

  [87] Die beiderseitigen Vorposten pflegten sich zu unterhalten, oft
       auch sich zu höhnen und zu schimpfen. Da nun die Carlisten
       ihre Gegner fortwährend verspotteten, daß sie durch so wenige
       Bataillone zurückgehalten würden, ward endlich der feindliche
       Führer durch die immer wiederholten und immer gleichlautenden
       Nachrichten von seinem Irrthum überzeugt.

  [88] Die Truppen waren nie zufriedener, als wenn gegen einen von
       diesen Blutsaugern, die sie redlich haßten, solche rasche Justiz
       geübt wurde.

  [89] Übrigens ließ er sie gar nicht zur Übergabe auffordern. Auch
       geschah das sehr selten in Spanien, indem der Bedrängte stets
       die ersten Schritte thun mußte.

  [90] Die Kopfbedeckung der Guerrillas in Aragon und Catalonien
       bestand ursprünglich in diesem bunten Tuche, bis sie das Barett
       der Basken adoptirten.

  [91] Ich will nicht deshalb behaupten, daß Madrid in jenem
       Augenblicke den Carlisten in die Hände gefallen wäre. Man darf
       vielmehr aus vielfachen Äußerungen abnehmen, daß es Cabrera’s
       Absicht war, Schritt vor Schritt Castilien zu erobern und
       durch angelegte Festungen -- wie Cañete, Beteta -- in ihm sich
       festzusetzen, bis er, wie er selbst sich ausdrückte, eine
       Kette von Forts errichtet hätte, deren letztes in die Fenster
       Maria Christina’s hineinschauen und auf immer den Trotz des
       revolutionairen Pöbels der Hauptstadt brechen sollte. --
       Aber sehr, sehr nahe war die Zeit des Triumphes, wenn nicht
       Espartero’s Ankunft die Lage der Dinge so ganz umkehrte.



XXVIII.


Seht Ihr jene Schaaren, die in nicht endendem Zuge die fruchtbaren
Gefilde von Nieder-Aragon durchschreiten, stolz die Stirn erhebend, als
ob sie so eben ruhmwürdige Thaten vollbracht hätten? Drohend ziehen sie
einher in kriegerischer Haltung, hochmüthig prahlen sie mit ihrer Zahl,
wie in diesem Kriege die zitternden Bürger sie noch nicht vereinigt
sahen. Tausende funkelnder Reiter begleiten die weit ausgedehnten
Colonnen der Infanterie, und in ihrem Gefolge schleppen sie die
Verderben speienden Maschinen, bestimmt, die hohen Mauern und Wälle
niederzuschmettern und Tod und Verwüstung in die Reihen des Feindes,
wie in die Wohnungen des friedlichen Bürgers zu tragen.

Ha, wie sie jubeln, die Tausende! Wie sie rüstig daherziehen, als
gingen sie, ein lärmendes Freudenfest zu feiern! -- Und doch, sind
nicht unter ihnen eben die, welche zwei Jahre früher in diesen Feldern
zitternd entflohen oder, Gnade erflehend, der kühnen, siegreichen
Schaar sich gefangen gaben, die unter ihres Königs Führung von ihrer
Bergveste hinabstieg, bis zu den Thoren von Madrid den Schrecken
ihres Namens zu tragen? Sind sie nicht dieselben, welche so lange
umsonst die braven Basken niederzudrücken suchten, dieselben, deren
ruchloses Wuthgeheul so oft verstummte vor dem loyalen Kriegsrufe der
gefürchteten Söhne des Gebirges, gegen deren Racheschwerdt sie hinter
den Wällen ihrer Festungen schimpflichen Schutz suchten?!

Sie sind es -- -- aber, wehe! jener begeisternde Schlachtenschrei der
Treue erschallt nicht mehr; nicht eilen, wie in jenen glorreichen
Tagen, die Krieger Carls V. herbei, den Triumphmarsch des Heeres
der Revolution zu hemmen. Unaufgehalten, unangefochten zieht es
über die offene Ebene den Gebirgen zu, denen, fern stufenförmig über
einander gethürmt, die Vertheidiger Isabella’s so lange nur mit Zagen
naheten; und übermüthig verkündet es, daß schon der Krieg, der seit
sechs Jahren das schöne Königreich verwüstete, auf immer beendigt sei,
daß der kleine Haufen, der noch in jenen Bergen für die Vertheidigung
seines rechtmäßigen Königs die Waffen führt, bei ihrem Anblick flehend
sich unterwerfen oder sofort unter der Übermacht zermalmt werde.

Die Bataillone, welche bisher diesen Massen entgegenstanden und sie
fesselten, existiren nicht mehr. Die Männer, welche, die Waffen in der
Hand, ihre Gebirge gegen alle Anstrengungen der mächtigen Usurpatorinn
vertheidigten, unterwarfen sich, verkauft von dem General, den sie mit
hoffnungsvollem Enthusiasmus an ihrer Spitze sahen, dem verachteten
Feinde, oder sie mußten mit dem Herrscher, für den ihr Blut geflossen,
im fremden Lande unwillig gewährten Schutz suchen.

Maroto hatte sein Werk vollbracht. Nachdem er die Generale, deren
Ergebenheit er fürchtete, meuchlings hingemetzelt, nachdem er den Geist
der Truppen durch fortwährendes Weichen ohne Gefecht, durch Aufgeben
aller Vortheile und weiter Landstrecken geschwächt und ihre Zuversicht,
wie die der Einwohner, untergraben hatte, krönte der treulose Feldherr
seine Schande, da er am 29. August 1839 den Kern der ihm anvertrauten
Armee dem Feinde in die Hände spielte. Die Umarmung von Bergara, wie
Christina’s Liberale den Act der Überlieferung nannten, zeigte den
erstaunten Völkern das Schauspiel eines Generals, der, von seinem
Könige mit dem höchsten Vertrauen, ja mit fast königlicher Macht
geehrt, diese Macht und dieses Vertrauen benutzte, um seinen Herrscher,
seinen Wohlthäter den empörten Unterthanen desselben zu verrathen und
aus dem angestammten Reiche ihn zu vertreiben.

Es ist nicht zu verwundern, daß Carl V. unfähig, solche Niedrigkeit
zu ahnen, bis zum letzten Augenblicke das künstlich um ihn geworfene
Gewebe nicht durchschaut, und daß er dann, als zu spät die Wahrheit ihm
klar ward, die Besonnenheit verlor und zagend floh, wo entschlossene
Maßregeln und Energie die Schandthat zwar nicht mehr verhüten, aber
doch ihre Wirkungen schwächen und sie weniger entscheidend machen
konnten. Anstatt, da er nicht mehr auf dem bisherigen Kriegstheater
sich halten konnte, an der Spitze der ihm gebliebenen, stets
entschieden treuen Bataillone zur Vereinigung mit den Armeen sich
durchzuschlagen, welche in Catalonien und Aragon für ihn kämpften, ließ
der König nach der Gränze von Frankreich sie zusammendrängen und zog
sich endlich mit ihnen in dieses Königreich zurück.

Nach so bitterer Täuschung an Allem verzweifelnd bewog ihn sein immer
gleich milder und christlicher Charakter, ferneres Blutvergießen zu
vermeiden. Ich wiederhole mit tiefem Schmerze: die Eigenschaften
Carls V. hätten ihn zum großen, Segen spendenden Monarchen gemacht,
wenn ihm gegeben wäre, in ruhigerer Zeit friedlich sein Volk zu
regieren. Das Schicksal wies ihm einen Platz an, der eiserne Brust und
eisernen Willen erforderte.

Doch betrachten wir näher die Ereignisse, welche die Herrschaft
der Carlisten in den baskischen Provinzen vernichteten und ihre
Hoffnungen, die so schön erblüheten, auf immer brachen, da durch sie
auch die Anstrengungen der Braven unnütz gemacht wurden, die im Osten
Spaniens so erfolgreich für die Rechte ihres Königs stritten und zur
Vollendung des von den Basken Begonnenen bestimmt schienen. Schwer wird
es mir wahrlich, meine Blicke auf jene Zeit des Verbrechens und des
Unterganges zu heften und mit Ruhe zu detailliren, wie der erkaufte
Feldherr den Verrath vorbereitete und ausführte.

Jeder edel Denkende aber, welcher politischen Meinung er auch sei,
mag er nun Carl V. als dem rechtmäßigen Souverain Spaniens oder den
Anhängern der Tochter Ferdinand’s, wähnend, daß sie nicht bloß dem
Namen nach Liberale seien, Erfolg gewünscht haben; er wird mit Abscheu
auf den Mann sehen, den keine Verpflichtung zu binden vermochte, für
den Treue und Dankbarkeit und Ehre bedeutungslose Worte waren, da
allein niedrigste Selbstsucht ihn beherrschte und seine Handlungsweise
bestimmte.

       *       *       *       *       *

Maroto hatte während des Monates Mai die in der Provinz Santander
und auf der Gränze von Vizcaya errichteten Forts dem christinoschen
Heere übergeben, dann ohne zu schlagen die westliche Hälfte von
Vizcaya geräumt und selbst in der Hauptstadt Orduña[92] den Feind
sich festsetzen lassen. So schwächte er den Muth und die Zuversicht
des Heeres und vor Allem des Volkes, welches den gehaßten Feind das
Land überschwemmen sah, ohne daß die Truppen den geringsten Widerstand
entgegengesetzt hätten; mit der Zuversicht aber schwand der frühere
Enthusiasmus, wie der Wunsch nach Beendigung des immer drohender sich
gestaltenden Krieges und nach Abhülfe der gehäuften Leiden täglich
glühender wurde.

Da er diesen ersten Zweck erreicht hatte, glaubte er seine Pläne
schon etwas bestimmter hervortreten lassen zu dürfen. Es galt, die
Menschen nach und nach an den Gedanken des Beschlossenen zu gewöhnen.
Bald sprach man öffentlich in den Provinzen von Unterhandlungen und
Transactionen, und die Chefs, welche mit Maroto im Complott waren
und denen er hauptsächlich in Vizcaya und Guipuzcoa alle wichtigeren
Stellen hatte geben können, thaten, wie Viel sie vermochten, um ihre
Untergebenen für diese Gerüchte empfänglich zu stimmen. Doch wie wenig
klare Ideen die Masse über das Vorhaben ihrer Chefs sich machte, geht
daraus hervor, daß bis zum letzten Augenblicke bald von der Heirath des
Prinzen von Asturias mit der Infantinn Isabella, bald von dem Rückzuge
des Königs nach Frankreich und dem Anerkennen der Fueros durch die
Madrider Regierung gesprochen wurde, während noch öfter behauptet ward,
Espartero wolle mit der carlistischen Armee sich vereinigen, um mit ihr
gegen Madrid zu ziehen.

Mißtrauen und Unruhe nahmen indessen, da die Armeen bei so prekärer
Lage wieder einige Monate ganz unthätig sich betrachteten, natürlich
mehr und mehr überhand, und die navarresischen Bataillone, deren
erprobte Anführer ja von Maroto hingemordet waren, geriethen in
immer größere Gährung gegen diesen General. Am 9. August brach die
Unzufriedenheit in offenen Aufstand aus, indem das 5. Bataillon, nahe
der Gränze postirt, den Ruf erhob: „Nieder mit Maroto; es lebe Carl V.
+frei+!“ Ihm schlossen sich mehrere andere, endlich fast alle
Bataillone von Navarra an.

Jener Augenblick war der entscheidende. Hätte der König, dem gewiß
schon von den Unterhandlungen, wenn auch nicht ihrer ganzen Ausdehnung
nach, Kunde geworden war, an die Spitze der Navarresen sich stellen,
dadurch ihre Erhebung sanctioniren und mit ihnen gegen den treulosen
General sich wenden können, so würden die übrigen Truppen in der zu
treffenden Wahl zwischen ihrem Herrscher und dem Verräther nicht
geschwankt haben. Aber Carl V. war in der That nicht mehr König,
nicht mehr frei; wohl hatten die Navarresen richtig seine Lage
beurtheilt. Selbst als die +Gemäßigten+, von denen er umringt war,
zu einer Zusammenkunft mit den Häuptern der Aufgestandenen ihn gehen
ließen, damit er zur Unterwerfung sie berede, mußte er als Pfand der
Rückkehr die Königinn in ihren Händen lassen. Maroto aber stellte,
die Fortschritte der Royalisten zu hemmen, sofort die am meisten ihm
ergebenen Truppen ihnen entgegen.

So hatte dieser Versuch der treuen Bataillone, die Allmacht des
Generales zu brechen und ihren König dem drohenden Geschick zu
entreißen, keine andere Folgen, als daß der Verräther sein Werk nun
nicht in so großem Maßstabe ausführen konnte, wie er beabsichtigte, ehe
die Navarresen seinem Einfluß sich entzogen.

Eben dieser theilweise Aufstand zeigte aber Maroto, daß er nicht länger
zögern dürfe; er mußte fürchten, daß auch die Truppen der andern
Provinzen, seine Absichten durchschauend und durch das Beispiel ihrer
Cameraden aufgeregt, gegen ihn sich erklärten. Am 12. August verließ
Espartero mit 20000 Mann und einem starken Artillerie-Train Vitoria
und drang alsbald in Vizcaya vorwärts, Maroto wich fortwährend zurück,
nur selten in ein Scharmützel sich einlassend. So besetzte Espartero,
auf der großen Heerstraße vorgehend, am 22. selbst Durango ohne Kampf.
Die Uneinigkeit und Verwirrung im carlistischen Heere stieg auf den
höchsten Grad: schon waren Niemandem die Unterhandlungen der beiden
Oberfeldherrn verborgen, und englische und französische Agenten eilten
fortwährend von dem einen Hauptquartier zum andern. Espartero zog auch
in Bergara ein.

Am 25. August hielt der König Revue über die dem Feinde
gegenüberstehenden Divisionen, wobei das Bestehen und die Ausdehnung
der Verschwörung ganz unzweifelhaft wurde, da mehrere Anführer schon
ihrem Herrscher zu trotzen wagten, während dem General die ~vivas~
gebracht wurden, welche dem Könige versagt blieben. Nach der Revue
wohnte dieser einem Kriegsrathe der vorzüglichsten Generale bei. Da
legte Maroto, hart befragt, endlich die Maske ab; er gestand die
Übereinkunft mit dem feindlichen Chef und legte die Bedingungen
vor, welche ihm bewilligt waren. Die Sitzung wurde stürmisch. Die
Verbündeten Maroto’s stimmten für ihn und stellten ferneren Krieg als
hoffnungslos dar, die wenigen dem Könige Getreuen erklärten laut jene
Unterhandlung für Hochverrath. Gänzlicher Bruch war die Folge.

Noch hätte rasches, energisches Handeln Vieles retten können, da
die Armee keinesweges unbedingt den Verräthern gehörte; sie würde
gewiß zu ihrer Pflicht zurückgekehrt sein, wenn Maroto und mit ihm
die hauptsächlichsten Verschworenen, so wie sie offen ihr Verbrechen
anerkannten und ihren König insultirten, augenblicklich ergriffen und
vor der Front der Divisionen füsilirt wären. -- Aber Carl V., nicht
mehr wissend, wem er vertrauen durfte, wen er als Feind und Rebellen
betrachten mußte, anstatt kraftvoll aufzutreten, schwang sich auf’s
Pferd und schlug, von Wenigen begleitet, den Weg nach Navarra ein, den
Truppen ein schmerzliches: „Kinder, wir sind verkauft!“ zurufend.

Maroto dagegen führte das Heer den Positionen des Feindes zu und
stellte sich zwei Stunden von ihm entfernt auf, er hatte in den
folgenden Tagen mehrere Zusammenkünfte mit Espartero, in denen endlich
Alles angeordnet und festgestellt wurde. Am 29. August führte er,
begleitet von den Generalen Urbiztondo, Cabañero, Simon de la Torre,
Luqui und seinem glänzenden Stabe, zwei und zwanzig Bataillone -- die
Divisionen von Guipuzcoa und Vizcaya und fünf Bataillone von Castilien
-- nebst einer Schwadron und einer Batterie nach Bergara, wo das Heer
der Christinos, in Schlachtordnung aufgestellt, sie erwartete. Ihm
gegenüber rangirte sich das carlistische Corps. Die Castilianer wußten
noch nicht den wahren Zweck der Vereinigung, aber die Feinde hatten
alle nahen Höhenpunkte besetzt, so daß die Rückkehr schon unmöglich
gemacht war.

Die beiden Generale umarmten sich vor der Front der Armeen, worauf
Maroto eine Anrede an die Christinos hielt, während Espartero zu den
bisherigen Carlisten sprach, die endliche Aussöhnung preisend und die
Segnungen des Friedens, der nun das so lange verwüstete Land beglücken
werde. Dann wurden die Gewehre zusammengesetzt, die Soldaten, dem
Beispiele ihrer Anführer folgend, umarmten sich und begrüßten sich als
Brüder, um endlich vermischt die Erfrischungen einzunehmen, welche
zur Feier des Tages herbeigeschafft waren. -- So hatte Maroto seinen
Verrath vollbracht!

Nach dem Vertrage, der für die Provinzen Vizcaya und Guipuzcoa allein
abgeschlossen war, da die Truppen der andern Provinzen sich nicht
unterworfen hatten, sollten sie die Herrschaft Christina’s anerkennen,
wogegen ihre Privilegien aufrecht erhalten würden. Den Officieren der
überlieferten Divisionen wurden ihre Grade und Decorationen bestätigt,
und die Verwundeten bekamen Pensionen, die Truppen aber sollten die
Waffen niederlegen und in die Heimath sich zurückziehen, wenn sie nicht
etwa vorzögen, in die christinosche Armee überzutreten. Diejenigen
Officiere, welche Spanien verlassen wollten, bekamen viermonatlichen
Sold ausgezahlt. Sehr Viele, welche getäuscht oder durch Gewalt nach
Bergara hingezogen waren, verlangten sofort den Paß nach Frankreich.

Später sah ich mehrere Officiere und Soldaten der Bataillone von
Castilien, die so schmählich in diese Umarmung sich verwickelt
sahen und die erste Gelegenheit benutzten, um zu entfliehen und den
Heeren von Catalonien und Aragon sich anzuschließen. Die Gefühle der
Verkauften wage ich nicht zu schildern. Die Basken freilich, denen ja
stets ihre Provinzialrechte Hauptmotiv und Hauptziel des Krieges waren,
beruhigten sich bald, da die Bewahrung derselben ihnen zugesichert war,
und hingerissen, wie der Soldat so leicht es ist, durch den Einfluß
der Chefs, denen zu gehorchen sie so lange gewohnt waren. Aber die
Castilianer, sie, die kein eigennütziges Streben, kein individuelles
Interesse in die Reihen der Carlisten führte, wahrhafte Royalisten und
entschieden für die Sache, deren Vertheidigung sie sich gewidmet hatten
-- die Castilianer wurden vom wilden Zorn ergriffen, da sie so den
Liberalen sich übergeben, selbst zu Verräthern sich gestempelt sahen.

Doch sie wurden strenge bewacht, und während die Basken sofort zu
friedlicheren Beschäftigungen entlassen wurden, sandte Espartero diese
Getäuschten mit Bedeckung nach Vitoria und von dort in das Innere des
Königreichs. Auf dem Marsche wurden Viele erschossen, unter ihnen
einige Officiere, da sie auf dem Versuche zur Flucht ergriffen waren;
die Übrigen wurden in Depots vertheilt, um erst später entlassen zu
werden, ja Manche, die ihren Unwillen laut an den Tag gelegt hatten,
ließ das Gouvernement nach den amerikanischen Colonien und den
Philippinen einschiffen.

Dennoch gelang es einigen Hunderten der Verkauften, während des Winters
durch die Gebirge Castilien’s bis nach Aragon zu dringen, wo sie
kräftig mitfochten in dem letzten Todeskampfe gegen die Übermacht der
revolutionairen Schaaren.

       *       *       *       *       *

Espartero besetzte nach dem Vertrage von Bergara den Rest von Vizcaya
und das ganze Guipuzcoa, dessen Bewohner mit Erstaunen, aber ohne sich
zu bewegen, in ihrer Mitte die Truppen erblickten, welche seit Jahren
nicht mehr jene reichen Thäler zu betreten gewagt hatten. Er wandte
sich dann rasch nach Navarra, durch energisches Handeln den Schrecken
benutzend, den die Überraschung im ersten Augenblick hervorrufen mußte.

Der König stand noch immer an der Spitze von 14000 bis 15000 Mann;
alle Bataillone von Navarra und von Alava, das 5. von Castilien und
1. von Cantabrien waren, nebst sieben Escadronen und der ausgewählten
königlichen Bedeckung ihrer Pflicht getreu geblieben. Wohl hätte mit
solcher Macht Viel ausgerichtet werden können, wenigstens wäre es gewiß
leicht gewesen, Catalonien mit ihr zu erreichen: selbst die große
Expedition, mit der Carl V. im Jahre 1837 bis an die Thore von Madrid
gelangte, war nicht so stark, als sie von den Nordprovinzen auszog.

Und doch, wer möchte dem verrathenen Monarchen vorwerfen, daß er,
entmuthigt und niedergebeugt durch das Geschehene, nicht sofort die zu
dem kühnen Schritte nöthige Entschlossenheit fand! Auch konnte wohl
die bekannte Abneigung der Navarresen, außerhalb ihrer vaterländischen
Provinz zu kämpfen,[93] Zweifel erregen; und nach dem geringsten
Zaudern war es zu spät, da schon die carlistische Armee ganz umringt
und nach Norden hin zusammengedrängt war. Die Stellung von Lecumberry,
in Gefahr, umgangen zu werden, da die feindlichen Colonnen zugleich
von Guipuzcoa und unter General Rivero aus dem östlichen Navarra
vordrangen, wurde verlassen, und die Bataillone, nun unter Eguia’s
Commando gestellt, zogen sich in das Bastan-Thal zurück. Espartero, der
am 9. September gegen jene Position aufgebrochen war, drang rasch über
das Ulzama-Thal nach. Schon entflohen viele Non-Combattanten über die
französische Gränze.

Auf dem Fuße von den Massen der Christinos verfolgt, zog sich der König
von Elisondo nach Urdax, unmittelbar neben der Gränze; er konnte sich
noch nicht entschließen, sein Königreich zu verlassen, um im fremden
Lande eine zweideutige Zufluchtsstätte zu suchen. Doch immer näher kam
von allen Seiten der Schall des Feuers. Vier starke Divisionen griffen
rings die Stellungen der Carlisten an, welche die Pässe des Gebirges zu
behaupten suchten; Fuß vor Fuß wichen sie fechtend vor der Übermacht,
wobei ein Bataillon umzingelt und fast ganz aufgerieben wurde. Die
feindlichen Schaaren standen, die nahen Höhen krönend, im Angesicht der
Gränze.

So war am Nachmittage des 14. Septembers fernerer Verzug nicht mehr
möglich. Carl V. betrat, ein Flüchtling, das französische Gebiet,
nachdem er sechs Jahre lang mit männlicher Standhaftigkeit jeder
Strapatze getrotzt und den tausendfach gehäuften Mühen und Sorgen im
Kampfe um den Thron seiner Vorfahren heldenmüthig sich unterzogen
hatte. 2000 Mann, welche ihm unmittelbar folgten, wurden bis zu dem
Augenblicke des Übertrittes von den Kugeln der Christinos decimirt.
Den König begleitete seine erhabene Gemahlinn nebst dem Prinzen von
Asturias und dem Infanten Don Sebastian. Die Behandlung, welche die
französische Regierung dem unglücklichen Fürsten zu Theil werden ließ,
ist allgemein bekannt und gewürdigt.

Mehrere Generale und Minister waren dem Könige schon vorangegangen,
viele andere folgten sogleich, unter ihnen Graf Casa Eguia, General
Sylvestre, Chef des Genie-Corps, der Kriegsminister Montenegro,
Don Basilio Garcia, vor kurzem erst nach Spanien zurückgekehrt,
Villareal, Gomez, Zariategui, der greise Pfarrer Merino und Andere,
die das Exil der Unterwerfung unter das Joch der Usurpation vorzogen.
Sofort betraten auch sechs Bataillone von Alava mit einer Escadron,
das Bataillon von Cantabrien, einige navarresische Compagnien und
die königliche Garde unter den Generalen Elío und Grafen Negri das
fremde Gebiet; ihnen folgten in den nächsten Tagen alle Bataillone und
Escadrone von Navarra, unfähig sich länger zu halten.

Estella und die übrigen Forts in Navarra ergaben sich bald, und vor dem
Ende des Monats war mit der Einnahme des schönen Castells von Guevara
in Alava, welches sofort gesprengt wurde, der Krieg in den baskischen
Provinzen gänzlich beendigt.

Doch noch hatten die Carlisten einen herben Verlust zu beklagen, einen
Verlust, der noch schmerzlicher wurde, weil er zu mancher Mißdeutung
Veranlassung gab: der ehrwürdige Moreno, er, der so oft an der Spitze
der Armee gekämpft und zu so manchem glorreichen Siege sie geführt
hatte, ward von seinen eigenen Soldaten ermordet, da er Spanien zu
verlassen im Begriff war. Auch die regelmäßigsten und am höchsten
geachteten Heere verloren die frühere Kriegszucht, wenn furchtbares
Unglück über sie hereinbrach. So ist es nicht zu bewundern, daß die
Navarresen, ehe sie nach Frankreich übergingen, der Straflosigkeit
gewiß, zu manchen Ausschweifungen und Verbrechen sich hinreißen ließen;
und sie sind ganz besonders in diesem Abschütteln der gewohnten Bande
zu entschuldigen, da ja der Umsturz aller ihrer Hoffnungen und der
Werke ihrer schweren Blutarbeit durch die eigenen gepriesenen Anführer
herbeigeführt war und sie also wohl Grund hatten, mit Mißtrauen gegen
ihre Vorgesetzten zu verfahren.

Noch entschlossen, im Vaterlande sich zu vertheidigen, sahen sie in
einem Jeden, der nach der Gränze floh, einen Verräther, welcher in
der Fremde sich zu sichern suche. Mit andern Unglücklichen fiel der
untadelhaft treue General Moreno ein Opfer dieser Wuth; die Navarresen
tödteten ihn mit dem Geschrei: „Nieder mit den Verräthern!“

So war der langwierige Kampf der Basken gegen die Macht des
liberalisirten Spanien beendet; das kühne Bergvölkchen hatte mit
Aufopferung seines Königs sein Hauptziel erreicht, seine Privilegien
waren bestätigt, so fern die Versprechungen der Regierung Isabella’s
als Bestätigung gelten konnten. Und beurtheilen wir die Basken nicht
zu hart! Bedenken wir, wie sie von ihren Chefs hingerissen und geführt
wurden, und wie Volk und Soldat ja so oft, anstatt selbst zu urtheilen,
durch diejenigen sich leiten lassen, welchen sie gewohnt sind mit
Ehrfurcht und Gehorsam zu folgen; bedenken wir auch, daß die Basken
wehrlos den Massen der Christinos sich hingegeben sahen, als schon
ihre Kraft nach dem langen, blutigen Ringen erschöpft war.

Das Benehmen aber der Alavesen und Navarresen bis zum letzten
Augenblicke zeigt wohl hinlänglich, daß das Heer und das Volk, wo es
treue Anführer an seiner Spitze sah, bereit war, Alles für seinen
Herrscher zu opfern.

Aber Schande, ewige Schande dem Mann, der sich nicht scheute, zum
Verrathe die erhabene Stellung und die Macht zu mißbrauchen, welche
das unbeschränkte Vertrauen seines Monarchen ihm schenkte; der um des
schnöden Goldes willen Gefährten, Vaterland und König verkaufen konnte!
Die Rache wird ihn zu ereilen wissen. -- Und Schande den Elenden, die
wissend und willig zur Ausführung der ehrlosen That ihre Hand liehen!

Die Regierung der unmündigen Isabella würdigte den unschätzbaren
Dienst, welchen Maroto ihr geleistet hatte, und sie stand nicht an,
öffentlich ihn dafür zu belohnen. Der abtrünnige General ward in den
Grafenstand[94] erhoben und zum Präsidenten des höchsten Kriegsrathes
ernannt; er prunkte seitdem in Madrid mit den Millionen, die jener
Handel ihm eingebracht hatte. Auch seine Helfershelfer, Cabañero,
Urbiztondo, la Torre und die Führer der vizcaischen, guipuzcoanischen
und castilianischen Truppen, wurden reich abgelohnt.

Espartero aber, da nun seine Gegenwart im Norden Spaniens überflüssig
ward, beeilte sich, indem er die Provinzen stark besetzt ließ und
zugleich ganz sie entwaffnete, mit 45000 Mann nach Unter-Aragon
aufzubrechen; auch detachirte er eine starke Division nach Catalonien
zur Hülfe des Baron de Meer, der dort schwer gedrängt wurde. Er
hoffte, daß sein gefürchteter Name und der Anblick der Massen, die
er heranführte, hinreichen werde, um die kleine Schaar des Grafen
von Morella zu eiliger Unterwerfung zu bewegen. Wie hätte er auch
ahnen mögen, daß er Männer treffen könne, die seinen so oft erprobten
Künsten zu widerstehen wagten; Männer, die mit der Gewißheit des
Unterliegens und mit Bestechung und Verrath aus ihrer eigenen Mitte
angegriffen, vorzogen, ihrem Könige und ihrer Pflicht treu, bis zum
letzten Augenblick ehrenvoll zu kämpfen und mit den Waffen in der Hand
zu fallen, als daß sie den lockenden Verheißungen Gehör gegeben hätten,
durch die der Siegesherzog seine Siege zu erkaufen suchte!

  [92] Orduña ist die einzige ~ciudad~ und die alte Hauptstadt der
       Provinz, wiewohl oft die ~villa~ -- Stadt zweiter Classe --
       Bilbao außerhalb Spaniens falsch als solche bezeichnet wird.

  [93] Sie trat bei jeder Gelegenheit sehr markirt hervor. So wie der
       Navarrese Navarra verließ, ward er der schlechteste Soldat,
       unruhig, zu Aufstand und Unordnungen geneigt und stets
       unzufrieden, indem sein ewiger Refrain war: „Nach Navarra, nach
       Navarra!“

  [94] Als Graf Casa-Maroto.



XXIX.


Am 13. October verließ ich Morella, um den Marsch nach Catalonien
anzutreten, auf dem zwei Officiere mich begleiteten, die, in diesem
Fürstenthume geboren, in der Armee desselben ihre Dienste fortzusetzen
wünschten. Wiewohl bis dahin nur unbestimmte Nachrichten über die
Ereignisse in den baskischen Provinzen mich erreicht hatten, wußte ich
doch, daß Espartero mit seinen Divisionen schon in Zaragoza angelangt
sei, und daß er öffentlich erklärt hatte, noch vor dem Ende des Jahres
die Horden Cabrera’s zu Paaren treiben zu wollen. So, ich leugne es
nicht, schmerzte es mich tief, daß ich die Armee des Helden verlassen
sollte, für den in der kurzen Zeit, die ich in seiner Nähe mich befand,
die höchste Bewunderung sich mir aufgedrängt hatte; ich bereuete fast
als zu rasch den Schritt, der nun in so entscheidender Stunde, da Kampf
und Gefahr bevorstand, von den bedroheten Kriegsgefährten mich trennte,
die ich unter dem Feuer des Feindes achten und lieben gelernt hatte.
Wann ist der Soldat mehr in seinem Elemente, als da er gewiß ist, daß
bald das blutige Kriegsspiel in seiner wildesten Gestalt sich entfalten
wird? Und ich sollte, den Ebro passirend, gerade jetzt so süßer
Erwartung entsagen!

Doch ich beruhigte mich mit der Hoffnung, daß ja auch Catalonien’s Heer
nicht unthätig bleiben werde, und ich jubelte in dem Gedanken, mit
Truppen zu dienen, die, durch Organisation und Kriegszucht die ersten
Spanien’s, als regelmäßige Armee und echte Soldaten im europäischen
Sinne der Worte bezeichnet werden durften. Noch einen -- ich wähnte,
den letzten -- Scheideblick warf ich auf das mächtige Castell, das
trotzig Morella’s Veste überragt; dann zog ich dem Norden zu, so bald
wie möglich das Heer des Grafen von España zu erreichen.

So wie wir den schroffen Gebirgsknoten hinter uns ließen, bei dem die
Gränzen von Valencia, Aragon und Catalonien sich berühren, nahm das
Land einen milden Charakter an, der immer an Lieblichkeit zunahm, je
mehr wir zum Ebro hinabstiegen. Die Provinz blieb überall gebirgig,
aber die Ketten nahmen an Höhe und Rauhheit ab, befruchtende Bäche, die
bald in Flüßchen sich vereinigten, schlängelten sich zwischen ihnen
hin, und die Thäler wie die Rücken der Hügel waren mit Olivenbäumen
und Reben bedeckt, deren Früchte in lockender Reife prangten. Die
reinlichen Dörfer und Landhäuser, welche rings umher freundlich
winkten, zeigten an, daß wir stündlich weiter von dem Schmutze Aragon’s
uns entfernten; sie waren überall mit reichen Frucht- und Gemüsegärten
umgeben, und zahllose Feigenbäume, durch die Felder längs dem Wege
zerstreut, boten zum zweiten Male im Jahre ihre nährende Frucht dem
Wanderer.

Als wir endlich den das Ebro-Thal begränzenden Höhenzug erstiegen
hatten, staunten wir bewundernd bei dem Anblicke der herrlichen
Landschaft, die so ruhig und so reich vor uns sich ausbreitete, als
hätte ununterbrochener Friede hier wohlthuend gewaltet, ohne je seine
Gaben den Bewohnern dieses bevorzugten Landes zu entziehen. Ja, als
ich diese liebliche Scene überschaute, in welcher der Ebro, breit und
majestätisch, zwischen den Hügeln sanft hinglitt, die im Norden rasch
steigend an dunkele Gebirge fern sich anlehnten; als ich die zahllosen
Ortschaften im rosigen Scheine der Abendsonne so friedlich mit ihren
fruchtbaren Gefilden glänzen sah, wie sie dicht an einander gereihet
den Strom umkränzten -- da verfluchte ich die Leidenschaften, die, in
tausend Formen des Menschen Glück unterwühlend, auch in dieses Paradies
die Thränen und das Elend einführten, ihre steten Begleiterinnen. --
Die Ufer des Ebro wären wahrlich ein Paradies, wenn der Mensch nicht
sie bewohnte.

Am vierten Tage des Marsches erreichten wir Flix, nächst Mora de Ebro
der wichtigste Übergangspunkt über den Strom, welchen die carlistische
Armee inne hatte, und seit kurzem leicht befestigt, um es gegen einen
~coup de main~, besonders von der nahen Festung Mequinenza, zu sichern.
Für die Verbindung mit Catalonien waren jene Punkte natürlich von hoher
Wichtigkeit.

Wir waren genöthigt, in Flix zu rasten, da gerade eine feindliche
Division in unserer Marschlinie auf Berga, die Hauptstadt des
carlistischen Catalonien’s, sich befand und jede Communication
interceptirte. Erst am 19. October zeigte der Gouverneur, höchste
Vorsicht empfehlend, mir an, daß ich mit einiger Hoffnung auf Erfolg
die Reise antreten könne, und da ich den Abmarsch eines Detachements,
welches in wenigen Tagen aufbrechen sollte, nicht abwarten mochte,
passirte ich mit den beiden Gefährten und meinem Burschen noch an
demselben Tage den Fluß.

Als die Fähre langsam die spielenden Wellen durchschnitt, gedachte
ich der Zeit, da ich fast zwei Jahre früher den gewaltigen Strom
überschritt. Es war in den letzten Tagen des Jahres, und im Dunkel der
Winternacht mußten wir in die brausenden Fluthen uns stürzen; denn
das Wasser, nicht wie hier sanft und einladend, stürmte mit wildem
Toben einher und riß die durch seine grimme Kälte Erstarrten mit sich
fort zu schrecklichem Tode. Wie mancher brave Gefährte fand da zu
früh sein Grab! -- Und ich gedachte der Tage, die seitdem verflossen
waren, in denen so Vieles mich traf, Gutes wie Übel; ich durchlebte
wieder auf den Flügeln des Gedankens Leiden und Gefecht, das traurige
Schmerzenlager nach schwerer Verwundung, die gräßliche, hoffnungs- und
thatenlose Gefangenschaft, dann die Befreiung und wieder die Scenen des
Kampfes und des Sieges über die Gehaßten. Hatte ich nicht hundertfach
Grund, dem ewigen Erhalter innigen Dank zu spenden, da ich jetzt
sorglos auf den tanzenden Fluthen mich schaukelte!

Sorglos! -- Ha, wie so ganz anders gestalteten sich seit jener Zeit
die Verhältnisse und die Hoffnungen der erhabenen Sache, deren
Vertheidigung ich mein Schwerdt gewidmet hatte! Damals ja, duldeten
wir viel von der Elemente Wuth und den Fatiguen, unvermeidlich in so
schwierigem Unternehmen; damals umgaben uns rings Gefahren und Leiden,
und Tod drohete in mannichfacher Gestalt. Aber wir litten Alles freudig
und mit Enthusiasmus, wir jubelten bei dem Gedanken, den Krieg in
das Gebiet der stolzen Feinde zu tragen, und wir vertrauten, daß der
Erfolg, so viele Anstrengungen krönend, das ersehnte Glück uns bringen
werde, den Monarchen, für dessen Rechte wir fochten und duldeten,
siegreich auf seiner Vorfahren Thron zurückzuführen.

Jetzt war keine Hoffnung mehr für uns: das Heer, dem ich früher
angehörte, war vernichtet, der König mit seinen Getreuen in fremdes
Gebiet gedrängt, ein Gefangener. Die Massen der Feinde, die bisher
jenem Heer gegenüberstanden, zogen nun heran, mit vielfacher Übermacht
uns zu erdrücken; wir konnten nur noch streben zu unterliegen unserer
würdig, zu kämpfen, bis auch die Möglichkeit des Kampfes genommen sei,
und dann ... Schrecklicher Gedanke: dieser entsetzliche Wechsel ist das
Werk des Verrathes!

Aber eben dieser Gedanke, wie peinlich schmerzhaft er war, hatte
etwas Erhebendes, Befriedigendes. Unsere Schaaren, aus so schwachem,
so verachtetem Kern entsprossen, standen unbesiegt und drohend, die
zahllosen Söldlinge der Revolution vermochten Nichts gegen die Kämpen
der Loyalität; Bestechung und Verrath allein konnten uns besiegen. Da
war es glorreich, besiegt zu sein. -- Wie oft drängt sich das Gebet
jenes Helden uns auf: „Schütze mich, o Herr, vor meinen Freunden, vor
den Feinden werde ich selbst mich schützen!“

       *       *       *       *       *

Unser Marsch war gefährlich, da wir über dreißig Meilen weit von dem
eigentlichen Gebiete der catalonisch-carlistischen Armee entfernt
waren, während auf dieser ganzen Strecke nur dann Truppen sich
fanden, wenn die Communication zwischen den beiden Heeren sie dort
nöthig machte. Der Weg, dem wir zu folgen beschlossen, führte uns
fortwährend durch einen wilden Gebirgszug, in dessen schmalen und
scharf abgesetzten, aber fruchtbaren Quer-Thälern, welche wir sämmtlich
durchkreuzen mußten, unansehnliche Dörfer dicht neben einander lagen.
Zur Rechten und zur Linken ließen wir, oft nur eine halbe Stunde
entfernt, die Forts liegen, mit denen die Christinos, wie allenthalben,
das Terrain besäet hatten, welches sie das ihre nannten;[95] und
wiederholt verdankten wir den Warnungen der ganz royalistisch gesinnten
Bauern unsere Rettung von den kleinen Streifcorps, die unaufhörlich das
Gebirge durchschwärmten, um die Passage zu verhindern.

Es verdient bemerkt zu werden, daß in allen diesen Dörfern zwei
Behörden etablirt waren, eine christinosche und eine carlistische,
die, wie sie mit der einen Parthei oder mit der andern zu thun
hatten, abwechselnd ihre Functionen ausübten. Diese Einrichtung,
von den beiderseitigen Anführern stillschweigend anerkannt, hatte
für die Truppen sowohl, als für die Einwohner viele Vortheile und
Annehmlichkeiten. Doch entstand daraus für einzelne Reisende, wie wir
es waren, der gefährliche Umstand, daß die christinoschen Autoritäten
sofort den Feinden die Ankunft derselben pflichtgemäß melden mußten,
was sie jedoch, gleichfalls Carlisten, gewöhnlich bis nach dem
Abmarsche verschoben. Übrigens wurden die Behörden der einen Parthei
nie von den Truppen der andern belästigt.[96]

Nach manchen Gefahren und erschöpft durch mehrtägiges Marschiren
ohne Rast, da wir selbst in den abgelegensten Orten kaum die zur
Zubereitung der einfachen Speise nöthige Zeit bleiben durften, hatte
unsere Caravane, aus vier Menschen, eben so vielen Maulthieren und
einigen Guiden bestehend, in der Nacht die letzte feindliche Linie
überschritten, und am Morgen des dritten Tages leuchtete von einem
hohen Felsen die befestigte Hermite von Pinos uns entgegen, die uns als
carlistisches Fort bezeichnet war. Bald sahen wir einige Compagnien von
der Armee von Catalonien: ich bedauerte nicht länger, ihr angehören zu
sollen.

Nachdem wir im ersten Dorfe durch zwölfstündigen Schlaf uns
gestärkt hatten, langten wir am 23. October in Casserras an, wo der
commandirende General des Fürstenthumes, der gefürchtete Graf von
España, an demselben Tage angekommen war.

Catalonien ist eine der größten Provinzen der Monarchie und ohne
Zweifel die reichste: ihre Bewohner zeichnen sich eben so sehr durch
Thätigkeit und Industrie aus, wie die meisten übrigen Spanier und
besonders die Bewohner der wie Catalonien von der Natur begünstigten
Theile durch Trägheit und Indolenz. Dabei sind sie wilden, heftigen
Charakters, der in den niederen Ständen oft in Grausamkeit und
Blutdurst ausartet, stolz, standhaft, ja eigensinnig in den Ideen und
auch in den Vorurtheilen. Noch immer hängen sie mit Vorliebe, die in
jeder Hütte wie eine alte Sage vom Vater auf die Söhne übertragen wird,
an dem Hause Östreich, für das sie einst so hart gekämpft, so schwer
gelitten haben; noch immer hoffen sie, wieder den östreichischen Stamm
über sich herrschen zu sehen, und jeder ~Austriaco~ ist sicher, bis
in die fernsten Gebirge hin Wohlwollen und freundlichste Aufnahme zu
finden. Der Franzose aber, der verachtete ~Gavacho~, findet nur Haß und
nicht selten martervollen Tod.

Das Fürstenthum muß als aus zwei in mancher Hinsicht sehr
verschiedenartigen Theilen bestehend angesehen werden. Das Flach-
oder Küstenland, ganz hügelig, im Süden dem Ebro entlang und im Osten
längs dem Ufer des Meeres sich erstreckend, ist mit zahllosen Städten
bedeckt, die durch den Handel zu den reichsten der Halbinsel gemacht
sind. Dort blühen Manufakturen und Fabriken, die Wissenschaften sind in
hohem Schwunge, und das Land zeichnet sich aus durch das lieblichste
Klima, welches alle Arten Südfrüchte in Fülle hervorbringt. Dort
auch sind die festen Plätze der Provinz, dort herrschten stets die
Statthalter Christina’s, und die Einwohner, wie überall, wo der Handel
blühete, wenn nicht vorzugsweise der Herrschaft des Liberalismus
geneigt, waren doch gleichgültiger gegen das Streben der royalistischen
Parthei. Sie wollten Frieden, unter wem es auch sei.

Wenn man aber in die Gebirge sich vertieft, die von den Pyrenäen
wild verschlungen gen Süden sich hinziehen, den größten Theil des
Fürstenthumes bedeckend, nehmen alsbald Land und Bewohner einen
andern Charakter an. Die Luft wird rauh; anstatt der Weingärten und
Olivenhaine bedecken dichte Eichenwaldungen die Bergrücken und umgeben
Getreidefelder die zahlreichen Dörfer. Große Städte werden seltener und
fallen endlich ganz weg, wogegen kleinere Ortschaften und vor allen die
einzelnen Gehöfte zunehmen, welche überall durch die Thäler zerstreut
sind. Ackerbau und einige Viehzucht ist dort der einzige Erwerbszweig.

Alle Bauern sind sehr wohlhabend, da in Catalonien, der einzigen
Provinz Spanien’s, die Untheilbarkeit der Grundstücke gesetzlich ist.
Die jüngeren Söhne werden irgend eine andere Nahrungsquelle suchen --
daher wohl der Unternehmungsgeist der Catalonier, der so Viele außer
Landes treibt, -- wenn sie nicht, wie sehr oft, vorziehen, im Hause
des ältesten Bruders, des als Kind schon mit Ehrfurcht behandelten
~heréu~,[97] als Knechte zu bleiben.

Diese Gebirgsbewohner sind natürlich rauh, einfacher, biederer und
weniger gebildet als ihre Brüder von der Küste; sie sind sehr religiös,
und die Geistlichkeit hat noch vielen Einfluß über sie bewahrt, während
sie in den großen Seestädten nur Verachtung und Spott findet. Diese
treuherzigen, kräftigen Menschen sind Carlisten mit Leib und Seele.
-- Allen Cataloniern aber ist ein Charakterzug gemeinschaftlich,
der unendlich gegen den starren, stets zum Widerstande geneigten
Trotz ihrer Nachbarn, der Aragonesen absticht. Sie treten im ersten
Augenblicke sehr fest und entschieden auf, und Wehe dem, der dadurch
sich einschüchtern läßt oder nicht gleiche Kraft gegen sie entwickelt.
Aber sie schmiegen sich alsbald unter das Joch dessen, der Macht und
Willen besitzt, um sie den Ungehorsam schwer büßen zu machen; um sie
zu bändigen ist eiserner Wille und rücksichtslose Strenge nöthig, der
sie, wie sehr sie auch an ihren Ideen festhalten, doch stets im Äußern
weichen.

       *       *       *       *       *

Sofort nach Ferdinand’s VII. Tode erhoben sich auch in den Hochgebirgen
von Catalonien Banden, die sich für Vertheidiger seines rechtmäßigen
Nachfolgers ausgaben; unter dem Namen von Carlisten ließen sie Raub und
Plünderung ihr Hauptziel sein. Disciplin war ihnen eine ganz unbekannte
Sache. Die Soldaten kamen und gingen und thaten, was ihnen beliebte,
die Anführer lebten in höchster Uneinigkeit unter einander und strebten
vor Allem dahin, ihre Koffer mit Gold zu füllen, den unglücklichen
Landmann, der allein die Kosten jenes Krieges zahlte, durch ihr
Plünderungs-System zu Grunde richtend.

Daher thaten sie denn auch den Christinos im offenen Kampfe geringen
Schaden. Sie durchzogen vielmehr ohne Plan oder Combination die
Gebirge, von denen herab sie des Raubes wegen Einfälle in die Ebene
machten, wenn gerade keine Truppen dort waren, und sie überfielen
höchstens einmal ein feindliches Detachement, dem sie sich zehnfach
überlegen wußten, und das dann ohne Erbarmen niedergemacht wurde. Den
Einwohnern konnten sie natürlich weder Vertrauen noch andere Furcht
einflößen, als die, welche auf ihre Ausschweifungen und Erpressungen
sich gründete, so daß die Carlisten Cataloniens damals in jeder
Hinsicht den Raubhorden gleich standen, die so entsetzliches Elend über
die Bewohner der Mancha brachten.

Umsonst ward General Guergué im Jahre 1835 mit einer starken Division
von Navarra ausgeschickt, um die catalonischen Banden um sich zu
vereinigen, sie zu organisiren und dadurch wahrhaft der Sache nützlich
zu machen, deren Namen sie mißbrauchten. Alle seine Anstrengungen
scheiterten an der Unlust derselben, der geringsten Zucht und Ordnung
sich zu fügen, worin sie denn von ihren Chefs verstärkt wurden,
die häufig offen gegen den General auftraten. So ward Guergué
genöthigt, ohne seinen Auftrag vollzogen zu haben, nach den Provinzen
zurückzukehren, da die navarresischen Bataillone, ihrer neuen
Gefährten bald überdrüssig und an Allem Mangel leidend, einstimmig nach
Navarra geführt zu werden forderten.

Dann im Jahre 1836 übertrug Carl V. dem General Maroto das Commando des
Fürstenthumes, und Strenge und Festigkeit machten diesen wohl geeignet
zu dem schwierigen ihm anvertrauten Werke. Aber er hatte von Anfang
an wiederholtes Unglück in den militairischen Operationen, und für
einen Feldherrn, der seine Autorität über undisciplinirte Haufen erst
befestigen soll, ist eine Niederlage der größte, nie gut zu machende
Fehler. Nachdem er umsonst Alles versucht hatte, die Widerstrebenden
zu bändigen, mußte auch Maroto weichen und zog sich nach Frankreich
zurück. Tristani, Royo, Urbiztondo und Andere, theils durch Mangel an
Kraft, theils auch aus bösem Willen, richteten noch weniger aus.

Ich werde nicht die Geschichte jenes Krieges -- wenn er solchen Namen
verdient -- erzählen, der ohne Erfolg von einer wie der andern Seite
hingezogen wurde. Geschlagen ward fast nie; die bemerkenswerthesten
Thaten bestanden in der Eroberung irgend eines befestigten Punctes
durch die carlistischen Horden, meist durch Überraschung, und in
der augenblicklichen Wiedernahme desselben, so wie eine Colonne der
Christinos gut fand, vor ihm zu erscheinen. -- Gehen wir sogleich zu
dem Zeitpunct über, in dem jene Horden endlich in ein geregeltes Heer
umgeschaffen wurden.

       *       *       *       *       *

Don Carlos de España gehörte einer alten Familie des südlichen
Frankreichs an, von wo er im Anfange der Revolution nach Spanien
emigrirte; er trat als Officier in ein Linienregiment ein. Schon damals
ward große Heftigkeit und Rücksichtslosigkeit in ihm bemerkbar, die
selbst, da er als Adjudant einen Unterofficier im Dienst niederschlug,
eine königliche Ordre ihm zuzog, durch die der Gebrauch des Stockes,
der in Spanien den Adjudanten unterscheidet, ihm untersagt ward;
erst als General ward er von der ferneren Befolgung dieses Befehles
entbunden.

