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Title: Vier Jahre in Spanien. - Die Carlisten, ihre Erhebung, ihr Kampf und ihr Untergang. Author: Goeben, August Karl von Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Vier Jahre in Spanien. - Die Carlisten, ihre Erhebung, ihr Kampf und ihr Untergang." *** transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.) #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1841 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und altertümliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert. Rechtschreibvarianten wurden nicht vereinheitlicht, wenn diese im Text mehrmals auftreten. Groß- und Kleinschreibung sind nicht konsistent und entsprechen nicht in allen Fällen den heutigen Schreibgewohnheiten; gleiches gilt für die Verwendung des ‚scharfen s‘ (ß). Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere Schriftschnitte wurden in der vorliegenden Fassung mit den folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet: gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ #################################################################### Vier Jahre in Spanien. Die Carlisten, ihre Erhebung, ihr Kampf und ihr Untergang. Skizzen und Erinnerungen aus dem Bürgerkriege von A. von Goeben, Königlich-Spanischem Oberstlieutenant im Generalstabe. Hannover, 1841. Im Verlage der Hahn’schen Hofbuchhandlung. Über Alles, was während der letzten acht Jahre in Spanien sich ereignet hat, ist bisher sehr Wenig in Deutschland veröffentlicht, und dieses Wenige, fast durchgängig im Sinne der einen, stärkern Parthei, oft selbst mit der Absicht, irrige Ansichten zu verbreiten, geschrieben, konnte nur beitragen, das Urtheil des Publicums irre zu leiten. Es dürfte daher nicht unwillkommen sein, wenn Augenzeugen die Dinge in ihrem wahren Lichte darstellen und so das Gewebe von Dunkelheit und Täuschung zerreißen, welches jene Ereignisse dem Blicke des Forschers unzugänglich machte. Was ich während fünftehalbjährigen Aufenthaltes und unter mannigfach wechselnden Verhältnissen erfahren und beobachtet habe, das werde ich in diesen Erinnerungen darlegen, deren Zweck erfüllt ist, wenn sie zur Beseitigung der Vorurtheile mitwirken, die einem Jeden, der nicht aus eigenem Anschauen ein selbstständiges Urtheil sich bildete, nothwendig aufgedrängt wurden. Ich habe gestrebt, ein möglichst vollständiges Bild alles Dessen zu geben, was in Bezug auf den Bürgerkrieg von Interesse sein muß. Die Umstände setzten mich in Stand, fast allenthalben und Alles selbst zu prüfen, da ich, seit dem Frühlinge 1836 der carlistischen Armee in den baskischen Provinzen mich anschließend, nach und nach in allen Theilen des Königreiches mich befand, in allen Armeen der Carlisten Dienste leistete, in mehrfacher Gefangenschaft auch mit den Christinos in häufige Berührung kam und endlich unter Cabrera’s Oberbefehle, der einzige deutsche Officier, an dem letzten Todeskampfe im Frühjahre 1840 Theil nahm. Erst da nach Morella’s Falle kein carlistisches Heer mehr existirte, legte ich die Waffen nieder, um noch im Meuchelmorde, dem ich kaum mit schwerer Wunde entging, den Partheihaß zu erproben. Doch verkenne ich nicht die mannigfachen Schwierigkeiten, mit denen ich zu kämpfen habe. Nicht nur soll ich gegen vieles fast allgemein Angenommenes und Anerkanntes mich erheben; ganz Soldat und seit Jahren nur im Kriegesgetümmel beschäftigt, bin ich auch wenig gewohnt, die Feder zu führen, und werde in der Darstellung den Mangel an Gewandtheit nicht verleugnen können. Das Bewußtsein, daß ich für die Wahrheit in die Schranken trete und nur Wahres gebe, darf mich wohl über solche Rücksicht und solche Furcht hinwegsetzen. Es wäre eben so thöricht als falsch, wenn ich Unpartheilichkeit für mich in Anspruch nähme. Wo es von der Sache sich handelt, für die ich mit Stolz mein Blut vergoß, bin ich stets Parthei, der Carlist wird stets hervortreten. Aber das Verdienst, wenn es solches ist, auf das ich gegründeten Anspruch machen darf, ist das der gewissenhaftesten Treue und Wahrheit, der ich jede andere Rücksicht untergeordnet habe. Was immer in meinen Notizen enthalten ist, habe ich entweder aus eigener Beobachtung oder aus Forschung an Ort und Stelle und den Berichten von Augenzeugen, deren Genauigkeit mir feststand, geschöpft; wo ein Zweifel noch obwaltet, habe ich auch ihn nicht verschwiegen. Sonstige Quellen konnte ich nicht benutzen, da die einzige, aus der ich hätte schöpfen mögen, das geistreiche Werk meines geehrten Chefs und Freundes, des Generals Baron von Rahden, über „Cabrera“, von ganz anderm Gesichtspunkte aus abgefaßt ist. Auch begreift es nur einen abgesonderten Theil der Ereignisse, die nämlich, in denen Cabrera thätig mitwirkte, während ich an das selbst Erlebte es anknüpfend mehr oder weniger detaillirt den ganzen Bürgerkrieg umfasse. In manchem Einzelnen mußte ich auch von jenem Werke abweichen, welches als Erzeugniß scharfer Beobachtung vom höchsten Interesse ist. Übrigens ist es nicht meine Absicht, eine +Geschichte+ des Bürgerkrieges in diesen Erinnerungen zu geben; möchten sie dem künftigen Geschichtschreiber seine schwere Arbeit in Etwas erleichtern! Inhalt. Seite I. Hoffnungen und Träume -- Carl V. der rechtmäßige König 1 II. Die Gränze -- Die Carlisten -- Ereignisse in den baskischen Provinzen seit dem Tode Ferdinands VII. bis zum Frühling 1836 13 III. Carl V. -- Die Linien -- Das Land und seine Bewohner -- Die ~fueros~ 38 IV. Gefechte in Guipuzcoa -- Gefangenschaft -- Marsch nach Logroño 54 V. Grausamkeiten der beiden Partheien, in Heer und Volk 77 VI. Expeditionen der Generale Don Basilio Garcia -- Gomez -- Sanz 89 VII. Acht Monate im Kerker 105 VIII. Krieg in den Provinzen während der zweiten Hälfte 1836 -- Belagerung von Bilbao -- Operationen im Frühlinge 1837 113 IX. Befreiung -- Fünf Wochen in Navarra -- Operationen in den Nordprovinzen 124 X. Expedition Zariategui’s -- Erstürmung von Segovia -- Marsch auf Madrid -- Rückzug in die Gebirge 139 XI. Expedition Zariategui’s -- Wiederaufnahme der Offensive -- Lerma -- Valladolid -- Der Alt-Castilianer -- Verwundung -- Vereinigung mit der Armee des Königs 158 XII. Expedition des Königs -- Vereinigung mit Cabrera -- Marsch auf Madrid -- Rückzug -- Sendung nach Vizcaya -- Rückkehr der Expeditionen -- Ereignisse während derselben 186 XIII. Der Aufschwung und das Sinken der carlistischen Macht -- Nachtheile der Expeditionen 203 XIV. Expedition von Don Basilio Garcia -- Ebro-Übergang -- Verwundung -- Gefangennahme 225 XV. Das Hospital -- Marsch nach Madrid -- Marsch durch die Mancha und Andalusien nach Cadix 246 XVI. Expedition von Don Basilio -- Tallada -- Die Cabecillas der Mancha -- Vernichtung der Division -- Expedition des Grafen Negri -- Vernichtung derselben -- Peñacerrada 267 XVII. Maroto -- Partheiungen unter den Carlisten -- Operationen in den Provinzen -- Valmaseda -- Vermählung des Königs -- Muñagorri 286 XVIII. Die Casematten von Cadix -- Maroto und Espartero -- Fünf Generale ermordet -- Auswechselung nahe -- Schein-Operationen in Vizcaya 300 XIX. Fahrt von Cadix nach Valencia -- Das Mittelländische Meer -- Die Huerta und ihre Bewohner -- Die Auswechselung 318 XX. Don Ramon Cabrera, Guerrillero, General und Mensch -- Der Krieg in Aragon und Valencia bis zum Ende des Jahres 1837 -- Hungers-Gräuel 335 XXI. Escalade des Castells von Morella durch achtzig Castilianer 351 XXII. Operationen in der ersten Hälfte des Jahres 1838 -- Tallada -- Zaragoza -- Morella -- Belagerung desselben durch Oraa 364 XXIII. Belagerung von Morella -- Sturm -- Rückzug der Christinos -- Folgen 382 XXIV. Operationen im Herbst 1838 -- Schlacht bei Maella -- Repressalien-System 392 XXV. Operationen in der ersten Hälfte 1839 -- Segura -- Villafamés -- Montalban -- El Turia -- Lucena 412 XXVI. Reise nach Chelva -- Das Heer Cabrera’s -- Der Aragonese, Valencianer und Catalan -- Action von Chulilla 428 XXVII. Chelva -- Kampf bei Tales -- Cabrera -- Carboneras -- Verhältnisse und Hoffnungen im Sommer 1839 -- Reise nach Morella -- Espartero in Aragon 444 XXVIII. Maroto’s Verrath -- Vertrag von Bergara -- Carl V. in Frankreich -- Graf Casa Maroto 465 XXIX. Marsch nach Catalonien -- Das Fürstenthum und seine Bewohner -- Die dortigen Carlisten -- Graf de España -- Operationen desselben 479 XXX. Vier Tage mit dem Grafen de España -- Berga -- Der 27. October -- General Segarra 497 XXXI. Verschwörung gegen den Grafen -- Seine Ermordung. 514 XXXII. Reise nach Morella -- Espartero in Luco und Bordon -- Baron von Rahden 522 XXXIII. Operationen Espartero’s und O’Donnell’s -- Stellungen der Heere -- Einzelne Gefechte -- Rückzug der Christinos 540 XXXIV. Reise mit Cabrera nach dem Ebro -- Krankheit des Generals 557 XXXV. Die ersten Monate 1840 -- Alzaga -- Chulilla erobert -- Espartero als Fälscher -- Verkauf von Segura 569 XXXVI. Castillote -- Marsch nach Castilien -- Don Manuel Matias -- El Turia und die Linie von Cañete -- Verhältnisse daselbst 585 XXXVII. Don Manuel Brusco -- Cañete -- Arbeiten und Streifzüge -- Fortschritte von Espartero, O’Donnell und Aspiroz 604 XXXVIII. Eroberung von Morella, Cabrera passirt den Ebro -- Don Remigio Cantero -- Beteta -- Palacios nach Frankreich 621 XXXIX. Marsch nach Cañete -- Marco Valero -- Rettung -- Cañete geräumt -- Niederlegung der Waffen -- Cabrera und Valmaseda nach Frankreich -- Ende des Krieges 638 XL. Meuchelmord -- Reise nach Valencia und Barcelona -- Ankunft in Frankreich 650 I. In stolzen, hoffnungsreichen Träumen schwelgend durchflog ich die öden Steppen der Landes, welche umsonst heimische Bilder mir zu erwecken suchten. Meine Blicke waren gen Süden gerichtet. Dort tauchten fern am Horizonte einem bläulichen Gewölk ähnlich die Höhenzüge der Pyrenäen empor, unvergängliche Zeugen der Heldenthaten des braven Gebirgs-Völkchens, mit dessen siegreichen Schaaren ich mich zu vereinigen eilte, dessen Gefahren und Ruhm ich bald zu theilen hoffte. Das Herz klopfte mir lauter, die Brust schwoll von unendlichen, unaussprechlichen Gefühlen. Jung und unerfahren, den Kopf warm, das Blut glühend, träumte ich von Krieges-Thaten und Kampfes-Lust, malte den Augenblick mir aus, in dem die Kugeln des Feindes mich umzischen würden, und ich wünschte mir Flügel, um früher das ersehnte Ziel zu erreichen. -- Ich ahnete nicht die bittern Erfahrungen, die schmerzlichen Enttäuschungen, welche meiner warteten; die Phantasie schilderte mir die Zukunft in den lieblichen Farben, mit denen sie so gern ihre Kinder schmückt, ohne die finstern Schatten zuzulassen, welche nur zu oft ihre reizenden Erzeugnisse in Thränen des Schmerzes ertränken. Ich sah jene Gebirge vor mir, in denen ich bald im Schlachtgewühl mich tummeln, mein Blut für die Sache der Legitimität darbieten sollte, und ich fühlte mich glücklich in der nahen Erfüllung so lange gehegter Wünsche. Und wie hätte ich nicht freudig zu der Vertheidigung des Monarchen eilen mögen, der in heldenmüthigem Kampfe gegen übermächtige Heere rang, welche die Revolutionäre aufgeboten hatten, um ihre unrechtmäßige Herrschaft zu sichern und die Anstrengungen der treuen Anhänger ihres Königs niederzuschmettern? Royalist im ganzen Sinne des Wortes, auf immer befestigt in dieser Grundlage meiner politischen Denkungsart durch Alles, was des Mannes Ansichten zu leiten vermag, überzeugt, daß nur auf solcher Basis das Glück der Völker, Endzweck jeder Regierung, sicher erreicht wird; mußte ich nicht stolz sein, mein Schwert der Vertheidigung des wahren Souverains jenes unglücklichen Landes zu weihen, welches unter dem doppelten Joche der Umwälzung und der Usurpation schmachtend in krampfhaften Zuckungen die schweren Fesseln abzuschütteln strebte! Mußte ich nicht mit Freude den kühnen Männern mich anschließen, die, von ihren Gebirgen herab den Riesenkampf gegen Christina’s erdrückende Waffen bestehend, für das Recht Alles opferten und durch ihren Muth, ihre Ausdauer und unbeugsam scheinende Festigkeit Europa’s Bewunderung sich würdig machten! Ach, ihre Festigkeit +schien+ unbeugsam -- Kugeln und Schwert, Leiden und Gefahren vermochten nicht sie zu erschüttern, Hunger, Blöße, Tod waren machtlos gegen sie -- Ihre Festigkeit wich den Schmeichelworten, welche unter den schönen Namen des Vaterlandes und des Friedens der listige Feind durch ihre eigenen erkauften Anführer ihnen zuzuflüstern wußte; sie wich den trügerischen Versprechungen der Parthei, die so oft gezittert, da sie ihre Söldlinge vor den siegreichen Waffen jener Männer fliehen sah. Um die Rechte und Freiheiten der vaterländischen Provinzen zu sichern, verließen die Basken den angestammten Herrscher, der allein jene Sicherung ihnen gewähren konnte. Denn wie sehr auch seine erbitterten Feinde gegen ihn eifern, welche schimpfliche Benennungen die liberale Presse aller Länder ihm verschwenden mag, Carl V. ist der rechtmäßige König Spaniens, und weder Christina’s zahlreiche Heeresmassen, noch die spitzfindigen Sophismen ihrer Anhänger, vermögen die „unschuldige“[1] Isabelle von dem Titel einer Usurpatorinn zu befreien. Das Gesetz, durch welches Ferdinand VII. die Rechte seines Bruders annullirte, um der Tochter die Krone zu geben, die durch die bisherigen Gesetze ihr versagt war, konnte nie Gültigkeit erlangen, da theils es in sich den Stempel der höchsten Ungerechtigkeit trug, theils die äußeren Erfordernisse nicht gehörig beobachtet waren, welche die Staatsverfassung zu seiner Feststellung bestimmte. Philipp von Anjou erlangte nach langem, blutigem Kriege, in den die ganze westliche Hälfte Europa’s verflochten, den unbestrittenen Besitz des spanischen Thrones. England und die Niederlande, nach der Erwählung des Erzherzogs Carl zum römischen Kaiser von seiner Gelangung zur Krone Spaniens und der Vereinigung zweier so mächtigen Reiche unter Einem Haupte die traurigsten Folgen für die Unabhängigkeit der übrigen Staaten besorgend, wählten von zwei Übeln das kleinere, indem sie den Enkel Ludwigs des Vierzehnten als König von Spanien und Indien anerkannten, da sie doch so lange mit Aufbietung aller Kräfte und nicht ohne glänzende Erfolge seine Ansprüche bekämpft hatten. Nur strebten sie, im Friedensvertrage von Utrecht einer etwaigen spätern Vereinigung der spanischen und französischen Monarchieen so weit vorzubeugen, wie feierliche Garantieen, Entsagungen und Versprechen vorzubeugen vermögen. Philipp V. hatte seit seiner Thronbesteigung aufgehört Franzose zu sein; er arbeitete jetzt nur für das Wohl seines Königreiches und erkannte daher leicht, wie sehr es in dessen Interesse und wie wichtig es für Spaniens Unabhängigkeit war, jene Vereinigung mit dem mächtigen und übermüthigen Nachbar so viel wie möglich zu erschweren. Um dieses Ziel zu erreichen, und die mannichfachen sonstigen damit verknüpften Vortheile nicht übersehend, etablirte er das Grundgesetz, welches seitdem die Thronfolge in der Monarchie ordnete, und ergänzte und vervollkommnete dadurch die Stipulationen des Vertrages von Utrecht. Durch dieses Gesetz wurden die weiblichen Glieder der spanischen Bourbons von der Herrschaft ausgeschlossen, so lange irgend ein männlicher Nachkomme Philipp’s existirte; doch gestattete ihm die väterliche Liebe wohl nicht, die Frauen ganz auszuschließen und so seinen eigenen Nachkommen Fremde vorzuziehen, weshalb er anordnete, daß ein streng Salisches Gesetz erst in Kraft treten sollte, im Falle nach gänzlichem Aussterben der spanischen Bourbons das Haus Savoyen zum Throne gelangen würde. -- Philipp V. versäumte keine der Maßregeln, welche die alte spanische Verfassung möglich machte und vorschrieb, um seine neue Thronfolge-Ordnung zu sanctioniren: sie ward von dem höchsten Rath von Castilien geprüft und gebilligt, und im Jahre 1713 legte sie der König auch den besonders zu diesem Zwecke berufenen und dazu von ihren Committenten mit Specialvollmachten versehenen Reichs-Cortes vor, welche darüber berathschlagten und sie annahmen. Dann ward diese Anordnung als Staats-Grundgesetz bekannt gemacht. Als solches galt sie und diente als Basis in den Verhandlungen und Bündnissen, die seitdem geschlossen wurden, ohne daß irgend Einer der nachfolgenden Könige einen Schritt zu seiner Aufhebung gethan hätte, bis Ferdinand VII., getrieben von seiner eben so herrschsüchtigen wie intriganten Gemahlinn, der Prinzessinn Maria Christina von Neapel, seinen Bruder, den Infanten Don Carlos, der ihm zustehenden Rechte zu berauben und, im Falle seine Gemahlinn in der nahe bevorstehenden Niederkunft mit einer Tochter ihn beschenken sollte, dieser die Krone zu sichern beschloß. Ferdinand’s Charakter zeichnete sich durch größte Neigung zur Intrigue aus. Selbst Dem, was er leichter auf dem geraden Wege hätte erlangen können, mochte er lieber auf krummen Schlangenpfaden hinschleichend zustreben; und nicht selten machte ihn während der langen Zeit, in der er sein Königreich dem Untergange zuführte, eben diese unedle Denk- und Handlungsart sein Ziel verfehlen. Er verleugnete auch jetzt diese Neigung nicht, wiewohl die Furcht vor dem Eindrucke, den sein Plan auf die zahlreichen Anhänger seines Bruders machen würde, das Ihrige zu dem Entschlusse beitrug, auf seines Vaters, Carl IV., Schultern die Last zu laden, der er sich wohl nicht gewachsen fühlte. Am 29. März 1830 erließ Ferdinand VII. das Decret, durch welches er den direkten weiblichen Nachkommen des Herrschers in der Thronfolge den Vorzug vor dessen männlichen Seitenverwandten einräumte. Als Hauptmotiv dafür ward angegeben, daß im Staatsarchive aufgefundenen Papieren gemäß schon Carl IV. im Jahre 1789 einen ähnlichen Gesetzesentwurf den Cortes vorgelegt habe, so daß Ferdinand durch die Erneuerung desselben nur die Absicht seines Vaters in Ausführung bringe. -- Die bald nachher geborene Prinzessinn Isabella ward demzufolge für eventuelle Thronerbinn erklärt. Der König, durch die langsam ihn aufzehrende Krankheit an den Rand des Grabes gebracht, widerrief zwar das neue Gesetz, dessen furchtbare Folgen ihm einleuchten und doch zu schwer auf dem Gewissen des Sterbenden lasten mochten. Da aber die augenblickliche Gefahr auf kurze Zeit gehoben wurde, gelang es der Königinn, ihren Einfluß auf den geistig und körperlich nur noch vegetirenden Gemahl so auszudehnen, daß sie das Gesetz unter den nichtigsten Vorwänden wieder in Kraft treten und bis zu Ferdinand’s Tode nicht weiter abändern ließ. * * * * * Die beiden Gründe, welche die Änderung der Thronfolge-Ordnung motiviren sollten, sind die uralte, herkömmliche Gewohnheit der Monarchie und der Gesetzesentwurf Carls IV. In Betreff der ersteren finden wir seit der Zeit des Wahlreiches der Gothen bis zu dem Regierungs-Antritte Philipps V., daß, wenn die Verwirrung und das oft sich Widersprechende in der dunkeln Legislatur jener Zeiten keine gesetzliche Bestimmungen auffinden läßt, allgemein die männlichen Descendenten den weiblichen vorgezogen wurden; und ganz besonders in den Kronen von Castilien und Aragon, durch deren Vereinigung die spanische Monarchie sich bildete, ward dieser Grundsatz stets streng durchgeführt. Selbst als Alfonso, wie aus Ironie der Weise benannt, in dem von ihm verfaßten Codex die Frauen in der Thronfolge den Männern gleichgestellt hatte, kam diese Anordnung so wenig zur Ausführung, daß ihr schon bei seinem Tode und seinem eigenen Rathe gemäß geradezu entgegengehandelt wurde, was bei jeder neuen Gelegenheit sich wiederholte. Überhaupt ward dieser Codex nie als feste Grundlage der Gesetzgebung des Reiches angesehen und befolgt. -- Die weiblichen Herrscher, welche wir vereinzelt an der Spitze der Gothen und der kleinen christlichen Staaten der Halbinsel sehen, verdankten ihre Erhebung stets außerordentlichen Verhältnissen, Empörungen, Revolutionen oder dem Mangel an männlichen Erben, weshalb diese Fälle nie als Norm gelten und ein Motiv zu Ferdinands Gesetze abgeben konnten. Noch unhaltbarer ist die andere Veranlassung der vorgenommenen Gesetzes-Änderung. Der Sohn beschließt eine Ungerechtigkeit auszuführen, weil -- sein Vater sie vor ihm beabsichtigte. Es ist häufig selbst von Anhängern Christina’s an der Echtheit jener angeblich im Archive gefundenen Documente gezweifelt; aber vorausgesetzt, daß Carl IV. wirklich im Jahre 1789 eine solche Absicht gehegt hätte, so that er doch nie einen Schritt zu ihrer weiteren Ausführung, wozu ihm während der neunzehn Jahre bis zu seiner Entsagung gewiß hinreichende Zeit gegeben war. Ferdinand ergriff jedoch begierig den von seinem Vater augenblicklich und nur zur Beförderung des persönlichen Interesses der Königinn Marie Louise aufgefaßten Gedanken, um sich so den Schein einer, freilich unendlich schwachen Rechtfertigung zu verschaffen und wenigstens die Schuld der Erfindung von sich zu schieben. Beachten wir nun das Gesetz in Bezug auf seine Gültigkeit lediglich als solches, so drängt sich zuerst die Bemerkung auf, wie so ganz alle äußeren Erfordernisse vernachlässigt wurden, ohne die doch das Gesetz als gar nicht gegeben muß angesehen werden. Spaniens Könige sind nie unumschränkt gewesen; ihre Macht war von jeher in mancher Hinsicht in ziemlich enge Schranken gezwängt, und vor Allem standen die Cortes und der Rath von Castilien als Wächter der alten Staats-Verfassung da: ohne ihre Zustimmung konnte kein Gesetz in Kraft treten. Wir sahen oben, daß Philipp V. allem der Verfassung nach Nothwendigen streng Genüge leistete, da er seine Thronfolge-Ordnung einführte. Falls also irgend einem seiner Nachkommen das Recht zustand, das von dem Stifter der Dynastie angeordnete Erbgesetz umzustoßen, mußte dieses doch mit eben den Förmlichkeiten und unter Beobachtung aller durch die Verfassung vorgeschriebenen Bedingungen geschehen, um als gültig ins Leben treten zu können. Ferdinand VII. erließ das Decret, durch welches er Philipp’s Grundgesetz vernichtete, ohne jene beiden höchsten Staatsgewalten zu Rathe zu ziehen, er nahm es eben so zurück und erklärte es dann nochmals für wirksam; die Cortes waren zu jener Zeit gar nicht versammelt, das Gutachten des Rathes von Castilien ward nicht eingefordert. Erst drei Jahre später, im April 1833 berief der König die Cortes, aber nicht um über das zu gebende Gesetz mit ihnen zu berathen, sondern um die Huldigung für die Thronerbinn entgegenzunehmen, die dann auch ohne Widerstand geleistet ward, da die Cortes vollkommen bearbeitet zu einem bloßen Werkzeuge der ehrsüchtigen Königinn sich herabwürdigten. Von Specialvollmachten, wie sie den Cortes von 1713 hatten ausgefertigt werden müssen, war natürlich gar nicht die Rede. -- So entsprach also das Gesetz, welches den Infanten Carl von der Nachfolge ausschließen sollte, in der Art, in der es gegeben wurde, gar nicht den Bedingungen, durch welche es der Verfassung gemäß Gültigkeit hätte erlangen können; es bleibt schon deshalb kraftlos und kann die Bestimmungen der früher und jenen Bedingungen entsprechend etablirten Thronfolge-Ordnung nicht aufheben. Noch mehr aber werden wir von der Ungültigkeit desselben überzeugt, wenn wir seinen Zweck erwägen. Wie durch Carls IV. Entwurf Marie Louise’s, ist durch diesen nur Christina’s persönliches Interesse berücksichtigt, ohne daß das Wohl des Staates im Geringsten beachtet wäre. Alle die Vortheile, welche Philipp V. so mächtig zu seiner Anordnung trieben, bleiben in den Hintergrund gedrängt, da es sich darum handelt, die eitele Herrschsucht eines Weibes zu befriedigen; und doch dauern alle diese Vortheile in eben der Kraft fort wie hundert Jahre früher, ja sie gewinnen immer mehr Bedeutung, wie Spanien mehr und mehr geschwächt und in eine abhängigere Stellung zurückgedrängt wird. Und wie suchte Ferdinand so unedlen Zweck zu erreichen? Indem er das von dem Gründer der Dynastie festgestellte Fundamental-Gesetz der Thronfolge aufhob, wozu doch die Souverainitäts-Rechte des Königs nicht befugen; indem er seinen Bruder der Rechte beraubte, die das Gesetz ihm sicherte, und die keine Macht auf Erden legitimer Weise antasten konnte. Das Recht vergeht nur mit der Sache, über die es gewährt ist, und keine Verfügung, wenn auch König und Cortes sie gegeben, kann Gültigkeit erlangen, sobald sie das Recht eines Dritten schmälert; es sei denn mit dessen Zustimmung oder weil er selbst verbrecherischer Weise des ihm Zustehenden sich unwürdig gemacht. Wohl suchten die Gegner Carls V., listig die Ereignisse der letzten zehn Jahre in Ferdinand’s Regierung benutzend, durch freche Verleumdungen solche Unwürdigkeit in ihm darzuthun, indem sie seine zügellose Herrschsucht als geheimen Hebel der ultra-royalistischen Aufstände hinstellten, die mehrfach die Monarchie beunruhigten. Welche Fehler man aber auch dem unglücklichen Fürsten beilegen möge, seine strenge Gewissenhaftigkeit und Loyalität konnten nie angetastet werden; auch ist er gegen so ungegründete Anschuldigungen von geistreichen und mit jenen Ereignissen vertrauten Männern auf eine Art vertheidigt worden, die fernere Worte darüber ganz unnütz macht. Dagegen behaupteten auch die Anhänger Christina’s, daß der Infant Don Carlos, da er nicht sofort gegen die Änderung des Grundgesetzes protestirte, stillschweigend seine Zustimmung gegeben und also seiner Rechte sich begeben habe. Ferdinand erließ nemlich sein Dekret im März 1830, der Infant protestirte am 29. April 1833, so wie einige Wochen später der König von Neapel, der als männlicher Nachkomme Philipps V. vor Ferdinand’s Tochter in der Reihefolge der Thronerben steht. Ganz abgesehen aber davon, daß damals die Prinzessinn noch nicht geboren war und der Infant daher im Falle der Geburt eines Prinzen durch eine voreilige Protestation lediglich den Unwillen seines königlichen Bruders veranlaßt hätte, bewogen ihn zu jener Zögerung zwei Gründe, die seinen Charakter in das ehrenvollste Licht stellen und die Grundlosigkeit jener Behauptung völlig klar machen. Vor Allem wollte er, ehe er irgend einen Schritt zur Sicherung seiner Rechte that, sich überzeugen, daß diese Rechte wirklich existirten. Er fragte deshalb nicht nur die ersten Rechts-Gelehrten der Monarchie um Rath, sondern consultirte auch die Universitäten von Spanien, Portugal und Italien, und erst als sie einstimmig erklärt, daß seine Ansprüche unumstößlich gerecht seien und Philipp’s Thronfolge-Ordnung durch seines Nachkommen Willen keinesweges aufgehoben sei, entschloß sich der Infant, seiner Pflicht gemäß, der Beraubung seines Rechtes kräftig sich zu widersetzen. -- Dann wußte er sehr wohl, daß das ursprüngliche Dekret Ferdinand’s der Verfassung des Staates gemäß gar nicht Gesetzes Kraft haben könne, da weder Cortes noch Rath von Castilien ihre Einwilligung erklärt; weshalb hätte er gegen ein Gesetz protestirt, welches gar nicht existirte? Als aber Ferdinand im April 1833 die Cortes berief, um durch deren Huldigung seine Anordnung zu heiligen, da erhob sich der Infant mit Festigkeit zur Vertheidigung seiner nun bedroheten Rechte: er erließ die Protestation am 29. April und zog sich nach Portugal zurück, ohne daß Ferdinand, schwach auch in der Ausführung des beschlossenen Unrechts, so feindselige Maßregel gehindert hätte. * * * * * Da also keine der Bedingungen Statt fand, die für die Gültigkeit der Veränderung des Grundgesetzes unerläßlich sind; da die neue Anordnung, staatsrechtlich wie moralisch beurtheilt, nicht Gesetzes Kraft haben kann; da das Recht der männlichen Nachkommen Philipps weder durch ihre Unwürdigkeit noch durch ihre Einstimmung aufgehoben ist: so bleibt Carl V. der rechtmäßige König von Spanien. Übrigens waren die Leiter Derer, die auf jener unglücklichen Halbinsel sich Liberale zu nennen wagen, da sie die Usurpation Christina’s begünstigten, weit entfernt, deren Tochter für die legitime Thronerbinn zu halten; so oft ich innerhalb und außerhalb Spanien mit solchen Männern in Berührung kam, bewunderte ich die Gewandtheit, mit der sie die Frage des Rechtes zu umgehen wußten. Diese Parthei, welche seit vielen Jahren durch ihre Umwälzungs-Pläne namenloses Elend ihrem Vaterlande bereitet, erkannte sehr wohl, daß sie nie hoffen dürfe, unter Carl V. ihre selbstsüchtigen Absichten ins Werk zu setzen. Die Denkungsweise dieses Fürsten war zu bekannt, als daß sie den Anarchisten die mindeste Aussicht gelassen hätte, der Herrschaft sich zu bemächtigen und so die reichen Schätze der Krone, die hohen Ämter und die Verfügung über die Ressourcen des schönen Landes an sich zu reißen. Die Regierung eines Kindes unter der Regentschaft eines schwachen Weibes versprach ihnen leichteren Erfolg. Sie erkannten, daß Christina ohne Unterstützung im Volke, ohne Hülfsquellen und Macht schnell genöthigt sein würde, sich ihnen in die Arme zu werfen, und edleren Gesinnungen ja ganz fremd, eilten sie, die ihren Zwecken so günstige Gelegenheit nicht aus den Händen zu lassen. Sie erhoben sich stürmisch für die Ansprüche Isabella’s gegen Ferdinand’s gefürchteten Bruder; mit leicht erheucheltem Enthusiasmus huldigten sie dem Kinde, welches unbewußt seines Onkels Rechte usurpirte, und -- entwanden den Händen der Königinn die Zügel der Regierung, zu schwer für die Kraft der ehrgeizigen Frau. Die Ereignisse haben hinlänglich gezeigt, wie richtig Spaniens sogenannte Liberale die Folgen ihrer Schritte berechnet hatten. Es wäre ungerecht, das Gute mit Stillschweigen zu übergehen, welches sie durch Abschaffung von einigen der zahllosen Mißbräuche hervorbrachten, unter denen Spanien dahinstirbt; aber eben so wenig darf übersehen werden, daß sie nur diejenigen angriffen, durch deren Zerstörung sie sich bereichern, ihre Macht mehren konnten: daher die Aufhebung der überreichen Klöster, deren Schätze größten Theils in das Ausland wanderten, die Zurücknahme vielfacher Privilegien und der Einzelnen ertheilten Monopole u. a. Wo dagegen solche Mißbräuche dem Interesse der Parthei fröhnten, da bestanden sie fort in ihrer schrecklichsten Gestalt oder tauchten gar ganz neu hervor; Bestechlichkeit, Erpressung, Unterschleif waren und sind an der Tagesordnung, jeder Zweig der Verwaltung liegt in der tiefsten Vernachlässigung danieder, Gerechtigkeit ist für Gold feil; Gold ersetzt alle Tugenden, alle Talente, Gold giebt Achtung, Ehre, Macht; der Mann wird nach der Gewandtheit geschätzt, mit der er die kurze Zeit, während der er ein Amt, eine Würde bekleidet, zur Erschöpfung jedes Weges der Bereicherung benutzt.[2] Die Zeit der Regentschaft Christina’s giebt ein entsetzliches Bild der Verworfenheit, zu der niedrige Selbstsucht den Menschen führt, des Elendes, welches sie hervorzurufen vermag. Während jene Männer ihr Vaterland mit Trauer und Jammer füllten, seiner edelsten Söhne, von Bruderhand gemordet oder in fremde Länder vertrieben, es beraubten, während sie Europa’s reichstes Königreich in einen mit Blut und Thränen getränkten Schutthaufen verwandelten, wußten sie, in raschem Wechsel die Leitung der Geschäfte sich abnehmend, ihre leeren Koffer mit dem Gewinne des verzweifelnden Ackerbauers und Bürgers, den Schätzen der ausgeplünderten Handelsstädte zu füllen. Sie zauderten nicht, um ihren Leidenschaften zu fröhnen, der Verachtung der Nationen, dem Fluche des im Todeskampfe zuckenden Vaterlandes, der Rache des ewig Gerechten zu trotzen. -- Und sie triumphiren! [1] In den offiziellen Erlassen der Madrider Regierung ward die Tochter Ferdinand’s gewöhnlich als „~nuestra innocente Reyna~“ bezeichnet. Diese Eigenschaft ihrer Königinn schien wohl den Christinos besonders merkwürdig. [2] Von allen den Anführern der verschiedenen Fraktionen, welche unter dem Namen Christina’s die Regierung inne hatten, ist wohl Martinez de la Rose der Einzige, der uneigennützig und nach seiner Überzeugung das Beste des Staates suchte. Wie Mendizabal, der Graf Toreno und alle die übrigen Minister, nach ihnen mit wenigen Ausnahmen die Militair- und Civil-Behörden bis zu den untersten Beamten nur Geld zu ihrer Losung machten, wie die Ersteren, in Dürftigkeit aus der Verbannung zurückgekehrt, bald in übermüthigem Luxus glänzten und Millionen im Auslande niederlegten, die sie dann zu verprassen eilten, bis die Umstände, neue Herrschaft, neuen Raub versprechend, sie nach dem Vaterlande zurückriefen; -- das wurde selbst von ihren Anhängern nicht geleugnet und -- -- natürlich gefunden. Armes Spanien! Übrigens brachte das System der Verwaltung diese Mißbräuche mit sich und mußte sie allgemein machen, da, so oft eine andere Parthei des Ruders sich bemächtigte, die der vorher herrschenden Angehörigen ihrer Stellen entlassen und mit ihren Familien zum Betteln verdammt wurden, wenn sie nicht in der fetten Zeit für die magere Vorrath gesammelt. II. Von Schleichhändlern geführt, in die einfache Kleidung eines baskischen Bauern gehüllt, durcheilte ich auf schmalen, kaum der Gebirgsziege wegsam scheinenden Fußsteigen die Felsen-Thäler der West-Pyrenäen. -- Der Pfad, bald hoch über grundlosem Abgrunde schwebend, bald in die Schluchten tief sich senkend, die der rauschend hinschäumenden Bergwassern malerisches Bett bilden, wand sich weit, stets die Punkte aufzusuchen, wo die Schroffe der aufgethürmten Felsmassen oder der von allen menschlichen Wesen gemiedene Wald das Auge des Forschers am unwahrscheinlichsten machte. Hoch über uns blitzten die Gewehre einer Patrouille, deren Blicken die sorgfältig benutzten Vorsprünge und Biegungen uns entzogen, dann schreckte uns der Lärm eines durch nahes Gebüsch entfliehenden Ebers; einzelne Bauern, von den militairisch mit Vor- und Nachtrab marschirenden Führern in mir unbekannter Sprache befragt, hatten befriedigende Nachrichten gegeben, und selten wurde der kleine Zug auf einige Minuten gehemmt. Da -- schon nicht fern von der Gränze -- ertönte wieder und wieder das gefürchtete „Halt!“ hinter uns, und da es den eiligen Lauf uns nur beschleunigen machte, bald auch das Feuern der französischen Douaniers, deren Kugeln uns jedoch nicht erreichten. Doch plötzlich standen die Führer bewegungslos. Neue, unausweichbare Gefahr befürchtend warf ich suchende Blicke nach allen Seiten, als des Guiden gebrochenes „~Eh bien, nous voici chez nous~“ mich in den Taumel der höchsten Freude versetzte: die letzte Barriere war ja überschritten, die dem so lange ersehnten, so oft ausgemalten Glücke noch hindernd im Wege gestanden. Bald lag Zugarramurdi, das nächste carlistische Dorf, vor uns. Die Behörden und die Officiere der dort stehenden zwei Compagnien empfingen den Ankömmling artig und suchten zuvorkommend alle Dienste zu leisten, welche meine gänzliche Unkenntniß der Sprache möglich machte, wobei einer der Officiere, des Französischen kundig, als Dolmetscher diente. Da sah ich die Braven, von deren Kriegesthaten ich so oft bewundernd gelesen, an deren Seite zu kämpfen jetzt höchste Ehre und Ziel alles Strebens mir war. Ihr Anblick mußte tiefen Eindruck auf mich machen. Das dunkelgebräunte Antlitz leuchtete ihnen vom Gefühle hohen Muthes und vom stolzen Bewußtsein der vollbrachten Thaten, während die Narben, welche ihre kühnen Züge noch mehr hervorhoben, das schönste Zeugniß der Gefahren und Leiden bildeten, denen für König und Vaterland sie willig sich ausgesetzt. Meine Bewunderung stieg, da ich den Zustand wahrnahm, in dem diese Helden so viele Siege erfochten, so oft der Feinde dräuende Heerhaufen durchbrochen und vernichtet hatten. Kaum deckten die Überbleibsel eines hellblauen Rockes die kräftigen Glieder, während Viele fast barfuß die Felsenwege hineilten oder höchstens durch schwache Hanfsandalen[3] ihre Füße schützten. Ein scharlachfarbiges oder weißes Basken-Barett (~la voyna~) deckte das Haupt, der Hals war frei oder von einem seidenen Tuche umschlungen; die Bewaffnung bestand nur aus dem Tod sendenden Gewehre mit um den Leib geschnallter schwarzer Patrontasche, an der das Bajonett, oft ohne Scheide hinabhing. Alles war auf die höchste Leichtigkeit und Beweglichkeit berechnet: statt des Tornisters trugen sie einen leinenen Beutel auf dem Rücken, der nur ein Hemd, ein Paar Sandalen und die Lebensmittel enthielt. An preußische Organisation, die elegante Einfachheit der preußischen Armee gewöhnt, mußte mich im ersten Augenblicke der Anblick dieser Krieger unangenehm choquiren. Doch schnell bedachte ich, wie unendlich höher das Verdienst der Männer zu stellen ist, die unter solchen Umständen nicht verzagten; die, an so vielem sonst für unerläßlich gehaltenen Mangel leidend, muthig, wenige Hunderte anfangs, gegen die von allen Seiten zu ihrer Erdrückung heraneilenden Colonnen sich erhoben, Jahre lang den ungleichen Kampf bestanden, die feindlichen Massen oft schlugen und aufrieben, bis sie, von ihren Gebirgsvesten herabbrechend, durch alle Provinzen Spaniens bis zu Gibraltar’s Felsen und an die Thore von Madrid den Schrecken ihrer Waffen verbreiteten und die Usurpatorinn auf dem in seinen Grundlagen erschütterten Throne zittern machten. * * * * * Ferdinand VII., für den sein Volk unermeßliche Ströme edlen Blutes vergossen, unter dem Spanien, ein Schatten Dessen, was es einst war und noch sein könnte, von Stufe zu Stufe sinkend sich nur von dem mit politischen Umwälzungen unzertrennbaren Elend erhob, um in neuen, wo möglich, noch schmerzlicheren Jammer zurückgestürzt zu werden; -- Ferdinand starb am 29. September 1833 und überließ sein Reich allen Schrecken eines Bürgerkrieges, den er durch Schwäche hervorgerufen, dessen furchtbare Folgen er voraussehen mußte, ohne den Muth zu ihrer Abwendung zu haben. Die Königinn Wittwe Maria Christina nahm sofort von dem Throne im Namen der unmündigen Infantin Isabella Besitz. Doch kaum ward die Nachricht von dem Tode des Königs in den Provinzen bekannt, als allenthalben muthige Männer sich erhoben, die Rechte des legitimen Thronerben proclamirend und bereit, den letzten Blutstropfen in der Bekämpfung der Revolution zu opfern. Der greise Pfarrer Merino, wegen seiner im Unabhängigkeitskampfe gegen Napoleon vollbrachten Thaten vielleicht zu sehr gerühmt, sah sich in Alt-Castilien schnell an der Spitze von mehr denn 20000 M., alle als ~voluntarios realistas~[4] vollkommen bewaffnet, alle freiwillig für ihren Herrscher aufgestanden; in den übrigen Theilen des Königreiches fanden ähnliche Bewegungen, wiewohl in kleinerem Maßstabe, Statt. Ein entscheidender Schlag hätte Alles enden mögen. Aber schon trat der Mangel an Einheit, Einigkeit und daher an Energie hervor, der in einer späteren Epoche so schmerzliche Folgen bereiten sollte. Merino, nach Alava gezogen, ließ sich in Streitigkeiten über die Verpflegung seiner Castilianer mit den Anführern in jener Provinz ein, die da behaupteten, eine jede Provinz müsse ihre Truppen unterhalten, und den Castilianer deshalb auf Castilien verwiesen. Mangel riß ein; Merino, anstatt fest auf die Hauptstadt zu marschiren, zauderte fort: der größte Theil seiner Truppen, seit vielen Tagen ohne Lebensmittel, zerstreute sich. Christina aber zitterte. Sie fühlte dem Sturme sich nicht gewachsen, den ihr Ehrgeiz hervorgerufen, und eilte, dem Fürsten, dessen Platz sie usurpirt, Vorschläge zu machen. Carl V., damals in Portugal, nahm sie mit der Verachtung auf, die allein ihnen passende Antwort war: er kannte sein Recht und fühlte die Pflicht, +ganz+ es zu behaupten. Da schon zeigte sich, wie wenig die Anführer der Parthei, die liberal will genannt sein, sich scheuten, zu den entehrendsten Maßregeln ihre Zuflucht zu nehmen, wenn sie so dem Ziele ohne Gefahr sich zu nähern hofften. Sie übersandten dem schon geschwächten, aber dennoch gefürchteten Merino eine Ordre, mit der verfälschten Unterschrift Carls V. versehen, durch die ihm geboten ward, den Rest seiner Truppen, da Kampf nun hoffnungslos, zu entlassen. Der treuherzige Greis, unfähig, solche Niedrigkeit zu ahnen, vollführte mit Schmerz seines Königs Befehle. Die Anhänger Christina’s triumphirten und benutzten den günstigen Augenblick zur erbarmungslosen Rache. In allen Städten, im ganzen Königreiche wurde dem Beispiele der Residenz gemäß unermüdlich gearbeitet, den überall drohenden Aufstand in Blut zu ersticken, auf den Leichen der Loyalen sollte die Herrschaft der Usurpation sich befestigen. Die Kerker wurden bald überfüllt durch die Unglücklichen, welche in stets erneuten Haufen den Hauptstädten zugeschleppt wurden, die gewöhnlichen Tribunale reichten nicht mehr hin, um so viele Unschuldige zu verdammen. Militair-Commissionen wurden allenthalben niedergesetzt, in ihrem Gefolge erhoben sich Schaffotte, bis, da auch sie zu langsam ihr grausiges Werk vollbrachten, das kriegerische Erschießen praktischer gefunden wurde. Ein unvorsichtiges Wort, eine Klage, bloßer Verdacht reichten hin, um Trauer und gränzenloses Elend den Familien zu bringen; Privathaß und Selbstsucht waren thätig, die Zahl der Opfer jedes Alters, jedes Geschlechtes zu mehren; ganz Spanien lag in stummer, wehrloser Verzweiflung, aller Derer beraubt, auf deren Talente und Edelsinn es seine Hoffnungen gebaut hatte. Noch schien Rettung nicht unmöglich. In den baskischen Provinzen und dem Königreiche Navarra, diesem begünstigten Theile der Monarchie, hatte lange schon dumpfe Unzufriedenheit gegährt, durch die Besorgnisse hervorgerufen, welche das Betragen der Regierung für die unschätzbaren ~fueros~ der vier Provinzen rege machte. Während Ferdinand’s Herrschaft waren diese Privilegien unangetastet geblieben, weil das Königreich sich stets in solchem Zustande der Verwirrung und Schwäche befand, daß es Tollheit gewesen wäre, durch Gewalt solche Maßregel durchzusetzen. Aber sehr wohl wußten die Basken, daß trotz dem diese Frage mehrfach zur Sprache gekommen; ja in der letzten Zeit waren wirklich Truppen an ihrer Gränze zusammengezogen. Sie erinnerten sich, wie heilig diese auf Verträge gegründeten Rechte seien, sie erkannten, welche Macht die Lage und die Eigenschaften ihres Gebietes ihnen giebt; sie gedachten auch, wie der Infant Don Carlos im Gefühle der Gerechtigkeit stets für sie gesprochen, wie einst die schon beschlossene Aufhebung der Privilegien nur durch seinen Einfluß rückgängig gemacht wurde. Das brave Gebirgsvölkchen, dafür dankbar, zauderte nicht. Sofort nach Ferdinand’s Tode erhoben sich kleine Schaaren, Carl V. als König von Spanien, Herren von Vizcaya proclamirend; am 3. und 4. October brach der Aufstand in Bilbao aus, worauf die Stadt durch von San Sebastian entsendete Truppen besetzt wurde, in Vitoria erhob sich das Volk am 7. October. Doch auch hier ward der erste Versuch blutig niedergeschlagen. Sarsfield, zum General en Chef ernannt, durchzog das Land und erschoß wie viele Basken, bewaffnet oder unbewaffnet, in seine Hände fielen, selbst Weiber und Kinder wurden niedergemetzelt, die Wohnungen verbrannt, alles Werthvolle geplündert, vernichtet. Seine Untergebenen übertrafen ihn an Grausamkeit. Lorenzo ließ den edlen Don Santos Ladron, der, ausgezeichnet als General, als Bürger und als Mensch, an die Spitze des Aufstandes sich gestellt, im Graben von Pamplona rücklings erschießen, da er durch Verrath ihn gefangen genommen. Achthundert Mann hatte dieser General vereinigt, wiewohl zum Theil noch nicht bewaffnet; sie zerstreuten sich auf die Kunde von dem Tode ihres Chefs, die Wiederherstellung der Ruhe schien leicht. -- Lorenzo ward zum Vicekönig von Navarra erhoben zum Lohne seiner blutigen That. Die Christinos behandelten das Land wie erobert: die Privilegien wurden nicht länger beachtet, Truppen besetzten die wichtigsten Stellungen und befestigten die Städte. Dazu wurden Brandschatzungen erhoben, Arretirungen auf den leisesten Verdacht der Unzufriedenheit hin vorgenommen, und Hinrichtungen fanden täglich in jedem Theile des Landes Statt. Das vermochte der Basken Freiheitssinn nicht zu tragen. In Masse erhoben sie sich gegen die Unterdrücker, welche nur in den festen Plätzen augenblicklich sichere Zuflucht fanden, einmüthig unterzogen sie sich, ein erhabenes Vorbild, für die Vertheidigung ihres Königs und ihres Vaterlandes der Gefahr und allen den Leiden des Kampfes gegen die zehnfach überlegene Macht des trotzigen Feindes. Doch wie willig das Ländchen seine Hülfsquellen den eigenen Söhnen öffnete, es fehlte ihnen an Waffen, an Munition, an einem Führer vor Allem. -- Jene entrissen sie den Gegnern selbst; kleine Siege, die sie anfangs über einzelne Detachements davon trugen, gaben mit dem Vertrauen die Mittel zur Bekämpfung auch der mächtigeren Corps. Und der Führer .... Wer kennt nicht den Helden, der aus ungeübten, wehrlosen Bauern ein Heer schuf, der an der Spitze seiner kühnen Landsleute die ersten Feldherren der Monarchie schlug, ihre geübten Armeen vernichtete und die Trabanten der Usurpation lehrte, was die kleine Schaar vermag, wenn das Gefühl des Rechtes im Kampfe sie beseelt! Europa hat mit Bewunderung Zumalacarregui’s Namen wiederholt. * * * * * Es ist nicht meine Absicht, eine Geschichte der Thaten jenes Feldherrn zu geben, die Materialien dazu würden mir fehlen, es sei denn, daß ich zum Abschreiber oder Compilator mich herabwürdigen wollte. Doch wird es zweckmäßig sein, eine gedrängte Übersicht der Ereignisse hinzustellen, wie sie bis zu meiner Ankunft in den baskischen Provinzen Statt fanden. Don Thomas Zumalacarregui diente in der Armee Ferdinand’s als Oberst und Commandeur eines leichten Regimentes; sein Commando war ihm, der nie seine politische Meinung verbarg, genommen, und Christina sendete ihn als Staatsgefangenen nach Pamplona. Bald gelang es ihm zu entkommen, nicht, wie die liberalen Blätter oft behaupteten, durch Verletzung des gegebenen Ehrenwortes; er opferte die Caution, gegen die es ihm gestattet war, in der Festung anstatt in der Citadelle zu leben. Baske wurde er von den Basken mit Jubel empfangen, und schnell stellten ihn seine Talente an die Spitze seiner Landsleute. Da entwickelte er mit eben so viel Scharfsinn als Thätigkeit das Kriegessystem, dessen standhafte Durchführung ihn befähigte, den erprobten Generalen Spaniens siegreich zu widerstehen, die doch gegen seine Bauern ihre altgedienten Soldaten heranführten. Die Configuration des Landes, bewundernswürdig benutzt, und genaue Kenntniß der Örtlichkeiten begünstigten ihn in so ungleichem Kampfe gleichwie die Neigung der Einwohner, welche Gut und Leben aufs Spiel setzten, um den Kriegern, die ja für sie stritten, unter denen sie die ihnen Theuren wußten, den Erfolg zu erleichtern, Nachrichten ihnen zukommen zu lassen und hauptsächlich vor Mangel sie zu sichern, so oft sie in den wilden Schluchten der Gebirge Zuflucht zu suchen genöthigt waren. Sarsfield, Valdes, Quesada an der Spitze der Armee -- so viele andere Chefs unter ihnen -- scheiterten in dem Versuche, den stets wachsenden Aufstand zu unterdrücken. Zumalacarregui, immer treue Bataillone bildend und mit außerordentlicher Schnelle sie organisirend, vermied die stärkeren Corps oder erwartete sie in Stellungen, welche ihre Übermacht unnütz machten; er griff die kleinen an und vernichtete sie; er flog von einem Theile des Kriegsschauplatzes zum andern, auf die verschiedenen Abtheilungen sich zu werfen, wenn sie am wenigsten den Angriff erwarten konnten. Jeder Tag brachte neue Triumphe, jeder Tag mehrte mit den Verlusten den Schrecken des Feindes. Seine Siege gaben dem General die Mittel zur Bewaffnung neuer Corps, wie sie das Vertrauen seiner Landsleute zu anbetender Begeisterung hoben, die kaum mehr steigen konnte, als im Juli 1834 Carl V. selbst, von England unerwartet abgereiset, in den Provinzen anlangte. Doch hatten die feindlichen Truppen noch alle wichtigeren Punkte, alle Städte besetzt und größtentheils befestigt, ihre Colonnen durchzogen das ganze Land, die Garnisonen erneuernd, verproviantirend und schützend. Zumalacarregui war auf seine Gebirge -- das Land im Allgemeinen -- beschränkt, und selten noch gelang es ihm, irgend eines Forts sich zu bemächtigen: seine Angriffsmittel waren zu klein, als daß sie raschen Erfolg möglich gemacht hätten, und die christinoschen Divisionen eilten herbei, die kaum begonnene Belagerung aufzuheben. Lange Zeit besaßen die Carlisten nur ein Geschütz, ~el abuelo~ -- der Großvater -- genannt, welches viele Jahre vergraben gewesen war. Dann verstärkten sie nach und nach ihre Artillerie durch Kanonen, die in den Seehäfen halb in die Erde gegraben zum Anbinden der Schiffe gedient, und durch einige Stücke, welche seit Mina’s Zeiten in den Klüften verborgen gewesen. Solche waren die Mittel, mit denen die Basken den Kampf gegen die Macht der Monarchie begannen; erst nach Jahren konnten sie die Fabriken und Werkstätten jeder Art etabliren, die ihnen dann alles Material lieferten, ohne welches der Krieg sonst unmöglich scheint. Kaum war Don Carlos in den Provinzen[5] angekommen, als General Marquis Rodil, der so eben von Portugal mit der Armee, welche gegen Don Miguel operirt hatte, als Oberbefehlshaber gesendet war, jene fantastische Verfolgung begann, die ohne irgend ein günstiges Resultat für die Christinos so sehr zu der Schwächung ihrer militairischen Operationen beitrug. In dieser Verfolgung zeichnete sich Carl V. durch die Größe und Festigkeit in Ertragung des Härtesten aus, die die Bewunderung der Seinen, die Achtung auch seiner empörten Unterthanen ihm erwarben. Nur von einigen Hunderten, der ausgesuchtesten Mannschaft, unter des treuen Eraso Führung begleitet, irrte der König Monate lang durch die wilden Gebirgszüge der Pyrenäen, verfolgt, umringt von vier und fünf Colonnen, die nur diesem Zwecke bestimmt waren. Da duldete der König alle die Entbehrungen und Drangsale, die in solchem Maße sonst kaum dem Soldaten in den unglücklichsten Verhältnissen zu Theil werden. Viele Meilen weit klimmte er, auf den Arm eines Begleiters gestützt, über die Felsen und Abgründe, wo Pferd und Maulthier dem gefährlichen Marsche nicht länger zu folgen vermochten; weder Sturm noch Kälte noch oft der Fuß hohe Schnee konnten als Vorwand dienen zu augenblicklicher Ruhe, denn der die Beute erlauernde Feind war stets auf den Fersen. Wie oft forderte der Monarch ein Stück Brod vom bewährten Diener, der mit Thränen im Auge schweigend die Stärkung versagte, da Alles aufgezehrt; wie oft diente der rauhe Felsen, gefrorener Schnee ihm zum Lager, auf dem er, in die Decke eines seiner Soldaten gehüllt, erschöpft den erquickenden Schlaf suchte! -- Carl V. bewährte, daß er, wenn nicht energisch genug, um der Intrigue und dem Verrath der Seinen fest sich entgegenzustellen, mit immer gleicher Seelengröße über persönliche Leiden erhaben ist. -- Und die Vorsehung war mit ihm. Wie durch Wunder entging er allen Listen, allen Schlingen der schlausten Führer des Feindes, der oft nur um Minuten sein Opfer verfehlte. Während aber die Hauptmacht der Christinos in der Verfolgung eines Schattenbildes, welches sie nie erreichen sollte, Zeit und Kraft vergeudete, benutzte Zumalacarregui trefflich die Muße, welche sie ihm gönnte. Schon wenige Tage nach der Ankunft Sr. Majestät -- am 21. Juli und 1. August 1834 -- hatte er rühmliche Gefechte bestanden; dann nahm er mehrere feste Punkte, rieb feindliche Abtheilungen auf und machte selbst wiederholt Einfälle in Castilien, um Waffen vor Allem und sonstige Kriegsbedürfnisse sich zu verschaffen. Er durchzog die fruchtbare Rioja zu beiden Seiten des Ebro, schob sich kühn und gewandt zwischen die Colonnen der Generale O’Doyle und Osma, die combinirt bei der Rückkehr ihn auffangen wollten, und vernichtete sie ganz in den beiden Actionen des 27. und 28. October zwischen Vitoria und Salvatierra. Der gefangene O’Doyle ward erschossen, da die Feinde fortwährend der Carlisten Aufforderung, gegenseitig Pardon zu geben, zurückgewiesen. -- Am Ende des Jahres 1834 zählte Zumalacarregui achtzehn Bataillone unter seinem Commando. Rodil, am Erfolge verzweifelnd, hatte den Oberbefehl der christinoschen Armee niedergelegt; Mina war an seiner Stelle ernannt worden. Seine herrlichen Kriegsthaten im Unabhängigkeitskriege sind bekannt; das Theater, auf dem er nun zu wirken bestimmt wurde, war dasselbe, welches damals seinen Unternehmungen so günstig sich bewiesen. Bald aber erfuhr er, wie verschieden sein jetziger Auftrag von der Aufgabe war, der er sich einst freiwillig mit so glänzendem Erfolge unterzogen. Dazu war er kränklich und häufig gehindert, selbst die Operationen zu leiten. Seine untergeordneten Generale erlitten wiederholte und sehr bedeutende Niederlagen, die Lage der Dinge wurde täglich mißlicher, Zumalacarregui nahm mit seiner einen Kanone mehrere Forts -- so das wichtige ~los Arcos~ -- unter Mina’s Augen. Nachdem der alte Guerrilla-Chef seine Wuth in nutzlosen Grausamkeiten gegen Landleute und Weiber, wie in Niedermetzelung der wenigen Gefangenen geäußert, die ihm in die Hände gefallen, entsagte auch er mißmüthig dem Commando, welches er unter so großen Hoffnungen seiner Parthei auf sich genommen. Valdes, zugleich Kriegsminister, erhielt nochmals den Heerbefehl: die Vereinigung der beiden Gewalten in eine Hand sollte den Operationen ganz besonderen Schwung geben. In der That brach der neue General im April 1835 mit zwei und vierzig Bataillonen nach dem Innern der Provinzen auf; nie vorher war eine so starke Macht auf einem Punkte disponibel gewesen, aber auch nie war die Noth so dringend. Einige der festen Städte Vizcaya’s und Guipuzcoa’s waren gefallen, andere wurden hart bedrängt und mußten unmittelbar entsetzt werden, da die Colonnen in der letzten Zeit nicht mehr bis zu ihnen hatten durchdringen und die nöthigen Bedürfnisse ihnen bringen können. So wie Valdes Miene machte vorzudringen, eilte Zumalacarregui herbei und begleitete beobachtend seinen Zug; in einer günstigen Stellung im Gebirge, wenige Meilen von Estella entfernt, stellte er den Christinos sich entgegen und griff sie trotz ihrer unendlichen Überlegenheit an. Zwei Divisionen wurden geworfen und gesprengt, doch die Cordova’s leisteten kräftigen Widerstand; der carlistische Feldherr brach den Kampf ab, die Feinde aber, schon entmuthigt und für jetzt ihren Plan aufgebend, traten den Rückzug an. Da, als schon die Nacht angebrochen, warf sich Zumalacarregui von Neuem auf die feindliche Armee, panischer Schrecken ergriff sie, Verwirrung riß ein, wie nie zuvor, Jedermann glaubte den Feind zu sehen und schoß auf Jedermann, die Divisionen alle flohen in wildester Unordnung auf Estella, Waffen, Gepäck und Czakos fortwerfend, um leichter zu fliehen. Erst nach mehrern Tagen konnten die Aufgelöseten wieder einigermaßen geordnet werden. Bald ward Espartero, der von Bilbao aus auf der Heerstraße vordrang, um das belagerte Villafranca zu entsetzen, eben so vollständig auf den Höhen von Segura geschlagen, Iriarte nahe Bilbao geworfen. Valdes erkannte die Unmöglichkeit, die festen Punkte im Innern der Provinzen länger zu halten. Er ließ die noch nicht genommenen räumen und begnügte sich, die Ebrolinie und die Forts der Seeküste zu behaupten, so daß die Carlisten nun ganz Vizcaya und Guipuzcoa mit Ausnahme der Hafenstädte, die Hälfte von Navarra und Alava, wo Vitoria den Feinden blieb, in ihrer Gewalt sahen. So lange die Entscheidung des Krieges den Waffen überlassen blieb, behaupteten sie dieses ihr Gebiet gegen alle Anstrengungen der Christinos. Das liberalisirte Spanien erhob seine Stimme gegen Valdes, da es so Viel ihn aufgeben und durch den Rückzug hinter den Ebro seine Schwäche ihn eingestehen sah; er ward selbst als Verräther bezeichnet und bald genöthigt abzutreten. Doch war während seines Oberbefehls noch eine wichtige Veränderung geschehen. Der Krieg war bis dahin ein Kampf auf Leben oder Tod gewesen, und wenn ja ein Mal Gefangene gemacht und erhalten waren, so war dieses nur der Großmuth des carlistischen Feldherrn zuzuschreiben, der umsonst wiederholt gegenseitige Schonung beantragt hatte. Die Christinos hatten in jener Zeit so selten Gelegenheit, praktisch ihre Gesinnungen zu zeigen, daß man nicht wissen kann, ob sie sonst nicht auch solcher fortwährenden Schlächtereien müde geworden wären. So wie die Sachen standen, ließen sie nie den wenigen Gefangenen, die sie machen konnten, Gnade angedeihen, erhoben aber jedes Mal ein gewaltiges Zetergeschrei, wenn, diese Ausschweifungen so wie die Excesse der empörendsten Art gegen die Bevölkerung zu rächen und zu zügeln, auch die Carlisten zu Gewalt-Maßregeln schritten. Diese wechselseitigen Grausamkeiten mußten Europa’s Aufmerksamkeit und Abscheu erwecken. Lord Elliot, vom Tory-Ministerium deshalb entsendet, brachte nach einigem Unterhandeln eine Übereinkunft zwischen den Führern der beiden Armeen zu Stande, nach welcher die Gefangenen als solche behandelt und ausgewechselt, so wie überhaupt die unter civilisirten Völkern herrschenden Kriegesgebräuche auch auf diesen Bürgerkrieg ausgedehnt werden sollten. -- Jedoch nur in den Heeren, die Navarra und den baskischen Provinzen angehörten! -- Die Anträge Zumalacarregui’s, diesen Vertrag auf ganz Spanien auszudehnen, wiesen die Verkünder „der Aufklärung und zeitgemäßer Ideen“ entschieden zurück. * * * * * Die respektive Lage der Armeen war ganz geändert. Bisher hatten die Christinos noch immer die Meister der baskischen Provinzen sich nennen dürfen, da sie ihnen stets offen und die Hauptpunkte derselben von ihren Truppen besetzt waren; sie bemühten sich den Aufstand der Bergbewohner zu unterdrücken. Die Carlisten dagegen bildeten ein wanderndes Heer, welches ohne weitere Stützpunkte, als die das Terrain ihm bot, in den Provinzen umherzog und dem Feinde so viel Schaden that wie möglich, ohne für sich mehr Vortheile zu erlangen, als welche es mittelbar und für die Zukunft durch der Feinde Schwächung hoffen durfte. -- Nun war jenes Gebiet den Christinos geschlossen; die Royalisten setzten in ihm sich fest wie in dem Kerne ihres Reiches, während das Hauptstreben der Revolutions-Armee auf lange Zeit sich beschränkte, die Ausdehnung des Aufstandes nach den andern Theilen des Königreichs zu verhindern. Lange schon hatte Bilbao, reich durch Handel, wichtig als Seehafen, die Aufmerksamkeit der Carlisten auf sich gezogen. Zumalacarregui, dem schon ein leichter Versuch, der Stadt sich zu bemächtigen, fehlgeschlagen, wandte plötzlich mit seiner Hauptmacht (er commandirte schon dreißig Bataillone) sich nach Vizcaya und betrieb sofort die Belagerung mit höchstem Nachdruck. Das feindliche Heer war durch die unaufhörlichen Niederlagen und Verluste so geschwächt, es war vor Allem so ganz demoralisirt, daß jeder Versuch zum Entsatz zurückgewiesen wurde: die Stadt, erst während des Krieges befestigt, war auf dem Punkte, sich zu ergeben. Da traf der herbste Schlag die carlistische Armee, der mehr als verlorene Schlachten Verderben ihr brachte. Ihr großer Feldherr ward am 16. Juni 1835 in seinem Logis von einer Flintenkugel leicht im Beine verwundet und starb bald. -- Das Volk schrie über Vergiftung durch bestochene Wundärzte. Wahrscheinlicher ist, daß die ruhelose, energische Heftigkeit, welche den General charakterisirte, durch Entzündung des Blutes die Wunde tödtlich gemacht. -- Der König ehrte das Andenken des ruhmvoll Hingeschiedenen, indem er den Titel eines Herzogs des Sieges in der Familie erblich machte. Die nächsten Folgen schon waren furchtbar. Die Sieges-Laufbahn, welcher die Armee ununterbrochen gefolgt und die unter Zumalacarregui’s Leitung zu rascher Beendigung des Krieges sie führte, wurde gehemmt, Muthlosigkeit ergriff die Truppen, da sie den angebeteten Führer nicht mehr an ihrer Spitze sahen: es gelang Cordova, der so eben an Valdes Stelle den Oberbefehl übernommen, das bedrohete Bilbao zu entsetzen. * * * * * Dem greisen Moreno ward das Commando des verwaiseten Heeres anvertraut, der ein lange gedienter und erfahrener General, wenn er Zumalacarregui nicht ersetzen konnte, gewiß der Würdigste war, ihm zu folgen, da der edle Eraso, schon dem Tode nahe, den Befehl abgelehnt. Doch wie geeignet Moreno zur Vollendung des hohen Werkes sein mochte, welches sein Vorgänger so gewandt wie glücklich durchgeführt, sein Commando begann mit Unglück, dem höchsten Verbrechen in solchem Kriege. Genöthigt, Bilbao aufzugeben, eilte er auf dem kürzesten Wege nach dem entgegengesetzten Theile des Kriegstheaters und warf sich auf das feste Puente la Reyna, dessen Wegnahme den Eintritt in das christinosche Navarra und Aragon ihm sichern sollte. Cordova flog zur Hülfe der bedrängten Veste; die Schlacht bei Mendigorria wurde geschlagen. Übermacht trug über die Tapferkeit den Sieg davon, und wohl hätte dieser Tag von unheilvollstem Einflusse für die Sache des Königs sein mögen, wenn der feindliche Feldherr den Vortheil zu benutzen gewußt hätte, den ein Zufall ihm in die Hände gespielt. Doch der Sieg war noch den Christinos zu neu; sie geriethen in Unordnung, wagten nicht, die Geschlagenen zu verfolgen und ließen ihnen Zeit, um sich sammeln und den Siegern die Früchte ihres Glückes entreißen zu können. Doch war Puente la Reyna gerettet, und die christinosche Armee hatte erkannt, daß ihre Gegner nicht unbesiegbar waren, sie wagte wiederum Vertrauen in sich selbst zu setzen und dem panischen Schrecken zu widerstehen, der sonst bei dem Anblicke der gefürchteten Bergbewohner sie ergriffen. Die Cavallerie aber der Christinos datirte von jenem Tage das Übergewicht, welches sie unleugbar seitdem über die Carlistische der Nordprovinzen behauptete. Cordova stand also an der Spitze der constitutionellen Armee. Ganz ohne Grundsätze oder Festigkeit des Charakters hatte er bald Royalist, bald liberal sich gezeigt, heute den Gemäßigten gehorsam, morgen fest der exaltirten Parthei sich anschließend; und bei Ferdinand’s Tode zwischen Carl V. und der Königinn Wittwe schwankend würde er nun zum eifrigen Republikaner werden, wenn er den Sieg der Republik für nahe halten, sich durch sie gehoben hoffen sollte. Ehrgeiz, ungemessene Ehrsucht ist seine herrschende Leidenschaft. Reißend schnell stieg er zu den höchsten Graden im Heere, ohne je im Kriegsdienste sich ausgezeichnet zu haben: er war bis zum Bürgerkriege stets als Diplomat beschäftigt gewesen, und als solcher, kaum ein Dreißiger, General geworden. Aber er hatte sich im Jahre 1823 eifrig absolutistisch gezeigt, er war feiner Hofmann, gewandt in der Intrigue und +bei den Frauen+ beliebt; seine Talente, wenn auch nicht als Militair, sind hoch. In den Nordprovinzen zeigte er persönliche Bravour und in verwickelten Lagen viele Besonnenheit[6]. Cordova erkannte bald, daß er nicht hoffen dürfe, durch Befolgung des bisherigen Systems endlichen Sieg über die Carlisten zu erringen, daß im Gegentheil dadurch sein Heer dahinschwinden und seine numerische Überlegenheit endlich ganz verlieren müsse, da selbst die einzelnen Siege, die es davon trug, es schwächten, ohne entsprechende Vortheile herbeizuführen. Er adoptirte daher eine andere Methode. Die Carlisten sollten in dem Gebiete, welches sie inne hatten, blockirt, jede Zufuhr ihnen abgeschnitten und sie so, ganz auf sich reducirt, durch Mangel zur Unterwerfung gezwungen werden. Er umringte zu diesem Zwecke die Provinzen mit den sogenannten Linien -- festen Plätzen, die von Distance zu Distance und aus jedem strategisch wichtigen Punkte errichtet, seinen Truppen als Stützpunkt dienen, dem Feinde, soutenirt wie sie waren durch mobile Colonnen, das Ausbreiten seiner Herrschaft über ihre jetzigen Gränzen hinaus erschweren und ihn hindern sollten, über sie hinaus in die fruchtbaren Niederungen Streifzüge wie bisher zu unternehmen. Diese Linien erstreckten sich von der Gränze Frankreichs nach Pamplona (Linie von Zubiri), längs der Arga zum Ebro und diesem Strome entlang nach Alava; von dort sollte sie durch das Gebirge bis an das Meer fortgesetzt werden, doch gelang es den Christinos nie, diesen Theil des Werkes ganz zu vollenden, da die Befestigungen, welche sie wiederholt in Valmaseda und andern Punkten versuchten, stets wieder zerstört wurden. Dann besaßen sie alle Hafenpunkte bis San Sebastian, von wo eine Linie durch das Bastan-Thal zur Vereinigung mit der von Zubiri auf spätere Zeiten projektirt wurde, die dann die Umschließung vollendet hätte. In der That war Cordovas Plan gut berechnet. Verstümmelt und unvollendet, wie er in der Ausführung noch war, brachte er doch die Regierung Carls V. in große Verlegenheit, da während einiger Zeit die Zufuhr aus Frankreich durch strenge Verbote fast ganz unterbrochen war. Als der Plan aber gerade durch Theurung und in ihrer Folge entstehende Unzufriedenheit seine Wirkungen zu äußern begann, ward Louis Philipp oder sein Minister vermocht, jene Prohibitiv-Maßregeln zurückzunehmen, so daß die Carlisten dem Mangel an Lebensmitteln immer aus jenem Königreiche abhelfen konnten. Während Cordova mit der Ausführung seines Lieblings-Projekts beschäftigt war und deshalb von Pamplona nach Vitoria und zurück hin und herzog, allenthalben die zu errichtenden Werke zu dirigiren und gegen den Andrang des Feindes zu decken -- waren neue Massen hinzugekommen, das treue Bergvölkchen zu bekriegen und die verhaßte Herrschaft der Tochter Ferdinand’s ihm aufzudringen. Schon am 22. April 1834 hatten England, Frankreich und Portugal mit der revolutionairen Regierung Spaniens den Quadrupel-Vertrag abgeschlossen, durch den jene Nationen sich verbindlich gemacht, nöthigen Falls Isabella zu unterstützen. Die Christinos hatten dringend diese Hülfe reclamirt, ohne die sie nicht länger dem wachsenden Strome sich widersetzen zu können glaubten. Louis Philipp sendete daher die französische Fremden-Legion, welche acht Bataillone und einige Escadronen stark bisher die Araber bekämpft, von Algier nach Catalonien, von wo sie langsam nach Navarra sich in Marsch setzte. Sie zeichnete sich aus durch die nordische Bravour, der der Spanier nie staunende Bewunderung versagen kann. -- Zugleich hatte Oberstlieutenant de Lacy Evans die Erlaubniß des britischen Ministeriums erlangt, um in den vereinigten Königreichen ein Hülfscorps anzuwerben, welches auch, da Versprechungen nicht gespart wurden, rasch errichtet war. Die Leute bestanden aus dem Abschaum des Pöbels der drei Königreiche; die Officiere dagegen, unter denen Viele der englischen Armee angehörten, verdienten desto mehr Auszeichnung, daß sie mit solchem Stoffe so viel leisten konnten. Evans, der mit den Ergänzungen, die nach und nach von England anlangten, etwa 16000 Mann nach Spanien führte, landete mit seinem noch undisciplinirten Haufen in San Sebastian, von wo er, bei einer Recognoscirung gegen Hernani von General Gomez zurückgewiesen, nach Bilbao aufbrach, welches wiederum bedroht war. Nach dessen Entsetzung zog er langsam nach Vitoria, wo die Legion während des Winters größtentheils unthätig blieb, mit ihrer Organisation beschäftigt. Krankheiten rissen ein, durch die unmäßige Lebensart der Leute hervorgerufen, und rafften viele Hunderte in entsetzlichem Elende hin; dazu gesellte sich schon Unzufriedenheit, veranlaßt durch den häufigen Mangel an Sold und selbst an den ersten Bedürfnissen, zu deren Befriedigung, wie Engländer sie mochten erwartet haben, den spanischen Behörden oft der Wille, stets die Mittel fehlten. Zu diesen beiden Legionen kam bald eine portugiesische Division unter dem Baron das Antas, 6000 Mann stark, die, nachdem sie in Castilien operirt, im nächsten Jahre in Vitoria anlangte, wo sie fast ohne Kampf blieb, bis sie kurz vor ihrer Zurückrufung den Versuch, sich einmal thätig und nützlich zu zeigen, mit einer Niederlage büßte. So hatten sich zu den Massen, welche Christina zur Erdrückung der braven Basken aufgeboten, fast dreißigtausend Fremde gesellt. Wer hätte da ferneren Widerstand für möglich gehalten? Carl V. aber, im Gefühle seines Rechtes und dessen, was er den Seinen schuldig war, zugleich hoffend, daß wohl Manche der Eindringlinge frühzeitig gewarnt dem drohenden Geschicke nicht sich unterziehen würden, hatte auf die erste Nachricht der beabsichtigten Werbung im Juni 1834 die Proclamation erlassen, durch welche er die fremden Corps, welche in der rein die spanische Nation betreffenden Successions-Frage die Usurpations-Herrschaft aufrecht zu erhalten kämen, für ausgeschlossen von den Wohlthaten des Elliot’schen Vertrages erklärte. * * * * * Moreno, dessen Bedachtsamkeit, durch die Schwäche des Alters oft in Zaudern ausartend, die Thatenlust der Carlisten nicht befriedigte, war durch den Grafen Casa Eguia ersetzt, welcher alsbald das carlistische Gebiet nach Süden hin zu sichern und durch Wegnahme der Küstenplätze die Verbindung zur See zu eröffnen, den Rücken sich zu decken suchte. San Sebastian war schon eng blockirt, es ward mit Parapeten eingeschlossen, und wenn es auch den Basken ganz an den Mitteln zur Belagerung einer so starken Festung gebrach, brachten sie sie doch in große Gefahr, da sie weder wohl verproviantirt, noch mit dem nöthigen Kriegesmaterial versehen war. Da sandten die französischen Behörden von Bayonne aus das Fehlende. -- Die andern Forts aber fielen eines nach dem andern während des Winters. Guetaria und Plencia, Mercadillo, das zum Stützpunkt der Linie in Vizcaya bestimmte Valmaseda, endlich Lequeytio fielen trotz aller Anstrengungen der Christinos, mit den Forts eine herrliche Artillerie und Tausende von Gefangenen, in den ersten Monaten 1836 in die Gewalt der Carlisten. Umsonst hatte Cordova zu Vitoria seine Streitkräfte vereinigt und von dort aus Demonstrationen zur Rettung der bedrängten Vesten versucht. Am 16. und 17. Januar griff er, mit Evans vereinigt, 28,000 Mann stark in drei Colonnen die verschanzte Stellung von Arlaban an, um nach dem Innern von Guipuzcoa auf Oñate zu dringen. Er nahm und zerstörte die Verschanzungen, ward aber am dritten Tage kräftig angegriffen und mit schwerem Verluste nach Vitoria ganz ohne Erfolg zurückzukehren gezwungen. Die Verschanzungen waren nach wenigen Tagen wieder errichtet. Cordova aber wußte einen pompösen Bericht über die Schlacht von Arlaban zu geben, die so ganz seine Unfähigkeit gezeigt hatte, da während der beiden Tage, welche seine Truppen im entsetzlichsten Wetter auf der genommenen Höhe campirten, nur wenige Stunden von Vitoria entfernt, auch das Nothwendigste ihnen mangelte. Während der Monate März und April waren einzelne Gefechte in Vizcaya erfolgt, so bei Orduña am 6. März, dem die Wiederbesetzung von Balmaseda durch Ezpeleta folgte, wo er jedoch bald angegriffen wurde und bedeutende Verluste erlitt. Evans aber, dessen Legion während der Winterruhe exercirt und organisirt war, zog in den ersten Tagen des Mai’s nach San Sebastian, welches, auf Flintenschuß-Weite von den Parapeten der Belagerer umgeben, täglich mehr bedrängt wurde. Kurz vorher hatte die englische Flotte an der spanischen Küste Befehl erhalten, thätig gegen die Carlisten mitzuwirken. Am 5. Mai griff Evans die Verschanzung von San Sebastian an; die vier Bataillone, welche sie vertheidigten, fochten mit Löwenmuth, der auch der Gegner Bewunderung erregte. Sturm auf Sturm ward abgeschlagen. Erst als ein gerade anlangendes englisches Dampfschiff mit seinem schweren Geschütze eine Bresche in die schwachen Werke geöffnet, als dann der brave Anführer der Carlisten, General Segastibelza, gefallen, konnten die übermächtigen Briten die Linie und in ihr drei Geschütze nehmen. Die Carlisten ließen der Bravour der Engländer Gerechtigkeit widerfahren, da sie gestanden, daß solche Todesverachtung ihnen unbegreiflich sei; auch ich, so oft ich gegen sie gefochten, mußte bedauern, daß solche Soldaten nicht für eine bessere Sache starben. Auch hier erkauften sie theuer den Sieg: sechszehnhundert Mann war der Verlust der Christinos -- mehr als die Hälfte davon Engländer -- während ihre Feinde nicht ganz dreihundert Mann verloren hatten. Evans drang dann bis Passages vor, welches er besetzte und durch Schanzen deckte, während die Carlisten, jetzt zu schwach, theils ihm gegenüber leichte Brustwehren errichteten, theils die Vorbereitungen zu kräftigem Angriffe trafen, so wie Verstärkung anlangen würde. Eguia war auf die Nachricht von der Action bei San Sebastian von Vitoria, wo er Cordova’s Armee beobachtete, nach Hernani geeilt, ward jedoch durch die Demonstrationen dieses Generals sogleich nach Alava zurückgerufen. In der That drang Cordova am 21. Mai nach Guipuzcoa vor und nahm mit schwerem Verluste die schon früher eroberten Höhen von Arlaban; er bedrohete Oñate, besetzte Salinas und Villareal de Alava, zu dessen Befestigung er alles Nöthige mit sich führte, ward zwar geworfen, drang aber nochmals in Salinas ein, bis er, von Eguia mit zwei Colonnen in Flanke und Rücken bedroht, sich zurückzog und am 25. wieder in Vitoria anlangte, ohne das geringste Resultat erlangt zu haben. Die reiche Stadt Villareal und mehrere Dörfer hatte er in Schutthaufen verwandelt. Er befand sich wenige Tage später in Madrid, der Regierung, die gerade eine bedeutende Veränderung getroffen, die Lage der Dinge und die bei dem Mangel an jeder Resource täglich zunehmenden Schwierigkeiten selbst darzulegen. Die royalistische Armee bestand, da ich in Spanien anlangte, aus neun und dreißig Bataillonen, welche zwanzig bis zwei und zwanzig tausend Mann enthielten, und etwa fünfhundert Pferden. Die Bataillone der Carlisten waren immer sehr schwach, gewöhnlich fünf oder sechshundert Mann zählend, oft auf dreihundert sinkend, wofür der Grund wohl in dem Streben liegt, ihre Zahl dem Feinde größer scheinen zu machen, als sie es war. Auch scheute ein solches Bataillon sich nie, ein feindliches, oft doppelt starkes anzugreifen: war die Zahl der Bataillone auf beiden Seiten dieselbe, so wurden die Corps von gleicher Stärke geschätzt. -- Bisher hatten die carlistischen Feldherren sich bemühet, von den baskischen Provinzen als Grundlage ausgehend, nach und nach sich auszudehnen, so die Mittel zu fernerem Kampfe zu vermehren, bis das Übergewicht der Macht bei Schwächung des Gegners den entscheidenden Sieg möglich machte. Hätten sie nie diesen Plan verlassen! Doch schon verzagten sie an der Möglichkeit seiner Ausführung, und glaubten durch die befestigten Linien und die Übermacht der Feinde auf das Gebiet sich beschränkt, welches sie nun besaßen, und das freilich als unnehmbare Veste mußte angesehen werden; wenig belehrt durch die Erfahrung, die doch der unglückliche Ausgang der Expedition ihnen aufgedrungen, welche Guergue’s Division im Jahre 1835 nach Catalonien versucht, sprachen sie von der Nothwendigkeit, durch die Aussendung kleiner Corps die baskischen Provinzen, so hart gedrückt, zu erleichtern, den Aufstand nach den andern Theilen Spaniens zu tragen und ihn, wo er schon ausgebrochen, zu ermuntern oder doch die Hülfsquellen der Monarchie durch solche Kriegeszüge auszubeuten und den Feinden zu entreißen. Da Casa Eguia diesen Expeditionen ganz entgegen war, arbeiteten ihre Vertheidiger an seinem Sturze. Im Halbkreise um die aufgestandenen Provinzen her bewegten sich die Schaaren, welche Isabella’s Herrschaft aufrecht hielten; für den Augenblick beschränkten sie sich, der Carlisten Vordringen zu verhindern. Sie zählten über hundert und zwanzigtausend Mann, von denen fast die Hälfte in den zahllosen Garnisonen zersplittert war, welche Cordova um die Provinzen errichtet hatte. Über etwa funfzig spanische Bataillone, durchschnittlich neunhundert Mann stark, nebst den fremden Corps konnte der Obergeneral für seine Operationen verfügen. Eine mobile Colonne -- ~de la rivera~, des Flußthales, genannt -- stand in Navarra, bald stärker, bald schwächer, doch nie unter sechstausend Mann zählend; ihr war die Deckung der Arga-Linie aufgetragen, während die französische Legion, von Pamplona aus operirend, die Linie von Zubiri schützte und oft heiße Kämpfe mit dem unternehmenden Befehlshaber Navarra’s, General D. Francisco Garcia, bestand. Diese Legion war mit Ausnahme einiger Compagnieen ganz aus Deutschen, großen Theils Deserteuren, zusammengesetzt, und wie niedrig sie auch moralisch standen, bewährten sie dem Feinde gegenüber sich doch so deutsch, daß endlich der nahende Schall ihrer Trommeln hinreichte, um die navarresischen Bataillone, so oft sie etwas gegen die Linie unternommen, durch Zurückführung der schweren Geschütze zum Weichen sich vorbereiten zu machen; und die Navarresen sind nicht feig. Aber furchtbar blutig erkaufte die Legion den Ruf solcher Tapferkeit. Auf dem linken Flügel der christinoschen Armee im westlichen Vizcaya stand gleichfalls ein abgesondertes Corps, den Umständen nach aus zehn bis vierzehn Bataillonen bestehend, oft durch eine zweite Division verstärkt; dennoch konnte es seinen Auftrag, die dort projectirten Forts zu errichten und zu decken, nie durchführen. General Cordova mit der Hauptarmee zog bald den Bewegungen der Carlisten folgend in der reichen Rioja, südlich vom Ebro, und in Unter-Navarra umher, bald stellte er sich beobachtend und drohend zugleich in der Hochebene Alava’s auf, bereit, nach Navarra sich zu wenden oder den bedrängten Garnisonen Vizcaya’s zu Hülfe zu eilen. Die Configuration des Kriegsschauplatzes ließ ihn nicht selten zu spät zur Rettung kommen. Etwa dreitausend Pferde, welche am Ebro standen, schlossen sich entweder dem Hauptcorps oder der Colonne der Rivera an. Ganz in dem Rücken der carlistischen Armee endlich hielten die Christinos Bilbao inne, mit starker Besatzung versehen, und San Sebastian, wo Evans das Commando übernommen hatte und Großes versprach, weshalb er durch mehrere spanische Bataillone von Navarra[7] und Vizcaya aus verstärkt wurde. Ein gefährlicher Punkt in der That, der die höchste Aufmerksamkeit der Feldherren Carls V. verdiente: ein starkes Corps, von dort aus im Herzen der Provinzen operirend, gut geleitet und in steter Combination mit den Bewegungen des Hauptheeres, mußte alle Anstrengungen der Carlisten paralysiren, da es zu immerwährender Zersplitterung ihrer Macht sie zwang und sie hinderte, irgend Entscheidendes zu unternehmen oder errungene Vortheile zu benutzen, indem es sofort nach dieser schwachen Seite sie zurückrief. Ein solches Corps konnte entscheidend werden, da es im Rücken des Feindes, im Innern seines Gebietes ihn immer bedrohete und die mindeste Nachlässigkeit und Schwäche benutzen konnte, so daß die Früchte der Siege, ja der Bewegungen aller andern Colonnen zu sammeln ihm überlassen blieb. Evans verstand nicht solche Vortheile zu würdigen, die der Werth seiner Truppen noch unendlich ihm erleichtern mußte. [3] Diese Hanfsandalen, ~alpargatas~, werden in dem größten Theile Spaniens von den unteren Classen statt der Schuhe getragen und bilden, mit farbigen Bändern am Beine befestigt, eine eben so niedliche wie in der trockenen Jahreszeit passende Fußbekleidung. In einigen Provinzen tragen die Bauern auch Sandalen aus einem viereckigen Stücke gegerbten oder rohen Ochsenfelles; diese wurden jedoch von den Soldaten nur im Falle augenblicklicher Noth getragen, während die alpargatas in der Armee allgemein waren. Übrigens war die carlistische Armee späterhin oft sehr gut uniformirt; so stets die Divisionen beim Ausmarsch zu Expeditionen. Die Uniform bestand aus dem Überrock, der ohne Jacke etc. getragen wurde, rothen Beinkleidern, dem Barett mit wollenen Quasten; die Officiere trugen dunkelblaue Überröcke und darüber die beliebte ~zamarra~, eine elegante Jacke aus schwarzem Lämmerfell mit seidenen Schnüren; die Quasten ihrer Baretts waren von Gold oder Silber. Das Gepäck der Soldaten, wie der Officiere war sehr einfach, da selbst diese Effecten von den Bedienten getragen werden mußten: nur die Capitains durften ein Pferd mit sich führen. -- Die christinische Armee war eben so uniformirt; trug aber größtentheils weißes Lederzeug und, oft einzige Unterscheidung der streitenden Corps, Czako’s oder französische Mützen. -- Die Bekleidung der spanischen Armee in Friedenszeit ist äußerst geschmackvoll. Während des Krieges fehlte es oft an Allem. [4] „Königliche Freiwillige“: unter Ferdinand etablirt, den National-Garden der christinischen Regierung entsprechend, aber mit gerade entgegengesetzter Richtung, übrigens weit zahlreicher als diese, wiewohl sie alle freiwillig, die liberalen Nationalen großentheils gezwungen die Waffen trugen. [5] Die baskischen Provinzen und Navarra werden in Spanien gewöhnlich nur durch „~las provincias~“ bezeichnet. [6] Er ist erbitterter Feind Espartero’s. [7] Sie durchzogen Frankreich, die Waffen auf Wagen mit sich führend. III. Von einigen Freiwilligen geleitet trat ich am Morgen des 26. Mai’s den Marsch nach Irun an, wobei wir das französische Gebiet, dessen Gränze unserer Richtung im Allgemeinen parallel lief, mehrfach auf kurze Strecken durchkreuzten, augenscheinlich mit vieler Vorsicht und Scheu meiner Reisegefährten. Der Weg schien absichtlich über die schroffsten und zerrissensten Theile des Gebirges geführt zu sein und ward bisweilen so steil, daß er wie eine Treppe mit Stufen in den Felsen gehauen war. Mit Mühe nur konnte ich, des Bergsteigens noch ganz ungewohnt, den rüstigen Guiden folgen und die Ermüdung ihnen verbergen, welche mich fast besiegte. Da fühlte ich mich denn recht ~à mon aise~, als ich, in dem zum Nachtquartier ausersehenen Dörfchen mit der echten Gastfreiheit der Gebirgsbewohner vom Alcalde aufgenommen, im hölzernen Lehnstuhl auf dem Balkon mich dehnte und von der freundlichen Wirthin kredenzt den Apfelwein im bunten Glase mir dargereicht sah. Früh am folgenden Tage, da ich zum Aufbruch mich rüstete, überraschte mich der Anblick eines langen Zuges schwarzgekleideter Weiber: es waren die Bewohnerinnen des Dorfes, welche, wie ich später erfuhr, stets zur Messe die niedliche schwarze Mantilla von Seide sich anlegen. Der Marsch brachte eben die Mühseligkeiten wie am Tage zuvor, bis wir am Mittag auf den Gipfel der letzten von Irun uns trennenden Kette anlangten. Vor uns dehnte eine kleine, reich bebaute Ebene sich aus, von dem Meere begränzt, welches in unabsehbare Ferne einem leuchtenden Spiegel gleich sich erstreckte; zur Rechten entwand sich die Bidassoa den engenden Felswänden und erschien rasch erweitert als mächtiger Meeres-Arm. Dort ward die Brücke von Behobia sichtbar, deren von den Christinos besetzte Caserne die Unsrigen so oft vergebens angegriffen, da die unmittelbare Nähe des französischen Bodens die Entfaltung der nöthigen Angriffsmittel nicht erlaubte. Links erhoben sich wieder die Gebirge, welche die Aussicht nach San Sebastian und in das Innere Guipuzcoa’s schlossen, während zu unseren Füßen das reiche Irun lag und einige tausend Schritt entfernt, näher der Mündung der Bidassoa, Fuenterrabia, die ~fons rapida~ der Römer, in dem die Carlisten ein festes Gebäude als Fort eingerichtet, da die regelmäßigen Befestigungen des einst bedeutenden Platzes von den Kriegern der französischen Republik gesprengt wurden. In Irun, wo ein guter Gasthof sich findet, mußte ich einige Tage mich aufhalten, bis ich die Erlaubniß aus dem königlichen Hauptquartier zur Weiterreise erhielt. Da ward mir die erste Lection praktischer Menschenkenntniß und Klugheit, die dem Unerfahrenen in Spanien so oft zufallen sollte. Die Stadt war durch eine einfache Mauer geschlossen, und auf einer unbedeutenden Höhe, welche die große Madrid-Pariser Straße beherrscht, ward gerade eine Schanze angelegt, deren Einrichtung, da mir damals die Befestigungsart der Carlisten noch nicht bekannt war, mich nothwendig in das höchste Staunen versetzen mußte. Man denke sich ein regelmäßiges Sechseck, dessen Seiten durch eine sechs oder sieben Fuß starke Brustwehr mit vorliegendem Graben gebildet sind; auf der Brustwehr sind unendlich viele Schießscharten für das Infanterie-Feuer in Stein errichtet und vertikal, horizontal und schräg, in jeder Größe und Gestalt durcheinander geworfen. Das Sechseck ist so auf der Höhe angelegt, daß weite Strecken unmittelbar am Fuße derselben ganz unbestrichen bleiben, damit der stürmende Feind dort zur letzten Kraftanstrengung gedeckt sich sammeln und ordnen kann, während doch die Gestalt des Hügels eine Befestigung erlaubt, deren Theile sowohl sich wechselseitig flankiren und schützen, wie den ganzen Abhang und Fuß bestreichen können. In der That war dieses Werk das Erzeugniß der vereinigten Talente des Gouverneurs und einiger dort garnisonnirender Officiere, die, da sie vor dem Aufstande nie daran gedacht, daß das Vaterland je ihrer Fähigkeiten zu seiner Vertheidigung bedürfe, nun den Mangel an militairisch-wissenschaftlicher Ausbildung schwerlich durch ihren Eifer ersetzen konnten -- wie brav sie auch, darin +allen+ carlistischen Officieren gleich, dem Feinde gegenüber sein mochten. Der Gouverneur, so wie er erfahren, daß ich preußischer Officier, führte mich zu der sogenannten Befestigung mit der Bitte, ihm meine Meinung über +sein+ Werk zu geben. Da ich nun aus natürlicher Schüchternheit wie in der Furcht, Zweck und Plan desselben wohl nicht zu verstehen, zurückhaltend und billigend darüber sprach, ward ich sofort von dem Gouverneur für ein wahres Talent erklärt und glänzend fetirt. Als ich aber am nächsten Tage, nach Überlegung dieses für meine Pflicht haltend, einige der krassesten Fehler ihm andeutete und, da er widersprach, klar aus einander setzte, erkannte der gute Herr seinen gestrigen Irrthum, entschied plötzlich über meine Unwissenheit und Impertinenz und behandelte mich demnach mit der kalten, geringschätzenden Höflichkeit, die so sehr gegen seine vorige Herzlichkeit abstach.[8] Bald ritt ich auf einem kräftigen Maulthiere, der großen Heerstraße folgend, über Tolosa, eine der ersten und angenehmsten Städte der baskischen Provinzen und bekannt durch seine ausgezeichneten Fabriken, nach Villafranca de Guipuzcoa, wo der kleine Hof Carls V. damals sich aufhielt. Wie schlug mir das Herz, da ich den Monarchen sehen sollte, für dessen Rechte kämpfen zu dürfen ich so freudig mich gesehnet! -- für den gekämpft zu haben ich immer stolz bin. * * * * * Am 31. Mai hatte ich die Ehre, Seiner Majestät vorgestellt zu werden. Der König empfing mich mit der Huld und Leutseligkeit, die einen Hauptzug seines Characters bilden, und die, da sie die Verehrung seines Volkes ihm erworben, doch gegen den Verrath Derer ihn nicht sichern konnte, die mehr als Alle seiner Gnade sich erfreut. Er ist klein, regelmäßig und kräftig gebaut, das Gesicht trägt den Stempel hoher Güte, das graue Auge verräth tiefes Gefühl, aber auch viele Sorgen, vielleicht Schmerzen; ein starker blonder Bart bedeckte den Mund. Die Stimme des Königs ist sanft und voll Melodie, er unterhielt sich mit mir in französischer Sprache, wie er gern mit allen Fremden es that, wenn sie selbst des Spanischen kundig waren. Er trug einfache Civil-Kleidung. Es ist viel über den Privat-Character Carls V. wie über seine Eigenschaften als Herrscher gefabelt worden, und die öffentlichen Blätter aller Länder haben manches ganz Unwahre oder doch Entstellte über ihn im Publicum verbreitet. Wer hätte auch Anderes erwarten mögen, wenn er die Quellen berücksichtigte, aus denen die Mehrzahl solcher Urtheiler ihre Ansichten sich bildete: die Zeitungen und Flugschriften des liberalen Spaniens oder die Schriften von Männern, welche bittern Haß dem Fürsten weiheten, der im Nachbarstaate muthig der Verbreitung ihrer Grundsätze zu widerstehen wagte. Da ich überzeugt bin, daß die Wahrheit am vollständigsten die Verläumdungen widerlegt, die gegen den Monarchen, für den ich mein Schwerdt ziehen durfte, von allen Seiten erhoben sind, stehe ich nicht an, meine Meinung, wie ich auf eigene und solcher Männer Beobachtung sie gründete, die lange Jahre den Infanten und den König gekannt, schmucklos, weil sie der Ausschmückung nicht bedarf, darzulegen. Will man ~par force~ Fehler in Carl V. auffinden -- und er ist Mensch --, so möchte ihm +der+ vor allen aufzubürden sein, daß er seine Geburt nicht in eine Periode versetzte, in der es ihm gegeben wäre, das Glück seines Volkes zu machen, statt daß er nun dieses Volk, durch Empörung oder durch Furcht ihm entfremdet, sich erst erobern sollte. Carl V. hat in der That alle die Eigenschaften, deren Zusammentreffen in der Person des Fürsten bei friedlicher Regierung die Blüthe des Landes auf den möglichen Höhepunkt treiben mag, und selten wurden sie von einigen der Schatten verdunkelt, welche ja alles Menschliche, wie erhaben es sei, trüben. Er ist mild und herablassend, streng beflissen, seine Pflicht stets zu erfüllen und unerschütterlich in der Vollbringung dessen, was er als solche erkennt; einfach, mäßig, enthaltsam in Allem, was ihn persönlich betrifft, ist er dagegen nachsichtig und großmüthig für seine Unterthanen, streng gerecht für Niedere wie für Hohe, Jedermann zugänglich, ein Vater seines Volkes. Sein Wort ist ein wahrhaft königliches Wort: bekannt ist der Tadel, den er offen gegen seinen Bruder Ferdinand aussprach, da dieser, dessen Zusagen, den augenblicklichen Umständen folgend, mit ihnen ihre Kraft verloren, nach seiner Befreiung durch Ludwigs XVIII. Heere das, was während der Herrschaft der Constitution geschehen, so wie den ihr geleisteten Eid für ungültig erklärte, da doch er selbst sie beschworen hatte. Da erklärte ihm der Infant Don Carlos, daß er lieber hätte sterben müssen als den Eid leisten, welchen die empörten Unterthanen von ihm forderten; wenn er aber die Schwäche gehabt, die aufgedrungene Constitution anzuerkennen, müsse er nun auch unwandelbar seinem Versprechen nachkommen. Selbst die Fehler, welche in den Verhältnissen der letzten sieben Jahre als solche hervortraten, beruhen im Übermaße der Tugenden, welche den König auszeichnen, selten in seiner Erziehung. Die eigene Herzensgüte, sein Edelsinn erlaubten ihm nicht, die Erbärmlichkeit der Menschen und so Vieler besonders aus seiner nächsten Umgebung zu ahnen; er beurtheilte nach seinem Charakter den der Andern, schenkte daher leicht sein Vertrauen und ließ sich leiten von Denen, welche heuchelnd ihn zu täuschen wußten. Dazu erzeugte die hohe Religiösität des Königs ein oft ängstliches Festhalten an den Formen der Religion, wie sie von jeher als heilig sich ihm eingeprägt, und wie er bei dem Zustande der geistigen Cultur und den Neigungen seines Volkes sie vom wohlthätigsten Einflusse für dasselbe hielt. Die Spanier haben durch die Ereignisse der letzten zehn Jahre ihn gewiß nicht überzeugen können, daß die Reformen, welche ihre herrschsüchtigen Schreier für sie forderten, ihren Bedürfnissen wahrhaft angemessen sind und sie in einen glücklicheren Zustand versetzt haben; daß aber umfassende Verbesserungen in den kirchlichen Verhältnissen der Monarchie nöthig seien, daß große, tief eingewurzelte Mißbräuche von Grund aus vernichtet werden mußten, das war dem Könige eben so klar wie jedem aufgeklärteren Spanier, und wiederholt sprach er bestimmt darüber sich aus. Die oft im Auslande gehörte Behauptung, als ob mit der Herrschaft Carls V. auch die der Inquisition ins Leben zurücktreten werde, ist so absurd, daß jede Widerlegung derselben ganz unnütz ist: in Spanien ist es nie Jemand, welcher Parthei er angehöre, in den Sinn gekommen, Ähnliches aufzustellen. Früher erwähnte ich, daß der Infant Don Carlos der Gegenstand häufiger Anschuldigungen gewesen ist. Alles was seine Feinde über Hof-Intriguen, über die letzte Zeit der Regierung Carls IV. und die spätere Constitutions-Epoche, so wie über die Aufstände in Catalonien und anderen Punkten des Königreiches gegen den erhabenen Fürsten vorzubringen gewagt, ist mehrfach vollkommen zurückgewiesen, dabei freilich dargethan, wie die Umtriebe der Umwälzungsmänner in ihm stets einen edlen und entschiedenen wie gefürchteten Gegner fanden, der deshalb das Ziel ihrer giftigen Anschwärzungen sein mußte. Wer wird aber nicht mit tief empfundener Bewunderung auf Carl V. blicken, wenn man ihn in den ersten Jahren nach seines Bruders Tode beobachtet, wenn man seinen passiven Muth sieht, der, wenn nicht immer in seinen Wirkungen, doch in seinen Quellen so hoch über der activen Kraft steht; die Standhaftigkeit, mit der er die glänzenden Anerbietungen der Usurpatorinn zurückwies, da ihm doch gar keine Hoffnung bleiben konnte! Wer sollte nicht den Fürsten hoch ehren, der in dem Luxus und der Verweichlichung eines spanischen Hofes erzogen, Monate lang ungebrochenen Muthes alle Drangsale des Flüchtlings im schroffen Gebirge erträgt, der, da Hunger, Durst, Kälte und Ermüdung zugleich auf ihn einstürmen, lächelnd seinen Treuen Muth einspricht, und die Thräne ihnen trocknet, welche Verzweiflung bei des angebeteten Souveraines Elend auf die bärtigen Wangen lockte! Der, da er wieder Macht und Herrschaft erkämpft, nur zu verzeihen und zu schonen weiß, der gestürzt durch den Verrath der Männer, denen er vertraut, gefangen in dem Lande, in dem er Schutz gesucht, unerschütterlich jeden erniedrigenden Vorschlag zurückweiset, was er auch dulden möge! Carl V. im friedlichen Besitze der angestammten Krone würde ein zweiter Titus, die Wonne, das Heil seines Volkes geworden sein. Das Schicksal wies ihm einen Platz an, dessen Ausfüllung eben so viel Härte und Rücksichtslosigkeit nebst raschem Entschlusse und Energie, die Eigenschaften des Helden, erfordert, wie Don Carlos durch die entgegengesetzten Tugenden, die des Christen, des Menschen, hervorglänzt. * * * * * Nachdem ich auch dem Infanten Don Sebastian mich vorgestellt und seine Frage, ob ich gutes Wetter auf der Reise gehabt, beantwortet hatte, marschirte ich nach Hernani, da ich, zum Generalstabe von Guipuzcoa bestimmt, dort bleiben sollte, bis ich mich einigermaßen in der spanischen Sprache vervollkommnet. Es war mir angeboten, in das Genie-Corps zu treten, welches gerade gebildet wurde, und dem es noch sehr an brauchbaren Officieren[9] gebrach. Mit dem Zustande des Geniewesen, wie es damals war, ganz unbekannt und nicht glaubend, daß ein preußischer Infanterie-Officier nothwendig ein guter spanischer Ingenieur sein müsse, wie aus Vorliebe für meine Waffe, lehnte ich den Antrag ab und büßte so die Vortheile ein, welche ich durch den Eintritt in ein Corps gewinnen mußte, dem mehrere Jahre später die Verhältnisse mich dennoch angehören machten. Ich eilte die berühmte Linie zu sehen, welche unser Gebiet von dem der Festung San Sebastian trennte, und die durch die Ankunft der englischen Legion und den Kampf, in dem Oberst-Lieutenant Evans unsere über jener Festung errichteten Werke genommen, neues Interesse gewonnen hatte. Von Linien war da freilich wenig zu sehen. Sie beschränkten sich auf niedrige, von lose über einander gelegten Steinen gebildete Mäuerchen, welche Parapete genannt wurden und übrigens nur stellenweise sich vorfanden, so daß sie höchstens das offene Vordringen einer Streifparthie erschweren konnten, während sie bei ernsterem Gefechte sofort mußten über den Haufen geworfen werden. Hinter ihnen standen in einzelnen Häusern unsere Vorposten, die jedoch mit Posten nur den Namen gemeinschaftlich hatten. Das Terrain war dabei sehr zerrissen, von Schluchten und Felszügen durchschnitten, und es wäre dem Feinde, hätte er je die Idee eines Handstreiches zu fassen gewagt, leicht gewesen, zwischen diese sogenannten Linien ganze Colonnen zu schieben oder die Vorposten aufzuheben. Doch wurde die Linie später den Regeln der Kunst gemäß angelegt. Die der Feinde, von englischen Officieren construirt, stützte sich rechts auf San Sebastian und seine Forts, links auf Passages, oder besser auf die Redoute, welche auf der Höhe von Passages errichtet und mit der Artillerie der englischen Marine garnirt war. Die Linie bestand aus einzelnen dem Terrain nach angelegten Schanzen und Parapeten, die sich wechselseitig vertheidigten, und ein Theil derselben ward von den Geschützen der englischen Kriegsschiffe flankirt, die bei allen Gefechten vor San Sebastian von so unheilvollem Einflusse gegen uns waren. Meine Sehnsucht, endlich die Kugeln der Christinos pfeifen zu hören, sollte bald befriedigt werden. Indem ich einige Skizzen des Terrains aufnahm, passirte ich eines unserer Wachhäuser und fand, um die Ecke eines Busches tretend, einen Felsenvorsprung, der die trefflichste Aussicht darbot, weßhalb ich bewundernd stehen blieb; ein Unterofficier, der offenen Mundes von dem Hause mir gefolgt war, blieb hinter einer nahen Hecke verborgen. Ich betrachtete die durch eine schmale Schlucht von meinem Standpunkte getrennten Brustwehren der Feinde und ergötzte mich an dem regen Treiben in dem Städtchen Passages, dessen Hafen, zwischen zwei steile Felswände wie in einen Riß eingezwängt und kaum auf beiden Seiten Raum für eine Reihe Häuser lassend, mehrere Schiffe enthielt und malerisch tief unter mir dem Blicke offen lag, während der Lärm der Seeleute mit dem Brausen des Meeres vermischt zu mir herauftönte. Da hörte ich plötzlich ein langes Zischen, von einem leichten Schlage auf den Felsen neben mir begleitet, dann rasch einen Knall von der andern Seite der Schlucht. Überrascht sah ich mich um und erblickte den guten Unterofficier in vollem Laufe nach seiner Wache begriffen. In rascher Folge zischten die Kugeln, hinter mir in den Busch schlagend oder Staub und Felsensplitter zu meinen Füßen losreißend. Nachdem ich schwellenden Herzens an der mir neuen Musik mich erfreut und Zeit gelassen hatte, damit die Spanier die nordische Tollheit, wie ich oft sie sagen hörte, hinreichend anstaunen könnten, kehrte ich langsam zu dem Vorposten zurück, dessen Mannschaft vor der Thür versammelt mich anstarrte. Da ich am folgenden Morgen im Grase ausgestreckt lag, ward ich durch etwas nicht hoch über mir reißend schnell hin Schwirrendes aufgeschreckt und hielt es für einen gewaltigen Gebirgsadler: es war eine Kanonenkugel, deren die Engländer jeden Morgen zur Begrüßung einige unsern Vorposten zuzusenden pflegten. Ich benutzte die Zeit, welche durch die augenblickliche Ruhe mir gegönnt war, um durch häufige Excursionen mit dem Lande, dem Geiste und den Sitten seiner Bewohner mich vertrauter zu machen. Die baskischen Provinzen -- Guipuzcoa, Vizcaya, Alava -- enthalten nebst dem kleinen Königreiche Navarra nur 250 bis 260 Quadratmeilen, welche vor dem Kriege etwa 650000 Einwohner zählten. Von diesem Ländchen waren etwa zwei Drittel im Besitze der Carlisten, während die Feinde, die Herren der spanischen Monarchie, auch die hauptsächlichsten Städte dieser vier Provinzen, San Sebastian mit seinem Gebiete, Bilbao mit Portugalete, Vitoria, Pamplona, viele andere Forts und die Hälfte von Alava und Navarra inne, alle bedeutenderen Städte befestigt hatten. Das ganze Land ist von Osten nach Westen von den Pyrenäen durchzogen, welche in vielen Verzweigungen und mancherlei Formen wild durch einander geworfen, ihm den Charakter eines Gebirgslandes verleihen: nur die Hochebene von Alava und das herrliche Ebrothal Navarra’s, deren wir nie vollständig und dauernd uns bemächtigen konnten, zeichnen durch mildere, doch wieder unter sich ganz verschiedene, Gestaltung sich aus. Die Oberfläche des übrigen Landes besteht aus furchtbar hohen und schroffen, durchgängig mit reichen Waldungen bedeckten Gebirgsmassen, die durch reizende und äußerst fruchtbare Thäler in mannigfacher Gestalt intersektirt werden. In ihnen haben natürlich die Menschen ihre Dörfer und Höfe erbaut, und diese immer reich bewässerten Thäler, in denen jeder Fuß breit Landes mit Sorgfalt benutzt ist, bieten dem Auge und Geiste nach den wild majestätischen Scenen der Gebirge eine so willkommene wie liebliche Abwechselung. Die Basken gewohnt, als privilegirtes Volk sich zu betrachten, geschieden von ihren Nachbaren durch die Barrieren, welche Natur, Politik und Vorurtheile so vielfach erhoben, sind stolz auf ihre Abkunft, ihre Unabhängigkeit und ihre Vorrechte, sie sehen die übrigen Spanier wie Fremde an und verachten sie als solche. Sie behaupten von den Phöniziern abzustammen, was jedoch keinesweges erwiesen ist; gewiß ist, daß sie seit undenklichen Zeiten und in allen den Umwälzungen, unter die die andern Völker der Halbinsel so oft sich beugen mußten, in ihrer Gebirgsveste sich unabhängig und unvermischt zu erhalten wußten. Ihre Sprache hat gar keine Verwandtschaft mit irgend einer jetzt bekannten, sie soll der grammatischen Bildung nach sehr reich sein und ist gewiß wohlklingend und kräftig. Doch sind die Dialekte derselben so mannigfach und so verschieden, daß oft die Bewohner der wenige Meilen von einander entfernten Thäler mit Schwierigkeit sich unterhalten, während die Sprache der französischen Basken von der der spanischen und selbst die der nur in den Gebirgen baskisch sprechenden Navarresen von der der Vizcainer so ganz verschieden scheint, daß sie oft sich gar nicht verstehen. Die allgemeine spanische Sprache -- in Spanien die Castilianische genannt -- hat in diesen Provinzen erst während der letzten Kriegsjahre sich etwas mehr ausgebreitet, doch nur als Luxussprache, und noch immer ist sie in den mehr zurückgezogenen Theilen ganz unbekannt. Die Basken sind ein hohes, kräftiges Geschlecht, ernst und zurückhaltend, aber edelgesinnt, großmüthig, in hohem Grade gastfrei und ihrem Worte treu; fest und unbeugsam bis zur Halsstarrigkeit hängen sie dem Vaterlande, das heißt: ihren Provinzen, mit schwärmerischer Begeisterung an. Sie zeichnen sich im Allgemeinen durch Geist und Talent aus, sind kühn und thätig, voll Unternehmungsgeist und anerkannt als die unerschrockensten Seeleute und die bravsten Krieger der Monarchie; Viele haben als Hofleute und Staatsmänner sich glänzend hervor gethan. Außerhalb ihrer Heimath unterstützen sie sich brüderlich und erlangen dadurch ein großes Übergewicht über die andern Spanier, die, vor Allen die Catalanen, welche fast ihren Unternehmungsgeist theilen, am Hofe wie in allen Zweigen des Staatsdienstes ihre Landsleute so viel wie möglich fernzuhalten und zu stürzen pflegen. -- Überhaupt darf man ohne Zögern aussprechen, daß die Basken in jeder Hinsicht vor den übrigen Bewohnern Spaniens sich auszeichnen; selbst Einfachheit und Reinheit der Sitten waren früher ganz in diesen lieblichen Thälern heimisch, und schmerzlich ist es, daß der Krieg auch hier seine gewöhnlichen Folgen, Verderbtheit und Verfall der Sitten, nach sich gezogen hat. Die Wohnungen der Basken stechen durch bequeme Einrichtung wie durch größte Reinlichkeit hervor, und es macht einen besonders angenehmen Eindruck, diese blendend weißen Gehöfte über alle Thäler hingestreut zu sehen. Die Weiber, ihren Männern an Schönheit nicht nachstehend, wissen ihre Reize durch den höchst sittigen Anzug noch anziehender zu machen und sind in Erfüllung ihrer ehelichen und häuslichen Pflichten fast allen andern Spanierinnen weit überlegen; ihr Wesen erinnert wie ihre Gestalt an die nordischen Weiber, selbst das blonde Haar der kälteren Climate ist ganz vorherrschend.[10] Oft hörte ich die leicht Feuer fangenden spanischen Officiere bewundernd ihr Bedauern ausdrücken, da sie diese hohen, edlen Gestalten alle die schweren und unzarten Arbeiten des Ackerbaues verrichten sahen, die sonst den stärkeren Händen des Mannes vorbehalten sind. Denn außer Greisen und Kindern wurden wohl nur Verstümmelte oder sonst zur Vertheidigung des Vaterlandes Untaugliche in den Dörfern gesehen, so daß die Frauen und Mädchen genöthigt waren, hinter dem Pfluge die Stelle des Gatten oder der Brüder einzunehmen. Dabei ertönte ihr schwermüthiger Gesang, den schrecklichen Krieg beklagend und die Ehre und Treue der Nation verkündend; enthusiastisch wurden die fernen Männer aufgefordert, ihr Vaterland gegen die Wuth der Schwarzen[11] zu schützen, die Thaten der Vorfahren und der Gefallenen wurden besungen, und der oft wiederholte Name ihres großen Feldherrn zeigte, wie Zumalacarregui’s Andenken seinen Landsleuten theuer, wie seine Thaten ein Gegenstand des Stolzes für die Basken waren. Der Reichthum dieser Provinzen muß vor dem Kriege auf einen erstaunlich hohen Grad gestiegen sein. Während zwei Heere auf so kleinem Gebiete sechs Jahre lang kämpften und das eine wie das andere hauptsächlich aus ihm seine Bedürfnisse zog, verarmte das Land doch nur nach und nach und ward bis zum Ende des Krieges nie ganz erschöpft. Wirklich haben die Provinzen alle Elemente des Reichthumes in sich, wie ihre Bewohner wohl den möglichen Vortheil daraus zu ziehen wissen. Der Boden ist äußerst ergiebig an Früchten jeder Art; Getreide, Taback, im Süden feurigen Wein erzeugt er im Überfluß; die Gebirge, mit schönen Waldungen in unendlicher Menge bedeckt, befördern die Viehzucht, die Haupthülfsquelle während des Krieges, während die Minen ausgezeichnete Metalle liefern, besonders viel Eisen, welche in den Fabriken des Landes trefflich verarbeitet werden. Die Lage desselben, die Berührung mit Frankreich und die sichern Häfen sind für den Handel sehr vortheilhaft, und die Privilegien, deren die Basken bis vor wenigen Monaten sich erfreuten, ließen alle jene Vorzüge noch herrlicher hervortreten. Sie verdienen deshalb und als hervorstechende Ursachen des Krieges nähere Betrachtung. Die baskischen Provinzen vereinigten sich freiwillig, nicht durch Waffengewalt gezwungen, mit der spanischen Monarchie; die Bedingung der Vereinigung war die Aufrechterhaltung ihrer Privilegien -- ~fueros~ -- auf ewige Zeiten, wogegen die Basken den castilischen Königen den Titel ihres Herrn bewilligten. Demnach kann wohl kein Zweifel über die Unrechtmäßigkeit obwalten, die einem jeden Versuche der herrschenden Gewalt, um diese auf Verträgen beruhenden Rechte wider den Willen der Betheiligten umzustoßen, ankleben muß: die Abschaffung der Privilegien mag politisch klug, mag dem Besten des Staates als Ganzes angemessen sein; ungerecht bleibt sie immer.[12] Man weiß, wie Don Carlos in der Commission, der Ferdinand VII. die Prüfung dieser Angelegenheit aufgetragen, gegen solche Maßregel sich aussprach, weil sie ungerecht, der Ehre der Regierung zuwider sei, und wie das Gefühl der Dankbarkeit und der Achtung gegen ihren edlen Fürsprecher beitrug, daß die Basken für Carl V. sich erklärten. -- Die Rechte des Königreiches Navarra, wenn auch von hoher Bedeutung, sind doch nicht so ausgedehnt, wie die der andern drei Provinzen. Die Heftigkeit und Entschiedenheit des ganzen Volkes in der Vertheidigung seiner Privilegien spricht für deren Wichtigkeit. In der That sind die daraus den Basken entspringenden Vortheile unschätzbar: sie werden nicht sowohl von dem Madrider Gouvernement als von den durch sie und aus ihnen gewählten Provinzial-Ständen regiert, der König ist ihr Herr nur in so weit seine Verfügungen mit ihrem Willen übereinstimmen. Die Basken sind nämlich von aller Conscription und Truppen-Aushebung frei, es dürfen selbst mit Ausnahme des Kriegsplatzes San Sebastian gar keine Truppen ohne Genehmigung der Junta dorthin gesendet werden oder sie durchziehen; dafür unterhalten die Provinzen auf eigene Kosten ein Regiment, im Falle der Gefahr ist jeder Baske Soldat zur Vertheidigung derselben. Eben so wenig hat der König das Recht der Besteuerung oder der Gesetzgebung. Die Basken werden gerichtet von den Männern, die sie selbst aus ihrer Mitte dazu gewählt, so wie die ganze Verwaltung durch sie selbst nach ihrer Wahl geschieht. Daher bestimmte die Provinzial-Deputation den Bedürfnissen des Landes gemäß die Abgaben, deren Ertrag ganz im Lande bleibt; wenn die Madrider Regierung einer besondern Hülfe bedarf, wird sie ihr zuweilen als Geschenk und unter jedesmaligem Vorbehalte der Rechte bewilligt. -- Die Legislatur der Provinzen ist ganz unabhängig und verschieden von der der andern Theile der Monarchie, und sie kann nur durch das Volk verändert werden: die Inquisition konnte daher, da sie im übrigen Spanien in der höchsten Blüthe stand, hier nie Fuß fassen. Dann ist jeder Baske Edelmann und hat in den andern Provinzen und den Colonien die Rechte eines solchen, was für die Erwerbung von Militair- und Civilämtern, bei Hofe u. s. w. früher von hoher Wichtigkeit war. Das Recht aber vor allen andern, welches die Unzufriedenheit der Regierung und den Neid der andern Theile des Königreiches erregte, ist die Zollfreiheit. Während Spanien unter ungeheuren Aus- und Einfuhrzöllen seufzte, die den Handel lähmten und das Volk verarmten, war dieser glückliche Winkel nicht nur ganz frei von ihnen, er bereicherte sich auch durch den Zwischenhandel auf Kosten der ganzen Halbinsel. Freilich wurden die baskischen Provinzen und Navarra in Rücksicht auf Spanien ganz wie fremde behandelt, ihre Gränzen mit Zoll-Linien und Douaniers umgürtet; aber trotz aller Vorsichts-Maßregeln konnte der Schleichhandel, an dem die ganze Nation, so das Beschimpfende ihm nehmend, Theil nahm, nicht verhindert werden. Die Lage am Meere mit zahlreichen Hafenstädten und die Nähe Frankreichs erlaubte den Basken, die Waaren aus der ersten Hand zu empfangen, während die lange Ebro-Linie, da der Fluß dort im Sommer allenthalben Furthen hat, mit seinen beiden Flügeln bis zur Gränze und zum Meere, ihnen tausend Wege bot, um von Norden aus die verbotenen Waaren noch weit mehr durch Spanien zu verbreiten, als es im Süden von Gibraltar, etwas weniger von Portugal aus geschieht. So bildete sich in diesen Provinzen ein vollkommenes Schleichhandel-System, in dessen Folge dort die Reichthümer in noch größerem Maße sich anhäuften, als die Monarchie täglich mehr verarmte und in tieferes Elend versank. So ist es leicht erklärlich, wie die Basken und Navarresen mit höchstem Interesse über die Beobachtung so ausgedehnter und wichtiger Rechte wachten. Das mit der Abneigung der Regierung stets wachsende Mißtrauen und die Schritte, welche langsam aber augenscheinlich dem Endzwecke, Aufhebung der fueros, zuführten, hatten entzündbaren Stoff in unendlicher Menge in dem Ländchen angehäuft: es bedurfte nur eines Funkens, um die Flamme wild ausbrechen zu machen und das Volk, argwöhnisch, stolz, auf sein Recht, seine Kräfte und seine Berge vertrauend, zu kühnem Aufstande zu vermögen. -- Ferdinand’s Tod beschleunigte den Sturm. [8] Dieser brave Officier starb den Heldentod in der kräftigsten Vertheidigung eines andern ihm anvertrauten Posten. -- In den letzten Jahren des Krieges waren übrigens die Genie- und Artillerie-Corps der carlistischen Nordarmee auf einen hohen Grad der Vollkommenheit gelangt und zählten sehr viele ausgezeichnete Officiere, unter denen mehrere Fremde, Deutsche besonders. [9] Zwei Deutsche, die Capitains Roth und Strauß, waren seit Kurzem in das Corps getreten und hoben es sehr. Sehr schmerzte es mich damals, die Landsleute nicht kennen gelernt zu haben. [10] Zwei große Ortschaften Guipuzcoa’s, Azpeytia und Ascoytia, zeichnen sich so durch die herrlichen Gestalten ihrer Männer wie Weiber aus, daß es schwer sein möchte, in ihnen irgend ein junges Mädchen aufzufinden, welches nicht in jedem andern Punkte den Namen einer Schönheit erhalten würde. [11] ~Negros~, Schwarze, wurden die Constitutionellen schon zur Zeit Ferdinand’s schimpflich benannt, wogegen in jener früheren Epoche die königlich Gesinnten sich als „Weiße“ bezeichneten, welche Benennung jedoch nicht wie jene bestand. [12] Es ist bekannt, wie Espartero, nachdem er im Vertrage von Bergara von Neuem die Aufrechterhaltung der fueros zugesagt, nun mit ihrer Vernichtung beschäftigt ist. IV. Mehrere Truppen-Abtheilungen waren angekommen, Munition ausgetheilt und alle die Vorbereitungen getroffen, welche dem Soldaten anzeigen, daß bald sein Muth wird in Anspruch genommen werden. In der Nacht des 5. Juni weckte mich der dumpfe Lärm, der stets den Abmarsch der Truppen begleitet, und im Augenblick gekleidet und bewaffnet eilte ich den Bataillonen nach, deren Marschrichtung die Absicht, die feindlichen Stellungen anzugreifen, nicht bezweifeln ließ. Da mein Pferd noch nicht angelangt war, konnte ich meine Functionen bei dem General nicht versehen, weshalb ich dem 2. Bataillon von Guipuzcoa mich anschloß, dessen Grenadier-Compagnie von einem Schweizer, mit dem ich näher bekannt geworden war, commandirt wurde. Noch vor Tagesanbruch standen -- oder besser lagen -- wir, hinter dem Kamm einer Anhöhe auf der Erde ausgestreckt, den Vorposten des Feindes gegenüber, die in ihre buntgestreiften wollenen Decken gehüllt rasch auf- und abschritten, die Morgenkälte abzuwehren, die selbst in jener Jahreszeit ihnen empfindlich blieb; die wild wehmüthigen ~playeras~ -- Meeresufer-Gesänge --, die Kinder des südlichen Andalusien verrathend, wurden vom leichten Winde in abgerissenen Klängen zu uns herübergetragen. Hinter den Vorposten erhoben sich die Verschanzungen über Passages, augenscheinlich zum Ziel unseres Angriffes bestimmt. -- Ein zweites Bataillon lagerte etwas zur Rechten hinter uns. In lautloser Erwartung lagen wir da. Wer vermöchte die Gefühle zu schildern, die in der Brust des Jünglings stürmisch wogen, da er die Stunde des ersten Kampfes nahen sieht! Stolz und Beklommenheit, Vertrauen und Ungeduld wechseln gleich mächtig: der Augenblick ist ja da, den er so lange herbeigewünscht, der bewähren soll, daß er würdig ist, um den Preis der Tapferkeit mit Kriegern zu ringen. Weithin zur Linken ertönte ein Schuß, ihm folgten Tausende; die Jäger-Compagnie[13] des Bataillons stürzte auf das Signal, in Tirailleurs sich auflösend, gegen die Vorposten-Linie der Feinde, welche langsam zurückwich, bald aber durch bedeutende Massen unterstützt wurde, gegen welche zu schwach auch unsere Tirailleurs gelegentlich verstärkt werden mußten. Ungewiß hin und her wogten nun die Feuer-Linien, ohne daß lange etwas Entscheidendes unternommen wäre; zu unserer Linken aber ertönte fortwährend lebhaftes Flintenfeuer, von häufigen Kanonenschüssen übertäubt. Ich verfluchte schon die Idee, welche diesem Bataillone mich anschließen machte, da es dem Anschein nach nur den Feind zu beschäftigen bestimmt war. In der That mußte es niederschlagend sein, regungslos hinter der Höhe zu liegen und nur von Zeit zu Zeit Verwundete, in tiefem Schmerze ächzend, zurückgeführt zu sehen; mein erstes Feuer kühlte nach und nach ab, wie die Sonne höher stieg, Hunger und Durst, immer gleich tyrannisch, machten sich sehr fühlbar, und ich äußerte schon gegen meinen Schweizer den Wunsch, daß das Gefecht aufhören oder wir zu thätiger Mitwirkung bestimmt werden möchten. Da sprengte ein Stabsofficier heran -- ohne Zweifel bringt er die Ordre zur Bewegung, sei sie vor- oder rückwärts --; Aller Augen, finster vor Ungeduld glühend, wandten dem Reiter sich zu. Er wechselte einige Worte mit dem Chef des Bataillones, welches einen Augenblick später in Masse gebildet stand, während eine zweite Compagnie die noch immer in Tirailleurs aufgelöseten Jäger verstärkte. Nachdem der Commandeur seinen Guipuzcoanern wenige Worte der Aufmunterung, mir unverständlich, zugerufen, erstiegen wir rasch die Anhöhe, die bisher uns gedeckt, und sahen vor uns eine kaum vollendete Verschanzung, ihr zur Seite mehrere kleine Colonnen, deren Scharlach-Uniform weithin in der Sonne glänzend die Engländer kund gab. Die andalusischen Schützen zogen sich schnell vor unsern Tirailleurs zurück und stellten sich, die Fronte der Schanze frei lassend, hinter den nahen Felsen auf, die allein der kahlen Höhe, auf der wir fechten sollten, Abwechselung verliehen. Das uns folgende Bataillon wandte sich gegen die Truppen, welche neben dem Werke aufgestellt waren, zu dessen Nahme die in Masse gebildeten sechs Compagnien des unsrigen, die Grenadiere an der Spitze, vorrückten. Die Guipuzcoaner zeichnen sich allgemein durch Bravour und Unerschrockenheit eben so aus wie durch die Gewandheit und Kühnheit, mit der sie furchtlos und festen Kopfes die Abgründe ihrer Gebirge durchfliegen oder leicht von Felsen zu Felsen springen; unter ihnen genoß aber das zweite Bataillon des Rufes der höchsten Festigkeit, und stolz strebte es, dessen sich würdig zu zeigen. Mit Ruhe schritten die sechs Compagnien, etwa vierhundert Mann, zum Angriff; schon sausete eine Kanonenkugel über ihren Köpfen hinweg, und der Gruß ward mit lautem Jubelgeschrei beantwortet, eine zweite schlug dicht neben den Truppen nieder und schleuderte Felsensplitter in die Reihen, manchen derben Fluch hervorrufend. Die Masse beschleunigte den Schritt. Die englischen Artilleristen fehlen selten: rechts und links stürzten die Freiwilligen verstümmelt nieder und hemmten den geschlossenen Marsch, ihr Schmerzensgeschrei, die Seele zerschneidend, verwandelte den Muth ihrer Cameraden in Rachewuth. Umsonst spieen bald die Geschütze ihnen Kartätschen entgegen, umsonst schlugen schon einzelne Flintenkugeln in ihre Reihen: nicht mehr in der ersten, stolzen Ordnung, aber mit immer wilderem Geschrei, immer rascheren Schrittes naheten die kühnen Guipuzcoaner den schwarzen Ungeheuern, die nur aus der Ferne verderblich; der Sieg war nicht mehr zweifelhaft. -- Ha, was war das! Ein furchtbarer Donner ertönte zu unserer Rechten, das Bataillon, welches uns deckte, floh, unsere Freiwilligen stutzten trotz dem Rufen und dem Beispiel der Officiere. Ein zweiter Donner folgte; Eisenmassen jeder Größe umschwirrten, durchschlugen unsern Haufen, die Soldaten betäubt durch den nicht erwarteten Schlag wandten den Rücken, im nächsten Augenblick flohen sie in wilder, unbändiger Verwirrung: ein englisches Kriegsschiff, bisher hinter den Felsen verborgen, hatte sein Feuer gegen unsere Flanke eröffnet und überschüttete uns mit seinen furchtbaren Geschossen aller Arten und Formen. Von dem ersten Entsetzen nach der ungewohnten Begrüßung zurückgekommen, waren die Guipuzcoaner bald wieder gesammelt; verstärkt durch die beiden andern Compagnien rückten sie nach kurzer Rast wieder vorwärts, nicht mehr mit so lautem Geschrei, so jubelnd und ungeduldig, aber fester und unerschütterlicher, denn sie wußten, was ihrer wartete, was sie zu besiegen hatten. Über die Körper todter und verstümmelter Gefährten führte der blutige Weg zum Siege; da flehete wohl mancher Arme umsonst die Brüder an, seine Leiden barmherzig zu enden. Wieder hüpften die Kanonenkugeln um uns und durch uns, wieder stürzten die Cameraden unter den Kartätschen. Unwillkührlich wenden sich Aller Blicke rechts, schon tritt die dunkele, ebenmäßige Gestalt des Schiffes hinter den Felsen hervor, da flammt die Helle auf, weißer Rauch säuselt empor: eine finstere Masse brauset die schreckliche Gabe daher, mit Blut ihre Bahn zeichnend, begleitet von Todesröcheln und schmerzlichem Gewimmer. Doch „Vorwärts!“ ertönen hundert Stimmen; das dreifache Feuer der Fregatte, der Batterie und der englischen Infanterie hält die Guipuzcoaner nicht auf, sie stürzen in furchtbarer Unordnung auf die Geschütze und schwingen sich federleicht über die Brustwehr. Ein augenblickliches Ringen erfolgt, das Ringen der Verzweiflung, die den Tod gewiß sieht -- die zuckenden Leichen der Feinde bedeckten den Boden. Übermüthig jubelnd stürzten sich die Guipuzcoaner auf die gehaßten, nun hingestreckten Eindringlinge; die Männer, welche so eben mit herrlichem Heldenmuthe dem tausendfachen Tode getrotzt, durchwühlten nun mit gieriger Hast die Reste der Gefallenen, nach dem erbärmlichen Metalle suchend, dem der Mensch zum Sklaven sich herabwürdigt! Doch bald wurden die Freiwilligen von ihrem blutigen Werke aufgestört. Eine dunkele Masse nahete, klein und unansehnlich, aber sichern Schrittes und Unheil verkündend, da sie so finster gedrängt heranzog: englische Marine-Truppen eilten, unsere Beute uns zu entreißen, die wir, da das andere Bataillon nicht wie wir vorgegangen, ganz auf uns beschränkt waren. Die Unsrigen wußten der Geschütze sich nicht zu bedienen, gedachten ihrer wohl gar nicht. Rasch geordnet sandten sie einen dichten Kugelregen den feindlichen Massen entgegen, doch sie nahete; ihre Reihen wurden lichter, wie sie vorwärts drang, aber die Masse nahete stets. Die Reihen der Carlisten wankten, dieses lautlose, immer ruhige, immer sich gleiche Vordringen war ihnen unheimlich, übernatürlich. Schon waren die Fremdlinge wenige Schritte von dem genommenen Werke; noch eine Salve, sie muß die kleine Schaar wegfegen: weit über den Köpfen der Andringenden flogen die Kugeln hin, die Basken flohen aufgelöset ihrer ersten Stellung zu, sofort von den Kugeln der Engländer verfolgt. Vergeblich strebten einige Officiere, den Strom aufzuhalten; mein Schweizer, der schon leicht verwundet nicht von der Spitze seiner Compagnie gewichen, tobte, flehete, stach in Verzweiflung auf seine fliehenden Grenadiere -- zum kleinen Häuflein zusammengeschmolzen. Eine Flintenkugel streckte ihn neben mir nieder, und kaum gelang es, ihn hinter die schützende Höhe zu schleppen. An neuen Angriff war nicht zu denken: das Bataillon hatte mehr als die Hälfte seiner Leute, noch mehr der Officiere verloren. Da auch auf den andern Punkten der Linie der Kampf ohne dauernden Erfolg gewesen, wenn auch mit weit geringerem Verluste der Carlisten, ward der allgemeine Rückzug anbefohlen. Um Mittag standen wieder die Vorposten sich gegenüber, ruhig mit einander rauchend und trinkend, und über den Bergen schwebte die heitere Ruhe, die ich so oft bewundert. Ein Fremdling hätte geglaubt, in den Schoos tiefen Friedens und Glückes versetzt zu sein. * * * * * Am Abend jenes Tages saß ich neben dem Lager des Verwundeten. Die rechte Brust war ihm durchbohrt, er konnte die Nacht nicht überleben; schwer athmend lag er abwechselnd in wilden Phantasien und in schlaffer, fast besinnungsloser Abspannung. Endlich schlug er die Augen auf, Thränen füllten sie: er faßte sanft meine Hand und sprach mit zitternd leiser Stimme von der fernen Heimath, von den Theuren, die dort liebend seiner gedenken mochten, von seiner Mutter ...! Sie ahnete wohl nicht, daß der einzige Sohn, auf das Schmerzesbett gestreckt, der letzten unvermeidlichen Stunde so nahe sei! Noch ein Mal drückte er lautlos mir die Hand. -- Auch ich gedachte des Vaterlandes, gedachte der Lieben, die ich vielleicht nie wieder sehen sollte, ich rief so manche glückliche Stunde, nun auf immer entflohen, mir zurück, malte mir aus, was der Norden Lieblichstes beut: da gab ich der stillen, sehnsuchtsvollen Wehmuth mich hin, die in dem Glücke der Vergangenheit ein neues Glück, noch zarter, sich schafft. Am folgenden Morgen ward mein braver Schweizer mit militairischem Pompe beerdigt. Ich fühlte seinen Verlust wie den eines Freundes: im fremden Lande, im Getümmel des Krieges, wenn man allein unter dem kalten, theilnahmlosen Geschlechte dasteht, wenn rings der Tod lauert und droht, wenig Augenblicke nur dem Genuß zu gewähren -- da schließen sich die Bande auch leichter und enger, und Jeder eilt, das seltene, flüchtige Glück nicht ungenutzt zu lassen. * * * * * Einzelne Gefechte und Scharmützel ohne Bedeutung hatten kaum während des ganzen Monats Juni die Unthätigkeit in Guipuzcoa unterbrochen, da unsere Streitkräfte sich größtentheils nach andern Punkten gezogen hatten, Evans aber, ehe er zur Ausdehnung seines Gebietes schritt, wohl erst das schon Genommene befestigen und sich dadurch einen Anhaltspunkt für den Fall eines Unglücks sichern wollte. Graf Casa Eguia war durch den General Villareal im Oberbefehle ersetzt, der, Capitain unter Ferdinand VII. und seit dem ersten Augenblicke des Aufstandes in seiner vaterländischen Provinz Alava thätig, das besondere Vertrauen Zumalacarregui’s verdient hatte. In der That zeichnete er sich als Brigade- und Divisions-Chef durch Kaltblütigkeit und Bravour aus; es fehlte ihm aber ganz an dem zur Leitung einer Armee nöthigen Überblicke, weshalb er in der Menge seiner Bataillone sich selbst verwickelte und sie nicht anzuwenden wußte. Mit Villareal war das System der Expeditionen zur Herrschaft gekommen. Während der General die feindliche Veste Peñacerrada bedrohete, und dadurch Cordova zwang, seine Pläne auf das Bastan-Thal aufzugeben und von Navarra nach Alava zu eilen, hatte Gen. Gomez die Provinzen verlassen und schon auf dem Marsche nach Asturien die Reserve-Division des Feindes vernichtet. Der Sieg ward durch das Land mit Jubel gefeiert: Glockengeläute, auf den Plätzen angezündete Scheiterhaufen, öffentliche Tänze und Freudenfeuer verkündeten die Theilnahme des Volkes. Auch Gen. Garcia bestand mehrere Kämpfe in Navarra und zerstörte einige Forts der Zubiri-Linie, mußte sich jedoch beim Nahen der Übermacht stets zurückziehen. Ich hatte mich während der selten unterbrochenen Muße mit dem Studium der Sprache, wie mit fortwährenden Ausflügen durch das Land beschäftigt, welche noch angenehmer waren, da Pferd, Waffen und Gepäck endlich von den Staats-Schmugglern über die Gränze gebracht waren, wobei natürlich die Gefahr der Contrebandiers, wie der Gendarmen Kurzsichtigkeit, die Nachlässigkeit der Douaniers und die zufällige Abwesenheit der Patrouillen ihren fixen Preis hatten. Im Anfange Juli benachrichtigten uns endlich unsere Spione von Angriffs-Plänen des Feindes, deren Ziel jedoch unbekannt war; in der Nacht vom 10. zum 11. Juli meldeten die Vorposten, daß Bewegungen in den ihnen entgegenstehenden Truppen bemerkbar würden: der geschäftige Lärm, der von dem Hafen von Passages herübertönte, deutete an, nach welcher Seite Evans seine Streitkräfte richtete. So wie der Morgen graute, wurden Schüsse aus dem rechten Flügel unserer Linie hörbar und folgten von Minute zu Minute mit mehr Lebhaftigkeit. Achttausend Mann, aus spanischen und Legions-Truppen bestehend, sollten Fuenterrabia, dann Irun nehmen, und so den Carlisten die Verbindung mit Frankreich auf der großen Heerstraße abschneiden. In Begleitung des Generals ritt ich zum Kampfplatze, wo unsere Schwäche, da im ersten Augenblick nur zweihundert Mann dem Feinde gegenüberstanden, uns nur erlaubte, ihm das Vorrücken so viel wie möglich zu erschweren[14]; so gelangte er denn, wenn auch mit Verlust, bis fast unter die Mauern von Fuenterrabia. In dem Verhältnisse, in dem unsere weiter entfernt stehenden Truppen anlangten, war der Widerstand kräftiger geworden, nun gingen wir zur Offensive über; die Engländer wiesen den Sturm anfangs fest zurück und benutzten jedes Zaudern zu erneuertem Vordringen, als aber ihre spanischen Bundesgenossen hart gedrängt wichen und selbst in Unordnung geriethen, mußten auch sie weichen. Sie zeigten, wie gewöhnlich, hohe Ruhe und Todes-Verachtung. Langsam zogen sich ihre Massen, von Schützen schwach gedeckt, zurück, in jeder Stellung hielten sie an, wie um auszuruhen, und vertheidigten sich eine Zeit lang gegen unsere Tirailleurs-Linien, die sie von Berg zu Berg, von Schlucht zu Schlucht auf dem Fuße verfolgten, oft stark drängten und ungestraft in die geschlossenen Haufen hineinschossen, ohne daß die schwerfälligen englischen Schützen, wie viele auch brav das Leben auf ihrem Posten opferten, die leichtfüßigen Guipuzcoaner hätten zurückhalten können. Ich glaubte den Kampf beendigt, da die Feinde fast schon ihre ursprüngliche Stellung wieder erreicht hatten, und ich freute mich, daß wir, wiewohl ohne entscheidenden Sieg davon zu tragen, die Versuche des überlegenen Feindes so rühmlich zurückgewiesen. Der General hielt auf einem Hügel, von dem wir einen Theil der Feuerlinie übersehen konnten, als ziemlich fern zur Rechten lebhafteres Feuer gehört wurde, weshalb ein Adjudant, mit dem ich, da er französisch sprach, näher bekannt geworden, Befehl erhielt, dorthin zu eilen; da hier schon Alles ruhig war, begleitete ich ihn. Da die Truppen einen stark eingehenden Bogen bildeten, suchten wir auf der kürzesten Linie zur Stelle zu kommen, bogen um die scharfe Ecke eines mit Unterholz bedeckten Hügels und ... sahen, dreißig Schritte entfernt, ein Detachement christinoscher Jäger vor uns. Schon waren die Büchsen auf uns gerichtet: mein Gefährte sank todt vom Pferde, das meinige stürzte nach einem verzweifelten Sprunge zu Boden, halb mich bedeckend, während die Ordonnanz, welche hinter uns ritt, in gestrecktem Galopp davon jagte. Im nächsten Augenblicke war ich umringt und unter dem Pferde hervorgezogen -- eine Kugel hatte mir das Bein, doch nicht gefährlich, verletzt. Halb betäubt blickte ich um mich, in die dunkeln Gesichter der Jäger, ich zweifelte noch und konnte mir das Schreckliche nicht möglich denken; ich fühlte mich zagen bei dem Gedanken: ich bin gefangen. Gefangen! Wo waren nun meine herrlichen Träume, wo waren Auszeichnung und Krieges-Ehre und alle die stolzen, wilden Hoffnungs-Gebilde, die meine Brust so oft stürmisch gehoben hatten! -- Da freilich hatte ich wenig Zeit zu solchen Betrachtungen. Ich verfluchte auf gut deutsch mein Geschick; bemühete mich, die Fragen des feindlichen Officiers französisch zu beantworten, und machte gute Miene zum bösen Spiel, dem Feinde durch festen Muth auch im Dulden zu imponiren. Doch wurde ich damals sehr gut, selbst mit Rücksicht behandelt, und da ich den Soldaten meine Börse ausgehändigt, ward ich nicht weiter ausgeplündert. Oberstlieutenant Evans hatte, wie er sagte, seine Recognoscirung auf Fuenterrabia glücklich ausgeführt und sich dann zurückgezogen; oder, wie alle Welt sonst unverschämt es nannte, sein Plan, Irun und Fuenterrabia zu nehmen, war ganz mißlungen, und er hatte lebhaft gedrängt und mit schwerem Verluste in seinen Verschanzungen Schutz suchen müssen. Solche verschiedene Versionen waren damals sehr gebräuchlich, und man sah wahrhaft wunderbare Dinge in dem Genre. Das Detachement, in dessen Hände ich gerathen, hatte sich seinem Bataillone angeschlossen und zog mit ihm nach kurzer Rast der Festung zu, wohin auch ich geführt werden sollte. Man glaubte meiner wohl ganz sicher zu sein, da ich innerhalb der Linien doch schwerlich entschlüpfen konnte: so blieb ich fast ganz unbeachtet, bald an der Tete, bald weit zurück marschirend und gelegentlich mit irgend einem Officier einige Worte wechselnd, der mit seiner Kenntniß des Französischen paradiren wollte. Meine Gedanken schweiften unstät umher, bis sich bald alle in dem Streben und der Hoffnung concentrirten, die Freiheit wieder zu erlangen; die Idee schon gab mir neue Kraft und erhöhete meinen Muth. In der That schien die Gelegenheit günstig sich darzubieten. Am Nachmittage machte das Bataillon in einem kleinen Weiler Halt, worauf die Soldaten, erschöpft wohl vom Kampfe und der Hitze des Juli-Tages, theils in den Schatten der Bäume sich niederstreckten, theils zu den Häusern eilten, Lebensmittel oder Getränk sich zu verschaffen. Eine Zeit lang saß ich ruhig auf einem Steine, besorgt, keinen Verdacht zu erregen, spatzierte dann auf und ab und schlug, da Niemand auf mich achtete, den Weg nach San Sebastian ein. Eine Minute später hatte ich die Heerstraße verlassen und erstieg, durch Bäume und Gebüsch verborgen, rechts die Höhen-Reihe, die längs dem Meere sich hinzieht. Das Dörfchen blieb weit unter mir links zurück, als ich Entdeckung fürchtend in dichtem Gesträuch den Abend zu erwarten beschloß. Da lag ich in furchtbarer Spannung regungslos. Knaben trieben, kaum zehn Schritte entfernt, ihr Vieh zu einer Lache, die nur der Busch von mir schied; dann hörte ich einen schweren Tritt langsam nahen: da zitterte ich. Das Gesicht halb mit dem Basken-Barett bedeckt, stellte ich mich schlafend; das Geräusch näherte sich, hörte auf, näherte sich wieder, schon war es neben mir. Fest geschlossenen Auges und regelmäßig athmend lag ich da. Wohl Minuten stand das unbekannte Wesen über mir -- eine Ewigkeit schienen sie mir --, dann setzte es ohne andern Laut seinen schwerfälligen Marsch fort, häufig wie vorher ihn unterbrechend. Lange, lange schon hörte ich nichts, ehe ich ein Auge halb zu öffnen wagte: nichts war sichtbar. War es ein Mensch? War es ein Thier? Es ist mir stets ein Räthsel geblieben. Endlich brach die ersehnte Dämmerung an. Ich eilte aus meinem Versteck und folgte raschen Schrittes dem Höhen-Zuge, der längs dem Meere nach Fuenterrabia mich führen sollte. Die herrliche Sommernacht erleichterte den gefährlichen Marsch, der Glanz der Gestirne, auf dem dunkeln Blau des spanischen Himmels heller leuchtend, ersetzte das Licht des Mondes; ein sanfter, kaum fühlbarer Hauch von der See her störte nicht die wohlthuende Ruhe der Natur. Selbst die Wogen des Vizcaischen Meeres, immer fast stürmisch erregt, murmelten lieblich zu meiner Linken, und ich war mehrfach versucht, schwimmend ihnen mich anzuvertrauen. -- Etwa eine Stunde lang folgte ich der Höhe, oft erschreckt durch das Säuseln des Grases oder den Schall eines Steinchens, den mein Fuß den Abhang hinabrollen machte, nicht selten athemlos mich zu Boden werfend, wenn ein verdächtiger Laut mein Ohr traf. Da plötzlich ward dumpfer Lärm zur Seite hörbar, Lichter funkelten am Fuße des Berges, und ich stand über jähem Abgrunde, in dessen Tiefe große dunkle Körper aus der Silberfläche des Wassers erkennbar waren. Ich befand mich über dem Hafen von Passages, von einer Schlucht gebildet, die den Felsenzug durchschneidet, der das Meer hier begränzt, und deren Eingang so schmal ist, daß nur ein Schiff zur Zeit ihn passiren kann; zwischen dem Hafen und dem Felsen bleibt nach Frankreich hin ein kleiner Raum, der gerade eine Straße, ~Pasages de Francia~ genannt, fassen konnte. ~Pasages de España~ liegt auf der Westseite der Bucht, die es nur mit seiner schmalen Seite berührt, da der Felsen, fast perpendikulär auf ihre Wasserfläche sich senkend, nicht wie im Osten den Ort zu erbauen erlaubte. Rascher Entschluß war nöthig: den folgenden Tag durfte ich keinen Falls erwarten, dazu war kaum die Nacht angebrochen, vielleicht konnte ich im geschäftigen Treiben der Stadt unbemerkt den Hafen passiren. Auf Umwegen suchte ich den südlichen Abhang hinabzusteigen, ich glitt bald weite Stellen hinunter, stolperte dann über Felsen und Baumwurzeln und mußte Hecken überspringen und mehrere terrassenförmig angelegte Gärten forciren; an Händen und Gesicht verletzt sah ich mich endlich wieder auf der Heerstraße. Ich durchschritt langsam und mit gleichgültigem Äußern die Straßen der Stadt, in denen Matrosen und Soldaten[15], fast alle Engländer, sich durch einander drängten, und erreichte bald den Quai; neue Verlegenheit: eine Brücke existirte nicht, Umgehung der Bai war nicht möglich, da ein Fluß in sie einmündet. Doch Zaudern vermehrte nur die Gefahr. Ein Boot, in das ein fein gekleideter Mann, wohl ein britischer See-Officier sich gesetzt, war im Begriff abzustoßen, ich sprang hinein. Der Engländer fragte mich englisch, wer ich sei, dann, da ich nicht antwortete, spanisch, worauf er, da ich einige unverständliche Worte murmelte, abzustoßen befahl, ohne Zweifel nach meinem Anzuge für einen Officier des baskisch-christinoschen Corps mich haltend, ~chapelgorris~ -- Rothhüte -- genannt, da sie wie wir das farbige Basken-Barett trugen. Am andern Ufer angekommen, grüßte ich ihn und verschwand in einem Gäßchen, welches in die Häuserreihe einschnitt. Der Weg führte auf den Felsenriff, der, nur durch den Hafen von dem getrennt, auf welchem ich bis hieher gekommen, längs dem Meere fortlief, derselbe, auf dem ich den ersten Kampf gekämpft, in dem mein armer Schweizer den Todesschuß erhielt. Die steile Höhe war bald erstiegen. Der schwierigste Theil der Flucht stand noch bevor: ich mußte die Vorposten-Linie des Feindes passiren, wobei die Helle der Nacht, die mir bisher so günstig gewesen, nun zum Hinderniß wurde. Über Felder und hinter Hecken fort schlich ich mit Vermeidung aller Wege den Posten zu, die ich endlich Gewehr im Arm ihren regelmäßigen Gang auf und ab spatzieren sah. Umsonst versuchte ich den Durchgang nahe bei dem Meere: die Chaine war bis zu der hohen Felsküste ausgedehnt; umsonst schlich ich hinter der Linie auf und ab, eine weniger scharf bewachte Stelle suchend. Da machte ein helles „~quien vive?~“ das Blut mir in den Adern gerinnen -- ich stand bewegungslos, lautlos -- nochmals ertönte nicht dreißig Schritt vor mir der furchtbare Ruf; dann war Alles still. Lange, lange stand ich wie eine Statue, es mochten Minuten sein, mir schienen sie Jahre; endlich begann ich rückwärts zu gehen, Fuß vor Fuß, besorgt, dem etwa forschenden Auge durch veränderte Stellung einen neuen Gegenstand der Aufmerksamkeit darzubieten. Schon wagte ich langsam mich umzudrehen: ein neues „~quien vive!~“ -- ich stand wie vom Blitz getroffen. Da antwortete eine sanfte weibliche Stimme von der andern Seite her, und rasch gingen zwei Bäuerinnen, hohe Körbe auf den Köpfen tragend, wenige Fuß von mir entfernt vorüber. Ich benutzte das Geräusch ihrer Schritte, um mich gleichfalls von dem gefürchteten Posten zu entfernen. Doch wozu mehr der Schrecken jenes Abends! Ein Hund, mit lautem Gebell mir folgend, trieb mich zu rasender Verzweiflung, daß ich mit dem Messer auf ihn stürzte, ihn zu tödten; dann die Patrouillen, die fast mich berührend, den im Schatten eines Felsen oder Busches Hingestreckten unbemerkt ließen! Wohl darf ich sagen, daß ich nie später, nie früher solches Gemisch, so raschen, erstarrenden Wechsel der Hoffnung und des Schreckens, der Anspannung aller geistigen und körperlichen Fähigkeiten und plötzlicher Erschlaffung empfand, die doch wieder dem Drange des Wollens weichen mußte; dazu der Schmerz, stets wachsend, und die Lähmung der Wunde, die, wiewohl leicht, durch die entsetzliche Anstrengung in jedem Augenblick empfindlicher wurde. -- Hoffnungslos wollte ich den Versuch machen, mit Gewalt die Kette zu durchbrechen. Einer der Posten rief mich an, da eine englische Patrouille dicht hinter mir erschien: ich ward umringt und fortgeführt, von Neuem ein Gefangener. * * * * * Der Sergeant, mit dem ich einige Worte gewechselt, geleitete mich zu der großen Schanze über Passages. Da er dort seinen Bericht abgestattet, erhob sich dumpfes Gemurmel: „~the spy, the spy!~“ unter den Leuten, der dort commandirende Marine-Officier aber befahl kalt dem Sergeanten: „~give him to the Spaniards to shoot him~“; mit gleich kalter Verbeugung wandte ich mich, dem Sergeanten zu folgen. Doch der erklärte, daß ich englisch spreche, was Allem eine andere Wendung gab. Nachdem ich eine Viertelstunde mit dem Officier mich unterhalten, wobei ich, da nach spanischem Gesetz der entflohene Gefangene Todesstrafe hat, als zufällig nach dem Gefechte zu weit vorwärts gegangen und verirrt mich angab, ging ich Arm in Arm mit ihm nach Passages hinunter, wo wir mit einigen andern Engländern mehrere Flaschen leeren mußten. Dann fuhren wir auf einem kleinen Boote nach San Sebastian und blieben während der Nacht auf dem Dampfschiffe Isabel, dessen Bemannung ganz aus Engländern bestand. Nachdem wir trotz der mir offen ausgesprochenen Ansicht Aller, daß ich am andern Tage würde erschossen werden, bis lange nach Mitternacht gescherzt und getrunken, schlief ich bis zum Frühstück auf einem Sopha, worauf einer der Officiere, nachdem alle feierlich den Abschiedstrunk mir gereicht und herzlich Gutes wünschend meine Hand gedrückt hatten, zum Oberstlieutenant -- im Dienste Christina’s General-Lieutenant -- Evans mich begleitete. Unpäßlich empfing er mich im Bette und befragte mich um manches die Faktion, wie in Spanien die carlistische Parthei gewöhnlich genannt wird, und mich selbst Betreffende; wenn ich da die Antwort meist umging, konnte ich natürlich über das, was die Politik des Vaterlandes und dergleichen anging, nur meine Unwissenheit erklären. Dann sagte er mir, daß ich, da die Legion kein Pardon erhielte noch gäbe, sofort hätte erschossen werden müssen, daß er aber, da ich doch als Hannoveraner Unterthan desselben Königs und eigentlich ein „halber Engländer“ sei, den Spaniern als Gefangenen mich übergeben werde. Ohne dieses Mal gegen das ~half english~, das so guten Dienst mir leistete, zu protestiren, folgte ich freudig dem Officier, der dem Gouverneur der Citadelle mich übergeben sollte, und ward bald in das mir bestimmte Zimmer eingeschlossen, nachdem der Gouverneur, ein Spanier, mich hatte scharf durchsuchen und unter nichtigstem Vorwande Alles, was ihm anstand, mit Beschlag belegen lassen. Mein Zimmer bestand aus einem großen Rechteck mit zwei Alkoven, in deren einem ein Strohsack, das einzige Meubel sich befand. Täglich zwei Mal erschien ein altes Weib, mir einen kleinen Teller in Öl gekochter Bohnen und ein Stückchen Ekel erregenden Brodes zu bringen; für schweres Geld, durch den Verkauf des mir nicht Entrissenen verschafft, konnte ich Chocolate, der Spanier gewöhnliches Morgengetränk, haben; andere Erquickung war versagt, und selten nur mochte Etwas hereingeschmuggelt werden. Der Zufall wollte, daß ich mein Handbuch des Spanischen und ein anderes mir werthes Buch in der Tasche gehabt, sie konnten die Habsucht nicht reizen und waren daher ein herrlicher Trost in der Einsamkeit des Kerkers mir geblieben; sie las, durchdachte ich wieder und wieder. Und dann ging ich Stunden lang auf und ab, zur fernen Heimath versetzt, das Vergangene von Neuem durchfühlend, alles mir Theure den Augen des Geistes vorzaubernd. Die Gefühle jener Stunden klangen oft erhebend in die bittere Niedergeschlagenheit hinüber, die wohl den Gefangenen auch geistig fesseln wollte. Es war mir erklärt, daß, so wie ich das Fenster öffnete, auf mich geschossen würde; es ging aber, wenigstens dreißig Fuß über dem Boden erhaben, auf einen Theil des Wallganges, auf dem mehrere Schildwachen standen, und der rings von entsetzlichem Abgrunde umgeben Flucht unmöglich machte, da der einzige Pfad mitten durch die Wache führte. Bald wagte ich denn auch, vorsichtig mein Fenster zu öffnen, und o Freude! es blieb fast immer unbemerkt, so daß ich auch der herrlichen Aussicht und der frischen Meeresluft mich erfreuen durfte. Links bis zum Horizont dehnte sich die blaue Meeresfläche, bald bewegungslos wie ein Spiegel leuchtend, bald thürmte es im wilden Kampfe der Elemente seine Wogen häuserhoch und hüllte mit dumpfem Gebrüll das Felsengestade in Schaum. Fast immer schmückten es ein- und auslaufende Schiffe oder zahllose Fischerboote, häufig zog die leichte, feine Gestalt einer englischen Fregatte meine Aufmerksamkeit an oder ein Dampfschiff, stets gleich sicher die Wellen durchschneidend, schien die dunkeln Qualm-Wolken in langem Schweife sich nachzuziehen. Etwas weiter rechts erhob sich einem Gewölk nicht unähnlich die Hügelküste Frankreichs, auch bei Nacht durch das Feuer der Leuchtthürme weithin sichtbar. Vor mir breitete sich in seiner ganzen Schönheit das Thal aus, in dem die Straße nach Passages hinläuft, oft von den Schaaren der Christino’s und ihrer britischen Genossen durchzogen; eine Schiffbrücke verbindet es mit der Festung. Dann erschien der Hafen mit seinem Mastenwalde, und über ihm hinaus erhoben sich stufenweise die Gebirgsreihen, zu denen die Carlisten nach der Ankunft der englischen Legion zurückgedrängt waren. Von dort drang nicht selten das Getöse des Gefechtes zu mir, oder der Schüsse Blitzen, wenn der Kampf bis in die Nacht sich verlängerte, durchzuckte in rascher Folge die Dunkelheit. Das waren die elendesten Tage der Gefangenschaft! Tief unter der Citadelle bot die Stadt den größten Theil der Straßen meinem Blicke dar, und deutlich unterschied ich das immerwährende Getümmel auf dem Marktplatze, auf dem die Spanier einen nicht unbedeutenden Theil ihres Lebens zuzubringen pflegen. San Sebastian ist nicht regelmäßig gebaut, aber sehr freundlich, die Straßen sind schmal, da der kleine Raum sorgfältig benutzt wurde, die Häuser, sonst geschmackvoll, durchgehends sehr hoch, oft sechs, sieben Stockwerke auf einander gethürmt. Die Stadt liegt auf einer durch eine hohe isolirte Felsmasse gebildeten Halbinsel, die im Norden vom Meere, im Westen vom Hafen und nach Morgen von einem Meeres-Arm umgeben ist, welcher sich so weit erstreckt, daß er vom Hafen nur durch eine schmale Landenge getrennt ist, die die kleine zwischen dem Felsen, dem Arme und dem Hafen eingeschlossene Ebene, auf der die Stadt gegründet, mit dem Festlande verbindet. Die Befestigung besteht nach der Landseite aus einem Kronwerke, nach dem Meere zu ist San Sebastian durch das auf dem Felsberge errichtete, nur auf schmalem, vielfach sich windendem Wege zugängliche Castell ganz gedeckt und beherrscht. Die Festung ist in der That eine der festesten und durch seine Lage wichtigsten des Königreiches; sie möchte am besten von der Westseite her anzugreifen sein, wo jenseit des Meeresarmes der Höhenzug, welcher bis Passages ununterbrochen hinläuft, innerhalb Kanonenschußweite zur Höhe des Castells sich erhebt, während jener Arm zur Zeit der Ebbe ohne Schwierigkeit passirt wird. Dort besonders hatten die Carlisten vor der Ankunft der Legion die Werke errichtet, die wegen Mangel an Material nur zur Blokade dienten, von dort aus griff Wellington’s englisch-spanische Armee die Festung an und nahm sie nach kräftiger Vertheidigung. Die Einförmigkeit der Gefangenschaft wurde oft, wiewohl nicht angenehm, durch die Engländer unterbrochen, die in großer Zahl im Zustande der Trunkenheit und wegen Insubordination[16] als Arrestanten auf dem Wallgange oder im äußern Hofe sich befanden und wohl unter meinen Fenstern ihre Spiele trieben. Der Anblick war furchtbar widerlich, ich würde nicht ihn zu beschreiben wagen. Doch frappirte mich wiederholt die Bemerkung, daß unter diesem Abschaum des Inselreiches Männer sich fanden, die augenscheinlich einer höhern Sphäre angehört, andere, deren Erziehung ihrem jetzigen Zustande moralischen wie physischen Elendes ganz unangemessen schien. Ich erinnere mich, daß einer der Soldaten seine mit Narben bedeckte Brust entblößend schwur, daß er nicht mehr den feindlichen Lanzen trotzen werde, da man so ihn lohne, worauf ein Zweiter ihm Horaz’s schönes „~dulce et decorum est pro patria mori~“ anführte. Ein anderer Elender aber, in seinen grauen Mantel, seine einzige Kleidung, gehüllt, und im Schatten ausgestreckt, erwiederte trocken: „~sed dulcius vivere pro patria~.