In dem Kriege gegen Napoleon commandirte de España ein kleines Corps,
mit dem in Estremadura und Alt-Castilien unter Wellington’s Oberbefehl
operirend, er wiederholt die Anerkennung dieses Feldherrn verdiente.
Er zeichnete sich besonders durch die Strenge seiner Disciplin, so
selten in den spanischen Truppen jener Periode, vortheilhaft aus.
Unter Ferdinand VII., während dessen Regierung, so wie in seiner
ganzen Laufbahn, er sich stets als reiner Royalist zeigte, ward er mit
Gunstbezeugungen überhäuft, erhielt das Commando des Infanterie-Corps
der Garde und wurde zum Grafen und Grande erster Classe erhoben.

Im Jahre 1827 brach in Catalonien und den angränzenden Provinzen die
ultraroyalistische Revolution aus -- wenn eine Revolution, deren Zweck
ist, dem Könige die Art seiner Regierung vorzuschreiben, royalistisch
genannt werden darf! -- durch die Ferdinand VII. zur Entlassung seines
zu gemäßigten Ministeriums gezwungen werden sollte. Der Aufstand
verbreitete sich mit Schrecken erregender Schnelle, und jede Maßregel
zeigte sich gleich fruchtlos. Da sandte der König den Grafen de España
ab, ihn zu unterdrücken. Dieser beurtheilte richtig den Charakter
des Volkes, mit dem er zu thun hatte: er etablirte in allen Städten
Kriegsgerichte, harte Strafen wurden über die Theilnehmer, noch härtere
über die Begünstiger der Empörung verhängt; zugleich verfolgte er mit
unermüdlicher Energie überall ihre Schaaren. -- Eine ungeheure Anzahl
der Rebellen, man behauptet 30000, wurden hingerichtet, wohl eben so
viele deportirt. In wenigen Wochen war die Ruhe ganz hergestellt.

Der Graf blieb dann als commandirender General in Catalonien, bis er im
Jahre 1832, da Ferdinand schon unter dem Einflusse Maria Christina’s
vegetirte, durch General Llauder abgelöset wurde, worauf er nach
Frankreich abreisete. Übrigens war er von unbeugsamen, gebieterischem
Character, gewohnt, in seinen Untergebenen nur Maschinen zu sehen, und
nicht selten tyrannisch; dabei aber bieder und unerschütterlich gerecht
und unpartheiisch gegen Hohe wie gegen Niedere. Die Soldaten hatten
nirgend so Viel zu thun und zu leiden, wie unter seinem Commando, und
waren dennoch nirgends zufriedener, da seine Strenge mit väterlicher
Fürsorge gepaart war; der Officier aber mochte wohl sich vorsehen, denn
sein Fehler fand nie Gnade bei dem General.

Zugleich erwarb sich der Graf die Zuneigung derer, die ihm nahe
standen, durch Herablassung und Freigebigkeit, und er bezauberte Fremde
leicht durch seinen scharfen Verstand und den Geist, der in jedem
seiner Worte blitzte, wie durch unübertreffbar feines Benehmen.

Zwei Fehler verdunkelten die hohen Eigenschaften des kräftigen Greises,
er gab den augenblicklichen Einfällen seiner Laune zu sehr Spielraum,
und er wollte Alles ohne Ausnahme rücksichtslos auf militairisch
despotischem Wege ordnen. Sein Despotismus, verbunden mit der durch
die Verhältnisse bedingten Härte in der Bestimmung der Strafen, erwarb
ihm zahlreiche Feinde, die mit spanischer Rachsucht den günstigen
Augenblick erlauerten, in dem sie ihn wehrlos in ihren Händen
sehen würden; während die nicht immer seiner Stellung angemessenen
Seltsamkeiten, zu denen Caprice ihn verleitete, seinen Gegnern und den
Pedanten, deren ja überall so viele sich finden, Veranlassung gab, ihn
verrückt zu schelten, und ihnen manche Waffe gegen ihn lieferte.

Diesen Mann stellte Carl V. wiederum an die Spitze des Fürstenthumes,
als jeder Versuch, die catalonische Faction zu einem geordneten
Ganzen zu machen, gescheitert war; im Juni 1838 passirte er die
französische Grenze. Wohl kannten ihn die Catalonier, und Carlisten
wie Christinos zitterten, da sie dem gefürchteten Greise das Commando
übergeben sahen. Sein Auftreten rechtfertigte sofort die Furcht und
die Hoffnungen, welche der bloße Name des Grafen de España erregt
hatte. So wie er in Berga anlangte, ließ er über der Stadt einen hohen
Galgen errichten und verkündete zugleich, daß ein Jeder, der die
geringste Veruntreuung oder Erpressung sich zu Schulden kommen lasse,
ohne Gnade aufgeknüpft werde, ob es gleich der erste General sei. Und
es blieb nicht bei der Drohung. Officiere und Soldaten, Beamte und
Einwohner empfanden bald die unerbittliche Gerechtigkeitsliebe des
alten Kriegers; mehrere der bisherigen Chefs wanderten nach Frankreich
aus, Böses fürchtend, andere wurden abgesetzt und erhielten ganz
unbedeutende, passive Stellen, und das Commando der Truppen wurde
Männern anvertraut, die als wahre Royalisten und wahre Militairs
sich bewährt hatten, oder die ihre Gesinnungen unter der Maske der
Redlichkeit und des Eifers schlau zu verbergen wußten.

Da entwickelte der Graf in der Organisation seiner Truppen eben so
viel Kraft wie Talent. In wenigen Monaten waren die nackten Horden,
welche raubend und stets fliehend die Pyrenäen durchirrten, in eine
Armee verwandelt, organisirt und disciplinirt, wie weder Carlisten noch
Christinos seit dem Beginn des Krieges sie besessen hatten.[98] Die
Infanterie, aus 21 Bataillonen in vier Divisionen bestehend, war stets
vollkommen uniformirt und gewaffnet, und sie erhielt regelmäßig ihren
Sold und ihre Rationen; die Officiere mußten abwechselnd die zu dem
Zwecke errichtete Akademie besuchen, um zugleich in Theorie und Praxis
sich zu vervollkommnen. Die Cavallerie, noch im Werden, da es sehr an
Pferden mangelte, zählte drei Escadrone unter versuchten Chefs, die
unter Zumalacarregui ihre Schule gemacht hatten.

Die Artillerie und das Geniecorps, so schwer zu bilden, wo auch die
einfachsten Elemente für sie fehlten, brachte der General durch
Zuziehung von fremden Officieren und durch fortwährende Instruction
zu einem Grad der Brauchbarkeit, wie er sonst nach vieljährigen
Anstrengungen selten sich findet. Kanonengießereien, Gewehr- und
Pulverfabriken wurden angelegt und militairische Schulen für jede
Waffengattung etablirt. Ja, es gelang dem erfahrenen Anführer, seinen
Truppen mit der bewundernswürdigsten Subordination und Kriegszucht
jenes Ehrgefühl und den ~esprit de corps~ einzuflößen, die so
unendlich den moralischen Werth derselben heben und ihn verbürgen.
Die ganze Armee bestand übrigens aus kaum 7000 Mann, da der Graf
gleichfalls die Methode adoptirte, seine Bataillone möglichst zu
vervielfältigen, um sich dadurch den Schein größerer Stärke zu geben.
Die meisten Bataillone waren nicht über 300 Mann stark, manche
namentlich nach Gefechten natürlich weit schwächer.

Indem aber der Graf sein Heer bildete, richtete er auch seine
Aufmerksamkeit auf die Verwaltung, die von beiden Partheien so ganz
vernachlässigt war. Da er höchste Ordnung und Regelmäßigkeit herrschend
machte, waren seine Cassen stets gefüllt, und durch kraftvolle
Maßregeln, denen der Respekt, welchen die Catalonier von früher her ihm
bewahrten, besonderes Gewicht gab, vermochte er auch das Unglaubliche,
daß der größte Theil der vom Feinde besetzten festen Punkte ihm
regelmäßig die fälligen Abgaben und Contributionen zahlte. Die aber,
welche dessen sich weigerten, verloren durch Gewalt den doppelten Werth
des Schuldigen. Einem jeden der Districte, Barcelona nicht ausgenommen,
setzte er militairische Gouverneurs vor, die, in irgend einem, oft weit
entfernten Fort residirend, mit der Erhebung der Abgaben beauftragt
waren; sie hatten selten Gelegenheit, über Säumniß der Behörden zu
klagen.

Dadurch konnte der Graf der Armee stets ihren Sold auszahlen und
alle ihre Bedürfnisse aus den königlichen Magazinen befriedigen, so
daß selbst das Brod aus den eigenen Bäckereien geliefert und den
Truppen nachgeführt wurde. Er bewirkte dadurch, daß die Lasten, welche
der Krieg dem Einwohner, besonders dem Landmanne aufhäufen mußte,
gleichmäßig über das ganze Fürstenthum vertheilt wurden, während bis
dahin, wie in den andern carlistischen Heeren, die Gegend nicht selten
ruinirt wurde, in der eine Colonne eine Zeit lang hausete.

Die Folgen waren eben so schnell, als wohlthätig. Die friedlichen
Bauern, welche früher die Horden als Todfeinde gefürchtet hatten,
sahen sich plötzlich gegen jede Ausschweifung gesichert, strenge
Gerechtigkeit ward ihnen zu Theil, und die erlittene Beleidigung wurde
hart bestraft. Sie erkannten, daß die Abgaben, wenn auch schwer,
gleichmäßig auf Alle vertheilt waren, und sie gewöhnten sich bald, die
Anwesenheit carlistischer Colonnen als eine Wohlthat zu betrachten, da
sie ja alle Bedürfnisse baar bezahlten und also erwünschte Gelegenheit
zum Absatz der Produkte gaben. Die Einwohner gaben sich daher ganz
ihren den Royalisten so günstigen Gesinnungen hin, und was der
gute Wille der Einwohner vermag, ist durch hundertfach wiederholte
Erfahrungen bewährt.

Auch verkannten die Catalonier nicht, wem sie solches Glück zu danken
hatten; -- denn als glücklich darf ihr Zustand bezeichnet werden
im Vergleich mit dem Elend der früheren Jahre und dem, was die
andern Provinzen litten. -- Wie oft hörte ich während meines kurzen
Aufenthaltes im Fürstenthume den Grafen von España als Retter gesegnet;
wie oft wünschten die Bauern ihm Heil und Glück, den Augenblick
preisend, in dem er die Zügel der Regierung in die Hand nahm!

       *       *       *       *       *

Auch schien das Glück dem edlen Greise nicht abhold. Denn wiewohl er
nicht durch gewonnene Schlachten seinen Namen verherrlichte, gelang es
ihm, selbst gegen den Baron de Meer, der eben so kräftig und gewandt in
Barcelona durch Militair-Despotismus herrschte, wie der Graf in Berga,
in den Gebirgen Hoch-Cataloniens sich zu souteniren, während er mit der
Organisation seiner kleinen Armee beschäftigt war. Und als er dieses
vollbracht, breitete er trotz der numerischen Überlegenheit der Feinde,
die über 40,000 Mann stark waren, ihre Zersplitterung klug benutzend,
mehr und mehr in die Niederungen sich aus und nahm einige feindliche
Forts. Täglich wurde sein Übergewicht fühlbarer, seine Herrschaft
weiter ausgedehnt.

Er belagerte Ripoll, eine ansehnliche, Gewerbe treibende Stadt in
Hoch-Catalonien. Die Besatzung und die Nationalgarde vertheidigten
sich mit äußerster Hartnäckigkeit, wie denn die Einwohner der Stadt
als exaltirt liberal gesinnt berüchtigt waren. Am 27. Mai 1839 ward
der Sturm auf die offene Bresche angeordnet. Die carlistischen
Bataillone griffen äußerst brav unter den Augen des Grafen an, der
kaltblütig dem heftigsten Feuer ausgesetzt blieb und seine Krieger
ermunterte. Dreizehn Mal rückten die Stürmenden unter dem Schall
der Janitscharen-Musik gegen die Bresche; dreizehn Mal wiesen die
Christinos, gleichfalls durch ihre Musik, wie durch das Angstgeschrei
der Weiber und Kinder angefeuert, standhaft den Angriff zurück. Doch
der vierzehnte Sturm ward gleich fest unternommen, und die Vertheidiger
wichen ermattet von der Bresche, auf der die Mehrzahl gefallen war.
Alles, was Waffen trug, wurde von den wüthenden Soldaten niedergemacht;
die übrigen Bewohner mußten sogleich die Stadt verlassen, welche
niedergebrannt und bis auf den letzten Stein rasirt wurde. Der Verlust
der Carlisten war sehr bedeutend; ein Bataillon zählte von seinen acht
Capitains sieben außer Gefecht gesetzt.

Der Graf ließ eine Säule errichten mit der Inschrift: ~aqui fué
Ripoll~. -- Hier stand Ripoll. --

Ein solches Beispiel rächender Strafe verfehlte seine Wirkung nicht.
Mehrere Posten der Feinde wurden geräumt oder ergaben sich, und die
Carlisten streiften, fast ohne Widerstand zu finden, bis nahe nach
Barcelona und südlich in die reichen Gefilde des Ebro, während die
Christinos sich darauf beschränkten, mit starken Massen ihre Festungen
zu verproviantiren. Zugleich trat ein wichtiger Wechsel in der
feindlichen Armee ein, da das Commando derselben an der Stelle des
energischen Baron de Meer, der, ganz Militair, von den Anarchisten
unendlich gefürchtet ward, dem General Valdés übertragen wurde,
demselben, der gegen Zumalacarregui so unglücklich gekämpft hatte.

Valdés erklärte sofort, daß es mit den Mitteln, über die er verfügte,
nicht möglich sei, die Fortschritte des Grafen de España zu hemmen,
dessen Truppenzahl doch drei bis vier Mal so schwach war, als die
mobile Macht der Christinos. Er mußte indessen, um sich zu halten,
irgend etwas unternehmen und erklärte endlich nach der Mitte Septembers
seine Absicht, Berga, den Hauptsitz der Carlisten, anzugreifen, da er
wohl hoffte, daß die Kunde von dem vollbrachten Verrathe Maroto’s und
der Beendigung des Krieges in Navarra Entmuthigung oder gar Sympathie
für ihn hervorbringen werde. Wahrscheinlich würde es ihm nicht besser
ergangen sein, als einst dem General Oráa vor Morella. Aber Valdés
begnügte sich, da die anticipirte Muthlosigkeit nicht sichtbar wurde,
von einer Höhe herab das einige Stunden entfernte Berga zu betrachten,
und kehrte wieder um.

España benutzte dagegen trefflich die Fehler des feindlichen Anführers;
er nahm die feste Stadt Moyá und führte die männlichen Bewohner
gefangen fort, da die Garnison sie gezwungen hatte, gleichfalls die
Waffen zu ergreifen und die beiden Forts zu vertheidigen; ein Theil der
Stadt ward bei dem Angriffe eingeäschert. Dann eroberte er das eben so
hartnäckig vertheidigte Copons und zog in Castell-Tresols ein, welches
ihm die Thore öffnete.

Valdés, an Geld und Hülfsquellen eben so Mangel leidend, wie sie dem
Grafen im Überfluß zuflossen, und nur reich an Soldaten, die er nicht
zu benutzen verstand, wagte kaum noch, im Felde sich zu zeigen, und
erwartete mit Ungeduld die Verstärkungen, welche ihm von Espartero
zugesagt waren. Solsona selbst, durch seine Lage wichtig und bedeutende
Festung, die de Meer den Carlisten abgenommen hatte, schon lange eng
blokirt, war im Begriff, sich zu ergeben, da es ganz an Lebensmitteln
fehlte und Valdés nicht zum Entsatz anrückte. Das Fürstenthum war der
That nach dem Grafen de España unterworfen und duldete willig eine
Herrschaft, die, auf strenge Gerechtigkeit basirt, so sehr die traurige
Lage der Einwohner erleichterte; die Christinos geboten nur noch da,
wo sie gerade standen, und wagten nur in starken Colonnen das Land zu
durchkreuzen, in dem der einzelne Carlist ruhig die Befehle seines
Generals ausführen durfte.

  [95] In Catalonien besaßen die Christinos nicht weniger als hundert
       und einige zwanzig feste Punkte. Es ist einleuchtend, wie solche
       Zersplitterung ihrer Macht die Offensive paralysiren mußte;
       dagegen hinderten sie auch sehr die Fortschritte der Carlisten.

  [96] Diese doppelten Behörden waren erst eingeführt, seit der Graf de
       España das Commando der Carlisten übernommen hatte. Früher wären
       sie schwerlich so verschont geblieben.

  [97] Früher erwähnte ich, daß die catalonische Sprache, der
       französischen, italienischen und spanischen gleich verwandt, von
       den Castilianern nicht verstanden wird. Einzelne gothische Worte
       und Wendungen finden sich auch in ihr.

  [98] Gegen das Ende des Jahres 1839 gestanden selbst die Feinde ein,
       daß das Heer des Grafen von España nur mit der königlichen Garde
       Ferdinand’s VII. verglichen werden könne.



XXX.


In Casserras angelangt, ging ich am 23. October Nachmittags zum
Logis des Grafen de España, mich zu melden; ein Ordonnanz-Officier
überbrachte meine Papiere dem General, der als Antwort mir und den
beiden mich begleitenden Officieren den Befehl sandte, uns als
arretirt auf die Hauptwache zu begeben. Meine Cameraden fluchten und
verwünschten den launigen alten Narren, wie sie wüthend ihn nannten;
ich beschloß, entschieden dem herrischen Mann entgegenzutreten. Der die
Wache habende Officier erzählte uns tröstend, daß die Wachzimmer, wo
der General gerade weilte, stets mit Officieren angefüllt seien, und
daß er selbst vor kurzem zehntägigen Arrest gehabt habe, den er nur
dem Zufalle zuschreiben könne, daß er vor dem Logis des Generals einem
jungen Mädchen zunickte, da unmittelbar nachher ein Adjudant ihm ohne
weiteren Grund die Ordre gebracht habe, sich als Arrestant zu stellen.
Andere Anwesende erzählten da noch manche Sonderbarkeit des Grafen,
indem sie ruhig hinzufügten: „so ist einmal unser Alter.“[99]

Noch am Abend schrieb ich in festem Tone an den General, ihn bittend,
da ich auf eine Art mich empfangen sähe, die ein Officier unter meinen
Umständen gewiß nicht erwarten dürfe, mich sogleich nach der Strenge
der Gesetze zu richten, und wenn ich unschuldig befunden sei, mich dem
Feinde gegenüber zu stellen, oder mir zu erlauben, nach dem Heere
von Aragon zurückzukehren, um dort ferner für die Sache des Königs zu
kämpfen. Dann legte ich mich, in den Mantel gehüllt, auf einen Tisch
schlafen, nicht gerade den angenehmsten Gefühlen hingegeben.

Um drei Uhr schon weckte mich die Reveille, die, von den Musikchören
und den Banden der fünf im Flecken stationirten Bataillone ausgeführt
und alle Straßen durchziehend, auch den Schlaftrunkensten plötzlich
munter machte.

Stunde auf Stunde verging, die Zeit wurde mir lang. Endlich ritt der
General, von wenigen Officieren begleitet, zu einer Musterung, von der
er gegen Mittag zurückkam; ich sah einen kräftig das Pferd bändigenden
Greis, untersetzt und wohl beleibt, mit der goldgestickten Uniform, dem
dreieckigen Hute und der seidenen Schärpe, die den spanischen General
auszeichnen. Ein Adjudant half ihm beim Absteigen, worauf er leicht in
das Haus trat. Wenige Augenblicke nachher eilte derselbe Officier, der
uns gestern nach der Wache beordert hatte, über die Straße und theilte
mir den Befehl des Generals mit, sofort vor ihm zu erscheinen.

Ich fand ihn auf der obern Flur des Hauses, welches einfach, wie jedes
große Bauernhaus, und mit sehr massiven hölzernen Meubles versehen war.
Der Graf, sieben und sechszig Jahr alt, hatte mit der Elasticität der
Jugend keinesweges ihr Feuer und wenig von ihrer Kraft verloren; sein
Auge, geistreich und durchdringend, strahlte in hoher Lebendigkeit,
wenige greise Haare umgaben die edel gewölbte Stirn, und ein leichtes
Lächeln um den Mund machte den Eindruck der imponirend majestätischen
Züge sehr einnehmend. Er empfing mich äußerst artig und führte mich
in sein Privat-Zimmerchen, wo er mir sein Bedauern über die unbequeme
Nacht ausdrückte, die er mir verursachte, indem er hinzufügte, daß
sein Adjudant mich als Franzosen genannt habe, gegen welche Nation er,
obgleich selbst der Geburt nach ihr angehörend, den größten Widerwillen
hege. Übrigens sei unter den obwaltenden Verhältnissen Verdacht
und Mißtrauen so natürlich, daß dadurch auch die äußerste Vorsicht
gerechtfertigt werde.

Dann befragte mich der Graf über den Zustand der Armee Cabrera’s, über
ihren Geist und besonders über den Eindruck, den der Verrath Maroto’s
auf sie machte. Da ich ihm erwiederte, daß bisher sehr wenig davon
bekannt und ich selbst in der That nicht von ihrem Umfange unterrichtet
sei, schilderte er mir in glühenden Worten die Schandthat des
Erbärmlichen und die Folgen, welche sie für das Heer und den Monarchen
gehabt hatte. Furchtbarer Unwille sprach sich in Wort und Mienen aus,
seine Augen sprühten Verachtung und den Wunsch der Rache. Der biedere,
bis zum Tode seinem Könige unwandelbar ergebene Greis konnte solche
Niedrigkeit nicht fassen.

Er befragte mich ferner über die Officiere, welche mich dorthin
begleitet hatten, und sprach seine Absicht aus, sie nach Frankreich
zu senden, da er nicht wage, in solcher Zeit ihm unbekannte Officiere
in die Armee aufzunehmen. Dann examinirte er mich über tausend
verschiedene Gegenstände, in jedem Fache gleich bewandert sich
zeigend, und sprach mit Theilnahme über den Obersten Baron von Rahden,
der einige Zeit bei ihm sich aufgehalten hatte und dann trotz dem
Widerstreben des Generals auf Befehl des Königs zur Armee von Cabrera
abgehen mußte. Er bedauerte noch immer dessen Abreise, da er ihm nicht
nur durch seine Kenntnisse äußerst nützlich, sondern auch lieb gewesen
sei als Gesellschafter und wahrer Edelmann, deren er leider so wenige
in seinen Umgebungen zähle.

Das Diner war indessen servirt, und ich mußte an der Seite des
Grafen Platz nehmen; sein Secretair, ein Adjudant und ein so eben
mit Aufträgen des Königs aus Frankreich angelangter Beamter bildeten
die Gesellschaft. Die Unterhaltung war leicht, und der alte Graf
belebte sie durch häufige Scherze; auch rief er wohl mit einem
ungeheuren Sprachrohre, wie sie auf Schiffen üblich sind, den
vorübergehenden Mädchen Thorheiten zu, weidlich über die Bestürzung
lachend, die die Donnerstimme ihnen erregte, oder er neckte einen
gigantischen Ziegenbock,[100] den er Maroto getauft hatte. Dazwischen
befahl er, einem entlassenen christinoschen Soldaten, der, des
Spionirens verdächtig, zwischen unsern Colonnen aufgefangen war,
funfzig Stockprügel zu geben und ihn bis zum Fuß des Galgens mit dem
vollständigen Apparat des Hängens zu führen, worauf er durch eine
Ordonnanz ihm Begnadigung verkünden ließ, die dem armen Teufel, der
Rettung schon für unmöglich gehalten hatte, todähnliche Ohnmacht
verursachte.

Die Speisen waren, wie gewöhnlich, sehr einfach, und das Tafel-Service
bestand aus Steingut und Holz; nur mir wurde ein Glas gereicht, da
die übrige Gesellschaft -- der General aus Politik -- nach der Sitte
der Catalonier aus der Flasche -- ~el porró~ -- trank, die, mit einer
langen, gebogenen Röhre versehen, kunstmäßig so gehalten wird, daß
der Wein im Bogen aus der engen Öffnung der Röhre in den Mund fällt,
ohne daß die Flasche die Lippen berühre oder ein Tropfen zur Seite
falle. Ich hatte diese Trinkart noch nicht mir zu eigen gemacht.
Übrigens ist das Volk in Catalonien so abergläubisch auf die Sauberkeit
dieses ~porró~ bedacht, daß auch der ärmste Hüttenbewohner ihn sofort
zerbricht und nicht selten dem Fremden, d. h. Jedem, der nicht Catalan
ist, vor den Füßen zerschmettert, wenn er aus Unwissenheit oder
Sorglosigkeit ihn mit dem Munde berührte. Mir selbst erging es einst
so in dem reichen Gandesa, südlich vom Ebro; da ich aber zufällig ein
Detachement bei mir hatte, verfehlten die Freiwilligen eifrig nicht,
dem guten Mann seine Impertinenz durch einige derbe Kolbenstöße fühlbar
zu machen.

Nachdem der General nach Tische auf der Flur, die als Empfang
und Speisezimmer, Gesellschaftslocal und Bureau zugleich diente,
spatzieren gegangen war, setzte er sich behaglich in der Küche neben
dem knisternden Feuer nieder. Da fragte er mich plötzlich, was ich
denn zu thun gedenke, wenn ich nicht in Catalonien bliebe? Ob ich
nach Frankreich ginge?[101] Ich erwiederte, daß ich ihn ersuchte, mir
in dem Falle den Paß zur Rückkehr nach Aragon zu geben, da ich jetzt
im Augenblick der Gefahr unter keiner Bedingung die Meinen verlassen
würde. Aber lächelnd meine Hand ergreifend, sagte er mir, daß ich ihm
zwar einen impertinenten Brief geschrieben hätte, nicht bedenkend, daß
ich unter Spaniern sei; daß ich aber dennoch bei ihm bleiben und an ihm
einen Vater haben würde. „Ich liebe die Deutschen, und nützlich werden
Sie mir auch sein.“

Mein Entzücken bei der so unerwartet gütigen, wie schmeichelhaften
Entscheidung des gepriesenen Feldherrn war unendlich. Ich war
entschlossen, des ehrenden Vertrauens stets mich würdig zu zeigen.

An demselben Nachmittage war ich schon dem Generalstabe der Armee
zugetheilt, und der Graf ließ mir ein Zimmer in seinem Logis
anweisen mit dem Bedeuten, daß ich fortan ganz als seinem Haushalt
angehörig mich zu betrachten habe. Am Abend schon beschäftigte er
mich mit vergleichendem Ordnen von Karten, Plänen und Croquis, die
trefflich geeignet waren, um der genauesten Kenntniß des Terrains ein
vollständiges Dementi zu geben.

Wie verschieden hatten sich doch meine Gefühle mit meiner Lage
gestaltet, seit ich vier und zwanzig Stunden früher als Arrestant und
mein Geschick verfluchend im Schlafe Vergessenheit und Trost suchte.

       *       *       *       *       *

Am folgenden Tage bewunderte ich bei einer Revue die Bataillone,
die, einfach, aber geschmackvoll uniformirt, mit Präcision und
militairischer Haltung manövrirten; auch ward die Strenge und
Heftigkeit des Generals mehrfach bemerkbar. Selbst höhere Officiere
wurden stark getadelt, und mehrere Subalterne wanderten vom
Exercierplatze direct zur Wache, wogegen den Soldaten im vollen Maße
die ihren Anstrengungen gebührende Anerkennung ward. Ich lernte dort
mehrere untergeordnete Anführer kennen, unter denen der loyale General
Ivañez -- ~el Llarj de Copons~, der Lange von Copons genannt, da er
vielleicht der höchste Mann in Spanien ist -- und Oberst Camps, Chef
und Organisateur der Cavallerie des Fürstenthumes, ein ausgezeichneter
Officier, der schon unter Ferdinand VII. und später in Navarra diente,
und unter Freund und Feind wegen der Kraft seines Armes bekannt. Es
wird behauptet, daß er mehrere Male feindlichen Reitern Kopf und
Brust mit einem Hiebe seines aus zwei Klingen zusammen geschmiedeten
Schwerdtes[102] gespalten, und einen andern quer durch den Leib in zwei
Stücke getrennt habe, so daß der untere Theil auf dem davonjagenden
Pferde sitzen blieb.

Am 25. October Mittags ward das Hauptquartier nach dem nur zwei Stunden
von Casserras entfernten Berga verlegt. Der Abmarsch, wie gewöhnlich,
ganz durch Laune entschieden, war so plötzlich, daß der Graf fünf
Minuten nach dem Entschlusse schon mit wenigen Begleitern und
escortirt von der Compagnie Miñones auf dem Wege war. Eine halbe Stunde
später von einem Auftrage zurückkommend, fand ich das Haus leer; ein
Reitpferd des Grafen, welches er mir überlassen hatte, bis man für mich
ein anderes dem Feinde abgenommen habe, ward sogleich von einem mich
erwartenden Miñon[103] vorgeführt.

Bald holte ich einen Officier ein, der auf einem Maulthiere gleichfalls
Berga zuritt, und ich erkannte einen der beiden mit mir arretirten
Cameraden; er war vom General, der ihn nicht sehen wollte, zu einem
Depot fern im Gebirge bestimmt, dem Verbannungspunkte der Officiere,
welche de España nicht in seinem Heere haben wollte. Der seit der
Ankunft desselben seines Commando’s beraubte Brigadier Don Bartolomé
Porredon -- ~el Ros de Eroles~, der Rothe von Eroles, gewöhnlich
genannt -- befehligte es. Mein Gefährte, da er meine neue Stellung
kannte, zeigte sich natürlich kriechend artig -- das liegt einmal in
der Natur des modernen Spaniers; übrigens war er ein guter Soldat
und hatte sich wohl nur durch den Umstand, daß er in Amerika gegen
die insurgirten Colonien gefochten, den Widerwillen des Grafen
zugezogen, indem dieser behauptete, daß alle Welt als Schurke von dort
zurückgekehrt sei, welchen Satz er mit vielen merkwürdigen Beispielen
belegte.

Bitter klagte der Arme über sein Schicksal. Er war aus Moyá gebürtig,
der Stadt, welche nicht lange vorher durch die Unseren erstürmt war,
und so eben hatte er erfahren, da er hieher gekommen war, um den
Seinen näher zu sein, und dadurch Unterstützung sich zu sichern, daß
sein väterliches Haus ganz niedergebrannt und der einzige Bruder, vor
längerer Zeit als Carlist gefangen, nach der Insel Cuba deportirt sei;
das Schicksal seines Vaters war ihm unbekannt. Nach fast zehnjähriger
Abwesenheit fand er so seine Heimath wieder! Umsonst suchte ich zu
trösten, und in der That war Trost da schwer.

So zogen wir langsam der Festung zu, die fast versteckt zwischen
den hohen Felsgebirgen liegt, welche von beiden Seiten dicht sie
umschließen; auf ihnen waren Forts angelegt, die durch sich kreuzendes
Feuer den Übergang über jene Kette fast unmöglich machten. Auf der
andern Seite ist die Stadt von sanft abgedachten Hügeln umgeben, die,
dem Plane des Baron von Rahden gemäß, zur Anlage von regelmäßigen und
ziemlich ausgedehnten Verschanzungen sehr glücklich benutzt wurden,
so daß hinter ihnen und auf die Festung gestützt eine Division, wie
in einem verschanzten Lager, mit Vortheil gegen ein weit überlegenes
Heer sich vertheidigen und, von Position auf Position weichend, den
Fortschritt des Feindes höchst blutig, ja, einem Heere wie dem des
General Valdés ganz unmöglich machen konnte. -- Leider ward der Plan
nicht bis zur Vollendung ausgeführt.

Schon waren wir den am weitesten vorgeschobenen Werken nahe, als
uns ein Haufen Gefangener begegnete, um, von der Arbeit ruhend, ihr
Mittagsmahl einzunehmen. Des Jammers gedenkend, den ich ja selbst vor
kurzem noch gelitten, ritt ich langsam vorbei; da erregte ein Schrei
hinter mir meine Aufmerksamkeit: ich sah meinen Gefährten in den Armen
eines Greises, der, die eingefallenen Schläfen mit wenigen Silberhaaren
bedeckt, mein Mitleid rege gemacht hatte, wie er tief gebeugt und
auf einen Stab gelehnt mühsam einherwankte. Der Sohn hatte in dem
Gefangenen seinen achtzigjährigen Vater erkannt.

Die Scene war herzzerreißend, und ich fühlte die Brust, wie nie mehr,
mir schmerzhaft zusammengepreßt; als ich mich umwandte, sah ich den
bärtigen Miñon mit derbem Fluche eine Thräne sich trocknend. Erst nach
langer sprachloser Umarmung konnte der Sohn sich losreißen, schnelle
Hülfe versprechend. Als wir in Berga anlangten, erklärte der Wicht, er
wage nicht, vom General seines Vaters Freiheit zu erbitten: ein solcher
Schritt für einen Negro würde ihn nur compromittiren. Demnach legte er
sich ruhig nieder, die Siesta zu schlafen! -- Der Graf hatte doch wohl
Recht in seinem Urtheile!

Natürlich ward der Greis nebst einem Großsohn, der mit ihm in dem Fort
von Moyá gefangen war, noch an demselben Tage in Freiheit gesetzt.

       *       *       *       *       *

Der Graf bewohnte ein großes, massives Haus, ~el palacio~ genannt,
außerhalb der eigentlichen Stadt gelegen. Die Thüren waren durch
Tamboure gedeckt, die Fenster des Erdgeschosses durch crenelirtes
Gemäuer geschlossen, und Alles im Innern, wie im Äußern war auf die
höchste Vertheidigungsfähigkeit berechnet. Übrigens herrschte hier
dieselbe Einfachheit, welche in Casserras auffiel, und dieselbe
ununterbrochene Thätigkeit. Die Aufmerksamkeit des Grafen war
besonders auf die Verbesserung der Artillerie und auf die dieser Waffe
correspondirenden Fabriken und Materialien gerichtet, und mehrfach
äußerte er, als ich mit ihm die Werkstätten und Magazine durchschritt,
seinen Verdruß über die geringe Anzahl von Feldgeschützen, die ihm zu
Gebote stand, und deren Vermehrung durch den Mangel an passendem Metall
sehr erschwert ward.

De España beabsichtigte, um dem Heere von Aragon durch eine Diversion
Hülfe zu bringen, mit der größeren Hälfte seiner Macht nach Süden in
die fruchtbaren Ebenen des Ebro-Thales die Operationen zu verlegen,
deren Erfolg unberechenbar werden mußte, da er, im Besitze mehrerer
Übergangspuncte über den Strom, die Flanke und den Rücken Espartero’s
bedroht hätte, als dieser von Zaragoza aus gegen Cabrera’s Heer
vordrang. Oberst Camps, deshalb nach Morella gesendet, war so eben
zurückgekehrt und hatte die Nachricht überbracht, daß Cabrera
einwillige, die Escadrone Valmaseda’s zur Verfügung España’s nach
Catalonien zu senden, da es diesem so sehr an Cavallerie für den
Krieg in der Ebene fehlte. Es ward dem greisen Krieger nicht die Zeit
gelassen, seinen Plan auszuführen.

Am Nachmittage dieses Tages wurden zwei Officiere erschossen, da sie
geäußert hatten, das Beste sei, den hoffnungslosen Kampf aufzugeben
und wie Maroto möglichst gut zu accordiren. Ein anderer Elender, ein
Ex-Mönch, war wenige Tage vorher gehängt, überführt und geständig, mit
Gift zur Ermordung des Grafen von España von Barcelona gekommen zu
sein; ein Club der Exaltados hatte ihn zu dem Verbrechen gedungen.

Doch wie sehr ich mich sträube, ich muß endlich zu der blutigen
Katastrophe kommen, durch welche die Sache des Royalismus eines
Vertheidigers beraubt wurde, wie während des Bürgerkrieges nur zwei
sich fanden, die an Kraft, Talent und Wollen ihm zur Seite gestellt
werden konnten.

Der Graf war am 26. October äußerst thätig gewesen, hatte viele
Menschen aller Classen empfangen, Vieles angeordnet und manche
Vorbereitungen getroffen, die auf schnellen Aufbruch von Berga
deuteten. Nachdem am Nachmittage der Intendant und einige Vocale der
Regierungs-Junta, deren Präsident er war, bei ihm gewesen waren,
sprach er, als schon die Nacht anbrach, seine Absicht aus, der Sitzung
der Junta beizuwohnen, was nur geschah, wenn er besonders wichtige
Gegenstände durchsetzen wollte. Bald ritt er mit seinem Secretair, dem
Oberstlieutenant Don Luis Adell, und begleitet von einigen Miñones
und Kosacken,[104] nach dem eine halbe Stunde entfernten Dorfe Avia,
wohin er die Junta wegen Überfüllung der Stadt verlegt hatte. Beim
Weggehen sagte er mir freundlich: „Denken Sie daran, daß der Soldat
stets einen Schlaf und eine Mahlzeit im voraus haben muß.“ Froh legte
ich mich nieder, überzeugt, daß wir am folgenden Tage zu der Operation
abmarschiren würden.

Gegen Morgen weckte mich lautes Lärmen im Palais. Aus meinem Zimmer
tretend fand ich einige höhere Officiere, welche alle Gemächer
durchsuchten und Papiere und Effekten jeder Art hin und her schleppten,
wobei sie gar seltsam von dem alten Fuchse sprachen, der so fein
gefangen sei, und mit wildem Gelächter fluchten.

So wie sie mich bemerkten, flüsterten sie unter einander, laut genug,
um mich manche Worte, wie ~maldito gavacho~ und ähnliche Ehrentitel,
verstehen zu lassen, worauf einer derselben, ein Oberst und Vocal der
Junta, zu mir kam, der ich mit untergeschlagenen Armen erstaunt dem
Treiben zusah, und mir kurz sagte: „~puede Usted marcharse, capitan~.“
-- Sie können gehen -- Wohin? fragte ich natürlich; „~al infierno!~“
-- zur Hölle. -- Das war nicht sehr klar und noch weniger artig; daher
fragte ich finster, wo der Graf sei? Einen Augenblick blickte der
Vocal mir starr in die Augen, dann erwiederte er mit kurzem, widerlich
aus der Gurgel tönenden Lachen: „~carajo~, der Alte ist weit von hier;
gehen Sie nur zum Gouverneur.“ Und da ich, mich nur vom Grafen abhängig
erklärend, immer noch zauderte, rief ein Anderer mit dem gemeinsten
unter allen den gemeinen Flüchen, die dem spanischen Militair auch der
höchsten Grade so vertraut sind: „Stich den trotzigen Hund nieder!“

Das war schon klarer, besonders da er, den mächtigen Schleppsäbel
ziehend, mir nahete, und da ich mit Cataloniern zu thun hatte. Ich
griff daher zum Mantelsack, in dem meine Pistolen sich befanden; doch
kaum erblickten ihn die Herren, als er mir schon mit dem Bescheide
entrissen war, es dürfe Nichts aus dem Hause entfernt werden. So ging
ich denn auf die Straße, wo ich zu meinem Erstaunen weder die Wache
noch die Burschen antraf, wohl aber viele Miñones, sonst die steten
Begleiter des Generals.

Der Gouverneur wies mir mit der Erklärung, der Graf sei während der
Nacht abgereiset, ein Logis an und versprach, für meinen Mantelsack zu
sorgen; ich empfing ihn am folgenden Tage, die trefflichen Pistolen
aber waren auf immer verschwunden.

Augenscheinlich theilte alle Welt meine Ungewißheit und Unruhe über
die Vorfälle jener Nacht. Auf der Straße sah man wenige Menschen, und
diese eilten rasch an einander vorüber, nur flüchtig und wie verstohlen
sich begrüßend. Jedermann sprach flüsternd, als fürchte man überall
Horcher, und dennoch wagte auch so Niemand über das zu reden, was einem
Jeden am schwersten auf dem Herzen lag. Ängstliche Beklommenheit, wie
wenn furchtbares, unvermeidliches Verderben droht, schien auf Allen zu
lasten; dazu kam Mißtrauen und die Furcht, durch ein unüberlegtes Wort
dem Zorn und der Rache von Feinden sich auszusetzen, die man doch nicht
kannte.

Zugleich durcheilten einzelne Männer geschäftig und mit höhnisch
triumphirendem Antlitze die leeren Straßen, gerade solche, die bisher
am unscheinbarsten sich gemacht und, tief vor dem allgefürchteten
Grafen im Staube kriechend, umsonst seine Verachtung mit stets erneuten
Betheurungen der unwandelbarsten Ergebenheit zu besiegen gesucht hatten.

Bald langte General Segarra an, der zweite Befehlshaber im
Fürstenthume. Er betrug sich alsbald als unabhängiger Chef und befahl,
vor Allem die politischen Gefangenen und die männlichen Einwohner
der kürzlich genommenen Städte in Freiheit zu setzen, da sie, als
Vertheidiger mit in die Forts der Christinos eingeschlossen, bis dahin
als Kriegsgefangene betrachtet wurden. Segarra zeigte durch diesen
ersten Schritt, daß er anstatt der unerbittlichen Strenge des alten
Grafen, die er stets mißbilligte, eine ganz entgegengesetzte Richtung
einschlagen werde; er kannte die Catalonier nicht, oder wenn er richtig
sie beurtheilte, besaß er nicht die Kraft, ja Härte, die doch allein in
seiner Stellung Erfolg ihm sichern konnte.

Überhaupt ist Segarra ein Mann von mildem und selbst schwachem
Charakter, ein guter Militair, der, durch langen und ehrenvollen
Dienst ausgebildet, häufig seine kriegerischen Talente bewährt
hatte und ihretwegen vom Grafen de España hoch geschätzt wurde. Ich
bin überzeugt, daß er an dem schmählichen Tode seines Feldherrn
und Wohlthäters keinen Theil hatte und noch weit weniger, wie wohl
geschehen ist, als der Haupturheber der Schandthat angesehen werden
darf. Der Mann war nicht dazu fähig. Die Verschworenen täuschten ihn
über ihre wahren Absichten und befriedigten ihre persönliche Rachsucht,
ohne ihn zu Rathe zu ziehen; sie ließen ihn dann dem Anschein nach die
Frucht des Verbrechens ernten, weil sie ihn ja leiteten und lenkten,
wie sie nur wollten.

Aber nichts desto weniger ist er strafbar, da er als Werkzeug für die
Intriguen der selbstsüchtigen Mörder sich brauchen ließ und zum Sturze
des Generals ihnen sich anschloß, den sein König ihm vorgesetzt hatte;
er stellte sich selbst als Mitschuldigen dar, indem er die Thäter
unbestraft ließ, die höchsten Stellen ihnen anvertraute und ganz ihrer
Leitung folgte. Er gab sich endlich der Verachtung preis und erlaubte,
auch das Niedrigste, das Entehrendste von ihm zu glauben, da er, als
die Sache der Legitimität hoffnungslos im letzten Todeszucken lag,
seines Eides und seiner Ehre uneingedenk, die unterliegenden Gefährten
verließ und ein Verräther dem übermüthigen, übermächtigen Feinde
sich anschloß, wohl von des Grafen von Morella Hand die Strafe jenes
Verbrechens fürchtend. -- So weit führt Schwäche!

       *       *       *       *       *

Noch an demselben Tage erfuhr ich im Vertrauen durch einen mir
bekannten Officier, der einem Vocale der Junta verwandt war, daß der
Graf auf königlichen Befehl abgesetzt und nach Frankreich geführt
sei. Es war ein harter Schlag! Ich seufzte tief, denn ich würdigte
den ungeheuren Verlust, den unsere schon so vertheidigungslose Sache
dadurch erlitt; aber der König befahl, da mußte jede andere Rücksicht
schweigen. Am folgenden Morgen ging ich, dem General Segarra mich
vorzustellen und seine Ordres zu empfangen. Der Saal war mit Officieren
jedes Grades und Civilisten gefüllt, von denen viele, die zwei Tage
vorher tief zur Erde die Voyna vor mir gesenkt und mir tausendfach
wiederholte Dienstanerbietungen gemacht hatten, jetzt finster mich
anschauten und höhnisch unter einander zischelten.

Ich nahm so wenig Notiz von ihren Impertinenzen, wie ich früher ihre
Schmeicheleien berücksichtigt hatte; auch ward ich von einem Obersten,
der bei meinem Eintritt in das Cabinett des Generals gegangen war, bald
dorthin beschieden. Segarra, vor einem Lehnstuhle stehend, begrüßte
mich sehr artig. Seine Magerkeit und Blässe, wie die Haltung des
leidend nach vorn gebeugten Körpers verriethen die Kränklichkeit,
unter der er stets schmachtete; auf den Gesichtszügen lagerten dunkle
Wolken, doch umzog ein leichtes und, wie es schien, stehendes Lächeln
den nicht unangenehmen Mund. Mit wenigen Worten erklärte ich dem
General, daß ich, vom Grafen de España dem Generalstabe zugetheilt,
da ich meine unmittelbaren Vorgesetzten nicht kennte,[105] ihn um
Verhaltungsbefehle ersuchte. Er erwiederte mir, stets lächelnd, er habe
schon von mir gehört, und ich müsse, da kein Platz für mich offen sei,
zu einem Depot gehen.

Das überraschte mich. Doch schnell entschlossen antwortete ich ihm,
daß, um im Depot müssig zu sein, wäre ich weit bequemer im Vaterlande
müssig geblieben; ich bäte ihn daher, mir die Rückkehr zu der Armee des
Grafen von Morella zu erlauben, da ich dort wenigstens nicht verhindert
sein würde, dem Feinde mich entgegenzustellen. -- „Wie Sie wollen, ich
wünsche glückliche Reise.“ --

Eine halbe Stunde später hatte ich den Paß und bereitete mich zur
Abreise vor. Es mußte mir einerseits peinlich sein, wieder zu Cabrera
zurückzukehren, da ich nicht auf die freundlichste Art von ihm
geschieden war; und doch wieder freute ich mich, jetzt nach Aragon
zu kommen und an dem Kampfe Theil zu nehmen, der mit den überlegenen
Massen Espartero’s bevorstand. Ich hoffte nicht den Sieg, zu solcher
Hoffnung gehörte echt spanische Verblendung, und die theilte ich
nicht mit so vielen Tausenden. Aber ich hoffte und vertraute, daß
wir ehrenvoll unterliegen würden, wie wir ehrenvoll den glorreichen
Kampf bis dahin durchgeführt hatten, ich war überzeugt, daß wir unter
des Grafen von Morella Führung selbst der Vernichtung mit Stolz
entgegensehen durften. Denn, wenn ich gar keinen Grund hatte, um
Cabrera zu lieben, schätzte und verehrte ich ihn eben so sehr als
Feldherr und bravsten Krieger, wie als kraftvollen, festen und nie
zagenden Mann, als unwandelbaren und unerschütterlichen Royalisten.

  [99]  Ich erinnere mich zweier Anekdoten von ihm, die ziemlich
        bezeichnend sind. Als er gerade das Commando übernommen
        hatte, erfuhr er, daß die Anführer und Officiere der zu
        bändigenden Horden selbst ihre Leute zum Widerstreben reizten
        und jede seiner Maßregeln und Handlungen bekrittelten
        oder gar lächerlich machten. Er versammelte sie auf der
        Parade, ließ einen Hund in die Mitte führen, hielt ihm eine
        heftige Strafrede, weil er schlecht von seinem General,
        der an des Königs Statt dastehe, gesprochen habe, und
        drohete, im Wiederholungsfalle ihn zu erschießen. -- Da die
        disciplinwidrigen Äußerungen noch nicht aufhörten, wurden die
        Officiere wieder versammelt, der Hund ward gebunden von der
        Wache her gebracht, und der Graf erklärte ihm, daß er, trotz
        der Warnung desselben Verbrechens schuldig, nun erschossen
        werde. Ein Piquet ward beordert und der Hund füsilirt. -- Dann
        wandte sich der General zu den Officieren mit den Worten.
        „Meine Herren, ich warne nie öfter, als zwei Mal!“ -- Niemand
        gab ihm Gelegenheit, die Anwendung des aufgestellten Beispieles
        weiter zu treiben.

        Später beklagten sich die Officiere, daß sie so schlecht
        besoldet würden, daß sie kaum davon essen könnten. In der
        That erhielten sie, da ihnen der Gehalt nicht ausgezahlt
        wurde, wenig mehr als die so reichlich bedachten Soldaten. --
        España lud eines Tages das Officier-Corps zum Frühstück ein.
        Eine Schüssel mit gesalzenen Häringen ward aufgetragen, ihr
        folgte eine andere mit gekochten Häringen, dann eine dritte
        mit Häringen, in Öl gebraten, und wieder eine mit gerösteten
        Häringen. Ein Commißbrod lag auf dem Tisch, und kristallhelles
        Wasser war im Überfluß zur Löschung des mächtig angeregten
        Durstes vorhanden. -- Erstaunt sahen die Officiere sich an, da
        sie gehofft hatten, der General werde heute seiner gewohnten
        Frugalität entsagen; als dieser lächelnd sie aufforderte, frei
        auf Soldatenart das Mahl eines Soldaten zu theilen. „Ich äße
        gern wilde Enten, Pasteten und köstliche Leckerbissen -- denn
        ich bin gewaltig lecker, meine Herren! -- und ich tränke gern
        Xerez oder Champagner. Aber das Geld, das Geld! Der Gehalt wird
        nicht bezahlt, ich bin meinem Könige in den jetzigen Umständen
        ein so leichtes Opfer schuldig; und Häringe, zwei Stück für
        einen Sou, sättigen mich am Ende eben so gut. Dann werde ich
        durstig, und das Wasser schmeckt mir trefflich, das kostet
        aber gar nichts. -- Greifen sie zu, meine Herren! Auf baldiges
        Frühstück in den Hotels von Barcelona!“

  [100] Der Graf liebte sehr die Thiere und führte stets viele mit
        sich, besonders Hunde und Ziegen.

  [101] Der Graf hegte augenscheinlich noch immer Mißtrauen; er glaubte
        vielleicht, daß ich aus irgend einem politischen Grunde die
        Armee Cabrera’s hätte verlassen müssen, und tentirte mich
        deshalb. So bot er mir auch eine bedeutende Summe an, die ich
        natürlich ablehnte.

  [102] Einen gewöhnlichen Säbel weiß Camps gar nicht zu gebrauchen,
        weil er ihm zu leicht ist.

  [103] Die Miñones sind ausgewählte Soldaten, im Frieden
        Gensdarmen-Dienst versehend. Ihre Uniform und der über die
        linke Schulter herabhängend getragene Überrock sind sehr reich
        in Gold gestickt. -- De España und Cabrera wählten Beide diese
        Miñones zu ihrer persönlichen Bedeckung.

  [104] Der Graf hatte einige hundert Mann mit Bauernpferden beritten
        gemacht, um sie als Ordonnanzen, auch wohl zu Streifzügen,
        auf denen kein Zusammentreffen mit feindlicher Cavallerie zu
        fürchten war, zu gebrauchen. Ohne Uniform, mit einer Lanze oder
        etwas ihr Ähnlichem -- etwa einer Stange mit einem beliebigen
        scharfen Eisen -- bewaffnet, oft ohne Sattel und mit einem
        Strick statt des Zügels, sahen diese Reiter abenteuerlich
        genug aus. España benannte sie Kosacken, nach den Flüssen von
        Hoch-Catalonien die Compagnien als vom Segre, vom Cardenet,
        Llobregat und Ter bezeichnend.

  [105] Ich habe in der That nichts von einem Chef des Generalstabes
        gesehen, dessen Geschäfte der Graf, so wie Cabrera, mit Hülfe
        seines Sekretairs Adell meistens selbst verrichtete.



XXXI.


Der Graf de España hatte, wie ich weiter oben erzählte, unter
Ferdinand VII. den Auftrag erhalten, die Empörung der sogenannten
Ultra-Royalisten[106] in Catalonien zu unterdrücken; er vollführte ihn
eben so rasch wie vollständig, und bald war dem Fürstenthume Friede
und Ruhe wiedergegeben. Ich erwähnte dort der Tausende, die mit dem
Leben ihre verbrecherischen Anschläge büßten; Alle aber, auf denen
der leiseste Verdacht der Theilnahme haftete, wurden deportirt oder
hatten Jahre lang den Jammer eines spanischen Gefängnisses zu dulden.
Die Feinde des Grafen, und ihrer waren viele, behaupteten, er habe
die Provinz in einen weiten Kirchhof verwandelt, und die Ruhe, welche
er schuf, sei die Ruhe des Grabes. Ohne die zahllosen Wohlthaten zu
beachten, welche seine Verwaltung nach hergestellter Ordnung über
das Land ausschüttete, wollten sie nur die Blutströme sehen, deren
Vergießung zur Verhütung weit schrecklicheren Unheils unumgänglich war,
und sie urtheilten so einseitiger Ansicht gemäß.

Unzeitige Milde ist oft grausamer, als die härteste Strenge. Hätte de
España mit der revolutionairen Bewegung temporisirt, hätte er nicht
mit eiserner Faust durch einen Schlag sie niedergeschmettert, so würde
schon damals das ganze Königreich in Elend und Blut ertränkt sein.
Denn die Grundsätze, welche jener Aufstand verfocht, waren die des
politischen und religiösen Fanatismus, der, unduldsam gegen Alles,
was um einen Grad tiefer oder höher steht, keine andere Mittel zur
Befestigung seiner Herrschaft kennt, als das Beil des Henkers, die
Flammen des Auto da Fé und alle die Schrecken, durch die in andern
Jahrhunderten die Inquisition ihre Opfer verfolgte.

Als der Graf de España im Jahre 1838 nach Catalonien zurückkehrte,
fand er die Verhältnisse ganz anders gestaltet. Die Mehrzahl der
Theilnehmer jener früheren Empörung hatte sich nun den carlistischen
Banden angeschlossen, und Viele, die damals, vom Grafen als Verbrecher
bestraft, in den Gefängnissen geschmachtet hatten oder gar nach
Afrika’s Giftküste deportirt waren, hielten jetzt die ersten Stellen im
Heere und in der Regierungs-Junta inne; noch Mehrere haßten in ihm den
Feind, durch den ihre Verwandten und Genossen Tod oder schwere Leiden
fanden. Sie alle unterwarfen sich ihm nur durch die Macht des Zwanges
und durch die Furcht, die beim Nennen seines Namens sie durchbebte.

Mit diesen Unzufriedenen verbanden sich natürlich alle diejenigen,
welche des neuen Generals Strenge und Gerechtigkeitsliebe hinderte, das
alte Raubsystem fortzusetzen, welches doch ihr Hauptzweck war in dem
Kampfe, den sie unter dem Vorwande des Carlismus unternommen hatten.

Während der erfahrene Feldherr also Alles that, um die Sache zu heben,
deren Führung ihm anvertraut war, und während er sich dadurch die
Liebe, ja die Anbetung der Soldaten und Einwohner, so wie die Verehrung
aller Gutgesinnten erwarb, umringten ihn alte und neue Feinde, begierig
dem Augenblick entgegensehend, der ihnen Gelegenheit biete, ihren
glühenden Rachedurst zu löschen. Und diese Feinde waren Catalonier,
wild und rauh, wie die schroffen Gebirgszüge der Pyrenäen, in denen sie
geboren, bereit, jedes Mittel zu ergreifen, welches ihnen Befriedigung
der Rache versprach, dieser Lieblingsleidenschaft jedes Spaniers, der
alles überwiegenden Sucht der Catalonier. Zugleich wußten sie jedoch
ihren Haß meisterlich zu verbergen und heuchelten tiefste Ergebenheit,
enthusiastische Anhänglichkeit dem greisen Führer, während sie, die
zuckende Faust an den Dolch gelegt, jede seiner Bewegungen bewachten,
um eine Blöße zu erspähen, in die sie sicher die verrätherische Waffe
stoßen könnten.

Indeß wußte der alte Graf sehr wohl, daß er nicht von lauter Freunden
umgeben war, und die Maßregeln, welche er für seine Sicherheit und
damit für die des Ganzen nahm, hinderten die Verschworenen lange,
ihre blutlechzenden Pläne auszuführen. Nach und nach aber gelang es
ihnen, das Mißtrauen einzuschläfern und immer mehrere ihrer Genossen
in die bedeutendsten Stellen, besonders in die Junta, einzuschieben;
der General, da fortwährend Nichts gegen ihn oder seine Autorität
unternommen wurde, zeigte sich weniger vorsichtig und glaubte wohl,
daß die Furcht den alten Haß niedergedrückt habe. -- Da erschallte die
Schreckenskunde von dem Übergange Maroto’s und dem Rückzuge des Königs
nach Frankreich.

Junta und General standen allenthalben, wo diese beiden Autoritäten
existirten, stets feindselig oder besser als Rivale neben einander.
Die Junta als Stellvertreterinn des Gouvernements will Alles ordnen
und leiten und stürzt es gewöhnlich in erschöpfende Unordnung und
Verwirrung, wo nicht in gänzliche Anarchie; der General, an der Spitze
der militairischen Macht die Mängel und Schwächen, welche durch die
vielköpfige Verwaltung der Junta entstehen, am bittersten fühlend
und häufig durch sie gehemmt und gehindert, sucht sich dem widrigen
Einflusse derselben zu entziehen, indem er sich unabhängig von ihr und
dann sie zu seinem Werkzeuge zu machen und sich unterzuordnen strebt.
Diese Nothwendigkeit, die sonst unbeschränkten Befugnisse der Junta
zu Gunsten des Generals zu schmälern, mußte in einem Kriege, wie die
Carlisten ihn führten, doppelt stark hervortreten, da ja der Anführer
mit so viel mehr Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und Alles ohne
Ausnahme selbst schaffen und sich erringen sollte. Die Folge war, daß
der General stets zum Präsidenten der Junta ernannt wurde, wodurch
natürlich die Stellung der beiden Gewalten zu einander sehr verändert
ward.

Auch der Graf de España hatte die Junta von Catalonien mehr als seine
Gehülfinn bei dem großen Werke, denn als höhere Behörde betrachtet
und Manches von ihren ursprünglichen Attributen ihr genommen. Dennoch
war nicht selten heftiges Widerstreben sichtbar geworden und hatte
einige Male -- wiewohl der General, wenn etwas Wichtiges vorgeschlagen
ward, persönlich präsidirte, um durch seine mächtige Gegenwart den
Widerstand niederzuschlagen -- verzögernd in den raschen Gang seiner
Organisations- und Operationspläne eingegriffen.

Da, als Carl V. schon nach Bourges abgereiset war, wohl erkennend,
daß unter den nun unendlich mehr schwierigen Umständen nur die
höchste Energie und Einheit retten könne, erklärte sich der Graf de
España zum Stellvertreter des Königs in dem Fürstenthume und ward in
dieser Eigenschaft von Sr. Majestät bestätigt, so daß er nun alle
ursprünglichen Befugnisse der Junta in sich vereinigte.

Die Junta blieb nicht gleichgültig bei so entscheidendem Angriffe
auf das, was sie als ihr Recht ansah, und die persönlichen Feinde
des Generals wußten schlau diesen Schritt zu benutzen, um auch die
übrigen Vocale gegen ihn einzunehmen und zu Gewaltmaßregeln sie geneigt
zu machen. Es ward beschlossen, aus eigener Machtvollkommenheit den
General zu entsetzen, der Herrschaft sich zu bemächtigen und fortan die
Zügel nicht mehr aus den Händen zu geben. Deshalb ward der schwache
Segarra, von dem man Nichts befürchtete, zum Nachfolger des Grafen
designirt; er war bald in den Bund gegen seinen Oberfeldherrn, der
stets ehrend ihn ausgezeichnet, hineingezogen, und auch der Intendant
des Heeres Don Jaspar Diaz de Labandero, ein tüchtiger Geschäftsmann,
schloß den Verschworenen sich an. Es kam nun darauf an, den Greis
hülflos in ihre Gewalt zu führen.[107]

       *       *       *       *       *

Der Graf hatte zur Besoldung der ganzen Armee am nahen Namenstage des
Königs, wie für die zu eröffnenden Operationen die Herbeischaffung
einer starken Summe befohlen, wogegen die Junta und der Intendant
Schwierigkeiten erhoben. Da am 26. October darüber berathen werden
sollte, beschloß er, bei der Sitzung selbst zu präsidiren, wozu eine
Deputation der Junta ihn besonders einlud; er zog mit einem Detachement
Miñones und einigen Kosacken nach Avia, ließ diese unten in dem Hause
der Sitzung und begab sich mit dem Oberstlieutenant Adell in die erste
Etage. Mehrere Vocale, unter ihnen der Vice-Präsident Brigadier Ortéu,
empfingen den Grafen artig und unterhielten ihn einige Zeit, bis die
fehlenden Glieder ankommen möchten; bald eilten zwei von ihnen fort, um
sie holen zu lassen.

Diese ertheilten im Namen des Grafen der Escorte Befehl, für die Nacht
in zwei nahe Landhäuser sich zurückzuziehen, was die Officiere ohne
Argwohn thaten, wiewohl die Miñones der ein für alle Mal gegebenen
Instruction zufolge nur vom General selbst und von seinen Adjudanten
Befehle empfangen sollten. Die Vocale eilten wieder hinauf, und einer
von ihnen, Ferrer, sagte laut die Losungsworte: „~ya está hecho!~“ --
es ist geschehen. -- Sofort drängten sich die Vocale Torrebadella,
Sanz, der Präsident Ortéu und andere um den General mit der Erklärung,
er sei auf Befehl des Königs abgesetzt und ihr Gefangener. Zugleich
traten aus einem Cabinett zwei bis an die Zähne bewaffnete, dort
verborgen gewesene Menschen hervor, und Ferrer hielt dem Grafen zwei
Pistolen auf die Brust, indem er drohte, bei der geringsten Bewegung
ihn niederzuschießen.

Fest verlangte de España die königliche Ordre zu sehen und erklärte
sich bereit, dann, aber auch nur dann, seine Charge aufzugeben. Die
Antwort war ein Schlag auf die Schulter; da der Greis entrüstet gegen
den Thäter sich wandte, streckte ihn ein zweiter Schlag auf das Haupt
besinnungslos nieder. Adell, der, auf kurze Zeit in das Dorf gegangen,
jetzt wieder zurückkehrte, wurde entwaffnet und in eine Kammer
eingeschlossen.

So wie der Graf sich erholte, ward er, noch auf der Erde ausgestreckt,
mit Schmähungen und Mißhandlungen überhäuft, bis ein Maulthier
herbeigeführt war, auf das er, nur mit seiner Uniform bekleidet,
gehoben wurde, ohne daß ihm gestattet wäre, Etwas von seinem
Privat-Eigenthume mit sich zu nehmen. Zwei Vocale, unter ihnen wieder
Ferrer, der glühendste Feind des Gestürzten, wurden beauftragt, ihn
nach Frankreich. zu geleiten; mit ihnen vereinigten sich auf dem Wege
dahin mehrere Chefs, auch der Ros de Eroles, alle rachgierig und
nach dem Blute des edlen Greises dürstend. Die Mißhandlungen wurden
von jedem neu Hinzukommenden wiederholt, das Empörendste ward an dem
Hülflosen, dem man Bauerntracht angelegt hatte, ausgeübt, Schandthaten,
wie nur Spanier sie erdenken mögen, verwildert und an alle Gräuel
gewöhnt durch die schaudervollen Scenen, deren Theater ihr Vaterland
seit dem Anfange dieses Jahrhunderts war.

Umsonst flehte der Gemarterte, fast siebenzigjährige Mann um
raschen Tod -- er hatte ja die Hoffnung, Frankreichs Gränze zu
erreichen, längst aufgegeben --; umsonst suchte er die Peiniger zu
leidenschaftlicher Wuth zu reizen, indem er ihr Verbrechen, ihren
niedrigen Undank ihnen vorwarf und zeigte, wie sie zu Verräthern an
dem Könige wurden, dem sie zu dienen vorgaben. Von Hof zu Hof durch
die finstern Schluchten des Gebirges der Gränze parallel geschleppt,
duldete der Greis, der Feldherr während drei Tage, was immer seiner
Henker Wuth ihn zu quälen ersinnen konnte. Und er bewährte bis zum
letzten Augenblicke die hohe Standhaftigkeit, durch die er während
seiner ganzen Laufbahn sich auszeichnete.

Da endlich naheten seine Begleiter der Gränze; noch ein Mal belebte
ein schwacher Hoffnungsstrahl die Brust des Grafen: wann schwände dem
Menschen ganz die Hoffnung! Aber plötzlich wird angehalten und der
Dulder, durch Erschöpfung schon dem Tode nahe, ist vom Maulthiere
gehoben, und losgebunden; er sieht vor seinen Füßen eine dunkle Tiefe,
in deren Grunde der Segre schäumend über die Felsen sich Bahn bricht.
Errathend, was seiner hattet, erfleht der Greis, sich bekreuzend, die
Gnade der heiligen Jungfrau und fordert dann die Elenden auf, ihr Werk
zu vollenden.

Doch ein junger Officier stürzt athemlos herbei: Don Mariano Ortéu,
der Adjudant des Grafen und sein Liebling -- noch kommt er zu rechter
Zeit, um zu retten und zu rächen! Der Graf, als er ihn erblickt, haucht
schwach mit bittend hoffnungsvollem Tone: „Mariano!“ -- Das Ungeheuer
drückt hohnlächelnd sein Pistol ab und durchbohrt die Brust seines
Generals, seines Wohlthäters, Güte und Liebe mit Mord vergeltend.

Der Sterbende ward gebunden in den Fluß gestürzt, auf dessen Ufern
nach einigen Tagen Landleute den zerschmetterten Leichnam, kaum noch
kenntlich, fanden; trauernd beerdigten sie die Überreste des verehrten
und gefürchteten Grafen de España auf dem Friedhofe ihres Dörfchens.

Die Mörder aber kehrten im Triumph nach Berga zurück und erfrechten
sich selbst, das Andenken ihres Opfers zu schänden, indem sie in einer
allgemein verbreiteten Proclamation als Verräther ihn darstellten,
der, ein zweiter Maroto, seine Armee dem Feinde habe verkaufen wollen.
Die Verleumdung fand überall die gebührende Verachtung. Der edle Graf
de España wird stets als ein Märtyrer seiner Treue und nie wankenden
Loyalität in dem Andenken aller guten Spanier eben so hoch stehen, wie
er lange schon als General und als gerechter Mann die Achtung und das
Vertrauen seines Fürsten und die Bewunderung Aller sich erworben hatte,
die seine Eigenschaften zu erkennen und zu würdigen wußten.

Das Heer empfing die Nachricht von der Absetzung und dann von dem
Tode seines Anführers mit Staunen, welches mehrfach selbst in Gährung
überging. Aber auch Segarra hatte bis dahin die Achtung und Liebe der
Soldaten genossen, und er wußte für den Augenblick ihre Unruhe durch
Freigebigkeit und durch Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse des Heeres
hinzuhalten, bis bald der Versuch des General Valdés, das bedrängte
Solsona mit Lebensmitteln zu versehen, ihre kriegerische Thätigkeit
ganz in Anspruch nahm. Und der Soldat, gewohnt zu gehorchen und Andere
für sich denken zu lassen, ist ja so leicht getäuscht, so leicht
gelenkt, wenn er nur begriffen ist.

Viele Officiere aber verließen die Armee Cataloniens, unwillig, unter
den Mördern des Chefs weiter zu dienen, den ihres Königs Weisheit ihnen
gegeben hatte. Einige schlossen sich der Armee des Grafen von Morella
an; die meisten, unter ihnen General Ivañez -- el Llarj de Copons
--, Oberst Camps und Perez Davila, Commandeur der ersten Division,
verzweifelnd, da solche That unbestraft bleiben konnte, wanderten nach
Frankreich aus.

  [106] Die Aufrührer Cataloniens gegen Ferdinand’s rechtmäßige
        Regierung und die Edlen, welche in Estella von dem Verräther
        Maroto gemordet wurden, sind mit dem einen Namen von
        Ultra-Royalisten bezeichnet!

  [107] Ich erzähle die Schandthat, wie sie im Januar 1840 im
        Hauptquartiere des Grafen von Morella von Cataloniern berichtet
        ward, welche hoch genug standen, um genau unterrichtet zu sein.



XXXII.


In trübe Gedanken versenkt zog ich am 30. October aus den Thoren von
Berga, welches ich wenige Tage vorher mit so freudigen Hoffnungen
betreten hatte. Das erste dumpfe Gerücht von des Grafen Ermordung war
am Morgen bis zu mir gedrungen, zu voreilig wohl, denn kaum konnte die
Nachricht des auf dem Ufer des nicht nahen Segre Geschehenen so rasch
herdringen. -- Der Graf ermordet! Kaltes Grausen überlief mich, und
eine innere Gewalt trieb mich vorwärts, weit, weit die Mauern hinter
mir zu lassen, in denen die blutbedeckten Mörder hauseten.

Allein, denn meinem Burschen war die Erlaubniß, mich zu begleiten, vom
General Segarra versagt worden, folgte ich auf meinem Maulthiere der
Straße nach der festen Hermite von Pinos, von einem stummen Knaben als
Führer geleitet. So wie ich das Fort verließ, begann schon die Gefahr,
die jetzt, da ich ganz allein und unbewaffnet reisete, noch weit
drohender, als bei dem Marsche vom Ebro herauf war; doch am Nachmittage
wurde ich durch eine Gesellschaft überrascht, die ich freilich nicht
erwartet hatte und unter jenen Umständen nicht eben wünschenswerth
nennen konnte. Zwei junge Frauen holten mich ein und flehten, sie
unter meinen Schutz zu nehmen. Die jüngere, kaum neunzehn Jahr alt,
hatte fünf Tage nach der Hochzeit mit dem Bruder ihrer Gefährtinn den
Gatten sich entrissen gesehen, da er, um wenige Stunden zu spät in das
schützende Band der Ehe getreten, nach dem durch de España eingeführten
Conscriptions-Gesetze für eines unserer catalonischen Bataillone
ausgehoben war. Die zweite, vielleicht sechs und zwanzig Jahr alt,
war seit dem Beginn des carlistischen Aufstandes von ihrem Manne
getrennt, der, ein echter, freiwilliger Royalist in den Schaaren,
welche Carnicer nach Ferdinand’s VII. Tode bildete, bei der Vernichtung
derselben gefangen genommen und nach der Insel Cuba geschickt wurde,
weil er sich weigerte, unter Christina’s Banner gegen die Vertheidiger
seines Königs zu fechten.

Die beiden Frauen, in einem am Ebro liegenden Dorfe wohnhaft, hatten,
wie häufig die Familien unserer Soldaten es thaten, ihrem Bruder und
Gatten Wäsche und andere Bedürfnisse überbracht; zagend waren sie
auf der Heimreise bis Pinos gelangt, da sie von der Brutalität der
christinoschen Soldaten und vor Allem der Nationalgardisten, denen sie
auf dem dreißig Leguas langen Wege bis zum Ebro so leicht begegneten,
das Schlimmste fürchten mußten. So waren sie innigst erfreut, einem
Mayor[108] sich anschließen zu dürfen. Natürlich erlaubte ich ihnen
ohne Zögern, mich zu begleiten, aber ich mußte oft lächeln, wenn ich
das Trio betrachtete, welches zu dreitägigem Marsche durch feindliches
Gebiet und zwischen zwölf bis vierzehn feindlichen Vesten hin sich
vereinigt hatte: ein Fremder, des Terrains gar nicht und sehr wenig
der eigenthümlichen Sprache der Provinz kundig, ohne Waffen gegen den
Feind und nur seinen Character als carlistischer Capitain habend, um
von den Einwohnern die Bedürfnisse -- Maulthiere, Rationen und Führer
-- sich zu erzwingen; und mit ihm zwei junge Frauen, welche, die
dunkeln Gluthaugen in steter ängstlicher Bewegung, bei jedem Geräusch
zusammenschraken und scheu zum Begleiter, Hülfe suchend, aufschauten.

Wenn die Carlisten, wie so oft, solche gefährliche Reisen machen
mußten, pflegten sie bei Tage zu ruhen und nur bei Nacht den Marsch
fortzusetzen, in der Dunkelheit ihre Sicherheit suchend. Ich beschloß
nun, dieses zu benutzen und gerade das Gegentheil davon zu thun: ich
marschirte nur bei Tage und strebte, besonders die gefährlichsten
Punkte am Mittage zu überschreiten, wogegen ich des Abends irgend
einen größeren Ort, wo möglich, oder sonst einen Weiler aufsuchte, wie
sie auch in dem schroffsten Gebirge nur selten fehlten, um dort die
Nachtstunden zuzubringen. Später, da ich häufig in ähnlichen Lagen mich
befand, habe ich die Methode stets mit dem besten Erfolge angewendet.
Denn da der Feind jene Gewohnheit des nächtlichen Marsches kannte, traf
er demnach seine Maßregeln; er legte sich am Abend in Hinterhalte, die
Einherziehenden erwartend, während er in der Nacht gern die Ortschaften
vermied, da er jeden Augenblick die Ankunft eines carlistischen Trupps
erwarten mußte, was bei der Abneigung der Bevölkerung gegen ihn leicht
ihm verderblich werden konnte. Da war ich also mit einiger Vorsicht
ganz sicher.

Am Tage dagegen wußte er die Carlisten ruhend und suchte deßhalb in
ihren Schlupfwinkeln sie zu überraschen; dann zog ich aufmerksam meines
Weges und war, wenn ich etwa einer feindlichen Streifparthie begegnete,
immer zeitig genug von ihrem Nahen benachrichtigt, um über die zu
ergreifenden Maßregeln mich entscheiden zu können.

       *       *       *       *       *

Der erste, besonders Gefahr drohende Punkt auf meinem Marsche war
die große Heerstraße von Barcelona über Lerida nach Zaragoza: sie
mußte zwischen den beiden, anderthalb Leguas von einander entfernten
Festungen la Igualada und Cervera überschritten werden, was bei
unserer Hinaufreise nicht ohne viele Mühe und in steter Besorgniß um
Mitternacht bewerkstelligt war. Jetzt kam ich, von den zitternden
Weibern begleitet, um eilf Uhr Morgens bei der Straße an, nachdem ich
von einer nahen Höhe das Terrain sorgfältig recognoscirt hatte.

Rechts, eine gute Viertelstunde entfernt, breitete sich, auf einem
Hügel liegend, Cervera mit seinen aus schneeweißen Quadersteinen
errichteten Befestigungen aus, hoch von zahlreichen Thürmen überragt,
welche den früheren Glanz der Stadt beurkunden; noch jetzt enthält sie
die einzige Universität des Fürstenthumes. Ich hatte den Übergangspunkt
ihr so nahe gewählt, weil dort die Gebirge zu beiden Seiten bis nahe
an die Chaussee sich hinziehen; übrigens wagten die Christinos nie
anders, als in schlagfertigen Trupps, auch nur tausend Schritt weit
aus ihren Werken hervorzugehen. Bis zu den Thoren von Cervera hin war
die Aussicht frei, so daß wir deutlich selbst die Soldaten der Wache
unterschieden. Links, jedoch in weiter Ferne, wurden die Thürme des
Fleckens la Igualada sichtbar, welcher durch die zwischenliegenden
Höhen unsern Blicken verdeckt war.

Stolz ritt ich die zweihundert Schritt hin, welche ich der Straße zu
folgen genöthigt war, mit Staunen von den einzelnen Bauern angegafft,
die, vom Markte in der Stadt heimkehrend, ihre unbeladenen Esel vor
sich hertrieben. Ich wußte sehr wohl, daß ich von Cervera aus von
den Feinden gesehen und erkannt wurde, denn ich hatte mein weißes
Barett mit goldenem Quaste nicht abgelegt; und es lag etwas angenehm
Kitzelndes in der Idee, so spottend der Einzelne den Vielen zu trotzen.
Doch unterließ ich dabei nicht, meines Maulthieres gewohnten Schritt
durch einige derbe Stöße zu beschleunigen.

Da plötzlich schrie eines der Mädchen auf und zeigte bleich mit
dem Finger nach dem Seitenwege, welchen wir einschlagen sollten.
Etwa dreißig Reiter in glänzender Uniform, kaum zweihundert Schritt
entfernt, naheten in scharfem Trabe! Das hochmüthige Gefühl war
schon durch den Anblick niedergeschlagen, da ich in einer Minute
niedergehauen oder im glücklichsten Falle ein Gefangener sein mußte;
an Flucht aber war nicht mehr zu denken, indem ich auf dem wenigstens
tausend Schritt weit ganz ebenen Boden sofort eingeholt wäre. Was
thun? -- Doch ein zweiter Blick auf die Reiter machte mich zweifeln:
rothe Voynas glänzten auf ihren Köpfen; sie mußten also, wenn das
Unterscheidungszeichen nicht log, dem carlistischen Heere angehören.
Aber woher dann diese funkelnden Uniformen, diese weißen Dolmans mit
den Scharlachstickereien, woher die flatternden Pelze, wie ich selbst
im Vaterlande nicht reicher und geschmackvoller zugleich sie gesehen?

Einen Augenblick später begrüßte mich der Officier, welcher das
Detachement führte, mich befragend, ob irgend etwas Neues auf meinem
Wege vorgefallen sei oder der Feind dort stehe, und meine gleiche Frage
dahin beantwortend, daß Valmaseda’s Escadrone, denen er angehörte, den
Ebro passirten, um zum Grafen de España zu stoßen. Er wußte noch Nichts
von der Entfernung des Grafen; da dort aber nicht gerade der passende
Ort war, um in weitläuftige Erzählungen uns einzulassen, setzten wir,
glückliche Reise uns wünschend, bald den Marsch fort. Langsameren
Schrittes, als die leicht davon trabenden Reiter, verließ ich die
Heerstraße mit meinen niedlichen Gefährtinnen, die manchen derben
Scherz der lebenslustigen Husaren hervorriefen.

Kaum hatten diese sich von mir getrennt, als ein Kanonenschuß von
Cervera donnernd ertönte, alsbald dumpf von la Igualada beantwortet:
das Signal, daß ~facciosos~ die Linie passirten. Ich beschleunigte
den Schritt, da ich voraussetzen mußte, daß alle kleinen Streifcorps
der Christinos nun in Bewegung kommen würden, um, wo möglich, irgend
eine Beute zu erwischen, und bald hatte ich mich wieder in die tief
eingeschnittenen Schluchten geworfen, die diesen südlichen Ausläufern
der Pyrenäen einen so besonders wilden Ausdruck verleihen.

Munter und ohne weiteren Aufenthalt zogen wir bis zum Abend fort,
wobei die Frauen, denen ich natürlich häufig mein Maulthier überließ,
wiewohl hauptsächlich die Jüngere so zartes Äußere hatte, wie man
in Deutschland vergeblich bei einer Bäuerin es suchen würde, die
unendliche Gewandheit und Ausdauer der Gebirgsbewohner entwickelten,
mein lebhaftes Staunen erregend. Sie hüpfen leicht wie die Gemsen auf
den oft Grausen weckenden Pfaden hin und eilten jetzt im Fluge in
die tiefen Abgründe hinunter, um dann wieder unermüdet den oft sich
windenden und immer noch entsetzlich steilen Felsenweg hinaufzuklimmen.

Die Wege waren wirklich furchtbar, überall mit Absicht über die
schroffsten und unzugänglichsten Theile des Gebirges geführt, oft fast
unkennbar und durch loses Gestein plötzlichen Sturz in die gähnende
Tiefe drohend; zugleich durchschnitten sie quer alle die schmalen
Thäler, so daß ein ununterbrochener Wechsel von halb bis einstündigem
jähen Aufsteigen und eben so langem, vielleicht noch gefährlicherem
Hinabklettern Statt fand. Auch versicherten die Einwohner der Dörfer,
welche wir in jedem Thale fanden, daß, ehe die carlistischen Truppen
diese Verbindungswege öffneten, Niemand für möglich gehalten habe,
dort zu passiren, so daß die Communication auf Stunden weiten Umwegen
um den Fuß der Gebirge bewerkstelligt wurde. Unsere Freiwilligen
pflegten stets die kürzeste Linie für ihre Märsche zu wählen, ohne die
Eigenschaften des Terrains viel zu Rathe zu ziehen.

Als ich am Abend in einem niedlichen Dorfe Halt machte, waren wir
bereits über sieben Leguas von der Chaussee entfernt; ich warf mich
daher zu freilich nicht sehr ruhigem Schlafe auf eine Matratze neben
dem Heerde nieder, nachdem ich den Alcalden mit seinem Kopfe dafür
verantwortlich gemacht hatte, daß auf jeder dem Orte zuführenden Straße
ein sicherer Mann zur Beobachtung aufgestellt werde.

Gegen vier Uhr Morgens weckte mich mein braver Alcalde, bestürzt mir
meldend, daß ich nicht frühstücken könne; auf meine verdrießliche
Frage: „und warum nicht, ~carajo~?“ antwortete er mit tausend
Versicherungen der Unschuld und Bitten, daß meine Herrlichkeit ihm
verzeihe. Erst nach langem Drängen brachte er hervor: „im Augenblick
sind die Negros hier, sonst hätte ich Ew. Herrlichkeit ja nicht
geweckt.“ Da war ich freilich schnell auf den Beinen. Der Bauer,
welcher, einer der ausgesandten Patrouillen, die Nachricht überbracht
hatte, berichtete, daß er selbst einen Theil der Besatzung des
nächsten, fünf Viertelstunden entfernten Forts den Weg gerade nach dem
Dorfe habe einschlagen sehen, wohl von dem christinoschen Alcalden
benachrichtigt; und daß die Schwarzen, da er auf Nebenwegen und laufend
vorausgeeilt sei, in einer Viertelstunde anlangen könnten.

Das Maulthier, vom Wirthe als das beste des Thales gerühmt, stand
schon seit dem Abend reisefertig, das heißt, mit einem ungeheuren
Bastgeflecht zur Aufnahme des Gepäckes und mit einem Stricke statt
des Zügels versehen, die beiden Gefährtinnen, auf der andern Seite
des Heerdes ruhend, waren sofort munter. Also saß ich zwei Minuten
nachher auf dem Strohsattel, mit einem großen, stark nach dem beliebten
Knoblauch, dem Spanier das non plus ultra der Gewürze, duftenden Topfe,
der das Frühstück enthalten sollte, vor mir, und geflügelten Schrittes
zogen wir weiter dem Süden zu.

Ohne weitere Hindernisse überschritt ich den zweiten besonders
gefährlichen Punkt, die Heerstraße von Tarragona nach Lérida. Als wir
aber auf dem Gipfel eines Berges ankamen und nach kurzer Ruhe uns
anschickten, zu dem am Fuße desselben liegenden Flecken eine gute halbe
Stunde hinabzusteigen, tönte plötzlich lautes, verworrenes Geschrei
zu uns herauf. Wir stutzten, denn der Schrei schien von Tausenden
herrühren zu müssen, und ich hatte nicht gehört, daß eine Colonne sich
in der Gegend befände. Ein Bauer, den wir bald trafen, konnte uns nur
sagen, daß viele Soldaten dort unten seien, was dieselbe Ungewißheit
bestehen ließ; als wir nun langsam hinabstiegen, oft anhaltend und
lauschend, sah ich dunkele Reihen, von Gewehren überblitzt, sich
uns entgegen schlängeln. Schon wollte ich umkehren, als des Führers
Adlerauge die so oft ersehnten Baretts unterschied.

Es war eine Brigade des Heeres von Catalonien, die eine Excursion
in das Ebro-Thal gemacht hatte, und deren Operationen, in dieser
Richtung die kleinen feindlichen Streifparthieen verscheuchend, wohl
viel beitrug, meinen Marsch ungefährdet zu machen. Das früher gehörte
Geschrei aber rührte von den Vivas her, mit denen die Truppen eine
Anrede ihres Führers erwiederten.

Wie oft habe ich die Idee gesegnet, welche Zumalacarregui bewog, die
malerischen Voynas der Basken für seine Armee zu adoptiren! wie oft bin
ich, so wie tausend Andere, durch sie aus Verlegenheit befreit oder
gewarnt! wie oft haben sie aus der Furcht der Ungewißheit und selbst
vom nahen Verderben mich gerettet! Wenn das glänzende Scharlach oder
Weiß aus der Ferne leuchtete, war ich ja sicher, unter den Meinen zu
sein; wo sie fehlten, nahte man nur mit der größten Vorsicht, da, wenn
auch unsere Soldaten häufig blaue Voynas trugen, die Officiere doch
durch jene Farben hervorstachen.

Ehe ich den Ebro erreichte, traf ich auf Valmaseda’s Escadrone, durch
ihre Bravour, wie durch die Tollkühnheit und die fanatische Wildheit
ihres Führers bekannt; eine treffliche Schaar: lauter kräftige Leute,
echte Söhne Castilien’s, und getragen von stolzen andalusischen
Hengsten, die sie auf ihren kühnen Zügen zusammenbeuteten. Diese
Reiterei war das Schönste und Kriegerischste, was ich in Spanien sah,
an Glanz den Elite-Regimentern der Christinos nicht nachstehend und
in den dunkel gebräunten, bärtigen Antlitzen der Krieger das Gepräge
langen und harten Kämpfens bietend, wie es nur in den ersten Zeiten der
carlistischen Erhebung Statt finden konnte. Da sah der Guerrillero, wie
das Wild durch die Gebirge auf den Tod gehetzt, oft Wochen lang keine
menschliche Wohnung, und Wochen lang war er in den unzugänglichen
Klüften zur Fristung des Lebens auf Kastanien und süße Eicheln
beschrankt.

Am Abend des dritten Tages nach dem Abmarsche von Pinos dehnten sich
wieder die fruchtbaren Auen des Ebro vor uns aus, und während meine
Begleiterinnen nach herzlichem Abschiede den Fluß entlang freudig
ihrem heimathlichen Dorfe zuschritten, trug mich die Fähre nach dem
befreundeten Flix zurück.

       *       *       *       *       *

Da erhielt ich denn trübe Nachrichten, wie ich freilich nicht so rasch
sie erwarten konnte: Espartero stehe mit seiner ganzen Armee nur wenige
Stunden von Morella und Cantavieja entfernt, und stündlich werde der
Angriff auf eine der bedroheten Festungen erwartet; Cabrera mit einem
Theile seiner Truppen habe sich dem so unendlich überlegenen Feinde
beobachtend entgegengestellt. Meine Absicht, einen Tag im reichen Flix
zu ruhen, war vereitelt, da ich vor Anbruch des Tages schon weiter
eilte, um zu rechter Zeit zum Kampffeste anzukommen.

Doch wie ich vorwärts schritt, blieben die Nachrichten merkwürdiger
Weise stets dieselben. Espartero war immer einige Stunden von Morella
entfernt, Cabrera ihm ganz nahe, und die beiden Heere schauten müssig
sich an. Diesen Stillstand mußte freilich unser braver General schon
als hohen Sieg betrachten; seit Jahren nur gewohnt, zu vertheidigen und
zu decken, hatte Espartero wohl vergessen, daß er anzugreifen und zu
erobern hieher gekommen war, oder er mochte es schwer finden, für die
Lieblingsmethode, durch die er die Nordprovinzen ohne Kampf und ohne
Gefahr sich unterwarf, in Aragon sogleich bereitwillige Werkzeuge zu
finden.

Da hielt denn der Siegesherzog mit seinen Sechzigtausend inne vor
wenigen Bataillonen unserer Treuen, und ungewiß, wie die ihm neue
Aufgabe des Erkämpfens mit den Waffen in der Hand zu lösen sei, stand
er da Woche auf Woche, das so nahe und ihm doch unerreichbare Ziel
seines Strebens anstarrend, ohne daß er die Hand zu seiner Erreichung
auszustrecken gewagt hätte. Und dann erkannte er endlich, daß der Sieg,
einem Cabrera gegenüber, doch wohl nicht so im Fluge erhascht werde.
Anstatt, seiner phrasenreichen Ankündigung gemäß, vor dem Ende des
Jahres die Horden der Rebellen niederzuschmettern, kehrte er, erstaunt
über das, was er gewagt, zurück aus der drohenden Nähe, in die er
ungehindert sich aufgestellt hatte -- zu welchem Zweck, möchten wohl
seine schmeichelnden Lobredner weit eher ausfindig zu machen wissen,
als er selbst --; und er beschloß, doch lieber bei dem sicherern
Systeme zu beharren, welches ja schon Titel und Ehren -- wenn auch
nicht Ehre -- und Macht in Fülle ihm eingebracht hatte.

Verrath, Bestechung, Fälschung, Meuchelmord und Gift[109] sind die
Waffen, deren Espartero als Meister sich zu bedienen wußte; durch sie
sollte denn auch die Macht des gefürchteten Cabrera gebrochen werden.
-- Doch greife ich dem Gange der Ereignisse nicht vor!

In Morella fand ich Alles eben so friedlich, wie drei Wochen früher
bei meiner Abreise; auf meine Fragen nach dem Stande der Dinge hieß
es: „Ja, die Christinos stehen ein paar Stunden von hier in Luco und
Bordon, aber unser Graf ist in Zurita, ihnen gegenüber.“ Dagegen sprach
alle Welt mit Entsetzen von dem neuen Mordversuche, dem achten schon
oder neunten, der vor wenigen Tagen auf den geliebten General gemacht
war, und dem er durch wunderbares Geschick entging, da ihm Voyna und
Mantel von Kugeln getroffen waren. Die Thäter, zwei durch das Gold
Cabañero’s gewonnene und von einem früheren carlistischen Spione
geführte Bauern, wurden von den Miñones ergriffen, und die drei büßten
ihre Schandthat auf der Stelle mit dem Tode.

Ebenso erregte der Verrath allgemeinen Unwillen, durch den Cantavieja
dem schleichenden Feinde hatte überliefert werden sollen. Er mißlang
nur durch die rasche Energie Cabrera’s, der, wenige Stunden vor der
Ausführung dort anlangend, mehrere Officiere, die des Einverständnisses
mit Espartero durch aufgefangene Correspondenz überwiesen waren,
sogleich erschießen ließ.

       *       *       *       *       *

Ich eilte, den Oberst Baron von Rahden als Landsmann aufzusuchen,
und ward von ihm mit wahrer Herzlichkeit empfangen, indem er mir
vorwarf, daß ich nicht gleich nach meiner Auswechselung zu ihm kam.
Die Katastrophe des Grafen von España erschütterte ihn tief. Herr
von Rahden hatte, da er in Folge von Zwistigkeiten mit Maroto auf
Befehl des Königs nach Aragon abging, einige Zeit in Catalonien sich
aufgehalten und war dem ermordeten Grafen so werth geworden, daß dieser
ihn erst spät und in Rücksicht auf den bestimmten königlichen Befehl
die Reise zur Armee Cabrera’s fortsetzen ließ, nachdem er ihn mit
Beweisen des Wohlwollens und der höchsten Achtung überhäuft hatte.

So war es wohl natürlich, daß die Nachricht von dem schmählichen Ende
des hochverdienten Greises Herrn von Rahden unendlich ergriff; sein
gewiß von jedem Deutschen getheilter Abscheu gegen das Volk und das
Land, in dem solche Schandthat geschehen und unbestraft bleiben konnte,
trug eben so viel, als Rücksicht auf die von spanischen Wundärzten
behandelte schwere Wunde, welche ihm selbst das Reiten nicht erlaubte,
dazu bei, daß er freudig die Botschaft an den König übernahm, welche
ihm Cabrera kurz nachher anbot. Oft hörte ich, wenn wir über die
Ereignisse des verflossenen Jahres sprachen, so reich an Verbrechen
und Schande, schwer seufzend ihn äußern, daß er niederfallen werde und
den Boden küssen in dem Augenblick, da er Spaniens Gränze hinter sich
sehe. Er benutzte daher ohne Zögern die so günstige Gelegenheit, um die
Wintermonate, die nach Espartero’s Rückzuge in Unthätigkeit vergehen
mußten, angenehmer unter den Genüssen des Friedens zuzubringen,
vertrauend, daß er im Frühjahre neu gestärkt zum Kampfe zurückkehren
werde.

Und ich leugne nicht, daß ich mit schmerzlichem Gefühle ihn scheiden
sah; ich hätte Viel geopfert, um das, was mir ein glückliches Loos
schien, mit ihm theilen zu dürfen. Später freilich, da ich vernahm,
wie Herr von Rahden, nach mannigfachen Gefahren die französische
Gränze erreichend, zu Bourges von der Polizei einem Verbrecher gleich
gefangen, gemißhandelt, ausgeplündert und endlich gar verhindert ward,
zum letzten Entscheidungskampfe seinen Cameraden sich anzuschließen und
bis zum letzten Augenblicke die Sache des Royalismus zu vertheidigen --
sein höchster Wunsch und sein Stolz --; da freilich schätzte ich mich
glücklich, daß früher mein Sehnen nicht erfüllt war, daß Polizeispione
und die Gewaltthätigkeiten französischer Machthaber nicht mich zwingen
konnten, aus der Ferne unthätig dem Untergange der Sache zuzuschauen,
der ich, weil sie gerecht und edel war, mich gewidmet hatte.

Es ist leicht begreiflich, daß ein Mann, wie der Oberst von Rahden,
in Cabrera’s Armee unendlich nützlich und wichtig sein mußte. Der
General hegte zwar, wie ich später von seiner Umgebung erfuhr, anfangs
auch gegen ihn die Vorurtheile, welche jeden Spanier, aus welcher
Klasse er sei, gegen den Fremden stets erfüllen, und die, Erzeugniß
des Nationalstolzes und der Eitelkeit, mehr und mehr in seiner Brust
zu wurzeln scheinen, je tiefer er sein Vaterland erniedrigt und
gedemüthigt sieht. Aber Baron von Rahden, immer der Vorderste zu der
Gefahr und in ihr besonnen und ruhig, entschlossen in Rath und That und
durch langjährige Erfahrung und Studien ausgezeichneter Militair, wußte
bald jene Abneigung zu besiegen; ja er erwarb sich in kürzester Zeit
die Bewunderung und die Freundschaft des kühnen Grafen von Morella.

Er besaß die ganz nordische, unerschütterliche Bravour, die auch
dem verwegensten Südländer Staunen erregt, und mehrere Male hörte
ich selbst Cabrera äußern, daß Rahden der unerschrockenste Mann
sei, den er je gesehen, daß er aber solche Kaltblütigkeit nicht
begreife. Da war es denn unvermeidlich, daß Viele eifersüchtig den so
weit sie überstrahlenden Deutschen haßten und ihm tausend drohende
Schwierigkeiten in den Weg legten, Schwierigkeiten, denen der brave
Chef des Geniecorps, der, nicht sehr biegsam, nie das Recht sich
entwinden, nie Unrechtes ungerügt ließ, ohne die Hülfe einiger edel
Gesinnten und besonders die Stütze, welche er an dem General en Chef
sich gewonnen, wohl nicht immer so siegreich hätte begegnen können.

Am Tage nach meiner Ankunft in Morella zog ich mit dem Oberst von
Rahden nach dem Hauptquartiere Cabrera’s, welches so eben nach
Cantavieja verlegt war, wo wir gerade vor Thoresschluß anlangten. Auf
dem ganzen Wege, der einige Mal nicht über eine kleine Stunde von den
vom Feinde besetzten Punkten vorbeiführte, hatten wir nur in Mirambel
zwei Escadrone getroffen. In Cantavieja wurden wir mit unendlicher
Zuvorkommenheit von dem Titulair-Oberst im Genie-Corps Cartagena
empfangen, einem hagern, etwa sechszigjährigen Manne, dessen stiere,
vorquellende Augen und immer lächelndes, immer gleich nichtssagendes
Gesicht als eben so dumm wie halsstarrig ihn bezeichneten, wiewohl er
nach seiner Erzählung unendlich Viel gethan und geleistet hatte. Er
war in dem Kriege gegen Napoleon -- Gott weiß, wie? -- zum Capitain,
in dem kurzen Kampfe nach der Constitutions-Epoche von 1823 zum
Oberstlieutenant avancirt, nach hergestellter Ruhe aber jedesmal sofort
in den Ruhestand zurück versetzt.

Im Jahre 1837 vereinigte er sich mit Cabrera, der, vom Ingenieurwesen
selbst gar Nichts verstehend und keinen Officier dieser Waffe
besitzend, ihn nach seiner einzigen Festung Cantavieja schickte, wo er
denn bis dahin gehauset und in den Befestigungswerken, die er stets
auf die zweckwidrigste Weise zu arrangiren wußte, ungeheure Summen
vergeudet hatte. Der General erklärte einst, daß er mit dem verwandten
Gelde das ganze Cantavieja rasiren und es neu und regelrecht befestigen
könne.

Oberst von Rahden hatte dieses Individuum in jener Festung vorgefunden
und ihn, da Cabrera wegen seiner Dienste in den früheren Kriegen ihn
zu schonen wünschte,[110] dort gelassen, seit der Zeit aber natürlich
seine weiteren Arbeiten überwacht. Es mußte daher etwa alle acht Tage
ein Ingenieur-Officier nach Cantavieja als außerordentlicher Commissair
reisen, um das Geschehene zu inspiciren und Ferneres anzuordnen,
wobei denn zwischen dem alten Oberst und den jungen Capitains, welche
solchen Auftrag bekamen, oft die sonderbarsten Scenen vorfielen,
da der eigensinnige Cartagena immer gerade das Gegentheil von dem
gethan hatte, was ihm acht Tage vorher vorgeschrieben und durch jedes
mögliche Mittel versinnlicht war. Auch ich erhielt später abwechselnd
mit dem Capitain Verdeja diese Commission und ward gewöhnlich nach
vielstündigem Demonstriren mit dem Bescheide abgefertigt: „Jetzt wollen
die Gelbschnabel Alles besser wissen, als wir Alten. Aber Don Ramon
will es so! -- Sprechen Sie doch mit ihm, daß er den rückständigen
Gehalt mir auszahlt.“ Und dann versprach er Alles, um, so wie wir den
Rücken wendeten, ganz nach seinem Kopfe zu handeln.

Trotz der Befehle des Obersten von Rahden und trotz unseres Ärgers,
den er mit stoischer Ruhe aufnahm, brachte er es wirklich dahin, daß
Cantavieja im Frühjahr als unhaltbar geräumt und gesprengt wurde, da,
als der interimistische Director des Corps während der Abwesenheit
des Herrn von Rahden, Oberst Alzaga, der bis dahin die Dinge gehen
ließ, wie sie wollten, sich endlich entschloß, dem General den
jämmerlichen Zustand der Festung anzuzeigen, der Feind bereits sein
Belagerungsgeschütz heranschleppte.

Wir fanden den General im Kreise seiner Adjudanten und anderer
Officiere am Caminfeuer sitzend. Es war mir doch peinlich zu Sinne,
da ich wieder mich ihm vorstellte; die blaue Brille, welche früher so
übeln Eindruck gemacht, hatte ich, wiewohl ich ihrer schon selten mich
bediente, wieder aufgesetzt, nicht wünschend, daß ihr Weglassen einem
niedrigen Beweggrunde zugeschrieben werde. Cabrera empfing mich mit:
„Wie, schon zurück!“ und schlug die Bitte des Obersten von Rahden,
mich zum Geniecorps zu bestimmen, mit der Bemerkung ab, daß durch
dieses wissenschaftliche Corps schon zu viele Officiere den Bataillonen
entzogen wären. Dennoch erlangte der Oberst bald, indem er von meinen
Leiden in der Gefangenschaft und vor Allem von den schweren Wunden
sprach, was nie verfehlte, Cabrera günstig zu stimmen, daß ich dem
Corps aggregirt und selbst zu seinem Adjudanten ernannt wurde, was
mich doppelt erfreute, da ich so mit dem verehrten Landsmann vereinigt
blieb. Hätte ich geahnet, daß er sobald Aragon verlassen würde, so
hätte ich freilich der Ansicht treu, die ich bei meinem Eintritt in
Spanien aussprach, vorgezogen, ferner in der Infanterie fortzudienen.

Auch hier äußerte Cabrera wiederum, daß die Brillen ihm widerlich
seien, er müsse einem Jeden frei in das Auge sehen können.