“ * * * * * Sechs Wochen waren verflossen, sechs traurige Wochen, als die Ordre Cordova’s anlangte, der gemäß ich nach Vitoria sollte abgeführt werden. Froh verließ ich an einem der letzten Tage August’s das Castell, um auf dem Dampfschiffe ~la reyna gobernadora~ nach Santander eingeschifft zu werden. Die Officiere des Schiffes, wiederum sämmtlich Engländer, empfingen mich eben so zuvorkommend und herzlich wie früher die der Isabel, ja sie zeichneten mich so aus, daß, während zwei christinosche Officiere, die die Überfahrt mit machten, in beliebigem Winkel auf der Erde schliefen und aus eigenem Vorrathe kalte Küche genossen, ich an der Tafel der Officiere Theil nahm und selbst in des Capitains Cajüte ein Bett mir bereitet fand. Überhaupt zeigten die Engländer hohen Unwillen, gar Verachtung gegen ihre spanischen Gefährten, und wohlthuend war es mir, die Bravour der carlistischen Officiere sie mit Bewunderung anerkennen zu hören, da sie stets an der Spitze ihrer Krieger die Ersten auf den Feind sich stürzten, während die constitutionellen Officiere in den ersten Jahren des Krieges häufig hinter Felsen und Bäumen versteckt die freistehenden Soldaten zum Vorrücken ermunternd gesehen wurden. Ein Adjudant des Generals Jauregui erregte unser Lächeln, da er mit Depechen nach Santander im Augenblick der Abreise anlangte und da auf seine ängstliche Frage ein Midschipman sehr ernst ihm antwortete, daß wir wohl stürmisches Wetter haben würden, sofort mit seinen Depechen in das Boot zurücksprang und nicht wieder erschien. Capitain, Officiere, alle Welt erklärte sich für gänzlich überdrüßig dieses Krieges mit solchen Bundesgenossen; sie verhehlten sich nicht die Elemente der beiden Partheien für den Sieg und für den Widerstand, ihre Verhältnisse und die Neigungen des Volkes. Nach nur zu rasch geendeter Fahrt längs der Küste Vizcaya’s warfen wir auf der Rhede von Santander Anker, nachdem man mich auf einen Felsen aufmerksam gemacht, den die britischen Seeleute wegen seiner Ähnlichkeit mit des Feldherrn Adlernase ~Wellington’s nose~ genannt haben. Bald erschien ein Platzadjudant mit einem Detachement, dem er unter meinen Augen zu laden befahl, und da ich an Bord das Abschieds-Glas geleert und viele warme Händedrücke und Wünsche empfangen, ward ich in dem Boote ans Land und in der Mitte von acht Soldaten zum Gefängniß geführt. Doch hatte der Anblick englischer Höflichkeit so viel vermocht, daß der Adjudant beim Fortgehen mir gleichfalls die Hand reichen und seiner Theilnahme mich versichern zu müssen glaubte, was wiederum auf die Artigkeit des Kerkermeisters wohlthätig wirkte; so lange ich nämlich Lust hatte, seine Gefälligkeiten, sein Bett und die Speisen seiner Küche zehnfach zu bezahlen. Da ich jedoch nach kurzer Zeit in Rücksicht auf meinen traurig zusammenschrumpfenden Geldbeutel erklärte, daß ich mit dem mich begnügen werde, was mir als Gefangenen ausgesetzt sei, sah ich mich plötzlich auf Schwarzbrod reducirt, indem mir mürrisch erklärt wurde, das mir bestimmte Geld reiche nicht hin, um irgend Etwas zu kaufen. Die Aussicht war trostlos; doch ward ihr nach ein Paar Tagen ein Ende gemacht, da ich, von einer Escorte von zwanzig Mann umgeben, Santander verließ und auf einem Esel die Straße nach Burgos entlang zog. Bisher hatte ich geglaubt und geklagt, daß ich schlecht und allem Völker- wie Krieges-Rechte zuwider behandelt werde, doch sollte ich nun erkennen, wie relativ der Begriff des Guten und Schlechten ist und wie die Ideen unserer liberalen Gegner über Ehre und Recht von denen der andern Europäer abwichen. Während des Tagemarsches durfte ich in der That nicht klagen, denn wenn der Officier sich ganz gleichgültig zeigte, so thaten die Soldaten dagegen, was sie nur thun konnten, um das Harte meiner Lage mir weniger fühlbar zu machen; die christinoschen Soldaten waren meistens nicht wegen individueller Meinung in jenem Heere: durch Gewalt waren sie ausgehoben, Furcht, Gewohnheit, oft Gleichgültigkeit hielt sie fest. So bestand denn das Unangenehme nur in den Volkshaufen, die lärmend, oft drohend, mir durch die Ortschaften folgten, und in den Diners, die ich von neugieriger Menge umringt, stets auf dem Marktplatze halten mußte, oder in den Bemerkungen der Weiber. So wie wir aber Abends im Nachtquartier anlangten, begann das Elend. Irgend ein unterirdisches Loch ohne Fenster noch Luftzug, geschwärzt von Qualm und Rauch, stinkend und voll Ungeziefer, der Landplage Spaniens, nahm mich auf, oder -- noch widerlicher -- ich sah mich mit den niedrigsten Verbrechern beider Geschlechter, zwischen denen Kinder im Schmutz sich wälzten, in engem Kerker vereinigt, deren freche Vertraulichkeit ich mit Mühe zurückweisen konnte, während die Scenen, die unter solchen Menschen vorauszusetzen, mit Ekel und Abscheu mich füllten. Glücklich schätzte ich mich, wenn ich selten ein Mal in einem Fort der Obhut eines Officiers und einer militairischen Wache übergeben wurde. Wohl darf ich meine Überzeugung aussprechen, daß, wäre ich der Sprache wie später Meister gewesen, hätte ich irgend eine Geldsumme zu meiner Verfügung gehabt, es mir nicht schwer geworden wäre, mit Leuten und Waffen, ja mit den Officieren vielleicht, mich davon zu machen und den Meinigen sie zuzuführen. Ihre Unterhaltung, ihre Fragen, einzelne Bemerkungen verriethen, wo nicht immer Geneigtheit für die carlistische Parthei, Kälte gegen die, welche sie vertheidigten, und vor Allem die nun in allen Classen der Spanier so gewöhnliche Verderbtheit, welche, wenn ihr Interesse angeregt, wenn ihnen +genug+ geboten wird, sie bereit macht, schnöder Geldgier Alles zu opfern. Nachdem wir die hohe Kette überschritten, die so reich an malerischen und majestätischen Scenen von dem Hauptstamme der Pyrenäen bis Galizien sich hinzieht, und da wir den Ebro seiner Quelle nahe mehrere Mal passirt hatten, wandten wir uns links von der Straße von Burgos über Reynosa, Pancorvo und Miranda auf Vitoria. Ich dachte der Zeiten, in denen auf eben diesen Gefilden Wellington’s Armee der Herrschaft Napoleon’s in der Halbinsel den letzten entscheidenden Schlag gab; ein Gefangener fand ich mich, wo einst so viele meiner braven Landsleute, viele persönlich mir Theure in den Reihen des siegreichen Heeres gekämpft. Mannigfache Empfindungen mußte der Gedanke in mir hervorrufen! General Cordova hatte das Commando niedergelegt und in Folge der neuen gewaltthätigen Änderung der Verfassung nach Frankreich sich zurückgezogen, weshalb ich den Ebro entlang wieder über Miranda, Arro und Logroño nach Calahorra geführt wurde, wo General Oraa, der interimistisch den Oberbefehl übernommen, einen Angriff auf Estella vorbereitete. Wir trafen ihn am 13. Sept. früh im Augenblicke des Abmarsches, da schon die Truppen aufgebrochen waren. Er ertheilte Ordre, mich bis auf Weiteres in das Depot zu Logroño zu placiren, wohin ich abgeführt wurde, nachdem ich von einem Mordversuch der Soldaten der Garnison gerettet war. Wie immer auf dem Marktplatze von der müßigen Menge umringt, genoß ich ruhig die Chocolate, welche ein alter Capitain, der in Rußland Kriegsgefangener gewesen, mir übersandt. Da nahten sich fluchend mehrere Soldaten und warfen der Escorte vor, daß sie mich nicht längst unterwegs getödtet hätten; sie schimpften auf den Ehrenmann, der mir die Chocolate geschickt: die Liberalen könnten auf der Straße verhungern, ohne daß Jemand sich ihrer annehme. Der Lärm tobte jeden Augenblick mehr, laut ward mein Blut gefordert, schon berührten die Bajonete meine Brust, Messer funkelten: ich strebte als braver Carlist fest zu sterben. Doch die kleine Escorte, deren Zuneigung ich erworben, drängte sich zu meinem Schutze, sie stieß die Wüthenden mit Kolbenstößen zurück und entriß mich mit Mühe dem tobenden Pöbel, der durch die Straßen bis ins Freie mit Mordgeschrei uns folgte. Mehrere Verwundungen waren vorgekommen. Am folgenden Tage sah ich in dem zur Caserne umgeschaffenen Kloster der Jesuiten von Logroño ein kleines, reinliches Zimmer sich mir öffnen, in dem ein junger spanischer Officier in französischer Sprache sein Vergnügen ausdrückte, daß die traurige Gefangenschaft durch so angenehme Gesellschaft ihm erleichtert werde. [13] Die Bataillone bestehen in Spanien aus acht Compagnien, von denen zwei, die Grenadier- und die Jäger-Compagnie, als Elite -- ~de preferencia~ -- bezeichnet werden. Sie formiren an der Tête und Queue des Bataillons, wählen ihre Leute aus den übrigen Compagnieen und haben im Kriege, da sie stets ergänzt werden, oft die doppelte oder dreifache Stärke derselben. Sie sind stets die ersten und letzten dem Feinde gegenüber, leiden daher immer unverhältnißmäßig, weshalb die Officiere, die besten des Bataillons, auch mehr Avancement haben, wenn sie mit dem Leben davonkommen. Die Compagnie, welche 125 Mann stark sein soll, zählt einen Capitain, zwei Premier-, zwei Seconde-Lieutenants. Im Kriege führt sie natürlich oft ein Seconde-Lieutenant, in mehreren Fällen sah ich selbst einen zweiten Sergeanten -- Unterofficier -- die Compagnie mehrere Tage lang commandiren, da stets außerordentlich viele Officiere der Carlisten, ganz im Gegensatze der Christinos, blieben. [14] Da ein Capitain mit seiner Compagnie zur Besetzung und Vertheidigung einer Reihe Felsen beordert wurde, sah ich ihn seine Leute im Kreise zum Beten des Rosenkranzes vereinigen, worauf er einen Caplan bat, ihnen für den Fall des Todes die Absolution zu ertheilen, was sogleich feierlich geschah. [15] Als die Feinde Passages nahmen, fanden sie dort nur Weiber. Die Männer ohne Ausnahme waren den Carlisten gefolgt, und ergriffen die Waffen gegen ihre Unterdrücker. [16] Viele behaupteten, nur auf ein Jahr sich engagirt zu haben, und weigerten sich daher, ferner zu dienen. V. Es ist Viel über die empörenden Grausamkeiten geschrieben, die allgemein wie besonders gegen die Kriegsgefangenen von beiden Partheien im spanischen Bürgerkriege begangen sind; und -- wie die Umstände es mit sich brachten -- die öffentliche Meinung hat sich allgemein gegen die Carlisten als Urheber und Hervorrufer jener Schreckens-Scenen ausgesprochen. Dieses war natürlich. Die Constitutionellen hatten zu ihrer Verfügung zahlreiche öffentliche Blätter, durch die sie sich bemüheten, die Ereignisse so darzustellen, wie es ihren Zwecken genehm war. Sie schilderten jede neue Rachethat der Carlisten mit den schwärzesten Farben, die ihre Phantasie hervorzubeschwören vermochte, während sie die unglaublichen Frevel, durch die jene Thaten hervorgerufen und ihre Gegner zu wildester, rücksichtsloser Verzweiflung gereizt sein mußten, ganz mit Stillschweigen übergingen. Sie fanden aber in der liberalen Presse der Nachbarländer eifrige Verbündete, welche sich beeilten, die so entstellten Thatsachen zu verbreiten, durch ganz Europa den Schrei des Abscheu’s gegen die Royalisten Spanien’s ertönen zu machen. Diese dagegen besaßen nicht solche Zeitschriften, selbst nicht Zeit zum Schreiben und zum Aufklären des Truges, sie waren genöthigt, zu den Verleumdungen zu schweigen, die meistens wohl nicht ein Mal bis zu ihren Bergen und Lagern durchdrangen; und wenn etwa eine vereinzelte Stimme in der Fremde zur Rechtfertigung der schmählich Verleumdeten sich erhob, war sie bald durch hundertfaches Geschrei der Getäuschten oder bei der Täuschung Interessirten übertönt und erstickt. Ich werde durch Thatsachen, von deren Genauigkeit ich mich zu überzeugen Gelegenheit hatte, das gegen die Carlisten als Menschen so allgemein herrschende Vorurtheil zu bekämpfen suchen, wie sehr ich auch die Schwierigkeit und Undankbarkeit des Unternehmens würdige: -- gerade seinen Vorurtheilen klammert das arme Menschen-Geschlecht ja am festesten sich an. Dabei muß ich voraussenden, daß ich keinesweges leugne, daß von einzelnen Individuen Grausamkeiten begangen sind: in solchem Kriege und bei solchem Charakter des Volkes waren sie unvermeidlich. Aber die Tendenz der Carlisten als Ganzes, ihrer Leiter und hervorstehenden Personen war stets auf Milde und Großmuth gerichtet; selbst da verleugneten sie diese nicht, wo Pflicht der Selbsterhaltung, Pflicht gegen ihre Untergebenen sie zwang, den Schreckens-Maßregeln der Christinos durch Strenge einen Damm zu setzen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Übrigens bezieht sich das hier zu Sagende, wenn auch großen Theils auf ihn anwendbar, nicht auf den -- stets als blutdürstigen Tiger bezeichneten -- General Cabrera. Gegen ihn haben so mannigfache Stimmen sich erhoben, mit Hintansetzung alles Rechtes und aller Wahrheit so die Schmähungen ihm gehäuft, daß die Gerechtigkeit erfordert, ihm später abgesondert einige Zeilen zu widmen. Werfen wir einen Blick auf den Beginn des Bürgerkrieges, auf die Zeit, da kurz nach Ferdinands VII. Tode die baskischen Provinzen und in den andern Theilen des Königreiches viele einzelne Edle für Carl V. zu den Waffen griffen. In Blut sollte da der drohende Aufstand erstickt werden: in allen Städten wurden Blutgerüste errichtet, die Verdächtigen wurden eingekerkert, die mit den Waffen in der Hand Gefangenen sofort erschossen. Wir sahen früher, wie die Anhänger der unschuldigen Isabella in den Nordprovinzen wütheten, wie dort Mina, Sarsfield, Valdes, Lorenzo, Rodil in Mord und Zerstörung wetteiferten. Sie erließen Tod und Vernichtung athmende Edikte, sie brannten die Dörfer der aufgestandenen Distrikte nieder, zerstörten Saaten und Vorräthe, schändeten die Frauen und Mädchen und opferten ohne Barmherzigkeit, wen immer sie den carlistischen Guerrillas angehörig oder ihnen nur günstig gesinnt glaubten. Bald fiel der edle Don Santos Ladron, der General, der unter Ferdinand VII. an die Spitze der Getreuen sich gestellt hatte, in Lorenzo’s Hände: mit seinen Gefährten ward er zu Pamplona rücklings erschossen, worauf der Mörder, seiner Schandthat sich rühmend, neue Proclamationen, noch mehr Mord schnaubend als die früheren, erließ und freudig den Entschluß des Gouvernements ankündigte, +keinem+ Rebellen Gnade zu schenken. Und die Carlisten? Ohne Zweifel regten ihre Anführer zu blutiger Rache sie auf, vergalten Drohung mit Drohung, Tod mit Tod? -- General Eraso, der in den Thälern von Ober-Navarra befehligte und nach Ladron’s Ermordung seine Stelle als Chef des Aufstandes einnahm, indem er den Seinen den Tod ihres Führers anzeigte, forderte sie auf, zu bedenken, daß sie für eine gerechte Sache, für die Religion der Liebe kämpften, daß sie daher nicht Böses mit Bösem vergelten, auf die Gerechtigkeit ihrer Anstrengungen gestützt vielmehr durch Großmuth die Wuth der Revolutions-Kämpfer bändigen, den durch die Bravour errungenen Sieg verschönern müßten. -- So beantworteten anfangs der Carlisten Anführer die immer erneuten Drohungen und Gräuel der Generale Christina’s. Zumalacarregui übernahm das Commando. Seine Armee wuchs täglich an Zahl und Furchtbarkeit, er schlug den Feind, nahm Forts und machte zahllose Gefangene: entweder sandte er sie auf ihr Versprechen, nicht mehr dem Feinde zu dienen, in die Heimath oder gab ihnen, wenn sie es begehrten, die Waffen für ihren König. Seine Gegner, Rodil, Mina und die vielen untergeordneten Führer, fuhren fort, jeden Carlisten niederzumetzeln, und beantworteten seine wiederholten Anträge für menschliche und völkerrechtliche Kriegführung gar nicht oder durch Hohn. Zumalacarregui drohete wieder und wieder: -- neue Schlächterei! Die Christinos hielten sich stets für die Stärkeren und daher -- sehr logisch -- für gerechtfertigt in Allem, was sie thun möchten, ihr Übergewicht zu sichern oder ihrer Vernichtungs-Wuth zu genügen. Da +durfte+ Zumalacarregui nicht länger die Rücksichten der Menschlichkeit gegen den Feind vorwalten lassen; die Pflicht gegen die Seinen und gegen die Sache, welche er vertheidigte, schrieb seine Maßregel vor: er befahl zu Repressalien zu schreiten, für jeden außer Gefecht getödteten Carlisten einen Gefangenen zu erschießen. Da auch dieses ganz wirkungslos war, ordnete er für jeden Gemordeten die Erschießung von zehn der zahlreichen Gefangenen, die seine Siege ihm täglich in die Hände spielten, und deren doch die größere Zahl lebend blieb. Fühllos bei dem Jammer der Ihrigen, wie sie bei dem Todes-Zucken der Gegner es gewesen, fuhren die feindlichen Generale in ihrem Blut-System fort: jeder Gefangene ohne Ausnahme wurde erschossen. Indem er die Gräuel verfluchte, die er durch alle Mittel zu verhüten gesucht, befahl da auch Zumalacarregui, daß fortan den Feinden kein Pardon gegeben werde -- bis sie ihre Ausrottungs-Dekrete zurücknähmen und menschlichere Art der Kriegführung adoptirten. So war das Schreckenswort ausgesprochen: von beiden Seiten Kampf auf Leben oder Tod. So hatten ihn die Christinos gewollt, so ward er ihnen; doch der carlistische Feldherr, auf das Äußerste gereizt, verleugnete sein inneres Gefühl nicht. Er stellte es dem Feinde anheim, durch Aufhebung des Systemes, das ihn zu Gleichem gezwungen, sogleich dem Blutvergießen willkommenes Ende zu machen. Während des Jahres 1834 und im Anfange 1835 wurde der Krieg mit allen Schrecknissen der Vernichtung fortgeführt. Und doch betrachten wir näher das Betragen der beiden Armeen während jener Zeit! Die Christinos, es ist wahr, hatten nicht häufig Gelegenheit, an carlistischen Gefangenen ihre Wuth zu äußern; aber findet sich wohl ein Beispiel, daß sie in solchem Falle der Unglücklichen verschont hätten? Fielen sie nicht Alle unter ihren Streichen! Und nicht nur die Waffen tragenden Freiwilligen, auch deren Väter und Brüder, friedliche Landleute, ja entfernte Verwandte, Frauen und Kinder wurden von den feindlichen Colonnen in fühlloser Wuth hingeopfert. Bald fanden sie nur noch die verlassenen Dörfer vor, da jedes menschliche Wesen bei ihrer Annäherung in die unzugänglichsten Gebirge entfloh; zur Strafe plünderten sie dann die Wohnungen, brannten beim Abmarsch sie nieder und verkündeten wieder Tod einem Jeden, der seinen Wohnsitz verlasse. Zumalacarregui aber erfocht Sieg auf Sieg, er schlug die feindlichen Divisionen, eroberte Fort auf Fort, reinigte nach und nach die baskischen Provinzen und Navarra und machte selbst Einfälle jenseit des Ebro nach Castilien; es ist leicht zu erachten, daß während der langen Sieges-Periode viele Tausende in seine Hände fallen mußten. Der Befehl, keinen Pardon zu geben, existirte fortwährend, denn die Feinde hatten keinesweges mildere Saiten aufgezogen. So sanken Tausende -- unter ihnen General O’Doyle, O’Donnel, dessen zwei Brüder in den Reihen der Royalisten mit Auszeichnung fochten, und andere hohe Officiere -- unter dem rächenden Arm der Carlisten, Opfer der Grausamkeit ihrer eigenen Feldherren. Aber dennoch siegte oft Menschlichkeit und Großmuth über die Gebote der Klugheit; dennoch rief Zumalacarregui in den glorreichen Tagen, da er die Divisionen O’Doyle und Osma vernichtete, seinen Freiwilligen, die die Fliehenden niedermachten, zu, vom Blutbade abzulassen, da er so Entsetzliches nicht sehen könne -- und achthundert der Feinde wurden gefangen fortgeführt und durften in die Bataillone der Sieger eintreten; dennoch entsandte er die im Hospital von los Arcos gefundenen Officiere und Soldaten und selbst die Garnison, welche im Fort verzweifelten Widerstand geleistet, frei nach Logroño, während einige Meilen von dort Mina mehrere verwundete Carlisten, die er in der Pflege von Bauern in der Nähe von Pamplona entdeckte, hervorschleppen und erschießen, diese Bauern erschießen, einen Jeden, der Bedauern ausdrückte, erschießen und dann die Häuser, in denen die Verwundeten verborgen gewesen, niederbrennen ließ.[17] Unzähligen Gefangenen gab der carlistische Feldherr die Waffen, so selbst sein strenges Rache-Gesetz umgehend, da doch längst die Erfahrung ihn belehrt, daß die Mehrzahl, des entbehrungreichen Lebens der Carlisten bald überdrüssig, bei erster Gelegenheit zu ihren früheren Cameraden zurückkehrte. Andere entließ er, da sie geschworen, nicht mehr gegen die Sache des Königs zu fechten; und wenige Tage später standen sie wieder ihm gegenüber, da die Generale der Revolution, nicht gesonnen, solches Versprechen zu achten, die Verschonten zu einer andern Division zu versetzen sich begnügten, um ihre Wiedererkennung im Falle eines zweiten Unglücks zu erschweren. Und welchen Eindruck machte so edles Verfahren auf die Christinos? Da sie nicht ein einziges Beispiel der Milde alle dem entgegensetzen können, müssen sie nicht vielmehr zugestehen, daß, so oft Zumalacarregui sein Repressalien-Gebot in der ganzen Strenge ausführte, eine neue blutige That ihrerseits vollgültigen Grund dazu gegeben, ihn zur Unterdrückung seiner Gefühle und Neigungen gezwungen hatte? * * * * * Lord Elliot erschien auf dem Kriegsschauplatze, um durch die Vermittelung der britischen Regierung, der Verbündeten Christina’s, den Vertrag in’s Leben zu rufen, der den Kriegsgefangenen Leben und Auswechselung sicherte. Die Carlisten empfingen freudig seine Anträge; die Christinos zögerten und widerstrebten, und als ihr Oberfeldherr dem Dringen des britischen Bevollmächtigten nachzugeben wagte, da erhoben die wilden Exaltados ihr Geschrei gegen ihn, als Schwächling, ja als Verräther ihn stempelnd. Zumalacarregui im Auftrage seines Monarchen nahm unbedingt die vorgeschlagenen Artikel an; die Christinos beschränkten den Vertrag auf die Armeen der Nord-Provinzen, während in Galicien, Catalonien, Aragon, Valencia und der Mancha, wo zahlreiche Carlisten-Corps sich gebildet, der Krieg wüthete. Umsonst forderte Zumalacarregui, die Wohlthaten des Vertrages auf die ganze Halbinsel ausgedehnt zu sehen. In den Nord-Provinzen fühlten die Christinos sich schwächer und mußten befürchten, daß das Gewicht der erbarmenlosen Kriegführung ferner, wie so lange schon, auf sie zurückfallen werde: da gaben sie nach. In den andern Provinzen aber hielten sie sich für die Stärkeren, dort, hofften sie, sollte die Wagschale des Blutes ganz zu ihren Gunsten sich senken; sie hüteten sich wohl, durch Zulassung des allgemeinen Vertrages die Hände sich binden zu lassen. Carl V., wohl zu sehr der Stimme der Menschlichkeit allein Gehör gebend, nahm dennoch den so verstümmelten Vertrag an und gab dadurch das einzige Mittel aus der Hand, durch das er, wo er überlegen war, die Gewaltthaten der Revolutionäre gegen die Schwächeren hätte zügeln mögen. Erst spät, als sie auch dort die Macht der Carlisten schwer über die ihrige sich erheben sahen, willigten die Feinde ein, für die Armeen von Aragon und Catalonien ähnliche Übereinkünfte zu treffen; freudig boten die Carlisten die Hand dazu. Der Sieg entschied sich für die Christinos. Da beeilten sie sich -- Espartero im Frühjahr 1840 --, die lästigen Banden abzuschütteln, welche nur die Noth ihnen aufgezwängt, und der Oberfeldherr verkündete in einer in allen Städten und Dörfern angehefteten Generalordre,[18] daß fortan den Rebellen, die Widerstand leisteten, kein Pardon gegeben werde. In Galicien aber und in der Mancha waren die Truppen der Königinn stets den royalistischen Guerrillas überlegen; sie hatten also gar keinen Grund, ihre Neigungen zu verleugnen, und konnten ohne Furcht und ohne Rücksicht ihr Schreckens-System auf den höchsten Grad treiben. Da wurde ein jeder Gefangene und jeder carlistisch Gesinnte erschossen, ihre Angehörigen mit Schimpf vertrieben, die der Anführer nach langen Qualen ohne Gnade hingemordet; da starben die neun und dreißig Verwandten des Haupt-Chefs in der Mancha, D. Vicente Rojero -- Palillos --, getödtet ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, die Frauen bis zum letzten Augenblicke zur Befriedigung viehischer Lust benutzt -- das ungeborne Kind ward der zum Tode geschändeten Mutter, der Enkelin Palillos’s, aus dem Leibe gerissen und füselirt, um keine Spur von Leben zurückzulassen;[19] gefangene Chefs wurden in Galicien geviertheilt, die zuckenden Glieder als Trophäen über die Stadtthore ausgesteckt. Und wenn da Palillos, nur noch der Rache lebend, das furchtbare: „es sterbe alles Lebende“ aussprach, wenn jene Unglückliche, zum Tode getroffen in Allem, was dem Menschen theuer, was ihm heilig ist, in der Raserei der Verzweiflung nur Vernichtung athmeten und mit Wollust die Gehaßten hinopferten; -- dann wurden sie der Welt als fluchwürdige Ungeheuer dargestellt, aller Schonung und allen Mitleides unwürdig! * * * * * So weit die kämpfenden Heere. Und das Volk? Es wäre eben so ermüdend als widerlich, hier in detaillirte Beschreibung aller der tausendfach wiederholten Excesse mich einzulassen, die in fast allen Theilen, allen Hauptstädten der Monarchie gegen Carlisten ausgeübt wurden, weshalb ich mich begnüge, diese Gräuel im Umrisse anzudeuten. Zuerst wandte sich die Wuth des Volkes gegen die Mönche: in Madrid erstürmten wilde Haufen die Klöster, ermordeten viele seiner Bewohner, verjagten die übrigen, welche bei jedem Schritte neue Mißhandlungen zu leiden hatten; die Regierung wollte oder mußte schweigen. Zaragoza, Barcelona, Valencia, fast alle Hauptstädte der Provinzen und viele andere Orte folgten dem Beispiele der Residenz: die Mönche wurden niedergemetzelt oder im Falle hohen Glückes ins Weite gejagt, Hungers zu sterben oder den carlistischen Guerrillas sich anzuschließen, denn die erbärmliche Unterstützung, die die Regierung ihnen zusagte, wurde Jahre lang nicht gezahlt. Dann wurden die herrlichen Klostergebäude geplündert, oft zerstört, die reichen Denkmale der Kunst und Wissenschaft, die in ihnen aufgehäuft waren, barbarisch vernichtet, die Kirchengüter um Spottpreis hingegeben, die Kostbarkeiten verschwanden unter den Händen der Behörden, denen Niemand Rechenschaft abforderte, die heiligen Gefäße wurden zum niedrigsten Gebrauche mit Spott herabgewürdigt. Wer Schmerz, wer Bedauern auszudrücken wagte, war ein Feind des Volkes und litt als solcher. Als General Guergué im Jahre 1835 nach Catalonien gezogen war, fiel der ausgezeichnete Oberst der Cavallerie O’Donnell mit einigen hundert Mann in die Gewalt der Feinde; der Elliot’sche Vertrag sicherte ihm das Leben, und er ward mit vielen andern Gefangenen in die Citadelle von Barcelona eingeschlossen. Am 4. und 5. Januar 1836 erhob sich das Volk der Stadt und forderte den Tod der Gefangenen. Die Behörden zogen sich nach einigen Vorstellungen zurück und beschlossen, sich ganz passiv zu verhalten. Das Volk erstürmte ohne Blutvergießen die feste Citadelle, deren Gouverneur ohne Vertheidigung die Thore zu schließen sich begnügte, die Gefangenen wurden hervorgeschleppt, schrecklich mißhandelt und ermordet. O’Donnell mit 107 seiner Gefährten erlitt solches Geschick. Das Volk überhäufte mit Schimpf den Leichnam, schleifte ihn durch die Straßen, verschlang ihn endlich zum Theil, nachdem es ihn geröstet hatte. -- Der commandirende General Mina gab auf Anfrage der Regierung als Veranlassung der Schauderthat die Ermordung aller Gefangenen im carlistischen Fort Nuestra Señora del Hort an; die Königinn Wittwe übersandte der National-Garde von Barcelona, die hauptsächlich jene Scene veranlaßt und ausgeführt, eine Ehrenfahne. Am 24. Januar nahm General Mina das Fort del Hort; sämmtliche christinosche Gefangene, deren Tod die Ursache jener Ereignisse gewesen, wurden unversehrt gefunden: Mina ließ die ganze Garnison erschießen! Andere Städte eilten auf die Nachricht der Ereignisse in Barcelona jubelnd zur Nachahmung; durch ganz Catalonien hallte der Todesschrei, floß Blut, nur in Tarragona gelang es, die Gefangenen durch rasche Einschiffung zu retten. In Zaragoza wurden zur Beruhigung des Volkes zwei carlistische Officiere zum Tode verurtheilt und erdrosselt, bald vier andere, die deportirt werden sollten, auf Verlangen des Pöbels, welcher mit drohendem Geschrei den Gerichts-Saal umtobte, gleichfalls verurtheilt und ermordet; die Richter, welche nicht für den Tod gestimmt hatten, entkamen kaum durch die Flucht. In Cartagena brach der Aufstand im Mai aus, und einige zwanzig Carlisten fielen als Opfer; die Behörden blieben ruhige Zuschauer. Im Anfange Juni’s ward Brigadier Torres, der Nordarmee angehörend, bei Huesca gefangen und nebst einem Oberst und zehn Officieren in Jaca erschossen, weil -- Cabrera die Officiere der geschlagenen Colonne Valdez habe erschießen lassen. Die Christinos hatten die Ausdehnung des Pardons auf die Heere von Aragon verweigert; jetzt benutzten sie die Folgen ihrer Weigerung als Vorwand für den Bruch des Zugestandenen. Carl V. aber hatte auf die Kunde der Ermordung O’Donnell’s eine Proclamation erlassen, durch die er die Seinen aufforderte, fern von ähnlichen Ausschweifungen, stets dem gegebenen Worte treu die Gefangenen mit Großmuth zu behandeln und ihm die Sorge zu überlassen, welche Maßregeln die Wiederholung solcher schändenden Grausamkeiten verhüten möchten. Es ist in dem ganzen Kriege nicht ein Beispiel zu finden, daß das Volk, wo die carlistischen Behörden herrschten, seiner Wuth habe ungezügelt sich hingeben können. Die Stellvertreter der Königinn gaben entweder dem wilden Drängen des Volkes nach, oder stellten sich gar an dessen Spitze oder -- -- wurden ermordet. Wie selten finden wir in den tausendfach wiederholten Aufständen, daß die Behörden mit Kraft ihnen entgegenzutreten und die Ruhe zu erhalten wußten! * * * * * Denn tausendfach wurden solche Scenen wiederholt, tausendfach floß bis zum Schlusse des Krieges in allen Theilen Spanien’s das Blut +wehrloser+ Carlisten oder carlistisch Gesinnter, und wenn ich diese Thatsachen nicht weiter anführe, ist der Abscheu der Grund, der sie zu detailliren mir unmöglich macht. Sie sind so vielfach besprochen, durch die öffentlichen Blätter zu ihrer Zeit so verbreitet, daß mein Schweigen darüber wohl keiner Mißdeutung fähig ist. Dagegen fordere ich jeden Christino, jeden der revolutionären Regierung Spanien’s Anhängenden auf, zu forschen, wo je von den Carlisten, so wie ihre Feinde sie nicht gezwungen, ähnliche Grausamkeiten begangen sind, wo sie nicht auf das Treuste den eingegangenen Verpflichtungen nachgekommen sind, wo sie -- so oft vergebens -- nicht die Hand zuerst zum menschlichen Kriegführen geboten haben. Wohl mag ich freudig das Resultat des Forschens erwarten. Ja, wie oft -- und wieder +fast+ immer vergebens -- haben sie, während ihre Gegner am blutigsten gegen sie wütheten -- sie durch herrliche Beispiele der Großmuth und Milde zu edlerem Verfahren zu zwingen gesucht, nicht ahnend, daß der Mensch auch dagegen kalt und fühllos bleiben könne! Doch muß ich, ehe ich schließe, auf eine frühere Bemerkung zurückweisen: ich leugne nicht, daß von einzelnen Individuen, Carlisten oder unter deren Namen, verabscheuungswürdige Thaten begangen sind; sie können auf das Ganze oder zu seiner Beurtheilung keinen Einfluß üben. Dazu kann nur die Tendenz der Parthei, ihres Königs und ihrer Führer dienen; diese Tendenz habe ich gezeigt und der der christinoschen Parthei und ihrer Führer[20] jeder Art gegenübergestellt, so weit sie den gerade zu behandelnden Gegenstand betrifft. Übrigens werde ich selbst Gelegenheit haben, einzelner, von Einzelnen ausgeübter Grausamkeiten und Erbärmlichkeiten zu erwähnen, protestire aber ganz gegen die Art, mit der solche benutzt sind, um das Urtheil derer, die nicht aus persönlichem Anschauen schließen können, falsch zu leiten, so wie gegen die Urtheile, welche auf solche nicht nur einseitige, sondern auch ganz entstellte Darstellungen gegründet sind. [17] Alles buchstäblich. So führte auch Zumalacarregui, da er in Vitoria eingedrungen, eine Anzahl Gefangene fort; unterweges erfuhr er, daß Einige der Seinigen, die in den Händen der Garnison geblieben, erschossen seien, was natürlich den sofortigen Tod der Christinos zur Folge hatte. [18] Ich las sie wiederholt. [19] Auf Befehl des Commandeurs der Reserve-Armee, General Narvaez, wurden diese Gräuel im Jahr 1838 auf den höchsten Grad gesteigert; selbst die Christinos schrieen entsetzt gegen solches Übermaß der Grausamkeit. [20] Die Königinn ist bei solcher Regierungsform Nichts, eine Puppe, die eben so gut durch jede andere ersetzt oder gar ganz bei Seite geworfen wird. VI. Früher sagte ich, daß, seit General Villareal an Graf Casa Egina’s Statt den Oberbefehl der carlistischen Armee übernommen, eine plötzliche Änderung des Kriegssystems eingetreten sei. Villareal glaubte des Sieges sich zu versichern, da er, statt wie bisher, durch allmähliches Ausbreiten der Herrschaft in dem Hauptsitze des Aufstandes sich zu stärken, nach den andern Provinzen des Königreiches Truppencorps entsendete, um sie zu insurrectioniren und den etwa vorhandenen Krieges-Elementen einen festen Anhaltspunkt zu geben, wie zur Erleichterung des auf den baskischen Provinzen lastenden Druckes und um die Hülfsquellen von ganz Spanien sich zugänglich zu machen. Die Expeditionen von D. Basilio Garcia, Gomez und Sanz, rasch auf einander folgend oder gleichzeitig, waren die ersten Resultate der neuen Politik; ich werde sie, um Verwirrung zu vermeiden, nach einander behandeln. Später werde ich die Nachtheile zeigen, welche diese Expeditionen, so wie sie ausgeführt wurden, nach sich ziehen mußten; die Kühnheit und Gewandheit, die einige von ihnen bis tief in’s Innere des feindlichen Gebietes mitten zwischen weit überlegenen Divisionen hinführte, konnte übrigens leicht das Urtheil des Zuschauers bestechen, und als Beweis ihrer Zweckmäßigkeit wurde angeführt, was nur für die Bravour und Standhaftigkeit der Truppen, wie für die Vorzüge der Anführer zeugen kann. Am 15. Juni passirte D. Basilio Garcia den Ebro unterhalb Logroño mit 3000 Mann Infanterie und 200 Pferden; er warf sich in die ~pinares~ -- mit Fichtenwaldungen bedecktes Gebirgsland -- von Soria, nahm diese Stadt und wandte sich nach zweitägigem Aufenthalte daselbst nach der Provinz Guadalajara. Cordova hatte zu seiner Verfolgung den General Bernuy mit 5000 Mann ausgesendet, eine zweite Colonne unter General Aspiroz eilte von Madrid aus ihm entgegen. Don Basilio aber, gewandt beiden Divisionen ausweichend, durchzog ganz Neu-Castilien und den größten Theil Nieder-Aragon’s, drang in die bedeutenderen Städte, ohne sich jedoch irgendwo festsetzen zu können, und erhob allenthalben Contributionen und Mannschaft. Nachdem er so während zweier Monate den Krieg bis zur Mancha getragen und zwei Mal durch seine Annäherung Madrid in höchsten Schrecken versetzt, nahm er bei Ararzo 300 Mann gefangen, schlug den Angriff Bernuy’s, der ihn zum ersten Male bei Maranchon ereilte, mit schwerem Verluste zurück und langte am 26. Aug. mit 1200 Rekruten, fast 800 Gefangenen und 240 beladenen Maulthieren nebst bedeutenden Geldsummen in Navarra an. * * * * * Von höherem Interesse war die Expedition des General Gomez, der am 26. Juni 1836 Amurrio in Alava mit fünf Bataillonen und zwei Escadronen, 2700 Mann Infanterie und 170 Pferden, verließ und, nachdem er am 27. die feindliche Reserve-Division unter General Tello, 6000 Mann stark, seinen Abmarsch zu hindern bestimmt, bei Revilla gänzlich geschlagen, in Asturias eindrang. Der Brigadier Marquis von Bóveda begleitete ihn als Chef des Generalstabes. Er sollte in Asturias und Galicien sich festsetzen, beide Provinzen insurrectioniren, die dortigen carlistischen Banden um sich sammeln und organisiren und so versuchen, sie auf den Zustand zu heben, in dem die baskischen Provinzen sich befanden, mit denen sie durch das Gebirge von Santander leicht in Verbindung standen; die Ausführung des Planes hätte der Sache Christina’s verderblich werden müssen. Schon im Jahre 1835 war General Eraso, einer der ersten und edelsten carlistischen Feldherrn, der nach Zumalacarregui’s Tode den Oberbefehl, schon gleichfalls dem Tode nahe, ablehnte, mit einigen Bataillonen nach Asturien vorgedrungen; sein Versuch scheiterte jedoch an dem Grund-Typus des Charakters der Asturianer und Galicier, der ängstlich berechnenden Vorsicht, die ihnen, wie carlistisch sie gesinnt sein mochten, nicht erlaubte, die Waffen zu ergreifen, wo sie sofort Übel ohne Zahl aus solchen Schritten erwarten durften. Übrigens boten beide Provinzen große Vortheile für die Kriegsart der Carlisten dar, da sie sehr gebirgig und doch großentheils fruchtbar sind und unendlichen Reichthum an Vieh haben. Dagegen ist dort das Geld sehr selten, indem der Handel mit den Produkten des Landes trotz der günstigen Lage unbedeutend bleibt, daher das Sprichwort: „der Galicier hat Alles im Hause, nur kein Geld.“ In der That erzeugt das Land alle Bedürfnisse im Überfluß, und die große Sparsamkeit der Galicier, die ihnen den Ruf des Geizes zu Wege gebracht, macht, daß im Innern der Provinz die Bewohner eines jeden Hauses das irgend Nöthige aus den selbst gewonnenen Produkten zu verfertigen wissen. Nachdem Gomez, schon hart verfolgt, in den Gebirgen des südlichen Asturien manövrirt, warf er sich durch einen raschen Contremarsch auf die Hauptstadt Oviedo und ruhete dort drei Tage lang. General Espartero war ihm mit seiner Division, 9000 Mann in 12 Bataillonen, von Vizcaya aus gefolgt, während der General-Capitain von Alt-Castilien, General Manso, mit 5000 Mann von Süden gegen ihn rückte; so konnte sich Gomez, da er wenig Anklang fand, in Asturien nicht halten und wandte sich, ein kleines dort gebildetes Bataillon zurücklassend, nach Galicien, vereinigte einen Theil der dortigen Guerrillas und zog am 18. Juli in die Hauptstadt, Santiago de Compostella ein, die der General-Capitain des Königreiches geräumt hatte. Er ward dort mit hohem Enthusiasmus empfangen und konnte sofort ein starkes Bataillon aus zuströmenden Freiwilligen bilden. Da er jedoch nach zwei Tagen bei Annäherung der durch General Pardiñas verstärkten Division Espartero die Stadt geräumt hatte, blieben am Abend des ersten Marschtages noch siebenzehn Soldaten des Bataillons übrig, da die andern nach Santiago zurückgekehrt waren. Er durchzog, stets die feindlichen Generale täuschend, in jedem Sinne die Provinz, glaubte aber, da die Theilnahme gering, die gegen ihn operirenden Streitkräfte unendlich überlegen waren, sich nicht in ihr festsetzen zu können. So kehrte er, die Feinde weit zurücklassend, nach Asturien zurück und drang, während man in Madrid, da er in dem Winkel Galicien’s eingeschlossen, die Nachricht seiner Vernichtung erwartete, anfangs August’s in das Königreich Leon ein, dessen Hauptstadt er gleichfalls besetzte. Einige Wochen operirte Gomez in den Provinzen Leon, Palencia und Burgos; sein Auftrag war, wiewohl unerfüllt, beendigt, dazu hemmten die Gefangenen, deren Zahl schon die seiner Truppen überstieg, jede Bewegung. Er suchte daher, in Gewaltmärschen die feindliche Linie cotoyirend, sie zu durchbrechen und so nach Vizcaya zurückzukehren. Doch während Espartero und Manso ihn kräftig drängten, hatte sich Cordova zwischen ihn und die Linie geschoben, den Durchbruch unmöglich machend, weshalb Gomez, da er in einem Nachtrab-Gefechte etwa 100 Mann verloren, was Espartero als Vernichtung der Division berichtete, nach gehaltenem Kriegsrathe in das Innere der Halbinsel den Krieg zu tragen beschloß und also nach Osten sich wandte, wo er mit den carlistischen Chefs in Aragon sich zu vereinigen hoffte. Am 23. August zog das Expeditions-Corps in Palencia ein, und große Magazine von Kriegsbedürfnissen jeder Art nebst mehreren Cassen fielen in seine Hände, dann drang es in die Provinz Guadalajara vor und setzte Madrid in solche Bestürzung, daß alle compromittirten Personen ihre Effekten gepackt, die Ministerien und anderen Behörden sich zur Flucht vorbereitet hatten. Brigadier Lopez wurde mit seiner Brigade, 3000 M. stark, als Avantgarde des Kriegsministers, Marquis Rodil, der mit der ganzen Besatzung von Madrid nach der Nordarmee hatte abgehen sollen, gegen Gomez beordert, während Alaix mit der Division Espartero ihn auf dem Fuße verfolgte und die mobile Colonne von Soria von Norden ihn bedrohen und hindern sollte, nach Navarra sich zu wenden.[21] Am 30. August fand Gomez die Brigade Lopez in einer vortheilhaften Stellung im Dorfe Matillos bei Jadraque, zehn Meilen von Madrid: die Truppen hatten, da Lopez sich zurückziehen wollte, ihren Anführer gezwungen, den Feind zu erwarten. Gomez umstellte das auf einer Höhe liegende Dorf und griff kraftvoll an; nach einer halben Stunde war das Dorf erstürmt, Lopez mit 2800 Mann gefangen, seine beiden Geschütze waren genommen und nur zwei Uhlanen entkamen, den geängstigten Bewohnern Madrid’s die Nachricht von der Vernichtung der Brigade zu bringen. Gomez aber, seiner Schwäche sich wohl bewußt, setzte den Marsch nach Aragon fort; er durchzog die Provinz Cuenca, nahm Moya, drang bis Chelva im Königreiche Valencia und vereinigte sich, da er seine Verwundeten und alle Gefangenen nach Cantavieja geschickt, bei Utiel mit General Cabrera, der den größten Theil seiner Cavallerie und die Brigaden Quilez und Miralles, 3400 Mann Infanterie und 400 Pferde, ihm zuführte. Gomez beschloß nun, nach seiner Heimath Andalusien vorzudringen, da die Fruchtbarkeit dieser Königreiche und ihr nicht durch den Krieg verminderter Reichthum ihm herrliche Beute versprachen, wenn er selbst nicht dort sich festsetzen könnte, was der Charakter der Andalusier wohl nicht mit Grund hoffen ließ. Unendlich schlau, selbstsüchtig und lebenslustig sind sie wenig geneigt, die Ruhe des Friedens gegen die Beschwerden zu vertauschen, die der Krieg unvermeidlich macht; sie fühlen sich nicht so sehr durch ihre Meinungen hingerissen, daß sie deshalb den Gefahren einer Erhebung, den Leiden sich aussetzten, die die Niederlage mit sich bringen müßte. In ihrer Indolenz und Trägheit, die doch mit glühendem Blute und wild aufbrausender Leidenschaftlichkeit verbunden sind, ist ihr einziges Streben auf Lebensgenuß gerichtet, und wenig kümmert es sie, ob Carl V., ob Isabella’s Vormünder ihnen Gesetze ertheilen. Sie ziehen es vor, den Gang der Ereignisse abzuwarten, um in dem Augenblicke, der den Sieg für eine der streitenden Partheien sich entscheiden sieht, mit hohem Enthusiasmus sich zu erheben und einstimmig als begeisterte, ruhm- und lohnwürdige Patrioten sich zu verkünden. Ein geistreicher Officier, selbst Andalusier, stellte einst die Behauptung auf, der Krieg werde erst beendigt sein, wenn ganz Andalusien in Masse sich erhoben hätte; denn, setzte er auf das ungläubige Lächeln der Umstehenden hinzu, meine Landsleute rühren sich gewiß nicht, bis sie den Sieg für uns entschieden sehen. Die Christinos boten nun alle Kräfte auf, um Gomez’s weitere Fortschritte zu hindern, weshalb General Rodil Madrid mit allen disponibeln Truppen verließ und, die Hauptstadt deckend, über Guadalajara mit 8000 Mann heranzog, während Alaix mit 9000 Mann unmittelbar die Expedition verfolgen sollte. Die vereinigten carlistischen Führer brachen am 15. Sept., nachdem ein Versuch gegen das feste Requena mißlungen, nach der Mancha auf, wurden aber am 19. bei Tagesanbruch in Villarrobledo auf der Gränze von Cuenca und la Mancha durch Alaix überfallen. Es gelang diesem, den rechten Flügel der Carlisten, ehe er überrascht sich hatte formiren können, zu werfen, und trotz einiger glänzenden Chargen der beiden Escadronen des Brigadiers Villalobos ritt der Chef der feindlichen Cavallerie, Oberst Don Diego Leon, mit dem Regiment Husaren der Kronprinzessinn, einige Bataillone nieder, die in wilder Verwirrung dem nahen Gebirge zuflohen. Der linke Flügel aber unter Cabrera’s Befehl wies, an das Gebirge gestützt, den Angriff kräftig zurück und deckte durch seine feste Haltung den Rückzug der übrigen Corps; dennoch verloren die Carlisten gegen 1300 Gefangene von den Bataillonen, die vor dem Andringen der Husaren sich zerstreut und dadurch wehrlos sich in ihre Hände gegeben hatten. Alaix hätte durch energische Benutzung seines Sieges dem Expeditions-Corps verderblich werden können. Er blieb aber, seine erschöpften Truppen ruhen zu lassen und die Gefangenen nach Cartagena zu senden, in Villarrobledo stehen und setzte sich erst nach mehreren Tagen zur Verfolgung in Bewegung. Gomez hatte, so wie er die geschlagenen Truppen formirt, den Marsch auf Andalusien fortgesetzt. Er durchkreuzte die Mancha, warf sich in die Sierra morena, passirte den Engpaß des Despeñaperros, wo nur auf enger, zwischen Felsen und Abgründen eingezwängter Straße die Verbindung zwischen Castilien und Andalusien möglich ist, und zog am 26. Sept. in la Carolina im Königreiche Jaen, dann in das Innere streifend in Ubeda am Guadalquivir, in Baylen und Andujar auf der großen Heerstraße ein, überschritt jenen Fluß und rückte gegen Cordova vor. Am 30. Sept. erschien Cabrera, der die Vorhut befehligte, vor den Thoren der reichen Hauptstadt, wo Niemand den Feind erwartet hatte; ungeheure Verwirrung herrschte, während die Truppen und National-Gardisten großentheils in die Forts sich einschließen wollten, eilten andere zur Vertheidigung der Mauern und Thore. Da Cabrera, der an der Spitze einiger Reiter die Stadt umkreisete, einem derselben sich nähernd, es geschlossen aber ohne Truppen fand, befahl er den Einwohnern, es zu öffnen, und stürmte durch die Straßen, aus denen die Besatzung nach den Forts sich zurückzog, wo sie bald, 3500 M. stark mit drei Kanonen, sich ergab. Die Eroberung Cordova’s hatte dem eben so braven als wie loyalen Cavallerie-Brigadier Villalobos das Leben gekostet, da er mit weniger Mannschaft einem der festen Gebäude zufällig sich genähert hatte. Von allen Seiten eilten die feindlichen Massen herbei, um combinirt das kleine Carlisten-Corps zu vernichten. Alaix hatte schon die Sierra morena überstiegen, und Rodil, durch die Vereinigung mit der Division Rivero 11000 Mann stark, zog durch die Mancha heran, während der General-Capitain von Andalusien die ganze Provinz in Kriegszustand erklärte und bei Sevilla ein Corps zusammenzog, General Escalante mit einer kleinen Colonne von Malaga, General Quiroga eben so von Granada und eine dritte Colonne von Estremadura heranrückte. Trotz so vieler drohenden Maßregeln konnte Gomez vierzehn Tage lang in Cordova bleiben, wo er eine Regierungs-Junta errichtet hatte und dauernde Herrschaft zu beabsichtigen schien; der größte Theil der Provinz, den Krieg schon als beendigt ansehend, proclamirte jubelnd Karl V. als König. Zahlreiche Rekruten-Bataillone, aus den Freiwilligen gebildet, die von allen Seiten herbeigeströmt, wurden rasch organisirt und exercirt. Damals zählte Gomez etwa 13000 Mann unter seinem Commando, weshalb ihm häufig zum Vorwurf gemacht ist, daß er mit solchen Streitkräften sich nicht in Cordova behauptete; doch darf nicht übersehen werden, daß ihm nicht nur die feindlichen Führer um mehr als das Doppelte überlegen blieben, sondern auch die Hälfte seiner Truppen aus so eben bewaffneten Rekruten bestand, daß die Lage der Provinz Cordova, rings den feindlichen Colonnen offen, sehr ungünstig ist, während die wilde und ganz nackte Sierra morena wohl Räuber-Banden bergen, nicht aber einer Armee als dauernder Aufenthalt und Stütze dienen kann, daß endlich von dem Geiste der Einwohner, so hell er plötzlich aufloderte, auf die Länge nichts erwartet werden durfte. Nachdem Cabrera am 5. Oct. bei Baena die Colonne Escalante’s vernichtet und 400 Mann gefangen hatte, zog am 9. Gomez dem nahenden Alaix entgegen, kehrte jedoch ohne Kampf zurück und räumte am 13. die Stadt, die der Feind sogleich besetzte und unter dem Vorwande, die royalistisch Gesinnten zu strafen, fast sie ganz plünderte; die Truppen ließen die furchtbarsten Excesse sich zu Schulden kommen, Alaix selbst warf viele der angesehensten Einwohner in’s Gefängniß, erhob schwere Contributionen, raubte die kostbaren Kirchen-Geräthe und behandelte die Stadt schlimmer als eine feindliche. Gomez aber ward von dem Bedauern der Einwohner begleitet, als er abzog. Während der ganzen Expedition zeigte er so viel Menschlichkeit und Milde, daß selbst die Christinos einige Mal sein untadelhaftes Betragen anzuerkennen genöthigt waren: überall ward das Privat-Eigenthum streng respektirt und Niemand seiner Meinung wegen belästigt; er verkündete im Namen des Königs allgemeine Amnestie für Diejenigen, welche sich unterwürfen, und begnügte sich die National-Gardisten zu entwaffnen, wo sie sich nicht widersetzten, wenn sie aber Widerstand leisteten, als Kriegsgefangene sie zu behandeln. Viele von diesen entließ er nach kurzer Haft in ihre Heimath. Gomez sorgte dafür, daß die Contributionen, welche er allenthalben erheben mußte, mit Rücksicht eingetrieben wurden, die Disciplin wurde unter den Truppen mit Strenge aufrecht erhalten, jede Gewaltthätigkeit, jeder Insult hart bestraft, Plünderungen fanden selbst in den mit den Waffen in der Hand genommenen Städten niemals Statt. Dennoch hatten die häufigen Gefechte, da die Gefangenen stets dem Sieger ihr Geld ausliefern mußten, und die zahllosen Convoys und königl. Cassen, die auf dem langen Zuge der Division in die Hände fielen und unter die Truppen vertheilt wurden, solchen Überfluß an Geld in dem Corps erzeugt, daß die Einzelnen, in deren Taschen, wie gewöhnlich im Kriegerleben, durch Spiel das Geld sich concentrirte, dem Bürger allenthalben 25 und 30 ~duros~ in Silber für eine Gold-Unze -- 16 ~duros~, 84 ~francs~ -- gaben. Der eine Vorwurf, der nach deutschem Kriegsrechte dem carlistischen General gemacht werden könnte -- er ließ die Gefangenen, wenn sie den forcirten Märschen nicht folgen konnten, niederschießen -- ist durch spanischen Kriegsbrauch ganz zurückgewiesen, wie denn auch die Feinde stets eben dasselbe thaten und deßhalb nie der Grausamkeit ihn anklagten. Dagegen ließ Alaix in allen Orten des gewiß christinoschen Gebietes, in denen die Expedition gewesen, seine Soldaten ungestraft Ausschweifungen begehen, und fünf Parlamentäre, welche Gomez mit Vorschlägen wegen Auswechselung der Gefangenen und der Etablirung neutraler Hospitäler zu ihm gesendet hatte, unter ihnen einen Oberst, schickte er als Kriegsgefangene nach Granada. Die Anträge aber seines edlen Feindes, ihm die Gefangenen, da sie nicht zu folgen vermochten, gegen einen Empfangschein überliefern zu wollen, wogegen er eben so viele Carlisten, sobald er könne, zurückzugeben habe, wies er mit der Bemerkung zurück, die Gefangenen seien ihrer Parthei todt, möchten also seinetwegen sterben. * * * * * Nach der Räumung Cordova’s warf sich Gomez in die Sierra morena. General Rodil im Norden, General Alaix im Süden folgten seinem Marsche parallel auf einer Entfernung von vier bis fünf Meilen, ohne daß einer der beiden einen Angriff auf das Expeditions-Corps versucht hätte, welches so zwischen sie eingezwängt war. Nachdem er drei Tage in solcher Begleitung geblieben war, täuschte Gomez die ihrer Beute gewissen, stets für den nächsten Bericht die Vernichtung des schon rettungslosen Feindes verheißenden Generale, ließ sie weit zurück, stieg vom Gebirge nach Norden herab und erschien nach einigen Scheinmärschen am 22. Oct. vor der festen Stadt Almaden, bekannt durch seine reichen Quecksilber-Minen. Die Avantgarde unter Cabrera’s Führung überraschte eine vom General Flinter, dem Chef der activen Division von Estremadura, zur Recognoscirung entsendete Schwadron Carabiniers und drang mit ihr, auf dem Fuße sie verfolgend, in die Stadt ein, wo auf die größte Sorglosigkeit, da Niemand, auf den Schutz der christinoschen Divisionen vertrauend, einen Angriff erwartet, eben so große Verwirrung folgte. Flinter, ein Engländer, und Brigadier de la Fuente, Gouverneur der Festung, schlossen sich mit 1800 Mann in zwei massive Gebäude ein, schnelle Hülfe hoffend, mußten aber, da diese nicht erschien, nach verzweifeltem Widerstande, capituliren. Zwei Tage nachher überschritt Gomez, der dem Drängen anderer Chefs auf Vernichtung der Quecksilber-Minen fest widerstanden hatte, die Guadiana und stand am 27. in der bedeutenden Stadt Guadalupe in der Provinz Toledo, schon nahe der Gränze von Estremadura, wohin er sich wandte: ihm parallel, wenige Stunden, wie immer entfernt, folgte General Rodil, der gleichfalls die Guadiana passirt hatte. Die feindlichen Anführer schmiedeten fortwährend Einfange-Pläne, bald selbst von den liberalen Blättern mit Hohn bedeckt, da ihr gerühmtes System der parallelen Linien den einzigen Erfolg hatte, daß die in jeder Depeche als ganz umstellt geschilderte Expeditions-Division stets von neuem unter den Händen ihnen entschlüpft war und nebenher von Stadt zu Stadt unbelästigt einherzog. General Narvaez war mit neuen 6000 Mann von Madrid hergesandt: er sollte, die Hauptstadt deckend, Gomez von Osten drängen, während Rodil, den Übergang über den Tajo zu vertheidigen, beim Puente del Arzobispo sich aufstellte und Alaix, der nun auch die Sierra morena überschritten, im Süden an der Guadiana operirend, die Carlisten von dort abschneiden und, wenn sie gegen den Tajo vorgingen, auf Rodil werfen sollte, um sie zwischen beiden Corps zu erdrücken. Gomez aber, anstatt wie man gewiß erwartete, den Übergang dieses Flusses zu versuchen und durch das westliche Spanien nach den baskischen Provinzen sich zu wenden, stand bis zum 3. November abwechselnd in den reichen Städten Caceres und Trujillo, ruhig hin und her die schönsten Gegenden Estremadura’s durchziehend und seinen Truppen die nöthige Erholung gebend. Indem ihm eben so langsam die Division Rodil auf der gewöhnlichen Entfernung von einigen Leguas folgte, entwaffnete er allenthalben die National-Gardisten, die zitternd sich unterwarfen, rüstete die zahlreichen Partheigänger der Provinz und wandte sich, da er einen vollständigen Aufstand nicht organisiren konnte, unerwartet wieder gen Süden. Am 6. Nov. passirte er die Guadiana bei Medellin, wenige Stunden von Alaix entfernt, und drang in das Königreich Sevilla ein. Cabrera, der seine Unzufriedenheit über die Vorsicht des Obergenerals, der ihm zu sehr den Kampf vermied, nicht verhehlte, trennte sich mit einem großen Theile der Cavallerie von dem Expeditions-Corps, und zog durch die Sierra morena, die Mancha und Castilien den ihm untergebenen Provinzen zu, da die beunruhigenden Nachrichten, welche von dorther über die durch den Feind errungenen Vortheile einliefen, seine Gegenwart unumgänglich erforderten. Miralles -- ~el serrador~ -- war schon früher mit seiner Brigade dahin zurückgekehrt, so daß nur noch die schwache Brigade Quilez mit Gomez’s Division vereinigt blieb, welche nun 5000 Mann Infanterie und etwa 1000 Pferde zählte, die meistens in Andalusien requirirt durch besondere Güte sich auszeichneten. Die dort neu gebildeten Bataillone hatten sich natürlich fast ganz zerstreut, so wie die Strapazen zugenommen. Das Commando der schönen Division Rodil, dessen Unthätigkeit die Christinos erbitterte, war dem General Rivero übertragen. Gomez durchzog den westlichen Theil von Sevilla, die herrliche Stadt bedrohend, überschritt am 10. Nov. den Guadalquivir und nahm am 14. Ecija, eine der ersten Städte des Königreiches in der fruchtbaren Ebene von Sevilla. Vier Divisionen, ein Ganzes von 30000 Mann bildend und fortwährend verstärkt, operirten nun gegen ihn, da Espinosa im Süden ihn bedrohete, während Narvaez Sevilla deckte und Alaix von Norden, Rivero von Osten her drängten. Dennoch wand sich Gomez mitten zwischen die feindlichen Colonnen hindurch, erreichte die Sierra de Ronda, nahm am 16. Nov. diese Stadt und richtete sich, alle vier Divisionen hinter sich herziehend, nach dem äußersten Süden der Halbinsel, wo er in Algeciras eindrang und San Roque und das ~campo de Gibraltar~[22] besuchte, dessen Garnison unter die englischen Kanonen sich geflüchtet hatte. Ein englisches und ein portugiesisches Kriegsschiff beschossen hier, jedoch fast ganz ohne Effekt, die Division; auch nahmen sie das Fahrzeug, auf dem die Junta mit einem Theile der königlichen Gelder -- 30000 Thlr. -- sich eingeschifft, und lieferten sie den Christinos aus. Da aber die Feinde dem Expeditions-Corps, zwischen ihren Truppen und dem Meere auf der schmalen vorspringenden Südspitze des Königreiches eingeschlossen, jeden Ausweg sicher genommen glaubten, hatte Gomez wiederum die christinoschen Generale getäuscht und, wiewohl so furchtbar bedrängt, daß er die Division in mehrere kleine Colonnen theilen mußte, die Sierra de Ronda erreicht, wo er, am 25. Nov. von Narvaez am Guadalete ereilt, 150 Gefangene verlor, welche von der Nachhut abgeschnitten wurden. Gomez’s Lage war höchst bedenklich. Er war umringt von sechsfach überlegenen Streitkräften in einer Provinz, in der er keinen Anhaltspunkt hatte, ohne irgend eine Verbindung mit den carlistischen Armeen und vor Allem beschwert und gehemmt durch mehrere tausend Gefangene und einen ungeheuren aus Maulthieren und großen Wagen bestehenden, oft zwei und drei Stunden Weges einnehmenden Convoy, wie die Beute nach solcher Expedition ihn bilden mußte. In Andalusien länger sich zu halten war unmöglich, und doch hatte er bestimmten Befehl, im Süden Spanien’s zu verharren, um die Aufmerksamkeit der Feinde zu theilen und nicht vor der Einnahme von Bilbao die bedeutenden ihn verfolgenden Truppenmassen nach den Nord-Provinzen zu ziehen. Gomez glaubte trotz dem der Nothwendigkeit weichen zu müssen; gewiß fehlte er schwer, da er direkt jenen Provinzen sich zuwandte. Einmal entschlossen, that er zur Rettung seiner Division das unmöglich Scheinende: nachdem er den größten Theil der Gefangenen in Freiheit gesetzt hatte, legte er in sechs und zwanzig Tagen auf großen Umwegen die Entfernung von dem Felsen Gibraltar’s zu dem vizcaischen Meere zurück, indem das Corps täglich Märsche von zwölf bis vierzehn Stunden, an einzelnen Tagen bis zu siebenzehn Stunden machte. Nur spanische Truppen möchten zu Ähnlichem fähig sein. Noch erstaunlicher ist, daß die ihn verfolgende Colonne nicht nur eben diese ungeheuren Märsche machen, sondern selbst ein Mal ihn überholen konnte. Über Ossuna und Lucena richtete sich Gomez auf das Königreich Jaen; am 29. November ward er von Alaix bei Alcaudete überrascht, litt jedoch außer einem Theile der Bagage keinen Verlust. Er passirte die Guadiana, überschritt am 2. December die Sierra morena durch den Despeñaperros und durchkreuzte in stets forcirten Märschen die Provinzen der Mancha und Guadalajara. Ihm folgte auf dem Fuße Alaix, von dessen Division 800 Mann, die durch so gewaltige Anstrengungen erschöpft zurückblieben, unter einigen Sergeanten nach Jaen zogen und die Stadt plünderten. Am 8. December langte Gomez nach einem Marsche von funfzehn Stunden Abends neun Uhr in Huete an: eine Stunde später überfiel Alaix, der an dem Tage siebenzehn Stunden zurückgelegt, die Stadt, in der die Compagnien mit Austheilung des Soldes beschäftigt waren. Er machte ungeheure Beute, aber kaum 200 Gefangene, da die Division nach den ersten Schüssen zwar in gränzenloser Verwirrung aus der Stadt entflohen war, sich aber sofort in dem Felde formirte und kaum eine Meile entfernt in Ordnung campirte. Sie durchzog mit reißender Schnelle die Provinzen Soria und Burgos, passirte den Ebro und langte am 19. December in Orduña, der Hauptstadt Vizcaya’s, an. Zugleich war Alaix mit den 6000 Mann, die von seiner Colonne ihm gefolgt, in Valmaseda angekommen und vereinigte sich mit Espartero, ihm folgten Rivero und Narvaez. Am 24. December erstürmte Espartero die Positionen der Carlisten vor Bilbao und entsetzte die wichtige Stadt. Gomez, da er mit 2900 Mann die Nord-Provinzen verlassen und fortwährend von zwei bis fünf überlegenen Corps verfolgt wurde, hatte in sechs Monaten Spanien in jeder Hinsicht durchkreuzt; er hatte alle Provinzen des Königreiches, mit Ausnahme von Catalonien, berührt und war in viele der bedeutendsten Städte eingerückt. Wie oft er auch in den Berichten der Feinde als verloren, vernichtet erschien, wußte er immer durch gewandte Bewegungen sie zu täuschen, er nahm unter ihren Augen verschiedene feste Punkte und vernichtete selbst durch glückliche Gefechte mehrere Colonnen. Häufig mit doppelt so viel Gefangenen belastet, als er selbst Truppen zählte, lieferte er in die Depots der Nord-Armee und von Aragon über 9000 Gefangene ab, wiewohl er alle National-Gardisten und später viele Soldaten in Freiheit gesetzt hatte; und trotz so vieler Beschwerden und Kämpfe, trotz der erlittenen Unfälle kehrte er endlich mit fast 5000 Mann, worunter 700 Pferde, vollkommen organisirt und disciplinirt, nach Vizcaya zurück. Zum Erstaunen Aller, welche nur diese glänzende Seite der Expedition beachteten, ward Gomez sogleich seines Commandos entsetzt, arretirt und vor ein Kriegsgericht gestellt. Er wurde angeklagt, seinen ursprünglichen Auftrag in Galicien und Asturien nicht erfüllt, später den erhaltenen Befehlen zuwider das südliche Spanien verlassen und durch seine Rückkehr das Scheitern des Unternehmens auf Bilbao veranlaßt zu haben. Dazu kamen Beschuldigungen über Mißbrauch und Vergeudung der königlichen Gelder; doch wurden sie nie bewiesen. Später ward Gomez in Rücksicht auf seine sonst ausgezeichneten Dienste durch die Gnade des Königs in Freiheit gesetzt. * * * * * Noch muß ich die kurze und unbedeutende Expedition erwähnen, zu der General Sanz, welcher schon bei Gomez’s Abzuge mit einigen Bataillonen eine Bewegung aus Castilien gemacht hatte, um die Aufmerksamkeit des Feindes zu theilen, Ende Septembers mit drei Bataillonen und zwei Escadronen nach Asturien abmarschirte, während die Hauptarmee zu seiner Unterstützung im Thale von Mena operirte. Er zog am 4. October in Oviedo ein, wandte sich nach Galicien und, von dort abgedrängt, auf Castilien, durchzog einen Theil des Königreiches Leon und kehrte kräftig verfolgt nach Asturien zurück. Da er am 19. October einen neuen Versuch, in Oviedo einzudringen machte, ward er abgewiesen, nahm am 21. die Hafenstadt Gijon und wurde, da er am 24. bei Salas eine der ihn verfolgenden Colonnen angriff, mit einigem Verluste zurückgetrieben, worauf er sich in die Gebirge von Santander warf und mit dem dort operirenden General Castor vereinigte. Sein Zug hatte gar keinen Erfolg gehabt. [21] Wie wenig die feindlichen Feldherren die Expeditionen als den Carlisten vortheilhaft ansahen, wird dadurch gezeigt, daß sie stets ihre Rückkehr zu verhindern sich bemüheten. [22] Befestigte Linie der Spanier, Gibraltar gegenüber und auf Kanonenschußweite von der Festung angelegt. VII. Monat auf Monat verging; meine Hoffnung, bald die Freiheit wieder zu erlangen, stets aufs Neue getäuscht, schwand allmählich in finstere Hoffnungslosigkeit hin. Der Winter hatte durch die für jenes Clima ungewöhnliche Kälte und fußhohen Schnee in das nordische Vaterland mich versetzt, der Frühling rief wieder seine lauen Lüfte hervor, frisches Leben einhauchend; und immer zwang mich der Kerker zu peinlicher Ruhe, mahnten mich die eisernen Gitterstäbe, wie so ganz verschieden die Wirklichkeit war von den glänzenden Gebilden, in denen meine Phantasie sich gefallen. Doch war meine Gefangenschaft als solche keinesweges hart: die Gesellschaft, in der ich mich befand, machte sie vielmehr so angenehm, wie möglicher Weise Gefangenschaft es sein kann. Da sich in dem Depot von Logroño gar keine -- auch später sehr wenige -- Gefangene befanden, war mir bei meiner Ankunft mit einem arretirten christinoschen Officier ein Zimmer angewiesen, dessen freie Fenster, achtzig bis neunzig Fuß über dem Hofe, der an die Stadtmauer stieß, auf das Feld sahen. Da die Wache aber bei Madinaveytia’s Burschen, der uns das Essen brachte, ein Strickchen fand, das er uns jedes Mal um den Leib gewickelt brachte, und dann auch das Zimmer durchsuchend mehrere andere entdeckte, die wir bereits, das Hinabsteigen zu erleichtern, mit Knoten versehen hatten, wurden wir auf einige Tage getrennt und bei unserer Wiedervereinigung in einen Kerker versetzt, der wohl jeden Gedanken an Flucht ersticken mochte. Das einzige, mit furchtbar starkem Gitter geschlossene Fenster öffnete auf die Straße, wo eine Schildwache auf und ab spatzierte, während eine andere die Thür bewachte; die eine Seitenwand trennte uns von dem Zimmer des wachehabenden Officiers, die andere von der Wachstube. Eine Hoffnung blieb uns: unter dem Kerker waren die Ställe der reitenden Artillerie, deren Sergeanten -- die Sergeanten, oft Männer von Bildung und durch ihre Stellung den höchsten Einfluß auf die Soldaten übend, spielten in den tausendfachen Aufständen der christinoschen Armee stets eine große Rolle -- als unruhig und unzufrieden bekannt waren. Madinaveytia wußte Bekanntschaft mit einigen derselben anzuknüpfen und bearbeitete sie mit dem ihm eigenen Talente so weit, daß sie auf seinen Plan eingingen, der darin bestand, durch die Ställe zu entkommen, auf den Pferden, mit denen die Artilleristen außerhalb der Stadt warten würden, den Ebro zu passiren und mit den Carlisten uns zu vereinigen, worauf er nach Frankreich sich zurückziehen wollte. Manche hingeworfene Äußerungen machten mich glauben, daß die Sergeanten mehr als bloßes Übergehen zu den Carlisten bezweckten: sie wollten eine unabhängige Guerrilla bilden, auf echte spanische Banditenart das Land ausplündern und dann mit ihrer Beute davongehen, wie es bei dem Zustande des Königreiches sehr leicht war und von vielen Erbärmlichen ausgeführt wurde, welche sich nicht scheuten, den Namen von Carlisten zum Deckmantel ihrer Schandthaten zu machen, so in Vieler Augen ihn schändend. Ehe der Plan der Flucht zur Reife gekommen, mußten die Artilleristen abmarschiren, wodurch uns die Hoffnung auf endliche Rettung ganz genommen wurde. So suchten wir denn, die schwere Zeit so angenehm und nützlich wie möglich hinzubringen, und die Mittel dazu fehlten uns nicht. Die Mutter Madinaveytia’s, Doña Eulalia, war auf die Nachricht seiner Arretirung von Madrid herbeigeeilt, den einzigen Sohn zu pflegen; eine edle, tieffühlende Frau, ganz Milde und Hingebung, beseelt von der innigsten aufopfernden Liebe für ihren Sohn, einer der herrlichen ganz weiblichen Charaktere, wie unter Spanierinnen so selten sie sich finden. Da ich das Loos ihres Sohnes theilte, schenkte sie auch mir ihre volle Zuneigung und zeigte sich mir ganz als Mutter: ihr einziges Streben war darauf gerichtet, die Lage ihrer „armen beiden Söhne“ zu erleichtern. Bei den Besuchen, die sie täglich uns abstattete, ward sie von ihrer Niece begleitet, einem jungen, reizenden Mädchen, feurig und glühend, mit den dunkel schmachtenden Augen, dem üppigen Wuchse und den wunderkleinen Füßen der Andalusierinnen; ihr schneeiger Teint und die langen lichtbraunen Haare im Contrast gegen jene Glut-Augen des Mittags gaben dem lieblichen Wesen etwas besonders Anziehendes. Erst funfzehn Jahr alt war Paquita mit ihrem Cousin verlobt, und ihre schwärmerische Liebe schien in der Hoffnungslosigkeit stets leidenschaftlicher zu werden. Häufig führten uns diese Damen einige ihrer weiblichen Bekannten und Verwandten zu, deren die Spanier eine unendliche Zahl haben, da sie die Vettern- und Basenschaft bis ins funfzigste oder sechszigste Glied nachzurechnen pflegen. Jede der schönen Besucherinnen brachte dann ausgesuchte Früchte, Eingemachtes und mancherlei Näschereien mit und theilte, der Sitte gemäß, mit dem Herrn, dem sie durch solche Artigkeit Vorzug zu zeigen beabsichtigte, den Leckerbissen, den sie als schönsten sich vorbehalten hatte. Die Lebensweise der spanischen Damen, wie sie durch die ganze Halbinsel dieselbe bleibt, ist getreu mit zwei Worten geschildert: ihr Schmuck, vor Allem die Anordnung der eleganten Mantilla, und die Bewegung des Fächers machen vom Morgen bis zum Anbruche der Nacht ihre exclusive Beschäftigung aus. Der Nebenzweck des Fächers ist, Kühlung zu geben; aber er drückt Alles aus, wodurch weibliche Koketterie die schwachen Herzen der Männer zu erobern und sich zu erhalten sucht, Unwille, Verlegenheit, Gleichgültigkeit, Vorwurf, Hingebung, Eifersucht und wie alle jene mächtigen Verbündeten der frivolen Gefallsucht und Eitelkeit heißen mögen -- die graziösen Bewegungen des Fächers sprechen sie vollkommen aus. So sitzen diese Damen plaudernd, Chocolate schlürfend und gähnend, sich moquirend und schlummernd, kokettirend oder neue Eroberungs-Pläne entwerfend, bis die Frische des Nachmittags sie zum Spatziergange ruft, auf welchem Auge und Fächer um die Wette ihr grausames Spiel treiben; der Abend führt sie zur kalten, langweiligen Tertulia, wo sie sich bald um die Hasardtafeln gruppiren, durch die niedrigste Leidenschaft unüberlegt ihre schönen Züge entstellend. In allen Classen der Gesellschaft ist die Spielsucht auf unglaubliche, Schrecken erregende Höhe gestiegen. * * * * * Mit Ausnahme der Stunden, welche die Besuche weniger nützlich uns hinbringen ließen, waren wir eifrig mit Studiren beschäftigt, wozu die Bücher uns behülflich waren, welche einige Priester uns hatten verschaffen können. Alte und neue Sprachen beschäftigten uns besonders, da zufällig ein Jeder diejenigen kannte, welche dem andern fremd waren, während die französische als Communications-Mittel diente; dazu verschiedene Wissenschaften und Musik, wobei wir die Geduld bewundern mußten, mit der die neben uns wohnenden Wache-Officiere täglich unsere Ohr zerreißenden Concerte auf Flöte und Guitarre ertrugen. So verging uns die Zeit, wie stets bei einförmiger Beschäftigung, reißend schnell, und die Ordre, durch die mein Stubengefährte auf den folgenden Tag zum Abmarsche sich vorzubereiten angewiesen wurde, war für Beide ein Donnerschlag, wenn längst befürchtet, deßhalb nicht weniger empfindlich. Don Francisco de Madinaveytia, einer der ersten Familien Guipuzcoa’s angehörig, hatte in einem jesuitischen Collegium ausgezeichnete Erziehung genossen, so selten selbst in den höchsten Classen der spanischen Nation. Sein Vater, Präsident des höchsten Gerichtshofes unter Joseph Napoleon, für den er, wie viele ausgezeichnete Männer, sich erklärt hatte, aus seiner Herrschaft Besseres für das Vaterland hoffend, als es von den Nachkommen Ludwigs XIV. erfahren hatte, ward nach dem Sturze des Kaisers vergiftet, ein Opfer des Hasses, den alle Anhänger des Eindringlings so schwer empfanden. D. Francisco, als er nach mehrjährigem Aufenthalte in Paris in das Vaterland zurückkehrte, fand die Familien-Güter confiscirt, da sein Bruder, exaltirt liberal, der das Majorat inne hatte, den Christinos sich angeschlossen: so trat auch er in die Armee ein. Ohne Ressourcen, viele Monate lang wie das ganze Heer ohne Sold, selbst ohne Rationen, da er, nachdem sein Pferd getödtet, in das Depot nach Arro geschickt war, sah er sich in der verzweifeltsten Lage; er lebte oft von dem Obst, welches er auf dem Spatziergang im Felde fand. Da erfuhren seine Cameraden, daß der Mayordomo des Großinquisitor mehrere Millionen[23] für Carl V. von Madrid erhalten und in einem Dorfe auf schon carlistischem Terrain versteckt habe, von wo sie am folgenden Tage nach dem Hauptquartier abgehen würden. Anstatt pflichtgemäß ihren Behörden die Anzeige zu machen, beschlossen sie, selbst des Schatzes sich zu bemächtigen, und der unglückliche Madinaveytia willigte ein, sie zu begleiten. Als Carlisten verkleidet passirten sie den Ebro, da der an der Brücke die Wache habende Officier auch im Complott war, gelangten glücklich zu dem Dorfe, öffneten mit Gewalt das Haus und bemächtigten sich des Mayordomo. Doch alles Suchen nach der Summe war umsonst, der Besitzer leugnete fest, sie empfangen zu haben, schon waren die Officiere verdrießlich und fluchend im Begriff zurückzukehren, als der arme Mayordomo die Unvorsichtigkeit beging, einen von ihnen, den er erkannt hatte, bei Namen zu nennen. Schäumend vor Wuth, da er sich verrathen sieht, stürzt dieser auf den Unglücklichen, ihn zu tödten. Umsonst erbietet er sich, sein Leben durch Auslieferung des versteckten Geldes zu erkaufen, umsonst suchen die andern Officiere den Rasenden zurückzuhalten: er drückt sein Pistol auf den Mayordomo ab, der todt zusammensinkt. Bestürzt fliehen Alle, schon nicht mehr des Geldes gedenkend. Wenige Tage nachher ward Madinaveytia arretirt, mit ihm der Officier, welcher die Wache an der Brücke gehabt und sie verlassen hatte, dem Zuge sich anzuschließen, die übrigen Theilnehmer, mehr mit dem in Spanien allmächtigen Golde versehen, waren verschwunden. Der Wach-Officier leugnete hartnäckig, er hatte bedeutende Verbindungen in der Umgebung des Generals, so wie Einfluß bei den Richtern; also war er unschuldig. Madinaveytia hatte sofort Alles gestanden und erfreute sich nicht der Mittel, die im liberalisirten Spanien nach Belieben die Wagschale der Gerechtigkeit heben und senken, er besaß weder Gold noch Protection, war daher allein schuldig und mußte allein das Verbrechen büßen. Vergeblich opferte seine herrliche Mutter, was sie besaß, zu seiner Rettung. Er ward nach Vitoria geführt, vor ein Kriegsgericht gestellt -- nach vierzehnmonatlicher Gefangenschaft --, zum Tode verurtheilt und erschossen. Nach langer Zeit wiederum Gefangener in Madrid eilte ich, nach seinen Lieben zu forschen. Seine Braut, bei der Schreckenskunde von einem Nervenfieber ergriffen, war schnell dem Geliebten gefolgt, worauf Doña Eulalia in unaussprechlichem Schmerze über das Loos des einzigen Sohnes in die Einsamkeit des Klosters sich zurückzog, dort die Stunde erwartend, die auch sie bald von den irdischen Wehen erlösen sollte. Sie starb im Herbste des Jahres 1838. * * * * * Wieder allein fühlte ich doppelt bitter alles Schreckliche der Gefangenschaft: Schwermuth bemächtigte sich meiner; die Gegenwart bot mir ja Nichts zum Ersatze so vieler zerstörten Hoffnungen, die Zukunft lag schwarz und drohend vor mir, so ungewiß, so unheimlich, daß ich auf sie nicht bauen mochte. Da wandte ich mich der Vergangenheit zu. Oft ist die Ansicht ausgesprochen, daß in der Widerwärtigkeit die Erinnerung an das Verlorene das Gefühl des Schmerzes erhöhe, ihn gar unerträglich mache; mir ist sie, wenn ich mich unglücklich glaube oder schwere Leiden auf mir haften, die Quelle herrlicher Stärkung. Dann dachte ich der Scenen, deren Bild so lebendig mir in’s Herz geprägt ist, das Andenken an die Zeiten des Glückes machte sie mich wieder durchleben und wieder fühlte ich mich glücklich. So lag ich auch in jenen Tagen unmuthiger Hoffnungslosigkeit oft lange in wachem Traume. Ich malte die Heimath mir aus, die Theuren, welche doch wohl sorgend meiner gedachten, und jede Stunde, die ich mit ihnen vereint gewesen war, die Worte selbst, welche wir in dem trauten Vereintsein gewechselt hatten, traten wieder vor mich; alle die Schlacken, durch die das Glück wohl getrübt gewesen, waren in der Erinnerung hingeschwunden -- arme Menschen, die wir ganzes Glück nur in Zukunft und Vergangenheit ahnen! Da erhob sich mir auch das Bild meiner Jugendfreunde, und nochmals glaubte ich die Freuden zu genießen, die so rein und so reich in ihrer Theilnahme mir geworden waren. Warum mußten sie vergehen, diese Zeiten wahrer Wonne! Die Jugendfreundschaft, immer gleich lieblich, gleich zart, geht wie ein leuchtender Stern durch das ganze Leben, und alle die Widerwärtigkeiten und Enttäuschungen, welche so bitter in das Leben gewebt sind, streifen machtlos über sie hin, nur fester und unauflösbarer sie knüpfend. Wie zauberisch ist doch der Reiz gemeinschaftlicher Erinnerungen; mit welcher Wonne geben wir den Gefühlen uns hin, die der gemeinschaftliche Rückblick auf jene liebe Zeit, in der wir nur die helle, freundlich lockende Seite des Lebens sahen, auf jene Pläne und schwärmerischen Hoffnungen in der durch sie vergnügten Brust hervorruft! Jugendfreundschaft gehört unter die seltenen, unschätzbaren Güter, welche unbesudelt aus der Zeit kindlicher Reinheit unter den schmutzigen Leidenschaften und Abwegen der späteren Jahre sich uns erhalten mag. Schmerz empfinde ich für den Menschen, der ihrem Werthe fühllos werden konnte. [23] Unter dem Ausdrucke einer Million versteht der Spanier so viele Realen, deren neunzehn fünf Franken gleich sind. VIII. Während General Gomez Spanien durchzog, ward die Ruhe in den Nord-Provinzen selten durch unbedeutende Operationen unterbrochen; beide Heere schienen, auf den Erfolg der Expedition gespannt, ihre Kräfte sparen zu wollen, da sie ja rasche Entscheidung herbeiführen konnte. General Garcia, commandirender General des Königreiches Navarra, bestand einzelne Kämpfe gegen die Fremdenlegion, indem er durch rasche Bewegungen irgend einen der festen Punkte des Feindes überraschte und zerstörte, um bei der Annäherung der Hülfs-Colonnen in die Gebirge sich zurückzuziehen. Cordova aber war nach der verunglückten Unternehmung bei Arlaban auf Pamplona marschirt, um das Bastan-Thal, dessen Bewohner er der constitutionellen Regierung geneigt wähnte, zu besetzen, dem General Evans die Hand zu reichen und dadurch, die Carlisten von der französischen Gränze, abschneidend sein Blokade-System zu vervollkommnen. Die Nachricht von der Vernichtung der Division Tello durch Gomez und von dem Abmarsche Espartero’s zur Verfolgung der Expedition zwang ihn, da Villareal am 28. Juni Peñacerrada in Alava angegriffen, in Eilmärschen dorthin zurückzukehren. Villareal, die Belagerung dieser Veste aufgebend, zog nach Navarra und griff am 4. Juli die Linie von Zubiri an, ward aber, da er ein Fort derselben genommen hatte, von der Fremdenlegion und einigen spanischen Bataillonen zum Rückzuge genöthigt. Nach dem fehlgeschlagenen Versuche des Feindes gegen Fuenterrabia begnügte sich der carlistische Feldherr, durch Bedrohen der verschiedenen Punkte auf den entgegengesetzten Theilen des Kriegsschauplatzes die Christinos zu erschöpfenden Märschen zu zwingen; er griff am 1. August mit funfzehn Bataillonen und sechs Geschützen die Linie von Zubiri nochmals an, und wurde nach achtzehnstündigem hartnäckigem Kampfe auf das Ulzama-Thal geworfen, wo die Fremdenlegion durch empörende Ausschweifungen sich hervorthat und mehrere Dörfer niederbrannte. Die folgende mehrmonatliche Waffenruhe war nur durch die Operation Oraa’s auf Estella am 12. und 13. September unterbrochen. Cordova hatte, da durch die Ereignisse von la Granja auf Verlangen trunkener Sergeanten die Constitution verändert, seine Entlassung eingereicht und sich nach Frankreich begeben, worauf der Oberbefehl dem General Espartero und, da dieser krank war, interimistisch dem General Oráa übertragen wurde, der durch eine glänzende Waffenthat sich hervorthun wollte. Er vereinigte 16000 Mann und griff das von vier navarresischen Bataillonen vertheidigte Estella an. Die Christinos gelangten wiederholt bis auf die Höhen, welche die Stadt beherrschen und warfen Granaten in sie, wurden aber stets mit dem Bajonnett zurückgestürzt und zogen sich, nachdem sie 800 Mann geopfert, auf ihre Linien, kräftig von den Tirailleurs und dem aufgestandenen Landvolke verfolgt. -- In der ersten Hälfte Octobers fanden in den Linien von San Sebastian einige Scharmützel ohne Erfolg Statt, so wie am 8. die Engländer von der Stellung von Amezagana mit Verlust abgewiesen wurden. Bilbao, die bedeutendste Stadt Vizcaya’s, reich durch ausgebreiteten Handel, an dem schiffbaren Flusse Durango, der, mit dem Nervion vereinigt, einige Stunden entfernt in das Meer strömt, war noch in dem Besitze der Christinos; jeder Versuch, sich ihrer zu bemächtigen, hatte stets kraftvolle Anstrengungen der Feinde zum Entsatze veranlaßt, der große Führer der Carlisten, General Zumalacarregui fiel vor ihren Mauern. Villareal wollte Bilbao erobern, so ganz Vizcaya reinigen und den feindlichen Colonnen das Eindringen in die Provinz ohne solchen Anhaltspunkt unmöglich machen; zugleich sollte die Wegnahme der blühenden Hafenstadt von außen her als ~conditio sine qua non~ und Gewährleistung wichtiger Unterstützung gefordert sein. Ihre Eroberung mußte den Carlisten großes moralisches Übergewicht geben, da die Constitutionellen sich gewöhnt hatten, auf der Behauptung dieser Stadt wie auf einer Lebensfrage zu bestehen; sie hätte bewiesen, daß die carlistische Armee nicht nur in ihren Gebirgen, sondern auch im regelmäßigen Kriege dem Feinde schon überlegen war. Daher sah, wer in Europa Interesse für eine der Partheien hegte, mit Spannung auf diese Belagerung. Sie wurde am 24. October 1836 von drei und zwanzig Bataillonen unter Villareal und Eguia eröffnet, indem die bisher blokirte Stadt eng eingeschlossen und zwei Batterien gegen sie errichtet wurden. Bilbao war nur von einer Mauer umgeben, welche durch mehrere vorliegende Forts und befestigte Klöster gedeckt wurde; 7000 Mann vertheidigten sie. Doch beruhete die Stärke der Stadt in ihrer Lage, da sie durch den schiffbaren Fluß, dessen Mündung das feste Portugalete beherrscht, mit dem Meere in Verbindung steht, von wo aus sie leicht mit allem Nöthigen versehen und kräftig unterstützt werden konnte -- hauptsächlich durch die englische Flotte, welche ja seit dem Monate März durch ihre Mitwirkung den Carlisten so unheilsvoll geworden war. Auch war es unzweifelhaft, daß die Hauptarmee unter Espartero Alles thun würde, der bedroheten Stadt Hülfe zu bringen. In der That zog sie schon Ende Octobers über Valmaseda herbei, weshalb die Artillerie zurückgezogen und die Belagerung in eine strenge Blokade verwandelt wurde, während Villareal den andringenden Feind beobachtete; zwei der am meisten avancirten Außenwerke waren bereits genommen. Nachdem vier Ausfälle der Besatzung gänzlich mißlungen, ward die Belagerung am 7. mit neuer Kraft aufgenommen, zwei vorgeschobene Werke, das Fort Bandera und ein Kapuziner-Kloster wurden genommen, am 10. S. Manez mit 300 Mann und sechs Kanonen erstürmt. Zehn Batterien wurden gegen die Stadt oder längs dem Ufer des Flusses etablirt, um dort die Hülfe der englischen Kriegsfahrzeuge zu verhindern, die, so oft sich Gelegenheit bot, die carlistischen Truppen beschossen,[24] und wiewohl das schlechte Wetter die Arbeiten sehr verzögerte, konnten die Batterien am 17. ihr Feuer eröffnen. Ein Ausfall ward mit Verlust abgewiesen, am 27. erstürmten ein Bataillon von Castilien und die Compagnien des Fremden-Bataillons mit höchster Bravour das feste Kloster San Agostin unmittelbar an der Mauer und von 600 Mann vertheidigt. Der Sturm gegen die offene Bresche wurde unternommen. 1100 Mann gelangten bis in die hinter der Bresche aufgestellte Batterie und tödteten die Artilleristen neben ihren Geschützen, wurden aber, da die anderen Colonnen, anstatt mit Kraft nachzudringen, regungslos stehen blieben, von der feindlichen Reserve wieder aus der Stadt vertrieben und litten viel. Die Carlisten begnügten sich fortan, die Stadt zu bewerfen und richteten ihr ganzes Streben darauf, das Durchdringen Espartero’s zu verhindern, da der in Bilbao täglich zunehmende Mangel, falls die Entsetzung mißlang, die Garnison zur Capitulation zwingen mußte. Espartero war mit 20000 Mann von dem Thale von Mena nach Portugalete gezogen, worauf Villareal in den Gebirgs-Stellungen sich befestigte und am 27. und 28. November die Angriffe des Feindes abschlug, welcher der Brücke über den Nervion sich zu bemächtigen suchte. Am 30. November passirten die Christinos den Fluß auf einer Schiffbrücke, welche ihnen die englischen Marine-Truppen geschlagen, und griffen auf dem rechten Ufer, da Villareal ihnen dahin gefolgt war, am 4. und 5. December die Stellung von Asua an; mit Nachdruck empfangen und nach starkem Verluste kehrten sie am 6. auf das linke Ufer zurück, wo die Carlisten ihnen gegenüber sich verschanzten, dazu einen Theil ihres Belagerungsgeschützes verwendend, wodurch sie die Einnahme der Stadt ganz von der Niederlage Espartero’s abhängig machten. Umsonst suchte dieser vorzudringen: er ward nach vergeblichen Scharmützeln am 12. und den folgenden Tagen genöthigt zu weichen, zog sich am 15. nach Portugalete zurück und ging am 19. und 20. December nochmals mit 19 Bataillonen und zwei und zwanzig Geschützen auf das rechte Ufer des Nervion über, wo wieder Villareal seine Stellung ihm gegenüber mit dem Belagerungsgeschütz deckte. Espartero gab die Hoffnung des Durchdringens auf,[25] als die Ankunft der Divisionen, welche Gomez nach sich gezogen, ihm ein furchtbares Übergewicht verlieh. Nachdem am 22. und 23. leichte Scharmützel Statt gehabt, stürmten am Weihnachtsabend die Christinos nach dem Plan des General Oráa die carlistische Stellung, während 2000 Jäger in Kähnen den Fluß hinauffuhren, die Flanke der Belagerungsarmee zu gewinnen. Von einem entsetzlichen Schneesturm begünstigt, erstürmten die Feinde nach kurzem Kampfe die Brücke von Luchana, gegen die sie ihre ganze Artillerie concentrirt hatten. Die Fahrzeuge gelangten bis dahin und bemächtigten sich nach furchtbarem Blutbade der Batterie, welche noch das Debouchiren der Truppen verhinderte, worauf diese den Fluß passirten und die Stellung auf den Höhen von Cabras und Arriaga stürmten. Drei Mal gelangten die christinoschen Massen bis auf die Höhen, drei Mal stürzten die Carlisten mit dem Bajonnett sie hinunter: beim vierten Angriff behauptete sich Espartero im Besitze der Stellung, und die Belagerungsarmee zog in Unordnung auf Durango zurück. Am ersten Weihnachtstage zog das siegreiche Heer in die gerettete Stadt ein, in der solches Elend herrschte, daß der Gouverneur am 24. dem anfragenden Generale durch den Telegraphen meldete, wie er nur noch einen Tag sich halten könne. Der Jubel der Christinos war unendlich: die Folgen so entschiedenen Sieges mußten groß sein und er zeigte unzweifelhaft, wie die Carlisten noch nicht in geregeltem Kampfe den überlegenen Massen ihrer Feinde entgegentreten durften. Die Hoffnung derselben, ohne weiteres Blutvergießen der wichtigen Stadt sich zu bemächtigen, war ihnen verderblich geworden, da sie gewiß früher sie genommen hätten, wenn seit dem Anfange Decembers kräftig der Angriff fortgesetzt wäre. -- In der Action am 24. verloren die Christinos etwas über 2000 Mann, die Carlisten nur 600, büßten aber ihre schwere Artillerie, drei und zwanzig Geschütze, ein, da der Fuß hoch liegende Schnee die Fortschaffung unmöglich machte.[26] Espartero, der noch unentschlossen beim Beginn des Kampfes unwohl in Portugalete sich befand und erst, als der Kannonendonner ertönte, seiner Armee nacheilte, verdankte seinen Sieg der Entschlossenheit und dem Talente des Chefs des Generalstabes, General Oráa, und vor Allem, wie sein Bericht anerkennt, der thätigen Mitwirkung der englischen Marine. Er wurde zum Grafen von Luchana ernannt. Villareal verlor den Oberbefehl, welcher dem Infanten Don Sebastian und unter ihm, als Chef des Generalstabes fungirend, dem General Moreno übertragen wurde. * * * * * Während der ersten Monate des Jahres 1837 wurden von den Christinos die größten Vorbereitungen getroffen, um im Frühjahre die Operationen mit entscheidender Energie beginnen zu können; denn Entscheidung wollte Espartero herbeiführen, indem eine allgemein combinirte Bewegung sämmtlicher Streitkräfte nach dem Innern der baskischen Provinzen diese unterwerfen, die carlistische Armee erdrücken und vernichten sollte. Er selbst stand gegen Ende Februars mit 28 Bataillonen in Bilbao, von wo er über Durango in das Innere von Vizcaya vordringen würde, während Evans, durch die Division Rivero auf 21 Bataillone verstärkt, von San Sebastian aus Hernani und Tolosa nähme und Guipuzcoa besetzte, Sarsfield aber mit 19 Bataillonen von Pamplona aus die Thäler Ulzama und Bastan unterwürfe, Evans die Hand reichte, dadurch die carlistische Armee von der Gränze abschnitte und sie zwischen die drei Corps zusammendrängte. Zugleich operirte die Division des Ebro-Thales -- ~de la rivera~ --, jetzt fast ganz aus Cavallerie bestehend, im südöstlichen Navarra an der Arga und dem Ebro, und die Division Alaix, 12 Bataillone stark, stand bei Vitoria in Alava, so die gänzliche Umzingelung und Einzwängung der Carlisten vollendend. Dieser Plan schien in der That, wenn er gewandt und kräftig durchgeführt wurde, die Vernichtung der Carlisten nach sich führen zu müssen, und allein so hätte das Ende des blutigen Kampfes +durch Waffengewalt+ mögen vorbereitet werden. Dazu war die Nordarmee jetzt stärker, als sie je zuvor es gewesen: außer den zahlreichen Besatzungen und den Freicorps zählten jene fünf mobilen Colonnen 80 Bataillone, welche durch eine neue Rekruten-Aushebung auf ihren vollständigen Etat gebracht waren. Der Infant that, so viel feine Schwäche gestattete, um mit Festigkeit den drohenden Sturm zu empfangen. Er selbst stand mit funfzehn Bataillonen im Ulzama-Thale Sarsfield gegenüber, da dessen Vereinigung mit Evans ganz besonders verderbliche Folgen hätte haben müssen, Guibelalde mit neun Bataillonen hielt die Linien gegen die Divisionen Evans und Rivero besetzt, während Goni mit 11 Bataillonen das Hauptcorps Espartero’s beobachtete. Die übrigen Truppen waren in Alava und dem südlichen Navarra vertheilt, gegen die beiden dort drohenden Divisionen sie zu decken. Am 10. März eröffnete Evans, nachdem er eine hochtönende Proclamation an die Guipuzcoaner erlassen, den Feldzug, da er auf Hernani vordrang und mit einem Verluste von 800 Mann die Höhen von Amezagana erstürmte, welche durch leichte Verschanzungen gedeckt waren; er blieb dort stehen, das Vorrücken der andern Colonnen erwartend. Auch zog Espartero am folgenden Tage von Bilbao auf der Heerstraße vorwärts und besetzte Durango nach unbedeutendem Gefechte, und Sarsfield wandte sich an demselben Tage über Izarzan auf das Ulzama-Thal und drang bis zu dem Engpasse ~de las dos hermanas~. Evans griff nach leichtem Scharmützel in den vorhergehenden Tagen am 15. März von Neuem an und entriß nach blutigem Kampfe den Fuß vor Fuß der Übermacht weichenden Carlisten das Fort und die Höhen von Oriamendi nebst vier Kanonen; am 16. trieb er wieder langsam die carlistischen Bataillone vor sich her, und schon standen die Briten auf der Höhe, welche unmittelbar Hernani beherrscht; der Erfolg war nicht mehr zweifelhaft. Da stiegen in eiligem Zuge von den Gebirgen die Schaaren herab, mit denen der Infant den Seinen zu Hülfe eilte; neun Bataillone, zwei Escadrone und vier Geschütze von seinem Corps führte er nach ermüdendem Marsche auf das Schlachtfeld. Er stürzte sich sofort auf die siegenden Massen der Anglochristinos, umging, während er einen Scheinangriff auf den rechten Flügel richtete, die linke Flanke, warf sich mit dem Bajonnette auf die nächsten englischen Bataillone, zerstreute sie und rollte den ganzen linken Flügel auf. Panischer Schrecken ergriff die Feinde. Die Flucht der englischen Bataillone riß die ihnen zunächst stehenden spanischen fort, und da nun auch das carlistische Centrum mit Kraft vorwärts drang, lösete sich die ganze feindliche Armee in schimpflichster Verwirrung auf und floh nach San Sebastian zurück, von den Siegern auf dem Fuße verfolgt. Nur ein Detachement englischer Marine-Truppen, welches in der christinoschen Armee sich befand, blieb geschlossen und rettete den größten Theil der Artillerie, mit der es unerschütterlich fest sich zurückzog. Die Carlisten, deren Verlust 740 Mann betrug, nahmen vier Geschütze; die Engländer verloren etwa 900 Mann an Todten und Verwundeten -- 500 Todte von der Legion wurden auf dem Kampfplatze gezählt --, ihre spanischen Bundesgenossen aber 1300 Mann und 100 Gefangene. Die Folgen so glorreichen Sieges waren unberechenbar. Die große combinirte Bewegung, welche den Untergang der Carlisten herbeiführen sollte, war ganz mißglückt, denn Evans, der in sechs Tagen fast 5000 Mann geopfert hatte, um dann schimpflich in seine frühere Stellung getrieben zu werden, konnte nicht an Wiederaufnahme der Offensive denken, da seine Truppen für den Augenblick ganz demoralisirt waren.[27] Espartero, nachdem er ganz Vizcaya durchkreuzend am 15. bis Eybar vorgedrungen, zog sich auf die Nachricht von der Niederlage Evans’s und der Annäherung des Infanten eiligst auf Durango und am 21. nach Bilbao zurück. Die Generale Goni, Guergué und Urbiztondo hatten theils die Gebirge besetzt, durch welche die Straße sich hinzieht, und belästigten von dort aus den Marsch, theils drängten sie mit Nachdruck dem weichenden Heere nach. Mehrere Male machte dieses Front gegen die Verfolger, ruhigeren Rückzug sich zu erkämpfen, aber immer mehr eingezwängt und in dem schmalen Thale der Heerstraße sich verwickelnd, bildete es zuletzt einen großen unbehülflichen Knäuel, der nur durch die Festigkeit der Arriere-Garde vor Vernichtung geschützt wurde, so daß die Armee, nachdem sie in der Operation 2800 Mann eingebüßt, Bilbao erreichte. Sarsfield, da ein heftiger Schneefall sein Vorrücken gehindert hatte, war unter dem Vorwande von Krankheit nach Pamplona gegangen, dem General Ulibarren das Commando übertragend. Zu seiner Beobachtung ließ der Infant, da er nach Guipuzcoa eilte, die von Evans errungenen Vortheile zu hemmen, den General Zariategui zurück, der die feindliche Colonne, da sie über das Ulzama-Thal auf der Straße nach Tolosa vorrückte, in dem Engpasse ~de las dos hermanas~ warf und mit Verlust von 1100 Mann nach Pamplona trieb. So hatte die große mit 68 Bataillonen von drei Seiten aus gegen die baskischen Provinzen unternommene Operation mit einer Niederlage geendet, die den Christinos 9000 Mann gekostet hatte; die Scharte von Bilbao war glänzend ausgewetzt. Espartero benutzte den Monat Mai, zu neuem Angriffe sich vorzubereiten, der von San Sebastian, in dem Herzen der vereinigten Provinzen, ausgehen sollte. Der König rüstete sich gleichfalls mit höchster Thätigkeit: er wollte an der Spitze der Seinen in das Innere des Königreiches ziehen, seine Hauptstadt, die zum Sitze des usurpatorischen Gouvernements geworden, sich erobern und so den Krieg enden, der von ihr ausgehend, von ihr aus unterhalten wurde. Nachdem die Anglochristinos am 4. Mai das Dorf Loyola genommen, -- wozu wieder die englische Marine die Schiffbrücke über den Urrumea schlug -- ging Espartero mit zwanzig Bataillonen zu Schiffe nach San Sebastian und übernahm dort den Oberbefehl. Mit 36000 Mann und 40 Feldgeschützen griff er am 15. Mai Hernani an und nahm es nebst Andoain nach geringem Widerstande der Carlisten; der König hatte schon seine Kerntruppen in Navarra für die Expedition vereinigt. Am folgenden Tage wandte sich Evans mit 12000 Mann gegen Irun, welches von vier Compagnien mit hoher Bravour vertheidigt wurde; erst am 17. nahm er die die Straße beherrschende Redoute und drang in die Stadt ein. Die Garnison behauptete sich hartnäckig gegen die stets wiederholten Stürme, die Häuser wurden mit dem Bajonnett genommen und wieder genommen. Am Nachmittage ergaben sich vierhundert Mann, da ein festes Gebäude, in welches sie zuletzt sich geworfen hatten, schon halb erstürmt war; zweihundert wurden nach der Capitulation von den Feinden, erbittert über ihren Verlust, niedergestochen. Evans griff dann Fuenterrabia an, dessen Garnison, 300 Mann stark, ohne Widerstand capitulirte, da sie sich hülflos abgeschnitten sah. So hatte Espartero endlich die große Heerstraße den Carlisten genommen und es blieb ihm nur übrig, die Linie längs der Gränze zu etabliren, um den Provinzen die Verbindung mit Frankreich abzuschneiden und sie ganz auf die eigenen Hülfsquellen zu beschränken. Die Nachricht von dem Abmarsche der königlichen Expedition und ihren Fortschritten in Aragon zwang ihn, die Ausführung des wichtigen Planes aufzugeben: er zog am 29. Mai von Hernani durch das Ulzama-Thal nach Pamplona, lebhaft von einigen ihn beobachtenden Bataillonen harcelirt, wobei er mehrere hundert Mann, unter ihnen den General Gurrea, einbüßte. Der Krieg in den Nordprovinzen ward für einige Zeit zur Nebensache. [24] Die Präcision des Artillerie-Feuers jener Schiffe ging so weit, daß bald zwei oder drei Personen nicht mehr vereinigt dem Strande zu nahen wagten, da selbst ein so kleines Ziel nicht selten getroffen wurde. [25] In seinen Briefen an seine Gemahlinn nach Logroño erklärte er die Lage der Armee für ganz hoffnungslos, den Entsatz unmöglich. [26] Mein braver Camerad, Bernhard v. Plessen, früher Lieutenant in königl. Preußischem Dienste, ward gefangen, da er seine Batterie nicht verlassen wollte und bis zum letzten Augenblicke feuerte. Er fiel, kaum ausgewechselt, in der königlichen Expedition 1837. [27] Um die Größe jenes Sieges, den Moreno durch seine geschickten Dispositionen herbeiführte, die furchtbar verwirrte Flucht der Anglochristinos und ihre Muthlosigkeit ganz zu würdigen, muß man die Berichte der Officiere von der britischen Legion lesen. IX. Acht Monate waren mir in dem Kerker von Logroño verflossen, die Operationen der beiden Armeen hatten mit dem Eintritt der schöneren Jahreszeit mit mehr Lebhaftigkeit wieder begonnen; meine Ungeduld, da ich immer zur Unthätigkeit verdammt blieb, ward bei jeder Nachricht von neuem glorreichen Kampfe der Meinen zu bitterer Verzweiflung. Umsonst hatte ich Auswechselung gefordert: es erfolgte keine Antwort auf meine Vorstellungen, die wohl in irgend einem untergeordneten Büreau mochten liegen geblieben sein. Da trat eines Morgens -- am 8. Juni 1837 -- ein Platzadjudant in mein Zimmer, mich zu benachrichtigen, daß ich am folgenden Tage nach der französischen Gränze abgeführt werde. Der Gouverneur der Provinz, ein trefflicher Mann, der nach langem Dienste im Auslande nicht ganz die Ideen und Vorurtheile seiner Landsleute theilte, hatte mir erklärt, daß er streben werde, Befehl zur Auswechselung oder den Paß für mich zu erlangen. Auf seine Darlegung befahl ihm Espartero, bis zu der Gränze mich escortiren zu lassen. Lange blieb ich regungslos bei der Freudenbotschaft, ich faßte nicht, glaubte nicht, was ich schon nicht mehr zu hoffen gewagt; dann sprang ich umher in lautem sinnlosen Jubel und lachte und dankte Gott für so herrliches Geschenk. Mein sehnlichster Wunsch sollte ja endlich erfüllt werden: ich verließ diesen Kerker, aus dem Flucht unmöglich war. Wohl war ich entschlossen, das französische Gebiet nicht zu erreichen. Am nächsten Tage durchschritt ich zwischen zwei Reihen von Soldaten die fruchtbaren Gefilde der Rioja, welche der Ebro der Länge nach bespült. Mit welcher Sehnsucht blickte ich auf die Hügel, die jenseit des Stromes sich erhebend dem carlistischen Gebiete angehörten! Wiederholt war ich im Begriff, die Wache zu durchbrechen und in den Strom mich zu stürzen, der durch die Sonnenhitze ausgetrocknet fast überall passirbar war. Solcher Versuch wäre Tollheit gewesen. Wir übernachteten in Calahorra, wo früher die Messer der Mörder auf meine Brust gezückt waren, und setzten dann den Marsch auf Tudela fort, den Ebro dort zu passiren. Mein Plan war, nördlich von diesem Strome die Flucht zu versuchen, da es leichter sein mußte, von dort aus durch die Gebirge die carlistischen Truppen zu erreichen; da eine günstige Gelegenheit früher sich darbot, eilte ich, sie zu benutzen. Am Mittage des zweiten Marschtages machte meine Escorte Halt, um in einem Landhause, einige hundert Schritt vom Ebro entfernt, ihr Mahl zu bereiten und dort während der drückendsten Wärme zu ruhen. Durch eine Schildwache vor der Thür bewacht, ward ich in ein Gemach der oberen Etage eingeschlossen, während die übrigen Soldaten vertrauend, daß ich der Freiheit zueilend wohl nicht entfliehen werde, und sorglos, wie stets der Spanier es ist, sich niederlegten, ihre Siesta zu schlafen. Auch der Officier zog sich auf sein Zimmer zurück, nachdem er mir einige Impertinenzen gesagt hatte. Ich biß die Lippen über einander und wünschte vom Grunde des Herzens, daß eine carlistische Streifparthei die unvorsichtigen Schläfer unangenehm aus ihrer Ruhe aufstören möge. Die Sonne stand hoch am Himmel, glühende, erschlaffende Hitze ausströmend, da nicht der leiseste Hauch die Luft bewegte, Kühlung zu erzeugen. Die lautlose Stille war nur durch der Schildwache eintönig klagenden Gesang unterbrochen, der an die schwermüthig wilden Weisen des Arabers erinnert, wenn er vor dem Eingange des Zeltes den dunkeln Sternenhimmel bewundernd und umgeben von Allem, was ihm theuer, die Gazellenaugen der schönen Töchter Arabiens oder die Reize seines abentheuerlichen Wanderlebens besingt. Ich ward wunderbar aufgeregt; stürmisch wechselten Erinnerungen und Hoffnungen und Wünsche, bis alle in die eine Empfindung hinschwanden, in die unüberwindliche Sehnsucht nach Freiheit, den Entschluß, sie zu erlangen -- sei es durch den Tod. Geräuschlos nahete ich dem Fenster. Es war so hoch über dem Boden, daß es unmöglich schien, hinabzuspringen; doch ich konnte nicht mehr überlegen, ich schwang mich hinaus, ein kleiner Absatz begünstigte mich, doch der Fuß glitt ab, ich stürzte auf das Gras hinab, mit dem der Boden bedeckt war. Einen Augenblick lag ich betäubt, nur einen Augenblick: das Gefühl der drängenden Gefahr trieb mich auf, ich empfand kaum den Schmerz, welchen der heftige Fall dem linken Arm und der Schulter verursachte. Oben ward Geschrei hörbar; ich bog um die Ecke des Hauses, da lag der größte Theil der Soldaten ruhend im Schatten -- ich flog an ihnen vorbei dem Strome zu. Kugeln pfiffen um mich her, ehe ich ihn erreicht, ich warf mich in die Wellen und theilte sie mit der Kraft des höchsten Entschlusses; eine kurze Strecke nur mußte ich schwimmen, und bald deckten mich die Olivenwälder des jenseitigen Ufers gegen die Schüsse der Verfolger, die sehr lau in ihrem Bemühen den Fluß nicht zu überschreiten wagten, wiewohl ihr verworrenes Geschrei noch weithin mir nachtönte. Dennoch lief ich in athemloser Hast durch die Felder landeinwärts, bis gänzliche Erschöpfung in dichtem Gebüsche zu rasten mich zwang. Ich war frei! Herrliches Gefühl der Freiheit; was bietet das menschliche Leben Erhabeneres, wer möchte ihm widerstehen, wer wäre taub und fühllos gegen die tausendfachen Güter und Reize, welche das eine Wort „Freiheit“ in sich fasset! Sie ist der schöne Götterfunken, durch den alles Edlere in des Menschen Brust zu Leben und Thätigkeit gerufen wird, das höchste Gut, welches den übrigen Werth giebt und sie veredelt. Wie traurig, daß erbärmliche Selbstsucht und Partheigeist so hehren Schatz zum Deckmantel ihrer Leidenschaften mißbrauchen können, daß die Freiheit dienen muß, zu allem Niedrigen und Entehrenden die verblendeten Menschen hinzureißen, und zur Verletzung ihrer heiligsten Pflicht und ihrer Eide, zum Umsturze der ehrwürdigsten Rechte zu vermögen. Wie schmerzlich, daß sie Selbstlingen, die jeder loyalen Empfindung unfähig sind, den Vorwand bieten muß zu dem vergeblichen Streben, was immer Natur, Recht und Gewohnheit als geheiligt hinstellt, bis zu ihrer eigenen schmutzigen Sphäre hinabzuwürdigen! Ich war frei! Mein Herz pochte laut bei so wonnigem Gedanken, und ich stattete dem Höchsten innigen Dank für die neue Wohlthat. Doch die Gefahr war noch nicht vorüber, und ich eilte, nach kurzer Frist meinen Marsch fortzusetzen, indem ich den Stand der Sonne beachtend nach Nordwesten mich richtete, wo ich zuerst carlistische Truppen zu finden hoffte. Wohl durch die Mittagshitze von den Arbeiten zurückgehalten, war lange Niemand in den Feldern sichtbar; wie aber die Frische zunahm, traf ich häufig Bauern, deren Blicken ich möglichst mich zu entziehen suchte. Was sollte ich thun? Ich wußte nicht, wo ich war, wie fern von unsern Garnisonen; ich mußte fürchten, gar irgend einer feindlichen Streifparthie oder einem ihrer festen Punkte mich zu nahen, im Falle ich etwa noch im Gebiete der Christinos mich befände. So beschloß ich zu fragen. Ein greiser Bauer war mir nahe mit der Hacke beschäftigt; ich eilte zu ihm, der nicht wenig überrascht, erschreckt selbst mich nahen sah. Mein Gespräch beruhigte ihn bald, und da ich endlich, durch seine herzlichen, einfachen Worte ermuthigt, ihm meine Lage offen auseinander setzte, bot er mir die Hand und bat mich, ohne Furcht ganz auf ihn zu vertrauen. Eine Stunde später saß ich ruhig in seinem niedrigen Häuschen, einen Becher stärkenden Weines vor mir, und spät am Abend bestiegen wir die Maulthiere meines Wirthes, der mich sicher nach Estella zu geleiten versprochen hatte. Die Nacht war mondhell und erlaubte uns, auch auf den Gebirgspfaden verhältnißmäßig schnell zu reiten; wir hatten dazu das Glück, Niemand auf dem Marsche zu treffen, von dem wir Verrath hätten fürchten dürfen. Wenige hundert Schritt zur Rechten erhoben sich die Mauern von Lerin, die durch die Unseren kurz vorher zerstört, nun von Neuem aufgerichtet wurden, und der Ruf der Schildwachen „~sentinela alerta~“, wie er in rascher Folge längs den Werken hinablief, tönte hell und drohend in unser Ohr. Gewohnt, während der Nacht carlistische Krieger ihnen nahe und bis zum Fuße ihrer Wälle schweifend zu wissen, ließen die Feinde uns unbeachtet, wiewohl das Gebell der Hunde wie der laute Schall von den Tritten unserer Maulthiere die Gegenwart von Fremden ihnen verrieth, und so wie wir aus ihrem unmittelbaren Bereiche waren, entriß uns schnell ein tüchtiger Trab der Gefahr. Da naheten Tritte, Bajonnette blitzten im Mondenscheine; ich gestehe, ich fürchtete und beklommen vermochte ich kaum zu athmen. Doch mein Führer, scharfen Blickes das Helldunkel durchspähend, ritt ruhig vorwärts -- im nächsten Augenblicke erkannte ich die weißen Barette der Freiwilligen: ich war unter den Meinen. Mein Jubel war unendlich. Nach so langen Monaten, die ich eingekerkert, thatenlos verschmachtet, sah ich die Krieger, die ich als Cameraden begrüßen durfte, deren Kämpfe zu theilen das Streben meines höchsten Ehrgeizes war. Die Zukunft erschien mir wieder in das anziehend glänzende Gewand der Hoffnung gehüllt, die, wie oft auch bittere Erfahrung dem Menschen ihre Trüglichkeit zeigt, doch immer wieder auftaucht aus der Tiefe, in der sie geschlummert; die alte, heiße Sehnsucht nach Kampfesgetümmel und kriegerischem Treiben war nur feuriger geworden durch das Erlittene und in dem Schmerze, daß so lange Zeit, so glänzende Ereignisse für mich verloren waren. * * * * * Am Mittage des 11. Juni langte ich in Estella an, einer der vorzüglichsten Städte Navarra’s und Hauptpunkt des carlistischen Theiles der Provinz; die Stadt, im Innern freundlich und durchströmt von der Ega, war nun doppelt belebt und blühend durch die Ausgewanderten, welche ihr eigener Eifer oder revolutionaire Unduldsamkeit dorthin getrieben hatte. Die Befestigung war seit dem Angriffe Oráa’s bedeutend gehoben; da die Stadt in einem Kessel liegt, waren rings die sie umgebenden Höhen mit selbstständigen Forts und Werken gekrönt, deren Feuer, überall sich kreuzend, wechselseitig sie vertheidigte, die zu der Stadt führenden Wege und Schluchten beherrschte und so die Annäherung sehr schwierig machte. Ich traf in Estella einen befreundeten Officier, mit dem ich während ein Paar Wochen vereint gefangen gewesen, und der mich dem General Garcia vorstellte, von dem ich zum General Uranga gesandt wurde, da dieser als commandirender General der vier Provinzen während der Abwesenheit Sr. Majestät zurückgelassen war. Er war in der Armee unter dem bezeichnenden Namen des guten Dummkopfes bekannt: seine rühmlichsten Eigenschaften bestanden in unbegränzter Herzensgüte, Redlichkeit und der Treue für seinen Monarchen, zu dessen Vertheidigung er das Schwerdt ergriffen. Seine Talente entsprachen leider nicht der hohen Stellung, die ihm anvertraut war, wiewohl er Vieles dadurch ersetzte, daß er stets bereit war, den Rath erfahrener Männer zu erbitten und zu befolgen. Uranga bestimmte mich nach freundlicher Aufnahme und langer Unterredung zu dem Generalstabe von Navarra, da General Garcia mich dazu erbeten hatte, von dem ich sofort, nach Estella zurückgekehrt, auf das schmeichelhafteste empfangen wurde. Don Francisco Garcia war bei dem Ausbruche des Aufstandes Pr.-Lieutenant der freiwilligen Royalisten; Bravour und Talent hoben ihn rasch zu den höchsten Graden. Ohne militairisch-wissenschaftliche Bildung ersetzte er diesen Mangel durch lebhaften, das Verwickeltste mit Leichtigkeit auffassenden Verstand und durch genaue Kenntniß von seiner vaterländischen Provinz Navarra, den Vorzügen, Mängeln und Bedürfnissen derselben, so wie von dem Charakter seiner Landsleute. Seit er an der Spitze des Königreiches stand, leitete er die Kriegs-Operationen mit höchster Auszeichnung und verwaltete das Land sehr gerecht, weßhalb die Bauern, welche nicht selten seiner Fürsorge und Großmuth die Erhaltung ihrer Erndten, ihrer Güter und ihres Lebens verdankten, ihn eben so anbeteten wie die Soldaten, denen er der sorgsamste Vater war. Unerschütterlich in seiner Treue für Carl V. war er scharfsichtig genug, um die undankbaren Selbstlinge zu durchschauen, welche den verblendeten König durch Heuchelei zu täuschen wußten, da sie bereit waren, ihren erhabenen Wohlthäter zu opfern, so wie ihre Zwecke es erheischen möchten. Garcia kannte sie und that, so viel in seiner Macht stand, um ihren Plänen entgegenzuarbeiten. Arglist siegte auch da über biedere Loyalität; der edle Garcia fiel unter den Streichen Derer, die durch seinen und seiner Freunde Tod das Gelingen ihrer Verrathes-Complotte sicherten. Kurze Zeit vor meiner Ankunft hatte Garcia durch Überraschung das feste Lerin genommen, bei der Annäherung Espartero’s aber, der mit sechszehn Bataillonen von Pamplona heranzog, es geräumt, da er den vorgeschobenen Platz nicht behaupten konnte. Die Bewohner der umliegenden Dörfer, erbittert über die Gräuel, mit denen die Garnison auf ihren Streifzügen sie heimgesucht, hatten die Stadt ganz ausgeplündert. Espartero fand sie am 10. Juni evacuirt und die Festungswerke zerstört, die er sogleich mit größter Thätigkeit wieder errichten ließ. Er blieb dann in dem Ebro-Thale, um das bei Estella concentrirte Carlisten-Corps zu beobachten, dem auch Uranga einige Bataillone zuführte, einen Angriff Espartero’s auf die Stadt befürchtend, zu dem die Abwesenheit der königlichen Expeditions-Truppen wohl einladen konnte. Am 15. war Gen. Garcia mit einigen Bataillonen nach dem Dörfchen Allo in dem reichen Solana-Thale aufgebrochen, von wo aus er die zur Deckung der Arbeiten in Lerin aufgestellten Truppen beunruhigte. Am Abend marschirten wir von dort ab, gegen Westen uns richtend, und durchschnitten mehrere Stunden lang bald fruchtbare Thäler, bald auf schmalen Felswegen unwirthbare Bergrücken, wobei wir uns mit vieler Vorsicht und Anempfehlung von Stille bewegten und fortwährend Detachements zur Rechten und Linken entsendeten. Endlich machten wir Halt, und die Freiwilligen streckten compagnieweise, das Gewehr im Arm und in die bunten Decken gehüllt, zu kurzem Schlafe sich hin, während der General Meldungen empfing oder eifrig mit vier Landleuten redete, die kurz vorher zu uns gestoßen waren. Plötzlich ward mit leiser Stimme der Aufbruch befohlen, kaum hörbar durchlief dumpfes Gemurmel die Reihen, selbst die Cigarren mußten ausgelöscht werden, und nur das gleichmäßige, vage Geräusch der marschirenden Bataillone -- es waren ihrer drei vereinigt geblieben -- tönte durch die Stille der Nacht. Da ward auf geringe Entfernung ein dunkeler Gegenstand sichtbar, von dem bald das bekannte „~sentinela alerta~“, weit zurück hinsterbend, herüberschallte, und „Peralta, Peralta!“ säuselte ein leises Flüstern die Marschkolonne hinab: es war in der That die bedeutende vom Feinde befestigte Stadt Peralta, durch ganz Spanien wegen der ausgezeichneten Weine seiner Umgegend bekannt. Der General blieb mit den Bataillonen hinter einem nahen Olivenhölzchen stehen, während zwei Grenadier-Compagnien, an deren Spitze er mich und einen andern Officier seines Stabes gestellt, von zwei Landleuten geführt vorwärts schlichen, jeden Busch, jede Vertiefung zur Deckung benutzend und oft auf dem Bauche über offene Stellen fortkriechend. Unbemerkt gelangten wir bis unter die Mauer, wo sie kaum neun Fuß hoch von dem Felsen sich erhob, in den der Graben geöffnet war; rasch wurde die mitgebrachte Leiter angesetzt -- da tönte wieder der Wache Ruf[28], längs der Mauer hin, und rechts und links, kaum dreißig Schritt entfernt, antworteten zwei Schildwachen der warnenden Stimme; regungslos schmiegten wir uns an die Mauer. Einen Augenblick später schwangen sich die beiden dazu bestimmten Grenadiere gewandt hinauf, ich folgte mit meinem Gefährten, Beide gleichfalls mit Büchsen bewaffnet und die Canana um den Leib geschnallt. „~Quien vive? Quien vive?~“ und zwei Schüsse auf beiden Seiten folgten sich; die Grenadiere erstiegen gedrängt die Mauer und sprangen sofort in die Stadt hinab, wo alsbald ungeheures Getöse von Schüssen und Geschrei, Trommelwirbel und Geläute der Glocken sich erhob. So wie eine halbe Compagnie innerhalb der Mauer formirt war, führte sie mein Gefährte, mit der Örtlichkeit vertraut, raschen Schrittes gegen das nächste Thor, dessen Wache wir unter dem Gewehre fanden. Eine Salve, die erste, welche wir gaben, von lautem ~Viva el Rey~ begleitet zerstreute sie; fünf Minuten später war das Thor mit Beilen geöffnet, und Garcia stürmte herein mit seinen Bataillonen, besetzte die Hauptstraßen, entsendete starke Patrouillen und vermehrte durch wildes Feuer die Verwirrung des Feindes. Als der Tag anbrach, fanden wir die Stadt in unserm Besitze, da die Garnison mit Zurücklassung von etwa siebenzig Gefangenen in das Fort sich geworfen hatte. Viele unserer Soldaten hatten sich plündernd durch die Häuser zerstreut, und erst nach zwei Stunden gelang es durch unerbittliche Strenge, sie wieder zu formiren und Ordnung herrschend zu machen. Espartero befand sich wenige Meilen entfernt in Lodosa, aber er rührte sich nicht und machte eben so wenig irgend eine Bewegung gegen Uranga, der mit neun Bataillonen von los Arcos aus, vier Stunden nördlich von Lodosa, ihn beobachtete. So konnten wir drei Tage in Peralta bleiben, dessen Besatzung übrigens im Fort unbelästigt blieb und auch gegen uns keinen Schuß weiter abfeuerte. Nachdem alle Vorräthe, deren an Wein, Getreide und Öl viele sich fanden, so wie die Waffen und Pferde nach Estella geschafft waren, verließen wir die Stadt, um nach der Solana zurückzukehren. -- Ich war glücklich, da ich endlich wieder dem Feuer dieser Christinos mich gegenüber gesehen hatte. * * * * * Einige Tage nachher ward ich vom Gen. Garcia beordert, siebenzig Individuen der französischen Fremdenlegion, meistens Deutsche, die zu uns übergegangen waren, nach der französischen Gränze zu geleiten, da sie den Wunsch ausgesprochen hatten, nach ihrer Heimath entlassen zu werden. Das aus solchen Deserteurs gebildete Bataillon, welches mit der königlichen Expedition abmarschirt war, zeichnete sich bei jeder Gelegenheit ebenso durch ungemessene Bravour wie durch Mangel an Disciplin und durch Unordnungen, vor Allem Trunk und Diebereien, aus, was natürlich nur der Schwäche der Officiere zuzuschreiben ist, die meistens lediglich ihr pecuniäres Interesse zu fördern suchten und selbst ihren Theil von den durch die Soldaten gestohlenen Gemüsen und Obst empfingen, so daß mehrere von ihnen wegen Veruntreuung zu Festungsarbeit verurtheilt werden mußten. Die Mehrzahl derselben stammte gleichfalls von der Legion her. Die mir anvertrauten Leute, wenn auch roh und wild, betrugen sich ganz zu meiner Zufriedenheit. Ich passirte anderthalb Stunden von Pamplona, durchkreuzte längs der Zubiri-Linie das schöne Ulzama- und Bastan-Thal, überstieg den Höhenzug der Pyrenäen und erreichte glücklich die Gränze bei Zugarramurdi, wo ich das Detachement den französischen Posten überlieferte. Nachdem ich einige Stunden im nahen Städtchen mit den Officieren der dort cantonnirenden Compagnien verplaudert, ward ich nach Spanien zurückgeleitet und mit freudigem Staunen von dem Chef des Gränzcordons begrüßt, der, da ich -- ohne Zweifel höchst unvorsichtig -- den französischen Boden betreten, überzeugt gewesen war, daß ich entweder auch die Provinzen verlassen wollte oder doch von den jenseitigen Behörden an der Rückkehr würde verhindert werden. Langsam ging ich dann, nur von einem Burschen begleitet, auf Estella zurück. Wieder überstieg ich jenen Gebirgszug, der durch Wildheit zugleich und Anmuth sich auszeichnet, indem die Berge über zwei Drittel ihrer Höhe mit reichem Laubholze bedeckt sind und zahllose kristallhelle Quellen aus ihnen hervorsprudeln; in den Thälern aber, die vielen Mais und Roggen erzeugen, liegen vereinzelt schöne, reinliche Städte, deren Bewohner die echte Treuherzigkeit und Geradheit der Gebirgsvölker entfalteten und ganz besonders gastfrei sich mir bewiesen. Dörfer oder vereinzelte Häuser finden sich erst im Bastan wieder, wo ich auch zuerst Truppen traf, da auf dem ganzen Striche bis zu der Gränzlinie das Terrain hinlänglich gegen die Einfälle der Feinde sicherte. Schon hatte ich auch den hohen Rücken überschritten, der das Bastan- vom Ulzama-Thale scheidet, und ich ruhte vom beschwerlichen Marsche in einem der großen, ganz carlistisch gesinnten Dörfer dieses Thales, von dem oft nicht eine Stunde entfernt die feindliche Linie sich hinzog. Nachdem ich mit meinem Wirthe, einem reichen Bauer, über den Krieg und die Angelegenheiten der Provinzen, unerschöpflichen Stoff der Unterhaltung, geplaudert, suchte ich das Bett auf und schlief bald fest auf fünf oder sechs über einander gethürmten Wollmatratzen, während der Bediente in einem Winkel des an meinen Alkoven stoßenden Zimmers sein Lager ausbreitete. Mitternacht mochte vorbei sein, als ein dumpfes Geräusch auf der Straße mich weckte; zugleich stürzte eine weibliche Gestalt mit fliegendem Haare, in ein langes weißes Hemd gekleidet und ein brennendes Licht in der Hand, in das Gemach; sie stellte sich vor mein Bett, bewegte mit ausdrucksvoller Heftigkeit die Arme, auf Thür und Fenster deutend, und verschwand lautlos, höchstes Entsetzen verrathend. Überrascht sprang ich auf. Da ertönten heftige Kolbenstöße gegen die Hausthür, der Lärm auf der Straße ward stets verworrener, und mein Thomas, der an das Fenster geeilt war, rief mit zitternder Stimme: „~por Dios, Señor, que son los christinos~!“ Ich flog an das Fenster: da stand tobend und fluchend ein Haufen Bewaffneter, deren Kopfbedeckung nur zu unzweifelhaft die verhaßten Negros erkennen ließ. In einem Sprunge hatte ich die Thür erreicht: schon wälzte der Lärm sich die Treppe herauf; ich eilte zum Fenster zurück; die kleine, kaum einen Fuß breite Öffnung, wie sie oft in den Wohnungen der navarresischen Bauern sich finden, machte Flucht unmöglich. Meine Lage, meine Gefühle waren entsetzlich. Wieder ein Gefangener! Schon standen die Feinde auf dem Vorplatze, wo die Frauen des Hauses, da der Wirth bereits durch die Hinterthür entflohen, umsonst sie aufzuhalten suchten. Ich befahl meinem Burschen, der, vor dem Kriege Mönch, zitternd mich fragte: „Werden sie uns tödten?“ sich ruhig niederzulegen, versteckte die Waffen und militairischen Kleidungsstücke unter das Bett und legte mich gleichfalls nieder, nachdem ich die Depechen, welche der Chef der Gränze als sehr wichtig für den General mir eingehändigt, oben auf den Himmel des Bettes geworfen hatte. Der Lärm auf dem Vorplatze dauerte fort; ich unterschied die Bitten der Weiber, ihre Versicherungen, kaum verständlich im gebrochenen Castilianisch, daß in diesem Zimmer Niemand versteckt sei, worauf die Feinde mit Lachen erwiederten, daß sie ja Niemanden suchten, daß nun Alle eins seien. Da ward die Thür aufgerissen, und schweigend, die Gewehre in der Hand, traten funfzehn bis zwanzig christinosche Soldaten herein. Der Augenblick war furchtbar: halb aufgerichtet, als sei ich so eben erwacht, sah ich mit hochklopfendem Herzen auf die Eindringlinge, ungewiß, ob Tod, ob Gefangenschaft mein Loos sei. Sie stellten in Ordnung ihre Gewehre an die Wand, hängten Tornister und Lederzeug daran auf und .... verließen in ehrerbietigem Schweigen das Zimmer. Dann hörte ich sie zum Strohboden hinaufsteigen. Ich sprang auf, den günstigen Augenblick zur Flucht zu benutzen, erstaunt und nicht meinen Augen trauend. Doch Freude strahlend trat die Wirthinn herein und erzählte weitschweifig, wie eine feindliche Compagnie, die im nahen Fort als Garnison gestanden, mit Waffen und Gepäck zu uns übergegangen sei; nur die Officiere und Sergeanten waren in Thränen zurückgeblieben, da sie umsonst durch jedes Mittel die Ausführung des rasch Beschlossenen zu hindern gesucht hatten. -- Eine Tochter des Hauses, eine unglückliche Stumme, war, so wie sie das Bett verlassen, zu mir geeilt, mich zu warnen, da sie die christinoschen Soldaten erkannt hatte, während die übrigen Frauen Alles aufboten, um mich zu retten und die gefürchteten Gäste von mir fern zu halten, in ihrer einfachen Unwissenheit aber eben dadurch mich verrathend. Am Morgen sah ich die Compagnie, dem Regimente von Ziguenza angehörend, unter dem Befehle einiger Corporale zum Abmarsch formirt: schöne, kräftige Leute, vollkommen bewaffnet und uniformirt. Da ich ein halbes Jahr später das Commando einer Compagnie im 7. Bataillon von Castilien erhielt, fand ich in ihr den größten Theil dieser Burschen wieder, die den Schrecken, den sie einst mir verursacht, durch treuste Hingebung zu vergelten suchten. Als ich im Anfange Julis in Estella anlangte, hatte sich General Uranga mit dem Operations-Corps nach dem westlichen Vizcaya gezogen, und Espartero, eine neue Expedition fürchtend, war ihm auf das ~valle de Mena~ gefolgt, während Iriarte in der Rivera mit acht Bataillonen und der Baron das Antas mit seiner Division in Vitoria stehen blieb. Bald kehrte Espartero nach Logroño zurück und marschirte schon am 8. Juli mit zwei Divisionen über Soria auf Guadalajara, da er Ordre erhielt, Madrid gegen den Vormarsch der königlichen Expedition zu decken. Uranga beschleunigte den Abmarsch eines andern Corps, welches die gänzliche Entblößung Alt-Castilien’s von Truppen benutzen und der Armee des Königs eine Diversion machen sollte, da alle disponibeln Streitkräfte der Christinos auf sie sich geworfen hatten. Da es natürlich mein innigster Wunsch sein mußte, jetzt, da die Schwäche beider Heere in den Nordprovinzen keine bedeutenden Kämpfe erwarten ließ, dieser Division mich anzuschließen, erreichte ich, zum Generalstabe derselben bestimmt zu werden, und ward von dem General Zariategui mit Herzlichkeit aufgenommen. Nie sah ich so hohe, freudige Begeisterung die Truppen beleben, nie fühlte ich selbst so ganz ihre Alles überwindende Macht, wie zu jener Zeit, da wir, eine kleine, aber auserlesene Schaar, den Krieg in das Innere des Königreiches tragen und den übermüthigen Feind in seinem eigenen Gebiete aufsuchen sollten. Jubelnd zogen wir Alle dahin, und an dem Tage, an dem wir nach glorreichem Siege den Ebro passirend aus unsern Gebirgen in die reichen Ebenen Castilien’s hinabstiegen, sah ich manche dunkelgebräunte Wange von einer Thräne des herrlichsten Enthusiasmus genetzt. Wenn der Krieger dasteht, fest den Choc des Feindes erwartend, da ergreift ihn ein innerer Trotz, jeder Einzelne sucht sich fester hinzupflanzen, als gälte es persönlich schweren Stoß zurückzuweisen; sein Antlitz verfinstert sich, der Mund ist fest zusammengekniffen, und vielleicht zuckt ein leichtes verächtliches Lächeln über seine Züge, wenn er die glänzenden Escadrone heranbrausen sieht, deren Ohnmacht er wohl kennt, und die er schon von der unerschütterlichen Masse abprallend in wilder Flucht aufgelöset im Geiste sieht. Rückt er aber mit Vertrauen auf seine Führer und auf sich selbst zum entscheidenden Angriff, dann strahlt das Auge des wahren Soldaten von innerem Feuer, sein Kopf hebt sich im Gefühle stolzen Muthes, sein Schritt wird elastisch, und echte Begeisterung macht das Schwierigste ihm leicht, treibt ihn, durch Gefahr und Tod Heldenruhm und Heldenehre sich zu erkämpfen und willig dem Triumphe der gerechten Sache sich selbst zum Opfer zu bringen. [28] Er wird jede Viertelstunde von dem dazu bestimmten Posten erneuert und läuft von einem zum andern durch die ganze Chaine. X. Am 17. Juli 1837 war die zur Expedition nach Castilien[29] bestimmte Division bei Santa Cruz de Campezu vereinigt, von wo aus sie unter dem Mariscal de Campo -- Generallieutenant -- Zariategui den Marsch durch Alava nach dem Ebro richtete. Sie bestand in drei Brigaden aus den Bataillonen 2. und 6. von Guipuzcoa unter Brigadier Iturbe, 1. und 7. von Navarra unter Oberst Oteyza, 1. von Valencia, 6. von Castilien und 3. von Aragon, Brigade von Castilien, unter Brigadier Noboa; das Bataillon von Aragon war in Cuadro, d. h. es enthielt nur seine Officiere und Unterofficiere, um aus Rekruten completirt zu werden. Die Cavallerie bildeten die Escadrone der Legitimität, ganz aus Officieren zusammengesetzt, und 1. und 3. von Navarra; ein Ganzes von 3700 Mann Infanterie und 220 Pferden. Als Chef des Generalstabes fungirte Brigadier Elio. Langsam durchzogen wir das reiche Alava, passirten am folgenden Tage die Heerstraße von Vitoria nach Logroño unmittelbar neben der feindlichen Festung Peñacerrada und richteten uns dann westlich parallel dem Ebro, den wir zu überschreiten bestimmt waren. Am 19. setzten wir ruhig den Marsch fort, als am Morgen unser Vortrab ein starkes feindliches Detachement entdeckte, welches sich in dem Dorfe Zambrana festsetzte, dadurch andeutend, daß es Hülfe erwarte. Auch erschienen bald zwei feindliche Bataillone und nahmen auf den Höhen neben dem Dorfe Stellung, wo sie sogleich vom 1. Bat. von Navarra, der Avantgarde, angegriffen wurden. Das Gefecht war kurz; der Feind, durch Navarra stark gedrängt und von der Höhe geworfen, dann von einigen Compagnien von Guipuzcoa, die herzugeeilt waren, in der rechten Flanke bedroht, während eine Escadron ihn links umging, zog sich rasch auf das Fort Armiñon zurück, ehe noch der Rest der Division erschienen war. Der General blieb mit seinem Stabe, den Escadronen und dem Bataillone 1. von Navarra in Zambrana, während die übrigen Truppen in zwei und eine halbe Stunde rückwärts liegenden Dörfern stehen blieben. Es war Mittag und unendlich heiß, die Cavallerie hatte ihre Pferde abgezäumt, die Bataillone die Gewehre zusammengestellt, und die meisten Officiere suchten die Mittagsgluth zu verschlafen; ich lag halb bekleidet auf einer Matratze ausgestreckt. Da stürzten einige Leute zum General mit der Meldung, daß feindliche Cavallerie, von starken Infanteriemassen begleitet, im Trabe nahe; wir flogen zu den Fenstern und sahen die Escadrone der Christinos schon am Eingange des Ortes formirt. Es war der Portugiese Baron das Antas, der seine Division, mit dem Freicorps des Schleichhändlers Martin Barea vereinigt und verstärkt durch die Garnisonen von Vitoria und Treviño, heranführte, um die Ehre der portugiesischen Waffen zu retten, da einige Bataillone am Morgen zu weichen genöthigt waren. Die höchste Verwirrung herrschte in dem Dorfe, von allen Seiten erschallte wildes Geschrei, bald von den Trommeln übertönt, die Infanterie eilte zu ihren Gewehren, die Cavalleristen schwangen sich auf die zum Theil ungesattelten Pferde. Auch ich warf mich auf das Pferd, den Überrock und den Säbel in der Hand haltend und ohne Weste, die ich am Abend in dem Hause wiederfand. Wenn die feindliche Cavallerie sofort in den Ort eingebrochen wäre, hätte unsere Infanterie gar nicht zu den Waffen greifen können, Alles wäre wehrlos überrascht, ohne Zweifel der General mit seinem Stabe und sämmtliche Cavallerie gefangen genommen; das Zaudern des Feindes, der wohl nicht ohne Infanterie in einen besetzten Ort sich zu engagiren wagte, rettete uns, da Zariategui trotz dem feindlichen Andrängen das Bataillon in Masse formirt auf die Division zurückführen konnte, die er bereits in Bataillons-Colonnen in einer Linie aufgestellt fand. Reißend schnell zogen die Portugiesen zum Angriffe heran, in sieben Bataillonen und drei Escadronen, 6200 Mann und 360 Pferde stark: Barea auf dem linken Flügel bedrohete die Brigade Guipuzcoa, während eine tiefe Colonne gegen unsern linken Flügel, die Brigade Castilien, sich wandte, wo Valencia an ein stark besetztes Dörfchen sich lehnte. Auf dieses warfen sich die Portugiesen mit Kraft und trieben das Bataillon bis zu den Häusern zurück; dort wurde ihr Choc mit solcher Festigkeit aufgenommen, daß sie schnell weichen mußten. Nochmals drangen die Massen zum Sturm, und nochmals wurden sie zurückgeschlagen; ein dritter Versuch hatte keinen bessern Erfolg. Das Gefecht hatte sich indessen auf der ganzen Linie ausgebreitet, ohne daß es dem Feinde gelungen wäre, irgendwo durchzubrechen. Das 7. Bataillon von Navarra bestrich von seiner Centralstellung auf einer leichten wenig vorgeschobenen Höhe die ganze vorliegende Ebene, und Iturbe mit dem 6. von Guipuzcoa vertrieb Barea’s Corps von den Hügeln, die es inne hatte, und bedrohete die linke Flanke der Portugiesen, worauf sie, da die ganze carlistische Linie eine kräftige Bewegung vorwärts machte, in Ordnung den Rückzug antraten. Auf dem Fuße von unsern Tirailleurs verfolgt, nahm Das Antas hinter dem Flüßchen Zadorra Position und stürmte, da Iturbe über eine Brücke auf der Rechten rasch nachdringend sich isolirt hatte, mit überlegenen Massen auf die Brigade Guipuzcoa ein, die jedoch den Angriff mit Festigkeit aushielt, bis die übrigen Truppen den Fluß passiren und die Escadron 3. von Navarra herzueilen konnte. Zwar mißlang eine Charge derselben gegen ein feindliches Bataillon mit schwerem Verluste an Menschen und Pferden, da aber zuletzt auch die Brigade Navarra den Übergang erzwang und die ganze Linie wieder zum Angriff überging, entschlossen sich die Portugiesen zu neuem Rückzuge, den zwei Bataillone ihres rechten Flügels und die drei Escadrone deckten. Wiewohl heftig gedrängt, zogen sie sich, ohne unser Feuer zu erwiedern, bis zu einigen einzeln stehenden Häusern, wo sie Front gegen uns machten. Die Escadrone der Legitimität -- 50 Pferde --, der die Officiere des Generalstabes sich angeschlossen hatten, und 1. von Navarra chargirten und trafen sich mit zwei der feindlichen Escadrone; nach zwei furchtbaren Chocs, in denen ihr Oberst[30] getödtet, wurden die Portugiesen zerstreut, worauf die beiden Bataillone, da sie ihre Cavallerie geworfen sahen und unsere Tirailleurs, in die Massen hineinschießend, sie eng umzingelt hielten, das Gewehr streckten. Doch die dritte Escadron eilte herzu, befreite die Bataillone und umwickelte selbst die Hälfte der 1. von Navarra, die aber eine neue noch höhere Kraftanstrengung ihrer Gefährten rettete, wobei selbst einige Gefangene bewahrt wurden. Der Tummelplatz war mit Todten und Verwundeten, Pferden, Gewehren und Lanzensplittern bedeckt; Infanterie und Cavallerie war bei den wiederholten Chargen und dem Wechsel der Bewegungen bunt durch einander geworfen. Der Feind zog sich rasch, aber geschlossen zurück, von der wieder geordneten Cavallerie gedeckt, die auch hier den Ruf der Bravour behauptete, der sie auszeichnet. Wir verfolgten ihn bis nahe dem Fort Armiñon, dessen Geschützfeuer zur Rückkehr uns nöthigte. Plötzlich ertönten zu unserer Rechten häufige Schüsse; ein Adjutant eilte dorthin und fand am Ufer der Zadorra, deren Wasser von Blut roth gefärbt war, einige Compagnien in lebhaftem Feuer begriffen. In der Verwirrung der Cavallerie-Chargen hatten sich viele Soldaten der beiden portugiesischen Bataillone in den Fluß geworfen und im Schilfe versteckt, wo sie nun, so wie sie zum Athemholen den Kopf über das Wasser erhoben, unsern lachend am Ufer wartenden Freiwilligen zur Zielscheibe dienten. Der Verlust des Feindes betrug 1100 Mann, worunter 150 Gefangene, der unsere fast 500 Mann; neunhundert Gewehre und einige vierzig Pferde waren in unsere Hände gefallen. Der General schlug mich für den Orden St. Ferdinand’s erster Classe vor und ließ mir, da mein Pferd in einer der Chargen verwundet war, das des gefallenen portugiesischen Obersten, einen prachtvollen Goldfuchs, nebst dessen Waffen überreichen. -- Übrigens ist gewiß der unverzeihlichste Fehler, den ein General zu begehen vermag, der, sich überraschen zu lassen; hier war er doppelt schwer, da Zariategui bei solcher Nähe des Feindes auch nicht die geringste Vorsichtsmaßregel getroffen, selbst nicht einen Vorposten ausgestellt oder eine Patrouille entsendet hatte: Alles schlief oder kochte. Könnte aber je solcher Fehler durch Tüchtigkeit im Erkämpfen des Erfolges vergessen gemacht werden, so that es Zariategui durch die meisterhafte Leitung der Action. Nachdem die Verwundeten und Gefangenen zurückgebracht waren, und da der General noch eine Zusammenkunft mit General Uranga gehabt hatte, bivouakirten wir in der Nacht vom 21. zum 22. Juli auf dem Ufer des Ebro und passirten ihn früh Morgens zwischen den beiden Festungen Miranda de Ebro und Arro. Mit lautem, enthusiastischen ~viva el Rey!~ betraten die Freiwilligen die fruchtbaren, mit lachendem Grün bedeckten Gefilde Castilien’s, und von den Wällen des nahen Miranda sahen die Feinde, ohne sich zu bewegen, wie wir siegreich die Scheidewand überschritten, die von dem christinoschen Spanien uns zurückhalten sollte. Hätte Das Antas, anstatt mit seinem schönen Corps unnütz prunken zu wollen, sich begnügt, die wenigen Furthen zu decken, welche hier den Übergang des Ebro gestatten, so würde er der Sache, die er vertheidigte, bessere Dienste geleistet haben. * * * * * In kleinen Märschen durchzogen wir die Provinz Burgos, vom General Escalera bis Lerma verfolgt, ohne je seine Truppen zu Gesicht zu bekommen; nur ein Mal nicht weit von Aranda de Duero sahen wir fern die Colonne von Soria, welche unter General Alcala gleichfalls zu unserer Verfolgung bestimmt sein sollte: sie zog sich zurück, so wie wir sie zu empfangen uns aufstellten, und erschien nicht wieder. Allenthalben wurden wir gut vom Volke aufgenommen, und da wir am Tage des Ebro-Überganges einem niedlichen Städtchen naheten, kamen die National-Gardisten weit uns entgegen und begrüßten die Truppen als Befreier von den Einfällen der Facciosos. Verführt durch den eben so pompösen als lügenhaften Bericht Das Antas’s, worin er den Castilianern verkündete, daß er durch einen entschiedenen Sieg die Expeditions-Division vernichtet und in ihre Wälder versprengt habe, hielten uns die Armen für das portugiesische Corps und wollten sich lange nicht von ihrem Irrthume überzeugen lassen, da sie, was wir sagen mochten, für Scherz erklärten. Sie wurden jedoch nach Ablieferung ihrer Waffen entlassen, wie es überhaupt Zariategui’s Grundsatz war, durch wohlwollende Behandlung und Milde die Liebe des Volkes zu erwerben. Am 27. Juli vereinigten wir uns bei Covarrubias mit einer Brigade von Vizcaya, dem 5. Bataillon von Castilien und der Escadron von Cantabrien, die den Ebro nahe seinen Quellen passirt hatten und die Junta von Castilien uns zuführten. Die Mitglieder derselben, von einem Geistlichen präsidirt, schienen von Allem zu wissen mit Ausnahme dessen, was ihre Pflicht betraf: während die einfachsten Regeln in der Verwaltung ihnen ganz unbekannte Dinge waren, wußten sie wohl ihre Koffer tüchtig zu füllen. Auch ist nie bekannt geworden, was diese Junta gewirkt hat. Sie setzte sich in San Leonardo fest und mit ihr wurde in dem Gebirge zwischen Burgos und Soria das 5. Bataillon von Castilien unter Oberst Barradas zurückgelassen, der den Auftrag erhielt, Rekruten auszuheben, einige Punkte zu befestigen und große Magazine von Lebensmitteln und sonstigen Kriegesbedürfnissen anzulegen, da Zariategui, im Fall ein Rückzug nöthig würde, sich hieher ziehen und hier behaupten wollte. Dann kreuzte die Division, nun in acht Bataillonen und vier Escadronen 4300 Mann und 310 Pferde stark, die große Heerstraße nach Frankreich zwischen Aranda und Lerma, überschritt am 31. bei Roa den Duero und rückte, ohne irgend Widerstand zu finden, in die Provinz Segovia vor. Am 3. August Nachmittags standen wir vor Segovia, zwölf Meilen von Madrid entfernt, einer alten Stadt von 15000 Einwohnern, die als Hauptort der Provinz, wegen seiner Münze und großen Tuchfabriken von hoher Wichtigkeit ist; auch schloß sie mehrere militärische Etablissements in sich, das große Cadetten-Institut des Königreiches, Stückgießereien, Gewehrfabriken und bedeutende Niederlagen von Kriegsbedürfnissen jeder Art. Die Stadt war mit einer hohen Mauer umgeben, die durch vorspringende Thürme flankirt war. Sofort wurde die Disposition zum Angriff gemacht, indem die Brigade Castilien zur Erstürmung des uns gegenüberliegenden Thores bestimmt ward, während die Brigaden Vizcaya und Guipuzcoa rechts und links die Mauer escaladiren würden; Navarra blieb nebst der Cavallerie hinter einem großen Fabrikgebäude als Reserve stehen. Jeder der angreifenden Brigaden wurde ein Officier vom Generalstabe[31] beigegeben, mich traf die Brigade Vizcaya. Die einzige Instruction, welche der General uns gab, war: die Stadt muß genommen werden; Sie werden die Ersten innerhalb der Mauer sein. Auf das Zeichen zum Angriff drangen die drei Colonnen vorwärts, bald von den Kugeln der Garnison -- 1500 Mann mit acht Geschützen auf der Mauer -- überschüttet. Valencia gelangte fast bis zu dem Thore, das es umsonst zu sprengen suchte, die andern Brigaden aber, da sie keine Leitern hatten, holten aus den nahen Häusern Tische, Stühle und Thüren zusammen, um aus ihnen Gerüste zur Ersteigung der Mauern zu erbauen. Nach viertelstündiger vergeblicher Anstrengung wichen die Colonnen, hinter den Häusern sich neu formirend, von wo sie, da Zariategui wieder zum Sturm blasen ließ, sofort vorbrachen. Während Valencia den Eingang zu erzwingen, das Thor in Brand steckte, hatte Vizcaya endlich das Gerüst errichtet; mit lautem ~viva el Rey~ stürmten wir hinauf, von Stuhl zu Stuhl emporkletternd. Der Feind wich, die Ersten der Unseren schwangen sich auf die Mauer und stürzten die schon zur Flucht gewendeten Vertheidiger jenseit hinunter; in demselben Augenblicke drang Valencia durch das halb niedergebrannte Thor in die Stadt, wo die siegreichen Colonnen mit Jauchzen sich begrüßten. Die Besatzung floh allenthalben, so daß nun auch Guipuzcoa die Mauer ersteigen konnte. Ob Valencia, ob Vizcaya zuerst die Stadt betraten, blieb unentschieden. * * * * * Eiligen Laufes flohen die Christinos dem Alcazar zu, nun zum Castell gemacht, ihnen nach jagten die Eingedrungenen und streckten Manchen in den Straßen nieder. In entsetzlicher Unordnung löseten die Bataillone sich auf und zerstreuten sich plündernd durch die Stadt, die rings von Geschrei und Klagen wiederhallte; die Münze wurde erbrochen, und große Säcke Kupfergeld, kaum noch beachtet, lagen bald in den Straßen umher. Selbst einzelne, nein, sehr viele Officiere nahmen an der Unordnung Theil, und einen derselben fand ich vor dem Hause eines reichen Banquiers mit Säcken voll Piaster vor sich, aus denen er freigebig allen Vorübergehenden mittheilte. Umsonst suchte der General dem Unwesen zu steuern, umsonst sendete er die ihn umgebenden Officiere nach allen Seiten aus; wenn die Plünderer mit Flüchen und Säbelhieben aus einem Hause vertrieben waren, zerstreuten sie sich, um anderwärts ihr grausames Spiel wieder zu beginnen. Endlich zog der General die Reserve-Brigade von Navarra herein, um durch sie die Ordnung herzustellen, auch gelang es ihm, etwa tausend Mann zu sammeln und aus der Stadt zu führen. Da, in der Meinung, nun seien sie als Reserve abgelöset, begannen die Navarresen ihrerseits zu plündern. Zariategui war in Verzweiflung. Alles geschah unter den Augen der Besatzung des Alcazar, und die weit überlegene Division von Mendez Vigo, dem General-Capitain von Alt-Castilien, stand nur zwei Stunden entfernt in dem Lustschlosse San Ildefonso (la Granja). Hätte die eine oder die andere so furchtbare Unordnung benutzt, die Division mußte vernichtet werden: keine der Beiden rührte sich. Erst am folgenden Tage, da der Alcazar capitulirte, hörte die Plünderung auf, in der viele Soldaten sich so bereicherten, daß später auf dem Rückzuge stundenweit Silber- und Kupfergeld sich hingestreut fand, nach und nach von den Soldaten weggeworfen, wie die Last der gefüllten Tornister zu groß wurde. Die Garnison, wiewohl der Alcazar ein sehr festes Gebäude und von tiefen in den Felsen gehauenen Gräben umgeben, auch Mendez Vigo so nahe war, versuchte keinen Widerstand nach der Einnahme der Stadt; sie capitulirte am 4. Juli und übergab das Castell mit der Bedingung, daß die 300 Cadetten mit ihren Waffen und ~tambour battant~, die Besatzung mit Gepäck und ohne Waffen nach Madrid abzögen; das Eigenthum des Instituts, die Bibliothek, die Waffensammlung und die Exercier-Geschütze ~en miniature~ der Cadetten würden unangetastet bleiben. -- Die Erstürmung Segovia’s hatte uns etwa 200 Mann gekostet. So wie die Thore der mächtigen Burg sich öffneten, eilten wir hinein, unsere Eroberung zu bewundern. Wir mischten uns mit den Christinos, die großen Theils für ihre Lage sehr passend und fest sich benahmen, und unter denen viele höchst gebildete Officiere sich befanden, die wiederum die Bravour unserer Truppen anerkannten und ihr Erstaunen nicht verhehlten, daß sie anstatt der rohen, fanatischen Facciosos, wie sie ihnen geschildert waren, vollkommen organisirte Truppen und manche wissenschaftlich gebildete Officiere sahen, die, weit entfernt von jenem blinden Fanatismus, mit Freimuth über die entgegengesetzten Meinungen zu discutiren und auch im Gegner, so lange sie nicht selbstische Motive zu verdecken dienen und, auf Überzeugung gegründet, mit Edelmuth gepaart sind, sie zu ehren wußten. Ich gestehe, daß es mir unendlich wohlthuend war, da ich unsere sonst so übermüthigen Gegner hier genöthigt sah, wahre Anerkennung uns zu zollen; denn ich fühlte, daß nicht Furcht oder Rücksicht aus ihnen sprach, und der ernste Händedruck einiger ausgezeichneten Officiere des Cadetten-Corps zeigte ihre Sympathie für die Carlisten, die sie bisher nur nach den Erzählungen unserer Feinde gekannt und verabscheut hatten. Übrigens erkannte die Garnison von Segovia, als sie mit ihren Waffengefährten wieder vereinigt, auch in Madrid öffentlich den Edelmuth und die Freisinnigkeit an, mit der sie von den siegenden Rebellen behandelt waren. Das feste und militärische Benehmen eines kleinen Cadetten frappirte mich besonders als Contrast gegen die Niedrigkeit eines seiner Lehrer, der am Morgen vor unserer Ankunft eine erbärmliche, mit beleidigenden Invectiven gefüllte Proclamation an die Einwohner und Truppen erließ, worin er sie aufforderte, gegen die blutdürstigen Meuchelmörder bis auf den letzten Mann sich zu vertheidigen. Nun aber, da er uns als Sieger in der Stadt sah, suchte er unsere Gunst durch eben so jämmerliche Schmeicheleien und kriechende Unterwürfigkeit zu gewinnen, während wir sein Machwerk in der Tasche hatten und darüber lachten. Jener Cadett aber, ein Bursche von dreizehn Jahren, stand als Schildwache bei den im Speisesaal zusammengesetzten Carabinern des Corps mit der Instruction, Niemand die Waffen berühren zu lassen. Kaum hatten wir den Alcazar besetzt, als ein plumper Navarrese in das Zimmer trat und sofort einen der schönen Carabiner gegen sein Gewehr eintauschen wollte. Die Schildwache rief ihm ruhig ihr: „zurück!“ zu. Der Navarrese griff nach dem Carabiner mit verächtlichem Seitenblick den Knaben messend, als die Schildwache wieder ein herrisches „zurück!“ ihm zudonnerte und das Gewehr mit der Drohung auf den Erstaunten anlegte, ihn sofort niederzuschießen. Einige Officiere entfernten den fluchenden Navarresen, dem Cadetten gerechtes Lob für die Erfüllung seiner Pflicht in solcher Lage spendend. Große Schätze waren uns zu Segovia in die Hände gefallen, so viele tausend Gewehre, eine bedeutende Munitions-Niederlage und einige zwanzig Geschütze, von denen acht auf den Mauern des Alcazar aufgepflanzt waren, dann fanden wir ungeheure Magazine vor, und aus dem erbeuteten Tuche wurde die ganze Division neu uniformirt. Die Stunden vergingen rasch in fortwährender drängender Beschäftigung. Der Intendant fand gleichfalls außer dem baaren Gelde der königlichen Cassen zwanzig Millionen in Staatsschuldscheinen vor und ... ließ das Packet öffentlich auf dem Markte verbrennen. Als Zariategui auf die Nachricht erschreckt und zornig hineilte, kaum das Geschehene glaubend, sagte ihm der Finanzmann mit kläglicher Miene, er habe geglaubt, daß die Papiere nur für Isabella’s Regierung Werth hätten, weßhalb er sie habe zerstören lassen. Viele behaupteten, der Intendant habe andere Papiere untergeschoben. In der Münze waren nur noch einige Barren, da sie ganz ausgeplündert wurde; in ihr wurden Geldstücke mit dem Bildnisse Carls V. geprägt, die einzigen, welche je angefertigt wurden. Noch möchte ich ein ausgezeichnetes Monument antiker Baukunst nicht unerwähnt lassen, da es stets meine Bewunderung in hohem Maße erregte: eine alte Wasserleitung, deren Ursprung ungewiß ist, dort aber den Carthaginensern und selbst den Phöniciern zugeschrieben wird. Sie besteht aus behauenen Steinblöcken von solchem Umfange, daß zu ihrer Herbeischaffung und Placirung Kräfte müssen angewendet worden sein, wie sie für jene Zeiten uns kaum denkbar scheinen; das Merkwürdigste dürfte sein, daß diese Steine an einander gefügt sind, ohne daß das Auge das geringste bindende Material zu entdecken vermöchte. Jeder Karren, der unter den weiten Bogen hinfährt, macht den ganzen Bau erzittern, und doch trotzte dieses Riesenwerk Jahrtausenden. Über einem Bogen findet sich eine halb zerstörte Inschrift in Charakteren, über welche die Forscher bisher nicht einig waren, und die, anstatt in den Stein gehauen zu sein, künstlich auf ihm befestigt sind. * * * * * Indem das Bataillon -- in Skelett -- von Aragon in Segovia zurückgelassen wurde, um sich aus den stets herzuströmenden Rekruten zu vervollständigen, zogen wir am 6. August auf der Straße nach Madrid vorwärts, welches an eben dem Tage in Belagerungszustand erklärt ward. Mendez Vigo zog sich bei unserer Annäherung zurück, so daß wir ohne Widerstand das prachtvolle Lustschloß von San Ildefonso besetzten. Der General mit einem großen Theile der Officiere besah das Schloß, in dem Alles in dem Zustande sich befand, wie die Königinn Wittwe es verlassen hatte, so daß viele Kostbarkeiten und Merkwürdigkeiten in den Gemächern zerstreut umherlagen. Dann ließ Zariategui das Schloß schließen und Todesstrafe für einen Jeden verkünden, der den kleinsten Schaden anstiften würde. Am Abend spielten die schönen Wasserkünste der Gärten, die weithin ausgedehnt und mit geschmackvoller Eleganz geschmückt, ganz das Werk Christina’s waren. Langsam überstiegen wir das wilde Guadarama-Gebirge, auf dessen höchstem ganz kahlem Gipfel ein ruhender Löwe über einem Piedestal sich erhebt, dessen Inschrift anzeigt, daß „Ferdinand VI. die Gebirge besiegt habe“, um durch diese Straße die beiden Castilien zu verbinden. Mendez Vigo wich fortwährend, bis wir ihn am 11. Aug. Morgens nur noch drei Stunden von der Hauptstadt entfernt, deren Thürme aus der Ferne uns winkten, in einer festen Stellung trafen, die durch achtzehn Geschütze der reitenden Artillerie der Garde gedeckt war. Die Stellung war augenscheinlich unangreifbar und Umgehung durch das Terrain faktisch unmöglich gemacht, da rechts und links tiefe Abgründe und ungangbare Felswände sich hinzogen. Dennoch ließ Zariategui einige Bataillone vorrücken, die jedoch, nachdem sie wenige vorgeschobene Truppen auf die Hauptposition zurückgetrieben, mit Granaten empfangen sich zurückzogen mit einem Verlust von zwanzig bis dreißig Mann, der, so gering er scheinen mag, eine nutzlose Aufopferung war und vermieden werden mußte und konnte, da die Demonstration durchaus keinen Zweck hatte und nur durch den erbärmlichen Stolz, nicht ohne Gefecht sich zurückziehen zu wollen, veranlaßt ward. Wir übernachteten in mehreren Ventas und gingen dann, ohne vom Feinde gedrängt zu werden, auf der Straße von Villacastin auf Segovia zurück, während die Brigade von Vizcaya über den nahen Escurial marschirte. Vielfältig ist es dem General Zariategui zur Last gelegt, daß er zu jener Zeit nicht Madrid’s sich bemächtigt habe, und in der That war bei unserm Vormarsche die Hoffnung, in die Hauptstadt einzuziehen, in der Division allgemein verbreitet. Selbst unterrichtete Officiere, die bei dem Zuge gegenwärtig waren, haben behauptet, daß der General die Begeisterung der Truppen benutzend, die bei dem Anblicke Madrid’s zu Allem sie bereit machte, Mendez Vigo hätte schlagen und die Stadt nehmen müssen; sie ließen sich in ihrem Urtheile wohl nur durch ihren feurigen Muth leiten, der ihnen jedes Hinderniß als unbedeutend schilderte, da nur noch eine Kraftanstrengung zur Erreichung des ersehnten Zieles nöthig schien. Wenn man die Stärke der Division Vigo -- 9000 Mann --, die Zahl der Nationalgarden -- acht Bataillone -- und der übrigen Truppen in dem großen befestigten Madrid und dagegen die Schwäche der Division Zariategui -- in Segovia nach den im Generalstabe abgegebenen Rapporten der Corps 3950 und einige Mann und 300 Pferde schlagfertig -- und ihre gänzliche Entblößung von Artillerie berücksichtigt, kommt man leicht zu dem Schlusse, daß es Tollheit gewesen wäre, die Hauptstadt anzugreifen, selbst wenn Mendez Vigo den Weg dahin ganz frei gelassen hätte. Billig aber muß bewundert werden, wie dieses kleine Corps so Vieles ausrichten konnte. Da die Division am 13. Villacastin sich näherte, entfloh der Gouverneur mit 120 Pferden und 40 Infanteristen, ward aber von der Escadron 3 von Navarra unter dem braven Oberst Osma eingeholt, trotz seiner Mehrzahl chargirt und geschlagen; Osma kehrte mit achtzig gefangenen Reitern, den vierzig Infanteristen und dem Gouverneur zurück, dessen Leben mit Mühe durch unsere Truppen gerettet wurde, da das Volk in Villacastin wüthend den Kopf seines Peinigers forderte. Als wir in die Stadt einzogen, sahen wir fern hinter uns auf der Höhe des Guadarama eine mächtige Staubwolke sich einherwälzen: das Armeecorps Espartero’s, der, mit seinen 20000 Mann von Guadalajara zum Schutze der Residenz herbeigerufen, am Abend vorher seinen Einzug dort gehalten hatte, war ohne Rast zu unserer Verfolgung aufgebrochen. Zugleich folgte uns der nun mit General Aspiroz vereinigte Mendez Vigo, und die Division Puig Samper, in Eilmärschen aus der Provinz Cuenca herangezogen, operirte auf unserer linken Flanke. So war der eine Zweck des kühnen Zuges erreicht: das Expeditions-Corps des Königs war von einem Theile der Massen befreit, die sich gegen dasselbe vereinigt hatten und in den Gebirgen von Cantavieja es zu erdrücken drohten. Die unmittelbare Folge davon war die siegreiche Schlacht beim ~villar de los navarros~. Am 14. Mittags langten wir wieder in Segovia an, von den feindlichen Colonnen, die bei unserm Abmarsche von Villacastin angesichts der Stadt standen, nahe verfolgt. Wir fanden nicht nur das Bataillon von Aragon vollständig, sondern auch ein anderes, von Segovia genannt, aus freiwilligen Rekruten gebildet, die sofort mit einem Theile der genommenen Gewehre bewaffnet wurden. Am Abend ward im Theater ein großes Schauspiel aufgeführt, da wir eine Comödianten-Gesellschaft aufgefangen und nach der Stadt geschickt hatten. Die Freiwilligen, denen freier Zutritt gestattet war, und die daher den größten Theil des Hauses einnahmen, staunten jubelnd die Wunderdinge an, da sie ja in den vaterländischen Gebirgen nichts Ähnliches gesehen hatten, und als endlich der nationale Bolero das Fest schloß, mußte unter dem donnernden Applaus unserer Burschen der malerische Tanz wiederholt werden. Gewaltige Verwirrung herrschte indessen in der Stadt. Unbegreiflicher Weise war während der eilf Tage, die unsere Truppen in ungestörtem Besitze derselben zugebracht, Nichts geschehen, um für den Rückzug, der doch wohl vorausgesehen werden mußte, die nöthigsten Vorbereitungen zu treffen, so daß nun Alles in Unordnung durch einander rannte und wir in Betreff der Transportmittel lediglich auf das beschränkt waren, was die Stadt uns bieten konnte. Ein wenig Fürsorge des Generals würde alle die unersetzlichen Effekten gerettet haben, die wir nun mit tiefem Schmerze aufgeben mußten. Der größte Theil der vorgefundenen Vorräthe, die Lebensmittel und das Tuch wurden verlassen, das Pulver, mit Ausnahme von etwa funfzig Maulthierlasten, ward in einen nahen Teich geworfen, und, noch empfindlicher! selbst für die Fortschaffung der Gewehre reichten unsere Mittel nicht hin. Die Artillerie wurde ruinirt, nur eine sechspfündige Kanone und eine fünfzöllige Haubitze, beide ganz neu und ausgezeichnet durch Schönheit und Leichtigkeit, konnten mitgeführt werden; für erstere wurden zweihundert, für die Haubitze einhundert funfzig Schuß ausgewählt, alles Übrige mußte zurückbleiben. Auch unsere Verwundeten ließen wir mit denen des Feindes in dem Hospitale; ihre Klagen und ihr Flehen, da sie so dem Elende der Gefangenschaft sich hingegeben sahen, waren herzzerreißend und ach! nur zu gegründet, denn Wenige wurden je wieder mit den Ihrigen vereinigt. Während der Nacht war alle Welt in Bewegung, da die Saumthiere gesammelt, bepackt und wieder entladen werden mußten, weil etwa irgend etwas Wichtigeres vergessen war; Befehle wurden von hundert Stimmen auf einmal gegeben, von Niemand ausgeführt, denn Jeder war schon mehr als zu sehr beschäftigt. Gegen Morgen ward Apell geblasen, nach welchem die Truppen in ihre Quartiere zurückkehrten, um eine halbe Stunde später durch das Assemblee-Signal wieder zur Formation gerufen zu werden. In der Meinung, es gelte einer Gewehr-Inspection, die am Tage vorher angesagt war, ließen viele Soldaten, sorglos wie sie sind, ihr Gepäck im Logis zurück und mußten ohne dasselbe abmarschiren; denn die feindlichen Colonnen standen nur noch eine halbe Stunde von Segovia und rückten von Süden her in die Stadt, als wir, der vorausgesandten Bagage folgend, auf der Straße nach Aranda aufbrachen, um die Sierra, unsern Stützpunkt, wieder zu gewinnen. Rührend war der Schmerz der Einwohner, als sie uns davon ziehen sahen. Eben Die, welche wir bei unserm Einzuge mißhandelt und ausgeplündert hatten, flehten jetzt weinend, wir möchten sie nicht verlassen, nicht wieder dem Elende und den Erpressungen der revolutionairen Regierung Preis geben. So wohlthätig hatten die Milde Zariategui’s und sein versöhnendes Betragen, wie die nähere Bekanntschaft mit unsern ungebildeten, aber treuherzigen und wackern Freiwilligen auf Aller Gemüther eingewirkt. Zariategui hatte nicht nur die Stadt ganz von Contributionen und sonstigen Abgaben befreit, er vertheilte selbst in Rücksicht auf die Leiden, welche die Erstürmung nach sich geführt, unentgeltlich die nöthigsten Bedürfnisse, von dem Geraubten wurde Vieles zurückerstattet, und die einzelnen unvermeidlichen Fälle, in denen Soldat oder Officier dem Bürger Grund zur Klage gegeben, waren mit Strenge bestraft. Schmerzlich ist, daß er mit so edler Schonung der friedlichen Bewohner nicht die nothwendige Thätigkeit und Energie verband, durch die er manche Verluste uns hätte ersparen und die errungenen Vortheile ganz benutzen können. Während die Brigade Vizcaya mit den Escadronen der Legitimität und Cantabrien die Heerstraße hinabzog, marschirte das Hauptcorps rechts von derselben ab, anfangs in höchster Ordnung und schlagfertig, wiewohl der Feind uns nicht auf dem Fuße zu verfolgen schien. Als wir aber um Mittag eine dürre Sandebene betraten, auf der, so weit das Auge reichte, kein Haus, keine Höhe, nur hie und da Fichtengehölz zerstreut sich zeigte, als bei drückender Gluth der Sonne im aufquellenden Staube weder Quelle noch Brunnen gefunden ward, den brennenden Durst zu löschen; da wurde die Marschcolonne immer länger und länger, und die Bataillone mit Ausnahme des 1. von Navarra, welches geschlossen den Nachtrab bildete, löseten sich endlich ganz auf, da die Soldaten rechts und links sich zerstreuten, um Wasser zu suchen und zugleich die Staubwolken des Weges zu vermeiden. Wie eine große Schafheerde durchkreuzte die Division die Ebene, als hinter uns Waffen und Helme durch den Staub blitzten: die feindliche Cavallerie nahete in scharfem Trabe und war im Begriff, sich auf uns zu werfen. Ein ungeheurer Schrei des Schreckens ertönte weit hin über die Fläche, und die Freiwilligen rannten in kleine Haufen sich zu vereinigen, während ich im Gefolge Elio’s dem 1. von Navarra zuflog, welches er sofort in Masse formirte und rechts und links durch die beiden Escadrone von Navarra deckte. Hätte der Feind seine sieben oder acht Escadrone in mehrere Theile getheilt und so auf die ungeordnete Menge sich geworfen, würde gewiß gänzliche Vernichtung uns getroffen haben; aber er vereinigte sich in eine große Colonne uns gegenüber und stürmte in drei Echelons zum furchtbaren Choc gegen das Carré. Elio ließ die Escadronen bis auf dreißig Schritte nahen, ehe er das Commando zum Feuer gab: sie zerstoben nach allen Seiten, dem zweiten Echelon Platz machend, welches wie das dritte rasch ihr Schicksal theilte, den Boden mit Menschen, Pferden und Waffen bedeckt lassend. Die Navarresen verlangten nun, den geworfenen Feind zu chargiren, was Elio nicht gestattete, worauf der Marsch mit größerer Vorsicht und Ordnung fortgesetzt und von der christinoschen Cavallerie, die sich in respektsvoller Entfernung hielt, nicht weiter beunruhigt wurde. Bei der gewöhnlich so großen Scheu unserer Infanterie vor den Cavallerie-Angriffen, die im Gebirgskriege so selten und daher durch den Mangel an Vertrautheit mit ihnen mehr gefürchtet sind, war das Betragen unserer Soldaten bemerkenswerth, die, anstatt zu fliehen, in kleine Massen vereinigt dem formirten Bataillon sich anzuschließen eilten. Einem Officier, der einem Trupp Navarreser, auf das nahe Gehölz deutend, zurief, sich dahinein zu werfen, antworteten die braven Burschen dem Bataillone sich zuwendend: „Nein, wir siegen oder wir sterben mit unsern Brüdern.