Nachdem Herr von Rahden seine Geschäfte mit dem General und dem
Oberst Cartagena vollbracht hatte, der manche bittere Pille dabei
verschlucken mußte, traten wir den Rückmarsch nach Morella an, wo ich
in des Obersten Logis gleichfalls mich einrichtete. Wir bewohnten eines
der vorzüglichsten Häuser der Stadt; der Balkon des großen Saales war
merkwürdiger Weise mit Glasfenstern statt des sonst üblichen, in Öl
getränkten Papieres versehen, und wir beschlossen, durch Erbauung eines
Ofens uns einen der vielen vaterländischen, hier so lange und so bitter
entbehrten Genüsse zu verschaffen.

Die drei Wochen, welche ich dann in der Gesellschaft des Baron von
Rahden zubrachte, darf ich als die glücklichste Zeit betrachten, die
ich in Spanien verlebte, wenn ich etwa jene einzelnen Momente der
Begeisterung ausnehme, wie das Kriegerleben so mächtig sie hervorruft,
die, alles Äußere zurückdrängend, in der Wonne des Kampfes und
des Sieges oder irgend einer hohen That uns schwelgen machen. Und
doch, wie könnte ich das Glück jener Wochen mit diesem Rausche der
Empfindung zusammenstellen! Denn, wahrlich! ein Rausch ist es, der
augenblicklich, unserm gewöhnlichen Selbst uns entreißend, mit neuen
Gefühlen, nie gekannten Kräften uns anregt und zu Thaten treibt, über
die wir selbst staunen, wenn der Geist geflohen, der die Brust uns
füllte; -- eine Berserker-Wuth, wie die Sage in den Helden unserer
nordischen Stammverwandten beim Beginne des ersehnten Kampfes sie
schildert --. Wenn aber der Rausch schwindet und mit ihm die strahlende
Glorie, durch die Alles in unseren Augen verherrlicht wurde, wenn wir
uns zurückgeschleudert sehen in das Treiben der Menschheit mit der
Niedrigkeit und der leidenschaftlichen Erbärmlichkeit, welche vorher
vor dem reineren Feuer, das in uns glühete, scheu sich versteckt hatte;
dann folgt geistige Erschlaffung der Spannung, die so hoch über uns
selbst und unsere Umgebung uns hob, und die Begeisterung, den tödtenden
Eindrücken weichend, welche die immer wiederholten Enttäuschungen
aufdrängen, löset sich in Ekel und Alles verachtende Bitterkeit auf.

       *       *       *       *       *

Gegen das Ende Novembers kam Cabrera auf einige Tage nach Morella. Bald
theilte mir Herr von Rahden mit, daß er unverzüglich nach Frankreich
abreisen werde, da der Wunsch des Generals, ihn an den König zu senden,
der stets zu Bourges zurückgehalten wurde, mit seiner Neigung und
seinen Bedürfnissen zusammentraf. Am 30. November 1839 verließ er
Morella, von dem Oberst Caravajal nebst einigen Officieren und dem
Maler Lopez begleitet, einem sehr geschickten Künstler und wahren
Carlisten, der früher in der königlichen Armee gekämpft und während
der kurzen Zeit, die er, von Rom kommend, im Auftrage Carls V. bei
dem Heere Cabrera’s gewesen war, ein sehr gelungenes Portrait des
gefeierten Feldherrn angefertigt hatte.

Mein Bedauern bei der Trennung von dem einzigen Deutschen, der in der
Armee sich befand -- denn einige Schurken, die von der französischen
und portugiesischen Legion als Deserteurs zu uns gekommen waren,
verdienten nicht, so genannt zu werden -- von dem Manne, dessen
freundschaftlicher Theilnahme ich so sehr mich verpflichtet fühlte, war
herzlich, wiewohl ich hoffte, daß er in wenigen Monaten wieder an der
Spitze des Corps stehen würde, welches er geschaffen und auf eine so
hohe Stufe gehoben hatte.

Etwa drei Wochen später brachten die Burschen, welche bis zu der
Gränze ihn begleitet hatten, mit einem dicht am französischen Gebiete
geschriebenen Billet die frohe Nachricht, daß Herr von Rahden -- er war
im November zum Brigade-General ernannt -- wenn auch oft von Gefahren
bedroht, endlich ohne Unfall Spanien habe verlassen können. Eines
der Pferde, die sie zurückbrachten, wies mir Cabrera, der in Hervés
erkrankt lag, mit der Bemerkung zu: „Sie werden es ihres Freundes
wegen hoch schätzen.“ Es war das letzte, welches der Feind bei der
Katastrophe des folgenden Jahres mir abnahm.

  [108] ~El mayor~, der Älteste, nannten die einfachen Gebirgsbewohner
        in ihrer unbegränzten Ehrfurcht jeden Officier; gewohnt, den
        Ältesten der Familie mit höchstem Respekt zu behandeln, trugen
        sie die Benennung auch auf die Militairs über, denen solcher
        Respekt bewiesen ward.

  [109] Diese Blätter werden Belege für Alles liefern, dessen ich den
        Siegesherzog hier anklage.

  [110] Ein beachtenswerther Zug in dem jungen General war seine hohe
        Achtung und Rücksicht für alle altgedienten Soldaten.



XXXIII.


Espartero, nachdem er die baskischen Provinzen erkauft, war in den
letzten Tagen Septembers von Navarra aufgebrochen, um sein Werk durch
die Unterwerfung des Gebirgslandes zu vollenden, in dem der Graf von
Morella als Stellvertreter Carls V. befehligte. Er führte 40 Bataillone
und 16 Escadrone von der Nordarmee nach Aragon; die Bataillone waren
durch die neue im Sommer gemachte Aushebung von 40000 Mann auf den
höchsten Etat gebracht, den sie während des Krieges je gehabt hatten:
sie enthielten nach den Aussagen von Augenzeugen, wie nach dem, was
ich später von den Christinos selbst hörte, in ihren acht Compagnien
1100 bis 1200 Mann. Die drei Heeres-Divisionen und die der Avantgarde,
in welche jene Masse eingetheilt war, wurden von den erprobtesten
Führern der Christinos commandirt; der frühere Vicekönig von Navarra,
Don Diego Leon, Graf von Velascoain, befehligte die neun Bataillone
starke königliche Garde. Mit Espartero war auch der berüchtigte
Schleichhändler Martin Zurbano, genannt Barea, von der usurpatorischen
Regierung mit dem Grade eines Obersten belohnt, nach Aragon gekommen;
sein Freicorps zählte fast 3000 Mann Infanterie und 200 Pferde.

Die Armee des Centrum, unter dem Oberbefehl des Generals O’Donnell im
Königreiche Valencia stehend, war aus 24 bis 26 Bataillonen und etwa 20
Escadronen zusammengesetzt, da der Rest als Garnisons der zahlreichen
Festungen beschäftigt war. O’Donnell zog mit 21 Bataillonen und 7
Escadronen nach Teruel, um von dort aus in Verbindung mit Espartero die
entscheidenden Operationen zu beginnen. So gebe ich die unter diesen
beiden Chefs vereinigten Streitkräfte gewiß nicht zu stark an, indem
ich ihre Zahl auf 75000 bis 80000 Mann schätze.

Der Graf von Morella befand sich, da er die Nachricht von dem Verrathe
Maroto’s und dem Anmarsche der Nordarmee erhielt, mit 12 Bataillonen
und 800 Pferden weit im Innern Castilien’s, wo kein feindliches
Corps seine Fortschritte hinderte. Er eilte sofort zur Deckung des
Hochplateaus, von dem hinab er bisher siegreich nach allen Seiten sich
ausgedehnt hatte; am 6. October langte er in Morella an und traf sofort
die Maßregeln, welche zum kräftigen Empfange des Feindes beitragen
konnten.

Die Armee unter seinem unmittelbaren Commando bestand aus folgenden
Truppen:

Die Division von Aragon unter General Llagostera enthielt 9 Bataillone,
von denen zwei erst kürzlich bewaffnet waren, und 6 Escadrone; die
Division von Valencia unter General Forcadell 7 Bataillone, von denen
das eine neu gebildet, und 4 Escadrone; die Division vom Ebro in der
1. Brigade, Tortosa, unter Oberst Palacios 4 Bataillone, in der 2.
Brigade, Mora, unter Oberst Feliú 3 Bataillone und 4 Escadrone.

Dazu kamen das Schützen-Freibataillon des Oberst Bosque, das
Sappeurs-Bataillon und das Bataillon der Artillerie, so daß die Armee
aus 26 Bataillonen und 14 Escadronen oder 14000 Mann Infanterie und
1300 Pferden bestand.

Die Brigade, welche, 4 Bataillone und 2 Escadrone stark, jenseit
der Heerstraße von Teruel nach Segorbe stand und die Festungen des
Turia nebst Cañete und Beteta kaum hinlänglich garnisoniren konnte,
darf nicht in Betracht gezogen werden, da sie zu den diesseitigen
Operationen gar nicht mitwirkte, der Feind auch zwei überlegene
Colonnen unabhängig ihr entgegengestellt hatte; ebenso wenig die beiden
Escadrone, mit denen Valmaseda nach Catalonien und im December, von
dort zurückkommend, nach Neu-Castilien abging.

14000 Mann und 1300 Pferde sollten dem Angriffe von 80000 Mann
begegnen! Doch hatte jene Minderzahl den Vortheil des Terrains für
sich, so wie die Stütze, welche ihre Forts und der Geist der Einwohner
ihnen gewährten; dagegen machte wieder das Terrain den Gebrauch ihrer
herrlichen Cavallerie unmöglich, weshalb diese größtentheils entsendet
wurde, um in Flanke und Rücken des Feindes seine Communicationen
zu erschweren. Aber dieses kleine Heer wurde furchtbar durch die
gränzenlose Hingebung der Krieger, ihre unwandelbare Treue und vor
Allem ihr Vertrauen auf den Führer, den sie stets an ihrer Spitze auf
dem Pfade des Sieges und der Ehre gesehen hatten. Unendlich war der
Enthusiasmus, den der Anblick des geliebten Generals, ein ermunterndes
Wort aus seinem Munde in den Freiwilligen erregte; und die friedlichen
Einwohner begrüßten mit eifrigen Wünschen für sein Glück den Feldherrn,
der gegen Feind und Freund so brav wie gerecht sie geschützt, und den
sie daher als rettenden Engel zu betrachten sich gewöhnt hatten.

Cabrera unterließ Nichts, was diesen Geist des Heeres und des Volkes
erhalten und heben konnte. Er erließ Proclamationen, in denen er mit
schwarzen Zügen den Verrath -- wiewohl nicht in seinen ganzen Folgen
-- schilderte, der den König gezwungen hatte, das angestammte Reich
zu meiden. Er sprach dann in feurigen Worten zu den Herzen seiner
Kameraden; er erinnerte sie an die zahllosen Unbilde und die Schmach,
welche die Männer der Revolution auf Alles gehäuft hatten, was ihnen
theuer und heilig sein mußte; er rief die Gefahren und die Drangsale
ihnen ins Gedächtniß, die sie unter seiner Leitung erduldet, und aus
denen die Hülfe des Höchsten sie stets mit Ehre und Ruhm gerettet, die
Siege, welche sie so oft, weit schwächer und wo schon Rettung unmöglich
schien, über die prunkenden Massen der erbitterten Negros davongetragen
hatten. Er zeigte, wie von dem Augenblicke an, in dem er mit funfzehn
Mann und ohne Waffen den Kampf begonnen für die Vertheidigung seines
Königs und seiner Religion, wie er da, von Schritt zu Schritt durch
die himmlische Vorsehung geleitet, endlich ein glänzendes Heer habe
bilden, und, der anfangs Verachtete und einem wilden Thiere gleich von
Schlucht zu Schlucht Verfolgte, die übermüthigen Feinde im Sitze ihrer
Macht bedrohen können.

Er forderte schließlich seine treuen Streitgenossen auf, nicht zu
verzagen, da sie nun die jauchzenden Schaaren der Christinos sich
heranwälzen sahen, er bat sie, vertrauensvoll und brav, wie bisher,
ihrem Führer zu folgen, der stets der Erste sein werde, wo Gefahr und
Ehre lockten, und er versprach ihnen, wenn sie standhaft aushielten in
dem großen Kampfe, bei dem die Frucht aller ihrer Anstrengungen auf
dem Spiele stand, den Schutz der gnädigen Himmelsköniginn, der hehren
Jungfrau der Schmerzen, die nie zugeben werde, daß ihre frommen Kämpen
unter den Streichen der alles Heilige verspottenden Trabanten der
Revolution erlägen.

Und der Aufruf ihres Generals entflammte zu höchstem Feuer die
Begeisterung der wackern Soldaten. Sie alle schwuren, bis zum Tod
ihrem Eide treu zu bleiben, und als Cabrera zu Morella die Garnison
versammelte und, wie jeder Unteranführer in seinem Corps es thun mußte,
öffentlich erklärte, daß jetzt alle die, welche nicht den Muth in sich
fühlten zur Fortsetzung des schweren Kampfes, bis das Begonnene ganz
vollbracht sei, frei und unangetastet in die Heimath sich zurückziehen
könnten, daß aber von dem folgenden Tage an der Soldat, welcher
von seinem Corps sich entferne, ohne Gnade erschossen würde -- da
antwortete ihm ein allgemeines, dreimal wiederholtes: „~viva el Rey!~“
von dem den Freiwilligen fast eben so vertrauten „~viva Don Ramon!~“
begleitet, und nicht Einer fand sich unter den braven Burschen,[111]
der von des Generals Aufforderung Gebrauch gemacht hätte.

Zugleich bemühete sich der General, viele der Mißbräuche abzuschaffen,
die ganz besonders in die Verwaltung sich eingeschlichen hatten, und
von denen er, bei seiner eigenen Uneigennützigkeit des Argwohnes
kaum fähig, durch bittere Erfahrungen kürzlich überzeugt war: die
Hülfsquellen des Landes, so wie die Beute, welche die kühnen Züge
Cabrera’s durch Castilien, Valencia und Murcia schafften, wurden auf
die unverantwortlichste Art vergeudet oder noch häufiger benutzt,
die Habgier Einzelner zu befriedigen. Daher fehlten nicht selten die
dringendsten Bedürfnisse, und -- was ein furchtbarer Donnerschlag für
Cabrera war, der Ähnliches nicht ahnete, da die Freiwilligen nie eine
Klage deshalb erhoben -- die Bataillone waren fast ein Jahr mit ihrem
Solde im Rückstande.

Der General-Intendant des Heeres, Bocos de Bustamente, der bisher die
ganze Administration leitete, wurde seiner Stelle entsetzt und die
Junta aufgelöset, da sie, anstatt zu ordnen und zu leiten, nur die
schon so schwierigen Verhältnisse mehr und mehr verwickelte. Leider
konnte der General den Blutsaugern nicht die Millionen entreißen,
mit denen sie auf Kosten des Heeres, des Landes und der Sache, deren
eifrige Vertheidiger sie sich nannten, ihre Zukunft zu sichern gewußt
hatten.

An die Stelle der aufgelöseten ward eine ~Real Junta militar de
administracion y govierno~ gebildet, die unter dem Vorsitze des
Generals en Chef fast ganz aus Militairs höherer Grade zusammengesetzt
war, welche durch strenge Pflichterfüllung, Entschiedenheit in
ihren politischen Ansichten und Redlichkeit solchen Vertrauens
würdig schienen. Bald zeigte es sich, wie auch der am schärfsten
Blickende getäuscht wird, und wohl noch mehr, wie Versuchung dem
Besten gefährlich ist: im Frühjahr gingen drei der Vocale und unter
ihnen derjenige, welcher mit Recht als der Tüchtigste, Thätigste und
Einflußreichste unter den Gliedern der Junta gerühmt wurde, der Oberst
Villalonga, zu Espartero über, da sie den gänzlichen Fall der Parthei
unvermeidlich nahe sahen. Sie nahmen die Casse der Junta mit sich. --
Viele Enttäuschungen warteten des edlen Cabrera!

In eben dieser Zeit ward ein Mann in Morella ergriffen, der, Jedermann
unbekannt, seit einigen Tagen dort sich umhertrieb und, so wie der
General in der Festung anlangte, zu ihm sich zu drängen suchte. Da
er nicht Auskunft über sich geben wollte, durch seine Reden aber
den Verdacht böser Absichten fast zur Gewißheit steigerte, ward ihm
erklärt, daß er, falls er nicht gestehe, wer er sei und weshalb er
dorthin gekommen, unverzüglich erschossen werde. Um ihn noch mehr
einzuschüchtern, wurde er selbst in ~capilla~ gesetzt, und ein Priester
sollte zu christlichem Tode ihn vorbereiten. Schäumend vor Wuth gab
er sich da, weil er ja doch sterben müsse, als Mörder an, der von den
Radicalen zu Barcelona gedungen sei, die Welt von dem gefürchtetsten
Vertheidiger der Legitimität zu befreien. Er rühmte sich zugleich, an
der Ermordung des gefangenen Obersten O’Donnell und der Seinen, so
wie an der Niedermetzelung der Mönche thätig Theil genommen, ja ein
Stück jenes unglücklichen Opfers geröstet und verzehrt zu haben; dann
versprach er wieder, im Fall ihm das Leben geschenkt werde, Espartero
in der Mitte seiner Garde niederzustoßen. Der Mann, plump, frech und
erbärmlich feig zugleich, war gewiß sehr schlecht gewählt für das
Geschäft, dem er sich unterzogen hatte. Sein abgeschlagenes Haupt ward
zur Warnung auf einem Galgen vor der Stadt aufgesteckt. Vor seinem Tode
erklärte er, daß mit ihm noch zwei Banditen von Barcelona abgesendet
seien, die jedoch meines Wissens nie versuchten, die beschlossene
Schandthat auszuführen.

       *       *       *       *       *

Espartero rückte in der zweiten Hälfte Octobers mit den 35 Bataillonen,
die er persönlich führte, von Norden gegen die Gebirgsmasse vor,
welche den Grundsitz der carlistischen Macht bildete, und zu
deren Vertheidigung Cabrera seine Truppen concentrirt hatte. Sie
konnte als eine große Veste angesehen werden, in der Morella und
Cantavieja, durch Lage, Kunst -- so glaubte man wenigstens -- und
noch mehr durch die Schwierigkeit der Annäherung besonders stark, den
Haupt-Vertheidigungskörper, die vorliegenden Forts Cullá, Alcalá la
Selva, Aliaga, Villarluengo und Castillote die Außenwerke, das weit
vorgeschobene Segura aber, so wie die Festungen des Turia im Südwesten
und Villamaleja im Süden, selbstständige detachirte Werke bildeten,
welche in Flanke oder Rücken dem angreifenden Feinde sehr gefährlich
werden konnten.

Cabrera sandte deshalb Llagostera mit einem starken Corps, um
bei Segura sich aufzustellen, von wo dieser jedoch, da Espartero
unaufgehalten über Muniesa und am 26. October selbst bis Calanda
vordrang und so die schwächste Seite der Gebirgsveste bedrohete, auf
Castillote sich zog und dort Espartero sich entgegenstellte.

Zugleich hatte O’Donnell von Teruel seine 21 Bataillone herangeführt
und war sofort bis Villarroyo vorgedrungen, worauf er das Städtchen
Camarillas als Depot und Anhaltspunkt befestigen ließ, zu welchem
Zwecke Espartero Estercuel ausersah, indem er auch Montalban, um
Segura in Schach zu halten, wieder befestigen und diese Puncte durch
mehrere feste Posten links mit Calanda und rechts mit den von O’Donnell
besetzten Orten und bis Teruel verband, so im Halbkreis eine Linie,
ähnlich denen der Nordprovinzen, um das eingeengte Gebiet der Carlisten
ziehend.

Eine Colonne von 8 Bataillonen befehligte der Brigade-General Don
Juan Cabañero, der, früher in Cabrera’s Armee die Division von Aragon
befehligend, mit Maroto zu den Christinos übergegangen war und sich
der besondern Gunst des Siegesherzoges erfreute, da er genau mit dem
Kriegsschauplatze bekannt war und versprochen hatte, seine früheren
Cameraden zu bearbeiten. So gab er ein treffliches Werkzeug ab für die
Bestechungspläne seines neuen Anführers.

Kleinere abgesonderte Detachements sollten die Communicationen sichern,
das Land besetzen und dadurch seine Hülfsquellen den Carlisten
unzugänglich machen und auch wohl die Bewohner, indem sie das ganze
Land von den Schaaren der Christinos überschwemmt sahen, heilsame
Furcht vor der Macht des gerühmten Feldherrn lehren. So schweifte
Martin Barea in dem Gebiete von Montalban und Segura, das Bataillon der
portugiesischen Fremdenlegion, welches so lange schon unter Borso di
Carminati’s Befehlen brav gegen Cabrera gekämpft hatte und aus einer
Brigade zu einem Bataillon zusammengeschmolzen war, zwischen Segura und
der großen Heerstraße umher.

Bisher hatten die Feinde, wenn auch stets von unsern Colonnen
beobachtet und oft in günstigen Stellungen aufgehalten, keinen
ernstlichen Widerstand gefunden, und jubelnd wähnten sie, daß die
Kraft unserer Krieger gebrochen sei, und daß rasches Vorwärtsschreiten
ihnen hinreiche, um der leichten Beute sich zu versichern. Viele
glaubten selbst, daß Cabrera nur die Unterwerfung verzögere, um bessere
Bedingungen für sich und die Seinen zu erpressen. Espartero hatte
schon seine Siegeskünste in Thätigkeit gesetzt; wenn das Gold über den
Obergeneral nichts vermochte, sollte es bei den Untergebenen desto mehr
seine Macht bethätigen. Er erließ Proclamationen, in denen er das Volk
aufforderte, sich ihm anzuschließen, um die Segnungen des Friedens zu
erringen; den carlistischen Soldaten versprach er eine Geldbelohnung
und die Entlassung in die Heimath, wenn sie den tollen Widerstand
aufgäben und zu den siegreichen Truppen der unschuldigen Königinn
übergingen, während er den Officieren, die sich ihm präsentiren
würden, Anstellung in den Graden, die sie erlangt, und selbst
Bestätigung der Orden und sonstigen Auszeichnungen zusagte, welche
ihnen im Kampfe gegen seine eigenen Truppen geworden waren.

Diese waren die ersten Schritte, die er zu der Ausführung seines
Lieblingssystemes that; wollte Gott, daß alle andern eben so nichtigen
Erfolg gehabt hätten!

       *       *       *       *       *

O’Donnell drang vorwärts, um seinem Gefährten die Hand zu reichen
und zugleich die Aufmerksamkeit Cabrera’s auf sich zu ziehen. Am
30. October griff er Fortanete an, zu dessen Vertheidigung Cabrera
rasch herbeieilte und in der That mit vier Bataillonen, die er dort
vereinigte und erst am folgenden Morgen mit andern zwei verstärkte,
den Ort bis zum Abend des 31. hielt. Am 1. November bereitete er sich,
den ermatteten Feind von neuem zu bestürmen, als er durch einen Spion
die Nachricht erhielt, daß Espartero am Tage vorher von Calanda über
dem Mas de las Matas mit seiner ganzen Macht vorgedrungen sei, Morella
sowohl wie Cantavieja bedrohend; und daß Cabañero Einverständniß mit
einigen Officieren angezettelt habe, welche ihm am Abend desselben
Tages die Festung Cantavieja einhändigen würden.

Fortanete aufgebend flog der General, nur von seinen Adjudanten und
Miñones begleitet, der bedroheten Veste zu; am Tage nachher wurden die
Schuldigen erschossen, und kaum gelang es dem verrätherischen Cabañero,
mit seiner Colonne durch die Schluchten, ihm sämmtlich wohlbekannt, den
Massen Espartero’s wiederum sich anzuschließen. Da war es, als abermals
die gedungenen Mörder das Leben des Grafen von Morella bedrohten, über
dessen Haupte ein schützender Genius zu schweben schien, die Elenden
blendend, welche gegen ihn die Hand zu erheben wagten.

In las Parras hatte Espartero sein Hauptquartier aufgeschlagen,
während die Garden unter General Leon die Dörfer Luco und Bordon, vier
bis fünf Stunden von Morella, besetzt hielten. O’Donnell ging bis
la Cañada vor, welches er leicht nahm; aber seine Versuche, darüber
hinauszudringen, um mit Espartero in Verbindung zu treten, blieben ganz
fruchtlos und kosteten ihm viele Menschen. In eben diesen Stellungen
befanden sich die beiden feindlichen Armeen, als ich von Catalonien
zurückkehrte, und ein bunteres Durcheinanderwerfen der christinoschen
und carlistischen Truppen schien ganz unmöglich zu sein und kann
nur durch die Eigenschaften des Terrains erklärt werden, welches so
furchtbar gebrochen, mit unzugänglichen Felsmassen und tief gefurchten
Schluchten durchzogen ist, daß die Corps häufig auf geradem Wege wohl
kaum eine Viertelstunde von einander entfernt waren, während sie, um
sich zu treffen, Stunden langen mühsamen Marsch zu machen hatten. --
In einem regelmäßigen Kriege würde ein ähnliches Gebirge für durchaus
impracticabel erklärt werden.

Espartero stand, wie gesagt, in las Parras, Luco und Bordon,[112]
die Front gegen el Orcajo, die beiden Hauptfestungen der Carlisten
bedrohend; seine ganze Cavallerie war im Mas de las Matas concentrirt
und deckte so die Verbindung mit Calanda, welches jedoch vom Obersten
Bosque blokirt wurde, der selbst unter dem Schutz des Terrains drei Mal
den Ort überfiel, die Thorwache niederhieb und Officiere und Leute von
den Straßen gefangen fortführte, ehe die christinoschen Truppen unter
die Waffen kamen. Es durften daher nur Colonnen von einigen tausend
Mann von Calanda zum Heere und nach dem Hauptdepot Alcañiz geschickt
werden oder von dort kommen.

Dieser Linie parallel zwischen ihr und Morella und den Weg nach dem
Orcajo deckend, welches ein äußerst wichtiger Punkt war, da dort die
Straßen nach jenen beiden Festungen rechts und links abgehen, standen
von Monroyo bis Olocau vier Bataillone, die aber sofort verstärkt
werden konnten. Cabrera selbst blieb, nur von seiner Compagnie Miñones
und den Ordonnanzen gedeckt, in Zurita, drei Viertelstunden von dem mit
Truppen überladenen Luco. An der andern Seite der feindlichen Position
lag das starke Castillote, eine Stunde von las Parras und dem Mas de
las Matas entfernt. Dort stand, auf das Fort gestützt, Llagostera mit
einem Theile seiner Division, die er in glücklichen Zügen und mit
überraschender Thätigkeit -- da er gewöhnlich sehr langsam sich zeigte
-- bis tief in das nun feindliche Gebiet hinein, nach Segura und über
dasselbe hinaus führte.

In der Nacht vom 6. zum 7. November überraschte er in Barrachina
das Fremdenbataillon, welches ihn zwanzig Stunden entfernt wähnte,
und brachte ihm einen Verlust von 300 Todten bei: die fremden Corps
hatten keinen Pardon. Den kleinen Rest rettete der entschlossene
Muth desselben, da er ohne Munition der schon genommenen Kirche sich
bemächtigte, in der das Bataillon seinen Pulvervorrath niedergelegt
hatte, und in ihr sich vertheidigte.

Zwischen jener Armee und der O’Donnell’s, die in Fortanete und la
Cañada sich verbarrikadirte, standen die carlistischen Bataillone
in Pitarque, Tronchon und Mirambel, während O’Donnell’s rechter
Flügel durch drei Bataillone in Val de Linares, sein Rücken gar durch
die beiden Festungen Aliaga und Alcalá la Selva und den auf sie
gestützten Freicorps bedroht und seine Communicationen natürlich ganz
abgeschnitten waren.

Es wird stets unerklärbar bleiben, was den großen Siegesherzog bewegen
konnte, in eine so precäre Lage sich zu begeben und seine Massen ohne
Plan und Zweck in die Schluchten zu schieben, welche allen seinen
Vorgängern so unheilsvoll sich bewährt hatten. Denn hätte er einen Plan
dabei gehabt, so müßte derselbe in seinen Folgen sichtbar geworden
sein. Vorwärts gehen aber, still stehen, um Hunger zu leiden, und
dann wieder ohne Erfolg umkehren sind gewiß nicht die Mittel, durch
die irgend ein Zweck erreicht werden kann. Und wenn er etwa einen der
bedrohten Punkte anzugreifen beabsichtigte, was konnte er hoffen, da
er auch nicht ein einziges Belagerungsgeschütz mit sich führte, so wie
denn auch gar nicht die für die Einnahme einer Festung unumgänglichen
Vorbereitungen getroffen waren!

Oder wäre etwa diese ganze unbedachte Bewegung vorwärts nur auf
den moralischen Eindruck berechnet gewesen? Sollte Espartero seine
Streitkräfte vor den Augen der Feinde haben entwickeln wollen,
damit sie, ihre Ohnmacht anerkennend, durch Unterwerfung die Mühe
des Besiegens ihm ersparen möchten? Das wäre freilich eine traurige
Speculation gewesen. -- Es ist wahr, das erste kräftige Vorgehen
der Christinos machte einen augenblicklich tiefen Eindruck auf die
carlistischen Truppen und mehr noch auf das Volk; ja, ich habe von
Männern, deren Urtheil ich hoch stelle, die Behauptung mit nicht
ungewichtigen Gründen belegen gehört, daß Espartero damals durch
rasches, entschiedenes Handeln unendlich Viel hätte ausrichten,
vielleicht allem ferneren Widerstande zuvorkommen können. Die
Überraschung war so plötzlich, und gar nichts war gerüstet, gar nichts
gethan, was ihn wirksam zurückgehalten hätte.

Aber um so Großes zu erlangen, mußte er jede Minute benutzen; das
geringste Zögern gab die Staunenden mehr und mehr sich selbst wieder
und schwächte ihn, während es den Gegnern neue Kraft und neues
Vertrauen verlieh. Und bedachte der geübte Rechner denn gar nicht,
daß wenn das Entwickeln seiner ungeheuern Übermacht und das kühne
Vorwärtsdringen moralisch hohen Einfluß üben mußte, daß dann seine
unerklärbare, wochenlange Unthätigkeit und gar der endliche Rückzug
allen jenen Demonstrationen das Siegel des Lächerlichen aufdrücken,
daß es ihn und seine Massen -- und was kann Schlimmeres dem begegnen,
der moralisch zu wirken sucht? -- zum Gegenstande des Spottes und der
Verachtung machen mußte?

Wahrscheinlich waren es ganz andere Motive, durch die Espartero zu
solch einem ~faux pas~ bewogen wurde, Motive, die mit dem alten
System zusammenhängen, in das allein er, wohl sich kennend, für
seine Eroberungen Vertrauen setzte. Von seinem Cabañero prächtig
unterstützt, zweifelte er nicht, daß er Männer finden werde, die gern,
um das in rühmlichem Kampfe Erworbene zu sichern und zu mehren, ihr
Gewissen, ihren König und ihre Cameraden verkaufen würden. Der gegen
Cantavieja gemachte Versuch, die neuen Verräthereien, welche mehreren
Officieren das Leben, andern und sehr angesehenen, unter ihnen dem
Oberst Echavaste, Amt und Freiheit kosteten, und die von allen Seiten
an Cabrera eingegangenen und durch Documente bestätigten Anzeigen von
versuchter Bestechung[113] zeigen zur Genüge, wie Espartero arbeitete,
wie er kein Mittel scheute, um das ersehnte Ziel zu erreichen.

Und da freilich war das Eindringen in die Gebirge und das Verweilen
in ihrem Innern von unschätzbarem Vortheil; Espartero konnte so mit
Leichtigkeit jede sich etwa darbietende Gelegenheit benutzen, und er
ermuthigte diejenigen, welche geneigt sein mochten, auf seine Ideen
einzugehen. Doch noch sollte er unverrichteter Sache abziehen, da er
Männer fand, die mit Verachtung seine klangreichen Überredungsmittel
zurückzuweisen wußten. Wahrlich, ich wäre irre geworden an der
menschlichen Natur -- das letzte Jahr hatte so Entsetzliches gebracht!
-- wenn ich da nicht erkannt hätte, daß unter den Carlisten Viele,
die weit überwiegende Mehrzahl selbst, den eigenen Werth zu würdigen
wußten. Wenn auch besiegt, durften sie mit Stolz und Verachtung auf
den Sieger hinabsehen, gewiß, daß er die Ehre ihnen nicht zu nehmen
vermochte.

       *       *       *       *       *

Vom 31. October bis zum 18. November standen die beiden Generale der
Christinos unbeweglich in ihren Dörfern -- die Besetzung der Cañada
durch O’Donnell am 7. November blieb ohne weitere Folgen --; sie
hatten alle Ausgänge derselben verbarrikadirt, und den Soldaten war
auf das strengste untersagt, einen Schritt außerhalb der Orte zu thun,
so daß sie, da bald doch nur wenige Nüsse und Eicheln als Ration
ausgetheilt wurden, selbst die rings um die Dörfer eingegrabenen
Kartoffeln nicht mehr holen durften, nachdem Cabrera, der zufällig zu
einer Recognoscirung sich genähert, 250 Mann weggefangen hatte, welche
zu jenem Zwecke von Bordon ausgesandt waren. Die Garde, am weitesten
vorgeschoben, hatte natürlich den schwierigsten Stand.

Die carlistischen Führer waren indessen nicht unthätig. Zwar suchte
Cabrera umsonst die feindlichen Massen in ihren Quartieren zu
bestürmen; sein Angriff auf O’Donnell mißlang, und eben so wenig
vermochte er Espartero’s Truppen in’s Feld oder, indem er ihnen die
wichtige Straße nach dem Orcajo ganz frei ließ, zu weiterem Vordringen
in das Gebirge zu locken. Er mußte sich begnügen, mit seinen Miñones
bis an die Dörfer selbst vorzugehen, so daß die Freiwilligen in die
Straßen und Häuser hineinschossen, wodurch der Feind viele Mannschaft
verlor.

Dafür waren aber unsere Streifparthieen im Rücken der Colonnen
Espartero’s ihnen desto verderblicher. Llagostera operirte nach der
Vernichtung des Fremden-Bataillons auf der Communications-Linie der
Christinos, unterbrach fortwährend die Verbindung, hob die Convoys auf
oder verzögerte ihre Ankunft und bedrohete unaufhörlich die kleinen
Garnisons, von denen er mehrere gefangen fortführte, während der
verwegene Barea vergeblich seine Unternehmungen zu hemmen strebte. Er
sandte 1100 Gefangene und 337 Maulthierladungen von Lebensmitteln nach
Cantavieja und Morella.

Oberst Bosque, wie gesagt, blokirte stets Calanda. Da nun Martin Barea
neunzehn gefangene Carlisten erschossen hatte, führte auch Bosque von
den Gefangenen, die er bei seinem zweiten Eindringen in jenen Ort
machte, einen Adjudanten Espartero’s und achtzehn Soldaten an den Fuß
der Mauern zurück und füsilirte sie dort. Nachdem sie die Nacht in
höchstem Alarm zugebracht, fand die Garnison am Morgen die Leichname
und in der Hand des Adjudanten ein Schreiben, durch welches dieser
Act als nothwendige Repressalie für die Ermordung jener Freiwilligen
angekündigt wurde.

Die Besatzung von Alcalá la Selva, unterstützt von dem 4. Bataillon
von Aragon, fing einen Convoy auf, der von Teruel dem ausgehungerten
O’Donnell zugesandt wurde, und nahm drei ihn escortirende Compagnien
gefangen.

Espartero’s Lage wurde täglich mißlicher: alle seine Anschläge
waren gescheitert, und jede Stunde machte die Stellung, in die er
sich gezwängt hatte, weniger erträglich. Bald fehlte es ganz an
Lebensmitteln, und nachdem das Holz, welches in den Dörfern sich fand,
dann auch die Meubles, die Thüren und Fenster aufgebrannt waren, machte
sich der Mangel an Feuerung gleich fühlbar. Umsonst erwartete der
bedrängte Siegesherzog das schlechte Wetter, welches sonst in diesen
Gebirgen nie ausbleibt, umsonst hoffte er, daß Schnee und Sturm ihm
einen Vorwand geben würden, der den Rückzug und die Nichterfüllung
seiner pomphaften Verheißungen auf Rechnung der Jahreszeit zu setzen
erlaubte. Der Himmel schien sich mit den Carlisten zu verschwören, um
seine Verlegenheit zu vergrößern, da, wiewohl es ziemlich kalt war, die
Luft fortwährend rein blieb und kein Wölkchen am Horizonte sichtbar
wurde. -- Erst mit dem Anfange des Februars 1840 schien der Winter zu
beginnen.

So ward denn Espartero endlich gezwungen, der Demüthigung sich zu
unterziehen und die drohende Stellung aufzugeben, welche er seit
drei Wochen im Herzen des Gebietes der verachteten Rebellen, wenige
Stunden von ihren Hauptfestungen entfernt, behauptet hatte. Anstatt
der erwarteten Eroberung von Morella lasen die erstaunten Madrider die
Nachricht von dem Rückzuge ihres lorbeerbekränzten Helden. In der Nacht
vom 18. zum 19. November verließen die Garden ihre Stellungen, um sich
auf las Parras zurückzuziehen, wohin sie von den Compagnieen, welche
zu ihrer Beobachtung bestimmt waren, begleitet und so kräftig gedrängt
wurden, daß sie im Dunkel der Nacht in gänzliche Unordnung geriethen
und ihren Schrecken selbst den bereits zu ihrem Empfange ausgerückten
Divisionen mittheilten. Am folgenden Tage zog sich Espartero nach
Calanda, O’Donnell von Fortanete auf Camarillas zurück, nachdem sie
4000 Mann geopfert hatten, um Spott und schimpflichen Rückzug damit zu
erkaufen.

Rühmlich hatte die kleine Schaar, welche weder durch Versprechungen
noch durch Furcht vor der sechsfachen Übermacht in ihrer Treue sich
wankend machen ließ, den Feldzug des verhängnißvollen Jahres 1839
geschlossen. Mit Festigkeit sah sie den Schrecken entgegen, die der
Frühling über sie häufen mußte. Espartero aber sann ergrimmt auf neue
Mittel, durch die er leichten Triumph sich sichern, den gefürchteten
Helden, der hindernd seinen Plänen in den Weg trat, unschädlich machen
könne; er wußte, daß Cabrera’s Geist Alles belebte und aufrecht hielt,
daß ohne ihn, auf den Alle mit Liebe und Vertrauen blickten, der Alles
geschaffen hatte, das Werk in sich zerfallen würde. -- Seine Wahl war
rasch getroffen.

Die letzten Tage des Monats vergingen ohne bedeutende Operationen. Nur
Llagostera zeichnete sich wiederum aus, da er in der Nacht vom 25. zum
26. November das vom Feinde befestigte und als Depot benutzte Estercuel
angriff, sich dadurch in die Mitte der feindlichen Linie und zwischen
die Truppen schiebend, welche rings umher cantonnirten. Er öffnete in
der folgenden Nacht durch eine Mine Bresche und nahm die Stadt mit
Sturm, worauf er den größten Theil der Magazine fortführte, das Übrige
zerstörte und eine halbe Stunde vor dem Eintreffen des heranrückenden
christinoschen Corps den Ort verlassen hatte.

Diese letzten Monate des Jahres 1839 bilden die Glanzperiode
Llagostera’s, da die ungewohnte Thätigkeit, welche er unter den doppelt
schwierigen Umständen entwickelte, und die dadurch errungenen Erfolge
den sehr gegen ihn eingenommenen Geist der Armee auf einige Zeit mit
ihm aussöhnten. Doch wußte er durch sein späteres Handeln die neu
erregten Hoffnungen nicht zu befriedigen und verlor deshalb im April
1840 sein Commando.

  [111] Sie waren fast alle unbärtige, sechszehn- bis zwanzigjährige
        Jünglinge. Die Männer, welche in den ersten Jahren des Krieges
        sich erhoben, hatten größtentheils mit dem Leben ihre Treue
        besiegelt oder befanden sich längst in dem Invaliden-Corps.

  [112] General Baron von Rahden hat seinem Werke über Cabrera eine
        Charte des Kriegsschauplatzes im östlichen Spanien hinzugefügt,
        welche sehr genau und für das Verständniß der Züge und
        Operationen Cabrera’s seit dem Beginne des Krieges und der ihn
        bekämpfenden Heere zu empfehlen ist.

  [113] Kein Chef vom Oberst aufwärts ist ohne glänzende Anerbietungen
        von Seiten Espartero’s geblieben.



XXXIV.


Während der Abwesenheit des Generals Baron von Rahden stand das
Geniecorps unter der interimistischen Direction des Obersten Don José
Alzaga, welcher, da während des Winters in allen Festungen thätig
gearbeitet werden sollte und daher alle Officiere des Corps beschäftigt
waren, die Leitung der Werke von Morella und dessen Castell gleichfalls
über sich nahm. Diese befanden sich zur Zeit des Anrückens Espartero’s
in eben dem Zustande, in dem Oráa im Jahre 1838 sie gelassen hatte;
man war lediglich darauf bedacht gewesen, die Bresche zu schließen.
Umsonst hatte Herr von Rahden seit seiner Ankunft darauf gedrungen, die
Befestigung zu vervollständigen und die nahen, vom Feuer des Castells
beherrschten Höhen mit wechselseitig sich vertheidigenden Werken zu
krönen, hinter denen ein deckendes Corps wie in einem verschanzten
Lager stehen könnte, während sie die Arbeiten des Feindes unendlich
erschwert hätten, da sie ihn nöthigten, Zeit und Material für die gar
nicht leichte Eroberung derselben zu verlieren und die Arbeiten auf
weit größere Distance anzufangen, indem sie von seinem eigentlichsten
Angriffspunkte, den schwachen Mauern der Stadt, lange und wirksam ihn
fern hielten.

Wohl hatte der Graf von Morella die Wichtigkeit dieser Arbeiten erkannt
und deshalb Herrn von Rahden aufgetragen, den Plan zu entwerfen; ja,
der größte Theil derselben war längst abgesteckt und bezeichnet.
Aber die Offensiv-Operationen nahmen während des ganzen Jahres die
Aufmerksamkeit und noch mehr alle Mittel des Generals in Anspruch,
so daß bei den fortwährend unternommenen Belagerungen das Geniecorps
immer fern von Morella beschäftigt war. Auf die dringenden Mahnungen
des Herrn von Rahden pflegte er dann mit derbem Fluche zu erwiedern,
daß, so lange er lebe, die Christinos nie mehr wagen würden, Morella
sich zu nähern. So hatte Jener kaum erlangen können, daß der Bau des
regelmäßigen Hornwerkes angefangen wurde, durch das er des wichtigen
Punktes der Hermite von San Pedro Martyr sich versichern wollte, der
von einer weit die Umgegend beherrschenden Höhe die Festsetzung des
Feindes und vor Allem die Errichtung der Batterien auf dem fast einzig
dazu passenden Punkte, der Querola, unmöglich machte.

Als die Schreckenskunde von der Annäherung Espartero’s ertönte, war
dieses Werk noch sehr zurück. Da eilte denn freilich Cabrera herbei,
die rasche Vollendung zu betreiben, und da er den ursprünglichen,
trefflichen Plan und das zu seiner Ausführung noch Mangelnde sah,
befahl er mit dem Ausrufe: „Carajo, das sind ja wahre Römer-Arbeiten;
die passen nicht hierher!“ das Hornwerk zu verkürzen. Die Folgen des
peremtorischen Befehls waren traurig. Das Fort mußte, da es außer dem
wirksamen Bereiche des Geschützes der Festung lag, als detachirtes und
unabhängiges Werk ganz auf die eigene Vertheidigung beschränkt sein; es
ward nun aber möglich, da, wo die Abschneidung Statt finden mußte, bis
auf hundert und funfzig Schritt sich ihm gedeckt zu nähern, und gerade
dieser bedrohete Punkt verlor fast seine ganze Flankenvertheidigung.
Dort griffen denn später die Feinde das Werk auch an und nahmen es nach
dreitägiger Beschießung.

Herr von Rahden hatte im Augenblicke der Gefahr die Verschanzung
rasch -- zum Theil mit Pallisaden -- geschlossen, um sie gegen einen
Handstreich sicher zu stellen. Oberst Alzaga befahl sofort, das so eben
Errichtete wieder niederzureißen und es ganz kunstgemäß und permanent
von neuem zu erbauen -- er fand nie gut, was nicht von ihm selbst
herrührte. -- Zugleich sollte dort eine bombenfeste Caserne angelegt
werden.

Die Leitung dieser Arbeiten auf San Pedro Martyr ward mir übertragen,
so wie ich die kürzlich begonnene Befestigung von Villarluengo
vollenden und abwechselnd mit dem Capitain Verdeja Cantavieja
inspiciren sollte. Diesem wurden die Forts Ares del Mestre und Cullá
südlich und dem Capitain Jimenez Castillote und Peñaroya nördlich von
Morella zugetheilt, während der vierte Capitain Don Manuel Brusco
in den Festungen jenseit der Heerstraße von Teruel nach Segorbe
befehligte. Die Subalternofficiere und Werkmeister, so wie die
Compagnien des Sappeurs-Bataillons waren dem Bedürfnisse gemäß unter
uns vertheilt.

Im ersten Augenblicke fühlte ich mich etwas unsicher in meinem neuen
Wirkungskreise. Wenn ich auch in früheren Verhältnissen viel mit der
Theorie der Befestigungskunst mich beschäftigt und in Spanien mehrfach
Gelegenheit gehabt hatte, mich in ihr praktisch auszubilden, konnte
ich doch unmöglich meine Kenntnisse für hoch genug anschlagen, um mit
Ruhe so verantwortungsschweren Aufträgen mich zu unterziehen. Dazu
fehlten wissenschaftliche Bücher ganz, so wie Instrumente so selten
waren, daß ich selbst einen Zirkel von Holz mir anfertigen mußte.
Indessen der Würfel war einmal geworfen, und ich konnte nur streben,
durch Thätigkeit das etwa Mangelnde zu ersetzen. Thätigkeit aber war
im erschöpfendsten Maße nothwendig, da ich wöchentlich zwei Mal von
Morella nach Villarluengo und zurück und alle vierzehn Tage nach
Cantavieja zum immer gleich unnützen Strauße mit dem Obersten Cartagena
reisen mußte und überall der Arbeit im Übermaß fand. -- Doch sollte ich
noch einige Wochen unverhoffter Weise frei bleiben.

       *       *       *       *       *

Wenige Tage nach des Herrn von Rahden Abreise ward ich zum General
gerufen und bekam die Ordre, auf den Nachmittag marschfertig zu sein,
da ich ihn begleiten würde; er entließ mich erst nach mehreren Fragen
und Bemerkungen über den Fortgang der Befestigung von San Pedro Martyr.
Ich war um so mehr durch die auf mich gefallene Wahl überrascht, da
der Liebling Cabrera’s, Capitain Verdeja, gerade in Morella sich
befand; ohne Zweifel wollte er selbst mich prüfen, und ich war froh,
daß es geschah. Rasch war ein Bagage-Maulthier besorgt und mit dem
Mantelsäckchen beladen, und am Mittage des 3. Decembers ritten wir den
treppenförmig construirten Weg hinab, der von dem Felsberge Morella’s
in das Thal führt, worauf wir gen Norden uns wandten.

Cabrera wollte persönlich die Werke von Mora de Ebro inspiciren, welche
Stadt von höchster Wichtigkeit war, da sie nicht nur die Verbindung
mit dem Heere von Catalonien, sondern auch die Herrschaft über das
ganze reiche Thal des untern Ebro sicherte. Eben deshalb war auch das
etwas höher liegende Flix gegen den ersten Anlauf gedeckt und Miravet,
einige Stunden südlich von Mora, ein altes maurisches Castell, mit
großem Kostenaufwande in ein sehr starkes Fort umgewandelt. Jetzt
ordnete Cabrera auch die Befestigung von Peñaroya an, wodurch er den
doppelten Zweck erlangen wollte, die Communication Espartero’s mit dem
Königreiche Valencia auf der geraden Linie durch das Hochgebirge zu
verhindern und die eigene mit jenen Forts sicher zu stellen. Peñaroya
ward übrigens im Frühjahre geräumt, da die Jahreszeit die so rasche
Beendigung der Arbeiten nicht zugelassen hatte.

Auf dem Marsche war der General nur von einigen Ordonnanzen und etwa
sechszig Miñones begleitet, die stets vor den scharf trabenden Pferden
in eben so leichtem Laufe bergauf und bergab flogen. Nur selten, wo die
Gebirgspfade es unumgänglich erheischten, durfte der Trab eingestellt
werden, und ein einziges Mal, da wir mit Hand und Fuß uns anklammernd
in eine tiefe Schlucht hinabkletterten, sah ich auch Cabrera absteigen;
wie die Pferde lebend herunterkamen, kann ich noch nicht begreifen.
Dabei verließ er oft die gewöhnlichen Wege, um Stunden lang fast
unbetretenen Pfaden zu folgen, die er alle genau zu kennen schien: wir
befanden uns auf dem Schauplatze seiner ersten Kriegesthaten, aus denen
seine Gefährten mehrere blutige Anekdoten erzählten, die uns die wilde
Unerschrockenheit, die Ausdauer und den Scharfsinn des feurigen jungen
Studenten bewundern ließen.

Über Hervés, Monroyo, Valderobles und das reiche, nun halb zerstörte
Gandesa in wunderlichen Hin- und Herzügen -- denn Cabrera wollte
Alles selbst sehen und überall anordnen -- langten wir endlich auf
dem Ufer des majestätischen Ebro an. Nur vom Gouverneur und von mir
begleitet, eilte der General sofort zur Besichtigung der neu angelegten
Werke von Mora. Da kamen denn sonderbare Dinge zum Vorschein, wie ich
ihrer jedoch, so oft beim Mangel eines Ingenieurs die Gouverneure die
Arbeiten leiteten, fast immer noch weit schlechtere antraf; der General
selbst, wiewohl auch er in Betreff der Befestigungen den Ansichten des
Guerrillero nicht ganz entsagt hatte, äußerte seine Unzufriedenheit.
Das Ganze bestand aus einer Menge über einander gehäufter Mauern,
die fast gar keine flankirende Vertheidigung gewährten und auf die
eigenthümlichst bunteste Art crenelirt waren -- und deshalb war das
Land weit umher hart bedrückt!

So beklagte sich der Magistrat von Gandesa, daß von den Maulthieren
der Stadt die eine Hälfte stets unterweges sei, um die andere von den
Arbeiten in Mora abzulösen; nur vier blieben frei, und diese reichten
lange nicht hin, um den Bagagedienst auf so besuchter Straße zu
versehen. Der General befahl daher, daß die voluntarios realistas zu
den Leistungen für die Armee, von denen sie bis dahin befreit waren,
zugezogen würden, um dadurch das Land zu erleichtern.

Dieser Theil des carlistischen Gebietes, unendlich reich durch seine
Fruchtbarkeit, zeichnete sich ganz besonders durch die entschieden
royalistische Gesinnung der Einwohner aus, welche zwischen drei und
viertausend Männern, außer der Division vom Ebro, die Waffen in die
Hände gegeben hatte, um im Falle eines Angriffes die vaterländische
Provinz zu vertheidigen. Begünstigt durch die Schroffheit der
niedrigen Gebirgszüge, welche von dem Hochgebirge nach dem Ebro hin
sich absenken, trugen sie im Frühjahre Viel dazu bei, dem Feinde die
Eroberung des Ebro-Thales zu erschweren und unserer Armee die Passage
des Flusses frei zu erhalten.

Auf Befehl des Generals hatte ich den Plan zur weiteren Befestigung
von Mora entworfen und, während er einen Ausflug nach Miravet machte,
den Gouverneur, einen alten Kampfgenossen Cabrera’s und deshalb
stets mit Schonung von ihm behandelt, in dem Nöthigsten instruirt
und die Haupttheile der zu errichtenden Werke tracirt, auch vieles
die Verwaltung Betreffende besser geordnet, da, soweit sie die
Fortification betrifft, nach dem spanischen Reglement auch sie ganz
unter der Controle der Ingenieure steht. Diese sind dadurch in eine
sehr unabhängige Stellung versetzt, werden aber auch stets von
Kriegscommissairen, Factoren, Gouverneuren und allen denen, die dabei
die Hand im Spiele haben, auf das bitterste angefeindet, wenn sie nicht
mit ihnen zum Unterschleif sich verbinden wollen.

Bei der Rückkehr des Generals hatte ich die Genugthuung, alle meine
Maßregeln ganz von ihm gebilligt zu sehen, so wie er denn täglich
wohlwollender gegen mich sich äußerte, wobei er einst erklärte, daß
ich mit der verdammten blauen Brille noch freimaurermäßiger[114]
ausgesehen habe, als der Franzose, der einst für die Christinos bei
ihm spionirte. Da erfuhr ich, daß im Jahre 1837 ein Franzose, der
gleichfalls eine Brille getragen, als exaltirter Carlist von Madrid
zu der Armee gekommen, bald aber als Emissair der usurpatorischen
Regierung entdeckt und erschossen war!

       *       *       *       *       *

Wir traten den Rückmarsch an. In Orta erhielt Cabrera die Rapporte der
verschiedenen Corps über den Etat der Bataillone und Escadrone. Mit
Thränen im Auge rief er aus: „Wie kann ich meinen treuen Burschen so
viel Hingebung und Festigkeit vergelten; nicht ein einziger ist seit
dem Anmarsche Espartero’s desertirt! Dagegen,“ und die ausdrucksvollen
Züge verfinsterten sich, „sind drei Officiere übergegangen, von denen
zwei die Cassen ihrer Bataillone mitnahmen. Ich muß wieder einmal ein
Dutzend solcher Spitzbuben erschießen lassen.“ Zu seinen Adjudanten
gewendet, fügte er hinzu, daß sie zuerst die Reihe treffen würde, da er
am wenigsten um seine Person Schurken duldete. „Wer kein gutes Gewissen
hat, der mache, daß er fortkomme!“ -- Einer jener Officiere wurde kurz
nachher bei einem Überfall, den einige Bataillone von Valencia auf
einen Convoy ausführten, von seiner eigenen Compagnie gefangen und
sofort füsilirt.

Nachdem wir auch Peñaroya besucht und die Vorarbeiten für die
Befestigung angeordnet hatten, ritten wir über Monroyo auf Aguaviva,
eine kleine Stunde von dem vom Feinde besetzten Mas de las Matas
entfernt, dem wir sofort uns näherten, von zwei Compagnien Schützen
des Obersten Bosque begleitet. An der Spitze von zehn oder zwölf
Ordonnanzen flog der General voraus und traf etwa tausend Schritt von
dem Dorfe auf ein unglückliches Detachement, das, aus einer halben
Compagnie und sechszehn Pferden bestehend, auf die Kunde von unserer
Annäherung dorthin sich zurückzog. Im Nu hatte Cabrera die Reiter
zersprengt und mit Verlust von fünf Todten verjagt, die Infanterie aber
abgeschnitten, nachdem sie sich in einen kleinen Busch geworfen hatte;
so wie sie die Miñones eiligen Laufes herankommen sahen, hielten die
Christinos die Kolben der Gewehre hoch in die Luft, Pardon erflehend.
Während die Truppen im Mas Alarm schlugen, hatten wir uns mit 63
Gefangenen zurückgezogen; zwei Ordonnanzen waren schwer verwundet.

Am 16. December langten wir wieder in Hervés an. Der General nahm ein
leichtes Mahl zu sich, in kurzer Zeit zubereitet, denn Delicatessen
existirten nicht. Eine halbe Stunde nachher fühlte er sich unwohl,
Beängstigungen traten ein, mit heftigen Schmerzen in den Gliedern
verbunden, und kalter Schweiß brach hervor. Dann folgte furchtbare
Abspannung, durch die der Kranke genöthigt ward, das Bett zu hüten.

Angstvolles Entsetzen ergriff Alle. Erstarrt schlich ein Jeder umher,
in den Augen der Andern denselben Schauder erregenden Gedanken lesend,
der auch seine Brust beklemmte; kaum hörbar flog bald das Wort:
Gift! von Mund zu Mund, und die Symptome machten den Verdacht nicht
unwahrscheinlich. Untersuchungen wurden angestellt. Der Wirth war eben
so wie seine Frau, die mit den Burschen selbst die Speisen bereitet
hatte, als exaltirter, vielfältig compromittirter Royalist bekannt
und dem General persönlich sehr ergeben; auch haftete auf ihnen der
Argwohn keinen Augenblick. Aber das Haus war, wie allenthalben, wo
Cabrera’s Ankunft bekannt wurde, stets gedrängt voll von Menschen
jeder Klasse, die Bitten oder Beschwerden vorzutragen hatten und durch
keine Schildwache zurückgehalten wurden. Viele von ihnen waren in der
Küche, ihre Cigarillos anzuzünden und selbst sich zu wärmen, ein-
und ausgegangen. Da war jede Nachforschung vergeblich, und an eine
chemische Prüfung der Speisen war nicht zu denken; ich zweifele sehr,
daß irgend Jemand in der ganzen Armee mit ihr sich zu befassen gewagt
hätte.

Die herbei gerufenen Ärzte erklärten alsbald den General in größter
Gefahr, wiewohl sie über die Art der Krankheit schwiegen. Hie und da
ward wohl von Typhus gesprochen, von dem aber weder vorher noch später
irgend ein Fall sich zeigte, so daß die Idee, daß er gerade allein den
General ergriffen habe, ganz ungereimt und der Natur dieser Seuche
direkt widersprechend ist. -- Die rasch angewandten Mittel linderten
für den Augenblick die Leiden Cabrera’s; bald ergriff ihn jedoch eine
Starrheit, eine Schwäche des Geistes wie des Körpers, die seiner
früheren Kraft und Energie so sehr entgegengesetzt war, und von der er
nie ganz genesen sollte.

Da der Kranke nicht transportirt werden durfte und ihm höchste Ruhe
verordnet ward, eilte ich am folgenden Tage nach Morella, dort
die mir obliegenden Geschäfte zu übernehmen. Die Stadt schien von
zerschmetterndem Unglück befallen. Auf den Straßen standen kleine
Gruppen mit niedergeschlagenen Mienen und alle über den einzigen
Gegenstand redend, über das Schreckliche, was jeden Augenblick erwartet
werden mußte; müssige Haufen sammelten sich an dem Thore, begierig auf
den Weg hinaufschauend, ob Jemand Kunde bringe von dort, wohin Aller
Gedanken sich richteten. „Was weiß man von Don Ramon?“ war die erste
Frage eines Jeden, und die immer düsterer tönenden Nachrichten lockte
eine Thräne in manches kräftigen Mannes Auge.

Die Schwestern Cabrera’s eilten nach Hervés, den Bruder zu pflegen,
der, täglich schwächer und schon besinnungslos, täglich weniger
Hoffnung auf Besserung gewährte. Da brachte das neue Jahr die
Trauerbotschaft von seinem Tode! -- Verzweiflung ergriff die Bewohner
Morella’s, wie die Krieger, welche so oft seine Lorbeeren getheilt
hatten. „Wir sind verloren,“ riefen die Jammernden, „er allein hielt
uns aufrecht, ohne ihn wird Zwietracht und Eifersucht wehrlos dem
Feinde uns in die Hände liefern!“ Himmelstrost brachte der Bote,
welcher bald verkündete, daß Scheintod den Kranken gefesselt habe, der
schon wieder zu sich gekommen sei. Nur die Erinnerung an die immer noch
gleich drohende Gefahr konnte den Ausdruck des unendlichen Jubels in
die Brust zurückdrängen.

Der General befand sich indessen regungslos an sein Bett gekettet
in einem offenen Flecken, der nicht drei Stunden von den Stellungen
der feindlichen Armee entfernt war, und zu seiner Deckung hatte er
eine schwache Compagnie, die Miñones, bei sich. Kein Bataillon wurde
zwischen Hervés und die von den Christinos besetzten Dörfer geschoben,
und laut ward Llagostera, der interimistisch commandirte, beschuldigt,
daß er die Gefangennehmung seines Feldherrn nicht ungern gesehen hätte.
Espartero aber rührte sich nicht. Er that nicht den geringsten Schritt,
um Cabrera’s sich zu bemächtigen, der doch als das einzige Hinderniß
seines Sieges mußte angesehen werden, und von dem er, wie die Madrider
Blätter spotteten,[115] nur durch eine Wand geschieden war, ohne daß er
Muth gehabt hätte, in die Höhle des sterbenden Löwen zu treten.

Ach, er war seiner Beute nur zu gewiß! Espartero hatte das Mittel
gefunden, welches, die Kraft seines Gegners auf immer brechend, den
leichten Sieg ihm in die Hände spielen sollte, und passend vermehrte
er mit so schmählich, so entehrend gewonnenem Lorbeer den Kranz,
den er bei Bergara sich zu erkaufen gewußt. Aber er wollte seinem
edlen Feinde selbst nicht den Ruhm lassen, zu sterben für die Sache,
welche er glorreich vertheidigt hatte; er wußte wohl, daß, so lange
Cabrera lebte, die Besiegung des Helden ihm den Ruhm geben würde, den
seine Thaten in den baskischen Provinzen ihm nicht erringen konnten.
Daher zog er vor, den Gefürchteten geistig zu schwächen und so sich
unschädlich zu machen.

Am 10. Januar wurde der General auf einem Tragebette nach Morella
gebracht, und am 31. konnte er zum ersten Male zu Pferde sich zeigen,
mit Enthusiasmus vom Volke begrüßt. Das zur Feier seiner Genesung
gehaltene ~Te Deum~ zog eine so große Zahl dankbarer Zuhörer an, daß
die prachtvolle Cathedrale, ein altes gothisches Gebäude, sie alle
nicht zu fassen vermochte; auch der weite Platz vor ihr war ganz mit
Menschen bedeckt. Vivas und allgemeiner Jubel begrüßten den verehrten
Feldherrn, wo er erschien, und am Nachmittage erfreuten gefahrlose
Rindergefechte -- wegen des Mangels an geübten Kämpfern waren nicht
ganz ausgewachsene Rinder gewählt -- die gaffende und jauchzende Menge.

Doch erregte die Mattigkeit des sonst so feurigen Auges und das
geisterhaft bleiche Antlitz Besorgnisse, die nur zu bald verwirklicht
wurden. Kaum war Cabrera nach dem Ebro-Thale abgereiset, dessen
lieblich mildes Klima die gänzliche Wiederherstellung beschleunigen
sollte, als er einen Rückfall hatte, der abermals den Pforten des
Grabes ihn nahe brachte. Er wollte indessen dieses Mal die wichtigsten
Geschäfte selbst versehen und ließ sich fortwährend über Alles Bericht
abstatten, bis er gegen das Ende des Aprils 1840 dem Anschein nach
wieder an die Spitze der Armee sich stellte.

Dem Anschein nach! -- Er war nicht mehr der frühere Cabrera, der Held,
welcher schaffend und kämpfend und siegend den Titel des Grafen von
Morella so ruhmreich sich erworben hatte. Sein Körper war zerrüttet,
sein Geist geschwächt, die Alles überwältigende Energie in Lauheit
hingeschwunden: ohne Kampf sah er die feindlichen Heere in die
Schluchten und Defilées des Hochgebirges sich vertiefen, durch Verrath
oder durch die gewaltige Übermacht ihres Materials ein Fort nach dem
andern erobern und endlich Morella belagern, Morella, den Kern seiner
Macht, den Schauplatz herrlicher Thaten und Siege. Er opferte die
starke und erprobte Garnison im vergeblichen Widerstande, ohne einen
Schritt zu ihrer Rettung zu versuchen.

Und dann überschritt er den Ebro, um wenige Wochen später vor dem
nachdrängenden Espartero ein Asyl in Frankreich zu suchen, während noch
viele Tausende braver Krieger seinem Commando gehorchten, ja da einige
catalonische Anführer noch länger den ungleichen Kampf fortsetzten!

Nie hätte der wahre Cabrera so den glorreichen Krieg geendigt; er
hätte nie in halben Maßregeln das Blut seiner Streitgenossen unnütz
vergeudet, nie ohne Schwerdtschlag vor dem übermüthigen Feinde weichend
die Vertheidigung der heiligen Sache aufgegeben, für die er so oft
freudig sein Blut vergossen, sein Leben eingesetzt hatte. Cabrera würde
gewußt haben zu sterben mit den Waffen in der Hand, da das Geschick
die Möglichkeit des Sieges ihm versagte. Espartero mußte zum bloßen
Schatten seines eigenen früheren Ich ihn machen, damit er so seiner
selbst unwürdig handeln konnte.

Es ist nothwendig, bei der Beurtheilung der Thaten des Grafen von
Morella von diesem Gesichtspunkte auszugehen. Dann wird es leicht, den
himmelweiten Abstand dessen, was er nach dem unheilsvollen 16. December
unternahm, von den mit eben so viel Talent entworfenen, wie mit Energie
und Geist ausgeführten Plänen der ganzen sechs Krieges- und Siegesjahre
vor jener Epoche sich zu erklären. Auch der strengsten Kritik gegenüber
steht Cabrera während dieser langen Zeit als Royalist, als Anführer
und als Soldat gleich groß da; es wäre ungerecht, die letzten Monate,
während deren er in Spanien vegetirte, zur Grundlage des Urtheiles über
ihn zu wählen.

  [114] Die spanischen Royalisten bedienen sich des Ausdruckes
        ~franmason~ zur Bezeichnung eines wild revolutionairen
        Menschen, da die dortigen Freimaurerlogen stets als Anzettler
        und Leiter der anarchischen Complotte erschienen.

  [115] Auf der Charte mußte ihnen übrigens die Distance weit kleiner
        scheinen, als sie durch das wilde Gebirgsterrain es ist,
        welches denn auch viele Schwierigkeiten schuf, die natürlich
        von Madrid aus übersehen wurden.



XXXV.


Eintönig und langsam, wiewohl in ununterbrochener Thätigkeit, vergingen
mir die ersten drei Monate des neuen Jahres: eintönig, da die Leitung
der Arbeiten und die fortwährenden Reisen von Morella nach Villarluengo
und Cantavieja -- während der letzten sechs Wochen unter stetem
Schneegestöber -- gar wenig Abwechselung darboten; langsam, denn ich
sehnte mit der ganzen Gluth der Seele den Augenblick herbei, in dem
Espartero seine Batterien gegen uns errichten würde. Unsere Vernichtung
war, besonders bei dem Zustande des Generals, nur zu hoffnungslos
gewiß; daher wünschte ich, daß die Stunde der Entscheidung, was sie
auch bringen möge, rasch da sei.

Dabei war die Lebensweise in Morella keinesweges angenehm zu nennen.
Die Rationen waren sehr spärlich, und andere Lebensmittel selten
zu erhalten; noch schlimmer aber war, daß ich gar keinen Anspruch
auf Gehalt hatte, da die Intendantur das ganz zwecklose System
eingeführt hatte, von den im Rückstande befindlichen Monaten immer
den am längsten verflossenen nach den in ihm eingereichten Listen der
Corps auszuzahlen, so daß z. B. im Januar 1840 der Sold des Monats
April 1839 bezahlt wurde. Dadurch blieben sehr viele Officiere und
Soldaten, welche zu jener Zeit noch nicht im Dienste, oder wie ich
gefangen gewesen waren, und selbst die, welche damals einer andern
Armee angehörten, ganz ohne Gehalt auf die Rationen beschränkt, bis
vielleicht nach Jahren die Zeit, in der sie dienten, zur Auszahlung
kommen würde. Dagegen erhielten die Corps den Gehalt aller während
jener neun Monate Getödteten und Desertirten, weil deren Namen
auf der Liste sich befanden, was denn die meisten Commandeure, da
Niemand Ansprüche darauf machte, zur eigenen Bereicherung oder,
wenn uneigennützig -- und das fand sich nicht häufig --, etwa zur
Ausschmückung des Corps benutzten. Seit dem Ende des Märzes ward diesem
Übelstande abgeholfen, da befohlen wurde, nun stets den laufenden Monat
auszuzahlen.

Für viele Officiere, selbst höherer Classen, wenn sie nicht auf irgend
eine unrechtmäßige Art Hülfsquellen sich verschaffen wollten, hatte
indessen jener Fehler der Administration die Folge, daß sie lediglich
die ihnen zukommenden Rationen für ihren Unterhalt hatten, so daß ich
buchstäblich Monate lang, wenn nicht zu Gast gebeten, nur mit Öl und
Weinessig abgekochte trockene Vicebohnen und schwarzes halb Hafer- halb
Roggenbrod genoß, woraus der Bursche für Morgen, Mittag und Abend mit
möglichster Variation das Mahl bereiten mußte. Damals verlor ich nie
viel Zeit bei Tische.

An Geselligkeit war auch nicht viel zu denken. Die Schwestern des
Generals, in deren Hause sonst täglich Tertulia war, folgten ihrem
Bruder nach Mora, und die übrigen Familien verließen nach und nach die
Festung, um theils nach den christinoschen Provinzen, theils, wenn
sehr compromittirt, nach kleinen Dörfern im Gebirge abzureisen: sie
erkannten sehr wohl, daß Morella bald nicht mehr passender Aufenthalt
für Damen sein werde. So waren wir ganz auf die Gesellschaft unserer
Cameraden beschränkt, unter denen besonders im Sappeurs-Corps
mehrere sehr gebildete Officiere sich fanden, mit denen ich, rings
um das flackernde Feuer des Küchenheerdes oder, wenn viel Luxus, um
den mit glühenden Kohlen gefüllten Bracero gruppirt, manchen Abend
verplauderte. Meine schriftlichen Arbeiten dagegen und selbst das
Zeichnen der Pläne u. s. w. mußte ich bei der grimmigen Kälte des
Februars und Märzes in ungeheizter, mit Papierfenstern versehener Stube
verrichten, alle zehn Minuten trotz der wärmenden Zamarra und des
Mantels und wollener Decken aufspringend, um durch Laufen und Hauchen
die erstarrten Glieder geschmeidig zu machen.

Vor allem waren mir da die Tage erfreulich, die ich in Gesellschaft
eines Freundes, des Genie-Capitains -- er fiel als Oberstlieutenant
bei der letzten Belagerung von Morella -- Don José Maria Verdeja
Arguelles y Mier zubringen durfte. Er zeichnete sich eben so sehr durch
die feinste Bildung aus, die er seiner Erziehung in dem Collegium
der Jesuiten zu Madrid verdankte, wie durch lebhaften Geist, hohe
Kenntnisse in seinem Fache und großen persönlichen Muth. Cabrera
schätzte ihn sehr, Herr von Rahden liebte ihn wahrhaft und pflegte ihn
nur seinen Sohn zu nennen, und der von demselben bei seiner Abreise
ausgesprochene Wunsch, daß wir wie Brüder zusammen leben möchten,
war durch die herzlichste, auf Achtung gegründete Cameradschaft ganz
erfüllt.

Verdeja war nebst dem Fort von Cullá mit der regelmäßigen Befestigung
einer großen Höhle bei Ares del Mestre beauftragt, die, unter einem
Felsberge hinlaufend und mit zwei Ausgängen versehen, dabei als Fort
durch seine Lage von strategischer Wichtigkeit, von Cabrera zum
Stützpunkte seiner Operationen für den kommenden Feldzug ausersehen
war. Wie so Vieles, war auch diese Arbeit vergeblich, seit der General
am 16. December auf immer erkrankte! -- Von dort nun kam Verdeja, wenn
ich in Morella mich befand, herüber, um von unserm Chef, dem Obersten
Alzaga, Instructionen zu empfangen und, die Hauptsache, über den Mangel
an allem zu kräftiger Beförderung der Arbeiten Nothwendigen bitter zu
hadern, wobei ich durch stets wiederholte, stets gleich vergebliche
Forderungen ihn unterstützte.

Alzaga, Baske von Geburt, stand als Civil-Ingenieur, beauftragt mit
den königlichen Lustschlössern um Madrid, unter Ferdinand VII. in
hohem Ansehen und sehr einträglichen Ämtern, die er, seine Loyalität
beurkundend, opferte, um mit höchster Gefahr nach Vizcaya zu entfliehen
und dem Heere Zumalacarregui’s sich anzuschließen. Er war stolz und
ehrgeizig und hatte daher, wie er selbst gestand, gegen Herrn von
Rahden die höchste Eifersucht gehegt und sich mit Widerstreben dem
Fremden untergeordnet. Außerordentlich pedantisch und ängstlich, immer
zögernd und aufschiebend, hob er gern seine Wichtigkeit hervor, wollte
Alles selbst leiten und ordnen, tadelte stets, was Andere gethan,
und war unendlich eifersüchtig auf seine Autorität. Dabei, wohl im
Gefühl seiner Schwäche, hatte er eine wahrhaft lächerliche Furcht vor
Cabrera, die denn wieder seine Ängstlichkeit in allen verantwortlichen
Geschäften auf den höchsten Grad trieb. Überhaupt war er leicht durch
festes Auftreten eingeschüchtert und zum Nachgeben gebracht, wenn sein
Stolz nicht verletzt wurde.

Mit diesem Manne nun mußten wir über eine jede Sache verhandeln und
ihn um Rath fragen; von ihm hatten wir die unaufhörlichen Bedürfnisse
an Menschen, Thieren, Instrumenten und Materialien zu fordern, und
vor Allem sollten wir von ihm Hülfe erwarten in dem steten Kampfe
gegen Gouverneure, Commandanten und Kriegscommissaire, die, wo eine
Gelegenheit sich bot, störend in unsere Befugnisse eingriffen. Er aber
zögerte immer und verschob, und das Resultat war, daß alle Arbeiten
ungeheuer zurückblieben. Es fehlte fortwährend an dem Nöthigsten, die
Gouverneure wollten mit leiten, hauptsächlich selbst die Requisite
herbeischaffen, wobei denn zwei Drittel in ihren Taschen kleben
blieben, und unser Chef, anstatt uns zu unterstützen, wußte stets neue
Schwierigkeiten uns aufzuthürmen.

Wie seufzten wir da über die Abwesenheit unseres energischen
Brigadiers! Wie knirschten wir oft mit Ingrimm, da Woche auf Woche
verfloß und Monat auf Monat, da der unheilschwangere Frühling
immer näher rückte, während wir stets gleich langsam in unseren
Vorbereitungen vorwärts kamen!

Wenn wir ihm dann freilich von vierzehn zu vierzehn Tagen den Bericht
über das Geschehene und nicht Geschehene vorlegten, da verzagte der
Oberst und klagte, den General von Rahden zurückwünschend, sein
Mißgeschick an, das in so schwierige Stellung ihn gesetzt hatte. Er
versprach, morgen mit verdoppelter Kraft zu beginnen -- „wenn ich nur
wüßte, wie es machen!“ und er seufzte wohl kleinlaut: „Meine Herren,
der General läßt mich erschießen; um Gottes willen, rathen Sie mir,
Sie haben ja sonst immer solche Riesenpläne im Kopfe.“ Schlugen wir
dann aber vor, daß er sofort einige tausend Arbeiter und Maulthiere vom
Lande requiriren, alle Maurer und Zimmerleute aus unserm ganzen Gebiete
durch Detachements zusammenholen und von jedem Hause einen Sack und
ein Handwerksgeräth eintreiben, dabei selbst zum noch immer kranken
General eilen, ihm den Zustand der Dinge und die Nothwendigkeit der
entschieden strengsten Maßregeln vorstellen möge; so wußte er tausend
verschiedene Schwierigkeiten anzuführen: den Befehl des Generals gegen
jede Plackerei der Landleute, das die Arbeiten erschwerende Wetter,
den Zorn Cabrera’s, weil nicht früher daran gedacht war, und den bösen
Willen der Gouverneure. Er beschloß, etwas Anderes zu ersinnen, und
-- -- Nichts geschah. Alles blieb beim Alten!

Und doch war Alzaga außer Dienst ein biederer, braver, gefälliger und
bis auf seine Wichtigkeitsmiene, die häufig Stoff zum Lachen gab,
selbst liebenswürdiger Mann. Er paßte nicht für solche Stellung.

Endlich wurde ich zu meiner Freude aus jener peinlichen Lage befreit.
Der Capitain Don Manuel Brusco leitete die Befestigungen im Turia und
in Neu-Castilien, wo er, seit der Premieurlieutenant Aparicio vom
Ingenieurs-Corps bei einem feindlichen Überfall in Beteta gefangen war,
ganz allein mit seinen zwei Compagnien Sappeurs sich befand, deren
Officiere er durch die ihm untergebenen Festungen vertheilen mußte.
Seit Monaten schon forderte er dringend, daß man von seinem schweren
Posten ihn ablöse oder doch einen andern Capitain dahin sende, der die
Last mit ihm theile; ebenso verlangte er mehrere Subaltern-Officiere.
Der Oberst, unschlüssig wie immer und zugleich unwillig, irgend
einen von uns zu detachiren, da wir in der That für die dringendsten
Bedürfnisse des diesseitigen Gebietes nicht hinreichten, verschob die
Erfüllung jenes Wunsches fortwährend und würde ihn ohne Zweifel nie
gewährt haben.

Da sandte Brusco einen seiner Officiere direct an den General nach Mora
de Ebro; er stellte ihm vor, daß er allein sechs Festungen -- Vejis, el
Collado, Alpuente, Castielfavib, Cañete und Beteta --, die eine Linie
von funfzig Stunden Weges bildeten und sämmtlich vom Feinde bedroht
waren, unter seiner Obhut habe und daher seiner Pflicht an keinem Orte
genügen könne. -- Am 19. März langte die Ordre Cabrera’s an, daß ich
sofort mit zwei Officieren nach jener Linie abgehen solle, um dort in
Gemeinschaft mit Brusco die Leitung zu übernehmen.

Es war mir dadurch die Hoffnung geraubt, bei der letzten Vertheidigung
von Morella mitzukämpfen, und diese Aussicht hatte mich so vieles
Schwere und Verdrießliche freudig ertragen gemacht. Aber dennoch
war es mir so lieb wie schmeichelhaft, daß der General mich zu dem
wichtigen und mit so vieler Verantwortlichkeit verknüpften Auftrage
ausersehen hatte; denn die dorthin gesandten Ingenieure mußten als
ganz selbstständig und unabhängig angesehen werden, da ihre Verbindung
mit dem Chef in Morella nur höchst unterbrochen und mitten durch
feindliches Land bewerkstelligt wurde. Auch wußte ich wohl, daß unsere
Stellung daselbst bei weit größerer Gefahr natürlich in jeder Hinsicht
sehr angenehm war, und Brusco kannte ich durch des Herrn von Rahden und
Verdeja’s Schilderungen als trefflichen Mann und treuen Cameraden, mit
dem ich gern mich vereinigen konnte. Und der Soldat liebt Abwechselung
und Veränderung.

       *       *       *       *       *

So wie Espartero im November auf Calanda sich zurückgezogen, begann er
die ungeheuern Rüstungen, durch die er im Frühjahre jeden Widerstand
zu erdrücken dachte. Die Ingenieurs- und Artillerie-Parks wurden
vervollständigt, Belagerungsgeschütze und besonders Mörser wurden in
großer Zahl in Alcañiz versammelt und mit achtzigtausend Schüssen
versehen, die Truppen arbeiteten unaufhörlich an der Anfertigung von
Faschinen, Schanzkörben und Sandsäcken, und selbst aus entlegenen
Provinzen wurden Transportmittel zusammengeschleppt.

Zugleich, da er gesehen hatte, daß Furcht und Versprechungen gleich
wenig die Standhaftigkeit der carlistischen Freiwilligen erschütterten,
suchte er durch einen Act kalt berechneter Grausamkeit auf sie zu
wirken, wie ihn bis dahin in solcher Ausdehnung selbst Spanien nicht
gesehen hatte; und diese Grausamkeit traf Schuldlose! Er ertheilte
Befehl, alle Individuen in Aragon, Valencia und Murcia, welche einen
Sohn, einen Bruder, Vater oder Gatten in den Reihen der Royalisten
zählten, unverzüglich aus ihren Wohnsitzen zu vertreiben und nach dem
nächsten carlistischen Gebiete zu führen. Bei Todesstrafe ward ihnen
die Rückkehr untersagt, während ihr Vermögen confiscirt wurde. -- Zu
Tausenden langten bald die unglücklichen Ausgestoßenen in Morella und
den andern festen Punkten an, von Allem entblößt und ihr Geschick
beklagend; dennoch forderten sie die Ihrigen zur Ausdauer auf und
flößten ihnen nur noch wilderen Haß ein. Cabrera, indem er ihnen
Rationen reichen ließ, befahl strenge Repressalien, wohin immer seine
Truppen dringen möchten.

Espartero’s Absicht war, während des Winters unsere Armee in ihrem
Hochgebirge zu blokiren und sie zu hindern, Hülfsmittel aus den
fruchtbaren Niederungen zu ziehen. Er errichtete deshalb Linien, ließ
viele kleine Orte befestigen und garnisoniren und gab selbst, wo das
Volk irgend den Christinos geneigt sich zeigte, den Landleuten Waffen
in die Hand, damit sie gegen unsere Streifcorps sich schützen könnten.
Dennoch drangen diese mitten durch sie und selbst in den Rücken jener
Linien ein und beuteten die Provinzen aus. Doch rettete die Krankheit
des Generals den Feind vor größeren Verlusten, da die Unterfeldherren
mehr mit Intriguen wegen der Folgen von Cabrera’s sicher erwartetem
Tode, als mit der Bekämpfung der Christinos sich beschäftigten und ihre
Truppen während des Winters fast ganz unthätig ließen.

O’Donnell aber, um die Verbindung Arévalo’s im Turia mit der Hauptarmee
ganz abzuschneiden, hatte alle Ortschaften längs der Chaussee von
Teruel nach Segorbe befestigt, so daß es unumgänglich wurde, zwischen
zwei dieser, höchstens drei bis vier Stunden von einander entfernten,
Forts zu passiren, zwischen denen stets starke Cavallerie-Patrouillen
die Straße auf- und abtrabten. Er nahm darauf das drei Stunden jenseit
derselben liegende leicht befestigte Manzanera.

Dann wurde General Aspiroz beordert, Chulilla anzugreifen, welches im
Thale des Guadalaviar -- Rio Blanco -- den Übergang über denselben
beherrschte, das südliche Valencia den Streifzügen der Carlisten
öffnete und dagegen den Feinden el Turia nach Südosten hin schloß.
Das Fort, auf einem isolirten Felsen angelegt, dessen Fuß im Süden
der Fluß bespült, enthielt nur Infanterie, etwa 200 Mann. Aspiroz
stellte sechszehn Geschütze gegen dasselbe auf, mit denen er bald die
künstlichen Vertheidigungswerke zermalmte, und die er so nahe placirte,
daß drei Scharfschützen, hinter einem Felsen liegend, eine Batterie
von vier Geschützen in einem Tage zweimal zum Schweigen brachten.
Dreizehn Tage hielt die brave Garnison das Feuer dieser Geschützmasse
aus, der sie nur ihre Gewehre entgegensetzen konnte; viermal versuchte
der Feind mit hohem Muthe die Erstürmung durch Escalade, und viermal
wurde er, schon auf dem Felsen angekommen, mit den Leitern in die Tiefe
zurückgeschleudert.

Doch Entsatz war nicht möglich, das Wasser fehlte, und endlich setzte
eine Bombe auch das Magazin der Mundvorräthe in Brand. Da vereinigten
sich die 87 Mann, welche noch lebten, ließen sich bei Nacht an Stricken
von der 50 Fuß hohen Felswand in den Fluß hinab und schlugen sich durch
den staunenden Feind, der hier am wenigsten angegriffen zu werden
erwartete. -- Arévalo belohnte einen jeden Freiwilligen mit einem ~real
vitalicio~ -- einem Real täglich auf Lebenszeit, in Spanien gewöhnliche
Prämie für kriegerische Auszeichnung der Soldaten --; die Officiere
bekamen einen Grad.

Nach dem Verluste von Chulilla ward Chelva, wo eine Kirche zur
Sicherung gegen einen Handstreich befestigt war, geräumt, worauf
der Feind es sofort besetzte und nebst Tuejar, Titaguas und Aras
befestigte, wo er dann seine Depots für die auf das Frühjahr
aufgeschobene Belagerung der übrigen carlistischen Festungen bildete.

Arévalo, der sich im Allgemeinen ganz auf die Defensive beschränkte,
überfiel im Februar 1840 eine feindliche Colonne in Peralejos de las
Truchas in Castilien und nahm dreihundert Mann gefangen, gab aber im
März das Commando an den Brigadier Don Salvador Palacios ab, welcher
bis dahin mit Auszeichnung die Brigade von Tortosa befehligt hatte.

       *       *       *       *       *

Im Norden arbeitete indessen Espartero eifrig, um seinen Kaufplänen
Eingang zu verschaffen. Schon im December war Cabrera genöthigt
gewesen, eine General-Ordre mit der Bestimmung zu erlassen, daß
Niemand etwaigen schriftlichen Befehlen, selbst wenn sie mit seiner
Unterschrift und seinem Siegel versehen und auf das dazu gebräuchliche,
lithographisch reich verzierte Papier geschrieben seien, in irgend
zweifelhaftem Falle gehorche, wenn sie nicht persönlich durch
einen der -- in der Ordre mit Namen bezeichneten -- Adjudanten und
Ordonnanz-Officiere überbracht würde. Espartero hatte nämlich
durch einen Spion an den Gouverneur der Festung Aliaga eine Ordre
gesendet, vom Grafen von Morella unterzeichnet, welche die bestimmte
Weisung enthielt, die Festung sofort zu räumen und nach Verbrennung
aller Vorräthe, wo möglich mit den leichten Kanonen des Forts, auf
Villarluengo oder Cantavieja sich zurückzuziehen. Dem Gouverneur, der
kurz vorher ganz entgegengesetzte Befehle erhalten hatte, schien dieser
so eigenthümlich, daß er einen Irrthum voraussetzte, die Vollziehung
auf seine Verantwortung aufschob, bis er neue Instructionen vom General
erhalten würde, an den er sogleich einen Adjudanten schickte, und
während der Zeit den Überbringer, der sich verwirrt zeigte, arretirte.

Da fand sich, daß der General nie eine ähnliche Ordre ausgestellt
hatte. Der Spion, da er sich entdeckt sah, gestand, daß Espartero sie
ihm eingehändigt und für die Überbringung eine große Belohnung zugesagt
habe; er ward erschossen. Der große Siegesherzog an der Spitze seiner
sechsfach überlegenen Massen fand es nicht unter seiner Würde, auch
noch zur Fälschung seine Zuflucht zu nehmen! Er hatte die Handschrift
des Grafen von Morella und die Verzierungen den echten so vollkommen
nachgemacht, daß ein Unterschied nicht zu entdecken war. -- Ich selbst
sah im Hauptquartiere diese falsche Ordre.

Da der Streich nicht gelungen war, griff er wieder zur Bestechung. Am
9. Januar ließ Llagostera einen Capitain und einen Kriegscommissair in
Castillote erschießen, überführt und geständig, mit dem feindlichen
Heerführer in Communication zu stehen und Geldsummen von ihm erhalten
zu haben. Wenige Tage später wurden zu Morella zwei Sergeanten und ein
Assistenz-Wundarzt, kurz vorher vom feindlichen Garde-Corps desertirt,
gefangen gesetzt, da sie durch heimlichen Verkehr mit unbekannten
Personen Verdacht erregt und viel in den Befestigungswerken sich
umhergetrieben hatten. So wie die Nachricht davon bekannt wurde,
verschwand ein Geistlicher, der in der Verwaltung angestellt und
in dessen Wohnung der Wundarzt mehrere Male gesehen war. Unter den
Effecten des Arztes fanden sich bei der Durchsuchung vier Päckchen mit
schnell wirkendem Gifte, versteckt unter anderen Päckchen von eben
derselben Form, welche Arzneimittel enthielten.

Der Wundarzt wurde von den erbitterten Miñones des kranken Generals
niedergestochen, die Sergeanten aber, kaum der Wuth der Soldaten
entrissen, bekannten sich als Scheinüberläufer, zur Ausforschung und
Bearbeitung des Geistes der Besatzung und nebenbei zur Besichtigung
der Werke bestimmt; sie standen übrigens ganz zur Disposition des
Wundarztes, der auch durch zwei Bauern die Correspondenz mit dem
feindlichen Hauptquartier führte. Beide Sergeanten wurden füsilirt. Die
Bauern erschienen nicht wieder, der verschwundene Geistliche befand
sich schon am andern Morgen im Mas de las Matas.

Doch wie viele seiner Anschläge vereitelt wurden, Espartero ermüdete
nicht, und es ist leicht begreiflich, daß unter Tausenden Einzelne
sich fanden, die seinen lockenden Verheißungen Gehör gaben und zum
Verrathe an der sinkenden Sache sich hinreißen ließen, da ja solcher
Verrath Gold und Ämter und selbst -- Schande den sogenannten Liberalen
Spaniens! -- Ehrenbezeugungen ihnen sicherte. Schon war die Armee ihres
Führers beraubt und damit die Hauptsache gethan. Der nächste Schlag
sollte ihr einen ihrer trefflichsten Stützpunkte nehmen, denjenigen,
der am meisten Espartero’s Truppen beunruhigte, da er weit in ihre
Flanke und ihren Rücken vorgeschoben war, und durch dessen Besitz es
den Carlisten möglich wurde, noch immer bis tief nach Aragon hinein zu
operiren.

Die Wichtigkeit des Castells von Segura ist früher hinlänglich
dargethan. Da Espartero erst den Verkäufer gefunden, wußte er die
Ausführung so schlau und gewissenlos zu ordnen, daß auch der
Scharfsinnigste getäuscht und im Augenblicke der That unvorbereitet
überrascht werden mußte.

Der Gouverneur von Segura, ein Oberst, dessen Name mir entfallen,
war ein alter braver Haudegen, seit dem Beginn des Krieges unter
den Waffen und entschiedener Royalist, der die Briefe, in denen ein
Adjudant Espartero’s im Namen seines Generals ihm Grade und bedeutende
Geldsummen anbot, im Fall er seine Veste überliefere, unerbrochen
dem Grafen von Morella zusandte, welcher das höchste Vertrauen in
seinen alten Waffengefährten setzte. Er hatte unter seinem Commando
drei Compagnien Infanterie von Aragon, ein Detachement Sappeurs und
ein anderes von der Artillerie als Besatzung des Castells und einige
Cavallerie, den Umständen nach von verschiedener Stärke, mit einem
kleinen Freicorps für die Streifzüge in das Innere der Provinz.

Am 18. Februar fing der dienstthuende Capitain im Thore einen Bauer
auf, der in das Castell trat, und fand bei ihm Briefschaften von
Espartero, durch die dessen Einverständniß mit dem Gouverneur und dem
Platzmajor von Segura unzweifelhaft klar ward, so wie die Absicht,
während der Nacht die Festung zu überliefern. Der Capitain sticht
sofort den Bauer nieder, lieset seinen Grenadieren die aufgefangenen
Schreiben vor und fordert sie auf, im Blute der elenden Verräther die
Schandthat zu rächen und ihrem angebeteten Don Ramon zu zeigen, daß er
noch treue Soldaten hat. Einen Augenblick später haben die Grenadiere
wüthend den Gouverneur, den Platzmajor und einen andern Officier
getödtet, und ihr Capitain als ältester Officier übernimmt das Commando.

Espartero, der bisher ruhig in seinen Standquartieren geblieben war, um
nicht die Aufmerksamkeit oder gar Truppen dorthin zu ziehen, eilte am
folgenden Tage mit einem Theile seines Heeres nach Segura. Eben so flog
Llagostera auf die Nachricht des Geschehenen von Castillote hinzu, die
Garnison abzulösen und einen neuen Gouverneur zu ernennen. Er fand,
am 21. bis Ejulve vorgedrungen, durch Espartero’s Massen den Weg sich
versperrt.

Dieser begann am 23. die Belagerung der Festung, und am 25. eröffneten
seine Batterien ihr Feuer, welches die sechs Geschütze des Castells mit
Kraft erwiederten. Es dauerte sechs und dreißig Stunden ununterbrochen
fort, ohne jedoch Bresche geöffnet zu haben, da eine schmale Öffnung
in den Werken an einer Stelle, wo die Mauer auf einen dreißig Fuß tief
perpendiculair sich senkenden Felsen gegründet war, den Namen einer
Bresche nicht verdiente; es wäre unmöglich gewesen, sie practicabel zu
machen, da die Felswand stets dasselbe Hinderniß gegen den Sturm bot.

Indessen hatte der selbstbestallte Gouverneur seine Compagnie seinem
Zwecke gemäß bearbeitet, indem er sie auf die gefährlichsten Posten
stellte, wo sie sehr litt, sie stets im Dienst hielt und dabei von
der Unmöglichkeit des Entsatzes und der Nutzlosigkeit weiterer
Vertheidigung durch dazu bestellte Leute reden ließ. Bei Tagesanbruch
am 27. rief er die Garnison zusammen und erklärte die Nothwendigkeit
der Capitulation, da Bresche geöffnet, Entsatz nicht zu hoffen sei.
Seine Compagnie stimmte ihm bei, aber die übrigen Officiere erklärten
entschieden, daß an Übergabe nicht gedacht werden könne, und der
Commandeur der Sappeurs, begleitet von den beiden andern Compagnien,
führte seine Leute zu der sogenannten Bresche, um den Schutt
aufzuräumen und sie sofort zu schließen, jenen Vorwand für die Ergebung
zu entfernen. Thätig mit der Arbeit beschäftigt, erhielten die braven
Freiwilligen plötzlich eine Salve aus dem Innern des Castells; die
Grenadiere hatten mit dem Geschrei: „~viva Don Ramon~; diese wollen uns
opfern!“ den Christinos das Thor geöffnet.

So fiel die herrliche Festung, bei deren Erbauung so glänzende
Hoffnungen gefaßt werden durften, durch Verrath in die Gewalt der
Feinde. Die ganze Besatzung ward auf Discretion gefangen, doch erlaubte
ihr Espartero in seinem Jubel, ihr Gepäck und so viel Lebensmittel
mit sich zu nehmen, wie sie fortbringen könnte. Ungeheure Vorräthe
fanden sich im Castell und sechs schöne Geschütze, von denen nicht ein
einziges demontirt war.

Llagostera, nach erhaltener Verstärkung am 26. bis Cabra, nahe
Montalban, vorgedrungen, zog sich auf die Nachricht von dem Verluste
von Segura auf Castillote zurück. Wenige Tage später langten sechszehn
von den Gefangenen, auf dem Marsche nach Daroca entflohen, bei der
Armee an; unter ihnen waren drei Grenadiere, die arretirt, aber, da sie
selbst so schändlich getäuscht waren, nicht weiter bestraft wurden.

Der loyale Gouverneur und sein Major waren als Opfer ihrer Treue
gefallen, während der Capitain der Grenadiere -- welcher ~garde du
corps~ Ferdinands VII., Secondelieutenant in der Armee, gewesen war
-- nachdem er die Sache, der er sich widmete, verrathen, seine Chefs
und eigenhändig selbst den Unglücklichen, der ihm als Werkzeug diente,
ermordet und den ihm anvertrauten Posten ehrlos überliefert hatte, als
Oberst und mit dem Orden Isabella’s der Zweiten geschmückt, ohne Scham
in den Standquartieren der Christinos sich zeigte, bis er nach Cuba,
wohin er versetzt ward, abreisete. Espartero aber, nachdem er prahlende
Berichte über seine Waffenthat ausgefertigt hatte, zog sich in seine
alten Stellungen zurück, über weitere Ausdehnung seines Systems zu
brüten.

Den Unwillen und das Entsetzen zugleich, welche der Verkauf von
Segura, begleitet von so empörenden Umständen, in Volk und Heer
hervorrief, wage ich nicht zu beschreiben; Jedermann blieb betäubt
und von kaltem Schauder durchrieselt bei der furchtbaren Nachricht.
Den hingeschlachteten Treuen zu Ehren ward ein feierlicher
Trauergottesdienst angeordnet, während dem Verräther der Fluch Aller
folgte. Noch war diese That in ihren Folgen besonders unheilbringend,
da schon die erste Botschaft von dem beabsichtigten Verrathe des
wackern Gouverneurs und von seinem Tode auf den General so tiefen
Eindruck machte, daß man abermals für sein Leben zitterte.

Ich gestehe, daß ich außer mir war vor bitterm Schmerz und Grimm; ich
lachte, aber das Knirschen der Zähne tönte durch das dumpfe Gelächter
hindurch. Das waren entsetzliche Tage! Meine Gefühle machten mich
ungerecht. Da sehnte ich mich und flehte, daß ich von diesen Spaniern
befreit werde, daß Espartero rasch angreife und unter den Trümmern von
Morella uns begrabe, um nur nicht in solcher Lage leben zu müssen.
„So muß ich denn in jedem Gefährten einen Verräther fürchten,“
fügte ich der Schaudernachricht im Tagebuche zu, „und darf Niemand
mehr vertrauen! Schrecklich, schrecklich, von solchem Geschlecht
sich umgeben zu wissen. Wenn doch Espartero mit einem Schlage Alles
beendete, Alles zermalmte, wenn es sein soll! Sollte ich das Ende des
Krieges überleben, so wird der Augenblick, in dem ich Spaniens Gränze
überschreite, der herrlichste meines Lebens, der Tag auf immer ein
Dank- und Jubelfest mir sein!“

       *       *       *       *       *

Wie wenig übrigens die Christinos daran dachten, die Zusagen zu
erfüllen, welche sie doch, so bald dadurch Hoffnung auf Erfolg sich
bot, überreichlich verschwendeten, trat um eben diese Zeit klar hervor,
da die constitutionelle Regierung im Königreiche Galicia in einer Nacht
alle die früheren Guerrilleros, welche dem Vertrage von Bergara sich
angeschlossen hatten, verhaften und nach den Colonien deportiren ließ.
Über funfzehnhundert jener Unglücklichen wurden so, größtentheils wohl
auf immer, ihrem Vaterlande und ihren Familien entrissen, da sie doch
volle Ansprüche auf alle die Vortheile hatten, welche der Vertrag den
ihm sich Anschließenden gewähren sollte. Wie schwer sie auch fehlten,
da sie verzagend ihren König verließen, als er gerade mehr als je
ihrer Treue und Festigkeit bedurfte, war es doch nie die Sache der
Christinos, dieses Verbrechen, dessen Früchte sie geerntet hatten,
selbst ihr Wort brechend, zu strafen.

Gewiß eine gute Lehre für die, welche, nur den Einflüsterungen der
Selbstsucht folgend, geneigt sein mochten, den Versprechen und
Lockungen Gehör zu geben, durch die jetzt Espartero ebenso ihrer
Pflicht sie abwendig zu machen suchte.



XXXVI.


Am 22. März verließ ich Morella, um den Marsch nach dem Turia
anzutreten. Die Gipfel der Gebirge waren weithin mit tiefem Schnee
bedeckt, während die Thäler schon das freundliche Frühlingskleid
anzulegen begannen, so daß ich, stets auf- und niedersteigend, eben
so oft die eisige Temperatur des Winters gegen laue Westhauche
vertauschte. Wo aber hoch im Gebirge der an ihrem Fuße so liebliche
Wind schneidend durch die Schluchten brausete, schien er alles Lebende
erstarren zu wollen.

Wenige Tage früher hatte Espartero die Operationen wieder aufgenommen.
Auf dem Wege nach Cinctorres hörte ich weithin zur Rechten das Krachen
der Geschütze, die gegen das seit dem 19. März belagerte Castillote
so eben ihr Feuer eröffneten; und auch am folgenden Tage, da ich das
Gebirge gegen Mosqueruela erstiegen hatte, begleitete mich lange der
todverkündende Schall, schauerlich dumpf über die starren Schneegefilde
hintönend.

Die Bravour, mit der Castillote vertheidigt wurde, ist selbst von den
Feinden anerkannt, die lediglich dem ungeheuern Übergewichte ihres
Materiales die endliche Eroberung zuschrieben und eingestanden, daß sie
durch die Waffen der Belagerten, wie durch das plötzlich eingetretene
strenge Wetter 2300 Mann ~hors de combat~ zählten -- der carlistische
Bericht gab 4500 Mann an --. Das Castell, von einem hohen Felsen hinab
den Flecken beherrschend, hatte nur einen Zugang, gegen den neunzehn
schwere Geschütze aufgestellt wurden. Die Garnison, nachdem sie den
achten Sturm abgeschlagen hatte, ergab sich am 26. März, nur noch 270
Mann stark, da alle künstlichen Werke der Angriffsfronte demolirt waren
und die im Angesicht des Forts stehenden carlistischen Truppen keine
Bewegung zu Gunsten desselben unternahmen.