“ Bald hatten wir, mit Vizcaya vereinigt, den Duero passirt und erreichten die Gebirge von Soria, während die feindlichen Divisionen Mendez Vigo und Puig Samper nach Aranda marschirten. Espartero war nach Madrid zurückgekehrt, um von neuem dem königlichen Expeditions-Corps sich entgegen zu stellen. [29] Diese Expedition, als eine der interessantesten und da meine Stellung mit allen Details mich genau bekannt machte, habe ich weitläuftig behandeln wollen, so daß sie ein deutlicheres Bild unserer Kriegesart zu geben vermag. [30] Der schönste Mann, den ich je gesehen, vielleicht sechs und zwanzig Jahre alt. Abgeschnitten und ohne Rettung sprang er vom Pferde und rief, auf ein Knie sich niederlassend und dem nächsten Lancier seinen Degen reichend: Pardon, Pardon! dieser stach ihn trotz dem Zurufe zweier heransprengender Officiere erbarmungslos nieder. Als ich von der Verfolgung zurückkehrte, lag der Leichnam, ein Bild männlicher Kraft, ganz nackt neben dem Wege. [31] Bei den Divisionen, welche die Nordprovinzen verließen, war meistens die Stellung der Officiere vom Generalstabe sehr schwierig, da sie aus Mangel an Ingenieur- und Artillerie-Officieren deren Geschäfte mit übernehmen mußten. Bei der Expedition Zariategui befand sich ein Ingenieur und ein Officier der Artillerie, der bald getödtet wurde. Übrigens zogen die Generalstabs-Officiere die höchste Eifersucht der andern Officiere auf sich, da sie zu jedem gefährlichen Unternehmen gebraucht wurden. Von den sieben Officieren, welche unter Brigadier Elio den Generalstab bildeten, wurden zwei getödtet und drei schwer verwundet. XI. Als die Division in den Gebirgen, die zwischen Soria und Burgos in beiden Provinzen sich hinziehen, mit dem Obersten Barradas sich vereinigte, fanden wir zu unserm höchsten Erstaunen, daß der Auftrag, Lebensmittel anzuhäufen und passende Orte zu befestigen, gar nicht in Ausführung gebracht war. Ein neu gebildetes Bataillon war jedoch da, für das es nun an Waffen und Uniformen gebrach. Wie schmerzlich empfanden wir da den Verlust der Tausende von Gewehren, die durch unsere Schuld in Segovia hatten zurückbleiben müssen. Hier stieß auch der Oberst Valmaseda zu uns, der mit dem 8. Bataillon von Castilien -- 250 Mann, -- vier Compagnien von Alava und anderen vier von Navarra bei Mendavia den Ebro passirt hatte, um einen bedeutenden Munitions-Transport dem Corps des Königs zuzuführen. Die Compagnien von Alava und Navarra kehrten sofort nach den Nord-Provinzen zurück, während Valmaseda, später als Partheigänger durch kühne Entschlossenheit wie durch Wildheit bekannt, mit einiger Cavallerie seinen Zug fortsetzte. Castilla blieb mit unserer Division vereinigt. Bis zum Ende des Monates August standen wir ohne wichtige Ereignisse in der Sierra, vorzüglich mit der Ausbildung der neu errichteten Bataillone beschäftigt und Vorräthe jeder Art in San Leonardo und Ontorio del Pinar sammelnd. So wie wir dort anlangten, war eine Operation gegen die kleine Colonne von Soria, 2500 M. stark, versucht worden, die bisher in der Verfolgung des Oberst Barradas beschäftigt gewesen, dem als des Terrains Kundigem die Leitung des Unternehmens anvertraut wurde. Die Colonne ward nach erschöpfenden Hin- und Hermärschen während der Nacht umstellt und jeder Ausweg ihr abgeschnitten, so daß wir sie sicher gefangen hatten, als ... sie bei Anbruch des Tages verschwunden war. Barradas hatte eine Schlucht zu besetzen versäumt, und durch sie war der Feind entflohen. Mendez Vigo, nachdem er lange unthätig in Aranda de Duero gerastet, wo seine Truppen von Erschöpfung vollkommen aufgelöset angekommen waren, hatte sich endlich gegen uns in Bewegung gesetzt und seine 7000 Mann in Navreda aufgestellt, wo Zariategui ihn am 28. August zu überfallen beschloß. Spät am Morgen naheten wir dem Dorfe und erfuhren von einigen Bauern, die wir eine Stunde entfernt antrafen, daß die Truppen mit Reinigen der Wäsche und Gewehrputzen beschäftigt seien; auch gelang es uns, nur wenige tausend Schritt von dem feindlichen Vorposten -- ein einziger Posten war ausgestellt -- einen seinen Blicken offenen Grund unbemerkt zu durchkreuzen. Alles versprach uns glücklichen Erfolg. Die Brigade von Navarra sollte rechts hinter dem Dorfe ein Gebüsch besetzen, welches als Rückzugspunkt des Feindes angesehen werden mußte, während Noboa mit dem 5. von Castilien links den Ort umgehen und, so wie das Feuer begänne, mit dem Bajonnett auf ihn sich stürzen, das Hauptcorps aber in der Front und von der rechten Seite ihn bestürmen würde, so den Feind auf die versteckte Brigade werfend. Schon war Navarra auf dem Marsche nach jenem Gebüsche, als plötzlich Feuer zu unserer Linken gehört wurde, dem alsbald die Allarm-Trommeln im Dorfe antworteten: Noboa war es, der, so wie er den feindlichen Feldwachen sich gegenüber sah, mit lautem Geschrei sie angriff und in das Dorf hineintrieb. Die feindliche Division verließ dieses sogleich und wälzte, eine große verwirrte Masse, dem Gebüsch sich zu, in dem, wenn nicht Noboa’s Übereiltheit den Plan vereitelte, Navarra sie schon hätte empfangen müssen. Nur die großen Wachen des Feindes, einzige geordnete Truppe, deckten den Rückzug der Division, die von Castilien kräftig gedrängt wurde. In dem Gebüsche formirte sie sich rasch, als Navarra dort ankam, fest mit dem Bajonnette sie angriff, Alles warf, was sich ihm entgegenstellte, mehrere hundert Gefangene machte und, furchtbare Gewohnheit, die oft den navarresischen Bataillonen verderblich wurde, sich zerstreute, die Gefangenen zu plündern. Mendez Vigo führte seine Reserve herbei, die allein noch auf dem Kampfplatze formirt war, und trieb ohne Schwierigkeiten die debandirten Bataillone vor sich her. Ihre Vernichtung schien unvermeidlich, als die Reserve in der Flanke angegriffen und zum Stehen genöthigt wurde. Zariategui, richtig die Ereignisse beurtheilend, hatte unter Elio’s Leitung einige Bataillone auf das Gebüsch entsendet, so wie Noboa unzeitig das Feuer eröffnete; wir langten mit Valencia in dem Augenblick an, da Navarra in gänzlicher Unordnung floh, griffen mit dem Bajonnett an und warfen die Reserve des Feindes, die eilig auf die übrigen Truppen zurückwich. Umsonst waren die Befehle, Drohungen und Bitten der christinoschen Generale, um ihre Soldaten zum Stehen zu bringen. Die ganze Division floh, von panischem Schrecken ergriffen, bis Aranda, wo sie unwillig sich empörte und Mendez Vigo zwang, das Commando niederzulegen, so daß nun Puig Samper beide Divisionen befehligte. Zariategui aber, da auch seine Truppen in hohe Verwirrung gerathen, kehrte in seine frühere Stellung zurück, von wo er gegen Salas de los Infantes aufbrach, in dessen Castell eine Besatzung von 120 Mann sich befand. Nach vier und zwanzigstündiger Beschießung aus unsern beiden Geschützen, wobei die Kanone ihres geringen Calibers wegen auf funfzig Schritt Entfernung vom Fort aufgestellt war, ergab es sich, und die Garnison, von der etwa 30 Mann vorzogen, für Carl V. die Waffen zu ergreifen, marschirte nach Aranda ab. Mit dem Gepäcke der Colonne von Soria, welches sie, um leichter zu marschiren, in Salas zurückgelassen hatte, konnten unsere jungen Bataillone bekleidet werden; die abgeschossenen Kanonenkugeln wurden, so viel thunlich, wieder eingesammelt. An demselben Tage zogen wir vor el Burgo de Osma, ein reiches niedliches Städtchen, welches gleichfalls durch ein Fort, aus einer Kirche in solches verwandelt, gedeckt war. Der Chef ~du jour~ ließ, da das Fort nur von einem schmalen Platze umgeben war, die Kanone der bessern Deckung wegen in das erste Stockwerk eines gegenüber liegenden Hauses postiren, und durch den Balkon feuern. Bei dem ersten Schusse stürzte, wie längst vorhergesagt war, der Fußboden ein, so daß über dem Hervorziehen aus dem Schutte und der neuen Aufpflanzung, die auf dem Platze unter lebhaftem Feuer des Feindes geschehen mußte, die Nacht anbrach. Am Morgen capitulirte die Garnison, zwei Compagnien, mit den Bedingungen, die Salas erlangt hatte. So Herren der ganzen Sierra, ohne daß Puig Samper, uns so sehr überlegen, irgend eine Bewegung unternommen hätte, richteten wir uns gegen Lerma, welches auf der großen Heerstraße in gleicher Entfernung von Burgos und Arando de Duero die Verbindung dieser Städte und dadurch die von Madrid mit der Nordarmee der Christinos sicherte, weshalb die mit Mauern umgebene Stadt durch ein Bataillon und eine Escadron garnisonirt war; das als trefflich geschilderte Fort beherrschte sie. Indem wir, aus dem Gebirge hervorbrechend, wieder zur Offensive übergingen, wurden die neuorganisirten Bataillone in der Sierra zurückgelassen, um sich dort in Ruhe zu üben und auszubilden. * * * * * Bei der Belagerung von Salas und el Burgo hatte ich einen verhältnißmäßig müssigen Zuschauer abgegeben, da jedes Mal nur zwei Officiere des Generalstabes ihrer Anciennetät nach mit den vorfallenden Geschäften, d. h. mit Allem, was sonst dem Ingenieur- und Artillerie-Officier obliegt, beauftragt wurden. Denn die carlistischen Artilleristen bekümmerten sich nur um die Fortschaffung ihrer Geschütze und um das Feuern; auch der Bau der Batterien gehörte nicht in ihren Bereich. Jetzt bei der dritten Belagerung lag es mir als drittältestem Officier ob, die Arbeiten zu dirigiren, wozu der Pr. Lieutenant Galindo als jüngerer Officier mir beigegeben wurde. Am Mittage des 5. September, da die Division die Chaussee von Aranda nach Lerma erreichte, sandte uns deshalb Zariategui mit einer Jäger-Compagnie und zwölf Pferden voraus, um die Stadt zu recognosciren. Von Ungeduld hingerissen ließ ich, etwa anderthalb Stunden von Lerma entfernt, das Detachement unter der Führung eines Gefährten zurück und ritt die Heerstraße entlang der Stadt zu. Frohen Muthes trabte ich auf meinem prächtigen Goldfuchs, demselben, der bei Zambrana den portugiesischen Obersten getragen, durch das reiche Hügelland, mit Freude die dunkelnde Färbung der Trauben, mir die lieblichste Frucht, bemerkend, da die sanften Abhänge zur Anlegung von Weingärten benutzt waren. So bog ich um die scharfe Ecke eines Hügels, um dessen Fuß die Straße sich hinwand, als ich zu meiner Überraschung kaum zweihundert Schritt entfernt die Stadt erblickte, und auf dem schattigen Spatziergange, der zwischen ihr und dem Hügel sich hinzog und mit eleganten Damen und Herren, meistens Officieren, bedeckt war, ein starkes Detachement Cavallerie, das wie es schien, im Begriff war fortzureiten. So wie ich, durch das Scharlachbarett mit goldenem Quaste auf den ersten Blick als Carlist erkannt, trabend um die Ecke bog, ertönte ein wilder Schrei: „~los facciosos, los facciosos~!“ Die Damen kreischten, die Spatziergänger flogen mit nie gesehener Behendigkeit rechts und links durch die Felder, und die 25 Lanciers, die so eben zur Recognoscirung der Division abgehen sollten, jagten in Carriere der Stadt zu. Sie mußten natürlich voraussetzen, daß die Truppen unmittelbar mir folgten. Da ich alle Welt laufen sah, sprengte ich hinter den Fliehenden drein, die das Stadtthor bereits geschlossen fanden und daher längs der Mauer sich hinwandten, von der einige Schüsse mich kurz halten machten. Die Cavallerie, da sie mich fortwährend allein sah, hielt auch an und kehrte bald zögernd gegen mich zurück: ich wandte halb mein Pferd und forderte den Capitain, der an der Spitze seiner Leute ritt, auf, allein vorzukommen; da er aber von der ganzen Schaar begleitet heransprengte, jagte ich davon, sofort mit furchtbarem Geschrei von dem Feinde verfolgt. Ehe er indessen die Biegung passirte, hielt er nochmals an, wohl ungewiß, ob nicht Truppen dahinter ständen, wodurch ich einen kleinen Vorsprung gewann. Als aber die Lanciers dann, so weit ihr Blick reichte, kein carlistisches Barett sahen, da war ihr Muth plötzlich wiedergekehrt, und in wilder Jagd tobten sie die Straße hinab hinter mir her. Ich konnte auf meinen Renner vertrauen und erkannte ihn bald den Pferden der Feinde überlegen, während die Hecken und Weingärten diese zwangen, vereint auf der Straße zu bleiben; so sah ich sie mit Freude mir folgen und bemühte mich nur, möglichst die Kräfte meines Thieres zu schonen. Endlich nach halbstündigem Lauf sah ich das Detachement mir nahe; die Infanterie nahm eine Stellung auf einem Hügel ein, die Pferde postirten sich auf die Straße, ihre ganze Breite einnehmend. Doch bald erkannte ich an den Reitern jene schwankende Bewegung, das unruhige Vor- und Zurückprallen einzelner Pferde, die stets das sichere Vorzeichen augenblicklicher Flucht sind. Ich fühlte mich erbleichen: die ganze Last der Verantwortlichkeit fiel mir auf das Herz, wie sie mich treffen mußte, wenn meine Reiter zur Division flohen und die Infanterie verlassen zurückblieb. Da konnte nur schneller Entschluß retten. Verzweifelt riß ich das Pferd herum und stürzte mit gezücktem Säbel auf den feindlichen Rittmeister, der, wenige Schritte hinter mir, seinen Leuten bedeutend voraus war. Überrascht wich er und warf sich unter die Lanciers. Mein Zweck war erreicht; denn meine Reiter, durch den raschen Akt ermuthigt, chargirten, und die Feinde flohen verwirrt zurück. Bis dicht vor die Stadt setzten wir die Verfolgung fort und nahmen drei der Christinos, einen von ihnen verwundet, gefangen; wir fanden die Thore noch immer geschlossen, und als bald meine Jäger anlangten, fingen sie einen Officier und mehrere andere Spatziergänger auf, die noch in den Feldern umherirrten. Auch nicht ein Mann war von dem Gouverneur entsendet, um Nachricht über uns und über die Lanciers einzuziehen; noch an demselben Abend, ehe wir die Stadt einschließen konnten, ward die feindliche Escadron weggeschickt und zog sich auf Aranda zurück. Ich hatte bei Abgabe der Gefangenen nur allgemein gemeldet, daß ich ein kleines Rencontre gehabt. Als aber Zariategui bei der Übergabe des Forts durch die christinoschen Officiere den Vorfall erfuhr, schickte er mich nach einem derben Verweise arretirt nach meinem Logis, weil ich meine Truppen verlassen, durch jugendlichen Übermuth, wie er es nennen wollte, das Gelingen des mir Aufgetragenen compromittirt und mich selbst unnütz ausgesetzt habe. Nach einer Viertelstunde ließ er mir durch einen Adjudanten ankünden, daß ich frei sei, und ein prachtvolles englisches Fernrohr, das, in Lerma erbeutet, meine Bewunderung erregt, mir überreichen, damit ich in Zukunft den Feind aus der Ferne sehen könne. Als die Division am Abend anlangte, hatte ich meine Recognoscirung bewerkstelligt und erhielt vom General auf meinen Antrag zwei Compagnien Grenadiere, um einen Versuch zur Überrumpelung der Stadt zu machen. An mehreren Punkten lehnten sich Häuser an die Mauer, so daß ich hoffte, durch eines derselben mich introduziren zu können, aus dem ich bei Tagesanbruch vorbrechen, dem Corps die Thore öffnen und die in der Stadt befindlichen Christinos nach dem Castell jagen würde, wo der größere Theil der Besatzung die Nacht zubrachte. In der That gelangte ich nach Mitternacht mit meinen Grenadieren unbemerkt an eines jener Häuser und stieg auf einer Leiter zu einem etwa dreißig Fuß über dem Boden befindlichen Fenster empor. Nach wiederholtem Klopfen antwortete zitternd eine feine weibliche Stimme; mit der Versicherung, daß sie persönlich Nichts zu besorgen habe, verband ich die Drohung, das Haus in Brand zu stecken, wenn sie nicht sofort öffne. Das Fenster flog auf, und mit Entsetzen sah ein junges, reizendes Mädchen, kaum mit dem übergeworfenen Tuche bedeckt, ihr Zimmer mit bärtigen Grenadieren gefüllt. Der Ausdruck der Stimme, da sie halb ohnmächtig auf einen Stuhl sinkend: „~caballero, por Dios!~“[32] mir zuhauchte, erschütterte mich tief, und ich eilte aus dem Heiligthume sie zu führen, zu dessen rücksichtsloser Verletzung ich das Werkzeug gewesen war. Auf dem Vorplatze übergab ich sie der Mutter, die entsetzt bei dem ungewöhnlichen Lärm herbeieilte. Natürlich sah ich die Damen, welche einer der ersten Familien der Provinz angehörten, nicht wieder; mehrere Jahre später traf ich aber in Morella den Bruder des jungen Mädchens, einen ausgezeichneten Officier im Sappeur-Corps, der damals im väterlichen Hause sich aufhielt und oft über die tragikomischen Scenen jener Nacht lachte. Mit den größten Vorsichtsmaßregeln wurde bewirkt, daß eine Wache, die im anstoßenden Hause sich befand, nicht das mindeste Geräusch hörte, bis wir, so wie der Tag graute, auf die Straße stürmten und ein lebhaftes Feuer eröffneten, um in der Stadt Verwirrung zu erregen und die Unseren zu benachrichtigen. Während die eine Compagnie das nahe Thor öffnete und die schon harrenden Bataillone einließ, durchstreifte die andere, in Patrouillen vertheilt, die Straßen, wo der Feind, ohne an Widerstand zu denken, dem Fort zueilte. Mit vier Mann verfolgte ich einige Flüchtlinge und hatte fast sie erreicht, als sie um eine Ecke bogen und uns ein lebhaftes Flintenfeuer entgegen donnerte: wir standen unmittelbar vor dem feindlichen Fort, und ein Tambour, vor dem uns bisher die Fliehenden gedeckt, bestrich die ganze Straße. Zwei meiner Grenadiere stürzten nieder, der dritte schwankte einige Schritte zurück und sank gleichfalls, wir andern Beiden flogen in weiten Sprüngen die Straße hinab, von den feindlichen Kugeln umzischt, bis wir -- uns schien die Zeit eine Ewigkeit -- ein schützendes Seitengäßchen erreichten. Einer von den Grenadieren war todt, die andern wurden bald mit Haken, die an lange Stäbe befestigt waren, in die nahen Häuser gezogen und den Wundärzten übergeben. Das Fort bestand aus einem sehr festen Kloster und einer Kirche, die künstlich zu einem zusammenhängenden Vertheidigungs-Systeme eingerichtet waren, dessen erste Linie der vorliegende gleichfalls befestigte Platz bildete. Zur Beschießung bot sich ein ganz besonders günstiger Punkt dar, auf dem keine Kugel verloren gehen und der am wenigsten Feuer gegen unsere Arbeiten und bei dem Sturme concentriren konnte, während alle übrigen Punkte, gegen die wir Artillerie hätten aufstellen können, durch starkes flankirendes Feuer beschützt wurden. Dagegen mußte dann die Batterie kaum dreißig Schritt von dem Fort angelegt werden, weil die feindlichen Werke den Raum weiter rückwärts ganz von der Seite beherrschten, was bei dem Batteriebau ungeheuren Verlust nach sich ziehen mußte. Es gelang mir mit Elio’s Hülfe endlich, die Einwilligung des Generals durch die Bemerkung dazu zu erhalten, wie sehr die Wirkung unseres Sechspfünders gegen die starke Mauer durch solche Nähe erhöht werde. Wir eröffneten daher, von Haus zu Haus die Zwischenwände durchbrechend, einen verdeckten Gang, stapelten in dem letzten Hause einen großen Vorrath von Wollmatratzen, Mehlsäcken und ähnlichen Gegenständen auf und stürzten, ein Jeder mit Matratzen oder Säcken belastet, auf die Straße, in der ein furchtbarer Kugelregen uns empfing. In einem Augenblicke war eine Brustwehr errichtet, hinter der dann der regelmäßigere Bau der Batterie vor sich gehen konnte. Am Nachmittage war sie vollendet trotz dem unausgesetzten Feuer der Besatzung, welche uns 4 Mann und den Artillerie-Capitain, den einzigen Officier dieser Waffe, tödtete und siebenzehn Mann verwundete, von denen mehrere bei dem Versuche, von einer Seite der Straße nach der andern hinüberzuspringen, getroffen wurden, da die Besatzung, das Bataillon Schützen von Cantabrien, aus geübten Gebirgsjägern bestand, die jedes lebende Wesen, selbst Hunde und Katzen, niederstreckten, so wie sie in Schußweite sich zeigten. Ein Barett, auf einem Bajonnett kaum über die Brustwehr erhoben, fiel in einer Sekunde in Fetzen herab. Während des Batteriebaues hatte Brigadier Elio aus Matratzen einen großen Schirm anfertigen lassen, der auf Rädern ruhend leicht geschoben wurde; hinter ihm schleppten die Freiwilligen mit Jubel die Kanone heran, indem sie spottend die feindlichen Schützen aufforderten, nun die Geschicklichkeit zu zeigen, deren sie sich vorher so gerühmt hatten. Denn da einige unserer Compagnien in die dem Fort nächsten Häuser gestellt waren, um von dort aus die Vertheidiger der Werke zu belästigen, füllten die Kämpfenden die Zeit zwischen den Schüssen mit Scherzreden, Beschimpfungen, oft auch mit Prahlereien. Bald schlug unsere erste Kanonenkugel, von donnerndem Viva geleitet, in die Mauer ein, Schuß auf Schuß folgte rasch, und auch einige Granaten wurden in das Fort geschickt. Bei Tagesanbruch begann das Feuer wieder, und am Mittage war eine Bresche in die erste Linie geöffnet, so daß am Abend der Sturm unternommen wurde; nach halbstündigem Ringen hatten unsere Grenadier-Compagnien alle Häuser der Linie erstürmt und die Vertheidiger, die sich sehr brav gehalten, in das eigentliche Fort, die Kirche, zurückgedrängt, gegen welche sofort das Feuer eröffnet und während der Nacht lebhaft unterhalten wurde. Gegen Morgen befahl Zariategui, die ganze erste Linie so wie zwei Häuser, die als Außenwerke dem Fort dienten und so eben gleichfalls erstürmt waren, in Brand zu stecken, da ein heftiger Wind Flamme und Rauch den Christinos zuführte. Die Scene war schauerlich schön: das Prasseln der hell auflodernden Flammen, das Geschrei der Kämpfenden, das hundertfache unregelmäßige Gewehrfeuer, von dem Donner der beiden Geschütze in gleichmäßigen Pausen übertönt, dann die hohe Kirche und das Kloster, vom Wiederscheine des Feuers geröthet und von dichten Rauchwolken umwallt, aus denen in rascher Folge die Schüsse der Cantabrer hervorblitzten; rings umher das Krachen einstürzender Mauern, das Klagegeschrei der Verwundeten -- es war ein herrlich wildes Ensemble, dessen Bild tief dem Geiste sich einprägen mußte. Da flatterte hoch über den finsteren Massen des Forts ein weißes Fähnlein empor, und der Silberklang einer Trompete tönte durch den Tumult; einige Schüsse fielen, dann unterbrach nur noch das Geprassel des Feuers die Todtenstille. Eine halbe Stunde später zogen siebenhundert Mann aus und übergaben ihre Waffen, da der Gouverneur und die Officiere capitulirt hatten, wiewohl die Mannschaft laut die Vertheidigung fortzusetzen forderte; die Kirche war noch ganz unverletzt, und es gebrach der Garnison an Nichts, die auch, vielleicht aus den bravsten Soldaten der Armee bestehend, umsonst zum Ausfalle geführt zu sein verlangte. Leicht hätte ein solcher uns verderblich werden können, da Zariategui durchaus nicht die Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte, welche solch einen Versuch hätten unschädlich machen oder auch nur unsere Kanone decken können, für die wir übrigens nur noch ein und zwanzig Schuß hatten, als der Feind, der am Mittage unbewaffnet nach Burgos abmarschirte, die weiße Fahne aufzog. Durch dreitägige fast ununterbrochene Anstrengung zum Tode erschöpft, stattete ich in achtzehnstündigem Schlafe der Natur den schuldigen Tribut ab. * * * * * Am 10. September Morgens zog die Expeditions-Division unter dem ausschweifenden Jubel des Volkes in Aranda de Duero ein, nachdem Puig Samper am Tage vorher die Stadt geräumt und die Garnison mit sich auf Madrid geführt hatte. Die beiden Divisionen jenes Generals zählten trotz der Verluste durch Desertion über 11000 Mann, die unserige nach dem Rapport der Corps in Aranda 3860 Mann und fast 400 Pferde, da die Escadrone durch die requirirten Pferde ergänzt waren, während die vier jungen Infanterie-Bataillone in der Sierra standen. Das neben der Stadt am Duero errichtete Fort war ein so merkwürdig schlechtes Machwerk, daß seine Räumung als ein Zeichen gesunder Vernunft des feindlichen Generals betrachtet werden mußte; Mäuerchen, wenige Fuß hoch und noch weniger stark, erhoben sich in diesem Wirrwarr über und durch einander, von flachen Graben nicht gedeckt, so daß sie sich vielmehr gehindert als wechselseitig vertheidigt hätten und gewiß beim ersten Anlauf von den Freiwilligen ~à vive force~ genommen wären. Da der Stadt die gebührende Contribution zugetheilt wurde, fand sich, daß bereits am Abend kurz nach dem Abmarsche Puig Samper’s, zwei Cavalleristen in die Stadt gedrungen waren und im Namen des Generals mehrere tausend Piaster gehoben hatten. Ein Sergeant und ein Cadett, des Verbrechens überführt, wurden zum Tode verurtheilt; als sie schon, um erschossen zu werden, niederknieten, flog athemlos ein Beamter der Stadt herbei, Gnade verkündend, da der General mit übel verstandener Milde den Fürbitten der Behörden nachgegeben hatte. Die Elenden wurden degradirt und als letzte Soldaten in die Strafcompagnie gesteckt, die schon in Segovia wegen der Unordnungen nach dem Sturme errichtet war. Unsere kleine Division hatte außerordentliches Vertrauen erworben; da wir so viele Schwierigkeiten überwunden hatten, und da schon die feindlichen Massen ohne Kampf das Land uns überließen, glaubte das Volk, daß wir nun bleibend Castilien eroberten und schnell den Krieg siegreich zu Ende führen würden. Auch stand uns augenblicklich kein Feind mehr gegenüber, der uns hätte entgegentreten und unsere Fortschritte hemmen können, und Castilien, das Herz der Monarchie, lag offen und vertheidigungslos vor uns, während das königliche Expeditions-Corps von Aragon aus eben dahin sich richtete. Der moralische Einfluß, den unsere Siegesbahn äußerte, war unermeßlich, und mit ihm nahm unsere Stärke täglich zu. Da wurden hohe Hoffnungen rege, Hoffnungen, die wohl konnten erfüllt werden; wir glaubten uns selbst unüberwindlich, wir sahen uns als Herrscher Castilien’s, wir berechneten schon, wann wir in Madrid würden einziehen und den verehrten Herrscher auf dem Throne seiner Väter würden begrüßen dürfen. Und die Eifersucht, die Intrigue mußte die herrlichen Hoffnungen zerstören, die wahrlich nicht zu voreilig gefaßt waren! Nach zweitägiger Rast in Aranda zogen wir langsam auf beiden Ufern des Duero hinab, überall von den biedern Alt-Castilianern mit Begeisterung empfangen, da sie damals zuerst carlistische Truppen ihre reichen Gaue durchziehen sahen. Das festliche Geläute der Glocken tönte schon aus der Ferne uns entgegen, und die Bewohner kamen in feierlichem Aufzuge, die ersehnten Befreier zu begrüßen, während in den Ortschaften die Frauen wetteifernd uns in die Häuser zogen, wo sie ihre schönsten Leckerbissen für unsere Bewirthung zubereitet hatten. Da ward es wohl unzweifelhaft, wie der Kern des Volkes ganz seinem rechtmäßigen Könige ergeben war: es ist ja so schwer, seinen gesunden Verstand irre zu leiten. Nur zwei Orte machten eine Ausnahme von dem allgemeinen Jubel, der häufig in wilde Ausgelassenheit überging; die Besatzung des Felsenschlosses Peñafiel empfing uns mit Kugeln, weshalb das in Aranda errichtete Bataillon, um es an das Feuer zu gewöhnen, zu seiner Blokade zurückgelassen wurde, und in dem Flecken Roa auf dem rechten Ufer des Stromes herrschte bei dem Einrücken unserer Bataillone finstere Stille, die grell genug gegen die Luft der ganzen Provinz abstach. Der Besitz derselben eröffnete uns große Hülfsquellen, da sie durch ungemeine Fruchtbarkeit, vorzüglich an Getreide, sich auszeichnet, wogegen sie so holzarm ist, daß allgemein der Mist als Feuerung benutzt ist, wozu ich ihn zu meinem Erstaunen sehr brauchbar fand, indem die von ihm ausstrahlende Wärme, während er sorgfältig bedeckt bleibt, nicht nur bei der empfindlichsten Nacht-Frische die Küche, das gewöhnliche Versammlungszimmer der Hausbewohner, sehr wohnlich macht, sondern auch die Speisen außerordentlich rasch und schmackhaft liefert, ohne daß Auge oder Nase je an die Anwendung des ominösen Materials erinnert würden. Am 15. September Abends standen wir zwei Stunden von Valladolid entfernt. Der Generalcapitain von Alt-Castilien verließ die Stadt während der Nacht mit 4000 Mann und sämmtlichen leichten Geschützen, indem er 1200 Mann auserwählter Truppen mit vierzehn schweren Geschützen in dem Fort San Benito zum Schutze der dort befindlichen großen Magazine von Kriegesbedürfnissen und der Güter der Compromittirten zurückließ, welche gleichfalls dorthin gerettet waren. Der Erzbischof von Valladolid, als exaltirter Liberaler bekannt und durch das usurpatorische Gouvernement eingesetzt, kam uns bis Tudela entgegen und wurde ehrerbietig empfangen; ihm folgte bald ein unendlicher Haufen Menschen, die sich um unsere kleine Schaar neugierig drängten und die treffliche Haltung der gebräunten, mit Narben geschmückten Krieger bewunderten, da sie die Facciosos als wilde Ungeheuer gefürchtet hatten, denen sie kaum menschliche Gestalt zuzuschreiben wagten. Nachdem der General der Division und dem Volke erklärt hatte, daß jeder Insult wegen Meinungsverschiedenheit, jeder Diebstahl über den Werth eines Real und jede Unordnung mit dem Tode bestraft werde, rückten wir mit schmetternder Hornmusik durch die wogende Menge in die Stadt ein, die durch blühenden Handel und als Hauptstadt der Provinz eine der bedeutendsten des Königreiches ist und 35000 Einwohner zählt. Während die Division auf dem großen Platze zur Revue sich aufstellte, wurden einige Bataillone detachirt, das Fort zu cerniren. Trotz der Freudenbezeugungen des Volkes war etwas Drückendes, Ängstliches in dem Äußern der Stadt und der Bewohner nicht zu verkennen; augenscheinlich herrschte noch Mißtrauen und Furcht unter ihnen. Selbst die Laden waren bei unserm Einmarsche geschlossen. Wie hatten nicht unsere Feinde gearbeitet, um die ehrlichen Castilianer, zu denen wir bisher nie gedrungen, über uns zu täuschen, mit wie schwarzen Farben mußten sie uns geschildert haben, um solches Vorurtheil in dem Volke wecken zu können! Erst als die Truppen, da der Dienst vertheilt war, nach ihren Quartieren sich zerstreuten und dort mit Rücksicht und Schonung sich betrugen, wie die Bürger von den Christinos nie sie erfahren, als die Soldaten so rasch das Wohlwollen ihrer Wirthe sich erworben, während der General anstatt der gefürchteten Plünderungen und Brandschatzungen nur das dringend Nothwendige forderte; da kehrte das Vertrauen in die Brust der Bürger, laute Heiterkeit verbreitete sich durch die Stadt, die glänzenden Laden entfalteten ihre Schätze den Augen der erstaunten Gebirgssöhne, und von allen Straßen tönte bald der Klang der Tambourine und Castagnetten, die Freiwilligen zum Tanze mit Valladolid’s reizenden Töchtern einladend. Und als dann Zariategui allgemeine Amnestie verkündete und Männer jeder Meinung ungefährdet unter uns treten, selbst ihre Ansichten frei verfechten konnten, trat wahre Liebe und Enthusiasmus an die Stelle der Besorgnisse, welche die Erzählungen von dem Blutdurst und der Raubsucht der Carlisten und von ihrem politischen und religiösen Fanatismus, der zu jeder Grausamkeit sie bereit mache, wohl hatten aufregen müssen. Da erschienen auch viele Beamte und frühere Officiere Ferdinands VII., ja Isabella’s, endlich gar einige, die gegen uns unter den Waffen gestanden und spät erst aus den Reihen unserer Feinde geschieden waren; in ihren glänzenden Uniformen und die Christinos-Mütze auf dem Kopfe, mischten sie sich unbesorgt unter uns und wurden von den Freiwilligen mit mehr Ehrfurcht noch, als die eigenen Officiere derselben begrüßt, welche in ihrer Einfachheit seltsam gegen jenen Glanz abstachen. Mehrere solche alte Officiere, da sie unsern Triumph entschieden glaubten, boten ihre Dienste an. Es wäre Tollheit gewesen, wenn wir mit den Mitteln, die uns zu Gebote standen, an die förmliche Belagerung eines Forts hätten denken wollen, zu dessen Vertheidigung vierzehn schwere Geschütze aufgestellt waren. Es ward endlich beschlossen, San Benito durch eine Mine anzugreifen, die sofort in einem Stalle begonnen wurde und, gegen die Sakristei des Klosters, die als Pulvermagazin diente, gerichtet, rasch vorschritt, während an verschiedenen andern Punkten, die Besatzung zu täuschen, mit vielem Lärm ähnliche Arbeiten angestellt wurden. Da der Feind sich jedoch sonst unbelästigt sah, hielt er sich vollkommen ruhig, und bald hatten sich zwischen ihm und unsern Wachen freundschaftliche Gespräche angeknüpft, so daß in der Nacht ein förmlicher Tauschhandel etablirt ward, indem die Freiwilligen den feindlichen Soldaten frisches Fleisch und Gemüse brachten und dafür von ihnen neue Gewehre der National-Gardisten für alte oder beschädigte erhielten. In Folge dessen untersagte Zariategui am folgenden Tage, daß irgend Jemand dem Fort sich nähere, aus dem einige Soldaten, mit Lebensgefahr von den Mauern sich herablassend, zu uns übergingen. Die Mine ward so thätig betrieben, daß sie in zwei Tagen bis unter die Sakristei hätte poussirt werden können, der Besatzung die Alternative augenblicklicher Ergebung oder der Vernichtung lassend, als Zariategui mit ihr eine Capitulation abschloß, kraft deren sie, wenn innerhalb zehn Tagen kein Entsatz nahte, sich kriegsgefangen ergeben würde. Gewiß war es ein großer Fehler des Generals, daß er in jener Lage der Dinge zu ähnlicher Capitulation seine Zustimmung gab; aber die feindlichen Anführer zeigten sich erbärmlich schwach und feige, da sie mit solchen Vertheidigungsmitteln und an Nichts Mangel leidend die Zeit der Übergabe fixiren konnten, ohne nur einen Schuß zu thun. Viel mochte zu diesem Entschlusse die Mine beitragen, deren Vorschritt im Fort wohl erkannt war, da die Einstellung jeder Arbeit zur ersten Bedingung gemacht wurde; weit mehr aber die moralische Schwäche und Entmuthigung, die damals unsere Gegner ergriffen hatte. Wie die feindlichen Truppen den Widerstand schon für unnütz hielten und überall ohne Schwerdtstrich wichen, wie das Volk sich nicht mehr scheute, frei seine Sympathie zu erklären, da es die Herrschaft der Carlisten stabil in der Provinz glaubte, weil es für den Augenblick sie unbestritten sah, so fing auch Zariategui an, sich für unbesiegbar, unangreifbar zu halten und war, durch seine bisherigen Erfolge aufgeblasen, überzeugt, daß Niemand wage, im ruhigen Besitze des Genommenen ihn zu stören. Kleine Detachements wurden durch die Provinzen Palencia, Leon, Zamora und Salamanca entsendet, und Brigadier Iturbe besetzte mit seiner Brigade die alte Stadt Toro am Duero, während die neu gebildeten Bataillone das ganze Duero-Thal und den Gebirgszug zwischen Burgos und Soria beherrschten. In Valladolid aber strömte von allen Seiten die junge Mannschaft herbei, um unter dem Banner ihres rechtmäßigen Königes zu kämpfen, zum Theil Pferde mit sich bringend oder Gewehre, die sie den National-Gardisten der Heimath entrissen; selbst von diesen kamen mehrere freiwillig, ihre Waffen einzuliefern, da ja nun Widerstand unnütz sei. So konnten in wenigen Tagen drei starke Bataillone -- von Valladolid genannt -- errichtet werden, wiewohl auf besondern Befehl des Generals jedem Rekruten vorgestellt wurde, daß der Krieg noch lange nicht beendigt sei und viele Opfer und Mühseligkeiten erheischen werde, weshalb, wer nicht bereit sei und sich für fähig halte, das Schwerste für Carl V. mit Freudigkeit zu ertragen, zurücktreten möge, da es noch Zeit sei. Und diese braven Bataillone haben sich herrlich bewährt, da sie im folgenden Jahre, hülflos gegen Elemente und Feindesüberlegenheit ankämpfend, alle Beschwerden mit heroischer Standhaftigkeit ertrugen und dann, unter dem Drucke der Gefangenschaft erliegend, durch keine Lockung oder Drohung noch durch die Qualen, die bis zum Hungertode die Grausamkeit der Christinos über sie verschwendete, zur Verletzung des Eides der Treue sich hinreißen ließen, den sie in besserer Zeit ihrem Könige geleistet hatten. Der Charakter des Alt-Castilianers,[33] dieses Kernes der aus so vielen heterogenen Bestandtheilen zusammengesetzten spanischen Nation, wird am Meisten dem der Basken sich nähern, wenn die Verschiedenheiten berücksichtigt werden, die Lage und politische Verhältnisse nothwendig erzeugen mußten; doch sind die Castilianer vor ihnen durch einen Grundzug von herzlichem Wohlwollen und Gutmüthigkeit ausgezeichnet, mit dem ihr ganzes Wesen durchwebt ist. Wenn die Basken stolz auf ihre Vorrechte hohen Unabhängigkeitssinn entwickeln, herrscht hier tiefe, unerschütterliche Ergebenheit für Alles, was ihre Voreltern als geheiligt ihnen überliefert haben, und der Scharfsinn, den in Jenen ihre Isolirung und eigenthümlichen Verhältnisse, der Speculations-Geist, den die Lage am Meere und zwischen Spanien und Frankreich in Verbindung mit den Privilegien hervorrief, sind durch innige Religiösität und Loyalität wohl mehr als ersetzt. Den wackern Bauern einiger Distrikte unseres norddeutschen Vaterlandes möchte ich die Alt-Castilianer gleich stellen. Der Bewohner Neu-Castiliens ist in mancher Hinsicht verschieden und nähert sich mehr seinen südlichen und westlichen Nachbarn: er ist schlauer, weniger gewissenhaft in Wort und That, vor Allem unendlich viel selbstischer. Der Alt-Castilianer aber, langsam, ehe er sich entschließt, ist unerschütterlich, wenn er das Rechte erkannt, treu, treuherzig und offen, vertrauend, weil er Vertrauen verdient, wenig den Neuerungen geneigt, plump, aber einfach und gastfrei. Wahre Biederkeit ist die Grundlage alles seines Thuns und giebt selbst der äußern Haltung einen edlen, anziehenden Ausdruck. Als Soldat ist er leicht disciplinirt, ausdauernd, gehorsam und folgt dem Chef, der seine Zuneigung zu erwerben gewußt hat, mit Freudigkeit durch alle Drangsale und zu jeder Gefahr; die heldenmüthige Eroberung des Castells von Morella, deren ich später erwähnen werde, ist ein glänzendes Beispiel von Dem, was der Alt-Castilianer vermag, wenn er gut geleitet ist. Sein hauptsächlicher Fehler besteht in der Heftigkeit und der unbezähmbaren Streitsucht, so wie er beleidigt, sein Stolz verletzt wird, auch ist er allgemein unwissend und abergläubisch; Mängel, deren Schwinden leider nur zu oft so manche jener herrlichen Eigenschaften mit verwischt, ohne durch angemessene Vorzüge sie zu ersetzen. * * * * * Der Alt-Castilianer ist der unveränderte Nachkomme der alten Hesperier, wie Griechen und Römer so bewunderns- und liebenswürdig in ihrer ursprünglichen Einfachheit sie uns schildern; er ragt hoch über alle andern Spanier hervor, wie er mehr als die meisten von fremder Mischung rein sich erhielt. Der Baske, dann der Navarrese, ein hartes Geschlecht, folgen ihm am nächsten, wogegen Andalusier und Valencianer am tiefsten in moralischer, die Bewohner einiger Distrikte der Mancha in intellektueller Beziehung stehen, in der nur die Estremeños, von unendlicher Natürlichkeit und Herzensgüte, aber ganz vernachlässigt und roh -- ~los indios de la nacion~ genannt -- den Rang ihnen streitig machen würden, wenn von Aufklärung und Cultur herstammende Intelligenz entscheidet. * * * * * Tag auf Tag schwand hin unter Jubel und Festen, Bällen und Theater; die Valladolider hatten sich gewöhnt, uns als werthe Gäste anzusehen, und behandelten uns zum großen Ärgerniß der verstockten Ultra-Liberalen, die finster und spähend durch das Getümmel hinschlichen, täglich mit mehr Zuneigung und Herzlichkeit. Doch mochten wohl die Damen in unsern Officieren die zarte Sentimentalität und die unwiderstehlich liebenswürdige Galanterie jener christinoschen Officiere vermissen, die so fein mit ihnen zu seufzen und von den Abentheuern des Krieges zu erzählen wußten, den -- die bleichen Züge bekräftigten es hinreichend -- ihre zerrüttete Gesundheit sie zu meiden genöthigt hatte. Alle großen Städte wimmelten damals von solchen Officieren, die unter tausend Vorwänden ihre Regimenter verlassen hatten, um ungestört dem Vergnügen sich hingeben zu können. Und wie hätten auch unsere kräftigen Officiere jene gerühmten Künste sich aneignen mögen; sie, die seit Jahren im wilden Gebirgskampfe sich umhergetummelt, deren liebste Musik das Pfeifen der Kugeln, deren Bett der Felsboden des Bivouacs war, und von denen Viele die Epaulette lediglich der Bravour und Ergebenheit verdankten! Während wir so in gedankenloser Lust die Tage vergeudeten, stand nicht fern von uns der Ausgang des langen blutigen Krieges auf dem Spiele: die königliche Expedition bedrohete die Hauptstadt Spaniens und ... Zariategui ruhete auf seinen Lorbeeren in den Delicien von Valladolid. So lautet die schwerste Anklage, welche gegen diesen General erhoben ist. Hätte er, behaupteten die Tadler, nach dem Einzuge in Aranda de Duero statt gen Westen nach dem Königreiche Leon ohne Zaudern die große Heerstraße hinab auf Madrid seinen Marsch gerichtet, so würde er zu rechter Zeit angelangt sein, um mit dem Corps Sr. Majestät combinirt zu operiren; er würde so die Unentschlossenheit der Führer desselben und damit den Krieg beendet haben. -- Zariategui, es ist wahr, hat in den Tagen seines höchsten Glanzes nicht die Umsicht, noch weniger die Energie entfaltet, durch die allein die Benutzung und vor Allem die Behauptung der errungenen Vortheile gesichert werden konnte; er hat in Valladolid kostbare Zeit verloren, ohne Verhältnißmäßiges zu thun. Ohne Zweifel ward jedoch der Aufenthalt der Division in Alt-Castilien durch die erhaltenen Instructionen in der Absicht angeordnet, durch sie einen Theil der die königliche Expedition beobachtenden Massen abzuziehen und ihr so freiere Hand für die Operationen auf Madrid zu lassen, wie denn die Wiederaufnahme der Offensive mit dem Vormarsche des Königs von Aragon aus genau zusammenfällt. Und abgesehen von den Instructionen ist es klar, daß wir, mit höchster Eile die Division Puig Samper verfolgend, um mehrere Tage zu spät angelangt wären, wenn nicht etwa gefordert wird, daß wir jene uns mehr als doppelt überlegene Division in Aranda unbeachtet ließen, um uns, von ihr im Rücken verfolgt, zwischen sie und das Heer Espartero’s einzuzwängen, was natürlich die nutzlose Vernichtung des Corps zur unmittelbaren Folge haben mußte. Der 12. September 1837, wie ein scharfsinniger Beobachter, der als Augenzeuge und vermöge seiner Stellung im Generalstabe des königlichen Expeditions-Corps zu gründlichem Urtheile befähigt ist, der Brigade-General B. von Rahden, es ausspricht, der 12. September war der Wendepunct; an jenem Tage lag die Entscheidung des Krieges in der Hand der carlistischen Feldherrn. Da der günstige Augenblick unbenutzt entflohen, konnte auch Zariategui’s Ankunft ihn nicht zurückschaffen. Es bleibt deßhalb nicht weniger wahr, daß unser Anführer in sträflicher Indolenz die Zeit verlor, die unter solchen Umständen doppelt kostbar geworden war: während der acht Tage, die wir üppig in Valladolid zubrachten, ohne auch nur einen Soldaten zur Beobachtung uns gegenüber zu haben, hätten wir Vieles thun können. Die außerordentlichen Erfolge hatten Zariategui geblendet: vom Volke angebetet, von den Behörden als unüberwindlicher Sieger gepriesen und täglich neue Glück verkündende Nachrichten empfangend, wies er die Warnungen einzelner Officiere, besonders Elio’s, als unzeitige Ängstlichkeit zurück und vernachlässigte im sorglosen Genusse der Gegenwart die allernothwendigsten Vorsichtsmaßregeln. Schon am 23. September verbreiteten sich in der Stadt Gerüchte über die Annäherung feindlicher Truppen; am 24. Morgens, da eine Deputation des Ayuntamiento wegen erlassener Contribution dem General zu danken kam, theilte sie ihm die eben erhaltene Nachricht mit, daß eine starke Division der Nordarmee über Burgos auf Palencia marschirt sei, um Valladolid anzugreifen. Zariategui erklärte Alles für Erfindung von Übelwollenden und fügte hinzu, die Stadt könne in dem Vertrauen leben, daß es keinem Feinde einfallen würde, den Angriff zu wagen. Gemüthlich saß ich in meinem reichen Logis, die Zeit des Diner erwartend, als der unheilvolle Generalmarsch[34] wild durch die Straßen ertönte. Während der Bediente das Pferd sattelte, flog ich hinaus, Nachrichten einzuziehen: eine Cavallerie-Patrouille, die Elio besorgt auf Palencia abgesendet, hatte die feindliche Avantgarde kaum eine Stunde von der Stadt angetroffen, während zugleich die Botschaft anlangte, daß Generallieutenant Baron Carandolet in forcirten Märschen und dem Vortrabe auf dem Fuße folgend, 9000 Mann und mehrere Geschütze auf beiden Ufern der Pisuerga heranführe. In den Straßen flog Alles in wildem Treiben durch einander. Die Soldaten eilten den bestimmten Sammelplätzen zu, Officiere liefen ordnend hin und her, und die Bagage zog in langen Reihen dem südlichen Thore zu, während die Bürger mit finster besorgten Mienen dastanden und manches niedliche Mädchen bleich und mit Thränen dem Krieger nachsah, den die Pflicht aus ihren Armen auf das Schlachtfeld riß. Ich traf Elio schon zu Pferde, und rasch ritten wir an der Spitze der Escadron 1. von Navarra dem Kampfplatze zu, von dem lebhaftes Flintenfeuer herüberschallte. Die Bataillone Valencia und 7. von Navarra waren die ersten, welche dem andringenden Feinde sich hatten entgegenwerfen können. Sie thaten es mit solchem Nachdrucke, daß sie die vordersten Bataillone der Christinos warfen und zerstreuten, worauf Navarra, der alten Gewohnheit treu, sich ganz auflösete, die Gefangenen zu plündern. Eine feindliche Escadron, die hinter einer Mauer versteckt gewesen war, brach hervor und säbelte die Plündernden nieder, als Elio mit der Cavallerie erschien und sie sofort dem Bataillon zu Hülfe führte; die feindliche Escadron wandte sich gegen uns. Fest kam sie unserer Charge entgegen, der Augenblick des Zusammenstoßens war da: beide Escadronen parirten und standen, mit den Lanzen fast sich berührend, unbeweglich. Finster und lautlos starrten die Krieger sich an; Niemand konnte fliehen, Niemand mochte zuerst auf die feste Masse der Gegner sich werfen. Da tönte aus den feindlichen Reihen drei Mal und jedes Mal lauter der Ruf: ~viva el Rey~! Wir befahlen ihnen, die Waffen zur Erde zu werfen, aber sie blieben bewegungslos, wie zuvor die Lanzen eingelegt. Eine neue Pause, noch beklemmender, noch majestätischer, folgte. Plötzlich stürzte ein Officier mit lautem ~viva Carlos quinto~ auf den feindlichen Oberstlieutenant, der wie ein Braver seinen Leuten um eine halbe Pferdeslänge voraus war, und streckte ihn durchbohrt zur Erde; eine Sekunde später hatten die Navarresen die Feinde durchbrochen, vierzig Mann todt und verwundet niedergeworfen und eben so viele Pferde genommen. Die Bataillone von Vizcaya und Castilien waren mit der Cavallerie in die Gefechtslinie eingerückt, während 1. von Navarra, um die Garnison des Forts San Benito in Zaum zu halten, in der Stadt blieb und die Rekruten-Bataillone mit der Artillerie und Bagage hinter ihr sich aufstellten. Guipuzcoa war noch nicht von Toro zurückgekehrt. Wir hatten die Action außerordentlich vortheilhaft begonnen und der Christinos avancirte Bataillone auf das Hauptcorps zurückgedrängt, mit dem schon ein lebhaftes Tirailleur-Feuer engagirt war. Die Truppen, längst schon erprobt, waren von hohem Enthusiasmus beseelt, so daß ich nicht zweifele, wie die von Zambrana, würde auch diese Überraschung trotz der Überlegenheit des Feindes glorreich für uns geendet haben. Aber es hatten in Valladolid viele alte Officiere sich der Division angeschlossen und waren gut aufgenommen; mehrere befanden sich jetzt um den General. Nicht mehr an das Zischen der Kugeln gewohnt und noch weniger bekannt mit dem Geiste unserer Freiwilligen, riethen sie ängstlich dem General zum Rückzuge, ihm vorstellend, daß hinter der Front ein Fluß sich befinde, der im Falle einer Niederlage die Vernichtung des Corps nach sich ziehen müsse. Zariategui, des Terrains nicht kundig, brach das Gefecht ab, und langsam zogen wir seitwärts der Stadt uns zurück, indem Valencia[35] die Nachhut übernahm. Carandolet hatte während der Action nicht von seiner zahlreichen Artillerie Gebrauch machen können, da wir theils seinen Truppen unmittelbar nahe standen, theils durch das Terrain, dem Geschützfeuer ungünstig, gedeckt wurden; so wie wir aber den Rückzug angetreten, schütteten seine Geschütze mit schrecklicher Präcision ihre Kugeln und Granaten über uns aus und verursachten uns bedeutenden Verlust. Eine der ersten Granaten sprang dicht neben dem General, tödtete einen Burschen, verwundete mich am rechten Ellenbogen und streckte meinen herrlichen Goldfuchs mit zerschmettertem Kopfe todt nieder. Ich bestieg ein bei unserer Charge genommenes Officierpferd. Das Bataillon von Valencia litt vor Allem durch dieses Feuer, und eine Kanonenkugel, die ganze Masse durchschlagend, tödtete und verwundete ihm drei und zwanzig Mann, indem sie dem Ersten Schädel und Barett, dem Letzten, einem Officier, die Hand mit dem Degen fortriß. Unser Verlust bestand in etwa zwei hundert und dreißig Todten und Verwundeten; doch hatten wir einige vierzig Pferde erbeutet und 32 Gefangene gemacht. Nachdem das 1. Bataillon von Navarra und am Abend auch die Brigade Guipuzcoa zu uns gestoßen war, übernachteten wir in Tudela, zwei Stunden von Valladolid. Als wir die Esgueva, den gefürchteten Fluß, überschritten, fanden wir einen unbedeutenden Bach, der nicht zwei Fuß hohes Wasser hatte. Zariategui war außer sich, da er nun erkannte, wie die Ängstlichkeit jener Ankömmlinge, auf deren Abmahnung er schwach gehört hatte, die Gelegenheit zu neuem herrlichem Siege ihn hatte ungenutzt vorübergehen lassen. Er beschloß am Morgen wieder gegen Valladolid zu ziehen und in ihr den Feind anzugreifen, wenn er nicht zum Kampfe uns entgegen käme; in der That defilirten beim ersten Strahl der Morgenröthe die Bataillone auf dem Wege nach der geräumten Stadt. Da langte ein Bauer an und überreichte dem General einige Papiere. Seine Stirn verfinsterte sich, da er die Depeschen las, er ordnete den Contre-Marsch an und schlug schweigend an der Spitze der Division den Weg nach Aranda de Duero ein. Der Unglücksbote hatte die Meldung von dem Rückzuge des königlichen Expeditions-Corps auf die Sierra von Soria nebst der Ordre gebracht, in engere Verbindung mit demselben zu treten. Wenn auch unwillig, den gehofften Angriff nicht ausgeführt zu sehen, zogen die Truppen doch gutes Muthes das Duero-Thal hinauf, da sie vertrauten, mit den Divisionen des Königs vereinigt, alsbald wieder kräftig die Offensive zu ergreifen. Unser Corps war nie auf so glänzendem Fuße gewesen, da unsere alten Truppen durch Disciplin und Bravour gleich sehr als Kerntruppen sich bewährten, die jungen aber auf acht starke Bataillone, über 6000 Mann, gebracht waren, und alle gleiche Begeisterung und Kampfbegier zeigten. Wir zogen das Bataillon an uns, welches zur Blokade von Peñafiel geblieben war und in seinem ersten Gefechte gut sich hielt, da es einen Ausfall der Garnison, aus zwei Compagnien Peseteros[36] bestehend, mit Verlust zurückwies. Auf beiden Seiten des Flusses naheten wir Aranda, wohin ich ungeduldig mich sehnte, da meine Wunde, die den Knochen bedeutend verletzt hatte, wenn sie noch nicht an Bewegung mich hinderte, doch stündlich peinigender wurde, während ich, von dort aus ein Hospital oder einen gesicherten Ort erreichend, durch Ruhe in kurzer Zeit wieder kampffähig zu sein hoffte. Das 5. Bataillon von Castilien überschritt die Brücke, welche vom linken Ufer des Flusses nach Aranda führt, als hinter ihm die Tete einer starken feindlichen Colonne erschien und sofort im Sturmschritt auf die Brücke drang. Es war die Division des Generals Lorenzo, die 7500 Mann und 500 Pferde stark, von Espartero abgesandt war, um uns in der Besetzung von Aranda zuvorzukommen und die Vereinigung mit dem Corps des Königs zu verhindern; eine Viertelstunde später hätten wir die Stadt im Besitze des Feindes gefunden. Noboa besetzte mit seiner Brigade die Häuser, welche in geringer Entfernung von der Brücke einen Halbkreis bilden, dessen beide Enden an den Fluß sich lehnen, und eröffnete von dort ein mörderisch concentrisches Feuer auf die Sturm-Colonne des Feindes. Sehr brav drang sie bis zu der Mitte der Brücke vor, und ward, da sie dann wich, sogleich durch eine zweite ersetzt, die ebenfalls die Brücke betrat, dann aber, da von den Fenstern herab die Kugeln auf sie regneten, in Unordnung zurückfloh. Zariategui und Elio langten mit dem Stabe an, und die Bataillone eilten im Lauftritt herzu, während Lorenzo zwei Kanonen etwa funfzig Schritt vor der Brücke abprotzen und ein lebhaftes Kartätschen-Feuer gegen die Häuser beginnen ließ. Da befahl der General zum Angriff zu schreiten. Valencia sollte zur Rechten, wo eine Wehr den Übergang zu erleichtern versprach, den Fluß passiren und den Feind in der Flanke angreifen, während Castilla und Guipuzcoa über die Brücke vordrängen. Unter heftigem Feuer und das Wasser bis zur Brust erreichte Valencia das andere Ufer und formirte sich dort zur Angriffs-Colonne, Castilien aber wich auf der Mitte der Brücke dem doppelten Feuer der Geschütze und der Infanterie, riß Guipuzcoa mit sich zurück und gab so das brave Valencia isolirt dem Andrange der Feinde Preis. Ehe noch der General mit Zornesflammen sprühenden Augen seinem Gefolge das Wort „Freiwillige!“ zugerufen, stürzte ich mit andern zwei Officieren vorwärts, wo schon die Chefs von Castilien zu neuem Sturme die Truppen ordneten. Ohne zu wanken, folgten nun die Bataillone den Führern und debouchirten am andern Ufer, auf dem auch Valencia im Sturmschritt vorrückte. Die Feinde flohen in Unordnung und verließen ihre Kanonen; schon waren wir wenige Schritte von den ersehnten Trophäen entfernt, als zwei Artilleristen mit herrlicher Todesverachtung zurückstürzten, unter furchtbarem Kugelregen die Geschütze einhängten und, auf die Maulthiere[37] sich schwingend, sie uns entrissen, da wir fast mit den Bajonnetten sie berührten. Ehre den Braven, wo sie sich finden mögen! Die That jener beiden Männer, wie sie die Einzigen unter dem Pfeifen zahlloser Kugeln und im Bereiche unserer Bajonnette unerschrocken ihre Pflicht erfüllten, nöthigte mir die höchste Bewunderung ab. Lorenzo nahm die weichenden Bataillone mit der Reserve auf und drang noch ein Mal umsonst vor, worauf er langsam und in Ordnung, bald durch seine Cavallerie gedeckt, den Rückzug ~en échelons~ antrat, von unsern Tirailleurs eine Stunde weit mit Nachdruck verfolgt; eine Escadron des königlichen Expeditions-Corps, die während des Gefechtes zu uns gestoßen war, schloß sich dabei uns an. Bei unserer Rückkehr nach Aranda fanden wir die Divisionen Sr. Majestät dort. [32] ~caballero~ entspricht dem ~true gentleman~ der Engländer. [33] Die Bewohner des Königreiches Leon werden in Spanien stets als Alt-Castilianer betrachtet, denen sie in jeder Beziehung ganz gleich stehen. Sie selbst kennen nur den Namen Castilianer für sich. [34] ~la generala~ wird nur geschlagen, wenn der Feind vor den Thoren steht, daher bei Überfällen u. s. w. [35] Dieses Bataillon zeichnete sich während der ganzen Expedition besonders aus; es ward durch treffliche Officiere befehligt, und die ursprünglichen Valencianer waren nach und nach durch Aragonesen und Castilianer ersetzt. [36] Freicorps, so genannt, weil sie eine ~peseta~ -- vier Realen -- Sold erhielten. [37] Die spanische Artillerie ist durchgängig mit schönen Maulthieren bespannt, die vor den Pferden durch Ausdauer hervorstechen. XII. Während Espartero von San Sebastian aus die Linien von Hernani und Irun zerstörte, verließ Carl V. Navarra an der Spitze von 18 Bataillonen und 3 Regimentern Cavallerie, 11000 Mann Infanterie und 1200 Pferde. Die Expeditionen des vergangenen Jahres, so wenig sie der Sache genützt, hatten doch die Hoffnung nicht niederschlagen können, daß durch solche Züge endlich große Resultate erlangt würden; der Geist des Volkes hatte sich allgemein nicht feindlich gezeigt, manche Erfolge waren erfochten, andere nur durch Schwäche eingebüßt. So sollte denn nun ein kraftvoller Versuch gemacht werden, um in das Innere des Königreiches vorzudringen und im Vereine mit den königlichen Armeen Westspaniens durch die Eroberung von Castilien den Krieg zu beenden. Am 19. Mai passirte das Heer den Fluß Aragon und zog in langsamen Märschen nach Westen hin, während General Iribarren, der mit 12000 Mann zu seiner Verfolgung eilte, von Tafalla aus nördlich dem Ebro ihm parallel zog. Am 24. zog es in die bedeutende Stadt Huesca ein; noch waren die Truppen in den Straßen aufgestellt, als schon Granaten über ihnen platzten. Kaum konnten die ersten Bataillone eine Stellung vor der Stadt einnehmen und den Andrang des Feindes bis zum Ausrücken ihrer Gefährten zurückhalten; da endlich der Kampf allgemein wurde, sah sich Iribarren, der seine Divisionen zum Angriff führte, bald zum Weichen genöthigt. Umsonst schlug sich die Fremdenlegion mit ihrer gewohnten Todesverachtung, umsonst führte der Brigadier D. Diego Leon, der vorzüglichste Cavallerie-Anführer der Christinos, seine Escadronen zu verzweifelter Charge; seine Cuirassiere und Carabiniere der Garde wurden zersprengt, er selbst fiel im wilden Getümmel, Iribarren ward schwer verwundet, seine Massen durchbrochen und zum Rückzuge gezwungen, den sie unbelästigt ausführten. Er starb wenige Tage nachher an seinen Wunden. Glänzend hatte auch diese Expedition begonnen, die, dem Namen nach durch den Infanten D. Sebastian befehligt, vom General Moreno, dem Chef des Generalstabes, geleitet wurde, der, durch langjährige Erfahrung als Strategiker ausgezeichnet, nicht immer angesichts des Feindes die nöthige Entschlossenheit und Schnelle im Handeln entwickelte. Er zog am 27. Mai nach Barbastro, wo er abermals unthätig stehen blieb, während Oráa von Nieder-Aragon herzueilte und die geschlagene Division Iribarren aufnahm, mit der auch Buerens, 3000 Mann stark, sich vereinigt hatte. Am 2. Juni griff er die carlistische Armee bei Barbastro an und ward nach hartnäckigem Kampfe zurückgeschlagen; die französische Fremdenlegion, die dem carlistischen Fremdenbataillone gegenübergestanden und auch hier ihre deutsche Bravour nicht verleugnet hatte, wurde ganz vernichtet, und ihr Commandeur, der Brigadier Conrad, da er seine weichenden Tirailleurs vorwärts führte, gefährlich am Kopfe verwundet, starb nach wenigen Tagen. Der Mangel an Energie, der später der kleinen Armee und der Sache, für die sie focht, so verderblich werden sollte, äußerte jetzt schon seine unheilvolle Einwirkung. Die Truppen waren nach dem Siege ruhig nach Barbastro zurückgekehrt und brachen erst am 4. Abends nach dem kaum eine Stunde entfernten Cinca auf, wo sie, kaum glaublich, nicht die geringsten Vorbereitungen für den Übergang getroffen fanden, da doch das Corps acht volle Tage in Barbastro gestanden hatte. Das Hauptquartier war von zahllosen ~ojalateros~[38], Officieren und Angestellten, die essen wollten, ohne zu arbeiten und der Gefahr sich auszusetzen, begleitet, und Jeder von ihnen führte eine enorme Bagage mit sich; so mußten die Bataillone auf dem rechten Ufer campiren, während alle jene Leute, die zahlreichen Munitions- und Bagage-Convoys, die Verwundeten und die Nicht-Combattanten in den einzigen zwei Kähnen über den Fluß geschafft wurden. Erst am Morgen, da schon das Heer Oráa’s nahete, konnte der Transport der Truppen beginnen: das herrliche 4te Bataillon von Castilien, welches die Nachhut bildete, befand sich allein auf dem jenseitigen Ufer, als die Massen des Feindes erschienen und sofort von allen Seiten es bestürmten; nach verzweifeltem Widerstande wurde es zersprengt und unter den Augen ihrer Cameraden, die ihnen nicht Hülfe bringen konnten, theils in den Fluß geworfen, theils gefangen. Die Armee drang nach diesem Unglückstage in Catalonien ein und vereinigte sich mit den dort gebildeten Banden, ohne irgend Nutzen von ihnen ziehen zu können, da gänzlicher Mangel an Organisation und Disciplin zu aller geregelter Kriegführung sie untüchtig machte. Der feindliche General-Capitain des Fürstenthums, Baron de Meer, rückte von Lerida nach Balaguer vor und griff, nachdem Oráa, durch die Brigade Iriarte von Espartero um 4000 Mann verstärkt, zur Bekämpfung Cabrera’s nach Unter-Aragon hatte zurückkehren müssen, das Expeditions-Corps bei Guisona am 13. Juni an; die Flucht der catalonischen Truppen, die dem ersten Stoße der Christinos wichen, hätte fast den Untergang der Armee nach sich gezogen. Nach einem Verluste von 1000 Mann an Todten und Verwundeten und 150 Gefangenen erkämpfte die Entschlossenheit einiger Chefs und die Festigkeit der alten Bataillone kaum einen geordneten Rückzug. Da zeichnete ein Deutscher, der junge Brigadier Fürst Lichnowsky, glänzend sich aus, indem er im kritischen Augenblicke an der Spitze der Cavallerie mit Erfolg chargirte und der Erste in die feindlichen Lanciers einhieb. Mein armer Freund, Bernhard von Plessen, mit dem im Vaterlande, da wir Einem Bataillone angehörten, die Bande enger Cameradschaft schon mich umfaßten, starb bei Guisona den Heldentod, da er, Capitain der Artillerie, freiwillig den vorgehenden Bataillonen sich angeschlossen; eine Kanonenkugel streckte ihn todt nieder. Der König zog am 15. Juni nach Solsona und von dort am 19. auf Berga, welches der Oberst Osorio, von den Cataloniern gänzlich geschlagen und durch General Royo in die Festung eingeschlossen, während der Nacht mit 800 Mann und zwei Geschützen räumte. In dem Heere ward indessen außerordentlicher Mangel fühlbar, da die rauhen Hochgebirge für solche Colonnen die nöthigen Subsistenzmittel nicht liefern konnten, und die wenigen vorhandenen Ressourcen durch die jämmerliche Verwaltung der carlistischen Bandenanführer eher vernichtet als weise benutzt wurden. So trat endlich wahre Hungersnoth ein: die Soldaten, in öden Schluchten campirend, blieben drei und vier Tage lang ohne Ration und auf unreife Früchte beschränkt, die sich nur mehrere Stunden entfernt fanden und durch Zerkochen genießbar werden mußten; wer aber von seinem Bataillone getrennt getroffen wurde, duldete harte Strafe. Für ein Brot zahlten die Officiere zwei, drei Piaster, für ein Papier-Cigarrchen eine Peseta. Und wenn ein Freiwilliger, von der Verzweiflung des nagenden Hungers getrieben, selbst die drohende Todesstrafe nicht achtend, in einem Landhause etwas Nährendes zu suchen ging, trieben ihn nicht selten die wilden Gebirgsbewohner, die Alles sich genommen sahen, mit Kugeln von den Häusern zurück, und blutige Kämpfe entspannen sich. Unter den Navarresen, leicht zu Unordnungen gebracht, nahm die Unzufriedenheit immer mehr drohenden Ton an, während Castilianer und Basken schweigend, bis sie entkräftet hinsanken, das Ungemach zu ertragen wußten. Endlich zog unter allgemeinem Jubel die Armee gen Süden dem Ebro zu, dessen Übergang, von Cabrera thätig vorbereitet, am 29. Juni bei Cherta im Norden von Tortosa bewerkstelligt wurde. Die feindliche Colonne, welche die Vereinigung hindern sollte, langte auf dem Ufer an, als die letzten Truppen auf der Mitte des Stromes sich befanden, und machte ihrer ohnmächtigen Wuth durch ein zweckloses Geschützfeuer Luft. Nachdem die ausgehungerten Soldaten in dem reichen Ebro-Thale, wo Cabrera große Vorräthe für sie angehäuft hatte, sich erholt hatten, wandte sich Moreno, durch die Division jenes Generals verstärkt, nach dem Königreiche Valencia, während Oráa, der von Alcañiz aus sie beobachtete, über Teruel dem Marsche der Carlisten folgte, um von dort der bedroheten Provinz zu Hülfe eilen. Die herrliche Huerta von Valencia wurde besetzt und Castellon de la Plana am 8. Juli eingeschlossen, der Angriff ~à vive force~ aber zurückgewiesen; am 10., da Oráa noch mehrere Märsche weit entfernt war, stand die Armee im Angesichte des vielthürmigen Valencia, welches, nur von einer Mauer umgeben und bis auf die Nationalgarden fast ganz ohne Truppen, dem ersten Anlaufe wohl nicht widerstehen konnte. Doch die Führer der königlichen Expedition besaßen nicht die Thatkraft und Entschlossenheit, die solchem Unternehmen erste Bedingniß des Gelingens ist, da durch Temporisiren Nichts gewonnen, leicht Alles verloren werden kann. Der greise Moreno, nachdem er mehrere Tage lang die Stadt angeschaut hatte, zog, ohne den Angriff zu versuchen, südlich vom Guadalaviar ab, da Oráa, dem er durch sein Zögern Zeit zur Vereinigung mit der Colonne von Valencia gegeben, über Segorbe von Aragon herabstieg. Wie unendlich würde die Einnahme von Valencia die Verhältnisse geändert haben, welches Übergewicht hätte sie nicht den Carlisten im westlichen Spanien gegeben! Ich wiederhole, Moreno war ausgezeichneter Strategiker, seine Bewegungen waren stets meisterhaft berechnet; wo es dann galt, das Resultat derselben in kräftigem Handeln zu sichern, hätte Cabrera seine Stelle einnehmen müssen. Bei Chiva trafen sich am 15. Juli die beiden Heere, und die Carlisten, nach anfänglich bedeutenden Vortheilen geschlagen, zogen sich mit einem Verlust von mehr als 1000 Mann auf Chelva zurück, von wo sie über Sarrion, Linares und Mosqueruela in das Hochgebirge von Unter-Aragon sich warfen. Der König begab sich nach Cantavieja, damals einzige Festung Cabrera’s, während die Truppen, durch die Leiden und Unglücksfälle der letzten Zeit sehr demoralisirt, täglich mehr in das Gebirge zusammengedrängt wurden. Auch Espartero war von den Nordprovinzen herbeigerufen, um gegen das Expeditions-Corps zu operiren, so daß die drei Colonnen von Oráa, Espartero und Buerens im Halbkreise es umstellen und concentrisch es angreifen konnten; am 30. war selbst Oráa bis Mosqueruela, vier Stunden von Cantavieja vorgedrungen, und die königlichen Truppen waren auf die Städte Villafranca, Fortanete und Mirambel in dem wildesten Theile des Gebirges von Cantavieja beschränkt. Die Lage der Armee war sehr bedenklich, da sie unmöglich lange in jenem unfruchtbaren Theile Aragon’s sich aufhalten konnte; indessen die feindlichen Anführer, eifersüchtig auf einander, combinirten nicht ihre Kräfte zu thätiger Offensive, und bald war Oráa genöthigt, nach Valencia zu eilen, da Forcadell, die Entblößung der Provinz benutzend, bis zu der Hauptstadt vordrang und am 4ten August selbst ihren Hafen, el Grao, mit einigen tausend Mann besetzte, worauf seine Truppen von einer englischen Fregatte beschossen wurden. Als Oráa am 8. in Castellon de la Plana anlangte, zog Forcadell sich zurück, weshalb Jener über Segorbe nach Teruel eilte, wieder seine Stellung dem Könige gegenüber einzunehmen. Aber auch Espartero war während der Zeit zur Deckung Madrid’s gegen die Division Zariategui abgerufen, so daß der König, in Etwas von den Massen befreit, die ihn bisher erdrückten, in der Mitte August’s aus der Felsen-Festung vordringend die Offensive ergreifen konnte, das Gebirge von el Albarracin durchzog und sich dann nach dem an Wein und Getreide reichen Hügellande wandte, welches von der nördlichen sanften Abdachung des Hochgebirges von Unter-Aragon nach dem Ebro hin gebildet ist. Oráa und Buerens folgten dem carlistischen Armee-Corps dorthin, dessen Disciplin und Selbstvertrauen, wiewohl es schon sehr zusammengeschmolzen, während der sorgfältig benutzten Ruhe der letzten Wochen ganz hergestellt waren. Am 24. August standen die Divisionen in der Gegend von Herrera, als eine Depeche des General Buerens aufgefangen wurde, in welcher er, von der Seite von Zaragoza heranziehend, dem General Oráa nach Daroca meldete, daß er am folgenden Tage angreifen werde und dazu die Mitwirkung desselben erwarte. Moreno stellte das Heer vor dem Villar de los Navarros in vortheilhafter Stellung auf und traf so treffliche Vorbereitungen, daß Buerens, der mit vielem Muthe angriff, zurückgewiesen, durchbrochen und vollkommen geschlagen wurde. Seine ganze Division, 11000 Mann, wurde zerstreut und in vollständiger Verwirrung auf Herrera gejagt, wo mehrere tausend Mann, die sich in die Kirche eingeschlossen hatten, capituliren mußten; nur zwei Garde-Bataillone zogen sich geschlossen vom Schlachtfelde zurück. 4000 Gefangene und 5000 Gewehre fielen in die Gewalt der siegreichen Carlisten, die durch diesen Schlag den Weg auf Madrid sich offen sahen, wiewohl Espartero in Folge dessen über Ziguenza nach Aragon eilte und schon am 1. Sept. in Daroca ankam. Mit den Truppen Cabrera’s vereinigt durchzog das Expeditions-Corps die Provinz Cuenca und marschirte über Tarancon auf der Heerstraße gegen Madrid, indem Moreno gewandt manövrirend dem Feinde mehrere Märsche abzugewinnen wußte; es überschritt den Tajo bei Fuentidueña und rückte am 12. September Morgens vor die Thore der stolzen Residenz. Cabrera, der mit seiner Division die Avantgarde bildete, hatte bei Vallecos, anderthalb Stunden von Madrid, die Cavallerie-Regimenter der Garde, da sie mit reitenden Batterien sich ihm entgegenstellten, gänzlich geschlagen, er schoß schon in die Straßen der Stadt hinein und erwartete ungeduldig mit den nachrückenden Divisionen die Ordre zum Angriffe, dessen Erfolg ganz unzweifelhaft war. Da ... erhielt er Befehl, seine Truppen zurückzuziehen. Er gehorchte -- Carl V. ließ den Augenblick, der die entrissene Krone ihm darbot, ungenutzt, und dieser Augenblick kam nie wieder. Augenzeugen versichern, daß Cabrera in gerechtem Zorne über die Erbärmlichkeit der Rathgeber des Königs geschworen habe, fortan nur seinen eigenen Eingebungen zu folgen; so that er. Im königlichen Hauptquartiere selbst, welches bis Arganda, vier Stunden von Madrid gelangte, war Alles so von dem Einzuge in die Residenz überzeugt gewesen, daß schon einem Jeden sein Logis daselbst bezeichnet war. In finsterem Mißmuthe trat die Armee den Rückzug an, der die Früchte aller Anstrengungen und Siege auf immer ihr entriß. * * * * * Mannichfach sind die Gründe oder, sage ich, die Entschuldigungen, welche für das Aufgeben der Unternehmung auf Madrid angeführt sind; doch kamen endlich alle übrigen auf die beiden hauptsächlichsten, die Schwäche der Armee bei der Nähe Espartero’s und das Nichterscheinen der Division Zariategui, hinaus. Früher zeigte ich, wie dieser General mit dem königlichen Expeditions-Corps in seiner Bewegung auf die Hauptstadt nicht combinirt agiren konnte, noch durfte, da er, so eben zur Offensive übergegangen, ein überlegenes feindliches Corps im Rücken hätte zurücklassen müssen. Auch war auf die Mitwirkung Zariategui’s gewiß nicht von den Anführern der Armee gerechnet. Diese zählte zu jener Zeit mit Einschluß der Division Cabrera 13000 bis 14000 Mann; dagegen befanden sich in Madrid etwa 5000 Mann Linientruppen und acht Bataillone National-Garde mit ihrer Cavallerie und Artillerie, während Espartero über Guadalajara in Eilmärschen 25000 Mann heranführte. Daher hieß es, würde es Tollkühnheit gewesen sein, in ein Straßengefecht uns einzulassen, um im glücklichsten Falle nach vier und zwanzig Stunden aus der Stadt entweichen zu müssen oder in ihr den Angriff des feindlichen Heeres zu souteniren. Sieger in so hoffnungslosem Kampfe, wären wir in Madrid blockirt worden, besiegt konnte Nichts die gänzliche Vernichtung von uns abwenden. Die Nichtigkeit solcher Argumentation ist auf den ersten Blick durchschaut. Das gefürchtete Straßengefecht würde gar nicht Statt gefunden haben: einige Bataillone hatten sich zwar bei dem zunächst bedroheten Thore aufgestellt und erwarteten ohne Hoffnung und ohne Muth den Angriff; aber die Besatzung reichte lange nicht hin, um die ausgedehnten Mauern auch nur rings zu besetzen, und jene Bataillone würden alsbald gezwungen sein, wie es ja stets den Garnisons der größeren Städte erging, in irgend ein festes Gebäude sich einzuschließen, um unter möglichst guten Bedingungen zu capituliren. Denn in der Stadt erwartete die Masse, der Kern des Volkes nur das Signal zum Angriffe, um sich zu erheben und Carl V. zu proclamiren. Daß jedoch, wie dem Anschein nach wohl erwartet wurde, die Bevölkerung bei der Annäherung der Carlisten selbstständig die Contrerevolution bewirke und die Truppen verjage, so daß unsere Armee die Thore geöffnet und von der Menge jubelnd sich empfangen fände -- das hieß in der That zu sehr auf das Loyalitäts-Feuer des Volkes rechnen. Auch von der National-Garde waren die vier letzten Bataillone durch Zwang gebildet und bestanden durchgängig aus echt royalistisch gesinnten Männern, Handwerkern und kleinen Kaufleuten, denen die Wahl gelassen war, ihre Laden zu schließen und ihre Familien, die Stadt verlassend, ins Elend zu stürzen oder als National-Gardisten sich enrolliren zu lassen. Es ist bekannt, daß die revolutionaire Regierung später Untersuchungen anstellen ließ, weil diese Bataillone bei dem Erscheinen der Carlisten ihre Neigung für sie deutlich an den Tag gelegt und complottirt hatten, um bei dem Angriffe für sie sich zu erklären, was natürlich allen Widerstand beendigt hätte. Sehr zu bezweifeln ist aber, daß die Armee Espartero’s auf die Carlisten, nachdem diese Madrid’s sich bemächtigt, den Angriff gewagt hätte. Die Nachricht von dem Ereignisse würde auf die Soldaten den niederschlagendsten Einfluß geäußert und die Bande der Disciplin, in jener Zeit so sehr gelockert, vollends zerrissen haben. Und wenn Espartero trotz ihrer Entmuthigung die Truppen zur Wiedereroberung der Hauptstadt führte, entschied er nur rascher den Ausgang des Krieges und den Sturz der Parthei, für die er kämpfte. Da war es nicht nöthig, vor ihm zu fliehen oder geschlagen oder in der Hauptstadt blockirt zu werden; die siegreiche Armee würde mit Begeisterung dem Feinde entgegen gegangen sein, um ihn selbst anzugreifen, ihn moralisch geschwächt, wie er war, zu vernichten und so mit der letzten Hoffnung der Christinos den ferneren Widerstand ganz niederzuschlagen. Alle jene Schwierigkeiten, so weit sie wirklich bestanden, mußten bedacht sein, ehe der verhängnißvolle Zug unternommen wurde; so wie der erste Schritt gethan, hörte alles Schwanken auf, und „Vorwärts“ ward das Loosungswort, denn jedes Zaudern brachte Verderben. Das ganze unendliche Übergewicht, welches die Eroberung Madrid’s ihnen gab, überließen die Carlisten durch den Rückzug ihren Feinden, indem sie den Spaniern und der Welt die Überzeugung von ihrer Schwäche oder ihrer Unfähigkeit aufdrängten, das Vertrauen der friedlichen Bewohner einbüßten, die sie nur erscheinen sahen, um sich eiligst den verfolgenden Christinos durch die Flucht zu entziehen, und sich, was oft noch unheilsvoller war, mit den vergeblichen Hin- und Herzügen zum Gegenstande des Spottes und der Verachtung machten. So unermeßlich waren die Folgen der Uneinigkeit und des Intriguen-Spieles, welche unter den nächsten Umgebungen des Königs herrschten und jede energische Kraftäußerung unmöglich machten, jedes Unternehmen lähmten. Da war es nicht zu verwundern, wenn mancher treue Diener von Überdruß ergriffen wurde, wenn endlich die Truppen laut über Verrath schrieen und mit Widerstreben den Mühseligkeiten sich unterwarfen, die ihrer Führer verkehrtes Benehmen über sie verhängte. * * * * * Die nächsten Tage vergingen in Bewegungen zwischen den Henares und Tajuña der Armee Espartero’s gegenüber, der fortwährend verstärkt täglich mehr das Expeditions-Corps drängte. In der Nacht vom 18. zum 19. September versuchte Moreno einen Überfall desselben in Alcalá, der gänzlich fehlschlug und das nachtheilige Arrieregarde-Gefecht vom 19. veranlaßte, in dem die Carlisten, heftig von der feindlichen Cavallerie bestürmt, mit Verlust in die Gebirge sich zurückzogen. Mehrere Compagnien, die man aus Gefangenen gebildet, denen auf ihr Bitten die Waffen gegeben waren, warfen bei dem Angriffe der Lanciers die Gewehre nieder und gingen mit dem Rufe: ~viva Isabel segunda!~ zu ihren alten Gefährten über. Cabrera, der in Guadalajara unter den Augen Espartero’s eingezogen war, trennte sich von dem Heere und führte seine Division nach Aragon zurück, da er in längerem Bleiben Schmach und Vernichtung erkannte, worauf der König, dessen Truppen in dem traurigsten Zustande waren und an Allem Mangel litten, den Rückzug nach dem Gebirge von Soria beschloß. Da die Division Zariategui den Angriff Lorenzo’s auf die Brücke von Aranda zurückschlug, konnten die beiden Corps in dieser Stadt sich vereinigen. * * * * * Kaum war ich, von der Verfolgung Lorenzo’s zurückgekehrt, in meinem alten, nun mit Officieren der königlichen Divisionen angefüllten Logis angekommen und suchte ein Strohlager mit Mantel und Decke etwas bequemer zu machen, als ich zum General berufen wurde, der so eben in höchstem Mißmuthe von einer Zusammenkunft mit dem Infanten zurückkehrte. Er erklärte mir, daß er in Rücksicht auf meine Verwundung mich ausersehen habe, um etwa zweihundert durch Wunden und Krankheiten undienstfähige, aber leicht transportable Leute nach den Nordprovinzen zurückzuführen, wo auch ich raschere Heilung hoffen dürfe. Schmerzlich mußte es mir sein, meine Cameraden in jenem Augenblicke zu verlassen, da ich trotz des Elendes, in dem die andern Divisionen sich mit uns vereinigt, fest glaubte, daß nun rasch und kräftig die Offensive würde ergriffen und Entscheidung erkämpft werden. An Siege und glänzende Erfolge gewöhnt, konnten wir noch nicht den Gedanken fassen, so plötzlich von der Höhe herabgestürzt zu sein. Aber dennoch war ich meinem Chef Elio, denn ihm verdankte ich die Rücksicht, innig dankbar für die mir gewordene Sendung, da meine Wunde, in den ersten Tagen vernachlässigt, mehr und mehr peinigend wurde und mich auf einige Zeit für thätigen Dienst ganz untauglich machte. Nachdem mir siebenzehn beladene Saumthiere für den General Uranga übergeben waren, trat ich in der Nacht mit meinem Convoy den Marsch an; zwanzig Infanteristen, alle aus den Theilen Castilien’s gebürtig, die ich durchschneiden sollte, so daß sie im Nothfalle als Führer mir dienen konnten, bildeten die Bedeckung. Ich durchkreuzte die ganze Provinz Burgos, im Allgemeinen den Windungen der Sierra folgend, überschritt die Heerstraße von Burgos nach Vitoria, dann den Ebro, wo er ein schmaler Bergstrom schäumend über die Felsen hinbrauset, und erreichte am 7. October den famösen Paß, der Felsen von Orduña genannt, der die Verbindung von Vizcaya und Burgos über den Hochrücken der Pyrenäen bildet. Wiewohl ich der Verwundeten wegen den Marsch sehr langsam gemacht und, nicht immer die unzugänglichsten Gebirgsstriche aufsuchend, mehrere bedeutende Orte berührt hatte, langte ich in den Nordprovinzen an, ohne auch nur einen Soldaten, Carlist oder Christino, getroffen zu haben. Nachdem ich die mir ertheilten Aufträge vollzogen, eilte ich nach Navarra, dessen milderes Clima mich anzog, um dort die Heilung meines Armes abzuwarten. Während ich in einem reizenden Landhause bei Estella; welches als Convalescirungs-Quartier mir zugetheilt war, einige Wochen in angenehmer Muße zubrachte, gingen von den Corps, die ich in Aranda zurückließ, Unheil verkündende Berichte ein; eines Tages erschien selbst ein Trupp Cavalleristen, die bei Mendavia den Ebro passirt hatten und sich als vom Hauptcorps nach dessen Niederlage abgesprengt erklärten. Ihnen folgten in rascher Folge Andere, bis endlich die ganze dritte Escadron von Navarra, zu Zariategui’s Division gehörend, bei Estella anlangte. Sie erzählten, ihre Desertion zu entschuldigen -- denn die Officiere waren nicht mit ihnen gekommen -- wie die vollständigste Unordnung in die Armee eingerissen sei, die, an Allem Mangel leidend und überall geschlagen, nur in der Zerstreuung habe Heil finden können. Die Deserteure wurden arretirt und ihre Aussagen für erlogen erklärt, aber dennoch nahmen die beunruhigenden Gerüchte immer mehr überhand, als unerwartet und nach der Furcht der letzten Zeit fast mit Freude begrüßt die Nachricht anlangte, daß der Infant mit einem Theile des Heeres den Ebro passirt habe. Bald erschien er in Estella, von Zariategui und den ersten Officieren von dessen Division begleitet. Ich hatte die Genugthuung, von meinem Generale zur Rückkehr zu seinem Stabe aufgefordert zu werden, im Falle sein Commando ihm gelassen würde, was nicht geschah. Da die königliche Expedition bei der Vereinigung mit Zariategui in gränzenlosem Elende sich befand, auch sehr fatiguirt und demoralisirt war, übernahm dieser die Deckung des Rückzuges, der unter den Augen Espartero’s und im fortwährenden Kampfe mit dessen nachdrängenden Massen bewerkstelligt wurde. Die feindlichen Generale, nachdem sie durch Heranziehen aller disponibeln Truppen sich verstärkt hatten, rückten in die Sierra vor, zerstörten alle Vorräthe und trieben die Carlisten von Stellung zu Stellung, von Ort zu Ort, überall mit unmenschlicher Härte Jeden hinopfernd, der carlistischer Gesinnungen verdächtig war oder, wenn auch gezwungen, der Armee einen Dienst geleistet hatte; die Häuser selbst, in denen der König oder der Infant logirt hatte, brannte der wilde Lorenzo nieder. Da beschloß Moreno den Angriff der Feinde zu erwarten. Bei Retuerta bezog er mit 14000 Mann eine feste Stellung, in der er am 5. Oct. von Espartero und Lorenzo, die 35000 Mann vereinigt, bestürmt wurde; der Kampf war blutig, aber unentschieden, da die Carlisten gegen alle Versuche der Christinos ihre Stellung behaupteten und sie mit schwerem Verluste zum Rückzuge nöthigten, ohne doch solchen Vortheil benutzen zu können. In kleine Colonnen aufgelöset suchten die Expeditionen sich in der Sierra zu behaupten; aber der Mangel an Allem wuchs täglich, die Feinde, hier alle Gräuel der ersten Kriegesjahre erneuernd, verfolgten mit Kraft und errangen immer neue Vortheile, selbst der König, von allen seinen Bataillonen getrennt, fand sich umzingelt und entkam kaum zu Fuß durch die Wälder den Schlingen, die Verrath ihm gelegt. Verrath! Durch das ganze Heer tönte der Schrei: Verrath! manche der ersten Führer wurden als dem Feinde verkauft bezeichnet und bedroht. Da siegte Espartero in der Action von la Huerta del Rey, die carlistische Cavallerie fast aufreibend; die Desertion riß immer mehr ein -- gänzliche Vernichtung oder Rückzug nach den Nordprovinzen war die einzig übrig bleibende Wahl. Der Infant Don Sebastian marschirte zuerst mit der Division Zariategui dorthin ab und langte am 19. Oct. in Alava an; der König war trotz seines Widerwillens, da er beim Abmarsche der Expedition erklärte, daß er nur als Sieger wiederkehren werde, gezwungen, den Rest des Heeres gleichfalls dorthin zu führen, um nicht seiner Treuen Leben umsonst zu opfern: am 24. Oct. überschritt er den Ebro. Er erließ eine Proclamation an Volk und Heer, ihnen verkündend, daß er selbst den Oberbefehl übernehme und daß er zurückgekommen sei, um die Armee von den Verräthern zu reinigen, welche die Anstrengungen der braven Freiwilligen vergeblich gemacht und den Erfolg der Expedition gehindert hätten; zugleich versprach er kraftvolle Wiederaufnahme der Operationen. General Guergué ward zum Chef des Generalstabes an Moreno’s Stelle gewählt. Große Hoffnungen erregte diese Proclamation; sie sollten nie erfüllt werden! Die Verräther konnten unentlarvt ihre Pläne verfolgen, während die bravsten Truppen in nutzlosen Zügen geopfert, der Krieg lässiger als je hingezogen wurde. * * * * * General Uranga hatte seit dem Abmarsche Zariategui’s bedeutende Vortheile davon getragen, indem die Unordnungen, welche unter den in den feindlichen Linien gebliebenen Truppen einrissen, ihm erlaubten, trotz seiner Schwäche die Offensive zu ergreifen. Escalera war von der nichtssagenden Verfolgung unserer Division eilig zurückgekehrt, um das bedrohete Peñacerrada zu decken; seine Soldaten ermordeten ihn zu Miranda de Ebro, und der greise Sarsfield, Vicekönig von Navarra, hatte am 26. August zu Pamplona dasselbe Geschick. Sofort warf sich Uranga auf das feste Peñacerrada, wichtig, weil es sowohl die directe Verbindung zwischen Vitoria und Logroña und dadurch zwischen dem östlichen und westlichen Theile des Kriegstheaters, als die reiche alavesische Rioja beherrscht; da der Feind keinen Versuch zum Entsatze machte, mußte die Garnison, 400 Mann mit vier schweren Geschützen, sich gefangen ergeben. Dann beschoß er den Brückenkopf von Lodosa, einen Hauptpunct der Ebro-Linie, und schlug den Partheigänger Zurbano, der dem bedroheten Fort zu Hülfe eilte, in der Ebene von Logroño südlich vom Ebro mit Verlust von 400 Todten und Gefangenen, wiewohl die Annäherung Ulibarren’s von dem westlichen Navarra her ihn nöthigte, die Belagerung aufzuheben. General Garcia aber nahm und zerstörte die Linie von Zubiri, seit so langer Zeit der Gegenstand täglicher Kämpfe, und öffnete den carlistischen Invasionen den feindlichen Theil von Navarra und das ganze Ober-Aragon; er belagerte Peralta, welches er früher schon überrascht, und zwang die 500 Mann starke Besatzung zur Capitulation. Ulibarren nahm es in der Mitte Octobers wieder. Zugleich erstürmten die Carlisten in der Linie von San Sebastian das von den Anglo-Christinos genommene Andoain, wobei mehrere Compagnien Engländer, die, in die Kirche eingeschlossen, bis sie ihre letzte Patrone verschossen, muthig sich vertheidigten, in die Pfanne gehauen wurden, wie so oft von ihren spanischen Gefährten erbärmlich verlassen. Espartero war dem Könige nach den Nordprovinzen gefolgt und bezog wiederum die gewöhnlichen Stellungen in Alava und längs dem Ebro. Er beschäftigte sich während der letzten Monate des Jahres nur mit der Bestrafung der begangenen Excesse, vor Allem der an den Generalen verübten Morde, und mit Einführung einer strengen Disciplin, der seine Truppen so sehr bedurften. Die Vernichtung der französischen Legion, von der nur einige hundert Mann überblieben, welche fast alle nach Frankreich zurückgingen; die Entlassung der Trümmer der englischen Legion, da ihre Dienstzeit abgelaufen, und die Zurückrufung der portugiesischen Hülfs-Division nach ihrem Vaterlande hatten sein Heer sehr geschwächt, das nun mit Ausnahme von etwa 1500 Briten, die sich auf ein Jahr länger engagirten, ganz aus Spaniern bestand. Alle diese Verluste so wie die, welche der blutige Feldzug veranlaßt hatte, wurden indessen durch die Verstärkungen, die während desselben mit Entblößung der nicht aufgestandenen Provinzen zu ihm gestoßen waren, und durch eine neue bedeutende Quinta vollkommen ersetzt. [38] ~ojala~, wollte Gott, daß ...! Daher Die, welche sich begnügten, mit ihren Wünschen den Erfolg der Sache zu befördern, von den Soldaten ~ojalateros~ genannt. XIII. Beobachten wir den Gang der Ereignisse in den baskischen Provinzen seit der Schilderhebung ihrer Bewohner, so frappirt uns die Bemerkung der anfänglichen außerordentlichen Fortschritte der Carlisten-Schaaren, des plötzlichen Stillstandes, der dann in ihrer Siegeslaufbahn folgte, und endlich des Rückganges, welcher nach einigen vergeblichen Versuchen zur Erlangung der früheren Superiorität mit dem gänzlichen Unterliegen der Parthei endete. Während Zumalacarregui, überall angreifend, überall siegreich, die Colonnen der Christinos vernichtet, ihre Massen zurückgewiesen, das Land nach Wegnahme aller festen Anhaltspunkte ihnen geschlossen hatte, werden seine Krieger später selbst in den ihnen ganz ergebenen Provinzen bedroht und angegriffen und statt kräftiger Offensive auf nie entscheidenden Vertheidigungskrieg beschränkt. Die Carlisten, da sie anfangs ohne Waffen, ohne Material und ohne Organisation die an Zahl unendlich überlegenen und mit allem der neueren Kriegskunst Nothwendigen im Überfluß versehenen Feinde verachten durften, sehen wir in den letzten Jahren mit Erstaunen die festen Positionen und die Forts, nicht selten ohne Kampf, verlieren, durch die ihnen der Eintritt in die benachbarten Gebiete des Feindes offen steht, und die ihm ihre eigenen Thäler verschließen. Und doch liefern ihnen nun ausgezeichnete Fabriken das sonst Fehlende; doch übertreffen sie, von erfahrenen Führern disciplinirt, schon ihre Gegner eben so an Kriegszucht, wie früher an Unerschrockenheit, und das Terrain, stets den Carlisten verbündet, stellt dem angreifenden Feinde seine furchtbaren Hindernisse entgegen! Zur richtigen Würdigung der Ursachen, welche jene so verschiedenen Resultate erzeugten, werde ich darthun, wie es möglich war, daß die Carlisten überall, wo sie bedeutendere Corps bildeten, so große Vortheile davon trugen; und welche Gründe dann den Stillstand nothwendig nach sich ziehen und die Vertheidiger Carls V. von Stufe zu Stufe völligem Untergange zuführen mußten. Die Hauptursache der Überlegenheit der früheren carlistischen Truppen beruht ohne Zweifel in dem Charakter und den Neigungen des spanischen Volkes, welche seine Art, den Krieg zu führen, von der aller andern europäischen Nationen wesentlich verschieden machen. Wie Spanien, von dem übrigen Europa durch die Pyrenäen-Kette geschieden, geographisch durch Lage, Clima und Produkte mehr Afrika angehört, so hat auch der Spanier in jeder Hinsicht größere Ähnlichkeit mit dem Morgenländer als mit Europa’s Völkern. Innige, achthundert Jahre lang dauernde Verschmelzung mit den durch muhamedanischen Enthusiasmus nach allen Weltgegenden fortgeschleuderten Arabern nährte in den Bewohnern der meisten Provinzen solche Hinneigung, die in ihrem Äußern, ihren Vorzügen, Leidenschaften, Sitten und Gebräuchen hervortritt, welche mit denen der Bewohner Nordafrika’s und des südwestlichen Asiens übereinstimmen. In Nichts ist jedoch die Ähnlichkeit der Spanier mit den Morgenländern so auffallend wie in ihrer Kriegesart. Der Europäer kämpft in geschlossenen Massen, er sucht seine Stärke in der Vereinigung, er tritt seinem Gegner offen und fest gegenüber und thut keinen Schritt rückwärts, ohne von seinen Chefs dazu befehligt zu sein; ihm ist der Einzelne Nichts: im unbedingten Gehorsam, im nie schwankenden Zusammenwirken Aller weiß er das Element des Sieges zu finden. Diese Art zu kriegen hat den Heeren Europa’s die Überlegenheit gegeben, welche sie seit Jahrtausenden gegen die zahllosen Schwärme der Asiaten gelten machen. Diese fechten dagegen in langen aufgelöseten Reihen, sie brausen heran zum wilden Sturme und prallen zurück, um wieder zu gleichem Versuche vorzudringen; mehr vertrauen sie der persönlichen Gewandtheit und Kraft als des Führers weisen Anordnungen. Von dem Augenblicke an, in dem er die Seinen zum Kampfe führt, ist der Feldherr Soldat, welcher, der Leitung seiner Leute beraubt, nur noch durch individuelle Bravour vor ihnen hervorsticht und von ihrem Muthe den Sieg hoffen muß. So der Spanier. Er ist der schlechteste Liniensoldat von der Welt; aber für den kleinen, den Guerrilla-Krieg entwickelt er die höchsten Talente und wahrhaft bewundernswürdige Eigenschaften. So wie er einer militairischen Organisation und kriegerischer Disciplin unterworfen wird, scheint er in eine Zwangsjacke gesteckt, die an jeder Bewegung ihn hindert und ihm alle Fähigkeit zum Handeln nimmt: er bedarf langer Zeit, um mit der seiner Natur so ganz widerstrebenden Lage in Etwas sich vertraut zu machen. Sieht er sich aber in selbstständigerer Stellung, die aus bloßer Maschine zum denkenden und unabhängig handelnden Wesen zu werden ihm gestattet, da treten alle die Eigenschaften, welche besonders im Gebirgskriege die Überlegenheit sichern, im höchsten Grade bei ihm hervor; er ist scharfsinnig, schlau, thätig, gewandt und unermüdlich in der Ertragung von Beschwerden und Entbehrungen. Der Spanier ist, wenn er vom Enthusiasmus getrieben wird, augenblicklich sehr brav. Aber den kalten, Tod verachtenden Muth, die unerschütterliche Festigkeit, die den guten Liniensoldaten auszeichnen und ein Erbtheil der Völker von deutschem und slavischem Ursprunge sind, solchen herrlichen Muth kann der Spanier nie sich zu eigen machen. Um über die Ereignisse der Kriege, die in diesem Jahrhundert die Halbinsel verwüstet haben, ein Urtheil fällen zu können, ist es durchaus nothwendig, den spanischen Guerrillero zu studiren, mit allen seinen Verhältnissen sich vertraut zu machen und in seine Ideen, Gefühle und Vorurtheile selbst sich hineinzudenken. Sonst wird, wer mit militairischem Auge die Geschichte jener Ereignisse betrachtet, nur unerklärbare Widersprüche und stetes Abweichen von Allem finden, was die Erfahrung von Jahrhunderten als unwandelbar hinstellt. Der Spanier geht nur auf reelle Vortheile aus: die Ehre des Sieges wie die Schande einer Niederlage sind ihm Worte ohne Bedeutung, die, kämen sie ihm ja einmal zu Ohren, gar keinen Eindruck auf ihn machen würden. Nein; hat er im Gefechte einen größeren Verlust dem Feinde verursacht, als er selbst ihn erlitt, so wird er des errungenen Vortheiles stolz sich rühmen, sollte er auch fliehend die feindliche Überlegenheit haben anerkennen müssen. Die schönste That ist ihm, hinter einem Felsen versteckt dem sorglos vorüberziehenden Gegner die tödtliche Kugel zu senden und entdeckt durch eilige Flucht den Kampf zu vermeiden, in welchem schon die Chancen gleich sein würden; nie hält er sich für besiegt, wenn er am Tage nach der Schlacht die Stellung, den Punkt, von welchem er in ihr vertrieben wurde, hinter des Feindes Rücken wieder inne hat; daher verliert er auch durch keinen Unfall den Muth, und das beliebte ~no importa~ setzt ihn über Alles hinweg, was dem geregelten Heere ein unwiederbringlicher Verlust wäre. Seine Kriegskunst besteht weit mehr in gewandtem Fliehen, in sorgfältiger Vermeidung des Zusammentreffens, wo irgend Gleichheit der Kräfte Statt findet, und in der Benutzung jedes Vortheils, den List und genauere Kenntniß des Terrains ihm bieten, als darin, entscheidende Schläge vorzubereiten und auszuführen, durch die im geregelten Kriege der Militair sein Ziel erreicht. Von Plänen, Regeln und allen den sonst unvermeidlich gehaltenen Rücksichten weiß der Guerrillero natürlich Nichts: das augenblickliche Bedürfniß und die Laune entscheiden Alles, während seine einzige Sorge ist, nie aus dem ihm vollkommen bekannten Terrain sich zu entfernen, wenn er auch dadurch sonstige Vortheile opfern müßte. Diese Art nun, den Krieg zu führen, ist diejenige, welche die Vertheidiger Carls V. allenthalben adoptirten, wo sie gegen die Usurpation in die Waffen traten; und ihr zuerst verdankten sie die Siege, welche sie über die in die Formen europäischer Organisation und Zucht gezwängten Christinos davontrugen. Dennoch wären sie unmöglich gewesen, wenn jene Guerrilleros nicht in der Configuration des Terrains, dem zweiten Grunde ihrer Fortschritte, eine so unermeßliche Unterstützung gefunden hätten. Ganz Spanien ist von Gebirgsketten durchzogen, die mannigfach verzweigt viele rauhe, unzugängliche Knoten und einzelne Hoch-Plateaus bilden, selten aber Ebenen zulassen, von denen nur in Castilien und Andalusien einige existiren. Vor den andern Provinzen zeichnen die baskischen und Catalonien, dann der Centralpunkt von Valencia, Unter-Aragon und Catalonien südlich vom Ebro durch die Schroffheit der Gebirgsformen und die Unzugänglichkeit ihrer Thäler sich aus, weshalb denn auch sie die Haupt-Schauplätze carlistischer Macht wurden. In Vizcaya, Guipuzcoa und der nordwestlichen Hälfte Navarra’s sind die Züge des Gebirges, seine Biegungen und Äste so in und durch einander geschlungen, daß es dem geübtesten Auge schwer wird, die allgemeinen Gesetze zu erkennen, welche dem ganzen System doch zum Grunde liegen müssen: alles scheint eine wilde Masse ungeheurer Felsblöcke, die ohne Ordnung und Regel über einander gehäuft sind. Von der Hochebene Alava’s fällt plötzlich das Terrain nach Vizcaya und Guipuzcoa zu hinab und bildet bis zum Meere eine stark abgedachte schiefe Fläche, wodurch die Zerrissenheit des Landes, die verderbliche Wildheit der Gewässer, die Erschwerung der Communicationen, endlich die hohen und steilen Meeresufer herbeigeführt werden. Dadurch wird auch die Schwierigkeit aller Operationen erklärbar, die von Alava aus in das Innere der Provinzen unternommen wurden, da, wer von Vitoria nach Vizcaya vordrang, in einen Kessel hinabstieg, aus dem stets die Rückkehr sehr mißlich und bei einiger Thätigkeit und Einsicht des Feindes verderblich sein mußte. Die Verbindungswege zwischen den einzelnen Thälern dieses Gebirgslandes folgen meistens dem Laufe der Flüsse, die in weiten Windungen durch unabsehbar tiefe Schluchten sich Bahn gebrochen haben; sonst ist die Communication, eben so gefährlich, nur über die scheidenden Bergrücken möglich. Da verzögern furchtbare Defilées, durch die nur Mann hinter Mann fortschreiten kann, oft Tage lang den Marsch der Colonnen, und kaum drängt ein beladenes Saumthier durch die beengenden Felswände sich hindurch. Dazu kommt, daß die hohen, großentheils mit dichten Waldungen bedeckten Gebirge eine ungeheure Menge Feuchtigkeit absondern und heranziehen, die sich in heftige, lange dauernde Regengüsse auflöset. Dann schwellen selbst unbedeutende Bäche zu Strömen an, die Alles mit sich fortreißen, die Brücken zerstören, die Wege auf weite Strecken überschwemmen und für den Augenblick die Passage ganz hemmen. Trefflich wußten die Basken die Vortheile, welche solche Terrain-Gestaltung ihnen darbot, im Kampfe gegen Christino’s Armeen geltend zu machen, während ihr großer Führer eben so mit hohem Talente die geometrische Gestalt des Kriegsschauplatzes benutzte. Er bildet nämlich einen Kreis, dessen Centrum, jene unnehmbare Bergfeste, in der Gewalt der Carlisten war; die Christinos hielten, als sie aus dem Innern vertrieben waren, rings die Peripherie inne, suchten in ihr die Feinde vom Vordringen nach den andern Provinzen abzuhalten und von dort aus wieder ihre Herrschaft gegen das verlorene Centrum auszudehnen. Die oberflächlichsten militairischen Kenntnisse reichen hin, um auf den ersten Blick das Übergewicht dessen fühlen zu machen, der dieses Centrum inne hat. Ihm ist stets die Sehne offen, während der Feind dem weit schweifenden Bogen zu folgen genöthigt ist; er hat seine Communicationen, einen der großen Hauptnerven des Krieges, kurz und gesichert, da es ihm immer leicht ist, sich auf die an und für sich schon bedeutend längeren des Feindes zu werfen, sie zu unterbrechen und abzuschneiden. Wie herrlich kann der Feldherr in solcher Lage seine strategischen Talente glänzen lassen, wenn ein Terrain, wie das der baskischen Provinzen, ihn begünstigt, und wenn seine Soldaten der Eigenschaften jener Gebirgsbewohner sich rühmen können! Zumalacarregui hatte ganz den Geist des Krieges begriffen, der allein dort Sieg geben konnte und, mit Kraft befolgt, ihn sicherte. Irgend einen Punkt der feindlichen Linien bedrohend eilte er auf dem kürzesten Wege nach dem entgegengesetzten Theile des Kriegstheaters, führte den scharf berechneten Schlag aus und stand schon wieder auf seinem früherem Posten, ehe der Feind die Nachricht des Geschehenen erhielt oder seine Abwesenheit benutzen konnte. Er vermied die Heere der Christinos im ungünstigen Terrain, lockte sie listig in die Schluchten des Gebirges, um dort, da ihre Überlegenheit ihnen unnütz wurde, von allen Seiten über sie herzufallen, und begleitete sie harcelirend auf dem Rückzuge, wie er beim Vordringen derselben nicht selten ihren Vor- und Nachtrab zugleich bildete. Überlegenen Colonnen ausweichend, stürzte er sich auf die schwächeren; er schob sich zwischen die verschiedenen Heerhaufen, isolirt sie zu schlagen; er interceptirte die Verbindung, fing die Convoye auf und nöthigte durch unaufhörliche Verluste zum Aufgeben der Vortheile, die seine Schwäche augenblicklich einzuräumen ihn etwa veranlaßt hatte. Nicht aufgehalten durch Artillerie, Magazine, Bagage und alle die endlosen Impedimenta der geregelten Armeen konnte er mit Leichtigkeit unter allen Umständen und in jedem Terrain operiren, erschien auf Punkten, von denen man ihn viele Meilen entfernt glaubte, und überraschte den Feind häufig durch Märsche, die in Rücksicht auf Schnelligkeit und Terrain unmöglich scheinen würden. Freilich konnte Zumalacarregui solche Wunder nur mit Kriegern, wie er sie befehligte, ausführen, Söhnen des Gebirges, die Tage lang ohne Ermüdung die steilen Bergpfade auf- und abklimmten und leicht wie die Gemsen über Felsen und Abgründe hinsprangen, denen endlich, da sie jede Schlucht und jeden Weg kannten, Tag und Nacht gleichgültig waren für den Marsch wie für das Gefecht. Auch in Bewaffnung und Gepäck hatten diese Soldaten Viel vor ihren schwerfälligen Gegnern voraus. Während die Christinos das beschwerliche Lederzeug, den Säbel, den vollgepackten Tornister und den Czako schleppten, hatte der Carlist seine leichte Patrontasche um den Leib geschnallt, sein Gepäck bestand in einem leinenen Beutel zur Aufnahme des reinen Hemdes und der Rationen, und die wollene Decke, welche er über die Schulter herabhängend trug, diente zugleich als Haus und Bett und Mantel. Hatte der Soldat seine Rationen in Ordnung, so war es ihm dasselbe, auf einem Felsen wie unter Dach auszuruhen, und oftmals brachten Bataillone ganze Monate in den Gebirgen zu, ohne ein Haus zu betreten. Wenn nun die angegebenen Ursachen die Fortschritte der Royalisten zum Theil erklären, darf nicht verkannt werden, daß sie dennoch schwerlich der Übermacht auf die Dauer widerstanden hätten, wenn nicht der Geist des ganz ihnen ergebenen Volkes trefflich sie unterstützt hätte. In allen Provinzen, in denen die carlistische Macht blühete, hat das Volk Viel gethan und Viel geopfert, aber nirgends wie in den baskischen Provinzen und Navarra; freilich war auch nicht wie hier das materielle Interesse der Bewohner so eng an den Ausgang des Kampfes geknüpft. Drangen die Christinos in das Innere des aufgestandenen Landes vor, so fanden sie die Häuser, die Dörfer verlassen; alles Werthvolle, Alles, was irgend den Eindringlingen nützen konnte, war in die wildesten Theile des Gebirges gerettet, und der erschöpfte Soldat, wenn er gehofft hatte, nach des Tages Gefahr und Mühe in der Ruhe der Nacht sich zu erholen, sah die leeren Mauern der Häuser vor sich, mußte die Thüren aufbrechen und mit dem sich begnügen, was er im Tornister hergetragen hatte. Das Resultat war, daß bei ihrem Abzuge nicht selten die Wohnungen in Flammen aufloderten, wodurch denn die Abneigung der Bauern in Haß und wilde Rachsucht sich umwandelte. Da wurden die Divisionen durch die Landbewohner von Dorf zu Dorf mit Flintenschüssen escortirt, und der Arbeiter, der, ruhig am Wege mit der Hacke beschäftigt, sie vorüberziehen sah, griff nach dem versteckten Gewehr, um in die letzte Compagnie hineinzuschießen und mit einem Sprunge hinter den Felsen zu verschwinden; die Vorposten waren während der Nacht in beständigem Allarm und wurden oft, das Herz vom Messer durchbohrt, todt niedergestreckt gefunden, während der Unglückliche, welcher wenige hundert Schritt von den Marsch-Colonnen sich zu entfernen wagte, unter furchtbaren Martern von den Wüthenden hingeopfert wurde. Und fand sich etwa ein Bauer, der, unter die Christinos sich mischend, Erfrischungen zum Kauf bot oder, wie durch Zufall aufgegriffen, eine Zeit lang als Führer diente, so war er gewiß ein Spion, der bei der ersten Gelegenheit entschlüpfte, das Erforschte seinen Landsleuten, seinen Vertheidigern zu überbringen. Der carlistische Krieger aber fand immer Schutz und Hülfe bei den Basken. Einzeln durchstreifte er mit Sicherheit die ganzen Provinzen und war gewiß, überall freudig aufgenommen, mit allem Nöthigen versehen und selbst, wo Gefahr drohete, von den Wirthen versteckt zu werden, die sich selbst geopfert hätten, um ihn dadurch zu retten. Befanden sich unsere Truppen in den Gebirgen, so eilten die Landleute von allen Seiten mit Lebensmitteln und Erquickungen herbei, ja im Beginn des Krieges, da die Städte sämmtlich im Besitze der Constitutionellen waren, führten nicht selten die Bewohner der feindlichen Festungen das von dem sorglosen Soldaten gekaufte oder geraubte Pulver und Blei den Freiwilligen zu, die Mangel daran litten. Die Basken boten während der ersten Jahre des Krieges das herrliche Schauspiel eines Volkes, das, um den gemeinschaftlichen National-Zweck zu erreichen, die individuellen Interessen ganz bei Seite setzt. In keiner Hinsicht war die Zuneigung des Volkes so wichtig für die Carlisten wie in Bezug auf die Nachrichten. Die Gebirgsbewohner erspäheten von ihren Höhen hinab jede Bewegung der Feinde in der Ebene, und die Feuer, längs den Gipfeln im Augenblicke Stunden weit hinleuchtend, verkündeten, ob und in welcher Richtung die Truppen aus ihren Stellungen aufbrachen. So wie die Colonnen das carlistische Gebiet betraten, ward jedes Kind zum Kundschafter, die Worte der Generale selbst wurden in den Quartieren derselben sorgfältig erlauscht und sofort den nahe stehenden Freiwilligen überbracht, die, während sie stets treue Boten in Überfluß fanden, täglich Bauern erscheinen sahen, um ihnen die Depechen und Mittheilungen zu übergeben, welche Jenen unter Androhung von Todesstrafe vom christinoschen Befehlshaber für irgend einen andern feindlichen Posten anvertraut waren. Es ist einleuchtend, welchen unendlichen Einfluß auf den Krieg die obigen Umstände haben mußten; um aber ganz ihr Gewicht zu fühlen, vergleiche man die beiden Perioden, während deren Mina, der berühmte Guerrilla-Chef, in eben diesen Provinzen das Commando führte, und sehe, was er in denselben Verhältnissen ausrichtete, da er das erste Mal sie ganz benutzen konnte, dann aber selbst sie bekämpfen sollte. Ein Bauer erhob sich Mina zum Streite für die Unabhängigkeit des Vaterlandes; da wagte er, gestützt auf die Beschaffenheit des Terrains, den Geist seiner Krieger und die Liebe des Volkes, mit wenigen Tausenden, die er gesammelt hatte, den Heeren Napoleon’s zu trotzen, und schlug unzählige Male mit seinen Bauern die glänzend organisirten kaiserlichen Truppen. Verfolgt von mehreren der besten Generale Frankreichs, ohne Festung oder Anhaltspunkt, vereitelte er alle Pläne und Anstrengungen der Gegner, stand nach einzelnen Niederlagen stets furchtbarer wieder da, machte Einfälle tief in die Provinzen jenseit der Pyrenäen und konnte bei Beendigung des Krieges sich rühmen, den Franzosen einen Verlust von mehr denn 50000 Mann beigebracht zu haben, während seine ganze Macht selten zu 8000 Mann stieg. -- Eben dieser General sah sich später an der Spitze eines zahlreichen, gut geregelten Heeres auf dem Theater seiner früheren Triumphe; gegen ihn standen wieder einige tausend Bauern, wie damals er sie befehligt hatte. Sein Auftrag war, das Land zu unterwerfen, für dessen Befreiung er einst sich erhoben hatte. Da wurden seine Colonnen geschlagen, seine Festungen genommen, seine Angriffe zurückgewiesen, bis der alte Guerillero mißmüthig das Commando niederlegte, da er den Erfolg als unmöglich erkannte. * * * * * Noch bleiben zwei Umstände zu berücksichtigen, welche zu Gunsten der Carlisten großes Gewicht in die Wagschale legten: die Nähe der französischen Gränze und die Einheit im Commando im Gegensatz zu der durch mancherlei Rücksichten bedingten Kriegführung der Christinos. Wenn gleich das französische Gouvernement die Einfuhr von Kriegsartikeln auf das strengste untersagte und dem Anscheine nach sie zu verhindern strebte, wenn Douaniers, Gensdarmen und Militair-Posten, längs der Gränze aufgestellt, mit Geräusch die Absichten ihrer Regierung gegen die Carlisten verkündeten, bezogen diese doch offen von dort her, was sie nur bedurften, und die Schließung des Verkehrs war nur während weniger Monate so wirksam, daß Verlegenheiten in den Provinzen daraus zu entstehen drohten. Nicht nur wurden alle Arten von Lebensmitteln eingeführt, so unentbehrlich wegen der Anhäufung von Consumenten bei der durch Mangel an Händen verhältnißmäßig verminderter Production; auch die zur Ausrüstung der Truppen nöthigen Stoffe, das Schuhwerk und die Baretts wurden fast ausschließlich aus Frankreich erhalten, und wenn die Bataillone nicht immer vollständig gekleidet waren, so lag dieses nicht sowohl an den Ausfuhr-Verboten Ludwig Philipp’s, als an dem traurigen Geldmangel, der so oft in der Armee fühlbar ward. Viele Waffen und ungeheure Transporte von Salpeter zur Fabrication des Pulvers wurden herübergeschmuggelt und selbst die Pferde der Cavallerie waren mit seltener Ausnahme französische, die von dem deshalb in Bayonne angelegten Depot ergänzt wurden. Ja, die Liberalen Spanien’s irrten nicht, wenn sie häufig die Hülfsquellen, welche Don Carlos in dem nahen Frankreich fand, als einen Hauptgrund für die Dauer des Krieges bezeichneten, und ich darf ohne Furcht vor Übertreibung sagen, daß derselbe schnell und anders entschieden wäre, wenn die Provinzen, die der Schauplatz der Thaten Cabrera’s wurden, in ähnlicher Lage gewesen wären. Eine andere große Quelle der Macht fand Zumalacarregui, wie die Führer der andern carlistischen Aufstände, in der Art, wie er über sein Heer und über alle Ressourcen frei verfügen konnte. Die Revolutions-Generale hatten stets tausend verschiedene Rücksichten zu beachten: ihre politischen Meinungen und Pläne hatten mehr Einfluß auf die Operationen, als die Gelegenheit, welche die kriegerischen Ereignisse darbieten mochten; der Wunsch, einer oder der andern Parthei das Übergewicht zu geben, ein Ministerium zu stürzen oder zu befestigen, veranlaßte sie zu Unternehmungen, die sie zu anderer Zeit unter günstigeren Verhältnissen durchgeführt hätten, oder vermochte sie unthätig zu bleiben, wo sicherer Erfolg ihnen winkte. Und was vermag nicht, wo Revolutionen das Volk aufregen, die öffentliche Meinung, so gefürchtet selbst von den Leitern der verblendeten Massen; welche Macht besitzt nicht die Presse, die zügellos Alles zu beurtheilen sich anmaßet und zur Beförderung der niedrigsten Zwecke sich mißbrauchen läßt! Christina’s Feldherren hatten Viel zu berücksichtigen, Vielen zu genügen. Während in der royalistischen Armee König und Minister im Lager waren, so daß das nützlich Erkannte ohne Zögern beschlossen und ausgeführt wurde, mußten sie die Instructionen von der entfernten Residenz her erwarten, Lebensmittel, Kleidung, Geld fehlten fast immer, die Operationen auf das entscheidendste lähmend, und die Minister in Madrid waren nicht immer bedacht, der Nothdurft und damit der Gefahr rasch abzuhelfen. In der carlistischen Armee dagegen waren Aller Kräfte auf den einen Punkt, die Betreibung des Krieges und die Beförderung des großen allgemeinen Zweckes, des Sieges, gerichtet. So wie der General den Plan entworfen, konnte er auch Hand an die Ausführung legen, und die Civil-Verwaltung, deren Functionen fast darauf beschränkt blieben, war thätig bemüht, die Mittel herbeizuschaffen, die das Gelingen erleichtern konnten. * * * * * Character und Kriegsart des Volkes, die Eigenschaften des Terrains und der Geist seiner Bewohner, die Nähe der Gränze, die Verhältnisse endlich, unter denen die Anführer der sich entgegenstehenden Armeen befehligten, erleichterten die ursprünglichen Fortschritte der Carlisten. Ich gehe zu den Umständen über, durch die das Aufhören jener Fortschritte bedingt und der endliche Ruin der Sache Carls V. eingeleitet ward. Zumalacarregui, der große Schöpfer und Führer des baskisch-carlistischen Heeres starb vor Bilbao; mit seinem Tode begann das Sinken der Parthei, die er so erfolgreich vertheidigt hatte. Mit festem, eisernem Willen begabt, gefürchtet zugleich und angebetet wußte er alle Mittel, alle Anstrengungen seines Vaterlandes dem einen großen Ziele zuzuwenden und vereinigte die widerstreitendsten Interessen für den einzigen Punkt, den Kampf. Mit Stolz sahen die Basken auf den Basken, der so oft ihre Söhne zum Siege geführt; sie fanden ihre Größe in der seinigen, sahen in seinem Ruhme den Ruhm des baskischen Namens und opferten, da ein Landsmann sie dazu aufforderte, freudig Alles, was sie jedem Andern versagt hätten. Und Zumalacarregui verstand diese Stimmung trefflich zu nutzen, wie er die dadurch ihm gebotenen Mittel in seiner Hand unerschöpflich zu machen wußte. Ein Wort von ihm reichte hin, seine kräftigen Freiwilligen zur Ertragung der äußersten Beschwerden anzuspornen, seine Gegenwart beseelte sie mit dem Vertrauen, welches der sicherste Bürge des Sieges ist. Sein Talent, dem Unbedeutenden und dem Größten gleich gewachsen, umfaßte Alles, rastloser Eifer und unermüdliche Thätigkeit vervielfältigten seine Hülfsmittel und nöthigten die untergeordneten Führer zur gleichen Anspannung ihrer Kräfte, da sein Scharfblick ihnen rasche Entdeckung verhieß, der die Strafe unerbittlich auf dem Fuße folgte. Unbeugsam und durchgreifend gab er nie der Intrigue Gehör und verschmähete den Weihrauch, welchen die Schmeichelei zur Erreichung ihrer selbstischen Zwecke ihm darzubieten eilte; Gerechtigkeit -- und sie in ihrer höchsten Strenge -- war der einzige Leitstern seiner Handlungen, Verdienst das einzige Recht auf Belohnung. Nur seinem Gotte und seinem Könige Rechenschaft schuldig, wirkte er stets mit der Entschiedenheit und Standhaftigkeit, die das Bewußtsein seines erhabenen Zieles und das Gefühl inwohnender Fähigkeit und Kraft ihm einflößen mußten. Der Tod eines solchen Mannes mußte die unheilvollsten Folgen nach sich ziehen. Neid und Intrigue begannen sofort ihr jämmerliches Spiel, und ehe noch die Geister von der Betäubung sich erholt, die der unerwartete Schlag verbreitet hatte, erhoben sich bittere Streitigkeiten um die Nachfolge des Helden. Niemand bedachte, daß es doppelt schwer wurde, nach ihm das Commando zu führen. Moreno übernahm den Heerbefehl, ausgezeichnet durch hohe Talente, aber ohne die Eigenschaften, welche in solchem Kriege vor allen andern den Sieg sichern. Die Männer, welche nach einander an die Spitze der Armee traten, besaßen weder die Energie, die früher so Viel vermocht, noch wußten sie die Popularität sich zu erwerben, deren Zumalacarregui genossen hatte; mehrere unter ihnen, so wie sehr viele der andern Generale gehörten andern Provinzen Spanien’s an. Die Basken und Navarresen sind gewohnt, einen Jeden, der nicht ihr Landsmann ist, als Fremden zu betrachten, ja als Feind, der ihren Interessen natürlich abgeneigt ist; sie konnten daher nur mit Widerwillen von diesen Fremdlingen sich befehligt und in ihre Hand das Geschick des Landes gelegt sehen. Die Eifersucht that sich bei jeder Gelegenheit kund und dehnte sich bald auch auf die Bataillone aus, welche aus Castilianern, wie sie alle Nichtbasken bezeichnen, gebildet waren: Streitigkeiten und blutige Händel, nicht immer durch strenge Kriegszucht verhütet, waren die traurigen Folgen. Uneinigkeit, die ja stets von Schwäche begleitet ist, nahm im carlistischen Heere unter Anführern und Truppen täglich mehr überhand; Mißtrauen und böser Wille entsprangen rasch aus solcher Wurzel. Schon war dieses Heer auch nicht mehr aus den alten, von Vaterlandsliebe und Begeisterung getriebenen Freiwilligen zusammengesetzt, die im Beginn des Krieges so manchen Sieg erkämpft hatten. Die Bataillone, wie sie zusammenschmolzen oder neu gebildet werden sollten, wurden großentheils durch Rekruten ergänzt, die, kaum aus dem Knabenalter getreten, mit Gewalt dem väterlichen Heerde entrissen und dem Feinde entgegengeführt waren, so daß in vielen bedeutenden Ortschaften nicht ein einziger unverheiratheter Mann über siebenzehn Jahren sich fand. Diese Conscribirten wurden häufig nur durch Zwang und durch die Furcht vor den Folgen, welche die Desertion für ihre Verwandten nach sich zog, in den Reihen zurückgehalten, da sie die Eltern und Schwestern derer, die sich verleiten ließen, in Frankreich Schutz gegen die Aushebungen der beiden kämpfenden Partheien zu suchen, Jahre lang im Kerker schmachten, ihre Güter eingezogen und verkauft sahen. Wenn auch die Unerschrockenheit, die den Basken nie verläßt, ihn, wenn er einmal Soldat, zum braven Soldaten machte, konnte doch solchen Kriegern nie der Enthusiasmus eingeimpft werden, der die ersten Vertheidiger Carls V. unwiderstehlich machte. Sie wurden täglich lauer, sie benutzten gern jede Gelegenheit, die sich bieten mochte, um auf einige Zeit die Gefahren und Mühen des Feldzuges gegen die Ruhe eines Hospitals oder die lockenden Freuden des väterlichen Hauses zu vertauschen, und des hohen Preises vergessend, der durch den Krieg errungen werden mußte, gewöhnten sie sich, nur als Übel ihn zu betrachten. Und an diesen Gefühlen nahm bald auch der friedliche Bewohner Theil. Wiewohl stets den Gesinnungen treu, die bei dem Beginne des Aufstandes seinen Söhnen die Waffen in die Hände gab, empfand der Bauer doch zu schwer das Gewicht des langjährigen Krieges, als daß er nicht das Ende desselben mit Sehnsucht herbeiwünschen sollte; ja er hätte wohl, um nur Frieden zu erlangen, einen Theil der Ansprüche aufgegeben, für die er einst bereitwillig Alles opfern wollte. In der That war die Lage der Bewohner des Kriegsschauplatzes verzweifelt. Noch hatte der Bauer die Erndte nicht eingesammelt, wenn schon übermäßige Forderungen an ihn gerichtet waren, die stets wiederholt, bis er Alles hingegeben hatte, zu traurigstem Elende ihn verdammten, ihm oft selbst das für die nächste Aussaat Nöthige raubten. Das Vieh, sonst der Reichthum dieser Provinzen, ward aufgezehrt, der Handel und die Contrebande, unerschöpfliche Quellen ihres Wohlstandes, existirten nicht mehr; der Ackerbau sank zusehends, da die Zahl des Viehes so gering wurde, und mehr noch aus Mangel an Arbeitern, der es dahin brachte, daß allgemein die Mädchen und Frauen das Land bestellten, da die Männer den Pflug mit dem Gewehre hatten vertauschen müssen. Zugleich wurden den Bauern Leinen und Betten für Hospitale und Casernen abgenommen und oft mit, leider unvermeidlicher, Härte eingetrieben, während sie selbst an Festungswerken zu arbeiten, mit ihren Maulthieren den Truppen zu folgen oder gar, bei Belagerungen in der Tranchee arbeitend, ihr Leben auszusetzen genöthigt waren. So ist es nicht zu bewundern, wenn das Volk im Allgemeinen überdrüssig wurde und dem Kriege abgeneigt zu werden begann, der seit so langer Zeit es niederdrückte, ohne durch bedeutende Erfolge, wie in der ersten Epoche, seiner Nationaleitelkeit zu schmeicheln und die Hoffnung auf baldige glückliche Beendigung dieses Zustandes zu beleben. Für den General aber und die Verwaltungsbehörden wurde es täglich schwieriger, alle die Bedürfnisse herbeizuschaffen, ohne welche Kriegführung unmöglich ist, hauptsächlich Kleidung und Mundvorräthe, so wie Sold. Das Land war, wie gesagt, erschöpft und wurde, täglich mehr ausgesogen, auch täglich unfähiger, das von ihm Geforderte zu leisten; daher mußte Alles aus der Fremde und zwar, da englische Kriegsschiffe die Seeküste blockirten, aus Frankreich bezogen werden. Das Geld nun wurde immer seltener, die Quellen, aus denen es früher geflossen, waren versiegt, und auch das Ausland machte stets größere Schwierigkeiten, Summen zu zahlen, die ganz ohne Erfolg weggeworfen schienen. Umsonst gab der König das Beispiel höchster Einfachheit und Entsagung, umsonst blieben die Truppen drei, vier Monate lang unbezahlt, ohne daß das geringste Murren ihre Unzufriedenheit verrathen hätte; die Verlegenheit des Schatzes wurde täglich dringender, und der Scharfsinn der carlistischen Agenten so wenig wie die Aufopferung einzelner ergebener Anhänger des Königs vermochte der immer erneuerten Noth abzuhelfen. * * * * * Noch muß ich einen Grund erörtern, der Viel dazu beitrug, die Basken an der Verfolgung der anfänglich errungenen Vortheile zu hindern, wiewohl er auf den ersten Blick diese nur befördern zu können scheint; es ist die Methode, welche bald nach Zumalacarregui’s Tode adoptirt wurde, Expeditionen über den Ebro hinaus nach den übrigen Provinzen der Monarchie zu entsenden. Solche Expeditionen konnten ohne Zweifel von höchstem Interesse werden und auf die Beendigung des Krieges entscheidend einwirken, wenn sie gehörig basirt und combinirt waren, anstatt daß sie ganz ohne Anhaltspunkt und auf die unbedeutenden Hülfsmittel beschränkt, die sie mit sich führen mochten, in die Mitte der feindlichen Massen geschickt wurden. Sie zersplitterten so unendlich die Macht der Carlisten, schwächten ihr Hauptheer, setzten alle ruhenden Kräfte der Christinos in Bewegung, ohne angemessenes Gegengewicht zu schaffen, und hatten selbst mit ganz unüberwindlichen Hindernissen und Schwierigkeiten zu kämpfen, so daß zu bewundern ist, wie irgend eines der dazu bestimmten Corps der Vernichtung entgehen und vorübergehend glänzende Erfolge davontragen konnte. Da diese Züge, oft an Kühnheit und Gewandtheit hervorstechend, höchst interessante Episoden des Krieges bilden, ist es natürlich wünschenswerth, ihre Verhältnisse etwas näher zu betrachten. Seit dem Augenblicke, in dem die Expedition die Nordprovinzen verließ, gab sie alle die Vortheile auf, welche sie in jenem Terrain über den Feind hatte, und mußte ihm selbst einen Theil derselben einräumen, ohne die Verhältnisse für sich zu haben, durch welche die Christinos in Stand gesetzt wurden, dem widrigen Einflusse häufig sich zu entziehen. Sie wird alsbald von Colonnen verfolgt, deren jede an Zahl ihr überlegen ist und täglich verstärkt wird, da die Elemente, welche bisher unthätig ruheten, nun alle zur Bekämpfung der eingedrungenen Feinde ins Leben treten und gegen sie sich vereinigen. Das Terrain, dessen Kenntniß in solchem Kriege mehr als je von Wichtigkeit, ist natürlich dem General unbekannt, (denn Karten so wie Instrumente fanden sich gewöhnlich gar nicht und wurden verachtet); während die Christinos, von der Bevölkerung zuweilen aus Sympathie, häufiger aus Furcht und Gewohnheit unterstützt, leicht überall die nöthigen Kenntnisse und Führer sich verschafften. Dabei ist die Expedition, um das ihr günstigere Terrain nicht aufzugeben wie mit Rücksicht auf die festen Orte des Feindes, gezwungen, den Biegungen und Verschlingungen der Gebirge zu folgen; ihr Verfolger dagegen, im Besitze von Anhaltspunkten, die alles Nothwendige ihm liefern, benutzt die kürzesten Linien und vermag mit geringer Anstrengung stets die Carlisten im Auge zu behalten. Von allen Seiten sieht das Expeditions-Corps von Feinden sich umgeben, die den passenden Augenblick erlauern, um über dasselbe herzufallen, und doch reichen seine Kräfte kaum hin, um gegen eine der Colonnen sich zu schlagen, die ihm entgegen operiren; unfähig mit Erfolg den Gegnern entgegen zu treten, ist es also verdammt, immer den Kampf zu vermeiden. Der Soldat verliert den Muth, er erschlafft, Desertion reißt ein, und die Krankheiten als natürliche Folge der unvermeidlichen, nie endenden Strapatzen nehmen überhand. Bald nimmt die Disciplin ab, oft trennen sich kleine Schaaren von der Masse und sinken zu Raubgesindel herab; wer aber einzeln zurückbleibt, ist verloren, denn die Nationalen, welche vor dem Einrücken der Truppen entflohen, um auf den Seiten und im Rücken sie zu begleiten, kennen kein Erbarmen: wer ihnen in die Hände fällt, wird niedergemacht, krank oder gesund, wehrlos wie nach bravster Vertheidigung. Dann wird es im Gebirge oft schwer, die nöthigen Subsistenz-Mittel herbeizuschaffen, und in den südlichen Provinzen ist es unmöglich, stets die Ebene zu vermeiden; so wie die Freiwilligen sie betreten, sehen sie die Cavallerie bereit, in sie einzuhauen, diese brave, unendlich überlegene Cavallerie, die auf dem Fuße ihnen folgte, den Moment erwartend, der sie zur Thätigkeit rief, und die, immer zu sehr gefürchtet, nun ihre ganze Gewalt entwickelt und Schrecken und Tod in die Reihen der geschwächten Bataillone trägt. Und sollte es nun gelingen, eine der verfolgenden Colonnen vereinzelt zu überraschen und zu schlagen, Bahn sich zu brechen, sind da jene Schwierigkeiten und Gefahren überwunden? An Benutzung des erfochtenen Sieges ist nicht zu denken, wenn nicht etwa für augenblicklich ungestörte Fortsetzung des Marsches; denn kaum wird die Blutarbeit vollendet sein, wenn schon andere Corps da sind, die Niederlage ihrer Gefährten unschädlich zu machen und den Rückzug derselben zu sichern. Die Expedition muß wieder fliehen; was wird da aus den Verwundeten, von denen der Sieger nicht frei sein wird, was wird aus allen Kranken? Die Unglücklichen müssen entweder ihrem Schicksale, dem mehr als Tod gefürchteten Elend in der Liberalen Gefangenschaft, überlassen werden, oder sie erschweren und verzögern ins Unendliche jede Bewegung, wo keine Minute ungestraft verloren wird. Zugleich sollen die Munitionen ersetzt werden, eine andere unübersteigliche Schwierigkeit. So setzt also der Sieg, anstatt das Corps zu retten, nur neuen Verlegenheiten es aus, denen es fortwährend geschwächt endlich unterliegen muß. Kann aber solch eine kleine, isolirte Division, wenn sie irgend thätig und geschickt verfolgt wird, die Zwecke erreichen, um die es von der Hauptarmee entsendet wurde? Ist es möglich, daß sie das feindliche Gebiet occupire und in ihm sich festsetze, daß sie die etwa vorhandenen Stoffe zum Aufstande anrege und die carlistisch gesinnten Bewohner ermuntere, mit den Vertheidigern der Legitimität sich zu vereinigen? Oder kann sie, wenn sie selbst auf so zweideutigen und die Aufopferung so vieler Braven nicht rechtfertigenden Zweck sich beschränken wollte, kann sie auch nur Vorräthe anhäufen, Contributionen erheben und Geiseln mit sich führen, um doch mit Beute beladen nach den Nordprovinzen zurückzukehren? Die Carlisten müssen stets fliehen; wie aber soll der Bewohner, so entschieden er in seiner Meinung sei, den Truppen sich anschließen, die er ohne Ruhe noch Rast gehetzt sieht? Das Vertrauen des Volkes muß unter solchen Verhältnissen eben so schwinden wie des Soldaten moralische Kraft, durch die doch vorzüglich die physische aufrecht erhalten wird. Der Soldat, welcher stets fliehet, ist nicht mehr Soldat; er wird zum Schatten seines Ichs, von jeder Gefahr aufgeschreckt und unfähig, ihr zu trotzen und den Beschwerden zu widerstehen, die sich auf ihn häufen. Mancher Führer, wenn er dies bedacht hätte, würde wohl vorgezogen haben, mit dem Schwerdte in der Hand Sieg oder Tod zu erkämpfen, ehe er das ihm anvertraute Corps auf schmachvolle Weise langsamer, aber sicherer vernichtet sähe. Ist die Expedition mit einiger Sachkenntniß verfolgt, so muß sie unterliegen, ohne ihren Zwecken entsprochen zu haben. Festsetzen kann sie sich nirgends; sie würde das Verderben, welches sie kaum vermieden, sofort auf sich ziehen; wie sollte sie aber, ohne sich festzusetzen, den Aufstand organisiren, die Provinzen beherrschen und dadurch zum Siege der guten Sache mitwirken? Sie vermag höchstens das Land zu durcheilen, hie und da Contributionen erhebend, die Mißgriffe des Feindes benutzend, um in irgend eine Stadt einzudringen, die sie bald wieder räumen muß, und den friedlichen Einwohnern nebst den Leiden und dem Jammer des Krieges Abscheu gegen diejenigen aufzwängend, welche so ohne Nutzen ganzen Provinzen Zerstörung bringen. Wenn man erwägt, was die Expeditionen gegen sich in die Wagschale gelegt sahen, kann man nicht umhin, erstaunt zu fragen: Wie ist es denn möglich, daß mehrere Expeditionen so glänzend ausfielen, daß sie der ihnen entgegengestellten Colonnen spotten oder gar sie aufreiben konnten; daß Gomez bis zu den reichen Ebenen Andalusien’s und Gibraltar’s Felsen die ganze Halbinsel durchziehen und, wenn er nichts Dauerndes gethan, doch an Zahl bedeutend verstärkt und mit mannigfachen Schätzen nach Vizcaya zurückkehren durfte? Wie stand Zariategui später als Herr von Castilien da, wie wurde Madrid wiederholt in Schrecken gesetzt? Unfähigkeit und Nachlässigkeit der christinoschen Anführer trug wohl noch mehr dazu bei, als die Geschicklichkeit der carlistischen Generale und die Bravour der Truppen, so hoch sie auch zu stellen ist. Und dann vermag das Glück, wie in allen menschlichen Dingen, auch im Kriege so Viel. Doch bleibt unzweifelhaft, daß, während die Expeditionen gut disponirt und vor Allem combinirt das Ende des Krieges herbeiführen mußten -- was gethan werden konnte, hat das Jahr 1837 in den Zügen des Königs mit Cabrera und Zariategui’s gezeigt, -- daß sie durch die Art ihrer Ausführung die carlistische Macht unendlich schwächten und, da sie der Hauptarmee ohne Ersatz viele Tausende ihrer besten Krieger raubten, sie unfähig machten, den früheren Siegeslauf fortzusetzen. Zu bewundern ist in der That, daß die feindlichen Feldherren, ihr Bestes ganz verkennend, den Abmarsch dieser, dem Untergange geweiheten Corps zu verhindern strebten, anstatt ihnen beim Vordringen goldene Brücken zu bauen, und nur der Rückkehr mit ganzer Kraft sich zu widersetzen. * * * * * Ich schließe diese Abschweifung, indem ich alle die Umstände, welche mächtig zum Verfall des seit dem Beginn des Bürgerkrieges so kräftig aufblühenden carlistischen Heeres beitrugen, zur Übersicht zusammenfasse. Die Berücksichtigung derselben erläutert manches sonst Dunkele und mag Vorurtheile berichtigen, die außerhalb Spanien gegen viele meiner ehemaligen Chefs und gegen meine Cameraden im Allgemeinen sich bildeten und bilden mußten. Sie sind vor Allem der +Tod des großen Zumalacarregui+ und die +Unzulänglichkeit+ seiner Nachfolger im Commando, wodurch der +Eifersucht+ und den bis dahin stummen +Intriguen+ der Kampfplatz geöffnet wurde; der Haß der Provinzen auf einander, der in schwächender +Uneinigkeit+ und +Unzufriedenheit+ sich kund gab; die +Erschöpfung+ des Landes und der +Überdruß+ der Bewohner nach so vieljährigem Dulden; der drückende +Geldmangel+; die +Elemente+, aus denen später die Truppen bestanden; endlich die +Expeditionen+. XIV. Seit der Rückkehr der Armee nach den Nordprovinzen waren mit dem lebhaftesten Eifer und Thätigkeit die Organisation und neue Ausrüstung der Bataillone betrieben, und ganz besonders wurde gearbeitet, die Corps von Castilien, bestimmt, schnell wieder den Ebro zu neuer Expedition zu passiren, auf den besten Fuß zu setzen. Die Truppen waren abgerissen und von Allem entblößt angelangt, weshalb die königlichen Fabriken mit nie gesehener Lebhaftigkeit mit der Anfertigung von Waffen und Munition beschäftigt wurden, während von Frankreich große Quantitäten Tuch, Schuhzeug, Schwefel und Salpeter so wie die zur Ergänzung der Escadronen nöthigen Pferde ankamen. Zugleich wurden die vielen aus Castilien durch Zariategui hergeführten Rekruten einexercirt, und die Anführer strebten, die im Sommer etwas geschwächte Kriegszucht wiederherzustellen, und so den Erfolg der neuen Operationen zu erleichtern. Da meine Wunde geheilt war, bat ich gegen Ende Novembers um Bestimmung zu einem der castilianischen Bataillone, um mit diesen auszuziehen und dadurch mehr Gelegenheit zu thätigem Wirken zu erhalten, als ich nördlich vom Ebro erwarten durfte; die 6. Compagnie des 7. Bataillons von Castilien ward mir als ältesten Premierlieutenant anvertraut, da der Capitain in einem Scharmützel bei Bilbao kurz vorher getödtet war. Am 19. December musterte der König das aus 12 Bataillonen zu 500 Mann und aus 5 Escadronen bestehende Corps von Castilien zwischen Amurrio und Llodio. Hohe Hoffnungen erregte der Anblick dieser schönen Truppen, die glänzend equipirt, wie nie zuvor die Carlisten, und aus jungen, kraftvollen Kriegern, die meistens lange erprobt, zusammengesetzt, mit enthusiastischen Viva’s ihren König begrüßten und jubelnd die Nachricht empfingen, daß sie wiederum ausziehen würden, den gehaßten Feind aufzusuchen und die Befreiung der noch unter seinem Joche seufzenden vaterländischen Provinzen zu versuchen. Die dritte Division setzte sich sofort in Marsch, durchkreuzte schnell in zwei Colonnen Guipozcoa und Navarra und vereinigte sich am 27. Dec. in der Gegend von los Arcos mit der Cavallerie, die auf dem beschlossenen Zuge sie begleiten sollte. Ein Tagesbefehl des Mariscal de Campo D. Basilio Garcia verkündete am folgenden Morgen der Division, daß er mit Stolz den ehrenvollen Auftrag übernommen habe, dem ersehnten Kampfe gegen die Schaaren der Revolution sie zuzuführen. Er empfahl den Chefs und Officieren die Aufrechterhaltung der strengsten Disciplin und drohete harte Strafe denen, welche Ausschweifungen oder sonstige Beleidigungen gegen Bauer und Bürger sich zu Schulden kommen ließen. Mehr durch unerschütterliche Treue und Anhänglichkeit an seinen Monarchen, als durch hohe kriegerische Talente ausgezeichnet besaß Don Basilio den Ruf persönlicher Bravour, und das Glück, durch das er von seiner ersten kurzen Expedition im Jahre 1836 mit Beute reich beladen nebst vielen Rekruten zurückgekommen war, hatte wohl bedeutend zu seiner jetzigen Wahl beigetragen. Doch kann man sich nicht verhehlen, daß er sehr guter Brigade-Chef, der in untergeordneter Stellung häufig sich hervorgethan, nicht der schwierigen Aufgabe gewachsen war, die er über sich genommen hatte. Der Mangel an einer hinlänglichen Zahl ergebener zugleich und fähiger Anführer nöthigte Carl V. oft, Männer, welche ihre bisherigen Posten glänzend ausgefüllt hatten, zu höheren zu berufen, denen ihre Kräfte nicht mehr angemessen waren, wodurch die einen und die andern ungenügend besetzt wurden. Don Basilio hatte nicht die Eigenschaften, die allein in einem Unternehmen, wie die zu beginnende Expedition es war, Erfolg ihm versprechen konnten; die traurigste Erfahrung hat gezeigt, wie sehr es ihm an Festigkeit, raschem Überblick und kühner Entschlossenheit gebrach, die doch so höchst wichtig, und deren Mangel endlich den gänzlichen Untergang der ihm anvertrauten braven Division herbeiführte. Der Brigadier Marquis von Santa Olalla, ein Mann von hohem Talente und nie rastender Thätigkeit, stand an der Spitze des Generalstabes; doch wurden seine Anstrengungen durch hohes Alter und damit verbundene Gebrechlichkeit leider sehr gelähmt. Oberst Fulgocio, ausgezeichnet als Edelmann, als Anführer und als Soldat, commandirte die aus den Bataillonen 7. von Castilien und 1. von Valencia bestehende erste Brigade, Oberst Bosque, mehr geeignet zum kleinen Guerrilla-Kriege, in dem er sich hervorthat, als zur Leitung des regelmäßigen Liniengefechtes, die zweite, die Bataillone 1. und 2. von Aragon in sich fassend. Die Cavallerie bildeten die Escadrone der Legitimität, mit der ich unter Zariategui zusammen gefochten hatte, und 1. von Aragon; sie zählten etwa 150 Pferde. Eine vierpfündige Bergkanone, von Maulthieren getragen, begleitete die Division, so wie ein bedeutender Convoy von Munition, deren Erlangung nach Passirung des Ebro nur möglich war, wenn man dem Feinde sie entriß; funfzig Gewehrschmiede, zu der an Waffenfabriken Mangel leidenden Armee Cabrera’s bestimmt, waren uns aggregirt. Nachdem am Morgen des 28. Decembers Rationen für mehrere Tage dem Corps ausgetheilt, langten wir Nachmittags um 4 Uhr in dem reizenden Städtchen los Arcos an, wo die Bürgerschaft mit Wein, Speck, Stockfisch und Brod uns erwartete; mit anbrechender Dämmerung setzten wir dem Ebro zu uns in Marsch. Eine unendliche Menschenmenge umringte uns bei dem Abzuge, den Freiwilligen irgend einen Leckerbissen, einige ersparte Silbermünzen zusteckend und der Klageruf der Frauen: „~los pobres, que ya son perdidos!~“ tönte weithin uns nach: der gesunde Verstand des Volkes theilte nicht den Wahn, der zu bald auch in unserm Verderben sich kund that. Um 9 Uhr langte die Division nach vorsichtigem Marsche auf dem Ufer des Ebro an. Die Furth von Mendavia, zwischen den feindlichen Festungen von Logroño und Lodosa gelegen, war zum Übergangspunkte ausersehen; doch erklärten die Führer alsbald, daß der durch häufige Gebirgsregen angeschwollene Fluß diese Furth, die beste der ganzen Gegend, ungangbar gemacht habe. Eine zweite, etwas höher liegend, ward fast ohne Hoffnung auf Erfolg aufgesucht, und bald durchlief die Reihen in leisem Gemurmel die Nachricht, daß der Übergang schwer, aber möglich sei. Gerade um diese Zeit verkündeten die Madrider Zeitungen jubelnd, wie nun schon der Ebro, die sicherste Schutzwehr der christinoschen Provinzen, den drohend vorbereiteten Einfällen der Carlisten auf lange Zeit eine unübersteigliche Barriere entgegensetze. Schnell zeigten wir ihnen, daß solche Hindernisse den Muth unserer braven Freiwilligen nicht brechen konnten, daß sie die Fluthen des mit der Winterkälte verbündeten Stromes zu überwinden vermochten, wie sie sich nicht scheuten, den Massen der Revolutionsheere zu trotzen. Es war eine jener trüben, stürmisch kalten Nächte, welche in den Gebirgen Spanien’s so oft in nordisches Clima uns zu versetzen schienen. Finsteres Gewölk, schwer auf einander gethürmt, durchflog den Horizont, tausend phantastische Gebilde an einander reihend, zwischen denen hie und da der matte Schein eines Sternes blinkte. Schneidender Nordostwind führte von den Schneegefilden der Pyrenäen erstarrende Kälte uns zu, während vor uns laut brausend der Ebro seine Wassermassen dahin wälzte, aus denen die Wogen durch das Aufzischen weißen Schaumes auf der dunkeln Fläche hervortraten, deren Gränze die Schatten der Nacht dem ängstlich forschenden Auge verhüllten. Regungslos standen die Bataillone in Colonnen formirt auf dem Ufer, mit stummen Grauen auf das Rauschen der mächtigen Wasser horchend; ich gedachte der Lieben in der schönen friedlichen Heimath: ob ich wohl je sie wieder in die Arme schließe! Da tönte ein Commandowort durch die lautlose Stille, und die Jäger-Compagnien warfen sich halb entkleidet in den Fluß, um auf dem andern Ufer Position nehmend den Übergang zu decken. In gedrängtem Zuge folgten ihnen die übrigen Truppen. Keine Vorbereitung war getroffen, den Übergang der Division zu erleichtern, und die Cavallerie, welche stromaufwärts in einer Linie sich aufstellend die Kraft der Wogen zu brechen bestimmt war, sah sich durch die grimmige Kälte schnell gezwungen, an das andere Ufer zu passiren. Da drang ein langer, wilder Schrei durch die Nacht, ein Schrei des Todes. Ungeheures Entsetzen ergriff die Herzen der stumm in Erwartung Dastehenden, athemlos von kaltem Schauder durchrieselt, starrten Alle auf die tobende, schäumende Fluth. Klagelaute, Weherufe der Verzweiflung ertönten und starben, immer wiederholt, immer grauser die Brust uns durchschneidend, stromabwärts in die Finsterniß hin. Die unwiderstehliche Gewalt der Fluthen riß die Cameraden mit sich fort, wir hörten ihr flehendes Jammergeschrei und konnten nicht helfen; eine Bildsäule stand ich kraftlos, gedankenlos, jede Fiber angespannt, wie zum eigenen Todeskampfe, mit starrem, weit offenem Auge das furchtbare Dunkel vergeblich durchforschend; das Haar sträubte sich mir, das einzige Mal im Leben. Da traf eine Stimme mein Ohr, meine innerste Seele, eine liebe, theure Stimme; nein! zu gewiß war es, herzzerreißend drang eines lieben Gefährten Hülferuf zu mir -- ich hörte, ich empfand nichts mehr. An der Spitze meiner braven Freiwilligen fand ich mich auf dem andern Ufer des Flusses, als das Bataillon sich dort formirte. Spät entsann ich mich alles Geschehenen. Herrlich hatten sich unsere wackeren Burschen bewährt, deren Standhaftigkeit durch das Schrecklichste nicht erschüttert wurde. Während ihrer sterbenden Cameraden Jammergeschrei: „Ich ertrinke, um Gottes willen, ich ertrinke!“ zu ihnen tönte und bald, dumpfer und dumpfer werdend, im Brausen der Wogen verhallte, während erstarrte Körper, mit Mühe dem wilden Element entrissen, durch die Reihen leblos dem nahen Dorfe zugetragen wurden, stürzten die Compagnien ungeschwächten Muthes mit dem Rufe: „Es lebe der König!“ in den Strom, der ihnen gleich furchtbares Geschick drohete. Um Mitternacht befanden sich alle Corps auf der Südseite des Ebro und richteten ihren Marsch gegen den nahen ihm parallel laufenden Gebirgszug. Don Basilio entwickelte bei diesem Übergange zuerst den Mangel an Vorsicht, der ihm so oft verderblich werden und der sehr Vielen der ihm anvertraueten Krieger frühen, leicht vermiedenen Tod bringen sollte. Ein bloßes Tau, als Stütze gegen den Andrang der Wassermassen über den Fluß gespannt, hätte den Schmerz uns erspart, zwischen funfzig und sechzig unserer Genossen, unter ihnen drei Officiere, rettungslos fortgerissen zu sehen. Um der, Manchem bis an die Schultern reichenden und durch grimmige Kälte doppelt gefährlichen, Fluth widerstehen zu können, stemmten sich die Freiwilligen auf das mit aufgestecktem Bajonnett verlängerte Gewehr, und mehrere unter ihnen wurden durch die Ungeschicktheit, mit der Hinter- oder Nebenleute die Stütze handhabten, in Fuß und Bein verwundet, während andere, da sie schon den schlüpfrigen Boden unter sich schwinden fühlten, alles Lästige in der Noth von sich werfend, überglücklich das Ufer ohne Waffen und Gepäck erreichten. Einige wurden, durch die Kälte des Wassers und des Windes zugleich erstarrt, als sie kaum in den Fluß getreten waren, bewegungslos zurückgebracht, Maulthiere und Pferde wurden fortgeschwemmt, und einzelne kühne Reiter strebten umsonst, mit eigener Aufopferung überall Hülfe zu leisten. Mehr als zweihundert Mann, die schwächsten an Geist und Körper, und fünf Officiere mit ihnen, waren, durch die Gefahr zurückgeschreckt, in Navarra geblieben und gingen, nachdem sie die Nacht in Mendavia zugebracht hatten, nach Estella, worauf der König die Officiere, zu gemeinen Soldaten degradirt, zu den dortigen Bataillonen bestimmte. Der General in Anerkennung der Festigkeit und des Enthusiasmus, welche die Division bei dem Übergange an den Tag gelegt, schlug Sr. Majestät vor, als Zeichen seiner königlichen Gnade eine Auszeichnungs-Medaille ihr zu verleihen. Als die Expedition durch die gegen sie verschworenen Elemente und die Schwächen ihres Anführers mehr, als durch der Feinde überlegene Schaaren nach dem heldenmüthigsten Widerstande ganz vernichtet war, als die Mehrzahl fechtend gefallen, einige, nicht weniger rühmlich, verwundet in den Hospitälern der Christinos als Gefangene schmachteten -- nur 250 Mann entkamen zu dem Heere Cabrera’s -- geruhete der König, den Officieren, die den Ebro passirt und dem Tode entgangen waren, einen Grad zu verleihen. Unter den Schlachtopfern jener Nacht befand sich Gustav Philippron, ein junger holländischer Officier, ausgezeichnet durch Bravour und militairische Ausbildung wie durch seine Entschiedenheit für die Sache, deren Vertheidigung er sich gewidmet hatte. Wenige Minuten vor seinem Tode fand ich ihn, wie er auf einem der Maulthiere behaglich reitend seine Compagnie der Furth zuführte, in der so eben der Übergang begann, und lachend wünschte ich ihm Glück, daß er so das Unangenehme der Nässe zu vermeiden gewußt. Die Mitte des Stromes hatte mein armer Freund erreicht, als das Maulthier, auf den glatten Steinen ausgleitend, nach kurzem Kampfe hingerissen wurde; die ihm unmittelbar folgenden Seinen sahen den geliebten Officier in der Dunkelheit verschwinden, hörten in der Ferne seinen durchdringenden Hülferuf und mußten hülflos ihn hinsterben lassen, da jeder Schritt von der vorgezeichneten Bahn gleichen unabwendbaren Tod brachte. Mehrfach hatte Philippron gegen mich geäußert, daß er überzeugt sei, er werde im Wasser umkommen, wie sein Vater beim Bade, sein älterer Bruder, dem Vaterlande gegen die empörten Belgier dienend, in der Schelde ertrunken sei. -- Von Allen, die ich liebte, und durch engere Bande mir verbunden hielt, sollte allein ich den Untergang unserer braven Armee überleben! Glücklich ruhen sie längst von den Mühen, die so reichlich ihnen wurden; glücklich, da sie im glorreichen Kampfe für das, was sie als recht und wahr erkannt, auf dem Felde der Ehre bluten durften, glücklicher noch, daß sie nicht sehen mußten, wie Niedrigkeit und Verrath im Untergange der gerechten Sache triumphirten. Ehre sei den Braven! * * * * * Unser kleines Corps, am Morgen nach dem Übergange den Rapporten gemäß in allen Waffengattungen 1968 Mann stark, wandte also dem unter dem Namen der ~pinares de Soria~ bekannten Gebirgszuge sich zu, der, als iberisches Gebirge bei den Quellen des Ebro von dem Hauptstamme der Pyrenäen sich losreißend, gen Südosten unter mannichfachen Benennungen bis Unter-Aragon und Neu-Castilien sich erstreckt, wo er mit der Sierra morena in Verbindung steht. Der König hatte dem General Cabrera Befehl ertheilt, eine der Divisionen seiner Armee unserem Anführer zu untergeben, damit dieser mit den vereinten Streitkräften den Krieg nach der Mancha und den anderen Central-Provinzen Spaniens tragen und die dort unter verschiedenen selbstständigen Partheigängern gebildeten carlistischen Guerillas organisiren und combiniren könne, um dem Kriege daselbst, der bisher mehr in Raub und Plünderung als im Kampfe bestanden, regelmäßigere und entscheidendere Gestalt zu geben. Große Schwierigkeiten bot der Auftrag. Nicht nur waren die Truppen zu fürchten, welche, nun fast unthätig in der Mancha garnisonirend, bei der Ankunft der Expedition Leben gewannen; selbst die Division durften wir nicht als gefährlichsten Feind ansehen, welche 4000 Mann Infanterie und 300 Pferde stark unter General Uribarri von Espartero zu unserer Verfolgung gesandt war, und auf der kürzesten ihnen offenen Marschlinie uns zuvorzukommen und abzuschneiden strebte. Die größten Schwierigkeiten drohten uns in der offenen, ebenen Gestalt jener Provinz, welche die Überlegenheit des Feindes und besonders die seiner schönen Cavallerie so sehr begünstigte, wie in dem Charakter unserer dortigen Alliirten, die gewohnt, ohne Disciplin und Zwang nach eigenem Gutdünken zu verfahren, mit Widerwillen und selbst mit offener Widersetzung das Joch der Kriegszucht und der festen Ordnung empfingen, durch das Don Basilio zu Soldaten, würdig des Namens von Carlisten, sie umzuwandeln beschloß. In starken Märschen eilten wir der Vereinigung mit dem Heere Cabrera’s entgegen und zogen schon am 2. Januar in das alte Calatayud ein, unter den Römern Hauptort der Provinz; wir hatten noch keinen Feind getroffen und waren von den Einwohnern überall auf eine Art aufgenommen, die ihr freudiges Erstaunen über die hohe Disciplin und die Schonung aussprach, welche sie von den Truppen beider Partheien, die sonst in diesen Gegenden gehauset, so selten erfahren hatten. Die Garnison von Calatayud hatte sich nebst den National-Gardisten in das über der Stadt angelegte Castell eingeschlossen, wo sie, da wir uns begnügten, die nöthigen Rationen und die Contribution zu erheben, und nicht dabei gestört wurden, ganz unangetastet blieb. Auch in den übrigen Punkten Aragon’s, in denen wir feindliche Forts trafen, fand kein Act von Feindseligkeit Statt; während der Nacht ruheten wir sorglos in den oft wenige Schritte von den Verschanzungen entfernten Häusern. Oráa hatte sich, unser Durchdringen zu Cabrera zu verhindern, mit einem Theile der Armee des Centrum nach Daroca und Cariñena gezogen, wodurch wir gezwungen wurden, südlich der Provinz Cuenca uns zuzuwenden. Da begannen die Drangsale, durch die unsere Expedition eben so erschöpfend als unglücklich werden sollte. Himmel und Erde verbanden sich, ihr stets besiegte, stets neu und schreckender sich aufthürmende Hindernisse entgegenzuwerfen. Furchtbare, nie aufhörende Regengüsse verwandelten die Wege in tiefe Sumpfgründe und machten es fast unmöglich, den schmalen Gebirgspfaden zu folgen, deren Schlüpfrigkeit dem Fuße keinen festen Stützpunkt mehr darbot, während jeder Fehltritt Zerschmetterung auf den Felsen des Abgrundes drohete. Jedes Gebirgswasser ward zum reißenden Strome, der die leichten Brücken und Stege fortriß und nur auf Kosten der unwiederbringlichen Zeit, oft mit Verlust von Menschenleben, überschritten werden konnte; aus jeder Schlucht, jeder Vertiefung bildete sich ein tiefer See, zu weiten Umwegen nöthigend und die Beschwerden der ermatteten Leute verdoppelnd. Die elenden, weit entlegenen Dörfer reichten nicht hin, selbst so kleiner Truppenzahl die nöthigen Lebensmittel zu liefern; Mangel an allem Nothwendigen ward stündlich mehr fühlbar, Krankheiten fingen an einzureißen, und die braven Freiwilligen, nach ermüdendem Marsche zitternd von Nässe und Kälte, mußten oft auf der Straße neben einem erlöschenden Feuer Erholung und Stärke für die Strapatzen des folgenden Tages suchen, da die Officiere und Beamten, welche der Glanz und Prunk liebende General in großer Zahl um sich hatte, nebst denen der Legitimität für die Compagnien kaum einige erbärmliche Häuser frei ließen. Solche das Hauptquartier begleitende, im Gefechte unsichtbare, sonst überall sich vordrängende und Alles prätendirende Männer jedes Ranges, wie sie fast immer die Divisionen begleiteten, wurden von den Soldaten sehr treffend Blutigel genannt; doch saugen +sie+, wo sie einmal sich angehängt, unersättlich, bis sie das Herzblut getrunken haben. Eine Thatsache mag als Beispiel ihrer Selbstsucht und rücksichtslosen Habgier angeführt sein. Die erste Sorge des spanischen Soldaten beim Einrücken in die Ortschaften ist, die als Feldflasche ihm dienende Bockshaut mit Wein zu füllen, dessen Entbehrung, wiewohl er nie trunken, ihm drückender ist als die des Brodes selbst. Wie groß mußte das Staunen unserer erschöpften Krieger sein, da sie jetzt täglich die Thüren der Wirthshäuser durch Ordonnanzen besetzt fanden, welche barsch mit der Erklärung sie zurückwiesen, der Wein sei auf Befehl des Generals mit Beschlag belegt! Doch rasch verwandelte sich dieses Staunen in drohenden Unwillen, als die Truppen erfuhren, daß der General, weit entfernt, solchen Mißbrauch anzuordnen, gar nicht von der Maßregel in Kenntniß gesetzt sei; daß einige Nichtsthuer zu diesem Mittel gegriffen, um sich Wein zu sichern und ihre Taschen zu füllen, da sie den Rest desselben, unter dem Vorwande der Ordre des Generals den Wirthen ohne Entschädigung genommen, bei dem Abmarsche heimlich verkauften. Don Basilio verdiente nie den sonst den spanischen Generalen so oft mit Recht gemachten Vorwurf der Selbstsucht und des Unterschleifes, er verabscheute das entehrende Verbrechen und strafte es schwer: ein Oberstlieutenant und ein Civilbeamter wurden am 9. Januar wegen unbefugter Beschlagnahme und Defraudirung von Wein vor der Front der Division erschossen. Man glaube nicht, daß nur in den carlistischen Corps dergleichen Mißbräuche sich fanden. Gewiß waren sie auch in ihnen häufig, und besonders diejenigen Beamten, denen die Herbeischaffung der täglichen Bedürfnisse oblag, und von deren Amte Unterschleif ja unzertrennlich zu sein scheint, ließen die schreiendsten Räubereien durchgängig sich zu Schulden kommen: während die Truppen in Gegenden, die an Vieh und Getreide Überfluß hatten, oft am Nothwendigsten Mangel litten, wußten sie ihre Koffer mit dem Golde des Landmannes zu füllen, indem sie, mit den Magistraten den Gewinn theilend, ihn zwangen, die zehnfach geforderten Lebensmittel in Geld zu liefern. Wohl ward hin und wieder solch ein Erbärmlicher erschossen, aber das half für Tage kaum, während der Unwille des seinen Unterdrückern fluchenden Volkes nie aufhören konnte. Noch weit mehr breitete sich jedoch diese Raubmethode in dem Heere Christina’s aus. Generale, Anführer, Officiere nahmen in ihm an diesen Ungerechtigkeiten Theil, die vollkommene systematische Aussaugung des Landes ward mehr noch als des Feindes Verfolgung betrieben, und da ich als Gefangener oft in nähere Berührung mit den Officieren der revolutionären Armee zu treten genöthigt war, ward ich durch die Frechheit empört, mit der sie ihrer Gewandheit in solchen Diebeskünsten wie des ehrenvollsten Talentes stets sich rühmten. * * * * * Die stets zunehmenden Drangsale bei fortwährend forcirten Märschen mußten den Etat des kleinen Corps sehr herabbringen; eine lange Reihe Kranker folgte auf Eseln und Maulthieren dem Zuge und Mancher, der augenblickliche Ruhe suchend hinter dem Nachtrabe zurückblieb, fand unter den Händen der Nationalen den Tod, während Andere, entmuthigt und unfähig, so viele Leiden länger zu tragen, ihre Waffenbrüder verließen und dem gehaßten Feinde sich hingaben. Die Gesänge, welche den Marsch der spanischen Soldaten begleiten und zur Ertragung der höchsten Beschwerden ihn ermuntern, waren längst verstummt; finsteres Schweigen herrschte die langgedehnten Marsch-Colonnen hinab und artete fast in die fühllose Niedergeschlagenheit aus, die dem Mann, durch physisches und moralisches Dulden besiegt, die Kraft zum Handeln und zum Denken raubt. Da ertönte am Morgen des 13. Januars 1838 der Ruf, feindliche Truppen seien vor kurzem durch das Dorf gezogen, welches so eben unser Vortrab betrat; die ersten Bataillone erhielten Befehl, im Lauftritt vorwärts zu gehen. Neues Leben beseelte unsere Freiwilligen; das Elend, die Mattigkeit waren vergessen, Scherze und Gesänge erschallten, und viele Kranke selbst schlossen ihrem Corps sich an, da der ersehnte Augenblick des Kampfes nahe schien. Bald brachte die Cavallerie etwa vierzig Gefangene, meistens Nachzügler, zurück; wir erfuhren, daß wir auf die von den Nordprovinzen zu unserer Verfolgung gesandte Division gestoßen waren, welche, durch an sich gezogene Detachements und National-Garden auf mehr als 5000 Mann verstärkt, nach Cuenca marschirte, wo sie von den Strapatzen der letzten Wochen auszuruhen gehofft hatte. Die beiden Divisionen hatten wenige Stunden von einander entfernt übernachtet, ohne die geringste Nachricht davon erhalten zu haben, so daß erst der Zufall, der auf dem Durchschnittspunkt der beiden Marschlinien sie sich einander treffen ließ, den Generalen die Nähe des Feindes anzeigte. Die Überlegenheit der Christinos bewog Don Basilio, nicht den Kampf zu suchen, weshalb er den beschwerenden Munitions-Convoy unter dem Schutze eines Bataillons von Aragon vorausschickte und mit den andern drei Bataillonen und der Cavallerie, auf Alles gefaßt, langsam in derselben Richtung folgte. Auf seine Übermacht vertrauend eilte Uribarri gegen uns, und schnell waren die Jäger-Compagnien in lebhaftes Feuer engagirt, während die feindliche Cavallerie unsere Rechte zu überflügeln suchte, da dort das Terrain ihre Bewegungen gestattete. Doch D. Basilio führte die in Masse gebildeten Bataillone, die bedrohete Flanke durch die Escadrone deckend, bis zu einem nahen Defilé zurück und nahm dort Position, worauf der Feind, ohne einen Versuch zur Forcirung der starken, in der Front durch ein schroffes Ravin geschützten Stellung zu machen, sich zurückzog und nur einige leichte Truppen zur Beobachtung uns gegenüber ließ. Wenn die Division bis zum Anbruche der Dunkelheit diese Position festgehalten hätte, so würden wir unter dem Schutze der Nacht unsern Marsch mit Sicherheit fortgesetzt haben, ohne einem Kampfe uns auszusetzen, dessen unglücklicher Ausgang vorher gesehen werden und unheilsvoll auf die ganze Expedition wirken konnte. Der General beschloß Anderes. Kaum sah er die feindlichen Truppen in einiger Entfernung, als er den Bataillonen zu defiliren befahl, während alle Elite-Compagnien den Rücken deckten und die beiden Escadrone auf dem etwas freierem Terrain zu unserer Linken folgten. Bald begann wiederum das Feuer hinter uns, ohne jedoch unsern Marsch zu unterbrechen; doch nach und nach nahm es zu und näherte sich rasch, schon waren die Jäger und Grenadiere nicht mehr im Stande, den stark aufdrängenden Feind zurückzuhalten, und um 2 Uhr Nachmittags wurden die Bataillone genöthigt, in Schlachtordnung sich aufzustellen. Kaum nahmen wir unsern Posten auf dem äußersten linken Flügel ein, als wir eine dunkle feindliche Masse, deren Tirailleurs-Linie unsere Jäger vor sich her trieb, anrücken sahen; eine zweite Colonne suchte unsere Linke zu überflügeln, weshalb zwei Compagnien entsendet wurden, sich ihr entgegenzustellen. Als das feindliche Bataillon bis auf hundert Schritt herangekommen, zogen seine Tirailleurs sich rechts und links, und mit dem wilden Gebrüll, ohne daß der Spanier nie angreifen zu können glaubt, avancirte es im Sturmschritt. Fest erwarteten wir sie, Gewehr im Arm. Schon waren sie kaum vierzig Schritt entfernt, da ertönte hell das Commandowort „Feuer!