Der Mariscal de Campo Don Luis Llagostera verlor sein Commando, weil
er, mit sechs Bataillonen kaum eine halbe Stunde von Castillote
entfernt, vor seinen Augen es hatte nehmen lassen, ohne auch nur die
Arbeiten der Belagerungsarmee, die übrigens 32 Bataillone stark war,
im geringsten zu erschweren oder einen Versuch zur Rettung der braven
Besatzung zu machen. Der älteste Brigadegeneral Don Juan Muñoz y Polo
erhielt an seiner Stelle den Oberbefehl der Division von Aragon, da
er im Sommer 1839 mehrere Expeditionen in das Innere Castiliens mit
Gewandheit ausgeführt hatte und so eben von einem neuen Zuge nach der
Provinz Guadalajara zurückkehrte.

Ich ward auf meinem Marsche von zwei Lieutenants des Geniecorps und
von acht Sappeurs begleitet, welche ich selbst aus dem Bataillon mir
ausgewählt; lauter entschlossene Kerle, auf die ich vor dem Feinde
mich verlassen durfte. Mit diesem Detachement sollte ich die funfzig
Meilen bis Cañete zurücklegen und zwar großentheils mitten durch ganz
dem Feinde unterworfenes und von seinen Forts gedecktes Land. Doch war
wirklich Gefahr nur in den fünf Meilen zu jeder Seite der Heerstraße
von Teruel nach Segorbe, während der Rest des Weges mit guten Führern,
Sorgfalt und Glück wohl ohne große Besorgniß zurückgelegt werden konnte.

Außer jener Bedeckung sollte auch der Sappeur-Officier, welcher von
Brusco an den General gesendet war, mit mir nach Cañete zurückkehren.
Don Manuel Matias hatte in seinem Vaterlande Portugal als Sergeant
in dem Heere Don Miguel’s gedient und war nach dessen Vertreibung
mit der portugiesischen Legion nach Spanien gekommen, wo er die
erste Gelegenheit ergriff, um zu den Carlisten überzugehen. Bei
wildem, aufbrausendem Charakter zugleich höchst brav, entschlossen
und kenntnißreich war er bald zum Officier ernannt; noch in Chulilla
hatte er sich besonders hervorgethan, da er von Brusco zur Leitung der
Arbeiten dorthin detachirt war. Oberst Alzaga hatte ihn in Morella
arretirt, weil er einer Dame wegen, welche, die Gnade des Generals für
ihren auf dem Collado wegen Veruntreuungen in enger Haft gehaltenen
Gatten, einen Oberstlieutenant, zu erflehen, mit Matias von Cañete her
gekommen war, und mit der er in sehr vertrauten Verhältnissen stehen
sollte, grobe Nachlässigkeiten sich zu Schulden kommen ließ. Erst im
Augenblicke des Abmarsches wurde er in Freiheit gesetzt. Er hatte
übrigens etwa zwölfhundert Duros für die beiden jenseit der Straße
stationirten Compagnien Sappeurs bei sich, so wie das Pferd und die
prachtvollen Waffen, welche sein Compagnie-Chef für die Reise ihm
geliehen hatte.

In dem Städtchen Cinctorres angelangt, fand ich den vorausgerittenen
Matias und mit ihm -- die verrufene Doña! Das war mir ein Donnerschlag
aus heiterem Himmel, da abgesehen von dem Widerwillen, den solche
Geschöpfe stets mir einflößten, auf einem Marsche, wie der unsere, und
unter jenen Verhältnissen Damen mit sich führen wenig anders hieß, als
geradezu sich und, was schlimmer, die anvertrauten Leute dem Feinde
in die Hände liefern. Ich expostulirte mit Matias, der mir jedoch
erklärte, daß ihm die Ehre nicht erlaube, die Dame zu verlassen,
welche seinem Schutze sich übergeben habe, und daß er lieber allein
mit ihr den Gefahren der Reise sich aussetzen werde, wenn ich für
meine Sicherheit oder Bequemlichkeit ihre Gesellschaft nicht zulassen
wolle. Da schwieg ich und gab achselzuckend meine Einwilligung unter
der Bedingung, daß wir nie ihretwegen warten oder gar Veränderungen in
unserm Reiseplane -- wir mußten billiger Weise Tag und Nacht marschiren
-- treffen würden, was bereitwillig angenommen wurde.

Doch schon am folgenden Morgen stand das Detachement eine halbe Stunde
zum Abmarsch fertig, ehe Matias seinen Schützling heranführte. Die
Sappeurs, deren einige mit ihm von Cañete gekommen und da um des
Weibes willen Viel geplagt waren, murrten laut und prophezeiten Unheil
aus solcher Begleitung; erst die Drohung, zweihundert Stockschläge
auszutheilen und im Wiederholungsfalle den Schuldigen erschießen zu
lassen, brachte sie zum Schweigen, da sie wohl wußten, daß das Recht
dazu mir zustand, und daß ich nicht zweimal zu drohen pflegte.

Aus Rücksicht auf den Cameraden hatte ich meine Abneigung so weit
besiegen zu müssen geglaubt, daß ich der Dame, da kein Maulthier im
Dorfe aufzutreiben war, eines meiner Packthiere einräumte, wogegen ich
dachte, ihr Sohn, ein Cadet von vierzehn Jahren, könne füglich eben so
gut wie meine Sappeurs zu Fuß gehen. Ich ritt mit dem Lieutenant Losada
und vor mir zwei Sappeurs an der Spitze, Matias mit seiner Gefährtinn
und der Bagage folgte, und Lieutenant Valero mit vier Sappeurs schloß
den Zug, während die beiden andern rechts und links das Terrain
durchsuchten. Der Cadet, ein hübscher, munterer Junge, sprang leicht
wie ein Reh bald vor mir her, bald scherzte er hinten mit Valero, der
eben so munter und etwa achtzehn Jahr alt war.

Da die Wege furchtbar schlecht und oft mit fußhohem Schnee bedeckt
waren, ein grimmig kalter Wind aber fortwährend neue Schneemassen uns
in das Gesicht peitschte, bildete sich nicht selten ein Zwischenraum
von einigen hundert Schritt zwischen den verschiedenen Abtheilungen,
die eine jede für sich streng geschlossen zu bleiben angewiesen waren.

Plötzlich erregte ein lautes Geschrei hinter mir meine Aufmerksamkeit.
Matias, vom Pferde gesprungen, haute unter Fluchen und Schreien mit
einem Knittel auf einen der ~bagageros~ los, der auf dem kaum sechs Fuß
breiten Wege zurückweichend, im Begriffe war, in den neben demselben
tief unten brausenden Fluß rücklings hinabzustürzen, als ein Sappeur
den Lieutenant ergriff und mit unwiderstehlicher Kraft dem Abgrunde
zuschleuderte. Mit dem Kopfe voran stürzte Matias hinunter; aber seine
Füße verwickelten sich in einigen Wurzeln, und rasch mit den Händen
unten sich anklammernd blieb er hängen, während er, in die Tiefe
fallend, unrettbar auf den Felsen zerschmettert wäre.

Im nächsten Augenblicke war ich dort und hatte den Sappeur durch einen
Säbelhieb zu Boden gestreckt; es war Zurita, der beste und ruhigste
Mann des Bataillons. Bald war Matias an den Füßen in die Höhe gezogen
und konnte, wiewohl noch todtenbleich, den Vorfall erzählen. Seine
Freundinn wollte den Cadet mit sich auf das Saumthier steigen lassen,
wogegen der Eigenthümer protestirte; die Dame schalt in nicht sehr
gewählten Ausdrücken auf den Bauer, dieser antwortete impertinent,
und der leidenschaftliche Matias eilte, ihn dafür zu strafen. Jetzt
forderte er -- und mit Recht --, daß Zurita, da er sich an seinem
Vorgesetzten vergriffen hatte, augenblicklich erschossen werde. Ich
begnügte mich indessen, den in die Schulter so schwer Verwundeten,
daß er ein Maulthier besteigen mußte, zu arretiren, das Weitere mir
vorbehaltend, worauf wir den Marsch fortsetzten und spät am Abend in
Mosqueruela anlangten. Im Hause eines armen, aber wackern Mannes,
bei dem ich früher ein Mal logirt hatte und daher eines herzlichen
Empfanges sicher war, thauete ich an einem tüchtigen Feuer in der Küche
die erstarrten Glieder auf.

Am 24. März mußte ich in dem Städtchen, welches niedlich und zur
Zeit des Friedens durch Gewerbthätigkeit wohlhabend ist, wiewohl
die Lage im wildesten Gebirge es nicht begünstigt, wegen heftigen
Schneegestöbers ruhen, da der Weg über das hohe und rauhe Plateau, die
Wasserscheide des Ebro-Gebietes und der südlich durch Valencia dem
Meere zuströmenden Gewässer, nach Linares ganz ungangbar war. -- Ich
erklärte dort dem Lieutenant Matias, daß ich fortan gar keine Rücksicht
auf seine Gefährtinn nehmen werde, da ich um solch eines Weibes willen
die Sicherheit meiner Leute nicht länger compromittiren durfte, die
übrigens stets unruhiger und nur durch größte Festigkeit, gepaart mit
guter Behandlung, in ihrer Pflicht erhalten wurden. Sie waren, wie
gesagt, die besten Leute des Corps; aber der Gedanke, ihren Cameraden
wegen jener Frau vielleicht füsilirt zu sehen, regte sie so auf, daß
sie leicht zu jeder Gewaltthat sich hätten hinreißen lassen.

Zurita dagegen erkannte sehr wohl die Größe des Verbrechens, welches
er begangen hatte. Zu sich gekommen von der ersten Überraschung,
war er betäubt bei der Idee dessen, was er gethan; er begriff
nicht, wie er dazu gekommen war, und indem er die Gerechtigkeit der
Strafe anerkannte, beklagte er nur, so schimpflichen Todes sterben
zu müssen. Ich war glücklich, da die Umstände mir gestatteten, den
Bedauernswerthen dem ihm drohenden Geschicke zu entziehen.

Am 25. ging die Sonne an wolkenleerem Himmel auf, aber die Kälte
war entsetzlich. Der Schnee lag auf der ganzen drei Stunden weiten
Strecke bis Linares drei bis fünf Fuß hoch und war so fest gefroren,
daß selbst die Pferde wie auf Felsen über ihn weggingen, ohne Spuren
zu hinterlassen. Dabei war natürlich Nichts vom Wege sichtbar, und
ich verdankte es nur meiner Vorsicht, da ich trotz der Klagen des
Ayuntamiento von Mosqueruela sechs Guiden mitgenommen hatte, daß ich
endlich um Mittag in Linares ankam. Der Wind war auf jenem Plateau
unglaublich schneidend kalt, und ich erinnere mich nicht, je so Viel
von der Kälte gelitten zu haben, wie dort auf der Gränze des gerühmten
Königreiches Valencia in den letzten Tagen des Märzes; an Reiten war
gar nicht zu denken, und tief in den Mantel gewickelt, mit dem Kragen
desselben selbst den Kopf bedeckt, mußte ich dennoch alle zehn Minuten
Halt machen, um unter dem Schutze irgend eines Felsens und dem Winde
den Rücken zugewendet vor Allem Gesicht und Ohren durch Reiben etwas zu
erwärmen. Es war mir, als würden während der ganzen drei Stunden mit
einem spitzen Instrumente Furchen über das Gesicht gezogen.

In Linares fand ich einen Aide de camp des Generals mit der Errichtung
eines -- wie er es nannte -- Forts beschäftigt. Eine alte Kirche suchte
er nämlich auf die merkwürdigste Weise mit Flankenfeuer zu versehen,
zu welchem Zwecke er auch oben unter dem Dache einige Balken weit
hervorgeschoben und auf ihren äußersten Enden, über der wenigstens
achtzig Fuß hohen Tiefe schwebend, ein hölzernes Hüttchen mit bunt
durcheinander geworfenen Schießscharten gebaut hatte, was er denn stolz
flankirende Thürme von seiner Erfindung nannte. Und dazu ließ er ein
Dutzend Häuser rings um die Kirche abbrechen! Die ganze Stadt liegt
übrigens in einem tiefen Kessel, so daß das wunderbare Fort auf weniger
als halbe Flintenschußweite von allen Seiten durch hohe Berge überragt
war.

Ich gab dem guten Aide de camp den Rath, nicht länger seine Zeit hier
zu vergeuden, und eilte trotz seiner Bitte, so wie ich mich gewärmt
und durch Speise gestärkt hatte, von dannen, den Marsch gen Süden
fortsetzend. Nun ging es fortwährend bergab, und ehe wir viele Stunden
zurücklegten, umsäuselten uns wieder die milden Zephyre, mehr dem
Frühlinge angemessen; bald fanden wir schon Blumen und endlich gar in
den Gärten der anmuthigen Dörfer Gemüse und wohlschmeckende Kräuter,
wie die wärmeren Theile Spaniens in jeder Jahreszeit sie hervorbringen.
Ohne selbst es zu empfinden, hätte ich so raschen Wechsel nicht für
möglich gehalten, da wir, von dem großen Hochplateau von Aragon
und Valencia, in dem ich die letzten fünf Monate zugebracht hatte,
herabsteigend, plötzlich aus dem strengsten Winter in oft drückende
Sommerwärme versetzt waren.

Meine Absicht war, in la Puebla de Arenoso neue Führer und Maulthiere
zu nehmen, dann bis zu einer einsamen Masada, die eine Stunde von der
gefährlichen Chaussee liegen sollte, vorzugehen und nach kurzer Ruhe
am folgenden Morgen die Straße zu überschreiten, um jenseits noch
während des Tages aus dem Bereiche des Feindes gelangen zu können.
Als wir gegen Abend Olva uns näherten, befahl ich daher dem Lieutenant
Matias, der am besten beritten war, mit dem Passe vorauszueilen und in
la Puebla Rationen und Guiden zu besorgen, wodurch jeder Aufenthalt
vermieden wurde. Seine Reisegefährtinn folgte uns stets auf geringe
Entfernung, ohne daß er zu unserm Erstaunen sich weiter um sie zu
bekümmern schien.

Um neun Uhr langte ich in la Puebla an, wo ich von Matias keine Spur,
wohl aber ein Bataillon von Valencia traf; die Wachen im Dorfe sagten
aus, daß kein Officier angekommen sei, die Dame und der Cadet waren
seit Olva nicht mehr gesehen worden. Einen Augenblick zweifelte ich
und hoffte, er werde, durch irgend einen Zufall zurückgehalten, rasch
nachkommen. Aber die Aussagen einiger Bauern drängten mir bald die
traurige Gewißheit auf: Matias war desertirt.

Sofort sandte ich den Lieutenant Losada und drei Sappeurs zur
Verfolgung der Flüchtigen mit der Ordre, im Falle er sie einhole,
das Weib gefangen zurückzubringen, Marias aber, wenn er Miene zum
Widerstande oder zur Flucht mache, ohne Bedenken niederzuschießen.
Ich selbst ging mit Valero auf Olva zurück, wo ich um Mitternacht
anlangte; der Commandant d’armes der Stadt sollte so eben eine Depesche
erhalten und demzufolge nach Linares abgereiset sein, weshalb ich
selbst für alle Bedürfnisse sorgen mußte. Meine Lage war nicht sehr
beneidenswerth. Kaum drei Stunden entfernt waren zwei feindliche Forts,
die sehr bald von unserm Dasein Nachricht erhalten mußten; auch würde
Matias, mit allem uns Betreffenden vertraut, wenn er entkam, die Mittel
zu unserer Gefangennehmung leicht angegeben haben. An Abmarsch aber
war nicht zu denken, ehe die Saumthiere abgelöset wurden, was vor dem
nächsten Tage nicht geschehen konnte. Ich gestehe, daß ich zur kurzen
Ruhe mit der Idee mich niederlegte, am folgenden Abend getödtet oder
gefangen zu sein.

Früh Morgens kam Losada zurück. Er hatte die Spur der Flüchtigen von
Masada zu Masada verfolgt, bis die Erschöpfung seiner Leute ihm die
Hoffnung geraubt hatte, sie zu erreichen. In kurzem brachte ein Spion
die Nachricht, daß ein Officier der Sappeurs mit Frau und Bruder, dem
Cadetten, in la Albentosa sich präsentirt habe, wo auch der Commandant
d’armes von Olva -- bisher als eifrigster Carlist und sehr wichtiger
Dienste wegen gerühmt! -- während der Nacht angelangt war. Matias hatte
alles ihm anvertraute Geld, so wie Pferd und Waffen des Lieutenants
Norma mit sich genommen.

Seufzend verfluchte ich die Elenden, die durch so selbstische Motive
zum Verrath sich hinreißen ließen, und verfluchte die Schwäche, so oft
durch traurige Beispiele belegt, des Mannes, da ein verbuhltes Weib bis
zur schmachvollsten Verletzung seiner Pflichten und seiner Ehre ihn zu
treiben vermag!

Das Glück wollte mir wohl. Am Abend passirte ich ohne Unfall die
Heerstraße zwischen den beiden drittehalb Stunden von einander
entfernten Forts Barracas und la Albentosa, nachdem fünf Minuten
vorher eine Escadron feindlicher Dragoner vor unsern Augen sie
abpatrouillirt hatte. Zwei Tage später, nachdem ich einen hohen und
wilden Gebirgsrücken überstiegen und den Guadalaviar passirt, langte
ich in dem festen Castiel Favib an und wurde am 30. März in Cañete --
Neu-Castilien, Provinz Cuenca -- von Brusco und dem Premierlieutenant
Norma herzlich empfangen. Nach einigen Verwünschungen gegen den
Treulosen tröstete sich Norma bald über den durch Matias’ Desertion
ihm gewordenen Verlust, da er wenige Wochen vorher bei der Anwesenheit
einiger Bataillone und Escadrone mit merkwürdigem Glücke über
dreihundert und achtzig Unzen Gold -- ~la onza~, die größte Goldmünze
Spaniens, gilt 84 ~francs~ -- zusammengewonnen hatte.

Auf dem Marsche nach Überschreitung der Heerstraße war ich einigen
Bataillonen von Tortosa und Valencia nebst mehreren Escadronen von
Aragon begegnet, die seit dem Januar unter Brigadier Polo auf einer
Expedition in die Provinz Guadalajara begriffen und nun auf der
Rückkehr nach Morella waren, um dort beim Beginn der Feindseligkeiten
nicht zu fehlen. Hauptsächlich ausgesendet, um die Zahl der
Consumirenden in unserm Gebiete zu vermindern, waren sie ruhig und
friedlich in jener Provinz umhergezogen, da die Christinos vorzogen,
bei ihrer Annäherung in die festen Punkte sich einzuschließen.

       *       *       *       *       *

Cabrera richtete von jeher seine Aufmerksamkeit auf das reiche
und carlistisch gesinnte Ländchen el Turia, dessen Besitz alle
Unternehmungen nach dem südlichen Valencia, Murcia und Neu-Castilien
ungemein erleichterte, während seine zum Theil sehr bedeutenden Gebirge
der Kriegsweise der Carlisten nicht ungünstig waren. So wurde diese
Provinz vom Anfang an häufig der Schauplatz von Cabrera’s Siegen, und
es hatten sich selbst bedeutende Corps dort und in der nahen Provinz
Cuenca gebildet, welche durch die Configuration der Oberfläche ähnliche
Vortheile darbot, die jedoch in höherem Grade durch die Nähe der
Hülfsquellen der Feinde und die vermehrte Aufmerksamkeit paralysirt
wurden, welche dieselben deßhalb gegen die Festsetzung der Carlisten in
ihr richteten.

Tallada bildete seine schöne Division von 4000 Mann ganz in jenen
beiden Provinzen, und als sie durch des Führers Fehler im Februar 1838
vernichtet, er selbst getödtet war, eilte Arnau, aus den Trümmern
derselben und den fortwährend hinzukommenden Elementen ein neues Corps
zu bilden, mit dem er in Chelva sich behauptete.

Als nun aber in der zweiten Hälfte 1838 die Armee des Grafen von
Morella, überall siegreich, die glänzendsten Vortheile davontrug,
und als der General nun seine Operationen über den engen Kreis,
in den sie bis dahin eingezwängt blieben, ausdehnen und auf die
Eroberung Castiliens und die dadurch herbeizuführende Beendigung
des Krieges denken durfte, da sollte el Turia zur Grundlage für die
Ausführung dieser Pläne dienen und demnach so befestigt werden, daß
es als Depot für alle Kriegsbedürfnisse und als Stützpunkt für die
Offensiv-Operationen sowohl, als zum Repli im Falle eines Unglückes
gesichert sei und jeden feindlichen Angriff mit Kraft zurückweisen
könne. Vejis, Chulilla und Alpuente wurden so wie der Gipfel des
mehrere tausend Fuß hohen und isolirten Collado in Festungen
umgewandelt, und zur Sicherung der Verbindung mit dem Hochgebirge
von Morella und Cantavieja wurden auch Montan und Manzanera leicht
befestigt.

Im Sommer 1839 ward Capitain Brusco mit der Leitung dieser
Vertheidigungswerke beauftragt, während Brigadegeneral Arévalo in der
Provinz commandirte, wo er mehrfach bedeutende Vortheile über den
Feind davontrug und bald wieder drei vollständige Bataillone mit zwei
Escadronen organisirt hatte.

Während dieses in el Turia geschah, drangen Cabrera und seine
Unterfeldherren nach Westen vorwärts, denn dorthin lag ja die
Entscheidung; und so wie sie vordrangen, suchten sie das Erworbene sich
zu sichern, ihren Truppen Anhalts- und Stützpunkte zu verschaffen, auf
denen sie dann weiter bauen könnten. Daher befahl Cabrera, Cañete, acht
Stunden östlich von Cuenca, zu befestigen, zu dessen Verbindung mit
dem Turia dann auch Castiel Favib besetzt werden mußte. Daher ward im
Sommer 1839, als die Carlisten -- da die Feinde ihnen schon nicht mehr
entgegentraten, vielmehr bei ihrer Annäherung in die großen Städte sich
zurückzogen -- bis tief in die Provinz Guadalajara hinein herrschten,
dort Beteta zur Festung gemacht, nur ein und zwanzig Leguas von Madrid
entfernt und nahe dem Tajo dessen Quellen beherrschend.

So lange aber jene Glanzepoche der carlistischen Macht im östlichen
Spanien dauerte, hatte Cabrera immer nur vorwärts gestrebt, ohne weiter
an Ausdehnung nach den Seiten hin zu denken; er wollte sich ja nicht
in Castilien zur Vertheidigung vorbereiten, da ein Angriff unmöglich
schien, sondern lediglich den Weg nach Madrid sich bahnen, dessen
Eroberung das Centrum der Halbinsel ganz ihm übergeben hätte. Durch den
Andrang Espartero’s war er nun genöthigt gewesen, zur Vertheidigung
des Hochplateaus, des Hauptsitzes seiner Macht, sich zurückzuziehen,
und in diesen so weit vorgeschobenen Festungen konnte er kaum die
nöthigen Besatzungen lassen, welche ganz auf sich angewiesen blieben,
da Arévalo’s Bataillone bei den weiten Entfernungen der Punkte wohl gar
wenig wirken konnten und sich auf el Turia, als ein abgerundetes Ganzes
mehr vertheidigungsfähig, beschränkten.

Die Christinos dagegen sandten sofort zwei starke Colonnen gegen sie,
von denen die eine unter General Aspiroz, von Valencia vordringend,
nach der Einnahme von Chulilla zunächst Vejis und Alpuente bedrohete,
während die zweite unter General Balboa bestimmt war, die Provinzen
Cuenca und Guadalajara zu schützen, die Besatzungen von Cañete und
Beteta in Schach zu halten und endlich diese Punkte anzugreifen, wozu
sie stets Vorbereitungen traf, bis der Fall von Morella, den Krieg
entscheidend, sie unnütz machte.

Diese Linie von Cañete, wie sie nach ihrem Hauptorte genannt wurde, war
nun zu einer wahren Linie geworden, die ganz ohne Ausdehnung nach den
Seiten hin tief in das Innere von Neu-Castilien, echt christinosches
Land, sich erstreckte. Das Resultat davon war, daß wir dort eben die
Rolle spielten, auf die wir beim Beginn des Krieges die feindlichen
Truppen und Besatzungen in den aufgestandenen Provinzen zu beschränken
pflegten. Die Carlisten herrschten nur da, wo sie gerade sich befanden,
d. h. in ihren festen Plätzen, und allenthalben, wo die Furcht vor
ihren oft sehr gewagten Streifzügen ihnen Respect verschaffte. Die
Christinos zogen dagegen beliebig zwischen den einzelnen Vesten umher,
und wir konnten von der einen zur andern nur mit starker Bedeckung, oft
auf weiten Umwegen und auch so noch nicht ohne große Gefahr gelangen,
da die Garnisons der zahlreichen, die Linie überall umgebenden und
flankirenden Forts und die noch gefährlicheren Partheigänger stets
bereit waren, einzelne oder unvorsichtige Reisende wegzufangen.

Von einem carlistischen Gebiete konnte also dort seit dem Rückzuge
Cabrera’s gar nicht die Rede sein. Brusco hatte vorgeschlagen, das
Gebirge von el Albarracin zu befestigen, dadurch der Quellen der vier
mächtigen in ihm entspringenden Flüsse sich zu versichern und so, ohne
durch sie gehindert zu sein, von ihm aus nach den umliegenden Provinzen
sich auszudehnen. Auch hätte dieser Plan, wenn er, als noch Cabrera
unbestritten jene Länder beherrschte ausgeführt wäre, von höchstem
Nutzen für den späteren Vertheidigungskrieg sein können. Aber damals
glaubte Niemand, daß Cabrera je auf einen solchen reducirt sein würde,
und als Maroto’s Verrath ihn so plötzlich in hoffnungslose Defensive
zurückwarf, war es zu spät zur Ausführung.

Noch verdient bemerkt zu werden, daß sich durch die Ereignisse aus den
einzelnen Festungen der Linie eben so viele, man darf wohl sagen, ganz
unabhängige Militair-Republiken gebildet hatten. Arévalo -- und seit
dem Monate März Brigadier Palacios -- war commandirender General im
Turia und dem Namen nach im Königreiche Murcia, da die Eroberung dieser
Provinz, in die vor Espartero’s Andrängen häufige Expeditionen gemacht
wurden, von hier aus geschehen sollte, während Castilien unter dem
unmittelbaren Oberbefehle des Generals en Chef stand. Jene erklärten
daher mit Recht, sie würden das Commando in Castilien nicht übernehmen,
weil ihnen mit demselben die Verantwortlichkeit und im Falle eines
Angriffs die Verpflichtung zu helfen geworden wäre, der sie sich nicht
unterziehen wollten, da sie auch im eigenen Gebiete nicht mehr zu
helfen wußten. Was sollten sie thun mit ihren drei Bataillonen?

Brigadier Valmaseda aber, von Sr. Majestät zum commandirenden General
von Alt-Castilien ernannt, hatte von Cabrera bei seiner Rückkehr aus
Catalonien Beteta angewiesen bekommen, um von dort aus, bis er in
seiner Provinz sich festsetzen könne, seine Operationen zu unternehmen.
Er commandirte also nur dort und zwar vorübergehend.

So kam es, daß der Gouverneur von Cañete, Oberst Gil, da Jedermann
behauptete, dort Nichts zu schaffen zu haben, gleichfalls ganz
unabhängig dastand und mit seiner Garnison und einem kleinen Freicorps,
welches er für die nöthigen Streifzüge errichtet hatte, so weit die
Christinos es zuließen, unumschränkt herrschte. Die drei Anführer
hatten sich übrigens vereinigt, um, wenn immer die eigenen Verhältnisse
es erlaubten, zu gegenseitiger Hülfe zu eilen und ihre Operationen
zu combiniren; und die Art, in der sie bis zum letzten Augenblick es
thaten -- eben dieser letzte Augenblick machte eine traurige Ausnahme
-- verdient Bewunderung, da nie Eifersucht sich kund gab. Von Cabrera
erhielten sie gar keine Instructionen oder Ordres mehr, indem theils
seine Krankheit und die Unterbrechung der Communication durch die
Feinde solche verhinderten, theils auch die Verhältnisse der Art
waren, daß augenblickliches, selbstständiges Handeln allein wirksam
sein konnte, was der General zu wohl zu würdigen wußte, als daß er den
Commandirenden nicht ganz freies Spiel gelassen hätte.

       *       *       *       *       *

Gewiß ist es unbegreiflich, daß die Christinos die außerordentliche
Schwäche ihrer Gegner im Turia und in Castilien nicht eher wahrnahmen
oder, falls sie davon unterrichtet waren, sie nicht lange vorher
vernichteten.

Im Turia befehligte, wie gesagt, im Frühjahre 1840 der Brigadier
Palacios. Die ganze Macht, welche er vorfand, bestand aus drei
Bataillonen und zwei Escadronen, 2200 Mann Infanterie und 180 Pferden,
welche noch dazu die drei Forts von Vejis, Alpuente und el Collado
garnisoniren mußten. Die beiden letzteren lernte ich auf einer
Inspections-Reise kurz vor dem Verluste von Alpuente kennen. Dieses war
ein kleines Städtchen, über dem auf einer felsigen Höhe das Castell
prangte, so massiv gebaut, daß seine Mauern an einzelnen Stellen,
ganz der sonst üblichen Befestigungsart in jenem Kriege zuwider, über
dreißig Fuß Dicke hatten. Auch war es mit starken Erdwällen versehen,
die sonst gleichfalls selten sich fanden, da der Spanier allgemein die
bloßen Mauern weit höher schätzt, und es enthielt für die Magazine
sowohl, als für die Garnison bombenfeste unterirdische Räume, die
Nichts zu wünschen übrig ließen. Die Werke vertheidigten und flankirten
sich wechselseitig sehr gut, und da der aus dem härtesten Felsen
bestehende Grund den Gebrauch der Minen sehr erschwerte, durfte das
Castell als ausgezeichnet vertheidigungsfähig angesehen werden.

Der letzte Gouverneur von Alpuente war ein Catalan, ganz ohne
Erziehung, roh und leidenschaftlich, der, ohne lesen und schreiben
zu können, durch persönliche Bravour auf dem Schlachtfelde vom
Soldaten zum Oberstlieutenant sich emporgeschwungen hatte. Durch einen
beklagenswerthen Mißgriff war ihm solch ein Posten anvertraut. Als
er belagert wurde, zeigte sich, daß sein beim Angriff und in offener
Schlacht so stürmischer Muth nicht mit der ausdauernden Festigkeit
und Kaltblütigkeit gepaart war, die allein in der Vertheidigung
seines Castells ohne Aussicht auf Hülfe und fast ganz ohne Artillerie
gegen überreichlich damit versehene Feinde ein ehrenvolles Ende ihm
versichern konnten, wo der Sieg nicht mehr möglich war.

El Collado aber ist ein wenige Meilen nördlich von Alpuente gelegener
Berg, so hoch, daß das Hinaufreiten mich eine gute Stunde kostete. Auf
der etwa fünfhundert Schritt langen und hundert und funfzig Schritt
breiten Ebene auf dem Gipfel desselben war ein Fort construirt,
welches weit die umliegenden Berge überragte und nach allen Seiten
hin eine weite Fernsicht über Aragon, Valencia und Castilla gewährte.
Hinlänglich mit allen Bedürfnissen versehen und gut vertheidigt durfte
es, wenn solche Bezeichnung überall gebraucht werden kann, uneinnehmbar
genannt werden, da es mit seiner schweren Artillerie alle Zugänge
vollkommen beherrschte, während Minen auch hier nicht anwendbar waren.
Das Fort hatte gleichfalls sehr gute bombenfeste Gewölbe, so wie eine
erprobte Besatzung und einen tüchtigen Gouverneur. Er hielt sich noch,
als Cabrera bereits nach Frankreich übergetreten war.

Hierher hatte der General im Sommer 1839 einen Theil seines schweren
Geschützes gesandt, welches dann bei dem Anmarsche Espartero’s nicht
vollständig zurückgebracht werden konnte, wodurch in Morella und
Cantavieja der Mangel an Artillerie später sehr empfindlich wurde.
So befanden sich im Collado neun Achtzehn- und Vierundzwanzigpfünder
nebst mehreren Haubitzen und Mörsern; vier von ihnen waren nach Cañete
bestimmt, langten aber nie dort an, da der im Turia commandirende
General unter verschiedenen Vorwänden, deren die Nähe des überlegenen
Feindes so viele darbot, den Transport stets aufzuschieben wußte.

Wir sahen, wie den Streitkräften Palacios’ gegenüber General Aspiroz
in Chulilla, Chelva, Tuejar und Titaguas sich festgesetzt hatte. Bald
befestigte er auch Aras und erwartete nur die bessere Jahreszeit,
um mit seinen 8000 Mann und dem Belagerungs-Park, den Valencia ihm
geliefert, der andern carlistischen Forts sich zu bemächtigen.

Der Gouverneur von Cañete, Oberst Don Eliodoro Gil, hatte als Besatzung
seiner Festung ein neu gebildetes Bataillon von Castilien, aus 700
+Conscribirten+ bestehend -- die übrigen Bataillone waren aus
Freiwilligen zusammengesetzt --; erst vier Compagnien waren bewaffnet,
von denen die erste in Castiel Favib stand. Dann hatte er ein Freicorps
als Grundlage eines andern Bataillons gebildet, in zwei Compagnien etwa
250 Freiwillige stark, die sämmtlich, wiewohl zum Theil mit Büchsen,
bewaffnet waren, und eine Escadron Kosacken, denen des Grafen de España
ähnlich; beide unregelmäßige Corps hatten jedoch sehr gute Officiere.
Den Kern seiner Macht aber bildeten 40 Burschen von den Bataillonen von
Tortosa, welche in der letzten Expedition Polo’s krank zurückgeblieben
waren und, bald geheilt, unter dem Befehl eines Capitains ihrer
Brigade, Don José Echevarria, standen, der, ausgezeichnet durch Talent
und Wissen, schnell das ~fac totum~ des Gouverneurs wurde. Er war mir
eng befreundet, da wir in den Nordprovinzen und während der Expedition
Don Basilio Garcia’s zusammen gedient und dann vereint die Leiden der
Gefangenschaft ertragen hatten.

Mit diesen 650 Mann und 80 Pferden Bewaffneter und etwa 400
Unbewaffneten beherrschte -- man darf es so nennen -- Oberst Gil die
ganze Provinz Cuenca und machte gelegentlich Streifzüge bis tief nach
Aragon hinein und selbst in die Mancha, von wo er Vieh, Getreide
und sonstige Lebensmittel, so wie Contributionen eintrieb. Denn für
Sold und Unterhalt der Seinen, so wie für die tausend täglich sich
darbietenden Ausgaben mußte er selbst alles Nöthige anschaffen, da er
von der Hauptarmee gar Nichts geliefert bekam. Die Bewohner der Provinz
aber wurden mit Menschen und Thieren zum Festungsbau zugezogen, ohne
daß die Colonne Balboa’s in Cuenca oder die zahlreichen feindlichen
Besatzungen wirksam ihm sich widersetzt hätten.

Valmaseda endlich befehligte in Beteta seine beiden Escadrone, gegen
200 prächtige Pferde, die wir früher kennen lernten; dazu erhielt er
im Monat April ein Bataillon, ganz aus Castilianern bestehend, die so
eben ausgewechselt waren, nachdem sie Jahre lang in den Kerkern der
Christinos jede Unbilde standhaft ertragen hatten, 600 Mann, begierig,
so viele Leiden blutig zu rächen. Aber nur 200 von ihnen waren
bewaffnet, während die Garnison des Schlosses von Beteta kaum 150 Mann
stark war. Mit dem Bataillone „~fidelidad al Rey~“ -- Treue dem Könige
-- wie die Ausgewechselten ehrend benannt waren, und seinen Escadronen
machte Valmaseda durch ganz Guadalajara und selbst nach den Provinzen
Soria und Burgos hin Ausflüge, in denen leider Menschlichkeit nicht
immer seine unbezähmbare Bravour und Kühnheit begleitete.

       *       *       *       *       *

Wie ich allgemein Alles, was seit dem Rückzuge Espartero’s aus
seiner drohenden Stellung im Innern des Hochgebirges von Cantavieja
und Morella sich ereignete, mehr als gewöhnlich detaillirt habe,
weil ich der einzige Deutsche bin, der während des Winters und
bis zum Augenblicke der gänzlichen Vernichtung mit den letzten
Vertheidigern des rechtmäßigen Königs gegen die Übermacht und den
Verrath kämpfen durfte -- so weile ich auch länger bei der Schilderung
der Verhältnisse, wie sie in diesem, nun ganz isolirten Theile der
carlistischen Macht Statt fanden. Sie gewähren einen tieferen Blick
in die Eigenthümlichkeiten jenes Krieges und versetzen uns in mancher
Beziehung in die Zeiten zurück, da die Carlisten, noch schwach und
unbedeutend, in einzelnen Guerrillas von ihren festen Sitzen in den
unzugänglichen Gebirgen herab den rings sie umgebenden Feindeshaufen
Hohn sprachen und Incursionen in das Innere des feindlichen Gebietes
machten, um ihre Bedürfnisse -- vor Allem Waffen und Lebensmittel --
sich zu verschaffen, oder irgendwo einen schlau berechneten und kühn
ausgeführten Schlag zu führen, wo die Christinos am wenigsten ihn
erwarten konnten.

Doch darf dabei der Unterschied nicht übersehen werden, den die
jetzt so sehr vervollkommnete Organisation der carlistischen Truppen
hervorbrachte, so wie der Umstand, daß hier künstliche Festungen die
Stelle jener natürlichen und unzerstörbaren Bergvesten vertraten,
wodurch die Unternehmen sehr erschwert und gefesselt wurden, da
das überall zugängliche Terrain nicht hinreichend die Carlisten
begünstigte, als daß die Rücksicht auf jene künstlichen Stützpunkte
nicht stets hätte überwiegend sein müssen.

Welche Reize aber ein solches Leben immerwährender Unternehmung und
Gefahr hat, wie es die ganze Spannungskraft des Geistes unaufhörlich
in Thätigkeit erhält und ihn eben so wie den Körper gegen alles
Schwächende und Erschlaffende stählt, ist in der That erst dem, der
selbst es erfahren, ganz verständlich. Nie habe ich größer, kühner und
stolzer empfunden, nie höhere innere Kraft gefühlt und freudiger das
Schwerste unternommen, dem Härtesten mich unterzogen, als zu jener
Zeit, da jeder Schritt Tod drohte, da ich, von übermächtigen Feinden
umgeben und verfolgt, an der Spitze weniger Braven in die Mitte ihrer
Schaaren mich drängte und zwischen ihren Vesten und Colonnen hindurch
weit das Land durchzog, wo eigener Muth, eigene Entschlossenheit und
List die einzigen Rettungsmittel aus den in tausendfacher Gestalt sich
entgegenstellenden Gefahren und Schwierigkeiten waren.

Da fühlt der Mann, was er vermag trotz aller Schwäche, und dieses
Selbstbewußtsein giebt ihm herrlichen Muth und Vertrauen, um Allem
freudig zu trotzen.



XXXVII.


Don Manuel Brusco war Lieutenant im Geniecorps der portugiesischen
Armee unter Don Miguel und zeichnete sich vor Oporto mehrfach aus; er
verließ sein Vaterland bei dem unglücklichen Ausgange des Krieges und
hielt sich längere Zeit in England und Frankreich auf. Zu Paris hatte
er ein besonderes Glück an der verrufenen Roulette-Tafel, da er niedrig
spielend ein Fünffrankenstück unbemerkt liegen ließ, welches wieder
und wieder gewann, bis endlich die Bankhalter baten, der Eigenthümer
möge genau erklären, auf welchen Nummern er spiele, da der große Haufen
Gold und Papiere dieses nicht mehr erkennen ließ. Brusco sah ruhig
dem Spiele zu und schwieg, als auf die Frage der Banquiers einige
Nahestehenden erklärten, daß ihm das Geld gehöre. Da es von sonst
Niemand reclamirt wurde, steckte er freudig erstaunt den Gewinnst ein
und fand bei näherer Untersuchung, daß er vierzig und einige tausend
Francs betrug.

Er benutzte das ihm so zugefallene Geld zu einer Reise durch die
Niederlande, Deutschland und die Schweiz, indem er besonders die
Schlachtfelder besuchte und studirte, worauf er, da sein Geld rasch dem
Ende nahete, im Jahr 1836 nach Navarra ging, um Carl V. seine Dienste
anzubieten.

Da er thätiger zu kämpfen wünschte, als es dort im Geniecorps möglich
war, trat er in das 4. Bataillon von Castilien ein, verließ mit der
königlichen Expedition die Provinzen und fiel bei dem Übergange über
den Cinca mit den Trümmern des braven Bataillons in die Hände der
Feinde. In Zaragoza erduldete er alle Leiden der Gefangenschaft, bis
Cabrera Ende 1838 ihn auswechselte, anfangs in seinem Generalstabe
placirte und dann überall benutzte, wo seine hohen Kenntnisse als
Ingenieur anwendbar waren. Brusco erwarb sich die Achtung des Generals
in hohem Grade, ward nach der Ankunft des Baron von Rahden zu dessen
Adjudanten ernannt und im Sommer 1839 mit den Festungen im Turia
beauftragt, wo seine unermüdliche Thätigkeit weiten Spielraum fand.
-- Auch er entkam, als der Widerstand aufgehört hatte, verwundet nach
Frankreich.

Die Stellung des Ingenieurs hat in Spanien sehr viele Vorzüge; aber
nirgends war sie so angenehm, wie die unsere dort in Neu-Castilien.
Dem spanischen Reglement gemäß empfängt der Ingenieur Instructionen
nur von den Chefs seines eigenen Corps -- als ~cuerpo facultativo~
das erste der Armee -- und ist ihnen allein verantwortlich; er ist
ganz unabhängig von den übrigen Waffengattungen, mit deren Commandeurs
er nur berathet, ihre Mitwirkung, wo er deren bedarf, fordern kann,
aber nicht ihren Befehlen untergeben ist. Da uns nun die Verbindung
mit unserm Chef in Morella fast immer abgeschnitten war, wir auch
dessen Resolutionen natürlich nie erwarten durften, so waren wir ganz
selbständig und standen eben so wohl da als Haupt in unserm Districte,
wie Palacios, Gil und Valmaseda in den ihrigen. Nur galt es, mit
Festigkeit unsere vielfach angefochtenen Rechte aufrecht zu halten.

Und zwar war dieser unser District so weit ausgedehnt, wie jene
Anführer ihre Herrschaft auszudehnen vermochten, da wir dort alle
Bedürfnisse für unsere Festungsbauten einzutreiben berechtigt waren,
weshalb wir denn häufig Kriegszüge auf eigene Faust unternahmen. Wir
hatten nemlich zu unserer Verfügung zwei Compagnien Sappeurs, über
250 Mann, lauter ausgesuchte Leute, da das Sappeurscorps, so wie die
Artillerie, unter den Rekruten auswählte, ehe sie durch Loos den
Bataillonen zugetheilt wurden. Sie waren vollkommen und selbst mit
Pracht in Bewaffnung und Kleidung ausgerüstet, indem alle Bedürfnisse
von Cuenca, Valencia und selbst Madrid hergeschmuggelt wurden. Geld
dazu war stets im Überfluß, da der General bei der Bildung derselben
befohlen hatte, in die Casse der Sappeurs ein Sechstel der wegen nicht
geleisteter Festungsarbeiten von den Provinzen zu zahlenden Strafgelder
abzuliefern, was oft außerordentlich große Summen ausmachte, so daß
Sold, Arbeitslohn und Rationen, Alles doppelt so stark wie die der
Linientruppen, stets regelmäßig bezahlt wurden. Bei der Katastrophe im
Juni enthielt meine Casse für die Befestigung des einzigen Cañete über
9000 Duros in Silber, die dem Feinde in die Hände fielen.

Sowohl wegen unserer schönen Compagnien, als auch, weil sie bei
tausend Gelegenheiten unser nicht wohl entbehren konnten, suchte
ein Jeder der Chefs uns zu sich zu ziehen und durch Bezeugung der
größten Rücksichten festzuhalten. Es bestand aber unter uns selbst
ein eigenes Verhältniß, da ich, als Infanterie-Officier dem Corps nur
aggregirt, in den lediglich die Functionen desselben betreffenden
Angelegenheiten das Commando über den effectiven Ingenieurs-Capitain
nicht glaubte übernehmen zu können, während Brusco, da ich älterer
Capitain war, gleichfalls sich weigerte, die Oberleitung beizubehalten.
Als kurz nachher Beider Avancement zum Grad von Oberstlieutenant der
Infanterie[116] anlangte, blieb die Lage der Dinge ganz dieselbe.

Wir beschlossen also, gemeinschaftlich an der Spitze des Corps zu
stehen und uns in die Geschäfte und die Verantwortlichkeit, so wie
in die Vortheile brüderlich zu theilen. Die letzteren waren aber auch
in pecuniärer Hinsicht bedeutend, da wir Stellen versahen, die nach
dem Reglement nur Brigadegeneralen zukamen, deren gesetzlich fixirte
Gratificationen nach einer von Brusco früher erwirkten Ordre des
Generals uns ausgezahlt wurden.

Da die Befestigungen im Turia so weit vollendet waren, daß sie unserer
Gegenwart nicht mehr bedurften, übernahm ich die Leitung der Werke von
Cañete und Castiel Favib nebst der gelegentlichen Inspection des Turia,
während Brusco die Arbeiten in Beteta und diejenigen übernahm, welche
bei den Operationen Valmaseda’s in das Innere nöthig würden. Er reisete
daher einige Tage später nach seinem Punkte ab, wo bereits der größere
Theil der zweiten Compagnie, die ihm geblieben, sich befand; die erste
unter Premierlieutenant Norma, 130 Mann stark, behielt ich bei mir.
Nachdem ich den mit mir angelangten Lieutenant Losada in Castiel Favib
installirt und die Festungen im Turia besucht hatte, kehrte ich nach
der Mitte des Aprils nach Cañete zurück.

Die Stadt liegt an dem südlichen Abhange des Gebirgszuges, welcher, als
Sierra de Albarracin bekannt, den Tajo dem atlantischen und die kaum
drei Viertelstunden von diesem und von einander entfernt entspringenden
Flüsse Guadalaviar und Xucar dem mittelländischen Meere zusendet und
durch das Gebirge von Cuenca mit der Sierra morena zusammenhängt. Die
Provinz, wiewohl von mehreren schrofferen Ketten durchzogen, bietet im
Allgemeinen zwischen niedrigen Bergreihen breite, ebene Thäler dar und
ist fruchtbar. Doch hatte die Kriegsplage schon seit Jahren so schwer
darauf gelastet, daß es keine Hülfsquellen mehr lieferte, indem die
Einwohner nur noch das für den eigenen Unterhalt und die geforderten
Abgaben gerade nöthige Land bestellten und das übrige unbebaut liegen
ließen.

Die Truppen mußten deshalb weither ihre Subsistenzmittel herzuführen,
wobei sehr Viel durch Schleichhändler geschah, die aus den reichen
Ebenen Valencia’s mit Gefahr des Lebens -- die Christinos erschossen
jeden Maulthiertreiber, der, freiwillig nach unsern Festungen reisend,
von ihnen aufgefangen wurde -- aber auch mit ungeheurem Gewinne
Lebensmittel jeder Art und selbst die mannigfachsten Delicatessen
brachten. Täglich langten solche Caravanen, oft auch mit sorgfältig
versteckten Waffen, militairischen Abzeichen, Tuch und sogar Pulver
beladen, aus den umliegenden Provinzen an, und da das Gouvernement
durch die weithin eingetriebenen Contributionen reichlich mit Geld
versehen waren, die Truppen auch regelmäßig ihren Sold erhielten, fand
Alles raschen Absatz.

Der Gouverneur war ein biederer alter Junggeselle, der als Jüngling
schon gegen Napoleon gekämpft und unter Ferdinand VII. eine Escadron in
einem Linien-Regimente commandirt hatte. Seit dem Anfang des Aufstandes
kriegte er an der Spitze einer Guerrilla in Aragon und Valencia,
häufig dem Anschein nach auf immer vernichtet und jedesmal unermüdet
sich wieder erhebend, bis er später Cabrera sich anschloß, der seine
hohe Achtung vor ihm bekundete, da er ihn zum Chef des herrlichen
Cavallerie-Regimentes von Tortosa ernannte.

Durch Wunden verhindert, ferner in der Cavallerie zu dienen, erhielt
Oberst Gil das Gouvernement von Alpuente, welches er in den besten
Stand setzte, und dann das des wichtigen Cañete, wo er durch Festigkeit
und Einsicht, wie durch außerordentliche Milde sich hervorthat, ja
diese zuweilen zu weit trieb, wie er z. B. meinen unumgänglichen und
pflichtgemäßen Requisitionen für die Befestigungsarbeiten gewöhnlich
durch Klagen über die armen Leute, die schon ganz ruinirt seien,
Einhalt zu thun suchte. Doch dieser Fehler des Militairs, so selten in
jenem Kriege, steigert unsere Achtung vor dem Menschen, und er erwarb
ihm die Neigung des Volkes, welches in Valmaseda ja sein Gegenstück mit
Jammer kennen lernte. Zugleich war der Oberst sehr uneigennützig, auch
dadurch vortheilhaft hervorstechend, ein angenehmer Gesellschafter,
stets guter Laune und bereit, Rath anzunehmen; er war selbst darin
etwas schwach, indem er sich die ausschließliche Leitung aus den Händen
winden und sein Gouvernement in der That zu einer militairischen
Aristokratie werden ließ, da sechs oder sieben der angesehensten Chefs
gemeinschaftlich regierten. Dadurch ward freilich zuweilen einiges
Zaudern und Schwanken unvermeidlich.

       *       *       *       *       *

Cañete ist auf drei Seiten mit einer sägenförmigen, etwa acht Fuß
starken Mauer umgeben, aus den Zeiten der Araber herstammend; einige
Thürme, zum Theil neu angelegt, flankiren sie. Die vierte Seite nimmt
der 220 Fuß hohe Felsberg ein, auf dessen oberer, etwa 600 Fuß langer
und 30 bis 80 Fuß breiter Fläche das Castell, ganz den Umrissen des
Felsens folgend, erbaut ist. Doch war die Stadt nicht haltbar, da sie
von mehreren, auf Flintenschußweite entfernten Höhen eingesehen und
dominirt wird und gar keine bombenfeste Gebäude besaß.

Das Castell dagegen war in brillantem Zustande, enthielt vier
abgeschlossene Plätze, deren jeder den vorliegenden vollkommen
beherrschte und nach dessen Verlust der kräftigsten Vertheidigung
fähig war, und bot den feindlichen Geschützen ein starkes Profil
dar. Dabei waren die Werke rings umher auf zwanzig bis neunzig Fuß
tief perpendiculär sich senkende Felsen gegründet mit Ausnahme eines
kleinen Raumes von dreißig Fuß Breite, der eine -- wenn auch mit
unendlicher Schwierigkeit -- ersteigbare Bresche zuließ, weshalb
dorthin alle Vertheidigungsmittel gehäuft wurden. Eine naheliegende
Höhe enfilirte das Castell, weshalb ich nach Niederreißung des auf ihr
von einem früheren Gouverneur erbauten runden Thurmes, der gar keines
Widerstandes fähig war, eine der Gestalt des Felsens angemessene starke
Redoute dort anlegte.

Übrigens ward während der zwei Monate, in denen ich die Leitung der
Arbeiten in Cañete hatte, sehr Viel zur Vervollständigung der Werke
gethan, für die meistens Brusco schon den Plan entworfen hatte.
Zweihundert Kriegsgefangene und sechshundert Bauern mit Maulthieren
oder Eseln waren täglich in der Errichtung jener Redoute und dem
Hinaufschaffen von Baumstämmen nach dem Castell, so wie in der
Zubereitung und dem Transport der mannigfachen Materialien beschäftigt,
während -- bei unsern Mitteln eine ungeheure Arbeit -- unter der
Oberfläche des Felsens bombenfeste Casernen, Magazine und Cisternen
geöffnet wurden, welche, vollkommen beendigt, auch der furchtbarsten
Artillerie spotten konnten.

Zugleich gelang es, von dem nahen Flüßchen für den Fall des Angriffes
eine Überschwemmung rings um die Mauer vorzubereiten und den bedeckten
Weg zu beendigen, der von der Stadt nach dem Castell hinauf in den
Felsen gehauen und gesprengt[117] wurde. Ein starkes Blockhaus auf
der halben Höhe und eine unten am Ausgange des bedeckten Weges
befestigte und unter dem Feuer des Castells und der Redoute in der
die letzteren trennenden Schlucht liegende Hermite vervollkommneten
das Vertheidigungs-System, so daß wir nur noch bedauern mußten, nicht
die zur vollständigen Garnirung der Werke hinlängliche Artillerie
zu besitzen. Denn echt facciosisch hatten wir lediglich vier kleine
tragbare Berggeschütze, eine vierpfündige Kanone, eine fünfzöllige
Haubitze -- der spanische Fuß ist um etwa ein Zehntel größer, als
der des rheinländischen Maßes -- und zwei siebenzöllige Morteretes,
sehr niedliche bronzene Mörserchen, die ein Maulthier transportirte;
sie alle waren aus der Stückgießerei von Cantavieja. Die vier uns
bestimmten schweren Geschütze kamen, wie gesagt, nie aus dem Collado an.

Wohin wir indessen unsere Blicke richteten, war der Schwierigkeiten und
Mängel Legion, und Allem mußte und sollte abgeholfen werden. Zuerst
bestand der ganze Vorrath an Geschossen für unsere Miniatur-Artillerie
aus hundert und dreißig Kugeln, einigen siebenzig Granaten und
etwa neunzig kleinen Bomben; dann hatten wir auch keinesweges das
für den täglichen Bedarf und noch weniger das für eine Belagerung
nöthige Pulver, während wir doch auch darin ganz auf uns angewiesen
waren. Unverdrossen ging es ans Werk, Pulverfabrik, Schmelzofen und
Kugelgießerei zu etabliren, was zwar manchen verunglückten Versuch und
noch mehr Flüche der Ungeduld veranlaßte, aber doch endlich so weit
gelang, daß wir ein brauchbares, wiewohl grobes, Pulver erzeugten, wie
auch Valmaseda in Beteta es anfertigen ließ, und unsern Vorrath von
Kugeln bedeutend vermehrten. Von einigen in unserm Bereiche liegenden
Glashütten ließen wir etwa sechshundert gläserne Granaten liefern --
als Handgranaten mit schwacher Ladung gegen den Sturm sehr mörderisch
--, worauf alsbald General Balboa zwei jener Hütten niederbrennen ließ.

Wir überlegten selbst, wie wir einige schwere Kanonen gießen
könnten, was freilich seine Schwierigkeiten hatte und auch wegen der
Katastrophe, die plötzlich unserer Herrschaft ein Ende machte, nicht
zur Ausführung kam. Doch hatten wir schon mehrere Vorbereitungen
getroffen und zu dem Ende drei und zwanzig Glocken zusammengeschleppt
trotz dem Jammer der guten Pfaffen, welche ihre Kirchen so
geplündert sahen; die Orgelpfeifen aber wurden zu Flintenkugeln und
Uniformsknöpfen umgeschmolzen. Für die Sappeurs fertigte ich selbst
die Form der reglementsmäßigen Knöpfe von einer weichen Steinart an,
die sich nur in einer einzigen Schlucht bei dem Dorfe Salvacañete
fand, worauf Lieutenant Norma mit seinen Officieren an einem regnigten
Tage die nöthigen Knöpfe goß, welche allgemeinen Neid erregten. Dabei
amüsirten wir uns trefflich.

Ferner mußte für die Bewaffnung der Rekruten, so wie für die Ausrüstung
der Truppen im Allgemeinen gesorgt werden. Da wurde den Eltern und
Verwandten der Deserteurs als Strafe die Lieferung einer gewissen Zahl
Gewehre oder Ellen Tuch auferlegt, welche sie aus den feindlichen
Festungen und oft, besonders die ersteren, aus dem Innern des
Königreiches holten und sehr selten zu überbringen unterließen, da dann
ihre Güter sequestrirt wurden.

Noch fehlten mir sehr viele, im Fall einer Belagerung unentbehrliche
Gegenstände, wie Instrumente, Sandsäcke und andere, die ich persönlich
anzuschaffen beschloß, weil sie in mein Fach gehörten und ich also
für sie verantwortlich war. Mit 40 Sappeurs, 25 Infanteristen
und 10 Kosacken zog ich nördlich von Cañete bis tief nach Aragon
hinein, besetzte das uralte El Albarracin, Hauptstadt der Provinz
und früher von den Christinos befestigt, und streifte bis unter die
Mauern von Teruel, worauf ich nach eilf Tagen mit drei und funfzig
beladenen Maulthieren in Cañete wieder anlangte, wo man zweimal die
Nachricht erhalten hatte, daß ich gefangen und erschossen sei. Ich
hatte fast hundert und zwanzig Leguas zurückgelegt und über funfzig
Ortschaften besucht, zwei feindliche Partheigänger, die sich zum
Angriffe vereinigten, geschlagen und ihnen neun Gefangene abgenommen,
welche ich heimführte, und war durch gute Kundschafter, Benutzung
des Terrains und häufig forcirte Contremärsche einem Detachement von
300 Mann, welches von Teruel aus zu meiner Verfolgung gesendet war,
ohne Verlust entgangen, obgleich ich Tage lang, so wie ich einen
höhern Berg erstieg, es mir nahe hinziehen sah oder, wenn ich kaum
meine Requisitionen bewerkstelligt, eine Ortschaft in dem Augenblicke
verließ, da der Feind von der andern Seite einrückte.

Ein dritter Partheigänger, der von Cuenca aus sich in Hinterhalt gelegt
hatte, um bei meinem Rückmarsche in einem Defilée auf mich zu fallen,
ward ganz vernichtet, indem zufällig Palacios mit zwei Bataillonen,
um mit Valmaseda sich zu vereinigen, dort passirte, und Jener dessen
Vorhut angriff, für mein Detachement sie haltend. -- Während ich nach
Norden mich wandte, hatte der brave Lieutenant Norma zu gleichem Zwecke
die Gegend südlich von Cañete durchzogen und gleichfalls große Ausbeute
gemacht. Er fing einen Spion auf, dessen Kopf nach des Obersten Gil
Befehl auf eine hohe Stange neben dem Gemeindehause seines Geburtsortes
Salvacañete gesteckt wurde.

Ich aber schlief vier und zwanzig Stunden lang fast ununterbrochen, da
ich in jenen eilf Tagen nie zwei Stunden hinter einander geruht hatte
und auf solchen Zügen, die Pferde zurücklassend, stets zu Fuß, mit
dem leichten Trabuco auf der Schulter, an der Spitze meiner Soldaten
einherschritt.

Bald bot sich mir Gelegenheit zu einem neuen Ausfluge. Von der
ersten Compagnie Sappeurs waren vor meiner Ankunft fast funfzig Mann
desertirt, und auch jetzt verschwanden wieder mehrere. Einen derselben
hatte ich auf meinem Streifzuge eingefangen, und er war schon in
~capilla~, um am folgenden Tage erschossen zu werden, als seine
rührenden Bitten den Oberst Gil, welcher zufällig ihn sah, vermochten,
mich um seine Begnadigung zu bitten,[118] worauf ich persönlich ihn
zu sprechen ging. Die Kindlichkeit, mit der der Bursche in Thränen
erzählte, wie er nur seine arme alte Mutter einmal habe sehen wollen,
und reuevoll auf den Knieen versprach, gewiß immer der beste Soldat
Carls V. zu sein, wenn ich das Leben ihm schenke, frappirte mich so
ungemein, daß ich ihn in Freiheit setzte und selbst bald zu meinem
Bedienten wählte, nachdem ich ihn geprüft hatte. -- Meine Wahl reute
mich nie: als Alle mich verließen, blieb er allein mir treu!

Da aber fortwährend die Desertionen in allen Waffengattungen sich
häuften -- die armen Teufel schienen zu fühlen, daß die Stunde des
Unterganges uns nahete -- mußte nothwendig ein Beispiel aufgestellt
werden, weshalb ich am 16. Mai mit 80 Sappeurs und 12 Pferden nach
der Mancha aufbrach, wo mehrere Deserteurs den Anzeigen unserer
Kundschafter gemäß sich aufhalten sollten. Auch da ging es wie bei
meinem früheren Zuge; ich wurde hart verfolgt und verlor selbst im
Gefechte mit einer kleinen feindlichen Colonne drei Sappeurs, deren
Tod jedoch schwer gerächt wurde. Einem Detachement, welches ich nach
Moya hineinjagte, nahm ich fünf mit Wein beladene Maulthiere ab,
durchzog die Provinz Cuenca und den nordöstlichen Theil der Mancha,
überall die rückständigen Contributionen erhebend, und kehrte mit einem
bedeutenden Convoy am 27. nach Cañete zurück. Nur einen Deserteur von
der Infanterie brachte ich zurück, da ein anderer vom Sappeurscorps
unterwegs wieder entkommen war.

Jener wurde am Tage nachher füsilirt und .... in derselben Nacht ließen
sich abermals sieben Mann von der Mauer hinab, um zu entfliehen! Am
Fuße derselben wurden sie niedergemacht, da der Gouverneur, von ihrem
Vorhaben benachrichtigt, eine Compagnie zu ihrem Empfange versteckt
aufgestellt hatte. -- Einer meiner Bedienten, dem Scheine nach mit
Leib und Seele mir ergeben, desertirte mit einem Maulthiere und einem
Theile meines Gepäckes, da ich nach einem einige Stunden entfernten
Dorfe ihn, etwas Vergessenes zu holen, zurückschickte. Während ich,
unruhig über sein Ausbleiben, bittere Vorwürfe mir machte, daß ich um
einer Kleinigkeit willen ihn exponirte, da ich überzeugt war, er müsse
in die Gewalt des Feindes gefallen sein, langte die Nachricht an, daß
er wohlbehalten im nächsten feindlichen Fort angekommen war. Und doch
konnte ich ihm nicht zürnen: er war treu und gutherzig, aber sehr
furchtsam und hatte, der nahen Belagerung mit Zittern entgegensehend,
mehrfach mich gebeten, ihm während derselben Urlaub zu geben, den ich
natürlich abschlagen mußte. Da war die Versuchung zu stark gewesen.

       *       *       *       *       *

Unser Horizont umzog sich indessen mit immer dunkler sich aufthürmenden
Wolken, die, fern wetterleuchtend, baldigen Ausbruch des Verderben
drohenden Gewitters verkündeten. Die Nachrichten von Morella lauteten
trübe, wie die heller Sehenden sie freilich nicht anders erwartet
hatten, und auch wir wurden täglich mehr eingeschränkt und hörten
täglich von den Vorbereitungen, die in Cuenca für die Eroberung von
Cañete und Beteta umfassend getroffen wurden.

Nach der Einnahme von Castillote drangen beide Armeen der Christinos
von Norden und Westen in das Gebirge vor. Brigadier -- vor dem Kriege
Schleichhändler -- Zurbano, der jetzt hohe Thätigkeit entwickelte,
überfiel mit seinem Freicorps am 6. April bei Pitarque zwei Bataillone
von Aragon und nahm ihnen nach hartnäckigem Kampfe 400 Gefangene
ab, worauf General Ayerbe am 8. Villarluengo und Don Diego Leon mit
den Garden am 10. Peñaroya besetzte, welche beiden Punkte, da die
Befestigungen zu kraftvoller Gegenwehr nicht hinlänglich vollendet,
bei der Annäherung der Feinde geräumt wurden. Diese befestigten darauf
Monroyo, sechs Stunden von Morella, als Depot.

Um durch die Besetzung des Ebro der carlistischen Armee die Verbindung
mit Catalonien und die Hoffnung auf Rückzug abzuschneiden, durchkreuzte
General Leon, Graf von Velascoain, nachdem Zurbano am 19. April
nach lebhaftem Gefechte mit dem 1. Bataillon von Aragon in Beceyte
eingedrungen war, den südlichen Theil von Catalonien, ohne ernsten
Widerstand zu finden, nahm Flix und am 28. auch Mora de Ebro ein,
welches der Graf von Morella erst am Tage vorher verlassen hatte,
um noch immer krank an die Spitze des Heeres sich zu stellen. Doch
vermochte Leon des ganzen Flußthales des Ebro noch nicht sich zu
bemächtigen.

Hätte wohl unser unternehmender Feldherr, wie er früher es war, ruhig
den Feind solche Fortschritte machen, zu bloß passiver Defensive
sich drängen lassen, ohne kräftigen Widerstand, ohne Diversionen zu
versuchen und jeden Fußbreit Landes den Sieger theuer mit seinem Blute
bezahlen zu machen? Hätte Cabrera je seine Forts, die so große Opfer,
so unendliche Anstrengungen gekostet, von Position zu Position ohne
Kampf weichend, geräumt oder gar ihre Vertheidiger in nutzlosem Ringen
gegen die Übermacht hülflos hingeopfert, um endlich unthätig sich
zurückzuziehen, nachdem er eben so unthätig der Vernichtung seiner
Treuen zugeschaut hatte?! --

O’Donnell war seinerseits nicht weniger erfolgreich. Im Anfange Aprils
schon schritt er zur Belagerung von Aliaga, und nach kraftvoller
Gegenwehr, die dem Feinde 1100 Mann gekostet hatte, ergab sich am 15.
die Besatzung, nachdem zwei und zwanzig Geschütze vier Tage lang sie
beschossen hatten. Sofort eilten die Christinos, das Fort von Alcalá
la Selva zu berennen, dessen Gouverneur barbarischer Weise, nur um den
Belagernden das Obdach zu nehmen, bei deren Annäherung das Städtchen
niederbrannte, wiewohl es seiner Vertheidigung keinen Abbruch thun
konnte. Auch er zeigte sich brav. Die schwarze Fahne, das bekannte
Zeichen des Kampfes auf Leben und Tod, winkten von den Mauern hinab den
feindlichen Schaaren entgegen; aber nach zweitägigem Bombardement war
das Innere des Forts in einen Schutthaufen verwandelt, die Cisternen
waren verschüttet, die Gewölbe zertrümmert durch die Macht der
schweren Wurfgeschosse und die Mauern an mehreren Punkten rasirt, da
die Carlisten nur vier leichte Geschütze, gleich denen in Cañete, den
zwanzig Belagerungsgeschützen entgegensetzen konnten.

Da empörte sich die zusammengeschmolzene Garnison verzweifelnd und
öffnete den Christinos die Thore, nachdem sie wieder 900 Mann eingebüßt
hatten. Als der Gouverneur vor O’Donnell geführt wurde, fragte ihn
dieser lächelnd, warum er seinen Entschluß, sich nicht zu ergeben,
nicht ausgeführt habe, und entließ ihn auf die Erklärung, daß er sofort
das Commando des Forts in dem jetzigen Zustande wieder übernehme, wenn
er zuverlässige Mannschaft bekomme, mit den Worten: „Sie sind ein
Braver und haben schon zu Viel gethan.“

Dann zog O’Donnell gegen Cantavieja, während Espartero mit dem
Hauptheere zu der so lange vorbereiteten, so lange angekündigten
Belagerung von Morella sich anschickte.

Oben sagte ich, daß Cantavieja’s Befestigung, den Händen des Obersten
Cartagena anvertraut, traurig vernachlässigt war. Die Stadt ist auf
drei Seiten durch die Schroffheit und Höhe des felsigen Bergrückens,
auf dem sie gebaut, vollkommen gegen jeden Angriff gesichert; aber
gegen Süden ist sie auf Flintenschußweite von einer durch eine Ebene
mit ihr verbundenen Erhöhung beherrscht, die demnach mit mehreren
Forts, der eigentlichen Angriffsfronte, gedeckt wurde. Es war nun
durch die Fehler des ursprünglichen Planes und durch die allmählich
vorgenommenen Änderungen und Nachhülfen[119] ein Flickwerk entstanden,
welches endlich nicht mehr den Namen einer Festung verdiente und aus
einer Anhäufung von Mauern, Gräben, Caponieren, Traversen und sonderbar
gestalteten, namenlosen Dingen bestand, die wechselseitig einander
hinderten und unnütz machten.

Die Carlisten thaten also das Klügste, was ihnen übrig blieb, als sie
die Titulair-Veste bei dem Anmarsche O’Donnell’s am 11. Mai räumten und
sich auf Morella zurückzogen.

Dieser General fand die Stadt in Flammen: die männlichen Bewohner
hatten sämmtlich als ~voluntarios realistas~ die Waffen ergriffen
und setzten, mit Weib und Kind abziehend, selbst ihre Wohnungen in
Brand, um sie nicht dem Feinde zu überlassen. Die großen Fabriken und
Magazine waren schon nach Morella verlegt, die Artillerie jedoch wurde,
da der Entschluß zur Räumung erst im letzten Augenblicke gefaßt war,
vernagelt zurückgelassen. Ein unersetzlicher Verlust!

O’Donnell zog darauf nach dem nördlichen Valencia und dem Ebro zu, um
in Cabrera’s Rücken zu operiren und von dem Flusse ihn abzuschneiden,
traf aber bei la Cenia auf diesen General, in dem dort ein Überrest des
alten Feuers noch einmal -- leider ohne weitere Folge -- aufzulodern
schien. Er bewährte, was er vermocht hätte. Nach siebenstündigem
furchtbaren Ringen auf dem den Christinos nicht ungünstigen Terrain
zwang er sie, wiewohl sie doppelt so stark waren, mit Verlust von 2500
Mann zum Rückzuge auf Vinaroz. Der Bruder O’Donnell’s, welcher, früher
carlistischer Oberst, „der Umarmung von Bergara“ sich angeschlossen
hatte und nun mit demselben Grade als Adjudant seines Bruders gegen
seine früheren Waffengefährten focht, ward schwer verwundet, der Chef
des Generalstabes getödtet.

Cabrera aber ... eilte nach dem Ebro und überließ Morella seinem
Schicksale! --

Doch nein; ich thue Unrecht, da ich dem edlen, braven Cabrera, ihm,
der tausendfach sich bewährt, den Schein eines Tadels gebe. Beklagen
wir ihn und die Sache, welche er so lange aufrecht hielt, daß des
Siegesherzoges wohl berechnetes Verbrechen so entsetzlich wirken durfte!

       *       *       *       *       *

Auch Aspiroz hatte sich seit den ersten Tagen des Aprils wieder in
Bewegung gesetzt. Montan, ein nur für Gewehrfeuer und gegen einen
Handstreich eingerichtetes Fort, fiel sofort, worauf Aspiroz sich gegen
Alpuente wandte. Von dem Gouverneur desselben sprach ich weiter oben.
Er ließ die unglückliche Stadt einäschern und selbst, um dem Feinde
Unbequemlichkeit zu verursachen, alle Masadas auf zwei Meilen rings
um das Castell verwüsten, eine Maßregel, die bei ihrer Nutzlosigkeit
auch unter den Carlisten allgemeinen Unwillen erregte. Und dann übergab
der Erbärmliche nach zweitägiger Beschießung sein herrliches Castell,
eingeschüchtert durch die Menge der geworfenen Bomben, da doch noch
nicht die Spur einer Bresche da war!

Während jener zwei Tage hatte er, das feindliche Feuer fast gar nicht
erwiedernd, mit der ganzen Besatzung in die bombenfesten Gewölbe
sich versteckt, so daß ein kühner Hornist der christinoschen Jäger
unaufgehalten die Werke erklimmte und in das Innere des Castells
gelangte, ehe er entdeckt und, da er allein war, verjagt wurde. Der
ganze Verlust der Belagerer bestand in -- einem Officier und drei Mann!
Alsbald zog Aspiroz gegen Vejis, welches er in der Mitte des Mais nach
kräftigerer Gegenwehr gleichfalls einnahm.

  [116] Der Capitain im Geniecorps avancirt zum Grade des
        Oberstlieutenants der Infanterie. Überhaupt finden in
        der spanischen Armee von einer Charge zur andern stets
        zwei Avancements Statt: das erste Mal erhält z. B. der
        Secondelieutenant, -- und so alle Chargen bis zum Obersten
        -- den Grad von Premierlieutenant und erst wenn er sich zum
        zweiten Male auszeichnet, die Effectivität desselben. Als
        graduirt versieht er den Dienst seiner früheren Charge, die
        Anciennetät in der folgenden zählt aber vom Tage der Ernennung
        zum Grade.

  [117] Bei einer Explosion ward ein Stein über das Castell hinweg bis
        auf die an der andern Seite im Thal hinlaufende Straße --
        fabelhaft scheinende Entfernung -- geschleudert und traf ein
        armes Mädchen von dreizehn Jahren an den Kopf, so daß es eine
        Stunde nachher starb. Überhaupt kamen bei den Arbeiten im
        Felsen viele Unglücksfälle vor.

  [118] Jeder unabhängige Corps- oder Detachements-Chef hat den
        spanischen Kriegsgesetzen gemäß das Recht, bis zur Todesstrafe
        über seine Untergebenen zu verhängen, wobei Kriegsgerichte fast
        nie Statt finden. Unzählige Male war ich bei Carlisten und
        Christinos Zeuge, daß der Anführer einen bei einem Diebstahl
        ertappten oder insubordinirten Soldaten und selbst Bauern, die
        des Spionirens +verdächtig+ waren oder, wie so oft, gezwungen
        für den Feind Papiere überbringen mußten, augenblicklich
        niederknieen und füsiliren ließ. -- Früher erwähnte ich, daß
        ich als unabhängiger Corps-Chef dastand.

  [119] Des Herrn von Rahden Plan war nach dessen Abreise von dem
        eigensinnigen Cartagena trotz aller Remonstrationen gar nicht
        weiter beachtet.



XXXVIII.


Unerwartet war Brusco nach Cañete zurückgekommen. Da Valmaseda, der von
Fortification gar keinen Begriff hatte, in Beteta die unthunlichsten
Dinge vollbracht sehen wollte, war Brusco mit ihm in lebhafte
Streitigkeiten gerathen und verließ endlich die Festung, um sich nicht
wehrlos der wilden Leidenschaftlichkeit des Brigadiers hinzugeben,
dessen erstes Wort, wo er festen Widerstand erfuhr, „Niederschießen“ zu
sein pflegte, was er denn auch nicht lange anstand auszuführen.

Da saßen wir denn oft, drei oder vier Cameraden, auf die alten
hölzernen Lehnsessel hingestreckt bis tief in die Nacht um das
knisternde Feuer -- denn die Abende waren noch immer sehr frisch,
so daß der Sitz am Herde in der Küche ganz heimisch war -- und
unterhielten uns traulich über das, was die nächste Zukunft bringen
mußte. Wenige Tage vorher waren die beiden Cavallerie-Regimenter
von Aragon angelangt, welche nach dem Vordringen des Feindes in das
Innere des Gebirges dort unnütz nach Castilien detachirt waren. Sie
brachten uns die General-Ordre, durch die Brusco und mir der Grad von
Oberstlieutenant verliehen war; und durch sie erfuhren wir den Stand
der Dinge bei der Armee. Bald kam auch mein wackerer Manuel, ein
Bedienter, den ich krank in Morella zurücklassen mußte, mit zwei andern
Sappeurs von dort an, da der Wunsch, ferner bei mir zu sein, durch alle
Gefahren des Weges ihn getrieben hatte. Da hörten wir, daß Morella
bereits, wenn auch wegen des Terrains nicht vollständig, blokirt sei,
und daß der Gouverneur von Ares del Mestre dieses Fort dem Feinde
verkauft habe, indem er, als die Garnison in der Kirche zur Messe
versammelt war, die Christinos einließ, so daß eine Compagnie Sappeurs
und zwei von Valencia gefangen wurden. Wieder Verrath!

Es war ein eigenthümliches Gefühl, wie wir so die Stunde des
Unterganges mit Riesenschritten heranrücken sahen, unvermeidlich und
ohne daß menschliche Kraft den Strom aufzuhalten vermocht hätte. Wir
berechneten schon unsere Existenz nur noch nach Wochen und erwogen jede
Chance für und wider, welche die Katastrophe um einen Tag beschleunigen
oder um so viel weiter hinausschieben konnte; und doch scherzten wir
selbst bei diesen ernsten Betrachtungen und haschten nach Lust und
Vergnügen, wie immer, und handelten, als sei gar keine Veränderung
in unsern Verhältnissen eingetreten. Der Mensch ist ein sonderbares
Wesen; ich begreife wahrlich jetzt kaum, wie solche Contraste in uns
sich vereinigen konnten. Während wir sehr wohl erkannten, wie nur
noch Tage uns überblieben, und im vertrauteren Kreise diese Gewißheit
uns nicht verheimlichten, schienen wir fortwährend, wie im vorigen
Jahre, die siegesstolzen, hochstrebenden Krieger, die in kurzem ihren
König auf den Thron seiner Väter zurückzuführen und die rebellische
Herrscherstadt zu seinen Füßen zu beugen hofften. Im öffentlichen
Leben, in allem Dienstlichen fuhren wir fort, Pläne zu entwerfen,
auf Monate hinaus zu denken und vorzuarbeiten, als gäbe es gar keine
Vernichtung drohende Gefahr. Höchstens verrieth etwa ein scherzhafter
Wink, daß das Bewußtsein derselben nicht in uns erloschen sei. Und jene
Arbeiten und Entwürfe wurden mit eben der Sorgfalt betrieben, wie wenn
wir des Triumphes durch sie gewiß wären.

Aspiroz aber bereitete seinen Artilleriepark vor, um uns zu erdrücken,
Balboa that ebendasselbe in Cuenca, wo er bereits siebenzehn grobe
Geschütze vereinigt hatte. Er ließ Recognoscirungen bis unter die
Mauern von Beteta vornehmen, denen die schwachen carlistischen Truppen
sich nicht widersetzen konnten, und stellte die Wege nach jenem
Platze sowohl, als nach Cañete für Artillerie her, während Palacios
und Valmaseda, der erstere nur noch auf den Collado gestützt, eine
thätige Defensive durch Streifzüge, unerwartete Märsche und wiederholte
Überfälle kleinerer Detachements führten. Doch gewannen die Feinde
durch Übermacht Schritt vor Schritt Terrain.

Tag auf Tag brachte so irgend eine neue Unglückskunde, bis eines
Morgens -- es war an einem der ersten Tage Juni’s -- Brusco, vom
Gouverneur kommend, ernst in mein Zimmer trat und mir zuflüsterte:
„Morella ist gefallen, und der General hat den Ebro passirt!“ -- Wenn
auch längst erwartet, wirkte die Schreckensbotschaft doch im ersten
Augenblick erstarrend auf Jedermann, und mancher schwere Seufzer
entwand sich der Brust, da mit Morella ja der letzte Pfeiler des
schon lange untergrabenen Gebäudes einstürzte. Furchtbar beklemmend,
erdrückend ist der Schmerz des Mannes, wenn er das unrettbar vernichtet
sieht, dem er ganz sich hingegeben hat, dessen Triumph sein Ziel und
seine Hoffnung war, und für das er mit enthusiastischem Feuer gekämpft
und sein Blut vergossen hat. Schwere, schwere Stunden waren jene, in
denen kaum das Gefühl, bis zum Untergange treu und fest die Pflicht
erfüllt zu haben, den glühenden Schmerz lindern konnte. -- Und dann die
theuren Gefährten, welche wir in Morella wußten!

Seit dem Anfange Aprils, da schon die Gefahr so ungeheuer drängte,
hatte plötzlich die höchste, krampfhafte Energie und Thätigkeit jene
Lauigkeit ersetzt, die bis dahin mit der Strenge des Winters sich
verbündete, um die Fortschritte der Vertheidigungswerke von Morella zu
hindern. San Pedro Martyr, der Vollendung nahe, war rasch geschlossen,
und nun wurde mit der Kraft der Verzweiflung -- und auch mit ihrer
Blindheit -- der Plan wieder aufgenommen, den Herr von Rahden einst
entworfen und bereits tracirt hatte. Man bedachte nicht, daß jetzt
weder hinreichende Zeit gegeben war, um so umfassende Werke gehörig
auszuführen, noch das nöthige Material, besonders an Artillerie,
zur wirksamen Vertheidigung derselben angeschafft werden konnte; man
bedachte auch nicht, daß jener Plan auf die kraftvolle Mitwirkung der
Armee berechnet war, wie sie von Cabrera -- dem Cabrera der sechs
ersten Kriegsjahre vor dem verhängnißvollen 16. December -- nicht
anders erwartet werden konnte, und ohne die freilich so ausgedehnte
Arbeiten unnütz wurden.

Indessen geschah das unmöglich Scheinende. Capitain Verdeja, nach
Morella berufen, leitete die außerhalb der Ringmauer anzulegenden
Verschanzungen, und da Espartero nach kurzer Blokade in der zweiten
Hälfte des Mais zur Belagerung der Festung schritt, fand er die nahen,
unter dem Feuer des Castillo liegenden Höhen mit Erdwerken bedeckt, die
jedoch sämmtlich nur mit Infanterie besetzt waren.

Die Garnison von Morella bestand aus drei Bataillonen Infanterie, indem
jede der Divisionen eins geliefert hatte, aus vier Compagnien Sappeurs,
zwei Compagnien Artillerie, dreihundert ~voluntarios realistas~
von Aragon und etwa hundert von Morella, da die übrigen fünfhundert
bei der Annäherung des Feindes vorgezogen hatten, ihre Vaterstadt zu
verlassen. So befanden sich etwa 2800 Mann in der Festung. San Pedro
Martyr war mit 400 Mann und vier Geschützen besetzt, deren das Castell
und die Stadt nur neun hatten, während die Christinos drei und sechszig
Belagerungsgeschütze mit einer großen Zahl Mörser heranführten. Der
brave Brigadier Beltran commandirte als Gouverneur.

Espartero war genöthigt, zuerst das beschnittene Hornwerk von San Pedro
Martyr anzugreifen; er that es natürlich auf dem Punkte, welcher auf
Befehl des Generals verkürzt und dadurch sehr schwach geworden war.
So konnte er das Feuer von vorn herein auf nur zweihundert Schritt
Distance eröffnen, bis wohin er vollkommen gedeckt vorgehen konnte. Am
25. Mai ergab sich das wichtige Werk, da die Bresche practicabel und
die Geschütze demontirt waren. An demselben Tage nahmen die Belagerer
mehrere der kürzlich errichteten Verschanzungen nach kurzem Widerstande
der Carlisten, welche, erschreckt durch den raschen Fall von San Pedro,
in dessen Stärke sie so viel Vertrauen gesetzt, und überschüttet mit
Geschossen jeder Art von der feindlichen Artillerie, in die Stadt sich
zurückzogen, gegen die sofort die Batterien etablirt wurden.

Es war indessen nicht die Absicht Espartero’s, mit dem Blute seiner
Soldaten den Besitz von Morella zu erkaufen, dessen er leichter sich zu
bemächtigen hoffte. Er errichtete mehrere Mörser-Batterien und begann
ein lebhaftes Bombardement, welches alsbald die unheilsvollste Wirkung
hatte, da nur das Castell einige bombenfreie Räume besaß, während
in der Stadt die einzige Cathedrale nicht einmal für die Niederlage
der Munition und der Hauptbedürfnisse ausreichte. Nach dreitägiger
Bewerfung war die ganze Stadt in einen Haufen rauchender Trümmer
verwandelt; alle Vorräthe waren zerstört, selbst ein Pulvermagazin
flog auf und tödtete den Chef der Artillerie, Oberst Soler, mit vielen
Officieren und sechszig Mann. Laut forderten die Truppen, da keine
Hülfe von außen her sichtbar wurde, gegen den Feind geführt zu werden,
um in seinem Lager ihn anzugreifen.

Da beschloß der zusammengerufene Kriegsrath, sich durchzuschlagen: in
der ganz ruinirten Stadt länger zu bleiben hieß, ohne den geringsten
Nutzen sich aufopfern. In der Nacht zum 29. Mai stürmte die Garnison,
2200 Mann stark, aus der Festung und warf sich auf die feindlichen
Positionen; nach blutigem Kampfe, in dem 250 Mann abgeschnitten
und gefangen wurden, ward sie von der Übermacht in die Stadt
zurückgeworfen. Einzelne nur waren durch die Schluchten entkommen. Der
Gouverneur verlangte zu capituliren, aber seine Bedingungen wurden
zurückgewiesen, und das Bombardement begann von neuem. Am Morgen ergab
sich die Besatzung, noch fast 1800 Mann stark, auf Discretion.

Kein Flintenschuß war von der carlistischen Armee, die nach Catalonien
sich zurückzog, auf die Belagerer abgefeuert, keine Bewegung zu Gunsten
der Festung unternommen. So fiel Morella in die Gewalt der Christinos;
der Krieg war beendigt. --

Am 29. Mai ward auch der Mariscal de Campo Don Domingo Forcadell
getödtet, seit siebentehalb Jahren einer der thätigsten und
einflußreichsten Anführer der Carlisten im östlichen Spanien,
commandirender General von Valencia und Chef der Division dieser
Provinz. Er traf bei Hervés mit einigen hundert Mann auf das Freicorps
des Brigadiers Zurbano und starb im Kampfe der Verzweiflung.

       *       *       *       *       *

Unsere Lage war sehr kritisch, da wir, nachdem Cabrera den Ebro
überschritten hatte, im Innern der Halbinsel ganz isolirt standen,
rings von drohenden Massen umgeben. Dazu ward die Desertion in unserm
Rekruten-Bataillone von Cañete täglich größer, wiewohl der Fall von
Morella nur den sechs oder sieben Chefs bekannt war, die wir an der
Spitze unserer Republik standen, und es war zu fürchten, daß allgemeine
Muthlosigkeit die Menge ergreifen würde, so wie die Nachricht von den
Ereignissen des letzten Monats sich verbreitete.

Schon wurde in unserm Rathe von Räumung der Festung gesprochen, die
doch nur kurze Zeit dem Feinde trotzen könne; es ward beantragt, in die
Gebirge uns zu werfen, um den kleinen Krieg fortzusetzen, wie ihn die
Guerrillas der Carlisten im Anfange des Krieges so erfolgreich geführt.
Dagegen protestirten Brusco und ich, da durch solch eine Maßregel
bei dem Stande der Dinge bald nur noch Raubbanden bestehen würden,
eine Geißel dem Lande und ohne Vortheil, ja zur Schande der Sache,
welche wir vertheidigten. So weit würden wir nie uns erniedrigen. Wir
verlangten, daß Cañete vertheidigt werde, da das Rühmlichste sei, bis
zum letzten Augenblick auf dem anvertrauten Posten zu verharren und
kämpfend ehrenvolle Bedingungen sich zu erzwingen, wenn Unterliegen zur
Nothwendigkeit wurde.

Dessen weigerten sich die Spanier fast alle, indem sie es für Wahnsinn
hielten, in die Mauern sich einzuschließen und so ohne Nutzen und
ohne Hoffnung muthwillig den Feinden sich auszuliefern. „~Al pinar,
al pinar!~“ -- in das Waldgebirge! -- war ihr Losungsgeschrei. Dann
schlugen wir vor, nach Frankreich uns durchzuschlagen, und erklärten,
daß wir, im Fall die Festung zur Fortsetzung jenes kleinen Krieges
abandonnirt werde, mit unsern beiden Compagnien allein den Versuch
machen wollten, die Gränze zu erreichen, da es unsere Pflicht sei,
unsere Leute nicht zu opfern, um etwas ganz Zweckloses zu unternehmen,
was nur zu schimpflichstem Ende führen könnte.

Nach sehr lebhafter Discussion wurde endlich mit Mühe der Beschluß
durchgesetzt, ruhig zu bleiben, bis wir die Ansicht der andern
mächtigeren Führer erfahren und mit ihnen über das Auszuführende uns
verständigt hätten. Brusco ward demnach mit dem Capitain Echevarria
nach Castiel Favib gesandt, um dort Palacios zu treffen, mit dem
so eben drei Bataillone von Valencia nebst einigen Escadronen, vom
Ebro abgedrängt, sich vereinigt hatten. Ich aber eilte nach Beteta,
dessen Leitung ich Brusco abnahm, um sowohl dort das zur Vertheidigung
Nöthige anzuordnen, falls diese beschlossen würde, als auch im
entgegengesetzten Falle das Detachement Sappeurs, welches Brusco
dort gelassen hatte, nach Cañete oder zur Vereinigung mit dem Corps
zu führen und zugleich die Absichten Valmaseda’s zu sondiren, das
Schwierigste von Allem bei dem Charakter dieses Chefs.

Ehe ich abreisete, hatte ich die Genugthuung, zu der Rettung einer
werthen Familie, der ich mannigfach verpflichtet war, beitragen zu
können. Vielleicht erinnert sich der Leser, daß, als ich im Jahre 1838
schwer verwundet ein Gefangener in Cuenca mich befand, ein junges
Mädchen mit ihrer Mutter im Hospitale mich besuchte und tausend kleine
Annehmlichkeiten mir verschaffte. Die enthusiastisch royalistische
Familie hatte dort manche Unbilde und Beschimpfung zu ertragen, da sie,
wo Carlisten ihrer Hülfe bedurften, furchtlos jedes Opfer mit Freude
brachte, und selbst die kleine Paquita, unter dem Namen ~la hermosa
facciosa~ -- die schöne Rebellinn -- bekannt, ward durch ihre Reize
nicht immer gegen die Insulte der Freiheitsmänner geschützt.

Bei meiner Ankunft in Cañete ward ich von meinem alten Cameraden
Echevarria fast mit Gewalt bei einer Familie eingeführt, die mich
kennen und mit höchstem Interesse nach mir geforscht haben sollte.
Meine Überraschung und meine Freude waren gleich groß, als ich, in
das niedrige Häuschen tretend, von der herrlich aufgeblühten Paquita
Cantero, nicht weniger überrascht, mich empfangen sah. Ihre Eltern
waren in Folge von Espartero’s Austreibungs-Gesetz gezwungen, Cuenca
zu verlassen, nachdem ihr ganzes Vermögen confiscirt war; kaum hatten
sie durch List eine kleine Summe für die ersten Bedürfnisse gerettet.
Ich brachte seitdem, so oft ich in Cañete war, die angenehmsten Stunden
in der Gesellschaft dieser Familie zu, welche, wie zurückgezogen sie
sonst auch lebte, mich ganz als Sohn vom Hause behandelte. Paquita,
als das reizendste Mädchen der Gegend gerühmt, war so anspruchslos wie
liebenswürdig, und nie erschien sie einnehmender, als wenn sie, die an
jede Bequemlichkeit und Eleganz der höheren Stände Gewöhnte, lachend
die häuslichen Geschäfte versah, welche die Verhältnisse jetzt ihr
auferlegten, und die ihre Mutter, eine wohlwollende alte Dame, stolz
auf die schöne Tochter, umsonst scheltend ihr abnehmen wollte.

In den ersten Tagen des Juni bekam der alte Herr, eben so
exaltirter Royalist, als biederer, braver Mann, die Nachricht, daß
mächtige Freunde es dahin gebracht hatten, das gegen ihn erlassene
Verbannungs-Edict aufzuheben, weshalb er nach Cuenca zurückkehren
und den Besitz des confiscirten Vermögens wieder antreten sollte. Er
überreichte mir den Brief, mit verächtlichem Lächeln hinzufügend, daß
die Christinos sehr sich irrten, wenn sie glaubten, daß er um der Güter
willen seine Carlisten verlassen und neuen Insulten sich aussetzen
werde.

Ich erschrack. Der Gedanke an das unglückliche Loos, welches der
Familie harrte, hatte mich oftmals schmerzlich beschäftigt, ohne daß
ich ein Mittel zu seiner Abwendung hätte ausfinden können; und nun wies
der Arme halsstarrig selbst die helfende Hand zurück, welche gütig die
Vorsehung bot! Er freilich ahnete nicht die Hoffnungslosigkeit unserer
Lage, die, wie gesagt, nur Einzelnen, den Leitern, ganz klar war. Er
schmeichelte sich mit der Idee, daß die jetzige Bedrängniß, wie so
viele andere, vorübergehen, daß Morella, das uneinnehmbare nach der
Meinung der Menge, auch dieses Mal siegreich widerstehen und Cabrera
dann von neuem nach Castilien vordringen, das triumphirende Ende des
Krieges rasch erkämpfen werde. Solche waren bis zur entscheidenden
Stunde die Träume fast aller Carlisten, selbst vieler höher
stehenden Männer; alle ließen sich fortwährend blenden und durch die
ungereimtesten Hoffnungen täuschen.

So ward während des Winters allgemein erzählt, daß eine russische Armee
durch Frankreich zu Hülfe komme, daß Sardinien eine Flotte senden
werde, um an der Küste gegen die Christinos zu operiren, ja endlich
hieß es, daß der Prinz von Asturias mit einem französischen Heere die
Gränze überschreite, um Espartero im Rücken anzugreifen. Tausend und
aber tausend abgeschmackte Gerüchte wurden unter Volk und Truppen
verbreitet und mit Begierde aufgenommen. Auch die Religion ward zu
Hülfe gerufen, um das Vertrauen aufrecht zu erhalten. Dort war die
heilige Jungfrau Officieren der revolutionairen Armee erschienen und
hatte den nahen Untergang derselben und den Triumph der Vertheidiger
des Altares verkündet; dort hatte ein Bauer, als Heiliger verehrt, Heil
zusagende Offenbarungen, und Wunder wurden häufig -- von entfernten
Orten her -- gemeldet. Zu Ehren der reinen Jungfrau der Schmerzen aber,
welche die ersehnte Hülfe bringen sollte, wurde im ganzen carlistischen
Gebiete viertägiger feierlicher Gottesdienst angeordnet, weshalb auch
wir in Cañete, brennende Wachsstöcke in den Händen, große Processionen
der Generalordre gemäß abhielten.

Mit der Mehrzahl hegte auch Don Remigio noch immer jene Hoffnungen und
war demnach taub für alle Gründe, durch die ich zur Heimreise nach
Cuenca ihn zu bewegen suchte. Er wolle kämpfen und siegen mit den
Carlisten; auch er wisse ein Gewehr zu handhaben, um zur Vertheidigung
der Festung mitzuwirken, und wo ich aushalte, da werde auch er
auszuhalten wissen, war seine stolze Antwort. Umsonst wies ich auf die
hülflosen Damen ihn hin. Sie möchten für den Augenblick dulden, bald
werde der Sieg alles Verlorene reichlich ihnen ersetzen.

Da schwankte ich nicht länger. Die Sache, welche ich vertheidigte, war
unrettbar verloren, ihr konnte durch das Unglück einer edlen Familie
nicht geholfen, selbst nicht im Geringsten genützt werden; ich wäre ein
Wicht gewesen, wenn ich aus Rücksicht auf meine Sicherheit -- jeder
Officier, der unbefugt entmuthigende Nachrichten mittheilte, war zu
augenblicklichem Tode verurtheilt, und unter den Carlisten wurde selten
eine Drohung zum Scherz ausgesprochen -- wenn ich deshalb schwieg und
dadurch den getäuschten Greis und die Seinen, denen ich so vielfach
verpflichtet war, ins Elend sich stürzen ließ. Ich führte Don Remigio
zur Seite und sprach offen mit ihm über unsere Verhältnisse, ich
schilderte unsere Lage und sagte ihm endlich, daß Morella erobert sei,
daß Cabrera mit den Trümmern des Heeres den Ebro passirt habe. Der Arme
war niedergeschmettert bei so furchtbarer Kunde und lange für Alles
unempfindlich.

Dann zeigte ich ihm, daß, wenn es meine Pflicht sei, als Soldat auf
dem mir anvertrauten Posten auszuharren und jede Rücksicht aus den
Augen zu setzen, so lange Widerstand möglich blieb, er als Privatmann
und Familienvater eine andere Pflicht habe, die, für das Beste der
Seinen nach Kräften zu sorgen; daß er also, da unsere Parthei für
jetzt hoffnungslos vernichtet und seine fernere Aufopferung ihr ganz
ohne Nutzen war, die dargebotene Gelegenheit, um seine Familie aus dem
Strudel zu retten, nicht dürfe entschlüpfen lassen. Und was sollte
aus den Frauen, aus seiner Tochter werden, wenn sie in die belagerte
Festung sich einschlossen! Was, wenn sie mit den Soldaten in das wilde
Banditenleben der Guerrilleros geschleudert wurden!

Lange, lange stand der alte Herr unbeweglich da, in schmerzliches
Nachdenken versunken; dann umarmte er mich, einen wahren Freund mich
nennend, wie er unter seinen Landsleuten nicht ihn gefunden habe. Am
Tage vor meinen Abmarsche nach Beteta reisete er und seine Familie nach
Cuenca zurück, Glück und Segen mir wünschend, als ich mit den Sappeurs,
mit denen ich bis eine Stunde vor dem nächsten feindlichen Fort ihn
geleitet hatte, zurückzukehren genöthigt war. -- Mit erleichtertem
Herzen sah ich der Zukunft entgegen.

       *       *       *       *       *

Am 9. Juni spät Abends langte ich in Beteta -- Provinz Guadalajara
-- an, nachdem ich, nebst meinen Bedienten und einer Ordonnanz nur
von zehn Pferden begleitet, dreißig Stunden mit weniger Unterbrechung
marschirt war. Da eine feindliche Colonne jede Verbindung auf der
geraden Linie unterbrach, hatte ich mehrfach Umwege einschlagen müssen
und war kaum den drohenden Gefahren entgangen. Das Terrain war übrigens
im Allgemeinen hügelig mit weiten, fruchtbaren Thälern; nur in der
Mitte etwa zwischen den beiden Festungen durchkreuzten wir drei bis
vier Stunden lang die rauhen, mit Nadelholz bedeckten Schluchten und
Rücken der Sierra de Cuenca.

Valmaseda war in den ersten Tagen des Monates mit seinen Escadronen
und fast der ganzen bewaffneten Infanterie in das Innere von Castilien
vorgedrungen, wo er Soria durchzog und selbst bis nahe vor Burgos,
Schrecken verbreitend, gelangte. Er befestigte rasch die herrliche
Stellung von Carazo auf einem hohen Felsenplateau in letzterer Provinz,
nicht fern vom Duero, während er verwüstend mehrere bedeutende Städte
besetzte und selbst seine Vaterstadt, deren Einwohner als sehr liberal
gesinnt bekannt waren, fast ganz niederbrannte, mit seinem eigenen
Hause anfangend. Oberst Mondediu aber, sein Stellvertreter, wußte
nicht, was er für Maßregeln ergreifen sollte, da er nur über etwa
hundert und funfzig Mann Bewaffneter und die unbewaffnete Hälfte des
Bataillons ~fidelidad al Rey~ nebst einigen Pferden disponirte; er
wollte sich dem anschließen, was die übrigen Chefs entscheiden würden.

Das romantische Castell, welches, auf den Ruinen eines maurischen
Schlosses aufgeführt, hoch die Stadt überragte, fand ich in einem
traurigen Zustande. Seit Brusco’s Abreise hatte der Gouverneur, in
Fortification eben so unwissend, wie eigennützig und erpresserisch in
der Verwaltung, Alles gethan, was ihm gut dünkte, da Valmaseda den dort
befindlichen Lieutenant ~du genie~ mit sich nach Castilien genommen
hatte, dieser auch in seiner untergeordneten Stellung zu schwach
war, um vorher den Ansinnen jenes Chefs fest sich entgegenzustellen.
In wenigen Tagen war so viel Unnützes und offenbar Nachtheiliges
gethan, so viel Nothwendiges unterlassen, daß ich mich weigern mußte,
die Fortführung der Arbeiten und die eventuelle Vertheidigung zu
übernehmen: wie hätte ich unter so drohenden Verhältnissen solcher
Verantwortlichkeit mich unterziehen sollen!

Der Plan des Castells war übrigens höchst angemessen; aber durch
Nichtvollendung des Begonnenen stand der Eingang in die Werke dem
Feinde fast ganz offen, auch waren sie nur mit einem kleinen Mörser
versehen, indem Valmaseda die übrige Artillerie fortgeführt hatte.
Die Fabriken waren im besten Gange, eine Pulvermühle war nach dem
Auffliegen der ersten mit überraschender Thätigkeit neu etablirt,
und in eben jenen Tagen sollte das erste grobe Geschütz, ein
Achtzehnpfünder, gegossen werden, was jedoch durch die reißend schnell
sich drängenden Ereignisse verhindert wurde.