“, ein dichter Kugelregen lichtete die Reihen, und mit gefälltem Bajonnett stürzten wir auf die Wankenden, die in Unordnung entflohen, bis sie, eine kleine Ebene durchschreitend, jenseit einer schroffen Schlucht von ihrer Reserve aufgenommen wurden. Wir eilten den errungenen Vortheil zu benutzen, als auf der Ebene zwei feindliche Escadrone hervorbrachen, deren eine gegen uns sich wandte, aus dem sofort gebildeten Carré mit Kugeln begrüßt, jedoch in ehrerbietiger Ferne blieb, während die zweite auf die beiden Compagnien sich warf, welche in Tirailleurs aufgelöset unsere Linke deckten. Entsetzen ergriff mich, da ich die eine der Compagnien zaudern, dann ungewiß sich verwirren und, anstatt wie die zweite in Haufen sich zu vereinigen, ungeordnet den nicht nahen Gebüsch zueilen sah. Jubelnd holten die Reiter sie ein und säbelten die Wehrlosen nieder; mehrere Freiwillige lagen zu Boden gestreckt, andere erflehten, hoch die umgekehrten Kolben emporhaltend, den so selten gewährten Pardon; da stutzten die feindlichen Dragoner, und um den Hügel jagten die Officiere der Legitimität zur Rettung ihrer Gefährten heran. Selbst in Unordnung gerathen entflohen die Christinos, auf dem Fuße von den Unsern verfolgt; die zweite feindliche Escadron suchte die Flüchtigen aufzunehmen, wurde aber selbst mit fortgerissen und fand wie jene erst hinter ihrer Infanterie Schutz. Unser Commandeur war ungewiß, welche Maßregeln er ergreifen sollte. Vor uns stand in fester Stellung der weit stärkere Feind, das uns zunächst aufgestellte Aragon blieb unbeweglich trotz der Zeichen, durch die es bei unserm Vorgehen zu correspondirender Bewegung aufgefordert war, weither verkündete sogar das stets mehr zurück sich ziehende Feuer bedeutendes Vordringen der Christinos. Keine Ordre des Generals erfolgte, so daß jeder Chef, wie so oft der Fall war, nach eigener Eingebung handeln mußte. Rasch entschied sein Muth den unseren zum Vordringen, um durch Bedrohung des feindlichen rechten Flügels dem bedrängten Valencia Luft zu machen. Oberst Fulgocio stellte sich an die Spitze des Bataillons und führte es vorwärts: unter dem lebhaften Feuer des Feindes stiegen wir die steile Felswand zur Schlucht hinab, erkletterten mit lautem ~viva el Rey~ mühsam die entgegengesetzte Höhe und sahen uns Meister der Stellung, von der die Christinos erstaunt gewichen waren. Doch ehe wir uns zu ordnen vermocht, eilte ihre Reserve in Masse zum Angriffe vor, durchbrach im ersten Drange unsere Linie und stürzte in das Ravin uns zurück, mit dichtem Kugelregen uns überschüttend, wie wir im Rückzuge die Felsen hinaufsteigen mußten. Da sahen wir Aragon eilig weichen; rechts und links fielen die Freiwilligen, die Reihen mischten sich und löseten sich auf, wildes Geschrei ertönte, und in Verwirrung floh das Bataillon. Umsonst suchten wenige Officiere durch Bitten und Drohen die Fliehenden zum Stehen zu bringen, umsonst durchbohrte Fulgocio, der das Pferd zurücklassend der Erste beim Angriff, der Letzte auf dem Rückzuge gewesen war, ergrimmt einen der Freiwilligen; es war unmöglich, die wenige Minuten vorher so braven Soldaten zu ermuthigen, und der auf dem Fuße uns verfolgende Feind machte alle Anstrengungen der Officiere vergeblich. Da fühlte ich einen leichten Schlag an die Schulter, und baumelnd sank mein rechter Arm am Körper nieder, während der Säbel der Hand entglitt: eine Flintenkugel hatte den Oberarm, der Schulter nahe, zerschmettert. Langsam schlich ich unter dem Pfeifen der Kugeln zurück, bis Oberst Fulgocio mich zwang, sein Pferd zu besteigen, auf dem ich, nachdem die Bataillone sich gesammelt hatten, dem Rückzuge bis zum nächsten Dorfe folgte, wo den Truppen Brod und Wein ausgetheilt wurde, Kraft zum nöthigen Nachtmarsche ihnen zu geben. Unser Verlust stieg auf etwa zweihundert Mann, der des Feindes war bei seiner Übermacht weit bedeutender, denn unser kleines Corps, wiewohl besiegt, hatte sich seiner würdig gezeigt in hartnäckiger, blutiger Gegenwehr. Die Christinos, weit entfernt, uns unmittelbar zu verfolgen, kehrten nach den nächsten Dörfern zurück und büßten so die Vortheile ein, welche ihr Sieg bei der gänzlichen Erschöpfung unserer Soldaten ihnen darbot. * * * * * In zehrendem Schmerze lag ich auf meinem Lager in dem Feldhospitale; die Wundärzte hatten erklärt, daß der Knochen des Armes gänzlich zerschmettert sei und daß meine Fortführung im Gefolge der Expedition nothwendig schnellen Tod nach sich ziehen müsse: ich sollte zurückgelassen werden. Entsetzliches Geschick! Umsonst sträubte ich mich, umsonst flehte ich und betheuerte, daß ich den Tod dem mir bestimmten Loose vorziehe. Das Urtheil war gesprochen, ich blieb verdammt, wieder den verabscheuten Trabanten der Usurpation in die Hände zu fallen, nochmals alle die Drangsale zu dulden, welche von solcher Gefangenschaft unzertrennbar sind. Verzweiflungsvoll klagte ich das Geschick an, daß es zum Spielballe seines Hasses mich erkoren; ich wünschte mir den Tod im Übermaße des bittern Schmerzes und beneidete die, welche an jenem Tage neben mir das glorreiche Ziel ihrer Laufbahn erreicht hatten. Dann traten die treuen Cameraden, vom Oberst Fulgocio geführt, ins Zimmer, Abschied von mir zu nehmen. Der Krieger ist wenig gewohnt, seine Empfindungen in schöne Phrasen zu kleiden, die so oft zum Deckmantel kalter Gefühllosigkeit dienen. In wenigen herzlichen Worten drückten die Gefährten ihre Theilnahme, ihre Wünsche mir aus; noch ein langer, kräftiger Händedruck ... schon rief der helle Hörnerklang zum Abmarsche, und sie eilten, ihren Compagnien sich anzuschließen. Wie viele dieser Braven sollte ich nie wiedersehen! Ehe ich von neuem mir den Vertheidigern Carls V. mich vereinigen durfte, hatten die Meisten unterlegen; auch sie sanken in der allgemeinen Vernichtung der kleinen Division. Regungslos horchte ich dem Geräusche, welches von den Straßen herauftönte. Bald zogen die Escadrone ab klirrend und rasselnd; langsamen, schweren Schrittes folgte die Infanterie; kurze Ruhe trat ein, dann erschallte der freie, weniger der bindenden Ordnung unterworfene Tritt der Jäger, die den Nachtrab bildeten. Athemlos suchte ich den letzten Laut der Cameraden zu erhaschen, bis das Geräusch dumpfer und dumpfer hinstarb; Alles ward still wie das Grab. Da ward ich überwältigt von schmerzlichsten Gefühlen. Die Augen füllten sich mir mit glühenden Thränen, finstere Gedanken durchwühlten die wild sich hebende Brust und machten mich unfähig, meine Lage zu würdigen, unfähig selbst, Theil zu nehmen an dem Jammer derer, die mir nahe in schrecklichen Zuckungen ihr Leben aushauchten, oder in leisem Gewimmer die Schmerzen verriethen, deren Töne zu unterdrücken ihre Kraft nicht mehr hinreichte. Wohin vermag Selbstsucht den Menschen zu treiben! Sie tödtet jedes edlere Gefühl in ihm, sie macht ihn unempfindlich gegen die Leiden seiner Mitmenschen, ja sie vermag so ihn zu versteinern, daß er Freude fühlt bei dem Anblicke fremden Elendes und Trost im Dulden Anderer für sein eigenes Geschick sucht. Doch regten sich bald bessere Gefühle in meinem Herzen: die Bitterkeit machte der Wehmuth Platz, Ruhe und Ergebenheit trat an die Stelle des wilden Zornes, bis die bisherige Aufregung in Erschlaffung und Abmattung sich auflösete und fester, erquickender Schlaf des erschöpften Körpers sich bemächtigte. Als ich erwachte, dämmerte der Morgen. Waffen und blutige Kleidungsstücke lagen im Zimmer umher; zwei der Verwundeten waren während der Nacht gestorben, die andern neun lagen hülflos da, außer Stand, sich zu bewegen. Nachdem ich meine Lage überdacht hatte, erhob ich mich langsam mit unsäglicher Mühe, in Schulter und Arm von stechenden Schmerzen gefoltert; ich hielt es als der Erste an Graduation unter den Zurückgelassenen für Pflicht, der Erste dem Feinde, der jede Minute anlangen konnte, mich darzubieten und die Sorgfalt der Anführer für die verwundeten Gefährten in Anspruch zu nehmen. Sehr geschwächt schlich ich dem Eingange des Dorfes zu, dessen Bauern, niedrig knechtisch gesinnt, wie der Neu-Castilianer allgemein, und vor dem Stärkeren stets schmeichelnd im Staube kriechend, mir finstere Seitenblicke zuwarfen, ohne ihre Hülfe anzubieten, und selten wagte irgend ein mitleidigeres Weib, einige Worte des Bedauerns zu äußern. Von Durst gequält trat ich in das kleinste Haus, einen Trunk Wasser zu fordern. Das Mädchen, welches mir ihn reichte, flüsterte mir zu: „Um Gottes willen, fliehen Sie ins Gebirge, denn die Schwarzen sind schon im Anzuge und werden Sie tödten.“ Mit schmerzlichem Lächeln sah ich auf den Arm, den bei der leichtesten Bewegung scharfe Stiche durchzuckten, und dankte dem theilnehmenden Kinde; dann setzte ich den schwankenden Gang dem Thore zu fort und erwartete auf einem Baumstamme sitzend die Ankunft der Feinde. Las Cuevas -- die Höhlen -- liegt, seinem Namen Ehre machend, wie ein Schwalbennest einem hohen abschüssigen Felsberge angeklebt, in dessen Mitte ein Absatz sich befindet, gerade groß genug, um die Häuser des Dorfes zu fassen, dem ein schmaler Felsenweg sich zuwindet, während die Straße, ohne den Ort zu berühren, unten im Grunde sich hinzieht. Von meinem Sitze aus konnte ich etwa tausend Schritt weit das Thal übersehen, bis es sich hinter den in mannigfacher Gestaltung es umkränzenden Höhen verlor. Im Morgennebel lag die Landschaft düster da, nicht durch emsige Arbeiter belebt, da diese, die Raubgier der zügellosen Soldateska fürchtend, ihre Wohnungen nicht zu verlassen wagten und nur von Zeit zu Zeit neugierig forschende Blicke nach dem Wege warfen, auf dem die siegreichen Christinos herankommen mußten. Sie zauderten nicht lange. Gewehre blitzten, einzelne Reiter, leichte Truppen des Vortrabes wurden sichtbar, und schnell folgte eine lange dunkele Masse, wie eine ungeheure Schlange durch die Öffnungen der Berge sich hinwindend. Die Colonnen befanden sich zur Seite des Dorfes, als ein kleiner Trupp, von der Marschordnung sich trennend, den Felsenweg heraufzog; Helme funkelten näher, und ein Detachement Dragoner, welchem eine Jäger-Compagnie folgte, sprengte dem Eingange des Ortes zu. An der Spitze der Reiter jagte der Capitain der Jäger einher. An ihn richtete ich mich mit der Bitte, die im Gemeindehause befindlichen Verwundeten gegen jede Mißhandlung schützen zu wollen, worauf er, ein Mann edel und großmüthig, wie ich selten unter Spaniern, unter Christinos sie fand, mich aufforderte, ihm zu folgen und meiner Leute wegen unbesorgt zu sein; er stellte sofort Posten zu ihrer Sicherheit auf und ließ für die Armen, um die seit dem Abend Keiner sich bekümmert, durch die Behörden Pflege und Nahrung besorgen. In der That wagte Niemand, Hand an uns zu legen, so lange dieser Ehrenmann mit seiner Compagnie im Dorfe blieb; da aber kaum der letzte Jäger den Rücken gewandt, um mit der Colonne sich zu vereinigen, stürzten die Dragoner über uns her, mißhandelten die Hülflosen trotz ihres herzzerreißenden Jammers, nahmen ihnen Alles ab, was sie an Werth besitzen mochten, und gingen in ihrer wilden Grausamkeit so weit, daß sie die Kleidungsstücke, steif von geronnenem Blute, ihnen vom Leibe rissen. Auch ich ward, wie meine Cameraden, entkleidet und mußte auf besondern Befehl des feindlichen Generals dem Corps folgen, während die übrigen Verwundeten den Dorfbehörden zum Transporte nach dem nächsten Hospitale übergeben wurden. Nachdem ich eine schreckliche Stunde zu Fuß mich fortgeschleppt hatte, durfte ich auf die Ballen eines hoch beladenen Maulthieres mich heben lassen. Jeder Schritt machte mich von furchtbarem Schmerze zucken, und mit fest über einander gebissenen Zähnen saß ich starr und lautlos, bis endlich die nie aufhörende Wiederholung desselben Schmerzes mich ihm vertraut oder stumpf gemacht hatte. Dann ward ich vom Hunger gequält, da ich seit dem Morgen des vergangenen Tages Nichts genossen, und umsonst hoffte ich, daß die Division anhalten und Lebensmittel austheilen werde. Der Marsch dauerte fort und fort, meine Schwäche durch Blutverlust und Nahrungslosigkeit herbeigezogen, nahm immer zu, ich glaubte mich sterbend und freute mich, daß alle Leiden nun bald vollbracht seien. Schon brach die Nacht an und noch ward nicht gerastet. Mein Maulthier weigerte sich, länger zu marschiren, es stolperte in jedem Augenblicke, dadurch meine Schmerzen auf den höchsten Grad steigernd, und wurde nur durch Kolbenstöße der Wache zum Weitergehen gezwungen. Da schlug es einen schmalen Fußsteig ein, der hoch über dem Wege erhaben neben ihm hinlief, glitt aus und stürzte von der Höhe hinab. Der eine furchtbare Schrei, den ich ausstieß, machte weithin die marschirenden Truppen stutzen: ich war auf den zerschmetterten Arm gefallen und lag besinnungslos am Boden. Einige Soldaten hoben mich auf und setzten mich, da ich wieder zum Bewußtsein gekommen war, auf ein anderes Maulthier, und wieder ging Stunden lang der Zug fort, bis ich gegen Mitternacht endlich von der folternden Furcht eines neuen Falles, die nun jede andere Empfindung zum Schweigen brachte, mich erlöset sah, da die Colonne in Carascosa auf der Heerstraße von Cuenca nach Madrid Halt machte, um bis zum Morgen von dem endlosen Marsche zu ruhen. Jener Tag war einer der entsetzlichsten, die ich erlebt; ich hatte den Tod als eine Wohlthat erbeten. Vom Generalstabsarzte untersucht ward ich auf seinen Bericht in Carascosa zurückgelassen und am Tage darauf langsam und möglichst bequem nach Cuenca abgeführt, in dessen Hospital ich endlich die Pflege und vor Allem die Ruhe zu finden hoffte, deren Entbehrung in meinem Zustande die grausamste Qual war. XV. Nach vier Monaten durfte ich zum ersten Male vom Bette mich erheben. Vier furchtbare Monate! Mit Schaudern dachte ich an die Leiden zurück, die ich da erduldet hatte, und zollte der ewigen Vorsehung innigsten Dank, daß sie wunderbar mich erhaltend durch das Schrecklichste mich geleitet. Wunderbar war meine Rettung in der That; denn Nachlässigkeit, Schmutz, Ungeschick und böser Wille vereinigten sich wetteifernd, meine Wunde tödtlich zu machen. Zwei Mal kamen die Wundärzte, wie sie sich zu nennen nicht anstanden, mit dem Apparate ihrer gefürchteten Instrumente zu meinem Bette, mir erklärend, daß nur die Amputation Hoffnung auf Rettung des Lebens übrig lasse; die standhafte Weigerung, ihrer Amputirsucht mich zu unterwerfen, die Reinheit und Festigkeit meiner Constitution und die Geduld, mit der ich hundert und fünf Tage lang mit unbeweglichem Oberkörper auf den Rücken ausgestreckt ausharrte, retteten mir den Arm. Aber Entsetzliches litt ich. Und dann wurden in demselben Zimmer, in dem ich mit dreißig andern Verwundeten und Kranken lag, blutige Operationen vorgenommen, und das Zetergeschrei der Schlachtopfer machte uns innerlich erzittern; mit ansteckenden Krankheiten Behaftete, endlich gar Blatternkranke schmachteten neben mir, im Bereiche meines Armes selbst; das Röcheln der Sterbenden umtönte mich täglich, und viele Stunden hindurch lagen verzerrte Leichname in unserer Mitte, ohne die Aufmerksamkeit der Wächter zu erregen. Und doch ward mir als Officier manche Sorge, die andern Unglücklichen versagt war. -- Sollte man möglich glauben, daß Gewohnheit uns endlich auch gegen alle jene Scenen des Schreckens und der Qual gleichgültig, ja taub machen konnte! Wer möchte all den Jammer, das tausendfache, herzzerreißende Elend schildern, wie es in einem spanischen Hospitale, den Kältesten erschütternd, zusammengehäuft ist? Da liegen die Armen, in langen Reihen dicht an einander gedrängt, ja oft zu zweien in demselben Bette vereinigt, so daß der Genesende die Convulsionen des Sterbenden neben sich fühlt, der hülflose Kranke den eisigen Leichnam seines Gefährten berührt. Dumpfe, schwülstige Luft, geschwängert mit den widerlichen Ausdünstungen so vieler verschiedenartiger Übel, beklemmt die Brust des Eintretenden und macht ihn zurückschaudern im athemlosen Ekel; grause Unreinigkeit stattet rings in den widrigsten Formen, und Legionen von jeder Art Ungeziefer, dieser Kinder des Schmutzes, bedecken Boden, Wände und Betten durch nie endende Qual die Unglücklichen aufzehrend, welche umsonst ihre Kräfte erschöpfen, die höllischen Plagegeister von sich abzuwehren. Die Betten bestehen aus einem Strohsacke mit Betttuche und wollener Decke; als Nahrungsmittel, unabänderlich festgesetzt, ward am Mittag und Abend ein Stückchen Schaffleisch und ein halbes Pfund Brod, am Morgen etwas Brod mit Wasser, Knoblauch und Salz zerkocht und ein wenig rohes Öl darüber gegossen -- ~la sopa~ -- ausgetheilt. Sogenannte Bouillon von Schaffleisch fand sich in solcher Menge, daß die größere Hälfte stets weggegossen wurde, da selbst die Bettler sie nicht genießen mochten. So war die Kost aller Hospitale, die ich unter den Christinos gesehen, den Verbreitern der allgemeinen Aufklärung und Humanität, wie sie gern sich nennen; auf strengere Diät wurden die Kranken willig gesetzt, feinere, stärkende Nahrungsmittel dagegen nie bewilligt. Ist es unter solchen Umständen zu bewundern, daß Tausende von verwundeten oder erkrankten Soldaten in den Lazarethen ihr Leben aushauchten, da sie so leicht dem Lande konnten erhalten werden? Und was sage ich von denen, die, in der Verwaltung der Hospitale angestellt, am meisten zur Pflege und zum Wohle der Kranken mitwirken sollten? Wenn ich behaupte, daß ihr Streben nur darauf gerichtet ist, durch die gröbsten und schändlichsten Veruntreuungen -- denn das Schändlichste ist, die leidende Menschheit, die Hülf- und Wehrlosen noch tiefer zu stürzen -- sich zu bereichern und möglichsten Vortheil sich zu sichern; da würden diese Leute mit Recht sich beklagen, daß ich ihre Handlungsweise in falschem Lichte darstelle, da in Deutschland spanische Verhältnisse und Begriffe unbekannt sind. Sie würden fragen, wie ich ihnen das als Verbrechen anrechne, was allgemein bekannt, folglich, da es unbestraft bleibt, erlaubt war? Wie ich ihnen vorwerfe, was alle Beamten des Staates vom Minister zum niedrigsten Schreiber, vom General en Chef zum Corporal -- der Soldat wurde stets von allen geschunden -- zum höchsten Ziele ihrer Mühen machten? Sie würden fragen, ob ich verlange, daß sie, indem sie nicht dem gewöhnlichen Wege folgten, sich ins Gesicht lachen, als Thoren sich schelten und verachten ließen? ob sie, da ihnen Jahre lang kein Gehalt gezahlt wurde, mit ihren Familien etwa Hungers sterben sollten? Und zu allen diesen Fragen werde ich achselzuckend stillschweigen oder mit „Ja“ sie beantworten müssen, denn sie widerlegen zu wollen, würde nur grobe Unwissenheit verrathen. In allen Classen des liberalisirten Spaniens ist dieses Betrugssystem so weit ausgebildet, so ganz heimisch in ihnen geworden, daß, wer nicht dem gewohnten Geleise folgte, verlacht und gestürzt wurde. Die christinoschen Beamten jedes Zweiges und jedes Ranges sahen sich lange, lange Monate hindurch ohne Hülfsmittel irgend einer Art gelassen, sie wußten sehr wohl, daß sie nie die Summen, welche Jahr auf Jahr rückständig blieben, zu erhalten hoffen durften; da suchten sie durch Veruntreuung und Bestechlichkeit, wo eine Gelegenheit sich bot, reichlich sich zu entschädigen. Sie wußten, wie ihre Stellung ganz ephemer war, wie sie, wenn eine andere Parthei an das Ruder kam, sofort von ihrer Höhe gestürzt, vielleicht in der Fremde Sicherheit zu suchen genöthigt wurden; so strebten sie, für solchen Fall durch Anhäufung von Capitalien sich vorzubereiten. Sonderbar wäre es gewesen, wenn die in den Hospitalen Angestellten von der allgemeinen Ansteckung frei geblieben wären, und in diesem Zweige mußten die Folgen doppelt traurig und empörend sein. Die Intendanten, die Kriegs-Commissaire, Directoren, Inspectoren und tausend Andere zerrten an der leichten Beute, einen Fetzen davon an sich zu reißen. Die Wundärzte, nur dem Namen nach solche, stammten fast allgemein aus der Classe der Soldaten, indem sie einige Zeit in einem Hospitale als Gehülfen gedient hatten und dann berechtigt waren, selbstständig zu tödten. Der Caplan stürzte durch die Zimmer, stopfte dem Sterbenden das Sakrament in den Mund, machte ein paar Kreuze über ihm und verschwand, angenehmeren Beschäftigungen zueilend. Endlich die Krankenwärter ... Doch ich will nicht länger das Bild menschlichen Elendes in der entsetzlichsten Verlassenheit dem schaudernden Blicke aussetzen. Nur wer es erlebt, wer selbst es empfunden hat, vermag solche Gräuel und solchen Jammer sich zu denken. Sie war vorbei, diese Zeit des herben Duldens. Noch schwach, aber überselig, da ich aus den Thoren des Lazareths in die freie, herrliche Luft trat, ward ich zu dem Depot geführt, um mit der ersten Gelegenheit nach Madrid abzumarschiren. Ehe ich jedoch Cuenca verlasse, muß ich hinzufügen, daß ich dort nicht ohne Zeichen der Theilnahme gelassen wurde; nein, noch immer denke ich mit inniger Dankbarkeit dorthin zurück. Seit dem Augenblicke, in dem ich die Stadt betrat, hatte der Bischof, ein wahrer Geistlicher und wahrer Christ, mit Allem mich, wenn auch oft umsonst, zu versehen gesucht, was die Lage eines Verwundeten zu erleichtern vermag; und später, da ich schon auf dem Wege der Besserung war, sah ich mehrere Male vor meinem Bette eine junge, reizende Dame, die, enthusiastische Carlistinn, trotz dem Widerlichen, was das Hospital für die zarten Gefühle des Weibes haben muß, mit ihrer Mutter kam, den Verwundeten Trost und Hülfe zu bringen. Theilnehmende, ermuthigende Worte flüsterte sie mir zu, und bis zu meinem Abmarsche durfte nie einer der kleinen Leckerbissen mir fehlen, die unter den höhern Classen der Spanier so sehr geschätzt werden. Zwei Jahre später, als Verrath schon den Untergang über uns gebracht und uns nur Wochen der Existenz gelassen hatte, fand ich diese Damen als Verbannte in der Festung, die wir die letzte noch inne hatten, und kaum entgingen sie dem allgemeinen Verderben. * * * * * Am 12. Juli stieg ich die Hauptstraße von Cuenca, welche, da die Stadt auf dem Abhange eines Berges liegt, wohl eine halbe Stunde lang mit vielen Krümmungen das Thal sucht, zum Antritt des Marsches nach Madrid hinab. Mit Wollust athmete ich, die am Fuße des Berges gelegene große Vorstadt verlassend, die reine, freie Luft ein, welche ich so lange gegen die giftigen Dünste des Hospitales hatte vertauschen müssen, und überschaute schwellenden Herzens die Gefilde, reich mit Saaten bedeckt, die lieblich grünen Wälder und die Hügel, welche rings der Landschaft die mannichfachste Gestaltung gaben. Selbst gegen die erhabene Schönheit der Natur wird des Menschen Geist kälter durch die Gewohnheit ihres Anblickes; aber nach langer Krankheit oder wenn aus dem Kerker der ersehnten Freiheit wieder gegeben, sind wir doppelt empfänglich für das schmerzlich Entbehrte. So würde der Marsch nach Madrid mir immer höchst angenehm geworden sein, wenn auch der die Bedeckung commandirende Officier nicht so ganz edel und rücksichtsvoll -- wie in Spanien, im Bürgerkriege äußerst selten -- gewesen wäre. Er hatte lange Jahre gedient und in den Feldzügen gegen die insurgirten Colonien in Amerika gefochten, er kannte den Krieg, kannte die Gebräuche und Rechte, wie civilisirte Nationen auch unter Feinden sie festgestellt; er war brav, und der Brave ist stets großmüthig. Ich durfte während des Marsches ganz wie frei mich betrachten, theilte sein Logis und sein Mahl und sah mich stets mit aufmerksamer Artigkeit behandelt. Mehrere Male traf ich unter den Christinos mit Männern zusammen, die sich gegen mich auf die ehrenvollste Art benahmen, da ich doch aus eigener Erfahrung weiß, wie meine spanischen Gefährten nicht nur allgemein, sondern selbst von eben jenen Männern zu dulden hatten. Der Umstand, daß ich ein Fremder war, mochte wohl hauptsächlich zu solchem Vorzuge beitragen. Der ungewöhnliche Edelmuth jenes Officiers entwaffnete mich. Ich verließ Cuenca mit dem Entschlusse, trotz der Schwäche meines rechten Armes, der bewegungslos in der Binde hing, einen Versuch zur Flucht zu machen, die bei der Nähe der Truppen Cabrera’s möglich schien. Der Mißbrauch solcher Großmuth wäre schamlos, entehrend gewesen; ich blieb. Ein Gefangener nahte ich Madrid auf derselben Straße, auf der ein Jahr vorher Carl V. seine Divisionen bis an die Thore der Residenz geführt hatte. Welche Betrachtungen, welche Gefühle mußte der Gedanke mir wecken! Bald hatten wir den Tajo passirt, die Gebirgszüge verloren sich in Hügel, die mehr und mehr wellenförmige Gestalt annahmen; da, als wir eine leichte Anhöhe erstiegen, lag die stolze Königsstadt vor uns in ihrer Pracht, von zahllosen Thürmen hoch überragt. So sah ich Madrid wenige Monate früher, da wir in freudiger Hoffnung nach Segovia’s Erstürmung heranzogen; damals eilte ich zum Kampfe gegen die Satelliten der Revolution, die wir rasch zu unsern Füßen zu zerschmettern hofften, und jetzt ...! Wie konnte so kurze Zeit so viel Schweres, so viel Furchtbares mit sich bringen? Gegen ein Uhr Mittags betraten wir den Prado, den Versammlungsort der schönen Welt von Madrid; sechs Reihen herrlicher Bäume bilden, so weit das Auge reicht, schattige Alleen, von prachtvollen Gebäuden und Gärten umschlossen. Um diese Tageszeit war der Spatziergang ganz leer, weshalb wir gehofft hatten, unbemerkt und ohne Anfechtung die wenigen Straßen zu durchschreiten, welche von der zu unserer Aufnahme bestimmten Caserne von San Mateo uns trennten. Doch das Volk Madrid’s im Eifer, durch Insultirung wehrloser Gefangenen die Entschiedenheit seiner Meinungen darzuthun, scheut nicht Hitze, Staub und Ermüdung. Schnell umringte uns ein großer Haufe vom Pöbel aller Classen; einzelnen Schimpfworten folgten wilde Drohungen, mit den gräßlichsten Flüchen untermischt, und viele der Wüthenden, selbst Weiber, suchten zwischen die Soldaten der Bedeckung sich einzudrängen, um die Gefangenen zu erreichen. Die Escorte schloß dicht um uns und hielt mit vorgehaltenem Bajonnett die Rasenden zurück, unter denen zahlreiche National-Gardisten durch ihre französischen Militairmützen kenntlich waren, bis es ihr gelang, nachdem sie einige Schreier leicht verwundet hatte, bis zu der Caserne sich Bahn zu brechen. Die Abneigung der christinoschen Soldaten gegen die National-Gardisten stieg oft bis zu höchster Erbitterung, da diese, nur zu Grausamkeiten und Metzeleien fähig und willig, nie zu offenem Kampfe sich uns entgegenstellten, dagegen in ihren Ansprüchen noch über die Linientruppen hinausgingen. Solche Abneigung rettete manchem carlistischen Gefangenen das Leben, indem die Truppen, wenn jener Pöbel, wie so oft, ihr Blut forderte, bereitwillig sie zu beschützen eilten. Das Gefängniß, in welches ich geführt ward, war so finster, daß ich anfangs gar nichts sah; als sich mein Auge endlich an das Halbdunkel gewöhnt hatte, bemerkte ich zehn oder zwölf Unglückliche, sämmtlich Officiere von der Armee Cabrera’s. Der Kerker war ein zwanzig Fuß langer schmaler Raum, der durch ein Gitterfensterchen sein Licht aus dem vorliegenden Gange erhielt. Von den Wänden fielen, durch die Feuchtigkeit losgebröckelt, fortwährend Stücke Kalk herab, in langsam regelmäßigen Pausen tropfte das Wasser zur Erde, und der Boden war mit leichtem Schlamme bedeckt, der nie trocknen sollte. Dabei diente eine Pritsche zur gemeinschaftlichen Schlafstelle, und das Zimmer trug ganz den Stempel der Militair-Gefängnisse, wie sie in allen spanischen Casernen sich finden, auch wimmelte es natürlich von Flöhen, die Tag und Nacht uns quälten. Von Zeit zu Zeit ward es uns erlaubt, eine Stunde lang in dem Hofe spatzieren zu gehen, wo wir dann die Unglücksgefährten trafen, welche in den andern oft noch schrecklicheren Gefängnissen schmachteten. Jeden Sonnabend war aber Communication mit der Außenwelt, indem alle diejenigen, welche durch Furcht vor der Rache der Liberalen und den Insulten der National-Gardisten, welche die Wache in der Caserne hatten, sich nicht abschrecken ließen, uns sehen und sprechen durften, wobei ein hölzernes Gitter sie von uns trennte. Dennoch brachte ich die Wochen meines Aufenthaltes in Madrid so angenehm zu, wie unter solchen Verhältnissen irgend möglich wurde. Ich hatte von der Heimath her Empfehlungen in Madrid vorgefunden, wodurch ich, da Geld und Connexionen dort unumschränkt herrschen, leicht die Erlaubniß erlangte, Alles, was zur Verbesserung meiner Lage dienen konnte, herbeizuschaffen und selbst Besuche in einem besondern Zimmer zu empfangen; auch den gefangenen Cameraden konnte ich so zuweilen nützen. Daher bedauerte ich nur, den Aufenthalt in der Hauptstadt nicht zum Kennenlernen ihrer Merkwürdigkeiten benutzen zu dürfen. Wohl wäre es leicht gewesen -- und es wurden mir wiederholt deshalb Anerbietungen gemacht -- gegen Caution die Stadt als Gefängniß angewiesen zu bekommen; doch würde ich mich nur unter steter Gefahr von Seiten des niedern und hohen Pöbels in den Straßen gezeigt haben; auch hielt ich für erbärmlich, meine Genossen in so trauriger Lage zu verlassen, um selbst der Freiheit mich zu erfreuen oder gar dem ihnen drohenden Geschick mich zu entziehen. Denn auch ihr Leben war fortwährend bedroht: tobende Haufen umwogten oft während der Nacht mit Blutgeschrei die Caserne, und Truppen mußten aufgestellt werden, die Erstürmung zu verhindern. Eines Abends ward auch die Wache plötzlich abgelöset und durch Linientruppen ersetzt, da ein Zufall die Verschwörung verrathen hatte, durch die wir in jener Nacht unter Mitwirkung der Wache habenden Compagnie sollten ermordet werden, die dem zweiten Bataillone der National-Garde angehörte, berüchtigt wegen hundertfach wiederholter Aufstände und Emeuten. Da ward uns eines Abends die Nachricht, daß wir am folgenden Tage nach dem südlichen Spanien abmarschiren würden: die National-Garde und der ganze Pöbel war so aufgeregt, und das Gouvernement fühlte sich ihnen gegenüber so schwach, daß es durch unsere Entfernung dem Sturme vorzubeugen suchte. Am Mittage des 6. Septembers verließen wir Madrid. Wieder umrasete uns das Volk, wieder mußten die Truppen, von denen jetzt ganze Infanterie- und Cavallerie-Regimenter die Straßen und die Zugänge besetzt hielten, mit Gewalt den Durchgang durch die dicht gedrängten Haufen uns erzwingen, und einzelne Pistolenschüsse fielen unter dem Jubel der Menge, ohne jedoch Schaden zu thun. Die Scenen um uns her waren widrig empörend. Einige Nationale schlugen zwei junge Damen nieder, da sie ihrem Vater und ihrem Bruder, die, Oberst und Lieutenant im Genie-Corps, mit uns fortgeführt wurden, Adieu zuzurufen wagten, und das Volk zollte durch laute Bravos der Brutalität Beifall. Entsetzlich war der Marsch jenes Tages; nie wohl verlor ich mit der physischen so ganz die moralische Kraft, nie war ich so abgestorben für Alles, Alles, bis auf das augenblickliche Dulden. Furchtbar glühend, sengend stand hoch die Sonne über uns, glühend, wie nur Madrid’s Hochebene sie kennt; kein erfrischendes Lüftchen regte sich, kein Baum war da, Schatten zu geben, der Staub wirbelte in dicken Wolken unter den Füßen der Colonne auf, Erstickung drohend, und umsonst schaute das matte Auge nach einem Tropfen Wasser umher. Noch schwach vom langen Krankenlager, dessen Wirkung durch die ihm folgende Einkerkerung keineswegs verwischt war, widerstand ich kaum; stumpf, zusammensinkend schleppte ich mich vorwärts und stürzte, so wie Halt gemacht wurde -- jede Viertelstunde -- auf den Boden, unempfindlich für Alles im Gefühle des schrecklichen, tödtenden Durstes. Da bot ich Piaster, Gold, Alles, was ich besaß, für ein Glas, für einen Trunk Wasser, selbst für einen Trunk Wein; und Jedermann drückte den Schlauch, der etwa noch einige Tropfen enthalten mochte, gierig ängstlich an sich; da hatte auch das Gold seine Allmacht verloren. Und da wir endlich das Ziel des Tagemarsches erreichten, ward Übermaß so verderblich, wie die Entbehrung vorher. Wir ergriffen mit unmäßiger Hast die dargebotenen Krüge, um in einem Zuge sie zu leeren und wieder und wieder zum Füllen sie hinzureichen; und immer dauerte unbefriedigt, unersättlich die Gier nach Wasser fort, so daß wir selbst trinkend mit Neid den Gefährten trinken sahen. Bis dahin wußte ich nicht, was Durst sei. In Aranjuez, durch liebliche Gärten und ein schönes Schloß ausgezeichnet, überschritten wir den Tajo, der dort noch weit von der majestätischen Ausdehnung entfernt ist, in welcher er dem Meere seine Gewässer zuführt; dann rasteten wir in Ocaña, wo die Franzosen die fast zwei Mal so starken Spanier in der festesten Stellung gänzlich schlugen. Schon breiteten sich vor uns die weiten Ebenen der Mancha aus, bekannt als Don Quixote’s Vaterland. Ermüdet schweifte der Blick über einförmige Sandflächen hin, die selten vom matten Grüne eines Baumes belebt wurden, Tagereisen lang ward keine Quelle, kein Brunnen sichtbar, in dem der Wanderer seinen Durst löschen könnte, und viele Stunden weit liegen die elenden Dörfer von einander entfernt. Die Bewohner der Mancha machen eben so traurigen Eindruck und flößen den tiefsten Schmerz über die Degradation des Menschen ein. Nirgends fand ich sie so gesunken, wie in einem Dörfchen, las Cuevas[39] -- die Höhlen --, dessen Wohnungen in den oben bedeckten Spalten eines Felsen bestanden, welcher dicht neben der Heerstraße sich erhob. Die Kinder, augenscheinlich bis zum Alter von vierzehn oder funfzehn Jahren, spielten ganz nackt auf der Straße, mit hellem Kreischen entfliehend, da wir naheten, während ihre Eltern, in jämmerliche Lumpen gehüllt, die kaum ihre Blöße deckten, und von widerlichem Schmutze starrend, dumm uns angafften und sich bekreuzten. Ohne einen Begriff von allem nicht rein Thierischen vegetiren diese Unglücklichen hin, ein elendes Geschlecht. Wie ist es möglich, daß der Mensch so entsetzlich tief sinke! Unmöglich scheint es, daß ein so schmerzliches Schauspiel, so beschämend in dem hochgebildeten Europa, wenige Meilen von einer Hauptstadt, die mit Aufklärung und Civilisation prahlen mag, Auge und Gefühl entsetzlich verletzen dürfe. In der That verdient nur die Chaussée auf der ganzen weiten Strecke gerühmt zu werden, und neben ihr -- welcher Jammer, welche Erniedrigung, an der Tausende und Tausende kalt vorüber fliegen, höchstens mit Eckel den Blick wegwenden, statt zu helfen! Nachdem wir die Guadiana überschritten, wo sie unter die Erde verschwindet, um sieben Stunden weiter eben so mächtig sich wieder Bahn zu der Oberfläche zu brechen, und da wir Valdepeñas lieblich leichten Wein getrunken hatten, sahen wir endlich fern die dunkeln Massen der Sierra morena -- der gebräunten Kette -- sich erheben, welche den unzähligen Räubern, die stets die südliche Hälfte Spaniens überschwemmten, so viele und unzugängliche Schlupfwinkel darbietet, daß Ferdinand VII., um von dem kühnsten zugleich und edelsten derselben das Land zu befreien, einen Vertrag mit ihm abschloß, durch den der König dem Räuber lebenslängliche bedeutende Pension zusicherte. Den Edelsten nenne ich José Maria, und wahrlich als Räuber -- als Mann, welcher der Gesellschaft, dem Gesetze Krieg erklärt hat -- verdient er ungeschmälert die höchste Bewunderung, welche ihm als freiwilligem oder unfreiwilligem Mitgliede der Gesellschaft versagt bleiben mußte. Anhänger der Theorie der Menschenrechte und Gleichheit, ließ er die praktische Anwendung derselben, so viel in seinen Kräften, sich angelegen sein; er beraubte nur Reiche, vorzugsweise solche, die ihre Schätze ungerecht erworben oder die lieblos sie verwendeten, und er beeilte sich, den Armen, welche er traf, seine Beute auszutheilen, für sich selbst ganz uneigennützig. Die niedere Classe betete seiner Großmuth und Freigebigkeit wegen ihn an und opferte Alles für ihn, wodurch er den Jahre lang ihn verfolgenden zahlreichen Truppen trotz ihrer verzweifelten Anstrengungen -- den Chefs derselben ward endlich Absetzung, selbst Tod gedroht, wenn sie ihn nicht einfingen -- entgehen und seine Macht so ausdehnen konnte, daß eine Zeile von ihm hinreichte, um reiche Müssiggänger zur Lieferung des Geforderten zu bewegen. Doch lasse ich die spanischen Räuber, denn ich würde nie enden, wollte ich von ihnen erzählen. Wir durchkreuzten bald die wilden Schluchten des Gebirges, die Felsen und Abgründe, über die kühn die Straße geführt ist. Bei dem Anblick dieser Gebirgsmassen regte sich der alte Geist in mir; ich sah auf die kleine, sorglos einherziehende Bedeckung und betrachtete dann die kräftigen Gestalten der dreihundert Gefangenen: wohl bemerkte ich sehnsüchtige Blicke auf die wilden Felsen geworfen, und ich glaubte das Blitzen des kühnen Entschlusses in den dunkel glühenden Augen zu entdecken. Doch der Zug ging ruhig und ununterbrochen fort; der Charakter, die Seele des Spaniers entsprechen selten dem Eindrucke, welchen ihre stolze, scharf gezeichnete Physiognomie hervorbringt. Ich warf einen Blick auf den noch immer regungslosen Arm, der jede rasche Bewegung mir hemmte: es war unmöglich, der Versuch wäre Tollheit gewesen und mußte augenblickliches Verderben nach sich ziehen. Langsam, in hoffnungslosem Schmerze folgte ich den Gefährten. * * * * * Der Marsch durch die Mancha war unheilsvoll gewesen. Mehrere Gefangene, auch ein Soldat der Christinos, waren von der sengenden Hitze erstickt todt auf der Heerstraße niedergesunken, andere starben erschöpft in den Nachtquartieren oder in den Dörfern, in denen sie mußten zurückgelassen werden, und die Hospitäler aller Städte, die wir durchzogen, wurden angefüllt durch die Unglücklichen, welche in ihnen die Kraft zu weiterem Marsche, weiterem Dulden suchen sollten. So wie wir aber die Sierra morena erstiegen hatten, fühlten wir uns neu belebt durch den Hauch der milden, lieblichen Lüfte Andalusien’s, dessen Schönheit ich, ach! nur ahnen durfte; selbst als Gefangener empfand ich den Reiz des herrlichen, nie genug gerühmten Landes. Ich bewunderte la Carolina, nebst mehreren anderen Städtchen am Fuße des Gebirges von deutschen Ansiedlern erbaut, regelmäßig mit schnurgeraden Straßen und freundlich winkenden Häusern. Wenn gleich die jetzigen Bewohner der Geburt und der Sprache nach Spanier sind, tragen doch die reichen Gefilde rings umher das Gepräge deutscher Thätigkeit und Sorgfalt, die mit den einfachen Sitten ihrer Vorfahren in den Nachkommen fortleben. Dann rasteten wir einige Tage in Baylen, wo Dupont’s Divisionen den Spaniern sich ergaben, überschritten bei Andujar den Guadalquivir und zogen dem alterthümlichen Cordova zu, welches einst die siegreichen Carlisten in seinen Mauern gesehen hatte. Einen Tag brachten wir dort in eben dem Forte zu, in dem die Besatzung vor Gomez die Waffen streckte, da es, ein ausgedehntes massives Gebäude, nun als Gefängniß benutzt wurde. Von dort wurden wir nach Sevilla geführt, fortwährend den Guadalquivir cotoyirend, dessen hohe, abgerissene Ufer, wiewohl der Fluß nun sanft und wohlthätig dahinströmte, die furchtbaren Wassermassen verrieth, welche in anderer Jahreszeit den Gefilden Verderben bringend sein Bett zerwühlen. Alle, auch die bedeutendsten Flüsse der pyrenäischen Halbinsel theilen diese Eigenschaft der Berggewässer; während sie im Sommer an vielen Punkten zu durchwaten sind, toben sie, wenn häufige Regen oder der schmelzende Schnee der Gebirge ihnen Nahrung geben, in weite Landseen verwandelt und rings die Thäler verwüstend, wild dem Meere zu. Häufig wurde ich unangenehm überrascht, wenn ich die Flüsse, welche ich als die ersten Spaniens in der majestätischen Pracht der deutschen Ströme mir dachte, fast trockenen Fußes passiren konnte; ja bei unserem Abmarsche von Madrid war in dem Manzanares nicht ein Tropfen Wasser sichtbar. Wie wir dem Königreiche Sevilla naheten, breitete die Landschaft in immer größerer Schönheit den bewundernden Blicken sich aus. Die Hitze war eben so groß wie in der Mancha und doch wie verschieden: ein frischer Wind, regelmäßig zwischen neun und zehn Uhr wiederkehrend, hauchte während der Gluth der Mittagsstunden von der See her erquickende Kühlung; Flüsse und Quellen bieten im Überfluß ihren Labetrunk, und die schneeweißen Dörfer und Landhäuser, überall durch die Felder zerstreut, laden freundlich den müden Reisenden zur Ruhe und Erholung ein. Die Wege, auf dem wellenförmigen Boden sanft auf- und niedersteigend, sind mit duftenden Stauden, mit Stachelfeigen und mannichfachem Caktus eingefaßt, und eben diese Pflanzen dienen mit ihren langen Stacheln und schneidenden Blättern zum Schutze der Felder. So oft der Wanderer eine der leichten Höhen erstiegen hat, weilt sein Auge auf dem lieblichsten Schauspiele, durch welches die Natur, überschwänglich den Fleiß des Bebauers lohnend, den denkenden Mann erfreuen kann. Orangen- und Olivenhaine, mit weit ausgedehnten Weinbergen abwechselnd, bedecken die Hügel bis zum fernsten Horizonte und zeigen, mit einzelnen Granaten-, Citronen- und Mandelbäumen oder breitblättrigen Feigen gemischt, die zartesten Nuancen, welche das wohlthuende Grün in seinen Schattirungen so reich entwickelt. Reinliche Dörfchen, Landhäuser, kleine Capellen mit den niedrigen, eleganten Thürmchen und hie und da ein altergraues Kloster, ehrwürdig von malerischer Höhe das Land überschauend, verschönern das zauberhaft liebliche Gemälde und erwecken in uns die Erinnerungen und Gefühle, die so herrlich uns anregen. Wenn das Land als eines der am meisten von der Natur begünstigten erscheint, rufen Städte und Einwohner unwillkürlich die Periode uns ins Gedächtniß, während der diese Provinzen unter der Herrschaft der Araber unserem Welttheile entfremdet waren. In Andalusien war der Hauptsitz der kühnen Morgenländer, in seinen vier Königreichen trotzten sie am längsten der stets wachsenden Macht der Christen, bis mit Granada’s Fall ihre letzte Hoffnung vernichtet, ihr letztes Bollwerk genommen war. Da erst entschlossen sich die trauernden Reste der Eindringlinge, im nahen Afrika den Schutz ihrer Glaubensbrüder anzuflehen, die längst zur theuren Heimath gewordene Eroberung den gehaßten Feinden zu überlassen. So ist es nicht zu bewundern, daß der Andalusier das orientalische Blut, welches lange Berührung und Verschmelzung mit dem Araber ihm mittheilte, noch jetzt nicht verleugnet, und daß Gebräuche und Sitten der Vorfahren nur langsam mit denen der Abendländer sich mischen und von ihnen verwischt werden. Dunkelgebräunt, ernsten Blickes, zeigt er in seinen Zügen die majestätische, schwermüthige Ruhe, die plötzlich in wildeste Leidenschaftlichkeit ausbricht, wenn seine Würde, sein Stolz verletzt werden, oder wenn unerwartete Hindernisse seinen Wünschen entgegenstehen. Eifersüchtig bis zur Raserei flattert er doch gern von Blume zu Blume; zugleich ist er verstellt im höchsten Grade und scheut sich nicht, jedes Mittel zur Erreichung seines Zweckes anzuwenden. Die Frauen, mit jener Schönheit des Südens begabt, die Viele für den Augenblick unwiderstehlich anzieht, die aber nie auf immer zu fesseln vermag, suchen ihren höchsten Stolz, ihr Glück darin, zahllose Anbeter zu ihren wunderbar zarten Füßen zu sehen, und die Beschäftigung ihres Lebens besteht in den Künsten, durch die sie über die Nebenbuhlerinn den Sieg davon zu tragen hoffen. Kein Opfer ist ihnen zu groß, um solchen Triumph dadurch sich zu bereiten. Doch ich thue Unrecht, diese Eigenschaften als nur den Andalusierinnen angehörend hinzustellen, da alle ihre spanischen Schwestern gleichen Anspruch darauf machen dürfen; was aber unter diesen auf die höheren Classen, die feine Welt, beschränkt bleibt, während da, wohin solche Verfeinerung nicht gedrungen, auch die Sittenreinheit nicht ganz gewichen ist, das ist den Andalusierinnen allgemein, es ist ihnen eigenthümlich und angeboren. Auch in dem Äußern der Städte hat die Ähnlichkeit mit denen des Orients sich bewahrt und drängt sofort der Beobachtung sich auf. Die Häuser, ohne Ausnahme schneeweiß, zeigen noch nach der Straße hin die kleinen, mit Eisengittern geschlossenen Fensterchen, durch welche muhamedanische Eifersucht die Tugend der Weiber zu sichern hoffte; nur in den größten Handelsstädten haben weite Balkonfenster ihre neidischen Brüder zu verdrängen vermocht. Die flachen Dächer sind mit duftenden Blumen geschmückt, oft ganz in Gärten verwandelt und laden freundlich zum Genusse der frischen Abendluft, während in den größeren Gebäuden weite Marmorsäle und kühlende Springbrunnen in die Zauberpaläste der Sultane uns versetzen. Das prachtvolle Sevilla lag vor uns, berühmt durch sein Clima, seine Gärten und die Tertulias mit den reizenden Frauen, die in schmachtender Schönheit die übrigen Töchter Spaniens weit überstrahlen. Schon dehnte der Guadalquivir, ein weiter Meeresarm, in stolzer Breite sich aus, bedeckt mit zahllosen Fahrzeugen, die in jeder Größe und Gestalt, von dem Handelsschiffe, welches reich mit Indiens Schätzen beladen nach Monate langer Fahrt von dem fernen Manila heimkehrte, und dem alle Hindernisse im gleichmäßigen Fluge besiegenden Dampfschiffe bis zum Fischernachen oder der anmuthigen Gondel, die tausendfachen Bedürfnisse der Sevillaner zu befriedigen bestimmt sind. Jenseit des Flusses erhob sich die Kuppel der prachtvollen Kathedrale, kühn den Wolken zustrebend und von den Spaniern als Meisterwerk ihrer Architektur hoch geschätzt. Die niederen Thürme der zahllosen Kirchen und Klöster umringten sie, mehr ihre Herrlichkeit hervorhebend, wie die Edlen den verehrten Herrscher, während die dichte Masse der Häuser, dem treuen Volke gleich, vertrauensvoll zu den Füßen der erhabenen Königinn ruhte, in deren Glanz und Größe sie ja sich selbst verherrlicht sieht. Ein altes Kloster nahm uns auf, von Außen abschreckend in seinem grauen, düstern Braun; da wir aber den innern Hof betraten, mit Orangen und Cypressen geschmückt, überraschte mich der Ausdruck der Eleganz und Pracht, die das Innere fast aller spanischen Klöster auszeichnen, den Reichthum verkündend, durch den sie den Haß des Volkes auf sich zogen. In bitterer Mißstimmung brachte ich die kurze Zeit hin, welche wir in Sevilla’s Mauern zurückgehalten wurden. Konnte es anders sein, da ich verdammt war, die Hauptstädte der schönen Halbinsel zu betreten, die Gegenden zu durchwandern, deren Schilderung so oft mein Interesse erregt und die lebhafte Sehnsucht, sie kennen zu lernen, in mir angefacht hatte; da ich nun verdammt war, sie nur zu durchwandern, ein Gefangener, dem der Genuß so vieler Reize versagt war, da ich gerade hinreichend sie sehen durfte, um den harten versagenden Zwang auf das bitterste mich fühlen zu lassen. Wir durchschnitten, wieder auf das linke Ufer des Guadalquivir zurückkehrend, die herrliche Ebene zwischen Sevilla und Xerez de la Frontera, aßen das unübertreffbare Brod von Alcalá de los Panaderos, durch die ganze Halbinsel als Leckerbissen verkauft,[40] und rasteten in las Cabezas, welches in der Geschichte traurige Berühmtheit erlangte, indem dort die Revolution von 1820 ausbrach, durch die das Heer, welches, zur Bekämpfung der aufgestandenen Colonien bestimmt, den Befehl zur Einschiffung erwartete, die Waffen gegen seinen König wandte und die Constitution proclamirte, die erst der Einmarsch der französischen Armee umstürzte. Dann bewunderte ich, da ein deutscher Kaufmann, den Wache habenden Officier zu Gaste ladend, mich nach seiner Wohnung führen durfte, das freundliche Xerez, schön und anmuthig wie der Wein, den seine fruchtbaren Umgebungen erzeugen, und bald sahen wir von dem Puerto de Santa Maria aus unsern endlichen Bestimmungsort -- Cadix -- aus den Wogen auftauchen, glänzend weiß in der Morgensonne weithinleuchtend, stolz in der Erinnerung seiner früheren Größe. Wiewohl die Entfernung zu Wasser kaum zwei Stunden beträgt, mußten wir der sechs Leguas langen Landstraße über den Puerto Real und die Isla de Leon folgen, deren berühmte Caserne, die geräumigste und prachtvollste des Königreiches, der Angabe nach für 18000 Mann eingerichtet, eine Nacht uns beherbergte. In ihr fanden wir einige Tausend unserer armen Burschen im entsetzlichsten Elende schmachtend und doch unerschütterlich fest; blutenden Herzens verließen wir sie, ach! ohne helfen zu können. Mit Thränen in den Augen begrüßten mich mehrere Leute meiner Compagnie, die gleich mir verwundet in Gefangenschaft gerathen waren. Meine Lage war beneidenswerth, mit der ihrigen verglichen. Am folgenden Tage zogen wir nach der berühmten Festung, einer der wenigen Spaniens, deren Napoleon’s Schaaren nie sich bemächtigen konnten. Cadix, wenn auch seit dem Verluste der amerikanischen Colonien und dem damit verbundenen Fallen des Handels von der Größe und dem Reichthum gesunken, die einst zur ersten Handelsstadt von Europa es machten, zeichnet sich stets durch die Schönheit, die liebliche Zierlichkeit aus, die nebst seinem unermeßlichen Wohlstande den Namen der ~tasa de plata~ -- der Silbertasse -- ihm erwarben. Ein anziehendes Denkmal des geschwundenen Glanzes hat es den lebhaften, die Schätze aller Zonen und aller Welttheile in ihm aufstapelnden Verkehr sich entrissen gesehen, den seine Lage ihm auf immer zu sichern schien. Aber die mannigfachen Annehmlichkeiten, die das Clima, gemildert durch den wohlthätigen Einfluß des Meeres, welches die Stadt umwogt, ihr zu geben vermochten, und die herrliche Lage der schönsten Provinz Spaniens gegenüber sind ihr mit dem Verluste des Handels nicht genommen; noch immer bleibt der Ausspruch des phantastisch genialen Dichters Britanniens wahr, der Cadix als die reizendste der Städte rühmt. Durch seine Lage auf einer kleinen Felseninsel wird Cadix zur außerordentlich starken Festung gemacht, während die Nähe des festen Landes ihm erlaubt, den höchsten Einfluß auf die dortigen Ereignisse zu üben, wie in den Kriegen und Umwälzungen, welche in diesem Jahrhunderte die Halbinsel zerrütteten, mehrfach sich bewährt hat. Die Entfernung von der Küste reicht hin, um gegen eine Belagerung von dort aus wie gegen die Wirkung auch der schwersten Kanonen die Stadt zu sichern, doch vermögen große Mörser ihre Geschosse bis zu ihr zu schleudern; so verursachten die Franzosen in dem einen Stadtviertel, bis in welches sie ihre Bomben trieben, einige Verheerung, da sie die gewaltigen Mörser, welche später als Trophäe nach England gebracht wurden, nahe am Strande aufgepflanzt hatten. Eine zwei Stunden lange, schmale Landenge verbindet die Festung mit der Isla de Leon und der auf derselben liegenden Stadt San Fernando, die, gleichfalls stark befestigt und durch einen Wassergraben ganz vom Lande getrennt, als Außenwerk von Cadix betrachtet werden darf. Jene Enge, künstlich erhoben, ist so schmal, daß die auf ihr hinlaufende Chaussée zu beiden Seiten vom Meere bespült und zur Zeit der höchsten Ebbe von grundlosem Moraste umgeben, oft aber von den Wellen bedeckt ist; sie wird durch starke Cortaduras -- Abschnitte -- gedeckt und kann in wenigen Minuten ganz vernichtet werden. Noch gehören mehrere bedeutende, zum Theil auf abgesonderten Inselchen angelegte und hauptsächlich zur Deckung des Zuganges zum Hafen bestimmte Forts in das Vertheidigungs-System der Festung, welche, so lange der thätige Erfindungsgeist nicht mit neuen, furchtbareren Angriffsmitteln uns bekannt macht, als von der Landseite aus unnehmbar betrachtet werden darf. So war ich endlich auf dem Punkte angelangt, der nach dem furchtbar mühevollen Marsche noch traurigere Ruhe mir gewähren sollte. Nachdem wir einige Tage in dem Stadtgefängnisse, einem der ausgezeichnetsten Gebäude der Stadt, zugebracht hatten, wurden wir nach den Casematten gebracht, die vom Meere bespült und schauerlich feuchtkalt zu unserer Aufnahme bestimmt waren. In tiefe Kerker, die durch die Thür Licht und Luft erhielten, waren je dreißig bis vierzig gefangene Officiere eingeschlossen, während die Unterofficiere und Soldaten in der großen Caserne von la Isla zurückblieben. Unter den Unglücklichen, die abgezehrt und bleich uns zu begrüßen kamen, fand ich einige der Cameraden, die mit mir aus den baskischen Provinzen abmarschirt waren, und viele andere, welche wir dort zurückgelassen hatten, mißmuthig über die Entscheidung, die sie noch unthätig zu bleiben verdammte. Tief bewegt lernte ich die unendlichen Leiden kennen, die sie bestanden, und vernahm die Kunde von dem rühmlichen Tode so Vieler, die ich einst trauernd scheiden sah, deren Glück ich oft beneidet hatte; mit innigem Schmerze hörte ich die Schilderung von dem Untergange der kleinen, schönen Division, da sie, wie die Tausende anderer Braven, nutzlos dem unvermeidlichen Verderben geweiht war. [39] Nicht mit dem gleichnamigen Dorfe der Provinz Cuenca zu verwechseln, in dem ich gefangen genommen war. [40] Ferdinand VII. ließ Bäcker, Mehl, Wasser und alles zum Backen Nöthige von Alcalá nach Madrid bringen, ohne doch so gutes Brod dort schaffen zu können; die Luft soll Schuld daran sein. Jenes Brod ist in der That schöner als das beste Biscuit und wird auf Maulthieren nach Lissabon, Madrid und selbst Barcelona versendet. XVI. Don Basilio Garcia war, wie ich früher erwähnte, von der Hauptarmee der Nordprovinzen in den letzten Tagen des Jahres 1837 entsendet worden, um in der Provinz Cuenca und in la Mancha,[41] zu deren commandirendem General er ernannt war, zu operiren, die dort existirenden zahlreichen Carlisten-Guerrillas zu vereinigen und durch bessere Organisation dem Feinde sie furchtbar zu machen. Er sollte daher zuerst nach Aragon ziehen, da Cabrera Befehl hatte, eine seiner Divisionen Don Basilio zu untergeben. Oráa vereitelte, indem er in Daroca sich aufstellte, den Versuch der Division, von Calatayud aus nach Cantavieja durchzudringen, und schob sie, auf der Straße nach Teruel ihren Marsch cotoyirend, nach der Provinz Cuenca, wo wir am 13. Januar 1838 auf die Verfolgungs-Division Uribarri trafen und, von der Übermacht erdrückt, geworfen wurden. Von Aragon abgeschnitten wandte sich Don Basilio in forcirten Märschen nach der Mancha und erreichte die Sierra von Toledo, wo er sofort eine kleine gegen Palillos operirende Colonne ganz vernichtete. Wenige Tage später begegnete er, ohne daß einer der beiden Anführer von des andern Expedition Kunde gehabt hatte, dem Corps des Brigadier Tallada von der Armee Cabrera’s; es war von Chelva zu einem Zuge nach der Mancha und Andalusien abmarschirt. Don Basilio wünschte, daß diese Division sich ihm anschließen möge, weßhalb er, da Tallada, dessen Truppen weit zahlreicher waren, gar keine Neigung zeigte, ohne besonderen Befehl Cabrera’s sich ihm unterzuordnen, so weit nachgab, daß sie gemeinschaftlich die Leitung des Corps übernehmen wollten, bis Cabrera entschieden habe, welche seiner Divisionen dem königlichen Befehle gemäß zu Don Basilio’s Disposition gestellt sei. Die beiden Chefs durchzogen darauf die Mancha, überstiegen die Sierra morena und drangen in das Königreich Jaen -- Andalusien -- vor, wobei Tallada durch gelegentliche Eigenmächtigkeiten seine Selbstständigkeit schien darthun zu wollen. Am 3. Februar stand seine Division, 3500 Mann Infanterie in fünf Bataillonen und 300 Pferden stark, in Baeza, die der Nordarmee, nur 1600 Mann Infanterie und 140 Pferde, in dem drei Viertelstunden entfernten Ubeda, nahe dem Guadalquivir, als Don Basilio die Nachricht erhielt, daß General Pardiñas, der das Commando der Colonne Uribarri’s übernommen, verstärkt durch die mobilen Truppen der Mancha über den Paß des Despeñaperros die Sierra morena überschritten habe und zum Angriffe heranziehend in la Carolina angekommen sei. Er ließ sofort den Brigadier Tallada auffordern, entweder durch einen forcirten Marsch dem Feinde entgegenzugehen und ihn überrascht anzugreifen, oder, was er selbst rieth, durch einen Nachtmarsch in den Rücken der Christinos sich zu werfen, den Paß des Despeñaperros zu besetzen und so, Andalusien und die Mancha zugleich bedrohend, jeden Umstand zu benutzen. Tallada antwortete, seine Truppen bedürften der Ruhe, und wies auch den Antrag, eine concentrirte Stellung bei Ubeda zu nehmen, mit dem Bemerken ab, daß er dafür einstände, daß der Feind gar nicht an einen Angriff denke. Bei Tagesanbruch ertönte zugleich mit der Nachricht, Pardiñas sei wenige tausend Schritte von den Vorposten entfernt, lebhaftes Feuer von Baeza her. Don Basilio sandte einen Adjudanten an Tallada mit der Bitte, nur eine halbe Stunde sich zu halten, da er zu seiner Hülfe herbeifliege. Der Adjudant fand die ganze schöne Division in furchtbarer Unordnung, wie eine große Heerde von den feindlichen Massen vor sich her gejagt, Tallada selbst außer sich[42] und erhielt von ihm, da er ihn aufforderte, seine Leute zu sammeln, die Antwort, wie er nicht einmal für sich, geschweige für seine Leute einstehen könne. Erst als die Bataillone der Nordarmee mit Festigkeit den Sturm der Christinos ausgehalten hatten und selbst durch kraftvolle Bajonnettangriffe sie zurückdrängten, kam er in Etwas zur Besinnung und ordnete sein Corps zu geregelterem Rückzuge, dem die Division Don Basilio’s deckend sich anschloß, zwei Stunden weit bot sie unter stetem Feuer dem Andrange der feindlichen Infanterie und Cavallerie die Stirn, bis diese, ohne einen Gefangenen ihr abgenommen zu haben, die Verfolgung einstellten. Pardiñas schrieb die Rettung des Corps Tallada’s, welches 300 Gefangene einbüßte, der bewundernswürdigen Bravour der Truppen Don Basilio’s zu. Dieser drang in die Provinz Murcia ein. Entsetzliche Leiden warteten dort der Freiwilligen, indem Regen und Schnee Wochen lang ununterbrochen auf sie herabstürmten und die Gebirge ungangbar machten; die Lebensmittel fehlten mehr und mehr, die Leute marschirten bald barfuß, und ihre Uniformen hingen in Fetzen herab. Da trennte sich Tallada eigenmächtig von dem Expeditions-Corps, um nach Valencia zurückzukehren: er ward am 27. Februar, da er eben den Jucar überschritten hatte, von Pardiñas in Castriel überfallen, nach der gänzlichen Vernichtung seiner Division gefangen und der Gerechtigkeit gemäß erschossen. Don Basilio aber, da die geringen Streitkräfte, welche ihm blieben, durch die Drangsale täglich mehr zusammengeschmolzen waren, wandte sich wieder nach der Mancha und vereinigte sich mit den dort hausenden Partheigängern. * * * * * Drei Cabecillas hatten sich in diesem Theile Neu-Castiliens besonders hervorgethan: Jara hatte einige tausend Mann Infanterie gebildet, d. h. Bauern gesammelt, die nicht exercirt und ohne Uniform größtentheils mit Büchsen und Jagdflinten bewaffnet waren; Orejita führte ein Bataillon und etwa funfzig Pferde; Don Vicenta Rojero -- Palillos genannt -- commandirte mehrere Escadrone Reiter, deren Zahl den Umständen nach zwischen sechshundert und tausend schwankte. Diesen Chefs schlossen sich mehrere Partheigänger an, die gewöhnlich in Estremadura sich aufhielten, aber häufig nach der Mancha hinein streiften und gleichfalls 800 bis 1000 Pferde vereinigen konnten. Alle diese verschiedenen Banden nannten sich Carlisten und wollten für eifrige Verfechter der Religion gelten, während sie die Sache, welche sie zu vertheidigen vorgaben, durch fluchwürdige Excesse schändeten. Ich spreche nicht davon, daß sie die Feinde, welche in ihre Hände fielen, unbarmherzig opferten: sie thaten Recht daran. Wie konnten Männer anders verfahren, die, weil sie schwächer waren, durch die Gegner von den Wohlthaten jedes Vertrages ausgeschlossen wurden, die Alles, was ihnen angehörte, ihnen nahestand, getödtet, verwüstet und vernichtet sahen? Früher habe ich erzählt, durch welche Gräuel die Christinos den Aufstand in diesen Provinzen zu unterdrücken suchten; sie konnten nach solchen Schauder erregenden Thaten nie Schonung erwarten. Nein -- wenn jene Männer, zur Raserei getrieben, mit Feuer und Schwerdt gegen die Liberalen das Werk der Rache übten, handelten sie nur gerecht und erfüllten ihre Pflicht; denn da wäre Milde und Verzeihen zur verächtlichen, unvermeidliches Verderben nach sich ziehenden Schwäche geworden. Aber Entehrung häuften sie auf sich selbst, und sie schändeten die Sache, für die sie zu kämpfen vorgaben, indem sie ihrer Rache Wuth von den Erbärmlichen, die sie hervorgerufen, auf das ganze Menschengeschlecht ausdehnten und -- zu Räuberbanden sich erniedrigten. Von ihren Gebirgen aus -- denn auch die Reiter hatten ihre Zufluchtsorte in den schroffsten Gebirgen gesucht, welche die prachtvollen Pferde mit erstaunlicher Ausdauer auf und ab kletterten -- durchstreiften sie die umliegenden Provinzen, mordeten und brannten; sie plünderten die Reisenden und die Waaren, welche nur in großen Convoys mit Bedeckung von Truppen transportirt werden konnten, schleppten die Gefangenen in ihre Schlupfwinkel und ermordeten sie, wenn nicht bald reiches Lösegeld aus ihren Händen sie rettete. Auch die unglücklichen Bauern blieben nicht verschont. Ihre Ernte wurde häufig zum Futter abgemähet und fortgebracht, wenn nicht gar muthwillig zerstört, die Maulthiere auf dem Felde aufgefangen und erst gegen Auszahlung großer Summen herausgegeben. So sanken diese Banden zu verzweifelten Räubern im ganzen Sinne des Wortes herab, die, wo sie erschienen, Tod und Elend in ihrem Gefolge führten. Die Carlisten, d. h. die Männer, welche in den regelmäßigen Heeren für die Aufrechthaltung der Rechte ihres Königs ehrenvollen Kampf kämpften, wollten natürlich nie jenen Schaaren der Mancha den Ehrennamen von Carlisten zugestehen. Die Christinos aber benutzten schlau die von Jenen verübten Gräuel, um den Anhängern Carls V., unter deren Namen sie verbreitet wurden, den Abscheu der Welt zu erregen. Übrigens waren diese Banden doppelt furchtbar, durch die hohe individuelle Bravour, durch welche sie, wiewohl nicht organisirt und ohne Disciplin, nicht selten den gegen sie operirenden Truppen verderblich wurden. Vor Allem zeichnete die Cavallerie Palillo’s durch seltene Todesverachtung, ja Verwegenheit sich aus und erwies dem Expeditions-Corps während der kurzen Zeit, die es mit ihm vereinigt blieb, wiederholt große Dienste. Die Bewaffnung der Reiter bestand in Säbel, Pistolen und dem Trabuco, jenem gefürchteten Carabiner, dessen Lauf von der Schwanzschraube zu der Mündung allmählich sich erweitert und mit einer Handvoll Kugeln, oft funfzehn bis zwanzig Stück, geladen wird. Er kann nur auf geringe Entfernungen gebraucht werden und wird neben der rechten Seite frei auf dem linken Arm ruhend abgedrückt, da der Rückstoß anderes Anlegen nicht erlaubt; seine Wirkung ist ungeheuer, indem die Geschosse wie die Cartätsche einen Streukegel bilden, der Alles vor sich niederreißt. Die christinosche Cavallerie ward bei dem Anblicke der Trabucos, mit denen die Palillos unbeweglich bis auf wenige Schritt ihre Annäherung abzuwarten pflegten, von panischen Schrecken ergriffen, und es sind Beispiele vorgekommen, daß ein Mann, mit dieser Waffe versehen, eine Straße oder eine Brücke mit Erfolg gegen feindliche Detachements vertheidigte. Solche waren die Banden, welche Don Basilio um sich vereinigen, denen er Ordnung und Kriegszucht einflößen, die er an regelmäßigen, ehrenvollen Kampf gewöhnen und dadurch der Sache nützlich machen sollte, der sie dem Namen nach angehörten. Leider war er nicht der Mann für so schwierigen Auftrag, der eisernen Willen, Entschlossenheit, Kraft und -- Glück erforderte. Don Basilio besaß keine dieser Gaben. Im Anfange freilich, da er nur den Eingebungen der wahrhaft ausgezeichneten Männer folgte, die ihn umgaben, des Marquis von Santa Olalla, seines Secretairs, des Oberstlieutenant Alcalde, des Obersten Fulgocio und so vieler anderer Chefs, die fast ohne Ausnahme auf diesem für die Division so glorreichen wie unglücklichen Zuge getödtet wurden oder in Gefangenschaft fielen; da waren seine Maßregeln trefflich, und der Erfolg schien sie krönen zu wollen. Er nahm das schon von Gomez eroberte Almaden und in wenigen Tagen fünf andere kleine Forts[43], an denen alle Versuche der Partheigänger gescheitert waren, wodurch er ihre Achtung vor seiner überlegenen Macht erzwang. Dann erließ er strenge Strafbefehle gegen Jeden, der ein Vergehen gegen die Disciplin oder die geringste Erpressung und Beleidigung der Einwohner sich zu Schulden kommen ließe. Wer des Diebstahls überwiesen war, wurde ohne Gnade erschossen, wer ohne Erlaubniß auf eine Stunde sein Corps verließ, wurde erschossen; die Christinos selbst rühmten, daß Don Basilio mit ihren Generalen gemeinschaftlich auf die Banditen Jagd mache, die bisher jene Provinzen infestirten. Da er so den ersten, dringendsten Schritt gethan, um die Räuber in Soldaten umzuschaffen, strebte er, möglichst sie zu organisiren und zugleich zu überwachen, indem er viele seiner besten Officiere unter die Corps von Palillos, Jara und Orejita vertheilte. Auch wollte er Einigkeit und Combination in ihre Operationen bringen und hoffte, wenn er einigermaßen an militairisches Handeln sie gewöhnt, um seine kleine Division als den Kern ein furchtbares Corps zu bilden, welches im Innern Castiliens, im wahren Centrum der Monarchie, von entscheidendem Einflusse auf den Krieg werden mußte. So weit war Alles gut. Bald jedoch verdarb die Schwäche des Generals, der unglückliche Gang der Ereignisse und die Abneigung der Cabecillas, was die Kraft kaum erreicht hatte und nur Kraft erhalten konnte. Orejita war der einzige unter den Chefs der Mancha, welcher wahrhaft das Beste der Sache im Auge hatte und daher mit Eifer die Pläne des Generals adoptirte; bald ward er auf einem Zuge durch den südlichen Theil der Sierra Morena von überlegener Zahl überrascht, sein noch nicht ganz ausgebildetes Bataillon von der feindlichen Cavallerie niedergeritten und vernichtet, er selbst mit fast allen seinen Officieren getödtet. Jara und Palillos dagegen beugten sich nur gezwungen augenblicklich unter die Zucht, die Don Basilio etablirt hatte; ein Jeder suchte den Andern zu verdrängen und bei dem General herabzusetzen, da sie, Beide das Commando in Anspruch nehmend, die höchste Eifersucht und selbst Haß gegen einander hegten, der verschiedene Male blutige Streitigkeiten unter ihren Truppen erzeugt hatte. Beider Streben aber war auf Unabhängigkeit und auf Abschütteln der lästigen Controle gerichtet, die seit der Ankunft der Expeditions-Division auf jeder ihrer Bewegungen lastete. Die Lage Don Basilio’s war in der That schwierig; anstatt aber mit nie rastender Thätigkeit und Energie lediglich dem ihm vorgesteckten Ziele nachzugehen, anstatt auf jede Art die beiden Anführer zur Einigkeit und zum Befördern der einzigen, endlichen Sieg verheißenden Kriegsart zu bewegen, gab er bald dem Einem, bald dem Andern Gehör, begünstigte den gerade Gegenwärtigen und regte dadurch die Leidenschaften immer mehr auf. Vielleicht mochte er glauben, durch Intrigue und Schlauheit leichter sie zu bändigen, als mit Gewalt, da daraus wohl offene Widersetzlichkeit ihrer Schaaren gegen ihn und folglich gänzliches Fehlschlagen des Zweckes seiner Expedition hervorgehen konnte. Nach und nach gewann Jara, der listig und fein ihm zu schmeicheln wußte, sein Vertrauen und nahm ihn gegen den geraden, derben Palillos durch vielfache Verleumdungen ein, bis dieser, über die wiederholt erlittenen Zurücksetzungen erbittert, zur großen Freude seiner Reiter ganz von Don Basilio sich trennte. Da machte der General unkluger Weise die Spaltung auf immer unheilbar, indem er laut drohete, Palillos zu erschießen, wenn er seiner habhaft würde. Palillos sprach die gleiche Drohung gegen den General aus und that entschieden feindselige Schritte gegen die Division, fing auch sein altes Plünderungswesen von neuem an. Don Basilio ließ mehrere Reiter, die er zerstreut getroffen, füsiliren; Palillos drohte Repressalien auszuüben: offener Krieg war im Begriffe auszubrechen. Da erkannte Don Basilio, daß der Zweck des Zuges ganz verfehlt und nun unerreichbar sei, daß längeres Verweilen in der Mancha der Sache nur noch schaden könne. Er entschloß sich schweren Herzens, das Unmögliche aufzugeben und die Rettung der Trümmer seines braven Corps zu versuchen. Es sollte nur in der Vernichtung das Ende seiner Leiden finden. Am 26. März hatte die Miniatur-Division in Valdepeñas auf der großen Heerstraße von Madrid nach Sevilla und Cadix ein glorreiches Gefecht bestanden, da sie vom General Flinter, seit seiner Auswechselung nach Gomez Expedition commandirender General der Mancha, mit 5000 Mann am Mittage angegriffen wurde; die Christinos hatten alle Zugänge der Stadt besetzt und mehrere Gefangene in den Häusern gemacht, ehe -- unglaubliche Nachlässigkeit des Generals! -- die Nachricht ihrer Annäherung bekannt wurde. Dennoch brachen, als endlich der Generalmarsch sie aufschreckte, die Bataillone compagnieweise, wie sie einquartiert waren, durch die Feinde sich Bahn, formirten sich auf dem Felde in Sturm-Colonnen und kehrten sofort zum Angriffe zurück. Bis zur Mitte der Stadt drangen sie mit aufgepflanztem Bajonnett vor, so den größten Theil der Gefährten rettend, welche, da sie vorher das freie Feld nicht hatten erreichen können, aus den Fenstern der Häuser die Feinde niederschossen. Nur dreißig Mann Infanterie und fast die ganze Escadron der Legitimität, welche vom Feinde in ihrem Quartier überrascht war, fielen in die Hände der Christinos, wogegen die Division auf dem Rückzuge, den sie unverfolgt bewerkstelligte, vierzig Gefangene fortführte. Mehrere Wochen hindurch wurde das Corps in höchst aufreibenden und schwächenden Märschen umhergeschleppt, während Don Basilio noch immer die Ausführung seiner Pläne in Bezug auf die Cabecillas hoffte. Täglich fanden Gefechte mit den überlegenen Feinden Statt, stets rühmlich, und die Truppen, schon auf 1300 Mann geschmolzen, zeichneten sich fortwährend durch herrliche Standhaftigkeit und Muth aus, die leider ihr Führer nicht so kräftig benutzte, wie die Lage der Dinge unumgänglich erheischte. Er scheute sich, mit dem Feinde zusammenzutreffen, da Erfolg doch nur durch entschlossenes Angreifen auch der größten Schwierigkeiten unter solchen Verhältnissen möglich wurde. Da kam die Trauerkunde von dem Tode Orejita’s; der Bruch mit Palillos entschied sich; bald langte Jara an -- ohne Corps: seine Brigade war durch eigene Schuld in ungünstigster Stellung angegriffen, zersprengt, vernichtet. Jara ward sofort verhaftet und vor ein Kriegsgericht gestellt. Don Basilio aber, nun ganz auf sich beschränkt, wandte sich mit den 1100 Mann, die ihm blieben, von vier feindlichen Divisionen gedrängt und selbst von Palillos angefeindet, nach Estremadura und drang in die Provinz Salamanca ein, von wo er wohl mit dem in Alt-Castilien operirenden Corps des Grafen Negri in Verbindung zu treten hoffte. In der Nacht vom 3. zum 4. Mai ruhte Don Basilio in Vejar, keines Angriffes gewärtig, da der Feind am Morgen jenes Tages siebenzehn Meilen entfernt war; Pardiñas aber, der am nächsten ihn verfolgte, marschirte die ganze Nacht hindurch und war, von Einwohnern von Vejar geführt, der Stadt nahe, als die Diana die Carlisten zum Weitermarsch rief. Bei dem Klange der Trommeln und Hörner stutzten die Truppen, da sie ihre Annäherung verrathen glaubten; der junge feurige General stellte sich, ein Gewehr in der Hand, an die Spitze seiner Grenadiere und forderte sie auf, ihm zu folgen. Die carlistischen Bataillone marschirten dem Sammelplatze zu, als das Feuer von den Eingängen der Stadt her die Nähe der Gefahr ihnen verkündete, da die Christinos von ihren Guiden über Felder und Gärten mit Vermeidung der ausgestellten Vorposten bis innerhalb der Mauern geleitet waren. Ein entsetzlicher Kampf entspann sich in den Straßen. Mit fünffacher Übermacht stürmten die Christinos, ihrem kühnen General folgend, gegen den Marktplatz; die Carlisten stürzten mit dem Bajonnett ihnen entgegen, trotz der Überraschung der gewohnten Bravour treu. Aber von allen Seiten gedrängt sahen sie ihre Reihen schnell gelichtet und wichen kämpfend; schon betrat Pardiñas den Marktplatz, als er den Oberst Fulgocio, in Ferdinand’s Garde einst sein Camerad, zu Pferde vor einigen hundert Mann, den Überresten seiner Brigade, halten sah, zu festem Widerstand sie ermunternd. „Ergieb Dich, Fulgocio, ergieb Dich!“ rief Pardiñas ihm zu; doch der heldenmüthige Fulgocio, edel wie wenige Spanier, antwortete laut: „Während mein Schwerdt mich schützt, ergebe ich mich nicht!“ und sank von Kugeln durchbohrt zur Erde. Seine kleine Schaar ward nach verzweifeltem Ringen gebrochen und niedergestreckt, da sie Pardon nicht gab noch forderte; alle ihre Anführer waren vor ihr gefallen. Zweihundert Mann, die in das Stadthaus sich eingeschlossen, ergaben sich, als sie ihre letzte Patrone verschossen hatten. Don Basilio war wie durch Wunder aus einem Fenster seines Logis und über mehrere Dächer hinweg entkommen, da schon die Thüren des Hauses vom Feinde besetzt waren. Mit 250 Mann, dem Reste des Corps, welches durch seine Sorglosigkeit in Märschen und Überfällen -- doch stets glorreich kämpfend -- vernichtet ward, gelang es ihm, nach Aragon durchzudringen und der Armee Cabrera’s sich anzuschließen. Alle die besten Chefs und Officiere der Division, unter ihnen der General Marquis von Santa Olalla, Chef des Generalstabes, ein Brigade- und drei Bataillons-Commandeure waren gefallen; Wenige, darunter Oberstlieutenant Alcalde vom Generalstabe und der Commandeur des Bataillons von Valencia, Beide verwundet, fielen in die Hände der Christinos. Auch Jara, der kein gutes Loos erwarten mochte, hatte freiwillig als Gefangener sich ausgeliefert. Unter den Todten befand sich mein Chef und Freund, der Commandeur des 7. Bataillons von Castilien, Oberstlieutenant Sabi, fast in jedem Gefechte verwundet und immer gleich unerschrocken. Mit noch offener Wunde verließ er die Nordprovinzen, um im Anfange der Action von Sotoca wiederum von einer Kugel getroffen zu werden. Dann fiel er bei Valdepeñas in die Gewalt der Christinos, die Brust bis zum Rücken durchbohrt; gegen einen dort gefangenen Escadrons-Chef ausgewechselt, so wie er transportirt werden konnte, fiel er an der Spitze von 140 Mann, der kleinen Schaar, die von seinem Bataillon ihm geblieben, als er, wiewohl noch schwach und ohne Commando, gegen den anstürmenden Feind sie begleitete. So viele treue Gefährten sanken da in die frühe Gruft! Von allen Officieren meines Bataillons retteten sich nur zwei nach Aragon; der eine von ihnen ward dort bei der Belagerung von Morella getödtet, mir lieb wie ein Bruder. Glücklich, glücklich preise ich sie: sie ruhen in dem Schooße der Heimath, sie kennen nicht, wie ihre trauernden Gefährten, den bittern, erdrückenden Schmerz, verrathen, verkauft dem Monarchen, für dessen Rechte sie ihr Blut vergossen, in die kalte Fremde folgen zu müssen, ihren König gefangen schmachten zu sehen und das Vaterland unter dem Joche revolutionairer Anarchie seufzend zu wissen. Sie errangen sich herrliches, beneidenswerthes Loos! * * * * * Seitdem General Guergué nach der Rückkehr des Königs aus Castilien das Commando der Armee übernommen, war sein Streben darauf gerichtet, so bald wie möglich den Krieg wieder nach den Provinzen südlich vom Ebro zu spielen, wozu er, der Navarrese, das Corps von Castilien benutzte. Drei große Fehler beging er dabei: er entsendete die Expeditionen in der Jahreszeit, die alles Ungemach ihnen häufen mußten; er entsendete sie isolirt, ohne ihnen doch die nöthige Stärke zu geben, um für sich mit Kraft auftreten zu können; und er gab ihnen Führer, die wenig geeignet waren, solche Nachtheile aufzuwiegen. Die dritte Division erlag dem Verhängnisse, welches seit dem Augenblicke des Ebro-Überganges im December 1837 über ihr waltete. Durch unvorhergesehene Hindernisse aufgehalten, folgten ihr erst im Anfange März die acht Bataillone Castilianer, welche mit ihr bei Amurrio die Revue vor Sr. Majestät passirt hatten; das Commando derselben nebst vier Escadronen und zwei Berggeschützen ward dem Generallieutenant Grafen Negri anvertraut. Ein prachtvolles Corps, ganz Ergebenheit für die Sache der Legitimität und Ausdauer und Disciplin -- und wie ging es unter! -- Graf Negri ist ausgezeichnet durch Geburt und Bildung, unerschütterlich loyal, persönlich brav; aber General war er nie und am wenigsten der schwierigen Aufgabe gewachsen, die bei solcher Expedition ihm zu Theil wurde. Welche herrliche, unersetzbare Kräfte wurden in diesen Zügen nutzlos vergeudet! Ich werde das Schicksal dieser Expedition nicht in seinen Details verfolgen: sie sind, wie mehrfach schon geschildert, aus Fehlern und Elend, Strapatzen und bewundernswürdiger Ausdauer, aus einzelnen lichten Punkten und namenlosem Unglücke zusammengesetzt. Ein kurzer Umriß des Geschehenen wird genügen. Bei seinem Auszuge aus den Provinzen wies Negri den General Latre, der seinem Marsche sich zu widersetzen eilte, mit Verlust zurück und schlug ihn bald nachher in dem Gebirge von Santander, wobei Latre selbst verwundet wurde. Er durchzog dann ganz Alt-Castilien und besetzte Segovia, welches dieses Mal von den Truppen und Behörden geräumt war; der Zweck dieser Besetzung ist stets dunkel geblieben, wenn man nicht die Absicht, doch auch in eine bedeutende Stadt einzuziehen, als Beweggrund annimmt, denn die Verhältnisse waren sehr verschieden von denen, welche die Expedition Zariategui’s veranlaßt hatten. Nach wenigen Tagen schon war Negri genöthigt, Segovia zu verlassen; auf dem Fuße von den feindlichen Colonnen verfolgt, warf er sich in die Gebirge und erreichte sie kaum, nachdem er alle seine Jäger-Compagnien eingebüßt, da sie, den Rückzug der Division deckend, von Infanterie und Cavallerie mit unendlicher Überzahl angegriffen, umringt und in Masse formirt nach hartnäckigem Kampfe gefangen oder niedergemacht wurden. Da begann das entsetzliche Elend. Ohne Lebensmittel, ohne Schuhwerk verlor das Corps Zeit und Kraft in nutzlosen Hin- und Herzügen durch die Gebirge von Soria und Burgos, der Regen fiel Tag und Nacht in Strömen, den Truppen ward nicht Ruhe noch Rast gegönnt; sie verlangten nur zu schlagen und Negri hieß sie marschiren. Die Castilianer sanken erschöpft zusammen und rafften sich wieder auf und murrten nicht; ihr Pulver war längst durch unaufhörliche, Alles durchdringende Regengüsse verdorben, sie waren waffenlos, vertheidigungslos -- und ergeben folgten sie ihrem Führer; seit mehreren Tagen marschirten sie ohne Rationen, von Allem entblößt -- und ihre einzige Bitte war, daß sie gegen den Feind geführt würden, mit dem Bajonnette das Mangelnde sich zu erringen. Negri hieß sie marschiren, ohne Rast, ohne Aufhören marschiren. Espartero war mit seiner mobilen Colonne nach Burgos gezogen und erwartete dort ruhig den Augenblick, der das kräftig verfolgte Expeditions-Corps in seinen Bereich bringen und Gelegenheit zum Vernichtungsschlage ihm geben werde. Am 27. April zogen die Colonnen Negri’s wenige Meilen von Burgos entfernt durch die Sierra, verzweiflungsvoll, den Tod im Herzen; da ertönte der Ruf, Espartero sei nur noch eine Stunde hinter dem Corps zurück: er war von Burgos aufgebrochen, es abzuschneiden und übernahm, zu spät gekommen, mit Lebhaftigkeit die Verfolgung. Unbewegt hörten die Truppen die Schreckenskunde. Umsonst suchte Negri den Marsch zu beschleunigen, einen hohen Paß zu erreichen, der leicht vertheidigt ferneren Rückzug sicherte. Die Soldaten schlichen, schon für Alles gleichgültig, den Weg hinan, sie hatten mehrere Nächte hindurch keine Ruhe, seit acht und vierzig Stunden keinen Bissen Brod gehabt, der Regen machte jede Bewegung doppelt lästig. Bald waren die Truppen Espartero’s, die frisch und kraftvoll Burgos verlassen, im Angesichte des Nachtrabes, sie hatten den Weg mit Sterbenden und in Schwäche Hingesunkenen bedeckt gefunden. Da wollte Negri, der so lange ängstlich den Kampf vermieden hatte, doch rühmlich untergehen; er ordnete seine Divisionen in Bataillons-Colonnen zur Schlachtordnung, und die braven Castilianer fühlten sich neu belebt, da sie endlich stehen und fechten sollten. Rasch dringt Espartero an der Spitze seiner Cavallerie-Massen heran, er stutzt, da er auf der kleinen Ebene, das Gebirge im Rücken, die acht dichten Haufen bewegungslos, drohend dastehen sieht, während die beiden Escadrone die Flanken zu decken scheinen. Doch schnell entscheidet er sich zur Charge und stürzt auf die ersten Bataillone, die fest den Sturm erwarten und, da die Reiter wenige Schritt entfernt, auf der Führer Stimme Feuer geben. -- -- Die Gewehre sinken aus den erschlafften Händen: nicht Ein Schuß war erfolgt, da alles Pulver untauglich geworden. In wenigen Minuten war das unblutige Werk vollbracht. Graf Negri mit den beiden Escadronen und einigen berittenen Officieren entfloh unverfolgt und gelangte nach Aragon; die acht Bataillone, die treuen, ergebenen Castilianer -- fielen wehrlos in des übermüthigen Siegers Hand, der auch die Geschütze und Bagage erbeutete. So ward jenes herrliche Corps von Castilien vernichtet, welches nach der königlichen Expedition die Hoffnungen der Carlisten von neuem anregen durfte; seine beiden Theile sanken gleich brav, gleich nutzlos hingeopfert. Aber die Division, welche unter Don Basilio auszog, war glücklicher, da ihr gegeben war, bis zum Untergange heldenmüthig gegen die Übermacht zu ringen, da sie kämpfend, tödtend fiel, im Unterliegen auch des Feindes Bewunderung davon tragend. * * * * * Während Guergué so zwölf Bataillone und vier Escadrone plan- und hülflos untergehen ließ, war er in den Nordprovinzen vollkommen unthätig und genoß der Muße, die Espartero reichlich ihm ließ, indem auch dieser, nachdem er die im vorhergehenden Feldzuge erschlaffte Disciplin wiederhergestellt und strenges Gericht über die Schuldigen gehalten, bis zum Frühlinge mit Spatziermärschen von einem Theile seiner Linien nach dem andern sich begnügte. So beschäftigte sich denn Guergué, während er den alten Pfarrer Merino mit den indessen neugebildeten Bataillonen von Castilien nach dieser Provinz entsendete,[44] mit der Reorganisation der traurig herabgekommenen Armee, was ihm jedoch so wenig gelang, daß, natürliche Folgen der Unthätigkeit, Mangel an Disciplin und Unzufriedenheit täglich überhand nahmen. Nach der Vernichtung der Expedition Negri’s ward jedoch Espartero so lebhaft von Madrid aus zu kräftigerem Handeln gedrängt, und das Geschrei der Liberalen erhob sich so laut und drohend gegen ihn, daß er seinen Entschluß verkündete, die Festung Peñacerrada in Alava, welche Uranga im August 1837 erobert hatte, wiederzunehmen, und demnach umfassende Vorbereitungen traf. Da diese Veste den Carlisten die reichen Gefilde der Rioja alavesa unterwarf, Castilien ihnen öffnete und die Verbindung zwischen Alava und Navarra dem Feinde nur auf weitem Umwege über Miranda de Ebro möglich machte, eilte Guergué zum Schutze derselben herbei; er gab ihr eine auserlesene Garnison und mehrte, so viel die Umstände zuließen, die Befestigungen. Da jedoch in dem Heere die Hauptstütze und Sicherheit des Platzes gegen einen regelmäßigen Angriff beruhen mußte, errichtete er ein befestigtes Lager über einer Brücke auf dem Wege, den allein der von Vittoria heranziehende Feind benutzen konnte. Um die Mitte Juni’s verließ Espartero diese Stadt mit 20000 Mann, von einem zahlreichen Belagerungs-Train begleitet; mit fast 14000 Mann stellte Guergué sich ihm gegenüber. Aber, o Staunen! er ließ das ganz unangreifbare, den Zugang beherrschende Lager unbesetzt, ja er vernichtete nicht einmal die Brücken, wodurch der Transport der Artillerie unendlich erschwert wäre; dagegen nahm er eine Stellung zur Seite der Festung in den Gebirgen. Espartero zog daher bequem heran, da er kein Hinderniß und die Wege im besten Zustande fand, bemächtigte sich mit Leichtigkeit eines kleinen dominirenden Forts, für Infanterie-Feuer eingerichtet, etablirte seine Batterien und begann mit Nachdruck die Beschießung der Stadt, die übrigens auf Befehl des Generals -- der keine längere Belagerung erwartete oder, da ja die Verbindung mit der Armee, so lange sie ihre Stellung inne hatte, offen blieb, nicht mehr Munition aussetzen wollte -- nur auf drei Tage mit Schießbedarf versehen war. Am 27. Juli nach zweitägigem, ununterbrochenem Feuer war die Bresche im Begriff practicabel zu werden, auch empfand die Garnison schon Mangel an Munition, weshalb Guergué, durch einen Adjudanten stündlich von der Lage der Dinge unterrichtet, den Angriff auf die feindliche Armee beschloß, welche den Sturm für die kommende Nacht vorbereitete. Der Kampf wogte hin und her, aber um Mittag hatte die carlistische Armee den Feind auf allen Seiten zurückgedrängt. Die Besatzung der Stadt jubelte, und Guergué hielt selbst den Sieg für entschieden, wiewohl Espartero stets in vollkommener Ordnung einen Flintenschuß entfernt stand; daher befahl er den Bataillonen, während der glühenden Hitze zu ruhen und ihre Rationen rasch zuzubereiten, während ein einziges Bataillon von Navarra dem Feinde gegenüber zur Beobachtung stehen blieb; am Nachmittage sollte der Angriff fortgesetzt, der schon unzweifelhafte Sieg vollendet werden. Espartero benutzte diese Sorglosigkeit, vereinigte seine ganze Cavallerie, stellte sich selbst an die Spitze der Husaren,[45] warf im glänzenden Choc das Bataillon von Navarra über den Haufen und stürzte auf die kaum von ihren Kochtöpfen verwirrt sich aufraffenden Carlisten. Die Husaren von Arlaban suchten den Sturm aufzuhalten und chargirten mehrmals mit Glanz, wurden aber nach hartnäckigem Widerstande ganz zusammengehauen; in einer halben Stunde war die so eben noch siegreiche Armee zerstreut und floh in wilder Auflösung. Der Feind nahm fast die ganze Artillerie der Carlisten, von der Espartero mehrere in den Fabriken der Provinzen verfertigte Geschütze wegen ihrer besondern Schönheit als Merkwürdigkeit nach Madrid sandte, auch machte er eine bedeutende Zahl Gefangener. Am Nachmittage zog er in Peñacerrada ein, da die Garnison, so wie sie die deckende Armee auf der Flucht und die Christinos im Begriff sah, ganz die Festung einzuschließen, ohne Mittel zu längerer Vertheidigung sie verließ und in die Gebirge sich rettete. Der moralische Eindruck dieses Sieges war außerordentlich: gewiß ist er der größte und wichtigste, den Espartero mit den Waffen in der Hand je errungen hat, und Muthlosigkeit verbreitete sich bei der Nachricht des Geschehenen durch die Provinzen. Drei Tage später ward Guergué, als General en Chef ganz untauglich, des Oberbefehls enthoben. [41] La Mancha umfaßt die Provinzen Toledo und Ciudad Real, beide zu Neu-Castilien gehörend. [42] Tallada nahm kurz vor seiner Bereinigung mit Don Basilio einige Compagnien der königlichen Garde gefangen, und ließ die Officiere derselben trotz der zugestandenen Capitulation niedrig ermorden -- aus Habsucht. Seit dem Augenblicke dieser Schandthat wich alle Energie, die vorher ihn ausgezeichnet hatte, von ihm, und ein furchtsames Schwanken und Geistesabwesenheit lähmten seine Talente, wie er denn von Unglück zu Unglück dem schnellen Untergange zueilte. [43] Jedes bedeutende Dorf in der Mancha war zum Schutze gegen die Banden befestigt. [44] Da die Züge Merino’s, deren Résumé Abmarsch, Aufenthalt in den Wäldern und Vernichtung ist, keine nähere Erörterung verdienen, erwähne ich ihrer hier kurz. Eine unbegreifliche Verblendung ließ diesen Greis, der längst sich überlebt hatte und dessen Ruhm seine Thaten weit überragt, in dem Jahre 1838 mehrfach zum Anführer kleiner Corps bestimmen, die er denn auch so trefflich zu handhaben wußte, daß er jedes Mal ganz ohne Truppen zurückkam. Es scheint wahrlich, daß es damals den Heerführern der Basken nur darauf ankam, der Castilianer sich zu entledigen, gleichviel auf welche Art. -- Merino hatte zu seiner Zeit nur Cavallerie geführt und hatte gar keinen Begriff von der Infanterie; doch gab man stets ihm solche. Er verließ die Provinzen mit zwei Bataillonen, verlor sie, entkam nach Aragon, nahm dort das Commando der Castilianer-Bataillone, die von Zariategui dorthin sich gerettet hatten, zog, nachdem er der Belagerung von Morella beigewohnt, gegen Cabrera’s Willen -- auf höheren Befehl -- damit aus, verlor sie, kehrte nach Navarra zurück, erhielt neue drei Bataillone und verlor sie wieder in Castilien. Von da an blieb er unthätig. Es ist bekannt, wie der Gram ihn tödtete, da er bei Maroto’s Verrath im verhaßten Franzosenlande Zuflucht suchen mußte. [45] Espartero soll persönlich sehr brav sein und zeigt dieses gern, indem er sich an die Spitze seiner angreifenden Escadrone stellt. Doch erzählten mir christinosche Officiere, welche bei jenem Angriffe sich befanden, daß Espartero, da die Husaren von Arleban mit Festigkeit chargirten, schweigend sein Pferd wandte und von der Tete zu der Queue der Colonne ritt. XVII. Don Rafael Maroto, in Andalusien geboren, diente im Unabhängigkeitskampfe gegen Napoleon und später in den Colonien gegen die Insurgenten, in welchem Kriege er bis zu dem Grade von Brigadier stieg. Auch er sog dort die niedrigen, selbstischen Ideen und Grundsätze ein, die in allen Generalen und Chefs, welche in jenen Kriegen gegen die aufgestandenen Amerikaner ihre Schule machten, mit seltenen Ausnahmen so auffallend sind und später in Unbeständigkeit, Bestechung und Verrath sich kund thaten. Bei seiner Rückkehr nach Europa hatte Maroto umsonst das Commando einer Brigade in der Garde zu erlangen gesucht; der Graf de España, damals Chef des Garde-Infanterie-Corps, wußte die mächtige Fürsprache, welche die schöne Frau des Brigadier ihm erlangt hatte, zu vereiteln, indem er dem Könige vorstellte, daß Maroto vorher selbst ein Kriegsrecht fordern müsse, um über sein Benehmen bei dem schimpflichen Ende jenes Feldzuges sich richten zu lassen. Bald nachher war er genöthigt, jene Frau, eine reizende, sehr reiche Amerikanerinn, nach ihrem Vaterlande zurückzusenden, da sich fand, daß er mit ihr sich verheirathet hatte, während seine erste Frau vergessen in Spanien lebte. -- Maroto vereinigt mit niedrigen Gesinnungen hohe Talente; er ist fest, unbeugsam in seinem Willen, energisch in der Ausführung des Beschlossenen wie ohne Bedenken bei der Wahl der Mittel, dabei mit durchdringendem Verstande und herrischem Temperament begabt. Sein Äußeres und sein Benehmen üben auf die Umgebung, besonders auf die Frauen, so mächtig in Spanien, eine unwiderstehliche Gewalt: diese tief liegenden, dunkel glühenden Augen scheinen die Macht jener Schlange zu haben, deren Blick die zitternden Opfer fesselt und anzieht. Dieser war der Mann, den Carl V. berief, um durch sein Talent die Unglücksfälle gut zu machen, welche unter Guergué’s Commando die Armee der Nordprovinzen getroffen hatten; und wahrlich, Viel hätte er thun, auf immer die Liebe des Volkes und den Dank des Monarchen sich erringen können, dessen Vertrauen so hoher Stellung ihn werth hielt. Maroto hatte während des Bürgerkrieges mannigfach sich ausgezeichnet, ohne doch durch glänzende Erfolge seine Fähigkeiten verkündet zu haben. Nicht ohne zweideutiges Benehmen nach dem Tode Ferdinand’s kämpfte er später in untergeordneter Stellung in den baskischen Provinzen und wurde -- sein erstes selbstständiges Commando -- im Jahre 1836 zum commandirenden General in Catalonien ernannt, hatte aber von dem ersten Augenblicke seines Auftretens daselbst mit so entschiedenem Unglück zu kämpfen, daß es ihm unmöglich ward, die wilden Horden -- denn andere Namen verdienten sie nicht -- der dortigen Carlisten zu bändigen und durch Vertrauen sich zu verbinden. Er wich den Umständen und zog sich nach Frankreich zurück, wo er, anscheinend ohne Einfluß, aber den Ereignissen und Intriguen des königlichen Hauptquartiers nicht fremd, bis zu dem Augenblicke lebte, in dem der Gang der Dinge die Machinationen der ihm Verbundenen zu begünstigen schien. Da eilte er, persönlich seine Pläne zu betreiben. Der Hof und in ihren Führern die Armee waren schon lange durch die Spaltungen, Intriguen und innern Anfeindungen getheilt, die so viel zur Schwächung der Carlisten und zur Paralysirung ihrer Anstrengungen beitrugen. Zwei Hauptpartheien oder Fractionen standen sich gegenüber, die in wenigen Worten charakterisirt sind. Die erste, die von ihren Feinden aller Orte und aller Arten als ultraroyalistisch bezeichnete Parthei, d. h. Alle, welche den König als König verehrten, ihn vertheidigten, weil ihre Grundsätze es erheischten, weil seine Sache die +gerechte+ war, Alle, welche bereit waren, für ihn den letzten Blutstropfen zu vergießen. Die andere Parthei nannte sich gemäßigt: sie widmete sich der Vertheidigung Carls V., um ihre persönlichen Zwecke und Interessen zu fördern, sie betrachtete und betrieb den Krieg als Mittel der Bereicherung, der Größe; sie strebte, möge nun Legitimität oder Usurpation den Sieg davontragen, für sich möglichst fette Bissen zu sichern. Ihr schlossen viele Wohlmeinende sich an, theils kurzsichtig und getäuscht, theils aus schwacher Verzagtheit. Wie empfehlungswerth und wohlthätig in den gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens die Mäßigung auch sein mag, sie wird nicht selten als schönes Deckwort der Schwäche, der Verderbtheit benutzt und muß denen als Schild dienen, die offen zum Kampf nicht vortreten mögen. Es giebt Umstände, in denen Mäßigung unvermeidliches Verderben bringen, „Alles oder Nichts“ der Wahlspruch sein muß, da, wer mit Etwas sich begnügen wollte, bald auch dieses Etwas sich entrungen sehen würde. In solchem Falle fanden sich die Carlisten. An der Spitze der ersten Parthei standen Männer, die seit dem Beginn des Krieges in Treue und Heldenmuth sich hervorgethan; sie wollten ihren König ganz als solchen, daher keine Transactionen, keine Unterhandlungen, Sieg oder Tod! Freilich zählten sich ihnen auch solche zu, die, nur Fanatismus kennend und blind ihren Leidenschaften folgend, durch Gräuel die Sache schändeten, welche ihr entschlossener Muth hob; doch blieben diese stets in geringer Zahl und ohne Einfluß auf das Ganze. Die Gemäßigten verzagend am Erfolge, der so lange schon streitig, oder um das Errungene zu sichern und zu genießen, schlugen Aussöhnung vor und Nachgeben in einzelnen Punkten: die Armen, wie wenig kannten sie Spaniens Revolutions-Männer! Nebst dem Padre Cyrilo, Erzbischof von Cuba, leitete sie Maroto, nun an die Spitze des Heeres gestellt, und gewandt wußten sie die geistesstarke Princessin von Beira, mit der Carl V. sich zu vermählen gut fand, über ihre Zwecke zu täuschen und sie ganz für sich zu gewinnen. Maroto’s Pläne aber gingen weiter, als selbst die große Zahl der ihm Verbundenen es ahnete; vielleicht ließ er sich, da die ersten Schritte gethan, hinreißen zu dem, was er nie gewollt, da der Rücktritt schwer, die Lockung groß, ihm unwiderstehlich sein mochte. Er verkaufte sich, verkaufte das ihm anvertraute Heer, das Land, den König selbst, der so hoch ihn gehoben hatte; er ward zum Verräther! -- Ehe er aber den entscheidenden Schritt thun konnte, mußte er von jenen Männern sich befreien, die, treu bis zum Tode ihrem Herrscher ergeben, offen als Gegner sich ihm darstellten, die seine Gesinnungen, seine Maßregeln durchschauten und ihnen entgegen arbeiteten. Maroto ward alles leicht, was förderlich war: die Edlen starben von Henkershand, und triumphirend vollendete der Verrath sein Werk. * * * * * Maroto’s erstes Auftreten war seinen Talenten angemessen und wohl geeignet, die Blicke Aller auf ihn zu ziehen und selbst den heller Sehenden hohe Hoffnungen zu erwecken. Die Disciplin war gänzlich erschlafft; Wochen reichten dem neuen Obergeneral hin, strenge wie nie zuvor sie herzustellen. Seine Kraftmaßregeln beugten die Widerspenstigen, einige leichte Unruhen wurden fest unterdrückt und gerügt, die kleinsten Fehler gegen die Kriegszucht hart geahndet; selbst das Mißtrauen, den Haß, der zwischen Basken und Castilianern geherrscht und so oft in blutigen Zwisten sich Luft gemacht hatte, wußte seine Energie zu verdecken, wenn nicht auszurotten. Der Zufall wollte, daß in dem Augenblicke seiner Ernennung zum Generalate eine bedeutende Summe, von eines edlen Fürsten Hand -- wohl zu besserm Zwecke -- gespendet, die seit langer Zeit leeren Cassen gefüllt hatte, und Maroto wußte sie trefflich für seine Pläne zu benutzen. Er bedurfte der Liebe und des Vertrauens der Soldaten. Während er also sie gehorchen lehrte, sorgte er für ihre Bedürfnisse mit väterlicher Sorgfalt: die Rationen fehlten nie, denn Geld vermochte Alles, die Bataillone und Escadrone wurden neu uniformirt und selbst überflüssig ausgerüstet, Soldaten und Officiere erhielten regelmäßig ihren Sold, zum ersten Male seit den Zeiten des großen Zumalacarregui. Zugleich blendete der General seine Truppen durch Glanz und Luxus, wie die einfachen Gebirgssöhne nie zuvor ihn gekannt. Prachtvolle Pferde, mit Gold bedeckte Schabracken, reich gestickte Uniformen setzten die Menge in Erstaunen, ein glänzender Generalstab umringte den Mann, der das Alles geschaffen hatte, zahlreiche Dienerschaft folgte ihm, jeden Wink des Gebieters zu erfüllen. Der Soldat, das Volk betrachteten Maroto als ein höheres Wesen, sie kannten die Quellen nicht, aus denen diese Wunder entsprungen, und glaubten deshalb, daß alles von ihm stamme, sein Werk sei. Er ward der Abgott der Truppen, die zugleich ihn anbeteten und wie einem Vater ihm vertrauten, der Abgott des Volkes, welches sich erleichtert fühlte trotz solches Aufwandes und so gehäufter Kosten; die Officiere, da sie strengste Gerechtigkeit ihn üben und jeden Mißbrauch mit Kraft angegriffen sahen, mehr aber noch im Gefühle der Verbesserungen, welche die Armee ihm verdankte, waren ganz sein. Maroto’s Name war in Aller Munde, Alle begrüßten und ehrten ihn als den Messias, zur Rettung der bedrängten Sache der Gerechtigkeit abgesandt. Hinter so vielen Talenten, so vielem Eifer und -- so vielem Golde, wer hätte da den undankbaren Verräther gesucht an dem Könige, der mit Ehre und Wohlthaten ihn überhäuft, der, noch mehr! sein Vertrauen ihm geschenkt, den Verräther an dem Lande, welches in freudiger Hoffnung an der Spitze seiner braven Söhne ihn sah! Die Christinos hatten beschlossen, das Kriegsglück, welches seit dem Herbste des Jahres 1837 so hold ihnen gelächelt hatte, kräftig zu benutzen, um die errungenen Vortheile zu krönen, indem sie im Osten und Norden zugleich entscheidende Schläge versuchten: Morella, Solsona und Estella sollten belagert werden. Der Ausgang des Unternehmens gegen Morella ist bekannt; die Armee des Centrums hat ihre frühere Überlegenheit über Cabrera’s Truppen seit jener Zeit nicht wieder erlangt. Später werde ich darauf zurückkommen. Estella also sollte genommen werden. Doch wollte Espartero vorher theils einen Versuch gegen das Castell von Guevara[46] machen, wozu der Umstand des gerade eingetretenen Wechsels im Commando ihm sehr günstig sein mußte, theils auch die Aufmerksamkeit der Carlisten auf den entgegengesetzten Theil des Kriegstheaters ziehen. Er zog mit 18 Bataillonen und einem bedeutenden Belagerungspark nach Vitoria, in dessen Angesicht jenes feste Bergschloß liegt, das als Stützpunkt und Depot der alavesischen Division, wie durch seine Festigkeit und Lage von hoher Wichtigkeit war. Maroto eilte mit mehreren Divisionen von Estella herbei und stellte sich in vortheilhafter Position die Schlacht anbietend auf; doch Espartero hielt nicht für gerathen anzugreifen, und da er umsonst durch Märsche und Contremärsche den carlistischen Feldherrn aus seiner Stellung zu locken, über die eigenen Absichten ihn zu täuschen gesucht, ging er rasch auf Logroño zurück und verkündete nun, durch die Division der Rivera unter Don Diego Leon auf mehr denn 30000 Mann verstärkt, daß er unverzüglich Estella nehmen werde. Maroto that seinerseits Alles, um diese Stadt in den möglichst besten Vertheidigungszustand zu setzen: die Forts wurden verstärkt, alle Zugänge verschanzt und selbst die Straßen mit Abschnitten und Barrikaden versehen, während fast alle nicht waffenfähigen Einwohner die bedrohete Stadt verließen. Einige Officiere, unter ihnen der Commandant eines nahen Forts, die, durch das Gold und die Versprechungen des feindlichen Führers bestochen, in Einverständniß mit ihm getreten waren, wurden nach Spruch des Kriegsgerichtes erschossen. Jede Vorbereitung war längst getroffen, die schwere Artillerie in großer Menge in den äußersten festen Punkten der Christinos versammelt, und Woche auf Woche ging hin, ohne daß Espartero die Erwartungen der Revolutionaire, welche in seinen Siegen ihren endlichen Triumph nahe träumten, gerechtfertigt hätte. Die am 18. August aufgehobene Belagerung von Morella hatte längst den seltsamen Vorwand entfernt, daß er erst nach der Einnahme jenes Platzes angreifen wolle, um in dem moralischen Einflusse derselben eine Chance mehr für sich zu haben; ja eben das gänzliche Fehlschlagen der Operationen Oráa’s schien ihn aufzufordern, durch einen glänzenden Sieg den übeln Eindruck desselben auf seine Parthei zu verwischen, den triumphirenden Muth der Carlisten niederzuschlagen. -- Espartero spatzierte fortwährend von einem der festen Punkte zum andern, stets drohend, stets rüstend, ohne doch je einen Schritt zur Ausführung zu thun. Schwer ist es, zu entscheiden, was zu solcher Unthätigkeit ihn bewegen konnte. Vielleicht nahm der Federkrieg, in den er gerade damals mit dem Madrider Cabinet sich eingelassen hatte, zu sehr seine Zeit in Anspruch, als daß er an Betreibung der militairischen Operationen hätte denken können. Unzufrieden mit dem Ministerium hatte er die Entlassung einiger Glieder desselben verlangt, mit der Drohung, die seinige einzureichen, wenn ihm nicht gewillfahrt würde, und seine Forderung ward erfüllt, da man vergebens gesucht hatte, durch Nachgeben und Zugeständnisse ihn zu besänftigen. Die constitutionellen Minister traten ab, weil der General sie nicht liebte! Solche ist die Freiheit des liberalisirten Spaniens. -- Vielleicht war es nicht die Absicht des ehrsüchtigen Mannes, durch Erringung entscheidender Vortheile sich entbehrlich zu machen: Espartero wußte sehr wohl, daß man ihn und seine Anmaßungen nur duldete, weil die Furcht vor den Carlisten jede andere Rücksicht überwog, und zu jener Zeit hatte er noch nicht das Heer so ganz sich zu eigen gemacht, daß er ohne Scheu als unumschränkter Gebieter auftreten und nach Belieben zu thun und zu lassen sich anmaßen durfte. -- Dann stand er wohl damals schon in Unterhandlungen mit Maroto; deshalb schonte er ihn. Die Einnahme von Estella hätte gewiß diesem General seine Stelle gekostet, während doch seine Erhaltung zur Ausführung des abzuschließenden Handels unbedingt nöthig war; so opferte Espartero augenblicklich den kleinen Vortheil, um das Ganze einst desto sicherer und leichter zu erfassen. -- Wie dem auch sei, ich bin überzeugt, wie ich zur Zeit dieser Ereignisse es war, daß die Christinos ohne Schwierigkeit Estella genommen hätten, wenn sie sofort, da Maroto noch neu im Commando war, mit Kraft es angriffen, ehe dessen Maßregeln die Vertheidigungsfähigkeit der Stadt so sehr erhöheten. Und Estella’s Besitz übte unberechenbaren moralischen Einfluß. Doch endlich sollte die lange erwartete Operation vor sich gehen. Nachdem am 3. September Maroto eine Demonstration nach dem Ebro zu gemacht, vor Lodosa ein feindliches Corps zurückgetrieben und dann mit seinen Truppen in Schlachtordnung geprunkt hatte, ohne daß der Feind einen Schritt gegen ihn gethan hätte, concentrirte Espartero am 6. plötzlich alle seine Divisionen an der Arga und zog langsam gegen Estella in mehrere Ortschaften ein, die ohne Schwertschlag geräumt wurden. Alle Welt erwartete mit Spannung die nächsten Schritte ... Espartero ging am 9. über den Ebro zurück: der Angriff auf Estella war ganz aufgegeben! -- Der Vorwand fehlte ihm nie. Er detachirte einige Bataillone zur Verstärkung der Armee des Centrums, die mehrere Niederlagen unmittelbar hinter einander gelitten; ein anderes Corps sandte er, den Pfarrer Merino zu verfolgen, der so eben Valladolid’s Behörden in Schrecken gesetzt hatte. Er hatte mit 1200 Mann das Heer Cabrera’s verlassen, um nach den baskischen Provinzen zurückzukehren, durchzog mit der kleinen Schaar ganz Castilien und vertrieb den feindlichen General-Capitain, Baron Carandolet, aus Valladolid, da dieser bei der Annäherung des gefürchteten Geistlichen mit dreifach überlegener Macht die Stadt räumte. Merino jedoch eilte nach dem Gebirge von Soria, wo er fast ganz ohne Mannschaft mit dem wilden Valmaseda sich vereinigte, und, da dieser seine Gefangenen nach Vizcaya in Sicherheit brachte, mit ihm dorthin ging. Valmaseda, ein tapferer, ja tollkühner Reiterchef, rauh, grausam, Wüthrich gegen Alles, was nicht seine Meinung theilte, zugleich ausgezeichnet gebildeter Militair, hatte mit der Division des Grafen Negri den Ebro überschritten, bald aber, unzufrieden mit dem nutz- und kampflosen Hin- und Herziehen, sich von dem Expeditions-Corps eigenmächtig getrennt und mit einigen Hundert Mann in die Sierras von Castilien geworfen. Glänzend bewährte er sich als Partheigänger, hob kleine Detachements auf, mied stärkere, zerstörte Convoys, hob Contributionen und verwüstete dabei das Land, bis er seine Thaten krönte, indem er die Colonne, welche unter Oberst Coba in seiner Verfolgung beschäftigt war, am 2. September in Quintanar de la Sierra überfiel und vernichtete. Dreihundert Mann wurden niedergehauen oder kamen in den Flammen des brennenden Dorfes um, der ganze Rest der Colonne ward mit ihrem Chef gefangen. Bei seiner Rückkehr nach den baskischen Provinzen ward ihm die Trennung vom Grafen Negri verziehen, da dieser ja das Schlimmste erduldet hatte, während Valmaseda reich mit Beute beladen anlangte. * * * * * So wie Espartero die Belagerung von Estella aufgegeben hatte, wandte sich Maroto mit der Hauptmacht nach Vizcaya, theils Bilbao und dessen Hafenstadt Portugalete bedrohend, theils mit Thätigkeit die Befestigungen betreibend, durch die er seine Herrschaft bis in die Provinz Santander auszudehnen suchte. In Navarra war wiederum der General Don Francisco Garcia als Chef geblieben; er trug am 19. September entschiedenen Sieg über General Alaix, christinoschen Vicekönig von Navarra, davon, als dieser mit 9000 Mann von Artajona heranzog, um westlich von der Arga zu operiren. Garcia traf mit nicht ganz 6000 Mann auf ihn, und ein hartnäckiges, lange unentschiedenes Gefecht entspann sich; schon wankte die carlistische Division, von der Übermacht schwer gedrängt und in nachtheiliger Stellung.[47] Doch da Alaix das Regiment von Zaragoza, dessen Munition erschöpft war, durch Almansa ablösen ließ, benutzte Garcia das in sehr gebrochenem Terrain ausgeführte Manöver zu neuem, stürmischen Angriffe. Almansa, welches den linken Flügel inne hatte, da es jenes Regiment im Augenblicke des Vorrückens der Carlisten abmarschiren sah, wich in Unordnung mit dem Rufe: „Zaragoza verläßt uns!“ Das Regiment Soria, eines der bravsten des Heeres, ward durch die auf dem Fuße nachdrängenden carlistischen Bataillone in der Flanke angegriffen, aufgerollt und zerstreut, die ganze Linie lösete sich zur Flucht auf. Umsonst suchte die christinosche Cavallerie das Gefecht herzustellen; auch sie ward geworfen, worauf das Corps in wilder Verwirrung nach Puente la Reyna und Larraga sich zerstreute, von den Siegern bis zu den Glacis der Festungen verfolgt. Die Christinos verloren 1250 Mann, unter denen 200 Todte, Soria, das Lieblings-Regiment Espartero’s, der als Oberst es commandirte, büßte, da es am hartnäckigsten widerstand, 400 Mann ein; Alaix war schwer verwundet, sein Chef des Generalstabes gefangen. Die Carlisten verloren fast 500 Mann. Erst als bedeutende Verstärkungen angelangt waren, wagten die geschlagenen Divisionen, ihre Zufluchtsstätten zu verlassen, um den Streifzügen Garcia’s Schranken zu setzen. Am 19. October langte die Prinzessin von Beira in Tolosa an, wo sie als Gemahlinn des Königs mit den höchsten Ehrenbezeugungen empfangen ward; sie begleitete der älteste Sohn Carls V., der Prinz von Asturien.[48] Viele der treuen Anhänger Sr. Majestät jubelten laut, da sie diese Nachricht vernahmen; sie schlossen, daß Carl V. wohl sehr begründete Aussichten auf rasche, glückliche Beendigung der Successions-Frage haben müsse, da er sich entschloß, nicht nur unter den obwaltenden Verhältnissen sich zu vermählen, sondern auch seinen Sohn zum Kriegsschauplatz kommen zu lassen. Gerüchte über fremde Intervention zu Gunsten der Carlisten, über Congresse und kräftige Unterstützung verbreiteten sich. Ich erinnere mich, welche Hoffnungen, oft ungereimt, alle so grausam getäuscht, Viele der Unglücklichen in Cadix’ Casematten belebten! -- Andere wollten den Augenblick für unpassend halten, und glaubten, wie die Ereignisse sich entwickelten, ihre Ansicht mehr und mehr bestätigt zu sehen. Die Christinos spotteten und fürchteten dennoch. Gewiß hätte die Königinn den wohlthätigsten, ja entscheidenden Einfluß üben können, wenn sie nicht das Übergewicht, welches ihr männlich kräftiger Geist über Carls V. milden Charakter ihr gab, zur Beförderung und Aufrechthaltung der so genannten Gemäßigten, vor Allen Maroto’s, benutzt hätte, da diese über ihre wahren Zwecke bis zum letzten Augenblicke sie zu blenden wußten. So war sie, ohne es zu ahnen, für den Sturz der Ihrigen thätig. Ein neuer Feind hatte sich indessen gegen die Carlisten erhoben, ein Feind, der auf den ersten Blick große Gefahr zu bereiten schien. Muñagorri, einst Notar, dann im Dienste des Königs, jetzt mit der Madrider Regierung complottirend, warf sich in Frankreich zum Haupte einer dritten Parthei auf, deren Streben dahin gerichtet war, den vaterländischen baskischen Provinzen durch die Unterwerfung unter Christina’s Herrschaft den lange entbehrten Frieden zu geben und ihnen zugleich die alten Privilegien zu sichern, welche als Bedingung jener Unterwerfung auf immer bestätigt werden sollten. So wollte also Muñagorri die Successions-Frage ganz von der lediglich die Basken betreffenden über deren Vorrechte trennen; seine Losung war: „~paz y fueros~“ -- Friede und Privilegien --. Vielleicht wäre sein Plan besser ihm gelungen, wenn nicht Maroto bereits ähnliche Absichten gehegt und mehrere der baskischen Führer dafür gewonnen hätte. Wie hätte dieser nicht Alles aufbieten sollen, um die Fortschritte des Mannes zu hemmen, ihn zu vernichten, der, wiewohl auf edlerem Wege, die Waffen in der Hand, eben dem Ziele zustrebte, welches Maroto mit Aufopferung der heiligsten Verpflichtungen zu erreichen hoffte, dadurch seine Habgier zu befriedigen; den Mann, dessen Erfolg +seinen+ Verkauf unnütz oder weniger wichtig, also das Kaufgeld niedriger machen würde! Dennoch gelang es Muñagorri, durch französischen Einfluß und englisches Gold unterstützt, ein kleines Corps aus Deserteurs und Flüchtlingen zu bilden, dem einige Basken sich anschlossen, die ermüdet Frieden suchten, nur Frieden, in welcher Gestalt er sich auch darbieten möge. Er drang während des Winters wiederholt in das carlistische Gebiet ein und setzte sich auch wohl mit der Schaar, die er vereinigt -- man sprach anfangs von Tausenden, die bald auf achthundert sanken -- auf einige Zeit fest. Aber das Volk zeigte wenig Sympathie und hielt sich ruhig; Maroto nahm kräftige Maßregeln gegen ihn. So war Muñagorri stets gezwungen über die Gränze zurückzugehen, seine Anhänger wurden lau und schmolzen täglich zusammen, und das Unternehmen -- wie so oft in Spanien der Fall war -- endete desto unbeachteter und erfolgloser, je mehr es vorher Geräusch und leidenschaftliche Hoffnungen und Besorgnisse erregt hatte. * * * * * Während der letzten Monate 1838 und bis zum Frühlinge des folgenden Jahres ruhten die Operationen der Hauptheere gänzlich, und selten unterbrach irgend ein Streifzug eines untergeordneten Führers die Unthätigkeit. So bestand der mit immer gleich rastlosem Eifer wirkende General Castor einige leichte Gefechte im westlichen Vizcaya und in der Provinz Santander, von wo er häufig bis nach Asturien hineindrang. Valmaseda hob verschiedene Detachements und nicht fern von Logroño die zwei Compagnien starke Bedeckung der Correspondenz auf; ohne Schonung, wie immer, ließ er sie niedersäbeln, was ihm strengen Verweis zuzog und Remonstrationen von Seiten Espartero’s veranlaßte, der endlich selbst zu Repressalien schritt. Von mehr Wichtigkeit war die Action, welche Maroto mit vier Escadronen gegen die Colonne des General Don Diego Leon bestand, als dieser über Sesma auf los Arcos durchzudringen suchte, um der dort befindlichen Vorräthe sich zu bemächtigen. Wiewohl jenes Corps aus mehr als 5000 Mann mit zahlreicher Cavallerie und Artillerie bestand, hielt Maroto durch wiederholte glänzende Chargen es auf, bis die zunächst stehenden Bataillone herankommen konnten, worauf Leon, ohne weiter das dargebotene Gefecht acceptiren zu wollen, nach Mendavia sich zurückzog. Ein junger preußischer Husarenofficier, Herr von Schmidewsky, zeichnete sich besonders aus, indem er, der Erste beim Choc, einen feindlichen Oberstlieutenant vor seiner Escadron vom Pferde hieb und den Lanciers, die ihrem Chef zu Hülfe eilten, empfindlich die Schwere des deutschen Armes fühlbar machte. Noch muß ich anführen, daß in den ersten Tagen des neuen Jahres die Besatzungen von Alhucemas und von Melilla, Fort und Presidio[49] an der Küste von Afrika, Carl V. proclamirten und mit den Gefangenen, die fast alle wegen politischer Verbrechen, d. h. wegen Anhänglichkeit an ihren König, dorthin verbannt waren, zur Vertheidigung sich vereinigten. Auch in Ceuta ward eine Verschwörung zu demselben Zwecke angezettelt und entdeckt. Die Besatzung von Alhucemas in der Provinz Malaga entfloh; Melilla aber ward durch einige Kriegsschiffe blokirt und genöthigt, eine Capitulation einzugehen, in der bedingt ward, daß Garnison und Gefangene nach den baskischen Provinzen geführt würden, um der carlistischen Armee sich anzuschließen. Es ist unnöthig hinzuzusetzen, daß sie nie dort anlangten. In Cadix ereilte sie ein Befehl des Ministeriums, dem zu Folge sie nach der Havanna eingeschifft wurden. [46] Guevara lag malerisch auf einer hohen Bergkuppe und war sorgfältig befestigt. Mit dem Fernglase sah man von dort aus jede Bewegung der Truppen in Vitoria, selbst die Einwohner in den Straßen, und das ganze Alava bis zum Ebro lag dem Blicke offen. Espartero ließ es am Ende des Krieges sprengen. [47] Christinosche Officiere vom Regimente Soria erzählten mir die Action, wie ich sie gebe. [48] ~Principe de Asturias~ ist der Titel der spanischen Kronprinzen. [49] Bagno für die zu Zwangsarbeit Verurtheilten. In Afrika finden sich ihrer mehrere, das hauptsächlichste in Ceuta. XVIII. Monat auf Monat schwand mir langsam in den düstern Casematten von Cadix hin. Der Winter, mild wie die lieblichsten Frühlingstage des Nordens, war vergangen, schon nahete der Sommer, herrliche Früchte, die des Südens Clima früh reift, im Übermaß ausstreuend; und die Hoffnung auf Befreiung blieb immer gleich ungewiß. Viel hatten wir gelitten. Was wilder, ungezügelter Haß, was leidenschaftlicher Partheigeist und Grausamkeit über die Opfer ihrer Wuth zu verhängen vermögen, das duldeten im schrecklichsten Grade die Gefangenen jener Periode. Im Anfange war unsere Behandlung erträglich gewesen, und wenn der Wächter Kargheit uns oft mit bitterm Mangel bedrohete, war uns doch gestattet, mit der Außenwelt in Verbindung zu stehen; Eltern und Verwandte boten auf, was in ihrer Macht stand, gaben willig ihr Letztes, um den Theuren Erleichterung zu schaffen, die, weil sie ihrem Könige treu, in hoffnungsloser Gefangenschaft schmachteten. Und wer, freundlos und bedürftig, Nichts besaß, litt doch nicht Noth, so lange Cameraden ihm helfen konnten. -- Da ertheilten die Behörden Christina’s die Weisung, jede Communication uns abzuschneiden. Furchtbar waren die Folgen des grausam berechneten Befehls. Es war zu der Zeit, in der die Repressalien, von den beiden in Aragon und Valencia sich bekämpfenden Heeren ausgeübt, die Menschheit mit Schauder erfüllten, in der viele Hunderte, Tausende von Unglücklichen in den Gefängnissen der beiden Armeen unter den Qualen, die der Grimm des Pöbels oder die Rache der Krieger über sie verhängten, ihr Leben aushauchten. Fern von dem Kriegsschauplatze, dem größten Theile nach nicht einmal jenen Heeren angehörend, blieben die Gefangenen zu Cadix doch nicht ganz frei von den Metzeleien, die in den großen Städten des Ostens an der Tagesordnung waren. Zwei Mal verkündete uns hohnlachend der Chef des Depots, daß zehn der Officiere[50] durch das Loos zum Erschießen bestimmt würden, um irgend einen in der Mancha oder in Aragon verübten Exceß zu rächen; zwei Mal zog ich aus der verhängnißvollen Voyna das Stückchen Papier, welches Tod oder Leben entschied. Und dann sahen wir die Gefährten unsern Armen entrissen, fortgeschleppt zum schrecklichen, unvermeidlichen Tode; athemlos, unbeweglich standen wir, horchend, zusammenzuckend bei jedem Laut und doch noch hoffend -- da ertönte der dumpfe Wirbel der Trommeln -- eisiger Schauder durchbebte uns, eine Secunde noch .... ha!.. sie sind nicht mehr! Und von der Blut bedeckten Stätte erschallte rauschend die Janitscharen-Musik der Christinos und des Pöbels donnerndes ~viva~! Da füllte sich wohl manchem Krieger das Auge mit Thränen, und Mancher knirschend gelobte Rache, gelobte ewigen Haß. Aber Schrecklicheres noch als den Tod wußte der Liberalen Wuth zu ersinnen, um die Vortheile zu rächen, welche Cabrera’s schwache Schaaren, gehoben durch das Gefühl des Rechtes, über die Satelliten der Revolution davon trugen. Der Tod -- wenn ein Übel -- war ja nur ein Augenblick; er befreite seine Opfer von den Qualen, die ihre Peiniger über sie verhängen ließen. Wie Viele erflehten den Tod! Wie Viele litten ihn hundertfach in der stets erneuten Pein! Unsere Wächter, „uns fühlen zu lassen, was es heißt, Gefangener in den Händen der Christinos zu sein“,[51] nahmen zum Hunger ihre Zuflucht. Die Nahrungsmittel, welche uns gegeben wurden, waren kaum hinreichend, um nothdürftig das Leben zu fristen, und von Tage zu Tage wurden sie mehr geschmälert: zuletzt waren wir auf ein Bischen Reis und Öl beschränkt, und oft, sehr oft fehlte auch dieses. Das Brod, auf Ekel erregende Art mit fremdartigen, schmutzigen Stoffen durchbacken, ward auf ein Viertel der gewöhnlichen Ration herabgesetzt. Finster brütend durchschlichen die abgemagerten Gestalten den Hof, gegen Alles stumpf und unempfindlich geworden, da das Gefühl des nagenden Hungers jeden andern Gedanken niederdrückte. Längst hatten die tausendfachen Spiele und Tänze aufgehört, mit denen die Armen während der ersten Zeit der Einkerkerung ihre Lage augenblicklich vergessen machten; die kraftlosen Arme vermochten nicht mehr den Ball zu schleudern; selbst das dem Spanier, wo er sein Stiergefecht nicht haben kann, so ansprechende Schauspiel der zum blutigen Kampfe gehetzten Hunde, welches sonst einen weiten Kreis von Zuschauern versammelte, die mit donnerndem Beifallrufe ihr Interesse kund gaben, hatte nun seine Anziehungskraft für sie verloren. Täglich führte die Entkräftung Einige der Unglücklichen zum Hospitale, welches sie häufig nur gegen die Ruhestätte des heiligen Feldes[52] vertauschen sollten. War aber die Lage der Officiere traurig, so ward die der Gefangenen in der Isla de Leon auf den höchsten Punkt des Entsetzlichen gebracht. Dort schmachteten etwa viertausend Mann, von denen einige Hunderte schon seit drei Jahren und länger die Schrecken der Gefangenschaft trugen, aus Navarra’s Feldern hierher geschleppt, während die Andern zu Gomez und des Grafen Negri Corps, Einige zur Division Don Basilio’s gehörten. Was immer durch Furcht oder Hoffnung den Menschen zu beugen vermag, war gegen diese Braven angewendet worden; doch umsonst vereinigten sich Drohungen und Verheißungen, Strafen und Schmeichelworte, um zum Abfall von ihrem Könige sie zu bewegen. Da sollten auch sie durch Hunger gebändigt werden. Unfähig, sich aufrecht zu halten, schwankten bald die Freiwilligen, zu vier oder fünf vereinigt und gegenseitig sich stützend, durch die langen Gänge der Riesen-Caserne. Jede Kleidung blieb ihnen versagt, so daß die Mehrzahl nur noch mit elenden Lumpen ihre Blöße bedeckten; das Ungeziefer zehrte sie auf. So starben über sechshundert Menschen hin, beneidet von den Gefährten, aus deren entfleischten, farblosen Antlitzen gleicher Tod starrte. Verzweifelnd entschloß sich endlich eine große Zahl, fast tausend Mann, die Waffen für Isabella zu nehmen, und der größte Theil ward nach den Colonien eingeschifft. Diejenigen, welche zu der Reserve-Armee, die damals unter Narvaez die Mancha reinigte -- besser: im Blut ertränkte -- bestimmt waren, fanden rasch den Weg zu den Ihrigen. * * * * * Erst im Frühlinge 1839 hörte so ruchlose Behandlung auf, die auf immer ein Schandfleck für Christina’s Anhänger bleibt. Alle Vorstellungen, welche von den Gefangenen durch die feindlichen Behörden an Maroto gerichtet worden, hatten gar keinen Erfolg gehabt. Der General hatte weder Muße noch Lust, für die Rettung von Männern ein Wort zu verlieren, deren Treue ihm freilich nur hinderlich sein konnte. Aber das Klagegeschrei der Schlachtopfer war zu Cabrera’s Ohren gedrungen, dieses Cabrera, den die Zeitungsschreiber von Madrid und ihnen blind folgend die Presse fast aller europäischen Völker als den Tiger bezeichneten, der, im Blute seiner Opfer schwelgend, nach mehr Blut lechzte; von dessen Grausamkeiten sie tausend und tausend abgeschmackte Mährchen erzählten, während die schändenden Thaten, welche ihn zwangen, trauernden Herzens das Racheschwerdt zu erheben, in das Meer der Vergessenheit gesenkt wurden. Wohl wußten die Christinos, daß Cabrera nie umsonst sprach. Kaum ertönten die drohenden Worte des Feldherrn, furchtbare Vergeltung ankündigend für die Leiden seiner Kampfgenossen, als heilsame Furcht eine Änderung des bisherigen Systemes hervorbrachte. Wenn auch mit Widerstreben nahmen sie einen Theil der harten Maßregeln zurück, die ihr Haß, so lange er ungezügelt war, erfinderisch gehäuft hatte; und die Gefangenen, welche so vielen Jammer zu ertragen vermocht, segneten den Retter, segneten die Furcht, die ja allein den Niedrigdenkenden in Schranken zu halten vermag. O, wie sehnsüchtig blickten wir da auf jene Armee, deren Siege und Fortschritte und täglich sich mehrende Macht uns noch erlaubten zu hoffen, noch Aussicht auf einstige Befreiung uns ließen! Wie verfolgte ich begierig jede ihrer Operationen, wie jubelten wir entzückt, so oft die Nachricht eines errungenen Vortheils zu uns dringen durfte! Herrliche, unschätzbare Hoffnung! Und meine Hoffnung ward nicht getäuscht: schon nahete der ersehnte, der beseligende Tag der Freiheit; schon vergaß ich Alles, was ich geduldet, was ich noch litt, um ganz in dem Bilde der nahen, glücklicheren Zukunft zu schwelgen. * * * * * Während in den Nordprovinzen die Waffen ruhten, schritt das Werk der Intrigue, täglich klarer hervortretend, mit Riesenschritten dem Ziele zu. Maroto hatte Armee und Volk sich gewonnen, er ward zugleich gefürchtet und angebetet; seine Creaturen und seine Gönner, zum Theil den Umfang des Planes, an dem sie arbeiteten, gar nicht kennend, umgaben den betrogenen Monarchen, der -- wie zu oft der Edele -- solche Niedrigkeit nicht für möglich hielt und die Warnungen, welche einzelne Getreue selten wagen durften, unwillig von sich wies. Doch noch konnte Maroto nicht offen die Ausführung des Complottes betreiben; noch befanden sich in den ersten Stellen der Armee und der Verwaltung Männer, welche er haßte, weil der Verräther stets den Loyalen haßt, welche er fürchtete, weil er wohl wußte, daß sie ihn durchschauten und überwachten, und weil sie die Macht besaßen, kräftig ihm entgegen zu arbeiten. Maroto zauderte nicht. Der Untergang jener Männer war beschlossen, gleichgültig, durch welche Mittel; ihre Stellen sollten seine Helfershelfer besetzen oder doch solche, die geblendet bereit waren, das Werk zu befördern, dessen Folgen sie nicht ahneten, und das sie, da es vollbracht in seiner ganzen Schwärze ihnen klar wurde, verfluchten wie den Elenden, der unbewußt zu Verräthern sie gestempelt hatte. Espartero durfte nicht länger unthätig bleiben. Die öffentliche Meinung sprach sich heftig gegen die lange Waffenruhe aus, die Journale, welche so gern zu Organen derselben sich aufwerfen, wo es ihren Partheizwecken frommt, verdächtigten den Obergeneral, und das Volk, beunruhigt durch die wiederholt auf den andern Kriegsschauplätzen erlittenen Niederlagen, war nicht ungeneigt, jenen Zuflüsterungen Gehör zu geben. Außerdem wünschte Espartero, die Existenz des Ministeriums, die Herrschaft der gerade das Ruder führenden Fraction zu verlängern, und dazu mußte irgend ein Erfolg über das carlistische Heer unumgänglich davon getragen werden. Maroto im Gegentheil stand schon unerschütterlich da und fürchtete nicht mehr in einer Niederlage den Verlust des Commando’s und damit das Scheitern seiner Anschläge; er wollte vielmehr das Vertrauen der Basken auf die eigene Kraft erschüttern, dadurch zum Nachgeben sie geneigter zu machen. So ward denn beschlossen, daß die Christinos die Forts, welche während des Winters an der Westgränze von Vizcaya bis in die Gebirge von Santander hinein errichtet waren und ganz Vizcaya deckten, nehmen und den größern Theil dieser Provinz erobern sollten. Den Schein zu retten, vereinigte Espartero mehr als 30000 Mann mit vieler Belagerungs-Artillerie nebst ansehnlichen Vorräthen an allem für Schlacht und Belagerung Nöthigen, während Maroto kräftige Vertheidigungsmaßregeln anordnete. Aber nun drängte die Zeit; ehe Maroto die Niederlage sich beibringen ließ, mußte er die ihm feindlich gesinnten Männer entfernen und selbst den Schein des Widerstandes gegen ihn unmöglich machen: der lange meditirte Schlag wurde ausgeführt. Am 16. Februar 1839, da Jedermann fern in Vizcaya ihn glaubte, erschien Maroto plötzlich in Estella, von geringer Escorte begleitet; einige Bataillone, die er mitgebracht hatte, waren in nahe liegenden Dörfern zurück geblieben. Mehrere der angesehensten Ultra-Royalisten befanden sich in jener Stadt und ihrer Umgebung: der Generallieutenant Don Francisco Garcia, commandirender General im Königreiche Navarra ward gewarnt und suchte als Geistlicher verkleidet zu entkommen; er wurde entdeckt und festgenommen. General Guergué, vor kurzem en Chef die Armee commandirend, nun mit der Bestellung seines Landgütchens beschäftigt, Generallieutenant Don Pablo Sanz, Generalmajor Carmona und der General-Intendant des Heeres Uriz wurden sofort gefangen gesetzt und in Estella mit General Garcia vereinigt. Dumpfer Schrecken herrschte: „Was verbrachen diese Männer, so lange bewährt, welches Loos erwartet sie?“ Flüsternd theilte Jeder seine Besorgniß, seine Zweifel mit; denn Niemand wagte laut zu sprechen. Da ertönten am 18. Morgens einige Schüsse; Maroto hatte ohne Kriegsrecht, ohne Befehl seines Monarchen die fünf Generale füsilirt. Ich gedenke des wilden Tumultes, der bei der Schreckenskunde unsere Casematten durchtobte. Anfangs zweifelten wir, hielten die unglaubliche Nachricht für eine jener Erfindungen, wie christinosche Zeitungsschreiber so oft sie geschmiedet; doch als nun das Schreckliche sich bestätigte, schien jeden Einzelnen ein betäubender Schlag getroffen zu haben. Wohl wollten Manche aufstellen, daß die Generale gerecht den Tod erlitten, daß Verrath gegen ihren König solche Strafe auf ihr schuldiges Haupt gezogen habe: das Vertrauen auf Maroto stand ja so fest, auf ihn gründeten sich alle Hoffnungen, sein Character, seine Talente galten noch Allen als Pfand des sichern, schnellen Sieges! Wer aber die gefallenen Opfer kannte, erhob sich unwillig gegen die entehrende Anschuldigung. War es möglich, daß ein Garcia, der so edel, so entschlossen treu, mitschuldig sei am Verrathe, daß er die Hand geboten zum Bunde gegen den Fürsten, in dessen Vertheidigung er so oft freudig sein Blut vergossen, mit solchem Feuereifer gekämpft und gesiegt hatte? Und welche Fehler man Einigen der andern Hingemordeten, so weit Talent und Fähigkeit betraf, auch beimessen möchte, ihr Character, ihre Redlichkeit und Ergebenheit glänzten makellos, keinen Angriff scheuend. -- Und dennoch! auf der andern Seite stand Maroto, standen so viele edlere Namen, hoch geachtet als Stützen unserer Parthei! -- Ungewiß schwankten wir hin und her unter Zweifel und Furcht und trüben Ahnungen. Unter den Gefangenen, welche das gemeinschaftliche Unglück unauflösbar zu verknüpfen schien, erhob sich Zwiespalt; dort selbst unter den Leiden, die schonungslose Grausamkeit auf uns häufte, schuf Partheigeist bittern Groll und entfremdete die sonst eng Verbundenen. War es zu bewundern, daß der Schauplatz jener Schreckensscenen das Bild der unsäglichsten Verwirrung bot? Die Aufregung in den Provinzen war unter allen Classen gewaltig; ein Jeder fühlte sich selbst von furchtbarem Unglücke getroffen und erwartete fürchtend, daß die nächste Zukunft neuen, entsetzlichen Schlag bringe. Wen nicht die Pflicht aus dem Hause trieb, der vermied sorgfältig die Straße zu betreten, man athmete beklommen wie vor schwerem Gewitter. Drückendes Mißtrauen entfernte die Geister von einander; Niemand wagte zu sprechen, kaum mit Andern sich zu vereinigen: man wußte ja nicht, ob man den Freund sah oder einen versteckten Feind, der zum Verderben des Unvorsichtigen das nicht genau abgemessene Wort benutzen werde. Denn stündlich fanden neue Arrestationen Statt, und mehrere Officiere wurden erschossen. Da erschien eine Proclamation Carls V., welche Maroto’s Verfahren als illegalen Mord, ihn selbst als Verräther bezeichnete; er ward für abgesetzt erklärt und der öffentlichen Rache Preis gegeben. Die Guten jubelten. Noch ein Mal hatten die wahren Carlisten gesiegt und den Einfluß zurückgedrängt, welchen die Marotisten bisher auf den König geübt; mehrere Anführer -- so Valmaseda und Don Basilio Garcia -- rafften eilig Truppen zusammen und marschirten auf Estella, das königliche Edict in Ausführung zu bringen. Maroto nahm mit den acht Bataillonen, die er ganz sich ergeben wußte, solche Stellungen, daß er im Nothfall auf seine neuen Verbündeten, die Feinde seines Königs, sich stützen oder zu ihnen entfliehen konnte. Schon hieß es allgemein, er sei zu den Christinos übergegangen. Nicht lange dauerte der Triumph der Carlisten. Zu gut hatten die Verschworenen ihre Maßregeln genommen; unterstützt von Manchen, die auch da noch nicht von dem Wahne enttäuscht waren, daß Maroto der Retter, emporgehalten vor Allem durch den Einfluß der verblendeten Königinn, konnten sie die Männer verdrängen, welche durch ihren Rath die Ächtung des Mörders bewirkt hatten. Es gelang ihnen, den unglücklichen Monarchen in ihre Netze zurückzuführen und ihn selbst die Schuld seiner hingeschlachteten Treuen glauben zu machen. In einer neuen Proclamation erklärte Carl V., daß er von der Unschuld und dem Verdienste seines Generales überzeugt sei, und daß die Erschossenen als Verräther gerechte Strafe gelitten hätten; er nahm demnach das frühere Edikt zurück und bestätigte Maroto in allen seinen Stellen und Ehren. So stand dieser, der ein Vertheidigungsschreiben an den König erlassen hatte, welches allein des Hochverrathes ihn schuldig machte, triumphirend mächtiger da als je. Die Edlen, welche ihre nie wankende Ergebenheit mit dem Tode der Verbrecher gebüßt, blieben ungerächt. Schon war der Sturz der Sache entschieden, die so viel Heroismus und so viel Blut gehoben hatten. Alle irgend Verdächtigen, Alle, die gegen Maroto sich erklärt hatten, mußten nach Frankreich auswandern, unter ihnen Uranga, Don Basilio Garcia, der Minister Arias Tejeiro und viele andere Generale, Obersten und hohe Civil-Beamten. Valmaseda, zum Tode verurtheilt, entfloh mit den beiden von ihm gebildeten Husaren-Escadronen und brach sich Bahn zu dem Heere von Aragon, verzweiflungsvoll die schwarze Fahne aufsteckend, das Zeichen des Kampfes auf Leben und Tod. Noch blieben in den Nordprovinzen und selbst in der Umgebung des Königs viele hochgestellte Personen, wahre Carlisten, Viele, die später in der schrecklichen Katastrophe herrlich sich bewährten. Aber Maroto vermochte jetzt Alles, seine Genossen überwachten den König, seine Mitverschworenen hielten die wichtigsten Stellen inne, Täuschung und Furcht machten jeden Widerspruch schweigen; nur der Name des Königs fehlte dem übermüthigen General, um König zu sein. Der erste Act des Trauerspieles war vollendet. * * * * * Längst hatten Gerüchte über bevorstehende Auswechselung unruhige Spannung in dem Depot rege gemacht; ein Jeder hoffte und fürchtete und berechnete die Chancen, die ihm auf Befreiung wurden. Da ward eines Morgens dem Chef des Depots eine Liste der Gefangenen übergeben, welche zur Einschiffung nach Valencia bestimmt waren; Hunderte stürmten, drängten um das verhängnißvolle Papier: o Glück, unaussprechliche Wonne, mein Name leuchtete aus der Reihe der Glücklichen mir entgegen! Cabrera, jetzt zum Grafen von Morella erhoben, hatte alle Gefangenen, welche dem Feinde in Valencia und Aragon nach den Metzeleien des Winters überblieben, ausgewechselt und reclamirte nun neunzig Officiere aller Grade aus dem Depot von Cadix, da das Kriegsglück ihm täglich neue Gefangene in die Hände spielte. Von mehreren Classen befand sich nicht die hinreichende Zahl von Individuen aus der Armee Cabrera’s unter uns, weßhalb die Fehlenden aus den Officieren der Nordarmee ergänzt werden mußten; so sollte auch die Classe der Premier-Lieutenants, unter die ich, wiewohl seit einem Jahre zum Capitain avancirt, bis zur Auswechselung mich zählte, da ich als solcher gefangen genommen wurde, um sieben Individuen vermehrt werden. Nicht lange vorher hatte mich ein wackerer Mann, der Consul von Großbritannien und Hannover, durch Zufall kennen gelernt und sofort auf das gütigste meiner sich angenommen, indem er nicht nur die seit Monaten abgerissene Verbindung mit den Meinigen mir wieder eröffnete, sondern auch in jeder Hinsicht thätig für mich wirkte, manche Erleichterung durch seinen mächtigen Einfluß mir schuf und, unschätzbarste Wohlthat in solcher Lage, stets mit ausgesuchten Büchern mich versah. Leicht hatte Mr. Brackenbury bewirkt, daß ich zur Ergänzung meiner Classe bestimmt wurde. Welche christinosche Behörde hätte gewagt, das irgend Mögliche dem Wunsche eines solchen Mannes zu versagen? Wo Protektion und Gold Alles erlangen, mußte der Wille des britischen Consul als höchstes Gesetz gelten. Unendlich war meine Freude, meine Dankbarkeit, da das Ende des Leidens nahe schien. Ha, wie ich erbebte in grimmiger Lust, wie das Blut mir siedete und jede Muskel krampfhaft sich spannte bei dem Gedanken, daß ich bald diesen Christinos gegenüber stehen sollte! Wie ich lechzte nach dem beseligenden Augenblick der Rache, blutiger Rache für tausendfache Gräuel! -- Aber doch durchzuckte mich ein schmerzliches Gefühl, das Glück trübend, welches so freundlich mir lächelte. So viele mußte ich ja verlassen, die ich innig liebgewonnen hatte, mußte sie in solcher Lage lassen, deren Schrecken ich ganz gekannt; meinen Martinez, kaum den Knabenjahren entwachsen, gemüthvoll, kindlich rein und offen und mit kindlicher Liebe mich umfassend. Wie oft ruhete er an meiner Brust und erzählte von den Eltern und Geschwistern, von dem schönen, friedlichen Leben im väterlichen Hause, von der reizenden Heimath in dem fruchtbaren Ebro-Thale und von den lieblichen Scenen des Glückes, wie sie aus den Jahren der Kindheit, seligen Träumen gleich, in das ernste Leben herüberklingen. Und dann schilderte er, die Gluth des großen, dunkeln Auges von Thränen umschleiert, den Schmerz der trauernden Mutter, als sie den Knaben, der mit den Bataillonen der Expedition zur Vertheidigung seines Königs auszog, scheidend an das Herz drückte; und die Leiden, welche den Zarten, Unerfahrenen trafen, mit dem Elend und alle dem Schrecken des Krieges und der Gefangenschaft, die so rauh ihn verletzen mußten. Ich fühlte mit ihm, und liebevoll lächelte er durch seine Thränen mir zu, bald wieder heiter und kindlich froh. Das Ende des Krieges führte den Knaben, zu weich für seine Schrecknisse, in die Arme der Seinen zurück. Auch von ihm sollte ich mich trennen, dem theuern Gefährten, für den verwandte Gesinnungen, gemeinschaftlich getragenes Leid als Freund mich empfinden machten; auch er war verdammt, in den Banden der Wütheriche zurückzubleiben, deren Wuth wir zu bitter erprobt hatten. Einer der ersten Familien der Schweiz angehörend hatte Guiguer de Prangins bis zur Juli-Revolution als Officier in Carls X. Schweizer-Garde, nach ihr in königlich sardinischem Dienste gestanden, aus dem er, getrieben vom Durste nach kriegerischer Thätigkeit, nach Catalonien eilte, den Vertheidigern der Legitimität sich anzuschließen. Das Glück wollte ihm nicht wohl. Bald nach seiner Ankunft in den Nordprovinzen, wohin Ekel an dem Treiben der Catalonier ihn führte, zog er mit dem Expeditions-Corps des Grafen Negri nach Castilien und befand sich unter den Tausenden, welche nach namenlosen Drangsalen der Elemente Wuth wehrlos den Feinden überlieferte. Sein edles Äußere, das Modell männlicher Schönheit, zog unwillkührlich die Aufmerksamkeit auf sich -- ich hörte die Spanier, denen solche kraftvoll hohe Gestalt, so majestätisches, Ehrfurcht erweckendes Antlitz wunderbar imponirten, mehrfach den römischen Kriegsknechten ihn vergleichen, wie wir in den Gemälden alter Meister bei den Wundern und Leiden des Herrn sie dargestellt sehen --; die erhabenen Eigenschaften des Geistes und des Herzens mußten den Eindruck, den sein Anblick hervorgebracht hatte, zu warmer Verehrung steigern, während sie den, der nicht sie zu würdigen wußte, in ehrerbietiger Ferne hielten. Fremde unter Spaniern finden sich schnell. Auch wir hatten uns an einander geschlossen, hatten Ideen und Betrachtungen, Schmerz und Hoffnungen ausgetauscht und getheilt, hatten viele lange Tage durch trauliches Gespräch über Vergangenes und Fernes verkürzt. Viel lernte ich aus meines Freundes Erfahrungen; ich bewunderte die Schärfe seines Verstandes, sein Urtheil war das des Mannes, der mit feinstem Gefühle für das Rechte ein scharfes Studium der Menschen, Vertrautheit mit den verschiedenartigsten Verhältnissen und hohe Bildung verbindet. Ergötzlich war es in der That, wenn er in seiner Haushaltswoche das sehr frugale Mal für uns beide zubereitete, vor dem kleinen zwischen unsern Betten aufgestellten Heerdchen Episoden aus seinem Leben ihn schildern oder geistreich über Fragen aus dem Bereiche jedes Wissens disputiren zu hören, während er eifrig den aufquellenden Reis überwachte und mit dem kleinen Strohfächer die sparsam zugetheilten Kohlen wedelnd anfachte. Umsonst hatte Mr. Brackenbury sich bemühet, auch die Auswechselung Prangin’s zu bewirken. Er gehörte einer Classe an, in der von Cabrera’s Armee mehr Individuen im Depot sich befanden, als nach Valencia gesandt wurden; so war es unmöglich, ihn in die Liste einzuschieben, da alle Welt wohl wußte, daß jener General nie einen andern Officier auswechseln würde, so lange ein einziger der seinigen in der Gefangenschaft schmachtete. Mit innigem Schmerze schied ich von dem Freunde. -- Als wenige Monate später der Übertritt Carls V. nach Frankreich die Hoffnung auf glücklichen Ausgang des Krieges nach der Katastrophe von Bergara vernichtete, und da sie die Aussicht auf Befreiung ganz schwinden machte, erlangte Prangins durch den Consul den Paß nach der Heimath und trat in die Dienste des Königs von Sardinien zurück. * * * * * Espartero hatte mit möglichster Energie die Zurüstungen für die beschlossenen Operationen betrieben, ohne jedoch den Augenblick der Verwirrung, die jener Gewaltstreich von Estella hervorbrachte, irgend zu benutzen; erst im April, da der Frühling milderes Wetter brachte, begann er die Bewegungen gegen die Forts, welche das erste Ziel seines Angriffes sein sollten. Maroto stellte sich den 35000 Mann der Christinos mit vierzehn Bataillonen, kaum 9000 Mann, entgegen. Übrigens war Alles unter den beiden Generalen auf das beste geordnet. Früher sagte ich, wie Maroto während des Winters durch die Anlegung mehrerer befestigter Punkte seine Herrschaft nach Alt-Castilien hinein ausgedehnt und zugleich Vizcaya gegen Angriffe von Westen her gedeckt hatte; die hauptsächlichste dieser Befestigungen war die des Fleckens Ramales in der Provinz Santander, über dem ein sehr starkes, regelmäßiges Castell errichtet war. In dem Orte war eine Kanonengießerei, die bei der Annäherung der Christinos zurückgezogen wurde. Aller jener festen Punkte sollte also Espartero sich bemächtigen, um dann nach Vizcaya vordringen zu können; Maroto zog sich vor den anrückenden Feinden langsam auf Ramales zurück. Schon nicht fern von diesem Punkte ward der Marsch der Christinos plötzlich aufgehalten: eine Höhle, in der Mitte einer senkrechten Felswand und nur mit Leitern zu ersteigen, war von dreißig Mann und einem Vierpfünder besetzt, welcher vollkommen die einzige durch die Schlucht sich windende Straße beherrschte. Drei schwere Geschütze wurden sofort gegen die Höhle aufgepflanzt und zwangen am folgenden Tage die Besatzung, sich zu ergeben, so daß der Zug fortgesetzt werden konnte. Mehrere kleine Forts, um nicht unnütz die Zeit zu verlieren, ergaben sich sofort, andere wurden geräumt; nur in Ramales, als dem wichtigsten Punkte, sollte der Schein eines kräftigen Widerstandes gerettet werden, weshalb Maroto eine ausgesuchte Garnison unter sehr entschlossenem Gouverneur in das Fort legte. Nachdem er am 30. April die herrlichsten Stellungen, wie jene Gebirge nur sie bieten konnten und wie sie stets den Heeren der Christinos ganz unzugänglich gewesen, nach kurzem Scharmützel mit den feindlichen Massen verlassen und so die Zugänge zum Fort ihnen frei gegeben hatte, stellte er mit seinen vierzehn Bataillonen rückwärts nahe demselben sich auf. Espartero drang sogleich vor und errichtete die Batterien, während er eilf Bataillone der Garde dem carlistischen Heere zur Beobachtung gegenüber placirte; Maroto that keinen Schuß auf sie, sich mit der Rolle des müssigen Zuschauers begnügend. Bald begannen die Batterien, auf sehr große Distance angelegt, ihr Feuer gegen die Wälle des Forts, ohne den geringsten Eindruck auf dasselbe zu machen, und setzten es mehrere Tage lang mit großer Lebhaftigkeit und vielem Lärmen fort. Dann, da die Kanonen keine Wirkung hervorgebracht hatten, sandte Espartero seine zwei Bataillone Guiden vorwärts, welche, kaum belästigt, bis zum Fuße des Glacis drangen, dort sich etablirten und hinter Parapeten ein sehr lebhaftes Gewehrfeuer gegen die Werke eröffneten. Es ist leicht zu erachten, welchen Effekt diese neue Belagerungsmethode haben mußte; viel Pulver wurde verknallt, und die Garnison des Forts lachte darüber. Doch das wurde wohl langweilig, und für das damit Beabsichtigte war genug gethan; so kam denn am dritten Tage dieses Feuerns -- am 8. Mai -- ein Expresser Maroto’s und brachte dem Gouverneur des Forts die Ordre, da keine Hülfe möglich, also Vertheidigung unnütz sei, unter möglichst guten Bedingungen zu capituliren, worauf die Garnison, gegen welche eben so viele feindliche Gefangene abgeliefert wurden, das Fort übergab und zu der carlistischen Armee zurückkehrte, die bereits auf dem Rückzuge begriffen war. Die Christinos fanden die Werke im besten Zustande und die Magazine mit allem Nöthigen überfüllt; Espartero sandte pompöse Berichte nach Madrid, in denen er die unbegränzte Todesverachtung der nie besiegten Vertheidiger der Constitution und der unschuldigen Königinn auf das glänzendste hervorhob und ehrend die Bravour der feindlichen Armee und die Festigkeit der Garnison anerkannte. Maroto erließ Proclamationen in gleichem Sinne und überhäufte die Vertheidiger des Forts mit Ehrenbezeugungen, die sie erröthend empfingen, seine Armee mit schmeichelhaftem Lobe und Belohnungen, während sie fortwährend ohne Schwerdtschlag sich zurückzog.[53] Am 10. Mai ergab sich Guardamino, worauf die christinosche Armee in Vizcaya vordrang, ohne daß Maroto eine der unnehmbaren Positionen, an denen so oft die Feldherren der Usurpation gescheitert, zum Schlagen benutzt oder einen Versuch gemacht hätte, in den wilden Schluchten und Ketten, so gefürchtet vom Feinde, den Eroberungen desselben ein Ziel zu setzen. Im Gegentheil, Valmaseda, Arciniaga und die andern festen Punkte Vizcaya’s, mit so vielem Blute behauptet, unter so vielen Beschwerden befestigt, wurden ohne Widerstand verlassen; am 22. Mai besetzte Espartero Orduña, die Hauptstadt der Provinz, und eilte, zum Waffenplatze sie umzuschaffen. Selbst die berühmte Peña de Orduña, den Paß über den Hochrücken der Pyrenäen, den hundert Mann gegen ein Heer vertheidigen, fand er unbesetzt. Schrecken, Entsetzen ergriff die Basken, ihr Vertrauen wich, da sie so Unerhörtes, nie für möglich Gehaltenes sahen; wo waren die Zeiten, in denen der große Zumalacarregui seine Landsleute zu Kampf und Sieg führte? Die Verschworenen aber streuten heimlich mannigfache Gerüchte aus über Transaction und bald zu hoffenden Frieden, dessen Herrlichkeiten sie listig dem geängsteten Volke in den schönsten Farben ausmalten. Während Espartero in Vizcaya vorwärts marschirte, war Don Diego Leon in Navarra thätig gewesen. Die Carlisten hatten wenige Stunden von Pamplona entfernt eine Brücke über die Arga geschlagen und sie durch eine regelmäßige Verschanzung, das Fort von Velascoain, gedeckt; ihnen war dadurch der Übergang über jenen Fluß gesichert, und sie konnten nach Belieben das feindliche Navarra bis Ober-Aragon hin durchstreifen. General Leon zog mit vierzehn Bataillonen gegen dieses Fort, zu dessen Unterstützung zwei navarresische Bataillone, spät durch andere zwei verstärkt, dort waren.[54] Das Kanonenfeuer, am 29. und 30. April mit großer Lebhaftigkeit und Kraft unterhalten, brachte gar keine Wirkung auf die Besatzung hervor, weshalb General Leon, ein entschieden braver Mann, nachdem er die Jäger-Compagnien bis zum Fuße der Werke vorgeschoben, an der Spitze seiner Bataillone unter dem heftigsten Feuer der Garnison den Fluß passirte. Einige Bataillone drangen zum Sturm in geschlossenen Massen vorwärts, während die andern rechts und links vom Fort gegen die carlistischen Bataillone sich wandten. In Gefahr, abgeschnitten zu werden, und ganz ohne Hoffnung auf Entsatz verließ die Garnison die Verschanzungen, in denen der Feind fünf schwere Geschütze erbeutete. Don Diego Leon ward von diesem Siege -- er hatte wiederholt der Sache der Constitution sehr wichtige Dienste geleistet -- zum Grafen von Velascoain ernannt; Espartero aber, weil er ohne Sieg der Armee Maroto’s in das Innere von Vizcaya gefolgt war, erhielt den Titel des Herzogs des Sieges -- duque de la victoria --, den einst mit mehr Recht Carl V. dem getödteten Zumalacarregui verliehen hatte, das Andenken des unbesiegten Helden zu ehren. Der zweite Act des großen Trauerspieles war vollendet! [50] Es befanden sich zwischen dreihundert und vierhundert Officiere in Cadix, den Expeditionen Negri’s, Don Basilio Garcia’s und Merino’s, dem Heere Cabrera’s und den Partheigängern der Mancha angehörend. Letztere wurden später alle erschossen. [51] Ihre Lieblings-Phrase: „~ya les haremos à Ustedes sentir lo que es el ser prisionero nuestro~.