Schon war ich im Begriff, trotz den Bitten Mondediu’s mit meinen
Sappeurs nach Cañete aufzubrechen, als am 12. Juni Abends ein Schreiben
von Palacios aus dem nahen Peralejos anlangte, durch das er die Chefs
zu einem Kriegsrathe einlud. Er erklärte uns, daß er sich entschlossen
habe, mit den Truppen, welche er vereinigen konnte, nach Frankreich
sich durchzuschlagen, und forderte uns demnach auf, wenn wir gleiche
Absicht hätten, uns ihm anzuschließen; Brigadier Arévalo stehe mit
einigen Bataillonen ein paar Meilen entfernt und werde gleichfalls
mitziehen. Auf meine Frage nach der Besatzung von Cañete erwiederte
er, daß sie noch erwartet werde. -- Wir stimmten vollkommen mit dem
vorgeschlagenen Plane überein und kehrten deshalb in der Nacht nach
Beteta zurück, die Vorbereitungen zu treffen.

Am folgenden Morgen bot das Städtchen ein Schauspiel der unsäglichsten
Verwirrung dar. Überall wurden Befehle, oft sich widersprechend,
ertheilt und häufig nicht ausgeführt, Munitionen wurden den
Truppen gegeben, Saumthiere jeder Art, mit ungeheuren Ballen der
verschiedenartigsten Effecten beladen, sperrten die Straßen, die
Magazine wurden geöffnet, und Jedermann erhielt Erlaubniß, so Viel zu
nehmen, als er fortbringen könne. Frauen und Kinder liefen schreiend
durch die Soldatenhaufen, welche bald die Llamada zum Sammelplatze
rief, und die Einwohner schauten, in Gruppen vor den Thüren versammelt,
stumm und niedergeschlagen dem wilden Treiben zu, während in den Mienen
der Freiwilligen finsterer Trotz sich malte. Die Absicht, das Fort zu
abandoniren, war klar; aber den Plan, nach Frankreich durchzudringen,
verschwiegen die Chefs, so wie die unglücklichen Ereignisse der letzten
Wochen, und machten die Truppen glauben, daß Depeschen von Valmaseda
uns nach Castilien riefen.

Um Mittag zog endlich Oberst Mondediu mit seinen Truppen ab, eine
Stunde später folgte ich mit den Sappeurs und die Mitglieder der Junta
de Govierno mit ihrer Bedeckung, den Nachtrab sollte die eigentliche
Garnison des Castells bilden, welches der Gouverneur bei seinem Abzuge
in die Luft zu sprengen Ordre erhielt. Ehe er dieses aber ins Werk
gesetzt, langte Brigadier Palacios an und befahl ihm, mit der Compagnie
im Castell zu bleiben, da ein Mißverständniß obwalte: die Truppen
würden nur eine kurze Expedition gegen eine feindliche Colonne machen
und alsbald wiederkehren.

Wir übernachteten in dem vier Leguas entfernten Zahorejas, wo Palacios
mit drei Bataillonen und fünf Escadronen mit uns sich vereinigte. Früh
Morgens am 14. Juni setzten wir den Marsch nach der Provinz Soria hin
fort und rasteten in dem zwei Leguas entfernten Villar de Coveta; dort
erwartete uns Mondediu mit seinen unbewaffneten Compagnien, Arévalo
aber war zugleich mit drei Bataillonen und vier Escadronen in dem
eine halbe Stunde entfernten Coveta eingetroffen. -- Drei Bataillone
und zwei Escadrone von Valencia hatten sich, von Cabrera’s Armee
abgeschnitten, nach Castilien gezogen, wo schon, wie erwähnt, fünf
Escadrone von Aragon angelangt waren, so daß sich dort eine Colonne von
sieben Bataillonen und neun Escadronen, 4200 Mann Infanterie und über
700 Pferde, unter Arévalo und Palacios vereinigte. --

Nachdem die Truppen bis gegen Abend geruht hatten, sollte dann
während der Nacht die Heerstraße von Madrid nach Zaragoza, auf der
am Tage vorher die Königinn Wittwe mit ihren Töchtern nach dieser
Stadt gereiset war,[120] so wie die von Ziguenza in jene einmündende
Chaussee passirt werden, worauf wir bald mit Valmaseda, der zweihundert
Reiter und ein halbes Bataillon commandirte, uns zu vereinigen und den
Durchzug durch Navarra nach der Gränze zu erzwingen hofften.

Der Wunsch, mit Brusco und den Meinen vereint zu sein, trieb mich
nach Coveta, wo ich mit Arévalo’s Colonne sie zu finden hoffte. Wie
groß war mein Staunen, mein Schrecken, da ich erfuhr, sie seien nicht
dort, und von Arévalo auf meine Frage hörte, die Garnison von Cañete
sei zurückgeblieben, damit nicht die ganze Macht des Feindes sofort
auf die Abziehenden sich werfe! Ich flog wieder nach dem Villar, wo
denn Palacios nach dringendem Forschen mir endlich erklärte, daß der
Gouverneur jener Festung von dem Beabsichtigten gar nicht in Kenntniß
gesetzt sei.

Mein Unwille bei solcher Eröffnung ist leicht zu begreifen; auf
die niedrigste Art waren ja die Unglücklichen von ihren Gefährten
verlassen, deren Rückzug sie durch die eigene Vernichtung sichern
sollten. Augenscheinlich hatte der Umstand, daß die Mannschaft des
Obersten Gil zum Theil unbewaffnet war, viel zu Palacios’ Entschluß
beigetragen. Als ich ihm nun sagte, daß ich nie meine Cameraden auf
solche Art verlassen würde, auch durch meine Pflicht, so lange Cañete
besetzt sei, dorthin gerufen werde, antwortete er achselzuckend mit dem
spanischen Sprichworte, daß die Freundschaft aufhöre, wo es sich um
den Hals handele. Übrigens stehe ich nicht unter seinen Befehlen und
werde daher thun, was mir beliebe, wiewohl er mich warne, da die Folgen
vorauszusehen seien und ich vielleicht doch nicht mehr nach Cañete
gelangen könne.

Ich leugne nicht, daß ich schwankte und lange ungewiß blieb, was ich
wählen, welcher Stimme ich gehorchen sollte. Wohl wünschte ich da, in
abhängiger Stellung zu sein und den Befehlen eines Chefs gehorchen
zu müssen, unbekümmert, was sie geböten. Als spät am Nachmittage die
Hörner zum Marsche bliesen und bald die Bataillone langsam aufbrachen,
den unermeßlichen Haufen der Bagage mit Weibern, Kindern und Kranken in
die Mitte nehmend; als dann auch die Cavallerie ihr folgte und endlich
die letzte Escadron in ernstem Schweigen den Zug schloß: -- ja, da ward
mir unendlich beklemmt und wehmuthsvoll ums Herz, es drängte mich,
den Abziehenden mich anzuschließen und mit ihnen der rettenden Gränze
zuzueilen. Einzelne Bekannte hatten erstaunt mich dastehen gesehen und
meine Absicht zu bleiben lebhaft bekämpft, und die Sappeurs, welche
hinter mir aufmarschirt die Entscheidung erwarteten, murrten laut und
lauter, daß ja doch schon Alles verloren sei, und daß sie sich nicht
opfern würden.

Vor mir lag die Hoffnung, rasch aus dem Kriege zu scheiden, der unter
den obwaltenden Verhältnissen mich nicht mehr anziehen konnte, die
Hoffnung, dieses Spanien zu verlassen, wonach ich so lange glühend
mich sehnte, und in das Leben der civilisirten Welt zurückzutreten;
und dann, was nützte mein Bleiben? Hinter mir sah ich nur Elend und
unvermeidlichen Untergang, schnellen Tod oder im glücklichsten Falle
-- und da war die Wahl nicht leicht -- die furchtbare, so bitter
empfundene Gefangenschaft. Aber dort standen die Gefährten verlassen
in der Mitte der übermächtigen Feinde, die bereit waren, sich auf sie
zu stürzen, um der Beute sich zu versichern; sollte ich nicht ihr Loos
theilen, wie schwer es auch sein möge? Dorthin rief mich vor Allem
die Pflicht. Von dem mir anvertrauten Posten durfte ich nicht feige
fliehen, so lange die Unseren zur Vertheidigung ihn inne hielten,
ich wollte, ich konnte nicht aus dem Kampfe, den ich mit Stolz Jahre
lang gefochten, scheiden, indem ich, die eigene Rettung zu fördern,
meine Untergebenen dem drohenden Schicksal überließ. Wäre dieses das
ehrenvolle Ende, welches, da Verrath den Sieg uns entrissen, das
höchste Ziel meiner Wünsche geworden war?

Der Kampf war sehr, sehr hart, doch die bessere Stimme siegte. Das
Murren der Sappeurs rief mich zuerst zur gewohnten Energie zurück.
Nachdem ich ihnen geschworen, daß ich einen Jeden, der ferner ein
subordinationswidriges Wort äußere, auf der Stelle werde niederschießen
lassen, und zugleich kurz die Beweggründe zur Vereinigung mit den
Cameraden angegeben hatte, schlug ich an ihrer Spitze den Weg nach
Beteta ein, einen letzten trauernden Blick den schon im Gebirge sich
verlierenden Colonnen zuwerfend. -- Meine Sappeurs aber, wiewohl sie
schwiegen, zeigten eine Unruhe, eine Muthlosigkeit, die mir deutlich
sagten, daß ich nicht mehr auf sie bauen dürfe. Wie konnte ich von den
Burschen Anderes erwarten?

  [120] Daher behaupteten die Christinos, daß Palacios diese Fürstinnen
        habe aufheben wollen, was gänzlich falsch ist.



XXXIX.


Am Morgen des 15. Juni befand ich mich wieder in Beteta, nachdem ich
während der Nacht im Walde bivouakirt hatte. Ich fand das Städtchen
traurig verwüstet, da auf die Nachricht von dem Abzuge der Garnison
einige hundert Christinos herzugeeilt waren, um die Festung in Besitz
zu nehmen; sie hatten in der Stadt die gräulichsten Excesse ausgeübt
und sich dann zurückzogen, da sie ihren Versuch zur Überrumpelung mit
Verlust von eilf Mann kräftig abgewiesen sahen. Der kleine Mörser, als
die Werke gesprengt werden sollten, den Felsen hinab in eine tiefe
Schlucht gestürzt, lag bei diesem Besuche der Feinde noch dort, so daß
die Besatzung ihnen die Bomben in das Städtchen nur hinabrollen konnte.
Erst nach ihrem Abzuge wurde der Mörser wieder hinaufgeschafft.

Ich traf dort einen Obersten von der Junta, der mit einigen Officieren
schon von Zahorejas zurückgekehrt war, um das Commando der Provinz
zu übernehmen. Auf seine Anfrage setzte ich ihm auseinander, daß das
Castell einem regelmäßigen Angriffe nicht vier und zwanzig Stunden
widerstehen könne. Er stutzte, beschloß aber doch dort zu bleiben;
seine Absicht dabei konnte ich nicht wohl begreifen, da er nur achtzig
Mann im Castell hatte, die er durch Austheilung von Geld und doppelte
Rationen Wein bei gutem Muth zu erhalten suchte. Vier Tage später
hatten die Christinos Beteta genommen und die Garnison gefangen
gemacht. Der Oberst wurde auf der Flucht getödtet.

Am Nachmittage setzte ich den Marsch fort, indem ich mit einem Umwege
von mehr als zwölf Leguas auf Checa, eine nicht unbedeutende Stadt in
Aragon, mich dirigirte, da der Feind mit Sicherheit auf dem geraden
Wege vorausgesetzt werden mußte. Von dort wollte ich dann nach Süden
mich richten und die Sierra de Albarracin übersteigen, wodurch ich bis
nahe Cañete mich stets in sehr schroffem Gebirge befand.

Als ich von Palacios’ Colonne mich trennte, bestand mein Detachement
aus einem Sergeanten und acht und zwanzig Sappeurs nebst zwei Bedienten
und einer Ordonnanz. Bei meiner Ankunft in Beteta zählte ich nur noch
siebenzehn Mann, und während des Nachtmarsches nach Checa verschwanden
wiederum acht, denen, während wir dort frühstückten, der Sergeant mit
zwei Corporalen folgte. Wir näherten uns der Provinz el Albarracin, aus
der die Mehrzahl der in unsern Compagnien stehenden Sappeurs gebürtig
war, weshalb sie, von Muthlosigkeit ergriffen, die doppelt günstige
Gelegenheit zu benutzen eilten, um durch die Rückkehr zum väterlichen
Hause den Gefahren sich zu entziehen, welche in Cañete ihrer warteten.
Das Landvolk erzählte ihnen überall, wie ich später erfuhr, daß sie
die Festung schon nicht mehr erreichen würden und gewissem Tode
entgegengingen.

Als ich gegen Abend in Griegos Halt machte, um zu futtern, war ich nur
noch von den beiden Bedienten und der Ordonnanz begleitet; auf sie
konnte ich sicher vertrauen, da sie mir ganz ergeben waren. Manuel
hatte ja hundertfachen Gefahren getrotzt, um von Morella mir zu folgen,
er zeigte sich stets als treuen, redlichsten Menschen und hing mit
wahrer Liebe an mir, Marco aber, der Deserteur, den ich nicht lange
vorher von der Todesstrafe befreite, flog jeden Wunsch zu erfüllen, ehe
ich ihn auszusprechen Zeit hatte, während die Ordonnanz, welche seit
meiner Ankunft in Castilien mit mir war, gleichfalls sich bewährt hatte.

Bei Sonnenuntergang brach ich auf, um den höchsten Punkt des wilden,
aber fruchtbaren Gebirges zu ersteigen, das westlich vom Albarracin
bis zur Sierra de Cuenca sich erstreckt und die Quellen von vier
bedeutenden Flüssen dicht neben einander enthält; dann konnte ich
Cañete leicht am folgenden Mittage erreichen. Die Führer betraten so
eben den Saum eines dichten Waldes, als Marco, der hinter mir meine
beiden Maulthiere führte, mir zurief, daß Manuel und die Ordonnanz
noch zurück wären. Ich hielt das Pferd an, sie zu erwarten: Niemand
erschien; ich befahl Marco, laut zu rufen: keine Antwort erfolgte. Von
düsterer Ahnung ergriffen ließ ich das Gepäck ihn untersuchen; mit
einem Fluche rief er aus, daß ihre Tornister fehlten. -- Auch sie waren
davon gegangen!

Der Schlag traf mich hart, da ich Alles, nur das nicht, erwartet hatte.
Das Gefühl der bitter schmerzlichen Enttäuschung preßte gewaltsam die
Brust mir zusammen; ich seufzete tief. Die Sappeurs hatte ich einen
nach dem andern verschwinden sehen, ohne daß es mir mehr, als ein
augenblickliches, verächtliches Lächeln entlockt hätte, während ich
so ruhig blieb, als wäre Nichts geschehen, da ich von ihnen ja nichts
Anderes hoffen durfte. Aber mein Manuel! Auch er verließ mich! Das
erschütterte mich.

Mit dumpfer Stimme wandte ich mich zu Marco: „So gehe Du auch hin,
wenn Du willst; ich werde allein mich durchschlagen.“ Doch der wackere
Bursche antwortete ernst: „Nein, Herr, wohin Sie gehen, dahin gehe
ich -- bis zur Hölle.“ Gerührt drückte ich ihm die Hand und setzte
freudiger den Marsch fort, tief nachsinnend über so Manches, was mich
bewegte.

       *       *       *       *       *

In der Masada la Fuente de Garcia, zwanzig Schritt von der Quelle des
Tajo, wo ich neue Führer nehmen sollte, fand ich nur Weiber, weshalb
ich bis zum Morgen dort ruhen mußte. Bald berichtete mir, als ich
dann gen Süden von der Sierra hinabstieg, ein Bauer, daß er am Abend
vorher in Salvacañete die Colonne des Generals Aspiroz gesehen habe,
welche, 6000 Mann stark, zur Belagerung des nur drei Stunden von dort
entfernten Cañete zog. Ich beschleunigte den Schritt, entschlossen,
Alles zu wagen, um in die bedrohete Festung zu gelangen. Auf entlegenen
Fußsteigen durch das steilste Gebirge ziehend, hoffte ich, entweder
die Stadt noch nicht eingeschlossen zu finden, oder sonst bei Nacht
mit Hülfe meiner genauen Kenntniß des Terrains mich durchschleichen zu
können.

Um Mittag ward die Hitze in den Schluchten entsetzlich drückend,
da die Felswände rings die Gluthstrahlen der Sonne zurückwarfen.
Wir machten in einer kleinen Masada, die tief in einem engen Thale
versteckt lag, Halt, und die Wirthinn bereitete schnell aus den
reichlich mitgebrachten Vorräthen und einigen Forellen des nahen
Flüßchens ein wohlschmeckendes Mahl. Die Familie so wie die Führer aßen
tüchtig mit, da ja Überfluß vorhanden war, und während dann der Bauer,
welcher das Gepräge der herzlichsten Biederkeit in den offenen Mienen
trug, in Ablösung eines andern Führers mit mir kam, blieb sein Weib
überglücklich zurück, da ich einen Schinken ihr geben ließ. Seit Jahren
hatten die Armen nur Kartoffeln und Forellen gegessen, zu denen ihnen
oft selbst das Öl fehlte; die unerschwinglichen Contributionen nahmen
ihnen Alles.

Da wir nur noch zwei bis drei Stunden von Cañete entfernt waren,
hatte ich zugleich die Bagage umpacken und ein Mantelsäckchen mit den
wichtigsten Effecten nebst meinem und Marco’s Mänteln lose oben auf
die Lasten placiren lassen, indem ich Jedermann anwies, im Fall des
Zusammentreffens mit dem Feinde, da an Widerstand nicht zu denken war,
diese auf die Schultern zu nehmen und zu retten. Getrost zogen wir dann
den schmalen Fußsteig hinauf.

Eine kleine halbe Stunde mochten wir marschirt sein, als der
vorausgesandte Bauer eiligen Laufes die Nachricht brachte, daß in dem
Thale, zu dem wir gerade hinabstiegen, hie und da Soldaten sichtbar
wurden. Ich berieth mit ihm über die zu ergreifenden Maßregeln,
als einige Flintenschüsse aus nahem Gebüsch zu unserer Rechten uns
aufschreckten; die Kugeln schlugen zwischen und um uns nieder,
Steinsplittern über uns ausschüttend. Im nächsten Augenblick ertönte
eine zweite stärkere Salve gegenüber, und dicht umschwirrten uns die
Geschosse, während eins der Maulthiere verwundet zusammenstürzte.
Hunderte von Christinos erschienen mit wildem Geschrei auf dem nur
durch eine unbedeutende Schlucht von uns getrennten Berge und suchten
raschen Laufes uns abzuschneiden. Die Gefahr war dringend. Ich sprang
vom Pferde, welches auf dem steilen Felswege nur langsam vorwärts
konnte, und schrie den Führern zu, das Gepäck zu ergreifen und zu
fliehen; sie aber standen zitternd und riefen mit der Stimme des
Entsetzens: „~por Dios, misericordia~!“ Nur der brave Bauer zagte
nicht. Er und Marco ergriffen die ihnen bezeichneten Effecten, während
ich des Letzteren Gewehr nahm und abfeuerte, worauf wir, Pferde,
Maulthiere und Führer zurücklassend, den Berg hinauf flogen, weithin
von den Kugeln der Feinde verfolgt.

Nach halbstündigem, furchtbar erschöpfendem Laufe, bei dem wir
fortwährend die Gewehre der Christinos blitzen sahen und ihr Geschrei
zur Rechten und zur Linken hörten, barg uns der Bauer in einer Waldung
auf einem isolirten Berggipfel, an dessen Fuße seine Masada lag.
Er eilte dann davon, uns Wasser zu bringen, da wir vom glühendsten
Durste verzehrt wurden, und Nachrichten über die feindlichen Truppen
einzuziehen. Auf Alles gefaßt lud ich das Gewehr; vertheidigungslos
wollte ich uns nicht schlachten lassen.

Schrecklich war meine Lage, aber zu meiner Freude fühlte ich mich
vollkommen ruhig und besonnen; nachdem ich auf der Charte der Provinz,
die ich wenige Tage vorher von Madrid erhalten, mich orientirt hatte,
gedachte ich der Heimath und so vieler Lieben in ihr, und mancher
glückliche Tag, der mit ihnen mir geworden, schwebte wieder dem Geiste
vor.[121] Wenn sie sähen, wie ich jetzt hülflos von drohender Gefahr
rings umgeben bin! Da lag ich, den treuen Marco neben mir, unter einem
dichten Busche versteckt, jeden Augenblick das Furchtbarste, die
Entdeckung, fürchtend, und Marco, so ganz kindlich wie immer, fragte
leise: „~nos mataran, Señor?~“ -- werden sie uns todtschießen? -- „Noch
haben sie uns nicht“ war der einzige Trost, den ich dem Armen bieten
konnte.

Weit unter uns aber sahen wir nach allen Seiten hin Haufen von
Christinos die Thäler und Schluchten durchziehen, häufig auch einzelne
Höhen ersteigen und forschend umherspähen. Bald wandte sich auch eine
Schaar nach unserer Masada, und plötzlich funkelten auf einem nahen
Felsberge uns gegenüber Waffen und Uniformen, daß wir, den Blicken ganz
bloßgestellt, auf dem Bauche uns fortschiebend hinter einen andern,
mehr sichernden Busch uns verstecken mußten. Da ward nicht fern von
uns ein Rascheln im Holze hörbar -- war es unser Bauer oder nahten die
suchenden Feinde, uns zu verderben? Ich griff zum Gewehre und richtete
mich halb auf, den Hahn spannend. Marco schlummerte sanft -- wozu ihn
wecken: wir hatten ja nur eine Waffe! Näher und näher kam das Geräusch,
bald rechts, bald links schweifend; das gierig horchende Ohr faßte
jeden Laut auf, während die Augen starr auf das Gebüsch geheftet waren,
welches schon sich bewegte. Ein Hündchen sprang hinter ihm hervor, und
eine weibliche Gestalt folgte demselben, ihre Freude ausdrückend, daß
sie endlich uns gefunden habe.

Das Weib unsers Retters brachte den ersehnten Labetrunk, so wie
einfache, aber willkommene Speise. Sie berichtete, daß die Negros,
welche von Cañete, das die Besatzung geräumt habe, ausgezogen seien,
überall nach mir suchten, weil sie glaubten, der fortgebrachte
Mantelsack müsse Geld enthalten. Auch in ihrer Hütte wären sie gewesen
und hätten ihrem Manne, den sie sofort erkannt, mit wilden Drohungen
hart zugesetzt; er hätte sie aber auf eine falsche Fährte gebracht. --
Rasch verließ sie uns, keinen Verdacht zu erregen, und ließ mich in
neue, peinliche Unruhe versenkt: Cañete war geräumt! Da seufzte ich
wohl schwer unter den mannigfachen Gefühlen, welche die Nachricht in
mir erregen mußte. Und dann unser Bauer. -- Von seiner Redlichkeit hing
unser Leben ab.

Endlich brach die Dunkelheit an. Jede Stunde war zur Ewigkeit geworden,
da wir mit Ungeduld die schirmende Nacht herbeiwünschten, von Minute zu
Minute wieder zur Sonne blickend und mit Sorge den Raum messend, den
sie noch zu durchlaufen hatte. Bald erschien auch unser Retter, mit
einem Ausrufe der Freude begrüßt. Er bestätigte die Aussagen seines
Weibes: die Garnison von Cañete hatte während der Nacht, da sie die
Nachricht von dem Abmarsche der Division unter Palacios erhalten, die
Festung geräumt, als das Belagerungscorps nur eine Stunde entfernt war.
Sie sah sich von den eigenen Gefährten verlassen, geopfert, Hülfe war
nicht möglich, und die Vertheidigung der Stadt, während sie der Sache
nicht nutzte, mußte unabwendbares Verderben über die Truppen bringen.
So hielt es Oberst Gil für Pflicht, sie wo möglich zu retten, keinen
Falls aber ganz ohne ferneren Zweck sie der Vernichtung preis zu geben.
Daher warf er sich in das Gebirge und schlug den Weg nach Beteta ein,
um mit der dortigen Besatzung sich zu vereinigen und gleichfalls der
Gränze zuzueilen.

Die Truppen der Feinde, die von Cañete entsendet waren, um etwaige
Versprengte und Flüchtlinge aufzufangen, waren beim Anbruche der Nacht
der Sicherheit wegen dorthin zurückgekehrt, so daß nun das Terrain frei
war.

Ich verhehlte mir nicht, wie wenig ich zu hoffen hatte: die
Marschrichtung der Garnison ließ mir gar keine Aussicht, mich ihr
anzuschließen, so daß Tod oder Gefangenschaft unvermeidlich wurde.
Während der Nacht zog ich dem höheren Gebirge zu, in welchem ich am
folgenden Morgen viele zerstreute Soldaten von dem Rekruten-Bataillone
antraf. Sie sagten aus, daß die Colonne von Cuenca unter Balboa am
Nachmittage der Garnison entgegengekommen sei, sie bei Tragacete
geworfen und zum Theil auseinander gesprengt habe; der Rest, kaum 800
Mann, hatte sich den Quellen der Flüsse zugewandt. So suchte ich denn
möglichst rasch dorthin zurückzukehren. Mein wackerer Marco folgte
mir überall willig, aber jeder Versuch, auch nur Einen der übrigen
Soldaten, die augenscheinlich von panischem Schrecken ergriffen waren,
zum Umkehren zu bewegen, war fruchtlos; der Krieg war beendet, sie
zogen ihrer Heimath zu.

Da traf ich einige Officiere, dann dichte Haufen Freiwilliger von allen
Waffengattungen, endlich selbst einen Theil meiner Sappeurs, eiligen
Schrittes und mit finsterem Antlitze durch die Thäler sich zerstreuend.
Der niederschlagende, nur zu wahre Bericht Aller war derselbe: Oberst
Gil hatte, da er vergeblich gestrebt, nach Frankreich sich Bahn zu
brechen, und rings umstellt von feindlichen Colonnen, den nutzlosen
Kampf aufgegeben. Er vereinigte seine Truppen und erklärte ihnen, daß
sie, von den Gefährten verlassen und ganz isolirt in der Mitte der
Christinos, im Widerstande keine Rettung hoffen durften; er entband sie
daher ihrer Pflicht als Soldaten im Dienste des Königs und forderte
sie auf, ein Jeder für die eigene Sicherheit zu sorgen und, so gut er
könne, dem väterlichen Hause zuzueilen.

Oberst Gil mit mehreren der angesehensten Officiere war nach Cuenca
gegangen, um dort dem Feinde sich zu ergeben, Brusco aber hatte sich
auf Zaragoza gewendet, wo er als Fremder Paß nach Frankreich zu
erlangen hoffte. Die übrigen Officiere hatten sich, wie die Soldaten,
nach allen Seiten hin zerstreut.

       *       *       *       *       *

So war denn Alles vorbei. -- Blutenden Herzens zog ich nach Royuela,
Marco’s Dorfe, und blieb dort noch einen Tag in dem Hause des Pfarrers
versteckt, den ich von einem meiner Streifzüge her als redlichen
Mann kannte. Der Bruder desselben überbrachte dem Gouverneur der
feindlichen Festung Teruel ein Schreiben, in welchem ich mich bereit
zeigte, die Waffen niederzulegen, wenn mir der Paß nach der Gränze
zugestanden werde. Da ich unverzüglich vom Gouverneur die Antwort
bekam, daß er Befehl habe, einen jeden Carlisten, der freiwillig die
Waffen niederlege, nach seinem Geburtsorte zu entlassen, weshalb ich
ohne Besorgniß kommen möge, den Paß zu empfangen, setzte ich mich am
Morgen des 20. Juni nach Teruel in Marsch. Die Theilnahme, welche die
Einwohner von el Albarracin und den übrigen Ortschaften, in denen ich
früher an der Spitze meiner Truppen gewesen war, in so veränderter
Lage mir bewiesen, mußte bei allem Schmerze, den die Erinnerung
hervorrief, mir unendlich genugthuend sein; das rauhe, aber biedere
Gebirgsvölkchen, gewohnt, nur Härte und erpressenden Eigennutz zu
finden, hatte die Rücksicht anerkannt, die in der Ausübung der schweren
Pflicht mich stets Schonung und Milde, wo sie erlaubt waren, gegen die
Bedauernswerthen üben ließ.

Gegen Mittag lag die Festung vor mir. Bei eben dem Gartenhäuschen, bis
zu welchem ich wenige Wochen vorher mit meinen Sappeurs vorgedrungen
war, trennte ich mich nun nach herzlichem Abschiede von meinem treuen
Marco, der bis dicht an die Stadt mich geleiten wollte.

Als ich wenige Minuten später das gewölbte Thor betrat, als ich den
triumphirenden Feinden mich überlieferte, da schwand meine Kraft,
ich fühlte mich niedergeschmettert, und nur der Gedanke, von den
verhaßten Christinos umgeben zu sein, konnte mich stärken, um im
Äußern Festigkeit und Ruhe zu zeigen, während die widerstreitendsten
Empfindungen meine Brust durchwühlten. Es war ja Alles vorbei. Die ewig
gerechte Sache, für die wir gestritten, deren Sieg das erhabene Ziel
unseres Strebens und unserer Hoffnungen bildete, war der herrlichen
Früchte so vieler Thaten, so vielen Blutes -- vielleicht auf immer --
beraubt; sie unterlag der Übermacht der usurpatorischen Revolution,
welche sie so glorreich bekämpft und so oft mit dem Untergange bedroht
hatte, unterlag, weil ein Elender sich fand, ein Verräther, der,
niedrigen Leidenschaften zu genügen, das Heiligste für Gold hingab! --
Das zerreißt das Herz und füllt den Busen mit Gluth des Hasses und der
Rache, welche nie erlöscht.

       *       *       *       *       *

Wenige Zeilen werden hinreichen, um eine Übersicht der Ereignisse zu
geben, welche von der Eroberung Morella’s bis zu dem bald und ohne
wichtigen Kampf erfolgenden Übertritt der Trümmer der carlistischen
Heere auf französisches Gebiet erfolgten. Sie sind, da der Sieg
entschieden war, von nur untergeordnetem Interesse, mögen aber der
Vollständigkeit wegen kurz angeführt werden.

Palacios und Arévalo trafen schon am Tage nach meiner Trennung von
ihnen, am 15. Juni, mit ihren sieben Bataillonen und neun Escadronen
westlich von Medinaceli mit der Colonne des Generals Concha zusammen,
der die Königinn Wittwe auf ihrer Reise nach Zaragoza escortirt
hatte. Die Carlisten wurden, doch ohne auf ernsthaftes Gefecht sich
einzulassen, geworfen und erlitten den schweren Verlust von 1400
Mann, welche von dem Nachtrabe abgeschnitten und gefangen wurden.
Sie vereinigten sich darauf in den Pinares zwischen Soria und Burgos
mit Valmaseda, welcher zwei starke Escadronen und 400 Mann Infanterie
führte, und zogen dem Ebro zu, um durch Navarra die französische Gränze
zu erreichen.

Sie überschritten jenen Fluß in Miranda de Ebro und durchzogen
Alava, wurden aber, da sie das Volk in Navarra umsonst zum Aufstande
zu bewegen suchten, am 25. Juni bei Tafalla nochmals ereilt und
geschlagen. Valmaseda drang jedoch mit kaum 2000 Mann nach Frankreich
durch; er betrat dieses Königreich am 28. im Departement des Basses
Pyrenees und ward sofort als Gefangener nach dem Norden abgeführt.
Palacios dagegen sah sich abgeschnitten und genöthigt, in Pamplona sich
zu präsentiren, indem er erklärte, daß er die Waffen niederlegen und in
feine Heimath sich zurückziehen wolle. Unter dem Vorwande, daß dieser
Schritt zu spät gethan und durch die äußerste Nothwendigkeit erzwungen
sei, wurde er als Kriegsgefangener behandelt.

Der Graf von Morella hatte den Ebro mit nicht ganz 5000 Mann
Infanterie und etwa 400 Pferden passirt, da mehrere Bataillone von ihm
abgeschnitten wurden, andere die Garnison von Morella bildeten, alle
aber durch die wiederholten empfindlichen Verluste des Frühjahres sehr
geschwächt waren. Wir sahen oben, wie der größte Theil der Cavallerie
dem Brigadier Palacios sich anschloß. Er vereinigte sich alsbald mit
den Divisionen von Catalonien, welche durch Königliche Ordre bald
nach der Ermordung des Grafen von España gleichfalls seinen Befehlen
untergeben waren. Auch sie hatten schon bedeutende Verluste erlitten
und zählten nur noch 5000 Mann.

Der General wandte sich nach Berga, welches er auf den besten
Vertheidungszustand zu bringen befahl, während er noch einmal einen
Rest der alten Energie zeigte, da er die Mörder des heldenmüthigen de
España nach der Strenge der Gesetze bestrafen ließ. Mehrere Theilnehmer
der Schandthat wurden arretirt und sogleich erschossen; die meisten
hatten sich auf die Nachricht seiner Annäherung durch die Flucht
gerettet.

Espartero aber, so wie er Morella erobert hatte, führte zur Verfolgung
der Carlisten den größten Theil seines Heeres über den Ebro und
übernahm den Oberbefehl im Fürstenthum Catalonien. Er drängte rasch
die schwachen, ihm entgegengestellten Truppen in die Gebirge von
Hoch-Catalonien zurück, ohne irgendwo kräftigen Widerstand zu finden.
Berga wurde nach leichten Scharmützeln eingeschlossen; es ergab sich,
ehe noch die Belagerungs-Artillerie herangebracht war. Das Heer,
fortwährend den Kampf vermeidend, zog sich auf dem Fuße verfolgt
nach der Gränze zurück, welche seit dem Anfange des Julius täglich
Flüchtlinge, Beamte, Priester, Weiber und Kinder überschritten, denen
bald einzelne Officiere sich anschlossen. -- Am 6. Juli führte Cabrera
etwa 8000 Menschen von der Armee von Aragon, unter denen über 3000
Nichtcombattanten, auf das französische Gebiet, wo er arretirt und nach
Paris mit Gensdarmen gebracht wurde. Die catalonischen Truppen, deren
Anführer General Segarra zu den Feinden überging, zerstreuten sich
größtentheils, der Rest folgte alsbald ihren Gefährten nach Frankreich,
und die unbedeutenden Banden, welche hauptsächlich unter der Anführung
des Generals Tristany noch einige Wochen lang die rauhen Schluchten
der catalonischen Pyrenäen durchzogen, wurden ohne Mühe erdrückt und
vernichtet.

Nach fast siebenjährigem Bürgerkriege, durch ihre Selbstsucht
hervorgerufen, sahen die Männer der Revolution ihre Herrschaft über
das verwüstete, mit dem Blute seiner besten Söhne getränkte Königreich
befestigt. Sie zögerten nicht, den schmählich erkauften Triumph
würdig zu benutzen. Maria Christina, so lange ihr Werkzeug, nun als
überflüssig mit Hohn bei Seite geworfen, sollte das erste Opfer ihrer
Umtriebe werden.

  [121] Einige Zeilen, die ich dort in dem Verstecke in mein Tagebuch
        notirte, schließen nach kurzer Erzählung des Geschehenen mit
        den Worten: „Jetzt liege ich in einem Pinar verborgen, von
        glühendem Durste gequält. Mein treuer Bursche Marco Valero von
        Royuela hat mich nicht verlassen; er schläft an meiner Seite.
        -- O Spanien! O meine Heimath!“



XL.


Vom Gouverneur von Teruel mit hoher Artigkeit empfangen, entging ich
nicht den Insulten des Nationalgarden-Pöbels, besonders, da ich das
weiße Barett der Carlisten nicht ablegte und nie verheimlichte, daß
ich nur durch die Macht der Verhältnisse gezwungen und mit bitterem
Schmerze jetzt dem Kampfe für die Sache des Royalismus entsagte. Am
Nachmittage wurden einige hundert Gefangene von den Truppen von Cañete,
so wie die Besatzung von Beteta eingebracht. Wuthgeheul begrüßte sie,
und trotz dem kräftigen Einschreiten des Militairs wurden mehrere der
Unglücklichen durch Steine schwer verletzt. Ein armer Priester aber,
der früher in der Stadt angestellt gewesen war, hatte, die Wuth der
Elenden fürchtend, -- er hatte die päpstlichen Indulgenz-Bullen, deren
Ertrag für die Kriegscasse der Carlisten vom Papst bestimmt war, in der
Provinz Teruel verkauft und dabei manche Härte ausgeübt -- vom Chef
der Escorte erlangt, mit zwei Soldaten in einem Gartenhäuschen bis zum
Anbruche der Nacht zu bleiben. Eine rasende Schaar flog auf die Kunde
davon hinaus und bemächtigte sich des Priesters; +Weiber+ mordeten
ihn unter langen, entsetzlichen Martern und Gräueln mit Scheeren und
Nadeln.

Am 21. Juni Morgens verließ ich zu Fuß Teruel, die werthvollsten
Gegenstände, welche ich gerettet, in einem Pakete tragend. Ich ahnete
nicht, daß Gefahr existiren könne, oder sorgte sie nicht in meinen
düstern Gedanken, weshalb ich ganz allein den Marsch nach Frankreich
antrat. Ein halbes Stündchen war ich gegangen, als ein Mann keuchend
mich einholte und mir im Namen des Gouverneurs befahl, zu diesem
zurückzukehren. Kaum waren wir hundert Schritt weit zurückgegangen,
als ein zweiter Kerl, in einen zerlumpten rothen Mantel gehüllt, sich
uns zugesellte und auf meine andere Seite trat; eine kleine Strecke
weiter trafen wir zwei ähnliche Menschen im Chausseegraben sitzend,
welche bei unserer Annäherung sich erhoben.

Da befahl plötzlich der Rothmantel: „Nehmet diesem Menschen das Bündel
und bindet ihm die Hände!“ Verächtlich lächelnd hielt ich das Packet
hin, indem ich nur einige Papiere zu bergen suchte, als, ehe noch
die Beiden herzugetreten waren, der Bandit eine Pistole unter dem
Mantel hervorzog. Ein jäher Schreck durchzuckte mich: Meuchelmord! Ich
versuchte, durch Versprechungen die Gefahr abzuwenden, aber ruhig den
Hahn spannend, hielt er mit den Worten: „~carajo~, ich habe lange Lust,
solch’ Einen zu tödten“ die Pistole mir auf die Brust. Blitzschnell
wandte ich mich um, und das Packet flog dem Mörder an den Kopf in dem
Augenblicke, da der Schuß ertönte: mein Arm sank blutend an der Seite
nieder, aber unaufgehalten flog ich der Stadt zu. Die Kugel, durch die
rasche Bewegung das Ziel verfehlend, streifte nur längs der Brust,
drang in die Schulter und durchbohrte den rechten Oberarm.

Schon erschöpft durch Blutverlust und Schmerzen erreichte ich die
Thorwache, von wo ich zum Gouverneur und dann in das Hospital getragen
wurde. Durch seltenen Zufall hatte die Kugel weder die Arterie noch
den Knochen bedeutend verletzt, da doch beide gestreift waren und das
Hindurchgleiten zwischen ihnen und den Sehnen, von denen einige halb
abgeschnitten waren, nach dem Ausspruche der Ärzte ein Wunder schien.

Nach sechs Wochen konnte ich das Hospital verlassen. Der Gouverneur
erklärte mir, daß seine Bemühungen, die Meuchelmörder zu entdecken,
fruchtlos gewesen seien; das mir Geraubte, worunter viele wichtige
Andenken aus den letzten vier Jahren, Notizen und Effecten, war
unwiederbringlich verloren. Während meines Aufenthaltes im Hospitale
wurden übrigens über zwanzig entwaffnete Carlisten, mehr oder
weniger schwer verwundet, nach demselben gebracht, und täglich liefen
Nachrichten von Mordthaten ein, welche in der Umgegend vorgefallen
waren. Ich glaube, mich selten gefürchtet zu haben; aber als ich zum
erstenmale wieder die Straßen von Teruel betrat, konnte ich das Gefühl
der Furcht nicht überwinden und warf fortwährend scheue Blicke nach
allen Seiten. Schrecklich ist der Gedanke, nach so vielen überstandenen
Gefahren und nach dem Schlusse des Krieges zu fallen -- durch Mord!

Vorsichtiger gemacht marschirte ich nun mit einem Convoy wegen
schwerer Wunden nach den Bädern bestimmter Christinos nach Valencia
ab. Während das Volk, eben dasselbe, welches uns, da wir bewaffnet
und siegreich das Land durchzogen, stets mit Jubel aufgenommen hatte,
nach dem Blute der Wehrlosen lechzete, übten die Krieger, verstümmelt
im Kampfe mit den Carlisten, -- zwei von ihnen waren im Scharmützel
mit meiner eigenen Streifparthie verwundet -- die zarteste Rücksicht
gegen mich aus und verfluchten die Feigen, welche, so lange der Krieg
wüthete, unthätig hinter ihren Mauern sich versteckt hatten und nun
ihren Patriotismus durch gefahrlose Insulte und Mord darzuthun suchten.
Ja, eben diesen verwundeten Feinden dankte ich wiederholt das Leben.
Der wahre Soldat, wenn auch wild und blutdürstig in der Aufregung
des Kampfes, wird nie dem mit Muth unterliegenden Gegner Achtung und
Bewunderung versagen.

Schon in Segorve war ich kaum einigen Erbärmlichen entgangen,
die unter dem Vorwande, mich nach meinem Logis zu führen, in die
abgelegensten Theile der Stadt mich lockten. Ihr Glaube, daß ich den
valencianischen Dialect nicht verstehe, rettete mich. In Murviedro
aber am 31. Juli erkannten mich einige Nationalgardisten, da ich
früher als Kriegsgefangener dort gewesen war; zum Glück bemerkte ich
ihr Nachschleichen, ihre lauernden Blicke und das drohende Geflüster,
mit dem sie wieder und wieder vor meiner Thür vorbeigingen. Da die
Militairbehörden von Murviedro im entlegenen Castell wohnten und ich
so spät nicht mehr wagen durfte, dorthin mich zu begeben, baten mich
einige der Verwundeten, welche neben meinem Hause einquartiert waren,
bei ihnen die Nacht zuzubringen, für meine Sicherheit sich verbürgend.
Und wohl bedurfte ich dieses Schutzes. Bis nach Mitternacht standen
große Haufen von halbtrunkenen Schurken, mit ihren armlangen Messern
bewaffnet, an der Thür und hinter den Ecken, erwartend, daß ich meinen
Zufluchtsort verlasse.

Wieder durchschritt ich die herrlichen Gefilde der Huerta, aber mit wie
so ganz andern Empfindungen. Damals ging ich kampflustig und vertrauend
auf nahen Triumph zur Auswechselung, die langen Leiden ein Ziel setzen
sollte; und jetzt ...!

Nachdem mir der englische Consul in Valencia bereitwillig einen Paß
unter falschem Namen als verabschiedetem Soldaten der britischen
Hülfslegion ausgestellt hatte, da ich nur so mit einiger Sicherheit
die Reise fortsetzen konnte, schiffte ich mich am 8. August auf einem
kleinen Kauffahrer im Grao ein, um die im ewigen Frühlinge prangende
Stadt zu verlassen. Ein günstiger Wind trieb uns längs den mit Hügeln
umkränzten Küsten von Valencia und Catalonien hin, deren niedliche
Städte, dicht an einander gereihet, langsam vorüberschwanden. Wir
bewunderten die von der Natur zum geräumigsten und gegen alle Winde
gleich trefflich geschützten Hafen gemachte Bai der Alfarques, da wir,
drohendes Gewölk fürchtend, eine Nacht auf ihrer stets spiegelglatten
Fläche zubrachten. Unter Carl IV. ward dort die Grundlage zu
einer neuen Stadt, San Carlos, gelegt, in der einzelne prachtvolle
Gebäude eine hohe Cathedrale umgeben, so wie alle Straßen abgesteckt
sind. Die politischen Stürme und Drangsale, unter denen Spanien seit
funfzig Jahren seufzet, ließen die Ausführung des schönen Gedankens auf
günstigere Zeiten verschieben.

Dann durchschnitten wir den schmalen, weiß schäumenden Streifen, durch
den der Ebro einige Meilen weit ins Meer hinein die Gewalt seiner
Wasser bekundet, und legten am 11. Juli vor Tarragona bei, schon zur
Zeit der Römer gerühmt und unter den Arabern als eine der ersten Städte
der Halbinsel blühend, jetzt nur noch durch Ruinen an seine einstige
Größe erinnernd. Am folgenden Tage erreichten wir den schönen Hafen von
Barcelona, der reichsten Stadt Spaniens, eben so lieblich durch ihr
Klima, wie sie in der Geschichte des Bürgerkrieges durch die Wildheit
ihrer Bewohner hervorsticht, welche häufige Revolutionen und Mordscenen
hervorrief.

Die Königinn Wittwe befand sich seit einiger Zeit mit ihren Töchtern
in Barcelona nebst den Generalen Espartero, dem Siegesherzoge, Leon,
Grafen von Velascoain und O’Donnell, welche ich kurz nach der Landung
auf der Parade sah. Espartero ist von untersetzter Statur und dunkel
gebräunten Antlitzes mit feurigen Augen und scharf markirten, listigen
Zügen; in seinem Auftreten und Wesen malten sich unendlicher Stolz und
Eitelkeit. Er stand zu jener Epoche auf dem Gipfel der Volksgunst und
war von dem Heere angebetet. Vivas empfingen, Deputationen begrüßten
ihn bei jedem Schritte, selbst über die Regentinn ihn erhebend, da er
gerade durch eine Proclamation entschieden gegen das Regierungssystem
sich ausgesprochen hatte. Espartero war schon der wahre Herrscher
Spaniens. Neben ihm zog die starke imponirende Gestalt des Generals
Leon die Aufmerksamkeit an: ein dichter schwarzer Bart, aus dem die
Augen dunkel blitzten, bedeckte das ganze Gesicht und gab ihm einen
besonders finstern Ausdruck. Augenscheinlich herrschte Kälte zwischen
ihm und dem Oberfeldherrn. O’Donnell dagegen, wohlbeleibt, mit dem
feststehenden Lächeln auf den immer sich gleichen Zügen, denen die
scharf gebogene Adlernase einen Anstrich von Energie verlieh, machte
sich Viel mit Espartero zu schaffen und schien durch freundliches
Grüßen der Gruppen rechts und links das Wohlwollen des Volkes zu
erstreben.

Am Nachmittage setzte ich den Marsch fort, längs der Küste nordwärts
mich richtend. Da ich in der Nacht unter einer Hecke mich niedergelegt
hatte, ward ich durch einen lauten Ruf geweckt; zwei Männer mit
Büchsen standen vor mir und forderten, indem sie sich als Carabineros
-- ein militairisch organisirtes Corps Zollwächter -- zu erkennen
gaben, meinen Paß. Als ich ihn hervorzog, ergriff einer derselben
das Taschenbuch und blätterte darin umher. Todesschrecken machte mir
das Blut erstarren: durch eine Unvorsichtigkeit, welche mir später
unbegreiflich war, befand sich in dem Taschenbuche ein Päckchen Briefe,
welche mir in Angelegenheiten des Dienstes nach Cañete geschrieben
waren. Der Carabinero zog alsbald das unheilsvolle Packet hervor und
fragte mich mit dem Ausrufe: „~carajo~, wie viele Briefe!“ von wem sie
wären. „Von meiner Familie“ war die Antwort. Im ungewissen Lichte des
Mondes betrachtete er einen jeden Brief einzeln und gab sie endlich mir
zurück, der ich, kaum athmend, das Resultat der Untersuchung erwartete.
Er zündete dann eine Laterne an und las sorgfältig den Paß, während
ich, jeden Verdacht zu vermeiden, die Brieftasche ruhig in der Hand
hielt. Nachdem sie jedes Wort des englischen Passes studirt hatten
und natürlich, da sie nicht eine Silbe verstanden, befriedigt waren,
verließen sie mich, gegen die Gefahren des Weges durch das Gebirge mich
warnend. Tief aufathmend dankte ich für die Rettung aus der Gefahr, der
ich mich übrigens nicht wieder aussetzte. Die Carabineros waren stets
unsere blutgierigsten Feinde, die weder Pardon gaben noch erhielten!

Über Gerona und Figueras langte ich am 15. August Abends nach
unendlichen Mühseligkeiten und Entbehrungen -- Brombeeren waren von
Barcelona her meine einzige Nahrung -- bei Perthus auf der Gränze von
Frankreich an. Als ich die Brücke überschritt, welche die beiden
Königreiche verbindet, zitterte ich, wie nie im Leben, und jubelte und
dankte Gott, daß er schützend aus diesem Spanien mich befreit hatte,
aus den Klauen spanischer Volksaufklärer.

Nachdem ich den Zug der Pyrenäen, welcher schmal, aber rauh, bis
ins Meer sich hineinzieht, überstiegen, befand ich mich am Mittage
des folgenden Tages in Perpignan. Der Präfect der Ost-Pyrenäen
und der commandirende General der Militair-Division stellten mir
die Alternative, entweder mit meinem Grade in die Fremdenlegion
einzutreten,[122] für welchen Fall sofort Gelder angeboten wurden, oder
aber unmittelbar nach Deutschland abzugehen. Da ich das Ansinnen der
Franzosen -- vielleicht etwas derbe -- zurückstieß und der Präfect es
für eine passende Rache hielt, mir die Erlaubniß zum Aufenthalte, bis
ich mir Hülfsmittel verschaffte, zu verweigern, trat ich am 18. August
den mühevollen Marsch nach dem Vaterlande an.

  [122] Von den mit Cabrera übergetretenen Carlisten hatten etwa 800
        Mann in der Fremdenlegion Dienste genommen, so wie dreißig
        Officiere, denen ihr effectiver Rang zugesichert ward. Ein
        Bataillon ward daraus gebildet, welches bald nach Afrika
        abging. Die übrigen Carlisten weigerten sich trotz aller
        Aufforderungen, Versprechungen und Vexationen, Ludwig Philipp
        zu dienen.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Vier Jahre in Spanien. - Die Carlisten, ihre Erhebung, ihr Kampf und ihr Untergang." ***

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