“ [52] Die Spanier bezeichnen den Kirchhof mit dem Namen des ~campo santo~. [53] Ich erfuhr die Einzelnheiten, wie ich sie gebe, übereinstimmend von christinoschen und carlistischen Officieren, welche als Augenzeugen in beiden Heeren gegenwärtig waren. [54] Maroto zersplitterte, ganz der Kriegsart seiner Vorgänger zuwider, seine Streitkräfte stets absichtlich so, daß er nie den feindlichen Heeren mit verhältnißmäßiger Macht entgegentreten konnte. Damals befanden sich fast funfzig Bataillone in den Nordprovinzen. XIX. Endlich waren die tausend und tausend Schwierigkeiten überwunden, welche ewiger Geldmangel der Abreise der auszuwechselnden Gefangenen entgegengesetzt hatte; an einem der letzten Tage Juni’s war Alles zur Einschiffung bereit. Schweren Herzens nahmen wir Abschied von den Cameraden, die düster ernst uns Glück wünschten zur Reise, uns beschworen, dem sieggekränzten Anführer, dessen Armee wir in Zukunft angehören sollten, ihre Lage und Wünsche vorzustellen. In dichtgedrängtem Haufen umstanden sie das Thor des Palisaden-Gitters, die Armen, durch das wir einzeln, so wie unsere Namen verlesen wurden, die Casematten verließen; mein Name, verstümmelt in des Südländers Munde, ertönte -- noch ein Händedruck, ein herzliches Lebewohl -- schon sah ich die Trauernden nicht mehr; schneller fühlte ich die Brust sich mir heben, da die furchtbaren Räume, in denen so viele Monate in peinlicher Muße mir hingeflossen, auf immer hinter mir sich schlossen. Bald durchzogen wir, kaum durch das gaffende Volk belästigt, die Stadt mit ihren niedlichen, schneeigen Häusern und bewunderten den Hafen, wie er, immer noch mit den Flaggen aller Nationen geschmückt, in sanfter Ruhe sich vor uns ausbreitete. Ihn begränzend erhob sich uns gegenüber die Küste des Festlandes, von sanft aufsteigenden Hügeln überschattet, bis wo die dunkleren Massen der Sierra das reizende Tableau schlossen; Puerto Real und Puerto de Santa Maria, beide wie Cadix auf das anziehendste gebaut, belebten nebst zahllosen Landhäusern die mit Weinbergen und lieblichen Orangengärten abwechselnde Gegend. Noch vor Sonnenuntergang verließen wir die Bucht und flogen, von nicht ungünstigem Winde getrieben dem offenen Meere zu. Das Schiff auf dem wir uns befanden, war ein alter Küstenfahrer, nicht unbequem, da er, um so viel Waaren wie möglich fassen zu können, geräumig genug eingerichtet war. Vor dem Winde segelte er mit außerordentlicher Leichtigkeit, so daß wir dann alle Fahrzeuge, welche wir zu Gesicht bekamen, zu unserm Ergötzen bald überholten; so wie aber der Wind von der Seite kam, wurde er doppelt schwerfällig und langsam, wie man behauptet, eine gewöhnliche Eigenschaft bei alten Schiffen. Unsere Bedeckung -- ich schäme mich fast, ihrer zu erwähnen -- bestand aus einem Officier und sechs oder sieben Marine-Soldaten, während neunzig gefangene Officiere an Bord sich befanden. Ich suchte die Gesinnungen derer zu tentiren, welche den meisten Einfluß auf die Übrigen ausübten, erkannte aber sehr bald, daß ihr persönliches Interesse das Gefühl des allgemeinen Besten niederhielt, daß sie für eine große Thorheit gehalten hätten, jetzt, da sie ihrer Befreiung gewiß waren, nach Gibraltar, wie ich andeutete, oder irgend einem andern Punkte sich zu wenden, um vielleicht die Leiden des Exils erdulden zu müssen. Wie wenig ahneten die Armen das Schicksal, welches wenige Monate später sie ereilen sollte! Umsonst stellten die Einzelnen, welche mir sich anschlossen, vor, daß der Feind genöthigt sein würde, noch ein Mal eine gleiche Zahl unserer zurückgebliebenen Leidensgefährten zu lösen; die weit überwiegende Mehrheit beharrte entschieden auf ihrer selbstischen Ansicht. Übrigens erkannte der uns escortirende Officier seine Lage so wohl, daß er sofort die Waffen seiner Leute in einen Kasten einschließen ließ und sich dadurch wehrlos unserm Willen hingab. Er hielt es ohne Zweifel für klüger, uns ganz gewähren zu lassen, als durch Zwang und lästige Vorsichtsmaßregeln uns zu reizen; auch mochte er wohl des Characters seiner Landsleute gewiß sein. Nachdem während der Nacht Windstille uns gefesselt hatte, trieb nach Sonnenaufgang ein leichter Hauch das Fahrzeug langsam der Küste entlang, deren Schönheit um diese Jahreszeit in der höchsten Pracht entfaltet war. Die Landhäuser der reichen Kaufleute von Cadix bedeckten in mannigfach wechselnder Gestalt den Strand, bis wo die Kette der das Meer cotoyirenden Gebirge wilder sich hob; dort lag Chiclana, wo umsonst die Schaaren der Constitution gegen Angouleme’s Heer Widerstand versuchten. Dann doublirten wir das Vorgebirge, bei dem der erste Seeheld der stolzen Britannia mit seinem Tode den herrlichen Sieg erkaufte, der entscheidend Spaniens und Frankreichs vereinte Flotten vernichtete, und mit der Überlegenheit seines Vaterlandes über die gefährlichen Nebenbuhler die Seeherrschaft desselben auf lange Zeit sicherte. Schon erhoben sich fern am Horizont die bläulichen Hügel Afrika’s und schienen, vor uns Europa berührend, das Vorwärtsdringen dem kühnen Seefahrer schließen zu wollen. Der Wind, jeden Augenblick mehr frischend, näherte uns rasch dem Eingange in die berühmte Straße des Herkules: zur Rechten zog das maurische Tanger meine Aufmerksamkeit an, dann links Tarifa mit seinen niedrigen Festungswerken, geschützt durch eine vorliegende gleichfalls befestigte Insel. Wie in beiden Städten dasselbe Gemisch von arabischen und europäischen Sitten den Beobachter frappirt, boten sie auch beide denselben Anblick der einförmigsten Weiße; jedes Leben schien in ihnen erstorben zu sein. Von Strömung und Wind gleich begünstigt flogen wir durch die immer mehr sich engende Straße zwischen zwei Welttheilen hin, welche durch einen breiten Strom geschiedene Theile desselben Landes schienen. Zu beiden Seiten erhoben sich wellenförmig die Höhen vom Gestade zu den dunkleren Gebirgen, zu beiden Seiten prangten die Gefilde in demselben lachenden Grün und leuchteten gleiche Häuser und Dörfchen in den Strahlen der Mittagssonne; in Afrika, wie in Europa zeigte das Fernrohr reizende Gärten und weite Haine von Orangen und Citronen, unter denen die schlanke Palme, einer Säule ähnlich, hoch gen Himmel strebte. Da fesselte ein Felsen meine Blicke, zur Linken scharf über die niedrigeren Höhen hervortretend: die Veste lag vor uns, deren Name des stolzen Spaniers Brust im Gefühl vergangener Größe, jetziger Schmach von Zorn und Rachsucht schwellen macht, sein Antlitz in die Gluthfarbe der Scham badet. Majestätisch steigt aus den Wellen die finstere Masse empor, die ihres Vertheidigers erkaufte Nachlässigkeit in die Gewalt der Briten gab, und durch deren Abtretung der Enkel Ludwigs XIV. ihnen die Anerkennung seiner Herrschaft bezahlte; die, durch die Kunst in eine fast unangreifbare Veste umgeschaffen, nun die wichtigste unter den Stationen ist, mit welchen Englands Herrschsucht Europa, ja den Globus, wie mit einer Kette zu umschlingen wußte, um seinem Handel als Stapelplatz, seinen Flotten als Stützpunkt und Zuflucht zu dienen, und die ihm erst dürfte entrissen werden, wenn die hundertfaches Verderben sprühenden Kriegsmänner, welche, bisher unbesiegt, die stolze Insel zur Königinn der Meere erhoben, einem in jugendlicher Kraft blühenden Rivalen unterliegen. Dann ward Ceuta sichtbar, schon außerhalb der eigentlichen Straße von Gibraltar gelegen, doch ihm so nahe, daß in jedem der beiden Punkte Kanonen sich finden sollen, welche den anderen zu erreichen vermögen; einige jener Ungeheuer, wie der Rhein-Reisende auf dem Ehrenbreitstein eines bewundert. Auch Ceuta ist sehr stark; es liegt auf einer Landzunge, deren ganze Breite die die Landseite deckende Befestigungslinie einnimmt, so daß diese in eingehenden Bogen construirt werden konnte. Die Regierung Christina’s begrub in den Kerkern des dortigen Presidio Tausende von Unglücklichen, welche Anhänglichkeit an ihren König zu Verbrechern stempeln mußte. Vor uns dehnte das Mittelländische Meer sich aus, so reich an Erinnerungen und herrlichen Thaten, umringt von den schönsten Ländern der alten Welt, von den Reichen, die in der höchsten Blüthe der Civilisation und der Macht prangten, als die Völker des Nordens, welche jetzt über den ganzen Erdball hin das Loos der Nationen lenken, auf lange noch in den Banden des finstern Barbarismus lagen. Und was sind sie nun, diese herrlichen Länder, welche die Geschichte als die Wiege alles Erhabenen und Schönen uns malt? Würden die mächtigen Könige Egyptens, die Erbauer der Pyramiden, die Priester, denen Griechenlands Weise ihre geistigen Schätze verdankten, ihr Vaterland wieder erkennen in den öden Gefilden, deren Bewohner eines Mehemed Ali Cultur als Wunder anstaunen müssen? Könnten wohl die Helden der weltumfassenden Roma für ihre Nachkommen +die+ Männer halten, deren schlaffer, knechtischer Geist selbst den +Gedanken+ der Thaten ihrer Vorfahren nicht zu fassen vermöchte? Tunis Dey herrscht da, wo einst Carthago in seiner stolzen Handelsgröße thronte, wo Hannibal, groß als Feldherr und groß im Rathe, seine kühnen Pläne zum Kampfe um die Herrschaft der Welt entwarf; Macedoniens unterdrücktes Volk vergaß längst, daß ein Alexander triumphirend zu den Gränzen des fabelhaften Indiens und bis in die glühenden Wüsten von Afrika es führte. Und was ward aus der pyrenäischen Halbinsel, die eine neue Welt sein nennen durfte, deren Flotten von Osten und von Westen her die unerschöpflichen Reichthümer der heißen Zone ihr, der Gebieterinn, zuführten; deren Herrscher sich rühmte, daß nie in seinen Staaten die Sonne untergehe? Was ward aus Griechenland, dessen Söhne, lange Jahrhunderte unter schmähliches Sclavenjoch gebeugt, durch alle Stürme und Leiden hindurch nur die alte Uneinigkeit zu bewahren wußten? In des großen Constantin Stadt zittert ohnmächtig der Sohn der Sultane, welche zu Wiens Belagerung ihre fanatischen Krieger führten; ein türkischer Pascha gebeut in den Reichen des großen Mithridates, in den Stätten, die durch Hectors und Achilles Thaten verherrlicht sind. Wo der Herr der Welten beseligende Liebe verkündete, da kämpfen wilde Horden um das Recht, die erniedrigten Bewohner bis zum letzten Blutstropfen auszusaugen! -- O, Vergänglichkeit alles Menschlichen! -- Und das Meer unter allen Umwälzungen rollt seit Jahrtausenden unverändert seine Wogen. * * * * * Der Südwest, welcher uns so kräftig durch die Straße von Gibraltar getrieben und die Hoffnung erregt hatte, in wenigen Tagen Valencia zu erreichen, starb weg, als wir während der Nacht Malaga und Motril passirt hatten; im Angesichte des Cabo de Gata fesselte uns gänzliche Windstille, von den Schiffern mit finsterer Stirn begrüßt. Erstickende Schwüle lähmte Geist und Körper, bleischwer auf uns lastend, die Sonne glühte sengend auf unsern Scheitel herab, und als die ersehnte Nacht endlich kam, brachte auch sie nicht jene erfrischende Kühlung, die sonst sie zu begleiten pflegt. Die Segel schlugen schlaff hin und her an die Masten, durch ihre Bewegung fortwährend uns Unerfahrene täuschend, da wir die Wirkung des Windes in ihr suchten; zugleich schwankte das Schiff tief sich beugend von einer Seite zur andern und erzeugte dadurch rings umher ein leichtes Zittern des Wassers, gegen das die todte Glätte des Meeres, so weit das Auge reichte, desto mehr auffiel. Gegen Mittag des folgenden Tages ward fern gen Norden ein kleiner schwarzer Punkt sichtbar, der reißend anschwoll und den Horizont überzog; dumpfes Rauschen ertönte aus der Tiefe, aus der Luft, die Oberfläche des Meeres regte sich, hie und da kleine Streifen weißen Schaumes zeigend. Emsig kletterten die Seeleute umher, die verwitterten Züge in starre, drohende Falten geworfen, zogen hier ein Segel ein und banden sorgfältig es fest oder untersuchten mit prüfendem Auge die Taue, während dort die Schiffsjungen alles Überflüssige in den Raum warfen, um das Verdeck, schon durch eine große Zahl von uns überfüllt, etwas freier zu machen. Rasch bedeckte schwarzes Gewölk hoch auf einander gethürmt den ganzen Himmel, immer hohler tönte über uns, wie unten in den Wassern, abgerissen unheilverkündendes Brausen, und das Fahrzeug ward in kurzen, heftigen Stößen hin und her geworfen. Augenblickliche Stille trat ein, unheimlich, ängstlich: in der nächsten Minute brüllte und pfiff der Sturm durch das Tauwerk, welches längst von seiner Last befreit war. Ein Sturm ist so oft geschildert worden, daß es nur lästige Wiederholung des oft Gehörten wäre, wollte ich unsere körperlichen und geistigen Leiden während der folgenden Tage im Detail geben. Das Schiff flog dahin vor der Wuth der losgelassenen Winde, bald hoch auf einer Woge emporgehoben und weithin das wilde Treiben der Wasser überschauend, bald war es in den Abgrund versenkt, dessen Schaumwände einem Kerker gleich, dicht uns umschlossen und jeden Augenblick über uns zusammenzuschlagen drohten. Nicht mehr bestimmt, so grausen Kampf zu bestehen, krachte das alte Schiff in allen seinen Fugen, als bräche es unter der Last der Massen, die es bestürmten. Wehklagen und Jammer ertönte aus dem Raume, wo jede neue Welle die von der Seekrankheit Geplagten über und durch einander warf, während so viele, welche auf dem Lande oft furchtlos dem Tode getrotzt, nun die Stunde verwünschten, in der sie dem treulosen Elemente sich anvertrauen mußten. Als wir uns einschifften, hatte ich wohlweislich ein Plätzchen auf dem Verdecke mir ausgewählt, und so lange das Wetter günstig, war mir diese Vorsicht wohl zu Statten gekommen; die frische, zehrende Luft erregte nur meinen Appetit, und die mannigfachen Leidens- und Klagelaute, die besonders von unten herauf schallten, hatten, wie das denn zu geschehen pflegt, mir reichen Stoff zum Lachen geboten. Jetzt ward aber der Zustand der in freier Luft Lagernden mit jedem Augenblicke beschwerlicher. Schon mußten wir lang ausgestreckt neben einem Mastbaume hingekauert mit Händen und Füßen uns anklammern, um nicht fortgeschleudert oder von den Wogen, die häufig über das Verdeck hinfegten, über Bord geschwemmt zu werden. Durchnäßt bis auf das Mark, stets von neuem gerüttelt und gerissen beneidete ich diejenigen meiner Gefährten, welche unter Deck, wenn sie mit dem Kopfe gegen die Schiffswand geschlagen wurden, eben dadurch die tröstliche Gewißheit erhielten, daß diese Wand, so lange sie existirte, die tobenden Wasser von ihnen fern hielt. Ein kleiner dreizehnjähriger Cadett wurde vor den Augen seines Vaters, der umsonst einen herzzerreißenden Hülfeschrei ausstieß, vom Verdeck geschwemmt und augenblicklich in den schäumenden Fluthen begraben; zwei Officiere entgingen wie durch Wunder demselben Geschick, da sie, über Bord gehoben, irgend ein Tau ergreifen konnten und halb zerschlagen zurückgezogen wurden; ein anderer brach sich zweifach den Arm, viele trugen Contusionen davon. Genug des Unangenehmen, welches der Sturm reichlich uns brachte. Wer etwa mehr davon wissen möchte, wird durch Überlesen einer der vielen grausigen Erzählungen der Art, wie sie in den Schriften zur Belehrung der Kinder sich finden, über und über befriedigt werden; wenn zehnfach übertrieben, sind solche Beschreibungen im Allgemeinen nicht unbezeichnend, und eine lebhafte Phantasie wird das Fehlende leicht ergänzen. Am dritten Tage hatte der Himmel sich aufgeklärt, das Meer umspülte wieder sanft plätschernd unser Fahrzeug, Delphine folgten ihm spielend und kündigten die Dauer des guten Wetters an; der Schiffer aber erklärte zum großen Erstaunen Vieler unter den Reisegefährten, die später nicht wenig prahlten, durch einen Sturm so weit vom Vaterlande fortgetrieben zu sein, daß wir nahe bei der Insel Sardinien uns befänden. Das Feuer, so lange schon nicht angezündet, wurde wieder angefacht, und ausgehungert wie wir durch dreitägiges Fasten es waren, -- ich hatte in der That kaum ein Bischen ganz aus über einander wimmelnden Würmern bestehenden Schiffszwieback gegessen -- überwachten wir mit dem Auge der höchsten Ungeduld die Zubereitung des Mahles. Nie fühlte ich so entsetzlichen Hunger; ich segnete die Seekrankheit, durch welche die Hälfte von uns unfähig gemacht war, am kärglichen Essen Theil zu nehmen. Ein halbgünstiger Wind trieb das alte Schiff vor sich her, und nach wenigen Tagen entdeckten wir wieder Spaniens blaue Gebirge fern über dem Wasserspiegel. Die Küste des Königreiches Granada lag vor uns. Bald tauchten die weißen Gipfel der Sierra nevada am Horizonte empor, selbst in dieser Jahreszeit mit Schnee bedeckt, während die Ufer, so weit das Fernrohr sie enthüllte, überall das Bild der reichsten Fruchtbarkeit darboten. Wir cotoyirten das liebliche Königreich Murcia, in dem Cartagena’s hohes Castell im Glanze der Morgensonne aus dem dunkeln Gebirgsrahmen leuchtete, der seine Weiße noch blendender hervorhob, dann doublirten wir das Cabo de Palos, begrüßten Alicante, reich an aromatischem Weine, dem Lieblinge der spanischen Damen, und bogen am Abend des 11. Juli in den Busen von Valencia ein, das hohe, ihn begrenzende Cabo San Martin umschiffend. Die Scene war prachtvoll, erhebend schön. Vor uns breitete die Bay sich aus, zitternd in kaum fühlbarer Bewegung, zauberhaft wiederstrahlend in dem schwankenden Lichte der Mondscheinnacht, wie nur des Südens Himmel, rein und hell, so wunderbar lieblich sie schafft, und umkränzt von dem dunkeln Streifen der amphitheatralisch sich erhebenden Gebirge. Tief im Grunde funkelte einsam auflodernd das Feuer auf Valencia’s Leuchtthurme, während zur Linken, uns näher, zahllose Lichter aus Denia, Gandia und so vielen das Gestade schmückenden Dörfern, bald langsam verlöschend, das thätige Treiben der Menschen verriethen. Die finstern Massen der Handelsschiffe, wie sie theils dem offenen Meere zuglitten, theils nach Valencia’s Hafen sich wandten, die Produkte des in ewigem Frühlinge blühenden Königreiches für die Erzeugnisse fremden Gewerbfleißes einzutauschen, schwanden in ungewissen Umrissen in der Dunkelheit hin, schwarzen Ungeheuern gleich, die mit glänzend weißen Flügeln im zweifelhaften Lichte des Mondes über die Silberfläche hinflogen. Zwischen ihnen schwebten anmuthig wie leichte Sylphen die Fischerboote, mit ihrem einfachen Segel bedeckt, und die Stimme der Fischer, bis ihr Klang in der dunkeln Ferne hinstarb, ertönte schauerlich ernst durch die Nacht, wie sie im Wechselgesange den Schutzheiligen ehrten, der so oft aus den tobenden Fluthen sie gerettet hatte, oder die Schönheit und Gnade der jungfräulichen Himmelsköniginn priesen. Am folgenden Tage lagen wir dem Grao gegenüber vor Anker. Die Ordre zur Ausschiffung erfolgte bald, so daß wir um Mittag die kleine Hafenstadt durchzogen, um nach Valencia gebracht zu werden, wohin eine drei Viertel Stunden lange, mit schattigen Bäumen besetzte Straße führt, umgeben von eleganten Landhäusern und Gärten. Da die Behörden nicht wagten, durch die von unzähligen niedrigen Thürmen überragte Stadt uns zu führen, zogen wir rings um die Mauer, die, aus den Zeiten der Araber stammend, jetzt ausgebessert und mit Schießscharten versehen war, ohne doch einem ernstlichen Angriffe irgend Widerstand entgegensetzen zu können. Endlich fanden wir uns in einen der alten Thürme eingeschlossen, welche zur Flankirung der Mauern bestimmt waren und nun häufig als Gefängnisse dienen; es war eben derselbe Thurm, aus dem wenige Monate früher unsere unglücklichen Cameraden, um der Wuth der Revolutions-Männer zu genügen, wehrlos zur Schlachtbank geschleppt waren. Auch uns war dieses Loos nicht fern. Aufgereizt und bezahlt, wie immer, durch die Selbstlinge, denen jedes Mittel für ihre Zwecke recht ist, versammelten sich die National-Garde und der Pöbel Valencia’s, wilde Drohungen ausstoßend und für die Nacht Wiederholung der so oft erneuten Mordscenen verheißend. Die Behörden fühlten sich zu schwach, um mit Gewalt den Aufstand niederzuhalten; so wurden wir denn, anstatt, wie bestimmt, am folgenden Morgen zu marschiren, plötzlich Mittags aus unserm Thurme gezogen und eiligst mit starker Bedeckung nach Murviedro abgeführt, natürlich von den zusammenlaufenden Liberalen möglichst insultirt und beschimpft. * * * * * Herrlich dehnt zwischen dem Meere und dem Gebirge, zwei bis vier Meilen breit und etwa zwanzig lang, die Ebene sich aus, die unter dem Namen der Huerta -- des Fruchtgartens -- von Valencia bekannt ist, so sorgfältig bebaut und so bis zum kleinsten Fleckchen benutzt, wie die am reichsten cultivirte Landschaft in Deutschlands Auen es zu sein vermag. Die Nähe des Meeres verbreitet auch in den glühendsten Monaten des Sommers wohlthätige Kühlung und befruchtende Feuchtigkeit über diesen begünstigten Landstrich, die hohen Berge, welche schützend ihn umgeben, halten die rauhen Winde der kalten Jahreszeit fern. Dazu hat die Sorgfalt des Landmannes durch Cisternen und Canäle, die in unendlicher Menge die Felder durchkreuzen, regelmäßige Bewässerung des Bodens geschaffen, seine Saaten gegen die dörrende Hitze der Sonne schützend. Und diese Sorgfalt, so selten in Spanien, dem Lande der Trägheit, ist nicht unbelohnt geblieben. Die strotzenden Felder, die reichen Gärten zeugen von der Fruchtbarkeit des Landes, die reinlichen Dörfer, welche, dicht an einander gedrängt, in unglaublicher Menge diese gesegneten Auen schmücken und mit ihren weißen Kirchthürmen freundlich sich zu begrüßen scheinen, verkünden die Wohlhabenheit der Bewohner und zeigen, was Natur vermag, wenn des Menschen ausdauernder Fleiß ihr zu Hülfe kommt. Wäre die ganze Halbinsel wie diese Huerta bebaut, so würde sie leicht die fünffache Zahl ihrer jetzigen Bewohner ernähren. Zugleich vermannigfacht das Klima ausnehmend die Produkte, so daß der erstaunte Fremde Alles dort bewundert, was im Gebiete der Pflanzenwelt Natur reichstes und liebliches in allen Zonen und Welttheilen hervorbrachte. Asiens Zuckerrohr gedeihet neben der hoch aufstrebenden Palme von Afrika; Arabien lieh seinen Kaffeebaum, wie Indien die wohlthätige Pflanze der Baumwolle zur Bereicherung dieses weiten Gartens, und selbst die Königinn der Früchte, die köstliche Ananas, vertauschte gern mit Valencia’s Ebene die waldbedeckten Flächen Amerika’s. Auch in den Gegenden, deren übermäßige Nässe jede Cultur zu verspotten scheint, belohnt der nährende Reis die Mühe der Armen, welche, bleich und hinfällig eine Beute der stets herrschenden Fieber, den Gefahren trotzen mögen, die jene Sumpfgründe täglich ihrem Bebauer drohen. Gegen Abend erreichten wir Murviedro, gekrönt auf hohem, unzugänglich scheinendem Felsen von dem Castell, das als eines der festesten in Spanien angesehen ist; Murviedro, das alte Sagunt, so reich an geschichtlichen Erinnerungen und auf immer berühmt durch seine heldenmüthige Vertheidigung gegen den afrikanischen Feldherrn, der durch die Belagerung dieser Stadt den ersten Schritt that zu dem herrlichen Zuge, in dem er seine Schaaren bis vor die Thore der stolzen Roma führte. Noch jetzt sind einige Trümmer jener alten Veste und noch mehr des carthagischen Lagers sichtbar. Wir blieben in Murviedro bis zum folgenden Mittage, worauf wir über Nules den Marsch auf Castellon de la Plana fortsetzten. Das Land, wenn schon von Hügeln durchschnitten, die hin und wieder schrofferen Character annahmen, trug fortwährend den Stempel der Fruchtbarkeit und hoher Wohlhabenheit; doch hatte der Krieg, der Zerstörer jedes Glückes, hier häufige Spuren seiner Wuth zurückgelassen. Die Bewohner des Königreiches Valencia, mehr gewandt als kräftig, lebhaft, schlau, oft hinterlistig, und aufbrausend, frappiren den Fremden sofort durch ihre National-Kleidung, in der sie, durch die stets gleich milde Sonne begünstigt, den Gebräuchen ihrer Voreltern treu geblieben sind. Wahrscheinlich ist ihr jetziger Anzug noch eben derselbe, in dem vor Jahrtausenden die Urvölker Spanien’s die phönizischen und ägyptischen Handelsflotten empfingen, und dem Klima angemessen ist er zugleich nicht unmalerisch. Ein weißes leinenes Hemd bedeckt den Oberkörper, und die weiten gleichfalls weißen Beinkleider gehen kaum bis zum Knie hinab und sind durch eine breite schwarze oder scharlachfarbige Schärpe um den Leib festgehalten; das Unterbein schützen knappe weiße Strümpfe von Wolle, die bis zum Knöchel hinabreichen, während ihr Schuhzeug in den aus Flachs oder Hanf geflochtenen Sandalen besteht, an den Fuß mit rothen oder blauen Bändern zierlich befestigt. Ein schwarzsammetnes Westchen mit vielen Reihen kleiner silberner Knöpfe vollendet den Anzug, wobei eine Scharlachmütze, weit über die Schultern hinabfallend, den dunkeln Lockenkopf deckt. So ziehen sie, mit lauter, klangreicher Stimme ihre Volkslieder singend, neben den kleinen Maulthieren und Eseln einher, die ihre einzigen Transportmittel bilden; ich erinnere mich nicht, mit Ausnahme der größten Städte, irgendwo einen Karren oder ein sonstiges Fuhrwerk je gesehen zu haben. Die Sprache der Valencianer ist ein Gemisch der französischen, italienischen und spanischen mit einzelnen arabischen Formen, dem Dialekt der Catalonier nahe verwandt, doch etwas mehr dem Castilianischen sich zuneigend; es ist demjenigen, der jene drei Sprachen besitzt, leicht, sich ihnen verständlich zu machen, was der Bewohner Castiliens sehr schwierig findet. Tag auf Tag verging uns in der schmutzigen Klosterkirche, in die wir bei der Ankunft in Castellon eingeschlossen waren, ohne daß die Auswechselung sich verificiren zu wollen schien; und wiewohl ich mich bemühete, beim gänzlichen Mangel an Büchern durch eine L’Hombre-Parthie, die gewöhnlich vom Sonnenaufgang bis zum Dunkelwerden dauerte, möglichst mich zu zerstreuen, war doch die stets neu erregte, stets wieder getäuschte Erwartung so furchtbar peinlich, daß wir am Ende in einem Zustande von vollkommener Abspannung uns befanden. Doch endlich nach langen vierzehn Tagen kam der Glück bringende Augenblick. Um zwei Uhr Morgens am 1. August 1839 standen wir geordnet vor der Thür der Kirche zum Abmarsch bereit. Drei unserer Cameraden durcheilten unsere Reihen, Thränen im Auge, beschworen uns, für sie zu sprechen, und nahmen mit schmerzlichem Händedruck Abschied, als der ersehnte Befehl zum Aufbruch ertönte: der Graf von Morella hatte sich geweigert, sie auszuwechseln, da sie durch Gold und Fürsprache bewirkt hatten, daß die Christinos sie anstatt anderer drei Officiere von der Armee Cabrera’s nach Valencia sandten, während jene in Verzweiflung in Cadix zurückbleiben mußten.[55] Schwellenden Herzens verließen wir Castellon de la Plana und zogen den nahen Gebirgen zu, den Gebirgen, die wir als den Unseren gehörig betrachten durften. Nie waren wir so leichten Schrittes gegangen; kaum vermochte die kleine Escorte, welche dem Vertrage gemäß zur Auswechselung uns geleitete, so stürmisch rasch zu folgen. Links, wenige tausend Schritt entfernt, glänzten stolz in der Morgensonne die hohen Mauern von Villafamés, das so oft unsern schwachen Angriffsmitteln widerstanden; schon war die Bresche wieder geschlossen, die wenige Wochen vorher Tortosa’s brave Freiwillige umsonst gestürmt hatten. Mehr und mehr wurde das Terrain gebrochen; der feindliche mit der Auswechselung beauftragte Brigadier blickte erwartungsvoll durch sein Fernrohr umher. Einige Reiter erschienen weithin in dem Grunde der Schlucht; wir erkannten die rothen und weißen Baretts der Carlisten und begrüßten sie mit donnerndem Jubelruf. Eine halbe Stunde später standen wir in langer Reihe den Officieren gegenüber, die für uns sollten ausgetauscht werden; das lästige Ceremoniel war endlich durchgemacht, ein rauschender Triumphmarsch der Janitscharen-Musik ertönte: wir waren frei! Carlisten und Christinos umarmten sich im Taumel der Freude und wünschten sich Glück; dann schieden wir, um bald im Getümmel des Kampfes uns wiederzufinden. Ich war frei, war vereint mit den Meinen; ich durfte hoffen, im Blute der Gehaßten so viele Leiden, so viele mit Zähneknirschen empfangene Insulte, so viele hingeopferte Gefährten zu rächen. Ich jubelte im Vorgefühle des seligen Tages, an dem ich die Waffen in der Hand den Schaaren Christina’s mich gegenüber sehen würde, ich athmete, ich schwur Rache, Rache für alle die Unbilde, welche sie höhnend auf uns Wehrlose gehäuft hatten. Das Volk aus den umliegenden Ortschaften war nebst vielen carlistischen Officieren gekommen, um Zeuge der Auswechselung zu sein, der zweiten, die seit dem Vertrage Statt fand, welcher den beiderseitigen Schlächtereien des Winters ein Ziel setzte. Sie hatten Lebensmittel und den feurigen Wein des Landes mit sich gebracht, und rasch war das Feld bedeckt mit bunten Gruppen, die fröhlich schmausend und trinkend ihr Glück in Gesängen des Krieges und der Liebe kund gaben, bis Guitarre und Castagnetten die Losung zum Tanze gaben, den der Spanier so selten zurückweiset. Erst als die sinkende Sonne zum Aufbruch mahnte, vertheilte sich die Masse in die nächsten Dörfer, in denen Vorbereitungen zu festlichem Empfange getroffen waren. Am folgenden Tage marschirten wir über las Cuevas nach San Mateo, einem freundlichen Städtchen in äußerst fruchtbarer und lieblicher Gegend und daher ausgewählt, damit wir von den Strapazen und Entbehrungen, welche die Gefangenen so hart geduldet hatten, dort ruhend uns erholten, ehe wir in Thätigkeit gesetzt würden. Unwillig, ferner müssig zu sein -- ich hatte nur zu lange in gezwungener Muße mich aufgezehrt -- eilte ich zu unserm Commandeur, um einen Paß nach Tales ihn zu bitten, wo der General mit einigen Bataillonen gegen O’Donnell’s Heer operirte. [55] Ein anderer Officier war niederträchtig genug gewesen, sein Recht auf Auswechselung um Gold einem Andern zu verkaufen. Er wurde mit Mühe von der Todesrache eines dritten Officiers gerettet, dem er zuerst seine Ansprüche abgetreten hatte, um sie dann, da ein Anderer eine höhere Summe ihm bot, heimlich diesem zu überlassen, indem er vor dem feindlichen Chef des Depots unauflösbar den Contract einging. Juan, ein braver, biederer Sohn des Gebirges, kernig an Körper und Geist und Herz, jeder Falschheit unfähig und sie hassend mit der ganzen, herrlichen Gluth seiner Seele, dabei wild und leidenschaftlich ewige Rache athmend, wie unerschütterlich fester Freund -- Juan hörte die Schreckenskunde, durch welche die sichere Hoffnung, das höchste Ziel alles seines Strebens so bubenmäßig ihm geraubt und in ungewisse Ferne hinausgerückt war. Wir wurden am Abend in unsere Casematte eingeschlossen. Da zog Juan ein Papier hervor und las den zwei und dreißig, die wir zusammen dort wohnten, die Verpflichtung vor, welche Ruiz gegen ihn eingegangen; zugleich erklärte er, wie dieser Ruiz nun schändlich sein Wort gebrochen. Er nahete darauf dem Bette desselben und sagte ihm ruhig. „Du hast fünf Minuten Zeit, Dich vorzubereiten, dann mußt Du sterben.“ Lautlos starrte der Wicht ihn an und brach in Thränen und Klagen und Flehen aus. Wie die fünf Minuten verflossen, ergriff Juan zwei mächtige Bretter und reichte Ruiz das eine derselben dar mit den Worten: „Waffen haben wir nicht -- nimm dieses und wehre Dich gut; denn wehrst Du Dich, so schlage ich Dich todt, und wehrst Du Dich nicht, so schlage ich Dich auch todt.“ Die übrigen Officiere sahen gleichmüthig dem zu, ohne sich zu rühren; auch der Vater von Ruiz, der den Sohn zu solcher Erbärmlichkeit überredet hatte, drückte sich in einen Winkel. Dieser aber, anstatt das dargebotene Brett zu ergreifen, wimmerte feig und jammerte weinend um Hülfe, um Rettung, bis er, als Juan den Schlag zu führen seinen Arm hob, in Todesangst mit weitem Sprunge zwischen Guiguer’s und mein Bett sich warf, unsere Kniee flehend umklammerte und -- unter den Betten verschwand. Dem Einflusse meines Freundes gelang es, Juan auf einen Augenblick durch Bitten und durch die Bemerkung zu entwaffnen, daß er sich nicht mit dem Blute eines solchen Wichtes besudeln dürfe; und ehe die Verachtung dem wieder auflodernden Zorne gewichen, war Ruiz dem Chef des Depot übergeben, der ihn auf ein Castell abgesondert bringen ließ. Er entschloß sich dann, für Isabella Parthei zu nehmen, und ward aufgenommen. XX. Don Ramon Cabrera, Sohn eines Kaufmanns in Tortosa, Student der Theologie und Inhaber einer kleinen ~capellania~ bei seiner Vaterstadt, verließ auf die Nachricht von dem Tode Ferdinands VII. seine Studien, um den Guerrillas sich anzuschließen, welche in den Gebirgen Aragon’s, Valencia’s und Cataloniens für die Rechte Carls V. zu den Waffen griffen. Drei und zwanzig Jahr alt stellte er sich an die Spitze von funfzehn Genossen, meistens seinen Schulcameraden, sämmtlich mit Jagdflinten und Stöcken bewaffnet, und warf sich mit ihnen in die Sierra, welche von dem zum Hochplateau sich erweiternden Gebirgsstocke von Unter-Aragon nach Norden zum Ebro ausläuft und jene Provinz von Catalonien, das Flußgebiet des Guadalupe von dem des Ebro scheidet. Sofort zeichnete Cabrera, feurig und thatendurstig, durch Unerschrockenheit und Ausdauer eben so sehr sich aus, wie durch Scharfsinn und entschlossene Kühnheit in der Ausführung der schwierigsten Unternehmungen. Es würde ermüdend sein, Schritt vor Schritt den Zügen und Thaten des jungen Helden zu folgen; ich begnüge mich, bis zu der Epoche, in der er an die Spitze aller bis dahin unabhängigen Guerrillas jener Provinzen gestellt wurde, eine allgemeine Übersicht des von ihm Gethanen zu geben. Miralles -- el Serrador, der Holzsäger, nach dem Handwerke genannt, welches er vor seinem Auftreten gegen die Constitution von 1820 hatte -- Quilez, Llagostera, Forcadell, Tallada, la Coba und viele unbedeutendere Männer waren die Chefs jener Haufen, über welche alle dem Namen nach Carnicer gebot, ein erfahrener General, der hohen Geist mit kriegerischem Talente verband. Ihm schloß Cabrera sich an und ward anfangs als Factor oder Commissariats-Gehülfe, bald als Lieutenant und Abanderado angestellt, in welcher Eigenschaft das schwierige Geschäft der Rationirung des Bataillons ihm oblag. Bei jeder Gelegenheit ausgezeichnet durch Bravour, Intelligenz und Thätigkeit erhielt er schon im Frühlinge 1834 mit dem Grade eines Capitains das Commando einer Jäger-Compagnie, und wie die Wechselfälle eines solchen Guerrilla-Krieges es mit sich brachten, war er bald mit seinem Chef vereinigt, bald kämpfte er lange Zeit unabhängig für sich oder in Combination mit andern Anführern. Sein Ruf verbreitete sich weit, und ihm vorzugsweise strömte fortwährend junge Mannschaft zu, so daß er zwei Compagnien, endlich ein Bataillon bilden konnte, mit dem er während der zweiten Hälfte des Jahres tief nach Aragon hinein und in den südlichen Theil des Königreiches Valencia Streifzüge machte, häufig glückliche Gefechte bestand und feindliche Forts nahm und zerstörte, wobei er durch Gefangene, die gern unter solchem Führer die Waffen nahmen, wie durch freiwillige Rekruten täglich die Zahl seiner Truppen mehrte. Schon hatte er seinen Namen zum Schrecken der Constitutionellen gemacht. Im Frühjahre 1835 commandirte Cabrera zwei schöne Bataillone und nahm unter Carnicer, der hier alle Guerrillas vereinigt hatte, an der unheilsvollen Schlacht bei Molina Theil, in der er durch persönliche Bravour und die Leitung seiner Truppen wie durch deren feste Haltung, Organisation und Disciplin sich auszeichnete und eine glänzende Ausnahme von der allgemeinen Verwirrung und Entmuthigung machte, dadurch Vieles rettend. Er ward so zum Lieblinge der Soldaten, welche schaarenweise die übrigen Chefs verließen, um ihm sich anzuschließen, ja mehrere dieser Chefs selbst, im Gefühle seiner Überlegenheit, ordneten freiwillig sich ihm unter, so Don Luis Llagostera y Cadival, etwas später auch Don Domingo Forcadell und La Coba. Dadurch konnte Cabrera drei neue, starke Bataillone und einige Escadrone Lanciers bilden und stand im Sommer 1835 als der mächtigste und gefürchtetste Carlisten-Anführer des östlichen Spaniens da. Die Gewandtheit, mit der er die Vortheile des Terrains benutzte, die Raschheit seiner Märsche, sein durch kein Hinderniß abgeschreckter Unternehmungsgeist und das Talent, durch das er selbst aus den einzelnen Niederlagen Vortheile unerwartet zu erobern wußte, flößten den Feinden, die so oft unter seinen furchtbaren Schlägen bluteten, den Glauben ein, daß mehrere Cabrera gegen sie wütheten, und machten ihn zum Abgott der Seinen; zugleich trat aber auch die Eifersucht vieler Mitanführer, die da glaubten, höhere Ansprüche als der Jüngling machen zu dürfen, täglich mehr hindernd und erschwerend hervor. Da ward Carnicer von den Christinos gefangen und erschossen, und der König ernannte an seiner Statt den Brigade-General Cabrera, der persönlich in den Nordprovinzen sich präsentirt hatte, zum Oberbefehlshaber sämmtlicher Streitkräfte in Unter-Aragon und Valencia. Willig gehorchten sogleich alle Chefs dem königlichen Befehle, den die Weisheit dictirt hatte; nur Miralles, el Serrador, mochte sich nicht beugen. Er hatte an der Spitze seiner Schaar im Königreiche Valencia die kühnsten Thaten verrichtet, die ganze Huerta von Castellon de la Plana, welches er zwei Mal nahm, bis unter die Mauern der Hauptstadt und südlich bis Murcia’s Gränze beherrscht und der Sache der Carlisten wesentliche Dienste geleistet; das Landvolk betete ihn an, und lange reichte sein Name hin, um alle Thore ihm zu öffnen. Diese Rücksichten bewogen Cabrera, mit Schonung gegen den verdienten Mann zu verfahren, bis die stets erneueten Eigenmächtigkeiten desselben und der bestimmte Befehl des Königs ihn zwangen, zur Strenge zu schreiten. Miralles vertauschte die Gefangenschaft, welche er seit der Expedition Gomez’s erlitten, nur mit dem Privatleben, aus dem er bis zum Ende des Krieges nicht heraustreten durfte. So stand Cabrera im Anfange des Jahres 1836 an der Spitze der Armee von Aragon und Valencia als commandirender General dieser beiden Provinzen. -- Die Christinos hatten seit dem Beginn des Kampfes auch dort ihr beliebtes System in Anwendung gebracht: sie fühlten sich die Stärkeren, folglich mußte der Aufstand in Blut und Flammen erstickt werden. Es ward den Carlisten der Pardon gänzlich verweigert, sie wurden erschossen, wo immer sie in die Hände ihrer Feinde fielen, die Verwundeten und Kranken kaltblütig niedergemacht; ihre Güter wurden verwüstet und andern Eigenthümern übergeben, die Weiber und Kinder auf empörende Art gemißhandelt und dann fortgejagt. In den Gebirgsdörfern hauseten die Truppen entsetzlich; alle Einwohner, hieß es, sind Carlisten und müssen vernichtet werden; so ward denn geplündert, geraubt, geschändet und niedergebrannt. Viele Hunderte zwang das Elend, den Carlisten sich anzuschließen. Diese, so lange sie schwächer waren, vergalten Gleiches mit Gleichem, auch sie machten die besiegten Feinde nieder; aber wie so oft in den baskischen Provinzen, siegte auch hier zu häufig Großmuth über strengrächende Gerechtigkeit, und Tausenden von den in genommenen Forts gefangenen Garnisonen wurden die Waffen gegeben, mit denen sie gewöhnlich ihren früheren Gefährten sich wieder anzuschließen eilten, Dankbarkeit und Treue zugleich mit Füßen tretend. So wie Cabrera den Oberbefehl übernahm, machte er im Vertrauen auf seine täglich zunehmende Stärke dem Feinde Vorschläge, die zu milderem Kriegssysteme führen konnten. Er verlangte, in den Vertrag des Lords Elliot, der schon in den Nordprovinzen gültig war, aufgenommen zu werden, und erließ, da diese Forderung mit Spott zurückgewiesen wurde, ein Rundschreiben an sämmtliche Gouverneurs und Colonnen-Anführer der Christinos, in welchem er erklärte, daß er den Wunsch hege, auf menschliche Art den Krieg zu führen, und daß daher Gewaltmaßregeln von seiner Seite nur als Repressalien für die von den Feinden ausgeübten Statt finden würden. Trotz dem fuhren diese fort, alle Gefangenen zu erschießen; Cabrera aber empfahl nochmals in einer General-Ordre seinen Truppen Mäßigung und Schonung der Besiegten. Die Madrider Zeitungen stempelten ihn indessen unverdrossen zum blutdürstigen Ungeheuer, zum Tiger und führten als Beweis die Strenge an, mit der er, seine Armee zu unterhalten und mit allem Nöthigen zu versehen, unvermeidlich und pflichtgemäß gegen nachlässige oder böswillige Alcaldes und sonstige Ortsbehörden verfahren mußte. Da ließ General Nogueras im Februar 1836 ohne irgend eine Veranlassung die siebenzigjährige blinde Mutter Cabrera’s, seit Monaten in enger Haft, auf dem Marktplatze von Tortosa erschießen, als warnendes Beispiel für alle Rebellen; er ließ die Schwestern desselben öffentlich stäupen und dann aus der Stadt jagen. -- Mina, der General-Capitain von Catalonien, hatte auf Anfrage Nogueras’s seine Zustimmung zu der Schandthat gegeben. Entsetzlich war die Verzweiflung des Sohnes, da er die schuldlose Mutter hingemordet sah, gemordet, um sein Verbrechen zu strafen; Rache, ewige Rache gegen die ruchlosen Mörder war sein erster Schrei. „Mit thränenschweren Augen,“ schreibt er in der General-Ordre aus Valderobles wenige Tage nach der Schandthat, die er seinen treuen Kriegern in Worten namenlosen Schmerzes verkündet, „mit thränenschweren Augen und gebrochenen Herzens erkläre ich die Mörder meiner schuldlosen Mutter für verlustig aller der Vortheile, welche Gesetz und Gewohnheit des Krieges ihnen gewähren könnten; und wie sehr ich auch aus innerster Seele das Blutvergießen verabscheue, wie sehr ich, wo irgend möglich, das Leben meiner Mitmenschen zu retten bemüht war, befehle ich jetzt, dem Rechte und der Pflicht gemäß, daß fortan dem erbarmungslosen Feinde kein Pardon zugestanden werden soll.“ Als Repressalie aber für den Tod, „der Besten der Mütter“ ordnete er an, daß sofort die Gemahlinn des Obersten Fontiveros, Gouverneurs von Chelva, die so eben in die Hände der Carlisten gefallen war, und mit ihr andere drei Frauen erschossen würden, sich vorbehaltend, zu gleichem Zwecke andere dreißig Frauen zu bezeichnen. Für jedes neue Schlachtopfer christinoscher Grausamkeit sollten aber von nun an zehn der Ihrigen als Sühne fallen. Dann stürzte Cabrera zur Rache, und in wenigen Tagen hatte der verzweifelnde Anführer Fort auf Fort vom Feinde erobert, und Alles, was lebte, fiel unter seinem Schwerdte. Oberst Fontiveros aber, er, der am schwersten gelitten, sprach in einer Bittschrift an seine Herrscherinn den Mann, auf dessen Befehl seine Gattinn gestorben, frei von jeder Schuld und verlangte mit kraftvoller Beredtsamkeit die Bestrafung der Ungeheuer, welche durch den einen gräßlichen Frevel so viel Wehe hervorgerufen hatten. Und Cabrera? Wenige Monate, nachdem er das Verdammungsurtheil über Alles, was Christina angehörte, ausgesprochen, da kaum die erste, wilde Leidenschaft des unendlichen Schmerzes verraucht war, da hören wir ihn wieder die Sprache der Mäßigung und Menschlichkeit reden, da erläßt er wieder Rundschreiben, ähnlich den früheren, an die feindlichen Befehlshaber und spricht seinen Wunsch aus, dem blutigen Repressalien-Systeme ein Ende zu machen, von ihren Maßregeln es abhängig machend, ob das Leben der Gefangenen geheiligt sei oder nicht. Und bald nachher, da er durch die Wegnahme einiger befestigten Posten in Aragon über 700 Gefangene im Depot hatte,[56] richtete er an den General Palarea ein Schreiben, worin er über abermalige Hinschlachtung der Seinigen sich beschwerte und drohete, im Wiederholungsfalle von jenen Siebenhundert eine verhältnißmäßige Zahl zu erschießen. Am 30. Mai aber nahm er bei Bañon 1200 Mann von der Colonne Valdez gefangen und gab ihnen Allen Pardon, und als er am 29. Juni in Alcoriza eindrang, führte er die Besatzung gleichfalls gefangen fort, nur die Nationalen erschießend. -- Diese wie die Voluntarios Realistas waren +nach dem Gesetze+ stets vom Pardon ausgeschlossen: wer kriegen will, trete in die Armee ein. -- Von den dreißig Frauen, die ferner für seiner Mutter Tod sterben sollten, ward keine einzige geopfert. Und das that derselbe Cabrera, der in Wogen menschlichen Blutes sich badete, der mit wollüstigem Vergnügen das Todeszucken seiner Schlachtopfer sah! Niedrig mißbrauchten die revolutionären Blätter von Madrid das Privilegium, ohne Widerspruch Alles sagen zu können, was Partheigeist ihnen eingeben mochte. Ohne Zweifel sind auch in Aragon viele Thaten geschehen, die außerhalb Spanien unerhört scheinen würden; unter den besondern Verhältnissen des Bürger-, des Guerrilla-Krieges wurden sie zur traurigen Nothwendigkeit, da hohe Strenge allein Erfolg möglich machte, während Repressalien gerecht und durch die Pflicht vorgeschrieben waren. Vor Allem darf nicht übersehen werden, daß die Christinos durch empörende Ausschweifungen und kaltblütige Metzeleien die Rache-Acte hervorriefen, die sie so wohl zu schildern wußten, während die zehnfach blutigen und schändenden Aufreizungen ganz unerwähnt blieben. Cabrera war strenge, oft hart, weil er nur so durchsetzen konnte, was er als nothwendig und gerecht erkannt: der geringste Mangel an Gehorsam ward beim Bürger und Bauer wie beim Soldaten mit unausbleiblichem Tode bestraft; er kannte das Volk, mit dem er zu schaffen hatte. Vorzüglich litten darunter die Magistrate und Behörden der Distrikte, welche abwechselnd von beiden Armeen besetzt, von beiden abwechselnd ausgebeutet wurden; denn wer nicht auf das genaueste das Befohlene ausgeführt hatte, starb wie der, welcher überführt war, +freiwillig+ dem Feinde Vorschub geleistet zu haben. Daß aber Cabrera mit aller Strenge nur gerecht war, ist wohl am besten durch die Liebe und Verehrung bewiesen, die er beim Volke und beim Heere in so hohem Grade besaß. Im Gefecht war Cabrera furchtbar: er flog stets an der Spitze der Seinen der Erste zum Kampfe, und wo er erschien, da stürzten die Feinde unter seinem eisernen Arme. So lange er Widerstand fand, kannte er keine Gnade, und nicht selten ertönte durch das Getümmel seine Donnerstimme: „~á ellos, carajo, no hay cuartel~!“ -- Vorwärts, kein Pardon! -- Gegen den Feind, der besiegt in seiner Gewalt war, blieb er stets großmüthig, und ich habe mich umsonst bemüht, ein einziges Beispiel von +überlegter+ Grausamkeit mit Ausnahme der natürlichen Rache-Scenen nach dem Tode seiner Mutter, wenn man sie überlegt nennen darf, während seiner thatenreichen Laufbahn aufzufinden. * * * * * Am 15. September 1836 vereinigte sich Cabrera nebst Quilez und Miralles bei Utiel mit der Division von Gomez. Bei der Beschreibung jener Expedition sahen wir, wie Cabrera fortwährend mit hoher Auszeichnung kämpfte, wie er nach dem unglücklichen Treffen von Villarrobledo mit der Vorhut in Cordova eindrang und dann bei Baena den General Escalante schlug. Später dankte ihm Gomez die rasche Einnahme von Almaden, worauf Cabrera am 7. November mit einigen Hundert Reitern von ihm sich trennte, da der Zustand der Dinge in Aragon gebieterisch die Rückkehr nach den ihm untergebenen Provinzen forderte. Cabrera wollte jedoch vorher nach den Nordprovinzen passiren, um mit den Anführern der dortigen Armee über etwanige Operationen und Combinirung derselben sich zu verständigen; auch war er nicht mit den kampflosen Zügen von Gomez’s Division seit der Räumung von Cordova einverstanden gewesen und glaubte, über diesen General gegründete Beschwerden führen zu müssen. Glücklich durchkreuzte er die Mancha und die Provinzen Guadalajara und Soria und gelangte bis nach Rincon, einem Dorfe nahe am Ebro, eine halbe Stunde von dem feindlichen Fort von Calahorra entfernt. Unbekanntschaft mit den Verhältnissen in diesem Theile des Kriegsschauplatzes und Mangel an der nöthigsten Vorsicht wurden ihm verderblich; anstatt den Ebro zu passiren und dadurch im wirklich carlistischen Gebiete -- in Navarra -- Sicherheit zu suchen, ließ er die erschöpften Truppen im Dorfe auf dem jenseitigen Ufer ruhen und stellte selbst trotz der Warnungen eines vertrauten Officiers -- des Capitain Garcia aus Calahorra, der, schwer verwundet, von der Division Gomez mit Cabrera nach den Nordprovinzen zurückgehen wollte -- die auf so gefährlichem Punkte unerläßlichen Vorposten nicht aus, da die Leute nach einem Ritte von vierzehn Meilen des Schlafes bedurften.[57] In der Nacht überfiel die Colonne der Rivera unter Iribarren die sorglos Ruhenden; ein Theil der Reiter wurde niedergemacht, ein anderer gefangen, mit dem Reste entfloh Cabrera, der verwundet und halb entkleidet kaum entkommen war, nach der Provinz Soria, um von dort aus Aragon zu erreichen. Doch vorher wurde seine geschwächte Schaar gänzlich zersprengt; er selbst, aus drei Wunden blutend, ohne Pferd und ganz erschöpft, ward mit Mühe durch einen treuen Gefährten, den Oberst Don Rodriguez Cano -- la Diosa genannt -- gerettet, der den hülflos Daliegenden fortschleppte, auf dem Fuße verfolgt durch unwegsame Wälder ihn geleitete und endlich den von Blutverlust und Anstrengung zum Tode Müden in dem vom Feinde besetzten Städtchen Almazan unter der Pflege eines braven Pfarrers verborgen zurückließ. Cano eilte nach Aragon, kehrte im Fluge mit einer Compagnie Lanciers zurück und führte den noch nicht hergestellten Feldherrn den Seinen zu. Cabrera fand die Armee, welche er so glänzend verlassen hatte, in dem Zustande der furchtbarsten Auflösung. Umsonst hatte der brave Oberst Arévalo, sein Stellvertreter, Alles gethan, die Fortschritte des Feindes zu hemmen: seine Kriegserfahrung vermochte Nichts, da die untergeordneten Anführer, die einst unabhängigen und jetzt nur durch Cabrera’s Ansehen zusammengehaltenen Guerrilla-Chefs, Mitwirkung und Gehorsam ihm versagten. Sie wurden einzeln von den übermächtigen Massen der Christinos erdrückt, und ihre Truppen zerstreuten sich zum Theil oder verloren doch ganz die Disciplin und das Selbstvertrauen, durch welche Cabrera so Viel mit ihnen vermocht hatte. So war es denn dem General Don Evarista San Miguel möglich gewesen, selbst Cantavieja, den Haupt- oder vielmehr einzigen Waffenplatz Cabrera’s in dem Centrum des wilden Gebirgsknoten von Unter-Aragon, am 31. October ohne Schwierigkeit zu nehmen, indem er mehr die Elemente und die Unzugänglichkeit des Terrains als den Widerstand der Carlisten zu besiegen hatte. Die Garnison verließ die Stadt, nachdem sie an dem Versuche, die 3000 Christinos nebst dem Brigadier Lopez, welche Gomez gefangen dorthin gesandt hatte, vor ihrem Rückzuge zu ermorden, durch dreihundert Mann von Gomez’s Division verhindert waren, die, zur Bewachung der Gefangenen zurückgelassen, die Ankunft der Feinde in der Stadt erwarteten, um die Wehrlosen nicht der Wuth ihrer Gefährten Preis zu geben. Sie fielen daher in die Hände San Miguel’s. Es wäre ungerecht, wenn ich nicht als ein Beispiel christinoscher Großmuth anführte, daß Espartero jene 300 Mann in Anerkennung ihres edlen Betragens, ohne Auswechselung frei nach Navarra sandte. Bei seiner Rückkehr sah also Cabrera die Schwierigkeiten unendlich gehäuft und seine Macht in eben dem Maße verringert nicht nur durch die erlittenen Unglücksfälle, sondern auch durch die Trennung von Quilez, der mit seiner Brigade bei Gomez geblieben war. Die erste Sorge des Feldherrn war auf die Wiederherstellung der verlorenen Disciplin gerichtet, wozu freilich der Zauber seiner Gegenwart nebst einigen exemplarischen Strafen hinreichte. Sofort im Anfange des Jahres 1837 eilte er nach der Ebene von Valencia und streifte am 16. Januar bis an die Thore der Hauptstadt; mit reicher Beute zog er sich langsam nach den Gebirgen, als er am 18. Januar bei Torre blanca auf den General Borso di Carminati stieß, der seine Colonne zur Deckung Valencia’s heranführte. Ein hartnäckiger Kampf entspann sich, in dem die Carlisten vergeblich die Stellung des Feindes zu forciren suchten, da die Jäger von Oporto, aus Deutschen bestehend, die unter Don Pedro nach Portugal gekommen und vor kurzem, durch höchste Unerschrockenheit ausgezeichnet, der Tochter Ferdinand’s zu Hülfe gesandt waren, unerschütterlich fest standen. Cabrera ward, an der Spitze seiner Cavallerie chargirend, von neuem im Schenkel verwundet und verlor einige hundert Mann; Borso aber rettete sich während der Nacht durch einen Gewaltmarsch nach Castellon de la Plana. Der verwundete General beobachtete von Rosell aus die feindliche Division von Valencia, während Forcadell im Februar eine Expedition nach der Mancha machte, wo er ungeheure Vorräthe von Getreide und Vieh zusammenbrachte, mit denen er glücklich nach Aragon zurückkam. Schon war Cabrera, noch nicht genesen, wieder rastlos thätig. Er drang plötzlich tief nach Valencia hinein und griff am 18. Februar bei Buñol die 5000 Mann starke Colonne des General Cahuet in fester Stellung an, schlug sie gänzlich, nahm über 1900 Mann gefangen und jagte den Rest in vollkommener Auflösung und ohne Waffen, die sie zu leichterer Flucht weggeworfen hatten, nach der Hauptstadt. Sofort eilte er nach Aragon, um General Oráa, der so eben das Commando der Armee des Centrums übernommen, dorthin zu locken, wendete sich blitzschnell wieder nach Süden und stand am 29. März abermals im Angesicht von Valencia, wo er eine Colonne von 1500 Mann ereilte und vernichtete und Murviedro beschoß. Er durchzog, ohne Widerstand zu finden, die reiche südliche Hälfte des Königreiches und erschien am 1. April vor Alicante, während er Forcadell bis nach Orihuela, der Hauptstadt der Provinz, vorschob, deren Garnison bei der Annäherung der Carlisten entfloh. Mit siebenhundert ausgehobenen Pferden und einem ungeheuern Convoy von Lebensmitteln und Kriegsbedarf nebst 2300 Gefangenen kehrte Cabrera nach seiner natürlichen Gebirgsfeste zurück, wo Oberst Cabañero -- welcher, ein reicher Gutsbesitzer und Commandeur eines Bataillons Nationalgarde, vor kurzem ein Corps für die Carlisten gebildet hatte, um auch sie später zu verrathen -- am 27. April die Festung Cantavieja durch Einverständniß mit den Bürgern wieder genommen und die schwache Garnison, nur 600 Mann, gefangen hatte. In vier Monaten waren durch die Anwesenheit des Generals alle die zahllosen Verluste ersetzt, die während seiner Entfernung die Armee von Aragon fast vernichteten; er hatte die Angelegenheiten der Carlisten in diesem Theile Spaniens selbst auf eine höhere Stufe gehoben, als sie je vorher gewesen. Aus dem kühnen Guerrilla-Chef war ein Heerführer geworden, dem der erste Feldherr Christina’s -- denn Oráa verdient den Namen -- entgegengestellt wurde, der schon seine gut organisirten und disciplinirten Truppen auf offenem Felde gegen den Feind führte, und der ungestraft die vorzüglichsten Städte Spanien’s bedrohete, seine reichsten Provinzen sich tributpflichtig machte. Im Mai zog Cabrera nach Aragon und Catalonien,[58] wo er seine Herrschaft täglich ausdehnte, die feindlichen Forts, mit denen das Land übersäet war -- die Christinos hatten jede Stadt, auch die kleinste, befestigt und verloren so, um Alles zu decken, oft auch das, was sie ohne Zersplitterung ihrer Macht hätten bewahren können -- eroberte, die Werke derselben zerstörte und dabei fortwährend Zahl und Güte seiner streitbaren Mannschaft vermehrte. Doch umsonst belagerte er wieder das herrliche Gandesa, so oft schon bedrohet, umsonst suchte er der bedeutenden Stadt Alcañiz sich zu bemächtigen, welche er am 23. Mai zur Übergabe aufforderte; die Mittel zur regelmäßigen Belagerung fehlten ihm ganz, und die feindlichen Colonnen eilten stets zu raschem Entsatze herbei. Er zog dann vor Caspe und passirte, Zaragoza bedrohend, den Ebro, wandte sich sofort nach der Gränze von Aragon und Castilien, fing dort einen Convoy auf und stand am 14. Juni schon wieder vor Caspe, dessen Belagerung er eröffnete, um durch seine Einnahme der königlichen Expedition, die am 5. Juni in Catalonien angelangt war, einen bequemen Übergangspunkt über den Ebro zu sichern. Die Annäherung Oráa’s zwang ihn, das Unternehmen auf Caspe aufzugeben, weßhalb er den Übergang bei Cherta, nahe bei Tortosa, vorbereitete, wo er glücklich am 29. Juni bewerkstelligt wurde, von dem zu spät herbeieilenden Feinde nicht mehr gehindert. Früher sagte ich, wie ununterbrochen thätig Cabrera während der Vereinigung mit dem Corps des Königs war, wie er unwillig vor Madrid zurückwich, dann am 18. September Guadalajara unter den Augen Espartero’s besetzte und zwei Tage später, von der Expeditions-Armee sich trennend, mit seiner Division den Rückzug nach den ihm untergebenen Provinzen antrat. Oráa warf sich auf die abgesondert marschirende Infanterie und holte sie mit seiner Cavallerie bei Arcos de la Frontera, nahe bei Cuenca, in einer Ebene am Fuße der Gebirge ein. Die zehn Elite-Compagnien der Brigaden von Tortosa und Mora stellten sich dem Feinde entgegen und hielten, in Massen formirt, seinen Choc auf, bis die Division das Gebirge erreicht hatte; so ihre Gefährten rettend sahen sie sich umzingelt und wurden, als die Infanterie der Christinos ankam, sich zu ergeben gezwungen. Nie hatte Cabrera so empfindlichen Verlust gelitten, der aus dem Fehler entsprang, welchen er durch Detachirung der ganzen Cavallerie unter Forcadell machte, während er mit seiner Infanterie nicht in einem Terrain blieb, das gegen Angriff der feindlichen Reiterei ihn gesichert hätte. -- Oráa beschloß Cantavieja wiederzunehmen. Er vereinigte in Valencia einen bedeutenden Belagerungs-Train und führte ihn im Anfange Novembers über San Mateo auf Morella. Cabrera erwartete den Feind auf dem südlichen steilen Abhange der Sierra Buey zwischen Ares del Mestre und Cati und wies dessen wiederholte Versuche zur Forcirung des Durchganges kraftvoll zurück; Oráa zog sich, seinen Plan aufgebend, nach Valencia zurück. -- Er hatte für die Belagerung von Cantavieja allein von der Stadt Zaragoza 30000 Piaster außerordentlicher Kriegssteuer erhoben, denn das Land mußte beiden Heeren Alles liefern. Cabrera flog, die Entfernung der christinoschen Divisionen benutzend, nach dem Hügellande Unter-Cataloniens und belagerte von neuem Gandesa, in dessen Mauern er drei Mal umsonst Bresche geöffnet hatte. Auch jetzt zog General San Miguel, einer der fähigsten Anführer der Feinde, von Zaragoza zum Entsatze. Cabrera warf sich ihm entgegen, griff nur halb so stark wie der Feind bei Corvera ihn an und nöthigte ihn zum Weichen, konnte aber nicht verhindern, daß San Miguel ohne weiteren Verlust durch geschicktes Manövriren die bedrohete Stadt erreichte. Bei seinem Abmarsche führte er jedoch die Garnison mit sich fort, da er die Unmöglichkeit längeren Widerstandes erkannte, und ließ so am Schlusse des Feldzuges die Carlisten in unbestrittenem Besitze des südlich vom Ebro gelegenen Theiles von Catalonien, der durch seine Fruchtbarkeit und den Geist der Einwohner von hoher Wichtigkeit war und die Verbindung mit der royalistischen Armee von Catalonien sicherte. -- Gandesa hatte eilf Belagerungen Cabrera’s erlitten. * * * * * Der Winter von 1837 zu 38 war Zeuge einer Scene voll des unendlichsten Jammers und Elendes, einer Scene, die an herzzerreißendem Schrecken Alles überragt, was sonst der Bürgerkrieg Entsetzliches mag hervorgebracht haben. Da die Operationen im Verein mit der königlichen Expedition und später zur Vertheidigung Cantavieja’s bis in den Spätherbst sich ausgedehnt hatten, war es dem carlistischen Feldherrn unmöglich gewesen, wie in andern Jahren aus den umliegenden Provinzen Lebensmittel nach dem Gebirge zu führen, so daß dort bald der empfindlichste Mangel sich fühlbar machte. Alle Magazine waren leer, alle Vorräthe erschöpft; das Volk lebte von wenigen Kartoffeln, dem Einzigen, was nebst etwas Hafer in diesen unfruchtbaren Districten gewonnen wird, die Bataillone blieben drei und vier Tage lang ohne Lebensmittel und waren während ganzer Monate auf halbe und Viertel-Rationen beschränkt. Tausende von Gefangenen waren in den Depots der Carlisten aufgehäuft, der Mehrzahl nach von der glorreichen Action vom Villar de los Navarros herrührend, wo der König das Corps des General Buerens vernichtete. Cabrera erkannte die Unmöglichkeit, unter den obwaltenden Umständen solche Zahl den Winter hindurch zu ernähren. Er setzte daher dem feindlichen Obergeneral Oráa auseinander, wie gänzlicher Mangel an allem Nöthigen, unter dem seine eigenen Truppen schwer litten, ihm nicht erlaubten, die Gefangenen zu versorgen; wie auch bei dem Willen, es zu thun, die Unmöglichkeit unbesiegbar bleibe, da alle Magazine geleert seien. Er erbot sich, alle diese Gefangenen gegen einen bloßen Empfangschein auszuliefern, unter der Bedingung, daß Oráa, so wie Carlisten in seine Hände fielen, bis zur Completirung jener Zahl als ausgewechselt sie zurückgebe. Für den Fall aber, daß Oráa dieses nicht eingehen wollte, forderte er ihn auf, das zur Beköstigung der Gefangenen Nothwendige zu liefern, bis Cabrera in der bessern Jahrszeit im Stande sei, es zurückzugeben. Würde weder der eine noch der andere Vorschlag angenommen, so müßten alle jene Unglücklichen unfehlbar Hungers sterben. Der christinosche General antwortete, daß, wer sich dem Feinde ergebe, sein wohl verdientes Schicksal tragen möge, was es auch mit sich bringe. Furchtbar war das Loos der Krieger, die so von den eigenen Gefährten hingeopfert wurden. Als die Mittel der Bewohner, welche Wochen lang spärlich sie unterhielten, endlich ganz erschöpft waren, als sie Alles, was auf Augenblicke die entsetzliche Qual lindern konnte, bis auf das Leder ihrer Schuhe zernagt und verschlungen hatten, da sanken Hunderte in tödtlicher Entkräftung hin, und -- -- die Überlebenden zehrten gierig von dem Fleische ihrer gestorbenen Cameraden. Da setzte Cabrera schaudernd die Mehrzahl der Verschmachtenden in Freiheit und vertheilte sie alle unter die Bauern zur Verpflegung. Oráa lud den Fluch aller menschlich Denkenden jeder Parthei auf sich; die Exaltados aber riefen ihm Beifall zu und -- -- schimpften Cabrera als blutgierigen Tiger! [56] Der General Baron von Rahden irrt, da er in seinem Werke über Cabrera sagt, daß dieser zu Cordova die ersten Gefangenen nach seiner Mutter Ermordung gemacht habe. [57] Viele Reiter waren auf den furchtbar forcirten Märschen -- täglich zwölf bis achtzehn Meilen durch Feindes Land -- aus eigener oder ihrer Pferde Ermüdung zurückgeblieben, mehrere todt niedergefallen. [58] Ein kleiner Theil des Fürstenthums Catalonien liegt südlich vom Ebro, von diesem Flusse, dem Meere, Valencia und Aragon umgränzt. Dieser Theil war, wie Valencia und Unter-Aragon, Cabrera untergeben. XXI. Als die Expeditions-Division von Zariategui in Aranda de Duero mit der königlichen Armee sich vereinigte, sandte er die in Valladolid und in der Provinz neu errichteten Bataillone nach der Sierra de Soria, um ihre Ausbildung zu vervollkommnen. Die größere Zahl derselben gelangte bei dem Rückzuge der beiden Expeditions-Corps in der zweiten Hälfte des Octobers 1837 mit ihnen nach den baskischen Provinzen, wo sie das beklagenswerthe Corps von Castilien bildeten; drei dieser Bataillone aber unter dem Obersten Savega sahen sich nach manchen Abenteuern und Gefahren, die meistens in der gänzlichen Unerfahrenheit der Rekruten ihren Grund hatten, durch die Colonnen Espartero’s abgedrängt und in die Sierra zurückgeworfen. Die ungeheuren Mühseligkeiten hatten auf die junge, des Krieges ganz ungewohnte Mannschaft so entmuthigend gewirkt, daß die Brigade schon von 2800 Mann auf 1700 zusammengeschmolzen war, ohne daß irgend ein ernstliches Treffen Statt gefunden hätte. Savega war ein habsüchtiger Mann, der erfreut, als unabhängiger Chef dazustehen, den Truppen seine Absicht erklärte, in der Provinz Soria sich zu halten, wo er natürlich sein persönliches Interesse leicht befördern konnte; er begann also, sofort eifrig große Getreidevorräthe aufzustapeln. Doch das Officier-Corps dachte anders. Es stellte ihm vor, daß das Bleiben unvermeidliches Verderben nach sich ziehen müsse, weil die Mannschaft neu ausgehoben und größtentheils noch gar nicht im Feuer gewesen sei; weil es so ganz an Munition fehle, daß jeder Soldat nur fünf Patronen habe, wobei an Ersatz derselben nicht zu denken sei; weil zwei Colonnen von Burgos und Soria zu ihrer Verfolgung eilten; weil endlich der fortwährende Mangel am Nöthigsten in der rauhen Jahreszeit die ganz abgerissenen Truppen zur Desertion verleiten werde, welche die Nähe des kaum verlassenen väterlichen Daches noch besonders begünstige. Sie forderten ihn daher auf, die Brigade entweder nach Aragon oder nach den Nordprovinzen zu führen. Da der Oberst unter nichtigen Vorwänden auf seinem Entschlusse beharrete, entschlossen sich die Officiere, selbstständig zu handeln. Sie sammelten daher in einer Nacht das eine Bataillon vollständig, die Hälfte des zweiten und die Jäger-Compagnie des dritten und verließen das Städtchen, in dem es dem Obersten mit Hülfe einiger ergebener Officiere gelang, den Rest der Leute, etwa 600 Mann, zurückzuhalten: wenige Tage nachher wurden dieselben vom Feinde ereilt und sofort zersprengt, der Oberst ward gefangen. Doch will ich diese willkürliche Trennung nicht rechtfertigen; wohl aber darf ich sagen, daß das Corps fortan stets durch Disciplin und Bravour sich auszeichnete und so jenen Fehler -- bei dem übrigens die Bataillons-Chefs an der Spitze standen -- vergessen machte. Nachdem dreißig Artilleristen Zariategui’s, die nach Vergrabung ihrer beiden Geschütze sich retten konnten, und sechszig Pferde, Versprengte von allen carlistischen Corps, sich ihr angeschlossen hatten, richtete sich die kleine Brigade in forcirten Märschen nach Aragon, befreiete unterweges eine Guerrilla von 300 Mann, die, von einigen christinoschen Compagnien in einer alten Burg eingeschlossen, aus Mangel sich zu ergeben im Begriff waren, und langte im Anfange Decembers glücklich bei Cantavieja an. Cabrera befand sich gerade in der Ebene von Valencia, wohin er dem nach der verunglückten Demonstration auf Cantavieja sich zurückziehenden Oráa folgte; er befahl der nun in zwei Bataillone, ein jedes zu 450 Mann, organisirten Brigade, die Blokade der feindlichen Festung Morella zu übernehmen. Morella im Königreiche Valencia liegt mitten in dem Hochgebirge, welches der Schauplatz der Thaten Cabrera’s, der Sitz der carlistischen Macht im östlichen Spanien und die Basis war, auf die jener Feldherr seine Operationen nach Aragon, Valencia und Catalonien stützte. Nur acht Leguas von Cantavieja entfernt und mit starker Garnison versehen, gewährte die Festung den feindlichen Generalen bei allen Offensiv-Operationen einen willkommenen Anhaltspunkt, war den Carlisten -- im wahren Centrum ihres Gebietes liegend -- nicht selten sehr hinderlich und konnte bei größerem Unglücke leicht verhängnißvoll entscheidend werden, während ihre Festigkeit bei der Schwäche der feindlichen Angriffsmittel gegen jede Tentative sie zu sichern schien. Auf einem isolirten Felsberge ragt ein ungeheurer, 140 bis 200 Fuß hoch senkrecht sich erhebender Granitblock empor. Auf diesem Blocke oder besser Kegel, der etwa 500 Fuß im Durchmesser hat, ist das gefürchtete, von den Bewohnern der Umgegend mit stummer Ehrfurcht angestaunte, Castell von Morella erbaut, und zu seinem Fuße auf dem höchsten Abhange des Berges dehnt sich im Halbkreise die Stadt aus, durch starke von Thürmen flankirte Mauern und vorliegende Felsabschüsse geschützt. Die Werke waren mit zahlreicher Artillerie garnirt und wurden durch eine ausgesuchte Besatzung von 900 Mann unter dem Obersten Don Bruno Velasco y Portillo vertheidigt, einem trotzigen Wütherich, dem Schrecken des Landes. So war die Festung, deren Blokade die beiden Bataillone von Burgos und von Valladolid unternahmen. Sie postirten sich in Cinctorres und el Orcajo, zwei Meilen entfernt und die Wege nach Cantavieja beherrschend, und detachirten den Oberstlieutenant Don Martin Gracia mit 200 Mann, um die Stadt eng einzuschließen. Er vertheilte seine Mannschaft in Posten von zwanzig bis dreißig Mann, welche die rings um die Festung liegenden massiven Masadas -- Bauernhöfe, große Scheunen -- besetzten und durch geeignete Maßregeln die strengste Blokade etablirten. Ich will nicht den Ereignissen derselben in ihren Details folgen; Ungeheures litten die wackern Castilianer. In elende Lumpen gehüllt, ohne sie auch nur wechseln zu können, waren sie fortwährend der rauhen Kälte, dem eisigen Schnee des Hochgebirges ausgesetzt; in der ganz verwüsteten Landschaft -- da bei dem Mangel jenes Winters die Magazine nichts lieferten -- konnten die nöthigen Lebensmittel nicht aufgetrieben werden, und Wochen lang waren die Armen auf wenig Brod und wenige Bohnen beschränkt; die Mehrzahl ging bald barfuß, da weder Schuhe noch Sandalen zum Ersatze der abgerissenen sich fanden. Dazu machte die vier Mal so starke Garnison fast täglich Ausfälle mit einigen leichten Geschützen, theils die Masadas, das einzige Obdach der Carlisten, zu zerstören, theils mit der Absicht, das fehlende Brennholz sich zu verschaffen. Selten gelang das Eine oder das Andere, da die Castilianer, rasch dem bedroheten Punkt -- es war nur ein Thor der Festung offen -- zu Hülfe fliegend, mit fabelhaft scheinender Unerschrockenheit immer kraftvoll den Andrang empfingen, oft die Übermacht in wilder Flucht bis zum Fuße der Mauern jagten, da das gebrochene Terrain das Feuer der Festung den Tirailleurs ganz unschädlich machte. Und die braven Burschen murrten nicht. Lauter unbärtige Jünglinge sahen sie mit Liebe und Vertrauen auf die erprobten Führer, welche sie jedes Ungemach mit ihnen theilen und im Kampfe stets die ersten der Gefahr sich aussetzen sahen. Der herrliche Character der Alt-Castilianer, ihre biedere Treuherzigkeit, ihre Ausdauer und die aufopferndste Anhänglichkeit und Gehorsam gegen ihre Vorgesetzten verleugneten sich auch hier nicht. * * * * * Sei es mir vergönnt, nun die Worte wiederzugeben, mit denen der Oberstlieutenant Don Pablo Alió, als ich im Januar 1840 zu Morella ihn kennen gelernt, in der einfachen Bescheidenheit, die den enthusiastisch braven, tief religiösen Mann so liebenswürdig machte, die Heldenthat mir beschrieb, durch die er das furchtbare Felsen-Castell der Herrschaft seines Königs eroberte, eine Heldenthat, wie die Geschichte ihrer nicht viele rühmen mag. „Seit mehreren Wochen schon standen wir der Festung gegenüber, ohne die Hoffnung zu erlangen, daß wir je unser sie nennen würden; im Gegentheil wurde unsere Lage täglich schrecklicher, und es war vorauszusehen, daß wir bald die Blokade würden aufgeben müssen. Indessen hatte ich seit dem Augenblicke unserer Ankunft überlegt, ob es denn nicht möglich sei, durch einen Handstreich etwas gegen sie auszurichten. Aber nahmen wir auch die Stadt, so war uns wenig geholfen, da das Feuer des Castells uns sofort wieder vertrieben hätte; und dieses ... Wer könnte jene furchtbar senkrechten Felswände erklimmen, deren Anblick Schwindel erregt! -- Dennoch faßte der Gedanke täglich festere Wurzel in meiner Brust, bis ich endlich den Entschluß unserm Commandeur Gracia und dem Blokade-Adjudanten García mittheilte. Sie erschraken im ersten Augenblicke, aber bald stimmten sie mir bei: das Castell sollte mit Gottes Hülfe erstiegen werden.“ „Zuerst suchte ich der Liebe und der unbedingten Ergebenheit meiner Freiwilligen mich zu versichern. Ich litt selbst an Allem Noth; aber für das Wenige, was ich besaß, ließ ich Lebensmittel und Wein und Sandalen kommen und vertheilte Alles unter die armen, ausgehungerten Burschen. Dann gaben auch der Commandant und García das Ihrige dazu her, wir erborgten das Geld unserer Cameraden und verkauften endlich unsere Kleidungsstücke, bis wir Alle gar Nichts mehr hatten. Die armen Burschen erkannten mit der kindlichsten Dankbarkeit unsere Fürsorge und waren für uns zu Allem bereit. Zugleich führte ich sie bei den häufigen Kämpfen mit dem ausfallenden Feinde immer selbst an, schonte ihrer, wo ich konnte, und wählte für mich den gefährlichsten Posten: so gewann ich das Vertrauen meiner Leute, und sie folgten mir freudig, wohin ich sie auch führen mochte.“ „Indessen waren heimlich Leitern angefertigt, ungeheuer hoch und an den Enden gepolstert, um jedes Geräusch beim Ansetzen zu vermeiden; trotz aller Vorsicht ward Etwas davon bekannt, und die Bauern sprachen Viel über die Leitern. Ich fürchtete, daß die Christinos es auf irgend eine Art erfahren könnten, und beschloß deshalb, in der ersten stürmischen Nacht den Angriff zu wagen; aber da erschrak wieder der Commandant, er wandte unentschlossen seine Verantwortlichkeit ein und verschob die Unternehmung trotz unserer Bitten von einem Tage zum andern. Als er nun am 23. Juni auf einige Tage Urlaub nahm, wollten García und ich nicht länger zaudern: wir theilten unseren Plan dem Interims-Commandeur mit, der endlich, als er wieder und wieder die Felsmasse betrachtet hatte, mit Thränen seine Zustimmung gab. Ich durfte achtzig Freiwillige selbst mir auswählen; dazu rief ich einen Artilleristen, der wenige Tage vorher aus der Festung zu uns desertirt war und sich nun, weil er genau das Castell kannte, zum Führer anbot.“ „Der 25. Januar war furchtbar stürmisch; so sollte denn in der Nacht der Versuch gemacht werden. Am Abend versammelte ich die achtzig Mann in der Masada des Commandanten und sagte ihnen, was ich beabsichtigte, und wie ich das feste Vertrauen hege, daß unsere Beschützerinn, die erhabene Jungfrau der Schmerzen, ihren himmlischen Beistand zu dem Werke nicht versagen werde, da wir es ja für das Recht und für die Religion unternahmen. Ich forderte, nachdem ich ihnen die ganze Gefahr aus einander gesetzt hatte, daß ein Jeder, der nicht den Muth fühle, mit Freudigkeit mir zu folgen, jetzt zurücktrete; aber Alle antworteten, daß sie mit mir sterben wollten. Dann sah ich die Waffen nach und gab die nöthigen Instructionen, worauf wir Alle beichteten und das heilige Sakrament nahmen, um uns zum Tode zu weihen; ich ließ endlich die Freiwilligen tüchtig speisen und befahl ihnen, nachdem ich nochmals den Segen der heiligen Jungfrau erfleht hatte, sich niederzulegen und bis zu der Stunde der Ausführung zu ruhen.“ „Ich trat in das Zimmer des Commandanten und besprach noch ein Mal Alles mit ihm und García, die Beide bleich waren und zitterten, weil sie zurückbleiben sollten; auch verabredeten wir, daß ich im Falle des Gelingens ein hohes Feuer auf dem Platze des Castells anzünden solle, wenn es aber unglücklich abliefe, würden sie am folgenden Tage unsere Leichen fordern und sie in geweiheter Erde christlich beisetzen. Dann umarmte ich beide, die mich immer noch nicht lassen wollten, rief meine Burschen und trat an ihrer Spitze den Marsch an, während von den beiden Officieren, die mich begleiteten, der Eine in der Mitte des Zuges ging, der Andere ihn schloß.“ „Die Nacht war entsetzlich; ein furchtbarer Schneesturm mit Schlossen zwang uns, oft still zu stehen, auch bedeckte Fuß hoher Schnee die Felsenabsätze, über die wir hinkletterten, so daß wir nur sehr langsam vorwärts kamen. Seufzend gedachte ich der zerrissenen Bekleidung und der nackten Füße der armen Burschen: was mußten sie nicht leiden! Aber Niemand klagte. Erst gegen ein Uhr konnten wir von der Mauer des Kirchhofes, hinter der wir einen Augenblick Athem geschöpft hatten, nach dem Fuße der Felsenmasse, die dunkel über uns sich aufthürmte, schleichen, was wir, so viel die Leitern erlaubten, einzeln thaten, um nicht die Aufmerksamkeit der feindlichen Schildwachen zu erwecken. Glücklich waren wir endlich Alle angekommen und richteten die Leiter auf. Ich hatte eine Stelle gewählt, auf der in der Mitte der Wand ein schmaler, sehr abschüssiger Absatz sich befand, da ich sonst nicht mit den Leitern bis oben hätte hinkommen können.[59] Dort stiegen wir einzeln hinauf, wobei die Leitern, deren ich zwei an einander gebunden hatte, entsetzlich unter unserer Last sich bogen, weil wir sie, um sie leicht handthieren zu können, sehr schwach machen mußten. Auch wären sie hundert Mal gebrochen, wenn sie nicht beinah von unten bis oben an den Felsen sich gelehnt hätten.“ „So wie die Hälfte von uns auf dem Vorsprunge stand, fingen wir an, die mit ungeheurer Mühe heraufgeschleppte Leiter in die Höhe zu ziehen; grausig war die Arbeit, wie wir so über siebenzig Fuß hohem Abgrunde schwebten -- jeder Fehltritt sicherer Tod --, eben so hoch über uns die senkrechte Felsenwand und oben der Feind. Lange gelang es uns nicht, die Leiter auf dem abschüssigen Felsenabsatze zu fixiren, den der unaufhörlich fallende Schnee glatt machte. Endlich stand sie aufrecht da, natürlich fast ganz senkrecht und von den drei riesenhaften Gastadores[60], die ich deshalb mitgebracht hatte, gestützt, da sie sonst unter uns sofort wieder hinabgeglitten wäre.“ „Leise flüsterte ich den dicht gedrängten Freiwilligen einige Worte der Aufmunterung zu und folgte rasch dem Führer zum Sturm, worauf die Andern in der durch das Loos bestimmten Ordnung sich anschlossen. Auf der obersten Stufe angelangt fehlten dem Führer noch vier Fuß bis zu der Höhe des Felsen. Das war furchtbar, denn fiel bei dem Versuche hinaufzuklettern Einer, steif durch die Kälte, wie Alle waren, so riß er im Sturze die Übrigen mit sich hinab; und die Leiter schwankte und bog sich entsetzlich unter der Last. Aber die gnadenreiche Himmelsköniginn wachte über uns. Der Führer schwang sich hinauf -- schon stand ich ihm zur Seite. Da sah uns die zwanzig Schritt entfernt in ihr Häuschen gedrückte Schildwache; sie sprang heraus und rief mit vom Entsetzen hinsterbender Stimme: „~cabo de guardia, los facciosos~!“ Der Schuß des Führers streckte sie todt nieder.“ „Mit lautem ~viva el Rey~ stürzte ich auf die Wache, die, 30 Mann stark, in dem Gebäude sich verbarrikadirte und ein heftiges Feuer begann. Jeder Augenblick war kostbar, denn schon tönten von der Stadt her die Trommeln und Hörner, und bald klangen die Glocken wild durch den hundertfachen Lärm; nahmen wir nicht rasch die Wache, so mußte die Hülfe dasein, und Alles war verloren. Aber wieder begünstigte uns unsere Schutzheilige. Die Freiwilligen, wie sie oben anlangten, stürzten herbei und feuerten auf Thür und Fenster des Wachhauses, da ich umsonst zwei Mal den Eingang zu forciren suchte. Ich befahl dann, rasch zu schießen und ließ alle Welt laut „~viva el Rey, viva Cabrera! acá Castilla! acá Tortosa! Aragon para siempre!~“ durch einander rufen, als wären alle diese Truppen unter Cabrera’s Anführung dort oben. Die Wache, durch das Geschrei getäuscht, brach plötzlich aus dem Gebäude hervor, um sich durchzuschlagen; auch gelang es Einigen zu entkommen, zwölf Mann wurden gefangen, die andern getödtet.“ „Ich recognoscirte nun rasch die Seite des Castells, welche die Stadt beherrscht, und sah schon die Garnison auf dem Platze aufmarschirt. Daher vertheilte ich meine Leute längs den Schießscharten der Ringmauer, öffnete mit Hülfe von drei gefangenen Artilleristen die Magazine und ließ eine große Zahl von geladenen Bomben und Granaten herausholen. Zugleich befahl ich den Artilleristen, mit allen Kanonen unaufhörlich zu feuern, um nur den Feind einzuschüchtern.“ „Dieser rückte sofort zum Sturm heran. Eine dunkele Colonne drang langsam und geschlossen auf dem gewöhnlichen Wege gegen das Thor vor, während plötzlich ein anderer starker Haufen über die Felsen zu klimmen und so uns zu überraschen suchte. Da ließ ich alle Granaten und Bomben anzünden und über die Felsen mitten unter die Massen der Stürmenden hinabrollen, so daß die ganze Felsenwand mit spielend hinunterhüpfenden Flammen bedeckt schien. Aber die Christinos rückten dennoch muthig vor und gelangten bis zu der ersten Biegung des Weges. Erst als dort das Gewehrfeuer aus tödtlicher Nähe sie niederschmetterte und fortwährend Bomben und Granaten auf sie regneten, wandten sich beide Colonnen zur Flucht und stürzten in nie gesehener Verwirrung in die Stadt zurück. -- Morella war unser.“ „Da sank ich mit Thränen im Auge auf die Knie und mit mir alle die braven Burschen, und laut dankte ich der gnadenreichen Jungfrau der Schmerzen, daß sie so herrlichen Sieg uns gegeben habe. -- Dann befahl ich, ein großes Feuer anzuzünden, um den Gefährten das Zeichen zu geben.“ So weit der wackere Alió. In zehrender Unruhe horchte sein Commandeur und der Adjudant García auf das leiseste Geräusch, ob es Nachricht bringe von den kühnen Genossen. Aber Stunde auf Stunde verging in lautloser Stille, nichts Gutes verkündend; -- und plötzlich ertönte wildes Gewehrfeuer, bald von dem Krachen der Geschütze übertäubt, das immer heftiger in die Nacht hinausschallte; der furchtbare Felsen schien ein rings Flammen sprühender Vulkan, Tod und Verderben ausspeiend. Sie zweifelten nicht mehr: ihre braven Gefährten waren entdeckt und lagen schon begraben unter dem immer dichter fallenden Schnee; im stummen Schmerze starrten sie bewegungslos das majestätische, Unheil verheißende Schauspiel an. -- Da trat geräuschloses Schweigen an die Stelle des Tumultes, jedes Leben schien erstorben; einen Augenblick später erhob sich hoch über die dunkle Felsenmasse eine hell aufleuchtende Flamme -- das Glück verkündende Zeichen des Sieges! In stürmischer Freude umarmten sich die beiden Männer und eilten, ihre Truppen, die sie, auf Alles vorbereitet, vereinigt gehalten hatten, dem fliehenden Feinde entgegenzuschicken. * * * * * Mit Erstaunen hatten die Bewohner weit in der Runde dem ungewohnten Lärmen von der gefürchteten Veste her gehorcht: sie glaubten, daß die Garnison unter einander sich bekämpfe, und waren erfreut, daß Zwietracht die gehaßten Negros wechselseitig sich opfern mache. Bewunderung machte selbst den Jubel auf einen Augenblick verstummen, als sie am Morgen die unglaubliche Kunde vernahmen. -- Der Gouverneur Portillo floh mit der Garnison auf der Straße, welche nach el Orcajo führt, und dann rechts durch das Gebirge auf Alcañiz, aber über 150 Mann, die in den Schrecken jener Nacht sich zerstreut hatten, wurden von den Streifparthieen und selbst vom Landvolke aufgefangen und eingebracht. Dagegen traf Portillo auf der Brücke, die zwischen Morella und dem Orcajo die Ufer des Bergantes verbindet, eine von letzterer Stadt entsendete Patrouille des Bataillons von Valladolid und nahm achtzehn Mann von derselben gefangen. Am folgenden Morgen ging die Sonne zum ersten Male seit Wochen an unbewölktem Horizonte auf, mit ihren Strahlen die unabsehbare Schneefläche in blendenden Glanz hüllend; der Himmel schien sein finsteres Sturmgewand nur beibehalten zu haben, um den Carlisten die Gelegenheit zu der kühnen That nicht zu rauben. Als Alió dann mit einem Detachement seiner Braven in die Stadt hinabstieg, in deren Straßen jetzt Todtenstille herrschte, fand er auf dem Platze vierzig Mann unter einem Sergeanten aufmarschirt, die, zurückgeblieben, um fortan unter dem carlistischen Banner zu fechten, mit lautem ~viva Carlos Quinto!~ ihn begrüßten. Er arretirte sie indessen, da dieser Entschluß in solchem Augenblicke sehr verdächtig schien. Die Einwohner der Stadt, welche besorgt den Tag erwartet hatten, sahen freudig erstaunt, daß nicht die geringste Unordnung ausgeübt wurde: kein Freiwilliger betrat irgend ein Haus, wiewohl sie Alle ganz abgerissen und ohne Wäsche waren, bis Alió ihnen befahl, in die blau bezeichneten Häuser der dem revolutionairen Gouvernement günstig Gesinnten[61] zu gehen, und ein Jeder ein Hemd und ein Paar Beinkleider sich geben zu lassen. Und die treuherzigen Castilianer, sie, die eben stürmend die unnehmbar geachtete Veste erobert, sie naheten demüthig den zitternden Bürgern und baten sie beschämt, ein Hemd ihnen zu geben, weil sie so ganz entblößt seien; und freudig eilten sie zu ihrem Officier, mit kindlichem Vertrauen den erlangten Schatz ihm zu zeigen. Freilich muß ich hinzufügen, daß auch unter den Carlisten solche Mäßigung wohl recht selten sich gefunden hat. Die jungen Castilianer, noch nicht durch langes Kriegen verhärtet und noch nicht gestählt gegen den Eindruck des fremden Jammers durch den immerwährenden Anblick von Leid und Elend und Gräuel, wußten wohl, dem geliebten Anführer in jede Gefahr folgend, das Schwerste auszuführen, aber den wehrlosen Bürger zu berauben wußten sie nicht. Sie gedachten noch des greisen Vaters, der Lieben, die daheim ja auch friedlich und wehrlos dem Übermuthe der Gewalt Preis gegeben waren; wie sollten sie da nicht mild und schonend sich zeigen! Die Freudenbotschaft von der Escalade von Morella fand den General in Benicarló, dessen Fort er, nach der Reinigung von Unter-Catalonien wieder nach Valencia geeilt, so eben zur Übergabe genöthigt hatte. Er langte wenige Tage später in der Festung an und belohnte reich den Heldenmuth der kleinen Schaar. Lieutenant Alió trat als Capitain zu der Brigade von Tortosa, der Garde des Heeres, über, in der ich später als Oberstlieutenant ihn kannte. So hatte denn das Jahr 1838 höchst günstig für die Sache der Carlisten begonnen. Durch die Eroberung von Morella sah sich Cabrera im vollständigen Besitze des Hochgebirges, welches die Grundlage und den Rückhalt aller seiner Operationen bilden mußte; in ihm konnte er mit Vortheil der Macht des Feindes sich entgegenstellen, von ihm aus als dem Centrum alle Provinzen der Christinos bedrohen und nach einander angreifen. Die Einnahme von Benicarló gab ihm einen Punkt am mittelländischen Meere und befestigte seine Herrschaft in dem fruchtbarsten Theile des Königreiches Valencia. Morella ward jetzt der Centralpunkt der carlistischen Macht im westlichen Spanien, wie Cantavieja bisher es gewesen war; zugleich schnitt es die Communication auf dem geraden Wege zwischen dem nördlichen Unter-Aragon und Valencia ganz ab, wodurch der Feind, das eine und das andere zu schützen, zu steter Zersplitterung seiner Kräfte genöthigt wurde. Cabrera eilte, diese Vortheile zu verfolgen, zu kräftigster Offensive sie zu benutzen, während Oráa, der in Aragon eine neue Unternehmung gegen Cantavieja vorbereitete, rasch nach Valencia zur Deckung dieser Provinz zog, durch deren vollständige Eroberung Cabrera ungeheure Hülfsquellen sich geöffnet hätte. [59] Die ganze Höhe des escaladirten Felsen betrug 143 Fuß. [60] Die bei den Infanterie-Bataillonen befindlichen Sappeurs. [61] Portillo ließ die Thüren der Anhänger Christina’s blau, die der Royalisten roth anstreichen, um Verwechselungen vorzubeugen! XXII. Der Frühling 1838 rechtfertigte keineswegs die Hoffnungen, welche durch die Eroberung von Morella angeregt waren; er brachte vielmehr allen carlistischen Armeen gleich empfindliche Verluste, von denen ich die Vernichtung der von Navarra zu neuen Expeditionen nach Castilien entsendeten Divisionen früher erzählte. Auch Cabrera, wenn er einzelne Vortheile errang, litt in seinen Unterfeldherren schwere Niederlagen und sah mehrfach seine eigenen Unternehmungen vereitelt. Die Christinos hatten durch die Befestigung von Castellon, Villafamés und Lucena mit dem festen Bergschlosse von Villamaleja eine Linie nördlich vom Flusse Mijares gebildet, welche die Streifzüge der Carlisten nach dem südlichsten, reichsten Theile von Valencia sehr erschwerte, die Consolidirung aber ihrer Herrschaft daselbst unmöglich machte. Cabrera wollte diese Linie brechen und wandte sich deshalb gegen Lucena, welches, in der Mitte der beiden letztern Festungen und durch seine Lage äußerst stark, von ganz besonderer Wichtigkeit war. Alle Versuche Cabrera’s gegen dasselbe vor- und nachher scheiterten an der Festigkeit der Garnison, die meistens aus National-Milizen bestand, welche wegen exaltirter Gesinnungen aus ihrer den Carlisten unterworfenen Heimath geflohen waren und nun den Kampf des glühendsten Hasses und der Verzweiflung kämpften. Kaum war die Belagerung eröffnet, zu der ein Theil der in Morella genommenen Artillerie herangezogen war, als Oráa mit weit überlegener Macht von Castellon de la Plana zum Entsatze eilte und, nachdem die Carlisten durch entschlossenen Widerstand bei Alcora die Zeit zur Zurückziehung ihrer schweren Geschütze gewonnen -- in den unwegsamen Sierras stets der schwierigste Punkt --, nach Lucena durchdrang. Cabrera aber flog auf der kürzesten Linie nach dem nun entblößten Aragon und nahm nach kurzer verzweifelter Gegenwehr das bedeutende Calanda im Flußgebiete des Guadalupe mit Sturm, worauf Andorra capitulirte. Er berannte sofort Alcañiz, ward aber zur Aushebung der Belagerung gezwungen, da General San Miguel von Zaragoza aus der bedroheten Stadt zu Hülfe zog. Er eilte von da, die Division von Aragon zurücklassend, nach el Turia, dem Landstriche zu beiden Seiten des Guadalaviar, wo Aragon, Castilien und Valencia sich berühren, welcher durch Tallada’s Vernichtung ganz von Truppen entblößt war. Tallada war schon frühe als Guerrilla-Chef aufgetreten und von Tage zu Tage in den Provinzen del Turia und Cuenca mächtiger geworden, wiewohl er selten entschiedenen Sieg über feindliche Colonnen davon getragen hatte. Er war gewandter in der Kunst, den Kampf, wenn nicht alle Chancen ihm günstig, zu vermeiden, als in der des Schlagens, dabei überraschte er Freund und Feind häufig durch Märsche und durch Expeditionen bis tief in die Mancha und das Königreich Murcia, welche den Stempel der höchsten Kühnheit trugen, da er doch alle Verhältnisse so genau berechnet hatte, daß er seiner Sache sicher war. Seit er unter Cabrera’s Befehl stand, organisirte er seine Colonne trefflich und bildete fünf schöne Bataillone und drei Escadronen Lanciers, ein Ganzes von fast viertausend Mann. Er war indessen grausam gegen die Christinos, eigennützig und drückte schwer die von ihm heimgesuchten Districte. Ich erwähnte früher, wie Tallada auf seinem Zuge durch die Provinz Cuenca im Januar 1838 einige Compagnien der königlichen Garde, die in einer Capelle sich eingeschlossen hatten, gefangen nahm, Leben und Eigenthum ihnen zusagend; und wie er wenige Stunden nachher die Officiere derselben gegen sein Wort meuchlings erschießen und ihre Leichen in einen Fluß werfen ließ, um der bedeutenden Geldsummen sich zu bemächtigen, welche zwei von ihnen mit sich führten. -- Seine eigenen Officiere tadelten laut diesen Act niedriger Wortbrüchigkeit; sie prophezeiten selbst, daß solches Verbrechen Unheil nach sich ziehen müßte, und daß gewiß schweres Unglück auf diesem Zuge die Division treffen würde. Tallada aber verlor seit dem Augenblicke die Klarheit des Geistes, den Überblick und die Bravour, welche vorher ihn auszeichneten; er wurde düster und schwankend in seinen Anordnungen. Bald vereinigte er sich mit dem Corps Don Basilio Garcia’s, störte durch seine Eifersucht wesentlich den Erfolg der Expedition, veranlaßte das unglückliche Gefecht bei Ubeda und trennte sich endlich in Murcia von jenem General, um nach el Turia zurückzukehren. Die furchtbaren Regen, welche schon in der letzten Zeit seiner Vereinigung mit Don Basilio verderblich gewirkt hatten, fuhren fort auf dem eiligen Rückmarsche ihn unendlich zu belästigen, auf dem die Division an Allem Mangel litt und, durch furchtbare Fatiguen erschöpft, vom General Pardiñas lebhaft verfolgt wurde. Doch gelang es ihr, am 26. Februar den Xucar, hoch durch die Regengüsse angeschwollen und von feindlichen Colonnen beobachtet, um den Übergang zu verhindern, ohne Zusammentreffen zu erreichen und auf einer Nothbrücke zu passiren. Die Division war gerettet, da der Feind, wenn die Brücke zerstört wurde, sie unmöglich einholen konnte; so blieb sie denn in dem nahen Castriel zur ersehnten Nachtruhe. Aber am Abend waren kaum zwei Drittel der Truppen versammelt, indem Erschöpfung und die grundlosen Wege viele Hunderte gehindert hatten, dem lang gedehnten Zuge zu folgen. Da befahl Tallada, die Brücke nicht abzubrechen, damit die Nachzügler während der Nacht der Division sich anschließen könnten. Um vier Uhr Morgens am 27. Februar überfiel Pardiñas mit einigen Compagnien Avantgarde nach furchtbar forcirtem Marsche den offenen Ort. Wähnend, daß die National-Gardisten der Umgegend sich genähert hätten, um die Colonne durch ihr Schießen zu allarmiren, ließ der Brigadier die Truppen ruhig in den Quartieren bleiben, mit der Ordre, aus den Fenstern der auf das Feld sehenden Häuser auf die Feinde zu schießen, falls sie zu lästig würden. So konnte Pardiñas, rasch verstärkt, die Eingänge der Straßen und selbst den Marktplatz ohne Widerstand besetzen. Als die Carlisten endlich aus den Häusern stürzten, fanden sie die ganze Stadt in der Gewalt des Feindes, dessen Patrouillen mit den sich formirenden Compagnien vermischt waren. Ungeheure Verwirrung herrschte. Die meisten Soldaten wurden gefangen, so wie sie auf die Straße traten, viele entflohen drei, vier Mal, um eben so oft einem andern Trupp in die Hände zu fallen; ganze Compagnien abgeschnitten ergaben sich. Nur etwa 400 Mann entkamen und erreichten Chelva im Turia. Brigadier Tallada selbst, anfangs entflohen und allein umherirrend, ward am andern Tage von National-Gardisten aufgefangen und, der Einzige der Division, als Repressalie für den Mord jener Garde-Officiere füsilirt. Da Cabrera dieses als eine Verletzung der (stillschweigends eingegangenen) Übereinkunft über Nichterschießung der Gefangenen ansah und demnach zu rächen drohte, sandten die Christinos ihm die Actenstücke, welche sie über den Tod der Ihrigen aufgenommen hatten, worauf der General sich für völlig befriedigt und die Erschießung Tallada’s für gerechte Strafe einer Schandthat erklärte. Diesem ersten Schlage folgten rasch andere, nicht minder verderblich. Bei der Nachricht von der Vernichtung der Division Tallada war die Brigade von Castilien, jene kleine, herrliche Brigade, die so eben durch die Eroberung von Morella unvergängliche Ehre sich gewonnen hatte, kaum 900 Mann stark, nach dem Turia beordert, die entblößte Provinz zu decken, während Oberst Arnau, ein Jugendgefährte Cabrera’s, mit dem Commando derselben und der Organisirung der neu zu errichtenden Division beauftragt wurde. Arnau, nur durch Bravour ausgezeichnet,[62] war nicht zum unabhängigen Anführer geschaffen oder ausgebildet, weßhalb ihn Cabrera, durch brüderliche Freundschaft ihm verknüpft, später stets in seiner unmittelbaren Nähe behielt. Damals hatte er noch nie unabhängig commandirt. Bei la Yesa erhielt Arnau die Nachricht, daß eine feindliche Colonne nahe. Er wandte sich zu den Bataillons-Commandeuren und fragte sie, was die Burschen sagten, ob sie schlagen wollten? Auf die Antwort: „gewiß gern“ beschloß er: „nun, so schlagen wir.“ Er befahl zu essen und zu ruhen; der Feind aber war eine halbe Stunde entfernt. Einer der Commandeure fragte ihn, ob es nicht besser sei, eine Stellung zu nehmen, worauf Arnau mit dem Ausrufe: „~carajo, que tontadas!~“ -- Dummheiten! -- doch aufbrechen ließ und nach einigem Suchen die Cavallerie endlich auf eine Höhe postirte, von der sie vorwärts und rückwärts einzeln über die Felsenwege defiliren mußte, das eine Bataillon in Masse formirt in einer mit Unterholz bedeckten Schlucht, das andere in Tirailleurs aufgelöset auf einer lichten Ebene aufstellte. Das Resultat war vorauszusehen. ~Tambour battant~ kam der Feind im Sturmschritt heran und zerstreute in einem Augenblick die ganze Brigade, ehe noch Arnau das Wie und das Warum begriffen hatte. Sie verdankte ihre Rettung der Unentschlossenheit der Christinos, die mit dem leichten Siege sich begnügten, ohne einen Schritt zur Verfolgung zu thun, so daß auch die Cavallerie ohne Verlust ihren halsbrechenden Rückzug bewerkstelligen konnte. Übrigens vollführte Arnau seinen Auftrag der Organisation der neuen Division ausgezeichnet gut und brachte sie auf einen hohen Grad der Kriegszucht und Disciplin. Er hatte Ordre erhalten, jedes fernere Zusammentreffen zu vermeiden, und übergab das Commando der ausgebildeten Division sofort dem kriegserfahrenen Obersten Arévalo; er kehrte zu dem Stabe Cabrera’s zurück und ward nicht wieder zu selbstständigem Auftrage von Interesse gebraucht. Bald litt die Brigade von Castilien empfindlicheren Schlag. Sie wurde im Monat März, da Forcadell nach Castilien vordrang, mit vorgeschoben und besetzte Cañete, wenige Meilen von Cuenca entfernt. Am 27. April ward sie dort durch Nachlässigkeit des commandirenden Officiers, der, mehrfach von dem Anrücken einer feindlichen Division warnend benachrichtigt, ungläubig gar keine Maßregel nahm, am Mittage überfallen, da die Bataillone außerhalb der Stadt mit Exerciren beschäftigt waren. Sie warfen sich rasch in die mit einer starken Mauer aus der Zeit der Araber umgebene Stadt; der commandirende Oberst aber eilte mit einigen Compagnien und dreißig Reitern dem andringenden Feinde entgegen und wurde nebst 160 Mann gefangen, während die Bataillone den Versuch, die Stadt zu nehmen, fest zurückwiesen, worauf der Feind, da Forcadell nur einige Leguas entfernt stand, nach Cuenca weiterzog. Auch in Aragon erlitt Cabrera herben Verlust. In der Nacht zum 6. März drang Cabañero, Chef der Division von Aragon, durch Einverständniß mit einigen Einwohnern in die Hauptstadt Zaragoza ein und bemächtigte sich derselben. Da aber die Soldaten plündernd sich zerstreuten, wurden sie von der Garnison und der National-Garde, die in das Castell sich gerettet hatten, in den Straßen angegriffen und unter vielem Blutvergießen aus der Stadt verjagt. Das ganze 6te Bataillon ward abgeschnitten und in der Kirche, welche es zur Vertheidigung besetzte, gezwungen, zu capituliren. Der Verlust der Carlisten stieg auf 1100 Mann. Cabañero aber, da er durch Mangel an Energie und Vernachlässigung der Kriegszucht die Schuld des mißglückten Unternehmens trug, büßte sein Commando ein, worauf er nach den baskischen Provinzen abging, mit Maroto zum Verrath sich einigend. Der Brigadegeneral Don Luis Llagostera y Cadival erhielt den Oberbefehl der Division und Provinz Aragon. So war die Armee Cabrera’s gegen die Mitte des Jahres 1838 sehr geschwächt, während die feindliche des Centrums unter Oráa eben so bedeutend verstärkt war, da nicht nur mehrere Regimenter aus dem südlichen Spanien sich ihr anschlossen, sondern auch zwei bisher der Nordarmee angehörende Corps zu ihr stießen. Die Expeditions-Division von Don Basilio Garcia war im Mai zu Vejar vernichtet und dieser Führer rettete sich mit dem Überreste derselben, kaum 250 Mann, zu dem Heere Cabrera’s; er zog dadurch auch die schöne in seiner Verfolgung beschäftigte Division Pardiñas, gegen 5000 Mann, nach Aragon, wo sie dem dortigen Heere einverleibt wurde. In derselben Zeit langten etwa 150 Reiter, Alles, was von dem unglücklichen Corps des Grafen Negri noch existirte, fliehend bei Cabrera an und in ihrem Gefolge abermals vier Escadrone bei der ihm gegenüber stehenden Armee. Dadurch sah sich der carlistische Feldherr genöthigt, die Erweiterung seines Gebietes, welches er trotz aller Anstrengungen Oráa’s durch die Zerstörung der das Land beherrschenden Forts bisher ausgedehnt hatte, für jetzt ganz aufzugeben; ja er war ungeachtet einiger glücklichen Gefechte im Juni ganz auf die Defensive beschränkt, während die Feinde mit Entwickelung aller ihrer Kräfte den Krieg auf den Zustand zurückzuführen suchten, in dem er am Schlusse des vergangenen Jahres sich befand. Dann hofften sie durch kräftiges Verfolgen der errungenen Vortheile und durch kluge Combination des moralischen Übergewichtes, welches sie ihnen geben mußten, mit der physischen Übermacht endlich die vollständige Unterdrückung der carlistischen Parthei vollenden zu können. Oráa aber war ganz der Mann, um den kühnen Plan kühn und kraftvoll durchzuführen. Er zeichnete sich eben so durch langjährige Erfahrung, wie durch wahres Feldherrntalent aus, an dem es den meisten Generalen beider Partheien so sehr gebrach; er hatte einen raschen, scharfen Überblick, viel Entschlossenheit und Festigkeit; und unter Mina, Cordova und Espartero in den Nordprovinzen, wie seit dem Beginn seines Oberbefehls in Aragon hatte er sich als einen der wenigen Chefs bewährt, die das Glück klug zu benutzen und, immer gleich besonnen, dem Unglücke die beste Seite abzugewinnen wissen. Oráa hatte einen großen Fehler, einen Fehler, der ihn stürzte: er stand Cabrera gegenüber. -- * * * * * Das Madrider Gouvernement glaubte nach den Siegen des Frühlings 1838, daß der Zeitpunkt gekommen sei, in dem es durch gleichzeitiges energisches Handeln auf allen Theilen des Kriegstheaters den furchtbaren Aufstand endlich erdrücken könne, der vor wenigen Monaten bis vor die Thore der Hauptstadt seine Heere hatte senden dürfen. Espartero sollte Estella nehmen und Navarra überziehen, um das carlistische Hauptheer, von der Verbindung mit Frankreich, seiner vorzüglichsten Hülfsquelle, abgeschnitten, nach Guipuzcoa und Vizcaya zur Vernichtung zusammenzudrängen; daher begann Espartero seine Spatziergänge nach der Einnahme von Peñacerrada und stand Wochen auf Wochen drohend da. Der Baron de Meer eroberte Solsona in Catalonien, die Hauptveste der dortigen Carlisten, da der alte Graf de España, welcher kaum das Commando derselben übernommen, nur zuchtlose Haufen vorgefunden hatte. Oráa sollte Morella wieder nehmen, in Folge dessen mit Cantavieja des ganzen Hochgebirges sich bemächtigen und dann den Ausrottungskampf gegen die geschwächten, entmuthigten Anhänger seines Königs systematisch betreiben. Mit außerordentlicher Thätigkeit bereitete Oráa das Unternehmen vor, dessen Schwierigkeit er sich nicht verhehlte. Er vereinigte in Alcañiz einen Belagerungspark, wie ihn die Provinzen noch nicht gesehen, er errichtete eben dort ungeheure Magazine von Lebensmitteln und Kriegsbedürfnissen und begann am 23. Juli in drei Colonnen die concentrische Bewegung, deren Ziel das Felsencastell von Morella war.[63] General Borso di Carminati drang von Castellon de la Plana, Oráa von Teruel und San Miguel von Alcañiz aus in das Gebirge vor; trotz den beobachtend sie cotoyirenden Divisionen von Valencia, Aragon und del Ebro vereinigten sich die drei Führer nach nicht bedeutenden Gefechten und durch sehr gewandtes Manövriren bei Cinctorres und standen, in 22 Bataillonen 20000 Mann Infanterie mit fast 2000 Pferden stark, am 29. Juli im Angesichte der bedroheten Festung, von der ihnen die schwarze Fahne, das Zeichen des Entschlusses, nie sich zu ergeben, Tod verkündend winkte. Cabrera, da sein Versuch, die Division San Miguel durch einen Hinterhalt auf ihrem Anmarsche zu vernichten, durch die Hitze eines untergeordneten Führers so weit mißlungen war, daß er ihr nur einen Verlust von 300 Mann zufügen konnte, beschloß, die belagernde Armee seinerseits zu belagern, jeden Fuß breit Terrain ihr streitig zu machen, sie täglich, stündlich zu belästigen, zu harceliren und anzugreifen, die Communicationen ihr abzuschneiden und durch strengste Blokade aller Hülfsmittel sie zu berauben. Er besetzte demnach mit einem kleinen Theile seiner Truppen die Muela de la Garumba, eine nahe Morella steil sich erhebende und bis über el Orcajo sich hinziehende Bergmasse, die, zum Hochplateau erweitert, zur Erhaltung der Verbindung mit Cantavieja von Wichtigkeit war; mit den übrigen Bataillonen stellte er theils dem andringenden Oráa sich entgegen, theils occupirte er die oft durch Schluchten und über wildes Gebirge führenden Wege nach Alcañiz und suchte die Herbeiführung der schweren Artillerie und der Convoys möglichst zu erschweren. Seine Armee bestand -- einige Rekruten-Bataillone waren unbewaffnet -- aus sechszehn Bataillonen in drei Divisionen und aus neun Escadronen, da das Lanciers-Regiment von Tortosa dem Grafen de España zu Hülfe gesendet war. Dazu kam die castilianische Brigade, jetzt unter Merino’s Befehl, und die Trümmer der Expedition von Don Basilio Garcia und Negri als ~batallon espedicionario~ und ~escuadron del conde Negri~. Da aber die Corps ohne Ausnahme durch die Unglücksfälle der letzten fünf Monate sehr geschwächt waren, zählten sie nur 9700 Mann Infanterie, von denen 1300 -- von Aragon und Tortosa -- die Besatzung der Festung und des Castells bildeten. Die Cavallerie enthielt fast 1000 Pferde. Morella’s Befestigungswerke hatten Nichts mit den Meisterwerken eines Vauban oder Coehorn gemein. Ganz abgesehen davon, daß die Vertheidigung durch die Lage der Stadt und noch mehr des Castells lediglich bohrend wurde, und daß kein vorliegendes Werk die Mauern gegen den unmittelbaren Angriff deckte, waren diese schwachen Mauern mit den unregelmäßig vertheilten flankirenden Thürmen wohl darauf berechnet, dem Stoße des ehernen Widderkopfes zu widerstehen; aber der Alles niederschmetternden Gewalt des Pulvers mußten sie augenblicklich unterliegen. Und doch waren sie Alles, was Kunst für die Vertheidigung der Festung gethan hatte. Desto mehr begünstigten sie ihre Lage und die Eigenschaften des sie umgebenden Terrains. Die Mauer ist rings umher auf ungeheure Felsmassen basirt, welche, bald unmittelbar zu ihrem Fuße, bald mehr oder weniger -- doch nur unmittelbar neben dem Castell über funfzig Schritt -- vorspringend, zwölf, dreißig, an einzelnen Stellen selbst funfzig und mehr Fuß tief perpendiculär sich hinabsenken. Sie bilden daher die eigentliche Mauer der Stadt, indem sie, sollte auch in das künstliche Werk Bresche geöffnet sein, den Sturm fast unmöglich machen oder doch, wo etwa einzelne Einschnitte oder Schluchten, die sehr selten sind, weniger steil auf die Höhe der Felsen führen, den Stürmenden zwingen, unter dem wirksamsten Feuer der Belagerten auf weiten Umwegen emporklimmend der Bresche zu nahen. Eben diese Felsbildung macht die Anwendung der Minen dem Belagerer unzulässig, während wiederum die Lage der Stadt auf hohem isolirten Berge gegen sehr wenige Punkte die Aufstellung von Bresche-Batterien erlaubt, da die umliegenden Höhenpunkte fast alle entweder zu weit entfernt sind oder, bedeutend niedriger, die Wirkung der Geschütze unendlich schwächen, wo nicht ganz vereiteln. Einige dieser Höhen sind selbst dem Fußgänger nur mit Gefahr zugänglich, für Artillerie also impracticabel. Der Belagerer hat also, um Bresche zu legen, doppelte Schwierigkeit zu überwinden: die Mauer muß von der Stelle, auf der die Batterie errichtet werden kann, wirksam zu erreichen sein, und das zwischenliegende Terrain muß nach geöffneter Bresche den Sturm gestatten. Solcher Punkte aber findet sich in der That nur einer: nahe dem Thore San Miguel im Norden der Stadt, wo, etwa fünfhundert Schritt von ihr entfernt, die Höhe la Querola sich erhebt, während der Zugang zu der Mauer möglich bleibt; doch ist der Sturm auch hier mit großen Gefahren verbunden, da auf Pistolenschußweite ein Felsabsatz erklimmt oder die gewöhnliche unter dem Feuer der Festung in starken Windungen zum Thore hinaufführende Straße erstiegen werden muß. Dort finden sich denn auch dicht neben einander die Spuren mehrerer Breschen. Denn Morella war stets von politischer und militairischer Bedeutsamkeit; durch seine Lage auf den Grenzen von Valencia, Catalonien und Aragon, deren Communicationen es beherrscht, und seines Castells mehr noch als der Stadt wegen für wichtige Festung gehalten, hatte es seit den frühesten Zeiten während der Kriege der kleinen christlichen Könige unter sich und gegen die Araber, wie im Successions-Kriege und in dem Kampfe des spanischen Volkes gegen Napoleons Massen manche Belagerung ertragen und oft seinen Herrn wechseln müssen. Nur zwei alte Breschen finden sich an andern Stellen der Mauer. Die eine, nicht zweihundert Schritt vom Fuße des Castells entfernt, ward durch den General Starhemberg geöffnet -- noch jetzt von den Spaniern als ~el gran capitan~ bezeichnet --; sie bot zwar die größte Bequemlichkeit zum Sturm dar, da das Terrain zwischen ihr und der Batterie ganz eben, aber diese Batterie war kaum hundert Schritt von der Festung entfernt, und dicht hinter ihr fällt der Fels wenigstens sechszig Fuß furchtbar schroff hinunter, so daß nur ein Fußsteig in vielen Windungen hinaufführt. Und ein schwindelfreier Kopf ist nöthig, um diesen Fußsteig zu benutzen! Es müssen daher ganz besondere Verhältnisse obgewaltet haben -- etwa gänzliche Entblößung der Veste von Artillerie -- damit Starhemberg dort am Fuße des Castells die Batterie etabliren und die Geschütze entweder jenen Felsen hinaufschaffen, oder längs der Mauer auf dem gewöhnlichen Fahrwege in die Batterie sie führen konnte. Übrigens war dem wackern Deutschen solche Kühnheit dennoch fruchtlos; als die Bresche bei der Annäherung einer Entsatzarmee erstürmt war, fand er eine unmittelbar dahinter liegende Kirche in einen Abschnitt verwandelt, den er ~à vive force~ nicht nehmen konnte, so daß er die Belagerung aufheben mußte. Die zweite Bresche war gerade auf der entgegengesetzten Seite der Festung nach Osten hin geöffnet. Eine zu beiden Seiten von wilden Felsmassen hoch umgränzte Schlucht, die dem Beschauer durch Kunst in den Granit gebildet zu sein scheint, führt sanft steigend bis unmittelbar zum Fuße der Mauer, und da der senkrechte Felsen, auf dem diese gegründet ist, nur drei Fuß hoch über jenen Einschnitt sich erhebt, würde hier im Vergleich mit den andern Seiten der Festung, der Sturm sehr leicht sein. Die Batterie dagegen konnte nur auf den etwa 700 Schritt entfernten Rocas de Beneito angelegt sein, die, selbst von den Bergbewohnern für unzugänglich gehalten, der Placirung des schweren Geschützes gewaltige Hindernisse entgegensetzen, deren Überwindung mit Bewunderung für die Männer uns erfüllt, welche solches vollbracht haben. Auch diese Bresche soll aus den ersten Jahren des Erbfolgekrieges herstammen; ich konnte nicht erfahren, von wem. Die Franzosen fanden die Veste unbesetzt. Als Marschall Suchet in der Mitte des Jahres 1813 hinter den Ebro, Valencia räumend, sich zurückzog, blieb eine Besatzung von 300 Mann in Morella und schloß sich beim Anrücken der Spanier in das Castell ein. Fortwährend von einigen Bataillonen blockirt und gelegentlich durch eine Mörserbatterie beworfen, hielt sie sich bis zum Anfange des folgenden Jahres, worauf sie capitulirte, selbst die Bedingungen vorschreibend. So wie sie aber die Stadt betraten, warfen sich die Einwohner auf sie und plünderten sie aus; dann wurden sie gefangen fortgeschleppt, anstatt den Bedingungen gemäß nach Frankreich geführt zu werden. -- Doch zurück zu 1838. * * * * * Auch Oráa wählte die Höhe der Querola zur Aufpflanzung seiner Batterien, weshalb er der Hermite von San Pedro Martyr auf einem weithin die Gegend beherrschenden Berggipfel sich zu bemächtigen eilte. Er nahm sie am 2. August trotz der kräftigen Gegenwehr der Armee Cabrera’s, die er unter großem Verluste in zweitägigem, unausgesetztem Kämpfen von Schlucht zu Schlucht, von Felsen zu Felsen bis dahin zurückdrängte. Kaum hatten die Christinos die Höhe inne, als Cabrera einen neuen, wilden Angriff an der Spitze einiger Escadrone machte. Aber wieder durch das Infanterie-Feuer geworfen und von weit überlegenen Reitermassen chargirt, entging der kühne General nur durch persönliche Bravour -- er tödtete eigenhändig mehrere Cuirassiere --, durch die Ergebenheit seiner Truppen und durch sein Glück dem Tode oder der Gefangenschaft. Zwei Pferde wurden ihm unter dem Leibe erschossen; und Oráa rühmte sich in seinem Berichte, den weißen Mantel und die Voyna des gefürchteten Rebellen, beide von Lanzenstichen und Kugeln durchbohrt, erbeutet zu haben. Cabrera sah sich endlich genöthigt, da die wiederholten Versuche an der Festigkeit des Feindes scheiterten, den Besitz der Höhe ihm zu überlassen, worauf Oráa den General San Miguel zur Eröffnung der Communication mit Alcañiz, wie zur Escortirung des Belagerungsgeschützes und der dringend nöthigen Lebensmittel entsendete. Ich will nicht die einzelnen Bewegungen und Angriffe verfolgen, durch die Cabrera während der ganzen Dauer der Belagerung das feindliche Heer auf das äußerste erschöpfte, seine Arbeiten erschwerte und verzögerte, die Verbindung mit seinen Festungen ihm unterbrach und endlich durch Auffangung mehrerer Convoys den drückendsten Mangel im Lager der Christinos veranlaßte, welcher endlich eben so sehr wie der unerwartete, heroische Widerstand der Besatzung und die erlittenen schweren Verluste den feindlichen Führer zum Rückzuge vermochte. Es reicht hin zu sagen, daß Cabrera nie unthätig war, daß er Tag und Nacht den Feind harcelirte und in ermüdendem Allarm hielt, und daß er, während seine Truppen ruhten, nach der Festung eilte, dort anzuordnen, zu ermuntern und selbst für die rasche Ersetzung alles Mangelnden zu sorgen. Denn Morella wurde während der Belagerung nie ganz eingeschlossen: Oráa war viel zu vorsichtig, als daß er einem Cabrera gegenüber und in solchem Terrain sein Heer in verschiedene Einschließungs-Corps hätte theilen sollen; er hielt seine Divisionen dem Punkte gegenüber vereinigt, den er angreifen wollte, und befestigte sich so viel nur möglich in den genommenen Stellungen. So blieb der Besatzung die Verbindung mit der Armee und mit dem acht Leguas entfernten Cantavieja stets offen, und selbst nachdem Oráa am 12. das Meson de Beltran, ein auf der Hauptstraße nach el Orcajo und Cantavieja liegendes Wirthshaus,[64] besetzt und befestigt hatte, auch dort gegen alle Angriffe sich hielt, konnte er nicht verhindern, daß täglich von letzterer Festung auf Gebirgspfaden das nöthige Pulver der Stadt und den Divisionen zugeführt wurde. Diese litten am Ende so großen Mangel daran, daß sie von jedem Tage das während der letzten vier und zwanzig Stunden fertig gewordene und in der Nacht ausgetheilte Pulver verbrauchten, um das Gefecht abzubrechen, so wie sie davon entblößt waren. Die Garnison aber, die anfangs sehr verschwenderisch mit der Munition umgegangen war, mußte ihren nur noch sehr kleinen Vorrath auf die äußersten Fälle aufsparen. Wiewohl die nach Alcañiz führenden Wege auf jede Art unfahrbar gemacht waren, rückte doch der große Convoy am 7. August bis la Pobleta de Monroyo, drei Leguas von Morella, vor, da ganze Divisionen unausgesetzt an der Herstellung des Zerstörten arbeiteten. Am folgenden Tage griff Cabrera die Escorte Division San Miguel auf dem Marsche an und zwang sie, nach la Pobleta zurückzukehren, konnte aber den vereinten Anstrengungen derselben und der Colonne Borso’s, der ihr zur Hülfe entgegenzog, nicht widerstehen. Nachdem sie auch am 9. fortwährendes Scharmützel bestanden hatten, gelang es den beiden Colonnen, am 10. mit dem Belagerungsgeschütz und dem Convoy das Lager hinter San Pedro Martyr zu erreichen. Oráa trieb alsbald die Truppen der Garnison, welche bisher die nahen Höhen außerhalb der Mauern behaupteten, in die Festung und begann den Batterie-Bau auf der Abdachung der Querola; schon am 13. waren die Geschütze -- acht Kanonen und drei Mörser -- aufgefahren, und am 14. Morgens eröffneten sie ihr Feuer gegen die Mauern der Stadt. Der General Graf Negri, welcher in den Gefechten gegen die anrückenden Divisionen sich besonders hervorthat, hatte das Commando der Festung und der Truppen in ihr übernommen, während Oberst O’Callaghan als Gouverneur unter ihm befehligte. Jener theilte die Stadt in Distrikte, welche alle an das Castell gelehnt und in der Eile möglichst befestigt, noch innerhalb der Stadt die hartnäckigste Vertheidigung gegen den Feind erlaubten, falls er die Bresche erstürmen sollte; er verwandelte die hinter der Angriffsfront liegenden Häuser in Forts und traf jede Vorsichtsmaßregel zur Verhütung von Feuer oder sonstigem Unglücke. Zugleich befahl er, die Thüren aller Häuser zu öffnen, da ein Bombardement erwartet werden mußte, was bei der Abwesenheit der entflohenen Einwohner zu mannigfachen Unordnungen führte, denen jedoch rasch gesteuert wurde. Der Geist der Garnison, der Elite des Heeres, war trefflich; ihr hatten sich etwa dreihundert ~voluntarios realistas~ aus den Bürgern von Morella angeschlossen, die während der ganzen Belagerung mit hoher Auszeichnung fochten. Die übrigen Einwohner waren fast sämmtlich ausgewandert, das Schlimmste befürchtend. Alles, was geblieben war, drängte sich in die Cathedrale, das einzige bombenfeste Gebäude der Stadt, zusammen, auf den Knieen von der hohen Schutzherrinn Rettung erflehend; eben diese Kirche mußte denn auch als Munitions-Magazin, Hospital und als Ruheplatz für die nicht zum Dienste berufene Mannschaft dienen. Die feindliche Artillerie beschoß die Mauer nicht auf die sonst beim Bresche-Legen übliche Art: sie begann ihr Zerstörungswerk mit dem obern Theile derselben und flachte sie nach und nach ab, wobei ihre Schwäche und Hinfälligkeit die Wirkung der Geschosse so begünstigte, daß schon nach einstündigem Feuer eine bedeutende Öffnung gebildet war. Da brachte das Feuer des Castells die Kanonen der Belagerer zum Schweigen, und erst am folgenden Morgen konnten diese die Bresche vervollständigen, nachdem sie während der Nacht die Batterie ausgebessert und die demontirten Geschütze ersetzt hatten. Die Mörser und Haubitzen aber bewarfen die Stadt ununterbrochen und richteten in ihr, wie im Castell, große Verwüstungen an; auch verursachten einige in dem letzteren durch Unvorsichtigkeit auffliegende Munitionskasten empfindlichen Verlust, eine Anzahl Artilleristen mit drei Officieren tödtend und verwundend. In der Stadt wurden viele Häuser eingestürzt, und mehrfach brach Feuer aus, welches erst nach langer Anstrengung der Realisten und Freiwilligen gelöscht werden konnte. In der Nacht vom 14. zum 15. August und am folgenden Tage ließ Graf Negri auf einem kleinen, freien Raum hinter der Bresche eine starke Brustwehr von Erde als Abschnitt errichten und mit friesischen Reitern besetzen; auf die nun ganz offene und über vierzig Schritt breite Bresche und unmittelbar hinter ihr wurden ungeheure Massen trockenen Holzes und zur Entzündung präparirter Stoffe aufgehäuft. Diese Arbeit kostete vielen Sappeurs das Leben, da sie unter dem fortwährend lebhaften Feuer der Christinos bewerkstelligt werden mußte. Mit Vertrauen sahen die braven Krieger dem Sturm entgegen, den sie mit Gewißheit für die kommende Nacht erwarteten. [62] Es ist sehr natürlich, daß in höheren Chargen Männer sich fanden, die eben nur brav waren, da ja nebst Ausdauer die Bravour das hauptsächlichste Erforderniß des Guerillero in den ersten Kriegsjahren war. -- Später zeigte sich der Scharfblick der Commandirenden in der Art, wie sie jeden Officier dahin zu postiren wußten, wo seine individuellen Gaben am meisten in Wirksamkeit traten. [63] Die Bewegungen und Gefechte der beiden Heere und der einzelnen Divisionen sind vom General Baron von Rahden in seinem Werke über „Cabrera“ genau und im Detail gegeben. [64] Alle Gebäude in diesem Theile Spaniens sind massiv. XXIII. Die Lage der christinoschen Armee vor Morella wurde mit jeder Stunde schwieriger. Der empfindlichste Mangel an Lebensmitteln machte sich im Lager geltend, die Transporte, welche mit großen Opfern herbeigeschafft werden konnten, reichten nicht mehr hin für so gehäufte Bedürfnisse, und als dann Llagostera, der fortwährend auf der Communications-Linie mit Alcañiz operirte, den letzten, sehnlich erwarteten Convoy auffing und fast ganz verbrannte, blieb dem Heerführer der Christinos nur die Alternative: „Einnahme der Festung oder rascher Rückzug.“ Oráa ließ die Bresche recognosciren, nachdem er nochmals umsonst die Besatzung zur Übergabe aufgefordert hatte. Der Ingenieur meldete, daß sie practicabel, wiewohl sehr schwer zu ersteigen sei; daß aber die hinter ihr aufgeführte Brustwehr jeden Erfolg sehr zweifelhaft mache. Da keine Wahl blieb, wurde der Sturm auf die Nacht vom 15. zum 16. August festgesetzt. Um Mitternacht rückten die Colonnen der Stürmenden vorwärts. Die erste wandte sich gerade gegen die Bresche und gelangte unbemerkt bis an den Fuß der hier nicht hohen Felswand, welche sie ersteigen mußte; die andere unter Leitung des früheren Gouverneurs der Stadt, Oberst Portillo, zog den Fahrweg hinan; zwei kleinere Haufen zur Rechten und zur Linken waren bestimmt, die Aufmerksamkeit der Belagerten zu theilen. -- Diese hatten die Compagnien Grenadiere von Tortosa und Jäger der Guiden von Aragon mit dem schweren Werke der Vertheidigung der Bresche beauftragt, während die Reste dieser Bataillone zu beiden Seiten die Thürme und die Schießscharten der Mauer besetzt hielten. Drei andere Bataillone von Tortosa und Aragon, am Abend in die Stadt gezogen, waren als Reserve in Masse aufgestellt, um sich sofort auf den eingedrungenen Feind zu werfen, oder standen in den barrikadirten Häusern längs der Angriffsfront. Die Sappeurs arbeiteten indessen thätig an den Abschnitten, die allenthalben in der Stadt geöffnet wurden, und richteten die terassenförmig dem Umfange des Castells parallel laufenden Straßen zur Vertheidigung ein; die ~voluntarios realistas~ bewachten rings die Mauer. Da der Sturm mit Zuversicht erwartet wurde, befand sich Jedermann seit dem Anbruche der Nacht auf seinem Posten. Auch Graf Negri, selbst Alles überwachend, logirte in dem der Bresche nächsten Thurme; er ermahnte die Freiwilligen, nicht eher Feuer zu geben, bis der Feind den Fuß der Bresche erreicht habe. Da ward das Geräusch der nahenden Massen gehört. Rasch entzündet wirbelte der ungeheure Holzstoß seine Flammen gen Himmel, die ganze Weite der Bresche in züngelnde Gluth hüllend und weit in die Nacht hinaus leuchtend. Kaum funfzig Schritt von der Bresche waren die Feinde entfernt. Sie hielten einen Augenblick hinter dem Felsenabsatz, dann schwangen sie sich mit wildem Gebrüll hinauf und stürmten rasend den Feuerwogen zu, die ihnen entgegenzuckten; von den Musikchören der ganzen Armee erschallte zugleich die Revolutions-Hymne Riego’s, zu fanatischer Wuth sie zu entflammen, während alle Regimenter, die Blicke auf das furchtbar erhabene Schauspiel gerichtet, in Schlachtordnung aufgestellt waren. -- Todtenstille herrschte in der Stadt; der blutrothe Schein der Flammen zeigte den Anstürmenden die dunkeln Massen der Carlisten ihrer harrend, die Gewehre zum Schuß bereit. Mit Muth griffen die Christinos an, deren beste Bataillone ausgewählt waren. Unter dem lauten Rufe: „~viva Isabel segunda! viva la constitucion!~“ erreichten sie den Fuß der Bresche, schon betraten sie die Trümmer, da übertönte ihr Geschrei und das Prasseln des Scheiterhaufens donnernd das Commandowort „Feuer!“ Die ersten Reihen der Stürmenden lagen zu Boden gestreckt, aber gleich fest drangen die Nachfolgenden über die Leichen ihrer Cameraden vorwärts. Die Kugeln aus der Bresche und von der Mauer zu beiden Seiten schlugen sie nieder, und nach langem vergeblichem Streben, die Trümmer zu erklimmen, wichen die Ermüdeten hinter die schützende Felsenwand zurück. Auch Portillo’s Colonne war mit Festigkeit vorgerückt. Eine finstere Masse erstieg sie langsam den vielfach sich schlängelnden Fahrweg, anfangs unbelästigt, da Aller Augen auf die Bresche gerichtet waren, deren helle Gluth malerisch die grausige Scene erleuchtete. Aber bald sprüheten die Mauern auch auf sie Tod und Zerstörung hinab. Unerschüttert drang die Colonne auf ihrem gefährlichen Marsche vor, der in der wirksamsten Schußweite längs einem Theile der Mauer hinführte; das Feuer wurde mit jedem Augenblicke heftiger, große Steine wurden von den Thürmen des San Martin-Thores herabgeschleudert, und die Soldaten fielen in dichten Haufen. Da stand die Colonne regungslos, weder vordringend noch weichend, als Oberst Portillo wüthend vorwärts stürzte: von den Seinen verspottet und verachtet hatte er geschworen, die schimpflich verlorene Veste zu nehmen oder unter ihren Mauern zu sterben. Sein Schwur ward erfüllt. Mit wildem Fluche schleuderte er seinen Degen über die Mauer hinein in die Stadt, die er nicht zu bewahren gewußt, und sank gräßlich lästernd, von fünf Kugeln zum Tode getroffen. Als der Führer gefallen war, stürzte die Masse gelichtet und schwankend zurück und vereinigte sich, rechts sich schiebend, hinter dem Felsen mit den Gefährten, die so eben von der Bresche gewichen waren. -- Oberst Portillo blieb am Fuße der Mauer liegen. Bald waren die Truppen von neuem geordnet und durch ein Bataillon verstärkt, das gefürchtetste der christinoschen Armee: die Jäger von Oporto, aus deutschen Abenteurern bestehend, waren zum Sturm beordert. Wieder erklimmte die Masse den Felsen und stürmte gegen die Bresche, nicht mehr in der majestätischen Ordnung wie vorher, -- wild und gedrängt mit fanatischem Freiheitsgeheule; nur die Fremden schritten lautlos und fest wie zur Parade nach dem gleichmäßigen Tacte der herüberrauschenden Janitscharen-Musik. Wieder wurden die Trümmer der Bresche mit den Leichen der Wüthenden bedeckt, und zerstreut flohen die Verschonten. Die Jäger von Oporto allein wichen nicht, sie erstiegen die Bresche, oben auf ihr, von Flammen umspielt, suchten sie den Weg durch die brennenden Stoffe und stürzten dort unter den tödtlichen Kugeln in die Gluth. Doch das Feuer vor ihnen und dahinter eine neue Mauer, Verderben speiend, machte alle Anstrengungen vergeblich: die Deutschen wichen, Morella war gerettet. Umsonst ermunterten die Officiere ihre Compagnien zu nochmaligem Sturm, finsteres Schweigen antwortete ihren Bitten, ihren Drohungen, und die Soldaten rührten sich nicht hinter dem Felsen, der sie deckte. Um drei Uhr Morgens zogen die abgeschlagenen Truppen entmuthigt und die Reihen gelichtet ins Lager zurück. * * * * * Der 16. August verging unter steten, blutigen Scharmützeln der beiden Armeen, da die Carlisten so eben einen Transport Pulver erhalten hatten; zugleich spielte die Artillerie fortwährend gegen die Festung, den neuen letzten Versuch der Christinos vorzubereiten und die Ausbesserung der Bresche zu verhindern. Denn noch einen Versuch wollte Oráa machen und zwar ohne Aufschub: seine Soldaten aßen seit drei Tagen nur geröstetes Korn, die Pferde hatten alles Getreide der Felder aufgezehrt und fielen schon häufig. Der Sturm sollte bei Tage unternommen werden, da die Führer der beim ersten Angriffe angewendeten Corps das Mißlingen desselben der Verwirrung im Dunkel der Nacht und dem Umstande zuschrieben, daß weder die Braven durch Hoffnung auf Auszeichnung getrieben wären, noch die Feigen Schmach und Strafe gefürchtet hätten, weil ja beide unbekannt blieben. Am 17. August bei Anbruch des Tages gaben drei Kanonenschüsse das Signal zum Sturm. Dreizehn Bataillone griffen in fünf Colonnen die Festung von drei Seiten an; aber nur die gegen die Bresche gerichtete Masse, die Regimenter Ciudad-Real und Ceuta, kämpfte brav. Sie gelangte auch dieses Mal bis auf die Trümmer -- der Kugelregen trieb sie wieder und wieder zurück, bis endlich Muthlosigkeit die Schaar ergriff, da sie ihre Chefs und die besten Officiere fallen sahen. In wilder Verwirrung flohen sie dem verschanzten Lager zu, mit Kraft von den Bataillonen Guiden und Tortosa verfolgt, welche unter des Grafen Negri Führung, durch die Bresche hinabsteigend, auf die Fliehenden sich warfen und ihnen ein leichtes Geschütz abnahmen. Die zur Escalade bestimmten Colonnen hatten nirgends den Fuß der Mauer erreicht. Nachdem Oráa am 17. wiederum die Stadt mit allen Mörsern und Haubitzen beworfen und dadurch unnütz große Verwüstungen unter den Häusern angerichtet hatte, brannte er während der Nacht alle Masadas der Umgegend nieder und begann am 18. den Rückzug auf Alcañiz, die Unternehmung aufgebend, die er mit so unendlichem Aufwande vorbereitet, deren Erfolg er als unfehlbar verkündet hatte. Da, wie gesagt, die carlistische Armee ganz von Munition entblößt war -- jeder Soldat erhielt am 18. Morgens eilf Patronen von einem gerade angelangten Transport -- kehrte Cabrera nach Morella zurück, die weitere Verfolgung oder vielmehr Beobachtung der abziehenden Feinde der Division von Castilien unter Merino überlassend, nachdem er sie am 18. und 19. von Position zu Position, fast immer mit dem Bajonnett, gedrängt und einige hundert Gefangene ihnen abgenommen hatte. Den Truppen war auch nicht eine Patrone geblieben. Eben dieser empfindliche Mangel, durch den Cabrera verhindert wurde, den errungenen Vortheil bis zur Vernichtung des christinoschen Heeres zu verfolgen, war auch die Ursache, daß der General während der letzten Tage der Belagerung mit den Divisionen eine ganz secundäre Rolle spielte und besonders während der Stürme, bei denen energisches Handeln von außen her entscheidend sein konnte, als nur passiver Zuschauer dastand. Wie oft dankten die Feinde des Königs ihre Siege oder ihre Rettung dem ungeheuren Mißverhältnisse zwischen den materiellen Mitteln der kämpfenden Heere! Dennoch waren die Folgen des mißlungenen Unternehmens gegen Morella unberechenbar. Die feindliche Armee hatte in den tausendfachen Kämpfen und Strapatzen der letzten vier Wochen einen Verlust von 7000 bis 8000 Mann, einem Drittel ihrer ursprünglichen Stärke, gehabt, von denen über 5000 auf dem Kampfplatze oder in den Hospitälern in Folge der Verwundung durch bronzene Kugeln starben. Durch gänzlichen Mangel an Blei waren nämlich die Carlisten genöthigt, jedes Metall, welches sie erlangen konnten, zu ihren Flintenkugeln zu benutzen, so daß, wenn nicht augenblicklich Hülfe kam, durch das Ausscheiden von Gift in der Wunde diese tödtlich werden mußte. Oráa protestirte gegen den Gebrauch solcher Kugeln als dem Völkerrechte zuwider, worauf Cabrera sich bereit erklärte, sofort der gewöhnlichen Kugeln ausschließlich sich zu bedienen, wenn ihm Oráa das zum Guß derselben nöthige Blei verabfolgen ließe. Da auf diese Forderung weiter keine Antwort erfolgte, fand die Anwendung der tödtlichen Geschosse ferner Statt. Die revolutionairen Blätter aber schrien über die Barbarei und Unmenschlichkeit des Feindes, der solche Waffen gebrauche! Jenem ungeheuren Verluste der Christinos gegenüber hatte die carlistische Armee während der Dauer der Belagerungs-Operationen nur 1400 Mann an Todten und Verwundeten eingebüßt, wie denn alle Umstände solche Ungleichheit natürlich machten. Weit höher jedoch als dieser materielle Vortheil war der in seinen Folgen so viel wichtigere moralische Einfluß zu schätzen, welchen die Aufhebung der Belagerung von Morella auf die beiden Heere, dann auf das Volk und auf den Krieg ausübte. Der Nimbus der Unwiderstehlichkeit war nun von der Armee der Christinos gewichen, denn bis dahin rühmte sie sich, daß, wohin ihre Massen sich wendeten, sie immer durchdrängen und die leichten Schaaren der Facciosos zerstieben machten oder vor sich niederschmetterten; sie behaupteten, daß die Carlisten im geregelten Kampfe ihnen nie widerstehen, ihrem Sturme nie Stand halten könnten; sie pochten auf ihre Organisation und Massen-Taktik und schrieben die einzelnen Siege, welche sie den noch immer als Horden und Banden bezeichneten Feinden zugestanden, nur der Überraschung und der Benutzung des günstigen Terrains zu. Jetzt änderten sie plötzlich ihre Sprache gegen und über jene verachteten Schaaren. Eine Unternehmung, zu der die Blüthe der Armee unter allen ihren ausgezeichnetsten Generalen sich vereinigt hatte, und für welche die umfassendsten Vorbereitungen getroffen waren, war ganz mißlungen; eine Operation, bei der sie ihre gerühmte Überlegenheit so vollkommen entwickeln konnten, hatte in entschiedener, schimpflicher Niederlage geendet. Das Selbstvertrauen der Christinos war dahin, und mit ihm schwanden alle die Vorzüge und die moralische Macht, die sie noch immer behauptet hatten. Die Armee des Centrum, wiewohl sogleich durch mehrere Brigaden der Nordarmee und aus dem Innern verstärkt, erlangte jene Überlegenheit nie wieder. Dagegen erkannten die Freiwilligen, was sie vermochten, und die Vortheile anerkennend, welche die Organisation und militairische Ausbildung der Feinde neben ihren großen materiellen Hülfsquellen ihnen gaben, hielten sie sich jetzt für unüberwindlich, da sie ja über das Alles so herrlichen Sieg davongetragen hatten. Das Volk aber sah von nun an die Sache der Carlisten als die entschieden siegreiche; demnach wagte es entweder offener seine Neigung darzuthun, oder es schmiegte sich leicht unter das ihm unabwendbar scheinende Verhängniß. Die Folgen aber dieses Schlages für die Operationen der Armeen und für den Krieg im Allgemeinen waren von entscheidendem Gewichte; der Verrath eines Maroto war nöthig, um sie zu paralysiren. Der ganze große Vernichtungsplan der Feinde war vereitelt, in sich zusammengefallen; sie sahen sich nicht nur im westlichen Spanien geschlagen und selbst schwer bedroht, auch Espartero gab auf die Nachricht davon sogleich sein Unternehmen auf Estella und auf Navarra auf, zu seiner alten Unthätigkeit zurückkehrend. Die müssigen Schreier der Puerta del Sol, die im Voraus gejubelt hatten, wagten nun, den greisen Führer der Armee des Centrum, den General, der Alles gethan, was der General thun konnte, weil er eine Niederlage erlitten hatte, als Verräther zu bezeichnen und des Einverständnisses mit Cabrera zu zeihen. Wenige Wochen vorher war er der Held, auf den allein sie vertrauten, überschüttet mit Preis und Schmeichelei. Das ist der Liberalismus der Spanier! Den General Cabrera belohnte seines Königs Gnade für so herrlich errungene Erfolge durch den Titel des Grafen von Morella, den das Cabinet Maria Christina’s für Oráa, den Sieger, bestimmt hatte; zugleich ward er zum General -- ~teniente general~, dem General der Infanterie oder der Cavallerie entsprechend -- ernannt, als welcher er die Provinzen Aragon, Valencia, Murcia und Cuenca commandirte. Fünf Jahre hatten dem armen Studenten hingereicht, um in der Vertheidigung der Rechte seines Königs von Stufe zu Stufe die höchsten Grade und Ehren sich zu verdienen und, gefürchtet vom Feinde, die Hoffnung der Seinen, an der Spitze eines von ihm selbst im Kampfe gegen die Usurpation gebildeten Heeres über vier mächtige Provinzen zu herrschen;[65] in fünf Jahren hatte der unbekannte Jüngling, der mit einem Stock bewaffnete Guerrillero, europäischen, geschichtlichen Ruhm sich erworben. Auch die Armee ward nach dem Vorschlage des Generals reich belohnt; die Divisions-Chefs und Brigadiers Don Domingo Forcadell und Don Luis Llagostera, der ganz besonders durch Thätigkeit und Einsicht sich hervorgethan hatte, wurden zu General-Lieutenants -- ~mariscales de campo~ -- erhoben und als zweite commandirende Generale den einzelnen Provinzen vorgesetzt. Die Armee unter dem Oberbefehle des Grafen von Morella bestand nach der Belagerung von Morella aus folgenden Truppen. Die Division vom Ebro, unter dem unmittelbaren Befehle des Generals en Chef, enthielt die Brigade von Tortosa, 3 Bataillone unter dem Oberst Palacios, stets um die Person des Generals und von den übrigen Truppen als seine Garde bezeichnet; und die Brigade von Mora, 2 Bataillone unter Oberst Feliu, nebst dem Regiment Lanciers von Tortosa, unter Oberst Gil. 3200 Mann Infanterie und in 4 Escadronen 350 Pferde. Die Division von Aragon unter dem Mariscal de Campo Llagostera bestand aus 6 Bataillonen, durch die Verluste des Frühjahres sehr geschwächt, und 2 Regimentern Lanciers, 2400 Mann Infanterie und in 5 Escadronen 330 Pferde. Die Division von Valencia zählte 6 Bataillone und ein Regiment Lanciers unter dem Mariscal de Campo Forcadell. 3800 Mann Infanterie und in 4 Escadronen 320 Pferde. Die Division von Murcia -- früher del Turia und unter Tallada vernichtet -- unter dem Oberst Arnau ward organisirt und enthielt jetzt 2 Bataillone und 2 Escadrone. 700 Mann Infanterie und 120 Pferde. So sah sich Cabrera an der Spitze von etwa 10000 Mann Infanterie und 1100 Pferden. Dazu kamen das Artillerie- und das Genie-Corps, letzteres bis dahin nur aus Sappeurs mit nicht wissenschaftlichen Officieren bestehend, und die ~voluntarios realistas~, welche ihre Wohnsitze nicht verließen, nebst einigen kleinen Freicorps, die kaum 200 Mann stark waren. Merino marschirte alsbald mit den Bataillonen von Castilien ab; ebenso kehrten Graf Negri und Don Basilio mit den Reitern des ersteren durch einen kühnen Zug nach Navarra zurück. Don Basilio’s 200 Mann traten zur Brigade von Tortosa über. [65] Denn Cabrera herrschte in ihnen; nur die festen Städte gehorchten dem Feinde. XXIV. Oráa hatte die Belagerung von Morella aufgehoben. Die Beobachtung des geschlagenen Feindes der Division von Castilien überlassend, eilte Cabrera mit zwei Divisionen der fruchtbaren Huerta von Valencia zu, den glorreichen Sieg thätig zu benutzen: am 24. August schon stand er vor den Thoren der Hauptstadt, die wenige Tage vorher durch glänzende Feste die Eroberung von Morella gefeiert hatte, da die Nachricht davon als unzweifelhaft verbreitet war. Auch jetzt empfing das Jubelgeläute aller Glocken die carlistische Armee, denn Niemand zweifelte, daß der wilde Cabrera nach dem Verluste seiner Festung und geschlagen vor dem siegreichen Heere Christina’s auf der Flucht begriffen sei und unmittelbar von demselben verfolgt werde. Doch er durchzog ruhig die ganze reiche Provinz, erhob überall Contributionen und häufte große Vorräthe von Lebensmitteln und Kriegsbedarf an; er überschritt den Guadalaviar, vereinigte sich mit den Bataillonen von Arnau, der mit einigen Truppen von der Division des Ebro von Morella direct nach dem während der Belagerung verlassenen Chelva marschirt war, passirte dann auch den Xucar und drang im Triumphzuge bis unter die Mauern von Alicante und in die Umgegend von Murcia. Mit sechshundert requirirten Pferden, einigen hundert Rekruten und einem ungeheuren Convoy richtete er sich wieder gen Norden. Und auf dem ganzen stolzen Zuge hatte jeder Freiwillige nur zwei Patronen! Während San Miguel die Artillerie nach Alcañiz escortirte, hatte sich Borso rasch auf Valencia, Oráa nach Teruel gewendet, von wo dieser auf die Nachricht von dem Zuge Cabrera’s gleichfalls nach dem Königreiche Valencia hinabstieg, um in Vereinigung mit Borso den Carlisten den Rückweg abzuschneiden. Er stellte sich deshalb in Jerica auf, während Borso mit seiner Division das nur drei Stunden entfernte Segorve inne hielt. Cabrera aber, dessen Truppen fortwährend ganz ohne Munition waren, führte mittelst eines kühnen Manövres den ganzen unermeßlichen Convoy mitten durch die feindlichen Divisionen hin, welche in die von ihnen besetzten Städte sich einschlossen und die wehrlose, durch Tausende von Maulthieren und beladenen Karren zu viele Stunden langem Zuge verlängerte Colonne unangefochten passiren ließen. Bei dem Zustande gänzlicher Entmuthigung, in dem ihre Truppen sich noch befanden, wagte keiner der beiden Generale den Angriff, bei dem er der Mitwirkung seines Gefährten nicht gewiß war. Nur Generalmajor Valdés beunruhigte die Arrieregarde und nahm ihr einige Karren ab, die aber durch einen raschen Angriff der nächsten Compagnien wieder gewonnen wurden. So gelangte Cabrera mit der ganzen herrlichen Beute ohne Verlust nach Onda am Mijares, wo er durch die von Cantavieja’s Fabriken erhaltenen Sendungen die Divisionen wieder mit Munition versehen konnte. General Oráa, von dem man sicher erwartet hatte, daß er nun den gehaßten Chef vernichten oder wenigstens den Convoy ihm abnehmen werde, verlor bald das Commando, da er wieder ihn hatte entschlüpfen lassen. An seine Stelle trat der General Don Antonio van Hahlen, Bruder des Generals, der einst in den belgischen Unruhen eine bedeutende Rolle spielte. Sogleich nach dem Rückzuge von Morella war der Kriegsminister General Latre selbst zur Armee gekommen, um sie zu inspiciren und die Ursachen jener Niederlage zu erforschen. Cabrera wandte sich sofort nach Unter-Catalonien, überschritt bei Mora den Ebro, zog einige Geschütze aus Miravet, einem alten, sehr starken maurischen Castell auf dem südlichen Ufer jenes Flusses, welches er sorgfältig hatte herstellen lassen, und griff die beiden feindlichen Forts von Falset und Belmunt an, deren ausgedehnte Bleiminen wegen des drückenden Mangels an diesem Metalle von hoher Wichtigkeit wurden. Oráa schon in der letzten Zeit seines Heerbefehls zog sich auf der großen Straße längs der Küste des Meeres bis Tortosa; vor seiner Ankunft hatte jedoch Cabrera das eine der belagerten Forts genommen, da die Besatzung während der Nacht entfloh, und war auf das rechte Ufer des Ebro zurückgekehrt, nachdem er den vorgefundenen Vorrath an Blei und seine Artillerie nach Miravet gesendet hatte. Ein Ereigniß verdient erwähnt zu werden, welches, ein trauriges Erzeugniß des mit Wildheit des Characters gepaarten, glühenden Partheihasses, das Grauen selbst der an die blutigen Scenen des Bürgerkrieges gewöhnten Krieger erregte. Unter der Besatzung von Falset befand sich ein junger Catalan, dessen beide Brüder in der Division vom Ebro für die carlistische Sache kämpften. Sie forderten, da Falset belagert wurde, den Bruder auf, mit ihnen zur Vertheidigung seines legitimen Königs sich zu vereinigen; er aber erwiederte von der Mauer herab lästernd und mit Hohn, daß sie selbst aus dem Fort ihn holen möchten; dann erst würde er ihnen folgen. Wenige Tage nachher räumte die Besatzung das Fort und zerstreute sich lebhaft verfolgt, worauf jener Catalan, da er sich auf dem Punkt sah, gefangen zu werden, für Überläufer sich erklärte. Kaum umringt traf er auf seine Brüder und eilte zu ihnen, Schutz hoffend. Und die Beiden, wie sie den Kommenden erblickten, erhoben ihre Gewehre und streckten ihn todt zu ihren Füßen, ihm zurufend: „Du bist nicht würdig, unser Bruder zu heißen!“ Bei einer andern Gelegenheit sah ich auf unsern Vorposten einen Freiwilligen, schon bejahrt, dessen Sohn, kaum zweihundert Schritt entfernt, einer Feldwache des Feindes angehörte. Beide riefen sich zu, da sie bei den unter den Posten nicht ungewöhnlichen Gesprächen sich erkannt, und forderten wechselseitig sich auf, nicht länger für Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu kämpfen, vielmehr sofort der gerechten Sache sich zu weihen. Da solche Überredung Nichts fruchtete und endlich in Gezänk und Schimpfen ausartete, griffen sie fluchend zu den Waffen, und Vater und Sohn sendeten sich Kugeln zu. Sie trafen sich nicht. * * * * * Als Cabrera nördlich vom Ebro mit der Einnahme von Falset beschäftigt war, manövrirte General Pardiñas von Alcañiz aus, um die Verbindung mit Morella ihm abzuschneiden. Cabrera, auf das südliche Ufer zurückgekehrt, wandte sich gegen ihn, und nachdem die beiden Generale, einige Tage lang in unmittelbarer Nähe sich beobachtend, umsonst günstige Gelegenheit zum Schlagen erspähet hatten, zog sich Pardiñas in den letzten Tagen des Septembers nach Maella am Nonaspe zurück, während Cabrera das wenige Stunden entfernte Favara besetzte. Pardiñas, den wir früher in seinen Siegen kennen lernten, war einer der ausgezeichnetsten Generale Christina’s, wie Cabrera jung, entschlossen, brav und thatendurstig; er hatte durch die Vernichtung der Corps von Don Basilio und Tallada seinen Ruf begründet und sprach laut den Wunsch aus, mit seinen siegreichen Truppen auf des gefürchteten Häuptlings Schaaren zu treffen, um den Übermuth desselben blutig niederzuschlagen. Die Division, welche er in Maella commandirte, bestand aus fünf erprobten Bataillonen und drei Escadronen, denselben, die er bei der Verfolgung jener Generale angeführt hatte, und so eben neu ergänzt, so daß sie 4700 Mann Infanterie und 450 Pferde enthielten. Cabrera hatte die fünf Bataillone der Division vom Ebro und zwei Bataillone von Aragon bei sich, etwa 4100 Mann; seine Cavallerie aber war über 700 Pferde stark. Da Cabrera mehrere Bataillone von Aragon erwartete, verließ er am Morgen des 1. Octobers seine Stellung, um die Vereinigung mit ihnen zu erleichtern. Zugleich brach auch Pardiñas von Maella auf, um den Heranmarsch der Verstärkung zu begünstigen, die von Caspe aus zu ihm stoßen sollte.[66] Von Maella nach Favara, Südwest zu Nordost, erstreckt sich ein etwa drei Stunden langer Höhenzug, dessen obere, ganz kahle Fläche, ein Hochplateau bildend, in seiner größten Breite -- anderthalb Stunden von jedem der beiden Orte -- etwa eine halbe Stunde beträgt. Die Verbindungswege zwischen ihnen laufen zu beiden Seiten dieser Höhe in dem Grunde der sie cotoyirenden Thäler hin, von dem das nordwestliche, in dessen Tiefe das Flüßchen Nonaspe sich hinschlängelt, reich bebaut und hauptsächlich mit Weingärten und mit Olivengehölzen bedeckt ist, auch ist die Höhe dorthin sehr sanft abgedacht. Das andere südöstliche Ravin ist durch steil abfallende Wände gebildet und durch rauhe, vorspringende Felsmassen verengt; es ist mit Ausnahme von wenigen Olivenbäumen ganz ohne Cultur. Pardiñas, die von Caspe herführenden Wege zu decken, schlug natürlich, links sich wendend, den Weg längs dem Flusse ein, um nach der Vereinigung mit der erwarteten Verstärkung Cabrera anzugreifen, während dieser, ohne von der Absicht und dem Ausbruch jenes Generals Nachricht zu haben, von Favara aus gleichfalls links das schroffere südöstliche Thal hinabzog, da die Bataillone, denen er die Hand reichen wollte, von Süden her naheten. Die Eclaireurs der beiden Corps, längs den Flanken der Marschcolonnen schwärmend, trafen sich auf der Mitte des Plateaus und eröffneten alsbald das Feuer. Die beiden Generale schickten den Kämpfenden Verstärkung auf Verstärkung und zogen sich, ihrem Vortrabe folgend, nach und nach auf die Höhe des Plateaus, wo die Divisionen in Schlachtordnung auf einander stießen, so daß die Avantgarde einer jeden der Arrieregarde der andern gegenüberstand, welche die Christinos jedoch bedeutend zurückgehalten hatten. Die Front der Carlisten war jetzt nach Norden gerichtet. Die feindliche Cavallerie der Avantgarde stürzte sich auf die beiden Bataillone von Mora, welche den rechten Flügel der Carlisten bildeten, durchbrach sie, noch nicht geordnet, und säbelte sie furchtbar nieder. Das Regiment von Tortosa sprengte zu ihrer Rettung herbei, und sie konnten, von den Guiden von Aragon aufgenommen, sich rasch formiren und wieder vordringen. Die Lanciers von Tortosa aber wurden durch einen neuen, heftigen Choc gleichfalls geworfen und verloren eine große Zahl Todter, da die Christinos Alle, welche sie einholten, mit dem Rufe: „heute giebt es keinen Pardon für Euch!“ erbarmungslos niederstachen, wiewohl diese, von den Pferden springend, sich gefangen gaben.[67] Zugleich griff Pardiñas mit seiner Infanterie des Centrum die Bataillone von Tortosa an, welche auf vierzig Schritt Entfernung mit Bataillons-Salven die Massen empfingen und dann mit dem Bajonnett ihnen entgegenstürmten. Unentschieden wogte der Kampf vor und zurück. Die braven Tortosiner wichen nicht, und die Bataillone von Cordova und Afrika, eben so brav, drangen immer wieder zu wildem Angriffe. So ward die Infanterie beider Corps in furchtbarem Handgemenge vermischt, aus dem die Losungsworte ~viva Carlos quinto! und viva Isabel segunda!~ verwirrt durch einander tönten, da nicht eine einzige Compagnie in sich geschlossen geblieben war. Cabrera erkannte, daß der Augenblick der Entscheidung da war: ein Cavallerie-Angriff in solchem Chaos mußte Wunder thun. Er beorderte einige der Escadrone herbei, die so eben auf dem rechten Flügel die Fortschritte der feindlichen Reiter wieder gehemmt hatten. Aber ehe sie anlangten, stürzte er, schon leicht verwundet, an der Spitze seiner Ordonnanzen, kaum 60 Reiter, in die Mitte des Getümmels der Infanterie, mit dem Rufe: «~hay cuartel, abajo las armas!~» -- es giebt Pardon, nieder mit den Waffen! -- die Christinos betäubend. Die verwegene That hatte den herrlichsten Erfolg. Die Feinde überall mit der Infanterie von Tortosa gemischt, konnten sich nicht in Massen formiren; allgemeine Bestürzung, panischer Schrecken ergriff sie, und Pelotons, Compagnien und ungeordnete Haufen, wie sie aus dem Handgemenge sich vereinigen konnten, streckten die Waffen, Alles verloren wähnend, da sie die Cavallerie der Carlisten in ihrer Mitte sahen. Wenige flohen. Die Ordonnanzen und die herangezogenen Escadrone von Tortosa, der Infanterie das Werk der Entwaffnung überlassend, jagten an dem erstarrten Haufen der Christinos vorüber, die zagend die Gewehre niederwarfen, bis sie wieder und wieder die ganze Linie durchkreuzt hatten. In einer Viertelstunde war das Unglaubliche vollbracht. Zugleich warf sich der linke Flügel Cabrera’s auf den zurückgezogenen, auf dem Abhange stehenden Nachtrab der Feinde, bei welchem sämmtliche Bagage sich befand. Er war sofort zerstreut und floh in gränzenloser Verwirrung auf Caspe, die Vernichtung der schönen Division verkündend, worauf die zur Verstärkung derselben bestimmten Truppen dort blieben. Pardiñas hatte sich umsonst bemühet, das Gefecht wieder herzustellen; in Verzweiflung stürzte er mit der Cavallerie des linken Flügels zur Rettung seiner schon aufgelöseten Bataillone, aber die Escadrone wurden durch die Festigkeit einiger Compagnien von Tortosa geworfen und durch einen Chor der Lanciers ganz zerstreut und, in die Schlucht gedrängt, größtentheils gefangen. Bald war an die Stelle des wilden Tumultes majestätische Ruhe getreten, nur durch den jubelnden Siegesruf: ~viva el Rey!~ unterbrochen. Schon verwundet, das Pferd unter ihm getödtet, floh Pardiñas allein und zu Fuß dem Ravin zu, durch welches Cabrera’s Armee heraufgezogen war. Vom Oberstlieutenant Rufo, einem Adjudanten des Generales, zu Pferde verfolgt, gelangte er bis zu dem Grunde des Thales, vermochte aber, geschwächt durch Blutverlust, nicht mehr, die entgegengesetzte, steile Höhe zu ersteigen. Er ergriff das Gewehr eines Grenadiers, der gleichfalls fliehend an ihm vorübereilte, und zerschmetterte durch einen Schuß den Arm Rufo’s, da dieser ihn aufforderte, sich zu ergeben. Das Feuer hatte schon ganz aufgehört; so zog dieser vereinzelte Schuß einige Ordonnanzen herbei, welche, den Adjudanten ihres Generales verwundet sehend, den feindlichen Anführer niederhieben, wiewohl er als Pardiñas sich kund gab.[68] Oberstlieutenant Rufo, mit einer Schwester des Grafen von Morella verlobt, starb einige Wochen nach der Action in Valderobles, da die sogenannten Wundärzte nicht sogleich zur schwierigen Amputation geschritten waren. Die Nachricht von der Verwundung des Geliebten warf seine Braut, die liebenswürdigste von den drei reizenden Schwestern des Generals, auf das Krankenlager; sie überlebte nur um einen Tag die Schreckenskunde von seinem Tode. Der Sieg nach einstündigem, furchtbarem Ringen war vollkommen. 3500 Mann waren gefangen, über 4000 Gewehre, zwei Geschütze, 350 Pferde und die ganze reiche Bagage wurden auf dem Schlachtfelde erbeutet. Nur 800 bis 900 Mann, zum Theil unbewaffnet, entkamen nach Alcañiz und Caspe, wo sie die größte Bestürzung verbreiteten, die bald durch das ganze christinosche Spanien wiederhallte. -- Der Verlust der Carlisten war sehr bedeutend, wie solcher Kampf ihn mit sich brachte, sie zählten ungefähr 1200 Mann Todter und Verwundeter, ein Viertel ihrer ganzen Stärke. Nach dem Siegestage von Maella entsendete Cabrera drei Bataillone und zwei Escadrone unter dem Oberst Polo nach Castilien, wo sie bis in die Mancha vordrangen und, ohne Widerstand zu finden, einen großen Convoy von Lebensmitteln sammelten -- der Winter war ja nahe. -- Er selbst durchstreifte mit der Division vom Ebro Nieder-Aragon bis an die Thore von Zaragoza, während sein Adjudant, Oberst Garcia, der wegen seiner mannichfachen militairischen Kenntnisse bei dem gänzlichen Mangel an Genie-Officieren[69] deren Functionen versah, die Blockade von Caspe leitete. Llagostera aber drang von neuem in die Ebene von Valencia und bis in das Königreich Murcia vor; bei seiner Rückkehr traf er auf den General Borso und ward am 2. December bei Chiva geworfen, wobei er etwa 200 Gefangene einbüßte, welche erschossen wurden, da schon das Repressalien-System in Kraft getreten war. Doch später davon. So wie das Belagerungsgeschütz dort anlangte, war Cabrera nach Caspe geeilt; er ließ sofort die Batterien errichten, beschoß die Stadt kräftig und hatte sich schon in einigen Häusern unmittelbar neben der Mauer festgesetzt, als General van Hahlen mit starkem Corps zum Entsatz nahete. Auf seiner Flanke und in den Communicationen bedrohet, zog Cabrera seine Artillerie am 18. October zurück, hob die Belagerung auf und wandte sich nach dem Königreiche Valencia, wo Forcadell durch Überfall des Castells von Villamaleja sich bemächtigt hatte. Da van Hahlen sich sofort dahin in Bewegung setzte, stand der carlistische Feldherr nach einigen Gewaltmärschen wieder in Aragon und erneuerte die Belagerung von Caspe, die auch dann fehlschlug, weil Niemand in der Armee sich fand, der eine Mine, welche nothwendig war, mit gehöriger Wirkung anzulegen wußte. Cabrera durchzog in den letzten Tagen des Novembers noch ein Mal die fruchtbare Huerta und machte einen vergeblichen Versuch, Lucena in Valencia durch Hunger zur Übergabe zu zwingen, worauf er nach Morella ging, da die Witterung für den Augenblick jede Operation unmöglich machte. Mehrere Monate verflossen in anscheinender Unthätigkeit. General van Hahlen begnügte sich, Convoys nach den vorgeschobenen Festungen zu escortiren und im Halbkreise auf der großen Straße von Castellon nach Valencia, Teruel, Daroca und Zaragoza um das carlistische Gebiet in beobachtender Ferne sich zu bewegen. Der Graf von Morella aber arbeitete an der Completirung und Ausbildung der Armee, ersetzte das Vernichtete und Mangelnde und traf alle Vorbereitungen, um mit dem Frühjahre kräftig die Offensive ergreifen zu können, da die glänzenden Erfolge des letzten Feldzuges die Überlegenheit des carlistischen Heeres unter Cabrera’s Leitung factisch dargethan hatten. Cabrera ward schon von den Anhängern Carls V. als der Mann betrachtet, der den Krieg beenden und dem Könige den Weg zu dem Throne seiner Väter öffnen würde; in ihm concentrirten sich jetzt alle Hoffnungen. Von der Armee der Nordprovinzen erwartete, wünschte man nur noch, daß sie sich halten und so die ihr gegenüber stehenden Truppen dort fesseln möge. An endlichen Sieg durch sie dachte Niemand mehr: „Das Übrige wird schon Cabrera thun“ klang vertrauensvoll aus Aller Munde. -- Wer hätte ahnen mögen, daß Verrath die Waffenthaten des jugendlichen Helden vergeblich machen und das sinkende Gebäude der Revolution stützen werde! * * * * * Der Winter von 1838 zu 1839 sticht in der Geschichte des spanischen Bürgerkrieges blutig durch eine lange Reihe systematischer Metzeleien hervor, die das Gefühl mehr empören müssen als alle die Gräuel, welche in den ersten Jahren des Krieges verübt wurden, weil diese durch die Leidenschaft des Augenblickes und die Verhältnisse eine theilweise Entschuldigung finden könnten, während jene, nachdem lange schon menschlicherer Kriegsgebrauch herrschend gewesen, mit kalter Berechnung und an Unglücklichen Statt fanden, die, seit längerer Zeit schon gefangen, eben deshalb gegen jede Gefahr gesichert und unter den Schutz von Allem gestellt erschienen, was die Leidenschaften des Menschen bändigen kann. Ich will die Umstände darlegen, welche jene Blutscenen veranlaßten, die natürlich ganz und allein dem carlistischen General zugeschrieben wurden und gegen ihn den Abscheu der Welt häuften. Als ich in der Armee Cabrera’s ausgewechselt wurde, war ich, wie hoch ich die militairischen Eigenschaften dieses Anführers stellte, von eben so hohen Vorurtheilen gegen ihn als Menschen befangen. Ich betrachtete die Darstellung, welche die Blätter des liberalisirten Spanien von seiner Grausamkeit, seinem Blutdurst und den zahllosen Schandthaten gaben, die ihm zugeschrieben wurden, als übertrieben zwar, aber doch in ihren Grundstrichen wahr und gegründet. Daher konnte ich, wie sehr auch der blutige Krieg mit Scenen von Härte und Rücksichtslosigkeit mich vertraut gemacht, ja mich gewöhnt hatte, mit Gleichgültigkeit den Tod und das Elend der Menschen bloß als materiellen Verlust oder Gewinnst zu berechnen, dennoch nur mit Grauen auf den Mann sehen, der so jedes höhere Gefühl verleugnete, der ohne Veranlassung mit Wollust das Blut seiner Mitmenschen stromweise vergoß, und der in Anderer Jammer sein Vergnügen, sein Glück fand. Denn so schilderten ihn die Christinos, doch mit unendlich stärker aufgetragenen Farben. Während meiner Gefangenschaft brachten mich diese meine Empfindungen gegen Cabrera, da ich offen sie auszusprechen pflegte, selbst in häufige und scharfe Collisionen mit manchen Officieren der Armee von Aragon, die auch wohl die Drohung laut werden ließen, im Falle ich ausgewechselt würde, über meine Äußerungen dem General Meldung zu machen. So darf ich wohl annehmen, daß ich in meinem Urtheile über Cabrera, so fern es die von ihm erzählten, Schauder erregenden Schandthaten betrifft, nicht durch blinde Partheilichkeit und durch den Glanz, welcher für den Carlisten stets die Person des Helden Cabrera umgiebt, geleitet wurde. Sehr widerstrebend, nur wenn vollkommen überzeugt, gebe ich eine Ansicht auf, da ich einmal sie gefaßt habe. Und in der That konnte erst die genaueste Forschung an Ort und Stelle mich zwingen, meine Meinung über den Character Cabrera’s zu ändern; ich glaube aber, sorgfältig und strenge geprüft zu haben, vielleicht um desto strenger, wie das Resultat der Prüfung mehr und mehr das Gegentheil von dem mir aufdrang, was ich mit Sicherheit zu finden erwartet hatte. Da erkannte ich denn, daß Cabrera immer fest und selbst strenge war, daß er Vieles that, was in einem andern Lande oder in einem andern Kriege verdammungswürdig wäre, daher von so Vielen verdammt ist; daß er aber Alles, was ihm vorgeworfen wird, der Sache, die er vertheidigte, und den Seinen schuldig war. Hätte er weniger gethan, so würde er seine Pflicht verletzt haben, die er, so weit der Soldat es darf, stets mit der Menschlichkeit zu verbinden suchte. Freilich war Cabrera kein schwacher, jämmerlicher Wicht, der, wo er die Wuth der Revolutions-Männer zügeln konnte -- sei es, indem er in ihrem Blute diese Wuth erstickte -- wehrlos die treuen Unterthanen seines Königs ihr hingäbe. Für die Beurtheilung des von ihm gegen die feindlichen Soldaten und Gefangenen Geschehenen muß der Hauptpunkt immer im Auge behalten werden, daß die strengsten Repressalien stets gerecht, in einem Kampfe aber, wie der auf der pyrenäischen Halbinsel wüthende es war, unumgänglich nothwendig sind und selbst unendlich mehr Blutvergießen verhüten. Die schwächere, als Empörer, weil sie schwächer, gebrandmarkte Parthei würde ohne sie ganz dem Bluthasse ihrer nicht durch Rücksichten irgend einer Art zurückgehaltenen Gegner sich überliefert haben. So bluteten Hunderte, um vielen Tausenden das Leben zu erhalten. Wenige Monate nach der Ermordung seiner Mutter bemühte sich Cabrera abermals, wie früher erwähnt wurde, menschlichere Art der Kriegführung geltend zu machen. Es gelang ihm dieses endlich so weit, daß, wenn ein förmlicher Vertrag fortwährend von den Feinden abgelehnt wurde, doch der Wehrlose, anstatt wie bis dahin niedergemacht zu werden, nun gefangen wurde, und daß häufig Auswechselung dieser Gefangenen Statt fand, wie sehr auch die Exaltirten in allen Provinzen dagegen schrieen. Und wie hätten die feindlichen Heerführer sich nicht entschließen sollen, Pardon zu geben, da ja Cabrera, noch ehe sie sich dazu verstanden, viele Hunderte von Gefangenen aufgehäuft hatte und dann drohend erklärte, daß sie Alle zur Sühne geopfert würden, wenn nun das Leben seiner Freiwilligen nicht verschont werde! So erpreßte die Furcht vor der immer zunehmenden Macht Cabrera’s, was seine oft wiederholten gütlichen Vorschläge nie hatten bewirken können. Auch ward diese stillschweigende Übereinkunft während der zweiten Hälfte des Jahres 1837 und im folgenden bis nach der Belagerung von Morella treu beobachtet, und selbst der Hungertod eines Theils der Gefangenen, von dem ich erzählt habe, konnte keine Änderung darin hervorbringen, da Oráa, wohl der Schuld sich bewußt, sich hütete, deshalb als Ankläger aufzutreten oder Maßregeln der Rache dafür zu nehmen. Doch plötzlich sollte diese völkerrechtliche und den Neigungen des carlistischen Feldherrn so entsprechende Behandlung des Feindes aufhören, und an ihre Stelle traten Scenen des Schreckens, wie sie in solcher Ausdehnung gegen Wehrlose noch nicht Statt gefunden hatten. Die Action von Maella bot den Vorwand dazu. Man erinnert sich, daß die feindliche Cavallerie des linken Flügels anfangs die der Carlisten warf; sie verfolgte auf dem Fuße die fliehenden Escadrone, und wiewohl die Eingeholten, dem Gebrauche gemäß, von den Pferden sprangen und sich dadurch für gefangen erklärten, schlachteten die wüthenden Reiter diese wehrlos Dastehenden mit dem Rufe hin: „~hoy no hay cuartel para vosotros!~“ -- heute giebt es keinen Pardon für Euch! -- Etwa vierzig Lanciers von Tortosa wurden so hingemetzelt, nachdem sie sich ergeben hatten. Die christinoschen Dragoner erklärten später, daß ihr General Pardiñas beim Beginn der Action, seine Leute ermunternd, ihnen befohlen habe, nicht mit Gefangenen sich einzulassen, sondern Alles niederzustechen. Nach dem letzten verzweifelten Angriffe von Pardiñas fiel nun ein großer Theil jener Reiterei, dem Regimente Dragoner des Königs angehörend, in die Gefangenschaft eben der Lanciers von Tortosa, welche sie vorher so gemißhandelt hatten, und die trotz dem das Leben ihnen ließen. Aber Cabrera, der Feldherr, durfte nicht so die Großmuth allein hören, er mußte die Seinen rächen und Ähnlichem vorbeugen. Daher ließ er alle Individuen jenes Regimentes absondern und sofort sie niederschießen, ihnen zeigend, daß sie, indem sie Pardon verweigerten, demselben auch für sich entsagten. 180 Mann erlitten diese Strafe. Sie gehörten, wie gesagt, ohne Ausnahme jenem Regimente des Königs an, wogegen die übrigen Gefangenen, mit der gebräuchlichen Rücksicht behandelt, nach dem Depot des Orcajo abgeführt wurden. Kaum war dieser Act gerechter und nothwendiger Rache unter den Christinos bekannt geworden, als wilde Gährung der Gemüther sich bemächtigte, die durch die wiederholten Niederlagen des Heeres schon zu grimmigem Zorne entflammt waren. Ohne sich erinnern zu wollen, daß die Erschossenen selbst und ohne Veranlassung den Pardon verweigert hatten, forderte das Volk -- der Pöbel wird bei den Christinos das Volk genannt, -- forderten vor Allen die blutgierigen National-Garden laut Vergeltung für den Tod jener Schlachtopfer. Die Behörden, selbst nicht ungeneigt dazu oder sich schwach fühlend, wagten nicht, offen dem Drängen sich zu widersetzen. Um jedoch für den Augenblick die Wuth der Schreier abzulenken, und die Überzahl der Gefangenen in Cabrera’s Händen bedenkend, griffen sie zu einem Mittel, ganz der Trabanten der Revolution würdig. In Zaragoza, und dessen Beispiele folgend in allen größern Städten der Provinz, wurden plötzlich Hunderte von friedlichen Einwohnern, die sorglos ihren Geschäften nachgingen, den jammernden Familien entrissen und eingekerkert: ihr Verbrechen war, royalistischer Gesinnungen verdächtig zu sein. Sie sollten daher für die angebliche Grausamkeit der Carlisten büßen. Cabrera aber, so wie er von der empörenden Maßregel Kunde erhielt, warnte die Behörden und vorzüglich den zweiten Commandirenden in Aragon, General San Miguel, nicht solche Ungerechtigkeit weiter zu treiben; er machte ihn aufmerksam, daß nicht nur in den carlistischen Depots viele tausend Gefangene für das Leben der Eingekerkerten Bürge wären, sondern daß zahllose Liberale in dem Gebiete der Carlisten und allenthalben, wohin ihre Truppen drängen, die Mittel zu schrecklicher Repressalie böten. Unglücklicher Weise kam in demselben Augenblicke ein Ereigniß dazu, welches die schon drohend angefachte Gluth sofort in Verderben sprühende Flammen auflodern ließ. Nach den spanischen Kriegsgesetzen wird jeder Gefangene, welcher einen Versuch zur Flucht macht, wenn er ergriffen wird, mit dem Tode bestraft. Die carlistischen und christinoschen Behörden hatten unzählige Male solche Strafe über ihre Gefangenen verhängt und mit vollkommenem Rechte, da das Gesetz jedem Militair bekannt, so sie verhängte; auch war es nie der andern Parthei in den Sinn gekommen, deshalb Klage oder Drohung laut werden zu lassen. Ich selbst war wiederholt Augenzeuge solcher gesetzlichen Executionen sowohl als Gefangener, da sie gegen carlistische Soldaten Statt fanden, wie in unsern Reihen gegen Christinos, welche auf dem Versuche zur Flucht entdeckt waren. Nun zettelten die Sergeanten der Division Pardiñas im Depot zu el Orcajo eine Verschwörung an, um durch Gewalt die unbedeutende Bewachungsmannschaft, zwei Compagnien, zu entwaffnen und nach dem nicht fernen Alcañiz sich zu retten. Die Sergeanten hatten stets in der christinoschen Armee einen ungemessenen Einfluß auf die Soldaten; Bildung, Geist, ihre Stellung und festes Aneinanderschließen gab diesen ihnen, und sie spielten daher stets die Hauptrolle in den tausendfachen Emeuten vom Tumulte in den Casernen bis zur Revolution der Granja, durch welche die Verfassung des Staates umgeworfen wurde.[70] Auch in Orcajo nahm die Masse der Gefangenen den Vorschlag freudig auf. Aber ein Elender fand sich, der seine Freiheit durch Verrath an den Cameraden zu erkaufen hoffte: er zeigte das Complott an. -- Sieben und neunzig Sergeanten, stolz ihre Schuld eingestehend und rühmend, wurden dem Kriegsrechte gemäß erschossen. Cabrera aber begnadigte die verführten Soldaten und ließ den Angeber vor dem Eingange des Depots aufhängen. Da brach die Wuth der Christinos alle Schranken. Sie schleppten sämmtliche gefangene Unterofficiere aus den verschiedenen Festungen zusammen, ergänzten ihre Zahl aus den Soldaten bis auf sieben und neunzig und erschossen sie. Cabrera in hohem Unwillen drohte mit Repressalien. -- Sofort ließ van Hahlen, der gerade Oráa den Heerbefehl abgenommen hatte, allenthalben die royalistischer Meinungen Verdächtigen einkerkern und drohete, auch sie hinzurichten. Cabrera befahl, nochmals sieben und neunzig Mann zu füsiliren und verhieß strengste Rache für jeden neuen Mord, für jede neue Gewaltthat. -- Van Hahlen erklärte den Pardon für aufgehoben. Augenblicklich stand tobend der Pöbel in Valencia auf und ließ in den letzten Tagen des Octobers einen Theil der dortigen Gefangenen, Militairs und Privatleute, hinrichten; Alicante, Murcia, Zaragoza, dann alle größeren Städte folgten dem Beispiele: die Kriegsgefangenen und wegen politischer Vergehen Arretirten wurden mit Zustimmung der Behörden erschossen oder gegen ihren Willen niedergemetzelt, und die überall errichteten Repressalien-Juntas opferten zahllose Unglückliche, da für jedes von den Carlisten getödtete Individuum eine jede Junta nun auch einen Carlisten tödten wollte. Da befahl Cabrera, im Gefühle seiner Pflicht gegen die Ermordeten und gegen seine Soldaten, daß hinfort kein Pardon mehr gegeben werde: gegen die treulosen Mörder Kampf auf Leben und Tod! Den ganzen Winter hindurch wüthete das schreckliche System der Rache. Forcadell nahm Villamaleja und erschoß 55 Gefangene; in Valencia fielen fünf und funfzig, in Teruel neun, in Zaragoza acht Carlisten -- die einzigen noch vorhandenen, -- in jeder kleinern Stadt verhältnißmäßig. Borso di Carminati schlug am 2. December bei Chiva den General Llagostera und nahm ihm 200 Gefangene ab, denen er mit seinem Ehrenworte das Leben zusagte, da sie sich weigerten, die Waffen zu strecken. Van Hahlen erschien und füsilirte sie trotz der Protestation Borso’s, der erzürnt seine Entlassung forderte. Cabrera natürlich füsilirte wieder eben so viele Christinos. Doch verfolgen wir nicht so widerlich empörende Auftritte weiter in ihre Einzelheiten. Die immer wiederholten Aufstände des Volkes in Valencia und Zaragoza, die selbst mehreren Chefs der Liberalen das Leben kosteten,[71] zogen eben so viele Schlächtereien der Gefangenen und Royalisten nach sich, und als er einst gar keine von denselben in seiner Gewalt hatte, ließ van Hahlen seinem eigenen Berichte gemäß die Eltern und Verwandten der carlistischen Soldaten hervorschleppen und erschießen, die Schandthat erneuernd, welche einst Cabrera’s blinde Mutter für die Schuld und den Haß büßen machte, welche der kühne Sohn auf sich geladen hatte. Wie schonend aber dieser General bei aller strengen Wiedervergeltung, die er stets übte, zu Werke ging, geht aus dem Umstande hervor, daß bei der Abschließung des Vertrages von Lézera am 3. April 1839 noch über dreitausend Kriegsgefangene in den carlistischen Depots sich befanden, und daß er nur Soldaten, mit den Waffen in der Hand gefangen, opferte, ohne trotz aller jener Proceduren der Christinos ein einziges Mal die friedlichen Bewohner des Landes seinen Zorn fühlen zu lassen. Übrigens muß zu van Hahlen’s Ehre hinzugefügt werden, daß er sich eben so bereitwillig zeigte, die Vorschläge anzunehmen, welche Cabrera auf besondern Befehl seines Monarchen im Frühjahr aufs neue für die Abschaffung der Repressalien und feste Annahme der völkerrechtlichen Kriegsgebräuche für beide Theile machte, wie er in der Durchführung des Repressalien-Systems energisch und rücksichtslos sich bewies. So ward denn jene Convention von Lézera abgeschlossen, welche den höchsten Unwillen der Revolutions-Männer gegen van Hahlen erregte und mehr noch als das unglückliche Resultat der militairischen Operationen seine Absetzung verursachte. In der That gewährte sie den Carlisten viele Vortheile, deren vorzüglichster in dem Artikel bestand, daß die zum ersten Male Desertirten, im Falle sie wieder eingefangen würden, als Kriegsgefangene sollten betrachtet werden. Denn theils bestand ein nicht unbedeutender Theil der carlistischen Armee aus solchen Deserteuren, die, gewaltsam ausgehoben, die erste Gelegenheit benutzt hatten, um, von der Gemeinschaft mit den verhaßten Negros sich losreißend, den Vertheidigern ihres Königs und ihrer Religion sich anzuschließen. Noch mehr aber reizte sie die christinoschen Soldaten zur Desertion, die ja durch solche Clausel straflos und erlaubt wurde, während der carlistische Feldherr wohl vertrauen durfte, daß seine Freiwilligen ohne Furcht und ohne Zwang treu an ihm fest hielten. In einigen Garnisonen mußten die feindlichen Chefs nun ihre Leute strenge bewachen lassen, und doch gingen während der ersten Wochen nach dem Vertrage mehrere hundert Soldaten zu den Carlisten über. Nur zwei Personen hatte Cabrera von den Wohlthaten ausgenommen, welche jener Vertrag zusicherte; eigenhändig fügte er die Worte hinzu: „Ich will keinen Pardon und Nogueras, der Mörder meiner Mutter, erhält keinen Pardon.“ [66] Die folgende Action war eine der entscheidendsten und merkwürdigsten des Krieges, da die Truppenzahl etwa gleich, das Terrain beiden Theilen gleich günstig und dennoch der Ausgang des Kampfes für die eine Division so völlig vernichtend war. Daher erregte sie zu jener Zeit auch viel Aufsehen und Geschrei, weshalb ich sie näher detailliren werde. -- Die Notizen sammelte ich im Winter 1839 auf dem Schlachtfelde selbst von Bauern und später von vielen Officieren, welche dort mit fochten. Ich muß gestehen, daß die Darstellung der Bauern oft klarer war, als die von Manchem dieser Officiere. -- Die Bauern als ~bagageros~ waren übrigens Augenzeugen. [67] Pardiñas ertheilte beim Beginn des Kampfes, des Sieges gewiß, die Ordre, keinen Pardon zu geben. [68] In der carlistischen Armee ward der Tod von Pardiñas, über den die christinoschen Lärmmacher lautes Geschrei erhoben, gewöhnlich erzählt, wie General von Rahden in seinem Werke ihn wiedergiebt: daß Pardiñas durch Rufo, dieser durch den Grenadier gefallen sei. -- Doch bin ich von der Genauigkeit meiner Version überzeugt, da ich sie von mehreren unterrichteten Augenzeugen empfing; so von dem Oberst Don Eliodoro Gil, später Gouverneur von Cañete, der bei Maella die Lanciers von Tortosa befehligte und hohen Antheil an dem Siege hatte. [69] Capitain Bessieres, der Einzige, welcher bei der Vertheidigung von Morella die Arbeiten leitete, war, dem Heere der Nordprovinzen angehörend, mit dem Grafen Negri und Don Basilio dorthin zurückgekehrt. [70] Der Hauptanführer bei derselben, Sergeant Lucas, welcher bis in das Schlafgemach der Königinn Wittwe drang, ging bekanntlich nachher zu den Carlisten über, zeichnete sich sehr aus -- er nahm Theil an der Escalade von Morella -- ward Officier und wurde dann gefangen und füsilirt. [71] Der commandirende General im Königreiche Valencia sogar, General Mendez Vigo, wurde ermordet. XXV. Seit langer Zeit war Cabrera’s Streben darauf gerichtet, durch Kauf mit Waffen sich zu versehen. Alle die Gewehre, welche seine Armee besaß, waren den Händen des Feindes entrissen, der größtentheils aus den britischen Zeughäusern sie erhalten hatte, und die Zahl der fortwährend erbeuteten mochte wohl den täglichen Abgang ersetzen -- der unter den obwaltenden Verhältnissen ungeheuer war, da kein Kunstverständiger bei den Bataillonen sich befand, der den etwaigen Schaden sofort ausgebessert hätte -- aber unmöglich konnten sie zu der Bewaffnung der zahllosen Rekruten hinreichen, welche von allen Seiten den Fahnen Carls V. zuströmten. Die so eben in Villarluengo etablirte Gewehrfabrik, noch in ihrer Kindheit und an Arbeitern Mangel leidend, konnte sehr wenig leisten. So bildete denn Cabrera aus jenen Rekruten zwölf starke Bataillone, die vollkommen organisirt und exercirt wurden, um, sobald sie bewaffnet wären, zu den Operationen zugezogen zu werden. Leider sollte das Ende des Krieges sie fast alle in eben dem Zustande der Wehrlosigkeit finden, in dem sie ein Jahr vorher sich befanden, da alle Versuche des Generals, aus England und Frankreich Waffen sich zu verschaffen, an der Wachsamkeit der feindlichen Kreuzer und mehr noch an der Nachlässigkeit und der Gewissenlosigkeit der Agenten scheiterten. Schon waren vier starke Transporte aufgefangen. Da endlich schien das Glück auch hierin Cabrera wohl zu wollen -- und was hätte es Größeres für ihn thun können! --: ein mit zehntausend Gewehren von England abgesegeltes Fahrzeug erschien im Februar 1839 an der Küste von Catalonien, südlich vom Ebro, wohin schon sämmtliche Rekruten dirigirt waren. Aber das Meer ging unruhig, so daß das Schiff nicht der Küste sich nähern konnte, und der Eigner weigerte sich, dem Wunsche Cabrera’s gemäß, gegen vollständige Entschädigung es auf den Strand laufen zu lassen. Der Stiefvater des Generals, ein alter Seemann, der die carlistische Marine, einige große Kähne, befehligte, wagte es endlich, zu dem Schiffe hinüberzufahren, und brachte zweihundert schöne Gewehre ans Land; das Unwetter machte jeden weiteren Versuch unnütz. Am folgenden Tage sprang der Wind um, das Fahrzeug ward genöthigt, weiter in’s hohe Meer hinauszusegeln; zwei Guardacostas nahmen es unter den Augen Cabrera’s und führten es nach Barcelona. Die Hoffnung des carlistischen Heerführers, den Feldzug an der Spitze von dreißig disponibeln Bataillonen zu eröffnen, war durch dieses neue Mißgeschick vereitelt. Welche außerordentliche Resultate eine solche Vermehrung seiner Streitmacht hervorbringen mußte, begreift leicht ein Jeder, der die Erfolge zu würdigen weiß, welche er selbst ohne sie während der Campagne des Sommers errang. Sie machten ihn zum unumschränkten Gebieter des ganzen Kriegsschauplatzes und verbürgten, da sechs Generale nach einander seine Fortschritte umsonst zu hemmen gesucht hatten, die Ausführung des herrlichen Planes, durch die Unterwerfung von Castilien und die Einnahme der Hauptstadt den langwierigen Kampf zu enden. Durch die kleine Festung Montalban am Flusse Martin dominirten die Feinde einen großen Theil des Hügellandes von Unter-Aragon, so oft die carlistischen Truppen auf einem andern Theile des Kriegsschauplatzes standen; zugleich hatten sie in ihr einen willkommenen und gegen das Hochgebirge vorgeschobenen Stützpunkt für ihre Operationen in jenem Königreiche. Diese Vortheile beschloß Cabrera ihnen zu entreißen; sein Adlerauge wählte ein altes, in Ruinen zerfallenes Bergschloß zur Ausführung des Beschlossenen: Segura, drei Leguas westlich von Montalban und in der Mitte des reichen, hügeligen Distriktes, der bis zum Ebro von dem Gebirgsstock von Unter-Aragon sich hinabsenkend, bisher stets den feindlichen Colonnen offen gestanden hatte -- Segura sollte befestigt werden. Viele Schwierigkeiten bot das Unternehmen. Nachdem er die feindliche Hauptarmee unter Oráa tief nach Valencia hinuntergezogen hatte, erschien Cabrera plötzlich in Unter-Aragon, bedrohete Caspe, überschritt den Ebro, lockte die zur Deckung der Provinz zurückgebliebene Division Mir durch geschickte Bewegungen nach Zaragoza, passirte wiederum den Ebro und warf sich mit den Divisionen vom Ebro und von Aragon in Eilmärschen auf den ausersehenen Punkt. Am 7. März dort angelangt, ließ er sofort mit höchstem Eifer die Befestigungsarbeiten beginnen, während ein kleiner Theil der Truppen Montalban blockirte. Tag und Nacht arbeiteten mehrere Bataillone Rekruten, die Handwerker jeder Art wurden auf zwanzig Meilen in der Runde zusammengeholt, und einige Compagnien Sappeurs, denen Tausende von Bauern untergeben wurden, eilten von Morella herbei. Niemand durfte müßig sein, denn der General selbst legte häufig Hand an und war allenthalben gegenwärtig. So war es möglich, daß das sehr ausgedehnte und vorher nur noch in seinen Trümmern bestehende Castell in wenigen Tagen wieder hergestellt und, da einige Geschütze von Morella zu seiner Bewaffnung gebracht waren, der kräftigsten Vertheidigung fähig sein konnte, wozu die Leitung der so eben von der Nordarmee angelangten Ingenieure viel beitrug. Durch die Befestigung dieses Platzes hatte sich Cabrera zum Meister des reichsten und fruchtbarsten Theiles von Unter-Aragon gemacht, den Einfluß des feindlichen Montalban paralysirt und die Eroberung desselben erleichternd vorbereitet. Er beherrschte dadurch die Straße von Valencia und Teruel nach Zaragoza und die Verbindung dieser Stadt mit den Festungen der Christinos am unteren Ebro, und er hatte durch die weit in das bisher feindliche Gebiet vorspringende Veste, falls er sie behaupten konnte, einen herrlichen Anhaltspunkt für seine weiteren offensiven Operationen gewonnen. Die Anführer der Revolutions-Armee verkannten diese Vortheile nicht, welche den Besitz von Segura weit selbst über einen glänzenden Sieg hinausstellten. Van Hahlen kehrte eilig von Valencia zurück, während Mir in Daroca alle disponibeln Truppen des Königreiches an sich zog: Segura -- so lautete die bestimmte Ordre des Madrider Cabinets -- sollte vor Allem genommen und Cabrera dadurch in seine Schlupfwinkel zurückgeworfen werden. So rückte denn General Ayerbe, zum commandirenden General von Aragon ernannt, am 22. März mit den beiden Divisionen Mir und Parra, in 12 Bataillonen und 9 Escadronen 11000 Mann Infanterie und 1400 Pferde enthaltend, nebst acht leichten Geschützen und dem Belagerungs-Train über Muniesa bis Cortes und la Josa, etwa zwei Stunden von Segura, vor. Cabrera stellte sich mit acht Bataillonen auf einer Höhe auf, die unmittelbar den Weg berrschte, auf dem die Artillerie vor das Castell gebracht werden mußte; drei hinter einander aufgeworfene Reihen Parapete, hinter denen die Bataillone, zum Theil in Tirailleurs aufgelöset, lagen, verstärkte die Position gegen den so sehr überlegenen Feind. Am 23. griff Ayerbe an. Während seine sämmtlichen Geschütze die carlistischen Linien beschossen, stand er über eine Stunde lang auf Flintenschuß-Weite ihnen gegenüber, mit Gewandtheit manövrirend und bereit, die leichteste Blöße zu benutzen. Er bedrohete die linke Flanke, schob sich rasch links und warf sich dann, da Cabrera die rechte Flanke verstärkte, stürmisch auf den nun geschwächten linken Flügel. In einem Augenblicke war der Kampf auf der ganzen Linie allgemein geworden. Die Truppen, welche die erste Reihe der Parapete besetzt hielten,[72] flohen vor dem Andrange des Feindes und warfen sich in Verwirrung auf die zweite, welche gleichfalls aufgegeben werden mußte, nachdem die Tortosiner kraftvoll sie vertheidigt hatten. Umsonst suchte Oberst Palacios durch einen Bajonett-Angriff an der Spitze des 1. Bataillon von Tortosa die verlornen Linien wiederzunehmen: er ward umzingelt und kaum durch einen glänzenden Angriff gerettet, den der General mit der Cavallerie unternahm. Nochmals drangen die Bataillone von Tortosa und die Guiden von Aragon vor. In Massen formirt wiesen die Christinos fest sie zurück und stürzten sich sofort auf die dritte Linie, welche sie nach kurzem Widerstande nahmen und behaupteten. Die carlistische Armee -- wenn man acht Bataillone mit einigen Escadronen so nennen darf -- floh in Unordnung auf Armillas zurück, zwei Bataillone aber wurden abgedrängt und warfen sich auf Segura. Ayerbe, anstatt kraftvoll den gänzlich geschlagenen Feind zu verfolgen, blieb bewegungslos auf dem Schlachtfelde stehen und machte dadurch möglich, daß Cabrera -- echt guerrilleromäßig -- nach einer Stunde seine Bataillone vollkommen geordnet hatte und sie, keinesweges durch die nach allem Anschein entscheidende Niederlage entmuthigt, am Abend wieder zum Kampf führen konnte. Nach halbstündigem Ausruhen wandten sich die Christinos endlich gegen das Castell, recognoscirten es und bewarfen es mit einigen Haubitzen; ja sie besetzten während der Nacht das unmittelbar unter den Werken liegende Städtchen. Die Besatzung erwartete natürlich, am folgenden Morgen die Batterieen errichtet zu sehen, wiewohl sie umsonst irgend ein Geräusch der Arbeit zu erhorchen strebten, um sie durch ihre Geschütze zu erschweren. Aber Ayerbe hatte seine Artillerie am Abend zurück gesendet; er selbst trat gegen Morgen still den Rückzug auf Muniesa und von da nach Daroca an, auf dem Fuße von Cabrera verfolgt, der während der Nacht ein zur Erhaltung der Communication einige Stunden rückwärts aufgestelltes Corps angegriffen, es zersprengt und 800 Gefangene ihm abgenommen hatte. Nun verkündeten die Christinos, daß, da Ayerbe die +Recognoscirung+[73] des Castells mit so großem Erfolge ausgeführt habe, der Obergeneral van Hahlen zu der Eroberung desselben schreiten werde. Dieser rückte denn auch in den ersten Tagen des April’s sehr bedächtig über Muniesa heran und gelangte, da Cabrera eine Aufstellung rückwärts von Segura genommen hatte, ohne Hinderniß am 6. April vor das Castell; er führte 18 Bataillone und 12 Escadrone mit acht leichten und zwölf Belagerungsgeschützen heran. Am folgenden Tage recognoscirte er wiederum genau die Werke und -- -- zog sich aus Zaragoza zurück, ohne einen Schuß gegen die Veste oder die Armee gethan zu haben. Der Grund so merkwürdigen Verfahrens ist nie klar geworden, wenn man nicht etwa den Mangel an Vertrauen, welchen man seit der Belagerung von Morella in jeder Bewegung der revolutionairen Generale wahrnimmt, als solchen betrachten will. Die Christinos wütheten, da sie die Einnahme von Segura als ganz unzweifelhaft anzusehen sich gewöhnt hatten. Van Hahlen, der wenige Tage vorher den ominösen Vertrag von Lézera unterzeichnet hatte, verlor sofort das Commando, welches dem General Nogueras, dem Mörder der Mutter Cabrera’s, übertragen wurde. Bei der Nachricht von seiner Ernennung ward er vom kalten Fieber befallen[74] und legte alsbald unter dem Vorwande der Krankheit den Heerbefehl nieder, ohne während desselben je die Feinde aufgesucht zu haben, worauf General Amor interimistisch an die Spitze der Armee des Centrums trat. Brigadier Valmaseda, nach der Erschießung der fünf Generale durch Maroto zu gleichem Tode verurtheilt, langte um jene Zeit mit den beiden Escadronen, die er gebildet und auf der Flucht mit sich geführt hatte, bei der Armee des Grafen von Morella an und trat unter die Befehle desselben. Leicht erlangte dieser von Seiner Majestät die Begnadigung des wilden, aber unerschütterlich treuen Reiterchefs, dessen Escadrone fortan als die besten des ganzen Heeres sich erwiesen. Valmaseda wurde für den Augenblick nach Aragon bestimmt, wo er mit der Division dieses Königreiches operirte. * * * * * Kaum sah Cabrera mit dem Rückzuge von Van Hahlen das Unternehmen des Feindes gegen Segura gescheitert, als er mit den Brigaden Mora und Tortosa in Eilmärschen nach dem Königreiche Valencia zog, während er die Division von Aragon unter Llagostera zur Blokade von Caspe, Alcañiz und Montalban und zur Beobachtung des Hauptcorps der Christinos zurückließ, von dem er bei den Zwistigkeiten der verschiedenen Anführer bis zur definitiven Ernennung eines Generals en Chef keine kraftvolle Operation befürchtete. Er vereinigte sich mit der Division Forcadell und rückte vor Villafamés, dessen Besitz zum Herrn der reichen Ebene Valencia ihn machen sollte. Das schwere Geschütz, von Morella herbeigezogen, öffnete bald Bresche, die aber wegen Mangels an Munition sowohl, als weil gegen die Ansicht des Chefs des Geniewesens, Oberst Barons von Rahden, eine ganz unpassende Stelle für sie ausersehen war, nicht practicabel gemacht werden konnte. Dennoch befahl der General den Sturm, welchen einige Compagnien von Mora, von einem Detachement Sappeurs geführt, mit hoher Bravour ausführten. Sie erkletterten unter mörderischem Feuer den Felsen, auf dem die Mauer gegründet ist, und klimmten hinabgestürzt wieder und wieder gleich Katzen die noch zur Hälfte aufrecht stehende Mauer hinan; mehrere Freiwillige wurden selbst oben auf der Bresche getödtet. Aber der Widerstand war des Angriffes würdig; die Stürmenden flohen. Da führte Oberst Palacios das erste Bataillon seiner Brigade von Tortosa zum Sturm. Unerschütterlich erklimmte es die Bresche, dann konnte es nicht weiter gelangen. Mit schwerem Verluste standen die braven Tortosiner unbeweglich unter dem feindlichen Feuer, weder vorgehend noch weichend, bis Cabrera befahl, das Signal zum Rückzuge zu geben. Augenzeugen versichern, daß er bei dem Anblicke seiner hingeschlachteten Lieblinge Thränen vergossen habe, verzweiflungsvoll ausrufend: „Meine armen Burschen sterben, ohne Widerstand leisten zu können!“ Da der fortwährende Mangel an Munition für die Geschütze den Erfolg ungewiß machte und jedenfalls ihn sehr weit hinausschob, zog sich Cabrera bei der Annäherung des Generals Aspiroz von Castellon her zurück, die Belagerung aufhebend. Schon während derselben war Oberst Don Juan Muñoz y Polo mit drei Bataillonen und zwei Escadronen von Aragon zu einer Expedition nach Castilien entsendet und bis tief in die Provinz Guadalajara vorgedrungen. Jetzt richtete sich Cabrera selbst an der Spitze von nur sechs Bataillonen und 600 Pferden dorthin, die Division von Valencia zur Sicherung der Communication in el Turia und der Provinz Cuenca zurücklassend; er erhob bis in das Innere der Mancha Contributionen und Rekruten und kehrte dann, ohne daß der Feind sich ihm irgend widersetzt hätte, über Cañete nach el Turia zurück. Er ordnete die Befestigung jener Stadt an, die nur acht Stunden von Cuenca entfernt ist, so wie die von el Collado, einem die ganze Provinz beherrschenden Felsberge, Alpuente und Vejis in el Turia, wo Brigadier Arévalo an Arnau’s Statt das Commando übernommen hatte. Durch seine Lage über dem Guadalaviar und neben der Quelle dieses Flusses, des Xucar und des Tajo ward el Turia täglich von größerer Wichtigkeit, da durch dessen Besitz das Ausbreiten der Herrschaft nach dem südlichen Valencia und Murcia sowohl, wie in die Ebenen Castilien’s und gegen die Hauptstadt erleichtert wurde, indem es als Basis und Anhaltspunct diente. Cabrera aber, der die feindliche Armee ganz demoralisirt, die seinige an Zahl und Güte täglich zunehmen sah, wandte schon seine Blicke gen Westen, das glorreiche Ende des Krieges dort zu suchen. Daher trug er Sorge, durch die Befestigung von el Turia die Grundlage zu der Ausführung seiner großartigen Pläne zu legen, während er Cañete nach Castilien eben so kühn vorschob und mit eben den glänzenden Vortheilen in Betreff Cuenca’s und der Mancha, wie er kurz vorher das Felsencastell Segura in dem feindlichen Theile von Aragon drohend errichtet hatte. Das Hauptcorps der Christinos war indessen in Aragon beschäftigt und festgehalten, ohne jenen Zug Cabrera’s und die Befestigung der von ihm designirten Orte verhindern zu können, da Llagostera die Belagerung von Montalban unternommen hatte. Unter dem Oberbefehle desselben leitete sie der Oberst Baron von Rahden, während die Division von Aragon zu ihrer Deckung aufgestellt war.[75] Es war vorauszusehen, daß der Feind trotz dem Mangel an Einheit im Commando, welcher seit dem Rücktritte van Hahlen’s alle seine Maßregeln lähmte, das Äußerste thun werde, um die Festung zu retten, die ihm besonders für die nur aufgeschobene Unternehmung auf Segura vom höchsten Interesse war und stets bedeutende Streitkräfte der Carlisten festhalten mußte. In der That hatten die Belagerer kaum der Stadt sich bemächtigt und noch nicht die Batterien gegen die Werke des eigentlichen Forts errichtet, als General Ayerbe in der Nacht zum 2. Mai sie überraschte und in die Stadt einzog. Er verließ sie jedoch alsbald und ward auf seinem Rückmarsche kraftvoll vom Obersten Polo verfolgt, der an demselben Tage mit seiner Brigade von der Expedition nach Castilien zurückgekehrt war und sich nun der Division wieder anschloß. Eine Stunde nachher war die Blokade schon von neuem etablirt. In der Mitte Mai’s wurde die Belagerung mit Nachdruck aufgenommen; die Artillerie war von Morella angelangt und die Beschießung begann. Sogleich eilte General Amor, mit Ayerbe vereinigt, an der Spitze von funfzehn Bataillonen und zehn Escadronen von Teruel, wo er zur Beobachtung Cabrera’s sich aufgestellt hatte, der Festung zu Hülfe, schob sich zwischen die Colonnen von Llagostera und Valmaseda, welche Eifersucht trennte, warf diesen am 18. zurück und griff am 19. Mai die Division Llagostera’s bei Utrillas an. Die Christinos schlugen sich brav, durchbrachen die carlistische Linie und nahmen Utrillas, als Oberst Palacios, mit der Brigade von Tortosa vom General entsendet, nach forcirtem Marsche von sechs Leguas auf dem Kampfplatze anlangte, das Vordringen des Feindes endete und selbst durch einen glänzenden Angriff mit dem Bajonett Utrillas wieder nahm. Amor brach alsbald das Gefecht ab und zog sich auf Montalban zurück, von wo die schwere Artillerie in das Gebirge gebracht war. Kaum hatte er die Stadt nach Ablösung der Garnison verlassen, als die Geschütze wieder in den unversehrt gefundenen Batterien aufgestellt wurden und die Beschießung fortsetzten. Am 22. war Bresche geöffnet, wiewohl kaum practicabel, und der Sturm ward versucht; er scheiterte gänzlich an der Festigkeit der Garnison. Cabrera langte zugleich von seinem Zuge nach Castilien an und übernahm selbst das Commando der in Aragon vereinigten Truppen, von denen Oberst Polo von neuem mit seiner Brigade nach der Provinz Guadalajara detachirt war. Am 24. Mai zog Ayerbe mit vierzehn Bataillonen zum Entsatze heran. Cabrera erwartete ihn bei dem Dorfe Armillos, wo er auf einem niedrigen Höhenzuge eine vortheilhafte Stellung einnahm, die jedoch für seine Streitkräfte -- neun Bataillone und sieben Escadrone -- zu ausgedehnt war. So gelang es Ayerbe, nach blutigem Kampfe zugleich das Centrum zum Weichen zu bringen und durch die Besetzung des Dorfes Martin den linken Flügel der Carlisten zu bedrohen, weshalb Cabrera, die Straße nach Montalban offen lassend, eine halbe Stunde weit mit geschlossenen Massen sich zurückzog, ohne daß der Feind einen einzigen Gefangenen gemacht hätte. Ayerbe stellte die zerstörten Werke her und zog sich dann, nachdem er die Garnison verstärkt hatte, am 29. Mai über Muniesa auf Daroca. An demselben Tage waren die Batterien wieder errichtet und spielten mit erneuter Kraft gegen die Mauern der Veste. Da Cabrera nun in Person die Belagerung leitete, wurden alle Mittel aufgeboten, um das Endresultat zu beschleunigen; denn bisher hatte der Eifer des nun schwer verwundeten Obersten von Rahden vergeblich gegen die Sorglosigkeit und oft gegen den Unverstand Llagostera’s[76] angekämpft. Der größte Theil der Werke, durch Minen oder durch die Wirkung der Geschütze vernichtet, lag bald in Trümmern. Aber Sturm auf Sturm ward mit großem Verluste zurückgeschlagen; die Belagerten kämpften mit heroischem Muthe. Eine neue ungeheure Mine -- ungeheuer in Rücksicht auf die Hülfsmittel der Carlisten: sie enthielt 1800 Pfund Pulver -- ward unter ihrem letzten Réduit, der festen auf hohem Felsen gegründeten Kirche, angelegt, um den Thurm zu sprengen. Da ertönte am 8. Juni die Nachricht, daß Ayerbe eilends nahe. Cabrera befahl, die durch den Capitain vom Genie-Corps Verdeja ausgeführte Mine zu sprengen, wiewohl ihm erklärt ward, daß noch einige Fuß zur vollkommenen Erlangung der gewünschten Wirkung fehlten. Ungeheure Massen Felsen und Schutt erhoben sich gen Himmel, der Thurm wankte und -- fiel nicht, wie Cabrera noch immer gehofft hatte; ein furchtbarer Fluch verkündete die getäuschte Erwartung. Aber der über der Mine stehende Eckpfeiler des Gebäudes stürzte ein und bot eine schmale Öffnung zum Sturm dar; rasche Benutzung des Augenblickes hätte den Erfolg sichern können, aber es ward wohl eine halbe Stunde verloren, um die den Weg bedeckenden Schutthaufen zu entfernen. Die Besatzung, welche bei der Explosion entsetzt in das Innere der Kirche entflohen war, hatte ihre Posten wieder eingenommen: auch dieser sechste Sturm ward mit außerordentlicher Standhaftigkeit abgewiesen. Am folgenden Tage zog Ayerbe ohne Gefecht mit achtzehn Bataillonen und zehn Escadronen in Montalban ein. Er forderte Freiwillige aus seinem Corps zur ferneren Vertheidigung der Ruinen, aber Niemand antwortete dem Aufrufe. Da zog er am Morgen des 11. Juni ab, die Garnison mit sich führend, von der mehr als die Hälfte todt oder schwer verwundet war; fast kein Mann war ohne Wunde geblieben. Cabrera verfolgte ihn an der Spitze von 900 Reitern und griff in der weiten Ebene von la Hoz die feindliche Cavallerie an, welche die Deckung des Marsches übernommen hatte. Sie focht sehr brav, und lange wogte der Kampf unentschieden; Charge folgte auf Charge, der Boden war mit Leichen, Pferden und Waffen bedeckt. Endlich ward die Reiterei der Christinos ganz zersprengt und mit Verlust von fast 400 Pferden auf die Infanterie geworfen, welche in Masse formirt sie aufnahm und Cabrera zwang, sich entfernt zu halten, da er gar keine Infanterie bei sich hatte. Die carlistische Cavallerie hatte sich hier wie nie vorher bewährt; sie vernichtete die Überlegenheit, deren die Feinde auch in der Armee des Centrum in dieser Waffe bisher sich rühmen durften. Die herrliche Escadron von Toledo machte und empfing dreizehn Chargen hinter einander: Valmaseda’s beide Escadrone fochten mit gleicher Auszeichnung. * * * * * Die Beharrlichkeit Cabrera’s hatte endlich die Eroberung des so oft entsetzten Montalban erreicht, zu dessen Rettung die Feinde die höchste Kraft und Thätigkeit umsonst entwickelt hatten; er sah sich dadurch im ungestörten Besitze von Unter-Aragon bis zu der Heerstraße von Zaragoza nach Teruel, da die Garnisonen der Festungen Alcañiz und Caspe nun auf ihre Mauern beschränkt, ganz abgeschnitten und von gar keinem Einflusse mehr auf die Operationen waren. Über jene Straße hinaus stand aber die ganze Provinz ihm offen und bot ihm ihre Hülfsquellen. Er eilte von Montalban, dessen Werke geschleift wurden, nach dem Königreiche Valencia, wo während seiner langen Abwesenheit der Generallieutenant Forcadell, der einen Theil seiner Division in el Turia und Castilien beschäftigt sah, gegen den Feind Terrain verloren hatte. General Aznar war bis nach San Mateo, einer bedeutenden, offenen Stadt in dem nördlichen Theile der Ebene vorgedrungen und hatte die dort aufgehäuften Getreidevorräthe genommen und zerstört. Cabrera bedrohete ihn mit der Cavallerie auf der Flanke und im Rücken, schnitt ihn, da die Division del Ebro herangekommen war, von Castellon de la Plana, seinem Rückzugspunkte ab, und zwang ihn nach hitzigem Gefechte, mit 3000 Mann nach Lucena sich zu werfen, wo er sofort eng blokirt wurde, da der Mangel an Lebensmitteln baldige Ergebung hoffen ließ. General O’Donell,[77] bisher commandirender General in Guipuzcoa, war so eben zum Oberbefehlshaber der Armee des Centrum ernannt. Er eilte mit drei Divisionen zur Rettung der eingeschlossenen Bataillone und griff am 15. Juni das Heer Cabrera’s, vierzehn Bataillone, bei Alcora an, wo sie -- öfter wiederholter Fehler -- eine ausgedehnte Stellung nur schwach besetzen konnten. O’Donell durchbrach die carlistische Linie und konnte nach dreitägigem Gefechte den General Aznar befreien, wobei er jedoch ungeheuern Verlust erlitt, da er fortwährend mit seinen Massen die Tirailleurs der Carlisten bekämpfte und zur Seite drängte. Während so O’Donnell, Aragon entblößend, im Königreiche Valencia operirte, ließ Cabrera einen Theil der schweren Artillerie von Morella über Cantavieja nach Alcalá la Selva bringen, der am meisten gen Osten in der Richtung zum Turia vorspringenden Festung des Hochgebirges von Unter-Aragon. Von dort sollte sie, sobald eine Gelegenheit sich böte, nach el Turia und Cañete transportirt werden, um theils zur Garnirung der neu angelegten Festungen zu dienen, ganz besonders aber für die Ausführung der beschlossenen Operationen in Castilien zur Hand zu sein. Nichts zeigt so unzweifelhaft die Pläne des carlistischen Feldherrn für die zweite Hälfte des Jahres 1839, als diese Sendung des Belagerungsgeschützes nach dem so eben durch Befestigung gesicherten Gebiete, welches das Innere Spanien’s und selbst den Weg nach Madrid der Armee öffnete, da die Hauptstadt ohne weitere Vertheidigung, als seine eigenen, schwachen Mauern und seine Garnison, nur noch wenige Tagemärsche entfernt war. Kurz vorher hatte Cabrera auch Beteta nahe dem Tajo in der Provinz Guadalajara und zwanzig Leguas von Madrid zu befestigen angeordnet, was, ohne im geringsten vom Feinde gestört zu sein, ausgeführt werden konnte, da doch kaum 300 Mann Carlisten dauernd in der Provinz blieben. So groß war die Apathie, welche sich bereits der Christinos bemächtigt hatte! Wo immer Truppen Cabrera’s erschienen, unterwarf sich Alles unbedingt, und mit Recht klagten und höhnten die liberalen Blätter der Opposition, daß ein Sergeant mit acht Mann ungehindert ganz Guadalajara durchziehe und die Befehle seines Anführers mit Muße ausführe, während 6000 Mann Christinos in ihr vertheilt ständen, um bei dem Erscheinen einer feindlichen Guerrilla .... in die Festungen sich einzuschließen. Durch die Anlegung des Castells von Beteta -- einst ein maurisches Schloß -- machte sich Cabrera zunächst die Hülfsquellen der ganzen Provinz zugänglich und sicher; für die späteren Operationen mußte es durch seine Lage höchste Wichtigkeit erhalten. O’Donnell zog nach der Mitte Juni’s von Lucena zur Belagerung des kleinen Forts von Tales. Schon van Hahlen hatte nämlich die Stadt Onda befestigt, um durch sie in Verbindung mit Castellon und Segorve nebst den vorliegenden Vesten Villafamés und Lucena die Huerta, so reich an Hülfsquellen, gegen die Einfälle der Carlisten zu decken. Diese hatten nun über Tales, eine halbe Stunde von Onda, ein kleines Castell nebst zwei Thürmen angelegt, durch die sie der Garnison das Wasser abschnitten; diese Werke wollte daher O’Donnell vernichten. Cabrera zog ihm nach und nahm zur Deckung von Tales eine auf dessen Werke gestützte Stellung.[78] [72] Die Bataillone von Mora, merkwürdiger Weise unter guten Chefs stets die schlechteste Brigade des Heeres, welche jeden Augenblick sich zerstreute, während die Brigade von Tortosa, gleichfalls Catalanen und aus einem benachbarten Distrikte, fortwährend glänzend sich auszeichnete. -- In dieser Action durchlief bei dem Anblicke des manövrirenden Feindes ein dumpfes Murmeln die Reihen von Mora, bis sie mit dem Rufe: „Sie manövriren, wir sind verloren!“ in gänzlicher Unordnung davon liefen, ehe noch der Feind einen Schuß gegen sie that. [73] Jedenfalls war es ein ganz besonderer Gedanke, zu einer Recognoscirung den Belagerungs-Train mit so ungeheuren Schwierigkeiten durch die Gebirge mit sich zu schleppen. [74] In den ersten Jahren des Krieges einer der thätigsten Verfolger der Carlisten und mehr als jeder Andere ihnen furchtbar, vermied er seit jenem Morde jedes Zusammentreffen mit ihnen. [75] Herr General B. v. Rahden hat in seinem Werke sehr schätzbare Notizen über die Operationen des Jahres 1839 gegeben. Auch die demselben beigefügte Charte des Kriegsschauplatzes ist sehr genau. [76] Llagostera verstand Nichts von Artillerie und Genie-Wesen, dennoch überall die Leitung mit Halsstarrigkeit fordernd. Übrigens war er einer der besten Untergenerale Cabrera’s im Felde; doch nicht sehr unternehmend und rasch. [77] Die Familie O’Donell ist eine der ausgezeichnetsten Spanien’s. In diesem Kriege dienten einer jeden Parthei zwei von den vier Brüdern; der eine Christino ward von Zumalacarregui erschossen, der eine Carlist gefangen vom Pöbel zu Barcelona ermordet und aufgefressen. Der andere ward zum Verräther mit Maroto! [78] Ich habe die Operationen des Jahres 1839 nicht so detaillirt, wie meine Materialien es wohl erlaubt hätten, da General Baron von Rahden als Augenzeuge sie so meisterhaft beschrieben hat, daß ich im besten Falle nur das schon Gesagte wiederholen könnte. XXVI. Nach langer, leidenvoller Gefangenschaft war ich wieder frei. Bewunderung füllte mich für den jugendlichen Feldherrn, der aus dem Nichts seine zahlreichen Schaaren geschaffen, die wilden Guerrillas in disciplinirte Bataillone umgewandelt und mit seiner Schöpfung die Armeen geschlagen hatte, welche seit sechs Jahren in der Erdrückung der verachteten und immer herrlicher erblühenden Carlisten beschäftigt waren. Nun stand er gefürchtet ihnen gegenüber, den oft Besiegten rasche Vernichtung drohend. Ich glühte von Kampfbegierde und Sehnsucht, unter dem Helden zu streiten, auf den die Blicke aller Loyalen mit der Hoffnung des endlichen Triumphes gerichtet waren, während die Christinos mit Zagen den Tod verkündenden Namen hörten. Und dennoch, wie ich vorher schon sagte, fühlte ich Grauen, da ich der Thaten jenes Mannes gedachte: sein Bild schwebte vor mir als das des blutdürstigen Ungeheuers, wie er ja immer der Welt dargestellt wurde, der schmählich den Glanz seiner Siege durch Grausamkeit und des Abscheues würdige Schandthaten trübte. Kaum in San Mateo, einem der lieblichsten Städte unseres Gebietes, angekommen, eilte ich Urlaub zu erbitten, um den General aufsuchen und meinen Wunsch nach sofort thätigem Wirken ihm vorlegen zu können; ich konnte mich unmöglich entschließen, Wochen lang träger, erschlaffender Muße mich hinzugeben, wie sehr auch die Gefährten solches Glückes nach dem langen Dulden sich zu erfreuen schienen. Der Chef des Depots sah mich erstaunt an und -- -- schlug den erbetenen Urlaub mir rund ab. Er erklärte, daß wir, da der General die ausgewechselten Officiere zur Erholung hieher bestimmt habe, die höchste Undankbarkeit zeigen würden, wenn Jemand von uns, anstatt die gütige Fürsorge anzuerkennen, selbst zu neuer Arbeit sich darböte. Er wenigstens werde sich nie compromittiren, indem er zu solchem Schritte Urlaub gewähre. Im Innern gegen alle Mönche wüthend, die ihren Rosenkranz mit dem Schwerdte vertauschten, schied ich von dem überängstlichen Mann. Denn Oberst Alcalde, übrigens ein ausgezeichnet braver und kenntnißreicher Mann, der, den Degen in der Faust, vom gemeinen Freiwilligen zum Obersten der Cavallerie sich emporgeschwungen hatte, war bis zu Ferdinands VII. Tode Bruder eines Prediger-Ordens, in dem er durch Wissen und besonders durch seine hohe Beredtsamkeit sich so hervorthat, daß er den rühmenden Beinamen des ~pico de oro~ -- des Goldschnabels -- sich erwarb. Da es uns indessen frei stand, das carlistische Gebiet zu durchstreifen, beschloß ich, einen meiner Cameraden nach Chelva im Turia zu begleiten, um das Land und das Volk, wie unsere Lage und Verhältnisse näher kennen zu lernen. Unser Weg führte uns durch mehrere der vorzüglichsten Gebirgsketten -- Sierras -- des nördlichen Valencia. Sie erheben sich im Allgemeinen nicht zu so bedeutender Höhe, wie ich in den baskischen Provinzen, dem Zuge der Pyrenäen angehörend, sie überstiegen hatte; aber dagegen bestehen sie, furchtbar wild und rauh, aus schroffen, über einander gethürmten Felsen, durch und über welche die Pfade hinlaufen, jetzt so steil zur Schlucht sich senkend, daß die Maulthiere sitzend hinuntergleiten, und dann wieder, nicht selten ganz ohne Windung, mit stufenartig ausgetretenen, jedoch unregelmäßigen Absätzen eben so steil die gegenüberliegende Höhe hinaufstrebend. Das Gebirge war fast immer kahl, dadurch von denen Guipuzcoa’s und Vizcaya’s verschieden, welche, überall mit herrlichen Waldungen bedeckt, das Auge durch die mannigfachen Schattirungen des lachenden Grüns erfreuen, während diese nackten, finstern Felsmassen, die kaum spärliches Moos oder einzelne grünbraune Kriechpflanzen ernähren, von der Hand des erstarrenden Todes getroffen scheinen. Da stört der Schritt des Reisenden kein lebendes Wesen auf, und kein Vogel belebt durch muntern Gesang das unheimliche Schweigen der Natur; nur grün glänzende Eidechsen gleiten lautlos durch das Gerölle, und der heisere Schrei des auf den unzugänglichen Felsen horstenden Adlers dringt hoch aus der Luft drohend zum Ohre des Menschen, der mit verdoppelter Hast den lieblicheren Thälern zueilt. Und dann die Wege![79] Wie ist es möglich, daß ein Mensch ohne Herzklopfen diese -- was hier Wege genannt wird -- betritt; wie kann er gar, dem allgemeinen Gebrauche gemäß, ruhig auf seinem Maulthiere sitzend über diesen Abgründen auf dem mit losen Steinen besäeten und abschüssigen Pfade hinziehen! Der nicht an solche Art des Reisens Gewöhnte glaubt jeden Augenblick die unvermeidliche Katastrophe da; ein Fehltritt des Thieres muß in die gähnende Tiefe ihn hinabstürzen, jedes unter dem Fuße desselben hinabrollende Steinchen scheint ihn mit sich zum Verderben hinunterreißen zu müssen. Lange pflegte ich, so oft solch eine halsbrechende Stelle kam, seufzend abzusteigen, den eigenen Füßen mehr trauend als fremden, bis ich endlich, da ich regelmäßig mit Lebensgefahr einige Mal stürzte, während die Reiter sicher und ungefährdet unten anlangten, von dem Thörichten meiner Befürchtungen mich überzeugte. Da vertraute ich denn auch auf den Theilen des Weges, die allenthalben sonst als ganz ungangbar würden betrachtet sein, der Gewandtheit des Maulthieres beim Hinabsteigen mich an. -- Das Hinaufklettern bietet im Vergleiche gar keine Gefahr dar. -- Aber welche Vorsicht und welche Sicherheit zugleich entwickeln dann die klugen, dort so ganz unentbehrlichen Thiere! Mit den größten Lasten beladen schreiten sie langsam und ruhig über den Schwindel erregenden Abgründen hin; nie schwanken sie, nie gleiten sie aus; ja bei finsterer Nacht thun sie keinen Schritt auf dem gefährlichen Boden, ohne vorher mit dem Fuße das Terrain sorgfältig betastet zu haben. Auch in den Wegen tritt also die große Verschiedenheit dieser Gebirgsmassen von denen der baskischen Provinzen hervor, wo die Hauptstädte durch die schönsten Chausseen Spaniens und auch die im wildesten Gebirge gelegenen Dörfer durch fahrbare Wege verbunden sind. Denn dort sind allgemein von Ochsen gezogene Karren zum Transporte üblich, während in Valencia jedes Fuhrwerk unbekannt und ganz durch Maulthiere und Esel ersetzt ist. So wie wir aber von diesen hohen Gebirgszügen in die mannigfach gestalteten Thäler hinabstiegen, entfaltete die reiche Natur des Südens wieder ihre ganze köstliche Pracht und Fülle vor uns. Wiewohl der allgemeine Charakter der Wildheit auch hier häufig hervortritt und oft mitten in den fruchtbaren Auen ein nackter Felsblock schroff sich erhebt, wie durch eine ungeheure Macht von dem Gipfel jener Massen losgerissen und in die Thäler hinabgeschleudert,[80] so war doch der sorgfältig benutzte Boden in scharfem Contraste gegen die ungastliche Kahlheit der Gebirge mit edlen Südfrüchten, Wein und dem trefflichen Weizen bedeckt, den die pyrenäische Halbinsel so reichlich erzeugt; und die starre Rauhheit der höheren Luftschichten ging, wie wir mehr und mehr zu den Ortschaften hinabstiegen, in liebliche Lauigkeit und bald in die reine, trockene Hitze über, welche in diesen Ländern doch gar nichts Drückendes und Entkräftigendes hat, wiewohl sie oft Monate lang durch keinen Regenguß gemildert wird. Denn alle Städte und Dörfer sind in diese bezaubernden Thäler zusammengedrängt, die, oft zu Stunden weiter Breite ausgedehnt, oft auch schluchtenförmig eingeengt, als wollten die benachbarten, steil abgedachten Felsen zur Vereinigung über sie hinabstürzen, überall das Bild des regsten Lebens darbieten. Einzelne Gehöfte -- ~masadas~, ~masias~ --, schneeweiß und von Reben umrankt, liegen zerstreut zwischen den zahlreichen Ortschaften umher und lassen dem in das Thal Hinabsteigenden gleich einem jener weiten baskischen Dörfer es erscheinen, in denen jedes Haus, weit vom Nachbar getrennt, von den ihm angehörenden Ländereien umgeben ist. Dort schlängeln auch die Bäche, selten, bis sie die Ebene erreichen, zu größeren Gewässern vereinigt, durch die Gefilde befruchtend sich hin. Auf den Gebirgen dagegen findet sich fast nie ein größeres Dorf und recht oft auf vier und fünf Stunden Entfernung selbst nicht ein einziges Haus, wohl aber sieht man hie und da einen viereckigen Raum, durch eine aus losen Steinen errichtete Mauer umgränzt, zur Einschließung des Viehes bestimmt, welches, meistens Ziegen und Schafe, als zur glücklichen Friedenszeit noch nicht Freund und Feind es aufgezehrt hatten, in den unwirthbaren Schluchten seine Nahrung suchte, die freilich spärlich genug ausfallen mußte. Jetzt trafen wir sehr selten eine kleine Heerde von zwanzig bis dreißig Schafen; Cabrera hatte sie, da er aus der Mancha viele Tausende heimbrachte, fürsorglich unter die Landleute zu vertheilen befohlen, wie er denn bei jeder Gelegenheit den Landmann begünstigte, aus der drückenden Lage, in die der Krieg ihn gestürzt hatte, ihn zu heben und gegen die Anmaßungen des Soldaten zu schützen suchte. Vorher besaß die ganze, weite Sierra buchstäblich auch nicht Ein Stück Vieh mehr. Alles war requirirt und großentheils leider vergeudet worden, indem beim Beginn des Aufstandes von einer regelmäßigen Verwaltung und Benutzung der Hülfsquellen natürlich nicht die Rede sein konnte. * * * * * Die Bevölkerung dieses ganzen Theiles von Valencia war entschieden carlistisch gesinnt; ich habe stets gefunden, daß der Kern des Volkes es allenthalben gleich war, wenn man etwa die Andalusier ausnimmt: sie sind Nichts. Cabrera’s Armee bestand fast allein aus Valencianern, Aragonesen und Cataloniern; sehr wenige Castilianer fanden sich in ihr, und diese in der Division del Turia, da die während der Expeditionen in den letzten Jahren sich anschließenden Freiwilligen den Rekruten-Bataillonen zugetheilt wurden, welche nie konnten bewaffnet werden. Die Aragonesen aber waren weit zahlreicher im Heere, als jede der beiden andern Völkerschaften. Der Bewohner von Nieder-Aragon ist ungebildet und selbst roh, aber zugleich bieder und treuherzig; seine unbezwingbare Halsstarrigkeit, welche das Sprüchwort der der Vizcainer gleichstellt, wird nur durch die Grobheit übertroffen, die er über Jedermann ohne Ansehn der Person ausschüttet und die sein ganzes Wesen, wie ein unveränderlicher Grundstoff, durchzieht. Selbst in den größeren Städten, in denen die dort einheimische Verderbtheit dem Charakter einen Anstrich von Treulosigkeit und Gefühllosigkeit gegeben hat, welche so oft zu den entsetzlichsten Excessen führten, hat jener grobe rücksichtslose Starrsinn nicht verwischt werden können. Dabei ist der Aragonese tief religiös gesinnt, was bei dem Zustande seiner Cultur stets in den krassesten Aberglauben ausartet, und auch in den Ausbrüchen der Leidenschaft, die bei ihm so furchtbar sind, wird er nie die höchste Achtung und Ehrfurcht vor Allem, was die Religion geheiligt hat, aus den Augen setzen. Das Bild der Jungfrau von Zaragoza,[81] der Schutzherrin von Aragon, trägt er stets als wohlthätiges Amulet auf dem Busen geborgen; an sie richtet er sein kurzes, glühendes Gebet, sie wird, so vertraut er fest, in der Todesstunde ihren Schützling segnend umschweben. Körperlich kräftig gebaut, untersetzt, oft selbst plump, ist der Aragonese einer der besten Linien-Soldaten Spaniens, so lange er durch strenge Disciplin gefesselt ist; wo sie irgend erschlafft, wo er gar in den Vorgesetzten Schwäche wahrnimmt, wird er sofort das Joch der Subordination von sich schütteln, und schwer ist es dann, ihn wieder zur Ordnung zurückzuführen. Daher waren die Bataillone von Aragon unter Cabañero’s schwacher Leitung stets undisciplinirt und zu jeder Unordnung, vor Allem zu Plünderung und Marodiren geneigt, was das Mißlingen manches Unternehmens veranlaßte -- so des Angriffes auf Zaragoza. -- Seit aber Llagostera, der jedoch zum Theil durch seine grobe Härte -- auch er ist Aragonese, -- weit mehr noch durch manche andere Fehler, besonders Habsucht, den Haß seiner Soldaten auf sich zog, den Oberbefehl der Division übernommen hatte, zeichnete sie sich durch Organisation und Disciplin sowohl, wie im Kampfe fortwährend aus. Der Aragonese wird übrigens mit eben der Festigkeit gegen eine feindliche Veste geschlossen zum Sturm vorgehen, mit der er als Tirailleur Stunden lang Schuß auf Schuß mit dem gegenüberstehenden Gegner wechselt, in Masse formirt die Cavallerie bis auf zwanzig Schritt sich nahen läßt oder auf der Bresche mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit dem Andrange des stürmenden Feindes sich entgegenstemmt. Doch wird er sich oft ohne Nutzen aufopfern, um nur nicht weichen zu müssen. Ganz verschieden von dem Sohne des rauheren Aragon ist der Valencianer. Leicht und gewandt ist er furchtbar im ersten Sturm des Enthusiasmus, der aber eben so rasch verfliegt und dann gänzliche Erschlaffung zurückläßt; weichlich, wie Klima und Lebensart natürlich ihn machten, ermüdet er schon, wo sein aragonesischer Camerad, der zwar anfangs langsameren Schrittes ihm folgte, der inwohnenden Kraft wahrhaft sich bewußt wird. Im Valencianer ist Nichts fest und entschieden: er schwankt wie das Rohr vor jedem Winde und folgt augenblicklich dem eben gegebenen Impuls, um durch den nächsten in vielleicht ganz entgegengesetzte Richtung sich werfen zu lassen. Er ist scharfsinnig und listig, ohne Treue und Glauben; ein Wort reizt ihn zu brausendem Zorne, und er stürzt sich auf den Beleidiger, das lange Messer ihm durch die Brust zu stoßen; aber eben so rasch besinnt er sich, zieht sich lächelnd zurück und -- erwartet den wehrlosen Feind hinter einer Ecke verborgen, um im Dunkel der Nacht unbestraft seine Rache an ihm zu kühlen. Die valencianischen Truppen taugen nur zum ersten, raschen Angriff, wenn die Entscheidung augenblicklich herbeigeführt werden kann; so sind sie auch wohl zu dem unregelmäßigen Gefechte der ursprünglichen Guerrilleros geeignet,[82] denen der Kampf fast nur in Überfällen, Hinterhalten und Fliehen besteht. In dem schon regelmäßig organisirten Heere Cabrera’s dagegen waren die Bataillone der Division von Valencia immer die am wenigsten disciplinirten und wurden in jeder Hinsicht als die unzuverlässigsten und schlechtesten angesehen. Zu festem, regelmäßigem Linien- und Massenkampfe mit den Colonnen der christinoschen Infanterie taugten sie gar nicht: sie wurden augenblicklich gebrochen und in wilde Flucht geworfen, denn geordneter Rückzug war ihnen unbekannte Sache. Bei dem Anblicke der Cavallerie aber pflegten sie, wenn nicht durch das Terrain gesichert, sich zu zerstreuen, indem ein Jeder für sich im Laufe sein Heil suchte. Und sie liefen leicht mit den Pferden um die Wette. -- Daher schlug Cabrera alle seine siegreichen Actionen mit den Divisionen von Aragon und vom Ebro. Diese letztere hat den höchsten Ruf erworben: doch müssen dabei ihre beiden Theile streng gesondert werden. Sie bestand aus Cataloniern, den Landsleuten Cabrera’s, welche indessen mit den echten Cataloniern wenig gemein haben und ihnen selbst nicht angehören wollen: sie nennen sich Tortosinos und sehen mit gleicher Eifersucht auf Valencia und Catalonien, keinem von beiden sich zurechnend. Es sind die Bewohner des Ebrothales und des kleinen Theiles dieses Fürstenthumes, der sich südlich von dem Strome hinzieht. Sie bilden den Übergang von dem rauhen, braven Aragonesen zu dem geschmeidigen und weichlichen Valencianer, indem sie viele der bessern Eigenschaften der beiden Nachbarvölker in sich vereinigen und von deren Fehlern auch nicht ganz frei geblieben sind. Sie haben neben der unverwüstlichen Kraft und Ausdauer des Aragonesen die Körpergewandtheit und Leichtigkeit der Valencianer erhalten, deren auflodernde Heftigkeit und Rachsucht sie dafür auch theilen. Bieder und treu im Umgange verbinden sie damit die Schlauheit, durch die sie ihren Vortheil wohl zu wahren wissen. In Betreff des militairischen Werthes dieser Süd-Catalonier muß wohl die Brigade von Mora, welche von ihren eigenen Officieren geführt wurde und nicht unter dem Einflusse von so vielen einwirkenden Umständen war, als Grundlage für die Beurtheilung angenommen werden. Sie sind demnach entschieden brav und fest beim Angriffe, tollkühn beim Sturm; aber selbst angegriffen verlieren sie leichter die Ruhe und Besonnenheit, und es ist vorgekommen, daß sie, ehe der Feind auch nur einen Schuß auf sie that, fliehend sich zerstreuten, da er durch langes Manövriren, dem sie sich nicht gewachsen glaubten, ihr anfängliches Feuer in Muthlosigkeit erkalten machte. Doch waren sie leicht disciplinirt und ertrugen standhaft jede Beschwerde. Ganz verschieden aber zeigte sich stets die Brigade von Tortosa, die Garde des Grafen von Morella, zuletzt vier Bataillone stark. Sie focht mit hoher Auszeichnung immer gleich kaltblütig, gleich brav und entschlossen, und wie sie wahrhaft der Kern war, um den die Armee nach und nach sich gebildet hatte, so wurde sie auch die Elite derselben. Sie war begeistert durch das Gefühl, daß der angebetete General, den sie überall begleitete, als Landsmann und als Schöpfer ihr angehöre, und sie verrichtete heroische Thaten, um der Vorliebe eines solchen Führers sich würdig zu zeigen. Unendlich Viel trug zu dieser Überlegenheit der Brigade von Tortosa über ihre Brüder von Mora ohne Zweifel der Umstand bei, daß Cabrera alle die ausgezeichnetsten Officiere der Armee, einen Jeden, der durch eine hohe Kriegerthat hervorleuchtete, zur Ergänzung der täglich in jener Brigade geöffneten Lücken[83] bestimmte. Und was hätte er mehr thun können, um sie zu heben! So durfte sie in Disciplin, Bravour, unerschütterlicher Festigkeit und Ausdauer den Elite-Truppen der ersten Armeen Europa’s an die Seite gestellt werden. In äußerer Ausschmückung stand sie freilich weit hinter ihnen. Wie seine Officiere wußte Cabrera auch die Vorzüge und Schwächen seiner Truppen genau zu beurtheilen und sie immer dahin zu stellen, wo sie ihrer Eigenthümlichkeit wegen den meisten Erfolg hoffen durften. Die Division von Valencia sehen wir daher fast nie bei einer regelmäßigen Action genannt, sie wurde gewöhnlich in kleineren Detachements in der Art des Guerrilla-Krieges in den Provinzen verwendet, in denen das Terrain auch dem Feinde die Entwickelung seiner Massen nicht gestattete. Daher war sie besonders im gebirgigen Theile von Valencia, im Turia und in der Provinz Cuenca höchst thätig, während Cabrera mit den andern Divisionen in die ebeneren Provinzen, die Huerta, das westliche Aragon, Mancha und Guadalajara sich ausdehnte. * * * * * Am 31. Juli langten wir in Chelva an, einem niedlichen Städtchen nicht fern vom Guadalaviar, umgeben von Weinbergen und reizenden Gärten, in denen alle Arten von Südfrüchten prangten. An demselben Tage wurde ich dem Brigadier Arévalo vorgestellt, welcher damals en Chef die Provinz del Turia und die Division von Murcia commandirte, die er, ein erfahrener Militair, der seit dem Unabhängigkeits-Kriege in dem königlichen Heere gedient hatte, täglich mehr hob. Er sagte, daß er einen Angriff des Feindes erwarte, und erlaubte uns gern, da er zu schlagen entschlossen war, für diesen Fall seinen Truppen uns anzuschließen, wie er denn überhaupt durch höchst feine Bildung und Artigkeit vortheilhaft vor vielen unserer andern Chefs sich auszeichnete, die nur brave Soldaten und gute Anführer waren. Der folgende Tag war in Lust und Scherz hingegangen, indem einige Officiere der dortigen Division in die tausendfachen Annehmlichkeiten der Stadt und ihrer köstlichen Umgebung uns einzuführen bemüht waren. Nachdem wir lange zu Pferde umhergestreift und dann dem üppigen Nationaltanze zugeschaut hatten, zogen wir uns nach Mitternacht vom Kaffeehause nach unserm bequemen Logis zurück, wo die Wirthinn, eine ausgewanderte Murcianerinn, uns schwellende Betten bereitet hatte, wie wir seit Jahren so einladend sie nicht gesehen, mit dem Gaze-Netze gegen die Mosquitos sorglich versehen. Da weckte uns früh Morgens am 2. August das Wirbeln der Trommeln, wir erfuhren, daß eine feindliche Colonne gegen Chulilla heranziehe, weshalb die zwei Compagnien, welche in Chelva sich befanden, dorthin eilten. Es war die Brigade Ortiz, welche, 3000 Mann Infanterie und 400 Pferde stark, mit zwei Feldgeschützen von Valencia entsendet war, um die kaum begonnene Befestigung von Chulilla zu zerstören und dann gegen die Colonne Arévalo’s zu operiren. Um acht Uhr Morgens waren wir in dem nur zwei Stunden entfernten Chulilla angelangt, einem kleinen, freundlichen Dorfe, über dem ein isolirter Felsen an den Guadalaviar gelehnt sich erhebt, der zur Errichtung eines Castells benutzt war, um dadurch sowohl el Turia nach Südwesten hin zu decken, als den Übergang über jenen Fluß und die Einfälle bis zum Xucar und in das Königreich Valencia den Unsern zu sichern. Kundschafter erschienen indessen von Minute zu Minute, die Bewegungen des Feindes zu verkünden; doch Arévalo blieb ruhig in dem Dorfe, wo den von allen Seiten sich vereinigenden Compagnien Brod und Wein nebst Munitionen ausgetheilt wurde. Erst als ein Bauer[84] die Nachricht brachte, daß die Negros nur noch eine kleine Stunde entfernt seien, schwang er sich auf’s Pferd und stellte sich an die Spitze der Bataillone; ich folgte ihm mit einigen Adjudanten auf einem Bergpferdchen, dem einzigen, welches ich hatte auftreiben können, und so klein, daß meine Füße nicht selten auf dem unebenen Boden streiften. Etwa eine Viertelstunde von Chulilla entfernt zog sich der Weg zwischen zwei leichten Anhöhen hin; dort stellte Arévalo die drei Bataillone, welche sich vereinigt hatten, mit dem rechten Flügel an den Guadalaviar gelehnt, auf, während der linke einige Landhäuser besetzt hielt. Die Grenadiere und Jäger standen, in Tirailleurs aufgelöset, etwa vierhundert Schritt vorwärts in den Weinfeldern, und 40 Pferde wurden dem Feinde entgegengeschickt. Fast drei Escadrone waren in Chulilla zurückgeblieben. Kaum waren jene Dispositionen getroffen, als auf dem vorliegenden Höhenkamme die dunkele Colonne der Christinos sichtbar wurde, höchstens 2000 Schritt entfernt; sie zog langsam herab und rückte dann in drei Bataillons-Massen gegen unsere Stellung an, eine starke Tirailleurs-Linie vor sich ausbreitend und die Cavallerie auf beide Flügel vertheilt. Ich hatte mich, eine Büchse in der Hand und die Patrontasche um den Leib geschnallt, der Grenadier-Compagnie des 1. Bataillon del Turia angeschlossen, welche nahe am Guadalaviar vorgeschoben war; pochenden Herzens und glühend von Ungeduld erwartete ich den Angriff der Feinde, jetzt da ich zum ersten Male nach so langer, schmerzlicher Ruhe, nach den tausendfachen Unbilden, die ich durch sie gelitten hatte, den Gehaßten mich gegenüber sah. Die Christinos drangen auf der Heerstraße fest vor, rechts und links durch die Cavallerie und einige Compagnien Infanterie gedeckt. Sie warfen mit Leichtigkeit die beiden Compagnien, welche dort sie empfingen, und erstiegen geschlossen die Anhöhe, auf der unsere Bataillone aufgestellt waren. Zugleich stürzte eine Escadron, welche im Trabe dem Flusse entlang avancirte, sich auf die Grenadiere, denen ich mich zugesellt hatte, und zwang uns, in ein nahes, mit niedrigen Weinstöcken besetztes Feld uns zu werfen, wo zwei Compagnien sofort mit dem Bajonnett uns angriffen. Einen Augenblick wichen die Grenadiere, die rechte Flanke der carlistischen Stellung entblößend. Aber sofort von ihren Officieren gesammelt und geführt, drangen sie wieder vor, trieben mit dem Rufe: ~viva el Rey!~ die beiden Compagnien vor sich her und nahmen das verlorene Weinfeld wieder, wobei sie zwanzig Gefangene machten. Die Hauptmasse des Feindes aber rückte kräftig im Centrum vor, die carlistischen Tirailleurs mit einigem Verluste vor sich herschiebend, und seine beiden Escadrone des rechten Flügels jagten die dorthin gezogenen 40 Lanciers in die Flucht, zersprengten die Elite-Compagnien, welche nicht mehr Zeit hatten, sich in Masse zu bilden, und bedroheten die linke Flanke und selbst den Rücken unserer Bataillone in dem Augenblicke, in dem sie den Angriff der feindlichen Massen erwarteten. Die Lage der Dinge war kritisch; Mancher verfluchte wohl die Unvorsichtigkeit des Brigadiers, der unsere Reiterei unthätig in Chulilla ließ. Da erschien plötzlich auf der Höhe, von welcher der Feind herabgestiegen war, ein starker Trupp Cavallerie, in eine dichte Staubwolke gehüllt; die Christinos verstärkend mußte er sofort unsere Niederlage entscheiden. Beide Colonnen standen bewegungslos, ungewiß, wem die im scharfem Trabe Nahenden Hülfe brächten, als ein langer Jubelschrei: ~son los nuestros!~ -- die Unseren! -- durch die Linie der Carlisten ertönte: die rothen und weißen Baretts leuchteten durch den aufquellenden Staub. Die drei Escadrone, welche Arévalo in dem Dorfe zurückließ, hatten dort den Fluß passirt, auf dem jenseitigen Ufer den Feind umgangen und fielen ihm nun in den Rücken, auf das linke Ufer zurückgekehrt. Mit dem Losungsrufe ~viva Carlos quinto!~ stürmten sie gegen das nächste Bataillon der Christinos; großentheiles aus Rekruten bestehend, zerstreute es sich und riß auch das zweite Bataillon, das umsonst dem Drange sich zu entziehen suchte, in die Flucht fort. Arévalo gab zugleich das Signal zum allgemeinen Avanciren, und die sechs Elite-Compagnien warfen sich mit dem Bajonnette von vorn auf die nach allen Seiten Fliehenden, so die furchtbarste Unordnung erzeugend. Das eine Detachement der feindlichen Cavallerie ward gleichfalls zerstreut, da es zur Rettung der Infanterie unsere Escadrone chargirte, das andere stärkere floh, ohne zu kämpfen, auf Chiva. In einer halben Stunde war die ganze Colonne vernichtet, und die wilde Verfolgung der Fliehenden ward bis zum Abend fortgesetzt. Nur die Jäger und Grenadiere der Bataillone waren zum Schuß gekommen und hatten etwa 120 Mann an Todten und Verwundeten eingebüßt. Dagegen wurden an jenem und dem folgenden Tage 1200 Gefangene nebst siebenzig Pferden und einer genommenen Kanone nach Chelva gebracht; die andere hatten die Artilleristen auf der Flucht in einen Brunnen gestürzt, wo sie unentdeckt blieb, bis einige Wochen später eine andere Division der Christinos sie herauszog und davon führte. Übrigens hatte der Feind, welcher nur 71 Todte aus dem Schlachtfelde ließ, von seinen Geschützen gar keinen Gebrauch gemacht. Zweitausend Gewehre waren erbeutet, von denen die besten zur Bewaffnung einiger neu gebildeten Compagnien und zur Ergänzung der in der Division von Murcia fehlenden benutzt wurden, worauf Arévalo den Rest an den General Forcadell ablieferte, welcher damit das 7. Bataillon der Division von Valencia bewaffnete. Die Brigade Ortiz erschien nicht wieder im Felde. Uns aber empfing, da wir am Abend mit einem Theile der Gefangenen nach Chelva zurückkehrten, das Jubelgeschrei der treu carlistisch gesinnten Einwohner, gegen deren Insulte mit einiger Mühe die wehrlosen Christinos geschützt wurden. Sie bestanden fast ganz aus jungen, unbärtigen Männern aller Provinzen und schienen, vor wenigen Monaten mit Gewalt dem väterlichen Hause entrissen, nun fast erfreut, da ihre militairische Laufbahn für das Erste beendet war. [79] Die Bewohner des Landes bezeichnen diese Wege mit dem nicht unpassenden Ausdruck der ~caminos reales de perdices~ -- Rebhühner-Chausseen. -- [80] Der Volksglaube knüpft an diese isolirten Blöcke manche Sage und manchen Aberglauben. Einen derselben sollte Orlando -- Roland -- durch einen Fußtritt von einem benachbarten Felsberge hinabgeworfen haben, auf dessen Gipfel eine Lücke von ähnlicher Gestalt sichtbar ist. Nicht fern davon ist eine ungeheure Spalte in einem Felsen: Orlando öffnete sie mit einem Hiebe seines Schwerdtes im Kampfe gegen die Araber u. s. w. [81] Als ~Nuestra Señora del pilar de Zaragoza~ -- unsere Herrin von der Säule von Zaragoza -- in ganz Aragon enthusiastisch verehrt. Die Capelle der Cathedrale, in der ihre auf einer Säule stehende Statue von Gold bewahrt ist, soll die prachtvollste der Halbinsel sein. Espartero suchte sich die Gunst der Aragonesen zu versichern, indem er bei seinem Durchzuge im Herbst 1839 der Jungfrau seine Ehrfurcht bewies; das Volk aber behauptete, er habe gar nicht die gehörigen Formen beachtet und sich benommen, als ob er zu hoch stehe, um ihre Jungfrau anzubeten. [82] Dagegen taugten sie zu solchen nicht so gut, weil sie die Strapatzen einer solchen Kriegsart nicht zu ertragen wußten. [83] Die Division, zu jedem schwierigen Unternehmen unter den Augen des Generals verwendet, litt immer ungeheure Verluste, so daß sie endlich aus lauter unbärtigen Jünglingen bestand. Die Officiere aber fielen natürlich stets die Ersten. [84] Wo die Carlisten in ihrem Gebiete waren, ermüdeten sie selten die Truppen mit Vorposten-Dienst: jedes Dorf mußte die geringste Bewegung des Feindes sofort durch Eilboten melden und während der Nacht jeden Weg durch einen Posten bewachen lassen, so daß die Truppen durch mehrfache Reihen wachsamer Bauern geschützt waren. XXVII. Mehrere Wochen waren seit meiner Ankunft im Turia auf die angenehmste Weise verflossen. Das Gefühl, wieder unter den Meinen, wieder frei zu sein, würde ja das elendeste Gebirgsdörfchen zum lieben Aufenthalte mir gemacht haben; wie hätte ich da nicht überglücklich in dem reizenden Chelva sein sollen, wo eine ausgewählte, wahrhaft gebildete Gesellschaft sich vereinigte, da nicht nur die Familien vieler höheren Officiere und Beamten, sondern auch noch weit mehr aus den nahen, dem Feinde unterworfenen Provinzen vertriebene oder freiwillig ausgewanderte Carlisten dort sich niedergelassen hatten. Dazu kamen die eben so belehrenden wie heiteren Stunden, welche ich in Arévalo’s Gesellschaft, so oft er in Chelva war, zubrachte, die Tertulias in seinem Hause und die Spatzierritte, zu denen er täglich in der Kühle des Nachmittags mich einlud, da er seit dem glücklichen Gefechte von Chulilla durch ganz besonderes Wohlwollen mich ehrte. So begleitete ich ihn auch zu einer militairischen Promenade mit zwei Bataillonen und zwei Escadronen südlich vom Guadalaviar auf Chiva -- unglücklichen Andenkens, da die Expedition des Königs dort von Oráa geschlagen wurde -- und dann gen Westen über Buñol nach Castilien, wo wir einen Tag in dem schönen Handelsstädtchen Utiel rasteten, um von da über Tuejar nach Chelva zurückzukehren. Wir hatten nirgends den Feind gesehen, schleppten aber einen nicht unbedeutenden Convoy von Lebensmitteln und vierzehn Maulthierladungen von Tuch und Schuhen mit uns, die, für O’Donnell’s Armee bestimmt, auf der großen Heerstraße von Madrid nach Valencia von uns aufgefangen waren. Es war natürlich, daß meine durch den Jammer der anderthalbjährigen Gefangenschaft ganz zerrüttete Gesundheit unter dem Zusammenwirken so vieler wohlthätigen Umstände täglich mehr und mehr aufblühte. Wenige Tage nach unserer Rückkehr, am 24. August, kam Cabrera, von Niemand erwartet, mit einer kleinen Escorte seiner Tortosiner in Chelva an; andere Bataillone von allen Divisionen sollten nebst zahlreicher Cavallerie theils auf dem Marsche nach dem Turia und der Provinz Cuenca begriffen sein, theils schon in den umliegenden Ortschaften sich befinden. Auch Oberst Polo -- seit kurzem mit einer Schwester des Grafen von Morella vermählt -- welcher mit fünf Bataillonen zu einem neuen Zuge nach Castilien detachirt wurde, während der General den feindlichen Oberfeldherrn mit seiner ganzen Armee bei Tales einige Wochen festhielt, war so eben mit bedeutenden Geldsummen durch la Mancha zurückgekehrt, einige dreißig tausend Schafe den Gebirgen zutreibend, wo sie sofort unter die Bauern vertheilt wurden. Alle Maßregeln deuteten auf die nahe Ausführung hoher Pläne, und Officiere und Soldaten, wenn auch noch ungewiß, wohin ihr angebeteter Feldherr jetzt sie zu führen beabsichtige, vertrauten jubelnd, daß die nächste Zukunft Großes bringen werde. Wir sahen, wie Cabrera, da er General Aznar’s Rettung nicht hatte hindern können, zur Deckung der schwachen bei Tales errichteten Werke, eines kleinen Castells und zweier einfach runden Thürme, dem General O’Donnell gegenüber sich aufstellte. Es darf nicht übersehen werden, daß dieser General den größten Theil seiner disponibeln[85] Armee, 17 Bataillone und 11 Escadrone mit 17 Geschützen, dort vereinigt hatte, während er nur kleine Colonnen von zwei oder drei Bataillonen -- doch mit zahlreicherer Cavallerie, die in jenem Terrain selten Anwendung fand -- in den übrigen Provinzen seines Commandos zur Beobachtung der Carlisten zurückgelassen hatte, deren Hauptmacht er natürlich unter Cabrera’s Befehl sich gegenüber wähnte. Dieser aber entsendete nach und nach von den 14 Bataillonen und 7 Escadronen, welche er nach Tales führte, die größere Hälfte nach den vom Feinde entblößten Theilen des Kriegsschauplatzes und blieb mit nur 7 Bataillonen und 2 Escadronen in den Schluchten und Abhängen nahe Tales stehen, den Feind durch gewandt berechnete Manövres und Listen glauben machend, daß er fortwährend das ganze Corps vor sich habe, wobei die unbedingte Ergebenheit der Einwohner trefflich ihn unterstützte. Ja selbst von jener unbedeutenden Macht detachirte er noch drei Bataillone und fast die ganze Cavallerie auf längere Zeit, die Communicationen des Feindes mit Castellon de la Plana und Valencia bedrohend. Durch solche Täuschung irre geleitet, operirte O’Donnell vierzehn Tage lang nur mit äußerster Behutsamkeit und Zeit raubender Vorsicht gegen die kleine Schaar Cabrera’s. Als er aber endlich den Betrug erkannte und die kostbare Zeit, welche er unnütz dort verloren hatte, während die übrigen carlistischen Truppen weithin das christinosche Gebiet beherrschen und ausbeuten durften; da erst griff er in blindem Zorn eben so fehlerhaft, wie er vorher gezaudert, mit allen seinen Truppen in Masse die Stellung der Carlisten an, die er so lange kaum zu betasten wagte, und erkaufte den Besitz eines nutzlosen Thurmes mit dem Blute von Tausenden seiner Krieger.[86] Schon am 1. August hatte O’Donnell seine Batterien gegen das kleine, nur funfzig Mann fassende Castell und die beiden, noch weit unbedeutenderen Thürme errichtet; da jedoch die Stellung Cabrera’s eine größere Annäherung ohne Kampf nicht zuließ, waren die Batterien so entfernt, daß sie fast gar keinen Schaden thun konnten. Die Carlisten harcelirten fortwährend die feindliche Armee, bald hier, bald dort erscheinend und so ihre Schwäche verbergend. Am 4. August zerstörten sie selbst einen großen Theil der feindlichen Arbeiten, und am 6. jagten sie alle avancirten Posten in gänzlicher Verwirrung auf das Hauptcorps, worauf sie am folgenden Tage den Versuch O’Donnell’s, eines vorwärts neben dem Castell liegenden Felsens sich zu bemächtigen, mit Verlust zurückwiesen. Die Scharmützel dauerten während der nächsten Tage ununterbrochen fort, ohne daß das Feuer der Batterien gegen die Werke oder die furchtsamen Demonstrationen der Armee gegen die Bataillone Cabrera’s entscheidenden Effect gehabt hätten. Erst am 14. August, da die Feinde durch die Unvorsichtigkeit der Carlisten[87] von deren Schwäche unterrichtet waren, stürmten sie mit Aufbietung aller ihrer Kräfte die nur durch vier Bataillone vertheidigten Stellungen derselben, welche sie auch alsbald nahmen, den linken Flügel nach hartnäckigem Widerstande aus dem Dorfe Suera baja vertreibend, worauf sie es niederbrannten. Sie bemächtigten sich dann der beiden Thürme -- ein jeder war durch funfzehn Mann vertheidigt -- und verbrannten auch das Dorf Tales, wurden aber bei dem Sturme auf das Castell zurückgeschlagen, weshalb sie nun ihre Batterien nahe demselben aufführten. Cabrera, der am Morgen in den vordersten Reihen der Tirailleurs mehrere Male nur durch das sehr gebrochene Terrain dem andringenden Feinde entkommen war, stürmte am Nachmittage mit zwei Bataillonen von Tortosa wieder vor, warf die ihm entgegenstehenden Massen über den Haufen und stand während der Nacht einen Flintenschuß weit von der am Morgen verlorenen Stellung. Als er aber am folgenden Tage, durch die detachirten drei Bataillone verstärkt, zu neuem Angriffe eilte, fand er das Castell in der Gewalt des Feindes: die kleine Garnison hatte es auf Befehl des Gouverneurs geräumt. Dieser wurde, da er Ordre erhalten hatte, bis auf den letzten Mann sich zu vertheidigen, nach dem Ausspruche eines Kriegsgerichtes erschossen. O’Donnell zog sich auf Castellon de la Plana. Sein Heer war selbst in dem errungenen Erfolge außerordentlich entmuthigt und geschwächt, da es bei Tales gegen 4000 Mann eingebüßt hatte, während zugleich von allen andern Punkten des Kriegstheaters die niederschlagendsten Nachrichten einliefen. Die Unterfeldherrn Cabrera’s hatten die Entfernung der feindlichen Armee thätig benutzt, um bis zu den Thoren der großen befestigten Städte vorzudringen und das flache Land sich zu unterwerfen. Teruel, Daroca und Zaragoza waren blokirt, Llagostera, den Ebro passirend, fiel in Hoch-Aragon ein, Arévalo vernichtete die Brigade Ortiz, Polo durchzog und brandschatzte Mancha und die Besatzung von Cañete beherrschte die ganze Provinz Cuenca und drang selbst in Verbindung mit Beteta in das Innere von Guadalajara vor, wo sie am 6. August den berühmten Badeort Sacedon überfiel und mehrere hohe Hofbeamten der Königinn Wittwe nebst einigen Deputirten der Cortes gefangen fortführte. Von nun an schloß sich O’Donnell in seine festen Plätze ein, ohne weiter den Operationen des carlistischen Feldherrn sich entgegen zu stellen. Er folgte ihm höchstens beobachtend in der Ferne und eilte bei seiner Annäherung unter den Schutz seiner Festungen zurück. Ohne Zweifel trug zu solcher Unthätigkeit die Erschlaffung und gänzliche Muthlosigkeit der christinoschen Truppen viel bei, da sie im Fall eines Zusammentreffens verderblich werden mußten; aber eben so sehr mochten den feindlichen General die Instructionen Espartero’s dazu bewegen, der, des Unterganges der carlistischen Hauptarmee in den Nordprovinzen gewiß, bis dahin Nichts auf das Spiel zu setzen befahl. Cabrera aber flog mit gewohnter Thätigkeit nach Aragon und führte die schwere Artillerie von Alcalá la Selva über die Heerstraße von Teruel auf Segorve nach el Turia, wo er sie einstweilen in der Bergveste el Collado deponirte. Er vereinigte dort die Divisionen vom Ebro und von Valencia und die Brigade Arnau von der Division von Aragon nebst der kleinen Division Arévalo’s und der Besatzung von Cañete, zusammen 12000 Mann Infanterie und 1300 Pferde in 18 Bataillonen und 13 Escadronen. Llagostera stand mit dem Reste seiner Division in Nieder-Aragon, die vor kurzem gebildeten Bataillone 4. von Tortosa und 7. von Valencia nebst dem Bataillon Sappeurs und kleinen Detachements der andern Corps im Königreiche Valencia, größtentheils als Besatzung der festen Punkte, während zwei Escadrone von Tortosa am untern Ebro streiften und Oberst Bosque mit seinem Frei-Bataillon Schützen von Aragon die Festungen Alcañiz und Caspe blokirte. * * * * * Am Tage nach der Ankunft des Generals stellte Brigadier Arévalo mich ihm vor. Mein Vorurtheil gegen Cabrera mochte wohl Grund sein, daß ich in den kühnen Zügen etwas Wildes, Unheimliches zu erkennen glaubte, was mir späterhin nie mehr auffallend war. Übrigens ist das Äußere desselben so oft geschildert worden, daß ich das oft Gesagte nur nochmals wiederholen könnte; doch werde ich nie den Eindruck vergessen, welchen die Augen Cabrera’s auf mich machten, diese dunkel glühenden Augen, die in unaufhörlicher Bewegung feurige Blitze entsenden und, wohin sie sich fixiren, bis auf den tiefsten Grund durchbohrend zu dringen scheinen. -- Diejenigen, welche seit einigen Jahren ihn nicht gesehen hatten, fanden ihn unendlich verändert und gealtert, Sorgen und rastloses Mühen hatten ihren Stempel dem jugendlichen Antlitze aufgedrückt. Ich ward von Cabrera auf nicht sehr schmeichelhafte Art empfangen, wozu mein Äußeres, wie es damals wohl choquiren konnte, die Veranlassung gab. Schon durch meine Statur zog ich stets die Aufmerksamkeit der Spanier auf mich, da sie allgemein kräftig, aber untersetzt gebaut sind. Dazu war ich wahrhaft ausgemergelt durch die Leiden und Entbehrungen der furchtbaren Gefangenschaft in Cadix’ Casematten und die dadurch hervorgerufene Kränklichkeit, während die Gesundheit, welche kaum wiederzukehren begann, die Spuren des Elends in den hohlen Wangen und dem krankhaft bleichen Teint noch nicht zu verwischen vermochte. Der lange Aufenthalt in jenen halbdunkeln, feuchten Räumen, in denen wir zum Lesen selbst bei Tage des künstlichen Lichtes uns bedienen mußten, hatte meine Augen so geschwächt und empfindlich gemacht, daß noch Monate lang nachher das Strahlen der Mittagssonne, in jenen Landstrichen doppelt blendend, da sie rings von den weißen Häusern oder von grau glänzenden Felswänden zurückgeworfen wird, brennende Schmerzen mir erregte. Ich pflegte deshalb die Augen durch blaue oder grüne Klappenbrillen gegen den widrigen Einfluß zu schützen und beging, wiewohl das Vorurtheil der einfachen Facciosos gegen alles nicht der Natur Angemessene mir wohl bekannt war, die Unvorsichtigteit, bei dem Gange zum General eine blaue Brille aufzubehalten, deshalb nichts Übeles erwartend. Als Arévalo mit einigen gütigen Worten mich vorstellte, betrachtete mich Cabrera eine Sekunde und fragte dann, die Stirn in Falten gezogen: „Und diese Brille? Ist das Mode in ihrem Lande?“ Auf meine Erwiederung, daß nicht Mode, sondern die Rücksicht auf meine in den Kerkern der Christinos geschwächten Augen sie mich tragen mache, sagte er kurz: „Vorwand, ~carajo~!“ Da konnte ich trotz dem Kopfschütteln Arévalo’s, der neben dem General stehend mir Schweigen zuwinkte, mich nicht enthalten, zu antworten, daß ich nie einen Vorwand gebrauchen würde, der übrigens in einer so ganz gleichgültigen Sache höchst unnütz wäre. „Aber ~carajo~, ich mag keine Brillen, Herr!“ donnerte Cabrera los. -- „So ersuche ich Ew. Excellenz um Paß nach Catalonien zu dem Heere des Grafen von España,“ bat ich fest, aber respektvoll. In dem Augenblicke wandte sich Arévalo an den General und führte ihn an eine Fensterbrüstung, wo er eifrig mit ihm sprach. Bald traten sie wieder hervor und unterhielten sich mit den Officieren und Beamten, welche fortwährend mit Meldungen und Anfragen zu- und abgingen. Als ich endlich nach einer halben Stunde des Wartens mein Gesuch um den Paß wiederholte, erklärte mir Cabrera kurz, daß ich fürs Erste mit ihm kommen würde. Arévalo, als ich bald mit ihm das Zimmer verließ, machte mir freundlich Vorwürfe über meine Empfindlichkeit und Schroffheit; er fügte hinzu, daß man unter Spaniern nicht jedes Wort so strenge nehmen und am wenigsten höher Stehenden so scharf erwiedern dürfe, wenn man nicht den unangenehmsten Händeln sich aussetzen wolle. „Ein Spanier, der so den Paß gefordert hätte, würde gewiß bei erster Gelegenheit erschossen sein; und Gelegenheit fehlt einem General nie.“ Wiewohl ich weder solche Macht des Generals noch solchen Charakter selbst im Spanier als allgemein anerkennen konnte, fühlte ich doch, daß mein Début mich auf etwas schlüpfrigen Boden stellte, und beschloß demnach, mit doppelter Vorsicht zu verfahren. Den Wunsch Arévalo’s aber, daß ich nicht wieder mit der ominösen Brille erscheinen möge, konnte ich unmöglich erfüllen; ich würde sie gern abgelegt haben, so wie der General mir ihretwegen nicht mehr Kälte zeigte; bis dahin hätte ich dadurch nur erbärmliche Schwäche kund gegeben. -- Während der folgenden Tage sah ich Cabrera wiederholt und ward stets mit flüchtigem Blicke und leichtem Neigen des Kopfes freundlich empfangen. Der General war, so lange er in Chelva weilte, in ununterbrochener Thätigkeit; sein Logis war stets gefüllt und umgeben durch Haufen von Landleuten, welche auf die Kunde seiner Ankunft von allen Seiten herzuströmten, ihre Klagen und Bitten ihm vorzulegen. Da war keine Wache, um die Zudringlichen zurückzuweisen, kein Adjudant oder Kammerdiener, um mit nie erfüllten Versprechungen die Armen abzuspeisen. Cabrera empfing selbst Jedermann, hörte die Beschwerden und half sofort, indem er durch einen Adjudanten die betreffende Ordre niederschreiben, oder, wo Geld helfen konnte, von irgend Jemand aus seiner Umgebung einige Duros oder Gold-Unzen sich geben ließ; denn die eigenen Taschen hatte er gewöhnlich in der ersten halben Stunde geleert. War er nicht so beschäftigt, so dictirte er im Büreau und sah die Berichte durch, welche stündlich von allen Seiten an ihn einliefen; bald empfing er Confidenten, oft aus den fernsten Theilen der Monarchie, bald hielt er Revue über die Truppen oder inspicirte Magazine und Hospitale, allenthalben bis in die kleinsten Details prüfend und jede Verbesserung selbst anordnend. Vorzüglich oft wurden auch die Kriegscommissaire herbeigerufen, entweder -- in Spanien sind sie alle anerkannte Spitzbuben -- um furchtbar sie anzudonnern oder gar einen aus ihnen auf der Stelle erschießen zu lassen,[88] wenn durch ihr Verschulden die Bedürfnisse der Truppen unbefriedigt geblieben waren; oder um anzuweisen, auf welche Art sie neue Ressourcen sich öffnen konnten. Hin und wieder rastete der General ein halbes Stündchen in der Mitte seiner Officiere, meistens über die Ereignisse des Tages sich unterhaltend, bis irgend ein neuer Gedanke der Fürsorge für seine Freiwilligen der kurzen Muße ihn entriß. * * * * * Am 28. August brachen wir von Chelva auf, wo Arévalo mit seinen Bataillonen zurückblieb. Wir zogen, nur vier Bataillone und einige Escadrone, über Titaguas der Provinz Cuenca zu, wurden aber bald durch Theile der Division vom Ebro und von Aragon verstärkt; wir sollten, so hieß es, nach der Mancha ziehen, wiewohl die eingeschlagene Richtung eher auf die Provinz Guadalajara als das Ziel des Marsches zu deuten schien. Nachdem wir in einigen unbedeutenden Dörfern geruhet hatten, setzten wir am folgenden Tage den Marsch fort. Da erschien ein Spion, von mehreren Bauern begleitet, und ward angelegentlich vom General examinirt; der Marsch ward beschleunigt, Ordonnanzen entfernten sich in scharfem Trabe rechts und links, und bald erzählten sich die Adjudanten des Generals, daß wir eine feindliche Colonne angreifen würden. Der Spion hatte die Nachricht gebracht, daß fünf Bataillone und drei Escadrone der Division von Cuenca langsam dieser Stadt zuzögen, da sie den Aufenthalt Cabrera’s in el Turia und die Anhäufung von Truppen daselbst erfahren hatten. Wir eilten daher, den Rückzug dorthin ihnen abzuschneiden. Am Mittage des 30. August vereinigten wir uns mit General Forcadell, der einige Bataillone von seiner Division und vier Escadrone uns zuführte, dann stieß auch Valmaseda mit seinen Reitern und die Escadron von Toledo zu uns. Wir hatten ohne Aufenthalt den ganzen Tag marschirt, als ein neuer Confident erschien, dessen Mittheilung den General, der fast ohne zu sprechen an der Spitze der Divisionen einherritt, lebhaft anregte. Er wandte sich mehrere Male zu uns um mit den Worten: „~los tenemos, Señores!~“ -- wir haben sie! -- und Blitze sprühten aus den leuchtenden Augen. Die feindliche Colonne war nach Carboneras, vier Stunden von Cuenca, abmarschirt, um dort zu übernachten und am Morgen Cuenca zu erreichen. Nachdem am Abend kurze Zeit gerastet war, setzten wir mit jeder Vorsicht wieder den erschöpfenden Marsch fort, dessen Beschwerden die Freiwilligen in der Hoffnung auf baldigen Kampf freudig ertrugen. Über schroffe Gebirge auf fast ungangbaren Pfaden schritten die Bataillone Mann hinter Mann einzeln hin, so daß häufig auf freierem Platze angehalten wurde, um die Queue der langgedehnten Marschcolonne nachkommen zu lassen; die Cavallerie aber schlug andere, weitere Wege ein, den Windungen der Thäler folgend. Kurz vor Tagesanbruch vereinigte sie sich mit der Infanterie; bald ward wieder Halt gemacht. Todtenstille herrschte unter den Truppen; eine dunkele Masse nicht achthundert Schritt vor uns sollte das vom Feinde besetzte Dorf sein, und doch verrieth kein Laut die Gegenwart lebender Wesen in ihm. Da schallte der eintönige Ruf der Schildwachen zu uns herüber -- ein Jeder wohl athmete leichter, von schwerer Last die Brust befreit. Wenige Minuten später, als schon der Tag dämmerte, ertönte im Dorfe die Diana, die Feinde zum Morgen-Appell rufend. Unsere Escadrone trabten rechts und links ab, den Ort zu umstellen, während die Bataillone auf die niedrigen Anhöhen rings sich vertheilten, von denen die leichten Geschütze in dem Augenblicke ihr Feuer eröffneten, in dem die Infanterie zum Sturm gegen die Häuser vordrang, welche, gleichfalls auf einer Höhe liegend und sämmtlich massiv, einer kräftigen Vertheidigung fähig waren. In Carboneras befanden sich zwei Bataillone von Ecija und ein und ein halbes von dem Linien-Regimente el Rey nebst zwei Escadronen; ein Bataillon des Regimentes Reyna Gobernadora, ein halbes vom Rey und eine Escadron standen in Reilla, eine Stunde weit auf dem Wege nach Cuenca liegend. Gegen diese wandte sich Forcadell mit einem Theile des Corps. Er traf die Feinde auf dem Marsche, da sie, das Feuer hörend, ihren Cameraden zu Hülfe eilten, griff sie an, zersprengte sie gänzlich und machte etwa 500 Gefangene, von denen zwei Compagnien der Reyna Gobernadora niedergemacht wurden, da sie, nachdem sie sich ergeben hatten, wieder zu den Gewehren griffen und von hinten auf die Sieger feuerten. Forcadell rückte dann zur Beobachtung gegen Cuenca vor, wohin am Abend, keine Gefahr ahnend, der Anführer der Division mit seinem Chef des Generalstabes zu einer Berathung mit dem commandirenden General der Provinz gezogen war, so daß, da der zweite Commandeur in Reilla sich befand, der älteste Oberstlieutenant zu Carboneras commandirte. Der Angriff unserer Freiwilligen, wie erschöpft sie auch sein mußten, war äußerst brav, aber der Feind, von der ersten Überraschung zurückgekommen, vertheidigte sich mit gleicher Bravour; jedes Haus mußte einzeln genommen werden, in jedem kämpften die Christinos verzweifelt und räumten es gewöhnlich erst, wenn es angezündet über ihnen zusammenzufallen drohte. Die Bataillone, nachdem sie einige Stunden gefochten hatten, wurden durch andere abgelöset, um zu ruhen, worauf sie von neuem ins Feuer gingen, während ihre Cameraden auf einige Zeit zurückgezogen wurden. Das Dorf brannte fortwährend rings umher, dichte Rauchwolken gen Himmel sendend, aus denen das ununterbrochene Knallen der Schüsse, das wilde Geschrei der Fechtenden und das Krachen der einstürzender Mauern schauerlich durch einander tönten. Am Abend hatte die Eroberung der Trümmer von etwa zwanzig Häusern, die zum Theil mit dem Bajonnett genommen und wieder genommen waren, uns schon über 300 Mann gekostet. Mit immer gleicher Wuth von beiden Seiten tobte der Kampf die Nacht hindurch; doch waren die Christinos während derselben schon bedeutend nach der Mitte des großen Dorfes zusammengedrängt, rings von einem Kreise rauchenden Schuttes und halb eingesunkener Wände umgeben, wodurch das Vordringen unserer Freiwilligen bedeutend erschwert wurde. Auch die noch vertheidigten Häuser brannten langsam weiter, indem die Angreifer bemüht waren, brennbare Stoffe um sie her anzuhäufen. Die Einwohner des Dorfes aber, von denen freilich einige getödet waren, retteten sich meistens zu uns und wurden auf des Generals Befehl sofort in den nächsten Dörfern untergebracht. Cabrera war wüthend. Er fluchte den Feinden und drohete furchtbare Rache, da sie ganz ohne Hoffnung auf Hülfe nutzloses Blutvergießen veranlaßten,[89] er jammerte über seine armen Burschen, wie sie fortwährend todt oder verwundet aus dem Getümmel zurückgebracht wurden; dabei waren noch immer keine Lebensmittel vorhanden, und die Hitze wurde gegen Mittag furchtbar drückend. Endlich erschien ein großer Convoy, von dem nahen Cañete gesendet, worauf der General sofort den gerade ruhenden Truppen einen Theil der Lebensmittel austheilen ließ und dann, da sie kaum gegessen hatten -- an Kochen war natürlich nicht zu denken, -- zur Ablösung der kämpfenden Bataillone sie schickte, damit auch diese mit Brod und Wein sich stärkten. Zwei Maulthierladungen von Orangen, welche der Gouverneur von Cañete aus besonderer Aufmerksamkeit dem General bestimmte, befahl er nebst dem exquisiten Weine den Verwundeten zu bringen, für sich und jeden Officier seines Stabes eine Orange zurückhaltend. So oft ein Haus lebhaften Widerstand leistete, beorderte Cabrera irgend einen Officier aus seiner Umgebung, an die Spitze der Stürmenden sich zu stellen; und wehe! wenn er nicht der Erste der Gefahr sich entgegenwarf. Auch ich ward mehrere Male mit solchen Aufträgen geehrt und führte sie mit Glück aus. Cabrera selbst setzte sich häufig der größten Gefahr aus und ging bis dicht an die noch vom Feinde vertheidigten Gebäude vor. Officiere und Ordonnanzen wurden an seiner Seite verwundet, und ein Capitain von Tortosa, da er vor dasselbe Fenster eines eben eroberten Hauses trat, aus dem der General eine Sekunde vorher den Fortgang des Kampfes beobachtet hatte, ward durch eine Büchsenkugel zu seinen Füßen todt niedergestreckt. Schon nahete wieder der Abend, und immer noch hatten die Christinos zehn oder zwölf Häuser rings um die Kirche inne, aus denen sie ein lebhaftes Feuer gegen die anstürmenden Truppen unterhielten. Mit mehreren Adjudanten und anderen Officieren stand ich hinter dem General, der bleich mit furchtbar gefalteter Stirn und über einander gekniffenen Lippen den vierten Sturm beobachtete, welchen eine Compagnie von Tortosa auf ein kleines, unscheinbares Haus machte, das, aus der noch vom Feinde besetzten Masse vorspringend und sie flankirend, mit großer Festigkeit behauptet wurde und ganz von Truppen gefüllt schien. Wieder mußten die braven Tortosiner weichen, nachdem die am kühnsten vorwärts Dringenden unter dem mörderischen Feuer gefallen waren. Einen Augenblick stand der General starr, nur das Gesicht von einer krampfhaften Bewegung durchzuckt; dann wandte er rasch sich um, und das geisterhaft flammende Auge auf die sich zur Seite wendenden Officiere gerichtet, rief er mit Donnerstimme: „Wer wagt es? Niemand, ~carajo~?“ Mit hochklopfendem Herzen flog ich, von einem jungen Cavallerie-Officier begleitet, an die Spitze der Grenadiere, denen Cabrera ermunternd: „Vorwärts noch ein Mal, Burschen, und stecht die Teufel alle nieder!“ zurief. Mit lautem ~viva el Rey! viva Cabrera!~ stürmten wir vorwärts. Nach fünf Minuten langem Ringen im Innern des Hauses hatten die herrlichen Tortosiner es genommen, alle Räume mit Todten und Sterbenden gefüllt; schon feuerten sie aus den Fenstern auf die zunächst liegenden Gebäude. In dem Augenblicke, da der General in das Haus trat, sah ich, wie einige Freiwillige drei verwundete Christinos, die einzigen überlebenden von den Vertheidigern, aus einem Winkel hervorschleppten; sie durchbohrten kaltblütig den Ersten, einen Officier, und hoben die Bajonnette, um die Andern, welche umsonst Gnade erflehten, zu opfern, als mein Ausruf des Entsetzens: „Halt, Infame, Pardon!“ ihre Wuth hemmte. Da herrschte Cabrera finster mir zu: „ich habe befohlen, kein Pardon, Herr Capitain!“ mit einem Zornesblick vom Kopf zum Fuß mich messend, wie ich nie so drohend ihn gekannt. -- Mein Entschluß, Aragon zu verlassen, stand fest, während ich unmuthig nun mit verdoppelter Anstrengung in den Kampf mich stürzte. Während der folgenden Nacht trieben wir den Feind, dessen Widerstand, wiewohl stets entschieden, doch augenscheinlich mehr und mehr erschlaffte, von einem Hause zum andern nach dem Mittelpunkte zusammen, nicht ohne manchen braven Gefährten einzubüßen. Beim Anbruch des Tages hielt er nur noch die Kirche mit ihrer unmittelbaren Umgebung inne, nach der er seine Pferde, Bagage und viele Verwundete gerettet hatte, und die in der Eile durch Öffnung von Schießscharten zur Vertheidigung eingerichtet war. Obgleich wir die verzweifelte Lage der Christinos kannten, welche, seit vielen Stunden ohne einen Tropfen Wassers, unmöglich lange ausharren konnten, befahl dennoch der General erbittert aufs neue den Sturm, als ein Officier, von einem Trompeter begleitet, sich zeigte und zu capituliren begehrte. Ein Capitain von Tortosa ging zuerst bis zur Kirchenthür ihm entgegen, wohin ich mit andern Officieren ihm folgte. Als wir den kleinen Platz zwischen den Trümmern der zuletzt genommenen Gebäude und der Kirche überschritten, sahen wir in allen Schießscharten die Mündungen der Gewehre blitzen und dahinter die dunkel geschwärzten Köpfe der feindlichen Soldaten -- wohl um zu imponiren; doch wurden sie auf unser Verlangen sofort zurückgezogen. Die Christinos forderten nach kurzem Gespräche, während dessen einem jüngern Officier, da er seine unzähmbare Gier nach Wasser aussprach, seine Cameraden drohende Blicke der Wuth und Verachtung zuwarfen, daß ihnen freier Abzug nach Cuenca mit Waffen und Gepäck zugestanden werde. Als der General auf die Meldung des Tortosiners dagegen unbedingte Ergebung verlangte, baten die Parlamentaire, selbst zu Cabrera geführt zu werden, was sofort geschah. Sie bestanden nach langem Unterhandeln daraus, daß die Colonne erst nach acht und vierzig Stunden sich ergebe, im Fall kein Entsatz käme, daß ihr aber bis dahin Lebensmittel und vor allem Wasser geliefert werde. Da erklärte der General, die Uhr hervorziehend, daß, wenn in zehn Minuten die Kirche noch besetzt sei, Niemand lebend sie verlassen werde. Vor Ablauf der Frist zogen die Christinos compagnieweise aus der Kirche, von Pulverdampf und Rauch geschwärzt und verzehrt vom glühendsten Durst, so daß viele unter ihnen nicht mehr vermochten, ein Wort zu sprechen. Über 2100 Mann, unter ihnen 450 Verwundete, streckten die Waffen, so daß wir mit den Gefangenen Forcadell’s deren etwa 2400 zählten; 1620 Mann waren unter den Trümmern des Dorfes und in der Action Forcadell’s umgekommen, während von der ganzen schönen Division nur 800 Mann von Reilla nach Cuenca entflohen waren. Auch fielen 140 Pferde und fast 4000 Gewehre in unsere Hände. Bei dem verzweifelten Widerstande des Feindes mußte natürlich unser Verlust gleichfalls bedeutend sein: mehr als 800 Mann waren außer Gefecht gesetzt. Cabrera -- ich muß es hier wiederholen -- während er im Getümmel des Kampfes und vor Allem, wo er seine Freiwilligen um sich her fallen sah, keine Schonung kannte und, von Haß und Rache glühend, den fechtenden Feind bis auf den letzten Mann vernichtete; Cabrera bewährte gegen die Entwaffneten, die Gefangenen stets den Edelsinn und die Großherzigkeit, welche den Grundtypus seines Charakters bilden. Auch bei Carboneras wurden die Gefangenen mit ungewöhnlicher Großmuth behandelt. Sie behielten ihr Gepäck unangerührt, und den Officieren wurden selbst die Pferde für den weiten Marsch bis zum Depot gelassen, während alle ihre Bedürfnisse sogleich mit höchster Sorgfalt befriedigt wurden. Als aber dem General angezeigt ward, daß die Christinos kurz vor der Übergabe die in den Cassen befindlichen bedeutenden Fonds nach Verhältniß ihrer Grade unter sich vertheilt hätten, wobei man ihm bemerklich machte, daß er auf sie als königliche Gelder vollkommenes Recht habe, befahl er: „Nein, laßt es den Armen; sie werden mehr, als wir, es nöthig haben.“ Die unglücklichen Einwohner aber des zerstörten Dorfes sprach er für die Dauer des Krieges von jeder Abgabe und Leistung frei, ließ auf Kosten des Gouvernements die zerstörten Wohnungen ihnen aufrichten und bewilligte ihnen ansehnliche Vorräthe an Korn für den Unterhalt und die Aussaat. * * * * * Nach Beendigung des Kampfes bat ich den General von neuem um Paß nach dem Heere von Catalonien, und er gestand ihn ohne Schwierigkeit mir zu. Ich ersetzte die ganz erschöpfte Kraft durch Speise und kurzen, aber erquickenden Schlaf und ritt am Nachmittage auf Cañete zurück, nachdem ich einen letzten Blick auf das unglückliche Dorf geworfen hatte, in dem nur die Kirche mit vier oder fünf Häusern aus dem Trümmerhaufen emporragte. Gräßlich durch das Feuer verstümmelt, lagen Leichen in Entsetzen erregender Zahl unter dem mit Blut getränktem Schutte der zusammengestürzten Gebäude, aus dem noch hie und da dichte Rauchsäulen und zuweilen auflodernde Flammen sich erhoben. Ringsum waren die Bataillone und Escadrone gelagert, von der schweren, sieggekrönten Arbeit ruhend, nachdem sie jubelnd im feurigen Weine, der nach dem Kampfe ausgetheilt wurde, auf das Wohl ihres Königs und des angebeteten Feldherrn getrunken. Schmerzlich bewegt zog ich von dannen; ich beneidete die Braven, welche ich verließ, überzeugt, daß Großes ihrem Muthe vorbehalten sei. Unterweges traf ich viele Officiere und kleine Truppenabtheilungen, die ihnen sich anzuschließen eilten, so wie ein starkes Detachement Sappeurs, welches von Cañete herab zum Heere beordert war. Nachdem ich wieder einige Tage bei dem wackern Arévalo zugebracht hatte, reisete ich über Vejis, Linares und Mosqueruela langsam nach Morella, von wo aus ich nach Catalonien abzureisen gedachte. Überall zeigten die Gebirge, welche ich zu übersteigen hatte, der wahre, ein mächtiges Hochplateau bildende Knoten der wilden Sierras von Unter-Aragon, jene Schroffheit und Unzugänglichkeit, welche im Königreiche Valencia mich frappirt hatten. Die Thäler aber waren nicht mehr so lieblich und so reich bebaut, wie dort; auch sie trugen das Gepräge der Ungastlichkeit und Rauheit, so wie die Wohnungen sich nicht durch jene Sauberkeit auszeichneten, mit der der Valencianer auch die Hütte anziehend zu machen weiß. Dagegen ward ich überall wahrhaft herzlich willkommen geheißen und mit tausend Fragen über die Armee und ihre letzten Siege bestürmt, die gewöhnlich mit einem enthusiastischem viva Don Ramon! geschlossen wurden. Diese Bergbewohner hatten in der That seit dem Beginn des Krieges sich stets als echte Carlisten bewährt und standen daher hoch in der Gunst Cabrera’s, dessen sie sehr wohl sich erinnerten, wie er als Abanderado in dem Corps von Carnicer im Studentenrock und ein buntes Tuch turbanartig um den Kopf gewickelt[90] die Sierra’s durchstrich, oft nur durch die Ergebenheit der Landleute von den verfolgenden Streifparthieen der Negros gerettet. Schon jetzt war in diesen Gebirgen, deren Bewohner, auf den Bau von Roggen und Kartoffeln beschränkt, durch Gewerbthätigkeit das Fehlende sich ersetzen, die Luft rauh und herbe geworden, und wiewohl am Mittage die belebende Wärme der Sonne in sengende Hitze überging, waren doch die Nächte schauerlich frisch, und schneidende Kälte begleitete die Winde von den mit Schnee bedeckten Höhen herab. So näherten wir uns gern den mächtigen Feuern, welche in allen Häusern einladend vom Heerde uns entgegen leuchteten, da hier im Gegensatz zu den nackten Hochrücken von Valencia das Gebirge mit reichen Fichtenwaldungen bedeckt ist. Gegen das Ende September’s langte ich in Morella an, dessen Castell von seinem Felsblocke herab weit umher über die niederen Berge hin sichtbar war. Ich bewunderte die feste Lage der Stadt, wie sie hoch über die Thäler erhaben um den Fuß des schützenden Felsens malerisch sich gruppirt, und ich bewunderte die Bravour der Christinos, welche trotz so vieler von der Natur ihnen entgegengesetzten Schwierigkeiten bis zum Fuße der Bresche stürmend vordringen konnten. Aber Staunen ergriff mich, als ich den ungeheuren Felskegel vor mir aufgethürmt sah, auf dessen Gipfel das Castell wie durch Zaubermacht hingepflanzt scheint; als ich die senkrechte Wand betrachtete, wo die braven Castilianer furchtlos sie erstiegen! Unmöglich scheint es, daß Menschen solches Unternehmen im Geiste auffaßten, unmöglich, daß Menschen sich fanden, die nicht vor der Ausführung schaudernd zurückbebten. Dort auf dem schmalen, abschüssigen Absatze in furchtbar schwindelnder Höhe faßten die Stürmenden Fuß, dort, über dem Abgrunde schwebend, setzten sie die gebrechlichen Leitern an zur Erklimmung der noch eben so hoch über ihnen senkrecht aufsteigenden Felsenmasse!? Noch ward ich durch Rücksicht auf einige Officiere, die nach Catalonien mich begleiten wollten, in Morella und dem nahen Orcajo festgehalten, als am 6. October Cabrera dort ankam, finster die Stirn umwölkt, während schwankende Gerüchte verkündeten, daß Espartero mit zahlreichen Heerhaufen in Zaragoza stehe. Nachdem er O’Donnell, der zur Beobachtung von Valencia über Teruel nach Castilien sich richtete, durch gewandte Demonstrationen getäuscht und zurückgedrückt hatte, war der General mit zwölf Bataillonen und neun Escadronen nebst sechs Geschützen über Beteta nach Guadalajara aufgebrochen, wo keine feindliche Colonne mehr existirte, die seinem Vormarsch auf Madrid sich hätte widersetzen können. O’Donnell aber befand sich weit entfernt im Königreiche Valencia, während Forcadell und Arévalo mit neun Bataillonen und vier Escadronen in Cañete und dem Turia zurückgelassen waren, um das feindliche Heer zu beobachten und den Rücken des vordringenden Corps zu sichern. In stolzer Zuversicht durchzogen die Colonnen das fruchtbare Hügelland Castilien’s; schon jubelten die Freiwilligen, nur noch zwölf Leguas von der Hauptstadt entfernt, des nahen, herrlichen Triumphes gewiß[91] -- da ordnete Cabrera den Rückzug an und führte die erstaunten Truppen in Eilmärschen nach Aragon zurück. Er hatte die Nachricht von dem schmählichen Verkaufe von Bergara und dem Übertritt Carls V. nach Frankreich erhalten. Espartero war in Zaragoza angekommen, um mit O’Donnell vereint die Armee Cabrera’s zu erdrücken, der sich schon durch den Letzteren von dem ganz vertheidigungslosen Hochgebirge abgeschnitten sah, welches die Grundlage und den Kern seiner Macht bildete. Bei seiner Annäherung zog sich jedoch der feindliche Feldherr ehrerbietig in die Festungen zurück, ohne den Rückmarsch zu stören. Cabrera eilte, zum Todeskampfe sich vorzubereiten. [85] Denn die ganze Stärke der Armee des Centrum mit Garnisonen u. s. w. war etwa 60000 Mann. [86] O’Donnell wollte überall durch Massen siegen, den kleinen Krieg gar nicht kennend. So erreichte er zwar augenblicklich sein Ziel, aber stets mit so ungeheurem Verluste, daß jeder Vortheil dadurch einer Niederlage gleich wurde. [87] Die beiderseitigen Vorposten pflegten sich zu unterhalten, oft auch sich zu höhnen und zu schimpfen. Da nun die Carlisten ihre Gegner fortwährend verspotteten, daß sie durch so wenige Bataillone zurückgehalten würden, ward endlich der feindliche Führer durch die immer wiederholten und immer gleichlautenden Nachrichten von seinem Irrthum überzeugt. [88] Die Truppen waren nie zufriedener, als wenn gegen einen von diesen Blutsaugern, die sie redlich haßten, solche rasche Justiz geübt wurde. [89] Übrigens ließ er sie gar nicht zur Übergabe auffordern. Auch geschah das sehr selten in Spanien, indem der Bedrängte stets die ersten Schritte thun mußte. [90] Die Kopfbedeckung der Guerrillas in Aragon und Catalonien bestand ursprünglich in diesem bunten Tuche, bis sie das Barett der Basken adoptirten. [91] Ich will nicht deshalb behaupten, daß Madrid in jenem Augenblicke den Carlisten in die Hände gefallen wäre. Man darf vielmehr aus vielfachen Äußerungen abnehmen, daß es Cabrera’s Absicht war, Schritt vor Schritt Castilien zu erobern und durch angelegte Festungen -- wie Cañete, Beteta -- in ihm sich festzusetzen, bis er, wie er selbst sich ausdrückte, eine Kette von Forts errichtet hätte, deren letztes in die Fenster Maria Christina’s hineinschauen und auf immer den Trotz des revolutionairen Pöbels der Hauptstadt brechen sollte. -- Aber sehr, sehr nahe war die Zeit des Triumphes, wenn nicht Espartero’s Ankunft die Lage der Dinge so ganz umkehrte. XXVIII. Seht Ihr jene Schaaren, die in nicht endendem Zuge die fruchtbaren Gefilde von Nieder-Aragon durchschreiten, stolz die Stirn erhebend, als ob sie so eben ruhmwürdige Thaten vollbracht hätten? Drohend ziehen sie einher in kriegerischer Haltung, hochmüthig prahlen sie mit ihrer Zahl, wie in diesem Kriege die zitternden Bürger sie noch nicht vereinigt sahen. Tausende funkelnder Reiter begleiten die weit ausgedehnten Colonnen der Infanterie, und in ihrem Gefolge schleppen sie die Verderben speienden Maschinen, bestimmt, die hohen Mauern und Wälle niederzuschmettern und Tod und Verwüstung in die Reihen des Feindes, wie in die Wohnungen des friedlichen Bürgers zu tragen. Ha, wie sie jubeln, die Tausende! Wie sie rüstig daherziehen, als gingen sie, ein lärmendes Freudenfest zu feiern! -- Und doch, sind nicht unter ihnen eben die, welche zwei Jahre früher in diesen Feldern zitternd entflohen oder, Gnade erflehend, der kühnen, siegreichen Schaar sich gefangen gaben, die unter ihres Königs Führung von ihrer Bergveste hinabstieg, bis zu den Thoren von Madrid den Schrecken ihres Namens zu tragen? Sind sie nicht dieselben, welche so lange umsonst die braven Basken niederzudrücken suchten, dieselben, deren ruchloses Wuthgeheul so oft verstummte vor dem loyalen Kriegsrufe der gefürchteten Söhne des Gebirges, gegen deren Racheschwerdt sie hinter den Wällen ihrer Festungen schimpflichen Schutz suchten?! Sie sind es -- -- aber, wehe! jener begeisternde Schlachtenschrei der Treue erschallt nicht mehr; nicht eilen, wie in jenen glorreichen Tagen, die Krieger Carls V. herbei, den Triumphmarsch des Heeres der Revolution zu hemmen. Unaufgehalten, unangefochten zieht es über die offene Ebene den Gebirgen zu, denen, fern stufenförmig über einander gethürmt, die Vertheidiger Isabella’s so lange nur mit Zagen naheten; und übermüthig verkündet es, daß schon der Krieg, der seit sechs Jahren das schöne Königreich verwüstete, auf immer beendigt sei, daß der kleine Haufen, der noch in jenen Bergen für die Vertheidigung seines rechtmäßigen Königs die Waffen führt, bei ihrem Anblick flehend sich unterwerfen oder sofort unter der Übermacht zermalmt werde. Die Bataillone, welche bisher diesen Massen entgegenstanden und sie fesselten, existiren nicht mehr. Die Männer, welche, die Waffen in der Hand, ihre Gebirge gegen alle Anstrengungen der mächtigen Usurpatorinn vertheidigten, unterwarfen sich, verkauft von dem General, den sie mit hoffnungsvollem Enthusiasmus an ihrer Spitze sahen, dem verachteten Feinde, oder sie mußten mit dem Herrscher, für den ihr Blut geflossen, im fremden Lande unwillig gewährten Schutz suchen. Maroto hatte sein Werk vollbracht. Nachdem er die Generale, deren Ergebenheit er fürchtete, meuchlings hingemetzelt, nachdem er den Geist der Truppen durch fortwährendes Weichen ohne Gefecht, durch Aufgeben aller Vortheile und weiter Landstrecken geschwächt und ihre Zuversicht, wie die der Einwohner, untergraben hatte, krönte der treulose Feldherr seine Schande, da er am 29. August 1839 den Kern der ihm anvertrauten Armee dem Feinde in die Hände spielte. Die Umarmung von Bergara, wie Christina’s Liberale den Act der Überlieferung nannten, zeigte den erstaunten Völkern das Schauspiel eines Generals, der, von seinem Könige mit dem höchsten Vertrauen, ja mit fast königlicher Macht geehrt, diese Macht und dieses Vertrauen benutzte, um seinen Herrscher, seinen Wohlthäter den empörten Unterthanen desselben zu verrathen und aus dem angestammten Reiche ihn zu vertreiben. Es ist nicht zu verwundern, daß Carl V. unfähig, solche Niedrigkeit zu ahnen, bis zum letzten Augenblicke das künstlich um ihn geworfene Gewebe nicht durchschaut, und daß er dann, als zu spät die Wahrheit ihm klar ward, die Besonnenheit verlor und zagend floh, wo entschlossene Maßregeln und Energie die Schandthat zwar nicht mehr verhüten, aber doch ihre Wirkungen schwächen und sie weniger entscheidend machen konnten. Anstatt, da er nicht mehr auf dem bisherigen Kriegstheater sich halten konnte, an der Spitze der ihm gebliebenen, stets entschieden treuen Bataillone zur Vereinigung mit den Armeen sich durchzuschlagen, welche in Catalonien und Aragon für ihn kämpften, ließ der König nach der Gränze von Frankreich sie zusammendrängen und zog sich endlich mit ihnen in dieses Königreich zurück. Nach so bitterer Täuschung an Allem verzweifelnd bewog ihn sein immer gleich milder und christlicher Charakter, ferneres Blutvergießen zu vermeiden. Ich wiederhole mit tiefem Schmerze: die Eigenschaften Carls V. hätten ihn zum großen, Segen spendenden Monarchen gemacht, wenn ihm gegeben wäre, in ruhigerer Zeit friedlich sein Volk zu regieren. Das Schicksal wies ihm einen Platz an, der eiserne Brust und eisernen Willen erforderte. Doch betrachten wir näher die Ereignisse, welche die Herrschaft der Carlisten in den baskischen Provinzen vernichteten und ihre Hoffnungen, die so schön erblüheten, auf immer brachen, da durch sie auch die Anstrengungen der Braven unnütz gemacht wurden, die im Osten Spaniens so erfolgreich für die Rechte ihres Königs stritten und zur Vollendung des von den Basken Begonnenen bestimmt schienen. Schwer wird es mir wahrlich, meine Blicke auf jene Zeit des Verbrechens und des Unterganges zu heften und mit Ruhe zu detailliren, wie der erkaufte Feldherr den Verrath vorbereitete und ausführte. Jeder edel Denkende aber, welcher politischen Meinung er auch sei, mag er nun Carl V. als dem rechtmäßigen Souverain Spaniens oder den Anhängern der Tochter Ferdinand’s, wähnend, daß sie nicht bloß dem Namen nach Liberale seien, Erfolg gewünscht haben; er wird mit Abscheu auf den Mann sehen, den keine Verpflichtung zu binden vermochte, für den Treue und Dankbarkeit und Ehre bedeutungslose Worte waren, da allein niedrigste Selbstsucht ihn beherrschte und seine Handlungsweise bestimmte. * * * * * Maroto hatte während des Monates Mai die in der Provinz Santander und auf der Gränze von Vizcaya errichteten Forts dem christinoschen Heere übergeben, dann ohne zu schlagen die westliche Hälfte von Vizcaya geräumt und selbst in der Hauptstadt Orduña[92] den Feind sich festsetzen lassen. So schwächte er den Muth und die Zuversicht des Heeres und vor Allem des Volkes, welches den gehaßten Feind das Land überschwemmen sah, ohne daß die Truppen den geringsten Widerstand entgegengesetzt hätten; mit der Zuversicht aber schwand der frühere Enthusiasmus, wie der Wunsch nach Beendigung des immer drohender sich gestaltenden Krieges und nach Abhülfe der gehäuften Leiden täglich glühender wurde. Da er diesen ersten Zweck erreicht hatte, glaubte er seine Pläne schon etwas bestimmter hervortreten lassen zu dürfen. Es galt, die Menschen nach und nach an den Gedanken des Beschlossenen zu gewöhnen. Bald sprach man öffentlich in den Provinzen von Unterhandlungen und Transactionen, und die Chefs, welche mit Maroto im Complott waren und denen er hauptsächlich in Vizcaya und Guipuzcoa alle wichtigeren Stellen hatte geben können, thaten, wie Viel sie vermochten, um ihre Untergebenen für diese Gerüchte empfänglich zu stimmen. Doch wie wenig klare Ideen die Masse über das Vorhaben ihrer Chefs sich machte, geht daraus hervor, daß bis zum letzten Augenblicke bald von der Heirath des Prinzen von Asturias mit der Infantinn Isabella, bald von dem Rückzuge des Königs nach Frankreich und dem Anerkennen der Fueros durch die Madrider Regierung gesprochen wurde, während noch öfter behauptet ward, Espartero wolle mit der carlistischen Armee sich vereinigen, um mit ihr gegen Madrid zu ziehen. Mißtrauen und Unruhe nahmen indessen, da die Armeen bei so prekärer Lage wieder einige Monate ganz unthätig sich betrachteten, natürlich mehr und mehr überhand, und die navarresischen Bataillone, deren erprobte Anführer ja von Maroto hingemordet waren, geriethen in immer größere Gährung gegen diesen General. Am 9. August brach die Unzufriedenheit in offenen Aufstand aus, indem das 5. Bataillon, nahe der Gränze postirt, den Ruf erhob: „Nieder mit Maroto; es lebe Carl V. +frei+!“ Ihm schlossen sich mehrere andere, endlich fast alle Bataillone von Navarra an. Jener Augenblick war der entscheidende. Hätte der König, dem gewiß schon von den Unterhandlungen, wenn auch nicht ihrer ganzen Ausdehnung nach, Kunde geworden war, an die Spitze der Navarresen sich stellen, dadurch ihre Erhebung sanctioniren und mit ihnen gegen den treulosen General sich wenden können, so würden die übrigen Truppen in der zu treffenden Wahl zwischen ihrem Herrscher und dem Verräther nicht geschwankt haben. Aber Carl V. war in der That nicht mehr König, nicht mehr frei; wohl hatten die Navarresen richtig seine Lage beurtheilt. Selbst als die +Gemäßigten+, von denen er umringt war, zu einer Zusammenkunft mit den Häuptern der Aufgestandenen ihn gehen ließen, damit er zur Unterwerfung sie berede, mußte er als Pfand der Rückkehr die Königinn in ihren Händen lassen. Maroto aber stellte, die Fortschritte der Royalisten zu hemmen, sofort die am meisten ihm ergebenen Truppen ihnen entgegen. So hatte dieser Versuch der treuen Bataillone, die Allmacht des Generales zu brechen und ihren König dem drohenden Geschick zu entreißen, keine andere Folgen, als daß der Verräther sein Werk nun nicht in so großem Maßstabe ausführen konnte, wie er beabsichtigte, ehe die Navarresen seinem Einfluß sich entzogen. Eben dieser theilweise Aufstand zeigte aber Maroto, daß er nicht länger zögern dürfe; er mußte fürchten, daß auch die Truppen der andern Provinzen, seine Absichten durchschauend und durch das Beispiel ihrer Cameraden aufgeregt, gegen ihn sich erklärten. Am 12. August verließ Espartero mit 20000 Mann und einem starken Artillerie-Train Vitoria und drang alsbald in Vizcaya vorwärts, Maroto wich fortwährend zurück, nur selten in ein Scharmützel sich einlassend. So besetzte Espartero, auf der großen Heerstraße vorgehend, am 22. selbst Durango ohne Kampf. Die Uneinigkeit und Verwirrung im carlistischen Heere stieg auf den höchsten Grad: schon waren Niemandem die Unterhandlungen der beiden Oberfeldherrn verborgen, und englische und französische Agenten eilten fortwährend von dem einen Hauptquartier zum andern. Espartero zog auch in Bergara ein. Am 25. August hielt der König Revue über die dem Feinde gegenüberstehenden Divisionen, wobei das Bestehen und die Ausdehnung der Verschwörung ganz unzweifelhaft wurde, da mehrere Anführer schon ihrem Herrscher zu trotzen wagten, während dem General die ~vivas~ gebracht wurden, welche dem Könige versagt blieben. Nach der Revue wohnte dieser einem Kriegsrathe der vorzüglichsten Generale bei. Da legte Maroto, hart befragt, endlich die Maske ab; er gestand die Übereinkunft mit dem feindlichen Chef und legte die Bedingungen vor, welche ihm bewilligt waren. Die Sitzung wurde stürmisch. Die Verbündeten Maroto’s stimmten für ihn und stellten ferneren Krieg als hoffnungslos dar, die wenigen dem Könige Getreuen erklärten laut jene Unterhandlung für Hochverrath. Gänzlicher Bruch war die Folge. Noch hätte rasches, energisches Handeln Vieles retten können, da die Armee keinesweges unbedingt den Verräthern gehörte; sie würde gewiß zu ihrer Pflicht zurückgekehrt sein, wenn Maroto und mit ihm die hauptsächlichsten Verschworenen, so wie sie offen ihr Verbrechen anerkannten und ihren König insultirten, augenblicklich ergriffen und vor der Front der Divisionen füsilirt wären. -- Aber Carl V., nicht mehr wissend, wem er vertrauen durfte, wen er als Feind und Rebellen betrachten mußte, anstatt kraftvoll aufzutreten, schwang sich auf’s Pferd und schlug, von Wenigen begleitet, den Weg nach Navarra ein, den Truppen ein schmerzliches: „Kinder, wir sind verkauft!“ zurufend. Maroto dagegen führte das Heer den Positionen des Feindes zu und stellte sich zwei Stunden von ihm entfernt auf, er hatte in den folgenden Tagen mehrere Zusammenkünfte mit Espartero, in denen endlich Alles angeordnet und festgestellt wurde. Am 29. August führte er, begleitet von den Generalen Urbiztondo, Cabañero, Simon de la Torre, Luqui und seinem glänzenden Stabe, zwei und zwanzig Bataillone -- die Divisionen von Guipuzcoa und Vizcaya und fünf Bataillone von Castilien -- nebst einer Schwadron und einer Batterie nach Bergara, wo das Heer der Christinos, in Schlachtordnung aufgestellt, sie erwartete. Ihm gegenüber rangirte sich das carlistische Corps. Die Castilianer wußten noch nicht den wahren Zweck der Vereinigung, aber die Feinde hatten alle nahen Höhenpunkte besetzt, so daß die Rückkehr schon unmöglich gemacht war. Die beiden Generale umarmten sich vor der Front der Armeen, worauf Maroto eine Anrede an die Christinos hielt, während Espartero zu den bisherigen Carlisten sprach, die endliche Aussöhnung preisend und die Segnungen des Friedens, der nun das so lange verwüstete Land beglücken werde. Dann wurden die Gewehre zusammengesetzt, die Soldaten, dem Beispiele ihrer Anführer folgend, umarmten sich und begrüßten sich als Brüder, um endlich vermischt die Erfrischungen einzunehmen, welche zur Feier des Tages herbeigeschafft waren. -- So hatte Maroto seinen Verrath vollbracht! Nach dem Vertrage, der für die Provinzen Vizcaya und Guipuzcoa allein abgeschlossen war, da die Truppen der andern Provinzen sich nicht unterworfen hatten, sollten sie die Herrschaft Christina’s anerkennen, wogegen ihre Privilegien aufrecht erhalten würden. Den Officieren der überlieferten Divisionen wurden ihre Grade und Decorationen bestätigt, und die Verwundeten bekamen Pensionen, die Truppen aber sollten die Waffen niederlegen und in die Heimath sich zurückziehen, wenn sie nicht etwa vorzögen, in die christinosche Armee überzutreten. Diejenigen Officiere, welche Spanien verlassen wollten, bekamen viermonatlichen Sold ausgezahlt. Sehr Viele, welche getäuscht oder durch Gewalt nach Bergara hingezogen waren, verlangten sofort den Paß nach Frankreich. Später sah ich mehrere Officiere und Soldaten der Bataillone von Castilien, die so schmählich in diese Umarmung sich verwickelt sahen und die erste Gelegenheit benutzten, um zu entfliehen und den Heeren von Catalonien und Aragon sich anzuschließen. Die Gefühle der Verkauften wage ich nicht zu schildern. Die Basken freilich, denen ja stets ihre Provinzialrechte Hauptmotiv und Hauptziel des Krieges waren, beruhigten sich bald, da die Bewahrung derselben ihnen zugesichert war, und hingerissen, wie der Soldat so leicht es ist, durch den Einfluß der Chefs, denen zu gehorchen sie so lange gewohnt waren. Aber die Castilianer, sie, die kein eigennütziges Streben, kein individuelles Interesse in die Reihen der Carlisten führte, wahrhafte Royalisten und entschieden für die Sache, deren Vertheidigung sie sich gewidmet hatten -- die Castilianer wurden vom wilden Zorn ergriffen, da sie so den Liberalen sich übergeben, selbst zu Verräthern sich gestempelt sahen. Doch sie wurden strenge bewacht, und während die Basken sofort zu friedlicheren Beschäftigungen entlassen wurden, sandte Espartero diese Getäuschten mit Bedeckung nach Vitoria und von dort in das Innere des Königreichs. Auf dem Marsche wurden Viele erschossen, unter ihnen einige Officiere, da sie auf dem Versuche zur Flucht ergriffen waren; die Übrigen wurden in Depots vertheilt, um erst später entlassen zu werden, ja Manche, die ihren Unwillen laut an den Tag gelegt hatten, ließ das Gouvernement nach den amerikanischen Colonien und den Philippinen einschiffen. Dennoch gelang es einigen Hunderten der Verkauften, während des Winters durch die Gebirge Castilien’s bis nach Aragon zu dringen, wo sie kräftig mitfochten in dem letzten Todeskampfe gegen die Übermacht der revolutionairen Schaaren. * * * * * Espartero besetzte nach dem Vertrage von Bergara den Rest von Vizcaya und das ganze Guipuzcoa, dessen Bewohner mit Erstaunen, aber ohne sich zu bewegen, in ihrer Mitte die Truppen erblickten, welche seit Jahren nicht mehr jene reichen Thäler zu betreten gewagt hatten. Er wandte sich dann rasch nach Navarra, durch energisches Handeln den Schrecken benutzend, den die Überraschung im ersten Augenblick hervorrufen mußte. Der König stand noch immer an der Spitze von 14000 bis 15000 Mann; alle Bataillone von Navarra und von Alava, das 5. von Castilien und 1. von Cantabrien waren, nebst sieben Escadronen und der ausgewählten königlichen Bedeckung ihrer Pflicht getreu geblieben. Wohl hätte mit solcher Macht Viel ausgerichtet werden können, wenigstens wäre es gewiß leicht gewesen, Catalonien mit ihr zu erreichen: selbst die große Expedition, mit der Carl V. im Jahre 1837 bis an die Thore von Madrid gelangte, war nicht so stark, als sie von den Nordprovinzen auszog. Und doch, wer möchte dem verrathenen Monarchen vorwerfen, daß er, entmuthigt und niedergebeugt durch das Geschehene, nicht sofort die zu dem kühnen Schritte nöthige Entschlossenheit fand! Auch konnte wohl die bekannte Abneigung der Navarresen, außerhalb ihrer vaterländischen Provinz zu kämpfen,[93] Zweifel erregen; und nach dem geringsten Zaudern war es zu spät, da schon die carlistische Armee ganz umringt und nach Norden hin zusammengedrängt war. Die Stellung von Lecumberry, in Gefahr, umgangen zu werden, da die feindlichen Colonnen zugleich von Guipuzcoa und unter General Rivero aus dem östlichen Navarra vordrangen, wurde verlassen, und die Bataillone, nun unter Eguia’s Commando gestellt, zogen sich in das Bastan-Thal zurück. Espartero, der am 9. September gegen jene Position aufgebrochen war, drang rasch über das Ulzama-Thal nach. Schon entflohen viele Non-Combattanten über die französische Gränze. Auf dem Fuße von den Massen der Christinos verfolgt, zog sich der König von Elisondo nach Urdax, unmittelbar neben der Gränze; er konnte sich noch nicht entschließen, sein Königreich zu verlassen, um im fremden Lande eine zweideutige Zufluchtsstätte zu suchen. Doch immer näher kam von allen Seiten der Schall des Feuers. Vier starke Divisionen griffen rings die Stellungen der Carlisten an, welche die Pässe des Gebirges zu behaupten suchten; Fuß vor Fuß wichen sie fechtend vor der Übermacht, wobei ein Bataillon umzingelt und fast ganz aufgerieben wurde. Die feindlichen Schaaren standen, die nahen Höhen krönend, im Angesicht der Gränze. So war am Nachmittage des 14. Septembers fernerer Verzug nicht mehr möglich. Carl V. betrat, ein Flüchtling, das französische Gebiet, nachdem er sechs Jahre lang mit männlicher Standhaftigkeit jeder Strapatze getrotzt und den tausendfach gehäuften Mühen und Sorgen im Kampfe um den Thron seiner Vorfahren heldenmüthig sich unterzogen hatte. 2000 Mann, welche ihm unmittelbar folgten, wurden bis zu dem Augenblicke des Übertrittes von den Kugeln der Christinos decimirt. Den König begleitete seine erhabene Gemahlinn nebst dem Prinzen von Asturias und dem Infanten Don Sebastian. Die Behandlung, welche die französische Regierung dem unglücklichen Fürsten zu Theil werden ließ, ist allgemein bekannt und gewürdigt. Mehrere Generale und Minister waren dem Könige schon vorangegangen, viele andere folgten sogleich, unter ihnen Graf Casa Eguia, General Sylvestre, Chef des Genie-Corps, der Kriegsminister Montenegro, Don Basilio Garcia, vor kurzem erst nach Spanien zurückgekehrt, Villareal, Gomez, Zariategui, der greise Pfarrer Merino und Andere, die das Exil der Unterwerfung unter das Joch der Usurpation vorzogen. Sofort betraten auch sechs Bataillone von Alava mit einer Escadron, das Bataillon von Cantabrien, einige navarresische Compagnien und die königliche Garde unter den Generalen Elío und Grafen Negri das fremde Gebiet; ihnen folgten in den nächsten Tagen alle Bataillone und Escadrone von Navarra, unfähig sich länger zu halten. Estella und die übrigen Forts in Navarra ergaben sich bald, und vor dem Ende des Monats war mit der Einnahme des schönen Castells von Guevara in Alava, welches sofort gesprengt wurde, der Krieg in den baskischen Provinzen gänzlich beendigt. Doch noch hatten die Carlisten einen herben Verlust zu beklagen, einen Verlust, der noch schmerzlicher wurde, weil er zu mancher Mißdeutung Veranlassung gab: der ehrwürdige Moreno, er, der so oft an der Spitze der Armee gekämpft und zu so manchem glorreichen Siege sie geführt hatte, ward von seinen eigenen Soldaten ermordet, da er Spanien zu verlassen im Begriff war. Auch die regelmäßigsten und am höchsten geachteten Heere verloren die frühere Kriegszucht, wenn furchtbares Unglück über sie hereinbrach. So ist es nicht zu bewundern, daß die Navarresen, ehe sie nach Frankreich übergingen, der Straflosigkeit gewiß, zu manchen Ausschweifungen und Verbrechen sich hinreißen ließen; und sie sind ganz besonders in diesem Abschütteln der gewohnten Bande zu entschuldigen, da ja der Umsturz aller ihrer Hoffnungen und der Werke ihrer schweren Blutarbeit durch die eigenen gepriesenen Anführer herbeigeführt war und sie also wohl Grund hatten, mit Mißtrauen gegen ihre Vorgesetzten zu verfahren. Noch entschlossen, im Vaterlande sich zu vertheidigen, sahen sie in einem Jeden, der nach der Gränze floh, einen Verräther, welcher in der Fremde sich zu sichern suche. Mit andern Unglücklichen fiel der untadelhaft treue General Moreno ein Opfer dieser Wuth; die Navarresen tödteten ihn mit dem Geschrei: „Nieder mit den Verräthern!“ So war der langwierige Kampf der Basken gegen die Macht des liberalisirten Spanien beendet; das kühne Bergvölkchen hatte mit Aufopferung seines Königs sein Hauptziel erreicht, seine Privilegien waren bestätigt, so fern die Versprechungen der Regierung Isabella’s als Bestätigung gelten konnten. Und beurtheilen wir die Basken nicht zu hart! Bedenken wir, wie sie von ihren Chefs hingerissen und geführt wurden, und wie Volk und Soldat ja so oft, anstatt selbst zu urtheilen, durch diejenigen sich leiten lassen, welchen sie gewohnt sind mit Ehrfurcht und Gehorsam zu folgen; bedenken wir auch, daß die Basken wehrlos den Massen der Christinos sich hingegeben sahen, als schon ihre Kraft nach dem langen, blutigen Ringen erschöpft war. Das Benehmen aber der Alavesen und Navarresen bis zum letzten Augenblicke zeigt wohl hinlänglich, daß das Heer und das Volk, wo es treue Anführer an seiner Spitze sah, bereit war, Alles für seinen Herrscher zu opfern. Aber Schande, ewige Schande dem Mann, der sich nicht scheute, zum Verrathe die erhabene Stellung und die Macht zu mißbrauchen, welche das unbeschränkte Vertrauen seines Monarchen ihm schenkte; der um des schnöden Goldes willen Gefährten, Vaterland und König verkaufen konnte! Die Rache wird ihn zu ereilen wissen. -- Und Schande den Elenden, die wissend und willig zur Ausführung der ehrlosen That ihre Hand liehen! Die Regierung der unmündigen Isabella würdigte den unschätzbaren Dienst, welchen Maroto ihr geleistet hatte, und sie stand nicht an, öffentlich ihn dafür zu belohnen. Der abtrünnige General ward in den Grafenstand[94] erhoben und zum Präsidenten des höchsten Kriegsrathes ernannt; er prunkte seitdem in Madrid mit den Millionen, die jener Handel ihm eingebracht hatte. Auch seine Helfershelfer, Cabañero, Urbiztondo, la Torre und die Führer der vizcaischen, guipuzcoanischen und castilianischen Truppen, wurden reich abgelohnt. Espartero aber, da nun seine Gegenwart im Norden Spaniens überflüssig ward, beeilte sich, indem er die Provinzen stark besetzt ließ und zugleich ganz sie entwaffnete, mit 45000 Mann nach Unter-Aragon aufzubrechen; auch detachirte er eine starke Division nach Catalonien zur Hülfe des Baron de Meer, der dort schwer gedrängt wurde. Er hoffte, daß sein gefürchteter Name und der Anblick der Massen, die er heranführte, hinreichen werde, um die kleine Schaar des Grafen von Morella zu eiliger Unterwerfung zu bewegen. Wie hätte er auch ahnen mögen, daß er Männer treffen könne, die seinen so oft erprobten Künsten zu widerstehen wagten; Männer, die mit der Gewißheit des Unterliegens und mit Bestechung und Verrath aus ihrer eigenen Mitte angegriffen, vorzogen, ihrem Könige und ihrer Pflicht treu, bis zum letzten Augenblick ehrenvoll zu kämpfen und mit den Waffen in der Hand zu fallen, als daß sie den lockenden Verheißungen Gehör gegeben hätten, durch die der Siegesherzog seine Siege zu erkaufen suchte! [92] Orduña ist die einzige ~ciudad~ und die alte Hauptstadt der Provinz, wiewohl oft die ~villa~ -- Stadt zweiter Classe -- Bilbao außerhalb Spaniens falsch als solche bezeichnet wird. [93] Sie trat bei jeder Gelegenheit sehr markirt hervor. So wie der Navarrese Navarra verließ, ward er der schlechteste Soldat, unruhig, zu Aufstand und Unordnungen geneigt und stets unzufrieden, indem sein ewiger Refrain war: „Nach Navarra, nach Navarra!“ [94] Als Graf Casa-Maroto. XXIX. Am 13. October verließ ich Morella, um den Marsch nach Catalonien anzutreten, auf dem zwei Officiere mich begleiteten, die, in diesem Fürstenthume geboren, in der Armee desselben ihre Dienste fortzusetzen wünschten. Wiewohl bis dahin nur unbestimmte Nachrichten über die Ereignisse in den baskischen Provinzen mich erreicht hatten, wußte ich doch, daß Espartero mit seinen Divisionen schon in Zaragoza angelangt sei, und daß er öffentlich erklärt hatte, noch vor dem Ende des Jahres die Horden Cabrera’s zu Paaren treiben zu wollen. So, ich leugne es nicht, schmerzte es mich tief, daß ich die Armee des Helden verlassen sollte, für den in der kurzen Zeit, die ich in seiner Nähe mich befand, die höchste Bewunderung sich mir aufgedrängt hatte; ich bereuete fast als zu rasch den Schritt, der nun in so entscheidender Stunde, da Kampf und Gefahr bevorstand, von den bedroheten Kriegsgefährten mich trennte, die ich unter dem Feuer des Feindes achten und lieben gelernt hatte. Wann ist der Soldat mehr in seinem Elemente, als da er gewiß ist, daß bald das blutige Kriegsspiel in seiner wildesten Gestalt sich entfalten wird? Und ich sollte, den Ebro passirend, gerade jetzt so süßer Erwartung entsagen! Doch ich beruhigte mich mit der Hoffnung, daß ja auch Catalonien’s Heer nicht unthätig bleiben werde, und ich jubelte in dem Gedanken, mit Truppen zu dienen, die, durch Organisation und Kriegszucht die ersten Spanien’s, als regelmäßige Armee und echte Soldaten im europäischen Sinne der Worte bezeichnet werden durften. Noch einen -- ich wähnte, den letzten -- Scheideblick warf ich auf das mächtige Castell, das trotzig Morella’s Veste überragt; dann zog ich dem Norden zu, so bald wie möglich das Heer des Grafen von España zu erreichen. So wie wir den schroffen Gebirgsknoten hinter uns ließen, bei dem die Gränzen von Valencia, Aragon und Catalonien sich berühren, nahm das Land einen milden Charakter an, der immer an Lieblichkeit zunahm, je mehr wir zum Ebro hinabstiegen. Die Provinz blieb überall gebirgig, aber die Ketten nahmen an Höhe und Rauhheit ab, befruchtende Bäche, die bald in Flüßchen sich vereinigten, schlängelten sich zwischen ihnen hin, und die Thäler wie die Rücken der Hügel waren mit Olivenbäumen und Reben bedeckt, deren Früchte in lockender Reife prangten. Die reinlichen Dörfer und Landhäuser, welche rings umher freundlich winkten, zeigten an, daß wir stündlich weiter von dem Schmutze Aragon’s uns entfernten; sie waren überall mit reichen Frucht- und Gemüsegärten umgeben, und zahllose Feigenbäume, durch die Felder längs dem Wege zerstreut, boten zum zweiten Male im Jahre ihre nährende Frucht dem Wanderer. Als wir endlich den das Ebro-Thal begränzenden Höhenzug erstiegen hatten, staunten wir bewundernd bei dem Anblicke der herrlichen Landschaft, die so ruhig und so reich vor uns sich ausbreitete, als hätte ununterbrochener Friede hier wohlthuend gewaltet, ohne je seine Gaben den Bewohnern dieses bevorzugten Landes zu entziehen. Ja, als ich diese liebliche Scene überschaute, in welcher der Ebro, breit und majestätisch, zwischen den Hügeln sanft hinglitt, die im Norden rasch steigend an dunkele Gebirge fern sich anlehnten; als ich die zahllosen Ortschaften im rosigen Scheine der Abendsonne so friedlich mit ihren fruchtbaren Gefilden glänzen sah, wie sie dicht an einander gereihet den Strom umkränzten -- da verfluchte ich die Leidenschaften, die, in tausend Formen des Menschen Glück unterwühlend, auch in dieses Paradies die Thränen und das Elend einführten, ihre steten Begleiterinnen. -- Die Ufer des Ebro wären wahrlich ein Paradies, wenn der Mensch nicht sie bewohnte. Am vierten Tage des Marsches erreichten wir Flix, nächst Mora de Ebro der wichtigste Übergangspunkt über den Strom, welchen die carlistische Armee inne hatte, und seit kurzem leicht befestigt, um es gegen einen ~coup de main~, besonders von der nahen Festung Mequinenza, zu sichern. Für die Verbindung mit Catalonien waren jene Punkte natürlich von hoher Wichtigkeit. Wir waren genöthigt, in Flix zu rasten, da gerade eine feindliche Division in unserer Marschlinie auf Berga, die Hauptstadt des carlistischen Catalonien’s, sich befand und jede Communication interceptirte. Erst am 19. October zeigte der Gouverneur, höchste Vorsicht empfehlend, mir an, daß ich mit einiger Hoffnung auf Erfolg die Reise antreten könne, und da ich den Abmarsch eines Detachements, welches in wenigen Tagen aufbrechen sollte, nicht abwarten mochte, passirte ich mit den beiden Gefährten und meinem Burschen noch an demselben Tage den Fluß. Als die Fähre langsam die spielenden Wellen durchschnitt, gedachte ich der Zeit, da ich fast zwei Jahre früher den gewaltigen Strom überschritt. Es war in den letzten Tagen des Jahres, und im Dunkel der Winternacht mußten wir in die brausenden Fluthen uns stürzen; denn das Wasser, nicht wie hier sanft und einladend, stürmte mit wildem Toben einher und riß die durch seine grimme Kälte Erstarrten mit sich fort zu schrecklichem Tode. Wie mancher brave Gefährte fand da zu früh sein Grab! -- Und ich gedachte der Tage, die seitdem verflossen waren, in denen so Vieles mich traf, Gutes wie Übel; ich durchlebte wieder auf den Flügeln des Gedankens Leiden und Gefecht, das traurige Schmerzenlager nach schwerer Verwundung, die gräßliche, hoffnungs- und thatenlose Gefangenschaft, dann die Befreiung und wieder die Scenen des Kampfes und des Sieges über die Gehaßten. Hatte ich nicht hundertfach Grund, dem ewigen Erhalter innigen Dank zu spenden, da ich jetzt sorglos auf den tanzenden Fluthen mich schaukelte! Sorglos! -- Ha, wie so ganz anders gestalteten sich seit jener Zeit die Verhältnisse und die Hoffnungen der erhabenen Sache, deren Vertheidigung ich mein Schwerdt gewidmet hatte! Damals ja, duldeten wir viel von der Elemente Wuth und den Fatiguen, unvermeidlich in so schwierigem Unternehmen; damals umgaben uns rings Gefahren und Leiden, und Tod drohete in mannichfacher Gestalt. Aber wir litten Alles freudig und mit Enthusiasmus, wir jubelten bei dem Gedanken, den Krieg in das Gebiet der stolzen Feinde zu tragen, und wir vertrauten, daß der Erfolg, so viele Anstrengungen krönend, das ersehnte Glück uns bringen werde, den Monarchen, für dessen Rechte wir fochten und duldeten, siegreich auf seiner Vorfahren Thron zurückzuführen. Jetzt war keine Hoffnung mehr für uns: das Heer, dem ich früher angehörte, war vernichtet, der König mit seinen Getreuen in fremdes Gebiet gedrängt, ein Gefangener. Die Massen der Feinde, die bisher jenem Heer gegenüberstanden, zogen nun heran, mit vielfacher Übermacht uns zu erdrücken; wir konnten nur noch streben zu unterliegen unserer würdig, zu kämpfen, bis auch die Möglichkeit des Kampfes genommen sei, und dann ... Schrecklicher Gedanke: dieser entsetzliche Wechsel ist das Werk des Verrathes! Aber eben dieser Gedanke, wie peinlich schmerzhaft er war, hatte etwas Erhebendes, Befriedigendes. Unsere Schaaren, aus so schwachem, so verachtetem Kern entsprossen, standen unbesiegt und drohend, die zahllosen Söldlinge der Revolution vermochten Nichts gegen die Kämpen der Loyalität; Bestechung und Verrath allein konnten uns besiegen. Da war es glorreich, besiegt zu sein. -- Wie oft drängt sich das Gebet jenes Helden uns auf: „Schütze mich, o Herr, vor meinen Freunden, vor den Feinden werde ich selbst mich schützen!“ * * * * * Unser Marsch war gefährlich, da wir über dreißig Meilen weit von dem eigentlichen Gebiete der catalonisch-carlistischen Armee entfernt waren, während auf dieser ganzen Strecke nur dann Truppen sich fanden, wenn die Communication zwischen den beiden Heeren sie dort nöthig machte. Der Weg, dem wir zu folgen beschlossen, führte uns fortwährend durch einen wilden Gebirgszug, in dessen schmalen und scharf abgesetzten, aber fruchtbaren Quer-Thälern, welche wir sämmtlich durchkreuzen mußten, unansehnliche Dörfer dicht neben einander lagen. Zur Rechten und zur Linken ließen wir, oft nur eine halbe Stunde entfernt, die Forts liegen, mit denen die Christinos, wie allenthalben, das Terrain besäet hatten, welches sie das ihre nannten;[95] und wiederholt verdankten wir den Warnungen der ganz royalistisch gesinnten Bauern unsere Rettung von den kleinen Streifcorps, die unaufhörlich das Gebirge durchschwärmten, um die Passage zu verhindern. Es verdient bemerkt zu werden, daß in allen diesen Dörfern zwei Behörden etablirt waren, eine christinosche und eine carlistische, die, wie sie mit der einen Parthei oder mit der andern zu thun hatten, abwechselnd ihre Functionen ausübten. Diese Einrichtung, von den beiderseitigen Anführern stillschweigend anerkannt, hatte für die Truppen sowohl, als für die Einwohner viele Vortheile und Annehmlichkeiten. Doch entstand daraus für einzelne Reisende, wie wir es waren, der gefährliche Umstand, daß die christinoschen Autoritäten sofort den Feinden die Ankunft derselben pflichtgemäß melden mußten, was sie jedoch, gleichfalls Carlisten, gewöhnlich bis nach dem Abmarsche verschoben. Übrigens wurden die Behörden der einen Parthei nie von den Truppen der andern belästigt.[96] Nach manchen Gefahren und erschöpft durch mehrtägiges Marschiren ohne Rast, da wir selbst in den abgelegensten Orten kaum die zur Zubereitung der einfachen Speise nöthige Zeit bleiben durften, hatte unsere Caravane, aus vier Menschen, eben so vielen Maulthieren und einigen Guiden bestehend, in der Nacht die letzte feindliche Linie überschritten, und am Morgen des dritten Tages leuchtete von einem hohen Felsen die befestigte Hermite von Pinos uns entgegen, die uns als carlistisches Fort bezeichnet war. Bald sahen wir einige Compagnien von der Armee von Catalonien: ich bedauerte nicht länger, ihr angehören zu sollen. Nachdem wir im ersten Dorfe durch zwölfstündigen Schlaf uns gestärkt hatten, langten wir am 23. October in Casserras an, wo der commandirende General des Fürstenthumes, der gefürchtete Graf von España, an demselben Tage angekommen war. Catalonien ist eine der größten Provinzen der Monarchie und ohne Zweifel die reichste: ihre Bewohner zeichnen sich eben so sehr durch Thätigkeit und Industrie aus, wie die meisten übrigen Spanier und besonders die Bewohner der wie Catalonien von der Natur begünstigten Theile durch Trägheit und Indolenz. Dabei sind sie wilden, heftigen Charakters, der in den niederen Ständen oft in Grausamkeit und Blutdurst ausartet, stolz, standhaft, ja eigensinnig in den Ideen und auch in den Vorurtheilen. Noch immer hängen sie mit Vorliebe, die in jeder Hütte wie eine alte Sage vom Vater auf die Söhne übertragen wird, an dem Hause Östreich, für das sie einst so hart gekämpft, so schwer gelitten haben; noch immer hoffen sie, wieder den östreichischen Stamm über sich herrschen zu sehen, und jeder ~Austriaco~ ist sicher, bis in die fernsten Gebirge hin Wohlwollen und freundlichste Aufnahme zu finden. Der Franzose aber, der verachtete ~Gavacho~, findet nur Haß und nicht selten martervollen Tod. Das Fürstenthum muß als aus zwei in mancher Hinsicht sehr verschiedenartigen Theilen bestehend angesehen werden. Das Flach- oder Küstenland, ganz hügelig, im Süden dem Ebro entlang und im Osten längs dem Ufer des Meeres sich erstreckend, ist mit zahllosen Städten bedeckt, die durch den Handel zu den reichsten der Halbinsel gemacht sind. Dort blühen Manufakturen und Fabriken, die Wissenschaften sind in hohem Schwunge, und das Land zeichnet sich aus durch das lieblichste Klima, welches alle Arten Südfrüchte in Fülle hervorbringt. Dort auch sind die festen Plätze der Provinz, dort herrschten stets die Statthalter Christina’s, und die Einwohner, wie überall, wo der Handel blühete, wenn nicht vorzugsweise der Herrschaft des Liberalismus geneigt, waren doch gleichgültiger gegen das Streben der royalistischen Parthei. Sie wollten Frieden, unter wem es auch sei. Wenn man aber in die Gebirge sich vertieft, die von den Pyrenäen wild verschlungen gen Süden sich hinziehen, den größten Theil des Fürstenthumes bedeckend, nehmen alsbald Land und Bewohner einen andern Charakter an. Die Luft wird rauh; anstatt der Weingärten und Olivenhaine bedecken dichte Eichenwaldungen die Bergrücken und umgeben Getreidefelder die zahlreichen Dörfer. Große Städte werden seltener und fallen endlich ganz weg, wogegen kleinere Ortschaften und vor allen die einzelnen Gehöfte zunehmen, welche überall durch die Thäler zerstreut sind. Ackerbau und einige Viehzucht ist dort der einzige Erwerbszweig. Alle Bauern sind sehr wohlhabend, da in Catalonien, der einzigen Provinz Spanien’s, die Untheilbarkeit der Grundstücke gesetzlich ist. Die jüngeren Söhne werden irgend eine andere Nahrungsquelle suchen -- daher wohl der Unternehmungsgeist der Catalonier, der so Viele außer Landes treibt, -- wenn sie nicht, wie sehr oft, vorziehen, im Hause des ältesten Bruders, des als Kind schon mit Ehrfurcht behandelten ~heréu~,[97] als Knechte zu bleiben. Diese Gebirgsbewohner sind natürlich rauh, einfacher, biederer und weniger gebildet als ihre Brüder von der Küste; sie sind sehr religiös, und die Geistlichkeit hat noch vielen Einfluß über sie bewahrt, während sie in den großen Seestädten nur Verachtung und Spott findet. Diese treuherzigen, kräftigen Menschen sind Carlisten mit Leib und Seele. -- Allen Cataloniern aber ist ein Charakterzug gemeinschaftlich, der unendlich gegen den starren, stets zum Widerstande geneigten Trotz ihrer Nachbarn, der Aragonesen absticht. Sie treten im ersten Augenblicke sehr fest und entschieden auf, und Wehe dem, der dadurch sich einschüchtern läßt oder nicht gleiche Kraft gegen sie entwickelt. Aber sie schmiegen sich alsbald unter das Joch dessen, der Macht und Willen besitzt, um sie den Ungehorsam schwer büßen zu machen; um sie zu bändigen ist eiserner Wille und rücksichtslose Strenge nöthig, der sie, wie sehr sie auch an ihren Ideen festhalten, doch stets im Äußern weichen. * * * * * Sofort nach Ferdinand’s VII. Tode erhoben sich auch in den Hochgebirgen von Catalonien Banden, die sich für Vertheidiger seines rechtmäßigen Nachfolgers ausgaben; unter dem Namen von Carlisten ließen sie Raub und Plünderung ihr Hauptziel sein. Disciplin war ihnen eine ganz unbekannte Sache. Die Soldaten kamen und gingen und thaten, was ihnen beliebte, die Anführer lebten in höchster Uneinigkeit unter einander und strebten vor Allem dahin, ihre Koffer mit Gold zu füllen, den unglücklichen Landmann, der allein die Kosten jenes Krieges zahlte, durch ihr Plünderungs-System zu Grunde richtend. Daher thaten sie denn auch den Christinos im offenen Kampfe geringen Schaden. Sie durchzogen vielmehr ohne Plan oder Combination die Gebirge, von denen herab sie des Raubes wegen Einfälle in die Ebene machten, wenn gerade keine Truppen dort waren, und sie überfielen höchstens einmal ein feindliches Detachement, dem sie sich zehnfach überlegen wußten, und das dann ohne Erbarmen niedergemacht wurde. Den Einwohnern konnten sie natürlich weder Vertrauen noch andere Furcht einflößen, als die, welche auf ihre Ausschweifungen und Erpressungen sich gründete, so daß die Carlisten Cataloniens damals in jeder Hinsicht den Raubhorden gleich standen, die so entsetzliches Elend über die Bewohner der Mancha brachten. Umsonst ward General Guergué im Jahre 1835 mit einer starken Division von Navarra ausgeschickt, um die catalonischen Banden um sich zu vereinigen, sie zu organisiren und dadurch wahrhaft der Sache nützlich zu machen, deren Namen sie mißbrauchten. Alle seine Anstrengungen scheiterten an der Unlust derselben, der geringsten Zucht und Ordnung sich zu fügen, worin sie denn von ihren Chefs verstärkt wurden, die häufig offen gegen den General auftraten. So ward Guergué genöthigt, ohne seinen Auftrag vollzogen zu haben, nach den Provinzen zurückzukehren, da die navarresischen Bataillone, ihrer neuen Gefährten bald überdrüssig und an Allem Mangel leidend, einstimmig nach Navarra geführt zu werden forderten. Dann im Jahre 1836 übertrug Carl V. dem General Maroto das Commando des Fürstenthumes, und Strenge und Festigkeit machten diesen wohl geeignet zu dem schwierigen ihm anvertrauten Werke. Aber er hatte von Anfang an wiederholtes Unglück in den militairischen Operationen, und für einen Feldherrn, der seine Autorität über undisciplinirte Haufen erst befestigen soll, ist eine Niederlage der größte, nie gut zu machende Fehler. Nachdem er umsonst Alles versucht hatte, die Widerstrebenden zu bändigen, mußte auch Maroto weichen und zog sich nach Frankreich zurück. Tristani, Royo, Urbiztondo und Andere, theils durch Mangel an Kraft, theils auch aus bösem Willen, richteten noch weniger aus. Ich werde nicht die Geschichte jenes Krieges -- wenn er solchen Namen verdient -- erzählen, der ohne Erfolg von einer wie der andern Seite hingezogen wurde. Geschlagen ward fast nie; die bemerkenswerthesten Thaten bestanden in der Eroberung irgend eines befestigten Punctes durch die carlistischen Horden, meist durch Überraschung, und in der augenblicklichen Wiedernahme desselben, so wie eine Colonne der Christinos gut fand, vor ihm zu erscheinen. -- Gehen wir sogleich zu dem Zeitpunct über, in dem jene Horden endlich in ein geregeltes Heer umgeschaffen wurden. * * * * * Don Carlos de España gehörte einer alten Familie des südlichen Frankreichs an, von wo er im Anfange der Revolution nach Spanien emigrirte; er trat als Officier in ein Linienregiment ein. Schon damals ward große Heftigkeit und Rücksichtslosigkeit in ihm bemerkbar, die selbst, da er als Adjudant einen Unterofficier im Dienst niederschlug, eine königliche Ordre ihm zuzog, durch die der Gebrauch des Stockes, der in Spanien den Adjudanten unterscheidet, ihm untersagt ward; erst als General ward er von der ferneren Befolgung dieses Befehles entbunden. In dem Kriege gegen Napoleon commandirte de España ein kleines Corps, mit dem in Estremadura und Alt-Castilien unter Wellington’s Oberbefehl operirend, er wiederholt die Anerkennung dieses Feldherrn verdiente. Er zeichnete sich besonders durch die Strenge seiner Disciplin, so selten in den spanischen Truppen jener Periode, vortheilhaft aus. Unter Ferdinand VII., während dessen Regierung, so wie in seiner ganzen Laufbahn, er sich stets als reiner Royalist zeigte, ward er mit Gunstbezeugungen überhäuft, erhielt das Commando des Infanterie-Corps der Garde und wurde zum Grafen und Grande erster Classe erhoben. Im Jahre 1827 brach in Catalonien und den angränzenden Provinzen die ultraroyalistische Revolution aus -- wenn eine Revolution, deren Zweck ist, dem Könige die Art seiner Regierung vorzuschreiben, royalistisch genannt werden darf! -- durch die Ferdinand VII. zur Entlassung seines zu gemäßigten Ministeriums gezwungen werden sollte. Der Aufstand verbreitete sich mit Schrecken erregender Schnelle, und jede Maßregel zeigte sich gleich fruchtlos. Da sandte der König den Grafen de España ab, ihn zu unterdrücken. Dieser beurtheilte richtig den Charakter des Volkes, mit dem er zu thun hatte: er etablirte in allen Städten Kriegsgerichte, harte Strafen wurden über die Theilnehmer, noch härtere über die Begünstiger der Empörung verhängt; zugleich verfolgte er mit unermüdlicher Energie überall ihre Schaaren. -- Eine ungeheure Anzahl der Rebellen, man behauptet 30000, wurden hingerichtet, wohl eben so viele deportirt. In wenigen Wochen war die Ruhe ganz hergestellt. Der Graf blieb dann als commandirender General in Catalonien, bis er im Jahre 1832, da Ferdinand schon unter dem Einflusse Maria Christina’s vegetirte, durch General Llauder abgelöset wurde, worauf er nach Frankreich abreisete. Übrigens war er von unbeugsamen, gebieterischem Character, gewohnt, in seinen Untergebenen nur Maschinen zu sehen, und nicht selten tyrannisch; dabei aber bieder und unerschütterlich gerecht und unpartheiisch gegen Hohe wie gegen Niedere. Die Soldaten hatten nirgend so Viel zu thun und zu leiden, wie unter seinem Commando, und waren dennoch nirgends zufriedener, da seine Strenge mit väterlicher Fürsorge gepaart war; der Officier aber mochte wohl sich vorsehen, denn sein Fehler fand nie Gnade bei dem General. Zugleich erwarb sich der Graf die Zuneigung derer, die ihm nahe standen, durch Herablassung und Freigebigkeit, und er bezauberte Fremde leicht durch seinen scharfen Verstand und den Geist, der in jedem seiner Worte blitzte, wie durch unübertreffbar feines Benehmen. Zwei Fehler verdunkelten die hohen Eigenschaften des kräftigen Greises, er gab den augenblicklichen Einfällen seiner Laune zu sehr Spielraum, und er wollte Alles ohne Ausnahme rücksichtslos auf militairisch despotischem Wege ordnen. Sein Despotismus, verbunden mit der durch die Verhältnisse bedingten Härte in der Bestimmung der Strafen, erwarb ihm zahlreiche Feinde, die mit spanischer Rachsucht den günstigen Augenblick erlauerten, in dem sie ihn wehrlos in ihren Händen sehen würden; während die nicht immer seiner Stellung angemessenen Seltsamkeiten, zu denen Caprice ihn verleitete, seinen Gegnern und den Pedanten, deren ja überall so viele sich finden, Veranlassung gab, ihn verrückt zu schelten, und ihnen manche Waffe gegen ihn lieferte. Diesen Mann stellte Carl V. wiederum an die Spitze des Fürstenthumes, als jeder Versuch, die catalonische Faction zu einem geordneten Ganzen zu machen, gescheitert war; im Juni 1838 passirte er die französische Grenze. Wohl kannten ihn die Catalonier, und Carlisten wie Christinos zitterten, da sie dem gefürchteten Greise das Commando übergeben sahen. Sein Auftreten rechtfertigte sofort die Furcht und die Hoffnungen, welche der bloße Name des Grafen de España erregt hatte. So wie er in Berga anlangte, ließ er über der Stadt einen hohen Galgen errichten und verkündete zugleich, daß ein Jeder, der die geringste Veruntreuung oder Erpressung sich zu Schulden kommen lasse, ohne Gnade aufgeknüpft werde, ob es gleich der erste General sei. Und es blieb nicht bei der Drohung. Officiere und Soldaten, Beamte und Einwohner empfanden bald die unerbittliche Gerechtigkeitsliebe des alten Kriegers; mehrere der bisherigen Chefs wanderten nach Frankreich aus, Böses fürchtend, andere wurden abgesetzt und erhielten ganz unbedeutende, passive Stellen, und das Commando der Truppen wurde Männern anvertraut, die als wahre Royalisten und wahre Militairs sich bewährt hatten, oder die ihre Gesinnungen unter der Maske der Redlichkeit und des Eifers schlau zu verbergen wußten. Da entwickelte der Graf in der Organisation seiner Truppen eben so viel Kraft wie Talent. In wenigen Monaten waren die nackten Horden, welche raubend und stets fliehend die Pyrenäen durchirrten, in eine Armee verwandelt, organisirt und disciplinirt, wie weder Carlisten noch Christinos seit dem Beginn des Krieges sie besessen hatten.[98] Die Infanterie, aus 21 Bataillonen in vier Divisionen bestehend, war stets vollkommen uniformirt und gewaffnet, und sie erhielt regelmäßig ihren Sold und ihre Rationen; die Officiere mußten abwechselnd die zu dem Zwecke errichtete Akademie besuchen, um zugleich in Theorie und Praxis sich zu vervollkommnen. Die Cavallerie, noch im Werden, da es sehr an Pferden mangelte, zählte drei Escadrone unter versuchten Chefs, die unter Zumalacarregui ihre Schule gemacht hatten. Die Artillerie und das Geniecorps, so schwer zu bilden, wo auch die einfachsten Elemente für sie fehlten, brachte der General durch Zuziehung von fremden Officieren und durch fortwährende Instruction zu einem Grad der Brauchbarkeit, wie er sonst nach vieljährigen Anstrengungen selten sich findet. Kanonengießereien, Gewehr- und Pulverfabriken wurden angelegt und militairische Schulen für jede Waffengattung etablirt. Ja, es gelang dem erfahrenen Anführer, seinen Truppen mit der bewundernswürdigsten Subordination und Kriegszucht jenes Ehrgefühl und den ~esprit de corps~ einzuflößen, die so unendlich den moralischen Werth derselben heben und ihn verbürgen. Die ganze Armee bestand übrigens aus kaum 7000 Mann, da der Graf gleichfalls die Methode adoptirte, seine Bataillone möglichst zu vervielfältigen, um sich dadurch den Schein größerer Stärke zu geben. Die meisten Bataillone waren nicht über 300 Mann stark, manche namentlich nach Gefechten natürlich weit schwächer. Indem aber der Graf sein Heer bildete, richtete er auch seine Aufmerksamkeit auf die Verwaltung, die von beiden Partheien so ganz vernachlässigt war. Da er höchste Ordnung und Regelmäßigkeit herrschend machte, waren seine Cassen stets gefüllt, und durch kraftvolle Maßregeln, denen der Respekt, welchen die Catalonier von früher her ihm bewahrten, besonderes Gewicht gab, vermochte er auch das Unglaubliche, daß der größte Theil der vom Feinde besetzten festen Punkte ihm regelmäßig die fälligen Abgaben und Contributionen zahlte. Die aber, welche dessen sich weigerten, verloren durch Gewalt den doppelten Werth des Schuldigen. Einem jeden der Districte, Barcelona nicht ausgenommen, setzte er militairische Gouverneurs vor, die, in irgend einem, oft weit entfernten Fort residirend, mit der Erhebung der Abgaben beauftragt waren; sie hatten selten Gelegenheit, über Säumniß der Behörden zu klagen. Dadurch konnte der Graf der Armee stets ihren Sold auszahlen und alle ihre Bedürfnisse aus den königlichen Magazinen befriedigen, so daß selbst das Brod aus den eigenen Bäckereien geliefert und den Truppen nachgeführt wurde. Er bewirkte dadurch, daß die Lasten, welche der Krieg dem Einwohner, besonders dem Landmanne aufhäufen mußte, gleichmäßig über das ganze Fürstenthum vertheilt wurden, während bis dahin, wie in den andern carlistischen Heeren, die Gegend nicht selten ruinirt wurde, in der eine Colonne eine Zeit lang hausete. Die Folgen waren eben so schnell, als wohlthätig. Die friedlichen Bauern, welche früher die Horden als Todfeinde gefürchtet hatten, sahen sich plötzlich gegen jede Ausschweifung gesichert, strenge Gerechtigkeit ward ihnen zu Theil, und die erlittene Beleidigung wurde hart bestraft. Sie erkannten, daß die Abgaben, wenn auch schwer, gleichmäßig auf Alle vertheilt waren, und sie gewöhnten sich bald, die Anwesenheit carlistischer Colonnen als eine Wohlthat zu betrachten, da sie ja alle Bedürfnisse baar bezahlten und also erwünschte Gelegenheit zum Absatz der Produkte gaben. Die Einwohner gaben sich daher ganz ihren den Royalisten so günstigen Gesinnungen hin, und was der gute Wille der Einwohner vermag, ist durch hundertfach wiederholte Erfahrungen bewährt. Auch verkannten die Catalonier nicht, wem sie solches Glück zu danken hatten; -- denn als glücklich darf ihr Zustand bezeichnet werden im Vergleich mit dem Elend der früheren Jahre und dem, was die andern Provinzen litten. -- Wie oft hörte ich während meines kurzen Aufenthaltes im Fürstenthume den Grafen von España als Retter gesegnet; wie oft wünschten die Bauern ihm Heil und Glück, den Augenblick preisend, in dem er die Zügel der Regierung in die Hand nahm! * * * * * Auch schien das Glück dem edlen Greise nicht abhold. Denn wiewohl er nicht durch gewonnene Schlachten seinen Namen verherrlichte, gelang es ihm, selbst gegen den Baron de Meer, der eben so kräftig und gewandt in Barcelona durch Militair-Despotismus herrschte, wie der Graf in Berga, in den Gebirgen Hoch-Cataloniens sich zu souteniren, während er mit der Organisation seiner kleinen Armee beschäftigt war. Und als er dieses vollbracht, breitete er trotz der numerischen Überlegenheit der Feinde, die über 40,000 Mann stark waren, ihre Zersplitterung klug benutzend, mehr und mehr in die Niederungen sich aus und nahm einige feindliche Forts. Täglich wurde sein Übergewicht fühlbarer, seine Herrschaft weiter ausgedehnt. Er belagerte Ripoll, eine ansehnliche, Gewerbe treibende Stadt in Hoch-Catalonien. Die Besatzung und die Nationalgarde vertheidigten sich mit äußerster Hartnäckigkeit, wie denn die Einwohner der Stadt als exaltirt liberal gesinnt berüchtigt waren. Am 27. Mai 1839 ward der Sturm auf die offene Bresche angeordnet. Die carlistischen Bataillone griffen äußerst brav unter den Augen des Grafen an, der kaltblütig dem heftigsten Feuer ausgesetzt blieb und seine Krieger ermunterte. Dreizehn Mal rückten die Stürmenden unter dem Schall der Janitscharen-Musik gegen die Bresche; dreizehn Mal wiesen die Christinos, gleichfalls durch ihre Musik, wie durch das Angstgeschrei der Weiber und Kinder angefeuert, standhaft den Angriff zurück. Doch der vierzehnte Sturm ward gleich fest unternommen, und die Vertheidiger wichen ermattet von der Bresche, auf der die Mehrzahl gefallen war. Alles, was Waffen trug, wurde von den wüthenden Soldaten niedergemacht; die übrigen Bewohner mußten sogleich die Stadt verlassen, welche niedergebrannt und bis auf den letzten Stein rasirt wurde. Der Verlust der Carlisten war sehr bedeutend; ein Bataillon zählte von seinen acht Capitains sieben außer Gefecht gesetzt. Der Graf ließ eine Säule errichten mit der Inschrift: ~aqui fué Ripoll~. -- Hier stand Ripoll. -- Ein solches Beispiel rächender Strafe verfehlte seine Wirkung nicht. Mehrere Posten der Feinde wurden geräumt oder ergaben sich, und die Carlisten streiften, fast ohne Widerstand zu finden, bis nahe nach Barcelona und südlich in die reichen Gefilde des Ebro, während die Christinos sich darauf beschränkten, mit starken Massen ihre Festungen zu verproviantiren. Zugleich trat ein wichtiger Wechsel in der feindlichen Armee ein, da das Commando derselben an der Stelle des energischen Baron de Meer, der, ganz Militair, von den Anarchisten unendlich gefürchtet ward, dem General Valdés übertragen wurde, demselben, der gegen Zumalacarregui so unglücklich gekämpft hatte. Valdés erklärte sofort, daß es mit den Mitteln, über die er verfügte, nicht möglich sei, die Fortschritte des Grafen de España zu hemmen, dessen Truppenzahl doch drei bis vier Mal so schwach war, als die mobile Macht der Christinos. Er mußte indessen, um sich zu halten, irgend etwas unternehmen und erklärte endlich nach der Mitte Septembers seine Absicht, Berga, den Hauptsitz der Carlisten, anzugreifen, da er wohl hoffte, daß die Kunde von dem vollbrachten Verrathe Maroto’s und der Beendigung des Krieges in Navarra Entmuthigung oder gar Sympathie für ihn hervorbringen werde. Wahrscheinlich würde es ihm nicht besser ergangen sein, als einst dem General Oráa vor Morella. Aber Valdés begnügte sich, da die anticipirte Muthlosigkeit nicht sichtbar wurde, von einer Höhe herab das einige Stunden entfernte Berga zu betrachten, und kehrte wieder um. España benutzte dagegen trefflich die Fehler des feindlichen Anführers; er nahm die feste Stadt Moyá und führte die männlichen Bewohner gefangen fort, da die Garnison sie gezwungen hatte, gleichfalls die Waffen zu ergreifen und die beiden Forts zu vertheidigen; ein Theil der Stadt ward bei dem Angriffe eingeäschert. Dann eroberte er das eben so hartnäckig vertheidigte Copons und zog in Castell-Tresols ein, welches ihm die Thore öffnete. Valdés, an Geld und Hülfsquellen eben so Mangel leidend, wie sie dem Grafen im Überfluß zuflossen, und nur reich an Soldaten, die er nicht zu benutzen verstand, wagte kaum noch, im Felde sich zu zeigen, und erwartete mit Ungeduld die Verstärkungen, welche ihm von Espartero zugesagt waren. Solsona selbst, durch seine Lage wichtig und bedeutende Festung, die de Meer den Carlisten abgenommen hatte, schon lange eng blokirt, war im Begriff, sich zu ergeben, da es ganz an Lebensmitteln fehlte und Valdés nicht zum Entsatz anrückte. Das Fürstenthum war der That nach dem Grafen de España unterworfen und duldete willig eine Herrschaft, die, auf strenge Gerechtigkeit basirt, so sehr die traurige Lage der Einwohner erleichterte; die Christinos geboten nur noch da, wo sie gerade standen, und wagten nur in starken Colonnen das Land zu durchkreuzen, in dem der einzelne Carlist ruhig die Befehle seines Generals ausführen durfte. [95] In Catalonien besaßen die Christinos nicht weniger als hundert und einige zwanzig feste Punkte. Es ist einleuchtend, wie solche Zersplitterung ihrer Macht die Offensive paralysiren mußte; dagegen hinderten sie auch sehr die Fortschritte der Carlisten. [96] Diese doppelten Behörden waren erst eingeführt, seit der Graf de España das Commando der Carlisten übernommen hatte. Früher wären sie schwerlich so verschont geblieben. [97] Früher erwähnte ich, daß die catalonische Sprache, der französischen, italienischen und spanischen gleich verwandt, von den Castilianern nicht verstanden wird. Einzelne gothische Worte und Wendungen finden sich auch in ihr. [98] Gegen das Ende des Jahres 1839 gestanden selbst die Feinde ein, daß das Heer des Grafen von España nur mit der königlichen Garde Ferdinand’s VII. verglichen werden könne. XXX. In Casserras angelangt, ging ich am 23. October Nachmittags zum Logis des Grafen de España, mich zu melden; ein Ordonnanz-Officier überbrachte meine Papiere dem General, der als Antwort mir und den beiden mich begleitenden Officieren den Befehl sandte, uns als arretirt auf die Hauptwache zu begeben. Meine Cameraden fluchten und verwünschten den launigen alten Narren, wie sie wüthend ihn nannten; ich beschloß, entschieden dem herrischen Mann entgegenzutreten. Der die Wache habende Officier erzählte uns tröstend, daß die Wachzimmer, wo der General gerade weilte, stets mit Officieren angefüllt seien, und daß er selbst vor kurzem zehntägigen Arrest gehabt habe, den er nur dem Zufalle zuschreiben könne, daß er vor dem Logis des Generals einem jungen Mädchen zunickte, da unmittelbar nachher ein Adjudant ihm ohne weiteren Grund die Ordre gebracht habe, sich als Arrestant zu stellen. Andere Anwesende erzählten da noch manche Sonderbarkeit des Grafen, indem sie ruhig hinzufügten: „so ist einmal unser Alter.“[99] Noch am Abend schrieb ich in festem Tone an den General, ihn bittend, da ich auf eine Art mich empfangen sähe, die ein Officier unter meinen Umständen gewiß nicht erwarten dürfe, mich sogleich nach der Strenge der Gesetze zu richten, und wenn ich unschuldig befunden sei, mich dem Feinde gegenüber zu stellen, oder mir zu erlauben, nach dem Heere von Aragon zurückzukehren, um dort ferner für die Sache des Königs zu kämpfen. Dann legte ich mich, in den Mantel gehüllt, auf einen Tisch schlafen, nicht gerade den angenehmsten Gefühlen hingegeben. Um drei Uhr schon weckte mich die Reveille, die, von den Musikchören und den Banden der fünf im Flecken stationirten Bataillone ausgeführt und alle Straßen durchziehend, auch den Schlaftrunkensten plötzlich munter machte. Stunde auf Stunde verging, die Zeit wurde mir lang. Endlich ritt der General, von wenigen Officieren begleitet, zu einer Musterung, von der er gegen Mittag zurückkam; ich sah einen kräftig das Pferd bändigenden Greis, untersetzt und wohl beleibt, mit der goldgestickten Uniform, dem dreieckigen Hute und der seidenen Schärpe, die den spanischen General auszeichnen. Ein Adjudant half ihm beim Absteigen, worauf er leicht in das Haus trat. Wenige Augenblicke nachher eilte derselbe Officier, der uns gestern nach der Wache beordert hatte, über die Straße und theilte mir den Befehl des Generals mit, sofort vor ihm zu erscheinen. Ich fand ihn auf der obern Flur des Hauses, welches einfach, wie jedes große Bauernhaus, und mit sehr massiven hölzernen Meubles versehen war. Der Graf, sieben und sechszig Jahr alt, hatte mit der Elasticität der Jugend keinesweges ihr Feuer und wenig von ihrer Kraft verloren; sein Auge, geistreich und durchdringend, strahlte in hoher Lebendigkeit, wenige greise Haare umgaben die edel gewölbte Stirn, und ein leichtes Lächeln um den Mund machte den Eindruck der imponirend majestätischen Züge sehr einnehmend. Er empfing mich äußerst artig und führte mich in sein Privat-Zimmerchen, wo er mir sein Bedauern über die unbequeme Nacht ausdrückte, die er mir verursachte, indem er hinzufügte, daß sein Adjudant mich als Franzosen genannt habe, gegen welche Nation er, obgleich selbst der Geburt nach ihr angehörend, den größten Widerwillen hege. Übrigens sei unter den obwaltenden Verhältnissen Verdacht und Mißtrauen so natürlich, daß dadurch auch die äußerste Vorsicht gerechtfertigt werde. Dann befragte mich der Graf über den Zustand der Armee Cabrera’s, über ihren Geist und besonders über den Eindruck, den der Verrath Maroto’s auf sie machte. Da ich ihm erwiederte, daß bisher sehr wenig davon bekannt und ich selbst in der That nicht von ihrem Umfange unterrichtet sei, schilderte er mir in glühenden Worten die Schandthat des Erbärmlichen und die Folgen, welche sie für das Heer und den Monarchen gehabt hatte. Furchtbarer Unwille sprach sich in Wort und Mienen aus, seine Augen sprühten Verachtung und den Wunsch der Rache. Der biedere, bis zum Tode seinem Könige unwandelbar ergebene Greis konnte solche Niedrigkeit nicht fassen. Er befragte mich ferner über die Officiere, welche mich dorthin begleitet hatten, und sprach seine Absicht aus, sie nach Frankreich zu senden, da er nicht wage, in solcher Zeit ihm unbekannte Officiere in die Armee aufzunehmen. Dann examinirte er mich über tausend verschiedene Gegenstände, in jedem Fache gleich bewandert sich zeigend, und sprach mit Theilnahme über den Obersten Baron von Rahden, der einige Zeit bei ihm sich aufgehalten hatte und dann trotz dem Widerstreben des Generals auf Befehl des Königs zur Armee von Cabrera abgehen mußte. Er bedauerte noch immer dessen Abreise, da er ihm nicht nur durch seine Kenntnisse äußerst nützlich, sondern auch lieb gewesen sei als Gesellschafter und wahrer Edelmann, deren er leider so wenige in seinen Umgebungen zähle. Das Diner war indessen servirt, und ich mußte an der Seite des Grafen Platz nehmen; sein Secretair, ein Adjudant und ein so eben mit Aufträgen des Königs aus Frankreich angelangter Beamter bildeten die Gesellschaft. Die Unterhaltung war leicht, und der alte Graf belebte sie durch häufige Scherze; auch rief er wohl mit einem ungeheuren Sprachrohre, wie sie auf Schiffen üblich sind, den vorübergehenden Mädchen Thorheiten zu, weidlich über die Bestürzung lachend, die die Donnerstimme ihnen erregte, oder er neckte einen gigantischen Ziegenbock,[100] den er Maroto getauft hatte. Dazwischen befahl er, einem entlassenen christinoschen Soldaten, der, des Spionirens verdächtig, zwischen unsern Colonnen aufgefangen war, funfzig Stockprügel zu geben und ihn bis zum Fuß des Galgens mit dem vollständigen Apparat des Hängens zu führen, worauf er durch eine Ordonnanz ihm Begnadigung verkünden ließ, die dem armen Teufel, der Rettung schon für unmöglich gehalten hatte, todähnliche Ohnmacht verursachte. Die Speisen waren, wie gewöhnlich, sehr einfach, und das Tafel-Service bestand aus Steingut und Holz; nur mir wurde ein Glas gereicht, da die übrige Gesellschaft -- der General aus Politik -- nach der Sitte der Catalonier aus der Flasche -- ~el porró~ -- trank, die, mit einer langen, gebogenen Röhre versehen, kunstmäßig so gehalten wird, daß der Wein im Bogen aus der engen Öffnung der Röhre in den Mund fällt, ohne daß die Flasche die Lippen berühre oder ein Tropfen zur Seite falle. Ich hatte diese Trinkart noch nicht mir zu eigen gemacht. Übrigens ist das Volk in Catalonien so abergläubisch auf die Sauberkeit dieses ~porró~ bedacht, daß auch der ärmste Hüttenbewohner ihn sofort zerbricht und nicht selten dem Fremden, d. h. Jedem, der nicht Catalan ist, vor den Füßen zerschmettert, wenn er aus Unwissenheit oder Sorglosigkeit ihn mit dem Munde berührte. Mir selbst erging es einst so in dem reichen Gandesa, südlich vom Ebro; da ich aber zufällig ein Detachement bei mir hatte, verfehlten die Freiwilligen eifrig nicht, dem guten Mann seine Impertinenz durch einige derbe Kolbenstöße fühlbar zu machen. Nachdem der General nach Tische auf der Flur, die als Empfang und Speisezimmer, Gesellschaftslocal und Bureau zugleich diente, spatzieren gegangen war, setzte er sich behaglich in der Küche neben dem knisternden Feuer nieder. Da fragte er mich plötzlich, was ich denn zu thun gedenke, wenn ich nicht in Catalonien bliebe? Ob ich nach Frankreich ginge?[101] Ich erwiederte, daß ich ihn ersuchte, mir in dem Falle den Paß zur Rückkehr nach Aragon zu geben, da ich jetzt im Augenblick der Gefahr unter keiner Bedingung die Meinen verlassen würde. Aber lächelnd meine Hand ergreifend, sagte er mir, daß ich ihm zwar einen impertinenten Brief geschrieben hätte, nicht bedenkend, daß ich unter Spaniern sei; daß ich aber dennoch bei ihm bleiben und an ihm einen Vater haben würde. „Ich liebe die Deutschen, und nützlich werden Sie mir auch sein.“ Mein Entzücken bei der so unerwartet gütigen, wie schmeichelhaften Entscheidung des gepriesenen Feldherrn war unendlich. Ich war entschlossen, des ehrenden Vertrauens stets mich würdig zu zeigen. An demselben Nachmittage war ich schon dem Generalstabe der Armee zugetheilt, und der Graf ließ mir ein Zimmer in seinem Logis anweisen mit dem Bedeuten, daß ich fortan ganz als seinem Haushalt angehörig mich zu betrachten habe. Am Abend schon beschäftigte er mich mit vergleichendem Ordnen von Karten, Plänen und Croquis, die trefflich geeignet waren, um der genauesten Kenntniß des Terrains ein vollständiges Dementi zu geben. Wie verschieden hatten sich doch meine Gefühle mit meiner Lage gestaltet, seit ich vier und zwanzig Stunden früher als Arrestant und mein Geschick verfluchend im Schlafe Vergessenheit und Trost suchte. * * * * * Am folgenden Tage bewunderte ich bei einer Revue die Bataillone, die, einfach, aber geschmackvoll uniformirt, mit Präcision und militairischer Haltung manövrirten; auch ward die Strenge und Heftigkeit des Generals mehrfach bemerkbar. Selbst höhere Officiere wurden stark getadelt, und mehrere Subalterne wanderten vom Exercierplatze direct zur Wache, wogegen den Soldaten im vollen Maße die ihren Anstrengungen gebührende Anerkennung ward. Ich lernte dort mehrere untergeordnete Anführer kennen, unter denen der loyale General Ivañez -- ~el Llarj de Copons~, der Lange von Copons genannt, da er vielleicht der höchste Mann in Spanien ist -- und Oberst Camps, Chef und Organisateur der Cavallerie des Fürstenthumes, ein ausgezeichneter Officier, der schon unter Ferdinand VII. und später in Navarra diente, und unter Freund und Feind wegen der Kraft seines Armes bekannt. Es wird behauptet, daß er mehrere Male feindlichen Reitern Kopf und Brust mit einem Hiebe seines aus zwei Klingen zusammen geschmiedeten Schwerdtes[102] gespalten, und einen andern quer durch den Leib in zwei Stücke getrennt habe, so daß der untere Theil auf dem davonjagenden Pferde sitzen blieb. Am 25. October Mittags ward das Hauptquartier nach dem nur zwei Stunden von Casserras entfernten Berga verlegt. Der Abmarsch, wie gewöhnlich, ganz durch Laune entschieden, war so plötzlich, daß der Graf fünf Minuten nach dem Entschlusse schon mit wenigen Begleitern und escortirt von der Compagnie Miñones auf dem Wege war. Eine halbe Stunde später von einem Auftrage zurückkommend, fand ich das Haus leer; ein Reitpferd des Grafen, welches er mir überlassen hatte, bis man für mich ein anderes dem Feinde abgenommen habe, ward sogleich von einem mich erwartenden Miñon[103] vorgeführt. Bald holte ich einen Officier ein, der auf einem Maulthiere gleichfalls Berga zuritt, und ich erkannte einen der beiden mit mir arretirten Cameraden; er war vom General, der ihn nicht sehen wollte, zu einem Depot fern im Gebirge bestimmt, dem Verbannungspunkte der Officiere, welche de España nicht in seinem Heere haben wollte. Der seit der Ankunft desselben seines Commando’s beraubte Brigadier Don Bartolomé Porredon -- ~el Ros de Eroles~, der Rothe von Eroles, gewöhnlich genannt -- befehligte es. Mein Gefährte, da er meine neue Stellung kannte, zeigte sich natürlich kriechend artig -- das liegt einmal in der Natur des modernen Spaniers; übrigens war er ein guter Soldat und hatte sich wohl nur durch den Umstand, daß er in Amerika gegen die insurgirten Colonien gefochten, den Widerwillen des Grafen zugezogen, indem dieser behauptete, daß alle Welt als Schurke von dort zurückgekehrt sei, welchen Satz er mit vielen merkwürdigen Beispielen belegte. Bitter klagte der Arme über sein Schicksal. Er war aus Moyá gebürtig, der Stadt, welche nicht lange vorher durch die Unseren erstürmt war, und so eben hatte er erfahren, da er hieher gekommen war, um den Seinen näher zu sein, und dadurch Unterstützung sich zu sichern, daß sein väterliches Haus ganz niedergebrannt und der einzige Bruder, vor längerer Zeit als Carlist gefangen, nach der Insel Cuba deportirt sei; das Schicksal seines Vaters war ihm unbekannt. Nach fast zehnjähriger Abwesenheit fand er so seine Heimath wieder! Umsonst suchte ich zu trösten, und in der That war Trost da schwer. So zogen wir langsam der Festung zu, die fast versteckt zwischen den hohen Felsgebirgen liegt, welche von beiden Seiten dicht sie umschließen; auf ihnen waren Forts angelegt, die durch sich kreuzendes Feuer den Übergang über jene Kette fast unmöglich machten. Auf der andern Seite ist die Stadt von sanft abgedachten Hügeln umgeben, die, dem Plane des Baron von Rahden gemäß, zur Anlage von regelmäßigen und ziemlich ausgedehnten Verschanzungen sehr glücklich benutzt wurden, so daß hinter ihnen und auf die Festung gestützt eine Division, wie in einem verschanzten Lager, mit Vortheil gegen ein weit überlegenes Heer sich vertheidigen und, von Position auf Position weichend, den Fortschritt des Feindes höchst blutig, ja, einem Heere wie dem des General Valdés ganz unmöglich machen konnte. -- Leider ward der Plan nicht bis zur Vollendung ausgeführt. Schon waren wir den am weitesten vorgeschobenen Werken nahe, als uns ein Haufen Gefangener begegnete, um, von der Arbeit ruhend, ihr Mittagsmahl einzunehmen. Des Jammers gedenkend, den ich ja selbst vor kurzem noch gelitten, ritt ich langsam vorbei; da erregte ein Schrei hinter mir meine Aufmerksamkeit: ich sah meinen Gefährten in den Armen eines Greises, der, die eingefallenen Schläfen mit wenigen Silberhaaren bedeckt, mein Mitleid rege gemacht hatte, wie er tief gebeugt und auf einen Stab gelehnt mühsam einherwankte. Der Sohn hatte in dem Gefangenen seinen achtzigjährigen Vater erkannt. Die Scene war herzzerreißend, und ich fühlte die Brust, wie nie mehr, mir schmerzhaft zusammengepreßt; als ich mich umwandte, sah ich den bärtigen Miñon mit derbem Fluche eine Thräne sich trocknend. Erst nach langer sprachloser Umarmung konnte der Sohn sich losreißen, schnelle Hülfe versprechend. Als wir in Berga anlangten, erklärte der Wicht, er wage nicht, vom General seines Vaters Freiheit zu erbitten: ein solcher Schritt für einen Negro würde ihn nur compromittiren. Demnach legte er sich ruhig nieder, die Siesta zu schlafen! -- Der Graf hatte doch wohl Recht in seinem Urtheile! Natürlich ward der Greis nebst einem Großsohn, der mit ihm in dem Fort von Moyá gefangen war, noch an demselben Tage in Freiheit gesetzt. * * * * * Der Graf bewohnte ein großes, massives Haus, ~el palacio~ genannt, außerhalb der eigentlichen Stadt gelegen. Die Thüren waren durch Tamboure gedeckt, die Fenster des Erdgeschosses durch crenelirtes Gemäuer geschlossen, und Alles im Innern, wie im Äußern war auf die höchste Vertheidigungsfähigkeit berechnet. Übrigens herrschte hier dieselbe Einfachheit, welche in Casserras auffiel, und dieselbe ununterbrochene Thätigkeit. Die Aufmerksamkeit des Grafen war besonders auf die Verbesserung der Artillerie und auf die dieser Waffe correspondirenden Fabriken und Materialien gerichtet, und mehrfach äußerte er, als ich mit ihm die Werkstätten und Magazine durchschritt, seinen Verdruß über die geringe Anzahl von Feldgeschützen, die ihm zu Gebote stand, und deren Vermehrung durch den Mangel an passendem Metall sehr erschwert ward. De España beabsichtigte, um dem Heere von Aragon durch eine Diversion Hülfe zu bringen, mit der größeren Hälfte seiner Macht nach Süden in die fruchtbaren Ebenen des Ebro-Thales die Operationen zu verlegen, deren Erfolg unberechenbar werden mußte, da er, im Besitze mehrerer Übergangspuncte über den Strom, die Flanke und den Rücken Espartero’s bedroht hätte, als dieser von Zaragoza aus gegen Cabrera’s Heer vordrang. Oberst Camps, deshalb nach Morella gesendet, war so eben zurückgekehrt und hatte die Nachricht überbracht, daß Cabrera einwillige, die Escadrone Valmaseda’s zur Verfügung España’s nach Catalonien zu senden, da es diesem so sehr an Cavallerie für den Krieg in der Ebene fehlte. Es ward dem greisen Krieger nicht die Zeit gelassen, seinen Plan auszuführen. Am Nachmittage dieses Tages wurden zwei Officiere erschossen, da sie geäußert hatten, das Beste sei, den hoffnungslosen Kampf aufzugeben und wie Maroto möglichst gut zu accordiren. Ein anderer Elender, ein Ex-Mönch, war wenige Tage vorher gehängt, überführt und geständig, mit Gift zur Ermordung des Grafen von España von Barcelona gekommen zu sein; ein Club der Exaltados hatte ihn zu dem Verbrechen gedungen. Doch wie sehr ich mich sträube, ich muß endlich zu der blutigen Katastrophe kommen, durch welche die Sache des Royalismus eines Vertheidigers beraubt wurde, wie während des Bürgerkrieges nur zwei sich fanden, die an Kraft, Talent und Wollen ihm zur Seite gestellt werden konnten. Der Graf war am 26. October äußerst thätig gewesen, hatte viele Menschen aller Classen empfangen, Vieles angeordnet und manche Vorbereitungen getroffen, die auf schnellen Aufbruch von Berga deuteten. Nachdem am Nachmittage der Intendant und einige Vocale der Regierungs-Junta, deren Präsident er war, bei ihm gewesen waren, sprach er, als schon die Nacht anbrach, seine Absicht aus, der Sitzung der Junta beizuwohnen, was nur geschah, wenn er besonders wichtige Gegenstände durchsetzen wollte. Bald ritt er mit seinem Secretair, dem Oberstlieutenant Don Luis Adell, und begleitet von einigen Miñones und Kosacken,[104] nach dem eine halbe Stunde entfernten Dorfe Avia, wohin er die Junta wegen Überfüllung der Stadt verlegt hatte. Beim Weggehen sagte er mir freundlich: „Denken Sie daran, daß der Soldat stets einen Schlaf und eine Mahlzeit im voraus haben muß.“ Froh legte ich mich nieder, überzeugt, daß wir am folgenden Tage zu der Operation abmarschiren würden. Gegen Morgen weckte mich lautes Lärmen im Palais. Aus meinem Zimmer tretend fand ich einige höhere Officiere, welche alle Gemächer durchsuchten und Papiere und Effekten jeder Art hin und her schleppten, wobei sie gar seltsam von dem alten Fuchse sprachen, der so fein gefangen sei, und mit wildem Gelächter fluchten. So wie sie mich bemerkten, flüsterten sie unter einander, laut genug, um mich manche Worte, wie ~maldito gavacho~ und ähnliche Ehrentitel, verstehen zu lassen, worauf einer derselben, ein Oberst und Vocal der Junta, zu mir kam, der ich mit untergeschlagenen Armen erstaunt dem Treiben zusah, und mir kurz sagte: „~puede Usted marcharse, capitan~.“ -- Sie können gehen -- Wohin? fragte ich natürlich; „~al infierno!~“ -- zur Hölle. -- Das war nicht sehr klar und noch weniger artig; daher fragte ich finster, wo der Graf sei? Einen Augenblick blickte der Vocal mir starr in die Augen, dann erwiederte er mit kurzem, widerlich aus der Gurgel tönenden Lachen: „~carajo~, der Alte ist weit von hier; gehen Sie nur zum Gouverneur.“ Und da ich, mich nur vom Grafen abhängig erklärend, immer noch zauderte, rief ein Anderer mit dem gemeinsten unter allen den gemeinen Flüchen, die dem spanischen Militair auch der höchsten Grade so vertraut sind: „Stich den trotzigen Hund nieder!“ Das war schon klarer, besonders da er, den mächtigen Schleppsäbel ziehend, mir nahete, und da ich mit Cataloniern zu thun hatte. Ich griff daher zum Mantelsack, in dem meine Pistolen sich befanden; doch kaum erblickten ihn die Herren, als er mir schon mit dem Bescheide entrissen war, es dürfe Nichts aus dem Hause entfernt werden. So ging ich denn auf die Straße, wo ich zu meinem Erstaunen weder die Wache noch die Burschen antraf, wohl aber viele Miñones, sonst die steten Begleiter des Generals. Der Gouverneur wies mir mit der Erklärung, der Graf sei während der Nacht abgereiset, ein Logis an und versprach, für meinen Mantelsack zu sorgen; ich empfing ihn am folgenden Tage, die trefflichen Pistolen aber waren auf immer verschwunden. Augenscheinlich theilte alle Welt meine Ungewißheit und Unruhe über die Vorfälle jener Nacht. Auf der Straße sah man wenige Menschen, und diese eilten rasch an einander vorüber, nur flüchtig und wie verstohlen sich begrüßend. Jedermann sprach flüsternd, als fürchte man überall Horcher, und dennoch wagte auch so Niemand über das zu reden, was einem Jeden am schwersten auf dem Herzen lag. Ängstliche Beklommenheit, wie wenn furchtbares, unvermeidliches Verderben droht, schien auf Allen zu lasten; dazu kam Mißtrauen und die Furcht, durch ein unüberlegtes Wort dem Zorn und der Rache von Feinden sich auszusetzen, die man doch nicht kannte. Zugleich durcheilten einzelne Männer geschäftig und mit höhnisch triumphirendem Antlitze die leeren Straßen, gerade solche, die bisher am unscheinbarsten sich gemacht und, tief vor dem allgefürchteten Grafen im Staube kriechend, umsonst seine Verachtung mit stets erneuten Betheurungen der unwandelbarsten Ergebenheit zu besiegen gesucht hatten. Bald langte General Segarra an, der zweite Befehlshaber im Fürstenthume. Er betrug sich alsbald als unabhängiger Chef und befahl, vor Allem die politischen Gefangenen und die männlichen Einwohner der kürzlich genommenen Städte in Freiheit zu setzen, da sie, als Vertheidiger mit in die Forts der Christinos eingeschlossen, bis dahin als Kriegsgefangene betrachtet wurden. Segarra zeigte durch diesen ersten Schritt, daß er anstatt der unerbittlichen Strenge des alten Grafen, die er stets mißbilligte, eine ganz entgegengesetzte Richtung einschlagen werde; er kannte die Catalonier nicht, oder wenn er richtig sie beurtheilte, besaß er nicht die Kraft, ja Härte, die doch allein in seiner Stellung Erfolg ihm sichern konnte. Überhaupt ist Segarra ein Mann von mildem und selbst schwachem Charakter, ein guter Militair, der, durch langen und ehrenvollen Dienst ausgebildet, häufig seine kriegerischen Talente bewährt hatte und ihretwegen vom Grafen de España hoch geschätzt wurde. Ich bin überzeugt, daß er an dem schmählichen Tode seines Feldherrn und Wohlthäters keinen Theil hatte und noch weit weniger, wie wohl geschehen ist, als der Haupturheber der Schandthat angesehen werden darf. Der Mann war nicht dazu fähig. Die Verschworenen täuschten ihn über ihre wahren Absichten und befriedigten ihre persönliche Rachsucht, ohne ihn zu Rathe zu ziehen; sie ließen ihn dann dem Anschein nach die Frucht des Verbrechens ernten, weil sie ihn ja leiteten und lenkten, wie sie nur wollten. Aber nichts desto weniger ist er strafbar, da er als Werkzeug für die Intriguen der selbstsüchtigen Mörder sich brauchen ließ und zum Sturze des Generals ihnen sich anschloß, den sein König ihm vorgesetzt hatte; er stellte sich selbst als Mitschuldigen dar, indem er die Thäter unbestraft ließ, die höchsten Stellen ihnen anvertraute und ganz ihrer Leitung folgte. Er gab sich endlich der Verachtung preis und erlaubte, auch das Niedrigste, das Entehrendste von ihm zu glauben, da er, als die Sache der Legitimität hoffnungslos im letzten Todeszucken lag, seines Eides und seiner Ehre uneingedenk, die unterliegenden Gefährten verließ und ein Verräther dem übermüthigen, übermächtigen Feinde sich anschloß, wohl von des Grafen von Morella Hand die Strafe jenes Verbrechens fürchtend. -- So weit führt Schwäche! * * * * * Noch an demselben Tage erfuhr ich im Vertrauen durch einen mir bekannten Officier, der einem Vocale der Junta verwandt war, daß der Graf auf königlichen Befehl abgesetzt und nach Frankreich geführt sei. Es war ein harter Schlag! Ich seufzte tief, denn ich würdigte den ungeheuren Verlust, den unsere schon so vertheidigungslose Sache dadurch erlitt; aber der König befahl, da mußte jede andere Rücksicht schweigen. Am folgenden Morgen ging ich, dem General Segarra mich vorzustellen und seine Ordres zu empfangen. Der Saal war mit Officieren jedes Grades und Civilisten gefüllt, von denen viele, die zwei Tage vorher tief zur Erde die Voyna vor mir gesenkt und mir tausendfach wiederholte Dienstanerbietungen gemacht hatten, jetzt finster mich anschauten und höhnisch unter einander zischelten. Ich nahm so wenig Notiz von ihren Impertinenzen, wie ich früher ihre Schmeicheleien berücksichtigt hatte; auch ward ich von einem Obersten, der bei meinem Eintritt in das Cabinett des Generals gegangen war, bald dorthin beschieden. Segarra, vor einem Lehnstuhle stehend, begrüßte mich sehr artig. Seine Magerkeit und Blässe, wie die Haltung des leidend nach vorn gebeugten Körpers verriethen die Kränklichkeit, unter der er stets schmachtete; auf den Gesichtszügen lagerten dunkle Wolken, doch umzog ein leichtes und, wie es schien, stehendes Lächeln den nicht unangenehmen Mund. Mit wenigen Worten erklärte ich dem General, daß ich, vom Grafen de España dem Generalstabe zugetheilt, da ich meine unmittelbaren Vorgesetzten nicht kennte,[105] ihn um Verhaltungsbefehle ersuchte. Er erwiederte mir, stets lächelnd, er habe schon von mir gehört, und ich müsse, da kein Platz für mich offen sei, zu einem Depot gehen. Das überraschte mich. Doch schnell entschlossen antwortete ich ihm, daß, um im Depot müssig zu sein, wäre ich weit bequemer im Vaterlande müssig geblieben; ich bäte ihn daher, mir die Rückkehr zu der Armee des Grafen von Morella zu erlauben, da ich dort wenigstens nicht verhindert sein würde, dem Feinde mich entgegenzustellen. -- „Wie Sie wollen, ich wünsche glückliche Reise.“ -- Eine halbe Stunde später hatte ich den Paß und bereitete mich zur Abreise vor. Es mußte mir einerseits peinlich sein, wieder zu Cabrera zurückzukehren, da ich nicht auf die freundlichste Art von ihm geschieden war; und doch wieder freute ich mich, jetzt nach Aragon zu kommen und an dem Kampfe Theil zu nehmen, der mit den überlegenen Massen Espartero’s bevorstand. Ich hoffte nicht den Sieg, zu solcher Hoffnung gehörte echt spanische Verblendung, und die theilte ich nicht mit so vielen Tausenden. Aber ich hoffte und vertraute, daß wir ehrenvoll unterliegen würden, wie wir ehrenvoll den glorreichen Kampf bis dahin durchgeführt hatten, ich war überzeugt, daß wir unter des Grafen von Morella Führung selbst der Vernichtung mit Stolz entgegensehen durften. Denn, wenn ich gar keinen Grund hatte, um Cabrera zu lieben, schätzte und verehrte ich ihn eben so sehr als Feldherr und bravsten Krieger, wie als kraftvollen, festen und nie zagenden Mann, als unwandelbaren und unerschütterlichen Royalisten. [99] Ich erinnere mich zweier Anekdoten von ihm, die ziemlich bezeichnend sind. Als er gerade das Commando übernommen hatte, erfuhr er, daß die Anführer und Officiere der zu bändigenden Horden selbst ihre Leute zum Widerstreben reizten und jede seiner Maßregeln und Handlungen bekrittelten oder gar lächerlich machten. Er versammelte sie auf der Parade, ließ einen Hund in die Mitte führen, hielt ihm eine heftige Strafrede, weil er schlecht von seinem General, der an des Königs Statt dastehe, gesprochen habe, und drohete, im Wiederholungsfalle ihn zu erschießen. -- Da die disciplinwidrigen Äußerungen noch nicht aufhörten, wurden die Officiere wieder versammelt, der Hund ward gebunden von der Wache her gebracht, und der Graf erklärte ihm, daß er, trotz der Warnung desselben Verbrechens schuldig, nun erschossen werde. Ein Piquet ward beordert und der Hund füsilirt. -- Dann wandte sich der General zu den Officieren mit den Worten. „Meine Herren, ich warne nie öfter, als zwei Mal!“ -- Niemand gab ihm Gelegenheit, die Anwendung des aufgestellten Beispieles weiter zu treiben. Später beklagten sich die Officiere, daß sie so schlecht besoldet würden, daß sie kaum davon essen könnten. In der That erhielten sie, da ihnen der Gehalt nicht ausgezahlt wurde, wenig mehr als die so reichlich bedachten Soldaten. -- España lud eines Tages das Officier-Corps zum Frühstück ein. Eine Schüssel mit gesalzenen Häringen ward aufgetragen, ihr folgte eine andere mit gekochten Häringen, dann eine dritte mit Häringen, in Öl gebraten, und wieder eine mit gerösteten Häringen. Ein Commißbrod lag auf dem Tisch, und kristallhelles Wasser war im Überfluß zur Löschung des mächtig angeregten Durstes vorhanden. -- Erstaunt sahen die Officiere sich an, da sie gehofft hatten, der General werde heute seiner gewohnten Frugalität entsagen; als dieser lächelnd sie aufforderte, frei auf Soldatenart das Mahl eines Soldaten zu theilen. „Ich äße gern wilde Enten, Pasteten und köstliche Leckerbissen -- denn ich bin gewaltig lecker, meine Herren! -- und ich tränke gern Xerez oder Champagner. Aber das Geld, das Geld! Der Gehalt wird nicht bezahlt, ich bin meinem Könige in den jetzigen Umständen ein so leichtes Opfer schuldig; und Häringe, zwei Stück für einen Sou, sättigen mich am Ende eben so gut. Dann werde ich durstig, und das Wasser schmeckt mir trefflich, das kostet aber gar nichts. -- Greifen sie zu, meine Herren! Auf baldiges Frühstück in den Hotels von Barcelona!“ [100] Der Graf liebte sehr die Thiere und führte stets viele mit sich, besonders Hunde und Ziegen. [101] Der Graf hegte augenscheinlich noch immer Mißtrauen; er glaubte vielleicht, daß ich aus irgend einem politischen Grunde die Armee Cabrera’s hätte verlassen müssen, und tentirte mich deshalb. So bot er mir auch eine bedeutende Summe an, die ich natürlich ablehnte. [102] Einen gewöhnlichen Säbel weiß Camps gar nicht zu gebrauchen, weil er ihm zu leicht ist. [103] Die Miñones sind ausgewählte Soldaten, im Frieden Gensdarmen-Dienst versehend. Ihre Uniform und der über die linke Schulter herabhängend getragene Überrock sind sehr reich in Gold gestickt. -- De España und Cabrera wählten Beide diese Miñones zu ihrer persönlichen Bedeckung. [104] Der Graf hatte einige hundert Mann mit Bauernpferden beritten gemacht, um sie als Ordonnanzen, auch wohl zu Streifzügen, auf denen kein Zusammentreffen mit feindlicher Cavallerie zu fürchten war, zu gebrauchen. Ohne Uniform, mit einer Lanze oder etwas ihr Ähnlichem -- etwa einer Stange mit einem beliebigen scharfen Eisen -- bewaffnet, oft ohne Sattel und mit einem Strick statt des Zügels, sahen diese Reiter abenteuerlich genug aus. España benannte sie Kosacken, nach den Flüssen von Hoch-Catalonien die Compagnien als vom Segre, vom Cardenet, Llobregat und Ter bezeichnend. [105] Ich habe in der That nichts von einem Chef des Generalstabes gesehen, dessen Geschäfte der Graf, so wie Cabrera, mit Hülfe seines Sekretairs Adell meistens selbst verrichtete. XXXI. Der Graf de España hatte, wie ich weiter oben erzählte, unter Ferdinand VII. den Auftrag erhalten, die Empörung der sogenannten Ultra-Royalisten[106] in Catalonien zu unterdrücken; er vollführte ihn eben so rasch wie vollständig, und bald war dem Fürstenthume Friede und Ruhe wiedergegeben. Ich erwähnte dort der Tausende, die mit dem Leben ihre verbrecherischen Anschläge büßten; Alle aber, auf denen der leiseste Verdacht der Theilnahme haftete, wurden deportirt oder hatten Jahre lang den Jammer eines spanischen Gefängnisses zu dulden. Die Feinde des Grafen, und ihrer waren viele, behaupteten, er habe die Provinz in einen weiten Kirchhof verwandelt, und die Ruhe, welche er schuf, sei die Ruhe des Grabes. Ohne die zahllosen Wohlthaten zu beachten, welche seine Verwaltung nach hergestellter Ordnung über das Land ausschüttete, wollten sie nur die Blutströme sehen, deren Vergießung zur Verhütung weit schrecklicheren Unheils unumgänglich war, und sie urtheilten so einseitiger Ansicht gemäß. Unzeitige Milde ist oft grausamer, als die härteste Strenge. Hätte de España mit der revolutionairen Bewegung temporisirt, hätte er nicht mit eiserner Faust durch einen Schlag sie niedergeschmettert, so würde schon damals das ganze Königreich in Elend und Blut ertränkt sein. Denn die Grundsätze, welche jener Aufstand verfocht, waren die des politischen und religiösen Fanatismus, der, unduldsam gegen Alles, was um einen Grad tiefer oder höher steht, keine andere Mittel zur Befestigung seiner Herrschaft kennt, als das Beil des Henkers, die Flammen des Auto da Fé und alle die Schrecken, durch die in andern Jahrhunderten die Inquisition ihre Opfer verfolgte. Als der Graf de España im Jahre 1838 nach Catalonien zurückkehrte, fand er die Verhältnisse ganz anders gestaltet. Die Mehrzahl der Theilnehmer jener früheren Empörung hatte sich nun den carlistischen Banden angeschlossen, und Viele, die damals, vom Grafen als Verbrecher bestraft, in den Gefängnissen geschmachtet hatten oder gar nach Afrika’s Giftküste deportirt waren, hielten jetzt die ersten Stellen im Heere und in der Regierungs-Junta inne; noch Mehrere haßten in ihm den Feind, durch den ihre Verwandten und Genossen Tod oder schwere Leiden fanden. Sie alle unterwarfen sich ihm nur durch die Macht des Zwanges und durch die Furcht, die beim Nennen seines Namens sie durchbebte. Mit diesen Unzufriedenen verbanden sich natürlich alle diejenigen, welche des neuen Generals Strenge und Gerechtigkeitsliebe hinderte, das alte Raubsystem fortzusetzen, welches doch ihr Hauptzweck war in dem Kampfe, den sie unter dem Vorwande des Carlismus unternommen hatten. Während der erfahrene Feldherr also Alles that, um die Sache zu heben, deren Führung ihm anvertraut war, und während er sich dadurch die Liebe, ja die Anbetung der Soldaten und Einwohner, so wie die Verehrung aller Gutgesinnten erwarb, umringten ihn alte und neue Feinde, begierig dem Augenblick entgegensehend, der ihnen Gelegenheit biete, ihren glühenden Rachedurst zu löschen. Und diese Feinde waren Catalonier, wild und rauh, wie die schroffen Gebirgszüge der Pyrenäen, in denen sie geboren, bereit, jedes Mittel zu ergreifen, welches ihnen Befriedigung der Rache versprach, dieser Lieblingsleidenschaft jedes Spaniers, der alles überwiegenden Sucht der Catalonier. Zugleich wußten sie jedoch ihren Haß meisterlich zu verbergen und heuchelten tiefste Ergebenheit, enthusiastische Anhänglichkeit dem greisen Führer, während sie, die zuckende Faust an den Dolch gelegt, jede seiner Bewegungen bewachten, um eine Blöße zu erspähen, in die sie sicher die verrätherische Waffe stoßen könnten. Indeß wußte der alte Graf sehr wohl, daß er nicht von lauter Freunden umgeben war, und die Maßregeln, welche er für seine Sicherheit und damit für die des Ganzen nahm, hinderten die Verschworenen lange, ihre blutlechzenden Pläne auszuführen. Nach und nach aber gelang es ihnen, das Mißtrauen einzuschläfern und immer mehrere ihrer Genossen in die bedeutendsten Stellen, besonders in die Junta, einzuschieben; der General, da fortwährend Nichts gegen ihn oder seine Autorität unternommen wurde, zeigte sich weniger vorsichtig und glaubte wohl, daß die Furcht den alten Haß niedergedrückt habe. -- Da erschallte die Schreckenskunde von dem Übergange Maroto’s und dem Rückzuge des Königs nach Frankreich. Junta und General standen allenthalben, wo diese beiden Autoritäten existirten, stets feindselig oder besser als Rivale neben einander. Die Junta als Stellvertreterinn des Gouvernements will Alles ordnen und leiten und stürzt es gewöhnlich in erschöpfende Unordnung und Verwirrung, wo nicht in gänzliche Anarchie; der General, an der Spitze der militairischen Macht die Mängel und Schwächen, welche durch die vielköpfige Verwaltung der Junta entstehen, am bittersten fühlend und häufig durch sie gehemmt und gehindert, sucht sich dem widrigen Einflusse derselben zu entziehen, indem er sich unabhängig von ihr und dann sie zu seinem Werkzeuge zu machen und sich unterzuordnen strebt. Diese Nothwendigkeit, die sonst unbeschränkten Befugnisse der Junta zu Gunsten des Generals zu schmälern, mußte in einem Kriege, wie die Carlisten ihn führten, doppelt stark hervortreten, da ja der Anführer mit so viel mehr Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und Alles ohne Ausnahme selbst schaffen und sich erringen sollte. Die Folge war, daß der General stets zum Präsidenten der Junta ernannt wurde, wodurch natürlich die Stellung der beiden Gewalten zu einander sehr verändert ward. Auch der Graf de España hatte die Junta von Catalonien mehr als seine Gehülfinn bei dem großen Werke, denn als höhere Behörde betrachtet und Manches von ihren ursprünglichen Attributen ihr genommen. Dennoch war nicht selten heftiges Widerstreben sichtbar geworden und hatte einige Male -- wiewohl der General, wenn etwas Wichtiges vorgeschlagen ward, persönlich präsidirte, um durch seine mächtige Gegenwart den Widerstand niederzuschlagen -- verzögernd in den raschen Gang seiner Organisations- und Operationspläne eingegriffen. Da, als Carl V. schon nach Bourges abgereiset war, wohl erkennend, daß unter den nun unendlich mehr schwierigen Umständen nur die höchste Energie und Einheit retten könne, erklärte sich der Graf de España zum Stellvertreter des Königs in dem Fürstenthume und ward in dieser Eigenschaft von Sr. Majestät bestätigt, so daß er nun alle ursprünglichen Befugnisse der Junta in sich vereinigte. Die Junta blieb nicht gleichgültig bei so entscheidendem Angriffe auf das, was sie als ihr Recht ansah, und die persönlichen Feinde des Generals wußten schlau diesen Schritt zu benutzen, um auch die übrigen Vocale gegen ihn einzunehmen und zu Gewaltmaßregeln sie geneigt zu machen. Es ward beschlossen, aus eigener Machtvollkommenheit den General zu entsetzen, der Herrschaft sich zu bemächtigen und fortan die Zügel nicht mehr aus den Händen zu geben. Deshalb ward der schwache Segarra, von dem man Nichts befürchtete, zum Nachfolger des Grafen designirt; er war bald in den Bund gegen seinen Oberfeldherrn, der stets ehrend ihn ausgezeichnet, hineingezogen, und auch der Intendant des Heeres Don Jaspar Diaz de Labandero, ein tüchtiger Geschäftsmann, schloß den Verschworenen sich an. Es kam nun darauf an, den Greis hülflos in ihre Gewalt zu führen.[107] * * * * * Der Graf hatte zur Besoldung der ganzen Armee am nahen Namenstage des Königs, wie für die zu eröffnenden Operationen die Herbeischaffung einer starken Summe befohlen, wogegen die Junta und der Intendant Schwierigkeiten erhoben. Da am 26. October darüber berathen werden sollte, beschloß er, bei der Sitzung selbst zu präsidiren, wozu eine Deputation der Junta ihn besonders einlud; er zog mit einem Detachement Miñones und einigen Kosacken nach Avia, ließ diese unten in dem Hause der Sitzung und begab sich mit dem Oberstlieutenant Adell in die erste Etage. Mehrere Vocale, unter ihnen der Vice-Präsident Brigadier Ortéu, empfingen den Grafen artig und unterhielten ihn einige Zeit, bis die fehlenden Glieder ankommen möchten; bald eilten zwei von ihnen fort, um sie holen zu lassen. Diese ertheilten im Namen des Grafen der Escorte Befehl, für die Nacht in zwei nahe Landhäuser sich zurückzuziehen, was die Officiere ohne Argwohn thaten, wiewohl die Miñones der ein für alle Mal gegebenen Instruction zufolge nur vom General selbst und von seinen Adjudanten Befehle empfangen sollten. Die Vocale eilten wieder hinauf, und einer von ihnen, Ferrer, sagte laut die Losungsworte: „~ya está hecho!~“ -- es ist geschehen. -- Sofort drängten sich die Vocale Torrebadella, Sanz, der Präsident Ortéu und andere um den General mit der Erklärung, er sei auf Befehl des Königs abgesetzt und ihr Gefangener. Zugleich traten aus einem Cabinett zwei bis an die Zähne bewaffnete, dort verborgen gewesene Menschen hervor, und Ferrer hielt dem Grafen zwei Pistolen auf die Brust, indem er drohte, bei der geringsten Bewegung ihn niederzuschießen. Fest verlangte de España die königliche Ordre zu sehen und erklärte sich bereit, dann, aber auch nur dann, seine Charge aufzugeben. Die Antwort war ein Schlag auf die Schulter; da der Greis entrüstet gegen den Thäter sich wandte, streckte ihn ein zweiter Schlag auf das Haupt besinnungslos nieder. Adell, der, auf kurze Zeit in das Dorf gegangen, jetzt wieder zurückkehrte, wurde entwaffnet und in eine Kammer eingeschlossen. So wie der Graf sich erholte, ward er, noch auf der Erde ausgestreckt, mit Schmähungen und Mißhandlungen überhäuft, bis ein Maulthier herbeigeführt war, auf das er, nur mit seiner Uniform bekleidet, gehoben wurde, ohne daß ihm gestattet wäre, Etwas von seinem Privat-Eigenthume mit sich zu nehmen. Zwei Vocale, unter ihnen wieder Ferrer, der glühendste Feind des Gestürzten, wurden beauftragt, ihn nach Frankreich. zu geleiten; mit ihnen vereinigten sich auf dem Wege dahin mehrere Chefs, auch der Ros de Eroles, alle rachgierig und nach dem Blute des edlen Greises dürstend. Die Mißhandlungen wurden von jedem neu Hinzukommenden wiederholt, das Empörendste ward an dem Hülflosen, dem man Bauerntracht angelegt hatte, ausgeübt, Schandthaten, wie nur Spanier sie erdenken mögen, verwildert und an alle Gräuel gewöhnt durch die schaudervollen Scenen, deren Theater ihr Vaterland seit dem Anfange dieses Jahrhunderts war. Umsonst flehte der Gemarterte, fast siebenzigjährige Mann um raschen Tod -- er hatte ja die Hoffnung, Frankreichs Gränze zu erreichen, längst aufgegeben --; umsonst suchte er die Peiniger zu leidenschaftlicher Wuth zu reizen, indem er ihr Verbrechen, ihren niedrigen Undank ihnen vorwarf und zeigte, wie sie zu Verräthern an dem Könige wurden, dem sie zu dienen vorgaben. Von Hof zu Hof durch die finstern Schluchten des Gebirges der Gränze parallel geschleppt, duldete der Greis, der Feldherr während drei Tage, was immer seiner Henker Wuth ihn zu quälen ersinnen konnte. Und er bewährte bis zum letzten Augenblicke die hohe Standhaftigkeit, durch die er während seiner ganzen Laufbahn sich auszeichnete. Da endlich naheten seine Begleiter der Gränze; noch ein Mal belebte ein schwacher Hoffnungsstrahl die Brust des Grafen: wann schwände dem Menschen ganz die Hoffnung! Aber plötzlich wird angehalten und der Dulder, durch Erschöpfung schon dem Tode nahe, ist vom Maulthiere gehoben, und losgebunden; er sieht vor seinen Füßen eine dunkle Tiefe, in deren Grunde der Segre schäumend über die Felsen sich Bahn bricht. Errathend, was seiner hattet, erfleht der Greis, sich bekreuzend, die Gnade der heiligen Jungfrau und fordert dann die Elenden auf, ihr Werk zu vollenden. Doch ein junger Officier stürzt athemlos herbei: Don Mariano Ortéu, der Adjudant des Grafen und sein Liebling -- noch kommt er zu rechter Zeit, um zu retten und zu rächen! Der Graf, als er ihn erblickt, haucht schwach mit bittend hoffnungsvollem Tone: „Mariano!“ -- Das Ungeheuer drückt hohnlächelnd sein Pistol ab und durchbohrt die Brust seines Generals, seines Wohlthäters, Güte und Liebe mit Mord vergeltend. Der Sterbende ward gebunden in den Fluß gestürzt, auf dessen Ufern nach einigen Tagen Landleute den zerschmetterten Leichnam, kaum noch kenntlich, fanden; trauernd beerdigten sie die Überreste des verehrten und gefürchteten Grafen de España auf dem Friedhofe ihres Dörfchens. Die Mörder aber kehrten im Triumph nach Berga zurück und erfrechten sich selbst, das Andenken ihres Opfers zu schänden, indem sie in einer allgemein verbreiteten Proclamation als Verräther ihn darstellten, der, ein zweiter Maroto, seine Armee dem Feinde habe verkaufen wollen. Die Verleumdung fand überall die gebührende Verachtung. Der edle Graf de España wird stets als ein Märtyrer seiner Treue und nie wankenden Loyalität in dem Andenken aller guten Spanier eben so hoch stehen, wie er lange schon als General und als gerechter Mann die Achtung und das Vertrauen seines Fürsten und die Bewunderung Aller sich erworben hatte, die seine Eigenschaften zu erkennen und zu würdigen wußten. Das Heer empfing die Nachricht von der Absetzung und dann von dem Tode seines Anführers mit Staunen, welches mehrfach selbst in Gährung überging. Aber auch Segarra hatte bis dahin die Achtung und Liebe der Soldaten genossen, und er wußte für den Augenblick ihre Unruhe durch Freigebigkeit und durch Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse des Heeres hinzuhalten, bis bald der Versuch des General Valdés, das bedrängte Solsona mit Lebensmitteln zu versehen, ihre kriegerische Thätigkeit ganz in Anspruch nahm. Und der Soldat, gewohnt zu gehorchen und Andere für sich denken zu lassen, ist ja so leicht getäuscht, so leicht gelenkt, wenn er nur begriffen ist. Viele Officiere aber verließen die Armee Cataloniens, unwillig, unter den Mördern des Chefs weiter zu dienen, den ihres Königs Weisheit ihnen gegeben hatte. Einige schlossen sich der Armee des Grafen von Morella an; die meisten, unter ihnen General Ivañez -- el Llarj de Copons --, Oberst Camps und Perez Davila, Commandeur der ersten Division, verzweifelnd, da solche That unbestraft bleiben konnte, wanderten nach Frankreich aus. [106] Die Aufrührer Cataloniens gegen Ferdinand’s rechtmäßige Regierung und die Edlen, welche in Estella von dem Verräther Maroto gemordet wurden, sind mit dem einen Namen von Ultra-Royalisten bezeichnet! [107] Ich erzähle die Schandthat, wie sie im Januar 1840 im Hauptquartiere des Grafen von Morella von Cataloniern berichtet ward, welche hoch genug standen, um genau unterrichtet zu sein. XXXII. In trübe Gedanken versenkt zog ich am 30. October aus den Thoren von Berga, welches ich wenige Tage vorher mit so freudigen Hoffnungen betreten hatte. Das erste dumpfe Gerücht von des Grafen Ermordung war am Morgen bis zu mir gedrungen, zu voreilig wohl, denn kaum konnte die Nachricht des auf dem Ufer des nicht nahen Segre Geschehenen so rasch herdringen. -- Der Graf ermordet! Kaltes Grausen überlief mich, und eine innere Gewalt trieb mich vorwärts, weit, weit die Mauern hinter mir zu lassen, in denen die blutbedeckten Mörder hauseten. Allein, denn meinem Burschen war die Erlaubniß, mich zu begleiten, vom General Segarra versagt worden, folgte ich auf meinem Maulthiere der Straße nach der festen Hermite von Pinos, von einem stummen Knaben als Führer geleitet. So wie ich das Fort verließ, begann schon die Gefahr, die jetzt, da ich ganz allein und unbewaffnet reisete, noch weit drohender, als bei dem Marsche vom Ebro herauf war; doch am Nachmittage wurde ich durch eine Gesellschaft überrascht, die ich freilich nicht erwartet hatte und unter jenen Umständen nicht eben wünschenswerth nennen konnte. Zwei junge Frauen holten mich ein und flehten, sie unter meinen Schutz zu nehmen. Die jüngere, kaum neunzehn Jahr alt, hatte fünf Tage nach der Hochzeit mit dem Bruder ihrer Gefährtinn den Gatten sich entrissen gesehen, da er, um wenige Stunden zu spät in das schützende Band der Ehe getreten, nach dem durch de España eingeführten Conscriptions-Gesetze für eines unserer catalonischen Bataillone ausgehoben war. Die zweite, vielleicht sechs und zwanzig Jahr alt, war seit dem Beginn des carlistischen Aufstandes von ihrem Manne getrennt, der, ein echter, freiwilliger Royalist in den Schaaren, welche Carnicer nach Ferdinand’s VII. Tode bildete, bei der Vernichtung derselben gefangen genommen und nach der Insel Cuba geschickt wurde, weil er sich weigerte, unter Christina’s Banner gegen die Vertheidiger seines Königs zu fechten. Die beiden Frauen, in einem am Ebro liegenden Dorfe wohnhaft, hatten, wie häufig die Familien unserer Soldaten es thaten, ihrem Bruder und Gatten Wäsche und andere Bedürfnisse überbracht; zagend waren sie auf der Heimreise bis Pinos gelangt, da sie von der Brutalität der christinoschen Soldaten und vor Allem der Nationalgardisten, denen sie auf dem dreißig Leguas langen Wege bis zum Ebro so leicht begegneten, das Schlimmste fürchten mußten. So waren sie innigst erfreut, einem Mayor[108] sich anschließen zu dürfen. Natürlich erlaubte ich ihnen ohne Zögern, mich zu begleiten, aber ich mußte oft lächeln, wenn ich das Trio betrachtete, welches zu dreitägigem Marsche durch feindliches Gebiet und zwischen zwölf bis vierzehn feindlichen Vesten hin sich vereinigt hatte: ein Fremder, des Terrains gar nicht und sehr wenig der eigenthümlichen Sprache der Provinz kundig, ohne Waffen gegen den Feind und nur seinen Character als carlistischer Capitain habend, um von den Einwohnern die Bedürfnisse -- Maulthiere, Rationen und Führer -- sich zu erzwingen; und mit ihm zwei junge Frauen, welche, die dunkeln Gluthaugen in steter ängstlicher Bewegung, bei jedem Geräusch zusammenschraken und scheu zum Begleiter, Hülfe suchend, aufschauten. Wenn die Carlisten, wie so oft, solche gefährliche Reisen machen mußten, pflegten sie bei Tage zu ruhen und nur bei Nacht den Marsch fortzusetzen, in der Dunkelheit ihre Sicherheit suchend. Ich beschloß nun, dieses zu benutzen und gerade das Gegentheil davon zu thun: ich marschirte nur bei Tage und strebte, besonders die gefährlichsten Punkte am Mittage zu überschreiten, wogegen ich des Abends irgend einen größeren Ort, wo möglich, oder sonst einen Weiler aufsuchte, wie sie auch in dem schroffsten Gebirge nur selten fehlten, um dort die Nachtstunden zuzubringen. Später, da ich häufig in ähnlichen Lagen mich befand, habe ich die Methode stets mit dem besten Erfolge angewendet. Denn da der Feind jene Gewohnheit des nächtlichen Marsches kannte, traf er demnach seine Maßregeln; er legte sich am Abend in Hinterhalte, die Einherziehenden erwartend, während er in der Nacht gern die Ortschaften vermied, da er jeden Augenblick die Ankunft eines carlistischen Trupps erwarten mußte, was bei der Abneigung der Bevölkerung gegen ihn leicht ihm verderblich werden konnte. Da war ich also mit einiger Vorsicht ganz sicher. Am Tage dagegen wußte er die Carlisten ruhend und suchte deßhalb in ihren Schlupfwinkeln sie zu überraschen; dann zog ich aufmerksam meines Weges und war, wenn ich etwa einer feindlichen Streifparthie begegnete, immer zeitig genug von ihrem Nahen benachrichtigt, um über die zu ergreifenden Maßregeln mich entscheiden zu können. * * * * * Der erste, besonders Gefahr drohende Punkt auf meinem Marsche war die große Heerstraße von Barcelona über Lerida nach Zaragoza: sie mußte zwischen den beiden, anderthalb Leguas von einander entfernten Festungen la Igualada und Cervera überschritten werden, was bei unserer Hinaufreise nicht ohne viele Mühe und in steter Besorgniß um Mitternacht bewerkstelligt war. Jetzt kam ich, von den zitternden Weibern begleitet, um eilf Uhr Morgens bei der Straße an, nachdem ich von einer nahen Höhe das Terrain sorgfältig recognoscirt hatte. Rechts, eine gute Viertelstunde entfernt, breitete sich, auf einem Hügel liegend, Cervera mit seinen aus schneeweißen Quadersteinen errichteten Befestigungen aus, hoch von zahlreichen Thürmen überragt, welche den früheren Glanz der Stadt beurkunden; noch jetzt enthält sie die einzige Universität des Fürstenthumes. Ich hatte den Übergangspunkt ihr so nahe gewählt, weil dort die Gebirge zu beiden Seiten bis nahe an die Chaussee sich hinziehen; übrigens wagten die Christinos nie anders, als in schlagfertigen Trupps, auch nur tausend Schritt weit aus ihren Werken hervorzugehen. Bis zu den Thoren von Cervera hin war die Aussicht frei, so daß wir deutlich selbst die Soldaten der Wache unterschieden. Links, jedoch in weiter Ferne, wurden die Thürme des Fleckens la Igualada sichtbar, welcher durch die zwischenliegenden Höhen unsern Blicken verdeckt war. Stolz ritt ich die zweihundert Schritt hin, welche ich der Straße zu folgen genöthigt war, mit Staunen von den einzelnen Bauern angegafft, die, vom Markte in der Stadt heimkehrend, ihre unbeladenen Esel vor sich hertrieben. Ich wußte sehr wohl, daß ich von Cervera aus von den Feinden gesehen und erkannt wurde, denn ich hatte mein weißes Barett mit goldenem Quaste nicht abgelegt; und es lag etwas angenehm Kitzelndes in der Idee, so spottend der Einzelne den Vielen zu trotzen. Doch unterließ ich dabei nicht, meines Maulthieres gewohnten Schritt durch einige derbe Stöße zu beschleunigen. Da plötzlich schrie eines der Mädchen auf und zeigte bleich mit dem Finger nach dem Seitenwege, welchen wir einschlagen sollten. Etwa dreißig Reiter in glänzender Uniform, kaum zweihundert Schritt entfernt, naheten in scharfem Trabe! Das hochmüthige Gefühl war schon durch den Anblick niedergeschlagen, da ich in einer Minute niedergehauen oder im glücklichsten Falle ein Gefangener sein mußte; an Flucht aber war nicht mehr zu denken, indem ich auf dem wenigstens tausend Schritt weit ganz ebenen Boden sofort eingeholt wäre. Was thun? -- Doch ein zweiter Blick auf die Reiter machte mich zweifeln: rothe Voynas glänzten auf ihren Köpfen; sie mußten also, wenn das Unterscheidungszeichen nicht log, dem carlistischen Heere angehören. Aber woher dann diese funkelnden Uniformen, diese weißen Dolmans mit den Scharlachstickereien, woher die flatternden Pelze, wie ich selbst im Vaterlande nicht reicher und geschmackvoller zugleich sie gesehen? Einen Augenblick später begrüßte mich der Officier, welcher das Detachement führte, mich befragend, ob irgend etwas Neues auf meinem Wege vorgefallen sei oder der Feind dort stehe, und meine gleiche Frage dahin beantwortend, daß Valmaseda’s Escadrone, denen er angehörte, den Ebro passirten, um zum Grafen de España zu stoßen. Er wußte noch Nichts von der Entfernung des Grafen; da dort aber nicht gerade der passende Ort war, um in weitläuftige Erzählungen uns einzulassen, setzten wir, glückliche Reise uns wünschend, bald den Marsch fort. Langsameren Schrittes, als die leicht davon trabenden Reiter, verließ ich die Heerstraße mit meinen niedlichen Gefährtinnen, die manchen derben Scherz der lebenslustigen Husaren hervorriefen. Kaum hatten diese sich von mir getrennt, als ein Kanonenschuß von Cervera donnernd ertönte, alsbald dumpf von la Igualada beantwortet: das Signal, daß ~facciosos~ die Linie passirten. Ich beschleunigte den Schritt, da ich voraussetzen mußte, daß alle kleinen Streifcorps der Christinos nun in Bewegung kommen würden, um, wo möglich, irgend eine Beute zu erwischen, und bald hatte ich mich wieder in die tief eingeschnittenen Schluchten geworfen, die diesen südlichen Ausläufern der Pyrenäen einen so besonders wilden Ausdruck verleihen. Munter und ohne weiteren Aufenthalt zogen wir bis zum Abend fort, wobei die Frauen, denen ich natürlich häufig mein Maulthier überließ, wiewohl hauptsächlich die Jüngere so zartes Äußere hatte, wie man in Deutschland vergeblich bei einer Bäuerin es suchen würde, die unendliche Gewandheit und Ausdauer der Gebirgsbewohner entwickelten, mein lebhaftes Staunen erregend. Sie hüpfen leicht wie die Gemsen auf den oft Grausen weckenden Pfaden hin und eilten jetzt im Fluge in die tiefen Abgründe hinunter, um dann wieder unermüdet den oft sich windenden und immer noch entsetzlich steilen Felsenweg hinaufzuklimmen. Die Wege waren wirklich furchtbar, überall mit Absicht über die schroffsten und unzugänglichsten Theile des Gebirges geführt, oft fast unkennbar und durch loses Gestein plötzlichen Sturz in die gähnende Tiefe drohend; zugleich durchschnitten sie quer alle die schmalen Thäler, so daß ein ununterbrochener Wechsel von halb bis einstündigem jähen Aufsteigen und eben so langem, vielleicht noch gefährlicherem Hinabklettern Statt fand. Auch versicherten die Einwohner der Dörfer, welche wir in jedem Thale fanden, daß, ehe die carlistischen Truppen diese Verbindungswege öffneten, Niemand für möglich gehalten habe, dort zu passiren, so daß die Communication auf Stunden weiten Umwegen um den Fuß der Gebirge bewerkstelligt wurde. Unsere Freiwilligen pflegten stets die kürzeste Linie für ihre Märsche zu wählen, ohne die Eigenschaften des Terrains viel zu Rathe zu ziehen. Als ich am Abend in einem niedlichen Dorfe Halt machte, waren wir bereits über sieben Leguas von der Chaussee entfernt; ich warf mich daher zu freilich nicht sehr ruhigem Schlafe auf eine Matratze neben dem Heerde nieder, nachdem ich den Alcalden mit seinem Kopfe dafür verantwortlich gemacht hatte, daß auf jeder dem Orte zuführenden Straße ein sicherer Mann zur Beobachtung aufgestellt werde. Gegen vier Uhr Morgens weckte mich mein braver Alcalde, bestürzt mir meldend, daß ich nicht frühstücken könne; auf meine verdrießliche Frage: „und warum nicht, ~carajo~?“ antwortete er mit tausend Versicherungen der Unschuld und Bitten, daß meine Herrlichkeit ihm verzeihe. Erst nach langem Drängen brachte er hervor: „im Augenblick sind die Negros hier, sonst hätte ich Ew. Herrlichkeit ja nicht geweckt.“ Da war ich freilich schnell auf den Beinen. Der Bauer, welcher, einer der ausgesandten Patrouillen, die Nachricht überbracht hatte, berichtete, daß er selbst einen Theil der Besatzung des nächsten, fünf Viertelstunden entfernten Forts den Weg gerade nach dem Dorfe habe einschlagen sehen, wohl von dem christinoschen Alcalden benachrichtigt; und daß die Schwarzen, da er auf Nebenwegen und laufend vorausgeeilt sei, in einer Viertelstunde anlangen könnten. Das Maulthier, vom Wirthe als das beste des Thales gerühmt, stand schon seit dem Abend reisefertig, das heißt, mit einem ungeheuren Bastgeflecht zur Aufnahme des Gepäckes und mit einem Stricke statt des Zügels versehen, die beiden Gefährtinnen, auf der andern Seite des Heerdes ruhend, waren sofort munter. Also saß ich zwei Minuten nachher auf dem Strohsattel, mit einem großen, stark nach dem beliebten Knoblauch, dem Spanier das non plus ultra der Gewürze, duftenden Topfe, der das Frühstück enthalten sollte, vor mir, und geflügelten Schrittes zogen wir weiter dem Süden zu. Ohne weitere Hindernisse überschritt ich den zweiten besonders gefährlichen Punkt, die Heerstraße von Tarragona nach Lérida. Als wir aber auf dem Gipfel eines Berges ankamen und nach kurzer Ruhe uns anschickten, zu dem am Fuße desselben liegenden Flecken eine gute halbe Stunde hinabzusteigen, tönte plötzlich lautes, verworrenes Geschrei zu uns herauf. Wir stutzten, denn der Schrei schien von Tausenden herrühren zu müssen, und ich hatte nicht gehört, daß eine Colonne sich in der Gegend befände. Ein Bauer, den wir bald trafen, konnte uns nur sagen, daß viele Soldaten dort unten seien, was dieselbe Ungewißheit bestehen ließ; als wir nun langsam hinabstiegen, oft anhaltend und lauschend, sah ich dunkele Reihen, von Gewehren überblitzt, sich uns entgegen schlängeln. Schon wollte ich umkehren, als des Führers Adlerauge die so oft ersehnten Baretts unterschied. Es war eine Brigade des Heeres von Catalonien, die eine Excursion in das Ebro-Thal gemacht hatte, und deren Operationen, in dieser Richtung die kleinen feindlichen Streifparthieen verscheuchend, wohl viel beitrug, meinen Marsch ungefährdet zu machen. Das früher gehörte Geschrei aber rührte von den Vivas her, mit denen die Truppen eine Anrede ihres Führers erwiederten. Wie oft habe ich die Idee gesegnet, welche Zumalacarregui bewog, die malerischen Voynas der Basken für seine Armee zu adoptiren! wie oft bin ich, so wie tausend Andere, durch sie aus Verlegenheit befreit oder gewarnt! wie oft haben sie aus der Furcht der Ungewißheit und selbst vom nahen Verderben mich gerettet! Wenn das glänzende Scharlach oder Weiß aus der Ferne leuchtete, war ich ja sicher, unter den Meinen zu sein; wo sie fehlten, nahte man nur mit der größten Vorsicht, da, wenn auch unsere Soldaten häufig blaue Voynas trugen, die Officiere doch durch jene Farben hervorstachen. Ehe ich den Ebro erreichte, traf ich auf Valmaseda’s Escadrone, durch ihre Bravour, wie durch die Tollkühnheit und die fanatische Wildheit ihres Führers bekannt; eine treffliche Schaar: lauter kräftige Leute, echte Söhne Castilien’s, und getragen von stolzen andalusischen Hengsten, die sie auf ihren kühnen Zügen zusammenbeuteten. Diese Reiterei war das Schönste und Kriegerischste, was ich in Spanien sah, an Glanz den Elite-Regimentern der Christinos nicht nachstehend und in den dunkel gebräunten, bärtigen Antlitzen der Krieger das Gepräge langen und harten Kämpfens bietend, wie es nur in den ersten Zeiten der carlistischen Erhebung Statt finden konnte. Da sah der Guerrillero, wie das Wild durch die Gebirge auf den Tod gehetzt, oft Wochen lang keine menschliche Wohnung, und Wochen lang war er in den unzugänglichen Klüften zur Fristung des Lebens auf Kastanien und süße Eicheln beschrankt. Am Abend des dritten Tages nach dem Abmarsche von Pinos dehnten sich wieder die fruchtbaren Auen des Ebro vor uns aus, und während meine Begleiterinnen nach herzlichem Abschiede den Fluß entlang freudig ihrem heimathlichen Dorfe zuschritten, trug mich die Fähre nach dem befreundeten Flix zurück. * * * * * Da erhielt ich denn trübe Nachrichten, wie ich freilich nicht so rasch sie erwarten konnte: Espartero stehe mit seiner ganzen Armee nur wenige Stunden von Morella und Cantavieja entfernt, und stündlich werde der Angriff auf eine der bedroheten Festungen erwartet; Cabrera mit einem Theile seiner Truppen habe sich dem so unendlich überlegenen Feinde beobachtend entgegengestellt. Meine Absicht, einen Tag im reichen Flix zu ruhen, war vereitelt, da ich vor Anbruch des Tages schon weiter eilte, um zu rechter Zeit zum Kampffeste anzukommen. Doch wie ich vorwärts schritt, blieben die Nachrichten merkwürdiger Weise stets dieselben. Espartero war immer einige Stunden von Morella entfernt, Cabrera ihm ganz nahe, und die beiden Heere schauten müssig sich an. Diesen Stillstand mußte freilich unser braver General schon als hohen Sieg betrachten; seit Jahren nur gewohnt, zu vertheidigen und zu decken, hatte Espartero wohl vergessen, daß er anzugreifen und zu erobern hieher gekommen war, oder er mochte es schwer finden, für die Lieblingsmethode, durch die er die Nordprovinzen ohne Kampf und ohne Gefahr sich unterwarf, in Aragon sogleich bereitwillige Werkzeuge zu finden. Da hielt denn der Siegesherzog mit seinen Sechzigtausend inne vor wenigen Bataillonen unserer Treuen, und ungewiß, wie die ihm neue Aufgabe des Erkämpfens mit den Waffen in der Hand zu lösen sei, stand er da Woche auf Woche, das so nahe und ihm doch unerreichbare Ziel seines Strebens anstarrend, ohne daß er die Hand zu seiner Erreichung auszustrecken gewagt hätte. Und dann erkannte er endlich, daß der Sieg, einem Cabrera gegenüber, doch wohl nicht so im Fluge erhascht werde. Anstatt, seiner phrasenreichen Ankündigung gemäß, vor dem Ende des Jahres die Horden der Rebellen niederzuschmettern, kehrte er, erstaunt über das, was er gewagt, zurück aus der drohenden Nähe, in die er ungehindert sich aufgestellt hatte -- zu welchem Zweck, möchten wohl seine schmeichelnden Lobredner weit eher ausfindig zu machen wissen, als er selbst --; und er beschloß, doch lieber bei dem sicherern Systeme zu beharren, welches ja schon Titel und Ehren -- wenn auch nicht Ehre -- und Macht in Fülle ihm eingebracht hatte. Verrath, Bestechung, Fälschung, Meuchelmord und Gift[109] sind die Waffen, deren Espartero als Meister sich zu bedienen wußte; durch sie sollte denn auch die Macht des gefürchteten Cabrera gebrochen werden. -- Doch greife ich dem Gange der Ereignisse nicht vor! In Morella fand ich Alles eben so friedlich, wie drei Wochen früher bei meiner Abreise; auf meine Fragen nach dem Stande der Dinge hieß es: „Ja, die Christinos stehen ein paar Stunden von hier in Luco und Bordon, aber unser Graf ist in Zurita, ihnen gegenüber.“ Dagegen sprach alle Welt mit Entsetzen von dem neuen Mordversuche, dem achten schon oder neunten, der vor wenigen Tagen auf den geliebten General gemacht war, und dem er durch wunderbares Geschick entging, da ihm Voyna und Mantel von Kugeln getroffen waren. Die Thäter, zwei durch das Gold Cabañero’s gewonnene und von einem früheren carlistischen Spione geführte Bauern, wurden von den Miñones ergriffen, und die drei büßten ihre Schandthat auf der Stelle mit dem Tode. Ebenso erregte der Verrath allgemeinen Unwillen, durch den Cantavieja dem schleichenden Feinde hatte überliefert werden sollen. Er mißlang nur durch die rasche Energie Cabrera’s, der, wenige Stunden vor der Ausführung dort anlangend, mehrere Officiere, die des Einverständnisses mit Espartero durch aufgefangene Correspondenz überwiesen waren, sogleich erschießen ließ. * * * * * Ich eilte, den Oberst Baron von Rahden als Landsmann aufzusuchen, und ward von ihm mit wahrer Herzlichkeit empfangen, indem er mir vorwarf, daß ich nicht gleich nach meiner Auswechselung zu ihm kam. Die Katastrophe des Grafen von España erschütterte ihn tief. Herr von Rahden hatte, da er in Folge von Zwistigkeiten mit Maroto auf Befehl des Königs nach Aragon abging, einige Zeit in Catalonien sich aufgehalten und war dem ermordeten Grafen so werth geworden, daß dieser ihn erst spät und in Rücksicht auf den bestimmten königlichen Befehl die Reise zur Armee Cabrera’s fortsetzen ließ, nachdem er ihn mit Beweisen des Wohlwollens und der höchsten Achtung überhäuft hatte. So war es wohl natürlich, daß die Nachricht von dem schmählichen Ende des hochverdienten Greises Herrn von Rahden unendlich ergriff; sein gewiß von jedem Deutschen getheilter Abscheu gegen das Volk und das Land, in dem solche Schandthat geschehen und unbestraft bleiben konnte, trug eben so viel, als Rücksicht auf die von spanischen Wundärzten behandelte schwere Wunde, welche ihm selbst das Reiten nicht erlaubte, dazu bei, daß er freudig die Botschaft an den König übernahm, welche ihm Cabrera kurz nachher anbot. Oft hörte ich, wenn wir über die Ereignisse des verflossenen Jahres sprachen, so reich an Verbrechen und Schande, schwer seufzend ihn äußern, daß er niederfallen werde und den Boden küssen in dem Augenblick, da er Spaniens Gränze hinter sich sehe. Er benutzte daher ohne Zögern die so günstige Gelegenheit, um die Wintermonate, die nach Espartero’s Rückzuge in Unthätigkeit vergehen mußten, angenehmer unter den Genüssen des Friedens zuzubringen, vertrauend, daß er im Frühjahre neu gestärkt zum Kampfe zurückkehren werde. Und ich leugne nicht, daß ich mit schmerzlichem Gefühle ihn scheiden sah; ich hätte Viel geopfert, um das, was mir ein glückliches Loos schien, mit ihm theilen zu dürfen. Später freilich, da ich vernahm, wie Herr von Rahden, nach mannigfachen Gefahren die französische Gränze erreichend, zu Bourges von der Polizei einem Verbrecher gleich gefangen, gemißhandelt, ausgeplündert und endlich gar verhindert ward, zum letzten Entscheidungskampfe seinen Cameraden sich anzuschließen und bis zum letzten Augenblicke die Sache des Royalismus zu vertheidigen -- sein höchster Wunsch und sein Stolz --; da freilich schätzte ich mich glücklich, daß früher mein Sehnen nicht erfüllt war, daß Polizeispione und die Gewaltthätigkeiten französischer Machthaber nicht mich zwingen konnten, aus der Ferne unthätig dem Untergange der Sache zuzuschauen, der ich, weil sie gerecht und edel war, mich gewidmet hatte. Es ist leicht begreiflich, daß ein Mann, wie der Oberst von Rahden, in Cabrera’s Armee unendlich nützlich und wichtig sein mußte. Der General hegte zwar, wie ich später von seiner Umgebung erfuhr, anfangs auch gegen ihn die Vorurtheile, welche jeden Spanier, aus welcher Klasse er sei, gegen den Fremden stets erfüllen, und die, Erzeugniß des Nationalstolzes und der Eitelkeit, mehr und mehr in seiner Brust zu wurzeln scheinen, je tiefer er sein Vaterland erniedrigt und gedemüthigt sieht. Aber Baron von Rahden, immer der Vorderste zu der Gefahr und in ihr besonnen und ruhig, entschlossen in Rath und That und durch langjährige Erfahrung und Studien ausgezeichneter Militair, wußte bald jene Abneigung zu besiegen; ja er erwarb sich in kürzester Zeit die Bewunderung und die Freundschaft des kühnen Grafen von Morella. Er besaß die ganz nordische, unerschütterliche Bravour, die auch dem verwegensten Südländer Staunen erregt, und mehrere Male hörte ich selbst Cabrera äußern, daß Rahden der unerschrockenste Mann sei, den er je gesehen, daß er aber solche Kaltblütigkeit nicht begreife. Da war es denn unvermeidlich, daß Viele eifersüchtig den so weit sie überstrahlenden Deutschen haßten und ihm tausend drohende Schwierigkeiten in den Weg legten, Schwierigkeiten, denen der brave Chef des Geniecorps, der, nicht sehr biegsam, nie das Recht sich entwinden, nie Unrechtes ungerügt ließ, ohne die Hülfe einiger edel Gesinnten und besonders die Stütze, welche er an dem General en Chef sich gewonnen, wohl nicht immer so siegreich hätte begegnen können. Am Tage nach meiner Ankunft in Morella zog ich mit dem Oberst von Rahden nach dem Hauptquartiere Cabrera’s, welches so eben nach Cantavieja verlegt war, wo wir gerade vor Thoresschluß anlangten. Auf dem ganzen Wege, der einige Mal nicht über eine kleine Stunde von den vom Feinde besetzten Punkten vorbeiführte, hatten wir nur in Mirambel zwei Escadrone getroffen. In Cantavieja wurden wir mit unendlicher Zuvorkommenheit von dem Titulair-Oberst im Genie-Corps Cartagena empfangen, einem hagern, etwa sechszigjährigen Manne, dessen stiere, vorquellende Augen und immer lächelndes, immer gleich nichtssagendes Gesicht als eben so dumm wie halsstarrig ihn bezeichneten, wiewohl er nach seiner Erzählung unendlich Viel gethan und geleistet hatte. Er war in dem Kriege gegen Napoleon -- Gott weiß, wie? -- zum Capitain, in dem kurzen Kampfe nach der Constitutions-Epoche von 1823 zum Oberstlieutenant avancirt, nach hergestellter Ruhe aber jedesmal sofort in den Ruhestand zurück versetzt. Im Jahre 1837 vereinigte er sich mit Cabrera, der, vom Ingenieurwesen selbst gar Nichts verstehend und keinen Officier dieser Waffe besitzend, ihn nach seiner einzigen Festung Cantavieja schickte, wo er denn bis dahin gehauset und in den Befestigungswerken, die er stets auf die zweckwidrigste Weise zu arrangiren wußte, ungeheure Summen vergeudet hatte. Der General erklärte einst, daß er mit dem verwandten Gelde das ganze Cantavieja rasiren und es neu und regelrecht befestigen könne. Oberst von Rahden hatte dieses Individuum in jener Festung vorgefunden und ihn, da Cabrera wegen seiner Dienste in den früheren Kriegen ihn zu schonen wünschte,[110] dort gelassen, seit der Zeit aber natürlich seine weiteren Arbeiten überwacht. Es mußte daher etwa alle acht Tage ein Ingenieur-Officier nach Cantavieja als außerordentlicher Commissair reisen, um das Geschehene zu inspiciren und Ferneres anzuordnen, wobei denn zwischen dem alten Oberst und den jungen Capitains, welche solchen Auftrag bekamen, oft die sonderbarsten Scenen vorfielen, da der eigensinnige Cartagena immer gerade das Gegentheil von dem gethan hatte, was ihm acht Tage vorher vorgeschrieben und durch jedes mögliche Mittel versinnlicht war. Auch ich erhielt später abwechselnd mit dem Capitain Verdeja diese Commission und ward gewöhnlich nach vielstündigem Demonstriren mit dem Bescheide abgefertigt: „Jetzt wollen die Gelbschnabel Alles besser wissen, als wir Alten. Aber Don Ramon will es so! -- Sprechen Sie doch mit ihm, daß er den rückständigen Gehalt mir auszahlt.“ Und dann versprach er Alles, um, so wie wir den Rücken wendeten, ganz nach seinem Kopfe zu handeln. Trotz der Befehle des Obersten von Rahden und trotz unseres Ärgers, den er mit stoischer Ruhe aufnahm, brachte er es wirklich dahin, daß Cantavieja im Frühjahr als unhaltbar geräumt und gesprengt wurde, da, als der interimistische Director des Corps während der Abwesenheit des Herrn von Rahden, Oberst Alzaga, der bis dahin die Dinge gehen ließ, wie sie wollten, sich endlich entschloß, dem General den jämmerlichen Zustand der Festung anzuzeigen, der Feind bereits sein Belagerungsgeschütz heranschleppte. Wir fanden den General im Kreise seiner Adjudanten und anderer Officiere am Caminfeuer sitzend. Es war mir doch peinlich zu Sinne, da ich wieder mich ihm vorstellte; die blaue Brille, welche früher so übeln Eindruck gemacht, hatte ich, wiewohl ich ihrer schon selten mich bediente, wieder aufgesetzt, nicht wünschend, daß ihr Weglassen einem niedrigen Beweggrunde zugeschrieben werde. Cabrera empfing mich mit: „Wie, schon zurück!“ und schlug die Bitte des Obersten von Rahden, mich zum Geniecorps zu bestimmen, mit der Bemerkung ab, daß durch dieses wissenschaftliche Corps schon zu viele Officiere den Bataillonen entzogen wären. Dennoch erlangte der Oberst bald, indem er von meinen Leiden in der Gefangenschaft und vor Allem von den schweren Wunden sprach, was nie verfehlte, Cabrera günstig zu stimmen, daß ich dem Corps aggregirt und selbst zu seinem Adjudanten ernannt wurde, was mich doppelt erfreute, da ich so mit dem verehrten Landsmann vereinigt blieb. Hätte ich geahnet, daß er sobald Aragon verlassen würde, so hätte ich freilich der Ansicht treu, die ich bei meinem Eintritt in Spanien aussprach, vorgezogen, ferner in der Infanterie fortzudienen. Auch hier äußerte Cabrera wiederum, daß die Brillen ihm widerlich seien, er müsse einem Jeden frei in das Auge sehen können. Nachdem Herr von Rahden seine Geschäfte mit dem General und dem Oberst Cartagena vollbracht hatte, der manche bittere Pille dabei verschlucken mußte, traten wir den Rückmarsch nach Morella an, wo ich in des Obersten Logis gleichfalls mich einrichtete. Wir bewohnten eines der vorzüglichsten Häuser der Stadt; der Balkon des großen Saales war merkwürdiger Weise mit Glasfenstern statt des sonst üblichen, in Öl getränkten Papieres versehen, und wir beschlossen, durch Erbauung eines Ofens uns einen der vielen vaterländischen, hier so lange und so bitter entbehrten Genüsse zu verschaffen. Die drei Wochen, welche ich dann in der Gesellschaft des Baron von Rahden zubrachte, darf ich als die glücklichste Zeit betrachten, die ich in Spanien verlebte, wenn ich etwa jene einzelnen Momente der Begeisterung ausnehme, wie das Kriegerleben so mächtig sie hervorruft, die, alles Äußere zurückdrängend, in der Wonne des Kampfes und des Sieges oder irgend einer hohen That uns schwelgen machen. Und doch, wie könnte ich das Glück jener Wochen mit diesem Rausche der Empfindung zusammenstellen! Denn, wahrlich! ein Rausch ist es, der augenblicklich, unserm gewöhnlichen Selbst uns entreißend, mit neuen Gefühlen, nie gekannten Kräften uns anregt und zu Thaten treibt, über die wir selbst staunen, wenn der Geist geflohen, der die Brust uns füllte; -- eine Berserker-Wuth, wie die Sage in den Helden unserer nordischen Stammverwandten beim Beginne des ersehnten Kampfes sie schildert --. Wenn aber der Rausch schwindet und mit ihm die strahlende Glorie, durch die Alles in unseren Augen verherrlicht wurde, wenn wir uns zurückgeschleudert sehen in das Treiben der Menschheit mit der Niedrigkeit und der leidenschaftlichen Erbärmlichkeit, welche vorher vor dem reineren Feuer, das in uns glühete, scheu sich versteckt hatte; dann folgt geistige Erschlaffung der Spannung, die so hoch über uns selbst und unsere Umgebung uns hob, und die Begeisterung, den tödtenden Eindrücken weichend, welche die immer wiederholten Enttäuschungen aufdrängen, löset sich in Ekel und Alles verachtende Bitterkeit auf. * * * * * Gegen das Ende Novembers kam Cabrera auf einige Tage nach Morella. Bald theilte mir Herr von Rahden mit, daß er unverzüglich nach Frankreich abreisen werde, da der Wunsch des Generals, ihn an den König zu senden, der stets zu Bourges zurückgehalten wurde, mit seiner Neigung und seinen Bedürfnissen zusammentraf. Am 30. November 1839 verließ er Morella, von dem Oberst Caravajal nebst einigen Officieren und dem Maler Lopez begleitet, einem sehr geschickten Künstler und wahren Carlisten, der früher in der königlichen Armee gekämpft und während der kurzen Zeit, die er, von Rom kommend, im Auftrage Carls V. bei dem Heere Cabrera’s gewesen war, ein sehr gelungenes Portrait des gefeierten Feldherrn angefertigt hatte. Mein Bedauern bei der Trennung von dem einzigen Deutschen, der in der Armee sich befand -- denn einige Schurken, die von der französischen und portugiesischen Legion als Deserteurs zu uns gekommen waren, verdienten nicht, so genannt zu werden -- von dem Manne, dessen freundschaftlicher Theilnahme ich so sehr mich verpflichtet fühlte, war herzlich, wiewohl ich hoffte, daß er in wenigen Monaten wieder an der Spitze des Corps stehen würde, welches er geschaffen und auf eine so hohe Stufe gehoben hatte. Etwa drei Wochen später brachten die Burschen, welche bis zu der Gränze ihn begleitet hatten, mit einem dicht am französischen Gebiete geschriebenen Billet die frohe Nachricht, daß Herr von Rahden -- er war im November zum Brigade-General ernannt -- wenn auch oft von Gefahren bedroht, endlich ohne Unfall Spanien habe verlassen können. Eines der Pferde, die sie zurückbrachten, wies mir Cabrera, der in Hervés erkrankt lag, mit der Bemerkung zu: „Sie werden es ihres Freundes wegen hoch schätzen.“ Es war das letzte, welches der Feind bei der Katastrophe des folgenden Jahres mir abnahm. [108] ~El mayor~, der Älteste, nannten die einfachen Gebirgsbewohner in ihrer unbegränzten Ehrfurcht jeden Officier; gewohnt, den Ältesten der Familie mit höchstem Respekt zu behandeln, trugen sie die Benennung auch auf die Militairs über, denen solcher Respekt bewiesen ward. [109] Diese Blätter werden Belege für Alles liefern, dessen ich den Siegesherzog hier anklage. [110] Ein beachtenswerther Zug in dem jungen General war seine hohe Achtung und Rücksicht für alle altgedienten Soldaten. XXXIII. Espartero, nachdem er die baskischen Provinzen erkauft, war in den letzten Tagen Septembers von Navarra aufgebrochen, um sein Werk durch die Unterwerfung des Gebirgslandes zu vollenden, in dem der Graf von Morella als Stellvertreter Carls V. befehligte. Er führte 40 Bataillone und 16 Escadrone von der Nordarmee nach Aragon; die Bataillone waren durch die neue im Sommer gemachte Aushebung von 40000 Mann auf den höchsten Etat gebracht, den sie während des Krieges je gehabt hatten: sie enthielten nach den Aussagen von Augenzeugen, wie nach dem, was ich später von den Christinos selbst hörte, in ihren acht Compagnien 1100 bis 1200 Mann. Die drei Heeres-Divisionen und die der Avantgarde, in welche jene Masse eingetheilt war, wurden von den erprobtesten Führern der Christinos commandirt; der frühere Vicekönig von Navarra, Don Diego Leon, Graf von Velascoain, befehligte die neun Bataillone starke königliche Garde. Mit Espartero war auch der berüchtigte Schleichhändler Martin Zurbano, genannt Barea, von der usurpatorischen Regierung mit dem Grade eines Obersten belohnt, nach Aragon gekommen; sein Freicorps zählte fast 3000 Mann Infanterie und 200 Pferde. Die Armee des Centrum, unter dem Oberbefehl des Generals O’Donnell im Königreiche Valencia stehend, war aus 24 bis 26 Bataillonen und etwa 20 Escadronen zusammengesetzt, da der Rest als Garnisons der zahlreichen Festungen beschäftigt war. O’Donnell zog mit 21 Bataillonen und 7 Escadronen nach Teruel, um von dort aus in Verbindung mit Espartero die entscheidenden Operationen zu beginnen. So gebe ich die unter diesen beiden Chefs vereinigten Streitkräfte gewiß nicht zu stark an, indem ich ihre Zahl auf 75000 bis 80000 Mann schätze. Der Graf von Morella befand sich, da er die Nachricht von dem Verrathe Maroto’s und dem Anmarsche der Nordarmee erhielt, mit 12 Bataillonen und 800 Pferden weit im Innern Castilien’s, wo kein feindliches Corps seine Fortschritte hinderte. Er eilte sofort zur Deckung des Hochplateaus, von dem hinab er bisher siegreich nach allen Seiten sich ausgedehnt hatte; am 6. October langte er in Morella an und traf sofort die Maßregeln, welche zum kräftigen Empfange des Feindes beitragen konnten. Die Armee unter seinem unmittelbaren Commando bestand aus folgenden Truppen: Die Division von Aragon unter General Llagostera enthielt 9 Bataillone, von denen zwei erst kürzlich bewaffnet waren, und 6 Escadrone; die Division von Valencia unter General Forcadell 7 Bataillone, von denen das eine neu gebildet, und 4 Escadrone; die Division vom Ebro in der 1. Brigade, Tortosa, unter Oberst Palacios 4 Bataillone, in der 2. Brigade, Mora, unter Oberst Feliú 3 Bataillone und 4 Escadrone. Dazu kamen das Schützen-Freibataillon des Oberst Bosque, das Sappeurs-Bataillon und das Bataillon der Artillerie, so daß die Armee aus 26 Bataillonen und 14 Escadronen oder 14000 Mann Infanterie und 1300 Pferden bestand. Die Brigade, welche, 4 Bataillone und 2 Escadrone stark, jenseit der Heerstraße von Teruel nach Segorbe stand und die Festungen des Turia nebst Cañete und Beteta kaum hinlänglich garnisoniren konnte, darf nicht in Betracht gezogen werden, da sie zu den diesseitigen Operationen gar nicht mitwirkte, der Feind auch zwei überlegene Colonnen unabhängig ihr entgegengestellt hatte; ebenso wenig die beiden Escadrone, mit denen Valmaseda nach Catalonien und im December, von dort zurückkommend, nach Neu-Castilien abging. 14000 Mann und 1300 Pferde sollten dem Angriffe von 80000 Mann begegnen! Doch hatte jene Minderzahl den Vortheil des Terrains für sich, so wie die Stütze, welche ihre Forts und der Geist der Einwohner ihnen gewährten; dagegen machte wieder das Terrain den Gebrauch ihrer herrlichen Cavallerie unmöglich, weshalb diese größtentheils entsendet wurde, um in Flanke und Rücken des Feindes seine Communicationen zu erschweren. Aber dieses kleine Heer wurde furchtbar durch die gränzenlose Hingebung der Krieger, ihre unwandelbare Treue und vor Allem ihr Vertrauen auf den Führer, den sie stets an ihrer Spitze auf dem Pfade des Sieges und der Ehre gesehen hatten. Unendlich war der Enthusiasmus, den der Anblick des geliebten Generals, ein ermunterndes Wort aus seinem Munde in den Freiwilligen erregte; und die friedlichen Einwohner begrüßten mit eifrigen Wünschen für sein Glück den Feldherrn, der gegen Feind und Freund so brav wie gerecht sie geschützt, und den sie daher als rettenden Engel zu betrachten sich gewöhnt hatten. Cabrera unterließ Nichts, was diesen Geist des Heeres und des Volkes erhalten und heben konnte. Er erließ Proclamationen, in denen er mit schwarzen Zügen den Verrath -- wiewohl nicht in seinen ganzen Folgen -- schilderte, der den König gezwungen hatte, das angestammte Reich zu meiden. Er sprach dann in feurigen Worten zu den Herzen seiner Kameraden; er erinnerte sie an die zahllosen Unbilde und die Schmach, welche die Männer der Revolution auf Alles gehäuft hatten, was ihnen theuer und heilig sein mußte; er rief die Gefahren und die Drangsale ihnen ins Gedächtniß, die sie unter seiner Leitung erduldet, und aus denen die Hülfe des Höchsten sie stets mit Ehre und Ruhm gerettet, die Siege, welche sie so oft, weit schwächer und wo schon Rettung unmöglich schien, über die prunkenden Massen der erbitterten Negros davongetragen hatten. Er zeigte, wie von dem Augenblicke an, in dem er mit funfzehn Mann und ohne Waffen den Kampf begonnen für die Vertheidigung seines Königs und seiner Religion, wie er da, von Schritt zu Schritt durch die himmlische Vorsehung geleitet, endlich ein glänzendes Heer habe bilden, und, der anfangs Verachtete und einem wilden Thiere gleich von Schlucht zu Schlucht Verfolgte, die übermüthigen Feinde im Sitze ihrer Macht bedrohen können. Er forderte schließlich seine treuen Streitgenossen auf, nicht zu verzagen, da sie nun die jauchzenden Schaaren der Christinos sich heranwälzen sahen, er bat sie, vertrauensvoll und brav, wie bisher, ihrem Führer zu folgen, der stets der Erste sein werde, wo Gefahr und Ehre lockten, und er versprach ihnen, wenn sie standhaft aushielten in dem großen Kampfe, bei dem die Frucht aller ihrer Anstrengungen auf dem Spiele stand, den Schutz der gnädigen Himmelsköniginn, der hehren Jungfrau der Schmerzen, die nie zugeben werde, daß ihre frommen Kämpen unter den Streichen der alles Heilige verspottenden Trabanten der Revolution erlägen. Und der Aufruf ihres Generals entflammte zu höchstem Feuer die Begeisterung der wackern Soldaten. Sie alle schwuren, bis zum Tod ihrem Eide treu zu bleiben, und als Cabrera zu Morella die Garnison versammelte und, wie jeder Unteranführer in seinem Corps es thun mußte, öffentlich erklärte, daß jetzt alle die, welche nicht den Muth in sich fühlten zur Fortsetzung des schweren Kampfes, bis das Begonnene ganz vollbracht sei, frei und unangetastet in die Heimath sich zurückziehen könnten, daß aber von dem folgenden Tage an der Soldat, welcher von seinem Corps sich entferne, ohne Gnade erschossen würde -- da antwortete ihm ein allgemeines, dreimal wiederholtes: „~viva el Rey!~“ von dem den Freiwilligen fast eben so vertrauten „~viva Don Ramon!~“ begleitet, und nicht Einer fand sich unter den braven Burschen,[111] der von des Generals Aufforderung Gebrauch gemacht hätte. Zugleich bemühete sich der General, viele der Mißbräuche abzuschaffen, die ganz besonders in die Verwaltung sich eingeschlichen hatten, und von denen er, bei seiner eigenen Uneigennützigkeit des Argwohnes kaum fähig, durch bittere Erfahrungen kürzlich überzeugt war: die Hülfsquellen des Landes, so wie die Beute, welche die kühnen Züge Cabrera’s durch Castilien, Valencia und Murcia schafften, wurden auf die unverantwortlichste Art vergeudet oder noch häufiger benutzt, die Habgier Einzelner zu befriedigen. Daher fehlten nicht selten die dringendsten Bedürfnisse, und -- was ein furchtbarer Donnerschlag für Cabrera war, der Ähnliches nicht ahnete, da die Freiwilligen nie eine Klage deshalb erhoben -- die Bataillone waren fast ein Jahr mit ihrem Solde im Rückstande. Der General-Intendant des Heeres, Bocos de Bustamente, der bisher die ganze Administration leitete, wurde seiner Stelle entsetzt und die Junta aufgelöset, da sie, anstatt zu ordnen und zu leiten, nur die schon so schwierigen Verhältnisse mehr und mehr verwickelte. Leider konnte der General den Blutsaugern nicht die Millionen entreißen, mit denen sie auf Kosten des Heeres, des Landes und der Sache, deren eifrige Vertheidiger sie sich nannten, ihre Zukunft zu sichern gewußt hatten. An die Stelle der aufgelöseten ward eine ~Real Junta militar de administracion y govierno~ gebildet, die unter dem Vorsitze des Generals en Chef fast ganz aus Militairs höherer Grade zusammengesetzt war, welche durch strenge Pflichterfüllung, Entschiedenheit in ihren politischen Ansichten und Redlichkeit solchen Vertrauens würdig schienen. Bald zeigte es sich, wie auch der am schärfsten Blickende getäuscht wird, und wohl noch mehr, wie Versuchung dem Besten gefährlich ist: im Frühjahr gingen drei der Vocale und unter ihnen derjenige, welcher mit Recht als der Tüchtigste, Thätigste und Einflußreichste unter den Gliedern der Junta gerühmt wurde, der Oberst Villalonga, zu Espartero über, da sie den gänzlichen Fall der Parthei unvermeidlich nahe sahen. Sie nahmen die Casse der Junta mit sich. -- Viele Enttäuschungen warteten des edlen Cabrera! In eben dieser Zeit ward ein Mann in Morella ergriffen, der, Jedermann unbekannt, seit einigen Tagen dort sich umhertrieb und, so wie der General in der Festung anlangte, zu ihm sich zu drängen suchte. Da er nicht Auskunft über sich geben wollte, durch seine Reden aber den Verdacht böser Absichten fast zur Gewißheit steigerte, ward ihm erklärt, daß er, falls er nicht gestehe, wer er sei und weshalb er dorthin gekommen, unverzüglich erschossen werde. Um ihn noch mehr einzuschüchtern, wurde er selbst in ~capilla~ gesetzt, und ein Priester sollte zu christlichem Tode ihn vorbereiten. Schäumend vor Wuth gab er sich da, weil er ja doch sterben müsse, als Mörder an, der von den Radicalen zu Barcelona gedungen sei, die Welt von dem gefürchtetsten Vertheidiger der Legitimität zu befreien. Er rühmte sich zugleich, an der Ermordung des gefangenen Obersten O’Donnell und der Seinen, so wie an der Niedermetzelung der Mönche thätig Theil genommen, ja ein Stück jenes unglücklichen Opfers geröstet und verzehrt zu haben; dann versprach er wieder, im Fall ihm das Leben geschenkt werde, Espartero in der Mitte seiner Garde niederzustoßen. Der Mann, plump, frech und erbärmlich feig zugleich, war gewiß sehr schlecht gewählt für das Geschäft, dem er sich unterzogen hatte. Sein abgeschlagenes Haupt ward zur Warnung auf einem Galgen vor der Stadt aufgesteckt. Vor seinem Tode erklärte er, daß mit ihm noch zwei Banditen von Barcelona abgesendet seien, die jedoch meines Wissens nie versuchten, die beschlossene Schandthat auszuführen. * * * * * Espartero rückte in der zweiten Hälfte Octobers mit den 35 Bataillonen, die er persönlich führte, von Norden gegen die Gebirgsmasse vor, welche den Grundsitz der carlistischen Macht bildete, und zu deren Vertheidigung Cabrera seine Truppen concentrirt hatte. Sie konnte als eine große Veste angesehen werden, in der Morella und Cantavieja, durch Lage, Kunst -- so glaubte man wenigstens -- und noch mehr durch die Schwierigkeit der Annäherung besonders stark, den Haupt-Vertheidigungskörper, die vorliegenden Forts Cullá, Alcalá la Selva, Aliaga, Villarluengo und Castillote die Außenwerke, das weit vorgeschobene Segura aber, so wie die Festungen des Turia im Südwesten und Villamaleja im Süden, selbstständige detachirte Werke bildeten, welche in Flanke oder Rücken dem angreifenden Feinde sehr gefährlich werden konnten. Cabrera sandte deshalb Llagostera mit einem starken Corps, um bei Segura sich aufzustellen, von wo dieser jedoch, da Espartero unaufgehalten über Muniesa und am 26. October selbst bis Calanda vordrang und so die schwächste Seite der Gebirgsveste bedrohete, auf Castillote sich zog und dort Espartero sich entgegenstellte. Zugleich hatte O’Donnell von Teruel seine 21 Bataillone herangeführt und war sofort bis Villarroyo vorgedrungen, worauf er das Städtchen Camarillas als Depot und Anhaltspunkt befestigen ließ, zu welchem Zwecke Espartero Estercuel ausersah, indem er auch Montalban, um Segura in Schach zu halten, wieder befestigen und diese Puncte durch mehrere feste Posten links mit Calanda und rechts mit den von O’Donnell besetzten Orten und bis Teruel verband, so im Halbkreis eine Linie, ähnlich denen der Nordprovinzen, um das eingeengte Gebiet der Carlisten ziehend. Eine Colonne von 8 Bataillonen befehligte der Brigade-General Don Juan Cabañero, der, früher in Cabrera’s Armee die Division von Aragon befehligend, mit Maroto zu den Christinos übergegangen war und sich der besondern Gunst des Siegesherzoges erfreute, da er genau mit dem Kriegsschauplatze bekannt war und versprochen hatte, seine früheren Cameraden zu bearbeiten. So gab er ein treffliches Werkzeug ab für die Bestechungspläne seines neuen Anführers. Kleinere abgesonderte Detachements sollten die Communicationen sichern, das Land besetzen und dadurch seine Hülfsquellen den Carlisten unzugänglich machen und auch wohl die Bewohner, indem sie das ganze Land von den Schaaren der Christinos überschwemmt sahen, heilsame Furcht vor der Macht des gerühmten Feldherrn lehren. So schweifte Martin Barea in dem Gebiete von Montalban und Segura, das Bataillon der portugiesischen Fremdenlegion, welches so lange schon unter Borso di Carminati’s Befehlen brav gegen Cabrera gekämpft hatte und aus einer Brigade zu einem Bataillon zusammengeschmolzen war, zwischen Segura und der großen Heerstraße umher. Bisher hatten die Feinde, wenn auch stets von unsern Colonnen beobachtet und oft in günstigen Stellungen aufgehalten, keinen ernstlichen Widerstand gefunden, und jubelnd wähnten sie, daß die Kraft unserer Krieger gebrochen sei, und daß rasches Vorwärtsschreiten ihnen hinreiche, um der leichten Beute sich zu versichern. Viele glaubten selbst, daß Cabrera nur die Unterwerfung verzögere, um bessere Bedingungen für sich und die Seinen zu erpressen. Espartero hatte schon seine Siegeskünste in Thätigkeit gesetzt; wenn das Gold über den Obergeneral nichts vermochte, sollte es bei den Untergebenen desto mehr seine Macht bethätigen. Er erließ Proclamationen, in denen er das Volk aufforderte, sich ihm anzuschließen, um die Segnungen des Friedens zu erringen; den carlistischen Soldaten versprach er eine Geldbelohnung und die Entlassung in die Heimath, wenn sie den tollen Widerstand aufgäben und zu den siegreichen Truppen der unschuldigen Königinn übergingen, während er den Officieren, die sich ihm präsentiren würden, Anstellung in den Graden, die sie erlangt, und selbst Bestätigung der Orden und sonstigen Auszeichnungen zusagte, welche ihnen im Kampfe gegen seine eigenen Truppen geworden waren. Diese waren die ersten Schritte, die er zu der Ausführung seines Lieblingssystemes that; wollte Gott, daß alle andern eben so nichtigen Erfolg gehabt hätten! * * * * * O’Donnell drang vorwärts, um seinem Gefährten die Hand zu reichen und zugleich die Aufmerksamkeit Cabrera’s auf sich zu ziehen. Am 30. October griff er Fortanete an, zu dessen Vertheidigung Cabrera rasch herbeieilte und in der That mit vier Bataillonen, die er dort vereinigte und erst am folgenden Morgen mit andern zwei verstärkte, den Ort bis zum Abend des 31. hielt. Am 1. November bereitete er sich, den ermatteten Feind von neuem zu bestürmen, als er durch einen Spion die Nachricht erhielt, daß Espartero am Tage vorher von Calanda über dem Mas de las Matas mit seiner ganzen Macht vorgedrungen sei, Morella sowohl wie Cantavieja bedrohend; und daß Cabañero Einverständniß mit einigen Officieren angezettelt habe, welche ihm am Abend desselben Tages die Festung Cantavieja einhändigen würden. Fortanete aufgebend flog der General, nur von seinen Adjudanten und Miñones begleitet, der bedroheten Veste zu; am Tage nachher wurden die Schuldigen erschossen, und kaum gelang es dem verrätherischen Cabañero, mit seiner Colonne durch die Schluchten, ihm sämmtlich wohlbekannt, den Massen Espartero’s wiederum sich anzuschließen. Da war es, als abermals die gedungenen Mörder das Leben des Grafen von Morella bedrohten, über dessen Haupte ein schützender Genius zu schweben schien, die Elenden blendend, welche gegen ihn die Hand zu erheben wagten. In las Parras hatte Espartero sein Hauptquartier aufgeschlagen, während die Garden unter General Leon die Dörfer Luco und Bordon, vier bis fünf Stunden von Morella, besetzt hielten. O’Donnell ging bis la Cañada vor, welches er leicht nahm; aber seine Versuche, darüber hinauszudringen, um mit Espartero in Verbindung zu treten, blieben ganz fruchtlos und kosteten ihm viele Menschen. In eben diesen Stellungen befanden sich die beiden feindlichen Armeen, als ich von Catalonien zurückkehrte, und ein bunteres Durcheinanderwerfen der christinoschen und carlistischen Truppen schien ganz unmöglich zu sein und kann nur durch die Eigenschaften des Terrains erklärt werden, welches so furchtbar gebrochen, mit unzugänglichen Felsmassen und tief gefurchten Schluchten durchzogen ist, daß die Corps häufig auf geradem Wege wohl kaum eine Viertelstunde von einander entfernt waren, während sie, um sich zu treffen, Stunden langen mühsamen Marsch zu machen hatten. -- In einem regelmäßigen Kriege würde ein ähnliches Gebirge für durchaus impracticabel erklärt werden. Espartero stand, wie gesagt, in las Parras, Luco und Bordon,[112] die Front gegen el Orcajo, die beiden Hauptfestungen der Carlisten bedrohend; seine ganze Cavallerie war im Mas de las Matas concentrirt und deckte so die Verbindung mit Calanda, welches jedoch vom Obersten Bosque blokirt wurde, der selbst unter dem Schutz des Terrains drei Mal den Ort überfiel, die Thorwache niederhieb und Officiere und Leute von den Straßen gefangen fortführte, ehe die christinoschen Truppen unter die Waffen kamen. Es durften daher nur Colonnen von einigen tausend Mann von Calanda zum Heere und nach dem Hauptdepot Alcañiz geschickt werden oder von dort kommen. Dieser Linie parallel zwischen ihr und Morella und den Weg nach dem Orcajo deckend, welches ein äußerst wichtiger Punkt war, da dort die Straßen nach jenen beiden Festungen rechts und links abgehen, standen von Monroyo bis Olocau vier Bataillone, die aber sofort verstärkt werden konnten. Cabrera selbst blieb, nur von seiner Compagnie Miñones und den Ordonnanzen gedeckt, in Zurita, drei Viertelstunden von dem mit Truppen überladenen Luco. An der andern Seite der feindlichen Position lag das starke Castillote, eine Stunde von las Parras und dem Mas de las Matas entfernt. Dort stand, auf das Fort gestützt, Llagostera mit einem Theile seiner Division, die er in glücklichen Zügen und mit überraschender Thätigkeit -- da er gewöhnlich sehr langsam sich zeigte -- bis tief in das nun feindliche Gebiet hinein, nach Segura und über dasselbe hinaus führte. In der Nacht vom 6. zum 7. November überraschte er in Barrachina das Fremdenbataillon, welches ihn zwanzig Stunden entfernt wähnte, und brachte ihm einen Verlust von 300 Todten bei: die fremden Corps hatten keinen Pardon. Den kleinen Rest rettete der entschlossene Muth desselben, da er ohne Munition der schon genommenen Kirche sich bemächtigte, in der das Bataillon seinen Pulvervorrath niedergelegt hatte, und in ihr sich vertheidigte. Zwischen jener Armee und der O’Donnell’s, die in Fortanete und la Cañada sich verbarrikadirte, standen die carlistischen Bataillone in Pitarque, Tronchon und Mirambel, während O’Donnell’s rechter Flügel durch drei Bataillone in Val de Linares, sein Rücken gar durch die beiden Festungen Aliaga und Alcalá la Selva und den auf sie gestützten Freicorps bedroht und seine Communicationen natürlich ganz abgeschnitten waren. Es wird stets unerklärbar bleiben, was den großen Siegesherzog bewegen konnte, in eine so precäre Lage sich zu begeben und seine Massen ohne Plan und Zweck in die Schluchten zu schieben, welche allen seinen Vorgängern so unheilsvoll sich bewährt hatten. Denn hätte er einen Plan dabei gehabt, so müßte derselbe in seinen Folgen sichtbar geworden sein. Vorwärts gehen aber, still stehen, um Hunger zu leiden, und dann wieder ohne Erfolg umkehren sind gewiß nicht die Mittel, durch die irgend ein Zweck erreicht werden kann. Und wenn er etwa einen der bedrohten Punkte anzugreifen beabsichtigte, was konnte er hoffen, da er auch nicht ein einziges Belagerungsgeschütz mit sich führte, so wie denn auch gar nicht die für die Einnahme einer Festung unumgänglichen Vorbereitungen getroffen waren! Oder wäre etwa diese ganze unbedachte Bewegung vorwärts nur auf den moralischen Eindruck berechnet gewesen? Sollte Espartero seine Streitkräfte vor den Augen der Feinde haben entwickeln wollen, damit sie, ihre Ohnmacht anerkennend, durch Unterwerfung die Mühe des Besiegens ihm ersparen möchten? Das wäre freilich eine traurige Speculation gewesen. -- Es ist wahr, das erste kräftige Vorgehen der Christinos machte einen augenblicklich tiefen Eindruck auf die carlistischen Truppen und mehr noch auf das Volk; ja, ich habe von Männern, deren Urtheil ich hoch stelle, die Behauptung mit nicht ungewichtigen Gründen belegen gehört, daß Espartero damals durch rasches, entschiedenes Handeln unendlich Viel hätte ausrichten, vielleicht allem ferneren Widerstande zuvorkommen können. Die Überraschung war so plötzlich, und gar nichts war gerüstet, gar nichts gethan, was ihn wirksam zurückgehalten hätte. Aber um so Großes zu erlangen, mußte er jede Minute benutzen; das geringste Zögern gab die Staunenden mehr und mehr sich selbst wieder und schwächte ihn, während es den Gegnern neue Kraft und neues Vertrauen verlieh. Und bedachte der geübte Rechner denn gar nicht, daß wenn das Entwickeln seiner ungeheuern Übermacht und das kühne Vorwärtsdringen moralisch hohen Einfluß üben mußte, daß dann seine unerklärbare, wochenlange Unthätigkeit und gar der endliche Rückzug allen jenen Demonstrationen das Siegel des Lächerlichen aufdrücken, daß es ihn und seine Massen -- und was kann Schlimmeres dem begegnen, der moralisch zu wirken sucht? -- zum Gegenstande des Spottes und der Verachtung machen mußte? Wahrscheinlich waren es ganz andere Motive, durch die Espartero zu solch einem ~faux pas~ bewogen wurde, Motive, die mit dem alten System zusammenhängen, in das allein er, wohl sich kennend, für seine Eroberungen Vertrauen setzte. Von seinem Cabañero prächtig unterstützt, zweifelte er nicht, daß er Männer finden werde, die gern, um das in rühmlichem Kampfe Erworbene zu sichern und zu mehren, ihr Gewissen, ihren König und ihre Cameraden verkaufen würden. Der gegen Cantavieja gemachte Versuch, die neuen Verräthereien, welche mehreren Officieren das Leben, andern und sehr angesehenen, unter ihnen dem Oberst Echavaste, Amt und Freiheit kosteten, und die von allen Seiten an Cabrera eingegangenen und durch Documente bestätigten Anzeigen von versuchter Bestechung[113] zeigen zur Genüge, wie Espartero arbeitete, wie er kein Mittel scheute, um das ersehnte Ziel zu erreichen. Und da freilich war das Eindringen in die Gebirge und das Verweilen in ihrem Innern von unschätzbarem Vortheil; Espartero konnte so mit Leichtigkeit jede sich etwa darbietende Gelegenheit benutzen, und er ermuthigte diejenigen, welche geneigt sein mochten, auf seine Ideen einzugehen. Doch noch sollte er unverrichteter Sache abziehen, da er Männer fand, die mit Verachtung seine klangreichen Überredungsmittel zurückzuweisen wußten. Wahrlich, ich wäre irre geworden an der menschlichen Natur -- das letzte Jahr hatte so Entsetzliches gebracht! -- wenn ich da nicht erkannt hätte, daß unter den Carlisten Viele, die weit überwiegende Mehrzahl selbst, den eigenen Werth zu würdigen wußten. Wenn auch besiegt, durften sie mit Stolz und Verachtung auf den Sieger hinabsehen, gewiß, daß er die Ehre ihnen nicht zu nehmen vermochte. * * * * * Vom 31. October bis zum 18. November standen die beiden Generale der Christinos unbeweglich in ihren Dörfern -- die Besetzung der Cañada durch O’Donnell am 7. November blieb ohne weitere Folgen --; sie hatten alle Ausgänge derselben verbarrikadirt, und den Soldaten war auf das strengste untersagt, einen Schritt außerhalb der Orte zu thun, so daß sie, da bald doch nur wenige Nüsse und Eicheln als Ration ausgetheilt wurden, selbst die rings um die Dörfer eingegrabenen Kartoffeln nicht mehr holen durften, nachdem Cabrera, der zufällig zu einer Recognoscirung sich genähert, 250 Mann weggefangen hatte, welche zu jenem Zwecke von Bordon ausgesandt waren. Die Garde, am weitesten vorgeschoben, hatte natürlich den schwierigsten Stand. Die carlistischen Führer waren indessen nicht unthätig. Zwar suchte Cabrera umsonst die feindlichen Massen in ihren Quartieren zu bestürmen; sein Angriff auf O’Donnell mißlang, und eben so wenig vermochte er Espartero’s Truppen in’s Feld oder, indem er ihnen die wichtige Straße nach dem Orcajo ganz frei ließ, zu weiterem Vordringen in das Gebirge zu locken. Er mußte sich begnügen, mit seinen Miñones bis an die Dörfer selbst vorzugehen, so daß die Freiwilligen in die Straßen und Häuser hineinschossen, wodurch der Feind viele Mannschaft verlor. Dafür waren aber unsere Streifparthieen im Rücken der Colonnen Espartero’s ihnen desto verderblicher. Llagostera operirte nach der Vernichtung des Fremden-Bataillons auf der Communications-Linie der Christinos, unterbrach fortwährend die Verbindung, hob die Convoys auf oder verzögerte ihre Ankunft und bedrohete unaufhörlich die kleinen Garnisons, von denen er mehrere gefangen fortführte, während der verwegene Barea vergeblich seine Unternehmungen zu hemmen strebte. Er sandte 1100 Gefangene und 337 Maulthierladungen von Lebensmitteln nach Cantavieja und Morella. Oberst Bosque, wie gesagt, blokirte stets Calanda. Da nun Martin Barea neunzehn gefangene Carlisten erschossen hatte, führte auch Bosque von den Gefangenen, die er bei seinem zweiten Eindringen in jenen Ort machte, einen Adjudanten Espartero’s und achtzehn Soldaten an den Fuß der Mauern zurück und füsilirte sie dort. Nachdem sie die Nacht in höchstem Alarm zugebracht, fand die Garnison am Morgen die Leichname und in der Hand des Adjudanten ein Schreiben, durch welches dieser Act als nothwendige Repressalie für die Ermordung jener Freiwilligen angekündigt wurde. Die Besatzung von Alcalá la Selva, unterstützt von dem 4. Bataillon von Aragon, fing einen Convoy auf, der von Teruel dem ausgehungerten O’Donnell zugesandt wurde, und nahm drei ihn escortirende Compagnien gefangen. Espartero’s Lage wurde täglich mißlicher: alle seine Anschläge waren gescheitert, und jede Stunde machte die Stellung, in die er sich gezwängt hatte, weniger erträglich. Bald fehlte es ganz an Lebensmitteln, und nachdem das Holz, welches in den Dörfern sich fand, dann auch die Meubles, die Thüren und Fenster aufgebrannt waren, machte sich der Mangel an Feuerung gleich fühlbar. Umsonst erwartete der bedrängte Siegesherzog das schlechte Wetter, welches sonst in diesen Gebirgen nie ausbleibt, umsonst hoffte er, daß Schnee und Sturm ihm einen Vorwand geben würden, der den Rückzug und die Nichterfüllung seiner pomphaften Verheißungen auf Rechnung der Jahreszeit zu setzen erlaubte. Der Himmel schien sich mit den Carlisten zu verschwören, um seine Verlegenheit zu vergrößern, da, wiewohl es ziemlich kalt war, die Luft fortwährend rein blieb und kein Wölkchen am Horizonte sichtbar wurde. -- Erst mit dem Anfange des Februars 1840 schien der Winter zu beginnen. So ward denn Espartero endlich gezwungen, der Demüthigung sich zu unterziehen und die drohende Stellung aufzugeben, welche er seit drei Wochen im Herzen des Gebietes der verachteten Rebellen, wenige Stunden von ihren Hauptfestungen entfernt, behauptet hatte. Anstatt der erwarteten Eroberung von Morella lasen die erstaunten Madrider die Nachricht von dem Rückzuge ihres lorbeerbekränzten Helden. In der Nacht vom 18. zum 19. November verließen die Garden ihre Stellungen, um sich auf las Parras zurückzuziehen, wohin sie von den Compagnieen, welche zu ihrer Beobachtung bestimmt waren, begleitet und so kräftig gedrängt wurden, daß sie im Dunkel der Nacht in gänzliche Unordnung geriethen und ihren Schrecken selbst den bereits zu ihrem Empfange ausgerückten Divisionen mittheilten. Am folgenden Tage zog sich Espartero nach Calanda, O’Donnell von Fortanete auf Camarillas zurück, nachdem sie 4000 Mann geopfert hatten, um Spott und schimpflichen Rückzug damit zu erkaufen. Rühmlich hatte die kleine Schaar, welche weder durch Versprechungen noch durch Furcht vor der sechsfachen Übermacht in ihrer Treue sich wankend machen ließ, den Feldzug des verhängnißvollen Jahres 1839 geschlossen. Mit Festigkeit sah sie den Schrecken entgegen, die der Frühling über sie häufen mußte. Espartero aber sann ergrimmt auf neue Mittel, durch die er leichten Triumph sich sichern, den gefürchteten Helden, der hindernd seinen Plänen in den Weg trat, unschädlich machen könne; er wußte, daß Cabrera’s Geist Alles belebte und aufrecht hielt, daß ohne ihn, auf den Alle mit Liebe und Vertrauen blickten, der Alles geschaffen hatte, das Werk in sich zerfallen würde. -- Seine Wahl war rasch getroffen. Die letzten Tage des Monats vergingen ohne bedeutende Operationen. Nur Llagostera zeichnete sich wiederum aus, da er in der Nacht vom 25. zum 26. November das vom Feinde befestigte und als Depot benutzte Estercuel angriff, sich dadurch in die Mitte der feindlichen Linie und zwischen die Truppen schiebend, welche rings umher cantonnirten. Er öffnete in der folgenden Nacht durch eine Mine Bresche und nahm die Stadt mit Sturm, worauf er den größten Theil der Magazine fortführte, das Übrige zerstörte und eine halbe Stunde vor dem Eintreffen des heranrückenden christinoschen Corps den Ort verlassen hatte. Diese letzten Monate des Jahres 1839 bilden die Glanzperiode Llagostera’s, da die ungewohnte Thätigkeit, welche er unter den doppelt schwierigen Umständen entwickelte, und die dadurch errungenen Erfolge den sehr gegen ihn eingenommenen Geist der Armee auf einige Zeit mit ihm aussöhnten. Doch wußte er durch sein späteres Handeln die neu erregten Hoffnungen nicht zu befriedigen und verlor deshalb im April 1840 sein Commando. [111] Sie waren fast alle unbärtige, sechszehn- bis zwanzigjährige Jünglinge. Die Männer, welche in den ersten Jahren des Krieges sich erhoben, hatten größtentheils mit dem Leben ihre Treue besiegelt oder befanden sich längst in dem Invaliden-Corps. [112] General Baron von Rahden hat seinem Werke über Cabrera eine Charte des Kriegsschauplatzes im östlichen Spanien hinzugefügt, welche sehr genau und für das Verständniß der Züge und Operationen Cabrera’s seit dem Beginne des Krieges und der ihn bekämpfenden Heere zu empfehlen ist. [113] Kein Chef vom Oberst aufwärts ist ohne glänzende Anerbietungen von Seiten Espartero’s geblieben. XXXIV. Während der Abwesenheit des Generals Baron von Rahden stand das Geniecorps unter der interimistischen Direction des Obersten Don José Alzaga, welcher, da während des Winters in allen Festungen thätig gearbeitet werden sollte und daher alle Officiere des Corps beschäftigt waren, die Leitung der Werke von Morella und dessen Castell gleichfalls über sich nahm. Diese befanden sich zur Zeit des Anrückens Espartero’s in eben dem Zustande, in dem Oráa im Jahre 1838 sie gelassen hatte; man war lediglich darauf bedacht gewesen, die Bresche zu schließen. Umsonst hatte Herr von Rahden seit seiner Ankunft darauf gedrungen, die Befestigung zu vervollständigen und die nahen, vom Feuer des Castells beherrschten Höhen mit wechselseitig sich vertheidigenden Werken zu krönen, hinter denen ein deckendes Corps wie in einem verschanzten Lager stehen könnte, während sie die Arbeiten des Feindes unendlich erschwert hätten, da sie ihn nöthigten, Zeit und Material für die gar nicht leichte Eroberung derselben zu verlieren und die Arbeiten auf weit größere Distance anzufangen, indem sie von seinem eigentlichsten Angriffspunkte, den schwachen Mauern der Stadt, lange und wirksam ihn fern hielten. Wohl hatte der Graf von Morella die Wichtigkeit dieser Arbeiten erkannt und deshalb Herrn von Rahden aufgetragen, den Plan zu entwerfen; ja, der größte Theil derselben war längst abgesteckt und bezeichnet. Aber die Offensiv-Operationen nahmen während des ganzen Jahres die Aufmerksamkeit und noch mehr alle Mittel des Generals in Anspruch, so daß bei den fortwährend unternommenen Belagerungen das Geniecorps immer fern von Morella beschäftigt war. Auf die dringenden Mahnungen des Herrn von Rahden pflegte er dann mit derbem Fluche zu erwiedern, daß, so lange er lebe, die Christinos nie mehr wagen würden, Morella sich zu nähern. So hatte Jener kaum erlangen können, daß der Bau des regelmäßigen Hornwerkes angefangen wurde, durch das er des wichtigen Punktes der Hermite von San Pedro Martyr sich versichern wollte, der von einer weit die Umgegend beherrschenden Höhe die Festsetzung des Feindes und vor Allem die Errichtung der Batterien auf dem fast einzig dazu passenden Punkte, der Querola, unmöglich machte. Als die Schreckenskunde von der Annäherung Espartero’s ertönte, war dieses Werk noch sehr zurück. Da eilte denn freilich Cabrera herbei, die rasche Vollendung zu betreiben, und da er den ursprünglichen, trefflichen Plan und das zu seiner Ausführung noch Mangelnde sah, befahl er mit dem Ausrufe: „Carajo, das sind ja wahre Römer-Arbeiten; die passen nicht hierher!“ das Hornwerk zu verkürzen. Die Folgen des peremtorischen Befehls waren traurig. Das Fort mußte, da es außer dem wirksamen Bereiche des Geschützes der Festung lag, als detachirtes und unabhängiges Werk ganz auf die eigene Vertheidigung beschränkt sein; es ward nun aber möglich, da, wo die Abschneidung Statt finden mußte, bis auf hundert und funfzig Schritt sich ihm gedeckt zu nähern, und gerade dieser bedrohete Punkt verlor fast seine ganze Flankenvertheidigung. Dort griffen denn später die Feinde das Werk auch an und nahmen es nach dreitägiger Beschießung. Herr von Rahden hatte im Augenblicke der Gefahr die Verschanzung rasch -- zum Theil mit Pallisaden -- geschlossen, um sie gegen einen Handstreich sicher zu stellen. Oberst Alzaga befahl sofort, das so eben Errichtete wieder niederzureißen und es ganz kunstgemäß und permanent von neuem zu erbauen -- er fand nie gut, was nicht von ihm selbst herrührte. -- Zugleich sollte dort eine bombenfeste Caserne angelegt werden. Die Leitung dieser Arbeiten auf San Pedro Martyr ward mir übertragen, so wie ich die kürzlich begonnene Befestigung von Villarluengo vollenden und abwechselnd mit dem Capitain Verdeja Cantavieja inspiciren sollte. Diesem wurden die Forts Ares del Mestre und Cullá südlich und dem Capitain Jimenez Castillote und Peñaroya nördlich von Morella zugetheilt, während der vierte Capitain Don Manuel Brusco in den Festungen jenseit der Heerstraße von Teruel nach Segorbe befehligte. Die Subalternofficiere und Werkmeister, so wie die Compagnien des Sappeurs-Bataillons waren dem Bedürfnisse gemäß unter uns vertheilt. Im ersten Augenblicke fühlte ich mich etwas unsicher in meinem neuen Wirkungskreise. Wenn ich auch in früheren Verhältnissen viel mit der Theorie der Befestigungskunst mich beschäftigt und in Spanien mehrfach Gelegenheit gehabt hatte, mich in ihr praktisch auszubilden, konnte ich doch unmöglich meine Kenntnisse für hoch genug anschlagen, um mit Ruhe so verantwortungsschweren Aufträgen mich zu unterziehen. Dazu fehlten wissenschaftliche Bücher ganz, so wie Instrumente so selten waren, daß ich selbst einen Zirkel von Holz mir anfertigen mußte. Indessen der Würfel war einmal geworfen, und ich konnte nur streben, durch Thätigkeit das etwa Mangelnde zu ersetzen. Thätigkeit aber war im erschöpfendsten Maße nothwendig, da ich wöchentlich zwei Mal von Morella nach Villarluengo und zurück und alle vierzehn Tage nach Cantavieja zum immer gleich unnützen Strauße mit dem Obersten Cartagena reisen mußte und überall der Arbeit im Übermaß fand. -- Doch sollte ich noch einige Wochen unverhoffter Weise frei bleiben. * * * * * Wenige Tage nach des Herrn von Rahden Abreise ward ich zum General gerufen und bekam die Ordre, auf den Nachmittag marschfertig zu sein, da ich ihn begleiten würde; er entließ mich erst nach mehreren Fragen und Bemerkungen über den Fortgang der Befestigung von San Pedro Martyr. Ich war um so mehr durch die auf mich gefallene Wahl überrascht, da der Liebling Cabrera’s, Capitain Verdeja, gerade in Morella sich befand; ohne Zweifel wollte er selbst mich prüfen, und ich war froh, daß es geschah. Rasch war ein Bagage-Maulthier besorgt und mit dem Mantelsäckchen beladen, und am Mittage des 3. Decembers ritten wir den treppenförmig construirten Weg hinab, der von dem Felsberge Morella’s in das Thal führt, worauf wir gen Norden uns wandten. Cabrera wollte persönlich die Werke von Mora de Ebro inspiciren, welche Stadt von höchster Wichtigkeit war, da sie nicht nur die Verbindung mit dem Heere von Catalonien, sondern auch die Herrschaft über das ganze reiche Thal des untern Ebro sicherte. Eben deshalb war auch das etwas höher liegende Flix gegen den ersten Anlauf gedeckt und Miravet, einige Stunden südlich von Mora, ein altes maurisches Castell, mit großem Kostenaufwande in ein sehr starkes Fort umgewandelt. Jetzt ordnete Cabrera auch die Befestigung von Peñaroya an, wodurch er den doppelten Zweck erlangen wollte, die Communication Espartero’s mit dem Königreiche Valencia auf der geraden Linie durch das Hochgebirge zu verhindern und die eigene mit jenen Forts sicher zu stellen. Peñaroya ward übrigens im Frühjahre geräumt, da die Jahreszeit die so rasche Beendigung der Arbeiten nicht zugelassen hatte. Auf dem Marsche war der General nur von einigen Ordonnanzen und etwa sechszig Miñones begleitet, die stets vor den scharf trabenden Pferden in eben so leichtem Laufe bergauf und bergab flogen. Nur selten, wo die Gebirgspfade es unumgänglich erheischten, durfte der Trab eingestellt werden, und ein einziges Mal, da wir mit Hand und Fuß uns anklammernd in eine tiefe Schlucht hinabkletterten, sah ich auch Cabrera absteigen; wie die Pferde lebend herunterkamen, kann ich noch nicht begreifen. Dabei verließ er oft die gewöhnlichen Wege, um Stunden lang fast unbetretenen Pfaden zu folgen, die er alle genau zu kennen schien: wir befanden uns auf dem Schauplatze seiner ersten Kriegesthaten, aus denen seine Gefährten mehrere blutige Anekdoten erzählten, die uns die wilde Unerschrockenheit, die Ausdauer und den Scharfsinn des feurigen jungen Studenten bewundern ließen. Über Hervés, Monroyo, Valderobles und das reiche, nun halb zerstörte Gandesa in wunderlichen Hin- und Herzügen -- denn Cabrera wollte Alles selbst sehen und überall anordnen -- langten wir endlich auf dem Ufer des majestätischen Ebro an. Nur vom Gouverneur und von mir begleitet, eilte der General sofort zur Besichtigung der neu angelegten Werke von Mora. Da kamen denn sonderbare Dinge zum Vorschein, wie ich ihrer jedoch, so oft beim Mangel eines Ingenieurs die Gouverneure die Arbeiten leiteten, fast immer noch weit schlechtere antraf; der General selbst, wiewohl auch er in Betreff der Befestigungen den Ansichten des Guerrillero nicht ganz entsagt hatte, äußerte seine Unzufriedenheit. Das Ganze bestand aus einer Menge über einander gehäufter Mauern, die fast gar keine flankirende Vertheidigung gewährten und auf die eigenthümlichst bunteste Art crenelirt waren -- und deshalb war das Land weit umher hart bedrückt! So beklagte sich der Magistrat von Gandesa, daß von den Maulthieren der Stadt die eine Hälfte stets unterweges sei, um die andere von den Arbeiten in Mora abzulösen; nur vier blieben frei, und diese reichten lange nicht hin, um den Bagagedienst auf so besuchter Straße zu versehen. Der General befahl daher, daß die voluntarios realistas zu den Leistungen für die Armee, von denen sie bis dahin befreit waren, zugezogen würden, um dadurch das Land zu erleichtern. Dieser Theil des carlistischen Gebietes, unendlich reich durch seine Fruchtbarkeit, zeichnete sich ganz besonders durch die entschieden royalistische Gesinnung der Einwohner aus, welche zwischen drei und viertausend Männern, außer der Division vom Ebro, die Waffen in die Hände gegeben hatte, um im Falle eines Angriffes die vaterländische Provinz zu vertheidigen. Begünstigt durch die Schroffheit der niedrigen Gebirgszüge, welche von dem Hochgebirge nach dem Ebro hin sich absenken, trugen sie im Frühjahre Viel dazu bei, dem Feinde die Eroberung des Ebro-Thales zu erschweren und unserer Armee die Passage des Flusses frei zu erhalten. Auf Befehl des Generals hatte ich den Plan zur weiteren Befestigung von Mora entworfen und, während er einen Ausflug nach Miravet machte, den Gouverneur, einen alten Kampfgenossen Cabrera’s und deshalb stets mit Schonung von ihm behandelt, in dem Nöthigsten instruirt und die Haupttheile der zu errichtenden Werke tracirt, auch vieles die Verwaltung Betreffende besser geordnet, da, soweit sie die Fortification betrifft, nach dem spanischen Reglement auch sie ganz unter der Controle der Ingenieure steht. Diese sind dadurch in eine sehr unabhängige Stellung versetzt, werden aber auch stets von Kriegscommissairen, Factoren, Gouverneuren und allen denen, die dabei die Hand im Spiele haben, auf das bitterste angefeindet, wenn sie nicht mit ihnen zum Unterschleif sich verbinden wollen. Bei der Rückkehr des Generals hatte ich die Genugthuung, alle meine Maßregeln ganz von ihm gebilligt zu sehen, so wie er denn täglich wohlwollender gegen mich sich äußerte, wobei er einst erklärte, daß ich mit der verdammten blauen Brille noch freimaurermäßiger[114] ausgesehen habe, als der Franzose, der einst für die Christinos bei ihm spionirte. Da erfuhr ich, daß im Jahre 1837 ein Franzose, der gleichfalls eine Brille getragen, als exaltirter Carlist von Madrid zu der Armee gekommen, bald aber als Emissair der usurpatorischen Regierung entdeckt und erschossen war! * * * * * Wir traten den Rückmarsch an. In Orta erhielt Cabrera die Rapporte der verschiedenen Corps über den Etat der Bataillone und Escadrone. Mit Thränen im Auge rief er aus: „Wie kann ich meinen treuen Burschen so viel Hingebung und Festigkeit vergelten; nicht ein einziger ist seit dem Anmarsche Espartero’s desertirt! Dagegen,“ und die ausdrucksvollen Züge verfinsterten sich, „sind drei Officiere übergegangen, von denen zwei die Cassen ihrer Bataillone mitnahmen. Ich muß wieder einmal ein Dutzend solcher Spitzbuben erschießen lassen.“ Zu seinen Adjudanten gewendet, fügte er hinzu, daß sie zuerst die Reihe treffen würde, da er am wenigsten um seine Person Schurken duldete. „Wer kein gutes Gewissen hat, der mache, daß er fortkomme!“ -- Einer jener Officiere wurde kurz nachher bei einem Überfall, den einige Bataillone von Valencia auf einen Convoy ausführten, von seiner eigenen Compagnie gefangen und sofort füsilirt. Nachdem wir auch Peñaroya besucht und die Vorarbeiten für die Befestigung angeordnet hatten, ritten wir über Monroyo auf Aguaviva, eine kleine Stunde von dem vom Feinde besetzten Mas de las Matas entfernt, dem wir sofort uns näherten, von zwei Compagnien Schützen des Obersten Bosque begleitet. An der Spitze von zehn oder zwölf Ordonnanzen flog der General voraus und traf etwa tausend Schritt von dem Dorfe auf ein unglückliches Detachement, das, aus einer halben Compagnie und sechszehn Pferden bestehend, auf die Kunde von unserer Annäherung dorthin sich zurückzog. Im Nu hatte Cabrera die Reiter zersprengt und mit Verlust von fünf Todten verjagt, die Infanterie aber abgeschnitten, nachdem sie sich in einen kleinen Busch geworfen hatte; so wie sie die Miñones eiligen Laufes herankommen sahen, hielten die Christinos die Kolben der Gewehre hoch in die Luft, Pardon erflehend. Während die Truppen im Mas Alarm schlugen, hatten wir uns mit 63 Gefangenen zurückgezogen; zwei Ordonnanzen waren schwer verwundet. Am 16. December langten wir wieder in Hervés an. Der General nahm ein leichtes Mahl zu sich, in kurzer Zeit zubereitet, denn Delicatessen existirten nicht. Eine halbe Stunde nachher fühlte er sich unwohl, Beängstigungen traten ein, mit heftigen Schmerzen in den Gliedern verbunden, und kalter Schweiß brach hervor. Dann folgte furchtbare Abspannung, durch die der Kranke genöthigt ward, das Bett zu hüten. Angstvolles Entsetzen ergriff Alle. Erstarrt schlich ein Jeder umher, in den Augen der Andern denselben Schauder erregenden Gedanken lesend, der auch seine Brust beklemmte; kaum hörbar flog bald das Wort: Gift! von Mund zu Mund, und die Symptome machten den Verdacht nicht unwahrscheinlich. Untersuchungen wurden angestellt. Der Wirth war eben so wie seine Frau, die mit den Burschen selbst die Speisen bereitet hatte, als exaltirter, vielfältig compromittirter Royalist bekannt und dem General persönlich sehr ergeben; auch haftete auf ihnen der Argwohn keinen Augenblick. Aber das Haus war, wie allenthalben, wo Cabrera’s Ankunft bekannt wurde, stets gedrängt voll von Menschen jeder Klasse, die Bitten oder Beschwerden vorzutragen hatten und durch keine Schildwache zurückgehalten wurden. Viele von ihnen waren in der Küche, ihre Cigarillos anzuzünden und selbst sich zu wärmen, ein- und ausgegangen. Da war jede Nachforschung vergeblich, und an eine chemische Prüfung der Speisen war nicht zu denken; ich zweifele sehr, daß irgend Jemand in der ganzen Armee mit ihr sich zu befassen gewagt hätte. Die herbei gerufenen Ärzte erklärten alsbald den General in größter Gefahr, wiewohl sie über die Art der Krankheit schwiegen. Hie und da ward wohl von Typhus gesprochen, von dem aber weder vorher noch später irgend ein Fall sich zeigte, so daß die Idee, daß er gerade allein den General ergriffen habe, ganz ungereimt und der Natur dieser Seuche direkt widersprechend ist. -- Die rasch angewandten Mittel linderten für den Augenblick die Leiden Cabrera’s; bald ergriff ihn jedoch eine Starrheit, eine Schwäche des Geistes wie des Körpers, die seiner früheren Kraft und Energie so sehr entgegengesetzt war, und von der er nie ganz genesen sollte. Da der Kranke nicht transportirt werden durfte und ihm höchste Ruhe verordnet ward, eilte ich am folgenden Tage nach Morella, dort die mir obliegenden Geschäfte zu übernehmen. Die Stadt schien von zerschmetterndem Unglück befallen. Auf den Straßen standen kleine Gruppen mit niedergeschlagenen Mienen und alle über den einzigen Gegenstand redend, über das Schreckliche, was jeden Augenblick erwartet werden mußte; müssige Haufen sammelten sich an dem Thore, begierig auf den Weg hinaufschauend, ob Jemand Kunde bringe von dort, wohin Aller Gedanken sich richteten. „Was weiß man von Don Ramon?“ war die erste Frage eines Jeden, und die immer düsterer tönenden Nachrichten lockte eine Thräne in manches kräftigen Mannes Auge. Die Schwestern Cabrera’s eilten nach Hervés, den Bruder zu pflegen, der, täglich schwächer und schon besinnungslos, täglich weniger Hoffnung auf Besserung gewährte. Da brachte das neue Jahr die Trauerbotschaft von seinem Tode! -- Verzweiflung ergriff die Bewohner Morella’s, wie die Krieger, welche so oft seine Lorbeeren getheilt hatten. „Wir sind verloren,“ riefen die Jammernden, „er allein hielt uns aufrecht, ohne ihn wird Zwietracht und Eifersucht wehrlos dem Feinde uns in die Hände liefern!“ Himmelstrost brachte der Bote, welcher bald verkündete, daß Scheintod den Kranken gefesselt habe, der schon wieder zu sich gekommen sei. Nur die Erinnerung an die immer noch gleich drohende Gefahr konnte den Ausdruck des unendlichen Jubels in die Brust zurückdrängen. Der General befand sich indessen regungslos an sein Bett gekettet in einem offenen Flecken, der nicht drei Stunden von den Stellungen der feindlichen Armee entfernt war, und zu seiner Deckung hatte er eine schwache Compagnie, die Miñones, bei sich. Kein Bataillon wurde zwischen Hervés und die von den Christinos besetzten Dörfer geschoben, und laut ward Llagostera, der interimistisch commandirte, beschuldigt, daß er die Gefangennehmung seines Feldherrn nicht ungern gesehen hätte. Espartero aber rührte sich nicht. Er that nicht den geringsten Schritt, um Cabrera’s sich zu bemächtigen, der doch als das einzige Hinderniß seines Sieges mußte angesehen werden, und von dem er, wie die Madrider Blätter spotteten,[115] nur durch eine Wand geschieden war, ohne daß er Muth gehabt hätte, in die Höhle des sterbenden Löwen zu treten. Ach, er war seiner Beute nur zu gewiß! Espartero hatte das Mittel gefunden, welches, die Kraft seines Gegners auf immer brechend, den leichten Sieg ihm in die Hände spielen sollte, und passend vermehrte er mit so schmählich, so entehrend gewonnenem Lorbeer den Kranz, den er bei Bergara sich zu erkaufen gewußt. Aber er wollte seinem edlen Feinde selbst nicht den Ruhm lassen, zu sterben für die Sache, welche er glorreich vertheidigt hatte; er wußte wohl, daß, so lange Cabrera lebte, die Besiegung des Helden ihm den Ruhm geben würde, den seine Thaten in den baskischen Provinzen ihm nicht erringen konnten. Daher zog er vor, den Gefürchteten geistig zu schwächen und so sich unschädlich zu machen. Am 10. Januar wurde der General auf einem Tragebette nach Morella gebracht, und am 31. konnte er zum ersten Male zu Pferde sich zeigen, mit Enthusiasmus vom Volke begrüßt. Das zur Feier seiner Genesung gehaltene ~Te Deum~ zog eine so große Zahl dankbarer Zuhörer an, daß die prachtvolle Cathedrale, ein altes gothisches Gebäude, sie alle nicht zu fassen vermochte; auch der weite Platz vor ihr war ganz mit Menschen bedeckt. Vivas und allgemeiner Jubel begrüßten den verehrten Feldherrn, wo er erschien, und am Nachmittage erfreuten gefahrlose Rindergefechte -- wegen des Mangels an geübten Kämpfern waren nicht ganz ausgewachsene Rinder gewählt -- die gaffende und jauchzende Menge. Doch erregte die Mattigkeit des sonst so feurigen Auges und das geisterhaft bleiche Antlitz Besorgnisse, die nur zu bald verwirklicht wurden. Kaum war Cabrera nach dem Ebro-Thale abgereiset, dessen lieblich mildes Klima die gänzliche Wiederherstellung beschleunigen sollte, als er einen Rückfall hatte, der abermals den Pforten des Grabes ihn nahe brachte. Er wollte indessen dieses Mal die wichtigsten Geschäfte selbst versehen und ließ sich fortwährend über Alles Bericht abstatten, bis er gegen das Ende des Aprils 1840 dem Anschein nach wieder an die Spitze der Armee sich stellte. Dem Anschein nach! -- Er war nicht mehr der frühere Cabrera, der Held, welcher schaffend und kämpfend und siegend den Titel des Grafen von Morella so ruhmreich sich erworben hatte. Sein Körper war zerrüttet, sein Geist geschwächt, die Alles überwältigende Energie in Lauheit hingeschwunden: ohne Kampf sah er die feindlichen Heere in die Schluchten und Defilées des Hochgebirges sich vertiefen, durch Verrath oder durch die gewaltige Übermacht ihres Materials ein Fort nach dem andern erobern und endlich Morella belagern, Morella, den Kern seiner Macht, den Schauplatz herrlicher Thaten und Siege. Er opferte die starke und erprobte Garnison im vergeblichen Widerstande, ohne einen Schritt zu ihrer Rettung zu versuchen. Und dann überschritt er den Ebro, um wenige Wochen später vor dem nachdrängenden Espartero ein Asyl in Frankreich zu suchen, während noch viele Tausende braver Krieger seinem Commando gehorchten, ja da einige catalonische Anführer noch länger den ungleichen Kampf fortsetzten! Nie hätte der wahre Cabrera so den glorreichen Krieg geendigt; er hätte nie in halben Maßregeln das Blut seiner Streitgenossen unnütz vergeudet, nie ohne Schwerdtschlag vor dem übermüthigen Feinde weichend die Vertheidigung der heiligen Sache aufgegeben, für die er so oft freudig sein Blut vergossen, sein Leben eingesetzt hatte. Cabrera würde gewußt haben zu sterben mit den Waffen in der Hand, da das Geschick die Möglichkeit des Sieges ihm versagte. Espartero mußte zum bloßen Schatten seines eigenen früheren Ich ihn machen, damit er so seiner selbst unwürdig handeln konnte. Es ist nothwendig, bei der Beurtheilung der Thaten des Grafen von Morella von diesem Gesichtspunkte auszugehen. Dann wird es leicht, den himmelweiten Abstand dessen, was er nach dem unheilsvollen 16. December unternahm, von den mit eben so viel Talent entworfenen, wie mit Energie und Geist ausgeführten Plänen der ganzen sechs Krieges- und Siegesjahre vor jener Epoche sich zu erklären. Auch der strengsten Kritik gegenüber steht Cabrera während dieser langen Zeit als Royalist, als Anführer und als Soldat gleich groß da; es wäre ungerecht, die letzten Monate, während deren er in Spanien vegetirte, zur Grundlage des Urtheiles über ihn zu wählen. [114] Die spanischen Royalisten bedienen sich des Ausdruckes ~franmason~ zur Bezeichnung eines wild revolutionairen Menschen, da die dortigen Freimaurerlogen stets als Anzettler und Leiter der anarchischen Complotte erschienen. [115] Auf der Charte mußte ihnen übrigens die Distance weit kleiner scheinen, als sie durch das wilde Gebirgsterrain es ist, welches denn auch viele Schwierigkeiten schuf, die natürlich von Madrid aus übersehen wurden. XXXV. Eintönig und langsam, wiewohl in ununterbrochener Thätigkeit, vergingen mir die ersten drei Monate des neuen Jahres: eintönig, da die Leitung der Arbeiten und die fortwährenden Reisen von Morella nach Villarluengo und Cantavieja -- während der letzten sechs Wochen unter stetem Schneegestöber -- gar wenig Abwechselung darboten; langsam, denn ich sehnte mit der ganzen Gluth der Seele den Augenblick herbei, in dem Espartero seine Batterien gegen uns errichten würde. Unsere Vernichtung war, besonders bei dem Zustande des Generals, nur zu hoffnungslos gewiß; daher wünschte ich, daß die Stunde der Entscheidung, was sie auch bringen möge, rasch da sei. Dabei war die Lebensweise in Morella keinesweges angenehm zu nennen. Die Rationen waren sehr spärlich, und andere Lebensmittel selten zu erhalten; noch schlimmer aber war, daß ich gar keinen Anspruch auf Gehalt hatte, da die Intendantur das ganz zwecklose System eingeführt hatte, von den im Rückstande befindlichen Monaten immer den am längsten verflossenen nach den in ihm eingereichten Listen der Corps auszuzahlen, so daß z. B. im Januar 1840 der Sold des Monats April 1839 bezahlt wurde. Dadurch blieben sehr viele Officiere und Soldaten, welche zu jener Zeit noch nicht im Dienste, oder wie ich gefangen gewesen waren, und selbst die, welche damals einer andern Armee angehörten, ganz ohne Gehalt auf die Rationen beschränkt, bis vielleicht nach Jahren die Zeit, in der sie dienten, zur Auszahlung kommen würde. Dagegen erhielten die Corps den Gehalt aller während jener neun Monate Getödteten und Desertirten, weil deren Namen auf der Liste sich befanden, was denn die meisten Commandeure, da Niemand Ansprüche darauf machte, zur eigenen Bereicherung oder, wenn uneigennützig -- und das fand sich nicht häufig --, etwa zur Ausschmückung des Corps benutzten. Seit dem Ende des Märzes ward diesem Übelstande abgeholfen, da befohlen wurde, nun stets den laufenden Monat auszuzahlen. Für viele Officiere, selbst höherer Classen, wenn sie nicht auf irgend eine unrechtmäßige Art Hülfsquellen sich verschaffen wollten, hatte indessen jener Fehler der Administration die Folge, daß sie lediglich die ihnen zukommenden Rationen für ihren Unterhalt hatten, so daß ich buchstäblich Monate lang, wenn nicht zu Gast gebeten, nur mit Öl und Weinessig abgekochte trockene Vicebohnen und schwarzes halb Hafer- halb Roggenbrod genoß, woraus der Bursche für Morgen, Mittag und Abend mit möglichster Variation das Mahl bereiten mußte. Damals verlor ich nie viel Zeit bei Tische. An Geselligkeit war auch nicht viel zu denken. Die Schwestern des Generals, in deren Hause sonst täglich Tertulia war, folgten ihrem Bruder nach Mora, und die übrigen Familien verließen nach und nach die Festung, um theils nach den christinoschen Provinzen, theils, wenn sehr compromittirt, nach kleinen Dörfern im Gebirge abzureisen: sie erkannten sehr wohl, daß Morella bald nicht mehr passender Aufenthalt für Damen sein werde. So waren wir ganz auf die Gesellschaft unserer Cameraden beschränkt, unter denen besonders im Sappeurs-Corps mehrere sehr gebildete Officiere sich fanden, mit denen ich, rings um das flackernde Feuer des Küchenheerdes oder, wenn viel Luxus, um den mit glühenden Kohlen gefüllten Bracero gruppirt, manchen Abend verplauderte. Meine schriftlichen Arbeiten dagegen und selbst das Zeichnen der Pläne u. s. w. mußte ich bei der grimmigen Kälte des Februars und Märzes in ungeheizter, mit Papierfenstern versehener Stube verrichten, alle zehn Minuten trotz der wärmenden Zamarra und des Mantels und wollener Decken aufspringend, um durch Laufen und Hauchen die erstarrten Glieder geschmeidig zu machen. Vor allem waren mir da die Tage erfreulich, die ich in Gesellschaft eines Freundes, des Genie-Capitains -- er fiel als Oberstlieutenant bei der letzten Belagerung von Morella -- Don José Maria Verdeja Arguelles y Mier zubringen durfte. Er zeichnete sich eben so sehr durch die feinste Bildung aus, die er seiner Erziehung in dem Collegium der Jesuiten zu Madrid verdankte, wie durch lebhaften Geist, hohe Kenntnisse in seinem Fache und großen persönlichen Muth. Cabrera schätzte ihn sehr, Herr von Rahden liebte ihn wahrhaft und pflegte ihn nur seinen Sohn zu nennen, und der von demselben bei seiner Abreise ausgesprochene Wunsch, daß wir wie Brüder zusammen leben möchten, war durch die herzlichste, auf Achtung gegründete Cameradschaft ganz erfüllt. Verdeja war nebst dem Fort von Cullá mit der regelmäßigen Befestigung einer großen Höhle bei Ares del Mestre beauftragt, die, unter einem Felsberge hinlaufend und mit zwei Ausgängen versehen, dabei als Fort durch seine Lage von strategischer Wichtigkeit, von Cabrera zum Stützpunkte seiner Operationen für den kommenden Feldzug ausersehen war. Wie so Vieles, war auch diese Arbeit vergeblich, seit der General am 16. December auf immer erkrankte! -- Von dort nun kam Verdeja, wenn ich in Morella mich befand, herüber, um von unserm Chef, dem Obersten Alzaga, Instructionen zu empfangen und, die Hauptsache, über den Mangel an allem zu kräftiger Beförderung der Arbeiten Nothwendigen bitter zu hadern, wobei ich durch stets wiederholte, stets gleich vergebliche Forderungen ihn unterstützte. Alzaga, Baske von Geburt, stand als Civil-Ingenieur, beauftragt mit den königlichen Lustschlössern um Madrid, unter Ferdinand VII. in hohem Ansehen und sehr einträglichen Ämtern, die er, seine Loyalität beurkundend, opferte, um mit höchster Gefahr nach Vizcaya zu entfliehen und dem Heere Zumalacarregui’s sich anzuschließen. Er war stolz und ehrgeizig und hatte daher, wie er selbst gestand, gegen Herrn von Rahden die höchste Eifersucht gehegt und sich mit Widerstreben dem Fremden untergeordnet. Außerordentlich pedantisch und ängstlich, immer zögernd und aufschiebend, hob er gern seine Wichtigkeit hervor, wollte Alles selbst leiten und ordnen, tadelte stets, was Andere gethan, und war unendlich eifersüchtig auf seine Autorität. Dabei, wohl im Gefühl seiner Schwäche, hatte er eine wahrhaft lächerliche Furcht vor Cabrera, die denn wieder seine Ängstlichkeit in allen verantwortlichen Geschäften auf den höchsten Grad trieb. Überhaupt war er leicht durch festes Auftreten eingeschüchtert und zum Nachgeben gebracht, wenn sein Stolz nicht verletzt wurde. Mit diesem Manne nun mußten wir über eine jede Sache verhandeln und ihn um Rath fragen; von ihm hatten wir die unaufhörlichen Bedürfnisse an Menschen, Thieren, Instrumenten und Materialien zu fordern, und vor Allem sollten wir von ihm Hülfe erwarten in dem steten Kampfe gegen Gouverneure, Commandanten und Kriegscommissaire, die, wo eine Gelegenheit sich bot, störend in unsere Befugnisse eingriffen. Er aber zögerte immer und verschob, und das Resultat war, daß alle Arbeiten ungeheuer zurückblieben. Es fehlte fortwährend an dem Nöthigsten, die Gouverneure wollten mit leiten, hauptsächlich selbst die Requisite herbeischaffen, wobei denn zwei Drittel in ihren Taschen kleben blieben, und unser Chef, anstatt uns zu unterstützen, wußte stets neue Schwierigkeiten uns aufzuthürmen. Wie seufzten wir da über die Abwesenheit unseres energischen Brigadiers! Wie knirschten wir oft mit Ingrimm, da Woche auf Woche verfloß und Monat auf Monat, da der unheilschwangere Frühling immer näher rückte, während wir stets gleich langsam in unseren Vorbereitungen vorwärts kamen! Wenn wir ihm dann freilich von vierzehn zu vierzehn Tagen den Bericht über das Geschehene und nicht Geschehene vorlegten, da verzagte der Oberst und klagte, den General von Rahden zurückwünschend, sein Mißgeschick an, das in so schwierige Stellung ihn gesetzt hatte. Er versprach, morgen mit verdoppelter Kraft zu beginnen -- „wenn ich nur wüßte, wie es machen!“ und er seufzte wohl kleinlaut: „Meine Herren, der General läßt mich erschießen; um Gottes willen, rathen Sie mir, Sie haben ja sonst immer solche Riesenpläne im Kopfe.“ Schlugen wir dann aber vor, daß er sofort einige tausend Arbeiter und Maulthiere vom Lande requiriren, alle Maurer und Zimmerleute aus unserm ganzen Gebiete durch Detachements zusammenholen und von jedem Hause einen Sack und ein Handwerksgeräth eintreiben, dabei selbst zum noch immer kranken General eilen, ihm den Zustand der Dinge und die Nothwendigkeit der entschieden strengsten Maßregeln vorstellen möge; so wußte er tausend verschiedene Schwierigkeiten anzuführen: den Befehl des Generals gegen jede Plackerei der Landleute, das die Arbeiten erschwerende Wetter, den Zorn Cabrera’s, weil nicht früher daran gedacht war, und den bösen Willen der Gouverneure. Er beschloß, etwas Anderes zu ersinnen, und -- -- Nichts geschah. Alles blieb beim Alten! Und doch war Alzaga außer Dienst ein biederer, braver, gefälliger und bis auf seine Wichtigkeitsmiene, die häufig Stoff zum Lachen gab, selbst liebenswürdiger Mann. Er paßte nicht für solche Stellung. Endlich wurde ich zu meiner Freude aus jener peinlichen Lage befreit. Der Capitain Don Manuel Brusco leitete die Befestigungen im Turia und in Neu-Castilien, wo er, seit der Premieurlieutenant Aparicio vom Ingenieurs-Corps bei einem feindlichen Überfall in Beteta gefangen war, ganz allein mit seinen zwei Compagnien Sappeurs sich befand, deren Officiere er durch die ihm untergebenen Festungen vertheilen mußte. Seit Monaten schon forderte er dringend, daß man von seinem schweren Posten ihn ablöse oder doch einen andern Capitain dahin sende, der die Last mit ihm theile; ebenso verlangte er mehrere Subaltern-Officiere. Der Oberst, unschlüssig wie immer und zugleich unwillig, irgend einen von uns zu detachiren, da wir in der That für die dringendsten Bedürfnisse des diesseitigen Gebietes nicht hinreichten, verschob die Erfüllung jenes Wunsches fortwährend und würde ihn ohne Zweifel nie gewährt haben. Da sandte Brusco einen seiner Officiere direct an den General nach Mora de Ebro; er stellte ihm vor, daß er allein sechs Festungen -- Vejis, el Collado, Alpuente, Castielfavib, Cañete und Beteta --, die eine Linie von funfzig Stunden Weges bildeten und sämmtlich vom Feinde bedroht waren, unter seiner Obhut habe und daher seiner Pflicht an keinem Orte genügen könne. -- Am 19. März langte die Ordre Cabrera’s an, daß ich sofort mit zwei Officieren nach jener Linie abgehen solle, um dort in Gemeinschaft mit Brusco die Leitung zu übernehmen. Es war mir dadurch die Hoffnung geraubt, bei der letzten Vertheidigung von Morella mitzukämpfen, und diese Aussicht hatte mich so vieles Schwere und Verdrießliche freudig ertragen gemacht. Aber dennoch war es mir so lieb wie schmeichelhaft, daß der General mich zu dem wichtigen und mit so vieler Verantwortlichkeit verknüpften Auftrage ausersehen hatte; denn die dorthin gesandten Ingenieure mußten als ganz selbstständig und unabhängig angesehen werden, da ihre Verbindung mit dem Chef in Morella nur höchst unterbrochen und mitten durch feindliches Land bewerkstelligt wurde. Auch wußte ich wohl, daß unsere Stellung daselbst bei weit größerer Gefahr natürlich in jeder Hinsicht sehr angenehm war, und Brusco kannte ich durch des Herrn von Rahden und Verdeja’s Schilderungen als trefflichen Mann und treuen Cameraden, mit dem ich gern mich vereinigen konnte. Und der Soldat liebt Abwechselung und Veränderung. * * * * * So wie Espartero im November auf Calanda sich zurückgezogen, begann er die ungeheuern Rüstungen, durch die er im Frühjahre jeden Widerstand zu erdrücken dachte. Die Ingenieurs- und Artillerie-Parks wurden vervollständigt, Belagerungsgeschütze und besonders Mörser wurden in großer Zahl in Alcañiz versammelt und mit achtzigtausend Schüssen versehen, die Truppen arbeiteten unaufhörlich an der Anfertigung von Faschinen, Schanzkörben und Sandsäcken, und selbst aus entlegenen Provinzen wurden Transportmittel zusammengeschleppt. Zugleich, da er gesehen hatte, daß Furcht und Versprechungen gleich wenig die Standhaftigkeit der carlistischen Freiwilligen erschütterten, suchte er durch einen Act kalt berechneter Grausamkeit auf sie zu wirken, wie ihn bis dahin in solcher Ausdehnung selbst Spanien nicht gesehen hatte; und diese Grausamkeit traf Schuldlose! Er ertheilte Befehl, alle Individuen in Aragon, Valencia und Murcia, welche einen Sohn, einen Bruder, Vater oder Gatten in den Reihen der Royalisten zählten, unverzüglich aus ihren Wohnsitzen zu vertreiben und nach dem nächsten carlistischen Gebiete zu führen. Bei Todesstrafe ward ihnen die Rückkehr untersagt, während ihr Vermögen confiscirt wurde. -- Zu Tausenden langten bald die unglücklichen Ausgestoßenen in Morella und den andern festen Punkten an, von Allem entblößt und ihr Geschick beklagend; dennoch forderten sie die Ihrigen zur Ausdauer auf und flößten ihnen nur noch wilderen Haß ein. Cabrera, indem er ihnen Rationen reichen ließ, befahl strenge Repressalien, wohin immer seine Truppen dringen möchten. Espartero’s Absicht war, während des Winters unsere Armee in ihrem Hochgebirge zu blokiren und sie zu hindern, Hülfsmittel aus den fruchtbaren Niederungen zu ziehen. Er errichtete deshalb Linien, ließ viele kleine Orte befestigen und garnisoniren und gab selbst, wo das Volk irgend den Christinos geneigt sich zeigte, den Landleuten Waffen in die Hand, damit sie gegen unsere Streifcorps sich schützen könnten. Dennoch drangen diese mitten durch sie und selbst in den Rücken jener Linien ein und beuteten die Provinzen aus. Doch rettete die Krankheit des Generals den Feind vor größeren Verlusten, da die Unterfeldherren mehr mit Intriguen wegen der Folgen von Cabrera’s sicher erwartetem Tode, als mit der Bekämpfung der Christinos sich beschäftigten und ihre Truppen während des Winters fast ganz unthätig ließen. O’Donnell aber, um die Verbindung Arévalo’s im Turia mit der Hauptarmee ganz abzuschneiden, hatte alle Ortschaften längs der Chaussee von Teruel nach Segorbe befestigt, so daß es unumgänglich wurde, zwischen zwei dieser, höchstens drei bis vier Stunden von einander entfernten, Forts zu passiren, zwischen denen stets starke Cavallerie-Patrouillen die Straße auf- und abtrabten. Er nahm darauf das drei Stunden jenseit derselben liegende leicht befestigte Manzanera. Dann wurde General Aspiroz beordert, Chulilla anzugreifen, welches im Thale des Guadalaviar -- Rio Blanco -- den Übergang über denselben beherrschte, das südliche Valencia den Streifzügen der Carlisten öffnete und dagegen den Feinden el Turia nach Südosten hin schloß. Das Fort, auf einem isolirten Felsen angelegt, dessen Fuß im Süden der Fluß bespült, enthielt nur Infanterie, etwa 200 Mann. Aspiroz stellte sechszehn Geschütze gegen dasselbe auf, mit denen er bald die künstlichen Vertheidigungswerke zermalmte, und die er so nahe placirte, daß drei Scharfschützen, hinter einem Felsen liegend, eine Batterie von vier Geschützen in einem Tage zweimal zum Schweigen brachten. Dreizehn Tage hielt die brave Garnison das Feuer dieser Geschützmasse aus, der sie nur ihre Gewehre entgegensetzen konnte; viermal versuchte der Feind mit hohem Muthe die Erstürmung durch Escalade, und viermal wurde er, schon auf dem Felsen angekommen, mit den Leitern in die Tiefe zurückgeschleudert. Doch Entsatz war nicht möglich, das Wasser fehlte, und endlich setzte eine Bombe auch das Magazin der Mundvorräthe in Brand. Da vereinigten sich die 87 Mann, welche noch lebten, ließen sich bei Nacht an Stricken von der 50 Fuß hohen Felswand in den Fluß hinab und schlugen sich durch den staunenden Feind, der hier am wenigsten angegriffen zu werden erwartete. -- Arévalo belohnte einen jeden Freiwilligen mit einem ~real vitalicio~ -- einem Real täglich auf Lebenszeit, in Spanien gewöhnliche Prämie für kriegerische Auszeichnung der Soldaten --; die Officiere bekamen einen Grad. Nach dem Verluste von Chulilla ward Chelva, wo eine Kirche zur Sicherung gegen einen Handstreich befestigt war, geräumt, worauf der Feind es sofort besetzte und nebst Tuejar, Titaguas und Aras befestigte, wo er dann seine Depots für die auf das Frühjahr aufgeschobene Belagerung der übrigen carlistischen Festungen bildete. Arévalo, der sich im Allgemeinen ganz auf die Defensive beschränkte, überfiel im Februar 1840 eine feindliche Colonne in Peralejos de las Truchas in Castilien und nahm dreihundert Mann gefangen, gab aber im März das Commando an den Brigadier Don Salvador Palacios ab, welcher bis dahin mit Auszeichnung die Brigade von Tortosa befehligt hatte. * * * * * Im Norden arbeitete indessen Espartero eifrig, um seinen Kaufplänen Eingang zu verschaffen. Schon im December war Cabrera genöthigt gewesen, eine General-Ordre mit der Bestimmung zu erlassen, daß Niemand etwaigen schriftlichen Befehlen, selbst wenn sie mit seiner Unterschrift und seinem Siegel versehen und auf das dazu gebräuchliche, lithographisch reich verzierte Papier geschrieben seien, in irgend zweifelhaftem Falle gehorche, wenn sie nicht persönlich durch einen der -- in der Ordre mit Namen bezeichneten -- Adjudanten und Ordonnanz-Officiere überbracht würde. Espartero hatte nämlich durch einen Spion an den Gouverneur der Festung Aliaga eine Ordre gesendet, vom Grafen von Morella unterzeichnet, welche die bestimmte Weisung enthielt, die Festung sofort zu räumen und nach Verbrennung aller Vorräthe, wo möglich mit den leichten Kanonen des Forts, auf Villarluengo oder Cantavieja sich zurückzuziehen. Dem Gouverneur, der kurz vorher ganz entgegengesetzte Befehle erhalten hatte, schien dieser so eigenthümlich, daß er einen Irrthum voraussetzte, die Vollziehung auf seine Verantwortung aufschob, bis er neue Instructionen vom General erhalten würde, an den er sogleich einen Adjudanten schickte, und während der Zeit den Überbringer, der sich verwirrt zeigte, arretirte. Da fand sich, daß der General nie eine ähnliche Ordre ausgestellt hatte. Der Spion, da er sich entdeckt sah, gestand, daß Espartero sie ihm eingehändigt und für die Überbringung eine große Belohnung zugesagt habe; er ward erschossen. Der große Siegesherzog an der Spitze seiner sechsfach überlegenen Massen fand es nicht unter seiner Würde, auch noch zur Fälschung seine Zuflucht zu nehmen! Er hatte die Handschrift des Grafen von Morella und die Verzierungen den echten so vollkommen nachgemacht, daß ein Unterschied nicht zu entdecken war. -- Ich selbst sah im Hauptquartiere diese falsche Ordre. Da der Streich nicht gelungen war, griff er wieder zur Bestechung. Am 9. Januar ließ Llagostera einen Capitain und einen Kriegscommissair in Castillote erschießen, überführt und geständig, mit dem feindlichen Heerführer in Communication zu stehen und Geldsummen von ihm erhalten zu haben. Wenige Tage später wurden zu Morella zwei Sergeanten und ein Assistenz-Wundarzt, kurz vorher vom feindlichen Garde-Corps desertirt, gefangen gesetzt, da sie durch heimlichen Verkehr mit unbekannten Personen Verdacht erregt und viel in den Befestigungswerken sich umhergetrieben hatten. So wie die Nachricht davon bekannt wurde, verschwand ein Geistlicher, der in der Verwaltung angestellt und in dessen Wohnung der Wundarzt mehrere Male gesehen war. Unter den Effecten des Arztes fanden sich bei der Durchsuchung vier Päckchen mit schnell wirkendem Gifte, versteckt unter anderen Päckchen von eben derselben Form, welche Arzneimittel enthielten. Der Wundarzt wurde von den erbitterten Miñones des kranken Generals niedergestochen, die Sergeanten aber, kaum der Wuth der Soldaten entrissen, bekannten sich als Scheinüberläufer, zur Ausforschung und Bearbeitung des Geistes der Besatzung und nebenbei zur Besichtigung der Werke bestimmt; sie standen übrigens ganz zur Disposition des Wundarztes, der auch durch zwei Bauern die Correspondenz mit dem feindlichen Hauptquartier führte. Beide Sergeanten wurden füsilirt. Die Bauern erschienen nicht wieder, der verschwundene Geistliche befand sich schon am andern Morgen im Mas de las Matas. Doch wie viele seiner Anschläge vereitelt wurden, Espartero ermüdete nicht, und es ist leicht begreiflich, daß unter Tausenden Einzelne sich fanden, die seinen lockenden Verheißungen Gehör gaben und zum Verrathe an der sinkenden Sache sich hinreißen ließen, da ja solcher Verrath Gold und Ämter und selbst -- Schande den sogenannten Liberalen Spaniens! -- Ehrenbezeugungen ihnen sicherte. Schon war die Armee ihres Führers beraubt und damit die Hauptsache gethan. Der nächste Schlag sollte ihr einen ihrer trefflichsten Stützpunkte nehmen, denjenigen, der am meisten Espartero’s Truppen beunruhigte, da er weit in ihre Flanke und ihren Rücken vorgeschoben war, und durch dessen Besitz es den Carlisten möglich wurde, noch immer bis tief nach Aragon hinein zu operiren. Die Wichtigkeit des Castells von Segura ist früher hinlänglich dargethan. Da Espartero erst den Verkäufer gefunden, wußte er die Ausführung so schlau und gewissenlos zu ordnen, daß auch der Scharfsinnigste getäuscht und im Augenblicke der That unvorbereitet überrascht werden mußte. Der Gouverneur von Segura, ein Oberst, dessen Name mir entfallen, war ein alter braver Haudegen, seit dem Beginn des Krieges unter den Waffen und entschiedener Royalist, der die Briefe, in denen ein Adjudant Espartero’s im Namen seines Generals ihm Grade und bedeutende Geldsummen anbot, im Fall er seine Veste überliefere, unerbrochen dem Grafen von Morella zusandte, welcher das höchste Vertrauen in seinen alten Waffengefährten setzte. Er hatte unter seinem Commando drei Compagnien Infanterie von Aragon, ein Detachement Sappeurs und ein anderes von der Artillerie als Besatzung des Castells und einige Cavallerie, den Umständen nach von verschiedener Stärke, mit einem kleinen Freicorps für die Streifzüge in das Innere der Provinz. Am 18. Februar fing der dienstthuende Capitain im Thore einen Bauer auf, der in das Castell trat, und fand bei ihm Briefschaften von Espartero, durch die dessen Einverständniß mit dem Gouverneur und dem Platzmajor von Segura unzweifelhaft klar ward, so wie die Absicht, während der Nacht die Festung zu überliefern. Der Capitain sticht sofort den Bauer nieder, lieset seinen Grenadieren die aufgefangenen Schreiben vor und fordert sie auf, im Blute der elenden Verräther die Schandthat zu rächen und ihrem angebeteten Don Ramon zu zeigen, daß er noch treue Soldaten hat. Einen Augenblick später haben die Grenadiere wüthend den Gouverneur, den Platzmajor und einen andern Officier getödtet, und ihr Capitain als ältester Officier übernimmt das Commando. Espartero, der bisher ruhig in seinen Standquartieren geblieben war, um nicht die Aufmerksamkeit oder gar Truppen dorthin zu ziehen, eilte am folgenden Tage mit einem Theile seines Heeres nach Segura. Eben so flog Llagostera auf die Nachricht des Geschehenen von Castillote hinzu, die Garnison abzulösen und einen neuen Gouverneur zu ernennen. Er fand, am 21. bis Ejulve vorgedrungen, durch Espartero’s Massen den Weg sich versperrt. Dieser begann am 23. die Belagerung der Festung, und am 25. eröffneten seine Batterien ihr Feuer, welches die sechs Geschütze des Castells mit Kraft erwiederten. Es dauerte sechs und dreißig Stunden ununterbrochen fort, ohne jedoch Bresche geöffnet zu haben, da eine schmale Öffnung in den Werken an einer Stelle, wo die Mauer auf einen dreißig Fuß tief perpendiculair sich senkenden Felsen gegründet war, den Namen einer Bresche nicht verdiente; es wäre unmöglich gewesen, sie practicabel zu machen, da die Felswand stets dasselbe Hinderniß gegen den Sturm bot. Indessen hatte der selbstbestallte Gouverneur seine Compagnie seinem Zwecke gemäß bearbeitet, indem er sie auf die gefährlichsten Posten stellte, wo sie sehr litt, sie stets im Dienst hielt und dabei von der Unmöglichkeit des Entsatzes und der Nutzlosigkeit weiterer Vertheidigung durch dazu bestellte Leute reden ließ. Bei Tagesanbruch am 27. rief er die Garnison zusammen und erklärte die Nothwendigkeit der Capitulation, da Bresche geöffnet, Entsatz nicht zu hoffen sei. Seine Compagnie stimmte ihm bei, aber die übrigen Officiere erklärten entschieden, daß an Übergabe nicht gedacht werden könne, und der Commandeur der Sappeurs, begleitet von den beiden andern Compagnien, führte seine Leute zu der sogenannten Bresche, um den Schutt aufzuräumen und sie sofort zu schließen, jenen Vorwand für die Ergebung zu entfernen. Thätig mit der Arbeit beschäftigt, erhielten die braven Freiwilligen plötzlich eine Salve aus dem Innern des Castells; die Grenadiere hatten mit dem Geschrei: „~viva Don Ramon~; diese wollen uns opfern!“ den Christinos das Thor geöffnet. So fiel die herrliche Festung, bei deren Erbauung so glänzende Hoffnungen gefaßt werden durften, durch Verrath in die Gewalt der Feinde. Die ganze Besatzung ward auf Discretion gefangen, doch erlaubte ihr Espartero in seinem Jubel, ihr Gepäck und so viel Lebensmittel mit sich zu nehmen, wie sie fortbringen könnte. Ungeheure Vorräthe fanden sich im Castell und sechs schöne Geschütze, von denen nicht ein einziges demontirt war. Llagostera, nach erhaltener Verstärkung am 26. bis Cabra, nahe Montalban, vorgedrungen, zog sich auf die Nachricht von dem Verluste von Segura auf Castillote zurück. Wenige Tage später langten sechszehn von den Gefangenen, auf dem Marsche nach Daroca entflohen, bei der Armee an; unter ihnen waren drei Grenadiere, die arretirt, aber, da sie selbst so schändlich getäuscht waren, nicht weiter bestraft wurden. Der loyale Gouverneur und sein Major waren als Opfer ihrer Treue gefallen, während der Capitain der Grenadiere -- welcher ~garde du corps~ Ferdinands VII., Secondelieutenant in der Armee, gewesen war -- nachdem er die Sache, der er sich widmete, verrathen, seine Chefs und eigenhändig selbst den Unglücklichen, der ihm als Werkzeug diente, ermordet und den ihm anvertrauten Posten ehrlos überliefert hatte, als Oberst und mit dem Orden Isabella’s der Zweiten geschmückt, ohne Scham in den Standquartieren der Christinos sich zeigte, bis er nach Cuba, wohin er versetzt ward, abreisete. Espartero aber, nachdem er prahlende Berichte über seine Waffenthat ausgefertigt hatte, zog sich in seine alten Stellungen zurück, über weitere Ausdehnung seines Systems zu brüten. Den Unwillen und das Entsetzen zugleich, welche der Verkauf von Segura, begleitet von so empörenden Umständen, in Volk und Heer hervorrief, wage ich nicht zu beschreiben; Jedermann blieb betäubt und von kaltem Schauder durchrieselt bei der furchtbaren Nachricht. Den hingeschlachteten Treuen zu Ehren ward ein feierlicher Trauergottesdienst angeordnet, während dem Verräther der Fluch Aller folgte. Noch war diese That in ihren Folgen besonders unheilbringend, da schon die erste Botschaft von dem beabsichtigten Verrathe des wackern Gouverneurs und von seinem Tode auf den General so tiefen Eindruck machte, daß man abermals für sein Leben zitterte. Ich gestehe, daß ich außer mir war vor bitterm Schmerz und Grimm; ich lachte, aber das Knirschen der Zähne tönte durch das dumpfe Gelächter hindurch. Das waren entsetzliche Tage! Meine Gefühle machten mich ungerecht. Da sehnte ich mich und flehte, daß ich von diesen Spaniern befreit werde, daß Espartero rasch angreife und unter den Trümmern von Morella uns begrabe, um nur nicht in solcher Lage leben zu müssen. „So muß ich denn in jedem Gefährten einen Verräther fürchten,“ fügte ich der Schaudernachricht im Tagebuche zu, „und darf Niemand mehr vertrauen! Schrecklich, schrecklich, von solchem Geschlecht sich umgeben zu wissen. Wenn doch Espartero mit einem Schlage Alles beendete, Alles zermalmte, wenn es sein soll! Sollte ich das Ende des Krieges überleben, so wird der Augenblick, in dem ich Spaniens Gränze überschreite, der herrlichste meines Lebens, der Tag auf immer ein Dank- und Jubelfest mir sein!“ * * * * * Wie wenig übrigens die Christinos daran dachten, die Zusagen zu erfüllen, welche sie doch, so bald dadurch Hoffnung auf Erfolg sich bot, überreichlich verschwendeten, trat um eben diese Zeit klar hervor, da die constitutionelle Regierung im Königreiche Galicia in einer Nacht alle die früheren Guerrilleros, welche dem Vertrage von Bergara sich angeschlossen hatten, verhaften und nach den Colonien deportiren ließ. Über funfzehnhundert jener Unglücklichen wurden so, größtentheils wohl auf immer, ihrem Vaterlande und ihren Familien entrissen, da sie doch volle Ansprüche auf alle die Vortheile hatten, welche der Vertrag den ihm sich Anschließenden gewähren sollte. Wie schwer sie auch fehlten, da sie verzagend ihren König verließen, als er gerade mehr als je ihrer Treue und Festigkeit bedurfte, war es doch nie die Sache der Christinos, dieses Verbrechen, dessen Früchte sie geerntet hatten, selbst ihr Wort brechend, zu strafen. Gewiß eine gute Lehre für die, welche, nur den Einflüsterungen der Selbstsucht folgend, geneigt sein mochten, den Versprechen und Lockungen Gehör zu geben, durch die jetzt Espartero ebenso ihrer Pflicht sie abwendig zu machen suchte. XXXVI. Am 22. März verließ ich Morella, um den Marsch nach dem Turia anzutreten. Die Gipfel der Gebirge waren weithin mit tiefem Schnee bedeckt, während die Thäler schon das freundliche Frühlingskleid anzulegen begannen, so daß ich, stets auf- und niedersteigend, eben so oft die eisige Temperatur des Winters gegen laue Westhauche vertauschte. Wo aber hoch im Gebirge der an ihrem Fuße so liebliche Wind schneidend durch die Schluchten brausete, schien er alles Lebende erstarren zu wollen. Wenige Tage früher hatte Espartero die Operationen wieder aufgenommen. Auf dem Wege nach Cinctorres hörte ich weithin zur Rechten das Krachen der Geschütze, die gegen das seit dem 19. März belagerte Castillote so eben ihr Feuer eröffneten; und auch am folgenden Tage, da ich das Gebirge gegen Mosqueruela erstiegen hatte, begleitete mich lange der todverkündende Schall, schauerlich dumpf über die starren Schneegefilde hintönend. Die Bravour, mit der Castillote vertheidigt wurde, ist selbst von den Feinden anerkannt, die lediglich dem ungeheuern Übergewichte ihres Materiales die endliche Eroberung zuschrieben und eingestanden, daß sie durch die Waffen der Belagerten, wie durch das plötzlich eingetretene strenge Wetter 2300 Mann ~hors de combat~ zählten -- der carlistische Bericht gab 4500 Mann an --. Das Castell, von einem hohen Felsen hinab den Flecken beherrschend, hatte nur einen Zugang, gegen den neunzehn schwere Geschütze aufgestellt wurden. Die Garnison, nachdem sie den achten Sturm abgeschlagen hatte, ergab sich am 26. März, nur noch 270 Mann stark, da alle künstlichen Werke der Angriffsfronte demolirt waren und die im Angesicht des Forts stehenden carlistischen Truppen keine Bewegung zu Gunsten desselben unternahmen. Der Mariscal de Campo Don Luis Llagostera verlor sein Commando, weil er, mit sechs Bataillonen kaum eine halbe Stunde von Castillote entfernt, vor seinen Augen es hatte nehmen lassen, ohne auch nur die Arbeiten der Belagerungsarmee, die übrigens 32 Bataillone stark war, im geringsten zu erschweren oder einen Versuch zur Rettung der braven Besatzung zu machen. Der älteste Brigadegeneral Don Juan Muñoz y Polo erhielt an seiner Stelle den Oberbefehl der Division von Aragon, da er im Sommer 1839 mehrere Expeditionen in das Innere Castiliens mit Gewandheit ausgeführt hatte und so eben von einem neuen Zuge nach der Provinz Guadalajara zurückkehrte. Ich ward auf meinem Marsche von zwei Lieutenants des Geniecorps und von acht Sappeurs begleitet, welche ich selbst aus dem Bataillon mir ausgewählt; lauter entschlossene Kerle, auf die ich vor dem Feinde mich verlassen durfte. Mit diesem Detachement sollte ich die funfzig Meilen bis Cañete zurücklegen und zwar großentheils mitten durch ganz dem Feinde unterworfenes und von seinen Forts gedecktes Land. Doch war wirklich Gefahr nur in den fünf Meilen zu jeder Seite der Heerstraße von Teruel nach Segorbe, während der Rest des Weges mit guten Führern, Sorgfalt und Glück wohl ohne große Besorgniß zurückgelegt werden konnte. Außer jener Bedeckung sollte auch der Sappeur-Officier, welcher von Brusco an den General gesendet war, mit mir nach Cañete zurückkehren. Don Manuel Matias hatte in seinem Vaterlande Portugal als Sergeant in dem Heere Don Miguel’s gedient und war nach dessen Vertreibung mit der portugiesischen Legion nach Spanien gekommen, wo er die erste Gelegenheit ergriff, um zu den Carlisten überzugehen. Bei wildem, aufbrausendem Charakter zugleich höchst brav, entschlossen und kenntnißreich war er bald zum Officier ernannt; noch in Chulilla hatte er sich besonders hervorgethan, da er von Brusco zur Leitung der Arbeiten dorthin detachirt war. Oberst Alzaga hatte ihn in Morella arretirt, weil er einer Dame wegen, welche, die Gnade des Generals für ihren auf dem Collado wegen Veruntreuungen in enger Haft gehaltenen Gatten, einen Oberstlieutenant, zu erflehen, mit Matias von Cañete her gekommen war, und mit der er in sehr vertrauten Verhältnissen stehen sollte, grobe Nachlässigkeiten sich zu Schulden kommen ließ. Erst im Augenblicke des Abmarsches wurde er in Freiheit gesetzt. Er hatte übrigens etwa zwölfhundert Duros für die beiden jenseit der Straße stationirten Compagnien Sappeurs bei sich, so wie das Pferd und die prachtvollen Waffen, welche sein Compagnie-Chef für die Reise ihm geliehen hatte. In dem Städtchen Cinctorres angelangt, fand ich den vorausgerittenen Matias und mit ihm -- die verrufene Doña! Das war mir ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, da abgesehen von dem Widerwillen, den solche Geschöpfe stets mir einflößten, auf einem Marsche, wie der unsere, und unter jenen Verhältnissen Damen mit sich führen wenig anders hieß, als geradezu sich und, was schlimmer, die anvertrauten Leute dem Feinde in die Hände liefern. Ich expostulirte mit Matias, der mir jedoch erklärte, daß ihm die Ehre nicht erlaube, die Dame zu verlassen, welche seinem Schutze sich übergeben habe, und daß er lieber allein mit ihr den Gefahren der Reise sich aussetzen werde, wenn ich für meine Sicherheit oder Bequemlichkeit ihre Gesellschaft nicht zulassen wolle. Da schwieg ich und gab achselzuckend meine Einwilligung unter der Bedingung, daß wir nie ihretwegen warten oder gar Veränderungen in unserm Reiseplane -- wir mußten billiger Weise Tag und Nacht marschiren -- treffen würden, was bereitwillig angenommen wurde. Doch schon am folgenden Morgen stand das Detachement eine halbe Stunde zum Abmarsch fertig, ehe Matias seinen Schützling heranführte. Die Sappeurs, deren einige mit ihm von Cañete gekommen und da um des Weibes willen Viel geplagt waren, murrten laut und prophezeiten Unheil aus solcher Begleitung; erst die Drohung, zweihundert Stockschläge auszutheilen und im Wiederholungsfalle den Schuldigen erschießen zu lassen, brachte sie zum Schweigen, da sie wohl wußten, daß das Recht dazu mir zustand, und daß ich nicht zweimal zu drohen pflegte. Aus Rücksicht auf den Cameraden hatte ich meine Abneigung so weit besiegen zu müssen geglaubt, daß ich der Dame, da kein Maulthier im Dorfe aufzutreiben war, eines meiner Packthiere einräumte, wogegen ich dachte, ihr Sohn, ein Cadet von vierzehn Jahren, könne füglich eben so gut wie meine Sappeurs zu Fuß gehen. Ich ritt mit dem Lieutenant Losada und vor mir zwei Sappeurs an der Spitze, Matias mit seiner Gefährtinn und der Bagage folgte, und Lieutenant Valero mit vier Sappeurs schloß den Zug, während die beiden andern rechts und links das Terrain durchsuchten. Der Cadet, ein hübscher, munterer Junge, sprang leicht wie ein Reh bald vor mir her, bald scherzte er hinten mit Valero, der eben so munter und etwa achtzehn Jahr alt war. Da die Wege furchtbar schlecht und oft mit fußhohem Schnee bedeckt waren, ein grimmig kalter Wind aber fortwährend neue Schneemassen uns in das Gesicht peitschte, bildete sich nicht selten ein Zwischenraum von einigen hundert Schritt zwischen den verschiedenen Abtheilungen, die eine jede für sich streng geschlossen zu bleiben angewiesen waren. Plötzlich erregte ein lautes Geschrei hinter mir meine Aufmerksamkeit. Matias, vom Pferde gesprungen, haute unter Fluchen und Schreien mit einem Knittel auf einen der ~bagageros~ los, der auf dem kaum sechs Fuß breiten Wege zurückweichend, im Begriffe war, in den neben demselben tief unten brausenden Fluß rücklings hinabzustürzen, als ein Sappeur den Lieutenant ergriff und mit unwiderstehlicher Kraft dem Abgrunde zuschleuderte. Mit dem Kopfe voran stürzte Matias hinunter; aber seine Füße verwickelten sich in einigen Wurzeln, und rasch mit den Händen unten sich anklammernd blieb er hängen, während er, in die Tiefe fallend, unrettbar auf den Felsen zerschmettert wäre. Im nächsten Augenblicke war ich dort und hatte den Sappeur durch einen Säbelhieb zu Boden gestreckt; es war Zurita, der beste und ruhigste Mann des Bataillons. Bald war Matias an den Füßen in die Höhe gezogen und konnte, wiewohl noch todtenbleich, den Vorfall erzählen. Seine Freundinn wollte den Cadet mit sich auf das Saumthier steigen lassen, wogegen der Eigenthümer protestirte; die Dame schalt in nicht sehr gewählten Ausdrücken auf den Bauer, dieser antwortete impertinent, und der leidenschaftliche Matias eilte, ihn dafür zu strafen. Jetzt forderte er -- und mit Recht --, daß Zurita, da er sich an seinem Vorgesetzten vergriffen hatte, augenblicklich erschossen werde. Ich begnügte mich indessen, den in die Schulter so schwer Verwundeten, daß er ein Maulthier besteigen mußte, zu arretiren, das Weitere mir vorbehaltend, worauf wir den Marsch fortsetzten und spät am Abend in Mosqueruela anlangten. Im Hause eines armen, aber wackern Mannes, bei dem ich früher ein Mal logirt hatte und daher eines herzlichen Empfanges sicher war, thauete ich an einem tüchtigen Feuer in der Küche die erstarrten Glieder auf. Am 24. März mußte ich in dem Städtchen, welches niedlich und zur Zeit des Friedens durch Gewerbthätigkeit wohlhabend ist, wiewohl die Lage im wildesten Gebirge es nicht begünstigt, wegen heftigen Schneegestöbers ruhen, da der Weg über das hohe und rauhe Plateau, die Wasserscheide des Ebro-Gebietes und der südlich durch Valencia dem Meere zuströmenden Gewässer, nach Linares ganz ungangbar war. -- Ich erklärte dort dem Lieutenant Matias, daß ich fortan gar keine Rücksicht auf seine Gefährtinn nehmen werde, da ich um solch eines Weibes willen die Sicherheit meiner Leute nicht länger compromittiren durfte, die übrigens stets unruhiger und nur durch größte Festigkeit, gepaart mit guter Behandlung, in ihrer Pflicht erhalten wurden. Sie waren, wie gesagt, die besten Leute des Corps; aber der Gedanke, ihren Cameraden wegen jener Frau vielleicht füsilirt zu sehen, regte sie so auf, daß sie leicht zu jeder Gewaltthat sich hätten hinreißen lassen. Zurita dagegen erkannte sehr wohl die Größe des Verbrechens, welches er begangen hatte. Zu sich gekommen von der ersten Überraschung, war er betäubt bei der Idee dessen, was er gethan; er begriff nicht, wie er dazu gekommen war, und indem er die Gerechtigkeit der Strafe anerkannte, beklagte er nur, so schimpflichen Todes sterben zu müssen. Ich war glücklich, da die Umstände mir gestatteten, den Bedauernswerthen dem ihm drohenden Geschicke zu entziehen. Am 25. ging die Sonne an wolkenleerem Himmel auf, aber die Kälte war entsetzlich. Der Schnee lag auf der ganzen drei Stunden weiten Strecke bis Linares drei bis fünf Fuß hoch und war so fest gefroren, daß selbst die Pferde wie auf Felsen über ihn weggingen, ohne Spuren zu hinterlassen. Dabei war natürlich Nichts vom Wege sichtbar, und ich verdankte es nur meiner Vorsicht, da ich trotz der Klagen des Ayuntamiento von Mosqueruela sechs Guiden mitgenommen hatte, daß ich endlich um Mittag in Linares ankam. Der Wind war auf jenem Plateau unglaublich schneidend kalt, und ich erinnere mich nicht, je so Viel von der Kälte gelitten zu haben, wie dort auf der Gränze des gerühmten Königreiches Valencia in den letzten Tagen des Märzes; an Reiten war gar nicht zu denken, und tief in den Mantel gewickelt, mit dem Kragen desselben selbst den Kopf bedeckt, mußte ich dennoch alle zehn Minuten Halt machen, um unter dem Schutze irgend eines Felsens und dem Winde den Rücken zugewendet vor Allem Gesicht und Ohren durch Reiben etwas zu erwärmen. Es war mir, als würden während der ganzen drei Stunden mit einem spitzen Instrumente Furchen über das Gesicht gezogen. In Linares fand ich einen Aide de camp des Generals mit der Errichtung eines -- wie er es nannte -- Forts beschäftigt. Eine alte Kirche suchte er nämlich auf die merkwürdigste Weise mit Flankenfeuer zu versehen, zu welchem Zwecke er auch oben unter dem Dache einige Balken weit hervorgeschoben und auf ihren äußersten Enden, über der wenigstens achtzig Fuß hohen Tiefe schwebend, ein hölzernes Hüttchen mit bunt durcheinander geworfenen Schießscharten gebaut hatte, was er denn stolz flankirende Thürme von seiner Erfindung nannte. Und dazu ließ er ein Dutzend Häuser rings um die Kirche abbrechen! Die ganze Stadt liegt übrigens in einem tiefen Kessel, so daß das wunderbare Fort auf weniger als halbe Flintenschußweite von allen Seiten durch hohe Berge überragt war. Ich gab dem guten Aide de camp den Rath, nicht länger seine Zeit hier zu vergeuden, und eilte trotz seiner Bitte, so wie ich mich gewärmt und durch Speise gestärkt hatte, von dannen, den Marsch gen Süden fortsetzend. Nun ging es fortwährend bergab, und ehe wir viele Stunden zurücklegten, umsäuselten uns wieder die milden Zephyre, mehr dem Frühlinge angemessen; bald fanden wir schon Blumen und endlich gar in den Gärten der anmuthigen Dörfer Gemüse und wohlschmeckende Kräuter, wie die wärmeren Theile Spaniens in jeder Jahreszeit sie hervorbringen. Ohne selbst es zu empfinden, hätte ich so raschen Wechsel nicht für möglich gehalten, da wir, von dem großen Hochplateau von Aragon und Valencia, in dem ich die letzten fünf Monate zugebracht hatte, herabsteigend, plötzlich aus dem strengsten Winter in oft drückende Sommerwärme versetzt waren. Meine Absicht war, in la Puebla de Arenoso neue Führer und Maulthiere zu nehmen, dann bis zu einer einsamen Masada, die eine Stunde von der gefährlichen Chaussee liegen sollte, vorzugehen und nach kurzer Ruhe am folgenden Morgen die Straße zu überschreiten, um jenseits noch während des Tages aus dem Bereiche des Feindes gelangen zu können. Als wir gegen Abend Olva uns näherten, befahl ich daher dem Lieutenant Matias, der am besten beritten war, mit dem Passe vorauszueilen und in la Puebla Rationen und Guiden zu besorgen, wodurch jeder Aufenthalt vermieden wurde. Seine Reisegefährtinn folgte uns stets auf geringe Entfernung, ohne daß er zu unserm Erstaunen sich weiter um sie zu bekümmern schien. Um neun Uhr langte ich in la Puebla an, wo ich von Matias keine Spur, wohl aber ein Bataillon von Valencia traf; die Wachen im Dorfe sagten aus, daß kein Officier angekommen sei, die Dame und der Cadet waren seit Olva nicht mehr gesehen worden. Einen Augenblick zweifelte ich und hoffte, er werde, durch irgend einen Zufall zurückgehalten, rasch nachkommen. Aber die Aussagen einiger Bauern drängten mir bald die traurige Gewißheit auf: Matias war desertirt. Sofort sandte ich den Lieutenant Losada und drei Sappeurs zur Verfolgung der Flüchtigen mit der Ordre, im Falle er sie einhole, das Weib gefangen zurückzubringen, Marias aber, wenn er Miene zum Widerstande oder zur Flucht mache, ohne Bedenken niederzuschießen. Ich selbst ging mit Valero auf Olva zurück, wo ich um Mitternacht anlangte; der Commandant d’armes der Stadt sollte so eben eine Depesche erhalten und demzufolge nach Linares abgereiset sein, weshalb ich selbst für alle Bedürfnisse sorgen mußte. Meine Lage war nicht sehr beneidenswerth. Kaum drei Stunden entfernt waren zwei feindliche Forts, die sehr bald von unserm Dasein Nachricht erhalten mußten; auch würde Matias, mit allem uns Betreffenden vertraut, wenn er entkam, die Mittel zu unserer Gefangennehmung leicht angegeben haben. An Abmarsch aber war nicht zu denken, ehe die Saumthiere abgelöset wurden, was vor dem nächsten Tage nicht geschehen konnte. Ich gestehe, daß ich zur kurzen Ruhe mit der Idee mich niederlegte, am folgenden Abend getödtet oder gefangen zu sein. Früh Morgens kam Losada zurück. Er hatte die Spur der Flüchtigen von Masada zu Masada verfolgt, bis die Erschöpfung seiner Leute ihm die Hoffnung geraubt hatte, sie zu erreichen. In kurzem brachte ein Spion die Nachricht, daß ein Officier der Sappeurs mit Frau und Bruder, dem Cadetten, in la Albentosa sich präsentirt habe, wo auch der Commandant d’armes von Olva -- bisher als eifrigster Carlist und sehr wichtiger Dienste wegen gerühmt! -- während der Nacht angelangt war. Matias hatte alles ihm anvertraute Geld, so wie Pferd und Waffen des Lieutenants Norma mit sich genommen. Seufzend verfluchte ich die Elenden, die durch so selbstische Motive zum Verrath sich hinreißen ließen, und verfluchte die Schwäche, so oft durch traurige Beispiele belegt, des Mannes, da ein verbuhltes Weib bis zur schmachvollsten Verletzung seiner Pflichten und seiner Ehre ihn zu treiben vermag! Das Glück wollte mir wohl. Am Abend passirte ich ohne Unfall die Heerstraße zwischen den beiden drittehalb Stunden von einander entfernten Forts Barracas und la Albentosa, nachdem fünf Minuten vorher eine Escadron feindlicher Dragoner vor unsern Augen sie abpatrouillirt hatte. Zwei Tage später, nachdem ich einen hohen und wilden Gebirgsrücken überstiegen und den Guadalaviar passirt, langte ich in dem festen Castiel Favib an und wurde am 30. März in Cañete -- Neu-Castilien, Provinz Cuenca -- von Brusco und dem Premierlieutenant Norma herzlich empfangen. Nach einigen Verwünschungen gegen den Treulosen tröstete sich Norma bald über den durch Matias’ Desertion ihm gewordenen Verlust, da er wenige Wochen vorher bei der Anwesenheit einiger Bataillone und Escadrone mit merkwürdigem Glücke über dreihundert und achtzig Unzen Gold -- ~la onza~, die größte Goldmünze Spaniens, gilt 84 ~francs~ -- zusammengewonnen hatte. Auf dem Marsche nach Überschreitung der Heerstraße war ich einigen Bataillonen von Tortosa und Valencia nebst mehreren Escadronen von Aragon begegnet, die seit dem Januar unter Brigadier Polo auf einer Expedition in die Provinz Guadalajara begriffen und nun auf der Rückkehr nach Morella waren, um dort beim Beginn der Feindseligkeiten nicht zu fehlen. Hauptsächlich ausgesendet, um die Zahl der Consumirenden in unserm Gebiete zu vermindern, waren sie ruhig und friedlich in jener Provinz umhergezogen, da die Christinos vorzogen, bei ihrer Annäherung in die festen Punkte sich einzuschließen. * * * * * Cabrera richtete von jeher seine Aufmerksamkeit auf das reiche und carlistisch gesinnte Ländchen el Turia, dessen Besitz alle Unternehmungen nach dem südlichen Valencia, Murcia und Neu-Castilien ungemein erleichterte, während seine zum Theil sehr bedeutenden Gebirge der Kriegsweise der Carlisten nicht ungünstig waren. So wurde diese Provinz vom Anfang an häufig der Schauplatz von Cabrera’s Siegen, und es hatten sich selbst bedeutende Corps dort und in der nahen Provinz Cuenca gebildet, welche durch die Configuration der Oberfläche ähnliche Vortheile darbot, die jedoch in höherem Grade durch die Nähe der Hülfsquellen der Feinde und die vermehrte Aufmerksamkeit paralysirt wurden, welche dieselben deßhalb gegen die Festsetzung der Carlisten in ihr richteten. Tallada bildete seine schöne Division von 4000 Mann ganz in jenen beiden Provinzen, und als sie durch des Führers Fehler im Februar 1838 vernichtet, er selbst getödtet war, eilte Arnau, aus den Trümmern derselben und den fortwährend hinzukommenden Elementen ein neues Corps zu bilden, mit dem er in Chelva sich behauptete. Als nun aber in der zweiten Hälfte 1838 die Armee des Grafen von Morella, überall siegreich, die glänzendsten Vortheile davontrug, und als der General nun seine Operationen über den engen Kreis, in den sie bis dahin eingezwängt blieben, ausdehnen und auf die Eroberung Castiliens und die dadurch herbeizuführende Beendigung des Krieges denken durfte, da sollte el Turia zur Grundlage für die Ausführung dieser Pläne dienen und demnach so befestigt werden, daß es als Depot für alle Kriegsbedürfnisse und als Stützpunkt für die Offensiv-Operationen sowohl, als zum Repli im Falle eines Unglückes gesichert sei und jeden feindlichen Angriff mit Kraft zurückweisen könne. Vejis, Chulilla und Alpuente wurden so wie der Gipfel des mehrere tausend Fuß hohen und isolirten Collado in Festungen umgewandelt, und zur Sicherung der Verbindung mit dem Hochgebirge von Morella und Cantavieja wurden auch Montan und Manzanera leicht befestigt. Im Sommer 1839 ward Capitain Brusco mit der Leitung dieser Vertheidigungswerke beauftragt, während Brigadegeneral Arévalo in der Provinz commandirte, wo er mehrfach bedeutende Vortheile über den Feind davontrug und bald wieder drei vollständige Bataillone mit zwei Escadronen organisirt hatte. Während dieses in el Turia geschah, drangen Cabrera und seine Unterfeldherren nach Westen vorwärts, denn dorthin lag ja die Entscheidung; und so wie sie vordrangen, suchten sie das Erworbene sich zu sichern, ihren Truppen Anhalts- und Stützpunkte zu verschaffen, auf denen sie dann weiter bauen könnten. Daher befahl Cabrera, Cañete, acht Stunden östlich von Cuenca, zu befestigen, zu dessen Verbindung mit dem Turia dann auch Castiel Favib besetzt werden mußte. Daher ward im Sommer 1839, als die Carlisten -- da die Feinde ihnen schon nicht mehr entgegentraten, vielmehr bei ihrer Annäherung in die großen Städte sich zurückzogen -- bis tief in die Provinz Guadalajara hinein herrschten, dort Beteta zur Festung gemacht, nur ein und zwanzig Leguas von Madrid entfernt und nahe dem Tajo dessen Quellen beherrschend. So lange aber jene Glanzepoche der carlistischen Macht im östlichen Spanien dauerte, hatte Cabrera immer nur vorwärts gestrebt, ohne weiter an Ausdehnung nach den Seiten hin zu denken; er wollte sich ja nicht in Castilien zur Vertheidigung vorbereiten, da ein Angriff unmöglich schien, sondern lediglich den Weg nach Madrid sich bahnen, dessen Eroberung das Centrum der Halbinsel ganz ihm übergeben hätte. Durch den Andrang Espartero’s war er nun genöthigt gewesen, zur Vertheidigung des Hochplateaus, des Hauptsitzes seiner Macht, sich zurückzuziehen, und in diesen so weit vorgeschobenen Festungen konnte er kaum die nöthigen Besatzungen lassen, welche ganz auf sich angewiesen blieben, da Arévalo’s Bataillone bei den weiten Entfernungen der Punkte wohl gar wenig wirken konnten und sich auf el Turia, als ein abgerundetes Ganzes mehr vertheidigungsfähig, beschränkten. Die Christinos dagegen sandten sofort zwei starke Colonnen gegen sie, von denen die eine unter General Aspiroz, von Valencia vordringend, nach der Einnahme von Chulilla zunächst Vejis und Alpuente bedrohete, während die zweite unter General Balboa bestimmt war, die Provinzen Cuenca und Guadalajara zu schützen, die Besatzungen von Cañete und Beteta in Schach zu halten und endlich diese Punkte anzugreifen, wozu sie stets Vorbereitungen traf, bis der Fall von Morella, den Krieg entscheidend, sie unnütz machte. Diese Linie von Cañete, wie sie nach ihrem Hauptorte genannt wurde, war nun zu einer wahren Linie geworden, die ganz ohne Ausdehnung nach den Seiten hin tief in das Innere von Neu-Castilien, echt christinosches Land, sich erstreckte. Das Resultat davon war, daß wir dort eben die Rolle spielten, auf die wir beim Beginn des Krieges die feindlichen Truppen und Besatzungen in den aufgestandenen Provinzen zu beschränken pflegten. Die Carlisten herrschten nur da, wo sie gerade sich befanden, d. h. in ihren festen Plätzen, und allenthalben, wo die Furcht vor ihren oft sehr gewagten Streifzügen ihnen Respect verschaffte. Die Christinos zogen dagegen beliebig zwischen den einzelnen Vesten umher, und wir konnten von der einen zur andern nur mit starker Bedeckung, oft auf weiten Umwegen und auch so noch nicht ohne große Gefahr gelangen, da die Garnisons der zahlreichen, die Linie überall umgebenden und flankirenden Forts und die noch gefährlicheren Partheigänger stets bereit waren, einzelne oder unvorsichtige Reisende wegzufangen. Von einem carlistischen Gebiete konnte also dort seit dem Rückzuge Cabrera’s gar nicht die Rede sein. Brusco hatte vorgeschlagen, das Gebirge von el Albarracin zu befestigen, dadurch der Quellen der vier mächtigen in ihm entspringenden Flüsse sich zu versichern und so, ohne durch sie gehindert zu sein, von ihm aus nach den umliegenden Provinzen sich auszudehnen. Auch hätte dieser Plan, wenn er, als noch Cabrera unbestritten jene Länder beherrschte ausgeführt wäre, von höchstem Nutzen für den späteren Vertheidigungskrieg sein können. Aber damals glaubte Niemand, daß Cabrera je auf einen solchen reducirt sein würde, und als Maroto’s Verrath ihn so plötzlich in hoffnungslose Defensive zurückwarf, war es zu spät zur Ausführung. Noch verdient bemerkt zu werden, daß sich durch die Ereignisse aus den einzelnen Festungen der Linie eben so viele, man darf wohl sagen, ganz unabhängige Militair-Republiken gebildet hatten. Arévalo -- und seit dem Monate März Brigadier Palacios -- war commandirender General im Turia und dem Namen nach im Königreiche Murcia, da die Eroberung dieser Provinz, in die vor Espartero’s Andrängen häufige Expeditionen gemacht wurden, von hier aus geschehen sollte, während Castilien unter dem unmittelbaren Oberbefehle des Generals en Chef stand. Jene erklärten daher mit Recht, sie würden das Commando in Castilien nicht übernehmen, weil ihnen mit demselben die Verantwortlichkeit und im Falle eines Angriffs die Verpflichtung zu helfen geworden wäre, der sie sich nicht unterziehen wollten, da sie auch im eigenen Gebiete nicht mehr zu helfen wußten. Was sollten sie thun mit ihren drei Bataillonen? Brigadier Valmaseda aber, von Sr. Majestät zum commandirenden General von Alt-Castilien ernannt, hatte von Cabrera bei seiner Rückkehr aus Catalonien Beteta angewiesen bekommen, um von dort aus, bis er in seiner Provinz sich festsetzen könne, seine Operationen zu unternehmen. Er commandirte also nur dort und zwar vorübergehend. So kam es, daß der Gouverneur von Cañete, Oberst Gil, da Jedermann behauptete, dort Nichts zu schaffen zu haben, gleichfalls ganz unabhängig dastand und mit seiner Garnison und einem kleinen Freicorps, welches er für die nöthigen Streifzüge errichtet hatte, so weit die Christinos es zuließen, unumschränkt herrschte. Die drei Anführer hatten sich übrigens vereinigt, um, wenn immer die eigenen Verhältnisse es erlaubten, zu gegenseitiger Hülfe zu eilen und ihre Operationen zu combiniren; und die Art, in der sie bis zum letzten Augenblick es thaten -- eben dieser letzte Augenblick machte eine traurige Ausnahme -- verdient Bewunderung, da nie Eifersucht sich kund gab. Von Cabrera erhielten sie gar keine Instructionen oder Ordres mehr, indem theils seine Krankheit und die Unterbrechung der Communication durch die Feinde solche verhinderten, theils auch die Verhältnisse der Art waren, daß augenblickliches, selbstständiges Handeln allein wirksam sein konnte, was der General zu wohl zu würdigen wußte, als daß er den Commandirenden nicht ganz freies Spiel gelassen hätte. * * * * * Gewiß ist es unbegreiflich, daß die Christinos die außerordentliche Schwäche ihrer Gegner im Turia und in Castilien nicht eher wahrnahmen oder, falls sie davon unterrichtet waren, sie nicht lange vorher vernichteten. Im Turia befehligte, wie gesagt, im Frühjahre 1840 der Brigadier Palacios. Die ganze Macht, welche er vorfand, bestand aus drei Bataillonen und zwei Escadronen, 2200 Mann Infanterie und 180 Pferden, welche noch dazu die drei Forts von Vejis, Alpuente und el Collado garnisoniren mußten. Die beiden letzteren lernte ich auf einer Inspections-Reise kurz vor dem Verluste von Alpuente kennen. Dieses war ein kleines Städtchen, über dem auf einer felsigen Höhe das Castell prangte, so massiv gebaut, daß seine Mauern an einzelnen Stellen, ganz der sonst üblichen Befestigungsart in jenem Kriege zuwider, über dreißig Fuß Dicke hatten. Auch war es mit starken Erdwällen versehen, die sonst gleichfalls selten sich fanden, da der Spanier allgemein die bloßen Mauern weit höher schätzt, und es enthielt für die Magazine sowohl, als für die Garnison bombenfeste unterirdische Räume, die Nichts zu wünschen übrig ließen. Die Werke vertheidigten und flankirten sich wechselseitig sehr gut, und da der aus dem härtesten Felsen bestehende Grund den Gebrauch der Minen sehr erschwerte, durfte das Castell als ausgezeichnet vertheidigungsfähig angesehen werden. Der letzte Gouverneur von Alpuente war ein Catalan, ganz ohne Erziehung, roh und leidenschaftlich, der, ohne lesen und schreiben zu können, durch persönliche Bravour auf dem Schlachtfelde vom Soldaten zum Oberstlieutenant sich emporgeschwungen hatte. Durch einen beklagenswerthen Mißgriff war ihm solch ein Posten anvertraut. Als er belagert wurde, zeigte sich, daß sein beim Angriff und in offener Schlacht so stürmischer Muth nicht mit der ausdauernden Festigkeit und Kaltblütigkeit gepaart war, die allein in der Vertheidigung seines Castells ohne Aussicht auf Hülfe und fast ganz ohne Artillerie gegen überreichlich damit versehene Feinde ein ehrenvolles Ende ihm versichern konnten, wo der Sieg nicht mehr möglich war. El Collado aber ist ein wenige Meilen nördlich von Alpuente gelegener Berg, so hoch, daß das Hinaufreiten mich eine gute Stunde kostete. Auf der etwa fünfhundert Schritt langen und hundert und funfzig Schritt breiten Ebene auf dem Gipfel desselben war ein Fort construirt, welches weit die umliegenden Berge überragte und nach allen Seiten hin eine weite Fernsicht über Aragon, Valencia und Castilla gewährte. Hinlänglich mit allen Bedürfnissen versehen und gut vertheidigt durfte es, wenn solche Bezeichnung überall gebraucht werden kann, uneinnehmbar genannt werden, da es mit seiner schweren Artillerie alle Zugänge vollkommen beherrschte, während Minen auch hier nicht anwendbar waren. Das Fort hatte gleichfalls sehr gute bombenfeste Gewölbe, so wie eine erprobte Besatzung und einen tüchtigen Gouverneur. Er hielt sich noch, als Cabrera bereits nach Frankreich übergetreten war. Hierher hatte der General im Sommer 1839 einen Theil seines schweren Geschützes gesandt, welches dann bei dem Anmarsche Espartero’s nicht vollständig zurückgebracht werden konnte, wodurch in Morella und Cantavieja der Mangel an Artillerie später sehr empfindlich wurde. So befanden sich im Collado neun Achtzehn- und Vierundzwanzigpfünder nebst mehreren Haubitzen und Mörsern; vier von ihnen waren nach Cañete bestimmt, langten aber nie dort an, da der im Turia commandirende General unter verschiedenen Vorwänden, deren die Nähe des überlegenen Feindes so viele darbot, den Transport stets aufzuschieben wußte. Wir sahen, wie den Streitkräften Palacios’ gegenüber General Aspiroz in Chulilla, Chelva, Tuejar und Titaguas sich festgesetzt hatte. Bald befestigte er auch Aras und erwartete nur die bessere Jahreszeit, um mit seinen 8000 Mann und dem Belagerungs-Park, den Valencia ihm geliefert, der andern carlistischen Forts sich zu bemächtigen. Der Gouverneur von Cañete, Oberst Don Eliodoro Gil, hatte als Besatzung seiner Festung ein neu gebildetes Bataillon von Castilien, aus 700 +Conscribirten+ bestehend -- die übrigen Bataillone waren aus Freiwilligen zusammengesetzt --; erst vier Compagnien waren bewaffnet, von denen die erste in Castiel Favib stand. Dann hatte er ein Freicorps als Grundlage eines andern Bataillons gebildet, in zwei Compagnien etwa 250 Freiwillige stark, die sämmtlich, wiewohl zum Theil mit Büchsen, bewaffnet waren, und eine Escadron Kosacken, denen des Grafen de España ähnlich; beide unregelmäßige Corps hatten jedoch sehr gute Officiere. Den Kern seiner Macht aber bildeten 40 Burschen von den Bataillonen von Tortosa, welche in der letzten Expedition Polo’s krank zurückgeblieben waren und, bald geheilt, unter dem Befehl eines Capitains ihrer Brigade, Don José Echevarria, standen, der, ausgezeichnet durch Talent und Wissen, schnell das ~fac totum~ des Gouverneurs wurde. Er war mir eng befreundet, da wir in den Nordprovinzen und während der Expedition Don Basilio Garcia’s zusammen gedient und dann vereint die Leiden der Gefangenschaft ertragen hatten. Mit diesen 650 Mann und 80 Pferden Bewaffneter und etwa 400 Unbewaffneten beherrschte -- man darf es so nennen -- Oberst Gil die ganze Provinz Cuenca und machte gelegentlich Streifzüge bis tief nach Aragon hinein und selbst in die Mancha, von wo er Vieh, Getreide und sonstige Lebensmittel, so wie Contributionen eintrieb. Denn für Sold und Unterhalt der Seinen, so wie für die tausend täglich sich darbietenden Ausgaben mußte er selbst alles Nöthige anschaffen, da er von der Hauptarmee gar Nichts geliefert bekam. Die Bewohner der Provinz aber wurden mit Menschen und Thieren zum Festungsbau zugezogen, ohne daß die Colonne Balboa’s in Cuenca oder die zahlreichen feindlichen Besatzungen wirksam ihm sich widersetzt hätten. Valmaseda endlich befehligte in Beteta seine beiden Escadrone, gegen 200 prächtige Pferde, die wir früher kennen lernten; dazu erhielt er im Monat April ein Bataillon, ganz aus Castilianern bestehend, die so eben ausgewechselt waren, nachdem sie Jahre lang in den Kerkern der Christinos jede Unbilde standhaft ertragen hatten, 600 Mann, begierig, so viele Leiden blutig zu rächen. Aber nur 200 von ihnen waren bewaffnet, während die Garnison des Schlosses von Beteta kaum 150 Mann stark war. Mit dem Bataillone „~fidelidad al Rey~“ -- Treue dem Könige -- wie die Ausgewechselten ehrend benannt waren, und seinen Escadronen machte Valmaseda durch ganz Guadalajara und selbst nach den Provinzen Soria und Burgos hin Ausflüge, in denen leider Menschlichkeit nicht immer seine unbezähmbare Bravour und Kühnheit begleitete. * * * * * Wie ich allgemein Alles, was seit dem Rückzuge Espartero’s aus seiner drohenden Stellung im Innern des Hochgebirges von Cantavieja und Morella sich ereignete, mehr als gewöhnlich detaillirt habe, weil ich der einzige Deutsche bin, der während des Winters und bis zum Augenblicke der gänzlichen Vernichtung mit den letzten Vertheidigern des rechtmäßigen Königs gegen die Übermacht und den Verrath kämpfen durfte -- so weile ich auch länger bei der Schilderung der Verhältnisse, wie sie in diesem, nun ganz isolirten Theile der carlistischen Macht Statt fanden. Sie gewähren einen tieferen Blick in die Eigenthümlichkeiten jenes Krieges und versetzen uns in mancher Beziehung in die Zeiten zurück, da die Carlisten, noch schwach und unbedeutend, in einzelnen Guerrillas von ihren festen Sitzen in den unzugänglichen Gebirgen herab den rings sie umgebenden Feindeshaufen Hohn sprachen und Incursionen in das Innere des feindlichen Gebietes machten, um ihre Bedürfnisse -- vor Allem Waffen und Lebensmittel -- sich zu verschaffen, oder irgendwo einen schlau berechneten und kühn ausgeführten Schlag zu führen, wo die Christinos am wenigsten ihn erwarten konnten. Doch darf dabei der Unterschied nicht übersehen werden, den die jetzt so sehr vervollkommnete Organisation der carlistischen Truppen hervorbrachte, so wie der Umstand, daß hier künstliche Festungen die Stelle jener natürlichen und unzerstörbaren Bergvesten vertraten, wodurch die Unternehmen sehr erschwert und gefesselt wurden, da das überall zugängliche Terrain nicht hinreichend die Carlisten begünstigte, als daß die Rücksicht auf jene künstlichen Stützpunkte nicht stets hätte überwiegend sein müssen. Welche Reize aber ein solches Leben immerwährender Unternehmung und Gefahr hat, wie es die ganze Spannungskraft des Geistes unaufhörlich in Thätigkeit erhält und ihn eben so wie den Körper gegen alles Schwächende und Erschlaffende stählt, ist in der That erst dem, der selbst es erfahren, ganz verständlich. Nie habe ich größer, kühner und stolzer empfunden, nie höhere innere Kraft gefühlt und freudiger das Schwerste unternommen, dem Härtesten mich unterzogen, als zu jener Zeit, da jeder Schritt Tod drohte, da ich, von übermächtigen Feinden umgeben und verfolgt, an der Spitze weniger Braven in die Mitte ihrer Schaaren mich drängte und zwischen ihren Vesten und Colonnen hindurch weit das Land durchzog, wo eigener Muth, eigene Entschlossenheit und List die einzigen Rettungsmittel aus den in tausendfacher Gestalt sich entgegenstellenden Gefahren und Schwierigkeiten waren. Da fühlt der Mann, was er vermag trotz aller Schwäche, und dieses Selbstbewußtsein giebt ihm herrlichen Muth und Vertrauen, um Allem freudig zu trotzen. XXXVII. Don Manuel Brusco war Lieutenant im Geniecorps der portugiesischen Armee unter Don Miguel und zeichnete sich vor Oporto mehrfach aus; er verließ sein Vaterland bei dem unglücklichen Ausgange des Krieges und hielt sich längere Zeit in England und Frankreich auf. Zu Paris hatte er ein besonderes Glück an der verrufenen Roulette-Tafel, da er niedrig spielend ein Fünffrankenstück unbemerkt liegen ließ, welches wieder und wieder gewann, bis endlich die Bankhalter baten, der Eigenthümer möge genau erklären, auf welchen Nummern er spiele, da der große Haufen Gold und Papiere dieses nicht mehr erkennen ließ. Brusco sah ruhig dem Spiele zu und schwieg, als auf die Frage der Banquiers einige Nahestehenden erklärten, daß ihm das Geld gehöre. Da es von sonst Niemand reclamirt wurde, steckte er freudig erstaunt den Gewinnst ein und fand bei näherer Untersuchung, daß er vierzig und einige tausend Francs betrug. Er benutzte das ihm so zugefallene Geld zu einer Reise durch die Niederlande, Deutschland und die Schweiz, indem er besonders die Schlachtfelder besuchte und studirte, worauf er, da sein Geld rasch dem Ende nahete, im Jahr 1836 nach Navarra ging, um Carl V. seine Dienste anzubieten. Da er thätiger zu kämpfen wünschte, als es dort im Geniecorps möglich war, trat er in das 4. Bataillon von Castilien ein, verließ mit der königlichen Expedition die Provinzen und fiel bei dem Übergange über den Cinca mit den Trümmern des braven Bataillons in die Hände der Feinde. In Zaragoza erduldete er alle Leiden der Gefangenschaft, bis Cabrera Ende 1838 ihn auswechselte, anfangs in seinem Generalstabe placirte und dann überall benutzte, wo seine hohen Kenntnisse als Ingenieur anwendbar waren. Brusco erwarb sich die Achtung des Generals in hohem Grade, ward nach der Ankunft des Baron von Rahden zu dessen Adjudanten ernannt und im Sommer 1839 mit den Festungen im Turia beauftragt, wo seine unermüdliche Thätigkeit weiten Spielraum fand. -- Auch er entkam, als der Widerstand aufgehört hatte, verwundet nach Frankreich. Die Stellung des Ingenieurs hat in Spanien sehr viele Vorzüge; aber nirgends war sie so angenehm, wie die unsere dort in Neu-Castilien. Dem spanischen Reglement gemäß empfängt der Ingenieur Instructionen nur von den Chefs seines eigenen Corps -- als ~cuerpo facultativo~ das erste der Armee -- und ist ihnen allein verantwortlich; er ist ganz unabhängig von den übrigen Waffengattungen, mit deren Commandeurs er nur berathet, ihre Mitwirkung, wo er deren bedarf, fordern kann, aber nicht ihren Befehlen untergeben ist. Da uns nun die Verbindung mit unserm Chef in Morella fast immer abgeschnitten war, wir auch dessen Resolutionen natürlich nie erwarten durften, so waren wir ganz selbständig und standen eben so wohl da als Haupt in unserm Districte, wie Palacios, Gil und Valmaseda in den ihrigen. Nur galt es, mit Festigkeit unsere vielfach angefochtenen Rechte aufrecht zu halten. Und zwar war dieser unser District so weit ausgedehnt, wie jene Anführer ihre Herrschaft auszudehnen vermochten, da wir dort alle Bedürfnisse für unsere Festungsbauten einzutreiben berechtigt waren, weshalb wir denn häufig Kriegszüge auf eigene Faust unternahmen. Wir hatten nemlich zu unserer Verfügung zwei Compagnien Sappeurs, über 250 Mann, lauter ausgesuchte Leute, da das Sappeurscorps, so wie die Artillerie, unter den Rekruten auswählte, ehe sie durch Loos den Bataillonen zugetheilt wurden. Sie waren vollkommen und selbst mit Pracht in Bewaffnung und Kleidung ausgerüstet, indem alle Bedürfnisse von Cuenca, Valencia und selbst Madrid hergeschmuggelt wurden. Geld dazu war stets im Überfluß, da der General bei der Bildung derselben befohlen hatte, in die Casse der Sappeurs ein Sechstel der wegen nicht geleisteter Festungsarbeiten von den Provinzen zu zahlenden Strafgelder abzuliefern, was oft außerordentlich große Summen ausmachte, so daß Sold, Arbeitslohn und Rationen, Alles doppelt so stark wie die der Linientruppen, stets regelmäßig bezahlt wurden. Bei der Katastrophe im Juni enthielt meine Casse für die Befestigung des einzigen Cañete über 9000 Duros in Silber, die dem Feinde in die Hände fielen. Sowohl wegen unserer schönen Compagnien, als auch, weil sie bei tausend Gelegenheiten unser nicht wohl entbehren konnten, suchte ein Jeder der Chefs uns zu sich zu ziehen und durch Bezeugung der größten Rücksichten festzuhalten. Es bestand aber unter uns selbst ein eigenes Verhältniß, da ich, als Infanterie-Officier dem Corps nur aggregirt, in den lediglich die Functionen desselben betreffenden Angelegenheiten das Commando über den effectiven Ingenieurs-Capitain nicht glaubte übernehmen zu können, während Brusco, da ich älterer Capitain war, gleichfalls sich weigerte, die Oberleitung beizubehalten. Als kurz nachher Beider Avancement zum Grad von Oberstlieutenant der Infanterie[116] anlangte, blieb die Lage der Dinge ganz dieselbe. Wir beschlossen also, gemeinschaftlich an der Spitze des Corps zu stehen und uns in die Geschäfte und die Verantwortlichkeit, so wie in die Vortheile brüderlich zu theilen. Die letzteren waren aber auch in pecuniärer Hinsicht bedeutend, da wir Stellen versahen, die nach dem Reglement nur Brigadegeneralen zukamen, deren gesetzlich fixirte Gratificationen nach einer von Brusco früher erwirkten Ordre des Generals uns ausgezahlt wurden. Da die Befestigungen im Turia so weit vollendet waren, daß sie unserer Gegenwart nicht mehr bedurften, übernahm ich die Leitung der Werke von Cañete und Castiel Favib nebst der gelegentlichen Inspection des Turia, während Brusco die Arbeiten in Beteta und diejenigen übernahm, welche bei den Operationen Valmaseda’s in das Innere nöthig würden. Er reisete daher einige Tage später nach seinem Punkte ab, wo bereits der größere Theil der zweiten Compagnie, die ihm geblieben, sich befand; die erste unter Premierlieutenant Norma, 130 Mann stark, behielt ich bei mir. Nachdem ich den mit mir angelangten Lieutenant Losada in Castiel Favib installirt und die Festungen im Turia besucht hatte, kehrte ich nach der Mitte des Aprils nach Cañete zurück. Die Stadt liegt an dem südlichen Abhange des Gebirgszuges, welcher, als Sierra de Albarracin bekannt, den Tajo dem atlantischen und die kaum drei Viertelstunden von diesem und von einander entfernt entspringenden Flüsse Guadalaviar und Xucar dem mittelländischen Meere zusendet und durch das Gebirge von Cuenca mit der Sierra morena zusammenhängt. Die Provinz, wiewohl von mehreren schrofferen Ketten durchzogen, bietet im Allgemeinen zwischen niedrigen Bergreihen breite, ebene Thäler dar und ist fruchtbar. Doch hatte die Kriegsplage schon seit Jahren so schwer darauf gelastet, daß es keine Hülfsquellen mehr lieferte, indem die Einwohner nur noch das für den eigenen Unterhalt und die geforderten Abgaben gerade nöthige Land bestellten und das übrige unbebaut liegen ließen. Die Truppen mußten deshalb weither ihre Subsistenzmittel herzuführen, wobei sehr Viel durch Schleichhändler geschah, die aus den reichen Ebenen Valencia’s mit Gefahr des Lebens -- die Christinos erschossen jeden Maulthiertreiber, der, freiwillig nach unsern Festungen reisend, von ihnen aufgefangen wurde -- aber auch mit ungeheurem Gewinne Lebensmittel jeder Art und selbst die mannigfachsten Delicatessen brachten. Täglich langten solche Caravanen, oft auch mit sorgfältig versteckten Waffen, militairischen Abzeichen, Tuch und sogar Pulver beladen, aus den umliegenden Provinzen an, und da das Gouvernement durch die weithin eingetriebenen Contributionen reichlich mit Geld versehen waren, die Truppen auch regelmäßig ihren Sold erhielten, fand Alles raschen Absatz. Der Gouverneur war ein biederer alter Junggeselle, der als Jüngling schon gegen Napoleon gekämpft und unter Ferdinand VII. eine Escadron in einem Linien-Regimente commandirt hatte. Seit dem Anfang des Aufstandes kriegte er an der Spitze einer Guerrilla in Aragon und Valencia, häufig dem Anschein nach auf immer vernichtet und jedesmal unermüdet sich wieder erhebend, bis er später Cabrera sich anschloß, der seine hohe Achtung vor ihm bekundete, da er ihn zum Chef des herrlichen Cavallerie-Regimentes von Tortosa ernannte. Durch Wunden verhindert, ferner in der Cavallerie zu dienen, erhielt Oberst Gil das Gouvernement von Alpuente, welches er in den besten Stand setzte, und dann das des wichtigen Cañete, wo er durch Festigkeit und Einsicht, wie durch außerordentliche Milde sich hervorthat, ja diese zuweilen zu weit trieb, wie er z. B. meinen unumgänglichen und pflichtgemäßen Requisitionen für die Befestigungsarbeiten gewöhnlich durch Klagen über die armen Leute, die schon ganz ruinirt seien, Einhalt zu thun suchte. Doch dieser Fehler des Militairs, so selten in jenem Kriege, steigert unsere Achtung vor dem Menschen, und er erwarb ihm die Neigung des Volkes, welches in Valmaseda ja sein Gegenstück mit Jammer kennen lernte. Zugleich war der Oberst sehr uneigennützig, auch dadurch vortheilhaft hervorstechend, ein angenehmer Gesellschafter, stets guter Laune und bereit, Rath anzunehmen; er war selbst darin etwas schwach, indem er sich die ausschließliche Leitung aus den Händen winden und sein Gouvernement in der That zu einer militairischen Aristokratie werden ließ, da sechs oder sieben der angesehensten Chefs gemeinschaftlich regierten. Dadurch ward freilich zuweilen einiges Zaudern und Schwanken unvermeidlich. * * * * * Cañete ist auf drei Seiten mit einer sägenförmigen, etwa acht Fuß starken Mauer umgeben, aus den Zeiten der Araber herstammend; einige Thürme, zum Theil neu angelegt, flankiren sie. Die vierte Seite nimmt der 220 Fuß hohe Felsberg ein, auf dessen oberer, etwa 600 Fuß langer und 30 bis 80 Fuß breiter Fläche das Castell, ganz den Umrissen des Felsens folgend, erbaut ist. Doch war die Stadt nicht haltbar, da sie von mehreren, auf Flintenschußweite entfernten Höhen eingesehen und dominirt wird und gar keine bombenfeste Gebäude besaß. Das Castell dagegen war in brillantem Zustande, enthielt vier abgeschlossene Plätze, deren jeder den vorliegenden vollkommen beherrschte und nach dessen Verlust der kräftigsten Vertheidigung fähig war, und bot den feindlichen Geschützen ein starkes Profil dar. Dabei waren die Werke rings umher auf zwanzig bis neunzig Fuß tief perpendiculär sich senkende Felsen gegründet mit Ausnahme eines kleinen Raumes von dreißig Fuß Breite, der eine -- wenn auch mit unendlicher Schwierigkeit -- ersteigbare Bresche zuließ, weshalb dorthin alle Vertheidigungsmittel gehäuft wurden. Eine naheliegende Höhe enfilirte das Castell, weshalb ich nach Niederreißung des auf ihr von einem früheren Gouverneur erbauten runden Thurmes, der gar keines Widerstandes fähig war, eine der Gestalt des Felsens angemessene starke Redoute dort anlegte. Übrigens ward während der zwei Monate, in denen ich die Leitung der Arbeiten in Cañete hatte, sehr Viel zur Vervollständigung der Werke gethan, für die meistens Brusco schon den Plan entworfen hatte. Zweihundert Kriegsgefangene und sechshundert Bauern mit Maulthieren oder Eseln waren täglich in der Errichtung jener Redoute und dem Hinaufschaffen von Baumstämmen nach dem Castell, so wie in der Zubereitung und dem Transport der mannigfachen Materialien beschäftigt, während -- bei unsern Mitteln eine ungeheure Arbeit -- unter der Oberfläche des Felsens bombenfeste Casernen, Magazine und Cisternen geöffnet wurden, welche, vollkommen beendigt, auch der furchtbarsten Artillerie spotten konnten. Zugleich gelang es, von dem nahen Flüßchen für den Fall des Angriffes eine Überschwemmung rings um die Mauer vorzubereiten und den bedeckten Weg zu beendigen, der von der Stadt nach dem Castell hinauf in den Felsen gehauen und gesprengt[117] wurde. Ein starkes Blockhaus auf der halben Höhe und eine unten am Ausgange des bedeckten Weges befestigte und unter dem Feuer des Castells und der Redoute in der die letzteren trennenden Schlucht liegende Hermite vervollkommneten das Vertheidigungs-System, so daß wir nur noch bedauern mußten, nicht die zur vollständigen Garnirung der Werke hinlängliche Artillerie zu besitzen. Denn echt facciosisch hatten wir lediglich vier kleine tragbare Berggeschütze, eine vierpfündige Kanone, eine fünfzöllige Haubitze -- der spanische Fuß ist um etwa ein Zehntel größer, als der des rheinländischen Maßes -- und zwei siebenzöllige Morteretes, sehr niedliche bronzene Mörserchen, die ein Maulthier transportirte; sie alle waren aus der Stückgießerei von Cantavieja. Die vier uns bestimmten schweren Geschütze kamen, wie gesagt, nie aus dem Collado an. Wohin wir indessen unsere Blicke richteten, war der Schwierigkeiten und Mängel Legion, und Allem mußte und sollte abgeholfen werden. Zuerst bestand der ganze Vorrath an Geschossen für unsere Miniatur-Artillerie aus hundert und dreißig Kugeln, einigen siebenzig Granaten und etwa neunzig kleinen Bomben; dann hatten wir auch keinesweges das für den täglichen Bedarf und noch weniger das für eine Belagerung nöthige Pulver, während wir doch auch darin ganz auf uns angewiesen waren. Unverdrossen ging es ans Werk, Pulverfabrik, Schmelzofen und Kugelgießerei zu etabliren, was zwar manchen verunglückten Versuch und noch mehr Flüche der Ungeduld veranlaßte, aber doch endlich so weit gelang, daß wir ein brauchbares, wiewohl grobes, Pulver erzeugten, wie auch Valmaseda in Beteta es anfertigen ließ, und unsern Vorrath von Kugeln bedeutend vermehrten. Von einigen in unserm Bereiche liegenden Glashütten ließen wir etwa sechshundert gläserne Granaten liefern -- als Handgranaten mit schwacher Ladung gegen den Sturm sehr mörderisch --, worauf alsbald General Balboa zwei jener Hütten niederbrennen ließ. Wir überlegten selbst, wie wir einige schwere Kanonen gießen könnten, was freilich seine Schwierigkeiten hatte und auch wegen der Katastrophe, die plötzlich unserer Herrschaft ein Ende machte, nicht zur Ausführung kam. Doch hatten wir schon mehrere Vorbereitungen getroffen und zu dem Ende drei und zwanzig Glocken zusammengeschleppt trotz dem Jammer der guten Pfaffen, welche ihre Kirchen so geplündert sahen; die Orgelpfeifen aber wurden zu Flintenkugeln und Uniformsknöpfen umgeschmolzen. Für die Sappeurs fertigte ich selbst die Form der reglementsmäßigen Knöpfe von einer weichen Steinart an, die sich nur in einer einzigen Schlucht bei dem Dorfe Salvacañete fand, worauf Lieutenant Norma mit seinen Officieren an einem regnigten Tage die nöthigen Knöpfe goß, welche allgemeinen Neid erregten. Dabei amüsirten wir uns trefflich. Ferner mußte für die Bewaffnung der Rekruten, so wie für die Ausrüstung der Truppen im Allgemeinen gesorgt werden. Da wurde den Eltern und Verwandten der Deserteurs als Strafe die Lieferung einer gewissen Zahl Gewehre oder Ellen Tuch auferlegt, welche sie aus den feindlichen Festungen und oft, besonders die ersteren, aus dem Innern des Königreiches holten und sehr selten zu überbringen unterließen, da dann ihre Güter sequestrirt wurden. Noch fehlten mir sehr viele, im Fall einer Belagerung unentbehrliche Gegenstände, wie Instrumente, Sandsäcke und andere, die ich persönlich anzuschaffen beschloß, weil sie in mein Fach gehörten und ich also für sie verantwortlich war. Mit 40 Sappeurs, 25 Infanteristen und 10 Kosacken zog ich nördlich von Cañete bis tief nach Aragon hinein, besetzte das uralte El Albarracin, Hauptstadt der Provinz und früher von den Christinos befestigt, und streifte bis unter die Mauern von Teruel, worauf ich nach eilf Tagen mit drei und funfzig beladenen Maulthieren in Cañete wieder anlangte, wo man zweimal die Nachricht erhalten hatte, daß ich gefangen und erschossen sei. Ich hatte fast hundert und zwanzig Leguas zurückgelegt und über funfzig Ortschaften besucht, zwei feindliche Partheigänger, die sich zum Angriffe vereinigten, geschlagen und ihnen neun Gefangene abgenommen, welche ich heimführte, und war durch gute Kundschafter, Benutzung des Terrains und häufig forcirte Contremärsche einem Detachement von 300 Mann, welches von Teruel aus zu meiner Verfolgung gesendet war, ohne Verlust entgangen, obgleich ich Tage lang, so wie ich einen höhern Berg erstieg, es mir nahe hinziehen sah oder, wenn ich kaum meine Requisitionen bewerkstelligt, eine Ortschaft in dem Augenblicke verließ, da der Feind von der andern Seite einrückte. Ein dritter Partheigänger, der von Cuenca aus sich in Hinterhalt gelegt hatte, um bei meinem Rückmarsche in einem Defilée auf mich zu fallen, ward ganz vernichtet, indem zufällig Palacios mit zwei Bataillonen, um mit Valmaseda sich zu vereinigen, dort passirte, und Jener dessen Vorhut angriff, für mein Detachement sie haltend. -- Während ich nach Norden mich wandte, hatte der brave Lieutenant Norma zu gleichem Zwecke die Gegend südlich von Cañete durchzogen und gleichfalls große Ausbeute gemacht. Er fing einen Spion auf, dessen Kopf nach des Obersten Gil Befehl auf eine hohe Stange neben dem Gemeindehause seines Geburtsortes Salvacañete gesteckt wurde. Ich aber schlief vier und zwanzig Stunden lang fast ununterbrochen, da ich in jenen eilf Tagen nie zwei Stunden hinter einander geruht hatte und auf solchen Zügen, die Pferde zurücklassend, stets zu Fuß, mit dem leichten Trabuco auf der Schulter, an der Spitze meiner Soldaten einherschritt. Bald bot sich mir Gelegenheit zu einem neuen Ausfluge. Von der ersten Compagnie Sappeurs waren vor meiner Ankunft fast funfzig Mann desertirt, und auch jetzt verschwanden wieder mehrere. Einen derselben hatte ich auf meinem Streifzuge eingefangen, und er war schon in ~capilla~, um am folgenden Tage erschossen zu werden, als seine rührenden Bitten den Oberst Gil, welcher zufällig ihn sah, vermochten, mich um seine Begnadigung zu bitten,[118] worauf ich persönlich ihn zu sprechen ging. Die Kindlichkeit, mit der der Bursche in Thränen erzählte, wie er nur seine arme alte Mutter einmal habe sehen wollen, und reuevoll auf den Knieen versprach, gewiß immer der beste Soldat Carls V. zu sein, wenn ich das Leben ihm schenke, frappirte mich so ungemein, daß ich ihn in Freiheit setzte und selbst bald zu meinem Bedienten wählte, nachdem ich ihn geprüft hatte. -- Meine Wahl reute mich nie: als Alle mich verließen, blieb er allein mir treu! Da aber fortwährend die Desertionen in allen Waffengattungen sich häuften -- die armen Teufel schienen zu fühlen, daß die Stunde des Unterganges uns nahete -- mußte nothwendig ein Beispiel aufgestellt werden, weshalb ich am 16. Mai mit 80 Sappeurs und 12 Pferden nach der Mancha aufbrach, wo mehrere Deserteurs den Anzeigen unserer Kundschafter gemäß sich aufhalten sollten. Auch da ging es wie bei meinem früheren Zuge; ich wurde hart verfolgt und verlor selbst im Gefechte mit einer kleinen feindlichen Colonne drei Sappeurs, deren Tod jedoch schwer gerächt wurde. Einem Detachement, welches ich nach Moya hineinjagte, nahm ich fünf mit Wein beladene Maulthiere ab, durchzog die Provinz Cuenca und den nordöstlichen Theil der Mancha, überall die rückständigen Contributionen erhebend, und kehrte mit einem bedeutenden Convoy am 27. nach Cañete zurück. Nur einen Deserteur von der Infanterie brachte ich zurück, da ein anderer vom Sappeurscorps unterwegs wieder entkommen war. Jener wurde am Tage nachher füsilirt und .... in derselben Nacht ließen sich abermals sieben Mann von der Mauer hinab, um zu entfliehen! Am Fuße derselben wurden sie niedergemacht, da der Gouverneur, von ihrem Vorhaben benachrichtigt, eine Compagnie zu ihrem Empfange versteckt aufgestellt hatte. -- Einer meiner Bedienten, dem Scheine nach mit Leib und Seele mir ergeben, desertirte mit einem Maulthiere und einem Theile meines Gepäckes, da ich nach einem einige Stunden entfernten Dorfe ihn, etwas Vergessenes zu holen, zurückschickte. Während ich, unruhig über sein Ausbleiben, bittere Vorwürfe mir machte, daß ich um einer Kleinigkeit willen ihn exponirte, da ich überzeugt war, er müsse in die Gewalt des Feindes gefallen sein, langte die Nachricht an, daß er wohlbehalten im nächsten feindlichen Fort angekommen war. Und doch konnte ich ihm nicht zürnen: er war treu und gutherzig, aber sehr furchtsam und hatte, der nahen Belagerung mit Zittern entgegensehend, mehrfach mich gebeten, ihm während derselben Urlaub zu geben, den ich natürlich abschlagen mußte. Da war die Versuchung zu stark gewesen. * * * * * Unser Horizont umzog sich indessen mit immer dunkler sich aufthürmenden Wolken, die, fern wetterleuchtend, baldigen Ausbruch des Verderben drohenden Gewitters verkündeten. Die Nachrichten von Morella lauteten trübe, wie die heller Sehenden sie freilich nicht anders erwartet hatten, und auch wir wurden täglich mehr eingeschränkt und hörten täglich von den Vorbereitungen, die in Cuenca für die Eroberung von Cañete und Beteta umfassend getroffen wurden. Nach der Einnahme von Castillote drangen beide Armeen der Christinos von Norden und Westen in das Gebirge vor. Brigadier -- vor dem Kriege Schleichhändler -- Zurbano, der jetzt hohe Thätigkeit entwickelte, überfiel mit seinem Freicorps am 6. April bei Pitarque zwei Bataillone von Aragon und nahm ihnen nach hartnäckigem Kampfe 400 Gefangene ab, worauf General Ayerbe am 8. Villarluengo und Don Diego Leon mit den Garden am 10. Peñaroya besetzte, welche beiden Punkte, da die Befestigungen zu kraftvoller Gegenwehr nicht hinlänglich vollendet, bei der Annäherung der Feinde geräumt wurden. Diese befestigten darauf Monroyo, sechs Stunden von Morella, als Depot. Um durch die Besetzung des Ebro der carlistischen Armee die Verbindung mit Catalonien und die Hoffnung auf Rückzug abzuschneiden, durchkreuzte General Leon, Graf von Velascoain, nachdem Zurbano am 19. April nach lebhaftem Gefechte mit dem 1. Bataillon von Aragon in Beceyte eingedrungen war, den südlichen Theil von Catalonien, ohne ernsten Widerstand zu finden, nahm Flix und am 28. auch Mora de Ebro ein, welches der Graf von Morella erst am Tage vorher verlassen hatte, um noch immer krank an die Spitze des Heeres sich zu stellen. Doch vermochte Leon des ganzen Flußthales des Ebro noch nicht sich zu bemächtigen. Hätte wohl unser unternehmender Feldherr, wie er früher es war, ruhig den Feind solche Fortschritte machen, zu bloß passiver Defensive sich drängen lassen, ohne kräftigen Widerstand, ohne Diversionen zu versuchen und jeden Fußbreit Landes den Sieger theuer mit seinem Blute bezahlen zu machen? Hätte Cabrera je seine Forts, die so große Opfer, so unendliche Anstrengungen gekostet, von Position zu Position ohne Kampf weichend, geräumt oder gar ihre Vertheidiger in nutzlosem Ringen gegen die Übermacht hülflos hingeopfert, um endlich unthätig sich zurückzuziehen, nachdem er eben so unthätig der Vernichtung seiner Treuen zugeschaut hatte?! -- O’Donnell war seinerseits nicht weniger erfolgreich. Im Anfange Aprils schon schritt er zur Belagerung von Aliaga, und nach kraftvoller Gegenwehr, die dem Feinde 1100 Mann gekostet hatte, ergab sich am 15. die Besatzung, nachdem zwei und zwanzig Geschütze vier Tage lang sie beschossen hatten. Sofort eilten die Christinos, das Fort von Alcalá la Selva zu berennen, dessen Gouverneur barbarischer Weise, nur um den Belagernden das Obdach zu nehmen, bei deren Annäherung das Städtchen niederbrannte, wiewohl es seiner Vertheidigung keinen Abbruch thun konnte. Auch er zeigte sich brav. Die schwarze Fahne, das bekannte Zeichen des Kampfes auf Leben und Tod, winkten von den Mauern hinab den feindlichen Schaaren entgegen; aber nach zweitägigem Bombardement war das Innere des Forts in einen Schutthaufen verwandelt, die Cisternen waren verschüttet, die Gewölbe zertrümmert durch die Macht der schweren Wurfgeschosse und die Mauern an mehreren Punkten rasirt, da die Carlisten nur vier leichte Geschütze, gleich denen in Cañete, den zwanzig Belagerungsgeschützen entgegensetzen konnten. Da empörte sich die zusammengeschmolzene Garnison verzweifelnd und öffnete den Christinos die Thore, nachdem sie wieder 900 Mann eingebüßt hatten. Als der Gouverneur vor O’Donnell geführt wurde, fragte ihn dieser lächelnd, warum er seinen Entschluß, sich nicht zu ergeben, nicht ausgeführt habe, und entließ ihn auf die Erklärung, daß er sofort das Commando des Forts in dem jetzigen Zustande wieder übernehme, wenn er zuverlässige Mannschaft bekomme, mit den Worten: „Sie sind ein Braver und haben schon zu Viel gethan.“ Dann zog O’Donnell gegen Cantavieja, während Espartero mit dem Hauptheere zu der so lange vorbereiteten, so lange angekündigten Belagerung von Morella sich anschickte. Oben sagte ich, daß Cantavieja’s Befestigung, den Händen des Obersten Cartagena anvertraut, traurig vernachlässigt war. Die Stadt ist auf drei Seiten durch die Schroffheit und Höhe des felsigen Bergrückens, auf dem sie gebaut, vollkommen gegen jeden Angriff gesichert; aber gegen Süden ist sie auf Flintenschußweite von einer durch eine Ebene mit ihr verbundenen Erhöhung beherrscht, die demnach mit mehreren Forts, der eigentlichen Angriffsfronte, gedeckt wurde. Es war nun durch die Fehler des ursprünglichen Planes und durch die allmählich vorgenommenen Änderungen und Nachhülfen[119] ein Flickwerk entstanden, welches endlich nicht mehr den Namen einer Festung verdiente und aus einer Anhäufung von Mauern, Gräben, Caponieren, Traversen und sonderbar gestalteten, namenlosen Dingen bestand, die wechselseitig einander hinderten und unnütz machten. Die Carlisten thaten also das Klügste, was ihnen übrig blieb, als sie die Titulair-Veste bei dem Anmarsche O’Donnell’s am 11. Mai räumten und sich auf Morella zurückzogen. Dieser General fand die Stadt in Flammen: die männlichen Bewohner hatten sämmtlich als ~voluntarios realistas~ die Waffen ergriffen und setzten, mit Weib und Kind abziehend, selbst ihre Wohnungen in Brand, um sie nicht dem Feinde zu überlassen. Die großen Fabriken und Magazine waren schon nach Morella verlegt, die Artillerie jedoch wurde, da der Entschluß zur Räumung erst im letzten Augenblicke gefaßt war, vernagelt zurückgelassen. Ein unersetzlicher Verlust! O’Donnell zog darauf nach dem nördlichen Valencia und dem Ebro zu, um in Cabrera’s Rücken zu operiren und von dem Flusse ihn abzuschneiden, traf aber bei la Cenia auf diesen General, in dem dort ein Überrest des alten Feuers noch einmal -- leider ohne weitere Folge -- aufzulodern schien. Er bewährte, was er vermocht hätte. Nach siebenstündigem furchtbaren Ringen auf dem den Christinos nicht ungünstigen Terrain zwang er sie, wiewohl sie doppelt so stark waren, mit Verlust von 2500 Mann zum Rückzuge auf Vinaroz. Der Bruder O’Donnell’s, welcher, früher carlistischer Oberst, „der Umarmung von Bergara“ sich angeschlossen hatte und nun mit demselben Grade als Adjudant seines Bruders gegen seine früheren Waffengefährten focht, ward schwer verwundet, der Chef des Generalstabes getödtet. Cabrera aber ... eilte nach dem Ebro und überließ Morella seinem Schicksale! -- Doch nein; ich thue Unrecht, da ich dem edlen, braven Cabrera, ihm, der tausendfach sich bewährt, den Schein eines Tadels gebe. Beklagen wir ihn und die Sache, welche er so lange aufrecht hielt, daß des Siegesherzoges wohl berechnetes Verbrechen so entsetzlich wirken durfte! * * * * * Auch Aspiroz hatte sich seit den ersten Tagen des Aprils wieder in Bewegung gesetzt. Montan, ein nur für Gewehrfeuer und gegen einen Handstreich eingerichtetes Fort, fiel sofort, worauf Aspiroz sich gegen Alpuente wandte. Von dem Gouverneur desselben sprach ich weiter oben. Er ließ die unglückliche Stadt einäschern und selbst, um dem Feinde Unbequemlichkeit zu verursachen, alle Masadas auf zwei Meilen rings um das Castell verwüsten, eine Maßregel, die bei ihrer Nutzlosigkeit auch unter den Carlisten allgemeinen Unwillen erregte. Und dann übergab der Erbärmliche nach zweitägiger Beschießung sein herrliches Castell, eingeschüchtert durch die Menge der geworfenen Bomben, da doch noch nicht die Spur einer Bresche da war! Während jener zwei Tage hatte er, das feindliche Feuer fast gar nicht erwiedernd, mit der ganzen Besatzung in die bombenfesten Gewölbe sich versteckt, so daß ein kühner Hornist der christinoschen Jäger unaufgehalten die Werke erklimmte und in das Innere des Castells gelangte, ehe er entdeckt und, da er allein war, verjagt wurde. Der ganze Verlust der Belagerer bestand in -- einem Officier und drei Mann! Alsbald zog Aspiroz gegen Vejis, welches er in der Mitte des Mais nach kräftigerer Gegenwehr gleichfalls einnahm. [116] Der Capitain im Geniecorps avancirt zum Grade des Oberstlieutenants der Infanterie. Überhaupt finden in der spanischen Armee von einer Charge zur andern stets zwei Avancements Statt: das erste Mal erhält z. B. der Secondelieutenant, -- und so alle Chargen bis zum Obersten -- den Grad von Premierlieutenant und erst wenn er sich zum zweiten Male auszeichnet, die Effectivität desselben. Als graduirt versieht er den Dienst seiner früheren Charge, die Anciennetät in der folgenden zählt aber vom Tage der Ernennung zum Grade. [117] Bei einer Explosion ward ein Stein über das Castell hinweg bis auf die an der andern Seite im Thal hinlaufende Straße -- fabelhaft scheinende Entfernung -- geschleudert und traf ein armes Mädchen von dreizehn Jahren an den Kopf, so daß es eine Stunde nachher starb. Überhaupt kamen bei den Arbeiten im Felsen viele Unglücksfälle vor. [118] Jeder unabhängige Corps- oder Detachements-Chef hat den spanischen Kriegsgesetzen gemäß das Recht, bis zur Todesstrafe über seine Untergebenen zu verhängen, wobei Kriegsgerichte fast nie Statt finden. Unzählige Male war ich bei Carlisten und Christinos Zeuge, daß der Anführer einen bei einem Diebstahl ertappten oder insubordinirten Soldaten und selbst Bauern, die des Spionirens +verdächtig+ waren oder, wie so oft, gezwungen für den Feind Papiere überbringen mußten, augenblicklich niederknieen und füsiliren ließ. -- Früher erwähnte ich, daß ich als unabhängiger Corps-Chef dastand. [119] Des Herrn von Rahden Plan war nach dessen Abreise von dem eigensinnigen Cartagena trotz aller Remonstrationen gar nicht weiter beachtet. XXXVIII. Unerwartet war Brusco nach Cañete zurückgekommen. Da Valmaseda, der von Fortification gar keinen Begriff hatte, in Beteta die unthunlichsten Dinge vollbracht sehen wollte, war Brusco mit ihm in lebhafte Streitigkeiten gerathen und verließ endlich die Festung, um sich nicht wehrlos der wilden Leidenschaftlichkeit des Brigadiers hinzugeben, dessen erstes Wort, wo er festen Widerstand erfuhr, „Niederschießen“ zu sein pflegte, was er denn auch nicht lange anstand auszuführen. Da saßen wir denn oft, drei oder vier Cameraden, auf die alten hölzernen Lehnsessel hingestreckt bis tief in die Nacht um das knisternde Feuer -- denn die Abende waren noch immer sehr frisch, so daß der Sitz am Herde in der Küche ganz heimisch war -- und unterhielten uns traulich über das, was die nächste Zukunft bringen mußte. Wenige Tage vorher waren die beiden Cavallerie-Regimenter von Aragon angelangt, welche nach dem Vordringen des Feindes in das Innere des Gebirges dort unnütz nach Castilien detachirt waren. Sie brachten uns die General-Ordre, durch die Brusco und mir der Grad von Oberstlieutenant verliehen war; und durch sie erfuhren wir den Stand der Dinge bei der Armee. Bald kam auch mein wackerer Manuel, ein Bedienter, den ich krank in Morella zurücklassen mußte, mit zwei andern Sappeurs von dort an, da der Wunsch, ferner bei mir zu sein, durch alle Gefahren des Weges ihn getrieben hatte. Da hörten wir, daß Morella bereits, wenn auch wegen des Terrains nicht vollständig, blokirt sei, und daß der Gouverneur von Ares del Mestre dieses Fort dem Feinde verkauft habe, indem er, als die Garnison in der Kirche zur Messe versammelt war, die Christinos einließ, so daß eine Compagnie Sappeurs und zwei von Valencia gefangen wurden. Wieder Verrath! Es war ein eigenthümliches Gefühl, wie wir so die Stunde des Unterganges mit Riesenschritten heranrücken sahen, unvermeidlich und ohne daß menschliche Kraft den Strom aufzuhalten vermocht hätte. Wir berechneten schon unsere Existenz nur noch nach Wochen und erwogen jede Chance für und wider, welche die Katastrophe um einen Tag beschleunigen oder um so viel weiter hinausschieben konnte; und doch scherzten wir selbst bei diesen ernsten Betrachtungen und haschten nach Lust und Vergnügen, wie immer, und handelten, als sei gar keine Veränderung in unsern Verhältnissen eingetreten. Der Mensch ist ein sonderbares Wesen; ich begreife wahrlich jetzt kaum, wie solche Contraste in uns sich vereinigen konnten. Während wir sehr wohl erkannten, wie nur noch Tage uns überblieben, und im vertrauteren Kreise diese Gewißheit uns nicht verheimlichten, schienen wir fortwährend, wie im vorigen Jahre, die siegesstolzen, hochstrebenden Krieger, die in kurzem ihren König auf den Thron seiner Väter zurückzuführen und die rebellische Herrscherstadt zu seinen Füßen zu beugen hofften. Im öffentlichen Leben, in allem Dienstlichen fuhren wir fort, Pläne zu entwerfen, auf Monate hinaus zu denken und vorzuarbeiten, als gäbe es gar keine Vernichtung drohende Gefahr. Höchstens verrieth etwa ein scherzhafter Wink, daß das Bewußtsein derselben nicht in uns erloschen sei. Und jene Arbeiten und Entwürfe wurden mit eben der Sorgfalt betrieben, wie wenn wir des Triumphes durch sie gewiß wären. Aspiroz aber bereitete seinen Artilleriepark vor, um uns zu erdrücken, Balboa that ebendasselbe in Cuenca, wo er bereits siebenzehn grobe Geschütze vereinigt hatte. Er ließ Recognoscirungen bis unter die Mauern von Beteta vornehmen, denen die schwachen carlistischen Truppen sich nicht widersetzen konnten, und stellte die Wege nach jenem Platze sowohl, als nach Cañete für Artillerie her, während Palacios und Valmaseda, der erstere nur noch auf den Collado gestützt, eine thätige Defensive durch Streifzüge, unerwartete Märsche und wiederholte Überfälle kleinerer Detachements führten. Doch gewannen die Feinde durch Übermacht Schritt vor Schritt Terrain. Tag auf Tag brachte so irgend eine neue Unglückskunde, bis eines Morgens -- es war an einem der ersten Tage Juni’s -- Brusco, vom Gouverneur kommend, ernst in mein Zimmer trat und mir zuflüsterte: „Morella ist gefallen, und der General hat den Ebro passirt!“ -- Wenn auch längst erwartet, wirkte die Schreckensbotschaft doch im ersten Augenblick erstarrend auf Jedermann, und mancher schwere Seufzer entwand sich der Brust, da mit Morella ja der letzte Pfeiler des schon lange untergrabenen Gebäudes einstürzte. Furchtbar beklemmend, erdrückend ist der Schmerz des Mannes, wenn er das unrettbar vernichtet sieht, dem er ganz sich hingegeben hat, dessen Triumph sein Ziel und seine Hoffnung war, und für das er mit enthusiastischem Feuer gekämpft und sein Blut vergossen hat. Schwere, schwere Stunden waren jene, in denen kaum das Gefühl, bis zum Untergange treu und fest die Pflicht erfüllt zu haben, den glühenden Schmerz lindern konnte. -- Und dann die theuren Gefährten, welche wir in Morella wußten! Seit dem Anfange Aprils, da schon die Gefahr so ungeheuer drängte, hatte plötzlich die höchste, krampfhafte Energie und Thätigkeit jene Lauigkeit ersetzt, die bis dahin mit der Strenge des Winters sich verbündete, um die Fortschritte der Vertheidigungswerke von Morella zu hindern. San Pedro Martyr, der Vollendung nahe, war rasch geschlossen, und nun wurde mit der Kraft der Verzweiflung -- und auch mit ihrer Blindheit -- der Plan wieder aufgenommen, den Herr von Rahden einst entworfen und bereits tracirt hatte. Man bedachte nicht, daß jetzt weder hinreichende Zeit gegeben war, um so umfassende Werke gehörig auszuführen, noch das nöthige Material, besonders an Artillerie, zur wirksamen Vertheidigung derselben angeschafft werden konnte; man bedachte auch nicht, daß jener Plan auf die kraftvolle Mitwirkung der Armee berechnet war, wie sie von Cabrera -- dem Cabrera der sechs ersten Kriegsjahre vor dem verhängnißvollen 16. December -- nicht anders erwartet werden konnte, und ohne die freilich so ausgedehnte Arbeiten unnütz wurden. Indessen geschah das unmöglich Scheinende. Capitain Verdeja, nach Morella berufen, leitete die außerhalb der Ringmauer anzulegenden Verschanzungen, und da Espartero nach kurzer Blokade in der zweiten Hälfte des Mais zur Belagerung der Festung schritt, fand er die nahen, unter dem Feuer des Castillo liegenden Höhen mit Erdwerken bedeckt, die jedoch sämmtlich nur mit Infanterie besetzt waren. Die Garnison von Morella bestand aus drei Bataillonen Infanterie, indem jede der Divisionen eins geliefert hatte, aus vier Compagnien Sappeurs, zwei Compagnien Artillerie, dreihundert ~voluntarios realistas~ von Aragon und etwa hundert von Morella, da die übrigen fünfhundert bei der Annäherung des Feindes vorgezogen hatten, ihre Vaterstadt zu verlassen. So befanden sich etwa 2800 Mann in der Festung. San Pedro Martyr war mit 400 Mann und vier Geschützen besetzt, deren das Castell und die Stadt nur neun hatten, während die Christinos drei und sechszig Belagerungsgeschütze mit einer großen Zahl Mörser heranführten. Der brave Brigadier Beltran commandirte als Gouverneur. Espartero war genöthigt, zuerst das beschnittene Hornwerk von San Pedro Martyr anzugreifen; er that es natürlich auf dem Punkte, welcher auf Befehl des Generals verkürzt und dadurch sehr schwach geworden war. So konnte er das Feuer von vorn herein auf nur zweihundert Schritt Distance eröffnen, bis wohin er vollkommen gedeckt vorgehen konnte. Am 25. Mai ergab sich das wichtige Werk, da die Bresche practicabel und die Geschütze demontirt waren. An demselben Tage nahmen die Belagerer mehrere der kürzlich errichteten Verschanzungen nach kurzem Widerstande der Carlisten, welche, erschreckt durch den raschen Fall von San Pedro, in dessen Stärke sie so viel Vertrauen gesetzt, und überschüttet mit Geschossen jeder Art von der feindlichen Artillerie, in die Stadt sich zurückzogen, gegen die sofort die Batterien etablirt wurden. Es war indessen nicht die Absicht Espartero’s, mit dem Blute seiner Soldaten den Besitz von Morella zu erkaufen, dessen er leichter sich zu bemächtigen hoffte. Er errichtete mehrere Mörser-Batterien und begann ein lebhaftes Bombardement, welches alsbald die unheilsvollste Wirkung hatte, da nur das Castell einige bombenfreie Räume besaß, während in der Stadt die einzige Cathedrale nicht einmal für die Niederlage der Munition und der Hauptbedürfnisse ausreichte. Nach dreitägiger Bewerfung war die ganze Stadt in einen Haufen rauchender Trümmer verwandelt; alle Vorräthe waren zerstört, selbst ein Pulvermagazin flog auf und tödtete den Chef der Artillerie, Oberst Soler, mit vielen Officieren und sechszig Mann. Laut forderten die Truppen, da keine Hülfe von außen her sichtbar wurde, gegen den Feind geführt zu werden, um in seinem Lager ihn anzugreifen. Da beschloß der zusammengerufene Kriegsrath, sich durchzuschlagen: in der ganz ruinirten Stadt länger zu bleiben hieß, ohne den geringsten Nutzen sich aufopfern. In der Nacht zum 29. Mai stürmte die Garnison, 2200 Mann stark, aus der Festung und warf sich auf die feindlichen Positionen; nach blutigem Kampfe, in dem 250 Mann abgeschnitten und gefangen wurden, ward sie von der Übermacht in die Stadt zurückgeworfen. Einzelne nur waren durch die Schluchten entkommen. Der Gouverneur verlangte zu capituliren, aber seine Bedingungen wurden zurückgewiesen, und das Bombardement begann von neuem. Am Morgen ergab sich die Besatzung, noch fast 1800 Mann stark, auf Discretion. Kein Flintenschuß war von der carlistischen Armee, die nach Catalonien sich zurückzog, auf die Belagerer abgefeuert, keine Bewegung zu Gunsten der Festung unternommen. So fiel Morella in die Gewalt der Christinos; der Krieg war beendigt. -- Am 29. Mai ward auch der Mariscal de Campo Don Domingo Forcadell getödtet, seit siebentehalb Jahren einer der thätigsten und einflußreichsten Anführer der Carlisten im östlichen Spanien, commandirender General von Valencia und Chef der Division dieser Provinz. Er traf bei Hervés mit einigen hundert Mann auf das Freicorps des Brigadiers Zurbano und starb im Kampfe der Verzweiflung. * * * * * Unsere Lage war sehr kritisch, da wir, nachdem Cabrera den Ebro überschritten hatte, im Innern der Halbinsel ganz isolirt standen, rings von drohenden Massen umgeben. Dazu ward die Desertion in unserm Rekruten-Bataillone von Cañete täglich größer, wiewohl der Fall von Morella nur den sechs oder sieben Chefs bekannt war, die wir an der Spitze unserer Republik standen, und es war zu fürchten, daß allgemeine Muthlosigkeit die Menge ergreifen würde, so wie die Nachricht von den Ereignissen des letzten Monats sich verbreitete. Schon wurde in unserm Rathe von Räumung der Festung gesprochen, die doch nur kurze Zeit dem Feinde trotzen könne; es ward beantragt, in die Gebirge uns zu werfen, um den kleinen Krieg fortzusetzen, wie ihn die Guerrillas der Carlisten im Anfange des Krieges so erfolgreich geführt. Dagegen protestirten Brusco und ich, da durch solch eine Maßregel bei dem Stande der Dinge bald nur noch Raubbanden bestehen würden, eine Geißel dem Lande und ohne Vortheil, ja zur Schande der Sache, welche wir vertheidigten. So weit würden wir nie uns erniedrigen. Wir verlangten, daß Cañete vertheidigt werde, da das Rühmlichste sei, bis zum letzten Augenblick auf dem anvertrauten Posten zu verharren und kämpfend ehrenvolle Bedingungen sich zu erzwingen, wenn Unterliegen zur Nothwendigkeit wurde. Dessen weigerten sich die Spanier fast alle, indem sie es für Wahnsinn hielten, in die Mauern sich einzuschließen und so ohne Nutzen und ohne Hoffnung muthwillig den Feinden sich auszuliefern. „~Al pinar, al pinar!~“ -- in das Waldgebirge! -- war ihr Losungsgeschrei. Dann schlugen wir vor, nach Frankreich uns durchzuschlagen, und erklärten, daß wir, im Fall die Festung zur Fortsetzung jenes kleinen Krieges abandonnirt werde, mit unsern beiden Compagnien allein den Versuch machen wollten, die Gränze zu erreichen, da es unsere Pflicht sei, unsere Leute nicht zu opfern, um etwas ganz Zweckloses zu unternehmen, was nur zu schimpflichstem Ende führen könnte. Nach sehr lebhafter Discussion wurde endlich mit Mühe der Beschluß durchgesetzt, ruhig zu bleiben, bis wir die Ansicht der andern mächtigeren Führer erfahren und mit ihnen über das Auszuführende uns verständigt hätten. Brusco ward demnach mit dem Capitain Echevarria nach Castiel Favib gesandt, um dort Palacios zu treffen, mit dem so eben drei Bataillone von Valencia nebst einigen Escadronen, vom Ebro abgedrängt, sich vereinigt hatten. Ich aber eilte nach Beteta, dessen Leitung ich Brusco abnahm, um sowohl dort das zur Vertheidigung Nöthige anzuordnen, falls diese beschlossen würde, als auch im entgegengesetzten Falle das Detachement Sappeurs, welches Brusco dort gelassen hatte, nach Cañete oder zur Vereinigung mit dem Corps zu führen und zugleich die Absichten Valmaseda’s zu sondiren, das Schwierigste von Allem bei dem Charakter dieses Chefs. Ehe ich abreisete, hatte ich die Genugthuung, zu der Rettung einer werthen Familie, der ich mannigfach verpflichtet war, beitragen zu können. Vielleicht erinnert sich der Leser, daß, als ich im Jahre 1838 schwer verwundet ein Gefangener in Cuenca mich befand, ein junges Mädchen mit ihrer Mutter im Hospitale mich besuchte und tausend kleine Annehmlichkeiten mir verschaffte. Die enthusiastisch royalistische Familie hatte dort manche Unbilde und Beschimpfung zu ertragen, da sie, wo Carlisten ihrer Hülfe bedurften, furchtlos jedes Opfer mit Freude brachte, und selbst die kleine Paquita, unter dem Namen ~la hermosa facciosa~ -- die schöne Rebellinn -- bekannt, ward durch ihre Reize nicht immer gegen die Insulte der Freiheitsmänner geschützt. Bei meiner Ankunft in Cañete ward ich von meinem alten Cameraden Echevarria fast mit Gewalt bei einer Familie eingeführt, die mich kennen und mit höchstem Interesse nach mir geforscht haben sollte. Meine Überraschung und meine Freude waren gleich groß, als ich, in das niedrige Häuschen tretend, von der herrlich aufgeblühten Paquita Cantero, nicht weniger überrascht, mich empfangen sah. Ihre Eltern waren in Folge von Espartero’s Austreibungs-Gesetz gezwungen, Cuenca zu verlassen, nachdem ihr ganzes Vermögen confiscirt war; kaum hatten sie durch List eine kleine Summe für die ersten Bedürfnisse gerettet. Ich brachte seitdem, so oft ich in Cañete war, die angenehmsten Stunden in der Gesellschaft dieser Familie zu, welche, wie zurückgezogen sie sonst auch lebte, mich ganz als Sohn vom Hause behandelte. Paquita, als das reizendste Mädchen der Gegend gerühmt, war so anspruchslos wie liebenswürdig, und nie erschien sie einnehmender, als wenn sie, die an jede Bequemlichkeit und Eleganz der höheren Stände Gewöhnte, lachend die häuslichen Geschäfte versah, welche die Verhältnisse jetzt ihr auferlegten, und die ihre Mutter, eine wohlwollende alte Dame, stolz auf die schöne Tochter, umsonst scheltend ihr abnehmen wollte. In den ersten Tagen des Juni bekam der alte Herr, eben so exaltirter Royalist, als biederer, braver Mann, die Nachricht, daß mächtige Freunde es dahin gebracht hatten, das gegen ihn erlassene Verbannungs-Edict aufzuheben, weshalb er nach Cuenca zurückkehren und den Besitz des confiscirten Vermögens wieder antreten sollte. Er überreichte mir den Brief, mit verächtlichem Lächeln hinzufügend, daß die Christinos sehr sich irrten, wenn sie glaubten, daß er um der Güter willen seine Carlisten verlassen und neuen Insulten sich aussetzen werde. Ich erschrack. Der Gedanke an das unglückliche Loos, welches der Familie harrte, hatte mich oftmals schmerzlich beschäftigt, ohne daß ich ein Mittel zu seiner Abwendung hätte ausfinden können; und nun wies der Arme halsstarrig selbst die helfende Hand zurück, welche gütig die Vorsehung bot! Er freilich ahnete nicht die Hoffnungslosigkeit unserer Lage, die, wie gesagt, nur Einzelnen, den Leitern, ganz klar war. Er schmeichelte sich mit der Idee, daß die jetzige Bedrängniß, wie so viele andere, vorübergehen, daß Morella, das uneinnehmbare nach der Meinung der Menge, auch dieses Mal siegreich widerstehen und Cabrera dann von neuem nach Castilien vordringen, das triumphirende Ende des Krieges rasch erkämpfen werde. Solche waren bis zur entscheidenden Stunde die Träume fast aller Carlisten, selbst vieler höher stehenden Männer; alle ließen sich fortwährend blenden und durch die ungereimtesten Hoffnungen täuschen. So ward während des Winters allgemein erzählt, daß eine russische Armee durch Frankreich zu Hülfe komme, daß Sardinien eine Flotte senden werde, um an der Küste gegen die Christinos zu operiren, ja endlich hieß es, daß der Prinz von Asturias mit einem französischen Heere die Gränze überschreite, um Espartero im Rücken anzugreifen. Tausend und aber tausend abgeschmackte Gerüchte wurden unter Volk und Truppen verbreitet und mit Begierde aufgenommen. Auch die Religion ward zu Hülfe gerufen, um das Vertrauen aufrecht zu erhalten. Dort war die heilige Jungfrau Officieren der revolutionairen Armee erschienen und hatte den nahen Untergang derselben und den Triumph der Vertheidiger des Altares verkündet; dort hatte ein Bauer, als Heiliger verehrt, Heil zusagende Offenbarungen, und Wunder wurden häufig -- von entfernten Orten her -- gemeldet. Zu Ehren der reinen Jungfrau der Schmerzen aber, welche die ersehnte Hülfe bringen sollte, wurde im ganzen carlistischen Gebiete viertägiger feierlicher Gottesdienst angeordnet, weshalb auch wir in Cañete, brennende Wachsstöcke in den Händen, große Processionen der Generalordre gemäß abhielten. Mit der Mehrzahl hegte auch Don Remigio noch immer jene Hoffnungen und war demnach taub für alle Gründe, durch die ich zur Heimreise nach Cuenca ihn zu bewegen suchte. Er wolle kämpfen und siegen mit den Carlisten; auch er wisse ein Gewehr zu handhaben, um zur Vertheidigung der Festung mitzuwirken, und wo ich aushalte, da werde auch er auszuhalten wissen, war seine stolze Antwort. Umsonst wies ich auf die hülflosen Damen ihn hin. Sie möchten für den Augenblick dulden, bald werde der Sieg alles Verlorene reichlich ihnen ersetzen. Da schwankte ich nicht länger. Die Sache, welche ich vertheidigte, war unrettbar verloren, ihr konnte durch das Unglück einer edlen Familie nicht geholfen, selbst nicht im Geringsten genützt werden; ich wäre ein Wicht gewesen, wenn ich aus Rücksicht auf meine Sicherheit -- jeder Officier, der unbefugt entmuthigende Nachrichten mittheilte, war zu augenblicklichem Tode verurtheilt, und unter den Carlisten wurde selten eine Drohung zum Scherz ausgesprochen -- wenn ich deshalb schwieg und dadurch den getäuschten Greis und die Seinen, denen ich so vielfach verpflichtet war, ins Elend sich stürzen ließ. Ich führte Don Remigio zur Seite und sprach offen mit ihm über unsere Verhältnisse, ich schilderte unsere Lage und sagte ihm endlich, daß Morella erobert sei, daß Cabrera mit den Trümmern des Heeres den Ebro passirt habe. Der Arme war niedergeschmettert bei so furchtbarer Kunde und lange für Alles unempfindlich. Dann zeigte ich ihm, daß, wenn es meine Pflicht sei, als Soldat auf dem mir anvertrauten Posten auszuharren und jede Rücksicht aus den Augen zu setzen, so lange Widerstand möglich blieb, er als Privatmann und Familienvater eine andere Pflicht habe, die, für das Beste der Seinen nach Kräften zu sorgen; daß er also, da unsere Parthei für jetzt hoffnungslos vernichtet und seine fernere Aufopferung ihr ganz ohne Nutzen war, die dargebotene Gelegenheit, um seine Familie aus dem Strudel zu retten, nicht dürfe entschlüpfen lassen. Und was sollte aus den Frauen, aus seiner Tochter werden, wenn sie in die belagerte Festung sich einschlossen! Was, wenn sie mit den Soldaten in das wilde Banditenleben der Guerrilleros geschleudert wurden! Lange, lange stand der alte Herr unbeweglich da, in schmerzliches Nachdenken versunken; dann umarmte er mich, einen wahren Freund mich nennend, wie er unter seinen Landsleuten nicht ihn gefunden habe. Am Tage vor meinen Abmarsche nach Beteta reisete er und seine Familie nach Cuenca zurück, Glück und Segen mir wünschend, als ich mit den Sappeurs, mit denen ich bis eine Stunde vor dem nächsten feindlichen Fort ihn geleitet hatte, zurückzukehren genöthigt war. -- Mit erleichtertem Herzen sah ich der Zukunft entgegen. * * * * * Am 9. Juni spät Abends langte ich in Beteta -- Provinz Guadalajara -- an, nachdem ich, nebst meinen Bedienten und einer Ordonnanz nur von zehn Pferden begleitet, dreißig Stunden mit weniger Unterbrechung marschirt war. Da eine feindliche Colonne jede Verbindung auf der geraden Linie unterbrach, hatte ich mehrfach Umwege einschlagen müssen und war kaum den drohenden Gefahren entgangen. Das Terrain war übrigens im Allgemeinen hügelig mit weiten, fruchtbaren Thälern; nur in der Mitte etwa zwischen den beiden Festungen durchkreuzten wir drei bis vier Stunden lang die rauhen, mit Nadelholz bedeckten Schluchten und Rücken der Sierra de Cuenca. Valmaseda war in den ersten Tagen des Monates mit seinen Escadronen und fast der ganzen bewaffneten Infanterie in das Innere von Castilien vorgedrungen, wo er Soria durchzog und selbst bis nahe vor Burgos, Schrecken verbreitend, gelangte. Er befestigte rasch die herrliche Stellung von Carazo auf einem hohen Felsenplateau in letzterer Provinz, nicht fern vom Duero, während er verwüstend mehrere bedeutende Städte besetzte und selbst seine Vaterstadt, deren Einwohner als sehr liberal gesinnt bekannt waren, fast ganz niederbrannte, mit seinem eigenen Hause anfangend. Oberst Mondediu aber, sein Stellvertreter, wußte nicht, was er für Maßregeln ergreifen sollte, da er nur über etwa hundert und funfzig Mann Bewaffneter und die unbewaffnete Hälfte des Bataillons ~fidelidad al Rey~ nebst einigen Pferden disponirte; er wollte sich dem anschließen, was die übrigen Chefs entscheiden würden. Das romantische Castell, welches, auf den Ruinen eines maurischen Schlosses aufgeführt, hoch die Stadt überragte, fand ich in einem traurigen Zustande. Seit Brusco’s Abreise hatte der Gouverneur, in Fortification eben so unwissend, wie eigennützig und erpresserisch in der Verwaltung, Alles gethan, was ihm gut dünkte, da Valmaseda den dort befindlichen Lieutenant ~du genie~ mit sich nach Castilien genommen hatte, dieser auch in seiner untergeordneten Stellung zu schwach war, um vorher den Ansinnen jenes Chefs fest sich entgegenzustellen. In wenigen Tagen war so viel Unnützes und offenbar Nachtheiliges gethan, so viel Nothwendiges unterlassen, daß ich mich weigern mußte, die Fortführung der Arbeiten und die eventuelle Vertheidigung zu übernehmen: wie hätte ich unter so drohenden Verhältnissen solcher Verantwortlichkeit mich unterziehen sollen! Der Plan des Castells war übrigens höchst angemessen; aber durch Nichtvollendung des Begonnenen stand der Eingang in die Werke dem Feinde fast ganz offen, auch waren sie nur mit einem kleinen Mörser versehen, indem Valmaseda die übrige Artillerie fortgeführt hatte. Die Fabriken waren im besten Gange, eine Pulvermühle war nach dem Auffliegen der ersten mit überraschender Thätigkeit neu etablirt, und in eben jenen Tagen sollte das erste grobe Geschütz, ein Achtzehnpfünder, gegossen werden, was jedoch durch die reißend schnell sich drängenden Ereignisse verhindert wurde. Schon war ich im Begriff, trotz den Bitten Mondediu’s mit meinen Sappeurs nach Cañete aufzubrechen, als am 12. Juni Abends ein Schreiben von Palacios aus dem nahen Peralejos anlangte, durch das er die Chefs zu einem Kriegsrathe einlud. Er erklärte uns, daß er sich entschlossen habe, mit den Truppen, welche er vereinigen konnte, nach Frankreich sich durchzuschlagen, und forderte uns demnach auf, wenn wir gleiche Absicht hätten, uns ihm anzuschließen; Brigadier Arévalo stehe mit einigen Bataillonen ein paar Meilen entfernt und werde gleichfalls mitziehen. Auf meine Frage nach der Besatzung von Cañete erwiederte er, daß sie noch erwartet werde. -- Wir stimmten vollkommen mit dem vorgeschlagenen Plane überein und kehrten deshalb in der Nacht nach Beteta zurück, die Vorbereitungen zu treffen. Am folgenden Morgen bot das Städtchen ein Schauspiel der unsäglichsten Verwirrung dar. Überall wurden Befehle, oft sich widersprechend, ertheilt und häufig nicht ausgeführt, Munitionen wurden den Truppen gegeben, Saumthiere jeder Art, mit ungeheuren Ballen der verschiedenartigsten Effecten beladen, sperrten die Straßen, die Magazine wurden geöffnet, und Jedermann erhielt Erlaubniß, so Viel zu nehmen, als er fortbringen könne. Frauen und Kinder liefen schreiend durch die Soldatenhaufen, welche bald die Llamada zum Sammelplatze rief, und die Einwohner schauten, in Gruppen vor den Thüren versammelt, stumm und niedergeschlagen dem wilden Treiben zu, während in den Mienen der Freiwilligen finsterer Trotz sich malte. Die Absicht, das Fort zu abandoniren, war klar; aber den Plan, nach Frankreich durchzudringen, verschwiegen die Chefs, so wie die unglücklichen Ereignisse der letzten Wochen, und machten die Truppen glauben, daß Depeschen von Valmaseda uns nach Castilien riefen. Um Mittag zog endlich Oberst Mondediu mit seinen Truppen ab, eine Stunde später folgte ich mit den Sappeurs und die Mitglieder der Junta de Govierno mit ihrer Bedeckung, den Nachtrab sollte die eigentliche Garnison des Castells bilden, welches der Gouverneur bei seinem Abzuge in die Luft zu sprengen Ordre erhielt. Ehe er dieses aber ins Werk gesetzt, langte Brigadier Palacios an und befahl ihm, mit der Compagnie im Castell zu bleiben, da ein Mißverständniß obwalte: die Truppen würden nur eine kurze Expedition gegen eine feindliche Colonne machen und alsbald wiederkehren. Wir übernachteten in dem vier Leguas entfernten Zahorejas, wo Palacios mit drei Bataillonen und fünf Escadronen mit uns sich vereinigte. Früh Morgens am 14. Juni setzten wir den Marsch nach der Provinz Soria hin fort und rasteten in dem zwei Leguas entfernten Villar de Coveta; dort erwartete uns Mondediu mit seinen unbewaffneten Compagnien, Arévalo aber war zugleich mit drei Bataillonen und vier Escadronen in dem eine halbe Stunde entfernten Coveta eingetroffen. -- Drei Bataillone und zwei Escadrone von Valencia hatten sich, von Cabrera’s Armee abgeschnitten, nach Castilien gezogen, wo schon, wie erwähnt, fünf Escadrone von Aragon angelangt waren, so daß sich dort eine Colonne von sieben Bataillonen und neun Escadronen, 4200 Mann Infanterie und über 700 Pferde, unter Arévalo und Palacios vereinigte. -- Nachdem die Truppen bis gegen Abend geruht hatten, sollte dann während der Nacht die Heerstraße von Madrid nach Zaragoza, auf der am Tage vorher die Königinn Wittwe mit ihren Töchtern nach dieser Stadt gereiset war,[120] so wie die von Ziguenza in jene einmündende Chaussee passirt werden, worauf wir bald mit Valmaseda, der zweihundert Reiter und ein halbes Bataillon commandirte, uns zu vereinigen und den Durchzug durch Navarra nach der Gränze zu erzwingen hofften. Der Wunsch, mit Brusco und den Meinen vereint zu sein, trieb mich nach Coveta, wo ich mit Arévalo’s Colonne sie zu finden hoffte. Wie groß war mein Staunen, mein Schrecken, da ich erfuhr, sie seien nicht dort, und von Arévalo auf meine Frage hörte, die Garnison von Cañete sei zurückgeblieben, damit nicht die ganze Macht des Feindes sofort auf die Abziehenden sich werfe! Ich flog wieder nach dem Villar, wo denn Palacios nach dringendem Forschen mir endlich erklärte, daß der Gouverneur jener Festung von dem Beabsichtigten gar nicht in Kenntniß gesetzt sei. Mein Unwille bei solcher Eröffnung ist leicht zu begreifen; auf die niedrigste Art waren ja die Unglücklichen von ihren Gefährten verlassen, deren Rückzug sie durch die eigene Vernichtung sichern sollten. Augenscheinlich hatte der Umstand, daß die Mannschaft des Obersten Gil zum Theil unbewaffnet war, viel zu Palacios’ Entschluß beigetragen. Als ich ihm nun sagte, daß ich nie meine Cameraden auf solche Art verlassen würde, auch durch meine Pflicht, so lange Cañete besetzt sei, dorthin gerufen werde, antwortete er achselzuckend mit dem spanischen Sprichworte, daß die Freundschaft aufhöre, wo es sich um den Hals handele. Übrigens stehe ich nicht unter seinen Befehlen und werde daher thun, was mir beliebe, wiewohl er mich warne, da die Folgen vorauszusehen seien und ich vielleicht doch nicht mehr nach Cañete gelangen könne. Ich leugne nicht, daß ich schwankte und lange ungewiß blieb, was ich wählen, welcher Stimme ich gehorchen sollte. Wohl wünschte ich da, in abhängiger Stellung zu sein und den Befehlen eines Chefs gehorchen zu müssen, unbekümmert, was sie geböten. Als spät am Nachmittage die Hörner zum Marsche bliesen und bald die Bataillone langsam aufbrachen, den unermeßlichen Haufen der Bagage mit Weibern, Kindern und Kranken in die Mitte nehmend; als dann auch die Cavallerie ihr folgte und endlich die letzte Escadron in ernstem Schweigen den Zug schloß: -- ja, da ward mir unendlich beklemmt und wehmuthsvoll ums Herz, es drängte mich, den Abziehenden mich anzuschließen und mit ihnen der rettenden Gränze zuzueilen. Einzelne Bekannte hatten erstaunt mich dastehen gesehen und meine Absicht zu bleiben lebhaft bekämpft, und die Sappeurs, welche hinter mir aufmarschirt die Entscheidung erwarteten, murrten laut und lauter, daß ja doch schon Alles verloren sei, und daß sie sich nicht opfern würden. Vor mir lag die Hoffnung, rasch aus dem Kriege zu scheiden, der unter den obwaltenden Verhältnissen mich nicht mehr anziehen konnte, die Hoffnung, dieses Spanien zu verlassen, wonach ich so lange glühend mich sehnte, und in das Leben der civilisirten Welt zurückzutreten; und dann, was nützte mein Bleiben? Hinter mir sah ich nur Elend und unvermeidlichen Untergang, schnellen Tod oder im glücklichsten Falle -- und da war die Wahl nicht leicht -- die furchtbare, so bitter empfundene Gefangenschaft. Aber dort standen die Gefährten verlassen in der Mitte der übermächtigen Feinde, die bereit waren, sich auf sie zu stürzen, um der Beute sich zu versichern; sollte ich nicht ihr Loos theilen, wie schwer es auch sein möge? Dorthin rief mich vor Allem die Pflicht. Von dem mir anvertrauten Posten durfte ich nicht feige fliehen, so lange die Unseren zur Vertheidigung ihn inne hielten, ich wollte, ich konnte nicht aus dem Kampfe, den ich mit Stolz Jahre lang gefochten, scheiden, indem ich, die eigene Rettung zu fördern, meine Untergebenen dem drohenden Schicksal überließ. Wäre dieses das ehrenvolle Ende, welches, da Verrath den Sieg uns entrissen, das höchste Ziel meiner Wünsche geworden war? Der Kampf war sehr, sehr hart, doch die bessere Stimme siegte. Das Murren der Sappeurs rief mich zuerst zur gewohnten Energie zurück. Nachdem ich ihnen geschworen, daß ich einen Jeden, der ferner ein subordinationswidriges Wort äußere, auf der Stelle werde niederschießen lassen, und zugleich kurz die Beweggründe zur Vereinigung mit den Cameraden angegeben hatte, schlug ich an ihrer Spitze den Weg nach Beteta ein, einen letzten trauernden Blick den schon im Gebirge sich verlierenden Colonnen zuwerfend. -- Meine Sappeurs aber, wiewohl sie schwiegen, zeigten eine Unruhe, eine Muthlosigkeit, die mir deutlich sagten, daß ich nicht mehr auf sie bauen dürfe. Wie konnte ich von den Burschen Anderes erwarten? [120] Daher behaupteten die Christinos, daß Palacios diese Fürstinnen habe aufheben wollen, was gänzlich falsch ist. XXXIX. Am Morgen des 15. Juni befand ich mich wieder in Beteta, nachdem ich während der Nacht im Walde bivouakirt hatte. Ich fand das Städtchen traurig verwüstet, da auf die Nachricht von dem Abzuge der Garnison einige hundert Christinos herzugeeilt waren, um die Festung in Besitz zu nehmen; sie hatten in der Stadt die gräulichsten Excesse ausgeübt und sich dann zurückzogen, da sie ihren Versuch zur Überrumpelung mit Verlust von eilf Mann kräftig abgewiesen sahen. Der kleine Mörser, als die Werke gesprengt werden sollten, den Felsen hinab in eine tiefe Schlucht gestürzt, lag bei diesem Besuche der Feinde noch dort, so daß die Besatzung ihnen die Bomben in das Städtchen nur hinabrollen konnte. Erst nach ihrem Abzuge wurde der Mörser wieder hinaufgeschafft. Ich traf dort einen Obersten von der Junta, der mit einigen Officieren schon von Zahorejas zurückgekehrt war, um das Commando der Provinz zu übernehmen. Auf seine Anfrage setzte ich ihm auseinander, daß das Castell einem regelmäßigen Angriffe nicht vier und zwanzig Stunden widerstehen könne. Er stutzte, beschloß aber doch dort zu bleiben; seine Absicht dabei konnte ich nicht wohl begreifen, da er nur achtzig Mann im Castell hatte, die er durch Austheilung von Geld und doppelte Rationen Wein bei gutem Muth zu erhalten suchte. Vier Tage später hatten die Christinos Beteta genommen und die Garnison gefangen gemacht. Der Oberst wurde auf der Flucht getödtet. Am Nachmittage setzte ich den Marsch fort, indem ich mit einem Umwege von mehr als zwölf Leguas auf Checa, eine nicht unbedeutende Stadt in Aragon, mich dirigirte, da der Feind mit Sicherheit auf dem geraden Wege vorausgesetzt werden mußte. Von dort wollte ich dann nach Süden mich richten und die Sierra de Albarracin übersteigen, wodurch ich bis nahe Cañete mich stets in sehr schroffem Gebirge befand. Als ich von Palacios’ Colonne mich trennte, bestand mein Detachement aus einem Sergeanten und acht und zwanzig Sappeurs nebst zwei Bedienten und einer Ordonnanz. Bei meiner Ankunft in Beteta zählte ich nur noch siebenzehn Mann, und während des Nachtmarsches nach Checa verschwanden wiederum acht, denen, während wir dort frühstückten, der Sergeant mit zwei Corporalen folgte. Wir näherten uns der Provinz el Albarracin, aus der die Mehrzahl der in unsern Compagnien stehenden Sappeurs gebürtig war, weshalb sie, von Muthlosigkeit ergriffen, die doppelt günstige Gelegenheit zu benutzen eilten, um durch die Rückkehr zum väterlichen Hause den Gefahren sich zu entziehen, welche in Cañete ihrer warteten. Das Landvolk erzählte ihnen überall, wie ich später erfuhr, daß sie die Festung schon nicht mehr erreichen würden und gewissem Tode entgegengingen. Als ich gegen Abend in Griegos Halt machte, um zu futtern, war ich nur noch von den beiden Bedienten und der Ordonnanz begleitet; auf sie konnte ich sicher vertrauen, da sie mir ganz ergeben waren. Manuel hatte ja hundertfachen Gefahren getrotzt, um von Morella mir zu folgen, er zeigte sich stets als treuen, redlichsten Menschen und hing mit wahrer Liebe an mir, Marco aber, der Deserteur, den ich nicht lange vorher von der Todesstrafe befreite, flog jeden Wunsch zu erfüllen, ehe ich ihn auszusprechen Zeit hatte, während die Ordonnanz, welche seit meiner Ankunft in Castilien mit mir war, gleichfalls sich bewährt hatte. Bei Sonnenuntergang brach ich auf, um den höchsten Punkt des wilden, aber fruchtbaren Gebirges zu ersteigen, das westlich vom Albarracin bis zur Sierra de Cuenca sich erstreckt und die Quellen von vier bedeutenden Flüssen dicht neben einander enthält; dann konnte ich Cañete leicht am folgenden Mittage erreichen. Die Führer betraten so eben den Saum eines dichten Waldes, als Marco, der hinter mir meine beiden Maulthiere führte, mir zurief, daß Manuel und die Ordonnanz noch zurück wären. Ich hielt das Pferd an, sie zu erwarten: Niemand erschien; ich befahl Marco, laut zu rufen: keine Antwort erfolgte. Von düsterer Ahnung ergriffen ließ ich das Gepäck ihn untersuchen; mit einem Fluche rief er aus, daß ihre Tornister fehlten. -- Auch sie waren davon gegangen! Der Schlag traf mich hart, da ich Alles, nur das nicht, erwartet hatte. Das Gefühl der bitter schmerzlichen Enttäuschung preßte gewaltsam die Brust mir zusammen; ich seufzete tief. Die Sappeurs hatte ich einen nach dem andern verschwinden sehen, ohne daß es mir mehr, als ein augenblickliches, verächtliches Lächeln entlockt hätte, während ich so ruhig blieb, als wäre Nichts geschehen, da ich von ihnen ja nichts Anderes hoffen durfte. Aber mein Manuel! Auch er verließ mich! Das erschütterte mich. Mit dumpfer Stimme wandte ich mich zu Marco: „So gehe Du auch hin, wenn Du willst; ich werde allein mich durchschlagen.“ Doch der wackere Bursche antwortete ernst: „Nein, Herr, wohin Sie gehen, dahin gehe ich -- bis zur Hölle.“ Gerührt drückte ich ihm die Hand und setzte freudiger den Marsch fort, tief nachsinnend über so Manches, was mich bewegte. * * * * * In der Masada la Fuente de Garcia, zwanzig Schritt von der Quelle des Tajo, wo ich neue Führer nehmen sollte, fand ich nur Weiber, weshalb ich bis zum Morgen dort ruhen mußte. Bald berichtete mir, als ich dann gen Süden von der Sierra hinabstieg, ein Bauer, daß er am Abend vorher in Salvacañete die Colonne des Generals Aspiroz gesehen habe, welche, 6000 Mann stark, zur Belagerung des nur drei Stunden von dort entfernten Cañete zog. Ich beschleunigte den Schritt, entschlossen, Alles zu wagen, um in die bedrohete Festung zu gelangen. Auf entlegenen Fußsteigen durch das steilste Gebirge ziehend, hoffte ich, entweder die Stadt noch nicht eingeschlossen zu finden, oder sonst bei Nacht mit Hülfe meiner genauen Kenntniß des Terrains mich durchschleichen zu können. Um Mittag ward die Hitze in den Schluchten entsetzlich drückend, da die Felswände rings die Gluthstrahlen der Sonne zurückwarfen. Wir machten in einer kleinen Masada, die tief in einem engen Thale versteckt lag, Halt, und die Wirthinn bereitete schnell aus den reichlich mitgebrachten Vorräthen und einigen Forellen des nahen Flüßchens ein wohlschmeckendes Mahl. Die Familie so wie die Führer aßen tüchtig mit, da ja Überfluß vorhanden war, und während dann der Bauer, welcher das Gepräge der herzlichsten Biederkeit in den offenen Mienen trug, in Ablösung eines andern Führers mit mir kam, blieb sein Weib überglücklich zurück, da ich einen Schinken ihr geben ließ. Seit Jahren hatten die Armen nur Kartoffeln und Forellen gegessen, zu denen ihnen oft selbst das Öl fehlte; die unerschwinglichen Contributionen nahmen ihnen Alles. Da wir nur noch zwei bis drei Stunden von Cañete entfernt waren, hatte ich zugleich die Bagage umpacken und ein Mantelsäckchen mit den wichtigsten Effecten nebst meinem und Marco’s Mänteln lose oben auf die Lasten placiren lassen, indem ich Jedermann anwies, im Fall des Zusammentreffens mit dem Feinde, da an Widerstand nicht zu denken war, diese auf die Schultern zu nehmen und zu retten. Getrost zogen wir dann den schmalen Fußsteig hinauf. Eine kleine halbe Stunde mochten wir marschirt sein, als der vorausgesandte Bauer eiligen Laufes die Nachricht brachte, daß in dem Thale, zu dem wir gerade hinabstiegen, hie und da Soldaten sichtbar wurden. Ich berieth mit ihm über die zu ergreifenden Maßregeln, als einige Flintenschüsse aus nahem Gebüsch zu unserer Rechten uns aufschreckten; die Kugeln schlugen zwischen und um uns nieder, Steinsplittern über uns ausschüttend. Im nächsten Augenblick ertönte eine zweite stärkere Salve gegenüber, und dicht umschwirrten uns die Geschosse, während eins der Maulthiere verwundet zusammenstürzte. Hunderte von Christinos erschienen mit wildem Geschrei auf dem nur durch eine unbedeutende Schlucht von uns getrennten Berge und suchten raschen Laufes uns abzuschneiden. Die Gefahr war dringend. Ich sprang vom Pferde, welches auf dem steilen Felswege nur langsam vorwärts konnte, und schrie den Führern zu, das Gepäck zu ergreifen und zu fliehen; sie aber standen zitternd und riefen mit der Stimme des Entsetzens: „~por Dios, misericordia~!“ Nur der brave Bauer zagte nicht. Er und Marco ergriffen die ihnen bezeichneten Effecten, während ich des Letzteren Gewehr nahm und abfeuerte, worauf wir, Pferde, Maulthiere und Führer zurücklassend, den Berg hinauf flogen, weithin von den Kugeln der Feinde verfolgt. Nach halbstündigem, furchtbar erschöpfendem Laufe, bei dem wir fortwährend die Gewehre der Christinos blitzen sahen und ihr Geschrei zur Rechten und zur Linken hörten, barg uns der Bauer in einer Waldung auf einem isolirten Berggipfel, an dessen Fuße seine Masada lag. Er eilte dann davon, uns Wasser zu bringen, da wir vom glühendsten Durste verzehrt wurden, und Nachrichten über die feindlichen Truppen einzuziehen. Auf Alles gefaßt lud ich das Gewehr; vertheidigungslos wollte ich uns nicht schlachten lassen. Schrecklich war meine Lage, aber zu meiner Freude fühlte ich mich vollkommen ruhig und besonnen; nachdem ich auf der Charte der Provinz, die ich wenige Tage vorher von Madrid erhalten, mich orientirt hatte, gedachte ich der Heimath und so vieler Lieben in ihr, und mancher glückliche Tag, der mit ihnen mir geworden, schwebte wieder dem Geiste vor.[121] Wenn sie sähen, wie ich jetzt hülflos von drohender Gefahr rings umgeben bin! Da lag ich, den treuen Marco neben mir, unter einem dichten Busche versteckt, jeden Augenblick das Furchtbarste, die Entdeckung, fürchtend, und Marco, so ganz kindlich wie immer, fragte leise: „~nos mataran, Señor?~“ -- werden sie uns todtschießen? -- „Noch haben sie uns nicht“ war der einzige Trost, den ich dem Armen bieten konnte. Weit unter uns aber sahen wir nach allen Seiten hin Haufen von Christinos die Thäler und Schluchten durchziehen, häufig auch einzelne Höhen ersteigen und forschend umherspähen. Bald wandte sich auch eine Schaar nach unserer Masada, und plötzlich funkelten auf einem nahen Felsberge uns gegenüber Waffen und Uniformen, daß wir, den Blicken ganz bloßgestellt, auf dem Bauche uns fortschiebend hinter einen andern, mehr sichernden Busch uns verstecken mußten. Da ward nicht fern von uns ein Rascheln im Holze hörbar -- war es unser Bauer oder nahten die suchenden Feinde, uns zu verderben? Ich griff zum Gewehre und richtete mich halb auf, den Hahn spannend. Marco schlummerte sanft -- wozu ihn wecken: wir hatten ja nur eine Waffe! Näher und näher kam das Geräusch, bald rechts, bald links schweifend; das gierig horchende Ohr faßte jeden Laut auf, während die Augen starr auf das Gebüsch geheftet waren, welches schon sich bewegte. Ein Hündchen sprang hinter ihm hervor, und eine weibliche Gestalt folgte demselben, ihre Freude ausdrückend, daß sie endlich uns gefunden habe. Das Weib unsers Retters brachte den ersehnten Labetrunk, so wie einfache, aber willkommene Speise. Sie berichtete, daß die Negros, welche von Cañete, das die Besatzung geräumt habe, ausgezogen seien, überall nach mir suchten, weil sie glaubten, der fortgebrachte Mantelsack müsse Geld enthalten. Auch in ihrer Hütte wären sie gewesen und hätten ihrem Manne, den sie sofort erkannt, mit wilden Drohungen hart zugesetzt; er hätte sie aber auf eine falsche Fährte gebracht. -- Rasch verließ sie uns, keinen Verdacht zu erregen, und ließ mich in neue, peinliche Unruhe versenkt: Cañete war geräumt! Da seufzte ich wohl schwer unter den mannigfachen Gefühlen, welche die Nachricht in mir erregen mußte. Und dann unser Bauer. -- Von seiner Redlichkeit hing unser Leben ab. Endlich brach die Dunkelheit an. Jede Stunde war zur Ewigkeit geworden, da wir mit Ungeduld die schirmende Nacht herbeiwünschten, von Minute zu Minute wieder zur Sonne blickend und mit Sorge den Raum messend, den sie noch zu durchlaufen hatte. Bald erschien auch unser Retter, mit einem Ausrufe der Freude begrüßt. Er bestätigte die Aussagen seines Weibes: die Garnison von Cañete hatte während der Nacht, da sie die Nachricht von dem Abmarsche der Division unter Palacios erhalten, die Festung geräumt, als das Belagerungscorps nur eine Stunde entfernt war. Sie sah sich von den eigenen Gefährten verlassen, geopfert, Hülfe war nicht möglich, und die Vertheidigung der Stadt, während sie der Sache nicht nutzte, mußte unabwendbares Verderben über die Truppen bringen. So hielt es Oberst Gil für Pflicht, sie wo möglich zu retten, keinen Falls aber ganz ohne ferneren Zweck sie der Vernichtung preis zu geben. Daher warf er sich in das Gebirge und schlug den Weg nach Beteta ein, um mit der dortigen Besatzung sich zu vereinigen und gleichfalls der Gränze zuzueilen. Die Truppen der Feinde, die von Cañete entsendet waren, um etwaige Versprengte und Flüchtlinge aufzufangen, waren beim Anbruche der Nacht der Sicherheit wegen dorthin zurückgekehrt, so daß nun das Terrain frei war. Ich verhehlte mir nicht, wie wenig ich zu hoffen hatte: die Marschrichtung der Garnison ließ mir gar keine Aussicht, mich ihr anzuschließen, so daß Tod oder Gefangenschaft unvermeidlich wurde. Während der Nacht zog ich dem höheren Gebirge zu, in welchem ich am folgenden Morgen viele zerstreute Soldaten von dem Rekruten-Bataillone antraf. Sie sagten aus, daß die Colonne von Cuenca unter Balboa am Nachmittage der Garnison entgegengekommen sei, sie bei Tragacete geworfen und zum Theil auseinander gesprengt habe; der Rest, kaum 800 Mann, hatte sich den Quellen der Flüsse zugewandt. So suchte ich denn möglichst rasch dorthin zurückzukehren. Mein wackerer Marco folgte mir überall willig, aber jeder Versuch, auch nur Einen der übrigen Soldaten, die augenscheinlich von panischem Schrecken ergriffen waren, zum Umkehren zu bewegen, war fruchtlos; der Krieg war beendet, sie zogen ihrer Heimath zu. Da traf ich einige Officiere, dann dichte Haufen Freiwilliger von allen Waffengattungen, endlich selbst einen Theil meiner Sappeurs, eiligen Schrittes und mit finsterem Antlitze durch die Thäler sich zerstreuend. Der niederschlagende, nur zu wahre Bericht Aller war derselbe: Oberst Gil hatte, da er vergeblich gestrebt, nach Frankreich sich Bahn zu brechen, und rings umstellt von feindlichen Colonnen, den nutzlosen Kampf aufgegeben. Er vereinigte seine Truppen und erklärte ihnen, daß sie, von den Gefährten verlassen und ganz isolirt in der Mitte der Christinos, im Widerstande keine Rettung hoffen durften; er entband sie daher ihrer Pflicht als Soldaten im Dienste des Königs und forderte sie auf, ein Jeder für die eigene Sicherheit zu sorgen und, so gut er könne, dem väterlichen Hause zuzueilen. Oberst Gil mit mehreren der angesehensten Officiere war nach Cuenca gegangen, um dort dem Feinde sich zu ergeben, Brusco aber hatte sich auf Zaragoza gewendet, wo er als Fremder Paß nach Frankreich zu erlangen hoffte. Die übrigen Officiere hatten sich, wie die Soldaten, nach allen Seiten hin zerstreut. * * * * * So war denn Alles vorbei. -- Blutenden Herzens zog ich nach Royuela, Marco’s Dorfe, und blieb dort noch einen Tag in dem Hause des Pfarrers versteckt, den ich von einem meiner Streifzüge her als redlichen Mann kannte. Der Bruder desselben überbrachte dem Gouverneur der feindlichen Festung Teruel ein Schreiben, in welchem ich mich bereit zeigte, die Waffen niederzulegen, wenn mir der Paß nach der Gränze zugestanden werde. Da ich unverzüglich vom Gouverneur die Antwort bekam, daß er Befehl habe, einen jeden Carlisten, der freiwillig die Waffen niederlege, nach seinem Geburtsorte zu entlassen, weshalb ich ohne Besorgniß kommen möge, den Paß zu empfangen, setzte ich mich am Morgen des 20. Juni nach Teruel in Marsch. Die Theilnahme, welche die Einwohner von el Albarracin und den übrigen Ortschaften, in denen ich früher an der Spitze meiner Truppen gewesen war, in so veränderter Lage mir bewiesen, mußte bei allem Schmerze, den die Erinnerung hervorrief, mir unendlich genugthuend sein; das rauhe, aber biedere Gebirgsvölkchen, gewohnt, nur Härte und erpressenden Eigennutz zu finden, hatte die Rücksicht anerkannt, die in der Ausübung der schweren Pflicht mich stets Schonung und Milde, wo sie erlaubt waren, gegen die Bedauernswerthen üben ließ. Gegen Mittag lag die Festung vor mir. Bei eben dem Gartenhäuschen, bis zu welchem ich wenige Wochen vorher mit meinen Sappeurs vorgedrungen war, trennte ich mich nun nach herzlichem Abschiede von meinem treuen Marco, der bis dicht an die Stadt mich geleiten wollte. Als ich wenige Minuten später das gewölbte Thor betrat, als ich den triumphirenden Feinden mich überlieferte, da schwand meine Kraft, ich fühlte mich niedergeschmettert, und nur der Gedanke, von den verhaßten Christinos umgeben zu sein, konnte mich stärken, um im Äußern Festigkeit und Ruhe zu zeigen, während die widerstreitendsten Empfindungen meine Brust durchwühlten. Es war ja Alles vorbei. Die ewig gerechte Sache, für die wir gestritten, deren Sieg das erhabene Ziel unseres Strebens und unserer Hoffnungen bildete, war der herrlichen Früchte so vieler Thaten, so vielen Blutes -- vielleicht auf immer -- beraubt; sie unterlag der Übermacht der usurpatorischen Revolution, welche sie so glorreich bekämpft und so oft mit dem Untergange bedroht hatte, unterlag, weil ein Elender sich fand, ein Verräther, der, niedrigen Leidenschaften zu genügen, das Heiligste für Gold hingab! -- Das zerreißt das Herz und füllt den Busen mit Gluth des Hasses und der Rache, welche nie erlöscht. * * * * * Wenige Zeilen werden hinreichen, um eine Übersicht der Ereignisse zu geben, welche von der Eroberung Morella’s bis zu dem bald und ohne wichtigen Kampf erfolgenden Übertritt der Trümmer der carlistischen Heere auf französisches Gebiet erfolgten. Sie sind, da der Sieg entschieden war, von nur untergeordnetem Interesse, mögen aber der Vollständigkeit wegen kurz angeführt werden. Palacios und Arévalo trafen schon am Tage nach meiner Trennung von ihnen, am 15. Juni, mit ihren sieben Bataillonen und neun Escadronen westlich von Medinaceli mit der Colonne des Generals Concha zusammen, der die Königinn Wittwe auf ihrer Reise nach Zaragoza escortirt hatte. Die Carlisten wurden, doch ohne auf ernsthaftes Gefecht sich einzulassen, geworfen und erlitten den schweren Verlust von 1400 Mann, welche von dem Nachtrabe abgeschnitten und gefangen wurden. Sie vereinigten sich darauf in den Pinares zwischen Soria und Burgos mit Valmaseda, welcher zwei starke Escadronen und 400 Mann Infanterie führte, und zogen dem Ebro zu, um durch Navarra die französische Gränze zu erreichen. Sie überschritten jenen Fluß in Miranda de Ebro und durchzogen Alava, wurden aber, da sie das Volk in Navarra umsonst zum Aufstande zu bewegen suchten, am 25. Juni bei Tafalla nochmals ereilt und geschlagen. Valmaseda drang jedoch mit kaum 2000 Mann nach Frankreich durch; er betrat dieses Königreich am 28. im Departement des Basses Pyrenees und ward sofort als Gefangener nach dem Norden abgeführt. Palacios dagegen sah sich abgeschnitten und genöthigt, in Pamplona sich zu präsentiren, indem er erklärte, daß er die Waffen niederlegen und in feine Heimath sich zurückziehen wolle. Unter dem Vorwande, daß dieser Schritt zu spät gethan und durch die äußerste Nothwendigkeit erzwungen sei, wurde er als Kriegsgefangener behandelt. Der Graf von Morella hatte den Ebro mit nicht ganz 5000 Mann Infanterie und etwa 400 Pferden passirt, da mehrere Bataillone von ihm abgeschnitten wurden, andere die Garnison von Morella bildeten, alle aber durch die wiederholten empfindlichen Verluste des Frühjahres sehr geschwächt waren. Wir sahen oben, wie der größte Theil der Cavallerie dem Brigadier Palacios sich anschloß. Er vereinigte sich alsbald mit den Divisionen von Catalonien, welche durch Königliche Ordre bald nach der Ermordung des Grafen von España gleichfalls seinen Befehlen untergeben waren. Auch sie hatten schon bedeutende Verluste erlitten und zählten nur noch 5000 Mann. Der General wandte sich nach Berga, welches er auf den besten Vertheidungszustand zu bringen befahl, während er noch einmal einen Rest der alten Energie zeigte, da er die Mörder des heldenmüthigen de España nach der Strenge der Gesetze bestrafen ließ. Mehrere Theilnehmer der Schandthat wurden arretirt und sogleich erschossen; die meisten hatten sich auf die Nachricht seiner Annäherung durch die Flucht gerettet. Espartero aber, so wie er Morella erobert hatte, führte zur Verfolgung der Carlisten den größten Theil seines Heeres über den Ebro und übernahm den Oberbefehl im Fürstenthum Catalonien. Er drängte rasch die schwachen, ihm entgegengestellten Truppen in die Gebirge von Hoch-Catalonien zurück, ohne irgendwo kräftigen Widerstand zu finden. Berga wurde nach leichten Scharmützeln eingeschlossen; es ergab sich, ehe noch die Belagerungs-Artillerie herangebracht war. Das Heer, fortwährend den Kampf vermeidend, zog sich auf dem Fuße verfolgt nach der Gränze zurück, welche seit dem Anfange des Julius täglich Flüchtlinge, Beamte, Priester, Weiber und Kinder überschritten, denen bald einzelne Officiere sich anschlossen. -- Am 6. Juli führte Cabrera etwa 8000 Menschen von der Armee von Aragon, unter denen über 3000 Nichtcombattanten, auf das französische Gebiet, wo er arretirt und nach Paris mit Gensdarmen gebracht wurde. Die catalonischen Truppen, deren Anführer General Segarra zu den Feinden überging, zerstreuten sich größtentheils, der Rest folgte alsbald ihren Gefährten nach Frankreich, und die unbedeutenden Banden, welche hauptsächlich unter der Anführung des Generals Tristany noch einige Wochen lang die rauhen Schluchten der catalonischen Pyrenäen durchzogen, wurden ohne Mühe erdrückt und vernichtet. Nach fast siebenjährigem Bürgerkriege, durch ihre Selbstsucht hervorgerufen, sahen die Männer der Revolution ihre Herrschaft über das verwüstete, mit dem Blute seiner besten Söhne getränkte Königreich befestigt. Sie zögerten nicht, den schmählich erkauften Triumph würdig zu benutzen. Maria Christina, so lange ihr Werkzeug, nun als überflüssig mit Hohn bei Seite geworfen, sollte das erste Opfer ihrer Umtriebe werden. [121] Einige Zeilen, die ich dort in dem Verstecke in mein Tagebuch notirte, schließen nach kurzer Erzählung des Geschehenen mit den Worten: „Jetzt liege ich in einem Pinar verborgen, von glühendem Durste gequält. Mein treuer Bursche Marco Valero von Royuela hat mich nicht verlassen; er schläft an meiner Seite. -- O Spanien! O meine Heimath!“ XL. Vom Gouverneur von Teruel mit hoher Artigkeit empfangen, entging ich nicht den Insulten des Nationalgarden-Pöbels, besonders, da ich das weiße Barett der Carlisten nicht ablegte und nie verheimlichte, daß ich nur durch die Macht der Verhältnisse gezwungen und mit bitterem Schmerze jetzt dem Kampfe für die Sache des Royalismus entsagte. Am Nachmittage wurden einige hundert Gefangene von den Truppen von Cañete, so wie die Besatzung von Beteta eingebracht. Wuthgeheul begrüßte sie, und trotz dem kräftigen Einschreiten des Militairs wurden mehrere der Unglücklichen durch Steine schwer verletzt. Ein armer Priester aber, der früher in der Stadt angestellt gewesen war, hatte, die Wuth der Elenden fürchtend, -- er hatte die päpstlichen Indulgenz-Bullen, deren Ertrag für die Kriegscasse der Carlisten vom Papst bestimmt war, in der Provinz Teruel verkauft und dabei manche Härte ausgeübt -- vom Chef der Escorte erlangt, mit zwei Soldaten in einem Gartenhäuschen bis zum Anbruche der Nacht zu bleiben. Eine rasende Schaar flog auf die Kunde davon hinaus und bemächtigte sich des Priesters; +Weiber+ mordeten ihn unter langen, entsetzlichen Martern und Gräueln mit Scheeren und Nadeln. Am 21. Juni Morgens verließ ich zu Fuß Teruel, die werthvollsten Gegenstände, welche ich gerettet, in einem Pakete tragend. Ich ahnete nicht, daß Gefahr existiren könne, oder sorgte sie nicht in meinen düstern Gedanken, weshalb ich ganz allein den Marsch nach Frankreich antrat. Ein halbes Stündchen war ich gegangen, als ein Mann keuchend mich einholte und mir im Namen des Gouverneurs befahl, zu diesem zurückzukehren. Kaum waren wir hundert Schritt weit zurückgegangen, als ein zweiter Kerl, in einen zerlumpten rothen Mantel gehüllt, sich uns zugesellte und auf meine andere Seite trat; eine kleine Strecke weiter trafen wir zwei ähnliche Menschen im Chausseegraben sitzend, welche bei unserer Annäherung sich erhoben. Da befahl plötzlich der Rothmantel: „Nehmet diesem Menschen das Bündel und bindet ihm die Hände!“ Verächtlich lächelnd hielt ich das Packet hin, indem ich nur einige Papiere zu bergen suchte, als, ehe noch die Beiden herzugetreten waren, der Bandit eine Pistole unter dem Mantel hervorzog. Ein jäher Schreck durchzuckte mich: Meuchelmord! Ich versuchte, durch Versprechungen die Gefahr abzuwenden, aber ruhig den Hahn spannend, hielt er mit den Worten: „~carajo~, ich habe lange Lust, solch’ Einen zu tödten“ die Pistole mir auf die Brust. Blitzschnell wandte ich mich um, und das Packet flog dem Mörder an den Kopf in dem Augenblicke, da der Schuß ertönte: mein Arm sank blutend an der Seite nieder, aber unaufgehalten flog ich der Stadt zu. Die Kugel, durch die rasche Bewegung das Ziel verfehlend, streifte nur längs der Brust, drang in die Schulter und durchbohrte den rechten Oberarm. Schon erschöpft durch Blutverlust und Schmerzen erreichte ich die Thorwache, von wo ich zum Gouverneur und dann in das Hospital getragen wurde. Durch seltenen Zufall hatte die Kugel weder die Arterie noch den Knochen bedeutend verletzt, da doch beide gestreift waren und das Hindurchgleiten zwischen ihnen und den Sehnen, von denen einige halb abgeschnitten waren, nach dem Ausspruche der Ärzte ein Wunder schien. Nach sechs Wochen konnte ich das Hospital verlassen. Der Gouverneur erklärte mir, daß seine Bemühungen, die Meuchelmörder zu entdecken, fruchtlos gewesen seien; das mir Geraubte, worunter viele wichtige Andenken aus den letzten vier Jahren, Notizen und Effecten, war unwiederbringlich verloren. Während meines Aufenthaltes im Hospitale wurden übrigens über zwanzig entwaffnete Carlisten, mehr oder weniger schwer verwundet, nach demselben gebracht, und täglich liefen Nachrichten von Mordthaten ein, welche in der Umgegend vorgefallen waren. Ich glaube, mich selten gefürchtet zu haben; aber als ich zum erstenmale wieder die Straßen von Teruel betrat, konnte ich das Gefühl der Furcht nicht überwinden und warf fortwährend scheue Blicke nach allen Seiten. Schrecklich ist der Gedanke, nach so vielen überstandenen Gefahren und nach dem Schlusse des Krieges zu fallen -- durch Mord! Vorsichtiger gemacht marschirte ich nun mit einem Convoy wegen schwerer Wunden nach den Bädern bestimmter Christinos nach Valencia ab. Während das Volk, eben dasselbe, welches uns, da wir bewaffnet und siegreich das Land durchzogen, stets mit Jubel aufgenommen hatte, nach dem Blute der Wehrlosen lechzete, übten die Krieger, verstümmelt im Kampfe mit den Carlisten, -- zwei von ihnen waren im Scharmützel mit meiner eigenen Streifparthie verwundet -- die zarteste Rücksicht gegen mich aus und verfluchten die Feigen, welche, so lange der Krieg wüthete, unthätig hinter ihren Mauern sich versteckt hatten und nun ihren Patriotismus durch gefahrlose Insulte und Mord darzuthun suchten. Ja, eben diesen verwundeten Feinden dankte ich wiederholt das Leben. Der wahre Soldat, wenn auch wild und blutdürstig in der Aufregung des Kampfes, wird nie dem mit Muth unterliegenden Gegner Achtung und Bewunderung versagen. Schon in Segorve war ich kaum einigen Erbärmlichen entgangen, die unter dem Vorwande, mich nach meinem Logis zu führen, in die abgelegensten Theile der Stadt mich lockten. Ihr Glaube, daß ich den valencianischen Dialect nicht verstehe, rettete mich. In Murviedro aber am 31. Juli erkannten mich einige Nationalgardisten, da ich früher als Kriegsgefangener dort gewesen war; zum Glück bemerkte ich ihr Nachschleichen, ihre lauernden Blicke und das drohende Geflüster, mit dem sie wieder und wieder vor meiner Thür vorbeigingen. Da die Militairbehörden von Murviedro im entlegenen Castell wohnten und ich so spät nicht mehr wagen durfte, dorthin mich zu begeben, baten mich einige der Verwundeten, welche neben meinem Hause einquartiert waren, bei ihnen die Nacht zuzubringen, für meine Sicherheit sich verbürgend. Und wohl bedurfte ich dieses Schutzes. Bis nach Mitternacht standen große Haufen von halbtrunkenen Schurken, mit ihren armlangen Messern bewaffnet, an der Thür und hinter den Ecken, erwartend, daß ich meinen Zufluchtsort verlasse. Wieder durchschritt ich die herrlichen Gefilde der Huerta, aber mit wie so ganz andern Empfindungen. Damals ging ich kampflustig und vertrauend auf nahen Triumph zur Auswechselung, die langen Leiden ein Ziel setzen sollte; und jetzt ...! Nachdem mir der englische Consul in Valencia bereitwillig einen Paß unter falschem Namen als verabschiedetem Soldaten der britischen Hülfslegion ausgestellt hatte, da ich nur so mit einiger Sicherheit die Reise fortsetzen konnte, schiffte ich mich am 8. August auf einem kleinen Kauffahrer im Grao ein, um die im ewigen Frühlinge prangende Stadt zu verlassen. Ein günstiger Wind trieb uns längs den mit Hügeln umkränzten Küsten von Valencia und Catalonien hin, deren niedliche Städte, dicht an einander gereihet, langsam vorüberschwanden. Wir bewunderten die von der Natur zum geräumigsten und gegen alle Winde gleich trefflich geschützten Hafen gemachte Bai der Alfarques, da wir, drohendes Gewölk fürchtend, eine Nacht auf ihrer stets spiegelglatten Fläche zubrachten. Unter Carl IV. ward dort die Grundlage zu einer neuen Stadt, San Carlos, gelegt, in der einzelne prachtvolle Gebäude eine hohe Cathedrale umgeben, so wie alle Straßen abgesteckt sind. Die politischen Stürme und Drangsale, unter denen Spanien seit funfzig Jahren seufzet, ließen die Ausführung des schönen Gedankens auf günstigere Zeiten verschieben. Dann durchschnitten wir den schmalen, weiß schäumenden Streifen, durch den der Ebro einige Meilen weit ins Meer hinein die Gewalt seiner Wasser bekundet, und legten am 11. Juli vor Tarragona bei, schon zur Zeit der Römer gerühmt und unter den Arabern als eine der ersten Städte der Halbinsel blühend, jetzt nur noch durch Ruinen an seine einstige Größe erinnernd. Am folgenden Tage erreichten wir den schönen Hafen von Barcelona, der reichsten Stadt Spaniens, eben so lieblich durch ihr Klima, wie sie in der Geschichte des Bürgerkrieges durch die Wildheit ihrer Bewohner hervorsticht, welche häufige Revolutionen und Mordscenen hervorrief. Die Königinn Wittwe befand sich seit einiger Zeit mit ihren Töchtern in Barcelona nebst den Generalen Espartero, dem Siegesherzoge, Leon, Grafen von Velascoain und O’Donnell, welche ich kurz nach der Landung auf der Parade sah. Espartero ist von untersetzter Statur und dunkel gebräunten Antlitzes mit feurigen Augen und scharf markirten, listigen Zügen; in seinem Auftreten und Wesen malten sich unendlicher Stolz und Eitelkeit. Er stand zu jener Epoche auf dem Gipfel der Volksgunst und war von dem Heere angebetet. Vivas empfingen, Deputationen begrüßten ihn bei jedem Schritte, selbst über die Regentinn ihn erhebend, da er gerade durch eine Proclamation entschieden gegen das Regierungssystem sich ausgesprochen hatte. Espartero war schon der wahre Herrscher Spaniens. Neben ihm zog die starke imponirende Gestalt des Generals Leon die Aufmerksamkeit an: ein dichter schwarzer Bart, aus dem die Augen dunkel blitzten, bedeckte das ganze Gesicht und gab ihm einen besonders finstern Ausdruck. Augenscheinlich herrschte Kälte zwischen ihm und dem Oberfeldherrn. O’Donnell dagegen, wohlbeleibt, mit dem feststehenden Lächeln auf den immer sich gleichen Zügen, denen die scharf gebogene Adlernase einen Anstrich von Energie verlieh, machte sich Viel mit Espartero zu schaffen und schien durch freundliches Grüßen der Gruppen rechts und links das Wohlwollen des Volkes zu erstreben. Am Nachmittage setzte ich den Marsch fort, längs der Küste nordwärts mich richtend. Da ich in der Nacht unter einer Hecke mich niedergelegt hatte, ward ich durch einen lauten Ruf geweckt; zwei Männer mit Büchsen standen vor mir und forderten, indem sie sich als Carabineros -- ein militairisch organisirtes Corps Zollwächter -- zu erkennen gaben, meinen Paß. Als ich ihn hervorzog, ergriff einer derselben das Taschenbuch und blätterte darin umher. Todesschrecken machte mir das Blut erstarren: durch eine Unvorsichtigkeit, welche mir später unbegreiflich war, befand sich in dem Taschenbuche ein Päckchen Briefe, welche mir in Angelegenheiten des Dienstes nach Cañete geschrieben waren. Der Carabinero zog alsbald das unheilsvolle Packet hervor und fragte mich mit dem Ausrufe: „~carajo~, wie viele Briefe!“ von wem sie wären. „Von meiner Familie“ war die Antwort. Im ungewissen Lichte des Mondes betrachtete er einen jeden Brief einzeln und gab sie endlich mir zurück, der ich, kaum athmend, das Resultat der Untersuchung erwartete. Er zündete dann eine Laterne an und las sorgfältig den Paß, während ich, jeden Verdacht zu vermeiden, die Brieftasche ruhig in der Hand hielt. Nachdem sie jedes Wort des englischen Passes studirt hatten und natürlich, da sie nicht eine Silbe verstanden, befriedigt waren, verließen sie mich, gegen die Gefahren des Weges durch das Gebirge mich warnend. Tief aufathmend dankte ich für die Rettung aus der Gefahr, der ich mich übrigens nicht wieder aussetzte. Die Carabineros waren stets unsere blutgierigsten Feinde, die weder Pardon gaben noch erhielten! Über Gerona und Figueras langte ich am 15. August Abends nach unendlichen Mühseligkeiten und Entbehrungen -- Brombeeren waren von Barcelona her meine einzige Nahrung -- bei Perthus auf der Gränze von Frankreich an. Als ich die Brücke überschritt, welche die beiden Königreiche verbindet, zitterte ich, wie nie im Leben, und jubelte und dankte Gott, daß er schützend aus diesem Spanien mich befreit hatte, aus den Klauen spanischer Volksaufklärer. Nachdem ich den Zug der Pyrenäen, welcher schmal, aber rauh, bis ins Meer sich hineinzieht, überstiegen, befand ich mich am Mittage des folgenden Tages in Perpignan. Der Präfect der Ost-Pyrenäen und der commandirende General der Militair-Division stellten mir die Alternative, entweder mit meinem Grade in die Fremdenlegion einzutreten,[122] für welchen Fall sofort Gelder angeboten wurden, oder aber unmittelbar nach Deutschland abzugehen. Da ich das Ansinnen der Franzosen -- vielleicht etwas derbe -- zurückstieß und der Präfect es für eine passende Rache hielt, mir die Erlaubniß zum Aufenthalte, bis ich mir Hülfsmittel verschaffte, zu verweigern, trat ich am 18. August den mühevollen Marsch nach dem Vaterlande an. [122] Von den mit Cabrera übergetretenen Carlisten hatten etwa 800 Mann in der Fremdenlegion Dienste genommen, so wie dreißig Officiere, denen ihr effectiver Rang zugesichert ward. Ein Bataillon ward daraus gebildet, welches bald nach Afrika abging. Die übrigen Carlisten weigerten sich trotz aller Aufforderungen, Versprechungen und Vexationen, Ludwig Philipp zu dienen. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Vier Jahre in Spanien. - Die Carlisten, ihre Erhebung, ihr Kampf und ihr Untergang." *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.